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German Pages [488] Year 2013
Sandra Heck
Von spielenden Soldaten und kämpfenden Athleten Die Genese des Modernen Fünfkampfs
Mit 34 Abbildungen
V& R unipress
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0201-4 ISBN 978-3-8470-0201-7 (E-Book) Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT.
Überarbeitete Fassung der Dissertation an der Fakultät für Sportwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum 2012. Die Dissertation wurde mit dem Dr. Klaus Marquardt-Preis 2013 ausgezeichnet. Ó 2013, V& R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Briefmarke »Moderner Fünfkampf« aus dem Jahr 1977 (bearbeitet nach CPA Stamp Catalog, no. 4751, Moskau 1983). Druck und Bindung: CPI Buch Bücher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1 Einleitung: Die Genese des Modernen Fünfkampf als historischer Forschungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Forschungsfrage und Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Zeitgenössische Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Untersuchungsperspektiven und Konzepte . . . . . . . . . . . 1.5 Heuristik und Forschungsmethodik . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Thematische Eingrenzung und Untersuchungsgang . . . . . .
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2 Am Anfang war die Idee: Pierre de Coubertins idealer Athlet . . . . . 2.1 Coubertins Athletenbild im Schmelztiegel von Hellenismus, D¦brouillardise und Utilitarismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Romantische Inspiration: der antike Pentathlet . . . . . . . . 2.1.2 Sinnbild der Vollkommenheit: der D¦brouillard . . . . . . . 2.1.3 Konkurrierende Zweckgymnastiken: Gymnastique utilitaire und M¦thode naturelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Konsens und Dissens zwischen Coubertins olympischen Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Universale Friedensmission versus nationale Militärbegeisterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Soziale Demokratisierung versus aristokratische Abschottung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.1 Sport und Klassenzugehörigkeit im Zeitalter der Industrialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
2.2.2.2 Die Praktikabilität von Coubertins Idee . . . . . . . . Zwischenfazit I: Die Verträglichkeit von Coubertins idealem Athletenbild mit der Mehrkampfidee . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Svensk gymnastik, idrottsmärket, fem- och tiokampen: schwedische Mehrkampftraditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Gymnastik, Sport und Mehrkämpfe des 19. Jahrhunderts . . . . . 3.1.1 Gemeinschaftsbildende Vielseitigkeitsübungen: die Schwedische Gymnastik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Der Sport setzt sich durch: das Mehrkampfideal in den Anfängen des organisierten schwedischen Sports . . . . . . . 3.1.3 Gegen den Spezialisierungstrend: schwedische Mehrkämpfe und Sportabzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Diversität als Gütekriterium der militärischen Ausbildung . . . . . 3.2.1 Vom Sportplatz aufs Schlachtfeld: der Mehrkämpfer als idealer Offizier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Trainieren für den Ernstfall: die schwedische Militärsportpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Ein Leben für Leibesübung und Armee: Viktor Gustaf Balck . . . . 3.3.1 Angetrieben von Heimatliebe: der Vater des schwedischen Sports und sein nationales Engagement . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Hinaus in die Welt: der Sportfunktionär Balck und die Internationalisierung schwedischer Ideen . . . . . . . . . . Zwischenfazit II: Die Verträglichkeit der schwedischen Trainingspraxis mit der Mehrkampfidee . . . . . . . . . . . . . . . 4 Ein steiniger und langwieriger Weg: Die Einführung des Modernen Fünfkampfs in das olympische Programm . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Mehrkämpfe in der Anfangsphase der olympischen Bewegung . . . 4.1.1 Allrounder, Antisemiten und Philhellenen: neuzeitliche Mehrkampferfahrungen in Europa und Nordamerika . . . . 4.1.2 Ein vergessenes Modell: Der Fünfkampf von Much Wenlock . 4.2 Das IOC und die Umsetzung erster olympischer Mehrkämpfe . . . 4.2.1 Nichts als leere Worte: die Diskussionen im IOC (1894 – 1901) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Ausdifferenzierung und Bedeutungszunahme: Die Allround-Wettkämpfe in St. Louis 1904 . . . . . . . . . . 4.2.3 Ein gelungener Auftakt: der olympische Fünfkampf von Athen 1906 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
4.3 Eine Geduldsprobe für alle Beteiligten: die Aufnahme des Modernen Fünfkampfs in das olympische Programm . . . . . . . . 4.3.1 Die Einplanung olympischer Mehrkämpfe in Berlin und Luxemburg (1909 – 1910) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Die Konkretisierung des Modernen Fünfkampfs in Budapest (1911) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Interessenskonflikte und Kompromisse: Die Festlegung der Wettkampfregularien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Schießen, Schwimmen, Fechten und Laufen: Diskussionen und einstimmige Beschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Reiten: Aufeinandertreffen konträrer Meinungen und Übereinkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Die unerwartete Herausforderung der Gender-Ordnung: Helen Preeces Teilnahmeanfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1 Sport, die Olympischen Spiele und das starke Geschlecht . . 4.5.2 Helen Preece, der Moderne Fünfkampf und das schwache Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenfazit III: Olympisch-coubertinsche und schwedisch-militärische Einflüsse auf die Einführung eines neuzeitlichen olympischen Fünfkampfs . . . . . . . . . . . . . . . 5 International und exklusiv : das olympische Debüt des Modernen Fünfkampfs in Stockholm 1912 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Die Zusammensetzung des Modernen Fünfkampfs aus der Perspektive seiner Erfinder und Beobachter . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Versprechen und Legitimationsstrategien . . . . . . . . . . . 5.1.2 Kritik und Prophezeiungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Die Inszenierung des ersten Modernen Fünfkampfs . . . . . . . . 5.2.1 Probe und Selektion: nationale Wettkampfvorbereitungen in Schweden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1.1 Der erste Testwettkampf im November 1911 . . . . . . 5.2.1.2 Die Qualifikationswettkämpfe im April und Mai 1912. 5.2.2 Sechs Tage, fünf Disziplinen: der Wettkampfverlauf . . . . . 5.2.3 Ein Fest für schwedische Offiziere: das Teilnehmerfeld . . . . 5.3 Die Perzeption und Rezeption des ersten olympischen Modernen Fünfkampfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Zufrieden und enttäuscht zugleich: die Reaktionen der Initiatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Geschätzt, geduldet, abgelehnt: die Kritik der nationalen und internationalen Beobachter . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
Zwischenfazit IV: Olympisch-coubertinsche und schwedisch-militärische Einflüsse auf die Inszenierung des ersten olympischen Modernen Fünfkampfs . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Fazit: Der Moderne Fünfkampf als Bestandteil einer sich wandelnden Bewegungskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Die olympisch-coubertinsche und die schwedisch-militärische Seite des Modernen Fünfkampfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Der Moderne Fünfkampf nach seinem Debüt: eine schleichende Emanzipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Der Moderne Fünfkampf im 21. Jahrhundert: ein Reformversuch .
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7 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Archivalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1.1 IOC Archiv Olympic Studies Centre, Quai d’Ouchy 1, 1006 Lausanne/Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1.2 Riksarkivet, Fyrverkarbacken 13, Marieberg, Stockholm/Schweden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1.3 Krigsarkivet, Ban¦rgatan 64, 115 88 Stockholm/Schweden . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1.4 Archiv der British Olympic Association (BOA), University of East London, Docklands Campus 4 – 6 University Way, London, E16 2RD, UK . . . . . . . . . 7.1.1.5 Archiv der Wenlock Olympian Society (WOS-Archiv), Wenlock Olympian Society, 20 Swan Meadow Much Wenlock, Shropshire, TF13 6JQ, UK . 7.1.1.6 Archiv der Library of Congress, 101 Independence Ave, SE, Washington, DC 20540, USA . . . . . . . . . 7.1.1.7 Online-Archive/Homepages . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1.8 Private Korrespondenz . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Zeitgenössische Bücher und Zeitschriften . . . . . . . . . . . 7.1.2.1 Anthologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2.2 Periodika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2.3 Monographien und Artikel . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Tabellen- und Diagrammverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
8.3 Ausgewählte Primärquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.1 Quellen zur olympischen und coubertinschen Genese des Modernen Fünfkampfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.1.1 Diskussion über die Einführung eines ›pentathle‹ auf dem ersten Olympischen Kongress 1894 . . . . . . . . 8.3.1.2 Brief von Balck an Coubertin (28. März 1910) . . . . . 8.3.1.3 Brief von Balck an Coubertin (4. April 1910) . . . . . 8.3.1.4 Brief von Coubertin an Edström (1. Juni 1911) . . . . 8.3.1.5 Brief von Balck an Coubertin (27. Dezember 1911) . . 8.3.1.6 Coubertin über seinen Fünfkampf der Olympischen Spiele 1912 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2 Quellen zur militärsportlichen, schwedischen und balckschen Genese des Modernen Fünfkampfs . . . . . . . . 8.3.2.1 Die Organisation eines Fünfkampfs im Rahmen der Gymnastik- und Sportübungen der Königlichen Schwedischen Leibgarde . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2.2 »Zweites Gotländisches Sportfest« am 31. Juli 1892 . . 8.3.2.3 Brief von Balck an Coubertin (7. März 1894) . . . . . 8.3.2.4 Brief von Balck an Coubertin (12. April 1894) . . . . . 8.3.2.5 Das Schwedische Sportabzeichen . . . . . . . . . . . . 8.3.2.6 Balck über die »schwedische Idee« im Modernen Fünfkampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.3 Quellen zur Vorbereitung und Organisation des ersten olympischen Modernen Fünfkampfs in Stockholm 1912 . . . 8.3.3.1 Brief von Balck an Coubertin (22. September 1911) . . 8.3.3.2 Anmeldungen zum ersten Testwettkampf im Modernen Fünfkampf (10.–12. November 1911) . . . 8.3.3.3 Brief von Laffan an das SOK (2. Mai 1912) . . . . . . 8.3.3.4 Sam Granfelts Antwort auf das Fragebogenformular zur Zulassung von Frauen im Modernen Fünfkampf . 8.3.3.5 Brief von Coubertin an Hellström (20. Mai 1912) . . . 8.3.3.6 Das Anmeldeformular des einzigen US-amerikanischen Starters im Modernen Fünfkampf 1912, George S. Patton Jr. . . . . . . . . . . . . . . .
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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Danksagung
Bei der vorliegenden Monographie handelt es sich um die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, mit der ich im Dezember 2012 von der Fakultät für Sportwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum promoviert wurde. Sie richtet sich sowohl an Fachkollegen und Studenten aus der Sport- und Geschichtswissenschaft als auch an Olympiafans, Anhänger des Modernen Fünfkampfs und Militärsportinteressierte. In allen Phasen der Promotion bin ich offenen und hilfsbereiten Menschen begegnet, denen ich an dieser Stelle herzlich danken möchte. Besonders hervorzuheben ist der Einsatz meines Doktorvaters, Prof. Dr. Andreas Luh, der mich in allen Belangen stets kompetent unterstützte. Des Weiteren gebührt mein Dank meinem Zweitgutachter, Prof. Dr. Michael Krüger. Er bot mir u. a. die Möglichkeit, meine Forschungsarbeit im Rahmen seines sporthistorischen Kolloquiums an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster vorzustellen und damit wertvolle Kritik einzuholen. Ebenso bedanke ich mich bei Prof. Dr. Gertrud Pfister, Universität Kopenhagen, und Prof. Dr. Norbert Gissel, RuhrUniversität Bochum, für ihre Bereitschaft, als weitere Mitglieder des Promotionsausschusses zur Verfügung zu stehen. Mein Dank gilt ferner dem französischen Sporthistoriker Prof. Dr. Thierry Terret, der stets ein offenes Ohr für meine Fragen hatte und mir Zugang zu seinem reichen Privatarchiv gewährte. Die Archivunterlagen und Kommentare des schwedischen Leichtathletikexperten Rooney Magnusson sowie die Übersetzungshilfen der schwedischen Handschriften durch Dr. Ansgar Molzberger, Inga Nickel und Marit Nybelius waren ebenfalls von unschätzbarem Wert. Mit Ratschlägen sowie weiterem Literatur- und Archivmaterial unterstützten mich außerdem Prof. Dr. Pascal Delheye, Walter Grein, Wille Grut, Prof. Dr. Allen Guttmann, Prof. Dr. Hermann Heck, Prof. Dr. Annette Hofmann, Prof. Dr. Arnd Krüger, Prof. Dr. Manfred Lämmer, Dr. Matthew Philip Llewellyn, Angela Öztanil, Hiltrud Reder, Prof. Dr. Roland Renson, Dr. Anna Rotkiewicz-Piorun, Dr. Peter Tauber, Dr. Gabriella Trzaskoma-Bics¦rdy, Prof. Dr. Stephan Wassong und viele mehr. Institutionelle Unterstützung habe ich vor allem in der RUB Research School,
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Danksagung
der Graduiertenschule der Ruhr-Universität Bochum, gefunden. Als Stipendiatin durfte ich mich auf die Promotion konzentrieren und gleichzeitig vielfältige Angebote der Vernetzung, Förderung und Weiterbildung wahrnehmen. Fachlicher Austausch war auf Konferenzen unterschiedlicher internationaler Sporthistorikervereinigungen, so z. B. der International Society for the History of Physical Education and Sport (ISHPES) und der North American Society for Sport History (NASSH), möglich. Unter den Archivaren möchte ich insbesondere die hilfsbereiten und engagierten Mitarbeiter des Olympic Studies Centre in Lausanne/Schweiz hervorheben. Dem Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT danke ich für seinen großzügigen Druckkostenzuschuss. Ohne das Interesse und Engagement der genannten und vieler weiterer Helfer wäre die Umsetzung meines Forschungsvorhabens ungleich schwieriger gewesen. Sie waren Motivation und Unterstützung zugleich und haben mir gezeigt, dass das Erstellen einer historischen Forschungsarbeit nicht nur abgeschottet hinter Bergen von Archivmaterial und digitalen Bildschirmen stattfindet, sondern die Menschen auch enger zusammenrücken lässt und über das gemeinsame Thema weltweit miteinander verbindet. Schließlich möchte ich nicht versäumen, meinen Eltern für ihre Geduld und emotionale Stütze zu danken. In ihnen habe ich den notwendigen Rückhalt für die Umsetzung dieses herausfordernden und gleichzeitig bereichernden Vorhabens gefunden. Sandra Heck
Vorwort
Dass die Praxis der Historiker bestimmt, welche vergangenen Phänomena einen Erinnerungswert haben, ist eine tautologische Binsenwahrheit. Von den fast unzählbaren Mengen der Bücher, die von der Geschichte der modernen Olympischen Spiele erzählen, könnte man den Schluss ziehen, dass die Leichtathletik die wichtigste olympische Sportart sei. Es ist in der Tat wahr, dass im Vergleich zu Leichtathletik, Schwimmen, Turnen, Fußball und Basketball der Moderne Fünfkampf – Fechten, Schwimmen, Schießen, Reiten und Geländelaufen – nur ein Randsport ist, die »ein Schattendasein hinter anderen medial leichter zu vermarktenden und gesellschaftlich weiter verbreiteten Sportarten« führt (S. 397). In den Augen der sportbegeisterten Fernsehzuschauer, ist der Moderne Fünfkampf ungefähr so populär wie der traditionelle afghanische Buzkashi, ein tumultöser, auf Pferden bestrittener Mannschaftswettkampf, bei dem jeder Reiter versucht, den kopflosen Körper einer toten Ziege vom Spielfeld zu ziehen. Ironischerweise war der Moderne Fünfkampf gerade der Lieblingssport des Renovateur des Jeux Olympiques, Pierre de Coubertin, dessen Ehrgeiz es war, diesen Mehrkampfsport erfunden zu haben. »Il y a eu deux pentathlons,« schrieb er in seinen Memoires Olympiques (1931), »le ›moderne‹ – le mien – dont les d¦buts ont ¦t¦ trÀs brillants et le classique…« (S. 26). Den Ruhm eines Erfinders ergriff der Renovateur der antiken Spiele trotz der Beiträge seines schwedischen Kollegen im Internationalen Olympischen Komitee, Viktor Balck, der in seinen fast gleichzeitig veröffentlichen Memoiren die Erfinderehre für sein Land (und impliziterweise für sich) gewinnen wollte: »Der Moderne Fünfkampf ist eine schwedische Idee, sein Programm wurde von den Schweden aufgestellt und präsentiert« (S. 353). Zwischen diesen widersprüchlichen Behauptungen zu referieren, ist ein Hauptziel von Sandra Hecks umfangreicher Arbeit. In epigrammatischer Form drückt ihr Titel – »Von spielenden Soldaten und kämpfenden Athleten« – den Meinungsunterschied zwischen dem Franzosen und dem Schweden indirekt aus. Obgleich die Olympischen Spiele – laut dem Internationalen Olympischen Komitee – die miteinander streitenden Nationen der Welt ermutigen sollten, Frieden, Verständigung und gegenseitigen
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Vorwort
Respekt zu suchen, waren die zweiunddreißig Teilnehmer an dem ersten olympischen Modernen Fünfkampf fast ausnahmslos Berufssoldaten (zwölf der zweiunddreißig kamen aus dem schwedischen Militärdienst). Wenn Coubertin der echte »Vater des Modernen Fünfkamps« war, waren diese jungen (und nicht ganz jungen) Männer grundsätzlich Athleten, die konkurrierten, weil sie Spaß an dem friedlichen Wettkampf hatten. Wenn Balck den überzeugenderen Anspruch hatte, diesen neuen Wettbewerb, erfunden zu haben, waren die Teilnehmer hauptsächlich Soldaten, deren körperliches Können ein öffentlicher Beweis war, dass sie auf den kommenden Ernstfall gut vorbereitet waren. Weil es offensichtlich unmöglich ist, direkt nach den Motivationen und Ansichten der zweiunddreißig Teilnehmer zu fragen, hat Heck die Reden, Aufsätze, Briefe und Memoiren Coubertins, Balcks und ihre Mitarbeiter sorgfältig erforscht. Was sie sagten und schrieben während der Jahrzehnte vor und nach der Verwirklichung ihrer Pläne und der Inszenierung ihrer Träume im Juli 1912 erzählt die Verfasserin auf eine klare, konsequente, einsichtsvolle und interessante Weise. Nach der Pflichtübung einer forschungsfeldüberblickenden Einleitung beschreibt Heck die Entwicklung von Coubertins anthropologischer Suche nach dem »athlÀte complet«, dem »vollkommenen Athleten«, dessen Vollkommenheit hauptsächlich auf Vielseitigkeit basierte. Coubertins idealer Athlet war deshalb ein Mensch, der allen Herausforderungen des modernen Lebens gewachsen war. Coubertin nannte diesen idealen Athleten »le d¦brouillard«. Er war ein Mensch, der seinen Weg durch den Nebel (fr. brouillard) finden kann. »Der D¦brouillard ist nach Coubertin […] jemand, der in jeder Situation anpassungsfähig ist« (S. 62). Um seinen Traum der körperlichen Vollkommenheit zu verwirklichen, begründete der Baron ein Comit¦ de la Gymnastique utilitaire. Athleten, die acht Fähigkeiten beherrschten, bekamen ein »Diplúme des d¦brouillards«. Unter diesen vorbildlichen diplomerwerbenden Athleten war der US-Präsident Theodore Roosevelt, einer von Coubertins Bewunderern. Hätte Coubertin seine Philosophie des »vollkommenen Athleten« vor dem Sorbonner Kongress von 1894 angemeldet, wäre sein Anspruch auf den Titel des Fünfkampferfinders überzeugender, aber sein Aufsatz »L’AthlÀte complet« erschien im Jahr 1918, sechs Jahre nach dem ersten Modernen Fünfkampf und vierundzwanzig Jahre nach dem Sorbonner Gründungskongress des IOCs. Seine Ablehnung der extremen Arbeitsteilung der modernen, rationalisierten Gesellschaft datierte von den achtziger Jahren, aber sein Ruf nach einem »athlÀte complet« lautete am stärksten im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Einige Monate vor dem Kongress 1894 schickte Viktor Balck zwei Briefe an Coubertin, die von der Fünfkampferfahrung des schwedischen Heers erzählten. Auf dem Kongress aber war es der Grieche Demetrios Vikelas, der den antiken Fünfkampf lobte als einen Beweis für eine »harmonische Entwicklung von Kraft
Vorwort
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und allgemeiner Beweglichkeit« (S. 182). Als die Kongressteilnehmer eine vorläufige Liste von olympischen Sportarten für das Jahr 1896 diskutierten, war es der Schwede Frederick Bergh, der den Wünsch äußerte, ein »pentathle« nach antikem Vorbild wiedereinzuführen. Sein Vorschlag wurde einstimmig akzeptiert. Den langen, komplizierten, mit heftigen Kontroversen markierten Weg vom Sorbonner Kongress zum ersten Modernen Fünfkampf bei den Stockholmer Spielen beschreibt Heck mit bewundernswerter Akribie. Der erste Schritt war Coubertins Ankündigung in der ersten Nummer des Bulletin du Comit¦ International des Jeux Olympiques, dass »il soit institut¦ un Championnat g¦n¦ral d’athl¦tisme sous le nom du ›pentathle‹« (S. 183). Bei der in Le Havre stattfindenden Sitzung des IOCs (1897) argumentierte Balck für einen neuen, ausgezeichnet modernen Fünfkampf. Die Sportdisziplinen der alten Griechen seien nicht geeignet, den körperlichen Bedürfnissen des 20. Jahrhunderts entgegenzukommen. Vier Jahre später, auf der Pariser IOC-Sitzung, wechselten die Schweden ihre Einstellung zur Fünfkampffrage. Sie schlugen vor, die modernen Sportarten aus dem olympischen Leichtathletikprogramm zu streichen und die antiken Disziplinen wiedereinzuführen. Coubertin lehnte diesen Vorschlag energisch ab. Er sei »n¦gatif, impratique, et, finalement, destructeur de notre œuvre« (S. 188). Bei den in St. Louis stattfindenden Spielen (1904) gab es Mehrkämpfe verschiedener Sorten, aber weder einen modernen noch einen klassischen Fünfkampf. Zwei Jahre später feierte das IOC in Athen die sogenannten »interpolierten« Olympischen Spiele, die in den Augen von Coubertin nur Ärgernis waren. Sechsundzwanzig Athleten kamen aus zehn Ländern, um an einer Nachahmung des antiken Fünfkampfs teilzunehmen. Coubertin blieb dem Austragungsort fern; der Schwede Hjalmar Mellander (1880 – 1964) siegte. Obgleich der Fünfkampf kein Thema war während der Londoner Sitzung des IOCs (1904), war die Frage in Berlin (1909) und Luxembourg (1910) nicht, ob das Programm der Stockholmer Spiele (1912) einen Modernen Fünfkampf haben sollten, sondern, aus welchen Disziplinen er bestehen sollte. Die Antwort zu dieser Frage lag primär in den Händen des schwedischen Organisationskomitees (SOK), in dem Balck der dominante Machthaber war. Das SOK überwies einem »Spezialkomitee« die endgültige Bestimmung des Inhalts des fünfteiligen Wettbewerbs. In der Periode zwischen 1909 und 1912 tauschten Balck und Coubertin ihre Vorschläge hinsichtlich der Konstitution des Modernen Fünfkampfs aus. Die Schweden des Spezialkomitees, die ausnahmslos aus dem Militärwesen kamen, waren der festen Meinung, dass die Disziplinen gerade diejenigen sein sollten, mit denen schwedischen Soldaten schon vertraut waren. Um den Lesern zu ermöglichen, dieser Auseinandersetzung zu folgen, schließt Heck Tabelle 2 ein: »Überblick über die Entwicklung der im Modernen Fünfkampf
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Vorwort
eingeschlossenen Sportarten und des Zeitplans für 1912«. Die Tabelle hält den Ort und das Datum der IOC-Sitzungen, die Disziplinen und deren Reihenfolge und den vorgeschlagenen Zeitplan fest (S. 219). Das letzte Wort hatte das Spezialkomitee am 22. Juni 1912, d. h. nur zwei Wochen vor dem Beginn des Wettbewerbs. In seinem umfangreichen Briefwechsel mit Coubertin war Balck das Sinnbild der Bescheidenheit. Im Gegensatz zu seiner späteren Meinung wies Balck mehrmals auf den Modernen Fünfkampf hin, als ob Coubertin zweifellos der Erfinder und der Urheber diese Neuerung gewesen wäre. Am 27. Dezember 1911 schrieb er schmeichelhaft: »Votre id¦e – le pentathlon moderne – a eu [schon] un trÀs grande succÀs dans les pays Scandinaves, l’Allemagne parait ¦galement s’y int¦resser.« (S. 286) Am intensivsten bereiteten sich die schwedischen Athleten auf den Wettbewerb, der die Überlegenheit ihrer Körpererziehung demonstrieren sollte, vor. Heck schildert die schlechten Leistungen bei den schwedischen Qualifikationswettkämpfen und die Steigerung des Trainings nach den enttäuschenden Resultaten. Endlich, am 7. Juli 1912, ging es im olympischen Stadion los. Im erstaunlichen Detail beschreibt die Verfasserin den Verlauf des Wettkampfs und die quantifizierten Resultate. Tabelle 10 (S. 332) trägt die Namen, Lebenszeiten, Nationen, Einzelresultate, Punkte und Ränge der zweiunddreißig Teilnehmer an dem ersten Modernen Fünfkampf, eingeschlossen auch diejenigen, die ihren Kampf vorzeitig beendeten. Man liest, dass der Sieger, Gustaf Malcolm Lilliehöök (1884 – 1974) ein Schwede war, der dritte im Schießen, zehnte im Schwimmen, fünfte im Fechten, vierte im Geländereiten und fünfte im Geländelauf. Johannes Blom Ussing (Dänemark, 1883 – 1929) gab nach dem Reiten auf. Der Schwede Eric Carlberg (1880 – 1963) war nach der ersten Disziplin (dem Schießen) schon fertig. Im Vergleich mit den Spezialitäten in diesen fünf Disziplinen waren alle Pentathlonteilnehmer ziemlich schwach, weil sie nicht, wie die heutigen Mehrkampfathleten jahrelang für jede Einzeldisziplin geübt hatten. Dass die Mehrkampfteilnehmer den Spezialisten unterlegen waren, störte Pierre de Coubertin nicht. Die treibende Kraft hinter dem neuen Mehrkampf war der Widerstand gegen die schon um die Jahrhundertwende extreme Spezialisierung der Sportwelt. Weder Coubertin noch Balck erwartete, dass die »allround«-Athleten besser abschneiden würden als die engspezialisierten. Beide waren mit dem Verlauf des Stockholmer Fünfkampfs zufrieden. Bezüglich der Zukunft des neuen Wettbewerbs waren beide optimistisch. Und wer hat letzten Endes den größeren Kredit für den ersten Modernen Fünfkampf verdient? Heck lässt die Frage offen: »Wer der tatsächliche Erfinder der Sportart war, hängt dabei auch davon ab, worin die größere Schöpfungskraft gesehen wird, in der Idee und ideologischen Begründung, einen neuen olympischen Fünfkampf zu erschaffen, oder in dem praktischen Transfer von na-
Vorwort
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tional militärisch geprägten Vielseitigkeitstests in einen internationalen olympischen Wettkampf« (S. 383). Dem Leser, dem sie schon mehr als zulängliche Informationen gegeben hat, überlässt Heck die Antwort. Zum Schluss wendet sich die Verfasserin der Entwicklung des Modernen Fünfkampfs nach den Stockholmer Spielen und den möglichen Regeländerungen zu, die den Platz des immer weniger populären Modernen Fünfkampfs im olympischen Programm retten könnten. Es ist unwahrscheinlich, dass die idealistischen Vorschläge der Verfasserin das heutige hochkommerzialisierte IOC beeinflussen werden, den Modernen Fünfkampf im Programm bleiben zu lassen. Reklame, die ein olympisches Fußballspiel unterbricht, kostet Millionen und wird von Milliarden gesehen. Dieser Geldstrom fließt nach Lausanne, wo das IOC sein Hauptquartier hat. Welches internationale Unternehmen würde Millionen bezahlen, um die wenigen Zuschauer des Modernen Fünfkampfs anzusprechen? Amherst, Massachusetts Allen Guttmann
Abkürzungsverzeichnis
AAA AAC AAU ATZ BAA BLMF BOA BOC CIO CIPM CISM CNOSF CuLDA DLV DOSB DTB DVS FEI FFE FIE FINA FIP GAA GCI IAAF IBU IF ISHPES INSEP
Amateur Athletic Association Amateur Athletic Club Amateur Athletic Union Arbeiter-Turnzeitung Boston Athletic Association Bayerischer Landesverband für Modernen Fünfkampf e.V. British Olympic Association British Olympic Council Comit¦ International Olympique Comit¦ International du Pentathlon Moderne Conseil International du Sport Militaire Comit¦ National Olympique et Sportif FranÅais Carl und Liselott Diem-Archiv Deutscher Leichtathletik-Verband Deutscher Olympischer Sportbund Deutscher Turnerbund Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft F¦d¦ration Equestre Internationale F¦d¦ration FranÅaise d’Escrime F¦d¦ration Internationale d’Escrime F¦d¦ration Internationale de Natation F¦d¦ration Internationale du Pentathlon Moderne Gaelic Athletic Association Gymnastiska Centralinstitutet (Gymnastisches Zentralinstitut) International Amateur Athletic Federation/International Association of Athletics Federations (ab 2001) Internationale Biathlon Union Idrottsförening (Sportverein) International Society for the History of Physical Education and Sport Institut National du Sport, de l’Expertise et de la Performance
20 IOC IOA NASSH NISH NOA NOK SEK SHAT SID SMI SOK STF UIPM UIPMB USFSA USGF WOS YMCA
Abkürzungsverzeichnis
International Olympic Committee International Olympic Academy North American Society for Sport History Niedersächsisches Institut für Sportgeschichte Hoya National Olympian Association Nationales Olympisches Komitee Schwedische Kronen Service Historique de l’Arm¦e de Terre Sport-Informations-Dienst Sveriges militära idrottsförbund (Schwedens Militärsportverband) Sveriges Olympiska Kommitt¦ (Schwedisches Organisationskomitee) Svenska Turistföreningen (Schwedischer Touristenverband) Union Internationale de Pentathlon Moderne Union Internationale de Pentathlon Moderne et Biathlon Union des Soci¦t¦s FranÅaises de Sports Athl¦tiques Union des Soci¦t¦s de Gymnastique de France Wenlock Olympian Society Young Men’s Christian Association
1 Einleitung: Die Genese des Modernen Fünfkampf als historischer Forschungsgegenstand
2012 in London hat der Moderne Fünfkampf ein rundes Jubiläum gefeiert. Genau hundert Jahre zuvor, in Stockholm 1912, sind Athleten erstmals bei Olympischen Spielen in dem aus Schießen, Fechten, Schwimmen, Reiten und Geländelaufen bestehenden Mehrkampf gegeneinander angetreten. Erstaunlicherweise ist bislang trotz seiner vergleichbar langen olympischen Geschichte nur wenig über die Genese der Sportart bekannt. Die Bezeichnung »olympischer Fünfkampf« ruft allenfalls Assoziationen zum antiken Pentathlon hervor.1 Letzteres erforderte zwar ebenfalls die Beherrschung fünf verschiedener Sportarten, doch unterschieden sich diese deutlich von jenen seines modernen Pendants.2 Die vermeintliche Verwandtschaft mit dem antiken Vorgänger trifft vor allem verbandspolitisch auf Wohlwollen. So ist die Union Internationale de Pentathlon Moderne (UIPM) darum bemüht, den Modernen Fünfkampf als Sportart mit Tradition zu präsentieren. Hauptargument ist dabei nicht nur eine zurück bis zur Antike gezogene Entwicklungslinie, sondern auch die historisch enge Bindung des Modernen Fünfkampfs an Pierre de Coubertin (1863 – 1937), den Wiedererwecker der Olympischen Spiele. Der Moderne Fünfkampf stamme aus seiner Feder und spiegele seine olympischen Wertvorstellungen in idealtypischer Weise wider.3 Damit wiederum wird der Moderne Fünfkampf zu einer
1 Zerlegt man das griechische Wort für Pentathlon, P]mtahkom, in seine einzelnen Bestandteile, so setzt sich dieses aus »P]mte« (fünf) und »ahkor« (Wettkampf) zusammen. In der deutschen Übersetzung wird daher statt des griechischen Worts »Pentathlon« auch synonym »Fünfkampf« verwendet. 2 Das antike Pentathlon bestand aus einem Kurzstreckenlauf, Weitsprung, Speerwurf, Diskuswurf und Ringkampf. 3 »History«. Homepage der Union Internationale de Pentathlon Moderne (UIPM). Zugriff online am 14. Dezember 2011 unter http://www.pentathlon.org/inside-uipm/history. Hier und im Folgenden stehen die Quellen jeweils in der Fußnote und die Literaturangaben im Fließtext. Eine ausführliche Auflistung findet sich im Literatur- und Quellenverzeichnis, das gleichzeitig den zweiten Band dieser Dissertation einleitet.
22
Einleitung: Moderner Fünfkampf als historischer Forschungsgegenstand
geschichtsträchtigen, ethisch wertvollen Sportart stilisiert. Doch wie viel Wahrheit und wie viel werbeträchtiges Kalkül stecken in dieser Darstellung?
1.1
Forschungsstand
Die Suche nach Literatur, die Aufschluss über den Ursprung und die frühe Entwicklungsgeschichte des Modernen Fünfkampfs gibt, gestaltet sich als schwierig. Während über die Genese seiner fünf einzelnen Sportarten ein vergleichbar reiches Literaturangebot vorliegt,4 ist jene des Modernen Fünfkampfs relativ unerforscht. In sporthistorischen Überblickswerken oder in Büchern, die das Verhältnis von Sport und Militär thematisieren, taucht der Moderne Fünfkampf gar nicht oder wenn doch, nur kurz auf (Holt, 1990; McComb, 2004; Gems, Borish & Pfister, 2008; Mason & Riedi, 2010). Obwohl Viktor Gustaf Balck (1844 – 1928), der als »Vater« des schwedischen Sports bezeichnet wird, 1912 im Organisationskomitee für die Durchführung des ersten olympischen Modernen Fünfkampfs verantwortlich war, bleibt die Sportart in Jan Lindroths Biographie (2007) unberücksichtigt. In den diversen Coubertin-Biographien (z. B. Eyquem, 1966; Boulongne, 1975; Callebat, 1988; Clastres 2001/2003a/ 2003b/2005/2008; Durry, 2003; Brohm, 2008) spielt der Moderne Fünfkampf ebenfalls keine tragende Rolle.5 Die Wissenschaft hat sich bislang auf das antike Pentathlon konzentriert, so dass für die Zeitperiode der antiken Olympischen Spiele einige Abhandlungen zu finden sind (z. B. Haggenmüller, 1892a/b; Ebert, 1963; Kyle, 1990). Daneben haben andere Autoren ihre Studien speziell auf die leichtathletisch geprägten Allround-Wettkämpfe, das Pentathlon und das Dekathlon, ausgerichtet (z. B. Quercetani, 1964; Zarnowski, 2005). Was den Modernen Fünfkampf angeht, so lag bislang die Erforschung des trainingswissenschaftlichen und sportmedizi-
4 Zur Geschichte des Fechtens vgl. z. B. Gaugler (1998) oder Brioist, Dr¦villon & Serna (2002); zur Geschichte des Reitens vgl. z. B. Otte (1994) oder Hennig (2005) (als regionales Beispiel); zur Geschichte des Schießens vgl. z. B. Lugs (1968) oder Kinard (2003); zur Geschichte des Schwimmens vgl. z. B. Terret (1994) oder Love (2007/2008); zur Geschichte der Leichathletik vgl. z. B. Quercetani (1964) oder Parient¦ (1978). Die Reihenfolge der aufgelisteten Quellen bzw. Literaturangaben folgt hier sowie im weiteren Text einer chronologischen Ordnung (entscheidend ist das Jahr der Veröffentlichung). 5 Während Eyquem aus einer subjektiven, hagiographischen Sicht schreibt, basieren Boulonges, Callebats und Durrys Biographien zwar auf einer objektiven, fundierten Archivanalyse, kontextualisieren ihre Ergebnisse allerdings nur wenig. Auch Brohms Artikel ist nicht unkritisch zu betrachten, schreibt er doch ausschließlich aus einer neo-marxistischen Perspektive. In seinen unterschiedlichen Artikeln hat Clastres wohl den bislang besten Versuch unternommen, das Leben und die Person Coubertins darzustellen.
Forschungsstand
23
nischen Bereichs im Vordergrund (z. B. Krüger (J.), 1995; Drjukov & Zaporoshanov, 1999; Kelm u. a., 2003). Die historischen Ursprünge und die Einflüsse, die zur Entwicklung des Modernen Fünfkampfs geführt haben, sind hingegen noch nicht wissenschaftlich untersucht worden. Die wenigen Autoren, die sich bisher in einer Monographie mit dem Modernen Fünfkampf auseinandergesetzt haben, zeichnen sich durch einen individuellen Praxisbezug zur Sportart aus und entstammen keinem historischen Forschungsfeld. Demzufolge knapp sind jeweils die Ausführungen, die sich mit der geschichtlichen Entwicklung der Sportart beschäftigen (Hegedu˝ s, 1968; Köris, 1984, S. 11 – 21; Krapf, 1987, S. 25, 27 f).6 Auf den Homepages der UIPM und verschiedener nationaler Verbände lassen sich weitere Informationen über die Historie des Modernen Fünfkampfs nachlesen. Diese geben allerdings ein einseitiges Bild wider, verbinden die Anfänge der Sportart mit den Olympischen Spielen in Stockholm 1912 und führen sie ausschließlich auf die Idee Coubertins zurück (z. B. Lonsdale, 2004a/b; Schormann, 2005, 9 – 21; Pentathlon Great Britain).7 Zwar werden teils interessante Aspekte der sportartspezifischen Historie aufgegriffen, kritische Themen, wie z. B. die enge Verbindung zum Militärsport, werden allerdings typischerweise nicht erwähnt. Artikel weiterer, vom Modernen Fünfkampf unabhängiger Autoren betonen dagegen einen nicht-olympischen Ursprung des Modernen Fünfkampfs, allerdings ohne diesen näher zu erläutern oder zu begründen;8 andere, wie die Homepage des Svenska mngkampsförbundet (Schwedischer Mehrkampfverband), blenden die Historie wiederum gänzlich aus.9 Den genannten Publikationen ist gemeinsam, dass ein Großteil der dort wiedergegebenen Informationen hypothetischen Charakter besitzt und nicht durch Quellen belegt ist. Ebenso verhält es sich mit den Texten, die den Modernen Fünfkampf wie selbstverständlich in einem Atemzug mit dem Pentathlon der Antike nennen, 6 Im Hinblick auf die genannten drei Werke von Hegedu˝ s, Köris und Krapf ist insbesondere die Titelwahl bemerkenswert: Ob es nun Der Moderne Fünfkampf, Moderner Fünfkampf oder Modern Pentathlon heißt, die Bücher tragen durchgehend diesen einfachen und zugleich prägnanten Titel, der unter kritischer Betrachtung auf einen wenig untersuchten Inhalt, der augenscheinlich zur trennscharfen Unterscheidung keiner weiteren Ausdifferenzierung bedarf, hindeutet. 7 Auf eine Begründung des Nutzens von Internetveröffentlichungen wird an dieser Stelle nicht eingegangen und auf einschlägige Veröffentlichungen wie z. B. Cox & Salter (1998) verwiesen. 8 So schreibt beispielsweise Friedrich Mevert (2009, S. 42), der Mitbegründer des Deutschen Sportmuseums in Köln sowie des Niedersächsischen Instituts für Sportgeschichte Hoya (NISH), dass der Moderne Fünfkampf »als sportlicher Wettbewerb um 1900 zuerst in Schweden betrieben« wurde. Der deutsche Autor Dieter Christoph (1971, S. 136) hält ebenso fest, dass »dieser schwierige, an die Aktiven hohe Anforderungen stellende Mehrkampf […] um 1900 in Abwandlung des antiken Fünfkampfes, dem Pentathlon entwickelt [wurde]«. 9 »Modern femkamp«. Homepage des Svenska mngkampsförbundet. Zugriff online am 10. August 2011 unter http://www.modernfemkamp.se
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Einleitung: Moderner Fünfkampf als historischer Forschungsgegenstand
um die Traditionslinie der von ihnen propagierten Sportart zu verlängern.10 Tatsächlich unterscheiden sich modernes und antikes Pentathlon jedoch eindeutig in ihrer Zusammensetzung, so dass diese Relation zumindest verifiziert werden müsste, um nicht als »erfundene Tradition«11 abgestellt zu werden. Neben den genannten Artikeln und Monographien existieren auch diverse lokale Festschriften (z. B. BLMF, 2002; Archibald, 2012), deren wissenschaftlicher Wert jedoch im Allgemeinen aufgrund fehlender Quellenangaben und rein lokaler Bezüge als gering einzuschätzen ist. Eine vom Ungarischen Verband für Modernen Fünfkampf in Kooperation mit der UIPM herausgegebene Festschrift (Hungarian Modern Pentathlon Association & UIPM, 1998, S. 19 f) gibt zwar einen groben punktuellen Überblick über die Entwicklung der Sportart, allerdings reicht die Analyse nicht über eine rein deskriptive, selektive Sportartgeschichte hinaus: Sowohl ein kritisches Hinterfragen der Genese als auch ein Kontextualisieren der Ereignisse bleiben aus. Ein Blick auf internationale wissenschaftliche Artikel untermauert die konsequente Nichtbeachtung der Ursprungsthematik. Der Fokus der wenigen Werke, die sich überhaupt mit dem Modernen Fünfkampf beschäftigen, liegt auf einer Darstellung der späteren nationalen Entwicklungsgeschichte der Sportart, was sich insbesondere dann als Einschränkung des Leserkreises erweist, wenn ausschließlich in der jeweiligen Landessprache veröffentlicht wird (z. B. Dominiak, 2003, S. 23 – 28; Rotkiewicz, 2005, S. 65 – 76; Polski Zwia˛zek Pie˛cioboju Nowoczesnego, 2006). Den wenigen Artikeln, die historische Aspekte des Modernen Fünfkampfs aufgreifen und in französischer oder englischer Sprache und damit für eine größere Leserschaft verfasst sind, mangelt es vergleichsweise nicht an Qualität, jedoch deutlich an Quantität, so dass bislang nur wenige zeitlich und räumlich begrenzte Aspekte überhaupt bearbeitet sind (Henze, 1968, S. 75 – 95; Crawford, 1978, S. 703 – 707; UIPMB, 1983, S. 688 – 724; Blondel, 2008, S. 709 – 738). Im skandinavischen Sprachraum sind trotz der vergleichsweise hohen nationalen Popularität des Modernen Fünfkampfs bislang keine Hochschularbeiten zum Thema entstanden.12 In den historischen und sportwissenschaftlichen Abteilungen verschiedener anderer Universitäten sind dagegen in den vergan10 Vgl. z. B. den historischen Abschnitt auf der Homepage der Union Internationale de Pentathlon Moderne (UIPM), in dem erst das antike Pentathlon und im Anschluss der Moderne Fünfkampf genannt werden, oder Christoph (1971, S. 136), der den Modernen Fünfkampf als eine »Abwandlung des antiken Fünfkampfes« darstellt. 11 Der Begriff »erfundene Tradition« wird hier und im Folgenden in Anlehnung an den von Eric Hobsbawm und Terence Ranger eingeführten Begriff »Invention of Tradition« (2003) verwendet. 12 Diese Erkenntnis hat sich in einem persönlichen Gespräch mit dem schwedischen Sporthistoriker Prof. Dr. Jan Lindroth verfestigt (Stockholm im Juni 2008).
Forschungsstand
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genen fünfzig Jahren einzelne studentische Abschlussarbeiten zur Geschichte des Fünfkampfs zu finden. Während Franz Gold (1991) den Schwerpunkt auf das antike Pentathlon legt, bezieht Regina Lange (1961) zumindest am Rande auch dessen neuzeitliche Rezeption mit ein. Andere Hochschularbeiten konzentrieren sich ausschließlich auf den Modernen Fünfkampf (Koller, 1967; Kirchhoff, 1969; Bleamaster, 1979; Gelbhardt, 1985; Klein, 1986; Demyttenaere, 2009; Patke, 2011; Bürger, 2012). Häufig beruhen diese allerdings auf einer ungenügenden Quellenbasis (z. B. Koller, 1967), betrachten ausschließlich die Sportartentwicklung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (z. B. Gelbhardt, 1985) und/oder bleiben auf eine Nation beschränkt (z. B. Bürger, 2012). Als quellenkritisch fundiert ist Ansgar Molzbergers Dissertation über die Olympischen Spiele 1912 zu bewerten. Der Moderne Fünfkampf bildet dort allerdings nur einen kleinen Teilaspekt (Molzberger, 2010, S. 119 – 124). Unter den studentischen Abschlussarbeiten sticht die in französischer Sprache verfasste Magisterarbeit von Emmanuelle Perraud durch ihre sorgfältige Quellenarbeit positiv heraus. Ihr rund fünfzigseitiger Text, der den Titel GenÀse du pentathlon moderne trägt, bestätigt zwar Coubertin abermals unkritisch als Schöpfer der Sportart, schließt allerdings erstmals ideengeschichtliche Ursprünge des Modernen Fünfkampfs in die Analyse mit ein. Letztlich zieht die Autorin selbst jedoch ein kritisches Fazit und bedauert, dass es ihr im Hinblick auf die Menge an thematisch noch offenstehenden Untersuchungspunkten in der Kürze der Zeit nur möglich war, einige ausgewählte Themen aufzugreifen (Perraud, 2000, S. 47).13 Ähnlich resignierend ist auch bereits vierzehn Jahre zuvor das Fazit Renate Kleins ausgefallen. Nach ihrer Materialsuche sieht sie sich gezwungen zu konstatieren, dass die »Geburtsstunde aus historischer Sicht nicht feststellbar« ist (Klein, 1986, S. 1). Der Grund liege darin, dass »kein verläßliches Schrifttum zur Verfügung steht, das Aufschluß darüber gibt« (Ebd.): eine Aussage, welche die Ursprungsfrage wenig attraktiv für eine wissenschaftliche Erforschung erscheinen ließ. Zusammengefasst zeigt eine Analyse des Forschungsstands zur Genese des Modernen Fünfkampfs erhebliche Lücken, insbesondere im Hinblick auf die frühe internationale Sportartentwicklung, auf. Das Thema findet weder im Bereich der Sportgeschichte und olympischen Studien noch in der sozialhistorischen Erforschung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts Berücksichtigung. Die bislang publizierte Entstehungsgeschichte der Sportart ist als populärwissenschaftlich einzustufen und beruht überwiegend auf Legenden und Spekulationen, mit teils interessengelenkten, teils widersprüchlichen Aussagen. In allen genannten Werken beginnt die Geschichtsschreibung des Modernen Fünfkampf erst nach seinem olympischen Debüt. Die Vorgeschichte der Sportart bleibt 13 Emmanuelle Perraud bestätigte dieses Fazit in ihrer privaten E-Mail vom 26. Februar 2008.
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Einleitung: Moderner Fünfkampf als historischer Forschungsgegenstand
unbeachtet oder verweist – sofern sie Berücksichtigung findet – einstimmig auf den Franzosen Coubertin und seine Bemühungen, die Sportart im IOC durchzusetzen. Kritische Stimmen, welche die Interpretation Coubertins als »Vater« des Modernen Fünfkampfs für genauso überbewertet wie jene als Schöpfer der modernen Olympischen Spiele insgesamt halten (z. B. Young, 1996; Weiler, 2004, S. 427 – 443), sind bislang ausgeblieben. Das fehlende Hintergrundwissen über die Entstehungsgeschichte des Modernen Fünfkampfs hat zu einer oberflächlichen, kritiklosen Wissensübertragung geführt und trägt so auch mehr als hundert Jahre nach seiner Geburt noch zu seiner Stigmatisierung bei (z. B. Ries, 2007). Während Ursprung und Entwicklung der modernen Olympischen Spiele (z. B. Georgiadis, 1998; Guttmann, 2002; Young, 2004; Vassil & Parry, 2005), die Geschichte einzelner Olympischer Spiele (z. B. Renson, 1996; Terret, 2008; Lennartz, 2009) sowie die Herkunft verschiedener anderer Sportarten (z. B. Renson, 2003; Friese, 2005; Hampe, 2010) vergleichsweise gut erschlossen sind, stellt die Genese des Modernen Fünfkampfs ein Desiderat der Sporthistoriographie dar. Dies erstaunt umso mehr, weil sich die Entwicklung des Modernen Fünfkampfs im Vergleich zu anderen Sportarten durch einige Besonderheiten auszeichnet, die das wissenschaftliche Interesse durchaus schon früher geweckt haben könnten.
1.2
Forschungsfrage und Hypothesen
Die europäische Sportbewegung ging allgemein von England aus und verbreitete sich insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts auf dem Kontinent (Elias & Dunning, 1982b, S. 9; Eisenberg, 2010, S. 181 – 186). Fußballspiele, Pferderennen, Ringen, Boxen, Tennis, Rudern und Leichtathletik waren beispielsweise ursprünglich englische Sportarten und wurden anschließend von anderen europäischen Ländern übernommen (Elias & Dunning, 1982b, S. 9). Nicht so im Fall des Modernen Fünfkampfs, der nicht zusammen mit den anderen Sportarten aufs Festland kam und damit eine Sonderrolle innerhalb der europäischen Sportartenentwicklung einnimmt. Wenn der Moderne Fünfkampf demnach nicht im Rahmen der allgemeinen Sportbewegung entstanden ist, wie dann? Die Frage ist nicht eindeutig zu beantworten, weil gleich mehrere mögliche Entwicklungsvarianten kursieren. Die erste Hypothese vertritt die sowohl im 20. als auch im 21. Jahrhundert quantitativ in der Literatur favorisierte Lösung (vgl. Anhang 8.3.1.6): »Il y a eu deux pentathlons: le ›moderne‹ – le mien – dont les d¦buts ont ¦t¦ trÀs brillants et le ›classique‹ […].«14 Für Coubertin gab es keinen Zweifel daran, dass er der 14 Coubertin (1931a) [1996]. M¦moires olympiques, S. 125. Übersetzung (nach Carl-Diem-
Forschungsfrage und Hypothesen
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ideelle »Vater« des Modernen Fünfkampfs war. Internationale und zahlreiche nationale Verbände stützen diese These, indem sie ihren Sport öffentlich als »Kind« des berühmten Coubertin und damit als Produkt der olympischen Bewegung bewerben. In der populärwissenschaftlichen Literatur und in einigen Lexika schlägt diese Ansicht ebenfalls durch (z. B. Diem, 1939, S. 8; Thofelt, 1983; Diem & Buschmann, 1986, S. 283; Hotz & Beckmann, 2007, S. 312).15 Eine Verbindung scheint dabei auf Anhieb nicht abwegig, weil der französische Baron als Präsident des IOC hauptverantwortlich für die Auswahl olympischer Sportarten war. Der Moderne Fünfkampf wäre damit die einzige Sportart, die von Coubertin selbst stammte und auch die einzige, die keine neuzeitliche Sportartentradition aufwies, sondern eigens für die Olympischen Spiele geschaffen wurde. Die Tatsache, dass Coubertin sich selbst für den Schöpfer des Modernen Fünfkampfs hielt, kann allerdings nicht – wie allzu häufig geschehen – als hinreichender Beweis dafür gelten, dass er auch tatsächlich der Ideengeber war. Da sich die historische Erforschung des Modernen Fünfkampfs bislang auf seinen olympischen Hintergrund konzentrierte, ist unbekannt, ob Coubertin der einzige war, der diesen Anspruch erhob. Er könnte sich beispielsweise auch einer in schwedischen Sport- und Militärkreisen gängigen Gepflogenheit bedient haben (z. B. Deutsche Hochschule für Körperkultur, 1960, S. 509). Dies spräche für die zweite Hypothese, die Balck und den schwedischen Mehrkampftraditionen eine primäre Beteiligung an der Entstehung des Modernen Fünfkampfs zuschreibt. Diese Relation ist den Verbänden und Aktiven weniger angenehm (z. B. Junghänel, 2004, S. 3) und insgesamt seltener anzutreffen. Dennoch ist diese Entwicklungslinie schon aufgrund der engen Beziehung der Disziplinen Schießen, Reiten und Fechten zum Armeesport nicht von der Hand zu weisen. Synonym verwendete Begriffe wie »Offiziersfünfkampf« oder »Militärfünfkampf« kamen schon Anfang des 20. Jahrhunderts auf und halten sich bis zum heutigen Tag.16 Es bleibt dabei unklar, ob diese letztlich aus der Luft gegriffen sind oder vergangene Realitäten widerspiegeln. Sind die Ursprünge des Modernen Fünfkampfs tatsächlich im Militär verInstitut, 1996, S. 129): »Es gab zwei Fünfkämpfe: den ›modernen‹ – meinen –, der einen vorzüglichen Start hatte, und den ›klassischen‹ […].« Mit eckigen Klammern werden alle Ergänzungen der Verfasserin innerhalb von Zitaten gekennzeichnet. Steht »[sic!]« in Klammern, so wird damit auf die Wörter innerhalb eines Zitats hingewiesen, die Rechtschreibfehler enthalten. Verwendet ein Autor die alte deutsche Rechtschreibung, so werden die entsprechenden Wörter nicht als fehlerhaft angemerkt. 15 Die Zitate, die diese These untermauern, sind so zahlreich, dass diese an dieser Stelle nicht alle aufgezählt werden können. Im Abschnitt Forschungsstand (vgl. Kap. 1.1) und im Laufe der folgenden Kapitel finden sich einige weitere Beispiele. 16 Vgl. z. B. Müller-Kranefeldt, 1913; »Militär femkamp«. Zitiert in Uggla, 1943, S. 436. Oberst Bertil (Gustafsson) Uggla (1890 – 1945) holte im Modernen Fünfkampf 1924 Bronze.
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Einleitung: Moderner Fünfkampf als historischer Forschungsgegenstand
ankert, so ließe sich seine Einführung als olympische Sportart mit der Legitimierung einer utilitaristischen Form der paramilitärischen Ausbildung erklären (Thoß & Langenfeld, 2010, S. 290). Neben der Nutzbarmachung im Rahmen der Wehrertüchtigung hätte sich der Moderne Fünfkampf in diesem Fall aus einer für Offiziere standesgemäßen Beschäftigung heraus weiterentwickelt. Coubertins Rolle wäre dann eher reaktiv und pro-militärisch, indem er bestehende Aktivitäten der Armee nicht nur stillschweigend akzeptierte, sondern sie durch eine Aufnahme ins olympische Programm förderte und damit auch für den Sport nutzbar machte. Wenn Oberst Balck den Modernen Fünfkampf oder einen ähnlichen Wettkampf bereits aus dem schwedischen Militärtraining kannte, ließe sich auch sein eigenes Engagement in der Vorbereitungszeit leichter erklären. Folglich wäre der erste olympische Moderne Fünfkampf von 1912 als Versportlichung einer bestehenden Militäraktivität zu betrachten. Umgekehrt, wenn sich herausstellen sollte, dass Coubertin den Modernen Fünfkampf im Rahmen der olympischen Bewegung kreiert hat, wäre der Einfluss des Militärs nur zweitrangig. Die Armee hätte in diesem Fall das Training der fünf Disziplinen aus dem olympischen Programm übernommen, was sich in der Folge insbesondere in der Offiziersausbildung als praktikabel erwies. Die Entwicklung des Modernen Fünfkampfs würde dann auf der militärischen Instrumentalisierung einer ursprünglich olympischen Sportart basieren. Die Erfolge der Schweden in den ersten Modernen Fünfkämpfen wären folglich vorrangig auf Balcks Einsatz im Transfer von einer französischen Idee auf die nationalschwedische Ebene zu sehen. Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses steht zusammenfassend damit die Frage, ob hinter dem Modernen Fünfkampf die Umsetzung eines olympischen Idealbilds oder die Konsequenz einer tradierten schwedischen Militär- oder Leibesübung steht. Die weit verbreitete und häufig bedingungslos bestätigte »Vaterschaft« Coubertins wird somit durch die Konfrontation mit einer weiteren Entwicklungsvariante kritisch beleuchtet. Das Nachverfolgen der genannten Alternativen, Coubertin und die olympische Bewegung bzw. Balck und die schwedische Militär- und Leibesübung, scheint am plausibelsten, um die Genese des Modernen Fünfkampfs zu erklären. Eingebettet in einen für Mehrkämpfe fruchtbaren Kontext werden dennoch andere mögliche Einflussgrößen, wie beispielsweise die bestehenden turnerischen bzw. gymnastischen Mehrkampftraditionen, nicht gänzlich ausgeblendet. Die im Europa des beginnenden 20. Jahrhunderts nationenübergreifend aufkommende Vorkriegsatmosphäre bot dabei allgemein Raum für eine enge Verzahnung von umfassender Wehrertüchtigung und sportlichem Training. Aus diesem Bezugsrahmen heraus erklärt sich auch der Titel der vorliegenden Forschungsarbeit. Ob und inwiefern im Modernen Fünfkampf von 1912 tatsächlich »kämpfende Athleten« und »spielende Soldaten« aufeinandertrafen,
Zeitgenössische Relevanz
29
hängt vorrangig mit den Motiven der Sporttreibenden zusammen und wird mithilfe der Forschungsergebnisse abschließend zu beantworten sein. Die Genese des Modernen Fünfkampfs ist also in jedem Fall in ihrem spezifischen gesellschaftlichen Zusammenhang zu betrachten. Denn auch wenn der Moderne Fünfkampf heute als Randsportart gilt, könnte dies möglicherweise vor knapp hundert Jahren noch völlig anders empfunden worden sein.
1.3
Zeitgenössische Relevanz
Ausgehend davon, dass die Aufnahme eines sozialen Gegenstandes in gängigen Nachschlagewerken Spiegelbild seiner zeitgenössischen Relevanz ist, soll eine vergleichende Analyse zeitgenössischer Sportenzyklopädien und -lexika aufzeigen, ob und wie der Moderne Fünfkampf Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts wahrgenommen wurde. Dabei besteht nicht der Anspruch einer lückenlosen Bestandsanalyse. Der Fokus liegt vielmehr auf den Lexika, von denen anzunehmen ist, dass sie aufgrund ihrer hohen Auflagezahl in der Bevölkerung weit verbreitet waren. Da Frankreich, Schweden und Deutschland zu den Ländern gehören, die bereits am ersten olympischen Modernen Fünfkampf teilgenommen haben, liegen hier nationale Schwerpunkte. Sowohl die erste französische Sportenzyklopädie aus dem Jahr 1905 als auch jene aus 1924 kannten noch kein »Pentathlon Moderne«.17 Erst 24 Jahre später nahm die Encyclop¦die g¦n¦rale des sports et soci¦t¦s sportives en France das Stichwort in ihr Inhaltsverzeichnis auf.18 Der Moderne Fünfkampf wurde in der Übersicht dem Kapitel »Reitersport« zugeordnet, im entsprechenden Textabschnitt ging er allerdings in der großen Vielfalt der Reitdisziplinen unter und fand als eigenständige Sportart keine namentliche Erwähnung. Da erst neuere französische Werke ab den 1950er Jahren den Modernen Fünfkampf detaillierter beschrieben, kann die Berücksichtigung in den frühen Sportenzyklopädien nicht als Hinweis auf eine publizistische Verankerung im Frankreich des frühen 20. Jahrhunderts dienen. In Schweden spiegelte die regelmäßige Aufnahme des Fünfkampfs als Stichwort in Sportlexika den national hohen Stellenwert von Mehrkämpfen wider. Das schwedische Wort »femkamp« soll dabei zum ersten Mal 1832 in einer Übersetzung der Herodot-Historien aufgetaucht sein.19 Während die erste 17 Moreau & Voulquin, 1905; L’Acad¦mie des Sports & Comit¦ National des Sports, 1924. 18 (General) D¦troyat, 1946, S. 727. 19 Carlstedt, 1832. Im antiken Griechenland erlangte Herodot als Geschichtsschreiber Ankennung und brachte in diesem Zusammenhang eine neun Bücher umfassende Universalgeschichte, die Historien, heraus. Ich danke dem schwedischen Statistiker und Leichtathletikexperten Rooney Magnusson für diesen Hinweis.
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Einleitung: Moderner Fünfkampf als historischer Forschungsgegenstand
Auflage des bekannten schwedischen Nordisk familjebok dennoch keinen Fünfkampf kannte,20 schloss es in dem 1908 erstellten achten Band seiner zweiten Auflage erstmals das Stichwort »femkamp« (Fünfkampf) ein.21 Allerdings wurden in dieser Ausgabe ausschließlich das antike Pentathlon und seine Wiedereinführung im Rahmen der Olympischen Spiele von Athen 1906 beschrieben. 1939 enthielt das Nordisk familjeboks sportlexikon dagegen einen Abschnitt zum »Fünfkampf im modernen Sport«.22 In diesem wurden philanthropische Fünfkämpfe sowie strenge Nachahmungen des antiken Vorbilds angesprochen. Schon Ende der 1890er seien letztere in Schweden umgesetzt worden, doch mit den neuen Regeln des olympischen Fünfkampfs von 1912 zunehmend wieder aus dem Wettkampfprogramm verschwunden. Der antike oder der leichtathletische, nicht der Moderne Fünfkampf standen im Vordergrund. Erst vier Jahre später in der 1943er-Ausgabe widmete das schwedische Sportlexikon dem Modernen Fünfkampf mit sieben Seiten ein relativ großes Kapitel, für die Darstellung der vorolympischen Geschichte der Sportart verwandte es jedoch keine einzige Zeile.23 Zu den Anfängen der Sportart hieß es lediglich, dass der »Moderne Fünfkampf auf Vorschlag Pierre de Coubertins […] im Jahr 1912 in das olympische Programm aufgenommen wurde«. Der Moderne Fünfkampf werde dabei auch »Militärischer Fünfkampf« genannt, seine »Bedeutung als militärischer Sport« sei offensichtlich.24 Zehn Jahre zuvor, im 1933 erschienenen deutsch-österreichischen Beckmanns Sportlexikon, war der Moderne Fünfkampf bereits unter dem allgemeinen Stichwort »Fünfkampf«, das zwischen einem leichtathletischen, einem olympischen und einem deutschen Wettbewerb differierte, aufgeführt. Das olympische und das dort »Moderner Fünfkampf« genannte »österreichische Pentathlon« bezeichneten hier allerdings, sofern sie im Rahmen Olympischer Spiele stattfanden, ein und dieselbe Sportart.25 Neben diesen national geprägten Wortneuschöpfungen klammerten die Herausgeber die sportartspezifische Entwicklungsgeschichte erneut aus. Das bereits fünf Jahre zuvor erschienene Deutsche Sportlexikon geht im Gegensatz dazu zwar auf die Geschichte ein, doch bezeichnete es den Modernen Fünfkampf fälschlicherweise als einen 1927 gegründeten Wettkampf »für Offiziere befreundeter Armeen«.26 20 Westrin, 1881. 21 [o. A.] (1908a). Femkamp, S. 18 f. Bei Veröffentlichungen desselben Autors im selben Jahr werden diese durch arabische Kleinbuchstaben gekennzeichnet. Um die Zuordnung zu erleichtern, wird bei Veröffentlichungen Coubertins oder wenn die Autorennamen fehlen [o. A.], zusätzlich der Titel des Werks (nicht nur das Jahr) angegeben. 22 [o. A.], 1939, S. 140 ff. 23 Uggla, 1943, S. 432 – 438. 24 Ebd., S. 432, 436. 25 Beckmann, 1933, S. 983. 26 Norman, 1928, S. 86.
Untersuchungsperspektiven und Konzepte
31
Die Analyse zeitgenössischer Nachschlagewerke lässt abschließend folgende Rückschlüsse zu: Über den Modernen Fünfkampf war augenscheinlich Anfang des 20. Jahrhunderts noch wenig bekannt. Es handelte sich also schon damals um eine Randsportart, die nicht von einer gesellschaftlich breiten Masse getragen wurde. Der Moderne Fünfkampf erschien im Gegenteil so marginal, dass die Herausgeber ihn häufig gar nicht in ihre Werke aufnahmen. Selbst Länder, die von Beginn an aktiv im Modernen Fünfkampf engagiert waren, konzentrierten sich in den schriftlichen Dokumentationen ihrer Sportenzyklopädien auf andere Sportarten. Sofern sie dem Modernen Fünfkampf doch Aufmerksamkeit schenkten, war der Inhalt typischerweise auf die statistische Darstellung der Wettkampfergebnisse oder technisch-taktische Fragen begrenzt. Erst ab den 1930ern, als der Moderne Fünfkampf bereits achtzehn Jahre Teil des olympischen Programms war, erfuhr die Sportart häufiger eine inhaltlich breite Berücksichtigung. Allerdings füllten die Autoren die historischen Hintergründe der Sportart auch zu diesem Zeitpunkt noch mit spekulativen Informationen und Halbwissen, sofern sie die Geschichte nicht weiterhin gänzlich außen vor ließen. Interessanterweise fanden sowohl olympische als auch militärische Bezüge Erwähnung, ohne jedoch deren Stellenwert innerhalb der sportartspezifischen Genese anzusprechen. Dies möchte die vorliegende Dissertation mithilfe eines mehrdimensionalen Forschungsansatzes nachholen. Sie schneidet dabei unterschiedliche Wissenschaftsdisziplinen an und bedient sich somit verschiedener Untersuchungsperspektiven und Konzepte.
1.4
Untersuchungsperspektiven und Konzepte
Da es sich beim Modernen Fünfkampf um ein vielschichtiges sportlich-kulturelles Phänomen handelt, liegt dieser Forschungsarbeit ein Verständnis von Sportgeschichte zugrunde, dass sich als sporthistorische Sozialwissenschaft versteht (Kocka, 1993) und dabei verschiedene kultur- und gesellschaftsgeschichtliche Aspekte (Wehler, 1981) berücksichtigt. Neben der Sportgeschichte selbst, die versucht, Fragen nach historischen Wahrnehmungs- und Sinnstrukturen im Sport und damit in der Gesellschaft zu beantworten (z. B. Krüger & Langenfeld, 2010), erstreckt sich die Arbeit auf mindestens vier weitere kulturhistorische Bereiche (z. B. Hardtwig & Wehler, 1996). Diese fließen prinzipiell in alle Kapitel mit ein, je nach thematischer Schwerpunktsetzung finden sie allerdings unterschiedlich starke Berücksichtigung. Gemäß den beiden möglichen Traditionslinien des Modernen Fünfkampfs steht seine Erforschung zunächst im Schnittpunkt von olympischem und militärhistorischem Forschungsinteresse. Eine Zuordnung zum Themengebiet der Olympischen Studien (z. B. Girginov, 2010, S. 9 – 24) ist deshalb eindeutig, weil
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Einleitung: Moderner Fünfkampf als historischer Forschungsgegenstand
die Sportart seit 1912 auf internationaler Wettkampfebene stets Bestandteil der Olympischen Spiele war und sich Coubertin aktiv für ihre Einführung einsetzte. In Anlehnung an die zweite Forschungshypothese beschäftigt sich die Arbeit außerdem mit einem Aspekt der Militärgeschichte (z. B. Müller (R.-D.), 2009). Sie gibt u. a. Aufschluss darüber, wie sich die spezifischen Vorkriegsmentalitäten, die sich in der Zeit um den Ersten Weltkrieg ausbildeten, auf die Genese des Modernen Fünfkampfs auswirkten. Die Tatsache, dass sich die Modernen Fünfkampfer 1912 überwiegend aus Offizieren zusammensetzten, bietet einen weiteren thematischen Anknüpfungspunkt. So wird beispielsweise auch untersucht, inwiefern der Moderne Fünfkampf schon zuvor in das Training der Armee eingebunden war. Da der Moderne Fünfkampf aufgrund seiner hohen Anforderungen und militärischen Verbindungen einen typisch maskulinen Sport verkörperte, gibt es auch genderthematisch (z. B. Scott, 1986 [1999]; Becker & Kortendiek, 2010) interessante Untersuchungsaspekte. Der Ausschluss der Frauen vom olympischen Wettbewerb blieb unverändert bis zum Jahr 2000. Das erstaunt, da sich bereits im Jahr 1912 eine Dame um die Teilnahme im Modernen Fünfkampf beworben hatte. Daran anknüpfend beinhaltet das Forschungsthema auch einen mentalitätshistorischen Ansatz (z. B. Raulff, 1987; Dinzelbacher, 1993, S. 15 – 37), der insbesondere die Maskulinisierung und Militarisierung des Denkens und (sportlichen) Handelns Ende des 19. Jahrhunderts aufgreift. Durch diese interdisziplinäre, theoriegeleitete Interpretation soll es gelingen, einen gegenüber der rein empirisch-hermeneutischen Methode vertieften Erkenntnisgewinn zu erzielen. Die Erforschung der Genese des Modernen Fünfkampfs setzt dabei mehrperspektivische Begriffsdefinitionen voraus. Aus einer sportlich-olympischen Sicht handelt es sich beim Modernen Fünfkampf um eine aus fünf Einzeldisziplinen kombinierte Sportart. Ohne im Detail auf unterschiedliche Möglichkeiten der Definition von Sport einzugehen (Huizinga, 1955; Callois, 1961; Birrell, 1978; Guttmann, 1978; Beckers, 1995), ist in diesem Zusammenhang der moderne Sport, der sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Abgrenzung zu anderen Leibesübungen (Turnen, Gymnastik, paramilitärische Übungen) auf dem europäischen Festland ausbreitete und eine Schwerpunktsetzung in den Bereichen Leistung, Wettkampf und Rekord aufwies, gemeint (Elias & Dunning, 1982b, S. 13; Guttmann, 1990, S. 168 f). Im Rahmen der Versportlichung oder Versportung, die mit der Ausbreitung des modernen Sports einherging, erfuhr der Begriff Sport eine Bedeutungserweiterung. Bereits zuvor bestehende körperliche Übungen traditioneller Bewegungskulturen (aus dem gymnastischen, turnerischen oder militärischen Bereich) unterliefen eine strukturelle Anpassung und wurden nun ebenso als sportliche Praxis interpretiert (Elias & Dunning, 1982b, S. 13; Bernett, 1984,
Untersuchungsperspektiven und Konzepte
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S. 141 – 165; Matthiesen, 1995, S. 165ff; Grupe, 2000, S. 36 f, 99; Lippe, 2001, S. 42 – 56; Hardtwig, 2005, S. 233; Krüger, 2005, S. 59ff; Thoß & Langenfeld, 2010, S. 290 – 294). Die militärische Begriffsauslegung unterscheidet sich dagegen maßgeblich von der sportlich-olympischen, weil das Hauptaugenmerk des Trainings in der Armee auf dem Gesichtspunkt der Nützlichkeit für mögliche militärische Aktionen liegt. Die Militarisierung des Sports ist folglich als Instrumentalisierung des sportlichen Trainings für militärische Zwecke zu verstehen. Innerhalb der (para-)militärischen Vorbereitungen lassen sich ferner Übungen für einfache Soldaten und jene für Offiziere, d. h. höherrangige Militärangehörige vom Dienstgrad Leutnant bis Generalfeldmarschall, unterscheiden. Elias’ Interpretation der Sportentwicklung als Folge eines Zivilisierungsprozesses der modernen Gesellschaft (Elias, Dunning & Hopf, 1982) greift dabei nur, wenn die Genese des Modernen Fünfkampfs tatsächlich auf einer versportlichten Militäraktivität (und nicht auf einer militarisierten Sportaktivität) beruht. Dann wäre der Moderne Fünfkampf wie z. B. das Biathlon ein Aspekt der Zivilisierung eines ursprünglich militärischen Sports. Die genannten sportlichen bzw. militärischen Einflüsse auf die Genese des Modernen Fünfkampfs stehen im Mittelpunkt der Forschungsarbeit. Sie umfasst damit sowohl die Ursprünge bzw. die Herkunft der Sportart als auch ihre frühe Entwicklung (Lexikographisches Institut, 1994, S. 3515). So stark der Moderne Fünfkampf als sportlich-kulturelles Phänomen auch von spezifischen Umständen des endenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts geprägt war, so falsch wäre es, daraus den Schluss zu ziehen, dass eine Beschäftigung mit einer einzelnen Sportart nicht lohnt. So bestätigt der französische Soziologe Pierre Bourdieu (1980) zwar, dass gesellschaftliche Subsysteme die Gesamtgesellschaft widerspiegeln, schreibt diesen Subsystemen jedoch eine relative Autonomie gegenüber dem System der Gesamtgesellschaft zu. Dies unterstreicht, dass der »moderne Sport keineswegs nur ein Spiegel der Gesellschaft war, wie gern dahergesagt wird«, sondern dass er »nach eigenständigen Regeln funktionierte und in manchen Situationen eine relativ autonome, in mancher Hinsicht unberechenbare Entwicklungsdynamik aufwies« (Eisenberg, 2002, S. 15). Diese Relation muss allerdings in Bezug auf die Genese einer Sportart jeweils neu festgestellt werden (Terret, 1996, S. 237 – 251). Der Moderne Fünfkampf bildet da keine Ausnahme. Seine methodische Erschließung stellt allerdings eine besondere Herausforderung dar.
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1.5
Einleitung: Moderner Fünfkampf als historischer Forschungsgegenstand
Heuristik und Forschungsmethodik
Da sich der Moderne Fünfkampf nicht in das typische Schema des Kulturtransfers England-Kontinentaleuropa einordnen lässt (Elias & Dunning, 1982b, S. 9; Eisenberg, 2010, S. 181 – 186), reicht es zur Beantwortung der Forschungsfrage nicht aus, die gängige Literatur zum Thema der europäischen Sportgeschichte zu konsultieren. Diese wird lediglich ergänzend, insbesondere zur Nachzeichnung der olympischen Geschichte herangezogen. Aufgrund des geringen Umfangs an thematisch einschlägiger Sekundärliteratur konzentriert sich die vorliegende Forschungsarbeit vielmehr auf eine Rekonstruktion der Geschichte des Modernen Fünfkampfs anhand primärer Quellen. Das Forschungsvorhaben stützt sich dabei methodisch auf eine Vernetzung von historisch-quellenkritischer Empirie und theoriegeleiteter Analyse und Interpretation. Grundvoraussetzung dafür ist die Erschließung archivierter Datenbestände und ihre Interpretation. Da die Genese des Modernen Fünfkampfs bereits mehr als hundert Jahre zurückliegt und die Archivierung u. a. durch zwei Weltkriege erschwert war, erscheint die Quellenlage auf den ersten Blick ungewiss. Erste Versuche, Dokumente zur Beleuchtung der Geschichte des Modernen Fünfkampfs aufzufinden, untermauern zunächst, was der bisherige Forschungsstand widerspiegelt: Nach den Anfängen des Modernen Fünfkampfs zu suchen, ist ein schwieriges Unterfangen. So lassen sich in Coubertins Heimatland Frankreich weder im Mus¦e National du Sport noch im Institut National du Sport, de l’Expertise et de la Performance (INSEP) Unterlagen zur Beleuchtung der Thematik auffinden. Auch im Carl und Liselott Diem-Archiv (CuLDA) in Köln und im Niedersächsischen Institut für Sportgeschichte Hoya (NISH), wo sich der Nachlass von Wilhelm Henze, der sich vor allem in den 1960er und 1970er Jahren aktiv für den Modernen Fünfkampf eingesetzt hat, befindet, sind keine Unterlagen über die Anfänge des Modernen Fünfkampfs archiviert.27 Das 1948 gegründete Conseil International du Sport Militaire (CISM) kann ebenfalls nicht als Informationsquelle dienen, weil dort sportliche Aktivitäten im Modernen Fünfkampf erst ab 1958 dokumentiert sind.28 Bemühungen, durch Materialien deutscher Militärarchive mehr über den Ursprung des Modernen Fünfkampfs herauszufinden, scheiterten ebenso. Laut der Abteilung »Militärarchiv« des Bundesarchivs in Freiburg i. Breisgau können
27 Marianne Helms, die Geschäftsführerin des Niedersächsischen Instituts für Sportgeschichte Hoya (NISH), bestätigt in einer privaten E-Mail vom 7. Mai 2008, dass im NISH-Archiv »erstaunlicherweise nichts zum Modernen Fünfkampf vorhanden« ist. 28 Private E-Mail von Uwe Rossmeisl, Direktor für Kommunikation und Marketing des Conseil International du Sport Militaire (CISM), vom 23. September 2009.
Heuristik und Forschungsmethodik
35
keine entsprechenden Unterlagen ermittelt werden.29 Deren Empfehlung, die Abteilung »Reich« des Bundesarchivs in Berlin zu kontaktieren, brachte die ernüchternde Erkenntnis, dass Quellen zur frühen Entwicklungsgeschichte des Modernen Fünfkampf dort ebenfalls nicht vorliegen.30 Auch ein Studium ausgewählter Bestände des in Paris ansässigen Kriegsarchivs Service historique de la D¦fense,31 des Militärarchivs Potsdam und des Bundeswehrarchivs Warendorf brachten keine neuen Erkenntnisse. Da in den USA Moderner Fünfkampf und Militär noch heute eng verwoben sind, liegt eine Recherche im U.S. Army Military History Institute nahe. Doch dort sind ebenso keine Unterlagen zum Modernen Fünfkampf archiviert.32 Ein weiteres methodisches und quellenmäßiges Problem liegt darin begründet, dass sowohl dem internationalen als auch diversen nationalen Verbänden lediglich Zeugnisse jüngeren Datums, aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vorliegen und selbst diese der Öffentlichkeit und auch der Wissenschaft nicht offenstehen.33 Auch die Sportverbände, die den Einzeldisziplinen des Modernen Fünfkampfs zuzuordnen sind, stellen keine Fundgrube für neues Quellenmaterial dar, weil sie entweder gar nicht auf die Anfrage nach Archivunterlagen antworten oder versichern, dass es in ihrer Verbandsgeschichte niemals irgendeine Verbindung oder Beziehung zum Modernen Fünfkampf gegeben hat.34 Dies erstaunt, weil die Organisation des olympischen Modernen Fünfkampfs doch bis einschließlich 1948 dem IOC und den fünf zugehörigen Sportverbänden unterlag. Der französische Fechtverband, die F¦d¦ration FranÅaise d’Escrime (FFE), schließt zumindest nicht gänzlich aus, dass Material
29 Private E-Mail von Nina Janz, Mitarbeiterin des Bundesarchivs in Freiburg i. Breisgau, Abteilung »Militärarchiv«, Referat MA 5, vom 19. Januar 2009. 30 Private E-Mail von Sabine Gresens, Mitarbeiterin des Bundesarchivs in Berlin, vom 28. Januar 2009. 31 Service historique de la D¦fense ist der neue Name des ehemals SHAT (Service historique de l’arm¦e de terre) genannten französischen Militärarchivs. 32 Private E-Mail von Karl Smith, Research Volunteer des Military History Institute, Carlisle/PA, vom 5. Mai 2009. 33 Vom deutschen, französischen und schwedischen Verband wurde jeweils bestätigt, dass keine Archivunterlagen für die Zeitperiode vor 1924 vorliegen. Die Protokolle der UIPMund DVMF-Sitzungen sind außerdem unter Verschluss (vgl. die private E-Mail des Deutschen Verbandes für Modernen Fünfkampf (DVMF) vom 26. Februar 2010). 34 Private E-Mail von Anne Morin, Rezeptionistin der F¦d¦ration Equestre Internationale (FEI), vom 28. September 2009. Auszug aus dem Original: »There was, in the 89 year history of the FEI, never any connection to or relationship with Modern Pentathlon. Never ever were the MP rules discussed in the FEI.«; private E-Mail von Franz Schreiber, Geschäftsführer der International Shooting Sport Federation (ISSF), vom 23. September 2009. Auszug aus dem Original: »However, as I am working with ISSF since 1982 I know that we do not have anything about Modern Pentathlon as all questions received had been submitted to the UIPMS [sic!].«
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Einleitung: Moderner Fünfkampf als historischer Forschungsgegenstand
zum Modernen Fünfkampfs in seinem Pariser Archivbestand aufzufinden ist. Der zuständige Archivar gibt allerdings wiederum eine negative Prognose ab.35 Dennoch lassen sich einige andere vielversprechende Archive ausmachen, auf die sich das Forschungsvorhaben im Folgenden stützt. Die Primärquellen werden dabei drei thematischen Hauptgruppen zugeordnet, die sich jeweils auf unterschiedliche Untersuchungsaspekte beziehen: a) Quellen, die schwerpunktmäßig der These einer olympisch-coubertinschen Genese nachgehen, b) Quellen, die über die schwedischen und militärgeschichtlichen Hintergründe der Sportart Aufschluss geben, c) Quellen, die Pressematerial über den olympischen Modernen Fünfkampf von 1912 und vorherige Wettkämpfe umfassen. Alle drei genannten Hauptgruppen werden durch Dokumente aus unterschiedlichen Privatarchiven ergänzt. Zu a): Einen ersten Überblick über Ereignisse im Rahmen der Olympischen Spiele von 1912 geben die offiziellen olympischen Berichtsbände, die größtenteils über die LA84 Foundation bezogen werden können.36 Sie bieten einen reichen Schatz an Bild- und Textmaterial und schließen teilweise auch ein spezielles Kapitel zum Modernen Fünfkampf mit ein. Da die Berichtsbände allerdings von Mitgliedern des nationalen Organisationskomitees verfasst sind, werden die Ereignisse typischerweise positiv und beschönigend dargestellt. Autobiographische Texte Coubertins werfen zwar ebenfalls einen einseitigen Blick auf die Geschehnisse, doch sind sie insbesondere zum Verständnis seines Idealbilds unabkömmlich.37 Zudem hat es sich als sinnvoll erwiesen, nationale Archive wie jenes der British Olympic Association (BOA) zur Erkenntnisgewinnung heranzuziehen. Da der Moderne Fünfkampf international schwerpunktmäßig als olympische Sportart praktiziert wurde, sind die Bestände des IOC-Archivs im Olympic Studies Centre in Lausanne/Schweiz als Ausarbeitungsgrundlage besonders geeignet. Diese beheimaten auch Ablagen der UIPM, deren Quellen allerdings schwerpunktmäßig den Zeitraum ab den 1930er Jahren abdecken. Für die Rekonstruktion der ersten Jahrzehnte bleibt die Möglichkeit, diese über die Korrespondenzen der beiden Hauptpersonen, Coubertin und Balck, über die Protokolle des IOC sowie über die Akten der jeweiligen Olympischen Spielen zu 35 Private E-Mail von Gerard Six, Archivist der F¦d¦ration FranÅaise d’Escrime (FFE), vom 29. Juni 2010. Auszug aus dem Original: »We have all the revue escrime franÅaise, les armes witch [sic!] coverd [sic!] this periode but war years; but in them i dont [sic!] think that you can find many thing[s] about modern pentathlon.« 36 Vgl. die Homepage der LA84 Foundation, Los Angeles/USA. Zugriff online am 24. Juni 2010 unter http://www.la84foundation.org 37 Autobiographische Texte Coubertins sind insbesondere in den drei Bänden der Textes choisis (Müller, 1986b-d) sowie in dem vom Carl-Diem-Institut (1966) herausgegebenen Sammelband Der olympische Gedanke zu finden.
Heuristik und Forschungsmethodik
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erschließen. Da diese Archivalien den Modernen Fünfkampf jeweils nicht explizit als Thema ausweisen, gleicht das Aufstöbern von Material einer »Suche im Heuhaufen«. Ähnlich aufwändig gestaltet sich eine Recherche in den acht Mikrofilmen, die das IOC-Archiv über die Organisation der Olympischen Spiele in Stockholm 1912 aufbewahrt. Denn der Moderne Fünfkampf stellte 1912 als eine unter insgesamt vierzehn anderen Sportarten und 102 Disziplinen nur einen kleinen Aspekt der gesamten olympischen Sportveranstaltung dar. Dennoch versprechen die genannten Aufzeichnungen einen erkenntnisreichen Blick hinter die Kulissen. Neben dem IOC-Archiv in Lausanne, das mit seinen Mikrofilmen zu den Olympischen Spielen 1912 bereits einen ersten Eindruck von der reichen Quellenlage des schwedischen Nationalarchivs vermittelt, ist Stockholm selbst, die Gastgeberstadt der Olympischen Spiele von 1912, eine Anlaufstation, um die Geschichte des Modernen Fünfkampfs zu erforschen. Die schwedische Nationalbibliothek, die Kungliga biblioteket, und vor allem das Nationalarchiv, das Riksarkivet, sind im Besitz zahlreicher Originaldokumente. Die Anzahl der auf Mikrodateien und -filmen archivierten Quellen über das schwedische Sportereignis 1912 ist aufgrund der räumlichen Nähe des historischen Ereignisses hier am größten. Die Tatsache, dass lediglich eine Ablage explizit den Modernen Fünfkampf als Thema ausweist,38 und dass ein Großteil der Dokumente in schwedischer Handschrift abgefasst ist, erschwert jedoch die Analyse des Materials. Zu b): Außer dem Nationalarchiv ist in Stockholm auch das Krigsarkivet, das Militärarchiv Schwedens, das insbesondere im Hinblick auf mögliche Verankerungen des Modernen Fünfkampfs im schwedischen Militärsport Interesse weckt, ansässig. Die meisten noch erhaltenen schriftlichen Aufzeichnungen über den schwedischen Militärsport stammen aus der Zeit nach 1909 (Gründungsjahr des Sveriges militära idrottsförbund (Schwedens Militärsportverband) (SMI)). Sie enthalten wertvolle Informationen über das (para-)militärische Training in Schweden sowie über die Organisation von Testwettkämpfen im Modernen Fünfkampf. Die Rolle Viktor Balcks, der sowohl dem IOC als auch der schwedischen Armee angehörte, lässt sich insbesondere durch ein Studium seiner Autobiographie Minnen sowie durch spezielle Ablagen im Riksarkivet erschließen. Zu c): Der Moderne Fünfkampf im Spiegelbild der Presse verrät Einiges über seine gesellschaftliche Rezeption. Die Auswahl beschränkt sich dabei nicht nur auf zeitgenössische schwedische Zeitungen (Stockholms Dagblad, Ny Tidning för idrott, Nordiskt Idrottslif, Svenska Dagbladet, Aftonbladet, Olympiska Spelens
38 Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/ 730226). Riksarkivet Stockholm.
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Einleitung: Moderner Fünfkampf als historischer Forschungsgegenstand
Tidning/The Olympic News),39 die mehrheitlich in der Kungliga biblioteket in Stockholm aufbewahrt werden, sondern schließt ebenso ausländische Berichterstattungen ein. Um die nationalen Stimmungen in Bezug auf den Modernen Fünfkampf einzufangen, werden exemplarisch die Periodika einiger Teilnehmerländer, darunter Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Österreich und USA, untersucht. Zu den französischen Zeitungen bzw. Sportmagazinen, die Anfang des 20. Jahrhunderts über Sport berichteten, gehören neben der von Coubertin herausgegebenen Revue Olympique, auch L’Auto, L’Illustration und La Vie au Grand Air.40 The Field und The Times werden exemplarisch für den britischen Sprachraum analysiert.41 Das Militär-Wochenblatt, Sport im Bild und die Deutsche Turnzeitung stehen für die Berichterstattung von Deutschland; das Illustrierte (Österreichische) Sportblatt und die Allgemeine Sport-Zeitung für jene von Österreich. Unter den nicht-europäischen Zeitungen wird der US-ameri-
39 Das Stockholms Dagblad war eine konservative schwedische Tageszeitung, die in Stockholm zwischen 1824 und 1931 veröffentlicht wurde. Die Sportzeitung Tidning för idrott wurde 1881 von Balck gegründet und sieben Jahre später in Ny Tidning för Idrott umbenannt. Sie erschien zunächst vierzehntägig, ab 1892 wöchentlich. 1912 übernahm Balck auch die Herausgeberschaft (Molzberger, 2010, S. 25). Von Rosen zeigte sich 1900 für die Gründung der Fachzeitung Nordiskt Idrottslif verantwortlich. Es handelte sich um einen Ableger von Ny Tidning för Idrott, spezialisiert auf moderne Sportarten wie Fußball, Leichtathletik, Schwimmen und Wintersport (Ebd., S. 35). Das 1884 in Stockholm gegründete Svenska Dagbladet ist noch heute eine große schwedische Morgenzeitung, während Stockholms Dagblad ausschließlich von 1824 – 1931 publiziert wurde. Aftonbladet, das heute zu den größten schwedischen Abendzeitungen zählt (obwohl es mittlerweile morgens erscheint), gibt es seit 1830 (Ebd., S. 225). Olympiska Spelens Tidning/The Olympic News war mit den drei schwedischen Zeitungen, Nordiskt Idrottslif, Idrottsbladet, Ny Tidning för idrott, verbunden und wurde als offizielles Organ des SOK während der Olympischen Spiele von 1912 täglich veröffentlicht. Herausgeber waren Balck und Bergvall, der auch den offiziellen olympischen Bericht herausgab (vgl. z. B. [o. A.] (1912k). [o. T.]. Olympiska Spelens Tidning/ The Olympic News, (7), 28. Juni, S. 8). 40 Alle drei lagern in der BibliothÀque Nationale in Paris. L’Auto (in den ersten drei Jahren L’Auto-V¦lo) war die wichtigste französische Tageszeitung zwischen 1900 und 1944 (Spivak, 1983, S. 752; T¦tart, 2007, S. 299). La Vie au grand air war ein französisches Sportmagazin, das ab 1898 bis 1914 wöchentlich erschien. Danach kam es zwischen 1916 und 1922 mit einer vierteljährlichen Publikation wieder neu heraus (T¦tart, 2007, S. 306). L’Illustration war ein französisches Wochenmagazin, das zwischen 1843 und 1944 veröffentlicht wurde. Mehr Informationen über die zeitgenössische französische Presse finden sich in Bellanger, 1969. 41 The Times ist eine britische Tageszeitung, die 1785 mit dem Namen The Daily Universal Register gegründet wurde und ab 1788 The Times hieß (Woods & Bishop, 1983). The Field oder genauer The Field: Country Gentleman’s Newspaper war eine bekannte britische Wochenzeitung, die ab 1853 hauptsächlich von Aristokraten oder Personen der oberen Mittelschicht bezogen wurde. Mit Cook als Herausgeber (ca. 1913 – 1928) entwickelte sich die Zeitung zum offiziellen Organ der olympischen Bewegung in Großbritannien (Matthew Philip Llewellyn in einer privaten E-Mail am 30. Januar 2012).
Thematische Eingrenzung und Untersuchungsgang
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kanischen New York Times Beachtung geschenkt.42 Mitteilungen der Nachrichtenagentur The Associated Press sowie der beiden Zeitungen The Evening Independent und The Courier-Journal werden als weitere US-amerikanische Quellen ebenso einbezogen.43 Im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen von Stockholm kommt den Jahrgängen 1911 und 1912 die größte Aufmerksamkeit zu. Auf der Suche nach der vorolympischen Genese des Modernen Fünfkampfs fließen daneben auch Berichterstattungen aus den 1880er und 1890er Jahren ein. Diese helfen gleichzeitig, den zeitlichen Rahmen der Arbeit abzustecken.
1.6
Thematische Eingrenzung und Untersuchungsgang
Um die Forschungsfrage hinreichend zu beantworten, wird in der vorliegenden Dissertation weit vor seinem olympischen Debüt angesetzt. Der Moderne Fünfkampf wurde zwar 1912, als verschiedene Faktoren im Europa des beginnenden 20. Jahrhunderts einen günstigen Nährboden für seine Entwicklung lieferten, zum ersten Mal als olympische Veranstaltung durchgeführt, doch die Vorbereitungen auf dieses Ereignis hatten bereits mehrere Jahre zuvor stattgefunden. Die Basis für seine gesellschaftliche Akzeptanz wurde sogar noch früher gelegt. Die Untersuchung setzt daher schon in den 1880er Jahren ein, als sich auf nationaler Ebene zunehmend Mehrkämpfe in das sportliche und militärische Training einreihten. Um die Forschungsfrage hinreichend zu beantworten, ist eine Rekonstruktion der Geschichte (Booth, 2005) bis 1912, dem Jahr der Einführung des Modernen Fünfkampfs in das olympische Wettkampfprogramm, ausreichend. Geographisch gesehen konzentriert sich die Analyse auf den europäischen Raum. Einen ersten Untersuchungsschwerpunkt bildet Frankreich. Da Coubertin, bevor er internationale Gedanken hegte, seine Erziehungsreformen zunächst auf sein Heimatland selbst ausrichtete, liegt die Vermutung nahe, dass er auch den Modernen Fünfkampf erst im eigenen Land Fuß fassen lassen wollte. Frankreich stellte bereits 1912 zwei Teilnehmer im olympischen Modernen Fünfkampf und versprach als starke Fechtnation allgemein günstige Voraus42 Die erste Ausgabe der US-amerikanischen Tageszeitung The New York Times erschien 1851 (z. B. Elfenbein, 1996). 43 The Associated Press (AP) ist eine Nachrichtenagentur mit Hauptsitz in New York City, die im Mai 1848 (als Harbour News Association) gegründet wurde. The New York Times wurde 1851 Mitglied (Pyle, 2006). The Evening Independent war im November 1907 die erste Tageszeitung in St. Petersburg/Florida. The Courier-Journal ist die wichtigste Zeitung der US-amerikanischen Stadt Louisville/Kentucky. Die erste Ausgabe erschien am 8. November 1868, als The Journal und The Courier zu einer Zeitung verschmolzen (Towles, 1994).
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Einleitung: Moderner Fünfkampf als historischer Forschungsgegenstand
setzungen für einen Ausbau Richtung Mehrkampf. Ein zweiter Fokus liegt auf Schweden, dem Gastgeberland des ersten olympischen Modernen Fünfkampfs, dessen Athleten die Sportart in den ersten Jahrzehnten deutlich dominierten. In der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 1912 setzte sich insbesondere Balck als Präsident des Schwedischen Organisationskomitees (SOK) für die Umsetzung dieser neuen Mehrkampfsportart ein.44 Da beide, der Schwede Balck sowie der Franzose Coubertin, dem IOC angehörten, boten sich ausreichend Gelegenheiten zum gegenseitigen Austausch von Ideen. Ergänzend zu dem französisch-schwedischen Fokus werden im Zusammenhang mit dem olympischen Debüt von 1912 weitere nationale Schwerpunkte gesetzt, die sich größtenteils aus den individuellen Erfolgen der antretenden Athleten ergeben (z. B. Patton/USA, Bernhardt/Österreich, Clilverd/Großbritannien) ergeben. Länder, die 1912 nicht am Modernen Fünfkampf teilnahmen, werden umgekehrt von der Analyse ausgenommen, weil ihr Einfluss auf die frühe sportartspezifische Entwicklung unwahrscheinlich ist. Um die Genese des Modernen Fünfkampfs schriftlich darzulegen, bietet sich eine gemischt thematisch-chronologische Vorgehensweise an. Diese führt zu einer Aufteilung in vier Großabschnitte, wobei sich die ersten beiden Kapitel schwerpunktmäßig mit den Ursprüngen und die letzten beiden mit der wettkampfmäßigen Umsetzung der Sportart beschäftigen. Die Analyse beginnt mit Coubertins Vorstellungen eines idealen Athleten (vgl. Kap. 2), weil seine potentielle »Vaterschaft« über den Modernen Fünfkampf die in der Literatur bislang favorisierte Interpretation darstellt. Das Kapitel sucht nach einer quellenkritischen Basis dieser tradierten »Vaterschafts-Hypothese«. Zentraler Ausgangspunkt sind die Leitbilder und Erziehungsziele, die sein Athletenideal prägten und damit die Basis für mögliche Parallelen oder Widersprüche zur Kreation eines neuzeitlichen olympischen Mehrkampfs lieferten. Weniger verbreitet ist die These der Verankerung des Modernen Fünfkampfs in den (schwedischen) Mehrkampf- und Militärsporttraditionen, mit der Coubertins Vaterschaft in einem zweiten Schritt konfrontiert wird (vgl. Kap. 3). Auch dieser thematische Schwerpunkt verspricht Erkenntnisse über die Sportartgenese, wenngleich hier weniger theoretische, ideengeschichtliche Hintergründe, sondern vielmehr gewachsene Wettkampfstrukturen dominieren. Personell steht hier der schwedische Oberst Balck im Hinblick auf seine Bedeutung für einen möglichen kulturellen Transfer des Modernen Fünfkampfs von einer Militär- zu einer Sportinstitution oder umgekehrt im Mittelpunkt. 44 Beim Schwedischen Organisationskomitee (SOK) handelte es sich wie schon 1906 und 1908 um ein Ad-Hoc-Komitee, das speziell für die Olympischen Spiele 1912 eingerichtet wurde und gleichzeitig die Funktion eines Nationalen Olympischen Komitees (NOK) übernahm (Molzberger, 2010, S. 40).
Thematische Eingrenzung und Untersuchungsgang
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Im Zusammenhang mit der Einführung und Inszenierung des ersten modernen olympischen Fünfkampfs werden die beiden Ursprungsthesen weiterverfolgt (vgl. Kap. 4, 5). Die Analyse und Evaluation der frühen Wettkampfentwicklung erfolgen dabei nicht rein deskriptiv, sondern interpretativ und kontextualisierend mit Blick auf die gesamtgesellschaftlichen und mentalitätshistorischen Entwicklungen. Das Engagement der beiden zentralen Figuren, Coubertin und Balck, erlaubt auch zu diesem Zeitpunkt weitere Rückschlüsse über die Kernfrage der »Vaterschaft«. In Balck ist dabei nicht nur eine zweite potentielle »Vaterfigur« gefunden, sondern ebenso eine Basis für mögliche Verbindungen zwischen der schwedischen Sport- und Militärgeschichte auf der einen Seite sowie Coubertin und seinem Ideengut auf der anderen Seite. Der schwedische Offizier und Sportfunktionär kannte Coubertin dabei spätestens seit 1896 aus den gemeinsamen Sitzungen im IOC und gehörte gleichermaßen beiden Lebensbereichen, Armee und Sport, an. Als »Vater« des schwedischen Sports, als Gründungsmitglied des IOC, als Verantwortlicher für die Organisation der Olympischen Spiele in Stockholm 1912 sowie als Präsident des Schwedischen Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf 1912 lieferte er günstige Voraussetzungen für eine Förderung der Sportart. Die Tatsache, dass sich folglich mehr als ein »Vater« des Modernen Fünfkampfs anbietet, verweist zum Einen auf ein hohes Geltungsbedürfnis der Beteiligten, ist jedoch gleichzeitig auch Spiegelbild des zeitgenössisch hohen Stellenwerts der Sportart. Denn wie Coubertin selbst hervorhob: »La f¦condit¦ et l’opportunit¦ d’une id¦e se reconnaissent au nombre de ceux qui s’en attribuent la paternit¦.«45
45 Coubertin ((1931a) [1996]. M¦moires olympiques, S. 62) zitiert hier Jules Simon, der sich über die Initiatoren des Schulsports in Frankreich äußerte. Übersetzung (nach Carl-DiemInstitut, 1996, S. 68): »Die Fruchtbarkeit und Zweckmäßigkeit eines Gedankens erkennt man an der Zahl derer, die sich um seine Vaterschaft streiten.« Sofern der Verfasserin die französische Originalversion Coubertins vorliegt, wird diese zitiert und eine Übersetzung in den Anmerkungen beigefügt. Falls nicht, steht die deutsche Übersetzung Coubertins im Fließtext. Die deutsche Sprache wird dagegen durchgängig verwendet, wenn nur Teilsätze oder Wortgruppen als Zitate in den Fließtext eingebettet werden. Die Mehrheit der Übersetzungen aus dem Englischen, Französischen und Schwedischen stammt von der Verfasserin selbst. Insbesondere bei Zitaten, die eine wörtliche Übersetzung erfordern, wurde zudem auf die Hilfe von Muttersprachlern zurückgegriffen.
2 Am Anfang war die Idee: Pierre de Coubertins idealer Athlet
Ob er versuchte, das französische Erziehungssystem zu reformieren oder die Olympischen Spiele wiedereinzuführen, Coubertin strebte gesellschaftliche Veränderungen an.46 Dabei gab sich der französische Baron nicht mit Mittelmaß zufrieden, sondern steckte seine Ziele prinzipiell hoch. Sein Anspruch spiegelt sich auch in der Definition seines athletischen Wunschbilds wider, das nichts weniger umfasste, als »das vollkommene Ideal unter dem Aspekt und den Gegebenheiten der Gegenwart wieder zu errichten«.47 Dem olympischen Wettkämpfer riet er beispielsweise, den Sport nicht als Selbstzweck, sondern als ein Mittel zum Erwerb höherer Werte zu begreifen, »um seinem Gott – gleichbedeutend mit seinem Idealbild – besser dienen zu können«.48 Coubertin führte allerdings nicht nur lange theoretische Diskussionen über notwendige Veränderungen, sondern versuchte sie auch, in die Tat umzusetzen (Krüger (A.), 1993, S. 97 f). Er war davon überzeugt, dass seine Ideen, sobald sie realisiert wären, zur Vervollkommnung der Menschheit beitrügen. Angetrieben von dem hohen Nationalstolz seiner Landsmänner, der durch die Niederlage Frankreichs im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 verletzt war (Diem & Buschmann, 1986, S. 280), stand zunächst »Rebronzer la France«49 im Mittelpunkt von Coubertins Aktivitäten. Seine angestrebten Erziehungsreformen stießen allerdings auf den mannigfaltigen Widerstand der Franzosen,50 was er später selbst mit dem Sprichwort »der Prophet gilt nichts in seinem Vaterlan46 Auf eine ausführliche Darstellung biographischer Eckdaten wird an dieser Stelle verzichtet und auf die einschlägige Literatur verwiesen (vgl. Kap. 1.1). Inhalte aus Coubertins Leben finden nur insofern Berücksichtigung, wie sie zur Erhellung der Forschungsfrage dienen. 47 Pierre de Coubertin (1904) in einem Artikel in der französischen Tageszeitung Figaro. Zitiert in Coubertin (1909a). Une campagne de vingt-et-un ans. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1974, S. 152. 48 Es handelt sich nach Eyquem um einen unveröffentlichten Brief Coubertins an Duchoslaw Forst (Eyquem (1966). Übersetzt in Kreidler, 1972, S. 244 f). 49 Die wörtliche Übersetzung lautet »Frankreich stählen«, im Sinne von wieder hart/stark machen. 50 Coubertin (1901a). Notes sur l’¦ducation publique. Übersetzt in Hoyer, 1972, S. 45.
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de«51 umschrieb. Um auf eine größere gesellschaftliche Zustimmung zu treffen, versuchte er daher seit Ende des 19. Jahrhunderts, sein Konzept der Erneuerung des Menschen auf die internationale Ebene auszuweiten. Coubertins Enthusiasmus war gepaart mit einer rhetorischen und publizistischen Begabung, die er gekonnt anhand von Vorträgen und Veröffentlichungen zur Verbreitung seiner Ideen einsetzte. Die Zeitschrift Revue Olympique, dessen verantwortlicher Schriftleiter und Herausgeber er war, nutzte er gern und oft als anonymes Sprachrohr.52 Darüber hinaus tat er seine Meinung auf Konferenzen kund, wie beispielsweise 1896, als er im Hinblick auf die modernen Olympischen Spiele klar Stellung bezog: »Pour moi j’en revendique hautement la paternit¦.«53 Der Erfolg seiner Bemühungen zeigte sich beispielsweise daran, dass Zweifel an seiner Urheberschaft über die neuzeitlichen Olympischen Spiele nur selten aufkamen. Diese unkritische Betrachtung hat sich in der öffentlichen Meinung bis in das 21. Jahrhundert gehalten, obwohl Sporthistoriker bereits vor mehr als zwanzig Jahren belegt haben (z. B. Young, 1987), dass sein Vorhaben, die antiken Olympischen Spiele zu erneuern, eigentlich keine revolutionäre Idee war, da erste neuzeitliche olympische Wettkämpfe bereits seit dem 17. Jahrhundert existierten.54 Die letztgenannten Forschungsergebnisse erlauben jedoch nicht den Umkehrschluss, dass es sich beim Modernen Fünfkampf zwangsläufig ebenfalls um eine unrechtmäßige coubertinsche Vereinnahmung handelt. An anderer Stelle, in Bezug auf den Marathonlauf gab er beispielsweise zu, dass der Gedanke zu diesem Wettbewerb von Br¦al (und nicht von ihm selbst) ausging.55 Mit Blick auf den Modernen Fünfkampf benannte er dagegen keinen anderen Schöpfer, sondern äußerte selbst klare Besitzansprüche. Die genannte Passage in seinen M¦moires olympiques dient zwar als erster Hinweis (vgl. Kap. 1), doch ist sie nicht ausreichend, um die These zu verifizieren.56 Wenn er die Sportart tat51 Coubertin, 1927. Sofern nicht anders vermerkt, stammen die Originaltexte von Coubertin aus den folgenden Sammelwerken: Carl-Diem-Institut (1966) und Müller (1986a/2000). 52 Die Artikel in der Revue Olympique sind größtenteils anonym verfasst. Aufgrund von Inhalt und Formulierung kann jedoch auf Coubertin als Urheber geschlossen werden. In solchen Fällen wird im Folgenden die eckige Klammer verwendet: z. B. [Coubertin], 1911, S. 163 ff. 53 Coubertin (1896b). Introduction: Les Jeux Olympiques d’AthÀnes – 1896, S. 8. Übersetzung: »Ich für meine Person nehme laut die Vaterschaft des Werkes in Anspruch […].« 54 Vgl. z. B. die Cotswold Olympick Games aus dem 17. Jahrhundert oder andere olympische Wettkämpfe (vgl. Kap. 4.1). 55 Coubertin (1931a) [1996]. M¦moires olympiques, S. 40. Auch wenn dieses Werk aus seiner späten Schaffensphase stammt, spiegelt es doch einige seiner Grundeinstellungen zum idealen Athleten wider. Zusammen mit anderen Schriften Coubertins, die ebenfalls nach 1912 entstanden sind, wird es daher ergänzend in die Untersuchung eingebunden. Da der Moderne Fünfkampf jedoch 1912 erstmals im olympischen Programm erschien (vgl. Kap. 5.2), liegt der Schwerpunkt auf den Werken, die er vor diesem Zeitpunkt verfasste. 56 Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 125.
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sächlich kreiert hat, müsste er darüber hinaus, da »das Werk immer seinen Schöpfer widerspiegelt« (Eyquem (1966). Übersetzt in Kreidler, 1972, S. 148), klare weitere Indizien hinterlassen haben. Das vorliegende zweite Kapitel beschäftigt sich daher eingehend mit Coubertins Vorstellung eines idealen Athleten. Diese sollen das notwendige Hintergrundwissen liefern, um zu entscheiden, inwiefern die ihm zugeschriebene »Vaterschaft« über den Modernen Fünfkampf im Einklang mit seinen Leitbildern steht und somit als deren konsequente Umsetzung in die Praxis zu begreifen ist. Dieses Kapitel liefert somit nicht nur einen Beitrag zum Verständnis von Coubertins Philosophie, sondern gleichzeitig eine Grundlage für spätere Analysen (vgl. Kap. 4, 5), welche die coubertinschen Leitbilder wiederaufgreifen, um deren Einfluss auf die Einführung und Weiterentwicklung des Modernen Fünfkampfs zu untersuchen. Zunächst steht eine Analyse von Faktoren, die sich inspirierend und legitimierend auf Coubertins Philosophie ausgewirkt haben könnten, im Fokus. Sein eklektisches Konzept war von unterschiedlichen gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen und zeitgenössisch einflussreichen Akteuren beeinflusst, was Coubertin – bewusst oder unbewusst – im Hinblick auf die Realisierung seiner eigenen Pläne nutzte. Nachdem Coubertins Athletenideal im System der philosophischen und gesamtgesellschaftlichen Strömungen verortet ist, wird die Untersuchung konkreter, indem sie ausgewählte Erziehungskonzepte und -ziele Coubertins in den Mittelpunkt stellt. Wenn die Idee des Modernen Fünfkampfs von Coubertin stammt, so ist davon auszugehen, dass auch seine pädagogischen Ziele mit den Charakteristika eines Mehrkampfs harmonieren. In einem abschließenden Zwischenfazit wird deshalb ausgeführt, inwiefern sich die allgemeinen olympischen Wertvorstellungen Coubertins mit dem Mehrkampfideal decken bzw. mit diesem kontrastieren. Seine Rolle als Ideengeber wird dabei kritisch analysiert, indem stichfeste Argumente gesucht werden, die darauf hinweisen, dass Coubertin nicht nur Befürworter und Adjutant, sondern auch Schöpfer des Modernen Fünfkampfs war. Die Interpretationen schließen dabei die sportpraktische Umsetzung des Modernen Fünfkampfs nicht mit ein, sondern beschäftigen sich an dieser Stelle ausschließlich mit den Wunschvorstellungen Coubertins. Erst rückblickend, wenn die Einführung des Modernen Fünfkampfs in das olympische Programm im Fokus steht, werden die Untersuchungsergebnisse dieses Kapitels erneut aufgegriffen, um zu prüfen, inwiefern sich Coubertins Ideen auch tatsächlich in der Sportartpraxis wiederfanden (vgl. Kap. 5.1.1, 5.3).
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Am Anfang war die Idee: Pierre de Coubertins idealer Athlet
2.1
Coubertins Athletenbild im Schmelztiegel von Hellenismus, Débrouillardise und Utilitarismus
»Penser, imaginer, inventer, combiner : quel plaisir.«57 Unbestritten ist, dass Coubertin im Allgemeinen große Freude bei der Entwicklung und Umsetzung von Ideen empfand, und ihm der Erfolg der neuzeitlichen Olympischen Spiele, der sich spätestens nach der vierten Olympiade eingestellt hatte, mit Selbstvertrauen für das Angehen weiterer Projekte ausrüstete. Deren Umsetzung strebte er etappenweise an: »Certains d’entre vous ont d¦j pris corps et se sont r¦alis¦es; cela donnera confiance aux autres, la r¦alisation desquelles je n’ai pas eu le temps de travailler […].«58 Coubertins Visionen, sein Organisationstalent und seine Durchsetzungskraft führten dazu, dass sich seine Olympischen Spiele zunehmend durchsetzten (Guttmann, 2004, S. 259). Ein bedeutender Faktor des Erfolgs war seine Bereitschaft, vielfältige zeitgenössische Leitbilder als Legitimationsgrundlage seiner Projekte einzusetzen (Wagner, 2008). Dies verleitet zu dem Vorwurf, dass Coubertin eigentlich »nur das humanistische Ideal seiner Zeit genommen, ein bisschen Eurythmie dazu, ein bisschen Nietzsche – und aus all dem hat er seine olympische Idee gestrickt« hat (Ebd.). Diese »Patchwork-Philosophie« hat einen kritischen Beigeschmack, spricht sie doch seinem Anwender die kreative Entwicklung eigener Inhalte ab. Der Eklektizismus, der für diese Vorgehensweise steht, stellte gemäß dem französischen Philosophen Claude Pr¦vost dennoch die dominante philosophische Strömung des 19. Jahrhunderts dar. Ihr Hauptvertreter, Victor Cousin (1792-1867),59 war insbesondere in Frankreich einflussreich: »Ce que je recommande, c’est ¦clectisme ¦clair¦ qui, jugeant avec ¦quit¦ et mÞme avec bienveillance toutes les doctrines, leur emprunte ce qu’elles mÞme ont de commun et de vrai, n¦glige ce qu’elles ont d’oppos¦ et de faux.«60
57 Coubertin (1889a). Übersetzung: »Denken, sich etwas ausmalen, erfinden, gestalten: was ein Vergnügen.« 58 Ebd. Übersetzung: »Einige von euch haben bereits Gestalt angenommen und wurden Wirklichkeit; das vermittelt anderen Ideen, an denen ich noch keine Zeit hatte zu arbeiten, Sicherheit […].« 59 Auf eine ausführliche Darstellung der Biographie Cousins wird an dieser Stelle verzichtet und auf die einschlägige Literatur verwiesen. Vgl. Barth¦lemy-Saint-Hilaire, 1892; Janet, 1885. 60 Cousin, 1846. Zitiert in Wirkus, 1987, S. 181. Übersetzung: »Was ich empfehle ist ein kluger Eklektizismus, der alle Vorstellungen mit einer ausgewogenen Sicht bewertet und von ihnen das nimmt, was sie gemeinsam haben und was wahr ist, aber beiseitelässt, worin sie nicht übereinstimmen und was falsch ist.«
Coubertins Athletenbild: Hellenismus, Débrouillardise und Utilitarismus
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Pr¦vost unterscheidet zwischen einem synchronistischen und einem synthetischen Eklektizismus, wobei letzterer Cousins Philosophie kennzeichnet. Beide Formen des Eklektizismus greifen bereits existierende Theorien auf, doch während der synchronistische einzelne Systeme lediglich additiv verbindet, lässt der synthetische diese zu einem neuen System verschmelzen (Pr¦vost, 1989, S. 25 – 47). Es ist davon auszugehen, dass der belesene und gebildete Coubertin Kenntnis von dieser philosophischen Strömung hatte und folglich die Zusammensetzung seiner eigenen Theorie aus unterschiedlichen anderen Konzepten als legitim ansah. Der deutsche Historiker Bernd Wirkus hält es dabei für wahrscheinlich, dass sich Coubertins Eklektizismus auf Cousin stützte. Letzterer führte die französische L’¦cole ¦clectique an, der u. a. auch Coubertins Freund, der angesehene Erziehungsreformer und ehemalige Unterrichtsminister und Senator Jules Simon (1814 – 1896) angehörte (Wirkus, 1987, S. 181/ 1990, S. 109). In Coubertins Werk Roman d’un ralli, das er 1902 unter dem Pseudonym Georges Hohrod schrieb, zeigt sein Protagonist Etienne einen geheimen »Wunsch nach neuen Horizonten,« den Coubertin selbst als »Eklektizismus« bezeichnete,61 und den Wirkus umgekehrt als Spiegelbild typisch coubertinschen Denkens interpretiert. Der genannte Roman stellt allerdings eine Ausnahme dar. Denn Coubertin benutzte das Wort »Eklektizismus« insgesamt nicht allzu oft und wenn doch, nur an wenigen signifikanten Stellen.62 Die US-amerikanischen Sportwissenschaftler Sullivan und Mechikoff (2004, S. 32) sind zudem der Meinung, dass Coubertins Präferenz der eklektischen Methode auch indirekt in seinen Schriften, vor allem in seinen Lettres Olympiques (1918/1919), deutlich wird. Die Mehrheit der Coubertin-Forscher sieht in dem französischen Baron ebenso einen Eklektiker (z. B. Wirkus, 1987, S. 186). Nikolaos Nissiotis, der frühere Präsident der International Olympic Academy (IOA), schreibt, dass Coubertin alles sammelte, um seine olympische Idee zu unterstützen, und folglich einen »ständigen Dialog mit den Trends seiner Zeit« führte (Nissiotis, 1987, S. 162). Mit dieser Vorgehensweise stand Coubertin damals nicht allein. Georges Demeny¨ (1850 – 1917), der als Begründer der wissenschaftlichen Leibeserziehung in Frankreich gilt, stellte ebenso die Arbeiten seiner Kollegen »den seinigen zur Seite, wie etwa ein kommandierender General die Namen seiner untergeordneten Offiziere, welche, ihrer Pflicht gehorchend, ihm zur Erringung des Sieges geholfen haben.«63 Während Georg Wilhelm Friedrich Hegel den Eklektizismus kritisierte und auf Schwierigkeiten bei der Verbindung unterschiedlicher philosophischer Teilstücke verwies, verstanden diese so wie Coubertin 61 Hohrad [Pseudonym Coubertins], 1902, S. 34. Zitiert in Wirkus, 1987, S. 180 f. 62 Vgl. z. B. Coubertin, 1913 [1992], S. 55 f. 63 [o. A.], 1910, S. 165. [Original in deutscher Sprache].
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selbst den Begriff ausschließlich positiv (Wirkus, 1987, S. 181). Coubertin schlug daher beispielsweise im Hinblick auf das Leibesübungskonzept seines dänischen Kollegen J. P. Müller vor, dass unterschiedliche Systeme im positiven Sinne voneinander lernen könnten.64 Der Eklektizismus Coubertins geht dabei aus der Absicht hervor, Dinge als ein Ganzes zu verstehen. Dies barg gleichzeitig die Gefahr, Harmonisierung wichtiger als kritische Analyse zu bewerten und folglich negative Elemente der eingeschlossenen Philosophien zu vernachlässigen oder gänzlich auszuschließen (Ebd., S. 182). Auf der Suche nach möglichen Ursachen seiner Kreativität war Coubertin sich schon früh bewusst, dass er möglicherweise fremde Ideen für sich beanspruchte, störte sich allerdings wenig daran: »Je ne suis pas sr que vous [les id¦es] soyez toutes, bien moi, et qu’avant de venir habiter ma cervelle vous n’ayez pas exist¦ dans les cervelles d’autres personnes; n¦anmoins je vous sens bien ce qui revient au mÞme que si vous l’¦tiez r¦ellement.«65
Seine eklektischen Methode erlaubte Coubertin nämlich, Sport »zu übersetzen« (Biache, 1998, S. 262), das heißt seine Idee an bestehende gesamtgesellschaftliche Strömungen anzuschließen und damit der Bevölkerung vertraut zu machen. Entsprechend lag im Hinblick auf eine moderne Form des Fünfkampfs, die im Philhellenen Coubertin offenkundig große Sympathien weckte, eine romantisierende Anlehnung an die antiken Wettkämpfe nahe (vgl. Kap. 2.1.1). Diese Verbindung hatte bereits im Zusammenhang mit der Wiedereinführung der Olympischen Spiele Erfolg gezeigt, auch wenn die enge Beziehung zur Antike mehr konstruiert war als auf echten, nachweisbaren Parallelitäten zu beruhen. Denn ein Gegenstand mit langer historischer Kontinuitätslinie – auch wenn diese lediglich »erfunden« war (Hobsbawm & Ranger, 2003) – versprach insbesondere im neuhumanistisch geprägten Europa des 18. und 19. Jahrhunderts auf gesellschaftliche Unterstützung zu stoßen. Vor diesem Hintergrund hatte der Philhellenismus Fuß gefasst und sich insbesondere in gebildeten Kreisen bis ins 20. Jahrhundert hinein gehalten (Malter, 1969, S. 9 f; Grupe, 1997, S. 227ff).66 Eng verbunden mit der Idee eines Mehrkampfs war zudem das Ideal der Vollkommenheit, das im 19. Jahrhundert allgemein als erstrebenswert galt, mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts allerdings zunehmend von Spezialisierungs64 [Coubertin], 1909c, S. 148 – 153. 65 Coubertin, P. de (1889a). Übersetzung: »Ich bin nicht sicher, ob ihr [die Ideen] alle die meinigen seid, und dass ihr, bevor ihr mir in den Sinn kamt, nicht bereits in den Köpfen anderer Leute gelebt hattet; trotzdem fühle ich, dass ihr zu mir gehört, was zum selben Ergebnis führt, als wenn ihr es wirklich würdet.« 66 Die positive Würdigung der Zeit des Hellenismus geht vor allem auf den deutschen Historiker Johann Gustav Droysen (1808 – 1884) im 19. Jahrhundert zurück, der den Hellenismus als moderne Zeit des Altertums bezeichnete (vgl. Droysen, 2011 [1843]; auch im 20. Jahrhundert fand diese Einschätzung allgemein Anerkennung.
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tendenzen eingeholt wurde (vgl. Kap. 2.1.2). Da Coubertin seinen Theorien üblicherweise einen pragmatischen Nutzen zuschrieb und versuchte, der Gesellschaft nicht nur Ideale, sondern gleichzeitig auch Handlungsanweisungen zum Erreichen dieser an die Hand zu geben, führte die D¦brouillardise in ihrer praktischen Konsequenz zur Ausbildung der Zweckgymnastik. Ein Vergleich von Coubertins Gymnastique utilitaire mit Georges H¦berts M¦thode naturelle gibt Anlass nachzuforschen, ob Coubertins Ideen auch in diesem Fall eklektischer Natur waren.
2.1.1 Romantische Inspiration: der antike Pentathlet Den Modernen Fünfkampf hat es zwar zur Zeit der antiken Olympischen Wettspiele noch nicht gegeben, doch die Idee, eine Sportart aus fünf unterschiedlichen Einzeldisziplinen zu kombinieren, existierte bereits. Mehr als 2500 Jahre vor der Einführung des olympischen Modernen Fünfkampfs suchten die Athleten der antiken Olympischen Spiele schon den besten Fünfkämpfer in ihren Reihen. Trotz der offensichtlichen namentlichen Verwandtschaft erscheint die fünfkampflose Zeitspanne, die zwischen dem antiken Pentathlon und dem Modernen Fünfkampf liegen soll, doch reichlich groß, um echte Zusammenhänge zwischen den beiden Mehrkämpfen herzustellen. Unbeachtet der neuzeitlichen Mehrkampftraditionen (vgl. Kap. 3.1.3, 4.1) lässt sich im Zusammenhang mit der Entstehungsgeschichte des Modernen Fünfkampfs häufig lesen, dass Coubertin »die Idee des Pentathlon der Antike wieder aufgriff«67 oder die »Disziplinen des antiken Pentathlon der modernen Zeit« (Bäumel, 2007, S. 10) anpasste. Einige Autoren sehen darin Grund genug, das Pentathlon des klassischen Griechenlands als direkten Vorläufer des Modernen Fünfkampfs zu bezeichnen (z. B. Köris, 1984, S. 11). Dies veranlasst nachzuforschen, welche Vorstellungen Coubertin vom antiken Pentathlon hatte und inwiefern sich diese zu einer Wiederweckung eigneten. Fest steht, dass sich Coubertin mit seinem Wunsch nach einer »Rückkehr zum griechischen Leben«68 gesellschaftliche Unterstützung gesichert hatte. Denn humanistisches Denken fand im 19. Jahrhundert zahlreiche Befürworter, die mit Vorliebe auf das antike Ideal und die griechische Philosophie zurückgriffen und davon überzeugt waren, dass die Vergangenheit nach einer gewissen Anpassung für die Gegenwart nützlich sein könnte. Die 1875 einsetzende Ausgrabung Olympias durch deutsche Archäologen brachte neue Brisanz in das 67 Vgl. die Homepage der Modernen Fünfkampf Mastervereinigung Deutschland. Zugriff online am 21. August 2010 unter http://mod5kmasters.de 68 [Coubertin] (1907a). Le retour la vie grecque, 211 – 215.
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olympische Thema, das bis dahin ausschließlich aus den Informationen der Primär- und Sekundärliteratur gelebt hatte. Die Beschäftigung mit der Antike zeigte auch, dass unterschiedliche antike Philosophen den Fünfkampf zum Inhalt ihrer Schriften gemacht und so ein positives Bild der Sportart geprägt hatten. Bereits Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) thematisierte explizit die Vorzüge eines vielseitig ausgebildeten Pentathleten und konservierte diese in seinem Werk Rhetorik für die Nachwelt: »Es ist der Vorzug des jungen Menschen, dass er gegenüber Herausforderungen über seinen Körper verfügt in Bezug auf Schnelligkeit und Kraft. Er ist da in guter Form. Am besten sind es die Fünfkampfathleten, weil sie gleichermaßen über Kraft und Schnelligkeit verfügen, mithin bestens gerüstet für das Kämpfen und flink gegenüber Furchterregendem.«69
Aristoteles schrieb den Fünfkämpfern die beste körperliche Verfassung zu, gleichzeitig erläuterte er den gesellschaftlichen Nutzen, der aus ihrer Konstitution erwuchs. So hielt er den Pentathleten für bestens vorbereitet auf einen eventuellen Kriegseinsatz, ein Thema, das aufgrund der regelmäßigen Auseinandersetzungen in der antiken Welt ohnehin einen hohen Stellenwert einnahm (vgl. Kap. 2.2.1). Die dafür notwendige Soldatentugend nannte er »Arete«, was so viel wie »stark, tapfer, körperlich gebildet« heißt und »ein perfektes Kriegswerkzeug« darstellte (Prohl & Scheid, 2009, S. 13). Während sich die »Arete« durch Aristoteles zu einem Kernbegriff der antiken Ethik entwickelte, distanzierte sich der Begriff gleichzeitig von seiner ursprünglichen Bedeutung (Ebd.): Die »Arete« hatte nämlich eigentlich eine besondere Tüchtigkeit, die einem Fachmann ebenso wie einem Werkzeug zukam, bezeichnet und zeigte sich beispielsweise in der Schärfe einer Messerklinge. Der vielfältig ausgebildete Athlet beschäftigte auch den griechischen Philosophen Platon (428 – 348 v. Chr.). Er machte die Nützlichkeit eines Mannes an unterschiedlichen Charaktereigenschaften fest, darunter nannte er auch die Fähigkeit, »im Kriege Freiheit und Wohlstand gegen den Feind zu schützen und zu wahren.«70 Einige hundert Jahre später erinnerte sich der griechische Sophist Flavius Philostratos (ca. 165 – 244) an die militärische Zweckgebundenheit des Athleten, wenn er schrieb, dass »die Menschen in früherer Zeit die Wett69 Aristoteles, 1, 5 1361 b, 10 – 11. Übersetzt und zitiert in Grimaldi, 1980, und Flashar, 2002. Heute findet man Aristoteles häufig falsch zitiert: »Die perfektesten Athleten sind die Fünfkämpfer, denn ihre Intelligenz, Kraft und Schnelligkeit kommt in wunderbarer Harmonie zum Ausdruck.« (TSV Erding 1862 e. V.); vgl. auch Huber, 2004. So gern viele aus dem Modernen Fünfkampf einen Sport der Intelligenten machen würden, so wenig hat die genannte kontextfreie und dennoch häufig zitierte Übersetzung mit dem griechischen Originaltext des Aristoteles zu tun, der dagegen eher nüchtern, fast entideologisierend erscheint. 70 Platon (399 – 390 v. Chr.). Kriton, p 50, D. Übersetzt und zitiert in Haggenmüller, 1892a, S. 47.
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kampfspiele als eine Übung für den Krieg und den Krieg als eine Übung für den Wettkampf ansahen.«71 Eine allseitige Ertüchtigung erschien also nicht nur für einen Einsatz im olympischen Wettbewerb, sondern auch als Vorbereitung für den Krieg geeignet, und unterschied den Fünfkämpfer von anderen Athleten wie dem Läufer, dem Ringer, dem Boxer und dem Pankratiasten (Wissowa & Pauly, 1937, S. 525). Letzteren schrieb Aristoteles zwar ebenfalls bestimmte Fähigkeiten zu, kam jedoch zu dem Schluss, dass ausschließlich ein Pentathlet alles könne.72 Es verwundert daher nicht, dass der Mehrkampf bereits bei den alten Hellenen als Ideal der Athletik galt.73 Philostratos fasste die Körpermerkmale, die einen guten Pentathleten auszeichneten, in einem Satz zusammen: »Wer im Fünfkampf auftreten will, soll eher schwer als leicht und eher leicht als schwer sein, ferner schlank, wohlgebaut, hochgewachsen, nicht übermäßig muskulös, aber auch nicht verkümmert.«74
Die Auswahl und Zusammenstellung der Übungen war dabei so getroffen, dass »alle Teile des Körpers möglichst gleichmäßig durchgebildet wurden« (Ebd., S. 525). So verband das antike Pentathlon mehrere unterschiedliche Bereiche, indem es die »leichten Übungen«, Speer, Sprung und Lauf, mit den »schweren«, Diskus und Ringen, kombinierte.75 Das Bildungspostulat der »Kalokagathia« lieferte eine ideologische Stütze, indem es eine ausgewogene Erziehung von Körper und Geist, wie sie der Pentathlet der griechischen Antike verkörperte, unterstützte.76 Neben der physischen Komponente strebten die Fünfkämpfer also ebenso eine geistige und moralische Schulung an, die »in ihrer Vereinigung« dazu diente, »Knaben zu brauchbaren Männern« heranzuziehen.77 Die Betonung liegt hier auf »Knaben«, denn die Poliswelt war ausschließlich männlich orientiert und erlaubte Frauen üblicherweise weder eine Teilnahme noch eine Beobachtung der Spiele vom Zuschauerrang aus (Kannicht, 1997, S. 47). Obwohl sich in Coubertins persönlichem Buchbestand lediglich fünf antike
71 Übersetzt und zitiert in Jüthner (1909). Zitiert in Elias & Dunning, 1982, S. 24. 72 Aristoteles, Rhetorik, 1,5 1361b, 23 – 26. Übersetzt und zitiert in Grimaldi, 1980 und Rapp, Grumach & Flashar, 2002. 73 Wiedemann (1919a). Der Fünfkampf bei den Armee-Wettkämpfen, S. 298. 74 Philostratos, Flavius (nach 219). Gymnastikûs [Über die Gymnastik], 31[41]. Übersetzt und zitiert in Gold, 1991, S. 59 f. 75 Jüthner, 1909, S. 3. Zitiert in Elias & Dunning, 1982, S. 59. 76 Wiedemann (1918a). Der Mehrkampf in seiner volkserzieherischen Bedeutung, S. 38. »Kalokagathia« leitet sich von den beiden griechischen Wörtern, kalos (schön) und agathos (gut, edel, gebildet) ab. 77 Platon (399 – 390 v. Chr.). Kriton, p 50, D. Übersetzt und zitiert in Haggenmüller, 1892a, S. 47.
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Autoren befanden,78 ist anzunehmen, dass er wie alle gebildeten europäischen Aristokratensöhne seiner Zeit, die Werke bedeutender klassischer Philosophen kannte (Guttmann, 2004, S. 259). Denn die Geschichte war für Coubertin »die erste aller Wissenschaften an Bedeutung und erzieherischem Nutzen.«79 Sein Enthusiasmus für Historisches wurde bereits als Schüler durch seinen Lehrer Pater Caron geweckt, der ihn am Pariser Jesuitenkolleg mit den Werken griechischer und lateinischer Autoren vertraut gemacht hatte.80 Zwar betrieb Coubertin selbst keine historischen Forschungen, doch war ihm stets daran gelegen, seine Ideen in einen größeren historischen Kontext einzubetten. Diese positive Antikenrezeption spiegelt sich in seinen Schriften und Reden wider : Im April 1891 setzte er sich erstmals in seinem Aufsatz »L’athl¦tisme – son rúle et son histoire« mit der griechischen Athletik auseinander.81 Drei Jahre später äußerte er sich in seiner Rede anlässlich des in Paris stattfindenden olympischen Kongresses zur charakterbildenden Eigenschaft des körperlichen Trainings und betonte: »Voil ce que les anciens savaient et ce que nous rapprenons p¦niblement.«82 Als im Jahr 1896 die ersten modernen Olympischen Spiele in Athen stattfanden, sah er darin nicht einfach eine kreative Neuschöpfung des 19. Jahrhunderts, sondern die Wiedererweckung »einer der nobelsten und interessantesten antiken Institutionen«.83 Seine Konzeption der Wiedereinführung des antiken Gymnasiums, »das sich den Gebräuchen und Notwendigkeiten der heutigen Zeit anpasst, aber wie ehemals der Mittelpunkt der fruchtbaren Betätigung der Jugend ist«,84 basierte ebenso auf einer Idealisierung der griechischen Antike (Schantz, 2008, S. 12). Sein 1906 erschienener Text Olympie, der die Abläufe der antiken Wettkämpfe, inklusive des Pentathlon, beschrieb, zeugt abermals von einer umfassenden klassischen Ausbildung.85 Vieles spricht dafür, dass der klassische Fünfkampf »bei den großen nationalen Festen das Hauptereignis« war.86 Die Mehrkämpfer galten als Vorbild einer gelungenen vielseitigen Ausbildung87 und das Pentathlon, der einzige antike 78 Meylan, 1944. 79 Coubertin, 1926 – 1927, S. XIV. 80 Ein Drittel von Coubertins Werken hat historischen Inhalt, ca. 300 seiner fast 1250 Artikel und mehr als die Hälfte seiner privaten Büchersammlung sind geschichtlicher Natur (Müller (1986c). Olympisme, S. 23 f). 81 Coubertin, 1891, S. 193 – 207. 82 Coubertin (1894b). Le CongrÀs de Paris, S. 1. Übersetzung (nach Carl-Diem-Institut, 1966, S. 7): »Genau dies wussten die Alten, während wir es nur mühsam wieder lernen.« 83 Coubertin (1908c). Why I revived the Olympic Games. [Übersetzt von Helen Chisholm], 110 – 115. 84 »XI. Der Lehrer und das Gymnasium.« Coubertin (1905). Deutsche Übersetzung von 1906, S. 45. 85 [Coubertin] (1906 f). Olympie, S. 135 – 139. 86 Wiedemann (1918a). Der Mehrkampf in seiner volkserzieherischen Bedeutung, S. 38. 87 Wiedemann (1919a). Der Fünfkampf bei den Armee-Wettkämpfen, S. 298.
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Mehrkampf, als »Krone des Wettkampfs«.88 Die griechischen Althistoriker Spyridon Lambros und Nicolaus G. Politis untermauern den hohen Stellenwert des Fünfkampfs in der Antike: »Eifrig eilten alle herbei, um beim Pentathlon, mit dem die Olympischen Spiele abschlossen, anwesend zu sein.«89 Die Beobachtung der Vereinigung von Stärke und Geschick soll dem Zuschauer eine besondere Freude gewesen sein, und der Gewinner des Pentathlon wurde als so genannter »Victor Ludorum« (Killanin & Rodda, 1976, S. 117) zum Gesamtsieger der Spiele ernannt. Der antike Fünfkampf genoss auch unter Künstlern hohes Ansehen: Sie wiesen dem Fünfkampf, der durch seine Mischung aus leicht- und schwerathletischen Elementen einen harmonischen Körperbau unterstützte, große Bedeutung zu (Weiler, 1981, S. 190). Die bildenden Künstler nahmen sich folglich mit Vorliebe Pentathleten zum Modell. Da die Eurythmie, die Harmonie, die sich in der antiken Kunst und insbesondere in der Darstellung der Fünfkämpfer widerspiegelte, Coubertins ästhetischem Ideal entsprach, war ihm daran gelegen, diese in seiner Zeit wiederzubeleben.90 Trotz der genannten Nachweise einer Mehrkampfverehrung zweifeln einige Wissenschaftler dennoch daran, dass die Fünfkämpfer in der antiken Bevölkerung tatsächlich hohe Anerkennung fanden. Nach dem österreichischen Althistoriker Ingomar Weiler scheinen die Pentathloniken an Beliebtheit eben nicht im Zentrum der antiken Sportberichterstattung gestanden zu haben. Er verweist dabei auf seinen britischen Kollegen Harold Arthur Harris, der im Fünfkampf »eher eine Verlegenheitslösung […] oder ein Trostspiel für die in den Spezialdisziplinen erfolglosen Athleten« sieht (Harris, 1972, S. 33). Harris verweist darauf, dass auch die Griechen das Pentathlon teils als ultimativen Test eines Allrounders darstellten, teils jedoch auch als Chance für den Mann, dem es nicht gelang, im Laufen oder in den Kampfsportarten allein zu triumphieren. Während Aristoteles die Pentathleten verehrte, hielten Platon and Suidas sie schon damals für Athleten zweiter Klasse (Kyle, 1990, S. 294). Dies lässt jedoch außer Acht, dass selbst schwache Pentathleten teils erfolgreich an Einzelwettkämpfen teilnahmen (Bean, 1956, S. 364 f). Da Coubertin und seine Zeitgenossen ein romantisches, verklärtes Bild des griechischen Sports in sich trugen, ist es allerdings unwahrscheinlich, dass der Fünfkampf in ihren Kreisen eine derart kritische Interpretation erfuhr. Ähnlich verhält es sich mit der Ursprungsidee der Olympischen Spiele: Wenn Sporthistoriker auch mittlerweile festgestellt haben, dass sich die Wettkämpfe der Antike unter gänzlich unterschiedlichen Bedingungen entwickelt haben und 88 Wiedemann (1918a). Der Mehrkampf in seiner volkserzieherischen Bedeutung, S. 38. 89 Lampros, Politis, Coubertin, Philemon & Anninos, 1896, S. 43. 90 Coubertin (1915c). La restauration du gymnase antique. L’Excelsior, 6 (1686), 5. Juli, 3. Zitiert in Durry, 1986, S. 395.
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sich daher nur bedingt mit dem modernen Sport vergleichen lassen (z. B. Guttmann, 1978, S. 15; Elias & Dunning, 1982b, S. 15), so waren diese zweifelnden Stimmen zu Coubertins Lebzeiten noch nicht zu hören. So wie die Antike den olympischen Sieger als Ideal-Menschen interpretierte,91 strebte Coubertin danach, im modernen Athleten den vollkommenen Menschen zu verwirklichen. Seine Idealisierung des Mehrkämpfers vermittelt daher auch einen Eindruck von seiner ablehnenden Haltung gegenüber Disziplinen, die eine einseitige Entwicklung förderten (Gardiner, 1930 [2002], S. 177). Denn schon der Sieg im antiken Pentathlon wurde nur dem Athleten zuteil, der in allen fünf Übungen »Vorzügliches geleistet hatte«.92 Bäumel (2007, S. 1) betont in diesem Zusammenhang, dass es nicht ausreichte, »der beste Diskuswerfer oder Weitspringer zu sein; vielmehr musste man in mehreren Disziplinen Leistungen auf hohem Niveau erbringen«. Die Fünfkämpfer galten damit als vergleichsweise überlegen, auch wenn sie in den beiden Sportarten, die auch von Spezialisten betrieben wurden, eigentlich chancenlos waren: »Das Ergebnis dieses umfassenden Trainings ist, daß die Fünfkämpfer in den drei dem Pentathlon eigentümlichen Übungen allen anderen überlegen sind, im Lauf und Ringen aber nur Laien und solchen Athleten, die sich nicht eigens auf diese Übungen verlegt haben. Denn mit diesen Spezialisten können sie es in der Einzelleistung nicht aufnehmen, doch kommen sie gleich nach ihnen.«93
Die zunehmende Verbreitung eines einseitigen Trainings hatte Coubertin dazu bewogen, »den spezialisierten und technischen Charakter des heutigen Sportes abzumildern, um ihm seinen Platz in einem täglichen Leben wiederzugeben«.94 In der Wiederbelebung des antiken Mythos sah er die Chance, die Gesellschaft »inmitten einer im Materialismus versinkenden Welt« (Wirkus, 1990, S. 112) wieder auf den rechten Pfad zu bringen. Das ursprünglich aus der Antike stammende Harmonieideal einer vielseitigen Ausbildung blieb allerdings im 91 Meisl, 1924, S. 12. 92 Haggenmüller, 1892b, S. 19. Andere Autoren halten es für möglich, dass der Fünfkampf bereits nach den ersten drei Übungen abgebrochen wurde, sofern ein Athlet diese dominierte (z. B. Ebert, 1963). 93 Platon erast. [wird Plato nur zugeschrieben] (4. Jh. V. Chr.) [genauer Zeitpunkt umstritten]. Amatores (Anterastai), 135 E und 138 E. Übersetzt und zitiert in Harris, 1972, S. 33. Dieser Sachverhalt gab Anlass zu Vergleichen: »Demokritos z. B. wurde Pentathlos genannt, weil er die verschiedensten Wissenschaften und Künste beherrschte (Diog. Laert. IX 7, 37 = Suid. s. …), Eratosthenes erhielt diesen Namen und auch den Beinamen […], weil er zwar viele Disziplinen beherrschte, in jeder einzelnen aber nur den zweiten Rang einnahm (s. o. Bd. VI S. 361). Doch war es nicht ganz ausgeschlossen, daß siegreiche Fünfkämpfer auch Einzelsiege davontrugen, so der obengenannte Eutelidas im Ringen, andere im Lauf (Beispiele bei Gardiner Journ. hell. stud. XXIII 61, 34).« (Wissowa & Pauly, 1937, S. 52). 94 Coubertin (1909a). Une campagne de vingt-et-un ans. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1974, S. 152.
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Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert nicht nur als antikes Relikt erhalten, sondern erfuhr durch die Initiative Coubertins und anderer Pädagogen neue Formen und konkrete zeitgenössische Inhalte (vgl. Kap. 2.1.2). Von einer kritiklosen, blinden Übernahme antiken Gedankenguts sah Coubertin nämlich ab und gab zu bedenken, ob »der Sport, der von weit her wieder zu uns gelangt ist, nach einer so langen und absoluten Abwesenheit nicht völlig seinen Charakter gewandelt« hätte.95 Wenn er seine Olympischen Spiele an die Antike anlehnte, so wollte er keine museale Ruine errichten. Die antiken Spiele sollten sehr wohl als Inspiration, jedoch nicht als bloße Schablone dienen.96 Im Hinblick auf den Stellenwert olympischer Traditionen für die neuzeitlichen Spiele schlussfolgerte er, dass »wenn auch die Formen teilweise neu sind, der Geist der gleiche geblieben ist«.97 Dabei fand Coubertin in den Werken des dänischen Offiziers und Sportfunktionärs Eugen Stahl Schmidt (1862 – 1931) eine passende Vorlage.98 Dieser stellte das antike Pentathlon in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen und trug dazu bei, den Fünfkampf als neuzeitliche Sportart in Skandinavien zu verbreiten (vgl. Kap. 3.1.3). Coubertin kommentierte dessen Arbeit in einem 1908 veröffentlichten Artikel namens A propos du pentathlon. Schmidts Broschüre über das Pentathlon befand er darin als »sehr interessant«, »faszinierend« sowie inspirierend, doch betonte er, dass sich die Zusammensetzung des »Pentathlon moderne« – und hier gebrauchte er den Begriff nachweislich zum ersten Mal – seiner Meinung nach vom antiken Modell abgrenzen müsse.99 Er machte dies am Beispiel des Speerwerfens fest, das in antiken Zeiten noch einen kriegerischen Charakter gehabt hätte, in der Neuzeit jedoch ausschließlich als athletisch gelte. Daher müsse es durch eine Disziplin wie das Schießen, die im 20. Jahrhundert ebenso der Verteidigung diene wie in der Antike der Speer, ersetzt werden.100
95 Coubertin (1901a). Notes sur l’¦ducation publique. Übersetzt in Hoyer, 1972, S. 112. 96 Coubertin (1908c). Why I revived the Olympic Games. [Übersetzt von Helen Chisholm], 110 – 115. 97 Ebd. 98 Eugen Stahl Schmidt – Coubertin schrieb französisch »EugÀne« – gründete 1896 den dänischen Sportverband, den Dansk Idraets Forbund. Schmidt war gleichzeitig auch selbst Athlet und nahm sowohl 1896 als auch 1900 an den Olympischen Spielen teil. 1896 schied er im 100-Meter-Lauf in der Vorrunde aus und belegte Platz 12 im Luftgewehrschießen über 200 Meter ; 1900 gewann er mit der gemischt dänisch-schwedischen Mannschaft Gold im Tauziehen gegen Frankreich (es traten nur zwei Mannschaften überhaupt an) (Kluge, 1997, S. 25, 28, 62; Jørgensen, 2008, S. 46 f). Zum dänischen Sportbund vgl. auch Ueberhorst, 1976, S. 86; Bonde, 1988, S. 56. Balck war Anfang des 20. Jahrhunderts eher Ansprechperson im IOC für die Dänen, als ihr eigenes dänisches IOC-Mitglied Niels Holbeck (Jørgensen, 2008, S. 49; vgl. Kap. 3.3.2). 99 [Coubertin] (1918a). Ce que nous pouvons maintenant demander au Sport, S. 19 ff. 100 Ebd., S. 20.
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Dasselbe gelte für das Ringen, das aus Coubertins Sicht eine Form des Fechtens darstellte (vgl. Kap. 4.2.1). Um der Idee des Pentathlon gerecht zu werden, sollte dieser entsprechend folgende Disziplinen umfassen: »le saut, la course, un exercice de lancer (le disque), un exercice de tir (le javelot) et une des formes de l’escrime (la lutte).«101 Auch wenn die Disziplinen des Fünfkampfs an die jeweilige Zeit angepasst werden müssten, sei das Ziel dennoch gleich geblieben: »la formation de l’allround man«.102 Die Engländer hätten den Begriff dagegen auf athletische Sportarten reduziert und es versäumt, Kampfsportarten einzubinden (vgl. Kap. 4.1.2). Nachdem er die Mängel von Schmidts streng antikem Fünfkampf und jene der englischen Allroundkämpfe dargelegte hätte, präsentierte er schließlich ein aus seiner Sicht gelungenes Beispiel (vgl. Kap. 2.1.2, 5.1). »Qu’on nous pardonne ce blasphÀme mais le nouveau programme franÅais des ¦preuves de ›d¦brouillards‹ nous parat s’inspirer plus directement de la th¦orie antique du Pentathlon que les restitutions ad integrum que l’on tente d’en faire ici et l.«103
2.1.2 Sinnbild der Vollkommenheit: der Débrouillard Mindestens ebenso häufig wie der Moderne Fünfkampf als Abbild des antiken Pentathlon bezeichnet wird, interpretieren Autoren, Verbandsmitglieder und Journalisten die Sportart als »Hommage an den ›vollkommenen Athleten‹« (DVMF, 2000; Hubbard, 2003; SID, 2008). Coubertin wird im Hinblick auf diese Idealbildung wiederum eine Kernrolle zugeschrieben (UIPMB, 1983, S. 707). Avery Brundage, IOC-Präsident von 1952 bis 1972, erinnert sich noch 49 Jahre nach Coubertins Tod daran, dass es der französische Baron war, »der in uns das Ideal des vollkommenen, wenn nicht perfekten, Mannes wiedererweckte«.104 Im vorliegenden Teilkapitel stehen die Wechselwirkungen zwischen den sich wandelnden gesellschaftlichen Leitbildern und Coubertins Athletenideal im Mittelpunkt der Analyse. Im 20. Jahrhundert aufkommende Spezialisierungstendenzen werden kritisch im Hinblick auf die Entwicklungsmöglichkeiten eines neuen Mehrkampfs, der gleichzeitig als Spiegelbild eines tradierten Vollkom101 Ebd., S. 21. Übersetzung: »der Sprung, der Lauf, eine Wurfübung (der Diskuswurf), ein Schießübung (der Speerwurf) und eine Form des Fechtens (das Ringen)«. 102 Ebd. Übersetzung: »die Bildung des Allround-Mannes.« 103 Ebd. Übersetzung: »Lasst uns diese Blasphemie entschuldigen, aber das neue französische Programm der D¦brouillard-Disziplinen scheint uns direkter von der antiken PentathlonIdee inspiriert zu sein als die Versuche der vollständigen Wiederherstellung, die hier und da gemacht wurden.« 104 Rede von Avery Brundage zur Eröffnungsfeier der 62. IOC-Session in Innsbruck. Brundage, 1964, S. 60.
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menheitsideals und als Kontrastbild eines sich zunehmend ausweitenden professionellen Sports fungieren konnte, untersucht. Das Streben nach Erfolg und Anerkennung ist eine natürliche menschliche Eigenschaft. Welche Ziele in der Gesellschaft als erstrebenswert gelten, hat im Lauf der Geschichte allerdings entscheidende Veränderungen durchlaufen. Am Ende des 19. Jahrhunderts galten die Arbeiten begabter Handwerker noch als Maß aller Dinge. Aufgabenbereiche waren eindeutig zugeteilt und erlaubten einen klaren Bezug zwischen Hersteller und Produkt: So fertigte der Schreiner beispielsweise Tische und Stühle; der Schmiedemeister Messer und sämtliche auf Stahl basierenden Materialien. Als ein Mann noch verschiedene Stufen der Warenproduktion selbst abdeckte, existierte auch in anderen sozialen Bereichen wie dem Sport kein Zweifel daran, dass nur ein Ansprechen sämtlicher körperlicher und geistiger Trainingsbereiche zu vollkommen zufriedenstellenden Ergebnissen führen konnte: »Für das Leben wird ein Ideal benötigt. Ein Ideal ist jedoch nur dann Ideal, wenn es Vollkommenheit ist.«105 Ende des 19. Jahrhunderts war daher eine Mehrzahl der Athleten das gleichzeitige Trainieren und Wettkämpfen in unterschiedlichen Disziplinen gewohnt. Vor allem denjenigen, die in mehreren Bereichen erfolgreich waren, wurde Ehre zuteil. Da dies beim Athleten universale Fähigkeiten voraussetzte, versuchten junge Männer, möglichst viele Talente auszubilden und einseitige Aktivitäten zu vermeiden: »De mÞme que l’homme, de par sa denture, est omnivore, de mÞme, par la vari¦t¦ de ses muscles et de ses attitudes possibles, il est, si je peux dire, omnisportif. Rien n’est plus mauvais pour lui (sinon l’inertie) que la sp¦cialisation musculaire.«106
Die in der Folgezeit, im Wechsel zum 20. Jahrhundert, neu einsetzenden Entwicklungen in Industrie und Sport waren auf einen generellen Wandel in der gesellschaftlichen Perzeption von Leistungen zurückzuführen. Denn im Zuge des einsetzenden Rationalisierungsprozesses, der »viele traditionelle Handwerke in Industrien verwandelte« (Myers, 1980, S. 1), breiteten sich Taylorismus und Fordismus,107 deren Anfänge in Großbritannien in der Mitte des 18. Jahr-
105 Leo Nikolajewitsch Tolstoi (1828 – 1910) war ein russischer Schriftsteller. Das Zitat stammt aus Tolstoi (1910). 106 [o. A.] (1912 l). [o. T.]. L’Opinion, 6. Juli. Zitiert in H¦bert, 1912 [1941], S. 131. Das Zitat stammt zwar aus dem 20. Jahrhundert, spiegelt jedoch die Einstellung des 19. Jahrhunderts wider, an der einige Pädagogen wie H¦bert (vgl. später im Text) weiterhin festhielten. Übersetzung: »So wie dem Mann seine Zähne beweisen, dass er alles essen kann, beweist die Vielfalt seiner Muskeln und deren möglicher Positionen, dass er omni-sportiv sein kann. Nichts ist schlimmer für ihn (neben Trägheit) als muskuläre Spezialisierung.« 107 Der Taylorismus ist nach dem amerikanischen Ingenieur Frederick Winslow Taylor (1856 – 1915), dem Begründer der Arbeitswissenschaft, benannt (z. B. [o. A.], 1997; Hebeisen,
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hunderts lagen, auch in Kontinentaleuropa aus. Mehrere Jahrzehnte existierten Handwerkstradition und industrielle Produktion Seite an Seite, bevor Manufakturen zunehmend »kleine Familienbetriebe« ersetzten (Ebd.). Neue Formen der Kommunikation ließen die Welt enger zusammenrücken und der technische Fortschritt veränderte die Arbeitsbedingungen: »When production was organized into large plants, jobs become routinized, favoring less-skilled workers.« (Mitchell, 2005, S. 935) Das Prinzip der Spezialisierung und Arbeitsteilung führte zu einem Standardprodukt, einem standardisierten Produktionsprozess und der Standardisierung der menschlichen Arbeit (Marglin, 1974, S. 14; Jürgens, Malsch & Dohse, 1993, S. 2, 6). Diese Veränderungen zielten auf technologische Effizienz und die »Maximierung der Leistung und Produktivität« (Stewart, 1989, S. 49) ab und bekamen so Schlagworte eines allgemeinen Trends Richtung Rationalisierung (Kumar, 1995, S. 32). Die Ausbreitung spezialisierter Prozesse beschränkte sich allerdings nicht nur auf den industriellen Sektor, sondern weitete sich auf unterschiedliche soziale Bereiche aus (Ambrosius & Hubbard, 1986, S. 150). Die Rationalisierung von Fertigkeiten galt allgemein als Zeichen menschlichen Fortschritts, und der moderne Sport entwickelte sich zu einem »Paradebeispiel von dem, was Max Weber als ›Zweckrationalität‹ bezeichnete« (Guttmann, 2004, S. 5). Erfolg in mehreren Sportarten war »zunehmend unvereinbar mit einer Höchstleistung in einer von ihnen« (Guttmann, 1978, S. 39), so dass sich die Spezialisierung auch zu einer unumgänglichen Charakteristik des modernen Sports entwickelte. Eine stärkere Differenzierung zwischen einzelnen Disziplinen und eine größere Nachfrage nach Leistung erforderte auch eine neue Art von Athlet, der sich auf nur eine Sportart konzentrierte. Der Sport brachte nun Helden hervor, die sich durch außergewöhnliche Talente in einzelnen Disziplinen auszeichneten. Sie gingen in die Geschichte ein als der schnellste oder stärkste Athlet, den es jemals gegeben hatte.108 Ein Vergleich zwischen Charakteristika des modernen Sports (Ebd., S. 15 f) und der industriellen Arbeit (Stewart, 1989, S. 49 – 54) zeigt strukturelle Ähnlichkeiten auf, die helfen zu verstehen, warum sich der ideologische Transfer von Vielseitigkeit zu Spezialisierung so weitreichend und relativ schnell vollzogen hat. Zunächst beinhalteten beide Gebiete »eine starke Leistungsdimension« (Ebd., S. 49), die sich an einer Zielausrichtung und an einem Streben nach Exzellenz zeigte. Die »Betonung auf Quantifizierung« (Ebd., S. 51) war ebenso typisch und führte zu verschiedenen Ranglisten und zu einer Bevorzugung messbarer Leistungen und dazugehöriger Auswertungsstatistiken. Die Anhänger des tayloristischen und fordistischen Modells sahen Spezialisierung als be1999). Der Name Fordismus leitet sich von dem amerikanischen Industriellen Henry Ford (1863 – 1947) ab (z. B. Ford & Crowther, 2005). 108 Vgl. z. B. [o. A.], 1913b.
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deutsamen Mechanismus für Produktivität und Erfolg an. Diesem rationalen Denkmuster folgend konzentrierten sich die Athleten gleichsam auf einen »zunehmend engen Bereich von Aktivitäten«, statt ihre Talente an viele Dinge zu »verschwenden« (Ebd., S. 52). Athleten agierten so nach Gesichtspunkten, die an ökonomische Prinzipien angelehnt waren, und versuchten damit, einen möglichst hohen Ertrag, sprich ein gutes Wettkampfergebnis, zu erreichen. Der französische Historiker und Anthropologe Jacques Gleyse spricht in diesem Zusammenhang von einer »Taylorisierung des Körpers« und verbindet ökonomische und athletische Entwicklungen des frühen 20. Jahrhunderts, indem er semantische Interferenzen zwischen ihnen aufzeigt (Gleyse, 1996, S. 75 – 88; Gleyse, Bui-Xun & Pigeassou, 1999, S. 168 – 185). Bereits zwanzig Jahre zuvor hatte der Pionier der marxistischen Sportsoziologie Jean-Marie Brohm diese Instrumentalisierung des Körpers, die beide sozialen Bereiche, Sport und Arbeit, gemeinsam hatten, hervorgehoben (Brohm, 1975). Tayloristische Merkmale, wie sie den industriellen Sektor im 20. Jahrhundert auszeichneten, unterschieden sich allerdings prinzipiell vom traditionellen Ideal der vollkommenen Athletik. Die für die Arbeitswelt typische Trennung des Denkens vom Tun (Heim & Dale Compton, 1992, S. 153) ließ eine Förderung ganzheitlicher Fähigkeiten nichtig erscheinen. Im Hinblick auf diese Entwicklung erstaunt es, dass Coubertin die Aufnahme eines neuen olympischen Mehrkampfs geplant haben soll. Dieser hätte vom Athleten vielseitige statt einseitige Fähigkeiten gefordert, eine breite Ausbildung statt Spezialisierung. Während sich Sportler in anderen bereits existierenden Disziplinen zunehmend auf die Verbesserung spezifischer Fähigkeiten konzentrierten, konterkarierte die Mehrkampfidee diesen Spezialisierungstrend. Neben einem romantischen Festhalten an Traditionen könnte die Idee zur Errichtung eines neuen Mehrkampfs allerdings ebenso eine bewusste Gegenbewegung dargestellt haben. Denn hinter Quantifizierungen wie der erste Unterzehn-Sekunden-Mann oder der weltweit stärkste Gewichtheber hatten sich Athleten zu charakterlosen Produkten entwickelt. Die Rationalisierung des modernen Sports war besonders gefürchtet von den verbleibenden Anhängern der Vollkommenheit. Im Zentrum dieser Bemühungen lag Frankreich, das nicht nur ganze Bücher, die sich mit der Frage der vollkommenen Athletik beschäftigten, vorzuweisen hatte, sondern auch den notwendigen philosophischen Hintergrund mitbrachte, diese Idealisierung wachsen zu lassen.109 Einige zeitgenössische Erzieher, unter ihnen der Franzose Georges H¦bert (vgl. Kap. 2.1.3), favorisierten daher auch im 20. Jahrhundert ein vielseitiges Training und hielten an der Definition eines vollkommenen und damit für sie idealen Athleten fest: 109 z. B. TronÅay [Pseudonym Jean DaÅays], 1913.
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»L’athlÀte moderne, ›complet‹, n’est plus ce colosse hercul¦en, aux muscles nou¦s, la d¦marche lourde, mais cet homme agile, adroit, sobre, endurant, ¦nergique, seul capable de supporter privations, douleurs, intemp¦ries, et de r¦sister aux maladies qui le guettent.«110
Der vielseitig ausgebildete Mann verkörperte für seine Anhänger allerdings nicht nur eine Allegorie idealer Athletik, sondern auch eine eigenständige Lebensphilosophie: »[…] le d¦brouillard est roi.«111 Der Sport war dabei gleichzeitig ein gesellschaftliches Ereignis, das vor allem als Begegnungsstätte zwischen den Geschlechtern diente. Ein Artikel in der französischen Zeitung Le Matin verfestigt diese Feststellung, indem der Autor den zeitgenössischen Traummann beschreibt: »Qui voudriez-vous ¦pouser? La jeune fille bien moderne r¦pond: un athlÀte complet! L’athlÀte complet est la mode. […] Il met dans sa poche, si je pose dire, le lieutenant de hussards, le t¦nor, le romancier psychologue, l’honnÞte ing¦nieure, etc.«112
1913 veröffentlicht, reflektiert dieses Zitat eine Verehrung von Vollkommenheit zu einer Zeit, als Spezialisierung sich bereits ausgebreitet hatte und zunehmend drohte, Vorheriges zu überkommen. Auch für Coubertin stand eine universelle Ausbildung an erster Stelle. Er war davon überzeugt, dass die sportliche Erziehung die Grundlage der sittlichen bildete und Sport »das beste Mittel zur Vervollkommnung des Menschen in jeder Hinsicht« darstellte (Eyquem (1966). Übersetzt in Kreidler, 1972, S. 83). Mit diesem Postulat nach einem vielfältig trainierten Mann wandte er sich deutlich gegen die einsetzenden Spezialisierungstendenzen und berief sich erneut auf den Eklektizismus, der für ihn nicht nur als blanke Theorie, sondern auch als praktische Handlungsanweisung standhielt: »Dieses Gefühl der Kraft beruht auf dem Eklektizismus; er hat es erworben, indem er sich mit vielen Dingen beschäftigte. Sich mit vielem beschäftigen ist ein schlimmer Fehler bei einem flatterhaften Kind, das bei nichts verweilen kann; es ist eine schät-
110 [o. A.] (1913e). [o. T.]. Grœcia. Zitiert in H¦bert, 1912 [1941], S. 138. Übersetzung: »Der moderne Athlet, ›vollkommen‹, ist nicht mehr dieser Herkules-Koloss mit verknoteten Muskeln und schwerem Gang, sondern ein solch agiler, geschickter, nüchterner, geduldiger, energischer Mann, der Entbehrung, Schmerz, schlechtes Wetter aushalten und den Krankheiten, die drohen, Widerstand leisten kann.« 111 Coubertin (1902c). Êducation physique de nos fils, S. 100 – 113. 112 Vautel (1913). Zitiert in Delaplace, 2005, S. 75. Übersetzung: »Wen möchten Sie heiraten? Die junge moderne Dame antwortet: einen vollkommenen Athleten! Der vollkommene Athlet ist in Mode […]. Er steckt, wenn ich das sagen darf, den Leutnant der Husaren, den Tenor, den Schriftsteller, den Psychologen, den ehrlichen Ingenieur, etc. in seine Tasche.«
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zenswerte Eigenschaft bei einem praktisch denkenden Mann, der sich neue Horizonte erschließen will.«113
Dennoch sah er den professionellen, auf Selektion ausgerichteten Wettkampfsport in der Praxis in gewissem Maße als unumgänglich an, um die Masse zum Sport zu bewegen.114 Eine Spezialisierung, die sich durchgehend von der Basis bis zur Leistungsspitze ausbreitete, befand allerdings auch er als eindeutig negativ. So machte er bereits zu Beginn seiner pädagogischen Arbeit klar, dass er diese Entwicklung für viele Probleme der Gesellschaft verantwortlich hielt: »Partout se rencontraient la discorde, la guerre civile ¦tablie entre les partisans ou les adversaires de telle ou telle forme d’exercice: cet ¦tat de choses semblait provenir d’une sp¦cialisation excessive.«115
Coubertin schüttelte seine Skepsis gegenüber der mit einer modernen Lebensweise einhergehenden Einseitigkeit auch mit Beginn des 20. Jahrhunderts nicht ab, was er insbesondere in seinem Artikel Une campagne contre l’athlÀte sp¦cialis¦ deutlich machte.116 Schon vier Jahre zuvor hatte er die Vorteile einer vielseitigen Ausbildung, insbesondere für einen mittelmäßigen Athleten, betont. Denn dieser konnte zwar mit Spezialisten nicht konkurrieren, doch würde ihm gemäß Coubertin »seine Mittelmäßigkeit […] nichts ausmachen, wenn er sie im Rahmen mehrerer verschiedener Übungen zeigt«.117 Auch um die Gefahren, die im Alltag lauerten und den Mann zu verweichlichen drohten, zu umgehen, sah Coubertin nur eine Möglichkeit: »L’homme a absolument besoin de s’endurcir, et l’homme moderne plus que tout autre parce que sa mollesse instinctive reÅoit des satisfactions nombreuses et faciles.«118 Körperliche Erziehung vermochte seiner Meinung nach einen ausgleichenden Effekt auszuüben, sofern ein Mann »die unvermeidlichen Eingriffe extremer Muskelarbeit in seinem täglichen Leben, die in der Tat einen grundlegenden Anteil an einem ausgeglichenen Leben darstellen«,119 anerkannte. Er strebte 113 Coubertin (1909a). Une campagne de vingt-et-un ans. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1974, S. 172. 114 Coubertin, 1917b. Pens¦es d’athlÀtes, S. 15. 115 Coubertin, 1897, S. 3. Zitiert in Durry 2003, S. 101. Übersetzung: »Überall herrschte Zwietracht und Bürgerkrieg zwischen den Anhängern und Gegnern […] solcher Form der Bewegung: dieser Stand der Dinge schien von Über-Spezialisierung kommen.« 116 [Coubertin] (1913e). Une campagne contre l’athlÀte sp¦cialis¦, S. 114 f. 117 Coubertin (1909a). Une campagne de vingt-et-un ans. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1974, S. 148. Vgl. auch »II. Anreiz, Gelegenheit, Wille«. Coubertin (1905). Deutsche Übersetzung von 1906, S. 51. 118 Coubertin (1902e). L’Êducation physique au XXe siÀcle: La peur et le sport, S. 1 f. Übersetzung: »Es ist zwingend notwendig, den Mann zu erhärten, und den modernen mehr als jeden anderen, weil seine instinktive Weichheit zahlreiche und einfache Befriedigung erhält.« 119 [Coubertin] (1913c). Les m¦faits de l’accoutumance, S. 57.
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daher nach einer möglichst breiten Ausbildung, die darauf ausgerichtet war, neben der Verbesserung von Gesundheit und Fitness, auch gezielt Fähigkeiten, die im alltäglichen Leben einsetzbar waren, zu fördern. Vielseitige körperliche Bewegung stellte für ihn einen Weg dar, den »modernen Stress in jungen Männern« (Brown, 2002, S. 44) zu kompensieren. Diese Grundidee manifestierte sich in Coubertins Verehrung des D¦brouillards, einem Mann, »der sich in allen Fällen und Schwierigkeiten zurecht zu finden« wusste.120 In einer Zeit, in der durchgreifende gesellschaftliche Veränderungen in Frankreich (und ganz Kontinentaleuropa) einsetzten und die Bevölkerung vor neue Herausforderungen stellte, hielt Coubertin diesen für unentbehrlich, den Daseinskampf erfolgreich zu bestreiten. Die Bedeutung, die Coubertin der D¦brouillardise zuschrieb, spiegelt sich u. a. in der Häufigkeit, mit der er den D¦brouillard in seinen Artikeln und Büchern aufgriff, wider.121 In der deutschen Fassung der Êducation sportive übersetzt Arthur Mallwitz den D¦brouillard mit »Schlaukopf«,122 was der eigentlichen Bedeutung des Begriffs nicht gerecht wird.123 Ein D¦brouillard im coubertinschen Sinn verbleibt nämlich nicht auf der wörtlichen Übersetzung eines Pfiffikus oder Lebenskünstlers. Der D¦brouillard ist nach Coubertin hingegen jemand, der in jeder Situation anpassungsfähig ist. Die pragmatische Komponente des D¦brouillards, die ihn zu einem zeitgenössischen Idealbild aufsteigen ließ, basierte dabei auf der ihm zugeschriebenen guten Vorbereitung auf die Erfordernisse des Lebens: »Wenn einem daran liegt, daß der Sohn für die Bedingungen des modernen Lebens gerüstet ist, so muß man ihn gut ausbilden lassen und ihn zu einem Mann machen, der sich stets zu helfen weiß (le rendre ›d¦brouillard‹). Es gibt kein anderes Rezept. […] In Wahrheit wird der so gebildete und fähige Mensch sich auch heute und morgen noch durchsetzen.«124
Den Wert, sich in jeder Lebenslage helfen zu können, schätzte Coubertin insbesondere in seiner Zeit als hoch ein, »weil das Leben vielleicht noch nie ver120 [o. A.] (1910 g). Gibt es ein französisches System der körperlichen Erziehung? [Original in deutscher Sprache], S. 168. 121 Vgl. z. B. [Coubertin] (1906d). Les premiÀres ¦preuves de gymnastique utilitaire, S. 39 f; Coubertin (1913d). Olympisme et utilitarisme, S. 72; Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 18. Die Verbindung zu seinem Idealbild eines Athleten wird insbesondere in seiner gleichnamigen Veröffentlichung deutlich: [Coubertin] (1918b). L’athlÀte complet, S. 2 f. 122 Coubertin (1922a). P¦dagogie sportive. Übersetzt in Mallwitz, 1928, S. 38. 123 Die Übersetzung mit »Schlaukopf«, die eindeutig auf die Intelligenz des D¦brouillards abzielt, könnte jedoch zur Fehlübersetzung des aristotelischen Zitats beigetragen haben (vgl. Anmerkung 69). 124 Coubertin (1901a). Notes sur l’¦ducation publique. Übersetzt in Hoyer, 1972, S. 132.
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worrener war«.125 Die Idee der harmonischen, vielseitigen Ausbildung stammte dabei ursprünglich aus der Antike (vgl. Kap. 2.1.1), sollte allerdings neuzeitliche Modifikationen erhalten. So genüge es gemäß Coubertin in der modernen Welt nicht mehr, »wenn einer lesen kann – und es reicht nicht mehr aus, wenn einer schwimmen kann«.126 Eine für moderne Zeiten als typisch angesehene Instabilität diente ihm als Ausgangsbasis für die Auswahl der Eigenschaften, die ein D¦brouillard mit sich bringen sollte: »Le d¦brouillard dont l’¦poque a besoin, ne sera ni un luron ni un arriviste mais simplement un garÅon adroit de ses mains, prompt l’effort, souple de muscles, r¦sistant la fatigue, ayant le coup d’œil rapide, la d¦cision ferme et entran¦ d’avance ces changements de lieu, de m¦tier, de situations, d’habitudes et d’id¦es que rend n¦cessaire la f¦conde instabilit¦ des soci¦t¦s modernes.«127
Die gesellschaftliche Rolle des Sports war folglich darauf festgelegt, möglichst viele Männer zu d¦brouillieren und damit in die Lage zu versetzen, die im Sport erworbenen Fähigkeiten auch im täglichen Leben umzusetzen.128 Als D¦brouillard anerkannt zu sein, sollte dabei nicht nur individuellen, sondern auch gesellschaftlichen Nutzen erbringen.129 Doch welche Art von Bewegung hielt Coubertin für geeignet, D¦brouillardise zu fördern? Bevor Coubertin ein eigenes Übungskonzept entwickelte (vgl. Kap. 2.1.3), verdeutlichte er bereits 1901 anhand einer rhetorischen Frage, welche Disziplinen er für besonders wertvoll hielt: »Halten Sie es für richtig, Ihren Sohn ins Leben zu entlassen, ohne daß er mit einem Pferd umgehen versteht, mit einem Boot, einem Fahrrad, wenn er Boxhiebe nicht parieren, keinen Speer halten und sich seiner nicht bedienen kann? Ich halte es für falsch – und wer mein Gefühl in dieser Angelegenheit noch nicht teilt, wird noch dahin gelangen, weil die Umstände ihn dazu zwingen werden.«130
Die Fähigkeiten des D¦brouillards ließen sich seiner Meinung nach am besten ausprägen, indem sie wiederholt in unterschiedlichen Situationen und in Form 125 Coubertin (1909a). Une campagne de vingt-et-un ans. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1974, S. 169. 126 Coubertin (1901a). Notes sur l’¦ducation publique. Übersetzt in Hoyer, 1972, S. 132. 127 [Coubertin] (1906d). Les premiÀres ¦preuves de gymnastique utilitaire, S. 40. Übersetzung: »Der ›D¦brouillard‹, den die heutige Zeit braucht, ist weder ein gewiegter Kerl noch ein Emporkömmling, sondern einfach ein Bursche, geschickt mit den Händen, rasch in der Tat, ausdauernd in der Anstrengung, mit gelockerter Muskulatur, schnellem Überblick, festem Entschluss, und schon im Voraus darauf eingestellt, dass er immer gezwungen sein wird, eine Änderung von Wohnort, Handwerk, Stellung, Gewohnheiten und Ideen vorzunehmen, die die fruchtbare Unbeständigkeit der modernen Gesellschaft bedingt.« 128 Coubertin (1902e). L’Êducation physique au XXe siÀcle: La peur et le sport, S. 1 f. 129 Coubertin (1909a). Une campagne de vingt-et-un ans. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1974, S. 169. 130 Coubertin (1901a). Notes sur l’¦ducation publique. Übersetzt in Hoyer, 1972, S. 132.
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verschiedener sportlichen Übungen praktiziert würden (Krüger (A.), 1999, S. 204 f). Diese Forderung stand jedoch im Gegensatz zum modernen Sport, der nicht auf eine breitgefächerte Entwicklung ausgerichtet war, sondern vielmehr »eine allgegenwärtige und einzigartige Form nicht-utilitaristischer körperlicher Wettkämpfe« darstellte (Guttmann, 1978, S. 57). Die sich Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelnden Zweckgymnastiken, die in Pierre de Coubertin und Georges H¦bert ihre beiden Hauptvertreter fanden, versuchten gegen diese zwecklose körperliche Betätigung anzukämpfen. Sie entwickelten konkrete Konzepte, die der Ausübung ausgewählter Bewegungen einen Nutzen für das individuelle und gesellschaftliche Leben zuschrieben.
2.1.3 Konkurrierende Zweckgymnastiken: Gymnastique utilitaire und Méthode naturelle Nach ihren jeweiligen philosophischen Ausrichtungen ließen sich Anfang des 20. Jahrhunderts fünf Hauptgruppen der körperlichen Erziehung unterscheiden: »Die militärische Schule, die auf der deutschen Turnkunst beruht; die hygienische Schule, welche aus der schwedischen Turnkunst hervorgegangen ist; die Sportschule, deren Erfolge sich in Englan[sic!] erwiesen haben und endlich schrieb er Frankreich die Ehre zu, die praktische (utilitaire) Schule in’s [sic!] Leben gerufen zu haben.«131
Wie der Name »Zweck- oder Nützlichkeitsgymnastik« bereits ausdrückt, handelt es sich bei dieser körperlichen Erziehungsmethode um eine Gymnastik, die auf einen Einsatz im praktischen Leben ausgerichtet war. Sie entsprang dem Utilitarismus, einer im 18. und 19. Jahrhundert weit verbreiteten philosophischen Strömung, der sich vornehmlich die Bourgeoisie annahm. Coubertin hielt diese Gymnastikschule für bedeutsam, da sich die Lebensbedingungen seiner Meinung nach so verändert hatten, dass »das Nützlichkeitsdenken für die Mehrheit der Menschen gewissermaßen eine allgemeinverpflichtende Verhaltensregel geworden ist«.132 Folglich warf er einen positiven Blick in die Zukunft seiner Gymnastique utilitaire: »Wahrscheinlich wird das praktische System bald nach allen Richtungen hin Eingang finden, denn es widerspricht keinem andern, sondern es entspricht den heutigen Bedürfnissen wie kein anderes.«133 131 [o. A.] (1910 g). Gibt es ein französisches System der körperlichen Erziehung? [Original in deutscher Sprache], S. 166. 132 Coubertin (1909a). Une campagne de vingt-et-un ans. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1974, S. 145. 133 [o. A.] (1910 g). Gibt es ein französisches System der körperlichen Erziehung? [Original in deutscher Sprache], S. 167.
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Die Gymnastique utilitaire nahm überhaupt einen breiten Raum in Coubertins Erziehungsarbeit ein. Dies veranlasst nachzuforschen, inwiefern die These, dass »seine Leitgedanken zur Schaffung dieses Vielseitigkeitswettbewerbes [des Modernen Fünfkampfs] bereits in seinem Konzept der Zweckgymnastik (»gymnastique utilitaire«, »utilitarian gymnastics«) vorgedacht waren« (Schormann, 2005, S. 10), stimmt.134 Das vorliegende dritte Unterkapitel untersucht daher die Charakteristika von Coubertins Gymnastique utilitaire und prüft, ob dieses Konzept Alleinstellungsmerkmale aufweist, die eine Abgrenzung von den Ideen anderer ermöglichen und somit Rückschlüsse auf Coubertins eigene Präferenzen zulassen. Bereits 1891 hatte Coubertin einen »wirkungsvollen Athletismus« erwähnt und in den Folgejahren wiederholt versucht, diesen als Form einer »nützlichen Körperbildung (Wirkgymnastik)« Gestalt annehmen zu lassen (Eyquem. (1966). Übersetzt in Kreidler, 1972, S. 121). Rund zehn Jahre später erläuterte er zum ersten Mal die Grundlage dieser neuen Leibeserziehung.135 Die Übungsgebiete waren auf drei für jeden Mann nützliche Ziele ausgerichtet: sich retten, sich verteidigen und zu Land oder zu Wasser fortbewegen. Die Bewegungen, denen er spezielle Vorzüge zuschrieb, und die er daher gern regelmäßig in die Erziehung junger Männer einbezogen hätte, erläuterte er drei Jahre später ausführlich in seinem Werk La gymnastique utilitaire: sauvetage – d¦fense – locomotion, das als erster Band der Trilogie L’¦ducation des adolescents au XXe siÀcle veröffentlicht wurde: »Savoir manier un cheval, un bateau – pouvoir se servir utilement d’une ¦p¦e ou d’un pistolet – se trouver capable de bien placer un coup de poing et un coup de pied – Þtre mÞme de courir ou de nager l’improviste et de tenter opportun¦ment un saut difficile ou une escalade audacieuse, ce sont l des ¦l¦ments d’une sup¦riorit¦ ¦vidente.«136
Auch in seinen späteren Artikeln und Büchern hielt er an diesem Idealbild fest und wiederholte mehrfach die Vorzüge eines mithilfe der Zweckgymnastik ausgebildeten Mannes: »Ein Mann, der sich in der Lage fühlt, einen anderen Menschen von einem Balkon oder aus einem tiefen Wasser zu retten, der jede Art von Fortbewegungsmittel benutzen kann, Pferd, Schiff oder Auto, der mit einer Verteidigungswaffe umgehen kann, sei es die Faust, 134 Der Einführung des olympischen Marathonlaufs schreibt der deutsche Sportfunktionär Carl Diem (1882 – 1962) im Übrigen auch eine ursächliche Verbindung zur Gymnastique utilitaire zu (Diem, 1985, S. 207 f). 135 Coubertin (1902d). La d¦brouillardise, S. 3. 136 »Vorwort«. In Coubertin (1905). Deutsche Übersetzung von 1906:, S. 7: »Ein Pferd reiten, ein Schiff steuern – sich richtig eines Schwertes, einer Pistole bedienen, einen kräftigen Faustschlag oder Fußtritt, versetzen können – in der Lage sein, unvorhergesehen zu laufen oder zu schwimmen, und bei passender Gelegenheit einen schwierigen Sprung oder eine gewagte Kletterei zu unternehmen, alles dies trägt zu einer augenfälligen Überlegenheit bei.«
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das Gewehr oder der Säbel, dieser Mann wird Selbstvertrauen gewinnen und spüren, daß er auf niemanden angewiesen ist.«137
Die Verbindung der körperlichen Übungen mit der Idee der Nützlichkeit erschien Coubertin auch deshalb bedeutsam, weil sie für ihn »eine Triebfeder ist, die in vielen Fällen dort wirksam wird, wo andere erfolglos bleiben.«138 Das aus dem 18. Jahrhundert stammende und langanhaltende Vorurteil, dass unterschiedliche Sportarten einander schadeten, war damit überwunden und hatte Platz für neue Konzepte geschaffen. Letztere erlaubten Coubertin, seine propagierten Übungen der Lebensrettung, Verteidigung und Fortbewegung »ohne Schwierigkeit oder Gefahr« vorzubringen.139 Die notwendige finanzielle Basis für sein Projekt versuchte Coubertin, über die Unterstützung einflussreicher Zeitgenossen zu erreichen. So schlug er im Mai 1905 beispielsweise Henry Desgrange, dem Direktor der Zeitschrift L’Auto, vor, einen »Poule des D¦brouillards« (Gefecht der D¦brouillards) zu veranstalten.140 Die Idee sah vor, den Aktiven verschiedene Disziplinen aus dem Degen- und Säbelfechten, Pistolenschießen sowie Boxkampf per Los zuzuweisen,141 fand jedoch nicht die erhoffte Zustimmung. Nach diesem gescheiterten Versuch sollte ihm die 1906 gegründete Soci¦t¦ des sports populaires (Gesellschaft des Volkssports), die nach drei Jahren aus dem Comit¦ de la Gymnastique utilitaire (Komitee für Zweckgymnastik) hervorgegangen war, eine institutionelle Hilfe zur Verbreitung der Gymnastique utilitaire bereitstellen und seiner Idee zum gesellschaftlichen Durchbruch verhelfen.142 Die Herausforderung lag dabei nicht in der Beweiserbringung, dass der zur Rettung, Selbstverteidigung und Fortbewegung befähigte Mann Vorteile gegenüber seinen Mitmenschen hatte, sondern darin, ihm Mittel an die Hand zu geben, »mehrere dieser Sports auf einmal zu treiben«.143 Um junge Männer zum Trainieren unterschiedlicher Bereiche zu bewegen, rief die neu gegründete Soci¦t¦ des sports populaires daher einen speziellen Preis, das »Diplúme des d¦brouillards«, ins Leben. Die Anforderungen zur Erlangung des Diploms umfassten zwölf Wettkämpfe aus den von Coubertin festgelegten drei 137 Coubertin in einer Rede im Auditorium Maximum der Sorbonne zum Thema »La Philosophie du D¦brouillard«, anlässlich der Diplomverleihung der Soci¦t¦ des Sports Populaires am 30. Juni 1907. In Coubertin (1909a). Une campagne de vingt-et-un ans. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1974, S. 172. 138 »II. Anreiz, Gelegenheit, Wille«. Coubertin (1905). Deutsche Übersetzung von 1906, S. 52. 139 Coubertin (1913d). Olympisme et utilitarisme, S. 72. 140 Coubertin im Mai 1905. Zitiert in Delaplace, 2005, S. 30. 141 »Anhang: Das ›Gefecht der D¦brouillards‹ (Poule des D¦brouillards)«. Coubertin (1905). Deutsche Übersetzung von 1906, S. 63; [Coubertin] (1906d). Les premiÀres ¦preuves de gymnastique utilitaire, S. 42. 142 [Coubertin] (1906d). Les premiÀres ¦preuves de gymnastique utilitaire, S. 39. 143 [o. A.] (1910 g). Gibt es ein französisches System der körperlichen Erziehung? [Original in deutscher Sprache], S. 166.
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Hauptkategorien. Die Kandidaten mussten mindestens acht Übungen der Rettung, Verteidigung und Fortbewegung erfolgreich absolvieren. Sie konnten dabei aus einem Pool von Disziplinen – darunter Laufen, Springen, Werfen, Klettern, Schwimmen, Fechten, Boxen, Schießen, Marschieren, Reiten, Rudern und Radfahren – schöpfen, wobei einige der Disziplinen verpflichtend, andere frei auswählbar waren.144 Der damalige US-amerikanische Präsident Theodore Roosevelt (1858 – 1919), bei dem Coubertin zuvor Rückhalt und Rat für die Umsetzung seiner Gymnastique utilitaire gesucht und gefunden hatte, erhielt 1910 selbst die D¦brouillard-Auszeichnung,145 was ihn abermals als Prototyp eines Allrounders darstellte und ihn zum berühmtesten Vorhängeschild der Gymnastique utilitaire machte. Doch ob die Idee, den Leibesübungen bestimmte lebensweltliche Zwecke zuzuschreiben, einzig und allein von Coubertin stammte, erscheint fraglich (Delaplace, 2005, S. 34). Als Vordenker in diesem Sinne könnte sein Landsmann Georges H¦bert (1875 – 1957) fungiert haben, der wie Coubertin aus Paris stammte und sich etwa im gleichen Zeitraum ebenfalls mit der Entwicklung eines zweckorientierten Erziehungskonzepts beschäftigte. So unterschied auch H¦berts M¦thode Naturelle verschiedene Bewegungsgruppen. Mit insgesamt acht, später zehn verschiedenen Übungsbereichen war sein System allerdings etwas weniger differenziert als jenes von Coubertin.146 Wenn H¦bert auch einzelne Übungen nannte, die nicht Bestandteil von Coubertins Gymnastique utilitaire waren, so überwogen insgesamt doch die Gemeinsamkeiten. Eine Ausbildung im Laufen, Marschieren, Springen, Klettern, Werfen, Verteidigen und Schwimmen hielten beide für wichtig.147 Neben den genannten Disziplinen zählte das H¦bertsche Konzept auch »auf allen Vieren gehen«, »Gleichgewicht« und »Heben« zu den elementaren Übungen.148 Den Umgang mit Waffen (Fechten, Schießen) sowie Rudern, Reiten und Radfahren, die Coubertin allesamt zu den primären Übungen rechnete, hielt H¦bert ebenso wie den Gebrauch von Werkzeugen nur für sekundär nützlich.149 Im Hinblick auf die Entwicklung der Mehrkampfidee scheint insbesondere die Tendenz beider zur Verbindung unterschiedlicher Disziplinen interessant. So warben sie für konkrete praktische Übungsverbindungen wie beispielsweise das 144 [Coubertin] (1906d). Les premiÀres ¦preuves de gymnastique utilitaire, S. 40 f. 145 Coubertin (1909a). Une campagne de vingt-et-un ans. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1974, S. 147 146 H¦bert, 1911 [1944], S. 2, 6; [Coubertin] (1906d). Les premiÀres ¦preuves de gymnastique utilitaire, S. 40 f. 147 [Coubertin] (1906d). Les premiÀres ¦preuves de gymnastique utilitaire, S. 40 f; H¦bert, 1916, S. 515. 148 H¦bert, 1916, S. 515. 149 Ebd., S. 34 f, 40; H¦bert, 1912 [1941], S. 2.
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»Schwimmen mit Gewehr«150 oder das »Fechten zu Pferde«151 (vgl. Kap. 2.2.1, Abb. 1). Coubertin empfahl ohnehin soweit wie möglich immer zwei Sportarten gleichzeitig zu lehren und lieferte gleich die Begründung mit: »Dies bringt in der Verteilung der Muskelarbeit eine gute Vielseitigkeit mit sich und keine Verwirrung.«152 Dabei ignorierte Coubertin keinesfalls, dass der junge Mann es allgemein vorzog, durch Glanzleistungen in einer Sportart zu brillieren, statt mittelmäßige Leistungen zu zeigen (vgl. Kap. 2.1.2). Diesen Grundsatz versuchte er selbst bestmöglich umzusetzen, indem er zeitlebens verschiedene unterschiedliche Sportarten ausübte. Dazu gehörten u. a. »Waldlauf, Schwimmen und Fechten und das letztere auch zu Pferde […]«.153
Abb. 1: Coubertin propagierte das Fechten zu Pferde154
150 151 152 153 154
H¦bert, 1916, S. 302 f. Vgl. z. B. Coubertin & Pascaud, 1906, S. 27 – 32. Coubertin (1922a). P¦dagogie sportive. Übersetzt in Mallwitz, 1928, S. 66. Coubertin (1931a) [1996]. M¦moires olympiques, S. 11. Quelle: »Porträt des Wiedererweckers der Olympischen Spiele, Baron Pierre de Coubertin« von Jacques de Lalaing (1858 – 1917). In [o. A.], 1940, S. 1.
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H¦berts und Coubertins Philosophie stimmten auch darin überein, dass sie auf einer Verehrung der Leibesübungen vergangener Zeiten begründet waren, die allerdings an die Erfordernisse der sozialen Gegenwart angepasst sein sollten (vgl. Kap. 2.1.1).155 Die Illustrationen in H¦berts Büchern bildeten daher häufig antike Figuren nach, um die körperliche Schönheit als positives Resultat eines Trainings nach seiner M¦thode Naturelle aufzuzeigen (Delaplace, 1995, S. 11). H¦bert betonte dabei insbesondere die körperlichen Qualitäten der antiken Soldaten und Athleten, deren Methoden sich seiner Meinung nach ebenso an natürlichen Verfahren (»proc¦d¦s naturels«) orientiert hatten.156 In seiner Forderung nach einer Zweckgymnastik hob H¦bert die gesellschaftliche Funktion des Individuums hervor, weil es von Bedeutung sei, »dass jemand nicht nur für sich selbst arbeitet, sondern gleichzeitig dafür nützlich zu sein, je nach Bedarf für seine Mitmenschen oder für sein Land«.157 Diese Einstellung spiegelte sich auch in seiner Hauptparole »Þtre fort pour Þtre utile« wider.158 Die wiederholte Erwähnung von militärischen und athletischen Übungen im selben Zusammenhang159 zeugt neben seinem beruflichen Hintergrund als Marineoffizier auch von der Bedeutung, die er seiner Methode für das Training in der Armee zuschrieb. Doch auch darin unterschied sich H¦bert nicht von Coubertin, der es ebenfalls für sinnvoll erachtete, militärisch nutzbare Übungen einzubeziehen (vgl. Kap. 2.2.1). Zur Definition des D¦brouillards sprach Coubertin daher auch explizit »en termes de marine«.160 Eine weitere Parallele tut sich im Hinblick auf die Zielsetzung beider Methoden auf: Nach H¦bert sollte die Beherrschung seiner als natürlich und nützlich betitelten Übungen nämlich ebenfalls in D¦brouillardise resultieren (vgl. Kap. 2.1.2).161 Direkte Assoziationen zwischen H¦berts und Coubertins Erläuterung eines D¦brouillards sind dabei nicht von der Hand zu weisen, wie H¦berts Definition belegt: »Par d¦finition, un sujet ›d¦brouill¦‹ doit savoir marcher, courir, sauter, nager, grimper et escalader toutes sortes d’obstacles, lever un fardeau, lancer des objets adroitement, enfin Þtre capable de se d¦fendre.«162
155 156 157 158 159 160 161 162
H¦bert, 1911 [1944], S. XVII; H¦bert, 1912 [1941], S. 84. H¦bert, 1912 [1941], S. 2. H¦bert, 1925, S. 34 f. H¦bert, 1911 [1944], S. 1; H¦bert, 1912 [1941], S. 30. Übersetzung: »sei stark, um nützlich zu sein.« H¦bert, 1912 [1941], S. 2. [Coubertin] (1906d). Les premiÀres ¦preuves de gymnastique utilitaire, S. 39. Übersetzung: »in der Sprache der Marine.« H¦bert, 1916, S. 34 f, 40. H¦bert (1907b). [o. T.]. L’Êducation physique, S. 569. Zitiert in Delaplace, 2005, S. 29. Übersetzung: »Nach Definition muss ein D¦brouillard wissen, wie man geht, läuft, springt,
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Statt des »Diplúme des d¦brouillards« entwickelte H¦bert eine ähnliche Prüfung namens »Fiche H¦bert«, von der Coubertin schreibt, dass jeder das Recht hatte, sich mit dieser Auszeichnung zu schmücken, sofern »er mit Erfolg die Prüfung, eine Art Pentathlon«, bestünde.163 Im Hinblick auf das ideale Athletenbild waren bereits auf den ersten Blick weitere Übereinstimmungen zu verzeichnen: »Enfin, parmi les races civilis¦es, les athlÀtes les plus complets sont sans contredit les sujets les plus entran¦s tous les genres d’exercices naturels et utilitaires.«164 Doch gerade in diesem letzten Aspekt zeigt sich beispielhaft, dass beide Konzepte im Detail Unterschiede aufwiesen. Während der vollkommene Athlet Coubertins Ideal darstellte (vgl. Kap. 2.1.2), steigerte H¦bert dies durch die Kreation eines »perfekten« Athleten, der noch eine Stufe über seinem »vollkommenen« Mitstreiter stand. H¦berts Modell unterschied daher den spezialisierten, den unvollkommenen, den vollkommenen und den perfekten Athleten (l’athlÀte sp¦cialiste, l’athlÀte incomplet, l’athlÀte complet, l’athl¦te parfait) und war nach Punktzahlen ausdifferenziert. Der Unterschied zwischen einem vollkommenen und einem perfekten Athleten besteht nach H¦bert darin, dass der perfekte Athlet, der zugegebenermaßen »eine echte Rarität« darstellte, die Übungen letztlich unter erschwerten Bedingungen ausführen musste, um in seinem System mehr Punkte zu erreichen und damit trotzdem erst kurz vorm Erreichen der D¦brouillardise stand.165 Damit verkörperte sogar der perfekte Athlet für H¦bert offensichtlich noch keinen D¦brouillard, während bei Coubertin der vollkommene Athlet bereits einen D¦brouillard-Status einnahm. Die Liste der Vergleichspunkte könnte endlos weitergeführt werden, doch sollen die gewählten Aspekte ausreichen, um aufzuzeigen, wie sehr sich beide Konzepte ähnelten. H¦bert verstand es zudem ebenso wie Coubertin, seine Methode auf Kongressen und Festen publik zu machen. Coubertin und H¦bert hatten daher zweifellos voneinander gehört und gelesen. Coubertin äußerte sich beispielsweise im Januar 1911 explizit zur M¦thode Naturelle: »La m¦thode H¦bert est une application l’ann¦e de la gymnastique utilitaire.«166 Coubertin interpretierte H¦berts Zweckgymnastik also als ganzjährige Variante seiner Gymnastique utilitaire und unterstrich damit, dass er beide Konzepte eher als
163 164 165 166
schwimmt, klettert, jegliche Art von Hindernissen überwindet, eine Last hebt, Gegenstände geschickt wirft, und schließlich sich selbst verteidigt.« Coubertin (1922a). P¦dagogie sportive. Übersetzt in Mallwitz, 1928, S. 38. H¦bert, 1912 [1941], S. 2. Übersetzung: »Schließlich sind, unter den zivilisierten Rassen, die vollkommensten Athleten zweifellos die, die in allen Arten von natürlichen und nützlichen Übungen am besten ausgebildet sind.« H¦bert, 1911 [1944], S. 158 – 168. Brief von Coubertin [Adressat unbekannt]. 2. Januar 1911, S. 3. Coubertin Correspondance 1910 – 1914, CIO PT – PDC – CORR – OU MO 01 41 05, Notice 0101815. IOC Archiv Lausanne. Übersetzung: »Die H¦bertsche Methode ist eine jährliche Anwendung der Zweckgymnastik.«
Konsens und Dissens zwischen Coubertins olympischen Prinzipien
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Konkurrenten und nicht als gleichgesinnte Partner empfand. Da bereits damals nicht geklärt war, wer nun als Erster die Idee zur Zweckgymnastik entwickelt hatte, waren folglich auch Konflikte zwischen den beiden unvermeidbar. Dies basierte auf einer spürbaren Konkurrenzsituation, insbesondere wenn beide um die Gunst von Sponsoren buhlten, wie beispielweise im Fall des wohlhabenden französischen Unternehmers Th¦odore Vienne, der zwar Mitglied in Coubertins Comit¦ de la Gymnastique utilitaire war, gleichzeitig jedoch auch mit H¦bert zusammenarbeite (Delaplace, 2005, S. 23, 396). Von außen betrachtet überwogen zusammengefasst neben subtilen Differenzen die Gemeinsamkeiten beider Zweckgymnastiken. Bis zum heutigen Tage ist dabei nicht geklärt, wer wen stärker beeinflusste, und damit ob Coubertins Gymnastique utilitaire ein weiteres Beispiel seiner Vorliebe zum Eklektizismus darstellte oder H¦bert sich die Vorarbeit seines Kollegen umgekehrt zunutze machte und Coubertins Plagiatsvorwürfe167 damit gerechtfertigt waren. Letztlich beweist jedoch die etwa zeitgleiche Entstehung der zwei Konzepte, dass die Idee, körperlichen Übungen einen gesellschaftlichen Nutzen zuzuschreiben, einem konkreten gesellschaftlichen Bedarf entsprang und in der Bevölkerung daher allgemein auf Wohlwollen stieß. So zog Coubertin rückblickend ein positives Fazit aus seiner Gymnastique utilitaire, indem er hervorhob, dass diese weltweite Verbreitung erlangte und dabei »die verschiedenen Vorurteile, die sich ihr entgegenstellten, entkräftete«.168 Folglich ist davon auszugehen, dass er bei der Entwicklung einer neuen Sportart die Grundsätze seiner Gymnastique utilitaire berücksichtigt hätte. Während dies in einem späteren Abschnitt dieser Arbeit, der die konkrete Einführung des Modernen Fünfkampfs in den Mittelpunkt der Untersuchung stellt, aufgedeckt wird (vgl. Kap. 5.1.1), beschäftigt sich das folgende Kapitel mit Coubertins Olympismus, um vorab Weiteres über seine Ziele und deren ideologische Verbindungen bzw. Gegensätze zur Entwicklung der Mehrkampfidee zu erfahren.
2.2
Konsens und Dissens zwischen Coubertins olympischen Prinzipien
Während zunächst mit dem Philhellenismus, der D¦brouillardise und der Zweckgymnastik drei übergreifende Konzepte, die Einfluss auf Coubertins Idealbild ausübten, im Mittelpunkt standen, liegt der Schwerpunkt im zweiten Teil auf dem Olympismus. Ausgehend von der Prämisse, dass Coubertin mit den 167 Coubertin (1915a). Le respect mutuel. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1988, S. 11. 168 Ebd., S. 12.
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Am Anfang war die Idee: Pierre de Coubertins idealer Athlet
Olympischen Spielen allgemein und den Sportarten im Speziellen einen pädagogischen Auftrag verfolgte, werden ausgewählte olympische Prinzipien auf ihre Vereinbarkeit mit der Mehrkampfidee untersucht. Die Resultate helfen einzuschätzen, ob Coubertin als Ideengeber des Modernen Fünfkampfs in Frage kommt. Doch zunächst zum Begriff »Olympismus«, und was Coubertin darunter verstand bzw. damit bezwecken wollte. Coubertins Olympismus umfasste seine olympische Philosophie, die »wie in einem Strahlenbündel alle jene Prinzipien zu vereinen suchte, die an der Vervollkommnung des Menschen mitwirken«.169 Er hielt Olympismus dabei für »kein System«, sondern für »eine geistige Haltung«,170 ein komplexes Gefüge vielfältiger Wertvorstellungen, das auf eklektische Art unterschiedliche olympische Ideen vereinte und in einer Zeit der Unsicherheit Halt vermittelte: »L’Olympisme n’a pas reparu au sein de la civilisation moderne pour y jouer un rúle local ou passager. La mission qui lui est confi¦e est universelle et s¦culaire. Il est ambitieux; il lui faut tout l’espace et tout le temps.«171
Seine olympische Idee lässt sich demnach nicht auf einen einzigen feststehenden Wert reduzieren. Sie vereint vielmehr unterschiedliche Teilwerte, die einen langen Reifungsprozess durchlaufen haben und sich dabei auch an weltpolitischen Ereignissen orientierten. Coubertins Bemühungen, dem Olympismus einen Platz in der Gesellschaft einzuräumen, kennzeichneten dabei einen willensstarken Mann, der sich als »besessen von einer Vision des ›Olympismus‹ als säkularer Glaube« (Guttmann, 2004, S. 259) entpuppte. Die Bindung des Sports an ethische Grundsätze zeigt dabei auf, dass körperliche Betätigung für Coubertin mehr als einen bloßen Zeitvertreib darstellte. Obwohl er die Mehrheit seiner Grundsätze erst nach dem Ersten Weltkrieg konkretisierte, waren diese bereits in seinem frühen Schaffen angelegt. So dienten ihm die Olympischen Spiele ab 1896 als periodisch wiederkehrendes Ereignis dazu, seine ideologischen Grundsätze widerzuspiegeln. Ebenso sollten die olympischen Sportarten als konkrete Symbole seine Erziehungspostulate beinhalten. Sofern er einen Mehrkampf kreierte, ist folglich davon auszugehen, dass dieser in seiner Zielsetzung nicht auf eine vielseitige
169 Coubertin (1917a). L’institut olympique de Lausanne, S. 185 – 202. Zitiert in Röthig & Prohl, 2003, S. 414 (Stichwort »Olympismus«). 170 Coubertin (1918e). Lettre Olympique IV [Olympism]. 171 Coubertin (1913 f). L’emblÀme et le drapeau de 1914, S. 119 f. Übersetzung: »Der Olympismus ist nicht im Herzen der modernen Zivilisation wieder erschienen, um dort eine lokale oder flüchtige Rolle zu spielen. Die Mission, die ihm anvertraut ist, ist universell und säkular. Er ist ambitioniert und braucht den ganzen Raum und die ganze Zeit.«
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körperliche Anstrengung beschränkt geblieben wäre, sondern gleichzeitig auch Gralshüter seiner olympischen Prinzipien war. Der deutsche Sportwissenschaftler Ommo Grupe (2004a, S. 40 f; 2004b, S. 98ff) unterscheidet fünf Prinzipien, die das gedankliche Grundmuster von Coubertins Olympismus bestimmen: Das Prinzip der Leib-Seele-Einheit, das auf die ganzheitliche Erziehung des Menschen und eine harmonische Ausbildung von Körper und Geist abzielt; das Leitziel der Selbstvervollkommnung, das die Idee der Charakterformung durch sportliche Aktivität anspricht; das Amateurismus-Ideal, das verhindern soll, dass das materielle Gewinninteresse zum alles beherrschenden Motiv wird; die freiwillige Bindung des Sports an Grundregeln der Ethik, die u. a. aufzeigt, dass Fairness nur in Situationen, die ein entsprechendes Verhalten erforderlich machen, gelernt werden kann; und schließlich die Friedensidee des Sports, der die Vorstellung von einem friedlichen Zusammenleben zwischen allen Menschen und Völkern zugrundeliegt. Einige der genannten coubertinschen Wertvorstellungen sind bereits in Kapitel 2.1, größtenteils in Anlehnung an antike Ideale, aufgegriffen worden. Im Folgenden werden gezielt zwei seiner olympischen Prinzipien, die mit Blick auf die Beantwortung der Forschungsfrage untersuchungsrelevant erscheinen, herausgepickt: a) die Friedensidee, die Athleten aus aller Welt solidarisch im Wettkampf zusammenführen sollte, jedoch in Konflikt mit Coubertins Aufrüstungsbejahung stand (vgl. Kap. 2.2.1); b) die soziale Durchmischung der Athleten, der die Abschottung des Aristokratensports und strenge Amateurbestimmungen entgegenstanden (vgl. Kap. 2.2.2). Obwohl die genannten Ziele auf den ersten Blick widersprüchlich zu den genannten Realitäten erscheinen, waren es doch gerade diese Gegensätze, die sich als typisch für Coubertins Philosophie herausstellten und dessen sich Coubertin selbst bewusst war : »Si donc j’ai souvent d¦rout¦ mes amis, c’est en superposant, ou, pour mieux dire, en attachant les unes aux autres des id¦es entre lesquelles il ne semblait pas qu’il dt exister de liens utiles.«172
172 Coubertin (1918c). Lettre Olympique II [Apparent contradictions. Restoration of the ancient gymnasium]. Übersetzung (nach Carl-Diem-Institut, 1966, S. 63): »Wenn ich nun meine Freunde oft in Verwirrung gestürzt habe, geschah es dadurch, daß ich Gedanken aufeinander aufbaute oder, besser gesagt, miteinander verband, zwischen denen, wie es schien, keine nützliche Verbindung bestehen dürfte.«
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Es gehörte wohl zum synchronistischen Charakter seiner Philosophie (vgl. Einleitung zu Kapitel 2.1), dass einzelne Elemente auf den ersten Blick unvereinbar anmuteten.
2.2.1 Universale Friedensmission versus nationale Militärbegeisterung Die zeitgenössische Presse betitelte die Olympischen Spiele von Beginn an als internationales Friedensfest173 und unterstrich damit deren globale Mission. Dies war ganz im Sinne von Coubertin, der anstrebte, nach antikem Vorbild alle vier Jahre Athleten aus der ganzen Welt friedlich im Wettkampf zusammenzubringen. Gleichzeitig war seine Interpretation allerdings auch von einer nationalistischen, pro-militärischen Stimmung geprägt, die in der Zeit um die Jahrhundertwende und insbesondere in der Vorkriegsatmosphäre um 1912 einen allgemeinen Bedeutungszuwachs erfuhr. Diese breite gesellschaftliche Aufrüstung soll ebenso dazu beigetragen haben, dass Coubertin im Hinblick auf die Kreation eines olympischen Mehrkampfs der militärischen Verwertbarkeit große Aufmerksamkeit schenkte: »[…] Coubertin intended that his pentathlon should reveal the complete soldier of the modern age. Behind the modern pentathlon stands the military spirit of Coubertin, which he never denied but which he appropriately defined and allocated […].« (Diem, 1939, S. 9)
Inwiefern deckten sich Coubertins Einstellungen zu Frieden, Militär und Krieg tatsächlich mit der Idee, einen olympischen Mehrkampf zu kreieren? Im vorliegenden Kapitel wird zunächst untersucht, was Coubertin unter der olympischen Friedensidee verstand. Anschließend werden diese Ergebnisse mit seiner Bewertung einer (para-)militärischen Kriegsvorbereitung konfrontiert. Die Idee einer internationalen Friedenserziehung gehörte zu den Aspekten, die Coubertin bereits in seiner frühen Schaffensphase beschäftigten. 1883, im Alter von zwanzig Jahren, wurde er Mitglied der Union de la paix sociale, deren Generalsekretariat er später übernahm, und wiederum drei Jahre später Mitglied der Soci¦t¦ d’¦conomie sociale (Höfer, 1994, S. 53). 1888 gründete er mit der Unterstützung seines gleichnamigen Freundes das Comit¦ Jules Simon und nahm ein Jahr später am CongrÀs de la Ligue de la paix teil, der unter dem Vorsitz Simons in der Sorbonne stattfand.174 1889 veröffentlichte Coubertin außerdem in der Zeitschrift La R¦forme sociale einen Beitrag über »L’¦ducation de la paix,«175 ohne jedoch zu diesem Zeitpunkt die Idee neuzeitlicher Olympischer 173 Vgl. z. B. [o. A.], 1895/1896. 174 Coubertin (1889b). Êducation de la paix, S. 361. 175 Ebd., S. 361 ff.
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Spiele einzubeziehen. Erst drei Jahre später, als er zum ersten Mal öffentlich die Möglichkeit der Wiedereinführung Olympischer Spiele ansprach, zielte seine Rede auf Internationalität und auf den möglichen Friedensbeitrag sportlicher Wettkämpfe ab: »Exportons des rameurs, des coureurs, des escrimeurs: voil le libre-¦change de l’avenir et, le jour o¾ il sera introduit dans les mœurs de la vieille Europe, la cause de la paix aura reÅu un nouvel et puissant appui.«176
Friedensmissionen sollten zu Coubertins Lebenswerk werden und trafen den Nerv der Zeit:177 So erhielt sein Landsmann Fred¦ric Passy beispielsweise 1901 den ersten Friedensnobelpreis überhaupt für sein Engagement, das sich u. a. in der Organisation internationaler Studentenkonferenzen und in seinen Bemühungen um eine Demilitarisierung der Leibeserziehung und des Geschichtsunterrichts zeigte (Quanz, 1998, S. 258). Coubertin selbst gewann mit seiner Ode au sport, die er unter dem Pseudonym Hohrod/Eschbach 1912 einreichte, den ersten olympischen Literaturwettbewerb. Der Text beinhaltete in seiner neunten und letzten Strophe auch einen Passus über Sport und Frieden, seine Bemühungen um olympische Friedenserziehung untermauert: »O Sport, tu es la Paix! Tu ¦tablis des rapports heureux entre les peuples en les rapprochant dans le culte de la force contrúl¦e, organis¦e et matresse d’elle-mÞme. Par toi la jeunesse universelle apprend se respecter et ainsi la diversit¦ des qualit¦s nationales devient la source d’une g¦n¦reuse et pacifique ¦mulation.«178
Die kriegerischen Auseinandersetzungen des beginnenden 20. Jahrhunderts, insbesondere der Erste Weltkrieg, rückten das Friedensthema immer wieder in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Interesses. Dies veranlasste Coubertin dazu, der Jugend Leitbilder an die Hand zu geben: »La s¦r¦nit¦ et la confiance devenaient chaque jour de plus utiles auxiliaires pur la vieille civilisation d’hier aux forces parfois d¦faillantes; […].«179 Auch mehr als vierzig Jahre nach seinen 176 Coubertin, 1892. Übersetzung: »Wir wollen Ruderer, Wettkämpfer und Fechter ins Ausland senden; das ist das wahre Freihandelssystem der Zukunft. Wenn diese Gepflogenheiten einmal Gemeingut im Alten Europa geworden sein werden, dann hat die Sache des Friedens eine neue starke Stütze erhalten.« 177 Vgl. Fabian & Lenz, 1922 [1985]. 178 SD 3: »Ode au Sport« de Georges Hohrod et M. Eschbach (pseudonyme de Coubertin), 1912. Art exhibition 1911 – 1912, Code: JO-1912S-COART, ID: 46569. Stockholm 1912 – 1: JO 1912 S – ARTPR-COJO. IOC Archiv Lausanne. Übersetzung: »O Sport, Du bist der Friede! Du schlingst ein Band um Völker, Die sich als Brüder fühlen in gemeinsamer Pflege Der Kraft, der Ordnung und der Selbstbeherrschung. Durch Dich lernt Jugend selbst sich achten, Und auch Charakter Eigenschaften anderer Völker Schätzen und bewerten. Sich gegenseitig messen, übertreffen, das ist das Ziel Ein Wettstreit in dem Frieden.« 179 Rede von Coubertin. Coubertin (1919d). XXVe anniversaire des Jeux Olympiques. Übersetzung: »Friedlichkeit und Zuversicht sind grundlegende Fundamente für die jugendliche Zivilisation von morgen, die inmitten wütender Stürme geboren werden wird.«
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ersten Friedensbemühungen hatte er mit dem Thema noch nicht abgeschlossen, wie beispielsweise ein Kommentar, den er kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zum Thema Le Sport est pacificateur (Der Sport als Friedensstifter) schrieb180 oder der Titel Pax Olympica seiner Rundfunkrede vom 4. August 1935 bezeugen. Schon seit Ende des 19. Jahrhunderts war er allerdings ebenso davon überzeugt, dass es »sehr edel und fein ist, an Krieg zu denken«.181 Die Niederlage Frankreichs im Krieg gegen Deutschland (1870/71) diente Coubertin als Beweis dafür, dass die körperliche Verfassung der französischen Jugend zu wünschen übrig ließ: »Coubertin was not so much against war as for peace, and no less than the other members of the comit¦ [Comit¦ Jules Simon] he wanted a strong army worthy of domestic and foreign respect and capable of ensuring against another 1870.« (MacAloon, 1981 [2007], S. 107)
Doch auch wenn er die jungen Franzosen für einen Verteidigungsfall körperlich vorbereiten wollte, so trieben ihn nicht revanchistische Gedanken an, was ihm die Opposition zahlreicher seiner Landsmänner einbrachte (Ebd.). Vielmehr entwickelten sich Coubertins Bestrebungen zunehmend zu einer humaneren, internationalen Sichtweise. Diese stammte zwar immer noch von einem Patrioten, der Sport in erster Linie als pädagogisches Werkzeug ansah, war aber nun weit weniger chauvinistisch geprägt (Guttmann, 2002, S. 11). Hinter der Ausweitung seines ursprünglich nationalen Erziehungsansatzes standen allerdings nicht nur edle pazifistische Vorsätze, sondern ebenso die frustrierende Erfahrung, dass die Reform der Leibeserziehung in seinem Heimatland allein nicht durchsetzbar war : »Es muss ein internationales Anliegen werden, weil in Frankreich nur die Anregungen, die von außen kommen, einen dauerhaften und wirksamen Einfluss haben.«182 Coubertin weitete daher seinen Adressatenkreis auf die »Jugend der Welt« aus und gab an, nunmehr universale Friedensgedanken zu hegen: »[Les Jeux Olympiques] donnent la jeunesse universelle l’occasion d’une rencontre heureuse et fraternelle dans laquelle s’effacera peu peu cette ignorance o¾ vivent les peuples de ce qui les concerne les uns les autres: ignorance qi entretient les haines, accumule les malentendus et pr¦cipite les ¦v¦nements dans le sens barbare d’une lutte sans merci.«183
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Coubertin, 1935, S. 44. Coubertin, 1892, S. 66 – 79. Coubertin (1909a). Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1974, S. 74. Coubertin (1894d). Jeux Olympiques. Discours AthÀnes, S. 288. Übersetzung: »[Die Olympischen Spiele] boten der Jugend der Welt Gelegenheit, sich in glücklichen und brüderlichen Wettkämpfen einander anzunähern, bei denen die Unkenntnis der Menschen
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Einander kennen und achten zu lernen bildete somit die Basis für Coubertins globale Friedensidee.184 Er war sich dabei bewusst, dass Völkerverständigung Zeit beanspruchte und nicht von heute auf morgen in idealer Form realisiert werden konnte.185 Coubertins Buch Le respect mutuel (Die gegenseitige Achtung) (1915) hebt seine Wertschätzung eines internationalen Austauschs, der seine Konkretisierung regelmäßig in den olympischen Wettkämpfen finden sollte, hervor.186 Trotz der Bedeutsamkeit, die Coubertin dem Friedensthema im Sport augenscheinlich zuschrieb, weckte schon die Idee internationaler Olympischer Spiele mehr Nationalbewusstsein und Nationalstolz als sie vermochte, eine globale, brüderliche Denkweise unter den Völkern anzuregen (Jørgensen, 1998, S. 82). Internationalismus konnte Anfang des 20. Jahrhunderts offensichtlich nur auf der Basis eines anhaltenden Nationalismus bestehen. Diese vaterländischen Gedanken stachelten die Athleten zusätzlich an,187 hatten allerdings nicht zwangsläufig mit nationaler Engstirnigkeit zu tun. Wenn Coubertin also die Hochachtung vor jedem Vaterland als erstes Gebot bezeichnete, so musste dies aus seiner Sicht selbstverständlich zuerst für die eigene Nation Geltung haben. Denn im Sport sah er Männlichkeit und Kampfbereitschaft in Reinform realisiert. Er eröffnete jungen Männern daher die Möglichkeit, für die eigene Ehre auf individueller sowie auf nationaler Ebene einzutreten. In seinem D¦calogue aux jeunes franÅaises188 machte Coubertin abermals deutlich, dass Frankreich trotz seiner internationalen Ambitionen für ihn weiterhin einen primären Stellenwert unter den Nationen einnahm. Er betonte allerdings, dass sein Dekalog dennoch nicht Hass oder Gewalt gegen andere Länder einschloss. Diese differenzierte Betrachtung erklärt auch, warum Coubertin den Nationalismus, der die Olympischen Spiele von Beginn an umgab, nicht als störend im Hinblick auf die internationale Verständigung empfand, sondern ihn sogar mit symbolhaften Aktionen verstärkte (Krüger (A.), 1997, S. 89). Eine solche gesunde Vaterlandsliebe hielt er für unschädlich, solange sie von einem aufrichtigen Internationalismus korrigiert würde: »Nochmals darf ich daran erinnern, daß unsere Betrachtung sich auf die Gesamtheit der zivilisierten Welt, nicht allein auf Frankreich und schon gar nicht auf einen Zipfel
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zunehmend verschwindet: diese Unkenntnis, die Hass schürt, Missverständnisse ansammelt und barbarische Ereignisse eines Kampfs ohne Gnaden beschleunigt.« Coubertin (1913d). Olympisme et Utilitarisme, S. 70 f. Coubertin (1935a). Les assises philosophiques de l’Olympisme moderne. Übersetzt in CarlDiem-Institut, 1996, S. 223. Coubertin (1915a). Le respect mutuel. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1988. Coubertin, 1929, S. 5 f. Coubertin (1915b). Aux jeunes franÅais. Le D¦calogue de 1915. Dekalog (französisch »Decalogue«) ist ursprünglich die griechische Bezeichnung für die Zehn Gebote.
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Europas allein bezog. Doch führt die Sorge jeden Reisenden immer wieder in sein eigenes Land zurück.«189
Für die Zeit der Olympischen Spiele forderte er den »Burgfrieden« ein, der gleichzeitig bedeutete, dass »jedes Nur-National-Empfinden […] ›vorübergehend auf Urlaub geschickt werden‹« musste.190 Coubertin selbst blieb also trotz seiner internationalen Bestrebungen innerlich Patriot. Daher empfand er es auch als Pflicht, die militärische Verteidigung Frankreichs im Ersten Weltkrieg aktiv zu unterstützen. Die Gespräche und der Briefverkehr, den Coubertin zeitlebens mit Militärangehörigen unterschiedlicher Nationen führte,191 spiegeln nicht nur die zeitgenössisch enge Verbindung von Krieg, Sport und Maskulinität wider (Wakefield, 1997, S. 140), sondern auch Coubertins exzellente Beziehungen zur Armee. Letztere benötigte er zur Umsetzung seiner Ideen auch dringend, denn die französische Armee hielt Anfang des 20. Jahrhunderts noch immer ihre Hand über die schulische Leibeserziehung. Wenn Coubertin eine Erziehungsreform beabsichtigte, kam er also nicht umhin, vorab mit der zuständigen Militärabteilung zu kooperieren (Clastres, 2008, S. 167 – 192). Um »die Dosierung und Häufigkeit der notwendigen Übungen« festzustellen und seiner Gymnastique utilitaire (vgl. Kap. 2.1.3) damit zum Durchbruch zu verhelfen, zog Coubertin beispielsweise eine Studie unter Rekruten heran.192 Er scheute sich dabei keineswegs davor, die Zweckgymnastik mit militärischen Gesichtspunkten zu verbinden: »Aber wir glauben, dass es in vielen Fällen und unter Vermeidung von Übertreibungen vorteilhafter sein wird, den Kursen der angewandten Körperschule einen einigermaßen militärischen Charakter zu geben.«193
Zur Verbreitung des Sportgeists schreckte er also auch nicht vor einer Kooperation mit der Armee zurück. Man müsse auch »an die Soldaten denken«194 und »die sportliche Gesinnung« solle überall dort »geweckt werden, wo sich die Möglichkeit dazu« böte.195 Coubertins »Fechten zu Pferde« (vgl. Kap. 2.1.3) sollte den militärischen Reitern beispielsweise erlauben, nicht »nur an ihre 189 Coubertin (1901a). Notes sur l’¦ducation publique. Übersetzt in Hoyer, 1972, S. 197 f. 190 Coubertin (1935a). Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 220. 191 Vgl. z. B. den Brief von Coubertin an Balck. 21. Juni 1911. SD2: Correspondance 1905 – 1914, BALCK CORR. Correspondance 1894 – 1914, ID: 6590. Balck Correspondance, Code: CIO MBR-BALCK CORR, OU MO 01 41 07, 0055015. IOC Archiv Lausanne. 192 »Die Erhaltung des Erlernten: I. Das Gedächtnis der Muskeln«. Coubertin (1905). Deutsche Übersetzung von 1906, S. 50. 193 »XI. Der Lehrer und das Gymnasium«. Ebd., S. 46. 194 Coubertin (1901a). Notes sur l’¦ducation publique. Übersetzt in Hoyer, 1972, S. 173. 195 Coubertin (1909a). Une campagne de vingt-et-un ans. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1974, S. 26.
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Uniform zu denken« (Eyquem (1966). Übersetzt in Kreidler, 1972, S. 190), sondern die spielerisch-sportliche Komponente dieser Übung zu entdecken. Die Idee Fechten und Reiten zu einem Sport zu verbinden (Six, 2007, S. 4 f) stammte im Übrigen nicht von Coubertin, auch wenn dieser gern den Anschein erweckte, dass dies so wäre. Er hatte zwar zusammen mit seinem Landsmann Louis Pascaud eine kleine Abhandlung über diese kombinierte Sportart (sowie über das »Boxen zu Pferde«) geschrieben,196 doch griff er lediglich etwas auf, das bereits regelmäßig in der Kavallerieschule von Saumur zur Ausbildung der französischen Novizen praktiziert wurde. Zudem hatte der französische Kommandant Jules Deru¦ schon 21 Jahre zuvor von einer neuen Methode des »Fechtens zu Pferde« berichtet, ebenso wie es der in Saumur unterrichtende Offizier Alexandre Muller und Kolonel Francisco Amoros bereits Anfang des 19. Jahrhunderts eingefordert hatten.197 Coubertins Rolle beschränkte sich also auf Bestrebungen zur Popularisierung dieser Sportpraxis, wenngleich letztere nicht von Erfolg gekrönt waren (Ebd., S. 5). Der Erfolg von Coubertins Zweckgymnastik unter Militärangehörigen war dagegen nicht abzustreiten. So befanden sich unter den Teilnehmern des »Diplúme des d¦brouillards« (vgl. Kap. 2.1.2) »nicht nur Schüler der Marineschule von Lorient, sondern auch Professoren und ein Dutzend Offiziere«.198 Vielseitigkeit war nun mal eine gefragte Fähigkeit in der Militärausbildung (vgl. Kap. 3.2). Umgekehrt hielt Coubertin Soldaten für besonders geeignet, seine erzieherischen Ideale umzusetzen: »[…] die Gleichförmigkeit seines Lebens, das Beispiel seiner Kameraden, machen aus ihm einen weniger verschrobenen, weniger bindungslosen Zuhörer, als er es im zivilen Leben wäre. Es ist seltsam, daß die Demokratie noch nicht von dem Zufall profitierte, die ihr so im formbarsten Alter junge Männer zu Zuhörern macht, die bereits sind, ihre Unterweisungen in sich aufzunehmen.«199
Die militärische Erziehung lieferte Coubertin entsprechend einen brauchbaren Rahmen zur Durchsetzung seiner pädagogischen Ideale. Doch während er zum Einen die guten Voraussetzungen für vielseitige Erziehung in den französischen Militärschulen lobte –
196 [Coubertin & Pascaud] (1906c), S. 27 – 32. Weder im benannten Artikel noch durch eine Recherche in anderen Dokumenten der Revue Olympique oder in Sekundärliteratur ließ sich mehr über Coubertins Koautor Louis Pascaud herauszufinden. 197 Muller, 1816; Amoros, 1834; D¦ru¦, 1888. 198 Coubertin (1907b). Chronique du mois: les d¦brouillards la Sorbonne, S. 302. 199 Coubertin (1901a). Notes sur l’¦ducation publique. Übersetzt in Hoyer, 1972, S. 174.
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»Ein Turnlehrer ist im allgemeinen in der Lage, Unterricht im Boxen und Fechten zu erteilen; geht er aus einer besonderen zivilen oder militärischen Schule hervor, von der Art der von ›Joinville-le-Pont‹ in Frankreich, so kann er noch mehr.«200
– warnte er auf der anderen Seite vor einem »Militarismus falscher Prägung«, der sich versteckt als Gymnastik, Marsch- oder Gruppenübung in den Schulen breitmachte.201 Aufgewachsen in einer pro-militärisch orientierten Familie hatte er am eigenen Leib diese Art der Disziplinierung kennen und ablehnen gelernt (z. B. Eyquem (1966). Übersetzt in Kreidler, 1972, S. 12). So sehr Coubertin auch militärisches Training befürwortete, so wenig angetan war er von der Idee eines streng disziplinierenden Militarismus, der die Ausbildung in der Armee im 19. Jahrhundert charakterisierte: »C’est l un ¦cueil vers lequel nous vouguons et qu’il faudra ¦viter.«202 Mit Blick auf die internationale Bühne wies Coubertin auch darauf hin, dass es Länder ohne Wehrpflicht gäbe, so dass die Armee nicht in jedem Fall die Ausbildung aller Sportarten übernehmen könne.203 Umgekehrt hielt er auch die militärische Dienstpflicht für problematisch, weil sie die jungen Männer in dem Glauben heranziehen würde, dass sie nichts im Voraus für ihre körperliche Ausbildung tun müssten. Dies würde wiederum die Bedeutung der Schulen als sportlich vorbereitende Instanz mindern.204 Er war jedoch der Auffassung, dass Sport und Militärdienst eng miteinander verbunden sein sollten, so dass durch die sportliche Vorbildung in der Schulzeit später ein Zeitgewinn in der militärischen Ausbildung möglich wäre.205 Im Hinblick auf die schulische Ausbildung hielt er es allerdings für bedeutsamer, Schüler zu reifen Männern und demokratischen Bürgern heranzuziehen (Ebd., S. 70 f), als sie von vorneherein zu soldatischen Kampfmaschinen auszubilden. Die Frage danach, ob sportliche Wettkämpfe in den Schulen tatsächlich mit einer Förderung von Kriegslust in Zusammenhang stünden, beantwortete er deshalb so kurz wie eindeutig mit den Worten: »Je ne le crois pas.«206 Vorwürfe dieser Art, die ankreideten, dass seine sportpädagogischen Bemühungen gleichzeitig militärische Aktivitäten anstachelten und damit seiner eigenen olympischen Friedensidee zuwiderliefen, entkräftete Coubertin auch, als er erklärte: 200 »XI. Der Lehrer und das Gymnasium«. Coubertin (1905). Deutsche Übersetzung von 1906, S. 44. 201 Coubertin (1901a). Notes sur l’¦ducation publique. Übersetzt in Hoyer, 1972, S. 126. 202 Coubertin (1888). Zitiert in Carl-Diem-Institut, 1977, S. 321. Übersetzung: »Das ist derzeit ein Riff, auf das wir auflaufen und das gilt es zu vermeiden.« 203 »IX. Die Handarbeit«. Coubertin (1905). Deutsche Übersetzung von 1906, S. 38. 204 »Vorwort«. In Ebd., S. 5. 205 Coubertin (1922a). P¦dagogie sportive. Übersetzt in Mallwitz, 1928, S. 83 f. 206 Coubertin (1889b). Êducation de la paix, S. 361. Übersetzung: »Ich glaube das nicht.«
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»Ce pacifisme sportif ne pr¦tend point supprimer les passes d’armes, mais simplement rendre possibles dans l’intervalle les collaborations f¦condes qui ne sont pas seulement indispensables au progrÀs mat¦riel […].«207
Coubertins Einstellung deckte sich somit mit dem lateinischen Sprichwort »si vis pacem, para bellum« (wenn du den Frieden willst, rüste zum Krieg), dessen Grundidee sich u. a. bereits in der antiken Philosophie Platons wiederfindet. Eine Befürwortung der militärischen Vorbereitung und eine Unterstützung internationaler Friedensbestrebungen mussten sich also nicht zwangsläufig gegenseitig ausschließen, sofern der Krieg als unausweichliches Mittel zur Friedensherstellung interpretiert wurde. Wenn er in seinen M¦moires olympiques allerdings festhielt, dass er es sogar begrüßen würde, wenn nach antikem Vorbild »mitten im Kriege die gegnerischen Armeen einen Augenblick ihre Kämpfe unterbrächen, um Spiele der Muskelkraft auf loyale und ritterliche Weise zu begehen,«208 mahnt dies utopisch an. Die große Diskrepanz zwischen Idee und Praxis führte rückblickend zu Spekulationen über die Ursachen dieses realitätsfernen Wunschbilds. Mangan & Meinander (1998, S. 178) beispielsweise deuten Coubertins Einstellung als Resultat seiner Fehlinterpretation der antiken Friedensauffassung. Auch der deutsche Sporthistoriker Manfred Lämmer hat den Unterschied zwischen Mythos und Realität im Hinblick auf die olympischen Friedensidee der Antike mehrfach in seinen Arbeiten hervorgehoben (z. B. Lämmer, 1975/76, S. 37 – 52; 1982/83, S. 47 – 83; 1985, S. 17 – 30). Denn über den antiken Spielen stand die »Ekecheiria«, die wörtlich einen »Zustand, in dem die Hände zurückgehalten werden« (Lämmer, 1982/83, S. 49) bezeichnete und damit »Unantastbarkeit oder Immunität« und eben nicht – wie häufig fälschlich unterstellt – »Frieden« meinte (Höfer, 1994, S. 18). Die »Ekecheiria« blieb somit auf einen zeitlich und örtlich begrenzten Festfrieden beschränkt und vermochte nicht (und strebte dies auch nicht an), Feindschaften und Kriege zu verhindern (Weeber, 1991; Decker, 1995). Der deutsche Philosoph Hans Lenk (1964, S. 117) sieht die Interpretation der Olympischen Spiele als universales Friedensfest schlichtweg als Irrtum an: »Wer streng die Waffenruhe fordert, baut olympische Luftschlösser.« Coubertins Ambitionen hält er hingegen für realistisch, weil er seiner Meinung nach nicht versuchte, »den Himmel zu stürmen«, sondern lediglich »den Boden pflügen« wollte, sprich die Völker lehren, einander kennen und achten zu lernen (Ebd., S. 113). Lenk ist davon überzeugt, dass Coubertin zu Unrecht vorgeworfen 207 Coubertin, 1914, S. 376 – 386. Übersetzung: »Sportlicher Pazifismus vermeidet ganz und gar nicht den Kampf, aber macht es einfach möglich zwischen den Intervallen zu kollaborieren, was Fortschritt überhaupt erst möglich macht […].« 208 Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 221. Vgl. auch Coubertin (1912e). Pax Olimpica, S. 100.
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wurde, Kriege nicht verhindert zu haben, weil er dies in Wahrheit niemals angestrebt habe. Coubertin sei in diesem Punkt ein Opfer der »Legenden Fremder«, und der Vorwurf des utopischen Pazifismus damit entkräftet (Ebd., S. 114). Coubertins eigenes Verhältnis zum Utopismus war ambivalent: Auf der einen Seite hatte er einen Hang zu utopischen Forderungen,209 auf der anderen hegte er ihnen gegenüber tiefe Zweifel.210 Wirkus (1987, S. 184) findet daher, dass Coubertin zwischen zwei verschiedenen Denkarten, der utopischen und der historischen, pendelte, was ihn letztlich davor bewahrte, ein »kindlicher Doktrinär« zu werden. Dass Coubertin selbst Männer, die eine Welt ohne Kriege herbeisehnten, als »rar und ihre Träume als harmlos« bezeichnete, untermauert diese These.211 Letztlich war es für Coubertin jedoch unerheblich, ob konkrete kriegerische Auseinandersetzungen zu erwarten waren oder nicht: »Ob nun die jetzigen Armeen der Mächte fortbestehen werden oder ob es in gemeinsamer Absprache zur Abrüstung kommt – die vorbereitende Ausbildung des jungen Mannes zum eventuellen Verteidiger seines Landes wird dadurch nicht minder bedeutsam.«212
Seine Pläne eines internationalisierten, in Konkurrenz betriebenen Sports erhoben also nicht den Anspruch einer Anti-Kriegsbewegung und sollten unabhängig von bestehenden Auf- oder Abrüstungstendenzen realisiert werden. Denn obwohl Coubertin vielfältige persönliche Kontakte zu führenden Mitgliedern der Friedensbewegung pflegte (Dittmer, 1993; Quanz, 1993), war er selbst »ebensowenig [sic!] Pazifist wie die griechische Oberschicht der Antike« (Prokop, 1971, S. 39; vgl. auch Krüger (A.), 1986, S. 193 – 200). Krieg und dessen Vorbereitung nahmen ohnehin in der antiken Welt eine weitaus bedeutsamere Rolle ein, als dies die Anlehnung der modernen Spiele an den antiken olympischen Friedenspakt auf den ersten Blick erahnen lässt. Die Tugenden, die ein Mann im Wettkampf wie im Krieg unter Beweis stellen musste, ähnelten sich schon damals, zumal sie derselben herrschenden Sozialschicht entsprangen (Elias & Dunning, 1982b, S. 32). Die friedenspolitische Perspektive der modernen Spiele war somit nicht historisch gewachsen. Sie basierte vielmehr auf der Athletik der alten Griechen, die wiederum auf einen militärischen Ursprung zurückführte (Höfer, 1994, S. 45 f). Die positiven gesellschaftlichen Konsequenzen, die von einem neuzeitlichen Wettkämpfer ausgingen, unterschieden sich gemäß Coubertin nur wenig vom Altertum: Während der Athlet in der Antike seinen Körper formte und seine 209 210 211 212
Coubertin (1919a). Lettre Messieurs les membres du Comit¦ International Olympique. Coubertin, 1925. Coubertin (1889b). Êducation de la paix, S. 361. Coubertin (1901a). Notes sur l’¦ducation publique. Übersetzt in Hoyer, 1972, S. 130.
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Götter ehrte, tat jener im 20. Jahrhundert Gleiches und »erhöht[e] damit sein Vaterland, seine Rasse und seine Fahne.«213 Sportler gleichermaßen in den Dienst von Frieden und Krieg zu stellen, hielt Coubertin daher auch in seiner Zeit nicht für widersprüchlich, solange die körperliche Stärke nicht zur bloßen Umsetzung blutiger Rachegelüste diente.214 Er empfand es nicht nur als legitim, dass ein Athlet sich militärisch engagierte, sondern ging noch einen Schritt weiter, indem er die Ausübung von Sport als geeignetes Mittel der Kriegsvorbereitung interpretierte: »Une des causes de l’¦lan juv¦nile […] pourrait Þtre dans la pr¦paration indirecte la guerre que comportent les sports. Il est certain que les muscles ont ¦t¦ entrain¦s et certaines habitudes de vie physique certaines contract¦es de faÅon rendre l’homme beaucoup plus apte affronter les fatigues d’une campagne.«215
Coubertin setzte damit den traditionellen Gedanken der »ludi pro patria« (Spiele für das Vaterland), fort, der bereits zuvor bei den Indianerstämmen Nordamerikas sowie bei den Ägyptern und Griechen Bedeutung erlangt hatte.216 Dem sportlichen jungen Mann schrieb er gegenüber seinen untrainierten Brüdern deutliche Vorteile in der Kriegstüchtigkeit zu.217 So vertrat er die Meinung, dass Sport alle Qualitäten aufblühen ließe, die sich auch in Kriegszeiten als nützlich erwiesen: »[…] insouciance, belle humeur, accoutumance l’impr¦vu, notion exacte de l’effort faire sans d¦penser des forces inutiles.«218 Ebenso hob er explizit die Kampfbereitschaft der Athleten hervor statt sie zu vertuschen: »Le jeune sportsman se sent ¦videmment mieux pr¦par¦ ›partir‹ que ne le furent ses an¦s. Et quand on se sent pr¦par¦ quelque chose, on le fait plus volontiers.«219 Mit dieser Einstellung und dem Versuch eine neue bessere Armee von morgen zu bilden, war ihm der Zuspruch weiter Teile der Bourgeoise sicher (Spivak, 1983, S. 742, 840). Ein Auszug aus der Empfehlung des französischen Ministeriums für den Grundschulunterricht in Staatsbürgerkunde von 213 Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 218. 214 Coubertin (1935b). Le Sport est pacificateur, S. 44. 215 Coubertin (1912d). Le sport et la guerre, S. 59. Übersetzung: »Einer der Gründe des jugendlichen Elans, […], könnte in der indirekten Kriegsvorbereitung, die die Sportarten mit sich bringen, liegen. Es ist sicher, dass die Muskeln trainiert und dass bestimmte körperliche Gewohnheiten entwickelt worden sind, damit der Mann für die Strapazen eines Feldzugs besser gewappnet ist.« 216 Coubertin (1901a). Notes sur l’¦ducation publique. Übersetzt in Hoyer, 1972, S. 88. 217 Coubertin (1912d). Le sport et la guerre, S. 60. 218 Ebd., S. 59. Übersetzung: »Unbekümmertheit, Fröhlichkeit, Einfachheit auf Unsicherheiten zu reagieren, die Sucht nach Verbesserung, eine genaue Vorstellung von der Anstrengung, die eingesetzt werden muss, ohne unnötige Kräfte zu verschwenden.« 219 Ebd. Übersetzung: »Der junge Sportler fühlt sich offenbar besser vorbereitet ›aufzubrechen‹ als es die Übrigen waren. Und wenn man sich auf alles vorbereitet fühlt, tut man es auch lieber freiwillig.«
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1883 spiegelt die typisch nationalistische Grundstimmung dieser Zeit wider : »Es ist eine Ehre und Pflicht, seinem Land zu dienen. […] Wir müssen uns zu seiner Verteidigung opfern: wir sind nicht für uns, sondern für das Vaterland geboren.«220 Den Athleten als guten, kampfbereiten Soldaten zu sehen bedeutete allerdings nicht, dass Sport gleichzeitig als kriegsförderlich empfunden wurde. Im Gegenteil, genau hier sah Coubertin die positive Funktion des sportlichen Trainings einsetzen: »Les sports ne tendent pas rendre la jeunesse plus belliqeuse, mais seulement plus militaire, c’est--dire qu’ils lui donnent le sentiment de sa force sans l’inciter davantage en faire emploi. Ils n’ont donc pas accru les chances de guerre, mais ne les ont pas diminu¦es non plus.«221
Wenn ein Krieg erst einmal ausgebrochen wäre, schrieb Coubertin einer sportlichen Armee auch im Hinblick auf den Verlauf der Schlacht positive Aspekte zu: Sie gäbe dem Kriegsgeschehen »einen offensiven Charakter […], mehr Entscheidungsfreude und größere Geschwindigkeit als zuvor.«222 Außerdem hegte er keine Zweifel daran, dass »eine Armee von Sportlern […] im Kampf humaner und Mitleid erregender sein [würde] sowie ruhiger und weicher im Anschluss«.223 Sobald Frieden wiederhergestellt wäre, helfe der Sport zudem dabei, »aufkommende Bitterkeit und Hass abzuschwächen«.224 Die Nützlichkeit einer militärischen Vorbereitung hatte sich für Coubertin auch in der Praxis, beispielsweise im »Einsatz der amerikanischen Freiwilligen während des Krieges gegen Spanien und [in den] bemerkenswerten Schießerfolgen in den Burenkriegen« bewiesen, so dass »diese Frage von nun an auf der Tagesordnung bleibt [blieb] und nicht mehr wegzudenken« war.225 Folglich bemühte sich Coubertin zeitlebens, seine internationale Friedensmission mit einem angemessenen Raum für militärische Vorbereitung in Einklang zu bringen. Doch dieses Thema stellte lediglich einen Schritt in seinem pädagogischen Gesamtwerk dar. So beabsichtigte er, »den Sport zunächst in-
220 Auszug aus der Empfehlung des französischen Ministeriums für den Grundschulunterricht in Staatsbürgerkunde von 1883. Zitiert in Caron, 1991, S. 371. 221 Coubertin (1912d). Le sport et la guerre, S. 60. Übersetzung: »Sport versucht nicht, die Jugend kämpferischer zu machen, lediglich militärischer, das heißt, es gibt den Eindruck von Stärke ohne mehr Arbeit anzuziehen. Sie haben deshalb die Kriegswahrscheinlichkeiten nicht gesteigert, aber sie anderseits auch nicht verringert.« 222 Ebd. 223 Ebd. 224 Ebd. 225 Coubertin (1901a). Notes sur l’¦ducation publique. Übersetzt in Hoyer, 1972, S. 130.
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ternational [zu] machen mit dem Endziel, ihn auch ›volkstümlich‹ werden zu lassen«.226
2.2.2 Soziale Demokratisierung versus aristokratische Abschottung Die Barrieren zwischen sozialen Gesellschaftsschichten aufzuweichen stellt einen weiteren Aspekt der pädagogischen Bemühungen Coubertins dar. Der Sport sollte nicht ausschließlich den noblen Gentlemen vorbehalten bleiben, sondern »volkstümlich« werden, das heißt, auf alle Bevölkerungsschichten ausgedehnt werden: so zumindest die vereinfachte, häufig zitierte Interpretation seines Vorhabens. Coubertin hat sich in einer Vielzahl von Artikeln und Büchern über die Einbeziehung verschiedener Sozialklassen in den Sport geäußert. Da er sich also mit dieser Frage eingehend beschäftigte, hätte sich dieser Punkt sicherlich auch auf eine von ihm konzipierte Sportart ausgewirkt. Einige Autoren oder Organisationen wie beispielsweise der Österreichische Verband für Modernen Fünfkampf halten diesen Zusammenhang sogar für erwiesen: »Er [Coubertin] wollte auf der einen Seite die Offiziere und Herrenreiter, also die Vertreter der Kavalierssportarten, zum Schwimmen und Laufen bringen und auf der anderen Seite den Vertretern des Volkssportes den Weg zu den Herrensportarten ebnen.« (Österreichischer Verband für Modernen Fünfkampf, o. A.; vgl. auch Gueorguiev, 1991, S. 1)
Mit Blick aufs Detail stellte sich Coubertins Verhältnis zur Sportpartizipation verschiedener sozialer Klassen jedoch als wesentlich differenzierter heraus.
2.2.2.1 Sport und Klassenzugehörigkeit im Zeitalter der Industrialisierung Nach ihrem Ursprung in Großbritannien Mitte des 18. Jahrhunderts erreichte die Industrialisierungswelle etwa hundert Jahre später Kontinentaleuropa (Murray, 1996, S. 29; Eisenberg, 1999, S. 18; Luh, 2008, S. 8 – 16). Neue Kommunikationsformen ließen die Welt enger zusammenrücken; der technische Fortschritt veränderte die Arbeitsbedingungen und ließ neue Sozialschichten entstehen, die jene der traditionellen Agrargesellschaft ergänzten und teils verdrängten (Eisenberg, 1999, S. 47; Leser, 2001, S. 345). Auf der einen Seite standen die Arbeiter, die ihren Tag schuftend in der Fabrik verbrachten, auf der anderen Seite Fabrikbesitzer, die auf ökonomischen Erfolg aus waren und der Mittelklasse sowie der gesellschaftlichen Elite angehörten. 226 Coubertin (1909a). Une campagne de vingt-et-un ans. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1974, S. 85.
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Diese Differenzierung führte im Hinblick auf den Sport zu klassenspezifischen Eigentümlichkeiten. Ende des 19. Jahrhunderts, als sich der englische Sport auf dem europäischen Kontinent ausbreitete, nahmen sich ihm zunächst überwiegend junge Mitglieder einer hohen Sozialschicht an (Guttmann, 2004, S. 180). Diese Elite war als funktionale Oberschicht zu verstehen, d. h. ihr gehörten nicht nur von Geburt an privilegierte Aristokraten, sondern auch erfolgreiche Industrielle, Bürgerliche und Offiziere an. Während diese höheren Gesellschaftsschichten zur Untermauerung ihrer Privilegien Sport unter Ihresgleichen trieben, versuchten die Arbeiter umgekehrt, ihre Unabhängigkeit vom bürgerlichen Sport hervorzuheben (Ebd., S. 98, 282). Dass mit der Aufnahme in Vereine der gehobenen sozialen Klassen häufig entsprechende Mitgliedsbeiträge, zusätzliche Kosten für Ausrüstung sowie eine Einhalten der Etikette verbunden waren, zeigt nicht nur wie unwillkommen Arbeiter in diesen Klubs der »feinen Gesellschaft« waren, sondern kam faktisch einem Ausschluss gleich (Krüger & Riordan, 1996, S. viii; Eisenberg, 1999, S. 70, 250; Krüger (M.), 2009, S. 189). Deshalb gründeten die Arbeiter kurzerhand ihre eigenen Vereine und entwickelten spezifische Gewohnheiten und Vorlieben. Die gestiegene Nachfrage nach Freizeitaktivitäten war dabei gekoppelt mit einem Kampf für bessere Arbeitsbedingungen und gegen eine Politik der Unterdrückung (Arnaud, 1994, S. 84; Krüger & Riordan, 1996, S. viii). Die Arbeitersportbewegung erreichte ihren Höhepunkt zwar erst später, zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, setzte allerdings in Form der Gymnastik schon Anfang des 20. Jahrhunderts ein (Krüger & Riordan, 1996, S. V). Wie stark diese Entwicklung mit politischen Grundsatzfragen verbunden war, demonstriert ein Auszug der Arbeiter-Turnzeitung (ATZ) aus dem Jahr 1910: »Sportvereine haben erst dann ein Existenzrecht, wenn sie sich innerhalb des Kampfs um die Befreiung der Arbeiterklasse bewegen.«227 Diese Vereinsgründungen waren erst durch politische Grundsatzentscheidungen überhaupt möglich geworden. So garantierte ein 1901 in Frankreich erlassenes Gesetz Jedermann das Recht, sich in einer Organisation für gemeinnützige Zwecke zu versammeln. Diese Bestimmung gab den Vereinen eine legale Basis, die unabhängig vom Einflusspotential und Wohlstand ihrer Mitglieder war, und lieferte damit die Grundlage für eine Demokratisierung des Sports (Terret, 2003, S. 109). Die Möglichkeit der legalen Vereinsgründung führte allerdings nicht zur Nivellierung der klassenspezifischen Unterschiede, so dass sich die in den Klubs praktizierten Sportarten weiterhin an der jeweiligen Sozialschicht orientierten. Während sich die französischen Aristokraten frühzeitig der Sportbewegung 227 [o. A.] (1910e). [o. T.]. Arbeiter-Turnzeitung (ATZ), S. 16. Zitiert in Krüger & Riordan, 1996, S. 7.
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anschlossen, konzentrierten sich die ersten Arbeiterinitiativen auf Gymnastikvereine wie beispielsweise die Union des soci¦t¦s de gymnastique de France (USGF), die zwischen 1873 und 1942 zu den größten Organisationen dieser Art zählte (Ebd.). Die Mitglieder niedriger sozialer Klassen praktizierten damit üblicherweise nur einen reduzierten Teil der existierenden Sportarten: In diesen Kreisen fanden Ende des 19. Jahrhunderts neben der Gymnastik vor allem Schießen und Radfahren Verbreitung; Motorsport, Golf, Tennis, Fußball und Rugby zählten dagegen zu den Sportarten, die vornehmlich von den Anhängern höherer Sozialklassen praktiziert wurden (Leziart, 1989, S. 124 – 136). Während die Leichtathletik- und Schwimmdisziplinen allgemein in den Händen der bürgerlichen Sportsmänner lagen, fanden speziell der Langstreckenlauf und der professionelle Schwimmsport auch Vertreter in der Arbeiterklasse.228 Die genannten klassenspezifischen Charakteristika lassen sich auf unterschiedliche Ursachen zurückführen: Zunächst war es in einer Vielzahl von Sportarten ohne finanzielle Aufwendungen und ausreichend Freizeit gar nicht erst möglich, die Technik zu erlernen, die Disziplin auszuüben oder gar internationale Standards zu erreichen (Jørgensen, 1998, S. 78). Die notwendige Agglomeration von Geld und Zeit suchte man in Arbeiterkreisen vergeblich. Nur Sportarten, die vergleichsweise leicht erlernbar waren und zudem Aussicht auf Preisgelder und Trainertätigkeiten erlaubten, waren attraktiv für Arbeiter. Sportarten wie das Reiten und Fechten beispielsweise, die neben dem hohen Trainingsaufwand auch eine spezielle Ausrüstung und Sportanlage voraussetzten, konnten finanziell nicht von Jedermann – selbst nicht innerhalb der Bourgeoisie – getragen werden. Des Weiteren fehlte in den Arbeitersportvereinen häufig die Kompetenz, die Fertigkeiten von technikintensiven Sportarten zu vermitteln. Gerade deshalb zogen finanziell gut gestellte Gesellschaftsschichten Sportarten wie das Reiten, die eine spezielle Schulung voraussetzten und daher zur sozialen Abgrenzung geeignet erschienen, vor. Anhänger niedriger Sozialklassen wählten dagegen typischerweise weniger zeitaufwendige und kostengünstigere Alternativen aus. Ende des 19. Jahrhunderts nahmen daher zunächst trotz der neuen Vereinsgründungen weder die französischen Arbeiter noch alle Schichten der Bourgeoisie an typisch aristokratischen Sportarten teil und umgekehrt. So wurden die exklusiven Effekte der jeweiligen Sportarten untermauert und die Kerben zwischen den sozialen Klassen noch tiefer. Im Hinblick auf den Zugang zu verschiedenen Sportarten war die moderne Industriegesellschaft also weit davon entfernt, allen Gesellschaftsschichten einen offenen Zugang zu ebnen. Auf 228 Für den Zusammenhang zwischen Leichtathletik und sozialer Klasse vgl. Bruant (1992); im Hinblick auf Schwimmen vgl. Terret (1994); im Hinblick auf Tennis vgl. Waser (1996); im Hinblick auf Radfahren vgl. Poyer (2003).
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dem englischen Nobelsport basierend waren es überwiegend die Anhänger der oberen und mittleren Klassen, die genügend Freizeit und finanzielle Mittel mitbrachten, exklusive Sportarten zu betreiben. In dieses gesellschaftliche Gefüge hineingeboren, lag es auf der Hand, dass auch der aus einer französischen Adelsfamilie stammende Coubertin eine natürliche Neigung zu schichtspezifischen Sportarten mitbrachte. So tat es Coubertin anderen Nobelmännern gleich, wenn er sich im Reiten und Fechten übte und sich für die Ausbildung der Soldaten und Offiziere interessierte (vgl. Kap. 2.1.3, 2.2.1). Zudem war er Mitglied der bürgerlichen Sportvereinigung Union des soci¦t¦s franÅaises de sports athl¦tiques (USFSA), deren Belange er von 1894 bis 1898 als Generalsekretär aktiv unterstützte.229 Obwohl er die Probleme der Arbeiterklasse also nicht aus eigener Erfahrung kannte, schien ihm die Beteiligung aller Klassen am öffentlichen Leben doch am Herzen zu liegen. Anfangs war es der Sozialreformer Pierre Guillaume Fr¦d¦ric Le Play (1806 – 1882), der Coubertins Engagement gegen die Klassendifferenzierung und für den sozialen Frieden weckte.230 Diese Verbindung war auch Anlass dafür, dass Coubertin 1883 der von Le Play gegründeten Union de la paix sociale beitrat (Guttmann, 2002, S. 7 f) und zwischen November 1886 und September 1889 in Le Plays Zeitschrift La Reforme sociale insgesamt zwölf Aufsätze veröffentlichte.231 Im Laufe der 1880er verringerte sich allerdings der Einfluss Le Plays auf Coubertin zunehmend zugunsten einer wachsenden Bedeutung des republikanischen Gedankens. Coubertins Idee eines sozialen Friedens blieb allerdings grundlegend erhalten (Schantz, 2008, S. 7) und ergänzte sein Anliegen, auch international Frieden herzustellen (vgl. Kap. 2.2.1). Denn nicht nur Anhänger verschiedener Sozialschichten, Studenten, Arbeiter, Angestellte etc., sondern auch unterschiedliche Nationen und Völker waren in sein Konzept des Respect mutuel (gegenseitige
229 Gegründet wurde der Verband am 20. November 1887 in Paris, ursprünglich unter dem Namen Union des soci¦t¦s franÅaises de course pied. Zu Beginn war er ein reiner Leichtathletik-Verband, doch öffnete sich ab 1889 zunehmend gegenüber anderen Sportarten, darunter Rugby Union, Feldhockey, Fußball, Fechten und Schwimmen. USFSA. ProcÀsverbaux: Bureau et Conseil. 1894 – 1901. Archiv des Comit¦ National Olympique et Sportif FranÅais (CNOSF). Zitiert in Grosset, 2010, S. 74, 107. 230 Diese Verbindung zwischen Coubertin und der Arbeit Le Plays fand bislang wenig Berücksichtigung in der Literatur. Boulogne (1975, S. 94 – 101) behandelt das Thema zwar, doch rückt Le Play hinter Coubertin auf einen Nebenschauplatz. In Clastres Artikel (2003a, S. 125 – 153) rückt der Aspekt erstmals in den Vordergrund der Betrachtungen. 231 Vgl. z. B. Coubertin (1889b). Êducation de la paix, S. 361 ff. Zu den Reformideen Le Plays vgl. auch Le Play, 1878. Le Play gründete die Soci¦t¦ d’¦conomie et de science sociales 1856. Diese hatte zwei Hauptpublikationen, eine pädogisch ausgerichtete, La R¦forme sociale (1881 – 1934), und eine wissenschaftlich ausgerichtete, La Science sociale (1886 – 1934), die 1934 zur Les Etudes sociales zusammengefasst wurden (Krüger (A.), 2005, S. 105).
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Achtung)232 eingeschlossen und sollten sich beim Sport kennen, verstehen und achten lernen (Specht, 1960, S. 31). Für eine Institution, die diesen Grundsatz beherzigte, würde die gleichzeitige Ausbreitung »nach sozialer Tiefe, wie nach internationaler Oberfläche hin« zu einer »eigentümlichen Überlegenheit« führen.233 Doch im Gegensatz zur internationalen Friedensidee sowie zu allgemeinen Fragen der sozialen Klassenzugehörigkeit, die schon in seinem frühen Schaffen angelegt waren, machte er die Hinführung der Arbeiterklasse zum Sport erst nach dem Ersten Weltkrieg zum eigentlichen Thema (Prokop, 1971, S. 123). Mit dem Konzept der gleichen Chancen, das spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts einen festen Bestandteil seines olympischen Erziehungskatalogs darstellte, hatte er allerdings bereits eine Basis für die spätere Ausweitung seines Vorhabens geschaffen (Lenk, 1964, S. 282 – 295). Coubertin konstatierte daher schon 1901, dass »keine soziale Schicht eher privilegiert [war], Sport zu treiben, als die andere«,234 und schrieb dem Sport so eine bedeutende integrative Funktion zu. Während er die Einstellung der aristokratischen Fechter für mittelalterlich hielt, verkörperten die Gymnasten, die sich vornehmlich aus Mitgliedern unterer sozialer Kreise zusammensetzten, für ihn ideale Vertreter der Demokratie.235 Im weiteren Verlauf seines Lebens gab er sich allerdings nicht damit zufrieden, soziale Unterschiede nur aufzudecken, sondern zog daraus die Handlungskonsequenz, größere soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Die Emanzipation und Integration der niedrigen Sozialklassen sah er als Möglichkeit und zugleich als Pflichtauftrag der Gesellschaft an (Weber, 1970, S. 5). Wenn in den aristokratischen und bürgerlichen Vereinen weiterhin Intoleranz vorherrschen würde, befürchtete er gar einen sozialen Zerfall der französischen Gesellschaft, weil »der Sport in seinem Versuch, seine eigentliche Mission zu erfüllen, gestoppt würde«.236 Aus dieser Erkenntnis zog er die Konsequenz, dass Sport »dem gemeinen Volk zugänglich gemacht und jedem geöffnet werden [sollte]: Alle Sportarten für alle«.237 Seiner Meinung nach stand sportliche Leistung nämlich über Adelsdünkel, so dass der Wettkampfsport als Paradebeispiel gelebter Demokratie fungierte:
232 233 234 235 236 237
Coubertin (1915a). Le respect mutuel. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1988. Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 212. Coubertin (1901a). Notes sur l’¦ducation publique. Übersetzt in Hoyer, 1972, S. 13. Coubertin (1913d). Olympisme et utilitarisme, S. 69. Ebd. Coubertin (1919a). Lettre Messieurs les membres du CIO.
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»Die sportliche Zusammenarbeit ist schnell fertig mit Standesunterschieden. Weder Adel noch Geld können den sportlichen Wert des Individuums heben. […] Nirgends also finden sich natürliche Ungleichheit und soziale Gleichheit so eng vereint.«238
Die These, dass Sport prinzipiell jedem männlichen Teilnehmer unabhängig von seiner Herkunft und seinem Besitz gleiche Chancen einräumen würde, bedeutete gleichzeitig, dass Coubertin ihm die Fähigkeit einer unverfälschten Selektion und damit eine sozialschichtnivellierende Wirkung zuschrieb. Auf institutioneller Ebene legte er mit der Soci¦t¦ des sports populaire die Basis dafür, den allgemeinen Volkssport voranzutreiben (vgl. Kap. 2.1.3). D¦brouillardise sollte kein »Luxusgegenstand« sein, sondern unabhängig von Stand oder Profession. Denn Sport lieferte gemäß Coubertin »eine Quelle möglicher innerer Vervollkommnung, die mit dem Beruf nichts zu tun hat. Es ist ein Geschenk, das allen mit auf den Lebensweg gegeben wird, wenn es fehlt, kann es nicht ersetzt werden«.239 Die von ihm initiierte Gymnastique utilitaire schien ebenfalls geeignet, einen Beitrag zur Umsetzung seiner Pläne zu leisten, indem sich insbesondere jene ihr annahmen, »die weder über viel Freizeit noch über ein großes Einkommen, ja nicht einmal über eine besondere Veranlagung verfügen – das heißt von der überragenden Mehrheit«.240 Nachdem sich die Gymnastique utilitaire dennoch in der Bevölkerung nicht durchsetzen konnte, konzentrierten sich Coubertins Anstrengungen, den Breitensport institutionell zu fördern, auf die Wiedereinführung des antiken Gymnasiums.241 Alle Bewohner sollten diese Institutionen kostenfrei aufsuchen dürfen und sich dort nicht nur in Gesundheit und Fitness, sondern auch in Demokratie, Moral und Hygiene üben (Wassong, 2007, S. 55 f). Diese kommunale Verpflichtung wäre der Preis für den sozialen Frieden, die Volksgesundheit und den Sieg über den Alkoholismus.242 Die Forderung nach einer sozialen Mischung der verschiedenen Generationen und Sozialschichten ging mit dem Wunsch Coubertins einher, den Sport zu einem integralen Bestandteil der Gesellschaft werden zu lassen. In Anlehnung an die griechische Antike hob er die Frieden stiftende Wirkung des Gymnasiums als Begegnungsstätte hervor, die u. a. aufgrund einer Kooperation zwischen unterschiedlichen Berufsgruppen zustande kommen sollte. Coubertin erwartete großen Zuspruch für seine Idee, weil er davon überzeugt war, dass Sport für Jedermann einen nützlichen Ausgleich zur industriellen Arbeit darstellte. Seine Hoffnungen wurden allerdings erneut enttäuscht: Auch das antike Coubertin (1922a). P¦dagogie sportive. Übersetzt in Mallwitz, 1928, S. 83. Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 212. »Vorwort«. In Coubertin (1905). Deutsche Übersetzung von 1906, S. 7. [Coubertin] (1912 m). Vers le gymnase antique, S. 184ff; Coubertin (1915c). La restauration du gymnase antique, S. 3. 242 Coubertin (1920a). Lettre Messieurs les membres du Comit¦ International Olympique.
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Gymnasium fand keine Verbreitung. Blieben noch die Olympischen Spiele, die in ihrer erzieherischen Mission ebenfalls soziale Gerechtigkeit und Integration nicht missen lassen sollten: »Il faut que la foule soit touch¦. Et vraiment, au nom de quoi la foule serait-elle exclue de l’olympisme? En vertu de quels d¦crets aristocratiques existerait-il un lien entre la beaut¦ physique et la puissance musculaire d’un jeune homme, entre sa pers¦v¦rance l’entranement et sa volont¦ de vaincre d’une part et – de l’autre – la liste des ses aeux ou le contenu de son porte-monnaie?«243
Der Olympismus würde damit zwar auf seine Weise ebenfalls Auslese bedeuten, diese wäre allerdings ausschließlich durch die körperliche Überlegenheit des Einzelnen und durch seinen Trainingswillen bestimmt.244 Die Olympischen Spiele stellten auch deshalb eine geeignete Plattform für soziale Veränderungen dar, weil die organisierte Sportbewegung und damit ebenso die olympischen Wettkämpfe vor dem Ersten Weltkrieg noch überwiegend eine Angelegenheit der Ober- und Mittelschicht waren (Prokop, 1971, S. 44). Erst als Coubertin nach Kriegsende versuchte, sein Projekt eines »Sports für alle« auf die olympische Bewegung zu übertragen (Clastres, 2005, S. 275 – 296), bahnte sich eine Neuordnung an. Diese ging mit Coubertins Erkenntnis, dass er die Massen für die Umsetzung seiner Ziele brauchte, einher. Während der Spiele in Antwerpen 1920 forderte er die Sportverbände und -vereine daher auf, »freie oder fast freie Kurse in allen Sportarten für die proletarische Jugend« anzubieten.245 Da die Arbeiter die Spiele jedoch nach wie vor eng mit der Idee eines aristokratischen Coubertin verknüpften, entwickelte sich die olympische Bewegung eher zu einem Gegenpol für die Arbeiterschaft, so wie es umgekehrt auch die Arbeitersportbewegung für den bürgerlichen Staat verkörperte (Guttmann, 2004, S. 282 – 284). Des Weiteren stand der Arbeitersport mit der maskulin dominierten olympischen Welt auch deshalb in Konflikt, weil er im Gegensatz zum IOC für eine sozial inklusive Haltung stand, die nicht nur Arbeiter, sondern auch Frauen und Farbige, umfasste (Krüger & Riordan, 1996, S. vii). Olympiateilnehmer stammten folglich nur selten aus der Arbeiterschicht, so dass eine Attraktivitätssteigerung olympischer Wettkämpfe auch unter diesem Aspekt eine Herausforderung darstellte. Wenn die Olympischen Spiele allen gleiche 243 Coubertin (1919a). Lettre Messieurs les membres du Comit¦ International Olympique. Übersetzung: »Es gilt die Massen zu erreichen. Wahrhaftig, auf Grund welcher Vollmacht sollten die Massen vom Olympismus ausgeschlossen sein? Auf Grund welcher aristokratischen Privilegien sollte es denn bei einem jungen Menschen einen Zusammenhang zwischen körperlicher Schönheit, Muskelkraft, Ausdauer, Training, Siegeswillen einerseits, und seiner Ahnentafel oder dem Inhalt seines Geldbeutels andererseits geben?« 244 Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 218 f. 245 Coubertin (1920b). Le sport est roi.
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Startchancen und damit demokratische Voraussetzungen böten, so die Grundidee, dann würde dies auch erlauben, Bande zwischen den unterschiedlichen Sozialschichten zu spannen: »L’Olympisme est un destructeur de murs de s¦paration. Il appelle air et la lumiÀre pour tous.«246
2.2.2.2 Die Praktikabilität von Coubertins Idee Selbst wenn Coubertin in der Analyse des »Status Quo« noch realistisch blieb, indem er Klassenunterschiede allgemein als natürlich und unvermeidbar anerkannte (Boulongne, 1975, S. 317), klafften coubertinsche Ideologie247 und gesellschaftliche Wirklichkeit im Hinblick auf die daraus folgenden Handlungsanweisungen auseinander. Da soziale Differenzierung und Elitebildung (innerhalb und außerhalb des Sports) gesellschaftliche Realitäten waren, erschien die von ihm angestrebte Auflösung dieser Barrieren unmöglich. Immerhin räumte Coubertin ein, dass einige seiner Ideen aufgrund fehlender Richtlinien noch nicht zur Popularisierung geeignet seien: Bei dem von ihm propagierten »Fechten zu Pferde« (vgl. Kap. 2.1.3, 2.2.1) beispielsweise nähme das Pferd noch einen zu großen Teil im Vergleich mit dem Waffengebrauch ein, was den Einstieg für niedrige Sozialklassen erschweren würde.248 Im Hinblick auf seine Forderung »Alle Sportarten für alle« war sich Coubertin durchaus bewusst, dass diese – so wie auch andere seiner Ziele – der Gefahr unterlagen, als Utopie deklariert zu werden: »Tous les sports pour tous; voil sans doute une formule qu’on va taxer de follement utopique.«249 Doch Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung sowie Zweifel an der Realisierbarkeit seines Projekts hielten Coubertin selten von seinen Plänen ab: »Je n’en ai cure [a propos des all¦gations de l’utopie]. Je l’ai [mon id¦e] longuement pes¦e et scrut¦e; je la sais exacte et possible. Les ann¦es et les forces qui me restent seront, employ¦es la faire triompher.«250 246 Coubertin (1918d). Lettre olympique III [Olympism]. Übersetzung: »Olympismus ist ein Zerstörer trennender Wände. Er ruft nach Luft und Licht für alle.« 247 Ideologie wird hier in dem Sinne verstanden, dass »ein Gedanke zu einem Prinzip überhöht wird mit dem Anspruch, die ganze Lebensgestaltung eines Menschen oder einer Gesellschaft leitend zu umfassen.« Definition von Prof. Dr. Hans Buchheim, gegeben in einem persönlichen Gespräch am 28. Januar 2011. 248 Coubertin (1922a). P¦dagogie sportive. Übersetzt in Mallwitz, 1928, S. 92 ff. 249 Coubertin (1919b). Lettre olympique XI [The social mission of sport], S. 1. Übersetzung (nach Carl-Diem-Institut, 1966, S. 71): »Alle Sportarten für alle; dies ist eine Formel, der man gewiß vorwerfen wird, sie sei verrückt oder utopisch.« 250 Ebd. Übersetzung: »Ich mache mir nichts daraus [aus den Vorwürfen der Utopie]. Ich habe sie [meine Idee] lange abgewogen und untersucht; ich weiß, dass sie richtig und möglich ist. Die Jahre und Kräfte, die mir bleiben, werden darauf verwendet werden, sie triumphieren zu lassen.«
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Abgesehen von dem starken Glauben an die Verwirklichung seiner Ideen antizipierte Coubertin im Hinblick auf die soziale Demokratisierung im Sport allerdings eine Schwierigkeit: Die Barrieren zwischen höchster und niedrigster sozialer Schicht empfand er als zu groß, um die unterschiedlichen Mitglieder im selben olympischen Wettkämpferkreis zu vereinen. Dies war wohl auch der Grund dafür, dass die USFSA vornehmlich auf die elitären Jockey-Klubs und das kleine Bürgertum ausgerichtet war, ohne Anstrengungen zu unternehmen, die Arbeiterklasse zu integrieren. Doch selbst unter den innerhalb der USFSA vertretenen Parteien sei es schwierig gewesen, die »Verschmelzung von Klassen […] aufrechtzuerhalten«.251 Während Coubertin vor dem Ersten Weltkrieg vor allem an der Ertüchtigung der Elite interessiert war (Prokop, 1971, S. 33), widmete er sich erst in einer zweiten Phase der Arbeiterschaft. Die Integration der Bourgeoisie252 schien dabei als Zwischenschritt auf dem Weg zur sozialen Durchmischung von Eliteund Arbeitersport zu fungieren: »Jadis la pratique des sport ¦tait le passe-temps occasionnel de la jeunesse riche et oisive. J’ai travaill¦ trente ans en faire le plaisir habituel de la petite bourgeoisie. Il faut maintenant que ce plaisir-l p¦nÀtre l’existence de l’adolescence prol¦tarienne.«253
Die konkrete Anwendung seiner Theorie auf den Reitsport ließ Coubertins Konzept derweil leichter umsetzbar erscheinen. Seine gesellschaftskritische Grundeinstellung schlug auch hier durch, als er dafür einstand, eine neue soziale Schicht, deren Vorzüge sich nicht auf dem Bankkonto sondern in ihrer sportlichen Begabung niederschlügen, zum Reiten zu führen. Ob es sich hierbei um Bürgerliche oder Arbeiter handelte, ließ er offen. Zumindest der rein aristokratische Reitsport sollte damit der Vergangenheit angehören. Das Problem bestand aus Coubertins Sicht jedoch darin, dass bislang ausschließlich die Elite der Elite und keine anderen Bevölkerungskreise in die höhere Kunst des Reitens eingeführt würden: »Une aristocratie ¦questre mani¦r¦e a r¦ussi ¦riger des barriÀres entre ceux dont les moyens leur permettent de poss¦der leurs chevaux et ceux qui ne peuvent aspirer ce 251 Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 20. 252 Die Bourgeoisie selbst stellte wie auch die Elite und die Arbeiterschaft keine streng geschlossene Sozialklasse dar, sondern war selbst weiter unterteilt: Ein oberer Teil war der Elite näher, ein unterer der Arbeiterschaft. Vgl. Holt, 1981; Magraw, 1986; Foreman-Peck, Boccaletti & Nicholas, 1998. 253 Coubertin (1919b). Lettre olympique XI [The social mission of sport], S. 1. Übersetzung (nach Carl-Diem-Institut, 1966, S. 71): »Einst war die sportliche Betätigung der gelegentliche Zeitvertreib der reichen und untätigen Jugend. Dreißig Jahre lang habe ich mich bemüht, sie zu einem gewohnten Vergnügen für das Kleinbürgertum werden zu lassen. Nun muß das Leben der proletarischen Jugend von der Freude am Sport durchdrungen werden.«
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privilÀge. Une id¦e bizarre! Doit-on poss¦der son propre bateau pour ramer et doit-on acheter une bicyclette avant d’apprendre p¦daler?«254
Für diese Forderung musste Coubertin nicht lange nach Unterstützung im Bekanntenkreis suchen. So hielt es beispielsweise sein Freund Jules Simon ebenso für unhaltbar, einen jungen Mann ohne Reiterfahrung aufwachsen zu lassen.255 Die Tatsache, dass das Reiten jedoch nach wie vor einem großen Teil der Jugend fremd war, hielt Coubertin auch deshalb für ungewöhnlich, weil die Êquitation populaire (das Volksreiten) doch eine im Sinne der Gymnastique utilitaire nützliche Sportart darstellte (vgl. Kap. 2.1.3).256 Nicht nur deshalb, sondern auch weil der Reitsport seiner Meinung die wohl intensivste und vollkommenste Freude beim Sport vermittelte, schätzte ihn Coubertin und wollte das Erlernen der dafür notwendigen Fertigkeiten offensichtlich keiner Sozialschicht vorenthalten.257 Der Kontakt mit dem Pferd und nicht jener mit der Waffe ermögliche, sportlichen Instinkt auszubilden: »L’homme arm¦ n’¦tait point n¦cessairement sportif; l’homme cheval devait le devenir, ft-ce malgr¦ lui.«258 Grundvoraussetzung für die Umsetzung seiner Idee war allerdings eine Reform des Reitunterrichts. Die traditionell von den Reitlehrern angepriesene »Stunde an der Longe« schien für diesen Zweck ungeeignet, weil ihre Anwendung »einen Sport der breiten Masse noch unzugänglicher machen [würde], bei dem es sich doch gerade darum handelt, ihn volkstümlich zu gestalten«.259 Gemäß Coubertin musste das Reiten dagegen an die Voraussetzungen und Bedürfnisse der Masse angepasst werden und folglich entsprechend simpler erlernbar und durchführbar sein (Clastres, 2005, S. 275 – 296). In zahlreichen Schriften pries er daher das Volksreiten an und erklärte die damit verbundenen methodischen Konsequenzen: Die Pferde sollten beispielsweise frei durch den Wald statt in der Manege geritten werden, die Reiter nicht nur auf ein eigenes, sondern auf unterschiedliche Pferde eingestellt sein und insgesamt nie weniger als zwei, bestenfalls vier Stunden trainieren. Mit Blick auf seinen Vorschlag, den
254 Coubertin (1919c). Lettre Olympique XVI [Equestrian sports]. Übersetzung: »Eine ReitAristokratie mit hartnäckigen Sitten hat Erfolg im Errichten von Barrieren zwischen denjenigen, deren Mittel ihnen erlauben, ein Pferd besitzen, und denen, die dieses Privileg nicht genießen, gezeigt. Eine bizarre Idee! Sollten nur diese, die ihr eigenes Boot besitzen, Rudern lernen und muss man ein Rad kaufen, bevor man es fahren lernt?« 255 Ebd. 256 [Coubertin] (1912k). L’¦quitation populaire: but, conditions, moyens, S. 170. 257 Coubertin, 1916, S. 25. 258 Coubertin (1918a). Ce que nous pouvons maintenant demander au Sport. Übersetzung (nach Carl-Diem-Institut, 1966, S. 52): »Der bewaffnete Mann war nicht notwendigerweise sportlich; der Mensch zu Pferde musste es werden, auch wenn er gar nicht wollte.« 259 »V. Die ›Tierische‹ Fortbewegung: Reiten«. Coubertin (1905). Deutsche Übersetzung von 1906, S. 29.
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Pferdesport zu verbreiten, erarbeite er zudem einen konkreten Entwurf, der als Basis für die Perfektionierung von Reitnovizen dienen sollte.260 Seine Idee, den Reitsport zu popularisieren, wurde allerdings nicht mit offenen Armen aufgenommen. Die Elite fürchtete um ihr Privileg und brachte daher an, dass das Volksreiten nicht koexistieren könnte, ohne gleichzeitig dem elitären Herrenreiten zu schaden.261 Andere kritisierten das Volksreiten, weil es die Männer niedriger Gesellschaftsschichten angeblich auf die falsche Bahn lenken würde.262 Diese Vorurteile sprach Coubertin in seinen Artikeln offen an und versuchte sie zu widerlegen, zum Beispiel anhand positiver Beispiele aus England und Kalifornien.263 Dennoch musste er nach jahrzehntelangem Bemühen resigniert eingestehen, dass er die öffentliche Unterstützung, die zur Umsetzung des volkstümlichen Reitens notwendig gewesen wäre, nie erhalten hatte. Von den Anhängern des aristokratischen Reitens wurde er dagegen wiederholt auf einen späteren Zeitraum vertröstet, bis sein Anliegen schließlich vollends einschlief. Dementsprechend ernüchternd fiel sein in den Memoires Olympique niedergeschriebenes Fazit aus: »Pendant plus de vingt-cinq ans, je n’ai cess¦ de la ramener sur le tapis par des articles ou par des initiatives de formules vari¦es, mais tendant toutes au mÞme but : savoir la diffusion du sport ¦questre parmi les ›non-mont¦s‹, c’est--dire ceux qui n’ont pas les moyens de poss¦der un cheval eux. J’ai obtenu des approbations incessantes, depuis le rough rider Th¦odore Roosevelt, jusqu’au cavalier raffin¦ qu’¦tait le comte Maurice de Coss¦-Brissac, mais quand il s’est agi de r¦alisations, des mauvais vouloirs inconscients se sont dress¦s comme s’il fallait abandonner un privilÀge de caste, renoncer une f¦odalit¦ pr¦cieuse […].«264
260 [Coubertin] (1906b). L’¦quitation populaire, S. 20ff; [Coubertin] (1912k). L’¦quitation populaire: but, conditions, moyens, S. 170 – 173; [Coubertin] (1912 l). L’¦quitation populaire: but, conditions, moyens, S. 181 – 184; [Coubertin] (1913b). L’¦quitation populaire: but, conditions, moyens, S. 8 – 11. 261 Coubertin (1919c). Lettre Olympique XVI [Equestrian sports], S. 1. 262 [Coubertin] (1906b). L’¦quitation populaire, S. 20 ff. 263 Coubertin (1919c). Lettre Olympique XVI [Equestrian sports], S. 1. 264 Coubertin (1931a) [1996]. M¦moires olympiques, S. 169. Übersetzung nach Carl-DiemInstitut, 1996, S. 169 f): »Fünfundzwanzig Jahre lang habe ich nicht aufgehört, sie immer wieder durch Artikel oder verschieden ausgeführte, aber immer auf dasselbe Ziel gerichtete Initiativen aufs Tapet zu bringen: den Reitsport auch denen zugänglich zu machen, die nicht die Mittel besaßen, ein eigenes Pferd zu haben. Ich habe mit meinen Ausführungen immer Beifall gefunden, angefangen vom rough rider Theodore Roosevelt, bis zu dem feinen Reiter Graf Maurice de Coss¦-Brissac, aber wenn es sich um ein Umsetzen in die Tat handelte, stieß ich auf schlechten Willen, der sich fast unbewußt aufrichtete, als wenn es hieß, ein Kastenprivilegium aufzugeben, oder auf althergebrachte Rechte zu verzichten […].«
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Auf der einen Seite fasste Coubertin das Volksreiten als ideales Beispiel moderner Demokratie auf,265 auf der anderen Seite vermochte die von ihm propagierte Differenzierung in Volks- und Herrenreiten die Kerben zwischen den Gesellschaftsschichten noch zu vertiefen. Schon die Zusammensetzung des IOC und der verschiedenen nationalen olympischen Komitees aus den oberen Rängen der Gesellschaft legt die Vermutung nahe, dass Coubertin vornehmlich deren Interessen vertrat. Die IOCMitglieder hatte er schließlich selbst ausgewählt und dabei offensichtlich Einfluss und finanzielle Mittel als primäre Kriterien berücksichtigt (Guttmann, 2002, S. 15). Auch mit den Inhalten der Gymnastique utilitaire, zu denen u. a. Fechten, Reiten, Rudern, Segeln und Autofahren gehörten, waren die unteren sozialen Schichten praktisch genauso wenig zu erreichen wie mit dem Angebot der Soci¦t¦ de sports populaires. War die Demokratisierung der Sozialschichten in Wahrheit etwa nur zweitrangig für Coubertin? Welche Gründe mögen ihn dazu bewogen haben, nur vordergründig Interesse an einer Sportpartizipation aller zu äußern? Erste Zweifel daran, ob Coubertin tatsächlich eine soziale Durchmischung anstrebte, kommen durch scheinbare Widersprüchlichkeiten beim Vergleich seiner Aussagen auf. So erstaunt es auf den ersten Blick, dass er 1922 entgegen früherer Zielformulierungen schrieb, dass es ihm gar nicht so wichtig sei, dass unterschiedliche Sozialschichten letztlich auch tatsächlich zusammen trainierten: »Wenn die bürgerliche und die proletarische Jugend ihren Durst löschen aus derselben Quelle der Muskelfreude, – das ist das Wesentliche. Ob sie sich dabei treffen, ist augenblicklich Nebensache. Aus dieser Quelle wird für den einen sowohl wie für den anderen die gute soziale Laune fließen, – der einzige seelische Zustand, der für die Zukunft die Hoffnung auf eine wirksame Zusammenarbeit möglich macht.«266
Während der französische Sporthistoriker Yves-Pierre Boulongne (1975, S. 186 – 195) Coubertins angestrebte Union des classes noch als ein Verfechten demokratischen Gedankenguts sowie als marxistisch angehauchten Versuch, das Proletariat zu stärken, deutete, gehen zahlreiche andere Wissenschaftler mittlerweile davon aus, dass Coubertins Bemühungen um die Volksbildung und den Volkssport nicht auf idealistischen oder humanitären Beweggründen basierten. So hält es die Gesellschaftswissenschaftlerin Ulrike Prokop für offensichtlich, dass Coubertin die Kraft der Arbeiterklasse erkannt hatte, »jedoch nur um sie in seinem Erziehungsmodell auf differenzierte Weise zu unterdrücken« (Prokop, 1971, S. 123). Auch der US-amerikanische Sporthistoriker Allen Guttmann 265 [Coubertin] (1906b). L’¦quitation populaire, S. 20 ff. 266 Coubertin (1922a). P¦dagogie sportive. Übersetzt in Mallwitz, 1928, S. 86.
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(2002, S. 3) und sein französischer Kollege Patrick Clastres (2003, S. 125 – 153) sind davon überzeugt, dass Karl Marx definitiv nicht zu Coubertins Mentoren zählte. Zweifel an der Echtheit der von Coubertin vorgegebenen Beweggründe gaben Raum für Spekulationen über die wahren Intentionen, die hinter seinem Engagement für die Einbeziehung der Arbeiterklasse gesteckt haben könnten. Gemäß dem deutschen Sportsoziologen Thomas Alkemeyer (1994, S. 117) verfolgte Coubertin seine sozialen Demokratisierungsziele lediglich aus der »Angst des Angehörigen der führenden Klasse heraus«, die breite Masse überflute die Elite. Der deutsche Sporthistoriker Otto Schantz pflichtet dieser Interpretation bei, indem er betont: »Coubertins Einstellung ist und bleibt letztlich die eines konservativen Vertreters der Führungselite, dem es darum geht, die Kontrolle über die unausweichliche Demokratisierung der politischen und sportpolitischen Macht zu wahren, damit die bisherigen zivilisatorischen Errungenschaften und Gesellschaftsstrukturen nicht in unerwünschte Bahnen geleitet werden.« (Schantz, 2008, S. 13)
Schenkt man diesen Interpretationen Glauben, so würde Coubertin der von Le Play vorgegebenen paternalistischen Traditionslinie treu bleiben, die besagte, dass sich die Arbeiter in einer sozial und politisch untergeordneten Position befänden und die Fabrikeigentümer die Verantwortung für sie trügen (Krüger (A.), 2005, S. 105). Hinter Coubertins Aufruf zur Gründung von Arbeiteruniversitäten von 1893 hätte folglich nicht der Wunsch gestanden, Arbeitern Bildung zu ermöglichen, sondern vielmehr, soziale Unruhen und eine Gefahr für die bestehende Ordnung zu vermeiden. Um sich die Urheberschaft der Idee von Arbeiteruniversitäten in Frankreich zu sichern, schreckte Coubertin im Übrigen auch nicht vor einer Urkundenfälschung zurück (Schantz, 2008, S. 4). So kommt Clastres (2003, S. 13) zu dem Schluss, dass Coubertin den Zeitpunkt seines Appells zur Einführung einer universitären Bildung für Arbeiter im Nachhinein drei Jahre vordatiert haben muss.267 Dieses Verhalten zeigt ein weiteres Mal auf, wie wichtig es Coubertin war, sich als Pionier und Sozialreformer zu präsentieren. Wenn es die Situation erforderte, war er offensichtlich auch dazu bereit, die Ideen anderer als seine eigenen auszugeben (vgl. Kap. 2.1). 267 Eine erste handschriftliche Version seines Appells entlarvte ihn. Diese enthielt nämlich einen Hinweis auf die 1892 bei Colin in Paris erschienene Broschüre Le rúle social des universit¦s von Max Leclerc, musste damit zeitlich nach dieser Schrift verfasst worden sein. Das von Coubertin in der späteren Druckversion angegebene Publikationsjahr 1890 konnte folglich nicht korrekt sein (vgl. das Manuskript des Appells. Archiv von Boulongne. Zitiert in Cholley, 1996, S. 222ff).
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Und dennoch war Coubertins Forderung nach einem »Sport für alle« in ihrer gesellschaftlichen Außenwirkung eng mit einer Befürwortung des Republikanismus und mit einem Eintreten für Volkssouveränität verwurzelt (Clastres, 2003a, S. 125 – 153; Sullivan/Mechikoff, 2004, S. 40). Die Bevölkerung kaufte Coubertin nämlich ab, dass Sport erlaube, Demokratie einzuüben. So fühlten sich nicht nur Sportbegeisterte, sondern auch Vertreter einer demokratischen Grundeinstellung von seinem Konzept angezogen. Coubertin hielt es dabei für möglich, dass der Sport von der politischen Ordnung lernen könne, sofern der demokratische Gedanke in die Sportpraxis Einzug hielt: »In Wahrheit hängt der aristokratische Charakter des Sports allein von den Qualitäten des einzelnen ab; weder sein Adelstitel noch sein Reichtum werden jemand befähigen, einen Wettlauf zu gewinnen oder in einem Wettstreit der erste zu sein. Hieran sieht man, daß die Demokratie dem Sport Gutes bringt. Sie liefert ihm eine sehr breite Grundlage und unerschöpfliche Quellen, um Anhänger zu gewinnen.«268
Mit dieser Aussage hielt Coubertin nicht nur ein Plädoyer für die Demokratie, sondern verriet gleichzeitig einen weiteren Beweggrund, der hinter seiner Unterstützung des Arbeitersports steckte, nämlich »Anhänger zu gewinnen«. Auch dreißig Jahre später stritt er nicht ab, dass die Einbeziehung der niedrigen Sozialklassen nicht uneigennützig war, sondern ihm als Instrument zur Stärkung der noch jungen olympischen Idee diente: »Quoi qu’il en soit, cette diffusion du sport parmi les travailleurs manuels est pour 1’Olympisme un gage ind¦niable de survie, quelle que doive Þtre l’issue du duel engag¦ pour la possession du pouvoir dans tout l’univers entre deux formules sociales totalement oppos¦es. Elle implique aussi la reconnaissance de ce fait primordial passionn¦ment ni¦ jusqu’assez r¦cemment.«269
Auf politischer Ebene war der Demokratisierungsdruck derweil stärker geworden. Zwar blieb Frankreichs Dritte Republik (1871 – 1940) noch lange eine »Republik der Fürsten« (Hal¦vy, 1937. Zitiert in Schantz, 2008, S. 2), doch wurde diese zunehmend von der Bourgeoisie, die den Adel als gesellschaftliche Elite ablöste, bestimmt (Charle, 1991). Auch die Handlungsspielräume der Arbeiter hatten sich spätestens mit Beginn der 1930er deutlich vergrößert (Eisenberg, 1999, S. 44). So hatten die Arbeiterproteste in kürzeren Arbeitszeiten und besseren Verdienstmöglichkeiten resultiert und somit ein der Bürgerschicht ähnliches Freizeitverhalten entstehen lassen. Mit diesem Führungswechsel war ein 268 Coubertin (1901a). Notes sur l’¦ducation publique. Übersetzt in Hoyer, 1972, S. 129. 269 Coubertin 1931a [1996]. M¦moires olympiques, S. 213. Übersetzung (nach Carl-Diem-Institut, 1996, S. 212): »Wie dem auch sei, die Verbreitung des Sports unter Handarbeitern bedeutet für den olympischen Gedanken ein unleugbares Pfand für sein Überleben. Sie umschließt auch die Dankbarkeit für diese grundlegende, bis vor kurzem noch so leidenschaftlich umstrittene Tatsache.«
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Aufweichen der Zugangsvoraussetzungen der aristokratischen Klubs verbunden. Dies wiederum ermöglichte bis zu einem gewissen Grad soziale Durchmischung und damit auch einen Transfer der ehemals klassentypischen Sportarten von einer zur anderen Sozialschicht. Beispielsweise war es Männern, die zuvor einem bürgerlichen Verein angehörten, nun möglich, ihre Erfahrungen mit spezifischen Disziplinen in den Sport der Oberschicht einzubringen und umgekehrt. Scheinbar unbeachtet dieser Entwicklungen hielt Coubertin am Bild der traditionellen Klassenschranken fest. Es bleibt offen, ob ihm die Annäherung der Sozialschichten noch nicht weit genug ging, oder ob er gerade diese Separierung brauchte, um die Massen für seine eigentliche Herzenssache, die Olympischen Spiele, zu begeistern. Seine Passivität im Hinblick auf die Einhaltung des olympischen Amateurstatus lässt jedenfalls Letzteres vermuten. Denn selbst wenn Mitglieder der unteren sozialen Schichten dem Sport und den Olympischen Spielen positiv gegenüberstanden, hielt sie doch eine der fundamentalen olympischen Prinzipien, die Amateurklausel, faktisch von einer Teilnahme ab. Schon während des ersten olympischen Kongresses im Juni 1894 zeigte sich, dass die Amateurfrage die Menschen bewegte.270 Coubertin kam folglich allein aus pragmatischen Gründen nicht umhin, seine Olympischen Spiele mit der Amateurfrage zu koppeln. Entsprechend stand seine Idee der Wiedereinführung der Olympischen Spiele im Programm chronologisch hinter mehreren Fragen zum Umgang mit Amateursport, die Coubertin rückblickend nur als »Vorwand« für die Einberufung des Kongresses angeführt hatte.271 Der Versuch, international einheitliche Amateurbestimmungen festzulegen, war dennoch ein Ansatz, der in den kommenden Jahren und Jahrzehnten wiederholt für Diskussionsstoff im neu gegründeten IOC sorgte.272 Die englischen Nobelmänner hatten es vorgemacht und erste Amateurregeln definiert, die dem IOC als Vorbild dienten. In den Statuten der »Henley Regatta« von 1878 war beispielsweise formuliert, was typischerweise Anwendung fand: »No person shall be considered an amateur oarsman or sculler […] who is or has
270 Commission des Jeux Olympiques (Hrsg.). (1894). ProcÀs-verbal. 1er Session Paris, S. 1 – 8. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne; Comit¦ International Olympique, 1894, S. 1 – 4. 271 Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 107. 272 Es wird an dieser Stelle darauf verzichtet, die zahlreichen Kontroversen im IOC, die sich mit der Festlegung der Amateurstatuten beschäftigten, historisch nachzuzeichnen. Diese können in zahlreichen thematisch einschlägigen Büchern und Artikeln nachgelesen werden, z. B. Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 107 – 112; [Coubertin] (1902a). La charte de l’amateurisme, S. 14ff; [Coubertin] (1909b). L’enquÞte sur l’amateurisme, S. 67 f.
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been by trade or employment for wages, a mechanic, artisan, or laborer.«273 Wer beispielsweise irgendeine Art handwerkliche Tätigkeit, ob mit der Arbeit oder dem Sport verbunden, ausübte, war also nicht teilnahmeberechtigt. In der Praxis bedeutete die Amateurregel damit schlechthin, dass nur Gentlemen in den Wettkämpfen antraten (Krüger (M.), 2009, S. 189) und ein Großteil anderer Bevölkerungsschichten ausgeschlossen war. Die im 20. Jahrhundert zunehmenden Bestrebungen nach Volkssouveränität zwangen zu einer Überarbeitung des ursprünglichen Entwurfs, änderten jedoch nichts an seinem undemokratischen Ansatz: »Amateursportler war [von nun an] jeder, der nie in Wettkämpfen gestartet war, die allen offenstanden; der nie für einen Geldpreis oder Eintrittsgelder gestritten hatte; der nie besoldeter Lehrer oder Ratgeber für Leibesübungen gewesen war ; der keine gewonnenen Preise für Geld verkaufte; der nicht Professional in irgendeinem anderen Sport war ; der nicht mit Berufssportlern gekämpft hatte.« (Lenk, 1964, S. 198)
Unlogisch erschien dieses neue Konzept dabei von Beginn an. Denn die Forderungen erwiesen sich in der Praxis als unbrauchbar, zumindest für jene, die nicht genügend »Macht und Privilegien« hatten, »ihre eigene Wirklichkeit zu definieren« (Guttmann, 2002, S. 12 f). So waren streng genommen nur Schuljungen wahre Amateure, weil nur sie ausschließlich aus Spaß spielten (Weber, 1970, S. 16 f). Die fehlende Praktikabilität der Regel zeigte sich auch daran, dass Herrenreiter und Segelsportler von der Amateurregel ausgenommen waren und paradoxerweise Preisgelder annehmen durften (Guttmann 2004, S. 262). Ausnahmen stellten außer den Reitturnieren und Segelregatten auch die Schießwettkämpfe dar ; ebenso galten Militärangehörige nicht als professionelle Sporttreibende, wie es umgekehrt jedoch für Sportlehrer und Trainer galt.274 Dass die Elite ihre Privilegien ernstnahm, zeigte sich auch daran, dass bereits 1896 und 1900 im olympischen Fechten nicht nur Amateure, sondern auch professionelle Fechtmeister antraten. Vor diesem Hintergrund ist es schwierig nachzuvollziehen, warum Coubertin gerade den Fechter als nachahmenswertes Paradebeispiel eines Amateursportlers hervorhob.275 Im Hinblick auf diese scheinbaren Widersinnigkeiten stellt sich zudem unwillkürlich die Frage, warum es, wenn amateurhaftes bzw. uneigennütziges Verhalten ohnehin Ansichtssache war, überhaupt fixe Amateurbestimmungen brauchte. Die offizielle Begründung der Notwendigkeit von Amateurregeln lag 273 Statuten der Henley Regatta von 1878. Zitiert in Guttmann, 2002, S. 12. 274 Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 21. 275 So erläuterte Coubertin in der Revue de Paris vom 15. Juni 1894, was er im Fechten ideal umgesetzt fand, nämlich, dass der »Sport nur dann gute moralische Effekte hervorrufen oder gar nur überleben kann, wenn er auf Uneigennützigkeit, Loyalität und ritterlicher Haltung beruht.« (Coubertin (1894a). Le r¦tablissement des Jeux Olympiques, S. 170 – 184. Vgl. auch Lenk, 1963, S. 197 f).
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aus aristokratischer Sicht zunächst darin, die Gefahr einzudämmen, dass Athleten aus bloßer Gewinnsucht und wegen materieller Werte Sport betrieben. Des Weiteren warfen die Anhänger des Amateurideals den professionellen Sportsmännern vor, dass es ihnen an gutem Sportsmannsgeist fehle. Letztere positive Tugenden könnten sich nämlich nur entwickeln, wenn Sport Nebenbeschäftigung und nicht Berufung wäre, und wenn der Athlet ausschließlich von der »Liebe«276 zum Sport geleitet würde. Eine Analyse der Amateurfrage erfordert demnach die Berücksichtigung von zwei Seiten derselben Medaille: Die Aristokratie präsentierte das Amateurstatut in der Öffentlichkeit als Möglichkeit zur Herstellung gleicher Chancen bzw. als Grundlage des Fair Play ; die niedrigen Sozialklassen nahmen es als Ausgrenzungsmaßnahme wahr, weil sie die erforderlichen Bedingungen nicht erfüllen konnten. Die Erfahrungen aus der sportlichen Praxis hatten allerdings auch gezeigt, dass die amateurhaft Sport treibenden Gentlemen den bezahlten Profis im Wettkampf (z. B. im Boxen oder Laufen) deutlich unterlegen waren. Die Amateurbestimmungen erlaubten ihnen dagegen, nur unter sich zu bleiben und damit unter einer künstlich hergestellten Chancengleichheit zu kämpfen. Die deutsche Historikerin Hilde Barisch (1977, S. 304) hält es in diesem Zusammenhang für bedeutsam, ins Gedächtnis zu rufen, dass die Amateurregeln ursprünglich »nicht-ethischen Gesichtspunkten entsprungen sind, sondern auch pragmatischen Gesichtspunkten entsprechen«. Guttmann (1987, S. 9 – 19) sieht es als erwiesen an, dass das Ideal des Amateurismus »in England muskelarmen Aristokraten dazu dienen [sollte], sich bei sportlichen Wettkämpfen von den Handwerkern abzugrenzen, vor deren Muskelkraft sie sich fürchteten«. Auch Clastres (2003a, S. 125 – 153) deckt auf, dass die kontrollierte Sportentwicklung in Arbeiterkreisen lediglich darauf abzielte, die Massen zu beruhigen. Um weiterhin sozial exklusiv Sport treiben zu können, verschärften die Aristokraten – von Coubertin gebilligt – zunehmend die bestehenden Amateurbestimmungen, indem sie vorgaben, dass der sportlich-religiöse Gedanke des Olympismus, die »religio athletae«,277 gar eine vollkommene materielle Unbeflecktheit der Athleten voraussetzen würde (Barisch, 1977, S. 305). Die Olympischen Spiele entwickelten sich somit zu einem Fest der viktorianischen Mittel- und Oberklasse. Ihr Anführer, IOC-Präsident Coubertin, hielt die Amateurregel selbst für nur marginal: »Personnellement, cela m’¦tait ¦gal. J’en risque aujourd’hui l’aveu; je ne me suis jamais passionn¦ pour cette questionl.«278 Diese These wird durch weitere Werturteile Coubertins unterstützt. So 276 Das Wort Amateur ist auf das Lateinische »amor« (Liebe) zurückzuführen. 277 Vgl. Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 115. 278 Coubertin 1931a [1996]. M¦moires olympiques, S. 102. Übersetzung (nach Carl-Diem-In-
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hielt er den Amateurbegriff beispielsweise für überholt: »Il [le terme amateurisme] faut se reporter pour le comprendre aux moeurs sportives anglaises d’il y a cinquante ans [autour de 1880].«279 Mit dieser Aussage harmoniert zudem, dass er den Amateursport als »wunderbare Mumie«, die von den IOCMitgliedern immer wieder ausgegraben würde, bezeichnete.280 Die Amateurfrage war dennoch ein kontinuierlicher Bestandteil der IOCArbeit, wenngleich Coubertin in den Sitzungen nicht klar Stellung dazu bezog. Zum Einen setzte er sich für die Auflösung der starren Barrieren ein und betonte, dass »es viele falsche Amateure gibt, die man verfolgen muß, und viele falsche Berufssportler, mit denen man Nachsicht üben soll«;281 zum Anderen tat er nichts dazu, das System abzuschaffen, so als ob er nicht erkennen würde oder wollte, dass damit gleichzeitig der Ausschluss niedriger sozialer Klassen verbunden war (Guttmann, 2002, S. 3 f). Diese ambivalente Haltung brachte ihm häufig Kritik ein (Wirkus, 1990, S. 128). Zudem kam er in der Praxis nicht umhin, sich in gewissem Maße mit den Amateurbestimmungen zu beschäftigen, weil die ihn umgebenden Funktionäre, deren Unterstützung er für die Durchsetzung seines olympischen Traums benötigte, in der Angelegenheit nicht nachließen und den Amateurstatus des Athleten immer wieder neu definiert sehen wollten (Guttmann, 2002, S. 13). Coubertin selbst war jedoch nach wie vor nicht der »Apostel eines starren, begrenzten und dogmatischen ›Amateurismus‹« (Durry, 1997, S. 5), für den er häufig fälschlicherweise gehalten wurde. Doch die Vermutung, dass es sich bei Coubertin um einen Verfechter des Amateursports handelte, war auch nicht völlig an den Haaren herbeigezogen. Schon als er »1894 vorschlug, die Olympischen Spiele wiederzuerwecken, spielte die Idee mit, dass sie immer ausschließlich für Amateure reserviert bleiben würden«.282 Aussagen Coubertins, die seine Überzeugung belegen, »dass der Amateurismus eine der ersten Bedingungen für den Fortschritt und Erfolg des Sports« sei und dass er deshalb »persönlich niemals aufgehört [habe,] für ihn zu arbeiten«, unterstreichen diese Annahme.283 Ein weiteres Zeichen seiner (erzwungenen) Verbundenheit ist außerdem die Tatsache, dass ihn die scheinbar unausweichliche Amateurfrage bis zum Ende seiner Amtszeit verfolgte, wie beispielsweise der Inhalt seiner Abschiedsrede in
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stitut, 1996, S. 107): »Persönlich war es mir egal. Heute wage ich das Geständnis: ich habe mich niemals für diese Frage begeistert.« Ebd., S. 104. Übersetzung (nach Carl-Diem-Institut, 1996, S. 109): »Um es [den Amateurbegriff] zu verstehen, muß man auf die sportlichen Gebräuche in England von vor fünfzig Jahren [etwa 1880] zurückgreifen.« Ebd., S. 20. Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 107 – 112. [Coubertin], 1900, S. 802 – 811. Ebd.
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Prag bezeugte: »Foire ou temple: les sportifs devront choisir ; ils ne peuvent pr¦tendre la fois fr¦quenter l’un et l’autre […] qu’ils choisissent!«284 Dieser Aufruf spiegelte die anhaltende Zweiteilung innerhalb der Gemeinschaft der Sporttreibenden wider, trug jedoch erneut die Handschrift eines Aristokraten, der sich eigentlich nicht in die Lage eines Arbeiters versetzen konnte (oder wollte). Denn während der »Markt« prinzipiell allen Schichten offenstand, galt dies für den »Tempel« nicht, d. h. die von Coubertin in Aussicht gestellte Wahlmöglichkeit zwischen Amateur- oder Profisport stellte sich – sofern die finanziellen Mittel fehlten – erst gar nicht. Wenn Coubertin sich also entgegen seiner prinzipiellen Gleichgültigkeit dennoch zum Amateurwesen äußerte, so geschah dies offensichtlich nur aus taktischen Gründen. Der dänische Sporthistoriker Per Jørgensen (1998, S. 77) sieht Coubertins Verhalten in der Amateurfrage entsprechend als Spiegelbild seines Pragmatismus an, den er immer wieder dann anbrachte, wenn es erforderlich war. Durch seine zweischneidige Vorgehensweise gewann Coubertin letztlich Anhänger in unterschiedlichen Gesellschaftsschichten: Auf der einen Seite gelang es ihm, durch eine Verteidigung des Amateurismus dem Wunsch der Gentlemansportler nach sozialer Exklusivität nachzukommen; auf der anderen Seite standen Bourgeoisie und Arbeiterschaft ebenso hinter ihm und vertrauten darauf, dass er sich bedingungslos für ihre Belange einsetzte. Zusammenfassend diente sein soziales Engagement trotz Schwerpunktverschiebungen zwischen dem Anfang und Ende seiner Schaffensphase letztlich dazu, gesellschaftlichen Frieden herzustellen und sich dabei weder mit der eigenen noch mit anderen Sozialschichten zu verfeinden. Einige der hier und zuvor (vgl. Kap. 2.2.1) genannten Aspekte erwecken also nur auf den ersten Blick den Anschein einer Widersprüchlichkeit. Und selbst wenn einige Aspekte seines Olympismus nur schwierig miteinander vereinbar scheinen, so kann es Coubertin ohnehin nicht zum Vorwurf gemacht werden, eine Synthese seiner Ideale nicht erreicht zu haben. Denn im Gegensatz zu denjenigen, die anschließend versuchten, seine Philosophie zu interpretieren, hatte er selbst diese innere Harmonie nie angestrebt (Wirkus, 1987, S. 182).
284 Coubertin, 1925. Übersetzung (nach Carl-Diem-Institut, 1966, S. 115): »Markt oder Tempel! Die Sportsleute haben zu wählen. Sie können nicht beides wollen, sie müssen sich für eines entscheiden. Sportsleute wählet!«
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Zwischenfazit I: Die Verträglichkeit von Coubertins idealem Athletenbild mit der Mehrkampfidee Coubertins Vorstellungen eines idealen Athleten waren vielschichtig und standen in Wechselwirkung mit der Entwicklung seines olympischen Gesamtkonzepts. Durch ihren synkretistischen Charakter muteten verschiedene Ideen auf den ersten Blick konträr und daher schwierig miteinander vereinbar an; doch mit Blick aufs Detail ließen sich diese scheinbaren Widersprüche auflösen. Alle untersuchten Aspekte seines Olympismus deuten darauf hin, dass Coubertin als Vater des Modernen Fünfkampfs nicht auszuschließen ist. Einige der Ergebnisse lassen die Schlussfolgerung zu, dass er der Idee eines modernen olympischen Mehrkampfs sogar wohlgesonnen war. Dem Hellenisten und historisch interessierten Coubertin waren sowohl das antike Pentathlon als auch die Heldenverehrung der antiken Mehrkämpfer bekannt. Was lag da näher als den glorreichen Pentathleten im Rahmen der modernen Olympischen Spiele wieder die verdiente Ehre zukommen zu lassen? Jedenfalls versuchte er mehrfach – sei es im Großen mit den Olympischen Spielen oder im Kleinen mit dem Gymnasium – antike Ideale auf die Neuzeit zu übertragen. Ob er den romantisierenden Traditionsbezug letzten Endes aus Überzeugung herstellte oder lediglich, um Anhänger für seine olympische Idee zu gewinnen, bleibt ungeklärt. Doch ändert dies nichts daran, dass die Wiedererweckung des antiken Pentathlon im neuzeitlichen Gewand sicherlich nach Coubertins Geschmack war. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass hinter der von ihm propagierten D¦brouillardise und der Zweckgymnastik ebenso die Hommage an eine vielseitige Ausbildung stand. Ob er selbst oder andere Zeitgenossen diese Ideen zuerst hatten, bleibt ein strittiges Thema. Die Wiedererweckung antiken Gedankenguts, das Propagieren einer nützlichen Gymnastik, seine internationalen sowie sozialen Friedensbemühungen, all diese Aspekte der coubertinschen Philosophie trafen den Geist der Zeit und offenbarten daher keine Alleinstellungsmerkmale. Coubertin schwamm dabei vielfach mit dem aristokratischen Strom und fällte Entscheidungen aus taktischen Gründen, um sich die Zustimmung einflussreicher Landsmänner zu sichern und umgekehrt Widerstand oder Unmut in diesen Kreisen einzudämmen. Im Hinblick auf einen neuzeitlichen Mehrkampf verschärft sich folglich der Verdacht, dass auch in diesem Fall echte Ideale hinter pragmatischen Fragen zurücktraten, und Coubertin damit eine bereits bestehende Idee aufgriff und als die seinige verkaufte. Während dieser Punkt konkret erst in späteren Kapiteln, die sich mit der praktischen Einführung des Modernen Fünfkampfs beschäftigen, weiterverfolgt werden kann (vgl. Kap. 4, 5), waren es doch in jedem Fall – ob vorgeschoben oder nicht – Ideale, die Coubertin mit seinen Innovationen ver-
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band. Die hier untersuchten Aspekte seines Olympismus nahmen einen so großen Anteil an seiner Erziehungsarbeit ein, dass es kaum vorstellbar ist, dass eine Sportart, die von ihm stammte, mit diesen nicht im Einklang stand. Andererseits waren seine olympischen Prinzipien typischerweise so allgemein formuliert, dass sie vielverträglich und damit leicht auf neue Konzepte übertragbar waren. Wie hätte ausgehend von Coubertins Idealen ein neuer olympischer Mehrkampf ausgesehen? Er wäre gleichzeitig aristokratisch und demokratisch, national und international nützlich, militärisch und friedenstiftend, von der Antike inspiriert und doch von der Neuzeit geformt gewesen. Was die konkrete Disziplinauswahl angeht, so lassen die genannten Einflüsse je nach Schwerpunktsetzung verschiedene Möglichkeiten zu. Steht das antike Vorbild im Vordergrund, hätte er einen modernen Mehrkampf aus eben denselben Sportarten, nämlich Weitsprung, Lauf, Speerwurf, Diskuswurf und Ringen, zusammengesetzt. Da Coubertin jedoch für eine Anpassung an die Gegebenheiten der Neuzeit plädierte, scheint es naheliegender, dass er zwar versuchte, den Geist und damit den Grundcharakter des antiken Pentathlon beizubehalten, die Disziplinen jedoch (teilweise) austauschte. Auch sein Konzept der D¦brouillardise und die darin favorisierten Sportarten weisen darauf hin, dass er das Mehrkampfideal zwar an die Antike anlehnte, die genaue Zusammensetzung allerdings an den spezifischen Bedürfnissen seiner Zeit orientierte. Der Mehrkampf diente dabei als Paradebeispiel seiner Bemühungen gegen die zunehmende Spezialisierung. Er sollte Variationen nicht nur im Hinblick auf die eingeschlossenen Disziplinen, sondern auch auf die damit zusammenhängenden Übungssituationen (z. B. Lauf im Gelände statt im Stadion) zeigen. In seiner Gymnastique utilitaire verfolgte Coubertin seine Vorstellungen von einer vielseitigen Ausbildung weiter. Als zweckorientierte Form der Gymnastik zielte sie darauf ab, für das Leben »nützliche« Fähigkeiten und Fertigkeiten zu schulen. In diesem Zusammenhang fand eine breite Palette von Sportarten aus den Bereichen Rettung, Verteidigung und Fortbewegung Erwähnung, aus denen Coubertin fünf Disziplinen ausgewählt haben könnte. Zu den »nützlichen« Bewegungen zählten vor allem das Marschieren, Springen, Klettern, Werfen, Verteidigen, Schwimmen, Reiten, Boxen, Fechten, Schießen, Rudern sowie das Radfahren. Außerdem ist davon auszugehen, dass sich Coubertin in der Disziplinauswahl auch von eigenen Interessen leiten ließ. Zu seinen Lieblingssportarten zählten u. a. Reiten, Fechten und Rudern. Allerdings kam er auch nicht umhin, die Vorlieben seiner Gönner und insbesondere jene der IOC-Mitglieder, die dem Entschluss der Einführung einer neuen olympischen Sportart schließlich zustimmen mussten, gerecht zu werden. Aristokratische Disziplinen hatten folglich Vorrang, wenngleich ein Mehrkampf in seiner Zusammensetzung die
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Möglichkeit bot, auch Sportarten mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Hintergründen zu vereinen. Die Zusammensetzung eines von Coubertin erdachten Mehrkampfs wäre also von verschiedenen Interessen und Ideen geprägt gewesen und durch diese teils vorbestimmt. Immerhin gab ihm die Anzahl der Disziplinen die Möglichkeit, unterschiedliche Aspekte gleichzeitig aufzugreifen und damit verschiedene Kanäle anzusprechen. Ganz widerspruchsfrei stehen sich die Mehrkampfidee und Coubertins Leitziele allerdings dennoch nicht gegenüber. So musste ein Mehrkämpfer praktisch ein Anhänger der Aristokratie sein, waren doch der Zeitaufwand und die finanziellen Voraussetzungen für das Training von mehr als einer Disziplin höher als vergleichsweise für die Athleten, die sich auf eine Sportart spezialisiert hatten. Inwiefern Coubertin unter Aufrechterhaltung der Amateurklausel vermochte, alle Klassen – frei nach seinem Motto »tous les sports pour tous« – zu einem Mehrkampf einzuladen, scheint ungewiss und hinterfragt umgekehrt die Existenz seiner sozialen Ader kritisch. Doch selbst in aristokratischen Kreisen stellte ein Mehrkampf in der Trainingspraxis eine echte Herausforderung für den Amateurstatus dar. Denn es war kaum vorstellbar, dass der Aufwand von Athleten bewältigt werden konnte, die den Sport nicht professionell betrieben. Coubertin selbst erklärte, dass ein Sport, sofern er die Voraussetzungen für eine Popularisierung erfüllte, eigentlich schnell erlernbar, nicht kostspielig, dauerhaft und motivierend sein musste.285 Inwiefern dies bei einem Mehrkampf allgemein gegeben war, scheint fraglich. Das Ausüben eines Mehrkampfs vermochte wohl Motivation zu wecken, doch erforderte es eine lange Vorbereitungszeit, ausreichend finanzielle Ressourcen und war zudem nur schwierig bis ins hohe Alter beizubehalten. Zumindest müssten sich die Amateurbestimmungen lockern, sofern weiten Bevölkerungsteilen eine Teilnahme ermöglicht werden sollte. Andernfalls bliebe die Sportart ausschließlich einem kleinen exklusiven Kreis begrenzt. Zu letzterem zählten insbesondere Militärangehörige, die paradoxerweise als Berufssportler im Gegensatz zu Sportlehrern und Trainern schon damals von der Amateurregel ausgenommen waren. Das Training der Athleten und insbesondere der Mehrkämpfer war dabei traditionell eng mit einer militärischen Vorbereitung verknüpft (vgl. Kap. 3). Die damit zusammenhängende Möglichkeit der militärischen Instrumentalisierung hatte Coubertin in seiner Disziplinauswahl ebenfalls beeinflusst, zumal es ihm erlaubte, den Anwenderkreis seiner neuen Sportart zügig auszuweiten. Der letztgenannte Aspekt deutet wiederum auf die typische Zweischneidigkeit von Coubertins Projektideen hin: So gab es sowohl eine ideologische als auch eine pragmatische Komponente. Was also theoretisch relevant und plau285 Coubertin (1909a). Une campagne de vingt-et-un ans. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1974, S. 145.
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sibel erschien, konnte in der Praxis schließlich verändert oder gar ins Gegenteil verkehrt werden. Außerdem war Coubertin ohnehin nicht an der theoretischen Übereinstimmung all seiner Gedanken interessiert, sondern setzte Schwerpunkte, die teils im Laufe seines Lebens Veränderungen durchliefen und so vorherige Ideen konterkarierten oder einen (vermeintlichen) Sinneswandel einläuteten. Die mögliche Instrumentalisierung eines Mehrkampfs für militärische Zwecke dürfte Coubertin, der sich selbst häufig mit der Frage einer sportlich-militärischen Ausbildung der männlichen Jugend beschäftigte, wenig gestört haben. Carl Diem, der Coubertin eindeutig als Schöpfer des Modernen Fünfkampf ansieht, führt die Genese der Sportart entsprechend auf den »militärischen Geist« des Barons zurück und auf sein Anliegen, im Modernen Fünfkampf, den »vollkommenen Soldaten der modernen Zeit« zu beleben (Diem, 1939, S. 8 f). Doch gerade dieser Punkt stützt eigentlich die These, dass die Sportart schon vorab, bevor sich Coubertin der Idee überhaupt im olympischen Kontext annahm, im militärischen Training gewachsen war. Daher darf man gespannt sein, ob es in der Geschichte des schwedischen Sports und Militärtrainings (vgl. Kap. 3) Anhaltspunkte für eine dort verwurzelte Ursprungslinie des Modernen Fünfkampfs gibt. Auch der rückwirkende Vergleich von neuzeitlicher Fünfkampfpraxis und Coubertins Idealen verspricht weitere Erkenntnisse (vgl. Kap. 4, 5), die schließlich erlauben sollen, Coubertins Vaterschaft endgültig zu verifizieren oder zu falsifizieren.
3 Svensk gymnastik, idrottsmärket, fem- och tiokampen: schwedische Mehrkampftraditionen
Sind Moderne Fünfkämpfer tatsächlich zum ersten Mal 1912 in Stockholm gegeneinander angetreten oder bestand schon vorab unabhängig von der olympischen Geschichte eine gewachsene neuzeitliche Fünfkampfpraxis? Im Vergleich zur Historie anderer olympischer Disziplinen erscheint es ungewöhnlich, dass eine Sportart quasi künstlich, speziell für die Olympischen Spiele, kreiert worden sein soll. Denn üblicherweise war das IOC erst dann bereit, Sportarten in seinen Katalog aufzunehmen, wenn sie sich bewährt und genügend verbreitet hatten. Es wäre daher untypisch, wenn die Organisation eines neuen olympischen Mehrkampfs direkt ohne vorherige Wettkampferfahrungen erfolgt wäre. Das IOC ließ sich im Hinblick auf das olympische Programm nämlich nur ungern auf ein Risiko ein. Sportarten, die bislang nicht oder nur wenig international verbreitet waren, räumte das Komitee daher seit 1912 die Möglichkeit ein, sich dem Publikum als Demonstrationswettbewerb im Rahmen der Olympischen Spiele vorzustellen.286 Offensichtlich hatte der Moderne Fünfkampf diese Probe nicht nötig und stieg 1912 direkt als olympische Sportart ein. Doch warum gelang dies gerade in Stockholm? Es wäre schon ein großer Zufall, wenn es keinen Zusammenhang zwischen der Sportnation Schweden und dem Ursprung des Modernen Fünfkampfs gäbe. Dass der olympische Moderne Fünfkampf erstmals in Schweden stattfand und dass die schwedischen Pentathleten sowohl quantitativ als auch qualitativ der Konkurrenz in den ersten Jahrzehnten deutlich überlegen waren (vgl. Kap. 5.2, 6), bestätigt diesen Verdacht. Da die olympische Geschichte des Modernen Fünfkampfs seine Beliebtheit in den schwedischen Reihen also eindrucksvoll bezeugt, stellt sich die Frage, inwiefern der Mehrkampf bereits vor seinem olympischen Debüt 1912 in Schweden national verankert war und folglich dort offener als in anderen Ländern aufgenommen wurde. Falls dies zuträfe, wären die schwedische Wettkampfdominanz und die Auswahl von 286 Vgl. beispielsweise den Militärpatrouillenlauf, der viermal, 1924, 1928, 1936 und 1948, als olympischer Demonstrationswettkampf stattfand.
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Stockholm als Ausrichterort des ersten olympischen Modernen Fünfkampfs in den Vorerfahrungen der Athleten und Organisatoren begründet. Trotz der offensichtlichen Bezüge ist die Möglichkeit eines vorolympischen schwedischen Fünfkampftrainings wissenschaftlich bislang unerforscht geblieben (vgl. Kap. 1.1). Aussagen, die diese Ursprungslinie dokumentieren, existieren zwar, benennen jedoch keine Quellen und bleiben so Spekulation.287 Das vorliegende Kapitel geht dieser These nach und untersucht die schwedischen Leibesübungen und Militärtrainingsformen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Der Schwerpunkt liegt zunächst auf der Schwedischen Gymnastik und dem frühen schwedischen Sport, welche die Basis für die nationale Ausbreitung vielseitiger Ideale darstellten (vgl. Kap. 3.1). Da letztere eng mit den Trainingsmaßnahmen in der Armee verbunden war, wird der Offiziersausbildung und dem Militärsport ein eigener Abschnitt gewidmet (vgl. Kap. 3.2). Wenngleich hier aus strukturellen Gründen eine Unterteilung in Leibesübung und Militärtraining erfolgt, so muss doch angemerkt werden, dass diese strenge Trennung Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts noch völlig unbedeutend war. Eine Vermischung von Gymnastik und Sport mit militärischen Inhalten war gängige Praxis, gesellschaftlich akzeptiert und staatlich gefördert. So erklärt es sich wohl auch, dass Viktor Gustaf Balck sich gleichzeitig für die Armee, die Gymnastik und den Sport engagierte und damit zwischen den einzelnen Bereichen vermittelte (vgl. Kap. 3.3). Zusammenfassend dienen die aufgeführten Untersuchungsaspekte dazu, Schweden und sein Militär als alternative Ursprungsvariante des Modernen Fünfkampfs aufzuzeigen. Die Bedeutung von Coubertin als Schöpferkraft schwindet dabei umso mehr, wie sich umgekehrt eine gewachsene schwedische Mehrkampfpraxis bestätigen sollte.288
3.1
Gymnastik, Sport und Mehrkämpfe des 19. Jahrhunderts
Wenn der Militärhistoriker Eberhard Birk (2004, S. 12) Armeen ohne Tradition mit Bäumen ohne Wurzeln vergleicht, so zieht er eine Metapher heran, die sich auch auf den Sport übertragen lässt. Denn die traditionelle Verankerung einzelner Sportarten kann ebenso als Grundbedingung für deren gesellschaftliche Legitimation angesehen werden. So gibt es sportliche Disziplinen, die über 287 Vgl. Anmerkung 8. 288 Die Themen der folgenden Unterkapitel werden hauptsächlich in schwedischen Werken behandelt. In der deutsch- oder englischsprachigen Literatur haben sich bislang nur wenige Autoren wissenschaftlich mit Primär- und Sekundärquellen zur frühen schwedischen Sportgeschichte auseinandergesetzt. Zu letzteren zählen Per Jørgensen, Henrik Meinander, Susanna Hedenborg und Ansgar Molzberger, auf deren Werke dieses Kapitel schwerpunktmäßig zurückgreift.
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Jahrtausende hinweg gewachsen sind, wie beispielsweise die leichtathletischen Disziplinen oder die verschiedenen asiatischen Kampfsportarten, oder aber Bewegungsformen, die zunächst den Eindruck erwecken, ausschließlich neueren Datums zu sein, bei genauerer Betrachtung allerdings ebenso traditionelle Elemente beinhalten (wie z. B. Le Parkour).289 In jedem Fall vermag Tradition, sei sie konstruiert (Hobsbawm & Ranger, 2003) oder real existent, allgemein zu einer größeren Akzeptanz der Sportart in der Bevölkerung beizutragen. War also die Vielseitigkeit als Kerneigenschaft eines Fünfkämpfers ebenso ein traditionelles Element der schwedischen Leibesübung? Obwohl der Moderne Fünfkampf von Beginn an den Charakter eines sportlichen Individualwettkampfs trug, wird die Schwedische Gymnastik zur Beantwortung dieser Frage thematisch nicht ausgespart (vgl. Kap. 3.1.1). Denn als Wegbereiter der schwedischen Leibesübung und des Militärtrainings prägte sie die nationale Grundeinstellung gegenüber körperlicher Ertüchtigung. So beeinflusste sie auch noch Anfang des 20. Jahrhunderts schwedische Sportfunktionäre, die allesamt die Gymnastikschule durchlaufen hatten. Eine Untersuchung der schwedischen Vereins- und Verbandsstruktur vom endenden 19. bis zum beginnenden 20. Jahrhundert zeigt, inwiefern sich der Sport in Schweden gegen die Gymnastik durchsetzte. Die zu dieser Zeit getroffenen politischen Entscheidungen förderten die Verbreitung des Sports und die Ausbildung spezifischer sportlicher Vorlieben in der schwedischen Bevölkerung. Die Versportlichung wird dabei nicht nur als nationale Besonderheit, sondern auch als Teil einer gesamteuropäischen Modernisierungsbewegung der Leibesübungen begriffen. Die damit zusammenhängenden Machtkämpfe zwischen Gymnastik, Turnen und Sport, den führenden Leibesübungskonzepten des 19. Jahrhunderts (Eichberg, 1973, S. 31, 38), fließen ebenso als typisch europäische Erscheinungen in die Untersuchung mit ein. Neben der allgemeinen historischen Entwicklung der Leibesübungen in Schweden wird im Folgenden daher auch untersucht, inwiefern sich deren Leitziele von jenen anderer europäischer Länder unterschieden. Interessant ist dabei insbesondere die Frage, ob sich trotz aller Differenzen zwischen der Schwedischen Gymnastik und dem Sport doch im Punkt der Vielseitigkeit Parallelen auftun (vgl. Kap. 3.1.2). Schließlich zeichnete sich in Schweden schon Ende des 19. Jahrhunderts ein Anti-Spezialisierungsbewegung ab, die der Verbreitung von Mehrkämpfen Vorschub leistete (vgl. Kap. 3.1.3).
289 Le Parkour ist eine Sportart, bei der sich die Teilnehmer schnell und effizient fortbewegen und dabei sämtliche Hindernisse elegant und fließend überwinden. Sie weist deutliche Parallelen zu H¦berts M¦thode naturelle auf (vgl. Kap. 2.1.3; Heck, 2009).
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Svensk gymnastik, idrottsmärket, fem- och tiokampen
3.1.1 Gemeinschaftsbildende Vielseitigkeitsübungen: die Schwedische Gymnastik Als 1912 eine neue olympische Sportart in Stockholm ihr Debüt feierte (vgl. Kap. 5.2), geschah dies in einem Ausrichterland, für das der englische Sport ein noch relativ neues, unbekanntes Feld darstellte, die Gymnastik dagegen bewährte und geliebte Tradition war (Jørgensen, 1998, S. 71 f). Per Henrik Ling (1776 – 1839), der 1813 das Gymnastiska Centralinstitutet (GCI) (Gymnastisches Zentralinstitut) gründete, gilt als geistiger Vater der Schwedischen Gymnastik (Kihlmark & Widlund, 2010, S. 5). Spätestens als seine Büste die Rückseite der olympischen Medaillen von 1912 zierte, war Lings Verwurzelung in der schwedischen Sportgeschichte im nationalen und internationalen Gedächtnis besiegelt. Die gymnastischen und turnerischen Strömungen im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts waren dennoch keine direkten Vorläufer des Sports, sondern bekämpften diesen vielmehr (Guttmann, 2004, S. 300). Die Schwedische Gymnastik war hier keine Ausnahme. Die Tatsache, dass der Moderne Fünfkampf in der Chronologie der Leibesübungen auf die Schwedische Gymnastik folgte, kann daher nicht als Beweis für seine gymnastische Tradition gelten. Eine Beschäftigung mit Schwedens bekanntestem Gymnastikvertreter zeigt hingegen auf, welche Leibesübungsideale Ende des 19. Jahrhunderts in Schweden gesellschaftlich verankert waren. Aus dieser Erkenntnis heraus wird beurteilt, inwiefern die Leitbilder der Schwedischen Gymnastik die Idee eines modernen Fünfkampfs erleichterten. Auf den ersten Blick spricht allerdings wenig dafür, dass Lings Gymnastik einen olympischen Sport vorbereitet haben könnte. Beide Systeme konkurrierten miteinander, und die Gymnastikanhänger sahen beispielsweise ihre Leibesübungen im Vergleich zum Sport als »nobler und reiner« an (Jørgensen, 1998, S. 71 f). Die gleichförmigen, gymnastischen Massenübungen hatten tatsächlich schon rein optisch wenig mit den individuellen, sportlichen Wettkämpfen zu tun. Für die Übungsauswahl fand Ling eine wissenschaftlich-physiologische Begründung (Guttmann, 2004, S. 280). Denn während seines Studiums in Kopenhagen hatte er sich u. a. im Fechten probiert und nach kurzer Zeit nicht nur sein Talent für die Sportart, sondern auch eine Verbesserung seines Gichtleidens festgestellt (Diem, 1939, S. 5). Dies hatte ihn wiederum zur Erforschung von Bewegung und ihrer medizinischen Wirkung angetrieben. So entwickelte er die Schwedische Gymnastik, um den menschlichen – und damit meinte er vornehmlich den schwedischen – Körper widerstandsfähiger zu machen. Mit Hilfe der richtigen Übungen sollte eine Balance zwischen verschie-
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denen Körperorganen hergestellt werden.290 Seine physiologischen Erkenntnisse, die u. a. besagten, dass vielseitig Trainierte vergleichsweise stärker und gesünder waren, könnten später auch dazu beigetragen haben, dass die Einführung neuer (gymnastischer und sportlicher) Mehrkämpfe allgemein positiv behaftet war. Daneben befand Ling, dass der Gymnastik ein großer Anteil an der Entwicklung eines männlichen Charakters zukomme und sie daher auch für die militärische Nationalerziehung nützlich sei (Trangbæk, 1998, S. 143). Im Zuge der Gymnastikbewegung gelang es ihm daher, die schwedische Leibesübung auf institutioneller Ebene zunehmend mit Belangen der Armee zu verbinden. Lings Gymnastikinstitut war dabei vornehmlich für militärisches Training geschaffen worden und erreichte die Aufnahme der Schwedischen Gymnastik in das schulische und militärische Ausbildungsprogramm (Guttmann, 2004, S. 300). Bis seine Gymnastik und das Bajonettfechten generell in alle Einheiten der schwedischen Armee und Marine eingeführt wurden, dauerte es allerdings bis 1836. Von diesem Zeitpunkt an leiteten entsprechend ausgebildete Offiziere die Ausbildung in diesen Bereichen, um Gesundheit, Hygiene und körperliche Entwicklung der Rekruten auszubauen.291 Die enge Verzahnung von Militär und Leibesübung erforderte eine Zweckausrichtung der gymnastischen Übungen, die ihren Nutzen für militärische Belange offenkundig machte. Die Schwedische Gymnastik wies dabei selbst Parallelen zum militärischen Drill auf, indem sie auf Autorität, Disziplin, Bewegungspräzision sowie auf die Entwicklung von Gemeinschaftsgefühl Wert legte (Hargreaves, 1997, S. 71). Der schwedische Gymnastikvater schien mit der militärischen Instrumentalisierung seiner Methode keine Schwierigkeiten zu haben. Er sah die Gymnastik vielmehr als gelungene Möglichkeit an, die Wehrhaftigkeit der schwedischen Bevölkerung zu verbessern und sein Konzept zu verbreiten. Als junger Marineoffizier hatte Ling selbst 1801 an der Seeschlacht von Kopenhagen teilgenommen und somit die militärischen Anforderungen im Ernstfall kennengelernt. Später lehrte er Gymnastik und Fechten u. a. an der Militärakademie von Karlberg und forderte auch dort militärischen Gehorsam ein (Diem, 1939, S. 5). Sein System bettete er dabei in eine schon länger erfolgreich bestehende Gymnastiktradition ein. Denn seiner Meinung nach hatten es bereits die Spartaner und Goten verstanden, »männliche Stärke durch ihre Gymnastik« zu wecken.292 Die Erziehungseffekte der Gymnastik hielt er für direkt auf die Kriegstüchtigkeit übertragbar :
290 Ling (1808). Übersetzt und zitiert in Trangbæk, 1998, S. 143. 291 Georgii, 1854, S. 68. 292 Ling [ohne weitere Angaben]. Übersetzt und zitiert in Diem, 1939, S. 5.
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»The more completely a youth learns to depend in his actions upon his own merits, to endure physical pain, to rely upon the inner conviction of his own strength in all times of danger, to deal with every momentary contingency, not in haste hut with deliberation, the closer he will approach the standard of the man and true warrior.«293
Diese Interpretation von Leibesübung war für das 19. und beginnende 20. Jahrhundert keineswegs untypisch (vgl. Kap. 3.2.1). Im Hinblick auf Schweden zeigte sie auch, dass militärische Leibesübungen nicht zwingend mit Aufrüstung und konkreten Kriegsplänen einhergehen mussten.294 Der Erfolg der Lingschen Gymnastik gab dabei Zeugnis davon, dass die Etablierung einer neuen Methode guter Kontakte zu Erziehungsanstalten wie Schule und Armee bedurfte. Der Weg über die Armee hatte sich als nützlich erwiesen und wurde ebenfalls von anderen Zeitgenossen wie beispielsweise dem Franzosen Francisco Amoros zur Einführung seiner Leibesübungen genutzt (Faure, 1995, S. 324; Spivak, 1996, S. 6; Bazoge, 2006, S. 198). Diese Entwicklung förderte die allgemeine Akzeptanz von Leibesübungen in der Armee und erleichterte somit später auch dem Sport den Einzug in das schwedische Militär. Der Sport wiederum machte sich das gymnastische Vorbild zunutze, indem er mit den Idealen der Wehrhaftigkeit und der nationalen Gemeinschaftsbildung die gleichen Wertvorstellungen ansprach, wie sie auch in der Armee und in der allgemeinen Bevölkerung vorherrschten (Molzberger, 2003, S. 40). Charakteristisch für diese Zeit und für Lings zeitgemäße Einstellung waren auch ein ausgeprägter Patriotismus und Nationalismus.295 Die Schwedische Gymnastik stellte er entsprechend in den Dienst des Vaterlands. Wohingegen Ling und seine Anhänger dies als Kriterium zur Abgrenzung zum Sport hervorhoben (Jørgensen, 1998, S. 71 f), griffen die Sportfunktionäre dieses Argument später selbst auf (vgl. Kap. 3.2.2). Die nationalistische Einstellung und das Engagement im Militärtraining teilten dabei auch andere Vertreter der Leibesübung im 18. und 19. Jahrhundert, so Johann Christoph Friedrich GutsMuths (1759 – 1839) (vgl. z. B. sein Werk Über vaterländische Erziehung, 1814), Franz Nachtegall (1777 – 1847) (vgl. z. B. die Gründung des Militärgymnastischen Instituts in Dänemark, 1804), Friedrich Ludwig Jahn (1778 – 1852) (vgl. z. B. sein Werk Deutsches Volkstum, 1810) und Francisco Amoros (1770 – 1848) (vgl. z. B. die Gründung der Êcole de Joinville, 1852) (Eichberg, 1973; Spivak, 1975). Die »Steigerung und Beschleunigung der Kriegstüchtigkeit« galten als »der hohe Zweck (der militärischen Ausbildung), die Gymnastik ein nicht zu ersetzendes, 293 Ebd. 294 Schweden nahm wie die übrigen nordischen Ländern, wie die Schweiz und ebenso Belgien schon zu Beginn des Ersten Weltkriegs eine neutrale Position ein (Gebhard, 2005, 30 – 33). Vgl. auch Stieve, der in seiner zeitgenössischen Studie »Schwedische Stimmen zum Weltkrieg« eingefangen hat (Stieve, 1916). 295 Georgii, 1854, S. 20.
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wertvolles Mittel dazu.«296 Mit dem Patriotismus fand also die Wehrhaftigkeit und damit wiederum der Mehrkampfaspekt Einzug in die verschiedenen Gymnastik- und Turnvereine Europas. Beide Bereiche verschmolzen so selbstverständlich, dass von einer »Zivilisierung des Militärischen«, »von einer Umund Einarbeitung militärischer Disziplinmodelle in die Zivilgesellschaft« (Kaschuba, 1995, S. 295), gesprochen werden kann. Lings Beschäftigung mit unterschiedlichen Leibesübungen verschiedener Epochen ließ ihn letztlich zu dem Schluss kommen, dass es kein einzigartiges, für alle Zeiten gleichermaßen wirksames Gymnastiksystem geben könne, sondern dass es stets an die jeweils vorherrschenden Bedingungen angepasst sein müsse. Dies erinnert wiederum an Coubertins Idee, den Fünfkampf nicht blind aus der Antike zu übernehmen, sondern zu modernisieren (vgl. Kap. 2.1.1). Neben seinen eigenen Bewegungs- und Lehrerfahrungen beeinflussten Ling somit auch die Theorien anderer. Umgekehrt hatte sich sein eigenes Konzept ebenso nicht isoliert von anderen Entwicklungen herausgebildet. Vor allem von GutsMuths Gymnastik für die Jugend (1793) und von Nachtegalls Leibesübungen war er angetan (Diem, 1939, S. 5). Es ist daher zu vermuten, dass Ling während seiner Studien auch mit dem so genannten »Dessauer Pentathlon«297 in Berührung kam. Die Philanthropen hatten diesen Mehrkampf, der die fünf Grundübungen Laufen, Springen, Klettern, Balancieren und Tragen umfasste, in Anlehnung an das antike Vorbild eingeführt (vgl. Kap. 4.1.2). Das philanthropische Pentathlon fand dabei über Dessau hinaus Verbreitung, insbesondere weil Christian Gotthilf Salzmann, ehemaliger Lehrer in Dessau, zehn Jahre später (1784) die Erziehungsanstalt Schnepfenthal ins Leben rief. Das Pentathlon, das sich in der Zwischenzeit bewährt hatte, brachte er dorthin mit und ergänzte es durch weitere Übungen (Schöler, 2005, S. 27 f). Lings Schwedische Gymnastik beinhaltete zwar keinen vergleichbaren Mehrkampf, doch übernahm er das Ideal eines vielfältig, harmonisch ausgebildeten Körpers (Kihlmark & Widlund, 2010, S. 2). Er selbst übte sich entsprechend nicht nur im Fechten und in der Gymnastik, sondern u. a. auch im Schwimmen, Schießen und Schlittschuhlaufen (Diem, 1939, S. 5). In der Praxis führte er also regelmäßig einige Übungen durch, die der Sport prinzipiell auch kannte. Die Zielsetzungen differierten jedoch: Während für Ling Aspekte der Gesundheit und Wehrertüchtigung im Vordergrund standen, bettete der Sport
296 Eckardt, 1906, S. 404. 297 Die Namensgebung ergab sich dabei zum Einen aus der Anzahl der Übungen und aus der örtlichen Lage der ersten philanthropischen Musterschule, die Johann Bernhard Basedow (1723 – 1790) 1774 in Dessau eröffnet hatte.
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die Übungen vornehmlich in ein auf individuellen Erfolg ausgerichtetes Wettkampfsystem ein. Wenngleich sich die Gymnastik- und Sportbewegung in Schweden wie in der restlichen Welt aufgrund dieser ideologischen Differenzen nicht freundschaftlich begegneten, so konnte die Schwedische Gymnastik zusammenfassend dennoch die gesellschaftliche Akzeptanz spezifischer, insbesondere für den sportlichen Mehrkampf typischer Leitbilder vorbereiten: zum Ersten die Balance zwischen verschiedenen Körperorganen und die harmonische Ausbildung von Körper und Geist (Trangbæk, 1998, S. 143), die für die Schwedische Gymnastik ebenso kennzeichnend waren wie für das sportliche Mehrkampfideal; zum Zweiten das Fechten, das Ling für gesundheitsförderlich hielt und das gleichzeitig zu den ersten olympischen Sportarten zählte; zum Dritten die Idee der militärischen Nutzbarmachung von Leibesübungen, die sowohl Lings Gymnastik als auch die frühe schwedische Sportbewegung prägte (Jørgensen, 1998, S. 71; Trangbæk, 1998, S. 144; vgl. Kap. 3.1.2). Die Schwedische Gymnastik war dabei nicht ausschließlich an die Person Ling gebunden. Nach seinem Tod im Jahr 1839 setzte zunächst sein Sohn Hjalmar (1820 – 1886) das Erbe seines Vaters fort (Kihlmark & Widlund, 2010, S. 5). Unter ihm fand die Schwedische Gymnastik beispielsweise Einzug in das Schulturnen. So lernte bald jeder junge Schwede die typisch exakten Bewegungsausführungen. Geübt wurde dabei ganz im traditionellen Sinn, d. h. nicht aus purer Freude oder als Vorbereitung auf einen Wettkampf, sondern stets »im Dienste der kalkulierten, positiven Gesamtwirkung auf den Körper« (Molzberger, 2010, S. 15). Als Gustaf Nyblæus (1816 – 1902) von 1862 bis 1887 die Leitung des GCI übernahm, brachte er zwar eine weniger abweisende Einstellung gegenüber der aufkommenden Sportbewegung mit (vgl. Kap. 3.1.2), behielt allerdings als Oberlehrer für militärische Gymnastik die enge Verbindung zur Armee bei. In Deutschland, wo Jahns Turnbewegung dominierte, traf die als Konkurrenz empfundene Schwedische Gymnastik Anfang des 20. Jahrhunderts allgemein auf wenig Zustimmung. So zweifelten die Vertreter der deutschen Turnbewegung die Erfolge der Schwedischen Gymnastik fortlaufend an.298 Dennoch gelang es ihnen nicht zu verhindern, dass sich die Lingsche Methode zunehmend über die nationalen Grenzen hinweg ausbreitete und Schweden damit trotz seiner geographischen Randlage als Motor für die Entwicklung von Leibesübungen mit internationalem Rang avancierte.299 Neben den Engländern zeigten vor allem die 298 März, 1913, S. 250 f. 299 Dass Ling und seine Gymnastik noch länger und weit über die nationalen Grenzen hinaus die Leibesübungskultur prägten, zeigen auch die »Lingiaden«, die 1939 als Erinnerungsveranstaltung zum hundertsten Todestag von Ling, wiedereingeführt wurden. Selbst zu diesem Zeitpunkt, als sich der englische Sport längst durchgesetzt und verbreitet hatte,
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Franzosen großes Interesse an Lings Ideen. Nun bleibt zu bemerken, dass den Franzosen zu jener Zeit ohnehin jede Form der Leibesübung lieber war als die deutsche (Guttmann, 2004, S. 280). Als Coubertin 1892 über die Leibeserziehung in der modernen Welt sprach, verwundert es daher nicht, dass auch er den Erfolg der Schwedischen Gymnastik für unaufhaltsam ansah, sofern sich diese weiterhin als Heilgymnastik verstände und damit in ihrem Wirkungskreis klar beschränkt bliebe.300 Aufgrund ihrer Vielseitigkeit bezog Coubertin die Schwedische Gymnastik wohl auch ergänzend zur Gymnastique utilitaire (vgl. Kap. 2.1.3) in sein CollÀge ModÀle mit ein und betonte, dass es sich ausschließlich um die originalen Übungsformen des GCIs handele.301 Nach einer Mitte des 19. Jahrhunderts durchgeführten Untersuchung desselben Instituts in Stockholm hatte keine Gymnastik seit der griechischen Antike so hohes Ansehen genossen wie das mittlerweile in ganz Europa verbreitete schwedische System.302 Die schwedische Gymnastiktradition und die zunehmende Vorliebe der Schweden für Leibesübungen jeglicher Art lieferten folglich einen guten Nährboden, um die noch junge nationale Sportbewegung samt ihrer Mehrkampfbegeisterung wachsen zu lassen.
3.1.2 Der Sport setzt sich durch: das Mehrkampfideal in den Anfängen des organisierten schwedischen Sports Trotz einer breiten gymnastischen Basis und der damit verbundenen Anerkennung von vielseitigen Übungen erscheint der Ursprung eines sportlicholympischen Fünfkampfs in Schweden nur dann plausibel, wenn dieser aus einem organisierten Sportsystem hervorging. Obwohl Schweden zu den flächenmäßig größten Ländern Europas zählt, wies es 1900 mit 5.140.000 eine relativ geringe Einwohnerzahl auf.303 Seine geographische Lage – fünfzehn Prozent seiner Fläche befinden sich nördlich des Polarkreises – brachte schwierige Lebensbedingungen mit sich. Dies bedingte eine einseitige Erwerbsstruktur in der Agrarwirtschaft, die wiederum die Zahl der Emigranten erhöhte. Da zudem das Klima, vor allem in den nördlichen Landesteilen, das
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nahmen 7300 Anhänger aus 37 Nationen daran teil ([o. A.], 1949, S. 15 f). Carl Diem (1939, S. 6) merkte noch im selben Jahr an, dass »kein System der Leibeserziehung von ihr [der Schwedischen Gymnastik] unbeeinflusst geblieben ist, weil sie menschliche Werte beinhaltet, die zu jeder Zeit anwendbar sind«. Coubertin, 1892, S. 66 – 79. Coubertin (1908d). Un collÀge modÀle, S. 379 – 399. Georgii, 1854, S. 50. Sundbärg, 1901, S. 90. Deutschland hatte beispielsweise schon 1900 56 Millionen Einwohner (Statistisches Bundesamt, 2007).
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Betreiben von Sommersportarten erschwerte, ist es erstaunlich, dass Schweden dennoch zu den bedeutendsten Nationen der frühen Sportbewegung aufstieg. Bis sich der Sport dort Anfang des 20. Jahrhunderts durchsetzte, vergingen allerdings noch einige schwierige Jahre, während derer es nicht sicher schien, ob sich der englische Sport hoch im Norden tatsächlich etablieren könnte. Im Zuge der im 19. Jahrhundert einsetzenden Urbanisierung stieg die Einwohnerzahl Stockholms von 93.000 im Jahr 1850 auf über 300.000 im Jahr 1900 an. Dies schuf die für Schweden bis dato ungewöhnliche Situation, eine relativ hohe Anzahl von Menschen auf engem Raum zusammenzubringen (Wolke, 2000). Es verwundert daher nicht, dass Gymnastik- und später auch Sportinstitutionen ihren Sitz häufig in Stockholm hatten. Der Idrottspark (Sportpark) war beispielsweise Ende des 19. Jahrhunderts der »Mittelpunkt des Sportlebens nicht nur für Stockholm, sondern für das ganze Land«.304 Dabei dominierte im frühen 19. Jahrhundert zunächst die Gymnastik und erfuhr durch eine starke Nationalbewegung, die insbesondere nach dem Verlust Finnlands an Russland im Jahre 1809 einsetzte, einen Aufschwung (Molzberger, 2003, S. 35; vgl. Kap. 3.1.1). Hintergrund dieser Entwicklung war, dem schwedischen Volk zu neuer Stärke zu verhelfen. Die Schwedische Gymnastik mit ihrer Betonung von Nationalismus, Vielseitigkeit und Gemeinschaft schien dazu zunächst eher geeignet als der »spezialisierende, individuelle und vom Wettkampf- und Leistungsgedanken geprägte Sport« (Ebd., S. 40). Im Gegensatz zu dieser Meinung, die vor allem die Lingianer, die konservativen Anhänger der Schwedischen Gymnastik, vertraten, standen der Institutsleiter Nyblæus und andere Mitglieder des GCI dem Sport aufgeschlossener gegenüber (Ebd., S. 16). Auch umgekehrt zweifelten die Anhänger der Sportbewegung die Bedeutung der Gymnastik üblicherweise nicht an und ermöglichten damit, dass sich in Schweden beide Arten der Leibeserziehung in der Anfangsphase miteinander vermischten: »In spite of the difference in opinion between gymnasts and sports advocates, it is justifiable to speak of a combined gymnastic and athletic movement in Sweden until the beginning of the 20th century.« (Bolling, 1997, S. 36)
Auch die Trainingspraxis der um die Jahrhundertwende gegründeten schwedischen Gymnastik- und Sportorganisationen bezeugt, dass es sich zunächst um eine gemeinschaftliche Entwicklung handelte: Der 1891 gegründete Svenska gymnastikförbundet (Schwedischer Gymnastikverband) war beispielsweise nicht nur an Gymnastik interessiert, sondern verstand sich gleichsam als zuständiges Organ für die Vereine, die Gymnastik und/oder Sport von »gymnastischem« Wert (vor allem Leichtathletik) betrieben. Im Zuge der bewegungs304 Hermelin, 1912, S. 50.
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kulturellen Modernisierung entwickelten sich die Gymnastik- und Sportorganisationen in Schweden also nicht strikt getrennt voneinander. Im Gegenteil, beide Leibesübungskonzepte nutzen ihre Überschneidungsbereiche in der Praxis (vgl. Eichberg, 1973, S. 30 f), um die Gesamtbewegung schneller wachsen zu lassen. 1896 wurde der Schwedische Gymnastikverband entsprechend auch namentlich der organisatorischen Praxis gerecht und in Svenska gymnastik- och idrottsförbundet (Schwedischer Gymnastik- und Sportverband) umbenannt. Parallel dazu war dem Sport schon ein Jahr zuvor in Göteborg mit einem spezialisierten Verband, dem Svenska idrottsförbundet (Schwedischer Sportverband), Rechnung getragen worden (Molzberger, 2003, S. 41).305 Diese rivalisierenden Verbandsgründungen bezeugen die Machtkämpfe, die Stockholm und Göteborg, die beiden Hochburgen der frühen schwedischen Leibesübung, um die sportpolitische Vorherrschaft in Schweden führten. Während Stockholm von Viktor Gustaf Balck (vgl. Kap. 3.3) und der konservativ-patriotischen Oberschicht gelenkt wurde, war in Göteborg vor allem die kaufmännische Mittelschicht, angeführt von Wilhelm Friberg (1865 – 1932), aktiv. Beide Gruppen begrüßten es prinzipiell, den modernen englischen Sport mit einer nationalistischen Sinngebung zu versehen, doch warfen die Göteborger den Stockholmern vor, »elitär, militärdominiert und (zu) abhängig von der Gymnastik« zu sein.306 Folglich war von beiden Seiten großes Durchsetzungsvermögen gefordert, nicht nur gegeneinander, sondern auch national als Reaktion auf die Angriffe der Lingianer sowie international gegen die Sportgroßmächte England und USA (Molzberger, 2010, S. 12). Die nationalen Machtkämpfe erscheinen eigentlich bizarr, wenn man berücksichtigt, dass sich Ende des 19. Jahrhunderts erst knapp 0,4 Prozent der schwedischen Bevölkerung – ca. 20.000 Mitglieder – in den insgesamt 229 Sportvereinen organisierten (Molzberger, 2003, S. 40). Ab 1830 gab es zwar schon erste Sportaktivitäten in Schweden und auch Vereinsgründungen (Jørgensen, 1998, S. 75), doch gelang es der Sportbewegung zu diesem Zeitpunkt noch nicht, das »Monopol der Schwedischen Gymnastik«, die in der Schule gar bis Mitte des 20. Jahrhunderts ihren Einfluss halten konnte, zu kippen (Molzberger, 2003, S. 39). Bis der schwedische Sport tatsächlich mit der institutionell verankerten Gymnastik konkurrieren konnte, musste also noch mehr Zeit verstreichen. In den 1870er und 1880er Jahren brachte die schwedische Sportbewegung mit ihren zahlreichen Vereinsneugründungen die Gymnastik erstmals etwas ins Wanken (Trangbæk, 1998, S. 142). Dieser frühe schwedische Sport etablierte 305 Die Verwendung des nordischen Begriffs »idrott« (statt des Fremdworts »Sport«) spiegelt die nationalistische Grundhaltung der Schweden wider (Molzberger, 2010, S. 27). 306 Lindroth, 1975, S. 40. Zitiert in Ebd., S. 28.
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sich noch, bevor die Industrialisierungswelle Skandinavien Ende des 19. Jahrhunderts erreichte. Die ersten Übungen basierten dabei auf bereits existierenden lokalen Aktivitäten, die in ein organisiertes sportliches Wettkampfprogramm eingebunden und so »versportlicht« wurden (Jørgensen, 1998, S. 75). Der starke quantitative Anstieg von Sportvereinigungen, -wettkämpfen und -anlagen im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts (Meinander, 1998, S. 54) und damit zusammenhängend die gewachsene gesellschaftliche Partizipation, spiegeln wider, dass das Sportinteresse der Schweden deutlich zugenommen hatte. Dennoch galt der Einzug sportlicher Übungen zunächst als Belebung und nicht als Ersatz für gymnastische Übungen.307 In den 1890ern waren unter den höheren Gesellschaftsschichten insbesondere Mitgliedschaften in Jockey-Klubs verbreitet (Hedenborg, 2007, S. 503). Im Gegensatz zu den Angehörigen des IOC oder verschiedener NOKs stammten die Repräsentanten der schwedischen Sportbewegung allerdings weniger häufig aus dem Adelsstand. Die relative Abwesenheit von Aristokratie (und Klerus) in der Führungsetage der schwedischen Sportorganisationen war darauf zurückzuführen, dass zur Jahrhundertwende dort die mittlere Klasse politisch, kulturell und gesellschaftlich an der Macht war (Jørgensen, 1998, S. 72). Folglich stammte in Schweden, so wie in anderen nordischen Ländern, die Mehrheit der Sportfunktionäre aus der Armee und Geschäftswelt. Die im Vergleich zu anderen europäischen Nationen weniger aristokratisch gelenkte Sportbewegung trug Ende des 19. Jahrhunderts zur Harmonie und Geschlossenheit des schwedischen Sports bei. Obwohl die Führungspositionen in Schweden eigentlich demokratisch besetzt werden sollten, war es dennoch in der Praxis üblich, dass die schon regierenden Funktionäre ihre eigenen Amtsnachfolger auswählten. In diesem Punkt stach das schwedische System nicht heraus. Denn die Auswahl der IOC-Mitglieder erfolgte ebenso nicht nach demokratischen Gesichtspunkten, sondern üblicherweise durch Selbsternennung (Ebd., S. 73). Es ist wohl auf diese Vetternwirtschaft zurückzuführen, dass sich das schwedische Vereinswesen zunächst auch ohne fehlende Leitinstitution erfolgreich entwickelte.308 Das zunehmende Interesse am Sport und die stetig wachsende Anzahl der Aktiven erforderten ein Mitwachsen der schwedischen Wettkampfstätten: »Auf diese Weise wurde mit dem Sportpark und um ihn herum ein Sportkomplex geschaffen, dem gewiss nur wenige Hauptstädte etwas Ähnliches zur Seite zu stellen haben. Dieses rasche Wachstum bildet zugleich den Masstab [sic!] für das Tempo, in
307 Balck, 1931, S. 98 – 107. 308 Ebd.
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welchem es während dieser letzten 15 Jahre [ab 1897] mit dem Sport bei uns vorwärts gegangen ist.309
Mit der wachsenden Anzahl von schwedischen Sportstätten und -vereinen wurde allerdings der Ruf nach einem gemeinsamen Dachverband lauter. Denn zwischen den einzelnen Organisationen, die sich lediglich einer Sportart widmeten, und den Multisportvereinen sowie zwischen Vereinen mit überwiegend nationalen und solchen mit lokalen Zielen, entstanden zunehmend Interessengegensätze. Ein Organ, das sich zuständig erklärte, diese Konflikte zu schlichten, und zudem die Wettkampfvorbereitung zentral koordinierte und standardisierte Regeln ausarbeitete, fehlte. Zudem herrschte Geldmangel, den Balck durch eine neue Verbandsorganisation und damit zusammenhängend durch regelmäßige Mitgliedsbeiträge beheben wollte: »Dem Sport fehlt sein Rückgrat, und das heißt Geld. Laßt uns einen Zentralverband gründen, um die Organisation des Sports und dessen Ausübung zu unterstützen und zu fördern!«310
Unterstützt vom schwedischen Königshaus beabsichtigte Balck daher 1897 mit dem Sveriges allmäna idrottsförbund (Schwedens allgemeiner Sportverband), der zwei Jahre später in Sveriges centralförening för idrottens främjande (Zentralverein Schwedens für die Förderung des Sports) umgetauft wurde, einen solchen Dachverband in Stockholm zu gründen.311 Dieser erste Versuch scheiterte jedoch und erhöhte letztlich die Rivalitäten zwischen den existierenden Institutionen zusätzlich. Denn Balcks Zentralverein bekannte sich zwar durch die Namenswahl von Beginn an ausschließlich zum Sport und erreichte auch, mit Hilfe von wohlhabenden aristokratischen Förderern zum »wirtschaftlichen Verwalter des schwedischen Sportlebens« heranzureifen, doch fehlte letztlich die Nähe zu den Sportvereinen an der Basis, um als Dachverband Erfolg zu haben (Molzberger, 2003, S. 45). Diese Lücke konnte erst 1903 mit dem Svenska gymnastik- och idrottsförenigarnas riksförbund (Reichsverband der Schwedischen Gymnastik- und Sportvereine) - 1947 umbenannt in Sveriges riksidrottsförbund (Reichssportverband Schwedens) - geschlossen werden.312 Die Initiative war auf zwei Göteborger, den Juristen Ivar Berger (1861 – 1937) und den Industriellen Johan Sigfrid Edström (1870 – 1964), zurückzuführen, die sich letztlich gegen Balcks Konzept durchsetzten (o. A., 1983, S. 479; vgl. auch Molzberger, 2010, S. 30). Mit 309 Hermelin, 1912, S. 50. 310 Ebd., S. 100 f. 311 [o. A.] (1910a). Idrottsorganisationer, S. 365 f; Vgl. auch Die Organisation des Schwedischen Sportwesens, S. 17 ff. RÀglement et programme g¦n¦ral des Jeux Olympiques de Stockholm 1911 – 12, Code: JO 1912 S-PROGR, ID: 9929. IOC Archiv Lausanne. 312 [o. A.] (1912 h). L’organisation sportive en SuÀde, S. 93.
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diesem ersten gemeinsamen ideellen Überbau gelang es, die Spezialvereine zusammenzuschließen und die Zuständigkeiten der existierenden Vereine und Verbände zentral zu koordinieren. Zudem organisierte und finanzierte der Zentralverband Auslandsreisen und große Wettkämpfe wie die Nordischen Spiele (vgl. Kap. 3.3.1).313 Obwohl der Verband prinzipiell allen Schichten offenstand, umfasste er anfangs nicht mehr als 30 Mitgliedsorganisationen (1921 waren es dagegen bereits rund 1000) (Berlioux, 1978, S. 128). Die Tatsache, dass der Reichsverband in Schweden auf Staatskosten unterhalten wurde, und dass jeder Sportzweig sein eigenes Büro zugeteilt bekam, galt dennoch als fortschrittlich. Die harmonische Zusammenarbeit zwischen den Vertretern unterschiedlicher Sportaktivitäten war keinesfalls selbstverständlich und stieß im Ausland auf Bewunderung: »Die hier in Deutschland bestehende Fehde zwischen Turn-, Leichtathletik-, Fußball-, Schwimm- und sonstigen Verbänden liegt dort nicht vor. Man hat in Schweden die Gegensätze ausgeglichen und kommt durch gemeinsames Arbeiten vorwärts.«314
Kronprinz Gustav VI. Adolf (1882 – 1973)315 engagierte sich persönlich als Präsident des Reichsverbands und besiegelte damit den nationalen Stellenwert der Organisation. Die Hauptentscheidungsbefugnis lag jedoch eigentlich bei Edström, der Vorsitzender des Verwaltungsausschusses war (Molzberger, 2003, S. 41). Balcks Sveriges centralförening för idrottens främjande, der sich als Dachverband nicht durchgesetzt hatte, musste dagegen Zuständigkeiten in der Organisation und Leitung des schwedischen Sports einbüßen. Die Institution behielt allerdings immer noch einen gewissen Einfluss, indem sie den Reichsverband in den Bereichen Finanzen und Propaganda unterstützen durfte (Norberg, 1998, S. 121). Jeder Verein gehörte gleichzeitig einem oder mehreren Spezialverbänden (getrennt nach Sportarten) sowie einem regionalen Verband (getrennt nach Distrikten) an. 1912 gab es beispielsweise 21 Regionalverbände, die für die Organisation lokaler Wettkämpfe zuständig waren. Die Kontrolle unterlag jedoch den Spezialverbänden, die neben den Mitgliedsbeiträgen auch staatlich unterstützt wurden. In Schweden entwickelte sich so ein »ganzes Netzwerk von Garantien, Regulationen und Beobachtung«.316 Das Organisationsmodell galt schon früh als vorbildlich und wurde daher anschließend auch von anderen nordischen Staaten übernommen (Ebd.). Die schwedische Leibeserziehung war damit bereits Anfang des 20. Jahrhunderts institutionell durchorganisiert 313 Balck, 1931, S. 102 ff. 314 Mees (1919a). Reise-Erinnerungen aus Schweden, 29. Oktober, S. 402. 315 Kronprinz Gustav VI. Adolf war der Sohn des schwedischen Königs Gustav V. und von 1950 bis 1973 König von Schweden. 316 [o. A.] (1912 h). L’organisation sportive en SuÀde, S. 93.
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(Molzberger, 2003, S. 41), was u. a. die nationale Verbreitung neuer Sportarten beschleunigte.317 Der Reichsverband verstand sich in dieser Anfangsphase noch nicht als Dachorganisation aller Sportarten, sondern lediglich als demokratisch gewählte Vertretung solcher Vereine, die Schwedische Gymnastik und/oder Sportarten betrieben, die weder teures noch gemeinsames Material erforderten (Molzberger, 2010, S. 31 f). Typisch aristokratische Sportarten wie Segeln, Reit- und Motorsport waren damit ausgeschlossen. Der Reichsverband entwickelte sich deshalb zu Beginn des 20. Jahrhunderts gemeinsam mit den zugehörigen Sportvereinen zu einer Volksbewegung, die sich an der Basis zunehmend von der Gymnastik abspaltete. Die Verschmelzung von volkstümlichen, gymnastischen und sportlichen Einflüssen trug dabei anfangs zur Stärkung des noch jungen organisierten schwedischen Sports bei. Da es trotz der ideologischen Konflikte gelang, auf organisatorischer Ebene zusammenzuarbeiten, gewannen Konzepte der körperlichen Ertüchtigung allgemein schnell Anhänger in der schwedischen Bevölkerung. Ausgehend von dieser grundlegenden gesellschaftlichen Akzeptanz von Leibesübungen wurden die gymnastischen Teile in der weiteren Vereinsentwicklung zunehmend »versportlicht«, d. h. in sportliche Wettkampfformen überführt. Denn in der Vorbereitung auf internationale Konkurrenzen (wie beispielsweise die Olympischen Spiele) und damit zusammenhängende neu aufkommende Bedürfnisstrukturen hatte sich die Gymnastik letztlich als weniger geeignet herausgestellt (Eichberg, 1973, S. 157). Nach englischem Vorbild fanden daher zunächst vor allem die Leichtathletik und das Rudern, später auch typisch englische Sportarten wie Tennis und Fußball, Einzug in die schwedische Leibesübung.318 Weitere Sportarten wie das Schwimmen und Fechten, die sowohl in England als auch in Frankreich regelmäßig betrieben wurden, fanden bald ebenso Verbreitung und zählten zum Kanon des schwedischen Schulturnens.319 Daneben gab es auch Sportarten rein schwedischen Ursprung, wie beispielsweise das Spießwerfen oder Stangenstürzen.320 In Schweden tauchten so Ende des 19. Jahrhunderts auch eine Reihe
317 Dabei ist es bemerkenswert, wie lange sich die »Gymnastik« in der Namensgebung des Dachverbands hielt. Der Begriff »Sport« ersetzte sie nämlich erst mehr als vierzig Jahre nach Verbandsgründung. 318 Balck, 1931, S. 98 – 107. 319 Liedbeck, 1907, S. 107. 320 Viktor Balck [o. J. und genaues Datum]. Schweden, dessen Natur und Volk, samt den Olympischen und Nordischen Spielen in Stockholm 1912 und 1913 [Original in deutscher Sprache], S. 17 f. Koncept till föredrag (J II A: 2). Generalmajor V. G. Balcks arkiv. Sveriges Centralförening för Idrottens Främjandes arkiv (SE/RA/730329). Riksarkivet Stockholm.
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neuer Sportarten auf, die keine Vorgänger im Ausland hatten: »Sport became newly cosmopolitan and unambiguously modern.« (Hellspong, 1998, S. 23) Begünstigend wirkte sich dabei aus, dass der Naturraum Schwedens prinzipiell jedem Landsmann frei zugänglich war und damit auch für sportliche Aktivitäten genutzt werden durfte. Diese Regelung war auf eine uralte Tradition und ein Gewohnheitsrecht zurückzuführen, das später ab den 1940er Jahren »allemansrätt« (Recht auf Gemeingebrauch) genannt wurde. Neben dem Skifahren und Eislaufen im Winter erfreuten sich daher auch die Geländesportarten Reiten und Laufen großer Beliebtheit (Jørgensen, 1998, S. 75). Reiten sahen die Schweden ohnehin als traditionelle Nationaldisziplin an und zogen seine historische Kontinuitätslinie zurück bis zur Wasa-Dynastie.321 Wie später im Konzept der idrottsmärket (vgl. Kap. 3.1.3) so spiegelt sich ebenso in der Entwicklung der Vereinsstruktur die zunehmende Fokussierung einer vielseitigen Sportausübung wider. Die Vereine, die während der 1870er und 1880er Jahre gegründet wurden, waren üblicherweise noch auf eine Sportart spezialisiert. Nur zum Teil, beispielsweise wenn mehrere Mitglieder ihr Interesse daran bekundeten, kam es zu einer Verbindung von zwei Sportarten oder zu einer Mischung zwischen der Gymnastik und einer Sportart (z. B. der 1878 gegründete Stockholms gymnastik- och fäktklubb). Mit Beginn der 1890er Jahre setzte ein Wandel hin zu einem Mehrspartenprogramm ein. Ein typisches Beispiel war der 1889 gegründete Hammarby-Ruderverband, der zunächst auf Rudern spezialisiert war, acht Jahre später allerdings zum Hammarby-Sportverein mit einer Vielzahl von Disziplinen wurde (Wolke, 2000). Mit Beginn des 20. Jahrhunderts blieb Schwedens bürgerliche Oberschicht weiterhin an der Macht und pflegte und organisierte den nationalen Sport. Die harmonische Zusammenarbeit von Staat und Bürgertum bewirkte eine Erhaltung des »Status Quo«, so dass nationalistische und militärische Werte nach wie vor als erstrebenswert galten (Norberg, 1998, S. 122 f; vgl. Kap. 3.2.2). Die Verbesserung von Wehrkraft, Nationalgefühl und allgemeiner Volksgesundheit kennzeichnete also nicht nur die Gymnastik, sondern war ebenso ein typisches Merkmal der frühen Sportorganisationen (Ebd., S. 120). Die Regierung war dem Sport, der eine kostengünstige Werbeplattform für Idealismus und Patriotismus darstellte, dabei wohlgesonnen. Umgekehrt profitierte auch die Sportbewegung von der positiven Zusammenarbeit, weil alle öffentlichen Sportligen schon in den 1910er Jahren regelmäßig staatliche Förderungen erhielten (Ebd., S. 123).322 Mit diesen öffentlichen Geldern wurden u. a. Ausgaben für Sportstätten, Trainer
321 [o. A.] (1912 h). L’organisation sportive en SuÀde, S. 92. Die Wasa herrschten in Schweden vom frühen 16. bis zum späten 17. Jahrhundert. 322 [o. A.] (1924b). Idrottsorganisationer [Sportorganisationen], S. 582.
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und Reisen bezuschusst, was sich wiederum positiv auf das Abschneiden der Schweden bei internationalen Wettkämpfen auswirkte (Jørgensen, 1998, S. 78). Neben der Förderung durch die schwedische Regierung fand der Sport auch im Königshaus Unterstützung. Kronprinz Gustav war wie bereits erwähnt im Reichsverband tätig. Darüber hinaus baute er, noch im selben Jahr, in dem er den Tennissport in England kennengelernt hatte, den ersten Court in Stockholm; 1896 rief er zudem den Rasentennis Klub des Kronprinzen ins Leben.323 Im Jockey-Club, den er 1889 gründete und dem er bis 1907 als Präsident vorstand, war er ebenso aktiv wie von Beginn an bei den Olympischen, den Nordischen und den Baltischen Spielen (Svensson, 1951, S. 12). Die Einführung der modernen Olympischen Spiele brachte dabei insgesamt neuen Wind in die schwedische Sportbewegung. Dabei hatte die Olympische Union, die der Ling-Schüler Gustaf Johan Schartau Ende 1833 in Südschweden angeregt hatte, bereits zuvor versucht, das Interesse der Schweden und Norweger an olympischen Wettkämpfen zu wecken. In diesem Zusammenhang hatten zwischen 1834 und 1836 im schwedischen Ramlösa erste olympische Wettkämpfe stattgefunden (Driega, 1997, S. 22). Diese konnten sich zwar nicht durchsetzen (Molzberger, 2003, S. 35 f), doch war das nationale, olympische Interesse damit schon früh geweckt. Die Begeisterung für die olympische Bewegung und insbesondere die Vorbereitung auf die Zwischenspiele von 1906 (vgl. Kap. 4.2.3) brachten der schwedischen Sportbewegung mit etwa 150 Vereinsneugründungen zwischen 1906 und 1908 großen Zuwachs (Ebd., S. 42). Insbesondere Mehrkämpfe erfreuten sich zunehmender Beliebtheit.
3.1.3 Gegen den Spezialisierungstrend: schwedische Mehrkämpfe und Sportabzeichen So wie sich der schwedische Kronprinz unterschiedlichen Sportarten gleichzeitig widmete, sollte dies auch für sein Volk gelten. Daher wurde von staatlicher Seite eine vielseitige sportliche Ausbildung der Bevölkerung gefördert. Schweden kristallisierte sich folglich im 19. Jahrhundert innerhalb Skandinaviens als führend im Hinblick auf die Entwicklung moderner Mehrkämpfe heraus (Zarnowski, 2005, S. 26, 31). Der französische Sportjournalist Robert Parient¦ und der deutsche Leichtathletik-Forscher Hubert Hamacher führen die nordische Mehrkampftradition bis ins 18. Jahrhundert zurück. Eine schwedische Zeitung aus dem Jahr 1792 berichte von einem Speerwurf, der offensichtlich als Teil eines Allround-Wettkampfs (Werfen, Schwimmen und Laufen) ausgetragen wurde 323 1907, im dem Jahr, als er König wurde, wurde dieser in Königlicher Rasentennis-Klub umbenannt.
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(Parient¦, 1978, S. 879, 966; Hamacher, 2011, S. 2). Nach einer Faluner Lokalzeitung erhielten zudem 1794 drei Männer, die sich im Laufen, Schwimmen und Steinwurf auszeichneten, Geldprämien.324 Dass Parient¦ (1978, S. 879) diesen Einzelfall als mehrjährig durchgeführten »concours d’athlÀtes complets« interpretiert, hält der schwedische Statistiker und Leichtathletikexperte Rooney Magnusson allerdings für übertrieben. Er weist darauf hin, dass diese Mehrkämpfe im Gegensatz zu jenen der Philanthropen in den frühen schwedischen Sportlexika keine Erwähnung fanden (vgl. Kap. 1.3).325 Magnusson geht daher davon aus, dass es sich bei den schwedischen Mehrkämpfen des 19. Jahrhunderts um lokale Eigenheiten handelte, die jedoch »in gewissem Maße vom US-AllAround-Wettkampf inspiriert« waren.326 Die dänischen Nachbarn führten Allround-Wettkämpfe dagegen gänzlich im Stil der Amateur Athletic Union (AAU) durch, nachdem sie ihn in den USA kennengelernt hatten (vgl. Kap. 4.1.1, 4.2.2). Die Schweden waren somit weder die Ersten noch die Einzigen, die »moderne« Mehrkämpfe durchführten. Das Beispiel eines im Mai 1891 ausgetragenen internationalen Pfahlweitwurf-Wettkampfs zeigt vielmehr, dass sich Schweden auch mit Schotten zu sportlichen Wettkämpfen trafen und es so zu einem interkulturellen Austausch gekommen sein könnte. Die ursprünglich schottische Mehrkampfpraxis könnte sich auf diese Weise nach Skandinavien ausgebreitet haben. Insgesamt veranstalteten die Skandinavier jedoch zu Beginn des 20. Jahrhunderts weit mehr AllroundWettkämpfe als die US-Amerikaner (Zarnowski, 2005, S. 32). Ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben gelang es Magnusson, 95 skandinavische Zehnkämpfe vor 1912 zu zählen.327 Zehnkämpfe (tiokampen) gab es beispielsweise in Helsingborg (1899), in Malmö (1902), in Ume (1905), in Stockholm (1906) und in Göteborg (1911). Die Disziplinen umfassten üblicherweise einen 100-Meter-Lauf, einen 1500-MeterLauf, 119-Meter-Hürden, Hochsprung, Weitsprung, Stabhochsprung, Dreisprung, Kugelstoßen, Speer- und Diskuswurf und damit ausschließlich leichtathletische Wettbewerbe.328 Bei der Mehrheit der Veranstaltungen handelte es sich um vereinsinterne Wettkämpfe. Athleten, die kontinuierlich gute Leistungen zeigten und den tiokamp dreimal gewannen, erhielten typischerweise eine 324 Die Zeitschrift ist nicht näher benannt. Falun ist eine Stadt in der schwedischen Provinz »Dalarnas län«. Der schwedische Historiker Albert Wiberg hat insgesamt fünf Berichte einer Faluner Lokalzeitung zwischen 1792 und 1794 gefunden (Vgl. die private Korrespondenz mit Magnusson am 27. Juli 2011). 325 Private Korrespondenz mit Magnusson am 27. Juli 2011. Vgl. auch Svahn, 1939. 326 Private Korrespondenz zwischen Zarnowski und Magnusson am 11. September 2003. Zitiert in Zarnowski, 2005, S. 32. 327 Private Korrespondenz mit Magnusson am 27. Juli 2011. 328 [o. A.], 1946, S. 957.
Gymnastik, Sport und Mehrkämpfe des 19. Jahrhunderts
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besondere Trophäe. Ab 1909 war das eintägig durchgeführte Dekathlon außerdem offizieller Bestandteil des nationalen Wettkampfprogramms.329 Neben den Zehnkämpfen gab es ab den 1890ern bereits Vielseitigkeitspreise für Athleten, die in verschiedenen einzelnen Leichtathletik-Disziplinen erfolgreich abschnitten. Um den Gesamtsieger zu bestimmen, wurden die Punkte für erreichte Platzierungen addiert.330 Während sich die Fünfkämpfe in den USA erst allmählich Ende des 19. Jahrhunderts und damit zeitlich nach den Allround-Meisterschaften verbreiteten (vgl. Kap. 4.1.1), setzte die Veranstaltung von femkampen (Fünfkämpfen) in Schweden und in Norwegen sogar nachweislich früher als jene der Zehnkämpfe ein. 1832 soll der Begriff zum ersten Mal in einer schwedischen Herodots-Übersetzung aufgetaucht sein.331 Herodot gab ein Zeugnis davon, wie hoch der Sieger im antiken Pentathlon in der Bevölkerung angesehen war, und dass ein guter Fünfkämpfer gleichzeitig (auch ohne militärische Ausbildung) für den Heeresdienst hervorragend geeignet war (Lange, 1961, S. 65). Circa 50 Jahre später nahm Balck das antike Pentathlon in sein Illustriertes Sportbuch auf und besprach Details einer von ihm empfohlenen Wettkampfausführung. Er hielt ein System der sukzessiven Ausscheidung, bei dem nur die besten Teilnehmer jeweils eine Runde weiter kamen, für sinnvoll und gab folgende Reihenfolge vor : 1. Weitsprung mit einer Mindestweite von 4 – 5 Meter, 2. Speerwurf, 3. 190Meter-Sprint, 4. Diskuswurf, 5. Ringen.332 Knapp ein Jahr nach der Veröffentlichung soll der vermutlich erste schwedische Fünfkampf im Rahmen der »Kongl. Svea Lifgardes gymnastik- och idrottsöfningar« (Gymnastik- und Sportübungen der Königlichen Schwedischen Leibgarde) stattgefunden haben (vgl. Anhang 8.3.2.1): »Der so genannte Fünfkampf war ein sehr interessanter Wettkampf, eine Neuigkeit in Schweden, mit den Wettkämpfen der Antike als Vorbild«.333 Trotz des griechisch-antiken Models umfasste der erste femkamp nicht nur Weitsprung, Speerwurf, Sprint und Ringen, sondern auch Kugelstoßen (statt Diskuswurf). Letzteres wurde wie zu jener Zeit in der Leichtathletik üblich mit Kanonenkugeln durchgeführt und hatte somit einen direkten militärischen Bezug. Was die Siegerermittlung anging, so wurde Balcks Vorschlag angenommen und alle, die eine Mindestweite sprangen, durften am Speerwurf teilnehmen, die vier besten dann weiter am Sprintlauf, die drei schnellsten im Kugelstoßen und die zwei besten machten den 329 Hugo Wieslander wurde am 18. Juli 1909 erster offizieller schwedischer Meister vor Gustav Rönström; er gewann ebenso am 15. Oktober 1911 in Göteborg (Hamacher, 2011, S. 10). 330 Vgl. z. B. [o. A.] (1892d). [o. T.]. Tidning för idrott, S. 318. 331 Carlstedt, 1832. Herodot von Halikarnass(os) (490/480 – 424 v. Chr.) war ein griechischer Geschichtsschreiber. 332 Balck, 1888 – 1889, S. 44 f. Vgl. auch Magnusson, 2005, S. 92 f. 333 Balck & Lindman, 1890, S. 80.
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Sieg im Ringen untereinander aus. Schiedsrichter waren mit Bogeman und Aminoff zwei Hauptmänner und Leiter des Wettkampfs war ebenfalls ein Vertreter der Armee, Leutnant Drake. Carlsson, ein Gardist der 4. Kompanie gewann und erhielt einen Preis von 15 Kronen.334 Während dieser Fünfkampf von 1890 noch seltener Berücksichtigung in den zeitgenössischen Stockholmer Tageszeitungen fand, wurden die femkampen in Schweden und in seinen Nachbarländern in den folgenden Jahren zunehmend populärer. 1891 fand beispielsweise in Norwegen auf der Bygdøyer Rennbahn (im selben Jahr auch in Kristiana (Oslo)) ein Fünfkampf statt (Gundersen & Nilsen, 1952). Geplant war eine Zusammensetzung aus Weitsprung, Speerwurf, 190-Meter-Lauf, Diskuswurf und Ringen. Da allerdings keine Disken vorhanden waren (diese Übung war bis dahin in Norwegen unüblich), wurde der Diskuswurf kurzerhand wie zuvor in Stockholm durch Kugelstoßen ersetzt. Darüber hinaus kürzten die Veranstalter den Lauf aus unbekannten Gründen auf 100 Meter. Anlässlich des »Zweiten Gotländischen Sportfests« wurde am 31. Juli 1892 ein weiterer Fünfkampf in Schweden ausgetragen.335 In der Einladung hieß es, dass der Fünfkampf »zum ersten Mal in Gotland«, einer Insel in Südostschweden, stattfand.336 Acht Athleten meldeten sich an; vier nahmen letztlich auch teil. Warum fünfzig Prozent absagten, ist nicht klar. Jedenfalls entging diesen nicht nur die Chance auf einen Silberpokal, sondern auch auf Geldpreise für die drei Bestplatziertesten.337 Der Gotland-Fünfkampf bestand aus »Varpa-Weitwurf« (mit einer Steinscheibe von mindestens 1,7 kg), Pfahlweitwurf, Weitsprung, 100Meter-Lauf und Ringen (vgl. Anhang 8.3.2.2).338 Interessant ist, dass es sich beim Austragungsort »Visborgs slätt« um einen Militärübungsplatz handelte und mit C. S. Engström entsprechend ein Leutnant die Anmeldungen entgegennahm.339 Wie schon 1890 lag die Wettkampforganisation also gänzlich in militärischer Hand. Die genannten ersten schwedischen Fünfkämpfe entsprachen damit in Zusammensetzung, Reihenfolge und Durchführung nicht durchgängig Balcks Grundidee. Diese wurde erst im September 1892, als weitere Fünfkämpfe in
334 Ebd. 335 [o. A.] (1892a). Program vid Idrottstäflingarna den 31 Juli 1892-Femkamp, S. 1; [o. A.] (1892b). [o. T.]. Gotlänningen. Beim »Ersten Gotländischen Sportfest« 1890 war noch kein Fünfkampf ausgetragen worden. Noch heute wird auf der schwedischen Insel ein Fünfkampf nach altem Stil ausgetragen. 336 [o. A.] (1892c). [o. T.]. Tidning för idrott, S. 270 f. 337 Der Sieger erhielt 50 Kronen (Magnusson, 2005, S. 92 f). 338 [o. A.] (1892a). Program vid Idrottstäflingarna den 31 Juli 1892-Femkamp, S. 1. 339 [o. A.] (1892c). [o. T.]. Tidning för idrott, S. 270 f.
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Norwegen und Schweden stattfanden, in die Praxis umgesetzt.340 Doch ein Jahr später, anlässlich des »Skandinaviska idrottsfest« (Skandinavisches Sportfest) des Allmänna idrottsklubbens (Allgemeinen Sportklubs) waren die klassischen Ideen Balcks offensichtlich schon wieder in Vergessenheit geraten. Die schwedischen Veranstalter zeigten sich dagegen experimentierfreudig, indem sie den Sprintlauf durch Hochsprung ersetzten und die Disziplinen insgesamt neu anordneten.341 Beim »Ersten Gymnastik- und Sportfest« des Svenska gymnastikförbundets (Schwedischen Gymnastikverbands), das vom 12.–14. Mai 1894 in Göteborg durchgeführt wurde, kehrte man allerdings wiederum zu dem von Balck empfohlenen klassischen Modell zurück.342 Axel Lindblad vom Regiment Stockholms AF (vgl. Kap. 3.2.2) entschied den Wettkampf am 13. Mai für sich und blieb auch bei weiteren Fünfkämpfen im folgenden Jahr siegreich.343 Nicht nur die Organisation, sondern auch die Siegerliste, führten damit von Beginn an Offiziere an. In den folgenden Jahren hielten die Schweden teils streng, teils mit geringfügigen Abweichungen, an Balcks Fünfkampfmodell fest. Insbesondere das von ihm empfohlene Ausscheidungssystem hatte sich als probabel erwiesen und sich daher durchgesetzt. Als der Fünfkampf im Rahmen der schwedischen Meisterschaften 1898 und 1900 stattfand, wurden beispielsweise nur der Erst- und Zweitplatzierte in der vierten Disziplin, dem Diskuswurf, zum Ringen zugelassen; erst bei den schwedischen Meisterschaften 1909 – 1911 durften alle in den ersten vier Disziplinen starten. Nur die besten vier Athleten, d. h. diejenigen mit der niedrigsten Gesamtpunktzahl (nach Rängen in den vier Disziplinen), waren zum Ringen zugelassen.344 Mit Nähe zu den Olympischen Spielen von Stockholm orientierten sich die Fünfkämpfe deutlich am olympischen Reglement (vgl. Kap. 5.2.1); lediglich die beidhändige Wurfausführung behielten die Schweden bei (z. B. 1911 in Lund).345 Die Durchführung verschiedener Mehrkämpfe setzte sich also zusammenfassend seit Anfang der 1890er kontinuierlich in Schweden fort. Da Fünfkämpfe schon einige Jahre vor den ersten neuzeitlichen Olympischen Spielen stattfanden, kann davon ausgegangen werden, dass die schwedischen Mehrkämpfe unabhängig von der neuzeitlichen olympischen Bewegung entstanden. Wenn340 Bericht über das Sportfest in Göteborg am 18. September 1892 ([o. A.] (1892e). [o. T.]. Göteborgs Handels- & Sjöfartstidning). 341 Die Ausschreibung des Stockholmer Fünfkampfs besagt, dass dieser folgende Disziplinen beinhaltete: Speerwurf, Hochsprung, Diskuswurf, Weitsprung und Ringen ([o. A.] (1893a). [o. T.]. Tidning för idrott, 27. August, S. 318). 342 [o. A.] (1894a). [o. T.]. Tidning för idrott, S. 148. 343 Vgl. z. B. [o. A.] (1895b). Fünfkampf in Stockholm am 25. August 1895, S. 106. 344 Private Korrespondenz mit Magnusson am 27. Juli 2011. 345 Ebd.
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gleich die damaligen schwedischen Fünfkämpfe nicht den Zusatz »modern« trugen, so gaben die Schweden bzw. die jeweiligen schwedischen Regionen ihnen doch durch veränderte Wettkampfregularien eine individuelle, vom klassischen Modell abweichende Note. Dass Vielseitigkeit bei den Schweden auf Wohlwollen traf, beweist auch die hohe Verbreitung des schwedischen Sportabzeichens, der idrottsmärket.346 Dieses breitensportlich angelegte Abzeichen wurde 1907 in Schweden eingeführt und zielte darauf ab, möglichst viele Landsmänner – bis 1916 ausschließlich Männer – regelmäßig zum Sport anzutreiben.347 Zu dieser Vielseitigkeitsprüfung gehörten üblicherweise Schwimmen, Fechten, Werfen und Springen sowie eine Schnelligkeits- und eine Ausdauerdisziplin, wobei den Teilnehmern Wahlmöglichkeiten eingeräumt wurden.348 Die Bestimmungen für das Sportabzeichen des Schwedischen Reichsverbandes von 1911 teilten die Übungen beispielsweise in fünf verschiedene Gruppen auf: Zur ersten Gruppe gehörten 200-Meter-Schwimmen und Gymnastik, zur zweiten Hochsprung (mindestens 1,35 m) und Weitsprung (mindestens 4,75 m), zur dritten ein 100-Meter-Lauf (maximal 13 Sekunden), ein 400-MeterLauf (maximal 65 Sekunden) und ein 1500-Meter-Lauf (maximal 5:15 Minuten), zur vierten Fechten, Diskus- und Speerwurf (mindestens 40 bzw. 50 Meter) sowie Kugelstoßen (mindestens 16 Meter) und zur fünften, der letzten Gruppe, schließlich verschiedene Ausdauerübungen, darunter ein 10-Kilometer-Lauf (maximal 50 Minuten), 1000-Meter-Schwimmen (maximal 28 Minuten), 10Kilometer-Schlittschuhlaufen (maximal 25 Minuten), 20-Kilometer-Skilaufen (maximal 2:15 Stunden), 20-Kilometer-Radfahren (maximal 50 Minuten) sowie die Teilnahme an einer Fußballmeisterschaft.349 Wenn ein Mann erfolgreich in mindestens einer Disziplin aus jeder der fünf Gruppen abschnitt, so wurde er mit Bronze ausgezeichnet. Erfolgte die Prüfungsablegung regelmäßig in mehreren Jahren, gab es für den betreffenden Athleten entsprechend Silber (vier Jahre) bzw. Gold (acht Jahre). Für ältere Männer, die mindestens 32 Jahre alt waren, war ein besonderer Anreiz dadurch geschaffen, dass sie bereits beim einmaligen Erfolg in je einer Disziplin aus den fünf Kategorien Gold erhielten.350 Mit dem Sportabzeichen oder mit anderen 346 Im Rahmen der Olympischen Spiele von 1912 lernte u. a. auch Carl Diem das schwedische Sportabzeichen kennen. Anschließend fasste er den Plan, ein sportliches Leistungsabzeichen dieser Art ebenso in Deutschland einzuführen, was erneut den Vorbildcharakter des schwedischen Sports für das restliche Europa unterstreicht. 347 [o. A.], 1924, S. 581 f. 348 Die Organisation des Schwedischen Sportwesens, S. 17 f. RÀglement et programme g¦n¦ral des Jeux Olympiques de Stockholm 1911 – 12, Code: JO 1912 S-PROGR, ID: 9929. IOC Archiv Lausanne. 349 [o. A.] (1912 h). L’organisation sportive en SuÀde, S. 94. 350 Ebd.; vgl. auch Correspondances Sveriges Sports Association: Bestimmungen betreffs des
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Auszeichnungen, wie beispielsweise dem Wanderpreis für die beste Jahresleistung in einer Sportart, gelang es, die schwedische Bevölkerung für den Sport zu gewinnen und somit regelmäßige breitensportliche Aktivitäten zu fördern.351 Es war vermutlich Coubertin selbst, der dieses Abzeichen im Juni 1912 in der Revue Olympique bewertete, als einen »Fünfkampf« betitelte und mit seiner Zweckgymnastik in Verbindung brachte (vgl. Anhang 8.3.2.5): »C’est en somme un pentathlon qui rappelle le ›diplúme des Debrouillards [sic!]‹ institu¦ en France il y a sept ans et imit¦ depuis en d’autres pays. Mais il manque l’¦quitation et l’aviron qui ne devraient manquer nulle part et, en SuÀde, moins encore qu’ailleurs.«352
Aufgrund der Parallelen zu seinem eigenen Konzept verwundert es nur wenig, dass er vom schwedischen Sportabzeichen angetan war. Er ging davon aus, dass dieses in den USA und im restlichen Europa bald weitere Anhänger fände, nicht nur weil es praktikabel und leicht umsetzbar, war, sondern auch weil es »genau den gegenwärtigen Ansprüchen genüge«.353 Dennoch bemängelte er gleichzeitig, dass die beiden »Natursportarten« Reiten und Rudern, die sich in Schweden gut umsetzen ließen, nicht Teil der Prüfungen für das Abzeichen waren. In der Außenwirkung trugen die schwedischen Vielseitigkeitsübungen – als Wettkampf sowie als Sportabzeichen – dazu bei, dass ihre Leibesübungen zum Idealbild einer breitgefächerten körperlichen Ausbildung avancierten: »Les Su¦dois se proposent toujours un id¦al oppos¦ aux sp¦cialisation.«354 Das gesamte schwedische Sportsystem schien auf eine breitgefächerte Ausbildung ausgerichtet zu sein. Die einheitliche Regelung der Jugenderziehung in Schweden galt beispielsweise als System, »das geschaffen wurde, um die harmonische Entwicklung des jugendlichen Körpers anzustreben«.355 Diese Sichtweise verfestigte sich in den kommenden Jahrzehnten zunehmend. Im Ausland pries man das schwedische Sportkonzept und sehnte sich nach einem derart »geschlos-
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Sportzeichens des Reichsverbandes. 1911. Diverse övrig korrespondens (EIII:7). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/ 730226). Riksarkivet Stockholm. Mees (1919a). Reise-Erinnerungen aus Schweden, 29. Oktober, S. 402. [o. A.] (1912 h). L’organisation sportive en SuÀde, S. 94. Übersetzung: »Kurz gesagt, das ist ein Fünfkämpf, der an das ›Diplom de D¦brouillards‹ erinnert, das sieben Jahre zuvor in Frankreich eingeführt worden war und in anderen Ländern nachgeahmt wurde. Aber Reiten und Rudern, die auf keinen Fall ausgelassen werden sollten, und besonders nicht in Schweden, fehlen.« Ebd. [o. A.] (1910b). La r¦union du Comit¦ International des Jeux Olympiques Luxembourg, S. 86. Übersetzung: »Die Schweden empfehlen selbst immer noch ein Ideal, das im Gegensatz zu Spezialisierungen steht.« [o. A.], 1921.
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Svensk gymnastik, idrottsmärket, fem- och tiokampen
senen und den einzelnen Landesteilen und Jahreszeiten angepaßten Programm«.356 Coubertin erkannte die Vorzüge des schwedischen Systems ebenfalls früh. Er lobte die schwedischen Einrichtungen, die »alle möglichen Sportarten vom Reiten bis zum Schlittschuhlaufen« anböten, und das »unter Bedingungen, die den besten amerikanischen Klubs von New York, Chicago oder Boston absolut würdig« wären.357 Den schwedischen Sport zog er daher auch als Paradebeispiel gegen die schädlichen Spezialisierungstendenzen heran.358 Letztere liefen auch den Zielsetzungen der schwedischen Armee zuwider.
3.2
Diversität als Gütekriterium der militärischen Ausbildung
Was als gesellschaftlich erstrebenswert gilt, unterliegt einem kontinuierlichen Wandel. Während die militärische Tradition einer Sportart heutzutage eher negativ mit Kriegsbejahung verbunden und daher als wenig erstrebenswert verstanden wird, galt diese noch Anfang des 20. Jahrhunderts als Garant für eine große Anhängerschaft. Wenn die Vielseitigkeit als ein Kernmerkmal von Mehrkämpfen auf ihre militärische Verankerung hin untersucht wird, so liegt dem eine zeitabhängige Interpretation, welche die spezifischen Rahmenbedingungen des endenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts berücksichtigt, zugrunde. Die militärische Vorbereitung auf kriegerische Auseinandersetzungen hatte damals einen hohen Stellenwert in der öffentlichen Meinung. Militärisch-kriegerische Wertvorstellungen prägten folglich nicht nur die Armee, sondern ebenso den Wertekanon der Zivilgesellschaft. Eine neukreierte Sportart sollte entsprechend eine Funktion für die Gesellschaft erfüllen, sie hatte nützlich zu sein (vgl. Kap. 2.1.3). Parient¦ (1978, S. 966) sieht die Bedingungen beim Modernen Fünfkampf erfüllt: »Le pentathlon, l’origine, est une ¦preuve utilitaire, caractÀre militaire. On en retrouve, aujourd’hui la formulation travers le pentathlon moderne […].«359 Auch George Daniels (2000, S. 15), der einige sporthistorische Bücher über die Olympischen Spiele verfasst hat, spricht dem Modernen Fünfkampf einen deutlich militärischen Charakter zu. Er habe insbesondere Balck gefallen, weil »schwedische Offiziere eine ähnliche Art von Wettbewerb als Teil ihrer Ausbildung genossen«. Die Liste könnte hier unendlich weitergeführt werden: Die brasilianische 356 357 358 359
Ebd. Coubertin, 1900, S. 802 – 811. [Coubertin] (1913e). Une campagne contre l’athlÀte sp¦cialis¦, S. 114 f. Übersetzung: »Das Pentathlon war ursprünglich ein nützlicher Wettkampf mit einem militärischen Charakter. Heute finden wir die Formulierung immer noch im Modernen Fünfkampf.«
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Sporthistorikerin Ana Maria Miragaya (2006, S. 157) schreibt in ihrer Dissertation, dass der Moderne Fünfkampf ursprünglich »military pentathlon« genannt wurde; der deutsche Autor Dieter Christoph (1971, S. 136) stellt fest, dass »vor allem schwedische Offiziere« den Modernen Fünfkampf »zu Anfang« (und damit meint er um 1900) betrieben, »unter dem Gesichtspunkt ihrer militärischen Ausbildung«. Allen Autoren ist gemeinsam, dass sie nicht erläutern, woraus sie ihre Schlussfolgerungen ziehen, sprich keine Quellen für ihre Thesen angeben. Sofern der Moderne Fünfkampf tatsächlich militärischen Ursprungs ist, müssten weite Teile der Bevölkerung und insbesondere des militärischen Führungspersonals ihn in dieser Zeit als nützlich für die Ausbildung ihrer Soldaten angesehen haben. Im ersten Teilkapitel wird daher der Mehrkämpfer als militärisches Idealbild untersucht (vgl. Kap. 3.2.1). Während hier allgemeine gesamteuropäische Einschätzungen zum Tragen kommen, steht im zweiten Abschnitt die schwedische Armee im Mittelpunkt. Es wird untersucht, was bislang nur thesenhaft Erwähnung fand, nämlich ob Mehrkämpfe (in der Form des späteren Modernen Fünfkampfs oder in ähnlicher Zusammensetzung) traditioneller Bestandteil des nationalen militärischen Trainings waren (vgl. Kap. 3.2.2). Die spätestens mit dem Jahr 1911 einsetzende konkrete Vorbereitung auf den olympischen Modernen Fünfkampf wird dabei ausgespart und erst später wieder aufgegriffen (vgl. Kap. 5.2.1). Existierte dagegen schon vor diesen Testwettkämpfen eine gewachsene Militärsportpraxis, fände die nationale Überlegenheit der Schweden eine plausible Erklärung. Der Moderne Fünfkampf würde in diesem Fall die Kontinuitätslinie eines vielseitigen schwedischen Militärtrainings im Verlauf des 20. Jahrhunderts fortführen und mit den Olympischen Spielen auf einen weiteren gesellschaftlichen Bereich ausweiten.
3.2.1 Vom Sportplatz aufs Schlachtfeld: der Mehrkämpfer als idealer Offizier »Diese Sportart prägt den Idealtyp des modernen Soldaten und Sportmannes, einen Typ, der den heikelsten Bedingungen des sportlichen, vielseitigen Wettkampfes auch auf längere Zeit gewachsen ist.«360
Mit diesen Worten beschrieb der deutsche Hauptmann H. Heigl den Modernen Fünfkampf noch mehr als vierzig Jahre nach seiner Einführung. Die Statistiken geben ihm Recht: Bis in die 1950er Jahre nahmen nahezu ausschließlich Offiziere an dieser olympischen Sportart teil (vgl. Kap. 5, 6). Während das zum Teil auf Gründen der Praktikabilität beruhte, waren vermutlich auch ideologische As360 Heigl, 1957, S. 1. Zitiert in Gelbhardt, 1985, S. 24.
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pekte dafür verantwortlich, dass sich insbesondere diese Gesellschaftsgruppe dem Modernen Fünfkampf zuwandte. Dies gibt Anlass nachzuforschen, welche Eigenschaften Ende des 19. Jahrhunderts einen idealen Offizier ausmachten und inwiefern diese ihre Entsprechung im Mehrkämpfer fanden. Die Revolutionskriege, die Napoleonischen Kriege, die Befreiungskriege, die Koalitionskriege, die deutschen Einigungskriege: Das 18. und 19. Jahrhundert waren von Kriegen zwischen den rivalisierenden europäischen Großmächten, allen voran das Deutsche Reich, Frankreich und England, gezeichnet. Diese Konkurrenz und anhaltende Revanchegedanken zogen eine zunehmende gesellschaftliche Militarisierung nach sich.361 Das Bewusstsein für einen drohenden Krieg wuchs insbesondere gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Die unsichere außenpolitische Gesamtlage veranlasste die europäischen Staaten dazu, sich gegen mögliche feindliche Angriffe zu rüsten. Dies wiederum erregte Furcht in der Bevölkerung. Nahm ein Bürger guten Gewissens seine gesellschaftlichen Pflichten war, so suchte er neuerdings nach Antworten auf Fragen wie die folgenden: »Where are our soldiers and what is their preparation?«362 Gleichzeitig schuf die politische Situation Ende des 19. Jahrhunderts Raum für militärische Ideale, die begannen, unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche zu dominieren. Die Gymnastik und der sich von England ausbreitende Sport waren davon nicht ausgenommen. Dabei war die Idee, militärische und athletische Motive miteinander zu verbinden, nicht neu. Sie fand bereits in der griechischen Antike Verbreitung: »Es bleibt festzuhalten, dass bereits in der Antike die wesentlichen gesellschaftlichen und individuellen Sinnmomente anzutreffen sind, die die weitere Entwicklung der europäischen Bewegungskultur und Leibeserziehung entscheidend geprägt haben: Selbstvervollkommnung, Wehrertüchtigung, Gesundheit und gesellschaftliches Spektakel.« (Prohl & Scheid, 2009, S. 15)
»Wehrertüchtigung« gehörte also schon damals zu den Zielsetzungen, die eng mit den Leibesübungen verknüpft waren (vgl. Kap. 2.2.1). Insbesondere die antiken Fünfkämpfer galten als ideale Athleten und auch im 20. Jahrhundert wurden sie noch zur Beschreibung besonders breitschultriger und muskulöser Sportler herangezogen.363 Wie bereits erwähnt propagierten auch die Vertreter der Gymnastik die Nützlichkeit ihrer Übungen für das Vaterland (vgl. Kap. 3.1.1). In Schweden sowie in anderen europäischen Ländern war die Gymnastik daher schon Ende des 19. Jahrhunderts Bestandteil des militärischen Ausbildungsprogramms (vgl. 361 Vgl. Wehler (1995, S. 880 – 885), der eine zunehmende Militarisierung der Zivilgesellschaft im wilhelminischen Kaiserreich beschreibt. 362 [o. A.], 1915, S. 509. 363 Donop, 1919, S. 212.
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Kap. 3.2.2). Nur wenige Zeit später zeugte die Unterstützung der Kriegsvorbereitungen durch sportliches Training allerdings davon, dass patriotische Zielsetzungen und eine vielseitige Schulung nicht als Unterschied zwischen den beiden Leibesübungskonzepten bestehen konnten. Denn im Sport (und auch im Militärsport) lag der Schwerpunkt zwar auf den individuellen Fähigkeiten des Einzelnen, doch konnten auch diese im Ernstfall im Sinne der Lingschen Gymnastik kontrolliert und einem gemeinsamen Ziel untergeordnet werden (Trangbæk, 1998, S. 144). Der Ausgang sportlicher Wettkämpfe entwickelte sich somit zu einem Spiegelbild militärischer Stärke: »The Olympic Games are a war, a real war. You can be sure that many participants are willing to offer – without hesitation – several years of their life for a victory of the fatherland… The Olympic idea of the modern era has given us a symbol of world war, which does not show its military character very openly, but – for those who can read sports statistics – it gives enough insight into world ranking.«364
Entsprechend wurden sportliche Niederlagen nicht als individuelles Versagen, sondern als Zeichen nationaler Schwäche interpretiert (Krüger (A.), 1993, S. 93). Der Wunsch, dass sportliche Leistung gleichzeitig Bestandteil des Vaterlandsdienstes sein sollte, wurde zwar gehäuft um die Zeit des Ersten Weltkriegs laut (vgl. Kap. 6.1), hatte sich allerdings schon vorher, mit Beginn der europäischen Sportentwicklung, herauskristallisiert. Rückblickend erklärt der britische Schriftsteller George Orwell (1945) die Nähe des Sports zur Armee folgendermaßen: »Serious sport has nothing to do with fair play. It is bound up with hatred, jealousy, boastfulness, disregard of all rules and sadistic pleasure in witnessing violence: in other words it is war minus the shooting.«
Stehende Heere, die eine schnellere Reaktion auf Angriffe erlaubten, waren in den meisten europäischen Ländern seit der Frühen Neuzeit verbreitet. Sie erforderten jedoch ein regelmäßiges Training, das darauf vorbereitete, ständig einsatzbereit zu sein (Melichar, 1997, S. 105). Neben den Vorzügen für die körperliche Ausbildung versprach der Sport hier auch spezifische Wertvorstellungen zu entwickeln, die anerkannterweise sowohl für den Athleten als auch für den Soldaten nützlich waren.365 Ein Sportmann zu sein bedeutete nämlich auch, die moralischen Merkmale des sportlichen Wettkampfs mit den erwarteten Pflichten eines männlichen Bürgers zu Kriegszeiten zu verknüpfen (Phillips, 1997, S. 89). Der Mehrkampf wurde dabei typischerweise nicht mit dem gemeinen Soldatentum, sondern mit dem Offizierswesen in Verbindung gebracht, gar als 364 Berner, 1913, S. 495 f. Zitiert in Krüger, 1997, S. 91. 365 H¦bert, 1912 [1941], S. 12.
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»Offiziersfünfkampf« betitelt.366 Wenn Heigl wie anfangs zitiert dennoch im Zusammenhang mit dem Modernen Fünfkampf vom »Idealtyp des modernen Soldaten« sprach, so ist dies wohl auf eine semantische Ungenauigkeit zurückzuführen. Die Bezeichnung »Soldat« wurde nämlich sowohl als Oberbegriff für sämtliche Streitkräfte als auch speziell für Soldaten niedrigen Rangs gebraucht. Beim »Offizier« handelte es sich dagegen um einen höherrangigen Soldaten, der mindestens den Dienstgrad eines Leutnants innehatte, und damit eine entsprechend höhere Befehlsbefugnis. Dem Land als Offizier zu dienen galt dabei als Ehre und fand allgemein hohe gesellschaftliche Anerkennung (Busch & Neugebauer, 2009, S. 86). Um die an ihn herangetretenen Aufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen, musste der Offizier wiederum spezifische Voraussetzungen mitbringen. Soweit die Theorie, doch in der Praxis lief dies häufig darauf hinaus, dass vorzugsweise Söhne adliger Herkunft Zugang zu höheren Posten bekamen. In der preußischen Armee war der Anteil der Adelssöhne zwar besonders hoch, dennoch repräsentierte die nationale Statistik einen allgemeinen Trend, der als richtungsweisend für ganz Westeuropa galt (Pröve, 2006, S. 36). Während also beispielsweise im 18. Jahrhundert 90 Prozent der preußischen Offiziere Adelssöhne waren, blieben es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – ohne die Reserveoffiziere einzurechnen – immer noch 60 bis 70 Prozent (Reif, 1999, S. 18; Busch & Neugebauer, 2009, S. 86). Im Alltag spielte die ständische Gesellschaft zwar eigentlich keine Rolle mehr – seit Beginn des 19. Jahrhunderts waren Offiziersstellen prinzipiell auch für Nichtadlige geöffnet – doch hatte sich faktisch nur wenig geändert. »Zwar wurde die rechtliche Gleichstellung adliger und bürgerlicher Offiziersanwärter hergestellt, jedoch keineswegs eine soziale Ebenbürtigkeit erreicht.« (Pröve, 2006, S. 36). Die Qualifikation blieb häufig zweitrangig, obwohl zunehmend eine militärische und schulische Grundbildung als Aufnahmekriterien eingefordert wurden. Insbesondere die Herrenreiter, die Amateur-Rennreiter (Jockeys) waren, setzten sich Ende des 19. Jahrhunderts nach wie vor aus Adligen zusammen und taten ihren Dienst als Kavallerieoffiziere (in berittenen Einheiten). Die wenigen bürgerlichen Offiziere gehörten im Allgemeinen der für großkalibrige Geschütze zuständigen Artillerie an (Eisenberg, 1999, S. 173). Und falls es doch mal ein Bürgerlicher war, der exzellente Voraussetzungen für den Generalsrang in der Kavallerie mitbrachte, so wurde er einfach kurzerhand nobilitiert, so dass sich die adlige Exklusivität im Offiziersstatus weiterhin fortsetzte (Melichar, 1997, S. 105; Pröve, 2006, S. 36). Doch welche Eigenschaften wurden von einem Offizier im Einzelnen erwartet, und warum stellten der Sportler im Allgemeinen und der Mehrkämpfer im 366 Vgl. z. B. [o. A.], 1926, S. 999 ff.
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Speziellen besonders geeignete Rekruten dar? In einer ohnehin maskulin dominierten Welt wurde von einem Offizier erwartet, dass er Stärke und Männlichkeit verkörperte. Die Erinnerung an jüngste kriegerische Auseinandersetzungen in Europa untermauerte die Notwendigkeit soldatischen Heldentums. Der sportliche Wettkampf bot eine Plattform, diese Maskulinität vor dem heimischen Publikum – bei internationalen Wettkämpfen auch vor der Welt – zu präsentieren. Das stärkte wiederum das Nationalgefühl und machte gleichzeitig das Engagement in der Armee gesellschaftlich attraktiver. In Militärkreisen herrschte typischerweise die Meinung, dass die körperliche Erziehung grundlegend für das erfolgreiche Bestehen der Soldaten im Kampf und damit für militärische Siege sei. Zeitgenössische Mediziner untermauerten diese Annahme und ließen keine Zweifel an deren Richtigkeit aufkommen. Die Regierungen befürworteten daher die Einführung einer sportlichen Vorbereitung ihrer Streitkräfte, erlaubte sie der Armee doch die geforderten Hauptaufgaben, »die Jugend zu stärken, die ›Rasse‹ zu verbessern und robuste und mutige Soldaten vorzubereiten«, zu erfüllen.367 Daher verwundert es nicht, dass die Mitglieder der Sportvereine schon bald eine der größten gesellschaftlichen Gruppen in der Armee bildeten. Von ihrer Altersstruktur und ihrer körperlichen Verfassung her besaßen die Wettkämpfer beste Voraussetzungen für einen militärischen Einsatz. Der Militärsport befähigte sie umgekehrt als Offiziere dazu, die Amateurregel einzuhalten und damit in offiziellen Wettkämpfen gegeneinander anzutreten. Für den Offizier verschmolzen daher militärisches und sportliches Training, die sich lediglich in ihren Zielsetzungen unterschieden. Die Auswahl der militärisch geeigneten Übungen war dabei in der Vorbereitung auf mögliche kriegerische Auseinandersetzungen begründet und orientierte sich an der Instrumentalisierungseignung der gewählten Disziplinen: »Denn aller Sport, alles Spielen, alles Turnen haben beim Militär ihren Zweck verfehlt, wenn sie Selbstzweck werden, wenn sie nicht militärisch zweckmäßig sind.«368 So musste ein Offizier beispielsweise gut reiten können, insbesondere weil berittene Einheiten bis zum Ende des 19. Jahrhunderts fester Bestandteil der Militärtaktik waren. Während die zivilen Herrenreiter Reitsport als Training für die Kavallerie betrachteten, stellte der Militärdienst für den Kavallerieoffizier ebenso eine Vorbereitung auf sportliche Wettkämpfe dar (Eisenberg, 1999, S. 177). Der deutsche Historiker Franz Carl Endres führt in seinem Aufsatz über die Militarisierung der Gesellschaft des deutschen Kaiserreichs an, dass das Pferd bei den bürgerlichen Artillerieoffizieren maßlos überschätzt wurde und 367 [o. A.] (1904b). [o. T.]. Tous les sports. Zitiert in Spivak, 1983, S. 780 (Anmerkung 264, S. 822). 368 Wiedemann (1919b). Ziele und Wege der Leibesübungen beim Militär, S. 236.
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dazu führte, dass an die »Stelle des Bestrebens, schießtechnisch zu glänzen«, der Ehrgeiz getreten sei, »so gut zu reiten, und so gut beritten zu sein wie der Kavallerieoffizier«.369 Dies führte wiederum dazu, dass der Reitsport für bedeutsamer im Hinblick auf militärische Belange eingeschätzt wurde als vergleichsweise andere Sportarten: »Es ist schon die Vorbereitung des Pferdes wie der eigenen Person des Reiters für das Rennen, der [sic!] Training, für den berittenen Offizier von allergrößtem Nutzen in bezug [sic!] auf dessen militärischen Beruf wie auf seine und seines Pferdes Leistungsfähigkeit. […] Trainierte Pferde und trainierte Reiter vermögen daher auch den Anstrengungen, welche in Friedenszeiten den Dienst auf Patrouillen- oder sonstigen Dauerritten an sie stellt, und ebenso den Strapazen im Kriege, ungleich besser zu widerstehen, als untrainierte. So ist die Vorbereitung des Reiters für den Sport und der Sport selbst zugleich ein wesentlicher Teil der Vorbereitung des Soldaten für seinen Beruf im Felde. Der [sic!] Training stählt die Nerven und stärkt die Muskeln des Reiters, und das Reiten im Gelände wie im Hindernisrennen verleiht ihm die kaltblütige Ruhe in der Gefahr, den schnellen Überblick bei der Beurteilung des Geländes.«370
Unter den Reitdisziplinen erfreute sich das »Military« – heute »Vielseitigkeitsreiten« oder »Eventing« genannt – in Militärkreisen besonderer Beliebtheit. Es verband unterschiedliche Anforderungen an Pferd und Reiter (Ausdauer, Dressur, Gelände/Hindernis und Springen) in einer Sportart und galt daher als Mehrkampf unter den Pferdesportdisziplinen (Deutsche Reiterliche Vereinigung e. V., o. A.). Interessant ist dabei, dass es sich um einen eigens vom Militär ins Leben gerufenen Wettkampf handelt, der gezielt auf die spezifischen Trainingsbedürfnisse der Kavallerie reagieren sollte. Dies mag neben den allgemeinen Amateurregularien dazu beigetragen haben, dass die aktive Zugehörigkeit zum Offiziersstand und der Besitz eines eigenen Dienstpferdes insbesondere im »Military« Grundvoraussetzungen für eine Wettkampfteilnahme waren. Doch neben dem Reiten wurden auch andere Sportarten, die ebenso militärische Notwendigkeiten ansprachen, in das Training der Armee einbezogen. So trugen beispielsweise auch der Orientierungs- und Patrouillenlauf, das Schießen und Fechten einen militärischen Charakter.371 Insbesondere die beiden letztgenannten Sportarten zählten zusammen mit dem Reiten zu den typischen Offiziersdisziplinen, weil sie traditionell von den zu Pferd kämpfenden Streitkräften ausgeübt wurden. Diese nahmen zumindest bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in der Kriegstaktik einen wichtigen Platz ein und blieben dem Armeesport als 369 Endres, 1927, S. 288 f. Zitiert in Eisenberg, 1999, S. 173 f. 370 Westrell, 1907, S. 2. Zitiert in Eisenberg, 1999, S. 177 f. 371 Mees (1919b). Reise-Erinnerungen aus Schweden, 19. November, S. 439.
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Relikt noch länger erhalten. Auch Sportarten, die auf den ersten Blick weniger deutlich mit der Armee verbunden waren, zeigten Parallelen auf: »Das Persönlichkeitsbild eines idealen Fußballspielers entsprach dem des modernen Soldaten […].« (Eisenberg, 1999, S. 193) Ein weiteres konkretes Beispiel ist Spiridon Louis, der sich schon, bevor er Sieger im ersten Marathonlauf der modernen Olympischen Spiele wurde, durch seine Ausdauer bei Botengängen im Militärdienst einen Namen gemacht hatte (Gabler, 1997, S. 182). Während einige der genannten sportlichen Aktivitäten, insbesondere das Reiten, schon früh Bestandteil des Trainingsprogramms der Kavallerie waren, bahnte sich mit Beginn des 20. Jahrhunderts in der Armee eine Änderung an, die auch der Infanterie, den Bodenstreitkräften, eine ähnliche, unbestreitbar zweckdienliche Sportausbildung erlauben sollte. Das Ziel der Kriegsvorbereitung im Hinterkopf und auf den eigenen Erfahrungen im heimischen Sportklub aufbauend, fand auch die Bevölkerung »an dieser Art der Betätigung der Offiziere nichts Absonderliches, ebenso wie für die Offiziere die gestellte Aufgabe nichts Ungewöhnliches war.«372 Die Sportvereine erhofften sich durch den erweiterten Adressatenkreis eine Erhöhung der Mitgliederzahl und bessere Wettkampfresultate. Tennis, Polo, Golf, Rudern, Segeln und Fechten zählten beispielsweise zu den Herren- bzw. Offiziersportarten. Die institutionellen Voraussetzungen in der Armee ermöglichten den Offizieren, auch zeitlich und finanziell aufwendige Sportarten zu betreiben: »Nicht etwa, weil sie nicht auch der einfache Mann ebenso tüchtig und erfolgreich betreiben könnte wie der Offizier, sondern aus sozialen Gründen, da ihr Betrieb derartige Kosten erfordert, wie sie die große Masse nicht aufbringen kann.«373
Die militärische Instrumentalisierung des Sports nährte rückblickend allerdings auch die Kritik, dass es sich beim Wehrsport um keinen Sport im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr um einen »Pseudosport« handelte. So kommentierte der deutsche Sporthistoriker Hajo Bernett (1981, S. 304) eine Untersuchung Hermann Bachs über den Wehrsport in der Weimarer Republik wie folgt: »Als unfreier Dienst steht Wehrsport außerhalb dessen, was man mit gutem Gewissen Sport nennen kann.« Der Sport wäre damit, solange er in der Armee betrieben wurde, kein Sport im eigentlichen Sinn, sondern ganz nüchtern Teil der Kriegsvorbereitung. Nun bleibt allerdings anzumerken, dass diese differenzierte Betrachtung Anfang des 20. Jahrhunderts noch keine Rolle spielte. Die Tatsache, dass Disziplinen, die wir aus heutiger Sicht als Wehrsport bezeichnen (wie beispielsweise der Militärpatrouillenlauf), regelmäßig von den Streitkräften praktiziert wurden, galt als selbstverständlich und keineswegs als Ausschluss372 Ebd. 373 Wiedemann (1918b). Der Offiziersport in seinen Formen und Aussichten, S. 102.
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kriterium für die Anerkennung als olympische bzw. internationale Wettkampfsportart. Neben der gezielten Schulung der erwähnten kampftauglichen Sportarten stand von Beginn an eine vielseitige Ausbildung im Mittelpunkt des militärischen Sportprogramms. Denn je umfassender die physischen und psychischen Anforderungen waren, desto höher war auch der daraus resultierende Nationalstolz, der sich bei sportlich erfolgreichem Abschneiden einstellte. Die unterschiedlichen Fertigkeiten, die einem sportlichen und damit idealen Soldaten zugeschrieben wurden, kristallisierten sich schon Anfang des 20. Jahrhunderts heraus, und entflammten neu in der Zeit um den Ersten Weltkrieg (vgl. Kap. 6.1): »Ein guter Soldat muß ausdauernd marschieren, Handgranaten werfen, laufen, springen, tragen können, kurz ein durchaus vielseitig durchgebildeter Mensch sein, ein Mehrkämpfer im wahrsten Sinne des Worts. Und zwar muß er in allen Lagen, zu allen Zeiten sein Bestes hergeben können. […] Der rechte, tüchtige Soldat muß in allen Sätteln zu Hause sein: zu jeder Stunde, in allen Lagen sich als höchst leistungsfähig bewähren.«374
Der Status des Offiziers und die damit zusammenhängenden günstigen Trainingsbedingungen machten ihn auch zu einem idealen Mehrkämpfer aus sportlicher Perspektive. Letztlich profitierten also beide Seiten, Armee und Sport, von der Entwicklung. Dabei herrschte Einigkeit, dass der Sport und speziell der Mehrkampf sinnvolle militärische Trainingsmaßnahmen darstellten. Offiziere hatten zudem damals zahlreiche Gelegenheiten, ihr Können durch eine Teilnahme an sportlichen Wettkämpfen unter Beweis zu stellen.375 Folglich erlebte die europäische Offiziersportbewegung einen deutlichen Aufschwung, der bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs nicht aufzuhalten war. Auch Schwedens Truppen waren gerüstet und intensivierten ihre militärsportlichen Vorbereitungen.
3.2.2 Trainieren für den Ernstfall: die schwedische Militärsportpraxis Die Verbindung von athletischen Übungen mit militärischem Nutzen hat eine lange Tradition in Skandinavien. Schon zur Zeit der Wikinger (ca. 800 – 1250 v. Chr.) sollen Männer dort Mehrkämpfe militärischer Natur, mit Laufen, Ringen, Speerwurf und einem speziellen Lauf über gleitende Ruder, durchgeführt haben (Zarnowski, 2001, S. 7). Eine Verbindung von Skilanglauf und Schießen diente ursprünglich dem Jagen und damit der Überlebenssicherung. Schon im 16. Jahrhundert erkannten die Skandinavier allerdings deren militärischen 374 Wiedemann (1919b). Ziele und Wege der Leibesübungen beim Militär, S. 236 f. 375 Wiedemann (1918b). Der Offiziersport in seinen Formen und Aussichten, S. 103.
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Nutzen. Als beispielsweise 1555 eine finnische Armee eine russische schlug, soll dies u. a. an ihren »biathletischen« Fertigkeiten gelegen haben. Ebenso kamen im Großen Nordischen Krieg (1700 – 1718) Ski-Einheiten zum Einsatz (Niinimaa, 1998, S. 1). Im 19. Jahrhundert nahmen auch russische, deutsche, österreichische und schweizerische Soldaten Schießen auf Skiern in ihr Trainingsprogramm auf. Der schwedische Militärsport umfasste zunächst schwerpunktmäßig Winterdisziplinen, unterschied sich allerdings im Hinblick auf seine Zielsetzungen wenig von dem anderer europäischer Länder. Frankreich setzte nach der derben Niederlage von 1870/71 ebenso auf eine Verbesserung der Fitness in der Bevölkerung, um die nationale Verteidigungslage zu verbessern. Der französische Politiker L¦on Gambetta (1838 – 1882), der als »geistiger Vater des republikanischen Wehrgedankens« gilt (Arnaud & Gounot, 1995, S. 302 f), brachte die militärisch-sportlichen Erziehungsziele Frankreichs auf den Punkt: »Überall muß dem Lehrer und Gymnastikleiter ein militärischer Instruktor zur Seite gestellt werden, damit unsere Kinder, unsere Soldaten, unsere Mitbürger in die Lage versetzt werden, den Degen zu führen, ein Gewehr zu betätigen, lange Märsche zu ertragen, Nächte unter freiem Himmel zu verbringen und für das Vaterland tapfer alle Prüfungen zu bestehen.«376
Eine Verbesserung der Kriegstauglichkeit lag auch im Mittelpunkt der militärsportlichen Anstrengungen der schwedischen Streitkräfte.377 Ebenso wie Frankreich zeigte sich Schweden aufgrund früherer Kriegsniederlagen – beispielsweise gegen Russland (1808/1809) – besonders empfänglich für neue Impulse im Militärwesen. Das schwedische Militärsystem des 19. Jahrhunderts stammte dabei noch aus der Zeit der napoleonischen Herrschaft (1799 – 1812). Es war aus der Notwendigkeit heraus entstanden, ohne große finanzielle staatliche Mittel eine kampfbereite Armee zu bilden. Seit dem Verlust Finnlands an Russland (1809) hatte Schweden allerdings nicht nur ein Drittel seiner Fläche, sondern auch ein Viertel seiner Bevölkerung verloren. Russland hatte so den gesamten östlichen Ostseeraum einschließlich der schwedischsprachigen Aland-Inseln eingenommen: nach Napoleons Worten »eine Pistole, gerichtet auf das Herz Schwedens« (Tuchtenhagen, 2008, S. 113). Die erhoffte Unterstützung fand das schwedische Königshaus in den Landbesitzern, mit denen eine Art Pakt geschlossen wurde, der die Finanzierung der Soldaten sicherte. Das System sah eine Unterteilung in zwei Typen von Streit376 Rede von Gambetta in Bordeaux am 26. Juni 1871. Übersetzt und zitiert in Arnaud & Gounot, 1995, S. 317 (Anmerkung no. 20). 377 Brief vom Kungl. Vaxholms Kustart. reg:ts irottsförening an das SMI. 23. Februar 1910. Inkommande skrivelser 1909 – 1910 (EI: 2). Sveriges militära idrottsförbund-Överstyrelsen. Krigsarkivet Stockholm.
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kräften vor: Indelta (eingezogene Soldaten) sowie Värvade (angeworbene Söldner). Statt eines Soldes erhielten die Indelta-Offiziere ein Stück Land, das sie kultivieren durften. Das schwedische Militärsystem war beliebt und funktionierte, so dass es sich bis ins 20. Jahrhundert hinein hielt (Nilsson, 1989, S. 66 – 80). Auch von Deutschland aus bewertete man die schwedische Indelta-Armee positiv »als das eigentliche Bollwerk der Unabhängigkeit des Landes«.378 Tatsächlich täuschte die Kampfmoral der Schweden, die sich insbesondere daran zeigte, dass ein Desertieren oder Überlaufen zu den gegnerischen Streitkräften praktisch nicht vorkam, jedoch lediglich über die Schwächen des Systems hinweg. Der größte Nachteil war die geringe Armeegröße und die dürftige Ausbildung der Rekruten, die zu Friedenszeiten auf ihren Gehöften lebten (Indelta) oder Zivilberufen nachgingen (Värvade). Nur gelegentlich gab es Drillübungen und im Sommer ein nur wenige Wochen dauerndes Ausbildungsprogramm (Selander, 1976, S. 541 – 546). Als dies nicht mehr ausreichte, um gegen potentielle Angriffe gerüstet zu sein, musste eine Reform der Heeresordnung eintreten. Mit dem Jahr 1901 wurde daher die allmän värnplikt (allgemeine Wehrpflicht) eingeführt,379 die das bisherige Indelta-System ablöste und den Wehrdienst von 90 auf 240 Tage für die Infanterie und von 90 auf 365 Tage für Spezialtruppen verlängerte. Offiziere hatten neuerdings sogar ganzjährig Dienst zu leisten, und sämtliche Militärangehörige befanden sich nun geschlossen in städtischen Kasernen, statt wie zuvor als Bauern verteilt auf dem Land zu arbeiten. Der Hauptvorzug des neuen Systems war die größere Anzahl an einsetzbaren Streitkräften. Als wehrpflichtig galt nämlich jeder gesunde Schwede zwischen 18 und 30 Jahren, so dass jedes Jahr automatisch neue Rekruten hinzukamen (Tuchtenhagen, 2008, S. 114). Vier Jahre nach der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht löste sich die 1814 mit Norwegen eingegangene Union auf.380 Dies führte zwar nicht direkt zu blutigen Kämpfen, ließ jedoch beide Seiten zusätzlich aufrüsten (Kan, 1978, S. 147). Schweden befand sich in einer neuen außenpolitischen Lage, weil ein Rückzug nach Norwegen nun nicht mehr möglich war und sich die Truppenstärke durch den Verlust norwegischer Einheiten verringert hatte. Daneben stachelte die anhaltende Furcht vor einem Angriff Russlands die militärischen Ambitionen zur Stärkung der schwedischen Armee zusätzlich an. Zu den Aufrüstungsbefürwortern zählten u. a. der konservative Publizist Sven Hedin (1865 – 1952), Gustav V. (1858 – 1950) sowie zahlreiche Bauern. Nachdem die liberale Regierung von Karl Staaff (1860 – 1915) 1906 abgedankt hatte, setzte sich 378 [o. A.] (1831a). Schwedische Landmacht, S. 485. 379 Die Wehrpflicht war in Schweden erstmals während der napoleonischen Kriege 1812 für Männer zwischen 20 und 25 Jahren eingeführt worden, bestand seither auch in Friedenszeiten, in ihrer modernen Form seit 1901 (Trangbæk, 1998, S. 143). 380 Stieve, 1916, S. 17.
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dieser Kurs in den folgenden vier Jahren mit der gemäßigt-konservativen Regierung unter Arvid Lindman (1862 – 1936) fort. Auch die erste demokratische Regierung (1911 – 1914), erneut unter Staaff, setzte den politischen Schwerpunkt auf die Verteidigungsstrategie (Tuchtenhagen, 2008, S. 114). Die neu eingeführte Wehrpflicht und die damit verbundenen Aufrüstungsambitionen erforderten allerdings gleichzeitig eine Neustrukturierung des militärischen Trainings. Der Stellenwert sportlicher Leibesübungen in der schwedischen Armee wuchs, was wiederum Schwedens Außenwirkung als traditionelles Militärsportland stärkte.381 Ausländische Offiziere, die das schwedische System vor Ort begutachteten, kamen zu dem Schluss, dass es sich bei den Schweden um ein besonders kriegerisches Volk handele, das alle Eigenschaften mitbringe, die einen guten Soldaten ausmachten. Insbesondere das deutsche Militär warf einen bewundernden Blick gen Norden: »Sie sind ein schöner schlank gewachsener Menschenschlag; ihr raues aber gesundes Klima gewöhnt sie an Entbehrung und Abhärtung, und begünstigt die Entwicklung ihrer physischen Kraft; kein Soldat hat einen tieferen Respekt, einen unbedingteren Gehorsam gegen die Befehle seiner Offiziere, keiner ist in höherem Grade mit jener unerschütterlichen Ausdauer, jener schweigsamen stoischen Resignation, jenem ruhigen und kalten Mute begabt, kurz mit allen jenen Tugenden der Völker des Nordens, denen sie so manchen Triumph über die Söhne des Südens verdanken.«382
Doch an diesem Idealbild des 19. Jahrhunderts wollte die deutsche Armee im Laufe der kommenden Jahrzehnte nicht mehr blindlings festhalten und unterzog das militärische Trainingsprogramm einer genaueren Untersuchung: »Unser freundnachbarliches Schweden übt rein sportliche Betätigung im Heere wohl von allen Nationen so ziemlich am längsten und verfügt demnach über reichliche Erfahrungen, die zum Ausbau des Militärsports in seiner jetzigen Form und Umfang Anlaß gaben. Der Sportbetrieb ist ein Teil des Dienstprogramms, ja, in gewissem Sinne, der Dienst überhaupt, denn sobald der Rekrut leidlich in die Haupt- und Anfangsgründe militärischen Wissens eingedrungen ist, wickelt sich nach und nach der ganze rein militärische Dienst gewissermaßen sportlich wettkampfmäßig ab, so daß sozusagen jedes Regiment ein militärischer Sportverein ist.«383
Im Hinblick auf die Verbindung von Leibesübung und Militär galt Schweden somit als fortschrittlich. Das schwedische Militärwesen verstand es, das Wettkampfmoment gezielt zu nutzen, »um die Leistungsfähigkeit aller Dienstzweige bis zum höchstmöglichen Grad zu steigern«.384 Körperliches Training gehörte zu
381 382 383 384
[o. A.], 1920, S. 84. [o. A.] (1831b). Kupffer’s Reise nach dem Kaukasus, S. 490. Mees, 1920, S. 18 f. [o. A.], 1920, S. 84.
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den offiziellen Dienstpflichten, so dass schwedische Soldaten häufig gleichzeitig Gymnastik- oder Sportlehrer waren.385 Zur Verbreitung des militärsportlichen Rufs Schwedens trugen nicht zuletzt auch die binationalen Wettkämpfe gegen Frankreich bei, die 1900 beispielsweise schwedische Gymnasten und Schwimmer nach Paris brachten oder 1906 nach Berlin.386 Zuvor, beginnend in den 1890er Jahren, waren schon militärinterne Wettkämpfe nach englischem Vorbild in den verschiedenen schwedischen Regionen abgehalten worden (Wolke, 2000).387 Vorreiter war hier der Stockholmer Militärsportbezirk. Im späten 19. Jahrhundert und im frühen 20. Jahrhundert, insbesondere zwischen 1906 und 1908, gründeten sich Sportvereine innerhalb der militärischen Einheiten. Diese waren zwar formal unabhängig, doch in der Praxis von den Regimentern organisiert (Svenska mngkampsförbundet Utgivare, 2010, S. 10). Zu den ältesten Militärsportorganisationen zählte der Officerarnas mlskjutningsförbund (Schießverband der Offiziere), der 1859 gegründet wurde. Daneben gab es u. a. den Kungliga flottans idrottsförening (Königlichen Marinesportverein) seit 1891 und den acht Jahre später gegründeten Fortifikationsofficerarnas idrotts- och fältridklubb (Sport- und Geländereitverein der Befestigungsoffiziere) (Degerström, 2003). 1909 erhielten die verschiedenen Bezirksvereine mit dem Sveriges militära idrottsförbund (Schwedens Militärsportverband) (SMI) – heute bekannt als Svenska Mngkampsförbundet (Schwedischer Mehrkampfverband) – einen gemeinsamen Dachverband. Der Leiter der insgesamt 52 Truppenverbände war Balck (Ebd., S. 9; vgl. Kap. 3.3.1). Er unterstützte insbesondere die Maßnahmen, die darauf abzielten, Sport in der Armee attraktiver zu machen.388 Bezeichnenderweise gelang es ihm und seinen Kollegen nicht nur, die Bedeutung des Militärsports innerhalb der schwedischen Armee zu vergrößern, sondern auch die Führungsetage der nationalen Sportorganisationen mit Militäranhängern zu besetzen (Meinander, 1998, S. 53). 1911 veranstaltete das SMI beispielsweise gemeinsame Wettkämpfe der Streitkräfte. Neben typisch militärischen gehörten auch leichtathletische Disziplinen dazu (Svenska mngkampsförbundet Utgivare, 2010, S. 11). Das schwedische Militärtraining umfasste nämlich sowohl Übungsformen, die »vom Zivilsport dem Heere bekannt sind« als auch »solche militärischer Natur«.389 385 Ebd. 386 Balck, 1931, S. 53 – 57; Hermelin, 1912, S. 45 f. 387 Die Inspiration dazu stammte sicher von den Besuchen der schwedischen Armee in Großbritannien. 1883 waren beispielsweise Viktor Balck und seine schwedischen Offiziere nach London eingeladen ([o. A.], 1883). 388 Mees (1919a). Reise-Erinnerungen aus Schweden, 29. Oktober, S. 402. 389 [o. A.], 1920, S. 84.
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Während Reiten, Schießen, Turnen und Schwimmen (neben den Wintersportarten) bereits 1863 auf dem Ausbildungsplan der Kadetten standen,390 kamen Sportarten wie Leichtathletik, Rudern, Segeln und Hockey erst später dazu. Diese Ausweitung von zunächst klassisch militärischen Sportarten auf verschiedene neue Sportzweige kennzeichnete die zunehmend sportliche Ausrichtung des schwedischen Militärtrainings. Der bereits zuvor erwähnte Fortifikationsofficerarnas idrotts- och fältridklubb konzentrierte sich beispielsweise zunächst auf Reiten und Schießen, öffnete sein Spektrum allerdings zunehmend. So organisierte er 1908 neben Einzelwettbewerben im Fechten, in leichtathletischen Wettkämpfen und im Skilanglauf auch eine kombinierte Sportart, die aus Schießen, Reiten und einem Langstreckenlauf bestand.391 Erste Pferderennen gab es dabei schon 1810, als ein Engländer diese im Militärregiment von Göteborg einführte (Hedenborg, 2007, S. 503). Daraus folgte, dass in Schweden überwiegend Offiziere an den Reitturnieren teilnahmen. Unter ihnen befanden sich auch ehemalige Zivilpersonen, die sich vor ihrem Eintritt in die Armee, die Arbeit mit Pferden nicht hatten leisten können (Ebd., S. 509). Durch die Einbindung des Reitens in das militärische Training war also prinzipiell auch Nichtadligen der Weg zum Reitsport geebnet. Der Umgang mit Pferden wurde in Schweden allgemein als enorm wichtig angesehen. Denn nur »ein echter Mann war ›Reiter‹« (Ebd., S. 502 f). Im 19. Jahrhundert verkörperte für die Kavallerie insbesondere der schwedische Hindernisreiter Maskulinität pur.392 Das lag auch darin begründet, dass die Hindernisreiter ein höheres Körpergewicht mitbringen durften. Dies kam den schwedischen Reitern, die ein vergleichsweise höheres Gewicht aufwiesen, wiederum entgegen und ermöglichte ihnen, erfolgreich gegen ausländische Wettkämpfer anzutreten (Ebd., S. 510). Darüber hinaus war die »unermüdliche Ausdauer der Landespferde« über die skandinavischen Grenzen hinweg berühmt berüchtigt393 und versprach zusätzlich nationale Wettkampferfolge. Erstaunlicherweise änderte sich die Argumentationsgrundlage, auf der die Notwendigkeit eines militärischen Reittrainings beruhte, auch dann nicht, als die Kavallerie schon längst ohne Pferde auskam. Die Tradition lebte in Militärparaden weiter und wurde von Polizeieinheiten noch in der Praxis genutzt. Dies 390 Viktor Balck (1863). Betyg för Kadetten af Kongl. Krigskolans landlass. 19 (73). 18. Dezember. Övriga handlingar (J II A: 19). Generalmajor V. G. Balcks arkiv. Sveriges Centralförening för Idrottens Främjandes arkiv (SE/RA/730329). Riksarkivet Stockholm. 391 E-Mail von Anna Sveningsson (Archivarin im Krigsarkivet Stockholm) vom 15. Oktober 2009. Die Information ist folgender Archivablage entnommen: Fortifikationsofficerarnas idrotts-och fältridklubb. 1899 – 1975 (SE/KrA/0808). Krigsarkivet Stockholm. 392 Ausschnitt aus einer Rede Balcks [o. J. und Datum; schwierig lesbar]. Koncept till föredrag (J II A: 2). Generalmajor V. G. Balcks arkiv. Sveriges Centralförening för Idrottens Främjandes arkiv (SE/RA/ 730329). Riksarkivet Stockholm. 393 [o. A.] (1831a). Schwedische Landmacht, S. 477.
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führte dazu, dass die Schweden in Reitwettkämpfen, insbesondere im Geländeritt, auch im 20. Jahrhundert nach wie vor exzellent abschnitten und im Ausland dafür bewundert wurden: »Der schwedische Cavalerie-Offizier [sic!] ist durchschnittlich ein tüchtiger Reiter. Sämtliche Offiziere müssen eine strenge Reitschule durchgehen, wobei die feldmässige [sic!] Ausbildung besonders getrieben wird.«394
Neben dem Reiten wurde dem sportlichen Schießen in Schweden traditionell große Bedeutung beigemessen. Sowohl die höheren allgemeinen Lehranstalten als auch die Volksschullehrerseminare und die technischen Elementarschulen führten Schießübungen ein.395 Die Schießtechnik der späteren Soldaten wurde damit frühzeitig geschult. Selbst König Gustav war ein begeisterter Schütze und hatte als junger Leutnant zwischen 1877 und 1880 erfolgreich an verschiedenen Pferderennen teilgenommen (Svensson, 1951, S. 12; vgl. Kap. 3.1.1). Auch der Wintersport, darunter vor allem der Langlauf, aber ebenso Orientierungsläufe auf Schneeschuhen verbunden mit Schieß- und Entfernungsschätz-Aufgaben und Patrouillenwettbewerbe, nahm eine bedeutsame Rolle im schwedischen Militärsport ein.396 Die Orientierungsläufe waren traditionell mit der Idee verbunden, Boten zur Überbringung von Rapporten auszusenden (vgl. Kap. 5.1.1).397 Schon 1767 sollen die »Skilauf-Kompanien« der schwedischnorwegischen Grenze einen biathlon-ähnlichen Wettkampf veranstaltet haben. Die Soldaten trugen ihre Waffen mit sich und sollen während des Skilanglaufwettbewerbs auf Ziele geschossen haben (Niinimaa, 1998, S. 1). Für Jahrhunderte war der ideale Wintersportler, also derjenige, der Verschiedenes auf Skiern erledigen konnte, sprich allseitig gebildet war (Allen, 2007, S. 3).398 Außer den genannten Disziplinen erfreuten sich weitere Sportart-Kombinationen in Winter wie Sommer großer Beliebtheit: Zum Beispiel das Skispringen in Verbindung mit Skilanglauf (die heutige Nordische Kombination), das De394 Viktor Balck [o. J. und genaues Datum]. Schweden, dessen Natur und Volk, samt den Olympischen und Nordischen Spielen in Stockholm 1912 und 1913 [Original in deutscher Sprache], S. 18. Koncept till föredrag (J II A: 2). Generalmajor V. G. Balcks arkiv. Sveriges Centralförening för Idrottens Främjandes arkiv (SE/RA/730329). Riksarkivet Stockholm. 395 Giehrl, 1911, S. 640. 396 [o. A.], 1920, S. 84. 397 In Schweden gab es beispielsweise auch so genannte »budkafle« (Botensendungen auf Skiern). (Die Organisation des Schwedischen Sportwesens, S. 21. RÀglement et programme g¦n¦ral des Jeux Olympiques de Stockholm 1911 – 12, Code: JO 1912 S-PROGR, ID: 9929. IOC Archiv Lausanne. 398 Bis 1933 mussten die Athleten am Holmenkollen beispielsweise sowohl im Sprung als auch im Langlauf teilnehmen; Einzelstarts waren nicht erlaubt. Auch bei den Olympischen Spielen 1936 gab es für Abfahrt und Slalom nur eine gemeinsame Medaille (Allen, 2007, S. 3).
Diversität als Gütekriterium der militärischen Ausbildung
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genfechten der Patrouillenreiter und der Orientierungslauf mit Schießen.399 Das regelmäßige Trainingsprogramm der schwedischen Armee umfasste in diesem Zusammenhang auch spezielle, ausschließlich für Offiziere vorgesehene Disziplinen, darunter neben einem Ski-Orientierungslauf auch eine Verbindung von Reiten und Pistolenschießen sowie ein Vielseitigkeitsreiten.400 Diese Entwicklung erstaunt zunächst, weil sich die Anzahl der militärischen Skitruppen nach dem Ende der Napoleonischen Kriege (1792 bis 1815) eigentlich auf einem Abwärtstrend befand. Doch die kombinierten Sportarten boten sich gegenseitig eine gute Werbeplattform. So förderten die Schützenvereine beispielsweise gleichzeitig die Verbindung von Schießen mit Langlauf. Da die Leitung der großen Skiklubs vornehmlich Militärangehörigen oblag (Allen, 2007, S. 44), war die Grundlage für eine Fortsetzung des militärischen Skitrainings geboten. Nachdem seit 1892 in Schweden Fünfkämpfe ausgetragen wurden (vgl. Kap. 3.1.3), zog auch das schwedische Militär nach, indem es am 17. September 1893 einen truppeninternen Fünfkampf für die Mitglieder des Regiments Stockholms AF organisierte.401 Um möglichst viele verschiedene Altersstufen zu erreichen, nahm zudem der »Wehrsportpass« eine bedeutende Rolle ein. In dessen Rahmen wurden gehäuft ab 1909 Preise vergeben, was die Rekruten zusätzlich zum Training motivieren sollte.402 Die Medaillen in Silber erhielten die Teilnehmer »für höhere Leistung in jeder Art von Sport«, während eine Silbermedaille mit Orden »für Leistungen in Sportarten von militärischer Bedeutung« vorgesehen war und das »sowohl für erzielte Leistungen während mehrerer Jahre in einer Disziplin als auch in Form eines Allround-Preises in einer Reihe von Disziplinen«.403 Letzteres gab dem »Allround-pris« (Vielseitigkeitspreis) auch seinen Namen. Das SMI unterschied dabei vier unterschiedliche Übungsbereiche: Zur ersten Gruppe zählten ein Orientierungslauf, ein 20-Kilometer-Skilanglauf in abwechslungsreichem Gelände, ein 10-Kilometer-Schlittschuhlauf sowie Gewichtheben; zur zweiten Gruppe gehörten 30 Kilometer Radfahren, 15 Kilo399 Mees, Franz (1919b). Reise-Erinnerungen aus Schweden, 19. November, S. 439. 400 »Allmänt Program« der Kungl. Västmanlands Regements Idrottsförening. 1910. Inkommande skrivelser 1909 – 1911 (EI: 1). Sveriges militära idrottsförbund-Överstyrelsen. Krigsarkivet Stockholm. 401 [o. A.] (1893b). [o. T.]. Tidning för idrott, September, S. 367. Sieben Athleten nahmen teil; es gewann Axel Lindblad. 402 z. B. Brief des SMIs an die Leiter des Kungl. Bohusläns regemente. 23. Februar 1910. Utgäende skrivelser 1909 – 1911 (BI: 1). Sveriges militära idrottsförbund-Överstyrelsen. Krigsarkivet Stockholm. 403 Mais [ohne Vornamen, o. J. und Datum]. Det militära idrottsförbundet. Svenska Dagbladet. Utgäende skrivelser 1909 – 1911 (BI: 1). Sveriges militära idrottsförbund-Överstyrelsen. Krigsarkivet Stockholm.
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meter Reiten, 10 Kilometer Gehen oder 20 Kilometer Skilaufen und 1 Kilometer Schwimmen; Gruppe drei setzte sich aus folgenden Ausdauerwettbewerben zusammen: 5 Kilometer Gehen mit voller Feldausrüstung, 10 Kilometer mit einer geringeren Ausrüstung, ein Wettbewerb zu Pferd (15 Kilometer), zu Fuß (10 Kilometer) oder auf Skiern (20 Kilometer) in Verbindung mit Feldschießen, zudem Segeln; die vierte und letzte Gruppe umfasste Botengänge sowie Übungen zur Lebensrettung (üblicherweise im Schwimmen, das teils in Uniform praktiziert wurde).404 Im Vergleich zum schwedischen Sportabzeichen (vgl. Kap. 3.1.2) forderte das SMI also weniger leichtathletische Disziplinen, sondern vermehrt Ausdauerleistungen und kampftaugliche Prüfungskombinationen. Die schwedische Presse kommentierte dies folgendermaßen: »Das Sportabzeichen des Reichsverbandes macht es unnötig und unangemessen für den Militärsportverband, Allround-Preise in der Leichtathletik anzubieten.«405 Die Angebote des Reichs- und jene des Militärsportverbands ergänzten sich also im positiven Sinn, statt miteinander um Teilnehmer zu konkurrieren. Von der Auszeichnung mit Medaillen und anderen Preisen versprachen sich die Militärsportvereine, »ein ähnlich prächtiges Interesse am Sport von besonderer militärischer Bedeutung« zu wecken, wie es dem Reichsverband umgekehrt durch das Sportabzeichen schon gelungen sei, Interesse für die Leichtathletik zu schüren. Dabei ging es mit Blick auf die jüngeren Militärs vorrangig darum, »ein höheres Niveau in den militärischen Fähigkeiten«, sprich in der Kriegstauglichkeit, zu erreichen. Gleichzeitig sollten allerdings auch die sportlichen Leistungen der älteren Offiziere (über 35 Jahre alt), die häufig Leitungsfunktionen innerhalb der Armee einnahmen, Anerkennung finden.406 Zusammenfassend resultierte das schwedische Ausbildungsprogramm letztlich darin, dass »jeder ausgebildete schwedische Soldat […] als solcher ein Sportsmann« war.407 Beste Voraussetzungen also, um bei den Olympischen Spielen im eigenen Land gut abzuschneiden und zugleich erfahrenes Personal für deren Organisation bereitzustellen.
404 Ebd. Bei den Streckenlängen handelte es sich um Circa-Angaben. Vgl. auch Bestämmelser för Idrottstäflingar. 7. April 1910. Inkommande skrivelser 1909 – 1910 (EI: 1). Sveriges militära idrottsförbund-Överstyrelsen. Krigsarkivet Stockholm. 405 Mais [ohne Vornamen, o. J. und Datum]. Det militära idrottsförbundet. Svenska Dagbladet. Utgäende skrivelser 1909 – 1911 (BI: 1). Sveriges militära idrottsförbund-Överstyrelsen. Krigsarkivet Stockholm. 406 Brief von Gustaf Mannerström (Vize-Vorsitzender des Sportverein des Kungl. Vaxholms Kustartreg:ts) an den Vorstand des SMIs. 23. Februar 1910. Inkommande skrivelser 1909 – 1910 (EI: 2). Sveriges militära idrottsförbund-Överstyrelsen. Krigsarkivet Stockholm. 407 Mees, 1920, S. 18 f.
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Wenn Ling der »Vater der Schwedischen Gymnastik« ist (vgl. Kap. 3.1.1), so trifft die Bezeichnung »Vater des schwedischen Sports« niemand anderen besser als Viktor Gustaf Balck (z. B. Hellspong, 1998, S. 21).408 Er nahm eine bedeutende Funktion in der Anfangsphase des schwedischen Sports ein, indem er die Bewegung sowohl ideell als auch institutionell förderte und als Mittler zwischen Gymnastik, Sport und Armee fungierte. Sein Einsatz in nationalen und internationalen, militärischen und zivilen Gremien hat maßgeblich zur Verbreitung des Sports im In- und Ausland beigetragen. Da Balck in der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 1912 nicht nur Präsident des SOK, sondern ebenso des Schwedischen Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf war (vgl. Kap. 4.3.2), ist zu vermuten, dass er an der Ausbildung der ersten schwedischen Fünfkämpfer und damit gleichzeitig an der Genese der Sportart beteiligt war. Balck war wie sein Landsmann Ling und andere Vertreter der damaligen Leibesübungskultur von Grund auf Patriot. Sein Engagement galt daher üblicherweise dem Vaterland (vgl. Kap. 3.3.1). Auch wenn er sich international engagierte (vgl. Kap. 3.3.2), standen dahinter doch vornehmlich nationale Ziele. Dabei schien es für ihn unwesentlich zu sein, ob er sich gymnastischer oder sportlicher Instrumente bediente, solange er dem schwedischen Volk zu neuer Stärke verhelfen konnte. Vor diesem Hintergrund ist es wahrscheinlich, dass er auch im IOC prinzipiell nur solchen Plänen zustimmte, die sein geliebtes Schweden in ein positives Licht rückten.
3.3.1 Angetrieben von Heimatliebe: der Vater des schwedischen Sports und sein nationales Engagement Balcks Interesse an Leibesübungen wurde erstmals an der Krigsakademien Karlberg (der heutigen Militärhögskolan Karlberg) geweckt. Dort hatte seine Familie eigentlich eine Laufbahn als Marineoffizier für den damals Siebzehnjährigen vorgesehen. Nach der abgeschlossenen Ausbildung entschied er sich jedoch zum Kungliga Närkes Regemente, einem Heeresregiment westlich von Stockholm, zu wechseln. Dies eröffnete ihm die Möglichkeit, Gymnastik und 408 Auf eine ausführliche Darstellung biographischer Eckdaten wird an dieser Stelle verzichtet und auf die einschlägige Literatur (z. B. Lindroth, 2007) verwiesen. Biographische Inhalte aus Balcks Leben finden nur insofern Berücksichtigung, wie sie zur Erhellung der Forschungsfrage dienen. Balck selbst hat nur wenige Werke über Sport veröffentlicht. Die meisten seiner eigenen Texte stammen daher aus unveröffentlichten Reden oder anderen handschriftlichen Aufzeichnungen (Generalmajor V. G. Balcks arkiv. Sveriges Centralförening för Idrottens Främjandes arkiv (SE/RA/730329). Riksarkivet Stockholm).
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Fechten zu praktizieren und zu lehren (Molzberger, 2010, S. 17 f). Balcks soziales Netzwerk bestand daher vorrangig aus Militärvertretern, die sich in ihrer konservativ-patriotischen Einstellung wenig von den Sportfunktionären jener Zeit unterschieden. Um seine Kenntnisse auf dem Gebiet der Leibesübungen zu vertiefen, nahm er 1866 ein Studium am Gymnastiska Centralinstitutet auf. Dass er dies privat finanzierte, war zu jener Zeit ungewöhnlich, weil die GCI-Teilnehmer üblicherweise Offiziersanwärter waren, die von ihren Regimenten zu Studienzwecken freigestellt wurden. Balck gehörte dagegen mit dem Kungliga Närkes Regemente einem relativ kleinen Regiment an, das nicht gleichzeitig mehrere angehende Offiziere an das GCI entsenden konnte (Ebd.). Dennoch legte Balck selbst so viel Wert auf den Ausbau seiner gymnastischen Kenntnisse, dass er diesem Ziel nicht nur seine Freizeit widmete, sondern auch seine militärischen Tätigkeiten zunehmend auf den Bereich der Leibesübungen konzentrierte. Er brachte die Gymnastik in die Armee, indem er diese beispielsweise in Karlberg und an der Kavallerieschule in Strömsholm409 lehrte und war zur gleichen Zeit für den Unterricht der militärischen Gymnastik und des Fechtens am GCI zuständig. Seine Laufbahn am Gymnastikinstitut krönte er, indem er während seiner letzten beiden Dienstjahre, von 1907 bis 1909, als dessen Gesamtleiter tätig war.410 Balck zeigte sich dabei sowohl der Gymnastik als auch dem Sport gegenüber aufgeschlossen und machte sich Gedanken über deren gemeinsame Schnittmenge.411 Denn letztlich waren für ihn beides körperliche Aktivitäten, die ein und demselben Ziel, der Erstarkung der schwedischen Nation, dienten. Obwohl sein besonderes Interesse frühzeitig dem Sport galt, blieb er nach seinen Studienjahren 1866 – 1868 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1909 als Dozent am GCI tätig. Wenn er beide Leibesübungen verglich, so wurde allerdings deutlich, dass er den Sport als Krönung der Leibesübung und damit noch über der Lingschen Gymnastik ansiedelte: »Soll jedoch die Lust an der Gymnastik [aus der Schule] mit ins Leben genommen werden, dürfen die Übungen nicht für alle Zeit als elementare Übungen stagnieren, sondern müssen sich zu Anwendungsübungen mit freierem Geist und größerem, gerne 409 Strömsholm gehört zur schwedischen Provinz »Västmanlands län« und liegt ca. 130 Kilometer westlich von Stockholm. 410 [o. A.] (1904a). Balck, Viktor Gustaf, S. 755; [o. A.], 1922, S. 433. 411 Viktor Balck [ohne Datum]. Questions (handschriftliche Aufzeichnungen) [Original auf Englisch], S. 7. Övriga handlingar (J II A: 19). Generalmajor V. G. Balcks arkiv. Sveriges Centralförening för Idrottens Främjandes arkiv (SE/RA/730329). Riksarkivet Stockholm. Da kein Adressat genannt wird, könnte es sich auch um die Vorlage zu einer Rede Balcks handeln. Dass Balck auf Englisch schreibt, deutet zudem auf ein internationales Publikum hin.
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sportlichem Charakter entwickeln. ›Man soll sich nicht so lange mit der Grammatik beschäftigen, dass man niemals lernt, die Sprache zu sprechen.‹«412
Spiele und Sport hielt er für mental stimulierender als vergleichsweise gymnastische Übungen, weil erstere seiner Meinung nach eher »Selbst-Disziplin, Mut, Energie und Appetit auf Fair Play« schulten.413 Zudem ist anzunehmen, dass die anhaltenden Konflikte mit den traditionellen Lingianern ihren Teil zu Balcks pro-sportlicher Einstellung beitrugen (Molzberger, 2003, S. 42). Seine zunehmende Vorliebe für sportliche und olympische Belange hatte ihm nämlich zusätzlich Feinde unter den orthodoxen Lingianern eingebracht. Sie warfen ihm u. a. vor, dass sein Engagement viel mehr seiner eigenen Popularität als der Sache selbst diene (Jørgensen, 1998, S. 71). Dennoch war sein Einsatz für den schwedischen Sport letztlich erfolgreich, und die Bewegung gewann im Laufe des 20. Jahrhunderts gegenüber der traditionellen Gymnastik zunehmend Anhänger im ganzen Land (Molzberger, 2003, S. 41; vgl. Kap. 3.1.2). Balck galt dabei von Beginn an als Leitfigur der gesamten nordischen Sportbewegung. Als er 1895 abermals für eine Ausweitung von Spiel und Sport in den schwedischen Schulen eintrat, hatte er bereits seit fast zwei Jahrzehnten für dieses Ziel gekämpft (Meinander, 1998, S. 48). Er war davon überzeugt, dass insbesondere der Wettkampfsport positiven Einfluss auf das Nationalbewusstsein und die Charakterbildung ausübe: »In fact the competition spirit underlies human nature so dominant […] that any attempt to kill it, in sport, would only result in the destruction of the sporting spirit itself.«414 Seine Arbeit für Gymnastik und Sport tat auch seiner Militärkarriere keinen Abbruch. Im Gegenteil, diese fand bei seinen Vorgesetzten hohe Anerkennung. So wurde er 1866 zum Unterleutnant befördert, neun Jahre später zum Leutnant, weitere neun Jahr später zum Hauptmann, 1894 zum Major, 1900 zum Oberstleutnant, 1904 zum Oberst und 1914 schließlich zum Generalmajor.415 Dies erstaunt umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass Balck sich regelmäßig mehrere Wochen vom Dienst befreien und 1891 in den Reservistenstatus versetzen ließ, um für die Gymnastik und den Sport aktiv zu sein, statt seinen eigentlichen Offizierspflichten nachzukommen.416 Die Armee war ihm 412 Balck, 1890-talet [Manuskript einer Rede]. Zitiert in Lindroth, 1997, S. 99. Übersetzt und zitiert in Molzberger, 2010, S. 19. 413 Balck, 1896, S. 207. Übersetzt und zitiert in Meinander, 1998, S. 49. 414 Ausschnitt aus einer Rede Balcks [o. J. und Datum; schwierig lesbar]. Koncept till föredrag (J II A: 2). Generalmajor V. G. Balcks arkiv. Sveriges Centralförening för Idrottens Främjandes arkiv (SE/RA/ 730329). Riksarkivet Stockholm. 415 [o. A.] (1904a). Balck, Viktor Gustaf, S. 755. Vgl. auch die Gründungskommission des IOC, auf der sich Balck als einziger Vertreter in Militärkleidung zeigte (Abb. 4). 416 [o. A.], 1922, S. 433; Vgl. auch Molzberger, 2010, S. 18.
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also Mittel zum Zweck, seine leibeserzieherischen Ambitionen durchzusetzen und damit ein »militärisch und mental starkes Schweden« auszubilden (Jørgensen, 1998, S. 82). Und letzteres fand nicht nur unter seinen Landsleuten Anklang, sondern war ebenso im Sinne seiner Vorgesetzten. So entschied das SMI noch in seinem Gründungsjahr, Balck mit der goldenen Ehrenmedaille für seine Verdienste im schwedischen Wehrsport auszuzeichnen.417 Für Balck war es dabei selbstverständlich, dass die sportliche Leistungsfähigkeit gleichzeitig die Vitalität einer Nation ausdrückte. Er führte diesen Argumentationsstrang sogar weiter, indem er die Meinung vertrat, dass der Sport die nationale Überlegenheit sichere (Ebd., S. 82). Balcks Hang zum Nationalismus war wohl auch der Grund für seinen Spitznamen »Trompete des Vaterlands« (Edgeworth, 1994, S. 34).418 Ihn interessierten dabei insbesondere die Vorteile, die vom Sport möglicherweise für den Militärdienst ausgingen. Fragen wie »In what way can sport contribute to strengthen the mind and the body from a military point of view?« oder »Can it be proved in any degree that English sports have contributed to the good results of any military enterprise?« beschäftigten ihn.419 Die Sportarten, die er favorisierte, sollten daher gleichzeitig für die militärische Ausbildung nützlich sein. Deshalb ging er in einer seiner handschriftlichen Aufzeichnungen auch explizit auf die Frage ein, welche Sportarten für den militärischen Nutzen vorzuziehen seien. Hier nannte er insbesondere »Fußball, Kricket, Boxen und Tauziehen«,420 wobei ihm ebenso die Vermittlung von Gymnastik, Fechten und Reiten am Herzen lag. Unter seiner Hand wurden darüber hinaus am GCI erstmals leichtathletische Übungen eingeführt. Allen Sportarten gemeinsam sollte das Konkurrenzmoment sein, weshalb er empfahl, regelmäßige Wettkämpfe abzuhalten: »the oftener the better.«421 Doch Balck war nicht nur als Lehrer an verschiedenen Schulen in Stockholm tätig, sondern machte sich auch durch Vereinsgründungen einen Namen.422 1875 rief er beispielsweise den Gymnastikverein Stockholm und damit gleichzeitig den Mutterverein des Stockholmer Ruder- und Skiklubs ins Leben.423 Drei Jahre später kam der Gymnastik- und Fechtclub Stockholm 417 Bericht des Militärsportverbands. Oktober 1909, S. 15. Utgäende skrivelser 1909 – 1911 (BI: 1). Sveriges militära idrottsförbund-Överstyrelsen. Krigsarkivet Stockholm. 418 Bei Ron Edgeworth handelt es sich um ein Pseudonym Bill Mallons, wie er während der ISOH-Konferenz in St. Augustin am 6. Dezember 2011 einräumte. 419 Viktor Balck [ohne Datum]. Questions (handschriftliche Aufzeichnungen) [Original auf Englisch], S. 1 – 10. Övriga handlingar (J II A: 19). Generalmajor V. G. Balcks arkiv. Sveriges Centralförening för Idrottens Främjandes arkiv (SE/RA/730329). Riksarkivet Stockholm. 420 Punkt 10. Ebd., S. 9. 421 Ebd. 422 Balck, 1931, S. 98 – 107. 423 Ebd., S. 105.
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hinzu, dessen Namensgebung schon darauf hindeutete, dass seine Mitglieder in der Praxis gymnastische und sportliche Tätigkeiten vermischten (vgl. Kap. 3.1.2). Auch im Präsidium von Schwedens größter Vereinigung, Svenska Turistföreningen (STF) (Schwedischer Touristenverband), war Balck von 1885 bis 1919 vertreten.424 In anderen Sportvereinen Stockholms erwies er sich ebenso als treibende Kraft. Er setzte Impulse im Rudern, Eislaufen, Skifahren, Wehrsport und im Bereich der »Freien Spiele«. Letzte wurden im Übrigen auch von den strengen Lingianern akzeptiert, weil sie im Gegensatz zum Sport weniger wettkampforientiert waren. »Stets war Balck an der Spitze, unterrichtete und organisierte Wettkämpfe.«425 Die von einigen seiner Zeitgenossen kritisierte Schieflage des frühen schwedischen Sports, die sich in einer überproportional hohen Beteiligung von Militärangehörigen in sportlichen Leitungsfunktionen sowie im Feld der Wettkämpfer zeigte, störte Balck wenig. Schon in den 1890ern stand deshalb im Mittelpunkt der Kritik, dass die Offiziere praktisch während ihres Dienstes Sport treiben konnten und somit Vorteile gegenüber zivilen Amateursportlern hätten. Balck wies die Bedenken zurück und betonte, dass diese umgekehrt einen anstrengenden und damit kräftezehrenden Dienst absolvieren müssten, der ebenfalls mit Nachteilen für eine Wettkampfteilnahme verbunden wäre (Wolke, 2000). Balcks nationalistische Grundgesinnung schlug sich auch in seinem Kampf für die Nordiska Spelen (Nordischen Spiele) nieder (Edgeworth, 1994, S. 29). Die Nordischen Spiele wurden vom Sveriges centralförening för idrottens främjande unter der Leitung von Balck zum ersten Mal im Jahr 1901 als Gegenstück zu den im Sommer stattfindenden Olympischen Spielen veranstaltet (Philipps (E.), 1996, S. 125). Der geographische Verbundenheit ausdrückende Name war nicht unbewusst gewählt, sondern »um den anderen Ländern der Welt zu zeigen, dass der Norden eine Sportnation war, vor der man sich achten müsse, ein selbstständiges Volk mit tüchtigen Menschen«.426 Die Veranstaltung schloss vor allem, aber keineswegs ausschließlich, Wintersportarten ein. Sie umfasste beispielsweise ebenso einen Hindernislauf (im tiefen Schnee), einen Botschaftsstocklauf (auf Ski), Feldschießen (auf Ski), Fechten, Schwimmen, Langstreckenpferderennen, Motorsport und Ballonfahrten.427 Daneben fand 424 425 426 427
Ebd. Hofberg, 1906, S. 59. Balck, 1931, S. 125 – 132. [o. A.] (1913a). Nordiska spelen, S. 1317; vgl. auch Viktor Balck [o. J. und genaues Datum]. Schweden, dessen Natur und Volk, samt den Olympischen und Nordischen Spielen in Stockholm 1912 und 1913 [Original in deutscher Sprache], S. 2 f. Koncept till föredrag (J II A: 2). Generalmajor V. G. Balcks arkiv. Sveriges Centralförening för Idrottens Främjandes arkiv (SE/RA/730329). Riksarkivet Stockholm.
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das so genannte »ski-jöring« statt, bei dem die Skier jeweils hinter einem Pferd oder Rentier befestigt wurden (Jönsson, 2002, S. 64). Verschiedene europäische Länder nahmen teil, doch blieben die Nordischen Spiele ganz nach Balcks Geschmack eine vornehmlich skandinavische Angelegenheit (Philipps (E.), 1996, S. 125). Innerhalb Skandinaviens forderte Balck mit Hilfe seiner Kollegen Schwedens Vormachtstellung ein (Jørgensen, 1998, S. 86). Seine Bedeutung für die Nordischen Spiele wird insbesondere rückblickend deutlich. 1912 war es ihm noch gelungen, olympische Wintersportwettbewerbe abzuwenden, weil Nordische Spiele für das folgende Jahr geplant waren; vierzehn Jahre später, als Edström (und nicht mehr Balck) Mitglied im IOC war, wurden die Nordischen Spiele eingestellt und die Einführung olympischer Winterspiele war damit besiegelt. Wenn sich Balck für die Nordischen Spielen einsetzte, tat er dies auch, weil sie unter nationalistischen Gesichtspunkten eine Chance für das internationale Renommee Schwedens darstellten (Ebd., S. 70). Balcks enthusiastischer Einsatz für internationale Sportveranstaltungen ist somit auch vor diesem Hintergrund zu verstehen. Während er sich 1920 aus der internationalen Arbeit im IOC zurückzog, blieb er dem Nationalen Olympischen Komitee noch weitere acht Jahre bis zu seinem Tod treu (Kitroeff, 2004, S. 379). Die Arbeit für sein Heimatland stand also im Vordergrund seiner militärischen und sportlichen Aktivitäten, doch hielt ihn dies nicht davon ab, auch international als Sportfunktionär erfolgreich zu sein (Meinander, 1998, S. 47).
3.3.2 Hinaus in die Welt: der Sportfunktionär Balck und die Internationalisierung schwedischer Ideen Neben seinem Engagement für einzelne Sportarten – Balck war beispielsweise ab 1893 Präsident des Internationalen Schlittschuhverbands428 – gehörte das IOC zu seinem bedeutendsten globalen Aufgabenfeld. Da er zu den Gründungsmitgliedern des Komitees zählte (vgl. Abb. 2), hatte er die Chance, die neuzeitliche olympische Bewegung von Beginn an mit zu initiieren, zu beobachten und zu beeinflussen.
428 Balck, 1931, S. 105.
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Abb. 2: Viktor Gustaf Balck (rechts außen) war einer der sieben Gründungsmitglieder des Comit¦ International Olympique429
Anlässlich der ersten modernen Olympischen Spiele in Athen gelang es Balck allerdings ebenso wenig wie Coubertin (Guttmann, 1984, S. 15 f), einen Durchbruch für die olympische Idee auf nationaler Ebene zu erreichen. In Athen trat mit dem Leichtathleten und Turner Henrik Sjöberg beispielsweise nur ein schwedischer Athlet an, wenngleich dieser durch seine Teilnahme im Turnen, Hochsprung und 100-Meter-Lauf schon zu diesem Zeitpunkt für das AllroundTalent der Schweden einstand (Mallon & Widlund, 1998, S. 24). Coubertin erhöhte nach 1896 allgemein den Druck auf die IOC-Mitglieder, ein nationales olympisches Komitee zu gründen. Schweden gehörte nicht zu den Vorreitern auf diesem Gebiet, doch versicherte Balck, dass er alles daran setze, dies alsbald möglich zu machen (MacAloon, 1981 [2007], S. 210). So war es nur eine Frage der Zeit, dass das erste, damals noch temporäre, 429 Quelle: Coubertin (1896b). Introduction: Les Jeux Olympiques d’AthÀnes – 1896, S. 5. Die Abbildung zeigt von links nach rechts: Gebhardt (Deutschland), Baron de Coubertin, GuthJarkovsky (Österreich/ Böhmen), Vikelas (Griechenland), Kemeny (Ungarn), Boutowski (Russland), Balck (Schweden).
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schwedische olympische Komitee (Sveriges olympiska kommitt¦) gegründet wurde. An der Spitze der am 2. November 1905 gegründeten olympischen Vereinigung stand Balck, der den schwedischen Sport mit Herzblut auf der internationalen Bühne vertrat (Kitroeff, 2004, S. 379; Sveriges Olympiska Kommitt¦, 2008). Seine erste Aufgabe bestand darin, ein Nationalteam für die Zwischenspiele von Athen zu organisieren (Molzberger, 2003, S. 42). Viel länger als ein Jahr sollte sich das Komitee allerdings nicht halten. Bereits Ende 1906 wurde es aufgelöst, bevor für die Vorbereitung auf die Stockholmer Spiele ein neues gegründet wurde (Berlioux, 1978, S. 106). Doch auch dieses war nicht von Dauer. Das erste konstante schwedische olympische Komitee, das für vier Jahre gewählt wurde, stammt schließlich aus dem Jahr 1913. Balck, mittlerweile 69jährig, war zu dieser Zeit immer noch aktiv und übernahm zusammen mit Edström die Vizepräsidentschaft. Kronprinz Gustav Adolf wurde zum Präsidenten ernannt und unterstrich damit die royale Unterstützung, die der olympischen Bewegung in Schweden von Beginn an zuteilwurde (Ebd., S. 105 f; vgl. Kap. 3.1.2). Die nationalen Fortschritte Schwedens auf dem Gebiet des olympischen Sports (vgl. Kap. 3.3.1) fanden im Laufe der Zeit zunehmend internationale Anerkennung. Der Sveriges centralförening för idrottens främjande (vgl. Kap. 3.1.2) wurde beispielsweise 1908 mit dem »Coupe Olympique« ausgezeichnet,430 um seinen Beitrag für die olympische Entwicklung Schwedens zu würdigen. Balck selbst erhielt ein Jahr später das olympische Diplom für seine Verdienste.431 Coubertin würdigte Balcks Arbeit und erklärte, warum die Wahl der IOC-Mitglieder ausnahmsweise auf einen Mann aus ihrer Mitte fiel: »Pour nous d¦cider le franchir, il a donc fallu que les qualit¦s du laur¦at fussent telles que, par comparaison, le d¦faut dont je viens de parler se trouvt diminu¦ au point d’en devenir n¦gligeable. En ce sens se justifie l’axiome. Vous Þtes, mon cher Balck, le Gustave-Adolphe de l’exercice physique. Vous aimez la bataille et non content de guerroyer dans le voisinage de vos frontiÀres, vous portez au loin la guerre. Le triomphe ni l’adversit¦ n’ont de prise sur vous. C’est votre mission d’aller par tous pays secouer les nonchalances et mettre debout les volont¦s. Vous garderez ce diplúme en souvenir des luttes que vous avez fournies pour la gloire et l’ind¦pendance des sports.«432 430 Der »Coupe Olympique«, der olympische Pokal, existiert seit 1906, als ihn Coubertin einführte. Diese Tradition wird bis heute fortgeführt ([o. A.], 1968, S. 121). 431 [Coubertin] (1909c). La r¦union du C.I.O. Berlin: La s¦ance inaugurale. La remise des diplúmes olympiques, S. 85 f. 432 Ebd., S. 86. Übersetzung: »In unserer Entscheidung, dieses Hindernis zu übersehen, fühlten wir, dass die Qualitäten des Preisträgers vergleichsweise so groß sein mussten, dass dieser Fehler, den ich gerade erwähnt habe, vernachlässigbar erschien. Aus dieser Sicht ist die Forderung gerechtfertigt. Mein lieber Balck, Sie sind der ›Gustavus Adolphus‹ der Leibesübung. Sie lieben den Kampf und nicht nur, dass Sie damit zufrieden sind, Krieg in der Nähe ihrer nationalen Grenzen zu führen, sie tragen den Krieg weit und breit hinaus.
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1909 wurde auch deshalb zu einem besonderen Erfolgsjahr für Balck und gleichzeitig für die schwedische Sportbewegung, weil er neben verschiedenen nationalen Errungenschaften den Zuschlag für die Veranstaltung der Olympischen Spiele im eigenen Land erhielt (vgl. Kap. 4.3.1). Für dieses Ziel hatte er seit über dreizehn Jahren gekämpft.433 Ab 1900 hatte er dabei von seinem Landsmann Oberleutnant und Rittmeister434 Carl Clarence von Rosen (1867 – 1955) Unterstützung erfahren. Die Tatsache, dass Schweden ab 1900 somit gleich zwei Sitze im IOC einnahm, machte es in den ersten dreißig Jahren nach IOCGründung eindeutig zum international aktivsten und einflussreichsten nordischen Land (Jørgensen, 1998, S. 70). Von diesem Engagement profitierte auch die Arbeit des IOC. Dass Coubertin und Balck prinzipiell am gleichen Strang zogen, ließ zwischen ihnen eine lange Freundschaft heranreifen (Philipps (E.), 1996, S. 125). Coubertin selbst sprach zwar nicht direkt von einem »persönlichen Freund«, wie es Professor William Milligan Sloane (1850 – 1928) beispielsweise für ihn darstellte, sondern von einem »Gentleman, mit dem er lange korrespondiert hatte«.435 Schon seit Ende des 19. Jahrhunderts hatten beide Sportfunktionäre einen regen Austausch gepflegt und bei verschiedenen Gelegenheiten schwedische und französische Athleten zusammengebracht. Denn im Kampf für den Sport und gegen die Spezialisierung waren sich beide einig.436 Das IOC bot Balck zudem eine Plattform, seine eigenen, teils patriotisch gefärbten, Ideen einzubringen. So hätte er es beispielsweise gern gesehen, wenn alte, typisch schwedische Wettkampfaktivitäten (wie z. B. »varpa«)437 ihren Platz
433 434
435 436 437
Weder Triumph noch Widrigkeit beeinflussen Sie. Es ist Ihre Aufgabe, in alle Länder zu gehen, um diejenigen aufzurütteln, die lauwarm sind, und den Willen der Menschen wachzurufen. Nehmen Sie dieses Diplom als Erinnerung an die Schlachten, die Sie für den Ruhm und die Unabhängigkeit des Sports gewonnen haben.« Vgl. z. B. S¦ance du Samedi 4 Avril 1896. Comit¦ des Jeux Olympiques (Hrsg.). (1896). ProcÀs-verbal. 2e Session AthÀnes. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne. Ein Rittmeister war schon im Mittelalter mit der militärischen Reiteinheit verbunden und bezeichnete den »Anführer der Reiterei«. Später, beispielsweise im deutschen Heer bis 1945, war der Rittmeister der dem Hauptmann entsprechende Dienstgrad bei Kavallerie, Train und Fahrtruppe« (Lexikographisches Institut, 1994, S. 8248). »Bei der berittenen schwedischen Leibgarde (Livgardet) werden die Kommandeure des Reiterkorps (unabhängig von ihrem Rang) »Rittmeister« (ryttmästare) genannt, was in diesem Fall als Ehren- oder Dienststellungsbezeichnung und nicht als militärischer Dienstgrad aufzufassen ist.« (Homepage von Wikipedia: die freie Enzyklopädie. Zugriff online am 22. Januar 2012 unter http://de.wikipedia. org/wiki/Rittmeister). Coubertin (1896b). Introduction: Les Jeux Olympiques d’AthÀnes – 1896, S. 6. Vgl. z. B. den Brief von Balck an Coubertin. 12. März 1900. SD1: Correspondance 1894 – 1905, BALCK CORR. Correspondance 1894 – 1914, ID: 6590. Balck Correspondance, Code: CIO MBR-BALCK CORR, OU MO 01 41 07, 0055015. IOC Archiv Lausanne. »Varpa is a throwing game, very similar to horseshoes, in which both women and men compete. The Varpa is made of stone or metal and the objective of the game is to throw it to land as close as possible to a pin 20 meters away.« (Yttergen, 1998, S. 26).
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neben den modernen internationalen Sportarten einnähmen. Zu diesem Zweck hatte er diese bereits in den 1880ern in sein Illustrerad idrottsbok aufgenommen.438 Gleichzeitig versuchte er jedoch schon damals, die Disziplinen zu modernisieren und zu katalogisieren, »um sie der modernen Sportwelt anzupassen« (Hellspong, 1998, S. 21 f). Wenngleich diese Maßnahme prinzipiell dem coubertinschen Leitbild entsprach (vgl. Kap. 2.1.1), spielte die Pflege olympischer Ideale für Balck allgemein eine eher untergeordnete Rolle. Damit handelte der schwedische Oberst im Übrigen ganz im Einklang mit der frühen schwedischen Sportbewegung, deren leitende Offiziere, Geschäftsmänner und Industrielle ebenso dazu tendierten, »auf die praktische Arbeit und nicht auf Ideologie und theoretische Reflektion« Wert zu legen (Lindroth, 1998, S. 106 f). Im Vergleich zu Coubertin waren Balcks Veröffentlichungen folglich vor allem sportpraktisch orientiert (Molzberger, 2010, S. 25). Die von ihm gegründete Sportzeitung Tidning för Idrott widmete sich insbesondere der Leichtathletik, dem Rudern und dem Radsport; sein mehrbändiges Illustrerad idrottsbok, das moderne internationale Sportarten sowie einige volkstümliche schwedische Leibesübungen einschloss, galt als sportdidaktisches Lehrbuch.439 Balck sprach häufig über »›die Macht des Beispiels‹ als bestes Propagandamittel. Praxis vor Theorie« (Lindroth, 1974, S. 167ff, 185 ff. Zitiert in Jørgensen, 1998, S. 75). Daher konzentrierte er sich auf organisatorische Notwendigkeiten und hielt es für unnötig, Sport auf philosophischer Ebene zu zerreden (Jørgensen, 1998, S. 75 f). So ging es ihm nicht vorrangig um die Förderung des Olympismus, sondern um die generelle Wirkung des Sports, insbesondere auf das Vaterland und die Charakterbildung. Für Balck stellten die Olympischen Spiele daher nicht mehr und nicht weniger als »eine Arena, in welcher patriotische Gefühle und Bestrebungen realisiert werden konnten«, dar (Lindroth, 1998, S. 107). Coubertin waren diese und andere spezifisch schwedische Vorstellungen bewusst, wie er in seinen M¦moires olympiques mehrfach zum Ausdruck brachte. So kritisierte er deren »etwas einseitige und übertrieben logische Art, Fragen zu erledigen« und dass sie, »nicht gern etwas aus dem Stegreif tun und sich niemals überraschen lassen«.440 Differenzen zwischen Coubertin und Balck ergaben sich zudem aus der Tatsache, dass beide zwar prinzipiell an Erziehungsfragen interessiert waren, doch dabei von unterschiedlichen Motiven angetrieben waren. Während Coubertin die ideologischen Perspektiven des Sports betonte, sah sein schwedischer Kollege diese als entbehrlich an. In diesem Punkt geriet er daher auch mit Balck aneinander, beispielsweise im Rahmen des olympischen Kongresses in Le Havre 1897 (vgl. Kap. 4.2.1), als letzterer die 438 Balck, 1886 – 1888. 439 Ebd. 440 Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 78, 101.
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Meinung vertrat, »daß man seine Zeit verlöre, und daß die behandelten Fragen [Psychologie der Übungen, moralische Wirkung] in keiner Beziehung zu unseren [seinen] Arbeiten ständen«.441 Coubertin erinnerte sich, dass sein schwedischer Kollege sogar kurz in Erwägung zog, das IOC zu verlassen. Doch diese Unstimmigkeit war eine Ausnahme im ansonsten freundschaftlichen Verhältnis zu Balck, was Coubertin schließlich zu der Schlussfolgerung verleitete, dass der genannte Vorfall »das einzige Mal« war, dass Balcks »Treue ins Wanken geriet«.442 Balck und Coubertin fühlten sich schon allein deshalb seelenverwandt, weil sie beide der oberen Gesellschaftsklasse angehörten und damit eine aristokratische Erziehung genossen hatten. Neben dem bereits erwähnten Nationalismus baute die Beziehung daher zu einem Großteil auf der Tatsache auf, dass in der gegenseitigen Zusammenarbeit und auch mit anderen Sportfunktionären »Adel verpflichtete«. Dies trieb Balck u. a. dazu an, für Coubertins Idee moderner Olympischer Spiele einzutreten (Jørgensen, 1998, S. 75). Balck entwickelte sich somit zu einem der größten Coubertin-Befürworter und arbeitete insbesondere im Hinblick auf olympische Entscheidungen eng mit ihm zusammen (MacAloon, 1981 [2007], S. 210). Denn die Passion für Sport und Olympische Spiele verband sie, ließ beide soziale Netzwerke aufbauen und diese gezielt für die gemeinsame Sache nutzen (Jørgensen, 1998, S. 71). Coubertin hatte Balck dabei bewusst als Gründungsmitglied des IOC ausgewählt, weil er davon ausging, in dem Schweden einen treuen Partner zu finden, der ihm »Ellbogenfreiheit für die ganze Anfangsperiode« einräume.443 Selbst als Balcks Engagement anfangs nicht kontinuierlich von Erfolg gekrönt war, waren seine Motivation und das gemeinsam angestrebte Endziel doch Grund genug für Coubertin zu ihm zu stehen.444 Coubertin schätzte Balcks Aktivitäten und brachte dies des Öfteren zum Ausdruck. So begrüßte er z. B. schon 1900 die zunehmende Ausbreitung des Sports in Schweden, die er größtenteils auf die Initiative engagierter Einzelpersonen zurückführte: »[…] the fact that, by the action of the Crown Prince and representatives of gymnastics, with Major Balck at their head, all kinds of sport are practiced more and more, clearly indicates that no system of gymnastics, however complete and scientific it may be, can supply the place of their beneficent action.«445
441 442 443 444 445
Ebd., S. 54. Ebd. Ebd., S. 27 f. Coubertin, 1896/1897, S. 39 – 53. [Coubertin], 1900, S. 802 – 811.
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Für Coubertin zählte Balck außerdem zu den Garanten einer internationalen Zusammensetzung des olympischen Teilnehmerfelds.446 Noch im Alter von 75 Jahren war Balck einer der verbleibenden vier Gründungsmitglieder (neben Coubertin selbst, Sloane und Jirˇ Guth (1861 – 1943)), die weiterhin ihre Verantwortung im IOC wahrnahmen. In der Zwischenzeit waren allerdings hin und wieder Konflikte zwischen den beiden Sportenthusiasten entstanden. So beispielsweise im Hinblick auf die von Coubertin angestrebte Streichung der Nordischen Spiele oder auf die von ihm propagierte Einführung eines olympischen Boxturniers im Jahr 1912 (vgl. Kap. 4.3.1). In beiden Punkten konnte sich der Franzose anfangs nicht gegen Balck durchsetzen, fand jedoch schließlich trotzdem einen Weg, seine Ideen mit zeitlicher oder inhaltlicher Modifikation zu realisieren. Auch im Hinblick auf die Einführung eines neuzeitlichen Fünfkampfs in die Olympischen Spiele waren beide erneut gezwungen zusammenzuarbeiten.
Zwischenfazit II: Die Verträglichkeit der schwedischen Trainingspraxis mit der Mehrkampfidee Schon Lings Gymnastik strebte mit der harmonischen Körperausbildung ein Ziel an, das ebenso der Mehrkampfidee eigen war. Die Vielseitigkeit avancierte anschließend auch zum Kernelement der frühen schwedischen Sportentwicklung, was sowohl in der Regierung als auch im Königshaus Unterstützung fand. Dabei gab es vergleichbare Vielseitigkeitswettbewerbe sowohl im schwedischen Sport als auch im Militär, die sicherstellten, dass die Mehrheit des schwedischen Volkes in möglichst vielen unterschiedlichen Disziplinen geübt war. Ein Resultat aus dieser Wertschätzung des Allround-Sportlers war u. a. die 1907 eingeführte idrottsmärket, die keinen sportlichen Mehrkampf im eigentlichen Sinn darstellte, in der Praxis jedoch darauf hinauslief. Denn um das Abzeichen abzulegen, mussten die Teilnehmer verschiedene Sportarten in Form eines Tests absolvieren. Im Gegensatz zum Mehrkampf, der in seinen Disziplinen festgelegt war, traten die Männer allerdings nicht als Konkurrenten gegeneinander an. Ein weiterer Unterschied ergab sich daraus, dass ihnen Wahlmöglichkeiten aus verschiedenen Sportgruppen eingeräumt wurden. Neben leichtathletischen Disziplinen aus den Bereichen Sprung, Lauf und Wurf gehörten u. a. eine Schwimm- und Fechtprüfung zum Übungskanon. So konnten sich die Absolventen entsprechend ihren eigenen »Fünfkampf« zusammenstellen. Die dafür notwendigen Trainingsvoraussetzungen hatten sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts herausgebildet, als sich die schwedischen Vereine von ihrer 446 [Coubertin] (1901b). L’œuvre du CIO, S. 5 – 11.
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Fokussierung auf eine Sportart lösten und sich zunehmend mehreren Sparten gleichzeitig widmeten. Die Ausübung von Fünfkämpfen in Schweden ab den 1890ern zeigt, dass diese Entwicklung schon vorher, unabhängig von den neuzeitlichen Olympischen Spielen einsetzte. Die Disziplinen waren typischerweise an das antike Vorbild angelehnt, hin und wieder tauschten die Veranstalter allerdings einzelne Disziplinen aus. Da Vielseitigkeitswettkämpfe zur gleichen Zeit auch in verschiedenen europäischen und nordamerikanischen Staaten populär waren, lag Schweden mit seiner Wettkampfkultur im allgemeinen Trend. Neben den wachsenden Sportvereinen bot auch das schwedische Militär durch die 1901 eingeführte Wehrpflicht allen jungen Männern Gelegenheit, sich in unterschiedlichen Sportarten zu üben. Nach dem Vorbild der idrottsmärket entwickelte der Schwedische Militärsportverband mit dem »Wehrsportpass« seine eigene Vielseitigkeitsprüfung. Diese bezog außer verschiedenen Wintersportarten auch einige allgemeine Ausdauersportarten mit ein (Radfahren, Laufen, Schwimmen), konzentrierte sich jedoch auf militärische Disziplinen wie den Orientierungslauf, den Geländeritt oder das Marschieren mit voller Feldausrüstung. Daneben umfasste eine der zu wählenden Kategorien auch verschiedene Sportartkombinationen wie Reiten oder Marschieren in Verbindung mit Feldschießen. Konkrete militärpraktische Übungen wie der Botengang hoben den Sport als bedeutendes Element der Militärausbildung zusätzlich hervor. Letzteres schlug sich wiederum in den Sportvereinen nieder, die ihre Trainingsmaßnahmen wie schon die Gymnastik zuvor ebenso in den Dienst einer Verbesserung von Wehrkraft, Nationalgefühl und allgemeiner Volksgesundheit stellten. Dass militärische und sportliche Ziele miteinander verschmolzen, war für das beginnende 20. Jahrhundert typisch. Das militärische Idealbild des Mehrkämpfers war dabei keine Erfindung der Neuzeit. Im Vergleich zur Antike hatten sich lediglich die Sportarten, die als militärtaktisch nützlich erschienen, geändert. Nach wie vor war es jedoch der Allrounder, der am besten auf die unterschiedlichen militärischen Kampfanforderungen eingestellt schien. Balcks gleichzeitiges Engagement für Sport und Militär war daher prinzipiell nicht ungewöhnlich, stellte jedoch in seinem Ausmaß (sowohl zeitlich als auch qualitativ) einen wichtigen Baustein für die internationale Verbreitung schwedischer Ideen dar. Ohne ihn wären wohl viele der schwedischen Sportaktivitäten nicht nach außen gedrungen; ohne ihn wäre es daher auch schwierig vorstellbar, dass in dem kleinen, nordischen Land eine Sportart von internationaler Bedeutung ihre Wurzeln haben könnte. Dass Sport und Militär am gleichen Strang zogen, beide daran interessiert waren, dem schwedischen Volk zu neuer Stärke zu verhelfen, war letztlich ebenso Balcks kontinuierlicher Kontaktpflege zu beiden Institutionen zu verdanken. Zur Begründung der Nützlichkeit von Sport
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führte er dabei nicht, wie Coubertin, hohe philosophisch anmutende Ideale heran, sondern pragmatische Aspekte. Die Sportarten, die er als Gymnastikleiter und Organisator der Nordischen Spiele förderte, sollten gleichzeitig in der militärischen Ausbildung brauchbar sein. So propagierte er u. a. Fechten, Reiten, Geländeläufe, Schießen und Schwimmen und damit interessanterweise die Sportarten, aus denen das schwedische Militärtraining schöpfte und sich später auch der Modernen Fünfkampf zusammensetzte (vgl. Kap. 4.3.2). Da Balck in den Olympischen Spielen allgemein und insbesondere 1912 als Gastgeber die Chance sah, Schweden international als starke Nation darzustellen, kam ihm eine Zusammensetzung des Mehrkampfs aus den genannten Sportarten sicherlich entgegen. Dass sich die Schweden, wie es Coubertin feststellte, prinzipiell ungern überraschen ließen,447 spricht ebenso für diese These. Es ist also anzunehmen, dass Balck 1912 einem neuen olympischen Fünfkampf niemals zugestimmt hätte, wenn er seine Zusammensetzung und die einzelnen Disziplinen nicht gekannt hätte und seine Landsmänner somit nicht darauf vorbereitet gewesen wären. Ob Balck die Einführung eines Mehrkampfs und die Auswahl seiner Disziplinen konkret lenkte, wird im folgenden Kapitel behandelt (vgl. Kap. 4.2 – 4.5), doch machen die Erkenntnisse dieses Kapitels einen schwedischen Einfluss wahrscheinlich. Das schwedische Volk hielt dabei nicht starr an alten Vorstellungen fest, sondern zeigte sich teils flexibel und offen gegenüber modernen Einflüssen. Die Beteiligung an einer Modernisierung einer altbekannten Sportarten fiele theoretisch auch darunter, doch muss an dieser Stelle betont werden, dass die in diesem Kapitel untersuchten Quellen trotz der erwähnten Parallelen keine konkreten Rückschlüsse darauf zulassen, dass der Moderne Fünfkampf, in derselben Form, in der er 1912 olympisch wurde, schon Ende des 19. Jahrhunderts Bestandteil der schwedischen Trainingspraxis war. Die zu Anfang zitierte These, dass der Moderne Fünfkampf »als sportlicher Wettbewerb um 1900 zuerst in Schweden betrieben«448 wurde, kann demnach nicht verifiziert werden. Es gab zwar zu dieser Zeit schon mindestens zehn Jahre lang Fünfkämpfe in Schweden, doch mit abweichender Zusammensetzung und Namensgebung. Dennoch wirkten sich diese nationalen Mehrkampferfahrungen möglicherweise auf die Kreation einer modernen Form des olympischen Pentathlons aus (vgl. Kap. 4). Dass Coubertin Balcks Arbeit allgemein wertschätzte, spricht beispielsweise dafür, dass schwedische Ideen im IOC Gehör fanden. Was das Machtverhältnis zwischen Balck und Coubertin anging, so war dieses allerdings unausgeglichen, allein schon deshalb, weil Coubertin als IOC-Präsident übli447 Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 101. 448 Vgl. Anmerkung 8.
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cherweise das letzte Worte hatte. Trotzdem war es Balck an der einen oder anderen Stelle bereits gelungen, an seinen Ideen festzuhalten und diese, falls notwendig, auch gegen Coubertins Meinung durchzusetzen. Es bleibt daher spannend zu prüfen, welcher Einfluss sich in Bezug auf die Einführung eines modernen Fünfkampfs letztlich durchsetzte.
4 Ein steiniger und langwieriger Weg: Die Einführung des Modernen Fünfkampfs in das olympische Programm
Wettkämpfe, die sich aus mehreren Disziplinen zusammensetzen, gibt es schon seit den antiken Olympischen Spielen. Auch die Römer veranstalteten ein antikes Pentathlon sowie ein »Quinquentium« bestehend aus Stadienlauf, Diskuswurf, Wagenrennen und Faustkampf (Hamacher, 2011, S. 2). Obwohl vielseitig ausgebildete Männer im Mittelalter ebenso hochangesehen waren, wurden zu dieser Zeit keine olympischen Fünfkämpfe organisiert. Die »sieben Behendigkeiten«, die zur Ausbildung eines Ritters zählten und bei Turnieren vorgeschrieben waren, setzten allerdings durchaus vielfältige Talente voraus. So sollte ein Ritter reiten, schwimmen, laufen, klettern, ringen, fechten und schießen können.449 Der mittelalterliche Ritter wäre somit auch ein guter Mehrkämpfer gewesen, doch sind die »Behendigkeiten« nicht als historische Vorformen des Modernen Fünfkampfs anzusehen. Da Frankreich und Schweden eine besondere Rolle in der Geschichte des Modernen Fünfkampfs spielten, fanden dort praktizierte nationale Mehrkämpfe schon getrennt Erwähnung (vgl. Kap. 2, 3). Die Vielzahl der Vielseitigkeitstests im 19. Jahrhundert ist allerdings auch in ihrer Gesamtheit von Bedeutung. Sie trug dazu bei, dass das gesellschaftliche Ideal des Mehrkämpfers in Europa und Nordamerika in den unterschiedlichen Epochen ungebrochen blieb. Nachdem sich die beiden vorangegangenen Kapitel mit den Ursprüngen der Fünfkampfidee beschäftigt haben, konzentriert sich das vorliegende Kapitel auf die sportpraktische Umsetzung. Eine lückenlose Darstellung aller neuzeitlichen Mehrkämpfe würde allerdings den Rahmen der Arbeit sprengen. Der Schwerpunkt liegt vielmehr auf den Veranstaltungen, die vor 1912 regelmäßig stattfanden bzw. eine internationale Bühne genossen. So werden im ersten Teilkapitel verschiedene neu eingeführte Mehrkämpfe untersucht, die einen Einfluss auf die frühe olympische Bewegung ausgeübt haben könnten (vgl. Kap. 4.1). Darauf aufbauend steht die Einführung von Mehrkämpfen in das neuzeitliche olympische Programm im Mittelpunkt (vgl. Kap. 4.2). Die damit zusammenhän449 Kehr, 1891, S. 10. (Vgl. auch Lange, 1961, S. 74).
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genden Diskussionen und Praxiserfahrungen ebneten den Weg für zukünftige olympische Mehrkämpfe im Allgemeinen und Fünfkämpfe im Speziellen. Erst in den darauffolgenden drei Teilkapiteln rücken die spezifischen Vorbereitungen auf den ersten olympischen Modernen Fünfkampf in das Zentrum der Untersuchung. Zunächst musste das IOC der Aufnahme eines neuzeitlichen Pentathlons allgemein zustimmen (vgl. Kap. 4.3). Als die Zusammensetzung des Modernen Fünfkampfs prinzipiell feststand, lieferten die Wettkampfbestimmungen der fünf Einzeldisziplinen die Basis für weitere langjährige Auseinandersetzungen (vgl. Kap. 4.4). Die Teilnahmeanfrage einer englischen Dame entwickelte sich zum Spielball der verantwortlichen nationalen und internationalen Sportfunktionäre und ihrer Komitees (vgl. Kap. 4.5). Dies erstaunt umso mehr, weil die Vorstellungen der exklusiv männlichen Entscheidungsträger in Bezug auf Frauensport sich üblicherweise nur wenig voneinander unterschieden. Denn Coubertin hatte dabei ursprünglich versucht, Meinungsverschiedenheiten innerhalb des IOC vorzubeugen, indem er die »Wertverbundheit der Mitglieder« voraussetzte und daher »nur Überzeugte« ausgewählt hatte (Lenk, 1964, S. 244). Daher konnte er allgemein davon ausgehen, dass diese zumindest intern relativ schnell Einigkeit über die Aufnahme bzw. Ablehnung einer neuen olympischen Sportart erzielten. Eine Entscheidung war allerdings dadurch erschwert, dass das IOC darauf angewiesen war, sich mit dem lokalen Organisationskomitee zu einigen. Da das neue Pentathlon und die Mehrheit seiner Einzelsportarten in der Vorbereitungszeit auf die Olympischen Spiele von 1912 noch keinen zuständigen Dachverband hatten,450 brachten sich neben den IOCMitgliedern zusätzlich lokale Vertreter aus allen fünf Disziplinen in die Diskussionen ein. Die Verantwortlichen konnten zudem nicht auf konkrete Erfahrungen mit ähnlichen Fünfkämpfen – weder in den vorherigen vier Olympischen Spielen noch zuvor – zurückgreifen, so dass die Organisation der neuen Sportart »keine leichte Angelegenheit« war.451 In den verschiedenen hier untersuchten frühen Entwicklungsphasen des Pentathlon zeigen sich auch spezifisch olympisch-coubertinsche sowie schwedisch-balcksche Einflüsse, die in einem abschließenden Zwischenfazit zusammengefasst werden.
450 Vor 1912 gab es nur wenige internationale Sportverbände; die F¦d¦ration Internationale de Natation (FINA), die 1908 gegründet wurde, ist eine Ausnahme. 451 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 640.
Mehrkämpfe in der Anfangsphase der olympischen Bewegung
4.1
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Mehrkämpfe in der Anfangsphase der olympischen Bewegung
Bevor im Juli 1912 der erste Moderne Fünfkampf im Rahmen der Olympischen Spiele von Stockholm stattfand, gab es bereits andere neuzeitliche Mehrkämpfe, die seine Einführung vorbereiteten. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts traten Mehrkämpfer, mehrheitlich nach antikem Vorbild, gegeneinander an. Diese Wettkämpfe lieferten wertvolle Erfahrungen, die sich auch auf die Ausgestaltung des olympischen Programms ab 1896 auswirkten (vgl. Kap. 4.2). Außerdem zeigt die Veranstaltung von olympischen Fünfkämpfen vor Coubertins Wiedereinführung der modernen Olympischen Spiele, dass schon andere Zeitgenossen vor ihm Mehrkämpfe für bedeutsam hielten. Im vorliegenden Kapitel stehen die ersten Mehrkampferfahrungen der Neuzeit im Vordergrund. In Europa sowie in Nordamerika entstanden Mitte bzw. Ende des 19. Jahrhunderts etwa zeitgleich verschiedene Fünf- oder Zehnkämpfe (vgl. Kap. 4.1.1). Diese waren mit unterschiedlichen Leitzielen verbunden: Mal stand die Ausbildung von Allround-Athleten, mal die Durchsetzung antisemitischen Gedankenguts, mal die Wiedererweckung antiker olympischer Ideale im Vordergrund. Der Fünfkampf von Wenlock, der in der Literatur als »Vorstufe« des Modernen Fünfkampfs bislang unberücksichtigt blieb, stellt die Verbindung zum zweiten Teilkapitel her (vgl. Kap. 4.1.2). IOC-Präsident Coubertin stand nämlich in direktem Austausch mit William Penny Brookes (1809 – 1895), dem Initiator der Wenlock Olympian Games.452
4.1.1 Allrounder, Antisemiten und Philhellenen: neuzeitliche Mehrkampferfahrungen in Europa und Nordamerika Während das »Dessauer Pentathlon« der Philanthropen im 18. Jahrhundert noch Seltenheitswert hatte, ließen sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts häufiger Hinweise auf Mehrkampfveranstaltungen in Europa und Nordamerika finden (vgl. Kap. 3.1.3). Dazu gehörten insbesondere die im englischsprachigen Raum verbreiteten Allround-Wettkämpfe, die später während der Olympischen Spiele in St. Louis 1904 erneut Bedeutung erlangten (vgl. Kap. 4.2.2). Im schottischen Hochland, ebenso wie in den schottischen Gemeinschaften in den USA, gehörten Allround-Wettkämpfe bereits ab den 1860er Jahren zum festen Wett-
452 Die Spiele sind nach der gleichnamigen britischen Kleinstadt in der englischen Grafschaft Shropshire benannt.
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kampfprogramm. Die Athleten traten dort in verschiedenen Kraft-, Lauf- und Sprungwettbewerben gegeneinander an (Zarnowski, 2005, S. 26 f).453 Aus anfänglich volkstümlichen Vielseitigkeitsübungen hatten sich dort spezifisch leichtathletische Mehrkämpfe entwickelt. Bei den »Allround-Championships« mussten die Athleten typischerweise eine Auswahl von zehn oder mehr leichtathletischen Wurf-, Sprung- und Laufdisziplinen absolvieren, um den Titel des »Allround-Champions« tragen zu dürfen (IAAF, April 2004, S. 7 f).454 Die 1884 eingeführten »American National Championships« schlossen beispielsweise einen Mehrkampf bestehend aus zehn verschiedenen Disziplinen ein.455 Da die Disziplinen direkt nach kurzer Pause an nur einem Tag aufeinanderfolgten, bezeichnete der italienische Leichtathletikexperte Roberto Quercetani (1964, S. 314) den Wettkampf rückblickend als »Pantagruelian«. Neben Schottland und den USA gehörte auch Irland zu den aktiven Mehrkampfnationen. Einige Autoren gehen davon aus, dass die Mehrkämpfe von Irland (und nicht von Schottland aus) in die USA exportiert wurden (z. B. Parient¦, 1978, S. 966). Zarnowski hält diese These allerdings für einen Trugschluss und verweist auf die beiden Leichtathletikexperten Colm Murphy und Tony O’Donoghue (Zarnowski, 2005, S. 26, 34). Diese haben irische Athleten des 19. Jahrhunderts untersucht und keinen Beweis dafür gefunden, dass die Iren schon vor den Schotten Allround-Wettkämpfe veranstaltet hatten (O’Donoghue, 1998; Murphy, 1998. Zitiert in Zarnowski, 2005, S. 34 (Anmerkung 4)). Nicht Mitte des 19. Jahrhunderts sondern erst später in den 1880er und 1890er boten die Iren nachweislich große Allround-Wettkämpfe an; erst viel später, 1924, ein internationales Meeting (Ebd., S. 26; Hamacher, 2011, S. 7 f). Während die Allround-Wettkämpfe in Irland 1898 gestrichen wurden, führten in den USA eine Reihe von Männern, unter ihnen James Edward Sullivan (1862 – 1914), Tom Kiely (1869 – 1951) und Martin Sheridan (1881 – 1918), die 453 Der Schotte Donald Dinnie (1837 – 1916) war aufgrund seiner verschiedenen Talente und seiner Siege in Coatbridge (schottische Stadt in der Nähe von Glasgow) einer der bekanntesten Vielseitigkeitsathleten seiner Zeit. 1870 schlug er einen Neunkampf mit den folgenden Disziplinen vor: Steinwurf (schwer & leicht), Hammerwurf (schwer & leicht), Baumstammwerfen, Ringen, Springen, Gewichtwerfen (56-lb), Laufen (Zarnowski, 2005, S. 27). 454 Vgl. z. B. auch Ford, 1897, S. 81 – 86. 455 Die Angaben zur Zusammensetzung dieses ersten nationalen Allround-Wettkampfs sind unterschiedlich. Vermutlich hängt dies damit zusammen, dass die Disziplinen in den darauffolgenden Jahren wechselten. Auf der Homepage den US-amerikanischen Zehnkampfvereinigung sind folgende zehn Disziplinen aufgeführt: Lauf (100 Yards), Kugelstoßen (16 lb), Hochsprung, Gehen (880 Yards), Hammerwurf (16 lb), Hürdenlauf (120 Yards), Stabhochsprung, Gewichtwerfen (56 lb), Weitsprung, Lauf (1 Meile) (The Decathlon Association, [o. A.]). Abweichend davon nennt Hamacher z. B. den Dreisprung statt des Gehens (Hamacher, 2011, S. 6). Die erste Meisterschaft 1884 entschied W. R. Thompson (Montreal), gefolgt von M. W. Ford und A. A. Jordan (beide New York) für sich.
Mehrkämpfe in der Anfangsphase der olympischen Bewegung
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Idee irischer Mehrkämpfe fort (Zarnowski, 2005, S. 32). So ist es wohl auch zu erklären, dass die Iren oder die Amerikaner irischer Abstimmung die US-Allround-Wettkämpfe zunächst dominierten: Der Ire Kiely gewann die »AAUMeisterschaften« 1904 und 1906; Sheridan, der Sohn irisch-amerikanische Einwanderer, entschied den Wettkampf 1905, 1907 und 1909 für sich, während der Ire John Bredemus zwischenzeitlich einmal im Jahr 1908 gesiegt hatte. Anschließend setzten sich die Allround-Meisterschaften in den USA endgültig durch. Fred Thomson, ein zukünftiger Filmcowboy, und der US-Amerikaner Jim Thorpe gewannen die nächsten vier Nationalmeisterschaften und rundeten damit die irische Erfolgsserie ab (Ebd., S. 33). Ab Mitte des 19. Jahrhunderts gewann die Mehrkampfidee außerdem in Deutschland, Österreich und Skandinavien zunehmend Anhänger. Auf Schweden ist im Spezialkapitel schon gezielt eingegangen worden (vgl. Kap. 3.1.3); Dänemark trug seine erste Allround-Meisterschaft beispielsweise noch ein Jahr früher als sein Nachbarland, vom 19. bis 21. Juni 1898, in Frederiksberg aus (Hamacher, 2011, S. 9); Finnland am 3./4. August 1907 in Tampere (Ebd., S. 10). In Münster fand am 15. Oktober 1911 die erste deutsche Zehnkampfmeisterschaft der Deutschen Sportbehörde für Athletik statt (Ebd., S. 11).456 Zuvor hatten sich die deutschen Kunstturner, die Übungen an Reck, Barren und Pferd favorisierten, gewehrt. Sie betrachteten Feste für Volksturnen, wo Mehrkämpfe inklusive leichtathletischer Übungen organisiert werden sollten, kritisch. In Bezug auf den Mehrkampf war daher ursprünglich ein Kompromiss geplant: je drei Geräteübungen und drei Volksübungen (typischerweise Weitsprung, Stabhochsprung, Hochsprung oder Steinstoßen) sollten dazu gehören. Letztlich gelang es den Kunstturnern, Pflicht- und Kürübungen einzubauen, so dass sich das Verhältnis auf ungleiche 6:3 verschob (Ebd., S. 4).457 Die Anzahl der Disziplinen war anfangs nicht fix. So veranstalteten die Turner als Teil der deutschen Meisterschaften 1880 ein leichtathletisches Triathlon, bestehend aus Steinwurf, Stabhochsprung und Weitsprung (IAAF, 2004, S. 7 f). Im selben Jahr fand auch der erste internationale Zwölfkampf der Turner, der sowohl kunstturnerische als auch volksturnerische (leichtathletische) Elemente beinhaltete, in Frankfurt statt. Neben den deutschen Athleten nahmen am 456 Die Deutsche Sportbehörde für Athletik wurde am 29. Januar 1898 in Berlin gegründet und war eine Vorstufe des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV). Die Punktewertung im Zehnkampf orientierte sich an Weltrekorden. Nach zehn Disziplinen lag Karl Halt vorn (Ebd., S. 11). 457 Ein aus Geräte- und volkstümlichen Übungen kombinierter Mehrkampf wurde beispielsweise beim Deutschen Turnfest 1863 in Leipzig durchgeführt. Dort nutzte der Veranstalter Justus Lyon ein leistungsorientiertes, lineares Bewertungssystem und berücksichtigte nicht – wie damals üblich (vgl. z. B. das Wertungssystem von Ernst Eiselen) – individuelle Körpermaße (Ebd., S. 3ff).
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Zwölfkampf auch Belgier, Engländer, Franzosen, Holländer, Ungaren, Italiener, Russen, Schweizer und US-Amerikaner teil; Schweden waren nicht darunter (Zarnowski, 2005, S. 25 f). Vier Sportler des nordamerikanischen »MilwaukeeTeams« platzierten sich unter den ersten sechs. Das deutsche Turnen war offensichtlich auch in den USA angekommen. Denn die Deutschen, die während der 1840er und 1850er in die USA emigrierten, brachten ihre Traditionen dorthin mit (Hofmann, 2004, S. 90; vgl. auch Ebd.). Die Turner verkörperten so schon bald das Idealbild eines vielseitigen Athleten, das der Sportbewegung, die nach Rekorden und individuellen Höchstleistungen strebte, entgegenstand. Der Deutsche Turnverband umfasste dabei weit mehr als ausschließlich turnerische Übungen, sondern beispielsweise auch »gemischte Wettkämpfe in Gymnastik und Fechten, Schwimmen, Leichtathletik etc.« (Krüger (A.), 1997, S. 93). Neben dem Dekathlon und Triathlon gab es auch Fünfkämpfe (Krüger (A.), 1996, S. 8). Diese wurden in ganz Europa schon im frühen 19. Jahrhundert veranstaltet. So besagt ein Dokument der griechischen Gemeinde Letrini [Letrinoi] (nahe Olympia) aus dem Jahr 1838 beispielsweise, dass dort Sieger »in einem oder mehreren Disziplinen des Pentathlon« gekrönt werden sollten.458 Es gibt jedoch keinen Beleg dafür, dass die geplanten Wettkämpfe tatsächlich stattfanden (Young, 1996, S. 6). Einer der ersten nachweisbaren Fünfkämpfe soll in London im Jahr 1866 durchgeführt worden sein (Zarnowski, 2005, S. 26). Die deutschen Turner zeigten sich ebenso begeistert vom altgriechischen Pentathlon (Krüger (M.), 1991, S. 145). Ähnlich wie es Coubertin später forderte (vgl. Kap. 2.1.1), so sollten die Disziplinen jedoch auch hier in Form und Inhalt der Moderne angepasst sein. Diese Meinung vertraten ebenso einige zeitgenössische Autoren wie Karl Wassmannsdorff [o. J.], Otto Heinrich Jäger (1828 – 1912)459 und Franz Xaver Kießling (1859 – 1940) (Ebd., S. 147, Becker, 1991, S. 166). Die Beschäftigung mit dem antiken Pentathlon und der daraus erwachsene wissenschaftliche Streit über die damaligen Wettkampfdetails, lenkte die allgemeine Aufmerksamkeit auf den Fünfkampf und regte zur Nachahmung in Schulen und Vereinen an.460 Der deutsche Sporthistoriker Michael Krüger (1991, S. 149) hält die Anlehnung an die Antike bei den Turnern für vorrangig »ideologisch motiviert«. Denn auch die Turner versuchten, ihre Leibesübung kulturell zu legitimieren, indem sie diese mit einer idealisierten Antikentradition in Verbindung brachten (Ebd.; vgl. Kap. 2.1.1).461 458 Giannopoulos, 1926, S. 566 f. Zitiert in Young, 1996, S. 179. 459 Otto Heinrich Jäger (1828 – 1912) entwickelte das militärische Turnen in Württemberg (Krüger (M.), 1989, S. 172 – 193). 460 Hirth & Gasch, 1895, S. 5. 461 Diese Vorgehensweise scheint auch heute noch Vorbildcharakter zu haben, wie die Vermarktungstaktik der UIPM zeigt. Am Ende jedes UIPM-Newsletter wird das antike Pent-
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Gemäß Jäger stellte das altgriechische Pentathlon gar eine Idealform der Leibesübung dar (Ebd., S. 147). Dies veranlasste ihn wohl auch dazu, das so genannte »Schwäbische Pentathlon«, bestehend aus Laufen, Springen, Werfen, Klettern und Ringen, für deutsche Turner zu entwickeln (Eichberg & Hopf, 1990, S. 192). Die militärische Ausbildung stand dabei für ihn im Vordergrund, was wiederum zu Kritik führte: Das griechische Pentathlon sei durch ihn zur »schwäbischen Hauptübung« verkommen.462 Ein weiteres Beispiel ist die von Friedrich Fedde 1889 herausgegebene Fünfkampfordnung, die Laufen, Steinstoßen, Weitspringen, Gerwerfen und Ringen vorschlug.463 Die Disziplinen entsprachen in der Praxis also nicht gänzlich dem antiken Vorbild, was wiederum zu Kritik führte und die Frage aufwarf, ob Unbekanntes und Ungewohntes aus der antiken Zeit durch neuzeitliche gebräuchliche Übungen ersetzt werden dürfe.464 In Österreich fühlte sich der Oberturnwart des I. Wiener Turnvereins, Kießling, ebenfalls dazu inspiriert, das antike Pentathlon 1886 anlässlich der 25Jahrfeier seines Vereins wiederzubeleben (Becker, 1991, S. 166). Im Jahrbuch der deutschen Turnkunst 1887 fand sich neben dem Reglement auch eine Beschreibung des Wettkampfs: »Alle […] waren in altgriechische Gewänder gehüllt […]. Ein, für die Sitten und Gebräuche der Hellenen, dieses in allem und jedem so ideal veranlagten, wunderbaren Volkes, empfängliches Gemüt, konnte sich bei dem soeben beschriebenen Anblicke in die Zeit der olympischen Spiele zurückdenken.«465
Die Anlehnung an die antiken Olympischen Spiele war also beabsichtigt, weshalb sich Kießling auch für die Übernahme der antiken Disziplinen entschied (Ebd., S. 167). Am Ausscheidungswettkampf nahmen elf Athleten teil, darunter auch Kießling selbst, der den Wettkampf schließlich für sich entschied (Ebd., S. 168 f). Deutsch-jüdische Bewerber hatte Kießling – wenngleich unter Protesten – nicht zugelassen. Der als »hellenisch« bezeichnete Fünfkampf wurde im August 1887 beim »5. Deutschösterreichischen Kreisturnfest« in Krems wiederholt (Ebd., S. 169). Dieser verbreitete sich wohl deshalb nicht über die Grenzen des Deutschen Turnerbunds (DTB) hinaus, weil seine arisch-antisemitische Ausrichtung und die Art des Mehrkampfs nicht allen Turnliebhabern
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athlon in der historischen Übersicht als erste Entwicklungsstation des Modernen Fünfkampfs aufgeführt (z. B. UIPM, 2011, S. 14). Maul, 1865, S. 52 f. Zitiert in Krüger (M.), 1991, S. 148 f. Fedde, 1889. Über den Fünfkampf der Hellenen insbesondere die demselben eigentümlichen Übungsarten des Dreisprunges, Diskos- und Speerwerfens und die Fünfkampfordnung. Leipzig. Zitiert in Lange, 1961, S. 78. Die Germanen bezeichneten mit dem Ausdruck »Ger« einen Wurfspieß bzw. einen Speer. Faber, 1893, S. 251. Zitiert in Schröder, 1999, S. 65. Auszug aus A. J., 1887, S. 5 f. Zitiert in Becker, 1991, S. 166 f.
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entgegenkamen. Das Laufen trainierten die Turner beispielsweise typischerweise nicht (Ebd. S. 170). Bevor der »hellenische« Fünfkampf der Österreicher 1906 eingestellt wurde, fand 1903 anlässlich des »4. Bundesturnfests« in Berlin als Pendant dazu ein »deutscher« Fünfkampf statt. Dieser war drei Jahre zuvor vom damaligen Bundesturnwart Hermann Leithner entwickelt worden.466 Die Disziplinen waren an germanische Götter- und Heldensagen angelehnt und umfassten Hochweitsprung, Zielwurf mit einem Ger (germanischer Speer), 200-Meter-Lauf, Hammerwurf, Freiringen. Sieger war der 17-jährige Karl Gaulhofer (1885 – 1941) vom Turnverein Jahn in Graz, der später als Vater des »Natürlichen Turnens« und als Reformator des österreichischen Schulturnens Bekanntheit erlangte (Ebd.). Die Wettkämpfe fanden häufig über die nationalen Grenzen hinweg statt. Der I. Wiener Turnverein stand beispielsweise mit ausländischen Turngruppen in Italien, Griechenland, Frankreich, USA und Schweden in Verbindung. Es ist daher wahrscheinlich, dass sie auf diese Weise von den deutsch-österreichischen Fünfkämpfen erfuhren. Der deutsche Sporthistoriker Hartmut Becker äußert im Hinblick auf diese internationalen Fünfkampfaktivitäten sein Unverständnis darüber, dass der »hellenische« Fünfkampf nicht frühzeitig, vor Athen 1906 (vgl. Kap. 4.2.3), in das olympische Programm aufgenommen wurde (Ebd., S. 171). Die USA, Italien und Schweden sollen Kießling gar selbst um Anleitungen zur Wettkampfdurchführung gebeten haben, bevor diese ihre Athleten in »hellenischen« Fünfkämpfen ausbildeten (Kießling, 1940, S. 49. Zitiert in Becker, 1991, S. 171). 1895, neun Jahren nach dem ersten österreichischen Fünfkampf, sind auch in den USA die ersten Aufzeichnungen von Fünfkämpfen zu finden. So berichtete die New York Times am 18. Juni von Wettkämpfen zwischen nordamerikanischen (Harvard, Yale) und britischen Universitätsteams (Oxford, Cambridge).467 Die Briten fühlten sich in jenem Jahr offensichtlich in dem von ihnen vorgeschlagenen Wettkampfkanon besonders gut vorbereitet. Dies wiederum reiche dazu aus, den »modern pentathlon« zu bestreiten. US-amerikanische Fünfkämpfe waren allerdings nicht nur auf den Universitätssport beschränkt. Ein halbes Jahr später konnten die Leser der New York Times einen weiteren Bericht zum Thema vielseitige Ausbildung entnehmen. Diesmal handelte es sich um die vorbildhaften Trainingsformen eines Instituts in Springfield/Massachusetts, das junge Männer für die Young Men’s Christian Association (YMCA) vorbereite-
466 Mehl, 1964, S. 188 – 196. Becker (1991, S. 173) weist außerdem darauf hin, dass Mehl in seinem Grundriß des deutschen Turnens (1930, S. 368ff) die Regeln des hellenischen und des deutschen Pentathlon dargestellt hat. 467 [o. A.] (1895a). International athletics, S. 4.
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te.468 Mittelpunkt der dortigen Leibeserziehung war die Entwicklung »einer perfekten Männlichkeit, die der Belastung einer modernen Zivilisation« standhalten konnte. Das Ziel wurde entsprechend klar formuliert: »We want to build up an all-around man.«469 Um diesen auszubilden, gab es u. a. ein (ebenfalls nicht näher spezifiziertes) Pentathlon, das zu diesem Zeitpunkt dort allgemein angewandt wurde und laut Artikel in der Trainingsschule selbst entstanden war.470 Vermutlich war das Pentathlon in den USA aus rein leichtathletischen Disziplinen zusammengesetzt oder aber die Teilnahme an mehreren Einzelsportarten der Leichtathletik wurde als Fünfkampf interpretiert. Letzteres tat die USamerikanische Presse beispielsweise ein Jahr später, als sie das Abschneiden ihrer Landsleute bei den ersten Olympischen Spielen in Athen bewertete (vgl. Kap. 4.2.1). Dort hieß es (unberücksichtigt der Vielzahl an anderen Disziplinen), dass offensichtlich das klassische Pentathlon dem griechischen Wettkampfprogramm Pate stand.471 Die USA holten schon 1896 in einigen LeichtathletikDisziplinen Gold (Kluge, 1997, S. 25ff) und leiteten damit ihren Erfolg in diesem Sportbereich, in ihren Augen der Kernsparte der Olympischen Spiele, ein (Dyreson, 2008, S. 185 – 203). Das Training mehrerer, vielseitiger Talente floss somit zunehmend in die Vorbereitung auf olympische Wettkämpfe ein. Letztere entwickelten sich erst mit Coubertin zu einer Veranstaltung von internationaler Bedeutung. Als er 1894 die Wiedererweckung der antiken Olympischen Spiele verkündete, war er allerdings nicht der Erste, der dies einforderte.
4.1.2 Ein vergessenes Modell: Der Fünfkampf von Much Wenlock Die Philanthropen hatten sich noch vergeblich bemüht und kamen über kleine olympische Lokalveranstaltungen nicht hinaus (vgl. Kap. 3.1.1).472 In Schweden 468 [o. A.] (1895c). Trains Young Christians. An Institution in Springfield Which Is Doing a Great Work, S. 20. Während die YMCA 1844 in London gegründet wurde, war es Thomas Valentine Sullivan, der Enkel eines irischen Einwanders, der die Organisation sieben Jahre später in die USA brachte (YMCA of the USA [ohne Jahr]). Für die Geschichte der YMCA vgl. Shedd, 1955 und Johnson, 1979. 469 Ebd. 470 Aus welchen Disziplin die beiden genannten Fünfkämpfe bestanden, wird weder in diesen noch in anderen Artikeln der New York Times erwähnt. Auch weitere Recherchen brachten in diesem Punkt keine Antwort. Ggf. könnten US-amerikanische Archive wie jenes der YMCA Archives in Minneapolis nähere Informationen liefern. 471 Es gab nämlich beispielsweise Diskuswurf, Weitsprung und Ringen. [o. A.], 1896, S. 4. 472 Von 1772 – 79 gab es »Olympische Feste« in Dessau. Diese blieben örtlich beschränkt, ebenso wie die »Olympischen Spiele« der Herrenhuter Schüler in Niesky bei Dresden (1779) oder jene, die ein olympischer Verein 1834 – 36 in Hälsingborg, Schweden, abhielt (Leifer, 1963, S. 271 f).
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erhielt Gustaf Johan Schartau aufgrund organisatorischer Mängel nicht den erwarteten Zuspruch für seine Olympischen Spiele von Ramlösa (vgl. Kap. 3.1.2). Weitere lokale olympische Wettkämpfe fanden in Paris (1796), in München (1820/1850/1852), in Rondeau und Montfleury/Frankreich (1832 – 1952), in Montreal/Kanada (1844), in New York/ USA (1853), in Leicester/England (1866), in Athen/Griechenland (1877) sowie in Subotica/Ungarn (1880 – 1940) statt (Findling & Pelle, 2004, S. 11). Robert Dovers Cotswold Olimpick Games (*1612), Evangelos Zappas’ Olympien (1859, 1870, 1875, 1888 – 89) und William Penny Brookes’ Wenlock Olympian Games (*1850) gehörten zu den größeren Veranstaltungen dieser Art und waren überregional bekannt (Rühl, 1975; Decker, 1996, S. 41ff; Young, 1996, S. 13 – 23, 42ff; Georgiadis, 1998, S. 52 – 106; Rühl, 2004, S. 3 – 13; Surhone, Tennoe & Henssonow, 2010). Doch weder von den Spielen in Ramlösa (Driega, 1997, S. 24) noch von den Cotswold Olympick Games ist bekannt, dass diese einen Mehrkampf einschlossen. Die ersten Zappas Olympien im Jahr 1859 zeigten dagegen »verschiedene Formen des altgriechischen Pentathlon« (Kaimakamis & Mouratidis, 2003, S. 24), doch litten diese Spiele allgemein unter organisatorischen Mängeln (Giannakis, 1993, S. 515; Dolianitis, 1996, S. 12. Beide zitiert in Kaimakamis & Mouratidis, 2003, S. 23 f). Als elf Jahre später erneut unterschiedliche Fünfkampfvarianten im Programm der zweiten griechischen Olympien zu finden waren (Ebd., S. 26), hatte die olympische Idee auch in England schon Fuß gefasst. Seit 1850, dem Jahr, in dem Brookes die Wenlock Olympian Class473 gegründet hatte, fanden dort die Wenlock Olympian Games – zunächst ohne Mehrkampf – statt. In gesamt Großbritannien gab es lokal Nachahmer, was letztlich 1865 zur Gründung der National Olympian Association (NOA) überleitete (Georgiadis, 1998, S. 98).474 Brookes gehörte neben John Hulley von Liverpool und Ernst Ravenstein vom Deutschen Turnverein in London zu den Gründungsmitgliedern (Toohey & Veal, 2007, S. 32). Diese führten schon ein Jahr später die National Olympian Games ein, die über 200 Athleten und 10.000 Zuschauer anzogen (Ebd.; Redmond, 1988, S. 71 – 87). Einen Mehrkampf gab es zu diesem Zeitpunkt dort noch nicht, allerdings schon eine spezielle Goldmedaille für den erfolgreichsten Athleten. 473 »1860 wurde die Olympian Class der Reading Society eigenständig und nannte sich zur Wenlock Olympian Society um. Im gleichen Jahr initiierte William Penny Brookes die Gründung der Shropshire Olympian Society, die von 1861 bis 1864 Shropshire Olympian Games an wechselnden Orten durchführte.« (Homepage von Wikipedia: die freie Enzyklopädie. Zugriff online am 10. März 2011 unter http://de.wikipedia.org/wiki/William_Penny_Brookes). 474 Weitere Details über die Entwicklung der Spiele und über Brookes Biographie (vgl. z. B. Mullins, 1984; Neumüller, 1985; Rühl, 1991; Antony, 2004 oder Beale, 2011) werden an dieser Stelle nur ausgeführt, wenn sie sich auf das Pentathlon oder auf Coubertin beziehen.
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Erst am 3. Juni 1868 tauchte das Pentathlon zum ersten Mal im Programm der Wenlock Games auf (Young, 1996, S. 53; Doehler, 2011, S. 12).475 Der Begriff »general competition« wurde synonym verwendet, um den für diesen Wettkampf notwendigen allgemeinen Fertigkeiten in besonderem Maße Rechnung zu tragen.476 Der Fünfkampf von Wenlock umfasste laut der Wettkampfregularien von 1868 Seilklettern (55 Fuß), Hochsprung (mit Anlauf), Weitsprung (mit Anlauf), Kugelstoß (36 lbs), Lauf (1/2 Meile).477 Anfang des 20. Jahrhunderts berichtete die Much Wenlock Olympian Society von einem »allgemeinen Wettkampf«, der Hochsprung, Stabhochsprung, Kugelstoßen (beidhändig), 440Yards-Lauf und Seilklettern einschloss.478 Andere Autoren nennen Lauf, Weitsprung (ohne Anlauf), Speerwurf, Kugelstoß und Hindernislauf als originale Fünfkampfdisziplinen (Neumüller, 1985, S. 142). Diese unterschiedlichen Darstellungen sind darauf zurückzuführen, dass es noch im selben Jahr gleich mehrere »general competitions« gab. Neben dem Pentathlon der Wenlock Games existierte beispielsweise mindestens eine weitere lokale Variante, die laut Pressebericht den Halbemeile-Lauf durch einen Hindernislauf ersetzte.479 Das Teilnehmerfeld war zu jener Zeit allerdings noch klein; im letztgenannten Fünfkampf gab es nur drei Aktive.480 Auch ein Jahr später setzte sich der »allgemeine Wettkampf« nicht mehr aus denselben Disziplinen wie ein Jahr zuvor zusammen. Neben beidhändigem Kugelstoß, Hoch- und Weitsprung gab es am 25. August 1869 eine Reckübung (an Stelle des Seilkletterns) und einen verkürzten Lauf (1/4 Meile).481 1871 soll das Pentathlon von Wenlock auch Hammerwurf eingeschlossen haben (Young, 1996, S. 198). Die genannten Abweichungen vom ersten Wenlock-Fünfkampf weisen also auf eine flexible Zusammensetzung bzw. auf eine kontinuierliche Fortentwicklung der Sportart hin. Die Vielzahl der zu trainierenden Übungen und der notwendige Zeitaufwand 475 Notice for General Competition. WOS Minute Book, vol. 1. Archiv der Wenlock Olympian Society (WOS). Ich möchte Chris Cannon, Archivar der Wenlock Olympian Society (WOS), für die Weiterleitung dieser und der folgenden WOS-Archivunterlagen, danken. 476 Much Wenlock Olympian Society. Revival of the Pentathlon. Sport and Play and Wheel Life, 16. Mai 1914, S. 7. Archiv der Wenlock Olympian Society (WOS). 477 Notice for General Competition. WOS Minute Book, vol. 1, Archiv der Wenlock Olympian Society (WOS). Die Abkürzung »lbs« steht für die anglo-amerikanische Maßeinheit Pfund (pound). 1 Pfund entspricht dabei ca. 0,45 kg. 478 Much Wenlock Olympian Society. Revival of the Pentathlon. Sport and Play and Wheel Life, 16. Mai 1914, S. 7. WOS Minute Book, vol. 1. Archiv der Wenlock Olympian Society (WOS). 479 Wenlock Olympian Games. Eddolvs’s Shrewsbury Journal. 10. Juni 1868. WOS Minute Book, vol. 1. Archiv der Wenlock Olympian Society (WOS). 480 Dies waren (aufgelistet nach Platzierung): 1. Herr Warren, 2. Herr Snead, 3. Herr Cross (Ebd.). 481 General list of athletic competitions. 25. August 1869. WOS Minute Book, vol. 1, Archiv der Wenlock Olympian Society (WOS).
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erschwerten dabei nicht nur die Wettkampfpraxis, sondern auch die -organisation. Gleichzeitig schränkte dies den Teilnehmerkreis ein, weil die zur Verfügung stehende freie Zeit mit sinkender Sozialklasse abnahm und faktisch nur Gentlemen ein Training ermöglichte. Dabei sollte die Teilnahme an den nationalen olympischen Spielen und damit auch an Brookes’ Pentathlon idealtypisch nur Amateuren vorbehalten bleiben.482 Dennoch gab es bereits von Anfang an Geldpreise für einige der siegreichen Athleten (Toohey & Veal, 2007, S. 32). Ob auch Pentathleten darunter waren, bleibt unklar. In jedem Fall galt der Fünfkampf als »ziemlich harte Probe der Vielseitigkeit eines Athleten«.483 Die britische Journalistin Ashling O’Connor vertritt gar die Meinung, dass der Fünfkampf zu Brookes Zeiten als Wettkampf der »Königsklasse« galt (O’Connor, 2009). Während die hohen Anforderungen des Pentathlon allgemein anerkannt waren, herrschte Uneinigkeit über den Gewinner des ersten Wenlock-Fünfkampfs. Während das Eddolvs’s Shrewsbury Journal 1868 Thomas Barnett aus Wenlock zum Sieger kürte (und Thomas Child zum Zweitplatzierten), schrieb die WOS 46 Jahre später W. Fitzwarren den Sieg zu.484 Dies könnte wiederum auf die verschiedenen im selben Jahr stattfindenden »allgemeinen Wettkämpfe« und die damit zusammenhängende Schwierigkeit der eindeutigen Zuordnung der Erstplatzierten zurückzuführen sein. Der Gewinner von Wenlock erhielt in jedem Fall neben einer Medaille aus Silber auch einen Olivenkranz nach griechischem Vorbild.485 Diese doppelte Krönung des Pentathlonsiegers spiegelt nicht nur seinen besonderen Stellenwert im Wettkampfprogramm, sondern auch die enge Verbindung zum antiken Vorbild wider. Was der deutsche Sporthistoriker Joachim Rühl (2004, S. 8) als »pseudo-hellenischen Decklack« bezeichnet, schlug sich u. a. in Brookes’ Kontakt zu den Organisatoren der griechischen Zappas Spiele nieder. Zum Einen sah Brookes darin eine Chance, seine eigenen Spiele zu verbessern (Toohey & Veal, 2007, S. 32); zum Anderen strebte er eine transnationale Ausweitung der olympischen Bewegung an (Findling & Pelle, 2004, S. 9). Als freundschaftliche Geste stiftete König Georg I. von Griechenland (1845 – 1913) beispielsweise einen Preis für das britische Pentathlon von 1877 (Ebd.; Young, 1996, S. 57). Bei der Auszeichnung für den besten britischen Fünfkämpfer handelte es sich um einen Silberpokal, der mit einer griechischen Inschrift versehen war : »George I, König der Hellenen, für den Mann, der das 482 Ebd; Much Wenlock Olympian Society. Revival of the Pentathlon. Sport and Play and Wheel Life, 16. Mai 1914, S. 7. Archiv der Wenlock Olympian Society (WOS). 483 Much Wenlock Olympian Society. Revival of the Pentathlon. Sport and Play and Wheel Life, 16. Mai 1914, S. 7. Archiv der Wenlock Olympian Society (WOS). 484 Ebd. 485 Ebd.
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Pentathlon der britischen Modernen Olympiade in Shrewsbury im August 1877 gewann.« (Young, 1996, S. 57). Im Gegenzug sandte Brookes einen Pokal an die Gewinner der griechischen Spiele (Toohey & Veal, 2007, S. 32). Shrewsbury, Much Wenlock, London, Shropshire, Wellington etc. – in ganz England fanden mittlerweile nationale Olympien und Wettkämpfe statt. Doch daraus entstanden auch unmittelbar Konkurrenzsituationen: Zum Einen zwischen den Organisatoren aus den verschiedenen englischen Städten und Regionen; zum Zweiten zwischen der British Olympic Association (BOA) und dem von Londoner und Oxbridger Aristokraten 1865 gegründeten Amateur Athletic Club (AAC) (Georgiadis, 1998, S. 99). Die zunehmenden Parallelveranstaltungen hielten Athleten und Zuschauer schon bald davon ab, regelmäßig nach Wenlock zu reisen (Young, 1996, S. 57 f). Die dadurch angespannte Finanzlage zwang die Wenlock Olympian Society zu Sparmaßnahmen. Darunter fiel auch, das kostspielige Pentathlon nach 1881 vorübergehend einzustellen (Ebd., S. 58).486 Eine 1883 herausgegebene Vorschrift der Amateur Athletic Association (AAA) verschärfte die Situation zusätzlich. Diese besagte, dass eine Wettkampfteilnahme an offiziellen Spielen der BOA das Einhalten der Amateurbedingungen absolut erfordere. Damit war das vorläufige Ende der finanzschwachen Veranstaltung endgültig besiegelt.487 Nur wenige Jahre zuvor hatte sich Brookes noch dafür eingesetzt, seine Spiele international auszuweiten und damit eine moderne Version der antiken Olympischen Spiele einzurichten (Galligan u. a., 2000, S. 60). Im Herbst 1880 plante er beispielsweise ein »International Olympian Festival« in Athen zu organisieren, fand jedoch keine Unterstützung (Findling & Pelle, 2004, S. 9). Dies hätte ihm nicht nur international zum Durchbruch verholfen, sondern gleichzeitig auch national das Überleben seiner olympischen Bewegung gesichert. Doch dazu kam es nicht. Obwohl Brookes, wie Coubertin 1896, eine Rückkehr zur Geburtsstätte der Olympischen Spiele nach Griechenland anstrebte, hatten die Wenlock Olympian Games zu keinem Zeitpunkt den internationalen Verbreitungsgrad, den Coubertins Olympische Spiele im Laufe des 20. Jahrhunderts erreichten. Eine Erklärung mag darin liegen, dass Coubertins Kontakte zur aristokratischen Oberschicht ihm eine Durchsetzung seiner Ideen erleichterten (Galligan u. a., 2000, S. 60). Brookes schien von Coubertins Charisma gleichermaßen überzeugt, als er 81-jährig im Oktober 1890 eine Sitzung »zu Ehren des jungen Pierre de Coubertin einberief, der nach England kam, um mehr über 486 Aus »vorübergehend« wurden letztlich 33 Jahre; erst 1914 wurde das Pentathlon wieder neu eingeführt (Ebd.). 487 Die Olympischen Spiele von Wenlock wurden während des frühen 20. Jahrhunderts zunächst eingestellt. 1950 fand eine kurze Wiederbelebung statt, bevor sie 1977 wiederaufgenommen wurden. Bis zum heutigen Tage sind sie ein populärer Sportereignis (Findling & Pelle, 2004, S. 9).
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Athletik, Leibeserziehung und Schulsport zu lernen« (Findling & Pelle, 2004, S. 9). Auch wenn Coubertin landläufig als der Wiedererwecker der Olympischen Spiele der Neuzeit gilt, messen einige Autoren Brookes rückblickend eine große Bedeutung im Hinblick auf Coubertins olympische Pläne und deren Umsetzung bei (z. B. Hill, 1996, S. 9; Young, 1996, S. 53 – 67; Durry, 2003, S. 45). Während dieser allgemeine Einfluss mittlerweile unstrittig ist, bleibt es fraglich, inwiefern der Fünfkampf von Wenlock Coubertin und das IOC zu einer Nachahmung inspirierte. Denn als Coubertin 1890 die Wettkämpfe vor Ort in Wenlock beobachtete, war der Fünfkampf bereits aus dem Sportprogramm gestrichen (MacAloon, 1981 [2007], S. 147). Der nordamerikanische Althistoriker David C. Young betrachtet den Einfluss von Brookes’ Fünfkampf auf Coubertins olympisches Programm eher skeptisch. Er führt die unterschiedliche Disziplinauswahl an und charakterisiert den »›modernen‹ (militärischen) Fünfkampf« daher als gänzlich »ohne Bezug« (Young, 1996, S. 198). In Beiträgen über die Geschichte des Modernen Fünfkampfs wird Brookes Mehrkampf typischerweise gar nicht erwähnt, so dass auch hier keine Antworten zu finden sind (z. B. Hegedu˝ s, 1968; Köris, 1984, S. 11 – 21; Krapf, 1987, S. 25, 27 f). Eine Analyse der Korrespondenz zwischen den beiden Akteuren erlaubt dagegen weitere Rückschlüsse. Die Zwei hielten seit den 1890er Jahren regelmäßigen Briefkontakt.488 In Bezug auf notwendige Erziehungsreformen und auf die Idee neuzeitlicher olympischer Spiele teilten sie einige grundlegende Einstellungen. So hob Coubertin hervor, dass auch Brookes die bloße Nachahmung der Antike nicht genüge: »Sur certains points cependant, l’antiquit¦ ne suffisait pas au Dr Brookes […].«489 Im Sportprogramm von Wenlock zeigte sich dies wie bereits erwähnt auch daran, dass Brookes das antike Pentathlon nicht eins zu eins übernahm, sondern andere (zeitgemäße) Disziplinen mit einbaute. Diese und andere Parallelen machen es unwahrscheinlich, dass Coubertin von den konkreten Wettkampferfahrungen in Wenlock gänzlich unbeeinflusst blieb. O’Connor (2009) berichtet sogar von einer Medaille, die Coubertin für das Pentathlon von Wenlock gestiftet habe.490 Ein Blick auf das Jahr 1894, als Coubertin der Weltöffentlichkeit seinen Plan der Wiedererweckung internationaler Olympischer Spiele verkündete, verspricht neue Erkenntnisse. So lud er u. a. Brookes zu diesem Gründungskon-
488 Vgl. z. B. den Brief von Coubertin an Brookes. 20. Juli 1892. Zitiert in Durry, 2003, S. 44. 489 Coubertin, 1890, S. 705 – 713. Übersetzung: »In einigen Punkten war die Antike jedoch nicht genug für Dr. Brookes.« 490 Da sie als einzige Autorin diese Auszeichnung erwähnt und ihre These nicht durch Quellen belegt, beweist ihre Aussage allerdings noch nicht, dass Coubertin Brookes’ Fünfkampf tatsächlich kannte und für ehrenwert hielt.
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gress nach Paris ein.491 Hier zeigte sich, dass Brookes in Bezug auf das Sportartenprogramm wie selbstverständlich davon ausging, dass Coubertins Olympische Spiele einen Fünfkampf beinhalten würden. Dieser sollte nach antiker Tradition wie Brookes es in Wenlock selbst vorgemacht hatte, eine besondere Ehrung erhalten: »I hope the Congress will not omit the crowning of the victor in a Pentathlon, or in a greater number of contests, with the olive wreath.«492 Brookes sprach das Pentathlon in seinem Brief ohne weitere Erklärung an und brachte damit zum Ausdruck, dass sein Adressat mit dem Begriff vertraut war. Gleichzeitig machte er deutlich, dass er die konkrete Zusammensetzung des Fünfkampfs Coubertin überließ (»a [not the] pentathlon«). Vermutlich hatten die beiden also bei Coubertins Besuch in Wenlock schon über diesen Wettkampf gesprochen. Dieser rege Austausch konnte allerdings auf dem Kongress in Paris nicht fortgesetzt werden, weil den Briten körperliche Gebrechen von einer Teilnahme abhielten. Dennoch bat er den griechischen Premierminister vorab schriftlich darum, Coubertins Vorhaben zu unterstützen. Dass man seiner Bitte bald darauf nachkam, aber letztlich keinen Fünfkämpfer krönte, konnte Brookes jedoch nicht mehr miterleben. Er verstarb 1895 wenige Monate vor Beginn der internationalen Olympischen Spiele in Athen (Findling & Pelle, 2004, S. 9). Während Coubertin Brookes zu dessen Lebzeiten lobte und gar als geistigen Vater der Olympischen Spiele bezeichnete,493 maß er ihm nach seinem Tod vergleichsweise wenig Anerkennung bei. Schon ab 1892 trat Coubertin selbst für die olympische Internationalisierung des Sports ein.494 Und in diesem Vorhaben hätte ein zu populärer Brookes ihm den Titel des Schöpfers der Olympischen Spiele möglicherweise streitig machen können (Toohey & Veal, 2007, S. 33).495 So nutzte Coubertin zwar den positiven Ruf, den der Name »Olympische Spiele« durch Brookes erlangt hatte, sprach bei seinen eigenen Spielen jedoch nicht von einer Fortführung diesen Erbes.496 So könnte es also auch an Coubertins Geltungsbedürfnis (vgl. Kap. 2) gelegen haben, dass er weder im ersten olympischen Kongress noch in den IOC-Diskussionen der kommenden Jahre ein Wort über das Pentathlon von Wenlock 491 Der Olympische Kongress fand vom 16. bis 23. Juni 1894 statt. Comit¦ International Olympique, 1894, S. 2. 492 Brookes in einem Brief an Coubertin. 13. Juni 1894. Zitiert in Anthony, 2004, S. 63. 493 Coubertin, 1890, S. 705. 494 Vgl. Coubertins Vortrag über »Die Neugeburt der Olympiade« (1892) an der Sorbonne zu Paris. Vgl. auch Georgiadis, 1998, S. 114. 495 Dies geschah letztlich ohnehin, beispielsweise als IOC Präsident Juan Antonio Samaranch 100 Jahre nach dem Gründungskongress von Paris Brookes als den »wahren Begründer« bezeichnete (Jeffrey, 2004). Vgl. auch Samaranchs Rede während der IOC Session in Birmingham im Juni 1991 ([o. A.], 1991, S. 308). 496 Im offiziellen olympischen Bericht der Olympischen Spiele von 1896 werden Brookes und die Spiele von Much Wenlock beispielsweise nicht erwähnt.
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Ein steiniger und langwieriger Weg: Einführung in das olympische Programm
verlor. Dies erstaunt umso mehr, weil er andere, noch weiter zurückliegende Fünfkampferfahrungen durchaus nannte. Neben dem antiken Pentathlon hob er ausdrücklich die Arbeit der Philanthropen in Dessau hervor und berichtete: »Man ging sogar so weit, den Pentathlon der Griechen wieder einzurichten.«497 Die Ausblendung des Fünfkampfs von Wenlock bedeutete aber keineswegs, dass die Wiedereinführung eines olympischen Fünfkampfs das IOC prinzipiell nicht interessierte.
4.2
Das IOC und die Umsetzung erster olympischer Mehrkämpfe
Der Sportartenkatalog und die Frage eines olympischen Fünfkampfs beschäftigten Coubertin selbst und das IOC schon seit 1894, dem Gründungsjahr des Komitees. Unterschiedliche IOC-Mitglieder brachten sich ein, so dass die Gestaltung des neuen olympischen Pentathlons zunehmend konkretere Formen annahm (vgl. Kap. 4.2.1). Die Debatten im IOC setzten sich fort, als sich durch olympische Mehrkämpfe erste Praxiserfahrungen einstellten: Die AllroundTests in St. Louis 1904 (vgl. Kap. 4.2.2) und das Pentathlon von Athen 1906 (vgl. Kap. 4.2.3) lieferten anschauliche Beispiele. Gemeinsam beeinflussten diese Vielseitigkeitstests die Einstellung der IOCMitglieder im Hinblick auf das zukünftige olympische Programm. Denn mit Coubertin an ihrer Spitze und den nationalen olympischen Organisationskomitees an ihrer Seite entschieden sie letztlich darüber, welche Sportarten in den olympischen Katalog aufgenommen wurden. Den bisherigen Mehrkämpfen waren dabei sowohl positive als auch negative Aspekte abzugewinnen.
4.2.1
Nichts als leere Worte: die Diskussionen im IOC (1894 – 1901)
Das olympische Programm wurde im Verlauf des 20. Jahrhunderts kontrovers diskutiert. Die Auswahl der olympischen Sportarten war dabei von Beginn an flexibel, wechselte von einem zum anderen Veranstaltungsort. In Abstimmung mit dem jeweiligen Organisationskomitee strich das IOC einige Sportarten aus dem Programm,498 andere ließ es auf der Liste,499 und wieder andere nahm es neu auf. Der Moderne Fünfkampf gehörte zu dieser letzten Gruppe. Doch zuvor musste sich die Idee erst im IOC durchsetzen und konkretisieren. Eine über497 Coubertin (1901a). Notes sur l’¦ducation publique. Übersetzt in Hoyer, 1972, S. 94 f. Vgl. auch Kap. 3.1.1. 498 Tauziehen war beispielsweise nur von 1900 bis 1920 olympisch. 499 Fechten und Laufen blieben beispielsweise durchgängig olympische Sportarten von 1896 bis heute.
Das IOC und die Umsetzung erster olympischer Mehrkämpfe
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einstimmende Meinung wurde dabei nicht direkt erzielt. Neben immer wieder neu aufflammenden Diskussionen ebneten erste Erfahrungen mit olympischen Mehrkämpfen den Weg für die Einführung eines neuzeitlichen olympischen Fünfkampfs. In Vorbereitung auf den ersten Olympischen Kongress 1894 in Paris berichtete Balck in einem Brief an Coubertin von den schwedischen Wettkampferfahrungen im Pentathlon sowie von der geplanten Veranstaltung in Göteborg (vgl. Kap. 3.1.3; Anhang 8.3.2.3): »Quant paragraphe VIII du programme, je puis vous informer que nous avons d¦puis [sic!] quelques ans adopt¦ ›le Pentathlon‹ en Su¦de et Norv¦ge. Le 12 – 14 Mai il y aura une fÞte f¦d¦rative de Gymnastique Gothembourg combin¦ avec des concours athl¦tics, laquelle le Pentathlon probablement sera disput¦. Si vous voudriez nous faire l’honneur de votre pr¦sence cette occasion vous pouvez Þtre convaincu d’Þtre recu avec de cordialit¦. La pr¦sident de comit¦ l’organisation est Mr Hugo Brusewitz, Gothembourg. Il vous donnera tout les senreignements d¦sir¦s.«500
Knapp einen Monat später versäumte Balck es in einem weiteren Brief an Coubertin nicht, erneut auf die schwedischen Fünfkampferfolge hinzuweisen (vgl. Anhang 8.3.2.4): »[…] comme je vous ai le dit [sic!], nous avons d¦j organis¦ des concours de pentathlon en SuÀde et en Norv¦ge [sic!] et c’est un Su¦dois qui est le Champion.«501 Als Coubertin dann im Juni 1894 einen Kongress in der Sorbonne organisierte, sprachen einige Teilnehmer das Thema eines olympischen Mehrkampfs öffentlich an. Ihre Vorstellungen waren zu dieser Zeit häufig an das antike Modell angelehnt. Am ersten Sitzungstag legte der Grieche Demetrios Vikelas (1835 – 1908),502 der bald darauf zum ersten IOC-Präsidenten ernannt wurde, den Anwesenden die Lektüre eines Buchs über die Antike ans Herz.503 »L’auteur«, so 500 Brief von Balck an Coubertin. 7. März 1894, S. 3. SD1: Correspondance 1894 – 1905, BALCK CORR. Correspondance 1894 – 1914, ID: 6590. Balck Correspondance, Code: CIO MBRBALCK CORR, OU MO 01 41 07, 0055015. IOC Archiv Lausanne. Übersetzung: »In Bezug auf den Paragraphen 8 des Programms kann ich Sie informieren, dass wir das Pentathlon in Schweden und Norwegen seit einigen Jahren eingeführt haben. Vom 12.–14. Mai wird es Festspiele des Gymnastikverbands in Göteborg verbunden mit athletischen Wettkämpfen geben, in welchen möglicherweise ein Fünfkampf veranstaltet wird.« 501 Brief von Balck an Coubertin. 12. April 1894, S. 2. SD1: Correspondance 1894 – 1905, BALCK CORR. Correspondance 1894 – 1914, ID: 6590. Balck Correspondance, Code: CIO MBR-BALCK CORR, OU MO 01 41 07, 0055015. IOC Archiv Lausanne. Übersetzung: Übersetzung: »[…] wie ich Ihnen schon mitgeteilt habe, haben wir in Schweden und in Norwegen schon Wettkämpfe im Fünfkampf organisiert, und es ist ein Schwede, der Sieger ist.« 502 Vereinzelt findet sich auch die Schreibweise »Bikelas«, die auf dem griechischen »Bij]kar« beruht. 503 Vikelas nannte weder den Autor noch den Titel des Buchs. Meine Recherchen sowie Nachfragen bei ausgewiesenen Olympia-Experten wie Herrn Dr. Karl Lennartz und Dr.
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Ein steiniger und langwieriger Weg: Einführung in das olympische Programm
berichtete Vikelas, »fait remarquer que le concours le plus important ¦tait celui du pentathle qui consistait dans cinq exercices«.504 Er fügte an, dass der Athlet alle fünf Übungen auf einem hohen Niveau beherrschen müsse, um teilnehmen zu können. Dies entspreche dem griechischen Ideal, dass mehr auf eine »harmonische Entwicklung von Kraft und allgemeiner Beweglichkeit« abziele als auf das bloße »Zur-Schau-Stellen eines Jongleurs«.505 Als Reaktion auf Vikelas’ Rede hob Coubertin hervor, dass das angesprochene Buch hauptsächlich die antiken Leibesübungen anspreche. Mittlerweile gäbe es jedoch viele Sportarten, die den Griechen noch nicht bekannt wären und nun in Wettkampfform ausgeübt würden. Als erstes Beispiel führte er das Rudern an. Daneben interpretierte er das »Allround championship« der Engländer als eine Fortsetzung der antiken Pentathlonidee (vgl. Kap. 2.1.1, 4.1.2, 4.2.2).506 Diese neuzeitliche Form des Mehrkampfs hatte sich also bereits in den Heimatländern von mehreren der späteren IOC-Mitglieder etabliert. Coubertin selbst hatte ihn vermutlich auf einer seiner Reisen in die USA oder nach Skandinavien kennengelernt. Schon zwei Tage später einigten sich die Kongressteilnehmer auf eine vorläufige Liste von olympischen Sportarten für das Jahr 1896. Fr¦d¦ric Bergh vom Stockholmer Svenska Gymnastikforbundet äußerte in diesem Zusammenhang den Wunsch, ein Pentathlon wiedereinzuführen. Das Sitzungsprotokoll vom 21. Juni 1894 bezeugt, dass seine Kollegen diese Idee einstimmig unterstützten (vgl. Anhang 8.3.1.1): »La commission ¦met le vœu que, dans les jeux olympiques, un concours de championnat g¦n¦ral d’athl¦tisme soit institu¦ sous le nom de pentathle.«507 Am Ende des Kongresses waren die Regularien und die Zusammensetzung des neuen Fünfkampfs zwar noch nicht festgelegt, doch waren sich die Teilnehmer über die Wichtigkeit, einen Vielseitigkeitswettkampf im Programm aufzunehmen, einig. Es ist dabei interessant, dass der Fünfkampf im Protokoll »pentathle« (statt »pentathlon« – wie er später hieß) genannt wurde.508 Möglicherweise zog es der Franzose Maurice Borel, Geschäftsführer sowie Be-
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508
Patrick Clastres brachten ebenfalls keine Klarheit. Möglicherweise handelt es sich um das von Coubertin 1908 erwähnte Buch Eugen Schmidts (vgl. Kap. 2.1.1). S¦ance du 19 Juin 1894. Commission des Jeux Olympiques (Hrsg.). (1894). ProcÀs-verbal. 1er Session Paris, S. 1. IOC Meeting Minutes. IOC Archives Lausanne. Ebd., S. 2. Ebd., S. 3. S¦ance du 21 Juin 1894. Commission des Jeux Olympiques (Hrsg.). (1894). ProcÀs-verbal. 1er Session Paris, S. 6. IOC Meeting Minutes. IOC Archives Lausanne. Übersetzung: »Die Kommission äußert den Wunsch, dass bei den Olympischen Spielen ein Wettkampf unter der Form einer allgemeinen Meisterschaft der Leichtathletik mit dem Namen pentathle eingeführt wird.« »Pentathle« ist eine französische Ableitung des ursprünglich griechischen Wortes »P]mtahkom« (Pentathlon).
Das IOC und die Umsetzung erster olympischer Mehrkämpfe
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richterstatter des IOC und Autor dieses Sitzungsprotokolls,509 vor, eine Vokabel seiner Muttersprache zu gebrauchen. Denkbar ist auch, dass sich der von Coubertin ausgehende französische Einfluss hier niederschlug. Welche Namensgebung sich auch durchsetze, der Wunsch, einen olympischen Fünfkampf einzurichten, blieb zunächst ohne praktische Konsequenzen. Dennoch machte sich Vikelas schon 1894 Gedanken über die Einrichtung eines speziellen Pentathlonpreises. Dieser sollte nach antikem Vorbild demjenigen gelten, der »in allen Disziplinen gut abschnitt«.510 Damit brachte er nicht nur seine Hellenenbegeisterung, sondern ebenso die Bedeutung, die er dem Fünfkampf zukünftig für die modernen Olympischen Spiele beimaß, zum Ausdruck. Wenige Wochen später wurde die Absicht der Gründungskommission, einen olympischen Fünfkampf einzurichten, in der ersten Ausgabe des Bulletin du Comit¦ International des Jeux Olympiques veröffentlicht:«Qu’en ce qui concerne les Sports Athl¦tiques proprement dits, il soit institu¦ un Championnat g¦n¦ral d’athlÀtisme sous le nom de ›Pentathle‹.«511 Dieses Zitat macht ein weiteres Mal deutlich, dass der Fünfkampf, der 1894 im Gespräch war, sich in das leichtathletische Programm einfügen sollte. Die in Frage kommenden Disziplinen stammten folglich aus den Bereichen Lauf, Sprung und Wurf. Die Einbindung anderer Sportarten schien zu diesem Zeitpunkt entsprechend ausgeschlossen. In dem von Coubertin herausgegebenen Bulletin du CIO wurde wenige Monate später die Textgrundlage von Vikelas’ Rede abgedruckt.512 Diese stammte von der Societ¦ Panhell¦nique de Gymnastique,513 welcher der Wahlpariser Vikelas erst angehören musste, bevor er Griechenland offiziell auf dem Kongress vertreten durfte. Unterstützt von König Georg I. von Griechenland war er mit der Aufgabe betraut, den anwesenden Sportfunktionären philhellenisches Denken in Bezug auf die Olympischen Spiele zu vermitteln (Clastres, 2004, S. 54 f). Während im Sitzungsprotokoll nur Auszüge erhalten sind, wurde in dieser Schrift eine mögliche Zusammensetzung des neuzeitlichen Fünfkampfs konkret angesprochen: Diskuswurf, Lauf und Sprung sollten vom antiken Vorbild übernommen werden; Ringen und Speerwurf bedürften einem Austausch durch 509 Borel war gleichzeitig Delegierter der ›Soci¦t¦ de Sport d’Ile de Puteaux‹ (Coubertin (1909a). Une campagne de vingt-et-un ans. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1974, S. 80). 510 S¦ance du 21 Juin 1894. Commission des Jeux Olympiques (Hrsg.). (1894). ProcÀs-verbal. 1er Session Paris, S. 6. IOC Meeting Minutes. IOC Archives Lausanne. 511 Comit¦ International Olympique, 1894, S. 4. Übersetzung: »Dass es die athletischen Sportarten als solche betreffend eine allgemeine Meisterschaft der Leichtathletik unter dem Namen ›pentathle‹ geben wird.« 512 Vikelas, 1894, S. 3 f. 513 Kronprinz Konstantin von Griechenland (1868 – 1923), der älteste Sohn Georgs I., war amtierender Präsident der Societ¦ Panhell¦nique de Gymnastique, der damals größten Sportvereinigung Griechenlands.
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moderne Disziplinen, weil sich ihre Bedeutung geändert habe.514 Vierzehn Jahr später nutzte Coubertin nahezu die gleiche Begründung, ohne jedoch an Vikelas’ Rede zu erinnern (vgl. Kap. 2.1.1).515 Die nächste offizielle IOC-Session fand erst in Athen 1896 statt, doch konnte dem folgenden Rundschreiben vom Januar 1895 bereits eine Änderung entnommen werden. In der überarbeiteten Programmversion ersetzte der Marathonlauf das ursprünglich eingeplante Pentathlon, ohne diese Entscheidung zu begründen.516 Es kann nur spekuliert werden, was zur Streichung des Fünfkampfs geführt hat. Der Marathonlauf war an sich eine populäre, beim Publikum beliebte Veranstaltung (Tzachrista, 2004, S. 234). Wie der Fünfkampf auf die Zuschauer wirkte, war dagegen nicht abzuschätzen. Möglicherweise war die Sportart zudem international noch nicht ausreichend verbreitet und erfüllte damit nicht die olympischen Kriterien. Coubertin verdeutlichte letztere rückblickend einige Jahre später : »Lorsque les Jeux Olympiques furent r¦tablis en 1894, il fut stipul¦ qu’ils comprendraient autant que possible toutes les formes d’exercices en usage dans le monde moderne.«517 Der enormen Anzahl an existierenden Sportpraktiken stand jedoch eine nur begrenzte Anzahl an olympischen Sportarten gegenüber. Das IOC musste folglich eine Auswahl treffen, die dazu führte, dass in Athen insgesamt neun Sportarten vertreten waren (Mallon & Widlund, 1998, S. 23). Der Fünfkampf war nicht darunter. Als Reaktion darauf kam der russische General Aleksey Dimitrievic de Boutowski bereits während der parallel zu den Spielen abgehaltenen 2. IOC Session auf die Pentathlonfrage zurück. Er stellte sich gegen die Spezialisierung im Sport und drückte sein Bedauern aus, dass 1896 kein Fünfkampf eingeplant war. Dies fand große Zustimmung unter seinen Kollegen: »Le Comit¦ s’associe unanimement ces regrets qui sont partag¦s par tous.«518 Coubertin widersprach nicht, doch gab er zu bedenken, dass das Komitee eigentlich »nicht kompetent sei, zu beurteilen, ob eine Sportart besser als die andere sei und anderen gegenüber bevorzugt werden solle«.519 Wer dies anstelle 514 515 516 517
Vikelas, 1894, S. 3 f. [Coubertin] (1908a). A propos du pentathlon, S. 20. Comit¦ International Olympique, 1895, S. 1. Vgl. auch Young, 1996, S. 216. [Coubertin] (1909e). Une Olympie moderne. – III. Le programme des jeux, S. 184. Übersetzung: »Als 1894 die Olympischen Spiele wiedereingeführt wurden, war es vertraglich festgelegt, dass sie soweit wie möglich alle Formen der Leibesübung umfassten, die in der modernen Welt praktiziert wurden.« 518 S¦ance du Jeudi 9 Avril. Comit¦ des Jeux Olympiques (Hrsg.). (1896). ProcÀs-verbal. 2e Session AthÀnes, S. 5. IOC Meeting Minutes. IOC Archives Lausanne. Übersetzung: »Das Komitee schloss sich [dieser Meinung] an, um sein Bedauern auszudrücken, das von allen geteilt wurde. 519 Ebd.
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des IOC bestimmen sollte, gab er allerdings nicht vor. Es bleibt daher spekulativ, ob er sich selbst, das jeweilige Organisationskomitee oder eine spezielle Expertengruppe meinte. Zusammenfassend nahm das IOC die Idee eines olympischen Fünfkampfs also positiv auf. Dies blieb jedoch erneut wie schon zwei Jahre zuvor auf einer theoretischen Ebene. Konkrete Schritte zur Einführung der Sportart kamen nicht zur Sprache. Ein Jahr später in Le Havre – mittlerweile war Coubertin IOC-Präsident – konkretisierte sich die Idee allmählich. Vor allem Balck zeigte sich aktiv in der Sportartenkommission. Er trug dem Komitee dreizehn verschiedene Punkte vor, darunter auch die Forderung, dass »eine neue Art von Pentathlon geschaffen werden müsse, weil die Erfahrung zeige, dass die alte Form nicht gut sei«520. Diese Stellungnahme konfrontierte das Komitee mit einem Aspekt, den es bis zu diesem Zeitpunkt ignoriert hatte: die Disziplinauswahl. Wohingegen über die allgemeine Bejahung eines Fünfkampfs schnell Zustimmung herrschte, fand dieser Punkt zunächst keine Erwähnung. Vermutlich war es für viele IOC-Mitglieder offenkundig, eine Wiedereinführung des antiken Vorläufers bzw. einen rein leichtathletischen Wettkampf anzustreben. Doch von einer bloßen Übernahme der »alten Form«, sprich der Disziplinen des antiken Pentathlon, riet Balck ab. Damit hatte er die Zustimmung Coubertins sicher. Letzterer hatte nämlich schon 1894 auf die Modernität der neuzeitlichen Sportentwicklung verwiesen und eingefordert, dass diese sich auch im olympischen Programm niederschlagen müsse.521 Die Debatten über die Auswahl und Regularien der fünf Disziplinen zogen sich noch länger hin. Einig waren sich die IOC-Mitglieder dagegen in dem Entschluss, dass der zukünftige Sieger eine besondere Auszeichnung erhalten solle. Das Komitee entschied, dass ein Pentathlet »in allen fünf Disziplinen starten und diese auch beenden müsse, um mit einem Preis ausgezeichnet zu werden«.522 Die nächste Session des IOC war erst für 1901 angesetzt. Da die Fünfkampfdisziplinen folglich vor den kommenden Olympischen Spielen in Paris 1900 noch nicht festgelegt waren, fanden diese weiterhin ohne ein Pentathlon statt. Wie es bereits 1896 in Coubertins Sitzungsbeitrag anklang, lag die Entscheidungsgewalt über den Inhalt des olympischen Programms in den ersten Jahren nach der Gründung des IOC allzu oft nicht beim IOC selbst (Guttmann, 2004, S. 271). In der Praxis setzten die lokalen Organisatoren häufig ihre eigenen Vorstellungen durch. Dies war insbesondere in Paris 1900 und in St. Louis 1904 offensichtlich, als die Sportwettkämpfe im Rahmen von Weltausstellungen 520 Punkt 8 von 13. IOC-Session in Le Havre. 26.–28. Juli 1897. In Lyberg, 1989, S. 17. 521 S¦ance du 19 Juin 1894. Commission des Jeux Olympiques (Hrsg.). (1894). ProcÀs-verbal. 1er Session Paris, S. 3. IOC Meeting Minutes. IOC Archives Lausanne. 522 IOC-Session in Le Havre. 26.–28. Juli 1897. In Lyberg, 1989, S. 17.
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stattfanden und von einem entsprechenden Ausschuss festgelegt und organisiert wurden. Das IOC machte zwar auch hier Programmvorschläge, doch wurden diese größtenteils zugunsten von Schauwettkämpfen verworfen. Dennoch setzten sich Vielseitigkeitswettbewerbe zunehmend im olympischen Programm durch. Bei den Veranstaltern waren sie beliebt, weil sie publikumswirksam waren. So schlossen sie eine Vielzahl von unterschiedlichen Wettkämpfen – oft weit mehr als fünf Disziplinen – ein und wurden häufig an nur ein oder zwei Tagen bis zur völligen Erschöpfung der Teilnehmer veranstaltet. Anlässlich der Olympischen Spiele von 1900 gab es gleich mehrere Mehrkämpfe. Der erste nannte sich »Championnat des Jeux Olympiques de 1900« und umfasste acht Disziplinen, hauptsächlich aus dem Bereich des Gewichthebens.523 Der zweite Wettkampf war das »Championnat International de Gymnastique«, das im Gegensatz zum erstgenannten als olympische Sportart und nicht als Schauwettkampf stattfand.524 Letzteres dauerte zwei Tage und beinhaltete sechzehn, vornehmlich turnerische Disziplinen.525 Im Gegensatz zum heutigen Turner-Mehrkampf, der ausschließlich aus gymnastischen Übungen besteht,526 war das damalige »Championnat« also bunt zusammengesetzt aus gymnastischen, leicht- und schwerathletischen Übungen. Dies ging Balck allerdings noch nicht weit genug. In einem Brief an Coubertin drückte er seine Unzufriedenheit über das für Paris geplante turnerische Wettkampfprogramm aus. Es sei konträr zum vielseitig orientierten schwedischen System (vgl. Kap. 3.1.1), weshalb seine Landsleute chancenlos wären: »Le Programme qu‹on a dress¦ pour la gymnastique est contre les vrais principes de gymnastique, qui tendent de prevenir [sic!] la mauvaise tendance de former des sp¦cialistes, ce qui sera le r¦sultat de ce concours exclusivement individuel.«527
523 Die acht Disziplinen waren im Einzelnen: »18 Un pr¦liminaire libre, 28 Un saut combin¦ avec ¦lan, 38 Un lever de pierre de 50 kilogrammes des deux bras (10 fois), 48 Deux levers de pierre de 25 kilogrammes (5 fois), de chaque bras, 58 Un jet de pierre de 20 kilogrammes, avec ¦lan, 68 Un jet de pierre de 20 kilogrammes, sans ¦lan, 78 et 88 Deux tourn¦es de lutte libre.« (M¦rillon, 1900, S. 92). 524 Ebd. S. 41. 525 Ebd., S. 109, 111. Die sechzehn Disziplinen im Einzelnen: Reck, Barren, Ringe, Seitpferd, Boden (jeweils Pflicht und Kür), Pferdsprung Kür, Weithochsprung, Weitsprung, Stabhochsprung, Hangeln (6 m), zehnmal Steinheben (50 kg) (Kluge, 1997, S. 73 f, 107). 526 Der Mehrkampf der Männer umfasst heute die fünf Disziplinen Barren, Reck, Ringen, Seitpferd und Sprung. 527 Brief von Balck an Coubertin. 12. März 1900. SD1: Correspondance 1894 – 1905, BALCK CORR. Correspondance 1894 – 1914, ID: 6590. Balck Correspondance, Code: CIO MBRBALCK CORR, OU MO 01 41 07, 0055015. IOC Archiv Lausanne. Übersetzung: »Das Programm, das für die Gymnastik festgelegt wurde, widerspricht den wahren Prinzipien des Turnens, die darauf abzielen, die schlechte Tendenz zum Spezialistentum zu reduzieren, die das Ergebnis von ausschließlich individuellen Wettkämpfen sein wird.«
Das IOC und die Umsetzung erster olympischer Mehrkämpfe
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Deutsche und Franzosen machten schließlich tatsächlich den größten Teilnehmerkreis aus, wobei die Franzosen, allen voran die späteren Medaillengewinner Gustave Sandras, NoÚl Bas und Lucien D¦manet, das Feld dominierten.528 Der Erstplatzierte durfte sogar den Titel »champion du monde« tragen,529 was ihn unter der Vielzahl der Athleten besonders hervorstechen ließ. Neben dem genannten olympischen Mehrkampf hatten die schwedischen Gymnasten allerdings Gelegenheit, an weiteren turnerischen Weltausstellungswettkämpfen teilzunehmen. In dem oben erwähnten Brief an Coubertin hob Balck das »Turnfest der Union« (Union des Soci¦t¦s de Gymnastique de France), das Anfang Juni 1900 und damit noch vor dem olympischen Turnmehrkampf stattfand, hervor. Diese Veranstaltung blieb nicht auf turnerisch-gymnastische Übungen beschränkt und kam den schwedischen Gymnasten, die planten mit 60 Leuten an den Wettkämpfen im Turnen, Fechten, Leichtathletik und Schwimmen/Wasserspringen anzutreten, offensichtlich mehr entgegen.530 Daneben berichtete Coubertin im Zusammenhang mit den zweiten Olympischen Spielen über »einen allgemeinen Wettkampf, der sinnigerweise als Fünfkampf bezeichnet wurde und sich aus vier Disziplinen zusammensetzte«.531 Zu diesem sollten verschiedene Disziplinen aus dem Turnen, Fechten, Wassersport und Radfahren zählen. Vermutlich war dies derselbe Wettbewerb, den der österreichische Sportjournalist Willy Meisl (1895 – 1968) in seinem historischen Rückblick nennt: »[…] es war [in Paris 1900] sogar ein Pentathlon ausgeschrieben mit – 4 Bewerbern.«532 Doch im Rapport officiel von 1900 tauchte das »Pentathle« dann letztlich gar nicht auf. Vermutlich strichen die Veranstalter dieses zugunsten der genannten turnerischen Mehrkämpfe. Während der kommenden Session 1901 in Paris beleuchteten die anwesenden IOC-Mitglieder die vergangenen Spiele kritisch. Um grundlegende Punkte für zukünftige Sportveranstaltungen zu vereinheitlichen, plante das Komitee einen internationalen Kongress. Deutschland, die USA und Schweden unterbreiteten schon bei dieser Sitzung erste Vorschläge. So strebten die schwedischen Sportfunktionäre an, für das olympische Sportartenprogramm ausschließlich
528 M¦rillon, 1900, S. 133. 529 Ebd. S. 132. 530 Brief von Balck an Coubertin. 12. März 1900. SD1: Correspondance 1894 – 1905, BALCK CORR. Correspondance 1894 – 1914, ID: 6590. Balck Correspondance, Code: CIO MBRBALCK CORR, OU MO 01 41 07, 0055015. IOC Archiv Lausanne. 531 Coubertin (1909a). Une campagne de vingt-et-un ans. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1974, S. 114. Dass sich ein Fünfkampf aus vier Disziplinen zusammensetzte, ist jedoch wenig logisch. Möglicherweise steht der Fünfkampf hier synonym für Mehrkämpfe allgemein. 532 Meisl, 1924, S. 16.
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antike Disziplinen auszuwählen und alles Moderne zu streichen.533 Diese Idee missfiel Coubertin gänzlich: »Je n’ai pas besoin d’insister sur le caractÀre n¦gatif, impratique, et, finalement, destructeur de notre œuvre qu’impliquait une telle proposition.«534 Daneben kritisierte er die typisch skandinavische Einstellung, die seiner Meinung durch diesen Vorschlag zutage kam: « La seconde proposition, ai-je dit, venait de SuÀde; elle ¦tait inspir¦e par cette faÅon un peu simpliste et fr¦n¦tiquement logique de r¦gler les questions qui, doubl¦e par ailleurs de certaines complexit¦s impr¦vues, rend la mentalit¦ scandinave difficile souvent suivre mÞme par les ¦trangers qui en sont le plus ¦pris.«535
Die Schweden sprachen die Wiedereinführung eines Fünfkampfs an dieser Stelle zwar nicht explizit an, doch müsste dieser gemäß ihrem Modell dem antiken Pentathlon entsprechen. Im Verlauf der Sitzung sorgte der Tscheche Jirˇ Guth dafür, dass die Pentathlonidee nicht in Vergessenheit geriet: »Le dr Jiri Guth: demande […] que le pentathlon soit d¦velopp¦ […].«536 Dieser Vorschlag musste jedoch noch vom restlichen Komitee gebilligt werden. Doch in der laufenden Olympiade fielen wiederum keine konkreten Entscheidungen.
4.2.2
Ausdifferenzierung und Bedeutungszunahme: Die Allround-Wettkämpfe in St. Louis 1904
Das Sportartenprogramm für die Olympischen Spiele in St. Louis 1904 lag erneut in der Hand der Ausstellungsveranstalter, angeführt von dem irisch-amerikanischen Sportfunktionär Sullivan. Die eigentlichen olympischen Sportwettkämpfe fanden daher wie bereits vier Jahre zuvor lediglich auf einem Nebenschauplatz statt. Die Sportveranstaltungen zogen sich insgesamt von Mai bis November und damit über mehr als ein halbes Jahr hin.537 Das Organisations533 Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 78; s. auch Coubertin (1931a) [1996]. M¦moires olympiques, S. 72. 534 Coubertin (1931a) [1996]. M¦moires olympiques, S. 72. Übersetzung (nach Carl-DiemInstitut, 1996, S. 77): »Ich brauche nicht näher darauf einzugehen, wie negativ, unpraktisch und letzten Endes zerstörend ein solcher Vorschlag für unser Werk sein würde.« 535 Ebd. Übersetzung (nach Carl-Diem-Institut, 1996, S. 77): »Der zweite Vorschlag stammte, wie gesagt, aus Schweden. Er trug alle Merkmale der etwas einseitigen und übertrieben logischen Art, Fragen zu erledigen – von anderen, möglicherweise noch hinzukommenden Verwicklungen ganz zu schweigen –, die es dem Ausländer oft so schwer macht, der Geistesverfassung der Skandinavier zu folgen, selbst wenn er ihnen die größte Sympathie entgegenbringt.« 536 Comit¦ International Olympique (Hrsg.) (1901). ProcÀs-verbal. 4e Session Paris, S. 20. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne. Übersetzung: »Dr. Jiri Guth fordert […], dass der Fünfkampf entwickelt wird.« 537 Sullivan, 1905, S. 165.
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komitee veröffentlichte keinen eigenen olympischen Bericht, was die historische Nachzeichnung des Wettkampfs erschwert. Der von Sullivan 1905 herausgegebene Spalding’s Official Athletic Almanac übernahm allerdings die Aufgabe eines offiziellen Berichtbands, weil er (nicht nur, aber u. a.) die Olympischen Spiele von St. Louis einschloss. Daneben veröffentlichte der Journalist Charles J. P. Lucas noch im selben Jahr sein Werk The Olympic Games 1904, in dem er sich ausschließlich den olympischen Wettkämpfen in St. Louis widmete. Die Vielzahl der Wettkämpfe macht es allerdings nach wie vor schwierig, die echten olympischen Disziplinen eindeutig von den parallel stattfindenden Präsentationsveranstaltungen der Weltausstellung zu unterscheiden. Lucas erwähnte beispielsweise keinen Mehrkampf.538 Zarnowski (2005, S. 33) pflichtet dem bei, indem er schlussfolgert, dass es in St. Louis keinen olympischen Mehrkampf gab, weil die Veranstalter die Vielseitigkeitswettbewerbe der »Louisiana Purchase Exposition« offensichtlich für ausreichend hielten. Sullivan nannte dagegen die Ergebnisse gleich mehrerer Vielseitigkeitsdisziplinen, allerdings ohne anzusprechen, ob diese olympischen Status hatten. Im Folgenden werden die verschiedenen Mehrkämpfe im Einzelnen vorgestellt. Zum Ersten fanden am 1. und 2. Juli 1904 die »International Olympic Turners’ Championship« statt (Kluge, 1997, S. 128). Diese umfassten einen Sechskampf der Turner, der neben Barren, Reck und Pferdsprung auch drei leichtathletische Disziplinen, Weitsprung, Kugelstoßen und einen Lauf über 100 Yards umfasste. Zusätzlich zu der Einzelwertung im Sechskampf konnten die Teilnehmer Medaillen in einem leichtathletischen (»Best All Around Field Sports«) und in einem turnerischen Dreikampf (»Best All Around Apparatus Work«) sowie für ihre Mannschaftsleistung im Sechskampf gewinnen. Um letztere rangen verschiedene nordamerikanische Vereine, die überwiegend aus deutschen Einwanderern bestanden und bezeichnenderweise ausschließlich deutsche Namen wie »Philadelphia Turngemeinde« oder »New York Turnverein« trugen.539 Während die US-Amerikaner den Wettkampf quantitativ und qualitativ dominierten, errang Ad. Spimler vom Turnverein Solingen in Deutschland den Titel des besten Allroundsportlers im Geräteturnen.540 Nur zwei Tage später waren die Allround-Meisterschaften der Amateur Athletic Union (AAU) angesetzt (vgl. Kap. 3.1.3).541 Diese wurden am 4. Juli, dem Unabhängigkeitstag der Vereinigten Staaten, im »Francis Field« der Washington University als leichtathletischer Zehnkampf durchgeführt (Ebd.; Bush & Weiskopf, 1978, S. 387). Im Gegensatz zu heute mussten die Athleten alle zehn Dis538 539 540 541
Lucas, 1905. Ebd., S. 203; vgl. auch Kluge, 1997, S. 162 Sullivan, 1905, S. 203. Ebd., S. 205. Sullivan hatte die AAU 1888 gegründet (vgl. z. B. Eichberg, 2008, S. 343).
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ziplinen, den 100-Yards-Lauf, den 1-Meile-Lauf, den 120-Yards-Hürdenlauf, das Halbe-Meile-Gehen, den Hochsprung, den Weitsprung, den Stabhochsprung, das Kugelstoßen, den Hammerwurf und den 56lb-Gewichtweitwurf, an einem einzigen Tag absolvieren. Thomas Francis Kiely (1869 – 1951) aus Irland konnte den Wettkampf für sich entscheiden.542 Außer ihm nahmen vier US-Amerikaner, Ellery Clark (US-Allround-Champion 1903), Adam Gunn (Champion 1901 und 1902), John Grieb (Vizemeister 1903) und Truxton Hare (Silbermedallist im olympischen Hammerwurf 1900) sowie mit John J. Holloway ein in den USA lebender Ire am Allroundwettkampf teil. Die Veranstaltung war von schlechten Wetterbedingungen begleitet – es regnete aus Kübeln. Dies mag dazu beigetragen haben, dass letztlich nur vier Athleten den Wettkampf zu Ende brachten (Ware, 1999, S. 34 f). Kiely selbst war dabei kein unbeschriebenes Blatt. 1892 war er beispielsweise irischer Allround-Champion gewesen und hatte zahlreiche nationale Titel bei den Meisterschaften der Gaelic Athletic Association (GAA) gewonnen (vgl. Kap. 3.1.3). Warum Kiely sowohl 1896 als auch 1900 nicht an den Olympischen Spielen teilnahm, ist unklar. Vermutlich war er, nachdem die GAA Coubertins Einladung nicht nachkam, nicht bereit, alternativ für das britische Team zu starten. 1904 war er 34-jährig immer noch der dominierende Allround-Athlet in Irland. Der irisch-amerikanische Athletikklub sowie die britische AAA wollten ihn daher unbedingt in St. Louis dabei haben. Doch der Nationalist Kiely war eher bereit, für die Reisekosten selbst aufzukommen, als für ein anderes Land zu starten (Ebd., S. 34 f). Kielys Erfolg in St. Louis galt zunächst nicht als olympischer Titel, weil der Allround-Wettkampf als Weltmeisterschaft und nicht als olympischer Wettkampf gelistet wurde (Ebd., S. 35). Zarnowski (2005, S. 33) schreibt daher zu Recht, dass es sich um einen Fehlglauben handele, dass die »AAU AllroundMeisterschaften« von 1904 Teil der Sommerspiele waren. Als der irische Sportjournalist und -historiker David Guiney allerdings eine Medaille im Familienbesitz Kielys fand, wurde das Thema der olympischen Anerkennung des »AAU-Allround« erneut aufgegriffen. Als auch der ungarische Sporthistoriker Ferenc Mezö den Wettkampf als Teil des olympischen Programms von 1904 interpretierte, erkannte das IOC Kiely schließlich rückwirkend als Olympioniken an (Ware, 1999, S. 35). Andere Vielseitigkeitswettbewerbe, die ebenso 1904 in St. Louis ausgetragen wurden und entsprechend in Sullivans Bericht auftauchen, standen weniger im Rampenlicht. Ob die »Olympic Gymnastic Championships« beispielsweise ein offizieller olympischer Wettkampf waren, wurde nicht diskutiert. Die Namens542 Sullivan, 1905, S. 205. In Sullivans Spaldings Report stand zwar »Keily«, doch ist anzunehmen, dass es sich um den irischen Athleten »Kiely« handelt.
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gebung lässt immerhin darauf schließen. Diese Meisterschaften wurden gemäß Sullivan am 29. Oktober 1904 ausgetragen und beinhalteten ebenso einen Allroundwettkampf, der nicht näher spezifiziert wurde.543 Zu den nicht-olympischen Wettkämpfen gehörten außerdem die »Pentathlon Championships« der so genannten »Y.M.C.A. Week«, die ebenfalls parallel zu den Spielen am 17. August organisiert wurden. Um den Sieger zu ermitteln, zählte die Young Men’s Christian Association (YMCA) die Punkte, die Athleten in den folgenden fünf Wettkämpfen erzielten: Kurzstreckenlauf über 100 Yards, Hammerwurf (ohne Drehung mit 12-lb), Lauf-Hochsprung, Stabhochsprung, Lauf über eine Meile.544 Die verschiedenen Mehrkämpfe, von denen Sullivan berichtete, spiegelten so auch die typische (nordamerikanische) Leibesübungspraxis dieser Zeit wieder (vgl. Kap. 3.1.3). Der Fünfkampf stellte dabei praktisch einen verkürzten Zehnkampf dar. Coubertin besuchte weder die Weltausstellung noch die Olympischen Spiele in St. Louis und verfasste keinen einzigen Artikel über den Verlauf der Spiele. Der lange Zeitraum und das ausuferende Programm hatten ihm sicher nicht gefallen. Zudem wollte er die olympische Gegenbewegung namens Union Internationale, die Sullivan anführte, nicht unterstützen.545 In St. Louis dominierten ohnehin die US-Amerikaner das Teilnehmerfeld; nur wenige Europäer nahmen die Strapazen einer Anreise auf sich. Aus Coubertins Sicht befand sich die olympische Bewegung 1904 in einer ohnehin schwierigen Entwicklungsphase. Die Weltausstellungen hatten die Bedeutung der Olympischen Spiele zurückgedrängt, und Griechenlands Planungen für »Zwischenspiele« im Jahr 1906 liefen ohne die Zustimmung und Kontrolle des IOC ab (vgl. Kap. 4.2.3; Lennartz (2001/2002), S. 10 – 27).546 Die Konzentration auf die nächsten offiziellen Olympischen Spiele von 1908 brachte auch keine Entspannung. So stand die Wahl der kommenden Ausrichterstadt schon 1904 während der 7. IOC-Session in London zur Debatte. Berlin war zwar bereits drei Jahre zuvor als Austragungsort für 1908 gehandelt worden, doch war dies nun nicht mehr sicher. Mit Rom gab es noch während der Spiele in
543 Ebd., S. 247. 544 Ebd., S. 217, 219. 545 Coubertin (1909a). Une campagne de vingt-et-un ans. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1974, S. 124. 546 Karl Lennartz (2001/2002, S. 10) weist mehrfach daraufhin, dass der Begriff »Zwischenspiele« eigentlich irreführend ist. Denn die Spiele von 1906 nahmen zu jener Zeit keine Sonderrolle ein, sondern galten als »normale« Olympische Spiele, die anlässlich des zehnjährigen Jubiläums ausnahmsweise schon nach zwei Jahren stattfanden. Coubertin betitelte sie später als »Zwischenspiele«, um den Unterschied zu seinen vollwertigen Olympischen Spielen zu betonen. Dies manifestierte sich fälschlicherweise und blieb in der Literatur quellenkritisch ungeprüft (Lennartz, 2003, S. 121).
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St. Louis einen neuen zweiten Kandidaten,547 bevor schließlich London sich durchsetzte (vgl. Kap. 4.3). Obwohl das IOC schon vier Jahr zuvor mit den Planungen begonnen hatte, gab auch der Olympische Kongress von 1905 in Brüssel keinen Anstoß zur Fortentwicklung des olympischen Sportprogramms. Stattdessen lagen allgemeine sportpädagogische (nicht olympische) Fragen im Fokus.548 Die Arbeit des IOC bemühte sich vorrangig um die internationale Verbreitung des Sportgedankens, so dass Spezialthemen, wie die Entwicklung einer neuen olympischen Sportart, in den Hintergrund gedrängt wurden. Es verwundert daher nicht, dass sich das IOC mit Blick auf das Pentathlon und andere Mehrkämpfe auch in Brüssel nicht festlegte. Dennoch beendete das Komitee diese Sitzung nicht, ohne eine vielseitige Sportleistung zu loben. So erhielt der USamerikanische Präsident Theodore Roosevelt das olympische Diplom für seinen Beitrag zur olympischen Bewegung und seine beispielhaft harmonische Ausbildung von Körper, Geist und Charakter (IOC, 1974, S. 443; vgl. Kap. 2.1.3).549 Während die IOC-Mitglieder also noch mit Ehrungen beschäftigt waren und über allgemeine Aspekte grübelten, veranstalteten die Griechen ihre eigenen Spiele samt Pentathlon selbst.
4.2.3 Ein gelungener Auftakt: der olympische Fünfkampf von Athen 1906 Im Frühjahr 1906 hielt Griechenland abseits des üblichen Vierjahres-Turnus »Olympische Spiele« ab. Der genaue Zeitraum ist umstritten. Während der deutsche Sporthistoriker Karl Lennartz den Fünfkampfbestimmungen des Organisationskomitees von 1905 beipflichtet und den 22. April bis 2. Mai für den korrekten Zeitraum hält (Lennartz, 2003, S. 127), sieht der griechische Archäologe Vassiliki Tzachrista (2004, S. 234 f) den 9. bis 20. April als korrekte Veranstaltungszeit. Für Verwirrung könnte gesorgt haben, dass ursprünglich der 16. bis 26. April vorgesehen war und das Datum somit wechselte.550 Der gewählte Termin erwies sich ohnehin nicht für alle Teilnehmerstaaten als günstig. Die USA, vor allem deren Studentenschaft, sowie die Schweden teilten ihren Missmut vorab mit. Als es beim gewählten Zeitpunkt blieb, versprachen sie dennoch ihr Bestes zu tun, obwohl sie lediglich kleinere Mannschaften aus547 Comit¦ International Olympique, 1904, S. 71. 548 Comit¦ International Olympique (Hrsg.) (1905). ProcÀs-verbal. 8e Session Bruxelles, S. 1 – 8. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne. 549 Neben Roosevelt erhielten auch der Polarforscher Fridjhof Nansen und der brasilianische Pilot M. Santos Dumont das Diplom (IOC, 1949, S. 10). 550 [o. A.], 1905, S. 847. Zitiert in Lennartz, 2003, S. 127.
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senden konnten (Kitroeff, 2004, S. 390). Insgesamt waren schließlich dennoch 37 Amerikaner und 66 Schweden vor Ort. Mit 903 Athleten lagen die Spiele von Athen 1906 über dem Schnitt der Spiele von Athen 1896 (241 Athleten) und St. Louis 1904 (605 Athleten), jedoch unter jenem der Olympischen Spiele von Paris 1900. In Paris waren jedoch allein schon 880 Franzosen unter den insgesamt 1319 Athleten, während in Athen 1906 lediglich 338 Griechen an den Start gingen (Tzachrista, 2004, S. 230). Das griechische Organisationskomitee wählte den Zeitpunkt der Spiele in Athen in Gedenken an die dort ausgetragenen ersten neuzeitlichen Olympischen Spiele, die genau zehn Jahre zurücklagen. Dennoch kopierten sie das Programm von 1896 nicht vollständig, sondern schlossen u. a. neue Sportarten ein. Darunter fiel auch ein Pentathlon, das nach klassischem Vorbild wiedereingeführt werden sollte. Dieses war erstaunlicherweise bei den Test-Spielen in Ägypten noch nicht Bestandteil des Wettkampfprogramms gewesen. Letztere wurden als Vorbereitung auf die Spiele in Athen an drei Tagen im selben Jahr durchgeführt.551 Einige der in Athen stattfindenden Sportarten hatten somit bereits einen Probedurchgang durchlaufen; nicht so der Fünfkampf. Durch das Pentathlon der Zappas Spiele waren die Griechen dennoch nicht unvorbereitet auf diese Aufgabe (vgl. Kap. 4.1.2). Schon 1875 hatten die damaligen Turn- und Leichtathletikwettkämpfe beispielsweise aus verschiedenen Fünfkampf-Varianten bestanden. Während sich die 24 Athleten zu diesem Zeitpunkt ausschließlich aus Studenten und Schülern im Alter von über siebzehn Jahren zusammensetzten (Dolianitis, 1996, S. 12; Georgiadis, 2003, S. 43 ff. Beide zitiert in Kaimakamis & Mouratidis, 2003, S. 27 f), waren 31 Jahre später auch erwachsene Männer zur Teilnahme berechtigt. Bevor das Pentathlon nach antikem Vorbild in den Mittelpunkt der Betrachtungen rückt, sollen zunächst weitere Mehrkämpfe der Athener Spiele vorgestellt werden: der turnerische Fünf- und Sechskampf. Der Fünfkampf, auch gymnastisches Pentathlon, fand am 25. und 26. April statt und bestand aus drei Minuten Kürturnen mit Geschicklichkeits- und Kraftteilen an Reck, Barren und Ringen sowie aus Sprüngen mit und ohne Anlauf am Pferd ohne Pauschen und Hoch-Weitsprung über 1-m-Höhe und 2-m-Weite (drei Versuche) (Lennartz & Teutenberg, 1992, S. 204 f). Im Vergleich zu St. Louis 1904 (vgl. Kap. 4.2.2) umfassten die Vielseitigkeitswettbewerbe also weniger Disziplinen. Beide Wettkämpfe waren populär : Es nahmen beim Fünfkampf mindestens 39 Turner aus acht Ländern teil; beim Sechskampf 31 aus sieben Ländern.552 Damit waren zwar weniger verschiedene Länder, aber jeweils mehr Athleten als 551 [o. A.] (1906c). [o. T.]. Tachydromos. Zitiert in Kitroeff, 2004, S. 385. 552 Die drei griechischen Turner nahmen geschlossen nicht am Sechskampf teil (Ed.-Giet, 1906, S. 362 – 366. Zitiert in Lennartz & Teutenberg, 1992, S. 178 – 182).
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im Pentathlon nach antiker Prägung angetreten. Frankreich, Italien und Deutschland machten die ersten sechs Plätze unter sich aus. Ebenso verhielt es sich beim turnerischen Sechskampf, der den Fünfkampf um eine weitere Übung, den Sprung über das Pauschenpferd, ergänzte. Dies hatte jedoch keinen Einfluss auf die ersten fünf Plätze, die von denselben Athleten eingenommen wurden; Pierre Payss¦ aus Frankreich erreichte in beiden Wettkämpfen die höchste Punktzahl. Ein Blick in den Bericht des Deutschen Reichsausschusses für Olympische Spiele verrät allerdings, dass der in Athen ausgetragene Fünfkampf keineswegs für alle Nationen zum typischen Übungsprogramm zählte. Obwohl den deutschen Turnern die Zusammenstellung nicht entgegenkam, schnitten sie doch gut ab. Sie erreichten beispielsweise zwei der neun ersten Preise im Sechskampf, die ab einer bestimmten Punktzahl zugeschrieben wurden.553 Während es olympische Turnmehrkämpfe schon 1900 und 1904 gegeben hatte, war das olympische Pentathlon nach antikem Vorbild (griechisch »p¦ntathlûn athletikûn«) international gesehen ein Novum. Die Griechen legten sich in diesem Punkt relativ schnell fest, während das IOC über die mögliche Einführung eines Fünfkampfs noch grübelte (vgl. Kap. 4.2.1). Das griechische Organisationskomitee hatte für den Fünfkampf ein spezielles Reglement ausgearbeitet. Dieses besagte u. a., dass »alle Teilnehmer im ›pentathle‹ in fünf Disziplinen teilnehmen« mussten.554 Das Komitee kopierte dabei das antike Pentathlon, ohne eine Modernisierung der Disziplinen vorzunehmen. Der Fünfkampf von 1906 umfasste entsprechend die folgenden fünf Disziplinen: Weitsprung (aus dem Stand), Diskuswurf (griechischer Stil), Speerwurf, Wettlauf über ein »Stadion« (192 m) und Ringen (griechisch-romanischer Stil).555 Dass man versuchte, dem antiken Pentathlon möglichst nahezukommen, fand Anerkennung und »viele aufrichtige Freunde«.556 1906 sahen sie als besonderes Datum an, weil man »zum ersten Male in Athen das Pentathlon aus seinem zweitausendjährigen Schlaf wieder aufleben ließ«.557 553 Diem (1907). Zitiert in Lennartz & Teutenberg, 1992, S. 80 f; Vgl. auch Gebhardt u. a., 1906. Zitiert in Ebd., S. 43. 554 Artikel 37. V. Pentathle Hell¦nique. Comit¦ des Jeux Olympiques AthÀnes (1905). (Hrsg.). Jeux Olympiques Internationaux AthÀnes 1906: RÀglements – PremiÀre Partie, S. 25 f. Nr. 5 Correspondances officielles du COJO Stockholm 1912 avec le CIO, Coubertin et CNO, Fo35 13o99. CIO JO-1912S – MICRO: Microfilms des archives du COJO des Jeux Olympiques d’¦t¦ de Stockholm 1912: correspondance, procÀs-verbaux, formulaires et r¦sultats, 1908 – 1913, ID 46582, 9919. Mikrofiches: MI-1/ JO-1912 S – Microfilms – Archives COJO – 9919. IOC Archiv Lausanne. 555 Artikel 36. In Ebd. S. 25; Vgl. auch Diem (1907). Zitiert in Lennartz & Teutenberg, 1992, S. 86. Vgl. auch [o. A.] [from a special correspondent] (1906d). The Olympic Games. In The Times werden lediglich die Sportarten des neuen Wettkampfs aufgelistet, ohne weitere Kommentare. 556 Wagner, 1912, S. 48. 557 Ebd.
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Mit dem Versuch das antike Pentathlon zu imitieren waren allerdings auch Schwierigkeiten verbunden. Denn über die Auslegung der antiken Techniken herrschte Uneinigkeit. So stieß z. B. die vorgeschriebene Ausführung des Diskuswurfs auf Kritik: »Ich wüsste keinen Grund, warum die alten Griechen mit ihrem hochentwickelten praktischen Sportsinn den Discus [sic!] von einem abschüssigen Sockel geworfen haben sollen, von dem man heruntertritt, um die Uebung [sic!] auszuführen.«558
Außerdem zog die Mehrzahl der Teilnehmer den Weitsprung mit Anlauf vor, »was viel natürlicher« sei.559 Obwohl die Griechen an ihren Spezialregularien festhielten, verfolgten dennoch Tausende von Zuschauern, unter ihnen die Königsfamilie, den Wettkampfverlauf.560 26 Fünfkämpfer aus 10 Ländern standen auf der Teilnehmerliste.561 Neben dem Gastgeberland verwundert die Teilnahme von Deutschland, USA und Schweden nur wenig, weil diese schon früh im 19. Jahrhundert eigene Mehrkämpfe durchgeführt hatten (vgl. Kap. 3.1.3). Die beiden in Athen veranschlagten Wettkampftage reichten allerdings nur dazu aus, sechs Athleten das Absolvieren aller fünf Disziplinen zu ermöglichen.562 Entsprechend wurde der Fünfkampf nach antiker Tradition als Ausscheidungskampf ausgetragen: Alle Fünfkämpfer nahmen am Sprung, Diskus- und Speerwurf teil. Nur die acht besten qualifizierten sich für die vierte Disziplin, den Sprint. Anschließend schieden zwei weitere Wettkämpfer aus und die verbleibenden sechs bewiesen sich im Ringen (Lennartz & Teutenberg, 1992, S. 198). Die Gewinner wurden anhand einer Punkteskala ermittelt. Punkte erhielten die Sportler für ihre Platzierungen in den jeweiligen Einzeldisziplinen, so dass der Athlet mit der geringsten Gesamtpunktzahl gewann.563 1906 war dies der Schwede Hjalmar 558 559 560 561
Diem (1907). Zitiert in Lennartz & Teutenberg, 1992, S. 86. Wagner, 1912, S. 48. Diem (1907). Zitiert in Lennartz & Teutenberg, 1992, S. 86 f. Ursprünglich hatten sich sogar 47 Fünfkämpfer aus 16 Ländern angemeldet, darunter Australien, Belgien, Russland, Smyrna und Samos. Das Bulletin des Jeux Olympiques AthÀnes (Comit¦ des Jeux Olympiques AthÀnes, 1906, S. 93 f) zählte sogar 11 statt 10 Teilnehmerländer, weil Böhmen und Österreich getrennt aufgeführt wurden. Auch Coubertin forderte später eine »sportliche« und keine »politische« Geographie für die Olympischen Spiele ein. Im Einzelnen nahmen Deutschland (5), USA (3), Österreich (4), Böhmen (3), Kanada (1), Finnland (2), Frankreich (1), Griechenland (1), Ungarn (3), Italien (1) und Schweden (2) am Fünfkampf teil (Ebd., S. 93) [Die jeweilige Teilnehmerzahl steht in Klammern]. 562 Sullivan, 1906, S. 93 f. Vgl. auch Lennartz & Teutenberg, 1992, S. 198. 563 Ebd., S. 93. Es soll hier nur am Rande bemerkt werden, dass Sullivan in seinem Bericht über die Spiele von 1906 einen neuen Begriff für das Pentathlon (bzw. Pentathl¦) wählte. Er nannte den Wettkampf »Athletic Pentathlum« und gab ihm damit eine lateinische Endung. Es scheint sich allerdings nicht, um die offizielle Bezeichnung, sondern vielmehr um eine individuelle Übersetzung aus dem Griechischen zu handeln. Im Artikel 36 (V. Pentathle
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Mellander (1880 – 1919), der mit 24 Punkten auf Platz eins lag, dicht gefolgt von Istvn Mudin aus Ungarn (1881 – 1918) mit 25 Punkten und dem Schweden Eric Lemming (1880 – 1930) mit 29 Punkten auf Rang drei. Mit Knut Lindberg (1882 – 1961) (37 Punkte) fand sich ein weiterer Schwede auf dem sechsten Platz.564 Das Resultat des ersten neuzeitlichen olympischen Fünfkampfs zeigt auf, dass die Schweden unter den achtzehn teilnehmenden Nationen (Tzachrista, 2004, S. 230) in punkto Vielseitigkeit am besten abschnitten (vgl. Kap. 3). Der »vornehmste aller Wettkämpfe« stand daher besonders in Schweden im Zentrum des medialen Interesses.565 Rückblickend sah es der schwedische Baron Sven Hermelin gar als erwiesen an, dass der Fünfkampf von 1906 »auf schwedische Anregung hin auf das Programm gesetzt worden« sei.566 Die Auszeichnung war daher so geschätzt, weil der Pentathlonsieger als »der beste Sportsmann im Stadion« überhaupt galt.567 Das gute Abschneiden der schwedischen Athleten trug somit auch dazu bei, sich international erfolgreich zu präsentieren (Lindroth, 1988, S. 34). Das war auch in Balcks Sinne, der später dem Pentathlon in seinen Minnen einen eigenen Abschnitt widmete und es für »den edelsten aller Wettkämpfe« hielt.568 Darüber hinaus bestätigte der Wettkampfverlauf, dass sich die Betonung der vielseitigen Ausbildung in Schweden ausgezahlt hatte. So war Mellander keinmal die Nummer Eins in den fünf Disziplinen, sondern bot gleichmäßig solide Leistungen.569 Auch der deutsche Leichtathlet Martin Brustmann (1885 – 1964) sprach von einem »in Deutschland und den skandinavischen Ländern immer stärker werdenden Zug zur Vielseitigkeit«.570 Letzterer war dazu geeignet, einer als gefährlich angesehenen einseitigen Ausbildung entgegenzuwirken.571 Die Leistungen der US-Amerikaner in Athen wurden dagegen häufig als Resultat einer spezialisierten Sportausbildung angesehen. Vielfach ging man davon aus, dass sie »weiter nichts können, als die eine vorgeführte Körperübung«.572 Brustmann sah dagegen in den guten Leistungen der US-Amerikaner ebenso das Resultat
564 565 566 567 568 569 570 571 572
Hell¦nique. Comit¦ des Jeux Olympiques AthÀnes (1905). (Hrsg.). Jeux Olympiques Internationaux AthÀnes 1906: RÀglements – PremiÀre Partie, S. 25. Mikrofiches: MI-1/JO1912 S – Microfilms – Archives COJO – 9919. IOC Archiv Lausanne) findet wiederum eine andere Bezeichnung Verwendung: »pentathle hell¦nique«. Diese drückt die besondere Verbindung des Fünfkampfs mit der Antike und mit Griechenland aus. Sullivan, 1906, S. 93, 109. Hermelin, 1912, S. 47. Ebd. Ebd. Balck, 1931, S. 154. »Femkampen vinnes af en svensk [Fünfkampf von einem Schweden gewonnen]«. In Balck/Swedish Olympic Committee, 1906, S. 52. Brustmann (1906a). Von Sport und Körperkultur : Olympische Reiseeindrücke, S. 163. Ebd. Brustmann (1906b). Die Olympischen Spiele 1906 zu Athen: Die Vorbereitungen, S. 181.
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einer ursprünglich vielseitigen Schulung, die dem spezialisierten Training als Grundlage diente.573 Einigkeit herrschte darüber, dass Pentathleten allgemein gute Allrounder waren. Dies unterstrichen die Medaillengewinner dadurch, dass sie 1906 gleichermaßen in anderen olympischen Disziplinen erfolgreich waren: Mellander erreichte im Weitsprung und im Speerwurf jeweils Platz vier und startete außerdem im 800-Meter-Lauf; Mudin gewann Bronze im Diskuswurf (griechischer Stil) und nahm außerdem im Standweitsprung, Kugelstoßen, Diskus- und Speerwurf – allerdings ohne Platzierung unter den ersten fünf – teil; Lemming erhielt die Goldmedaille im Speerwurf (freier Stil) sowie Bronze im Kugelstoßen und Tauziehen und nahm außerdem im Standweitsprung, im Stein- sowie im Diskuswurf teil. Dies machte den Speerwurfspezialisten zum insgesamt erfolgreichsten Teilnehmer der Spiele (Guttmann, 2002, S. 27). »Da ist Lemming, der längste von allen (beinahe 2 m), […], er ist ein vorzüglicher all-around Athlet und der beste Speerwerfer Schwedens.«574 Lemmings hervorragende Leistungen waren dabei nicht nur auf Talent, sondern auf jahreslanges hartes Training zurückzuführen. Schon am 14. Oktober 1900 hatte er in Göteborg an einem Fünfkampf teilgenommen (Magnusson, 2005, S. 94). Auch der Sechstplatzierte Lindberg demonstrierte vielseitiges Talent mit einem weiteren sechsten Platz im 100-m-Lauf und Silber im Speerwurf (freier Stil). Für die Fünfkämpfer hatte sich die Anreise nach Athen also besonders gelohnt, weil sie ohnehin gleichzeitig verschiedene Sportarten trainierten und ihr vielfältiges Können während der Spiele mehrfach beweisen konnten. Dem vielseitigen Training wurden dabei ebenso gute Effekte auf den Körperbau zugeschrieben: Die Mehrkämpfer gehörten »zu den best gebauten [sic!] Leuten, die es in Athen zu sehen gab«.575 Das US-amerikanische Allround-Talent Martin Sheridan gehörte vorab auch zu einem der Fünfkampffavoriten und konnte sich dennoch nicht in den oberen Rängen platzieren, musste gar nach der ersten Disziplin aufgeben (Lennartz & Teutenberg, 1992, S. 257).576 Sheridan gewann allerdings zwei olympische Einzeldisziplinen, das Kugelstoßen und den Diskuswurf, und zudem drei Silbermedaillen, im Hoch- und Weitsprung aus dem Stand sowie im Gewichtweitwurf. 573 574 575 576
Ebd. Brustmann (1906a). Von Sport und Körperkultur : Olympische Reiseeindrücke, S. 163. Ebd. Zarnowski (1989, S. 36) berichtet, dass Sheridan der größte Allround-Athlet war, den die Vereinigten Staaten jemals hatten. Sheridan war ebenso wie Sullivan irischer Abstammung. Er kam als 16-jähriger in die USA und arbeitete für die New Yorker Polizei. Schon bei den Olympischen Spielen 1904 in St. Louis gewann er eine Goldmedaille im Diskuswurf; 1908 in London konnte er diesen Erfolg wiederholen und gewann zudem Bronze im Weitsprung aus dem Stand. Sheridan gehörte dem »Irish American Athletic Club« an (Matthews & Marshall, 2003, S. 51; Johnson, 2011, S. 239; vgl. Kap. 3.1.3). Der bestplatzierteste US-Amerikaner war Lawson N. Robertson auf Rang 5 (Kluge, 1997, S. 182 f).
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Die AAU hatte ihn ursprünglich für insgesamt vierzehn Wettkämpfe in Athen angemeldet; er startete letztlich »nur« in sieben Wettkämpfen (Zarnowski, 2005, S. 129). Obwohl Sheridan den USA zu fünf Medaillen verhalf und sie damit unter allen teilnehmenden Nationen insgesamt am meisten Medaillen mit nach Hause nahmen,577 zeigte er sich nach den Spielen frustriert (Ebd.). Die Erwartungen an die US-amerikanischen Wettkämpfer waren im Mutterland ohnehin hoch, weil sie vergleichsweise mehr Zeit und Schwierigkeiten auf sich genommen hatten, um überhaupt teilnehmen zu können. Im Pentathlon sah die New York Times das »moderne Äquivalent« des antiken Wettkampfs. Als »Basis der athletischen Kultur des klassischen Griechenlands« komme ihm folglich in der Neuzeit ebenso ein besonderer Stellenwert zu.578 Auch Sullivan ließ in seinem Bericht daher nicht unerwähnt, warum sein Landsmann gerade im Pentathlon chancenlos blieb: »It was in the Pentathlum [sic!] that Martin Sheridan’s knee went back on him, showing conclusively that he, like the others, suffered from the accident on board the Barbarossa. This mishap to Sheridan accounts for his not winning the Pentathlum [sic!] – the all-around championship of the world.«579
Der Dampfer namens »Barbarossa« hatte sich am 3. April von Hoboken (New Jersey) auf den Weg nach Athen gemacht. Am Morgen des zweiten Tages ereignete sich ein Unfall, der sechs Athleten an Bord verletzte. Sie wurden von einer großen Welle erfasst und in alle Richtungen gespült. Sullivan, der selbst vor Ort war, betonte in diesem Zusammenhang, dass den Athleten nichts vorzuwerfen sei, weil diese Welle plötzlich und unverhofft in der ruhigen See auftauchte. Unter den Verletzten befand sich auch Sheridan, dessen Knie in Mitleidenschaft gezogen wurde. Dies beeinträchtigte ihn während der ersten Wettkämpfe nicht, doch konnte er den Fünfkampf nicht zu Ende bringen und war schon nach einer Disziplin zur Aufgabe gezwungen.580 Sein Landsmann Sullivan war dennoch davon überzeugt, dass Sheridan aufgrund seiner Leistungen in Athen »seinen Ruf, der weltweit größte Allround-Athlet zu sein, leicht behalten« könne.581 Neben den Olympischen Spielen gab es 1906 eine vermeintlich zweite Chance für Sheridan anlässlich des »AAU-All-Around«. So machte sich das US-amerikanische Team Anfang Juni auf den Rückweg, um bis zu den US Open Nationalmeisterschaften im September genügend Erholungszeit zu haben. Doch die Boston Athletic Association (BAA) setzte den All-Around-Wettkampf schon für den 23. Juni an und damit früher als üblich (seit 1894 hatte dieser am 4. Juli oder 577 578 579 580 581
Sullivan, 1906, S. 119. [o. A.] (1906e). Our Olympic Victories, S. 8. Sullivan, 1906, S. 93. Ebd., S. 135. Vgl. auch Zarnowski, 2005, S. 129. Sullivan, 1906, S. 91.
Das IOC und die Umsetzung erster olympischer Mehrkämpfe
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am Wochenende um den 4. Juli stattgefunden). Zu wenig Vorbereitungszeit für Sheridan, der erst im Folgejahr wieder teilnahm und prompt erneut gewann (Ebd.).582 Wie schon Sullivan und später Wagner so maß auch Brustmann dem Fünfkampf eine hohe Bedeutung zu, indem er ihn als »Krone der leichtathletischen Körperübungen« betitelte.583 In diesem Zusammenhang dokumentierte er auch den überzeugenden Auftritt der schwedischen Athleten: »Diese großen kräftigen Gestalten erregten mit ihren vorzüglichen Leistungen Aufsehen. Besonders viel [sic!] Lemming, der glückliche Sieger des Gerwerfens [Speerwerfens] und der dritte im Fpnfkampf [sic!], durch den Bronzeton seiner Haut auf, die von gesundem Leben und Wirken in Licht, Luaft [sic!] und Sonne beredtes Zeugnis gab.«584
Coubertin hatte sich dagegen nicht vor Ort vom Gelingen des Wettkampfs überzeugen können. Er besuchte die Spiele in Athen gar nicht und ließ sich durch das italienische IOC-Mitglied Eugenio Brunetta d’Usseaux (1857 – 1919)585 vertreten (Lennartz, 2003, S. 130). Als Begründung schob er vor, dass er zur gleichen Zeit eine Konferenz für Kunst, Wissenschaften und Sport in Paris abhalten müsse.586 Ohnehin überwogen bei ihm negative Gefühle in Bezug auf die Spiele von 1906 (Mathys, 1979, S. 694; Kitroeff, 2004, S. 378). Dies verwundert, weil der Baron üblicherweise Hellenenbegeisterung zeigte (vgl. Kap. 2.1.1). In diesem Fall überwog jedoch seine Angst, dass die Griechen anschließend fordern könnten, die modernen Olympischen Spiele gänzlich in ihr Mutterland zurückzuholen. In Bezug auf das Pentathlon ist anzunehmen, dass auch dieses nicht seinen Vorstellungen eines an die modernen Zeiten angepassten Programms entsprach. Er äußerte sich dazu nicht explizit, doch zeigten schon seine bisherigen Kommentare im IOC, dass er mehr als eine bloße Kopie des antiken Wettkampfs anstrebte. Dies spricht wiederum dafür, dass er die Antike nicht wie die Athener 1906 wiedererwecken wollte, sondern diese Verbindung lediglich dazu nutzte, 582 Diese Vordatierung wurde nicht zufällig vorgenommen, sondern sollte jene Athleten, die nicht in Athen teilnehmen, insbesondere Ellery Clark, stärken. Letztlich gewann jedoch Irlands alternder Kiely [o. A.] (1906 f). [o. T.]. Boston Globe, S. 5. Zitiert in Zarnowski, 2005, S. 129). 583 Brustmann (1906a). Von Sport und Körperkultur : Olympische Reiseeindrücke, S. 163. Brustmann selbst nahm 1906 nicht am Fünfkampf, sondern am 100-Meter-Sprint, Weitsprung, Standweitsprung und Dreisprung teil und hatte den Fünfkampf vermutlich live miterlebt. 584 Ebd. 585 Der italienische Graf d’Usseaux war IOC-Mitglied von 1897 bis 1919. Er verbrachte häufig Zeit in Paris und war ein enger Vertrauter Coubertins, dem er u. a. als IOC-Generalsekretär zur Seite stand (Lennartz, 2009, S. 12). 586 Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 85.
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Ein steiniger und langwieriger Weg: Einführung in das olympische Programm
seine Widersacher zu beschwichtigen (vgl. Kap. 2). Obwohl er den Spielen von Athen wie gesagt zwiespältig gegenüberstand, stammte der »Mellander Cup«, mit dem der Pentathlonsieger von 1906 ausgezeichnet wurde, vermutlich von ihm (Lennartz, 1999, S. 26; Lennartz, 2001/2002, S. 17; Wikberg, 2002, S. 31 – 34). Lennartz hält es für möglich, dass Coubertin nachziehen wollte, nachdem der griechische König zuvor einen Wanderpreis für den Marathonsieger gestiftet hatte (Lennartz, 2003, S. 128). Den Spielen selbst wollte Coubertin allerdings keine Werbeplattform bieten und erwähnte sie nur in wenigen Artikeln. In der Januar-Ausgabe der Revue Olympique veröffentlichte er das Programm der Spiele. Den Veranstaltungszeitraum präzisierte er allerdings nicht.587 Obwohl der genaue Termin schon seit Herbst 1905 feststand, gab er lediglich grob die Monate April-Mai 1906 an.588 Drei Monate später präsentierte er den Lesern eine Spezialausgabe anlässlich der Olympischen Spiele in Athen.589 Doch auf insgesamt vierzehn Seiten konzentrierte er sich auf touristische und historische Informationen für Griechenlandreisende und erwähnte die Spiele von Athen nur ein einziges Mal.590 Die MaiEdition schloss Coubertin anschließend mit einer Ergebnisliste ab.591 Bei dieser neutralen Darstellung ließ er es allerdings nicht bewenden, sondern verglich die Athener Spiele mit den vorherigen. Dabei kam er zu folgendem Schluss: »Son programme [in AthÀnes] est incomplet. Beaucoup [de ces sports] n’ont pas figur¦ en 1896, en 1904 et manquent nouveau aux Jeux d’AthÀnes. En 1900, au contraire, la plupart ont donn¦ lieu d’int¦ressants concours.«592
Das Programm von 1900 hielt Coubertin also für bis dato am attraktivsten. Dabei hatte es doch in Paris noch keinen Fünfkampf und bislang keine weiteren Fortschritte in diesem Punkt gegeben. Dieses Manko sprach er nicht ausdrücklich an, doch versäumte er nicht, allgemein zu erwähnen, dass sein Werk noch nicht vollendet sei: »Pour ma part, en tous les cas, je ne jugerais pas mon œuvre achev¦e, si je laissais le char de l’olympiade moderne l o¾ il se trouve actuellement, c’est--dire mi-cúte.«593 587 588 589 590 591 592
[Coubertin] (1906a). Programme des Jeux d’AthÀnes, S. 14 ff. Ebd., S. 14. Vgl. auch Lennartz, 2003, S. 127. [Coubertin] (1906e). A travers l’histoire grecque, S. 51 – 64. Ebd., S. 51. Vgl. auch Lennartz, 1999, S. 26. [Coubertin] (1906 h). PalmarÀs des Jeux d’AthÀnes, S. 76 – 80. [Coubertin] (1906 g). La renaissance olympiques, S. 74. Übersetzung: »Sein Programm [in Athen] ist nicht vollständig. Viele [dieser Sportarten] wurden 1896 und 1904 nicht gezeigt und fehlen immer noch bei den Athener Spielen. Im Jahr 1900 führten im Gegensatz dazu die meisten von ihnen zu interessanten Wettkämpfen.« 593 Ebd., S. 75. Übersetzung: »Ich für meinen Teil würde in jedem Fall nicht beurteilen, dass meine Arbeit fertig ist, wenn ich den Wagen der modernen Olympiade da ließe, wo er jetzt ist, das heißt in der Mitte des Berges.«
Eine Geduldsprobe für alle Beteiligten
201
Auch wenn er die Spiele von Athen äußert kritisch betrachtete, gaben diese immerhin neuen Zündstoff für die IOC-Diskussionen und somit auch neue Ideen für die Zusammensetzung eines olympischen Fünfkampfs. Deren Konkretisierung und Umsetzung zog sich jedoch noch länger hin.
4.3
Eine Geduldsprobe für alle Beteiligten: die Aufnahme des Modernen Fünfkampfs in das olympische Programm
Nach den »Zwischenspielen« von 1906 setzte das IOC seine Planungen für die Olympischen Spiele 1908 fort. Die Unsicherheit über den kommenden Austragungsort dominierte zunächst die Vorbereitungen. Das gute Gelingen der Athener Veranstaltung übte zusätzlich Druck auf Coubertin aus. Er fürchtete, dass sich das IOC von ihm abwenden könnte und die Spiele damit regelmäßig in Athen abgehalten würden (Lennartz, 1999, S. 33). Eigentlich hatte er also wenig Raum und Muße, eine Erweiterung des olympischen Sportartenprogramms zu diskutieren. Andererseits konnte es ihm möglicherweise gerade durch eine Modernisierung des Programms gelingen, seine Olympischen Spiele positiv von jenen in Athen abzugrenzen. Direkt im Anschluss an die Spiele in Athen fand vom 23. bis 25. Mai 1906 in Paris der vierte Olympische Kongress statt. Doch anstatt über das Sportartenprogramm zu beraten, entschieden die IOC-Mitglieder, musische Wettbewerbe einzuführen (Müller (N.), 1981, S. 59). Immerhin einigten sich die Anwesenden auch in diesem Fall auf einen Fünfkampf, »le pentathlon de muses« (vgl. o. A., 1986, S. 253), und hielten somit den Begriff im Diskurs. Ein Jahr später in Den Haag stand das Programm der kommenden Olympischen Spiele in London zur Debatte (Lennartz, 1999, S. 37). Die Schweden waren mit Balck in der Gymnastik- und Schwimmkommission sowie von Rosen in der Reitkommission stark vertreten. Auch hier blieb der Fünfkampf prinzipiell im Gespräch. In diesem Fall hatte von Rosen das Reglement für ein »pentathlon ¦questre«, bestehend aus verschiedenen Reitdisziplinen ausgearbeitet.594 Die schwedische Vorliebe für Vielseitigkeit und Gemeinschaftsübungen spiegelte sich außerdem in Balcks Empfehlung wider, die turnerischen Einzelübungen an den Geräten zu streichen und Mannschaften mit 16 bis 40 Mitgliedern einzuführen.595 Als nach der Den Haager IOC-Session ein erster Pro594 [o. A.] (1907c). La r¦union de la Haye, S. 279. 595 Die Einzelübungen strich man allerdings nicht vollständig und führte ein Mannschaftseinzel als Siebenkampf mit Übungen am Reck (mit Schwung und statisch), am Barren, an den Ringen (feste und fliegende), am Seitpferd und Hangeln/Seilklettern durch (Lennartz, 1999, S. 37, 168, 171). Der Wettkampf blieb also ausschließlich turnerisch und hatte damit wenig mit einer vielseitigen sportartübergreifenden Disziplinmischung zu tun.
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Ein steiniger und langwieriger Weg: Einführung in das olympische Programm
grammentwurf für 1908 veröffentlicht wurde, waren zunächst 21, wenige Monate später 25 Sportarten aufgelistet; ein Fünfkampf war nicht darunter.596 Dennoch können die Olympischen Spiele von London 1908 rückblickend als weiterer Teilerfolg für die Mehrkampfidee angesehen werden. Der turnerische Siebenkampf kam gut an und unterstrich abermals, dass Schweden eine starke Mehrkampfnation war.597 Dies fand besonders deshalb Anerkennung, weil das Land eine vergleichsweise geringe Einwohnerzahl hatte (vgl. Kap. 3.1.2). Das Ergebnis soll einen namhaften englischen Sportfunktionär zu folgendem Fazit veranlasst haben: »The Swedes were the best sportsmen in the Stadion.«598 Daneben betonte ein weiterer Landsmann, Andrea Theodore Cook (1867 – 1928),599 die enge Verbindung zwischen Sport und Militär, die sich in den kommenden Jahren aufgrund anhaltender Kriege noch intensivierte und so die Notwendigkeit vielseitig ausgebildeter Männer erklärte: »In all military nations the governments support and encourage public gymnasia as a silent but most efficacious aid to that public health which is the foundation of military efficiency.«600
Auch während der nächsten IOC-Session, die am 13. Juli während der Spiele in London abgehalten wurde, fand ein Fünfkampf keine Erwähnung.601 Die olympischen Wettkämpfe, die erneut im Rahmen einer Weltausstellung stattfanden, endeten erst nach mehr als sechs Monaten, am 31. Oktober 1908 (Lennartz, 1999, S. 9); bis dahin wurden keine weiteren Entscheidungen getroffen. Erst im Jahr darauf wurde das Thema im IOC wieder aufgegriffen. Die prinzipielle Umsetzbarkeit von neuzeitlichen Fünfkämpfen war durch verschiedene Wettkampferfahrungen mittlerweile bewiesen (vgl. Kap. 4.1, 4.2.2, 4.2.3). Das IOC musste also zunächst entscheiden, ob und wann es welche Art 596 [o. A.] (1907a). [o. T.]. Deutsche Turn-Zeitung, 52 (34), S. 658; [o. A.] (1907b). [o. T.]. Schwimmer-Zeitung, 15 (32), S. 549 f. Beide zitiert in Lennartz, 1999, S. 48. In London wurden letztlich 22 Sportarten durchgeführt, darunter Racquets, Hallentennis, Jeu de Paume, Bogenschießen, Boxen, Fußball, Fechten, Polo, Lawn-Tennis, Schießen, Leichtathletik, Radsport, Turnen, Schwimmen/Turmspringen, Wasserball, Ringen, Rugby, Hockey, Lacrosse, Motorbootrennen, Rudern, Eiskunstlaufen, Segeln (Lennartz, 1999, S. 260). 597 Insgesamt traten 97 Teilnehmer an zwei Nachmittagen an (Cook, 1908, S. 195). Während der Siebenkampf später an Italien ging, gewann die schwedische Mehrkampfmannschaft Gold (Lennartz, 1999, S. 168). Schweden nahm am Individual-Siebenkampf gar nicht teil (Ebd., S. 181 f); vermutlich aus Protest, weil sie ursprünglich eine Streichung aller Einzelkämpfe gefordert hatten. 598 Sein Name ist nicht genannt; vermutlich handelt es sich um Laffan. Vgl. Hermelin, 1912, S. 49. 599 Sir Theodore Andrea Cook war IOC-Mitglied von 1909 bis 1915. Als ausgezeichneter Ruderer und berühmter Fechter begleitete er das englische Fechtteam 1906 als Kapitän zu den Olympischen Spielen ([o. A.], 1976, S. 86). 600 Ebd. 601 [o. A.] (1908b). La r¦union du Comit¦ International Olympique, S. 103 ff.
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von Fünfkampf offiziell ins Programm aufnehmen wollte. Damit verbunden waren allgemeine Festlegungen wie die Auswahl und Reihenfolge der Disziplinen, die Siegerermittlung und die zeitliche Organisation des Gesamtwettkampfs. Während die Diskussionen auf den IOC-Sessionen in Berlin (1909) und Luxemburg (1910) noch relativ allgemein gehalten waren (vgl. Kap. 4.3.1), konkretisierte sich mit der darauffolgenden Session in Budapest (1911) die Einführung eines olympischen Modernen Fünfkampfs (vgl. Kap. 4.3.2).
4.3.1 Die Einplanung olympischer Mehrkämpfe in Berlin und Luxemburg (1909 – 1910) Vermutlich waren es die Erinnerungen an das Pentathlon von 1906 und die Bemühungen Coubertins, der olympischen Bewegung endgültig zum Durchbruch zu verhelfen, die ab 1909 neuerliche Diskussionen über die Art des Mehrkampfs, der seinen Platz in den zukünftigen Olympischen Spielen finden sollte, im IOC auslösten. Während der 12. IOC-Session, die vom 23. Mai bis 2. Juni in Berlin stattfand, lag der Fokus auf dem Standardprogramm der zukünftigen Olympischen Spiele.602 Nachdem Stockholm als Gastgeber für die fünften Olympischen Spiele ausgewählt war, konzentrierten sich die Debatten entsprechend auf die Sportarten, die 1912 dort vertreten sein sollten. Da die Schweden ohnehin der Spezialisierung den Kampf angesagt hatten (vgl. Kap. 3), überrascht die Einplanung von gleich drei neuen Mehrkämpfen kaum. Coubertin und das IOC unterstrichen mit ihrer Offenheit gegenüber gleich mehreren neuen Vielseitigkeitstests ihre Forderung nach einem rein modernen Charakter der olympischen Wettbewerbe.603 Daneben gelang es ihnen so auch, sich vom klassischen Programm der griechischen »Zwischenspiele« abzuheben (vgl. Kap. 4.2.3). Diese Taktik mutete insgesamt vielversprechend an, weil sie dem Zeitgeist – »Il faut etre absolument moderne«604 – entsprach. Da die einzelnen Disziplinen der Mehrkämpfe zu diesem Zeitpunkt noch zweitrangig waren, wurden diese weder im offiziellen Protokoll noch in der Revue Olympique aufgeführt.605 Die vorgestellten neuen Mehrkämpfe gaben allerdings allgemein Anlass zu Diskussionen.606 602 Comit¦ International Olympique (1909). ProcÀs-verbal. 12e Session Berlin, 1. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne. 603 Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 27. 604 Zitat von Rimbaud, 1873. Arthur Rimbaud (1854-1891) war ein französischer Poet. 605 Comit¦ International Olympique (1909). ProcÀs-verbal. 12e Session Berlin, 1. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne; [o. A.] (1909b). La R¦union du Comit¦ International Olympique Berlin, S. 83 – 88. Lediglich Lyberg (1989, S. 53) gibt genauere Informationen über die Zusammensetzung der Fünfkämpfe.
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Zunächst präsentierte Balck einen leichtathletischen Zehnkampf, der auf bereits etablierten Allround-Wettkämpfen beruhte (vgl. Kap. 4.2.2). Dieser ging jedoch augenscheinlich neben den Fünfkämpfen unter, im Bericht in der Revue Olympique fanden ausschließlich »diverse Pentathlonformen« Erwähnung.607 Zu letzteren zählte ein eng an das klassische Vorbild angelehnter Fünfkampf, den Balck vorstellte. Dieser sollte konkret aus Laufen, Speerwerfen, Hoch- und Weitspringen, Schwimmen und Ringen bestehen und entsprach daher abgesehen vom Schwimmen dem antiken Pentathlon.608 Während Balck auch das gesamte übrige Programm vorstellte, überließe er es Coubertin, den zweiten Fünfkampf zu erläutern. Dies führte im Anschluss wohl auch dazu, dass dieses Pentathlon von der schwedischen Presse als französischer Vorschlag dargestellt wurde.609 Während Coubertin ein Jahr zuvor noch schrieb, dass eine moderne Form des Pentathlon neben Laufen und Springen auch Werfen sowie eine Form des Schießens und Fechtens beinhalten müsse (vgl. Kap. 2.1.1),610 hatte er mittlerweile offensichtlich seine Meinung teilweise geändert. Er schlug Reiten, Laufen, Springen, Schwimmen und Ringen für den Fünfkampf vor, wobei Schießen oder Fechten das Ringen ersetzen könnten (Lyberg, 1989, S. 53). Letztere Änderung würde diesen Fünfkampf stärker vom erstgenannten sowie vom antiken Pentathlon, die beide bereits einen Ringkampf, Lauf und Sprung einschlossen, abgrenzen. Dass die antiken Wurfdisziplinen Speer und Diskus in diesem Fünfkampf gestrichen würden, schien ohnehin gesichert. Zur besseren namentlichen Unterscheidung erhielt der zweite Fünfkampf das Attribut »modern«. In seinen M¦moires olympiques erwähnte Coubertin seinen Vorschlag im Kapitel über die Berliner IOC-Session allerdings nicht.611 Auch im Bericht in der Revue Olympique hieß es lediglich, dass Balck generell damit beauftragt war, mit einer speziellen Kommission ein Sportartenprogramm bis zur nächsten Sitzung auszuarbeiten.612 Rund drei Monate nach der 12. IOC-Session kam das schwedische Organi-
606 [o. A.] (1909b). La R¦union du Comit¦ International Olympique Berlin, S. 91. 607 Ebd. 608 Es erscheint auf den ersten Blick seltsam, dass hier sechs Sportarten für den leichtathletischen Fünfkampf genannt werden; doch ist zu vermuten, dass es sich um einen kombinierten Hoch-/Weitsprung und damit in diesem Fall um ein- und dieselbe Disziplin handelte. Diese Sprungvariante schlug Coubertin später auch für den Modernen Fünfkampf vor (vgl. die IOC-Session in Luxemburg 1910, Kap. 4.2.2). 609 [o. A.] (1910d). [o. T.]. Ny Tidning för idrott, 16. Juli. 610 [Coubertin] (1908a). A propos du pentathlon, S. 21. 611 Das C.I.O. in Berlin. In Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-DiemInstitut, 1996, S. 99 – 106. 612 [o. A.] (1909c). Discussions et d¦cisions, S. 91.
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sationskomitee, das SOK, daher am 11. Oktober 1909 zu einer ersten beratenden Sitzung zusammen:613 »Zielbewußt und energisch leitete Oberst Balck, der Präsident des schwedischen Organisations-Komitees, an der Spitze eines ausgewählten Stabes die umfangreichen und mühevollen Arbeiten der Vorbereitung. König Gustav von Schweden übernahm das Protektorat.«614
Für den Modernen Fünfkampf gab es noch kein eigenes Spezialkomitee wie für die übrigen olympischen Sportarten.615 Die unterschiedlichen Sportverbände waren also damit betraut, die Wettkampfregularien für den Modernen Fünfkampf von 1912 auszuarbeiten. Da die Disziplinen jedoch noch nicht feststanden, konnte zu diesem Zeitpunkt in Stockholm noch nicht konkreter verhandelt werden. In der Zwischenzeit tauschten sich die beiden Institutionen, das IOC und das SOK, über die weiteren Planungen aus. D’Usseaux verdeutlichte in einem Brief an Balck, dass es Coubertins ausdrücklicher Wunsch sei – falls möglich – einen Modernen Fünfkampf einzuführen, der aus Reiten, Laufen, Springen, Schwimmen oder Ringen bestünde; die beiden Alternativen zum Ringen ließ er weg.616 Das leichtathletische Pentathlon sollte sich dagegen aus Laufen, Speerwerfen, Weitspringen, Hochspringen und Ringen zusammensetzen. Die aus dem Modernen Fünfkampf gestrichenen Sprungdisziplinen fanden sich hier also gleich zweimal wieder ; im Gegensatz dazu fehlte das noch in Berlin genannte Schwimmen. D’Usseaux sprach abschließend im Namen des IOC, als er Balck riet, nicht die praktische Seite des Sports aufzugeben und der rein theoretischen Programmplanung zu verfallen. Damit brachte er die Befürchtung zum Ausdruck, dass wegen der langen Debatten über die Disziplinauswahl möglicherweise die Vorbereitungen vor Ort an den Wettkampfstätten zu kurz kommen könnten.617 Für den typischerweise wenig pragmatisch orientierten IOC-Präsi613 Anwesend waren der Ehrenpräsident Kronprinz Gustav Adolf, Präsident Balck, Vizepräsident Edström, Sekretär Hellström, die Mitglieder Burman, Frestadius, Sandeberg und Thisell sowie weitere nicht-stimmberechtigte Mitglieder und Gäste. Das SOK traf sich anfangs in jeder zweiten Woche, später wöchentlich (Molzberger, 2010, S. 63). 614 Wagner, 1912, S. 4. 615 Das SOK war später insgesamt in fünf Sektionen und 22 Spezialkomitees untergliedert (Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 4ff). 616 Brief von d’Usseaux an Balck. 12. Februar 1910. SD1: Correspondance envoy¦e et reÅue par Coubertin (photocopies tir¦es du fonds Coubertin), 1909 – 1913. Correspondance envoy¦e et reÅue par Pierre de Coubertin au sujet des Jeux Olympiques d’¦t¦ de Stockholm 1912, 1909 – 1913, Code: CIO JO-1912S-CORR, ID: 46580. IOC Archiv Lausanne. Derselbe Brief befindet sich auch in dieser Ablage: SD2: Correspondance 1905 – 1914, BALCK CORR. Correspondance 1894 – 1914, ID: 6590. Balck Correspondance, Code: CIO MBR-BALCK CORR, OU MO 01 41 07, 0055015. IOC Archiv Lausanne. 617 Ebd.
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denten Coubertin hatten diese Art von Überlegungen auch eher Seltenheitscharakter (vgl. Kap. 2). Mehr als einen Monat später, am 28. März 1910, informierte Balck Coubertin darüber, dass das Sportartenprogramm nahezu – abgesehen vom Pentathlon und Dekathlon – dem von London entspreche. Die angedachte Zusammensetzung des Modernen Fünfkampfs aus »Reiten – Laufen – Springen – Schwimmen – (Ringen)?«618 plane er, am nächsten Tag dem SOK zu unterbreiten. Dabei wolle er statt dem Ringen eine andere Sportart empfehlen, wie Fechten oder Schießen, weil alle drei anderen Sportarten (Laufen, Springen, Ringen) schon zur Genüge im leichtathletischen Programm vertreten seien. Balck war allerdings nicht bereit, Verantwortung für die endgültige Entscheidung zu übernehmen, sondern forderte Coubertins Meinung dazu ein (vgl. Anhang 8.3.1.2): »C’est votre projet et vous l’honneur de l’avoir introduit.«619 Es ist schon erstaunlich, dass der Moderne Fünfkampf die einzige Sportart war, über die Balck nicht selbst mit dem SOK entscheiden wollte. Auf der einen Seite können seine an Coubertin gerichteten Worte als widerwillig interpretiert werden (»Sie haben auf die Einführung der Sportart bestanden, also kümmern Sie sich gefälligst auch selbst darum!«); auf der anderen Seite wollte Balck damit möglicherweise ausdrücken, dass er Coubertins Idee als die seinige anerkannte. Am Rande sei hier auch bemerkt, dass Balck zwar von Coubertins »Projekt«, jedoch nicht von seiner Idee spricht. Ob er Bestehendes aufgriff und olympisch machen wollte oder tatsächlich etwas Neues erschuf, bleibt also weiterhin ungeklärt. Am Tag darauf kam das SOK wie angekündigt zu einer Sitzung zusammen. Doch die Entscheidung über den Modernen Fünfkampf wurde erneut vertagt.620 Vermutlich wollten die Mitglieder erst Coubertins Reaktion abwarten. Dieser kam Balcks Anfrage kurz darauf nach und verdeutlichte in seinem Schreiben, dass der Moderne Fünfkampf nach seinem Verständnis aus »Reiten, Laufen, Springen, Schwimmen und einer Form des Fechtens nach Wahl, entweder Säbel, oder Degen oder Boxen oder Ringen« bestehen müsse. Daraus ergebe sich
618 Brief von Balck an Coubertin. 28. März 1910. SD1: Correspondence 1908 – 1910 – COJO Coubertin. Correspondance envoy¦e ( Coubertin) et reÅu par le COJO des Jeux Olympiques d’¦t¦ de Stockholm 1912, Code: CIO JO-1912S-COJO, ID: 46570, 9994. Stockholm 1912 – 1: JO 1912 S – ARTPR-COJO. IOC Archiv Lausanne. Derselbe Brief befindet sich auch in dieser Ablage: SD2: Correspondance 1905 – 1914, BALCK CORR. Correspondance 1894 – 1914, ID: 6590. Balck Correspondance, Code: CIO MBR-BALCK CORR, OU MO 01 41 07, 0055015. IOC Archiv Lausanne. 619 Ebd. Übersetzung: »Das ist Ihr Projekt und Sie haben die Ehre, es eingeführt zu haben.« 620 §4 [o. T.]. Protokoll der Sitzung des SOK. 29. März 1910. 1: 18. August 1908 – 28. November 1910. Organisationskommitt¦ns protokoll (A I). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/ 730226). Riksarkivet Stockholm.
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entsprechend der erstrebenswerte »l’homme complet« (vgl. Kap. 2.1.2).621 Coubertins Disziplinwahl entsprach damit weitestgehend der Zusammenstellung aus dem Vorjahr, lediglich das Schießen sah er nicht mehr als mögliche Alternative an. Das Fechten interpretierte er hingegen ungewöhnlich weit als Überbegriff auch für das Boxen und Ringen (vgl. Durry, 2003, S. 219; Langenfeld, 2010, S. 169). Vermutlich war er hier von seiner Gymnastique utilitaire, genauer vom Konzept der Verteidigung, geprägt, das z. B. im »Poule des D¦brouillards« Anwendung fand (vgl. Kap. 2.1.3, 5.1).622 Das Boxen kam im Übrigen für Balck, der die Sportart wenig später gänzlich aus dem olympischen Programm für Stockholm streichen ließ, nicht in Frage. Er begründete den Ausschluss damit, dass das Boxen »in den nordischen Ländern nicht praktiziert« würde und daher »schon während der Sitzung in Berlin ausgeschlossen worden« sei.623 Dies schien auf den Modernen Fünfkampf also nicht zuzutreffen. Im Gegenteil, einige der in Frage kommenden Einzeldisziplinen und die Idee der Vielseitigkeit als solches fanden zunehmend Anhänger in Schweden. So sollte es in Stockholm beispielsweise erstmals olympische Reitwettkämpfe geben. Dabei handelte es sich übrigens um eine schwedische Idee, die von Rosen bereits in der Session von Berlin 1909 vorgeschlagen hatte (Lyberg, 1989, S. 53). Zudem wurde der Geländelauf624 neu im leichtathletischen Programm aufgenommen, weil es sich um »eine der beliebtesten Formen der Leichtathletik auf der ganzen Welt« handele.625 Einigkeit herrschte auch darüber, dass der vielseitigen Ausbildung allgemein in Form von Mehrkämpfen, Mannschafts- und beidseitigen Wurfwettbewerben ein Ehrenplatz gebühre.626 Zurück zum regen Briefverkehr zwischen Coubertin und Balck. Balck bestätigte am 4. April 1910, den Erhalt von Coubertins Brief und signalisierte 621 Brief von Coubertin an Balck. 1910 [ohne genaues Datum]. SD1: Correspondance envoy¦e et reÅue par Coubertin (photocopies tir¦es du fonds Coubertin), 1909 – 1913. Correspondance envoy¦e et reÅue par Pierre de Coubertin au sujet des Jeux Olympiques d’¦t¦ de Stockholm 1912, 1909 – 1913, Code: CIO JO-1912S-CORR, ID: 46580. IOC Archiv Lausanne. 622 »Anhang«. Coubertin 1905. Deutsche Übersetzung von 1906, S. 63. 623 IV s¦ance. 13. Juni. Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1910). ProcÀs-verbal. 13e Session Luxembourg, S. 31. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne. 624 Statt »Geländelauf« (z. B. Kluge, 1997, S. 308) verwenden andere Autoren synonym die Begriffe »Crosslauf« (z. B. Ueberhorst, 1976, S. 135) oder »Querfeldeinlauf« (z. B. Molzberger, 2010, S. 92). Ich habe mich in Anlehnung an den »Geländeritt«, der ebenfalls Teil des Modernen Fünfkampfs ist, für den Begriff »Geländelauf« entschieden, weil beide auf dem schwedischen Begriff »terräng« beruhen (›terränglöpning‹ bzw. ›terrängridning‹) und so eine gleichartige Übersetzung erfahren. Zudem bezeichnet z. B. das Bertelsmann Lexikon die Laufsportdisziplin des Modernen Fünfkampfs explizit als »Geländelauf« (und nicht als Querfeldein- oder Crosslauf) (Lexikographisches Institut, 1994, S. 3482). 625 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 326. 626 Ebd., S. 325.
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Kooperationsbereitschaft, als er den Austausch von Ringen durch Fechten guthieß. Wichtiger in Bezug auf die Machtverhältnisse zwischen beiden war allerdings, dass er den Satz mit »dans votre pentathlon moderne«627 abschloss und damit die Zuständigkeit für diese Sportart ein weiteres Mal klar Coubertin zuschob (vgl. Anhang 8.3.1.3). Zwei Monate später, am 6. Juni, und somit kurz vor der nächsten IOC-Session, traf sich das schwedische Organisationskomitee ein weiteres Mal, um über den Modernen Fünfkampf zu verhandeln. Im Kontrast zu der üblichen Entscheidungsfreudigkeit (Molzberger, 2010, S. 119) legten sich die Mitglieder in diesem Fall nicht zügig fest, sondern wollten zunächst die Beschlüsse des fünf Tage später startenden IOC-Meetings abwarten.628 Auf dieser 13. IOC-Session, die vom 11.–13. Juni 1910 in Luxemburg stattfand,629 bahnte sich allerdings zunächst ein neuer Höhepunkt der Disziplinverwirrung an. Die schwedischen IOC-Mitglieder stellten wie geplant das vorläufige Programm vor, das u. a. mehrere Mehrkämpfe enthielt. Darunter fanden sich neben dem bereits 1907 vorgestellten »Penthatlon [sic!] ¦questre«630 auch drei Fünfkampfvarianten und ein Zehnkampf: Der erste Wettkampf, wurde bezeichnenderweise »Penthatlon [sic!] su¦dois« getauft und sollte Weitsprung, Diskuswurf, 200-Meter-Lauf, Speerwurf und einen 1500-Meter-Lauf umfassen. Demgegenüber stand eine noch enger an das antike Pentathlon angelehnte Fünfkampfversion, die »Penthatlon [sic!] anglais« hieß und Ringen statt einem 1500-Meter-Lauf einschloss (vgl. Tab. 1). 627 Brief von Balck an Coubertin. 4. April 1910. SD2: Correspondance 1905 – 1914, BALCK CORR. Correspondance 1894 – 1914, ID: 6590. Balck Correspondance, Code: CIO MBRBALCK CORR, OU MO 01 41 07, 0055015. IOC Archiv Lausanne. 628 Protokoll der Sitzung des SOK. 6. Juni 1910, S. 3. 1: 18. August 1908 – 28. November 1910. Organisationskommitt¦ns protokoll (A I). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 629 Während der Termin im offiziellen Protokoll (Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1910). ProcÀs-verbal. 13e Session Luxembourg, S. 1 – 41. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne) und im Bericht in der Revue Olympique ([o. A.] (1910b). La r¦union du Comit¦ International des Jeux Olympiques Luxembourg, S. 83 – 88) jeweils auf 11.–13. Juni datiert ist, heißt es in Schormann (2005, S. 11), dass diese »vom 11. bis 13. Mai 1910 stattfand«. 630 S¦ance de l’aprÀs-midi. 11. Juni 1910. Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1910). ProcÀs-verbal. 13e Session Luxembourg, S. 20. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne. Auf das ›Penthatlon [sic!] ¦questre‹, das dem in Brüssel durchgeführten Military (heute Vielseitigkeitsreiten oder Eventing genannt) ähnelte, wird im Folgenden nicht näher eingegangen, weil es sich ähnlich wie die Gymnastikwettbewerbe um einen Mehrkampf handelte, der lediglich verschiedene Disziplinen ein und derselben Sportart einschloss (Dressur, Geländeritt und Springreiten), jedoch keine Sportarten-Kombination darstellte. Die militärische Verbindung war offensichtlich. Vgl. dazu den Brief des olympischen Pferdesport-Komitees an Coubertin. 16. November 1910. SD1: Correspondance envoy¦e et reÅue par Coubertin (photocopies tir¦es du fonds Coubertin), 1909 – 1913. Correspondance envoy¦e et reÅue par Pierre de Coubertin au sujet des Jeux Olympiques d’¦t¦ de Stockholm 1912, 1909 – 1913, Code: CIO JO-1912S-CORR, ID: 46580. IOC Archiv Lausanne
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Die nationale Vaterschaft war in den beiden genannten Fällen also unbestritten. Einen »französischen Fünfkampf« gab es dagegen nicht, was die Zuordnung im Vergleich zum neutralen Attribut »modern« ungemein erleichtert hätte. Die Entscheidung fiel letztlich auf den leichtathletisch geprägten »schwedischen Fünfkampf«,631 obwohl, wie die schwedische Zeitung Tidning för idrott anschließend eingesteht, »mehrere der anwesenden Landesvertreter für die Beibehaltung des Ringens« waren.632 Über den Ausgang der Verhandlungen in Bezug auf diesen »schwedischen« Fünfkampf wurde dabei zuerst berichtet: auch dies eine Spiegelbild seines nationalen Stellenwerts. Zu den neuen athletischen Mehrkämpfen zählte darüber hinaus das Dekathlon. So hieß es im Protokoll: »›Decathlon‹, analogue au pentathlon, mais avec 10 concours.«633 Diese Darstellung des Zehnkampfs als Erweiterung des Fünfkampfs (und nicht umgekehrt des Fünfkampfs als Ausschnitt des Zehnkampfs) vermag die Bedeutungshierarchie der beiden Wettkämpfe widerzuspiegeln. Auch in Bezug auf den Preispokal standen beide Sportarten in Konkurrenz: So sollte es entweder einen »Coupe du Penthatlon [sic!]« oder »du Decatlon [sic!]« geben.634 Die Auszeichnung mit einem Pokal für den besten Modernen Fünfkämpfer stand dagegen außer Frage. Dazu trug u. a. bei, dass Coubertin sein lange geplantes Vorhaben, dem zukünftigen Gewinner dieser Sportart einen Preis zu widmen, beibehielt (vgl. Kap. 4.2.1).635 Folglich herrschten zu diesem Zeitpunkt nur wenige Zweifel daran, dass in zwei Jahren der erste olympische Moderne Fünfkampf stattfinden würde. Dennoch stand die Zusammensetzung des Modernen Fünfkampfs noch nicht fest. Die von Coubertin in Luxemburg vorgeschlagenen Disziplinen – »I8 Course pied ; 28 Saut en hauteur et en longueur ; 38 Natation ; 48 Equitation ; 58 Escrime«636 – differierten von jenen die am letzten Sitzungstag im IOC-Protokoll genannt wurden. Denn in der Zwischenzeit hatte es weitere Anregungen gegeben: D’Usseaux schlug vor, Schießen statt Springen einzuführen (Lyberg, 1989, 631 IIIe s¦ance. 12. Juni 1910. Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1910). ProcÀs-verbal. 13e Session Luxembourg, S. 26. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne. 632 [o. A.] (1910d). [o. T.]. Ny Tidning för idrott, 16. Juli. 633 S¦ance de l’aprÀs-midi. 11. Juni. Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1910). ProcÀsverbal. 13e Session Luxembourg, S. 16. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne. Der Zehnkampf beinhaltete einen »Course pied de 100 mÀtres, Saut en longueur avec ¦lan, Lancement du poids, Saut en hauteur avec ¦lan, Course de 400 mÀtres, Course de haies de 110 mÀtres, Lancement du javelot, Lancement du disque, Saut la perche, Course de 1.500 mÀtres« und wurde ohne Diskussion akzeptiert. 634 IV s¦ance. 13. Juni. Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1910). ProcÀs-verbal. 13e Session Luxembourg, S. 38. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne. 635 [o. A.] (1910b). La r¦union du Comit¦ International des Jeux Olympiques Luxembourg, S. 86. 636 IIIe s¦ance. 12. Juni 1910. Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1910). ProcÀs-verbal. 13e Session Luxembourg, S. 27. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne.
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S. 57).637 Damit wären mit Ausnahme des Schwimmens und Springens alle diskutierten Disziplinen von militärischer Natur. Der Tatsache, dass der militärische Charakter insbesondere mit der Einbeziehung des Schießens zunahm, waren sich die IOC-Mitglieder schon 1910 bewusst: »M. le colonel Balck d¦clare que le programme de tir de Londres a ¦t¦ adopt¦ par le Comit¦ su¦dois, qui n¦anmoins lui donnera un caractÀre un peu plus militaire.«638
Auch die Reihenfolge unterschied sich von jener, die Coubertin einen Tag zuvor angeregt hatte: Der Moderne Fünfkampf sollte wie 1909 in Berlin vorgeschlagen mit Reiten gefolgt von Laufen beginnen und mit Schießen, Schwimmen und Fechten abschließen; lediglich das Fechten war in beiden Vorschlägen Schlussdisziplin.639 Vom Boxen und Ringen war dagegen keine Rede mehr. Der Moderne Fünfkampf fand so prinzipiell Zustimmung, doch herrschten weiterhin Meinungsverschiedenheiten über seine zugehörigen Sportarten.640 Nach der Session in Luxemburg fehlte so weiterhin ein für die Olympischen Spiele gültiger Beschluss. Die Entscheidung über die Zusammensetzung des Modernen Fünfkampfs wurde auf die folgende Sitzung vertagt.641 Die Einbeziehung von Laufen, Schwimmen und Reiten sowie die Streichung des Ringens schienen zumindest sicher. Damit unterschied sich der Moderne Fünfkampf zunehmend stärker von der zweiten Pentathlonvariante (vgl. Tab. 1). Auch die schwedische Presse unterschied klar zwischen dem »einfachen« Fünfkampf, der sich gemäß den Anregungen des SOK herausgebildet hatte, und dem »Modernen Fünfkampf«, der allgemein auf dem Vorschlag Coubertins beruhte,642 aber hin und wieder schwedische Ratschläge (wie beispielsweise in Bezug auf die Aufnahme des Fechtens) annahm.643 Die zeitliche Planung sah zu diesem Zeitpunkt vor, dass der »einfache«, »schwedische« Fünfkampf an einem Tag, dem 8. Juli, stattfinden sollte und der Zehnkampf eine Woche später an zwei Tagen. Der Moderne Fünfkampf fand hier noch keine Erwähnung. Das lag vermutlich daran, dass die verbleibenden Planungsunsicherheiten und die damit zusammenhängenden organisatorischen Konsequenzen noch zu groß waren.644 637 Ebd. 638 IIIe s¦ance. 12. Juni 1910. In Ebd., S. 24. Übersetzung: »Herr Oberst Balck erklärte, dass das Schießprogramm von London vom schwedischen Komitee übernommen wurde, wobei es ihm einen leicht militärischen Charakter verlieh.« 639 Ve s¦ance. 13. Juni 1910. In Ebd. S. 41. 640 [o. A.] (1910d). [o. T.]. Ny Tidning för idrott, 16. Juli. 641 IIIe s¦ance. 12. Juni 1910. Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1910). ProcÀs-verbal. 13e Session Luxembourg, S. 27. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne. 642 [o. A.] (1910 f). Intern. Olympiska kommitt¦ns kongress i Luxemburg den 11 – 13 juni 1910. 643 [o. A.] (1910d). [o. T.]. Ny Tidning för idrott, 16. Juli. 644 S¦ance de l’aprÀs-midi. 11. Juni. Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1910). ProcÀsverbal. 13e Session Luxembourg, S. 15. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne.
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Tab. 1: Überblick über die Entwicklung der Disziplinauswahl im Englischen, Schwedischen und Modernen Fünfkampf (1909 – 1910)645 Zeitpunkt
Moderner Fünfkampf 28. Mai-1. Juni 1909, 1. Reiten IOC-Session in Berlin 2. Laufen 3. Springen 4. Schwimmen 5. Ringen/Schießen/ Fechten 11.–13. Juni 1910 IOC- 1. Reiten Session Luxemburg 2. Laufen 3. Schießen 4. Schwimmen 5. Fechten
Schwedischer Fünfkampf 1. Laufen (200 m) 2. Speerwerfen 3. Springen 4. Schwimmen 5. Laufen (1500 m)
Englischer Fünfkampf 1. Laufen (200 m) 2. Speerwerfen 3. Springen 4. Schwimmen 5. Ringen
1. Springen gestrichen 2. Diskuswerfen 3. Laufen (200 m) 4. Speerwerfen 5. Laufen (1500 m)
Die Kreation einer neuen Sportart gab offensichtlich viel Raum, individuelle Vorlieben zu platzieren und machte es so schwierig, zu einer gemeinsamen Festlegung zu finden. Insgesamt kamen die Vorschläge jedoch von einer sozial homogenen Gruppe, die versuchte, ihre favorisierten, vornehmlich von Aristokraten ausgeübten Sportarten, einzubringen. Dass sie damit auch das Teilnehmerfeld einschränkten, störte offensichtlich niemanden.
4.3.2 Die Konkretisierung des Modernen Fünfkampfs in Budapest (1911) Bis zum Beginn der Olympischen Spiele im Juli 1912 blieb mit knapp eineinhalb Jahren nicht mehr allzu viel Zeit, Einigkeit zu erzielen, während die Organisatoren zunehmend Planungssicherheit benötigten. Vor der für Mai 1911 geplanten nächsten IOC-Session fanden deshalb einige weitere Treffen, die den Modernen Fünfkampf thematisierten, in Stockholm statt. Das Vorhaben konkretisierte sich also. Doch während die übrigen Sportarten schon feststanden, hieß es zum Modernen Fünfkampf weiterhin: »Programme not yet fixed.«646 645 Die im Vergleich zum Modernen Fünfkampf identischen Disziplinen sind jeweils unterstrichen. Die Informationen in der Tabelle stammen aus den jeweiligen IOC Meeting Minutes, den Sitzungsprotokollen des SOK und des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf, den Berichten in der Revue Olympique sowie aus Lyberg (1989). 646 Handschriftlicher Zusatz zum offiziellen Programm [ohne exaktes Datum, vermutlich zwischen August und November 1910]. Nr. 1 ProcÀs-verbaux du Comit¦ d’Organisation de Jeux Olympiques de Stockholm 1912, 1908 – 1913. CIO JO-1912S – MICRO: Microfilms des archives du COJO des Jeux Olympiques d’¦t¦ de Stockholm 1912: correspondance, procÀsverbaux, formulaires et r¦sultats, 1908 – 1913, ID 46582, 9919. Mikrofiches: MI-1/ JO-1912 S – Microfilms – Archives COJO – 9919. IOC Archiv Lausanne.
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Auch in einem Brief von Hauptmann Emil Fredrik Fick (1863 – 1930), dem Präsidenten des olympischen Fechtkomitees, an das SOK spiegeln sich die bestehenden Unsicherheiten wider. Er gab an, dass nach dem Beschluss in Luxemburg nur »aller Wahrscheinlich nach« ein Moderner Fünfkampf stattfinde.647 Auf ihrer kommenden Sitzung am 3. Dezember 1910 strebten die fünf olympischen Sportkomitees daher an, noch im alten Jahr Grundsätzliches für ihre Sportart festzulegen.648 Die Teilnehmer hielten fest, dass der 10.–14. Juli die beste Zeit sei, um den Wettkampf durchzuführen. Verteilt auf je einen Tag sollten die Disziplinen in folgender Reihenfolge absolviert werden: 1. Fechten, 2. Schwimmen, 3. Reiten, 4. Schießen, 5. Laufen.649 Das Fechten war demnach nicht mehr die letzte Disziplin (wie noch im Juni 1910), sondern die erste. Reiten und Laufen waren dagegen weiter nach hinten gerückt. Da keine Gründe für die Änderung der Reihenfolge angeführt wurden, handelt es sich vermutlich um rein organisatorische Fragen (Parallelbelegung der Wettkampfstätten etc.). Erkennbar ist außerdem, dass die beiden ausdauerbetonten Sportarten Schwimmen und Laufen in beiden Fällen nicht direkt aufeinanderfolgten, um den Athleten genügend Zeit zur Regeneration zu bieten. Die Festlegung einer bestimmten Reihenfolge sollte so erlauben, »das bestmögliche Resultat« in jeder der fünf Disziplinen zu erzielen.650 Ein Wechsel zwischen verschiedenen Anforderungen an Technik und Ausdauer schien dazu am besten geeignet. Die bisherigen Verhandlungen hatten offengelegt, dass der Moderne Fünfkampf keine Kopie seiner fünf Einzeldisziplinen sein würde, sondern nach eigenen Gesetzen ablief. Die Koordination zwischen fünf verschiedenen Einzelverbänden und ihren teils eingefahrenen Meinungen hatte die bisherigen Vorbereitungen zusätzlich erschwert. Das komplizierte Zusammentragen der Ergebnisse aus verschiedenen Sportartenkomitees veranlasste Erik Bergvall, den Herausgeber von Nordiskt Idrottslif, schließlich dazu, die Einrichtung eines eigenen Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf vorzuschlagen.651 Jeweils zwei 647 Brief von Fick an das SOK. 20. Juli 1910. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 648 Protokoll der Sitzung der Vorsitzenden der vom Modernen Fünfkampf betroffenen Spezialkomitees. 3. Dezember 1910. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 649 §9 Täflingens tidsindelning [Die Reihenfolge der Wettbewerbe]. Protokoll der Sitzung der Vorsitzenden der vom Modernen Fünfkampf betroffenen Spezialkomitees. 3. Dezember 1910. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 650 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 641. 651 §8 Komitt¦ för täflingens arrangerande [Das Komitee für die Wettkampforganisation]. Protokoll der Sitzung der Vorsitzenden der vom Modernen Fünfkampf betroffenen Spezialkomitees. 3. Dezember 1910. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
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Mitglieder aus den fünf Sportarten-Komitees sollten darin vertreten sein und sich verantwortlich für die Vorbereitung der fünf Wettkämpfe und ihrer Bestimmungen zeigen. Obwohl bereits viel Zeit für die Planung des Modernen Fünfkampfs aufgewendet worden war, standen weiterhin, wenig mehr als ein Jahr vor den Olympischen Spielen, noch zentrale Fragen offen. Beispielsweise war Kristian Hellström (1880 – 1946) in seiner Funktion als Generalsekretär des SOK noch Mitte Februar 1911, unsicher, ob Coubertin den Pokal für den Modernen Fünfkampf stifte.652 Fünf Tage später antwortete Coubertin. Doch stellte sich dabei heraus, dass er in den vergangenen Monaten offensichtlich selbst noch Zweifel an der Umsetzung der Sportart gehegt hatte: »The Modern Pentathlon Cup is mine, I offered it, but as it was not settled whether there would be a modern pentathlon at all, I have not got it ready yet.«653 Möglicherweise standen jedoch auch praktikable Gründe dahinter, und Coubertin wollte Zeit schinden, bevor er den Pokal stiftete und diesbezüglich finanzielle Aufwendungen betrieb. Daneben sollte sich diese Gabe später als probates Druckmittel zur Durchsetzung seiner Forderungen herausstellen (vgl. Kap. 4.4.2). Dennoch zogen beide Seiten, Coubertin und SOK, was den Modernen Fünfkampf anging, prinzipiell am selben Strang: Sie wollten ihn in Stockholm umgesetzt sehen. Dies war nicht in Bezug auf alle Neuerungen der Fall, wie die feindliche Einstellung einiger SOK-Mitglieder gegenüber den von Coubertin angeregten Kunst-Wettbewerben bewies.654 Auch darauf reagierte Coubertin im zweiten Teil seines Briefs an Hellström: »I suppose you understood what had happened about the art question. What you wrote in French meant that then would not be no art competition at all. Rather than accept such a thing wh. [which] to me is more important for 1912 than anything I would have dropped all interest in the Games.«655 652 Brief von Hellström (SOK) an Coubertin. 16. Februar 1911. SD2: Correspondence 1911 (jan-avril) – COJO Coubertin. Correspondance envoy¦e ( Coubertin) et reÅu par le COJO des Jeux Olympiques d’¦t¦ de Stockholm 1912, Code: CIO JO-1912S-COJO, ID: 46570, 9994. Stockholm 1912 – 1: JO 1912 S – ARTPR-COJO. IOC Archiv Lausanne. 653 Brief von Coubertin an Hellström (SOK). 21. Februar 1911. [Original in englischer Sprache mit Unterstreichungen]. SD1: Correspondance envoy¦e et reÅue par Coubertin (photocopies tir¦es du fonds Coubertin), 1909 – 1913. Correspondance envoy¦e et reÅue par Pierre de Coubertin au sujet des Jeux Olympiques d’¦t¦ de Stockholm 1912, 1909 – 1913, Code: CIO JO1912S-CORR, ID: 46580. IOC Archiv Lausanne. Coubertin antwortet vermutlich deshalb in englischer Sprache auf Hellströms französischen Brief, weil dieser einige sprachliche Fehler enthielt und er ihm und den übrigen SOK-Mitgliedern somit entgegenkommen wollte. 654 Brief von Hellström (SOK) an Coubertin. 26. Januar 1911. SD2: Correspondence 1911 (janavril) – COJO Coubertin. Correspondance envoy¦e ( Coubertin) et reÅu par le COJO des Jeux Olympiques d’¦t¦ de Stockholm 1912, Code: CIO JO-1912S-COJO, ID: 46570, 9994. Stockholm 1912 – 1: JO 1912 S – ARTPR-COJO. IOC Archiv Lausanne. 655 Brief von Coubertin an Hellström (SOK). 21. Februar 1911. [Original in englischer Sprache
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Obwohl er – wie zuvor anhand desselben Schriftstücks aufgezeigt – auch die Umsetzung des Modernen Fünfkampfs noch für unsicher hielt, verlieh er seiner Forderung nach olympischen Kunstwettbewerben solchen Nachdruck. Es gab also offensichtlich für ihn noch etwas Bedeutsameres als den Modernen Fünfkampf in Stockholm. Möglicherweise erschien ihm die Pentathlonidee jedoch zu diesem Zeitpunkt vergleichsweise weniger gefährdet, zumal das SOK kurz zuvor im Januar 1911 Bergvalls Idee aufgriffen und fünf Sportkomitees damit beauftragte hatte, schnellstmöglich je zwei Vertreter für das geplante Spezialkomitee auszuwählen.656 Zur endgültigen Festlegung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf kamen die von den fünf Sportkomitees gewählten Vertreter am 6. März 1911 zu einer Gründungssitzung in Stockholm zusammen.657 Wie gewünscht bildeten jeweils zwei Vertreter aus den fünf Einzelsportarten das Grundgerüst des Spezialkomitees: Oberleutnant Gustaf G:son (Gustafsson) Uggla (1880 – 1926) und Sune Alexander Smedmark (1884 – 1958) vertraten die Leichtathletik,658 Hauptmann Emil Fredrik Fick (1863 – 1930) und Oberleutnant Birger Axelsson Cnattingius (1875 – 1950) das Fechten, Oberleutnant Graf Charles Gustaf Lewenhaupt (1884 – 1935) und Leutnant ClaÚs Henrik Magnus König (1885 – 1961) den Reitsport, Erik Bergvall (1880 – 1950) und Gustaf Caesar Laurentius Wretman (1888 – 1949) das Schwimmen, Oberst Graf Carl-Evert Taube (1854 – 1934) und Leutnant Gustaf Eric Carlberg (1880 – 1963) das Schießen.659 Balck führte das Komitee nach wie vor höchstpersönlich an und saß damit
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mit Unterstreichungen]. SD1: Correspondance envoy¦e et reÅue par Coubertin (photocopies tir¦es du fonds Coubertin), 1909 – 1913. Correspondance envoy¦e et reÅue par Pierre de Coubertin au sujet des Jeux Olympiques d’¦t¦ de Stockholm 1912, 1909 – 1913, Code: CIO JO1912S-CORR, ID: 46580. IOC Archiv Lausanne. §19 Den Moderna Femkampen [Der Moderne Fünfkampf]. Protokoll der Sitzung des SOK. 9. Januar 1911. 2: 12. Dezember 1910 – 9. Juni 1911. Organisationskommitt¦ns protokoll (A I). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. Am 26. Januar 1911 ging die Aufforderung beispielsweise an das Pferdesportkomitee; in den folgenden Tagen wurden auch die anderen vier Komitees informiert. Briefe des SOK an die verschiedenen Sportkomitees. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. §16 Permanent Kommitt¦ för den Moderna Femkampen [Ständiges Komitee für den Modernen Fünfkampf]. Protokoll der Sitzung des SOK. 6. März 1911. 2: 12. Dezember 1910 – 9. Juni 1911. Organisationskommitt¦ns protokoll (A I). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm Die Leichtathletik hieß auf Schwedisch »allmän idrott«, was wörtlich übersetzt »Allgemeiner Sport« bedeutet. Im Folgenden wird der Begriff »Allgemeiner Sport« durchgängig durch »Leichtathletik« ersetzt. Smedmark besaß ungewöhnlicherweise keinen Militärtitel. Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 646. Smedmark besaß im Gegensatz zu den meisten anderen Mitgliedern keinen Militärtitel. Stattdessen wurde er mit »Esq.«, das für »Esquire« (übersetzt für einen »Hochwohlgeborenen«), steht, näher bezeichnet. Bergvall und Wretman trugen diesen Titel anstelle eines Militärrangs. Carlberg nahm 1912 selbst am Modernen Fünfkampf sowie an verschiedenen Schießwettbewerben teil.
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allen neuen Mehrkämpfen, sowohl den leichtathletischen als auch dem Modernen Fünfkampf, vor. Unterstützung fand er in Hellström, der gleichzeitig Generalsekretär des SOK und zahlreicher weiterer Komitees war.660 Das neue Spezialkomitee wählte zudem einen Ausschuss, der für die Organisation des Wettkampfs vor Ort zuständig sein sollte. Diesem gehörten neben Taube ebenso die Vertreter der Stockholmer Militärsportvereinigung Hauptmann Carl Silfverstolpe (Präsident) und Oberleutnant Fredrik Samuel Granfelt (Sekretär) (1882 – 1966) an. Sie wohnten dem Komitee auch deshalb bei, weil sie zusammen mit Oberst Carl Wilhelm Emanuel Ankarcrona (1847 – 1927) und Hellström für die Auswahl der schwedischen Modernen Fünfkämpfer verantwortlich waren.661 Das für den Modernen Fünfkampf zuständige Komitee bestand somit größtenteils aus Militärvertretern, die sich gern in Uniform zeigten (vgl. Abb. 3):
Abb. 3: Offiziere waren im Spezialkomitee für Modernen Fünfkampf stark vertreten: J. A. Drakenberg, S. Hermelin, V. Balck, C. von Rosen, G. Uggla (von links nach rechts)662
660 So war Hellström auch Sekretär des Exekutivkomitees, des Komitees für Tauziehen, Schwimmen und Unterhaltung sowie 2. Sekretär des Komitees für Leichtathletik (Bergvall/ Swedish Olympic Committee, 1913, S. 4 f, 17). 661 Ebd., S. 296, 646. 662 Quelle: H. M. Talma, Paris 1914. Quelle: Svenska mngkampsförbundet Utgivare, 2010, S. 11. Bei J. A. Drakenberg handelt es sich um einen Druckfehler. Denn Rooney Magnusson konnte anhand eines Fotovergleichs feststellen, dass es sich um den Major Sten Adalrik Drakenberg (also S. A. Drakenberg) (1861 – 1946) handelte. Letzterer nahm 1914 am IOC
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Mit der Gründung des Spezialkomitees hatte sich faktisch allerdings nur wenig geändert. Denn elf der vierzehn genannten Vertreter waren gleichzeitig Mitglied in den Spezialkomitees der fünf betroffenen Einzelsportarten.663 Immerhin konnten von da an häufiger eigene Sitzungen für den Modernen Fünfkampf einberufen werden, und weitere Mitglieder der fünf Spezialverbände waren von einer Entscheidungsfindung ausgeschlossen. Bemerkenswert an der Zusammensetzung ist allerdings, dass Oberst Graf Erik Carl Gabriel Oxenstierna (1859 – 1913)664, der Präsident des olympischen Reitsportkomitees, und sein Generalsekretär von Rosen, der sich jüngst so aktiv in der Pferdefrage gezeigt hatte, im Spezialkomitee nicht vertreten waren. Es kann nur gemutmaßt werden, ob sie durch die Neuaufnahme der olympischen Reitwettbewerbe zeitlich schon ausreichend eingespannt waren oder ob ihnen Balcks Einstellung zum Bereitstellen von Pferden (und damit seine Einladung an Nicht-Gentlemen) zu wider war (vgl. Kap. 4.4.2). Von dem neukonstituierten Spezialkomitee erhoffte sich das SOK, zu schnelleren eigenen Entscheidungen zu kommen. Dies war auch bitter nötig, weil schließlich nur noch knapp ein Jahr Vorlaufzeit blieb.665 Die Hauptaufgabe des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf bestand zunächst darin, die Diskussionen über die Auswahl und Reihenfolge der Sportarten endgültig abzuschließen. Da die Mehrheit der Mitglieder augenscheinlich einen Militärtitel trug, somit dem gleichen Milieu entstammte und selbstverständlich gute nationale Wettkampfresultate (auch und besonders im Modernen Fünfkampf) anstrebte, sollte dies ein realistisches Ziel sein. In den kommenden Wochen wurden daher mehrere Sitzungen einberufen, um einen gemeinsamen Vorschlag zu erarbeiten. Erstaunlicherweise wollte das Spezialkomitee dennoch nicht allein über die Regeln des neuen Wettkampfs entscheiden und forderte die olympischen Komitees der fünf betroffenen Sportarten daher am 28. und
Kongress in Paris teil, befand sich also zum Zeitpunkt der Fotoaufnahme vor Ort ([o. A.], 1925, S. 162). Darüber hinaus zeigt das Foto den Freiherrn Oberst Sven David Alfred Hermelin (1856 – 1923), Balck, von Rosen und Gustaf G:son (Gustafsson) Uggla. 663 So waren Balck, Hellström, Uggla und Smedmark gleichzeitig im olympischen Komitee für Leichtathletik, Fick und Cnattingius im Fechtkomitee, Lewenhaupt im Reitsportkomitee, Taube und Carlberg im Schießkomitee sowie Bergvall, Wretman und Hellström im Schwimmkomitee (Ebd., S. 5 f). 664 Erik Carl Gabriel Oxenstierna war der Vater von Johan Gabriel Oxenstierna, dem späteren Sieger im Modernen Fünfkampf von 1932. 665 Es gab nur ein Spezialkomitee, das für Tauziehen, dass noch später, am 30. Oktober 2011, gegründet wurde. Anschließend gab es für alle 13 Sportarten einen eigenen Ausschuss. Im Einzelnen waren dies das Spezialkomitee für Fechten, Fußball, Leichtathletik, Moderner Fünfkampf, Radsport, Reitsport, Ringen, Rudern, Schießen, Segeln, Schwimmen, Tennis und Turnen (Molzberger, 2010, S. 68).
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29. April auf, möglichst bis zum 8. Mai Regeln und Bestimmungen für den Modernen Fünfkampf auszuarbeiten.666 Anlässlich der 14. IOC-Session, die vom 23. bis 27. Mai 1911 in Budapest stattfand,667 bestand erstmals Gelegenheit, die Vorarbeiten dem IOC vorzutragen. Mit den beiden IOC-Mitgliedern, Balck und von Rosen, sowie den Gästen Edström und Hellström waren insgesamt vier Schweden vor Ort. Um eine endgültige Entscheidung voranzutreiben, präsentierten Balck und von Rosen das vom Spezialkomitee erstellte vorläufige olympische Sportartenprogramm, das weiterhin einen Zehnkampf und zwei verschiedene Fünfkämpfe enthielt. Während das leichtathletische Pentathlon und Dekathlon ohne Änderungen übernommen wurden, enthielt der Moderne Fünfkampf zwar noch dieselben Sportarten wie in Luxemburg, doch wichen die Disziplinen und deren Wettkampfregularien teilweise von den dort gemachten Beschlüssen ab (vgl. Kap. 4.4.2).668 Wohlwissend, dass dieser Umstand zu Unfrieden mit dem IOC führen könnte, nahm Balck diesen Punkt bereits in seiner Eröffnungsrede vorweg. Er wies auf die Schwierigkeiten, alle Wünsche unter einen Hut zu bringen, hin und betonte, dass es allein das schwedische Organisationskomitee sei, dass »die Verantwortung für die Zusammensetzung des Programms und seine Umsetzung während der Spiele trage und dass es daher in dieser Angelegenheit konsequent Freiheit« haben müsse.669 Die erwarteten Dispute blieben trotzdem nicht aus. So endete die IOC-Session letztlich damit, dass der Moderne Fünfkampf zwecks Modifikationen an das schwedische Komitee zurückgegeben wurde. Dennoch waren nach diesem Treffen alle Zweifel daran, dass es nicht zur Einführung dieses Wettkampfs im olympischen Programm komme, innerhalb der beiden Komitees verschwunden. Coubertin beschrieb diesen für ihn besonderen Moment rückblickend in seinen M¦moires olympiques: »Je l’avais d¦j pr¦sent¦ au C.I.O. deux reprises et l’accueil avait ¦t¦ incompr¦hensif, presque hostile. Je n’avais pas insist¦. Cette fois, la grce de l’Esprit-Saint sportif ¦claira mes collÀgues et ils acceptÀrent une ¦preuve laquelle j’attachais une grande valeur : 666 Eine weitere Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf fand beispielsweise am 8. April 1911 statt. Am 28. April wurden das olympische Schieß-, Schwimm-, Fecht- und Leichtathletikkomitee angeschrieben; einen Tag später das Pferdesportkomitee. Beides in Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/ 730226). Riksarkivet Stockholm. 667 In Schormann (2005, S. 12) wird fälschlicherweise von der »13. IOC Session in Brüssel« berichtet. Die letzte (und bislang einzige) Session des IOC in Brüssel (1905) lag zu diesem Zeitpunkt allerdings schon sechs Jahre zurück und 1911 fand die 14. (und nicht die 13.) IOC Session statt (Sessions du CIO/IOC Sessions. In IOC, 2011, S. 56). 668 Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1911). ProcÀs-verbal. 14e Session Budapest, S. 14, 23. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne. 669 [o. A.] (1911b). Les travaux du Comit¦ Olympique Su¦dois, S. 100 f.
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v¦ritable sacrement de l’athlÀte complet, le Pentathlon moderne devait comprendre : une course pied, une course cheval, une course de natation, un assaut d’¦p¦e et finalement une ¦preuve de tir […]«670
Dass auch andere IOC- und SOK-Mitglieder an der Auswahl und Reihenfolge der fünf Sportarten mitgearbeitet hatten, ließ Coubertin aus. Er konzentrierte sich hingegen auf seinen Anteil daran und lenkte den Blick darauf, dass er den Wettkampf schon zweimal – während der IOC-Sessionen in Berlin und Luxemburg – vorgeschlagen habe. Seine These, dass ihm die Kollegen eine »feindselige Ablehnung« entgegengebracht hätten, kann nicht durch Quellenmaterial belegt werden. Doch gelang es ihm mit dem Aufbau dieses imaginären Feindbilds, die Notwendigkeit seiner aktiven Überzeugungsarbeit und damit seinen Eigenanteil an der Durchsetzung des Modernen Fünfkampfs hervorzuheben. Daneben veröffentlichte Coubertin die Ergebnisse der IOC-Session auch im Novemberheft 1911 der Revue Olympique. Als Schriftleiter nutzte er die Chance, sich erneut als Initiator des Modernen Fünfkampfs darzustellen: »Le programme des Jeux Olympiques de Stockholm comporte comme on le sait, un ›Pentathlon moderne‹. Cette ¦preuve due l’initiative du pr¦sident du Comit¦ International a ¦t¦ dot¦e par lui d’un challenge perp¦tuel.«671
Die von Coubertin in seinen M¦moires olympiques genannte Disziplinabfolge – Laufen, Reiten, Schwimmen, Fechten, Schießen672 – stimmt dabei weder mit der in Budapest vorgetragenen noch mit vergangenen oder zukünftigen Varianten überein. Möglicherweise waren die Sportarten an dieser Stelle in freier Reihenfolge aufgelistet; möglicherweise hatte Coubertin selbst auch den Überblick verloren. Denn zwischen Juni 1909 und Mai 1911 wechselten die Zusammensetzung des Modernen Fünfkampfs und die Reihenfolge seiner Disziplinen mehrfach (vgl. Tab. 2):
670 Coubertin (1931a) [1996]. M¦moires olympiques, S. 111 f. Übersetzung (nach Carl-DiemInstitut, 1996, S. 116): »Ich hatte ihn [den Modernen Fünfkampf] dem C.I.O. schon zweimal vorgeschlagen, aber eine unverständliche, fast feindselige Ablehnung erfahren. Darum bestand ich nicht weiter darauf. Aber diesmal erleuchtete die Gnade des sportlichen Geistes meine Kollegen und sie stimmten einem Wettbewerb zu, dem ich einen großen Wert beimaß. Der moderne Fünfkampf, eine wahre Weihe für den vollkommenen Athleten, sollte folgende Wettbewerbe in sich einschließen: Wettlauf, Pferderennen, Schwimmen, Degenfechten und schließlich eine Schießprüfung […].« 671 [Coubertin], 1911, S. 163. Übersetzung: »Das Programm der Olympischen Spiele von Stockholm enthält wie man sagt einen ›modernen Fünfkampf‹. Dieser Wettkampf wurde auf Initiative des Präsidenten des IOC mit einem ständigen Wanderpreis dotiert.« 672 Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 116.
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Tab. 2: Überblick über die Entwicklung der im Modernen Fünfkampf eingeschlossenen Sportarten und des Zeitplans für 1912673 Datum/Sitzung
Disziplinen und deren Reihenfolge (Person) 28. Mai-1. Juni 1909 IOCReiten-Laufen-SpringenSession in Berlin Schwimmen-Ringen/Schießen/ Fechten (Coubertin) 12. Juni 1910 IOCLaufen-Springen-SchwimmenSession in Luxemburg Reiten-Fechten (Coubertin) 13. Juni 1910 IOCReiten-Laufen-SchießenSession in Luxemburg Schwimmen-Fechten (Brunialti, Brunetta d’Usseaux) Fechten-Schwimmen-Reiten3. Dezember 1910 Sitzung Schießen-Laufen der fünf olympischen (Balck bzw. die Vertreter Komitees der fünf olympischen Komitees) 8. April 1911 Sitzung Schießen-Schwimmen-Fechtendes Spezialkomitees für Reiten-Laufen (Balck bzw. die Vertreter Modernen Fünfkampf des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf) 10. Juli 1911/17. April 1912 Schießen-Schwimmen-FechtenSitzung des Spezialkomitees Reiten-Laufen für Modernen Fünfkampf Schießen-Schwimmen-Fechten22. Juni 1912 Änderungen und Zusätze im Programm Reiten-Laufen (SOK)
Zeitplan k. A. k. A. k. A. 10.–14. Juli (1 Wettkampf pro Tag) 8.–11. Juli (Schießen und Schwimmen an 1 Tag) 7.–11. Juli (1 Wettkampf pro Tag) 7.–12. Juli 1912 (Fechten an 2 Tagen)
Während die Auswahl der Sportarten und die Festlegung ihrer Reihenfolge vergleichsweise lang dauerten, gelang eine Einigung in anderen Punkten zügiger. Dazu gehörte u. a. die Ermittlung des Gesamtsiegers: Es war unbestritten, dass dazu eine Punkteberechnung aller fünf Disziplinen herangezogen würde. Alternativ existierte für die Bestenbestimmung im Fünfkampf seit den 1890ern auch ein Eliminationssystem, bei dem die Teilnehmer sukzessive ausschieden und am Ende üblicherweise nur noch zwei um den Titel kämpften (vgl. Kap. 3.1.3).674 Dies 673 Die Tabelle fasst die Entwicklung der Auswahl und Reihenfolge der Sportarten sowie den jeweils eingeplanten Veranstaltungszeitraum zusammen. Sie dient ebenso als Basis für das kommende Kapitel (vgl. Kap. 4.4), das sich auf die Ausgestaltung der fünf Wettkampfregularien konzentriert. Die Informationen in der Tabelle stammen aus den jeweiligen IOC Meeting Minutes, den Sitzungsprotokollen des SOK und des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf sowie aus den Berichten in der Revue Olympique und aus Lyberg (1989). Balcks Fünfkampfvorschlag vom Juni 1909 führte letztlich eigentlich zum zweiten, dem »schwedischen« bzw. leichtathletischen, Pentathlon. Da die Disziplinen sich allerdings in dieser Anfangsphase stark ähnelten, ist er mit aufgeführt. 674 [o. A.] (1909a). Femkamp [Fünfkampf]. Riksförbundets Täflingsregler för allmän idrott
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machte vor allem dann Sinn, als das Ringen noch Schlussdisziplin war (vgl. Kap. 4.2.3). Nun in Stockholm sollten dagegen alle Athleten alle fünf Wettkämpfe absolvieren. Der Sieger in einer Teildisziplin erhielt einen Punkt, der Zweitplatzierte zwei Punkte etc. Ziel der Wettkämpfer war es somit, möglichst wenige Punkte zu sammeln. Bei Gleichstand sollte der Teilnehmer mit den meisten Einzelsiegen oder der besten relativen Platzierung gewinnen.675 Wären zwei oder mehr Athleten dann immer noch gleich auf, so würde der beste Moderne Fünfkämpfer über das Resultat in der letzten Disziplin, dem Laufen, ermittelt.676 Während sich die prinzipiellen Festlegungen mit mehr als zwei Jahren schon vergleichsweise lang hinzogen, gestaltete sich die Einigung auf die Wettkampfregularien der fünf Einzeldisziplinen noch schwieriger (vgl. Kap. 4.4). Die Verantwortlichen waren nicht bereit, einfach die vorhandenen Regeln der Individualwettkämpfe zu übernehmen, sondern strebten an, dem Modernen Fünfkampf einen eigenen besonderen Charakter zu verleihen. Sowohl intern innerhalb des Spezialkomitees als auch in den Verhandlungen mit dem IOC kamen Interessenskonflikte zutage, die nur schwierig miteinander vereinbar schienen.
4.4
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Parallel zu den allgemeinen Entscheidungen, die sich darum drehten, ob, wann und in welcher Reihenfolge die Sportarten des Modernen Fünfkampfs aufeinander folgen sollten, führten die verantwortlichen Sportfunktionäre Diskussionen über die Wettkampfregularien der fünf Disziplinen. Ziel war es, das Detailprogramm so festzulegen, dass alle Disziplinen gleich bedeutsam waren, »um den Modernen Fünfkampf zu einem Wettkampf von wirklich vielseitiger Bedeutung zu machen«.677 Zur Ausgestaltung der Wettkampfregularien war eine Abstimmung des IOC mit den lokalen Organisatoren notwendig. Denn nicht alle Ideen, die von Coubertin und dem IOC stammten, waren vor Ort in Stockholm umsetzbar. Diese Diskrepanzen zwischen Theorie und Praxis (vgl. Kap. 2.2) zeigten sich besonders deutlich in den Diskussionen der fünf einzelnen Wettkampfreglements. Dabei waren es weniger das IOC und das seit März 1911 agierende Spezialkojämte Svenska idrottsförbundets samtliga bestämmelser och förordningar. Stockholm: Björck & Börjesson, S. 36 f. 675 §4. Täflingsprogrammet: Modern Femkamp [Das Wettkampfprogramm: Moderner Fünfkampf]. Protokoll des Komitees für Modernen Fünfkampf. 8. April 1911, S. 4. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. Vgl. auch [Coubertin] (1911), S. 163; Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 645. 676 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 645. 677 Ebd., S. 640.
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mitee, die sich gegenüberstanden, sondern vielmehr einzelne Parteien innerhalb beider Vereinigungen. Auch die schon bestehenden Regelwerke und die Erfahrungswerte der jeweiligen Mutterdisziplinen übten Einfluss aus. Dass sich schließlich zusätzlich auch Außenstehende, wie der Vorsitzende des Schwedischen Sportverbands Leopold Englund (1868 – 1931), einbrachten, zeigt auf, wie umstritten das Thema war und wie schwierig es daher war, Konsens zu finden. Hinzu kam, dass Coubertin in Bezug auf den Modernen Fünfkampf feste Vorstellungen hatte, von denen er nur schwer abzubringen war. Dies verwundert umso mehr mit Blick auf Coubertins klare Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen dem IOC und den Vertretern der verschiedenen Sportarten: »Les membres du C.I.O. ¦taient des ›trustee de l’id¦e olympique‹ et avaient charge d’en impr¦gner les concours quadriennaux des Jeux; cela ne les rendait pas comp¦tents pour se substituer aux techniciens dans la conduite mÞme de ces concours. On avait de la peine comprendre cela hors du Comit¦ – et mÞme, parfois, dans son sein.«678
Schon zu Anfang der modernen olympischen Bewegung hatte er außerdem betont, dass es zur Festlegung von Regeln nützlich sein könnte, das Wissen und die Erfahrung aus dem Ausland heranzuziehen.679 Ob er seine eigene Meinung durchsetzen wollte oder auf die Vorschläge der Schweden einging, verriet gleichzeitig also auch, inwiefern er die Gastgeber als Fünfkampfexperten schätzte. Zumindest könnte er sich erhofft haben, dass diese der Mehrkampfidee offener gegenüberstünden und zudem kompetenter in der Umsetzung als andere Nationen wären. So war es möglicherweise also kein Zufall, dass er Schweden als Gastland für die Einführung neuer olympischer Fünfkampfe auswählte (vgl. Kap. 3.1, 3.2.2). Aufgeteilt nach den fünf Disziplinen des Modernen Fünfkampfs von 1912 werden im Folgenden die Debatten über die einzelnen Wettkampfregularien dargestellt. In den zwei Jahren zwischen Juni 1910 und Juni 1912 brachten einzelne Mitglieder Änderungsvorschläge ein, die teils unproblematisch angenommen wurden, teils Ausgangspunkt langwieriger Diskussionen waren. Während die Beteiligten im Schießen, Schwimmen, Fechten und Laufen vergleichsweise schnell zu einstimmigen Ergebnissen fanden, entwickelte sich das Reiten zunehmend zum Problemfall. 678 Coubertin (1931a) [1996]. M¦moires olympiques, S. 72. Übersetzung (nach Carl-DiemInstitut, 1996, S. 78): »Die Mitglieder des CIO waren ›Treuhänder des olympischen Gedankens‹ und sollten ihn in den alle vier Jahre stattfindenden Wettbewerben der Spiele pflegen und hochalten. Das machte sie aber nicht zuständig, den Technikern in der Führung dieser Wettbewerbe ins Handwerk zu pfuschen. Man konnte das nur schwer außerhalb des Komitees verstehen – und bisweilen begriffen es selbst seine Mitglieder nicht.« 679 S¦ance du 19 Juin 1894. Commission des Jeux Olympiques (Hrsg.). (1894). ProcÀs-verbal. 1er Session Paris, S. 3. IOC Meeting Minutes. IOC Archives Lausanne.
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4.4.1 Schießen, Schwimmen, Fechten und Laufen: Diskussionen und einstimmige Beschlüsse Mit Oberst Taube und Leutnant Carlberg war das Schießen ganz in militärischer Hand. Diese Ausrichtung spiegelte sich auch im Reglement wider: Die Zielscheibe war eine 1,70 Meter hohe und max. einen halben Meter breite volle Mannscheibe, die der damals durchschnittlichen Körperlänge eines Mannes nachempfunden war (vgl. Abb. 4). Zur Wertung war die Figur in zehn Zonen eingeteilt; traf man die Mitte bzw. das Herz des Körpers, versprach dies die Höchstpunktzahl (10 Punkte). Entscheidend war dabei die äußere Begrenzung des Einschusslochs. Sofern zwischen zwei oder mehr Teilnehmern Gleichstand herrschte, musste die ganze Serie erneut geschossen werden, bis ein Mann sich schließlich als Bester herausstellte.680
Abb. 4: Die Zielscheibe im Schießwettbewerb des Modernen Fünfkampfs 1912681
680 Ebd., S. 645. 681 Quelle: Ebd., S. 1049 (Ó CIO).
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Zwischen jedem Schuss gab es eine zehnsekündige Pause, die das Nachladen für Wettkämpfer erlaubte, die keine automatischen Pistolen nutzten. Die Wahl der Waffe ließ man den Athleten nämlich offen. Die einzige Einschränkung bestand darin, dass der Revolver oder die Pistole in einer Hand gehalten werden musste.682 Insgesamt 20 Schüsse sollten in 4 Serien 5 abgegeben werden, wobei die Teilnehmer zuvor zwei Probeschüsse abfeuern durften.683 Letzteres war genauso wie die Verwendung von Soldatenfiguren als Zielscheibe im Sportschießen nicht ungewöhnlich, so dass sich das Schießen im Modernen Fünfkampf also wenig von der Individualsportart unterschied.684 Das Schießen gehörte eigentlich nicht zu den Disziplinen, die Coubertin in seinem ersten Entwurf von 1909 fest eingeplant hatte. Es war in seinen Augen neben dem Fechten lediglich eine mögliche Alternative zum Ringen (vgl. Tab. 2, Kap. 4.3.2). Als sich das Schießen jedoch angeregt von dem italienischen Nobelmann Brunetta d’Usseaux in Luxemburg 1910 gegen das Springen durchsetzte, stellte sich Coubertin nicht gegen den Wunsch der IOC-Mitglieder. Auch mit dem SOK fand er im Anschluss relativ schnell zu einstimmigen Festlegungen. Am 3. Dezember 1910 präsentierte Taube, der Präsident des olympischen Komitees für Schießsport, einen ersten Entwurf: Das Schießen im Modernen Fünfkampf sollte demnach ein Duellschießen mit freier Waffenwahl sein, bei dem in 20 Meter Abstand auf ein verschwindendes Ziel (die Figur sollte 3 Sekunden lang sichtbar sein) geschossen würde.685 Wenige Monate später wurde Taube zusammen mit Carlberg in das Spezialkomitee für Modernen Fünfkampf gewählt (vgl. Kap. 4.3.2).686 Dies bestätigte ihn in seiner Zuständigkeit und spiegelte gleichzeitig wider, dass die übrigen Mitglieder offensichtlich mit seiner bisherigen Arbeit zufrieden waren, ihn als Schießexperten würdigten. Seine Vorschläge wurden prinzipiell nie angefochten, weder von seinen Kollegen im Spezialkomitee noch von den üblicherweise kritisch agierenden IOC-Mitgliedern. Am 5. April 1911 setzte Taube selbst eine
682 Ebd., S. 641 f, 645. 683 Ebd. Vgl. auch den Brief von Hellström an Carlberg. 20. Juni 1911. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 684 Auch im olympischen Pistolenschießen fanden volle Mannscheiben Verwendung (Bergvall/ Swedish Olympic Committee, 1913, S. 701, 1062). 685 §2 Den moderna femkampens underafdelningar [Die Unterteilung des Modernen Fünfkampfs]. 3. Dezember 1910. Protokoll des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf, S. 1. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/ 730226). Riksarkivet Stockholm. 686 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 646. Smedmark besaß im Gegensatz zu den meisten anderen Mitgliedern keinen Militärtitel. Stattdessen wurde er mit »Esq.«, das für »Esquire«, übersetzt einen »Hochwohlgeborenen«, steht, näher bezeichnet. Bergvall und Wretman trugen diesen Titel ebenso anstelle eines Militärrangs.
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Änderung durch, den Abstand zur Zielscheibe um 5 Meter zu erweitern.687 Dies war auf die Bemühungen zurückzuführen, den Schwierigkeitsgrad der fünf Disziplinen allgemein anzugleichen.688 Das Ziel dieser Bestimmung bestand darin, dass ein guter Schütze beispielsweise nicht gegenüber einem guten Schwimmer im Modernen Fünfkampf bevorteilt war. Dazu versuchten die Veranstalter, zwischen den Disziplinen, die körperliche Stärke und jenen, die Konzentration, Technik und Geschick erforderten, zu vermitteln.689 Im Gegensatz zum Schießen war das Schwimmen schon seit der IOC-Session in Berlin 1909 eingeplant. Sowohl Balck als auch Coubertin führten das Schwimmen als Disziplin ihrer Fünfkämpfe auf. Aus ersterem Vorschlag entwickelte sich das »schwedische« Pentathlon, wobei das Schwimmen letztlich gestrichen und durch eine weitere leichtathletische Disziplin ersetzt wurde; aus letzterem erwuchs der Moderne Fünfkampf, der nach wie vor Schwimmen einschloss (vgl. Tab. 1, Kap. 4.3.1; Tab. 2, Kap. 4.3.2). Als Vertreter des olympischen Komitees für Schwimmsport und später ebenso des Schwimmens im Spezialkomitee für Modernen Fünfkampf hielt Bergvall eine Strecke von 300 Metern Freistil für angemessen.690 Warum entschied sich Bergvall nicht für die im Individualwettkampf angesetzten 400 Meter?691 Vermutlich wollte er der Tatsache gerecht werden, dass Moderne Fünfkampfer keine Spezialisten waren, indem er die Strecke verkürzte und somit vermeintlich erleichterte. Möglicherweise zählten aber auch das Geländereiten und das Laufen schon als Ausdauersdisziplinen, so dass die Teilnehmer im Schwimmen nicht ebenso über eine längere Distanz gehen sollten. 300 Meter galten nämlich als Mittelweg zwischen »Kraft und Ausdauer«.692 Obwohl es diese Schwimmstrecke in der Muttersportart also nicht gab, wurde Bergvalls Vorschlag in der Vorbereitungszeit nie angezweifelt. Die Organisatoren hielten daher an den geplanten 300 Metern Freistil ohne Änderung bis zu den Olympischen Spielen fest.693 Organisatorisch gesehen sollten die Fünfkämpfer in
687 §4 Täflingsprogrammet: Skytte [Das Wettkampfprogramm: Schießen]. 8. April 1911. Protokoll des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf, S. 4. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 688 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 641. 689 Ebd., S. 640. 690 §2 Den moderna femkampens underafdelningar [Die Unterteilung des Modernen Fünfkampfs]. 3. Dezember 1910. Protokoll des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf, S. 1. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/ 730226). Riksarkivet Stockholm. 691 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 713. 692 Ebd., S. 642. 693 §4 Täfingsprogrammet: Simning [Das Wettkampfprogramm: Schwimmen]. 8. April 1911. Protokoll der Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf, S. 4. Kommitt¦ns för
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je einem Ausscheidungskampf im Schwimmen antreten. Dabei gab es kein Finale; der Sieger wurde ausschließlich über die Zeit ermittelt.694 Erreichten dabei zwei oder mehr Athleten gleiche Resultate, wurde kein Stechen organisiert, sondern diese erhielten gleichviele Punkte, wobei entsprechend viele nachfolgende Rangplätze freigelassen wurden.695 Diese Regelung galt prinzipiell für alle Disziplinen des Modernen Fünfkampfs, die über eine Zeitmessung bestimmt wurden, d. h. neben dem Schwimmen auch für das Laufen und Reiten.696 Das Fechten führte Coubertin zunächst, ähnlich wie das Schießen, lediglich als Alternative zum Ringen auf (vgl. Tab. 2, Kap. 4.3.2). Nichts desto trotz stand es schon 1910 (noch vor dem Schießen) als eine der fünf Disziplinen des Modernen Fünfkampfs fest. Dies überrascht nur wenig, waren Coubertin und Balck doch beide begeisterte Fechter (vgl. Kap. 2.1.3, 3.3.1). Die Diskussionen über die Ausgestaltung der Wettkampfregularien starteten mit dem ersten Entwurf des SOK im Dezember 1910. Hauptmann Fick, der Vertreter des olympischen Komitees für Fechten und später ebenso des Fechtens im Spezialkomitee für Modernen Fünfkampf, plädierte für die freie Waffenwahl. Die Teilnehmer sollten zwischen Degen, Säbel und Bajonett auswählen dürfen.697 Dies war eine äußerst ungewöhnliche Idee, waren doch mit den unterschiedlichen Waffen nicht nur differierende Techniken, sondern auch abweichende Regeln und Trefferwertungen verbunden. Zwar trainierten die Fechter häufig mit allen Waffen, doch traten sie auf hohem Leistungsniveau typischerweise nur in einer Disziplin an. Coubertin selbst hielt sich in den Debatten um die Auswahl der geeigneten Waffe(n) zurück. Dies mag damit zusammenhängen, dass er keine Waffe favorisierte und gerade den Wechsel zwischen verschiedenen Fechtdisziplinen für fruchtbar hielt. Das Gefecht der D¦brouillards sah beispielsweise vor, die Art der Waffe zuzulosen (vgl. Kap. 2.1.3).698 In seiner Anleitung für den Unterricht der Gymnastique utilitaire wechselte er entsprechend im Laufe der Ausbildung zwischen Florett-, Degen- und Säbelfechten (zu Fuß und später auch zu Pferd).699 Daneben schlug er für den zweiten Jahrgang ein »Degen- und Säbelgefecht, mit Beurteilung« vor. Dessen Regularien kommen Ficks Vorschlag relativ nah, weil
694 695 696 697
698 699
modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 642, 645. Gab es beispielsweise zwei erste Plätze im Schwimmen, sollten diese beiden Athleten je einen Punkt erhalten, während der nächstschnellste Schwimmer drei Punkte (nicht zwei) erhielt. Ebd., S. 645. §2 Den moderna femkampens underafdelningar [Die Unterteilung des Modernen Fünfkampfs]. 3. Dezember 1910. Protokoll des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf, S. 1. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/ 730226). Riksarkivet Stockholm. [Coubertin], 1906c, S. 42. »X. Stundeneinteilung«. Coubertin (1905). Deutsche Übersetzung von 1906, S. 40 ff.
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die zugelosten Gegner sich auch dort vorab auf eine Waffe (Degen oder Säbel) einigen mussten.700 Das Bajonettfechten fand in Coubertins Lehrplan allerdings keine Erwähnung. Es war zu jener Zeit ohnehin ausschließlich in Militärkreisen, jedoch nicht in Sportkreisen, üblich.701 Frankreichs Militärschulen betrieben diese Disziplin beispielsweise »mit großem Eifer«.702 Auch in Schweden fand das Bajonettfechten als Kriegsvorbereitung der Infanteriesoldaten Verbreitung.703 Im Vergleich zu den übrigen Fechtformen wurde das Bajonettfechten allerdings seltener von Offizieren, doch umso häufiger von gemeinen Soldaten betrieben. Daher hätte es eigentlich Coubertins Bestreben nach sozialer Demokratisierung unterstützen können (vgl. Kap. 2.2.2). Dies mag dazu beigetragen haben, dass sich Coubertin nicht gegen die Einbeziehung des Bajonettfechtens wehrte, obwohl der Moderne Fünfkampf mit dieser Wahl ausschließlich militärisch ausgerichtet gewesen wäre. Da Fick selbst Hauptmann war, lag sein Vorschlag, eine militärische Disziplin in den Modernen Fünfkampf einzubinden, also nahe. Fick begründete das angebotene Waffenspektrum jedoch nicht. Ebenso ging er nicht darauf ein, warum das Florettfechten, das wie das Degen- und Säbelfechten 1912 olympisch war, für ihn keine Alternative im Modernen Fünfkampf darstellte. Möglicherweise war Florett international gesehen weniger anerkannt; vier Jahre zuvor in London hatte es (im Gegensatz zu Athen 1906) lediglich als Schauwettkampf stattgefunden.704 Im Bericht der Olympischen Spiele von 1908 war dies folgendermaßen begründet: »The Committee of the A.F.A. [Amateur Fencing Association] decided that the rules and conventions of foil-play rendered that weapon unsuitable for international competition. To base decisions purely on the hits scored encourages a degraded form of foilplay, and the differences of style in so many nations would have made it an invidious matter to take form into consideration.«705
Gegen das Florettfechten sprach auch, dass es sich nicht um »die Waffe eines eigentlichen Konflikts« handelte, sondern vielmehr um ein »klassisches Symbol 700 Ebd., S. 42. 701 Bajonettfechten war Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in den europäischen Armeen verbreitet. Die Herausgabe unterschiedlicher Militärvorschriften zum Bajonettfechten, hauptsächlich durch leitende Offiziere, spiegelt dies wieder. Beispielhaft werden an dieser Stelle je zwei Werke aus Frankreich, Schweden und Deutschland genannt. Vgl. für Frankreich z. B. Selmnitz, 1840; Gaston, 1910; vgl. für Schweden z. B. Törngren, 1882; Stiernswärd, 1843; vgl. für Deutschland z. B. Preußisches Kriegsministerium, 1876; [o. A.] (1906a). [o. T.]. Militär-Wochenblatt, S. xlix. 702 [o. A.], 1834, S. 15. 703 Vgl. z. B. Törngren, 1882; Stiernswärd, 1843. 704 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 457. 705 Cook, 1908, S. 170, vgl. auch S. 127.
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für Unterricht und Verfeinerung in der Fechtkunst«706 und damit um ein Übungswerkzeug. Coubertin hob dabei das Florettfechten als die Sportart hervor, »die am meisten ›Verhaltenheit‹ im Arm, in der Hand und selbst in den Beinen« erfordere.707 Degen und Säbel waren dagegen Duellwaffen, die auf echte Kampfsituationen, d. h. auf einen Zweikampf, der den Tod oder zumindest die Kampfunfähigkeit eines Duellanten bedeuteten konnte, vorbereiteten. Im klassischen Fechten wurden solche Disziplinen, die auch im Ernstfall einsetzbar waren mehr wertgeschätzt. Dass sich Offiziere (und andere Angehörige der oberen Gesellschaftsschichten), wenn es darauf ankam, mit der Waffe verteidigen konnten, war auch eine Frage der Ehre. Diese Tradition setzte sich auch dann fort, als das Duell, der so genannte »Krieg en miniature«, im frühen 20. Jahrhundert zunehmend per Gesetz verboten wurde (Hanisch, 2005, S. 22). Der italienische Fechtmeister Luigi Barbasetti (1859 – 1948) brachte die Unterschiede zwischen dem Degenund Florettfechten auf den Punkt: »[…] Daraus resultiert aber nothwendigerweise [sic!], dass das Stossen mit dem »Fleuret« [französisches Florett] zuviel Conventionelles [sic!] an sich hat, um als eigentliches Fechten in ernstem Sinne betrachtet werden zukönnen [sic!]. Es ist vielmehr ein schöner Sport, eine gesunde Körperbewegung und eine gute Vorschule für das eigentliche Degenfechten […].«708
Die Degenfechter traten demnach typischerweise selbstbewusst gegenüber den anderen Disziplinen auf, insbesondere in ihren Versuchen, das traditionelle Florettfechten, zu verdrängen.709 Dennoch nahm das schwedische Komitee Florettfechten wieder als Individualsportart in das Programm für 1912 auf.710 Abgesehen von den Problemen in der Festlegung auf drei Waffen erschien auch das komplette System der Auswahlmöglichkeit fragwürdig. Im offiziellen olympischen Bericht von 1912 hieß es zwar, dass beide Systeme (freie Wahl und Festlegung der Waffe) »ihre Vor- und Nachteile« hätten, doch wurden diese nicht im Einzelnen aufgeführt. Dass die Bewertung der Wettkampfresultate bei freier Waffenwahl »ernsthafte Schwierigkeiten« mit sich bringen würde, war allerdings offensichtlich.711 Dieses Argument führte letztlich auch dazu, dass sich die schwedischen Fechtspezialisten entschieden, nur eine der von Fick genannten Waffen für das Fechten auszuwählen. Doch welche? Das Bajonettfechten war 706 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 466. 707 Coubertin (1901a). Notes sur l’¦ducation publique. Übersetzt in Hoyer, 1972, S. 109. 708 Barbasetti (1900) kritisiert damit gleichzeitig die französische Schule der Fechtkunst, die mit der italienischen konkurrierte, und vergleichsweise größere Unterschiede zwischen Florett und Degen aufwies. 709 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 456, 466. 710 Ebd., S. 456 f. 711 Ebd., S. 642.
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unter den genannten Disziplinen am wenigsten verbreitet, so dass die Entscheidung zwischen Degen und Säbel fallen sollte.712 Das Fechtkomitee kam zur endgültigen Festlegung am 5. April 1911 mit dem Spezialkomitee für Modernen Fünfkampf zusammen. Obwohl durchaus Sympathien für das Säbelfechten kursierten, setzte sich das Degenfechten durch.713 Die Entscheidung blieb unbegründet, so dass über die Motive nur gemutmaßt werden kann.714 Nach einem schwedischen Presseartikel schienen die Argumente auf der Hand zu liegen: Die Waffe des internationalen Wettkampfs sei der Degen und nicht das Bajonett oder der Säbel. Die vorher diskutierte freie Waffenwahl sei dagegen »höchst unangemessen« und ließe die Beurteilung im Fechten »komisch werden«.715 Es würden »Kombinationen und Situationen von sowohl lächerlicher als auch unbehaglicher Natur entstehen«, wenn die Athleten Mann gegen Mann anträten. Die Begründung sei entsprechend offensichtlich: »Was gibt es also für Gründe nicht auch in diesem Fall den Degen als einzige Waffe zu bestimmen? Wahrscheinlich keine!«716 Florett- und Säbelfechten hatten zwar die längere olympische Tradition – sie waren im Vergleich zum Degenfechten, das 1900 olympisch wurde, schon vier Jahre zuvor im Programm gewesen –, doch war das Degenfechten in den letzten zwei Jahrzehnten (vor 1912) zur erfolgreichsten Fechtdisziplin aufgestiegen: »[…] with much grandesse it has compelled the foil to yield its pride of place, and has quite won the favour of the public.«717 Daher waren vergleichsweise mehr Teilnehmer und Zuschauer als in den übrigen Waffenarten zu erwarten, was für eine neue Sportart wie den Modernen Fünfkampf im Hinblick auf den zukünftigen Verbleib im olympischen Programm wichtig war. Daneben sollte die Wahl des Degens auch Coubertin, der sich in den Diskussionen über die Fechtregularien allerdings zurückhielt, gefallen haben. Wirft man nämlich einen genauen Blick auf das Foto, das ihn mit Pferd und Fechtwaffe zeigt, so erkennt 712 Ebd. 713 §4 Täfingsprogrammet: Fäktning [Das Wettkampfprogramm: Fechten]. 8. April 1911. Protokoll der Sitzung des Komitees für Modernen Fünfkampf, S. 2. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 714 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 642. 715 Lord Kempshall. Den moderna femkampen vid Olympiska spelen. Skall svenska staten ställa hästar till förfogande? [Soll die schwedische Regierung Pferde zur Verfügung stellen?]. 4. Juni 1911. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. Über Lord Kempshall konnte ich nicht Näheres in Erfahrung bringen; vermutlich handelt es sich um ein Pseudonym eines offenkundig aristokratischen Autors. Rooney Magnusson hält es zudem für möglich, dass sich hinter Lord Kempshall in Wahrheit Clarence von Rosen versteckt (vgl. private E-Mail vom 30. Januar 2012). 716 Ebd. 717 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 468.
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man, dass es sich um einen Degen handelte (vgl. Abb. 1, Kap. 2.1.3). Nicht zuletzt brachte das Degenfechten auch für die schwedischen Gastgeber Vorteile. Sie versprachen sich größere nationale Erfolge, weil das Degenfechten in Stockholm im Gegensatz zum Säbelfechten nicht nach italienischen, sondern nach französischen Regeln, organisiert war, und Schweden neben anderen skandinavischen Ländern sowie Großbritannien, Russland, Nord- und Südamerika unter dem Einfluss der französischen Schule stand.718 Nachdem die Waffe für das Fechten im Modernen Fünfkampf damit ausgewählt war, gab es keine weiteren Diskussionspunkte. Die restlichen Regularien wurden aus der Mutterdisziplin übernommen, in der heftige Debatten, u. a. über die Länge der Klingen und in Verbindung dazu über die Griffart, geführt wurden. Im Hinblick auf die lange Tradition dieser Sportart verwundert es, dass verschiedene Nationen weiterhin nicht zu einstimmigen Regeln gefunden hatten.719 Dass die F¦d¦ration Internationale d’Escrime (FIE) erst 1913, also nach den Spielen von Stockholm, gegründet wurde, trug ihren Teil zu den ausgetragenen Machtrivalitäten bei. Aus dieser Sicht wird verständlich, wie viel mehr Diskussionsbedarf erst bei einer neuen Sportart bestand, die ebenfalls ohne Verband agierte und dabei fünf einzelne Disziplinen einschloss. Der Sieger im Fechten des Modernen Fünfkampfs sollte über die Anzahl seiner Treffer (»best of five«) bestimmt werden. Bei Gleichstand musste ein weiteres Entscheidungsgefecht auf einen Treffer hin ausgetragen werden.720 Ebenso wenig umstritten wie die Siegerermittlung war der aus heutiger Sicht ungewöhnlich anmutende Ort, an dem die Gefechte (sowohl im Modernen Fünfkampf als auch im Degenfechten) stattfinden sollten, nämlich im Freien auf ebenem Grund statt drinnen auf Holz- oder Teppichboden. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass bei widrigen Wetterbedingungen eine Überdachung möglich war, die das nahtlose Fortsetzen des Wettkampfs ermöglichte. Die neuen Außentennisplätze eigneten sich vom Untergrund her optimal, doch setzten sie ausbleibenden Niederschlag voraus.721 Im Freien, und damit den Wetterbedingungen ausgesetzt, war auch das abschließende Laufen. Die Diskussionen drehten sich in der Planungsphase hauptsächlich um den Streckenverlauf und die Distanz. Auf der IOC-Session in Luxemburg im Juni 1910 betonte der Italiener Attilio Brunialti, dass er den Lauf durch einen Hindernisparcours dem auf einer normalen flachen Bahn vorziehe.722 Damit wären allerdings nicht nur ein höherer Schwierigkeitsgrad für die 718 719 720 721 722
Ebd., S. 457, 467, 473. Ebd., S. 456. Ebd., S. 645. Ebd., S. 462, 642. IIIe s¦ance. 12. Juni 1910. Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1910). ProcÀs-verbal. 13e Session Luxembourg, S. 26 f. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne.
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teilnehmenden Athleten, sondern auch zusätzliche organisatorische Anforderungen verbunden. Am 25. Juni 1910 standen daher die organisatorischen Konsequenzen im Mittelpunkt der Planungsüberlegungen des SOK. Die Mitglieder zogen u. a. den Bau von Wassergräben im Stadion in Erwägung.723 Als Vertreter des Komitees für Leichtathletik bestätigte Balck ein halbes Jahr später, dass der Moderne Fünfkampf trotz Mehraufwand einen Hindernislauf über 3000 Meter beinhalten sollte.724 Der Vorteil wurde vor allem in der Verbindung von Springen und Laufen in einem Wettkampf gesehen.725 Erst in der Vorbereitungszeit auf die IOC-Session in Budapest äußerte Uggla, der Vertreter der Leichtathletik innerhalb des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf, Bedenken. Er riet dazu, keinen Hindernislauf über 3000 Meter im Stadion, sondern stattdessen einen Geländelauf über die doppelte Distanz (mit Start und Ziel im Stadion) einzuplanen.726 Er führte keine Begründung an, doch war das Abstecken einer Laufstrecke im Gelände sicherlich mit weniger organisatorischem Aufwand verbunden als ein Hindernislauf. Das Spezialkomitee stimmte dem Vorschlag direkt zu. Diese Nachricht dürfte zumindest für die US-Amerikaner überraschend gekommen sein. Denn einen Monat zuvor hatte die New York Times noch hervorgehoben, dass der Hindernislauf zwar aus dem Leichtathletikprogramm gestrichen sei, aber Teil des Modernen Fünfkampfs würde.727 Beim Aufeinandertreffen von SOK und IOC anlässlich der Session in Budapest wurde die Idee eines Geländelaufs allgemein neutral angenommen. Brunialti, der ursprünglich den Hindernislauf vorgeschlagen hatte, war nicht anwesend.728 Von ihm waren also diesbezüglich kein Widerspruch und keine weiteren Änderungswünsche zu erwarten. Hochwürden Robert Courcy de Laf-
723 §9 Vattengrafs anläggande i Stadion [Der Bau von Wassergräben im Stadion]. Protokoll der Sitzung des SOK. 25. Juni 1910, S. 3. Nr. 1 ProcÀs-verbaux du Comit¦ d’Organisation de Jeux Olympiques de Stockholm 1912, 1908 – 1913. CIO JO-1912S – MICRO: Microfilms des archives du COJO des Jeux Olympiques d’¦t¦ de Stockholm 1912: correspondance, procÀsverbaux, formulaires et r¦sultats, 1908 – 1913, ID 46582, 9919. Mikrofiches: MI-1/ JO-1912 S – Microfilms – Archives COJO – 9919. IOC Archiv Lausanne. 724 §2 Den moderna femkampens underafdelningar [Die Unterteilung des Modernen Fünfkampfs]. 3. Dezember 1910. Protokoll des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf, S. 1. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/ 730226). Riksarkivet Stockholm. 725 [o. A.] (1910d). [o. T.]. Ny Tidning för idrott, 16. Juli. 726 §4 Täflingsprogrammet: Allmän Idrott [Das Wettkampfprogramm: Leichtathletik]. 8. April 1911. Protokoll der Sitzung des Komitees für Modernen Fünfkampf, S. 2. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/ RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 727 [o. A.] (1911a). Curtail Events in Olympic Games. 728 Session am 26. Mai 1911. Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1911). ProcÀs-verbal. 14e Session Budapest, S. 32. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne.
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fan, der Sekretär der BOA,729 regte allerdings an, die Strecke auf maximal 3000 Meter zu kürzen.730 Dies erstaunt, weil die US-Amerikaner 8000 Meter für die Einzelsportart Geländelauf als sehr kurze Distanz beurteilten.731 Dass schon 6000 Meter für den Modernen Fünfkampf zu lang seien, begründete Laffan allerdings damit, dass der Zweck des Modernen Fünfkampfs die Entwicklung und Förderung der durchschnittlichen Leistung jedes Mannes und nicht die Spezialisierung sei.732 6000 Meter sah er demnach im Vergleich zu kürzeren Strecken als trainingsaufwendiger an, womit er dem allgemeinen trainingswissenschaftlichen Kenntnisstand dieser Zeit entsprach. Schon kurz darauf, auf der Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf am 13. Juni 1911, kamen die schwedischen Organisatoren Laffans Wunsch entgegen, indem sie die Strecke auf 4000 Meter festlegten. Start und Ziel sollten nach wie vor im Stadion liegen. Außerdem hielt die Versammlung fest, dass in Intervallen von einer Minute gestartet werden sollte,733 um die Idee eines Individualwettkampfs deutlicher hervorzuheben. Dies sollte den Geländelauf im Modernen Fünfkampf auch vom Geländelauf als leichtathletische Sportart unterscheiden.734 Letzterer fand in Stockholm über eine Strecke von 12.000 Metern statt (Kluge, 1997, S. 308 f). In beiden Geländeläufen wurde der Sieger ausschließlich über die Zeit bestimmt.735 Ein unterhaltsames Detail ist zudem, dass das Terrain mithilfe weißer und roter Bänder abgesteckt wurde, nachdem die Organisatoren von einem der späteren Teilnehmer, Leutnant Gösta Lilliehöök, im Vorfeld erfahren hatten, dass mehrere der Athleten farbenblind waren.736 Im offiziellen olympischen Bericht von 1912 hieß es später, dass die Wahl auf 729 Laffan war 1905 einer der Gründungsvater der BOA und ihr Sekretär von Beginn an bis zu seinem Tod (Anthony, 1997, S. 20). 730 Session am 25. Mai 1911. Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1911). ProcÀs-verbal. 14e Session Budapest, S. 24. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne. 731 [o. A.] (1911a). Curtail Events in Olympic Games. 732 Modern Femkamp [Moderner Fünfkampf]. 13. Juni 1911. Utdrag ur rapport med stöd af stenografiska anteckningar fran Internationella Olympiska Komitt¦ns Kongress i Budapest den 23 – 27 Maj 1911 [Auszüge aus dem Bericht mit der Unterstützung der stenographischen Notizen aus dem Kongress des Internationalen Olympischen Komitees in Budapest am 23.–27. Mai 1911], S. 1. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 733 §4 Täflingsprogrammet: Allmän Idrott [Das Wettkampfprogramm: Leichtathletik]. 13. Juni 1911. Protokoll der Sitzung des Komitees für Modernen Fünfkampf, S. 2. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/ 730226). Riksarkivet Stockholm. Vgl. auch [Coubertin] (1911), S. 163. 734 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 644. 735 Ebd., S. 645. 736 Brief von Gösta Lilliehöök [Adressat unbekannt]. 29. Oktober 1911 und §5 Terränglöpning [Geländelauf]. 19. Januar 1912. Protokoll der Sitzung des Komitees für Modernen Fünfkampf, S. 3. Beides in Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
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den Geländelauf fiel, weil er dem »speziellen Charakter des Modernen Fünfkampfs« am besten gerecht würde: eine vage Aussage. Vermutlich gaben die Veranstalter dem Geländelauf neben den organisatorischen Erleichterungen auch deshalb den Vorzug, weil er im Vergleich zum Hindernislauf die natürlichere Variante war und zudem in schwedischen Militärkreisen – sofern dies mit dem »speziellen Charakter« gemeint war – größere Verbreitung erlang hatte.737 Auch das Reiten, das in der Vorbereitungszeit bei Weitem am meisten Schwierigkeiten bereitete, sollte im Gelände stattfinden.
4.4.2 Reiten: Aufeinandertreffen konträrer Meinungen und Übereinkunft Seit der IOC-Session von Berlin 1909 war das Reiten als Disziplin des Modernen Fünfkampfs im Gespräch. Obwohl es damit schon ebenso früh wie andere für 1912 eingeplante Sportarten diskutiert wurde, dauerte es vergleichsweise länger, Einigung zu erzielen. Die Dispute waren dabei zeitweise so heftig, dass die Veranstalter in Erwägung zogen, das Reiten gänzlich zu streichen und durch eine andere Disziplin zu ersetzen. Ausgangspunkt aller Debatten war der aristokratische Charakter des Reitens, der, mehr noch als das Fechten, sozialen Ausschluss bedeutete. Es bestand daher die Gefahr, dass der Moderne Fünfkampf nur Teilnehmer anzog, die das entsprechende Kleingeld mitbrachten. Dies nahmen einige der Verantwortlichen positiv auf, andere hielten es wiederum für untragbar und konträr zu der angestrebten demokratischen Ausrichtung des Mehrkampfs. Auf der IOC-Session in Luxemburg im Juni 1910 stand zwar noch die Disziplinauswahl im Vordergrund, doch machten sich die IOC-Mitglieder hier bereits Gedanken über das Detailreglement des Reitens. Sie entschieden, dass vorzugsweise gesattelte Pferden bereitgestellt werden sollten und unterstrichen damit den Unterschied zum »gewöhnlichen Reitsport«, in dem es selbstverständlich war, dass die Reiter selbst ihre Pferde mitbrachten.738 Als Reaktion auf die Anregungen in Luxemburg arbeitete das olympische Komitee für Reitsport in den kommenden Monaten weitere Regularien für das Reiten im Modernen Fünfkampf aus. So empfahl es in einem Schreiben an das SOK am 22. November 1910 ein Punkt-zu-Punkt-System über ein abgestecktes Gelände von 3000 Me737 Eng mit dem Geländelauf verwandt ist auch der Orientierungslauf, der sich Anfang des 20. Jahrhunderts von Skandinavien aus verbreitete und einem Geländelauf mit Landkarte und Kompass zur Ermittlung der optimalen Route entspricht (Lascaud, 2004). 738 Zudem galt es als selbstverständlich, dass die olympischen Reiter einen Militärrang trugen. Da dies in der Vorbereitungszeit auf den Modernen Fünfkampf 1912 nicht diskutiert wurde, wird das Thema erst in Kapitel 5.2.3 aufgegriffen. Ve s¦ance. 13. Juni 1910. Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1910). ProcÀs-verbal. 13e Session Luxembourg, S. 41.
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tern.739 Die Fähigkeiten von Reiter und Pferd würden so am besten getestet.740 Noch im selben Jahr, am 3. Dezember, bestätigte der Präsident des olympischen Reitsportkomitees Oxenstierna sowohl das vorgeschlagene Punktesystem als auch die Renndistanz von 3000 Metern.741 Während der letztgenannte Aspekt auf keinen Widerstand traf, bereitete die Frage, ob Pferde mitgebracht oder vor Ort bereitgestellt werden sollten, den Organisatoren große Sorge. Coubertin bestand darauf, den Modernen Fünfkämpfern unbekannte Pferde zuzulosen. Doch die Meinungen im schwedischen Organisationskomitee differierten, obwohl die Wortführer Balck, von Rosen und Uggla die gleiche militärische Erziehung genossen hatten und gemeinsam im SMI aktiv waren (vgl. Abb. 3). Graf von Rosen, welcher der Luxemburger Session nicht beigewohnt hatte, betonte auf einer SOK-Sitzung am 28. November 1910, dass die Wettkämpfer aus seiner Sicht eigene Pferde mitbringen sollten, »weil das Bereitstellen geeigneter Pferde vor Ort [durch das SOK] mit großen Schwierigkeiten verbunden wäre und daher den Wert des Pferdewettkampfs schmälern würde.«742 Von Rosen zielte zum Einen auf die Vermeidung von Mehraufwand und von damit verbundenen Kosten ab; zum Anderen bezog er sich auf den Gentleman-Charakter des Reitens, der ihm als Aristokraten und auch den vornehmlich betuchten Offizieren wichtig war (vgl. Kap. 5.2.2). Leutnant Uggla stimmte wohl aus denselben Beweggründen von Rosens Vorschlag direkt zu. Balck entgegnete allerdings, dass viele gute potentielle AllroundAthleten durch eine solche Maßnahme von der Teilnahme im Modernen Fünfkampf ausgeschlossen würden. Das Reiten sei nur eine von fünf Disziplinen. Er wies dabei auf die Beschlüsse von Luxemburg hin und hielt es zu diesem Punkt durchaus für möglich, geeignete Pferde für alle bereitzustellen.743 Mittlerweile zog die Pferdefrage größere Kreise. Zwei Tage nach der letzten Sitzung erreichte das SOK ein Brief von Leopold Englund, der neben dem Vorsitz des Schwedischen Sportverbands auch das Generalsekretariat des olympischen 739 Brief des Reitsportkomitees (Oxenstierna) an das SOK. 22. November 1910. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. Vgl. auch §11 Den Moderna Femkampen [Der Moderne Fünfkampf]. 28. November 1910. Protokoll der SOK-Sitzung, S. 5. 1: 18. August 1908 – 28. November 1910. Organisationskommitt¦ns protokoll (A I). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/ RA/730226). Riksarkivet Stockholm 740 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 643. 741 §2 Den moderna femkampens underafdelningar [Die Unterteilung des Modernen Fünfkampfs]. 3. Dezember 1910. Protokoll des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf, S. 1. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/ 730226). Riksarkivet Stockholm. 742 §11 Den Moderna Femkampen [Der Moderne Fünfkampf]. 28. November 1910. Protokoll der SOK- Sitzung, S. 5. 1: 18. August 1908 – 28. November 1910. Organisationskommitt¦ns protokoll (A I). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 743 Ebd.
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Leichtathletik-Komitees innehatte. Er habe von der Regelung, wonach die Pentathleten mit ihren eigenen Pferden antreten sollten, erfahren und erlaube sich, darauf hinzuweisen, dass »es wünschenswert wäre, dass die Pferde den Sportlern entweder hier [vor Ort] zur Verfügung gestellt werden, oder aber, dass solche Bestimmungen geschaffen werden, dass sämtliche Teilnehmer Pferde nutzen, die vom Organisationskomitee besorgt wurden (Nummernpferde oder Ähnliches).«744
Dass Athleten auch dann teilnähmen, wenn sie dazu verpflichtet wären, ihre eigenen Pferde mitzubringen, hielt er dagegen für unmöglich. Auch Bergvall äußerte sich im Namen des olympischen Schwimmkomitees zur geplanten Reitkonkurrenz im Modernen Fünfkampf und teilte mit, dass die Pferde den Teilnehmern zur Verfügung stehen sollten.745 Eine endgültige Entscheidung wurde in diesem Punkt noch nicht getroffen. Von den olympischen Einzelsportarten waren es die Athleten gewohnt, ihre Pferde wie auch die Degen und Pistolen selbst mitzubringen. Warum sollte es im Modernen Fünfkampf daher anders sein? Für die Verfechter einer Bereitstellung von Pferden lagen die Vorteile auf der Hand: Der Moderne Fünfkampf würde sich so von seinen Einzelsportarten abheben und die Teilnehmer für ihr sportliches Können und nicht für die Größe ihres Geldbeutels auszeichnen. Anfang des kommenden Jahres erklärte sich das Spezialkomitee daher offiziell bereit, Coubertins Wunsch nachzukommen, sofern genügend Pferde zu einem akzeptablen Preis aufzutreiben seien. Die Mitglieder stellten sogleich einen Antrag an König Gustav V., Pferde aus seinem Hofbesitz für den Modernen Fünfkampf auszuleihen.746 Es müsse sich um ausgebildete Pferde handeln, mit denen ein erfahrener Reiter gute Leistungen im Gelände erzielen könne. Nur so würde das Rennen zu einer echten Probe für die Teilnehmer und beweise, dass sie ein fremdes Pferd in unbekanntem Terrain reiten könnten. Das SOK begründete die Notwendigkeit dieser Regelung weiterhin damit, dass so auch Athleten aus fremden Ländern, die den Transport von Pferden nicht bewerkstelligen könnten, die Möglichkeit hätten anzutreten. Doch der König ließ sich trotz eines positiven Gutachtens des Inspekteurs der Kavallerie nicht überzeugen und ließ dem SOK mitteilen, dass er 744 Bei den »Nummernpferden« handelt es sich um die wörtliche Übersetzung von »nummerhästar«. Gemeint sind vermutlich die Pferde, die den Athleten zugelost werden sollten. Brief von Englund (Komitee für Leichtathletik) an das SOK. 30. November 1910. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/ 730226). Riksarkivet Stockholm. 745 Brief von Bergvall an das SOK. 19. Dezember 1910. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 746 Brief des SOK an den König. 1. Februar 1911. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
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deren Bitte nicht nachkommen könne.747 Er begründete seine Ablehnung des Antrags nicht; vermutlich hatte er zu große Bedenken, dass seine Pferde bei dem Einsatz zu Schaden kommen könnten. Nach dieser ernüchternden Nachricht betonte Graf Wrede, der den Pferdesport im Modernen Fünfkampf zusammen mit Leutnant C. Trägrdh auf der Sitzung am 8. April 1911 vertrat, dass der Moderne Fünfkampf den Teilnehmern große Schwierigkeiten bereiten würde, wenn sie die Pferde nun selbst beschaffen müssten: »Durch eine solche eventuelle Bestimmung wäre eine allgemeine Teilnahme am Wettkampf völlig ausgeschlossen und unter solchen Bedingungen sollte der Reitsport überhaupt nicht zum (Wettkampf-) Programm des Modernen Fünfkampfs gehören.«748
Wredes Einsatz für eine Einbeziehung aller Sozialschichten verwundert, weil es im Reitsport selbst Anfang des 20. Jahrhunderts selbstverständlich war, dass die Reiter das notwendige Kleingeld mitbrachten. Neben den Transportkosten mussten die Pferde nämlich auch für das Training erst angeschafft (bzw. anderweitig ausgeliehen) und ganzjährig unterhalten werden.749 Hellström pflichtete Wrede bei, indem er anmerkte, dass der in Luxemburg unterbreitete schwedische Vorschlag sicherlich nur vom IOC angenommen würde, wenn man eine Lösung für das Bereitstellen der Pferde fände; ansonsten käme es zur Streichung der Disziplin. Daraufhin erklärten Graf Taube, Kapitän Fick und Leutnant Uggla, dass dies aus ihrer Sicht keinesfalls eintreten dürfe und »der Reitsport unbedingt Teil des Programms« des Modernen Fünfkampfs bleiben müsse. Der Wettkampf verlöre nach ihrer Meinung sonst seinen besonderen Charakter als Sportart für 747 Brief von O. B. Malm & O. H. Arsell an das »Kungl. Maj:ts Armeförvaltnings intendantsdepartement och skjukvrdsstyrelse« (in Kopie auch an seine Königliche Hoheit den Herzog von Västergötland und an das SOK). 7. April 1911. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 748 §4 Täflingsprogrammet: Hästsport [Das Wettkampfprogramm: Pferdesport]. 8. April 1911. Protokoll der Sitzung des Komitees für Modernen Fünfkampf, S. 2. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 749 »Ein Pferd, das ein Verkaufsrennen gewonnen hatte, kostete zwischen 5.000 und 8.000 Mark, was etwa dem Jahresgehalt eines preußischen Regierungsrats entsprach. Das Pferd (die meisten Herrenreiter besaßen wohl mehrere) mußte unterhalten und zu den Rennen transportiert werden, wobei sich allein die vom Trainer bereitsgestellten Leistungen (Stallung, Verpflegung, Hubeschlag und Sattelzeug) auf 1.800 Mark jährlich beliefen. Hinzu kamen Gebühren für die Unterbringung auf den Rennplätzen, die Benutzung von Trainierbahnen usw. Derartige ›Jahresspesen‹, die über ein Konto beim Union Klub mit etwaigen Preisgeldern verrechnet wurden, beliefen sich auf 2.000 – 4.000 Mark; dabei waren Verluste durch Krankheit und Verletzungen der Tiere nicht inbegriffen.« (Dodel, 1917, S. 83 f; Gehaltsangaben nach Süle, 1988, S. 109. Beides zitiert in Eisenberg, 1999, S. 175).
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Gentlemen. Allerdings gaben sie zu bedenken, dass mit Blick auf die bereitgestellten Pferde auch gesichert sein müsse, dass diese fair zugewiesen würden.750 Diese Idee des Losentscheids hatte Balck schon zuvor, auf der SOK-Sitzung am 28. November 1910, geäußert.751 Auch Oxenstierna und Trägrdh hatten zwischenzeitlich daran festgehalten, als sie im Namen des olympischen Reitsportkomitees anregten, voll ausgebildete Pferde einige Tage vor Wettkampfbeginn zuzulosen.752 Die Auslosung sollte vorab stattfinden, damit sich Pferd und Reiter am eigentlichen Wettkampftag nicht ganz fremd wären.753 Auch im April hielt das Spezialkomitee an diesem Vorschlag fest: Falls Pferde zur Verfügung gestellt würden, sollte die genannte Regelung zweifellos in Kraft treten. Doch derzeit sah es nicht danach aus. Denn gegen Ende der Sitzung des Spezialkomitees stand eine Abstimmung an, die ergab, dass die Teilnehmer am Modernen Fünfkampf ihre Pferde doch selbst mitbringen sollten. Da das Königshaus die Anfrage abgelehnt hatte und mit dem Bereitstellen von Pferden ohnehin, u. a. durch das Zulosen, zusätzliche organisatorische Hürden entstünden, sahen die Veranstalter wohl zunächst keine andere Lösungsmöglichkeit. Dennoch rechneten Balck und seine Kollegen schon vorab mit Widerstand. Für den Fall, dass das IOC in Budapest ihren Beschluss ablehnen würde, legten sie daher fest, dass Schweden dann seine Teilnahme am Modernen Fünfkampf ganz zurückzöge. Denn das Mitbringen der eigenen Pferde stellte aus ihrer Perspektive »eine unverzichtbare Bedingung für die Durchführung des Wettkampfs dar«.754 Graf Wrede ergänzte, dass zumindest der Transport der Pferde innerhalb Schwedens keine Kosten verursachen dürfte, und von Organisationsseite unentgeltlich Futter und Pferdeställe zur Verfügung gestellt werden müssten. Damit hoffte er, das IOC ggf. zu beschwichtigen, wenn die Teilnehmer schon ihre Pferde selbst besorgen müssten.755 Dass die Anwesenden insgeheim jedoch auf eine Einigung mit dem IOC 750 §4 Täflingsprogrammet: Hästsport [Das Wettkampfprogramm: Pferdesport]. 8. April 1911. Protokoll der Sitzung des Komitees für Modernen Fünfkampf, S. 2. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 751 §11 Den Moderna Femkampen [Der Moderne Fünfkampf]. 28. November 1910. Protokoll der SOK- Sitzung, S. 5. 1: 18. August 1908 – 28. November 1910. Organisationskommitt¦ns protokoll (A I). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm 752 Brief von Oxenstierna & Trägrdh an das SOK. 4. Februar 1911. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 753 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 644. 754 §4 Täflingsprogrammet: Hästsport [Das Wettkampfprogramm: Pferdesport]. 8. April 1911. Protokoll der Sitzung des Komitees für Modernen Fünfkampf, S. 2. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 755 Ebd.
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bauten, zeigt die Tatsache, dass sie am Ende der Sitzung wieder zur Tagesordnung übergingen und mit der Ausweitung der Reitstrecke von 3000 auf maximal 5000 Meter noch ein weiteres Detail festlegten.756 Die Streckenlänge wurde relativ flexibel festgelegt, so dass es je nach ausgewähltem Gelände zu Anpassungen kommen konnte. Wenn die Strecke jedoch zu kurz (weniger als 3000 Meter lang) sei, könnten die Fähigkeiten des Reiters sowie die Ausdauer und Kraft des Pferdes nicht zur Genüge abgefragt werden. Ein zweiter Vorteil einer längeren Reitstrecke ergab sich aus der Bewertung des Wettkampfs. Bei einer Maximalzeit von 15 Minuten zählte vornehmlich die Ausführung des Ritts, sprich wie die Hindernisse genommen wurden, und dazu bedurfte es wiederum einer ausreichenden Bewertungsgrundlage (sprich genügend Hindernisse). Erst wenn zwei Wettkämpfer die gleiche Punktzahl erreichten, sollte der Gewinner über die Zeit bestimmt werden.757 Mit Spannung erwartete das Spezialkomitee im Anschluss, wie das IOC auf ihre Pläne reagieren würde. Erwartungsgemäß flammten während der 14. IOCSession in Budapest neue Debatten auf. Die Dispute fielen vergleichsweise heftig aus, insbesondere weil Coubertin befürchtete, dass seine Vorstellungen vom Modernen Fünfkampf nicht umgesetzt würden.758 Als die Schweden ihren Beschluss, dass jeder Teilnehmer sein eigenes Pferd mitbringen sollte, vorstellten, soll Coubertin außer sich gewesen sein (Lyberg, 1989, S. 63 f). Dies entsprach ganz und gar nicht seinen Vorstellungen, weil es automatisch aristokratische Athleten, welche die notwendigen finanziellen Mittel mitbrachten, begünstigte (vgl. Kap. 2.2.2, 5.1.1).759 Die Argumente des schwedischen Organisationsteams, das nach praktikablen Lösungen suchte, trafen hier auf Coubertins Ambition für soziale Erziehungsideale. Auch Laffan äußerte seine Verwunderung darüber, dass die Schweden es sich herausnähmen, große Änderungen gegenüber der vorherigen Konferenz in Luxemburg vorzunehmen. Denn zu diesem Zeitpunkt seien Balck und seine Kollegen noch bereit gewesen, Pferde zur Verfügung zu stellen. Dass dies nun nicht mehr gelte und folglich die Teilnehmer ihre Pferde selbst organisieren müssten, sei eine »völlig absurde Bestimmung«. Er betonte, dass der Moderne Fünfkampf nicht zum »Klassenkampf« verkommen dürfe, sondern wie ursprünglich angestrebt dem »Allround-Mann« der ganzen Welt offenstehen müsse. Da jedoch durch den schwedischen Beschluss Nicht-Reiche faktisch
756 Ebd. 757 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 643. 758 Session am 25. Mai 1911. Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1911). ProcÀs-verbal. 14e Session Budapest, S. 23 f. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne; [Coubertin], 1911, S. 164 f. 759 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 642 f.
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ausgeschlossen würden, wäre dies kaum gewährleistet.760 Balck versuchte zu beschwichtigen, indem er entgegenhielt, dass er Verständnis für die Hinweise habe, die vorab auch innerhalb des schwedischen Komitees lang diskutiert worden seien. Da er jedoch vergeblich versucht habe, die Regierung davon zu überzeugen, Armeepferde auszuleihen, sei es ihm praktisch unmöglich, Pferde bereitzustellen. So bliebe ihm keine andere Möglichkeit übrig, als die Teilnehmer zum Mitbringen ihrer Pferde zu verpflichten. Laffans gutgemeinte Idee ließe sich also nicht realisieren. Auch von Rosen und d’Usseaux hielten am Vorschlag des SOK fest.761 Doch Coubertin war von der Undurchführbarkeit seiner Idee nur schwer zu überzeugen. Er hielt daran fest, dass die Pferde von den Organisatoren zur Verfügung gestellt werden müssten, um jenen, die kein eigenes Pferd besäßen, eine Teilnahme zu ermöglichen. Interessant ist, dass d’Usseaux in seiner Funktion als IOC-Generalsekretär an dieser Stelle bestätigt, dass Coubertin den Modernen Fünfkampf kreiert habe, und die schwedischen Organisatoren aus diesem Grund, seinen Wettkampf nicht »völlig entstellen« dürften: »Le Pr¦sident s’oppose absolument l’interpr¦tation que semble donner le Comit¦ Su¦dois au concours fond¦ par lui, qui le d¦figure complÀtement.«762 Auch Lyberg (1989, S. 64) sieht die Entzürnung Coubertins insbesondere darin begründet, dass er den Modernen Fünfkampf für sein »Kind« hielt. Ein Blick in das vergleichsweise detailliertere schwedische Protokoll der Budapest-Sitzung verrät, dass auch Coubertin sich selbst dort als »Schöpfer des Wettkampfs« präsentierte, um seine Forderungen zu unterstreichen.763 Coubertin war folglich also nicht bereit, die vom Spezialkomitee vorgelegten Wettkampfbestimmungen unverändert abzuzeichnen. Um das Problem zu 760 Modern Femkamp [Moderner Fünfkampf]. 13. Juni 1911. Utdrag ur rapport med stöd af stenografiska anteckningar fran Internationella Olympiska Komitt¦ns Kongress i Budapest den 23 – 27 Maj 1911 [Auszüge aus dem Bericht mit der Unterstützung der stenographischen Notizen aus dem Kongress des Internationalen Olympischen Komitees in Budapest am 23.–27. Mai 1911], S. 1. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 761 Ebd.; Session am 25. Mai 1911. Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1911). ProcÀsverbal. 14e Session Budapest, S. 23. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne 762 Session am 25. Mai 1911. Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1911). ProcÀs-verbal. 14e Session Budapest, S. 23. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne. Übersetzung: »Der Präsident war absolut gegen die Interpretation des Schwedischen Komitees für den von ihm erfundenen Wettkampf, weil diese ihn [den Wettkampf] vollkommen entstelle.« 763 Modern Femkamp [Moderner Fünfkampf]. 13. Juni 1911. Utdrag ur rapport med stöd af stenografiska anteckningar fran Internationella Olympiska Komitt¦ns Kongress i Budapest den 23 – 27 Maj 1911 [Auszüge aus dem Bericht mit der Unterstützung der stenographischen Notizen aus dem Kongress des Internationalen Olympischen Komitees in Budapest am 23.–27. Mai 1911], S. 1. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
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lösen, gab er den Schweden den Tipp, eine spezielle Kommission für die Pferdebeschaffung zusammenzustellen. Falls diese nicht erfolgreich agiere, bliebe als letzte Möglichkeit nur die Streichung der Disziplin und ihr Ersatz durch eine andere. Doch das gefährde wiederum den so häufig angeführten »speziellen Charakter« der Sportart.764 Und an diesem wollte auch Balck nicht rütteln. Er lenkte folglich ein und erklärte, dass es doch »nicht ganz ausgeschlossen« sei, Pferde zu besorgen.765 Sein Kollege von Rosen war weniger leicht zu überzeugen und entgegnete, dass seine beiden Vorredner offensichtlich nicht die mit diesem Vorhaben verbundene Problemlage realisiert hätten. Er vertrat eine aristokratische Perspektive, die besonders deutlich wurde, als er seine Begründung anführte: »Eine Bestimmung, dass Pferde zur Verfügung gestellt werden sollen, wäre schlicht lächerlich. Männer, die ihr ganzes Leben dem Pferdesport gewidmet haben, sollten auch eine faire Chance erhalten und die Möglichkeit zu zeigen, was sie in einem solchen Wettbewerb leisten können.«766
Wenn dagegen keine oder nur wenige Teilnehmer ihr eigenes Pferd mitbrächten, wäre dies nicht gewährleistet. Mit seiner Aussage hatte von Rosen Coubertin zusätzlich erbost. Coubertin drohte gar damit, den Pokal für den Sieger im Modernen Fünfkampf nur unter der Bedingung zu stiften, dass die neuerlichen Änderungen wieder zurückgenommen würden.767 Darüber hinaus kam er auf den Kern seiner Idee zurück und erläuterte: »Ich bin beim Vorschlag des Wettbewerbs davon ausgegangen, dass ein Läufer, ein Schwimmer, ein Fechter und ein Schütze, mit anderen Worten ein ›Allround-Mann‹, auch reiten können soll, aber nicht, wie Graf Rosen es vertritt, dass ein Reiter laufen, schwimmen, schießen und fechten kann.«768
Um sich vor Coubertin in ein positives Licht zu rücken, betonte Sigfrid Edström anschließend, dass sich auch innerhalb der schwedischen Kommission in dieser Frage zwei Lager gebildet hätten und dass er zu den Befürwortern der coubertinschen Idee gehöre: 764 765 766 767
Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 644. Ebd. Ebd. Ebd., S. 3; Session am 25. Mai 1911. Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1911). ProcÀs-verbal. 14e Session Budapest, S. 23. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne. 768 Modern Femkamp [Moderner Fünfkampf]. 13. Juni 1911. Utdrag ur rapport med stöd af stenografiska anteckningar fran Internationella Olympiska Komitt¦ns Kongress i Budapest den 23 – 27 Maj 1911 [Auszüge aus dem Bericht mit der Unterstützung der stenographischen Notizen aus dem Kongress des Internationalen Olympischen Komitees in Budapest am 23.–27. Mai 1911], S. 3. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
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»Ich möchte hervorheben, dass ich ganz und gar die entgegengesetzte Meinung zu Rosen vertrete. […] Es ist immer meine Meinung gewesen, wie es auch Baron Coubertins Idee des Wettbewerbs war, dass jeder die Möglichkeit haben soll, teilzunehmen, und es freut mich, dass Baron Coubertin in dieser Frage derselben Meinung ist wie ich.«769
Von Rosen hielt weiter dagegen und sprach seinen Vorrednern die Expertise ab. Sie seien »keine Fachleute auf diesem Gebiet und verstünden die Sache daher nicht«, wohingegen diejenigen, welche die erforderlichen Kenntnisse mitbrächten, auch Entscheidungsgewalt haben sollten. Die Reitdisziplin im Modernen Fünfkampf sei »kein Scherz«, sondern bedürfe »einer ernsthaften Prüfung«.770 Wenn sein Vorschlag aufgehoben würde, sah er voraus, dass Reiter aus der ganzen Welt ihre Teilnahme zurückzögen. Ohnehin sei eine Bestimmung, wie sie Coubertin fordere, erst dann notwendig, wenn tatsächlich jemand teilnehmen wolle, der kein Pferd beschaffen könne. Dies war aus seiner Sicht allerdings recht unwahrscheinlich, weil am Modernen Fünfkampf prinzipiell nur hohe Gesellschaftsschichten teilnähmen. Vor diesem Hintergrund hielt er es für vergleichsweise bedeutender, dass echte »Reiter auch eine Chance« auf den Sieg im Modernen Fünfkampf hätten. Graf d’Usseaux gab Rosen insofern Recht, dass er es für legitim ansah, dass die Reiter einen Vorteil in ihrer Disziplin hätten, wohingegen sie es in den übrigen vier Proben ohnehin schwer hätten.771 Da nur noch knapp ein Jahr bis zur Eröffnung der Olympischen Spiele blieb und beide Seiten den Modernen Fünfkampf nach wie vor in Stockholm umgesetzt sehen wollten, unterbreitete Balck schließlich einen Kompromissvorschlag und vermittelte so zwischen den Streitparteien: »Es gäbe die Alternative, dass das schwedische Komitee sich darauf einige, dass Teilnehmer ihre eigenen Pferde mitbringen dürfen, und soweit dies nicht möglich sein sollte, Pferde vom schwedischen Organisationskomitee zur Verfügung gestellt werden.«772
Er gab allerdings zu bedenken, dass die Schiedsrichter in diesem Fall beurteilen müssten, wie zwischen einem Wettkämpfer mit eigenem und jenem mit zugelostem Pferd zu unterscheiden sei.773 Im Vordergrund stünde so – zumindest für
769 770 771 772
Ebd., S. 2. Ebd., S. 3. Ebd. Ebd.; Der offizielle olympische Bericht besagt dagegen, dass es ursprünglich Großbritannien bzw. Laffan war, der den genannten Kompromissvorschlag einbrachte (Bergvall/ Swedish Olympic Committee, 1913, S. 59). 773 Ebd.
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einige Teilnehmer – ganz nach Coubertins Geschmack das Meistern unbekannter Situationen, wozu auch die Bändigung eines fremden Pferdes gehöre. Obwohl es im Protokoll der IOC-Session von Budapest abschließend hieß, dass die Teilnehmer, die kein eigenes Pferd mitbrächten, eines vom SOK zur Verfügung gestellt bekämen,774 war Coubertin doch nicht vollends zufrieden und brachte dies im Anschluss in einem Brief an seinen neuen Vertrauten Sigfrid Edström zum Ausdruck. Bezeichnend für seine Wut, die auch in seinen späteren Werken hin und wieder aufflammte,775 war schon allein die Auswahl des Adressaten. Es war nicht wie üblich sein langjähriger IOC-Kollege Balck, sondern Edström, der Vizepräsident des SOK, bei dem er Rat und Verständnis suchte (vgl. Anhang 8.3.1.4): »What I want to say is about my pentathlon. The claim which forces each man to provide his own horse cannot be maintained. It puts the whole thing wrong […] In one word, my plan was democratic. You have made it aristocratic. I wanted – and I want as before, unless really impossible – to have each man entering the Pentathlon – provided with a horse unknown to him […] This is what the trial ought to be.«776
Direkt im ersten Satz machte er seine Besitzansprüche deutlich (sogar durch Unterstreichung), um herauszustellen, was ihn dazu berechtige, die Regeln des Modernen Fünfkampfs zu bestimmen. Um seiner Aussage Nachdruck zu verleihen, wiederholte er zudem seine Drohung, dass er, wenn es zu keiner Änderung käme, seinen Pokal zurückzöge. Während Coubertin an anderer Stelle davon sprach, beide Sozialschichten zu den jeweils ungewöhnlichen Sportarten einzuladen,777 beschränkte er sich hier darauf, dass das Wichtigste die Heranführung aller zum Reitsport sei (vgl. Anhang 8.3.1.4): »I never meant to show that men who are good horsemen and trained to horsemanship can fence also and run and swim, I meant to show that runners and swimmers and fencers who, as a rule, are not of the same social standing can ride a horse and that the impossibility for them to keep a horse of their own ought not to keep them from riding occasionally.«778
774 Modern Femkamp [Moderner Fünfkampf]. 13. Juni 1911. Utdrag ur rapport med stöd af stenografiska anteckningar fran Internationella Olympiska Komitt¦ns Kongress i Budapest den 23 – 27 Maj 1911 [Auszüge aus dem Bericht mit der Unterstützung der stenographischen Notizen aus dem Kongress des Internationalen Olympischen Komitees in Budapest am 23.–27. Mai 1911], S. 3. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 775 Vgl. z. B. [Coubertin], 1911, S. 163 ff. 776 Brief von Coubertin an Edström. 1. Juni 1911. [Original in englischer Sprache mit Unterstreichungen]. Correspondance manuscrite de COUBERTIN, vol. 2, 1909 – 1912, documents dans iRIMS, Code: CIO PT-PDC-CORR-MANUS, ID: 56691. IOC Archiv Lausanne. 777 Vgl. [Coubertin], 1911, S. 163 ff. 778 Brief von Coubertin an Edström. 1. Juni 1911. [Original in englischer Sprache mit Unter-
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Neben der Darstellung seiner Wunschvorstellungen nahm Coubertin ebenso auf den schwedischen Kompromissvorschlag konkret Bezug: »If you think it is in Sweden absolutely necessary to allow those who have horses of their own to mount them, I will accept such a clause while deploring that you should deem it necessary. And I cannot go any further. Those who have no horses must be provided with some.«779
Auch wenn er hier einlenkte, wandte er sich anschließend nochmals mit der Hoffnung an Edström, dass seine Idee gänzlich umgesetzt würde: Jeder Wettkämpfer solle nach Möglichkeit ein Pferd erhalten und nicht dazu gezwungen werden, ein eigenes mitzubringen. Erst zwanzig Tage später ließ Coubertin Balck wissen, dass er Edström in Bezug auf den Modernen Fünfkampf angeschrieben habe und eine Antwort erwarte, »sobald die Frage der Pferde beigelegt« sei.780 Coubertin verfasste seine Anliegen an beide Schweden jeweils auf Englisch und nicht wie in anderen Briefen zuvor in seiner Muttersprache Französisch. Möglicherweise fürchtete er, aufgrund der typischerweise dürftigen Französischkenntnisse der Schweden missverstanden zu werden. In dieser wichtigen Angelegenheit wollte er dies allerdings nicht riskieren. Auf der nächsten Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf hielten die Mitglieder an dem von Balck in Budapest vorgeschlagenen Kompromiss fest, d. h. dass die Teilnehmer prinzipiell ihre eigenen Pferde mitbringen dürften und solche, die dazu nicht in der Lage wären, eines gestellt bekämen. Letztere sollten sich bis spätestens zum 1. April melden,781 so dass die Anzahl der benötigten Leihpferde rechtzeitig vor Wettkampfbeginn feststünde. Erst nachdem das SOK Ende Juni 1911 die Entscheidungen des Spezialkomitees abgesegnet hatte,782 informierte Hellström Coubertin über den Ausgang der neuerlichen Verhandlungen.783 Doch auch diese Entscheidung ließ Coubertin nicht unkritisiert stehen:
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streichungen]. Correspondance manuscrite de COUBERTIN, vol. 2, 1909 – 1912, documents dans iRIMS, Code: CIO PT-PDC-CORR-MANUS, ID: 56691. IOC Archiv Lausanne. Ebd. Brief von Coubertin an Balck [Original in englischer Sprache]. 21. Juni 1911. SD2: Correspondance 1905 – 1914, BALCK CORR. Correspondance 1894 – 1914, ID: 6590. Balck Correspondance, Code: CIO MBR-BALCK CORR, OU MO 01 41 07, 0055015. IOC Archiv Lausanne. §4 Täflingsprogrammet: Hästsport [Das Wettkampfprogramm: Pferdesport]. 13. Juni 1911. Protokoll der Sitzung des Komitees für Modernen Fünfkampf, S. 2. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. §36 Täflingsprogrammet: Modern Femkamp [Das Wettkampfprogramm: Moderner Fünfkampf]. 27. Juni 1911. Protokoll der SOK-Sitzung, S. 12. 3: 27. Juni 1911 – 14. Mai 1914. Organisationskommitt¦ns protokoll (A I). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/ 730226). Riksarkivet Stockholm. Brief von Balck und Hellström an Coubertin. 4. Juli 1911. SD3: Correspondence mai-dec
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»Thanks for the rule but allow me to protest strongly against the closing of entries on April 1st. There is absolutely no reason for such a rule, and I beg that you will consider it again and keep it open until June 1st as it ought to be.«784
Vermutlich beabsichtigte Coubertin damit, auch kurzentschlossenen Athleten eine Teilnahme zu ermöglichen und so insgesamt mehr Wettkämpfer anzuziehen. Seinem Wunsch zur Änderung der Einreichungsfrist kam das Organisationskomitee unkommentiert nach.785 Dies verkürzte zwar die Planungszeit für die Beschaffung der Pferde um zwei Monate, doch hatten die Organisatoren Coubertins Starrköpfigkeit mittlerweile kennengelernt und sich wohl nicht erneut mit ihm anlegen wollen. Nun lag es also an Balck und seinen schwedischen Kollegen, genügend Pferde bis zu den Olympischen Spielen aufzutreiben. Mit diesem Anliegen wandte sich Hellström am 31. Januar 1912 zunächst an Rittmeister Gustaf W. Örn (1856 – 1931),786 den Vertreter des Ridhuset Stockholm (das Reithaus Stockholm), und fragte nach, »ob und unter welchen Bedingungen« er bereit wäre, Pferde für den Zeitraum 5.–11. Juli zu vermieten.787 Obwohl dieser prinzipiell die Möglichkeit einräumte, bis zu zwölf Pferde zu organisieren, konnte sich das SOK doch mit seinem Angebot nicht zufriedengeben. Neben den Leihkosten müsste es nämlich auch dafür Sorge tragen, dass die Pferde, die typischerweise zwischen dem 15. Juni und 15. Juli eine einmonatige Reitpause einlegten, im Vorfeld der Spiele regelmäßig und gleichförmig trainiert würden.788 Letzteres stellte ohnehin eine Herausforderung für die Veranstalter dar :
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1911 – COJO Coubertin. Correspondance envoy¦e ( Coubertin) et reÅu par le COJO des Jeux Olympiques d’¦t¦ de Stockholm 1912, Code: CIO JO-1912S-COJO, ID: 46570, 9994. Stockholm 1912 – 1: JO 1912 S – ARTPR-COJO. IOC Archiv Lausanne. Derselbe Brief befindet sich auch in dieser Ablage: SD2: Correspondance 1905 – 1914, BALCK CORR. Correspondance 1894 – 1914, ID: 6590. Balck Correspondance, Code: CIO MBR-BALCK CORR, OU MO 01 41 07, 0055015. IOC Archiv Lausanne. Brief von Coubertin an Hellström [Original in englischer Sprache]. 21. Juli 1911. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/ 730226). Riksarkivet Stockholm. Brief an Coubertin [ohne Autor, vermutlich vom SOK/Hellström; Orginal in englischer Sprache]. 1. August 1911. SD1: Correspondance envoy¦e et reÅue par Coubertin (photocopies tir¦es du fonds Coubertin), 1909 – 1913. Correspondance envoy¦e et reÅue par Pierre de Coubertin au sujet des Jeux Olympiques d’¦t¦ de Stockholm 1912, 1909 – 1913, Code: CIO JO-1912S-CORR, ID: 46580. IOC Archiv Lausanne. Örn war seit 1896 Rittmeister am Livregementets husarer, seit 1906 Reservist und hatte in sieben schwedischen Städten, darunter auch in Stockholm, Reitinstitute (vgl. die private EMail von Rooney Magnusson vom 30. Januar 2012). Brief von Hellström an Kapitän Gustaf Örn (Stockholmer Reitstall). 31. Januar 1912. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/ 730226). Riksarkivet Stockholm. Brief von Örn [ohne Adressat; vermutlich an das SOK oder direkt an das Spezialkomitee für Modernen Fünfkampf]. 1. Februar 1912. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
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»[…] it would, of course, be exceedingly difficult to provide a certain number of horses all as good as each other even if, during a certain period they had gone through a thorough course of training in steeple-chase-riding.«789
Da Örn nur maximal zwölf Pferde in Aussicht stellte und die Ausleihe zudem pro Pferd in Rechnung stellte, war dem Organisationskomitee daran gelegen, die Zahl der angeforderten Tiere möglichst gering zu halten. Der Kompromissvorschlag war nämlich nur dann praktikabel, wenn insgesamt genügend Athleten ihre eigenen Pferde mitbrächten, und die Teilnehmer, die ein Pferd ausleihen wollten, rechtzeitig Bescheid gäben. Daher verkürzte Hellström die Anmeldefrist wiederum (ein halbes Jahr nach der Fristverlängerung) auf den ursprünglich anvisierten 1. April, zumindest für die Wettkämpfer, die ein Leihpferd benötigten. Er begründete dies in seinem Schreiben an die verschiedenen nationalen olympischen Komitees wie folgt: »Comme on s’est aperÅu qu’il serait extrÞmement difficile de fournir des chevaux ceux des concurrents dans le Pentathlon Moderne qui ne s’en procurent pas euxmÞmes et comme il est par cons¦quent de la plus haute importance pour nous de savoir quelque temps d’avance le nombre qui sera requis […].«790
Gleichzeitig bemühten sich die schwedischen Organisatoren weiterhin um gute und dennoch kostengünstige Leihpferde, die für den olympischen Wettkampf in ausreichender Zahl bereitgestellt werden sollten. Anfang April 1912 war zwar immer noch nicht klar, woher diese kämen, doch bestand immerhin Gewissheit über die Anzahl der Athleten, die planten, ohne eigenes Pferd anzutreten. Siebzehn Anwärter aus fünf Ländern hatten sich mittlerweile bei Hellström gemeldet.791 Doch woher innerhalb von zwei Monaten siebzehn Pferde nehmen? Das Bereitstellen von Leihpferden entwickelte sich zu einer primär finanziellen Frage. Dem SOK standen zwar prinzipiell genügend finanzielle Mittel, die größtenteils aus Lotterien erwirtschaftet worden waren, zur Verfügung, doch mussten diese auf die unterschiedlichen Sportarten verteilt werden.792 Auf der 789 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 644. 790 Brief von Hellström an die NOKs. 5. Februar 1912. Nr. 7 Correspondances II des CNO au COJO 1912 Stockholm, Fo35 13o81, Rolle 28 Björn. CIO JO-1912S – MICRO: Microfilms des archives du COJO des Jeux Olympiques d’¦t¦ de Stockholm 1912: correspondance, procÀsverbaux, formulaires et r¦sultats, 1908 – 1913, ID 46582, 9919. Mikrofiches: MI-1/ JO-1912 S – Microfilms – Archives COJO – 9919. IOC Archiv Lausanne. Übersetzung: »Da wir feststellten, dass es extrem schwierig sein würde, den Kontrahenten im Modernen Fünfkampf, die keine eigenen haben, Pferde zur Verfügung zu stellen, und da es folglich sehr wichtig für uns ist, die Anzahl der Pferde, die gebraucht werden, etwas im Voraus zu kennen […].« Vgl. zur Fristverlängerung auch Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 61. 791 §10 Modern Femkamp [Moderner Fünfkampf]. 9. April 1912. Protokoll der SOK-Sitzung, S. 5. 3: 27. Juni 1911 – 14. Mai 1914. Organisationskommitt¦ns protokoll (A I). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/ 730226). Riksarkivet Stockholm. 792 Die Lotterien brachten 1908 einen Überschuss von zwei Millionen schwedischen Kronen
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Sitzung des Spezialkomitees am 28. März 1912 saß Örn bei und merkte an, dass 500 Schwedische Kronen pro Pferd im Hinblick auf deren geforderte Ausbildung nicht ausreichend seien. Das Komitee beauftragte ihn damit, mehr über die Möglichkeit einer privaten Pferdeanmietung und deren Konditionen herauszufinden.793 Auf der SOK-Sitzung am 9. April 1912 gab Balck bekannt, dass 500 Kronen pro Pferd einkalkuliert werden müssten. Umgerechnet auf die siebzehn Pferde ergab sich damit eine notwendige Gesamtsumme von mindestens 8500 Kronen, Transport- und Unterhaltungskosten vor Ort waren darin noch nicht eingerechnet.794 Im Vergleich zu der vom SOK für das olympische Pferdesportkomitee garantierten Unterstützungssumme von 15.000 Kronen war dies zwar immer noch relativ wenig, doch hatte das SOK anfangs sogar insgesamt nur 1000 Kronen für das Spezialkomitee für Modernen Fünfkampf eingeplant.795 Die vergleichsweise geringe Förderungssumme hing wohl u. a. damit zusammen, dass das SOK davon ausging, dass der Moderne Fünfkampf von den existierenden Wettkampfstätten profitierte und keine Kosten durch die Errichtung eigener Anlagen entstünden. Da die benötigten Gelder für die übrigen Punkte (Training, Pferdebeschaffung etc.) jedoch höher als erwartet ausfielen, wurde Balck damit beauftragt, »[…] unter der Hand [auf kurzem Dienstweg] mit dem zuständigen Staatsrat und dem Leiter des Kungl. Landtförsvarsdepartementet [Königlichen Verteidigungsministeriums] bezüglich der Möglichkeit, dem Organisationskomitee Nummernpferde zur Verfügung zu stellen, zu verhandeln.«796
793
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ein. Die Zinsen waren für sportliche Zwecke bestimmt. Mit zwei weiteren Lotterien konnten nochmals ca. 850.000 Kronen erwirtschaftet werden (Wagner, 1912, S. 5). §3 Hästmomentet: Hästars anskaffande [Das Pferdethema: Anschaffen der Pferde]. 28. März 1912. Protokoll der SOK-Sitzung, S. 1 f. 3: 27. Juni 1911 – 14. Mai 1914. Organisationskommitt¦ns protokoll (A I). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. Mithilfe der Angaben im offiziellen olympischen Bericht von 1912 lässt sich der Wert der schwedischen Kronen in US-Dollar ($) bzw. Britische Pfund (£) umrechnen. 8500 Schwedische Kronen (SEK) entsprachen damals 2337,5 $ (bzw. 467,5 £). Zum Vergleich wurden die Gesamtkosten der Organisation der Spiele vorab mit 415.000 SEK (bzw. 115.250 $ oder 23.050 £) berechnet; die Preise für Tagestickets variierten zwischen 1 und 25 SEK (Bergvall/ Swedish Olympic Committee, 1913, S. 8, 33). 1 $ war 1912 in etwa so viel Wert wie heute 23 $ (vgl. die Tabelle von Professor Robert Sahr (Oregon State University). Weitergeleitet in einer privaten E-Mail von Dr. Chad Seifried (Assistant Professor an der Louisiana State University). Die für die Leihpferde notwendigen 8500 SEK entsprachen also im Vergleich zum heutigen Geldwert etwa 53.747 $. Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 39, 40. Dem olympischen Fußballkomitee kam die größte Fördersumme zu: 48.500 Kronen (bzw. $ 13.450 oder £ 2690) (Ebd., S. 39). §10 Modern Femkamp [Moderner Fünfkampf]. 9. April 1912. Protokoll der SOK-Sitzung, S. 4 f. 3: 27. Juni 1911 – 14. Mai 1914. Organisationskommitt¦ns protokoll (A I). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/ 730226). Riksarkivet Stockholm.
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So kämen keine Mietkosten auf das SOK zu und es stünden genügend Pferde für alle Wettkämpfer zur Verfügung. Interessant ist auch, dass Kronprinz Gustav Adolf an der Diskussion dieses Tagesordnungspunkts nicht teilnahm, obwohl er der Sitzung in anderen Punkten beisaß. Vermutlich wollte er von diesem problematischen Aspekt nichts mehr hören, zumal sein Vater das Organisationskomitee im Februar nicht aus dieser misslichen Lage befreit hatte.797 Sollte der König jedoch auch die zweite Anfrage des SOK ablehnen, wäre die gesamte Umsetzung des Modernen Fünfkampfs anlässlich der Olympischen Spiele von 1912 gefährdet. Um dies zu verhindern, versuchte Balck, ihn wenig später von der Notwendigkeit einer königlichen Unterstützung der Reitdisziplin zu überzeugen. Den Modernen Fünfkampf stellte er dabei als »neu etabliertes Wettkampfformat« vor, ohne – wie in den Briefen an Coubertin – den Franzosen als Ideengeber hervorzuheben.798 Vermutlich hielt er die Förderungschancen für geringer, wenn der Moderne Fünfkampf als französische (und nicht als schwedische) Innovation präsentiert würde. Ein Hauptargument waren die Kosten, die dem SOK entstünden, wenn es anderweitig Pferde »einkaufen« müsste. Zudem würden die Leihpferde, sofern sie mit Örns Hilfe von unterschiedlichen Reitställen angemietet werden müssten, auch zu heterogen sein und folglich zu Ungerechtigkeiten bei der Verteilung führen. Die berittenen Regimenter der Stockholmer Garnison würden dagegen regelmäßig trainiert und seien so relativ homogen. Dieses gleichmäßig hohe Niveau konnten andere Pferde in der Kürze der Zeit nicht mehr erreichen. Schließlich versicherte Balck dem König, dass er sich nicht um seine Pferde sorgen müsse, weil das Spezialkomitee »volle Haftung für den Fall, dass ein Pferd zu Schaden« komme, übernehme.799 Als eine Antwort des Königs auch mehr als einen Monat später noch ausblieb, entschied sich Balck, den direkten Weg über das Königliche Verteidigungsministerium zu gehen. Wenn dieses zustimmte, Pferde bereitzustellen, wäre die Absegnung durch den König möglicherweise nur noch Formsache.800 Die 797 Ebd. Acht Tage später brachte Balck die Pferdefrage im Spezialkomitee erneut auf den Tisch. Er berichtete, dass das SOK 500 Kronen pro Pferd für unnötige Kosten halte und daher anriet, erneut bei den Regierungsinstitutionen anzufragen (§9 Hästars Anskaffande [Anschaffen der Pferde]. 17. April 1912. Protokoll der Sitzung des Komitees für Modernen Fünfkampf, S. 4. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 798 Brief an den König [Absender unleserlich, vermutlich Balck]. 20. April 1912. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 799 Ebd. 800 §11 Hästars Anskaffande [Anschaffen der Pferde]. 22. Mai 1912. Protokoll der Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf, S. 2 f. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
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Konkretisierung der Teilnehmerzahl in Verbindung mit jener der benötigten Leihpferde gab in der Zwischenzeit Anlass zu Optimismus. So waren 34 Anmeldungen, darunter 12 aus Schweden und 22 weitere aus zehn verschiedenen Ländern eingegangen. Die Anzahl der notwendigen Leihpferde war auf 12 geschrumpft.801 Mit dieser konkreten Anfrage wandten sich die schwedischen Organisatoren erneut an den König und baten ihn um maximal zwölf Pferde aus einem oder mehreren Kavallerieregimenten.802 In ihrem Brief brachten sie u. a. zwei neue Argumente vor : Zum Einen betonten sie die Kürze der Wettkampfzeit, d. h. dass die Pferde nur einmal während des Wettkampfs für maximal 15 Minuten eingesetzt würden und zudem am Vortrag ein nur kurzer Proberitt stattfände. Der König müsse sich also nicht um das Wohl der Pferde sorgen, zumal er im Falle von Verletzungen neue Jungpferde auf Kosten des SOK erhalte. Zum Zweiten packten sie den König an seiner militärischen Ehre und wiesen daraufhin, »dass sich aus Schweden ausschließlich Offiziere, aus dem Ausland nahezu ausschließlich Offiziere zum Wettkampf gemeldet haben, für den in Persien stationierte schwedische Offiziere einen wertvollen Preis gestiftet haben.«803
Falls jedoch nicht genügend Leihpferde zur Verfügung ständen, seien die Veranstalter dazu gezwungen, den Modernen Fünfkampf einzustellen. Damit verlören die schwedischen Offiziere folglich auch die Möglichkeit, ihre Leistungen »im Vergleich zu den besten Offizieren des Auslands in so militärischen Belangen wie dem Reiten, dem Schießen, dem Degenfechten und dem Geländelauf« zu messen.804 Zu diesem Zeitpunkt war zumindest dem SOK schon klar, dass der Moderne Fünfkampf ein rein militärisches Kräfteringen bedeutete (vgl. Kap. 5.1, 5.2). Doch gerade diese Ausrichtung sollte möglicherweise die entscheidende Wende einleiten, die den König dazu veranlassen könnte, zuzustimmen. Es ist wohl als Zufall zu betrachten, dass am Tag darauf ein Antwortschreiben des Königlichen Verteidigungsministeriums beim SOK einging. Dieses bezog sich noch auf das erste Bittschreiben vom 20. April und überbrachte die Nach801 §2 Anmälningar till Modern Femkamp [Anmeldungen zum Modernen Fünfkampf]. 3. Juni 1912. Protokoll der Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 802 §3 Hästars Anskaffande [Anschaffen der Pferde]. 3. Juni 1912. Protokoll der Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 803 Brief vom SOK an den König. 5. Juni 1912. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 804 Ebd. Interessanterweise sind hier nur vier Disziplinen des Modernen Fünfkampfs aufgeführt; das Schwimmen wurde ausgelassen. Entweder handelt es sich um ein Versehen oder aber das Schwimmen wurde als weniger nützlich mit Blick auf militärische Belange angesehen.
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richt, dass »die Königliche Majestät zum Entschluss gekommen ist, diesen Antrag nicht bewilligen zu können«.805 Eine Begründung wurde nicht gegeben. Alle Hoffnung lag nun auf dem zweiten Gesuch, zu dem Prinz Carl, der Herzog von Västergötland, als Inspektor der Kavallerie am 18. Juni ein Gutachten abgegeben hatte. Geduld war gefragt. Mittlerweile war die Zahl der eingegangen Meldungen auf 36 (darunter zwölf Schweden und 24 Ausländer) gestiegen und gleichzeitig wurden nur noch zehn Leihpferde benötigt.806 Dass die Zahl der Anwärter auf Leihpferde letztlich relativ gering blieb, war auch darin begründet, dass das Mitbringen eigener Pferde durch verschiedene Maßnahmen (u. a. Transportvergünstigungen) attraktiver gemacht wurde. Wenn der König also der Bereitstellung der 12 angefragten Pferde zustimmte, wäre dieses Problem gelöst. Erst am 1. Juli 1912 erreichte Silfverstolpe und Granfelt die Antwort des Königlichen Verteidigungsministeriums: »Beim Vortragen dieser Angelegenheit hat [die Abteilung] VI anlässlich der vorliegenden Darstellung [von Prinz Carl] beschlossen zuzustimmen, dass einem oder mehreren Offizieren von der berittenen Leibgarde (Lifgardet till häst) und dem Kavallerieverband Lifregementets dragoner in der Zeit vom 7. bis zum 12. Juli 1912 jeweils (von jedem der beiden Truppenverbände) maximal sechs Pferde ausgeliehen werden dürfen.«807 805 Abschrift eines Briefs des Kungl. Landtförsvarsdepartementet [Das Königliche Verteidigungsministerium] (Bergström, D. & Arsell, O. H.) an das Kungl. Maj:t Arm¦förvaltnings intendentsdepartement och sjukvrdsstyrelse [Ministerium für Armeeverwaltung und Krankenpflegeausschuss der Königlichen Majestät]. In Kopie auch an den Chef des Generalstabs und an das SOK. 6. Juni 1912. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 806 §5 Anmälningar [Anmeldungen]. 10. Juni 1912. Protokoll der Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf, S. 2. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. Die Zahl stieg in den kommenden Wochen noch weiter an, weil auch die Zahl der Anmeldungen stieg (vgl. Kap. 5.2.2). 807 Da es sich um die Korrespondenz zwischen zwei staatlichen/militärischen Stellen handelt, war mit »VI« vermutlich die Kennziffer eines Amts/einer Abteilung, die sich in der Angelegenheit bereits geäußert hatte, gemeint (Ansgar Molzberger in einer privaten E-Mail vom 1. März 2012). Lifgardet till häst stellte Leihpferde zudem für ausländische Offiziere im Vielseitigkeitsreiten zur Verfügung. Da in dieser Disziplin im Wettkampf eigene Pferde geritten werden mussten, handelte es sich vermutlich um Leihgaben für Zuschauer und zur Besichtigung der Wettkampfstrecke (vgl. die Ablage »Lifgardet till häst (K1)« im Krigsarkivet Stockholm; Rooney Magnusson in einer privaten E-Mail vom 16. Februar 2012). Abschrift eines Briefs des Kungl. Landtförsvarsdepartementet [Das Königliche Verteidigungsministerium] (Albert Ehrensvärd, Alfred Peteresson, Axel Schotte, Jakob Larsson) an das Kungl. Maj:t Arm¦förvaltnings intendentsdepartement och sjukvrdsstyrelse [Ministerium für Armeeverwaltung und Krankenpflegeausschuss der Königlichen Majestät]. In Kopie auch an den Chef des Generalstabs und an das SOK. 21. Juni 1912. Weitergeleitet am 1. Juli an Silfverstolpe und Granfelt. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
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Dem Antrag des SOK wurde also schließlich nur sechs Tage vor dem offiziellen Wettkampfbeginn des Modernen Fünfkampfs stattgegeben. Mit der Zusage verbunden waren gewisse Auflagen, wie ein Pfand von 550 Schwedischen Kronen pro Leihpferd und eine anschließende gründliche Inspektion der Tiere,808 doch daran konnten sich die schwedischen Veranstalter nun nicht lange aufhalten. Während die Pferdebeschaffung aus organisatorischer Sicht das größte Problem darstellte, waren die Teilnehmer selbst nämlich vor allem daran interessiert, dass ihre im Modernen Fünfkampf eingesetzten Pferde vor Ort gut untergebracht würden und dass für sie Transportprivilegien gälten: »May I ask you to let me know whether the privileges of free transport in Sweden for horses entered for the Games, free stabling, forage and veterinary attendance in Stockholm and free board and lodging for one groom, as detailed in Section 13 of the General Regulations for Riding, will also be accorded to competitors in the Modern Pentathlon who bring their own horses.«809
In seinem Antwortschreiben erläuterte Hellström, dass denjenigen, die ihre eigenen Pferde mitbrächten, freier Transport in Schweden gewährt würde, doch dass die restlichen Kosten für Stall, Futter und Tierarzt vom Wettkämpfer selbst getragen werden müssten.810 Kapitän Silfverstolpe kümmerte sich darum, dass ausreichend Stallungen für die Pferde im Modernen Fünfkampf zur Anmiete zur Verfügung standen. Für die Versorgung der Pferde waren ein Unteroffizier und weitere Pferdepfleger abgestellt.811 In Bezug auf die restlichen Regularien des Pferdewettkampfs gab es nur wenig Diskussionsbedarf. Die Streckenlänge und die Maximalzeit blieben wie schon am 8. April 1911 festgelegt bei maximal 5000 Meter bzw. maximal 15 Minuten. Im abgesteckten Gelände hatten die Reiter verschiedene Hindernisse zu überwinden. Der Streckenverlauf sollte dabei allen Teilnehmern unbekannt sein. Auch das Gelände durfte nicht vor Beginn des offiziellen Wettkampfs beritten werden, wenngleich die Hauptmerkmale des Reitkurses (allerdings ohne Hin808 Ebd. 809 Brief von Laffan/BOA an das SOK. 14. Mai 1912. Vgl. auch den Brief von Med Højagtelse (Sekretär des Olympischen Komitees von Dänemark) vom 14. Mai 1912 sowie den Brief von Pierre-Roy (französischer Delegierter) an von Rosen (in Kopie auch an das olympische Komitee Frankreichs) vom 25. Mai 1912. Alles in Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/ 730226). Riksarkivet Stockholm. 810 Brief von Hellström an Laffan/BOA. 21. Mai 1912. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 811 §5 Modern femkamp: Stallrum för hästarna i Modern Femkamp [Moderner Fünfkampf: Ställe für die Pferde im Modernen Fünfkampf]. 4. Juni 1912. Protokoll der SOK-Sitzung, S. 2. 3: 27. Juni 1911 – 14. Mai 1914. Organisationskommitt¦ns protokoll (A I). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm; §9 Stallrum för hästar [Ställe für die Pferde]. 10. Juni 1912, S. 2. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
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dernisse) den Reitern schon zwei Tage vor Beginn des Wettkampfs vor Ort sowie mithilfe einer Karte aufgezeigt werden sollten. Bei der Gelegenheit war auch die Auslosung der Pferde geplant, für jene Athleten, die ein Pferd zur Verfügung gestellt bekamen. So hatten sie die Möglichkeit, das Pferd, das ihnen am Wettkampftag zugewiesen würde, vorab zu sichten.812 Die Bewertung des Wettkampfs war ebenfalls unstrittig. Jeder Reiter startete das Rennen mit 100 Punkten. Unterwegs gab es Punktabzug, wenn das Pferd ein Hindernis verweigerte bzw. außer Kontrolle geriet (2 Punkte beim ersten Mal, 5 Punkte beim wiederholten Mal), wenn das Pferd stürzte (5 Punkte), wenn der Reiter entweder am Hindernis oder im Verlauf des Rennens vom Pferd fiel (nicht mehr aufsaß) (10 Punkte) und für alle fünf Sekunden bei Überschreiten der Maximalzeit (2 Punkte). Wenn zwei oder mehr Wettkämpfer am Ende des Rennens gleich viele Punkte hätten, sollte der Gewinner über die Zeit ermittelt werden.813 Letztlich hatte der »gute Wille auf beiden Seiten«814 also dazu geführt, dass SOK und IOC in der heiklen Pferdefrage eine gemeinsame Lösung fanden. Parallel dazu wurden die Organisatoren allerdings durch eine kurzfristige Teilnahmeanfrage aus Großbritannien überrascht, die für zusätzlichen Gesprächsstoff zwischen den Parteien sorgte.
4.5
Die unerwartete Herausforderung der Gender-Ordnung: Helen Preeces Teilnahmeanfrage
Schon während der IOC-Session in Luxemburg 1910 hielt Brunetta D’Usseaux im Protokoll fest, dass die Schweden »Feministen« waren und hielt es daher für möglich, dass Frauen 1912 neben dem Tennis und der Gymnastik auch zum Schwimmen zugelassen würden.815 Dagegen stellte ein gleichberechtigter Zugang für Männer und Frauen zum Sport Anfang des 20. Jahrhunderts allgemein 812 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 643. 813 Ebd., S. 645 f. Vgl. auch §6 Täflingsbedömning. B. Poängberäkning i Ridning [Beurteilung des Wettkampfs. B. Punkteberechnung im Reiten]. 17. April 1912. Protokoll der Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf, S. 2 f. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 814 [o. A.] (1912 h). L’organisation sportive en SuÀde, S. 93. 815 [o. A.] (1910b). La r¦union du Comit¦ International des Jeux Olympiques Luxembourg, S. 86. Diese These d’Usseaus sollte sich auch zukünftig bewahrheiten, beispielsweise als Sigfrid Edström als Präsident der International Association of Athletics Federations (IAAF) in die Wege leitete, Frauen bei den Olympischen Spielen 1928 probeweise zu den Leichtathletik-Wettbewerben zuzulassen (Miragaya, 2006, S. 173). Ob Edström wirklich hinter dieser Entscheidung stand oder lediglich erkannte, dass dies ohnehin nicht zu verhindern war, bleibt allerdings offen (Guttmann, 2002, S. 46).
Die unerwartete Herausforderung der Gender-Ordnung
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eine utopische Forderung dar. Gesellschaftlich war hegemonische Maskulinität in Europa weit verbreitet, weil diese »die dominante Position von Männern und die Unterordnung von Frauen« garantierte (Connell, 1995, S. 77). Während Männer als Athleten oder Offizielle in das Sportgeschehen aktiv einbezogen waren, erfuhren sportwillige Frauen Diskriminierung und nahmen eine marginale Position ein. Insbesondere in typisch männlichen Sportarten verbanden die Funktionäre eine Teilnahme eng mit maskulinen Werten; Athletinnen waren nicht willkommen. »Gender« wird in diesem Zusammenhang als »konstitutives Element sozialer Beziehungen, das auf wahrgenommenen Unterschieden zwischen den Geschlechtern basiert, und […] als primärer Weg, Machtverhältnisse zu kennzeichnen« verstanden (Scott, 1999, S. 41 f). Im Kontrast dazu stehen »biologische Erklärungen, wie jene, die einen gemeinsamen Nenner für die unterschiedlichsten Formen weiblicher Unterordnung darin begründet sehen, dass Frauen die Fähigkeit zu gebären haben und Männer die größere Muskelkraft« (Scott, 1986, S. 1056). »Gender« als die soziale Konstruktion von Unterschieden differenziert in der Tat zwischen den Geschlechtern, »aber ist weder direkt vom Geschlecht bestimmt noch von der Sexualität« (Ebd., S. 1057). Da der Begriff »Gender« also »in der menschlichen Gesellschaft wenig Sinn macht, wenn Männliches und Weibliches nicht verglichen und gegenübergestellt« werden (Park, 1987, S. 59), fließen sowohl Aspekte der männlichen Dominanz als auch der weiblichen Unterdrückung als Teile der zeitgenössischen Gender-Praxis in dieses Kapitel ein. Der Versuch der Britin Helen Preece, 1912 am Modernen Fünfkampf teilzunehmen, findet bislang nur vereinzelt in allgemeinen Werken über die Olympischen Spiele von Stockholm Erwähnung.816 Auch nach den Spielen in Stockholm gelang es den Männern aus IOC und SOK, dass der Fall relativ geheim und anonym blieb und damit im Nachhinein wieder schnell in Vergessenheit geriet. Der Offizielle Bericht von 1912 erwähnte den Fall Preece beispielsweise gar nicht. Mallon & Widlund (2002, S. 233) statierten daher am Ende ihres Artikels frustriert, dass »nichts weiter über Helen Preece bekannt ist«. Das folgende Teilkapitel bringt alle bisherigen Erkenntnisse über ihre Biographie zusammen und ergänzt sie mit Informationen aus neuen, bislang ununtersuchten Quellen (vgl. Kap. 4.5.2). Einleitend wird die im olympischen Sport typische Gender-Ordnung behandelt, um Helen Preeces Bewerbung besser einordnen zu können (vgl. Kap. 4.5.1). Die Diskussionen rund um Preeces Antrag schließen gleichzeitig die 816 Helen Preece findet nur in wenigen Werken überhaupt Erwähnung. Zu diesen Ausnahmen zählen Daniels & Tedder, 2000, S. 25 f; Lyberg, 2000, S. 48; Mallon & Widlund, 2002, S. 231ff sowie die Dissertationen von Miragaya, 2006, S. 156 f, 178 und Molzberger, 2010, S. 123.
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Ein steiniger und langwieriger Weg: Einführung in das olympische Programm
Vorbereitungszeit auf den ersten olympischen Modernen Fünfkampf und damit auch das Kapitel 4 ab.
4.5.1 Sport, die Olympischen Spiele und das starke Geschlecht Der Sport war von Beginn an ein rein männliches Universum: geschaffen von Männern, ausgeübt von Männern, gelenkt und kontrolliert von Männern. Erfolg im Sport unterstrich das maskuline Selbstvertrauen durch einen Beweis von Virilität und Kraft (Wakefield, 1997, S. 5 f). Was wäre, wenn Frauen auch daran teilnehmen würden? Die Furcht der Männer, ihr Herrschaftsgebiet zu verlieren, war offensichtlich und führte zu einer prinzipiellen Ablehnung des weiblichen Wettkampfsports (Dunning, 1999, S. 232). In der zivilisierten westlichen Welt, in welcher der Mann im 20. Jahrhundert üblicherweise keine Anerkennung für sein erfolgreiches Jagen, sprich für die Überlebenssicherung, erhielt, ergaben sich »Chancen für Heldentum nur im sportlichen Bereich, nicht im Wald auf den Fersen der Nahrungssuche für den Volksstamm« (Brittan, 1989, S. 77). Aus Sicht des Mannes würden sportliche Erfolge sogar ihre Bedeutung verlieren, wenn Frauen in denselben Disziplinen wie Männer antreten dürften: »Men could prove their superiority by beating other men in competition, but the power of men’s sports to define masculinity was reduced if women participated in them.« (Hargreaves, 1997, S. 109)
Daher fällt es nicht schwer, sich vorzustellen, was es für das Selbstbewusstsein eines Mannes bedeutet hätte, wenn eine Frau ihn im Wettkampf geschlagen hätte. Die Entwicklung des modernen Sports verstärkte so zunächst eher genderspezifische Unterschiede, »Unterschiede, die von einem wissenschaftlichen und medizinischen Diskurs unterstützt wurden, der Frauen als Reproduktionsvehikel idealisierte« (Vertinsky, 1994, S. 13). Die Tatsache, dass hauptsächlich Männer Wettkampfsport praktizierten, bestätigte, dass dies der »natürlichen Ordnung der Dinge« entsprach und ließ Zweifel an einer Unrechtmäßigkeit verschwinden (Hargreaves, 1997, S. 43). Aus männlicher Perspektive waren die Eigenschaften, die man für einen Sportwettkampf benötigte, vergleichbar zu jenen während eines echten Kampfes. Die Journalisten bezeichneten den Sport zwar nicht direkt als Krieg, aber appellierten dennoch an das Gewissen eines guten Sportmanns, als sie für den Militärdienst warben: »War isn’t sport, but it’s a sport’s duty to stick to his pals who are at war for their country’s sake.«817 Während die Kriegssprache dazu 817 [o. A.] (1917a). [o. T.]. Sport, S. 7; [o. A.] (1917b). [o. T.]. Critic, S. 14. Beides zitiert in Philipps (M.), 1997, S. 88.
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genutzt wurde, Sport zu definieren, wurde auch vice versa das Verhalten auf dem Sportplatz mit Kriegsvorfällen in Verbindung gebracht (Phillips (M.), 1996, S. 17). »Sport was important to masculinity and nationhood, but the supreme activity that fused masculinity with national identity was battle« (Philipps (M.), 1997, S. 84). Folglich wurde insbesondere in der nationalistischen Atmosphäre, die sich in den Jahren vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs breitmachte, erwartet, dass Männer am Militärleben bereitwillig teilnahmen. »If they were reluctant to become warriors, the message went, then maybe they weren’t men at all.« (Wakefield, 1997, S. 19) Im Krieg zu kämpfen wurde als grundlegendes Kriterium für wahre Maskulinität angesehen, und man glaubte, dass »die besten Athleten zwangsläufig auch die besten Krieger« seien (Ebd.). Da die Armee lange Zeit eine rein männliche Bastion blieb (Connell, 1995, S. 83), sollte auch der Sport den Zugang von Frauen verhindern, um Männersache und damit ein Feld der Rückversicherung von Männlichkeit zu bleiben (Kidd, 1990, S. 32; Whitson, 1990, S. 24). Wenn weibliche Offiziere in die Armee einträten oder auch nur feminine Männer Sport trieben, würden militärische sowie sportliche Kämpfe nicht mehr als Zeichen für Maskulinität fungieren. Außerdem gefährdete die Vorstellung, dass »das Kriegsgeschäft, ein männliches Geschäft, von Menschen infiltriert werden könnte, die nicht der Definition eines Mannes entsprechen«, die männliche Identität (Wakefield, 1997, S. 137). In diesem Sinne war Sport »ein zentrales Element im Kampf gegen Feminisierung« (Kimmel, 1990, S. 60). Wenn sich folglich derselbe unmännliche, verweichlichte Menschenschlag dem Modernen Fünfkampf annähme, würde auch dieser seine Bedeutung als Sport, den nur Starke, vollständig trainierte Männer ausüben könnten, verlieren. In einer Gesellschaft, wo das Alltagsleben »ausschließlich mit Militarismus und deutlichen Ausdrucksformen von Gewalt verbunden war« (Hargreaves, 1997, S. 167), stand eine Gleichberechtigung der Geschlechter zuhause wie auch auf dem Sportplatz außer Frage. Tatsächlich argumentieren diejenigen, die für Sportpolitik in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg verantwortlich waren, dass Sport »eine Institution geschaffen von und für Männer ist« (Messner & Sabo, 1990, S. 9) und versuchten so, den Eintritt der Frauen in die Welt des männlichen Sports zu verhindern. »In numerous sports contexts, men held the power to stop women’s progress because they monopolized resources and held controlling and decision-making positions.« (Hargreaves, 1997, S. 125)
Besonders der Moderne Fünfkampf, der durch seine Disziplinen einen starken militärischen Bezug hatte, sollte in den Augen der Athleten und Organisatoren ein Bereich männlicher Hegemonie bleiben. Dieser patriarchalischen Linie folgend stimmte auch Coubertin der Koppe-
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lung von Militärübung und Sport prinzipiell zu (vgl. Kap. 2.2.1). Für den Modernen Fünfkampf, der vor seiner Einführung in das olympische Programm im IOC und SOK ausschließlich von Männern diskutiert wurde (vgl. Kap. 4.3, 4.4), bedeutete dies, dass Frauen auch vorab keinerlei Mitspracherecht hatten.818 Eng mit Coubertins Befürwortung eines »männlichen Sports«, der »auf Verteidigung des Mannes, auf Herrschaft über sich selbst, auf Meisterung der Gefahr, der Naturkräfte, der Tiere, des Lebens«819 abzielte, war ebenso der Ausschluss weiblicher Athletinnen, deren Teilnahme an den Olympischen Spielen er als »unpraktisch, uninteressant, unästhetisch« und sogar »inkorrekt« bezeichnete.820 Frauensport erklärte er darüber hinaus als »unvollkommene Kopien«, die dem Sport schadeten.821 »Das Verbot der weiblichen Zulassungen zu all jenen Wettkämpfen, in denen Männer teilnehmen«,822 betrachtete er als Mittel, Missständen im Sport entgegenzuwirken. Sein Konzept der Chancengleichheit bezog also keine Frauen mit ein. Auch seine anderen Erziehungsratschläge formulierte er wie selbstverständlich ausschließlich für Männer.823 Ganz nach dem Geschmack der zeitgenössischen Männerwelt dürfte ebenso gewesen sein, dass für ihn »der wirkliche olympische Held der erwachsene, männliche Einzelkämpfer« war.824 Guttmann (2002, S. 4) schlussfolgerte daraus Folgendes für Coubertin und seine Olympischen Spiele: »The games were definitely not meant to minimize the differences between men and women. They were never intended, in those days, as a platform for women’s rights. The games began as a sports festival for men, and if Coubertin had had his way, women would have remained forever restricted to the role of admiring spectators.«
Folglich nahmen beispielsweise ausschließlich Männer an den von ihm initiierten Vielseitigkeitsproben teilgenommen (vgl. das Diplúme de D¦brouillard, Kap. 2.1.2): ein Umstand, der zunächst niemanden störte. Denn Anfang des 20. Jahrhunderts war die Mehrheit der Gesellschaft noch nicht für Fragen der weiblichen Emanzipation sensibilisiert. Zeitgenössische Einstellungen, die Sport als Mittel der indirekten Kriegsvorbereitung ansahen und sich vor einer Vermännlichung der Frauen fürchteten (Lenk, 1964, S. 45), machten es ihm 818 Das IOC setzte sich in seiner Anfangsphase ohnehin ausschließlich aus Männern zusammen (Krüger (A.), 1997, S. 93; Mitchell (S.), 1977, S. 208 – 228). Coubertin hatte sie eigens ausgewählt. 819 Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 222. 820 [Coubertin] (1912 f). Les femmes aux Jeux Olympiques, S. 110. 821 Coubertin (1922a). P¦dagogie sportive. Übersetzt in Mallwitz, 1928, S. 68 f. 822 Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 215. 823 z. B. Coubertin (1909a). Une campagne de vingt-et-un ans. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1974, S. 146. 824 Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 221.
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leicht, seine Pläne frauenfrei zu halten und gleichzeitig gesellschaftliche Akzeptanz zu finden. Auf der anderen Seite war die Partizipation der Frauen am Sport auf die Aufgabe reduziert, ihre Söhne in diesem Sinne zu erziehen und leichte, feminin angepasste Übungen – selbstverständlich ohne Zuschauer – einzuüben.825 Mit der Einführung eines neuen, »modernen« Fünfkampfs hätte also auch die Hoffnung verbunden sein können, sich für beide Geschlechter zu öffnen. Da Coubertin als Präsident des IOC eine meinungsbildende Vorbildfunktion innehatte und die IOC- und SOK-Mitglieder seine Vorurteile in Bezug auf Frauensport prinzipiell teilten, war jedoch davon auszugehen, dass er im Falle des von ihm propagierten Modernen Fünfkampfs keine Ausnahme machen würde. Es war vielmehr zu erwarten, dass er sich dafür einsetzte, dass dieser Sport ebenso ein männliches Schutzgebiet blieb. Dies erstaunt wie gesagt nicht, weil Coubertin damit lediglich eine bewährte Tradition fortsetzen würde. Denn auch vorherige Fünfkampfe – sowohl das antike Pentathlon (Kannicht, 1997, S. 41) als auch das Pentathlon von Wenlock oder jenes der Zwischenspiele von 1906 – fanden ohne Frauen statt (vgl. Kap. 4.1, 4.2).
4.5.2 Helen Preece, der Moderne Fünfkampf und das schwache Geschlecht Als sich Helen Preece 1912 dazu entschied, im Modernen Fünfkampf anzutreten, war sie erst fünfzehn Jahre alt (Daniels & Tedder, 2000, S. 25 f). In den meisten olympischen Sportarten waren noch keine Frauenkonkurrenzen zugelassen, in Stockholm jedoch immerhin in drei Sportarten, in der Gymnastik, im Tennis und im Schwimmen (Molzberger, 2010, S. 96). Vier der fünf Einzeldisziplinen des Modernen Fünfkampfs waren also immer noch reine Männerdomänen, weshalb es umso erstaunlicher war, dass eine Frau sich ausrechnete, an einem aus diesen konstituierten Mehrkampf teilzunehmen. Helen Preeces ganze Familie, insbesondere ihr Vater und ihre Geschwister, waren reitsportbegeistert und entsprechend wohlhabend, ihren Kindern die reitsportliche Ausbildung und den Besuch internationaler Turniere zu ermöglichen.826 Vor den Olympischen Spielen 1912 hatte die junge Dame daher schon
825 Coubertin (1922a). P¦dagogie sportive. Übersetzt in Mallwitz, 1928, S. 68 f. 826 [o. A.] (1912 t). Fifteen-Year Prodigy at Olympiad. Meine Recherchen nach Helen Preeces familiärem Hintergrund ließen mich auf eine Annonce in The Times vom 16. April 1897 stoßen, in der ein gewisser John Ambrose Preece aus London seine Firma, die sich u. a. mit Pferdesport beschäftigte, zum Verkauf anbot. Dass ihr Vater tatsächlich Ambrose hieß, beweisen zahlreiche Zeitungsausschnitte, z. B. Ebd. (hier heißt es »She is Helen Preece, a daughter of Mr. Ambrose Preece, of Fulham road, London«); die Firmenadresse stimmt
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Erfahrungen in zahlreichen internationalen Reitwettkämpfen gesammelt. Nach der »Olympia Horse Show« 1910, wo die Zuschauer ihren Ritt mit lautem Applaus begleitet hatten, lobte sie die englische Presse beispielsweise in vollen Zügen: »[…] the riding of little Helen Preece is beyond all praise. It is not often that we see such beautiful hands, or so much determination and judgment displayed by a girl of barely 14.«827
Hoch angerechnet wurde ihr auch, dass sie im Sommer des darauffolgenden Jahres ein Pferd namens Merriman ritt, obwohl es kurz zuvor einen Zuschauer getötet hatte. Sogar Queen Mary persönlich empfing sie in Islington (Nordlondon) und gab an, dass sie den Mut der jungen Reiterin bewundere.828 Auch in den USA war Helen Preece kein unbeschriebenes Blatt mehr, als sie im November 1911 in New York den »$1,000 Gold Cup« im Madison Square Garden gewann. Dort verfestigte sich zudem ihr Eindruck, dass US-amerikanische Frauen ein tieferes Interesse am Sport hätten als jene zuhause in England.829 Auch die dortige Presse war ihr wohlgesonnen und schlussfolgerte, dass es in den USA »keine gleichwertige Reiterin« gebe,830 und dass sie »viele männliche Wettkämpfer in den Schatten stelle«.831 Betitelungen als »Wunderkind«832 oder als »größte Reiterin der Welt« gehörten auch dazu833 und machten ihren Erfolg beim Publikum verständlich.834 Dennoch hat dies nicht dazu geführt, den Ausschluss der Frauen von den olympischen Reitwettkämpfen aufzuheben. Der Pferdesport sollte auch in Stockholm weiterhin von Männern dominiert werden. Da der Moderne Fünfkampf neu im Programm der Olympischen Spiele war, hatten Helen Preece und ihr Vater allerdings darauf spekuliert, dass es in den Regularien für den Modernen Fünfkampf von 1912 noch keine Passage über die Frage der Frauenteilnahme gebe. Dennoch war Helen Preece bewusst, dass ihr Antrag ein gewagter Vorschlag war. Was sie wirklich sorgte, war jedoch die
827 828 829 830 831 832 833 834
überein); Ambrose findet ebenso Erwähnung in [o. A.] (1912ee). Miss Preece Arrives und in [o. A.], 1914. [o. A.] [from a special correspondent] (1910c). Women’s Horses and Horsemanship at Olympia. [o. A.] (1911c). Crack Cavalrymen to Ride at Garden. [o. A.] (1912n). Girl to Enter Olympic Games. Miss Helen Preece, ›Women’s Hope,‹ to Take Part in the Contests to Be Held at Stockholm. [o. A.] (1911d). Helen Preece to Ride Here. Ebd. [o. A.] (1912 t). Fifteen-Year Prodigy at Olympiad. Ebd. [o. A.] [from a special correspondent] (1910c). Women’s Horses and Horsemanship at Olympia.
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Tatsache, dass sie die einzige Frau in diesem Wettbewerb sein würde.835 Nachdem Laffan ihre Bewerbung nach Stockholm geschickt hatte, begann für sie eine Zeit des hoffnungsvollen Wartens. Aber mit nur noch zwei Monaten bis zur Eröffnung der Olympischen Spiele sollte die Antwort eigentlich nicht allzu lang auf sich warten lassen. Doch das Erstreiten eines Startplatzes im Modernen Fünfkampf entwickelte sich zu einem Kampf gegen Windmühlen. Mehrere Wochen ließ man sie ohne Antwort warten. Immerhin bedeutete keine Antwort auch keine Ablehnung, so dass Helens Vater, der sie im Training anleitete, die Intensität und Häufigkeit ihres Trainings nochmals erhöhte, um sie optimal auf Stockholm vorzubereiten. Sie besuchte die Schule in Hertfordshire (nördlich von London), doch ihr sportlicher Arbeitstag begann schon um fünf Uhr früh und war erst abends um acht zu Ende. Jeden Tag übte sie sich in den fünf Disziplinen und hielt eine spezielle Diät ein, so dass sie am 11. Juli absolut fit für das Moderne Pentathlon sein würde.836 Sie selbst schaute den Spielen enthusiastisch entgegen, auch wenn die offizielle Anmeldefrist schon ausgelaufen war und eine Antwort zu diesem Zeitpunkt immer noch ausblieb.837 Was ereignete sich hinter den Kulissen? Im Hintergrund der Wettkampfvorbereitung hielt eine große männliche Gemeinschaft zusammen, um ihre Teilnahme zu verhindern. Am Anfang war allerdings niemand, weder das SOK noch die BOA bereit, Verantwortung zu übernehmen. Dabei hatte der offizielle Bericht der Olympischen Spiele von 1908 bereits gezeigt, dass die britischen Sportfunktionäre der Teilnahme von Frauen weniger feindlich gegenüberstanden als einige andere Zeitgenossen: »More events, in fact, might be open to women, whether they are permitted to compete with men or not. […] Perhaps it may be worth considering whether in future Olympiads they [women] may not also enter for swimming, diving, and gymnastics, three branches of physical exercise in which they gave most attractive [but non-competitive] displays during the Games in London. In rifle-shooting, and possibly in other sports, they may also have a fair chance of success in open [for both sexes] competitions.«838
Möglicherweise war dies mit ein Grund dafür, dass Laffan dem schwedischen Spezialkomitee für Modernen Fünfkampfkomitee (und in Kopie auch dem SOK) den folgenden Antrag am 2. Mai 1912 zukommen ließ und damit mehrwöchige Diskussionen einleitete (vgl. Anhang 8.3.3.3): 835 [o. A.] (1912n). Girl to Enter Olympic Games. Miss Helen Preece, ›Women’s Hope,‹ to Take Part in the Contests to Be Held at Stockholm. 836 Ebd. Es ist bemerkenswert, dass Helen Preece laut The Courier-Journal zu diesem Zeitpunkt noch von einem Wettkampfbeginn am 11. Juli ausging, obwohl der Moderne Fünfkampf schon am 7. Juli und damit an dem Tag, an dem der Artikel erschien, begann (vgl. Kap. 5.2). 837 Ebd. 838 Cook, 1908, S. 295.
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»We have had an application from a lady to be allowed to enter for the Modern Pentathlon in the Olympic Games of Stockholm. I presume from your telegram of March 22nd, stating that the Horse Riding Competitions are only open to gentlemen riders, that the Modern Pentathlon is not open to ladies. I do not however feel authorised to decide this question absolutely ; and therefore beg to refer it to you for a definite decision.«839
Obwohl Laffan, ein enger Freund Coubertins (o. A., 1976, S. 86), schon in seinem Brief, Zweifel an dem Erfolg dieser Anfrage äußerte, lehnte er ihn nicht direkt auf nationaler Ebene ab. Mit dem Hinweis auf die Regelung im olympischen Reitsport gab er den schwedischen Organisatoren allerdings bereits einen Tipp, wie eine offizielle Ablehnung begründet werden könnte. Doch bedeutete die Tatsache, dass Frauen nicht zum Reitsport in Stockholm zugelassen waren automatisch, dass dies auch für einen Mehrkampf, der u. a. Reiten umfasste, galt? Nur fünf Tage später übermittelte Hellström einen Fragebogen an die Mitglieder des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf mit der Bitte um umgehende Rücksendung.840 Die Befragung sollte zügig Klarheit darüber bringen, ob Frauen zur Teilnahme am olympischen Modernen Fünfkampf berechtigt wären. Die zwölf teilnehmenden Mitglieder entschieden wie folgt:841 Zehn stimmten mit »Nein«, darunter der Präsident des Komitees Balck und seine Kollegen Cnattingius, Granfelt, Lewenhaupt, Silfverstolpe, Smedmark und Taube, wobei Carlberg, Fick und Wretman ihre Ablehnung sogar mit einem Ausrufezeichen unterstrichen. Nur zwei Mitglieder schlossen sich Balcks Meinung nicht an und stimmten mit »Ja« ab: der Präsident des Spezialkomitees für Schwimmen Erik Bergvall und der Reitsportler ClaÚs König, der seine Bejahung mit einem Ausrufezeichen hervorhob.842 Obwohl Bergvall später als Redakteur den offiziellen 839 Brief von Laffan an das SOK. 2. Mai 1912. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. Mallon & Widlund (2002, S. 232) schreiben, dass Laffans Unterzeichnung mit »Believe me, Gentlemen, Very sincerely yours« auch etwas über seine eigene skeptische Einstellung verriet. Doch zeigt ein Vergleich mit anderen von ihm verfassten Schreiben aus dieser Zeit, dass dies sein typischer eigener Stil war, den er regelmäßig anwandte (vgl. z. B. Brief von Laffan an das SOK. 14. Mai 1912. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 840 Brief von Hellström an die Mitglieder des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf. 7. Mai 1912. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 841 Nur von zwei Mitgliedern des Spezialkomitees, Sekretär Hellström und Leichtathletikvertreter Uggla, waren keine Abstimmungszettel archiviert. Da auch später, im Protokoll der SOK-Sitzung vom 14. Mai 1912, nur zehn Gegenstimmen genannt wurden, ist anzunehmen, dass sich die genannten Mitglieder enthielten (vgl. §12 Kvinnors deltagande i modern femkamp [Die Teilnahme von Frauen im Modernen Fünfkampf]. 14. Mai 1912. Protokoll der SOK-Sitzung, S. 4. 3: 27. Juni 1911 – 14. Mai 1914. Organisationskommitt¦ns protokoll (A I). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm). 842 Frge-Formular [Fragebogen]. [ohne Datum]. Kommitt¦ns för modern femkamp hand-
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olympischen Bericht herausgab, fand weder diese Abstimmung noch Helen Preeces Antrag dort Berücksichtigung. Vermutlich konnte er sich also nicht gegen das SOK, das den Inhalt vor der Publikation absegnen musste, durchsetzen. Während die Mehrheit der Mitglieder des Spezialkomitees lediglich schriftlich mit »Ja« oder »Nein« abstimmte, meldete sich Silfverstolpe telefonisch, um seine Ablehnung, die mit einer Reihe von nicht näher spezifizierten Gründen einherging, persönlich zu überbringen. Auch Granfelt ließ es nicht bei einer bloßen Abstimmung bewenden und fügte seiner Entscheidung eine handschriftliche Erklärung hinzu (vgl. Anhang 8.3.3.4): »Es gibt zwar keine Regelungen oder Bestimmungen für den Modernen Fünfkampf die besagen, dass der Wettkämpfer ein Mann sein muss, sondern nur, dass der Teilnehmer mindestens siebzehn Jahre alt sein muss, aber ich bin auf keinen Fall der Meinung, dass Frauen gegen Männer kämpfen dürfen, besonders nicht im Fechten und im Reitsport.«843
Vor allem für die beiden Vertreter der Stockholmer Militärsportabteilung, Silfverstolpe und Granfelt, mutete eine Zulassung von Frauen in einem Wettkampf, der mehrere militärische und damit rein maskuline Disziplinen einschloss, absurd an. Trotz des eindeutigen Ergebnisses der internen Abstimmung leitete Hellström am Tag darauf eine Kopie von Laffans Schreiben an Coubertin weiter und bat ihn um seine Meinung.844 Offensichtlich fühlte das SOK sich nicht im Stande (oder nicht berechtigt), in dieser Sache allein zu entscheiden. Dies war im Übrigen nicht das erste Mal, dass Balck Rückversicherung bei Coubertin suchte. In der Disziplinauswahl für den Modernen Fünfkampf hatte er ebenso vorab Coubertins Meinung eingefordert (vgl. Kap. 4.3). In seinem Antwortschreiben begann Coubertin zunächst mit einem anderen Thema, den olympischen Pokalen, bevor er auf die Zulassung von Frauen zum Modernen Fünfkampf einging. Allein dies zeugt bereits davon, dass er Letzterem eine geringere Bedeutung zumaß bzw. den Anschein dessen erwecken wollte. So gab er einige Hinweise auf seine bevorzugte Entscheidung (vgl. Anhang 8.3.3.5): »As to the Modern Pentathlon I am personally opposed to the admittance of ladies as competitors in the Olympic Games. But as they are this time admitted as tennis players, lingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. ClaÚs Henrik Magnus König nahm acht Jahre später am olympischen Reitturnier teil und gewann mit seiner Mannschaft Gold im Springen. Vier Jahre später holte er erneut mit der Mannschaft Silber, diesmal im Vielseitigkeitsreiten, das er als fünfter im Individualwettkampf abschloss. 843 Ebd. 844 Brief von Hellström an Coubertin. 8. Mai 1912. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
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swimmers etc. I do not see on what ground we should stand to refuse them in the Pentathlon. However, I repeat that I greatly regret the fact. Therefore I leave to you to decide and if you refuse or accept the engagement, I shall agree with you.«845
Die endgültige Festlegung übernahm Coubertin also nicht und überließ diese dem SOK. Er versprach allerdings zuzustimmen, wie auch immer die Entscheidung letztlich ausfallen würde, ablehnend oder zustimmend. Ein endgültiger Beschluss ließ nicht mehr lange auf sich warten. Weniger als eine Woche später beschäftigte sich Paragraph 12 der SOK-Sitzung vom 14. Mai mit der »Beteiligung von Frauen im Modernen Fünfkampf«. Zunächst wurde das Abstimmungsergebnis dargelegt: zehn Gegenstimmen zu zwei Ja-Stimmen sowie Coubertins neutrale Position. Daraus zog das SOK den Schluss, dass »es Frauen nicht gestattet sei, am Modernen Fünfkampf teilzunehmen.«846 Eine offizielle Begründung gab es nicht, doch wurde insbesondere der Geländeritt als zu anstrengend und zu gefährlich angesehen. In Bezug auf das Fechten kam erschwerend hinzu, dass Frauen zu jener Zeit vornehmlich Florett und nicht Degen (wie für den Modernen Fünfkampf vorgesehen) fochten (Terret & OttogalliMazzacavallo, 2012, S. 287). Am Tag darauf informierte das SOK Coubertin über das Ergebnis der Verhandlungen und war davon überzeugt, ihm mit dem Beschluss entgegenzukommen: »At yesterday’s meeting it was decided not to admit ladies in the Modern Pentathlon, and I sincerely trust you agree with our decision.«847 Weitere zwei Tage später, am 17. Mai, übermittelte Hellström die Entscheidung an die BOA ab; auch hier ohne eine Begründung anzuführen: »With further reference to your favour of May 2nd, we beg to inform you that the Committee have decided, for various reasons, not to allow ladies to enter for the Modern Pentathlon in the forthcoming Olympic Games.«848
845 Brief von Coubertin an Hellström. 20. Mai 1912. [Original in englischer Sprache mit Unterstreichungen]. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. Vgl. auch Mallon & Widlund, 2002, S. 232. 846 §12 Kvinnors deltagande i modern femkamp [Die Teilnahme von Frauen im Modernen Fünfkampf]. 14. Mai 1912. Protokoll der SOK-Sitzung, S. 4. 3: 27. Juni 1911 – 14. Mai 1914. Organisationskommitt¦ns protokoll (A I). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 847 Brief des SOK an Coubertin. 15. Mai 1912. [Original in englischer Sprache]. Korrespondens Balck-Coubertin, 1906 – 1912 (FIII:1). Jan Lindroths idrottshistoriska arkiv (SE/RA/721351). Riksarkivet Stockholm. 848 Brief von Hellström an Laffan/BOA. 17. Mai 1912. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
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Laffan nahm die Mitteilung unkommentiert hin und bestätigte lediglich den Erhalt des Schreibens.849 Ob er ihn tatsächlich an Helen Preece weiterleitete, bleibt allerdings ungeklärt. Während die generellen Bestimmungen für den olympischen Modernen Fünfkampf von 1912 mehr als zwei Jahre lang diskutiert wurden (vgl. Kap. 4.3, 4.4), handelten die Verantwortlichen die Frage der Frauenteilnahme in weniger als zwei Wochen ab: ein Spiegelbild der geringen Bedeutung, die sie diesem Thema beimaßen. Die Bewerbung einer jungen britischen Dame hatte zumindest dazu geführt, dass die Frage der Frauenteilnahme am Modernen Fünfkampf nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden konnte. In der Zwischenzeit, da der Antrag offensichtlich als außergewöhnlich angesehen wurde, zeigte sich die Presse interessiert und veröffentlichte die Neuigkeit. So berichtete das US-amerikanische The Courier-Journal von Ereignissen, die sich am 6. Juli, d. h. genau einen Tag, bevor der Moderne Fünfkampf stattfinden sollte, fernab in London abspielten. Die sportinteressierten Leser konnten dem Blatt entnehmen, dass Fräulein Preece tatsächlich das Startrecht erhalten hätte: »Girl to enter Olympic Games. Miss Helen Preece, ›Women’s Hope,‹ to Take Part in the Contests to Be Held at Stockholm.« Es hieß weiter, dass die Erwartungen der englischen Damen auf ihr lägen und sie die »einzige weibliche Vertreterin« im Modernen Fünfkampf sei.850 Dies beweist, dass eine offizielle Antwort weiterhin ausgeblieben war. Schließlich brachte Coubertins Revue Olympique mit ihrer Meldung alle Idealisten auf den Boden der Tatsachen zurück: »L’autre jour un engagement est venu sign¦ d’une n¦o-amazone qui pr¦tendait concourir pour le Pentathlon moderne et le Comit¦ Su¦dois laiss¦ libre de se prononcer, en l’absence d’une l¦gislation fixe, a refus¦ cet engagement.«851
Sogar ihr Name fand keine Erwähnung, es wurde lediglich über eine »NeoAmazone«852 gesprochen, die versuchte, den Modernen Fünfkampf für sich zu
849 Brief von Laffan/BOA an das SOK. 20. Mai 1912. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 850 [o. A.] (1912n). Girl to Enter Olympic Games. Miss Helen Preece, ›Women’s Hope,‹ to Take Part in the Contests to Be Held at Stockholm. 851 [Coubertin] (1912 f). Les femmes aux Jeux Olympiques, S. 109 ff. Übersetzung: »Am anderen Tag trudelte ein Antrag ein. Er war unterzeichnet von einer Neo-Amazone, die forderte, im Modernen Fünfkampf anzutreten. Aufgrund des Fehlens einer festen Regelung wurde dem schwedischen Komitee die Entscheidung überlassen und es lehnte den Antrag ab.« 852 Der Begriff »Amazone« war schon in der Antike (in Homers oder Herodotus’ Texten) mit einer großen Macht verbunden. Erschrocken von Preeces Dreistigkeit fühlte Coubertin sich möglicherweise daran erinnert (Miragaya, 2006, S. 157). Entsprechend wurden die FrauenPferderennen im frühen 20. Jahrhundert und insbesondere in der Zwischenkriegszeit ty-
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erobern. Die Einstellung des anonymen Autors – vermutlich handelte es sich um Coubertin selbst853 – war eindeutig: Welche Frau war so naiv zu glauben, dass sie eine Chance hätte, an einer maskulinen Sportart wie dieser teilzunehmen? Die Olympischen Spiele wurden am 6. Juli 1912 eröffnet, der Moderne Fünfkampf startete einen Tag später (vgl. Kap. 5.2), aber er startete ohne Helen Preece. Sie hatte gleichermaßen hart wie ihre männlichen Kollegen trainiert, aber dennoch waren es ausschließlich Männer, welche die Chance erhielten, ihre Fertigkeiten im Wettkampf zu beweisen. Obwohl die Absage an Fräulein Preece in den folgenden Jahren nach 1912 nicht weiter medial aufgegriffen und vertieft wurde, scheint ihr Beispiel andere Sportlerinnen für lange Zeit beeinflusst zu haben.854 So haben die männlichen Verteidiger eines frauenfeindlichen Modernen Fünfkampfs schließlich den »Kampf der Geschlechter« (Connell, 1995, S. 82) gewonnen, aber nicht ohne dass die Frauen dabei auf der Strecke blieben. Es gab keine weitere Anfrage von Frauen für eine Teilnahme am Modernen Fünfkampf bis in die 1970er und auch Helen Preece selbst schien nach dieser frustrierenden Erfahrung ihre Wettkampfteilnahme weitestgehend eingestellt zu haben. Gleich nach den Olympischen Spielen im Oktober versuchte sich allerdings ihre jüngere Schwester Maud im zarten Alter von acht Jahren im Madison Square Garden. Dort waren Helen Preeces reitsportliche Erfolge nicht gänzlich in Vergessenheit geraten, doch lag nun das Augenmerk auf ihrer Schwester und insbesondere auf ihrer typischen Kleidung (vgl. Abb. 5): »Miss Preece is 8 years old and has come over to ride at the Horse Show […], where her sister Helen rode very successfully last year. Miss Preece wore riding breeches, a top coat and puttees, […].«855
pischerweise getrennt von den Männerwettkämpfen durchgeführt und häufig als »Amazonen-Rennen« bezeichnet (Hedenborg, 2007, S. 504 f). 853 Mallon & Widlund (2002, S. 232) teilten diese Annahme. 854 Erst in den 1970er Jahren versuchten Frauen erneut, den Modernen Fünfkampf für sich zu gewinnen. Bis Sydney 2000 mussten sie allerdings warten, um zum olympischen Modernen Fünfkampf zugelassen zu werden (Sydney Organising Committee for the Olympic Games, 2001). Vgl. zur Entwicklung des Modernen Fünfkampfs als Frauensport in Deutschland Heck, 2012, S. 318 – 338. 855 [o. A.] (1912ee). Miss Preece Arrives.
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Abb. 5: Helen Preece in ihrer Reiterkluft856
Der Moderne Fünfkampf war damit also nur die Konkretisierung dessen, was die Olympischen Spiele von Beginn an darstellten: »a context for institutionalized sexism, severely hindering women’s participation« (Hargreaves, 1997, S. 209). Modernität galt in diesem Zusammenhang daher eher als Attribut zur Abgrenzung von vorherigen Pentathlon-Formen, war jedoch nicht mit einer modernen sportlichen Emanzipation und einer Lösung von patriarchalischen Strukturen verbunden. Helen Preeces Teilnahmeverbot, das von insgesamt vier männlichen Parteien, Coubertin und dem IOC, Laffan und der BOA, Hellström und dem SOK sowie Balck und dem Spezialkomitee für Modernen Fünfkampf vorangebracht wurde, unterstreicht »eine Welt, wo Männer verantwortlich und Frauen irrelevant« waren (Vertinsky, 2002, 389). Keine Chance für eine einzelne Frau, dagegen anzukämpfen. Männer erschufen den Modernen Fünfkampf für sich und verteidigten ihn als rein maskuline Exklave. Nachdem diese letzte Schwierigkeit aus Sicht der Veranstalter nun behoben war, stand dem ersten olympischen Aufeinandertreffen der Modernen Fünfkämpfer also nichts mehr im Wege.
856 Die Abbildung zeigt Helen Preece in einer damals für Reiterinnen typischen Kleidung. Quelle: Flickr Commons project, 2008. Original: Bain News Service (zwischen 1910 und 1915). Reproduction Number : LC – DIG-ggbain-09944. Zugriff online am 5. Januar 2012 unter http://www.loc.gov/pictures/item/ ggb2004009944. George Grantham Bain Collection. Archiv der Library of Congress.
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Zwischenfazit III: Olympisch-coubertinsche und schwedisch-militärische Einflüsse auf die Einführung eines neuzeitlichen olympischen Fünfkampfs Während die beiden vorangegangen Kapitel ideengeschichtliche Ursprünge des Modernen Fünfkampfs untersuchten (vgl. Kap. 2, 3), hat sich dieses Kapitel der sportpraktischen Einführung eines olympischen Fünfkampfs gewidmet. Sporthistorische Arbeiten über den Modernen Fünfkampf ließen seine Geschichte bislang frühestens mit den Olympischen Spielen von 1912 beginnen; unberücksichtigt blieben daher vorherige olympische Mehrkämpfe, die den Modernen Fünfkampf vorbereiteten oder zumindest Leitbilder der Vielseitigkeit in der Bevölkerung etablierten. Schon 1896 räumte Coubertin ein, dass »die Idee der Wiederbelebung« der Olympischen Spiele »kein Phantasiegebilde« war, sondern »vielmehr das vernünftige Ergebniss [sic!] einer grossen [sic!] Bewegung«.857 Ähnlich lässt sich auch die Verbreitung der Mehrkampfidee interpretieren. Denn schon Ende des 19. Jahrhunderts gab es Vielseitigkeitswettkämpfe aus fünf (oder teils mehr) Disziplinen, die angelehnt an das antike Vorbild im Rahmen olympischer Veranstaltungen eingeführt wurden. William Penny Brookes, der lokale olympische Wettkämpfe in Großbritannien organisierte, hatte schon 1868 und damit 44 Jahre vor dem olympischen Debüt des Modernen Fünfkampfs ein Pentathlon mit »modernen« Disziplinen eingeführt. Bei den Wenlock Olympian Games gab es zwar unterschiedliche Varianten, doch gehörten typischerweise neben leichtathletischen Übungen (Sprünge, Läufe, Würfe) auch Seilklettern oder Reckturnen dazu. Wenngleich die Zusammensetzung augenscheinlich von jener des Modernen Fünfkampfs 1912 in Stockholm abwich, so hatte Brookes doch die Idee der Wiedereinführung des antiken Pentathlon zeitlich bereits weit vor Coubertin umgesetzt. Der Kontakt, den Brookes und Coubertin pflegten, deutet darauf hin, dass der Baron in seinen Zielsetzungen von den Vorgängen in Much Wenlock nicht unbeeinflusst blieb. Umgekehrt sind auch einige Parallelen zwischen den Wenlock Olympian Games und den schwedischen Ideen im Vorlauf von 1912 erkennbar : Zum Einen, der Vorzug des beidhändigen Kugelstoßens in Bezug auf das Leichtathletikprogramm; zum Zweiten, das Einbeziehen eines Hindernislaufs als Disziplin des Fünfkampfs. Allgemein wenig bekannt ist zudem, dass die späteren IOC-Mitglieder sich schon auf dem Gründungskongress im Jahr 1894 mit der Frage der Einführung eines neuen olympischen Mehrkampfs beschäftigten. Coubertin, zunächst als Mitglied und ab 1896 als Präsident, und ebenso Balck als schwedischer Vertreter wohnten beide von da an den regelmäßigen IOC-Sitzungen bei und konnten 857 Coubertin (1896b). Introduction: Les Jeux Olympiques d’AthÀnes – 1896, S. 1.
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somit ggf. ihre jeweiligen Interessen vortragen. Doch blieb es zunächst bei rein theoretischen Diskussionen über olympische Fünfkämpfe, während Mehrkämpfe in der Form turnerischer Disziplinen oder als Allround-Meisterschaften bereits als Teil der Olympischen Spiele bzw. der Weltausstellungen stattfanden. Eine nächste wichtige sportpraktische Etappe auf dem Weg der Einführung des olympischen Modernen Fünfkampfs war das Pentathlon der Zwischenspiele von Athen 1906. In dessen Organisation waren allerdings weder Coubertin noch Balck oder ein anderer Schwede involviert, so dass die Veranstaltung wie zuvor Brookes’ Spiele lediglich als gutes oder schlechtes Beispiel dienen konnte. Während Coubertin den »Zwischenspielen« fern blieb, nahmen schwedische Athleten u. a. am Pentathlon von 1906 teil und bewiesen schon dort ihre Stärke in punkto Vielseitigkeit. Letzteres mag mit dazu beigetragen haben, dass die Einbindung von Fünfkämpfen in das olympische Sportprogramm erst mit der Vergabe der Spiele an Stockholm – als die Schweden mitbestimmten durften – konkrete Formen annahm. Nicht nur auf den folgenden IOC-Sessionen in Berlin 1909, in Luxemburg 1910 und in Budapest 1911, sondern auch auf zahlreichen Sitzungen des Schwedischen Organisationskomitees zwischen 1909 und 1912 stand die konkrete Zusammensetzung des neuen Fünfkampfs zur Debatte. Die Entscheidung war auch dadurch erschwert, dass coubertinsche und schwedische Vorstellungen in einigen Punkten auseinandergingen. Zunächst war Coubertin daran gelegen, seine Olympischen Spiele und damit auch den Fünfkampf von jenem in Griechenland abzugrenzen. Daraus folgte, dass er keine Kopie des antiken Pentathlon anstrebte, sondern einen modernen Charakter, der sich u. a. in der Disziplinwahl widerspiegeln sollte, favorisierte. Die schwedischen Sportfunktionäre waren zwar prinzipiell auch zu Änderungen bereit, doch sollte das antike Vorbild noch deutlich durchscheinen. Die ersten beiden Fünfkämpf-Vorschläge, die auf der IOC-Session 1909 in Berlin aufeinandertrafen, wiesen mit vier gemeinsamen Sportarten (Laufen, Springen, Schwimmen, Ringen) noch relativ große Parallelen auf (vgl. Tab. 1, Kap. 4.3.1). Zu diesem Zeitpunkt hielten es die beiden Parteien daher noch für möglich, sich auf ein olympisches Pentathlon zu einigen. Doch alsbald, im Laufe des folgenden Jahres, kristallisierte sich heraus, dass ein Fünfkampf allein nicht ausreichen würde, um die Meinungsdifferenzen auf einen Nenner zu bringen. Auf der IOC-Session 1910 in Luxemburg überwogen die Unterschiede zwischen beiden Fünfkämpfen deutlich und nur noch das Laufen blieb als gemeinsame Sportart übrig. Hier fassten die Sitzungsteilnehmer dann auch den Entschluss, neben dem Dekathlon zwei statt nur ein Pentathlon auf die Liste des Sportartenprogramms von Stockholm 1912 zu setzen. Die erste Variante, die bezeichnenderweise Schwedischer Fünfkampf getauft wurde, hatte vier Disziplinen mit dem antiken Pentathlon gemeinsam (Weit-
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sprung, Diskuswurf, Kurzstreckenlauf, Speerwurf) und ersetzte lediglich das Ringen durch einen weiteren Lauf über 1500-Meter. Auch die zweite Variante, die in Luxemburg erstmals als Moderner Fünfkampf bezeichnet wurde, war geboren und unterschied sich nun deutlich vom antiken Vorgänger. Nur durch das Laufen und einen Teil der Namensgebung blieb er dem antiken Pentathlon verbunden; die übrigen Sportarten, Reiten, Schießen, Schwimmen und Fechten, waren neuzeitlich geprägt. Somit ist eine der Thesen, die häufig im Zusammenhang mit der Geschichte des Modernen Fünfkampfs gelesen werden kann,858 widerlegt: Coubertin spiegelt mit den fünf Disziplinen des Modernen Fünfkampfs nicht das antike Pentathlon wider ; wenn überhaupt dann galt dies eher für Balcks Schwedischen Fünfkampf. Während Coubertin in den Diskussionen um den Modernen Fünfkampf typischerweise dominant auftrat, hielten sich das SOK und später das extra eingerichtete Spezialkomitee in den Verhandlungen rund um die lokale Umsetzung mit der Äußerung von Einwänden ebenso nicht zurück. Insbesondere das Reiten löste heftige Konflikte zwischen den aristokratischen und den demokratischen Parteien innerhalb beider Komitees aus und drohte gar, Coubertins Idee der sozialen Integration (vgl. Kap. 2.2.2) ins Wanken zu bringen. IOC/Coubertin und SOK/Balck waren in die Disziplinauswahl und -gestaltung gleichermaßen eingebunden, so dass auch die endgültigen Beschlüsse beide Wertekonzepte widerspiegelten: coubertinsche und schwedisch-militärische Ideale. Letztere waren mit Blick auf das Gesamtkonzept der Vielseitigkeit und auf die für den Modernen Fünfkampf ausgewählten Sportarten Fechten, Reiten und Schießen nicht von der Hand zu weisen. Balck kam im Zusammenhang mit diesem kulturellen Transfer von schwedischen Militärsportpraktiken auf die internationale Bühne große Bedeutung zu. In den Diskussionen des Sportreglements zeigte sich auch, dass sich Coubertins Idealvorstellungen nicht in jedem Fall gegen die vom SOKvorgegebenen, praktischen Notwendigkeiten durchsetzen konnten: Das SOK stellte beispielsweise entgegen Coubertins Wunsch keine Pferde für alle Teilnehmer bereit. Dennoch betitelten Balck und andere schwedische Vertreter Coubertin im Briefverkehr als geistigen »Vater« des Modernen Fünfkampfs, während Balck 858 Vgl. z. B. die Homepage der Union Internationale de Pentathlon Moderne (UIPM): »Admiration for the Ancient Pentathlon was fully shared by the founder of the Modern Olympics, Baron Pierre de Coubertin and from 1909 he tried to have the event re-introduced into the Olympic programme.« Zugriff online am 14. Dezember 2011 unter http:// www.pentathlon.org/inside-uipm/structure/honorary-officers oder die Homepage der Canadian Modern Pentathlon Association: »Pierre de Coubertin (the founder of the modern Olympics) selected pentathlon to mirror the ancient Greek pentathlon […].« Zugriff online am 14. Dezember 2011 unter http://www. pentathloncanada.ca/pentathlon-101/default.aspx
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sich für das »schwedische« Pentathlon verantwortlich zeigte. In prekären Fragen, wie der Zulassung von Frauen, versäumten es die Schweden nicht, Coubertins Meinung einzuholen. Vermutlich handelte es sich um eine ungeschriebene Regel, von dem Zeitpunkt an, als in Luxemburg 1910 beide Fünfkampfvarianten akzeptiert wurden. Da Coubertin mit großem Herzblut und Beharrlichkeit hinter der Idee des Modernen Fünfkampfs stand, hatte wohl niemand gewagt, ihm, dem amtierenden IOC-Präsidenten, die Zuständigkeit in dieser von ihm so wertgeschätzten Sportart abzusprechen. Somit hatten beide Sportfunktionäre »ihren« Fünfkampf, und der »Praxistest Olympische Spiele« sollte letztlich darüber entscheiden, welcher sich durchsetzte und auch zukünftig im Programm blieb.
5 International und exklusiv: das olympische Debüt des Modernen Fünfkampfs in Stockholm 1912
Als sich IOC, SOK und Spezialkomitee nach mehr als drei Jahren Diskussion und regem Briefverkehr auf ein Wettkampfreglement geeinigt hatten, stand der erste olympische Moderne Fünfkampf kurz bevor. Einige Zeitgenossen nahmen dies zum Anlass, vorab über die Attraktivität der Sportart zu spekulieren (vgl. Kap. 5.1). Da die beteiligten Personen ihre Wünsche in den Festlegungen nur teilweise verwirklicht sahen, waren sie entsprechend zwiespältig eingestellt; andere, die nicht mit der Organisation vertraut waren, betrachteten den neuen Wettkampf ebenfalls kritisch. Dieses Stimmungsbild äußerte sich in unterschiedlichen Reaktionen, die von Vorfreude und Lobeshymnen bis hin zu Missfallen und Warnungen reichten. Doch erst die eigentliche Durchführung des Wettkampfs zeigte, inwiefern die Zukunftsszenarios eintrafen (vgl. Kap. 5.2). Da der Wettkampf im Juli 1912 zum ersten Mal mit einem internationalen Teilnehmerfeld stattfand, war es schwierig einzuschätzen, ob die angemeldeten Athleten tatsächlich alle anträten und den gesamten Wettkampf – sprich die fünf Disziplinen durchhielten. Ebenso lag es im Dunkeln, wer von ihnen nach sechs Wettkampftagen die Nase vorn haben könnte. Diese Offenheit versprach gleichzeitig auch Spannung. So konnten sich die Veranstalter nicht sicher sein, ob es dem Modernen Fünfkampf tatsächlich gelingen würde, das schwedische Königshaus, das internationale Publikum und die Athleten gleichzeitig in seinen Bann zu ziehen. Da die olympischen Wettkämpfe von Stockholm 1912 gleichzeitig das internationale Debüt des Modernen Fünfkampfs darstellten, ließen die Reaktionen im Anschluss nicht lange auf sich warten (vgl. Kap. 5.3). Im Hinblick auf die Zukunft des Modernen Fünfkampfs war insbesondere die Einschätzung des amtierenden IOC-Präsidenten Coubertin bedeutsam. Darüber hinaus bewerteten auch verschiedene nationale und internationale Beobachter – Organisatoren, Athleten, Sportfunktionäre, Journalisten – den Modernen Fünfkampf. Es zeigte sich schließlich, ob die Realität den vorab aufgebauten Erwartungshaltungen standhielt. Schließlich ging es auch darum, den Wettkampf nicht nur ein Jahr, sondern langfristig im olympischen Programm zu halten.
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International und exklusiv: das olympische Debüt in Stockholm 1912
Die Zusammensetzung des Modernen Fünfkampfs aus der Perspektive seiner Erfinder und Beobachter
Von der Zulassung als olympische Sportart bis zur Ausgestaltung der Wettkampfregularien hatten sich unterschiedliche Sportvertreter mit dem Modernen Fünfkampf befasst (vgl. Kap. 4.3). Entsprechend erwartungsvoll sahen diese dem anstehenden olympischen Debüt entgegen. Auch im Ausland blickten Athleten und Sportbegeisterte mit Spannung auf die mit großem Engagement vorbereiteten Olympischen Spiele: »Every one knows that Sweden is making great efforts as to establish ›etwas noch nicht dagewesenes‹.«859 Den Spielen von Stockholm fieberte Coubertin vor allem deshalb entgegen, weil sie nach Paris, St. Louis und London zum ersten Mal ohne parallele Weltausstellung stattfanden. Damit waren sie im Veranstaltungszeitraum nicht mehr nur nebensächliches Beiwerk, sondern Attraktion Nummer eins. Neben dem Modernen Fünfkampf standen gleich mehrere Premieren an: Zum ersten Mal gab es olympische Kunstwettbewerbe, zum ersten Mal Reitsport, der Dressur, Springreiten und Military umfasste (vgl. Kap. 4.3.1), und ebenfalls zum ersten Mal zwei leichtathletische Mehrkämpfe, den Fünf- sowie den Zehnkampf. Umso wichtiger war es aus Sicht seiner Befürworter, dass sich der Moderne Fünfkampf gegen diese Mehrkampfkonkurrenz durchsetzte und damit seinen zukünftigen Platz im olympischen Programm sicherte. Die an der Planung beteiligten Personen bewerteten den neuen Wettkampf daher schon vor seiner olympischen Premiere. Auch die Presse hielt sich von dem Zeitpunkt an, als der Moderne Fünfkampf konkret und damit öffentlich wurde, mit Vorabkommentaren nicht zurück. Die Kritik wurde auf verschiedenen Stufen angebracht: Zum Einen, um den Wettkampf und dessen Reglement zu legitimieren (vgl. Kap. 5.1.1); zum Anderen, um die getroffenen Festlegungen zu loben bzw. zu bemängeln und darauf basierend, Prognosen für den Wettkampfverlauf und die allgemeine Zukunft der Sportart abzugeben (vgl. Kap. 5.1.2). Die unterschiedlichen Erwartungshaltungen schürten zusätzlich Spannung, wie der erste olympische Moderne Fünfkampf tatsächlich ablaufen würde.
5.1.1 Versprechen und Legitimationsstrategien Um die Hintergründe des Modernen Fünfkampfs verständlich zu machen, war Überzeugungsarbeit gefragt. Für einen Außenstehenden schien die Zusam859 Pihkala, 1912, S. 10 [Original in englischer Sprache mit deutschen Einschüben]. Lauri (»Tahko«) Pihkala (1888 – 1981) war ein finnischer Sportler, der u. a. 1908 (Hochsprung, Diskuswurf) und 1912 (800-Meter-Lauf) an den Olympischen teilnahm.
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mensetzung nämlich ungewöhnlich, ungewöhnlicher zumindest als jene des leichtathletischen Fünf- und Zehnkampfs, die größere Parallelen zum antiken Pentathlon bzw. zum US-Allround-Wettkampf aufwiesen (vgl. Kap. 2.1.1, 4.1.1). Unweigerlich drängte sich daher die Frage auf, warum sich genau diese fünf Disziplinen, Schießen, Fechten, Schwimmen, Reiten und Laufen, durchgesetzt hatten. Nun war eine Einigung zwischen IOC und SOK nicht ohne Widerstände und lange Verhandlungen erzielt worden. Die Disziplinen und deren Regularien hatten in der Vorbereitungszeit häufig gewechselt (vgl. Tab. 2, Kap. 4.2.1; Kap. 4.2.2). Debatten waren bei Neuerungen im Programm allerdings üblich.860 Von diesen Interna kam in der Bevölkerung allerdings nur wenig an. Die Festlegungen der Komitees waren ohnehin häufig alles andere als selbsterklärend, und wenn überhaupt, dann nur mit einem breiten Hintergrundwissen einleuchtend. Die für den Modernen Fünfkampf ausgewählten Einzelsportarten hatten gemeinsam, dass sie 1912 schon olympisch waren; dagegen waren die einzelnen Disziplinen des Mehrkampfs teils neu.861 Die Modernen Fünfkämpfer konnten ihre Bestleistungen in der Vorbereitungszeit folglich nur bedingt an jenen der Einzelwettkämpfe orientieren. Dabei war es offensichtlich, dass ihre Resultate gegenüber jenen der Athleten zurückständen, die sich ausschließlich in einer Sportart übten. Die Verbesserung der Einzelrekorde konnte also nicht im Vordergrund des neuen Mehrkampfs stehen. »Persönliche Bestleistungen und Auszeichnungen« hatten schon bei anderen von Coubertin befürworteten Leibesübungen nicht die Hauptsache dargestellt (Eyquem (1966). Übersetzt in Kreidler, 1972, S. 121; vgl. Kap. 2.1.3). Da die Gründe für die Einführung des Modernen Fünfkampfs also nicht auf der Hand lagen, zeigten die beteiligten Personen, allen voran Coubertin, unterschiedliche Legitimationsstrategien. Eine davon war die Stilisierung des Modernen Fünfkämpfers als »vollkommenen« Athleten (vgl. Kap. 2.1.2). Diese zeigte sich besonders deutlich, als Coubertin in seinen M¦moires olympiques begeistert das Ergebnis der Budapest-Session von 1911 kommentierte (vgl. Kap. 4.3.2): »[…] ils acceptÀrent une ¦preuve laquelle j’attachais une grande valeur : v¦ritable sacrement de l’athlÀte complet, le Pentathlon moderne 860 Die Planungen für die Reitwettkämpfe von 1912 hatten ebenso zu Meinungsdifferenzen geführt (Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 564). 861 Während Schießen, Fechten, Schwimmen, Reiten und Laufen schon vor 1912 im olympischen Programm repräsentiert waren, hatten die konkreten Disziplinen des Modernen Fünfkampfs unterschiedliche olympische Geschichten: Degenfechten wurde 1900 olympisch, die Duell-Pistole sechs Jahre später, 300-Meter-Schwimmen und 4000-Meter-Geländelauf waren über die genannte Distanz nie olympisch und der Geländeritt war bis 1912, als er gleichzeitig Teil des Modernen Fünfkampfs und des Military wurde, nicht in die Spiele eingeschlossen (vgl. u. a. Kluge, 1997).
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[…].«862 Die Zusammensetzung des Modernen Fünfkampfs aus unterschiedlichen, neu ausgewählten Disziplinen war dabei ganz im Sinne des IOC-Präsidenten. Denn das klassische Pentathlon und ebenso sein neuzeitliches leichtathletisches Abbild befand er im 20. Jahrhundert als nicht mehr zweckmäßige Vollkommenheitstests.863 Nach seiner eigenen Theorie sollte ein Mann vor allem Fähigkeiten erwerben, die ihm im alltäglichen Leben von Nutzen sein könnten. Auch im Modernen Fünfkampf würde der Athlet mit unterschiedlichsten Situationen konfrontiert, die vielfältige Anforderungen an ihn stellten. Dabei spiegelten die ausgewählten Disziplinen nicht zwingend Alltagsfertigkeiten eines »Normalbürgers« wider. Sie entsprachen vielmehr den Anforderungen an einen Offizier, obwohl Coubertin offiziell angab, keine Berufs- bzw. Sozialgruppe bevorzugt einzuladen (vgl. Kap. 2.2.2). Die genannte Abgrenzung zum antiken Pentathlon von 1906 spielte für ihn eine primäre Rolle. Der Moderne Fünfkampf sollte Alleinstellungsmerkmale aufweisen, die ihn von jenem der Griechen abhöben. Im Vergleich zu anderen Mehrkämpfen kam für die Athleten erschwerend hinzu, dass die Disziplinen des Modernen Fünfkampfs eher gegensätzliche als miteinander verwandte Fähigkeiten und Fertigkeiten erforderten (vgl. Tab. 2, Kap. 4.2.1). Damit kann der Moderne Fünfkampf als konsequente Weiterverfolgung von Coubertins Gymnastique utilitaire, die er ca. zehn Jahre zuvor entwickelt hatte, interpretiert werden.864 Da letztere allerdings entgegen Coubertins Erwartungshaltung nur schleppend Anhänger in Frankreich fand (Schantz, 2001, S. 115), versprach eine Internationalisierung und damit verbunden eine Institutionalisierung in Form des olympischen Modernen Fünfkampfs neue Impulse. Im Hinblick auf die Disziplinauswahl für den Modernen Fünfkampf legte Coubertin entsprechend auf die harmonische Berücksichtigung aller drei Nützlichkeitsbereiche, »Rettung«, »Verteidigung« und »Fortbewegung«, Wert. Das antike Pentathlon war somit auch deshalb überholt, weil dessen Übungen hauptsächlich der Kategorie »Rettung«, und hier genauer der »Rettung an Land«, angehörten. Gemäß Coubertin genügte letzterer den Erfordernissen eines Lebens im 20. Jahrhundert nicht. Obwohl er selbst die Verbindung zwischen Gymnastique utilitaire und Modernem Fünfkampf vor 1912 nicht explizit 862 Coubertin (1931a) [1996]. M¦moires olympiques, S. 111. Übersetzung (nach Carl-DiemInstitut, 1996, S. 116): »[…] sie stimmten einem Wettbewerb zu, dem ich einen großen Wert beimaß. Der moderne Fünfkampf, eine wahre Weihe für den vollkommenen Athleten […].« 863 Coubertin, 1922, S. 93. 864 [Coubertin] (1913d). Olympisme et utilitarisme, S. 72. Köris (1984, S. 11), Diem & Buschmann (1986, S. 283) sowie Müller (2000, S. 426) stellen zwar jeweils die These auf, dass eine Verbindung zwischen Modernem Fünfkampf und Gymnastique utilitaire besteht, verifizieren diese allerdings nicht anhand einer konkreten Gegenüberstellung.
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ansprach, sind die Übereinstimmungen unübersehbar. IOC-Mitglied d’Usseaux hielt in seinem Protokoll der Luxemburg-Session im Juni 1910 fest: »Le baron de Coubertin, s’inspirant des principes de la gymnastique utilitaire, propose de composer ainsi le penthatlon [sic!] moderne.«865 Im präsidial aufgebauten IOC stellte sich die Schöpfungsfrage also erst gar nicht und die Verbindungen zur Nützlichkeitsgymnastik untermauerten diese Einstellung. Auch das schwedische Organisationsteam hoffte, im Modernen Fünfkampfer einen Mann zu finden, »der sich wirklich in vollkommenem physischen und psychischen Zustand befindet […], der Experte in den gefragten Sportarten ist«.866 Im offiziellen olympischen Bericht hieß es entsprechend, dass die fünf Wettbewerbe gleichwertig seien und darauf angelegt, von den Teilnehmern »Ausdauer, Entschlusskraft, Geistesgegenwart, Unerschrockenheit, Beweglichkeit und Kraft« einzufordern.867 Diese Verbindung des Modernen Fünfkampfs mit zeitgenössischen Idealbildern eines vollkommenen Athleten – seien es jene von Coubertin oder H¦bert – ließen vorab wenig Zweifel daran aufkommen, dass der neue Wettkampf leidenschaftlich aufgenommen würde (Delaplace, 2005, S. 74; vgl. Kap. 2.1.3, 5.1.1). Die einzelnen Disziplinen des Modernen Fünfkampfs lassen sich dem Einteilungsschema der Gymnastique utilitaire tatsächlich problemlos zuordnen (vgl. Tab. 3).868 Was die Zuordnung der genannten Kategorien angeht, so hatte Coubertin in den Jahren zuvor auch abweichende Einteilungen vorgenommen. Beispielsweise deutete er das Schwimmen ebenso wie das Boxen oder Ringen als »Kampf mit einem feindseligen Element«, in diesem Fall mit dem Wasser.869 Wenn er hier auch einen anderen Oberbegriff aus dem Spektrum der Gymnastique utilitaire für das Schwimmen auswählte, so lag die besondere Schwierigkeit des Modernen Fünfkampfs nach wie vor in der Belastung unterschiedlicher, sich zum Teil im Wege stehender Muskelgruppen. Nun hat die ausgewogene Berücksichtigung der drei lebenspraktischen Fertigkeiten, Rettung, Verteidigung und Fortbewegung, nicht zwingend zu der tatsächlich getroffenen Auswahl geführt. Warum umfasste der Moderne Fünfkampf beispielsweise nicht Tauchen, Werfen oder Radfahren, die Coubertin ebenfalls unter den nützlichen Sportarten aufführte? Da die Gründe dafür nicht dokumentiert sind und sich nur teils aus den 865 IIIe s¦ance. 12. Juni. Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1910). ProcÀs-verbal. 13e Session Luxembourg, S. 27. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne. Übersetzung: »Inspiriert von den Prinzipien der Zweckgymnastik schlug der Baron de Coubertin vor, die verschiedenen Elemente des Modernen Fünfkampfs entsprechend zu organisieren.« 866 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 641. 867 Ebd., S. 640. 868 In Coubertins Anleitung zur »Stundeneinteilung« waren beispielsweise alle fünf Disziplinen des Modernen Fünfkampfs in gemischter Reihenfolge enthalten (»X. Stundeneinteilung«. Coubertin (1905). Deutsche Übersetzung von 1906, S. 40ff). 869 Coubertin (1901a). Notes sur l’¦ducation publique. Übersetzt in Hoyer, 1972, S. 106.
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Diskussionen im Vorfeld der Olympischen Spiele erschließen lassen, besteht Raum für unterschiedlichste Spekulationen. Berücksichtigt man beispielsweise die soziale Zusammensetzung der Stimmberechtigten, so entstammten diese mehrheitlich der Oberschicht. Deren spezifische, aristokratische Interessen haben demnach neben Coubertins eigenen Vorlieben die Entscheidungen mit beeinflusst. Tab. 3: Das Anforderungsprofil eines Modernen Fünfkämpfers und die Zuordnung seiner Disziplinen zur Zweckgymnastik870 Moderner Fünfkampf Pistolenschießen
Gymnastique Utilitaire Verteidigung
Notwendige Fähigkeiten Selbstbeherrschung, innere Ruhe, Nervenstärke, Aufmerksamkeitskonzentration, gewissenhafte Gründlichkeit, feinmotorische Präzision Schwimmen Rettung zu Wasser Willenskraft, Selbstüberwindung, Koordinationsfähigkeit, physische Ausdauer (Fitness) Degenfechten Verteidigung Angriffslust, Wahrnehmungs- und (Ringen, Boxen) (Kämpfen) Reaktionsfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit, Taktik und List, körperliche Gewandtheit, psychische und physische Explosivität, Ausdauer Fortbewegung Statische Muskelausdauer, Reiten871 Koordinationsfähigkeit, Umsicht, (Marschieren, Radfahren, Überblick, Einfühlungsvermögen, Rudern, Segeln, Skifahren) Anpassungsfähigkeit, Geduld, Selbstbeherrschung, Mut Laufen Rettung zu Lande Willenskraft, Selbstüberwindung, (Springen, Klettern, Werfen) Koordinationsfähigkeit, physische Ausdauer (Fitness)
Die IOC-Mitglieder waren ohnehin »mehr Delegierte als [echte] Repräsentanten ihrer Nationen« (Jørgensen, 1998, S. 72). Sie waren nicht mehrheitlich gewählt, sondern vielmehr auserwählt, so dass ihre Meinungen typischerweise nur wenig 870 Vgl. für die Übungen der Gymnastique utilitaire: Coubertin (1905). Deutsche Übersetzung von 1906. Die Reihenfolge der Disziplinen entspricht jener des Modernen Fünfkampfs 1912 (vgl. Tab. 2, Kap. 4.3.2). In Klammern sind weitere Übungen genannt, welche Coubertin in seinem Konzept der Zweckgymnastik nannte. Die aufgelisteten »notwendigen Fähigkeiten« basieren auf den Informationen in Krapf, 1987, S. 95 f. Schwimmen und Laufen weisen dort die gleichen Anforderungsprofile auf. 871 Das Reiten zählte Coubertin erstaunlicherweise zum Feld der »Rettung« und nicht zur »Fortbewegung«, wobei er schon damals anmerkte, dass seine Einteilung prinzipiell flexibel sei.
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von denen ihres Präsidenten abwichen. Der aristokratische Pferdesport lag somit vergleichsweise hoch in der Gunst der IOC-Mitglieder : »The members, who were much more likely to be enthusiasts for the turf [Pferderennsport] than the track, were selected for their wealth and for their social status.« (Guttmann, 2002, S. 15)
Auch auf der Seite der schwedischen Gastgeber war die obere Klasse an der Macht (Lindroth, 1998, S. 102). Die Auswahl der aristokratischen Sportarten Reiten und Fechten traf im SOK also allgemein auf wenig Widerstand. Die Kombination mit Schwimmen und Laufen erwies sich dagegen als problematischer. Der Moderne Fünfkampf konnte damit nämlich (zumindest theoretisch) eine soziale Mischung forcieren und so die bestehende Klasseneinteilung herausfordern (vgl. Kap. 2.2.2). Während die Mehrheit der Aristokraten beispielsweise nicht bereit war, im selben Pool gegen Arbeiter wettzuschwimmen, lagen den niedrigen Sozialklassen aristokratische Sportarten wie das Fechten und Reiten fern.872 Die Pferdezucht lag dabei Ende des 19. Jahrhunderts häufig in den Händen der Kavallerieoffiziere, die als »Herrenreiter« ebenfalls gern selbst aufs Pferd stiegen (Eisenberg, 1999, S. 164). Da diese Rennen mit eingebauten Hindernissen jenen im flachen Gelände vorzogen, war zu erwarten, dass sie auch den Modernen Fünfkampf mit seinem Geländeritt attraktiv fänden. Auch das Bürgertum begeisterte sich mehr für Hindernisrennen als für das Dressurreiten, weil ersteres vermeintlich zugänglicher, da leichter zu erlernen war. Dennoch bedurfte es allgemein einem ausreichenden zeitlichen und finanziellen Budget, um Sportarten wie Reiten und Fechten regelmäßig zu praktizieren. Und dies brachte gerade im Zeitalter der aufkommenden Industrialisierung nicht jeder mit. Die Kluft zwischen verschiedenen Sozialschichten war Anfang des 20. Jahrhunderts tief. Wenn im Modernen Fünfkampf also tatsächlich Anhänger unterschiedlicher Klassen gegeneinander anträten, wäre soziale Integration durch Sport realisiert. Doch wie hoch lagen die Chancen, dass dies umgesetzt würde? Es war fraglich, inwiefern die Kreation einer neuen Sportart gegen die gesamtgesellschaftlich verankerten Klassenstandards ankommen würde. Denn die Idee einer Zusammenführung unterschiedlicher Sozialschichten im Modernen Fünfkampf kam zu einem Zeitpunkt und in einer Gesellschaftskonstellation auf, in der soziale Exklusion weiterhin an der Tagesordnung war. Vor diesem Hintergrund wird wiederum deutlich, wie ungewöhnlich der Moderne Fünfkampf zusammengesetzt war. Doch kam es Coubertin möglicherweise gar nicht darauf an, dass das Motiv der sozialen Integration letztlich in die Tat umgesetzt würde; 872 In Bezug auf die Klassenunterschiede im Reitsport vgl. Coubertin (1931a) [1996]. M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 169 f; Eisenberg, 1999, S. 72.
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lediglich die Voraussetzungen dafür sollten geschaffen werden.873 Denn nur so ließ sich der Moderne Fünfkampf auch als Schritt Richtung soziale Demokratisierung »verkaufen« und nur so gelang es ihm, in unterschiedlichen Sozialklassen Anhänger für seine Idee zu sammeln. Wie er es schon in der IOC-Session in Budapest 1911 auf den Punkt brachte (vgl. Kap. 4.3.2), so sollte der Moderne Fünfkampf niedrigen Sozialschichten einen leichteren Zugang zum Reitsport eröffnen: »Ce sont les habitu¦s des sports athl¦tiques qui fr¦quentent assez volontiers le stand, la piscine ou la salle d’armes mais qui, pour la plupart, n’ont jamais eu de cheval eux et n’ont pu monter que des chevaux lou¦s. L’¦quitation mÞme leur demeure trop souvent ¦trangÀre. C’est facheux et c’est un ¦tat de choses qui doit cesser. La question de l’¦quitation populaire est r¦soudre.«874
Auch wenn er, als er für das Bereitstellen von Pferden argumentierte, von der zweiten Seite seiner Demokratisierungsidee nichts wissen wollte (vgl. Kap. 4.2.2), so besann er sich doch wieder darauf und räumte ein, dass der Moderne Fünfkampf gleichzeitig auch aristokratische Kavallerie-Offiziere an populäre und eher bürgerliche Sportarten heranführen sollte: »Nageurs et tireurs ils le sont encore assez volontiers mais, pour un officier de cavalerie, par exemple, courir un cross-country p¦destre est presque une d¦ch¦ance. C’est l le plus sot des pr¦jug¦s et on saura gr¦ au Pentathlon de la d¦raciner.«875
Damit bot er denjenigen, die sich von seiner sozialen Idee nicht überzeugen ließen, ein weiteres, nationalistisch-militärisch geprägtes Motiv. Denn als sich am Vorabend des Ersten Weltkriegs Furcht vor einer kriegerischen Auseinandersetzung in der Bevölkerung breitmachte, gab dies gleichzeitig militärischen Idealen Raum, die begannen, unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche in ihren Sinnstrukturen zu dominieren. Einige sportliche Disziplinen, die wie der Moderne Fünfkampf einen offensichtlich militärischen Charakter trugen (z. B. Orientierungs- oder Patrouillenlauf), schienen enger mit dem Alltag der Soldaten verwoben zu sein als andere. Die Einbeziehung von typischen Militärdisziplinen im Modernen Fünfkampf befähigte Offiziere dazu, im (Wett-)Kampf 873 Vgl. Coubertins Einsatz dafür, den Wettkämpfern Pferde vor Ort bereitzustellen (vgl. Kap. 4.2.2). 874 [Coubertin], 1911, S. 164. Übersetzung: »Es sind diejenigen, die Sporttreiben gewohnt sind, die regelmäßig zum Schießstand, zum Schwimmbad oder zum Fechtsaal gehen, aber die meisten von ihnen hatten noch nie ein eigenes Pferd und konnten nur ausgeliehene Pferde reiten. Das Pferdereiten bleibt sehr ungewöhnlich für sie. Das ist störend und es ist etwas, das aufhören muss. Die Frage des populären Pferdesports muss gelöst werden.« 875 Ebd. Übersetzung: »Sie akzeptieren noch relativ schnell, ein Schwimmer oder ein Schütze zu sein, doch ist Geländelaufen für einen Kavallerie-Offizier beispielsweise fast eine Demütigung. Das ist das dümmste Vorurteil und wir müssen dem Fünfkampf dankbar sein, wenn er damit aufräumt.«
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gegeneinander anzutreten, so dass augenscheinlich militärisches und sportliches Training verschmolzen. Der Moderne Fünfkampf war dabei »im Gegensatz zum antiken [Pentathlon] fast ausschließlich militärischer Natur […]«.876 Für die enge Kooperation mit der Armee spricht u. a. auch die Tatsache, dass Balck die Organisation der Testwettkämpfe dem Stockholmer Militärsportverband überließ (vgl. Kap. 5.2.2). Die Voraussicht eines möglichen Weltkriegs schuf eine Atmosphäre der Angst und folglich eine Suche nach Sicherheit und militärischer Vorbereitung. Mit der Krise in Marokko (1905 – 1906, 1911) und in Bosnien (1908 – 1909) gab es neue Konfliktherde. Zudem nahmen im September 1911 die Spannungen auf dem Balkan zu. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war die kriegerische Stimmung in Europa deutlich spürbar (Mangan, 1998, S. 187). Folglich verstärkten sich die transnationalen Bündnisse: Im Juli 1912 trafen beispielsweise die Generalstäbe Russlands und Frankreichs eine Militärvereinbarung (Caron, 1991, S. 563 f). Der schwedische Autor Sven Hedin (1865 – 1952) verbreitete 1912 ca. eine Million Kopien seiner Abhandlung Ett varnings ord (Ein Wort der Vorsicht), das sich mit einer möglichen russischen Attacke beschäftigte.877 Diese »nationalistische Inbrunst« (Krüger (A.), 1993, S. 93) fand sich in einem Athleten wieder, der als allseitig und vollkommen in seinen Fähigkeiten angesehen wurde und daher auf jegliche militärische Krise vorbereitet schien. »Fitness für den Kampf« entwickelte sich zu einem bedeutsamen Instrument, den »Vorteil der Gruppe, der Mannschaft, der Nation« auszubauen (Mangan, 2000, S. 1 f). Bevor die Länder auf dem Schlachtfeld aufeinander träfen, sollten Kämpfe auf dem Sportplatz bereits ein erstes Ranking abgeben. Die Auswahl von kriegstauglichen Disziplinen fand so eine utilitaristisch-nationalistische Legitimation. Aus demselben Empfinden heraus richtete Balck im Februar 1912 einen Brief an Coubertin: »Nous avons aussi pens¦ sur la possibilit¦ d’une guerre europ¦enne, et nous sommes d¦cid¦s accomplir notre tache jusque l’impossibilit¦. Si les Su¦dois eux mÞmes seront engag¦ dans une guerre, il sera peut Þtre difficile de c¦l¦brer les jeux en SuÀde; mais nous voulons demander aux Grandes Prussiens d’attendre jusque au 1er August.«878 876 [o. A.] (1912 g). Uttagningstäflingarna i modern femkamp, S. 9. 877 Hedin, 1912; vgl. auch Polsson, 2011. 878 Brief von Balck an Coubertin. 14. Februar 1912. SD2: Correspondance 1905 – 1914, BALCK CORR. Correspondance 1894 – 1914, ID: 6590. Balck Correspondance, Code: CIO MBRBALCK CORR, OU MO 01 41 07, 0055015. IOC-Archiv Lausanne. Übersetzung: »Wir dachten auch über die Möglichkeit eines europäischen Kriegs nach, und wir sind entschlossen, unsere Aufgabe zu erfüllen, bis es sich als unmöglich erweist. Wenn die Schweden in einen Krieg verwickelt werden, könnte es schwierig werden, die Spiele in Schweden zu feiern, aber wir wollen die Großen Preußen bitten, bis zum 1. August zu warten.«
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Diese Stimmung, die sich in der Vorbereitungszeit auf die Olympischen Spiele breitmachte, trug wohl auch zur Entwicklung der Entstehungslegende des Modernen Fünfkampfs bei. Sie half, die Disziplinauswahl des Modernen Fünfkampfs dem einfachen Volk zu erläutern: »Nach der Legende soll ein Kurier (Offizier, Soldat) aus einem Gefecht eine wichtige Meldung überbringen. Sein Ritt führt über feindliches Gebiet, wo er plötzlich angegriffen wird. Er verteidigt sich mit dem Degen, bis ihm dieser aus der Hand geschlagen wird, greift dann zur Pistole, die er im Kampf leerschießt. Da inzwischen sein Pferd unter ihm weggeschossen ist, überwindet er schwimmend den Fluß [sic!]. Schließlich bringt er die Meldung laufend zu seinem Ziel.« (Köris, 1984, S. 13)
Andere Autoren spezifizieren die Erzählung, indem sie den Kavallerieoffizier in die Zeit des Französisch-Preußischen Kriegs (1870/71) versetzen (CBCSports.ca, 2008) oder von den Attributen eines napoleonischen Offiziers sprechen.879 Wie es bei Legenden häufig der Fall ist, so ist auch hier nicht sicher, wer die übermittelte Geschichte wann entwickelte.880 Dass die Reihenfolge der in der Legende genannten Disziplinen nicht jener des Modernen Fünfkampfs entsprach – weder der Endversion noch vorherigen Alternativen (vgl. Tab. 2, Kap. 4.2.1) –, spricht dafür, dass die Legende schon, bevor die konkreten Verhandlungen begannen, entstanden war. Möglicherweise griff sie allerdings auch nur die Grundidee des Wettkampfs auf, ohne den Anspruch zu haben, die Reihenfolge konkret widerzuspiegeln. In jedem Fall bestätigt sie, dass Sport und Armee eine Verbindung im Modernen Fünfkampf eingegangen waren und dass dieser Pakt sogar zur Rechtfertigung der Disziplinauswahl dienen konnte. Es erscheint plausibel, dass Coubertin sich diese Legende selbst erdachte. Sein Vaterland zu verteidigen sah er als Pflicht an; Militärangehörige deutete er als probate Unterstützer seiner olympischen Ambitionen (vgl. Kap. 2.2.1). Darüber hinaus erinnert die Erklärung des »Raids«, die er in seinem Werk La Gymnastique utilitaire: sauvetage – d¦fense – locomotion (1905) anführte, an die Entstehungslegende des Modernen Fünfkampfs. Denn auch hier muss der Aktive – in diesem Fall allerdings nicht zwingend ein Offizier – seine Fähigkeiten bestmöglich einsetzen, um sein Ziel zu erreichen: 879 »Modern Pentathlon 101«. Homepage der Canadian Modern Pentathlon Association. Zugriff online am 14. Dezember 2011 unter http://www. pentathloncanada.ca/pentathlon-101/ default.aspx 880 Leider ist es der Verfasserin trotz intensiver Recherchen und Nachfragen bei CoubertinForschern wie dem Franzosen Patrick Clastres nicht gelungen, die Originalquelle aufzufinden. Die Entstehungslegende wird auch von anderen Autoren häufig zitiert, doch jeweils ohne die Quelle und auch ohne den Ort und die Zeit ihrer Entstehung anzugeben (vgl. z. B. Tishman, 1996, S. 738; UIPMB [o. J.]. Introduction to Modern Pentathlon, S. 1. Zitiert in Mallon & Widlund, 2002, S. 240 (Anmerkung 1); Hotz & Beckmann, 2007, S. 312). Vgl. zur Entstehung von Legenden in der Sportgeschichte Lennartz, 1997, S. 8 – 11.
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»Ein Raid ist eine große Anstrengung, die sich auf die Erreichung eines entfernten Punktes sowie auf die Rückkehr von diesem richtet, und zwar ohne vorherige Vorbereitung darauf, mit dem Ziel, durch Ausdauer und Geschicklichkeit, Energie und Gewandtheit so schnell wie möglich und unter den bestmöglichen Bedingungen zu einem bestmöglichen Ergebnis zu kommen.«881
Ähnlich deutlich werden die Zusammenhänge, wenn Coubertin in seinem Handbuch CollÀge ModÀle (1909) die Umsetzung seiner Zweckgymnastik erläuterte und dabei den Athleten wechselnd von einem Turnübungsplatz, über einen Schießstand und das Schwimmen in einem benachbarten Fluss, Meer oder See bis hin zum Reiten auf geliehenen Pferden ersann.882 Auch die von ihm genannte »Impedimenta-Theorie«, die besagte, dass das Erlernen von Sportarten erfordere, sich ständig wechselnden Bedingungen und Situationen anzupassen, wies Parallelen auf.883 Nicht zuletzt untermauern zahlreiche andere Auszüge aus Coubertins Originaltexten, dass die Geschichte von ihm selbst stammen könnte: So sei es beispielsweise »nicht allen gegeben […], durch das Schwimmen allein einer Gefahr zu entrinnen oder andere daraus zu retten«.884 Heldenhafte Tugenden, mit denen ein gewisses Risiko einherging, hatten es Coubertin ohnehin angetan: »Es gibt Sportarten, die ständig mit der Gefahr in Berührung kommen, wie das Reiten und das Schwimmen. […] Schließlich suggerieren andere, wie das Fechten, die Gefahr.«885 Die Durchquerung feindlichen Geländes zur Überbringung einer Botschaft machte zudem auch den Lauf und das Pistolenschießen zu Bestandteilen eines großen militärischen Abenteuers. Und dennoch erwähnte Coubertin die Legende selbst in keinem seiner Werke, Briefe oder Reden, so dass seine Urheberschaft letztlich nicht bewiesen werden kann. Es kann daher nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass diese von anderen Personen, die mit der Organisation betraut waren, oder auch von außenstehenden Beobachtern stammte. Dass Sportarten mithilfe militärischer Legenden mystifiziert wurden, war nämlich zu jener Zeit nicht ungewöhnlich. Der Marathonlauf beispielsweise basierte ebenfalls auf einer militärischen Entstehungsgeschichte (Lucas, 1976, S. 121 – 125). Balck hatte in Bezug auf seine Nordischen Spiele vergleichbar von einem militärischen Skiwettlauf gespro-
881 »V. Der Raid«. Coubertin (1905). Deutsche Übersetzung von 1906, S. 85. 882 Coubertin (1912a). Un collÀge modÀle (le CollÀge L¦opold II): projet r¦dig¦ pour le roi des Belges l’occasion du CongrÀs d’expansion mondiale de Mons. Übersetzt in Carl-DiemInstitut, 1971, S. 16. 883 Coubertin (1909a). Une campagne de vingt-et-un ans. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1974, S. 149. 884 »II. Die Rettung zu Wasser«. Coubertin (1905). Deutsche Übersetzung von 1906, S. 16. 885 Coubertin (1901a). Notes sur l’¦ducation publique. Übersetzt in Hoyer, 1972, S. 111.
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chen, der als Botengang arrangiert war.886 Georges H¦bert bestätigte schon 1907, dass die Zweckgymnastik, »moralische Fähigkeiten entwickelte, die sowohl für einen Mann als auch für einen Soldaten nützlich sein« könnten.887 Es könnte sich also bei der Entstehungslegende des Modernen Fünfkampfs auch um ein Spiegelbild des Zeitgeists handeln, der Militärisches und Körperliches wie selbstverständlich miteinander verwurzelte und mehrere statt nur einen Urheber kannte. Eine Verbindung der Leibeserziehung zur Armee war zu jener Zeit also durchaus populär, weil positiv behaftet. Dafür spricht auch, dass die Legende »auf dem schon 1912 anachronistischen Glauben beruhte, dass dies die Fähigkeiten waren, die ein guter Soldat besitzen sollte« (Alexander, [o. J.]). Mit der Realität auf dem Schlachtfeld hatten diese romantisch anmutenden Abenteuer eines einzelnen Helden auch damals wenig zu tun. Hier zeigte sich wiederum Coubertins Liebe zum »männlichen Sport«, zu »Sportarten, die auf Verteidigung des Mannes, auf Herrschaft über sich selbst, auf Meisterung der Gefahr, der Naturkräfte, der Tiere, des Lebens hinzielen«.888 Ebenso verhielt es sich mit der Namensgebung ›modern‹. Denn die fünf ausgewählten konnten weder vor 100 Jahren noch heute »als besonders junge und neuzeitliche Sportdisziplinen bezeichnet werden« (Christoph, 1971, S. 136). Den mehrheitlich europäischen und nordamerikanischen Beobachtern lagen also sowohl gesamtgesellschaftlichsoziale als auch nationalistisch-militärische Gründe für die Sinnhaftigkeit, Moderne Fünfkämpfer auszubilden, vor. Im Hinblick auf seinen häufig bewiesenen Weitblick ist davon auszugehen, dass Coubertin die daraus resultierende einseitige Zusammensetzung des Teilnehmerfelds vorausahnte (vgl. Kap. 5.1.2). Warum begnügte er sich also 1912 mit einem eingeschränkten Kreis an Interessenten? Die getroffene militärisch ausgerichtete Disziplinauswahl bot Vorteile: So war ihm die Unterstützung in IOC und SOK und damit eine Umsetzung des Projekts sicher. Dem Komitee schwebte die Einführung eines neuen olympischen Fünfkampfs bereits über zehn Jahre vor. Dass Coubertin in der Festlegung der Disziplinen letztlich Flexibilität zeigte (vgl. Kap. 4.4), beweist, dass ihm die Einführung 1912 – insbesondere aufgrund der militärischen Tradition Schwedens – geeignet erschien, und er nicht noch länger auf die Realisierung warten wollte. Auf der anderen Seite mag ihn die militärische Verbindung möglicherweise gar nicht gestört haben, ermöglichte sie doch, Soldaten in einer allgemein kon886 Rede von Viktor Balck [o. J. und Datum]. Koncept till föredrag (J II A: 2). Generalmajor V. G. Balcks arkiv. Sveriges Centralförening för Idrottens Främjandes arkiv (SE/RA/730329). Riksarkivet Stockholm. 887 H¦bert (1907a). [o. T.]. L’Êducation physique, 15. Mai. Zitiert in H¦bert, 1912 [1941], S. 124. 888 Coubertin (1931a) [1996]. M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 222.
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fliktreichen Zeit friedlich im Wettkampf zusammenzubringen und ihre Leistungen abseits des Schlachtfelds wertzuschätzen (vgl. Kap. 2.2.1). Neben der Vielseitigkeit und Militarisierung von Sportarten traf die namentliche Verbindung zum antiken Pentathlon erwartungsgemäß den Zahn der Zeit. Das »antike Vorbild« schenkte der Sportart seinen »Esprit« und erhielt im Modernen Fünfkampf eine »neuzeitliche Form«, die sich in der Disziplinwahl wiederspiegelte, so dass letztlich »antiker Sinn und moderne Gestalt« idealtypisch vereint waren (Lenk, 1964, S. 266; vgl. Kap. 2.1.1). Die Berufung auf die »gemeinsamen klassischen Wurzeln der abendländischen Kultur« (Ebd., S. 273) einte die internationale Gemeinschaft der Athleten und versprach Zuspruch. Einige Historiker sind allerdings davon überzeugt, dass Coubertins Begeisterung für die Antike weniger auf die Restauration klassischer olympischer Ideale als auf Unterstützung für seine ehrgeizigen privaten Projekte abzielte. Eine gesellschaftlich auf Wohlwollen treffende Idealisierung der Vergangenheit räumte ihm die Möglichkeit ein, »das Prestige der Antike für seine Zwecke einzusetzen« (Prokop 1971, S. 41; Wirkus 1987, S. 184; Schantz 2008, S. 12). Guttmann (2004, S. 259) schrieb gar, dass Coubertin »die Aura der Antike ausnutzte«. Sein Geheimnis lag darin, »formale Elemente des griechischen Olympismus« zu übernehmen, ohne in die »Imitation äußerer Formen« zu verfallen (Prokop 1971, S. 41). Dies gelang ihm vorbildhaft, als er um Unterstützung für eine neue Form des Pentathlon suchte. So stärkte die olympische Traditionslinie die Beliebtheit des Modernen Fünfkampfs unter seinen Kollegen im IOC, die der Aufnahme neuer Sportarten ins olympische Programm zustimmen mussten. Trotz der Bemühungen Coubertins um ideologische Anbindung und trotz der sorgfältigen organisatorischen Vorbereitungen des SOK blieben im Vorlauf der Olympischen Spiele kritische Worte nicht aus. Diese lieferten die Basis für vielfältige, positive und negative, Zukunftsprognosen.
5.1.2 Kritik und Prophezeiungen Im Gastgeberland Schweden traf der Moderne Fünfkampf auf besonders fruchtbaren Boden. Auf den ersten Blick erschien er durch seine Einbindung unterschiedlicher Sportarten und seinen ausgeprägten individualistischen Wettkampfgedanken allerdings weit entfernt von den kollektiven Trainingsformen der Schwedischen Gymnastik (vgl. Kap. 3.1.1). Doch fernab aller gymnastisch-sportlichen Disparitäten zeigten sich inhaltliche und methodische Gemeinsamkeiten: Mit der Einbeziehung von Lings liebstem Hobby, dem Fechten, und dem Schießen als Teil der Schießklubbewegung, waren die Anhänger aus den Reihen der schwedischen Gymnasten bereits für zwei der pentathletischen
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Übungen gesichert. Im Hinblick auf die Etablierung der restlichen drei Disziplinen waren sowohl die traditionellen Gymnasten als auch die Sportanhänger leicht von deren Brauchbarkeit im militärischen Training zu überzeugen. Die Zusammensetzung des Modernen Fünfkampfs versprach somit vergleichsweise weniger Feinde im Lager der schwedischen Gymnasten (als bei anderen modernen Sportarten) und mehr Freunde in der Armee. Die eindeutige Verbindung der Leibesübung zum Militär war zu dieser Zeit also typischerweise nicht negativ behaftet; Gymnastik und Turnen waren diesen Pakt schon zuvor eingegangen. Als das Stockholms Dagblad den Modernen Fünfkampf vorstellte, hob es beispielsweise seine »exklusiv militärische Natur« als Hauptunterschied zum antiken Pentathlon hervor.889 Die Testwettkämpfe seien bereits »mit Interesse aufgenommen worden« (vgl. Kap. 5.2.1), was eindeutig dafür bürge, dass es »zukünftig eine interessante Wettkampfart im schwedischen Militärsportprogramm« sein werde.890 Ob der Moderne Fünfkampf auch Chancen hatte, sich für die kommenden Olympischen Spiele und einen internationalen Wettkämpferpool zu empfehlen, war damit noch nicht gesagt. Dennoch hatte der neue Mehrkampf im Ausrichterland eine recht positive Ausgangssituation. Was die Einen dazu nutzten, den Modernen Fünfkampf zu bewerben, befanden andere als kritikwürdig. Die einseitig militärische Ausrichtung der Sportart lag auf der Hand. Folglich waren von Beginn an die Nationen im Vorteil, die wie Schweden regelmäßig Militärsport betrieben und daher in den genannten Disziplinen geübt waren. Daneben erwarteten die IOC-Mitglieder, dass europäische Nationen im leichtathletischen Pentathlon und Dekathlon allgemein besser abschneiden würden, weil »der Kontinent den besten Typ von Allround-Mann produzierte«.891 Außerhalb Europas kam nur den USA eine sportliche Favoritenrolle zu: »›Mens fervida in corpore lacertoso‹ hatte das neue Motto des Barons Coubertin gelautet, als er die Idee eines ›modernen‹ Fünfkampfs durch Schweden in die Tat umsetzen ließ. Wir mußten von vornherein mit einer starken Ueberlegenheit der Nationen rechnen, die ihren Adel und ihre Armee für sportliche Kämpfe rüsten wie Schweden oder in der Sportbewegung weit vorgeschrittener sind, wie Amerika.«892
Dies galt in gewisser Weise zwar auch für die jeweiligen Einzelsportarten des Modernen Fünfkampfs, doch setzten diese vergleichsweise weniger vielseitige 889 Modern Femkamp tar sin början. Stockholms Dagblad, 7. Juli 1912. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 890 Ebd. 891 Sullivan (1912a). The Olympic Games, Stockholm, 1912, S. 73. 892 »Moderner Fünfkampf. Wanderpreis des Baron Coubertin«. In Diem (1912a) [1990]. Album der Olympischen Spiele 1912, S. 156.
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Talente voraus. Interessant an Carl Diems Einschätzung ist zudem, dass er hinter der Idee des Modernen Fünfkampfs Coubertin sah, während er den Schweden die pragmatische Seite zuwies. Letztere hätte wohl keine Nation besser umsetzen können. Denn selbst innerhalb der Militärkreise schien das Interesse am Modernen Fünfkampf außerhalb Schwedens fraglich, weil einige seiner Disziplinen, insbesondere der Lauf, für Offiziere ungewöhnlich waren: »Es ist ein schwedischer Leutnant. (Ob es auch einen deutschen Leutnant giebt[sic!], der Laufsport treibt? Sicher nicht; erstens wär’s plebejisch und dann auch wohl ein bischen (sic!) zu anstrengend!)«893
Die Zusammensetzung des Modernen Fünfkampfs ließ es also ungewiss erscheinen, dass der Mehrkampf auch außerhalb Schwedens Begeisterung erweckte. Das SOK selbst zeigte sich in diesem Punkt zuversichtlich und war davon überzeugt, dass sich das Ausland anstecken ließe. In einem Brief an König Gustav V. präsentierten sie den Modernen Fünfkampf als »einen der wichtigsten und interessantesten Wettkämpfe« der ganzen Olympischen Spiele (vgl. Kap. 4.4.2).894 Nicht nur im Ausrichterland, sondern auch unter den ausländischen Athleten, habe der Mehrkampf bereits seine Anhängerschaft gefunden.895 Eine Bestätigung dafür fand sich knapp einen Monat vor Wettkampfbeginn in einem schwedischen Zeitungsartikel. Dieser besagte, dass die Zusammensetzung und der Charakter des Modernen Fünfkampfs »ein mehr als lebhaftes Interesse sowohl in als auch außerhalb unseres Landes [Schwedens] geweckt« habe.896 Doch das Training von fünf Einzelsportarten beanspruchte viel Zeit und einen hohen organisatorischen Aufwand. Schließlich mussten ein Pferd sowie unterschiedliche Sportgeräte (Pistole, Degen) und Trainingsplätze (Schwimmbad, Schießstand etc.) zur Verfügung stehen. Folglich waren die Trainingsvorbereitungen in den fünf ausgewählten Sportarten von der breiten Bevölkerung praktisch kaum zu leisten, auch wenn Pferde für den olympischen Wettkampf selbst bereitgestellt wurden. Es war daher schon zuvor absehbar, dass Coubertins Idee, alle Klassen zum Modernen Fünfkampf einzuladen, utopisch war (vgl. Kap. 2.2.2, 5.1.1). Trotz seiner Bemühungen im Vorlauf konnte er daher selbst nicht vollends mit den finalen Wettkampfregularien des Modernen Fünfkampfs 893 Brustmann (1906a). Von Sport und Körperkultur : Olympische Reiseeindrücke, S. 163. 894 Brief an den König [Absender unleserlich, vermutlich Balck]. 20. April 1912. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 895 Ebd. 896 Lord Kempshall. Den moderna femkampen vid Olympiska spelen. Skall svenska staten ställa hästar till förfogande? [Soll die schwedische Regierung Pferde zur Verfügung stellen?]. 4. Juni 1911. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
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zufrieden sein (vgl. Kap. 5.3.1). Er bemängelte einige Festlegungen des SOK und ließ dabei außer Acht, dass auch er sich in der Disziplinauswahl nicht von Beginn an deutlich festgelegt und seine Meinung im Verlauf der drei Jahre mehrfach gewechselt hatte (vgl. Tab. 2, Kap. 4.3.2). Die für ihn zentralen Aspekte hatte Coubertin teilweise schon vor der Premiere des olympischen Modernen Fünfkampfs zu Papier gebracht.897 So griff er einige Kritikpunkte bereits im November 1911 auf, als er einen speziellen Beitrag in der Revue Olympique, der sich explizit und ausschließlich mit dem »Pentathlon moderne« befasste, veröffentlichte. Vor allem die Möglichkeit, sein eigenes Pferd mitbringen zu dürfen, störte ihn, wie er wiederholt betonte: »Dans la pens¦e du fondateur de la coupe, les chevaux devaient Þtre fournis par le comit¦ d’organisation et tir¦s au sort au dernier moment. La solution adopt¦e est une cote mal taill¦e.«898
Coubertin hätte die oben genannten Momente der Spontanität also eigentlich vorgezogen, womit der Moderne Fünfkampf zwar enger an seiner Entstehungslegende läge (vgl. Kap. 5.1.1), aber organisatorisch noch schwieriger umzusetzen wäre. Neben der Aussage in Bezug auf die Pferdefrage ist an dem o. g. Zitat ebenso interessant, dass Coubertin sich als »Schöpfer des Pokals« nicht jedoch als Erfinder der Sportart bezeichnete. Vermutlich beabsichtigte er damit, an seine Drohung zu erinnern, die von ihm gestiftete Auszeichnung zurückzuziehen, sofern er nicht in die Festlegung der Wettkampfdetails bestimmend eingreifen dürfte. Außerdem vertrat Coubertin die Meinung, dass sich Offiziere und Gentleman-Reiter weniger vom Wettkampf angesprochen fühlten und daher nicht überrepräsentiert unter den Teilnehmern wären, wenn sie nicht ihre eigenen Pferde reiten dürften.899 Wenn die Offiziere und Herrenreiter ein unbekanntes Pferd zugelost bekämen, und hier reiche ein mittelmäßiges Truppenpferd, hätte dies einen direkten positiven Einfluss auf die Zusammensetzung des Teilnehmerfeldes: »L’officier et le gentleman-rider ne pouvant pas produire la jolie et fine monture dont ils ont l’habitude, qu’ils font valoir et qui de son cút¦ les fait valoir, seront bien moins
897 In seinen M¦moires olympiques (1931) erläuterte er die Kritikpunkte lediglich näher, änderte sie nicht ab (wie bei anderen Themen). Daher spiegeln einige der dortigen Ausführungen auch seine Erwartungshaltung vor 1912 wider und können daher in dieses Unterkapitel mit einfließen. 898 [Coubertin], 1911, S. 164. Übersetzung: »In den Gedanken des Schöpfers des Pokals mussten die Pferde vom Organisationskomitee bereitgestellt werden und per Los im letzten Moment ausgewählt werden.« 899 Ebd.
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incit¦s ses pr¦senter aux ¦preuves du Pentathlon parce qu’ils n’y seront pas avantag¦s comme ils se trouvent l’Þtre sous le rÀglement inverse.«900
Ein wahrer Reiter zeichne sich ohnehin nicht durch gute Leistungen auf seinem eigenen Pferd aus, sondern in der Beherrschung eines fremden: »C’est pourquoi, dÀs la VIme Olympiade, il est d¦sirer que l’on adopte – et pour toujours s’y tenir – le rÀglement forme d¦mocratique qui introduira dans le Pentathlon l’¦quitation et non l’hippisme et donnera cette utile fondation sa complÀte valeur.«901
Auch in der Revue Olympique bemängelte er die vom SOK in der Pferdefrage getroffene Entscheidung und machte sie zu einem Kernproblem des geplanten Wettkampfs: sie »verändere den ganzen Charakter des Fünfkampfs«.902 Obwohl Coubertin erbost darüber war, dass die Schweden seinen Vorschlag nicht angenommen hatten (vgl. Kap. 4.4.2), konnte er sich letztlich mit deren »aristokratischem« Konzept – zumindest für 1912 – abfinden. Schließlich stand für ihn im Vordergrund, die sportlichen Neigungen verschiedener Sozialgruppen zu komplettieren, d. h. beispielsweise, Offiziere zum Laufen zu motivieren und gleichzeitig Arbeiter zum Reiten (vgl. Kap. 2.2.2).903 Die Ausweitung der Disziplinen der Offiziere und Herrenreiter war ihm dabei offensichtlich ebenso wichtig war wie die Einladung niedriger Sozialschichten: »La conception su¦doise est essentiellement aristocratique et s’adresse des officiers et des gentlemen-riders. Elle n’est point d¦daigner pour cela, bien entendu. La soci¦t¦ (si l’on se place au point de vue social et comment, de nos jours, ne pas s’y placer?) a int¦rÞt ce que les jeunes gens assez riches pour acheter et entretenir un cheval de selle, sachent en outre nager, tirer, courir et sauter.«904
900 Ebd., S. 164. Übersetzung: »Wenn dem Offizier und dem Herrenreiter nicht seine feinen und schönen Pferde, an die er gewohnt ist, zur Verfügung stehen, solche Pferde, die ihre Reiter schätzen und von ihren Reitern geschätzt werden, wird er weniger geneigt sein, an den Disziplinen des Fünfkampfs teilzunehmen, weil er nicht so bevorteilt sein wird, wie er es unter der gegenteiligen Regelung wäre.« 901 Ebd., S. 165. Übersetzung: »Daher ist es von der VI. Olympiade an wünschenswert, dass die demokratische Regel dann – und für immer – gilt, die besagt, dass Reiten und nicht Pferderennen in den Modernen Fünfkampf eingeschlossen ist, um dieser Erfindung ihren vollen Wert zu verleihen.« 902 [Coubertin], 1911, S. 164. 903 Vgl. z. B. [Coubertin] (1918b). L’athlÀte complet, S. 2 f. 904 [Coubertin], 1911, S. 164. Übersetzung: »Das schwedische Konzept ist überwiegend aristokratisch und es richtet sich an Offiziere und Herrenreiter. Selbstverständlich soll es dafür nicht verschmäht werden. Die Gesellschaft (wenn man die soziale Perspektive berücksichtigt, und wie sollte man es heutzutage anders machen?) ist interessiert daran, junge Menschen zu haben, die wohlhabend genug sind, ein Reitpferd zu kaufen und zu unterhalten, und die auch fähig sind zu schwimmen, zu schießen, zu laufen und zu springen.«
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Für die Umsetzung des ersten olympischen Modernen Fünfkampf 1912 nahm er es also hin, dass die Veranstalter seinen Wünschen nur teilweise entsprochen hatten. Mit diesem Kompromiss waren allerdings weitere Schwierigkeiten verbunden. So sah Coubertin voraus, dass die Schiedsrichter, die nun zwischen Reitern mit und ohne Pferd differenzieren mussten, stets angreifbar wären: »La tche du jury s’en trouvera singuliÀrement compliqu¦e car, s’il est honnÞte il devra tenir un compte ¦troit de la diff¦rence de m¦rite entre le cavalier qui monte son propre cheval et le cavalier qui en monte un de rencontre. Si scrupuleuses quo soient les consciences des jur¦s, ils se sentiront toujours soupÅonn¦s cet ¦gard.905
Coubertin erwartete folglich von Balck und seinen Kollegen, dass diese ihre Entscheidung in der Pferdefrage organisatorisch zu Ende dachten und auch die Konsequenzen ihrer Festlegungen mit einbezögen. Dass das Königshaus ebenso wie der ganze schwedische Sportapparat hinter der Vorbereitung der Olympischen Spiele standen,906 erhöhte den Druck auf das Organisationsteam zusätzlich. Es hing quasi die Ehre des gesamten schwedischen Volkes vom Erfolg der Spiele ab. So ließ Balck Coubertin frühzeitig im Hinblick auf die Ausrichtung der Olympischen Spiele in Stockholm wissen, »daß er ›gut gearbeitet‹ hätte« und »daß der Kronprinz (jetziger König) großes Interesse zeigte«.907 Schon ein halbes Jahr vor Beginn der Spiele, Ende Dezember 2011, berichtete er ebenso zuversichtlich über die positive Stimmung in Bezug auf den Modernen Fünfkampf (vgl. Anhang 8.3.1.5): »Votre id¦e – le pentathlon moderne – a eu un trÀs grand succÀs dans les pays Scandinaves, l’Allemagne parait ¦galement s’y int¦resser. […] Vous pouvez Þtre tranquille, mon cher ami, nous ferons de notre mieux et votre magnifique id¦e nous fera honneur.908 905 Ebd., S. 165. Übersetzung: »Die Pflicht der Preisrichter wird folglich ziemlich kompliziert sein, denn wenn diese Jury ehrlich ist, muss sie die enge Leistungsdifferenz zwischen dem Reiter, der sein eigenes Pferd reitet, und dem Reiter, der ein Pferd reitet, das er gerade erst kennengelernt hat, berücksichtigen. Wie objektiv das Gewissen der Jurymitglieder auch sein würde, diese Mitglieder würden sich immer in dieser Angelegenheit verdächtigt fühlen.« 906 Wagner, 1912, S. 5. 907 Coubertin (1931a) [1996]. M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 41. 908 Brief von Balck an Coubertin. 27. Dezember 1911. SD3: Correspondence mai-dec 1911 – COJO Coubertin. Correspondance envoy¦e ( Coubertin) et reÅu par le COJO des Jeux Olympiques d’¦t¦ de Stockholm 1912, Code: CIO JO-1912S-COJO, ID: 46570, 9994. Stockholm 1912 – 1: JO 1912 S – ARTPR-COJO. IOC Archiv Lausanne. Übersetzung: »Ihre Idee, der Moderne Fünfkampf, ist ein sehr großer Erfolg innerhalb der skandinavischen Länder, Deutschland zeigte ebenfalls sein Interesse. […] Sie können beruhigt sein, mein lieber Freund, wir werden unser Bestes tun und Ihre großartige Idee wird uns Ehre machen.«
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Bei keiner anderen Sportart hob Balck die Urheberschaft explizit hervor, aber beim Modernen Fünfkampf schien diese Frage – zumindest zwischen Balck und Coubertin – eindeutig geklärt zu sein. Gleich zweimal hob er Coubertin als Ideengeber hervor (»votre id¦e«, »votre magnifique id¦e) und versprach ihm seine volle Unterstützung in der Umsetzung. Von Balcks eigenem, eigentlich in Konkurrenz stehenden, Fünfkampf war dagegen ebenso wenig die Rede wie von seinen eigenen Schöpfungsansprüchen an den Modernen Fünfkampf. So kurz vor der Premiere wollten die Schweden keinen Streit mit dem IOC riskieren. Die schwedische Presse vereinnahmte die Idee des Modernen Fünfkampfs entsprechend nicht für ihre Landsmänner, sondern sprach sie eindeutig Coubertin zu: »Dies ist eine der schönsten Ideen von dem kreativen Sportenthusiasten Baron Pierre de Coubertin – dem Vater der modernen Olympischen Spiele –, die in Form seines Vorschlags für einen modernen Fünfkampf zutage gekommen ist. Die Idee besteht darin, die männlichsten und edelsten Sportarten zu einem Mehrkampf zusammenzuführen, indem die reifen und gebildeten Männer, die ihren Körper in Schuss haben, mit dem Gebrauch der Waffen vertraut und an das Leben auf dem Pferderücken gewohnt sind, ihre Kräfte und ihren Sportmannssinn ausprobieren sollen.«909
Obwohl der Autor, Lord Kempshall, dem SOK zugestand, dass dieses den Vorschlag interessiert aufgenommen habe und »mit Liebe zum Detail ausgearbeitet«, gab es auch Mängel zu verzeichnen. Größtenteils seien die Vorbereitungen geglückt, die Zusammensetzung des Modernen Fünfkampfs sei beispielsweise als ausgesprochen gut anzusehen.910 Doch die Bestimmungen einzelner Disziplinen ließen schon vorab Bedenken aufkommen (vgl. Kap. 4.4). So sparte Lord Kempshall die disputable Entscheidung in der Pferdefrage nicht aus. Er beklagte, dass es dem SOK nicht gelungen sei, sich »vom Druck des IOC loszulösen«. Denn das Reiten unbekannter Pferde zuzulassen führe zwangsläufig zu einer fremden, nicht kalkulierbaren Komponente: »Es muss als absolut verwerflich angesehen werden, damit ist der ganze Wettkampf so wenig abhängig von einem selbst, anders als es eigentlich sein sollte, weil über dessen [des Pferdes] Dressur, Laune und Vermögen man in vollständiger Unkenntnis ist.«911
Wie es von Rosen schon in Budapest argumentiert hatte (vgl. Kap. 4.4.2), so war auch dieser ebenfalls mit einem Adelstitel ausgestattete Autor der Meinung, dass sich, wenn die Reitdisziplin quasi bedeutungslos sei, keine echten Reiter zum Modernen Fünfkampf anmelden würden. Der gesamte Wettkampf verlöre damit 909 Lord Kempshall. Den moderna femkampen vid Olympiska spelen. Skall svenska staten ställa hästar till förfogande? [Soll die schwedische Regierung Pferde zur Verfügung stellen?]. 4. Juni 1911. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 910 Ebd. 911 Ebd.
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an Wert, sei »nicht sportmäßig«, sondern lediglich ein »hippologischer Witzwettbewerb«.912 Trotzdem schwedische Presse, SOK und ebenso Coubertin den für 1912 geplanten Modernen Fünfkampf also lediglich für sub-optimal hielten, war man im Ausland nach wie vor davon überzeugt, dass der neue Mehrkampf ermögliche, die geschätzte D¦brouillardise auszubilden: »Es verlautet bereits, dass bei den Olympischen Spielen in Stockholm im Jahre 1912 ein ›Pentathlon‹ (Fünfkampf) gebildet werden soll, das Laufen, Fechten, Reiten, Schwimmen und Schiessen [sic!] in sich fassen wird. Wer dort den Sieg erringt, wird sich den Namen ›d¦brouillard‹ wie die Franzosen sagen, ruhmwürdig verdienen.«913
Coubertin selbst dachte schon weiter und war vom Potential des Modernen Fünfkampfs überzeugt. Denn bei dem Debüt in Stockholm sollte es nicht bleiben. Er betrachtete dies lediglich als eine erste Stufe und glaubte fest daran, dass seine Idealvorstellungen zukünftig noch erreicht würden.914 Schon während der XI. Olympiade sollte »diese nützliche Kreation« durch eine Änderung der Pferdefrage »ihren vollen Wert« erreichen.915 Mit der Umsetzung dieser neuen Regelung ergebe sich letztlich ein »demokratisches« System.916 Coubertin sah diese positiven Aspekte also im Grundkonzept des Modernen Fünfkampfs schlummern. Schon bevor der erste olympische Moderne Fünfkampf überhaupt stattgefunden hatte, warf er daher einen optimistischen Blick in seine Zukunft: »Ce pentathlon est certainement destin¦ jouer un grand rúle, peut-Þtre mÞme devenir l’¦preuve dominante des Olympiades venir. Il remplacera l’ancien pentathlon car il est beaucoup plus int¦ressant et beaucoup plus probant. L’homme capable de s’y pr¦senter, si mÞme il n’en sort pas vainqueur, est un athlÀte v¦ritable, un athlÀte complet. Nul doute que l’ambition des jeunes gens ne soit tent¦e par un tel programme.«917
Diese Zuversicht war sicherlich auch in seiner positiven Grundstimmung gegenüber den Olympischen Spielen von 1912 insgesamt begründet. In einer Rede, 912 Ebd. 913 [o. A.] (1910 g). Gibt es ein französisches System der körperlichen Erziehung? [Original in deutscher Sprache], S. 167 f. 914 Coubertin (1922a). P¦dagogie sportive. Übersetzt in Mallwitz, 1928, S. 56. 915 [Coubertin], 1911, S. 165. 916 Ebd., S. 165. 917 Ebd., S. 163. Übersetzung: »Dieser Fünfkampf ist sicherlich dazu bestimmt, eine große Rolle zu spielen, vielleicht sogar dazu, der dominante Wettkampf der zukünftigen Olympiaden zu werden. Er wird den antiken Fünfkampf ersetzen, weil er sehr viel interessanter und sehr viel naheliegender ist. Der Mann, der fähig ist, daran teilzunehmen, ist, auch wenn er sich nicht als Sieger herausstellt, ein wahrer Athlet, ein vollkommener Athlet. Es gibt keinen Zweifel daran, dass sich die jungen Männer von einem solchen Programm angezogen werden fühlen.«
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die er wenige Tage vor der Eröffnungsfeier hielt, sprach er den Veranstaltern, allen voran dem König selbst, Balck und von Rosen, seinen Dank aus.918 Diese bedingungslos optimistische Einstellung war keineswegs typisch für Coubertin, der andere für 1912 eingeplante olympische Wettkämpfe vorab kritischer betrachtete. Mit der Vielzahl an neuen Mehrkämpfen sah er zunächst vorrangig organisatorische Schwierigkeiten aufkommen: »Tel est l’¦tat actuel des choses. Il n’est pas excellent.«919 In Bezug auf das Dekathlon, teilte er Hellström konkret mit, dass sich »die Tatsache nicht verbergen« lasse, dass es »wahrscheinlich nach unserer Olympiade nicht überleben wird«.920 Er führte den Gedanken weiter, indem er auf die Wechselhaftigkeit und damit verbundene Unstetigkeit der Sportart hinwies. So hätte es 1908 das Heptathlon gegeben und 1916 würde man sicherlich zu anderen Formen zurückkehren (vgl. Kap. 6.1.1).921 Diese Einschätzung ist auch deshalb interessant, weil der Zehnkampf als Vielseitigkeitswettbewerb 1912 mit dem Modernen Fünfkampf in gewisser Weise konkurrierte. Die schwedische Presse stand dem Dekathlon ebenfalls skeptisch gegenüber. Schon im Juli 1910, nach der IOC-Session in Luxemburg (vgl. Kap. 4.3.1), berichtete Tidning för idrott, dass »man über den Zehnkampf, als etwas Neues, Vorbehalte aussprach und befürchtete, dass der langandauernde Wettkampf zu viel Zeit beanspruchen könnte«.922 In Bezug auf alle neuen Mehrkämpfe – Pentathlon, Dekathlon und Moderner Fünfkampf – stand die Kritik im Raum, dass alle drei für sich allein eine zu große Belastung für die Teilnehmer bedeuteten. Zudem würden einige der Disziplinen nicht dem hohen Standard gerecht, den man allgemein von olympischen Wettkämpfen erwarte. Der Wert der genannten Mehrkämpfe läge jedoch darin, vielseitige Athleten auszubilden.923 In diesem Punkt harmonisierten die olympischen Mehrkämpfe mit den schwedischen Grundprinzipien (vgl. Kap. 3.1.3). Auch die britische Presse betrachtete die neuen Fünfkämpfe vordergründig als ein Gesamtnovum, ohne zu differenzieren:
918 [Coubertin] (1912 h). La s¦ance du 4 juillet 1912 (discours Stockholm), S. 120 f. 919 [Coubertin] (1912c). La classification des sports, S. 42. Übersetzung: »Dies ist der aktuelle Stand der Dinge. Es ist nicht exzellent.« 920 Brief von Coubertin an den Sekretär des SOK (Hellström). 13. April 1911. Nr. 5 Correspondances officielles du COJO Stockholm 1912 avec le CIO, Coubertin et CNO, Fo35 13o99. CIO JO-1912S – MICRO: Microfilms des archives du COJO des Jeux Olympiques d’¦t¦ de Stockholm 1912: correspondance, procÀs-verbaux, formulaires et r¦sultats, 1908 – 1913, ID 46582, 9919. Mikrofiches: MI-1/ JO-1912 S – Microfilms – Archives COJO – 9919. IOC Archiv Lausanne. 921 Ebd. 922 [o. A.] (1912). [o. T.]. Ny Tidning för idrott, 16. Juli. 923 Ebd.
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»As to these Pentathlons, it may be suggested that, fascinating as they are in principle, they may prove very difficult to carry out in practice, and may either unduly crowd the programme or place too great a strain upon a prominent athlete.«924
The Field sah die Hauptschwierigkeit darin, dass die besten Athleten es vorzögen, in mehreren einzelnen Disziplinen statt in nur einem Mehrkampf anzutreten. Schließlich entginge ihnen ansonsten die Chance, ihre Talente zum potentiellen Gewinn zahlreicher Goldmedaillen einzusetzen. Folglich sei zu erwarten, dass die im Mehrkampf gezeigten Leistungen vergleichsweise schwach ausfielen. Ein hoher olympischer Standard sei bei mehr als drei Disziplinen ohnehin schwierig zu erreichen: »Indeed, even if the winner of three of these ›inclusive events‹ reaches that standard, he is not likely to do so in the other two events necessitated by a Pentathlon, still less is he likely to do so in the somewhat cumbrous Decathlon.«925
Das doppelt so viele Disziplinen umfassende Dekathlon wurde folglich als noch unattraktiver angesehen. Dies erstaunt, weil die Briten bereits Ende des 19. Jahrhunderts Allround-Wettkämpfe veranstaltet hatten und damit in einer vergleichsweise langen Mehrkampftradition standen (vgl. Kap. 4.1). Der Autor setzte seine Kritik fort, indem er Fünf- und Zehnkämpfe für generell passender im gymnastischen als im athletischen Bereich befand. Am Ende des Artikels warf er abschließend doch einen differenzierteren Blick auf einen der genannten Mehrkämpfe und besann sich auf die britischen Erfahrungen mit AllroundEvents: »[…] the ›modern Pentathlon,‹ for which the president offers his cup, is certainly a project that has undeniable possibilities of interest and excitement without the drawbacks incidental to more purely athletic specimens, and something akin to our ideal of the ›all-round sportsman‹ should be the result.«926
Den besonderen Stellenwert des Modernen Fünfkampfs betonte er ebenso dadurch, dass er die vierte Disziplin, nicht einfach als Reiten, sondern als »einen Test der Reitkunst« beschrieb. Mit dieser Disziplin ging allerdings gleichzeitig Kritik einher : Während es in den übrigen von Graf von Rosen organisierten Reitwettkämpfen selbstverständlich war, dass Reiter ihre eigenen Pferd mitbrachten, sollten für den Modernen Fünfkampf neue Regeln gelten: »[…] for Baron Pierre de Coubertin’s ›Modern Pentathlon‹ it is probable that competitors in the horsemanship competitions would have to use horses provided by the 924 T. A. C. [keine weiteren Autoreninfos], 1910. Balliol ist ein nach John de Balliol benanntes College der Universität Oxford. 925 Ebd. 926 Ebd.
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Swedish authorities, so that no rider might enjoy the advantage of an animal to which he was accustomed.«927
Von den von Coubertin propagierten Vorteilen dieser Regelung für jene, die kein eigenes Pferd besaßen, war dagegen keine Rede. Dass es sich um »Coubertins ›Modernen Fünfkampf‹« handelte, schien dabei schon zu diesem Zeitpunkt festzustehen. Aufgrund seiner Wertschätzung des Modernen Fünfkampfs bedauerte der Autor vor allem, dass das britische Allround-Talent William Henry Grenfell von Balliol (Lord Desborough) (1855 – 1945) den Wettkampf lediglich passiv beobachten könnte.928 Letzterer war als Generalsekretär der BOA schon in der Vorbereitungszeit auf die Stockholmer Spiele mit dem Modernen Fünfkampf in Berührung gekommen.929 Während The Field dem Modernen Fünfkampf also schon vorab Positives abgewinnen konnte, hielt sich The Times vor der Premiere allgemein mit wertenden Kommentaren zurück. Artikel zum Modernen Fünfkampf wurden, wenn sie überhaupt Berücksichtigung fanden, der jeweiligen Einzelsportart thematisch zugeordnet oder unter dem Stichwort »Olympic Games« zusammengefasst, nicht jedoch als eigenständiges Thema ausgewiesen.930 Inhaltlich zeigten sich die Journalisten nicht um die ideologische Komponente des Modernen Fünfkampfs besorgt, sondern vielmehr um logistische Aspekte wie die Kostendeckung der Athletenunterkünfte.931 In der US-amerikanischen New York Times ließen sich vor den Olympischen Spielen von Stockholm ebenfalls nur wenige Berichte über den Modernen Fünfkampf finden. Im Vordergrund standen deutlich die leichtathletischen Einzelwettbewerbe bzw. vereinzelt die leichtathletischen Mehrkampfdisziplinen. So wurden schon im März 1911 Informationen zum Pentathlon und Dekathlon von 1912 veröffentlicht; der Moderne Fünfkampf wurde dagegen ausgelassen.932 Die österreichische Allgemeine Sport-Zeitung gab dagegen schon vorab eine 927 Ebd. 928 Ebd. Lord Desborough (1855 – 1945), der mit bürgerlichem Namen William Henry Grenfell hieß, war ein britischer Athlet, Sportfunktionär und Politiker. 1906 holte er mit der britischen Fechtmannschaft Silber. Er war seit der Gründung der BOA, 1905, ihr Vorsitzender (Bailey, 1998, S. 69; Anthony, 1997, S. 19 f). 929 Vgl. z. B. »Punkt 4«. Lord Desborough (1912). BOA Council Meeting: Report of the special sub-committee re[garding] the arrangements for competitors of the United Kingdom at Stockholm. 16. April, S. 3. BOA Meeting Minutes. Archiv der British Olympic Association (BOA). Ich möchte Dr. Matthew Philip Llewellyn, Assistant Professor an der California State University, Fullerton, für die Weiterleitung dieser und der folgenden BOA-Archivunterlagen, danken. 930 Vgl. z. B. zur Datierung des Fechtens: [o. A.] (1912a). The Olympic Games. Programme and Rules. 931 Ebd. 932 [o. A.] (1911a). Curtail Events in Olympic Games.
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positive Prognose für ihren einzigen Starter im Modernen Fünfkampf ab: »Infolge seiner großen Qualitäten im Schwimmen, Schießen und Fechten« habe er »große Chancen für den Preis des Barons Coubertin«.933 Der Journalist ging also davon aus, dass auch Edmund Bernhardts Konkurrenten Schwächen in der einen oder anderen Sportart aufwiesen. Interessant ist auch der hohe Stellenwert von Coubertins Siegerpokal, der noch über der Aussicht auf eine Medaille zu stehen schien. In Coubertins Heimatland Frankreich griff La Vie au grand air die Olympischen Spiele zwei Wochen vor deren Beginn als Thema auf. In einem ersten ausführlichen Artikel über die Teilnahme Frankreichs waren etliche Sportarten mit ihren Athleten und den jeweiligen Gewinnchancen aufgeführt; der Moderne Fünfkampf und die anderen Mehrkämpfe waren nicht darunter.934 Nun war es aufgrund fehlender vorheriger Wettkämpfe ja auch schwierig, um nicht zu sagen unmöglich, Favoriten auszumachen und die französische Presse zeigte sich hier weniger vermessen als vergleichsweise die österreichische. L’Auto startete seine olympische Berichterstattung zwar schon drei Wochen früher, doch standen vorab ausschließlich finanzielle, nicht sportliche Aspekte im Vordergrund.935 In L’Illustration erschienen die ersten Artikel über die Olympischen Spiele erst mit Beginn der Wettkämpfe (vgl. Kap. 5.3). Der Moderne Fünfkampf war demnach vor dem Beginn der Olympischen Spiele noch nicht in aller Munde, umso mehr war den Veranstaltern an einer erfolgreichen Umsetzung und einer damit verbundenen positiven Pressedarstellung während und im Anschluss an die Wettkämpfe gelegen. Die Vorteile einer gelungenen Weltpremiere des Modernen Fünfkampfs lagen auf beiden Seiten: Coubertin könnte sich als kreativer Ideengeber darstellen und Schweden würde gleich doppelt von einem planmäßigen Ablauf profitieren: als vorbildliches Gastgeberland sowie als erfolgreiche Sportnation. Letzteres überließen die schwedischen Organisatoren nicht dem Zufall, sondern sorgten dafür, dass sich Offiziere im ganzen Land ehrgeizig darauf vorbereiteten (vgl. Kap. 5.2.1).936
933 934 935 936
Silberer (1912a). Olympische Spiele aus Stockholm, S. 874. LefÀvre, 1912. Fallieres, 1912. Läftman (1912a). Fem- och Tiokamp, Modern Femkamp [Fünf- und Zehnkampf, Moderner Fünfkmapf], S. 226.
Die Inszenierung des ersten Modernen Fünfkampfs
5.2
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Die Inszenierung des ersten Modernen Fünfkampfs
Vor 1912 waren die Olympischen Spiele mehrheitlich als Teil von Weltausstellungen ausgetragen worden.937 Der Kreis der teilnehmenden Nationen und anerkannten Sportarten hatte sich zunehmend ausgeweitet – 1912 nahmen zum ersten Mal Athleten aus allen fünf Kontinenten teil –, wie auch der Sport im gesellschaftlichen Alltag allmählich Fuß fasste. Stockholm war 1912 zum ersten Mal Gastgeber der Olympischen Spiele und gab sich alle Mühe, die Welt organisatorisch und sportlich zu beeindrucken. So ließ sich das SOK auch nicht die Chance entgehen, die Zusammensetzung des erst kürzlich festgelegten Modernen Fünfkampfs vor Ort zu erproben (vgl. Kap. 5.2.1). Dies brachte gleich mehrere Vorteile mit sich: Die besten schwedischen Athleten konnten sich für eine Olympiaauswahl empfehlen und die Wettkampfregularien einem Praxistest unterzogen werden. Zudem bauten die Schweden damit ihren Heimvorteil aus, weil die heimischen Sportler im Gegensatz zu ihren ausländischen Mitstreitern den neuen Wettkampf als Ganzes und einige der dazugehörigen Wettkampfstätten vorab kennenlernten. Die Mehrheit der nicht-schwedischen Sportler reiste zwar mit Trainingserfahrungen in den fünf oder zumindest in einigen der fünf Disziplinen an, jedoch ohne den Gesamtfünfkampf absolviert zu haben. Ob deren Leistungen dennoch ausreichten, um mit den Schweden mitzuhalten, würde erst das Ergebnis des olympischen Wettstreits zeigen. Schon ab dem 5. Mai 1912 hatten einige olympische Turniere in Stockholm stattgefunden,938 die Spiele selbst wurden offiziell jedoch erst zwei Monate später, am 6. Juli, eröffnet. Die so genannte »Stadionwoche«, die den sportlichen Höhepunkt der Stockholmer Spiele darstellte (Molzberger, 2010, S. 204), zog sich über insgesamt zehn Tage hin.939 Teil davon war auch der Moderne Fünfkampf, der insgesamt sechs Tage beanspruchte und gleich einen Tag nach der Eröffnungsfeier begann (vgl. Kap. 5.2.2). Seine Durchführung als internationaler Wettbewerb machte ihn lebendig und zeigte, ob die Vorbereitungen gefruchtet hatten, sprich einen reibungslosen Wettkampfverlauf mit einem starken schwedischen Team erlaubten. Was das Teilnehmerfeld anging, so bewahrheitete sich auf internationaler Ebene, was sich schon vorher im Kleinen national gezeigt hatte: Der Moderne Fünfkampf sprach vor allem die militärischen Kreise, den adligen Offizierskorps, an (vgl. Kap. 5.2.3). In der Inszenierung des ersten
937 1896 in Athen, 1900 in Paris, 1904 in St. Louis und 1908 in London wurden die Olympischen Spiele in Verbindung mit Weltausstellungen organisiert. 938 Tennis, Schießen und Fußball fanden z. B. schon vor der offiziellen Eröffnungsfeier statt (Wasner, 1940, S. 26; Molzberger, 2010, S. 204). 939 Die »Stadionwoche« dauerte vom 6. bis einschließlich zum 15. Juli 1912 (Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 162 u. a.; Wasner, 1940, S. 26).
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Modernen Fünfkampfs trafen also olympische und schwedisch-militärische Einflüsse aufeinander.
5.2.1 Probe und Selektion: nationale Wettkampfvorbereitungen in Schweden Um nur die besten Athleten in den olympischen Wettkämpfen starten zu lassen, organisierte das SOK circa einen Monat vor Beginn der Spiele und gerade rechtzeitig vor Anmeldeschluss Qualifikationswettbewerbe in unterschiedlichen Sportarten.940 Die Veranstaltung von Auswahlwettkämpfen und die damit verbundene systematische Trainingsvorbereitung im Modernen Fünfkampf waren schon seit Ende Dezember 1910 ein Thema.941 Da die grundlegenden Diskussionen über die Disziplinen und ihre Regularien zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht abgeschlossen waren, zögerte sich deren Umsetzung über ein halbes Jahr hinaus. Der schwedische Militärsportverein, der auch für die Organisation des olympischen Wettkampfs im Juli 1912 zuständig war, zog in Erwägung den Modernen Fünfkampf im August 1911 nach olympischen Regeln auszuprobieren.942 In der Sitzung des Spezialkomitees am 10. Juli bestätigte Hauptmann Silfverstolpe, dass der Militärsportverein vorhabe, einen nationalen Auswahlwettkampf durchzuführen. Interessant ist, dass er dort als einzige weitere Information erwähnt, dass der Testwettkampf auch zivilen Athleten offenstünde.943 Offensichtlich standen also von vorneherein das Konkurrenzmoment und die Besten-Selektion, nicht die rein organisatorische Erprobung eines militärinternen Wettkampfs im Vordergrund. Auch der Vorsitzende des Schwedischen Sportverbands Leopold Englund unterstützte dieses Vorhaben und betonte, dass »es von größter Bedeutung für alle ist, dass niemand bei dieser allgemeinen Musterung für die Olympischen Spiele fehlt«.944 940 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 108, 300 f, 323 f. Der Zehnkampf war beispielsweise auch darunter (5./6. Juni 1912); der leichtathletische Fünfkampf bemerkenswerterweise nicht. 941 Protokoll der Sitzung der Vorsitzenden der vom Modernen Fünfkampf betroffenen Spezialkomitees. 3. Dezember 1910. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 942 Brief von Hellström an Leutnant Carl Trägrdh. 10. Juli 1911. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 943 §8 Uttagningstäflan [Auswahlwettkampf]. 10. Juli 1911. Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/ 730226). Riksarkivet Stockholm. 944 Brief von Leopold Englund (Vorsitzender des Svenska Idrottsförbundet) an den Schwedischen Militärsportverband. 18. Juli 1911. Inkommande skrivelser 1909 – 1910 (EI: 1). Sveriges militära idrottsförbund-Överstyrelsen. Krigsarkivet Stockholm.
Die Inszenierung des ersten Modernen Fünfkampfs
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5.2.1.1 Der erste Testwettkampf im November 1911 Nachdem sich der zunächst ins Auge gefasste Termin im Sommer 2011 als zu kurzfristig erwies, war für Ende des Jahres ein erster Testlauf geplant. Offiziere in ganz Schweden bereiteten sich auf diesen sportlichen Leistungsvergleich vor ; von einem Training in zivilen Sportvereinen wurde nicht berichtet.945 Da die Organisation des Auswahlwettkampfs auch eine finanzielle Frage war, beschloss das SOK in seiner Sitzung am 18. September, den Militärsportverband als Ausrichter mit 150 Schwedischen Kronen zu bezuschussen.946 Dies unterstreicht, dass dem olympischen Komitee an der Umsetzung der Probedurchläufe gelegen war. Dabei ging das SOK schon zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass der neue Wettkampf trotz seiner prinzipiellen Offenheit de facto hauptsächlich Militärvertreter ansprechen würde. Davon zeugt auch Hellströms Hinweis, dass sichergestellt sein müsse, dass die schwedischen Teilnehmer für die Zeit der Wettkämpfe vom Dienst befreit seien.947 Die offizielle Einladung zu dem für November 1911 angesetzten Testwettkampf ließ nicht lange auf sich warten. Hellström leitete vorab einen Entwurf an Silfverstolpe weiter, in dem er folgenden Vorschlag unterbreitete: »Meiner Meinung nach wäre es sehr gut, wenn die schwedischen Offiziere sich für die Wettkämpfe interessieren. Ich mache deswegen den Vorschlag, dass man einen Rundbrief an alle Führer der schwedischen Regimenter schreibt. Ich gebe Ihnen das Manuskript und bin sehr froh, falls sie eine Rückmeldung in Bezug auf den Stil geben können.948
945 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 296. 946 §16 Modern femkamp [Moderner Fünfkampf]. Protokoll der Sitzung des SOK. 18. September 1911. 3: 27. Juni 1911 – 14. Mai 1914. Organisationskommitt¦ns protokoll (A I). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/ 730226). Riksarkivet Stockholm. Vgl. auch den Brief von Hellström an Silfverstolpe. 19. September 1911. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 150 SEK entsprachen damals ca. 41 $ (heutiger Wert ca. 943 $), was im Vergleich zur Trainingsarbeit im Fechten, die mit 750 SEK unterstützt wurde, wenig war (§26 Träningsarbetet i fäktning [Die Trainingsarbeit im Fechten]. SOK-Protokoll vom 30. Oktober 1911. Stockholmsolympiaden 1912: Organisationskomitt¦n protokoll. A I:3. Riksarkivet Stockholm). Die Modernen Fünfkämpfer, die teils zusammen mit den Fechtern trainierten, profierten so sekundär auch von einer Unterstützung der Fechter (§19 Träningsarbetet i fäktning [Die Trainingsarbeit im Fechten]. SOK-Protokoll vom 6. November 1911. Stockholmsolympiaden 1912: Organisationskomitt¦n protokoll. A I:3. Riksarkivet Stockholm). 947 Brief von Hellström u. a. an Silfverstolpe. 19. September 1911. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 948 Brief von Hellström u. a. an Silfverstolpe. 5. Oktober 1911. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
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Dass die Einladungen tatsächlich schwerpunktmäßig an die verschiedenen schwedischen Regimenter verschickt wurden, beweist, dass das Spezialkomitee bemüht war, die Teilnahme von Offizieren zusätzlich anzukurbeln. Die Veranstaltung sollte nämlich nicht nur ein organisatorischer Testlauf für den Wettkampf selbst sein, sondern auch »in gewissem Maße ein Auswahlwettkampf« für die Olympischen Spiele.949 Mit der Organisation des Testwettkampfs beschäftigte sich bald darauf ein eigener Ausschuss, der bezeichnenderweise vom Stockholmer Militärsportverband ernannt worden war. Er bestand aus drei Militärvertretern, dem Vorsitzenden des Militärsportvereins Kommandant Oberst Carl Ankarcrona, Hauptmann Carl Silfverstolpe und Leutnant Sam Granfelt, sowie Hellström als einzig zivilem Mitglied. Daneben zeigte sich Taube als Leiter des Regiments Svea lifgarde (Schwedische Leibgarde) engagiert.950 Im ersten offiziellen Reglement für den Testwettkampf war der Moderne Fünfkampf auf insgesamt drei Tage angesetzt: Schießen und Schwimmen sollten beide am 10. stattfinden, Fechten und Reiten zusammen am 11. und abschließend Laufen am 12.951 Obwohl es im offiziellen olympischen Bericht von 1912 hieß, dass der Moderne Fünfkampf im November 1911 mit den olympischen Regularien übereinstimmte,952 war er also um drei Tage verkürzt. Ansonsten entsprachen die Disziplinen und deren Reihenfolge der für Juli geplanten. Möglicherweise wollten die Militärvertreter durch die Kürzung der Gesamtlänge den Dienstausfall ihrer Schützlinge verringern. Die Anforderungen an die Teilnehmer waren allerdings bei einer zeitlich straffen Organisation der Disziplinen vergleichsweise höher. So beweist diese Abweichung ein weiteres Mal, dass im Testwettkampf weniger die organisatorische Erprobung als die Bestenauslese im Vordergrund stand. Zu dieser Einschätzung trägt ebenfalls bei, dass die Reihenfolge der Disziplinen in einem neuen Entwurf im November verkehrt war und damit nicht mehr der olympischen entsprach: das Fechten folgte plötzlich
949 Ankarcrona & Granfelt (1911). Inbjudan till täfling i modern femkamp [Einladung zum Wettkampf im Modernen Fünfkampf]. Oktober [kein genaues Datum]. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 950 Olympiska spelens femkamp [Der Fünfkampf der Olympischen Spiele]. Officiell notis genom Svenska Telegrambyrn. 27. Oktober 1911. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm; Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 296. Die Svenska Telegrambyrn (Schwedische Telegrammagentur) war die erste schwedische Nachrichtenagentur (1867 – 1921). 951 Ankarcrona & Granfelt (1911). Inbjudan till täfling i modern femkamp [Einladung zum Wettkampf im Modernen Fünfkampf]. Oktober [kein genaues Datum]. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 952 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 296.
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vor dem Schwimmen.953 Warum die Ordnung verändert wurde, ist nicht klar ; vermutlich standen organisatorische Fragen (Verfügbarkeit der Juroren, der Sportanlagen etc.) dahinter. Silfverstolpe war damit beauftragt, die Anmeldungen bis spätestens zum 1. November entgegenzunehmen. Die schon von Beginn an zugesagte soziale Offenheit behielten die Organisatoren bei. So konnten prinzipiell nicht nur Anhänger der schwedischen Armee und Marine, sondern auch jene des Svenska gymnastik- och idrottsförenigarnas riksförbund (Reichsverband der Schwedischen Gymnastik- und Sportvereine) (vgl. Kap. 3.1.2) antreten. Da die Einladungen allerdings hauptsächlich an die verschiedenen Regimenter in ganz Schweden verschickt wurden, waren aus diesen Kreisen auch die meisten Athleten zu erwarten.954 Die Pferdefrage bereitete hier keine Probleme (vgl. Kap. 4.4.2). Denn die allgemeinen Bestimmungen enthielten von Beginn an eine klare Ansage: »Der Wettkämpfer beschafft sich das Pferd selbst.«955 Dies macht wiederum verständlich, warum nur theoretisch jeder zivile Athlet antreten konnte. Das öffentlich erklärte Ziel des Testwettkampfs war, das Interesse am Modernen Fünfkampf innerhalb Schwedens zu vergrößern. Die Landsleute sollten schließlich in diesem, »einem der wichtigsten Wettkämpfe der Olympischen Spiele«, erfolgreich abschneiden.956 Zusätzliche Anreize zur Teilnahme wurden dadurch geschaffen, dass der schwedische Kronprinz einen Sonderpreis stiftete.957 Dass das Königshaus damit den neuen Fünfkampf wertschätzte, war ein 953 Silfverstolpe & Granfelt (1911). Program. Militär Idrotts Stockholmsdistrikts Täflan i Modern Femkamp [Programm. Wettbewerb im Modernen Fünfkampf der Militärsportabteilung des Stockholmer Distrikts]. 4. November. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/ 730226). Riksarkivet Stockholm. 954 Brief von Hellström an Silfverstolpe. 5. Oktober 1911; Ankarcrona & Granfelt (1911). Inbjudan till täfling i modern femkamp [Einladung zum Wettkampf im Modernen Fünfkampf]. Oktober [kein genaues Datum]. Beides in Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/ 730226). Riksarkivet Stockholm. Am 6. Oktober verschickte Hellström die Einladungen an verschiedene Regimenter im ganzen Land (z. B. nach Stockholm, Sköfde [Skövde], Hessleholm [Hässleholm], Ränneslätt, Sala, Sollefte, Örebro, Visby, Karlsborg, Boden, Vaxholm und Karlskrona). 955 »Punkt 5«. Silfverstolpe & Granfelt (1912). A. Allmänna bestämmelser. Inbjudan till uttagningstäflingarna i Modern Femkamp [A. Allgemeine Bestimmungen. Einladung zu den Auswahlwettkämpfen im Modernen Fünfkampf]. [ohne genaues Datum, vermutlich Ende März]. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 956 Ebd. 957 Ankarcrona & Granfelt (1911). Inbjudan till täfling i modern femkamp [Einladung zum Wettkampf im Modernen Fünfkampf]. Oktober [kein genaues Datum]. Vgl. auch Olympiska spelens femkamp [Fünfkampf der Olympischen Spiele]. Officiell notis genom Svenska Telegrambyrn. 27. Oktober 1911. Beides in Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
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wichtiges Zeichen an die Bevölkerung. Wenn es den Modernen Fünfkampf schon zuvor in Schweden gegeben hätte, wäre Werbung dieser Art sowie das Durchführen von Testläufen nicht zwingend notwendig gewesen. Im Hinblick auf den November-Wettkampf attestierte Bergvall im offiziellen olympischen Bericht dagegen: »This was the first competition of the kind held in Sweden.«958 Dies untermauert die These, dass Schweden keine Vorerfahrungen mit einem solchen Mehrkampf hatte. Andererseits war es schon erstaunlich, wie schnell das Training und die Begeisterung für den Wettkampf national anliefen. So berichtete die schwedische Nachrichtenagentur Svenska Telegrambyrn eine Woche vor Wettkampfbeginn, am 3. November 1911, dass der Moderne Fünfkampf »auf großes Interesse in Armeekreisen« gestoßen sei.959 Zwölf Anmeldungen von Offizieren, mehrheitlich aus Stockholmer Infanterie-, Kavallerie- und Artillerieregimenten, waren eingegangen. Diese Verteilung besiegelte die enge Verbindung des Offizierswesens zum Modernen Fünfkampf (vgl. Anhang 8.3.3.2): 1. Oberleutnant æke Oscar Gylling (1883 – 1953) (Kungl. Svea ingenjörkr, Stockholm) 2. Oberleutnant Karl Gustaf Harald Wendelin (1883 – 1950) (Kungl. positionsartilleriregementet, Stockholm) 3. Oberleutnant Gustaf Lewenhaupt (1879 – 1962) (Kungl. lifgardet till häst, Stockholm) 4. Oberleutnant Patrik de Laval (Kungl. Svea lifgarde, Stockholm) 5. Oberleutnant æke Edvard Grönhagen (1885 – 1974) (Kungl. artilleri- och ingenjörhögskolan, Stockholm) 6. Leutnant Erik de Laval (Kungl. Svea artilleriregemente, Stockholm) 7. Oberleutnant Carl Leonard Setterberg (1875 – 1946) (Kungl. Waxholms grenadjärregemente, Oscar-Fredriksborg)960 8. Oberleutnant Georg de Laval (1883 – 1970) (Kungl. Svea artilleriregemente, Stockholm) 9. Oberleutnant Gösta Lilliehöök (Kungl. Svea artilleriregemente, Stockholm) 10. Oberleutnant Johan Harry Palmborg (1886 – 1972) (Kungl. Gymnastiska
958 Ebd., S. 296. 959 Femkampen vid Olympiska spelen [Fünfkampf bei den Olympischen Spielen]. Officiell notis genom Svenska Telegrambyrn. 3. November 1911. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 960 Waxholm ist eine Stadt auf der schwedischen Insel Waxö im Ausfluss des Mälarsees. Außer den schon von Gustav I. angelegten Befestigungen auf der Insel Waxö sind neue starke Festungswerke (Oskar-Frederiksborg) auf Rindö entstanden, welche die Einfahrt nach Stockholm überwachten (Herders Conversations-Lexikon & Meyers Großes Konversations-Lexikon, 2000 – 2010).
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Centralinstitutet, Stockholm, und Kungl. Sknska husarregementet, Helsingborg) 11. Leutnant Karl Mannström (1884 – 1916) (Kungl. artilleri- & ingenjörhögskolan, Stockholm) 12. Oberleutnant Arthur Georg Nordenswan (1883 – 1970) (Kungl. Svea lifgarde, Stockholm)961 Daneben gäbe es noch weitere interessierte Offiziere, die aufgrund ihrer Arbeitszeiten jedoch nicht am Wettkampf im November teilnehmen könnten. Diese träten an einem weiteren Auswahlwettbewerb im Frühjahr 1912 an.962 Denn sie trainierten bereits ebenso regelmäßig,963 was die Verantwortlichen allgemein allen potentiellen Teilnehmern ans Herz legten: »In Schweden, wo das Spezialisierungsssystem es noch nicht geschafft hat, den gymnastisch trainierten Durchschnittsathleten zu verdrängen, gibt es sicherlich viele gute Anwärter auf den Sieg in dieser Disziplin [Moderner Fünfkampf], die eine der wichtigsten der Spiele ist, aber Erfolg kann nur durch eine ausdauernde und zielgerichtete Trainingsarbeit in jeder der fünf Sportarten erzielt werden. Es ist daher von größter Wichtigkeit, dass jeder, der an dem Wettbewerb teilnehmen will, nun die Ausbildung beginnt.«964
Entsprechend positiv sah Balck der ersten sportpraktischen Umsetzung entgegen und teilte seine Vorfreude mit Coubertin (vgl. Anhang 8.3.3.1): »Nous avons
961 Die Reihenfolge entspricht jener im Originaldokument; in Klammern ist das jeweilige Regiment aufgeführt. Nur bei einem Athleten, Palmborg, wurde seine Zugehörigkeit zum Gymnastischen Zentralinstitut ausdrücklich erwähnt. Eine gymnastische Ausbildung genossen Offiziere allerdings zu dieser Zeit häufig (vgl. Kap. 3.3.1). Vgl. Förteckning Deltagare anmälda till Militär Idrotts Stockholmsdistrikts förberedande uttagningstäflan i Modern Femkamp den 10 – 12 Nov. 1911 [Verzeichnis der angemeldeten Teilnehmer im vorbereitenden Auswahlwettkampf des Stockholmer Militärsportbezirks im Modernen Fünfkampf vom 10. bis 12. November 1911]. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 962 Femkampen vid Olympiska spelen [Fünfkampf bei den Olympischen Spielen]. Officiell notis genom Svenska Telegrambyrn. 3. November 1911. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 963 Modern Femkamp. Förberedande täflingar 10 – 12 november. Officiellt upprop i idrottspressen [Moderner Fünfkampf. Vorbereitende Wettkämpfe 10.–12. November. Offizieller Aufruf in der Sportpresse]. 9. und 10. Oktober 1911. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 964 Ebd. Zugleich auch Brief von Hellström/SOK [Adressat unbekannt]. Modern femkamp vid Olympiska Spelen [Moderner Fünfkampf bei den Olympischen Spielen] (1911) [ohne genaues Datum]. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
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organis¦ un essai de Pentathlon moderne, qui promet d’Þtre fort int¦ressant.«965 Olympische Qualifikationswettbewerbe waren im Übrigen ganz nach Coubertins Geschmack, der schon im Gründungskongress von 1894 festgehalten hatte: »[…] dans chaque pays il soit proc¦d¦e avant l’¦poque des Jeux Olympiques des ¦preuves ¦luminatoires de nature ne designer pour les Jeux Internationale que de v¦ritables champions dans chaque genre de sport.«966
Diesem Wunsch waren die Veranstalter in den vergangenen Jahren allerdings nicht durchweg nachgekommen. So hob der Brite Cook 1908 noch die organisatorischen Leistungen im Siebenkampf gerade deshalb hervor, weil »kaum vorherige Rücksprachen und kein Probewettkampf überhaupt« stattgefunden hätten.967 Auf dieses Glücksspiel wollten sich die schwedischen Veranstalter nicht verlassen. Der Testwettkampf für den Modernen Fünfkampf fand daher wie geplant vom 10. bis 12. November 1911 statt. Von den ursprünglich zwölf angemeldeten Offizieren – alle vom Rang eines Oberleutnants – starteten letztlich nur acht (vgl. Tab. 4). Vier Athleten mussten vorab verletzungsbedingt absagen. Möglicherweise hatten sie sich diese Blessuren im vorbereitenden Training zugezogen. Neuanmeldungen gab es dagegen keine. Obwohl die Idee, Zivilisten zuzulassen, beibehalten wurde, änderte dies also nichts an dem einseitigen Berufsstand des Teilnehmerfelds (vgl. Kap. 5.2.3). Die Ergebnistabelle zeigt außerdem auf, dass sechs der acht startenden Offiziere den Wettkampf beendeten und somit in die Wertung kamen. Dies spricht dafür, dass der Moderne Fünfkampf, insbesondere das Geländereiten, ein hohes Verletzungsrisiko barg bzw. dafür, dass die Athleten die Anstrengungen der fünf aufeinanderfolgenden Disziplinen offensichtlich nicht gewohnt waren.
965 Brief von Balck an Coubertin. 22. September 1911. SD3: Correspondence mai-dec 1911 – COJO Coubertin. Correspondance envoy¦e ( Coubertin) et reÅu par le COJO des Jeux Olympiques d’¦t¦ de Stockholm 1912, Code: CIO JO-1912S-COJO, ID: 46570, 9994. Stockholm 1912 – 1: JO 1912 S – ARTPR-COJO. IOC Archiv Lausanne. Übersetzung: Wir haben eine Probe [einen Probewettkampf] im Modernen Fünfkampf organisiert, die interessant zu sein verspricht.« 966 S¦ance du 21 Juin 1894. Commission des Jeux Olympiques (Hrsg.). (1894). ProcÀs-verbal. 1er Session Paris, S. 7. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne. Übersetzung: »[…] dass man in jedem Land einige Auswahlwettkämpfe vor den Tagen der Olympischen Spiele organisieren soll, um für die internationalen Spiele nur echte Sieger in jeder Art von Sport auszuwählen.« 967 Cook, 1908, S. 195.
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Tab. 4: Die Teilnehmer am ersten Testwettkampf, 10.–12. November 1911, und ihre Platzierungen968
1. 2. 3. 4. 5. 6. -
Teilnehmer G. de Laval Lilliehöök Grönhagen Lewenhaupt P. de Laval Mannström Setterberg Nordenswan
10.11. Schießen 1 3 2 8 4 7 6 5
10.11. Fechten 1 4 6 7 5 8 2 3
11.11. Schwimmen 1 3 2 4 5 6 7 nicht gestartet
11.11. Reiten 4 2 3 5 6 1 abgebrochen 2 (a. W.)
12.11. Laufen 6 2 3 1 5 4 7 (a. W.) -
gesamt 13 14 16 25 25 26 -
Nach der Durchführung kontaktierte Balck wiederum Coubertin; diesmal, um über den Verlauf zu berichten: »Nous avons d¦j eu des concours d’essai trÀs bons et l’on se pr¦pare avec ardeur ce concours qui, selon moi, sera l’¦v¦nement le plus int¦ressant de Jeux Olympiques.«969 Offensichtlich hatte der Probewettkampf Balck so überzeugt, dass er den Modernen Fünfkampf gar für die interessanteste unter den für 1912 geplanten Neuerungen und damit auch für interessanter als den von ihm vorgeschlagenen leichtathletischen Fünfkampf hielt (vgl. Kap. 5.1.2). Ob Balck, der von Coubertin als IOC-Mitglied auserwählt worden war und dort sicher auch bleiben wollte, in diesem Punkt frei in seiner Meinungsbildung war, bleibt fraglich. Coubertin betonte im Vorlauf der Olympischen Spiele von Stockholm zwar, dass gerade die Freiheit in der Programmgestaltung das Überleben der Veranstaltung sichere, doch kamen seine ausdrücklichen Wünsche faktisch Anweisungen gleich. 968 Die Abkürzung a. W. steht für »außer Wertung«. Setterberg und Nordenswan waren eigentlich ausgeschieden, nahmen aber dennoch an weiteren Einzeldisziplinen des Modernen Fünfkampfs teil. In die Gesamtwertung wurden sie daher nicht mit aufgenommen. Die Informationen stammen aus Ebd. sowie aus einer privaten Zusammenstellung von Rooney Magnusson. Zu den von ihm untersuchten Stockholmer Tageszeitungen zählen Aftonbladet, Aftontidningen, Dagens Nyheter, Nya Dagligt Allehanda, Social-Demokraten, Stockholms-Tidningen, Stockholms Dagblad, wobei sich Svenska Dagbladet in Bezug auf die Testwettkämpfe als informationsreichste Zeitung herausstellte. Denn sie war damals die einzige Zeitung, die sie nicht streng an die Zensur hielt und zumindest über die ersten vier Disziplinen berichtete. 969 Brief von Balck an Coubertin. 27. Dezember 1911. SD3: Correspondence mai-dec 1911 – COJO Coubertin. Correspondance envoy¦e ( Coubertin) et reÅu par le COJO des Jeux Olympiques d’¦t¦ de Stockholm 1912, Code: CIO JO-1912S-COJO, ID: 46570, 9994. Stockholm 1912 – 1: JO 1912 S – ARTPR-COJO. IOC Archiv Lausanne. Übersetzung: »Wir haben schon sehr gute Probewettkämpfe gehabt und man bereitet sich mit großem Elan auf diesen Wettbewerb vor, meiner Meinung nach wird es das interessanteste Ereignis der Olympischen Spiele sein.«
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Im Anschluss an den Testwettkampf machte auch die schwedische Presse diesen zum Thema. Ein Artikel in Tidning för idrott öffnete mit einem Porträtfoto des Siegers, G. de Laval, anschließend wurden laut Untertitel »einige Erfahrungen« kundgetan.970 Interessant ist dabei, dass die Überschrift »Erster Wettkampf im Modernen Fünfkampf« und nicht Auswahl- oder Testwettkampf lautete. Für die Presse war diese Veranstaltung also offensichtlich (ebenso wie für Bergvall) die erste überhaupt, die einen Mehrkampf dieser Art umfasste. Auch der Kronprinz, der die Siegerehrung übernahm, lobte die guten Resultate insbesondere vor dem Hintergrund, dass es überhaupt der erste Wettbewerb sei, der im Modernen Fünfkampf abgehalten wurde.971 Die Leistungen in den fünf Disziplinen erwiesen sich allerdings als heterogen (vgl. Tab. 4). Oberleutnant Georg de Laval entschied das Schießen, Fechten und Schwimmen für sich, schnitt im Laufen aber am schlechtesten von allen ab. Im Schießen stellte sich heraus, dass die Armeepistole, die z. B. Grönhagen verwendete, allgemein weniger geeignet als die Zielschusspistole (Modell von Smith-Wessen) war. Im Fechten trafen erfahrene Athleten auf solche, die zum ersten Mal einen Degen hielten (vgl. Tab. 6). Insbesondere in dieser Disziplin war daher ein intensives Training in Vorbereitung auf die ausländischen Gegner notwendig. Daneben zog Tidning för idrott das Fazit, dass im Schwimmen keiner der Teilnehmer gute Fähigkeiten besäße, weshalb das olympische Schwimmkomitee darauf ein besonders wachsames Auge werfen müsse (vgl. Tab. 5). Am ausgeglichensten und gleichzeitig stärksten waren die Leistungen im Geländeritt: Fünf von acht absolvierten die mit Hindernissen durchsäte Strecke ohne Fehler.972 Die hervorragenden Ergebnisse in einigen Disziplinen führte die Presse insbesondere darauf zurück, dass der Sport innerhalb des Offizierskorps in den vergangenen zehn Jahren einen unfassbaren Aufstieg erlebt habe (vgl. Kap. 3.2.2).973 Das Gesamtfazit fiel demnach positiv aus: »Man kann die Schlussfolgerung ziehen, dass trotz der beobachteten Mängel der Teilnehmer in diesem ersten Wettkampf im Modernen Fünfkampf und unter der Hoffnung, dass diese behoben werden, mit einem schwedischen Sieg bei den Olympischen Spielen zu rechnen ist.«974
Nach dem ersten Testwettkampf wussten die Athleten also, wo ihre Stärken und Schwächen lagen und bereiteten sich mithilfe von Spezialtrainern gezielt auf den 970 [o. A.] (1911e). Första täflingen i modern femkamp [Erster Wettkampf im Modernen Fünfkampf], S. 387. 971 Ebd. 972 Ebd. Smith & Wesson ist eine US-amerikanische Firma, die Handfeuerwaffen herstellt. 973 Ebd. 974 Ebd. [Original in schwedischer Sprache].
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olympischen Wettkampf vor. Auch die prinzipielle Durchführbarkeit des Modernen Fünfkampfs war damit bewiesen. Die Novemberwettkämpfe resultieren zwar nicht in konkreten Änderungsvorschlägen, doch in Bezug auf die Wettkampforganisation erweiterten sie den Erfahrungsschatz der Verantwortlichen. Dieser floss neben eingefahrenen Standesdünkeln sicherlich in die Diskussionen der kommenden Monate ein (vgl. Kap. 4.4).
5.2.1.2 Die Qualifikationswettkämpfe im April und Mai 1912 Doch bei diesem ersten Probedurchlauf sollte es nicht bleiben. Für April und Ende Mai waren weitere vorbereitende Testwettkämpfe in Zusammenarbeit mit dem Militär Idrotts Stockholmsdistrikt geplant.975 Diese sollten erlauben, den schwedischen Olympiakader endgültig zu bestimmen. In der Zwischenzeit wurde das Training der Modernen Fünfkämpfer wie geplant angekurbelt. Es gab regelmäßige Schwimm- und Fechtzeiten, angeleitet von Gustaf Wretman bzw. Emil Fick.976 Hellström regte an, darüber hinaus auch ein Training im Schießen beginnen zu lassen. Obwohl Silfverstolpe entgegnete, dass die größten Schwächen der Schweden nun mal im Schwimmen und Fechten lägen, gab es in den kommenden Monaten ebenso einmal wöchentlich Schießtraining sowie die Möglichkeit, täglich Geländereiten und Geländelauf zu üben.977 Außerdem hielt das Spezialkomitee fest, dass den auswärtigen schwedischen Teilnehmern der Aufenthalt in der Hauptstadt für eine gewisse Zeit gewährt werden sollte, damit auch diese sich systematisch auf den Auswahlwettkampf vorbereiten könnten.978 Potentielle neue Athleten wurden schon Anfang des Jahres über Zeitungsannoncen zum Training eingeladen.979 Die Schweden wollten sichergehen, nur die Besten der Besten im Juli präsentieren zu können. 975 §6 Uttagningstäflingar [Auswahlwettkämpfe]. Protokoll der Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf. 19. Januar 1912. Vgl. auch Brief von Granfelt an den Ausschuss des Militär Idrotts Stockholmsdistrikt. 27. Januar 1912. Beides in Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 976 §4 Simning [Schwimmen]. Protokoll der Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf. 19. Januar 1912. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 977 Iakttagelser med anledning af täflingen i modern femkamp. B. Särskilda bestämmelser för den fortsatta träningen. 19. April. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 978 §4 Träningsarbetet [Die Trainingsarbeit]. Protokoll der Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf. 28. März 1912, S. 3. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 979 Vgl. z. B. Hellström/SOK (1912). Modern Femkamp [Moderner Fünfkampf]. Idrottsbladet. 29. Januar. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
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Weitere Testwettkämpfe bedeuteten allerdings auch weitere Ausgaben. Am 11. März 1912 teilte Granfelt im Namen des Militärsportverbands mit, dass sich die Kosten für die zwei geplanten Auswahlwettkämpfe auf ca. 250 Schwedische Kronen beliefen. In Anbetracht des großen Interesses und Wettkampfumfangs sowie im Hinblick auf eventuelle Preise für die Sieger sollten jedoch möglichst 400 – 500 Schwedische Kronen veranschlagt werden. Die Finanzabteilung des SOKwar umgekehrt allerdings nur bereit, maximal 250 Schwedische Kronen und eventuell einen Preis zu stellen.980 Die Veranstalter mussten also versuchen, mit der bereitgestellten Summe auszukommen. Die Streichung einer oder beider Testwettkämpfe stand außer Frage. Dagegen konkretisierten sich die Veranstaltungszeiträume: Der erste Wettkampf sollte über die Osterfeiertage vom 8.–11. April stattfinden. Vermutlich war dies im Hinblick auf den Dienstplan der Offiziere besonders günstig. Da sich schon im November gezeigt hatte, dass sich ohnehin kein ziviler Athlet für eine Teilnahme interessierte, konnten die Veranstalter den Wettbewerb entsprechend an militärischen Belangen ausrichten und betonten in der Einladung nicht mehr, dass der Wettkampf prinzipiell auch Zivilsportlern offenstand. Dies galt auch für den zweiten Wettkampf, der eng am olympischen Modernen Fünfkampf angelehnt vom 27.–31. Mai – und damit einen Tag länger als im April, aber immer noch einen Tag kürzer als im Juli – dauern sollte.981 In der offiziellen Einladung wurde dennoch betont, dass der Mai-Wettkampf »unter genauester Einhaltung der Bestimmungen des olympischen Modernen Fünfkampfs« stattfände.982 Die tatsächliche Umsetzung der ausstehenden Probewettkämpfe wich auch in 980 Brief der Ekonomiesektionen [Finanzabteilung]/Walter Murray u. a. an das SOK. 12. März 1912; §3 Rapporter frn specialkommitterna: Modern femkamp [Berichte aus den Spezialkomitees: Moderner Fünfkampf]. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/ 730226). Riksarkivet Stockholm; Protokoll der Sitzung des SOK. 19. März 1912, S. 12. 3: 27. Juni 1911 – 14. Mai 1914. Organisationskommitt¦ns protokoll (A I). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/ 730226). Riksarkivet Stockholm. 981 §8 Första Uttagningstäflingen [Der erster Auswahlwettbewerb]. Protokoll der Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf. 28. März 1912, S. 4. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm; §3 Rapporter frn specialkommitterna: Modern femkamp [Berichte aus den Spezialkomitees: Moderner Fünfkampf]. Protokoll der Sitzung des SOK. 19. März 1912, S. 12. 3: 27. Juni 1911 – 14. Mai 1914. Organisationskommitt¦ns protokoll (A I). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 982 Silfverstolpe & Granfelt (1912). Särskilda bestämmelser. Inbjudan till uttagningstäflingarna i Modern Femkamp [Besondere Bestimmungen. Einladung zu den Auswahlwettkämpfen im Modernen Fünfkampf] [ohne genaues Datum, vermutlich Ende März]. Die Einladungen wurden Mitte/Ende März verschickt (vgl. z. B. das Schreiben an Herrn S. Stranne, Kungl. Gymnastiska Centralinstitut vom 22. März 1912). Beides in Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
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anderen Punkten von den ursprünglichen Plänen ab. Diese Möglichkeit hatten sich die Veranstalter von vorneherein in den Wettkampfbestimmungen offengehalten. So unterschied sich die Reihenfolge der Disziplinen in beiden Auswahlwettbewerben von der ursprünglich angekündigten und auch von jener des olympischen Reglements. Im April und Mai schlossen die Athleten den Mehrkampf zwar jeweils mit Laufen ab, starteten jedoch mit Fechten statt wie für den Sommer geplant mit Schießen. Im April folgten darauf verteilt auf je einen weiteren Tag Schwimmen, Schießen, Reiten und Laufen; im Mai kamen Schwimmen, Reiten und Schießen nach dem Fechten, wobei die vierte Disziplin, das Schießen, zusammen mit dem abschließende Lauf am selben Tag stattfand.983 Daneben hatte sich auch der Veranstaltungszeitraum geändert. Während im April im Vergleich zum November zwei Tage dazukamen (insgesamt fünf Tage), war der Mai-Wettkampf schließlich einen Tag kürzer als zuvor anberaumt (insgesamt vier Tage) (vgl. Tab. 5, 8). Neben den aufgelisteten acht Offizieren (vgl. Tab. 5) hatten sich im April ursprünglich sechs weitere Teilnehmer angemeldet. Darunter waren Setterberg, Georg de Laval und Mannström, die bereits im November gestartet waren sowie drei neue Athleten, Oberleutnant Eric Carlberg (1880 – 1963) (Waxholms grenadjärregemente), Oberleutnant Hkan Egidius æfeldt (*1877) (Västernorrlands regemente) und Oberleutnant Nils Ivarsson Hæggström (1885 – 1974) (Västerbottens regemente).984 Außer Leutnant Hæggström, der erst am 3. Mai befördert wurde, besaßen alle den Rang eines Oberleutnants. Unter den verbleibenden acht Athleten nahmen Erik de Laval, der letztes Mal verletzungsbedingt absagen musste, Leutnant Gustaf Erik Stiernspetz (1889 – 1966) (Svea lifgarde), Oberleutnant Erik Gustaf Wersäll (1887 – 1973) (Svea artilleriregemente) und Leutnant James Sidney Mathias Stranne (1886 – 1957) (Vendes artilleriregemente) zum ersten Mal am Testwettkampf teil.
983 Die korrekten Daten sind neben den jeweiligen Zeitungsartikeln im offiziellen olympischen Bericht abgedruckt: Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 302. Davon abweichend heißt es in Schormann (2005, S. 19) fälschlicherweise, dass die beiden Ausscheidungswettkämpfe »vom 8. bis 11. April und vom 28. Mai bis 1. Juni 1912« stattfanden. 984 [o. A.] (1912d). Modern femkamp. Första uttagningstäflingen [Moderner Fünfkampf. Erster Auswahlwettbewerb], S. 145. G. de Laval soll krank gewesen sein und Mannström verletzt. Darüber hinaus hielten dienstliche Gründe einige Athleten von einer Teilnahme ab: Hkan æfeldt konnte sein Regiment wegen eines Rekrutenempfangs nicht verlassen; Setterberg und Carlberg hatten einer Inspektion ihres Regimentes beizuwohnen (private EMail von Rooney Magnusson vom 30. Januar und 12. Februar 2012). Dienstliche Pflichten gingen also weiterhin vor.
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Tab. 5: Die Teilnehmer am zweiten Testwettkampf, 8.–12. April 1912, und ihre Platzierungen985
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Teilnehmer E. de Laval Lilliehöök Grönhagen Lewenhaupt P. de Laval Stiernspetz Wersäll Stranne
08.04. Fechten 1 2 2 5 2 6 7 8
09.04. Schwimmen 5 3 1 6 8 7 2 4
10.04. Schießen 1 4 6 7 3 2 4 8
11.04. Reiten 3 2 4 1 5 8 6 7
12.04. Laufen 1 4 8 3 5 2 7 6
gesamt 11 15 21 22 23 25 26 33
Da sich die Modernen Fünfkämpfer nach wie vor ausschließlich aus Offizieren zusammensetzten, unterteilte Tidning för idrott diese nach Regimenten, so als ob die Zugehörigkeit zu Infanterie (z. B. Patrik de Laval), Kavallerie (z. B. Lewenhaupt) oder Artillerie (z. B. Lilliehöök) etwas über ihren Leistungsstand auszusagen vermochte. Daneben nannte die Zeitschrift auch das jeweilige Regiment, dem der Offizier diente. Interessant ist dabei, dass die Teilnehmer Lilliehöök, Wersäll und Erik de Laval ebenso wie der Leiter der Fechtdisziplin, Hauptmann Fick, dem Svea artilleriregemente (Schwedisches Artillerieregiment) angehörten. Dessen Schützlinge schnitten folglich besonders gut im Fechten ab (vgl. Tab. 5, 7).986 Der Kronprinz zeigte sich im April gleichsam interessiert wie beim ersten Testwettkampf und erschien schon zeitig vor dem Beginn der ersten Konkurrenz, dem Fechten. Diesmal waren außerdem mehrere interessierte Offiziere und Zivilpersonen anwesend, darunter auch Balck und E. Fillol, der französische Schießtrainer der Schweden.987 Die zweite Disziplin, das Schießen, musste zunächst wegen Schneesturms abgesagt werden. Daher zogen die Veranstalter kurzerhand das Schwimmen vor.988 Als das Schießen dann am nächsten Tag startete, erschwerte wiederum die Wetterlage, diesmal der starke Wind, die Wettkampfdurchführung. Die Disziplin musste allerdings nicht unterbrochen werden und führte dennoch zu relativ guten Ergebnissen. Diese lagen etwa auf 985 Die Informationen stammen aus Ebd. Die Abkürzung a. W. steht für »außer Wertung«. Setterberg und Nordenswan waren eigentlich ausgeschieden, nahmen aber dennoch an weiteren Einzeldisziplinen des Modernen Fünfkampfs teil. In die Gesamtwertung wurden sie nicht mitaufgenommen. 986 [o. A.] (1912d). Modern femkamp. Första uttagningstäflingen [Moderner Fünfkampf. Erster Auswahlwettbewerb], S. 145. 987 Ebd. 988 Ebd.
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dem Niveau der Novemberwettkämpfe, waren jedoch wegen der schwierigen äußeren Bedingungen als vergleichsweise stärker zu bewerten.989 In der Organisation des Reitwettkampfs erzwang der Schneefall wiederum Anpassungsmaßnahmen. So wurde der Schwierigkeitsgrad der Hindernisse herabgesetzt. Im Ergebnis führte dies allerdings dazu, dass etliche Reiter die volle Punktzahl erreichten und die Platzierungen so ausschließlich über die Zeit entschieden werden mussten. Im Geländelauf hatten die Veranstalter sich auch angepasst und eine vergleichsweise einfache Streckenführung für den vier Kilometer langen Rundparkour gewählt. Stiernspetz trennte am Ende nur eine halbe Sekunde vom schnellsten Läufer und Gesamtsieger Erik de Laval.990 Der Kronprinz übernahm nach Wettkampfabschluss ein weiteres Mal die Preisverleihung und hielt eine Rede, in der er die Offiziere mit Nachdruck aufforderte, ihr Training vor allem im Fechten und Schwimmen fortzusetzen. Er hoffe auf einen schwedischen Erfolg im Modernen Fünfkampf und erwarte, dass in diesem Sinn eine verantwortungsvolle Trainingsarbeit »in diesem vielleicht schwierigsten aller olympischen Wettbewerbe« geleistet würde.991 Aus Sicht von Tidning för idrott war Dienstbefreiung die Voraussetzung dafür, sich schon vorab voll und ganz dem Training widmen zu können. Das SOK unterstützte dies, indem es die Beurlaubung der involvierten Offiziere während der Testwettkämpfe sowie während der Olympischen Spiele auf unterschiedlichen Sitzungen zum Thema machte.992 Nachdem diese Maßnahmen durchgesetzt wurden, fühlten sich die Schweden gerüstet für die Olympischen Spiele.993 Hatte das Training der Modernen Fünfkämpfer im halben Jahr zwischen November 1911 und April 1912 schon gefruchtet? Ein Vergleich der Schwimmleistungen zeigt auf, dass die Bestzeit von rund 6 Minuten auch im April nicht geknackt wurde (vgl. Tab. 6). Abgesehen von Lewenhaupt schnitten allerdings alle anderen drei Athleten, die sowohl im November als auch im April am Modernen Fünfkampf teilnahmen, im zweiten Test 989 Ebd. 990 [o. A.] (1912e). Modern femkamp [Moderner Fünfkampf], S. 157. 991 Silfverstolpe & Granfelt (1912). B. Särskilda bestämmelser för den fortsatta träningen. Iakttagelser med anledning af täflingen i modern femkamp. B. Särskilda bestämmelser för den fortsatta träningen. 19. April. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 992 §6 Tjänstledighet för militära deltagare och funktionärer vid spelen [Beurlaubung für militärische Teilnehmer und Funktionäre während der Spiele]. Protokoll der Sitzung des SOK. 19. März 1912; §19 Tjänstledighet för militära funktionarer och deltagare [Beurlaubung für militärische Funktionäre und Teilnehmer]. Protokoll der Sitzung des SOK. 2. April 1912, S. 9; §4 Tjänstledighet för officeraren och värapliktige [Beurlaubung für Offiziere und Wehrpflichtige]. Protokoll der Sitzung des SOK. 16. April 1912, S. 2. Alle in Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 993 [o. A.] (1912e). Modern femkamp [Moderner Fünfkampf], S. 158.
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besser ab. Somit war das Niveau insgesamt gestiegen, was auch ein Vergleich der jeweils schwächsten Zeiten beweist: Setterberg hatte im November noch knapp eine Minute länger für die 300-Meter-Strecke gebraucht als Patrik de Laval, der schwächste Schwimmer im April.994 Tab. 6: Vergleich der Schwimmzeiten zwischen dem ersten und zweiten Testwettkampf995 Teilnehmer Bester Athlet Grönhagen Lilliehöök Lewenhaupt P. de Laval Schlechtester Athlet
November 1911 (in min) (Platzierung im Schwimmen) 6:00 1/5 (G. de Laval) (1.) 6:21 (2.) 6:32 2/5 (3.) 6:43 1/5 (4.) 7:09 1/10 (5.) 7:58 3/5 (Setterberg) (7.)
April 1912 (in min) (Platzierung im Schwimmen) 6:00 4/10 (Grönhagen) (1.) 6:00 4/10 (1.) 6:18 2/10 (3.) 6:49 2/10 (6.) 6:56 3/10 (8.) 6:56 3/10 (P. de Laval) (8.)
Auch die Fechtleistungen hatten sich zwischen November und April merklich verbessert (vgl. Tab. 7). Wurden die Leistungsdifferenzen zwischen den unterschiedlichen Athleten im Fechten Ende 1911 noch bemängelt, so zeigte sich das Feld ein halbes Jahr später wesentlich ausgeglichener. Alle Teilnehmer – es waren im November sowie im April jeweils acht – konnten im zweiten Test mindestens drei, höchstens jedoch vier, Gefechte gewinnen. Damit gelang es allen Modernen Fünfkämpfern, die an beiden Testwettkämpfen antraten, im April vergleichsweise mehr Gefechte für sich zu entscheiden. Da Grönhagen jedoch im Vergleich zum Erstplatzierten im zweiten Testwettkampf mehr Gegentreffer kassierte, rutschte er als einziger der drei einen Rang tiefer. Die Zahl der Gegentreffer war dabei im April allgemein geringer, weil das Wertungssystem gewechselt hatte: Im November wurde noch wie später im olympischen Wettkampf »best of five« gefochten; im April »best of three«. Vermutlich diente dies dazu, ein schnelleres Ergebnis zu erzwingen, zumal im April nicht wie später im Juli zwei Wettkampftage für das Fechten zur Verfügung standen.
994 300 Meter ist heute keine offizielle Wettkampfstrecke (auch nicht mehr im Modernen Fünfkampf). Doch würde die Bestzeit eines professionellen Schwimmers zum Vergleich bei ca. 2:30 Minuten liegen. 995 [o. A.] (1911e). Första täflingen i modern femkamp [Erster Wettkampf im Modernen Fünfkampf]. Ny Tidning för idrott, 23. November, S. 387; [o. A.] (1912d). Modern femkamp. Första uttagningstäflingen [Moderner Fünfkampf. Erster Auswahlwettbewerb], S. 145.
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Tab. 7: Vergleich der Fechtergebnisse zwischen dem ersten und zweiten Testwettkampf996 Teilnehmer Bester Athlet Grönhagen Lilliehöök Lewenhaupt P. de Laval Schlechtester Athlet
November 1911 (Siege: Gegentreffer) (Platzierung im Fechten) 7 : 11 (G. de Laval) (1.) 2 : 17 (1.) 3 : 16 (4.) 2 : 19 (7.) 3 : 17 (5.) 1 : 19 (Mannström) (8.)
April 1912 (Siege: Gegentreffer) (Platzierung im Fechten) 4 : 7 (E. de Laval) (1.) 4 : 9 (2.) 4 : 9 (2.) 3 : 8 (5.) 4 : 9 (2.) 3 : 11 (Stranne) (8.)
Trotz der merklichen Fortschritte sahen Granfelt und Silfverstolpe nach wie vor Trainingsbedarf, um zwischen den Leistungen in den fünf Sportarten auszugleichen. Davon hinge nicht nur der persönliche Erfolg, sondern auch die nationale Ehre ab: »Hieraus sieht man, dass jeder, der kein Allround-Sportler ist, sondern in einzelnen Disziplinen begabter als in anderen, sein Training so betreiben muss, dass er um jeden Preis den kompletten Wettkampf durchführen und beenden kann – nicht so sehr seinetwegen wie wegen seiner Landsmänner.«997
Die schwedischen Veranstalter rechneten damit, dass im Juli auch aus dem Ausland überwiegend Offiziere am olympischen Modernen Fünfkampf teilnähmen. Diese seien vor allem im Fechten geübt, weshalb die schwedischen Kollegen umso härter trainieren müssten.998 Beim Schwimmen gingen Silfverstolpe und Granfelt dagegen davon aus, dass »es wahrscheinlich genauso fremd für ausländische Offiziere« sei. Doch gerade deshalb biete sich im Schwimmen Gelegenheit, durch hartes Training einen Vorteil zu erlangen.999 Entsprechend blieben die schwedischen Organisatoren ihrer Linie treu und trieben vor allem die Vorbereitungen im Fechten und Schwimmen voran. Anträge auf finanzielle Unterstützung gab es daher nicht nur für die Testwettkämpfe selbst, sondern auch für das vorbereitende Training. Wretman bat entsprechend um einen monatlichen Zuschuss von 250 Kronen für das Schwimmtraining. Die unterschiedlichen Dienstzeiten der Teilnehmer zwängen ihn dazu, weitere Trainingsstunden anzubieten.1000 Dieses habe bislang mit zehn 996 Ebd. 997 Carl Silfverstolpe & Sam Granfelt. Iakttagelser med anledning af täflingen i modern femkamp. A. Allmänna bestämmelser. 19. April 1912. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). [Original in schwedischer Sprache]. Stockholmsolympiaden 1912 (SE/ RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 998 Ebd. 999 Ebd. 1000 Brief von Wretman an das Spezialkomitee für Modernen Fünfkampf. 6. April 1912.
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Athleten zweimal wöchentlich in den Abendstunden stattgefunden. Wretman erwartete in den kommenden Wochen einen weiteren Anstieg der Teilnehmerzahl. Sofern der Zahlungsforderung nachgekommen werde, übernehme er die Verantwortung für ein gutes Ergebnis.1001 Nach dem zweiten Auswahlwettkampf im April waren die erforderlichen Gesamtkosten nochmals immens angestiegen und das Spezialkomitee für Modernen Fünfkampf rechnete damit, dass insgesamt 2000 Schwedische Kronen für die mit der Trainingsarbeit verbundenen Kosten gebraucht würden. Erschwerend käme hinzu, dass fünf verschiedene Sportarten geübt werden müssten und dass die Athleten an verschiedenen Orten im ganzen Land verstreut lebten.1002 Um das SOK zu überzeugen, trugen Balck und Hellström vor, dass das gute Abschneiden Schwedens im Modernen Fünfkampf von außerordentlicher Bedeutung sei, es handele sich um »eine der wichtigsten Leistungsmessungen bei den Spielen«.1003 Dem versuchte das SOK gerecht zu werden, indem es 1500 Kronen und damit fast die volle Summe zu den Kosten für die Trainingsvorbereitungen beisteuerte.1004 Für das Spezialkomitee lag die Wichtigkeit der Testwettkämpfe als Zwischenbilanz der Trainingsbemühungen auf der Hand. Auf deren Grundlage würden schließlich die schwedischen Repräsentanten im olympischen Modernen Fünfkampf ausgewählt.1005 Die letzte Probe im Mai sollte endgültig für Klarheit über die besten schwedischen Modernen Fünfkämpfer sorgen.1006 Elisabeth de Laval (1855 – 1926) stiftete einen Preis für den Gewinner des letzten
1001 1002
1003 1004
1005
1006
Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/ RA/730226). Riksarkivet Stockholm. Ebd. §4 Träningsarbetet [Die Trainingsarbeit]. Protokoll der Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf. 17. April 1912. Vgl. auch den Brief von Balck & Hellström/Spezialkomitee für Modernen Fünfkampf an das SOK. 19. April 1912. Beides in Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. Brief von Balck & Hellström/Spezialkomitee für Modernen Fünfkampf an das SOK. 19. April 1912. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. Anslag till träningsarbetet [Finanzierung der Trainingsarbeit]. Brief von Hellström u. a. an Silfverstolpe (gleicher Brief auch an Granfelt, an Taube). 2. Mai 1912. Brief von Balck & Hellström/Spezialkomitee für Modernen Fünfkampf an das SOK. 19. April 1912; vgl. auch §6 Kommitt¦ns budget [Budget des Komitees]. Protokoll der Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf. 22. Mai 1912, S. 2. Beides in Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. §12 Uttagningen af Sveriges representanter [Die Auswahl der schwedischen Vertreter]. 17. April 1912. Protokoll der Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/ RA/730226). Riksarkivet Stockholm. §8 Andra afgörande uttagningstäflingen [Die anderen entscheidenden Auswahlwettbewerbe]. 22. Mai 1912, S. 2 f. Protokoll der Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
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Qualifizierungswettkampfs.1007 Prozentual bestand eine hohe Chance, dass die Auszeichnung in der Familie blieb. Denn drei ihrer Söhne stellten sich der Herausforderung ›Moderner Fünfkampf‹ in den verschiedenen Testwettkämpfen. Möglicherweise wollte sie deren Aufnahme in die Olympiaauswahl durch diese Spende auch nachdrücklich empfehlen. Daneben offerierten in Persien stationierte schwedische Offiziere einen Wanderpreis. Dieser sollte für einen Wettkampf von »vorwiegend militärischem Charakter verliehen« werden. Der Moderne Fünfkampf schien dazu ideal geeignet.1008 Auch im letzten Testwettkampf im Mai starteten nicht alle der gemeldeten Personen. Patrik de Laval und Setterberg mussten krankheitsbedingt absagen; Oberleutnant Nils Olof Einar Edström (1887 – 1971) vom Sknska dragonregementet war nicht anwesend.1009 Daneben brachten nur fünf der dreizehn startenden Offiziere den Wettkampf überhaupt zu Ende (vgl. Tab. 8). Die meisten Starter – insgesamt sechs – brachen nach dem Geländeritt ab. Vermutlich war es trotz eigenem bekannten Pferds zu Verletzungen gekommen, zumal die Teilnehmer wiedermal mit schwierigen Wetterbedingungen, diesmal starkem Regen, zu kämpfen hatten.1010 Es zeigte sich also, dass der Reitparkour und seine Hindernisse für den olympischen Wettkampf sorgfältig ausgewählt werden mussten. Mit Blick auf die beiden Trainingsschwerpunkte, Schwimmen und Fechten, waren im Mai erneut Fortschritte sichtbar, dennoch gäbe es bis zu den Spielen insbesondere im Schwimmen »immer noch viel zu tun«.1011
1007 §9 Pris till Uttagningstäflingarna [Preis für die Auswahlwettbewerbe]. Protokoll der Sitzung des SOK. 28. Mai 1912, S. 4. 3: 27. Juni 1911 – 14. Mai 1914. Organisationskommitt¦ns protokoll (A I). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. Dr. Magdalena Augusta Elisabeth Laval geborene Levin hatte 1881 Dr. Patrik Fabian Honor¦ de Laval (1845 – 1889), Lehrer an einem Stockholmer Gymnasium, geheiratet (Rooney Magnusson in einer privaten E-Mail vom 30. Januar 2012). 1008 §9 Priser till Uttagningstäflingarna [Preise für die Auswahlwettbewerbe]. Protokoll der Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf. 22. Mai 1912, S. 3. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. Die Information über diesen Wanderpreis kursierte bereits seit Ende März 1912: §6 Svenska officerarnas i Persien pris [Der Preis der schwedischen Offiziere in Persien]. Protokoll der SOK-Sitzung. 26. März 1912, S. 2. 3: 27. Juni 1911 – 14. Mai 1914. Organisationskommitt¦ns protokoll (A I). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/ RA/730226). Riksarkivet Stockholm; vgl. auch Svenska officerarnas i Persien pris till modern femkamp [Preis der schwedischen Offiziere in Persien für den Modernen Fünfkampf]. Brief von Hellström u. a. an den Ausschuss für Militärsport Stockholm/Silfverstolpe. 20. April 1912. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 1009 [o. A.] (1912 f). Den moderna femkamps tävlingen [Die Disziplinen des Modernen Fünfkämpfs]. 1010 [o. A.] (1912 g). Uttagningstäflingarna i modern femkamp [Auswahlwettbewerb im Modernen Fünfkampf], S. 10. 1011 Ebd., S. 9.
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Tab. 8: Die Teilnehmer am dritten Testwettkampf, 28.–31. Mai 1912, und ihre Platzierungen1012
1. 2. 3. 4. 5. -
Teilnehmer Grönhagen Lilliehöök E. de Laval G. de Laval Lewenhaupt æsbrink Stranne Hggström Mannström Wersäll H. æfeldt Carlberg Stiernspetz
28.05. Fechten 2 6 5 4 10 3 7 8 9 11 12 1 13
29.05. Schwimmen 2 7 6 1 5 8 3 11 9 4 12 10 -
30.05. Schießen 1 3 5 8 2 4 7 11 6 9 10 abgebrochen -
31.05. Reiten 2 1 5 3 8 10 11 8 6 4 9 2 (a. W.) -
31.05. Laufen gesamt 9 16 6 23 3 24 10 26 1 26 2 -
Was die Veranstaltungsorte aller drei Testwettkämpfe anging, so fanden einige Disziplinen dort statt, wo später auch der olympische Moderne Fünfkampf geplant war. Das Reiten wurde beispielsweise im November in Barkarby (ca. 20 Kilometer nordwestlich von Stockholm) organisiert, im Mai startete man auf halber Strecke zwischen Barkarby und Hjulsta (ca. 1 Kilometer östlich von Barkarby). In Barkarby war auch der Geländeritt während der Olympischen Spiele geplant, wohingegen dieser im April – vermutlich wegen der angespannten Wetterlage – davon abweichend im zentral gelegenen Ladugrdsgärdet in Stockholm stattgefunden hatte. Der Geländelauf war im November wie auch im April im Gebiet des Östermalms Idrottsplats abgesteckt worden. Dieser Sportplatz lag in unmittelbarer Nähe zum Olympiastadion in Stockholm, wo der Lauf auch im Juli starten und enden sollte. Das Schießen hatte dagegen während der ersten beiden Testwettkämpfe auf der Svea lifgardes kammarskjutingsbana (Kammerschießanlage der Schwedischen Leibgarde) und damit nicht in der olympischen Wettkampfstätte stattgefunden.1013 Hellström schlug allerdings vier 1012 Die Informationen basieren auf einer Studie verschiedener schwedischer Tageszeitungen und stammen aus einer privaten Zusammenstellung von Rooney Magnusson sowie aus Ebd., S. 9 f. Die Abkürzung a. W. steht für »außer Wertung«. Setterberg und Nordenswan waren eigentlich ausgeschieden, nahmen aber dennoch an weiteren Einzeldisziplinen des Modernen Fünfkampfs teil. In die Gesamtwertung wurden sie nicht mit aufgenommen. 1013 Silfverstolpe & Granfelt (1911). Program. Militär idrotts Stockholmsdistrikts täflan i modern femkamp [Programm. Wettbewerb im Modernen Fünfkampf der Militärsportabteilung des Stockholmer Distrikts]. 4. November. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm;
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Tage vor dem letzten Auswahlwettkampf vor, das Schießen schon zu diesem Zeitpunkt in Kaknäs, dem olympischen Standort, zu veranstalten.1014 Damit waren den schwedischen Modernen Fünfkämpfern mindestens drei der fünf Wettkampfstätten aus den Testwettkämpfen bekannt.1015 Ein Vergleich der Ergebnislisten aller drei Testwettkämpfe zeigt auf, dass die Zahl der Anmeldungen von Wettkampf zu Wettkampf anstieg (zwölf, vierzehn, fünfzehn). Dennoch war die Begeisterung insgesamt verhalten, vermutlich weil der Moderne Fünfkampf so hohe Anforderungen an die Athleten stellte. Während im ersten Testwettkampf im November noch ausschließlich Offiziere vom Rang eines Oberleutnants antraten, mischten sich in den beiden folgenden Qualifikationswettbewerben auch rangniedrigere, »einfache« Leutnants darunter. Drei Athleten nahmen an allen drei Veranstaltungen teil: Lilliehöök, Grönhagen und Lewenhaupt. Der erfolgreichste unter ihnen war Lilliehöök, der gleich dreimal den zweiten Rang belegte; Grönhagen, der ihm zuvor jeweils knapp unterlegen war, entschied den letzten Wettkampf im Mai für sich. Dieser Sieg fand jedoch so wie der letzte Qualifikationswettbewerb insgesamt weit weniger Medienaufmerksamkeit als die ersten beiden. So berichtete Tidning för idrott gar nicht darüber, und Stockholms Dagblad brachte immerhin eine Kurzinformation, die darauf hinwies, dass die Ergebnisse »nicht öffentlich« waren.1016 Im offiziellen olympischen Bericht hieß es lediglich, dass »eine große Anzahl von Kandidaten« erschien.1017 Nordiskt Idrottslif gab zwar Platzziffern und den groben Wettkampfverlauf,1018 doch genaue Ergebnisse über die Zeiten in einzelnen Disziplinen etc. wurden so kurz vor den olympischen Wettbewerben eingestellt. Hatte das öffentliche Interesse am Modernen Fünfkampf etwa schon nachgelassen? Das Ausbleiben konkreter Informationen war kein Zufall. Das SOK hatte vorab eine Art Pressezensur verhängt. Am 22. Mai entschied das Komitee, dem Vorschlag Silfverstolpes nachzukommen, d. h. die Stockholmer Tageszeitungen
1014 1015 1016 1017 1018
[o. A.] (1912d). Modern femkamp. Första uttagningstäflingen [Moderner Fünfkampf. Erster Auswahlwettbewerb], S. 145; [o. A.] (1912e). Modern femkamp [Moderner Fünfkampf], S. 157; [o. A.] (1912 g). Uttagningstäflingarna i modern femkamp [Auswahlwettbewerb im Modernen Fünfkampf], S. 10; Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 302, 605 f. Brief von Hellström u. a. an den Arbeitsausschuss des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf. 24. Mai 1912. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. Möglicherweise trainierten sie auch in den olympischen Wettkampfstätten, doch gibt es dazu in den untersuchten Archiven keine Belege. Im Schwimm- und Fechttraining, das an anderen Orten stattfand, waren die Standortvorteile ohnehin geringer. »Resultaten äro icke offentliga.« [Die Ergebnisse sind nicht öffentlich]. [o. A.] (1912i). Representanterna för modern femkamp uttagna. Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 296. [o. A.] (1912 g). Uttagningstäflingarna i modern femkamp [Auswahlwettbewerb im Modernen Fünfkampf], S. 9 f.
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dazu anzuhalten, nach Wettkampfende ausschließlich über die Rangfolge der Teilnehmer Auskunft zu geben. Genaue Ergebnisse, d. h. die Leistungen in den einzelnen Disziplinen oder andere Besonderheiten im Wettkampfverlauf, sollten nicht mehr öffentlich gemacht werden.1019 Daran hielten sich die schwedischen Presseleute und publizierten lediglich die Gesamtplatzierungen und die dazugehörigen Punktzahlen. Den ausländischen Mitstreitern wollte das SOK keine konkreten Richtwerte liefern und nicht schon vorab Favoriten aufzeigen. Folglich konnte die schwedische Presse in Bezug auf den Modernen Fünfkampf weniger deutliche Prognosen abgeben als vergleichsweise über den leichtathletischen Zehnkampf. Während der US-Amerikaner James Francis »Jim« Thorpe (1888 – 1953) schon früh die Titelseiten schmückte und als Allround-Künstler gehandelt wurde,1020 gab es im Modernen Fünfkampf keine Titelanwärter. Aufgrund des fehlenden Vergleichsmaterials und weil der Moderne Fünfkampf »eine brandneue Sportart ist«, sei es unmöglich, die schwedischen Siegchancen zu diskutieren.1021 Zumindest international hatten die Schweden also keine vergleichbaren Werte. Dies galt allerdings auch für den leichtathletischen Fünfkampf, den es laut Olympiska Spelens Tidning zuvor noch nicht gegeben hatte.1022 Auch Balck tauschte sich mit Coubertin über diese konkreten Wettkampfvorbereitungen weit seltener aus als vergleichsweise über das Wettkampfreglement (vgl. Kap. 4.3, 4.4). Den Modernen Fünfkampf nannte er in Bezug auf die Wettkampfvorbereitungen nicht explizit, so wie auch weitere Details über die schwedischen Wettkampfvorbereitungen in der Folgezeit eher geheim gehalten wurden. Vermutlich beabsichtigten Balck und die schwedischen Organisatoren damit, sich einen Wettbewerbsvorteil zu erhalten. Ob sich dies auszahlte, zeigte sich schon wenige Monate später (vgl. Kap. 5.2.2). Selbstverständlich blieben auch andere Nationen, die mehrere Athleten zum Modernen Fünfkampf angemeldet hatten, in der Vorbereitungszeit nicht völlig tatenlos.1023 Auf ihrer Sitzung am 16. April 1912 stand für die BOA die Teilnahme 1019 §8 Andra afgärande uttagningstäflingen [Andere Bestimmungen des Auswahlwettbewerbs]. 22. Mai 1912. Protokoll der Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf, S. 2 f. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. Dafür spricht auch, dass keine kompletten Anmelde- oder Teilnehmerlisten archiviert sind (6: Diverse handlingar rörande uttagningstävlingar (Mikrofilm SE/RA/8204/LIA/RA-F035 – 13110). Handlingar rörande träning (F II). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 1020 E. D. F.-D. [keine weiteren Autoreninfos], 1912, S. 1. 1021 [o. A.] (1912j). Olympiska spelens täflingar im modern femkamp [Wettbewerb der Olympischen Spiele im Modernen Fünfkampf], S. 6. 1022 [o. A.] (1912p). Tips för dagens täflingar [Tipps für die heutigen Wettbewerbe], S. 9. 1023 Die nationalen Vorbereitungen aller Teilnehmerstaaten im Modernen Fünfkampf zu un-
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am Modernen Fünfkampf auf der Tagesordnung. Das Protokoll bestätigt, dass Maximalzeiten im Schwimmen (5:30 min) und Geländelauf (3 Meilen in 17 Minuten) zur Qualifikation im Modernen Fünfkampf festgelegt wurden. Neben Einzelpersonen stand auch die Amateur Athletic Association beratend hinter den Vorbereitungen. Es wurden Auswahlwettkämpfe im Reiten, Schwimmen und Laufen angeraten und nur falls notwendig auch im Pistolenschießen und Degenfechten.1024 Dies deutet daraufhin, dass es sich bei diesen Qualifikationswettbewerben allgemein um Tests in den Einzeldisziplinen nicht jedoch um die Durchführung von Mehrkämpfen handelte. Im Schießen und Fechten bestand dabei offensichtlich geringerer Trainingsbedarf. Gleichzeitig zeigte sich, dass der Moderne Fünfkampf nicht in jedem Land eine solch starke Unterstützung wie in Schweden erfuhr : »[…] the Army Council is not prepared to give leave for individual cadets at the Royal Military Academy and Royal Military College to compete in the Modern Pentathlon as the preparation necessary would intervene with the course of their studies.«1025
Der britische Kader konnte also – ebenso wie die übrigen ausländischen Olympiaauswahlen – quantitativ nicht mit jenem der Schweden mithalten. Insgesamt zwölf schwedische Athleten standen auf der Startliste für 1912 und waren bereit, um Gold zu kämpfen (vgl. Kap. 5.2.2). Lilliehöök, Grönhagen und Lewenhaupt, die an allen drei Testwettkämpfen erfolgreich angetreten waren, hatten sich auf jeden Fall für den olympischen Modernen Fünfkampf qualifiziert; blieben noch neun Plätze offen. Der letzte Testwettkampf im Mai war hauptausschlaggebend für die Qualifikation. Nur in Ausnahmefällen – wegen »höherer Gewalt« und bei vorherigen guten Leistungen – hatte Silfverstolpe die Erlaubnis, Teilnehmer zu nominieren, die am letzten Auswahlwettkampf gefehlt hatten.1026 Wer jetzt noch nicht fit war, dem wurde nicht zugetraut, dass er es innerhalb von zwei Monaten noch werden könnte. Entsprechend gehörten alle tersuchen, würde den Rahmen der Dissertation sprengen. Großbritannien nahm mit drei Athleten teil (vgl. Kap. 5.2.2), und Laffan zeigte sich in der Vorbereitungszeit auf den Modernen Fünfkampf besonders aktiv. Daher werden die britischen Vorbereitungen ergänzend zu den schwedischen an dieser Stelle beispielhaft herausgepickt. 1024 Punkt 4«. Lord Desborough (1912). BOA Council Meeting: Report of the special subcommittee re[garding] the arrangements for competitors of the United Kingdom at Stockholm. 16. April, S. 3. BOA Meeting Minutes. Archiv der British Olympic Association (BOA). Vgl. zu den britischen Testwettkämpfen im Reiten auch [o. A.] (1912b). The Olympic Games. The Modern Pentathlon. 1025 »Punkt 3«. Lord Desborough (1912). BOA Council Meeting: Report of the riding subcommittee. 16. April 1912, S. 4. BOA Meeting Minutes. Archiv der British Olympic Association (BOA). 1026 §10 Sveriges representanter vid Spelen [Die schwedischen Vertreter bei den Spielen]. Protokoll der Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf. 22. Mai 1912, S. 4. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/ RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
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Athleten, die 1912 an einem der beiden Testwettkämpfe teilgenommen hatten, zur schwedischen Olympiaauswahl (vgl. Tab. 11, Kap. 5.2.2). Einige der Ernannten, Gustaf Erik Stiernspetz, æsbrink, Carlberg und Hæggström, hatten dabei keinmal unter Wettkampfbedingungen alle fünf Disziplinen des Modernen Fünfkampfs zu Ende gebracht.1027 Doch für eine strengere Selektion standen nicht ausreichend Anwärter zur Verfügung. Nicht jeder im Land war mit dieser Entscheidung zufrieden, so dass Beschwerden nicht lange auf sich warten ließen. Oberleutnant Hkan Egidius æfeldt vom Västernorrlands regemente, das ca. 500 Kilometer nördlich von Stockholm im schwedischen Sollefte angesiedelt war, fühlte sich benachteiligt. Er bemängelte, dass es lokale Vorzüge für Stockholmer Offiziere gäbe, weil außerhalb Stockholms ein gutes Training im Vorfeld kaum möglich gewesen sei.1028 Nachdem er im April angemeldet war und nicht antrat, musste er im Mai nach nur vier Disziplinen aufgeben. Dieses Schicksal teilte er jedoch mit mehreren anderen Athleten. Das Spezialkomitee für Modernen Fünfkampf lenkte daher trotz seiner schwachen Leistungen ein und nahm ihn unter Berücksichtigung der schwierigen Umstände als Reservemann in das schwedische Nationalteam auf.1029 Sein Bruder Nils Svante Birger æfeldt (1873 – 1936), Hauptfeldwebel am Kungl. Sknska dragonregementet und Sekretär des Ystads Idrottsförening (ein ziviler Sportverein), hatte weniger Erfolg. Er schickte zwar aus Eigeninitiative einen Anmeldebogen los, durfte jedoch nicht im olympischen Wettkampf antreten. Die Mannschaftsmitglieder waren schon nominiert worden, und er hatte an keinem der Qualifikationswettbewerbe teilgenommen.1030 Dies traf nicht auf Oberleutnant Patrik de Laval zu. Dennoch stand seine Ernennung in der Kritik. Im November und April hatte er jeweils Platz 5 belegt; im Mai war er verletzungsbedingt nicht an den Start gegangen. Oberleutnant Granfelt hielt sein Startrecht daher für fragwürdig.1031 Dass sich gleich drei Brüder für den Modernen Fünfkampf empfahlen, war ohnehin außergewöhnlich. Erik de Laval, der im April Rang 1 und im Mai Rang 3 belegte, hatte von den 1027 [o. A.] (1912i). Representanterna för modern femkamp uttagna. 1028 Brief von Hkan æfeldt an das Spezialkomitee für Modernen Fünfkampf. 3. Juni 1912. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/ RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 1029 §4 Uttagning af Sveriges representanter vid spelen [Auswahl der schwedischen Vertreter bei den Spielen]. Protokoll der Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf. 3. Juni 1912, S. 2; Brief von Hellström u. a. an die Öfversten och Chefen för Västernorrlands Regemente. 5. Juni 1912. Beides in Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 1030 §4 Uttagning af Sveriges representanter vid Spelen [Auswahl der schwedischen Vertreter bei den Spielen]. 3. Juni 1912, S. 2. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/ RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 1031 Ebd.
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Dreien die größten Aussichten auf einen olympischen Gesamtsieg. Das Leistungsniveau der ausländischen Modernen Fünfkämpfer war allerdings schwierig abzuschätzen. Erst im olympischen Wettkampf, dem ersten internationalen Aufeinandertreffen der Modernen Fünfkämpfer, würde sich zeigen, ob das Training der Schweden ausreichte, um sich auch gegen andere Nationen durchzusetzen.
5.2.2 Sechs Tage, fünf Disziplinen: der Wettkampfverlauf Schon während der Eröffnungsfeier hob Kronprinz Gustav Adolf, der gleichzeitig Ehrenpräsident des SOKwar, hervor, dass der Sport aus schwedischer Sicht »ein Gegengewicht zu der häufig sehr spezialisierten, einseitigen Arbeit« darstelle.1032 Daher stünde in seinem Heimatland insbesondere die vielseitige sportliche Ausbildung im Vordergrund: »[…] we must mark, that an all-round system of athletics is, of course, what should be strongly recommended, and the importance of such a system has always been powerfully advocated here in Sweden. It is in this way that athletics can best fulfil [sic!] its important, its great mission in the service of the physical well-being of a nation.«1033
Der Moderne Fünfkampf passte sehr gut in dieses Schema. Darüber hinaus gab es zwölf weitere Sportarten mit zahlreichen weiteren Disziplinen, darunter auch die leichtathletischen und turnerischen Mehrkämpfe.1034 Die neu eingeführten olympischen Kunstwettbewerbe, zu denen Architektur, Bildhauerkunst, Malerei, Literatur/Dichtung und Musik zählten, hatte das SOK im Gegensatz zum Modernen Fünfkampf nicht von Beginn an begrüßt. Coubertin, dem diese Idee ebenso wie jene des Modernen Fünfkampfs am Herzen lag, konnte sich jedoch durchsetzen. Neben den genannten dreizehn Hauptsportarten gab es auch zwei so genannte Demonstrationssportarten. Baseball und Glma wurde die Möglichkeit gegeben, für sich als olympische Sportart der Zukunft zu werben (Findling & Pelle, 2004, S. 62).1035 Dies musste der Moderne Fünfkampf auch, sofern er weiterhin im Programm bleiben wollte, doch hatte er 1912 bereits olympischen Status. Die Tatsache, dass er direkt als vollständige olympische 1032 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 309. 1033 Ebd., S. 310. 1034 Zu den weiteren Sportarten gehörten Fechten, Fußball, Leichtathletik, Radsport, Reitsport, Ringen, Rudern, Schießen, Schwimmen, Segeln, Tennis, Turnen (Molzberger, 2010, S. 64). Die leichtathletischen Mehrkämpfe waren das Pentathlon und das Dekathlon. Es gab insgesamt drei turnerische Mehrkampfkonkurrenzen: in der Mannschaft nach schwedischem System und als Kürübungen sowie im Einzel als Kürübung an vier Geräten (Reck, Barren, Ringe und Pauschenpferd) (Kluge, 1997, S. 337ff). 1035 Glma ist eine isländische Variante des Ringens. Vgl. z. B. Einarsson, 1988; Enoksen, 2008.
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Sportart – nicht probeweise zur Demonstration – einstieg, zeigt, wie sehr das IOC und insbesondere Coubertin hinter diesem Wettkampf standen. Insgesamt 42 Teilnehmer hatten sich angemeldet, um im olympischen Modernen Fünfkampf sechs Tage lang gegeneinander anzutreten.1036 Für alle war es der erste internationale Wettkampf dieser Art und daher war das Leistungsniveau ungewiss. Nach den Erfahrungen in den Testwettkämpfen war es ebenso fraglich, ob die Athleten überhaupt (verletzungsfrei) bis zum Ende durchhalten würden. Neben Schweden selbst, das mit zwölf Teilnehmern antrat, waren neun weitere Nationen, darunter Russland mit fünf, Dänemark mit vier, Großbritannien mit drei, Norwegen und Frankreich mit jeweils zwei sowie Deutschland, Niederlande, Österreich und USA mit je einem Athleten vertreten. Mit fünf Athleten stellte Russland also nach Schweden die zweitgrößte Wettkämpfergruppe dar, wobei vier von ihnen – alle außer Boris Nepokupnoy – eigentlich finnisch waren, aber in der russischen Armee dienten.1037 Die Finnen gehörten 1912 offiziell der russischen Mannschaft an, aber hatten durchgesetzt, bei finnischen Siegen ihr Land neben der russischen Flagge anzeigen zu dürfen (Ebd., S. 60; Findling, 1996, S. 45). Ähnlich verhielt es sich mit den österreichischen, böhmischen und ungarischen Athleten, die politisch nicht souverän waren und der österreichisch-ungarischen k. u. k. Doppelmonarchie angehörten. Da bei den Olympischen Spielen allerdings die »sportliche Geographie« Vorrang hatte, wurde auch ihnen eine gewisse Eigenständigkeit zugestanden. In der neunköpfigen Jury des Modernen Fünfkampfs waren gleich drei Mitglieder der k. u. k. Doppelmonarchie vertreten: O. Herrschmann (Österreich), J. Roessler-Orovsky (Böhmen) und D. Lauber (Ungarn).1038 Außerdem stimmte das ungarische IOC-Mitglied Gyula von Muzsa (1862 – 1946) im Vorfeld der Spiele zu, dass vor dem Hintergrund der gemeinsamen Armee bei einem Sieg ungarischer Offiziere im Modernen Fünf-
1036 Startlista för Modern femkamps ridning [Startliste für das Reiten des Modernen Fünfkampfs]. 1912 [ohne genaues Datum]. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm; Bergvall/ Swedish Olympic Committee, 1913, S. 890; Mallon & Widlund, 2002, S. 233 f. 1037 Finnland war zu dieser Zeit als Großfürstentum Teil des Russischen Reichs. Im Krieg gegen Russland (1808 – 1809) war Schweden unterlegen und hatte einen Teil seines Landes an Russland abgeben müssen. Vgl. zur politischen Situation Mallon & Widlund, 2002, S. 20. 1038 In der Jury saßen außerdem Taube (Vorsitzender), Silfverstolpe (Vertreter des Gastlands), H. H. Bondo (Dänemark), J. F. Noel Birch (Großbritannien), O. T. Klingenberg (Norwegen), G. Duperron (Russland) und G. T. Kirby (USA) (Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 101). Vgl. auch »Juryer vid spelen [Schiedsrichter bei den Spielen]«. Brief von Hellström/SOK an das Spezialkomitee für Modernen Fünfkampf. 3. Februar 1912. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/ RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
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kampf sowohl die österreichische als auch die ungarische Flagge gehisst würden.1039 In seiner Begrüßungsrede, die er bezeichnenderweise auf Französisch (in der Muttersprache Coubertins) hielt, betonte Balck zwar später, dass »die gleiche herzliche Beziehung zwischen den Teilnehmern im Modernen Fünfkampf« ausgebildet werden müsse wie in anderen Disziplinen,1040 doch von der Ausbildung einer transnationalen Fünfkampfgemeinschaft, die sich auch abseits des Wettkampfs miteinander austauschte, war in der Praxis nichts zu spüren. Das Wettkampfmoment stand im Vordergrund. Während die übrigen ausländischen Modernen Fünfkämpfer für die Zeit der Spiele zusammen mit den Schützen, Ruderern, Fechtern und Gymnasten im »Hotel Germania, Gustaf Adolfstorg« untergebracht waren, übernachteten die Franzosen beispielsweise separat, in der Pension ælander, Birger Jarlsgatan«.1041 Ein gemeinsames olympisches Dorf gab es noch nicht. Zehn der 42 gemeldeten Teilnehmer im Modernen Fünfkampf traten letztlich nicht an, darunter ein Südafrikaner und ein Böhme sowie drei weitere USAmerikaner und jeweils ein weiterer Däne, Norweger, Russe, Deutscher und Österreicher.1042 Über die Gründe für deren Absage kann nur spekuliert werden. Möglicherweise gab es Verletzungen oder Schwierigkeiten bei der Anreise. Einige traten allerdings dennoch bei anderen Sportarten an und ließen nur den Modernen Fünfkampf aus: Der in England geborene Walter Percy Gate (RSA) und John Ernest Gignoux (USA) nahmen 1912 an verschiedenen olympischen Fechtwettkämpfen teil.1043 Mit 76,2 Prozent tatsächlichen Teilnahmen im Ver1039 Brief von Muzsa an das SOK. 3. Mai 1912. Siam-Österrike (utom Tyskland). Sekretariatets utlandskorrespondens (E II:9). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. Zitiert in Molzberger, 2011, S. 190. 1040 [o. A.] (1912q). Den modärna femkampen [Der Moderne Fünfkampf], S. 9. 1041 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 234. 1042 Abgesagt hatten im Einzelnen: Walter Percy Gate (*1874) (RSA), Jaroslav Jarkovsky´ (*1878) (BOH), John Ernest Gignoux (1878 – 1955) (USA), Bertell W. King (*1889) (USA), John McLoughlin [o. A.] (USA), Svend Wørmer (1887 – 1973) (DEN), Hans Jacob Arnold (*1891) (NOR), Alexis Borislavsky (*1882) (RUS), Carl Georg Friedrich Franz von Scharfenberg (1886 – 1960) (GER) und Ernst H. M. Brandstetter (*1892) (AUT). Die Namen und Geburtsjahre liegen handschriftlich vor und sind teils schwer entzifferbar ; die Todesjahre fehlen, nur teilweise konnte ich sie ergänzen. Vgl. Startlista för Modern femkamps ridning [Startliste für das Reiten des Modernen Fünfkampfs]. 1912 [ohne genaues Datum] sowie die einzelnen Anmeldeformulare. Beides in Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 1043 Gates Anmeldung war bezeichnenderweise von der South African Fencing Association verschickt und am 3. Juli wieder zurückgezogen worden (South African Fencing Association. Entry form for fencing. IV. Modern Pentathlon Competition. 18. April 1912. Eingegangen am 3. Juni 1912. Anmälningar. Modern femkamp (E I:10). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm).
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hältnis zu der ursprünglichen Zahl der Anmeldungen lag der Moderne Fünfkampf genau im Schnitt der olympischen Wettkämpfe.1044 Der Wegfall von zehn Athleten war also nicht ungewöhnlich, wohingegen die Teilnehmerzahl generell vergleichsweise niedrig war. Mit Blick auf die gesamten Olympischen Spiele nahmen laut offiziellem Bericht 27 und damit mehr als doppelt so viele verschiedene Nationen wie im Modernen Fünfkampf teil.1045 Im Reiten waren es mit acht Ländern allerdings noch weniger, wobei jedoch hier die Anmeldezahl jene im Modernen Fünfkampf dennoch deutlich überstieg.1046 Dies beweist, dass nicht alle Reitsportler automatisch auch in den übrigen vier Disziplinen des Modernen Fünfkampfs geübt waren. Sportarten wie die Leichtathletik umfassten gleich mehrere Subdisziplinen, wodurch sich die höheren Ziffern – 556 Teilnehmer und 285 Absagen – erklärten.1047 Doch auch andere Mehrkämpfe hatten vergleichsweise wenig Teilnehmer zu verzeichnen. Im leichtathletischen Pentathlon traten nur 26 Athleten an; im Dekathlon 29.1048 Dies mag zum Einen an den allgemein hohen Anforderungen von Mehrkämpfen liegen, zum Zweiten auch daran, dass diese 1912 ihre Premiere feierten. Gleichzeitig beweisen die Statistiken, dass sich der Moderne Fünfkampf wie die übrigen Mehrkämpfe in der Praxis noch nicht durchgesetzt hatte. Der Moderne Fünfkampf stand erst am Anfang, konzentrierte sich noch auf einige Kernländer und innerhalb dieser auf Minderheiten. In Bezug auf die national unausgewogene Zusammensetzung des Teilnehmerfelds erklärt sich die schwedische Dominanz aus ihrem Heimvorteil. Ihre systematische Vorbereitung, insbesondere die Qualifikationswettbewerbe (vgl. Kap. 5.2.1), sowie das Fehlen einer strikteren Limitierung der Teilnehmerzahl pro Land erlaubte ein maximales Ausreizen der Anmeldezahl.1049 Die Aufnahme in das olympische Programm eröffnete neuen Sportarten zudem die Chance, ihren Bekanntheitsgrad zu vergrößern. Die drei Mehrkämpfe standen dabei in gewisser Weise in Konkurrenz zueinander (vgl. Kap. 4.3.1). Dass dies insbesondere für die beiden 1044 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 890. 1045 Ebd., S. 10. 1046 Im Reiten waren mit 99 mehr als doppelt so viele Teilnehmer als im Modernen Fünfkampf angemeldet (Hermelin, 1912, S. 53). 1047 Ebd. 1048 »Athletics at the 1912 Stockholm Summer Games: Men’s Pentathlon, Men’s Decathlon«. Homepage Sports-Reference/Olympic Statistics and History. Zugriff online am 1. Februar 2012 unter http://www. sports-reference.com/olympics/summer/1912/ATH/; Bergvall/ Swedish Olympic Committee, 1913, S. 885. 1049 Mehr als zwölf Anmeldungen waren 1912 ohnehin nicht erlaubt. Swedish Olympic Committee (1912). Modern Pentathlon: Programme, rules and general regulations. Fifth Olympiad: Olympic Games of Stockholm 1912, S. 9. RÀglement et programme g¦n¦ral des Jeux Olympiques de Stockholm 1911 – 12, Code: JO 1912 S-PROGR, ID: 9929. IOC Archiv Lausanne.
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Fünfkämpfe galt, zeigen auch die Wettkampftermine. So fand das Pentathlon zeitlich parallel am ersten Tag des Modernen Fünfkampfs statt; das Dekathlon war direkt einen Tag nach Abschluss des Modernen Fünfkampfs angesetzt.1050 Erwartungsgemäß lag das Interesse am Modernen Fünfkampf schwerpunktmäßig auf der militärischen Ertüchtigung. Die Offiziere waren daher nicht nur auf dem Sportplatz, sondern auch auf den Zuschauerrängen unter sich; »aber auch einige Zivilisten waren anwesend«.1051 Der Moderne Fünfkampf startete am zweiten Tag der »Stadionwoche«, am 7. Juli, mit dem Pistolenschießen in Kaknäs.1052 Interessanterweise war es ein Schütze – und nicht etwa eine Darstellung von fünf verschiedenen Disziplinen –, der als Eingangsbild des Modernen Fünfkampfs im offiziellen Berichtsband ausgewählt war (vgl. Abb. 6).1053
Abb. 6: Darstellung des Modernen Fünfkampfs im offiziellen Berichtsband von 19121054
In 25 Meter Abstand gaben die Schützen in vier Serien jeweils fünf Schüsse ab. Da die Art der Waffe im Reglement nicht explizit festgelegt war, nutzten die Athleten eine Reihe verschiedener Waffen; vermutlich jene, die sie vom Mili1050 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 412. 1051 [o. A.] (1912q). Den modärna femkampen [Der Moderne Fünfkampf], S. 9. 1052 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 646. Kaknäs liegt im Ladugrdsgärdet, einem zentralen Stadtteil von Stockholm. 1053 Ebd., S. 640. Das Eingangsbild der Schießwettbewerbe zeigte ebenfalls einen Schützen, allerdings statt einem Athleten mit Pistole, zwei mit Gewehr (Ebd., S. 677). 1054 Quelle: Ebd. (Ó CIO).
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tärtraining gewohnt waren. Die Schweden schossen mit amerikanischen »Smith & Wesson-Pistolen«, die sich in den Testwettkämpfen durchgesetzt hatten (vgl. Kap. 5.2.1); die Norweger und der einzige deutsche Starter Carl Pauen (*1859) mit den deutschen »Parabellum-Selbstlade-Pistolen«; die Dänen mit den dänischen Armeepistolen, der US-amerikanische Kavallerie-Offizier George Smith Patton Jr. (1885 – 1945) mit einem Colt-Revolver.1055 Die Kaliber schwankten zwischen 6.5 und 9 Millimeter ; je größer die Schusslöcher ausfielen, desto ungenauer ließ sich allerdings der Treffpunkt ablesen. Die mannshohe Zielscheibe (1,70 m hoch und 0,5 m breit), die jeweils für nur 3 Sekunden erschien und anschließend für 10 Sekunden wieder verschwand, war mit Zielringen von 10 bis 7 bestückt (vgl. Abb. 4, Kap. 4.4.1). Unter den Augen ihres Kronprinzen, der dem Schießen in Begleitung von Prinz Friedrich Karl von Preußen beiwohnte,1056 erfüllten die schwedischen Athleten schon in der ersten Übung die Erwartungen: Karl Gösta æsbrink lag mit 193 von möglichen 200 Punkten vorn, dicht gefolgt von seinem Landsmann Georg de Laval, der nach zwei schwächeren Serien auf Platz zwei zurückfiel. Dritter wurde mit Gösta Malcolm Lilliehöök ebenso ein Schwede. Grönhagen, der als bester schwedischer »Allround-Mann« galt,1057 lieferte eine vergleichbar schwache Leistung ab, die ihm nur Platz 18 einbrachte. Enttäuschend war ebenso Pattons Leistung (Rang 21). Er galt nicht zuletzt aufgrund seiner guten Vorstellung im Training als einer der Favoriten. Am Vortag des Wettkampfbeginns hatte Patton ausschließlich das Schießen geübt und 197 von 200 Schüssen ins Schwarze versenkt (D’Este, 1996, S. 132). Insbesondere vor dem Hintergrund seiner späteren Militärkarriere (vgl. Kap. 5.2.3) verwundert sein schlechtes Abschneiden im Schießen, womit er sich letztlich schon am ersten Wettkampftag alle Medaillenchancen im Modernen Fünfkampf verbaute (Daniels, 2000, S. 71). Die Erklärungen für Pattons schwaches Auftaktresultat sind zahlreich. So heißt es, er habe schlecht geschlafen, weil es in Schweden doch im Sommer so lange hell sei (D’Este, 1996, S. 132). Einige seiner Landsmänner behaupteten zudem voller Enttäuschung, dass Patton durch seinen Revolver und die damit verbundene Größe des Schusslochs ungerecht bewertet worden sei. Da Patton jedoch als einziger Schütze darauf beharrte, einen Colt einzusetzen,1058 erschwerte er sich selbst ein besseres Ergebnis. Er soll zunächst gut getroffen haben, doch schrieben ihm die Juroren einen totalen Fehlschuss zu. Bedingt durch das große Kaliber seines Colts soll sein Schuss ein so großes Loch hin1055 1056 1057 1058
Ebd., S. 647. [o. A.] (1912q). Den modärna femkampen [Der Moderne Fünfkampf], S. 9. Ebd. Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 647. Ein Colt besitzt ein im Vergleich zu den üblichen 0.22 ein größeres Kaliber von 0.38. Folglich war ein genaues Ablesen seiner Schießergebnisse nicht gewährleistet.
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terlassen haben, dass es den Schiedsrichtern unmöglich war, dieses zu lokalisieren (Ebd., S. 132). Zunächst zeigten seine schwedischen Konkurrenten Fairness und bestanden darauf, dass es durch eine vorheriges Loch eines Mitstreiters durchgeschlagen sei, doch die Juroren fanden keinen Beweis dafür und sahen sich daher gezwungen, Patton zehn Strafpunkte zu vergeben (Ebd., S. 132 f). Häufig heißt es, dass ihn diese fragwürdige Beurteilung der Juroren letztlich den Sieg kostete (Province, 2002, S. 6 f). In Wahrheit waren es jedoch gleich zwei Fehlschüsse, die das Ziel versäumten (D’Este, 1996, S. 133, 844 (Anmerkung 20)). Einige seiner Anhänger wollten seine frühe Niederlage allerdings einfach nicht wahrhaben. Patton selbst verlor über die mögliche Benachteiligung kein Wort und kommentierte sein Abschneiden wie folgt: »I don’t know whether I lost my nerve, or my ammunition was defective, but I did nothing like my best.«1059 Obwohl er damit nur auf Platz 21 landete, setzte er seinen Wettkampf anschließend fort. Nach dem Schießen gaben dagegen bereits drei andere Athleten auf (Lennartz, 2009, S. 191): Pauen, der weit abgeschlagen auf Platz 29 lag, der einzige Niederländer, Jetze Doorman (1881 – 1931), der wenig besser Rang 22 einnahm, und überraschenderweise auch der Schwede Eric Carlberg, der mit Platz 8 eigentlich noch Medaillenchancen hatte. Carlberg, der auch Vertreter des Schießsports im Spezialkomitee für Modernen Fünfkampf war, trat 1912 allerdings gleichzeitig in mehreren anderen Schießdisziplinen an. Den Modernen Fünfkampf nutzte er offensichtlich nur dazu, um auszuprobieren, ob er auch die Mehrkampfschützen besiegen konnte (vgl. Tab. 11, Kap. 5.2.3).1060 Zum 300-Meter-Freistil im neu errichteten Bad in Djurgardsbrunnsviken/ Stockholm traten einen Tag später folglich nur noch 29 Athleten an. Die Schwimmer starteten auf der unbeheizten 100-Meter-Bahn in verschiedenen Gruppen. Der Sieger wurde ausschließlich über die Zeit, nicht über sein relatives Abschneiden in der Gruppe ermittelt. Dies war auch deshalb möglich, weil in Stockholm erstmals elektronische Zeitmessungen und Zielfotos eine genaue Ergebnismessung ermöglichten. Dies betraf neben dem Schwimmen insbesondere das Reiten und Laufen als weitere Einzeldisziplinen des Modernen Fünfkampfs, wobei im Schwimmen und Laufen in Fünftel- und im Reiten in Zehntelsekunden gemessen wurde.1061 Vermutlich gingen die Veranstalter davon aus, dass es im Reiten weniger eng zugehen würde und nicht die Zeit, sondern vielmehr die Hindernisse und die damit verbundenen Strafpunkte ausschlaggebend sein würden. Obwohl sowohl Lilliehöök als auch Grönhagen ihre Zeiten im Vergleich zum letzten Testwettkampf um mehr als zehn Sekunden verbesserten und alle 1059 [o. A.] (1912v). Americans Again Lead, S. 3. 1060 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 651. 1061 Ebd., S. 651, 654 ff.
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Schweden ein intensives Schwimmtraining absolviert hatten, lagen ihre Zeiten noch über jenen einiger ausländischer Teilnehmer.1062 So lieferte der britische Hauptmann Ralph Clilverd (1887 – 1970) mit 4:58 2/5 Minuten die schnellste Zeit ab; unter fünf Minuten war bislang noch kein schwedischer Fünfkämpfer geblieben. Auf Rang zwei lag der Österreicher Edmund Bernhardt mit 5:03 3/5 Minuten, es folgte der Schwede Georg de Laval auf Platz drei (5:28 min). Eine besonders schwache Leistung zeigte dagegen der Däne Vilhelm Laybourn, der für die Strecke mehr als doppelt so lang als die Führenden brauchte (12:09 3/5 min).1063 Dies beweist, dass die Modernen Fünfkämpfer 1912 überwiegend nicht vom Schwimmen zum Mehrkampf kamen, sondern vielmehr Fechter, Reiter und/ oder Schützen waren. Insgesamt sind die Ergebnisse im Vergleich zu heute auch deshalb schwach, weil es noch keine wellenberuhigenden Schwimmleinen gab. Zudem verhinderten die damals verbreiteten Technikvarianten, das »Trudgen«1064 und das Brustschwimmen (typischerweise mit Kopf über Wasser) schnellere Zeiten. Im Schwimmen waren die Schweden also vergleichsweise weniger überzeugend als im Schießen aufgetreten. Dennoch lagen sie nach zwei Disziplinen mit æsbrink und Georg de Laval mit je fünf Punkten, gefolgt von Lilliehöök mit dreizehn Punkten, deutlich vorne.1065 Auch nach dem Schwimmen gaben erneut zwei Wettkämpfer, die mit Rang 24 und 25 die hinteren Plätze im Schwimmen belegten, auf: der Russe Boris Nepokupnoy und sein Mannschaftskollege Kalle Aejemelaeus. Am Abend wurden den Wettkämpfern wie geplant der Reitkurs gezeigt, und sie erhielten die Möglichkeit, ihr zugelostes Pferd probezureiten.1066 Gleich zwei Tage nahm das darauffolgende Degenfechten im Freiluft-Tennispavillon von Östermalm/Stockholm in Anspruch. Die insgesamt 351 Gefechte zogen sich auch deshalb so lange hin, weil nicht der Einzeltreffer, sondern die ersten drei bzw. drei von fünf Treffern zählten. Eine schnelle elektrische Trefferanzeige gab es damals noch nicht; die Bewertung übernahm ein fünfköpfiges Jurorenteam, das Abstimmung und daher mehr Zeit beanspruchte (vgl. Abb. 7). Die Schweden bewiesen in dieser dritten Fünfkampf-Disziplin mit Grönhagen, der 24 seiner 26 Duelle für sich entschied, erneut ihre Überlegenheit. Auf Platz 2 lag der Franzose Jean de Mas Latrie mit 23 Siegen, auf drei der 1062 [o. A.] (1912 s). Den modärna femkampen andra dag [Der zweite Tag des Modernen Fünfkampfs], S. 10. 1063 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 651. 1064 Das »Trudgen« ist eine Art Seitschwimmen mit jeweils zwei Armzügen unterstützt von Scherenbeinschlägen und anschließendem Seitwechsel. Die Technik ist benannt nach John Trudgen, der sie Ende des 19. Jahrhunderts in England entwickelte (Colwin, 2002, S. 10 f). 1065 [o. A.] (1912w). Fäkttäflingarna [Fechtwettbewerbe], S. 9. 1066 [Coubertin] (1912j). Les d¦buts du Pentathlon moderne, S. 152.
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Schwede Sidney Stranne mit 21 Siegen gefolgt von Patton. Sogar die Fechtnation Frankreich hatten die schwedischen Modernen Fünfkämpfer geschlagen. Das regelmäßige Fechttraining in der Vorbereitungszeit hatte sich also ausgezahlt (vgl. Kap. 5.2.1). Obwohl es für Patton auch in seiner Paradedisziplin, dem Fechten, letztlich mit Platz vier nicht ganz zum Spitzenfeld reichte, hob der Offizielle Bericht neben der Leistung des im Fechten erstplatzierten Grönhagen insbesondere jene Pattons hervor: »Among these fencers, Grönhagen, Sweden, and Patton, U. S. A., distinguished themselves by the calm skill and rapidity they showed in the use of their weapon, as well as for the immediate advantage they took of the weak points of their opponents.«1067
Patton soll durch seinen attackierenden Stil ein Publikumsliebling gewesen sein, doch war er taktisch seinen weit erfahrenen Gegnern unterlegen. Immerhin konnte er 20 seiner 29 Gefechte für sich entscheiden (Mellor, 1971, S. 61).1068 Das war auch deshalb bemerkenswert, weil er zu diesem Zeitpunkt noch von keinem Weltklasselehrer unterrichtet worden war.1069 Patton selbst war ebenfalls mit seiner Fechtleistung zufrieden: »I was fortunate enough to give the French victor, Lieutenant Mas de la Tree [sic!], the only defeat he had.«1070 Neben dem eigentlichen Gefecht zwischen Patton und de Mas Latrie ist auf dem folgenden Foto auch erkennbar, dass im Hintergrund mindestens ebenso viele Damen wie Männer im Zuschauerrang saßen (vgl. Abb. 7); darunter befand sich vermutlich auch Pattons Frau, die er mit nach Stockholm gebracht hatte.
1067 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 651. 1068 Gulliver, 1944. Zitiert in D’Este, 1996, S. 133 (Anmerkung 22). 1069 Diese Möglichkeit nahm er erst nach den Olympischen Spielen von 1912 wahr und reiste mit seiner Frau nach Frankreich, um an der Militärakademie von Saumur Fechtunterricht zu nehmen. Das dort erlangte Wissen nutzte er u. a. dazu einen eigenen Säbel, den »M1913 Saber« zu entwickeln. Dies und seine Fechterfolge innerhalb der Militärmeisterschaften brachten ihm nach seiner Rückkehr nicht nur den Namen »Saber George« und »Master of the Sword« ein, sondern machten seinen Namen auch in hohen Militärkreisen bekannt (Blumenson, 1972, S. 4; Kubetzky, 2010, S. 146; Province [ohne Jahr]). 1070 Blumenson, 1972, S. 230. Zitiert in D’Este, 1996, S. 133.
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International und exklusiv: das olympische Debüt in Stockholm 1912
Abb. 7: De Mas Latrie (FRA) focht gegen Patton (USA) unter strenger Aufsicht der Juroren1071
Am 11. Juli traten die Modernen Fünfkämpfer zur vorletzten Disziplin, dem 5000-Meter-Geländeritt mit Hindernissen im Barkarby im Norden von Stockholm an. Ob das Gelände den zwölf schwedischen Athleten und ihren Pferden tatsächlich unbekannt war, bleibt fraglich, weil sie schon Monate zuvor Gelegenheit hatten, in der Gegend zu trainieren. Zudem bestand wie im Vorhinein befürchtet ein gewisses Ungleichgewicht zwischen jenen Athleten, die ihr eigenes Pferd ritten, und jenen, die mit einem fremden zurechtkommen mussten. Nachdem alle 42 Anmeldungen eingegangen waren, hatte das SOK eine vorläufige Startliste erstellt, auf der neben dem Namen und der Nation auch angegeben war, wer mit und wer ohne Pferd anreisen würde.1072 Daraus lässt sich schließen, dass vierzehn der 42 angemeldeten Fünfkämpfer angaben, ein Leihpferd zu benötigen. Das waren mehr als noch im Juni gedacht (vgl. Kap. 4.4.2). Während alle US-Amerikaner und der Südafrikaner vermutlich aufgrund der langen Anreise das Mitbringen eines Pferdes ausschlossen (vgl. Anhang 8.3.3.6), planten auch drei Schweden, auf einem Leihpferd anzutreten (vgl. Tab. 9). 1071 Quelle: Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, zwischen S. 640 und 641 (Pl. 237) (Ó CIO). 1072 Startlista för Modern femkamps ridning [Startliste für das Reiten des Modernen Fünfkampfs]. 1912 [ohne genaues Datum]; vgl. auch verschiedene Anmeldebögen und Briefe im Vorlauf der Olympischen Spiele. Beide in Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/ 730226). Riksarkivet Stockholm.
Die Inszenierung des ersten Modernen Fünfkampfs
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Möglicherweise wollte das SOK damit aufzeigen, dass das Reiten eines fremden Pferdes nicht zum Nachteil sein müsste. Tab. 9: Teilnehmer ohne eigenes Pferd und deren Platzierung in der vierten Disziplin des olympischen Modernen Fünfkampfs 19121073 Nr. 1 2 3 4 5 6 7 8
Teilnehmer Leutnant George Patton Oberleutnant Gösta æsbrink Leutnant Sidney Stranne Edmund Bernhardt Hauptmann Ralph Clilverd Oberleutnant Eric Carlberg Hauptmann Jetze Doorman Carl Pauen
Nation USA SWE SWE AUT GBR SWE NED GER
Platzierung im Reiten 6. 7. 8. 12. 23. aufgegeben aufgegeben aufgegeben
Die meisten Interessenten gaben keine Begründungen für ihre Wahl an; lediglich der Russe Arno Axel Almquist räumte ein, dass er gar kein Pferd besitze.1074 Als letztlich von den ursprünglichen 42 nur 32 an den Start gingen, schrumpfte die Summe der Leihpferde auf acht zurück. Dies deutete wiederum darauf hin, dass die Modernen Fünfkämpfer, die sich ernsthaft auf den Wettkampf vorbereitet hatten, mehrheitlich eigene Pferde besaßen und es vorzogen, diese mitzubringen. Die Tatsache, dass am Ende sogar nur fünf Leihpferde gebraucht wurden, unterstreicht diese Annahme. Drei der Anwärter hatten nämlich jeweils schon nach der ersten Disziplin, dem Schießen, aufgegeben (vgl. Tab. 9, 10). Dass sich die Hälfte der übrigen Reiter mit fremdem Pferd unter den ersten zehn platzieren konnten, spricht zum Einen für ihr Talent, zum Zweiten jedoch auch dafür, dass die bereitgestellten Pferde wie gewünscht von guter Qualität und somit den Wettkämpfern nicht zum Nachteil sein mussten. Die beiden Schweden æsbrink und Stranne, denen möglicherweise der Parkour schon bekannt war, lagen noch hinter Patton. Andererseits überschritt der Brite Clilverd als Einziger die 15 Minuten Maximalzeit, weil er mit dem zugelosten fremden Pferd offensichtlich schlecht zurechtkam. Im achten Sprung verlor er allein 57 1073 Obwohl weder im offiziellen olympischen Bericht noch in den Sitzungsprotokollen die Teilnehmer, die ohne Pferd anreisten, bzw. jene, die ihr eigenes mitbrachten, explizit genannt wurden, lassen sich dies über die Anmeldeformulare und über eine Startliste rekonstruieren. Die Reihenfolge entspricht der Platzierung im Reiten. Vgl. Startlista för Modern femkamps ridning [Startliste für das Reiten des Modernen Fünfkampfs]. 1912 [ohne genaues Datum]. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 1074 Comit¦ Olympique Russe. Formulaire d’inscription pour pentathlon moderne. Eingegangen am 1. Juni 1912. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
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Punkte.1075 Sein Landsmann Godfree schnitt dagegen besser ab. Er hatte vorgesorgt und sein eigenes Pferd, während er noch in Ägypten stationiert war, über England nach Schweden verschiffen lassen.1076 Auch der Österreicher Bernhardt hatte schon vorab Bedenken geäußert, ein unbekanntes Pferd zu reiten, und sich vergebens bemüht, durch den Vorsteher des Reitstalls des schwedischen Generalstabs, Sergeant Lars Gustaf Engelbert Härdelin (1867 – 1928), ein eigenes zu beschaffen. Mit diesem Pferd hatte er eigentlich geplant, täglich vor dem Reitwettkampf zu trainieren; doch daraus wurde nichts.1077 Immerhin konnte er auch mit dem zugelosten Pferd alle Hindernisse des Parkours ohne Strafpunkte nehmen, doch war seine Zeit schwach, so dass er mit Platz 12 insgesamt nur mittelprächtig abschnitt (vgl. Kap. 5.3.2). Die insgesamt siebzehn Hindernisse, die aus Zäunen, Gräben und Brücken bestanden, bereiteten auch den übrigen Teilnehmern mehrheitlich wenige Schwierigkeiten. 16 von 26 Reitern absolvierten die Strecke fehlerfrei, so dass zwischen ihnen ausschließlich die beste Zeit über die Platzierung entschied. Den Nationenvergleich entschieden die schwedischen Modernen Fünfkämpfer dennoch auch im Reiten für sich. Sie überragten ihre Konkurrenz und lieferten fehlerfreie Ritte in einer guten Zeit ab. Die akribische Vorbereitung hatte sich augenscheinlich ausgezahlt. So sicherte sich Grönhagen den ersten Platz (9:04 2/10 min) vor Mannström (9:36 min) und Georg de Laval (9:39 4/10 min), der nach dem Reiten weiterhin das Feld anführte. Mit 18 Punkten hatte er sich von Lilliehöök (22 Punkte) und Grönhagen (25 Punkte) abgesetzt.1078 Das endgültige Resultat stand jedoch erst nach der letzten Disziplin, dem 4000-Meter-Geländelauf, fest. Nach vier Disziplinen waren mittlerweile insgesamt zehn Athleten ausgeschieden. Mit den beiden Dänen Theodor Zeilau und Vilhelm Laybourn, dem Norweger Henry Norby und einem der drei schwedischen Lavalbrüder, Erik, waren allein nach dem Reiten vier weitere Athleten hinzugekommen. Neben den Schweden absolvierten nur die britischen und russischen Modernen Fünfkämpfer ohne Ausfall alle fünf Disziplinen. Vermutlich hatten die Übrigen die Anforderungen unterschätzt und zahlten ihrer ungenügenden Vorbereitung Tribut. Dies nahmen einige allerdings weniger dramatisch, weil sie häufig gleichzeitig an anderen olympischen Disziplinen teilnahmen (vgl. Tab. 11, Kap. 5.2.3) und quasi nur nebenbei probierten, ob sie auch dem Leistungsniveau im Modernen Fünfkampf gerecht wurden. Teils er1075 Entwurf von Andy Archibald. Zugesandt in einer privaten E-Mail am 20. März 2011. 1076 Brief von Laffan/BOA an das SOK. 21. Juni 1912. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 1077 Silberer (1912a). Olympische Spiele aus Stockholm, S. 874; Brief von Carl-Gustaf Lewenhaupt (*1884) an das SOK. 15. Mai 1913. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 1078 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 654 f.
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reichten sie dabei ihre Leistungsgrenzen, teils mussten sie zusehen, wie die (vornehmlich schwedische) Konkurrenz an ihnen vorbeizog. Letztere hatten sich offensichtlich besser vorbereitet und nutzten geschickt ihre Heimvorteile. So war auch im Hinblick auf den Laufparkour, der eigentlich unbekannt sein sollte, nicht sicher, inwiefern diese Regel auch die Schweden einschloss. Selbst wenn der genaue Parkour offiziell erst kurz vor dem Start abgesteckt wurde, ist es doch wahrscheinlich, dass ihnen das Gelände zumindest grob aus dem Training bekannt war (vgl. Kap. 5.2.1, 5.2.3). Der Start erfolgte nicht gleichzeitig wie im leichtathletischen Geländelauf,1079 sondern mit Abstand. Die Läufer verließen das nördliche Turmtor des Stadions in Intervallen von je einer Minute.1080 Unter den verbleibenden 22 Athleten hatte am 12. Juli æsbrink die Nase vorn (19 9/10 min) (vgl. Abb. 8). Grönhagen und Georg de Laval brauchten fast drei Minuten länger und fielen damit im Laufen auf Platz zehn (21:41 3/5 min) bzw. zwölf (21:56 1/5 min) zurück.1081 Da die Konkurrenz in der letzten Disziplin schwächelte, konnte sich æsbrink mit dieser Laufleistung Platz zwei auf dem Siegertreppchen sichern. Obwohl er damit zwei Einzelwettbewerbe, das Schießen und das Laufen, gewonnen hatte, konnte er seinen Landsmann Lilliehöök, der zwar ohne Einzelsieg blieb, aber insgesamt ausgeglichener abschnitt, im Gesamtklassement nicht mehr überholen (Lennartz, 2009, S. 192). Lilliehöök reichte schon ein fünfter Platz im Laufen (20:32 9/10 min) zur Goldmedaille.1082 Rang drei sicherte sich Georg de Laval, der nach den ersten zwei Disziplinen zunächst ganz vorne gelegen hatte. Die Schweden machten die ersten Ränge also ausschließlich unter sich aus.
Abb. 8: 1912 war kein Moderner Fünfkämpfer schneller als æsbrink1083
1079 1080 1081 1082 1083
Ebd., S. 1004. Silberer (1912b). Aus Stockholm, S. 972. Ebd., S. 656. Ebd.; Läftman (1912a). Fem- och Tiokamp, Modern Femkamp, S. 333. Quelle: Ebd., zwischen S. 644 und 645 (Pl. 239) (Ó CIO).
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Die ausländischen und damit ortsfremden Läufer konnte ihre Gesamtposition dagegen in der letzten Disziplin kaum verbessern.1084 Patton, der bestplatzierteste Ausländer, ging den Lauf so schnell an, dass er sich am Ende nur noch mühevoll überhaupt ins Ziel schleppen konnte. Dies war auch im Schwimmen schon seine Taktik gewesen, als Helfer ihn am Ende des Rennens mit einem Bootshaken aus dem Wasser fischen mussten (D’Este, 1996, S. 133). Auf den 4000 Metern des abschließenden Geländelaufs hatte er sich allerdings so verausgabt, dass er vor Erschöpfung ohnmächtig wurde. Dies lag allerdings nicht nur an der Hitze und seiner Wettkampftaktik, sondern auch an der Einnahme leistungssteigernder Mittel. So hatte Patton pures Opium, dessen Verwendung 1912 noch legal war, direkt vor dem Start eingenommen (Kubetzky, 2010, S. 146). Das Rennen, das er im Drogenrausch zu schnell angegangen war, musste er auf den letzten fünfzig Metern gehend zu Ende bringen. Das nutzte wiederum æsbrink aus, der »[…] noch so viel an Kraft und unglaublicher Energie in sich [hatte], daß er den Führenden unter kolossalem Jubel der Zuschauermassen immer näher und näher kommen und ihn knapp zwei Meter vor dem Ziel abfangen konnte.«1085
Die Einnahme von Opium erwies sich letztlich jedoch als lebensgefährliche Maßnahme, weil Patton gleich an der Ziellinie in Ohnmacht fiel und erst nach mehreren Stunden wieder völlig bei sich war.1086 Nur seine allgemein gute Kondition soll ihn vor dem Tode bewahrt haben (Ebd.; D’Este, 1996, S. 134). In einigen Patton-Biographien heißt es zudem, dass ein anderer Wettkämpfer nach dem Lauf starb (Blumenson, 1972, S. 231, Mellor, 1971, S. 62. Beide zitiert in D’Este, 1996, S. 134 (Anmerkung 24).1087 Ein Vergleich mit den Lebensdaten der Modernen Fünfkämpfer von 1912 bestätigt dies allerdings nicht (vgl. Tab. 10). Vermutlich bezieht sich diese Aussage auf den Portugiesen Francisco Lzaro (1891 – 1912), der am 15. Juli 1912 im Anschluss an den in der Mittagshitze stattfindenden Marathonlauf sein Leben ließ.1088 Patton selbst war dem Tode nochmal entkommen und berichtete von dem einschneidenden Schockerlebnis: »Once I came to I could not move or open my eyes and felt them give me a shot of more hop. I feared that it would be an overdose and kill me. Then I heard Pap say in a calm voice. ›Will the boy live?‹ And Murphy [the trainer] reply, ›I think he will but can’t tell.‹«1089 1084 1085 1086 1087
Silberer (1912b). Aus Stockholm, S. 972. Ebd. Ebd. Vgl. auch Patton (1912a). Swedish modern pentatlonmen. Zitiert in D’Este, 1996, S. 134 (Anmerkung 24). 1088 [Coubertin] (1912 g). Une Olympiade vol d’oiseau, S. 118. 1089 Patton Totten [o. J.]. Zitiert in D’Este, 1996, S. 134 (Anmerkung 25).
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Die Endzeiten der Teilnehmer, 19 bis 24 Minuten auf 4000 Meter, waren insgesamt relativ schwach ausgefallen. Das heiß-feuchte Sommerwetter und die Strapazen der letzten Tage mussten als Ausrede standhalten (vgl. Abb. 9):
Abb. 9: Grönhagen schützte sein Haupt vor der Sonne1090
Daneben war die Streckenführung sicherlich nicht einfach. Denn auch im Geländelauf über 8000 Meter monierten die Briten und US-Amerikaner deren hohen Anspruch.1091 Die Schweden dagegen waren daran gewöhnt: »On this occasion the race had the character loved by Swedes, and was such as they think it ought to be and must be, and the difficult obstacles that nature itself had placed in the way of the competitors formed a test, not only of the running powers of the men, but also of their physical endurance.«1092
Außerdem muss beachtet werden, dass es sich bei den 4000 Metern nur um eine Circa-Angabe handelte; die Strecke war vermutlich also länger. Zudem konnten sich die meisten Athleten nicht auf ihre Laufleistung konzentrieren, sondern mussten sich gleichzeitig ihren Weg durch das unmarkierte Gelände bahnen. Dazu soll ihnen direkt vorm Start eine Karte ausgehändigt worden sein (obwohl keines der Wettkampffotos dies belegt); der Geländelauf war so eigentlich ein Orientierungslauf ohne Kompass.1093 Letztlich zeigte das Ergebnis der fünften Disziplin aber erneut, dass die Teilnehmer vielmehr Schieß-, Fecht- und Reitexperten als Läufer und Schwimmer waren, und dies war wiederum sozialschichtbedingt:
1090 Quelle: Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, zwischen S. 644 und 645 (Pl. 239) (Ó CIO). 1091 Sullivan (1912a). The Olympic Games, Stockholm, 1912, S. 79. 1092 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 379. 1093 Entwurf von Andy Archibald. Zugesandt in einer privaten E-Mail am 20. März 2011.
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International und exklusiv: das olympische Debüt in Stockholm 1912
Tab. 10: Die Teilnehmer im olympischen Modernen Fünfkampf 1912 und ihre Resultate1094 Nr. Name 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
(Gustaf Malcolm) Gösta Lilliehöök Karl Gösta æsbrink Patrik Georg Fabian de Laval æke Edvard Grönhagen George Smith Patton Jr. James Sidney Mathias Stranne Bror Karl Anton Mannström Edmund Bernhardt1095 Ralph Egerton Clilverd Erik Gustaf Wersäll1096 Douglas Godfree Carl Hæggström Carl Paaske1097 Claude Patrik Gustaf de Laval Oskar Alfred WilkmanVilkama
Lebenszeit
Nation Einzelresultate 1884 – 1974 SWE 3-10-5-4-5
27
1
1881 – 1966 1883 – 1970 1885 – 1974 1885 – 1945 1886 – 1957 1884 – 1916 *1885 1887 – 1970 1887 – 1973 1881 – 1929 1885 – 1974 1890 – 1970 1886 – 1974 1880 – 1953
28 30 35 41 42 55 60 63 63 63 68 71 72 73
2 3 4 5 6 7 8 9 9 9 12 13 14 15
SWE SWE SWE USA SWE SWE AUT GBR SWE GBR SWE NOR SWE RUS
1-4-15-7-1 2-3-10-3-12 18-5-1-1-10 21-7-4-6-3 11-9-3-8-11 14-14-16-2-9 26-2-6-12-14 12-1-9-23-18 9-8-21-19-6 16-6-17-11-13 13-15-18-20-2 19-16-14-14-8 5-17-13-17-20 10-23-20-5-15
Punkte Rang
1094 Von drei Athleten konnte ich trotz intensiver Recherche nur das Geburts- und nicht das Todesjahr herausfinden. Datenquellen: Lennartz, 2009, S. 192 f; »Sports Statistics and History«. Homepage Sports-Reference/Olympic Statistics and History. Zugriff am 7. November 2011 unter http://www.sports-reference.com/olympics/summer/1912/MOP/ mens-individual.html; private Zusammenstellung von Rooney Magnusson unter besonderer Berücksichtigung der Todesanzeigen in Svenska Dagbladet. 1095 Edmond Bernhardt wurde am 20. April 1885 als Sohn von Simon Bernhardt und Mathilde geb. Koch in Wien geboren (private E-Mail von Wolf-Erich Eckstein, Israelitische Kultusgemeinde Wien, 29. Februar 2012). Auf einem Meldezettel vom 1. August 1934 ist Bernhardt als ledig und mosaischen Glaubens vermerkt; am 29. Mai 1935 ist er nach London abgemeldet (Bestand WStLA, Bundespolizeidirektion Wien, private E-Mail der Magistratsabteilung 8 des Wiener Stadt- und Landesarchivs vom 7. März 2012). Er gehörte dem jüdischen Sportverein »Hakoah« in Wien an und kümmerte sich dort intensiv um die Nachwuchsarbeit (Patka, 2008, S. 20). 1096 Gustaf Wersäll war Charlotte Wersälls Sohn. Coubertin schrieb über sie in seinen M¦moires olympiques: »Ein Rekord. Eine Schwedin, Frau Wersäll, hatte sechs Söhne bei den Olympischen Spielen im Einsatz, die jüngsten halfen als boy-scouts, die Ordnung aufrechtzuerhalten, und sie führten etliche Aufträge aus. Ist das nicht antik? Das IOC hat ihr die Olympische Medaille verliehen.« Coubertin zeichnete Charlotte Wersäll daher mit einer goldenen IOC-Medaille aus. Kluge (1997, S. 371, 373) korrigiert allerdings, dass 1912 nicht sechs, sondern vier ihrer Söhne teilnahmen, davon zwei als aktive Athleten. 1097 In Lennartz (2009, S. 193) steht fälschlicherweise der Vorname Nils. Vgl. Startlista för Modern femkamps ridning [Startliste für das Reiten des Modernen Fünfkampfs]. [o. J. und Datum]. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
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Die Inszenierung des ersten Modernen Fünfkampfs
(Fortsetzung) Nr. Name 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32
Jean Marie Pierre Xavier de Mas Latrie Carl Gustaf Sixtensson Lewenhaupt Hugh Durant Georges Brul¦ Arno (Aarno Aksel) Almqvist Weli Gunnar Bogislaus von Hohenthal Kai Albert Wognsen Jølver Johannes Blom Ussing Erik Patrik Honor¦ de Laval Henrik Calmeyer Norby Vilhelm Laybourn Theodor Zeilau Boris Nepokupnoy Kalle (Carl Bror Emil) Aejemelaeus Eric Carlberg Jetze Doorman Johann Peter Carl Pauen1098
Lebenszeit
Nation Einzelresultate 1879 – 1914 FRA 15-27-2-10-19
73
16
1879 – 1962 SWE
24-12-19-15-4
74
17
1877 – 1916 1876 – 1961 1881 – 1940 1880 – 1966
GBR FRA RUS RUS
4-28-7-18-21 30-18-8-22-7 23-11-27-13-16 17-19-25-16-17
78 85 90 94
18 19 20 21
1889 – 1940 1883 – 1929 1888 – 1973 1889 – 1964 1885 – 1955 1884 – 1970 *1887 1882 – 1935
DEN DEN SWE NOR DEN DEN RUS RUS
32-26-22-21-22 31-20-23-9-x 7-13-11-x-x 27-21-12-x-x 25-29-24-x-x 28-22-26-x-x 6-24-x-x-x 20-25-x-x-x
123 x x x x x x x
22 23 24 25 26 27 28 29
8-x-x-x-x 22-x-x-x-x 29-x-x-x-x
x x x
30 31 32
1880 – 1963 SWE 1881 – 1931 NED *1859 GER
Punkte Rang
Die schwedische Wettkampfdominanz war nicht zu leugnen: Unter den ersten zehn Athleten standen allein sieben Schweden. Nur zwei Landsmänner hatten vorzeitig aufgeben müssen; von den ursprünglich 32 Startern hatten nur 22 alle fünf Disziplinen zu Ende gebracht. Lilliehöök, der Sieger im Modernen Fünfkampf, erhielt als Anerkennung seiner Leistung neben der Goldmedaille auch den schon früh eingeplanten Silberpokal.1099 Seine Bilanz in den Einzeldisziplinen war dabei besonders ausgeglichen: »Man ersieht aus der Tabelle, daß der 1098 Pauen wurde in Mönchengladbach (Mitte) am 7. April 1859 geboren. Seine Eltern waren der Kaufmann Johann Peter Pauen und Elise geb. Brockmann. Aus dem Adressbuch von 1865 ergibt sich, dass Johann Peter offensichtlich Teilhaber der Firma J. P. Pauen & Sohn (baum- und halbwollene Waren) war. Eine Recherche in den städtischen Meldeunterlagen (ab 1890) nach Carl Pauen erbrachte kein Ergebnis. Auch wird er im Adressbuch von 1885 nicht genannt, obwohl er bereits längst volljährig war. Damit ist er sehr wahrscheinlich vorher aus dieser Stadt weggezogen (vgl. die private E-Mail von Gerd Lamers, Stadtarchiv Mönchengladbach, vom 9. November 2011). 1099 Sullivan (1912a). The Olympic Games, Stockholm, 1912, S. 219; Diem (1912a) [1990]. Album der Olympischen Spiele 1912, S. 44; Bergvall/ Swedish Olympic Committee, 1913, zwischen S. 164 und 165 (Pl. 56).
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International und exklusiv: das olympische Debüt in Stockholm 1912
Sieger der einzige Teilnehmer ist, der sich in allen Konkurrenzen auf den zehn ersten Plätzen zu halten vermochte.«1100 Seine konstante Leistung hatte sich schon in den schwedischen Testwettkämpfen abgezeichnet (vgl. Kap. 5.2.1). Er hatte an allen drei Wettbewerben teilgenommen und sich jeweils Platz 2 gesichert. Grönhagen, der letztes Mal, beim Qualifikationswettkampf im Mai, vom Kronprinzen noch für den ersten Platz geehrt wurde, verdarb sich ebenso wie Patton gleich alle Siegchancen in der ersten Konkurrenz. Patton blieb dennoch am Ende mit Rang fünf der bestplatzierteste Ausländer vor dem Österreicher Bernhardt.1101 Vergleichsweise schlecht schnitten Dänemark, die Niederlande und Deutschland ab. Der beste französische Teilnehmer, Jean de Mas Latrie, stach ausschließlich im Fechten heraus und erreichte so insgesamt nur Platz 16.1102 Coubertin hatte es also offensichtlich versäumt, den Modernen Fünfkampf vorab in seinem Heimatland vorzustellen und den französischen Athleten so eine systematische Vorbereitung zu ermöglichen. Die Schweden hatten sich dies umgekehrt nicht entgehen lassen, als sie sich abgeschottet von ihren europäischen Nachbarn auf den neuen Mehrkampf vorbereitet hatten (vgl. Kap. 5.2.1). Der Kronprinz übernahm bei den Olympischen Spielen – wie schon zuvor bei den Testwettkämpfen – die Siegerehrung (vgl. Abb. 10). Erwartungsgemäß lag im Medaillenspiegel aller Disziplinen, die USA vor Schweden und Großbritannien vorn (Kluge, 1997, S. 355).1103 Die besten acht Nationen hatten dabei alle auch am Modernen Fünfkampf teilgenommen.1104 Erstaunlicherweise waren jedoch aus Belgien, Ungarn und Italien, deren Athleten 1912 insbesondere im olympischen Fechten gut abschnitten, keine Modernen Fünfkämpfer gestartet. In Bezug auf Italien hing dies sicherlich mit den im Modernen Fünfkampf geltenden französischen Fechtregeln zusammen, die in Italien typischerweise nicht angewandt wurden (Ottogalli-Mazzacavallo & Terret, 2011, S. 36; vgl. Kap. 4.4.1).
1100 Diem (1912a) [1990]. Album der Olympischen Spiele 1912, S. 44. 1101 Sullivan (1912a). The Olympic Games, Stockholm, 1912, S. 179. 1102 Da die französischen Fechter die Stockholmer Spiele boykottierten, hatte de Mas Latrie zumindest im Modernen Fünfkampf die Chance, sein Können zu demonstrieren. Der Boykott der Franzosen war als Reaktion auf die Entscheidung des SOK erfolgt, die italienischen Regeln (und nicht mehr die französischen) anzuwenden (vgl. Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 468; Ottogalli-Mazzacavallo & Terret, 2010, S. 36; Kap. 4.4.1). 1103 Von Donop, 1919, S. 211 f; Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in CarlDiem-Institut, 1996, S. 129. 1104 Zu den besten acht Nationen gehörten die USA, Schweden, Großbritannien, Finnland, Frankreich, Deutschland, Dänemark und Norwegen (Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 864).
Die Inszenierung des ersten Modernen Fünfkampfs
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Abb. 10: Der schwedische Kronprinz gratulierte dem Silbermedaillengewinner æsbrink1105
Während Schweden den nach heimischen Regeln ausgetragenen gymnastischen Mehrkampf für sich entschied (Kluge, 1997, S. 337), war die USA in den beiden leichtathletischen Mehrkämpfen die erfolgreichste Nation. Der beste schwedische Mehrkämpfer innerhalb der Leichtathletik war Karl Hugo Wieslander (1889 – 1976), der im Pentathlon Platz 6 und im Zehnkampf Platz 2 erreichte (Ebd., S. 313 f). An beiden leichtathletischen Allround-Tests teilzunehmen war nicht ungewöhnlich. So gewann der US-Amerikaner Thorpe sowohl den Fünfals auch den Zehnkampf und hatte damit alle Zweifler eines Besseren belehrt: »What a shock it was when James Thorpe, that wonderful all-around athlete from the Carlisle Indian School, demolished all theories and calculations. His performances were marvelous.«1106
Dem leichtathletischen Pentathlon war es zudem gelungen, auch Nationen wie Kanada, Schweiz, Türkei und Italien, die dem Modernen Fünfkampf 1912 ferngeblieben waren, anzuziehen. Andererseits fehlten hier niederländische, russische und erstaunlicherweise auch britische und dänische Athleten,1107 die wiederum im Modernen Fünfkampf angetreten waren. Zahlenmäßig waren die 1105 Quelle: Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, zwischen S. 784 und 785 (Pl. 293) (Ó CIO). 1106 Sullivan (1912a). The Olympic Games, Stockholm, 1912, S. 73. 1107 Das Fehlen der Briten und Dänen erstaunt vor allem im Hinblick auf ihre lange Mehrkampftradition (vgl. Kap. 4.1.1, 4.1.2).
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International und exklusiv: das olympische Debüt in Stockholm 1912
Schweden mit neun Teilnehmern im Pentathlon und acht im Dekathlon auch hier die jeweils am stärksten vertretene Nation. Da die Belastung für die Teilnehmer im leichtathletischen Fünfkampf, der an nur einem Tag stattfand, vergleichsweise hoch war, brachten allerdings nur sieben der 26 Starter den Wettkampf zu Ende. Im Dekathlon waren es nur zwölf von ehemals 29. Einige Mehrkämpfer, die für beide Wettbewerbe gemeldet waren, konnten der Doppelbelastung offensichtlich nicht standhalten.1108 Einen zweiten Mehrkampf absolvierte dagegen keiner der Modernen Fünfkämpfer (vgl. Tab. 11, Kap. 5.2.3). Obwohl die Disziplinen auf fünf Tage verteilt waren, war der Wettkampf äußerst kräftezehrend. Zudem hatten die Veranstalter auch nicht mit diesem Doppelstart gerechnet, als sie den leichtathletischen und Modernen Fünfkampf am selben Tag beginnen ließen und das Abendessen zu Ehren der Modernen Fünfkämpfer parallel zum zweiten Wettkampftag im Dekathlon veranstalteten.1109 Neben der Würdigung sportlicher Leistungen vergab das SOK 1912 auch disziplinunabhängig Diplome für »herausragende Verdienste«. Worin genau diese Verdienste bestanden oder ob sie lediglich auf ein gutes Verhältnis zum schwedischen Königshaus oder Organisationsteam verwiesen, wurde nicht erläutert. Jedenfalls kamen gleich fünf Moderne Fünfkampfer in den Genuss dieser Auszeichnung, darunter drei Schweden (Grönhagen, Mannström und Stranne) sowie der Österreicher Bernhardt und der US-Amerikaner Patton.1110 So wurden insbesondere den Athleten, die keine Medaillen erhalten hatten, gewisse Ehren zuteil. Wenngleich sich der Wettkampfverlauf als Rivalität der Nationen nachzeichnen lässt, so standen selbstverständlich doch Individuen dahinter. Ein Blick auf deren sportliches und privates Leben verrät, aus welchem sozialen Milieu die ersten Modernen Fünfkampfer stammten und was sie zur Teilnahme am Modernen Fünfkampf bewogen hatte (vgl. Kap. 5.2.3).
1108 Die fünf besten Zehnkämpfer nahmen beispielsweise durchgängig auch am Fünfkampf teil. Bergvall/ Swedish Olympic Committee, 1913, S. 411 – 420; »Athletics at the 1912 Stockholm Summer Games: Men’s Pentathlon, Men’s Decathlon«. Homepage Sports-Reference/Olympic Statistics and History. Zugriff online am 1. Februar 2012 unter http:// www.sports-reference.com/olympics/ summer/1912/ATH/ 1109 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 412, 794. 1110 Ebd., S. 862, 880. Es ist denkbar, dass Bernhardt und Patton das Diplom erhielten, weil sie jeweils die einzigen Repräsentanten ihres Landes im Modernen Fünfkampf waren. Grönhagen war nach seinem Sieg im letzten Qualifikationskampf auf dem »unglücklichen« vierten Platz gelandet. Insgesamt 424 Diplome, u. a. auch im Pentathlon und Dekathlon wurden 1912 vergeben (Ebd., S. 877, 888).
Die Inszenierung des ersten Modernen Fünfkampfs
5.2.3
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Ein Fest für schwedische Offiziere: das Teilnehmerfeld
Die Verschmelzung der zwei Bereiche Armee und Sport war schon besiegelt, als die Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele 1912 mit einer Hymne startete, die »für hunderte von Jahren, von schwedischen Truppen gesungen wurde, bevor sie in Aktion traten«.1111 Im Allgemeinen hatten sich Anhänger der schwedischen Armee schon im Vorfeld der olympischen Wettkämpfe stark engagiert. Entsprechend konnte Balck Coubertin vier Monate vor Wettkampfbeginn stolz über die nationalen militärsportlichen Vorbereitungen informieren: »Il n’y a pas moins que 80 officiers suÀdes que le pr¦parent pour la participation aux jeux et il est form¦ un comit¦ sp¦cial militaire.«1112 Obwohl sich Schweden wenige Jahre später im Ersten Weltkrieg neutral verhielt (Koblik, 1972), herrschte auch dort wie in den anderen teilnehmenden Nationen eine nationalistische Stimmung. Der Kontext eines bevorstehenden Kriegs trug dazu bei, dass alle Aktivitäten, die mit Militarismus und Maskulinität verbunden waren, auch außerhalb eines strengen Militärrahmens Akzeptanz und Unterstützung fanden. Dies zeigte sich in der Inszenierung der Olympischen Spiele auch daran, dass die Mannschaften erstmals nach Nationen geordnet hinter ihren Nationalflaggen ins Stadion einzogen (Prokop, 1971, S. 101). Das offizielle Poster der Stockholmer Spiele 1912 zeigte einen nackten, muskulösen Mann, der die schwedische Flagge schwenkte und damit andere abgebildete Flaggen, wie jene Englands und Norwegens überdeckte (vgl. Abb. 11). Einige Vertreter der nationalen olympischen Komitees empfanden die Darstellung jedoch als zu gewagt und unterbanden die Verteilung in ihren Heimatländern (Berlioux, 1983). Dieses Sinnbild der Männlichkeit diente der Glorifizierung eines durchtrainierten Athleten und spiegelte gleichzeitig zeitgenössische Vorstellungen von Maskulinität in Verbindung mit deutlich nationalistischen Symbolen wider.
1111 »Our God, He is a castle strong, Our trusty shield and sword. When foes and sorrows round us throng. Our hope is in the Lord.« (Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 308). 1112 Brief von Balck an Coubertin. 11. März 1912. SD2: Correspondance 1905 – 1914, BALCK CORR. Correspondance 1894 – 1914, ID: 6590. Balck Correspondance, Code: CIO MBRBALCK CORR, OU MO 01 41 07, 0055015. IOC Archiv Lausanne. Übersetzung: »Es gibt nicht weniger als 80 schwedische Offiziere, die sich auf die Teilnahme an den Spielen vorbereiten, und es bildet sich ein spezielles Militärkomitee.«
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International und exklusiv: das olympische Debüt in Stockholm 1912
Abb. 11: Das offizielle Poster der Olympischen Spiele von 19121113
In diese Stimmung passte auch die Einführung einer neuen, quasi paramilitärischen, olympischen Sportart. Die internationale Jury für den olympischen Modernen Fünfkampf setzte sich entsprechend überwiegend aus Militärvertretern zusammen.1114 Ein Blick auf die Organisation der einzelnen Disziplinen 1113 Das offizielle Poster hat der schwedische Professor Olle Hjortzberg (1872 – 1959) entworfen. Quelle: RÀglement et programme g¦n¦ral des Jeux Olympiques de Stockholm 1911 – 12, Code: JO 1912 S-PROGR, ID: 9929. IOC-Archiv Lausanne (Ó CIO). 1114 Der Jury gehörten im Einzelnen folgende Personen an: Oberst Graf Carl E. Taube
Die Inszenierung des ersten Modernen Fünfkampfs
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des Modernen Fünfkampfs 1912 unterstreicht die militärische Ausrichtung der Sportart: Für das Reiten hatten die Veranstalter mühevoll geeignete, d. h. durchgängig gut ausgebildete, Pferde organisiert (vgl. Kap. 4.4.2). Diese stammten aus dem Militärbetrieb und eigneten sich somit ebenso für den Kriegsdienst. Schon zuvor in der Planungsphase hatte sich herausgestellt, dass sich insbesondere die Armee für den Modernen Fünfkampf interessierte. So bot der Schwedische Militärsportverband die Trainingsplätze und den Raum für die Vorbereitung der Athleten und fand in Silfverstolpe und Granfelt zwei Vertreter, die sich der Talentsuche und Wettkampforganisation annahmen. Nachdem bereits die Testwettkämpfe ausschließlich unter Militärangehörigen stattgefunden hatten (vgl. Kap. 5.2.1) und die einzige Anfrage einer zivilen Person, Helen Preece, abgelehnt worden war (vgl. Kap. 4.5), blieb die soziale Zusammensetzung der Teilnehmer auch im olympischen Wettkampf einseitig.1115 Die Mehrheit der 42 angemeldeten Modernen Fünfkämpfer gehörte dem Offiziersstand an, d. h. es handelte sich um höherrangige Soldaten, vom Status eines Leutnants oder Hauptmanns.1116 Nur Jaroslav Jarkovsky´ aus Böhmen sowie Edmond Bernhardt aus Österreich gaben an, Ingenieure zu sein; Carl Pauen aus Deutschland war im Besitz eines Doktortitels.1117 Ob diese akademischen Aktivitäten sie davon abhielten, in der Armee zu dienen, ist ungewiss. An der Tatsache, dass mehrheitlich Offiziere teilnahmen, änderte dies ohnehin nichts. Entsprechend konstatierte der olympische Bericht: »As will be seen by the list of entries, the Modern Pentathlon, in contrast with athletics in general was an almost exclusively military event.«1118 Einige junge schwedische Offiziere sollen am olympischen Modernen Fünfkampf als Teil ihrer militärsportlichen Ausbildung teilgenommen haben (Svenska mngkampsförbundet Utgivare, 2010, S. 57). So profitierte die schwedische Armee von der körperlichen und mentalen Schulung durch den Modernen Fünfkampf und empfand das sportliche Engagement der Offiziere als elementar. Es erstaunt daher nicht, dass auch die beiden stärksten Modernen Fünfkämpfer von 1912 eine exemplarische Militärkarriere hinlegten: Lilliehöök stieg von 1906 bis 1918 vom Unterleutnant zum Hauptmann auf; æsbrink begann
1115 1116 1117
1118
(Schweden), Hauptmann Carl Silfverstolpe (Schweden), Otto Herschmann (Österreich), Jirˇ Rössler-Orovsky´ (Böhmen), Hauptmann Hans Henrik Bondo (Dänemark), Leutnant Colonel J. F. NoÚl-Birch (Großbritannien), D¦sir¦ Lauber (Ungarn), Hauptmann Oscar Trygvessøn Klingenberg (Norwegen), Georges Duperron (Russland), Gustavus Town Kirby (USA) (Mallon & Widlund, 2002, S. 234). Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 646. Vgl. z. B. Ebd., S. 640 – 657. Vgl. für Jaroslav Jarkovsky´ beispielsweise Le Comit¦ Olympique de la BohÞme. Formulaire d’inscription pour pentathlon moderne. Eingegangen am 31. Mai 1912. Anmälningar. Modern femkamp (E I:10). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 646.
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seine Laufbahn ebenfalls als Unterleutnant (1903) und wurde vier Jahre nach den Stockholmer Spielen zum Hauptmann ernannt.1119 Da die Beförderungen also mit reichlich zeitlichem Abstand zu den olympischen Wettkämpfen 1912 stattfanden, ist ein direkter Zusammenhang mit den sportlichen Leistungen unwahrscheinlich. Während Lilliehöök wie der drittplatzierte Georg de Laval und sein Bruder Erik dem Sportverein des Stockholmer Regiments Svea artilleriregemente angehörten, war æsbrink mit dem Södermanlands regemente in Malmköping in Südost-Schweden verbunden.1120 Die Athleten trugen daher üblicherweise ihre Militäruniformen, die sich je nach Regiment in ihrer Aufmachung leicht unterschieden (vgl. Abb. 12). Obwohl alle Teilnehmer Offiziere oder zumindest Reservisten waren, gibt es keinen Beweis dafür, dass umgekehrt zivile Personen vom Wettkampf ausgeschlossen waren. Schon bei den Testwettkämpfen hatten sich die Veranstalter insofern der demokratischen Grundidee des Modernen Fünfkampfs gebeugt, als dass sie prinzipiell allen Athleten aus Armee und Sportverein eine Teilnahme erlaubten (vgl. Kap. 5.2.1). Bekanntermaßen waren faktisch vorab wie auch während der Spiele dennoch ausschließlich Offiziere angetreten.
Abb. 12: Die drei schwedischen Medaillengewinner des Modernen Fünfkampfs 1912: Lilliehöök, æsbrink, G. de Laval (von links nach rechts)1121
1119 [o. A.] (1925c). Lilliehöök, Gustaf Malcolm (Gösta), S. 445 f und [o. A.] (1925). æsbrink, Karl Gösta, S. 849 f. Zugriff am 13. November 2011 unter. Lilliehöök war später Rundfunkangestellter. Von 1939 bis ca. 1945 hatte er das Amt des Generalsekretärs des Schwedischen Flieger-Verbands inne (Lennartz, 2009, S. 192). 1120 »Sports Statistics and History«. Homepage Sports-Reference/Olympic Statistics and History. Zugriff am 18. November 2011 unter http://www.sports-reference.com/ olympics/ athletes/as/gosta-asbrink-1.html 1121 Quelle: Wagner, 1912, S. 85 (Ó CIO).
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Im olympischen Reiten nahmen ebenfalls ausschließlich Sportler mit militärischem Hintergrund teil, obwohl auch hier Herrenreiter und damit aristokratische Zivilisten offiziell zugelassen waren (Kluge, 1997, S. 371).1122 Eine Ausnahme war das Vielseitigkeitsreiten, was bezeichnenderweise auch »Military« hieß (vgl. Kap. 4.3.1): ein ranghoher Soldatenstatus und das Mitbringen eigener Pferde waren Grundvoraussetzungen für eine Teilnahme (Ebd., S. 372).1123 In jedem Fall mussten 1912 alle Teilnehmer eines olympischen Wettkampfs das damals geltende Amateurreglement beachten.1124 Dies besagte, dass ein Amateur kein Geld mit seinem Sport oder den Pokalen verdienen, nicht gegen professionelle Sportler antreten und keinen kostenpflichtigen Unterricht erteilen durfte. Diese Regeln waren den Anmeldeformularen jeweils beigelegt worden (Findling & Pelle, 2004, S. 61). Die Thorpe-Affäre zeigte später, wie streng die Einhaltung geprüft und eingefordert wurde (Wheeler, 1979; Cook, 2011).1125 Der hohe Trainingsaufwand in den Mehrkämpfen machte es besonders schwierig, die Einhaltung der Amateurregularien zu gewährleisten. Der Offiziersstatus der Modernen Fünfkämpfer erlaubte allerdings, das Training als Teil der militärischen Ausbildung zu interpretieren. Auch wenn die teilnehmenden Offiziere also ihre Dienstzeit mit dem Training der fünf Disziplinen füllten und damit eigentlich ihren Lebensunterhalt zumindest zeitweise mit Sporttreiben bestritten, blieb der Amateurstatus dennoch gewahrt.1126 Anders sah dies für ausgezahlte Trainergehälter aus, die für das nordische System insbesondere im Reitsport nicht untypisch waren (Jørgensen, 1998, 1122 Mannschaftsdienstgrade durften dabei nicht teilnehmen. Als Mannschaftsdienstgrade werden die Angehörigen der rangniedrigsten Laufbahn- und Dienstgradgruppe bezeichnet (z. B. Gefreiter, Grenadier); darüber liegen die Unteroffiziere (z. B. Sergeant, Fourier) und schließlich die Offiziere (Oberst, Oberstleutnant, Major, Hauptmann, Leutnant) (Pröve, 1995, S. 22 f). Das Reiten unterlag traditionell strengen Teilnahmerestriktionen. Nur Herrenreiter (»gentlemen«), Offiziere und Personen mit spezieller Erlaubnis waren erlaubt an offiziellen Pferderennen zu starten (Hedenborg, 2007, S. 505). 1123 Diese Disziplin lag in der Tradition der Kavallerie-Ausbildung und ließ somit typischerweise bis nach dem Zweiten Weltkrieg keine Unteroffiziere zu (Birley, 1995, 110). 1124 »Amateur Definitions«. In Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 95 – 98. Der Moderne Fünfkampf hatte sich an den Festlegungen seiner fünf Einzeldisziplinen zu orientieren: §3 Modern femkap: Amstörbestämmelserna [Moderner Fünfkampf: Amateurbestimmungen]. Protokoll der Sitzung des SOK. 19. März 1912, S. 13. 3: 27. Juni 1911 – 14. Mai 1914. Organisationskommitt¦ns protokoll (A I). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 1125 Thorpe musste seine beiden 1912 errungenen Goldmedaillen im Pentathlon und Dekathlon ein Jahr später wieder zurückgeben, weil er für Geld an einem Baseballmatch teilgenommen hatte und so nicht mehr als Amateur galt. Erst 29 Jahre nach seinem Tod wurden ihm seine Goldmedaillen wieder zugesprochen. 1126 Diese Regel galt im Pferdesport noch bis 1952 und bezog ausschließlich hochrangige Offiziere ein (vgl. die private E-Mail der schwedischen Sporthistorikerin Prof. Dr. Susanna Hedenborg vom 8. Februar 2012).
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S. 78; Hedenborg, 2007, S. 508). So hatte auch der Moderne Fünfkampf im Anschluss an die Spiele mit Anschuldigen zu kämpfen. Der Schwimmtrainer Wretman (vgl. Kap. 5.2.1) wurde wegen Verstoßes gegen die Amateurregeln – ein Jahresverdienst von 1000 SEK stand im Raum – im Anschluss an die Spiele disqualifiziert (Jönsson, 2012, S. 470 f). Die Kosten, die mit der Vorbereitung des Modernen Fünfkampfs zusammenhingen, wurden dabei eigentlich detailliert im offiziellen olympischen Bericht ausgewiesen; darunter befanden sich auch die Gehälter und Reisekosten für Trainer. Die 1000 SEK, die an Wretman gingen, wurden offensichtlich in dieser Aufstellung nicht ausgewiesen.1127 Im Gegensatz zum Offiziersstatus, den die Mehrheit der Modernen Fünfkämpfer gemeinhatte, erwies sich ihr Alter als vergleichsweise heterogen (vgl. Tab. 10, Kap. 5.2.2). Während der Jüngste, der Norweger Carl Paaske, 1912 gerade mal 22 Jahre zählte, hätte der Deutsche Carl Pauen mit 53 Jahren praktisch sein Vater sein können. Diese Bandbreite interpretierte die schwedische Presse vorab positiv : »Pauens Teilnahme an einer solchen anspruchsvollen Sportart« beweise, dass der Moderne Fünfkampf auch in fortgeschrittenem Alter betrieben werden könne.1128 Sein frühes Ausscheiden nach nur einer Disziplin belehrte sie allerdings eines Besseren. Möglicherweise sollte zumindest ein Deutscher an den Start gehen, um Erfahrungen für kommende Olympische Spiele zu sammeln (vgl. Kap. 6.1.1). Im Durchschnitt waren die 32 Athleten 1912 jedoch 28 Jahre alt und damit deutlich jünger. Bemerkenswert ist das allgemein hohe Lebensalter – durchschnittlich 71 Jahre –, das die Teilnehmer erreichten. Zum Vergleich betrug die Lebenserwartung für Neugeborene in Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts typischerweise weniger als 36 Jahre (Ehmer, 2004, S. 34; Rürup & Leuschner, 1992, S. 28). Diese Zahl stieg zwar mit Beginn des 20. Jahrhunderts aufgrund einer verbesserten Lage in Ernährung, Hygiene und Krankheitsbekämpfung zunehmend an (Höpflinger, 1997, S. 154), doch erreichte sie nicht das genannte Niveau der Modernen Fünfkämpfer. In Schweden lag die durchschnittliche Lebenserwartung beispielsweise noch 1960 unter 75 Jahren (Brändström, Egerbladh, Sjöström & Tedebrand, 1994, S. 335, 338). Im Gegensatz dazu wurden die zwölf schwedischen Modernen Fünfkämpfer von 1912 durchschnittlich 81 Jahre alt. Der älteste war zufälligerweise der Goldmedaillengewinner Lilliehöök mit 90 Jahren. Dies mag zum Einen auf eine gesunde, sportliche Lebensweise zurückzuführen sein; zum Anderen auch auf Schwedens neutrale Haltung im Ersten
1127 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 47. Die Kosten für das Training im Modernen Fünfkampf beliefen sich insgesamt auf 825 SEK. Im Vergleich zum Reiten, das mit 24.301 SEK Trainingskosten zu Buche schlug, war dies verschwindend wenig. 1128 [o. A.] (1912q). Den modärna femkampen [Der Moderne Fünfkampf], S. 10.
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Weltkrieg (Koblik, 1972), was im Vergleich zu anderen europäischen Staaten zu weniger Kriegsverlusten führte. Athleten anderer Nationen, wie der Franzose Mas Latrie, der schon 1914 aufgrund von Kriegsblessuren in Rebais in Seine-et-Marne/Frankreich sein Leben ließ, waren später als Offiziere aktiv in die Kämpfe des Ersten Weltkriegs einbezogen.1129 Der Brite Ralph Egerton Clilverd, der als einziger Nicht-Schwede eine Einzeldisziplin des Modernen Fünfkampfs, das Schwimmen, für sich entscheiden konnte, verlagerte sein Engagement nach Stockholm ebenso wie seine beiden Teamkollegen auf die Armee. Alle Drei stammten dabei aus einem nichtaristokratischen Haus, so dass ihnen die Armeezugehörigkeit vergleichsweise bessere Karrierechancen eröffnete. In den Kriegsjahren erhielten sie Tapferkeitsmedaillen, wobei Durant ein ähnliches Schicksal wie Mas Latrie ereilte, als er 1916 in Frankreich fiel. Clilverd und Godfree überlebten dagegen. Bemerkenswert ist außerdem, dass Clilverd 1912 nur der »Territorial Army«, sprich einer temporären Einheit, angehörte und damit eigentlich wie Bernhardt, Pauen und Jarkovsky´ ein ziviler Athlet war.1130 Neben seinen Erfahrungen als Mitglied der berittenen Einheit hatte die Tradition der öffentlichen Bäder in London (Ayriss, 2011) sicherlich zu seinem guten Abschneiden im Schwimmen beigetragen. Trotz der genannten schwedischen und britischen Erfolge erlangte der einzige US-Amerikaner im Kreise der 1912er Fünfkampffamilie, Kavallerie-Offizier Patton Junior, im Anschluss den größten Militärruhm. Der Grundstock für seine Karriere wurde durch seine Ausbildung an der renommierten Militärakademie »West Point« gelegt (Daniels, 2000, S. 71). Nachdem er bis Dezember 1911 der Kavallerie in Fort Sheridan in Illinois/USA angehört hatte, wurde er nach Fort Myer in Virginia/USA versetzt, wo er in das olympische Team aufgenommen wurde (Nye, 1993, S. 31).1131 Der fünfte Platz im Modernen Fünfkampf der Olympischen Spiele von Stockholm stellten »einen Höhepunkt in seiner noch kurzen Karriere« dar (Kubetzky, 2010, S. 146). Seine Leistung war zwar geschätzt 1129 [o. A.] [o. J.]. MPLF [Mort pour la France]. 1130 Entwurf von Andy Archibald. Zugesandt in einer privaten E-Mail am 20. März 2011. 1131 »Sports Statistics and History«. Homepage Sports-Reference/Olympic Statistics and History. Zugriff online am 15. Januar unter http://www.sports-reference.com/olympics/ athletes/pa/george-patton-1.html. In Stockholm erst 26-jährig kämpfte Patton 1942 im Zweiten Weltkrieg als kommandierender General in Nordafrika, leitete im Juli 1943 die Invasion der Alliierten in Sizilien und führte ein Jahr später die 3. Armee in Frankreich an. Nach Kriegsende war er verantwortlich für die 15. Armee im besetzten Deutschland. Während dieser Zeit erlitt er einen Autounfall auf der Strecke Frankfurt-Mannheim, wovon er eine Querschnittslähmung davontrug. Wenige Wochen später, am 21. Dezember 1945, verstarb er in Heidelberg (Lennartz, 2009, S. 192). Internationale Bekanntheit erlangte Patton auch durch den Film »Patton – Rebell in Uniform« des Regisseurs Franklin J. Schaffner aus dem Jahr 1970.
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in Militärkreisen, doch stahl ihm sein Landsmann Jim Thorpe die Show (vgl. Kap. 5.2.2). König Gustav V. bezeichnete den Indianer Thorpe in der Schlussfeier als »größten Athleten auf der Welt« (z. B. Parient¦, 1983, S. 284). Bei seiner Rückkehr in die USA wurde dieser wie kein Zweiter gefeiert. Patton selbst machte keinen Hehl aus der Vermischung sportlicher und militärischer Ambitionen. »Ob auf dem Spielfeld, dem Exerzierplatz oder dem Schlachtfeld«, jeden Athleten oder Offizier, der sich seinen Zielen entgegenstellte, empfand er als Gegner (D’Este, 1996, S. 134). Geprägt von einer ehrgeizigen Grundhaltung ließ er dabei typischerweise kein gutes Wort an seinen Zeitgenossen und bemängelte ihren Mangel an Kampfesfähigkeit. Davon war 1912 allerdings nichts zu spüren, als er seine Mitstreiter in vollen Zügen lobte. Seinen schwedischen Konkurrenten æsbrink beschrieb er beispielsweise anerkennend als »einen sehr harten und energischen Sportsmann« (Ebd.). Das Fehlen von Protesten und unsportlichem Verhalten sah Patton im allgemein positiven Charakter von Offizieren begründet: »The high spirit of sportsmanship and generosity manifested throughout speaks volumes for the character of the officers of the present day. There was not a single incident of a protest or any unsportsmanlike quibbling or fighting for points which, I regret to say, marred some of the other civilian competitors at the Olympic Games. Each man did his best and took what fortune sent like a true soldier, and at the end we all felt more like good friends and comrades than rivals in a severe competition, yet this spirit of friendship in no manner distracted from the zeal with which all strove for success.«1132
Für ihn lag es auf der Hand, dass der Moderne Fünfkampf ein Offizierswettkampf war. Es handele sich genauer um die Wiedererweckung des »wichtigsten Ereignisses der frühen Hellenischen Spiele«, das darauf abziele »die Fitness eines perfekten Soldaten der Gegenwart« zu testen.1133 Pattons eigenes Engagement im Sport erwies sich dabei als zweckorientiert, wie ein Brief, den er im Anschluss an die Spiele an seinen Stiefvater verfasste, belegt: »What I am doing looks like play to you but in my business it is the best sort of advertising. It makes people talk and that is a sign they are noticing. […] The notice of others has been the start of many successful men.«1134
Seine spätere Militärkarriere und das gleichzeitige Ausbleiben weiterer sportlicher Wettkämpfe unterstreichen, dass seine Liebe zur Armee letztlich stärker als seine Leidenschaft für den Sport war. Pattons Waffenauswahl kann daher rückblickend als Fehler interpretiert werden, aber seine Ablehnung, eine andere als seine Dienstpistole zu benutzen, lässt sich ebenso als echte Loyalität ge1132 Patton (o. J.). o. T. Zitiert in Blumenson, 1972, S. 232. 1133 Patton (1912b). Report on Modern Pentathlon, S. 1. Zitiert in Wilson, 1997, S. 101. 1134 Patton in einem Brief an seinen Stiefvater [ohne genaues Datum, vermutlich August 1912]. In Blumenson, 1987, S. 74.
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genüber der Armee deuten. Letztere war so stark, dass er sogar einen Nachteil gegenüber seinen Konkurrenten in Kauf nahm (vgl. Kap. 5.2.2). Die enge Beziehung aller Modernen Fünfkämpfer zur Armee verwundert allgemein nur wenig, wenngleich Coubertin im Vorlauf auf demokratische Bedingungen Wert gelegt hatte (vgl. Kap. 5.1). In diesem Punkt unterschied sich der Moderne Fünfkampf nur wenig von seinen militärischen Einzeldisziplinen. In den olympischen Reitdisziplinen waren 1912 ebenso ausschließlich aktive Offiziere angetreten. Darüber hinaus mussten diese ihre eigenen Dienstpferde mitbringen, was in der Planungsphase des Modernen Fünfkampfs zeitweise auch im Gespräch gewesen war (vgl. Kap. 4.4.2).1135 Mit dem militärischen Hintergrund war gleichermaßen typischerweise hoher Wohlstand verbunden (vgl. Kap. 3.2). So stammten die drei Lavalbrüder beispielsweise aus einer schwedischen Adelsfamilie. Graf Jean de Mas Latrie soll sogar mit Coubertin, der selbst auch aus einer angesehenen französischen Adelsfamilie stammte, verwandt gewesen sein (Schormann, 2005, S. 20). Einzelne Disziplinen des Modernen Fünfkampfs waren in dieser Gesellschaftsschicht besonders beliebt und verbreitet. Darauf ist es wohl auch zurückzuführen, dass die Schweden 1912 in einigen der Individualsportarten, die ebenso zum Modernen Fünfkampf gehörten, besonders gut abschnitten, so im Geländelauf, Schießen und Reiten (Kluge, 1997, S. 308, 324 – 331). Wie bereits angemerkt wurde, kamen die Athleten, die 1912 zum Modernen Fünfkampf fanden, ohnehin ursprünglich aus dem Fecht-, Reit- oder Schießsport und setzten diese Wettkampfpraxis fort. Die Verwandtschaft der Wettkampfregularien der Einzelsportarten zu jenen des Modernen Fünfkampfs – beispielsweise im Degenfechten und im Pistolenschießen1136 – erlaubte den Athleten, sowohl am Mehrkampf als auch an einzelnen seiner Disziplinen teilzunehmen. Zudem war der Moderne Fünfkampf neu im olympischen Programm. Einige Athleten nahmen 1912 daher lediglich probeweise nebenbei teil, statt ausschließlich für einen Wettkampf anzureisen, dessen Verlauf und Ausgang nicht absehbar war. Dies zeigte sich auch in der Variabilität der 1912 erbrachten Leistungen: »Es scheint beinahe, daß den ersten und zweiten Plätzen in irgendeiner Konkurrenz mit Naturnotwendigkeit ein größerer Ausfall in einer anderen gegenübersteht. Das läßt sich natürlich beim modernen Fünfkampf, wo die Voraussetzungen der einzelnen Uebungen oftmals direkt entgegengesetzte sind, noch in höherem Maße beobachten, als bei einem Mehrkampf, dessen Konkurrenzen immerhin nur aus einem Sportzweig genommen sind. Ein wirklich hochklassiger Schwimmer muß beispielsweise über bestimmte physische Anlagen verfügen, die ihn zum Geländelauf weniger tauglich 1135 Das fünftägige Vielseitigkeitsreiten bestand aus einem Geländeritt, einer QuerfeldeinHindernisstrecke, einem Jagdgalopp, einem Jagdspringen und einer Dressur. 1136 Im Revolver- und Pistolenschießen wurde beispielsweise die gleiche Zielscheibe eingesetzt (Bergvall/ Swedish Olympic Committee, 1913, S. 1062).
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machen und umgekehrt. Daher findet man auch in der Teilnehmerliste des Kampfes keinen Namen, der auf einem Spezialgebiete oder auch nur in einem der anderen Mehrkämpfe Lorbeeren pflücken durfte.«1137
Dass die Modernen Fünfkämpfer in anderen olympischen Sportarten nicht erfolgreich gewesen seien, ist eine gewagte These. Die folgende Übersicht (vgl. Tab. 11) beweist, dass diese durchaus 1912 und/oder vier Jahre zuvor gute Platzierungen in anderen Disziplinen zu verzeichnen hatten: Tab. 11: Das Abschneiden der Modernen Fünfkämpfer von 1912 in anderen olympischen Disziplinen (1908 und 1912)1138 Nr. Name (Platzierung im Nation Resultate in anderen Modernen Fünfkampf 1912) olympischen Disziplinen 1 Gösta æsbrink (2.) SWE 1908: Gold im »Allround-Turnen« (Mannschaft) 2 Georg de Laval (3.) SWE 1912: Silber im Schießen mit der Militärpistole/ -revolver (50 m) (Mannschaft) 4. Platz im Schießen mit der Militärpistole/ -revolver (50 m) 7. Platz im Schießen mit Revolver/ Pistole (Duellschießen) (30 m) 3 æke Grönhagen (4.) SWE 1912: 6. Platz im Degenfechten 4 George Smith Patton Jr. (5.) USA 1912: Angemeldet zum Säbelfechten1139 5 Edmond Bernhardt (8.) AUT 1912: 40. Platz im Schießen mit Revolver/ Pistole (Duellschießen) (30 m) 53. Platz im Schießen mit Revolver/ Pistole (50 m) 6 Patrik de Laval (14.) SWE 1912: 13. Platz im Schießen mit Revolver/ Pistole (Duellschießen) (30 m) 7 Gustaf Lewenhaupt (17.) SWE 1912: Gold im Springreiten (Mannschaft) 9. Platz im Springreiten (auf Medusa)
1137 Diem (1912a) [1990]. Album der Olympischen Spiele 1912, S. 44. 1138 Die Athleten sind geordnet nach der Platzziffer, die sie 1912 im Modernen Fünfkampf erreichten. 1896, 1900 und 1904 nahm noch keiner der genannten Athleten an den Olympischen Spielen teil. Viele waren zu diesem Zeitpunkt noch zu jung. In der Tabelle ist beispielhaft die Teilnahme der Modernen Fünfkämpfer an weiteren olympischen Wettkämpfen 1908 und 1912 aufgeführt. Datenquellen: die offiziellen Berichte von 1908 und 1912, Die Chronik (Kluge, 1997) sowie die Homepage des Sveriges Olympiska Kommitt¦. Zugriff online am 6. November 2011 unter http://www.sok.se 1139 Das Säbelfechten fand vom 16. bis 18. Juli statt. Patton war zwar für den Wettkampf gemeldet, doch gibt es keinen Beweis dafür, dass er tatsächlich auch antrat (vgl. Bergvall/ Swedish Olympic Committee, 1913, S. 475).
Die Inszenierung des ersten Modernen Fünfkampfs
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(Fortsetzung) Nr. Name (Platzierung im Nation Resultate in anderen Modernen Fünfkampf 1912) olympischen Disziplinen 8 Eric Carlberg (30.) SWE 1908: Silber im Kleinkaliberschießen (50 und 100 yards) (Mannschaft) 1912: Gold im Schießen mit der Militärpistole/ -revolver (30 m) (Mannschaft) Gold im Kleinkaliberschießen auf ein bewegliches Ziel (25 m) (Mannschaft) Silber im Schießen mit der Militärpistole/ -revolver (Duellschießen) (30 m) (Mannschaft) Silber im Kleinkaliberschießen (50 m) (Mannschaft) 4. Platz im Degenfechten (Mannschaft) daneben weitere Teilnahmen an unterschiedlichen olympischen Schieß- und Fechtwett kämpfen 1908, 1912 (ohne Medaillenerfolg) 9 Douglas Godfree (11.) GBR 1908: 6. Platz im Säbelfechten 1912: Teilnahme am Säbelfechten (in der ersten Runde ausgeschieden) 10 Jean de Mas Latrie (16.) FRA 1908: 4. Platz im Säbelfechten 11 Hugh Durant (18.) GBR 1912:-Bronze im Pistolenschießen (50 m) (Mannschaft) Bronze im Schießen mit der Schnellfeuerpistole (30 m) (Mannschaft) 20. Platz im Pistolenschießen (50 m) 12 Erik de Laval (24.) SWE 1912: Teilnahme am Degenfechten (ohne Medaillenerfolg) 13 Boris Nepokupnoy (28.) RUS 1912: 4. Platz im Säbelfechten 14 Jetze Doorman (31.) NED 1908: Teilnahme am Säbel- und Degenfechten (ohne Medaillenerfolg) 1912:-Bronze im Degenfechten (Mannschaft) Bronze im Säbelfechten (Mannschaft)
14 der insgesamt 32 Teilnehmer waren nicht auf den Modernen Fünfkampf spezialisiert, sondern hatten 1908 und/oder 1912 auch an anderen olympischen Wettkämpfen teilgenommen. Ihre Auswahl beschränkte sich typischerweise auf die militärischen Disziplinen, Reiten, Schießen und Fechten. Es gab zwei Ausnahmen: æsbrink errang 1908 mit der schwedischen Mannschaft eine Goldmedaille im turnerischen Allroundwettkampf. Dies unterstreicht sein vielseiti-
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International und exklusiv: das olympische Debüt in Stockholm 1912
ges sportliches Talent sowie seinen Trainingseifer, der erneut vier Jahre später mit der Silbermedaille im Modernen Fünfkampf belohnt wurde. Schon 1906 hatte sich der Österreicher Edmond Bernhardt in Athen im Schwimmen versucht; allerdings ohne nennenswerten Erfolg (Kluge, 1997, S. 196). Der Schwede Eric Carlberg, der den Modernen Fünfkampf schon nach einer Disziplin aufgab, war mit Abstand der aktivste und gleichzeitig der erfolgreichste der aufgelisteten Athleten im Fechten und Schießen. Allein 1912 nahm er an zehn verschiedenen Wettkämpfen teil. Bevor der Moderne Fünfkampf startete, war er bereits vom 29. Juni bis 6. Juli zu insgesamt sieben verschiedenen Wettkämpfen angetreten. Parallel zum Modernen Fünfkampf war er für das Florettfechten der Mannschaft, das für den 9. und 10. Juli angesetzt war, sowie zum Degenfechten, das in den darauffolgenden drei Tagen stattfand, gemeldet.1140 Schon in der Planungsphase hatten die schwedischen Veranstalter vermutet, dass einige Fechter gleichzeitig am Modernen Fünfkampf teilnehmen würden. Sie hatten daher weitgehend versucht, darauf zu achten, dass der Zeitplan diese Doppelmeldung erlaubte, weil sie ansonsten befürchteten, dass Offiziere ihre Anmeldung zum Modernen Fünfkampf zurückzögen.1141 Im Schießen trat Eric Carlberg häufig zusammen mit seinem Zwillingsbruder Vilhelm im selben Team an. Abgesehen von seiner sportlichen Aktivität saß er zudem im Spezialkomitee für Modernen Fünfkampf (Bereich Schießen) sowie im Schießsport-Komitee selbst.1142 Diese Mehrfachbelastung mag dazu beigetragen haben, dass er bereits nach der ersten Disziplin im Modernen Fünfkampf, die er mit einem akzeptablen 8. Platz abschloss, aufgab und sich auf das Fechten konzentrierte. Der Niederländer Jetze Doorman, der 1912 mit der Mannschaft gleich zweimal Bronze im Degen- bzw. Säbelfechten errang, entschied sich durch seine Aufgabe nach dem Schießen dennoch gegen den Modernen Fünfkampf und für das Fechten. Die zeitlich kompakte Anordnung der olympischen Sportarten war organisatorisch sicher nicht glücklich (vgl. Kap. 5.3); doch war es den Veranstaltern wichtig, den neuen Wettkampf in der Stadionwoche zu platzieren und dabei gleichzeitig die Hauptwettkampfzeit nicht zu sehr in die Länge zu ziehen. Zwangsläufig fanden daher einige Wettkämpfe parallel oder zumindest am selben Tag statt. Somit mussten die Wettkämpfer sich teilweise bewusst für den Modernen Fünfkampf entscheiden, was verhinderte, dass der neue Sport ausschließlich zum Nebenschauplatz ehrgeiziger Spezialisten wurde. 1140 Ebd., S. 458, 463, 468 f, 692 – 698. 1141 §12 Tagesprogramm der Spiele [Spelens Dagsprogram]. Protokoll der Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf. 22. Mai 1912, S. 4. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 1142 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 646, 677.
Die Perzeption und Rezeption des ersten olympischen Modernen Fünfkampfs
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Für Lilliehöök, der neben der Goldmedaille auch Coubertins Wanderpokal mit nach Hause nehmen durfte, hatte sich seine Konzentration auf den Modernen Fünfkampf allemal ausgezahlt. Die Tatsache, dass andererseits zehn und damit fast ein Drittel der angetretenen Athleten frühzeitig ausschieden, u. a. weil sie anderen Wettkämpfen größere Bedeutung beimaßen, spiegelte sich auch in der Nachbetrachtung des Modernen Fünfkampfs wider (vgl. Kap. 5.3). Diese zeigte außerdem auf, ob die Wettkampfinszenierung letztlich den vorher gehegten Erwartungen entsprach.
5.3
Die Perzeption und Rezeption des ersten olympischen Modernen Fünfkampfs
»The Olympic Games were to be set from the start with the contradiction between high ideals and its often base outcomes.« (Murray, 1996, S. 30) Galt das, was der australische Geschichtsdozent William Murray hier allgemein für die Diskrepanz zwischen Ideal und Realität der Olympischen Spiele formulierte, auch für den Modernen Fünfkampf 1912?
Während die Olympischen Spiele in den ersten zwölf Jahren ausschließlich als Anhängsel von Weltmeisterschaften stattfanden und dafür häufig kritisiert wurden, lag der Fokus in Stockholm erstmals ausschließlich auf den olympischen Wettkämpfen. Die neue Unabhängigkeit sowie die Tatsache, dass zum ersten Mal Athleten aus allen fünf Kontinenten teilnahmen, trugen dazu bei, dass die Spiele im Mittelpunkt des internationalen Interesses standen. Diese Neuerungen sollten sich auszahlen: Die Olympischen Spiele von Stockholm galten allgemein als Erfolg, gar als internationaler Durchbruch für die olympische Bewegung. Der österreichische Sportjournalist Willy Meisl (1895 – 1968) schwärmte noch zwölf Jahre danach von diesem Ereignis: »Schwedische Organisationstüchtigkeit mit schwedischem Sportgeiste und schwedischer Gastfreundschaft schufen in dem herrlichen Stockholmer Stadion eine Olympiade, wie man sie vorher kaum zu träumen gewagt hatte. Vom Wetter bis zum letzten Detail des Arrangements war alles in bester Ordnung und die Beteiligung war eine gewaltige.«1143
Vor allem das gute Wetter der »Sonnenscheinolympiade« (Hamilton, 2004, S. 57) und die Organisationsleistung des SOK ließen die Veranstaltung bei den Besuchern und Teilnehmern gleichermaßen in guter Erinnerung bleiben.1144 Diese positive Grundstimmung übertrug sich allgemein auch auf die einzelnen 1143 Meisl, 1924, S. 17. 1144 Hermelin, 1912, S. 54.
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International und exklusiv: das olympische Debüt in Stockholm 1912
Sportarten; doch gab es ebenso kritische Stimmen zu verzeichnen. Die Inszenierung des ersten olympischen Modernen Fünfkampfs gibt Anlass, Resümee zu ziehen, ob die zuvor gehegten Erwartungen erfüllt wurden, ob Coubertin und die Veranstalter ihre Versprechen einhielten und ob die kühnen Prophezeiungen zutrafen (vgl. Kap. 5.1). Im ersten Teil steht die Perzeption, d. h. die subjektiven Bestandsaufnahmen einzelner Personen, die 1912 an der Inszenierung des Modernen Fünfkampfs beteiligt waren, im Vordergrund (vgl. Kap. 5.3.1); der zweite Teil zielt dagegen auf die Rezeption, d. h. darauf, wie der Moderne Fünfkampf von Außenstehenden aufgenommen wurde, ab. Die verschiedenen Reaktionen der zeitgenössischen Autoren aus dem In- und Ausland entschieden zusammengefasst auch darüber, ob der Moderne Fünfkampf einmalig blieb oder ob es ihm gelang, Werte zu transportieren, die einen langfristigen Verbleib im olympischen Programm sicherten.
5.3.1 Zufrieden und enttäuscht zugleich: die Reaktionen der Initiatoren Niemand hatte sich in den Wochen vor Beginn der Olympischen Spiele und während ihrer Durchführung so viel mit dem Modernen Fünfkampf beschäftigt wie Balck und sein schwedisches Organisationsteam. Daher soll diese Gruppe, welche die Inszenierung des ersten olympischen Modernen Fünfkampfs wie keine zweite bestimmte, zuerst betrachtet werden. Allgemein zeigte sich das SOK mit verschiedenen Punkten, darunter u. a. der Zeitplan, das Wettkampfreglement und die Schiedsrichterfrage, zufrieden.1145 Daneben zahlte es sich aus, dass die schwedischen Organisatoren Wert auf die Qualität der Wettkampfstätten gelegt hatten. Das Fechten des Modernen Fünfkampfs, das auf den neuen Außentennisplätzen stattgefunden hatte, genügte beispielsweise »allen Anforderungen an erstklassige Fechtplätze«.1146 Dass das Wagnis, eine neue Sportart einzuführen, zum Erfolg wurde, lag neben den günstigen Wetterbedingungen auch an der strukturierten Planung. Die Entkopplung des olympischen Degenfechtwettbewerbs vom Fechten des Modernen Fünfkampfs erlaubte den Athleten, in beiden Disziplinen zu starten (vgl. Tab. 11, Kap. 5.2.3). Die Anberaumung von zwei Tagen für das Degenfechten hatte sich als notwendig und damit als vorausschauende Planungsmaßnahme erwiesen.1147 Ohnehin hatte es aus organisatorischer Sicht keine negativen Zwischenfälle gegeben. Schließlich hatten die Schweden den Moder-
1145 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 477. 1146 Ebd., S. 168, 220, 462. 1147 Ebd., S. 461
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nen Fünfkampf ja vorher gleich dreimal erprobt (vgl. Kap. 5.2.1) und sich nicht gescheut, Unterstützung von den Stockholmer Armeen anzufordern.1148 Die Mitglieder des Schwedischen Militärsportverbands empfanden die beachtenswerten sportlichen Leistungen der Schweden 1912 allgemein als »Triumph für die schwedische Militärsportsportarbeit«.1149 Vor allem mit der Organisation der militärischen Disziplinen, Fechten, Reiten und Schießen, zeigten sie sich im Anschluss zufrieden.1150 Die Siege im Modernen Fünfkampf erfüllten den Militärsportverband ebenso mit Freude und Stolz, weil sie diese als Resultat der »kompetenten, engagierten und gezielten Arbeit für den Militärsport« betrachteten.1151 Das von Militärvertretern angeleitete Training im Modernen Fünfkampf hatte offensichtlich Früchte getragen. Der schwedische König führte das erfolgreiche Abschneiden der schwedischen Athleten daher hauptsächlich »auf die unermüdlichen und zielbewussten Bestrebungen zurück, die in der Armee auf die Ausbildung in solchen Sportzweigen [Schießen, Reiten, Gymnastik sowie Leichtathletik und Militärsport] verwendet worden sind«.1152
Den Militärangehörigen und hier insbesondere dem Offizierskorps sprach er Anerkennung aus, weil diese ihr Vaterland in das rechte Licht gerückt hätten. Schweden gelte von nun an als vorbildlich auf dem Gebiet der Leichtathletik und des militärischen Sports.1153 Balck, der Präsident des SOK sowie des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf, war ebenso mit »seinen« Olympischen Spielen zufrieden und vertrat die Meinung, dass Schweden der Welt ein positives Bild abgegeben habe.1154 Den national ehrenvollen Ausgang im Modernen Fünfkampf hob Balck zusätzlich dadurch hervor, dass er vom »vielleicht wertvollsten aller Sportwettkämpfe« bzw. von einem »glänzenden Sieg« sprach und die drei schwedischen Fahnen, die 1148 Es halfen u. a. 20 Mann im Schwimmen, 50 berittene Einheiten im Reiten und 20 im Schießen (§14 Handräckning [Hilfe]. Protokoll der Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf. 22. Mai 1912; S. 5. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 1149 Adolf A:son Murray & Carl Jegerhjelm. November [ohne genaues Datum]. Utgäende skrivelser 1911 – 1913 (BI: 2). Sveriges militära idrottsförbund-Överstyrelsen. Krigsarkivet Stockholm. 1150 Militär Idrott [Militärsport]. Brief von Carl Jegerhjelm (Sekretär des Schwedischen Militärsportverbands) [Adressat unbekannt]. September 1912 [ohne genaues Datum]. Utgäende skrivelser 1911 – 1913 (BI: 2). Sveriges militära idrottsförbund-Överstyrelsen. Krigsarkivet Stockholm. 1151 Adolf A:son Murray & Carl Jegerhjelm. November [ohne genaues Datum]. Utgäende skrivelser 1911 – 1913 (BI: 2). Sveriges militära idrottsförbund-Överstyrelsen. Krigsarkivet Stockholm. 1152 »Generalorder des Königs«. [o. A.] (1912dd). Vorbereitungen für die Olympischen Spiele 1916, S. 13. 1153 Ebd. 1154 Balck, 1913, S. 168.
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für die Bestplatziertesten gehisst wurden, in Erinnerung rief.1155 Neben den Leistungen auf sportlicher Ebene, führte er einen aus seiner Sicht bedeutungsvollen Aspekt der Spiele vor Augen, nämlich »dass die Öffentlichkeit die Tüchtigkeit unseres pflichtbewussten schwedischen Offizierskorps zu schätzen lernen wusste«.1156 Denn wie im Modernen Fünfkampf so standen die schwedischen Offiziere auch in anderen Sportarten häufig auf dem Siegertreppchen. Balck fand im vielseitigen Leistungsvermögen eine Erklärung für ihren Erfolg, vor allem in jenen Sportarten die Teil des Militärdienstes waren. Die umfassende Ausbildung der Offiziere und deren gründliche Vorbereitung hätten sich entsprechend ausgezahlt.1157 Ein Wettkampf stach besonders für ihn heraus: »Das vielleicht ergreifendste Ereignis der Olympischen Spiele war der Augenblick, als im Stadion vermeldet wurde, dass unsere Offiziere die drei ersten Plätze im herausforderndsten und wertvollsten Wettkampf, dem Modernen Fünfkampf, errungen hatten. Als die Zuschauer daraufhin miterleben durften, wie die drei schwedischen Flaggen als Siegeszeichen gehisst wurden, brach ein unendlicher Jubel aus und die Menschen wurden von einer solchen Begeisterung ergriffen, dass spontan die Nationalhymne gesungen wurde.«1158
Dem leichtathletischen Fünfkampf, den 1912 der US-Amerikaner Thorpe für sich entschied, schenkte er vergleichsweise weniger Beachtung. Mit Coubertin, mit dem er sich in der Vorbereitungszeit häufig über die neuen Mehrkämpfe ausgetauscht hatte, führte er im Anschluss keine thematisch einschlägigen Gespräche mehr. Vermutlich war sich Balck bewusst, dass sich Coubertin nur ungern von seinen Ideen, vor allem von seinem Beharren auf der Urheberschaft des Modernen Fünfkampfs abbringen ließ (vgl. Kap. 4.4.2). Doch gerade in diesem Punkt, in dem Balck im Vorlauf – vermutlich des lieben Friedens willen – zurückgesteckt hatte, sorgte er mit zeitlichem Abstand im Anschluss für klare Verhältnisse. In seinen Minnen erinnerte er daran (vgl. Anhang 8.3.2.6), dass »[…] der Moderne Fünfkampf auf schwedische Initiative entstanden ist – und ebenso dessen Einzeldisziplinen mit besonderem Augenmerk auf unsere tüchtigen Offiziere aufgestellt wurden. […] Der Zehnkampf war ebenfalls eine schwedische Neuerung bei den Olympischen Spielen.«1159
Die Frage der Urheberschaft, die er in den öffentlichen Diskussionen zuvor konsequent ausgeblendet hatte (vgl. Kap. 4.3, 4.4) und nur in privaten Briefen 1155 1156 1157 1158
Ebd., S. 174. Ebd., S. 158. Balck, 1931, S. 168. Ebd., S. 158. [Original in schwedischer Sprache, Übersetzung nach Molzberger (private EMail)]. 1159 Ebd., S. 160. [Original in schwedischer Sprache, Übersetzung nach Molzberger (private EMail)].
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Coubertin zugestand (vgl. Kap. 5.1.2), stellte er neunzehn Jahre später einer Abrechnung gleich richtig. So wiederholte er diesen Aspekt wenige Seiten später (vgl. Anhang 8.3.2.6): »Der Moderne Fünfkampf ist eine schwedische Idee, sein Programm wurde von den Schweden aufgestellt und präsentiert. Es ist die anspruchsvollste und vielseitigste aller olympischen Wettbewerbe.«1160
So deutlich hatte sich Balck gegenüber Coubertin nicht geäußert. Als letzterer sich als Schöpfer des Modernen Fünfkampfs betitelte, hatte Balck nie widersprochen. Mit dieser neuerlichen Interpretation trat Balck offensiv in Konkurrenz zu Coubertin, der just im selben Jahr eine eigene Autobiographie herausbrachte und in dieser gleichsam vom Erfolg »seines« Modernen Fünfkampf sprach.1161 Die sekundäre Rolle, die Coubertin und dem IOC in der Einführung des Modernen Fünfkampfs beschieden war, lag für Balck auf der Hand: »Dieses Programm [das Programm der olympischen Disziplinen] wurde von uns Schweden dem IOC-Präsidenten, Baron de Coubertin, 1910 vorgelegt, der den Vorschlag begeistert annahm und sagte: ›Dies ist genau das, was ich mir vorgestellt habe, dies ist ein Wettkampfprogramm der Ritterlichkeit.‹ Es wurde daraufhin dem IOC vorgelegt, welches das Programm ohne Änderungen verabschiedete.«1162
Neben diesen verbalen Erklärungen illustrierte Balck seinen Text durch ein Foto des Preises für den Sieger im Modernen Fünfkampf. Dabei handelte es sich bezeichnenderweise nicht um Coubertins Pokal, sondern um jenen des schwedischen Königs.1163 Dies kann als Unterstreichung des schwedischen Einflusses auf den Modernen Fünfkampf interpretiert werden. Während Balck also ganz geblendet vom nationalen Ruhm und um Konfliktfreiheit bedacht, kritische Worte direkt im Anschluss an die Premiere hintenanstellte, fand sein schwedischer SOK-Kollege Bergvall schon früh Anlass, diverse Kritik und Verbesserungsvorschläge in Bezug auf den neuen Wettkampf zu äußern. So räumte er in seinem offiziellen olympischen Bericht ein, dass der »wahre Wert des Modernen Fünfkampfs« eigentlich darin liegen sollte, dass es einem Mann zu jedem Zeitpunkt möglich sei, »diese Prüfungen zu erfüllen, unabhängig von der Reihenfolge, in der sie auftreten«.1164 Dies widersprach der 1160 Ebd., S. 167. [Original in schwedischer Sprache, Übersetzung nach Molzberger (private EMail)]. 1161 Coubertin (1931a) [1996]. M¦moires olympiques, S. 125. 1162 Balck, 1931, S. 168. [Original in schwedischer Sprache, Übersetzung nach Molzberger (private E-Mail)]. 1163 Ebd., S. 160. Im offiziellen olympischen Bericht heißt es dagegen, dass der schwedische König einen Pokal für den Fünfkampf (und nicht für den Modernen Fünfkampf) gestiftet hat (Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, zwischen S. 164 und 165 (Pl. 50)). 1164 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 641.
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festen Disziplinabfolge, die 1912 vorgegeben wurde, und lehnte sich enger an die Idee der Entstehungslegende an (vgl. Kap. 5.1.1). Bergvall schlug eine Bestimmung per Los vor, wobei dies die Veranstalter mit neuen Schwierigkeiten konfrontieren würde. Alle fünf Wettkampfanlagen müssten also ganze fünf Tage zur freien Verfügung stehen und nicht parallel durch andere olympische Wettbewerbe belegt sein. Es schien fraglich, ob ein olympisches Organisationskomitee diesem kühnen Wunsch je nachkommen könnte. Die anderen SOK-Mitglieder, die sich im Vorfeld teils rege geäußert hatten, zeigten sich im Anschluss genauso verschwiegen wie jene im IOC. Nicht so ihr Präsident Coubertin, der sich bereits vorab in der Pferdefrage vehement für ideelle Fragen des Modernen Fünfkampfs eingesetzt hatte (vgl. Kap. 4.4.2, 5.1.2). Zunächst zeigten er und seine IOC-Kollegen sich prinzipiell mit dem Ablauf der Spiele höchst zufrieden (Lennartz, 2009, S. 15).1165 In seinen M¦moires olympiques zog Coubertin das Fazit, dass nie zuvor »eine Olympiade mit mehr Logik, Aufmerksamkeit und Sorgfalt zusammengestellt worden« war.1166 Vor allem die administrative Arbeit der Organisatoren, allen voran jene von Balck und Sigfrid Edström, hob er als lobenswert hervor.1167 Kritische Worte fand er dagegen für den in seinen Augen übertriebenen Nationalismus der Schweden, der vor dem Hintergrund der erstmaligen Austragung eines internationalen Events dieser Größenordnung allerdings verzeihbar sei.1168 Die Einführung olympischer Mehrkämpfe hieß Coubertin allgemein für gut und sah darin die Geburt einer gänzlich neuen Disziplinordnung. Dies sei als Erfolg im Kampf gegen die sich breitmachende »äußerst unfruchtbare[n] Spezialisierung« zu bewerten (vgl. Kap. 2.1.2)1169 und markiere eine als wünschenswert zu betrachtende »Bewegung Richtung athletischen Eklektizismus« (vgl. Kap. 2.1).1170 Zuvor war die Verbindung unterschiedlicher Sportarten dagegen als kontraproduktiv angesehen worden, weshalb sich Athleten zunehmend auf einzelne Sportarten spezialisiert hätten.1171 Die Beurteilung einer Offiziersleistung, wie sie 1912 Lilliehöök gelang, wäre somit zu diesem Zeitpunkt ohne einen grundlegenden Mentalitätswandel noch negativ ausgefallen:
1165 Vgl. auch Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 127; [Coubertin] (1912 g). Une Olympiade vol d’oiseau, S. 115; [Coubertin] (1912i). Paroles d clúture, S. 142 f. 1166 Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 103. 1167 [Coubertin] (1912 g). Une Olympiade vol d’oiseau, S. 116. 1168 Ebd., S. 116 f. 1169 Coubertin (1918 f). Lettre olympique IX [The complete athlete and the modern pentathlon]. 1170 Ebd. 1171 [Coubertin] (1913d). Olympisme et Utilitarisme, S. 69.
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»Mais c’¦taient toujours des sp¦cialistes. Un officier capable de gagner un » pentathlon moderne » n’eut jamais trouv¦ l’occasion d’accomplir un pareil exploit si mÞme il avait os¦ s’en d¦clarer capable. L’id¦e d’associer en une mÞme journ¦e des ¦preuves vari¦es paraissait absurde aux moins exalt¦s; les autres y voyaient un blasphÀme. On sait que le premier appel la collaboration g¦n¦rale en vue des futurs Jeux Olympiques provoqua des r¦voltes indign¦es.«1172
Ebenso seien vorab Einwände erhoben worden, als Coubertin, »der sich die Disziplin ausdachte«, seine Regularien skizzierte.1173 Da die Allround-Athletik jedoch in den vergangenen Jahren zunehmend Anhänger gefunden habe, seien der Moderne Fünfkampf so wie die übrigen Mehrkämpfe von 1912 letztlich positiv aufgenommen worden.1174 Diese auf »glücklichen Fusionen« basierenden Wettkämpfe stünden allerdings erst am Anfang und erhöhten derzeit noch die organisatorischen Schwierigkeiten. Dieser Zustand sei als »nicht exzellent« zu bewerten.1175 Der Moderne Fünfkampf stach für ihn unter den neuen Mehrkämpfen heraus, weil er seiner Meinung nach mehr als einen gewöhnlichen Sport darstellte, sondern eine »wahre Weihe für den vollkommenen Athleten« (vgl. Kap. 2.1.2).1176 In der Gazette de Lausanne widmete er seinem neuen Lieblingssport einen eigenen Artikel und nahm konkret auf seine olympische Premiere 1912 Bezug: der Moderne Fünfkämpfer sei jemand, der den Titel des vollkommenen Athleten wirklich verdiene.1177 Direkt im Anschluss an die Spiele veröffentlichte er zum »Debüt des Modernen Fünfkampfs« auch in der Revue Olympique einen eigenen Artikel, in dem er den Modernen Fünfkampf als eine »der interessantesten Neuerungen der Olympischen Spiele von 1912« beschrieb.1178 Die Teilnehmerzahl sei insbesondere vor dem Hintergrund der Disziplinvielfalt beeindruckend und ebenso, weil sich die damit verbundenen Anstrengungen fernab des Rampenlichts abspielten. Coubertin ging sogar so weit, den Modernen Fünfkampf als sportlichen Höhepunkt zu markieren:
1172 Ebd. Übersetzung: »Ein Offizier, der einen ›Modernen Fünfkampf‹ gewinnen kann, hätte niemals die Möglichkeit gehabt, solch eine Heldentat zu erbringen, selbst wenn er zuvor angekündigt hätte, dass er es tun könnte. Die Idee, verschiedene Disziplin in einem Tag zu verbinden, hätte sogar den wenig enthusiastischen Menschen absurd angemutet; andere sahen es als blasphemisch an. Wir wissen, dass der erste Aufruf zur globalen Zusammenarbeit für die zukünftigen Olympischen Spiele eine empörte Revolte provoziert.« 1173 [Coubertin] (1912j). Les d¦buts du Pentathlon moderne, S. 151 f. 1174 Ebd., S. 152. 1175 [Coubertin] (1912c). La classification des sports, S. 42. 1176 Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 116. 1177 Coubertin (1918 f). Lettre olympique IX [The complete athlete and the modern pentathlon], S. 163. 1178 [Coubertin] (1912j). Les d¦buts du Pentathlon moderne, S. 151.
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»Nulle part l’effort musculaire n’a ¦t¦ si intense et le d¦sint¦ressement si complet. […] Un parfait esprit sportif se manifesta entre tous les concurrents. Vainqueurs et vaincus montrÀrent un mÞme enthousiasme pour cette superbe institution, v¦ritable crit¦rium de virilit¦ et de parfait athl¦tisme.«1179
Erfüllt mit Stolz betonte er daher rückblickend, dass die Einführung des Modernen Fünfkampfs ohne seine Beharrlichkeit gar nicht verwirklicht worden wäre und Verbindung zu seinen vorherigen Konzepten stünde: »Et le Pentathlon moderne dont personne ne voulait en 1909 quand j’en annonÅai la fondation, recueillit en 1912 Stockholm des suffrages unanimes et suscite de tous cút¦s des imitations. Chacun veut faire de ses fils des ›d¦brouillards‹ […].«1180
Der Mehrkampftrend hatte 1912 bekanntermaßen auch zur Durchführung eines weiteren Fünfkampfs geführt. Diesen bewertete Coubertin insgesamt weniger häufig und bezog klar Partei (vgl. Kap. 1.2, Anhang 8.3.1.6): »Il y a eu deux pentathlons: le ›moderne‹ – le mien – dont les d¦buts ont ¦t¦ trÀs brillants et le ›classique‹ […].«1181 Während er die Ergebnisse im Modernen Fünfkampf nicht mit jenen der olympischen Individualwettkämpfe verglich – dies war auch kaum möglich, weil dieselben Disziplinen nicht existierten – tat er dies im Fall des leichtathletischen Pentathlons und ließ dessen Teilnehmer folglich den Spezialisten unterlegen erscheinen.1182 Auch an anderer Stelle verwies er deutlich auf die Unterschiede zwischen beiden Fünfkämpfen und kritisiert die rein leichtathletische Ausrichtung: »Le Pentathlon classique que nous d¦nommons faussement ainsi n’est plus, vrai dire, qu’une association de courses, de sauts et de lancers […].«1183 Der Moderne Fünfkampf hebe sich zwar davon ab, doch gebe es auch hier Punkte, die anzuprangern seien: »Le cr¦ateur de ce Pentathlon qui fut inaugur¦ Stockholm, lors de la Ve Olympiade, est le premier reconnatre que, d’une part, il vaudrait mieux remplacer le tir par une 1179 Ebd., S. 152 f. Übersetzung: »Nirgendwo sonst waren weder die muskuläre Anstrengung so intensiv, noch die Uneigennützigkeit der Athleten so groß. […] Unter den Teilnehmern herrschte eine perfekte Sportlichkeit. Gewinner und Verlierer zeigten die gleiche Begeisterung für diese großartige Institution, dieses wahre Kriterium der Männlichkeit und perfekten Athletik.« 1180 Coubertin (1913d). Olympisme et utilitarisme, S. 72. Übersetzung: »Und der Moderne Fünfkampf, den niemand wollte, als ich 1909 seine Gründung verkündete, wurde 1912 in Stockholm einstimmig begrüßt und führte sogar überall zu vielen Kopien. Jeder möchte seine Söhne zu D¦brouillards machen […].« 1181 Coubertin 1931a [1996]. M¦moires olympiques, S. 125. Übersetzung (nach Carl-DiemInstitut, 1996, S. 129): »Es gab zwei Fünfkämpfe: den ›modernen‹ – meinen –, der einen vorzüglichen Start hatte, und den ›klassischen‹ […].« 1182 [Coubertin] (1912j). Les d¦buts du Pentathlon moderne, S. 154. 1183 Coubertin (1922a). P¦dagogie sportive, S. 91 f. Übersetzung (nach Mallwitz, 1928, S. 56): »Das klassische Pentathlon, das wir fälschlicherweise so nennen, ist in Wahrheit nichts weiter mehr als eine Verbindung von Wettläufen, Sprüngen und Würfen […].«
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¦preuve d’aviron et que, d’autre part, les cinq ¦preuves qui le composent devraient se succ¦der sans interruption, l’athlÀte passant de l’une l’autre sans autre sans interruption, l’athlÀte passant de l’une l’autre sans autre arrÞt que celui n¦cessit¦ par une sommaire modification de costume. On y viendra sans doute.«1184
Coubertin versäumte es auch hier nicht, sich als »Schöpfer« zu betiteln, was ihn wohl in besonderem Maße dazu befähigen sollte, Kritik anzubringen. Während er den letzten Aspekt, die freie Reihenfolge, in mehreren seiner Werke wiederholt anbringt, erstaunt doch sein erster Vorschlag. Denn in keiner der vergangenen IOC-Sessionen hatte er »Rudern« als mögliche Disziplin des Modernen Fünfkampfs in die Diskussionen eingebracht (vgl. Kap. 4.4). Obwohl er selbst ein begeisterter Ruderer war, zeigte er letztlich jedoch Verständnis dafür, dass das Rudern 1912 nicht zum Modernen Fünfkampf gehörte: »[…] mais cela [l’inclusion de l’aviron] et compliqu¦ grandement l’organisation d¦j passablement difficile.«1185 Schließlich stand das gemeinsame Ziel der Umsetzung im Vordergrund, für das man auf beiden Seiten »Opfer bringen« müsse.1186 Doch damit fand seine Kritik noch kein Ende. Er beschuldigte gar die Organisatoren, »die Achtung vor den vom dem Schöpfer des modernen Fünfkampfs aufgestellten Prinzipien vollkommen zu vergessen.«1187 Im Vergleich zu seinem zwanzig Jahre zuvor verfassten Artikel war die Kritik also die gleiche geblieben, doch bezeichnete er sich nunmehr als »Schöpfer« des Modernen Fünfkampfs und nicht mehr nur als Stifter des zugehörigen Pokals (vgl. Kap. 5.1.2). Er bemängelte zudem, dass seine »wahren Ansichten« nicht verwirklicht worden seien: »[…] parcours inconnus du concurrent, ¦preuves se succÀdant [sic!] presque sans intervalle, chevaux fournis par le pays organisateur et tir¦s au sort au dernier moment […].«1188 Der Moderne Fünfkampf hätte 1184 Ebd. Übersetzung (nach Mallwitz, 1928, S. 56): »Der Schöpfer dieses Pentathlon, der [sic!] in Stockholm bei der 5. Olympiade eingeführt wurde, hat als Erster erkannt, daß es einesteils besser wäre, das Schießen durch eine Ruderprobe zu ersetzen und daß andernteils die fünf Proben, aus denen es besteht, ohne Pause aufeinander folgen müßten, so daß der Athlet von einer zur andern übergeht ohne einen andern Aufenthalt als der durch das Wechseln des Kostüms bedingt ist. Man wird dies auch ohne Zweifel noch erreichen.« Vgl. auch in Bezug auf das Rudern: Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 116; Coubertin (1922a). P¦dagogie sportive. Übersetzt in Mallwitz, 1928, S. 56. In Luxemburg schlug Coubertin beispielsweise Laufen, Springen, Schwimmen, Reiten und Fechten vor; damit allerdings tatsächlich kein Schießen (IIIe s¦ance. 12. Juni 1910. Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1910). ProcÀs-verbal. 13e Session Luxembourg, S. 27. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne; vgl. Kap. 4.3.1). 1185 Coubertin 1931a [1996]. M¦moires olympiques, S. 112. Übersetzung (nach Carl-DiemInstitut, 1996, S. 116): »Aber das [die Einbeziehung des Ruderns] hätte die an sich schon großen Schwierigkeiten der Organisation noch erhöht.« 1186 Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 103. 1187 Ebd., S. 117. 1188 Ebd. Übersetzung (nach Carl-Diem-Institut, 1996, S. 116 f): »[…] ich wollte eine für den
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damit seine Chance aus der Hand gegeben, »einen erstklassigen pädagogischen Charakter« einzunehmen.1189 Dies läge wiederum an dem »Kasten-Widerstand«, womit Coubertin insbesondere die aristokratischen Reiter meinte, die lieber ihre eigenen Pferde ritten und an einer Beteiligung anderer Sozialschichten nicht interessiert waren.1190 Das direkte Aufeinanderfolgen der einzelnen Wettkämpfe lag Coubertin besonders am Herzen, weil es seinem Idealbild des D¦brouillards entsprach (vgl. Kap. 2.1.2). 1912 konnte jedoch von einer Prüfung, in der besonders die schnelle Auffassungsgabe und die Entschlusskraft über Sieg oder Niederlage entschieden, zum Verdruss Coubertins kaum die Rede sein. Die beiden anderen Punkte, die Pferdefrage ebenso wie die Verdachtsmomente, dass sich das SOK nicht an die Geheimhaltung des Lauf- und Reitparkours gehalten hatte, sind bereits in vorherigen Kapiteln ausführlich diskutiert worden (vgl. Kap. 4.4.2, 5.2.2). Soweit die Kritik, die Coubertin mit zeitlichem Abstand in seinen M¦moires olympiques anführte. Direkt im Anschluss an die Spiele war seine Mängelliste allerdings noch länger und detaillierter ausgefallen: Die Idee, die Reihenfolge der Disziplinen zuzulosen, hatte sich dagegen zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingestellt. Vielmehr beurteilte er die 1912 festgelegte Reihenfolge als mangelhaft und schlug eine neue Ordnung vor: »L’ordre des ¦preuves est critiquer : la fatigue des nerfs et celle des muscles n’est pas prise en consid¦ration.. Il n’est pas bon de terminer par les deux concours les plus fatigants, savoir l’¦quitation et la course pied. Nous sugg¦rons comme ordre d¦sirable : le tir, la course pied, l’escrime, la natation, l’¦quitation.«1191
Diese Reihenfolge hatte Coubertin zuvor in den Diskussionen nicht geäußert. 1909 hatte er sogar selbst noch vorgeschlagen, mit Reiten gefolgt vom Laufen zu beginnen. Schon ein Jahr später hatte er die beiden Disziplinen in einem neuen Entwurf zwar entzerrt, sich aber dennoch nicht durchsetzen können (Tab. 2, 4.3.2). Auch Verbesserungsvorschläge für einzelne Disziplinen des Modernen Fünfkampfs ließ Coubertin nicht aus. So brachte er erneut das Argument vor, Teilnehmer unbekannte Bahn, Wettbewerbe, die fast ohne Unterbrechung einander folgen, und Pferde, die von dem organisierenden Land gestellt und im letzten Augenblick durch Los bestimmt werden sollten.« 1189 Ebd., S. 117. 1190 Ebd. 1191 [Coubertin] (1912j). Les d¦buts du Pentathlon moderne, S. 152. Übersetzung: »Die Reihenfolge der Disziplinen ist kritikwürdig. Die Erschöpfung der Nerven und Muskeln wird nicht berücksichtigt. Es ist keine gute Idee, den Fünfkampf mit den beiden anstrengendsten Wettkämpfen zu beenden, nämlich dem Reiten und dem Wettlauf. Wir würden folgende Reihenfolge vorschlagen: Schießen, Wettlauf, Fechten, Schwimmen, Reiten.« Vgl. die für 1912 ausgewählte Reihenfolge: Schießen-Schwimmen-Fechten-Reiten-Laufen (vgl. Kap. 4.3.2).
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mehrere Waffen im Fechten, zumindest den Degen und den Säbel, zur Auswahl vorzugeben (vgl. Kap. 4.4.1). In diesem Zusammenhang durfte natürlich auch Kritik an dem schon zuvor so hitzig diskutierten Reglement für das Reiten des Modernen Fünfkampfs nicht fehlen.1192 Neben der Forderung, Pferde zukünftig für alle Teilnehmer bereitzustellen, sah er die Gastgeber automatisch durch ihre Geländekenntnis im Vorteil. Dabei beschuldigte er die Organisatoren nicht, absichtlich gemogelt zu haben, sondern gab zu bedenken, dass es in Stadtnähe ohnehin nur einen begrenzten ländlichen Raum gebe, der ihn Frage komme und der daher mehrheitlich den heimischen Athleten bekannt sei. Während er dafür keine Lösung anbot, sah er die anderen Punkte dann behoben, wenn die Hindernisse erst im letzten Moment kenntlich gemacht würden und die Pferde zugelost.1193 Zudem sei die Wertung im Reiten unnötig kompliziert (vgl. Kap. 4.4.2), so wie die gesamte Punktzählung nach Platzziffern eigentlich ungerecht sei, weil die Teilnehmerzahl von Disziplin zu Disziplin variiert hätte. In der letzten Disziplin, in der am wenigsten Athleten antraten, schwach abzuschneiden, wirkte sich demnach weniger negativ auf die Gesamtplatzierung aus, als direkt im ersten Event einen hinteren Platz zu belegen.1194 Zu einigen der genannten Kritikpunkte äußerten sich die Veranstalter im Nachhinein. Dass der im Reglement festgehaltene unbekannte Parkour den heimischen Schweden letztlich doch vertraut war, ließen sie dagegen unkommentiert. Die von Coubertin angeführten Kritikpunkte wurden teils in ähnlichem Wortlaut im offiziellen olympischen Bericht abgedruckt und somit öffentlich gemacht. Es ist zu vermuten, dass der Redakteur Bergvall sich mit dem IOC-Präsidenten Coubertin über den Inhalt ausgetauscht hatte. Zudem bezog Bergvall offensichtlich an anderer Stelle die Ergebnisse der IOC-Sitzungsprotokolle mit ein.1195 Da weder Balck noch ein anderes SOK-Mitglied konkret Stellung bezog, begnügte sich Coubertin mit dem im Report abgedruckten Teilzugeständnis. Einige in seinen Augen sub-optimale Lösungen nahm er 1912 auch in der Hoffnung hin, dass sich diese zukünftig in seinem Sinne anpassen würden. So lobte er beispielsweise grundsätzlich den Einsatz von Rosens und sein Geschick, Anhänger auf Regierungs- und Armeeseite für die neu eingeführten Reitdisziplinen zu werben, auch wenn dies den »ersten ›Reiterspielen‹« gleichzeitig einen »militärischen Charakter gegeben« habe. Nach Coubertins Meinung ließ sich dies allerdings »zumindest für den Anfang nicht vermeiden«.1196 Obwohl die 1192 1193 1194 1195
Ebd., S. 152 f. Ebd., S. 153. Ebd. »Modern Pentathlon. Preparatory Work of the Committee«. In Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 640 – 644. 1196 Coubertin (1931b). M¦moires olympiques. Übersetzt in Carl-Diem-Institut, 1996, S. 116.
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Verbindung des Modernen Fünfkampfs zum Militärischen ebenso offensichtlich war (vgl. z. B. Daniels, 2000, S. 15; Kap. 1.3, 5.2.1), wollte er unterbinden, dass dieser nach 1912 auch zukünftig ausschließlich Offizieren vorbehalten bliebe. Sigfrid Edström bestätigte ihm in diesem Zusammenhang, dass der Moderne Fünfkampf 1912 nicht als Offiziersfünfkampf konzipiert gewesen sei: »At Stockholm we arranged the Modern Pentathlon so, that it gave the same chances to any gentleman, whether he was a military man or not.«1197 Während sich die übrigen IOC-Mitglieder mit Kritik allgemein zurückhielten, veranlasste insbesondere die Militarisierung der Disziplinen Gyula von Muzsa (1862 – 1946), Präsident des ungarischen olympischen Komitees und IOC-Mitglied seit 1909, dazu, die olympischen Sportarten einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Zunächst hielt er sich an der Wortwahl »Duellschießen« fest. Diese sei aus dem Regelwerk der Schießwettbewerbe, und dazu zählte ja auch der Moderne Fünfkampf, »endgültig zu streichen«. Seine Begründung war klar und deutlich: »[…] es ist ein antihumaner Sportzweig, der absolut keinen Vorteil für den sich damit Befassenden bringt und dem humanen und erhabenen Geist der Olympischen Spiele, widerspricht.«1198
Zum Modernen Fünfkampf selbst hatte sich Muzsa zusammen mit seinem NOK ebenfalls eine eindeutige Meinung gebildet: »Die Zusammenstellung ist einfach absurd. Diese Auffassung ist so allgemein, dass wir derselben nicht nähertreten.«1199 Warum er sich vorab in den IOC-Sessionen nicht kritisch geäußert hatte, ist mit dieser pauschalen Ablehnung allerdings nicht erklärt. Es ist nicht bekannt, dass Muzsa auf seinen Brief eine konkrete Antwort erhielt, doch war es auch in Coubertins Sinn, den Modernen Fünfkampf nicht zu einer Wehrmachtübung verkommen zu lassen. Vor dem Hintergrund der kommenden Kriegsjahre scheint es möglich, dass sich der Moderne Fünfkampf weiter veränderte und er in seiner ursprünglichen Form gänzlich zum Erliegen kam. Für Coubertin stand dies außer Frage. Er war von der Langlebigkeit und dem Erfolg seiner Idee überzeugt, weil diese nicht nur auf schwedische, sondern auf »universelle Unterstützung« treffe.1200 Daher zweifelte er nicht eine Sekunde daran, dass dies erst der Beginn sei: 1197 Brief von Edström an Coubertin. 20. Mai 1914. SD1: Correspondance, 1914 – 1929. Correspondance de l’Union Internationale du Pentathlon Moderne (UIPM), 1914 – 1948, Code: CIO FI-PENTA-UIPM-CORR, ID: 45363. IOC Archiv Lausanne. 1198 »Schießen«. Brief von Gyula von Muzsa an Coubertin [Original in deutscher Sprache]. 17. Dezember 1912. SD5: Correspondance g¦n¦ral Coubertin, sept.-d¦c. 1912. Correspondance g¦n¦ral des Jeux Olympiques d’¦t¦ de Stockholm 1912 (envoy¦e Coubertin), 1909 – 1924, Code: CIO JO-1912 S-CORR, ID: 46579. IOC Archiv Lausanne. 1199 »Moderner Pentathlon«. In Ebd. 1200 [Coubertin] (1912j). Les d¦buts du Pentathlon moderne, S. 151.
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»Il faut s’attendre voir des ›Pentathlon moderne‹ natre de tous cút¦s comme les ›Marathon‹; avec cette diff¦rence que l’organisation en est plus d¦licate et plus coteuse…. mais aussi le r¦sultat plus int¦ressant et plus probant.«1201
Außenstehende Beobachter zeigten sich in Bezug auf die Zukunftsaussichten des Modernen Fünfkampfs weitaus kritischer.
5.3.2 Geschätzt, geduldet, abgelehnt: die Kritik der nationalen und internationalen Beobachter Neben den Initiatoren selbst nahmen auch Autoren und Journalisten das Debüt des Modernen Fünfkampfs zum Anlass für kritische Stellungnahmen: »In consequence of the special character of this competition, it was watched with very great interest both at home and abroad.«1202 In der zeitgenössischen Presse und Literatur nahmen verschiedene Personen zu der olympischen Neuerung konkret Stellung. Deren Einschätzungen spiegeln in ihrer Gesamtheit wider, wie der Moderne Fünfkampf in unterschiedlichen Ländern aufgenommen wurde. Während der Olympischen Spiele berichteten die schwedischen Journalisten regelmäßig über die Ergebnisse der Sportwettkämpfe, darunter auch der Moderne Fünfkampf. Schon früh stilisierten sie dabei den Modernen Fünfkämpfer als idealen »Allround-Mann«.1203 Das gesellschaftliche Interesse an Vielseitigkeitsübungen war groß, was sich im olympischen Programm und ebenso in der medialen Wertschätzung widerspiegelte. Außer der Tatsache, dass Stockholm Gastgeber war, trugen zwei weitere Gründe zu dem hohen nationalen Presseaufkommen bei: Auf der einen Seite rief die Vorstellung eines neuen, ungewöhnlich anmutenden Mehrkampfs Neugierde und Aufklärungsbedarf hervor ; auf der anderen Seite rechneten sich die Schweden, die zahlreich daran teilnahmen, große Medaillenchancen in dieser Sportart aus (vgl. Kap. 5.1.2). In den Mehrkämpfen gut abzuschneiden wurde im Heimatland der Lingschen Gymnastik (vgl. Kap. 3.1.1) ohnehin als Pflicht angesehen.1204 Die Zuversicht hatte sich in Bezug auf den Modernen Fünfkampf auch im Laufe der guten Vorbereitung entwickelt, die Schweden dazu befähigte, seine besten Offiziere antreten zu lassen. Die hohen Zuschauerzahlen und die tägliche Berichterstattung an allen sechs Wettkampftagen besiegelte eine große Akzeptanz des Mo1201 Ebd., S. 154. Übersetzung: »Wir sollten damit rechnen, ›moderne Fünfkämpfe‹ überall wie ›Marathons‹ sprießen zu sehen. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass das Ausführen eines modernen Fünfkampfs schwieriger und teurer ist… aber das Ergebnis noch interessanter und eindrucksvoller.« 1202 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 646. 1203 Vgl. z. B. [o. A.] (1912c). [o. T.]. Stockholms Dagblad, 9. April. 1204 [o. A.] (1912 m). Fem- och tiokamp [Fünf- und Zehnkampf].
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dernen Fünfkampfs innerhalb der schwedischen Bevölkerung. Von Disziplin zu Disziplin stiegen die Siegesaussichten und damit gleichzeitig der nationale Druck.1205 Man kann sich ausmalen, wie die schwedische Presse den Wettkampf zerrissen hätte, wenn ihre Landsmänner nicht vorn gelegen hätten. Da dies bekanntermaßen nicht der Fall war, gab es Gelegenheit, die nationalen Siege zu feiern und Schweden als Meister des Modernen Fünfkampfs darzustellen: Als nach dem abschließenden Geländelauf endgültig feststand, dass alle drei Medaillen an schwedische Offiziere gingen, waren die Zuschauer vor Begeisterung nicht mehr zu halten. Stockholms Dagblad versuchte, was geschah in Worte zu fassen: »Es war einer der beliebtesten festlichen Momente während dieser an Sensationen so reichen Stadionwoche.«1206 Die Freude über den dreifachen schwedischen Sieg im Modernen Fünfkampf war grenzenlos. Dabei galt der Jubel »den Schweden, den Siegern und den schwedischen Offizieren«,1207 was deutlich macht, dass gefühlt nicht nur ein sportlicher, sondern auch ein militärischer Sieg errungen wurde. Wenn überhaupt, dann hätte sich ein ziviles Moment am ehesten im Schwimmwettbewerb gezeigt.1208 Doch im Gegensatz zum anderen Pentathlon habe der Moderne Fünfkampf einen »ausschließlich militärischen Charakter«, so dass es zukünftig auch ein interessanter Wettkampf für das schwedische Militärsportprogramm sei. Dies unterstreicht, dass der Moderne Fünfkampf offensichtlich bislang noch nicht Teil des militärischen Ausbildungsprogramms in Schweden war.1209 Andererseits schnitten die Schweden nicht nur im Modernen Fünfkampf, sondern auch im Zehnkampf gut ab, was als Resultat der allgemein hohen Vielseitigkeit der schwedischen Sportsmänner empfunden wurde.1210 Alle drei olympischen Mehrkämpfe hätten gemeinsam, dass sie auf einer »ausgewogenen, harmonischen Körperentwicklung« beruhten.1211 Diese stand wiederum in der Tradition eines national breiten Ausbildungsprogramms, in dem keine frühe sportliche Spezialisierung vorherrschte (vgl. Kap. 3.1). Die Einführung von gleich drei neuen olympischen Mehrkämpfen konfrontierte die Schweden al1205 Vgl. z. B. [o. A.] (1912u). Moderna femkampen. Svenskarnas utsikter till seger stiga [Der Moderne Fünfkampf. Die Siegchancen der Schweden]. 1206 [o. A.] (1912aa). Modern femkamp. Sverige tar alla tre prisen [Moderner Fünfkampf. Schweden gewinnt alle drei Preise]. 1207 Ebd. 1208 Hugh, 1912. 1209 Modern femkamp tar sin början [Moderner Fünfkampf beginnt]. Stockholms Dagblad. 7. Juli. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm. 1210 Läftman (1912a). Fem- och Tiokamp, Modern Femkamp, S. 332. 1211 Modern femkamp tar sin början [Moderner Fünfkampf beginnt]. Stockholms Dagblad. 7. Juli. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
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lerdings auch mit Kritik: »Man hat dies hier und da im Ausland so ausgelegt, als ob wir Schweden hierdurch für unsere Landsleute hätten besondere Erfolge erzielen wollen.«1212 Die Angeklagten verwunderte dies, insbesondere weil die nationalen Leistungen im leichtathletischen Pentathlon, das ebenfalls mit hohen Erwartungen behaftet war, enttäuschend ausgefallen waren. Die Suche nach Gründen setzten die Schweden weniger bei einer vermeintlich stärkeren Konkurrenz als bei Indizien für das punktuelle Versagen der Schweden an. Ihre Nervosität und eine zu große Allseitigkeit hätten ihnen im Weg gestanden.1213 Die Silbermedaille im Zehnkampf stellte die Verhältnisse aus schwedischer Sicht wieder klar : »Gestaltet sich demnach der Fünfkampf zu einer Niederlage für Schwedens allround-männer [sic!], so wurde hingegen der Zehnkampf, praktisch angesehen, ein um so schönerer Sieg.«1214 Im Dekathlon komme den vielseitigen Talenten die gerechte Aufmerksamkeit zu, weil dort Punktetabellen und nicht ausschließlich die Platzierungen in den Einzeldisziplinen entscheidend seien. Wenngleich dies nicht explizit ausgedrückt wurde, so verbarg sich dahinter auch eine Kritik am vergleichsweise ungerechten Wertungssystem der beiden Fünfkämpfe. Dass der Zehnkampf aufgrund der hohen Teilnehmerzahl letztlich an drei statt wie ursprünglich geplant an zwei Tagen stattfand, komme dabei noch eher der schwedischen Idee entgegen. Schließlich strebten die Schweden »keine Kombinationsprobe von Ausdauer und allseitiger Entwicklung« an.1215 Dies erklärt gleichzeitig, warum das SOK Coubertins Wunsch, alle fünf Disziplinen des Modernen Fünfkampfs in direkter Folge zu organisieren (vgl. Kap. 5.3.1), nicht nachkam. Die schwedische Berichterstattung konzentrierte sich zusammengefasst auf das erfolgreiche Abschneiden der nationalen Athleten. Zu letzteren zählten auch die schwedischen Modernen Fünfkämpfer, die durchweg positiv wegkamen. Ein Blick ins Nachbarland Dänemark bestärkte die Schweden in ihrem Nationalstolz. Dort seien die schwedischen Siege von Stockholm in aller Munde: »›Die Schweden sind phänomenal‹, ist ein geläufiger Ausdruck.«1216 Dies wiederum deutet daraufhin, dass es nicht nur Nationalstolz war, der zu solch enthusiastischen Einschätzungen des Modernen-Fünfkampf-Debüts verleitete. Neben der nationalen Presse waren auch 260 ausländische Journalisten aus der ganzen Welt
1212 1213 1214 1215 1216
Läftman (1912a). Fem- och Tiokamp, Modern Femkamp, S. 334. Ebd., S. 335 f. Ebd., S. 336. Ebd. [o. A.] [Malmökorrespondent] (1912cc). Var tredubbla femkampsseger. Stor entusiasm i Skane. Allmänna smatalsämnet även i Köbenhavn [Dreifacher Fünfkampfsieg. Große Begeisterung in Skne. Allgemeines Gesprächsthema auch in Kopenhagen].
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angereist, um von den Olympischen Spielen in Stockholm zu berichten.1217 Zum neuen Modernen Fünfkampf nahmen diese selbstverständlich auch Stellung und betrachteten ihn mit der notwendigen kritischen Distanz. Seit Mai 1912 standen die Olympischen Spiele von Stockholm im Scheinwerferlicht der französischen Presse. Mit der Idee einer vollkommenen Athletik vertraut (vgl. Kap. 2.1.3) hatten die Franzosen wenig Schwierigkeiten damit, ein wohlbekanntes Konzept auf einen olympischen Mehrkampf zu übertragen. Der Wettkampfverlauf gab der französischen Bevölkerung, was sie schätzte: »ein wahres Kriterium der Männlichkeit und perfekten Athletik« (Delaplace, 2005, S. 153). Da die französischen Sportsmänner weniger erfolgreich abschnitten als vergleichsweise die Schweden, berichtete die nationale Presse allgemein seltener über die Ereignisse. Wenn sie es doch tat, drehten sich die Inhalte um herausgepickte Höhepunkte aus nationaler Sicht oder um Erklärungsversuche für das jeweilige Versagen der Landsmänner.1218 Die dort gesammelten Negativerfahrungen blieben noch lange im Gedächtnis: Sieben Jahre später waren die Erinnerungen bei G¦o Andr¦ (1889 – 1943), der 1912 in unterschiedlichen Leichtathletikdisziplinen angetreten war, noch lebendig: »La France ne voulait point d¦filer ; rien n’¦tait prÞt, pas mÞme un drapeau aux trois couleurs. Pour ¦viter un incident diplomatique, nous fmes oblig¦s de nous ex¦cuter […]. Ce fut une humiliation qui pr¦c¦dera de deux ans celle de la Grande Guerre […]. Elle ne profita point. L’indiff¦rence de nos corps ¦lus pour les questions de sport fut si scandaleuse que nos ennemis eurent beau jeu pour rester convaincus de l’id¦e de notre d¦cadence.«1219
Die beiden französischen Modernen Fünfkämpfer bestätigten die schwachen Leistungen des übrigen Olympiakaders, so dass sich auch zu diesem Thema nur wenige Artikel finden lassen. Während L’Illustration und La Vie au Grand Air keine einzige Zeile zwischen Juni und September 1912 über den Modernen Fünfkampf abdruckten, informierte L’Auto immerhin in zwei kurzen Artikeln über die Ergebnisse. Darüber hinaus veröffentlichte der französische Journalist Paul Champ einen längeren Text in L’Auto, und schlussfolgerte darin, dass der Moderne Fünfkampf es durchaus verdiene, erwähnt zu werden.1220 Er schlug 1217 Bergvall/Swedish Olympic Committee, 1913, S. 10. 1218 z. B. [o. A.] (1912z). Les Jeux Olympiques de Stockholm; LÀfevre, 1912. 1219 Andr¦, 1919. Zitiert in Terret, 2003, S. 109. Übersetzung: »Frankreich wollte nicht paradieren; nichts war fertig, nicht einmal die Trikolore. Um einen diplomatischen Zwischenfall zu vermeiden, waren wir gezwungen, weiterzumachen […]. Es war eine Demütigung, die dem Ersten Weltkrieg zwei Jahre vorausging […]. Es kam uns nicht zugute. Die Gleichgültigkeit unserer gewählten Organe in Angelegenheiten des Sports war so ungeheuerlich, dass es unseren Feinden leicht fiel, von der Idee unseres Niedergangs überzeugt zu bleiben.« 1220 Champ, 1912.
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zudem vor, dass französische Soldaten die Sportart zukünftig regelmäßig praktizieren sollten, was gleichzeitig dafür spricht, dass dies bislang noch nicht der Fall war : »Le Pentathlon Moderne est une ¦preuve que tous les lieutenants de l’arm¦e franÅaise, sans tenir compte de l’arme laquelle ils appartiennent [cavalerie, artillerie], devraient obligatoirement Þtre tenus d’effectuer une fois tous les ans […].«1221
Der Wettkampfverlauf und die Platzierung der übrigen Nationen interessierten kaum, obwohl es doch ihr Landsmann Coubertin war, der sich für die Einführung der Sportart im IOC stark gemacht hatte (vgl. Kap. 4.3, 4.4). Doch zu den Helden der fünften Olympischen Spiele zählten für Frankreich nicht die Modernen Fünfkampfer, sondern vielmehr ihr Nationalheld Jean Bouin (1888 – 1914), der Silber über 5000 Meter errang, oder der vielseitige James Thorpe: »Le plus grands athlÀtes du monde.«1222 Immerhin brachten Mas Latrie und Brul¦ den Modernen Fünfkampf zuende, während der einzige deutsche Teilnehmer, Pauen, schon nach der ersten Disziplin aufgab (vgl. Kap. 5.2.2). Als die Deutsche Turnzeitung die Leistungen der drei schwedischen Medaillengewinner Jahre später analysierte, lag für sie der Schlüssel zum Erfolg auf der Hand: ein gezieltes Training in allen fünf Sportarten.1223 Dieses war Pauen und seinem Landsmann von Scharfenberg, der bereits vor Beginn der Spiele seine Anmeldung zurückgezogen hatte, offensichtlich in der Vorbereitung auf Stockholm 1912 nicht zugekommen. Dass auch die französischen Nachbarn schon vorweg ihre Siegchancen leichtfertig aus der Hand gegeben hätten, stellte einen gewissen Trost dar.1224 Die Tatsache, dass die Deutschen im Modernen Fünfkampf nicht gut abschnitten, führte allerdings nicht wie in Frankreich zu einer Ignoranz der Thematik; im Gegenteil, die Suche nach Gründen für das gute Abschneiden der Schweden und die Möglichkeiten, zukünftig anzuschließen, dominierten die Schlagzeilen und olympischen Berichte. Die Berichterstattung über die Olympischen Spiele in Stockholm fiel dennoch in Deutschland insgesamt positiv aus, vor allem die wachsende Teilnehmerzahl und die große Sorgfalt der Organisatoren wurden hervorgehoben.1225 Statt sich auf Sportarten zu konzentrieren, in denen Deutsche 1912 erfolgreicher waren, suchten die zeitgenössischen natio1221 Ebd. Übersetzung: »Der Moderne Fünfkampf ist eine Disziplin, die alle Leutnants der französischen Armee, unabhängig von der Waffengattung, der sie angehören [Kavallerie, Artillerie etc.], gezwungen sein sollten, einmal pro Jahr durchzuführen […].« 1222 L’Acad¦mie des Sports & Comit¦ National des Sports, 1924, S. 338 f. Übersetzung: »der größte Athlet der Welt«. 1223 [o. A.] (1920b). Nachrichten und Vermischtes: Vom Modernen Fünfkampf, S. 191. 1224 So hätten die Franzosen beispielsweise einen ihrer besten Fechttrainer an die Schweden ausgeliefert (Gasch, 1913, S. 180). 1225 Diem (1912b). Die Olympischen Spiele in Stockholm, S. 1042.
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nalen Berichterstatter also nach Erklärungen und konstruktiven Anweisungen für das zukünftige nationale Training im Modernen Fünfkampf. Vermutlich lag hinter der detaillierten Analyse auch der Ehrgeiz, beim nächsten sportlichen Zusammentreffen, das 1916 in Berlin stattfinden sollte, besser abzuschneiden (vgl. Kap. 6.1). Julius Wagner (1882 – 1952), der einen deutschen Bericht über die Olympischen Spiele 1912 verfasste, maß der neuen Sportart allgemein hohe Bedeutung bei und war davon überzeugt, dass Coubertin »Wiederwecker der ›Olympischen Spiele‹ und Schöpfer des ›Modernen Fünfkampfes‹« war.1226 Das »›Moderne Pentathlon‹« wolle man im olympischen Programm »am wenigsten missen«.1227 Denn jenen Sportlern, die bislang nur einzelne Disziplinen auf nationaler Ebene praktizierten, erlaube es, vielseitiger und internationaler zu werden. Die soziale Grundidee des neuen olympischen Vielseitigkeitstests fand er überzeugend: »Da die Voraussetzungen der einzelnen Übungen zum Teil stark voneinander abweichen, scheint uns der ›Moderne Fünfkampf‹ ganz besonders geeignet, jene Gesellschaftsschichten einzelnen Sportzweigen zu gewinnen, denen sie sonst fern blieben.«1228
Bislang beschränke sich die soziale Wirkung des Modernen Fünfkampfs allerdings darauf, höhere Gesellschaftsschichten, vor allem Offiziere, zum Betreiben unterschiedlicher Sportarten zu aktivieren, was für sich allein schon wertvoll sei. Anlass zu Kritik gebe es aber dennoch: »Der ›Moderne Fünfkampf‹ hat bei dem erstmaligen Austrag in Stockholm in mancher Hinsicht die gehegten Erwartungen nicht erfüllt.«1229 Dies liege vor allem an der organisatorisch unglücklichen Überschneidung mit dem Zeitplan der olympischen Leichtathletikwettbewerbe. Zudem sei in einigen Ländern, die Nachricht über die Einführung einer neuen Sportart schlichtweg nicht angekommen.1230 Trotz dieser anfänglichen Makel wurde der Moderne Fünfkampf als Krönung unter den neuen olympischen Mehrkämpfen interpretiert: »So übernahm man aus dem alten Hellas den klassischen Fünfkampf, vom modernen Amerika den leichtathletischen Allaround-Zehnkampf und suchte endlich im ›Modernen Fünfkampf‹, der als ständige Einrichtung aller zukünftigen Olympiaden gedacht ist, eine Konkurrenz zu schaffen, in der nur derjenige erfolgreich sein kann, der den körperlichen Anforderungen unserer Zeit restlos gewachsen ist. War im alten Hellas der Sieg im klassischen Pentathlon das Ziel, das jedem sportgewandten Jüngling
1226 1227 1228 1229 1230
Wagner, 1912, S. 85. Ebd., S. 84. Ebd. Ebd. Ebd.
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vorschwebte, so soll mit dem modernen Pentathlon ein neuzeitliches Mannesideal geschaffen werden.«1231
Diese d¦brouillardsche Siegesformel – »wer im Modernen Fünfkampf siegen will, muß den körperlichen Anforderungen unserer Zeit genügen können«1232 – breitete sich aus (vgl. Kap. 2.1.2). Das ebenfalls neue leichtathletische Pentathlon wurde vergleichsweise kritischer beäugt. Der Ersatz des Ringkampfs durch einen 1500-Meter-Lauf verändere den Charakter wesentlich. Der Laufsport stünde nun im Vordergrund, wohingegen »ein Mann mit etwas Körperschwere« fast chancenlos sei.1233 Statt den Charakter und die Zusammensetzung des Modernen Fünfkampfs, die auf Anhieb mindestens ebenso ungewöhnlich anmuteten, grundlegend anzuzweifeln, sahen die deutschen Berichterstatter, das Ziel vielmehr darin, diesem neuen sportlichen Ideal und »den Bedingungen dieses Kampfes« gerecht zu werden.1234 Selbstkritisch nahm der spätere Sportfunktionär Carl Diem die deutsche Auswahl unter die Lupe und richtete einen hoffnungsvollen Blick gen Zukunft: »Unsere beiden deutschen Vertreter stellten gewiß nicht das Beste dar, was wir für diese eigenartige moderne Kraftprobe aufzubieten hätten. Nicht mehr lange, und wir werden ebenso wie andere Länder in den modernen Fünfkampf, der eine Art Kavaliersport repräsentieren soll, mit dem edlen Blute unsere gewiß nicht schwächlichen Nation ein gewichtigeres Wort mitsprechen.«1235
Offensichtlich hatte er sich allerdings nicht so eingehend mit dem Verlauf des Modernen Fünfkampfs 1912 beschäftigt, weil ihm gar nicht aufgefallen war, dass mit von Scharfenberg einer der beiden deutschen Athleten erst gar nicht angetreten war.1236 Die Aufmerksamkeit richtete sich vielmehr auf die Sieger, wobei die schwedische Überlegenheit im Modernen Fünfkampf im Hinblick auf das dort vorherrschende vielseitige Leibesübungskonzept wenig überraschte.1237 Die »vielseitige sportliche Bildung und hervorragende Kampfesenergie der Nordländer« sei bewundernswert.1238 Aus deutscher Sicht mutete deren Organisation des Sportbetriebs zwar ebenso »eigenartig« wie die Zusammenstellung des Mo1231 1232 1233 1234 1235
Diem (1912a) [1990]. Album der Olympischen Spiele 1912, S. 44. Wagner, 1912, S. 85. Ebd., S. 48. Diem (1912a) [1990]. Album der Olympischen Spiele 1912, S. 44. »Moderner Fünfkampf. Wanderpreis des Baron Coubertin«. In Diem (1912a) [1990]. Album der Olympischen Spiele 1912, S. 156. 1236 Diem schrieb allgemein, dass beide »schon nach den ersten Übungen« aufgegeben hätten. Ebd. 1237 Wagner, 1912, S. 6; Diem (1912a) [1990]. Album der Olympischen Spiele 1912, S. 44. 1238 Diem (1912a) [1990]. Album der Olympischen Spiele 1912, S. 44.
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dernen Fünfkampfs an, doch galt die jährliche Vergabe von Medaillen für Minimalleistungen in unterschiedlichen Sportdisziplinen beispielsweise als eine Einrichtung, die den schwedischen Mehrkampfleistungen allgemein zugutekam (vgl. Kap. 3.1.3).1239 Bei der Untersuchung der Ergebnistabelle des Modernen Fünfkampfs von 1912 fiel entsprechend auf, dass es nur dem späteren Gesamtsieger Lilliehöök gelungen war, in allen fünf Disziplinen unter den ersten zehn zu bleiben. Dies gab wiederum Anlass für Spekulationen: »Es scheint beinahe, daß den ersten und zweiten Plätzen in irgendeiner Konkurrenz mit Naturnotwendigkeit ein größerer Ausfall in einer anderen gegenübersteht. Das läßt sich natürlich beim modernen Fünfkampf, wo die Voraussetzungen der einzelnen Uebungen oftmals direkt entgegengesetzte sind, noch in höherem Maße beobachten, als bei einem Mehrkampf, dessen Konkurrenzen immerhin nur aus einem Sportzweig genommen sind. Ein wirklich hochklassiger Schwimmer muß beispielsweise über bestimmte physische Anlagen verfügen, die ihn zum Geländelauf weniger tauglich machen und umgekehrt.«1240
Neben der vielseitigen sportlichen Basis und ihrem auf der Geländekenntnis beruhenden Heimvorteil wurde hinter dem überlegenden Sieg der Schweden auch die national enge Verbindung zur militärischen Ausbildung gesehen.1241 Diese wurde als Vorbild verstanden und stellte aus Sicht des deutschen Militärwesens kein unüberwindbares Hindernis dar. Der Moderne Fünfkampf fordere »keineswegs Unmögliches« und sporne »daher zu regem Wetteifer in den fünf einzelnen Sportzweigen« an, »die wie kein anderer sportlicher Wettbewerb auf die Verhältnisse des Offiziersberufs zugeschnitten« seien.1242 Die österreichische Presse entschied sich insofern wenig von dem deutschen Meinungsbild, dass die Spiele selbst in den Himmel gelobt und die Erfolge des Ausrichterlands mehrheitlich auf ein intaktes schwedisches Sportsystem zurückgeführt wurden. Auch die Verbindung von sportlichem Erfolg und nationaler Stärke war typisch: »Schwedens Sportsmänner […] dokumentierten sich nun vor aller Welt als die tüchtigste kontinentale Sportrasse, sie sind die Amerikaner Europas geworden.«1243 Zu Missmut führten lediglich einige mutmaßliche Fehlentscheidungen der schwedischen Schiedsrichter, die jedoch – so räumten die österreichischen Journalisten ein – bei Veranstaltungen dieser Größenordnung nicht gänzlich auszumerzen seien. Da die nationalen Siegeserwartungen der Österreicher, die sich selbst als bislang wenig sporterfahren bezeichneten, schon vorab nicht allzu hoch waren, war auch die Enttäuschung 1239 1240 1241 1242 1243
Ebd. Ebd. Ebd. Müller-Kranefeldt, 1913, S. 173. [o. A.] (1912dd). Vorbereitungen für die Olympischen Spiele 1916, S. 13.
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hinterher nicht allzu groß. In einigen Sportarten war es gar zu Überraschungserfolgen gekommen: »Die Plätze, die im Radfahren, Schwimmen, Rudern, Schießen und besonders im modernen Fünfkampf, im Zehnkampf, Diskuswerfen, Ringen und Fußball erzielt wurden, muß der größte heimische Sportnörgler als gut bezeichnen.«1244
Edmund Bernhardts achter Platz im Modernen Fünfkampf fand also besondere Wertschätzung. Für sein enttäuschendes Reitergebnis hatte der österreichische Journalist Victor Silberer (1846 – 1924) eine plausible Erklärung parat: »Bernhardt, der alle Hindernisse ohne Strafpunkte nahm, verfehlte zweimal die Strecke, die ein wenig mangelhaft ausgesteckt war. Er war zwar schon vorher an das Präsidium unserer Expedition herangetreten, das schwedische Komitee um eine bessere Aussteckung der Strecke zu bitten, fand aber dabei keine Unterstützung.«1245
Da diese Kritik von anderen Nationen nicht angebracht wurde, könnte es sich ebenso um eine Ausrede handeln. Anderseits hätte ein ungenaues Abstecken der Strecke den ortskundigen Schweden mit Sicherheit am wenigsten Schwierigkeiten bereitet. Auch im Geländelauf, der »trotz der heißen Mittagsstunde mehr als 20.000 Zuschauer im Stadion« anzog und den »Mittelpunkt des Interesses« bildete, fand Silberer Anlass, das Verhalten der Schweden zu kritisieren: Während »fremden Läufern jede Führung abgewiesen wurde«, seien »die Schweden jedoch schon knapp nach dem Verlassen des Stadions geführt wurden«.1246 Die Qualität von Bernhardts Leihpferd sowie die allgemeine Zusammensetzung des Modernen Fünfkampfs blieben dagegen unkritisiert. Wie Deutschland so hielt sich auch Österreich nicht lange damit auf, über die vergangenen Wettkämpfe zu grämen, sondern blickte schon gespannt auf die kommenden Olympischen Spiele. Aus Stockholm sollten Lehren gezogen werden, um sich im internationalen Ranking zukünftig noch besser zu stellen.1247 Denn sportliche Niederlagen wogen zu jener Zeit schwer, weil sie gleichzeitig als nationale Schwäche empfunden wurden. Die britische Times war sich daher bewusst, dass die allgemein schlechten Resultate der Briten in Stockholm in anderen Ländern als »Beweis für Englands Niedergang« interpretiert wurden.1248 Da es außer Clilverds erstem Platz im Schwimmen1249 wenig Hervorragendes 1244 1245 1246 1247 1248 1249
Ebd. Silberer (1912b). Aus Stockholm, S. 971. Ebd., S. 972. [o. A.] (1912dd). Vorbereitungen für die Olympischen Spiele 1916, S. 13. [o. A.] (1913c). Editorial. Zitiert in Krüger (A.), 1993, S. 93. British Olympic Council (1912). Official Report of the Olympic Games of 1912 in Stockholm. London. 18. September, S. 12. SD1: Rapport du CNO anglais sur les Jeux, 1912. Rapports des CNO au sujet des Jeux Olympiques de Stockholm 1912, 1911 – 12, Code: CIO JO-1912 S-CNO, ID: 46567. IOC Archiv Lausanne.
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vom Modernen Fünfkampf zu vermelden gab, beschränkten sich die Artikel der Times häufig auf die neutrale Darstellung der Wettkampfregeln und -ergebnisse.1250 Der Bericht des British Olympic Council nahm dagegen auf das ernüchternde Ergebnis der britischen Modernen Fünfkämpfer – einer gab vorzeitig auf, die beiden anderen belegten Platz 9 bzw. 13 – konkret Bezug. Er führte das Resultat nicht etwa selbstkritisch auf die eigenen Leistungen und Fähigkeiten zurück, sondern vorrangig auf das unfaire Zuweisen der Leihpferde.1251 Die Suche nach Ausreden beschwichtigte die Gemüter und bewies gleichzeitig, dass Erfolg im Modernen Fünfkampf allgemein als wichtig erachtet wurde. Die Briten wollten die Schmach vermeiden, als Volk, das keine geeigneten Allroundsportler vorzuweisen hatte, abgestempelt zu werden. Während im deutschen Bericht Coubertin eindeutig als Schöpfer des Modernen Fünfkampfs feststand, drückte sich der British Olympic Council in dieser Frage zögerlicher aus: »This was a new competition for which Baron Pierre de Coubertin (the founder of the modern Olympic movement) presented a challenge cup.«1252 Die britischen Sportfunktionäre zeigten sich also vergleichsweise distanzierter von Coubertin und seiner IOC-Politik als Deutschland, das als Ausrichter der kommenden Olympischen Spiele vielmehr um Coubertins Gunst werben musste. Dies ermöglichte den Briten ebenso wie den US-Amerikanern eigentlich eine objektivere Bewertung der Ereignisse. Doch vom eigenen Nationalismus angetrieben drehte sich die Berichterstattung auch in den USA typischerweise um den Erfolg der eigenen Athleten und die Schmach anderer Nationen, insbesondere des früheren Erzrivalen Großbritannien. Obwohl Patton der einzige nordamerikanische Moderne Fünfkämpfer war, veröffentlichte die US-Presse einige thematisch einschlägige Artikel. Mehrheitlich drehten sich diese um ihren Protagonisten: Schnitt er gut ab, lag dies laut Presse maßgeblich an den guten Trainingsvorbereitungen in West Point;1253 erfüllte er die Erwartungen nicht, so verloren die Journalisten nur wenige Worte darüber. Wenn Patton nicht gleich in der ersten Disziplin versagt hätte, hatten ihm seine Landsmänner sogar den Sieg zugetraut:
1250 Vgl. z. B. [o. A.] (1912b). The Olympic Games. The Modern Pentathlon; [o. A.] [from a special correspondent] (1912 r). The Olympic Games. The Stadium Sports. 1251 British Olympic Council (1912). Official Report of the Olympic Games of 1912 in Stockholm. London. 18. September, S. 12. SD1: Rapport du CNO anglais sur les Jeux, 1912. Rapports des CNO au sujet des Jeux Olympiques de Stockholm 1912, 1911 – 12, Code: CIO JO-1912 S-CNO, ID: 46567. IOC Archiv Lausanne. 1252 »Modern Pentathlon«. In Ebd. 1253 [o. A.] (1912x). American Lead Is Increased, S. 2.
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»If he had shown the same form in shooting as in the rest of the events, he might have won, but, curiously enough, although shooting was thought to be his strongest card, he fell down badly in that competition.«1254
Während in späteren biographischen Texten über Patton häufig über die Qualität der Jurorenleistung im Schießen debattiert wird (vgl. Kap. 5.2.2), führte die US-amerikanischen Presse diesen Punkt nur vereinzelt an.1255 Oberst Robert Means Thompson (1849 – 1930), der damalige Präsident des amerikanischen olympischen Komitees, hakte das Geschehene als nützliche Erfahrung ab. Zukünftig resultiere dies »zweifellos im Gebrauch frischer Zielscheiben für jeden einzelnen Schuss«, um eben zu vermeiden, dass ein zweiter Schuss das gleiche Einschussloch träfe wie ein vorheriger.1256 Doch lieber als über die Gründe für das partielle Versagen ihres Athleten zu grübeln konzentrierten sich die Journalisten auf die Disziplinen, in denen Patton glänzen konnte. Dabei versäumten sie nicht, Pattons Leistungen auf die militärische Ebene zu übertragen: »He defeated the champion of the French Army, Lieut. Mas de la Tree, at fencing to-day.«1257 Mas de la Tree, so hob die New York Times hervor, zählte dabei zu den weltweit besten Fechtern.1258 Auch im abschließenden Geländelauf sei die militärische Präsenz auf Wohlwollen im Zuschauerraum gestoßen: »The appearance of the army officers in the arena for the last event of the pentathlon, the cross-country run of about 4,000 meters, clad in regulation running clothes, the Swedes wearing the light blue trousers which make all their athletes conspicuous, proved the popularity of the military. They were greeted by rounds of applause.«1259
Pattons Gesamtplatzierung auf Rang fünf wurde auch deshalb als bemerkenswert angesehen, weil er sich gegen andere Offiziere durchgesetzt hatte, die zu den »besten der europäischen Armeen« zählten. Dies mache ihn zu »einer der beliebtesten Persönlichkeiten von Stockholm«.1260 Dieses Lob klang allerdings noch verhalten im Vergleich zu jenem, das seinem Sportskollegen Thorpe zuteilwurde: »The best all-around athlete at the games was one of our men, and that meant that he is the best all-around athlete on earth.«1261 Auch für Sullivan standen Thorpes Leistungen im Mittelpunkt.1262 Dennoch attestierte er dem Modernen Fünfkampf in seinem olympischen Bericht, dass er dazu geeignet sei, 1254 [o. A.] (1912bb). New World Records in Olympic Meet. Meredith Makes New Mark in 400Meter Run – All Discus Throws Beaten, S. 1. 1255 »Thorpe’s Great Predominance«. Edwards, 1912. 1256 Ebd. 1257 [o. A.] (1912v). Americans Again Lead, S. 3. 1258 Ebd. 1259 [o. A.] (1912y) Alleged Foul Causes Great Feeling, S. 2. 1260 Ebd. 1261 »Thorpe’s Great Predominance«. Edwards, 1912. 1262 Sullivan (1912b). What Happened at Stockholm.
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»die Fähigkeit von denjenigen zu testen, die mehrere Dinge gut machen, und die nicht Experte im einen zum Ausschluss von allem anderen sind.«1263 Dass Patton diesem Postulat prinzipiell nachkam, hatte er bewiesen. Gänzlich ohne Kritik am Heimvorteil der schwedischen Modernen Fünfkämpfer kam die US-amerikanische Presse allerdings nicht aus. Patton erreichte zwar einen respektablen vierten Rang im Reiten, doch eine höhere Platzierung sei kaum möglich gewesen, weil die Schweden die Schwierigkeiten des Reitkurses schon zuvor eingehend studiert hätten.1264 Auf den 5000 Metern seien immerhin 75 Sprüngen unterschiedlicher Art erforderlich gewesen. Neben dem Trainingsvorsprung und der Geländekenntnis der Schweden, sei es Patton weiterhin zum Nachteil gewesen, dass er »ein seltsames Pferd« reiten musste.1265 Sein eigenes Pferd sei im letzten Monat lahm geworden.1266 Dies scheint schlichtweg erfunden zu sein, weil Patton auf keinem der SOK-Formulare hatte verlauten lassen, mit eigenem Pferd anzureisen (vgl. Tab. 9, Kap. 5.2.2). Schließlich stand noch der Geländelauf aus, in dem die an Patton gerichteten Siegeserwartungen hochgehalten wurden.1267 Nachdem er deutlich vor æsbrink geführt hatte, soll er jedoch erst auf den letzten Metern im Stadium merklich abgebaut haben. Beim Zieleinlauf sei er nur »fast« in Ohnmacht gefallen und schon wieder »nach wenigen Minuten« im Arm eines Freundes weggegangen sein.1268 Es handelte sich also insgesamt um eine beschönigende Darstellung; von Pattons Opium-Annahme und seinen Todesängsten war keine Rede (vgl. Kap. 5.2.2). Obwohl ihr Landsmann schließlich nicht auf dem Siegertreppchen stand, schienen die US-Amerikaner den Schweden ihren Dreifachsieg im Modernen Fünfkampf zu gönnen. Es handele sich um ein außergewöhnliches, bislang nicht dagewesenes Ereignis, das von fast 30.000 Personen gefeiert worden sei.1269 Die Leistungen der Schweden in diesem Wettkampf erkannten sie dabei neidlos an; vermutlich deshalb, weil sie dazu beitrugen, die Briten zu deklassieren.1270 Nicht nur sportlich, sondern auch organisatorisch war den Schweden damit offensichtlich eine positive Außendarstellung geglückt: »Lieut. Patton remarked to-night that the sportsmanship of the Swedish officers is the finest imaginable. Whenever point is given them on a technicality they absolutely 1263 1264 1265 1266 1267 1268 1269
Sullivan (1912a). The Olympic Games, Stockholm, 1912, S. 21. [o. A.] (1912x). Americans Lead is Increased, S. 2. [o. A.] (1912y). Alleged Foul Causes Great Feeling, S. 2. »Thorpe’s Great Predominance«. Edwards, 1912. [o. A.] (1912x). Americans Lead is Increased, S. 2. [o. A.] (1912y). Alleged Foul Causes Great Feeling. The Associated Press, 13. Juli, S. 2. [o. A.] (1912bb). New World Records in Olympic Meet. Meredith Makes New Mark in 400Meter Run – All Discus Throws Beaten, S. 1. 1270 [o. A.] (1912 o). Sweden Shares the Glory. The Associated Press. 7. Juli.
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refuse to accept it. As hosts and as sportsmen the Swedes will always have a high place in the memory of everybody fortunate enough to participate in this Olympic as competitor or onlooker.«1271
Wenngleich die Kritiken über den Modernen Fünfkampf von Nation zu Nation differierten, stimmten die unterschiedlichen nationalen Pressestimmen doch in diesem Punkt überein. Die Einbeziehung von Zukunftsplänen für weitere Moderne Fünfkampfe war dabei das deutlichste Zeichen seiner allgemeinen sozialen Akzeptanz.
Zwischenfazit IV: Olympisch-coubertinsche und schwedisch-militärische Einflüsse auf die Inszenierung des ersten olympischen Modernen Fünfkampfs »Ohne die Realisierung einer Idee gibt es keine Idee.«1272 Wenn der Moderne Fünfkampf nach etlichen Jahren der Verhandlung letztlich nicht im Rahmen der Olympischen Spiele umgesetzt worden wäre, hätte die Sportart vermutlich keine internationale Verbreitung erlangt. Da das Debüt des Modernen Fünfkampfs im Juli 1912 gleich sechs Tage in Anspruch nahm, bestand jedoch genügend Zeit zu beobachten und anschließend über seine Inszenierung zu philosophieren. Die Stimmen zur Einschätzung des ersten olympischen Modernen Fünfkampfs fallen in der Literatur divers aus: Mal wird der Moderne Fünfkampf von Stockholm als coubertinsche Schöpfung gehandelt (Eyquem (1966). Übersetzt in Kreidler, 1972, S. 198; Findling & Pelle, 2004, S. 59); mal als rein militärische Disziplin (Province, 2002, S. 6); meist als Kombination aus beidem (Lenk, 1964, S. 182; Kluge, 1997, S. 370; Wilson, 1997, S. 101; Daniels, 2000, S. 49 f; Buchanan & Mallon, 2001, S. 153 f). Dem SOK kommt – wenn es in diesem Zusammenhang überhaupt Erwähnung findet – ausschließlich eine organisatorische Funktion zu. Dass die Idee des Modernen Fünfkampfs bei Balck und seinem Team auf Wohlwollen stieß, gilt zwar allgemein als Voraussetzung seiner Einführung (Findling & Pelle, 2004, S. 59), doch schreibt keiner der genannten Autoren den Schweden deshalb eine originäre Rolle zu. Wie schon in der Ausarbeitung seiner Wettkampfregularien (vgl. Kap. 4.3, 4.4) so zeigte sich ebenso in seiner Inszenierung, dass der Moderne Fünfkampf praktisch ein Mix aus olympisch-coubertinschen und schwedisch-militärischen Einflüssen war. Dies ist zunächst nicht ungewöhnlich, weil es auch für die olympische Eröffnungsfeier sowie für die Olympischen Spiele von Stockholm insgesamt zutraf (Ebd., S. 60). In Bezug auf den Modernen Fünfkampf trägt die 1271 [o. A.] (1912 v). Americans Again Lead, S. 3. 1272 Zitat von Kurt Haberstich, Schweizer Buchautor und Aphoristiker [o. O. und Datum].
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Aufdeckung dieser Wirkungsbeziehungen allerdings dazu bei, der Kernfrage dieser Forschungsarbeit ein Stück näher zu rücken (vgl. Kap. 1.2). Die Schweden werden dabei nicht von vorneherein als ideelle Impulsgeber ausgeschlossen. Beide Seiten – Coubertin und das IOC sowie Balck und das SOK – zeigten sich nämlich sowohl vor als auch während und im Anschluss an das olympische Debüt engagiert. Die Legitimationsversuche und ideellen Versprechungen gingen vornehmlich von Coubertin aus und entsprachen dabei mehrheitlich seinen Vorstellungen eines idealen Athleten (vgl. Kap. 2). Der Moderne Fünfkampf sollte sich von jenem der Zwischenspiele 1906 abheben und doch dem antiken Vorbild gerecht werden, indem er vollkommene Athleten formte, nützliche Übungen umfasste, niedrigen Sozialschichten einen Zugang zum Reiten ermöglichte und gleichzeitig eine breite sportliche Offiziersausbildung vorantrieb. Mit letzterem Aspekt lieferte Coubertin ein nationalistisch-militärisches Motiv und löste gleichzeitig die strenge Unterscheidung von der schwedisch-militärischen Einflusslinie teilweise auf. Obwohl die Entstehungslegende des Modernen Fünfkampfs militärische Dienstpflichten nachahmte, scheint es daher möglich, dass sie dennoch von Coubertin selbst stammte. Die Durchführung des ersten olympischen Modernen Fünfkampfs lag dagegen hauptsächlich in schwedisch-militärischer Hand. Schon die Testwettkämpfe hatten ausschließlich intern innerhalb des schwedischen Lagers stattgefunden, ohne dass sich Coubertin einmischen konnte. Auch der Verlauf des eigentlichen olympischen Wettkampfs und die Zusammensetzung des Teilnehmerfelds spiegelten vornehmlich schwedisch-militärische Ideale wider. Die Umsetzung wurde organisatorisch und sportlich von schwedischen Offizieren dominiert. Coubertins Einladung verschiedener Sozialklassen war also nicht geglückt, wenngleich sich bereits vereinzelt Reserve-Offiziere unter die Athleten gemischt hatten. Das erfolgreiche Abschneiden ihrer Modernen Fünfkampfer bewerteten die schwedischen Militärs, unter ihnen auch Balck selbst, vorrangig als Verdienst der nationalen Militärsportarbeit. Denn die Verbindung zwischen der olympischen Vorbereitung und dem schwedischen Militärwesen war allgemein eng. Dabei gingen die lokalen Veranstalter mit dieser Verankerung insgesamt offensiver als Coubertin um, indem sie den Modernen Fünfkampf als sinnvolle Offiziersübung anerkannten und den Militärsportverband offiziell mit seiner Organisation vertrauten. Wie bereits in der Planungsphase so stand auch rund um die Inszenierung des olympischen Modernen Fünfkampfs die Frage seiner Urheberschaft wiederholt im Raum. Zunächst hob Balck in Briefen an Coubertin den Franzosen ausdrücklich als Ideengeber hervor. Auch die schwedische Presse folgte geschlossen dieser Meinung. Mit zeitlichem Abstand warf Balck jedoch rückblickend ein anderes Bild auf die Verantwortlichkeiten und betonte, dass der Moderne
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Fünfkampf eine schwedische Idee sei (vgl. Anhang 8.3.2.6), die seine Landsmänner im Hinblick auf die Fähigkeiten ihrer Offiziere selbst initiiert hätten. Sollte Balck diese Idee bereits 1912 im Kopf gehabt haben, so wäre Coubertin in gewisser Weise Opfer gewesen, hinters Licht geführt von einem Organisationsteam, das sich ausschließlich auf die Vermehrung von Medaillen und die damit verbundenen nationalen Ehren konzentrierte. Demgegenüber stand jedoch Coubertins eigene Einschätzung. Auch mehr als zwanzig Jahre nach dem olympischen Debüt beharrte er noch auf seiner Vaterrolle. In seiner kritischen Bewertung zeigte er sich zwar damit zufrieden, dass der Moderne Fünfkampf 1912 überhaupt umgesetzt worden war, doch hatte er verschiedene Mängel zu beklagen. Letztere hätten dem Erreichen seiner Ideale im Wege gestanden. Leitbild, Wirklichkeit und Rezeption differierten, selbst wenn Veranstalter und IOC-Präsident prinzipiell gleichsam an einer gelungenen Umsetzung des neuen Wettbewerbs interessiert waren. Dennoch hielt Coubertin nach dem Abschluss der Spiele an seinen mit dem Modernen Fünfkampf verbundenen Idealen weiterhin fest. Ob und wann olympische Organisatoren seinen Wünschen vollends nachkämen, war ungewiss, doch störte ihn das für den Moment nicht. Schließlich war er ja davon überzeugt, dass 1912 für den Modernen Fünfkampf erst der Anfang einer langen olympischen Geschichte sein würde. Und auf diesem Weg hatte das Festhalten an (utopischen) Idealen noch nie gestört: »Coubertins Olympismus: das ist das Wissen und Wollen eines Unmöglichen, die Quadratur des historischen Zirkels. […] Der Olympismus hält sich am Leben, weil seine Verwirklichung nie möglich war.« (Wirkus, 1990, S. 119)
1912 in Stockholm hatte die Welt allerdings zum ersten Mal einen Modernen Fünfkampf auf internationaler Ebene beobachten können. Es fragte sich nur, was dort zu sehen gewesen war. Waren es »spielende Soldaten« oder »kämpfende Athleten«? Die Antwort liegt wohl im Auge des Betrachters: Zum Einen gab der Moderne Fünfkampf von 1912 Offizieren die Möglichkeit, spielerisch-sportlich gegeneinander im Wettkampf anzutreten. Dabei gelang es insbesondere den schwedischen Vertretern, sich vor ihren ausländischen Konkurrenten und dem heimischen Königshaus zu profilieren. Das Militär trug die Hauptaufwendungen, die mit Training und Wettkampforganisation verbunden waren und unterstrich damit sein zunehmendes Engagement im und für den Sport. Die spielerische Umsetzung eines militärischen Mehrkampfs kann neben der ernsthaften Vorbereitung auf einen Kriegseinsatz auch als Mittel zum Aggressionsabbau und damit zur Kriegsvermeidung angesehen werden. Zum Anderen war der Moderne Fünfkampf von 1912 eingebettet in ein sportbetontes olympisches Programm und erlaubte offiziell auch Zivilathleten eine Teilnahme. Der Einzug des sportlichen Mehrkampftrainings in das mili-
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tärische Ausbildungsprogramm kann daher ebenso als Versportlichung des Militärwesens gedeutet werden. Auch wenn die Mehrheit der Teilnehmer von 1912 im wahren Leben tatsächlich »kämpfende Soldaten« waren und zukünftig wieder sein würden, so schalteten einige für kurze Zeit diese Dienstpflichten aus und wurden zu »spielenden Athleten« (vgl. Kap. 6.1).
6 Fazit: Der Moderne Fünfkampf als Bestandteil einer sich wandelnden Bewegungskultur
Das Untersuchungsinteresse der vorliegenden Forschungsarbeit galt der Genese des Modernen Fünfkampfs. Seine Ursprünge und seine olympischen Anfänge in Stockholm 1912 sollten möglichst wirklichkeitsgetreu rekonstruiert werden. Denn während die Genese anderer Sportarten vergleichsweise intensiv erforscht worden ist, bestand in Bezug auf den Modernen Fünfkampf eine Forschungslücke. Dies lag wohl u. a. daran, dass eine Untersuchung sowohl Kenntnisse in der französischen als auch in der (alt-)schwedischen Sprache erforderte und somit viele Wissenschaftler abschreckte. Gleichzeitig eröffnete dies jedoch die Chance, ein bislang relativ unerforschtes Gebiet zu erkunden, in dem thematisch einschlägige wissenschaftliche Texte Seltenheitswert besaßen. Das Ziel bestand genauer darin, die Entstehungsgeschichte des Modernen Fünfkampfs nachzuzeichnen und dabei zwei Hauptursprungslinien zu verfolgen. Das Einnehmen unterschiedlicher Perspektiven hat sich als sinnvoll erwiesen, weil beide Seiten, die olympisch-coubertinsche sowie die schwedischmilitärische, an der Genese der Sportart beteiligt waren. Die Inszenierung des ersten olympischen Modernen Fünfkampfs zeigte, inwiefern sich diese Einflüsse auch in der Wettkampfpraxis niederschlugen. Die Tatsache, dass es schon vor hundert Jahren plausible Argumente für beide Ursprungsthesen gab, führte dazu, dass sich gleich zwei Personen stellvertretend für eine spezifische Bewegungskultur als Schöpfer der Sportart präsentierten. Während Coubertins »Vaterschaftsansprüche« durch die heutige Verbandspolitik bestätigt wurden, sind Balcks Bemühungen, sich selbst neu in dieser Rolle zu erfinden, weitgehend unbemerkt geblieben. Die Verbindungen des Modernen Fünfkampfs zu Balck und der schwedischen Leibesübung bzw. Militärsportkultur sind zuvor nicht in die Sportgeschichtsschreibung eingegangen. Untergliedert nach Argumenten, die für eine olympisch-coubertinsche bzw. für eine schwedisch-militärische Genese sprechen, werden die Ergebnisse im Folgenden zusammengefasst. Die Darstellungen sollen ein erweitertes Verständnis für die Anfänge des Modernen Fünfkampfs erlauben und diese gesamtgesellschaftlichen Trends zuordnen (vgl. Kap. 6.1). Überblicksartig wird
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Fazit
anschließend die weitere Geschichte des Modernen Fünfkampfs betrachtet, um zu beurteilen, wie die genannten beiden Entwicklungslinien nach 1912 weiterverliefen (vgl. Kap. 6.2). Abschließend steht die gegenwärtige Verbandspolitik im Fokus. Auch diese wird vor dem Hintergrund der ursprünglichen Charakteristika des Modernen Fünfkampfs untersucht und unter Einbeziehung der Forschungsergebnisse in ein neues Licht gerückt (vgl. Kap. 6.3). Damit wird deutlich, dass der Beitrag dieser Forschungsarbeit nicht auf den Zeitraum bis zu den Olympischen Spielen 1912 beschränkt bleiben muss, sondern darüber hinaus eine Hilfestellung für die Einordnung der weiteren Sportartentwicklung und ebenso heutiger sportpolitischer Entscheidungen bedeuten kann.
6.1
Die olympisch-coubertinsche und die schwedisch-militärische Seite des Modernen Fünfkampfs
Der erste internationale Wettbewerb im Modernen Fünfkampf fand vor rund hundert Jahren anlässlich der Olympischen Spiele von Stockholm statt. Dass die Sportart eng mit der olympischen Bewegung verbunden ist, steht also außer Frage. Nur bedeutet dies gleichzeitig, dass Coubertin in seiner damaligen Funktion als IOC-Präsident den Modernen Fünfkampf auch erfunden hat? Bislang ist diese These unbegründet und unkritisiert in der Literatur übernommen worden. Durch das Einbeziehen zahlreicher Bücher und Artikel Coubertins, seiner Korrespondenzen sowie verschiedener Sitzungsprotokolle ist es gelungen, seine Vorstellungen eines idealen Athleten zu konkretisieren und seinen Einfluss auf die Einführung und Gestaltung des Modernen Fünfkampfs von 1912 zu erhellen. So gibt es zahlreiche Argumente, die untermauern, dass Coubertin der »Vater« des Modernen Fünfkampfs ist: Die Wiedererweckung einer modernen Form des antiken Pentathlon harmonierte beispielsweise mit seinem Großprojekt, neuzeitliche olympische Spiele nach antikem Vorbild einzuführen. Seine Spiele sollten sich dabei möglichst positiv von den »Zwischenspielen« von 1906 absetzen, um die Pläne der Griechen, regelmäßig eigene olympische Spiele zu organisieren, zu durchkreuzen. Der Moderne Fünfkampf erlaubte Coubertin, das eng an die Antike angelehnte Pentathlon von 1906 als vergleichsweise unzureichend, da nicht mehr zeitgemäß, darzustellen. Die Ideale, die Coubertin mit einer modernen Form des Fünfkampfs verknüpfte, waren dabei nicht neu, sondern als kontinuierliche Fortsetzung seiner früheren Projekte zu begreifen. Die von ihm propagierte D¦brouillardise und seine Gymnastique utilitaire hatten schon zuvor gleichermaßen dem vielseitigen Athleten hohen Wert beigemessen. Die Disziplinen des Modernen Fünfkampfs schöpften daher aus dem
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Pool seiner als »nützlich« angesehenen Übungen. Die Vehemenz, mit der er für die Einladung aller Klassen zum Modernen Fünfkampf eintrat, spricht ebenfalls dafür, dass die Idee von ihm stammte. In dieser Einschätzung wurde er zunächst von Balck und der schwedischen Presse unterstützt. Sie bestätigten ihn in seiner »Vaterrolle« und holten insbesondere in strittigen Fragen in der Vorbereitungszeit regelmäßig seine Meinung ein. So gesehen kann man es Coubertin und seinen Anhängern nicht verübeln, dass sie nicht davon abzubringen waren (und sind), in dem Franzosen den eindeutigen Schöpfer des Modernen Fünfkampfs zu sehen. Umgekehrt gibt gerade die Parallelität zur Genese der Olympischen Spiele Anlass, an Coubertins »Vaterschaft« zu zweifeln. Sein Geltungsbedürfnis und seine fehlende Scheu, bestehende Ideen als seine eigenen auszulegen, waren typische Charakterzüge, die sich nicht nur in den Olympischen Spielen als Ganzes, sondern auch im Detail zeigten. So sprach er andere neuzeitliche Fünfkämpfe, die ihn vermutlich zur Einführung eines olympischen Wettkampfs nach ähnlichem Muster inspiriert hatten, nicht an. Als realitätsfern erwies sich nach damaligem Stand seine Forderung, eine Teilnahme am Modernen Fünfkampf auch Sozialschichten zu ermöglichen, die kein eigenes Pferd besaßen. 1912 machten einige Athleten zwar von den angebotenen Leihpferden Gebrauch, doch änderte dies nichts an der sozial einseitigen Zusammensetzung des Teilnehmerfelds. Wer den Modernen Fünfkampf auch kreierte, hatte zunächst einen Wettbewerb für Offiziere geschaffen. Dies wiederum spricht gegen einen rein olympischen Ursprung. Zwar gab es im olympischen Programm zu jener Zeit typischerweise auch andere militärisch geprägte Sportarten, doch waren diese wie beispielsweise das Vielseitigkeitsreiten schon vor ihrer Einführung im Militärbetrieb gewachsen. Ein Studium der Archivunterlagen im Stockholmer Riks- und Krigsarkivet lässt hingegen keine Rückschlüsse darauf zu, dass dies auch auf den Modernen Fünfkampf zutraf. Somit ist davon auszugehen, dass ein dem Modernen Fünfkampf entsprechender Mehrkampf vor den Testwettkämpfen im Jahr 1911 in derselben Form noch nicht existiert hatte. Die Disziplinen des Modernen Fünfkampfs wurden folglich eigens für die Olympischen Spiele von Stockholm ausgewählt, doch schon in der Vorbereitungszeit als Militärsportart entdeckt. Dies wiederum unterstreicht die Sonderstellung des Modernen Fünfkampfs und rechtfertigt ein weiteres Mal, dass der Untersuchungsschwerpunkt auf der frühen Sportartgenese lag. Das Fehlen einer gewachsenen schwedischen (Militär-)Sportpraxis im Modernen Fünfkampf bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass es sich folgerichtig um Coubertins Idee handelte. Was Coubertin für die olympische Bewegung darstellte, war Balck für den schwedischen Sport. Dass der patriotisch gestimmte Balck als SOK-Präsident der Aufnahme des Modernen Fünfkampfs in das
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olympische Programm von 1912 zustimmte, spricht dafür, dass er seine Landsmänner darauf eingestellt wusste. Balck und sein Organisationskomitee zeigten sich anschließend mindestens ebenso engagiert in der Vorbereitung und Inszenierung des ersten olympischen Modernen Fünfkampfs wie Coubertin. Zunächst war das SOK noch darauf bedacht, den IOC-Präsidenten nicht gegen sich zu stimmen und ließ sich daher auf Kompromisse ein. Doch mit zunehmender Nähe zum offiziellen olympischen Wettkampfbeginn schrumpfte Coubertins Einfluss, zumindest vorübergehend. In Bezug auf das Reglement des Modernen Fünfkampfs setzten sich Balck und seine Kollegen teils sogar gegen Coubertins Vorschläge durch. So waren beispielsweise zur Entrüstung Coubertins zugeloste Pferde keine Pflicht. Auch die Wettkampfdurchführung und -bewertung lagen schwerpunktmäßig in schwedischer Hand. Schließlich konnten sie auf Erfahrungen in der Organisation verschiedener nationaler Vielseitigkeitsprüfungen zurückgreifen. Schweden hatte dabei spätestens seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ein breitgefächertes Training seiner Landsleute durch unterschiedliche Maßnahmen vorangetrieben. Dazu gehörten u. a. das Sportabzeichen und der Wehrsportpass. Wenngleich die genannten Leibesübungskonzepte zweifellos auf die fünf Einzeldisziplinen vorbereiteten und dem Gesamtwettkampf sogar teilweise in der Zusammensetzung nahekamen, so entsprach doch keines vollends dem Modernen Fünfkampf von 1912. Folglich kann seine olympische Einführung zwar allgemein als Konsequenz tradierter schwedischer Militär- oder Leibesübungen doch nicht als Übernahme eines bereits etablierten Wettkampfformats interpretiert werden. Ein Vergleich der endgültigen Disziplinzusammensetzung von 1912 mit Coubertins erstem Vorschlag aus dem Jahr 1909 zeigt zudem auf, dass auch sein Entwurf zunächst vergleichsweise weniger innovativ als gemeinhin angenommen war und erst im Laufe der Verhandlungen mit den schwedischen Entscheidungsträgern ausreifte. Gleichzeitig war der von Balck auf derselben IOCSession in Berlin präsentierte Schwedische Fünfkampf als gleichwertiger Versuch, das antike Pentathlon zu modernisieren, zu werten. Während dieser zunächst im Gegensatz zum antiken Pentathlon einen weiteren Lauf und einen Schwimmwettkampf enthalten sollte, kristallisierte er sich zunehmend als rein leichtathletischer Mehrkampf heraus. Im Modernen Fünfkampf kam es hingegen im Laufe der kommenden Jahre zur Streichung des ursprünglich eingeplanten Springens und Ringens; lediglich das Reiten, Schwimmen und Laufen waren schon von Beginn an fest eingeplant. Es kann also keineswegs davon gesprochen werden, dass Coubertin mit dem Modernen Fünfkampf eine ausgeklügelte, feststehende Idee gegen zunächst widerwillige Zeitgenossen durchsetzte.1273 Vielmehr war die Disziplinauswahl zwangsläufig eine gemeinsame 1273 Vgl. im Kontrast dazu seine eigene Darstellung: »Ich hatte ihn [den Modernen Fünfkampf]
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organisatorische Entscheidung aller Beteiligten. Sie erlaubte, die zwei eingeplanten Fünfkämpfe deutlicher voneinander zu unterscheiden und gleichzeitig von vorherigen Mehrkämpfen abzuheben. Neben den beiden Haupteinflussfaktoren gab es allgemeine begünstigende Faktoren, die dazu beigetragen haben, dass der Moderne Fünfkampf zu dieser Zeit und in dieser Machart geboren wurde. Denn die Zusammensetzung aus Schießen, Fechten, Schwimmen, Reiten und Laufen traf 1912 nicht zufällig auf gesellschaftliches Wohlwollen. In der nationalistischen Stimmung, aus der nur zwei Jahre nach dem olympischen Debüt des Modernen Fünfkampfs, der Erste Weltkrieg erwuchs, war es nicht schwierig, Anhänger für Methoden zur Verbesserung militärischer Fähigkeiten zu finden. So zeichnete sich im 20. Jahrhundert eine gesamteuropäische Neigung zur nationalen Wehrkraftverbesserung ab, aus der schließlich auch der Moderne Fünfkampf resultierte. Dass Leibesübungen in dieser Zeit zu Wehrzwecken instrumentalisiert und folglich Sportsmänner zu Offizieren und umgekehrt wurden, war nicht ungewöhnlich. Der Kontext eines erwarteten Weltkriegs trug dazu bei, dass alle (Sport-)Aktivitäten, die mit Militarismus und Maskulinität verbunden waren, auch außerhalb eines strengen Militärrahmens Akzeptanz fanden. Seine Einführung als olympische Sportart und die damit verbundene Internationalisierung hatte der Moderne Fünfkampf ebenso einem breiten gesellschaftlichen Mehrkampftrend zu verdanken. Dieser erfasste Ende des 19. Jahrhunderts neben Großbritannien, den USA und Deutschland insbesondere Schweden, wo sich nicht nur die Gymnastik-, sondern auch die Sport- und hier insbesondere die Militärsportbewegung des vielseitigen Trainings annahmen. Diverse Impulse aus verschiedenen Ländern, z. B. aus England (Wenlock Games) und Schweden (idrottsmärket) lieferten daher den ideellen Hintergrund für Coubertins Philosophie des idealen Athleten verkörpert durch den Modernen Fünfkämpfer. Häufig waren schon diese frühen neuzeitlichen Mehrkämpfe mit der Idee der Wiedererweckung der antiken Olympischen Spiele verbunden, so dass sich verschiedene neuzeitliche Pentathlon-Varianten großer Beliebtheit erfreuten. Die militärisch-kriegerische Intention, die das antike Pentathlon mit dem Modernen Fünfkampf teilte, fehlte diesen jedoch. Dennoch war ihre Verwandtschaft zum Reglement des antiken Pentathlon durch die ausgewählten Disziplinen vergleichsweise stärker ausgeprägt als jene zum Modernen Fünfkampf. Die Mehrkämpfe des späten 19. Jahrhunderts können folglich zwar genauso wenig wie das antike Pentathlon als direkte Vorläufer des Modernen Fünfkampfs betrachtet werden, doch erzeugten sie eine gesellschaftlich positive Einstellung dem C.I.O. schon zweimal vorgeschlagen, aber eine unverständliche, fast feindselige Ablehnung erfahren.« (Coubertin (1931a [1996]. M¦moires olympiques, S. 111 f. Übersetzung (nach Carl-Diem-Institut, 1996, S. 116); vgl. Kap. 4.3.2).
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gegenüber Vielseitigkeitsleistungen. Dies steht zwar nicht im Widerspruch zu den gängigen Thesen der coubertinschen »Vaterschaft«, doch schmälert es seine ideelle Schöpfungskraft zugunsten eines allgemeinen Zeitgeists, den er gekonnt in die Gestaltung seines Projekts aufnahm und damit für soziale Akzeptanz sorgte. Die Analyse der zweiten Ursprungslinie war deshalb rückblickend nicht minder bedeutsam. Interessanterweise lieferte Coubertin selbst eine Begründung dafür : »Mais quand on recherchera pour les fixer les origines de ce mouvement d’une si colossale amplitude, il ne suffira pas d’en retracer les lignes centrales. A certaines ¦poques, certaines id¦es parcourent le monde et elles se propagent comme de v¦ritables ¦pid¦mies ; il est bien difficile de les monopoliser au profit d’un seul et l’on d¦couvre g¦n¦ralement que sans s’Þtre mis d’accord plusieurs hommes ont travaill¦ simultan¦ment la mÞme œuvre en des lieux diff¦rents.«1274
Im Falle des Modernen Fünfkampfs war es Balck, der neben Coubertin und stellvertretend für die schwedische Leibesübungs- und Militärsportbewegung an der Geburt des Modernen Fünfkampfs beteiligt war. Balck hielt sich zwar wie üblich in der theoretischen Durchdringung des Konzepts zurück, doch lieferte er durch das Aufzeigen praktischer Notwendigkeiten seinen Beitrag. In den Jahren der Vorbereitung war Coubertin auf die schwedischen Erfahrungen im Bereich der vielseitigen Leibes- und Militärübungen angewiesen. Balcks Verbindungen zum schwedischen Militärwesen waren also essentiell, um den Modernen Fünfkampf praktisch umzusetzen. 1931, drei Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem IOC, veröffentlichte Balck in seinen Minnen, dass der Moderne Fünfkampf eine schwedische Idee sei (vgl. Anhang 8.3.2.6). Damit fällte er ein ebenso klares Urteil in der Schöpfungsfrage wie Coubertin in seinen im selben Jahr veröffentlichten M¦moires olympiques (vgl. Anhang 8.3.1.6). Balck hatte sich mit diesem offenen Statement reichlich Zeit gelassen. Im Gegensatz zu Coubertin stellte er sich erst nach dem gelungenen Debüt des Modernen Fünfkampfs als Ideengeber dar. Vermutlich hielt er sich aus taktischen Gründen so lange zurück, wie er noch zusammen mit Coubertin im IOC saß. Möglicherweise hatte Balck im Anschluss an die Spiele aber auch festgestellt, dass der Moderne Fünfkampf größere Zukunftsaussichten und vor allem bessere nationale Erfolge als der leichtathletisch ausgerichtete Schwedische Fünfkampf mit sich brachte. 1274 Coubertin (1890). Les Jeux Olympiques Much Wenlock – une page de l’histoire de l’athl¦tisme, S. 705 – 713. Übersetzung: »Aber wenn man dazu kommt, die Ursprünge dieser Bewegung von solch großem Ausmaß zu erforschen, wird es nicht ausreichen, nur die Hauptlinien zurückzuverfolgen. Zu bestimmten Zeiten, bewegen sich bestimmte Ideen durch die Welt, verbreiten sich wie Epidemien. Es ist sehr schwierig, sie einem Einzelnen zuzuschreiben, und man entdeckt in der Regel ohne Absprachen zu treffen, dass mehrere Männer in der gleichen Sache an verschiedenen Orten gleichzeitig arbeiteten.«
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Da demnach sowohl Coubertin als auch Balck jeweils für sich die »Vaterrolle« in Anspruch nahmen, stand schließlich Aussage gegen Aussage; soweit jedenfalls die Selbsteinschätzung der Hauptakteure. Das retrospektive Lesen ermöglicht Historikern jedoch weit »mehr über die Vergangenheit« zu wissen »als jene, die in ihr lebten« (Phillips (M.), 2006, S. 14). So ist die Vergangenheit zwar »ein unumkehrbarer und abgeschlossener Prozess«, die Geschichte allerdings »eine geistig durchdrungene (Re-) Konstruktion derselben« (Birk, 2004, S. 16). Wie ist die Schöpfungsfrage also aus historischer Perspektive zu bewerten? Die Untersuchung hat zusammenfassend ergeben, dass sich die Genese des Modernen Fünfkampfs nicht auf eine Entwicklungslinie allein festlegen lässt. In seiner Anfangsphase wirkten sowohl olympisch-coubertinsche als auch schwedisch-militärische Einflüsse auf den Modernen Fünfkampf ein. Wer der tatsächliche Erfinder der Sportart war, hängt dabei auch davon ab, worin die größere Schöpfungskraft gesehen wird, in der Idee und ideologischen Begründung, einen neuen olympischen Fünfkampf zu erschaffen, oder in dem praktischen Transfer von national militärisch geprägten Vielseitigkeitstests in einen internationalen olympischen Wettkampf. Der Nutzen der vorliegenden Forschungsarbeit liegt folglich darin, verschiedene Wirkungskräfte offengelegt zu haben, die in der Veranstaltung des ersten olympischen Modernen Fünfkampfs mündeten. Coubertin und die olympische Bewegung gehörten ebenso dazu wie Balck und die schwedisch-militärische Bewegung. Mit Bezug auf den Titel der vorliegenden Arbeit vereinte der Moderne Fünfkampf in seiner Genese sowohl »spielende Soldaten« als auch »kämpfende Athleten«. Beide Wortpaare stehen dabei sinnbildlich für die Vermischung spezifischer Bewegungskulturen. »Spielende Soldaten« waren die Modernen Fünfkämpfer von 1912 insofern, dass sie mehrheitlich einem Militärregiment angehörten, den Wettkampf jedoch vor einem vergleichsweise »spielerischen« Hintergrund durchführten. Die Interpretation sportlicher Fertigkeiten als militärische Dienstpflichten und die Wertung der Wettkampfergebnisse als Spiegelbild nationaler Wehrkraft weisen wiederum darauf hin, dass der olympische Moderne Fünfkampf von 1912 ebenso ein Beispiel für die zeitgenössisch typische Militarisierung des Sports darstellte. Das Bewusstsein, die für die Teilnahme am olympischen Wettkampf »spielerisch« erlernten Fähigkeiten auch im Ernstfall nutzen zu können, machte die Hauptmotivation aus. Die militärsportliche Wehrertüchtigung war also im olympischen Alltag angekommen. Bislang unbekannt war dagegen, dass schon 1912 zivile Athleten im Modernen Fünfkampf antreten durften. Sie blieben zwar deutlich in der Minderheit, doch standen für diese »kämpfenden Athleten« das »athletische« Moment und damit der sportliche Wettkampf im Vordergrund. Die Genese des Modernen Fünfkampfs war aus diesem Blickwinkel heraus von der Institutionalisierung und Internationalisierung schwedischer Militärübungen in Form eines olym-
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pischen Mehrkampfs geprägt. Dieser Versportlichungs- bzw. Zivilisierungsprozess (z. B. Elias & Dunning, 1982b, S. 13) setzte in Kontinentaleuropa merklich nach dem Zweiten Weltkrieg ein, als militärische Übungen wie der Orientierungslauf als Sportarten entdeckt wurden. In gewisser Weise war der Moderne Fünfkampf also seiner Zeit voraus. Der deutsche Schriftsteller Kurt Tucholsky (1890 – 1935) beschrieb den einsetzenden Prozess der Versportlichung und der damit einhergehenden Zivilisierung des Militärischen im Jahr 1920 wie folgt: »Es ist ein Spiel geworden, was einmal blutige Notwendigkeit gewesen sein mag. Ein Sport. Ein nutzloser, steuerverschlingender Sport. Als das Heer zerschlagen war und die Entente die Aufstellung eines neuen verbot, da erfanden sie sich den inneren Feind, und wo keiner war, da machten sie sich einen.«1275
Wie die Entstehungslegende eindrucksvoll unterstreicht hatten die Modernen Fünfkampfer schon acht Jahre zuvor gegen einen imaginären Kriegsgegner gekämpft. In der Genese des Modernen Fünfkampfs verschmolzen folglich beide Prozesse, die Versportlichung von Militärübungen und die Militarisierung des Sports, was eine eindeutige Zuordnung zu einer der beiden Strömungen erschwert. Diese wiederum beeinflussten gemeinsam die Geburt und Ausgestaltung des Modernen Fünfkampfs, der selbst gleichzeitig Produkt und Teil von ihnen war. In der Militarisierung des Sports unterscheidet sich der Moderne Fünfkampf von 1912 nicht von anderen Sportarten, die typischerweise die jeweiligen »Werte und Normen einer Gesellschaft« verkörpern, aufgreifen, präsentieren und verstärken (Pfister, 2011). Auf der anderen Seite stellt er allerdings nicht nur ein Spiegelbild der Gesellschaft dar, sondern verfolgte im Hinblick auf die frühe Versportlichung militärischer Aktivitäten seinen eigenen Weg. Aus diesem Blickwinkel heraus verdankt der Moderne Fünfkampf seine Genese also einer Bewegungskultur, die Raum dafür gab, vorherige Mehrkampfformen in neuem Gewand wiederaufleben zu lassen, und dabei von nationalen Charakteristika des Ausrichterlands und individuellen Vorlieben des damals mächtigsten olympischen Sportfunktionärs in besonderem Maße geprägt war. Wenngleich die Forschungsfrage damit beantwortet ist, so bietet die bislang wissenschaftlich vernachlässigte Historie des Modernen Fünfkampfs eine Vielfalt weiterer noch offenstehender Untersuchungsthemen. So könnte auch die Beteiligung der fünf einzelnen Sportverbände an der Einbindung ihrer Disziplinen in einen neuen Mehrkampf analysiert werden. Auch wenn die Prognosen der zuständigen Mitarbeiter im Hinblick auf eine Verbindung zum Modernen 1275 Tucholsky verfasste diesen Text unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel (1920). Zitiert in Gerold-Tucholsky & Raddatz, 1975, S. 358.
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Fünfkampf durchweg negativ ausgefallen sind (vgl. Kap. 1.1), müsste dies überprüft werden. Von Beginn an spielte der Einsatz leistungssteigernder Mittel im Modernen Fünfkampf eine Rolle, was ebenfalls bislang nicht untersucht worden ist. Die Entwicklung der UIPM, einschließlich ihrer Beziehungen zum Biathlon und Triathlon, könnte organisationshistorisch wertvolle Einblicke gewähren. Auch die im folgenden, zweiten Unterkapitel zusammenfassend dargestellte weitere internationale Entwicklung des Modernen Fünfkampfs vermag, zu verschiedenen vertiefenden Studien anzuregen.
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Der Moderne Fünfkampf nach seinem Debüt: eine schleichende Emanzipation
Der erste olympische Moderne Fünfkampf wurde seiner Zeit und der zugehörigen Bewegungskultur weitgehend gerecht. Es war also davon auszugehen, dass er sich auch im Anschluss entsprechend weiterentwickelte. Grundlage dafür war der Verbleib im olympischen Programm, der schon 1912 auf der 15. IOC Session in Stockholm besiegelt wurde: Der Moderne Fünfkampf zählte zur Kategorie der »unentbehrlichen« Sportarten.1276 Eine Weiterentwicklung des Modernen Fünfkampfs hatte auch Coubertin, der seine Leitziele 1912 noch nicht idealtypisch umgesetzt sah, von Beginn an befürwortet. Durch das Festhalten an seinen ursprünglich auferlegten Motiven begab sich der Moderne Fünfkampf allerdings in ein Dilemma, ausgelöst durch den »ewige[n] Streit des Vergangenen mit dem Zukünftigen und der Wirklichkeit mit dem Ideal« (Diem, 1957, S. 5 – 9. Zitiert in Carl-Diem-Institut, 1967, S. 23). Die Tatsache, dass er administrativ weiterhin in den Händen des IOC und der jeweiligen olympischen Organisationskomitees lag, untermauert seine fortlaufende Abhängigkeit von der olympischen Bewegung. Durch die wechselnden Austragungsorte und die unterschiedlichen NOKs sanken gleichzeitig die organisatorische Macht Balcks und jene anderer schwedischer Sportfunktionäre. Die schwedischen Modernen Fünfkämpfer dominierten dennoch auch in den folgenden Jahrzehnten qualitativ und quantitativ das Teilnehmerfeld. Denn die engen Bande des Modernen Fünfkampfs zum schwedischen Militär blieben nach wie vor bestehen. Andere europäische Länder zogen nach, weil sie den Modernen Fünfkampf nun ebenso als nützliche Trainingsmaßnahme empfanden. Die nach 1912 zunehmende militärische Ausrichtung des Sports spiegelt rückblickend auch die wachsende Vorkriegsstimmung wider. Je näher der Ausbruch des 1276 Daneben gab es noch die Kategorien »wünschenswert« und »wählbar« (S¦ance du 8 Juillet. Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1912). ProcÀs-verbal. 15e Session Stockholm. IOC Meeting Minutes. IOC Archiv Lausanne).
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Ersten Weltkriegs rückte, desto expliziter wurden Verbindungen zwischen Sport und Krieg ausgedrückt. Interessant ist dabei, dass manchen der Moderne Fünfkampf von 1912 noch nicht militärisch genug war. Denn wie sonst lässt sich erklären, dass schon ein Jahr später im französischen Reims ein neuer »moderner militärischer Fünfkampf« (Schießen, Radfahren, Schwimmen, Laufen und Reiten) veranstaltet wurde?1277 Dieser sollte vergleichbar mit der Entstehungslegende des Modernen Fünfkampfs einen »Offizier im Feldzug« mimen: »On vient de nous parler de ›l’officier en campagne‹. Qu’il parte donc en bicyclette, qu’il tire, qu’il saute cheval, qu’il continue pied et qu’enfin, tout habill¦, il se jette l’eau, voil une salutaire copie de la guerre et des obligations qu’elle peut imposer un homme.«1278
Die Disziplinen waren nahezu identisch. Nur das Radfahren, das seit 1886 zum Training der französischen Armee gehörte, ersetzte das Fechten, das kriegspraktisch quasi bedeutungslos geworden war (Vandormael, 2009, S. 28). Obwohl die fünf Disziplinen hier – so wie es Coubertin forderte – direkt aufeinanderfolgten, wollte er diese militärische Variante klar von seinem Modernen Fünfkampf unterschieden wissen: »Ceci sera vraiment le Pentathlon militaire qui pourrait avantageusement Þtre institu¦ dans chaque corps d’arm¦e, annuellement, avec trois cat¦gories: officiers, sous-officiers, soldats. Mais c’est l de la pr¦paration guerriÀre et cela doit le rester. Le Pentathlon moderne des Jeux Olympiques qui perdrait en toute faÅon Þtre militaris¦, est une ¦preuve de sport et il faut lui maintenir jalousement ce caractÀre.«1279
Schon ein Jahr nach seinem Debüt hatte der Moderne Fünfkampf also offensichtlich in Militärkreisen zu mindestens einer weiteren Mehrkampfvariante angeregt. Deren Gestaltung war ausschließlich von der Nützlichkeit im Rahmen der Wehrertüchtigung geprägt. Nur wenig später musste eine Vielzahl der Modernen Fünfkämpfer ihre Kriegstauglichkeit auch im wirklichen Kampf beweisen. Der Erste Weltkrieg 1277 Georges Brul¦, einer der beiden französischen Modernen Fünfkampfer von 1912, entschied den Wettkampf für sich ([Coubertin] (1913 g). Chronique du mois: Variante pour le Pentathlon, S. 131). 1278 Ebd. Übersetzung: »Man hat gerade über einen ›Offizier im Feldzug‹ gesprochen. Dass er Rad fährt, dass er schießt, dass er mit einem Pferd springt, dass er zu Fuß weitermacht und schließlich dass er bekleidet ins Wasser springt, das ist eine gesunde Kopie des Kriegs und der Pflichten, die der Krieg einem Mann auferlegen kann.« 1279 Ebd. Übersetzung: »Das ist wirklich der militärische Fünfkampf, der sich jährlich in jedem Militärkorps zum Vorteil etablieren könnte und zwar für drei Kategorien: Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten. Es ist eher eine Kriegsvorbereitung und das muss so bleiben. Der Moderne Fünfkampf, wie er in den Olympischen Spielen ist, würde etwas verlieren, wenn er militarisiert würde; dort muss es ein Sportereignis bleiben und alles muss getan werden, um diese Dimension zu erhalten.«
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brachte so die noch junge Geschichte des Modernen Fünfkampfs vorübergehend zum Erlöschen. Zu der für Berlin 1916 geplanten Umsetzung des zweiten olympischen Modernen Fünfkampfs kam es nicht. Forschungsarbeiten über den Sport in der Zeit des Ersten Weltkriegs enthalten ebenfalls keine Informationen über eine Fortsetzung des Fünfkampftrainings (Spivak 1983; Waquet & Terret, 2006; Tauber, 2008; Waquet, 2010/2011). Erstaunlicherweise war der Moderne Fünfkampf auch 1919, ein Jahr nach Kriegsende, nicht unter den Sportarten der Militärspiele in Paris zu finden (Terret, 2002).1280 Es schien fraglich, ob er – noch in den Kinderschuhen steckend – diese frühe sportpraktische Unterbrechung überlebt hatte. Doch in der olympischen Welt war das glorreiche Debüt des Modernen Fünfkampfs nicht in Vergessenheit geraten, so dass der Wettkampf 1920 ohne Debatten erneut in das Sportartenprogramm aufgenommen wurde. Es ist folglich anzunehmen, dass das Training während des Kriegs weitgehend aussetzte und erst wieder mit der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Antwerpen einsetzte. Der Moderne Fünfkampf fand damit international nach wie vor ausschließlich als olympische Sportart statt, während sich die nationale Wettkampfvorbereitung wie gehabt vornehmlich im militärischen Rahmen abspielte. Da sich die Schweden im Ersten Weltkrieg neutral verhalten und somit weniger Kriegsverluste zu vermelden hatten, verwundert es nur wenig, dass deren Offiziere ihre Überlegenheit im Modernen Fünfkampf nach Kriegsende erneut unter Beweis stellen konnten: »Dies war eine Sportart, die für Artilleristen gut geeignet war. Das Reiten nahm täglich ein paar Stunden Dienstroutine in Anspruch, das Schießen und der Lauf musste dagegen normalerweise, wie auch das Fechten und das Schwimmen ausschließlich in der Freizeit trainiert werden. Noch bis Anfang der 1940er Jahre war Stockholm der einzige Ort in Schweden, wo Fünfkampf effektiv trainiert werden konnte.« (Moss¦en, 1965, S. 391)1281
Erwartungsgemäß stellten die schwedischen Offiziere auch 1920 die Mehrheit der Modernen Fünfkämpfer und belegten wie schon 1912 geschlossen die ersten vier Plätze.1282 Obwohl die letzten Olympischen Spiele nunmehr acht Jahre zu1280 Wythe/Hanson, 1919. 1281 [Original in schwedischer Sprache]. Die Medaillengewinner des olympischen Modernen Fünfkampfs gehörten zwischen 1912 und 1960 mehrheitlich dem Svea artilleriregemente an (Moss¦en, 1965, S. 390). Nach einer privaten Aufstellung von Rooney Magnusson platzierten sie sich in den Anfangsjahren überdurchschnittlich häufig unter den ersten Dreien: 1912: 1. Gösta Lilliehöök, 3. Georg de Laval; 1920: 1. Gustaf Dyrssen, 2. Erik de Laval; 1924: 1. Bo Lindman, 2. Gustaf Dyrssen; 1928: 1. Sven Thofelt, 2. Bo Lindman; 1932: 2. Bo Lindman; 1948: 1. William Grut. 1282 Belgian Olympic Committee, 1957, S. 131. Der mittlerweile 32-jährige Erik de Laval, der acht Jahre zuvor schon nach drei Disziplinen aufgegeben hatte, belegte nun Platz 2 hinter
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rücklagen, befanden sich zwei Offiziere von 1912 auch 1920 auf der Teilnehmerliste: Der Schwede Erik de Laval und der Franzose Georges Brul¦, der in der Zwischenzeit den »modernen militärischen Fünfkampf« gewonnen hatte.1283 Außer Schweden und Franzosen traten im zweiten olympischen Modernen Fünfkampf zudem Athleten aus Finnland, Norwegen, Dänemark, Großbritannien, den USA und erstmals aus Italien an. Die Niederlande nahmen trotz der vergleichsweise kurzen Anreise erst 1924 wieder am Modernen Fünfkampf teil;1284 Deutschland war noch bis 1928 von einer Teilnahme an den Olympischen Spielen ausgeschlossen. Der schwedische Offizier Gustaf Dyrssen lag 1920 nach fünf Disziplinen vorn und hielt somit die schwedisch-militärische Tradition des Modernen Fünfkampfs aufrecht. Da es nach wie vor keine Weltmeisterschaften oder andere nicht-olympische Moderne Fünfkämpfe gab, blieb auch die olympisch-coubertinsche Seite präsent. Dieser gemischte Einfluss änderte sich auch in Paris 1924 und in Amsterdam 1928 nicht,1285 so dass sich in diesem Punkt eine Kontinuität in der Genese des Modernen Fünfkampfs abzeichnete. Nach Kriegsende stand zunächst das allgemeine Fortbestehen der Sportart im olympischen Programm im Vordergrund. Veränderungen im Wettkampfreglement, die über einen Wechsel der Disziplinreihenfolge oder der Wettkampflänge hinausgingen, standen außer Frage. Folglich hielten sich sowohl Coubertin als auch Balck zunächst mit Kritiken und neuerlichen Vorschlägen zurück. In Bezug auf die Pferdefrage blieb in Antwerpen entsprechend noch alles beim Alten.1286 Doch schon vier Jahre später in Paris setzte sich Coubertin mit seiner ursprünglichen Idee durch: »Chevaux : Ils seront fournis par le Comit¦ organisateur et tir¦s au sort. Ils ne pourront pas Þtre essay¦s avant le concours.«1287 Dieses Reglement wurde auch in den folgenden Jahren beibehalten: Das niederländische Organisationskomitee stellte allen Teilnehmern Leihpferde zur
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seinem Landsmann Gustaf (Peder Wilhelmsson) Dyrssen (1891 – 1981). Dyrssen war später von 1949 bis 1960 Präsident der UIPM und von 1952 bis 1970 IOC-Mitglied (Kluge, 1997, S. 473 f (Anmerkung 124)). Erik de Laval (1912: Platz 24, 1920: Platz 2) und Georges Brul¦ (1912: Platz 19, 1920: Platz 9) hatten beide ihre Ergebnisse verbessert, was zum Einen darauf hindeutet, dass beide weitertrainierten; zum Anderen darauf, dass die Konkurrenz 1920, kurz nach Kriegsende, noch vergleichsweise schwächer war. 1912 hatte Doorman schon nach einer Disziplin aufgeben müssen (vgl. Tab. 10, Kap. 5.2.2). Offenbar hatte dies allerdings nicht dazu geführt, das nationale Training in den Niederlanden anzukurbeln. Comit¦ Olympique FranÅais, 1925, S. 497 – 503; The Netherlands Olympic Committee, 1928, S. 692 – 708. Vgl. auch Blondel, 2008, S. 709 – 738; Lennartz & Reinhardt, 2011, S. 162 ff. Belgian Olympic Committee, 1957, S. 35. Comit¦ Olympique Francais, 1925, S. 501. Übersetzung: »Pferde: Sie werden vom Organisationskomitee zur Verfügung gestellt und zugelost. Sie können vor dem Wettkampf nicht getestet werden.«
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Verfügung und loste sie zu;1288 ebenso 1932 stellte die US-Armee die Pferde, die zwei Jahre speziell daraufhin trainiert worden waren.1289 Interessanterweise wurden die im Modernen Fünfkampf genutzten Zielscheiben zwanzig Jahre später in Los Angeles noch immer aus Schweden bezogen.1290 Zuvor, 1928, hatte Coubertin zwar schon drei Jahre lang Baillet-Latour die IOC-Präsidentschaft überlassen, doch hinderte ihn dies nicht daran, nochmals seine idealen Vorstellungen und seine Rolle als Schöpfer der Sportart wachzurufen: »Personnellement, je voudrais voir le Pentathlon moderne ramen¦ aux directives que j’avais pos¦es en le cr¦ant.«1291 Gleichzeitig nabelte sich der Moderne Fünfkampf verbandspolitisch zunehmend von seiner olympischen Wettkampfkultur ab. Das 1932 gegründete Comit¦ International du Pentathlon Moderne (CIPM) unterstand zwar nach wie vor dem IOC, doch war es als erster Schritt Richtung eigenständiger Sportverband zu deuten (Heck, 2011b, S. 229 – 241).1292 Was die soziale Herkunft der Teilnehmer anging, so kamen diese in den ersten zwanzig Jahren weiterhin vornehmlich aus militärischen Kreisen. Der US-Athlet Richard Mayo, der 1932 den dritten Platz errang, trainierte beispielsweise wie schon sein Landsmann Patton in der Militärakademie »West Point« und kämpfte später ebenso als Offizier im Zweiten Weltkrieg. Vier Jahre zuvor hatte das Schießen des Modernen Fünfkampfs bezeichnenderweise auf der Anlage einer Militärbasis in Zeeburg/Niederlande stattgefunden; auch 1928 lagen die Organisation und die Wettkampfstätten also noch in militärischer Hand.1293 Dabei standen in Amsterdam erstmals nicht ausschließlich Schweden auf dem Siegerpodest. Dies lag u. a. daran, dass nur noch drei Athleten pro Land antreten durften und sich dadurch die Chancen allgemein verringerten, aber auch daran, dass die anderen Staaten langsam aufholten.1294 Der deutsche Leutnant und Berufssoldat Helmuth Kahl (1901 – 1974) belegte in Amsterdam Platz drei und 1288 1289 1290 1291
The Netherlands Olympic Committee, 1928, S. 695. Xth Olympiad Committee of the Games of Los Angeles 1932, 1933, S. 93, 572. Ebd. Coubertin tous les athlÀtes et participants aux jeux olympiques, assembl¦s Amsterdam pour la c¦l¦bration de la IXme olympiade. In The Netherlands Olympic Committee, 1928, S. 12. Übersetzung: »Persönlich würde ich den Modernen Fünfkampf gerne auf die Richtlinien zurückgeführt sehen, die ich festlegt habe, als ich ihn kreierte.« 1292 Erik Drakenberg (1928). Protocol of the conference in Amsterdam. 6. August. SD1: Correspondance avec le bureau ex¦cutif, 1928 – 1959. Correspondance du Bureau Ex¦cutif de l’Union Internationale du Pentathlon Moderne (UIPM), 1928 – 1959, Code: CIO FI-PENTAUIPM-GENER, ID: 45366. IOC Archiv Lausanne. 1293 The Netherlands Olympic Committee, 1928, S. 692. Zeeburg ist ein Stadtviertel im Osten von Amsterdam. Der Moderne Fünfkampf nahm 1928 auch deshalb eine Sonderstellung ein, weil eigentlich wegen Konflikten mit dem Amateurreglement keine olympischen Schießwettbewerbe zugelassen waren. Im Mehrkampf machten die Organisatoren allerdings eine Ausnahme. 1294 Ebd., S. 697.
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Fazit
errang damit die erste deutsche Medaille im Modernen Fünfkampf (Lennartz & Reinhardt, 2011, S. 164). Er gehörte der berittenen Schutzpolizei Berlin und damit einem staatsorganisatorische Züge tragenden Polizeisportverein an. Letztere interessierten sich zunehmend für den Modernen Fünfkampf und entwickelten so neben dem Militär ein zweites, »ziviles«, Standbein.1295 Die Zwischenkriegszeit läutete so die im Rahmen der Versportlichung bzw. Pazifizierung allgemein zunehmende Trennung der Bereiche Militär und Sport ein. Diese Tendenz wurde zwar in der Zeit des Nazi-Regimes jäh unterbrochen, doch setzte sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg unaufhaltsam fort. Die Olympischen Spiele von 1936 selbst stellten eine Glanzzeit für Militarismus und Maskulinität und somit auch für den Modernen Fünfkampf dar. 42 Athleten – so viel wie nie zuvor – traten fünf Tage lang gegeneinander an (Kluge, 1997, S. 829 f; vgl. Diagr. 1). Der Sieg des deutschen Offiziers Gotthardt Handrick war aus nationalsozialistischer Sicht Ausdruck von besonderer militärischer Stärke und Kampfbereitschaft (Heck, 2011a, S. 255 – 274). Der Moderne Fünfkampf eignete sich aufgrund seines militärischen Charakters hervorragend zur nationalsozialistischen Instrumentalisierung. Es schien, dass er als Wettkampf der Soldaten geboren wurde und als solcher auch seine größten Erfolge feiern würde. Obwohl im Anschluss an die Wettkämpfe von Berlin gleich zweimal, 1940 und 1944, keine Olympischen Spiele stattfanden,1296 gelang es dem Modernen Fünfkampf, auch diese zweite Kriegsunterbrechung zu überstehen; mehr noch, es bahnten sich im Anschluss Emanzipationen auf unterschiedlichen Ebenen an. Diese gingen einher mit einem zunehmenden Versportlichungsprozess, in dessen Rahmen der Moderne Fünfkampf sich institutionell gleichzeitig von IOC und Militär und damit von seinen ursprünglichen Charakteristika befreite. Dies äußerte sich zum Einen im Bruch mit den »olympischen Ketten«. Coubertin, der am 2. September 1937 verstorben war, konnte nämlich von da an nicht mehr Sorge dafür tragen, dass der Moderne Fünfkampf weiterhin administrativ dem IOC unterstand. So liefen die Diskussionen über die Gründung eines Dachverbands an und führten schließlich unterbrochen durch den Zweiten Weltkrieg 1948 zur Gründung des ersten internationalen Verbands für Modernen Fünfkampf, der F¦d¦ration Internationale du Pentathlon Moderne (FIP) (Heck, 1295 Im Juni 1926 hatte Alfred von Majewski, der Vorsitzende des Reichsausschusses für Polizeisport, in der Zeitschrift Deutscher Polizeisport (S. 174) einen ersten Aufruf an interessierte Beamte geschaltet. Dieser mündete in eine Sichtung und einen Auftaktlehrgang mit insgesamt siebzehn Polizeibeamten, die im Juli 1927 an der Preußischen Polizeischule für Leibesübungen in Spandau zusammenkamen (Majewki, 1928, S. 337ff). Ich danke Herrn Tobias Bürger für die freundliche Herausgabe dieser Information. 1296 Der Moderne Fünfkampf war allerdings auch für die Olympischen Spiele von 1940 schon fest eingeplant (The Organizing Committee of the XIIth Olympiad, 1940, S. 33, 46 f.
Der Moderne Fünfkampf nach seinem Debüt: eine schleichende Emanzipation
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2011b, S. 239). Die Olympischen Spiele von London 1948 krönten mit William (Oscar Guernsey) »Wille« Grut (1914 – 2012) erneut einen schwedischen Offizier mit der Goldmedaille. Seine 16 Punkte stellen das bislang beste Resultat überhaupt dar.1297 Mit einer Gesamtteilnehmerzahl von 45 Athleten (Kluge, 1998, S. 76) bewiesen die Olympischen Spiele von 1948 außerdem, dass der Moderne Fünfkampf zunehmend Anhänger gefunden hatte (vgl. Diagr.1). Nur ein Jahr später fanden die ersten Weltmeisterschaften statt, welche die neue Unabhängigkeit des Modernen Fünfkampf von der olympischen Bewegung besiegelten. Austragungsort war Stockholm, so dass der Moderne Fünfkampf quasi »heimkehrte«. Aber nicht nur räumlich war der Moderne Fünfkampf erneut eng mit Schweden verbunden. (Henrik) Tor Wibom (1885 – 1975), der erste Präsident des neu gegründeten Dachverbands, war ein ehemaliger schwedischer Artillerieoffizier. Zur Seite standen ihm zwei Landsmänner, die ebenfalls einen Militärtitel trugen: Oberst Bo Lindman (1899 – 1992) als Sekretär und Kommandant Sven Thofelt (1904 – 1993) als Schatzmeister (UIPMB, 1983, S. 695). Wiboms Nachfolger Gustaf Dyrssen, der das Präsidentenamt von 1949 bis 1960 ausfüllte, und anschließend Sven Thofelt waren beide ehemalige Moderne Fünfkämpfer und hatten zuvor ebenfalls die schwedische Offiziersschule durchlaufen (Ebd., S. 700; Kluge, 1997, S. 473 f (Anmerkung 124)). Die Verbandsgründung gab dem Modernen Fünfkampf folglich insbesondere in Schweden neuen Aufwind. Unterstützt wurde diese Entwicklung durch Sigfrid Edström, der die IOC-Präsidentschaft 1946 übernahm, und damit das schwedische Gewicht im internationalen Sport durch eine weitere Führungsposition untermauerte.1298 Die Verbindung Schwedens zum Modernen Fünfkampf blieb auch nach 1952 ungebrochen, bis schließlich ab den 1960er Jahren die ungarischen und sowjetischen Athleten das Feld dominierten und 1988 zum ersten Mal kein Schwede, sondern der ehemalige sowjetische Moderne Fünfkämpfer, Igor Novikov (1929 – 2007), UIPM-Präsident wurde.1299 Zukünftig könnte es daher interessant sein, neben den in dieser Arbeit berücksichtigten schwedischen, französischen, englischen und deutschen Quellen auch russische und ungarische Dokumente einzubeziehen.1300 1297 The Organizing Committee for the XIVth Olympiad, 1951, S. 415 f. Zum Vergleich lag Lilliehöök 1912 mit 27 Punkten auf dem ersten Rang (vgl. Tab. 10, Kap. 5.2.2). 1298 Edström hatte die IOC-Präsidentschaft nach dem Tod des belgischen Grafen Henri de Baillet-Latour (1876 – 1942) zunächst kommissarisch übernommen. Nach Kriegsende wurde er offiziell in diesem Amt bestätigt und blieb bis 1952. Sein Nachfolger wurde Avery Brundage (1887 – 1975). 1299 Novikov übernahm das Präsidentenamt von Thofelt und bekleidete es fünf Jahre lang, bis 1993 Klaus Schormann (*1946) aus Deutschland Präsident wurde. 1300 Schon 1912 stellten die russischen Modernen Fünfkämpfer offiziell die zweitgrößte nationale Teilnehmergruppe dar, wobei diese größtenteils eigentlich aus Finnland stammten (vgl. Kap. 5.2.2).
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Fazit
Seine schwedisch-militärische Seite legte der Moderne Fünfkampf also in der Nachkriegszeit noch nicht ab. Zunächst emanzipierte sich der Moderne Fünfkampf 1948 von seiner Ausrichtung als reine Sommersportart: In St. Moritz/Schweiz fand der erste (und einzige) olympische Winterfünfkampf statt (Heck, 2011c, S. 117 – 138). Das Teilnehmerfeld dieses als Demonstrationswettbewerb durchgeführten Mehrkampfs setzte sich ebenfalls mehrheitlich aus Offizieren zusammen; Grut war beispielsweise sowohl in London als auch in St. Moritz im Fünfkampf gestartet. Acht Jahre später nahm die UIPM Biathlon als Wintersport in den Verband mit auf und nannte sich von da an Union Internationale de Pentathlon Moderne et de Biathlon (UIPMB). Erst ab 1993 gingen die UIPM und die neu gegründete International Biathlon Union (IBU) wieder eigene Wege. 1952 während der Olympischen Spiele in Helsinki brach der Moderne Fünfkampf schließlich mit seinem militärischen Erbe: Der schwedische Zimmermann Lars (Göran Ivar) Hall (1927 – 1991) gewann als erster ziviler Athlet eine Goldmedaille im Modernen Fünfkampf und läutete damit das schleichende Ende einer militärsportlichen Ära ein.1301 Keinem Modernen Fünfkämpfer mit zivilem Hintergrund war es zuvor gelungen, sich auf den vordersten Rängen zu platzieren. Ganz ohne militärische Verbindungen waren Halls Erfolge allerdings auch nicht zustande gekommen. So hatte er zuvor in der schwedischen Marine mit dem Training des Modernen Fünfkampfs begonnen und diese Sportart nach dem Ende seiner militärischen Laufbahn fortgesetzt.1302 Im erstmals durchgeführten Teamwettbewerb holte Hall zusammen mit seinen schwedischen Kollegen die Silbermedaille hinter Ungarn.1303 Diese Erweiterung der angebotenen Konkurrenzen unterstreicht, dass der Moderne Fünfkampf sich endgültig als fester Bestandteil der zeitgenössischen Bewegungskultur etabliert hatte. Während der Moderne Fünfkampf nach dem Ersten Weltkrieg zunächst um sein Überleben hatte kämpfen müssen, gewann er in den folgenden Jahrzehnten zunehmend Anhänger : Die Zahl der Teilnehmer war dabei von noch 32 in Stockholm 1912 auf nur noch 23 in Antwerpen 1920 gesunken, stieg dann in der Folge 1924 in Paris und in Amsterdam 1928 auf 38 bzw. 37 Athleten an, um dann 1301 Seinen Erfolg konnte Lars Hall vier Jahre später wiederholen. Dieser Doppelerfolg gelang außer ihm nur einem zweiten Modernen Fünfkämpfer, dem Russen Andrey (Sergeyevich) Moiseyev (*1979), der 2004 und 2008 Gold holte. 1302 Lars Hall gehörte zwei Marinesportvereinen, der Flottans IF Karlskrona und der Flottans IF Stockholm, an (»Athletes: Lars Hall«. Homepage Sports-Reference/Olympic Statistics and History. Zugriff online am 11. April 2012 unter http://www.sports-reference.com/ olympics/ athletes/ha/lars-hall-1.html). 1303 Die Wertung basierte auf der Summe der Einzelresultate (The Organising Committee for the XV Olympiad Helsinki 1952, 1952, S. 28).
Der Moderne Fünfkampf nach seinem Debüt: eine schleichende Emanzipation
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in Los Angeles 1932 (aufgrund der großen räumlichen Entfernung zu Europa) erneut auf 25 zu sinken. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg konnte sich der Moderne Fünfkampf als olympische Sportart endgültig durchsetzen: Diagr. 1: Die Entwicklung der Teilnehmerzahlen im Modernen Fünfkampf (1912 – 1952)1304
60 50
Anzahl
40 30
Teilnehmende Athleten Teilnehmende Länder
20 10 0 1912 1920 1924 1928 1932 1936 1948 1952 Olympische Spiele
In der Folgezeit, insbesondere ab den 1950ern, nahm die Zahl der zivilen Modernen Fünfkämpfer kontinuierlich zu.1305 Das versportlichte Militärwesen und die zunehmende gesellschaftliche Ausbreitung des Sports führten zu einer Einebnung der sozialen Unterschiede im Modernen Fünfkampf. Gleichzeitig erschienen die Disziplinen Fechten und Reiten zunehmend unbrauchbarer im Militärdienst. Als Reaktion darauf führte das CISM 1950 kurzerhand einen eigenen »Militärischen Fünfkampf«, bestehend aus Schießen, Hindernislauf, Hindernisschwimmen, Werfen und Geländelauf, ein.1306 Zur gleichen Zeit brei1304 Die Daten stammen aus den jeweiligen offiziellen olympischen Berichtsbänden und aus Kluge, 1997. 1305 Rooney Magnusson hat dies am Beispiel der schwedischen Modernen Fünfkämpfer untersucht. Während diese von 1912 bis 1948 ausschließlich aus verschiedenen schwedischen Regimentern (überwiegend aus dem Svea artilleriregemente) stammten, nahmen 1952 erstmals auch Stockholmer Studenten teil; 1956 erstmals Mitglieder des Sportvereins Djursholms IF (Idrottsförening). 1306 Die Idee dieses exklusiv militärischen Mehrkampfs hatte der französische Offizier Henri Debrus im Jahr 1946. Als Vorbild diente ihm eine damals von den Niederländern praktizierte Übung, die Fallschirmspringen, Marschieren, Überqueren von Hindernissen und
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Fazit
teten sich weitere »zivile« Varianten wie der vom Deutschen Turnerbund (DTB) veranstaltete »Friesenkampf« (Fechten, Schwimmen, Laufen, Kugelstoßen und Schießen) aus. Das leichtathletische Pentathlon, mit dem der Moderne Fünfkampf 1912 noch konkurriert hatte, war dagegen schon nach den Olympischen Spielen von 1924 eingestellt worden und hatte so allgemein an Popularität eingebüßt (Becker, 1991, S. 172).1307 Erst 1964 gab es im Programm der Olympischen Sommerspiele neben dem Zehnkampf wieder einen Fünfkampf, der allerdings diesmal ausschließlich Athletinnen offenstand, und 1981 wiederum durch den bis heute üblichen Siebenkampf der Frauen ersetzt wurde (Vinduskov, 2003, S. 27). Der Moderne Fünfkampf öffnete sich beiden Geschlechtern im Gegensatz zum leichtathletischen Mehrkampf erst mehr als drei Jahrzehnte später. Eine der einflussreichsten Strömungen ging dabei ab Ende der 1960er Jahre von Deutschland aus (Heck, 2012, S. 318 – 338). Dennoch wurde die letzte Hürde, der Ausschluss weiblicher Teilnehmer vom olympischen Wettkampf, erst 2000 in Sydney genommen. Damit endete schließlich auch die bis dahin rein maskulin geprägte Entwicklung des Modernen Fünfkampfs. Der historische Kurzüberblick hat aufgezeigt, dass sich olympische und militärische Einflüsse auf den Modernen Fünfkampf auch nach 1912 noch aufzeigen lassen. Das Fehlen eines sportartspezifischen Dachverbands, eine rein männlich geprägte Führungsstruktur und die wiederholte Aufstachelung einer militärisch-nationalistischen Gesinnung hatten für deren Kontinuität einen geeigneten Nährboden geboten. Mit Blick auf die Geschichte des Modernen Fünfkampfs nach 1912 untermauerte Coubertin zunehmend seine Rolle als primäre Schöpfungskraft. Auch wenn seine Pläne, einen modernen Fünfkampf einzuführen, vom Zeitgeist unterstützt waren, auch wenn er Fremdes übernommen und bestehende Praktiken aufgegriffen hatte, so minderte dies seine Genialität nur wenig. Mit Beharrlichkeit hielt er an einer Idee fest, entwickelte sie kompromissbereit weiter und sorgte durch Verschriftlichung für die notwendige Popularität. Der Moderne Fünfkampf ist somit auch die Geschichte einer Idee, die 1912 noch verschiedene »Väter« kannte, sich allerdings allmählich einer Seite zuwandte. Schon Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831) sah in der Tatsache, sich den Zeitgeist zu Eigen zu machen, keinen Abbruch der Genialität: »Wer, was seine Zeit will und ausspricht, ihr sagt und vollbringt, ist der große
das Kämpfen mit Handfeuerwaffen und Granaten umfasste. (»Regulations«. Homepage des Conseil International du Sport Militaire (CISM). Zugriff online am 11. April 2012 unter http://www.cism-milsport.org/eng/003_SPORTS/012_mil_pent/main.asp). 1307 Vgl. den Kongress der International Amateur Athletic Federation (IAAF) am 4., 15. und 16. Juli 1924 in Paris. Zitiert in [o. A.], 1983, S. 476.
Der Moderne Fünfkampf im 21. Jahrhundert: ein Reformversuch
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Mann der Zeit. Er tut, was das Innere und Wesen der Zeit ist, verwirklicht sie […].«1308 Während Balck ausschließlich in seinen Minnen die schwedische Fünfkampfidee ansprach, verstreute Coubertin seine Ideen kontinuierlich in verschiedenen Artikeln und Vorträgen. Dies führte in der Folge dazu, dass bis zum heutigen Tag vornehmlich nur eine Entwicklungslinie des Modernen Fünfkampfs tradiert wurde. Coubertin, der international weitaus größere Popularität als Balck genoss, hat sich mit langem Atem schließlich auch in Bezug auf den Modernen Fünfkampf gesellschaftlich durchgesetzt. Damit bietet sich aus Verbandssicht eine einmalige Chance, den Modernen Fünfkampf historisch zu begründen und zu legitimieren.
6.3
Der Moderne Fünfkampf im 21. Jahrhundert: ein Reformversuch
Vor dem Hintergrund der zunehmenden Emanzipation des Modernen Fünfkampfs von seinen militärischen und olympischen Ursprüngen fällt auf, dass die UIPM noch heute beharrlich am coubertinschen Erbe der Sportart festhält. Ein aktuelles Beispiel sind die in Chengdu/China für die Weltmeisterschaften 2010 neu errichteten Wettkampfanlagen, die namentlich Pierre de Coubertin gewidmet wurden. Jacques de Navacelle, Coubertins Großneffe, hatte eigens der Verwendung des berühmten Namens zugestimmt. Für JoÚl Bouzou, den Vizepräsidenten der UIPM, besteht kein Zweifel daran, dass der Moderne Fünfkampf im 21. Jahrhundert mehr denn je den Idealen Coubertins entspricht und sich damit in die richtige Richtung bewegt: »I think Pierre de Coubertin, from where he is, is very proud of us. We are not only the sport showcasing the complete athlete and highlighting all the different skills, we are also very modern through the new combined event, the laser shooting and such a wonderful multisport complex in China when sport becomes not only a competition and an entertainment, but also permanent education and a mix of all populations of the world in mutual respect and understanding.« (Pound, 2010)
Die Regeländerungen der vergangenen Jahrzehnte (Heck, 2010, S. 102) sind entsprechend häufig damit begründet worden, dass sie Coubertins originalen Wünschen nachkämen. Ein gutes Beispiel dafür ist das 1996 in Atlanta eingeführte Ein-Tages-Format, das die Wettkampflänge von vier auf einen Tag reduzierte. Eine der jüngsten verbandspolitischen Maßnahmen stellt das so ge1308 Zusatz Nr. 186 zu § 318. In Hans, 1833, S. 411.
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Fazit
nannte »Combined Event« dar, das im Januar 2009 beschlossen wurde und in London 2012 erstmals bei Olympischen Spielen den abschließenden Laufwettbewerb nach biathletischen Vorbild mit dem Schießen verband (vgl. z. B. Branch, 2008).1309 In Anlehnung an Coubertins damalige Vorstellungen sind damit zumindest zwei der fünf Disziplinen direkter (ohne Pause) miteinander verwoben. Kritiker halten die Verknüpfung der beiden letzten Disziplinen dagegen für eine das Original entfremdende Verkürzung zu einem Vierkampf (z. B. Branch, 2008). Trotz dieser jüngsten Entwicklungen und obgleich das antike Pentathlon und den Modernen Fünfkampf Jahrtausende trennen, nimmt auch deren Beziehung in der heutigen Verbandspolitik eine kontinuitäts- und identitätsstiftende Funktion ein. Die Parallelität liegt dabei eigentlich vor allem in der kriegerischen Komponente, die Pentathleten sowohl in der Antike als auch Anfang des 20. Jahrhunderts zu idealen »Soldaten« machte. Doch davon ist in der heutigen Verbandspolitik wiederum keine Rede. Das Festhalten an Coubertins Leitzielen und das konsequente Ausblenden der historisch gesehen ebenso bedeutsamen militärischen Seite des Modernen Fünfkampfs sind auffällig, doch nicht verwunderlich. Um sicherzustellen, dass der Moderne Fünfkampf weiterhin olympisch bleibt, wurde eine positive Außendarstellung, keine detailgerechte Aufarbeitung der Vergangenheit, zum ungeschriebenen Verbandsziel erklärt. Schon Juan Antonio Samaranch (1920 – 2010), IOC-Präsident von 1980 bis 2001, hatte während seiner Amtszeit angekündigt, dass Sportarten von geringem Öffentlichkeitsinteresse aus dem olympischen Programm verschwinden würden. Er warf damit »die alten Ideale des neuzeitlichen Olympia-Gründers Baron de Coubertin über Bord« und läutete das Zeitalter der kommerzialisierten Spiele ein (Ahrens, 2010). Für Sportarten, die sich wie der Moderne Fünfkampf vornehmlich über ihre olympische Präsenz definierten, hätte der Ausschluss aus dem olympischen Programm fatale Folgen, weil sie von den Zuwendungen aus dem IOC-Vermarktungsprogramm abhängig sind (Lyberg, 1997, S. 11; Weinberg, 2013). Daher zeigte sich die UIPM spätestens seit den 1990er Jahren bemüht, die Sportart weiterzuentwickeln und ihren Pool aktiver Athleten international zu 1309 Die DVMF erklärt die Wettkampfregularien wie folgt: »Die Fünfkämpfer beginnen das Combined Event entsprechend ihrer bisher im Wettbewerb gesammelten Punkte. Die Athleten laufen zum Schießstand und müssen mit der Laserpistole (Multimedia-Pointer) fünf Ziele in 10 m Entfernung in max. 1:10 min treffen. Danach folgt ein 1000 m langer Rundkurs. Dies wiederholt sich zwei mal [sic!], bevor die Fünfkämpfer nach insgesamt 3000 m und 3 x Schießen die Ziellinie erreichen. Pentathlon-Punkte: 2000 Punkte gibt es für den Athleten, der im Combined eine Zeit von 14 Minuten erlangen kann. Jede Sekunde schneller oder langsamer entspricht plus/minus 4 Punkten.« (»Combined – Schießen & Laufen«. Homepage des Deutschen Verbands für Modernen Fünfkampf (DVMF). Zugriff online am 1. April 2012 unter http://www. dvmf.de/index.php?id=78).
Der Moderne Fünfkampf im 21. Jahrhundert: ein Reformversuch
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vergrößern. Die Verbandsführung sorgte regelmäßig für Neuerungen im Reglement und versuchte dennoch gleichzeitig, an den vermeintlich ursprünglichen Idealen der Sportart festzuhalten. Denn die Anzahl der Sportarten im olympischen Programm ist begrenzt. Das IOC erkennt insgesamt mehr Sportarten an, als es in das offizielle Sportartenprogramm der Olympischen Spiele aufnimmt. Erst kürzlich, im Februar 2013, hat die IOC Executive Commission daher alle anerkannten Sportarten im Hinblick auf Kriterien wie Einschaltquote, Medieninteresse, Vermarktung, Organisationskosten, Ticketverkauf, weltweite Verbreitung, Popularität und Engagement in der Anti-Doping-Kampagne neu bewertet (Weinreich, 2013; Wells, 2013). Auch diesmal scheint es, dass der Moderne Fünfkampf überlebt. Ringen, das seit Beginn der neuzeitlichen Olympischen Spiele 1896, olympischen Status hat, ist dagegen gefährdet, ab 2020 vom olympischen Programm ausgeschlossen zu werden (DOSB, 2013a). Dem Modernen Fünfkampf ist es also durch seine Modernisierungs-Strategie auch nach hundert Jahren gelungen, sich im olympischen Programm zu halten. Dennoch ist er dabei in der Zuschauergunst vergleichsweise weniger erfolgreich als die ebenfalls »gesampelten«, olympischen Sportarten Triathlon und Biathlon (Schwier, 1998, S. 7 – 13).1310 Obwohl der Moderne Fünfkampf schon im Jahr 2000 die für olympische Sportarten erforderliche Mindestverbreitung in 75 Ländern und auf vier Kontinenten erfüllte, blieben die Teilnehmerzahlen national gesehen noch immer relativ gering (IOC, 1997, S. 66). Das offiziell an die UIPM angeschlossene Biathle, eine Kombination aus Laufen-SchwimmenLaufen, ist ebenfalls relativ unbekannt. Da es allerdings leichter zu erlernen ist und somit mehr Sportwillige als der Moderne Fünfkampf erreicht, erfüllte seine Angliederung an den Fünfkampfverband zumindest national und kurzfristig gesehen ihren Zweck.1311 Doch das Biathle ist auf internationaler Ebene nach wie vor nicht ausreichend verbreitet und damit weit davon entfernt, einen der begehrten Plätze im olympischen Programm zu ergattern. Was den Modernen Fünfkampf in Deutschland angeht, so hat selbst die olympische Goldmedaille Lena Schöneborns 2008 in Peking nur wenig zur Steigerung des Bekanntheitsgrads der Sportart beigetragen. Auch in anderen Ländern führt der Moderne Fünfkampf ein Schattendasein hinter anderen medial leichter zu vermarktenden und gesellschaftlich weiter verbreiteten Sportarten. In Schweden ist er zwar wegen seiner reichen, von Erfolgen ge1310 Versuche, das Triathlon 1989 als Sportart in die damalige UIPMB aufzunehmen, scheiterten, weil der Verband die volle Kontrolle über die Sportart anstrebte, die TriathlonAnhänger dagegen eine autonome Organisationsstruktur vorzogen (Bernhardt [o. J.]. The History of Triathlon – Part II: Putting the Wheels in Motion). 1311 Die Öffnung für den Breitensport bescherte dem DVMF 2006 nämlich einen enormen Anstieg in der Mitgliederstatistik in Höhe von 959 Prozent (von 5.600 auf 59.000 Mitgliedschaften) (DOSB, 2007, S. 14).
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Fazit
krönten Historie vergleichsweise populärer, doch kämpft der nationale Verband auch dort um den Nachwuchs.1312 Der Moderne Fünfkampf ist somit heute weltweit als Randsportart einzuschätzen. Auch wenn die Zeichen für 2020 günstig stehen, so ist sein Verbleib im olympischen Programm gegenwärtig nur für weitere vier Jahre, bis zu den Olympischen Spielen von Rio/Brasilien 2016, gesichert.1313 Athleten werden dort in insgesamt 28 Sportarten, darunter auch Golf und Rugby Union, gegeneinander antreten, wie das IOC 2009 in Kopenhagen beschlossen hat (o. A., 2009). Auf der 125. IOC-Session in Buenos Aires, Argentinien, wird das IOC im September 2013 über die Zukunft des olympischen Programms nach Rio entscheiden (DOSB, 2013b). Ein weiteres Mal wird auch über den Modernen Fünfkampf verhandelt, der nicht zuletzt an den Ergebnissen seiner Modernisierungsbemühungen für London 2012 gemessen wird. Der Überlebenskampf der UIPM läuft also weiter. Der Moderne Fünfkampf hat auch 2013 sein endgültiges Format noch nicht erreicht und wird dies vermutlich auch zukünftig nicht tun. Er befindet sich, genau wie die olympische Bewegung im Allgemeinen, in einem kontinuierlichen Veränderungsprozess, steht in Interaktion mit der sozialen Entwicklung und den spezifischen kulturellen Anforderungen. Auf dem jüngsten UIPM-Kongress im Oktober 2012, hat man sich beispielsweise darauf geeinigt, das erst neu eingeführte Combined Event zu modifizieren, d. h. vier (statt drei) Schussserien, vier Laufrunden 800 Meter (statt drei 1000 Meter) und eine Kürzung der maximalen Zeit für jede Schussserie von 70 auf 50 Sekunden. Ziel ist es, auf diese Weise die Dramatik und Spannung des Laserschießens zu erhöhen (UIPM, 2012). Seit 2001 hat die Sportart große Unterstützung in Jacques Rogge gefunden. Seine Amtszeit wird jedoch noch 2013 enden. Auf der zuvor genannten 125. IOCSession im September wird nicht nur der Ausrichter der kommenden Olympischen Spiele gewählt, sondern es stehen mindestens zwei weitere bedeutende Entscheidungen an: Ein neuer IOC-Präsident wird gewählt und die mögliche Zulassung neuer Sportarten für die Spiele von 2020 wird angesprochen (IOC, »The programme of the Games of the Olympiad,« 2). Wenn die Nominierung neuer Sportarten auf einen Präsidenten trifft, welcher der Erneuerung des Sportprogramms positiv gegenübersteht, könnte die Zukunft des olympischen Modernen Fünfkampfs düster ausssehen. 1312 Stockholm und Uppsala sind heute die beiden Zentren des schwedischen Modernen Fünfkampfs (vgl. die private E-Mail von Göran Bylund, Sportdirektor des Modernen Fünfkampfs im Schwedischen Mehrkampfverband, vom 11. Mai 2012). Derzeit befinden sich allerdings keine schwedischen Modernen Fünfkämpfer unter den ersten Fünf (»Rankings«. Homepage der Union Internationale de Pentathlon Moderne (UIPM). Zugriff am 11. Mai 2012 unter http://www.pentathlon.org) 1313 Vgl. die private E-Mail der UIPM Headquarters vom 28. Februar 2009.
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2012 in London unternahm der Verband daher neben dem »Combined Event« einen weiteren Versuch, die Medienattraktivität des Modernen Fünfkampfs zu erhöhen und somit seinen Platz im olympischen Programm langfristig zu sichern. Nach dem als erfolgreich bewerteten Debüt bei den zwei Jahre zurückliegenden Olympischen Jugendspielen von Singapur kam die Laserpistole zum ersten Mal im olympischen Wettbewerb zum Einsatz. Von dieser technischen Innovation versprechen sich die Organisatoren den Modernen Fünfkampf zuschauerfreundlicher, kostengünstiger, umweltverträglicher, internationaler sowie leichter erlernbar und organisierbar zu machen (o. A., 2010; Sturm, 2010). Ein darauf aufbauendes Ziel für 2016 oder 2020 ist die Zusammenlegung aller Disziplinen in eine gemeinsame Sportstätte (o. A., 2010). Der amtierende UIPMund DVMF-Präsident Klaus Schormann nennt diese Vorgehensweise »mit der Zeit Schritt halten« (Ebd.). Wenn Kommerz zur neuen olympischen Idee avanciert, scheint es wohl die richtige Strategie zu sein, den Modernen Fünfkampf fortlaufend zu »modernisieren« bzw. zu »mediatisieren« und damit als telegene, vermarktbare Sportattraktion zu empfehlen. Ob dem Modernen Fünfkampf dieser Spagat zwischen Tradition und Modernität gelingt, wird sich mit Blick auf die Zuschauerentwicklung und die Medienpräsenz und letztlich bei der anstehenden Entscheidung des IOC über den olympischen Verbleib des Modernen Fünfkampfs zeigen. Einige Beobachter des Modernen Fünfkampfs sprechen trotz der Neuerungen von 2012 von einer »Identitätskrise« (Helfers, 2012). Diese könnte dem olympischen Modernen Fünfkampf schon nach 2016 zum Verhängnis werden, weil derweil andere, gesellschaftlich populärere Sportarten schon auf einen Platz im olympischen Programm lauern.1314 So verwundert es nicht, dass die militärische Vergangenheit des Modernen Fünfkampfs nicht zu jenen Aspekten der Historie gehört, die von Verbandsseite propagiert werden. Andererseits ist die Ambition, Coubertins Ideale noch heute einlösen zu wollen, als anachronistisch zu beurteilen. Denn seine Forderungen basierten auf dem damaligen militärisch-maskulin geprägten Zeitgeist. Dieser Kontext kann bei einer historischen Betrachtung der Sportart nicht unberücksichtigt bleiben, was gleichzeitig bedeutet, dass auch Coubertins Vorstellungen nicht unverändert als Grundlage der heutigen Identitätsbildung dienen können. Der gegenwärtig fehlende Nutzen des Modernen Fünfkampfs im Rahmen der (para-)militärischen Ausbildung hat der Sportart folglich eine ihrer wichtigsten Legitimationsgrundlagen genommen. Die moderne Kriegsführung und das militärische Fitnesstraining sind auf die im Modernen Fünfkampf erlernten Fähigkeiten und Fertigkeiten nicht mehr angewiesen. 1314 Zu den aufstrebenden Sportarten gehören vor allem Baseball, Softball, Rugby, Golf, Inlineskating, Squash und Karate (Schirmer, 2009).
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Fazit
Die Forderungen, die Coubertin 1912 in Bezug auf den Modernen Fünfkampf einbrachte, heute eins zu eins umsetzen zu wollen, widerspricht folglich einem seiner eigenen Hauptmotive: der Zeitgemäßheit. In Bezug auf die Einführung einer weiblichen Konkurrenz beharrte die UIPM jedoch trotz der zunehmenden gesellschaftlichen Emanzipation der Frau lange Zeit auf Coubertins Meinung: »Quant la participation des femmes aux Jeux, j’y demeure hostile. C’est contre mon gr¦ qu’elles ont ¦t¦ admises un nombre grandissant d’¦preuves.«1315 Im Jahr 2000 beugte sich der Verband schließlich den zunehmend lauter werdenden Forderungen, eine weibliche Konkurrenz im olympischen Modernen Fünfkampf einzuführen. Obwohl auch andere von Coubertin mit dem Modernen Fünfkampf verbundenen Ideale mittlerweile überholt sind, und er zu Lebzeiten weit weniger vehement für diese eintrat als gemeinhin angenommen, hält die UIPM noch heute an den alten Idealen fest. Doch der antike Pentathlet kann heutzutage genauso wenig als Leitbild dienen wie der D¦brouillard des 19. Jahrhunderts. Beide werden vielmehr zu romantisierten Relikten einer längst vergangenen Zeit. Sicher lassen sich auch mit dem Argument der Traditionspflege Anhänger für den Modernen Fünfkampf finden, doch echte Begeisterung kann für eine heute weitgehend unverstandene Sportart so nicht geweckt werden. Sich in Bezug auf das Reglement dennoch an Coubertins konkrete Empfehlungen zu halten, untermauert also ein starres Beharren auf alten Prinzipien, ohne diese offen mit gegenwärtigen Wertmaßstäben zu konfrontieren. Dies bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass die coubertinschen Traditionen heute keinesfalls mehr als Anknüpfungspunkt dienen dürfen. Werden auf dieser Basis sportpolitische Entscheidungen getroffen, so bedarf es allerdings mehr als einer einseitigen Präsentation sporthistorischer Realitäten. Möchte man Coubertin wirklich gerecht werden, so müsste die Frage vielmehr lauten, was einen D¦brouillard des 21. Jahrhunderts ausmacht und in welchen modernen Disziplinen seine Fähigkeiten abgefragt werden könnten. Denn die geringe Popularität des Modernen Fünfkampfs hängt nicht nur mit der zunehmenden Kommerzialisierung und Mediatisierung des olympischen Sports zusammen, sondern auch allgemein mit einer veränderten Gesellschaft und Bewegungskultur. Dies bedeutet folglich, dass sich sowohl die Gestalt als auch die Ziele »den aktuellen Gegebenheiten anpassen müssen« (Pfister, 2011). Was die deutsche Sporthistorikerin Gertrud Pfister hier für die Entwicklung des Turnens und Sports allgemein formulierte, hat auch für den Modernen Fünfkampf seine Richtigkeit. Denn Voraussetzung für eine Weiterentwicklung des 1315 »Coubertin tous les athlÀtes et participants aux jeux olympiques, assembl¦s Amsterdam pour la c¦l¦bration de la IXme olympiade.« In The Netherlands Olympic Committee, 1928, S. 12. Übersetzung: »Was die Teilnahme von Frauen in den Spielen angeht, bleibe ich feindselig. Es ist gegen meinen Willen, dass sie zu einer wachsenden Zahl von Tests zugelassen wurden.«
Der Moderne Fünfkampf im 21. Jahrhundert: ein Reformversuch
401
Modernen Fünfkampfs ist zunächst »eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit« (Ebd.), die wiederum auf (Er)Kenntnissen über seine Genese beruht. Vorschläge zur Veränderung der Disziplinzusammensetzung gibt es schon lange. Der schwedische Moderne Fünfkämpfer »Wille« Grut, der 1948 in London Gold gewann und von 1960 bis 1962 Generalsekretär der UIPM war, betrachtet die Zukunft des Modernen Fünfkampfs sorgenvoll.1316 Solange das kosten- und zeitaufwendige Fechten und das zudem auf Glück basierende Reiten nicht gestrichen würden, gebe es keine Chance für eine positive Wende. Das »Combined Event« und die Einführung des Laserschießens hat er vorab ebenso empfohlen, wie nunmehr den Ersatz der beiden als problematisch empfundenen Disziplinen durch neue, publikumsattraktivere Sportarten. Aus seiner Sicht könnten diese Funktion zukünftig Mountainbiken und Tischtennis übernehmen. Doch diese Änderungen sind aus Verbandssicht wohl zu radikal, zudem sie erfordern würden, die von Coubertin favorisierten Disziplinen und Regularien, die in der Vergangenheit abermals zuverlässig den Verbleib im olympischen Programm gesichert haben, in weiten Punkten abzustreifen. Die Realisierung von Gruts Vorschlag könnte außerdem kritisch als Zeichen dafür gedeutet werden, dass die Kommerzialisierung auf der olympischen Bühne nun endgültig über den Stellenwert der Bewahrung einer traditionellen Sportart gesiegt habe. Anderseits würde der Moderne Fünfkampf damit nichts anderes tun, als zu versuchen, sich der aktuellen Bewegungskultur anzupassen. Und dieses Mitwachsen mit der fortschreitenden Veränderung der Gesellschaft war schließlich auch in Coubertins Sinn. Das coubertinsche Leitbild besagt, dass der D¦brouillard einen Menschen verkörpert, der »für die Bedingungen des modernen Lebens gerüstet ist, […] der sich stets zu helfen weiß« (vgl. Kap. 2.1.2).1317 Dies lässt auch bei der Übertragung ins 21. Jahrhundert reichlich individuellen Interpretationsspielraum. Das sprachliche Pendant zum D¦brouillard sind in der heutigen Zeit vermutlich die sogenannten »life skills«, funktionale Anforderungen, die bei der Bewältigung zukünftiger Berufs- und Lebenssituationen helfen sollen (Stibbe, 2011, S. 12). Im Bereich des europäischen schulischen und außerschulischen Erziehungsund Bildungswesens prägt der Begriff der »Kompetenzen« die gegenwärtige Diskussion. Der Begriff umfasst in der schulsportpädagogischen Diskussion »Fähigkeiten und Fertigkeiten, Einstellungen und Haltungen sowie Kenntnisse«, die erforderlich sind, »um zunehmend komplexere Aufgaben und Anforderungen im Handlungsfeld ›Bewegung, Spiel und Sport‹ selbstständig und sachgerecht bewältigen zu können (Michels u. a., 2009, S. 5). 1316 »Wille« Grut in einem persönlichen Brief vom 2. Januar 2010. 1317 Coubertin (1901a). Notes sur l’¦ducation publique. Übersetzt in Hoyer, 1972, S. 132.
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Fazit
Um einen postmodernen, globalen D¦brouillard zu entwickeln, bietet es sich daher an, bei der aktuellen (sport-)pädagogischen Kompetenzdiskussion anzusetzen. Durch welche Bewegungsfelder können Schlüsselqualifikationen eines postmodernen Menschen gefördert werden und mit welchen sportlichen Disziplinen lassen sich diese schulen? Michels u. a. (2009, S. 5 – 17) und Schumacher (2011, S. 125) unterscheiden beispielsweise sechs übergreifende Kompetenzbereiche im Sportunterricht.1318 Diesen Kompetenzerwartungen lassen sich wiederum verbindliche Inhaltsbereiche zuordnen, die angelehnt an die gegenwärtige Bewegungs-, Spiel- und Sportkultur eine Auswahl konkreter, normierter Sportarten erleichtern (Ebd., S. 128; Michels u. a., 2009, S. 18 – 22). Verschiedene Sportdisziplinen werden dabei insgesamt sieben kompetenzorientierten Bewegungsfeldern zugeordnet (vgl. Tab. 12): Tab. 12: Kompetenzorientierte Bewegungsfelder und ausgewählte Sportdisziplinen
1318 Die sechs Bereiche sind im Einzelnen: »KB1 Gesundheits- und wahrnehmungsorientierte Bewegungshandlungen, KB2 Soziale und integrative Bewegungshandlungen, KB3 Könnens- und leistungsorientierte Bewegungshandlungen, KB4 Spielorientierte Bewegungshandlungen, KB5 Gestaltende und darstellende Bewegungshandlungen, KB6 Erlebnisund wagnisorientierte Bewegungshandlungen«.
Der Moderne Fünfkampf im 21. Jahrhundert: ein Reformversuch
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Unter den aufgelisteten Sportarten finden sich auch drei der gegenwärtigen Disziplinen des Modernen Fünfkampfs, die grau untermalt sind.1319 Schließlich ist aus den sieben Kategorien je eine Disziplin ausgewählt und rot umrandet worden, die aus Sicht der Verfasserin einen kompetenzorientierten, populären, organisatorisch umsetzbaren und »modernen« Mehrkampf bilden könnte. Trotz der gewählten Kriterien kommt auch diese Festlegung nicht ohne subjektive Färbung aus, so dass es sich ledig um ein Beispiel für eine Neuzusammensetzung handeln kann. Weitere Kombinationen können mithilfe der Tabelle vorgenommen werden und auch die einzelnen Regularien (z. B. die Reihenfolge) müssten in einem zweiten Schritt noch festgelegt werden. Der hier vorgestellte »modernisierte« Mehrkampf entspricht der Grundidee einer kompetenzorientierten Bewegungsvielfalt und unterscheidet sich damit von jenem in London 2012. Abgesehen vom Schwimmen werden alle übrigen, alten Disziplinen ausgetauscht. Um jedem der sieben Bewegungsfelder gerecht zu werden, muss der Fünfkampf zudem um zwei Disziplinen erweitert werden. Dies bedeutet zwar, dass der »Moderne Siebenkampf« wie sein leichtathletisches Pendant an zwei aufeinanderfolgenden Tagen und nicht im Ein-Tages-Format ausgeführt werden kann, doch bietet diese Einteilung auch Vorteile: Am ersten Tag könnten vier Disziplinen, die eine Wettkampfhalle benötigen, durchgeführt werden, sprich Schwimmen, Badminton, Rope Skipping und Boxen; am zweiten und letzten Tag jene, die im Freien stattfinden, sprich Sprinten, Klettern und Inline-Skating. Die Wettkampfzeit pro Tag verringert sich folglich, was die Sportart für die Zuschauer und damit ebenso für Fernsehübertragungen attraktiver macht. Zudem würde die gewählte Neustrukturierung des Wettkampfformats den Sportarten, die noch nicht olympisch sind (z. B. Inlineskating) die Möglichkeit geben, im Programm der Olympischen Spiele als Teil des Mehrkampfes Fuß zu fassen und so für sich als Individualsportart zu werben. Die getroffene Disziplinauswahl ist neben der Kompetenzorientierung auf zwei Hauptfaktoren, Popularität und Machbarkeit, begründet. Bei der Festlegung wurde zudem darauf geachtet, dass die Disziplinen nicht deckungsgleich mit jenen der leichtathletischen Mehrkämpfe (Sieben-, Zehnkampf), des Triathlons oder des Militärischen Fünfkampfs sind, damit der Eigencharakter des neuen Mehrkampfs gewahrt bleibt. Dies führte beispielsweise dazu, den Geländelauf sowie das Schießen, die ohnehin schon Bestandteil des Militärischen Fünfkampfs sind, durch andere Disziplinen zu ersetzen. Da es sich beim »Modernen Siebenkampf« um eine Individualsportart handelt, finden außerdem keine Disziplinen, die eine Mannschaft erfordern (Fußball, Staffelläufe etc.), 1319 Die Disziplinen sind der genannten Literatur entnommen und alphabetisch aufgelistet. Schießen und Reiten werden dort nicht aufgeführt, weil sie in der Praxis des heutigen Sportunterrichts keine Rolle spielen.
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Fazit
Berücksichtigung. Unter dem Gesichtspunkt der Machbarkeit, die insbesondere die praktisch-organisatorische Umsetzbarkeit als Mehrkampfdisziplin (z. B. Kostenfaktoren sowie die Entfernung der Wettkampfstätten untereinander) umfasst, wurden wiederum einige andere kompetenzorientierte Sportarten ausselektiert (Skifahren etc.). Nach Meinung der Verfasserin könnte der hier in exemplarischer Form präsentierte »Moderne Mehrkampf« dem Charakter eines D¦brouillards des 21. Jahrhunderts näherkommen und darüber hinaus zu einer öffentlichkeitswirksameren Form gelangen. Dies erfordert allerdings ein Loslassen von Coubertins konkreten Disziplinpräferenzen zugunsten einer grundlegenden zeitgemäßen Umgestaltung. So darf man gespannt darauf sein, wie sich der Moderne Fünfkampf nach seinem runden Jubiläum tatsächlich weiterentwickelt. Möglicherweise sollte zukünftig nicht ausschließlich Coubertin für jede Neuerung herhalten müssen. Sich umfassend und kritisch mit der Genese der Sportart sowie mit heutigen Bildungsstandards auseinanderzusetzen und ebenso anderer berühmter Köpfe zu gedenken, würde die Argumentationsgrundlage sicher bereichern. So schrieb schon Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832) vor mehr als 180 Jahren: »Es gibt kein Vergangenes, das man zurücksehnen dürfte; es gibt nur ein ewig Neues, das sich aus den erweiterten Elementen des Vergangenen gestaltet, und die echte Sehnsucht muß stets produktiv sein, ein neues Beßres [sic!] erschaffen.«1320
1320 Goethe zu seinem engen Freund Friedrich (Theodor Adam Heinrich) von Müller (1779 – 1849), Staatskanzler des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach. 4. November 1823. Zitiert in Lautenbach, 2004, S. 1006.
7 Quellen- und Literaturverzeichnis
Das folgende Verzeichnis ist in zwei Hauptgruppen unterteilt: Quellen (7.1) und Sekundärliteratur (7.2). Innerhalb der Quellen wird wiederum zwischen Archivalien (7.1.1) und zeitgenössischen Büchern und Zeitschriften (7.1.2) unterschieden. Die Archivalien und die privaten Korrespondenzen sind chronologisch angeordnet; die übrigen Werke und Quellen alphabetisch nach Autoren. Gibt es mehrere Veröffentlichungen desselben Autors im selben Jahr, so ist das genaue Datum und anschließend wiederum der Anfangsbuchstabe des Titels für die Reihenfolge ausschlaggebend. Zur besseren Unterscheidung erhalten Letztere zusätzlich eine arabische Kennziffer, die an das Publikationsjahr angehängt wird. Teilweise fehlen einige Angaben, worauf durch entsprechende Abkürzungen hingewiesen wird: [o. A.] meint »ohne Autor«, [o. T.] »ohne Titel«, [o. O.] »ohne Ort« und [o. V.] »ohne Verlag«. Handelt es sich um eine Neuauflage, so steht das Jahr der ersten Veröffentlichungen in runden Klammern hinter dem Autorennamen und dahinter das Jahr der genutzten Neuauflage in eckigen Klammern; Gleiches gilt für den Publikationsort und den Verlag.
7.1
Quellen
7.1.1 Archivalien 7.1.1.1 IOC Archiv Olympic Studies Centre, Quai d’Ouchy 1, 1006 Lausanne/Schweiz IOC Meeting Minutes
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406
Quellen- und Literaturverzeichnis
– Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1904). ProcÀs-verbal. 7e Session Londres, 66 – 79. – Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1905). ProcÀs-verbal. 8e Session Bruxelles, 1 – 8. – Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1909). ProcÀs-verbal. 12e Session Berlin, 1. – Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1910). ProcÀs-verbal. 13e Session Luxembourg, 1 – 41. – Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1911). ProcÀs-verbal. 14e Session Budapest, 1 – 40. – Comit¦ International Olympique (Hrsg.). (1912). ProcÀs-verbal. 15e Session Stockholm, 1 – 50.
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Correspondance du Bureau Ex¦cutif de l’Union Internationale du Pentathlon Moderne (UIPM), 1928 – 1959, Code: CIO FI-PENTA- UIPM-GENER, ID: 45366 SD1: Correspondance avec le bureau ex¦cutif, 1928 – 1959:
– Erik Drakenberg (1928). Protocol of the conference in Amsterdam. 6. August.
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– British Olympic Council (BOC) (Hrsg.). (1912). Official Report of the Olympic Games of 1912 in Stockholm. London: BOC.
Correspondance envoy¦e et reÅue par Pierre de Coubertin au sujet des Jeux Olympiques d’¦t¦ de Stockholm 1912, 1909 – 1913, Code: CIO JO-1912S-CORR, ID: 46580 SD1: Correspondance envoy¦e et reÅue par Coubertin (photocopies tir¦es du fonds Coubertin), 1909 – 1913: – – – –
Brief von Coubertin an Balck. 1910 [ohne genaues Datum]. Brief von d’Usseaux an Balck. 12. Februar 1910. Brief des olympischen Pferdesport-Komitees an Coubertin. 16. November 1910. Brief von Coubertin an Hellström (SOK) [Original in englischer Sprache mit Unterstreichungen]. 21. Februar 1911. – Brief an Coubertin [ohne Absender, vermutlich SOK/Hellström]. 1. August 1911.
Quellen
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Stockholm 1912 – 1: JO 1912 S – ARTPR-COJO
– Art exhibition 1911 – 1912, Code: JO-1912S-COART, ID: 46569 SD 3: »Ode au Sport« de Georges Hohrod et M. Eschbach (pseudonyme de Coubertin), 1912 Correspondance envoy¦e ( Coubertin) et reÅu par le COJO des Jeux Olympiques d’¦t¦ de Stockholm 1912, Code: CIO JO-1912S-COJO, ID: 46570, 9994 SD1: Correspondence 1908 – 1910 – COJO Coubertin Brief von Balck an Coubertin. 28. März 1910. – SD2: Correspondence 1911 (jan-avril) – COJO Coubertin Brief von Hellström/SOK an Coubertin. 16. Februar 1911. Brief von Hellström/SOK an Coubertin. 26. Januar 1911. – SD3: Correspondence mai-dec 1911 – COJO Coubertin Brief von Balck und Hellström an Coubertin. 4. Juli 1911. Brief von Balck an Coubertin. 22. September 1911. Brief von Balck an Coubertin. 27. Dezember 1911. – Balck Correspondance, Code: CIO MBR-BALCK CORR, OU MO 01 41 07, 0055015 Correspondance 1894 – 1914, ID: 6590 SD1: Correspondance 1894 – 1905, BALCK CORR: Brief von Balck an Coubertin. 7. März 1894. Brief von Balck an Coubertin. 12. April 1894. Brief von Balck an Coubertin. 12. März 1900. – SD2: Correspondance 1905 – 1914, BALCK CORR: Brief von d’Usseaux an Balck. 12. Februar 1910. Brief von Balck an Coubertin. 28. März 1910. Brief von Balck an Coubertin. 4. April 1910. Brief von Coubertin an Balck. 21. Juni 1911. Brief von Balck und Hellström an Coubertin. 4. Juli 1911 Brief von Balck an Coubertin. 14. Februar 1912 Brief von Balck an Coubertin. 11. März 1912. – Coubertin Correspondance 1910 – 1914, Code: CIO PT-PDC-CORR, OU MO 01 41 05, Notice 0101815, ID: 56698
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Mikrofiches: MI-1/ JO-1912 S – Microfilms – Archives COJO – 9919
– CIO JO-1912S – MICRO: Microfilms des archives du COJO des Jeux Olympiques d’¦t¦ de Stockholm 1912: correspondance, procÀs-verbaux, formulaires et r¦sultats, 1908 – 1913, ID 46582, 9919 – Nr. 1 ProcÀs-verbaux du Comit¦ d’Organisation de Jeux Olympiques de Stockholm 1912, 1908 – 1913 Handschriftlicher Zusatz zum offiziellen Programm [ohne exaktes Datum, vermutlich zwischen August und November 1910]. Protokoll der Sitzung des SOK. 25. Juni 1910. – Nr. 5 Correspondances officielles du COJO Stockholm 1912 avec le CIO, Coubertin et CNO, Fo35 13o99 V. Pentathle Hell¦nique. Comit¦ des Jeux Olympiques AthÀnes (1905). (Hrsg.). Jeux Olympiques Internationaux AthÀnes 1906: RÀglements – PremiÀre Partie, 25 f. Brief von Coubertin an den Sekretär des SOK (Hellström). 13. April 1911. – Nr. 7 Correspondances II des CNO au COJO 1912 Stockholm, Fo35 13o81, Rolle 28 Björn Brief von Hellström an die NOKs. 5. Februar 1912.
7.1.1.2 Riksarkivet, Fyrverkarbacken 13, Marieberg, Stockholm/Schweden Jan Lindroths idrottshistoriska arkiv (SE/RA/721351) Korrespondens Balck-Coubertin, 1906 – 1912 (FIII:1) – Brief des SOK an Coubertin. 15. Mai 1912.
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2: 12. Dezember 1910 – 9. Juni 1911
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Quellen
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3: 27. Juni 1911 – 14. Mai 1914
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Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l) – – – –
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Quellen
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– Brief des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf an das olympische Pferdesportkomitee. 29. April 1912. – Brief von Hellström u. a. an Silfverstolpe (gleicher Brief auch an Granfelt, an Taube). 2. Mai 1912. – Brief von Laffan an das SOK. 2. Mai 1912. – Brief von Hellström an die Mitglieder des Spezialkomitees für ModernenFünfkampf. 7. Mai 1912 – Brief von Hellström an Coubertin. 8. Mai 1912. – Brief von Laffan/BOA an das SOK. 14. Mai 1912. – Brief von Med Højagtelse (Sekretär des Olympischen Komitees von Dänemark). 14. Mai 1912. – Brief von Hellström an Laffan/BOA vom 17. Mai 1912. – Brief von Coubertin an Hellström. 20. Mai 1912. – Brief von Laffan/BOA an das SOK vom 20. Mai 1912. – Brief von Hellström an Laffan/BOA. 21. Mai 1912. – Protokoll der Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf. 22. Mai 1912. – Brief von Hellström u. a. an den Arbeitsausschuss des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf. 24. Mai 1912. – Brief von Pierre-Roy (französischer Delegierter) an von Rosen (in Kopie auch an das olympische Komitee Frankreichs). 25. Mai 1912. – Comit¦ Olympique Russe. Formulaire d’inscription pour pentathlon moderne.Eingegangen am 1. Juni 1912. – Brief von Hkan æfeldt an das Spezialkomitee für Modernen Fünfkampf. 3. Juni 1912. – Protokoll der Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf. 3. Juni 1912. – Brief von Hellström u. a. an die Öfversten och Chefen för Västernorrlands Regemente. 5. Juni 1912. – Brief vom SOK an den König. 5. Juni 1912. – Abschrift eines Briefs des Kungl. Landtförsvarsdepartementet (Bergström, D.& Arsell, O. H.) an das Kungl. Maj:t Arm¦förvaltnings intendentsdepartement och sjukvrdsstyrelse. In Kopie auch an den Chef des Generalstabs und an dasSOK. 6. Juni 1912. – Protokoll der Sitzung des Spezialkomitees für Modernen Fünfkampf. 10. Juni. – Abschrift eines Briefs des Kungl. Landtförsvarsdepartementet (Albert Ehrensvärd, Alfred Peteresson, Axel Schotte, Jakob Larsson) an das Kungl. Maj:t Arm¦förvaltnings intendentsdepartement och sjukvrdsstyrelse. In Kopie auch an den Chef des Generalstabs und an das SOK. 21. Juni 1912. Weitergeleitet am 1. Juli an Silfverstolpe und Granfelt. – Brief von Laffan/BOA an das SOK. 21. Juni 1912. – Modern Femkamp tar sin början. Stockholms Dagblad. 7. Juli 1912. – Brief von Carl-Gustaf Lewenhaupt an das SOK. 15. Mai 1913.
Anmälningar. Modern femkamp (E I:10)
– South African Fencing Association. Entry form for fencing. IV. Modern Pentathlon Competition. 18. April 1912. Eingegangen am 3. Juni 1912. – Le Comit¦ Olympique de la BohÞme. Formulaire d’inscription pour pentathlon moderne. Eingegangen am 31. Mai 1912.
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– Brief von Muzsa an das SOK. 3. Mai 1912. Siam-Österrike (utom Tyskland).
Diverse övrig korrespondens (EIII:7)
– Correspondances Sveriges Sports Association: Bestimmungen betreffs des Sportzeichens des Reichsverbandes. 1911.
Handlingar rörande träning (F II) 6: Diverse handlingar rörande uttagningstävlingar (Mikrofilm SE/RA/8204/LIA/RA-F035 – 13110) Sveriges Centralförening för Idrottens Främjandes arkiv (SE/RA/730329) Generalmajor V. G. Balcks arkiv Koncept till föredrag (J II A: 2)
– Rede von Viktor Balck [o. J. und Datum]. – Ausschnitt aus einer Rede Balcks [o. J. und Datum; schwierig lesbar]. – Viktor Balck [o. J. und genaues Datum]. Schweden, dessen Natur und Volk, samt den Olympischen und Nordischen Spielen in Stockholm 1912 und 1913.
Övriga handlingar (J II A: 19)
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7.1.1.3 Krigsarkivet, Banérgatan 64, 115 88 Stockholm/Schweden Fortifikationsofficerarnas idrotts-och fältridklubb. 1899 – 1975 (SE/KrA/0808) Sveriges militära idrottsförbund-Överstyrelsen (Serie EI) Inkommande skrivelser 1909 – 1911 (EI: 1)
– »Allmänt Program« der Kungl. Västmanlands Regements Idrottsförening.1910. – Bestämmelser för Idrottstäflingar. 7. April 1910. – Brief von Leopold Englund (Vorsitzender des Svenska Idrottsförbundet) an den Schwedischen Militärsportverband. 18. Juli 1911.
Inkommande skrivelser 1909 – 1910 (EI: 2)
– Brief von Gustaf Mannerström (Vize-Vorsitzender des Sportverein des Kungl.Vaxholms Kustartreg:ts) an den Vorstand des SMIs. 23. Februar 1910. – Brief vom Kungl. Vaxholms Kustart. reg:ts irottsförening an das SMI. 23. Februar 1910.
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Utgäende skrivelser 1911 – 1913 (BI: 2)
– Militär Idrott. Brief von Carl Jegerhjelm (Sekretär des Schwedischen Militärsportverbands) [Adressat unbekannt]. September 1912 [ohne genaues Datum]. – Adolf A:son Murray & Carl Jegerhjelm. November [ohne genaues Datum].
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– Lord Desborough (1912). BOA Council Meeting: Report of the special sub-committee re[garding] the arrangements for competitors of the United Kingdom at Stockholm. 16. April 1912. – Lord Desborough (1912). BOA Council Meeting: Report of the riding sub-committee. 16. April 1912.
7.1.1.5 Archiv der Wenlock Olympian Society (WOS-Archiv), Wenlock Olympian Society, 20 Swan Meadow Much Wenlock, Shropshire, TF13 6JQ, UK WOS Minute Book, vol. 1 – – – –
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7.1.1.8 Private Korrespondenz – Private E-Mail von Emmanuelle Perraud, 26. Februar 2008. – Private E-Mail von Marianne Helms, Geschäftsführerin des Niedersächsischen Instituts für Sportgeschichte Hoya (NISH), 7. Mai 2008. – Private E-Mail von Nina Janz, Mitarbeiterin des Bundesarchivs in Freiburg i. Breisgau, Abteilung »Militärarchiv«, Referat MA 5, 19. Januar 2009. – Private E-Mail von Sabine Gresens, Mitarbeiterin des Bundesarchivs in Berlin, 28. Januar 2009. – Private E-Mail der UIPM Headquarters, 28. Februar 2009. – Private E-Mail von Karl Smith, Research Volunteer des Military History Institute, Carlisle/PA, 5. Mai 2009. – Private E-Mail von Franz Schreiber, Geschäftsführer der International Shooting Sport Federation (ISSF), 23. September 2009. – Private E-Mail von Uwe Rossmeisl, Direktor für Kommunikation und Marke-ting des Conseil International du Sport Militaire (CISM), 23. September 2009. – Private E-Mail von Anne Morin, Rezeptionistin der F¦d¦ration Equestre Internationale (FEI), 28. September 2009.
Quellen
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Persönlicher Brief von »Wille« Grut, 2. Januar 2010. Private E-Mail des Deutschen Verbandes für Modernen Fünfkampf (DVMF), 26. Februar 2010. Private E-Mail von Gerard Six, Archivist der F¦d¦ration FranÅaise d’Escrime (FFE), 29. Juni 2010. Entwurf von Andy Archibald. Zugesandt in einer privaten E-Mail am 20. März 2011. Private E-Mail von Gerd Lamers, Stadtarchiv Mönchengladbach, 9. November 2011. Private E-Mail von Dr. Matthew Philip Llewellyn, 30. Januar 2012. Private E-Mail von Prof. Dr. Susanna Hedenborg, 8. Februar 2012. Private E-Mail von Wolf-Erich Eckstein, Israelitische Kultusgemeinde Wien, 29. Februar 2012. Private E-Mail von Göran Bylund, Sportdirektor des Modernen Fünfkampfs im Schwedischen Mehrkampfverband, vom 11. Mai 2012.
7.1.2 Zeitgenössische Bücher und Zeitschriften 7.1.2.1 Anthologien – Carl-Diem-Institut (Hrsg.). (1966). Coubertin. Der olympische Gedanke: Reden und Aufsätze. Stuttgart: Olympischer Sport-Verlag/Lausanne: Editions Internationales Olympia. – Carl-Diem-Institut (Hrsg.). (1967). Carl Diem. Der olympische Gedanke: Reden und Aufsätze. Schorndorf: Hofmann. – Carl-Diem-Institut (Hrsg.). (1977). Pierre de Coubertin. Ouvres complÀtes en sept volumes. Köln: H. Dormagen. – Gerold-Tucholsky, Mary & Raddatz, Fritz Joachim (Hrsg.). (1975). Kurt Tucholsky : Gesammelte Werke in 10 Bänden. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. – Grimaldi, William M. A. (Hrsg.). (1980). Aristotle: Rhetoric II. A Commentary. New York: Fordham University Press. – Müller, Norbert (Hrsg.). (1986a). Textes choisis de Pierre de Coubertin. Zürich, Hildesheim, New York: Weidmann. – Müller, Norbert (Hrsg.). (1986b). R¦v¦lation. In Norbert Müller (Hrsg.). Textes choisis de Pierre de Coubertin. vol. I. Zürich, Hildesheim, New York: Weidmann. – Müller, Norbert (Hrsg.). (1986c). Olympisme. In Norbert Müller (Hrsg.). Textes choisis de Pierre de Coubertin. vol. II. Zürich, Hildesheim, New York: Weidmann. – Müller, Norbert (Hrsg.). (1986d). Pratique sportive. In Norbert Müller (Hrsg.). Textes choisis de Pierre de Coubertin. vol. III. Zürich, Hildesheim, New York: Weidmann. – Müller, Norbert (Hrsg.). (2000). Pierre de Coubertin: Olympism – Selected Writings. Lausanne: International Olympic Committee. – Rapp, Christof; Grumach, Ernst & Flashar, Hellmut (Hrsg.). (2002). Werke in deutscher Übersetzung – Aristoteles. Berlin: Akademie-Verlag.
416
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7.1.2.2 Periodika – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Aftonbladet, Schweden Allgemeine Sport-Zeitung, Österreich Dagens Nyheter, Schweden Deutsche Turnzeitung, Deutschland Idrottsbladet, Schweden Illustrierte (Österreichische) Sportblatt, Österreich L’Auto, Frankreich L’Illustration, Frankreich La Vie au Grand Air, Frankreich Militär-Wochenblatt, Deutschland The New York Times, USA Nordiskt Idrottslif, Schweden Ny Tidning för idrott (zuvor Tidning för idrott), Schweden Olympiska Spelens Tidning/The Olympic News, Schweden Revue Olympique/Olympic Review, Schweiz Sport im Bild, Deutschland Stockholms Dagblad, Schweden Svenska Dagbladet, Schweden The Associated Press, USA The Courier-Journal, USA The Evening Independent, USA The Field, Great Britain The Times, Great Britain Sport and Play and Wheel Life, Great Britain Eddolvs’s Shrewsbury Journal, Great Britain
7.1.2.3 Monographien und Artikel – J. (1887). Der Fünfkampf (Pentathlon) beim 25jährigen Jubiläum des Ersten Wiener Turnvereins. Jahrbücher der deutschen Turnkunst. (neue Folge Band VI), XXXIII (1), 5 f. – Amoros, Francisco (1834). Manuel d’¦ducation physique, gymnastique et morale. Paris: Roret. – Andr¦, Geo (1919). [o. T.]. La Vie au Grand Air, 15. März. – Aristoteles (350 v. Chr.). Rhetorik [Original in griechischer Sprache]. [o. O.]: [o. V.]. – Balck, Viktor (1886 – 1888). Illustrerad idrottsbok: handledning i olika grenar af idrott och lekar. Stockholm: [o. V.]. – Balck, Viktor (Hrsg.). (1888 – 1889). Illustreradt bibliothek för idrott. Stockholm: [o. V.]. – Balck, Viktor & Lindman, Arvid (Red.). (1890). Gymnastik och Kroppsöfningar. Tidning för idrott, (10), 15. Mai, 80. – Balck, Viktor (1896). Om idrott och kroppsövningar i uppfostrans tjänst. (Sjunde nordiska skolmötet i Stockholm den 6., 7. och 8. augusti 1895). Stockholm: [o. V.]. – Balck, Viktor (Red.)/Swedish Olympic Committee (Hrsg.) (1906). Sveriges deltagande i olympiska spelen i Athen 1906: redogörelse. Stockholm: Nordiskt idrottslif i distr.
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8 Anhang
8.1 Abb. 1 Abb. 2
Abbildungsverzeichnis
Coubertin propagierte das Fechten zu Pferde Viktor Gustaf Balck (rechts außen) war einer der sieben Gründungsmitglieder des Comit¦ Internationale Olympique Abb. 3 Offiziere waren im Spezialkomitee für Modernen Fünfkampf stark vertreten: J. A. Drakenberg, S. Hermelin, V. Balck, C. von Rosen, G. Uggla (von links nach rechts) Abb. 4 Die Zielscheibe im Schießwettbewerb des Modernen Fünfkampfs 1912 Abb. 5 Helen Preece in ihrer Reiterkluft Abb. 6 Darstellung des Modernen Fünfkampfs im offiziellen Berichtsband von 1912 Abb. 7 De Mas Latrie (FRA) focht gegen Patton (USA) unter strenger Aufsicht der Juroren Abb. 8 1912 war kein Moderner Fünfkämpfer schneller als æsbrink Abb. 9 Grönhagen schützte sein Haupt vor der Sonne Abb. 10 Der schwedische Kronprinz gratulierte dem Silbermedaillengewinner æsbrink Abb. 11 Das offizielle Poster der Olympischen Spiele von Stockholm 1912 Abb. 12 Die drei schwedischen Medaillengewinner des Modernen Fünfkampfs 1912: Lilliehöök, æsbrink, G. de Laval (von links nach rechts)
S. 68 S. 155
S. 215 S. 222 S. 263 S. 321 S. 326 S. 329 S. 331 S. 335 S. 338 S. 340
460
8.2
Anhang
Tabellen- und Diagrammverzeichnis
Überblick über die Entwicklung der Disziplinauswahl im Englischen, Schwedischen und Modernen Fünfkampf (1909 – 1910) S. 211 Tab. 2 Überblick über die Entwicklung der im Modernen Fünfkampf eingeschlossenen Sportarten und des Zeitplans für 1912 S. 219 Tab. 3 Das Anforderungsprofil eines Modernen Fünfkämpfers und die Zuordnung seiner Disziplinen zur Zweckgymnastik S. 274 Tab. 4 Die Teilnehmer am ersten Testwettkampf, 10.–12. November 1911, und ihre Platzierungen S. 301 Tab. 5 Die Teilnehmer am zweiten Testwettkampf, 8.–12. April 1912, und ihre Platzierungen S. 306 Tab. 6 Vergleich der Schwimmzeiten zwischen dem ersten und zweiten Testwettkampf S. 308 Tab. 7 Vergleich der Fechtergebnisse zwischen dem ersten und zweiten Testwettkampf S. 309 Tab. 8 Die Teilnehmer am dritten Testwettkampf, 28.–31. Mai 1912, und ihre Platzierungen S. 312 Tab. 9 Teilnehmer ohne eigenes Pferd und deren Platzierung in der vierten S. 327 Disziplin des olympischen Modernen Fünfkampfs 1912 Tab. 10 Die Teilnehmer im olympischen Modernen Fünfkampf 1912 und ihre Resultate S. 332 f. Tab. 11 Das Abschneiden der Modernen Fünfkämpfer von 1912 in anderen Disziplinen (1908 und 1912) S. 346 f. Tab. 12 Kompetenzorientierte Bewegungsfelder und ausgewählte Sportdisziplinen S. 402 Tab. 1
Diagr. 1 Die Entwicklung der Teilnehmerzahlen im Modernen Fünfkampf (1912 – 1952)
S. 393
Ausgewählte Primärquellen
8.3
461
Ausgewählte Primärquellen
8.3.1 Quellen zur olympischen und coubertinschen Genese des Modernen Fünfkampfs 8.3.1.1 Diskussion über die Einführung eines ›pentathle‹ auf dem ersten Olympischen Kongress 1894 S¦ance du 21 Juin 1894. Commission des Jeux Olympiques (Hrsg.). (1894). ProcÀs-verbal. 1er Session Paris, S. 6. IOC Meeting Minutes. IOC Archives Lausanne (Ó CIO).
»M. Bergh ¦met le voeu que le pentathle soit r¦tabli. La commission ¦met le vœu que, dans les jeux olympiques, un concours de championnat g¦n¦ral d’athl¦tisme soit institu¦ sous le nom de pentathle.«
Übersetzung aus dem Französischen: »M. Bergh [Fr¦d¦ric Bergh vom Stockholmer Svenska Gymnastikforbundet] äußert den Wunsch, dass das ›pentathle‹ wiederhergestellt wird. Die Kommission äußert den Wunsch, dass bei den Olympischen Spielen ein Wettkampf unter der Form einer allgemeinen Meisterschaft der Leichtathletik mit dem Namen ›pentathle‹ eingeführt wird.«
462
Anhang
8.3.1.2 Brief von Balck an Coubertin (28. März 1910) SD1: Correspondence 1908 – 1910 – COJO Coubertin. Correspondance envoy¦e ( Coubertin) et reÅu par le COJO des Jeux Olympiques d’¦t¦ de Stockholm 1912,Code: CIO JO 1912 S- COJO, ID: 46570,9994. Stockholm 1912 – 1: JO 1912 S – ARTPR-COJO. IOC Archiv Lausanne. Derselbe Brief befindet sich auch in dieser Ablage: SD2: Correspondance 1905 – 1914, BALCK CORR. Correspondance 1894 – 1914, ID: 6590. Balck Correspondance, Code: CIO MBR-BALCK CORR, OU MO 01 41 07, 0055015. IOC Archiv Lausanne (Ó CIO).
Ausschnitt aus S. 2 von 2:
Ausschnitt [in Bezug auf den Modernen Fünfkampf]: »C’est votre projet et vous l’honneur de l’avoir introduit.«
Übersetzung aus dem Französischen: »Das ist Ihr Projekt und Sie haben die Ehre, es eingeführt zu haben.«
Ausgewählte Primärquellen
463
8.3.1.3 Brief von Balck an Coubertin (4. April 1910) SD2: Correspondance 1905 – 1914, BALCK CORR. Correspondance 1894 – 1914, ID: 6590. Balck Correspondance, Code: CIO MBR-BALCK CORR, OU MO 01 41 07, 0055015. IOC Archiv Lausanne (Ó CIO). Ausschnitt aus S. 1 von 1:
»Mon cher Coubertin, je vieux de recevoir votre lettre. Merci. C’est bien, nous ¦changeons lutte l’escrime dans votre pentathlon moderne.«
Übersetzung aus dem Französischen: »Mein lieber Coubertin, ich habe gerade Ihren Brief erhalten. Danke. Es ist gut, wir ersetzen Ringen durch Fechten In Ihrem Modernen Fünfkampf.«
464
Anhang
8.3.1.4 Brief von Coubertin an Edström (1. Juni 1911) Correspondance manuscrite de COUBERTIN, vol. 2, 1909–1912, documents dans iRIMS, Code: CIO PT-PDC-CORR-MANUS, ID: 56691. IOC Archiv Lausanne (Ó CIO). Ausschnitt aus S. 1 von 2:
»What I want to say is about my pentathlon: The clause which forces each man to provide his own horse cannot be maintained. It puts the whole thing wrong – and to such an extent that I could not give the cup unless that rule be changed. I never meant to show that men who are good horsemen and trained to horsemanship can fence also and run and swim, I meant to show that runners and swimmers and fencers who, as a rule, are not of the same social standing can ride a horse and that the impossibility for them to keep a horse of their own ought not to keep them from riding occasionally. In one word, my plan was democratic. You have made it aristocratic.«
Ausgewählte Primärquellen
465
8.3.1.5 Brief von Balck an Coubertin (27. Dezember 1911) SD3: Correspondence mai-dec 1911 – COJO Coubertin. Correspondance envoy¦e ( Coubertin) et reÅu par le COJO des Jeux Olympiques d’¦t¦ de Stockholm 1912, Code: CIO JO-1912S-COJO, ID: 46570, 9994. Stockholm 1912 – 1: JO 1912 S – ARTPR-COJO. IOC Archiv Lausanne (Ó CIO). Auschnitt aus S. 2 von 3:
Ausschnitt aus S. 3 von 3:
»Votre id¦e – le pentathlon moderne – a eu un trÀs grand succÀs dans les pays Scandinaves, l’Allemagne parait ¦galement s’y int¦resser. […] Vous pouvez Þtre tranquille, mon cher ami, nous ferons de notre mieux et votre magnifique id¦e nous fera honneur.«
Übersetzung aus dem Französischen: »Ihre Idee, der Moderne Fünfkampf, ist ein sehr großer Erfolg innerhalb der skandi- navischen Länder, Deutschland zeigte ebenfalls sein Interesse. […] Sie können beruhigt sein, mein lieber Freund, wir werden unser Bestes tun und Ihre großartige Idee wird uns Ehre machen.«
466
Anhang
8.3.1.6 Coubertin über seinen Fünfkampf der Olympischen Spiele 1912 Coubertin (1931a) [1996]. M¦moires olympiques, S. 125.
Ausschnitt aus S. 125 (hervorgehoben durch nachträgliche Unterstreichung): »Il y a eu deux pentathlons: le ›moderne‹ – le mien – dont les d¦buts ont ¦t¦ trÀs brillants et le ›classique‹ […].«
Übersetzung aus dem Französischen (nach Carl-Diem-Institut, 1996, S. 129): »Es gab zwei Fünfkämpfe: den ›modernen‹ – meinen –, der einen vorzüglichen Start hatte, und den ›klassischen‹ […].«
Quellen zur militärsportlichen, schwedischen und balckschen Genese
467
8.3.2 Quellen zur militärsportlichen, schwedischen und balckschen Genese des Modernen Fünfkampfs 8.3.2.1 Die Organisation eines Fünfkampfs im Rahmen der Gymnastik- und Sportübungen der Königlichen Schwedischen Leibgarde Balck, Viktor & Lindman, Arvid (Red.). (1890). Gymnastik och Kroppsöfningar. Tidning för idrott, (10), 15. Mai, S. 80.
468
Anhang
Übersetzung aus dem Schwedischen: »Der so genannte Fünfkampf war ein sehr interessanter Wettkampf, eine Neuigkeit in Schweden, mit den Wettkämpfen der Antike als Vorbild.«
Quellen zur militärsportlichen, schwedischen und balckschen Genese
469
8.3.2.2 »Zweites Gotländisches Sportfest« am 31. Juli 1892 [o. A.] (1892a). Program vid Idrottstäflingarna den 31 Juli 1892-Femkamp. Gotlands Allehanda, 8. Juli, S. 1.
Übersetzung aus dem Schwedischen: »Programm für die Sportwettkämpfe am 31. Juli 1892. […] Fünfkampf«[…] Leistung: alle Teilnehmer konkurrieren in: 1) »Varpa-Weitwurf« (mit einer Steinscheibe von mindestens 1,7 kg), 2) Pfahlweitwurf, 3) Weitsprung, 4) 100-Meter-Lauf, 5) Ringen. Visby, im Juli 1892»
470
Anhang
8.3.2.3 Brief von Balck an Coubertin (7. März 1894) SD1: Correspondance 1894 – 1905, BALCK CORR. Correspondance 1894 – 1914, ID: 6590. Balck Correspondance, Code: CIO MBR-BALCK CORR, OU MO 01 41 07, 0055015. IOC Archiv Lausanne (Ó CIO). Ausschnitt aus S. 3 von 4:
»Quant paragraphe VIII du programme, je puis vous informer que nous avons d¦puis [sic!] quelques ans adopt¦ ›le Pentathlon‹ en Su¦de et Norv¦ge. Le 12 – 14 Mai il y aura une fÞte f¦d¦rative de Gymnastique Gothembourg combin¦ avec des concours athl¦tics, laquelle le Pentathlon probablement sera disput¦. Si vous voudriez nous faire l‹honneur de votre pr¦sence cette occasion vous pouvez Þtre convaincu d’Þtre recu avec de cordialit¦. La pr¦sident de comit¦ l’organisation est Mr Hugo Brusewitz, Gothembourg. Il vous donnera tout les senreignements d¦sir¦s.«
Übersetzung aus dem Französischen: »In Bezug auf den Paragraphen 8 des Programms kann ich Sie informieren, dass wir das Pentathlon in Schweden und Norwegen seit einigen Jahren eingeführt haben. Vom 12.–14. Mai wird es Festspiele des Gymnastikverbands in Göteborg verbunden mit athletischen Wettkämpfen geben, in welchen möglicherweise ein Fünfkampf veranstaltet wird.«
Quellen zur militärsportlichen, schwedischen und balckschen Genese
471
8.3.2.4 Brief von Balck an Coubertin (12. April 1894) SD1: Correspondance 1894 – 1905, BALCK CORR. Correspondance 1894 – 1914, ID: 6590. Balck Correspondance, Code: CIO MBR-BALCK CORR, OU MO 01 41 07, 0055015. IOC Archiv Lausanne (Ó CIO). Ausschnitt aus S. 2 von 4:
»[…] comme je vous ai le dit [sic!], nous avons d¦j organis¦ des concours de pentathlon en SuÀde et en Norv¦ge [sic!] et c’est un Su¦dois qui est le Champion.«
Übersetzung aus dem Französischen: »[…] wie ich Ihnen schon mitgeteilt habe, haben wir in Schweden und in Norwegen schon Wettkämpfe im Fünfkampf organisiert, und es ist ein Schwede, der Sieger ist.«
472
Anhang
8.3.2.5 Das Schwedische Sportabzeichen [o. A.] (1912 h). L’organisation sportive en SuÀde. Revue Olympique, (78), Juni, S. 94.
Übersetzung aus dem Französischen: »Kurz gesagt, das ist ein Fünfkämpf, der an das ›Diplom de D¦brouillards‹ erinnert, das sieben Jahre zuvor in Frankreich eingeführt worden war und in anderen Ländern nachgeahmt wurde. Aber Reiten und Rudern, die auf keinen Fall ausgelassen werden sollten, und besonders nicht in Schweden, fehlen.«
Quellen zur militärsportlichen, schwedischen und balckschen Genese
473
8.3.2.6 Balck über die »schwedische Idee« im Modernen Fünfkampf »I Stockholm 1912«. Balck, 1931, Minnen, S. 160, 167. Ausschnitt aus S. 160:
Übersetzung aus dem Schwedischen: »Weiterhin könnte es von Interesse sein, daran zu erinnern, dass der Moderne Fünfkampf auf schwedische Initiative entstanden ist – und ebenso dessen Einzeldisziplinen mit besonderem Augenmerk auf unsere tüchtigen Offiziere aufgestellt wurden.«
474
Anhang
Ausschnitt aus S. 167 (hervorgehoben durch nachträgliche Unterstreichung):
Übersetzung aus dem Schwedischen: »Der Moderne Fünfkampf ist eine schwedische Idee, sein Programm wurde von den Schweden aufgestellt und präsentiert.«
Quellen zur Vorbereitung und Organisation
475
8.3.3 Quellen zur Vorbereitung und Organisation des ersten olympischen Modernen Fünfkampfs in Stockholm 1912 8.3.3.1 Brief von Balck an Coubertin (22. September 1911) SD3: Correspondence mai-dec 1911 – COJO Coubertin. Correspondance envoy¦e ( Coubertin) et reÅu par le COJO des Jeux Olympiques d’¦t¦ de Stockholm 1912, Code: CIO JO-1912S-COJO, ID: 46570, 9994. Stockholm 1912 – 1: JO 1912 S – ARTPR-COJO. IOC Archiv Lausanne (Ó CIO). Ausschnitt aus S. 2 von 2:
»Nous avons organis¦ un essai de Pentathlon moderne, qui promet d’Þtre fort int¦ressant.«
Übersetzung aus dem Französisichen: »Wir haben eine Probe [einen Probewettkampf] im Modernen Fünfkampf organisiert, die interessant zu sein verspricht.«
476
Anhang
8.3.3.2 Anmeldungen zum ersten Testwettkampf im Modernen Fünfkampf (10.–12. November 1911) Förteckning Deltagare anmälda till Militär Idrotts Stockholmsdistrikts förberedande uttagningstäflan i Modern Femkamp den 10 – 12 Nov. 1911 [Verzeichnis der angemeldeten Teilnehmer im vorbereitenden Auswahlwettkampf des Stockholmer Militärsportbezirks im Modernen Fünfkampf vom 10. bis 12. November 1911].Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
Übersetzung aus dem Schwedischen: »Verzeichnis der angemeldeten Teilnehmer im vorbereitenden Auswahlwettkampf desStockholmer Militärsportbezirks im Modernen Fünfkampf vom 10. bis 12. November 1911«
Quellen zur Vorbereitung und Organisation
477
8.3.3.3 Brief von Laffan an das SOK (2. Mai 1912) Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
478
Anhang
8.3.3.4 Sam Granfelts Antwort auf das Fragebogenformular zur Zulassung von Frauen im Modernen Fünfkampf Frge-Formular [Fragebogen]. [ohne Datum]. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
Übersetzung aus dem Schwedischen: »Nein. […] Es gibt zwar keine Regelungen oder Bestimmungen für den Modernen Fünfkampf die besagen, dass der Wettkämpfer ein Mann sein muss, sondern nur, dass der Teilnehmer mindestens siebzehn Jahre alt sein muss, aber ich bin auf keinen Fall der Meinung, dass Frauen gegen Männer kämpfen dürfen, besonders nicht im Fechten und im Reitsport.«
Quellen zur Vorbereitung und Organisation
479
8.3.3.5 Brief von Coubertin an Hellström (20. Mai 1912) Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
»As to the Modern Pentathlon I am personally opposed to the admittance of ladies as competitors in the Olympic Games. But as they are this time admitted as tennis players, swimmers etc. I do not see on what ground we should stand to refuse them in the Pentathlon. However, I repeat that I greatly regret the fact. Therefore I leave to you to decide and if you refuse or accept the engagement, I shall agree with you.«
480
Anhang
8.3.3.6 Das Anmeldeformular des einzigen US-amerikanischen Starters im Modernen Fünfkampf 1912, George S. Patton Jr. Kommitt¦ns för modern femkamp handlingar (Ö II l). Stockholmsolympiaden 1912 (SE/RA/730226). Riksarkivet Stockholm.
Personenregister
Aejemelaeus, Kalle (Carl Bror Emil) 324, 333 æfeldt, Hkan Egidius 305, 312, 316 æfeldt, Nils Svante Birger 316 Almqvist, Arno (Aarno Aksel) 333 Amoros, Francisco 79, 114 Andr¦, G¦o 364 Ankarcrona, Carl Wilhelm Emanuel 215, 296 Aristoteles 50, 51, 53 æsbrink, Karl Gösta 312, 316, 322, 324, 327, 329, 330, 332, 335, 339, 340, 344, 346, 347, 372 Balck, Viktor Gustaf 13 – 16, 22, 27, 28, 36 – 38, 40, 41, 55, 110, 119, 121, 122, 127 – 129, 132, 144, 149 – 163, 181, 185 – 187, 196, 201, 204 – 207, 210, 214 – 217, 219, 224, 225, 230, 233, 236 – 243, 245, 246, 258 – 259, 263 – 266, 277, 279, 286, 287, 289, 299, 301, 306, 310, 314, 319, 337, 350 – 354, 359, 373 – 375, 377, 379, 380, 382, 383, 385, 388, 395 Barbasetti, Luigi 227 Bas, NoÚl 187 Berger, Ivar 121 Bergvall, Erik 38, 212, 214, 216, 223, 224, 234, 258, 298, 302, 353, 354, 359 Bernhardt, Edmund 40, 292, 324, 327, 328, 332, 334, 336, 339, 343, 346, 348, 369 Bernhardt, Simon 332 Birch, NoÚl J. F. 318, 339
Bondo, Hans Henrik 318, 339 Borel, Maurice 182, 183 Bouin, Jean 365 Bouzou, JoÚl 395 Bredemus, John 169 Brookes, William Penny 167, 174, 176 – 179, 264, 265 Brul¦, Georges 333, 365, 386, 388 Brunetta d’Usseaux, Eugenio 199, 219, 223, 250 Brunialti, Attilio 219, 229, 230 Brustmann, Martin 196, 199 Carlberg, Gustaf Eric 16, 214, 216, 222, 223, 258, 305, 312, 316, 323, 327, 333, 347, 348 Clark, Ellery 190, 199 Clilverd, Ralph Egerton 40, 324, 327, 332, 343, 369 Cnattingius, Birger Axelsson 214, 216, 258 Cook, Andrea Theodore 38, 202, 300 Cousin, Victor 46, 47 de Boutowski, Aleksey Dimitrievic 184 de Coubertin, Pierre 13 – 16, 21 – 23, 25 – 28, 30, 32, 34, 36, 38 – 41, 43 – 49, 51 – 56, 59 – 85, 88 – 107, 110, 115, 117, 131, 132, 155 – 160, 162, 163, 166, 167, 170, 173, 174, 177 – 188, 190, 191, 195, 199 – 201, 203 – 210, 213, 217 – 221, 223 – 228, 233, 234, 237 – 243, 246, 253 – 255, 258 – 267, 269 – 292, 299 – 301, 314, 317 – 319, 332,
482 334, 337, 345, 349, 350, 352 – 360, 363, 365, 366, 370, 374, 375, 377 – 383, 385, 386, 388 – 390, 394 – 396, 399 – 401, 404 de Laffan, Robert Courcy 231 de Laval, Claude Patrik Gustaf 298, 301, 306, 308, 309, 311, 316, 332, 345, 346 de Laval, Erik Patrik Honor¦ 298, 305 – 307, 309, 312, 316, 328, 333, 340, 345, 347, 387, 388 de Laval, Magdalena Augusta Elisabeth 310, 311 de Laval, Patrik Fabian Honor¦ 311 de Laval, Patrik Georg Fabian 298, 301, 302, 305, 308, 309, 312, 322, 324, 328, 329, 332, 340, 345, 346, 387 de Mas Latrie, Jean Marie Pierre Xavier 324 – 326, 333, 334, 343, 345, 347, 365 de Navacelle, Jacques 395 D¦manet, Lucien 339 Demeny¨, Georges 47 Deru¦, Jules 79 Doorman, Jetze 323, 327, 333, 347, 348, 388 Droysen, Johann Gustav 48 Duperron, Georges 318, 339 Durant, Hugh 333, 343, 347 Dyrssen, Gustaf 387, 388, 391 Edström, Johan Sigfrid 121, 122, 154, 156, 205, 217, 239, 241, 242, 250, 354, 360, 391 Edström, Nils Olof Einar 311 Englund, Leopold 221, 233, 294 Fedde, Friedrich 171 Fick, Emil Fredrik 212, 214, 216, 225 – 227, 235, 258, 303, 306 Fillol, E. 306 Friberg, Wilhelm 119 Gambetta, L¦on 141 Gaulhofer, Karl 172 Georg I. von Griechenland 176, 183 Gignoux, John Ernest 319 Godfree, Douglas 328, 332, 343, 347
Personenregister
Granfelt, Fredrik Samuel 215, 248, 258, 259, 296, 304, 309, 316, 339 Grenfell, William Henry (Lord Desborough) 291 Grieb, John 190 Grönhagen, æke Edvard 298, 301, 302, 306, 308, 309, 312, 313, 315, 322 – 325, 328, 329, 331, 332, 334, 336, 346 Grut, Wille (William Oscar Guernsey) 11, 387, 391, 392, 401 Gunn, Adam 190 Gustav I. 298 Gustav V./Kronprinz Gustav (bis 1907) 122, 125, 142, 146, 205, 234, 283, 344 Gustav VI. Adolf/Kronprinz Gustav Adolf (bis 1950) 122, 156, 205, 246, 317 Guth, Jirˇ 155, 160, 188 GutsMuths, Johann Christoph Friedrich 114, 115 Gylling, æke Oscar 298 Hæggström, Carl 332 Hæggström, Nils Ivarsson 305, 316 Hall, Lars Göran Ivar 392 Handrick, Gotthardt 390 Härdelin, Lars Gustaf Engelbert 328 Hare, Truxton 190 H¦bert, Georges 49, 59, 64, 67, 69 – 71, 111, 273, 280 Hedin, Sven 142, 277 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 47, 394 Heigl, H. 133, 136 Hellström, Kristian 205, 213, 215 – 217, 235, 242 – 244, 249, 258 – 260, 263, 289, 295 – 297, 303, 310, 312 Herodot von Halikarnass(os) 29, 127, 261 Herrschmann, O. 318 Holloway, John J. 190 Hulley, John 174 Jäger, Otto Heinrich 170, 171 Jahn, Friedrich Ludwig 114, 116 Jarkovsky´, Jaroslav 155, 319, 339, 343 Jølver, Kai Albert Wognsen 333
483
Personenregister
Kahl, Helmuth 389 Kiely, Tom (Thomas Francis) 168, 169, 190, 199 Kießling, Franz Xaver 170 – 172 Kirby, Gustavus Town 318, 339 Klingenberg, Oscar Trygvessøn 318, 339 König, ClaÚs Henrik Magnus 214, 258, 259 Lauber, D¦sir¦ 318, 339 Laybourn, Vilhelm 324, 328, 333 Lzaro, Francisco 330 Le Play, Pierre Guillaume Fr¦d¦ric 88, 97 Leithner, Hermann 172 Lemming, Eric 196, 197, 199 Lewenhaupt, Carl (Charles) Gustaf Sixtensson 214, 216, 258, 298, 301, 306 – 309, 312, 313, 315, 328, 333, 346 Lilliehöök, Gösta (Gustaf Malcolm) 16, 231, 298, 301, 306, 308, 309, 312, 313, 315, 322 – 324, 328, 329, 332, 333, 339, 340, 342, 349, 354, 368, 387, 391 Lindberg, Knut 196, 197 Lindblad, Axel 129, 147 Lindman, Arvid 143 Lindman, Bo 387, 391 Ling, Hjalmar 116 Ling, Per Henrik 112 – 117, 125, 149, 160, 281 Louis, Spiridon 139 Mannström, Bror Karl Anton 299, 301, 305, 309, 312, 328, 332, 336 Mayo, Richard 389 Meisl, Willy 187, 349 Mellander, Hjalmar 15, 196, 197 Mudin, Istvn 196, 197 Muller, Alexandre 79 Nachtegall, Franz 114, 115 Nepokupnoy, Boris 318, 324, 333, 347 Norby, Henrik Calmeyer 328, 333 Nordenswan, Arthur Georg 299, 301, 306, 312 Novikov, Igor 391 Nyblæus, Gustaf 116, 118
Örn, Gustaf W. 243 – 246 Oxenstierna, Erik Carl Gabriel 216, 233, 236 Oxenstierna, Johan Gabriel 216 Paaske, Carl 332, 342 Palmborg, Johan Harry 298, 299 Passy, Fred¦ric 75 Patton, George Smith Jr. 40, 322, 323, 325 – 327, 330, 332, 334, 336, 343, 344, 346, 370 – 372, 389 Pauen, Johann Peter Carl 322, 323, 327, 333, 339, 342, 343, 365 Payss¦, Pierre 194 Percy, Gate Walter 319 Philostratos, Flavius 50, 51 Platon 50, 53, 81 Preece, Ambrose 255, 256 Preece, Helen 250, 251, 255 – 257, 259, 261 – 263, 339 Preece, Maud 262 Pr¦vost, Claude 46, 47 Ravenstein, Ernst 174 Rönström, Gustav 127 Roessler-Orovsky, J. 318 Rogge, Jacques 398 Roosevelt, Th¦odore 14, 67, 95, 192 Salzmann, Christian Gotthilf 115 Samaranch, Juan Antonio 179, 396 Sandras, Gustave 187 Schartau, Gustaf Johan 125, 174 Schmidt, Eugen Stahl 55, 56, 182 Schöneborn, Lena 397 Schormann, Klaus 391, 399 Setterberg, Carl Leonard 298, 301, 305, 306, 308, 311, 312 Sheridan, Martin 168, 169, 197 – 199 Silberer, Victor 369 Silfverstolpe, Carl 215, 248, 249, 258, 259, 294 – 297, 303, 309, 313, 315, 318, 339 Simon, Jules 41, 47, 74, 94 Sjöberg, Henrik 155 Sloane, William Milligan 157, 160
484
Personenregister
Smedmark, Sune Alexander 214, 216, 223, 258 Spimler, Ad. 189 Staaff, Karl 142, 143 Stiernspetz, Gustaf Erik 305 – 307, 312, 316 Stranne, James Sidney Mathias 305, 306, 309, 312, 325, 327, 332, 336 Sullivan, James Edward 47, 168, 188 – 191, 195, 197 – 199, 371 Sullivan, Thomas Valentine 173 Taube, Carl-Evert 214 – 216, 222, 223, 235, 258, 296, 318, 338 Thofelt, Sven 387, 391 Thompson, Robert Means 168, 371 Thomson, Fred 169 Thorpe, Jim (James Francis) 169, 314, 335, 341, 344, 352, 365, 371 Trägrdh, C. 235, 236 Tucholsky, Kurt 384 Uggla, Bertil (Gustafsson) 27 Uggla, Gustaf G:son (Gustafsson) 216, 230, 233, 235, 258
214 –
Ussing, Johannes Blom
16, 333
Vienne, Th¦odore 71 Vikelas, Demetrios 14, 155, 181 – 184 von Goethe, Johann Wolfgang 404 von Hohenthal, Weli Gunnar Bogislaus 333 von Muzsa, Gyula 318, 360 von Rosen, Carl Clarence 38, 157, 201, 207, 215 – 217, 228, 233, 238 – 240, 249, 287, 289, 290, 359 Wagner, Julius 199, 366 Wassmannsdorff, Karl 170 Wendelin, Karl Gustaf Harald 298 Wersäll, Charlotte 332 Wersäll, Erik Gustaf 305, 306, 312, 332 Wibom, Henrik Tor 391 Wieslander, Karl Hugo 127, 335 Wilkman-Vilkama, Oskar Alfred 332 Wretman, Gustaf Caesar Laurentius 214, 216, 223, 258, 303, 309, 310, 342 Zeilau, Theodor
328, 333
Sachregister
Adel 90, 98, 159, 282 Adelsfamilie 88, 345 Allround… – -Athlet 16, 160, 167, 189 – 190, 197 – 198, 233, 309, 370 – -Mann 56, 237, 239, 282, 322, 361, 363 – -Wettkampf 22, 56, 125 – 127, 167 – 169, 189 – 191, 204, 265, 271, 290, 347 Allrounder 53, 67, 161, 167, 197 Amateur 99 – 103, 126, 136, 176, 177, 189, 226, 315, 341, 394 Amateur… – -bestimmungen 73, 99 – 102, 106, 137 – 138, 341 – 342, 389 – -status 99, 102, 106, 341 Amateurismus 73, 101 – 103 Arbeiter 19, 85 – 88, 91, 93, 97 – 98, 103, 275, 285 Arbeiter… – -klasse 86 – 89, 93, 96 – 97 – -sport(bewegung) 86, 91, 93, 98 Aristokraten 38, 52, 86, 101, 103, 177, 211, 233, 275 Artillerie 136, 306, 365 Artillerie… – -offizier 137, 391 – -regiment 298, 306 Athleten – kämpfende 13, 28, 375, 383 – spielende 376 Bewegungskultur(en) 385, 392, 400 – 401
32, 134, 377, 383 –
Bewegung – olympische 28, 91, 125, 154, 165, 191, 349, 379, 383, 398 Biathle 397 Biathlon 33, 141, 146, 385, 392, 396, 397 Bourgeoisie 64, 87, 93, 98, 103, 124, 275 Bürgertum (s. Bourgeoisie) Combined Event 395, 396, 398, 399, 401 Cotswold Olimpick Games 44, 174 D¦brouillard 14, 56, 60, 62 – 63, 66 – 67, 69 – 70, 79, 131, 207, 225, 254, 288, 356, 358, 367, 400 – 402, 404 D¦brouillardise 49, 62 – 63, 69 – 70, 90, 104, 105, 288, 378 Dekathlon (s. Zehnkampf) Demokratie 79, 89, 96, 98 Demokratisierung 86, 93, 96 – 98, 226, 276 Demonstrationswettbewerb/-sportarten 109, 317 – 318, 392 Dessauer-Fünfkampf (s. Fünfkampf) Dreikampf 189 Dritte Republik 98 Ekecheiria 81 Eklektizismus 46 – 48, 60, 71, 354 Elite 85 – 86, 92 – 93, 95, 97 – 98, 100 Erziehung (s. auch Leibeserziehung) – aristokratische 159 – ganzheitliche 73 – körperliche 61, 137
486
Sachregister
– militärische 79, 113, 141, 233 – sportliche 60, 141 – zweckorientierte 67 Erziehungsreform 39, 43, 47, 78, 178 Eurythmie 46, 53 Eventing (s. Vielseitigkeitsreiten)
idrottsmärket (s. Sportabzeichen) Industrialisierung 85, 120, 275 Infanterie 139, 142, 226, 298, 306 Instrumentalisierung 28, 33, 59, 106 – 107, 113, 137, 139, 390 Internationalisierung 179, 272, 381, 383
Fordismus 57 – 58. Frieden 13, 73 – 78, 80 – 84, 88 – 90, 103 – 105, 138, 142 Friesenkampf 394 Fünfkampf – altgriechischer 171 – antiker 14, 15, 21 – 25, 30, 49 – 51, 53, 55, 104, 127, 134, 170 – 171, 178, 194 – 195, 208, 255, 266, 272, 288, 380 – 381, 396, 400 – deutscher 172 – englischer 208, 211 – hellenischer 172 – klassischer 13, 15, 26, 52, 173, 272, 356, 366 – militärischer (s. auch Offiziersfünfkampf) 30, 133, 386, 388, 393, 403 – philanthropischer 30, 115 – schwäbischer 171 – schwedischer 127, 208, 211, 265, 380, 382 – …Fünfkampf – Dessauer Fünfkampf 115, 167 – Gotland-Fünfkampf 128 – Wenlock-Fünfkampf 167, 175 – 176, 178 – 180, 255 – Winterfünfkampf 392
Kalokagathia 51 Kavallerie 136 – 139, 145, 157, 234, 248, 306, 341, 343, 365 Kavallerie… – -offizier 136 – 138, 275, 276, 278, 322, 343 – -regiment 247, 298 – -schule 79, 150 Kompetenzorientierung 402 – 404
Gender 32, 251 – 252 Gentleman 85, 100, 101, 103, 157, 176, 216, 233, 236, 258, 284, 285, 341, 360 Gotland-Fünfkampf (s. Fünfkampf) Helden 58, 104, 137, 172, 252, 280, 355, 365 Heptathlon (s. Siebenkampf) Herrenreiter 85, 100, 136, 137, 235, 275, 284 – 285, 341
Laserpistole/-schießen 395 – 396, 398 – 399, 401 Leibeserziehung (s. auch Erziehung) 47, 65, 75 – 76, 78, 117 – 118, 122, 134, 173, 178, 280 Lingianer 118 – 119, 151, 153 Männlichkeit 32, 77 – 78, 137, 145, 173, 251 – 257, 259, 262 – 263, 280, 337, 356, 381, 390, 394, 399 Maskulinität (s. Männlichkeit) Mehrkampf … – -ideal 45, 105, 116 – -idee 59, 67, 71, 72, 106, 160, 169, 202, 221, 264 – -tradition 27, 28, 49, 125, 290, 335 – -trend 356, 381 – -verband 23, 144, 398 Militärsportverband 37, 144, 148, 161, 277, 295, 296, 304, 339, 351, 374 Militarisierung 32, 33, 134, 137, 281, 360, 383 – 384 Militarismus 80, 253, 337, 381, 390 Military (s. Vielseitigkeitsreiten) Nationalismus 77, 114, 118, 152, 159, 354, 370 Nordische Spiele 122, 153 – 154, 160, 162, 279
Sachregister
Offiziersfünfkampf (s. auch militärischer Fünfkampf) 27, 136, 360 Olympismus 46 – 47, 71 – 73, 91, 92, 101, 103 – 105, 158, 174, 281, 375 Opium 330, 372 Pentathlon (s. Fünfkampf) – pentathlon de muses 201 – pentathlon ¦questre 201, 208 Philanthropen 115, 126, 167, 173, 180 Rationalisierung 57 – 59 Reservist 151, 243, 340 Ritter 165 – ritterlich 81, 100, 353 Sechskampf 189, 193 – 194 Siebenkampf 201 – 202, 300, 394, 403 Soldaten – kämpfende 376 – spielende 13, 28, 375, 383 Spezialisierung 16, 48 – 49, 56 – 61, 105, 131 – 132, 157, 184, 203, 231, 299, 354, 362 Sportabzeichen 124, 130 – 131, 148, 160 – 161, 380 – 381 Taylorismus 57 Transfer 16, 28, 34, 40, 58, 99, 266, 383 Triathlon 169 – 170, 385, 397, 403 Utilitarismus 28, 64, 277
487
Versportlichung 28, 32 – 33, 111, 120, 123, 376, 384, 390, 393 Vielseitigkeitsreiten 138, 147, 208, 248, 259, 341, 345, 379 Vollkommenheit 14, 48, 57, 59 – 60, 272 Volkssouveränität 98, 100 Wehrertüchtigung 28, 115, 134, 383, 386 Wehrpflicht 80, 142 – 143, 161 Wehrsport 139, 152, 153 Wehrsportpass 147, 161, 380 Weltkrieg – Erster 72, 91, 135, 140, 253, 276, 337, 343, 387, 392 – Zweiter 76, 341, 343, 384, 389 – 390, 393 Wenlock-Fünfkampf (s. Fünfkampf) Wenlock Olympian Games 167, 174 – 175, 177, 264, 381 Winterfünfkampf (s. Fünfkampf) Zappas Olympien 174, 176, 193 Zehnkampf 22, 126 – 127, 167 – 170, 189, 191, 204, 206, 208–210, 217, 265, 270 – 271, 282, 289 – 291, 294, 314, 317, 320 – 321, 335 – 336, 341, 352, 362 – 363, 366, 369, 394, 403 Zwischenkriegszeit 261, 390 Zwischenspiele 125, 156, 191, 201, 203, 255, 265, 374, 378 Zwölfkampf 169 – 170