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German Pages 469 [471] Year 2021
Forschungen zum Alten Testament Herausgegeben von
Konrad Schmid (Zürich) ∙ Mark S. Smith (Princeton) Hermann Spieckermann (Göttingen) ∙ Andrew Teeter (Harvard)
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Matthias Köckert
Von Jakob zu Abraham Studien zum Buch Genesis
Mohr Siebeck
Matthias Köckert, geboren 1944; Studium der Kirchenmusik und der Evangelischen Theologie; Pfarrer und Dozent für Biblische Exegese an der Predigerschule Paulinum, Berlin (DDR); 1983 Promotion; 1984 Dozent für Altes Testament am Sprachenkonvikt Berlin (DDR); 1991 Habilitation; Professor an der Theologischen Fakultät der HU Berlin.
ISBN 978-3-16-160058-6 / eISBN 978-3-16-160059-3 DOI 10.1628/978-3-16-160059-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von epline in Böblingen aus der Minion gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.
Vorwort Der Titel der hier vorgelegten Studien nennt zwei literarische Personen, die für Hauptteile des Buches Genesis stehen. Auf den ersten Blick mutet die Reihenfolge von Jakob zu Abraham befremdlich an, weil sie der biblischen Abfolge widerspricht. Aber sie spiegelt die Entstehung und schrittweise Verbindung der literarischen Überlieferungen, die im ersten Buch der Bibel gesammelt worden sind. Die Studien behandeln zentrale Texte, theologische Themen und literargeschichtliche Probleme des Buches Genesis. Dabei liegt das Schwergewicht auf der Abraham- und Jakobüberlieferung. Die erste Studie nimmt das gesamte Buch Genesis in all seinen Teilen in den Blick, die letzte befasst sich mit der Auslegung der Texte zu Abraham durch einen der scharfsinnigsten Leser der Bibel, durch Augustinus. Die Studien sind nach sachlichen Gesichtspunkten geordnet und folgen der biblischen Anordnung der Texte. Eröffnet wird der Band mit einer zusammenfassenden Darstellung der Eigenart und Entstehung des Buches Genesis im Ganzen und in seinen Teilen (Nr. 1). Sie arbeitet deren unterschiedliche Profile heraus und zeichnet das literarische Wachstum des Buches in seiner Geschichte nach. In diesem Rahmen finden auch die Texte ihren historischen Ort, die in den Studien dieses Bandes genauer bedacht werden. Es folgen Arbeiten zur Abrahamüberlieferung (Nr. 2–10). Der erste Beitrag untersucht zunächst die Erwähnungen Abrahams außerhalb des Pentateuchs auf die in ihnen anklingenden Texte und Traditionen und entwickelt daraus eine Skizze der „Geschichte der Abrahamüberlieferung“ im Buch Genesis (Nr. 2 mit einem Nachtrag zur Spätdatierung der Abrahamerzählung durch N. Naʾamann). – Aufsätze zu theologisch bedeutsamen Texten und Themen schließen sich an. Die Untersuchung von Gen 12, von Gen 20 und deren relecture im Genesis-Apokryphon von Qumran fragt angesichts des biblischen Bildes nach dem, was wir historisch über Abraham wissen können und zeichnet dabei die Wandlungen Abrahams vom Ahnvater zum Fremdling und schließlich zum beispielhaften Weisen nach (Nr. 3). – Die Analyse der literarischen Gestalt von Gen 15 und der dabei verwendeten Motive und Formulierungen ergibt, dass schon der Kern dieses Reflexionstextes über die jüdische Identität die Zusage eines leiblichen Erben und zahlreicher Nachkommen für Abraham sowie die des Landes für seine Nachfahren enthalten hat und dass er erst im spätperserzeitlichen Juda entstanden sein kann (Nr. 4). – Die mehrdeutige Wendung von der „Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit“ in Gen 15,6 hat zahlreiche neue Deutungsversuche ertragen müssen. Eine philologische Prüfung erweist
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Vorwort
die meisten als nicht haltbar. Es ist vielmehr Abrahams Tat rückhaltlosen Vertrauens, die Gott „als Gerechtigkeit anrechnet“ und mit weiteren Verheißungen belohnt. Diese Deutung wird auch von den Präzisierungen in der Septuaginta gestützt (Nr. 5). – Der dritte Beitrag zu Gen 15 erhellt die Auslegungsgeschichte dieses wirkmächtigen Textes in Röm 4 und im vorpaulinischen Judentum von Neh 9 und Sir 44 über das Jubiläenbuch und Qumran bis zu Philo (Nr. 6). – Es folgt eine Untersuchung der politischen Dimensionen in den Vätergeschichten und deren Wandlungen am Beispiel Ismaels in Gen 16 und 21 sowie in Gen 17 und 25. Dabei bewährt sich die These nicht, Ismael in Gen 16 sei mit der protobeduinischen Stämmekonföderation šumuʿil in assyrischer Zeit identisch. Das macht eine Ansetzung von Gen 16 ins 7. Jh. unwahrscheinlich. Schon der ältere Kern der Erzählung stellt sich als ein zusammengesetztes Puzzle heraus, das nicht nur den Vorkontext, sondern auch die Jakobüberlieferung voraussetzt und von denjenigen gebildet wurde, die Abraham- und Jakobüberlieferung zu einer „Vätergeschichte“ verbunden haben (Nr. 7). – Gen 17 gilt mancherorts als Kronzeuge für die „ökumenische“ Weite des Abraham-Bundes, der über Ismael auch andere Völker in das Gottesverhältnis Israels einschließe. Diese Deutung scheitert jedoch an dem auf fortschreitende Präzisierung und Differenzierung angelegten Gedankengefälle des Textes, an der besonderen Gestalt der Mehrungsverheißung für Abraham und Sara, die über den Schöpfungssegen hinausgeht, und an den literarischen Bezügen dieses Bundes in der priesterlichen Komposition. In ihr wird sowohl das besondere Gottesverhältnis als auch die Landgabe allein der über Isaak zu Jakob führenden Linie zuerkannt (Nr. 8 mit einem Nachtrag zu T. Naumann und G. Braulik). – Das Thema „Land“ hat in der priesterlichen Komposition eine exklusive Bedeutung: Obwohl das Herz der Komposition am Sinai schlägt, zielt sie auf das Land; denn allein dort gewinnt der Weltschöpfer im Heiligtum Raum auf Erden. Deshalb hat er „das ganze Land Kanaan“ allein dem Gottesvolk zu bleibender Nutzung übereignet, damit es – um das Heiligtum geschart – in der Gegenwart seines Gottes leben kann; und er hat es den Vätern nicht erst für ferne Zukunft in Aussicht gestellt, sondern schon jetzt gegeben (Gen 28,4 Abraham, 35,12 Jakob, Ex 6,4 den Vätern insgesamt) (Nr. 9). – Die literargeschichtliche Einordnung von Gen 20–22 schließt die Studien zu Abraham ab. Das Verhältnis der einzelnen Stücke zueinander und zur Priesterschrift legt eine nach-priesterliche Entstehung nahe (Nr. 10 mit einem Nachtrag zu Deutung und Identifizierung von Morija durch C. Nihan). Die nächsten Arbeiten befassen sich mit Gen 28 und 32, zwei zentralen Texten der Jakobüberlieferung (Nr. 11–14). Am Anfang steht eine Rekonstruktion der ursprünglichen Gestalt der Traumerzählung in Gen 28, die noch keine Gottesrede kannte (Nr. 11). – Sodann wird deren Bedeutung als wortloses Traumbild auf dem Hintergrund altorientalischer Tempeltheologie aus den einschlägigen Texten des 2. und 1. Jahrtausends erschlossen. Die nächsten Analogien legen gegen die gegenwärtigen Spätansetzungen eine Herkunft der Heiligtums
Vorwort
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ätiologie aus dem 8. Jh. nahe (Nr. 12). – Schließlich erhärtet eine Untersuchung der Rückverweise auf Gen 28 im Buch Genesis und in Hos 12 die schon aus der Analyse der Traumerzählung gewonnene Annahme, dass Jakobs Traum ursprünglich keine Gottesrede enthalten hat (Nr. 13). – Die letzte Studie dieses Teils zeigt, dass die Erzählung von Jakobs Kampf in Gen 32 nicht auf eine uralte Einzelüberlieferung zurückgeht und dass – gegen die beliebte und das vermeintliche biblische Gottesbild entlastende Deutung – Jakob nicht mit einem (Fluss-) Dämon, sondern mit Gott gerungen hat (Nr. 14). Die beiden daran anschließenden Beiträge nehmen die Vätergeschichte insgesamt in den Blick (Nr. 15–16): Der eine untersucht das Motiv der Gottesboten und Engel in Gen 12–50 auf dem Hintergrund biblischer Befunde und altorientalischer Analogien (Nr. 15). – Der andere erhellt aufgrund einer Analyse von Gen 11,27–13,18, der Wanderwege und Orte, der Gottesreden 13,14–17 und 28,13–14 sowie der Gottesreden mit Aufbruchsbefehlen in 12,1; 26,2; 31,3; 31,13; 46,3 den Prozess der Verbindung der Jakoberzählung mit der AbrahamLot-Erzählung zu einer „Vätergeschichte“. Diese Vätergeschichte bahnt Wege aus der Krise nach 587 v. Chr., setzt also die veränderte Lage in der Perserzeit voraus, jedoch weder deuteronomistische noch priesterliche Texte (Nr. 16 mit einem Nachtrag zur literarischen und historischen Einordnung von Gen 12,1– 3.7; 13,14–17 durch C. Levin und R. G. Kratz). Abgeschlossen wird der Band mit einem herausragenden Zeugnis der Auslegungsgeschichte am Beispiel der Auslegung von Gen 12–25 durch Augustinus in De civitate Dei auf dem Hintergrund seiner Hermeneutik De doctrina christiana (Nr. 17). Aspekte der Auslegungsgeschichte werden auch in anderen Beiträgen berücksichtigt, so etwa die relecture von Gen 12/20 in Qumran (bei Nr. 3) oder die Auslegung von Gen 15,6 im antiken Judentum und bei Paulus (in Nr. 5 und 6). Die Studien sind größtenteils in den letzten 15 Jahren entstanden und zum Teil bereits anderwärts veröffentlicht worden. Erstmals erscheint hier die Gesamtdarstellung Nr. 1, die eigens auf diesen Band abgestimmt worden ist. Gleichfalls neu sind die deutsche Fassung des ursprünglich auf Englisch publizierten Aufsatzes Nr. 15 und die vollständige Untersuchung Nr. 17, die bisher nur zum kleineren Teil in einer Festschrift erscheinen konnte. Bei den hier wieder abgedruckten Arbeiten wurden offenkundige Fehler beseitigt, Zitierweise und Formalien vereinheitlicht und – wo nötig – Literatur nachgetragen. Bei einigen habe ich Nachträge angefügt, um zu wichtigen seither erschienenen Beiträgen Stellung zu nehmen. In einer Sammlung von Arbeiten aus verschiedenen Zeiten lassen sich kleinere Überschneidungen nicht vermeiden, wenn man ermöglichen will, dass die einzelnen Beiträge auch für sich gelesen und verstanden werden können. Wer genau liest, wird in einigen Fällen auch auf Unstimmigkeiten stoßen (wie etwa bei der literarischen Einordnung von Gen 16 in Nr. 2 gegenüber Nr. 7 und 16). Ich habe sie nicht getilgt, weil sie zeigen, dass man beim Lesen der Bibel und beim Bedenken der Lesefrüchte anderer Leser nie auslernt.
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Vorwort
Ich danke Herrn Dr. Ziebritzki und den Herausgebern für die Aufnahme dieser Arbeiten in die „Forschungen zum Alten Testament“, den Mitarbeitern des Verlags für die gewohnt sorgfältige Betreuung und Herstellung und Herrn Ruben Burkhardt, der mit mir die Last des Korrekturlesens geteilt hat. Vor allem aber danke ich drei Lehrern: Sieg fried Wagner (1930–2000) hat im Anfänger vom ersten Proseminar an eine bleibende Liebe zu den biblischen Texten entzündet; den unvergesslichen Privatseminaren im Keller des Emeritus Alfred Jepsen (1900–1979) verdanke ich exegetische Methode und historische Bodenhaftung; bei der Lektüre der Arbeiten Lothar Perlitts (1930–2012) habe ich erfahren, welch großes Lesevergnügen Analysen von Texten bereiten können. Berlin, Januar 2021
Matthias Köckert
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI
I. Zum Buch Genesis 1. Eigenart und Entstehung des Buches Genesis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
II. Zur Abrahamüberlieferung 2. Die Geschichte der Abrahamüberlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 (mit einem Nachtrag zur Spätdatierung der Abrahamerzähung durch N. Naʾamann)
3. Abraham: Ahnvater, Fremdling, Weiser. Lesarten der Bibel in Gen 12, Gen 20 und in Qumran . . . . . . . . . . . . . . . 59 4. Gen 15: Vom „Urgestein“ der Väterüberlieferung zum „theologischen Programmtext“ der späten Perserzeit . . . . . . . . . . . . . . . . 89 5. „Glaube“ und „Gerechtigkeit“ in Gen 15,6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 6. Abrahams Glaube in Röm 4 und im vorpaulinischen Judentum . . . . . . 139 7. Hagar und Ismael: Politische Aspekte im Wandel der Überlieferungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 8. Gottes „Bund“ mit Abraham und die „Erwählung“ Israels in Gen 17 . . 193 (mit einem Nachtrag zu T. Nauman und G. Braulik)
9. Das Land in der priesterlichen Komposition des Pentateuch . . . . . . . . . 221 10. Gen 20–22 als nach-priesterliche Erweiterung der Vätergeschichte . . . 235 (mit einem Nachtrag zu Deutung und Identifizierung von Morija durch C. Nihan)
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Inhaltsverzeichnis
III. Zur Jakobüberlieferung 11. Was träumte Jakob in Gen 28? Möglichkeiten und Grenzen historischer Exegese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 12. Die Traumerzählung Gen 28 im Licht altorientalischer Tempeltheologie und Tempelbaunachrichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 13. Die Rückverweise auf Gen 28,10–22 innerhalb der Jakobüberlieferung und in Hos 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 14. War Jakobs Gegner in Gen 32,23–33 ein Dämon? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
IV. Zur Vätergeschichte 15. Engel, Gottesboten und geheimnisvolle Männer in den Vätererzählungen des Buches Genesis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 16. Wie wurden Abraham- und Jakobüberlieferung zu einer „Vätergeschichte“ verbunden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 (mit einem Nachtrag zur literarischen und historischen Einordnung von Gen 12,1–3.7; 13,14–17 durch C. Levin und R. G. Kratz)
V. Zur Auslegungsgeschichte 17. Wie Augustinus die Bibel liest: Abraham in De civitate Dei . . . . . . . . . . . 391
Nachweis der Erstveröffentlichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 Register der Bibelstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449
Abkürzungen Hier nicht aufgeführte Abkürzungen von Quellen, Schriftenreihen und Nachschlagewerken folgen RGG4 (Tübingen 1998–2007) und TRE (Abkürzungsverzeichnis, Berlin/New York 21994). AHw
W. von Soden, Akkadisches Handwörterbuch, Bd. I–III, Wiesbaden 1972–1981. AK Afformativkonjugation (Pf.) Bill. H. L. Strack/P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, 6 Bde., München 1922–1961. COS I–III The Context of Scripture I–III, Leiden 1997–2002. DJD Discoveries in the Judean Desert, Oxford 1962 ff. DNWSI J. Hoftijzer/K. Jongeling, Dictionary of the North-West Semitic Inscriptions, Bde. 1–2, Leiden 1995. DSS J. H. Charlesworth (Hg.),The Dead Sea Scrolls, 10 Bde., Tübingen/Louisville 1994 ff. EBR C.‑L. Seow/H. Spieckermann, Encyclopedia of the Bible and its Reception, Berlin/New York 2009 ff. G Grundschicht Ges.-Donner Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, begonnen von D. Rudolf Meyer, bearbeitet und hg. von Dr. Dr. Herbert Donner, Dr. h. c., Berlin u. a. 181987–2012. HEBAI Hebrew Bible and Ancient Israel, Tübingen 2012 ff. HTAT M. Weippert, Historisches Textbuch zum Alten Testament (Grundrisse zum AT 10), Göttingen 2010. KAI H. Donner/W. Röllig, Kanaanäische und aramäische Inschriften, 3 Bde., Wiesbaden 21966–1968; Bd 1 in 5., erweiterter und überarbeiteter Aufl. Wiesbaden 2002. KF Kurzform KS Kleine Schriften KTU M. Dietrich/O. Loretz/J. Sanmartin, Die keilalphabetischen Texte aus Ugarit (AOAT 24), Neukirchen-Vluyn 1976. LCI K. Kirschbaum (Hg.), Lexikon der christlichen Ikonographie, 8 Bde., Freiburg 1968. LF Langform NS Nominalsatz PK Präformativkonjugation (Impf.)
XII SAHG TUAT TUAT.NF wAK wPK
Abkürzungen
Sumerische und akkadische Hymnen und Gebete. Eingeleitet und übertragen von A. Falkenstein und W. v. Soden (BAW), Zürich 1953. O. Kaiser (Hg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, 3 Bde. + Ergänzungsband, Gütersloh 1982–2001. B. Janowski/G. Wilhelm (Hg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments Neue Folge, 8 Bde., Gütersloh 2004–2015. ו+ Afformativkonjugation ו+ Präformativkonjugation
I. Zum Buch Genesis
1. Eigenart und Entstehung des Buches Genesis Der Sommer ging zu Ende, und die Menschen erzählten sich Geschichten über das, was geschehen war. Und ihre Geschichten legten sich übereinander wie Gesteinsschichten. Und was geschehen war, geriet darunter zusehends in Vergessenheit. Und jeder erzählte seine eigene Geschichte. Und jeder glaubte sich im Recht. Und jeder hatte seine Gründe.1
1. Name und Eigenart Das erste Buch der Bibel heißt in der griech. Übersetzung der Septuaginta aufgrund von Gen 5,1 γένεσις Genesis („Entstehung, Ursprung“), im Hebräischen nach seinem ersten Wort בראשיתBereschit („Am Anfang“). Es eröffnet den ersten Teil des dreiteiligen hebräischen Kanons2, „Tora“ genannt. Gleichwohl ist Genesis als ein selbständiges Buch verstanden worden, wie der Neueinsatz in Ex 1,1–5.6 mit der zusammenfassenden Wiederholung von Gen 46,8–27 und 50,26 zeigt. Auch eine Handschrift aus Qumran im 2. Jh. v. Chr. bezeugt das Buch Genesis als selbständiges Werk.3 Luther hat ihm in seiner deutschen Übersetzung die Überschrift „Das erste Buch Mose“ gegeben. Sie bezeichnet es als ersten Teil eines fünf Bücher umfassenden größeren Ganzen, das schon im Alten Testament und dann auch im frühen Christentum „das Buch Moses“ (ἡ βίβλος Μουσέως)4 oder „das Gesetz“ (ὁ νόμος)5 heißt, was auf hebr. התורהdie Tora („Unterweisung“) zurückgeht. Außerdem setzt Luthers Überschrift mit der Tradition voraus, Mose habe die fünf Bücher umfassende Tora geschrie1 Der
Erzähler am Ende des Films „Unterleuten. Das zerrissene Dorf “ (2020), Drehbuch von Magnus Vattrodt nach dem Roman von Juli Zeh, Unterleuten, München 2016. 2 Die Dreiteilung in „das Gesetz und die Propheten und die übrigen Bücher“ findet sich schon im Prolog des griech. Sir um 130 v. Chr. 3 In Qumran sind die biblischen Bücher in der Regel auf separate Rollen geschrieben worden. Als ältestes Zeugnis weist K. Schmid auf die Rolle 4QGenh-Titel hin, die auf der Rückseite mit dem Titel ברשיתgekennzeichnet ist (Erzväter und Exodus [WMANT 81], Neukirchen-Vluyn 1999, 27). Allerdings gibt es auch Rollen, die zwei oder mehrere Bücher enthalten, dabei sind die Buchgrenzen, soweit noch erhalten, durch eine Leerzeile o. ä. deutlich markiert (J. C. Gertz, Zusammenhang, Trennung und Selbständigkeit der Bücher Genesis und Exodus im priesterlichen und nachpriesterlichen Pentateuch, in: F. Giuntoli/K. Schmid [Hg.], The Post-Priestly Pentateuch [FAT 101], Tübingen 2015, 233–251, 234–236). 4 Vgl. 2 Chr 25,4; 35,12; Neh 13,1 mit Mk 12,26. 5 Vgl. 2 Chr 25,4 („ בתורהim Gesetz“); Neh 8,1 („ ספר תורת משהdas Buch des Gesetzes des Mose“) mit Mt 5,17.
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I. Zum Buch Genesis
ben.6 Diese Annahme ist infolge der im 18. Jh. aufgekommenen historischen Kritik aufgegeben worden. Das Buch Genesis enthält in der Hauptsache Erzählungen, zuweilen auch Abhandlungen im Gewand von Erzählungen, dazu Gottesreden und Genealogien. Bei den Gottesreden handelt es sich mitunter um längere Abhandlungen in einem nur angedeuteten Erzählrahmen7, meist aber um kurze Brückentexte mit einer Funktion für größere literarische Kontexte8. Die konstitutiven Gottesreden verbinden Imperativ und Verheißung.9 Die Verheißungen von Mehrung und Landbesitz öffnen den Blick in ferne Zukunft.10 Genealogien begegnen in linearer oder segmentärer, mitunter auch in erzählender11 Gestalt. Sie alle gehören wie andere Listen zu den Formen antiker Wissensspeicherung. Sie informieren über Verwandtschaftsbeziehungen und mit ihnen über das Verhältnis von Menschengruppen und Völkern. Erzählungen vermitteln dagegen nicht Wissen, sondern lassen an Erfahrungen teilhaben, die Menschen handelnd, leidend und reflektierend gemacht haben.12 Sie erzählen von der Vergangenheit, beziehen sich aber auf ihre jeweilige Gegenwart, ohne von ihr ausdrücklich zu reden. Sie sind also keine Nachrichten und – anders als Informationen – nicht auf Eindeutigkeit aus. Ihre Wahrheit hängt nicht an der Tatsächlichkeit des Erzählten, sondern an der Bedeutung, welche die erzählten Erfahrungen für die gewinnen, die sie lesen. Historische Rückschlüsse lassen sich daraus nicht auf die erzählte Welt, sondern allenfalls auf die Welt der Erzähler und deren Vorstellungen über die erzählte Welt ziehen. Auch die Personen, von denen erzählt wird, sind zunächst einmal literarische Figuren13, allerdings mit großer geschichtlicher Wirkung. 6 So schon angelegt in den vorgenannten Belegen, dann in 4QMMT Z. 10 ()ספר מושה, ausdrücklich bei Josephus, Ant. IV 8,48, und Philo, VitMos II 11: Mose habe als von göttlicher Weisheit inspirierter Prophet „unter göttlicher Anleitung“ die Tora geschrieben, was 2 Chr 34,14 aufnimmt („ ספר תורת יהוה ביד משהdas Buch des Gesetzes Jhwhs, durch die Hand des Mose“). 7 Wie zu „Bund“ und „Verheißung“ in Gen 9; 15; 17. 8 So sind 12,1–3 auf 13,14–17 hin formuliert, die wiederum in 28,13–14 ein Seitenstück haben. Zu den Verheißungen als literarische Bindemittel s. in diesem Bd. Nr. 16. 9 Gen 12,1–3; 26,2–3; 46,2–4. 10 Zu den verschiedenen Aspekten der Verheißungen s. M. Köckert, Art. Verheißung I. Altes Testament, TRE 34 (2002) 697–704 (zur literarhistorischen Einordnung der Verheißungen an die Erzväter S. 699–702). 11 Für lineare Genealogien s. 11,10–26, für segmentäre Gen 10. Dagegen sind die Notizen von der Geburt Jakobs und Esaus (25,21–26) und die der Kinder Jakobs (29,31–30,24) erzählerisch oder anekdotisch eingebettet. 12 Dazu s. M. Köckert, Abraham. Ahnvater – Vorbild – Kultstifter (Bibl. Gestalten 31), Leipzig 2017, 17–33. 13 Zur Erzählkunst in Gen s. die klassische Darstellung bei H. Gunkel, Genesis übersetzt und erklärt (HK 1/1), Göttingen 31910, § 3 „Kunstformen der Sagen der Genesis“ (S. XXVII– LVI); J. P. Fokkelman, Narrative Art in Genesis. Specimens of Stylistic and Structural Analysis (SSN 17), Assen 1975; Sh. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt. Alttestamentliche Texte als literarische Kunstwerke verstehen, Gütersloh 2006.
1. Eigenart und Entstehung des Buches Genesis
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Im Buch Genesis begegnen hauptsächlich drei Arten des Erzählens. Sie sind auf die drei Hauptteile des Buches verteilt. Gen 1–11 erzählen mit der Erschaffung der Welt und der Entstehung der Menschheit von den Grundgegebenheiten menschlichen Lebens und dessen Ambivalenzen und stellen der in Gen 12–50 folgenden Geschichte Israels in seinen Ahnen die kosmologischen und anthropologischen Voraussetzungen voran. Sie erklären all das weder naturwissenschaftlich noch historisch. Sie sprechen vielmehr von dem, „was niemals war und immer ist“14 und deshalb immer und überall gilt. Man nennt sie „Urgeschichten“. In Noahs Söhnen (9,18–27) und mit den Völkern der Menschheit (10,1–32) sind sie jedoch in der Geschichte angekommen. Schließlich konzentrieren sich 11,10–26 allein auf die Nachkommen Sems unter Noahs Söhnen, bis sie bei Abraham, dem Ahn Israels, angelangt sind. Gen 12–36 handeln von Abraham, Isaak und Jakob mit ihren Frauen und Kindern. Was sie erzählen, betrifft zwar Individuen in einer bestimmten geschichtlichen Stunde, ist aber weder mit Biographie noch mit Geschichtsschreibung sachgemäß erfasst, eher schon mit der Kennzeichnung als „Familienerzählungen“15. Deshalb spielen die Frauen als Ahnmütter und ihre Kinder eine hervorgehobene Rolle.16 Von den Familien Abrahams, Isaaks und Jakobs ist aber nur deshalb die Rede, weil es um den Ursprung der Gruppe oder des Volkes und deren Identität geht. Das kann in einer genealogisch verfassten Gesellschaft nur in Geschichten von eben diesen Ahnen des nachmaligen Volkes und deren Familien erzählt werden. Es handelt sich also um „Ursprungsgeschichten“ Israels17 im Kreis seiner altorientalischen Nachbarn in Kanaan/Palästina. Ursprungsgeschichten beantworten vor allem drei Fragen: Wer sind wir? Woher kommen wir? In welcher Beziehung stehen wir zu anderen? Sie bringen mit Abraham, 14
So definiert Salustios im 4. Jh. n. Chr. den Mythos (De diis et mundo 4,9). So – angeregt durch A. Jolles (Einfache Formen, Halle 1930, 67) – C. Westermann, Arten der Erzählung in der Genesis, in: Ders., Forschung am Alten Testament. Ges. Studien (ThB 24), München 1964, 9–91, bes. 36–39. 16 Manche sprechen deshalb lieber von „Erzelternerzählungen“, um die Frauen und deren Rolle sichtbar zu machen. Doch bringt dieser moderne Begriff die durchweg bestimmende patriarchale Dimension der Erzählungen nicht zur Geltung; denn er trägt unsere gesellschaftlichen Wertvorstellungen in die davon durch viele Jahrhunderte geschiedene fremde Welt der antiken Erzähler ein. Historische Arbeit sucht die Fremdheit vergangenen Lebens nicht zu retuschieren, sondern zu erklären. 17 Über die Patriarchengeschichte urteilte schon J. Wellhausen: „Der Stoff ist hier nicht mythisch, sondern national“ (Prolegomena zur Geschichte Israels, Berlin 1883, 336; 61927, 316). Nichts anderes meinen im Anschluss an H. Gunkel (Genesis, XVI) E. Blum, wenn er die „völkergeschichtliche Bedeutung“ dieser Erzählungen herausarbeitet, die schon am Anfang der Väterüberlieferung steht (Die Komposition der Vätergeschichte [WMANT 57], Neukirchen-Vluyn 1984, bes. 69–79 und 479–481), und M. Köckert: „Die in den Vätergeschichten zu beobachtende Prävalenz der Familie … erklärt sich aus der Gesamtintention, mit den Überlieferungen von den Vätern den Ursprung des Volkes zu erzählen“ (Vätergott und Väterverheißungen. Eine Auseinandersetzung mit Albrecht Alt und seinen Erben [FRLANT 142], Göttingen 1988, 307–308. 15
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I. Zum Buch Genesis
Isaak und Jakob nach und nach alle semitischen Völkerschaften in Kontakt, die in der ersten Hälfte des 1. Jt. v. Chr. erstmals in Syrien-Palästina die Bühne der Geschichte betreten, während mit den Geburten der Söhne Jakobs die Differenzierung Israels als Zwölf-Stämme-Volk begründet wird (29,30–30,24; 35,16–18). Abraham ist über seinen Bruder Nahor (11,27) mit den Aramäern verwandt (22,20–24; 24,4.24), steht sodann über seinen Neffen Lot (11,27; 12,4) mit den Moabitern und Ammonitern (19,36–38) in einem Verhältnis, wird schließlich mit Saras Sklavin Hagar als Vater Ismaels (Gen 16) zum Ahn nordarabischer Gruppen (25,12–18), bevor ihm Sara im hohen Alter den langersehnten Sohn Isaak schenkt (18,10–15; 21,1.6); nach Saras Tod wird er über seine zweite Frau Ketura zum Ahnvater südarabischer Stämme (25,1–4). Isaak endlich wird über Rebekka aus Aram (22,20–22; 24) Vater von Zwillingen: Esau, der Ahn der Edomiter (Gen 36), und Jakob, der den Ehrennamen „Israel“ erhält (32,29; 35,10). Allein die Philister fehlen; denn sie waren keine Semiten. Mit ihnen gibt es kein verwandtschaftliches, aber ein vertragliches Verhältnis (26,26–31). Die Josefgeschichte Gen 37–50 besteht weder aus mehr oder weniger lose miteinander verbundenen Einzelerzählungen wie in der Abrahamüberlieferung noch aus mehrere Szenen umfassenden „Erzählkränzen“ wie bei Jakob. Sie wurde vielmehr von vornherein als ein literarisches Ganzes gestaltet. In ihr verbinden sich die Charakteristika einer weisheitlichen Lehrerzählung vom Aufstieg eines hebräischen Jungen zum zweiten Mann in Ägypten nach Art einer Idealbiographie mit denen einer Ursprungsgeschichte; denn mit Josef ist der von ihm repräsentierte Stammesverband Efraim und Manasse als „Haus Josefs“18 im Spiel, das für das Nordreich Israels insgesamt stehen kann (Jos 18,5; Ez 37,16–19). Ein System von Überschriften bindet mit der Wendung „Das sind die Nachkommen ( )תלדותdes X (und deren Geschichte)“19 alle Teile des Buches zu einem genealogisch organisierten Ganzen zusammen. So leitet die Überschrift bei Terach die Geschichte seines Sohnes Abraham ein (11,27–25,11), bei Isaak die seines Sohnes Jakob (25,19–35,29) und bei Jakob die Geschichte Josefs und seiner Brüder (37,2–50,13). In diesem Sinne hätte eine Überschrift „Das sind die תלדותAbrahams“ die Geschichte Isaaks einleiten müssen. Diese wurde jedoch in Gen 26 von der durch das Überschriftensystem geschaffenen Komposition als Teil der Geschichte Jakobs behandelt. Deshalb gibt es keine תלדות אברם. Zum Schema der Toledot gehören Altersangaben und Todesnotizen des mit Namen genannten Ahnen.20 Durch sie werden die Jakobgeschichte in die Toledot Isaaks 18
Jos 16,1; 17,17. hebräische Wort hängt mit dem Verb „ ילדgebären, (er)zeugen“ zusammen und bezeichnet die „Hervorbringungen“ von Nachkommen eines Ahnvaters (5,1; 10,1; 11,10; 25,12; 36,1.9) und deren Geschichte (6,9; 11,27; 25,19; 37,2). Die in Gen 2,4 damit gebildete Überschrift fällt aus dem üblichen Gebrauch heraus; sie bindet nachträglich Gen 2–3.4 in die mit Gen 1 eröffnete Priesterschrift (dazu s. u. 3.3) ein. 20 Gen 9,28; 11,32; 35,28–29; 49,33; 50,12–13. 19 Das
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und die Josefgeschichte in die Jakobs eingebunden. Schließlich fällt auf, dass mit diesem Überschriftensystem auch Ismael (25,12–18) und Esau (36,1–8.9–30) ausgezeichnet werden, sind sie doch die Erstgeborenen Abrahams und Isaaks, nicht aber Erben der Verheißungen.21
2. Inhalt und Aufbau22 2.1 Urgeschichte (Gen 1,1–11,26) Die Überschriften in 2,4; 5,1; 6,9; 10,1; 11,10 verbinden die Urgeschichte mit den Geschichten von den Ahnen Israels (11,27; 25,19; 37,2, vgl. 25,12; 36,1.9). Dadurch wird die Urgeschichte, obwohl sie von der conditio humana erzählt, auf „Israel“ ausgerichtet.23 Doch hebt die singuläre Überschrift in 2,4a die Erschaffung von Himmel und Erde mit allen Lebewesen in Gen 1 von dem ab, was folgt. Gen 2–4 erzählen von der Erschaffung der Menschen und Tiere und vom Paradies, von der Verfehlung der Menschen und ihrer Vertreibung daraus, von Kains Brudermord und von den Errungenschaften der Kultur in Ackerbau und Viehzucht, Städtebau, Metallverarbeitung und Musik. Gen 5–9 setzen mit einer Genealogie in zehn Generationen von Adam bis Noah ein und berichten von der Verkehrung der Schöpfung durch die nicht vorgesehene Geburt von Heroen (6,1–4). Die große Bosheit der Menschen (6,5) und die Zunahme der Gewalt aller Lebewesen (6,11–13) führen zum Beschluss Gottes, die Erde von den Gewalttätern durch eine Flut zu reinigen. Aus ihr wird nur Noah als Gerechter mit seiner Familie gerettet. Am Ende stellt Gott die Unveränderlichkeit menschlichen Wesens fest (8,21) und gibt seiner Schöpfung eine neue Weltordnung (8,22; 9,1–17).
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S. dazu in diesem Bd. Nr. 8. Detaillierte Übersichten bieten die Kommentare, zum gesamten Buch Gen: G. W. Coats, Genesis with an Introduction to Narrative Literature (FOTL 1), Grand Rapids/Mich. 1983; zu Gen 1–11: zuletzt J. C. Gertz, Das erste Buch Mose (Genesis): Die Urgeschichte Gen 1–11 übersetzt und erklärt (ATD 1), Göttingen 2018; zu Gen 12–36: C. Westermann, Genesis (BK I/2), Neukirchen-Vluyn 1981; zu Gen 37–50: J. Ebach, Genesis 37–50. Übersetzt und ausgelegt (HThK), Freiburg 2007. 23 Darauf weist schon der siebte Tag als Ziel und Vollendung der Schöpfung (2,1–3) hin. Zwar wird der Sabbat nicht eigens genannt, aber er ist als arbeitsloser Tag der Welt von Anbeginn an eingestiftet, insofern Gott am siebten Tag mit seinem Werk „aufhört“ und „ruht“ (שבת 2,2–3). Entdeckt wird das Geheimnis des siebten Tages freilich erst von Israel (Ex 16,22–30). Auch die Arche weist über das allgemein Menschliche der Urgeschichte hinaus, indem ihre Anlage dem Jerusalemer Heiligtum entspricht. Schließlich ist in der Urgeschichte das Gefälle von der Menschheit über Noah und seine Söhne auf Abraham als Ahnvater Israels hin (11,10–32) nicht zu übersehen. 22
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Gen 10–11 handeln von Noah und seinen Söhnen (als Erfinder des Weinbaus mit seinen Folgen 9,18–27), von ihrer Verbreitung über die Erde nach Völkern, Sprachen und Ländern (Gen 10), vom himmelstürmenden Turmbau der Menschheit und ihrer Zerstreuung über die Erde (11,1–9). Eine Liste der Nachkommen Sems in zehn Generationen (11,10–26) konzentriert den Welthorizont auf Abraham, den Ahn des Volkes, um das es fortan gehen wird. Urgeschichtlich ist auch dieser letzte Teil zu nennen, weil er ausdrücklich auf die Flut bezogen wird (10,32; 11,10) und weil 9,18–27; 10 und 11,1–9 die Menschheit insgesamt betreffen. 2.2 Abraham (Gen 11,27–25,18)24 Die einzelnen Erzählungen und Szenen sind, abgesehen von der Abraham-LotErzählung in Gen 13; 18–19, nur lose miteinander verbunden. Zusammengehalten werden sie von Gottesreden mit den beherrschenden Themen Land und zahlreiche Nachkommen. Da Gott das Land stets den Nachkommen zuspricht (12,7; 13,15; 17,8; 24,7), hängt ihre Verwirklichung an einem Sohn. Mit seinem Ausbleiben wächst die Erzählspannung: Wer ist der Erbe, dem dieses Land zukommt? Als erste verlassen Lot (13,2–13) und mit ihm Moab und Ammon das Erbland (19,30–38), darauf folgen Hagar und Ismael (21,8–21), zuletzt die Söhne seiner Nebenfrau (25,1–6). So bleibt allein Isaak übrig. Die Überlieferung von Abraham und Sara wird genealogisch gerahmt. Die Überschrift mit den Nachkommen Terachs stellt in 11,27–32 die Verwandtschaft und damit die meisten Erzählfiguren vor. Damit eröffnet sie eine völkergeschichtliche Leseperspektive. Sie wird vom genealogischen Abschluss in 25,1–6 mit der Verabschiedung der Söhne Keturas und von den Toledot Ismaels in 25,12–18 aufgenommen. Die Überlieferung von Abraham und Sara besteht aus drei Teilen: Gen 12–19; 21,1–6: Abraham und Sara kommen vom Norden (Harran, Sichem, Betel) und, nach einer kurzen Affäre in Ägypten (12,10–20), vom Süden ins Land. Lot trennt sich von Abraham und zieht nach Sodom, während sich Abraham bei Hebron niederlässt. Alle Erzählungen kreisen um den fehlenden Sohn (Gen 15; 16; 17) und zielen auf die Geburt Isaaks (18; 21,1–6) im Kontrast zu Lots Söhnen Moab und Ammon (19,30–38). Gen 14 fällt aus dem Rahmen, ist aber durch Lots Rettung eingebunden. Gen 20–22: Die überlegt angeordneten Erzählungen sind im Süden Judas lokalisiert, nennen Israels Gott nicht mit seinem Namen יהוה, sondern bezeichnen ihn mit אלהים, dem allgemeinen Begriff für „Gott“, und haben ein ähnliches 24 J.‑L. Ska, Essay on the Nature and Meaning of the Abraham Cycle (Gen 11:29–25:11) (2001), in: Ders., The Exegesis of the Pentateuch. Exegetical Studies and Basic Questions (FAT 66), Tübingen 2009, 23–45; zur literarischen Komposition s. Köckert, Abraham, 41–47.
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Handlungsgerüst.25 Sie nehmen ältere Stoffe wieder auf, deuten sie aber um und berücksichtigen dabei ihre Vorbilder: Man vgl. das Ahnpaar bei Abimelech in 20,1–18 mit seinem Aufenthalt bei Pharao (12,10–20), Hagars Vertreibung in 21,8–21 mit ihrer Flucht (16,1–14), Abrahams Vertrag mit Abimelech in 21,22– 34 mit dem in 26,12–33. Die Abrahamgeschichte kommt auf ihren Höhepunkt in 22,1–19: Nachdem Isaak als Erbe gesichert scheint, stellt Gott Abrahams Vertrauen auf die Probe, und Abraham besteht sie. Gen 22,20–25,18 spielen wieder in Hebron. Ein erster Handlungsbogen lenkt den Blick auf die nächste Generation: Die Genealogie der Nachkommen Nahors (22,20–24) bereitet mit Rebekka die Brautwerbung für Isaaak vor (Gen 24). Mit ihm ist ein zweiter verschränkt, der Saras Tod, den Kauf eines Erbgrabs bei Hebron und ihre Bestattung (Gen 23) sowie Tod und Bestattung Abrahams dort erzählt (25,8–9). Nachdem Abraham alle Miterben aus dem verheißenen Land abgefunden und weggeschickt hat, bleibt Isaak als einziger Sohn Abrahams und Saras übrig. 2.3 Jakob (Gen 25,19–37,1)26 Das Toledot-Schema mit der Überschrift „Das sind die Nachkommen Isaaks und ihre Geschichte“ (25,19) und den Notizen zu Isaaks Tod und Bestattung (35,28– 29) rahmt die Jakobüberlieferung, die kaum aus Einzelerzählungen, sondern mehrheitlich aus Episoden besteht27, die großenteils von Anfang an miteinander verbunden waren. Sie bilden eine dreiteilige konzentrische Komposition28, in welcher der letzte Teil die Motive und Themen bündelt und zu einem Abschluss bringt, die schon zuvor eine Rolle spielten: Der schon vorgeburtlich begründete Konflikt zwischen Jakob und Esau führt zum Betrug Jakobs und zu dessen Flucht und Trennung von Esau (Gen 25; 27); dem entspricht die Rückkehr Jakobs und überraschende Aussöhnung mit Esau (Gen 32–33). Jakobs Begegnung mit den Himmlischen und mit Gott in Betel (Gen 28) hat ihr Seitenstück in der Begegnung Jakobs mit den Himmlischen in Mahanajim und in seinem Ringen mit Gott um den Segen bei Pnuel (Gen 32). Der Flucht Jakobs zu Laban in Gen 29 entspricht Jakobs Flucht von Laban in Gen 31. Im Zentrum stehen die Wirkungen des Segens in Herdenreichtum und Kindsgeburten (11 + 1 Söhne in Gen 29–30 und 35). Jeder der drei längeren Erzählblöcke handelt von einem 25 Vgl. beispielsweise 21,8–21 mit 22,1–14 und dazu J. Jeremias, Gen 20–22 als theologisches Programm, in: M. Beck/U. Schorn (Hg.), Auf dem Weg zur Endgestalt von Genesis bis II Regum. FS Hans-Christoph Schmitt (BZAW 370), Berlin 2006, 59–73. 26 Dazu zuletzt E. Blum, The Jacob Tradition, in: C. A. Evans u. a. (Hg.), The Book of Genesis. Composition, Reception, and Interpretation, Leiden 2012, 181–211. 27 H. Gunkel sprach deshalb von „Sagenkranz“, bei den Jakob-Laban-Erzählung sogar von „Novelle“ (Genesis, 324). 28 So schon M. Fishbane, Composition and Structure in the Jacob Cycle (Gen 25:19– 35:22), JJS 26 (1975) 15–38.
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Konflikt mit anschließender Trennung: Jakob und Esau (Gen 25–28), Jakob und Laban (Gen 29–31) und Jakob und Esau (Gen 32–36). Gen 25,21–34; 27,1–40: Die Jakob-Esau-Erzählung berichtet von Rebekkas Schwangerschaft und der Geburt der beiden Brüder, vom Recht des Erstgeborenen und vom Segen. Esau achtet sein Recht gering (25,29–34) und wird von Jakob um den Segen betrogen (Gen 27). Der Betrüger muss fliehen. Das Geburtsorakel (25,23), die Umstände der Geburt der Zwillingsbrüder (25,24–26) und der Segen (27,28–29) zielen auf das Verhältnis der von beiden repräsentierten Völker und schließen am Ende Esau/Edom aus der Segensgeschichte Jakob/ Israels aus (27,39–40). Die Erzählung endet offen mit Jakobs Flucht und Esaus Zorn. Gen 28,10–22: Auf der Flucht zu Laban sieht Jakob des Nachts im Traum den geöffneten Himmel und eine Treppe, die von der Erde in den Himmel ragt und auf der die Engel Gottes auf- und absteigen. Über ihr steht Gott und verspricht ihm Land und zahlreiche Nachkommen, mit deren Namen sich alle Menschen segnen werden, und behütete Rückkehr in dieses Land. Am Morgen richtet Jakob einen Stein als Malstein (Mazzebe) auf, nennt diesen Ort, an dem der Himmel offen stand, „Haus Gottes“ (Bet-El). Dann legt er ein Gelübde ab, dass bei seiner wohlbehaltenen Heimkehr in das Haus seines Vaters der Malstein an dieser Stätte zu einem Haus Gottes werden soll. Gen 29–31: In der Jakob-Laban-Erzählung wird Jakob, der Betrüger, doppelt betrogen (29,20–30; 31,4–8). Doch der erlistete Segen bewirkt Jakobs Reichtum an Kindern (29,31–30,24) und Herden (30,25–43), an dem auch Laban teilhat (30,27). Jakobs Flucht vom Aramäer Laban endet mit einem Grenzvertrag (31,44–54), der das Verhältnis zu den Aramäern ordnet, und mit einer versöhnlichen Trennung beider (32,1), so dass Jakob nun reich gesegnet heimkehren kann. Doch die Rechnung mit Esau ist noch offen. Gen 32–33: Die Rückkehr Jakobs in die Heimat führt zur Begegnung mit Gott und mit Esau. Zunächst trifft er erneut auf Gottes Engel. Er nennt den Ort Mahanajim (32,2–3). Dann rüstet er sich auf die Begegnung mit seinem Bruder und bringt seine Habe und seine Familie in Sicherheit (32,4–25). Nachts am Jabbok ist er ganz allein. Da fällt ihn ein Mann an, der sich als übermächtiger Gegner herausstellt. Im Kampf hält Jakob stand und erringt Gottes Segen. So wird aus Jakob, dem Betrüger, Israel, der Gotteskämpfer (32,23–33).29 Jetzt kann er seinem Bruder begegnen, und beide scheiden versöhnt voneinander (Gen 33). Die dreiteilige Großerzählung wird wesentlich zusammengehalten durch Jakobs Gelübde in Betel (28,20–22), das als Scharnier zwischen Jakob-Esau und Jakob-Laban-Erzählung wirkt, und durch mehrere Rückverweise darauf (31,13; 29
S. dazu M. Köckert, Ist Jakobs Gegner in Gen 32,23–33 ein Dämon? (2003), in diesem Bd. Nr. 14.
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32,10–13; 35,1–7).30 Die Geschlossenheit der Großerzählung wird durch das auf den Vorkontext abgestimmte Schlussstück Gen 32–33 mit der Gotteserscheinung in Pnuel (vgl. 32,23–33 mit 28,10–13a*.16–19a) und mit der Engelszene in Mahanajim (vgl. 32,2b–3 mit 28,12) noch verstärkt. Auch bereiten 28,21 und die Gottesbefehle 31,3.13 die Rückkehr in Gen 32–33 vor. Außerhalb stehen der Kranz der Isaakerzählungen an den Schauplätzen Gerar und Beerscheba (Gen 26 vgl. 12,10–20; 21,22–32), die Überlieferungen, die Jakobs Weg bis zur Geburt Benjamins weiterführen (Gen 34; 35), und die Liste der Nachkommen Esaus in Gen 36. Ursprüngliche Einzelüberlieferungen kann man hinter dem Grenzvertrag zwischen Jakob und Laban, den Ahnvätern Israels und Arams, in Gilead (31,45– 54)31, hinter der Heiligtumslegende von Betel (28,11–19 ohne Gottesrede)32 und hinter der Erzählung von der Erlistung des Segens (Gen 27) vermuten. Für sich stehen die Erzählung von Dinas Verführung durch Sichem und von der Rache Simeons und Levis (Gen 34) sowie die Notiz von Rubens Schandtat (35,22); sie erklären die Stellung dieser Stämme in der Gegenwart des Erzählers (49,4.7) und bilden die Folie für Judas Aufstieg (49,8–12). 2.4 Josef (Gen 37,2–50,26)33 Die Joseferzählung steht literarisch für sich, wie Spannungen zur Jakoberzählung34 und zum Anfang des Buches Exodus zeigen, den Ex 1,6–8 mühsam ausgleichen. Stilistische Besonderheiten35 und die weitgehende literarische wie thematische Geschlossenheit heben sie von den Vätergeschichten ab.36 30 S. dazu M. Köckert, Die Rückverweise auf Gen 28,10–22 innerhalb der Jakobüberlieferung und in Hos 11 (2019), in diesem Bd. Nr. 13. 31 Blum, Komposition, 132–140. 32 S. dazu M. Köckert, Was träumte Jakob in Gen 28? (2021), und: Die Traumerzählung Gen 28 im Licht altorientalischer Tempeltheologie und Tempelbaunachrichten (2020), in diesem Bd. Nr. 11 und 12. 33 Dazu bes. Ebach, Genesis 37–50. 34 Obgleich Josef in 37,3 als Jakobs Sohn erscheint, begegnet er in der Jakoberzählung nur in 30,23 f.; 33,2, dort allerdings durchaus hervorgehoben. Obgleich Rahel in 35,16 f. bei der Geburt Benjamins gestorben ist, wird sie in 37,10 als noch lebend vorausgesetzt. Obgleich die Jakoberzählung nur von einer Tochter spricht (vgl. 30,21 mit Gen 34), erwähnt 37,35 Töchter (Pl.). Obgleich die Brüder Ruben und Simeon in 34,30 und 35,22 negativ gezeichnet werden, erscheinen sie in der Joseferzählung durchaus positiv. 35 Beherrschendes Stilmittel sind Verdoppelungen, z. B. zwei Träume Josefs (37,7–11), zwei der ägyptischen Beamte im Gefängnis (40,9–19), zwei des Pharao (41,1–7); zwei Reisen der Brüder nach Ägypten (Gen 42; 43), zwei Audienzen der Brüder bei Josef (ebd.), zweimal wird der Kaufpreis in die Säcke der Brüder zurückgelegt (42,25–28; 44,1–2) usw. Gen 41,32 deutet die Verdoppelung als Ausdruck von Intensität. 36 Mit größeren Kontexten verbinden lediglich die Geburt der Söhne Josefs in 41,50–52 (sie ist zwischen 41,49.54 f. eingeschoben und bereitet Gen 48 vor), die Gotteserscheinung in Beerscheba in 46,1aβ–5a (sie unterbricht den Zusammenhang zwischen 45,28 und 46,5b
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Gen 37: Jakob, Josef und seine Brüder. Die Bevorzugung durch den Vater und zwei Träume, in denen Josef seine Herrschaftsansprüche über die Brüder anmeldet, provozieren deren Hass. Sie wollen ihn töten, doch vorbeiziehende Midianiter stehlen ihn und verkaufen ihn an Ismaeliter, die ihn nach Ägypten und dort an Potifar verkaufen. Gen 39–41: Josefs Bewährung und Aufstieg in Ägypten. Weil Gott mit Josef ist, gelingt ihm alles, und Gottes Segen liegt auf dem Haus seines Herrn. Weil sich Josef dem Ansinnen der Frau seines Herrn verweigert, wird er unschuldig ins Gefängnis geworfen. Aber auch dort verschafft ihm Gottes Beistand Wohlwollen. Er deutet die Träume zweier in Ungnade gefallenen Beamten. Als auch Pharao träumt und allein Josef dessen beiden Träume deuten kann, steigt er zum zweiten Mann in Ägypten auf und trifft in den sieben fetten Jahren Vorsorge für die bevorstehenden sieben Hungerjahre. Gen 42–45: Josef und seine Brüder. Weil der Hunger auch auf Kanaan lastet, reisen die Brüder, allerdings ohne Benjamin, ein erstes Mal nach Ägypten, um Getreide zu kaufen. Josef fordert von ihnen, Benjamin zu bringen, und behält Simeon als Geisel im Gefängnis. Das setzt bei den Brüdern einen Lernprozess in Gang (42,21). Weil die Hungersnot anhält, müssen die Brüder erneut nach Ägypten reisen, diesmal mit Benjamin. Josef lässt heimlich seinen silbernen Becher in Benjamins Gepäck legen. Als der bei ihm gefunden wird, klagt Josef ihn des Diebstahls an. Da gesteht Juda als Sprecher der Brüder ihre Schuld an dem tot geglaubten Bruder ein (vgl. 44,16 mit 42,21 f.) und behandelt Benjamin nicht so wie einst die Brüder Josef (vgl. 44,33–34 mit 37,26–27). Daraufhin gibt sich Josef seinen Brüdern zu erkennen (45,3–8) und lädt sie ein, mit ihrem Vater nach Ägypten zu ziehen. Gen 46–47: Josefs Wiedersehen mit dem Vater. Von der Nachricht belebt, reist Jakob mit seiner Großfamilie nach Ägypten, um Josef wiederzusehen (46,29–30). Pharao empfängt sie, teilt ihnen Weideland in Goschen zu und lässt sie versorgen, während die Ägypter nach und nach Geld, Vieh und Grundbesitz Pharao überlassen müssen, um nicht zu verhungern (47,13–26). Jakob verfügt, bei seinen Vorfahren in Kanaan begraben zu werden und stirbt (47,29–31; 49,33b*). Gen 50 Jakobs Tod und die Versöhnung der Brüder: Nach der Beendigung der Trauerriten und Jakobs Staatsbegräbnis in Kanaan (50,1–14) gestehen die Brüder ihre Schuld ein und bieten sich Josef als Sklaven an (vgl. 50,18 mit 37,7). Der aber gibt der Geschichte eine Deutung, mit der sie Brüder bleiben können: Gott hat aus Bösem Gutes werden lassen, „um ein großes Volk am Leben zu erhalten“ (50,19–20). So endet die Geschichte, die mit Überheblichkeit und Hass begonnen hatte, mit Trost und Versorgung (50,21). und schlägt über 31,11.13; 26,2.25 einen großen Bogen nach 12,1–3) und Josefs Tod 50,22–26 (V. 25 f. zielen über Ex 13,19 auf Jos 24, V. 24 auch auf Exodus und Landnahme).
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Die Großerzählung wird vielfach zusammengehalten: (1) Sie ist von Anfang an auf eine Wiederbegegnung mit dem Vater angelegt.37 (2) Sie wird durchgehend von den Themen Herrschaft und Versorgung bestimmt.38 (3) Josefs Traum von 37,5–7 erfüllt sich, indem sich seine Brüder vor ihm verneigen.39 Zwei Schlüsselszenen an den Wendepunkten der Erzählung in 45,5–7; 50,18–21 enthüllen deren Absicht: Gott hat Josef zu königlicher Herrschaft über seine Brüder bestimmt, aber zu einer Herrschaft, die nicht versklavt, sondern am Leben erhält (50,19). Aus dem Erzählzusammenhang fallen die Erzählung von Juda und Tamar in Gen 3840, die Liste der Nachkommen Jakobs 46,8–2741 und Jakobs Segen über Efraim und Manasse in Gen 4842 sowie sein Testament in Gen 4943.
3. Entstehung und historische Einordnung Jeder der vier großen Teile des Buches Genesis ist besonders geprägt und hatte vor seiner Verbindung mit den anderen eine eigene Geschichte. Doch wurde auch später der Text noch erweitert und bearbeitet. Der Weg von den ältesten Überlieferungen bis zum Buch, wie wir es heute lesen, beginnt im 9./8. Jh. und reicht bis in die frühhellenistische Zeit im 4./3. Jh. v. Chr. Weil außerbiblische Quellen weithin fehlen, muss die Rekonstruktion der älteren Überlieferungen und die der Entstehung des Buches hypothetisch bleiben. Die folgende Skizze beschränkt sich auf die Möglichkeit, die mir am wahrscheinlichsten erscheint.44 37 Man sehe nur Gen 37,3; 42,13; 43,7.27–28; 44,18–34; 45,3.9–14; 46,1a.5a. Daran scheitert die Annahme, die Erzählung habe ursprünglich in Gen 45 geendet. 38 Das Thema „Herrschaft“ (37,6–10; 41,40–44) kommt erst in 46,6–9 („Gott hat mich zum Herrn gesetzt“) und in 50,15–18 („Wir sind deine Sklaven“) ans Ziel. Es wird mit dem Thema „Versorgung“ (41,33–57; 42,6; 45,5–8.10–11.18–28; 47,11–12.13–26) in 45,5–8; 50,20–21 verbunden. 39 Zunächst unerkannt und als Höflichkeitsgestus in 42,6–8; 43,26–28; 44,14, zuletzt als Zeichen völliger Unterwerfung in 50,18. 40 Sie kennt Josef nicht und ist nur lose durch die Wiederaufnahme 37,36b in 39,1a eingebunden, aber sie bildet einen Kontrast zur Erzählung von Potifars Frau und bereitet Judas Wandlung in 44,18–34 vor. 41 Sie unterbricht 46,5b–7 und 46,28 ff. 42 Er unterbricht den Zusammenhang von 47,31 und 49,33b und wird durch 41,50–52 vorbereitet. 43 Testament und Liste der Nachkommen unterbrechen die Abfolge 46,5b–7.28 ff. und 47,31; 49,33b*. Jakobs Testament hat keine Verbindungen zur Joseferzählung, ja, es steht sogar in Spannung zu ihr: Vgl. 49,29–32 mit 47,29–31, die Rolle Judas in 49,8–12 mit der in Gen 37–48, auch werden Efraim und Manasse im Testament nicht erwähnt. 44 Grundlegend sind die sehr verschiedenen Analysen und Entwürfe von Blum, Komposition, 1984, und J. Van Seters, Abraham in History and Tradition, New Haven/London 1975; ders., Prologue to History. The Yahwist as Historian in Genesis, Louisville/Kent. 1992, einerseits sowie von C. Levin, Der Jahwist (FRLANT 157), Göttingen 1993, und R. G. Kratz,
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3.1 Geschichte der älteren Überlieferungen bis zum Ende des Königtums Im Bergland auf der Landbrücke zwischen Ägypten und Syrien bestanden im 2. Jt. drei politische Zentren: das regionale Königreich Labayas von Sichem45 (das im nördlichen Bergland bis zur Jesreel-Ebene, im Osten bis nach Gilead und im Südwesten bis Geser reichte), in der Mitte der wesentlich kleinere und politisch unbedeutendere Stadtstaat von Jerusalem46 und schließlich das südliche Bergland um das Zentrum Hebron, aus dessen Familienverbänden Juda hervorgeht.47 Aus diesen geopolitischen Gegebenheiten bildeten sich im 9. und 8. Jh. v. Chr. zwei neue Königtümer aus: zunächst Israel im Norden unter den Omriden48 mit der neu gegründeten Kapitale Samaria, sodann Juda im Süden unter den Nachkommen aus dem „Haus Davids“49 mit Jerusalem als religiös-politischem Zentrum. Beide Herrschaften verband das genealogisch verfasste ethnische Bewusstsein, Nachkommen gemeinsamer Ahnen zu sein, und sie einte die Verehrung desselben Gottes. Beide verstanden sich als „Israel“ unter Jhwh, dem „Gott Israels“50, mag sich die Art seiner kultischen Repräsentation in Betel von der in Jerusalem auch unterschieden haben.51 Wirtschaftlich wie politisch war zunächst der Norden dominant, nach dem Untergang des Reststaates von Samaria 722 v. Chr. übernahm Juda die Führungsrolle, bevor nach 586 auch dessen staatliche Selbständigkeit dahin war. Diese Geschichte spiegelt sich im Wandel der Überlieferungen. (1) Die Jakoberzählung52 Sie ist von Anfang an als Ursprungsgeschichte Israels und seines Verhältnisses zu den Nachbarn konzipiert. Das kann man an den Hauptpersonen und an Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments (UTB), Göttingen 2000, andrerseits. 45 S. die Korrespondenz palästinischer Stadtkönige mit dem Pharao aus Tel El Amarna, Auswahl zu Labaya von Sichem und seinen Söhnen in: HTAT Nr. 45, 46, 49, 50, 58, 61, 62. 46 Zu Abdu-Heba von Jerusalem s. die Auswahl in: HTAT Nr. 57–60. 47 O. Lipschits, Abraham zwischen Mamre und Jerusalem, in: M. G. Brett/ J. Wöhrle (Hg.), The Politics oft he Ancestors (FAT 124), Tübingen 2018, 187–209, bes. 187–194. 48 Epigraphisch erstmals in der Mescha-Stele Z. 4–10 erwähnt (HTAT Nr. 105). 49 Epigraphisch erstmals im 9. Jh. in der Mescha-Stele, Z. 32, freilich kaum lesbar (HTAT Nr. 105) und in der wenig jüngeren Hasael-Inschrift von Tel Dan (HTAT Nr. 116) als בית דוד erwähnt. 50 Vgl. Blum, Komposition, 488–491, mit Verweis auf Jes 8,14 („die beiden [!] Häuser Israel“) und die Fügung „Jhwh, der Heilige Israels“, aber auch 2 Sam 15,2.6, bes. V. 10 („alle Stämme Israels“) oder 17,11 („Israel von Dan bis Beerscheba“). Anders dagegen R. G. Kratz, Israel als Staat und als Volk, ZThK 97 (2000) 1–17, der ein gesamtisraelitisches Bewusstsein wie auch die Vorstellung von Israel als Gottesvolk für ein Konstrukt der Perserzeit hält. 51 M. Köckert, JHWH in the Northern and Southern Kingdom, in: R. G. Kratz/H. Spieckermann (Hg.), One God – One Cult – One Nation. Archaeological and Biblical Perspectives (BZAW 405), Berlin 2010, 357–394. 52 Die Geschichte der Jakobüberlieferung in Gen 25–35 haben zuletzt I. Finkelstein/
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den Orten der Erzählhandlung sehen. Jakob und Esau, sowie Jakob und Laban werden schon in der Substanz der Erzählung als Ahnen der von ihnen repräsentierten Völker Israel, Edom und Aram geschildert. Diese völkergeschichtliche Perspektive wird in 25,30 ausdrücklich genannt. Sie ist der Erzählung nicht nachträglich aufgesetzt worden; denn sie lässt sich weder aus dem Geburtsorakel (25,23) noch aus der Geburtsgeschichte der Zwillinge mit den Anspielungen auf Edom und Seir (25,25) noch aus den Segensworten Isaaks über Jakob (27,28–29 im Kontrast zu 27,39–40a) noch aus dem Gileadvertrag (31,45–54) herauslösen. Sie gehört also zur Substanz der Erzählung. Überdies wird Esau in 32,4 ausdrücklich mit dem Land Seir und dem Gebiet von Edom in Verbindung gebracht, während Jakob in 32,29 den Ehrennamen „Israel“ erhält. Zudem befinden sich alle Orte, die in der Jakoberzählung eine Rolle spielen wie Betel (28,19; 35,1.6*7), Sichem (33,18a), Gebirge Gilead (31,21.23.25), Mahanajim (32,3)53, Pnuel (32,32)54 und Sukkot (33,17)55, außerhalb Judas in Gebieten, die zumindest zeitweise vom Nordreich Israel kontrolliert wurden. Von diesen Orten hat Betel besondere Bedeutung, war es doch das Staatsheiligtum des Nordreichs.56 In Betel entdeckt Jakob die Gegenwart Jhwhs an diesem Ort, bevor er das Land verlässt (28,10–22*), nach Betel kehrt er schließlich zurück und begründet durch den Bau des Altars den Opferkult an dieser Stätte (35,1.6–7). Hier sind wahrscheinlich auch die Jakobüberlieferungen gesammelt und tradiert worden.57 Da Betel nach dem Untergang des Nordreichs 722 v. Chr. und nach dem Aufstieg Jerusalems zum allein legitimen Jhwh-Heiligtum am Ende des 7. Jh. keine prominente Rolle mehr spielte, muss der Kern der Jakoberzählung älter sein. Er könnte in den ältesten Teilen der Jakob-Laban-Erzählung aus dem 9./8. Jh. stammen.58 Die Großerzählung hat drei Überlieferungskerne, T. Römer, Comments on the Historical Background of the Jacob Narratives in Genesis, ZAW 126 (2014) 317–338, und K. Schmid, Von Jakob zu Israel, in: M. Grohmann (Hg.), Identität und Schrift. Fortschreibungsprozesse als Mittel religiöser Identitätsbildung (BThSt 169), Neukirchen-Vluyn 2017, 33–67, skizziert; vgl. nun auch J. Wöhrle, Koexistenz durch Unterwerfung. Zur Entstehung und politischen Intention der vorpriesterlichen Jakoberzählung, in: M. G. Brett/J. Wöhrle (Hg.), The Politics oft he Ancestors (FAT 124), Tübingen 2018, 307–328. 53 Mahanajim wird mit den Tulul ed-Dahab im unteren Jabboktal identifiziert (D. Jericke, Die Ortsangaben im Buch Genesis [FRLANT 248], Göttingen 2013, 193). 54 Die Ortslage wird mit Tell el-Hamme (Ost), 4 km westlich der Tulul ed-Dahab, identifiziert (Jericke, Ortsangaben, 199). 55 Sukkot, wahrscheinlich auf T. der-Alla gelegen, wird hier auf eine Gründung Jakobs zurückgeführt. 56 Vgl. Am 7,13; Hos 10,5–7; 8,4–6. 57 Finkelstein/R ömer, Comments, 327. 58 Das dagegen ins Feld geführte Fehlen eines Königs (Schmid, Literaturgeschichte, 69; W. Oswald, Staatstheorie im Alten Israel. Der politische Diskurs im Pentateuch und in den Geschichtsbüchern des Alten Testaments, Stuttgart 2009, 156) hängt vielleicht mit dem Mangel an dynastischer Tradition im Nordreich gegenüber der Dynastie der Davididen in Juda-Jerusalem zusammen. Außerdem war Betel nie Sitz eines Königs von Israel. C. Weingart erklärt das
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die vielleicht einmal eine je eigene Vorgeschichte hatten. Die ist freilich nicht immer mit der wünschenswerten Klarheit zu klären. Die ältesten Überlieferungen über Jakob entstanden in Gilead im nördlichen Ostjordanland. Die Jakob-Laban-Erzählung (in Gen 29,1–32,1)59 ist zwar an den Rändern mit der Jakob-Esau-Erzählung redaktionell verbunden60, setzt aber in ihrer Substanz keinen Konflikt mit Esau, wohl aber mit Laban, dem Aramäer, voraus. Sie reflektiert offenkundig das spannungsreiche Verhältnis zu den Aramäern: Man weiß sich verwandt (vgl. Dtn 26,5), lebt aber voneinander getrennt. So spiegelt sich im ältesten Kern der Jakob-Laban-Erzählung vielleicht noch die Geburt Israels durch die Trennung der Jakobgruppe von den lokalen aramäischen Gruppen im Ostjordanland.61 Der in 31,46.51–54 enthaltene ältere Gilead-Vertrag befriedet die Auseinandersetzungen zwischen den aramäischen Sippen Labans und Jakobs. Da Gilead 732 assyrische Provinz wurde (2 Kön 15,29), muss die Jakob-Laban-Erzählung älter sein. Auch die Kriege, die der Aramäer Hasael von Damaskus (840 und 800 v. Chr.) mit Israel führte, haben (noch) keine Spuren hinterlassen. Das legt eine Ansetzung in die 1. Hälfte des 9. Jh. nahe, eine Zeit, in der die Omriden in Israel herrschten und Juda eine Art Vasall des Nordreichs war. Dazu passt die Erwähnung des Gebirges Gilead als Ort des Vertrags.62 Vielleicht sind in der Route Jakobs von Gilead über Mahanajim, den Jabbok und Sukkot nach Sichem Erinnerungen aus grauer Vorzeit an den sozio-ökonomischen Austausch zwischen den verschiedenen Gruppen des Ost- und Westjordanlandes über den Jordangraben hinweg bewahrt.63
Fehlen eines Königs überzeugend mit der fiktiven Situation des Textes (Stämmevolk – Staatsvolk – Gottesvolk? Studien zur Verwendung des Israel-Namens im Alten Testament [FAT II/68], Tübingen 2014, 261). 59 Am Überzeugendsten ist immer noch die Analyse Blums (zuletzt: Jacob Tradition, 203– 207), im Einzelnen: 29,1–30; 30,25–43; 31,19–21aα.22–23.25bα.26–28.30–40; 31,46.51–54 (jeweils ohne Verweis auf die Mazzebe); 32,1. 60 Wie z. B. durch das im Kontext von 31,13 sperrige Stück 27,41–45. 61 Vgl. O. Sergi, Jacob and the Aramaean Identity of Ancient Israel between the Judges and the Prophets, in: M. G. Brett/J. Wöhrle (Hg.), The Politics of the Ancestors (FAT 124), Tübingen 2018, 283–306, bes. 285 f.: Die Eponymen der Stämme Israels sind Kinder Jakobs, des Ahns Israels, und der Töchter des Aramäers Laban. Die Identität Israels hat ihre Wurzeln „in the social-economic and cultural interactions between agro-pastoral groups from both sides of the Jordan river“ (S. 295). 62 „Gilead“ bezeichnete ursprünglich eine nach der Stadt südlich des Jabbok genannte Region im Ostjordanland zwischen Arnon und Jabbok. Aber die Omriden in der 1. Hälfte des 9. und Jerobeam II. in der 1. Hälfte des 8. Jh. griffen auf die Region nördlich des Jabbok aus, so dass Gilead in jener Zeit bis zum Jarmuk reichte (vgl. Dtn 3,12–13). Hier ist wohl auch das Gebirge Gilead zu suchen; vgl. O. Sergi, The Gilead between Aram and Israel: Political Borders, Cultural Interaction and the Question of Jacob and Israelite Identity, in: O. Sergi u. a. (Hg.), In Search for Aram and Israel (ORA 20), Tübingen 2016, 333–354. 63 Sergi, Gilead, 345, identifiziert die Route über das Wadi Fara mit einem seit alters benutzten „corridor of seasonal nomadic migration“.
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Die Gründungslegende Betels (Gen 28, …11–13a1.16–19a64), des Staatsheiligtums des Nordreichs, könnte aus den Tagen Jerobeams II. (787–747 v. Chr.) stammen.65 Die Jakob-Esau-Erzählung (in Gen 25B; 27)66 ist durchgehend von der Rivalität der Zwillingsbrüder (25,23; 25,25–26; 27) bestimmt. Die Begleitumstände der Geburt Esaus deuten dessen Lebensraum im südlichen Ostjordanland an (Gebirge Edom, Land Seir). Der Segensspruch 27,29 zielt überdies auf die Herrschaft Jakobs/Israels über Edom. Davon kann nach dem Untergang des Nordreichs nicht mehr die Rede sein, wohl aber davor. Zwar grenzt Edom nicht an das Nordreich, sondern an Moab und Juda. Als aber in den letzten Jahren des 9. Jh. die Assyrer nach Damaskus greifen, expandiert seit Joasch das Nordreich (2 Kön 13,25) und übernimmt nun auch die Kontrolle des einträglichen Fernhandels mit Arabien, der im Süden über Edom und den Negev führt. Dazu drängt man die nach Westen vorrückenden Edomiter zurück und richtet einen königlichen Handelsposten in Kuntillet ʿAjrud ein, um den wichtigen Handelsweg von Elat nach Gaza und zur via maris zu kontrollieren.67 Die damit verbundenen Konflikte in der ersten Hälfte des 8. Jh. machen vielleicht den Anspruch auf Vormacht Jakob/Israels über Esau/Edom verständlich, den das Geburtsorakel und die Segenssprüche erheben.68 Nach 722 und vollends nach 587 fehlt dafür jede Grundlage; auch hätte man in jenen Zeiten unbändigen Hasses auf Edom69 kaum noch von beiden Ahnen als von Zwillingen erzählt. Zuweilen wird erwogen, dass die Jakob-Esau-Erzählung ursprünglich wenigstens die Trennung beider, wenn nicht sogar die Realisierung der Segensworte und die Durchsetzung der Vorherrschaft Israels über Edom erzählt haben müsse. Erforderlich ist weder das eine noch das andere, weil die differenten Wohnsitze beider Völker jedermann bekannt waren und die Vorherrschaft Israels in der Entstehungszeit der Erzählung vor aller Augen lag.70 Die Erzählung führt weder 64 Zur Analyse s. die Auseinandersetzung mit der bisherigen Lit. bei M. Köckert, Was träumte Jakob? (2021), in diesem Bd. Nr. 11. 65 Anders zuletzt M. Köhlmoos (Bet-El – Erinnerungen an eine Stadt [FAT 49], Tübingen 2006, 230–250); N. Naʾaman (The Jacob Story and the Formation of Biblical Israel, TA 41 [2014] 95–125, s. dagegen jedoch u. Anm. 77 und M. Köckert, Die Traumerzählung Gen 28 (2020), in diesem Bd. Nr. 12, Abschnitt 4, zuletzt I. Finkelstein, Jeroboam II’s Temples, ZAW 132 (2020) 250–265, bes. 253. 66 Ihr ältester Kern im Einzelnen: 25,21–28; 27,1–28.29aβγ.30–40a.41a. 67 Die Station hat bis ins erste Viertel des 8. Jh. bestanden. Dort gefundene Inschriften erwähnen einen „Jhwh von Samaria“ (dazu Z. Meshel [Hg.], Kuntillet ʿAjrud [Horvat Teman]. An Iron Age II Religious Site on the Judah-Sinai Border, Jerusalem 2012) und bezeugen die Präsenz des Nordreichs tief im Süden in der Nachbarschaft Edoms. 68 So mit Hinweis auf Kuntillet ʿAjrud auch Blum, Jacob, 208 f., und Finkelstein/ Römer, Comments, 331 f. Allerdings fehlen für eine Herrrschaft (!) des Nordreichs über Edom im Süden in der Königszeit nach David überzeugende historische Nachrichten. 69 S. u. Anm. 77. 70 Gegen Wöhrle, Koexistenz, 312 f.
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die Trennung noch die Vorherrschaft des einen über den anderen aus, sondern erzählt den Konflikt, der zu beidem geführt hat. Später verbindet man im Nordreich beide Überlieferungen zu einer vereinigten Jakob-Esau-Laban Erzählung. Dazu greift die hier tätige jüngere Hand die Notiz von Jakobs Flucht vor Esau (27,41b–45 [ohne „Harran“])71 und die ursprüngliche Einzelüberlieferung von der Entdeckung des heiligen Ortes Betel auf (28,11–13a.116–19). Als kompositorisches Bindemittel trägt sie Jakobs Gelübde ein (28,20–22). Auf diese jüngere Hand gehen auch die genealogische Erzählung mit den Geburten der Kinder Jakobs in 29,31–30,24 und die in 29,24.29 sowie in 31,33 erwähnten Sklavinnen zurück.72 Außerdem erfordert Rahels Erklärung des Namens Josef (von יסףHifil „hinzufügen“) in 30,22–24 die Geburt noch eines weiteren Sohnes. Diese jüngere Hand73 setzt die ältere Überlieferung voraus, korrigiert sie aber mehrfach, indem sie Jakob entlastet (25,29–34: Esau hat selbst auf sein Erstgeborenenrecht verzichtet), Jakobs listiges Verhalten gegen Laban in einer ausführlichen Rückblende rechtfertigt (31,1–2.4–16: Jakobs Reichtum verdankt sich nicht seinem betrügerischen Geschick, sondern Gottes Wundern) und Gott mehrfach zum Schutz Jakobs eingreifen lässt (31,24–25a.bβ.29.41–43). Schließlich bindet Jakobs Gelübde (28,20–22) zusammen mit dem Rückkehrbefehl (31,13)74 beide Teile zusammen. Vor allem aber geht die Erweiterung der Jakoberzählung mit der Begegnung Jakobs und Esaus als abschließendem dritten Teil (Gen 32–33) auf das Konto dieser Bearbeitung.75 Denn die Begegnung widerspricht allem, was man nach 25,23 und 27,29.39 f. erwartet: Nicht Herrschaft über Esau/Edom (27,29), sondern demütige Ehrerbietung Jakobs (32,5.6) führt zu Versöhnung und friedlicher Trennung (33,16–18). Eine historische Situation für diese Wende im Verhältnis zu Edom lässt sich zwar aus den bisher bekannten Quellen nicht sicher erschließen76, doch ist das in Gen 32–33 gezeichnete Bild vom Verhältnis Israels zu Edom nach 587 nicht mehr vorstellbar.77 Deshalb wird diese einschneidende Erweiterung wohl auf dieselbe Hand zurückgehen, die in 71 Da Rebekkas Plan in 27,45, Jakob später durch Boten von Laban zurückzuholen, noch keine religiöse Autorisierung kennt, aber im Folgenden nicht eingelöst, sondern durch den göttlichen Rückkehrbefehl in 31,13 ersetzt wird, könnte dieses Stück älter als die Bearbeitung in Gen 31–33 sein und vielleicht zu einem nicht mehr erhaltenen älteren Abschluss der JakobEsau-Erzählung übergeleitet haben, doch bleibt diese Vermutung spekulativ. 72 Man beachte die entsprechende Aufstellung der Frauen und Kinder bei der Begegnung mit Esau in 32,23; 33,1–7. 73 Blum spricht von „Kompositionsschicht“ (Komposition, 168–171). 74 Gen 31,13 bezieht sich nicht nur auf den hieros logos von Betel (28,18), sondern auch auf das Gelübde (28,20–22) zurück. 75 So schon H. Gunkel, Jakob, Preußische Jahrbücher 176 (1919) 339–362, bes. 352; vor allem aber Blum, Komposition, 168–169. Zu jener jüngeren Hand gehören in Gen 32–33: 32,2b–3.4–9.14–22.23.25b.26a–32; 33,1–17.18aα*. 76 Dass sich die Versöhnung der verfeindeten Brüder der politischen Lage verdankt, in der man die Edomiter als Verbündete gegen die Babylonier gewinnen will, wie J. Wöhrle vermutet (er verweist auf das Fehlen Edoms in 2 Kön 24,2: Koexistenz, 323 f.), lässt sich nicht erweisen. 77 S. den Hass auf Edom in Obd 1–14; Joel 4,19 und Jer 49,7–22; Ps 137,7.
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den vorliegenden Bestand mehrfach deutend eingegriffen und das Heiligtum in Betel hervorgehoben hat: 28, …11–13a1.16–19a (Entdeckung des heiligen Ortes und Mazzebe); 28,20–22 (Gelübde mit Einrichtung des Zehnt am Heiligtum); 31,13 (Rückverweis auf Mazzebe und Gelübde); 35,1.6*7 (Gründung des Kultes durch den Bau eines Altars in Betel). Derlei kann allerdings nicht nach dem Ende des Staatsheiligtums Betel 722 geschrieben worden sein. Der archäologische Befund zu Betel stützt eine Entstehung der vereinigten Jakoberzählung in der Zeit Jerobeams II. (in der Mitte des 8. Jh.); denn Betel war offensichtlich nur in E I und E IIB, also im 11. oder 8. Jh. v. Chr. ein prosperierender Ort.78 Infolge der Verheerung des Nordreichs durch die Assyrer 722 v. Chr. fliehen zahlreiche Bewohner nach Juda.79 Darunter waren sicher auch Vertreter der Priester- und Beamtenschaft. Die bringen die schon vereinigte Jakoberzählung mit in den Süden. Weil bei der Geburt Benjamins Rahel stirbt, ihr Grab aber schon in biblischer Zeit nicht in Betel, sondern bei Efrata80 lokalisiert wird, kann davon erst nach Jakobs Rückkehr nach Betel in 35,16–18* berichtet werden. Der judäischen Perspektive ist die Verlängerung der Rückkehr Jakobs über Betel hinaus (35,1.6*.7) nach Betlehem und Migdal-Eder/ Jerusalem81 (35,19–21) zu verdanken. Frühestens in assyrischer Zeit nach 722 verlegt man die Heimat des Aramäers Laban vom „Land der Ostleute“ (29,1 – im Hauran?) nach Harran in Nordmesopotamien (27,43; 28,10; 29,4), einem bedeutenden aramäischen Zentrum zwischen Balich und Habur im 8./7. Jh. Für diese Verlegung spielt wohl auch die Ansiedlung nordisraelitischer Deportierter in diese Region (2 Kön 17,6) eine Rolle.82 Auf diese Weise werden Jakob und seine Verwandten mit den Exulanten des Nordreichs in Verbindung gebracht.83 Da Jakob in 28,10 „von Beerscheba … nach Harran“ flieht, setzt diese Bearbeitung auch die Einfügung von Gen 26 mit Beerscheba als Wohnort Isaaks und Rebekkas voraus.84 78 I. Finkelstein/L . Singer-Avitz, Reevaluating Bethel, ZDPV 125 (2009) 33–48, hier 45: „The only possible period for the supposed strong scribal activity at Bethel is the Iron Age IIB, in the 8th century B. C.E., probably before the fall of the Northern Kingdom.“ Das passt durchaus zu den Erwähnungen Betels in Am und Hos. 79 Diese Annahme wird durch den Ausbau Jerusalems unter Hiskia und Manasse (vgl. die „Neustadt“ in 2 Kön 22,14) auf dem Südwesthügel indirekt bestätigt. Vielleicht ist die Notiz in 2 Chr 30,25 („גרים, die aus dem Land Israel gekommen waren“) eine späte Erinnerung an die Fluchtbewegung aus dem Norden nach Juda. 80 Das bislang nicht lokalisierte Efrata vermutet man aufgrund der Angaben zu Rahels Grab in 1 Sam 10,2; Jer 31,15 nördlich von Jerusalem zwischen Betel und Rama. 81 Folgt man Mi 4,8, muss man Migdal-Eder als „Felsenhöhe der Tochter Zion“ auf dem Osthügel Jerusalems suchen (Wellhausen, Composition, 48: „verschämter Ausdruck“ für Jerusalem). Die erklärenden Glossen in 35,19; 48,7 setzen Efrata mit Betlehem gleich (vgl. Ruth 4,11; Mi 5,1), 8 km südlich von Jerusalem, was freilich der Route in Gen 35,16–20 widerspricht. 82 Umgekehrt siedelten die Assyrer Aramäer in die neue assyrische Provinz Samaria um (2 Kön 17,24). 83 Das vermutet schon van Seters, Abraham, 34. 84 So die Vermutung von Schmid, Jakob, 47–50. Mit „Isaak“ und „Beerscheba“ ist jedoch
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(2) Die Joseferzählung85 Wie die älteren Jakobüberlieferungen kommt auch die einst selbständig überlieferte Joseferzählung (in Gen 37; 39–47; 50) in ihrer älteren Gestalt aus dem Nordreich. Ihr mag die Erzählung vom Aufstieg eines Hebräers in Ägypten (in Gen 39–41)86 aus dem Milieu der Weisheit und Beamtenschulung am königlichen Hof zugrunde liegen. Doch jetzt sind das Verhältnis Josefs zu seinen Brüdern (bes. zu Benjamin und Juda) sowie die Themen Herrschaft und Versorgung zentral. Die Brüder erkennen durch ihren Repräsentanten Juda die Stellung Josefs (44,16–34) und damit die Vorherrschaft der von Josef repräsentierten Nordstämme an. In Josefs Herrschaft und der durch ihn bewirkten Versorgung (45,5–6.8b) kommt Gottes Führung in 50,18–21 ans Ziel.87 All das erklärt sich am besten vor dem Hintergrund der politischen Dominanz des Nordreichs über Juda in der ersten Hälfte des 8. Jh. v. Chr.88 Dem entspricht die Hervorhebung der Geburt Josefs als Zentralfigur der Nordstämme, auf den in der Jakobüberlieferung die genealogische Erzählung in 30,22–24 zuläuft. Sie endet mit Jakobs Verfügung, Tod und Bestattung in Kanaan (47,29–31; 50,1–11) und der endgültigen Aussöhnung der Brüder (50,14–21). Die älteste Josefgeschichte könnte durchaus am samarischen Hof entstanden sein.89 nicht von vornherein das Südreich Juda auf dem Plan: Isaak steht in Am 7,9 („Haus Isaaks“) und 7,16 durchaus für das Nordreich. 85 S. dazu auch K. Schmid, Die Josephsgeschichte im Pentateuch, in: J. C. Gertz (Hg.), Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion (BZAW 315), Berlin 2002, 83–118. 86 Vgl. 1 Kön 11,40; 12,2–3. 87 Gegen ein von Kratz (Komposition, 284–285) vertretenes ursprüngliches Ende in Gen 45 s. die überzeugenden Argument von Ebach, Genesis 37–50, 690–692. 88 „Ephraim und Manasse“ waren die zentralen und mächtigsten Gruppen des Nordreichs Israel. In Jes 7,5–9; Hos 4,17; 5,3 steht Ephraim geradezu für das Nordreich insgesamt, wie „Haus Josephs“ in 2 Sam 19,21 für die Nordstämme. Die in der Erzählung dominierende Überlegenheit Josephs gegenüber Juda ist historisch durchaus plausibel. Denn über die längste Zeit der rivalisierenden Königtümer stand Juda im Schatten des Nordreichs, vor allem unter den Omriden im 8. Jh.: Juda stand zu jener Zeit unter dem Protektorat Samarias, es musste Waffenhilfe leisten (2 Kön 3). Noch Joas, der Enkel Jehus, nimmt den judäischen König gefangen, lässt Teile der Mauer Jerusalems schleifen und plündert Tempel und Palast (2 Kön 14,8–14). 89 Seit A. Meinhold (Die Gattung der Josephsgeschichte und des Estherbuches: Diasporanovelle I/II, ZAW 87/88 [1975/1976], 306–324/72–93) unterstellt man der Joseferzählung häufig eine „Diasporaperspektive“ und möchte sie als eine Werbeschrift dafür lesen, dass ein Leben auch außerhalb Israels unter fremder Herrschaft gelingen kann. Daraus folgt eine Ansetzung der Joseferzählung in die Exilszeit. Das haben zuletzt wieder J. Ebach (Genesis 37–50, 692 f.) und T. Römer (The Joseph Story in the Book of Genesis: Pre-P or Post-P? in: F. Giuntoli/ K. Schmid (Hg.), The Post-Priestly Pentateuch [FAT 101], Tübingen 2015, 185–202) aufgenommen. Allerdings zeigen E. Blum/C . Weingart, dass die Erzählung keine überzeugenden Bezüge auf eine Diasporasituation zu erkennen gibt (The Joseph Story: Diaspora Novella or North-Israelite Narrative? ZAW 129 [2017] 501–521). Zur jüngsten Diskussion s. K. Schmid, Die Datierung der Josephsgeschichte. Ein Gespräch mit Erhard Blum und Kristin Weingart, in: J. Krause u. a. (Hg.), Eigensinn und Entstehung der Hebräischen Bibel. FS E. Blum (FAT 136), Tübingen 2020, 99–110.
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Noch in der Königszeit integrierte man die Joseferzählung in die vereinigte Jakoberzählung. Aus der Verbindung von Jakob- und Joseferzählung wird nun eine Geschichte Jakobs von der Wiege bis zur Bahre (Gen 25–50*). Die Einfügung der Notiz von der Geburt der Söhne Josefs (41,50–52) sowie der Erzählung von ihrer Adoption und Segnung durch Jakob (48,1–2.8–14.17–22), die mit der Bevorzugung des Jüngeren vor dem Älteren an Gen 27 erinnert, bindet die Erzählung von Josef in die Jakoberzählung ein. Die Geburt Efraims und Manasses aus Josefs Ehe mit der Tochter eines ägyptischen Priesters (41,45) bereitet die Segnung der Söhne in Gen 48 vor. Die Segnung Efraims und Manasses verstärkt noch einmal die Nordreich-Perspektive der Joseferzählung. Die Geburt der Söhne Josefs aus der Ehe mit einer Nichtisraelitin wird weder missbilligt, noch ist das Verbot von Mischehen bekannt. Beides trifft für Gen 34 und die dadurch vorbereitete Disqualifikation Simeon und Levis im Testament Jakobs (49,5–8) jedoch nicht zu. Deshalb fällt die Annahme schwer, Gen 49 habe in seiner vorliegenden Gestalt schon zu einer vorpriesterlichen Fassung der vereinigten Jakob-Josef-Erzählung gehört.90 Das ansonsten fast völlige Fehlen von Bezügen zum literarischen Kontext und die priesterliche Rahmung in V. 1a.28–33 lassen bei den Stammessprüchen ohnehin an ein separat überliefertes Traditionsstück denken. (3) Die Abraham-Lot-Erzählung91 Im Südreich Juda ist die Abrahamüberlieferung beheimatet. Ihr ältester literarischer Kern liegt in der Abraham-Lot-Erzählung (Gen …13; 18–19; 21, … 6).92 Sie spielt im Gebiet von Hebron, wo Abraham sich erstmals niederlässt (13,18) und wo er auch von den drei Himmlischen besucht wird (18,1–16aα).93 Wahr90 Man müsste sonst eine andere ursprüngliche Fassung der Sprüche in 49,5–8 vermuten, wofür es aber kaum einen Anhalt gibt, oder davon ausgehen, dass Gen 34 verfasst wurde, um den als zu dunkel empfundenen Spruch über Simeon und Levi zu begründen. Zu anderen Einordnungen von Gen 49 s. Blum, Komposition, 228–229; Schmid, Josephsgeschichte, 114–116. 91 Zur Abrahamüberlieferung zuletzt O. Lipschits/T. Römer/H . Gonzalez, The PrePriestly Abraham Narrative from Monarchic to Persian Times, Abraham zwischen Mamre und Jerusalem, Sem. 59 (2017) 261–296; Lipschits, Abraham, 195–203; M. Köckert, Die Geschichte der Abrahamüberlieferung (2006), in diesem Bd. Nr. 2; I. Finkelstein/T. Römer, Comments on the Historical Background of the Abraham Narrative. Between „Realia“ and „Exegetica“, HEBAI 3, 2014, 3–23; Köckert, Abraham, 256–273. 92 Grundlegend dafür waren die Beobachtungen von H. Gunkel, der erstmals den literarischen Zusammenhang dieser Stücke als einen „Sagenkranz“ erkannte und dessen strukturellen Verbindungen entfaltete (Genesis, 159–161). S. dazu M. Köckert, Wie wurden Abraham- und Jakobüberlieferung zu einer „Vätergeschichte“ verbunden? (2014), in diesem Bd. Nr. 16. 93 Man kann vermuten, dass die älteste Überlieferung von der Theoxenie in Gen 18 „auf den hieros logos der heiligen Eiche in Mamre zurückgeht“ (Lipschits, Abraham, 199). Das lässt sich vielleicht mit Num 13,22; Jos 15,14; Ri 1,10 erhärten, die für Hebron von drei namentlich genannten Kindern Enaks berichten, die dort möglicherweise als Heroen (die Enakiter erscheinen in Num 13,33 als Nephilim, in Dtn 2,10 f.; 2,20 f. als Rephaim) verehrt wurden. Lipschits
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scheinlich handelt es sich bei „der Eiche94 von Mamre, die in/bei Hebron ist“ (13,18a) ursprünglich um ein open-air-Heiligtum aus grauer Vorzeit, das mit der Stadt Hebron verbunden war. Auch die Anspielungen in 2 Sam 15,3; 15,7 legen einen Kultort in oder bei Hebron nahe.95 Hier dürfte die älteste Abrahamüberlieferung schon in vorköniglicher Zeit beheimatet und gepflegt worden sein.96 Sie war zunächst wohl nur für südjudäische Clans um Hebron von Bedeutung. Erhalten geblieben sind von ihr nur noch der Name Abraham, seine Verbindung mit jenem Heiligtum Mamre in/bei Hebron mitsamt der Lokaltradition von einer göttlichen Triade in Hebron. Sie wird aber dann in der Abraham-Lot-Erzählung verarbeitet.97 Die hat von Anbeginn an eine völkergeschichtliche Perspektive98; denn sie deutet das Verhältnis Judas zu seinen östlichen Nachbarn jenseits des Toten Meeres als Kontrastgeschichte: Abrahams Nachkommen verdanken sich dem Gastgeschenk Himmlischer (18,1–15), das „lachen“ macht (21,6a: Isaak [von der Wurzel )]צחק, während Moab („ מאבvom Vater [gezeugt]“) und Ammon („ בן עמיSohn meines [Bluts]verwandten“) aus einem Inzest hervorgehen (19,30–35). In dieser polemischen Gestalt wird sie spätestens nach dem Untergang des Nordreichs überliefert, vielleicht im Milieu des judäischen Landadels.99 Mit ihr grenzt man sich gegen die Fremden im Osten ab und stärkt die eigene Identität. Auch Ez 33,24; Jes 51,1–3 setzen eine Überlieferung von Abraham als Ahn schon in der Königszeit voraus. Da Hebron in der Perserzeit nicht mehr zur Provinz Jehud gehört und nach dem politischen Ende Moabs und Ammons im 6. Jh. kein Anlass zu einer derart polemischen Ursprungsgeschichte mehr besteht, ist ihre Entstehung nach dem Ende Judas wenig plausibel.100
vermutet, dass diese vergöttlichten Vorfahren Hebrons nun mit Jhwh identifiziert wurden, „in order to make them compatible with the Abraham tradition“ (Pre-Priestly Abraham, 289). 94 Die Septuaginta liest Sing., den wohl erst MT in Pl. geändert hat, um jegliche kultische Konnotation zu vermeiden (Finkelstein/Römer, Comments, 9). 95 Schon ein Text aus dem 17. Jh. v. Chr. aus T. er-Rumeideh erwähnt Schafe, die als Opfer dargebracht wurden, was ein Heiligtum dort nahelegt (so Lipschits, Abraham, 190, mit Verweis auf A. Ofer, Excavations at Biblical Hebron, Qad. 87–88 [1989] 88–93, und N. Naʾaman, Canaanite Jerusalem and Its Central Hill Country Neighbours in the Second Milennium B. C.E., UF 24 [1992] 275–291, bes. 280–288). 96 So K. Schmid, Genesis and Exodus as Two Formerly Independent Traditions of Origins of Ancient Israel, Bib. 93 (2012) 187–208, und Lipschits/Römer/G onzales, Pre-Priestly Abraham, 290 f. 97 Zu den drei Himmlischen in Gen 18–19 s. in diesem Bd. Nr. 15.4. 98 Das kommt in der Deutung Lipschits ein wenig zu kurz. 99 Jerusalem spielt in der alten Erzählung gar keine Rolle. 100 Mit Lipschits gegen D. Jericke, Abraham in Mamre: Historische und exegetische Studien zur Region von Hebron und zu Genesis 11,27–19,38 (CHANE 17), Leiden 2003, 232, und N. Naʾaman, The Pre-Priestly Abrahaam Story as a Unified Exilic Work, SJOT 29 (2015) 157–181, bes. 161–162. Die Vermutung von Lipschits, Gen 13 reflektiere „a ‚rural‘ resistance against a Jerusalemite expansion under Josiah“ (Pre-Priestly Abraham, 287), ist sehr spekulativ.
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(4) Die ältere Urgeschichte101 Die ältere Urgeschichte (in Gen 2,4b–3,24; 4; 6–8) erzählt von Schöpfung und Flut, verbunden durch die Genealogie der Nachkommen Kains. Sie beschreibt die Lebenswirklichkeit des Menschen als Ergebnis schuldhafter Minderungen des Daseins (3,16–19). Am Anfang steht die Erschaffung des Menschen zu unmittelbarer Nähe Gottes im (Paradies-)Garten. Die gegen Gottes Verbot erlangte Fähigkeit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, führt zur Vertreibung aus dem Garten. Kains Brudermord und Lamechs Prahllied stehen für die Wahl des Bösen. Prolog und Epilog der Flut diagnostizieren das Wesen des Menschen als unveränderlich böse. Deshalb löst Gott nach der Flut den Bestand der Schöpfung von den Taten der Menschen und garantiert ihn für immer (8,21–22). Fortan gehören die Ambivalenzen des Daseins zur geschaffenen Welt. – Da in der Urgeschichte direkte Verweise auf die nachfolgenden literarischen Kontexte fehlen, dürfte sie ursprünglich selbständig überliefert worden sein. Die illusionslose Sicht des Menschen102, die Unterscheidung zwischen dem, was dem Leben förderlich und abträglich ist103, die Kenntnis mesopotamischer Epen und Mythen104 in Einzelheiten und im konzeptionellen Gegenüber von Schöpfung und Flut105 legen nahe, die Heimat der älteren noch selbständig überlieferten Urgeschichte in der Schreiberausbildung am Jerusalemer Hof in assyrischer Zeit (7. Jh.) zu suchen. 3.2 Die vereinigte Vätergeschichte106 In der frühen Perserzeit (im ausgehenden 6. oder frühen 5. Jh.) verbindet man die Abraham-Lot-Erzählung mit der vielleicht schon durch die Joseferzählung erweiterten Jakobgeschichte auch literarisch. Spätestens jetzt wird Abraham zu einer gesamtisraelitischen Figur. Dazu erweitert man die Abrahamüberlieferung mit dem Aufenthalt des Ahnpaares in Ägypten (12,10–20) und mit der Hagarerzählung (16,1–2.4–8.11– 14a).107 Die setzt mit Hagars ägyptischer Herkunft Gen 12 voraus und ist über die Leihmutterschaft mit 30,3.4.22 sowie über das Motiv vom Sehen Gottes mit 32,31; 33,10 verbunden. Überdies schafft man mit Gen 26* eine Isaakkomposi101
Zur Urgeschichte s. zuletzt Gertz, Genesis. Das illusionslose Bild vom Menschen, vor allem in der Flutgeschichte, setzt die Unheilsprophetie seit dem 8. Jh. voraus, vgl. Jer 18; 13,23 und Hos 11,7. 103 Vgl. 2 Sam 14,17; 1 Kön 3,9. 104 S. nur Enki und Ninmach, in: TUAT III/3: Mythen und Epen I, Gütersloh 1993, 386–401, und das Gilgamesch-Epos (S. M. Maul, Das Gilgamesch-Epos neu übersetzt und kommentiert, München 2005). 105 Das Atrachasis-Epos, in: TUAT.NF 8: Weisheitstexte, Mythen und Epen, Gütersloh 2015, 132–144. 106 S. dazu in diesem Bd. Nr. 16. 107 S. dazu in diesem Bd. Nr. 7. 102
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tion108 als Kontrast zu Gen 12,10–20 und als Brücke zwischen Abraham- und Jakobgeschichte. Mit der Einfügung der Erzählung vom Aufenthalt des Ahnpaares in Ägypten und dessen wenig rühmlichen Ausweisung aus Ägypten vor der solennen Verheißung des Landes in 13,14–15 übt die Komposition unverhohlene Kritik an der ägyptischen Diaspora.109 Literarische Wanderungen (12,6a.8.9; 13,1.3–4) bringen Abraham in Verbindung mit Sichem und Betel, die mit Jakob fest verbunden sind.110 Aber man setzt auch in der erweiterten Jakobüberlieferung besondere Lichter mit der Erweiterung des Segens in 27,29aαb und mit der Gottesrede 28,13*–14. Beide sind mit 12,3 verbunden. Fünf Gottesreden mit weit ausgreifenden Versprechen für die Zukunft verdichten die entscheidenden Themen der Vätergeschichte: zunächst 12,1–3 und 13,14–17, die mit 28,13b–14 verbunden sind; sodann 26,2–3bα(24–25a), worauf sich 46,1b–5a111 beziehen. Verheißende Gottesreden dieser Art finden sich im Pentateuch nur in Gen 12–46.112 Sie sind das entscheidende Bindemittel der vereinigten Vätergeschichte. Von ihnen ist die erste (12,1–3) am wichtigsten.113 Ihre Motive gehörten ursprünglich zur Königsideologie, sie werden aber hier im Ahn dem Volk versprochen. Diese Transformation setzt den Untergang des Königtums voraus. Die Gottesrede ist überdies mit einem Aufbruchsbefehl verbunden, der außerhalb des Landes ergeht: „Geh aus deinem Land … in das Land, das ich dich sehen lassen werde!“ (12,1). Abraham wird hier gegen Ez 33,24 als Einwanderer und als einladendes Vorbild für die ab 597 v. Chr. nach Babylon exilierten judäischen Eliten geschildert. Sie sollen wie ihr Ahn einst ins verheißene Land ziehen; denn die Verheißungen von Segen, großem Volk und großem Namen werden sich nur in dem Land realisieren, das Gott Abraham in 13,14–15 zeigt, auf dem Jakob in 28,13b liegt und das ihren Nachkommen für immer gehören soll (13,15). Landbesitz und Mehrung waren in der Königszeit kein Thema, weil selbstverständlich gegeben. Als nach 587 v. Chr. in Trümmer gesunken war, was sich einst von selbst verstand, entfalten die Verheißungen von Segen, großem Volk, Landbesitz und zahlreichen Nachkommen ihre Kraft. Auch die wiederholte Verwendung des Motivs der unfruchtbaren Ahnfrauen114 spiegelt die Erfahrung einer Minderheitenexistenz unter persischer Herrschaft. 108
Dazu gehören 26,1–3bα.6–14.19–23.25b.26–33. Vgl. die eigenmächtige Flucht der judäischen Gruppe in Jer 42. 110 Man sehe nur Gen 33,18; 28,10–19; 35,1.6–7. 111 Der literarische Horizont dieser Einschaltung reicht nicht über das Buch Gen hinaus. Alle Ankündigungen erfüllen sich im Kontext des Buches: Zug nach Ägypten in 46,5–7; Mehrung zum Volk in 47,27; Rückkehr nach Kanaan in 50,7–10; Jakobs Begräbnis in 50,13. Vgl. K. Schmid, Erzväter, 62–63. 112 Auch daran scheitert der Versuch von J. S. Baden, das Quellenmodell wieder zu beleben (The Promise to the Patriarchs, New York 2013). 113 Dazu s. in diesem Bd. Nr. 16 (mit Nachtrag). 114 Gen 16,1–2; 25,21; 29,31; 30,1–2. 109
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Kurzum: Die vereinigte Vätergeschichte setzt mit der Einwanderung Abrahams in 12,1–4a und mit der Verheißung von Mehrung (vgl. 13,16) und Ausbreitung der Nachkommen Jakobs in 28,14 die Diasporaexistenz Israels voraus. 3.3 Die priesterliche Komposition Mit der Oberschicht waren die wichtigsten Träger der literarischen und religiösen Überlieferungen nach Babylonien deportiert worden. Zu ihnen gehörte auch die Jerusalemer Priesterschaft (2 Kön 25,18). Es verwundert nicht, dass die Gola eigene Überlieferungen bewahrt und im Kontakt mit dem geistigen Zentrum der damaligen Welt neue geschaffen hat.115 Aus diesen Kreisen kommt in der frühen Perserzeit116 die sog. „Priesterschrift“, eine Großerzählung, die mit der Weltschöpfung beginnt (Gen 1) und in der Gegenwart des Weltschöpfers im Heiligtum (Ex 25–40) ihr Zentrum hat. Ihr Ende ist gegenwärtig umstritten: In ihrer ältesten Gestalt mag sie mit der Vollendung des Heiligtums in Ex 40 oder mit der Darbringung des ersten Opfers in Lev 9 oder mit der Stiftung von Jom Kippur in Lev 16 geschlossen haben; jedenfalls haben priesterliche Kreise daran längere Zeit weitergearbeitet.117 Unklar ist auch ihr Charakter: In der Urgeschichte wirken die priesterlichen Texte als ein selbständiges Werk, in Gen 12–50 jedoch eher als Bearbeitung und Neuinterpretation der vorgegebenen Vätergeschichte.118 Wie dem auch sei, zu ihren großen Innovationen gehört die Verbindung der Ursprungsgeschichte Israels in seinen Ahnen mit der vom Ursprung Israels im Exodus aus Ägypten119 und die Vorschaltung einer Urgeschichte der Menschheit. Mit der Verbindung von Schöpfung und Bau des Heiligtums nimmt die Priester115
Man denke nur an Ez, an Jes 40–55 und andere. Zwar lässt sich das Konzept eines beweglichen Zeltheiligtums nicht ohne weiteres mit dem Jerusalemer Tempel in Einklang bringen, so dass man das Werk eher als einen Entwurf für die Planungen des zweiten Tempels vor 520 denken möchte, der dann nicht verwirklicht worden ist, aber andrerseits entspricht ein Zeltheiligtum der erzählten Zeit. Unklar ist auch der Entstehungsort: Ist der Entwurf noch im Exil entstanden, oder haben ihn zurückgekehrte Priester mitgebracht? Für beide Annahmen gibt es Gründe. 117 So würde sich die Brücke von Lev 26,12 zu Gen 17,1b erklären. Vor allem das Wachstum kultrechtlichen Materials legt diese Annahme ohnehin nahe. 118 Zu P rechnet man bei Abraham: Gen 11,27–32; 12,4b.5; 13,6.11b.12*; 16,1a.3.15.16; 17,1–27; 19,29; 21,1b–5; (23,1–20); 25,7–11a; bei Jakob: Gen 25,19–20.26b; 26,34–35; 27,46– 28,9; 31,17–18*; 33,18a*; 35,(6.)9–15.22b–29; 36,2–5 und in der Joseferzählung: Gen 37,1.2*; 41,46; 46,6–7; 47,8–11.27–28; 48,3–7; 49,1.29–33; 50,12–13.22b.26a1. Zu P in Gen s. zuletzt J. Wöhrle, Fremdlinge im eigenen Land. Zur Entstehung und Intention der priesterlichen Passagen der Vätergeschichte (FRLANT 246), Göttingen 2012; zum schillernden literarischen Charakter von P s. E. Blum, Noch einmal. Das literargeschichtliche Profil der P-Überlieferung, in: F. Hartenstein/K . Schmid (Hg.), Abschied von der Priesterschrift? Zum Stand der Pentateuchdebatte (VWGTh 40), Leipzig 2015, 32–64. 119 Vgl. Gen 17,6–8 mit Ex 6,2–8. Den Übergang von den Vätern zum Exodus vollzieht P mit Gen 50,22–23; Ex 1,1–5a.7.9. 116
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schrift ein Konzept auf, das sich auch im babylonischen Weltschöpfungsepos Enuma elisch findet.120 Gegliedert wird das Werk in der Ur- und Vätergeschichte durch ein System von Überschriften121, darüber hinaus durch ein Schema fortschreitender Offenbarung Gottes: In der Urgeschichte ist von „Gott“ ( )אלהיםdie Rede122, den Vätern erscheint er als El Schaddai123, erst in Ex 6,3 enthüllt Gott seinen Namen Jhwh und identifiziert sich mit El Schaddai. Die Urgeschichte gipfelt nach der Flut in einer neuen Ordnung für Mensch und Tier und in einem „Bund“ ()ברית, den der Schöpfer mit der Menschheit und allen Lebewesen schließt (Gen 9,1–17). In ihm verpflichtet sich Gott, die Welt nie mehr durch eine Flut zu vernichten. Zur Erinnerung daran setzt er seinen Bogen in die Wolken. In der weiteren Geschichte gewährt Gott allein Abraham ein besonderes Verhältnis im „Bund“ mit dem Zeichen der Beschneidung (Gen 17,6–8.9–14*).124 Dadurch unterscheidet sich Israel fortan von den Völkern. Auch die Genealogie 11,10–26 und die chronologischen Daten heben Abraham als Wendepunkt der Geschichte der Menschheit hervor. Mit seiner Herkunft aus dem südbabylonischen Ur (Gen 11,27–32) und dem nordsyrischen Harran (12,4–5)125 zeichnet ihn die Priesterschrift als Identifikationsfigur für die 587 aus Juda wie für die 722 aus Samaria Exilierten: Wie Abraham als Immigrant ins Land Kanaan kommt, sollen auch seine Nachfahren aus der Fremde wieder ins Land zurückkehren. Die Priesterschrift ist geprägt von dem Leitgedanken: Jhwh ist der einzige Gott und Israel sein priesterliches Volk, geschart um das eine Heiligtum. Außer Jhwh gibt es keinen anderen Gott. Als Schöpfer der Welt ist er der Herr aller, aber kultisch verehrt werden kann er nur an seinem Heiligtum. Das wird zwar auf dem Zion vorausgesetzt, aber – der erzählten Situation entsprechend – als transportables Zelt vorgestellt. Weil die Errichtung des Zionheiligtums aber mit David und Salomo verbunden war, vor allem aber weil in der Priesterschrift Gott im Himmel wohnt, in seinem irdischen Heiligtum lediglich „begegnet“ (יעד Nif.)126, wird die Erscheinung Jhwhs in Gen 17 nicht lokalisiert. Deshalb deuten 35,9–15 das Heiligtum von Betel ausdrücklich um: Aus dem Ort, an dem der Himmel offensteht, wird ein Ort, an dem Jhwh lediglich mit Jakob geredet hat und den er dann auch sofort wieder verlässt (35,15). Aus dem „Bund“ zwischen Jhwh und Israel in seinem Ahn Abraham anlässlich der Gotteserscheinung in Gen 17 tilgt die priesterliche Bearbeitung alle ver120
TUAT.NF 8: Weisheitstexte, Mythen und Epen, Gütersloh 2015, 88–131. S. o. unter 1. zu den Toledot. 122 Gen 1,1–2,3; 5; 6–8*; 9,1–17; 10*; 11,10–26. 123 S. bes. Gen 17*; 27,46–28,9; 35,9–13; 37,1–2a; 48,3–7. 124 Zu Gen 17 und 9 s. W. Gross, Bundeszeichen und Bundesschluß in der Priesterschrift, TrThZ 87 (1978) 98–115, und M. Köckert, Gottes „Bund“ mit Abraham und die „Erwählung“ Israels in Gen 17 (2015), in diesem Bd. Nr. 8. 125 Vgl. Paddan Aram bei Jakob 33,18; 35,26. 126 Vgl. Ex 25,22; 29,42–43 und den terminus technicus אהל מועד. 121
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tragsrechtlichen Anklänge und bindet ihn allein an Gottes Treue (Gen 17,7).127 Außerdem bezieht sie die Landverheißung auf die Nutzung des Landes, das letztlich Gott gehört und von den persischen Großkönigen verwaltet wird.128 Dem inklusiven Monotheismus der priesterlichen Bearbeitung steht das exklusive Gottesverhältnis eines genealogisch bestimmten Israel gegenüber. Dem entspricht die kultische Reinheit des nach außen abgeschlossenen Gottesvolkes, die nur endogame Ehen erlaubt und Mischehen ausschließt (26,34–35; 27,46–28,5). Das exklusive Verhältnis zu dem einen Gott macht fortan Israels Identität aus. Sie kann im persischen Vielvölkerreich nur deshalb bewahrt werden, weil sie nicht mehr politisch begründet wird. Sie hängt an der Beschneidung in Verbindung mit der genealogischen Zugehörigkeit zu Abraham-Isaak-Jakob (17,19–21; 35,12). Das „Land Kanaan“ (12,5; 17,8) hat – obzwar in der Hand Fremder – als Heimat des Gottesvolkes eine Bedeutung, vor allem aber ist es der Ort auf Erden, an dem der Schöpfer Himmels und der Erde im Heiligtum „inmitten seines Volkes“ Raum gewinnt (Ex 29,45–46). 3.4 Nachpriesterliche Erweiterungen (1) Einbau der vor-priesterlichen Urgeschichte und Ergänzungen129 Im 5. Jh. v. Chr. arbeitet man die bis dahin für sich überlieferte ältere Urgeschichte130 in die priesterliche Großerzählung ein. Dazu stellt man die Paradieserzählung hinter den priesterlichen Schöpfungsbericht und verbindet die Bezeichnung „( אלהיםGott“ in Gen 1) mit dem Namen Jhwh zu „( יהוה אלהיםGott Jhwh“ in Gen 2–3). Der geographische Exkurs mit Jerusalem als Zentrum der Welt und den dort entspringenden vier Strömen 2,10–15, aber auch die Keruben 3,24 knüpfen an späte Jerusalemer Tempeltheologie an131 und deuten den Tempel als Ersatz für das verlorene Paradies. In der Fluterzählung schiebt man dagegen beide Versionen ineinander, weil die Menschheit nicht gut zweimal umkommen kann. Die Bearbeiter kommen wahrscheinlich aus priesterlichen Kreisen in Jerusalem, wie die Einfügung der Paradieserzählung durch die an die Toledot angelehnte Überschrift in 2,4a und die Übernahme von Begriffen aus Gen 1 127 Vgl. aber die etwas anders akzentuierten Deutung von J. J. Krause, Die Bedingungen des Bundes. Studien zur konditionalen Struktur alttestamentlicher Bundeskonzeptionen (FAT 140), Tübingen 2020, 61–80. 128 Dazu s. M. Köckert, Das Land in der priesterlichen Komposition des Pentateuch (1995), in diesem Bd. Nr. 9. 129 Dazu s. Gertz, Genesis, 18, und M. Witte, Die biblische Urgeschichte (BZAW 265), Berlin 1998. 130 S. o. 3.1(4). 131 Vgl. zur Tempelquelle: Ez 47,1–12; Joel 4,18; Sach 14,8; zum Kerub im Gottesgarten: Ez 28,11–19, zu den Keruben im Jerusalemer Tempel: 1 Kön 6,23–28.29–35.
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in 2,7b.19b.20; 3,14 zeigen. Jene Bearbeiter stellen Querbeziehungen her und gleichen Differenzen zwischen den Überlieferungen aus. (2) Ergänzungen in der Vätergeschichte Zunächst muss von vier Zusätzen die Rede sein, die zwar keine Anklänge an Priesterschriftliches haben, jedoch nicht aus vorexilischer Zeit stammen können.132 Die situationslose Gottesrede Gen 31,3, die Jakobs Rückkehr veranlasst, und sein Gebet 32,10–13 vor der Begegnung mit Esau sind durch mehrere Stichworte mit ihrem Bezugstext Gen 28,15 verbunden, in dem Jhwh dem flüchtigen Jakob Beistand und Rückkehr zusagt. Alle drei sind in einer Sprache und mit Vorstellungen aus einer geistigen Welt formuliert, in der Deuteronomistisches schon Allgemeingut geworden war. Alle drei gehen relativ frei mit dtr. Formulierungen um und mischen diese zwanglos mit anderen Motiven. Aus diesem Arsenal stammt auch die Übertragung der Bundesvorstellung auf das Gottesverhältnis in der nachträglichen Erweiterung des Gelübdes in Gen 28,21b. Am auffälligsten sind sodann Gen 20–22.133 Die Erzählungen setzen die priesterliche Komposition voraus, sind durch ähnliche Erzählmuster und mehrere Besonderheiten miteinander verbunden (s. o. 2.2); außerdem revidieren sie ihre älteren Seitenstücke in Gen 12; 16; 26. Die Erzählung vom Ahnpaar bei Abimelech von Gerar (Gen 20) vertritt ein weltoffenes Judentum. Zwar hat das Land nun fremde Herren, aber es bleibt das Erbe Abrahams, Isaaks und Jakobs (21,8–20). Auch in der Diaspora gibt es „Gottesfurcht“ (20,8.11), weil der eine Gott die Geschicke aller Menschen lenkt. Der fremde Oberherr gewährt sogar ein Bleiberecht (20,15; 21,34). Handel und Verträge sind möglich (21,23–24.27), wenn nur die Reinheit des Blutes gewahrt bleibt (20,6–7). Andrerseits stellt die Differenz zwischen Gottes Verheißungen und den ärmlichen Verhältnissen im perserzeitlichen Juda das Vertrauen in den verheißenden Gott auf die Probe (22,1). Aber gerade in der Bewährung kommt Abrahams Gottesfurcht an den Tag (22,12). Hinzu kommt die durch 22,20–24 vorbereitete Erzählung von der Brautwerbung für Isaak in Gen 24: Sie ist eine Beispielgeschichte von der Führung durch den „Gott des Himmels“, dessen Engel die Geschicke der Seinen verborgen lenkt (vgl. 48,15). Sie kennt die priesterliche Großerzählung.134 Abraham erscheint als Torafrommer, der das Verbot der Mischehen von Dtn 7,3 befolgt, im Konfliktfall aber der Bindung Israels an das verheißene Land Vorrang einräumt.
132 Zu ihnen s. Blum, Komposition, 152–164, rechnet sie mit guten Gründen seiner KDBearbeitung zu; Köckert, Rückverweise (2019), in diesem Bd. Nr. 13. 133 Dazu s. M. Köckert, Gen 20–22 als nachpriesterliche Erweiterung der Vätergeschichte (2015), in diesem Bd. Nr. 10. 134 Vgl. Gen 24,7.40 mit 17,1.
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Weiter fällt die Erzählung Gen 34 aus der älteren Jakob-Israel-Überlieferung heraus, die Dina nicht kennt.135 Sie setzt (in V. 15.22.24) nicht nur das priesterliche Beschneidungsgebot Gen 17,10.12; Ex 12,48, sondern indirekt136 auch das dtr. Verbot von Ehen mit den Landesbewohnern voraus (Ex 34,15–16; Dtn 7,3–4 u. ö.). Sie dürfte deshalb nachpriesterlich sein. Die Erzählung von Simeons und Levis Schandtat wie auch die Notiz zum Vergehen Rubens (35,21–22a) bereiten die Disqualifikation der drei ältesten Brüder vor (49,3–4.5–8). Auf diese Weise rückt nun Juda an die erste Stelle. Einen starken judäischen Akzent setzt vor allem die Einzelerzählung von Juda und Tamar (Gen 38), die auf die Geburt von Zwillingen hinausläuft; denn die Umstände ihrer Geburt begründen den Vorrang von Perez, dem Ahn Davids (Ruth 4,18–22). Zur Dominanz Judas trägt schließlich das „Testament Jakobs“ (49,1b–28)137 mit 49,8c Rechnung, womit 27,29 aufgenommen wird. Das Testament wahrt zwar das Erbe des Nordens, indem der Vater als einzigen seiner Söhne Josef segnet (er ist der „Hüter des Steins Israels“ V. 25–26), doch Herrschaft über seine Brüder stellt Jakob nur Juda in Aussicht (V. 8–10). Die hier angedeutete Spätdatierung von Gen 49 hängt allerdings an Gen 34. Sollte die Erzählung von der Schandtat an den Sichemiten erst nachträglich gebildet worden sein, um 49,5–8 erzählerisch vorzubereiten, wäre eine Aufnahme der Jakob zugeschriebenen Stammessprüche auch im Zuge einer judäischen Adaption entweder in der erweiterten Jakobgeschichte138 oder in der mit Josef verbundenen Jakoberzählung139 denkbar; in diesem Fall könnte dann auch Gen 38 eingebracht worden sein. (3) Das Buch Genesis im Horizont von Hexateuch und Pentateuch Einige Bearbeitungsspuren lassen einen weiten Horizont erkennen, der von Gen bis Jos reicht.140 Sie heben Sichem als Ort der ersten Gotteserscheinung in 12,7 und eines Altars (oder einer Mazzebe141) für den mächtigen Gott Is135 Gen 30,21 fällt aus der genealogischen Erzählung und ist im Blick auf Gen 34 nachgetragen worden. 136 Jedenfalls verwehren die Brüder Sichem durch ihre List (s. die Erklärung ihres Verhaltens in V. 31), was Dtn 22,28–29 bei einem Angehörigen Israels erlaubt. 137 Gen 49 ist literarisch völlig unabhängig von Gen 37–50. Gen 49 unterbricht die Erzähllinie 46,5b–7.28–34; 47,1–6.29–31; 49,33aβ, ja, Gen 49 steht sogar in Spannung zur Joseferzählung (vgl. die Rolle Judas mit der in Gen 37–48; auch werden weder Efraim noch Manasse in Gen 49 erwähnt, was nach deren Segnung in Gen 48 einigermaßen verwundert). Zum Einbau des Testaments Jakobs in die Vätergeschichte s. auch Schmid, Josephsgeschichte, 114–116. 138 S. o. bei 3.1 (1). 139 S. o. bei 3.1 (2). 140 Dazu E. Blum, Der kompositionelle Knoten am Übergang von Josua zu Richter. Ein Entflechtungsvorschlag, in: M. Vervenne/J. Lust (Hg.), Deuteronomy and Deuteronomic Literature. FS C. H. W. Brekelmans (BEThL 132), Leuven 1997, 190–206. 141 Das legt das bei einem Altarbau ( בנה מזבח12,7; 13,18) ungewöhnliche Verb נצבHif. nahe, das bei einer Mazzebe (35,14.20) oder Säule (2 Sam 18,18) gebraucht wird.
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I. Zum Buch Genesis
raels in 33,19–20 hervor. Andere beziehen sich motivisch auf Jos 24. So entsorgt schon Jakob bei seiner Rückkehr ins Land die fremden Götter (35,2–4), wozu die Landnahmegeneration in Jos 24,14–15.23 aufgefordert wird. Wie Jakob nach seiner Rückkehr unter der Eiche bei Sichem die Götter der Fremde entsorgt (35,4), richtet Josua nach der Landnahme unter ebendieser Eiche einen großen Stein als Zeugen dafür auf (Jos 24,26–27), dass das Volk nicht wieder zu den fremden Götter abfällt, die es soeben von sich getan haben (V. 23–24). Schließlich erinnert das Ende von Jos 24 an das Ende von 50,23–25.26b. Überdies zieht sich ein roter Faden von Josefs Anordnung seiner Bestattung in 50,24–26 über Ex 1,6.8; 13,19 bis zur Beisetzung seiner Gebeine in Jos 24,32 auf dem Feld bei Sichem, das einst Jakob gekauft hatte (Gen 33,19*) und das er in Gen 48,21–22 Josef übereignet. Der Geschichtsrückblick am Ende des Josuabuches markiert eine deutliche Zäsur, die Gen 1–Jos 24 als „Hexateuch“ (Sammlung von sechs Büchern) von allem abrückt, was danach erzählt wird. Durchgesetzt hat sich jedoch die Abgrenzung eines „Pentateuch“ mit Gen 1– Dtn 34 als fünfteiliges „Buch der Tora des Mose“ (2 Kön 23,25), die mit Moses Unüberbietbarkeit in 34,10–12 endet. Auf dieser Linie liegen jene Texte, die Abraham mit Formulierungen aus dem Dtn als Torafrommen zeichnen und die Landverheißung als Eid Gottes stilisieren. Als in spätpersischer Zeit vom Besitz „dieses Landes“ nicht mehr die Rede sein konnte, kam es darauf an, das Vertrauen in Gottes Verheißung nicht zu verlieren. Deshalb korrigiert Gen 15,6 das Lachen Abrahams (17,17) durch sein Vertrauen in Gottes Macht, und 15,17 erzählt, wie Gott sich selbst zum Pfand setzt und den Eid vollzieht, auf den sich 24,7; 26,3; 50,24 zurückbeziehen. In 22,15–18 belohnt Gott Abrahams soeben erwiesenes Vertrauen mit einem erneuten Schwur und begründet die Kette der Verheißungen mit einer Formel, die für den Gehorsam gegenüber der Tora gebraucht wird. Noch einen Schritt weiter geht die Reflexion mit anschließendem Lehrgespräch in 18,17–32a. Hier erscheint Abraham geradezu als Prophet (V. 17)142, Lehrer der Tora (V. 19) und Weiser (V. 23–33) in einer Person. Am weitesten gehen 26,3b–5.24: Abrahams umfassender Toragehorsam, schon bevor Gottes „Gebote, Satzungen und Weisungen“ am Sinai ergangen sind, hat sogar stellvertretende Kraft, die sich an seinem Sohn Isaak auswirkt. So wird Abrahams Tat zu einem Verdienst, das die Nachfahren über ihr Versagen trägt. (4) Jüngste Fortschreibungen und Bearbeitungen aus dem 4./3. Jh. Die jüngsten Bearbeitungen finden sich in der Urgeschichte und bei Abraham. Sie stammen kaum von einer Hand und verfolgen verschiedene Interessen. Sie gehen auf Diskussionen und Themen zurück, die erst in frühhellenistischer Zeit aufkamen. 142
Vgl. bei Jakob den Zusatz 49,1b: „Versammelt euch, dass ich euch künde, was euch begegnen wird in künftigen Tagen.“
1. Eigenart und Entstehung des Buches Genesis
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So nimmt die Einfügung des „Baums des Lebens“ (2,9; 3,22.24) Diskussionen um die Unsterblichkeit auf (2,7; 3,19). Gen 6,1–4 kennen die Spekulationen um die Engel in aethHen 6–11 und setzen sich mit der Verehrung von Heroen in jener Zeit auseinander. Anderes, wie die Präsenz griechischer Macht im Spruch über Jafet (9,18b.20–27), reflektiert Alexanders Zug nach Syrien 332 v. Chr. und dessen Folgen. Die Erzählung vom missglückten Turmbau (11,1–9) lässt sich mit den gescheiterten Plänen Alexanders in Verbindung bringen, den seit 482 v. Chr. in Trümmern liegenden babylonischen Tempelturm wieder aufzubauen, Babylon zur neuen Hauptstadt seines Weltreichs zu machen und die Kulturen seines Vielvölkerreichs miteinander zu verschmelzen. Gelehrsamkeit jener Zeit hat sich in zahlreichen Zusätzen zur Völkertafel in Gen 10 niedergeschlagen. Die in diesen Texten erkennbaren antiquarischen Neigungen und welthistorischen Interessen finden sich im Buch sonst nur noch in Gen 14. Der Komposition aus einer Heldensage (14,12–17.21–24) im Stil von Ri 7,16–22 oder des Buches Judit ist ein Feldzugbericht (V. 1–11) im Stil von Annalen vorgebaut, der dem künstlichen Gebilde einen fiktiven weltpolitischen Rahmen gibt. Ihre Pointe aber hat die Komposition in der Begegnung des Priesterkönigs Melchisedek von (Jeru-)Salem mit Abraham und dessen Stiftung des Zehnten für das Jerusalemer Heiligtum in V. 18–20.143 Die Anspielungen auf Jerusalem (Melchisedek, Priester des höchsten Gottes von Salem) verbinden mit 2,10–15 und 3,24.
143 Vgl. Neh 13,10–13; Mal 3,6–12. Die letzte eingehende Untersuchung dieses vieldiskutierten Textes datiert die Komposition von Gen 14 (noch ohne die Melchisedek Episode) in die persische oder frühhellenistische Zeit (G. Granerod, Abraham and Melchizedek. Scribal Activity of Second Temple Times in Genesis 14 and Psalm 110 [BZAW 406], Berlin 2009; ähnlich auch C. Nihan, Abraham Traditions and Cult Politics in the Persian Period, in: M. G. Brett/J. Wöhrle [Hg.], The Politics of the Ancestors. Exegetical and Historical Perspectives on Genesis 12–36 [FAT 124], Tübingen 2018, 259–281, bes. 272–276).
II. Zur Abrahamüberlieferung
2. Die Geschichte der Abrahamüberlieferung Die Abrahamüberlieferung hat in den letzten Jahrzehnten viel ertragen müssen. Es dürfte unter uns nur wenige geben, die sich zu ihr noch nie geäußert haben. Das liegt daran, dass sie als Exerzierfeld bei jeder neuen Wendung der Pentateuchforschung hoch willkommen ist. Das liegt mehr noch an der Größe dieser Texte. Doch die stecken voller Probleme. So haben wir eigentlich alles, was wir brauchen: große Texte und zahlreiche Probleme. Eines haben wir leider nicht: ausreichend Zeit. Da ist guter Rat teuer. Ein Sprichwort empfiehlt: Hast du es eilig, dann mache einen Umweg! Diesem Rat will ich folgen. Deshalb werfe ich zunächst einige Blicke von außen auf die Abrahamüberlieferung. Dabei bediene ich mich der wenigen Texte außerhalb des Pentateuch, die Abraham erwähnen. Wie reden sie von Abraham? Welche Schlüsse lassen sich daraus für die von ihnen gebrauchte Abrahamüberlieferung ziehen? Sodann befrage ich kurz die Komposition des Ganzen von Gen 12–25 nach Hinweisen auf mögliche Vorformen. Dabei helfen mir der geographische Aufriss und Einsichten in die Erzählbögen weiter. Abschließend gehe ich den umgekehrten Weg und entwickle aus alledem ein Bild von den ältesten Überlieferungen bis zur heute vorliegenden Gestalt.
1. Abraham außerhalb des Pentateuch Schon die Streuung der Belege ist aufschlussreich. Außerhalb von Gen 12–50 erscheint Abra(ha)m 44mal, allermeist jedoch nur formelhaft in Verbindung mit (Isaak und) Jakob. Dass er weder in die Josephserzählung noch in die Weisheit und – bis auf Ps 47,10 und 105 – auch nicht in den Psalter Eingang gefunden hat, mag mit der anderen geistigen Welt dieser Überlieferungen zu erklären sein. Auffälliger ist der magere Befund im Corpus Propheticum. Von den sieben Belegen1 dürfte allein Ez 33,24 hinter die Exilszeit zurückgehen. Alle anderen sind deutlich jünger. Die Konturen, die Abraham selten genug außerhalb der Genesis erhält, entsprechen ganz den Bildern, die Gen 12–25 entwerfen. Anderes als dort zu lesen steht, wusste man – jedenfalls im Alten Testament – von Abraham nicht zu erzählen. Diese auffällig spärliche und späte Rezeption Abrahams nährt schon vorab die Vermutung, dass die Überlieferung vom ersten und ehrwürdigsten der drei Patriarchen überlieferungsgeschichtlich am jüngsten sein wird. 1
Jes 29,22; 41,8; 51,2; 63,16; Jer 33,26; Ez 33,24; Mi 7,20.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
1.1 Ez 33,23–29 Der wahrscheinlich älteste Beleg für Abraham außerhalb des Pentateuch findet sich in Ez 33,23–29. Die als Disputationswort stilisierte Gottesrede ist in der Komposition des Buches an herausragender Stelle plaziert; denn sie ergeht, unmittelbar nachdem ein Bote die Nachricht vom Fall Jerusalems überbracht hat. Sie setzt mit einem Zitat der im Lande Überlebenden ein. Die Gottesrede spricht von ihnen als „Bewohnern dieser Trümmer im Lande Juda“. Das passt zur Situation des Untergangs der Stadt, die der Kontext vorgibt. Unter ihnen macht ein geflügeltes Wort die Runde. Mit ihm melden die Überlebenden Ansprüche auf den Besitz des Landes an: Ein Einzelner war Abraham, und er besaß das Land. Wir aber sind viele, uns ist das Land zum Besitz gegeben!
Wie ist das Zitat zu verstehen? Eine Antwort wird dadurch erschwert, dass wir nicht genau wissen, welches sein ursprünglicher Kontext war. Sein gegenwärtiger Buchkontext kann es jedenfalls nicht gewesen sein; denn die V. 27–28.29 setzen die Existenz des Tempels noch voraus,2 und V. 25–26 fehlen in der Septuaginta.3 Es spricht also manches dafür, das Zitat zunächst als Einzelwort, eben als Losung der Judäer im Lande zu deuten. Abraham als Einzelnem stehen die vielen im Lande Verbliebenen gegenüber. Was beide verbindet, ist der Besitz des Landes. Will sagen: Wenn schon der Eine das Land besaß, dann umso mehr die Vielen – mögen die Umstände auch eine ganz andere Sprache sprechen. Die Parole für sich gelesen lebt noch nicht von der Konfrontation mit der ersten Gola, sondern reagiert allein auf die bedrängende Lage nach 597. Sie ist aus dem Geist eines trotzigen „Jetzt erst recht!“4 geboren und fügt sich schlecht zu den noch rauchenden Trümmern, die der Kontext suggeriert. Als geflügeltes Wort der „Selbstvergewisserung“5 könnte es durchaus in der Zeit nach der ersten Deportation aufgekommen sein. Erst die Verbindung mit V. 27–29 macht aus der Selbstermunterung der im Lande Verbliebenen einen Anspruch gegen die Gola. Mit der Ankündigung eines totalen Gerichts, das Juda und Jerusalem in eine Wüste verwandeln werde, weist der Prophet diese Ansprüche ab. Diese zweite Lesart hat ein deutliches Seitenstück in 11,14–16. Dort polemisieren die Jerusalemer ausdrücklich gegen 2 Vgl. 33,28 mit 24,21. In dieser Hinsicht dürfte T. Krüger, Geschichtskonzepte im Ezechielbuch (BZAW 180), Berlin 1988, 323 f., mit seiner Vermutung recht haben, allerdings nur für die Parole als solche. 3 Die Septuaginta kennt außerdem in V. 24 den Rückverweis („diese Trümmer“) auf die gefallene Stadt in V. 21 f. nicht. 4 O. Eichrodt, Der Prophet Hesekiel (ATD 22), Göttingen ³1968, 320: Das Losungswort wolle „die schwere Wiederaufbauarbeit als Gottes Willen schmackhaft machen“, setze aber „die nationale Wiederaufrichtung mit dem Willen Gottes in eins“. 5 So E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte (WMANT 57), Neukirchen-Vluyn 1984, 296, und K.‑F. Pohlmann, Der Prophet Hesekiel (ATD 22/2), Göttingen 2001, 454 f.
2. Die Geschichte der Abrahamüberlieferung
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die Exilierten und sprechen mit ähnlichen Worten, allerdings ohne Rekurs auf Abraham, der Gola jegliche Teilhabe am Land unter dem Gott des Landes ab.6 Erst die Einordnung von 33,23–29 an seinen gegenwärtigen Ort innerhalb der Buchkomposition versetzt das geflügelte Wort in die Zeit nach 587.7 So wurde aus dem Schlagwort nationaler Selbstvergewisserung zwischen den beiden Deportationen die schroffe Abweisung der Gola. Mit der Frage nach dem Land stand freilich weder vor noch nach 587 eine belanglose Marginalie zur Debatte. Das Land war ja nichts weniger als das geradezu sakramentale Unterpfand jener Symbiose von Gott, König, Volk und Land, die vor der Katastrophe Identität verbürgte. Dessen Bedeutung musste noch zunehmen, nachdem der König dahin war und der Tempel in Trümmern lag. Umso bemerkenswerter ist, wie diese Ansprüche auf das Land begründet werden. Vier Sachverhalte sind an dieser Parole aufschlussreich. (1) Das Thema Land wird weder mit Jakob verbunden, noch mit den (Exodus-) Landnahme-Vätern,8 sondern allein mit Abraham. Daraus folgt: Offensichtlich suchen die Judäer ihre Identität über Abraham zu vergewissern. Was andere Texte – wie etwa Ez 20 – mit dem Exodus verbinden, leistet hier Abraham. (2) Zwar ist von Abraham in jener Parole weder als „Vater“ noch von den Überlebenden als „Abrahams Samen“ die Rede, doch setzt die Argumentation nicht nur die selbstverständliche Bekanntheit der Abrahamgestalt voraus, sondern sie beruht auf dem genealogischen Zusammenhang derer, die sich des Besitzes des Landes versichern, mit Abraham als ihrem Ahn. Daraus folgt: Das hinter dieser Argumentation erkennbare Selbstverständnis setzt zwingend eine judäische Abrahamüberlieferung in vorexilischer Zeit voraus. (3) Einige Rückschlüsse auf Konturen dieser Überlieferung sind vielleicht noch möglich. Zunächst einmal sehen jene Judäer in ihrem Ahn Abraham, dem eigenen Selbstverständnis gemäß, eine autochthone Gestalt. Als erster Einwanderer würde er der Argumentation die Pointe verderben. Daraus folgt: Die Erzählzüge, die Abraham von außen ins Land bringen, können schwerlich schon zur Abrahamüberlieferung in der Königszeit gehört haben. Sodann rekurrieren die Judäer zwar auf den Tatbestand, dass ihr Ahn einst das Land besaß ()ירש, nicht aber auf eine göttliche Verheißung.9 Jedenfalls macht Ez 33,24 von der 6
Dafür steht dort kontextgemäß Jerusalem. später dürfte die Begründung der Totalvernichtung mit den ethischen Disqualifikationen in V. 25–26 eingefügt worden sein. Sie fehlt in der Septuaginta, ist nahezu vollständig mit Material aus Ez 18 und 22 gearbeitet und ist auch an der Wiederaufnahme von V. 25a in V. 27a zu erkennen. Sie verlagert den Streit um den rechtmäßigen Besitz des Landes von dem Gegensatz zwischen Gola und im Lande Verbliebenen auf das ethische Feld. 8 S. für das eine Ez 28,25 und 37,25, für das andre 20,28.42 und 47,14. Dass es sich in 20,28 nicht um die Erzväter, sondern um die Exodus- bzw. Landnahmegeneration handelt, erhellt der Zusammenhang von V. 27–28. 9 Selbst wenn man mit Blum, Komposition, S. 296, das Passiv des Gabesatzes („… uns ist 7 Noch
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Vorstellung einer Landverheißung keinen Gebrauch.10 Das wäre doch sehr verwunderlich, wenn diese Überlieferung zu den geläufigen credenda dieser Judäer gehört hätte. Warum hätten sie auf diese Argumentationshilfe verzichten sollen? Daraus folgt: Eine Verheißung des Landes gehörte offensichtlich nicht zu den Profilen der hier vorausgesetzten Abrahamüberlieferung. (4) Ez 33,24 setzt mit der Verwendung des Lexems „Besitz/besitzen“ (מרשה/ )ירשandere Akzente. Ein vergleichbares Interesse am Leitwort ירש („erben, besitzen“) findet sich in der Abrahamüberlieferung nur noch in Gen 15.11 Dort aber sind der Besitz des Landes und dessen Erbe aufs Äußerste in Frage gestellt, und Abraham ist schon längst zur Identifikationsfigur für Israel überhaupt geworden. Was Ez 33,23–29 den Judäern bestreitet und damit für die Gola offenhält, bringt Gen 15 in der Erzählfigur Abraham zusammen, der aus Ur-Kasdim gezogen (15,7), nun in Jerusalem (Gen 15 nach 14) den Besitz des Landes für seine leiblichen Nachkommen von Gott eidlich zugesichert erhält (15,8.18). Gen 15 hat aus dem Gewährsmann für die im Lande Überlebenden einen exemplarischen Rückkehrer aus der Gola gemacht. Aus diesen Verschiebungen folgt: Gen 15 mag zur Wirkungsgeschichte von Ez 33 gehören, kann aber niemals Teil der Abrahamüberlieferung gewesen sein, die in Ez 33 vorausgesetzt wird.12 1.2 Jes 51,1–8; 41,8–13 und 63,7–64,11 Mit Ez 33 ist Jes 51,1–8 mehrfach verbunden. Beide Stücke sind als Gottesrede gestaltet.13 Hier wie dort kommen die Trümmer in den Blick, in die Stadt und Land gesunken sind. Hier wie dort spielt Abraham eine exemplarische Rolle für die Gegenwart. Beide Anspielungen auf Abraham leben vom Gegensatz zwischen dem Einen einst und den Vielen jetzt und inskünftig. Beide Texte richten sich an die Exilierten und an die Jerusalemer. So viele Gemeinsamkeiten – und das Land gegeben …“) als passivum divinum auf Gott bezieht, lässt sich damit allenfalls die Feststellung „Gott hat gegeben“, nicht aber eine Landverheißung begründen. 10 So schon J. v. Seters, Confessional Reformulation in the Exilic Period, VT 22 (1972) 448–459.449, und T. Römer, Israels Väter. Untersuchungen zur Väterthematik im Deuteronomium und in der deuteronomistischen Tradition (OBO 90), Freiburg 1990, 515. Blum, Komposition, 296, geht dagegen von der Verheißung aus, weil das Thema Land in Gen 12 ff. nicht anders erscheine. 11 Darauf hat schon Römer, Väter, 515, hingewiesen. Mit Ez 33,24 verbinden Gen 15 unter anderem die Kombination der Lexeme ירש+ נתןbeim Thema Land (V. [3.4] 7–8 + 18) und der argumentative Zusammenhang von einem und vielen, der in Gen 15 aber ausdrücklich genealogisch an den Themen Sohn/Nachkommenschaft (V. 3.4) und Mehrung (V.5) durchgespielt wird. 12 Das gilt auch für Ex 6,8, einem Text, der gleichfalls den Anspruch der überlebenden Judäer in eine eidliche Verheißung des Landes ( )ונתתי … מורשהfür Gesamtisrael verwandelt. 13 Nur 51,3 fällt als hymnische Antwort aus der Gottesrede, was auf die verwickelte Literargeschichte des Stückes hinweist.
2. Die Geschichte der Abrahamüberlieferung
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doch ist Jes 51 auf einen anderen Ton gestimmt als Ez 33. Schon die Adressaten der Gottesrede werden hier völlig anders gezeichnet. Der Rahmen stellt sie in V. 1 und 7 als Gottsucher vor, die dem Heil nachjagen und es kennen. Sie sind ein Volk, das gar nicht anders kann, als Gottes Willen zu tun; denn die Tora in seinem Herzen (V. 7) bestimmt all seine Neigungen und Entscheidungen. Dieser anthropologischen Neuschöpfung entspricht die Verwandlung des Zion in V. 3. Aus der Stätte grausigen Gerichts ist ein Ort geworden, der göttliche Tröstung erfahren hat. Seine Verwüstungen sind einem Gottesgarten wie Eden gewichen. Lobgesänge, keine Klagelieder erfüllen den Ort. Auch Abraham erscheint in neuem Licht. Aus dem Gewährsmann zur Rechtfertigung von Ansprüchen ist ein Beispiel für Gottes Heil geworden, von Gott gerufen, gesegnet und gemehrt. Weil Abraham hier – anders als in Ez 33,24 – nicht für das Thema Land in Anspruch genommen wird, sondern für das Thema Mehrung, kommt er ausdrücklich als „euer Vater“ und in Verbindung mit Sara in ihrer Funktion als Mutter ins Spiel. Für wen steht das Erzelternpaar? Die literarische Komposition 51,1–8 arbeitet mit drei Adressaten. Das Fachwerk der Höraufrufe in V. 1a.4a.7a nimmt das Gottesvolk als Ganzes in den Blick. Dem ersten Höraufruf folgen zwei gleichlautende Imperative, an die zwei כי-Sätze angeschlossen sind. Gewöhnlich deutet man schon V. 1b auf Abraham und Sara als Parallelismus zu V. 2a. Dagegen spricht jedoch, dass in dieser Deutung der zweite כי-Satz keinen adäquaten Bezug hat. Dagegen spricht weiter, dass „Fels“ zwar als Metapher für Gott oder den Zion gebraucht wird, niemals jedoch für Menschen. Dagegen sprechen schließlich die Verben in V. 1b, die niemals auf Geburt oder genealogische Abstammung bezogen werden. Deshalb sollte man V. 1b nicht mit V. 2a verbinden. Unmittelbar evident ist zunächst einmal allein V. 2: Blickt auf Abraham, euren Vater, und auf Sara, die mit euch in Wehen liegt! Denn als einen Einzelnen habe ich ihn gerufen; ich will ihn segnen und mehren.
„Blickt auf Abraham … und Sara …!“ Was gibt es da zu sehen? Antwort: Segen und Mehrung. Gottes Ruf hat aus dem Einen viele gemacht. Das musste den Adressaten aus der Schrift und an sich selbst einleuchten. Alles spricht dafür, dass Jes 51,2 mit dem Erzelternpaar die Jerusalemer anredet. Wer aber sind die Adressaten von V. 1b, und was sollen sie sehen? Blickt auf den Felsen, (aus dem) ihr gehauen, und auf den Brunnenschacht, (aus dem) ihr gebrochen seid!
Für eine Antwort kommt im Kontext nur V. 3 in Frage.14 Der verweist auf den Wiederaufbau der Trümmer und die Verwandlung der Wüste Zions in einen 14 Der
für eine ursprüngliche Einheit beschwerliche Wechsel aus der Gottesrede in die 3.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
bewässerten Gottesgarten. Diese vom Kontext nahegelegte Verbindung wird von den Metaphern „Fels“ und „Brunnen“ in V. 1b gestützt. Wie O. H. Steck in einer scharfsinnigen Studie gezeigt hat, stehen sie für den Zion als Ort der Gegenwart Gottes,15 während die Verben auf die gewaltsame Trennung der Angeredeten vom Zion zielen. Dann kann in V. 1b nur die Diaspora angesprochen sein. Sie soll auf Zions Wiederaufbau als Gottesgarten sehen. V. 2 wendet sich dagegen an die Zionbewohner. Sie sollen an ihrem Ahnpaar sehen, wie Gottes Segen aus einem Einzelnen viele machen kann. Wie soll das in der Gegenwart der Adressaten geschehen? Die Antwort gibt der Höraufruf im Rahmen V. 1 + 7, indem er beide Adressaten zu einem Volk verbindet. Durch Rückkehr aus der Diaspora werden die exilierten Zionkinder zu Söhnen und Töchtern Abrahams und Saras. In diesem Lichte erhält der Wechsel in die Präformativkonjugation jeweils im Parallelkolon von V. 2 sachliche Bedeutung.16 Mit Afformativkonjugation und Narrativ ist die Vergangenheit in der Schrift im Blick, mit der Präformativkonjugation kommen Gegenwart und Zukunft zur Geltung. Die Geburt der Kinder Abrahams ist noch nicht abgeschlossen, Sara ist noch am Gebären, und Gott ist gerade dabei, Abraham zu segnen17 und zahlreich zu machen. So sind Abraham und Sara in Jes 51 Identifikationsfiguren des einen, durch die Rückkehr aus der Diaspora wunderbar gemehrten Volkes geworden. Welche Akzente setzt Jes 51,1–8 mit der Abrahamüberlieferung? Pers. erklärt sich in der literarischen Komposition als Bezugnahme auf 49,13; 52,9 (so m. R. O. H. Steck, Zions Tröstung. Beobachtungen und Fragen zu Jesaja 51,1–11, in: Ders., Gottesknecht und Zion. Gesammelte Aufsätze zu Deuterojesaja [FAT 4], Tübingen 1992, 86). 15 Steck, Tröstung, bes. 84–86. „Fels“ ist in Ps 27,5 eng mit Gottes Zelt, seiner Hütte und seinem Tempel verbunden. In 61,3 erscheint der Fels als Zufluchtsort des Beters, der Schutz verbürgt, weil dort Gott selbst in seinem Zelt präsent ist (V. 5). Auch hier ist also der Fels eine Metapher für den Zion. Am deutlichsten in dieser Sache spricht Jes 30,29: „Auf den Berg des Herrn“ heißt dort „zum Felsen Israels gehen“. Der Beleg zeigt zugleich, wie „Fels“ zwischen einer Metapher für den Zion und für den Ziongott oszilliert. Die Deutungen von P. Volz, Jesaja II (KAT IX /2), Leipzig 1932, 110 f., und von N. A. v. Uchelen, Abraham als Felsen (Jes 51,1), ZAW 80 (1968) 183–191, scheitern daran, dass überzeugende Belege für die behauptete Vorstellung für Abraham als Felsen fehlen. Schwieriger liegen die Dinge beim Lexem „Brunnen“; denn das erscheint sonst nicht als Metapher für den Zion. Doch gehören Wasser, Quelle oder Strom zu den festen Topoi des Tempels wie des Zion: Ps 46,5; 87,7; Jes 33,21; Ez 47 u. ö. Die Wahl des Lexems ist einerseits von der wunderbaren Verwandlung angeregt, die V. 3 berichtet. Anderseits ermöglicht das Bild vom Brunnenschacht ein zum ersten Kolon passendes Verb: Vom Felsen „abgehauen“ ( )חצבdort entspricht hier aus dem Brunnen „ausgebrochen“ ()נקר. Selbst wenn man בורals erläuternde Glosse herausnimmt (so die syr. Übersetzung und von den neueren Auslegern J. L. Koole, Isaiah III/Vol. 2: Isaiah 49–55 [HCOT], Leuven 1998, 140) und מקבתals „Steinbruch“ versteht, gäbe das als Beschreibung des zerstörten Zion guten Sinn. 16 Die LXX übersetzt freilich mit Aorist. 17 Die Masoreten haben beim ersten Verb in V. 2b AK vokalisiert, beim zweiten und dritten jedoch nicht Narrative, sondern wPK, während die Versionen mit Aoristen u. ä. übersetzen. Zum Tempusgebrauch im MT und dessen sachlicher Bedeutung vgl. 51,9–11: Jhwhs Arm hat den Weg bereits bereitet (V. 10), die Freigekauften kehren zurück und werden mit Freuden in Zion einziehen (PK + wAK in V. 11).
2. Die Geschichte der Abrahamüberlieferung
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(1) Dieser Text formuliert mit Abraham nicht die Differenz zwischen Gola und Jerusalemern, sondern die Einheit des Gottesvolkes. Die Heimkehrer auf den Zion werden der Konzeption eines genealogisch begründeten Israel integriert. Abraham ist „euer Vater“. Das gilt allen, die zu Israel gehören. (2) Jes 51,1–8 akzentuiert nicht das Thema Land. An dessen Stelle ist – der Buchkonzeption Jes 40–55 entsprechend – der Zion getreten. Das Interesse an Abraham konzentriert sich vielmehr auf das Thema Mehrung. Mit dem Gegensatz zwischen einem und vielen ist im Kontext von Mehrung die lange Kinderlosigkeit der Ahneltern als Vergleichspunkt im Spiel. Sie verbindet das Paradigma der Erzeltern mit der Gegenwart des Textes. (3) Die Abfolge Berufung – Segnung – Mehrung erinnert locker an Gen 12,1–3. Allerdings fehlen in Jes 51 die Spezifika von Gen 12, doch steckt in jenem „Ruf “ eine Deutung von 12,1 im Sinne erwählender Berufung. Umgekehrt erscheint die Mehrungsverheißung mit einfachem רבהnicht in Gen 12, wohl aber in 17,2. Aus alledem folgt: (4) Jes 51 setzt priesterliches wie nichtpriesterliches Gut und damit eine schon elaborierte Abrahamüberlieferung voraus, die bereits die Unfruchtbarkeit Saras Gen 11,27–32, die mit dem „berufen“ 12,1–3 und mit dem „Garten Jhwhs“ auch 13,10 enthalten hat.18 Mit Gottes Ruf, Segen und Mehrung greift das Stück Signalworte der Abrahamüberlieferung auf. Sie haben ihre Kraft nicht in der Vergangenheit erschöpft, sondern vergewissern Israel in nachexilischer Zeit19 der Nähe des Heils (V. 1 + 7). Eng verwandt mit den Anspielungen auf die Erzeltern in Jes 51 ist die Bearbeitung von Jes 41,8–13.20 Von dem älteren sog. Heilsorakel heben sich V. 8b–9 ab.21 18 Dabei
stammt der erste Satz („als einen einzelnen habe ich ihn berufen“) aus 41,9aβ; denn dort fügt er sich ganz organisch in die Erwählungsterminologie ein: „ergriffen – gerufen – erwählt“. Jedoch konnten die Leser des redaktionellen Stückes Jes 51,1–8 den Ruf unschwer als Deutung vorliegender Abrahamüberlieferung, insbesondere von Gen 12,1, verstehen. „Garten Jhwhs“ erscheint nur hier in 51,3 und in Gen 13,10, „Garten Elohims“ dagegen in Ez 28,13; 31,8–9. 19 Das Stück setzt mit den positiven Völkeraussagen in V. 4–5 die Gottesknechtslieder voraus (vgl. 42,1–4), hat in V. 3 das Jes-Buch im Blick (s. die Leitwörter „trösten“ 12,1; 40,1; 49,13; 51,3; 52,9; 66,13, „Freude und Wonne“ 12,3; 35,10; 51,3.11; 61,3) und steht in V. 2 motivlich und sachlich in enger Verbindung mit 54,1–3 (vgl. bes. חילPil. in 51,2a mit חילQal in 54,1b). Es gehört also zu einer sehr jungen Kompositionsebene des Jes-Buches. Ob man dabei bis ans Ende des 4. Jh. hinuntergehen muss, wie O. H. Steck vorschlägt (Der Abschluß der Prophetie im Alten Testament [BThSt 17], Neukirchen-Vluyn 1991, 80–83, 196), kann hier auf sich beruhen. 20 Die Einheit ist mit „Aber du …“ an die Gerichtsrede 41,1–4(5) und den Götzenfabrikationstext V. 6–7 angefügt. Da in V. 14–16 mit erneuter Anrede eine Fortschreibung (vgl. V. 14a mit V. 13b) folgt und V. 13 mit V. 10 einen mehrfachen Rahmen bildet, dürfte die ursprüngliche Einheit außer der Anrede V. 8a lediglich V. 10–13 umfasst haben. 21 V. 8b beurteilen auch G. Fohrer, Zum Text von Jes XLI 8–13, VT 5 (1955) 242, und J. v. Oorschot, Von Babel zum Zion. Eine literarkritische und redaktionsgeschichtliche Untersuchung von Jesaja 40–55 (BZAW 206), Berlin 1993, 54 Anm. 162, als sekundär, während
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II. Zur Abrahamüberlieferung
… Same Abrahams, der mich liebt, den ich von den Enden der Erde ergriffen und von ihren Säumen gerufen habe. Ich sprach zu dir: Mein Knecht bist du! Ich habe dich erwählt und nicht verworfen.
Gegen die in Dtjes sonst geläufige parallele Anrede mit Jakob-Israel fügt zunächst ein hier auffälliges, weil singuläres drittes Kolon den „Samen Abrahams“ hinzu. Sodann entfaltet V. 9a die Erwählungsaussagen von V. 8a breit in Prosa. „Erwählung“ heißt: Gott hat dich von den Enden der Erde ergriffen22 und von ihren Säumen gerufen. Das aber gewinnt erst auf dem Hintergrund der Abraham-Analogie seine Schärfe. Wie Gott einst Abraham aus Ur in Chaldäa ergriffen und ins Land geführt hat, so ruft er jetzt die Nachkommenschaft Abrahams heraus. Schließlich wendet V. 9b die Abraham-Analogie auf die gegenwärtige Situation an. Dabei gebraucht die Bearbeitung Material aus V. 8a, fügt aber als entscheidenden Satz hinzu: „Nicht habe ich dich verworfen.“ Mit dem Wort „verworfen“ blitzt das Exil als Gottesgericht auf. Zugleich aber verbürgt Abraham die Gewissheit der Erwählung durch alles Gericht hindurch. Die Bearbeitung setzt gegenüber dem älteren Heilsorakel neue Akzente: (1) Sie macht in V. 9 – wie schon 51,2 – Abraham zur Deutefigur für die weltweite Diaspora. Er wird zum ersten Heimkehrer aus der Fremde und damit zum Vorbild für die Zerstreuten. Wie Gott den Ahn ergriffen und ins Land geführt hat, sollen nun diejenigen, die sich Abrahams Samen nennen, dem Ruf aus der Fremde in die Heimat folgen. (2) Die Bearbeitung spricht die Nachfahren der Exulanten ausdrücklich als Nachkommen Abrahams an. Damit beansprucht sie Abrahams Vaterschaft auch für die Gola von 587. Durch die Erweiterung mit V. 8b werden jedoch die Adressaten neu gedeutet. So erscheint jetzt der Gottesknecht Israel in seinen beiden Gestalten: die Nachfahren der exilierten Nordreichsbewohner von 722 und der judäischen Exulanten von 597 und 587 in ihren Ahnen Jakob und Abraham.23 (3) Die Erläuterung „Same Abrahams, der mich liebt“24 hebt des Erzvaters beispielhaftes Gottesverhältnis hervor. Der Tat Gottes („Jakob, den ich erwählt habe“) entspricht die Liebe des Ahns: „… Abraham, der mich liebt“.25 Die parR. P. Merendino, Literarkritisches, Gattungskritisches und Exegetisches zu Jes 41,8–16, Bib 53 (1972) 1–42, bes. 4–8, in V. 8aβ.9 einen Nachtrag sieht. Doch ist (gegen Merendino) die singuläre Verbindung von Israel und Same Abrahams kein Ausweis für literarische Ursprünglichkeit. 22 Damit nimmt der Bearbeiter V. 13a auf und deutet ihn sogleich um. 23 Vgl. das Nebeneinander von Israel und Juda unter der Gesamtbezeichnung „Haus Jakobs“ in 48,1. 24 Eine ausführliche Diskussion der schwierigen Stelle führt P. Höffken, Abraham und Gott, oder: Wer liebt hier wen? Anmerkungen zu Jes 41,8, BN 103 (2000) 17–22. 25 Die Deutung auf die Liebe Abrahams vertreten E. Jenni (THAT I, München 1971,
2. Die Geschichte der Abrahamüberlieferung
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tizipiale Formulierung schließt im Ahn dessen Nachkommen ein.26 Dem entsprechen in der Sache die in 51,1a angeredeten Gottsucher, die „der Gerechtigkeit nachjagen“. (4) Was ist mit Abrahams Gottesliebe konkret gemeint? Der Zusammenhang mit Gottes Ruf lässt zunächst an Abrahams gehorsamen Aufbruch Gen 12,1.4a denken. Sodann legt sich ein Bezug auf Gen 22 nicht nur über 22,16, sondern vor allem über 22,2 nahe. Nur hier ist in der gesamten Abrahamüberlieferung von Abrahams Liebe die Rede, allerdings zu Isaak. Indes, hat nicht der Gottesliebe bewährt, der Gottes Weisung über die Liebe zu seinem Sohn stellt? Im Lichte von Dtn 5,10; 6,5; 7,9 u. a. erscheint Abraham unter dem Stichwort gehorsamer Gottesliebe vor allem als Täter der Tora. Im Horizont dieser Anrede stehen all die Texte und Bearbeitungen, die Abraham in den Konturen eines beispielhaften Torafrommen zeichnen. In Gen 18,6 beachtet er die Opfergesetze, indem er zur Speisung der himmlischen Gäste entsprechendes Mehl verwendet. In Gen 14,20 entrichtet er den Zehnten an den Jerusalemer Priester. In Gen 24 beachtet er das Mischehenverbot. In 26,3b–5 schließlich erscheint er als vorbildlicher Frommer, der die gesamte Tora in all ihren Bestimmungen hält.27 Die in Jes 51 und 41 profiliert vertretene Konzeption eines in Abraham erwählten Israel, das seine Identität in seinem Ahn findet, hat jedoch in jenem großen Gebet Jes 63,7–64,11 entschiedenen Widerspruch erfahren. Es behaftet Gott bei seiner Ehre, indem es zu Beginn der Ruhmestaten Gottes gedenkt. Als ihr Kern und Stern steht die Bestimmung Israels zu Gottes Volk und zu seinen Söhnen an der Spitze (V. 8). Diesem Vater, nicht Abraham, verdankt es seine Rettung im Exodus. Auch der folgende Rückblick auf die „Tage der Vorzeit“ kommt völlig ohne die Erzväter aus und rekapituliert Gottes Führung beim Meerwunder und durch die Wüste (V. 11–14). Im Exodus ward Israel als Gottes Sohn geboren. Der Bittteil greift am Anfang und am Schluss in der Form eines Bekenntnisses ausdrücklich auf Gottes Selbstbestimmung zum Vater dieses Sohnes im Exodus zurück: Du bist unser Vater, „unser Erlöser“ ist von Urzeit an dein Name (63,16). Herr, du bist unser Vater …, dein Volk sind wir alle (64,7.9).
Seine besondere Schärfe erhält das Bekenntnis dadurch, dass es in 63,16 ausdrücklich eine Vaterschaft Abrahams oder Jakob-Israels für das gegenwärtige Volk abweist: 71), J. L. Koole, (Isaiah Part 3, Vol. I: Isaiah 40–48 [HCOT], Kampen 1997, 149 ff.), zuletzt Höffken, Abraham, 145. 26 Das nächste Seitenstück für die auffällige Wendung „Same Abrahams, der mich liebt“ findet sich in 2 Chr 20,7. Das steckt den zeitlichen Rahmen ab, in den diese Bearbeitung gehört. 27 S. die Kumulation der verschiedenen Termini für das Gesetz und zur Sache B. Ego, Abraham als Urbild der Toratreue Israels, in: F. Avemarie/H. Lichtenberger (Hg.), Bund und Tora (WUNT 92), Tübingen 1996, 25–40.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Du bist unser Vater; denn Abraham kennt uns nicht, und Israel weiß nichts von uns. Du, Herr, bist unser Vater, „unser Erlöser“ ist von Urzeit her dein Name.
Insofern setzt das Gebet die Bekanntschaft mit beiden Gründungstraditionen Israels voraus, mit den Erzvätern wie mit dem Exodus. Die Beter hier wissen zwar um ihre genealogische Herkunft von den Erzvätern, aber sie wollen nicht Abrahams Kinder, sondern fortan allein Gottes Kinder sein. Diese erstaunliche Negation richtet sich polemisch gegen 51,2 und 58,14 und damit gegen alle, die meinen, aus Abrahams (oder Jakobs) Vaterschaft Honig saugen zu können. Damit stellt sich das Gebet quer zur Hochschätzung, die Abraham in der Priesterschrift oder Jakob und Abraham im solennen Schluss des Michabuches 7,20 erfahren. Was hat die radikale Abkehr von den Erzvätern in Jes 63,16 veranlasst? Das Gebet attestiert diesen Vätern Nutzlosigkeit angesichts der Lage der Beter. Diese Väter kennen ihre Söhne nicht und kümmern sich nicht um sie. Ja, mehr noch, sie können derlei gar nicht; denn im Blick auf die drückende Sündenmacht (64,6), die Gottes Zorn bewirkt, sind diese Väter völlig nutzlos. Deshalb appellieren die Söhne an den Exodusgott als ihren Vater, dessen Name und Wesen darin bestehen, „Erlöser“ zu sein. Dieses Wesen hat er „alle Tage der Vorzeit“ bewährt. Deshalb ist allein von „seiner Liebe und seinem Mitleid“ (63,9!) überhaupt noch etwas zu erwarten. Sollte das Gebet als Abschlusstext einer späten Gestalt des Jesajabuches konzipiert worden sein, wie O. H. Steck annimmt,28 hätte die Betonung der Vaterschaft Gottes darüber hinaus ihre besondere Pointe gerade darin, dass diese Söhne mit ihrem Gebet das tun, was ihre Vorväter, die Söhne von Jes 1,2, partout nicht tun wollten. Dort klagt der himmlische Vater: Söhne habe ich großgezogen und hochgebracht, sie aber haben sich gegen mich aufgelehnt.
Deren Nachfahren bekennen jetzt: Du – und wir dürfen getrost hinzufügen: du allein – bist unser Vater! 1.3 Abraham in Neh 9; Jos 24 und Ps 105 Durchgesetzt hat sich diese Negation jeglicher Heilsbedeutung Abrahams freilich nicht. Durchgesetzt hat sich – wie so oft im Leben – die Integration. Zeugnisse dieser Integration finden wir außerhalb des Pentateuch in Neh 9, Jos 24 und Ps 105. 28 Studien zu Tritojesaja (BZAW 203), Berlin 1991, 233–241, mit der Ansetzung in die Ptolemäerzeit. Gegen eine exilische oder frühpersische Entstehung des Gebets und gegen seine Beheimatung in dtr. Kreisen sprechen sein Ort in der Komposition, seine Textbezüge und die theologisch singulären, ganz un-dtr. Aussagen 63,17; 64,4b.6b.
2. Die Geschichte der Abrahamüberlieferung
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Der Geschichtsrückblick im Bußgebet Neh 9, einem theologischen Reflexionstext, keinem im Kultus lebendigen Gebet,29 bietet einen Abriss der Geschichte von der Weltschöpfung bis zum Exil und bis zu der wenig erfreulichen Gegenwart. Es setzt dabei ziemlich detailliert nicht nur den Pentateuch, sondern auch das voraus, was man einst Enneateuch nannte.30 Die Erzväter werden auf Abraham allein reduziert (V. 7–8). Dabei fallen die Anspielungen auf junge und jüngste Stücke der Abrahamüberlieferung auf. Gott hat Abram erwählt,31 „aus Ur-Kasdim herausgeführt“ (Gen 15,7), ihm den Namen Abraham gegeben (17,5), „sein Herz als treu erfunden“ (vgl. נאמןmit 15,6) und ihm unverbrüchlich zugesagt, seinen Nachkommen das Land zu geben (15,1832). Der letzte Satz preist die Erfüllung der Landverheißung als Akt der Gerechtigkeit Gottes. Unmittelbar daran schließen sich das Elend „unserer Väter (!) in Ägypten“, die Plagen, der Exodus mit dem Meerwunder und die Führung durch die Wüste, ja, sogar die Sinaiereignisse mit der Gabe des Gesetzes an, das im Sabbatgebot als Hauptgebot gipfelt.33 Auffällig hart ist der Übergang von Abraham zum Ägyptenexodus. Joseph fehlt, und der Ortswechsel wird literarisch nicht vermittelt.34 Auch der den Exodusvätern gegebene Landverheißungseid in ezechielschem Sprachgewand (V. 15) wie dessen Erfüllung stehen merkwürdig unausgeglichen neben der Landgabe an Abrahams Nachkommen schon in V. 8b. Man wird das gar nicht anders deuten können, als dass selbst diese späte Verbindung beider Konzeptionen deren ursprüngliche literarische Selbständigkeit nicht verbergen kann. Im Dienste der Verbindung beider stehen zweifellos die Verlagerung des Themas Mehrung von Abraham weg auf die Landnahmegeneration (V. 23), die Vermeidung der Vaterbezeichnung bei Abraham, vielleicht auch die Reduktion der Erzväter auf Abraham. Von den Vätern im Plural ist in Neh 9 allein als von „unseren Vätern“ und das erst seit Ägypten die Rede.35 Auch Jos 24, ein nach-dtr. Text,36 verbindet die Erzväter mit dem Exodus. Er vermittelt beide dadurch, dass er wie Neh 9 aus Abraham einen Einwanderer 29 So m. R. schon A. H. J. Gunneweg, Nehemia (KAT XIX /2), Berlin(-Ost) 1987, 129: Das Volksklagelied sei „nicht dazu verfaßt, bei Bußtagen zur Aufführung zu kommen“. Er zählt es zu den „jüngsten Stücken des AT“. 30 So bringen V. 24–25 das Buch Jos, V. 26–28 das Richter-Buch, V. 29–30 die Bücher SamKön auf den Punkt. 31 Vielleicht deutet V. 7a so den Ruf Gottes noch außerhalb des Landes in Gen 12,1. Aber auch das Reflexionsstück Gen 18,17–19 wird von der Erwählungsaussage abgedeckt, die Deut.Jes schon längst im Rücken hat. Vgl. dazu M. Köckert, Die Erwählung Israels und das Ziel der Wege Gottes im Jesajabuch, in: I. Kottsieper u. a. (Hg.), Wer ist wie du, HERR, unter den Göttern? FS O. Kaiser, Göttingen 1994, 277–300. 32 S. auch die allerdings gegenüber 15,20–21 reduzierte Völkerliste. 33 Vgl. M. Köckert, Leben in Gottes Gegenwart. Studien zum Verständnis des Gesetzes im Alten Testament (FAT 43), Tübingen 2004, 142–154. 34 Darauf hat Römer, Väter, 540, aufmerksam gemacht. 35 Römer, Väter, 541. 36 Zur literargeschichtlichen Einordnung von Jos 24 s. E. Blum, Der kompositionelle Knoten am Übergang von Josua zu Richter. Ein Entflechtungsvorschlag, in: M. Vervenne
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II. Zur Abrahamüberlieferung
macht. Indem er den Zug Jakobs und seiner Söhne nach Ägypten aus Gen 46 aufnimmt, schafft er einen erzählerischen Übergang zum Ägyptenexodus (ab V. 5). Ungewöhnlich ist die Einbeziehung der Vorväter Abrahams in die Reihe „eurer Väter“ in V. 2. Die aber werden ausdrücklich vom Vater Abraham durch die Bemerkung abgesetzt, dass sie fremden Göttern dienten. So erscheinen mit den „Vätern jenseits des Stroms“ in V. 2.14 die Gefährdungen der Diaspora. Ein Glossator greift mit der Erwähnung Tärachs in V. 2 die priesterliche Genealogie Gen 11,27 ff. auf.37 Vers 3 erzählt davon, dass Gott „euren Vater, Abraham, von jenseits des Stromes nahm“, und deutet so Gen 12,1 mit der Brille von Gen 24,7 ()לקח. Die Fortsetzung in V. 3 fasst die beiden Einwanderungen und mehrfachen Ortsveränderungen in Gen 12–13 in einem Satz zusammen: „… ich ließ ihn im ganzen Land Kanaan umherziehen.“38 Schließlich scheint die abschließende Mehrungsnotiz die Geburt Ismaels vor Isaak und wohl auch die Listen in Gen 25,1–6.12–18 sowie die Formulierung der Mehrungsverheißung aus Gen 16,10 zu kennen. Zwar integriert auch Ps 105 die Erzväter in einem Geschichtsrückblick, der bis zur Landgabe reicht und den Aufriss des Pentateuch einschließlich der Erzählungen von Joseph, den Plagen, von Manna und Wachteln sowie vom Wasser aus dem Felsen voraussetzt.39 Aus der Väterüberlieferung spielt dieser Psalm in V. 12–15 vor allem auf die Erzählung von der Preisgabe der Ahnfrau an, und zwar in ihren unterschiedlichen Versionen. Nur so erklären sich V. 13 („sie zogen von Volk zu Volk“) und der Plural („er rügte Könige ihretwegen“),40 sowie verschiedene Stichwortbezüge, die vor allem Kenntnis von Gen 20; 21 und 26 verraten.41 Die Integration von Väter- und Exodusüberlieferung wird in Ps 105 jedoch dadurch bewirkt, dass die gesamte Geschichte des Volkes als Produkt des Gedenkens Gottes an seinen „Bund mit Abraham“ erscheint (vgl. V. 8 mit V. 42). (Hg.) Deuteronomy and Deuteronomic Literature. FS Brekelmans (BEThL 133), Leuven 1997, 181–212, und R. G. Kratz, Der vor- und der nachpriesterschriftliche Hexateuch, in: J. C. Gertz u. a. (Hg.), Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion (BZAW 315), Berlin 2002, 295–324, bes. 299–307. Von den schon lange aufgefallenen Berührungen mit Neh 9 (s. Römer, Väter, 327 mit Lit.) sind die Völkerliste (Jos 24,11/Neh 9,8), die Feinde als Könige (24,12/Neh 9,22.24) und die Immobilienliste (24,13/Neh 9,25) bes. signifikant. 37 So schon H. Holzinger, Josua (KHC VI), Tübingen 1901, 97, mit Hinweis auf die Spannung zwischen den Vätern und der Nennung allein Terachs. 38 Vielleicht liegt hier aber auch ein präziser Bezug auf die Gottesrede 13,14–17 vor. Dafür könnte die Aufnahme der Wurzel הלךsprechen, die in 13,17 im Hitp., in Jos 24,3 im Hif. gebraucht wird. 39 Allerdings erwähnen Ps 105 wie Jos 24 den Sinai nicht. 40 So auch Blum, Komposition, 410, Anm. 17. 41 Vgl. V. 12 mit Gen 34,30. גורaus V. 12 erinnert an Gen 12,10; 20,1; 21,23.34; יכחaus V. 14 begegnet – wenn auch in anderem Sinne – in Gen 20,16 (Abimelech zu Abraham) und 21,25 (Abraham zu Abimelech); vgl. auch 31,42 (über Gott). נגעaus V. 15 erinnert an Gen 20,6; 26,11, נביאaus V. 15 an Gen 20,7. Außerdem könnte die Bezeichnung der Erzväter als „Gesalbte“ durch die Kenntnis von Gen 17,6 angeregt sein.
2. Die Geschichte der Abrahamüberlieferung
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Der Bund mit Abraham steht in V. 8 parallel zum Eid für Isaak (vgl. Gen 26,3) und kann deshalb hier nichts anderes als in Gen 15,18 bedeuten: verbindliche Zusage, eben „Verheißung“.42 Die bezieht sich auf die Landgabe, wie V. 11 ausführt. So erscheint die Landverheißung an die Erzväter, insbesondere an Abraham, als der entscheidende Motor der Geschichte.43 Integrieren Neh 9 und Jos 24 die Erzväter in die Exodus-Volksgeschichte durch eine mehr oder weniger vermittelte Vorschaltung der Väter vor das Volk, so schließt Ps 105 umgekehrt das Volk in die Väter, insbesondere in Abraham ein.44
2. Die Komposition der Abrahamerzählung Gen 11,27–25,11 In einer einfühlsamen narrativen Analyse hat J. L. Ska auf die eigentümlich episodische Kompositionsweise des Abrahamzyklus hingewiesen.45 Der Erzählzyklus lässt sich – anders als die Jakoberzählung – nicht als Lösung eines Konflikts begreifen; denn er besteht aus einer Anreihung oftmals nur lose verbundener Erzählungen oder Szenen. Zusammengehalten werden die Episoden von den beiden Themen, die auch in Ez 33,24 und Jes 51 fundamental sind: das Land und die Nachkommen. Beide werden von Anfang an so miteinander verbunden, dass das Land den Nachkommen zugesprochen wird.46 Die aus 12,1 erwachsene Frage nach dem Land ist, einmal in Kanaan angekommen, mit dem Hinweis auf „dieses Land“ in 12,7 und spätestens mit dem Rundblick 13,14 ff. geklärt. Die Frage nach den Nachkommen aber bleibt offen. Zunächst stellen sich keine Nachkommen ein, dann aber gibt es mehrere Konkurrenten. Die Erzählspannung erwächst also am Thema Nachkommen, nicht am Thema Land. 42
Vgl. in V. 42: „Er gedachte seines heiligen Wortes …“ Formulierung stellt freilich ein sehr apartes Mischgebilde der Spätzeit dar: „Dir gebe ich das Land Kanaan, den Anteil eures Erbbesitzes.“ Der traditionelle Gabesatz wird hier mit dem Sprachgebrauch von P verbunden („Land Kanaan“ statt „dieses Land“). Die Wendung „Anteil eures Erbbesitzes“ setzt einen völlig singulären Akzent und greift vielleicht die Vorstellung von der Landverlosung (nach-P) aus Jos auf. 44 Das wird nicht nur am Gedenken Gottes an den Bund mit Abraham deutlich, sondern auch am auffälligen Wechsel von Abraham zu Abrahams Samen in V. 11: „Dir gebe ich das Land Kanaan“ zum „Anteil eures (!) Erbbesitzes.“ Im Ahn sind die Nachfahren (vgl. V. 6) schon einbegriffen. 1 Chr 16 zitiert den Psalm, allerdings mit bezeichnenden Retuschen. Dazu gehört auch die Ersetzung des „Samen Abrahams“ durch „Same Israels (V. 13) – wohl um Ismael auszuschließen. 45 J. L. Ska, Essai sur la nature et la signification du cycle d’Abraham (Gn 11,27–25,11), in: A. Wénin (Hg.), Studies in the Book of Genesis (BEThL 155), Leuven 2001, 153–178. 46 Gen 12,7; 13,15; 17,8; 24,7. Zu den verschiedenen Formulierungen der Landverheißung s. R. Rendtorff, Das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch (BZAW 147), Berlin 1977, 42–45. Allerdings sollte man aus den beiden Belegen, in denen das Land nur „dir“ (13,17; 15,7), nicht „deinen Nachkommen“ zugesprochen wird, keine voreiligen Schlüsse ziehen; denn beide Male ist mit dem Ahn das Volk gemeint. 43 Deren
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II. Zur Abrahamüberlieferung
So wird in immer neuen Anläufen durchgespielt, wer der legitime Erbe sei, dem „dieses Land“ rechtens zukommt. Das war in der Königszeit noch kein Thema, wird aber eines in der Perserzeit. Als erste verlassen Lot und mit ihm Moab und Ammon das Land, darauf folgen Hagar mit Ismael und zuletzt die Söhne der Ketura. Am Ende heißt es in 25,5: „Und Abraham gab alles, was er hatte, Isaak.“ Dabei liegen freilich Lot und seine Söhne auf einer anderen literarischen Ebene; denn sie sind – anders als Ismael – keine Nachkommen Abrahams. Der geographische Aufriss47 gliedert den Erzählzyklus in drei Teile. Der erste Teil (11,27–19,38 + 21,1–7) führt Abraham und Lot von Ur-Kasdim nach Hebron (13,18; 18) und Sodom (13,12b; 19). Er zielt auf die Geburt von Moab und Ammon (19,30–38) und von Isaak (21,1–7). Sein Kern besteht aus dem, was H. Gunkel als „Sagenkranz“ von Abraham und Lot bezeichnet hat und E. Blum die „Abraham-Lot-Erzählung“ nennt.48 Aus diesem Erzählbogen fallen Gen 14–17 heraus. Sie unterbrechen ihn und tragen neue Themen ein. Außerdem sind sie von anderen Interessen geleitet. Zwar gehören Abraham und Lot auch zum Personal von Gen 14, sie spielen aber dort ein ganz anderes Stück. Gen 14–17 stammen jedoch nicht von einer Hand. Das verbietet schon der doppelte Bundesschluss in 15 und 17, die beide 16 voraussetzen.49 Auch Gen 12 geht über die Abraham-Lot-Erzählung hinaus und verfolgt andere Interessen. Während deren Horizont im Abrahamzyklus selbst liegt, greift Gen 12 mit Sichem (V. 7) und Bethel (V. 8) die Jakobüberlieferung auf. Sodann schlägt die erste Gottesrede mit dem Stichwort „großes Volk“ in 12,1–3 einen weiten Bogen nach 46,1–4. Schließlich wirkt der doppelte Eisodus Abrahams aus Mesopotamien und aus Ägypten wie eine „Exodusprolepse“ Israels.50 So lassen schon wenige Einblicke in den ersten Teil der Komposition eine recht komplizierte Entstehungsgeschichte vermuten. Dabei verlangt vor allem die Frage nach dem Verhältnis von Gen 15 zu 17 eine Antwort. Außerdem bedarf die Einbindung der Hagar-Erzählung Gen 16 der Klärung. Der zweite Teil (20,1–22,19) wechselt den Schauplatz und führt Abraham zunächst nach Gerar und von dort nach Beerscheba.51 Die Stücke dieses Teils bilden aufgrund einer gewissen inneren Verknüpfung und verschiedener Eigen47 Vgl. auch J. P. Fokkelman, Time and the Structure of the Abraham Cycle, OTS 25 (1989) 96–109, und K. A. Deurloo, Narrative Geography in the Abraham Cycle, OTS 26 (1990) 48–62. 48 H. Gunkel, Genesis (HKAT I/1), Göttingen 31910, 159; Blum, Komposition, 273. 49 Die Plazierung von Gen 15 erfolgt mit Bedacht vor 16, weil Abrahams Argumentation in 15,2 ff. nach 16 haltlos wäre; und Gen 17 berücksichtigt in V. 18.22.23.25–27 ausdrücklich Ismael. 50 H. Gese, Die Komposition der Abrahamüberlieferung, in: Ders., Alttestamentliche Studien, Tübingen 1991, 29–51: „Abraham nimmt das Exoduserleben Israels vorweg. Auf die Jakobprolepse folgt die Exodusprolepse“ (S. 35). 51 Beerscheba wird für Abraham durch 21,14 nahegelegt. Abrahams Besitzrecht ist Ziel von 21,22–34. Außerdem kehrt Abraham mit seinem Sohn nach den Ereignissen von Gen 22 dorthin zurück (22,19).
2. Die Geschichte der Abrahamüberlieferung
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tümlichkeiten eine Gruppe für sich.52 Sie haben – bis auf Gen 22 – Dubletten in Gen 12 und 26. Dabei erweisen sich die Fassungen in 20 und 21 als die jüngeren Versionen. Deshalb erscheinen Gen 20–22 geradezu wie eine ‚bearbeitete Neuauflage‘ in stark veränderter Gestalt.53 Nach älterem Gut kann man allenfalls in den Nachrichten über die Geburt Isaaks in 21,1–7 suchen. Sie sind es auch gewesen, über die jene Bearbeiter ihre neue Sicht des Erzvaters mit dem ersten Teil verbunden haben. Gen 20–22 sind jedoch nicht in einem Zug entstanden. Das ergibt sich schon aus dem Ort der Geburtsnotizen. Sie unterbrechen die beiden Episoden von Abraham in Gerar. Der zweite Teil wird mit dem ersten nicht nur durch die Geburtsnotizen verschränkt. Beide Teile sind auch dadurch verbunden, dass sich Anspielungen auf Jerusalem nur hier finden: mit Salem in 14,18–20 und mit Morija in 22,2.54 Der dritte Teil (22,20–25,11) lokalisiert die Erzeltern wieder in Hebron. Zwei Erzählbögen bestimmen ihn. Der erste schließt die Erzählungen über Abraham und Sara ab, indem er von deren Tod und Begräbnis berichtet (23 und 25,7–11). Der zweite lenkt den Blick auf die nächste Generation. Dem ordnet sich die Liste der Nahoriden in 22,20–24 ein. Sie bereitet die in ihren Dimensionen singuläre Erzählung Gen 24 vor. Die präsentiert zwar Abraham als exemplarischen Torafrommen, leitet aber schon zu Isaak über. Auch hier sind beide Erzählbögen ineinander geschoben. Dabei setzt der zweite Bogen mit der Anspielung auf Isaak als Herrn in 24,65 den Tod Abrahams, mit der Schlussnotiz 24,67 den Tod Saras und damit Gen 23 und 25,8–9 voraus. Daraus ergibt sich die Frage, ob sich eine nach-priesterliche Herkunft aus Gen 24 selbst erhärten lässt? Gen 25,1–6 schließlich entfernen die erst hier eingeführten Söhne der Ketura als potentielle Miterben aus dem Land. So steht am Ende fest, wer allein als legitimer Erbe des Landes in Frage kommt: Isaak, der einzige Nachkomme Abrahams und Saras.
3. Zur Literargeschichte der Abrahamerzählung Ein Gesamtbild der Literargeschichte von Gen 11,27–25,11 kann in diesem Rahmen nicht mehr als eine Skizze in relativ groben Strichen sein. Auch ist der Grad der Wahrscheinlichkeit im einzelnen höchst unterschiedlich. Das liegt in der Natur der Sache; denn die einst lebendige Literargeschichte hat sich noch nie nach den Brüsseler Normen für Denkmalpflege gerichtet und jede Veränderung säuberlich dokumentiert. Rekonstruieren muss man die Geschichte bekanntlich immer, und derlei geht nicht ohne Vermutungen und Hypothesen. 52 R. Kessler hat sie „Negev-Gruppe“ genannt und ihre Besonderheiten beschrieben (Die Querverweise im Pentateuch, Diss. Masch. Heidelberg 1972, 80–92). 53 Darin liegt die particula veri der klassischen Vermutung eines „Elohisten“ (Wellhausen) oder wenigstens „elohistischer Fragmente“ (Westermann). 54 Vgl. 2 Chr 3,1 und Gen 22,14b mit Ps 84,8.
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3.1 Die Abraham-Lot-Erzählung Relativ sicheren Boden betreten wir mit der Annahme einer Abraham-Lot-Erzählung in Gen 13 + 18–19. Schon die Analyse der Komposition legt nahe, hier das älteste Stratum der Abrahamüberlieferung zu vermuten.55 Sie ist in Hebron lokalisiert und also judäischer Provenienz.56 Sie erzählt die Ursprungsgeschichte Judas in seinem Ahnpaar Abraham und Sara und klärt dabei das Verhältnis Judas zu den östlichen Nachbarn der Eisenzeit. In ihrem ersten Teil (Gen 13) geht es um den Besitz des Landes, das Abraham selbstverständlich zufällt, weil Lot – das Paradies Sodom vor Augen – das Land verlässt. Der zweite Teil (Gen 18–19) thematisiert die Nachkommen. Beide Themen entsprechen dem, was Ez 33,24 und Jes 51 voraussetzen. Weil der Ursprung von Völkern, genealogischem Denken gemäß, nur als Familiengeschichte erzählt werden kann, muss das Thema Nachkommen in der Gestalt der Kinder der Ahnen erscheinen. Während Abrahams Nachkommen sich einem Gastgeschenk Himmlischer verdanken, gehen Moab und Ammon aus einem Inzest hervor. Damit sind die Verhältnisse geklärt: Die einen stehen im Dunkel der Höhle über einem Toten Meer, die andern im Licht des Tages, der lachen lässt. Problematisch sind Anfang und Abschluss der Erzählung. Der Abschluss könnte vielleicht noch in 21,1a.2*.7 verarbeitet sein. Jedoch wird der in 18,14b angekündigte Besuch in Gen 21 nicht berichtet.57 Sehr viel schwerer lässt sich die Frage nach dem Anfang beantworten. Mit E. Blum gehe ich davon aus, dass der ursprüngliche Beginn später durch Gen 12 ersetzt worden ist.58 Noch in der Königszeit entstand die Hagar-Erzählung Gen 16.59 Sie schreibt das Verhältnis zu den unter „Ismael“ zusammengefassten proto-beduinischen Stämmen in die Abrahamüberlieferung ein. Diese Stämmekonföderation wird in den assyrischen Quellen als šumuʾil nur im ausgehenden 8. und im 7. Jh. erwähnt.60 Wann Gen 16 in den Abrahamzyklus eingebunden wurde, lässt sich nicht mehr sicher sagen.61 Sollte die Hagar-Erzählung unmittelbar in die Abra55
Zu ihr gehören: … 13,2abα.5.7–11a; 18,1b–16.20–22a.33b; 19* … war judäische „Königsstadt“ vor Jerusalem (2 Sam 2,1–4; 5,1–5; 15,7.9). Schon der schlichte Befund, dass Hebron in babylonischer und persischer Zeit nicht zur Provinz Jehud gehörte, spricht gegen eine späte Ansetzung der Erzählung. 57 Vielleicht steckt in dem למועדvon 21,2b ein Rückbezug auf 18,14b, vgl. aber 21,2 mit 17,21! 58 Blum, Komposition, 282–286. Ein Beginn mit 12,10–20, wie I. Fischer, Die Erzeltern Israels (BZAW 222), Berlin 1994, 339, und T. Römer, Recherches actuelles sur le cycle d’Abraham, in: A. Wénin (Hg.), Studies in the Book of Genesis (BEThL 155), Leuven 2001, 179–211, 193, vorschlagen, empfiehlt sich nicht, weil diese Erzählung aus dem Erzählbogen Gen … 13; 18–19 herausführt und das Übel einer fehlenden Exposition für Lot nicht beheben kann. 59 Sie umfasste ursprünglich Gen 16,1–2.4–7a.8.11–12.(15?). [S. aber zu Gen 16 in diesem Bd. Nr. 7 mit der literargeschichtlichen Zuordnung zur vereinigten „Vätergeschichte“.] 60 E. A. Knauf, Ismael. Untersuchungen zur Geschichte Palästinas und Nordarabiens im 1. Jahrtausend v. Chr. (ADPV 1), Wiesbaden 21989, 1–9. 61 S. einerseits Blum, Komposition, 339–340, und D. Carr, Reading the Fractures of 56 Hebron
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ham-Lot-Erzählung eingeschoben worden sein, verstärkt und problematisiert sie das Thema Nachkommenschaft. Für eine vorexilische Einbindung spricht auch der im Stile von Stammessprüchen formulierte V. 12; denn er hat mit den „Brüdern“, denen sich Ismael „vor die Nase setzt“, die ostjordanischen Königtümer vor Augen. Außerdem setzt Gen 17 eine wie auch immer geartete HagarIsmael-Erzählung voraus.62 3.2 Die Verbindung der Jakoberzählung mit der Abraham-Lot-Erzählung Frühestens nach dem Untergang Samarias 720 v. Chr., sicher aber nach 587, adaptierte man im Süden die ehedem selbständige Jakob-Erzählung und stellte ihr die Abraham-Lot-Erzählung voran. Als Bindeglied fungiert die Gestalt Isaak, Abrahams Sohn und Vater Jakobs. Es spricht manches dafür, dass man zur Verbindung der Abraham- mit der Jakob-Erzählung Gen 26* wenn nicht geschaffen, so doch als literarische Brücke eingeschaltet hat.63 Die aber greift am Anfang ausdrücklich auf 12,10–20 zurück. Gewöhnlich erklärt man diese Rückbezüge für sekundär oder diese Version der Ahnfrau-Erzählung für die jüngste.64 Doch lassen sich die Bezüge auch als Hinweise darauf lesen, dass 12,10–20 und 26* von einer Hand in die durch Isaak vereinigte Abraham-Jakob-Erzählung eingebracht worden sind. Damit ist die Möglichkeit einer selbständigen Vorgeschichte hier wie dort nicht ausgeschlossen. Nun sind in Gen 12,10–20 schon lange mehrere Anspielungen auf den Exodus aufgefallen.65 Die Ahnfrau-Erzählung in dieser Ausrichtung spielt offenbar auf die im Nordreich gepflegte Exodustradition an. Darin liegt die besondere Pointe jener Einschaltung. Als weiteres Bindeglied kommen die Wandernotizen in 12,6–8 in Betracht.66 Sie zeichnen Abraham durchaus als autochthon und bringen ihn mit den entscheidenden Stationen Jakobs in Verbindung (mit Sichem und Bethel). Angesichts der Lage nach 720 hat es seinen guten Sinn, wenn Genesis. Historical and Literary Approaches, Louisville 1996, 194 („proto-Genesis“), anderseits R. G. Kratz, Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments. Grundwissen der Bibelkritik, Göttingen 2000, 277 f. („nachjahwistisch … wenn nicht nachpriesterschriftlich“). 62 S. bes. 17,16a.18b.20. 63 Allerdings ohne die ausgreifenden Verheißungsreden 26,3b–5.24. 64 So vor allem J. v. Seters, Abraham in History and Tradition, New Haven/London 1975, 167–191. 65 Der Ägyptenaufenthalt wird durch eine Hungersnot veranlasst (vgl. Gen 46), Gott sucht den Pharao mit Schlägen heim (vgl. 12,17 mit Ex 11,1), die Israeliten gewinnen Vieh und Güter (vgl. 12,16 mit Ex 11,2 f.; 12,32.35.38) und werden am Ende entlassen, bzw. fortgejagt (vgl. 12,17.20 mit Ex 5,1f; 11,1; 12,32 f.). Vgl. Gunkel, Genesis, 173, B. Jacob, Das erste Buch der Tora. Genesis, Berlin 1934, 356, Blum, Komposition, 309 f., u. o. Anm. 48. 66 So fragt auch J. L. Ska, ob nicht 12,6 ff. als vor-priesterlicher Anfang der Abrahamerzählung angesehen werden könne (L’appel d’Abraham et l’acte de naissance d’Israel. Gènese 12,1–4a, in: M. Vervenne/J. Lust [Hg.], Deuteronomy and Deuteronomic Literature. FS C. H. W. Brekelmans, [BEThL 133], Leuven 1997, 367–390, 371).
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in Sichem mit „diesem (!) Land“ das Gebiet des ehemaligen Nordreichs der „Nachkommenschaft Abrahams“ zugesprochen wird.67 Jenes leider nicht mehr komplett erhaltene initium greift bewusst Nordreichtraditionen auf, besetzt sie aber jetzt mit Abraham und verleibt sie so Juda ein. Gegen eine Ansetzung von 12,6–8 in die Königszeit sprechen jedoch die Notizen vom Bau der Altäre, auf denen bezeichnenderweise nicht geopfert wird.68 Sie berücksichtigen damit die Doktrin des Deuteronomium. Da sie sich literarkritisch nicht herauslösen lassen und da überdies die Wandernotizen den Aufbruchbefehl von 12,1 voraussetzen, wird es wohl bei einer Ansetzung nach 587 bleiben müssen.69 3.3 Nach der Verbindung von Vätergeschichte und Exodus-Erzählung durch P Es ist wahrscheinlich die Priesterschrift gewesen, die erstmals die bis dahin selbständige Erzählung vom Ursprung Israels in den Vätern mit der vom Exodus zu einer ‚Geschichte‘ verbunden hat. Dabei hebt sie in der Vätergeschichte vor allem Abraham hervor und zeichnet ihn mit jener programmatischen Gottesrede Gen 17 aus. Bei der Integration der vor-priesterlichen Vätererzählung in die Priesterschrift gibt diese mit den Toledot den Rahmen vor. Daraus erwachsen die bekannten Schwierigkeiten bei der Rekonstruktion des vor-priesterlichen Anfangs der Abrahamerzählung. Gen 12,1–4a hat ihn verdrängt. Das Stück wurde als Portal für die gesamte Vätererzählung geschaffen. Es beginnt abrupt ohne jede Exposition und lässt sich nur verstehen, wenn man die Informationen kennt, die 11,27–32 bieten.70 So spricht schon seine literarische Natur und der gegebene Kontext für einen nach-priesterlichen Einsatz. Die Verheißungsinhalte stammen aus der Königsideologie, gelten aber hier im Ahn dem Volk.71 Eine derartige Übertragung ist erst nach dem Untergang des Königtums denkbar. Das widerrät einer Ansetzung noch in die Königszeit. Die Vorstellung einer in Völkern, Sippen und Ländern gegliederten Menschheit entspricht der priesterlichen Völkertafel in Gen 10,5.20.31 f. und – bis zu einem gewissen Grade – der persischen Reichsidee. Der komplizierte Befund legt zwei Lösungsmöglichkeiten nahe. Entweder setzen 12,1–3 die Toledot 11,27–32 (P) voraus, aus denen sich kein vor-priesterliches Gut isolieren lässt. Oder 11,27–32 sind bei der Einarbeitung des nicht-priesterlichen Bestandes in P auf 12,1–4a 67 Das widerspricht den Schlussfolgerungen aus Ez 33,24 keineswegs; denn dort geht es um Juda, für das es in der älteren Abraham-Lot-Erzählung keine Verheißung gibt. 68 Von „Kultgründungen“ sollte man besser nicht sprechen. 69 Blum, Komposition, 331 ff., M. Köckert, Vätergott und Väterverheißungen. Eine Auseinandersetzung mit Albrecht Alt und seinen Erben (FRLANT 142), Göttingen 1988, 263 f., 294–299. 70 Gegen einen ursprünglichen Anschluss an 11,1–8a (so Kratz, Komposition, 266) spricht der unterschiedliche Gebrauch von ארץin 11,8 (= „Erde“) und 12,1 (= „Land“). 71 Köckert, Vätergott, 276–293.
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zugeschnitten worden.72 Im ersten Falle wären 12,1–4a nach-priesterlich, im zweiten dagegen wenigstens 11,28–30. Nach der sorgfältigen Untersuchung von J. L. Ska73 hat die erste Lösung m. E. die größere Wahrscheinlichkeit, weil sie mit weniger Annahmen auskommt. Allerdings muss man dann die Schwierigkeit in Kauf nehmen, dass 12,1–3 und die damit zusammenhängenden Verheißungen (s. u.) kaum Spuren in Ex – Num hinterlassen haben. Mit 12,1–3 sind aber 13,14–17 aufs engste verbunden;74 denn erst dort zeigt Gott Abraham das Land, das zu zeigen er ihm in 12,1 versprochen hatte. Die Verheißungen in Gen 13,14–17 stehen wiederum mit denen von 28,13b–14 in Kontakt.75 Anderseits bilden alle göttlichen Wanderungs- und Rückkehrbefehle, jeweils mit Verheißungen motiviert, ein Netz von Verweisen über die gesamte Vätererzählung: 12,1–4a; 26,2aβ–3; 31,3.13; 46,1b–5a. Erst auf dieser Ebene erscheinen die verheißenden Gottesreden als verbindendes Ferment. Schon der Beginn 11,27–13,18 macht aus Abraham den ersten Einwanderer aus Mesopotamien und ihn damit zum Vorbild für die Gola, wie ihn auch Jes 51 und 41,8b–9 zeichnen. Die dort formulierte gesamtisraelitische Perspektive wird im Zielpunkt jenes doppelten Eisodus aus Mesopotamien und aus Ägypten geographisch realisiert; denn jener künstliche Ort zwischen Ai und Bethel (12,8 und 13,3–4) muss sich nach den Grenzbeschreibungen im Josuabuch auf der Grenze zwischen Israel und Juda befinden (Jos 16,1–3; 18,12–13). Dort, also in der Mitte des Landes, zeigt Gott Abraham das Land, das ihm und seinen Nachfahren für immer gehören soll. 3.4 Nach-priesterliche Erweiterungen In nachexilischer Zeit kommen unterschiedliche theologische Strömungen mit ihren Anliegen in der Abrahamerzählung zu Wort. Sie setzen alle, wenn auch auf verschiedene Weise, die Priesterschrift voraus. Allerdings liegen sie m. E. nicht auf einer literarischen Ebene. (1) Zunächst bilden jene Stücke in Gen 20–2276 eine Erzählkette, die literarisch eng mit der Geburt Isaaks verwoben ist;77 denn nach der Geburt 72 So beurteilt Kratz, Komposition, 266, Gen 11,28–30 als „Zusatz zu P“. Jedoch sehe ich dafür keine durchschlagenden literarkritischen Kriterien. 73 Ska, L’appel, 367–390. [Zur Analyse von Gen 11,27–13,18 s. aber jetzt in diesem Bd. Nr. 16.] 74 Köckert, Vätergott, 250–255. 75 Vgl. die kontextbezogenen Partizipialsätze in der Landverheißung und das Motiv der vier Himmelsrichtungen. 76 [Zu Gen 20–22 s. jetzt auch Nr. 10 in diesem Bd.] 77 Dabei setzen 21,8 ff. nicht nur 21,1–7, sondern auch 16,1–15 voraus. 21,8 führt mit dem Artikel „das Kind“ V. 7 fort, der Relativsatz in V. 9 setzt Kap. 16 voraus. Der Name Ismael fällt nicht ein einziges Mal; der Leser trägt ihn aus 16 ein. Auch setzt der Rechtsfall, dass der Sohn Hagars erbberechtigt ist, Umstände voraus, die nur in 16,2 erzählt werden. Überdies entsprechen 21,11–13 auffällig 17,18–20.
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Isaaks muss das Verhältnis beider Söhne geklärt werden. Die Erzählungen von der Preisgabe Ismaels (21) und Isaaks (22) sind, bei allen Unterschieden im Einzelnen, durch mehrere Querverweise verbunden.78 Beide kreisen um die Gefährdung des Erben, zunächst durch den zuerst geborenen Ismael, sodann durch Gott selbst. Die Vertreibung Ismaels war der Priesterschrift offenbar noch unbekannt; denn in 25,9, wird Abraham von seinen beiden Söhnen begraben. Gen 22 verrät im Gebrauch der literarischen Mittel und in der Problemstellung eine überraschende Nähe zur Hiob-Rahmenerzählung, in manchen Formulierungen zum Chronisten.79 (2) Ganz andere Interessen leiten sodann die Erzählung vom Aufenthalt Abrahams bei Abimelech von Gerar (20; 21,22–34). Ihr erster Teil wurde vor die Geburt Isaaks gestellt, weil für ihn die Kinderlosigkeit Saras konstitutiv ist.80 Die Ahnfrau-Erzählung in Gen 20 weist in 20,13 ausdrücklich auf 12,1 zurück und setzt die Ahnfrau-Erzählung von Gen 12 voraus. Sie führt am Ahn beispielhaft vor Augen, dass es Gottesfurcht auch im Ausland gibt und dass in der Diaspora ein gesichertes Leben trotz mancher Widrigkeiten möglich ist; denn Israels Gott lenkt auch in der Diaspora die Geschicke, und selbst unter Heiden gibt es Gerechte (20,4). (3) Die Formulierung in 20,4 („Herr, willst du denn auch ein gerechtes Volk umbringen“?) verrät Bekanntschaft mit der Diskussion Abrahams um die Gerechtigkeit Gottes angesichts der Zerstörung Sodoms in 18,22b–33a.81 Diese Diskussion erwächst wiederum aus der Einsetzung Abrahams zum Lehrer der Tora in 18,17–19.82 So dürfte die zweiteilige Erzählung von Abraham, dem Diasporajuden, im Ausland bei Abimelech von Gerar das jüngste dieser Stücke sein. 3.5 Im Horizont von Hexateuch und Pentateuch Im Horizont des Pentateuch stehen die Eintragungen des Väterschwures in 22,15–18 und 26,3b–5.24. Sie schlagen einen großen Bogen zu Dtn 34,4. Bezieht man dazu noch 50,24 ein, kommt sogar Jos 24,32 und damit der Hexateuch in den Blick. Von den verbleibenden Texten greife ich jetzt nur noch Gen 15 und 24 auf. 78 Vgl. 21,14 mit 22,3; 21,17 mit 22,11; 21,19 mit 22,13 und dazu Blum, Komposition, 314 und 330. 79 T. Veijola, Das Opfer des Abraham – Paradigma des Glaubens aus dem nachexilischen Zeitalter, ZThK 85 (1988) 150 ff., weist darüber hinaus auf die Vorstellung von der Prüfung eines Einzelmenschen (sonst nur noch in 2 Chr 32,31), auf Morija (2 Chr 3,1) u. a. hin. 80 Zur ursprünglichen Verbindung beider Teile s. schon Gunkel, Genesis, 233. 81 Zum Verständnis des Textes s. bes. L. Schmidt, „De Deo“. Studien zur Literarkritik und Theologie des Buches Jona, des Gesprächs zwischen Abraham und Jhwh in Gen 18,22 ff. und von Hi 1 (BZAW 143), Berlin 1976, 143 f. 82 Die nach-dtr. geistige Welt des Stückes erhellt schon der Konkordanzbefund (s. Köckert, Vätergott, 180–183), vor allem zu „Tun von Gerechtigkeit und Recht“ und „den Weg Jhwhs bewahren“.
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Die ausufernde Erzählung Gen 24 hat in den V. 5–7 schon 11,27 ff. und 12,1 im Rücken. Sie ist ganz von der Bewahrung des Exogamieverbots geprägt (V. 2–4). Übergeordnet ist ihm allerdings das Gebot, im Lande zu bleiben, wie der Knecht auf seine Rückfrage in V. 5–8 erfährt. Gen 24 vertritt also die Gegenposition zu Gen 20. Die in der Frage des Knechts formulierte Alternative hatte einen Lebensbezug erst, nachdem es eine Diaspora mit Anziehungskraft gab. Schon deshalb muss man mit der Ansetzung weit in die Perserzeit hinuntergehen. A. Rofé hat m. E. überzeugend die nachexilische Herkunft dieser Erzählung begründet und darüber hinaus zeigen können, dass sie Gen 17 aufgreift. In 24,40 zitiert der Knecht Abraham mit den Worten: „… der Herr, vor dem ich wandle …“ Das findet sich im Buche Genesis nur noch in der Gottesrede 17,1: „Wandle vor mir und sei untadelig!“83 Abraham erscheint in Gen 24 als Vorbild wahrer Frömmigkeit. Gen 15 ist zu Beginn auf Kap. 14 abgestimmt84 und schon deshalb kein Kandidat für ältere Überlieferung.85 Die Frage der literarischen Einordnung von Gen 15 entscheidet sich an seinem Verhältnis zu Gen 17 und zur Priesterschrift. Schon länger hat man auf die thematischen Beziehungen zwischen beiden ‚Bundesschlüssen‘ hingewiesen. Doch derlei beweist bei gleichem Stoff wenig. Belastbarer dürfte die Argumentation mit der Selbstprädikation Gottes in 15,7 sein: „Ich bin Jhwh, der dich herausgeführt hat aus Ur-Kasdim, um dir dieses Land zu geben.“ Mit Ur-Kasdim nimmt sie 11,28 auf. Der gesamte Vers kombiniert den Dekalogvorspruch Ex 20,2 mit Lev 25,38 und Gen 11,28. Das spricht m. E. dafür, nicht nur den Geschichtsvorblick in V. (11).13–1686, sondern das gesamte Stück als nach-priesterlich zu beurteilen.87 Hat man jedoch Gen 15 bewusst dem programmatischen Kap. 17 vorangestellt, dann doch wohl in korrigierender Absicht: Dem verzweifelten Lachen Abrahams in 17,17 stellt 15,6 den Glauben des Ahn entgegen.88 Auch die Gen 15 durchweg bewegende Frage, wer mit Recht 83 Vgl. auch 24,3b mit 28,6b.8 und zum ganzen A. Rofé, An Enquiry into the Betrothal of Rebekah, in: E. Blum u. a. (Hg.), Die Hebräische Bibel und ihre zweifache Nachgeschichte. FS R. Rendtorff, Neukirchen-Vluyn 1990, 27–39. 84 Nachdem Abraham in 14,21 ff. auf seinen Lohn verzichtet hat, erhält er in 15,1a zugesagt: „… dein Lohn ist sehr groß.“ Die Selbstvorstellung „Ich bin dein Schild …“ spielt auf 14,20 an. Die Zahl der Knechte Abrahams in 14,14 stimmt mit dem Zahlenwert der Buchstaben des Namens „Elieser“ in 15,2 überein. Zu den Bezügen auf Gen 14 und 17 in Gen 15 s. T. Römer, Genesis 15 und 17, DBAT 26 (1989/90) 32–47; ders., Recherches, 205 ff., allerdings überzeugen m. E. nicht alle angeführten Sachverhalte. 85 Köckert, Vätergott, 204–247. [Zu Gen 15 s. jetzt Nr. 4 in diesem Bd.] 86 J. C. Gertz, Abraham, Mose und der Exodus. Beobachtungen zur Redaktionsgeschichte von Gen 15, in: J. C. Gertz u. a. (Hg.), Abschied vom Jahwisten (BZAW 315), Berlin 2002, 63–82. 87 S. auch K. Schmid, Erzväter und Exodus. Untersuchungen zur doppelten Begründung der Ursprünge Israels innerhalb der Geschichtsbücher des AT (WMANT 81), NeukirchenVluyn 1999, 172–186. 88 So schon B. D. Eerdmans, Alttestamentliche Studien I. Die Komposition der Genesis, Gießen 1908, 39.
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Abrahams Erbe ist, zeigt den Abstand zu Gen 17 an. Gen 15 gehört in jedem Fall zu den jüngsten Stücken der Abrahamüberlieferung. * Dieser Geschwindmarsch durch die Abrahamüberlieferung in der Genesis hat mehr Hypothetisches als Sicheres zu Tage gefördert. Das ist gewiss bedauerlich, aber einer Zunft nicht ganz unsachgemäß, die darum weiß, dass sie bestenfalls „vor dem Herrrn wandelt“, aber noch nicht bei ihm ist. Zwei Einsichten haben sich bei mir jedoch gefestigt: (1) Nicht nur die einzelnen Erzählkreise von Abraham, Isaak und Jakob hatten ein längeres literarisches Eigenleben (wie bei Jakob) oder ein kürzeres (wie bei Abraham). Vielmehr stellt die Väterüberlieferung selbst eine literarisch eigenständige Ursprungsgeschichte Israels neben der Exodusüberlieferung dar. Diese schon bei W. Staerk und K. Galling angelegte Sicht ist vor allem von A. de Pury, T. Römer und zuletzt von K. Schmid stärker ausgearbeitet worden.89 (2) Die Befunde in der nicht-priesterlichen Abrahamüberlieferung legen eher ein Fortschreibungsmodell nahe als das paralleler Urkunden oder Quellen. Das haben vor allem E. Blum und – auf andere Weise – R. G. Kratz gezeigt.90 Dabei dürften wesentlich mehr Texte im Zuge der Einarbeitung in die Priesterschrift und danach entstanden sein, als bisher angenommen.91 Nachtrag: Inzwischen habe ich meine oben noch vertretene nach-priesterliche Ansetzung von Gen 12,1–4 und den damit zusammenhängenden Texten der vereinigten Vätergeschichte aufgrund einer genaueren Analyse von 11,27–13,18 revidiert (s. u. Nr. 16). Gegen die oben vorgetragene Sicht hat zuletzt N. Naʾaman eine konsequente Spätdatierung der Abrahamerzählung vertreten (The Pre-Priestly Abraham Story as a Unified Exilic Work, SJOT 29 [2015] 157–181). Sein Ergebnis, die vor-priesterliche Abrahamerzählung sei „originally a unified and coherent composition“ (177), überzeugt mich angesichts der zahlreichen Inkohärenzen der Großerzählung nicht, solange das textanalytische Fundament dafür fehlt. Seine Beobachtungen zur vereinigten Vätergeschichte als 89 W. Staerk, Studien zur Religions- und Sprachgeschichte des Alten Testaments, I. und II. Heft, Berlin 1899, 27 ff., 46 ff.; K. Galling, Die Erwählungstraditionen Israels, Gießen 1928; A. de Pury, La tradition patriarcale en Genèse 12–35, in: Ders. (Hg.), Le pentateuque en question, Genf 1989, 259–270; ders., Le cycle de Jacob comme lègende autonome des origines d’Israel, in: J. A. Emerton (Hg.), Congress Volume Leuven 1989 (VT.S 43), Leiden 1991, 78–96; Römer, Väter, 568–575, u. ö.; Schmid, Erzväter. – Ob die literarische Selbständigkeit beider Ursprungsgeschichten im Pentateuch auch Konkurrenz bedeuten muss, ist mir jedoch so sicher nicht. Man sehe nur das im Staatskult des Nordreichs gepflegte Exodusbekenntnis neben der gleichfalls im Norden beheimateten Jakobüberlieferung. 90 Blum, Komposition, und Kratz, Komposition, 249–304. 91 Vgl. das recht umfangreiche Gut in der Abrahamüberlieferung, das C. Levin der Endredaktion zuweist oder als „nachendredaktionelle Ergänzungen“ bezeichnet (Der Jahwist, [FRLANT 157], Göttingen 1993, 141–196).
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einer „story composed around the mid-sixth century“ treffen sich bis zu einem gewissen Grad mit den oben genannten Überlegungen (vgl. auch Nr. 16). Sein Referat meiner Ansetzung der vereinigten Vätergeschichte in vorexilische Zeit (S. 160) beruht wohl auf einem Missverständnis aufgrund der falschen Zusammenfassung meines Aufsatzes im Editorial von T. Römer (HEBAI 3 [2014] 2). Der Kritik Naʾamans an der Herkunft von Gen 16 aus der Königszeit (S. 162–163) stimme ich zu (s. u. Nr. 7).
3. Abraham: Ahnvater, Fremdling, Weiser Lesarten der Bibel in Gen 12, Gen 20 und Qumran Wer war Abraham? Sohn Terachs, Bruder Nahors und Harans und Ehemann Saras (Gen 11,27–32), Vater Isaaks und Ismaels (Gen 18 und 16), Großvater Jakobs und Esaus (Gen 25), Onkel Lots und deshalb Verwandter Moabs und Ammons (Gen 19) – so wird er uns vorgestellt im ersten Buch der Bibel, Genesis genannt. Sie führt ihn damit nicht nur als Ahnvater aller Juden ein, sondern setzt ihn in unterschiedliche Verwandtschaftsbeziehungen zu fast allen neuen Völkerschaften, die an der Wende vom zweiten zum ersten Jahrtausend v. Chr. auf der syrisch-palästinischen Landbrücke die Bühne der Geschichte betreten. So sind über den Sohn Isaak die Edomiter (25,21–28) und über Abrahams Nebenfrauen Hagar und Ketura die protoarabischen Stämme im Südosten mit Abraham verwandt, während über den Neffen Lot die Moabiter und Ammoniter im Osten und über den Bruder Nahor die Aramäer im Norden (22,20–24) eingebunden werden. Lediglich die Philister in der Küstenebene im Südwesten Palästinas fallen aus diesem verwandtschaftlichen System heraus. Sie sind für jene Erzähler Fremde wie die viel älteren Ägypter im Süden oder die Phönizier im Nordwesten. Schon die verzweigten Genealogien zeigen, dass die Überlieferungen von den Vätern nicht so sehr die Schicksale von Individuen als vielmehr die Ursprungsgeschichten von Völkern erzählen.1 Völkergeschichte erscheint in der Gestalt von Familiengeschichte, weil ein genealogisch strukturiertes Denken den Ursprung eines Volkes nicht anders als in Geschichten von den Ahneltern zu erzählen vermag. In seinen Ahnen ist das Volk präsent. Ihr Schicksal ist das seine. So fundamental diese völkergeschichtliche Bedeutung Abrahams für die Überlieferung von ihm ist, so wenig genügen die genealogischen Beziehungen, um Abraham als biblische Erzählfigur zu erfassen. Viel weiß die Bibel von Abraham zu erzählen. Jes 41,8 tröstet die nach Babel deportierten Nachfahren mit der Erinnerung an den Ahn, der als „Freund Gottes“ gilt. Ps 105,6.42 preist ihn als „Gottesknecht“, ein Ehrenprädikat, das nur Großen wie Mose und David beigelegt wird. Gen 20 wirft ihm den Prophetenmantel über, und Gen 18 betraut ihn gar mit einem Lehramt weit vor des Moses und erst recht des Papstes Tagen. 1
S. dazu E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte (WMANT 57), Neukirchen-Vluyn 1984, 479–491.
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Die Texte pflegen jedoch nicht nur den hohen Ton, sie kennen Abraham auch auf der ganzen Skala des Menschlich-Allzumenschlichen, sogar des Befremdlichen. Er gilt einerseits als exemplarischer Besitzer des Landes Kanaan, so dass die Jerusalemer, die nach der ersten Deportation 597 v. Chr. um ihren Grundbesitz bangen, daraus ihren Honig saugen: „Abraham war ein Einzelner und besaß das Land; wir aber sind viele, uns gehört das Land erst recht!“ – so lautet deren Parole, die Ez 33,24 zitiert. Auf der anderen Seite schildert ihn Gen 20 als heimatlosen Immigranten. Er erscheint – jedenfalls auf den ersten Blick – als egoistischer Schlauberger, der seine Frau preisgibt, um seine eigene Haut zu retten (Gen 12). Anderseits hat er sich Gott so sehr ergeben, dass er bereit ist, Gottes Befehl zu gehorchen und seinen Sohn zu opfern (Gen 22). Andernorts aber macht er sich beim Richter der Welt zum Anwalt Sodoms, jener Stadt sprichwörtlicher Verworfenheit, und klagt für sie Gottes Gerechtigkeit ein (Gen 18,22b–33a). Das alles und noch viel mehr ist Abraham in der Bibel. Aber er ist das nicht gleichzeitig. Welches der vielen Bilder von Abraham ist das richtige? Diese Frage geht ins Leere; denn sie alle sind richtig und wahr in ihrer je eigenen Überlieferungssituation. Die aber ändert sich im Wandel der Zeiten mit den Erzählern und ihren Adressaten. Der Vater Abraham ist schon in der Bibel selbst Gegenstand von Rezeption. Die Rezeptionsgeschichte Abrahams beginnt nicht erst in Kunst2 und Kultur der Neuzeit, auch nicht in der langen Predigttradition der christlichen Kirchen, noch nicht einmal im Neuen Testament3 oder im antiken Judentum4, sondern schon in der Literargeschichte des Alten Testaments.5 Die aber stellt nicht nur eine „Lesart“ bereit. Hier kann nur eine kleine Auslese solcher „Lesarten innerhalb der Bibel“ vorgeführt werden. Dazu werfe ich zunächst einen kurzen Blick auf die Abrahamüberlieferung der Genesis als Ganze. Sodann greife ich als Beispiel eine Erzählung heraus, die in der Forschung unter dem nicht sonderlich ansprechenden Titel „Gefährdung der Ahnfrau“ häufiger verhandelt worden ist. Sie ist als Fallstudie besonders geeignet, weil sie in verschiedenen Variationen innerhalb und außerhalb der Bibel begegnet. Davon werde ich die Fassungen in Gen 12, in Gen 20 und im sogenannten Genesis Apokryphon aus Qumran behandeln, um an diesen Beispielen Literargeschichte als innerbiblische Rezeptionsgeschichte zu würdigen. Abschließend beantworte ich die Frage, was wir über Abraham historisch wissen, so kurz wie unbefriedigend. 2 Gute Einblicke gewähren E. Lucchesi Palli, Art. Abraham, Lexikon der christlichen Ikonographie 1 (1968) 20–35; H. M. von Erffa, Ikonologie der Genesis. Die christlichen Bildthemen aus dem Alten Testament und ihre Quellen, 2 Bde., München 1989/1995. 3 F. E. Wieser, Die Abraham-Vorstellungen im Neuen Testament, Bern 1987. 4 G. Vermes, Scripture and Tradition in Judaism, Leiden 31983, 67–126. 5 Darüber informieren die einschlägigen „Einleitungen“, zuletzt E. Zenger u. a., Einleitung in das Alte Testament (Studienbücher Theologie, Bd. 1,1), Stuttgart 52004.
3. Abraham: Ahnvater, Fremdling, Weiser
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1. Die Abrahamüberlieferung als Ganze Die Abrahamüberlieferung erscheint jetzt als erster Teil der Überlieferung von den Erzvätern, die das Buch Genesis fast ganz ausfüllt (Gen 12–36). Ihr geht die sogenannte Urgeschichte voraus (Gen 1–11). Sie erzählt von dem, was alle Menschen immerdar angeht, auch wenn sie weder Adam noch Eva heißen und keine Schlange reden hören. Die Vätergeschichte (Gen 12–36) handelt dagegen nur noch vom Ursprung des einen Volkes Israel in seinen Ahnen. Ihr folgt die Josephsgeschichte (Gen 37–50), die davon erzählt, wie Israels Ahnen nach Ägypten kommen und dort zu einem großen Volk werden. Insofern bildet sie die erzählerische Brücke, welche die Vätergeschichte mit jener Großerzählung verbindet, die vom Exodus aus Ägypten bis zum Eisodus ins gelobte Land reicht, also die Bücher Exodus bis Josua umfasst. Auch bei ihr handelt es sich um eine Ursprungsgeschichte, allerdings mit einer konkurrierenden Konzeption6: Während die Vätergeschichte wesentlich ein Israel im Lande begründet, kommt das Exodus-Israel von außen. Das Erzväter-Israel repräsentiert die nach dem Untergang des Nordreichs Israel 720 und Judas 587 v. Chr. im Lande Verbliebenen, das Exodus-Israel dagegen die Exilierten in Babylonien und anderswo. Die Väterüberlieferungen umfassen die Erzählungen von Abraham, Isaak und Jakob mit deren Frauen und Kindern. Von Abraham erzählen Gen 11,27–25,11, von Jakob die Kapitel 25 sowie 27–35. Isaak bildet die Brücke zwischen beiden; denn er gilt als Sohn Abrahams und als Vater Jakobs. Ein größerer Erzählkreis ist ihm jedoch nicht gewidmet. Lediglich Gen 26 bietet eine Komposition verschiedener Szenen, in denen Isaak die Hauptrolle spielt. Die drei Ahnväter sind mehrfach miteinander verbunden. Eine Verbindung bildet die genealogische Abfolge vom Vater zum Sohn und von dem wiederum zum Enkel. Eine weitere Verbindung knüpfen mehrere Gottesreden, die zahlreiche Nachkommen und Landbesitz in Aussicht stellen und gleichsam einen roten Faden ins Labyrinth der zahlreichen Texte legen.7 Diese Verheißungen binden die zahlreichen Erzählungen und Szenen in zwei Spannungsbögen ein. Den einen Bogen spannt die Frage, wie aus dem kinderlosen Abraham der Ahnvater eines großen Volkes werde (11,30; 12,1–3; 13,14–18; 15,1–6). Der andere Bogen erwächst aus der Frage nach der Bleibe für die Nachfahren des heimatlosen Ahn (12,1.7; 13,14–18; 15,18). Beide Fragen sind von Anfang an so miteinander verknüpft, dass das Land den Nachkommen zugesprochen wird; denn auch die feierlichste Verheißung müsste eine sinnlose Gabe bleiben, wenn der 6 Zur literargeschichtlichen Selbständigkeit beider Ursprungsgeschichten s. zuletzt K. Schmid, Erzväter und Exodus. Untersuchungen zur doppelten Begründung der Ursprünge Israels innerhalb der Geschichtsbücher des Alten Testaments (WMANT 81), Neukirchen-Vluyn 1999. 7 M. Köckert, Vätergott und Väterverheißungen. Eine Auseinandersetzung mit Albrecht Alt und seinen Erben (FRLANT 142), Göttingen 1988, 198–299 und 316–323.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Ahn kinderlos stürbe. Noch in Gen 15 erwidert Abraham seinem Gott, der ihm großen Lohn in Aussicht stellt: „Was willst du mir geben, wo ich doch kinderlos dahingehe!“ Lange Zeit gibt es keine Nachkommen, dann aber stellt sich angesichts mehrerer Kandidaten die Frage, wer überhaupt legitimer Erbe Abrahams sei, dem „dieses Land“ – wie es stets heißt – mit Recht zukommt. Obwohl die den Nachkommen geltende Verheißung des Landbesitzes alles zusammenbindet, macht die Abrahamüberlieferung einen eigentümlich episodischen Eindruck. Die einzelnen Stücke sind allermeist nur locker miteinander verbunden, oft sogar nur nebeneinandergestellt und lediglich durch ‚literarische Wanderungen‘ verknüpft. Der geographische Aufriss gliedert sie in drei Teile. Im ersten Teil (11,27–19,38) kommt Abraham von Südmesopotamien über Harran im Norden ins Land Kanaan. Schließlich lässt er sich in Hebron nieder. Der zweite Teil (20,1–22,19) führt ihn nach Beerscheba, einen Ort am Südrand Palästinas, an dem später sein Sohn Isaak wohnen wird. Die Szenen des dritten Teils (22,20–25,11) spielen wieder in der Flur von Hebron. Der zweite Teil enthält überwiegend Erzählungen, die sich – leicht variiert – schon im ersten Teil oder bei Isaak finden.8 Da die Dubletten in Gen 20–22 mehrere Eigentümlichkeiten teilen, könnte man sie zu den Erweiterungen der Abrahamerzählung in einer stark veränderten und vermehrten Neuauflage rechnen. Der älteste Kern der Abrahamüberlieferung findet sich im ersten Teil. Es handelt sich um die mehrteilige Abraham-Lot-Erzählung.9 Sie erzählt, wie der kinderlose Abraham nach Hebron und Lot nach Sodom kommen (Gen 13*), wie sie unerkannt Himmlische aufnehmen und bewirten10 und welch überraschende Gastgeschenke sie dafür erhalten: Abraham die Ankündigung der Geburt eines Sohnes für Sara (18,9–15), was auf die Geburt Isaaks in 21,1–7* verweist, Lot die Rettung der Familie aus dem Gottesgericht über Sodom (19,12–29*), was zum Inzest der Töchter Lots führt (19,30–38). Zwar ist der Anfang jener Erzählkomposition jetzt durch das wesentlich jüngere Kapitel Gen 12 ersetzt worden, doch lässt sich ihre Intention noch gut erkennen. Sie zielt auf die Geburt der Kinder und damit auf die durch sie repräsentierten Völker. Während die Geburt Isaaks lachen lässt, wie schon der Name sagt (vgl. 21,611), gründet der Ursprung Moabs und Ammons in Blutschande (19,30–38). Die Abraham-Lot-Erzählung stammt noch aus der Königszeit, vielleicht aus dem 8./7. Jh. v. Chr., und klärt auf drastische Weise das Verhältnis Judas zu seinen östlichen Nachbarn. 8
Vgl. 20,1–18 mit 12,10–20; 26,1–11; vgl. 21,8–21 mit 16,1–16; vgl. 21,22–34 mit 26,12–33. H. Gunkel, Genesis (HK 1/1), Göttingen 31910, 159 ff., spricht von „AbrahamLot-Sagenkranz“, doch hebt Blum, Komposition, mit der veränderten Bezeichnung den im wesentlichen einheitlich konzipierten Charakter der Komposition hervor (S. 273–289). 10 Abraham am Mittag vor seinem Zelt unter einem Baum (18,1–8), Lot am Abend vor dem Stadttor (19,1–11). 11 Der Personenname Isaak bedeutet nach den Regeln semitischer Namengebung „er (= El/ Gott) lacht“. Sara deutet ihn in 21,6 volksetymologisch mit den zwei Sätzen: „Ein Lachen hat mir Gott bereitet; jeder, der es hört wird über mich (oder: zu mir hin) lachen.“ 9 Schon
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Dieser ältere Kern ist im Laufe der Literargeschichte mehrfach erweitert, mit der Jakoberzählung verknüpft und in neue Zusammenhänge gestellt worden. Eine tiefgreifende Umdeutung erfuhr die Abrahamüberlieferung, als man den ursprünglichen Eingang in die Abraham-Lot-Erzählung durch Gen 12 ersetzt und damit ein neues Portal für die Vätererzählungen insgesamt geschaffen hat.12 Dazu gehört auch die Erzählung 12,10–13,1. Sie fungiert als Lesebrille, durch die wir die ältere Abrahamüberlieferung neu wahrnehmen.
2. Gen 12,10–13,1: Abraham in Ägypten und der Exodus Isarels (1) Wie liest und deutet diese Erzählung die ältere Abrahamüberlieferung? Die Substanz der Erzählung begegnet in der Bibel in drei Varianten, zweimal mit Abraham und Sara als Hauptpersonen (Gen 12 in Ägypten, Gen 20 in Gerar), einmal mit Isaak und Rebekka (Gen 26 wiederum in Gerar). Stets lässt sich der Ahn mit seiner Frau in der Fremde nieder. Stets gibt er aus Furcht seine Ehefrau als Schwester aus. Darauf gerät die Ahnfrau in den Harem des fremden Königs (anders 26,10). Erst Gottes Eingreifen löst die Verwicklung (anders in Gen 26). Die zahlreichen Gemeinsamkeiten bei teilweise wörtlichen Übereinstimmungen schließen eine unabhängige Entstehung aus. Sie erklären sich entweder daraus, dass die drei Versionen eine Urgestalt kannten, die sie variiert haben, oder dass die verschiedenen Fassungen von einander literarisch abhängen. Strittig ist gegenwärtig, ob es sich um eine rein literarische Abhängigkeit handelt13 und welche Version die älteste ist oder der ursprünglichen Gestalt am nächsten steht.14 Da über die angedeuteten Alternativen mehrere Kombinationen möglich sind und man außerdem auch mit späteren Angleichungen der Fassungen rechnen 12 Man kann den literarischen Horizont an den zahlreichen Verweisen in den großen Gottesreden erkennen, die geradezu ein Netzwerk im Buch Genesis bilden. Mit dem „großen Volk“ von 12,2 hängt 46,2 zusammen und der „große Namen“ auch mit 11,4. Gen 12,1 wird in 13,14–18 eingelöst. Mit 13,14–18 aber sind 28,13–14 aufs engste verbunden usw. Einzelheiten dazu bei Köckert, Vätergott, 250 ff., 318 ff. 13 So bes. nachdrücklich J. v. Seters, Abraham in History and Tradition, New Haven/ London 1975, 167–191, gegen C. Westermann, Genesis II (BK I/2), Neukirchen-Vluyn 1978, 185–196, u. v.a. 14 Gen 26* als älteste Gestalt vermuten J. Wellhausen, Prolegomena zur Geschichte Israels, Berlin 61927, 317; M. Noth, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart 1948, 115 f.; P. Weimar, Untersuchungen zur Redaktionsgeschichte des Pentateuch (BZAW 146), Berlin 1977, 103 f.; C. Levin, Der Jahwist (FRLANT 157), Göttingen 1993, 173; L. Schmidt, Zur Entstehung des Pentateuch, VF 40 (1995) 3–28, bes. 22; u. v.a., für Gen 12,10–20 argumentieren Gunkel, Genesis, 225 f.; G. v. R ad, Das erste Buch Mose. Genesis (ATD 2–4), Göttingen 91972, 128; v. Seters, Abraham, 171 ff.; Westermann, Genesis, 391 ff.; Blum, Komposition, 406 f.; u. v.a.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
muss, ist die Diskussionslage durchaus noch komplizierter, nicht aber für unsere Frage; denn Einigkeit besteht darin, dass in jedem Fall Gen 20 literarisch von Gen 12 abhängt, mithin als jüngere Version gelten muss. Nach Meinung vieler stellt Gen 12,10–20 das Musterstück einer antiken Volkserzählung dar. Mit ihr hat schon H. Gunkel die epischen Gesetze der Volksdichtung illustriert.15 Der Erzähler macht keine überflüssigen Worte, sondern fasst sich kurz und bündig. Das Stück ist wohl disponiert, und seine Teile sind – jedenfalls auf den ersten Blick – auch klar motiviert. Gen 12,10–20 gilt deshalb allenthalben als eine Perle althebräischer Erzählkunst. Und doch fällt es nicht leicht, die Pointe dieser knappen Erzählung zu benennen. Man kann das schon an den weit auseinander liegenden Überschriften in den verschiedenen Bibelausgaben und Aufsatztiteln über diesen Text sehen. Beliebt ist der Titel „Gefährdung der Ahnfrau“.16 Aber die Erzählung selbst spricht nur die Gefährdung des Ahnvaters aus, der in V. 12 um sein eigenes Leben bangt, nicht um das seiner Frau. Ganz und gar ungeeignet sind Kennzeichnungen wie „ein Sündenfall Abrahams“17 oder „die Flucht eines Berufenen“18. Die eine Überschrift trägt der Erzählung völlig fremde Kategorien ein und moralisiert, obwohl der Erzähler jede Wertung vermeidet. Die andere gewinnt ihre Deutung nicht aus der Erzählung selbst, sondern aus dem Kontext. Da liegen die Titel „Jahwe und die verratene Frau“19 oder „Preisgabe und Rettung Saras“20 näher am Text. Angesichts der Fülle der Angebote tut die Lutherbibel wohl daran, rein formal zu bleiben: „Abraham und Sarai in Ägypten“.21 Damit können wir freilich wenig anfangen. (2) Wie stets nähern wir uns dem Gehalt auch hier am besten über seine Gestalt. 15 Gunkel, Genesis, S. XXXI–LI, nimmt A. Olrik, Epische Gesetze der Volksdichtung, Zeitschrift für Deutsches Altertum und Deutsche Literatur 51 (1909) 1–12, auf. 16 W. Zimmerli, 1. Mose 12–25: Abraham (ZBK), Zürich 1976, 24; Weimar, Untersuchungen, 5–107; Westermann, Genesis, 185 ff. 17 W. Berg, Nochmals: Ein Sündenfall Abrahams – der erste – in Gen 12,10–20, BN 21 (1983) 7–15. 18 O. Wahl, Die Flucht eines Berufenen (Gen 12,10–20), in: M. Görg (Hg.), Die Väter Israels. Beiträge zur Theologie der Patriarchenüberlieferungen im AT, FS Josef Scharbert, Stuttgart 1989, 343–360. 19 F. Crüsemann, „… er aber soll dein Herr sein“ (Genesis 3,16). Die Frau in der patriarchalischen Welt des Alten Testamentes, in: F. Crüsemann/H . Thyen, Als Mann und Frau geschaffen. Exegetische Studien zur Rolle der Frau (Kennzeichen 2), Gelnhausen 1978, 13–107, bes. 71. 20 I. Fischer, Die Erzeltern Israels. Feministisch-theologische Studien zu Genesis 12–36 (BZAW 222), Berlin 1994, 119–136. 21 So auch die Kommentare von v. R ad, Das erste Buch Mose (ATD), 127; L. Ruppert, Genesis. Ein kritischer und theologischer Kommentar, 2. Teilband: Gen 11,27–25,18 (FzB 98), Würzburg 2002, 129 ff.
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10Es
war eine Hungersnot im Lande. Da zog Abram22 nach Ägypten hinab, um dort als Fremdling zu leben; denn die Hungersnot lastete schwer auf dem Lande. 11Als er nahe daran war, Ägypten zu betreten, sprach er zu Sarai, seiner Frau: „Sieh’ doch, ich weiß, dass du eine Frau von schönem Aussehen bist. 12Wenn dich nun die Ägypter sehen, werden sie denken, seine Frau ist sie, und werden mich erschlagen, dich aber am Leben lassen. 13Sage doch, du seiest meine Schwester, damit es mir gut gehe um deinetwillen und ich deinetwegen am Leben bleibe.“ 14Als nun Abram nach Ägypten kam, sahen die Ägypter die Frau, dass sie sehr schön war. 15Es sahen sie die Höflinge des Pharao und priesen sie dem Pharao, so dass die Frau in den Palast des Pharao genommen wurde. 16Dem Abram aber erwies er Gutes um ihretwillen, und er hatte Kleinvieh, Rinder und Esel, [Knechte und Mägde,]23 Eselinnen und Kamele. 17Da
schlug Jhwh24 den Pharao mit großen Schlägen [und sein Haus] wegen Sarai, der Frau Abrams. 18Da ließ der Pharao den Abram rufen und sprach: „Was hast du mir da angetan?! Warum hast du mir nicht gemeldet, dass sie deine Frau ist? 19Warum hast du gesagt, meine Schwester ist sie, so dass ich sie mir zur Frau nahm? Nun denn: Da ist deine Frau, nimm (sie) und geh!“ 20Und der Pharao beorderte ihm Männer, die geleiteten ihn und seine Frau und alles, was er hatte. 13 1So zog Abram (wieder) aus Ägypten herauf, er und seine Frau und alles, was er hatte, [und Lot mit ihm] in den Negeb. 22 Die Schreibung „Abram“ statt Abraham und „Sarai“ statt Sara vor Gen 17,5.15 hängt mit den dort erfolgten Umbenennungen und den entsprechenden Deutungen durch die Priesterschrift zusammen. 23 Bei den in eckige Klammern gesetzten Stücken handelt es sich um Zusätze. In V. 16 treten die „Knechte und Mägde“ störend zwischen die „Esel und Eselinnen“ und sind vielleicht aus 20,14 nachgetragen. Der Zusatz „und sein Haus“ in V. 17 ist hier funktionslos, nicht aber in 20,18. Lot erscheint in der gesamten Erzählung nicht, gehört aber in Gen 13 zur Substanz der Erzählung; der Nachtrag „und Lot mit ihm“ glättet den Übergang. 24 Die Konsonanten y-h-w-h bezeichnen in der hebräischen Bibel den Gottesnamen, der im Judentum nicht ausgesprochen, sondern mit den Vokalen für „mein HERR“ (adonay) versehen und auf diese (und andere) Weise umschrieben wird.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Die Erzählung steigt aus der Ruhe auf und kommt am Ende wieder zur Ruhe. Der Anfang nennt zwei Mal die Hungersnot (V. 10), die Abraham nach Ägypten führt und alles Weitere auslöst. Am Ende verlässt Abraham Ägypten als schwer reicher Mann „mit allem, was er hatte“, wie der Erzähler in 12,20 und 13,1 gleich doppelt vermerkt. Am Anfang zieht Abraham nach Ägypten hinab, am Ende steigt er von dort wieder herauf. Der Erzähler formuliert also aus palästinischer Perspektive. Dieser kunstvoll aufeinander bezogene Rahmen umschließt drei Szenen im Wechsel von Rede (V. 11–13), Handlung (V. 14–16) und wiederum Rede (V. 17–19). Wechsel der Personen und der Schauplätze grenzen die Szenen ab und bringen sie zugleich in ein dramatisches Gefälle. Die erste Szene spielt auf dem Wege nach Ägypten. Unmittelbar vor Grenzübertritt enthüllt Abraham seine Befürchtungen und entwickelt einen Plan (V. 11–13). Die zweite Szene zeigt das Ahnpaar bereits in Ägypten. Dann überstürzen sich die Ereignisse: Die Ägypter sehen die Schönheit Saras, die Höflinge preisen sie dem Pharao, der aber „nimmt“ sie – in des Wortes mehrfacher Bedeutung25 (V. 14–16). Die dritte Szene spielt offenbar im Palast. Der Pharao stellt Abraham zur Rede (V. 17–19). Beide Reden bleiben ohne Reaktionen bei den Angesprochenen. Weder äußert sich Sara zu dem Ansinnen ihres Mannes, noch nimmt Abraham Stellung zu den Vorwürfen des ägyptischen Königs. Zwar kann man diese Leerstellen spekulativ ausfüllen und Tauchversuche in das Seelenleben der Akteure unternehmen. Dabei lernt man bestenfalls sich selber kennen, erfährt aber nichts über die Absichten der Erzählung. Deren Interessen liegen jedenfalls dort nicht. Die drei Szenen sind fast vollständig miteinander verzahnt.26 Lediglich V. 17 steht für sich und ist dadurch besonders herausgehoben. Hier findet der entscheidende Umschwung statt. V. 17 bildet die Peripetie der Erzählung. Die Schläge, mit denen Jhwh, der Gott Israels, den Pharao „wegen Sara“ schlägt, machen aus dem Normalfall ‚Frau im Harem‘ einen Problemfall für den Pharao. Sechs Verse brauchte der Erzähler, um Abraham trotz einer Hungersnot zum reichen Mann – wenn auch „auf Kosten“ seiner Frau27 – zu machen; vier hebräische Worte verfügen die Ausweisung: „Das ist deine Frau, nimm [sie] und geh!“ 25 Vgl. etwa das „Nehmen“ einer Frau zur Ehe (Gen 11,29; 20,2 f.; 24,3 f.), aber auch vor oder unabhängig von der Eheschließung (Gen 34,2; 2 Sam 11,4; Dtn 20,7), mit „nehmen“ im Sinne von „(gewaltsam oder unrechtmäßig) an sich bringen“ (Gen 31,34; 27,35 f.) oder mit „wegnehmen“ (Gen 30,15 usw.). 26 Siehe Saras Schönheit (V. 11/14), Abrahams Wohlergehen um Saras willen (V. 13/16), Pharao nimmt Sara (V. 15/19), Sara als Abrahams (Ehe-)Frau (V. 12/18), Sara als Abrahams Schwester ausgegeben (V. 13/19). 27 So Crüsemann, Herr, 74 f., der die oben mit „um deinet-“ bzw. „um ihretwillen“ übersetzte Präposition in V. 13.16 von V. 16 und von Am 2,6; 8,6 her deutet.
3. Abraham: Ahnvater, Fremdling, Weiser
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(3) Drei Bögen werden durch Notlagen gespannt. Wir lesen zunächst von einer Hungersnot, die jene Reise nach Ägypten überhaupt erst veranlasst. Aber vom Ende des Hungers im Lande Kanaan erfahren wir nichts. Offenbar dient das Motiv Hungersnot allein dazu, den Zug nach Ägypten literarisch zu motivieren. Nicht die Hungersnot und deren Bewältigung beanspruchen das Interesse des Erzählers, sondern der Aufenthalt des Ahnpaares in Ägypten.28 Dass man bei einer Hungersnot in Palästina nach Ägypten zieht, entspricht den natürlichen klimatischen Gegebenheiten. Fällt der Regen aus, kann Ägypten immer noch auf reiche Ernten hoffen, weil die Nilüberschwemmungen nicht vom Regen in Palästina abhängen. Mehrere Nachrichten aus dem Alten Ägypten berichten davon: Asiaten, … ihre Länder darben, sie leben wie das Wild der Wüste … Einige Asiaten, die nicht wussten, wie sie am Leben bleiben sollten, sind gekommen …29
Im Brief eines Grenzbeamten an seinen Vorgesetzten aus der Zeit Sethos II. mit dem Beinamen Merneptah (um 1192 v. Chr.) lesen wir: Eine andere Mitteilung für meinen Herrn: Wir sind damit fertig geworden, die Schasustämme von Edom durch die Festung des Merneptah in Teku passieren zu lassen, … um sie und ihr Vieh durch den guten Willen des Pharao, der guten Sonne eines jeden Landes, am Leben zu erhalten, im Jahre 8, am Tage der Geburt des Seth …30
Derlei war nichts Einmaliges, sondern typisch. Es verwundert deshalb nicht, dass wir auch in der Bibel mehrfach davon hören. So ziehen die Söhne Jakobs nach Ägypten, um Getreide zu kaufen, weil sie in Kanaan Hunger leiden (Gen 41,57; 43,1; 47,4). Der Erzähler greift in Gen 12 das Motiv auf und gibt damit seiner Geschichte das passende lokale Kolorit. Eine substantielle Bedeutung hat das für die Erzählhandlung kaum. Anders steht es mit der zweiten Notlage. Sie beherrscht die gesamte erste Szene und wird bis V. 19 immer wieder aufgenommen: Abraham fürchtet, in Ägypten wegen der Schönheit Saras als ihr Ehemann umgebracht zu werden. Die Erzählung stellt Sara als junge und außerordentlich attraktive Frau vor (V. 11).31 28 Das hat zuletzt W. Oswald richtig gesehen (Die Erzeltern als Schutzbürger, BN 106 [2001] 79–89, bes. 82). Er bestimmt als Thema von Gen 12,10–20: „Wie kann man als Schutzbürger in Ägypten leben?“ Doch das ist keineswegs besser im Text markiert. 29 Text aus dem Grab des Haremheb (14. Jh. v. Chr.), Übersetzung aus J. B. Pritchard (Hg.), Ancient Near Eastern Texts Relating to the Old Testament (ANET3), Princeton 31969, 251. 30 K. Galling, Textbuch zur Geschichte Israels, Tübingen 31979, 40 [neue Übersetzung des Pap. Anastasi VI 51–61 jetzt bei Weippert in: HTAT Nr. 067]. 31 Entweder kennen 12,10–20 den priesterschriftlichen Kontext 11,28–32; 12,4b–5 mit seiner Chronologie noch nicht, nach der Sara zu diesem Zeitpunkt ungefähr 70 Jahre alt sein
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Offenbar erwartet Abraham von den Ägyptern im Blick auf seine schöne Frau von vornherein kein gastfreundliches Verhalten. Deshalb begegnet er der Not mit einer List: Sara soll sich als seine Schwester ausgeben. Diese Lüge hat bei den meisten Auslegern moralische Entrüstung ausgelöst. Die Erzählung jedoch bewertet nichts. List als die „Kraft des geistig überlegenen Schwachen“32 gilt in der Antike durchaus als lobenswert. Inwiefern befreit die List aus der Notlage? Problem und Lösung von V. 11–13 wirken zunächst konstruiert und wenig lebensnah. Hielt der Erzähler die Ägypter wirklich für derart ungesittet, dass sie fremde Frauen nur als Freiwild betrachten? Hat Abraham den Verlust seiner Frau von vornherein für unvermeidlich gehalten? Oder hatte er gar von Anfang an die Absicht, aus der Preisgabe seiner Frau möglichst großen Profit zu schlagen? Zur Klärung des Plans, die Ehefrau als Schwester auszugeben, hat man in der Forschung viel Schweiß vergossen und als mögliche Analogie Eheverträge aus Nuzi herangezogen.33 Methodisch näher liegt es jedoch, im Alten Testament selbst nach Texten zu suchen, welche die sozialen Funktionen des Bruders für die Schwester erhellen.34 Die gibt es durchaus. Gen 34 berichtet davon, wie der Sohn des Stadtfürsten von Sichem in Liebe zu Dina, der Tochter Jakobs, entbrennt: „Als er sie sah, nahm er sie, legte sich zu ihr und tat ihr Gewalt an. Und sein Herz hing an ihr, und er hatte das Mädchen lieb“ (V. 2–3). Die davon ausgelöste lange Erzählung berichtet, wie die Brüder Dinas mit einer List die Ehre ihrer Schwester rächen. Mehrfach wird betont, dass Dina ihre Schwester sei und dass die Brüder so handeln, weil man „Dina, ihre Schwester, geschändet hatte“ (V. 13.27.31). Nicht der Vater übernimmt die Rache für seine Tochter, sondern die Brüder, und zwar die verwandtschaftlich nächsten Brüder. Nicht anders verhält es sich in 2 Sam 13. Amnon, einer der Söhne Davids, wird liebeskrank nach seiner schönen Halbschwester Tamar. Mit einer List überwältigt er sie. Auch hier ist es der nächste Bruder, Absalom mit Namen, der sich seiner Schwester annimmt und sie schließlich rächt. Offenbar obliegt dem nächstverwandten Bruder in besonderer Weise der Schutz der Schwester. Er rückt beim Tod des Vaters in dessen Rechtsfunktionen für die Schwester ein. Dann sind es die Brüder, mit denen der Ehevertrag verhandelt werden muss. Sie sind es auch, die den Brautpreis empfangen, wie wir aus mesopotamischen Ehekontrakten erfahren. muss (vgl. 17,17), oder Gen 12 setzt die Version der Erzählung von Gen 26 voraus und übernimmt die Schönheit der Ahnmutter als bereits festes Motiv von dort. 32 H. Gese, Die Komposition der Abrahamserzählung, in: Ders., Alttestamentliche Studien, Tübingen 1991, 29–51, bes. 35. 33 Darstellung der Befunde und überzeugende Kritik bei T. L. Thompson, The Historicity of the Patriarchal Narratives. The Quest for the Historical Abraham (BZAW 133), Berlin 1974, 196–297, bes. 234–248. 34 Vgl. B. L. Eichler, On Reading Genesis 12:10–20, in: M. Cogan u. a. (Hg.), Tehillah le-Moshe. Biblical and Judaic Studies in Honor of Moshe Greenberg, Winona Lake 1997, 23–38.
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Jetzt verstehen wir Abrahams Plan besser. Erscheint Sara als seine Schwester, vermindert sich nicht nur sein Risiko. Als Bruder, dem Ehre und Rechte seiner Schwester anvertraut sind, kann er Respekt erwarten. Vor allem aber wird er es sein, der mit den zu erwartenden zahlreichen Bewerbern um seine Schwester verhandeln wird und der so die Fäden in der Hand behält. Der Plan verspricht Erfolg – jedenfalls fürs erste; später wird man weitersehen. Abraham indes widerfährt, was auch wir ständig erleben: Nicht jeder Plan glückt. Abraham hatte nicht damit gerechnet und doch auch gar nicht rechnen können, dass sich der ägyptische König höchstselbst für Sara interessiert. Dieser Fall war nicht vorgesehen. So kommt es, dass der Plan nur zur Hälfte gelingt: Abraham wird nicht erschlagen, sondern schwer reich; Sara jedoch verschwindet im königlichen Harem. Insofern führt auch das zweite Spannung auslösende Moment nicht zu einer entsprechenden Lösung, sondern zu einer neuerlichen, dritten Notlage: Was wird aus Sara in Pharaos Harem? Da ist guter Rat teuer; denn so weit reicht auch Abrahams Arm nicht. Die Lage ist aussichtslos verfahren. Jetzt hilft nur noch ein Eingriff von außen, der die Karten neu mischt. Deshalb betritt am dramatischen Punkt der Erzählung ein neuer Akteur die Bühne: Jhwh, der Gott Israels. Der greift „wegen Sara, der Frau Abrahams“, ein (V. 17). Auch hier bleibt der Erzähler ausgesprochen wortkarg. Selbstverständlich war der Erzählfigur Pharao wie jedem Menschen in der Antike sofort klar, dass „große Schläge“ mit objektiver Schuld zusammenhängen und nur von Gott kommen können, mag der sich auch verschiedener Mittel bedienen. Nach V. 15–16 und nach der Feststellung in V. 19 („so dass ich sie mir zur Frau nahm“) muss der Leser von einem unwissentlichen Ehebruch ausgehen. Wie aber hat der Pharao erfahren, dass Sara nicht Schwester, sondern Ehefrau Abrahams ist, dass also das, was er in treuem Glauben tat, in Wirklichkeit schwere Schuld war? Was der Pharao in der Erzählung nicht weiß und gar nicht wissen kann, weiß jedoch jeder Leser aus V. 11–13. Der Erzähler lässt in V. 17–19 eine Leerstelle und spielt damit die Leserperspektive ein. Nun geht alles sehr schnell. Mit kurzen Sätzen stellt Pharao Abraham zur Rede. Drei vorwurfsvolle Fragen (V. 18–19) dokumentieren die subjektive Unschuld des Pharao. Von einer Reaktion Abrahams lesen wir nichts. Auch hier wie überall vermeidet der Erzähler jede Bewertung. Mit vier Worten wird das Ahnpaar des Landes verwiesen. Am Ende stehen Abraham und seine Frau wieder dort, von wo aus sie der Hungersnot zu entrinnen trachteten, im Negeb. Keiner der drei angesetzten Spannungsbögen trägt die gesamte Erzählung. Der erste dient nur dazu, das Ahnpaar nach Ägypten zu befördern. Der Schauplatz Ägypten freilich hat konstitutive Bedeutung, wie wir noch sehen werden. Der zweite rettet zwar das Leben des Ahnvaters, gefährdet aber umso mehr Sara als künftige Ahnmutter Israels. Insofern trifft die Überschrift „Gefährdung der
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Ahnfrau“ durchaus Wesentliches.35 Zwar gewinnt Abraham Reichtum, aber doch nur um den Preis seiner Frau („um ihretwillen“ V. 16). Ohne Sara jedoch wäre die Geschichte des Volkes, das sich Abrahams Same nennt, schon am Ende, bevor sie überhaupt begonnen hat. Deshalb hängt alles an dem dritten Spannungsbogen, der aus der Frage erwächst: Was wird aus Sara? Diente die Hungersnot am Anfang allein dem Zweck, Abraham und Sara nach Ägypten zu bringen, so greift auf dem Höhepunkt der Erzählung Gott um Saras willen ein, damit Abraham mit Sara und beide mit heiler Haut aus Ägypten heraus in das Land kommen können, das ihren Nachkommen gehören soll. Mit Sara steht also die Zukunft Israels und mit dem Ahnpaar in Ägypten das Land als elementares Hoffnungsgut auf dem Spiel. (4) In dieser Beleuchtung bekommen einige Züge Bedeutung, die diese Erzählung mit dem Auszug aus Ägypten verbinden.36 Das hat man zwar schon immer gesehen, aber nicht recht zu würdigen vermocht, solange man die Erzählung lediglich als Volkserzählung oder ‚Schwank am Lagerfeuer‘ las. (a) Wie Abraham ziehen auch die Jakobssöhne wegen einer Hungersnot nach Ägypten (Gen 12,10 entspricht 43,1 und 47,4). (b) Wie Abraham leben auch die Brüder Josephs dort als Fremde (vgl. גורin 12,10 und 47,4). (c) Gott schlägt den Pharao bzw. Ägypten mit Schlägen oder Plagen (vgl. 12,17 mit Ex 11,1 [ ;]נגע12,23 [)]נגף. (d) Der Pharao ruft Abraham und Mose, um ihnen den Auszug aus Ägypten zu gebieten: „Da rief (der Pharao) Aaron und Mose (noch) des Nachts und sprach … Nehmt eure Schafe und Rinder … und geht …“ (vgl. Ex 12,31 f. mit Gen 12,18–19). (e) Abraham und die Israeliten werden von den Ägyptern fortgeschickt (Gen 12,20 entspricht Ex 11,1; 12,33 )שלח. (f ) Abraham wie auch die Israeliten verlassen Ägypten mit Silber, Gold und großer Beute (vgl. Gen 13,2 mit Ex 12,35). Kein Zweifel, die Erzählung von der Gefährdung der Ahnfrau in der Fassung von Gen 12 ist in Kenntnis der Exoduserzählung Israels verfasst, vielleicht sogar von vornherein im Blick darauf literarisch gebildet worden. Die Motive und Elemente, die sie mit dem Exodus verbinden, betreffen nicht nur dekorative Zutaten in Gen 12, sondern reichen in die Substanz der Erzählung. Lediglich die erste Szene und damit das Motiv von der schönen Ehefrau als Schwester ist völlig frei von derartigen Anspielungen. Das dürfte damit zusammenhängen, dass Gen 12 von einem einzelnen Paar erzählt, nicht von einem Volk. Es musste deshalb ein Motiv gefunden werden, um ein fremdes Ehepaar mit dem ägyptischen König 35 Sara ist natürlich nicht erst durch den literarischen Kontext als Ahnfrau Israels ausgewiesen, sondern als solche schon Wissensstoff und Teil der Tradition der Leser. 36 Darauf machen schon der jüdische Midrasch Bereschit Rabba (übersetzt von A. Wünsche, Leipzig 1881, 184 zu V. 16.20) und U. Cassuto, A Commentary on the Book of Genesis. II: From Noah to Abraham, Jerusalem 1964, 334 ff., aufmerksam.
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überhaupt in Verbindung bringen zu können. Die Schönheit Saras macht aus einer Privatangelegenheit ein Staatsereignis. Die Art und Weise, wie Gen 12 von Abraham und Sara erzählt, zeichnet mit dem Erzelternpaar die Ursprünge des nachmaligen Volkes. In ihnen befindet sich Israel in Ägypten. Dessen Rettung gilt Gottes Eingreifen. Mit dem Ahnpaar zieht Israel aus Ägypten heraus ins verheißene Land. Das wird noch deutlicher, wenn man sieht, wie diese Erzählung in ihren unmittelbaren Kontext eingebettet ist; denn die voranstehende glorreiche Verheißung noch außerhalb des Landes übersteigt das Leben einer einzelnen Familie und zielt auf das Volk: Ich will dich zu einem großen Volk machen und will dich segnen und will deinen Namen groß machen, dass du ein Segen wirst. Ich will segnen, die dich segnen, und wer dich verächtlich macht, den verfluche ich, und mit dir werden sich segnen alle Sippen des Erdboden (12,1–3).37
Dem fügt die erste Gottesrede im Lande, die Gabe des Landes hinzu: Deiner Nachkommenschaft gebe ich dieses Land (12,7).
Das vor Augen wird erst recht deutlich, was mit den Erzeltern in Ägypten auf dem Spiele steht. In Abraham und Sara verliert oder gewinnt Israel seine Zukunft.
3. Gen 20: Abraham als Vorbild eines weltoffenen Judentums in der Diaspora (1) Noch einmal lesen wir von Abraham und Sara im Ausland (Gen 20,1). Dieses Mal befindet sich das Ahnpaar bei König Abimelech in Gerar. Wieder hat Abraham Angst, wegen seiner Frau umgebracht zu werden (V. 11), und gibt sie deshalb als seine Schwester aus (V. 2). So kommt, was wir schon aus Gen 12 kennen: Der fremde König nimmt sich Sara zur Frau (V. 2). Durch Gottes Intervention erfährt der König den wahren Sachverhalt (V. 3–7) und stellt Abraham zur Rede: „Was hast du getan“ (V. 9). Abraham erhält reiche Geschenke (V. 14), und der König gibt Sara zurück. Könnte man diese Übereinstimmungen vielleicht noch damit erklären, dass Gen 20 eine entsprechende Überlieferung kennt, aus der auch Gen 12 schöpft, so legen mehrere Beobachtungen eine literarische Abhängigkeit nahe.38 37 Zu Verständnis und historischen Einordnung dieser programmatischen Gottesrede s. Köckert, Vätergott, 248–299. [Dazu s. jetzt in diesem Bd. Nr. 1 und 16] 38 So schon R. Smend (sen.), Die Erzählung des Hexateuch auf ihre Quellen untersucht, Berlin 1912, 39.65; von den neueren Westermann, Genesis II, 391 ff.; van Seters, Abraham, 171 ff.; Blum, Komposition, 406 f. [Zu Gen 20–22 s. jetzt in diesem Bd. Nr. 10].
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Erste Beobachtung: Während in 12,10 die Hungersnot einen kurzzeitigen Aufenthalt in der Fremde ausreichend begründet, fehlt eine Motivation für den Ortswechsel in 20,1 vollkommen.39 Eine Hungersnot wäre hier auch ganz unpassend, da eine Dürre in Palästina Gerar nicht verschonen würde. Gen 20 kann auf Gründe verzichten, weil der Leser – angeleitet von den wenigen Wörtern des ersten Satzes in V. 1 – sogleich Gen 12,10–20 assoziiert. Zweite Beobachtung: Auch der Anfang der Verwicklung in 20,2 erscheint völlig unmotiviert. Warum gibt Abraham seine Frau als Schwester aus? Warum nimmt Abimelech Sara zur Frau? In 12,11–13 war Saras Schönheit Grund für beides. Hier aber fehlt ein erkennbarer Grund. Zwischen Gen 12 und 20 sind viele Jahre ins Land gegangen, die beim Ahnpaar ihre Spuren eingegraben haben. Schon in Gen 18, beim Besuch der drei Himmlischen, lacht Sara über das Gastgeschenk, das ihr mit der Ankündigung eines Sohnes gemacht wird: „Wo ich alt und welk40 bin“ – wie Luther unnachahmlich übersetzt – „sollte ich noch der Liebeswonne pflegen?“ Warum also sollte Abimelech Sara zur Frau nehmen? Gen 20,2 kann eigentlich nur von Lesern verstanden werden, die bereits Kap. 12 kennen und die hier fehlenden Sachverhalte zwanglos eintragen.41 V. 2 hat offenbar wie V. 1 die literarische Funktion, an Kap. 12 zu erinnern und damit eine Folie für die neuen Akzente zu schaffen, die Kap. 20 setzt. Dritte Beobachtung: Dass der Erzähler von Kap. 20 die erste Version der Geschichte kennt, geht eindeutig aus V. 13 hervor: „An jedem Ort, an den wir kommen …“42 Diese Formulierung deckt Ägypten und Gerar ab. Außerdem spielt der Erzähler mit der ersten Hälfte von V. 13 auf Gottes Ruf in 12,1 an. Dort spricht Gott zu Abraham, nachdem er aus Ur nach Harran in Nordmesopotamien gezogen war: Gehe aus deinem Land und aus deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in das Land, das ich dich sehen lassen werde!
Daraufhin durchzieht Abraham das Land Kanaan in seiner ganzen Länge (12,4a.6–8). In der Tat, Gott hat Abraham weit umherirren lassen, bis er ihm bei Bethel endlich das Land zeigt (13,14–17), das seinen Nachkommen gehören 39 20,1 stellt noch vor weitere Probleme. Der erste Satz knüpft mit „von dort“ an Gen 18–19 an und arbeitet mit sprachlichem Material aus 12,8–9 („von dort“, „es brach Abraham auf … in den Negeb“). Die beiden folgenden Sätze nennen zwei konkurrierende Ziele dieses Aufbruchs. Von ihnen ist die Lokalisierung „zwischen Kadesch und Schur“, welche die Angaben 16,7.14 kombiniert, dunkel und mit Gerar nicht zu vermitteln. Levin, Jahwist, 171, rechnet deshalb V. 1a komplett zu einer Überleitungsnotiz aus einem vorjahwistischen (!) Itinerar Abrahams – schwerlich zu Recht. 40 Im Hebräischen steht das Verb „ בלהsich abnützen, verbraucht sein“, das man auch für verschlissene Kleider und Lumpen (Jos 9,13; Neh 9,21; Ps 102,27) oder morsche Knochen (Ps 32,3) gebraucht. 41 „Wirklich evident sind V. 2–3 in der jetzigen Form also nur, wenn man bereits die Geschichte 12,10–20 kennt“ (Fischer, Erzeltern, 141). 42 So schon Smend, Hexateuch, 39.
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soll. Gen 20 muss also als literarische Neufassung der Erzählung von Gen 12 verstanden werden.43 Gravierende Unterschiede können dann nicht mehr sonderlich verwundern. (2) Zu den Unterschieden gehört zunächst einmal die Struktur der Erzählung. Aus einem Dutzend kurzer Verse sind hier 18 lange geworden. Damit ist jedoch die Erzählung noch nicht am Ende; denn sie hat mit 21,22–34* eine Fortsetzung erhalten.44 Abimelech bittet ausdrücklich um einen „Freundschaftsvertrag“ (21,27), der über Generationen hinweg das Zusammenleben der Gerariter mit Abraham und den Seinen in gegenseitigem Einvernehmen regeln soll, nachdem sich der Fremde kraft des Einschreitens seines Gottes als so überaus mächtig erwiesen hat. Gen 20 beginnt damit, dass Abraham als Fremder in Gerar lebt, 21,34 schließt den Kreis mit der Notiz: „So lebte Abraham als Fremder im Lande45 viele Tage.“ Damit ist die Erzählung in Gen 20 nach der Exposition (V. 1–2) auf drei Szenen angewachsen, die vor allem von Gesprächen beherrscht werden: Gott und Abimelech (V. 3–8), Abimelech und das Ahnpaar (V. 9–18), Abimelech und Abraham (21,22–24.27.34). Stand in Gen 12 Abraham im Zentrum, so rückt in den drei Szenen von Gen 20 der fremde König zur Hauptperson auf. Er allein, nicht Abraham, wird des Gesprächs mit der Gottheit gewürdigt (20,3–7). Er ist es auch, der daraufhin Abraham zur Rede stellt (20,9–13) und das Gesetz des Handelns weiter in der Hand behält (20,15; 21,22). Der neue Erzähler greift aber noch in anderer Hinsicht in die Struktur der vorgegebenen Überlieferung ein. Anders als in Gen 12 interveniert Gott zwei Mal. In V. 6 schützt Gott Sara vor einem 43 Ob
Gen 20 auch Gen 26 erkennbar benutzt hat, lässt sich schwer sagen. Immerhin scheint 20,2 den Satz „Abraham sprach zu Sara, seiner Frau“ aus 12,11 mit „meine Schwester ist sie“ aus 26,7a zu kombinieren, was zu den bekannten Schwierigkeiten in der Übersetzung der Präposition „ אלzu“ im Sinne von „im Hinblick auf “ geführt hat. Doch könnte das auch aus 12,19 entnommen sein. In jedem Falle aber stammt die Abfolge Ahnfrau-Erzählung vor Abimelech-Vertrag (s. sogleich) aus Gen 26. 44 Schon Gunkel betrachtete 21,22–24.27.31.34 als ursprüngliche Fortsetzung von Gen 20 (Genesis, 233). Blum nimmt das auf (Komposition, 411 f.), erkennt aber m. R. dass alle Anspielungen auf Beerscheba nicht dazu gehören können, folglich auch nicht V. 31. Dann aber ergibt sich eine mit Gen 20 kohärente abschließende Szene (anders dagegen v. Seters, Abraham, 185, und Levin, Jahwist, 173 f.). Die Vertragsszene ist mehrfach mit Gen 20 verknüpft. Abimelech muss – anders als in 26,26 – nicht erst anreisen, sondern befindet sich wie Abraham am Schauplatz von 20,1b–17. Die Notiz „Gott ist mit dir in allem, was du tust“ (21,22) schließt Abrahams zweifelhaftes Verhalten in Gen 20 ein, und 21,23b nimmt 20,14–16 auf. Die Schafe und Rinder beim Vertragsschluss in 21,27 entsprechen 20,14. Mit 21,34 macht Abraham von der in 20,15 gewährten Gastfreundschaft ausdrücklich Gebrauch. Kurzum: 21,22 ff. können ohne Gen 20 gar nicht zureichend verstanden werden. 45 Die Kennzeichnung des Gastlandes als „Philisterland“ ist in 21,34 (wie auch V. 32) nachträglich in Kenntnis von 26,1.14 zugesetzt worden; denn nur dort erscheint Abimelech als König der Philister.
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möglichen Übergriff Abimelechs und bewahrt damit zugleich den König davor, sich zu versündigen. In V. 17 heilt er durch Vermittlung Abrahams den König und sein Haus. Stilistisch lebt die Erzählung mehrfach von den literarischen Mitteln der Rückblende und der Nachholung von Elementen, die für die Erzähllogik wesentlich sind.46 So trägt V. 4 den für die Integrität Saras entscheidenden Sachverhalt nach, dass Abimelech sich ihr noch nicht genähert hatte. Gen 20,6b klärt den Stadtkönig von Gerar nachträglich darüber auf, dass bei seiner Zurückhaltung gegenüber der fremden Frau Gott selber die Fäden gezogen hat. Am Schluss aber erklärt V. 17 die Hinderung Abimelechs mit einer rätselhaften Krankheit, die ihn und alle seine Frauen befallen hat.47 Gegenüber Kap. 12 treten in Kap. 20 die Handlungselemente noch weiter in den Hintergrund. Den größten Raum nehmen Reden ein. Sie teilen das Kapitel in zwei Hälften. Den Wendepunkt markiert V. 8. Alles Gewicht liegt auf dem ersten Teil, auf der Gottesbegegnung im Traum mit den entscheidenden Mitteilungen. Darüber geraten die Männer Abimelechs in große Furcht. Zu den großen Unterschieden gehören weiter die Versuche, die in Kap. 12 offen gebliebenen Fragen zu beantworten und schwerwiegende inhaltliche Bedenken zu beseitigen. So schlägt die erste große Erweiterung durch die Traumoffenbarung in V. 3–7 gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. 3Gott aber kam zu Abimelech in einem nächtlichen Traum und sagte zu ihm: Siehe, du wirst sterben wegen der Frau, die du dir genommen hast; denn sie ist eine verheiratete Frau. 4Aber Abimelech hatte sich ihr (noch) nicht genähert. Darauf sagte er: Herr, tötest du auch ein unschuldiges Volk? 5Hat er nicht zu mir gesagt: Sie ist meine Schwester? Und auch sie selbst hat gesagt: Er ist mein Bruder. In der Unschuld meines Herzens und in der Reinheit meiner Hände habe ich dies getan. 6Da sprach Gott im Traum zu ihm: Ich weiß ja auch, dass du dies in der Unschuld deines Herzens getan hast. 46 Das hat schon Gunkel klar gesehen: Gen 20 zeige „den späteren Stil, der weitausgeführte Reden liebt, und es gar versteht, raffiniert ‚nachholend‘ zu erzählen“ (Genesis, 226). 47 Dagegen ist V. 18 wohl nachgetragen, wie man an der in dieser Erzählung singulären Erwähnung des Gottesnamens Jhwh erkennen kann (vgl. bes. mit V. 17). Außerdem betrifft die Krankheit in V. 18 nur die Frauen, in V. 17 dagegen auch Abimelech. Während V. 17 nicht gegen V. 6 spricht, steht V. 18 dazu in deutlichem Widerspruch. Schließlich verlässt V. 18 die erzählte Situation; denn dass Jhwh jeden Mutterschoß verschlossen hat, also der gesamte Harem Abimelechs gebärunfähig war, hätte erst sehr viel später festgestellt werden können.
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Und ich habe dich ja auch zurückgehalten, dich gegen mich zu versündigen. Darum habe ich es nicht zugelassen, dass du sie berührst. 7Nun aber gib die Frau des Mannes zurück, weil er ein Prophet ist und für dich bitten wird, damit du am Leben bleibst. Wenn du sie nicht zurückgibst, so wisse, dass du gewiss sterben wirst, du und alles, was dir gehört.
Der Dialog erklärt, wie der König davon erfährt, dass Sara die Ehefrau Abrahams ist – eben durch Traumoffenbarung. Die reinigt sowohl den nichtisraelitischen König als auch Sara von jeglichem Verdacht. Sie bestätigt dem fremden König mit der Autorität Gottes seine Unschuld, vor allem aber sichert sie die Ahnmutter vor jeglicher sexueller Annäherung durch den König. Das ist hier besonders dringlich, weil 21,1–7 unmittelbar danach die Geburt Isaaks berichten. Gen 20,6 sichert damit auch die Legitimität Isaaks. Ohne diese Erklärung Gottes hätte jeder auf den Gedanken kommen müssen, den Lessing in einem seiner berühmten Fragmente äußert: „Meines Arabers Beweis, dass nicht die Juden, sondern die Araber die wahren Nachkommen Abrahams sind“.48 Jener fiktive Araber meint, Isaak sei lediglich ein kleiner Abimelech II. gewesen. V. 6 bestreitet derlei ausdrücklich: „Darum habe ich es nicht zugelassen, dass du sie berührst.“49 Die zweite große Erweiterung findet sich im Dialog Abimelechs mit Abraham: 10Und
Abimelech sprach zu Abraham:50 Was hast du beabsichtigt51, dass du dies getan hast? 48
Gotthold Ephraim Lessings sämtliche Schriften, hg. von K. Lachmann/F. Muncker, Stuttgart 1886 ff., Bd. 16, 302 f.; s. dazu: R. Smend, Lessings Nachlassfragmente zum Alten Testament (NAWG PH 1979/5), in: Ders., Epochen der Bibelkritik. Ges. Studien, Bd. 3, München 1991, 93–103. 49 Zuletzt hat F. Zimmer, Der Elohist als weisheitlich-prophetische Redaktionsschicht (EHS XXIII/656), Frankfurt/M. 1999, 53, behauptet, auch die Version Gen 20 setze einen vollzogenen Ehebruch durch den fremden König voraus. Darauf weise die Bewertung mit „große Sünde“ in V. 9; das veranlasse auch die Todesdrohung in V. 3. Erst die nachträgliche Einfügung von V. 4a und 6* habe den Fall verschleiert. Gegen diese Deutung spricht jedoch der Wortlaut von V. 7, der ausdrücklich die Aufhebung der Todesdrohung vorsieht und dies an die Rückgabe der Frau bindet. „Große Sünde“ im Sinne des Erzählers ist offenbar nicht erst der vollzogene Ehebruch, sondern schon die Übernahme der Frau eines anderen, deren Rückgabe aber die Todessanktion aufhebt. Damit erübrigen sich auch die literarkritischen Folgerungen Zimmers. 50 Die doppelte Redeeinleitung in V. 9.10 markiert die Unterscheidung der beiden Perspektiven, V. 9 aus der Sicht Abimelechs, V. 10 aus der Sicht Abrahams, und ist deshalb literarkritisch nicht zu beanstanden (gegen T. Seidl, „Zwei Gesichter“ oder zwei Geschichten? Neuversuch einer Literarkritik zu Gen 20, in: M. Görg [Hg.], Die Väter Israels. FS Josef Scharbert, Stuttgart 1989, 315 f.; Fischer, Erzeltern, 145). 51 Zu der sonst erst im nachbiblischen Hebräisch belegten Wendung s. W. Bacher (Eine verkannte Redensart in Genesis 20,10, ZAW 19 [1899] 345–349) bei Blum, Komposition, 416.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
11Da
antwortete Abraham: Ja, ich dachte nur, es gäbe keine Gottesfurcht an diesem Ort, und man würde mich umbringen wegen meiner Frau. 12Sie ist auch tatsächlich meine Schwester. Sie ist die Tochter meines Vaters, nur nicht die Tochter meiner Mutter. So wurde sie mir zur Frau. 13Und es geschah, als mich Gott hat umherirren lassen, weg vom Hause meines Vaters, da sagte ich zu ihr: Dies sei deine Liebe, die du mir erweisen sollst: An jedem Ort, an den wir kommen, sage von mir: Er ist mein Bruder.
Diese große Erweiterung deutet das Schweigen des Erzvaters nach des Pharaos vorwurfsvollen Fragen in 12,18–19 als Schuldeingeständnis und sucht die Lüge des Ahn mit 20,12 in eine Halbwahrheit zu verwandeln: „Sie ist tatsächlich meine Schwester – väterlicherseits“.52 Auch noch an einer anderen Stelle wird Abraham moralisch ein wenig entlastet. In 20,14 erhält er – anders als in 12,16 – die Geschenke erst, nachdem der tatsächliche Sachverhalt aufgedeckt wurde. Abraham verdankt also seinen Reichtum nicht etwa einer Lüge. Darüber hinaus weiß der neue Erzähler manches genauer, als seine Vorlage zu erkennen gab. So deutet er in V. 17 die „großen Schläge“, mit denen Gott den König in Gen 12 plagt, als Unfruchtbarkeit. (3) Mit alledem haben wir zweifellos einige Akzente erfasst, welche die Rezeption jener älteren Erzählung von Gen 12 in Gen 20 setzt. Aber deren Intention sind wir dabei noch nicht ansichtig geworden. Schon lange hat man das Typische in der Erzählung gesehen. Gerar, archäologisch bislang nicht sicher identifiziert53, steht für das von fremden Oberherren verwaltete Land. Gerar befindet sich gewissermaßen überall dort, wo man als Jude Fremder und Schutzbürger ist. Gerar steht für die Diaspora, wo immer man sich aufhalten mag. In Abraham befinden sich seine Nachfahren in der Fremde, und Abimelech von Gerar ist ein Fremdherrscher wie viele andere auch. Dabei ist nun höchst bezeichnend, wie der fremde König geschildert wird und was Abraham vom Ausland und von einem Leben in der Fremde hält. Abraham denkt zunächst, was die Adressaten jener Erzählung 52 Die Meinung zur Heirat mit Halbgeschwistern ist offensichtlich geteilt, vgl. 2 Sam 13,13 mit Dtn 27,22; Lev 18; 20,17. 53 Heute bringt man Gerar meist mit Tell Abu Hurere in Verbindung, einer Ortslage ungefähr 20 km nordwestlich von Beerscheba [s. jetzt D. Jericke, Die Ortsangaben im Buch Genesis. Ein historisch-topgraphischer Kommentar (FRLANT 248), Göttingen 2013, 59], die zur Zeit der Philister (s. Gen 26) kaum mehr als ein kleines Dorf gewesen sein dürfte. Erst im 7. Jh. v. Chr. steigt der Ort zu einem assyrischen Verwaltungssitz auf.
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auch gedacht haben werden und was V. 11 in die Worte fasst: Ich dachte, es gäbe dort im Ausland keine Gottesfurcht. „Gottesfurcht“ meint hier nicht einfach die Besonderheiten jüdischer Religion mit der strengen Beachtung der Weisungen Gottes in der Tora, sondern schlicht Anerkennung der elementaren Regeln der Menschlichkeit und Sitte.54 Gottesfurcht meint das, was auch der schlechteste Wille für ein Zusammenleben von Menschen als gedeihlich anerkennen muss, gleichgültig aus welchem Volk er stammt und welcher Religion er anhängt. Wir können den Sachverhalt, den die Erzählung „Gottesfurcht“ nennt, auch mit der „Goldenen Regel“ umschreiben: Wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, also tut ihnen auch (Lk 6,31).
Abraham meint, das in der Fremde nicht voraussetzen zu können, und wird ausgerechnet vom Repräsentanten der Fremdmacht eines Besseren belehrt! Denn Abimelech verhält sich tadellos, eben „gottesfürchtig“ in dem genannten Sinne. Er verhält sich nicht nur rechtlich korrekt gegenüber Gott und den Fremden, sondern erweist sich auch als großzügig gegenüber den Zugereisten. Gott würdigt ihn nicht nur seiner Anrede, er attestiert dem Fremden sogar, „in der Unschuld des Herzens“ gehandelt zu haben. Der Text geht darüber noch hinaus, indem er in V. 4 Abimelech Gott ausdrücklich als „Herrn“ ( )אדוניanreden lässt. Der fremde König spricht vom Gott Israels nicht anders als Israel selbst. Am Ende muss Abraham, von Abimelechs Gottesfurcht beschämt, sein Urteil revidieren. Jetzt kann er das Angebot annehmen, das Abimelech in V. 15 großzügig macht: „Siehe, mein Gebiet steht dir offen, bleibe, wo es dir gefällt!“ So blieb Abraham als Fremder im Lande lange Zeit (21,34*). (4) Wozu will der Erzähler mit dieser neuen Lesart55 jener älteren Überlieferung seine Leser bewegen? Anfang und Ende der Erzählung in 20,1.15 und 21,23.34 54 „Gottesfurcht“ hat hier also nichts mit dem Gehorsam gegenüber dem deuteronomischen Gesetz zu tun (gegen Levin, Jahwist, 174), sondern steht in einem weisheitlichen Horizont, worauf vor allem J. Becker hingewiesen hat (Gottesfurcht im Alten Testament [AnBib 25], Rom 1965, 209). Warum ein derartiges Verständnis 20,11 nicht gerecht werde, hat Zimmer (Elohist, 164) nicht deutlich machen können. In 22,12 liegen die Dinge schon wegen V. 2 anders. 55 Bis auf V. 1a und V. 18 (zu beiden s. o. Anm. 39 und 47) zwingt nichts zur Annahme weiterer Bearbeitungen von Gen 20. Die in der Forschung immer wieder einmal unternommenen Versuche, in Gen 20 eine ältere Grundschicht herauszuschälen (Seidl, Zwei Gesichter; Fischer, Erzeltern; Levin, Jahwist; Zimmer, Elohist), kranken an einer Literarkritik, die den nachholenden Stil dieser Erzählung eliminiert, vor allem aber daran, dass die jeweils „rekonstruierten“ Grundschichten weniger plausibel sind als die vorliegende Gestalt. Gegen die rekonstruierte Grundschicht von Fischer, Erzeltern, 137–164, spricht, dass die literarischen Gravamina durch die Rekonstruktion nicht behoben werden, dass sowohl der Ortswechsel in V. 1 als auch Abrahams Rede über Sara als seine Schwester in V. 2 unmotiviert bleiben (V. 11 kommt zu spät und wirkt als Nachholung). Von der Schönheit Saras ist nicht die Rede, so dass –
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II. Zur Abrahamüberlieferung
markieren mit dem Stichwort „als Fremder leben“ deren Thema. Sie reflektiert ein dauerhaftes56 Leben Israels in der Fremde und dessen Verhältnis zu den Fremden. Es sind nicht nur die auch den Fremden attestierte Gottesfurcht und die positive Zeichnung des fremden Herrschers, die eine Antwort auf die Frage geben, ob man in der Diaspora als Jude leben könne. Besondere Akzente setzt der von Abimelech erbetene Freundschaftsvertrag in 21,22–24. Der fremde König erkennt Israels Sonderstellung an: „Gott ist mit dir in allem [!], was du tust“ (21,22). Aber auch den Fremden geht es gut, weil Abraham ihnen Gottes Hilfe vermittelt (20,17), so dass ein Zusammenleben in einem vertraglich geregelten gütlichen Miteinander, das auf Gegenseitigkeit gründet, für alle Seiten das Beste ist: „Der Solidarität entsprechend, die ich dir erwiesen habe, sollst du an mir und an dem Land handeln, in dem du als Fremdling lebst“ (21,23b). Darauf nimmt Abraham, wie er zuvor von Abimelech erhalten hat (20,14), Schafe und Rinder, und „beide schließen einen Vertrag“ (21,27 )כרת ברית. Das hier vom Ahnvater vorgelebte und damit empfohlene convivium mit Fremden wird dadurch erleichtert, dass der Gott Abrahams längst universal vorgestellt wird. Es gibt nur einen Gott, der allen Menschen bekannt ist und auch von Nichtjuden anerkannt wird. Er steht über beiden Parteien. Er verkehrt nicht nur mit Abraham, sondern auch mit dem fremden Oberherrn im Traum, so dass Abimelech sogar dieses Gottes Gerechtigkeit einklagen kann (20,4b).57 Der Universalität dieses Gottes entspricht, dass Abimelech von Abraham fordert, seinen Eid nicht bei seinem Gott, sondern „bei Gott“ abzulegen (21,23a). Überall unstrittig anerkannt sind gleichfalls – ganz gegen des Erzvaters Vorurteil – die in dem Begriff „Gottesfurcht“ zusammengefassten grundlegenden sittlichen Werte und Normen (20,11). Mit alledem beabsichtigt die Neuerzählung nicht weniger als eine Revision des Verhältnisses Israels zu den Völkern. Um dieser Umorientierung die nötige Autorität zu geben, erzählt man derlei vom Erzvater Abraham, hat aber damit die eigene Gegenwart im Blick. Wie Abraham sollen seine so viel jüngeren Nachfahren ihre Vorurteile gegenüber Fremden und der Fremde überwinden. So wirkt die Neufassung von Gen 12 in Gen 20 als eine große Einladung an anders als in Gen 12 – Abimelechs Aktion den Leser eher verwundert. Völlig überraschend kommt in der behaupteten Grundschicht die Erlaubnis, sich in Gerar niederzulassen (V. 15), vor allem aber die Heilung (V. 17b), die erst in V. 18 begründet wird (also klappen nach den Kriterien Fischers beide Verse nach). Insofern ist V. 17a unentbehrlich; der aber hängt an V. 7aβ, den Fischer zur Bearbeitung rechnet. Kurzum, weder die literarische Analyse noch die daraus folgende Rekonstruktion können überzeugen. 56 20,1 beschränkt denn auch den Aufenthalt in der Fremde nicht wie 12,10 auf die kurze Zeit einer Hungersnot, und 21,34 hat mit „viele Tage“ eine ständige Diasporaexistenz im Blick. 57 Die Frage 20,4b steht in einer sachlichen Nähe zu jenem Lehrgespräch 18,22b–33a, bes. zu V. 25 (schon A. Dillmann, Die Genesis von der dritten Auflage an erklärt, Leipzig 1892, 263; Blum, Komposition, 410).
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Juden, ein Leben in der Diaspora und mit Menschen anderer Religion zu wagen. Auch „Heiden“, also Anhänger fremder Religionen, kennen Gottesfurcht und praktizieren sie; und Israels Gott lenkt auch in der Diaspora die Geschicke der Menschen (20,3–7). Aus dem xenophoben Abraham von Gen 12 (und 20,11) ist am Ende in Gen 20 der erste Diasporajude geworden, ein werbendes Vorbild für ein weltoffenes Judentum. Grenzenlos ist diese Weltoffenheit jedoch nicht. Zwar steht dem gemeinsamen Geschäftsverkehr (commercium) und dem Zusammenleben (convivium) nichts im Wege, umso mehr aber der ethnischen Vermischung (connubium). Der Erzähler legt in 20,6b.17 großen Wert darauf, dass Saras Exkurs in den fremden Harem keine Folgen hat und die Reinheit des Blutes gewahrt bleibt. Die nachträgliche Zufügung von V. 18 leitet allein die Absicht, in dieser Frage nicht den geringsten Zweifel aufkommen zu lassen. Um diese entscheidende Abgrenzung zu wahren, bewirkt Jhwh eigens eine „Empfängnisverhütung“ im Hause Abimelechs – allein „wegen Saras, der Frau Abrahams“. Die Neufassung der Abrahamerzählung in Gen 20 dürfte frühestens in vorgerückter persischer Zeit entstanden sein, als man bereits länger dauernde positive Erfahrungen mit einem Leben in der Diaspora gemacht hatte; denn die positive Zeichnung der Fremden gründet in der eigenen Diasporasituation des Erzählers.58 Für die nachexilische, m. E. spätpersische Zeit sprechen auch die thematische Berührung mit Gen 18,22b–33a, die Verbindung von Prophetie und Fürbitte (Jer 42,2.4) sowie das Gebet für Nichtisraeliten (Jer 29,7). Vor allem aber respektiert die Erzählung das Verbot der Mischehen zwischen Juden und Nichtjuden und setzt damit offenbar Esra 9–10 voraus. Eigene Wege geht der Erzähler jedoch mit dem Vertragsschluss zwischen Abimelech und Abraham in 21,22 ff. Damit stellt er sich ausdrücklich gegen die Doktrin der Deuteronomisten, die derlei scharf missbilligt hatten.59
4. Das Genesis Apokryphon aus Qumran: Abraham als Weiser (1) Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg entdeckte man 1947 unter sieben großen Schriftrollen in einer Höhle der Wüste Juda nahe der Hirbet Qumran eine stark beschädigte, nur noch fragmentarisch erhaltene Handschrift in aramäischer 58 A. Meinhold, Die Gattung der Josephsgeschichte und des Estherbuches: Diasporanovelle I, ZAW 87 (1975) 306–324. 59 Vgl. Gen 21,27 mit Ex 23,32; 34,12; Dtn 7,7; 18,9–14; Jos 23,3–13 u. a. Blum, Komposition, 419, sieht deutlich, dass Gen 20 gegenüber der vorausgesetzten dtr. Traditionsbildung gerade in der Einstellung zu den Völkern „eigenständige Interessen“ vertritt, während Levin, Jahwist, 173, die Ahnfrauerzählung von Gen 20* „als Beispiel für den Gehorsam gegen das deuteronomische Gesetz“ deutet.
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Sprache. Sie ist wegen der Beschädigungen und großen Textlücken nicht leicht zu lesen.60 Von der ehedem viel längeren Handschrift sind nur noch 22 Kolumnen erhalten, allerdings zumeist nur in wenigen Bruchstücken. Beinahe vollständig haben lediglich Kol. XIX–XXII die Zeitläufe überstanden. Das ist insofern ein Glücksfall, als die beinahe vollständig erhaltenen Kolumnen ungefähr den Erzählstoff enthalten, der von Abraham in Ägypten (Gen 12) bis zur großen Verheißungsrede reicht, in der Gott Abraham einen eigenen Erben in Aussicht stellt (Gen 15). Die Handschrift wird aus paläographischen Gründen zwischen 25 v. und 50 n. Chr. datiert; denn sie ist in herodianischer Schrift geschrieben.61 Über den Gesamtinhalt der Rolle kann man keine sicheren Angaben machen. Auf jeden Fall hat sie die biblischen Stoffe von Noah bis Abraham enthalten, also Gen 5,28–15,4, allerdings in einer gegenüber der Bibel viel elaborierteren Gestalt und um zahlreiche erzählerische Ausschmückungen erweitert.62 Man gab der Schriftrolle deshalb die Bezeichnung „Genesis Apokryphon“ (1QapGen). Der Text unterscheidet sich von seinem Vorbild in der Bibel vor allem darin, dass er in der Hauptsache keine Erzählungen über Noah, Abraham usw. bringt, sondern dass die Stoffe als Selbstberichte der Urväter stilisiert sind. So erzählt in Kol. II–V Lamech die Geburt Noahs63, in Kol. VI–XII Noah seine Geschichte. In Kol. XIX ergreift schließlich Abraham das Wort.64 Die Präsentation als Selbstberichte zielt 60 Zu den Schwierigkeiten der Entzifferung, Lesung und Übersetzung s. E. Qimron, Towards a New Edition of the Genesis Apocryphon, in: J. H. Charlesworth (Hg.), Qumran Questions, Sheffield 1995, 20–27. Ein Vergleich der verschiedenen Ausgaben und Übersetzungen wirkt außerordentlich ernüchternd. Die folgenden Untersuchungen basieren auf dem Text bei F. Garcia Martinez/E . J. C. Tigchelaar, The Dead Sea Scrolls. Study Edition I, Leiden 1997, 28–49. Zitiert wird in der Regel die Übersetzung von J. Maier, Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer, Bd. 1 (UTB), München 1995, 213–225 [s. jetzt auch: D. A. Machiela, The Dead Sea Genesis Apocryphon. A New Text and Translation with Introduction and Special Treatment of Columns 13–17 (StTDJ 79), Leiden 2009]. 61 J. A. Fitzmyer, Art. Genesis Apocryphon, Encyclopedia of the Dead Sea Scrolls I (2000) 302–304. 62 Es handelt sich um „eine erbauliche Ausschmückung der biblischen Geschichte für einen breiteren Leserkreis“ (K. Beyer, Die aramäischen Texte vom Toten Meer samt den Inschriften aus Palästina, dem Testament Levis aus der Kairoer Genisa, der Fastenrolle und den alten talmudischen Zitaten, Göttingen 1984, 165). Beyer vermutet, dass einige Fragmente aus Höhle 4 mit Selbstberichten Jakobs und Benjamins zu späteren Abschriften des Genesis Apokryphon gehört haben (S. 186–187). 63 Die Textverluste können im Noah-Abschnitt teilweise vielleicht mit 1 Hen 106,1–3 geschlossen werden (so Beyer), welche die besonderen Vorzüge Noahs schon bei seiner Geburt und die Ratlosigkeit seines Vaters Lamech hervorheben: „Sofort nach seiner Geburt richtete er sich in den Händen der Hebamme auf und pries Gott. Siehe, da dachte ich in meinem Herzen, dass von Engeln die Empfängnis stammt …“ Die daraus folgenden familiären Verwicklungen werden in den weiteren Kolumnen geklärt. 64 Aus den Selbstberichten fallen freilich einige Stücke heraus. In der dritten Person erzählen Kol. XVI–XVII, wie Noah die Erde unter seine Söhne verteilt, und XXI 23–XXII 34 die Ereignisse von Gen 14–15. Dabei fällt auf, dass dieser Teil wesentlich näher bei der biblischen Überlieferung steht als die anderen.
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auf eine bestimmte Deutung jener Urväter. Sie erscheinen als herausragende Gestalten, denen besondere Autorität zukommt. (2) Wir beschränken uns jetzt im wesentlichen auf die Stücke, die mit der Erzählung von der Gefährdung der Ahnfrau in Zusammenhang stehen. Abraham kommt offenbar aus Mesopotamien ins Land Kanaan und wird gleich zu Beginn ausdrücklich als Verehrer des wahren Gottes vorgestellt (XIX 7–8): Ich sprach: Du bist es, der für [mich Go]tt der [W]el[t ist.
Abraham zieht nach Süden, in den Negeb, und gelangt nach Hebron. Dort trifft ihn eine große Hungersnot. Als er hört, dass es in Ägypten Getreide gibt, bricht er nach Ägypten auf.65 Nach dem Grenzübertritt fügt der Erzähler einen Traum ein, den Abraham alsbald seiner Frau Sara deutet. Beides ersetzt die erste Szene von Gen 12. Der Traum ergeht in der Art einer Allegorie von Zeder und Palme, die in der Liebeslyrik für die Liebenden (Hld 5,15; 7,8–9), hier für Abraham und Sara stehen: 14 Und ich, Abram, hatte einen Traum in der Nacht beim Einzug ins Land Ägypten. Und ich schaute in meinem Traum [und siehe, da wa]r(en) eine Zeder und eine Dattelpalme, 15 eine [sehr schön]e, und sie spros[sen aus einer Wurzel], und Menschensö[hne] kamen und wollten die [Z]eder schlägern und entwurzeln und die Dattelpalme für sich allein lassen. 16 Da schrie die Dattelpalme auf und sprach: „Ihr dürft nicht die [Z]eder schlägern, denn wir kommen beide aus [ein]er Wur[zel!“] Da wurde die Zeder dank der Dattelpalme übriggelassen 17 und nicht [geschlägert.]
Abraham deutet seiner Frau den Traum mit der Pointe, die wir aus Gen 12 und 20 bereits kennen: Wenn Sara sich als seine Schwester ausgibt, werde er am Leben bleiben, sonst werde nicht nur er getötet, sondern auch Sara von ihm genommen. Träume gelten in der Antike als Offenbarungsmittel Gottes. Mit dem Traum hat also Gott selbst die Gefahr angekündigt. Abrahams Vorsorge entspringt keinem Eigennutz, sondern ist Ausdruck des Gehorsams gegenüber Gottes Warnung. Außerdem hat Abraham von vornherein nicht nur sein Überleben im Blick, sondern auch das Geschick seiner Frau. Deshalb verbirgt Abraham in Ägypten seine Frau zunächst: „… daß sie nicht sähe irgendeiner“ (XIX 23). Schließlich ereignet sich doch das Unvermeidliche. Man kann seine Frau nicht einfach wegschließen. Nach fünf Jahren kommen eines Tages drei hochgestellte Männer vom Hofe des Pharao zu Abraham. Zwar geht es um Weisheit und Lehre, die bietet Abraham aus den Schriften Henochs reichlich, aber ganz 65
Vgl. damit die Josepherzählung Gen 42,1–3.
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nebenbei müssen die drei Großen Ägyptens beim Gastmahl66 auch Sara gesehen haben; denn sie sind tief beeindruckt und fallen vor dem Pharao in einen hymnischen Lobpreis der Schönheit Saras. Der Preis ergeht in der klassischen Form eines Beschreibungsliedes, das die einzelnen Glieder in einer bestimmten Ordnung durchgeht, hier von oben nach unten. Beachtenswert ist daran vor allem, wie die körperlichen Reize mit den intellektuellen eine so aparte wie wünschenswerte Verbindung eingehen (XX 6–8): Über aller Frauen Schönheit steht ihre Schönheit, ihre Schönheit übertrifft sie alle. Und mit all dieser Schönheit ist viel Weisheit (verbunden), und alles, was sie hat, ist liebreizend.
Kein Wunder, dass über diese Schilderung der König Ägyptens ganz hingerissen ist, Sara lieb gewinnt und sie eilends holen lässt. Nun aber berichtet Abraham von sich selbst und seinen Gefühlen. Da weinte ich, Abram, mit heftigem Weinen, ich und Lot, mein Brudersohn mit mir, in der Nacht, weil Saraj unter Zwang von mir genommen worden war.
Das ist der Ton einer ganz und gar neuen Zeit. Zwar bleibt Abraham am Leben, aber ohne seine schöne Frau. Deshalb weint und klagt er zusammen mit seinem Neffen Lot. Er hat seine Frau nicht leichten Herzens preisgegeben, sie ist ihm vielmehr unter Zwang genommen und geraubt worden.67 Überdies ließ er das nicht etwa in schnöder Gewinnsucht geschehen; denn von reichen Geschenken hören wir nichts. Wie schwer Abraham an diesem Gang der Ereignisse trägt, entnehmen wir dem Gebet68, das nun die Ereignisse unterbricht (XX 12–16): Gepriesen bist Du, Höchster Gott, Herr für alle Zeiten/Welten! Denn Du bist Herr und Herrscher über alles, und über alle Könige der Erde bist Du Herrscher, um an ihnen allen Gericht zu üben! Hier führe ich Klage vor Dir, mein Herr, über den Pharao Zoans, den König von Ägypten, weil er mir meine Frau mit Gewalt weggenommen. Schaffe mir Recht ihm gegenüber, dass ich sehe Deine große Hand gegen ihn und gegen sein ganzes Haus, und damit er in dieser Nacht nicht die Kraft habe, meine Frau von mir weg zu verunreinigen, denn Du bist Herr für alle Könige der Erde. 66
XIX 27 spricht von viel Essen, Trinken und Wein. berichtet auch Jub 13,11–13, offenbar in Auslegung von Gen 12,15; 20,2 (der fremde Herrscher „nahm“ Sara). 68 Ein entsprechendes Gebet findet sich auch bei Philo, De Abrahamo § 95. 67 Davon
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Das Gebet erinnert zunächst an Daniel, folgt aber dann dem Muster eines Bittgebets: Klage – Bitte – Lobpreis. Die Bitte akzentuiert eindringlich die Integrität Saras. Gott erhört Abraham und schickt einen Plagegeist, einen bösen Geist69; der schwächte ihn und alle Männer seines Hauses, und er konnte sich ihr nicht nähern und erkannte sie nicht.
Der göttlichen Intervention ist durchschlagender Erfolg beschieden. Zwei Jahre befindet sich Sara beim Pharao, und doch passiert nichts. Der König will wohl, kann aber nicht, ja, die Plagen nehmen noch zu. Durch einen Traum erfährt der König (wie in Gen 20), dass diese Plagen mit Abraham zusammenhängen. Deshalb bittet der König über seinen Mittelsmann, der weise Abraham mit seinen besonderen Kontakten zu Gott möge für ihn beten und ihn dadurch heilen. Lot nutzt die Gunst der Stunde und fordert für seinen Onkel die Rückkehr Saras; denn vorher könne Abraham überhaupt nicht beten. Nun lässt der Pharao Abraham rufen, macht ihm die aus Gen 12 schon bekannten Vorwürfe und bringt ihm seine Frau zurück. Jetzt steht einem wirkmächtigen Gebet nichts mehr im Wege, und ein geheilter König verlässt den mächtigen Erzvater Israels, der so viele Schwierigkeiten zu machen vermag. Sogar einen Eid leistet der große, gottgleiche König Ägyptens dem Abraham und übergibt Geschenke für die Damen des Hauses, bevor er den übermächtigen Ahn Israels aufs Freundlichste wieder aus Ägypten hinaus geleiten lässt. Soweit der Gang der Ereignisse. (3) Wie geht das Genesis Apokryphon mit seinen literarischen Vorlagen um? Zunächst fällt auf, dass der Erzähler hier die beiden Fassungen von Gen 12 und 20 kombiniert und harmonisiert. Wenige Beispiele müssen genügen. So verbindet die Bitte Abrahams, Sara möge ihn als ihren Bruder ausgeben (XIX 19–20), Gen 12,12b („… die mich töten wollen, um dich übrig zu lassen“) mit 20,13 („… das ist die ganze Wohltat, welche du mir erweisen sollst: An jedem Ort, an dem wir sein werden, sag über mich, ‚er ist mein Bruder‘“), um schließlich wieder zu 12,13 zurückzukehren („dann werde ich dank deiner am Leben bleiben …“). Nachdem Sara im Harem des Pharao verschwunden ist, schickt Gott einen „Plagegeist“, der „ihn und alle Männer seines Hauses schwächte, so dass er sich ihr nicht nähern konnte“ (XX 16–17). Dabei entspricht der Plagegeist in der Sache 12,17, das Übrige aber ist aus 20,6b.17 erschlossen. Am Ende der Ägyptenepisode stellt der Pharao den Ahnvater zur Rede (XX 27–33) und schickt ihn wie in 12,19–20 weg. Anderseits aber betet Abraham für den Pharao um Heilung von der Plage, womit 20,17 aufgenommen wird. Das Genesis Apokryphon steht mit 69 Der
Plagegeist erinnert an die großen Schläge in Gen 12, die Impotenz der Männer an Gen 20; vgl. Philo, De Abrahamo, § 96 ff.
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seiner Version der Ahnfrau-Erzählung offenbar näher bei Gen 20 als bei Gen 12. Man sehe nur die Wahrung der Integrität Saras durch den Plagegeist, der alle Männer am Hofe des Pharao schwächt (XX 16 ff.), den Traum, der dem Pharao die Ursache seiner Leiden kundtut (XX 22), das Gebet, mit dem Abraham den Fremden heilt (XX 28 f.), und schließlich die Funktion der Geschenke als Ehrenerklärung für Sara (XX 31). Doch begnügt sich die Neufassung im Genesis Apokryphon nicht mit einer Kombination beider vorgegebener Texte. Vielmehr fügt der Erzähler an wichtigen Schaltstellen der Handlung Reflexionsstücke ein: Träume und ein Gebet. Diesen Stücken kommt besonderes Gewicht zu, weil der Verfasser in ihnen Deutesignale setzt. Schließlich greift der Erzähler vielfach retouchierend ein, um keinen Schatten auf seinen Helden fallen zu lassen, aber auch um eigene Akzente zu setzen. So tut Abraham in Ägypten alles, um die Schönheit seiner Frau den Blicken Fremder zu verbergen (XIX 23) und seine Frau zu schützen. Nachdem der Pharao Sara zu sich genommen hat, will er tatsächlich Abraham töten (XX 9), so dass Abrahams Plan keiner unangemessenen Menschenfurcht, sondern weiser Lagebeurteilung entspringt. Große Bedeutung aber hat Saras Unberührtheit. Deshalb lässt das Genesis Apokryphon den Pharao am Ende eigens durch einen Eid bestätigen, dass er Sara nicht angerührt hat (XX 30). (4) Welche Gesamtintention leitet diese Lesart der Abrahamüberlieferung durch das Genesis Apokryphon? Schon Gen 20 hatte Abraham aus dem Kreis der ‚Menschen wie du und ich‘ herausgenommen, ihm die Gabe heilkräftigen Gebets zugeschrieben und ihm den Titel „Prophet“ gegeben. Das Genesis Apokryphon geht noch weiter. Abraham erscheint zunächst als Offenbarungsempfänger. Er steht von Anbeginn in einem besonderen Verhältnis zu Gott, der ihm im Traum Kunde gibt, von dem, was ihm bevorsteht (XIX 14–17). Zugleich ist er mit der Fähigkeit begabt, derartige Träume auch deuten zu können (XIX 17–23). So wird er schon vorab vor den in Ägypten drohenden Gefahren gewarnt und kann als Wissender Vorsorge treffen. Doch damit nicht genug, Abraham erweist sich darüber hinaus als ein starker Beschwörer und Exorzist. Der mächtige Beter vermag, Gott zu bewegen. Von Abraham gebeten, sendet Gott den „Geist der Plage“ (XX 16.20), den „bösen Geist“ (XX 17.28.29), den „Geist des Erschlaffens“ (XX 26). Zugleich aber kann Abraham diese fürchterlichen Mächte wieder vertreiben – durch nichts anderes als durch sein wirkmächtiges Gebet und durch Körperkontakt mit dem vom bösen Geist Befallenen (XX 28–29).70 70 Handauflegung
begegnet bei Heilungen im AT nie, in Verbindung mit Gebet ist derlei auch im NT nicht belegt, weil der Körperkontakt magische Kraftübertragung impliziert und
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Was verbindet den Empfänger göttlicher Kunde und weisen Deuter von Träumen mit dem Beschwörer der Geister und mit Exorzisten? Mit alledem zeichnet das Genesis Apokryphon Abraham als den exemplarisch Weisen.71 Das wird am deutlichsten in jener Szene, die an Daniel und die Weisen Babels vor Nebukadnezar, aber auch an den Plagenzyklus Ex 7–12 erinnert. Als sich nach längerer Zeit die von dem bösen Geist bewirkte Krankheit verschärft, lässt der Pharao die „Weisen Ägyptens und alle Beschwörer“ holen. Aber „die Weisen waren nicht imstande, ihn zu heilen; denn derselbe Geist schlug auch sie alle, und sie flohen“ (XX 20–21). Abrahams Weisheit ist offenbar der jener Ägypter weit überlegen. Das verbindet Abraham mit Joseph, Mose und Daniel.72 Nach fünf Jahren Aufenthalt in Ägypten hat sich nicht nur Saras Schönheit, sondern auch Abrahams Weisheit soweit herumgesprochen, dass die Großen Ägyptens ihn wegen seiner Worte (XIX 24) aufsuchen und „nach Erkenntnis der Weisheit und der Wahrheit fragen“.73 Abraham belehrt die weisheitsdurstigen Ägypter, indem er aus „dem Buch der Worte Henochs“ vorliest. Abraham erweist sich nicht nur als ein von höchsten Kreisen gern konsultierter Weiser74, sondern er bewährt seine Weisheit auch in allen Widrigkeiten, denen er ausgesetzt ist. Keiner kommt ihm an Weisheit gleich. Aus Abraham, dem Urahn Israels, in dem das Geschick des Volkes schon vorgezeichnet ist (Gen 12), wird in Gen 20 der erste Diasporajude und ein werbendes Vorbild für ein weltoffenes Judentum. Das Genesis Apokryphon schließlich macht aus ihm einen Weisen, der alles Menschenmaß übersteigt.
5. Was wissen wir über den historischen Abraham? Hinter den vielfältigen Lesarten in der Bibel droht Abraham als historische Gestalt im Nebel der Vorgeschichte Israels zu verschwinden. Solange gelesen wird und Lesarten überliefert werden, ist beides stets mit Deutungen verbunden. Die Vielzahl der Deutungen mag die Arbeit des Historikers erschweren, aber sie signalisiert zugleich das Gewicht der Bedeutung Abrahams für die Tradenten und nicht ohne weiteres mit einer Heilung durch Gebet vermittelt werden kann; s. aber die Erweckung des Sohnes der Witwe durch Elia in 1 Kön 17,19–22! Exorzismus von Dämonen durch Handauflegung ist aus mesopotamischen Texten durchaus bekannt (VAT 8803). Zu Heilungen durch Handauflegung s. O. Weinreich, Antike Heilungswunder. Untersuchungen zum Wunderglauben der Griechen und Römer, Giessen 1909, 63–66. 71 Zur Verbindung von Weisheit und Macht über Dämonen in Qumran s. 4Q510 Frg. 1,1–9 (Übersetzung leicht zugänglich bei Maier, Qumran-Essener, Bd. II, 645). 72 Vgl. Dan 1,20; 2; 4,4 f.; 5,7 ff.11 mit Gen 41. 73 So die Übersetzung von Beyer, Die aramäischen Texte, 174, ähnlich die der Studienausgabe von Garcia Martinez/Tigchelaar, Dead Sea Scrolls, 41: „[… expecting from me] goodness, wisdom and truth.“ 74 Es verwundert nicht, dass die Höflinge an Sara nicht nur deren Schönheit, sondern auch deren Weisheit rühmen (XX 7).
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deren Adressaten. Deutungen wandeln sich in der Geschichte der Überlieferung. Bedeutung kann wachsen aber auch schwinden. Eine fiktionale Gestalt ist Abraham gleichwohl nicht. Was können wir über den historischen Abraham methodisch begründet sagen? Enttäuschend wenig; denn die Natur der Texte gestattet keine direkte Überführung der erzählten Wirklichkeit in die historische, und was die Forschung an außerbiblischen Hinweisen und Analogien bislang beigesteuert hat, hält kritischer Prüfung selten stand, obwohl an wenige Figuren der Geschichte soviel Scharfsinn gewendet worden ist wie an Abraham. Der geographische Horizont der Abrahamüberlieferung verbindet das Ahnpaar Israels nicht nur mit Palästina, dem wilden Osten der Großmacht am Nil im 2. Jt. v. Chr., sondern gelegentlich auch mit bekannteren Schauplätzen der Weltgeschichte. Jedoch gehört der Auszug aus dem chaldäischen Ur über Harran nach Palästina (11,28–31; 15,7) zu einer geographischen Konzeption, die Abraham enger mit dem babylonischen Judentum verbinden will. Mit dem Exodus aus Ägypten (12,10–20) nimmt Abraham dagegen das Geschick seiner Nachfahren vorweg. Beide geographischen Exkursionen stehen im Dienste jüngerer Deutungen und erlauben deshalb für den historischen Abraham keine Schlussfolgerungen. Das gilt genauso für Gen 14, den einzigen Text, der Abraham mit Königen einiger bekannter altorientalischer Großmächte des 2. Jt. verkehren lässt. Historisch ist an dieser phantasievollen Abrahamlegende, die zu den jüngsten Stücken des Pentateuch gehört, allenfalls der Name des Protagonisten. Bei der Rückfrage nach dem historischen Abraham zieht man mitunter die kleinere Stele von Sethos I. (1309–1290 v. Chr.) aus Betschean heran.75 Sie erwähnt Kämpfe mit den „Asiaten von Rahamu“. Stellt man Abraham in diesen Zusammenhang, was philologisch nicht unmöglich ist, dann ist „Abraham“ allerdings kein Personenname, sondern ein Titel: „(Stamm-)Vater der Rahamiten“. Allerdings fügt sich weder die Lokalisierung der Rahamiten in der Bucht von Betschean zu den Haftpunkten der Abrahamüberlieferung, noch zwingt der Name Abraham zu dieser Identifikation, wie seine Verbreitung im 2. und 1. Jt. v. Chr. zeigt. Die für bestimmte Sitten und Rechtsbräuche in Gen 12 ff. immer wieder bemühten Analogien in hurritischen Rechtstexten aus Nuzi im 2. Jt. treffen nicht immer die Sache und begegnen durchaus auch anderwärts bis weit in die
75 Auf die Stele hat in diesem Zusammenhang m. W. erstmals M. Liverani in einem kleinen Aufsatz in Henoch 1 (1979) 9–18, aufmerksam gemacht. Ihm ist E. A. Knauf, El Schaddai – der Gott Abrahams?, BZ 29 (1985) 97–103, gefolgt und hat diese Situierung in seine populäre Darstellung aufgenommen: Die Umwelt des Alten Testaments (NSK.AT 29), Stuttgart 1994, 103. [Übersetzung der Stele jetzt in HTAT, Nr. 064; Weippert weist auf die zahlreichen Probleme der Lesung hin und übersetzt: „Asiaten von Ruhem“; dann würden sich alle Spekulationen über einen Hinweis auf Abraham erübrigen]
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neuassyrische Zeit, so dass sich daraus keine präzisere Einordnung Abrahams ergibt.76 Als Indizien für die meist selbstverständlich vorausgesetzte (halb-)nomadische Lebensweise erwähnen die Texte lediglich Abrahams Wohnen im Zelt (Gen 18 u. a.) und seine auf Kleinviehzucht basierende Wirtschaftsweise. Indes bewirtet der Zeltbewohner Abraham seine himmlischen Gäste nicht mit einem Lamm, sondern mit Kalbfleisch. Den für das rekonstruierte Bild stets angenommenen Wechsel zwischen Sommer- und Winterweide erwähnt kein einziger Text.77 Die Prüfung der klassischen Argumente für die historische Einordnung Abrahams kommt zunächst einmal zu einem negativen Ergebnis: Das in der Abrahamüberlieferung vorausgesetzte kulturgeschichtliche Milieu ist das der Eisenzeit (ab 1100 v. Chr.) und reicht nicht in die Bronzezeit zurück. Jedoch gibt der älteste Kern der Abrahamüberlieferung mit der Abraham-Lot-Erzählung durchaus noch ein kritisch gesichertes Minimum zu erkennen. Beide Akteure erscheinen als Ahnväter von Völkern. Da in der Abrahamüberlieferung allein Hebron fester verankert ist, dürfte Abraham der Ahn einer judäischen Gruppe gewesen sein. Sein Name „Abram“78 folgt den Regeln semitischer Satznamen, nennt aber die Gottheit mit einer Verwandtschaftsbezeichnung: „Der Vater“ („ )אבist erhaben“ ()רם. Das religiöse Milieu der älteren Abrahamüberlieferung ist wesentlich von der persönlichen Frömmigkeit und der Familienreligion geprägt. Entsprechend kennt die ältere Überlieferung von den Erzvätern weder die Erfahrungen von Gottes Heiligkeit und seinem Zorn noch die Begriffe für Sünde und Vergebung. Demzufolge bedarf es auch keiner kultischen Mittler.79 Vielmehr erfährt Abraham seinen Gott als einen der Familie allezeit und überall nahen „Vater“, dessen lebensfördernde und schützende Fürsorge keine Bedingungen kennt. Zwar verehren die Familien in der Regel nur einen Schutzgott, doch ist ihnen religiöse Exklusivität vollkommen fremd. Darin unterscheidet sich die Religion des historischen Abraham von der seiner Nachfahren in der Perserzeit deutlich.80 Wir wüssten als Historiker gern mehr über jene Gestalt, die in Judentum, Christentum und Islam eine derart fundamentale Bedeutung erlangt hat. Doch zu den unerlässlichen Tugenden eines Historikers gehört es, die Grenzen historischer Wahrnehmung zu respektieren. 76 Zur Kritik vgl. auch W. Thiel, Geschichtliche und soziale Probleme der Erzväter-Überlieferungen in der Genesis, in: Theologische Versuche XIV, Berlin(-Ost) 1985, 11–27. 77 Köckert, Vätergott, 115–134, bes. Anm. 373a. 78 [Der uns geläufige Name „Abraham“ verdankt sich einer theologisch motivierten Umbenennung in Gen 17 (P).] 79 Darauf hat schon Westermann in seinem großen Kommentar aufmerksam gemacht (Genesis II, 116–124). 80 M. Köckert, Wandlungen Gottes im antiken Israel, BThZ 22 (2005) 3–35.
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[Nachtrag: Zu ähnlichen Ergebnissen wie der voranstehende Beitrag kommt nun auch J. Wöhrle, Abraham und das Leben im Ausland. Zur Intention der Ahnfrau-Erzählung in Gen 12,10–20 und ihrer frühen inner- und außerbiblischen Rezeption, BN 151 (2011) 23–46, der auch noch das Jubiläenbuch einbezieht.]
4. Gen 15: Vom „Urgestein“ der Väterüberlieferung zum „theologischen Programmtext“ der späten Perserzeit Es dürfte wenige Texte im Pentateuch geben, die in den letzten 125 Jahren derart umgepflügt worden sind wie Gen 15. Das hat vielerlei Gründe. Dazu gehört nicht zuletzt die Vielzahl der Motive und Themen mit ihren weiten literarischen und theologischen Horizonten, die hier in einem Text versammelt sind: „Bund“ und „Verheißung“, „Nachkommenschaft“ und „Land“, „Glaube“ und „Gerechtigkeit“. Unter einem Dach stehen nebeneinander: ein archaisch anmutender Ritus (V. 9–10.12.17) neben theologischen Deutungen (V. 6.18), ein Heilsorakel in königlichen Farben (V. 1b) neben einem Geschichtsvorblick in apokalyptischem Geist (V. 13–16). Was haben Anspielungen auf Exodus (V. 7) und Sinai (V. 17) bei Abraham zu suchen? Was für eine erstaunliche Mixtur! Viel Mühe hat man in den letzten 125 Jahren – auch in der ZAW1 – auf diesen Text im ganzen sowie auf seine zahlreichen Einzelprobleme gewandt und ist doch einer allgemein anerkannten Lösung der literarhistorischen Probleme dieses Textes nicht viel näher gekommen.
1. Ein kurzer Rückblick Schon in den goldenen Zeiten, als das Quellenmodell noch nahezu unbestritten in Geltung stand, war man von einem Konsens in der Beurteilung von Gen 15 weit entfernt. Die einen versuchten der Probleme dieses Textes dadurch Herr zu werden, dass sie die tragenden Motive in einem Längsschnitt auf zwei Erzählfäden verteilten; allerdings führte die Verteilung im Detail bei fast jedem Vertreter dieser Lösung zu unterschiedlichen Ergebnissen.2 Deshalb suchten andere ihr Heil mit Julius Wellhausen in einem Querschnitt nach V. 6.3 Wie stark der Sys1 ZAW 13 (1893) 156–159 (L. Couard); 42 (1924) 34–74 (W. Staerk); 52 (1934) 274–279 (A. Schulz); 70 (1958) 107–126 (O. K aiser); 75 (1963) 317–319 (H. Seebass); 95 (1983) 182–197 (M. Oeming); 106 (1994) 21–27 (D. U. Rotzoll); 109 (1997) 327–341 (A. Behrens); 110 (1998) 16–33 (M. Oeming); 112 (2000) 396–398 (I. Willi-Plein); 114 (2002) 342–355 (P. Auffret). 2 S. die kleine, keineswegs vollständige forschungsgeschichtliche Synopse bei M. Köckert, Vätergott und Väterverheißungen (FRLANT 142), Göttingen 1988, 326 f., und die Tabellen bei J. Ha, Genesis 15. A Theological Compendium of Pentateuchal History (BZAW 181), Berlin 1989, zwischen S. 30 und 31. 3 J. Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, Berlin 31899, 21 f.
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temzwang des Quellenmodells war, kann man daran sehen, dass vornehmlich der zweite Teil dieses Kapitels dem Jahwisten zugeschrieben wurde, während dessen erster Teil als Eröffnungstext des elohistischen Werkes galt4, obwohl doch das Appellativ „Elohim“ überhaupt nicht vorkommt. Einen Perspektivenwechsel vollzog erst Jan Hoftijzer, indem er die literarische Verbindung aller wesentlichen Motive in den Blick rückte.5 Seither ist der Chor derer stetig angewachsen, die das Kapitel in seiner Substanz für literarisch einheitlich halten.6 Die Vielstimmigkeit der literarischen Analysen hatte entsprechende literarhistorische Folgen. Selbst bei den Vertretern des gleichen Lösungstyps bestanden in der zeitlichen Ansetzung der einzelnen Schichten oder Teile erhebliche Differenzen. Wenigstens der zweite Teil von Gen 15 galt lange, schon wegen des angeblich „archaischen“ Ritus, als Urgestein der Väterüberlieferung7 – bis Lothar Perlitt dieses Vorurteil als unbegründet erwies.8 Der erste Teil wiederum sollte eine „alte Kultstiftungssage für den Gott Abrahams“ belegen, als dessen Namen Albrecht Alt aus V. 1 „Schild Abrahams“ postulierte.9 Anderseits mussten V. 2–4 für das hohe Alter der Verheißung eines Sohnes bürgen, die man von der jüngeren Mehrungsverheißung unterschied.10 Mit beiden Hypothesen steht es jedoch nicht besser als mit der ersten.11 So verwundert es nicht, dass auch schon vor dem 100. Jahrgang dieser Zeitschrift dieses Kapitel mitunter als ein junges Gebilde beurteilt wurde, das frühestens am Ende der Königszeit, wenn nicht gar erst in der Exilszeit entstanden sei.12 4 Von H. Holzinger (Genesis erklärt [KHC I], Freiburg 1898, z. St.) bis P. Weimar, Genesis 15. Ein redaktionskritischer Versuch, in: M. Görg (Hg.), Die Väter Israels. Beiträge zur Theologie der Patriarchenüberlieferungen im Alten Testament. FS Joseph Scharbert, Stuttgart 1989, 361–412. 5 J. Hoftijzer, Die Verheißungen an die drei Erzväter, Leiden 1956, 17–23. 6 N. Lohfink, Die Landverheißung als Eid (SBS 28), Stuttgart 1967, 35–44; J. v. Seters, Abraham in History and Tradition, New Haven/London 1975, 249–263; H. H. Schmid, Der sogenannte Jahwist, Zürich 1976, 121–125; E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte (WMANT 57), Neukirchen-Vluyn 1984, 377; Ha, Genesis 15, 215; K. Schmid, Erzväter und Exodus (WMANT 81), Neukirchen-Vluyn 1999, 172–185; T. Römer, Recherches actuelles sur le cycle d’Abraham, in: A. Wenin (Hg.), Studies in the Book of Genesis (BEThL 155), Leuven 2001, 179–212. 7 H. Gunkel, Genesis übersetzt und erklärt (HKAT 1/1), Göttingen, 31910, 165. 8 L. Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament (WMANT 36), Neukirchen-Vluyn 1969, 73–77, hat gezeigt, dass die altorientalischen Analogien für den biblisch nur noch in Jer 34 bezeugten Ritus nicht hinter das 8. Jh. zurückreichen; vgl. schon das lakonische Urteil von J. Skinner, Genesis (ICC), Edinburgh 21930, 277: „The ceremonial of 9 f.17 is no proof of antiquity“. Zu den von G. F. Hasel, JSOT 19 (1981) 61–78, wieder vorgebrachten Belegen des 2. Jt. die Kritik bei Köckert, Vätergott, 230 f. 9 A. Alt, Der Gott der Väter (1929), in: Ders., Kleine Schriften 1, München 1953, 66. 10 C. Westermann, Die Verheißungen an die Väter. Studien zur Vätergeschichte (FRLANT 116), Göttingen 1976, 123–127. 11 Köckert, Vätergott; zur sog. Sohnesverheißung bes. 233–242. 12 O. K aiser, Traditionsgeschichtliche Untersuchung von Genesis 15, ZAW 70 (1958) 107–126; Perlitt, Bundestheologie, 76 f.: „proto-dt Traditionsdeutung“ aus dem „beginnen-
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Leider ist es in den letzten 25 Jahren nicht gelungen, die Kakophonie der Meinungen in ein harmonisches Konzert zu verwandeln. Alle Lösungsmodelle finden auch heute noch Liebhaber, wenn es auch um den Elohisten in Gen 15 sehr still geworden ist.13 Wenigstens drei Tendenzen lassen sich gegenwärtig erkennen. (1) Verschiedenartige Fortschreibungsmodelle haben die klassischen Quellen abgelöst.14 (2) Häufiger als früher setzt man heute die literarische Integrität wenigstens der Substanz von Gen 15 voraus.15 (3) Die zeitliche Untergrenze ist weiter in die späte Perserzeit gewandert.16
2. Art und Anlage des Textes Eine der Hauptursachen für die kontroversen literarischen Analysen von Gen 15 liegt darin, dass der Text mit Kriterien untersucht wird, die in Analysen gewachsener Erzählungen gewonnen wurden, und dass man stillschweigend voraussetzt, auch in Gen 15 handle es sich wenigstens im Kern um eine derartige Erzählung, die es nur herauszupräparieren gelte. Aber welche Art Text ist den 7. Jh.“; v. Seters, Abraham, 263–269: „exilic period“; H. H. Schmid, Jahwist, 121–127: dtr. 13 Selbst A. Graupner, Der Elohist. Gegenwart und Wirksamkeit des transzendenten Gottes in der Geschichte (WMANT 97), Neukirchen-Vluyn 2002, 182–187, findet E in Gen 15 nicht. 14 H. Mölle, Genesis 15. Eine Erzählung von den Anfängen Israels (FzB 62), Würzburg 1988 (nach-jes. aber vor-dtn. Grundschicht, vorexilische und exilische Erweiterungen); E. Haag, Die Abrahamtradition in Gen 15, in: M. Görg (Hg.), Die Väter Israels. Beiträge zur Theologie der Patriarchenüberlieferungen im Alten Testament. FS Joseph Scharbert, Stuttgart 1989, 83–106 (jehowistische G aus der Josiazeit und zwei nachexil. Fortschreibungen); P. Weimar, Genesis 15 (elohistische Grundlage und vier teilweise redaktionelle Fortschreibungen); E. Zenger, Wie und wozu die Tora zum Sinai kam, in: M. Vervenne (Hg.), Studies in the Book of Exodus (BEThL 126), Leuven 1996, 280 f. (Gen 15 avanciert zum Spitzentext seines Jerusalemer Geschichtswerks aus der Josiazeit); L. Ruppert, Genesis. Ein kritischer und theologischer Kommentar. 2. Teilband: Gen 11,27–25,18 (FzB 98), Würzburg 2002 (elohistische Grundschicht mit sechs teilweise redaktionellen Fortschreibungen); C. Levin, Jahwe und Abraham im Dialog: Genesis 15, in: M. Witte (Hg.), Gott und Mensch im Dialog. FS O. Kaiser zum 80. Geburtstag (BZAW 345/1), Berlin 2004, 237–257 (G mit Ergänzungsschicht). 15 Blum, Komposition, 376–382, und Köckert, Vätergott, 223–227, rechnen mit Nachträgen; dagegen finden D. M. Carr, Reading the Fractures of Genesis. Historical and Literary Approaches, Louisville/K ent. 1996, 163–166 (vor-P), und B. Ziemer, Abram – Abraham. Kompositionsgeschichtliche Untersuchungen zu Gen 14, 15 und 17 (BZAW 350), Berlin 2005, 388 f. („strukturelle Einheit“), keine Ergänzungen in Gen 15. 16 In die Exilszeit setzen Gen 15 Van Seters, Abraham, 267 ff., und R. Rendtorff, Genesis 15 im Rahmen der theologischen Bearbeitung der Vätergeschichten, in: R. Albertz u. a. (Hg.), Werden und Wirken des Alten Testaments. FS C. Westermann, Göttingen 1980, 74–81. Blum denkt an „einen (früh-)nachexilischen Kontext“ (Komposition, 367). H.‑C. Schmitt, Theologie in Prophetie und Pentateuch (BZAW 310), Berlin 2001, 220–237, und Levin, Jahwe und Abraham, 241, ordnen das Kapitel nach P ein. L. Schmidt, Genesis XV, VT 56 (2006) 251–267, bes. 260, schreibt Gen 15 der Pentateuchredaktion zu.
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Gen 15 überhaupt? Ist er wirklich eine Erzählung, gar eine gewachsene? Schon Benno Jacob hat die Art des Textes treffend charakterisiert: „In diesem Kapitel macht die Handlung keinen Fortschritt. Es enthält nur Gesichte und Reden, und diese bringen nichts eigentlich Neues. Sie wiederholen die Verheißung des Landes an Abrahams Nachkommen, die schon zweimal ausgesprochen war. Das Neue ist, dass sie nunmehr absolut gegeben werden, losgelöst von Zeit, Ort und Umständen.“17
Ein Schelm, wer nach dieser Beschreibung eine Erzählung erwartet. Die Weichen für die Wahrnehmung eines Textes werden in der Regel in den ersten Sätzen gestellt. Schon der Beginn in Gen 15,1 mit „nach diesen Begebenheiten“ kündigt eine Erzählung nach der Art von Gen 22,1.20; 48,1 an.18 Es folgt aber eine Wortereignisformel, die in der Prophetie, vor allem in Jer und Ez ihre Heimat hat. Ist etwa auch Abraham unter den Propheten? Hierzu scheint die Stilisierung als Vision zu passen, wie ein Blick auf die Wurzel חזהin Am 1,1 und Jes 2,1 zeigt. Doch haben in Gen 15,1 weniger die Propheten als vielmehr der weise Eliphas aus Hi 4,12 ff. Pate gestanden.19 Aber damit nicht genug: Was mit dem Ermutigungsruf eingeleitet folgt, erinnert an die Heilsorakel aus dem Munde Ischtars für König Assurbanipal. Vater Abraham trägt offenkundig nicht nur den Prophetenmantel, sondern auch königliche Züge. Die virtuose Mischung unterschiedlicher Traditionen schon im ersten Vers enthüllt das erzählerische Kolorit als dünnen Firnis. Diesen Eindruck bestätigen auch weitere längst bekannte Beobachtungen.20 Das Rückgrat jeder Erzählung bildet eine Kette von Ereignissen und Handlungen, die in Narrativen formuliert werden. Zwar finden sich in Gen 15 zahlreiche Narrative, aber sie leiten allermeist Reden (V. 2.3.5b.7.8.9.13–16; vgl. 18b), kaum Handlungen ein. Die wenigen Handlungen sind überdies den Reden zu- und untergeordnet. Sie betreffen entweder Nebenzüge, die lediglich ein Motiv illustrieren (wie in V. 5a), oder bewerten eine vorangegangene Tat (wie in V. 6b), sie berichten den Vollzug von Anweisungen (wie in V. 10) oder dienen lediglich einer losen zeitlichen Verknüpfung durch den Erzähler (wie in V. 12a.17a). Vor allem aber lässt das dürftige narrative Gerüst keinen Spannungsbogen erkennen; den bauen hier die Reden. Es ist die erste Gottesrede, welche die drei Hauptmotive zu einer geschlossenen Einheit verbindet; denn die allgemein gehaltene Zusage „großen Lohns“ in V. 1 lässt vorerst unbestimmt, worin der Lohn besteht.21 Auf einen leiblichen Erben (V. 2.3b.4) oder zahlreiche Nachkommenschaft (V. 3a.5) kann er sich nicht beziehen; denn die anschließende Frage Abrahams in V. 2.3 setzt voraus, dass mit 17
B. Jacob, Das Buch Genesis (1934), Neudruck Stuttgart 2000, 402. Vgl. die szenischen Einschnitte in Gen 39,7; 40,1; 1 Kön 17,17; 21,1. 19 Darauf hatte schon Gunkel hingewiesen (Genesis, 181). 20 Vgl. Köckert, Vätergott, 206–208, und die dort genannte Lit. 21 Wellhausen hat die Bedeutung von V. 1b für die literarische Einheit des Kapitels nicht recht gesehen. Zur Geschlossenheit der Komposition s. Köckert, Vätergott, 223–227. 18
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dem Lohn etwas gemeint ist, das ohne leiblichen Erben sinnlos bleibt.22 So weist schon V. 1b über V. 2–5 auf „dieses Land“ in V. 7–18 als Gabe hin. Der erste Teil (V. 1–6) ist also in der Perspektive von V. 1b als Zwischenschritt formuliert, der niemals ohne den zweiten Teil bestanden haben kann.23 Die Reaktion Abrahams in V. 6 tritt gegenüber den Narrativen durch wAK und durch den Wechsel von der Handlungsebene in die der Deutung des Erzählers aus dem Erzählfluss heraus.24 Der Vers hat freilich ein doppeltes Gesicht. Der erste Satz (V. 6a) zieht ein Fazit für Abraham und lenkt hinter die durch V. 4–5 gewendete Klage zu V. 1b zurück; denn mit der Feststellung, dass Abraham glaubte, sind alle Hürden beseitigt. So stehen Abraham und mit ihm der Leser wieder bei V. 1, nun aber mit verwandelter Einstellung. Der zweite Satz jedoch (V. 6b) blickt voraus, jedenfalls im üblichen Verständnis mit Jhwh als Subjekt; denn mit der Würdigung des Glaubens als der angemessenen Antwort Abrahams auf Gottes Verheißungen eröffnet er eine Perspektive auf die konkrete Füllung des Lohns, den V. 1 angekündigt hatte.25 Davon ist mit der Gabe „dieses Landes“ als Besitz denn auch sogleich in V. 7 die Rede. Das Thema „Land“ wird aber nun mit dem Thema „Nachkommenschaft“ aus dem ersten Teil verschränkt, bis am Ende Gott selbst dieses Land Abrahams Nachkommen in einer singulären Schwurzeremonie übereignet: „Deinen Nachkommen gebe ich hiermit dieses Land …“ (V. 18). So erweist sich Gen 15 als ein wohl komponierter literarischer (!) Text mit V. 6 als Gelenk. Sein gedanklicher Bogen unterscheidet sich jedoch tiefgreifend von den Handlungsbögen gewachsener Erzählungen. Schon Hermann Gunkel vermisste „die Verwickelung“ und wollte deshalb das Stück „kaum eine Geschichte“ nennen.26 Willy Staerk hielt 15,1–6 für „legendarische Einkleidungen religiöser Grundgedanken, also Kunstformen (!), nicht [für] echte alte Sage“.27 Norbert Lohfink hat dafür die Bezeichnung „nachgeahmte Erzählung“ gebraucht.28 An diesen Einsichten hat sich auch heute nichts geändert: „In other words, we are not in the world of dramatic, concrete, action, but in the world of abstract problems“; Jean Louis Ska weist Gen 15 deshalb einem Genre zu, das er „explicatory or exemplifying narrative“ nennt.29 22
So schon K aiser, Untersuchungen, 115. Verheißung großen Lohnes hat also eine entscheidende Funktion im Text und erschöpft sich nicht darin, „Abraham lediglich Gelegenheit zur Einrede“ zu geben (gegen Levin, Jahwe, 243). 24 Vgl. die Erzählerperspektive mit performativem Perf. in der Deutung V. 18. 25 So schon Lohfink, Landverheißung, 45 f., und H. Gese, Die Komposition der Abrahamerzählung, in: Ders., Alttestamentliche Studien, Tübingen 1991, 29–51, bes. 44. 26 Gunkel, Genesis, 183. 27 Zur alttestamentlichen Literarkritik. Grundsätzliches und Methodisches, ZAW 42 (1924) 34–74, bes. 63. 28 Lohfink, Landverheißung, 32 f., nimmt damit Richters Begriff „konstruierte Erzählung“ auf. 29 J. L. Ska, Some Groundworks on Genesis 15, in: Ders., The Exegesis of the Pentateuch. Exegetical Studies and Basic Questions (FAT 66), Tübingen 2009, 67–81, bes. 72. 23 Die
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So ist das Fazit unausweichlich: Gen 15 gibt sich zwar als „Erzählung“, ist aber keine. Was keine Erzählung ist, kann schwerlich an den Maßstäben einer solchen gemessen werden. Umso mehr verwundert die Unverdrossenheit, mit der man diesen Text immer wieder in mehrere Schichten zerlegt und ‚ältere Kerne‘ in ihm aufspüren möchte, obwohl man doch schon lange weiß, dass es sich um eine „planvoll angelegte literarische Komposition“, um „inszenierte Theologie“, auf keinen Fall aber um eine gewachsene Erzählung handelt.30 Man wird ein wenig an Sisyphos erinnert, von dem Albert Camus gesagt hat, er sei ein glücklicher Mensch gewesen.
3. Exemplarische Rekonstruktionen und deren Prüfung Zu literarkritischen Operationen verführt vor allem die Verbindung von drei Verheißungen in einer Erzählung: leiblicher Sohn, unzählbare Nachkommenschaft und dieses Land. Da deren Verbindung in der gegenwärtigen literarischen Anlage des Kapitels durch die Zusage großen Lohns gewährleistet wird, gerät auch V. 1 in das Visier. Hat man ihn erst einmal wegen seiner kühnen Traditionsmischung dem Grundbestand abgesprochen, ist schon das stärkste Band gelöst, das jene drei Verheißungen zusammenhält. Wer V. 1 eliminiert, braucht dann aber für seinen wie auch immer rekonstruierten Grundbestand einen passenden Anschluss oder Anfang. Lassen sich derartige einsträngige Verheißungserzählungen tatsächlich aus dem gegebenen Text herauslösen? Aus den Angeboten der letzten 25 Jahren greife ich drei exemplarische Versuche heraus, beschränke mich aber auf die entscheidenden Gesichtspunkte. 3.1 Grundschicht mit der Verheißung eines leiblichen Erben Eine Grundschicht mit dem Thema Sohn als leiblicher Erbe arbeitet Ernst Haag in 15,2a.3b.4 heraus; er schließt sie unmittelbar an 13,14*.15a.17 an.31 Entscheidend ist der Sinn der Frage von 15,2a. Haag versteht sie wie viele Ausleger gar nicht als wirkliche Frage, sondern vom nächsten Satz her als klagenden Einwand. Die nächste Analogie für die Frage von 15,2a findet sich in 30,31. Dort fragt Laban seinen Schwiegersohn, was er ihm (als Lohn für seine Hirtendienste) geben soll. Die Formulierung der Frage setzt also voraus, dass vorerst noch unbestimmt ist, worin die Gabe besteht. Abrahams Frage in 15,2 „Was willst du mir geben?“ wäre als Fortsetzung der klaren Zusage des gesamten Landes sinnlos; denn Abraham hat es ja schon durch Abschreiten zeichenhaft 30 So einerseits Weimar, Genesis 15, 363, anderseits Levin, Jahwe, 238. Levin urteilt darüber hinaus: „Gen 15 ist von der Wurzel her ein redaktioneller Text“ (S. 239). Das kann vielerlei meinen, auf keinen Fall aber eine gewachsene Erzählung. 31 E. Haag, Abrahamtradition, 14.
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in Besitz genommen (12,1–13,14–17*). Abrahams Frage ist aber eine durchaus passende Reaktion auf die unbestimmte Ankündigung 15,1: „Dein Lohn ist sehr groß.“ Dass V. 2a nicht an V. 1 anknüpfen könne, weil dort „weder ein Erbe für den Erzvater noch ein ihm entsprechendes ‚Geben‘ Jahwes Erwähnung findet“32, wird man kaum sagen können. Gerade die offene Formulierung „dein Lohn ist sehr groß“ ermöglicht es unschwer, beide Inhalte damit zu verbinden.33 Dann aber muss der Lohn auf etwas anderes zielen als auf den leiblichen Sohn. Damit ist eine Integration des zweiten Teils von Gen 15 impliziert. Dagegen wendet Haag den Wechsel im Gebrauch des Verbs ירשein. In V. 3b.4 stehe es mit dem Objekt der Person, in V. 7 mit dem Objekt der Sache. Dass dieser Wechsel ein komplexes thematisches Interesse in Gen 15 widerspiegelt, womit die Einsträngigkeit gesprengt wird, und dass es sich hier deshalb um gar keine gewachsene Erzählung handeln kann, kommt nicht in den Blick. Das trifft auch für die als elohistisch (!) bestimmte Grundschicht 15,1ab*.3.4 von Peter Weimar zu.34 Sie scheitert daran, dass die Feststellung Abrahams in V. 3a nach der Vorstellung Jhwhs „Ich bin dein Schild“ völlig unmotiviert kommt. Überdies weiß Weimar für die Abtrennung der Zusage großen Lohns in V. 1b keinen durchschlagenden Grund zu nennen. Ihr Fehlen wäre sogar befremdlich, gehört doch der Heilszuspruch als drittes Glied nach Ermutigungsruf und Selbstvorstellung der Gottheit zum Stil eines Heilsorakels, das bei der Formulierung von V. 1b Pate gestanden hat.35 Gen 15 verwendet die Topoi eines Heilsorakels allerdings als freie, situationsgelöste, eben als literarische Bausteine. Den Beginn mit V. 1a deutet Weimar als den Anfang eines größeren Textkorpus. Was daran elohistisch sein soll, hat sich mir nicht erschlossen.36 Das Thema Sohn allein kann die behauptete Verbindung mit Gen 22 wohl kaum begründen. Es hat sich gezeigt, dass beide Rekonstruktionen in der vorgelegten Gestalt ohne 15,1 als Erzählung nicht lebensfähig sind.37 Mit V. 1b ist aber das Thema Land und so auch die Substanz der V. *7–18 auf dem Plan. 32
Haag, Abrahamtradition, 88. So schreibt sogar Ruppert (Genesis, 245) in seiner mehr als sechs Stufen umfassenden Redaktionsgeschichte von Gen 15 beide Passagen der gleichen Hand zu. 34 Weimar, Genesis 15, 391. 35 Weimars Argumentation (S. 378 Anm. 59) krankt auch daran, dass er die als Heilsorakel literarisch eingefärbte Gottesrede V. 1b an einer abstrakten Form misst, die keine Asyndese und nur lupenreine Parallelismen erträgt – so etwas hat es nur in den Köpfen von Textingenieuren, nicht aber in der geschichtlichen Wirklichkeit gegeben. Rein inhaltlich argumentiert Ruppert damit, dass der Lohn nicht zur voran stehenden Verheißung des Schutzes passe. Dagegen s. aber schon Kaiser. 36 Zumal die LXX nur in V. 6.7 mit θεός übersetzt hat. 37 S. auch L. Schmidt: Ohne V. 1b „hängen V. 2a, 3b in der Luft. Abraham konnte doch gegen die Schutzzusage in V. 1ba nicht einwenden, dass er ohne Nachkommen sterben und ihn ein im Haus geborener Sklave beerben wird“ (Gen XV, VT 56 [2006] 252). 33
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3.2 Grundschicht mit der Verheißung von זרע Die älteste erreichbare Gestalt habe – so Christoph Levin38 – lediglich 15,1.3a.5 umfasst, also nur die Verheißung eines „Nachkommen“ ( )זרעenthalten. Es handle sich um eine Szene, die „aus dem Widerspruch zwischen der Landverheißung 13,14–15a und Abrahams Kinderlosigkeit 16,1 erwachsen“ und erst nach P, aber vor Gen 14, als Einschub zwischen 13,15a und 16,1 entstanden sei. Dass dieser literarische Ort der ursprüngliche gewesen sei und sich der Lohn entsprechend auf „Abrahams Großzügigkeit gegenüber Lot“ bezogen habe, ist eine aus der älteren Literatur übernommene Schlussfolgerung aus der bloßen Behauptung hohen Alters der Erzählung. Einen Zusammenhang mit Gen 14 schließt Levin von vornherein aus, obwohl der – vor allem bei einer Ansetzung nach P – sehr viel näher gelegen hätte. Denn in Gen 13 ist Abraham für seine Großzügigkeit gegenüber Lot schon mit der Verheißung des „gesamten Landes, das du siehst“ (13,14–15) reich belohnt worden. Auf der von Levin vorausgesetzten literarischen Ebene wäre gerade jene offene Formulierung „dein Lohn ist sehr groß“ nach 13,15a völlig unmotiviert, nicht aber nach Gen 14,21–24, wo Abraham auf alle Beute verzichtet. Auch die behauptete ursprüngliche Abfolge von 15,1b.3a ist erzählerisch nicht möglich. Abrahams Klage in V. 3a, Jhwh habe ihm keinen Nachkommen gegeben, wäre allenfalls eine passende Reaktion, wenn Gott gefragt hätte: „Was soll ich dir geben?“ Sie kann aber nicht unmittelbar an die göttliche Zusage großen Lohns anschließen.39 Abrahams Feststellung V. 3a braucht V. 2a als Bindeglied, um nach V. 1 sinnvoll zu sein. Der von Levin vorausgesetzte ursprüngliche Leser müsste einen Satz wie V. 2a wenigstens mitgedacht haben. Die Erzähllogik zwingt also gerade dazu, V. 2a beizubehalten. Levin rückt die Verheißung der Nachkommenschaft (V. 5) von der eines leiblichen Erben (V. 4 nach V. 3b) weit ab.40 Eine derartige Differenz ist wenig wahrscheinlich und verdankt sich wohl den Nachwehen der Konstruktion einer ursprünglichen Sohnesverheißung durch Claus Westermann; die hat sich jedoch als ein Phantom herausgestellt.41 Zwar gibt es Geburtsankündigungen als Einzelmotive, aber das Thema „Mehrung“ bzw. „zahlreiche Nachkommenschaft“ setzt in der Perspektive der Volksgeschichte als Familiengeschichte in einer patriarchalen Gesellschaft erst einmal einen eigenen Sohn voraus. In dieser Hinsicht gehören beide Motive sachlich zusammen. Das Thema Sohn wird allerdings in 15,2–4 deutlich auf den legitimen Erben zugespitzt. Daraus zieht Levin weitreichende literarkritische Schlüsse. Ur38
Levin, Jahwe und Abraham, 14. sei denn man unterstellt, Gott wisse selbst noch nicht, was er geben will, und überlasse die Wahl Abraham. Dann aber setzt man als Frage voraus, was nicht dasteht: Was soll ich dir geben? 40 So auch Haag, Abrahamtradition; Weimar, Genesis 15; Ruppert, Genesis, 245. 41 Westermann, Verheißungen; dagegen Köckert, Vätergott, 233–242. 39 Es
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sprünglich sei die Verheißung zahlreicher Nachkommen in V. 5 als Antwort auf die Klage Abrahams von V. 3a „mit der Geburt des Ismael hinreichend beantwortet“ (Gen 16).42 Diese Lösung habe später Anstoß erregt und nun die Frage nach einem leiblichen Erben erzwungen. Sie sei zunächst mit V. 3b.4, sodann mit V. 2a ergänzend nachgetragen worden. Unbestritten ist, dass V. 2b besondere Probleme birgt. Jedoch ist schon für jene von Levin in die Zeit nach P angesetzte Grundschicht die behauptete Lösung mit Ismael ausgeschlossen. Zu keiner Zeit, erst recht nicht nach P, hätte man in Israel jemals Ismael und seine Nachfahren als gleichberechtigte Nachkommen Abrahams angesehen. Damit erübrigen sich die darauf bauenden Konstruktionen. Angesichts dieser Problematik erscheint der vorliegende Text in seinem Verlauf sorgfältig überlegt: Zuerst wird geklärt, wer überhaupt legitimer Erbe ist (V. 2–3.4), dann geht es um dessen unzählbare Menge (V. 5), erst danach kommt in den Blick, worin das Erbe besteht (V. 7.18.19–21), dessen Besitz offenbar umstritten ist. 3.3 Grundschicht mit der Verheißung „dieses Landes“ Eine Grundschicht allein mit der Landverheißung sucht Lothar Ruppert zu rekonstruieren.43 Zwar sieht er deutlich die „Unproportionalität im äußeren ‚Geschehen‘“44, aber derlei sei das Werk der von ihm angenommenen jehowistischen Redaktion. Ihr liege die dem Jahwisten zugeschriebene und als archaisch beurteilte Theophanieerzählung (V. 8ab*.9a.10a.12*.17) zugrunde, die ursprünglich mit der Landverheißung in 13,14.15a verbunden und in Bethel lokalisiert war. Schon der Jehowist in vor-josianischer Zeit habe sie und ein elohistisches Fragment mit der Verheißung eines Sohnes/Erben (V. 1bα.3.4aβb) durch V. 7 zu jenem in Gen 15* vorliegenden „kunstvoll komponierten Bericht“ verbunden.45 Da die Fassung des Jahwisten ohnehin nur in ihrer jehowistischen Bearbeitung erhalten ist, bleibt die ursprüngliche Landverheißungserzählung ein Phantom, geboren aus dem Systemzwang eines bestimmten Pentateuchmodells und genährt vom urtümlichen Eindruck, den die Szene angeblich macht.46 Ruppert beweist damit ungewollt die substantielle Zusammengehörigkeit beider Teile von Gen 15. Ansonsten beruht dieses Vermutungsgebäude auf Voraussetzungen, die unbeweisbar sind. Zur Abtrennung des großen Lohns (V. 1bβ) war schon zu Weimar 42
Levin, Jahwe, 243. Ruppert, Genesis, 14. 44 Ruppert, Genesis, 243. 45 Ruppert, Genesis, 259. 46 Ruppert, Genesis, 249, 256: „archaische Tradition (!) … im Rahmen einer Inkuba tion (!) … in oder bei Bet-El (!)“. Zum vorgeblich archaischen Charakter hat schon Perlitt, Bundestheologie, 73, das Nötige gesagt: Die Altersbestimmung werde „traditionell gefühlsmäßig, d. h. ohne nähere Begründung gegeben“. 43
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das Nötige gesagt. Gegen die Zugehörigkeit von V. 7 zu V. 8 ff. spricht nichts, wie der Anschluss von V. 8 an die Landverheißung in 13,14–15a bei Ruppert zeigt. Auf diese Weise kann sich jeder den Text für seine eigenen Ziele nach Wunsch zuschneiden. „Literarische Analyse“ sollte man dieses Verfahren jedoch nicht mehr nennen. Wer eine ältere Landverheißungserzählung mit Gen 15 begründen will, kann das nur mit V. 7 tun. Die Gottesrede von 15,7 kann jedoch – auch ohne „Ur Kasdim“ und ohne das letzte Verb – niemals eine soeben ergangene Landverheißung wie in 13,14 f. fortsetzen. Da war Ludwig Schmidt besser beraten, als er seine ursprüngliche Landverheißungserzählung (15,7–11.17.18) als Reaktion Abrahams nach dessen Altarbau in Mamre 13,18 plazierte.47 Er erklärt diese erneute Landverheißung als zusätzliche eidliche Vergewisserung und Steigerung gegenüber der unmittelbar zuvor ergangenen großen Verheißung von 13,14–17. Man fragt sich allerdings, was zu derlei Steigerung genötigt hat. Warum sollte Abraham der Vergewisserung bedürfen, nachdem er die Verheißung soeben erhalten, daraufhin – offenbar noch ganz gewiss – den besitzergreifenden ambitus ausgeführt und sich nun in Mamre niedergelassen hat? Die behauptete Steigerung und Vergewisserung ist durch nichts motiviert und kommt narrativ gänzlich unvermittelt. Wenn Abraham das Land nach 13,17 schon in Besitz genommen hat, wie Schmidt meint48, ist eine bekräftigende Fortsetzung mit 15,7 wenig sinnvoll. 3.4 Einwände gegen die Zusammengehörigkeit von v. 1–6 mit V. 7–21 Die kurze Prüfung hat gezeigt, dass auch die neuerlichen Versuche, eine einsträngige Erzählung zu rekonstruieren, nicht überzeugen können. Dann stellt sich die Frage erst recht, was dazu zwingt, die beiden Teile V. 1–6 und V. 7–21 auf mehrere Hände zu verteilen. Wie oben bereits gezeigt, sind beide Teile überlegt und aufeinander bezogen komponiert worden.49 Auch für die behandelten Themen (leiblicher Sohn als legitimer Erbe, zahlreiche Nachkommen und dieses Land als Erbe) lässt sich durchaus ein gemeinsamer Problemhorizont erkennen.50 Gegen die literarische Zusammengehörigkeit der Substanz beider Teile führt man seit Julius Wellhausen immer die gleichen Gesichtspunkte ins Feld. Sie werden durch Wiederholung nicht überzeugender: 47
L. Schmidt, Genesis XV, VT 56 (2006) 251–267. L. Schmidt, Genesis XV, 258. 49 Das wird von Kaiser, Lohfink und vielen anderen bis zu L. Schmidt immer wieder festgestellt. Selbst Levin spricht von einem „Diptychon“ und meint, „die Übereinstimmung der Form versteht sich noch besser, wenn die zweite Szene hinzukam, solange auch die erste noch ihre ursprüngliche Fassung aus V. 1.3a.5 besaß“ (Jahwe, 251). Auch L. Schmidt beobachtet den „weitgehend übereinstimmenden Aufbau“, aus dem hervorgehe, „dass sie nicht unabhängig voneinander entstanden sind“; er denkt für beide an die Zeit nach P (Genesis XV, 257 und 267). 50 Vgl. Köckert, Vätergott, 242–247. 48
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Beliebt ist der Hinweis auf die unordentliche Abfolge der verschiedenen Tageszeiten: Die Sterne in V. 5 setzen die Nacht voraus, während das Geschick der Nachkommen bei Sonnenuntergang enthüllt (V. 12) und der „Bund zwischen den Stücken“ nach Sonnenuntergang geschlossen wird (V. 17 f.).51 Indes sollte man bedenken, dass das gesamte Kapitel schon eingangs in V. 1a als „Vision“ stilisiert ist, die anderen Regeln folgt als denen der realen Welt.52 Wäre dem Erzähler an der Nacht als Zeitpunkt der Vision gelegen, hätte er das wie in 20,3; 26,24; 31,24; 46,2 eigens vermerken können. Gegen die Stilisierung als Vision sprechen auch nicht die wenigen Handlungselemente, wie an anderen Visionsberichten zu sehen ist.53 Wie die Stilisierung als Vision nicht nur für die V. 1–6, sondern für beide Teile gilt, so hüllt auch die Wortereignis-Formel das gesamte Kapitel in prophetisches Licht. V. 1 leitet nicht nur den ersten Teil, sondern beide Teile ein. Gegen den Einwand, V. 7 komme mit der Selbstvorstellungsformel zu spät und könne nur am Beginn einer Einheit stehen54, hilft ein Blick in die Konkordanz: Gen 35,11 nach V. 10. Die Selbstvorstellung erfolgt in V. 7 nicht nur am zentralen Gelenk des Textes, sondern auch in unmittelbarer Verbindung mit der Herausführung, um dieses Land zu besitzen. Konnte man V. 1–6 noch ‚biographisch‘ lesen, allein auf Abraham bezogen, so gibt sich die Gottheit jetzt für Abraham als Erzählfigur erstmals ausdrücklich als Jhwh zu erkennen, der den Besitz des Landes als das zentrale Heilsgut für Israel verbürgt. Der besondere Einsatz mit V. 7 verdankt sich keiner literarischen Panne ungeschickter Redaktoren, sondern überlegter Textstrategie.55 Nicht selten wird Abrahams Frage in V. 8 als Zweifel an Gottes Macht gedeutet, die im Widerspruch zu Abrahams Vertrauen in V. 6 stehe.56 Diese Deutung verkennt die Funktion von V. 8 als Zeichenbitte, die gerade vom Vertrauen des Bittstellers zeugt, wie man am Kontrast zwischen Hiskia in 2 Kön 20,1–11 und Ahas in Jes 7,10 ff. sehen kann. Der mitunter als befremdlich empfundene unterschiedliche Gebrauch des mehrdeutigen Verbs „erben/besitzen“ in V. 3b.4 und V. 7.8 kann in einem Text 51 Die unterschiedlichen Tageszeiten haben R. Fidler veranlasst, V. 1a.7–18*.3–6 als ursprüngliche Abfolge zu postulieren, die erst durch einen von P inspirierten Redaktor in den gegebenen Text verwandelt worden sei (VT 57 [2007] 162–180) – wenig überzeugend und unbeweisbar. 52 Beachte den kataphorischen Artikel bei מחזה, der alles, was folgt, als Vision kennzeichnet. 53 Man sehe beispielsweise Jes 6; Ez 8–10; 40–48 u. a. 54 So schon B. D. Eerdmans, Alttestamentliche Studien I: Die Komposition der Genesis, Gießen 1908, 37, der deshalb V. 1–6 und V. 7–21 als „zwei voneinander unabhängige Perikopen betrachten“ will. W. Staerk lenkt in dieser Frage wieder gegen Gunkel zu Eerdmans zurück und versteht V. 1–6 als ein „Erzeugnis prophetischer Welt- und Lebensanschauung“ (Literarkritik, 64). 55 Hoftijzer, Verheißungen, 23: Die Selbstvorstellungsformel dient der feierlichen Hervorhebung der Landverheißung. 56 Eerdmans, Genesis, 37.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
gar nicht verwundern, der klären will, wer als legitimer Erbe das Land besitzen soll.57 Damit sind Texte wie Jes 65,9 und Ps 69,36–37 oder Ez 36,10 ff. im Kontrast zu 35,10 zu vergleichen. Das Erbe besteht in der erzählten Welt von Gen 15 ohnehin primär im Besitz des Erblands. Dass die Nachkommen in Gen 15,7–8, noch dazu als Erben, gar keine Rolle spielen, wird man gerade nicht sagen können, weil mit dem Ahn Abrahams Nachkommen im Spiel sind. Deshalb kann man auch nicht die Landverheißung für Abraham in V. 7 gegen die für seine Nachkommen in V. 18 literarkritisch in Stellung bringen. In Abraham ist sein Same immer schon mitgemeint, und die Landverheißung setzt der Sache nach das Volk als Nachkommenschaft Abrahams stets voraus; denn „dieses Land“ ist seit 12,7 (und 13,17) das Land, in dem in der erzählten Zeit die Kanaanäer (und Perizziter) siedeln, nicht ein kleines Stück Acker- und Weideland, das von Abrahams Großfamilie bewirtschaftet wird. 3.5 Probleme mit V. 2–3 Lediglich an drei Stellen lässt Gen 15 deutliche literarische Bearbeitungen erkennen. Als notorisch schwierig gilt schon immer V. 2b. Man kann nicht ausschließen, dass ein Späterer die unmittelbar folgende und gleichlautend eingeleitete Rede Abrahams in V. 3 als Deutung der schwer und kaum verständlichen Sätze von V. 2aβb nachträglich eingeschrieben hat.58 Einfacher ist es freilich, nur bei „das ist Damaskus“ in V. 2b mit einer Glosse zu בן משקzu rechnen, die außerdem eine Brücke zu 14,15 schlägt. Das Nomen משקist schwerlich ein Name59, könnte aber von der Wurzel „ שקהtrinken“ abgeleitet sein60, vgl. die ugarit. Wurzel ì-q-y „to offer drink“, die als Nomen „cupbearer, wine waiter“ bedeutet, vgl. ugarit. mìq „cup“.61 Die (später nicht mehr verstandene) hebr. Wendung ist wie eine Berufsbezeichnung mit בןgebildet, könnte also „Mundschenk, Verwalter“ bedeuten.62 Abrahams Antwort in V. 2b hätte dann ursprünglich gelautet: „Was willst du mir geben, gehe ich doch als Kinderloser dahin, und der Verwalter meines Hauses ist Elieser.“ In einem zweiten Anlauf fährt er in V. 3 fort: „Und Abraham sprach (weiter63): Sieh, mir hast du keine Nachkommen gegeben, und 57 Der Einwand von L. Schmidt, zwischen dem Verb in Gen 15,3b.4 und in V. 7 f. bestehe gar keine inhaltliche Beziehung, geht deshalb an der Sache vorbei. 58 So zuerst Eerdmans, Genesis, 39; ihm folgen K aiser, Untersuchungen, 109, Lohfink, Landverheißung, 39, u. a. 59 Die LXX hat das nomen allerdings als Frauennamen gedeutet. Ein Ort dieses Namens ist nicht bekannt, was gegen die Erklärung von בן משקals „a Meìekite“ spricht bei I. A. Snijders, Genesis XV. The Covenant with Abraham, in: B. Gemser/J. Hoftijzer (Hg.), Studies on the Book of Genesis (OTS 12), Leiden 1958, 269. 60 Entsprechend übersetzt Aquila. 61 Vgl. DUL II, 2004, 593 und 840. 62 Vgl. Gen 24,2: „der über allem, was ihm gehört, herrscht“ ()המושל בכל אשר לו. 63 Vgl. E. König, Historisch-comparative Syntax der hebräischen Sprache, Leipzig 1897, § 368c.
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so wird mein Hausgeborener (vgl. Koh 2,7) mich beerben“. Die beiden unmittelbar aufeinander folgenden und gleich eingeleiteten Reden Abrahams können also schwerlich als Doppelung gelten.64 Was in der Kinderlosigkeit von V. 2 noch verborgen ist65, spricht V. 3 offen aus. Darauf antwortet Jhwh mit V. 4: Nicht der fremde, sondern dein leiblicher Sohn wird Erbe sein. Die beiden Abrahamreden haben in den beiden ebenfalls aufeinander folgenden Gottesreden von V. 5 ein formales Seitenstück. Wie auch immer man das Problem lösen66 mag, mehr als eine punktuelle ‚Bearbeitung‘ lässt sich in V. 2–3 nicht finden. Anders verhält es sich allerdings mit V. 13–16 und mit V. 19–21, zwei Fortschreibungen von verschiedenen Händen.
4. Profil und Horizont der Fortschreibungen V. 11.13–16 und V. 19–21 Der Ausblick auf das Geschick der Nachkommen Abrahams in V. 13–16 ist durch V. 1167 vorbereitet und mit der steigernden Wiederaufnahme des Sonnenuntergangs in V. 17a als Einsatz markiert. Zwar hat man in den letzten Jahren immer wieder einmal die Zugehörigkeit dieses Geschichtsausblicks vertreten, ist er doch sachlich über das Thema „Nachkommen“ eingebunden.68 Doch sprechen die klassischen Argumente dagegen, die schon Julius Wellhausen eingewandt hatte. Die Einschränkungen, die V. 13–16 machen, setzen die Verheißung von V. 18 voraus und nehmen sie vorweg.69 Hinzu kommen sachliche Differenzen.70 „Amoriter“ bezeichnet in V. 16 die Vorbewohner des gesamten verheißenen Landes, in V. 21 nur einen Teil von ihnen. Die Verfechter der Zugehörigkeit zum Grundbestand argumentieren mit der Wendung ( ידע תדעV. 13), die ידעin V. 8 aufnehme. Doch kann die düstere Mitteilung künftigen Frondienstes im Fremd64 So schon m. R. v. Seters, Abraham, 255, mit dem Ergebnis: „so there seems to be no adequate reason to doubt the unity of the whole passage, V. 1–4.“ Auch Ha, Genesis 15, 44 f., sieht von V. 2 zu V. 3 „a real progression of thought“ und hält V. 1–4 für literarisch einheitlich: V. 2 stelle fest, dass es einen fremden Erben gibt, V. 3 dass dessen Stellung im Hause die Forderung begründet, seinem kinderlosen Herrn nachzufolgen. 65 Das nicht sehr häufig belegte Wort עריריhat in Jer 22,30 einen erbrechtlichen Unterton. 66 Wenig wahrscheinlich sind m. E. die Lösungen von A. Schulz, Eliezer?, ZAW 52 (1934) 274–279, und H. Seebass, Gen 15,2b, ZAW 75 (1963) 317–319. 67 Der in den Vorbereitungen für V. 17 bedrohlich wirkende Einzelzug V. 11 wird vom Schwurritus nicht abgedeckt, bedarf aber der Deutung, die mit dem zunächst bedrückenden Geschick der Nachkommen Abrahams in V. 13–16 sogleich gegeben wird. 68 Ha, Genesis 15, 52–55; Römer, Recherches, 201–203; K. Schmid, Erzväter, 181: Literarkritik sei hier „fehl am Platz“. 69 Wellhausen, Composition, 22. Die seit L. Couard, Genesis 15,12–16 und sein Verhältnis zu Ex 12,40 (ZAW 13 [1893] 156–159), zuweilen diskutierten Zusätze innerhalb der V. 13–16 können hier auf sich beruhen. 70 S. die Dikussion bei Ska, Groundwork, 78–80.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
land (V. 13) als Antwort auf die Frage nach dem Landbesitz nicht befriedigen (V. 8).71 Die wird erst von der Theophanie in V. 17 gegeben. Am gewichtigsten sind die konzeptionellen Einwände, die Jan Christian Gertz vorgetragen hat.72 Während der Grundbestand von Gen 15 mit Abraham dessen Nachfahren in nach-exilischer Zeit direkt anspricht, reflektieren die V. 13–16 ausdrücklich das Verhältnis zwischen dem Ahn einst in der erzählten Zeit und seinen Nachfahren jetzt in der Zeit der Erzähler dieser geheimnisvollen Zukunftsschau.73 Auf diese Weise versuchen jene Erzähler die Spannungen auszugleichen zwischen einem Abraham-Israel, das seit je im Lande war, und einem Exodus-Israel, das von außen ins Land kommt.74 Derlei war erst nötig, als beide Konzeptionen in einem Literaturwerk standen. Der Nachtrag hat also programmatischen Charakter und setzt eine Pentateucherzählung voraus, welche die Vätergeschichte mit der Mose-Exodus-Geschichte verbunden hat, mithin nach-priesterschriftlich sein muss.75 Die V. 19–21, seit langem als Anhang verdächtigt76, gehen wegen der Differenz ad vocem Amoriter und der hier verfolgten Interessen auf einen anderen Kopf zurück. Von der Grundschicht, zu der V. 18 gehört, heben sie sich dadurch ab, dass sie die geographische Ausdehnung des Landes durch eine ethnographische ersetzen und damit andere Akzente setzen. Die veränderte Perspektive hat einen stilistisch harten Anschluss dieser Verse zur Folge.77 Die Aufzählung mit ihrer singulären Liste von zehn Völkerschaften suggeriert zwar Größe, dient aber dazu, die Vision eines Israel, das in V. 18b mit seiner größten in der Bibel genannten Ausdehnung vom Nil bis zum Euphrat78 reicht, auf Palästina zu reduzieren. Ihr historischer Ort liegt nicht vor, sondern nach den Seitenstücken, die allesamt wesentlich kürzer sind und sich auch hinsichtlich ihrer 71 Treffend J. C. Gertz, Abraham, Mose und der Exodus. Beobachtungen zur Redaktions-
geschichte von Gen 15, in: Ders. u. a. (Hg.), Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion (BZAW 315), Berlin 2002, 71: „Während es sich in V. 8 um eine vergewissernde Zeichenforderung handelt, die ihre Erfüllung dann sachgemäß in der Schwurzeremonie und Bundeszusage findet, geht es in V. 13 um das Erkennen des Zukünftigen, wonach in V. 8 gar nicht gefragt war.“ 72 Gertz, Abraham, bes. 71–78. 73 „Durch die Hinzufügung der V. 11.13–16 entsteht also eine Verdoppelung der heilsgeschichtlich fundierten Gegenwartsanalyse, und die schadet deren Eindeutigkeit und Verbindlichkeit mehr als dass sie ihr nützt“ (Gertz, Abraham, 73). 74 A. de Pury, La tradition patriarcale en Genèse 12–35, in: Ders. (Hg.), Le pentateuque en question (MoBi 19), Genf 1989, 259–270; T. Römer, Israels Väter (OBO 90), Fribourg 1990, 568–575; K. Schmid, Erzväter. 75 Darin treffen sich Gertz und Ska mit Levin und L. Schmidt. 76 Vgl. nur die von Blum, Komposition, 379, mitgeteilte ältere Lit. 77 Da die in V. 18 gegebene geographische Ausdehnung des Landes mit einer Aufzählung von Gentilicia abgelöst wird, hätte die Reihe V. 19–21 mit „das Land der …“ eingeführt werden müssen. 78 Vgl. die euphratischen Träume in Dtn 1,7; 11,24; Jos 1,4. Der Nil (gemeint ist wohl der östlichste Nilarm bei Sile) als Südgrenze findet sich nur hier; er schließt die Wüste Sinai ein.
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Glieder unterscheiden.79 Die Liste in Gen 15,19–21 ist in der Süd- und Nordgrenze deutlich auf Palästina beschränkt. Sie lässt mit den ersten drei Gliedern und dem letzten eine judäische Perspektive erkennen. Die Erwähnung der edomitischen Kenizziter80, der Rephaim81 und der Amoriter82 schließt das Ostjordanland ein. Allerdings spiegeln die Namen dieses jungen Nachtrags „in ihrer uferlosen Unbestimmtheit“83 kaum noch siedlungsgeographische Realitäten der grauen Vorzeit wider. Sie verdanken sich einerseits ideologischen, anderseits antiquarischen Interessen. Sie setzen innerhalb einer bestimmten Geschichtskonzeption die Ursprünge Israels durch den fiktiven Gegensatz zu einer ganz anderen Vorbevölkerung ab. Anderseits verraten sie auch ein erstaunliches Interesse an der Zeit der eigenen Anfänge. In beiden Fällen sind die Kanaanäer und die anderen vorisraelitischen Völkerschaften in diesen Listen „literary creations fixed upon pseudo-ethnonyms“.84 Die Produkte dieses antiquarischen Interesses an einer imaginierten Vergangenheit Israels sind jedoch nicht völlig frei erfunden, sondern inspirieren sich zum Teil an Wissensstoffen und an Benennungen in der Zeit der Erzähler. So bezeichnen „Amurru“ und „Hatti“ seit der neuassyrischen Zeit das gesamte Gebiet Syriens und Palästinas, obwohl die Hethiter damals keine historische Realität mehr waren. Die Imagination einer fiktiven Vergangenheit, wenn auch keine Völkerlisten, findet man auch anderwärts, etwa bei den jüdischen Historikern in spätpersischer und frühhellenistischer Zeit.85 Der Nachtrag in Gen 15 wird ein wenig älter sein; denn schon Neh 9,8 spielt auf Gen 15,6.18a.19–21 an, allerdings mit einer auf sechs Glieder verkürzten Völkerliste. 79 Die Liste enthält die in unterschiedlicher Reihenfolge aufgeführten Namen der (dtr.) Völkerlisten mit sechs (Ex 3,8.17; 23,23; 33,2; 34,11; Dtn 20,17; Jos 9,1; 11,3; 12,8; Ri 3,5) bzw. (mit den Girgasitern) sieben Gliedern (Dtn 7,1; Jos 3,10; 24,11), allerdings ohne die dort stets genannten Hiviter. Hinzu treten die Rephaim, die in den Vergleichslisten nicht begegnen. Gleichfalls nur hier erscheinen – noch dazu in erster Position – Keniter, Kenizziter und Kadmoniter. Während über die Kadmoniter nichts bekannt ist, gehören die beiden ersten in den Süden und erscheinen anderwärts als Gruppen Judas. Die Liste in Gen 15,19–21 bietet eine singuläre Kombination und ist durch ihren Beginn judäisch ausgerichtet, was kaum verwundert. Zu den Völkerlisten überhaupt s. die nützliche Zusammenstellung von T. Ishida, The Structure and Historical Implications of the Lists of Pre-Israelite Nations, Bib 60 (1979) 461–490. 80 Die Kenizziter werden vom Stammvater Kenas und über dessen Ahn Eliphas von Esau abgeleitet (Gen 36,11.15.42). 81 Gen 14,5; Dtn 2,10–11.20–21; 3,11.13; Jos 12,4; 13,12 kennen die Rephaim als sagenhafte Vorbewohner im Ostjordanland. Jos 17,15 erwähnt sie ebenfalls dort zusammen mit den Perizzitern. Anderseits deutet H. M. Niemann, Das Ende des Volkes der Perizziter. Über soziale Wandlungen im Spiegel einer Begriffsgruppe, ZAW 105 (1993) 233–257, die Perizziter als einen soziologischen Begriff für die nichtstädtische Landbevölkerung. 82 Nach Gen 14,7.13 finden sich die Amoriter beiderseits des Jordan. 83 U. Hübner, Jerusalem und die Jebusiter, in: U. Hübner/E. A. Knauf (Hg.), Kein Land für sich allein. FS Manfred Weippert (OBO 186), Fribourg 2002, 35. 84 C. Uehlinger, The „Canaanites“ and other „pre-Israelite“ Peoples in Story and History, FZPhTh 46 (1999) 546–578; 47 (2000) 173–198, bes. 187. 85 N. Walter, Fragmente jüdisch-hellenistischer Historiker (JSHRZ I/2), Gütersloh 1976.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Das antiquarische Interesse an der eigenen Frühgeschichte muss freilich aktuelle Interessen jener Schreiber nicht ausschließen. Die auffällige Hervorhebung der südjudäischen Gruppen in erster Position erklärt sich vielleicht auch daraus, dass Südjuda und der Negev zu jener Zeit nicht zur Provinz Jehud gehörten, sondern von den Idumäern kontrolliert wurden.86 Die so akzentuierte Landverheißung formuliert offenbar genuin jüdische Besitzansprüche auf den Süden Judas und den Negev und vielleicht auch auf ostjordanische Gebiete in der fortgeschrittenen Perserzeit.
5. Der literarische Ort von Gen 15,1–10.12.17b.18 Aus dem Nachweis der nach-priesterschriftlichen Herkunft der Nachträge in Gen 15 könnte man mit Gertz den Schluss ziehen, der Grundbestand müsse älter als P sein. Doch finden sich auch in ihm genügend Indizien dafür, dass der Verfasser nicht nur mit prophetischen Überlieferungen87 und mit der dtr. Schulsprache88, sondern auch mit priesterschriftlichen Texten und Topoi vertraut war. Schon V. 2 stellt Abraham in einem Alter vor, in dem er sich offenbar keine Hoffnungen mehr auf einen leiblichen Erben machen konnte. Das muss nicht unbedingt die Chronologie von 17,1 voraussetzen, sondern lässt sich auch mit der Kenntnis von 18,11 erklären. Jedoch liegt eine Anspielung auf 17,1 deshalb nahe, weil die Anlage von Gen 15,1–8 bei allen Unterschieden im einzelnen von Gen 17,1–8 inspiriert zu sein scheint: einleitende Gottesrede mit Selbstvorstellung (15,1/17,1–2), Reaktion Abrahams (im Kontrast: 15,2–3/17,3), erneute Gottesrede zunächst mit dem Thema Nachkommen und deren überaus großer Mehrung (15,4–5/17,4–6), darauf mit dem Thema Landbesitz „dir und deinen Nachkommen“ (15,7–8.18/17,7–8).89 86 Vgl. Blum, Komposition, 380 Anm. 125. Die Südgrenze der Provinz Jehud verlief südlich von Bet-Zur und nördlich der Linie Lachisch, Hebron, En Gedi – Städte, die in der Perserzeit nicht mehr zu Jehud, sondern zur Provinz Arabien, im 4. Jh. zu Idumäa gehörten. 87 Neben der Stilisierung als Vision in V. 1 und der schon erwähnten prophetischen Wortereignisformel in V. 1.4 ist eine gewisse strukturelle Gemeinsamkeit mit Jes 7 nicht zu übersehen: Glaubensmotiv, Zeichenforderung, Geburtsankündigung. Abraham wird in Gen 15,1–6 als Gegenbild zu Ahas gezeichnet. Bei der Formulierung der Schwurzeremonie und ihrer Vorbereitung in V. 9–10.12.17 hat offenkundig Jer 34,18–20 Pate gestanden (s. vor allem בתר, עבר, ;)כרת die kaum vorstellbare Übertragung auf die Gottheit selbst erklärt die außergewöhnlichen Züge in Gen 15. 88 Hierzu gehören der Vergleich der zahllosen Nachkommen mit den Sternen, der aus Dtn 1,10; 10,22; 28,62 stammt und mit Gen 22,17; 26,4 verbindet, zwei ebenfalls späten Stücken. Die Metapher Jhwh als „Schild“ begegnet im Pentateuch nur noch in Dtn 33,29. Auch einzelne Topoi in V. 7 weisen in dtr. Kontexte; vgl. die Hinweise bei Ha, Genesis 15. Indes ist Gen 15 kein dtr. Text (gegen M. Anbar, Gen 15: A Conflation of Two Deuteronomic Narratives, JBL 101 [1982] 39–55), wie zuletzt noch einmal Ska, Groundwork, 72–75, gezeigt hat. 89 J. L. Ska, Quelques, remarques sur Pg et la dernière rédaktion du Pentateuque, in: A. de
4. Gen 15: Vom „Urgestein“ zum „theologischen Programmtext“
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Ganz ungewöhnlich in der Väterüberlieferung ist sodann die Reaktion Abrahams auf die Verheißung, die der Erzähler in 15,6 als „glauben an/vertrauen auf Jhwh“ deutet. Reaktionen des Empfängers der Verheißung finden sich nur noch in 18,12 (Sara lacht) und in 17,17 (Abraham lacht), jeweils mit daran angeschlossenen zweifelnden Erwägungen angesichts der Geburtsankündigung. Die Reaktion Abrahams in 15,6 reimt sich schwerlich mit dem Lachen und dem Wunsch Abrahams in Gen 17,17. Da man kaum Abrahams Glauben durch ein Lachen ersetzt haben dürfte, bleibt nur die andere Erklärung, Gen 15,6 als Korrektur der Reaktion Abrahams in 17,17 zu deuten.90 Als ein Mischgebilde eigener Art erweist sich der Neueinsatz des zweiten Teils in 15,7. Der mit einem Infinitiv angehängte Landgabesatz und die Verbindung von Landgabe ( )נתןund Landbesitz ( )ירשerinnern an einschlägige dtr. Wendungen. Die Selbstvorstellung Jhwhs mit der Herausführungsformel weckt Assoziationen an den Dekalog. Dabei stört nur die Erwähnung von „Ur Kasdim“, die man mit Verweis auf 11,28.31 gern eliminiert. Doch auch dann hat die charakteristische Verbindung von Selbstvorstellung und Herausführungsformel mit Landgabesatz (!) ihr einziges Seitenstück in Lev 25,38 – nicht gerade ein vorpriesterlicher Text.91 Die umgekehrte Erklärung, Ur Kasdim in 15,7 sei die Vorlage für 11,28.31 gewesen92, liegt angesichts der anderen Befunde nicht nahe. Doch lassen sich selbst dann die priesterschriftlichen Anklänge nicht tilgen. Gen 15,7 formuliert mit Hilfe von Lev 25,38, ersetzt aber die Herausführung „aus dem Land Ägypten“ durch „aus Ur Kasdim“ und die spezifisch priesterliche Formulierung „Land Kanaan“ kontextgemäß (V. 18) durch „dieses Land“. Eine weitere Brücke zu P schlägt schließlich V. 18 mit der Gestalt der Verheißung: Nur hier in Gen 15,18 sowie in 17,7–8 und Ex 6,4 wird die Landverheißung als בריתvorgestellt. Schon der Grundbestand von Gen 15 kennt also durchaus priesterschriftliche Texte und Topoi. Er kann deshalb nicht einfach vor-priesterschriftlich sein. Befindet er sich aber schon zusammen mit den priesterschriftlichen Texten in einem Buche? Diese Frage hat Gertz an den Topoi Exodus (V. 7), Sinai (V. 17) und „glauben an Jhwh“ (V. 6a) untersucht und verneint.93
Pury (Hg.), Le Pentateuque en question, Genf 21991, 95–125, bes. 108, und Römer, Recherches, 203 f. (mit weiteren Details unterschiedlicher Überzeugungskraft). 90 Eerdmans, Genesis, 39; T. Römer, Genesis 15 und Genesis 17. Beobachtungen und Anfragen zu einem Dogma der „neueren“ und „neuesten“ Pentateuchkritik, DBAT 26 (1989/90) 32–47; K. Schmid, Erzväter, 182; und E. Blum, Die literarische Verbindung von Erzvätern und Exodus. Ein Gespräch mit neueren Endredaktionshypothesen, in: J. C. Gertz u. a. (Hg.), Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion (BZAW 315), Berlin 2002, 119–156, bes. 144. 91 So schon C. Westermann, Genesis II (BK I/2), Neukirchen-Vluyn 1981, 266, u. v. a. 92 Gese, Komposition, 45; Gertz, Abraham, 73. 93 Gertz, Abraham, 74–78.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Die Rede von Abrahams Herausführung aus dem südbabylonischen Ur Kasdim überträgt den Exodus Israels aus Ägypten und die Landgabe auf den Ahn und identifiziert so das zeitgenössische Israel mit ihm. Mit dem Exodus des Ahn aus Ur Kasdim wird das gegenwärtige Israel in der Zeit des Erzählers direkt angesprochen. In ihm kann und soll sich die in der Perserzeit erstarkte babylonische Judenheit wiedererkennen. Diese Übertragung setzt zwar die Kenntnis des Exodusmotivs voraus, nicht aber das Buch. Anders verhält es sich dagegen mit den Anspielungen auf die Sinaitheophanie. Die Theophanie, die Abraham in V. 17* gewährt wird, nimmt die Requisiten „Rauch“, „Feuer“ sowie „Fackeln“ aus Ex 19,18; 20,18 und das Verb עברaus Ex 34,6 auf. Gottes Gegenwart bleibt hier wie dort geheimnisvoll verhüllt. Während aber Israel nur von ferne den Berg rauchen und die Blitze zucken sieht, das Donnergrollen und das Widderhorn hört, fahren jetzt unmittelbar vor Abraham rauchender Ofen und Feuerblitz durch die Gasse der zerteilten Tiere. Damit geschieht schlechterdings Unvorstellbares und Unausprechliches. Während am Sinai das Volk auf die Mitteilung des Gotteswillens verpflichtet wird, verpflichtet sich in jener Schwurzeremonie von Gen 15,17–18 allein Gott selbst.94 Diese Inszenierung übersteigt jede Vorstellung von Gott. Sie gilt der denkbar größten Versicherung des Landes: „Hiermit gebe ich deinen Nachkommen dieses Land.“ Nicht dem Ahn in grauer Vorzeit gilt dieser Gotteseid, sondern in ihm seinen Nachfahren. Zwar begegnen einzelne Elemente wie Feuer und Rauch auch in anderen Theophanietexten, aber die eigentümliche Kombination in Gen 15,17 verbindet, was anderwärts nur in der Sinaitheophanie begegnet, wenn auch auf unterschiedlichen Ebenen. Um 15,17–18 auf diese Weise als Anspielung auf die Sinaitheophanie formulieren und als Leser auch verstehen zu können, muss man mit dem Wortlaut von Ex 19 ff. vertraut sein. Gen 15,17 setzt also wohl doch einen Werkkontext voraus, der wenigstens auch den Kern der Sinaitheophanie enthalten hat. Vergleichbares gilt für das Motiv „glauben an/vertrauen auf Jhwh“ (V. 6). Die Präposition בweist Jhwh als die Ursache für das Vertrauen und den Grund der Zuversicht oder Festigkeit Abrahams aus.95 Das erklärt sich im Kontext von Gen 15 durchaus; denn der ist von der Differenz zwischen der eigenen Lebenslage (V. 2.3) und Gottes Verheißungen (V. 4.5) bestimmt. Beide sind transparent auf die Lage der Adressaten. Darüber hinaus erhält das Vertrauen Abrahams 94 Vgl. ( כרת יהוה … בריתGen 15,18), mit der zweiseitigen Wendung in Ex 34: הנה אנכי כרת ( בריתV. 10) … ( על פי הדברים האלה כרתי אתך בריתV. 27) und den Vorgang mit Jer 34,18.
95 Außer Gen 15,6 in Ex 14,31; 19,9; Num 14,11; 20,12; Dtn 1,32; 28,66; 2 Kön 17,14; Jon 3,5; Ps 78,22.32; 106,12; 119,66; 2 Chr 20,20. Wildberger, „Glauben“. Erwägungen zu האמין. in: B. Hartmann/E. Jenni (Hg.), Hebräische Wortforschung. FS W. Baumgartner (VT.S 16), Leiden 1967, 372–386, 385: „‚sein Vertrauen setzen auf ‘, wobei Zuversicht und Gehorsam mit eingeschlossen sind.“
4. Gen 15: Vom „Urgestein“ zum „theologischen Programmtext“
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jedoch besondere Prägnanz erst auf dem Hintergrund der wenigen Kontexte, in denen im Pentateuch sonst noch האמין בbegegnet. Von ihnen ist Ex 14,31 der wichtigste.96 Abraham und das Volk glauben, nachdem sie „gesehen“ haben. Was sie gesehen haben, unterscheidet sich jedoch beträchtlich. Das Volk setzte Vertrauen (Narrativ97) in Gott und seinen Knecht Mose ([ … ביהוהNarrativ!] )ויאמין, nachdem es den Erweis der Macht Gottes in der Vernichtung der Feinde und der eigenen Rettung gesehen hatte. Abraham dagegen vertraut (temporaler Nebensatz mit w-AK98) auf Jhwh, allein aufgrund der Zusagen Gottes, zwar bekräftigt durch einen Blick zum gestirnten Himmel, aber nach menschlichem Ermessen ohne Aussicht auf deren Einlösung. Das gibt dem „Glauben“ Abrahams in Gen 15,6 allererst sein besonderes Profil: Abraham vertraut auf Gott „gegen allen Augenschein“.99 Während das Volk nach Ex 4,31 und 14,31 immer wieder sein Vertrauen verliert, hält Abraham am Vertrauen auf Gott fest. Das zeigt sich vor allem in der Hingabe seines Sohnes (Gen 22). Abraham wird in Gen 15 eben in jeder Weise als Vorbild vorgestellt. Er steht für die kontrafaktischen Möglichkeiten der Adressaten. Dieses Profil von Gen 15,6 kommt erst zur Geltung, wenn man Ex 14,31 (und 4,31) kennt. Dass Gen 15,6 als kontrastierende Steigerung gegenüber Ex 14,31 gemeint ist, zeigt auch die Reaktion Gottes mit 15,6b.100 Schon der Grundbestand von Gen 15* verrät also nicht nur Kenntnisse priesterschriftlichen und jüngeren Guts. Er befindet sich auch in einem literarischen Werk, das mehr als das Buch Genesis umfasst haben muss. Die Fortschreibung in V. 11.13–16 unterscheidet sich allerdings vom Grundbestand dadurch, dass in ihr das Verhältnis zwischen Abraham und seinen Nachkommen ausdrücklich reflektiert wird.
96 Zum
Vergleich von Gen 15,6 mit Ex 14,31 (und 1 Sam 12,18) s. Blum, Komposition, 369 f., der diese Stücke seiner KD zurechnet; Gertz, Tradition, 221–226, hält Ex 14,31 sogar für endredaktionell. [Zu diesen und den folgenden Vergleichstexten s. M. Köckert, „Rettung“ und „Glaube“ im Alten Testament, in: D. S. du Toit u. a. (Hg.), Soteria: Salvation in Early Christianity and Antiquity. FS C. Breytenbach, Leiden 2019, 3–29]. 97 Vgl. Ex 4,31 (Nar., aber absolut) ebenfalls nach sichtbaren Machterweisen. 98 Zum Verständnis von V. 6 s. meinen Beitrag: „Glaube“ und „Gerechtigkeit“ in Gen 15,6, ZThK 109 (2012) 415–444 [in diesem Bd. Nr. 5]. 99 So schon Jepsen, Art. אמן, ThWAT I (1973) 328. 100 Gegen Gertz, der Gen 15,6 als Quellort des Glaubensmotivs im Pentateuch erklärt (Abraham, 80 f.). H.‑C. Schmitt, Redaktion des Pentateuch im Geiste der Propheten. Beobachtungen zur Bedeutung der „Glaubens“-Thematik innerhalb der Theologie des Pentateuch (1982), in: Ders., Theologie in Prophetie und Pentateuch. Ges. Schriften (BZAW 310), Berlin 2001, 220–237, bes. 226 ff., rechnet alle diese Belege zu einer spät-dtr. Redaktionsschicht in prophetischem Geist.
108
II. Zur Abrahamüberlieferung
6. Zum historischen Ort von Gen 15* Der historische Ort des Grundbestands lässt sich vielleicht noch genauer bestimmen, wenn man Gen 15* in die Auseinandersetzungen um Abraham und die Väter in nach-exilischer Zeit einordnet.101 Leider gibt es nur wenige Texte dazu. Der älteste Beleg, Ez 33,24, zitiert die Jerusalemer, die nach der ersten Deportation in der Stadt verblieben waren. Die verstehen sich als Same Abrahams und begründen damit den Besitz des Landes. Abraham steht hier für ein autochthones Israel und wird im Kontext sogar gegen die Gola in Stellung gebracht. Die in das Heilsorakel Jes 41,8–13 eingetragene prosaische Ergänzung V. 8b–9 geht über jenes exklusive Verständnis weit hinaus. Sie spricht ausgerechnet die Diaspora als Abrahams Samen an und macht damit Abraham auch zu ihrem Vater. Gott hat die Verstreuten von den Enden der Erde ergriffen, gerufen, erwählt – man ist versucht hinzuzufügen: wie Abraham in Gen 12,1; 15,7; 24,7. In Jes 51,1–8 spricht V. 2 die Jerusalemer und V. 1b die Gola an. Abraham ist hier längst zum Vater des gesamten Volkes avanciert, das die zum Zion heimkehrende Gola auf wunderbare Weise mehrt. Mi 7,20 schließlich spricht das nach-exilische Israel direkt als „Jakob“ und „Abraham“ an, dem Gott Treue und Güte schenken wird, wie er „unseren Vätern geschworen“ hat. Wie der Rückbezug auf die Tage des Auszugs in V. 15 zeigt, wird mit „unseren Vätern“ auf die Exodusväter angespielt, die auf diese Weise in das Abraham-Jakob-Israel integriert werden. Es gibt freilich auch ganz andere Stimmen. Entschiedenen Widerspruch legt das große Volksklagelied Jes 63,7–64,11 ein, dessen Verfasser in spätpersischer Zeit zwar von Israels Ursprüngen im Exodus (V. 7–14) und in den Ahnvätern (V. 16) wissen, fortan aber nur noch Jhwh als den Erlöser von Vorzeit an zum Vater haben wollen. Mit der Vorzeit sind hier der Exodus und das Meerwunder als dessen Höhepunkt im Blick (63,11–14). Abraham und Israel sind dagegen nur noch Figuren der Vergangenheit, die von ihren Nachfahren nichts wissen ()ידע, sie nicht kennen und die deshalb für diese vollkommen nutzlos sind. Entsprechend werden die Ahnväter aus der hier propagierten Ursprungsgeschichte ausgeschlossen. Welche Position vertritt Gen 15 in diesen Auseinandersetzungen um die Identität Israels? Die V. 2–4* akzentuieren den leiblichen Erben und setzen damit das genealogische Konzept voraus, das wie Mi 7,20 die Nachkommen mit dem Ahn identifiziert. Anderseits bringt V. 7 den Ahn von außen ins Land und 101 Damit nehme ich eine Anregung von Ska auf (Groundworks, 77 f.), komme aber in der Auswertung der einschlägigen Texte zu etwas anderen Ergebnissen. Zu den Einzelheiten s. T. Römer, Israels Väter (OBO 99), Fribourg 1990, 491–542; M. Köckert, Die Geschichte der Abrahamüberlieferung, in: A. Lemaire (Hg.), Congress Volume Leiden 2004 (VT.S 109), Leiden 2006, 103–117 (mit der Lit.) [jetzt in diesem Bd. Nr. 2].
4. Gen 15: Vom „Urgestein“ zum „theologischen Programmtext“
109
macht ihn dadurch zur Identifikationsfigur für die Gola. In dieser Hinsicht steht Gen 15 nahe bei Jes 41,8b–9. Die zweiteilige Komposition in Gen 15 integriert eben beide Ursprungsgeschichten in Abraham, der wie Jes 51,1–8 das Gottesvolk als Ganzes verkörpert. Mit der Integration des Exodus bestreitet Gen 15 der Negation von Jes 63,16 ihr Recht: Nicht nur an den Exodusvätern hat sich Jhwh als Erlöser ( )גאלerwiesen, sondern er hat auch Abraham, den Erzvater kat’ exochen, aus Ur Kasdim herausgeführt.102 Jes 29,22 führt Jhwh sogar als den ein, der „Abraham erlöst/losgekauft hat (“)פדה. Noch wichtiger in Gen 15 ist freilich die Umdeutung der zweiseitigen Sinai- בריתin eine reine Selbstverpflichtung Gottes (V. 17–18). Hier hängt der Besitz des Landes als Erbe nicht von der Erfüllung auferlegter Konditionen ab, gegen die das Gottesvolk jederzeit verstoßen kann, sondern er beruht allein auf dem unverbrüchlichen Gotteseid, der allen gilt, die zu Abrahams Samen gehören, ob sie seit je im Lande wohnen oder aus der Diaspora zurückkehren. Die Kumulation der unterschiedlichen Motive beim Ahn selbst zeigt, dass Gen 15 nicht am Anfang, sondern eher am Abschluss jener Kontroversen steht. Jenseits von Gen 15 steht das Bußgebet Neh 9 aus vielleicht schon frühhellenistischer Zeit, in dem auf eine bereits elaborierte Abrahamüberlieferung angespielt wird, zu der Gen 12,1 (18,17–19?); 15,7; 17,5; 15,6.18.19–21 gehören. Eine Ansetzung ins 4. Jh. legen auch Jes 57,13; 58,14; 60,21; 65,9 nahe, die wie Gen 15 von der Frage bewegt sind, wer das Land besitzen soll. Anders als Gen 15 sprechen jene Stimmen aber den Besitz des Landes nicht mehr Israel überhaupt zu, sondern nur den Frommen, Gerechten oder Erwählten innerhalb Israels. Jene Texte gehören allesamt zu jungen und jüngsten Fortschreibungen im Jesajabuch.103 Gen 15 ist mit seiner gesamtisraelitischen Perspektive zweifellos älter. Zusammenfassung Die als Erzählung inszenierte theologische Abhandlung Gen 15 darf nicht an den Maßstäben einer gewachsenen Erzählung gemessen werden. Die entsprechenden Versuche, eine einsträngige Grunderzählung mit dem Thema Sohn oder zahlreiche Nachkommenschaft oder Land zu rekonstruieren, müssen als gescheitert gelten. Nachgetragen sind allein V. 11.13–17a* und V. 19–21. Schon der Grundbestand ist nach-priesterschriftlich. Er gehört ans Ende einer Reihe von Auseinandersetzungen um Abraham und die eigene Identität im spätpersischen Juda.
102 Noch einen Schritt weiter geht der Nachtrag Gen 15,13–16; denn er lässt den Ahn ausdrücklich das Geschick der Nachfahren wissen ()ידע. Das entzieht der Klage von Jes 63,16 den Boden: Abraham kennt seinen זרעund weiß um dessen Geschick. 103 Dazu s. O. H. Steck, Studien zu Tritojesaja (BZAW 203), Berlin 1991, Zusammenfassung S. 279, der diese Texte alle in der hellenistischen Zeit ansetzt.
5. „Glaube“ und „Gerechtigkeit“ in Gen 15,61 Nur zweimal werden im Alten Testament die beiden Wurzeln אמןund צדקin einen Zusammenhang gebracht, der als biblische Quelle der reformatorischen Einsicht „gerecht aus Glauben“ gelten kann: Gen 15,6 und Hab 2,4. Davon hat allein Gen 15,6 schon in der Hebräischen Bibel und im vorpaulinischen Judentum eine größere Wirkung entfaltet.2 Eine zentrale Rolle spielt dieser Vers jedoch erstmals in der Argumentation des Paulus. Der hat durch seine Schriftauslegung in Röm 4 den Glauben überhaupt erst in jenen scharfen Gegensatz zu den Werken gebracht, der Luthers Rechtfertigungslehre entscheidend bestimmt und seither die Kirchen- und Theologiegeschichte prägt: „gerecht aus Glauben, nicht aus Werken“.
1. Deutungen von Gen 15,6 in der neueren Forschung Der hebräische Text enthält mehrere Leerstellen und ist deshalb – zumindest formal – vieldeutig: והאמין ביהוה ויחשבה לו צדקה. Entscheidend für Luthers Deutung ist die Annahme eines Subjektwechsels in V. 6: Abraham glaubt, Gott rechnet an. Der Wechsel wird freilich im hebräischen Text nicht angezeigt. Er lässt überdies offen, worauf sich das Objektsuffix ה- am Verb und worauf sich die präpositionale Wendung לוbeziehen. Luther füllt diese Leerstellen des hebräischen Textes, indem er sie von Paulus her deutet; Paulus aber folgt der passivischen Übersetzung der Septuaginta, die gegenüber dem hebräischen Text eindeutig ist: Abraham hat Gott gegleubet / vnd das ist jm zur gerechtigkeit gerechnet (Röm 4,3); Abram gleubte dem HERRN / vnd das rechent er jm zur gerechtigkeit (Gen 15,6).3
Mit dieser Brille auf der Nase wird Gen 15,6 auch heute noch vielerorts gelesen und entsprechend verstanden. Schon Gerhard von Rad übersetzte in seinem 1 Ein Teil der folgenden philologischen und syntaktischen Überlegungen wurde am 28. März 2012 im alttestamentlich-semitistischen Kolloquium an der Theologischen Fakultät in Basel vorgetragen. Ich danke Herrn Kollegen Mathys für die freundliche Einladung. 2 Zu Gen 15,6 in Neh 9; Sir 44; Jub 14.19; 4Q225; 1 Makk 2,52, bei Philo und in Röm 4 s. zuletzt M. Köckert, Abrahams Glaube in Röm 4 und im vorpaulinischen Judentum, in: C. Breytenbach (Hg.), Der Römerbrief als Vermächtnis an die Kirche. Rezeptionsgeschichte aus zwei Jahrtausenden, Neukirchen-Vluyn 2012 [jetzt in diesem Bd. Nr. 6], dort auch die wichtigste einschlägige Literatur. 3 M. Luther, Biblia / das ist / die gantze Heilige Schrifft Deudsch, 1534.
112
II. Zur Abrahamüberlieferung
Kommentar vor mehr als 60 Jahren: „Er aber glaubte an Jahwe, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit an.“4 Nicht wesentlich anders lautet die Übersetzung der neuen Zürcher Bibel: „Und er glaubte dem Herrn, und das rechnete er ihm als Gerechtigkeit an.“5 Verhilft diese Brille zu einer sachgemäßeren Wahrnehmung des Textes oder verstärkt sie nur eine bestimmte Art von Kurzsichtigkeit gegenüber dem ursprünglichen Sinn des Verses? Ein erneuter Blick auf diesen Text ist auch deshalb sinnvoll, weil seither mehrere Versuche unternommen worden sind, diesen wirkmächtigen Text auf eine neue Weise zu lesen. Das betrifft zunächst die schon lange gesehene Eröffnung des Satzes mit einem Verb der Form wAK (Perf. cons.), die in einem narrativen Kontext auffällt, weil man den Fortgang der Erzählung mit wPK (Narrativ oder Impf. cons.) erwartet. Einige (wie Norbert Lohfink6) deuten die Form frequentativ-iterativ, andere (wie Rudolf Mosis7) stativisch-durativ. Im ersten Fall bezieht sich der Glaube auf mehrere konkrete Glaubensakte, im zweiten bezeichnet er jedoch eine Haltung oder Qualität; „glauben“ ist in dieser Deutung zur „Gläubigkeit“ mutiert. Am weitesten gehen diejenigen, die (wie Ina Willi-Plein8) V. 6a in die mit V. 5b beginnende Gottesrede hineinziehen: Er (= Jhwh) sprach zu ihm: So soll dein Same sein, und dann/so soll er glauben an Jhwh.
In dieser Version ist es nicht Abraham, der glaubt, sondern seine Nachkommenschaft. Radikale Umdeutungen hat sich V. 6b gefallen lassen müssen. Alle Vertreter der alternativen Lesung identifizieren das ungenannte Subjekt im zweiten Satz mit Abraham, verstehen den Satz aber dann recht verschieden. Manfred Oeming bezieht die suffigierte Präposition לוauf Jhwh und das Objektsuffix auf Gottes Verheißung:
4 G. v. R ad, Das erste Buch Mose. Genesis (ATD 2/4) (1949), Göttingen 91972, 140; ohne adversatives „aber“ auch C. Westermann, Genesis 12–36, Bd. II (BK I/14), NeukirchenVluyn 1979, 251, und L. Ruppert, Genesis. Ein kritischer und theologischer Kommentar, 2. Teilband: Gen 11,27–25,18 (FzB 98), Würzburg 2002, 238. 5 (Neue) Zürcher Bibel, Zürich 2007, 22; ähnlich auch die Einheitsübersetzung, die aber die Subjekte „Abram“ und „der Herr“ verdeutlichend nennt. 6 N. Lohfink, Die Landverheißung als Eid. Eine Studie zu Gen 15 (SBS 28), Stuttgart 1967, 118: „(in allem) glaubte er Jahwe.“ Vgl. aber schon H. Gunkel, Genesis übersetzt und erklärt (HK 1/1), Göttingen 1901, 31910, 180: „Er glaubte Jahve auch dies Mal ….“ 7 R. Mosis, „Glauben“ und „Gerechtigkeit“ – zu Gen 15,6, in: M. Görg (Hg.), Die Väter Israels. Beiträge zur Theologie der Patriarchenüberlieferungen im Alten Testament, FS J. Scharbert, Stuttgart 1989, 225–259, 242. 8 I. Willi-Plein, Zu A. Behrens, Gen 15,6 und das Vorverständnis des Paulus, ZAW 109 (1997) 327–341, ZAW 112 (2000) 396–398. Ihr folgt im Blick auf V. 6a B. Ziemer, Abram – Abraham. Kompositionsgeschichtliche Untersuchungen zu Genesis 14, 15 und 17 (BZAW 350), Berlin 2005, 191.
5. „Glaube“ und „Gerechtigkeit“ in Gen 15,6
113
Abraham glaubte in, an, durch Jahwe, und er (Abraham) achtete es (die Nachkommensverheißung) ihm (Jahwe) als Gerechtigkeit.9
Rudolf Mosis bezieht dagegen לוreflexiv auf das Subjekt Abraham („sich“) und das Objektsuffix („es“) auf Abrahams gläubiges Vertrauen: Und da er nun schon immer im gläubigen Vertrauen auf Jahwe lebte, achtete er es für sich als eine heilswirkende, rechte Tat.10
In beiden Fällen scheidet Gen 15,6 aus den Belegen für die „Gerechtigkeit aus Glauben“ aus. Dirk U. Rotzoll macht aus dem Satz gar einen „Beleg für den Glauben als Werkgerechtigkeit“ und kehrt damit zum Paradigma Luthers wieder zurück, wenn auch in der Gestalt radikaler Umkehrung: Und Abraham glaubte Gott und rechnete sich das (sc. sein Glauben) zur/als Gerechtigkeit an.11
Schließlich hat Oeming in seiner letzten Veröffentlichung zu Gen 15 die reflexive Deutung des לוdurch Mosis übernommen, bezieht aber das Objektsuffix weiterhin auf Gottes Verheißung: Abram glaubte [gegen alle Wahrscheinlichkeit an Gottes Nachkommenverheißung], und er (Abram) schätzte es (die Verheißung) für sich [sic] als eine ‚Gnadentat‘ (JHWHs), als einen Erweis göttlicher Barmherzigkeit ein.12
Wird wenigstens eine dieser Deutungen der Intention des hebräischen Textes eher gerecht als Luthers klassische Übersetzung? Eine kritische Prüfung ist unerlässlich. Da aber für das Verständnis dieses Verses der Kontext große Bedeutung hat, müssen zunächst einige Besonderheiten von Gen 15 und dessen literarische Anlage gewürdigt werden.
2. Der literarische Ort von Gen 15 Gen 15 stört den vorliegenden Textablauf; denn es gehört zu den Stücken, welche die ältere Abraham-Lot-Erzählung (*Gen … 13; 18–19; 21*) unterbrechen und mit der Verheißung eines eigenen Nachkommens in V. 4 f. der Geburtsankündigung von 18,9–15 die Pointe verderben. Gen 15 muss also erheblich jünger als der ältere Erzählzusammenhang sein. 9
M. Oeming, Ist Gen 15,6 ein Beleg für die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit?
ZAW 95 (1983) 182–197, 197 (Hervorhebungen M. K.). 10
Mosis, Glauben, 254 (Hervorhebungen M. K.). D. U. Rotzoll, Gen 15,6 – Ein Beleg für den Glauben als Werkgerechtigkeit, ZAW 106 (1994) 21–27, 25 f. (Hervorhebungen M. K.). 12 M. Oeming, Der Glaube Abrahams. Zur Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 in der Zeit des zweiten Tempels, ZAW 110 (1998) 16–33, 19 (Hervorhebung M. K.). 11
114
II. Zur Abrahamüberlieferung
Ganz ungewöhnlich ist die Reaktion des Verheißungsempfängers auf Gottes Verheißungswort. In der Regel reagiert der Ahn auf die Gotteserscheinung, den Traum oder das Nachtgesicht mit dem Bau eines Altars13, mit der Salbung einer Mazzebe14 oder mit dem Gestus der Anbetung15. Sind die Verheißungsreden mit Anweisungen verbunden, berichtet der Erzähler deren Ausführung.16 Zwar fällt das Lachen Saras (Gen 18,12) und Abrahams (17,17) mit den daran angeschlossenen zweifelnden Erwägungen angesichts der Geburtsankündigung aus dem Rahmen des Üblichen heraus, aber nie wird des Ahnvaters Reaktion wie in 15,6a ausdrücklich auf den Begriff gebracht. Entsprechendes gilt für deren Bewertung durch Gott in 15,6b.17 Diese Reaktion Abrahams und jene Würdigung durch Gott in 15,6 reimen sich schwerlich mit dem Lachen und Wunsch Abrahams in Gen 17,17. Da man kaum Abrahams Glauben korrigiert haben dürfte, indem man ihm nachträglich ein Lachen zuschrieb, bleibt nur die andere Lösung, Gen 15 als nachpriesterschriftliche Reflexion über die Reaktion Abrahams in 17,17 und als deren Korrektur zu verstehen.18 Einige Beobachtungen lassen außerdem vermuten, Gen 15 setze bereits Gen 14 voraus.19 Schon die Anfangswendung legt einen unmittelbaren Bezug zum voranstehenden Kontext nahe. Eine Verbindung wird auch durch die 13
Gen 12,7 (vgl. die Rückblende in 13,4); 26,24; der Altarbau in 35,7 entspricht dem göttlichen Auftrag von 35,1 und rekurriert ausdrücklich auf die Erscheinung Gottes in Gen 28. Die nächtliche Offenbarung in 46,2–4 findet nach einem Opfer, also in einem kultischen Zusammenhang statt. 14 Gen 28,18; 35,9. 15 So in Gen 17,3.17; vgl. 18,2. 16 Gen 12,4a nach V. 1–3; die Imperative in 13,14–17 sind schon durch die Ortsveränderungen zuvor abgedeckt; 26,2–5 ermöglichen V. 6; die Anweisung 31,3 führt Jakob in V. 4 ff. aus (vgl. die Rückblende in V.11 ff.); 35,1 wird in V. 2–7 realisiert; 46,2 legitimiert (gegenüber 26,2) die Ausreise nach Ägypten in V. 5. 17 Am nächsten kommt nach der Prüfung Abrahams die Gottesrede in Gen 22,15–18 (mit dem Rückverweis in 26,5), die Abrahams Bereitschaft, seinen Sohn zu opfern, ausdrücklich als vollkommenen Gehorsam gegenüber dem Gotteswillen deutet. 18 Zur Analyse und literargeschichtlichen Einordnung s. zuletzt M. Köckert, Gen 15: Vom „Urgestein“ der Väterüberlieferung zum „theologischen Programmtext“ der späten Perserzeit, ZAW 125 (2013) 25–48 [in diesem Bd. Nr. 4]. Eine Einordnung nach P ist schon länger vertreten worden: B. D. Eerdmans, Alttestamentliche Studien I. Die Komposition der Genesis, Gießen 1908, 39; T. Römer, Genesis 15 und Genesis 17. Beobachtungen und Anfragen zu einem Dogma der „neueren“ und „neuesten“ Pentateuchkritik, DBAT 26 (1989/90) 32–47, und E. Blum, Die literarische Verbindung von Erzvätern und Exodus. Ein Gespräch mit neueren Endredaktionshypothesen, in: J. C. Gertz/K . Schmid/M. Witte (Hg.), Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion (BZAW 315), Berlin 2002, 119– 156, bes. 144; sowie C. Levin, Jahwe und Abraham im Dialog: Genesis 15, in: M. Witte u. a. (Hg.), Gott und Mensch im Dialog, FS O. Kaiser (BZAW 345/1), Berlin 2004, 237–257; und L. Schmidt, Genesis XV, VT 56 (2006) 251–267. 19 T. Römer, Recherches actuelles sur le cycle d’Abraham, in: A. Wenin (Hg.), Studies in the Book of Genesis. Literature, Redaction and History (BEThL 155), Leuven 2001, 179–212; K. Schmid, Erzväter und Exodus. Untersuchungen zur doppelten Begründung der Ursprünge
5. „Glaube“ und „Gerechtigkeit“ in Gen 15,6
115
Stichwörter „( מגןSchild“ 15,1b; מגןPi. „ausliefern“ 14,20), „( רכשHabe“ 15,14; 14,11.12.16.21) und ( דמשק15,220; „Damaskus“ 14,15 – nur hier im Pentateuch) hergestellt. Vor allem aber nimmt sich die Zusage „großen Lohns“ in 15,2 wie die göttliche Reaktion auf den Beuteverzicht Abrahams in 14,22–24 aus.21 Aus alledem folgt: Gen 15 dürfte eines der jüngsten Stücke der Abrahamüberlieferung in der Genesis überhaupt sein. Dem entsprechen auch die traditionsgeschichtlichen Befunde.22 Sein literarischer Horizont geht jedenfalls deutlich über die Väter hinaus und umfasst den gesamten Pentateuch.23
3. Die literarische Anlage von Gen 15 Das Stück besteht großenteils aus Reden in geprägten Wendungen und aus einer bunten Mischung von Motiven und Gliedgattungen aus ganz verschiedenen Lebensbereichen. Es handelt sich ohne Zweifel nicht um eine alte, gewachsene Erzählung, sondern um eine in Erzählung gekleidete theologische Abhandlung.24 Sie ist eingangs als prophetischer Wortempfang stilisiert und als „Gesicht“ oder Vision ins Licht geheimnisvoller Zukunftsschau getaucht. Die wird in V. 13–16 mit einem Vorblick auf das künftige Geschick Israels dann auch gegeben.25 Das Ganze lässt sich – jedenfalls in seiner Substanz – durchaus als literarische Einheit lesen.26 Israels innerhalb der Geschichtsbücher des Alten Testaments (WMANT 81), Neukirchen-Vluyn 1999, 176 f.; Blum, Verbindung, 143. 20 Allerdings handelt es sich bei הוא דמשקum eine Glosse zu משק. 21 Der Bezug der 318 Männer in 14,14 auf die Gematria des Namens „Elieser“ in 15,2b spricht nicht dagegen, wenn man unterstellt, dass ursprünglich eine runde Zahl gestanden hat (vgl. Ri 7,7–8 u. a.), die erst bei Einfügung von Gen 15G als beabsichtigte Anspielung auf „Elieser“ in 318 geändert worden ist. 22 Gen 15 versammelt unter sein Dach alle Verheißungsinhalte in einer Gestalt, die traditionsgeschichtlich einem Spätstadium angehört, und in einer Abfolge, die Väter- und Volksgeschichte verbindet; s. dazu M. Köckert, Vätergott und Väterverheißungen (FRLANT 142), Göttingen 1988, 210–247. Zur Traditionsmischung überhaupt in diesem Kapitel s. Schmid, Erzväter, 180–186; und zuletzt J.‑L. Ska, Some Groundwork on Genesis 15, in: Ders., The Exegesis of the Pentateuch. Exegetical Studies and Basic Questions (FAT 66), Tübingen 2009, 67–81, der Gen 15 in jenen Kreisen beheimatet, die Ez 32,23 f. „Bewohner dieser Ruinen“ nennt und die in Esr-Neh als „Volk des Landes“ im Konflikt mit der Gola erwähnt werden. 23 Dazu vor allem T. Römer, Genese 15 et les tensions de la communauté juive postexilique dans le cycle d’Abraham, Transeuphratène 7 (1994) 107–121, bes. 119–120. 24 Lohfink, Landverheißung, 33. 25 Vgl. Num 24,4.16 ff. 26 Die für eine Verteilung auf mehrere Erzählfäden in Anschlag gebrachten Unstimmigkeiten erklären sich zwanglos, wenn man die Einführung des Ganzen als Vision (V. 1a) berücksichtigt, die das, was folgt, nicht der Logik der realen Welt unterwirft. Zugesetzt sind lediglich die Glosse in V. 2b* und wegen konzeptioneller Differenzen die Nachträge in V. 11.13–16.17a* sowie in V. 19–21 (dazu zuletzt J. C. Gertz, Abraham, Mose und der Exodus. Beobachtungen zur Redaktionsgeschichte von Gen 15, in: J. C. Gertz u. a. [Hg.], Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngeren Diskussion [BZAW 315], Berlin 2002, 63–82). In
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Seit Julius Wellhausen hat man die parallele Zweiteiligkeit des Kapitels (15,1– 6.7–18 ff.) gesehen.27 Jedoch hält – gegen Wellhausen – V. 1b mit der Zusage „sehr großen Lohns“ beide Teile zusammen. Sie lässt vorerst unbestimmt, worin der Lohn besteht. Auf einen leiblichen Erben (V. 2.3b.4) oder zahlreiche Nachkommenschaft (V. 3a.5) kann er sich nicht beziehen; denn die anschließende Frage und Klage Abrahams in V. 2.3 setzen voraus, dass mit dem Lohn etwas gemeint ist, das ohne leiblichen Erben sinnlos bleibt.28 So weist schon V. 1b über V. 2–5 auf „dieses Land“ in V. 7–18 als Gabe hin. Der erste Teil ist also in der Perspektive von V. 1b als Zwischenschritt formuliert, der niemals ohne den zweiten Teil bestanden haben kann. Die Reaktion Abrahams in V. 6 tritt durch wAK (Perf. cons.) gegenüber den Narrativen (Impf. cons.) und durch den Wechsel von der Handlungsebene in die Reflexion des Erzählers aus dem Erzählfluss heraus.29 Der Vers hat freilich ein doppeltes Gesicht. Der erste Satz („und er glaubte an Jhwh“ V. 6a) zieht ein Fazit für Abraham und lenkt hinter die durch V. 4 f. gewendete Klage zu V. 1b zurück; denn mit der Feststellung, dass Abraham glaubte, sind alle Einwände beseitigt. So stehen Abraham und mit ihm der Leser wieder bei V. 1, nun aber mit verwandelter Einstellung. Der zweite Satz jedoch („und er rechnete es ihm als Gerechtigkeit an“ V. 6b) blickt voraus, jedenfalls im üblichen Verständnis mit Jhwh als Subjekt; denn mit der Würdigung des Glaubens als der angemessenen Antwort Abrahams auf Gottes Verheißungen eröffnet er eine Perspektive auf die konkrete Füllung des Lohns, den V. 1 angekündigt hatte.30 Davon ist mit der Gabe „dieses Landes“ als Besitz denn auch sogleich in V. 7 die Rede. Das Thema „Land“ wird aber nun mit dem Thema „Nachkommenschaft“ aus dem ersten Teil verschränkt, bis am Ende Gott selbst dieses Land Abrahams Nachkommen in einer singulären Schwurzeremonie31 übereignet: „Deinen Nachkommen gebe ich hiermit dieses Land …“ (V. 18). So erscheint die Verbindung von Glaube und Gerechtigkeit in V. 6 als Gelenk des der neueren Exegese hat erstmals J. Hoftijzer Gen 15 als literarische Einheit behandelt und aus der Zeit des Exils erklärt (Die Verheißungen an die drei Erzväter, Leiden 1956, 17–23). Zur Auseinandersetzung mit den einschlägigen Analysen der letzten 25 Jahre, zur Begründung für die literarische Einheitlichkeit in der Substanz und zur Ansetzung von Gen 15 nach P s. Köckert, Gen 15 (in diesem Bd. Nr. 4); gegen die Atomisierung durch H. Mölle, Genesis 15. Eine Erzählung von den Anfängen Israels (FzB 62), Würzburg 1988, s. die Rez. in: Bib 73 (1992) 568–575. 27 J. Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, Berlin 41963, 21 f.; vor allem Lohfink, Landverheißung, 45 ff.; s. auch die Gegenüberstellung von V. 1–5 und V. 7–21 bei Schmid, Erzväter, 175. 28 So schon O. K aiser, Traditionsgeschichtliche Untersuchungen von Gen 15, ZAW 70 (1958) 107–126, 115. 29 Vgl. die Erzählerperspektive mit performativem Perf. in der Deutung V. 18. 30 So schon Lohfink, Landverheißung, 45 f. 31 Vgl. damit Jer 34 und die altorientalischen Analogien aus neuassyrischer Zeit, die L. Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament (WMANT 36), Neukirchen-Vluyn 1969, 73–77, zum Vergleich herangezogen hat.
5. „Glaube“ und „Gerechtigkeit“ in Gen 15,6
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zweiteiligen Textes. Ihr Verständnis ist nicht ohne Einsicht in Ort und Funktion des Verses im unmittelbaren Kontext zu klären. Er muss deshalb angemessen berücksichtigt werden.
4. Semantische und syntaktische Probleme mit והאמין ביהוה Die Wurzel אמןhat wahrscheinlich die Grundbedeutung „fest, zuverlässig, sicher sein“32, das Verb im Hifil die ursprünglich konkrete Bedeutung „feststehen, stillhalten“33, häufiger aber die innerliche „Vertrauen haben, zuversichtlich sein, sich auf jemanden oder etwas verlassen“.34 Der nicht sehr häufige absolute Gebrauch (Ex 4,31; Jes 7,9; 28,16 u. a.) lässt erkennen, dass das Verb etwas über die Person aussagt, unabhängig von Relationen zu anderen. Wird es mit der Präposition לverbunden, tritt das Verhältnis zu Personen und deren Reden hervor. Dabei geht es um die Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit einer Person oder Nachricht.35 Die Präposition בweist dagegen auf die Ursache für das Vertrauen und den Grund der Zuversicht oder Festigkeit hin.36 Gen 15,6a kann also übersetzt werden: „Er vertraute Jhwh“ oder „er setzte sein Vertrauen in Jhwh.“ Das erhält besondere Prägnanz angesichts der Differenz zwischen der eigenen Lebenslage (V. 2 f.) und Gottes Verheißungen (V. 4 f.). Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass Abraham nicht lediglich die Zusagen Gottes für verlässlich hält, sondern dass er sein Vertrauen in Gott setzt. Im hebräischen Kontext fällt der Beginn von V. 6a syntaktisch auf. Der Leser erwartet nach den göttlichen Zusagen eine Formulierung wie: „Da kam er zum Glauben, da fasste er Vertrauen.“37 Wäre das die Absicht des Verfassers gewesen, hätte er wie in Ex 4,31; 14,31; Jon 3,5 einfach den Narrativ gesetzt: ויאמן.38 Statt dessen schreibt er ( והאמיןwAK). Geht das aufs Konto sprachlicher Nachlässigkeit oder geschah das mit Absicht? (1) Viele gehen davon aus, dass im Laufe der sprachgeschichtlichen Entwicklung – zumal unter dem Einfluss des Aramäischen seit dem 8. Jh. – zunehmend 32 HALAT I, 61; so auch H. Wildberger, „Glauben“, Erwägungen zu האמין, in: B. Hartmann/E. Jenni (Hg.), Hebräische Wortforschung, FS W. Baumgartner (VT.S 16), Leiden 1967, 372–386, 385. 33 So vom Schlachtross, das beim Hörnerschall nicht mehr stillstehen kann (Hi 39,24). 34 Vgl. H. Wildberger, Art. אמן, THAT I (1971) 188; A. Jepsen, אמן, ThWAT I (1973) 331. 35 Gen 45,26; Ex 4,1.8.9; Dtn 9,23; Jes 43,10; 53,1; Ps 106,24 u. a. 36 Außer Gen 15,6 in: Ex 14,31; 19,9; Num 14,11; 20,12; Dtn 1,32; 28,66; 2 Kön 17,14; Jon 3,5; Ps 78,22.32; 106,12; 119,66; 2 Chr 20,20. Wildberger, Glauben, 385: „‚sein Vertrauen setzen auf ‘, wobei Zuversicht und Gehorsam mit eingeschlossen sind.“ 37 O. Procksch überlegt denn auch, die Verbform mit dem Samaritanus kurzerhand durch einen Narrativ zu ersetzen (Die Genesis, [KAT I], Leipzig 2–31924, 294). Die zuweilen erwogene Lesung der Form als Infinitiv abs. empfiehlt sich noch weniger, weil dann das Glauben Abrahams völlig unvorbereitet als Gegenstand des Anrechnens erscheint. 38 Diese Lesart bietet 4Q225 Kol. I 7–8, vgl. Gen 15,6 LXX (Aorist).
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II. Zur Abrahamüberlieferung
wAK-Formen als Narrative gebraucht wurden. Vor allem aber konnte „späteren Abschreibern, denen das Pf. (cop.) das normale Erzähltempus war, … leicht der Fehler unterlaufen, das Impf. cons. in alten Texten durch den ihnen gewohnten Narrativ [= Pf. cop.] zu ersetzen“.39 Unter dieser Voraussetzung ist das syntaktische Problem von V. 6a erfreulich schnell gelöst. Indes fragt man sich, warum dieser unbewusste Fehler dem Abschreiber in Gen 15 nur dieses eine Mal und noch dazu an bedeutsamer Stelle unterlaufen sein soll. Deshalb sollten wir uns mit dieser einfachen Erklärung nicht sogleich zufriedengeben, sondern bis zum Beweis des Gegenteils einen bewussten Gebrauch unterstellen. Welche Funktion kann wAK hier haben und welche Bedeutungsnuancen ergeben sich? (2) Der Wechsel der Verbform unterbricht die Kette der Narrative auf der Handlungsebene. Der Anschluss mit wAK bringt den Satz in ein anderes Verhältnis zum Kontext. Gewöhnlich erklärt man das Perfekt hier nach den Narrativen als frequentativ-iteratives Perfekt.40 Es werde deshalb gebraucht, weil sich Abrahams Glauben auf die beiden Zusagen von V. 4 und 5 bezieht: „In allem glaubte er.“41 Die Erklärung als frequentatives Perfekt fiele einem freilich leichter, wenn wenigstens eine weitere imperfektive Form folgte wie in Ex 18,24–27.42 Das ist in Gen 15,6 jedoch nicht der Fall. Bo Johnson geht deshalb von einem konsekutiven Verständnis aus und schlägt vor, V. 6a als von der vorausgehenden Verheißung abhängigen Folgesatz zu verstehen: „… so dass er glaubte.“43 Dass Gottes Aktionen in V. 5 die Reaktion Abrahams veranlasst haben, mag den Sinn treffen, doch greift die syntaktische Erklärung zu kurz. Näher kommt Hallvard Hagelia, der das ungewöhnliche Tempus wie ein Imperfekt erklärt „to describe something beside the main story“.44 (3) Auch Ina Willi-Plein sieht einen engen Bezug zum vorausgehenden Kontext, allerdings nicht zum narrativen Rahmen („ ויוצאund er führte hinaus“ … „ ויאמרund er sprach“ …), sondern zum Inhalt der Gottesrede („ כה יהיה זרעךso werden deine Nachkommen sein“).45 Sie deutet V. 6a als abschließenden Teil der 39 H. Spieckermann, Juda unter Assur in der Sargonidenzeit (FRLANT 129), Göttingen 1982, 120–130 (Exkurs zum Gebrauch des perfectum copulativum), bes. 130. Zu diesen Fällen zählt er aus dem Buch Gen: 15,6; 21,25; 34,5; 37,3; 49,23. 40 Ges.-K. § 112g, und mit Verweis darauf Gunkel, Genesis, 180: „er glaubte mehrfach“; in der Übersetzung: „Er glaubte Jahve auch dies Mal, …“ Auch Oeming, Gen 15,6, 190, versteht das Perf. hier frequentativ, beobachtet aber zugleich ein Changieren zur Beschreibung eines Zustandes, was freilich schon die Kritik von Mosis, Glauben, 242, herausgefordert hat. 41 Lohfink, Landverheißung, 118, 322, 46; er bezieht das Glauben auch noch auf V. 1b (Lohn), aber dagegen stehen die Einwände in V. 2.3. 42 Nach den Narrativen in Ex 18,24.25 folgt in V.26 zunächst wAK, darauf zweimal PK, bevor die Narrative in V. 27 die Haupthandlung abschließen. 43 B. Johnson, Hebräisches Perfekt und Imperfekt mit vorangehendem w e (CB.OTS 13), Lund 1979, 43 (unter der Rubrik: „w ePerf in besonderen Fällen“). 44 H. Hagelia, Numbering the Stars. A Phraseological Analysis of Genesis 15 (CB.OTS 39), Stockholm 1994, 63 (mit Hinweis auf H. S. Nyberg, Hebreisk Grammatik, Uppsala 1952, 276 f.). 45 S. o. Anm. 8, 396 f.
5. „Glaube“ und „Gerechtigkeit“ in Gen 15,6
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Gottesrede; denn das Verb in wAK (Pf. cons.) schließe als konsekutive Form an die voranstehende „nicht-narrative Verbalaussage“ in PK (Impf.) an. Der Wechsel in wAK markiere den Übergang von der Verheißung zahlreicher Nachkommen zum „künftigen Verhalten der Nachkommen Abrahams“.46 Dieses Verständnis scheitert indes daran, dass auf diese Weise jede Reaktion Abrahams auf die Verheißungen Gottes (V. 4 f.) fehlt, was nach den Einwänden (V. 2 f.) befremdet. Es scheitert weiter daran, dass die Rede vom Glauben der Nachkommen (!) im Unterschied zu dem Abrahams in der Erzählung gänzlich unvorbereitet kommt, und schließlich daran, dass dann V. 6b vollkommen unverständlich wird: Was rechnet Gott wem als Gerechtigkeit an?47 (4) Demgegenüber erscheint es manchem sinnvoller, V. 6 als einen Neueinsatz zu beurteilen.48 Der Neueinsatz werde durch wAK mit einem stativischdurativen49 Perfekt markiert. Es schildert einen Zustand, aus dem die in V.6b erzählte Handlung folge. Abraham lebte schon lange in der Haltung eines beständigen Glaubens, der weit hinter den unmittelbaren Kontext in Gen 15 zurückreicht, also: „Und da er nun schon immer im gläubigen Vertrauen auf Jahwe lebte, …“50 Gegen die vorausgesetzte lange beständige Haltung gläubigen Vertrauens sprechen jedoch die Einwände Abrahams in V. 2.3. Von einem schon immer währenden Glauben Abrahams kann in 15,6 keine Rede sein. Außerdem fragt man sich, welchen Sinn die dann folgende Anrechnung dieses Glaubens als Gerechtigkeit gerade hier hat, wenn Abraham ja „schon immer im gläubigen Vertrauen auf Jahwe lebte“.51 (5) Die bisher diskutierten Erklärungen konnten nicht recht überzeugen. Derartige wAK-Formen erklären sich in narrativen Kontexten am einfachsten mit 46 Willi-Plein, 397; es gehe „nicht um Abrahams Glauben, sondern um den seiner Nachkommen“. 47 Willi-Plein verzichtet bei ihrer Deutung leider auf jede Andeutung zum Verständnis von V. 6b. Auch in ihrer Kommentierung (Das Buch Genesis 12–50 [NSKAT 1/2], Stuttgart 2011, 53–61) lässt sie zu V. 6 alles in der Schwebe und zieht sich dann auf die Septuaginta zurück. Ziemer, Abram, 191, folgt in der Deutung von V. 6a Willi-Plein, in der von V. 6b jedoch Oeming (Glaube), indem er hier die Reaktion Abrahams auf Gottes Verheißung sieht. Dagegen sprechen jedoch die Gesichtspunkte unten in Abschnitt 6. Auch ist Neh 9,8 kein Beleg dafür, dass in Gen 15,6b Abraham als Subjekt verstanden worden sei. 48 K. Seybold, Art. חשב, ThWAT III (1982) 256: w e sei „hier nicht Tempuszeichen“, sondern habe „die Funktion, den Erzählzusammenhang zu unterbrechen und Distanz zu schaffen“. Vgl. vor allem Mosis, Glauben, 235 ff. Ob freilich ein waw-Perf. von einem Perf. cons. wirklich unterschieden werden kann, steht dahin; s. die Kritik von Blum, Das althebräische Verbalsystem – eine synchrone Analyse, in: O. Dyma/A . Michel (Hg.), Sprachliche Tiefe – Theologische Weite (BThSt 91), Neukirchen-Vlyn 2008, 91–142. 49 Ges.-K. § 112ss: „ein längeres oder sogar beständiges Verharren in einem vergangenen Zustand“; E. König, Syntax § 367i–l. 50 So – mit weitreichenden Folgerungen – Mosis, Glauben, bes. 242–245 (s. dazu Abschnitt 6.). 51 Mosis bezieht denn auch das Suffix „es“ nicht auf Abrahams Glauben, sondern auf Gottes Verheißung. Allerdings lässt sich die Gesamtlösung, die er vorschlägt, nicht halten (dazu s.Abschnitt 6.).
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Erhard Blum als Imperfektive, die in Umstandssätzen bzw. in Temporalsätzen zum Ausdruck relativer Gleichzeitigkeit gebraucht werden.52 Das soll an einigen Beispielen aus dem Buch Genesis erhärtet werden. Die relative Gleichzeitigkeit kann im Deutschen durch entsprechende Konjunktionen und Adverbien zum Ausdruck gebracht werden. Sie sind in den folgenden Beispielen aus Gen 12 ff. kursiv markiert. 21,24 f. (nach der Bitte Abimelechs um einen Freundschaftsvertrag) 24Abraham sprach (Nar.): Ich werde schwören. 25Zugleich stellte Abraham den Abimelech zur Rede (wAK) wegen des Wasserbrunnens, den die Knechte Abimelechs weggenommen hatten (AK). 28,6 Esau sah (Nar.), dass Isaak den Jakob gesegnet hatte (AK), als er ihn nach PaddanAram schickte (wAK), um sich von dort eine Frau zu nehmen.53 Als er ihn segnete (suff. Inf.), gebot er (Nar.) ihm: Nicht sollst du eine Frau nehmen von den Töchtern Kanaans! 31,6 f. 6Ihr wisst ja, dass ich mit all meiner Kraft eurem Vater gedient habe. 7Euer Vater aber betrog mich (x-AK), indem er meinen Lohn zehnmal änderte (wAK). 34,5 Jakob aber hatte gehört (x-AK), dass er (= Sichem, V. 2) seine Tochter Dina entehrt hatte (AK). Aber seine Söhne waren (x-AK) bei seinem Vieh auf dem Feld; so/deshalb schwieg (wAK) Jakob, bis sie kamen (suff. Inf.). 37,3 Israel aber hatte (x-AK) Joseph lieber als seine Söhne – er war ihm nämlich ein Sohn des Alters – deshalb hatte er (wAK) ihm einen langen Rock gemacht. 38,5 Noch einmal (Nar.) gebar sie (Nar.) einen Sohn und nannte (Nar.) seinen Namen Schela, während er (= Juda, V. 2) in Kesib war (wAK), als sie ihn (= Schela) gebar (suff. Inf.).
Bis auf 31,7 kann eine frequentative Bedeutung der Verbform ausgeschlossen werden.54 Ganz im Sinne dieser Beispiele muss man 15,6a mit der vorangehenden narrativen Einleitung der Verheißung in V. 5 verbinden.55 Daran denkt auch Blum, wenn er im Zusammenhang der Besprechung imperfektiver Verbformen 52 Blum, Verbalsystem, 124–132, bes. 126: „… relative Gleichzeitigkeit zwischen Sachverhalten, zum Ausdruck gebracht durch die imperfektive Darstellung in narrativ/konstatierendem Kontext.“ 53 Die Satzabgrenzung folgt der masoretischen Akzentsetzung. 54 Die beiden folgenden Beispiele könnten den Eindruck erwecken, als stehe wAK für frequentative Handlungen, doch liegt der Akzent auch hier auf der Gleichzeitigkeit, freilich mit einem wiederholten Geschehen. Gen 30,41: Immer also wenn das kräftige Kleinvieh brünstig war ()והיה בכל יחם, dann legte (wAK )ושםJakob die Stöcke vor die Augen des Kleinviehs in die Tränken, damit es sich an den Stöcken begattete (suff. Inf. mit )ל. Gen 38,9: Onan wusste ( וידעNar.), dass die Nachkommenschaft nicht ihm gehören würde. Wenn er also einging ( והיה אם+ AK )באzur Frau seines Bruders, dann verdarb er (wAK )ושחת (den Samen) zur Erde, um seinem Bruder keine Nachkommenschaft zu geben. 55 Eine Verbindung von V. 6a als temporalem Nebensatz mit V. 6b scheitert auch daran, dass sie keinen rechten Sinn ergibt: „Während er auf Jhwh vertraute, rechnete der es ihm als Gerechtigkeit an.“ Da sich das Suffix ה- („es“) auf das Glauben Abrahams bezieht (dazu s. u. 6.), ist eine temporale Gleichzeitigkeit ausgeschlossen. Eine kausale Bedeutung des wAK-Satzes V. 6a lässt sich ohne Konjunktion gar nicht erweisen (gegen Mosis).
5. „Glaube“ und „Gerechtigkeit“ in Gen 15,6
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bei „damals-Aussagen“ eine Lösung für Gen 15,6 vermutet.56 Diese Lösung empfiehlt sich, weil V. 5 mit einer direkten Rede endet („So soll dein Same sein“), so dass man im Deutschen mit einem Hauptsatz fortfahren muss, wenn man die Abfolge der hebräischen Sätze beibehalten will. In Verbindung mit V. 4 f. ergäbe sich dann für V. 6a die Übersetzung: „(An jenem Tage/damals) vertraute er auf Jhwh.“ Allerdings fehlt eine entsprechende temporale Deixis, so dass ein Verständnis nach Art der „damals-Aussagen“ nicht bewiesen werden kann, wie schon Blum anmerkt. Um der syntaktischen Klarheit willen empfiehlt es sich deshalb, V. 6a als temporalen Nebensatz zu V. 5 zu verstehen. Allerdings wäre es dann im Deutschen besser, die hebräische Satzfolge wegen der direkten Rede in V. 5b zu verlassen und V. 6a als Nebensatz voranzustellen, also: „Während er an Jhwh glaubte, sprach der zu ihm: So soll dein Same sein.“57 Oder man fährt nach V. 5 mit V. 6 als Hauptsatz fort: „Dabei glaubte er an Jhwh, …“
5. Heimat und Bedeutung des Verbs חשב Für das Verständnis des zweiten Satzes von V.6 war vor allem Gerhard von Rads Erklärung aus der kultischen Praxis folgenreich.58 Ausgehend von Lev 7,18; 17,4 und Num 18,27(.30) versteht er חשבals terminus technicus in einer deklaratorischen Formel, mit der ein Priester die Gültigkeit oder Ungültigkeit eines Opfers feststellt.59 Grundlegend für ihn ist die Formel in Lev 19,7: Unflat ist es; es findet kein Wohlgefallen ()פגול הוא לא ירצה.
Aus ihr erschließt er als weitere derartige Formel: „Es wird [nicht] angerechnet ()]לא[ יחשב.“ Diese Formel ist freilich nicht belegt. In Ez 18,9 findet er einen Hinweis auf deklaratorische Akte, durch die Menschen mit den Worten צדיק הוא für „gerecht“ erklärt wurden: Gerecht ist er; leben wird er ()צדיק הוא חיה יחיה.60
Allerdings muss v. Rad zugeben, dass hier wie dort „das Verbum חשבnicht zu belegen“ ist, doch sei „die Sache ja … durchaus gegeben“.61 Aus alledem schließt 56
Blum, Verbalsystem, 132, Anm. 105. damit intendierten Sinn s. u. Abschnitt 7. Wenn man – wie oben vorgeschlagen – übersetzt, muss man freilich in der Fortsetzung mit V. 6b im Deutschen das Subjekt ausdrücklich nennen, um Missverständnisse zu vermeiden, also: „Jhwh aber rechnete ihm das als Gerechtigkeit an.“ Zur Begründung des Subjekts s. u. 6. 58 G. v. R ad, Die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit (1951), in: Ders., Ges. Studien zum AT (ThB 8), München 41971, 130–135. 59 Zu derartigen deklaratorischen Formeln s. R. Rendtorff, Die Gesetze in der Priesterschrift. Eine gattungsgeschichtliche Untersuchung (FRLANT 62), Göttingen 1954, 74–76. 60 Spuren davon findet er auch in den sog. Torliturgien Ps 15,5b; 24,5; Jes 33,16. 61 Von R ad, Anrechnung, 133. 57 Zum
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II. Zur Abrahamüberlieferung
er, das in Gen 15,6 verarbeitete Material müsse aus dem Kultus stammen. Allerdings sei jetzt der Glaube an die Stelle des Opfers getreten. Diesen revolutionären Umschlag deutet er als Ergebnis der Spiritualisierung kultischer Vorgänge und einer damit verbundenen Polemik.62 Vor diesem Hintergrund erscheint Gen 15,6 geradezu als Vorläufer der Paulusinterpretation Luthers: Der Glaube stehe hier gegen kultische Leistung. Schon Norbert Lohfink war diese Erklärung von Gen 15,6 nicht geheuer.63 Doch hat erst Klaus Seybold die These von Rads einer genaueren Überprüfung unterzogen.64 Von den vier Belegen für eine priesterliche Anrechnung im Kultus bleiben bei ihm allein Lev 7,18 und 17,4 übrig. In beiden gehört die Anrechnung jedoch zu jüngeren Interpretationen, die im ersten Fall an die ältere Qualifikation mit dem Verb רצהanschließt.65 Alle Belege sind ausschließlich im Nifal formuliert, nicht im Qal wie in Gen 15,6. An „keiner Stelle liegt ein besonderer Akzent auf der חשב-Aussage“. In den Torliturgien findet sich diese ohnehin nie, so dass die Verbindung beider völlig ungerechtfertigt war.66 Seybold resümiert: Aus den „singulären Belegen“ lasse sich keine „Theologie der Anrechnung“ erschließen. Dann ist jedoch eine entsprechende Gegenüberstellung von Glauben und kultischer Leistung ebenso hinfällig wie deren Erklärung aus der Spiritualisierung kultischer Vorgänge. Zuletzt hat Oeming noch einmal die These von Rads durchgenommen, ohne wesentlich über Seybold hinaus zu gelangen.67 Gegen v. Rad hat man außerdem auf die fehlende Verbindung des Verbs חשב mit dem Nomen צדקהin kultischen Zusammenhängen hingewiesen.68 Ein Blick auf 2 Sam 19,20; Ps 106,31; Prv 27,14 zeigt überdies, dass das Verb zwar in der religiösen Sprache gebraucht wird, aber abseits des Kultus und jenseits jeder Spiritualisierung oder Polemik. Wir überprüfen die alternativen Deutungen und gehen dabei zugleich die wichtigsten Belege durch. Die Plausibilität der vorgeschlagenen Deutungen hängt nicht zuletzt davon ab, ob die herangezogenen Belege als Analogien zum Gebrauch des Verbs in Gen 15,6b gelten können. Hier wird „( חשבanrechnen“) 62 Allerdings
hatte schon H.‑J. Hermisson, Sprache und Ritus im altisraelitischen Kult. Zur „Spiritualisierung“ der Kultbegriffe im Alten Testament (WMANT 19), Neukirchen-Vluyn 1965, 59, gemeint: „In der Spiritualisierung der Kultbegriffe ist Polemik jedenfalls nicht das Nächstliegende.“ 63 Lohfink, Landverheißung, 59–60, ersetzt den Opferkult als Hintergrund durch das Heilsorakel. 64 Seybold, Art. חשב, 256 f. 65 Zur Analyse von Lev 7,18 s. Seybold, 256–257, zu der von 17,4 s. W. Elliger, Leviticus (HAT I/4), Tübingen 1966, 222 f. 66 Das wird schnell deutlich, wenn man Gen 15,6b in eine Priester- oder Gottesrede mit deklaratorischer Formel verwandelt; sie würde ohne חשבformuliert und könnte nur lauten: צדיק אתה. 67 Oeming, Gen 15,6, 185–190. 68 R. W. L. Moberly, Abraham’s Righteousness (Genesis XV 6), in: J. A. Emerton (Hg.), Studies in the Pentateuch (VT.S 41), Leiden 1990, 103–130, 110.
5. „Glaube“ und „Gerechtigkeit“ in Gen 15,6
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mit drei Gliedern gebraucht: mit dem Objekt („es“) als Suffix ה- am Verb ( ;)ויחשבהmit demjenigen, dem die Tätigkeit des חשבzugute kommt („ihm“), eingeführt mit der Präposition ;)לו( לund mit dem prädikativ gebrauchten Nomen im Akkusativ („als Gerechtigkeit“), aber ohne Präposition ()צדקה. (1) Seybold und Oeming haben der kultischen Deutung v. Rads den Boden entzogen. Oeming will darüber hinaus dem Verb die Bedeutung „anrechnen“ nehmen, um zu erweisen, dass das Verb חשבdurchaus „eine Tätigkeit des Menschen in bezug (sic) auf Gott bezeichnen kann“.69 Dazu verweist er auf Mal 3,16: Aufgeschrieben war eine Denkschrift vor ihm für die, die Jhwh fürchten, und für die, die seinen Namen achten ()לחשבי שמו.
Dieser Hauptbeleg Oemings ist leider im Blick auf Gen 15,6 völlig unbrauchbar, weil ihm der zweite Akkusativ fehlt, wie schon Mosis bemerkt hat.70 (2) Oeming hat jedoch in dem Bemühen, die buchhalterischen Untertöne zu eliminieren, auf unterschiedliche Weise Gefolgschaft gefunden. So hat Horst Seebaß versucht, Gen 15,6 mit dem Gebrauch des Verbs „ = חשבplanen“ in 50,20 zu erhellen: „Ihr zwar, ihr habt wider mich Übles geplant (;)חשבתם עלי רעה Gott aber, er hat es zum Guten geplant ()חשבה לטבה.“71
Dieser Versuch ist gründlich misslungen.72 Denn das Verb wird syntaktisch nicht vergleichbar gebraucht, führt doch hier die Präposition לnicht die Person, sondern das künftige Ziel der Planung ein: „… zum Guten“.73 (3) Aber auch die syntaktischen Begründungen für die Übersetzung von חשב in Gen 15,6 mit „halten für, ansehen als“ durch Diethelm Michel74 überzeugen schwerlich. Denn in diesen Fällen ist das Verb stets mit zwei Gliedern verbunden, nicht mit dreien; dabei wird das Objekt stets im Akkusativ, meist mit einem Suffix am Verb, formuliert75 und nur das Prädikativum mit der Präposition ל eingeführt, z. B. in Gen 38,15: Er hielt sie ( )ויחשבהfür eine Hure ()לזונה.76 69
Oeming, Gen 15,6, 192. trifft auch für den anderen Beleg zu: bBer II 14a; s. Mosis, Glauben, 250 f. Diese Kritik trifft auch Hagelia, Numbering, 70 f. 71 H. Seebass, Genesis II: Vätergeschichte I (11,27–22,24), Neukirchen-Vluyn 1997, 63. 72 Gegen diese Deutung von Seebass (Genesis II, 71 f.: „Und indem er sich auf Jahwe verließ, plante er es ihm zur Heilstat“) s. D. Michel, Das Ansehen des Glaubens als Gerechtigkeitstat: Gen 15,6, in: S. Beyerle (Hg.), Recht und Ethos im Alten Testament. Gestaltung und Wirkung, FS H. Seebass, Neukirchen-Vluyn 1999, 103–113. 73 Ps 40,18 kann noch weniger die Beweislast tragen, weil hier zwar die Person mit לeingeführt, das Verb aber ohne Objekt gebraucht wird, und weil die Wendung textlich unsicher ist, wie ein Vergleich mit Ps 70,6 zeigt. 74 Michel, Ansehen, 109. 75 Ohne Suffix, weil als separates Nomen, z. B. in Hi 41,24 ( (הזאת35,2 ;))תהום. 76 Vgl. damit 1 Sam 1,13; Hi 13,24; 19,11 (mit Präp. ;)כ33,10. 70 Das
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Davon sind die Fälle wie Gen 15,6 zu unterscheiden, in denen die Präposition ל bei der Person steht, der die mit חשבbezeichnete Tätigkeit zugute kommt.77 In Gen 15,6 ist deshalb das Verb nicht nur mit zwei, sondern mit drei Gliedern verbunden. Durch die Präposition לbei der beteiligten Person unterscheiden sich diese Fälle grundlegend von denen wie Gen 38,15. In den Fällen mit dem Dativ der beteiligten Person kann das Verb im Deutschen nicht mehr mit „halten für“ bzw. „ansehen als“ übersetzt werden; denn in diesen Konstruktionen wäre der Dativ keine Erläuterung zum Verb, sondern zum Prädikativum. Im Hebräischen würde man in diesem Fall den Dativ לוnach dem Prädikativum צדקהerwarten.78 Diese Fehldeutung wird im Deutschen bei einer Übersetzung mit „anrechnen“ vermieden. (4) Für den Fall mit drei Gliedern gibt es durchaus Analogien. Ps 106,31 ist passivisch mit dem Verb im Nifal formuliert, so dass hier das Objekt des Anrechnens als grammatisches Subjekt erscheint: Es wurde ihm angerechnet ( )ותחשבנ לוzur Gerechtigkeit ()לצדקה.
„Es“ bezieht sich auf die in V. 30a genannte Tat des Pinehas. Die drei folgenden Belege sind ebenfalls mit dem Dativ der beteiligten Person formuliert. Sie gehören also in diese Gruppe. Auch bei ihnen muss „ חשבanrechnen“ heißen, ob man sie ohne Prädikativum deutet oder das fehlende Prädikativum im Kontext findet. So bittet Simei in 2 Sam 19,20: Nicht rechne ( )אל יחשבmir ( )ליmein Herr (als) Schuld ( )עוןan, und nicht wollest du dessen gedenken, womit sich dein Knecht vergangen hat …
Das Objekt, das in Gen 15,6 als Verbalsuffix formuliert ist, besteht hier in jenem Relativsatz, der von beiden Vordersätzen abhängt. Vielleicht gehört auch Ps 32,1b–2 hierher: Glücklich der, dessen Auflehnung vergeben und dessen Verfehlung bedeckt ist! Glücklich der Mensch, dem ( )לוJhwh (sie) nicht (als) Schuld ( )עוןanrechnet!
Was Gott nicht als Schuld anrechnet, steht im Parallelsatz in der ersten Zeile voran. Ähnliches findet sich in Prv 27,14: Wer seinen Nächsten schon am frühen Morgen mit lauter Stimme segnet – (als) ein Fluch wird (es) ihm ( )לוangerechnet.
Auch hier steht voran, was als Fluch angerechnet wird. Eine vergleichbare Satzstruktur haben die mit Nifal formulierten passiven Konstruktionen, in denen im Kontext zuvor genannt wird, was (nicht) angerechnet wird: 77 Gleichgültig, ob es ein prädikativ gebrauchtes Nomen gibt (wie in Gen 15,6 und in Ps 106,31) oder nicht (wie in 2 Sam 19,20; Ps 32,2; Prv 27,14). 78 So ist z. B. in Hi 13,24b לךeindeutig eine Erläuterung zu לאויבund steht deshalb danach, nicht nach dem Verb חשב: „du hältst mich für einen Feind für dich“; vgl. Hi 33,10b.
5. „Glaube“ und „Gerechtigkeit“ in Gen 15,6
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Lev 7,18: (Wenn etwas vom Schlachtopfer noch am dritten Tage gegessen wird), wird der, der es darbringt, kein Wohlgefallen finden; es wird ihm ( )לוnicht angerechnet werden ( ;)לא יחשבunbrauchbar ist es … Lev 17,4 (Wer eine Schlachtung nicht rituell korrekt als Darbringung durchführt) – als Blutschuld ( )דםwird es jenem Mann ( )לאיש ההואangerechnet werden ()יחשב. Num 18,27.30 (Der Leviten-Zehnt als Abgabe für Jhwh) – er wird euch ( )לכםals eure Abgabe ( )תרומתכםangerechnet werden (… )ונחשב
In diesen Fällen wird stets nur die beteiligte Person mit dem Dativ ( )לeingeführt, nie das prädikativ gebrauchte Nomen. Es gibt also keinen Grund, in Gen 15,6b von der Bedeutung „anrechnen“ für das Verb חשבabzugehen. Man darf allerdings keine Assoziationen eintragen, die dem Verb fremd sind. Es erscheint im MT nie im Zusammenhang einer himmlischen Buchführung menschlicher Taten. Ebenso wenig ist ein originär kultischer Hintergrund von Hause aus mit ihm verbunden79, wird doch das Verb mit dem Bedeutungskern „rechnen“ in verschiedenen Bereichen gebraucht, zu denen auch der Handel und das Rechnungswesen gehören.80 Das Verb unterscheidet sich jedoch dadurch von einem rein numerischen Zählen, dass es stets mit einem „Abwägen, Einschätzen, Kalkulieren“, also mit einem „Bewerten“ verbunden ist.81
6. Wer „rechnet an“? Üblicherweise geht man davon aus, Gott antworte auf den Glauben Abrahams nun seinerseits damit, dass er Abrahams Reaktion für angemessen erklärt und Abrahams Glauben als „Tat oder Erweis der Gerechtigkeit“ anrechnet. Dagegen haben zuletzt Oeming und Mosis82 im Kern zwei Einwände vorgebracht und zwei alternative Deutungen vorgeschlagen. (1) Der erste Einwand betrifft den in der traditionellen Lesung angenommenen Subjektwechsel: Er sei abrupt und werde durch nichts angezeigt. Überdies bestehe V. 6 aus einem vollständigen parallelismus membrorum, so dass ein derartiger Wechsel geradezu ausgeschlossen werden könne. – Von einem Parallelismus kann indes gar keine Rede sein. Oeming zaubert für beide Sätze ein ausdrückliches „Abraham“ herbei, das im MT fehlt, und stellt auch noch das לוans Ende seiner erfundenen parallelen Reihe in V. 6b, um für das ביהוהin V. 6a 79 Von den in THAT I gezählten 186 Belegen hat von R ad nur vier (!) mit dem Bereich des Kultus verbinden können; vgl. W. Schottroff, Art. חשב, THAT I (1971) 641–646, 642. 80 חשבPi. Lev 25,27.50.52; 27,18.23; 2 Kön 12,16; Nif. 2 Kön 22,7. 81 Vgl. Seybold, Art. חשב, 246; mit W. Schottroff, Art. חשב, 643: In diesem Verb komme die „wertende Zuordnung von Personen und Dingen zu bestimmten Kategorien zum Ausdruck“. 82 Mosis, Glauben, bes. die Zusammenfassung S. 253 f.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
das dringend benötigte Äquivalent zu schaffen. Bleibt man beim Text, löst sich der behauptete Parallelismus schnell auf.83 Subjektwechsel, auch sonst vielfach zu beobachten, werden in erzählenden Texten nicht angezeigt, wenn sich die Zuordnung der Subjekte von selbst versteht.84 Das ist auch hier der Fall. Jhwhs Aktion und Verheißung von V. 5 lassen eine Reaktion Abrahams erwarten, die in V. 6a erfolgt: „Er vertraute auf Jhwh.“ Jhwh als Adressat des Vertrauens wird mit dem letzten Wort des Satzes genannt; und diese Wortstellung lenkt den Leser so, dass er das Tetragramm als Subjekt von V. 6b unterstellt, zumal es in der Gottesrede V. 7 noch einmal eigens genannt wird.85 Die traditionelle Lesung liegt also nicht nur nahe, sondern ist auch durchaus ungezwungen.86 (2) Der zweite Einwand setzt bei der Semantik an: Anders als das maskuline Nomen צדק, das eine Eigenschaft oder Handlungsweise beschreibt, bezeichnet die Femininbildung „ צדקהdurchweg einen einzelnen Erweis der Gerechtigkeit, eine Gerechtigkeitstat“, wie schon Diethelm Michel gezeigt hat.87 Das könne sich nur auf Gottes Verheißungen, jedoch nicht auf Abrahams „Glauben“ beziehen, der eine dauerhafte Haltung, keine einzelne Tat sei. – Indes beruht die Bestimmung des Glaubens Abrahams als Qualität einzig auf dem stativisch-durativen Verständnis der wAK-Form in V. 6a, das sich – wie gezeigt – nicht halten lässt.88 (3) Als Alternative schlagen Oeming und Mosis vor, Abraham auch in V. 6b als Subjekt zu unterstellen. Sie unterscheiden sich allerdings darin, dass sie לו auf verschiedene Größen beziehen: Oeming bezieht לוauf Gott, Mosis reflexiv auf Abraham. Damit hängt wiederum die unterschiedliche Füllung des Verbalsuffixes ה- ab: Oeming füllt es mit der göttlichen Ankündigung zahlreicher Nachkommen89, Mosis dagegen mit dem gläubigen Vertrauen Abrahams90. Gegen die Beibehaltung des Subjekts Abraham auch in V. 6b spricht zunächst der Wechsel der Verbformen: Wenn beide Sätze von V. 6 als Reaktionen Abra83 Schon Mosis, Glauben, 87, stellt zutreffend fest: Der Parallelismus sei „keineswegs so eindrucksvoll und vollständig, wie Oeming dies darstellt“. 84 Vgl. nur Gen 32,23–33; Ex 14,8 u. a. 85 Auf den letzten Punkt weist vor allem A. Behrens, Gen 15,6 und das Vorverständnis des Paulus, ZAW 109 (1997) 327–341, bes. 331, hin. 86 Die sieben jüdischen Gelehrten aus dem 12./13. und 16./17. Jh., die B. Jacob, Das Buch Genesis (Berlin 1934), Neudruck Stuttgart 2000, 394, für die Gegenmeinung anführt (der er übrigens nicht folgt), zeigen eher, wie naheliegend die traditionelle Deutung ist. 87 D. Michel, Begriffsuntersuchung über sädäq-sedaqa und ʾämät-ʾämuna, ungedr. Habil.-Schrift Heidelberg 1964, 80: צדקה, eine selbständige Bildung von der Wurzel צדק, hat die „Bedeutung eines nomen unitatis/actionis“, bezeichnet also niemals die Qualität. Zum Bedeutungsgehalt von צדקהin Gen 15,6 s. u. Abschnitt 7. 88 S. o. Abschnitt 4. 89 Oeming, Gen 15,6, 197. Dieses Verständnis ist in der jüdischen Exegese seit Ramban immer wieder vertreten worden (vgl. die Zeugen bei Jacob, Genesis, 394). 90 Mosis, Glauben, 254; ihm folgt ohne neue Gesichtspunkte Ziemer, Abram, 191. – Ähnlich, aber mit Bezug auf Abrahams Glauben, Rottzoll, Gen 15,6, 25 f. (mit jüdischen Vorgängern): „Und Abraham glaubte Gott und rechnete sich das [sc. sein Glauben] zu/als Gerechtigkeit an.“
5. „Glaube“ und „Gerechtigkeit“ in Gen 15,6
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hams auf einer Ebene gedacht wären, hätte man beide Male die gleichen Verbformen gesetzt; gerade der Übergang von wAK zum Narrativ markiert den Subjektwechsel. Sodann legt die Fortsetzung mit einer uneingeführten Gottesrede in V. 7 nahe, dass auch in V. 6b Gott, nicht Abraham als Subjekt vorgestellt ist. Außerdem geht es überall dort, wo חשבim technischen Sinn des „Anrechnens“ gebraucht wird, um Menschen, die Nutznießer jenes Anrechnens durch Gott oder den König sind.91 Vor allem aber fragt man sich bei beiden alternativen Deutungen, worin der Informationsgehalt des Satzes liegt. Er wäre in beiden Versionen doch nur dann notwendig, wenn man das Gegenteil von dem erwartet, was hier dann als Überraschung ausdrücklich festgestellt wird: Es war eine Heilstat! Nun werden aber weder Gottes Verheißung noch das menschliche Vertrauen in den verheißenden Gott jemals als unheilvoll angesehen. Mit Abraham als Subjekt bringt der zweite Satz nach V. 6a keine überraschende Information, sondern er sagt, was sich ohnehin von selbst versteht. (4) Die Lösung Oemings, לוauf Jhwh zu beziehen, scheitert – auch mit dem semantisch für V. 6 als falsch erwiesenen Gehalt von „ חשבschätzen, würdigen“ – daran, dass dieses Verb mit doppeltem Akkusativ nie von Menschen über Gott gesagt wird.92 Es gibt keinen Beleg von חשב, in dem ein Mensch Gott qualifizierend beurteilt, ihm etwas anrechnet oder aberkennt, wie schon Mosis eingewandt hat.93 (5) Mosis und Rottzoll können sich für ein reflexives Verständnis von לוmit Bezug auf das Subjekt von חשבzwar auf Hi 19,11 berufen94; allerdings ist dort – ganz gegen deren Argumentation – Gott das Subjekt von חשב.95 Ps 32,2; 106,31; Prv 27,14 belegen außerdem, dass sich לוnach חשבwie in Gen 15,6 sehr wohl auf das Subjekt des vorherigen Satzes zurückbeziehen kann. In den genannten Belegen ist stets Gott oder wie in 2 Sam 19,20 der König Subjekt des Anrechnens. Das trifft auch für Ps 106,31 zu; obwohl passivisch formuliert, setzt der 91 Menschen vor Gott (Lev 7,18b; 17,4; Num 18,27.30; Ps 106,31; Prv 27,14), bzw. vor dem König (2 Sam 19,20) – s. Moberly, Righteousness, 107. 92 Oemings Belege sind allesamt nicht brauchbar, weil nicht wirklich vergleichbar (s. o. Abschnitt 5); auch Mal 3,16; CD 20,19 f. und der Beleg aus dem Talmud sind keine Analogien. 93 Mosis, Glauben, 250, mit Korrektur bei Oeming, Glaube, 19. 94 Mosis, Glauben, 252 f.; Rottzoll, Gen 15,6, 25. In Hi 33,10 ist (wie in 13,24) keineswegs suffigiertes „ חשבmit nachfolgendem לוbelegt“ (gegen Rottzoll, 25, und Mosis, Glauben, 253 Anm. 90), weil beide Male לו/ לךdas zweite (überdies mit לeingeführte) Objekt erläutern, nicht aber das Verb! Außerdem besagt der reflexive Gebrauch von לוin Hi 19,11 nur, dass derlei möglich war. Für den konkreten Gebrauch in Gen 15,6 bedeutet das allerdings gar nichts. 95 Gleichwohl gibt es durchaus auch einen nichtreflexiven Gebrauch der Wendung in 2 Sam 19,20; Ps 32,2; 106,31; Prv 27,14. Dann ist mit den Analogien für einen reflexiven Gebrauch in einem uneindeutigen Fall kein Staat zu machen. Vgl. Behrens, Gen 15,6, 330. – An fehlender Evidenz scheitert auch der Versuch von B. Albrektson, A Disputed Sense in a Covenant Context: On the Interpretation of Genesis 15:6, in: A. D. H. Mayes/R. B. Salters (Hg.), Covenant as Context, FS E. W. Nicholson, Oxford 2003, 1–9, לוin Gen 15,6 als dativus ethicus zu erklären und als solchen unübersetzt zu lassen.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
einzige Text außer Gen 15,6b, der חשבmit צדקהverbindet, wegen der zuvor berichteten Beendigung der Plage Gott als Subjekt des Anrechnens voraus. Schließlich zwingt in Gen 15,6b nichts dazu, das Suffix der 3. Pers. Sing. fem. ה- auf Gottes Verheißungen in V. 4.5 oder gar auf den gesamten ersten Teil V. 1–5 zu beziehen, wie Oeming vorschlägt; am nächsten liegt immer noch der Bezug auf das „Glauben“ Abrahams in V. 6a.96 Nach kritischer Prüfung der von Oeming, Mosis und Rottzoll vorgebrachten Alternativen empfiehlt es sich, bei der bisherigen Erklärung zu bleiben.97 Da sich aber Gerhard von Rads Deutung von Gen 15,6 als Ersetzung kultischer Leistung durch den Glauben nicht bewährt hat, stellt sich die Frage nach dem Verständnis dieses Verses erneut.
7. Wie ist V. 6 zu verstehen? Das Gefälle des Textes von der Zusage großen Lohns (V. 1) über die klagenden Einwände Abrahams (V. 2.3) zu einer Erwiderung Gottes, die mit der Ankündigung eines leiblichen Erben auf die Einwände eingeht (V. 4) und sie mit der Verheißung zahlreicher Nachkommenschaft, den Sternen gleich (V. 5), sogar noch übersteigt, lenkt den Leser so, dass er eine Reaktion Abrahams erwartet. Auch deshalb trifft die stativisch-durative Deutung auf ein schon lange währendes Vertrauen Abrahams in der Vergangenheit nicht ins Schwarze. Benno Jacob hat das Ungenügen an dieser Deutung empfunden und deshalb versucht, durative und punktuelle Deutung zu verbinden: Zwar habe Abraham Gott schon immer geglaubt, aber jetzt spreche er es ihm auch aus, doch werden für die zwischen Gott und Abraham „ausgetauschten Worte … sogleich die in ihnen ausgedrückten Gesinnungen gesetzt. Abraham hatte gesagt: ‚ich danke dir, ich glaube dir‘, und darauf dankt Gott Abraham: ‚Das werde ich dir nicht vergessen‘.“98 Die Behauptung, Abraham habe „schon immer geglaubt“, beruht freilich auf einer Deutung des Gehorsams Abrahams seit Gen 12,4, auf seiner Qualifikation als Prophet, kurz: auf der Bedeutung, die Abraham im Judentum gewonnen hat und die nun in Gen 15,6 eingetragen wird. Dagegen überrascht das Vertrauen Abrahams nach den Einwänden in 15,2.3. Im Gefälle des Textes hängt das Vertrauen Abrahams mit den unmittelbar zuvor ergangenen göttlichen Zusagen in V. 4.5 zusammen. Dieser Zusammenhang muss festgehalten werden. Man 96 So auch Ges.-K. § 135p und Rottzoll, Gen 15,6, 25. Rotzolls Gewährsmann Mosis führt gegen den Bezug auf Abrahams Glauben lediglich dessen stativisch-durative Deutung als immer schon andauernde „Haltung“ ins Feld, was niemals als Gerechtigkeitstat hätte bezeichnet werden können. Dieses Verständnis von V. 6a hat sich freilich schon wegen der Einwände Abrahams in V. 2.3 nicht als zutreffend herausgestellt. 97 An der üblichen Deutung mit wechselndem Subjekt halten nach wie vor fest: Blum, Verbindung, 144 Anm. 114, Schmid, Erzväter, 184 Anm. 90, u. v.a. 98 Jacob, Genesis, 394.
5. „Glaube“ und „Gerechtigkeit“ in Gen 15,6
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erwartet einen syntaktischen Anschluss mit dem Narrativ: „Daraufhin fasste er Vertrauen …“ Die syntaktische Anbindung von V. 6a mit wAK setzt dagegen einen anderen Akzent, indem sie Abrahams Glauben als eine mit dem Reden Gottes in V. 5b gleichzeitige Handlung einführt. Damit wird im Textablauf nicht der Umschlag von den Einwänden über deren Beseitigung zum gewonnenen Vertrauen hervorgehoben, sondern die Verheißung von Nachkommen, zahllos wie die Sterne des Himmels, die jene Einwände weit übersteigt. Abrahams Vertrauen erscheint in der syntaktischen Verbindung als ein Umstand, der diese Verheißung begleitet: „Während er (Abraham) Jhwh vertraute, sprach der zu ihm: So wird deine Nachkommenschaft sein.“ Wann hat sich bei Abraham der Umschwung von den Einwänden zum Vertrauen ereignet? Offenbar in der Handlungspause zwischen den beiden unmittelbar aufeinander folgenden Gottesreden99 angesichts des gestirnten Himmels in V. 5. Aber diesen Umschwung hat der Erzähler – gegen unsere Erwartungen – syntaktisch nicht eigens markiert. Das geschieht erst in der Septuaginta.100 Das Vertrauen Abrahams erhält in Gen 15,6 seine Konturen auf dem Hintergrund der wenigen Stellen, in denen im Pentateuch sonst noch האמין ביהוה begegnet. Von ihnen ist Ex 14,31 am wichtigsten.101 Abraham und das Volk glauben, nachdem sie „gesehen“ haben. Was sie gesehen haben, unterscheidet sich beträchtlich. Das Volk setzt Vertrauen (Narrativ102) in Gott und seinen Knecht Mose (… [ ביהוהNarrativ!] )ויאמינו, nachdem es den Erweis der Macht Gottes in der Vernichtung der Feinde und der eigenen Rettung gesehen hatte. Abraham dagegen vertraut auf Jhwh, allein aufgrund der Zusagen Gottes, zwar bekräftigt durch einen Blick an den gestirnten Himmel, aber nach menschlichem Ermessen ohne Aussicht auf deren Einlösung.103 Das gibt dem „Glauben“ Abrahams in Gen 15,6 sein besonderes Profil: „Er vertraute auf Gott gegen allen Augenschein.“104 Während das Volk nach Ex 4,31 und 14,31 immer wieder sein Vertrauen verliert, hält Abraham am Vertrauen auf Gott fest, was sich vor allem in Gen 22 zeigt. Wie auch immer die wenigen Belege für Glauben im Pentateuch zusammenhängen, Gen 15,6 setzt Ex 14,31 und 4,31 voraus.105 99 Targum Pseudo-Jonathan hat, offenbar im Blick auf diese Eigentümlichkeit des Textes, die verdienstvolle Tat des Glaubens darin gesehen, dass Abraham die Verheißungen von V. 4 f. schweigend angehört und nicht mehr mit Einwänden unterbrochen oder „Vorwürfe vor ihm ausgestoßen hat“ (Bill. III, 200). 100 Dazu s. u. Abschnitt 8. 101 Zum Vergleich von Gen 15,6 mit Ex 14,31 und 1 Sam 12,18 s. E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte (WMANT 57), Neukirchen-Vluyn 1984, 369 f. 102 Vgl. Ex 4,31 (Nar., aber absolut) ebenfalls nach sichtbaren Machterweisen. 103 Hagelia, Numbering, 64–68, hebt nur die Seite hervor, dass Abrahams Glaube aus dem Sehen erwächst. 104 So schon Jepsen, Art. אמן, ThWAT I (1973) 328. 105 Zu dieser literargeschichtlichen Einordnung s. Köckert, Gen 15. [Zu den Vergleichstexten in Ex s. jetzt Köckert, „Rettung“ und „Glaube“ im Alten Testament, in: D. S. du Toit u. a. (Hg.), Soteria: Salvation in Early Christianity and Antiquity. FS C. Breytenbach, Leiden 2019,
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Gen 15,6 sticht aber auch dadurch heraus, dass nur hier die Aktion האמין ביהוהeine ausdrückliche Reaktion Gottes erfährt. Mit ihr nimmt der Erzähler
eine Bewertung vor und stellt diese unter höchste Autorität: Gott selbst würdigt Abrahams Vertrauen auf ihn als צדקה. Gerhard von Rad hatte aus Gen 15,6 den Schluss gezogen, nicht „Opfergaben … Gehorsamsakte … Handlungen“, sondern allein der Glaube setze „in das rechte Verhältnis zu Jahwe“.106 Doch schon das Stichwort „Lohn“ zu Beginn des Kapitels hätte vor dem Missverständnis bewahren können, die Reaktion Gottes auf Abrahams Glauben sei mit dem Stichwort „Gerechtigkeit aus Glauben“ im Sinne paulinischer Rechtfertigungslehre recht verstanden.107 Um nicht unangemessenen Assoziationen zu erliegen, empfiehlt es sich zu klären, was צדקהim Zusammenhang von Gen 15 bedeuten kann. Gegen das lange Zeit beherrschende juridische Verständnis der Wortgruppe צדקund des Begriffes „Gerechtigkeit“ hat sich, befördert insbesondere durch die Studien von Klaus Koch, die Übersetzung mit „Gemeinschaftstreue“ durchgesetzt.108 Doch wurden dadurch die semantischen Differenzen zwischen צדק und צדקהeher verdeckt. Die Diskussion weiter geführt haben vor allem die einschlägigen sprachgeschichtlichen Untersuchungen Michels.109 Vom lexikographischen Befund des unterschiedlichen Gebrauchs beider Nomina ausgehend, ist Alfred Jepsen zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen: „Sedeq geht auf die richtige Ordnung, sedaqah auf ein rechtes Verhalten, das auf Ordnung zielt.“110 Beide Aspekte lassen sich jedoch nicht voneinander lösen. Darauf beruht das Konzept der „Gemeinschaftstreue“. Wer das Rechte tut, erhält und fördert ein heilvolles Verhältnis zwischen Menschen und mit Gott. Ebenso gilt umgekehrt: Wessen Verhältnis zu seinen Mitmenschen und zu Gott „in Ordnung“ ist, der tut das, was die Ordnung bewahrt. Insofern stehen Rechtsein ( )צדקund Rechttun ( )צדקהimmer auch in einer Wechselwirkung. Schließlich ist bei allen Verhältnisbegriffen dieser Art zu bedenken, dass sie nicht nur die Taten sondern auch deren Ergebnisse oder Folgen bezeichnen können.111 So kann צדקהin Prv 21,21 nicht 3–29] – Schon R. Smend hatte in Ex 14,31 einen späteren Nachtrag gesehen und gemeint, Gen 15,6 sei „sachlich … doch wohl weiter als Dt. vi 25, xxiv 13“ (Zur Geschichte von האמין, in: B. Hartmann/E. Jenni [Hg.], Hebräische Wortforschung, FS Walter Baumgartner [VT.S 16], Leiden 1967, 284–290, bes. 290). H.‑C. Schmitt, Redaktion des Pentateuch im Geiste der Prophetie. Beobachtungen zur Bedeutung der „Glaubens“-Thematik innerhalb der Theologie des Pentateuch (1982), in: Ders., Theologie in Prophetie und Pentateuch. Ges. Schriften (BZAW 310), Berlin 2001, 220–237, bes. 226 ff., rechnet sie alle zu einer spät-dtr. Redaktionsschicht in prophetischem Geist. J. C. Gertz, Tradition und Redaktion in der Exoduserzählung (FRLANT 186), Göttingen 2000, 189–232 denkt bei Ex 4,31; 14,31 an endredaktionelle Zusätze zu P. 106 von R ad, Anrechnung, 134. 107 Blum, Komposition, 369. 108 Zusammengefasst in K. Koch, Art. צדקgemeinschaftstreu/heilvoll sein, THAT II (1976) 507–530. 109 Michel, Begriffsuntersuchung. 110 A. Jepsen, SDQ und SDQH im Alten Testament (1965), in: Ders., Der Herr ist Gott. Aufsätze zur Wissenschaft vom Alten Testament, Berlin(-Ost) 1978, 222. 111 Als Beispiel diene עון: Es bedeutet nicht nur das „Unrecht“ und „Vergehen“, das einer tut,
5. „Glaube“ und „Gerechtigkeit“ in Gen 15,6
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nur „Gerechtigkeit“ und „rechtes Tun“, sondern auch den dadurch erworbenen „Rechtsanspruch“, ja, sogar „Heil“ bedeuten112: Wer Gerechtigkeit ( )צדקהund Güte nachjagt, wird Leben, Heil ( )צדקהund Ehre finden.
An Ps 24,5 kann man sehen, dass der, der „nicht betrügt und keinen Meineid schwört“, der also recht tut, „Segen ( “)ברכהund „Heil ( )צדקהvom Gott seiner Hilfe“ empfängt. Denn mit dem Tun von צדקהist ein entsprechendes Geschick verbunden, wie mehrere Sentenzen in Prv 11 wissen: 5Rechtes
Tun des Tadellosen ()צדקת תמים ebnet seinen (Lebens-) Weg ()תישר דרכו.
18bWer
Rechttun aussät ()וזרע צדקה, (erntet) beständigen Lohn (;)שכר אמת 19aso (gereicht) Rechttun zum Leben ()צדקה לחיים. 30Die
Frucht des Gerechten ()פרי צדיק ist ein Baum des Lebens ()עץ חיים.
Es liegt ganz im Gefälle dieses Denkens, wenn צדקהim Aramäischen „Verdienst, Belohnung“113 heißen kann. Daran knüpfen die Targume an.114 Diese verschiedenen Aspekte müssen bei der Qualifikation des Glaubens/ Vertrauens Abrahams als צדקהin Gen 15,6b mitgehört werden. Abrahams Glauben ist zunächst eine Tat. Wie in Ps 106,31 das Einschreiten des Pinehas für die Beachtung des Fremdgötterverbots als „Tat der Gerechtigkeit“ ( )צדקהgewürdigt wird, so qualifiziert Gen 15,6 das Vertrauen Abrahams gleichfalls als צדקה-Tat. Sodann ist Abrahams Vertrauen „angemessen“ oder „in Ordnung“, weil Abraham damit dem Verhältnis entspricht, das Gott seit jenem Anruf in Gen 12,1 bis zur Ankündigung zahlloser Nachkommen in 15,5 ihm eröffnet hat. Schließlich imund die „Schuld“, die er dadurch auf sich lädt, sondern auch die „Strafe“, die er erleidet; vgl. die Belege in HALAT I, 756 f. 112 Zur Bedeutung „Rechtsanspruch“ s. Dtn 6,25; 24,13; 2 Sam 19,29; Jes 5,23; 51,10; 54,17; Dan 9,18; Neh 2,20; zur Bedeutung „Heil“ s. die Belege in Ges.-Donner, Lfg. 5, Berlin 2009, 1104 f. – K. H. Fahlgren, sedaka, nahestehende und entgegengesetzte Begriffe im Alten Testament, Uppsala 1932, und Koch haben diesen Zusammenhang zwischen Sünde und Strafe, Gerechtigkeit und Heil auf die eigentümliche „synthetische Lebensauffassung“ zurückgeführt, die jenem Denken zugrunde liegt. 113 HALAT II, 943; vgl. DNWSI 964: „merit“ (A. Cowley, Aramaic papyri of the fifth century B. C., Oxford 1923, Pap. 30,27 f., S. 113 f.). 114 Targum Onqelos, Pseudo-Jonathan und Neofiti 1 (mit passiver Verbform) übertragen Gen 15,6b mit וחשבה (ואתחשבת) ליה לזכו: „and he reckoned it to him as a meritorious deed“ (bei J. A. Fitzmyer, The Interpretation of Genesis 15:6: Abraham’s Faith and Righteousness in a Qumran Text, in: S. M. Paul u. a. [Hg.], Emanuel. Studies in the Hebrew Bible, Septuagint and Dead Sea Scrolls, FS Emanuel Tov [VT.S 94], Leiden 2003, 257–268). Ganz auf dieser Linie deutet Jacob: „ צדקהist dasselbe wie das neuhebräische זכות, der durch ein löbliches Verhalten erworbene Anspruch auf Anerkennung und Lohn“ (Genesis, 394). Er weist für dieses Verständnis auf Dtn 9,4 ff.; 6,25; 24,13; 2 Sam 19,29; Neh 2,20 und Ps 106,31 hin.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
pliziert die Anrechnung des Vertrauens als צדקהdurch Gott heilvolle Folgen für Abraham: Es ist nicht nur eine angemessene, sondern auch eine verdienstliche Tat.115 Wie in Ps 106,31 die Anerkennung als Gerechtigkeitstat bleibende Folgen hat („von Geschlecht zu Geschlecht“), so folgt in Gen 15,7.18 die mit dem göttlichen Eid als unbezweifelbar verbürgte Zusage des Besitzes „dieses Landes“ an Abrahams Samen als Lohn.116 Wird alledem Rechnung getragen, kommt man eher zu folgendem Verständnis: 1Nach
diesen Begebenheiten erging das Wort Jhwhs an Abram in folgender Vision: „Fürchte dich nicht, Abram! Ich bin dein Schild; dein Lohn ist sehr groß.“ 2Abram aber sprach: „Mein Herr Jhwh, was willst du mir geben, gehe ich doch kinderlos dahin, und der Verwalter meines Hauses ‚…‘ ist Elieser.“117 3Und Abram sprach (weiter): „Sieh, mir hast du keine Nachkommen gegeben, und so wird mein Hausgeborener118 mich beerben.“ 4Und siehe da, das Wort Jhwhs erging an ihn: „Nicht dieser wird dich beerben, sondern der aus deinem Leibe hervorgehen wird, der wird dich beerben.“ 5 Er (= Jhwh) führte ihn nach draußen und sprach: „Blicke doch zum Himmel hinauf und zähle die Sterne, wenn du sie zu zählen vermagst!“ Und sprach zu ihm (weiter): „So wird dein Same sein“, 6während er (= Abraham) Jhwh vertraute. Und der (= Jhwh) rechnete ihm das als verdienstliche Tat an.
Es ist diese Qualifikation des Glaubens Abrahams als ein bestimmtes verdienstliches Tun und Verhalten, welche die gesamte jüdische Rezeption von Gen 15,6 bestimmt.119 115 Abrahams Glaube wird „ihm als Treue gegen das Gemeinschaftsverhältnis angerechnet, in dem er mit Jahve steht. Diese Treue kann nicht ohne ihren Lohn bleiben … Die Treue und ihre Belohnung haben sich noch nicht weiter voneinander entfernt, als dass sie durch dasselbe Wort ausgedrückt werden können“ (Fahlgren, sedaka, 91). 116 Der in 15,1 unbestimmt angekündigte Lohn wird in V. 7.18 mit der Verheißung, dieses Land zu besitzen, ausgezahlt. Gegen von R ads Behauptung, das Wort für „Lohn“ heiße zwar weithin „Verdienst“, werde aber hier „im religiösen Sinn von der freien Gabe Gottes gebraucht“ (Genesis, 141), ist mit K aiser (Untersuchungen, 116) daran zu erinnern, dass „ שכרLohn“ stets den „Beiklang einer Gegenleistung“ hat. 117 Zur Begründung dieser Übersetzung s. Köckert, Gen 15, 118 [in diesem Bd. Nr. 4]. 118 Zum Verständnis s. Koh 2,7. 119 Dazu s. u. Abschnitt 9.
5. „Glaube“ und „Gerechtigkeit“ in Gen 15,6
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8. Die Abweichungen der Septuaginta vom MT in Gen 15,6 Die Differenzen zwischen der griechischen Übersetzung und dem hebräischen Text erschöpfen sich nicht in stilistischen Abweichungen.120 Sie sind vor allem für die weitere Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 bedeutsam geworden, werfen aber zugleich auch Licht auf die Offenheit des Sinns der hebräischen Textgestalt. Καὶ ἐπίστευσεν Αβραμ τῷ θεῷ, καὶ ἐλογίσθη αὐτῷ εἰς δικαιοςύνην.
Zunächst nennt die griechische Übersetzung ausdrücklich „Abram“ als Subjekt des Glaubens. Das scheint überflüssig, ist es aber nicht; denn dadurch lässt sich αὐτῷ im zweiten Satz nur noch auf Abraham beziehen. Ein reflexiver Bezug auf das Subjekt des zweiten Satzes ist so ausgeschlossen.121 Die ausdrückliche Nennung des Subjekts beseitigt ein mögliches Missverständnis des hebräischen Textes und macht ihn eindeutiger. Bedeutsamer ist freilich die Übersetzung des Verbs mit dem Aorist: καὶ ἐπίστευσεν Αβραμ τῷ θεῷ. Durch den Aorist in V. 6 wird der Erzählfluss des Vorkontextes nicht wie im hebräischen Text unterbrochen. Abrahams „Glauben“ erscheint als einmaliger Akt, eingereiht in die Kette der anderen Aoriste.122 Der Aorist bei πιστεύειν legt überdies ein ingressives Verständnis nahe: „Abram begann zu glauben, kam zum Glauben.“ Hier können die ansetzen, die Abraham als ersten Proselyten deuten, vor allem wenn man die nächste Differenz bedenkt. Als Übersetzung des Tetragramms in V. 6a erwartet man κύριος (wie in V. 1.4.8.18), die Septuaginta übersetzt jedoch mit dem Appellativ ὁ θεός (wie in V. 7). Man könnte versucht sein, darin einen absichtsvollen Fingerzeig auf Gen 22 zu sehen, weil dort ebenfalls ein Wechsel zwischen אלהיםund dem Tetragramm zu beobachten ist. Die Septuaginta hätte damit die Weiche für jene Deutung des Glaubens Abrahams als Bewährung gestellt, die dann im Judentum spätestens seit dem Jubiläenbuch und Sir 44 beherrschend geworden ist.123 Doch sollte man nicht übersehen, dass die Septuaginta das Tetragramm in Ex 14,31 ebenfalls durch das Appellativ ersetzt. Nur an diesen beiden Stellen begegnet übrigens die Wendung האמין ביהוה.124 Näher liegt dann die Vermutung, die Septuaginta habe an beiden prominenten Stellen mit ὁ θεός die Einzigkeit und Universalität dieses Gottes betonen wollen (wie in Jon 3,5 MT) und nicht das besondere Ver120 Eine detaillierte Darstellung gibt R. Mosis, Gen 15,6 in Qumran und in der Septuaginta, in: Ders., Ges. Aufsätze zum AT (FzB 93), Würzburg 1999, 85–118, bes. 96–100. 121 Mosis, Gen 15,6, 116. 122 „Der im narrativen Aorist … V. 6a erzählte einmalige Glaubensakt Abrahams ist die Antwort auf das im narrativen Aorist in V. 4 f. erzählte Verheißungswort Gottes“ (Mosis, Gen 15,6, 99). 123 Dazu s. Köckert, Abrahams Glaube, 124 [in diesem Bd. Nr. 6]. 124 Die erweiterte Wendung ( האמין ביהוה אלהיכםDtn 1,32 und 1 Chr 20,20) wird jedoch mit πιστεύειν ἐν κυρίῳ τῷ θεῷ ὑμῶν übersetzt.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
hältnis dieses Gottes zu Israel als seinem Volk. In Gen 15,6 zeichnet sie damit Abraham als den Ersten, der zum Glauben an den wahren Gott gefunden hat. Sie steht damit näher bei Philo als bei denen, auf die das Jubiläenbuch und Sirach zurückgehen. Indes formuliert die Septuaginta – ebenfalls gegen den hebräischen Text – nicht πιστεύειν εἰς θεόν, sondern ohne Präposition, nur mit dem Dativ. Das entspräche einem האמין ל.125 Damit wird Abrahams Glauben nun doch stärker als Glauben an die Verlässlichkeit der zuvor ergangenen Verheißung akzentuiert.126 Der größte Unterschied zum hebräischen Text findet sich im zweiten Satz: καὶ ἐλογίσθη αὐτῷ εἰς δικαιοσύνην. Auch die passive Verbform beseitigt Mehrdeutigkeiten im hebräischen Text, zunächst die des Subjekts, sodann die des hebräischen Suffixes am Verb. Die passive Form legt in Verbindung mit der Präposition εἰς bei δικαιοσύνη eindeutig Gott als logisches Subjekt der Anrechnung fest, so dass sich nun das Suffix ה- („es“) nur auf das „Glauben“ Abrahams beziehen kann, nicht aber auf Gottes Verheißungen.127 Für das Passiv ἐλογίσθη wie für den Aorist ἐπίστευσεν, die Einfügung des vollen Namens „Abraham“ und die Ersetzung des Tetragramms durch das Appellativum θεός gibt es mit 4Q225 einen hebräischen Textzeugen in Qumran: ם ותחשב לו צדקה/הי/אלו/מין אברהם ב/ויא
Da vertrau[te] (8) [Abraham auf ] Gott, und es wurde ihm als Gerechtigkeit angerechnet.128
Diese Fassung unterscheidet sich zwar von jener der Septuaginta dadurch, dass sie wie der MT mit האמין בformuliert ist und צדקהohne Präposition einführt, doch überwiegen die überraschenden Übereinstimmungen mit ihr weit, so dass man aus 4Q225 auf eine andere hebräische Vorlage als den masoretischen Text für die Septuaginta schließen möchte.129 Zwar ist die Diskussion noch nicht abgeschlossen, doch ist es nicht unwahrscheinlich, dass die hebräische Vorlage 125
Belege s. o. Anm. 35. Vgl. Dtn 9,23; Jes 43,10. 127 So auch Mosis, Gen 15,6, 100. 128 Lesung von J. C. VanderK am/J . T. Milik, 4Q225. 4QpseudoJubileesa, in: H. Attridge u. a., Qumran Cave 4 VIII. Parabiblical Texts, Part 1 (DJD 13), Oxford 1994, 141–155, bes. 145; Übersetzung von J. Maier, Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer, Bd. II, München 1995,180 f. (Frg. 2). 129 So schon Mosis, Glauben, 257, der die hebr. passive Formulierung allerdings als „geradezu klassischen Fall eines Tiqqun Sopherim“ beurteilt. Dafür gibt es freilich keine Indizien. B. Schliesser, Abraham’s Faith in Romans 4. Paul’s Concept of Faith in Light of the History of Reception of Genesis 15:6 (WUNT II/224), Tübingen 2007, 166, vermutet folgende Vorlage: ויאמין אברהם באלוהים ותחשב לו לצדקה. Dagegen B. Ego/A . Lange, „Und es ward ihm zur Gerechtigkeit angerechnet“. Gen 15,6 im Pseudo-Jubiläentext von Qumran und in der antik-jüdischen Literatur, in: U. Mittmann-Richert u. a. (Hg.), Der Mensch vor Gott. Forschungen zum Menschenbild in Bibel, antikem Judentum und Koran, FS H. Lichtenberger, Neukirchen-Vluyn 2003, 171–192; sie verweisen darauf, dass sich alle Belege für die passivische Lesart in Texten 126
5. „Glaube“ und „Gerechtigkeit“ in Gen 15,6
135
der Septuaginta jener Gestalt nahe stand, die in 4Q225 erhalten ist.130 Sollte sich das bestätigen, hätte der masoretische Text in Gen 15,6 gleichwohl die ältere Textgestalt bewahrt; denn eine Entstehung des masoretischen Texts aus der in 4Q225 und in der Septuaginta überkommenen Textgestalt ist ganz unwahrscheinlich.131 Auf jeden Fall ist die passive Formulierung der Anrechnung, die Paulus zitiert, auch im palästinischen Judentum bekannt gewesen, wie 4Q225 und die auf hebräische Urtexte zurückgehenden Übersetzungen der Paraphrasen in 1 Makk 2,52 (vgl. mit Ps 105,31 LXX); Jub 14,6; 31,23 zeigen.
9. Die Rezeption von Gen 15,6 im Judentum vor Paulus als Kontrollinstanz132 Mit den Unterschieden des griechischen Textes und seiner aus 4Q225 vermuteten hebräischen Vorlage gegenüber dem masoretischen Text wird eine bestimmte Tradition des Verstehens festgeschrieben. Sie beseitigt die im masoretischen Text beobachteten formalen Ambivalenzen (Wer rechnet in V. 6b wem was an?) und syntaktischen Schwierigkeiten (Was signalisiert die Verbform wAK in V. 6a?). Insoweit handelt es sich zweifellos um bewusste Änderungen, aber schwerlich um Änderungen mit dem Interesse, ein ganz anderes ursprüngliches Verständnis zu verdrängen.133 Zwar lässt sich diese Deutung des Befundes nicht grundsätzlich ausschließen, aber noch viel weniger beweisen. Sie ist zudem ganz unwahrscheinlich, weil sich von den vermuteten angeblich ursprünglichen Verstehensweisen weder in der Bibel noch im antiken Judentum irgendwelche Spuren erhalten haben. Der behauptete gänzlich andere ursprüngliche Sinn ist eine Fiktion. Die antike Rezeption von Gen 15,6 hat als Argument in diesem Zusammenhang durchaus Gewicht, weil sie bis auf die Septuaginta vornehmlich in Anspielungen, Paraphrasen und Neufassungen der Abrahamerzählung im Stile der „Rewritten Bible“ begegnet. Die Zeugnisse aus der Zeit vor Paulus stammen aus der Zeit von der Mitte des 3. Jh. v. bis ins 1. Jh. n. Chr. und hauptsächlich aus Texten, die selber schon die Abrahamüberlieferung deuten. Ihre Autoren und finden, „die ihre Vorlage interpretatorisch wiedergeben und dabei häufig signifikant verändern“ (S. 191); sie gehen deshalb nur auf eine „gemeinsame Verstehenstradition von Gen 15,6“ zurück, nicht auf eine andere hebr. Vorlage. 130 Fitzmyer, Interpretation, 267: „The Greek translation of the Septuagint would, then, be possibly older and probably dependent on a Hebrew Vorlage, which this Qumran text also uses.“ 131 So auch Mosis, Gen 15,6; Ego/L ange, Gerechtigkeit,191, und Schliesser, Faith, 218. 132 Einen Durchgang durch die entscheidenden Texte mit Rücksicht auf Paulus bietet zuletzt Köckert, Abrahams Glaube, Teil 2 [in diesem Bd. Nr. 6]. 133 So die Vermutung von Oeming und von Mosis.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Tradenten gehören überdies zu ganz unterschiedlichen Gruppen des hebräischwie auch des griechischsprachigen Judentums. Wie an der griechischen Übersetzung der Septuaginta gezeigt, werden die offenen Formulierungen in Gen 15,6 MT durch kleine Entfaltungen präzisiert. Die verhindern mögliche Fehldeutungen. Sie liegen ganz auf der Linie des Verständnisses, das eine Analyse des Textes in seinem Nahkontext als das herausgearbeitet hat, was am nächsten liegt. Andere Texte verdichten die beiden Sätze von Gen 15,6 in einen, wobei Abrahams Glaube aus der Perspektive der Anrechnung durch Gott in den Blick kommt: „Du hast sein Herz als treu befunden“ (Neh 9,8), oder näher noch bei der passiven Formulierung von V. 6b durch LXX: „Er wurde … als treu befunden“ (Sir 44,20d).134 Auf diese Weise erscheint Abrahams Vertrauen als eine Haltung, doch liegt das Gewicht ganz auf deren Bewertung durch Gott; er ist in Neh 9,8 auch deutlich Subjekt, was in den übrigen passivisch formulierten Belegen ebenfalls vorausgesetzt wird. Die Paraphrasen und Anspielungen auf Gen 15 füllen darüber hinaus mit Leben, was der Satz meint: „Er setzte sein Vertrauen auf Jhwh.“ Zu diesem Zweck verbinden sie Gen 15,6 mit anderen Abrahamüberlieferungen. So legen Neh 9; Sir 44; Jub 18 Abrahams Glauben mit seiner Treue aus, die sich im Gehorsam gegenüber den Weisungen Gottes (Sir 44,20), in seiner Beschneidung (Sir 44,20), vor allem aber in der Prüfung bewährt, seinen Sohn preiszugeben (Sir 44,20; 1 Makk 2,52; Jub 17,15–18; 18,16; 4Q225). Abrahams Glauben/Vertrauen erscheint nicht einfach als Qualität, sondern durchweg als Tat oder als in Taten gewachsene Haltung. Über Abrahams Treue hinaus bringt Neh 9,7 f. Gottes Wohltaten in den Blick, die Abrahams gesamtes Leben von der Herausführung aus Ur in Chaldäa über die Nennung seines neuen Namens bis hin zur eidlichen Zusicherung des Landbesitzes begleitet haben. So erscheint nun Abrahams Treue als angemessene Antwort darauf. Das leistet in der Übersetzung der Septuaginta der enge Bezug von V. 6 auf die zuvor ergangene Verheißung zahlreicher Nachkommenschaft. Alle Texte, die Gen 15,6 aufgreifen, fassen beide Sätze als Beschreibung des Gottesverhältnisses Abrahams auf, wobei der erste Satz Abrahams Rolle in diesem Verhältnis, der zweite Gottes Part wiedergibt. Sie lassen dabei keinen Zweifel daran, dass Abrahams Vertrauen dessen Anrechnung zur Gerechtigkeit vorausgeht.135 Auch darin entsprechen sie dem, was sich schon aus der Analyse des masoretischen Textes als nächstliegendes Verständnis ergeben hat.
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Vgl. 4Q225 Frg. 2 II 8 mit Frg. 7,1 und Jub 18,16. auch S. Flüchter/L . Schnor, Die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit. Ein rezeptionsgeschichtlicher Versuch zum Verständnis von Gen 15,6 MT, BN 109 (2001) 27–44, 42 f. 135 So
5. „Glaube“ und „Gerechtigkeit“ in Gen 15,6
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10. Ergebnis Schon die Diskussion des masoretischen Textes von Gen 15,6 im Spiegel der neueren Forschung hat gezeigt, wie offen er formuliert ist und welch verschiedene Verstehensmöglichkeiten er rein formal bietet, sofern man den Vers nur isoliert betrachtet und sich von einem bestimmten Interpretations- und Traditionskontext entfernt. Die Überprüfung der in der Forschung vorgeschlagenen alternativen Verstehensweisen hat freilich auch gezeigt, dass keine von ihnen überzeugt. Das betrifft die Einbindung von V. 6a in die voranstehende Gottesrede als deren Fortsetzung (Willi-Plein), die Beibehaltung von Abraham als Subjekt auch des Anrechnens (Oeming, Mosis), Abrahams Beurteilung der Verheißung als Gerechtigkeit für Jhwh (Oeming) oder für sich selbst (Mosis) oder Abrahams Einschätzung seines Glaubens für sich selbst als gerechte Tat (Rottzoll). Keiner dieser Vorschläge kann sich auf die Rezeption des Textes im antiken Judentum berufen.136 Eine Rückkehr zu der vor allem im protestantischen Bereich beliebten Deutung, Gen 15,6 spiegele die Ablösung kultischer Leistung durch den Glauben, ist freilich auch nicht möglich. In Gen 15 steht nicht der Glaube im Gegensatz zu Werken noch gar an deren Stelle. Vielmehr würdigt Gott Abrahams rückhaltloses Vertrauen in ihn und seine Macht, das Verheißene gegen allen Augenschein auch zu erfüllen, als angemessene und verdienstliche Tat, die er mit einer weiteren Verheißung belohnt. Von „Werkgerechtigkeit“ kann dabei keine Rede sein. Schließlich ist es Gott, der anrechnet, und von einer Aufrechnung der Taten ist hier so wenig die Rede wie von einer himmlischen Buchführung.137 Auch Paulus hätte gegen dieses Verständnis von „Glauben“ als rückhaltlosem „Vertrauen“ in Gen 15,6 nichts einzuwenden, entfaltet er doch genau dieses Verständnis in Röm 4,18–22, indem er Gen 15,6 auf 15,5 bezieht und es mit einem Blick auf Gen 17 und 18 noch schärfer profiliert.138 Es ist die Tat des „Glaubens“, die Gott in Gen 15 wie in Röm 4 „als Gerechtigkeit“ anrechnet. So unterscheidet sich die צדקהin Gen 15,6 nicht grundsätzlich von der in Dtn 6,25.139 Auch dagegen hätte Paulus gewiss nichts einzuwenden. Denn Paulus bestreitet nicht, dass gerecht ist, wer das ganze Gesetz hält, wie Gott es geboten hat, wohl aber dass es Menschen gibt, die das ganze Gesetz halten.140 Deshalb bedürfen alle des Glaubens und rückhaltlosen Gottvertrauens wie Abraham. 136 Dass die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 eine Kontrollfunktion hat, betonen zu Recht auch Flüchter/S chnor, Anrechnung, 27–44. 137 Ansätze dazu finden sich erst in Jes 65,6; Dan 7,10; Ps 56,9; Jub 19,9; 30,17 f.21–23, und in Qumran, jedoch ohne die Wurzel חשב. 138 Zum Verständnis von Gen 15 in Röm 4 s. Köckert, Abrahams Glaube, Teil 1, und die dort genannte Literatur [in diesem Bd. Nr. 6]. 139 „Beide, Glaube und Tat im Gehorsam, sind Erweis seiner [sc. Abrahams] צדקה, d. h. Bewährung seiner ‚Gemeinschaftstreue‘“ (Blum, Verbindung, 144 Anm. 115). 140 Man sehe nur Röm 1–3.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Zusammenfassung: Die gegenüber der Septuaginta offenere, aber ältere masoretische Textgestalt von Gen 15,6 hat zu verschiedenen neuen Deutungen geführt (Oeming, Mosis, Rottzoll, Willi-Plein u. a.). Sie können jedoch philologisch nicht überzeugen. So muss es dabei bleiben, dass Jhwh Abrahams Glauben anrechnet. Allerdings spiegelt der Doppelsatz nicht die Ablösung von (kultischer) Leistung oder „Werken“ durch den Glauben wider (v. Rad). Vielmehr würdigt Gott Abrahams rückhaltloses Vertrauen in ihn als angemessene und verdienstliche Tat, die er mit der eidlichen Zusicherung des Landes belohnt. Die eigentümliche syntaktische Einbindung von V. 6a in den narrativen Kontext markiert Abrahams Vertrauen nicht als Folge von V. 5, sondern als einen V. 5 begleitenden gleichzeitigen Vorgang: „Jhwh führte Abraham nach draußen und sprach …, während der Jhwh vertraute“ (oder: „Dabei vertraute er Jhwh“).
6. Abrahams Glaube in Röm 4 und im vorpaulinischen Judentum Abraham war im Judentum die wichtigste Identifikationsgestalt, verstand man ihn doch als „unseren Vater“ und sich selbst als „Abrahams Same“. Das gilt selbstverständlich auch für den ehemaligen Pharisäer und Judenchristen Paulus. Doch der geht in Gal 3 und Röm 4 über dieses traditionelle Verständnis weit hinaus, indem er den Ahn Abraham mit Hilfe der Schrift als Beispiel dafür deutet, dass Gott „gerecht spricht aufgrund von Glauben ohne Werke des Gesetzes“. Auf diese Weise macht er ihn zum Vater aller, die glauben – gleichgültig ob Jude oder ‚Heide‘. Was Paulus in Gal 3 anlässlich konkreter Auseinandersetzungen polemisch entwickelt, entfaltet er in Röm 4 eher grundsätzlich. Kronzeuge ist hier wie dort vor allem Gen 15, ein schon in der Abrahamüberlieferung des Alten Testaments singulärer Text. Paulus war freilich weder der Einzige noch der Erste, der Gen 15 gelesen hat. Um seine Deutung Abrahams und deren Innovationen recht verstehen zu können, muss die Aufnahme dieses Textes im Judentum vor und neben Paulus gewürdigt werden.1
1. Abraham in Röm 4 Der Römerbrief beginnt in 1,16–17 mit der These: Im Evangelium vom auferweckten Gekreuzigten ist Gottes Gerechtigkeit allen Menschen offenbar geworden. Röm 3,21–31 entfalten diese These unter ausdrücklichem Hinweis auf das Zeugnis von „Gesetz und Propheten“, also der gesamten Schrift. Schon deshalb ist ein ausführlicher Schriftbeweis zu erwarten, den Paulus in Röm 4 vorführt. Die positive Entfaltung der These gipfelt in 3,28 in dem Schluss: „Ein Mensch wird durch Glauben gerecht gesprochen, ohne Werke des Gesetzes.“ Diese Schlussfolgerung muss bei jüdischen Gesprächspartnern auf entschiedenen Widerspruch stoßen. Für sie zeichnet doch gerade das Tun der Tora den 1 Aus der umfangreichen Literatur zur Rezeptionsgeschichte von Gen 15 im Judentum bis zu Paulus seien hier nur genannt: F. Hahn, Genesis 15,6 im Neuen Testament, in: H. W. Wolff Probleme biblischer Theologie, FS G. v. Rad, München 1971, 90–107; F. E. Wieser, Die Abrahamvorstellungen im Neuen Testament (EH.Th 317), Bern 1987; B. Schliesser, Abraham’s Faith in Romans 4. Paul’s Concept of Faith in Light of the History of Reception of Genesis 15:6 (WUNT II/224), Tübingen 2007. – Wichtige Literatur wird jeweils bei den einzelnen Abschnitten vermerkt.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Gerechten aus. Auch deshalb argumentiert Paulus in Röm 4 mit dem Zeugnis der Schrift, auf die sich auch seine Gegner berufen. In ihr verbindet kein Text „Gerechtigkeit“ und „Glauben“ so eng wie Gen 15,6 (und Hab 2,4). Gen 15 empfiehlt sich darüber hinaus auch deshalb, weil hier die Verbindung von Gerechtigkeit und Glaube ausdrücklich an Abraham festgemacht wird, als dessen Nachfahr sich jeder Jude weiß. Abraham ist jedoch nicht nur Ahnvater aller Juden, sondern mit dem Schritt vom unbeschnittenen ‚Heiden‘ zum beschnittenen Juden zugleich das Urbild des Proselyten schlechthin.2 Eine prominentere Gestalt und einen überzeugenderen Text als Gen 15 hätte der Apostel aus der Schrift schwerlich aufbieten können, um die These von der Gerechtigkeit aus Glauben zu begründen. Gen 15 wird denn auch in seinen zentralen Teilen mehrfach ausdrücklich zitiert.3 Ja, man kann Röm 4 geradezu als eine Auslegung von Gen 15 verstehen, dessen Lexeme die Argumentation des Apostels durchgehend bestimmen.4 Mit Gen 15,6 sind zugleich die Leitworte „glauben“ und „anrechnen“ sowie „Gerechtigkeit“ auf dem Plan, die Röm 4 von Anfang bis Ende wie ein roter Faden durchziehen.5 1.1 Die Disposition von Röm 4 Die Disposition des Kapitels ist klar und überdies an charakteristischen Konstellationen tragender Begriffe erkennbar. Diese markieren zwei Hauptteile. Der erste begründet (γάρ V. 2) in V. 1–12 mit Abraham, dass Gott „Gerechtigkeit“ nicht auf Grund von „Werken“6, sondern von „Glauben“ anrechnet. Darüber hinaus entfaltet er den Glauben hinsichtlich seines Inhalts als Glauben an den Gott, der Gottlose gerecht macht. Die Frage in V. 9 leitet einen neuen Abschnitt ein. Er erörtert die Alternative „Werke“ – „Glaube“ am Verhältnis der Anrechnung des Glaubens zum Zeitpunkt der Beschneidung7 Abrahams. Mit alledem zeigt der erste Hauptteil, dass „Abraham, unser Vorvater nach dem Fleisch“ (V. 1), zum „Vater aller, die glauben“ (V. 11), geworden ist – mögen sie nun unbeschnitten (V. 11) oder beschnitten (V. 12) sein. Der zweite Hauptteil (V. 13–22) setzt bei diesem Ergebnis ein, begründet (γάρ V. 13) es aber neu. Dazu führt Paulus die Kategorie „Verheißung“8 in Gestalt der Verheißung von Land und zahlreicher Nachkommenschaft ein. Er ersetzt 2
S. nur Josephus, Ant. 1,155, und Philo, Virt. 216–219. in V. 18, Gen 15,6 in V. 3.9.22, Gen 15,7 in V. 13; hinzu kommt das Verhältnis von Gen 15,6 zu Gen 17 in V. 10–11; auch erinnert das Stichwort „Lohn“ in V. 4 an Gen 15,1b. 4 Außer den Leitwörtern von 15,6 s. μισθός (aus 15,1) in V. 4, σπέρμα (aus 15,3.5.13.18) in V. 13.16, κληρονομεῖν bzw. κληρονόμος (aus 15,3.4.7.8) in V. 13.14. 5 Πιστεύειν bzw. πίστις in V. 3.5.9.11.12.13.14.16.17.18.19.20.24; λογίζομαι in V. 3.4.5.6. 8.9.10.11.22.23.24; Wortgruppe δικ- in V. 2.3.5.6.9.11.13.22.25. 6 Die Wurzel ἐργ- begegnet in Röm 4 nur in V. 2.4–5. 7 Die Termini „beschnitten“ und „unbeschnitten“ in Röm 4 nur in V. 9–12. 8 Ἐπαγγελία in Röm 4 nur in V. 13–21. 3 Gen 15,5
6. Abrahams Glaube in Röm 4 und im vorpaulinischen Judentum
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die Alternative „Werke“ – „Glaube“ durch „Gesetz“9 – „Glaube“ und bringt die Verheißung allein mit dem Glauben in Verbindung. In diesem zweiten Hauptteil heben sich die V. 17b–22 dadurch ab, dass sie den Glauben Abrahams als Glauben an die Schöpfermacht (V. 21) Gottes profilieren, der die Toten lebendig macht. Beide Hauptteile sind bis zu einem gewissen Grade parallel strukturiert. So nimmt der zweite mit der Verheißung Abrahams als „Vater vieler Völker“ (V. 17a) das Ergebnis des ersten auf, der in V. 12 mit der Vaterschaft Abrahams auch für die Unbeschnittenen geendet hatte. Er geht aber insofern über den ersten hinaus, als er Abrahams Glauben in V. 17b hinsichtlich seines Inhalts weiter führt und in V. 19–21 hinsichtlich seines Wesens entfaltet. Im kurzen Schlussabschnitt V. 23–25 blickt Paulus auf den vorangehenden Schriftbeweis insgesamt zurück. Er reflektiert seinen Umgang mit der Schrift und zieht daraus die entscheidende Schlussfolgerung zur Bedeutung Abrahams für Christen. Schon der einführende Hinweis des Apostels auf seine ‚Lesefrüchte‘10 im Blick auf „unseren Vorvater Abraham“ in 4,1 lässt eine gründliche exegetische Recherche erwarten. Dem entspricht der intensive Gebrauch der Schrift für die Argumentation11 in jedem der fünf Abschnitte. 1.2 Abraham wurde sein Glaube zur Gerechtigkeit angerechnet (V. 1–8) Gleich zu Beginn seiner Argumentation greift der Apostel in V. 2 die Meinung seiner Gegner auf, Abraham sei aufgrund von Werken (also aufgrund der Befolgung der Tora) gerecht gesprochen worden (ἐδικαιώθη) und habe damit Ruhm erworben. Paulus gesteht zwar zu, dass Abraham Ruhm erworben hat12, aber „nicht bei Gott“, wie er sogleich einschränkt. Im übrigen weist er diese Deutung Abrahams zurück; denn sie widerspricht allem, was er zuvor in Röm 1–3 entfaltet und in 3,28 noch einmal zusammengefasst hatte. Zur Widerlegung bemüht er jedoch die Schrift als die gemeinsam anerkannte Autorität und zitiert Gen 15,6 im Wortlaut nach der LXX13, der sich vom MT nicht unerheblich 9 Νόμος
erscheint in Röm 4 nur in V. 13–16. So jedenfalls das Verständnis des vorliegenden Textes (λέγω c. inf. von εὑρίσκω): „Was also sollen wir sagen, festgestellt zu haben im Blick auf Abraham unseren Vorvater nach dem Fleisch?“ Vgl. die Diskussion bei K. Haacker, Der Brief des Paulus an die Römer (ThHK 6), Leipzig 1999, 99. 11 Von der zahlreichen Lit. seien hier nur genannt: E. K äsemann, An die Römer (HNT 8,1), Tübingen 21973; Haacker, Römer; und Schliesser, Faith. 12 V. 2 ist schwerlich Irrealis, weil die Apodosis nicht mit einem Augmenttempus formuliert ist (gegen A. von Dobbeler, Glaube als Teilhabe. Historische und semantische Grundlagen der paulinischen Theologie und Ekklesiologie des Glaubens [WUNT II/22], Tübingen 1987, 134). 13 Gen 15,6 allerdings ohne einleitendes καί, dafür aber mit einem zugefügten δέ. 10
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II. Zur Abrahamüberlieferung
unterscheidet.14 „Abraham glaubte Gott (ἐπίστευσεν θεῷ)“, und dieser Glaube „wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet“, kein Werk. Dieses Urteil gewinnt Paulus offenbar auch aus dem „Lohn“ (μισθός), der Abraham in Gen 15,1b schon vorab und also vor der Feststellung seines Glaubens in Aussicht gestellt wurde. Wäre der Glaube Abrahams ein Werk oder eine Leistung, hätte ihm dafür Lohn zugestanden. Dem geschuldeten (κατὰ ὀφείλημα) Lohn stellt Paulus die gnadenhafte (κατὰ χάριν) und also bedingungslose Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit entgegen.15 So werden schon gleich zu Beginn die Weichen gestellt. Natürlich war Gen 15 auch den Gegnern bekannt. Die Differenz zwischen ihnen und Paulus liegt in dem, was sie jeweils unter „glauben“ verstehen: Für sie ist πιστεύειν offensichtlich durchaus ein ἔργον, für Paulus dagegen nicht.16 Diese Differenz zu den Gegnern zeigt sich auch in der Auseinandersetzung mit deren Verständnis des Anrechnens. Sie verstehen das Verb λογίζομαι ganz aus seinem kaufmännischen Gebrauch als „anrechnen“ nach dem Verdienst. Die von Gott zuerkannte Gerechtigkeit muss in diesem Horizont als Lohn für verdienstvolle Taten oder Werke erscheinen, die in einer himmlischen Buchführung genau registriert sind. Paulus hält dagegen: Weil alle Menschen Sünder sind (3,22), deren Guttaten niemals ihre Untaten aufwiegen können, leben alle Menschen gerade davon, dass Gott ihre „Sünden nicht anrechnet“. Das belegt Paulus mit Ps 31,1 f. LXX. Rechtfertigung kann deshalb nur eine Tat Gottes sein, zu der Menschen faktisch nichts anderes beitragen als ihre Sünden. Damit richtet sich die Argumentation gegen ein Verständnis Abrahams als exemplarisch Gerechten aufgrund eigener Verdienste. Weil es statt verdienstvoller Werke auf Glauben ankommt, muss Paulus präzisieren, was er unter Glauben versteht. Das geschieht sogleich in V. 5, in dem Paulus den Inhalt des Glaubens klärt: Abraham „glaubte an den (πιστεύειν ἐπί), der den Gottlosen (τὸν ἀσεβῆ) rechtfertigt“.17 Dass Gott Gottlose oder Frevler gerecht macht, widerspricht dem üblichen Verständnis der Gerechtigkeit Gottes zutiefst. Nicht weniger musste die Vorstellung provozieren, ausgerechnet Abraham sei ein „Gottloser“ oder „Frevler“ gewesen, der doch nach jüdischer Deutung schon das Gesetz hielt, bevor es überhaupt mitgeteilt war.18 Das konnte in jüdischen Ohren nur wie eine Blasphemie klingen. 14 Zur Fassung der LXX im Unterschied zum MT und zur Diskussion der zuweilen behaupteten sachlichen Differenz wird andernorts Stellung genommen [s. in diesem Bd. Nr. 5]. 15 Vgl. damit zuvor 3,24. 16 Dass Paulus den Glauben Abrahams als „adäquate Reaktion auf die göttliche Erwählung“ verstehe und damit im Rahmen der jüdischen Tradition bleibe – so von Dobbeler, Glaube, 133 – wird man der Argumentation in Röm 4 schwerlich entnehmen können. Weder ist von Erwählung die Rede, noch wird sie erkennbar vorausgesetzt. 17 In V. 18–21 erfolgt dann die Klärung dessen, was später die Dogmatik fides qua creditur genannt hat im Unterschied zur fides quae (wie in V. 5 und V. 17b). 18 Nach Jub 16,21–31 hält Abraham das Laubhüttenfest, das auf himmlischen Tafeln angeordnet ist. Umgekehrt beschreibt Philo die Frommen der Urzeit als Urbilder der Gesetze; seine Schrift De Abrahamo heißt im Titel „… das erste Buch der ungeschriebenen Gesetze“. Die
6. Abrahams Glaube in Röm 4 und im vorpaulinischen Judentum
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Inwiefern ist Abraham ein „Gottloser“ (ἀσεβής)? Mögliche Antworten auf diese schwierige Frage hat Klaus Haacker zusammengestellt.19 Von ihnen überzeugt am ehesten der Ansatz bei Abraham als Proselyten. Bezeichnet der Aorist des Verbs „glauben“ im griechischen Zitat aus Gen 15,6 den entscheidenden Schritt vom Unglauben zum Glauben, also den Akt des „Zum-Glauben-Kommens“, war Abraham zuvor ein Ungläubiger.20 Da er in Gen 15 noch nicht beschnitten war, befand er sich nach jüdischem Verständnis zu diesem Zeitpunkt ohnehin noch im Stand eines Nichtjuden, der mit ἀσέβεια gleichgesetzt werden kann.21 Eine weitere Erklärung ergibt sich aus dem unmittelbaren Kontext. In V. 6–8 legt Paulus das „Anrechnen“ des Glaubens (Gen 15,6) mit dem „Nichtanrechnen der Sünde“ aus und zitiert dafür den Glückwunsch aus Ps 31,1–2a LXX. Die Verbindung beider Texte wird über das Stichwort „anrechnen“ hergestellt. „Anrechnen zur Gerechtigkeit“ heißt also zunächst einmal: „Nichtanrechnen der Sünde.“ Mit dieser Kombination erweist Paulus den Gott, dem Abraham glaubte, als einen Gott, der Gottlose rechtfertigt.22 Zugleich begründet er damit die Deutung der Gerechtigkeit aus Glauben als eine „Gerechtigkeit ohne Werke“ in V. 6, was im Lichte von Röm 3,28 eine Gerechtigkeit „ohne Werke des Gesetzes“ meint. Denn wer die Sünden nicht anrechnet, statt dessen aber den Glauben zur Gerechtigkeit, der spricht den Gottlosen, nicht auf Grund von Werken gerecht, sondern aufgrund von Glauben. Die Auslegung der Tora über ein Stichwort mit Hilfe des Analogieschlusses aus Texten der Propheten oder Schriften folgt der zweiten Regel Hillels, entspricht also jüdischer Schriftgelehrsamkeit. 1.3 Abraham wurde Vater aller Glaubenden (V. 9–12) In V. 9 bringt Paulus umgekehrt Ps 31,1–2 LXX mit Gen 15,6 in Verbindung und fragt, wem dieser Glückwunsch gilt. Seine Gegner hätten geantwortet: David und mit David Israel. Paulus antwortet dagegen: den Nichtjuden und Juden, also allen Menschen – sofern sie glauben. Auf diese Antwort führt die Erörterung des Verhältnisses der Gerechtigkeit aus Glauben zur Beschneidung in V. 9–12. geschriebenen Gesetze sind „nichts anderes als Kommentare zum Leben der Alten, die uns ihre Taten und Worte verkünden“ (Abr. 3–6). Vgl. B. Ego, Abraham als Urbild der Toratreue Israels, in: F. Avemarie/H. Lichtenberger (Hg.), Bund und Tora. Zur theologischen Begriffsgeschichte in alttestamentlicher, frühjüdischer und urchristlicher Tradition (WUNT 92), Tübingen 1996, 25–40. 19 Haacker, Römer, 102. 20 In diesem Sinne findet sich πιστεύειν ἐπὶ τινά auch in Act 9,42; 11,17; 16,31. – Die LXX deutet mit dem Aorist die im Zusammenhang auffällige (und vielleicht auch nicht recht verstandene?) Form והאמןin Gen 15,6 MT. 21 So nennt Josephus die Unbeschnittenheit (Ant. 20,45). 22 So die Erklärung von J. Roloff, Abraham im Neuen Testament. Beobachtungen zu einem Aspekt Biblischer Theologie, in: Ders., Exegetische Verantwortung in der Kirche. Aufsätze, hg. v. M. K arrer, Göttingen 1990, 231–254, bes. 244.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Zunächst greift Paulus noch einmal Gen 15,6 auf, indem er den für seine Argumentation zentralen Satz sinngemäß zusammenfasst.23 Sodann deutet er die textliche Abfolge von Gen 15 zu Gen 17 nicht nur als eine zeitliche24, sondern als eine sachliche: Dem noch unbeschnittenen Abraham wurde nichts als sein Glaube zur Gerechtigkeit angerechnet. Schließlich zieht er daraus die Konsequenz, allen Unbeschnittenen werde ihr Glaube zur Gerechtigkeit angerechnet. Diese Auslegung erinnert von fern an die siebte Regel Hillels, den Schluss aus dem Kontext. Wenn lediglich der Glaube, nicht aber die Beschneidung notwendig ist, um gerecht gesprochen zu werden, wird die Beschneidung Abrahams zum Problem. Welche Bedeutung hat sie dann noch? Paulus deutet die Beschneidung neu, indem er bei ihrer Funktion als „Zeichen (σημεῖον)“ in Gen 17,11 ansetzt. Ein Zeichen hat seine Bedeutung nicht in sich selber, sondern darin, dass es auf etwas hinweist. Bei Paulus ist die Beschneidung allerdings nicht mehr „Zeichen des Bundes“, weist also nicht auf das exklusive Gottesverhältnis Israels hin, sondern auf die „Gerechtigkeit aus Glauben“, die nicht nur Juden, sondern auch Nichtjuden gewährt wird. Da σημεῖον nicht nur „Zeichen“ heißt, sondern auch einen „Siegelabdruck“ bezeichnen kann, nimmt Paulus σημεῖον mit σφράγις auf25 und deutet das „Zeichen der Beschneidung“ als „Siegel(abdruck) der Gerechtigkeit aus Glauben“.26 Wie ein Siegel die Urkunde nicht ersetzt, sondern sie nur bestätigt und deren Authentizität vergewissert, so bestätigt auch die Beschneidung nur, was Abraham schon als Unbeschnittener empfangen hat (Gen 15,6), und macht ihn lediglich der aus Glauben empfangenen Gerechtigkeit gewiss. Entscheidend ist also die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit, nicht die Beschneidung. Sie hat als „Siegel“ und als Bestätigung nur noch die Funktion, auf die Glaubensgerechtigkeit vergewissernd zu verweisen. Weil nur der Glaube zur Gerechtigkeit angerechnet wird, trägt die Beschneidung allein und für sich genommen zur Rechtfertigung nichts bei. Indem aber mit Glauben und Beschneidung Stationen der Lebensgeschichte Abrahams ins Spiel gebracht werden, kommt der „Weg des Glaubens“ (V. 12) in den Blick, der für Judenchristen offensichtlich ein anderer ist als für Heidenchristen, die sich nicht beschneiden lassen müssen. Die Relativierung der Beschneidung ist die Kehrseite der Universalisierung der Vaterschaft Abrahams und deren Voraussetzung. Als Erster, dessen Glaube 23 Er behält auch in der Zusammenfassung die passive Verbform der LXX bei, auch das eine Verdeutlichung der LXX: Sie hält damit Gott als Subjekt des Anrechnens fest. 24 Nach rabbinischer Tradition wurde Abraham erst 29 Jahre nach der Anrechnung seines Glaubens zur Gerechtigkeit beschnitten (Bill. III, 203). 25 So K äsemann, Römer, 107, mit Verweis auf Bauer, Wb 1482. 26 Haacker verweist für die Vorstellung von der Beschneidung als Siegel auf aram. TestLev (aus dem 2. Jh. v.) 21,21–23: „… Schneidet die Vorhaut eures Fleisches ab und erscheint wie wir, so werdet ihr versiegelt sein wie wir durch die wahre Beschneidung, und wir werden euch sein Brüder und Genossen …“ (übersetzt von K. Beyer, Die aramäischen Texte vom Toten Meer, Göttingen 1984, 195).
6. Abrahams Glaube in Röm 4 und im vorpaulinischen Judentum
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zur Gerechtigkeit angerechnet wurde noch vor seiner Beschneidung, ist Abraham nicht mehr allein Vater der Beschnittenen, sondern Vater aller, die – beschnitten oder unbeschnitten – glauben wie er. Fortan macht allein der Glaube zu Kindern Abrahams, nicht mehr die Beschneidung. Allerdings schließt der Glaube Abrahams die Beschneidung keineswegs aus, wie man ebenfalls an Abraham sehen kann. Paulus vertritt hier (gegenüber Gal 5,2) eine integrative Position, die mit einem anders gearteten Adressatenkreis zusammenhängt. Seine Argumentation in Röm 4 hält die christliche Gemeinde für unbeschnittene ‚Heiden‘ wie für beschnittene Juden offen: Nicht die Beschneidung überhaupt, nur eine Beschneidung ohne Glaube wird ausgeschlossen. 1.4 Abraham empfing die Verheißungen ohne das Gesetz (V. 13–17a) Zunächst führt Paulus in V. 13–17a mit der „Verheißung“ eine in Röm 4 neue Kategorie in die Argumentation ein. Er setzt mit der Verheißung ein: „Abraham bzw. sein Same“ werde „Erbe der Erde“ sein. Im Stichwort „Same“ klingt die Verheißung zahlreicher Nachkommenschaft (σπέρμα) an, mit der Formulierung „Erbe der Erde“ wird ausdrücklich die Landverheißung von Gen 15,7 aufgegriffen. Mit der Landverheißung für den Samen Abrahams ist zugleich Gen 15,18 im Blick. Paulus kombiniert also Gen 15,7 mit 15,18. In der Formulierung der Landverheißung folgt er allerdings nicht der Fassung der LXX, sondern einer Überlieferung, die das „Erben dieses Landes“ als „Erben der Erde“ deutet.27 Derartige Überlieferungen konnten an die Mehrdeutigkeit des hebräischen Wortes ארץanknüpfen, das nicht nur „Land“ oder „Erdboden“ (γῆ), sondern auch „Erde“ und „Welt“ im kosmologischen Sinne (κόσμος) bezeichnet. Mit dieser Umformulierung der Landverheißung eröffnet Paulus eine über Israel und sein Land hinausreichende Perspektive, die in V. 13–22 immer stärker in den Vordergrund rückt. Sodann bindet Paulus die Verheißung eng an die „Gerechtigkeit“. Dem könnten seine Gegner durchaus zustimmen.28 Deshalb folgt sogleich die entscheidende Präzisierung: „Gerechtigkeit des Glaubens“. Mit der Bindung an den Glauben bringt Paulus die Verheißung gegen das Gesetz in Stellung. Offenbar gibt es unter den Adressaten eine Gruppe, die sich gegen ihn auf Texte beruft, in denen die Erfüllung der Verheißung (wie in Gen 18,19) vom Gesetzesgehorsam abhängig gemacht oder die Verheißung überhaupt mit dem Gehorsam Abrahams gegenüber den Weisungen Gottes begründet wird (wie in Gen 22,15–18; 26,5). Paulus hält in V. 14 dagegen: Wäre die Verheißung vom Tun des Gesetzes abhängig, zum Beispiel von der Beschneidung, würden die Verheißungsgaben aus den Werken des Gesetzes folgen und den Tätern des Gesetzes wie Lohn 27
Vgl. Jub 17,3. verbinden auch syrBar 14,12–13; 4Esr 7,119 f. die Verheißung mit dem Besitz von Gerechtigkeit, worauf von Dobbeler, Glaube, 137, hinweist. 28 So
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II. Zur Abrahamüberlieferung
„zustehen“ (so in V. 4). Sie bedürften gar keiner Verheißung; im Gegenteil, die Verheißung wäre so unsinnig („zunichte gemacht“ κατήργηται) wie der Glaube „leer“ (κεκένωται), der auf den Geber der verheißenen Gaben traut. Abraham bliebe dann allein Vater der Beschnittenen, also der Juden. Paulus setzt offenbar in V. 13 die sachlich gedeutete Abfolge von Gen 15,7 nach 15,6 und vor Gen 17 voraus: Die Verheißung, die Welt zu erben, erhält Abraham nachdem ihm sein Glaube zur Gerechtigkeit angerechnet wurde und bevor er die erst in Gen 17 geforderte Beschneidung übte. Jedoch thematisiert Paulus – anders als in Gal 3,15–18 – die zeitliche und sachliche Priorität der Verheißung vor dem Gesetz hier nicht ausdrücklich, sondern setzt sie lediglich stillschweigend voraus und schließt daraus, dass die Verheißung allein den Glaubenden gilt. Statt dessen hebt Paulus in V. 16 wie in V. 4 ausdrücklich die „gnadenhafte“ (κατὰ χάριν) Übereignung der Gerechtigkeit hervor.29 Jedoch überrascht, dass er in V. 15 nicht gegen „Ruhm“ (V. 2) oder „Lohn“ (V. 4) argumentiert, sondern damit, dass es ohne das Gesetz keine Übertretung und folglich auch weder göttlichen Zorn noch Strafe gibt.30 Die rein negative Füllung des Gesetzes fällt gegenüber dem alttestamentlich-jüdischen Verständnis der Tora als positiver Weisung zum Leben besonders auf. Sie entspricht aber dem römischen Recht, das vor allem an Verboten und den damit verbundenen Strafandrohungen ausgerichtet war.31 Paulus liegt offenbar daran, die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit als Gnadentat auch Lesern plausibel zu machen, die nicht mit der jüdischen, wohl aber mit der römischen Rechtstradition vertraut sind. Nach Röm 1–3 liegt jedoch eine andere Deutung näher: Weil faktisch keiner das getan hat, was das gesamte Gesetz gebietet, haben es alle übertreten; deshalb stehen auch alle unter Gottes Zorn, so dass eine aus dem Tun des Gesetzes erwachsene Verheißung niemals Wirklichkeit werden könnte. Wenn also die Verheißung auf die Seite des Glaubens und nicht des Gesetzes gehört, müssen auch die Unbeschnittenen, sofern sie glauben, als Erben im Sinne der Verheißung (V. 16) gelten. So ist auch auf diese Weise Abraham als „Vater von uns allen“ (V. 16 fin.) erwiesen, seien es nun Juden oder ‚Heiden‘. Diesen kühnen Schluss unterstreicht Paulus in V. 17a mit einem Zitat aus Gen 17,5 LXX: „Zum Vater vieler Völker habe ich dich gesetzt.“32 Wie die „vielen Völker“ die Grenzen des Volkes Israel übersteigen, gilt auch die Verheißung nicht allein Israel. Paulus greift für die in der Abrahamüberlieferung fest verankerte Verheißung zahlreicher Nachkommenschaft hier noch nicht auf Gen 15,5 zurück, was nahe gelegen hätte, sondern deutet sie – ganz im Sinne seines Argumentationsziels – mit Gen 17,5; denn in den „vielen Völkern (ἔθνη)“ sind die ‚Heiden‘ eingeschlossen. 29
Vgl. damit Röm 3,24 und Gal 2,21. Gal 3,10–13 spricht hier vom „Fluch“ des Gesetzes. 31 S. dazu den Hinweis bei Haacker, Römer, 107. 32 Auch die Verheißung in Gen 17,5 ergeht vor der Beschneidung, die erst in V. 9–14 gefordert wird. 30
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Diese Pointe war mit einem Rückgriff auf die Verheißung unzählbarer Nachkommenschaft (σπέρμα) aus Gen 15,5 nicht formulierbar. 1.5 Abraham ist Beispiel rechten Glaubens (V. 17b–22) Schon in der ausschließlichen Bindung des Glaubens an die Verheißung in V. 13–16 war eine Präzisierung des Glaubens angelegt, die dem unmittelbaren Kontext von Gen 15,6 durchaus entspricht; denn Abrahams Glaube gilt in Gen 15 LXX dem zuvor ergangenen Verheißungswort Gottes (15,4–5). Er wird überdies nicht nur als Gerechtigkeit angerechnet, sondern mit einer weiteren Verheißung beantwortet (15,7). Die V. 17b–22 profilieren den Glauben Abrahams noch schärfer, zunächst hinsichtlich seines Inhalts (vgl. V. 17b mit V. 5), sodann aber vor allem hinsichtlich seines Wesens (V. 19–21). Dazu wird wiederum die Schrift bemüht, diesmal zuerst die Propheten, sodann die Tora. Abraham glaubte und setzte sein Vertrauen in den Gott, „der ruft, was nicht ist, dass es sei“ (V. 17b). Damit spielt Paulus auf die Schöpfermacht Gottes an, wie sie die Schrift breit bezeugt. Röm 4,17 am nächsten steht Jes 48,13; denn hier wird die Erschaffung von Erde und Himmel mit dem Stichwort „rufen“ (καλεῖν) als creatio ex nihilo durch das Wort gedeutet.33 Dem stellt der Apostel als weitere Entfaltung das Vertrauen Abrahams in den Gott voran, „der die Toten lebendig macht“. Die Vorstellung einer Auferstehung der Toten gehört zum pharisäischen Erbe des Apostels.34 Damit bereitet er schon die christologische Pointe in V. 24–25 vor und schafft eine Möglichkeit, den christlichen Glauben an den Glauben Abrahams anzubinden. Nachdem Paulus in V. 18 die Verheißung von Gen 17,5 durch 15,5 gedeutet hat – beide Male in der Fassung der LXX – erläutert er in V. 19–20 an Abrahams Lage, was Glauben an den Gott heißt, der die Toten lebendig macht. Aus den Altersangaben in Gen 17,17 erschließt er, dass weder Abraham als beinahe hundertjähriger Greis noch Sara als fast Neunzigjährige damit rechnen konnten, jemals leibliche Nachkommen zu haben; denn ihre Leiber waren schon „erstorben“ (V. 19). Dennoch wurde sein Glaube nicht schwach, sondern stark. Er vertraute Gott „gegen Hoffnung“ (im Blick auf den schon erstorbenen Leib) „auf Hoffnung hin“ (im Blick auf Gottes Schöpfermacht) (V. 18) und zweifelte nicht. Er gab Gott die Ehre (V. 20), indem er der Schöpfermacht Gottes traute, das zu tun, was er verheißen hatte (V. 21). In der Formulierung mit der Wurzel 33 „Meine Hand hat die Erde gegründet und meine Rechte den Himmel ausgespannt; ich rufe sie und schon stehen sie da“ (Jes 48,13 LXX). Dem entspricht syrBar 21,4: „… der du zu Anbeginn der Welt gerufen hast, was noch nicht war, und sie gehorchten dir.“ Dieser Topos ist breit bezeugt, vgl. syrBar 48,8.10; 2 Makk 7,28; bei Philo mehrfach usw. 34 Sie wird in der zweiten Benediktion des Achtzehnbittengebets aufgenommen. Dazu s. K äsemann, Römer, 114, der mit dieser Herkunft auch die gegenüber dem urchristlichen ἐγείρειν ungewöhnliche Formulierung erklärt. Zum Motiv s. Josephus, Bell. 2,163; Ant. 18,14; TestJud 25; TestBenj 10,6–11 u. a.
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δυν- schwingt die Kenntnis der Antwort Gottes auf das Lachen Saras angesichts der Sprache der Fakten gegen die Worte der Verheißung in Gen 18,14 LXX mit: „Sollte bei Gott etwas unmöglich sein (μὴ ἀδύνατει παρὰ τῷ θεῷ ῥῆμα)?“ Wo von der Verheißung nichts zu sehen ist, muss „der Glaube … ganz zur Hoffnung werden“.35 In diesem Sinne heißt Glauben wie Abraham: Gottes Verheißungen trauen, auch gegen den Augenschein. Eben dieser Glaube wurde ihm in Gen 15,6b „als Gerechtigkeit angerechnet“ (V. 22). 1.6 Abraham, die Schrift und wir (V. 23–25) Abschließend hebt Paulus in V. 23–25 die Autorität der Schrift hervor und verstärkt damit seine voranstehende Argumentation mit ihr. Jede Argumentation mit der Schrift setzt voraus, dass sich ihr Sinn nicht in der berichteten Vergangenheit erschöpft. Dieser Gedanke findet sich auch anderwärts bei Paulus: Was die Schrift schreibt, ist „uns zur Lehre geschrieben“ (Röm 15,4), und auch durch Mose redet Gott um unsertwillen (1 Kor 9,10). Röm 4,23 gesteht zwar zu, dass die Schrift von Abraham durchaus um seinetwillen redet; denn sein Glaube wurde ihm angerechnet und nicht uns. Jedoch ist in der Schrift von Abraham auch „um unsertwillen geschrieben“ (V. 24), weil auch uns unser Glaube zur Gerechtigkeit angerechnet werden soll wie Abrahams Glaube einst ihm. Deshalb ist das Zeugnis der Schrift von Abraham für Christen unersetzbar. Aus der Schrift entnimmt Paulus eine doppelte Analogie. Sie betrifft den Glauben und die Rechtfertigung. Paulus identifiziert den Glauben an den, der unseren Herrn Jesus Christus von den Toten erweckt hat, mit dem Glauben Abrahams an den, der das ins Dasein ruft, was nicht ist. Weil für den Apostel Gottes Handeln an Abraham und am gekreuzigten Jesus strukturell vergleichbar ist, kann er die Schrift in diesem neuen Licht lesen und daraus den Schluss ziehen: Jedem, der wie Abraham an den Gott glaubt, der das ins Dasein ruft, was nicht ist, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit angerechnet werden wie einst Abraham. In Gen 15,6 entdeckt Paulus darüber hinaus die strukturelle Vergleichbarkeit zwischen der Rechtfertigung Abrahams und der aller Menschen, ‚Heiden‘ wie Juden: Gott spricht „Gottlose“ gerecht, und er tut das bei allen (3,30) allein „aufgrund von Glauben“ und „ohne Werke“ (V. 6.16). Allerdings geht Paulus in zweierlei Hinsicht über eine bloße Strukturanalogie zwischen dem Glauben Abrahams und unserem Glauben hinaus. Zwar ist Abraham zweifellos ein „Beispiel“ für das, was glauben heißt.36 Aber er ist zugleich auch „mehr als ein Beispiel“37; denn er ist der erste in einer Geschichte, 35
275.
U. Wilckens, Der Brief an die Römer (Röm 1–5) (EKK VI/1), Neukirchen-Vluyn 1978,
36 Darin hat G. Klein zweifellos recht (Römer 4 und die Idee der Heilsgeschichte, EvTh 23 [1963] 424–447, 435). 37 Darin hat gegen Klein allerdings Wilckens recht (Römer 1–5, 282 f.).
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die Gott über Abrahams leibliche Nachkommen hinaus für alle Menschen geöffnet hat38, wie Paulus in V. 13 zeigt. Christen haben ihren Ort nicht außerhalb oder neben dieser Geschichte, die Gott mit Abraham begonnen hat, sondern allein in ihr. Abraham blickte jedoch glaubend voraus. Christen können dagegen nicht voraus blicken, ohne zugleich auf den zurückzublicken, den Gott von den Toten erweckt hat (V. 24). Abraham hoffte gegen allen Augenschein im festen Vertrauen auf die Verheißung, „Vater vieler Völker“ zu werden. Für Paulus hat dagegen Gott diese Verheißung bereits erfüllt, indem er Jesus „um unserer Verfehlungen willen preisgegeben und um unserer Rechtfertigung willen auferweckt“ hat, wie der Apostel in V. 25 die in V. 24b zitierte urchristliche Bekenntnisformel39 auslegt. Dadurch ist Abraham bereits „Vater vieler Völker“ geworden. Dass jene Verheißung schon erfüllt ist, liegt für Paulus in Gestalt zahlreicher heidenchristlicher Gemeinden vor aller Augen. Im Blick auf die Verheißung kommt also die Analogie an ihre Grenze. Die andere Grenze hängt gleichfalls mit diesem Bekenntnis zusammen und betrifft den Inhalt des Glaubens. Insofern die Christen an den glauben, durch den „unser Herr Jesus um unserer Verfehlungen willen preisgegeben und um unserer Rechtfertigung willen auferweckt wurde“, unterscheidet sich ihr Glaube von dem Abrahams; denn er führt zur Rechtfertigung nur durch die Vermittlung von Tod und Auferweckung Jesu. Es fällt auf, dass Paulus in der gesamten Argumentation von Röm 4 nie vom „Glauben an Jesus (Christus)“ redet, was er zuvor in 3,22.26 durchaus getan hat.40 Die Vermeidung in Röm 4 hängt damit zusammen, dass Paulus hier vor allem an der strukturellen Entsprechung mit Abraham gelegen war. Von einer sachlichen Spannung zwischen dem Glauben an Jesus Christus und dem Glauben an den, der diesen auferweckt hat, kann aber schon deshalb keine Rede sein, weil Röm 4 ganz unter dem Vorzeichen von 3,21–31 steht. Vielmehr zeigt die Entfaltung, was „an Jesus Christus glauben“ (3,22) heißt: nichts anderes als „an den glauben, der unseren Herrn Jesus von den Toten erweckt hat“ (4,24) und der durch dieses Handeln an Jesus für alle Menschen Heil bewirkt hat: „um unserer Verfehlungen willen preisgegeben und um unserer Rechtfertigung willen auferweckt“ (4,25). Christen glauben also wie Abraham, indem auch sie wie Abraham ihr Vertrauen auf Gott setzen und gegen allen Augenschein an der Hoffnung festhalten, dass er „tut, was er verheißt“ (V. 21: fides qua creditur). Christen glauben aber 38 Nur deshalb kann Paulus die Geschichte der Gottesgerechtigkeit als Glaubensgerechtigkeit schon mit Abraham und nicht erst mit Christus beginnen, wie K äsemann, Römer, 118–120, betont. 39 Wahrscheinlich unter Verwendung von Jes 53,12 LXX; vgl. H. Patsch, Zum alttestamentlichen Hintergrund von Römer 4,25 und 1. Petrus 2,24, ZNW 60 (1969) 273–279. 40 Beide Male πίστις mit Gen. obj.; die Belege bei Paulus sind schnell aufgezählt: in vergleichbarem Zusammenhang Gal 2,16 (mit Bezug auf Ps 142,2 LXX); dann Gal 2,20; 3,22; Phil 3,9; πίστις mit ἐν X. Ἰ. in Gal 3,26, mit πρὸς τὸν κύριον Ἰ. in Phlm 5; πιστεύειν εἰς X. Ἰ. begegnet nur in Gal 2,16; (Phil 1,29: εἰς αὐτόν).
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anders als Abraham, indem sie an den glauben, durch den „unser Herr Jesus um unserer Verfehlungen willen preisgegeben und um unserer Rechtfertigung willen auferweckt wurde“ (V. 25: fides quae). Die strukturelle Analogie ist mit einer geschichtlichen Differenz verbunden. Insofern konnte am Ende auch Abraham nicht der bleiben, der er in der biblisch-jüdischen Tradition war: Vater allein der Beschnittenen (V. 12) und der Proselyten. Er musste vielmehr ein anderer werden: „Vater aller, die glauben“ (V. 11–12.16).
2. Gen 15 im vorpaulinischen Judentum Die Innovation des Apostels ist seiner Lektüre der Schrift und deren Auslegung zu verdanken. Woran kann Paulus dabei anknüpfen und worin unterscheidet er sich von der jüdischen Tradition, in der er selbstverständlich steht – als Diasporajude aus der hellenistisch-römischen Metropole Tarsus und als Pharisäer, ausgebildet in Jerusalem? Wir befragen dazu die Zeugnisse des antiken Judentums vor Paulus, in denen Gen 15,6 aufgenommen und gedeutet wurde.41 2.1 Was hat man unter Abrahams „Glauben“ verstanden?42 (1) Gen 15 wird erstmals im Bußgebet Neh 9 aufgegriffen.43 Es setzt Gottes Treue gegen Israels Untreue, wie die Pointe am Schluss noch einmal einschärft (V. 33). Abraham erscheint in V. 7–8 als Beispiel, allerdings weniger für den Glauben des Erzvaters als vielmehr für Gottes Verheißung, Treue und Gerechtigkeit.44 Das Gebet hat den gesamten Pentateuch schon im Rücken. Der Abschnitt zu Abraham bietet eine Kombination von Gen 15 (mit Bundesschluss und Völkerliste bei der Landverheißung) und Gen 17 (Umbenennung), ohne jedoch die 41
Zu Gen 15 in der Septuaginta und im MT s. jetzt in diesem Bd. Nr. 5. ausführliche Darstellung und Behandlung aller einschlägigen Belege hat zuletzt Schliesser vorgelegt (Faith, 152–220); vgl. auch M. Oeming, Der Glaube Abrahams. Zur Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 in der Zeit des zweiten Tempels, ZAW 110 (1998) und R. Mosis, Gen 15,6 in Qumran und in der Septuaginta, in: Ders., Ges. Aufsätze zum AT (FzB 93), Würzburg 1999, 95–118; zur Abrahamüberlieferung in der Zeit des Zweiten Tempels überhaupt s. auch A. Mühling, „Blickt auf Abraham, euren Vater“. Abraham als Identifikationsfigur des Judentums (FRLANT 236), Göttingen 2011. Ich kann mich deshalb hier auf einige für unsere Fragestellung wichtige Akzente beschränken. 43 Das Bußgebet gehört zu einer großen Einschaltung in die Esra-Erzählung, wie schon die Parallelen zwischen Esr 9 und Neh 9 zeigen, und dürfte aus dem 3. Jh. v. stammen; vgl. R. G. Kratz, Die Komposition der erzählenden Bücher des AT (UTB), Göttingen 2000, 87 ff.; M. Witte, in: J. C. Gertz u. a. (Hg.), Grundinformation AT. Eine Einführung in Literatur, Religion und Geschichte des AT. In Zusammenarbeit mit A. Berlejung, K. Schmid und M. Witte (UTB), Göttingen 2006, 494 ff. 44 So vor allem die Schlusszeile des Abrahamabschnitts: „Du hieltest ( קוםHif.) deine Worte (= Verheißungen); denn du bist gerecht“ (vgl. V. 33). 42 Eine
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Beschneidung zu erwähnen.45 Neh 9,8 verwendet zwar die für Gen 15,6a charakteristische Wurzel אמן, paraphrasiert aber sonst sehr frei und – dem eigenen Gebetskontext entsprechend – ausschließlich aus der Perspektive von 15,6b: „Du hast sein Herz treu ( )נאמןgefunden vor dir.“ Von der „Gerechtigkeit“ Abrahams ist jedoch nicht die Rede; an deren Stelle ist Gottes Gerechtigkeit getreten (V. 8). Die hat sich im Landverheißungseid und dessen Einlösung als Gottes Lohn46 für Abrahams Treue erwiesen. Treue impliziert Bewährung in einer Haltung oder durch Taten.47 Davon ist hier noch nicht ausdrücklich die Rede wie auch jede Anspielung an Gen 22 fehlt, wenn man nicht die Wendung „sein Herz treu finden“ als Hinweis darauf verstehen will.48 Doch setzt die abschließende Feststellung der Treue (V. 8) als Urteil über das Leben Abrahams (V. 7) seit seiner Erwählung und Herausführung aus Ur-Kasdim die Bewährung des Ahnvaters voraus. (2) Im Preis der Väter Sir 44 aus dem beginnenden 2. Jh. v. Chr.49 wird diese Voraussetzung direkt benannt: Der „Vater einer Menge von Völkern“ erscheint als einer, der „in der Versuchung als treu erfunden wurde“ (44,20). Das Stichwort נאמןbzw. πιστός greift Gen 15,6a auf, nun aber in einer passiven Formulierung; und spätestens mit dem Hinweis auf die „Versuchung“ kommt Gen 22 in den Horizont von Gen 15.50 Ausdrücklich diese Bewährung wird als Treue beurteilt, doch gehen ihr in V. 20 drei Taten Abrahams voraus. Entsprechend erweist sich 45 Von einer „Herausführung“ ( יצאHif.) ist (gegen Ego/Lange, „Und es ward ihm zur Gerechtigkeit angerechnet“ [4QpsJuba 2 I 8]. Gen 15,6 im Pseudo-Jubiläentext von Qumran und in der antik-jüdischen Literatur, in: U. Mittmannn-Richert u. a. [Hg.], Der Mensch vor Gott. Forschungen zum Menschenbild in Bibel, antikem Judentum und Koran, FS für Hermann Lichtenberger, Neukirchen-Vluyn 2003, 181) weder in Gen 11,26 ff. noch in 12,1 f., wohl aber in 15,7–8 die Rede: „… der du Abram erwählt (singulär, vgl. aber Dtn 4,37; 10,15) und ihn herausgeführt hast aus Ur-Kasdim“ (15,7) „und ihm den Namen Abraham gegeben hast“ (17,5). „Und du hast sein Herz treu ( )נאמןerfunden vor dir (15,6?), indem du mit ihm einen ‚Bund‘ schlossest (15,18), seinem Samen zu geben (15,18) das Land der Kanaanäer, Hethiter, Amoriter, Perisiter und Jebusiter und Girgasiter (15,19–21*, allerdings verkürzt). 46 Zwar fehlt das Wort „Lohn“, aber das syntaktische Gefälle in V. 8 legt dieses Verständnis nahe: Der Landverheißungseid wird nach der Feststellung der Treue Abrahams mit Inf. abs. eingeführt, und die Landverheißung wie deren Erfüllung werden damit begründet, dass Gott gerecht ist. 47 Das unterstreicht die LXX in Neh 9,8 mit der Verwendung des Adjektivs πιστός. 48 Anders als in Sir 44,20; Jub 17,17; 4Q225 II; 1 Makk 2,52 fehlt der Hinweis auf die Situation der Prüfung, die auf Gen 22,1 verweist. 49 Aufgrund des Vorworts datiert man Sir um 190 v. Chr. Sir 44 ist bis auf zwei Zeilen in V. 21 (Mehrung der Nachkommen „wie den Staub der Erde“ und deren „Erhöhung wie die Sterne“) auch hebräisch überliefert (dazu vgl. P. C. Beentjes, The Book of Ben Sira in Hebrew. A Text Edition of all Extant Hebrew Manuscripts and a Synopsis of all Parallel Hebrew Ben Sira Texts [VT.S 68], Leiden 1997, 78). 50 Die Überlieferung von den zehn Prüfungen Abrahams scheint dem Siraciden noch unbekannt zu sein. Wenn nicht in V. 21 mit der Mehrung „wie die Sterne“ und mit dem „Landbesitz“ bis an die Enden der Erde auf Gen 15,5.7 angespielt würde, könnte man den Hinweis auf die Treue Abrahams auch als die begriffliche Verdichtung von 22,16 deuten.
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Abrahams Treue in V. 20 darin, dass er „die Gebote des Höchsten hielt“, „in einen Bund mit ihm eintrat“ und „sich an seinem Fleisch das festgesetzte Zeichen schnitt“.51 Der Abraham-Bund wird auf diese Weise deutlich als Bund der Beschneidung charakterisiert. Abrahams Treue äußert sich also im Gehorsam gegenüber den Weisungen Gottes, und dieser wird belohnt mit der Bestätigung und Verwirklichung der Verheißung, wie Sir 44,21 aus Gen 22,15–18 entnimmt. Diese enge Verbindung von Glaubens-„Treue“, „Werken“ und „Lohn“ rahmt das gesamte Buch.52 Lediglich das Stichwort „Gerechtigkeit“ aus Gen 15,6b scheint zu fehlen, doch ist zu bedenken, dass der gesamte Preis der Väter unter der Überschrift steht: „Für alle Zeit besteht ihr Andenken, und ihre Gerechtigkeit wird nicht ausgelöscht werden“ (Sir 44,13). Die gründet aber durchaus in Werken bewährter Treue. (3) Das Verständnis des Glaubens Abrahams als in Versuchungen bewährte Treue findet sich auch im Jubiläenbuch, einer Neufassung der Heilsgeschichte von der Weltschöpfung bis zum Auszug aus Ägypten im Stile der „rewritten Bible“ aus dem letzten Drittel des 2. Jh. v. Chr.53 Seine Intention wird vor allem in den Abweichungen vom MT erkennbar. Mehrere Änderungen in Jub 14 setzen besondere Akzente. Jub 14,6 folgt zunächst MT, geht aber dann ins Passiv über und macht damit eindeutig Gott zum inneren Subjekt der Anrechnung: „Und er glaubte dem Herrn, und es wurde ihm als Gerechtigkeit gezählt.“ Das Verb „zählen“ (statt „anrechnen“) schlägt eine Brücke zur Aufforderung Gottes an Abraham in 14,4–5: „Blicke an den Himmel und zähle die Sterne, ob du sie zählen kannst!“ Das verbindet den Glauben Abrahams in V. 6 eng mit diesem Kontext. Damit wird der Leser gelenkt, den Glauben Abrahams nicht sogleich als allgemeine Haltung zu verstehen, sondern auf die Sterne als Zeichen und die durch sie versicherte Verheißung zu beziehen: „So wird dein Same sein.“ Anders als MT berichtet Jub 14,5 ausdrücklich von der Ausführung der Aufforderung: „Und er blickte den Himmel an und er sah die Sterne.“54 So korrespondiert Abrahams Glaube seinem vorausgehenden Gehorsam. 51 Zu Abraham als Gesetzestreuen vgl. Gen 18,19 und vor allem 26,5; zum Eintreten in den „Bund“ Gen 17; zur Beschneidung als Zeichen Gen 17,10–13. 52 Vgl. Sir 2,8 („Die ihr den Herrn fürchtet, glaubt an ihn, und euer Lohn wird nicht dahinfallen“) mit 51,30: „Eure Werke vollführt in Gerechtigkeit, so wird er euch geben euren Lohn zu seiner Zeit!“ (Übersetzung nach G. Sauer, Jesus Sirach [JSHRZ III/5], Gütersloh 1981). 53 Das Buch ist hauptsächlich in antiken Übersetzungen überliefert. Vollständig erhalten ist es nur in einer äthiopischen Übersetzung, Teile auch in syr. und lat., die aber auf eine griech. Übersetzung zurückgehen. Man kann jedoch aus den Fragmenten von Jub in Qumran und aus Jub 12,26 auf ursprünglich hebräische Abfassung schließen. Die für unsere Frage einschlägigen Texte Jub 14,6; 30,17; 31,23 sind in Qumran leider nicht belegt. Wir folgen der Textgestalt und Übersetzung von K. Berger, Das Buch der Jubiläen (JSHRZ II/3), Gütersloh 1981. 54 Jub 14,5 entspricht darin Gen 12,1–3.4a und 22,2.3.
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Am Ende der Erzählung nach Bundesschluss und Landverheißung für Abrahams Samen kontrastiert 14,21 wirkungsvoll den Glauben Abrahams der Sprache der Tatsachen: „Und er glaubte, dass ihm Same zuteil würde. Aber sie gebar nicht.“ Auch hier richtet sich der Glaube Abrahams auf die Verheißung. Das Motiv des Glaubens wird in der Abrahamgeschichte des Jubiläenbuches noch mehrmals aufgenommen, stets an bedeutsamen Stellen der Erzählung, so vor und nach der Erzählung von der Preisgabe Isaaks. Sie beginnt in 17,15–18 mit einem nach Hi 1–2 gestalteten Vorspiel im Himmel, das über MT hinausgeht. Es inszeniert Abraham als ersten Hiob. Diese Einleitung verbindet Gen 22 mit Gen 15 durch das Motiv des Glaubens55: Eine Himmelsstimme kündet, dass Abraham „glaubend sei in allem, was er zu ihm geredet habe, und dass er Gott liebe. In aller Trübsal sei er glaubend.“ Hier erscheint Abrahams Glaube als Haltung, eben als das, was Neh 9,8 und Sir 44,20 „treu“ nennen. Im folgenden Zwiegespräch schlägt Mastemah die Opferung des geliebten Sohnes vor; dann werde Gott „wissen, ob er glaubend ist in allem, womit du ihn versuchst“. Gott aber ist sich des Glaubens Abrahams sicher. Er „wusste, dass Abraham gläubig war in aller seiner Trübsal, die er ihm genannt hatte“; denn er hatte ihn in einem langen Leben immer wieder versucht und geprüft. Das dokumentiert eine Liste von Ereignissen aus den bekannten Abrahamüberlieferungen, die als „Versuchungen“ gedeutet werden.56 Abschließend stellt 17,18 als Ergebnis fest: „In allem, wodurch er ihn versuchte, wurde er als glaubend erfunden.“ Dieser Glaube äußert sich als Geduld und in Taten rückhaltlosen Gehorsams: „Seine Seele war nicht ungeduldig, und er hat nicht gezögert, es zu tun.“57 Die abschließend wiederholte Parallelisierung von Glaube und Gottesliebe erklärt sich aus dem Vorwurf Mastemahs in 17,16, Abraham liebe Isaak und „freue sich über ihn vor allen“. Glauben erschöpft sich im Sinne des Jubiläenbuches nicht in einzelnen intellektuellen Akten oder Taten, sondern ist eine Grundhaltung, die den ganzen Menschen bestimmt. Nach dem glücklichen Ausgang der Preisgabe Isaaks wiederholt Gott, nun aber mit einem Eid bekräftigt, die Verheißung zahlreicher Nachkommenschaft; und er teilt Abraham in 18,16 mit, dass er alle Völker der Erde habe „wissen lassen, dass du mir glaubenstreu warst in allem, was ich dir gesagt habe“. Glaube wird hier wie in Neh 9,8 und Sir 44,20 als „sich durchhaltende und bewährende Treue verstanden“.58 55
Das Wortfeld „glauben“ begegnet in den wenigen Versen sechsmal. Hier handelt es sich um sieben Begebenheiten, die als „Versuchungen“ gedeutet werden. Jub 19,8 deutet die Opferung Isaaks als zehnte; etwas anders zählt die in Aboth 5,3 belegte Tradition. 57 Vgl. 17,18 mit 19,3 („wir versuchten ihn, ob sein Geist geduldig sei und ob er nicht unwillig sei im Worte seines Mundes“) und 19,8 („und er wurde gefunden als glaubend, geduldigen Geistes“) anlässlich des Kaufs der Grabhöhle Machpela. 58 Berger, Jubiläen, 420, Anm. 16d. 56
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Was der Erzähler und Gott im Jubiläenbuch auf den Begriff „glaubend“ oder „glaubenstreu“ bringen, formuliert Abraham in seinen letzten Worten (21,1–4) mit Wendungen, die für den Gehorsam gegenüber der Tora geläufig sind: „mit ganzem Herzen seinen Willen tun“ und „wandeln auf allen seinen Wegen“, was vor allem bedeutet „Götzen hassen“. Abraham schildert sich selbst als Gerechten, der dem Willen Gottes gehorsam ist. Entsprechend resümiert der Erzähler in 23,10: Abraham war „angenommen in Gerechtigkeit alle Tage seines Lebens“. (4) Für die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 außerordentlich bedeutsam ist das Fragment einer Handschrift aus Qumran (4Q225), die dem Jubiläenbuch nahe steht, aber mit keinem Text aus Jub identisch ist, so dass sie kurz „PseudoJubiläen“ genannt wird.59 Das Fragment enthält Reste zweier Kolumnen. Leider haben die Beschädigungen im oberen Teil zu größeren Textverlusten geführt, doch sorgt das Erhaltene durchaus für Überraschungen; denn es bietet für Gen 15,6 erstmals eine hebräische Fassung außerhalb der Bibel, die nicht nur für die Textgeschichte von Interesse ist: ויא[מין] [אברהם ב]אלו[הי]ם ותחשב לו צדקה Da vertrau[te] (8) [Abraham auf ] Gott, und es wurde ihm als Gerechtigkeit angerechnet.60
Dieser Text unterscheidet sich in drei Punkten vom MT. Er beginnt mit einem Narrativ, nicht mit wAK. Damit ist ein frequentatives oder duratives Verständnis von „glauben“ völlig ausgeschlossen; vielmehr vertraut Abraham darauf, dass Gott die unmittelbar voranstehende Verheißung in Z. 5–7 realisieren wird.61 Der Text ersetzt sodann das Tetragramm durch das Appellativ „Gott“. Als Brücke zu Gen 22 lässt sich diese Abweichung jedoch nicht ohne weiteres deuten, weil auch schon zuvor in Z. 3 das Appellativ auftaucht; die Praxis, das Tetragramm zu ersetzen, war im 1. Jh. v. Chr. längst allgemeiner Brauch. Schließlich bringt der Text das Verb חשבin 3. Pers. fem. Nif., also im Passiv.62 Die feminine Form kann sich nur auf das zuvor erzählte Vertrauen Abrahams als grammatisches Sub59
Es handelt sich um einen nicht genuin essenischen Text, der zwischen 150 und 50 v. Chr. angesetzt wird, während die Handschrift aus paläographischen Gründen nicht vor 30 v. geschrieben worden sein kann: J. C. VanderK am/J. T. Milik, 4Q225. 4QpseudoJubileesa, in: H. Attridge u. a. (Hg.), Qumran Cave 4 VIII. Parabilical Texts. Part 1 (DJD 13), Oxford 1994, 141–155; dtsch. Übersetzung von J. Maier, Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer, Bd. II, München 1995, 180 f. (Frg. 2). Zur Deutung s. Ego/ L ange, Gerechtigkeit, 171–192. 60 Lesung von VanderK am/M ilik, 4Q225, Übersetzung von Maier, Qumran-Essener II, 180. 61 Die Mehrungsverheißung kombiniert die Sterne des Himmels mit dem Sand am Ufer des Meeres (Gen 22,17) und mit dem Staub der Erde (Gen 13,6). 62 Zur überzeugenden Begründung dieser Lesung durch R. Mosis, „Glauben“ und „Gerechtigkeit“ – zu Gen 15,6, in: M. Görg (Hg.), Die Väter Israels. Beiträge zur Theologie der Patriarchenüberlieferungen im AT. FS Joseph Scharbert, Stuttgart 1989, 225–258, s. bes. VanderK am/M ilik, 4Q225, 145, und Ego/ L ange, Gerechtigkeit, 175 f., gegen Oeming, Glaube, 27–30.
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jekt beziehen. Mit der passiven Formulierung wird zugleich Gott als logisches Subjekt der Anrechnung markiert. Diese drei Abweichungen entsprechen der griechischen Textgestalt der LXX. Mit 4Q225 könnte deshalb erstmals ein vormasoretischer Zeuge für die griechische Lesart der LXX vorliegen.63 Nicht weniger aufregend ist die Textkombination, die in den beiden Kolumnen geboten wird. Sie verbinden Gen 15,1–6 (in Kol. I 3–8) unmittelbar mit der Geburtsnotiz Isaaks aus 21,1–6* (in Kol. I 8–9) und mit dessen Preisgabe in 22,1–14 (in Kol. I 11–II 10) zu einem fortlaufenden Text, schalten aber in einer Himmelsszene (I 9–10) die Anfeindung Abrahams durch Mastemah ein, die überhaupt erst die Prüfung Abrahams auslöst.64 Gen 22 wird nur knapp angedeutet. Aber auf das aus Gen 22,7–8 bekannte Zwiegespräch zwischen Sohn und Vater (II 2–4) folgt eine weitere Einschaltung, die den Leser wie in Hi 1–2 in den Himmel schauen lässt. Zwei Gruppen von Engeln werden Zeugen der Bindung Isaaks: Die heiligen Engel stehen weinend (über dem Altar?), während die Engel Mastemahs sich schon über den bevorstehenden Untergang Abrahams freuen. Mastemah will prüfen, ob „Abraham65 vor Gott leugnend ( )כחשoder treu ()נאמן66 befunden wird“ (II 8). Auf diese Weise trägt Ps.-Jub das Glaubensmotiv aus Gen 15 ausdrücklich in Gen 22 ein. War aber Abrahams Glaube in I 7 ein einmaliger Akt (Narrativ), so geht es bei der Glaubensprüfung in II 8 um die Dauerhaftigkeit des Vertrauens auf Gott (Adjektiv bzw. Partizip). 4Q225 macht also aus der Erzählung der Preisgabe Isaaks eine Erzählung von der Bewährung des Glaubens und der Treue Abrahams. (5) Was in Jub 14 und 17 über das Motiv des Glaubens miteinander verknüpft und in 4Q225 als Erzählzusammenhang gestaltet wurde, findet sich in der Abschiedsrede des Priesters Mattathias in 1 Makk 2,52 auf einen Vers verdichtet: Wurde Abraham nicht in der Prüfung als treu befunden, und wurde es ihm nicht zur Gerechtigkeit angerechnet?
Gen 15,6a klingt in πιστός an, wird aber sogleich über ἐν πειρασμῷ mit Gen 2267 verbunden, während der zweite Versteil Gen 15,6b in der Fassung der LXX zitiert. Der Glaube Abrahams erscheint auch hier als „in der Prüfung bewährte Treue“. Bewährt hat sich die Treue Abrahams im Gehorsam gegenüber Gottes 63 Positiv Schlieser, Faith, 166, skeptisch dagegen Ego/L ange, Gerechtigkeit, 190–191. Immerhin steht 4Q225 Kol. I, Z. 8, dem MT darin nahe, dass beide צדקהohne Präposition mit dem Verb verbinden. Zweifellos bietet in Gen 15,6 der MT die gegenüber LXX ältere Texttradition; denn die Entstehung des uneindeutigen MT aus dem in 4Q225 vorliegenden eindeutigen Text ist unwahrscheinlich. 64 Vgl. die sehr viel ausführlichere Version in Jub 17,15–18 und die Motivation des Opferbefehls mit dem Neid der Engel in LAB 33,1–2. 65 Zu Abraham als Objekt der Prüfung Ego/ L ange, Gerechtigkeit, 177 f. mit Anm. 34. 66 Vom Erweis der Treue Abrahams in der Prüfung weiß auch das Fragment einer weiteren Handschrift zu berichten (4Q226 Frg. 7,1 = 4QPsJubb). 67 Gen 22,1 LXX bringt das Verb πειράζω.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Weisung. Glaube und Werke des Gesetzes stehen mithin in keinem Gegensatz, vielmehr ist der Glaube nichts anderes als eine Gestalt des Toragehorsams. Der unmittelbare Kontext erhellt auch den inneren Zusammenhang zwischen beiden Vershälften. Die Abschiedsrede steht von Beginn an (V. 50) unter dem Aufruf, für das „Gesetz (νόμος) zu eifern“ und sein Leben für den „Bund (διαθήκη) unserer Väter“ hinzugeben. Zu diesem Zweck stellt Mattathias seinen literarischen Zuhörern ein großes Geschichtspanorama vor die Augen. Abraham ist der erste, an dessen Beispiel von den „Werken (ἔργα) unserer Väter“ erzählt wird, mit denen sie „großen Ruhm (δόξα)“ erlangt und einen „ewigen Namen“ (ὄνομα αἰώνιον) erworben haben, kurz: denen ihre „Glaubenswerke“ zur Gerechtigkeit angerechnet wurden. Das muss man nur noch mit der pragmatischen Absicht der Rede verbinden: Wer in den gegenwärtigen Prüfungen der Makkabäerzeit seine Treue bewährt, indem er „für das Gesetz“ vornehmlich in Gestalt des Fremdgötterverbots, der Beschneidung und des Sabbats sowie der Reinheitsvorschriften „eifert“, dem wird – wie einst Abraham – seine Treue zur Gerechtigkeit angerechnet werden. Das ist die Position, die Paulus vor Augen hatte, als er Röm 4 schrieb. 2.2 Was hat man sich unter „zur Gerechtigkeit anrechnen“ vorgestellt? (1) Aus dem Kreis der fünf Texte, die Gen 15,6 aufgreifen, fällt Neh 9 heraus. An die Stelle einer Anrechnung der Treue Abrahams zur Gerechtigkeit treten hier der Landverheißungseid Gottes und dessen Erfüllung. Deshalb ist hier nur von Gottes Gerechtigkeit die Rede. Das eine wie das andre hängt mit der Einbettung der Abrahamreminiszenz in ein Bußgebet zusammen. Auch in Sir 44,19–21 scheint die Anrechnung zur Gerechtigkeit zu fehlen. Doch stehen hier alle „Väter der Vorzeit“, und so auch Abraham, unter der Überschrift von V. 13: „Für alle Zeiten besteht ihr Andenken, und ihre Gerechtigkeit wird nicht ausgelöscht werden.“ Die Gerechtigkeit der Väter erwächst aus ganz unterschiedlichen Verdiensten, die mit einem bleibenden Andenken belohnt werden. Bei Abraham ist es das Halten der Gebote und die Bewährung seiner Treue in der Prüfung von Gen 22. Dagegen kennen Jub 14,668; 4Q225 I 8 und 1 Makk 2,52 die Vorstellung einer ausdrücklichen Anrechnung zur Gerechtigkeit, formulieren diese aber wie die LXX passiv. Dabei wird stets Gott als logisches Subjekt vorausgesetzt, er sorgt für die Anrechnung. (2) Was wird jeweils angerechnet? In Jub 14,6 geht es zunächst um das Vertrauen Abrahams darauf, dass Gott seine Verheißung erfüllen wird (vgl. 14,21). Doch hat die Schlussnotiz in 23,10 – „er war angenommen in Gerechtigkeit alle Tage seines Lebens“ – natürlich Abrahams gesamtes Leben als ein in zehn Ver68
Vgl. damit Jub 30,17 (zu Levi und Juda in der Neufassung von Gen 34); 31,23 (Isaak nach der Segnung seiner Enkel Levi und Juda).
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suchungen erprobtes Leben des Gehorsams gegenüber Gottes Weisungen im Blick. Dem Vertrauen in Gottes Macht korrespondiert die vielfach bewährte Treue in Taten. Entsprechend heißt es nach der zehnten Versuchung (bei der geduldigen Verhandlung über die Grabstätte Saras nach Gen 23): „Er wurde glaubend gefunden. Und er wurde aufgeschrieben als Freund69 des Herrn auf den Tafeln des Himmels“ (Jub 19,9). Abraham ist aber kein Einzelfall, wie wir aus Jub 30 ersehen können. Die Neufassung der Erzählung von Dinas Schändung nimmt den zahlreichen Anstößigkeiten in Gen 34 ihre Spitze durch einschneidende Umdeutungen. So erscheint die mörderische Tat Simeons und Levis zunächst als durchaus erklärliche Reaktion auf die Vergewaltigung ihrer minderjährigen Schwester (V. 2). Sodann vollziehen die Brüder mit ihrer Rache nur die vom Himmel angeordnete Strafe (V. 5) über die Männer von Sichem. Und schließlich tun sie damit nichts anderes, als „im Wort des Gesetzes“ geboten ist, wie V. 12 ausdrücklich vermerkt. Levi „eiferte, Gerechtigkeit zu tun und Gericht und Rache an allen, die sich erheben gegen Israel“ (V. 18); und eben diese Tat „wurde ihnen zur Gerechtigkeit aufgeschrieben“ (V. 17). Glaube und Gehorsam, Treue und Eifer gehören zusammen. Das Jubiläenbuch kennt keine Differenz zwischen Glauben und entsprechenden Taten. (3) Aus Jub 19,9 und 30,17–23 geht zugleich hervor, wie sich der Überlieferungskreis des Jubiläenbuches das „Anrechnen“ der Eifertaten des Glaubens zur Gerechtigkeit vorgestellt hat: Anrechnung solchen Glaubens geschieht durch „Aufschreiben“ (30,17) auf „Tafeln des Himmels“ (19,9; 30,18). Nach Simeons und Levis Straftat an den Männern von Sichem heißt es: „Am Tage, da sie töteten, stieg eine Schrift auf zum Himmel, dass sie Gerechtigkeit taten“ (30,23). Im Unterschied zu Gen 15,6b erfordert das Anrechnen hier schon eine himmlische Bürokratie mit erheblichem Schriftverkehr: Nach vollbrachter Glaubenstat vermeldet eine Schrift dem Himmel, was geschehen, dort wiederum wird Buch geführt; und all das hat der Verfasser des Jubiläenbuches geschrieben, damit alle aus Israel „das Gesetz tun“, um einst selber „aufgeschrieben zu werden als Freunde Gottes“ (30,21). Die Registrierung erfolgt wohl im Hinblick auf ein Endgericht (23,30–31). (4) Dass Werke oder Taten angerechnet werden, unterstreichen zwei Texte, die Abraham nicht nennen, aber die Vorstellung der Anrechnung zur Gerechtigkeit kennen, ohne jedoch das Wort „glauben“ zu bemühen. Der große Rückblick auf die Geschichte Israels vom Exodus bis zum Exil Ps 106 würdigt in V. 28–3170 Pinehas und seine Tat (aus Num 25). Die Geschichte kommt – auf Israel gesehen – nur als eine Kette des Versagens in den 69
Vgl. Jes 41,8; 2 Chr 20,7 u. a. Vielleicht ein Einschub (so K. Seybold, Die Psalmen [HAT II/15], Tübingen 1996, 421) in das große Bußgebet, das die Geschichte vom Exodus bis zum Exil kommentiert. 70
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Blick. Als Tiefpunkte erscheint mehrfach das Versagen gegenüber dem Verbot der Verehrung fremder Götter. Dem folgt die Strafe auf dem Fuße. Weil die Israeliten ihren Gott „durch ihre Taten reizen“, wütet eine Plage unter ihnen. Doch Pinehas bringt sie durch sein Handeln71 zum Stillstand. Die erfolgreiche Eifertat (Num 25,11) des Pinehas wird alsbald mit einem „ewigen Priestertum“ belohnt. Davon ist wiederum in Ps 106 nicht die Rede. An dessen Stelle tritt in V. 31 – ob durch eine Anspielung auf Gen 15,6b oder nicht72 – die „Anrechnung zur Gerechtigkeit“: ותחשב לו לצדקה לדר ודר עד עולם Es wurde ihm angerechnet zur Gerechtigkeit von Generation zu Generation für alle Zeit.
Die passive Formulierung wie auch die Präposition vor צדקהentsprechen der LXX in Gen 15,6b. Mit dem femininum der dritten Person wird der Rückbezug auf die anzurechnende Tat hergestellt, was in Gen 15,6b das feminine Suffix leistet ()ויחשבה. Allerdings wird Pinehas nicht sein Glaube, sondern sein Kampf gegen den Götzendienst zur Gerechtigkeit angerechnet. Aber die Beachtung des Fremdgötterverbots durch die Tötung des Übertreters ist im Sinne der behandelten Texte nichts anderes als Erweis dessen, was in ihnen נאמןoder πιστός heißt. Diese Tat hat wie in Gen 15,7 bleibende Folgen, dort dauerhaften Landbesitz, hier ewiges Priestertum. Obwohl nicht ausdrücklich genannt, erscheint Abraham in einer gewissen Analogie zu Pinehas. Ps 106,30 f. beschränken sich auf wenige Einzelzüge, Sir 45,23 und 1 Makk 2,54 stellen dagegen Pinehas mit Abraham in die Reihe der durch Taten bewährten Jhwhtreuen. (5) In mehrfacher Hinsicht aufschlussreich ist ein Brief aus Qumran, den eine Autorität der dortigen Gemeinschaft – vielleicht der „Lehrer der Gerechtigkeit“ – um 160 v. Chr. an den Hohenpriester in Jerusalem geschrieben hat: 4QMMT (4Q398 Frg. 14).73 Im letzten Teil des Briefes stellt der Absender seinem Adressaten zunächst König David als „Mann der Gnade“ vor Augen, der aus vie71 Was
Pinehas nach Ps 106,30 genau getan hat, ist in unserem Zusammenhang relativ gleichgültig. Diskutiert wird die Bedeutung des Verbs פללPiel (in Verbindung mit )עמד: „Gericht halten“ (H.‑J. Kraus, Psalmen 60–150 [BK XV/2], Neukirchen-Vluyn 72003, 897), „als Anwalt auftreten“ (F.‑L. Hossfeld, in: Zenger/Hossfeld, Psalmen 101–150 [HThKAT], Freiburg 2008, 118) oder „als Sachwalter fürbittend eintreten“ (B. Janowski, Gottes Gegenwart in Israel, Neukirchen-Vluyn 1993, 108). In jedem Fall deutet V. 30 die Hinrichtung der Übeltäter in Num 25,6–8. 72 Dass Abraham wie die Väter überhaupt in dem gesamten Psalm überhaupt keine Rolle spielen (bei den Vätern in V. 6.7 handelt es sich um die Exodusväter), steht gegen einen möglichen Rückbezug auf Gen 15, das überdies zu den jüngsten Abrahamüberlieferungen gehört. Ansonsten steht jedoch Ps 106 der Pentateuch sogar in seinen jungen Überlieferungen (wie z. B. Num 16 in V. 16–18) zur Verfügung. 73 Text und Übersetzung der erhaltenen Fragmente von sechs Exemplaren in: DJD 10, Oxford 1994; wir folgen dem Composite Text von E. Qimron, DSS 3, Tübingen 2006, 235–251; eine deutsche Übersetzung bei Maier, Qumran-Essener II, 361–376.
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len Bedrängnissen errettet und dem vergeben wurde (C 25 f.), weil er – das legt das voranstehende negative Beispiel der übrigen Könige nahe (C 23 f.) – die Tora gefürchtet und gesucht hat. Sodann empfiehlt der Lehrer „unsere [im Brief mitgeteilte] Entscheidung“ ( )חשבנוhinsichtlich der „Werke der Tora“ ()מעשי התורה74 als „gut für dich und dein Volk“ (C 27) und verbindet diese Empfehlung mit einem Appell an die Einsicht und die Tora-Kenntnisse des Empfängers (C 28). Schließlich stellt er Freude „am Ende der Zeit“ in Aussicht, wenn nur der Adressat von seinen bösen Gedanken und Plänen lässt und zu dem Urteil kommt, dass – salopp gesagt – „etwas dran ist an unseren Worten“ (במצאך מקצת דברינו ( )כןC 29 f.). Mit den letzten Worten75 wirbt der Lehrer aus Qumran geradezu um Zustimmung: ונחשבה לך לצדקה בעשותך הישר והטוב לפנו לטוב לך ולישראל Und es wird dir zur Gerechtigkeit angerechnet, weil du das Rechte und Gute vor ihm tust, dir und Israel zum Besten (C 31–32).
Die Anrechnung wird passivisch formuliert und „Gerechtigkeit“ präpositional eingebunden, beides wie in Ps 106,31 und Gen 15,6 LXX. Das femininum76 der 3. Pers. AK חשבkann sich im unmittelbaren Kontext nur auf die Worte und Weisungen des Briefschreibers, also auf dessen Verständnis der Tora beziehen. Allerdings fällt das Wort „Glauben“ nicht. Das Studium der Tora und das „Tun des Rechten und Guten“ sind es, die am Ende der Zeit zur Gerechtigkeit angerechnet werden.77 Das Fehlen des Stichwortes „Glauben“ bedeutet jedoch keinen Gegensatz zu den „Werken der Tora“, wie man aus 4Q504 Frg. 3 entnehmen kann: Das Fragment berichtet vom „Glauben“ der Israel repräsentierenden Gruppe angesichts einer Epiphanie in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Bundesschluss am Horeb und dessen Vorschriften und Gesetzen.78 „Gerechtigkeit“ und das Tun der Tora gehören in den Texten aus Qumran eng zusammen, ja, die „Werke/Taten der Gerechtigkeit“ (1QHa 1,26 = 9,26; 4,31 = 12,31) sind nichts anderes als die „Werke/Taten der Tora“ (1QS 5,21; 6,18 u. a.). Entsprechend äußert sich „Glaube“ als Treue zur Tora. Das ist in Qumran79 nicht 74 Mit מעשי התורהsind in C 27 die Vorschriften der Tora gemeint: „It is only from the Second Temple period and onwards, however, that we find widespread use of the plural mʿsym as a term specially designating the laws or commandments of the Bible“ (DJD 10, 139); Qimron/ Strugnell übersetzen denn auch mit „precepts of the Torah“ (DJD 10, 63, anders dagegen Qimron/Charlesworth, DSS 3, 249: „works of the Torah“). Zu diesem Sprachgebrauch vgl. in Qumran 4Q174, 1–2 i 7; 1QS 6,18. 75 Zeile 8 endet mit einem Spatium direkt über dem unteren Kolumnenrand. 76 Vgl. die fem. Verbform in 4Q225, Z. 8. 77 So auch Mosis, Gen 15,6, 107. 78 4Q504 Frg. 3 II 12 bei Maier, Qumran-Essener II, 611; wahrscheinlich werden hier Meerwunder (vgl. Ex 14,31!) und Gottesberg unmittelbar miteinander verbunden. 79 1QH VIII = XVI 17 schildert „die, die deine Gebote halten ( “)שומרי מצותיךals Menschen, die „umkehren zu Dir in Treue ( )אמונהund mit ganzem Herzen … Dir zu dienen und zu tun, was gut in Deinen Augen ist“.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
anders als im hellenistischen Judentum80. Schon in der Zeit Abrahams wurden die „Werke der Gebote“ getan wie auch schon damals „der Glaube“ erweckt war, der aber wesentlich ein „Glaube an das kommende Gericht“ und die „Hoffnung auf die Erneuerung der Welt“ ist (syrBar 57,2). 2.3 Abraham als erster Verehrer des wahren Gottes und Urbild der Proselyten Die bisher behandelten Texte reden vom Glauben Abrahams und zitieren dazu Gen 15,6. Abraham erscheint als Vater eines Glaubens, der sich in Taten der Treue gegenüber Gottes Weisungen und Prüfungen bewährt, vornehmlich in Gen 22, aber auch in Gen 17. Andere frühjüdische Texte zeichnen Abraham dagegen im Lichte seines Aufbruchs aus Ur (Gen 11,31–12,7) als den ersten, der sich vom Götzendienst abwendet und den wahren Gott anerkennt, ohne dazu das Wortfeld „glauben“ zu bemühen. Schließlich wird Abraham zum Vater aller Proselyten, allermeist ohne ausdrücklichen Bezug auf Gen 15,6. (1) Alexander Polyhistor zitiert einen gewissen Eupolemus und berichtet, Abraham – in der chaldäischen „Stadt Urie“ (= Ur in Chaldäa) geboren – habe „an Adel und Weisheit alle übertroffen, … die Astrologie und die chaldäische Kunst erfunden und als Bahnbrecher der (wahren) Frömmigkeit bei Gott Wohlgefallen erlangt“. Von dort sei er auf göttlichen Befehl hin nach Phönizien (= das biblische Kanaan) gegangen und habe die Phönizier die Astronomie und „alles übrige“ gelehrt.81 Ein weiteres Zeugnis findet sich bei Josephus. In seinen Antiquitates Iudaicae stellt er Abraham als Mann mit großer Überredungsgabe und selten irrender Urteilskraft dar; und „da er auch tugendhaft war und im Ansehen eines weisen Mannes stand, beschloss er, die hergebrachten falschen Ansichten von Gott in richtige umzuwandeln.“82 Zum Beweis für seine Darstellung der Ansichten Abrahams schöpft er aus einer Schrift, die Hekataios zugeschrieben wird. In Me80 So stehen in syrBar 42,2 die „Gläubigen“ denjenigen gegenüber, die in 41,3 „das Joch deines Gesetzes von sich geworfen haben“. Vgl. syrBar 54,5 „die sich in Zuversicht dir unterworfen haben und deinem Gesetz“; am Ende werden „die Treuen ihrer Treue gemäß“ verherrlicht (V. 21). „Des ewigen Gesetzes Leuchte“ wird „den Gläubigen … die Verheißung ihres Lohnes ankündigen“ (syrBar 59,2). – Auch 4Esr 13,23 bringt „Werke und Glauben“ zusammen, wozu „Werke oder Glaube“ in 9,7 f. nicht in einen Gegensatz gebracht werden sollte, wie „mich (= Gott) erkennen im Leben“ (V. 10) und die Möglichkeit zur „Umkehr“ (V. 12) zeigen. In 6,28 erscheint das Gesetz als „Wahrheit“, seine Erfüllung im Tun als „Glaube“ (so J. Schreiner, Das 4. Buch Esra [JSHRZ V/4], Gütersloh 1981, 337); vgl. 7,34–35: „Die Wahrheit besteht, der Glaube erstarkt, das Werk folgt nach, der Lohn zeigt sich, die gerechten Taten erwachen, die ungerechten schlafen nicht mehr.“ 81 Ps.-Eupolemus, Fragment I, aus der ersten Hälfte des 2. Jh. v., erhalten bei Eusebios, Praep. Ev. IX 17,2–9, übersetzt von N. Walter, Fragmente jüdisch-hellenistischer Historiker, in: JSHRZ I/2, Gütersloh 1976, 141–143. 82 Ant. 1,154 (Übersetzung von H. Clementz, Des Flavius Josephus Jüdische Altertümer, Wiesbaden 81989, 38).
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sopotamien habe Abraham beobachtet, wie sich Erde, Meer und die Vorgänge am Himmel ständig verändern, und daraus als erster geschlossen: „Gott sei der Eine Schöpfer aller Dinge.“ Als sich deshalb die Chaldäer gegen ihn erhoben, „beschloss er umzusiedeln und nahm nach Gottes Willen und mit seiner Hilfe das Land Chananäa (= Kanaan) in Besitz …“83 Den (aus Gen 12 bekannten) anschließenden Aufenthalt in Ägypten nutzt Abraham hier, um den Ägyptern ihren Götzendienst als sinnlos und töricht darzutun; auch unterweist er sie in der Rechenkunst und Astronomie. Sowohl bei Pseudo-Eupolemus als auch bei Pseudo-Hekataios steht Abraham für ein weltoffenes Judentum. Der erste Monotheist dringt weder auf Abgrenzung von den Völkern noch auf peinliche Beachtung des Kultus, sondern vermittelt die Errungenschaften von Kultur und Wissenschaft.84 (2) Abrahams Konversion vom Götzendienst zur Erkenntnis des wahren Gottes noch in Chaldäa kann aber erstaunlicherweise gegen die biblische Überlieferung auch mit Gen 15 verbunden werden. So kommen wahre Gotteserkenntnis und „glauben/vertrauen“ bei Abraham schon in Mesopotamien zusammen. Zu den Besonderheiten des schon erwähnten Textes 4Q225 (Pseudo-Jubiläen) gehört der Anfang des Fragments in Kol. I. Vor dem Einsatz mit Gen 15,2 in Z. 3 findet sich die Bemerkung: „(2) [… und er woh]nte in Haran zwan[zi]g [Ja]hre (3) […]“85 Die Handschrift lokalisiert damit Gen 15 in Haran, also vor Gen 12, und versetzt damit Mehrungsverheißung, Glaube und Anrechnung zur Gerechtigkeit an den Anfang der Wege Gottes mit Abraham. Leider lässt sich diese Interpretation nicht sicher erweisen, weil der unmittelbare Kontext der kurzen Notiz wegen des fragmentarischen Charakters der Handschrift nicht erhalten ist. Immerhin legen Text und chronologische Angaben in 4Q252 Frg. 1, II 8–13, ähnliche Schlussfolgerungen nahe. Auch hier ist der Text nur noch fragmentarisch erhalten. Die Z. 8–10 berichten davon, dass Abraham bei seiner Ankunft mit seinem Vater Terach in Haran 70 Jahre alt war und dort fünf Jahre blieb, bevor er mit 75 Jahren ins Land Kanaan aufbrach. Die Z. 11–12 fahren mit Anspielungen auf Gen 15,9.17 fort, während Z. 13 den Ritus als Opfer deutet und mit der Bemerkung „für den Auszug Ab[rams ins Land] Kanaan“ zeitlich noch in Haran einordnet; dazu passt auch die schon in Z. 8, also vor seinem Auszug aus Ur erwähnte Landgabe Gottes „für Abraham, seinen Freund“.86 83 Ps.-Hekataios II, Frg. 1, aus der 1. Hälfte des 1. Jh. v. Chr., erhalten bei Josephus, Ant. I, 154b–168, übersetzt von Walter, Fragmente, 158 f. 84 Vgl. Artapanos bei Alexander Polyhistor, Frg. 1 (JSHRZ I/2, 127). 85 Text in: VanderK am/M ilik, 4Q225, 145–146; Übersetzung von Maier, Qumran II, 180. – Jub 12,15 befristet den Aufenthalt Abrahams in Haran auf 14 Jahre, 4Q252 Frg. 1 Kol. II,10 auf zehn Jahre, andere Texte auf fünf. 86 Text und engl. Übersetzung von 4Q252 durch J. L. Trafton, in: DSS 6B, Tübingen 2002, 203–219, bes. 213; dtsch. bei Maier, Qumran II, 196 f. Zur hier vertretenen Deutung
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II. Zur Abrahamüberlieferung
In dieselbe Richtung weist die Differenz in der Chronologie zwischen den 430 Jahren aus Ex 12,40, die Paulus in Gal 3,17 als Zeitraum zwischen der Verheißung (an Abraham) und dem Gesetz (am Sinai) deutet, und den 400 Jahren Bedrückung, die Gen 15,13 ankündigt. Siegfried Kreuzer hat sie mit Hinweis auf GenR 18 (81a) erhellt.87 Weil Gott in Gen 15,13 dem Abraham ankündigt, sein Same werde Fremdling sein, beginnt die in GenR 18 (81a) bewahrte jüdische Tradition die 400 Jahre von der Geburt Isaaks an zu zählen. Dann aber müssen die in Gal 3,17 genannten 430 Jahre 30 Jahre vor der Geburt Isaaks liegen, die nach Gen 17,17; 21,5 im einhundersten Lebensjahr Abrahams stattfindet. Nach dieser Rechnung war Abraham zur Zeit von Gen 15 also 70 Jahre alt, befand sich aber – wie aus Gen 12,4 hervorgeht – noch in Ur! Auch MekhY (19a) zu Ex 12,40 diskutiert das Problem der divergenten Chronologie von Gen 15,13 und Ex 12,40: „Wie werden diese beiden Stellen (nebeneinander) aufrechterhalten? Dreißig Jahre bevor Isaak geboren wurde, ist der Beschluß zwischen den Stücken festgesetzt worden.“88 Paulus hat offenkundig die in GenR 18 und MekhY, wahrscheinlich aber auch in 4Q225 und 252 Frg. 1 erhaltene jüdische Tradition gekannt, die Gen 15 als Zeugnis für Abrahams Konversion vom ‚Heiden‘ zur Verehrung des wahren Gottes verstanden hat. Er hat mit ihr in Gal 3,17 die Abrahamverheißung und den ihr antwortenden Glauben Abrahams in Gen 15 als Anfang des Gottesverhältnisses Abrahams gedeutet.89 Weil Paulus jener jüdischen Tradition folgt, die Gen 15 vor 12 einordnet, kann er Abraham in Röm 4,5 als Beispiel für die Rechtfertigung eines Gottlosen nennen. Denn in diesem Sinne wurde Abraham in Mesopotamien tatsächlich „als Heide inmitten einer heidnischen Umwelt“ berufen.90 (3) Das wird nirgends so detailliert erzählt wie im ersten Teil der Apokalypse Abrahams (ApkAbr 1–8), einer Haggada aus der Zeit zwischen 70 und 136 n. Chr.91 Sie berichtet, wie Abraham im Hause seines Vaters in Mesopotamien s. M. J. Bernstein, 4Q252. From Re-Written Bible to Biblical Commentary, JSJ 45 (1994), 1–27, bes. 13–14, und S. Kreuzer, „Der den Gottlosen rechtfertigt“ (Röm 4,5). Die frühjüdische Einordnung von Gen 15 als Hintergrund für das Abrahambild und die Rechtfertigungslehre des Paulus, ThB 33 (2002) 208–219. Zu 4Q225 und 252 sowie zum Topos „Freund Gottes“ s. R. G. Kratz, „Abraham, mein Freund“. Das Verhältnis von inner- und außerbiblischer Schriftauslegung, in: A. C. Hagedorn/H. Pfeiffer (Hg.), Die Erzväter in der biblischen Tradition, FS M. Köckert (BZAW 400), Berlin 2009, 115–136, bes. 129–131. 87 Kreuzer, Gottlose, 217. 88 Mekh Ex 12,40 nach Bill. II, 670. – Auch der „Seder Olam Rabba vertritt die übliche rabbinische Datierung, dass Abraham beim Bund zwischen den geteilten Opfertieren (Gen 15) 70 Jahre alt war, diese Szene also Gen 12 vorzureihen ist“ (G. Stemberger, Die Stephanusrede [Apg 7] und die jüdische Tradition, in: Ders., Studien zum rabbinischen Judentum [SBAB.AT 10], Stuttgart 1990, 229–250, 231). 89 Vgl. das Zitat von Gen 15,6 in Gal 3,6. 90 Kreuzer, Gottlose, 219. 91 Deutsche Übersetzung des slawischen Textes von B. Philonenko-Sayar/M . Philonenko, Die Apokalypse Abrahams (JSHRZ V/5), Gütersloh 1982. Zu Abraham als erstem
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durch Nachdenken und Experimentieren mit Götterbildern erkennt, dass die Götter(bilder) sich selber nicht helfen können und deshalb nutzlos für ihre Verehrer sind. Daraufhin will er „den Gott suchen, der alles geschaffen hat, nicht die von uns erdachten Götter“ (7,6). Deshalb bittet er: „Möge Gott sich selbst uns offenbaren“ (7,8)! Im Erweis des wahren Gottes als des Schöpfers der Welt und in der Trennung Abrahams von seinem Vaterhaus kommt die Konversion Abrahams in 8,1–5 ans Ziel. Eine erneute Gottesoffenbarung (Kap. 9), noch in seiner Heimat, ist ganz an Gen 15,1.9 orientiert, nimmt aber zunächst weder die Verheißungen92 noch Gen 15,6 auf, sondern führt statt dessen detailliert die Vorbereitungen des Opfers Gen 15,993 und die Zukunftsschau von Gen 15,13–17 aus (ApkAbr 9–19; 26,5–29,19). Vom Glauben Abrahams ist expressis verbis nie die Rede, doch wird Gen 15 als Abrahams Berufung nach seiner Hinwendung zum einzigen wahren Gott in seiner mesopotamischen Heimat stilisiert. Noch weiter geht das Jubiläenbuch, das Abrahams Erkenntnis, Götzendienst sei Irrtum, schon ins Kindesalter verlegt. Bereits mit 14 Jahren trennt er sich in Ur von seinem Vater, „damit er nicht mit ihm den Götzen anbetete. Und er fing an, anzubeten zum Schöpfer aller Dinge, dass er ihn errette aus dem Irrtum der Menschenkinder …“ (11,17).94 Im Alter von 60 Jahren verbrennt er schließlich die Götzenbilder seines Vaters (12,12 ff.), bevor er mit seinem Vater Tara Ur verlässt. (4) Anders als das Jubiläenbuch zeichnet Philo den Ahn95 nicht als Eiferer, der Götzen verbrennt, sondern als exemplarischen Weisen.96 Als Chaldäer und damit als Astrolog97 und Verehrer der für göttlich gehaltenen Himmelskörper Jhwh-Verehrer in ApkAbr und Jub s. B. Ego, Abraham’s Faith in the One God – A Motif of the Image of Abraham in Early Jewish Literature, in: H. Lichtenberger/U. Mittmann-Richert, Deuterocanonical and Cognate Literature Yearbook 2008, Berlin 2008, 337–354. 92 Erst in Kap. 20 folgt eine Paraphrase von Gen 15,4–5. 93 Mit Anspielungen auf Gen 22,2, in 9,8, aber ganz im Kontext des Ritus mit den Tieren von Gen 15,9 ff., der als Opfer gedeutet wird. 94 Jub 11,17, übersetzt von Berger, Jubiläen, 389. Die verschiedenen anekdotischen Ereignisse in Mesopotamien werden freilich nicht mit Gen 15 verbunden; die Paraphrase von Gen 15 in Jub 14 spielt bereits in Kanaan. 95 Für Abraham einschlägig sind vor allem die Traktate De Abrahamo und De Virtutibus aus der Schriftenreihe Expositio Legis in: L. Cohn/P. Wendland u. a. (Hg.), Philonis Alexandrini: opera quae supersunt. I–VII, Berlin 1962 (Nachdr.). Die deutschen Zitate folgen: L. Cohn/I . Heinemann u. a. (Hg.), Die Werke Philos von Alexandria in deutscher Übersetzung. I–VII, Berlin 21962–1964. Zu Abraham bei Philo s. die knappe und sehr instruktive Skizze von F. Hahn (Die Gestalt Abrahams in der Sicht Philos, in: Ders., Die Verwurzelung des Christentums im Judentum. Exegetische Beiträge zum christlich-jüdischen Gespräch, hg. v. C. Breytenbach, Neukirchen-Vluyn 1996, 160–171) und die ausführliche Darstellung von M. Böhm (Rezeption und Funktion der Vätererzählungen bei Philo von Alexandria. Zum Zusammenhang von Kontext, Hermeneutik und Exegese im frühen Judentum [BZNW 128], Berlin 2005). 96 Abr. 68; Abraham ist ein Weiser, dem Gott in Gen 12,7 erschien (Abr. 80); vgl. die eigenwillige Etymologie des neuen Namens Abraham in Abr. 82–84. 97 Dieser Topos begegnet schon in Jub 12,16.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
herangewachsen, entdeckt Abraham in den Ordnungen des Kosmos den einen wahren Gott: Er öffnete wie aus tiefem Schlafe das Auge der Seele und begann statt tiefer Finsternis reinen Lichtglanz zu schauen; er folgte diesem Licht und nahm wahr, was er vorher nicht gesehen hatte, einen Lenker und Leiter der Welt, der über sie waltet und in heilsamer Weise sein Werk regiert … (Abr. 70).98
So kommt Abraham als erster zur Erkenntnis des einen Gottes und gewinnt durch göttliche Offenbarungen und durch Erforschung „klarere Anschauungen … von seinem Dasein und seinem fürsorglichen Walten“ (Virt. 215). Deshalb wird Abraham „ein Muster an Adel für alle Proselyten“ genannt (Virt. 219).99 In diesem Zusammenhang zitiert Philo ausdrücklich Gen 15,6, allerdings nur den ersten Satz.100 Abraham ist der erste, von dem gesagt wird, „dass er an Gott glaubte“ (Virt. 216). Glaube ist für Philo die Gewissheit, „dass es eine oberste Ursache gibt und dass sie über die Welt und alles in ihr fürsorglich waltet“ (Virt. 216), oder mit Abr. 262.268 gesprochen: Vertrauen auf Gott, (worin enthalten sind) der Trost des Lebens, die Erfüllung guter Hoffnungen, das Fehlen alles Bösen und eine Fülle des Guten, das Aufgeben des Gefühls der Unseligkeit, die Erkenntnis der Gottesverehrung …
„Auf Gott allein zu vertrauen“ und sich von den vergänglichen Dingen rein zu halten, erfordert Anstrengung und ist deshalb für Philo „das Werk einer großen, erhabenen Gesinnung, die sich nicht mehr durch etwas Irdisches betören lässt“ (Her. 93). Hier wird πιστεύειν τῷ θεῷ ausdrücklich als ἔργον bezeichnet. Zugleich gilt nichts als „so gerecht (δίκαιος) wie auf Gott allein reines und ungetrübtes Vertrauen zu setzen“ (Her. 94). Auf diese Weise deutet Philo Gen 15,6 ganz und gar ethisch.101 Ein derartiges Vertrauen nennt Philo die „Königin der Tugenden“ (Abr. 270). Als Urbilder dieser Tugend erscheinen Abraham und die anderen Väter. Mit den tugendhaften Ahnen hebt er zugleich die edle Herkunft des Volkes hervor. Philo zeigt den mit dem Judentum sympathisierenden Nichtjuden an Abraham, dass das Bekenntnis zum Monotheismus und die Vernunft durchaus Geschwister sind. Das erklärt vielleicht auch den auffälligen Tatbestand, dass der Gesinnungswechsel Abrahams weder in De Abrahamo noch in De Virtutibus. mit der Beschneidung verbunden wird.102 Spätestens seit der Niederlage der hellenis98 Philo,
Abr. 70; vgl. Virt. 212–214. ἅπασιν ἐπηλύταις εὐγενείας ἐστὶ κανῶν. Zu Abraham als Beispiel für ein für Proselyten offenes Judentum vgl. Spec. 1,51–52; 4,176–178; Praem. 152. 100 Gen 15,6 wird freilich komplett in einer der LXX nahestehenden Fassung in Her 90–95 zitiert und kommentiert. 101 Böhm, Rezeption, 283. 102 Auf das „deutlich erkennbare Desinteresse Philos an den theologischen Themen Nachkommenschaft, Segen, Land, Bund und Beschneidung“ macht Böhm, Rezeption, 137, aufmerksam. 99 Οὗτος
6. Abrahams Glaube in Röm 4 und im vorpaulinischen Judentum
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tischen Reformer in der Makkabäerzeit war die Beschneidung signum eines Juden geworden und gehörte zu den festen Akten beim vollen Übertritt zum Judentum.103 Mit der Beschneidung übernimmt der Proselyt die Verpflichtung zur Einhaltung der gesamten Tora.104 Aber gerade bei Abraham, dem ersten Proselyten, übergeht Philo in De Abrahamo Gen 17 und die Beschneidung völlig. Das ist umso auffälliger, als er anderwärts die Beschneidung durchaus würdigen kann.105 Obwohl die Beschneidung auch bei Philo für den Übertritt zum Judentum notwendig ist, tritt sie als ‚national-religiöses Identitätszeichen‘ merklich in den Hintergrund; denn der Proselyt beschneidet „nicht seine Unbeschnittenheit, sondern seine Begierden“.106 (5) Für diese vorsichtige Neutralisierung der Beschneidung zumindest in der Diaspora und in der Darstellung nach außen gibt es einige, wenn auch wenige Indizien. Seit dem 2. Jh. v. Chr. hat es hellenistische Strömungen im Judentum gegeben, die im Zuge von Assimilationsbestrebungen die Beschneidung ablehnten, ja sogar durch mancherlei medizinische Kunstgriffe rückgängig zu machen suchten (1 Makk 1,11 ff.). Allerdings hat der Sieg der makkabäischen Richtung diese Stimmen weitgehend unhörbar gemacht. Sie sind – vor allem in der Diaspora – aber nicht gänzlich verstummt. In zeitlicher Nähe zu Paulus wendet sich der „gemäßigte Allegorist“ Philo in Migr. 89–93 gegen alexandrinische Juden, die als „radikale Allegoristen“ offenbar auch das Beschneidungsgebot allein auf die Entfernung von Lust, Begierde und gottlosen Wahn beziehen.107 Leider erfährt man nichts über deren tatsächliche Praxis.108 Ähnliche Gruppen werden später selbst in Palästina vorausgesetzt.109 103 Nach der Tat Judiths heißt es vom Ammoniter Achior: „Als Achior sah, was alles der Gott Israels gewirkt hatte, glaubte er fest an (diesen) Gott, ließ sich beschneiden und wurde in das Haus Israel aufgenommen“ (Jdt 14,10). 104 Josephus, Ant. 13,257 f.; 318 f.; 20,139.145 f. u. a. 105 Die Beschneidung erscheint in Spec. 1,1–11 nicht etwa als exklusives Zeichen des Bekenntnisses zum Judentum, sondern wird medizinisch-hygienisch, mit größerem Kinderreichtum, mit der Beschneidung des Herzens, der Beschränkung der Sinnesfreuden und der Beseitigung von Selbstüberschätzung begründet; s. dazu auch Böhm, Rezeption, 186, 326: Philo öffnet auf diese Weise Themen, die „exklusiv auf das jüdische Ethnos bezogen“ waren „grundsätzlich für jedes tugendbegabte und strebende Individuum … Einzige Bedingung war, der Mosephilosophie getreu zu leben. Diese Bedingung schloss die Beschneidung … ein. Insofern hat er zwar das Judentum nach außen hin geöffnet – dessen traditionelle Konstituenten jedoch nicht aufgegeben.“ 106 Quaest. in Ex II,2. 107 A. Blaschke, Beschneidung. Zeugnisse der Bibel und verwandter Texte (TANZ 28), Tübingen 1998, 210–213. Zu weiteren stark hellenisierten Gruppen und Personen in Alexandria s. VitMos I,30 f.; Conf. 2 und H. A. Wolfson, Philo. Foundations of Religious Philosophy in Judaism, Christianity, and Islam, I, Cambridge/Mass. 1947, 82 ff. Zu weiteren möglichen Zeugnissen s. Blaschke, Beschneidung, 322, und die Diskussion der jeweiligen Texte an ihrem Ort. 108 Die an die Schrecken der Makkabäerzeit angelehnte Schilderung der Endzeit in AssMos 8,2 berichtet von der Verfolgung derer, die sich „zur Beschneidung bekennen“, wie derer, die
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Josephus berichtet vom Wunsch des Prinzen Izates von Adiabene, zum Judentum überzutreten.110 Dabei wird auch die Frage der Beschneidung diskutiert. Während zunächst der jüdische Kaufmann Ananias die Ansicht vertritt, „Izates könne Gott auch ohne Beschneidung verehren“ (Ant. 20,41), überzeugt der Galliläer Eleazar, wohl ein Pharisäer, den Prinzen, sich beschneiden zu lassen; denn Unbeschnittenheit sei „Gottlosigkeit“ (20,45).111 Für die Proselyten kommt Blaschke nach Diskussion der rabbinischen Texte denn auch zu dem Ergebnis: „Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass man im Judentum des 1. Jhs. n. Chr. bereit gewesen wäre, Nichtjuden ohne Vollzug der Beschneidung als Proselyten anzunehmen.“112 Doch zeigen die in den Diasporasynagogen nachweislich vorhandenen „Gottesfürchtigen“113, dass es durchaus Sympathisanten mit dem Judentum gab, denen die Verehrung des einen Gottes Heil genug war auch ohne Beschneidung.114 2.4 Anknüpfung und Widerspruch Paulus und den Adressaten des Römerbriefs war eine erstaunlich bunte Abrahamüberlieferung vorgegeben, die schon in der Bibel und erst recht danach unterschiedliche Deutungen erfahren hatte. Zu diesen Vorgaben gehören auch Abrahams Glaube und seine Gerechtigkeit (Gen 15,6). Die Adressaten waren mit einer Deutung Abrahams vertraut, die dessen Glauben als in Taten bewährte Treue verstand (Neh 9; Sir 44; Jub 17,18; 18,6). Dieses Deutungsmuster war damals sicher weiter verbreitet, als uns heute aus Texten bekannt ist; und umgekehrt müssen die uns bekannten Texte zu diesem Deutungsmuster keineswegs alle auch den Adressaten damals vertraut gewesen sein. Diese Deutung konnte sich in verschiedener Weise auf die Abrahamüberlieferung berufen. Entweder dachte man an Abrahams Bewährung in den zehn „Versuchungen“, von denen die Hingabe des verheißenen Sohnes in Gen 22 sie verleugnen und sogar rückgängig zu machen suchen. Ob in dem Endzeitgemälde auf zeitgeschichtlich fassbare Gruppen angespielt wird, lässt sich kaum noch klären. 109 SifBam § 112 zu Num 15,31; TPsJ und TO zu Ex 12,43–50 (Diskussion bei Blaschke z. St.). 110 Josephus, Ant. 20,34–53 (mit ausführlicher Diskussion bei Blaschke, 233–240). 111 Blaschke urteilt: Ananias habe dem Prinzen nicht dazu geraten, Proselyt ohne Beschneidung zu werden, sondern dazu, ein Gottesfürchtiger zu bleiben (Beschneidung, 236). 112 Blaschke, Beschneidung, 293. 113 Die θεοσεβείς erscheinen in der Inschrift von Aphrodisias auf Seite b (nach einer Leerzeile) in den Zeilen 35 ff. als eigene Gruppe, darunter mehrere Ratsherren (Text und Übersetzung bei B. Wander, Gottesfürchtige und Sympathisanten. Studien zum heidnischen Umfeld von Diasporasynagogen (WUNT 104), Tübingen 1998, 235–239; die Inschrift wird mit den epigraphischen Zeugnissen auf S. 95–137 behandelt. 114 Zu den zahlreichen damit verbundenen Problemen s. den kurzen und instruktiven Exkurs bei Böhm, Rezeption, 99–104, und Wander, Gottesfürchtige.
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eine besondere Rolle spielte (Sir 44; Jub 17; 4Q225). Oder man verstand die Beschneidung in Gen 17 als „Zeichen des Bundes“ und in diesem Sinne als unerlässliche Tat der Treue (so Sir 44 und Jub) wie den Gehorsam gegenüber der Tora in Gen 26,5 überhaupt (Jub; Sir 44; 1 Makk 2,52). Gerade in Taten wie diesen bestand Abrahams Gerechtigkeit (Sir 44; Jub 23,10; 1 Makk 2,52) wie auch die ihre; denn angerechnet werden von Gott allein Werke: der Kampf gegen den Götzendienst (Ps 106,31) oder die Erfüllung der Vorschriften der Tora (4QMMT). Zu diesen Werken gehören auch die Taten des Glaubens: Geduld in Widrigkeiten (Jub 17,18; 19,8–9) und eine Gott wohlgefällige Lebensführung (Jub 23,10). Auch Paulus speist seine Argumentation in Röm 4 vornehmlich aus der bekannten jüdischen Tradition, allerdings nicht ohne weiteres aus der, auf die sich seine Adressaten beziehen. Deshalb kommt er zu neuen Deutungen. (1) Paulus zitiert Gen 15,6 mehrfach (Röm 4,3.9.22), stets nach der Septuaginta.115 Die geringen Abweichungen verdanken sich der Einbettung in den paulinischen Kontext. – (2) Paulus bezieht Abrahams „Glauben“ auf die voranstehende Verheißung Gottes und versteht ihn deshalb ganz als „Vertrauen“ auf Gottes Macht (Röm 4,18.20 f.); und es ist dieses Vertrauen, das von Gott „angerechnet“ wird (Röm 4,22). Nichts anderes lesen wir in Jub 14,6.21 und in 4Q225. – (3) Paulus argumentiert damit, dass Abraham glaubte, als er noch unbeschnitten (Röm 4,10–12) und ἀσεβής (Röm 4,5), also noch kein Jude war. Genau das bringen auf sehr verschiedene Weise die Texte zur Geltung, die in Abraham den ersten sehen, der – schon im heidnischen Vaterhaus – zur Erkenntnis des einen wahren Gottes gelangt ist und allein ihn verehrt hat: einerseits Pseudo-Eupolemos, Pseudo-Hekataios und Philo, ApkAbr und Jub 11–12 (ohne die Verehrung des einen Gottes mit Gen 15,6 zu verbinden), anderseits die Texte, die Gen 15 noch in Chaldäa lokalisieren (4Q225 I und 4Q252). – (4) Paulus polemisiert in Röm 4 nicht gegen die Beschneidung, er erklärt sie sogar als „Siegel auf die Glaubensgerechtigkeit“116 (Röm 4,11), aber er neutralisiert sie für Nichtjuden, sofern sie glauben. Das erinnert bis zu einem gewissen Grade an Philon. Allerdings bricht an diesem Punkt größter Nähe auch der stärkste Widerspruch auf. Zwar gab es, vor allem in der Diaspora, die Möglichkeit, sich als „Gottesfürchtiger“ der Synagoge mehr oder weniger lose anzuschließen. Aber ohne Beschneidung konnte man nicht Proselyt werden. Der Abrahamüberlieferung entnimmt Paulus, dass gerade der unbeschnittene Abraham, also der ‚Heide‘ zum Glauben an den wahren Gott gekommen ist. Wenn aber dieser Glaube von Gott zur Gerechtigkeit angerechnet wird, bedarf es der Beschneidung nicht mehr, um von Gott gerecht gesprochen zu werden. Dann ist die Beschneidung 115 Der Aorist in V. 6a hat im Narrativ von 4Q225,7 sogar ein hebräisches Äquivalent, und die passive Formulierung in V. 6b begegnet nicht nur in Jub 14,6 und 1 Makk 2,52, sondern ist ebenfalls hebräisch in 4Q225,8 bezeugt; vgl. 4QMMT C 31 f. 116 Auch das stammt aus jüdischer Tradition (aram. TestLevi s. o. Anm. 26).
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II. Zur Abrahamüberlieferung
für Nichtjuden nicht mehr notwendig. In diesem Sinne ist Abraham fortan nicht mehr allein Vater der Juden und der Proselyten, sondern der Vater aller, die glauben wie er. Sein Glaube war primär eben keine in Taten des (Gesetzes-) Gehorsams bewährte Treue, weder ein ἔργον der Gesinnung noch eine Tugend wie bei Philo, sondern zunächst einmal rückhaltloses Vertrauen in den, der tun wird, was er verheißen. Dass sich dieses Vertrauen dann auch in Taten der Treue bewährt, gehört freilich zu seinen Folgen.
7. Hagar und Ismael Politische Aspekte im Wandel der Überlieferungen Erzählungen vom Ursprung eines Volkes und seiner Nachbarn in ihren Ahnen haben immer politische Dimensionen. Diese kommen nicht nur in Verheißungen von Nachkommen und Land zu Wort,1 sondern auch in Völkersprüchen und Geburtsorakeln. In einer genealogisch geordneten Welt können Geschichten vom Ursprung eines Volkes nur als Geschichten von Familien erzählt werden.2 Politisch ist schon die Art der Verwandtschaft. Politisch sind auch die Umstände der Geburt; man denke an Isaak, und man denke an Moab und Ammon. Nicht anders verhält es sich mit den Überlieferungen von Hagar und Ismael. Auch sie haben eine völkergeschichtliche Perspektive, doch ist die Quellenlage hier komplizierter. Moab und Ammon sind in der Bibel ein Volk. Gilt das auch für Ismael? Oder ist Ismael wie Abraham und Lot der Ahn von Völkern? Von Moab und Ammon berichten biblische Texte und altorientalische Quellen.3 Gibt es derartige Zeugnisse auch für Ismael?
1. Ismael als Ahnvater und die šumuʾil der Assyrerzeit 1.1 Ismael – ein uraltes Nomadenvolk in Südpalästina? Schon Theodor Nöldeke und Hermann Gunkel haben die Erzählungen von Hagar und Ismael in einer völkergeschichtlichen Perspektive auf „das alte Volk Ismael“ gedeutet, von dem freilich „kein historischer Bericht meldet“.4 Aller1 S. den Beitrag von R. G. Kratz, Die Verheißungen an die Erzväter: Die Konstruktion ethnischer Identität Israels, in: M. G. Brett/J. Wöhrle (Hg.), The Politics of the Ancestors. Exegetical and Historical Perspectives on Genesis 12–36 (FAT 124), Tübingen 2018, 35–66. 2 Vgl. E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte (WMANT 57), Neukirchen-Vluyn 1984, 479–491; M. Köckert, Vätergott und Väterverheißungen. Eine Auseinandersetzung mit Albrecht Alt und seinen Erben (FRLANT 142), Göttingen 1988, 307–308, 310. 3 Vgl. U. Hübner, Die Ammoniter. Untersuchungen zur Geschichte, Kultur und Religion eines transjordanischen Volkes im 1. Jahrtausend v. Chr. (ADPV 16), Wiesbaden 1992, 15–130; St. Timm, Moab zwischen den Mächten. Studien zu historischen Denkmälern und Texten (ÄAT 17), Wiesbaden 1989; E. Gass, Die Moabiter – Geschichte und Kultur eines ostjordanischen Volkes im 1. Jahrtausend v. Chr. (ADPV 38), Wiesbaden 2009, 5–137. 4 H. Gunkel, Genesis übersetzt und erklärt (HK 1/1), Göttingen 51922, 192; vgl. T. Nöldeke, Über die Amalekiter und einige andere Nachbarvölker der Israeliten, Göttingen 1864, 3–6.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
dings weiß Gen 25,18, dass die Söhne Ismaels „östlich von Ägypten“ wohnen. Deshalb brachte man die Ismaeliter kurzerhand mit Nomaden zusammen, die an der Wende vom 2. zum 1. Jahrtausend in Südpalästina gelebt haben sollen. Die zeitliche Ansetzung folgte jedoch nur aus der Frühansetzung des Jahwisten, dem man den Kernbestand von Gen 16 und 25,18 zuschrieb. Andere Evidenzen gab es dafür nicht. 1.2 Ismael – ein Stämmebund in Nordwestarabien im 7. Jh. v. Chr.? Eine Wende in mehrfacher Hinsicht brachte Ernst Axel Knauf. Wie schon andere vor ihm5 verbindet er den biblischen „Ismael“ mit šumuʾil, womit assyrische Quellen aus dem 7. Jh. eine arabische Gruppe bezeichnen: „Der Gleichsetzung von Šumuʾil und Ismael steht nicht nur sprachlich nichts im Wege. Beide sind nach Texten aus etwa gleicher Zeit protobeduinische Stammesverbände im gleichen Gebiet. Šumuʾil und Ismael sind identisch.“6
Er deutet jene šumuʾil als eine „Stämmekonföderation“7 im Nordwesten der arabischen Halbinsel, die ihr Zentrum in Duma am Südende des Wadi es-Sirhan hatte. An ihrer Spitze stand der Stamm Qedar. Spätestens im 6. Jh. habe sich der Stämmebund aufgelöst, allerdings blieben die einzelnen Stämme bis in die persische, vereinzelt bis in die hellenistische Zeit erhalten, so die Nebaiot, Qedar, Adbeʾel u. a., die wir auch aus Gen 25,13–15 kennen. Diese Stämme operierten vor allem in Nordwest-Arabien, nur einzelne begegneten in Südpalästina.8 Weil Knauf die biblischen Befunde mit den assyrischen Texten verbindet, kann er die Ismaeliter räumlich und zeitlich genauer bestimmen. Anders als seine Vorgänger identifiziert er sie mit Ismaels Söhnen in 25,13–15, nicht mit deren Lebensraum „östlich von Ägypten“ in 25,18. Jene Gruppen sind seit der Assyrerzeit im nordwestarabischen Raum östlich des jordanischen belegt, was der lokalen Deutung des Stammesspruches in Gen 16,12 entspricht: 5 J. Lewy, The Late Assyro-Babylonian Cult of the Moon and its Culmination at the Time of Nabonidus, HUCA 19 (1945–1946) 432, Anm. 143; M. Weippert, Die Kämpfe des assyrischen Königs Assurbanipal gegen die Araber, WO 7 (1974) 39–85, 67 u. a. 6 E. A. Knauf, Ismael. Untersuchungen zur Geschichte Palästinas und Nordarabiens im 1. Jahrtausend v. Chr. (ADPV 7), Wiesbaden 1985, 21989, 45, vgl. 2, 39–40; ders., Art. Ishmaelites, ABD 3 (1992) 515–519; so auch U. Hübner, Early Arabs in Pre-Hellenistic Palestine in the Context of the Old Testament, in: U. Hübner/E. A. Knauf/R . Wenning, R. (Hg.), Nach Petra und ins Königreich der Nabatäer. Notizen von Reisegefährten. Für Manfred Lindner zum 80. Geburtstag (BBB 118), Bodenheim 1998, 34–48, bes. 38–40; ders., Art. Ismael/Ismaeliter, NBL Lfg. 7 (1992) 245. 7 Auch mit dieser Deutung folgt er Weippert, Kämpfe, 68. 8 So wurde der Stamm Adbeʾel von Tiglatpileser III. offensichtlich mit der Sicherung der Wege nach Ägypten betraut: „Den/Die Arab[er] Idibiʾilu [setzte ich als Torhüter des Landes Ägypten ein]“ (M. Weippert, Historisches Textbuch zum Alten Testament [Grundrisse zum AT 10], Göttingen 2010 = HTAT, Nr. 144 mit Anm. 66). In persischer Zeit findet sich der Stamm jedoch im nördlichen Ostjordanland.
7. Hagar und Ismael
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… östlich ( )על פניaller seiner Brüder wird er leben ()שכן.
Die Verbindung der Ismaeliter mit šumuʾil in den neuassyrischen Texten macht jedoch eine Entstehung der biblischen Überlieferung von Ismael vor dem 7. Jh. unwahrscheinlich. Knaufs Analyse von Gen 16 führt denn auch zu einer entsprechenden zeitlichen Ansetzung des ältesten Kerns in die Zeit Hiskias.9 Israel Finkelstein und Thomas Römer schließen aus Knaufs These sogar, dass Gen 16 die Expansion Judas in den Negeb während der ausgehenden Königszeit reflektiere.10 Zu dieser historischen Kontextualisierung passt freilich die lokale Deutung des Stammesspruches kaum. Die These Knaufs hängt wesentlich an der philologischen Verbindung des biblischen Ismael mit šumuʾil in den assyrischen Texten, an der historischen Auswertung jener Texte mit der Deutung von šumuʾil als Stämmebund und an der literarhistorischen Analyse der biblischen Texte. Vor allem hinsichtlich der Verbindung Ismaels mit den šumuʾil der assyrischen Texte und deren Deutung als proto-arabische Stämmekonföderation hat Knauf breite Zustimmung erfahren.11 Sie sei deshalb zuerst überprüft. 1.3 Ismael und šumuʾil – zwei verschiedene nomadische Gruppen? Gegen eine Identifizierung Ismaels mit šumuʾil hatte sich – schon vor Knaufs Neuansatz – Israel Ephʿal gewandt. In seiner umfassenden Aufarbeitung der akkadischen Texte zu den Protoarabern bringt er vor allem philologische Bedenken vor: Da es im Neuassyrischen analoge Personennamen zu Ismael gibt wie z. B. mIa-si-me-ʾ-AN oder mIš-me-AN (in Guzana und Kalach), sei es unwahrscheinlich, dass die Schreiber Assurbanipals Ismael mit šumuʾil wiedergegeben haben.12 Ran Zadok hat die Bedenken noch verstärkt. Er weist darauf hin, dass der von Knauf vorausgesetzte Vokalwechsel von o (šumuʾil) zu a (yišmaʾel)13 im Westarabischen des 7. Jh.s noch nicht begegnet, sondern erst sehr spät belegt 9 Knauf, Ismael, 35–36: Gen 16 gehöre „einer alten Ergänzungsschicht zur Grundschicht des Pentateuch an. Auch in der geistigen Haltung weist Gen. 16* Übereinstimmungen mit Denkern und Werken der hiskianischen Epoche auf “ (S. 36). 10 I. Finkelstein/T. Römer, Comments on the Historical Background of the Abraham Narrative, HEBAI 3 (2014) 13–14, verweisen dafür auf die Anwesenheit von Judäern in Kadesch Barnea während des 8. und 7. Jh.s. 11 So leider auch M. Köckert, Die Geschichte der Abrahamüberlieferung, in: A. Lemaire (Hg.), Congress Volume Leiden 2004 (VT.S 109), Leiden 2006, 103–128, bes. 121 [in diesem Bd. Nr. 2]; jüngst wieder E. Noort, Created in the Image of the Son. Ishmael and Hagar, in: M. Goodman u. a. (Hg.), Abraham, the Nations, and the Hagarites. Jewish, Christian, and Islamic Perspectives on Kinship with Abraham, Leiden/Boston 2010, 33–44, bes. 36–37, der den assyr. Namen Šumuʾil von dem Namen des nordarabischen Stammes Šamaʿʾil ableitet. 12 I. Ephal, The Ancient Arabs Nomads on the Borders of the Fertile Crescent 9th – 5th Centuries B. C., Jerusalem/Leiden 1982, bes. 167–169; er kehrt deshalb wieder zu der alten Meinung zurück, Ismael repräsentiere vielmehr süd-palästinische Gruppen um 1000 v. Chr. 13 Knauf, Ishmaelites, 515b.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
ist.14 Die von Knauf behauptete sprachliche Verbindung wird noch zweifelhafter, wenn man sieht, dass beide Namen zwei Typen zugehören, die strukturell völlig verschieden sind: Der theophore Personenname „Ismael“ ist im Hebräischen mit der Kurzform des Verbs שמעgebildet („er [El/Jhwh] hat erhört“), während der assyrische Name šumuʾil mit dem Nomen šumu(m) („Name“) gebildet ist („Name Ilus“). Beide Namenstypen sind in akkadischen Texten breit belegt; deshalb ist es äußerst unwahrscheinlich, dass man beide verwechselt und den einen mit dem anderen wiedergegeben hat.15 Eine Gleichsetzung beider ist also gegen die Annahme Knaufs16 philologisch ausgeschlossen. Indes fordert auch die historische Auswertung der assyrischen Belege durch Knauf nicht weniger Kritik heraus. Darauf hat jüngst Nadav Naʾaman hingewiesen.17 Wenn ich recht sehe, findet Knauf in den assyrischen Quellen nur drei Belege für šumuʾil, die alle aus dem 7. Jh. v. Chr. stammen.18 (1) Sanherib gibt einem der nach Westen gerichteten Tore Ninives den Namen: „Die ‚Begrüßungsgeschenke‘ von Šumuʾil19 und Tema kommen hier herein: das Wüstentor.“20 (2) In einer Bau-Inschrift Assurbanipals am Ischtar-Tempel in Ninive21 erscheint in Z. 113 ein „Yuhaitiʿ (ben Birdad), König von Šumuʾil“22, der ein antiassyrisches Bündnis eingegangen war. (3) In Z. 119 derselben Inschrift ist von einem „Yautaʿ (ben Hazaʾil), König von Šumuʾil“23 die Rede; er wird von Assurbanipal gefangen genommen und für die Vergehen des Yuhaitiʿ drastisch bestraft. Beide „Könige von Šumuʾil“ erscheinen jedoch anderwärts als „König von Qedar“ oder „König der Araber“.24
Knauf kann šumuʾil nur deshalb als „Bezeichnung eines Stämmebundes“ deuten, weil er den mageren Befund mit der biblischen Brille liest: Da Ismael in 14 R. Zadok, On Early Arabians in the Fertile Crescent, in: TA 17 (1990) 223–231, bes. 223–225. „The identification of Yšmʿʾl with Šmʿʾl (/*Šumuʿʾil/) is without morphological parallels or textual base“ (S. 223). 15 Briefliche Auskunft von Josef Tropper (08.02.2016), dem ich für seine philologische Beratung herzlich danke. 16 Knauf, Ismael, 6–7: „Ist die Gleichheit der beiden Namensformen auch nicht so einfach herzustellen, wie es versucht worden ist [er denkt an R. C. Thompson, The Inscription of Ashurbanipal from the Temple of Ishtar, AAA 20 (1933) 79–113 (Text und Übersetzung), 98], so ist ihre Gleichsetzung philologisch doch kein Problem.“ 17 N. Naʾaman, The Pre-Priestly Abraham Story as a Unified Exilic Work, SJOT 29 (2015) 157–181, bes. 162–163. 18 Knauf, Ismael, 1–3. 19 Šumuʾil und Tema haben hier jeweils das Determinativ für Mann. 20 Übersetzung von Knauf, Ismael, 1. 21 S. dazu Thompson, Inscription, und die engl. Übersetzung in ANET, 300b. 22 Mit Determinativ für Land. 23 Ebenfalls mit Determinativ für Land. 24 Beide mit Determinativ für Land; VAT 5600+, I 2; II 56; Prisma A VII 83; VIII 93 – s. u. Anm. 27–29.
7. Hagar und Ismael
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Gen 25,13–15 als Ahnherr seinen Söhnen voran steht, deutet Knauf auch šumuʾil als eine übergeordnete Größe, welche die protoarabischen Stämme verbindet.25 In den wenigen neuassyrischen Texten, die šumuʾil überhaupt nennen, erscheint die damit bezeichnete nomadische Gruppe dagegen als eine neben anderen, von denen Qedar die bedeutendste ist. Auch der Namen des Stadttores von Ninive legt nicht nahe, šumuʾil als eine Tema übergeordnete Größe zu verstehen; vielmehr steht die šumuʾil genannte Gruppe neben der Bewohnerschaft der Oase Tema, vielleicht als Bezeichnung für die Qedrener. Noch unsicherer wird die These von šumuʾil als „Stämmebund“, wenn man die Nachrichten über die Auseinandersetzungen Assurbanipals mit den Arabern in den anderen Texten historischen Inhalts einbezieht.26 Die Überlieferungsgeschichte der verschiedenen Fassungen ist sehr kompliziert. Deshalb beziehe ich mich jetzt auf Knaufs eigene Rekonstruktion.27 Es fällt auf, dass beide Könige, die in der Bauinschrift jeweils „König von šumuʾil“ genannt werden, in den Annalen über Qedar herrschen.28 Liegt es dann nicht näher, šumuʾil als eine Gruppe innerhalb des größeren Verbands Qedar anzusehen? Der einzige assyrische Vertrag mit Arabern, der als Vertragstext auf uns gekommen ist, wurde von Assurbanipal mit dem Stamm Qedar unter Abyataʿ ben Sahri geschlossen, den Assurbanipal zum König von Arabien ernennt.29 Aufschlussreich ist, dass als Vertragspartner der Stamm Qedar erscheint, nicht der von Knauf vorausgesetzte Stämmebund šumuʾil.30 Von Aktionen mehrerer arabischer Gruppen ist in den Annalen überhaupt nur zweimal die Rede, und zwar unter Führung des Yauta ben Hasaʾil vor jenem Vertrag mit Qedar unter Abyataʿ und dann unter Yuhaitiʿ ben Birdad. Alle drei werden als Herrscher über den Verband Qedar vorgestellt. Knauf erklärt den für seine Deutung ungünstigen Befund damit, dass der Stämmebund unter Abyataʿ „zwischenzeitlich zerbrochen“, aber unter Yuhaitiʿ ben Birdad „wiederbelebt“ worden sei. Von šumuʾil lesen wir jedoch auch bei diesen beiden Aktionen in den Annalen nichts.31 Offenbar hat es einen Stämmebund 25 Vgl.
Naʾaman, Abraham Story, 162. Es handelt sich vor allem um Prisma A VII 82–X 5 (Rm 1; M. Streck, Assurbanipal und die letzten assyrischen Könige bis zum Untergange Niniveh’s [Vorderasiatische Bibliothek 7], Leipzig 1916, 64–83; dtsch. Übersetzung bei Weippert, Kämpfe, 40–48) und um den Gottesbrief an Assur (VAT 5600+; Transkription und deutsche Übersetzung bei Weippert, Kämpfe, 74–85; vgl. auch G. Hoyland, Arabia and the Arabs. From the Bronze Age to the Coming of Islam, London/New York 2001, 61–62). 27 Für die Rekonstruktion der Araberkämpfe stützt sich Knauf im Wesentlichen auf Prisma B und VAT 5600+ (Ismael, 96–103), folgt aber in der Hauptsache Weippert, Kämpfe, 50–73. 28 Sie erscheinen auf Prisma A (VII 83; VIII 93, X 21 u. ö.) als šar mat Aribi oder auf den Prismen B VII 93–94 und der Tafel K 30 III 2′–3 als šar mat Qadari. Weippert deutet diese Bezeichnungen als vielleicht von den Assyrern „verliehene Titel“ (S. 66). 29 Text und Bearbeitung bei K. Deller/S . Parpola, Ein Vertrag Assurbanipals mit dem arabischen Stamm Qedar, Or NS 37 (1968) 464–465. 30 TUAT I/2, 177. 31 Hinzu kommt, dass jedenfalls Yuhaitiʿ ben Birdad und Abyataʿ in Prisma A IV 22 als 26
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II. Zur Abrahamüberlieferung
mit der Bezeichnung šumuʾil gar nicht gegeben. Das schließt nicht aus, dass sich nomadische Verbände, die die Assyrer zusammenfassend „Araber“ nannten, je und dann zu einzelnen Aktionen zusammengeschlossen haben. 1.4 Ismael – eine biblische Sammelbezeichnung für mehrere nomadische Gruppen in der Perserzeit Wenn die Verbindung von „Ismael“ mit akkadisch šumuʾil philologisch unwahrscheinlich ist und wenn es einen Stämmebund šumuʾil gar nicht gegeben hat, stellt sich die Frage, wie der Name Ismael anders erklärt werden kann. Morphologisch handelt es sich um einen Personennamen. Nadav Naʾaman deutet ihn als „a biblical exonym“: Der Autor der Abraham-Erzählung verschaffe mit ihm den westsemitischen Stämmegruppen der nordarabischen Wüstenregionen, welche die Assyrer „Araber“ nannten, einen gemeinsamen Ahn.32 Die biblischen Erzählungen von Hagar und Ismael sind keine uralten Erzählungen, aus mündlicher Überlieferung erwachsen, sondern für die Vätergeschichte erst in exilischer Zeit komponiert worden. Vor-exilische biblische Texte erwähnen als nomadische Gruppen zwar Midianiter, Amalekiter, Keniter und andere, die allesamt im Süden vorgestellt werden, nie aber Ismaeliter. Diese späte Ansetzung von Gen 16 begründet Naʾaman allerdings nicht mit eigenen Analysen; er beruft sich dafür lediglich auf Knauf, der die Hagar-IsmaelErzählung der Grundschicht des Pentateuch abspricht. Er übersieht aber, dass Knauf Gen 16 einer „alten Ergänzungsschicht“ aus der Zeit Hiskias an der Wende zum 7. Jh. zuschreibt. Deshalb müssen nun die biblischen Texte genauer in den Blick genommen werden.
2. Genesis 16 Von Wellhausen und Gunkel bis Blum und Levin gilt Gen 16, jedenfalls in seinem Grundbestand, als eine alte „geschlossene Einzelerzählung“.33 Sie verdient deshalb in unserem Zusammenhang besondere Beachtung.
gleichzeitig vorgestellt werden. Das verkleinert die von Knauf aufgestellte Königsliste der šumuʾil erheblich. 32 Naʾaman, Abraham Story, 163. 33 Blum, Komposition, 317; J. Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, Berlin 41963, 20, rechnet sie zu seinem Jahvisten; Gunkel, Genesis, 184 („Einsatz in Ja aus alter Quelle: Jb“), 192 (mit der Vermutung hohen Alters); C. Levin, Der Jahwist (FRLANT 157), Göttingen 1993, 147–150 (erkennt auf S. 149 in 16,1.3aα.b–4a.15 eine vorjahwistische Quelle, die – in seinem Modell – aus der Königszeit stammt).
7. Hagar und Ismael
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2.1 Zur Gestalt Der Wechsel von Ort und Personen markiert zwei Teile.34 Die beiden Szenen des ersten Teils V. 1–4a.4b–6 spielen im Haushalt des Ahnpaares und werden von Sara dominiert. Hagar erscheint nur als stummes Objekt und Mittel zum Zweck. Die beiden Szenen des zweiten Teils V. 7–12.13–16 erzählen von Hagars Begegnung mit dem Boten Jhwhs in der Wüstensteppe. Der zweite Teil setzt am Ende die Rückkehr Hagars in Abrahams Haushalt voraus. Beide Teile werden von der Hauptperson Hagar und vom Leitwort ענהin seinen verschiedenen Facetten zusammengehalten: Es erscheint in V. 6 im Piel als „demütigen“, in V. 9 im Hitpael als „sich demütigen“ und in V. 11 als Nomen „Demütigung“. Das erste Wort der Erzählung lautet „Sara“, ihr letztes „Abraham“; zwischen beiden stehen Hagar und am Ende auch der noch ungeborene Ismael.35 Schon die Exposition in V. 1 lässt eine Dreiecksgeschichte erwarten. Bleibt ein Dreiecksverhältnis stabil, kommt es zu keiner Spannung, die einen Ortswechsel erzwingt. Kommt es hingegen zum Konflikt, muss am Ende eine der drei Personen aus dem Verhältnis verschwinden. Das geschieht auch hier, indem Hagar in die Wüste flieht. Seit V. 4b und vollends seit V. 6 wird ein Ortswechsel und mit ihm die Zweiteilung der Erzählung unausweichlich. In der Exposition ist überdies ein Wechsel von Problem und Lösung angelegt.36 Der kehrt in der Erzählung mehrfach wieder, weil die ‚Lösungen‘ immer wieder neue Probleme schaffen, die nun ihrerseits nach Lösungen rufen.37 Das erste Problem besteht in der Kinderlosigkeit Saras (V. 2a). Sara will es dadurch lösen, dass sie Abraham ihre Sklavin Hagar gibt. Sie hofft, auf diese Weise durch jene zu einem Kind zu kommen (V. 2b). Diese Lösung führt auch zunächst zum Erfolg; denn Hagar wird schwanger (V. 4a). Sie führt aber auch zu einem zweiten Problem: Hagar achtet ihre Herrin gering (V. 4b), was Saras Klage auslöst (V. 5). Abraham löst das Problem, indem er Hagar der Willkür Saras ausliefert (V. 6a). Diese Lösung führt jedoch zu einem dritten Problem: Hagar flieht (V. 6b). Jetzt steht Sara wieder am Anfang, nun aber ohne Aussicht auf eine Lösung. Was für Sara ein Problem ist, bedeutet jedoch für Hagar zunächst die Lösung ihrer Probleme mit Sara (V. 8). Indes verbirgt sich in Hagars Antwort auf die Frage des Boten Jhwhs („Woher kommst du und wohin gehst du?“) ein neues Problem: Hagar weiß zwar, was sie hinter sich gelassen hat, kennt aber kein 34 Zur Struktur H. Irsigler, Erhörungsmotiv und Ismaelname in Gen 16,11 und 21,17, in: M. Görg (Hg.), Die Väter Israels. Beiträge zur Theologie der Patriarchenüberlieferungen im Alten Testament, Stuttgart 189, 107–138, bes. 113–114. 35 Vgl. T. Römer, Exodusmotive und Exoduspolemik in den Erzvätererzählungen, in: I. Kottsieper/R . Schmitt/J. Wöhrle (Hg.), Berührungspunkte. Studien zur Sozial- und Religions geschichte Israels und seiner Umwelt, FS Rainer Albertz, Münster 2008, 3–20, bes. 10. 36 So auch Irsigler, Erhörungsmotiv, 113–114. 37 Das verbindet 16 mit 12,10–20. Beide Erzählungen sind ähnlich strukturiert (J. van Seters, Abraham in History and Tradition, New Haven/London 1975, 192–193).
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Wohin (V. 8fin.). Erst jetzt kommt es durch Gottes Eingreifen zu einer definitiven Lösung – allerdings nur für Hagar (V. 11–12). Diese abschließende Lösung ist durch gebundene Sprache und vorgegebene Textmuster wie Geburtsorakel38 und Völkerspruch hervorgehoben.39 Darauf kann nur noch die einstimmende Reaktion Hagars erfolgen (V. 13). Die abschließende Lösung für Hagar bedeutet jedoch für das Problem Saras, das in V. 1 die ganze Erzählung ausgelöst hat, gerade keine Lösung. Die Erzählung endet denn auch in ihrer jetzt vorliegenden Gestalt nicht mit V. 12–14, sondern mit der Geburt Ismaels im Hause Abrahams (V. 15–16). Sie setzt also die Rückkehr Hagars voraus, zu der sie der Bote Jhwhs in V. 9 aufgefordert hatte, ohne sie zu erzählen. 2.2 Zur Analyse In der Erzählung fallen zunächst V. 3.16 auf. Sie werden wegen ihres Interesses an der Chronologie allgemein der Priesterschrift zugeschrieben. Hagar erscheint in V. 3 nicht als Leihmutter für Sara wie in V. 2, sondern als Nebenfrau Abrahams.40 Die Erklärung mit der genauen Datierung „nachdem Abraham schon zehn Jahre im Lande Kanaan gelebt hatte“ gibt nur in Verbindung mit den Daten von 17,19–24 einen Sinn. Weil Sara nach dieser Chronologie schon 76 Jahre alt ist und also nicht mehr mit eigenen Kindern rechnen kann, gibt sie Hagar „ihrem Mann zur Frau“. Über die Zuweisung der beiden Verse an die Priesterschrift herrscht in der Zunft Einigkeit.41 Allerdings wollen die meisten der Priesterschrift darüber hinaus auch noch V. 1a und V. 15 zuschreiben. Die Abtrennung von V. 1a bringt jedoch die Grunderzählung um ihre Exposition und um das entscheidende Motiv, das die kommende Erzählhandlung überhaupt erst auslöst. Deshalb muss V. 1a schon zur Grundschicht gehört haben,42 will man nicht einen Textverlust annehmen. Die Namengebung des Neugeborenen durch Abraham in V. 15 widerspricht dem Auftrag an Hagar in V. 11, kann also nicht zur selben Schicht gehören.43 Ihre 38 Dazu
s. schon P. Humbert, Der biblische Verkündigungsstil und seine vermutliche Herkunft, AfO 10 (1935/36) 77–80. 39 In V. 11–12 sind die wichtigsten Motive und Leitwörter des Textes versammelt. 40 Vgl. die analogen Formulierungen in Gen 30,4.9. 41 Vgl. die Kommentare von Gunkel bis L. Ruppert, Genesis. Ein kritischer und theologischer Kommentar. 2. Teilband: Gen 11,27–25,18 (FzB 98), Würzburg 2002, und zuletzt Wöhrle, Fremdlinge im eigenen Land. Zur Entstehung und Integration der priesterlichen Passagen der Vätergeschichte (FRLANT 246), Göttingen 2012, 39 und 44. 42 Von B. D. Eerdmans, Alttestamentliche Studien I: Die Komposition der Genesis, Gießen 1908, 12, über Blum, Komposition, 315–316, und I. Fischer, Die Erzeltern Israels. Feministisch-theologische Studien zu Genesis 12–36 (BZAW 222), Berlin/New York 1994, 260–261, bis zu J. Wöhrle, Fremdlinge, 39. 43 Gegen Levin, Jahwist, 147–149; bei ihm erzeugt der Jahwist mit V. 11 erst den Widerspruch zu der von ihm behaupteten vor-J Quelle in V. 15, obwohl er ihn doch leicht hätte vermeiden können.
7. Hagar und Ismael
177
Formulierung entspricht jedoch der Benennung Isaaks in 21,3 (P). Das spricht auch in 16,15 für P. Nun können die V. 9–11 schon wegen ihrer gleichlautenden Anfänge schwerlich von einer Hand stammen.44 Dreimal heißt es: „Der Bote Jhwhs sprach zu ihr: …“ Von diesen drei Botenreden bezieht sich allein die letzte in V. 11 auf Hagars konkrete Lage als schwangere Frau. Mit der Ankündigung eines Sohnes billigt sie stillschweigend Hagars Flucht. Sie setzt die ältere Grundschicht in V. 7a.8 fort. Ihr widerspricht die erste Gottesrede in V. 9 scharf, indem sie Hagar ausdrücklich zur Rückkehr auffordert. Damit bereitet sie 21,8–21 vor; sie gehört also derselben nach-priesterlichen Ergänzung an.45 Keineswegs älter dürfte die überbordende Verheißung V. 10 sein. Sie zitiert mit dem ersten Satz („Ich will deine Nachkommen überaus zahlreich machen“) 22,17 und mit dem zweiten („so dass sie vor Menge nicht gezählt werden können“) 32,13. Sie kombiniert damit zwei Topoi aus anerkannt späten (dtr.?) Zusätzen im Buch Genesis.46 Damit verdirbt die jüngste Gottesrede nicht nur der ältesten die Pointe, die mit der Ankündigung eines Sohnes in V. 11 noch ganz auf die konkrete Lage der Hagar bezogen war. Sie geht auch über die Zusage in 21,18 weit hinaus, Ismael zu einem „großen Volk“ zu machen. Ein Zusatz dürfte auch in V. 7b vorliegen. Er trägt für das ungenannte Wasserloch in der Wüste eine genauere Lokalisierung nach: Es liegt „auf dem Weg nach Schur“, also an der östlichen Grenze Ägyptens. Das erinnert an 20,1 und 25,18. Für den Glossator flieht die ägyptische Sklavin Hagar in ihre Heimat, die er aus V. 1 entnimmt.47 Einige wollen auch noch die V. 13–14a aus der Erzählung herauslösen.48 Die Gründe überzeugen wenig; denn das solenne Geburtsorakel in V. 11–12 bedarf einer Reaktion Hagars.49 Bisher ist Hagar einem Menschen wie dir und mir begegnet. Dass es der Bote Jhwhs war, wissen nur wir Leser, nicht aber die Erzählfigur Hagar. Erst in der wunderbaren Ankündigung eines Sohnes wird sie des inne, dass es Gott war, der mit ihr durch seinen Boten geredet hat. Deshalb dürfen Lobpreis und Bekenntnis50 und die Benennung des heiligen Ortes am 44
Diese Beobachtung mit weiteren Gründen gehört seit Wellhausen (Composition, 20) zum Allgemeingut der Forschung; gegen die Ursprünglichkeit von V. 8 spricht jedoch nichts. 45 S. dazu zuletzt M. Köckert, Gen 20–22 als nach-priesterliche Erweiterung der Vätergeschichte, in: F. Giuntoli/K . Schmid (Hg.), The Post-Priestly Pentateuch. New Perspectives on its Redactional Development and Theological Profiles (FAT 101), Tübingen 2015, 157–176, bes. 166–173 [in diesem Bd. Nr. 10]. 46 Lit. bei Köckert, Vätergott, 239. 47 Die ägyptische Herkunft Hagars in V. 1 ist vom Verfasser aus 12,16 erschlossen. 48 Van Seters, Abraham, 193, 199; Knauf, Ismael, 26–27; Levin, Jahwist, 150. 49 Gegen Knauf auch Irsigler, Erhörungsmotiv, 108 mit Anm. 6, und Blum, Komposition, 318. 50 Leider lässt sich V. 13 nicht sicher deuten. Zweifellos will die letzte Zeile die Gottesbezeichnung El-Roʾi und den Namen des Brunnens in V. 14 begründen. Die Wendung ʾel-roʾi ist in der masoretischen Vokalisierung mehrdeutig (dazu s. u. Anm. 77). Auf jeden Fall ist diese Bezeichnung nicht Name einer eigenen Gottheit, sondern ein Beiname (vergleichbar jenem
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Ende der Erzählung nicht fehlen. Lediglich der letzte Satz (V. 14b) weckt mit der Lokalisierung des Brunnens zwischen Kadesch und Bered weit im Süden Bedenken.51 Auch er bringt wie schon V. 7b Hagar näher an ihre vermutete Heimat heran. Die Analyse führt zu folgendem unspektakulären Ergebnis,52 dem wahrscheinlich die meisten werden zustimmen können: 1Aber
Sarai, die Frau Abrams, hatte ihm kein Kind geboren. Sie besaß jedoch eine ägyptische Sklavin mit Namen Hagar. 12,16 2Da sprach Sarai zu Abram: Sieh doch, Jhwh hat mich verschlossen, dass ich nicht gebären kann. (29,31; 30,22) Wohne doch meiner Sklavin bei, 30,3 vielleicht werde ich von ihr zu einer Familie aufgebaut! 30,4 Abram hörte auf Sarai. 3Sarai, die Frau Abrams, nahm ihre ägyptische Sklavin Hagar, nachdem Abram schon zehn Jahre im Lande Kanaan gewohnt hatte, und gab sie ihrem Mann Abram zur Frau. 4Er wohnte Hagar bei, und sie wurde schwanger. Als sie nun merkte, dass sie schwanger war, achtete sie ihre Herrin gering. 5Da sprach Sarai zu Abram: Die Kränkung, die ich erleide, komme über dich! Ich selbst habe dir meine Sklavin in den Schoß gelegt; als sie aber merkte, dass sie schwanger ist, achtete sie mich gering. Jhwh richte zwischen mir und dir! 6Abram sprach zu Sarai: Siehe, deine Sklavin ist in deiner Hand; verfahre mit ihr, wie du es für richtig hältst. So demütigte Sarai sie; sie aber floh vor ihr. 7Da fand sie der Bote Jhwhs an einer Wasserquelle in der Wüste, an einer Quelle auf dem Weg nach Schur, 25,18a; vgl. 21,21 8und sprach: Hagar, Sklavin Sarais, wo kommst du her, und wo gehst du hin? Sie sprach: Vor Sarai, meiner Herrin, bin ich auf der Flucht. 9Der Bote Jhwhs sprach zu ihr: Kehre zurück zu deiner Herrin, und demütige dich unter ihre Hand! 21,8 ff. „Du bist ein Gott, der Wunder tut“ in Ps 77,15). Mit ihm rühmt Hagar Jhwh und deutet ihre Begegnung mit dem Boten als Begegnung mit Jhwh. Zu den Problemen und Lösungsversuchen s. zuletzt K. Koenen, Wer sieht wen? Zur Textgeschichte von Genesis XVI 13, VT 38 (1988) 468–474. 51 Eine genauere Lokalisierung ist nur für Kadesch möglich, nicht aber für Bered (D. Jericke, Die Ortsangaben im Buch Genesis. Ein historisch-topographischer und literarisch-topographischer Kommentar (FRLANT 248), Göttingen 2013, 126 und 147. 52 Die relative Textchronologie wird durch verschiedene Drucktypen angezeigt. Normaltype: Grundschicht (G); fett: Priesterschrift (P); kursiv: nach-priesterlich (nach-P).
10Der
7. Hagar und Ismael
Bote Jhwhs sprach zu ihr: Ich will deine Nachkommen überaus zahlreich machen, so dass sie vor Menge nicht gezählt werden können. 11Der Bote Jhwhs sprach zu ihr: Siehe, du bist schwanger und wirst einen Sohn gebären. Du sollst ihn Ismael nennen; denn Jhwh hat deine Demütigung gehört. 12Und er wird ein Mensch von der Art eines Wildesels sein; seine Hand wird gegen alle und die Hand aller wird gegen ihn sein, und allen seinen Brüdern gegenüber wird er wohnen. 13Da nannte sie den Namen Jhwhs, der zu ihr geredet hatte: Du bist ein El-Roi; denn sie sprach: Wahrlich, hier habe ich dem nachgesehen, der mich sieht. 14Deshalb nennt man den Brunnen Beer-Lahaj-Roi; (siehe, er liegt zwischen Kadesch und Bered). 15Und Hagar gebar Abram einen Sohn. Abram nannte seinen Sohn, den Hagar geboren hatte, Ismael. 16Abram aber war sechsundachtzig Jahre alt, als Hagar dem Abram Ismael gebar.
179 22,17 32,13
25,18b
21,3
Die älteste literarische Gestalt von Gen 16 umfasst also V. 1–2.4–6.7a.8.11–12. 13–14a. Blickt man auf die handelnden Personen, bekommt die Zweiteilung der Grunderzählung eine inhaltliche Bedeutung. Sara und Abraham werden im Fortgang der Erzählung zurückgelassen; ihr Plan scheitert in V. 6b. Deshalb bedarf das auslösende Problem Saras weiterhin einer Lösung.53 Der erste Teil ist also schon in der Grundschicht nicht als Teil einer selbständigen Erzählung konzipiert, sondern auf einen größeren Kontext hin entworfen. Der zweite Teil bringt dagegen Hagar mit dem Geburtsorakel und dem Stammesspruch in die Gegenwart des Erzählers. Der kennt Ismael und seine Nachfahren nur außerhalb des verheißenen Landes. Auch der zweite Teil der Grundschicht endet in seiner vorliegenden Gestalt offen; denn die Geburt Ismaels wird nur angekündigt, aber nicht erzählt. Man muss deshalb davon ausgehen, dass die Grundschicht in Gen 16 ursprünglich mit der Geburt Ismaels in der Wüstensteppe und dessen Bewahrung geendet hat.54 Dieser ursprüngliche Schluss ist offensichtlich durch die Einarbeitung der priesterlichen Überlieferungsstücke ersetzt worden, die stillschweigend eine Rückkehr Hagars voraussetzen und die Geburt Ismaels berichten. Die Grundschicht der Hagar-Ismael-Erzählung war jedoch von Anfang an so angelegt, dass sie Hagar und Ismael 53 In der Letztgestalt leistet das zwar die Feststellung der Geburt in V. 15–16 (P). Doch ist diese erzählerisch nicht vermittelt, weil die Rückkehr der schwangeren Hagar nur vorausgesetzt, nicht aber erzählt wird. 54 Zu einer möglichen Vorstufe hinter *16,7–14; *21,14–21 s. Blum, Komposition, 312, zu einer Geburt Ismaels in der Wüste s. schon Wellhausen, Composition, 20; Gunkel, Genesis, 190, und Blum, 317. Ihre Rekonstruktion ist jedoch nicht mehr möglich.
180
II. Zur Abrahamüberlieferung
in den Lebensraum der mit ihm verbundenen Gruppen aus dem Verheißungsland hinaus brachte. Wozu wurde diese Geschichte erzählt? 2.3 Zur Intention der Grundschicht Gen 16 ist häufig als eine reine Familienerzählung oder als eine Hagar-Erzählung gedeutet worden.55 Aber sie ist weder das eine noch das andere. Sie beginnt zwar als Geschichte vom kinderlosen Ahnpaar Sara und Abraham. Doch schon in der zweiten Szene verwandelt sie sich in eine Hagar-Erzählung; auch in der letzten Szene steht Hagar allein auf der Bühne. Aber an ihr Ziel kommt die Erzählung in der Ankündigung der Geburt Ismaels und seines künftigen Geschicks (V. 11–12). Darauf ist die Handlung in all ihren Teilen ausgerichtet.56 Nur um Ismaels Geburt willen wird überhaupt von Hagar erzählt. Der erste Teil macht den künftigen Sohn Hagars zu einem legitimen Sohn Abrahams. Der zweite Teil bereitet mit Hagars Flucht in die Wüstensteppe den künftigen Lebensraum des Sohnes vor. Schließlich bettet V. 12 die mit Ismael verbundene Gruppe in die Ursprungsgeschichte Israels ein. Es handelt sich also weder um die „Bedrückungsund Rettungsgeschichte“ einer Frau, obwohl durchaus von Hagars Bedrückung und Rettung die Rede ist, noch um die Ätiologie einer Kultstätte;57 denn von einem Kultus, der an diesem durch die Begegnung mit dem Boten Jhwhs geheiligten Ort gestiftet oder vollzogenen wird, verlautet kein Wort. Es handelt sich vielmehr um die Ursprungserzählung der Ismaeliter.58 Was sagt sie über Ismael als Ahn der Ismaeliter? Der Bote Jhwhs kündigt zunächst die Geburt eines Sohnes an und deutet dessen Namen. Man erwartet eine Erklärung des Namens „Ismael“ mit dem Geschick des Sohnes. Doch der Bote erklärt den Namen hier mit der Lage Hagars: 11Siehe,
du bist schwanger und wirst einen Sohn gebären. Du sollst ihn Ismael nennen; denn Jhwh hat deine Demütigung gehört. 55 Am
konsequentesten hat C. Westermann Gen 16 als reine Familienerzählung, genauer als eine Erzählung „von der Rivalität zwischen Frauen“ gedeutet (Genesis. 2. Teilband: Genesis 12–36 [BK I/2], Neukirchen-Vluyn 1977–1981, 282). Fischer wiederum versteht die beiden Teile von Gen 16 im Wesentlichen als „Bedrückungs- und Rettungsgeschichte“ Hagars (Erzeltern, 294–295). 56 Nachdem Hagar schwanger geworden ist, lässt sie ihre Herrin Verachtung spüren. Daraufhin überschreitet Sara ihre Grenzen als Herrin, indem sie ihre Sklavin demütigt. Die aber flieht. In der Wüste trifft sie der Bote Jhwhs und kündigt ihr die Geburt eines Sohnes an, den sie Ismael nennen soll. 57 Die kultätiologische Deutung geht auf Gunkel (Genesis, 190–193), M. Noth (Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart 1948, 118–120) und G. von R ad zurück (Das erste Buch Mose. Genesis übersetzt und erklärt [ATD 2/4], Nachdruck der 4., veränderten Aufl. Göttingen 1972, Berlin-Ost 1974, 151: „Wie wurde die Oase Beerlachajroi zum Heiligtum?“). 58 Gegen Gunkel (Genesis, 192) und Noth (Überlieferungsgeschichte, 119) lässt sich weder in noch hinter Gen 16* ein Selbstzeugnis der Ismaeliter aufspüren.
7. Hagar und Ismael
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Sodann fährt der Bote mit einem Stammesspruch nach Art der Sprüche im Jakobsegen 49,14.21.27 fort, der Ismael und die Seinen mit einem Tiervergleich charakterisiert: 12Und
er wird ein Mensch von der Art eines Wildesels sein; seine Hand wird gegen alle und die Hand aller wird gegen ihn sein, und allen seinen Brüdern gegenüber wird er leben.
Der Spruch entfaltet von den Assoziationen, die ein Wildesel hervorruft, zwei: den Kampf ums Überleben (so Z. 2) und den unbezähmbaren Drang nach Freiheit59, so Z. 3, wenn man das „gegenüber“ ( )על פניnicht geographisch als „östlich von“, sondern polemisch im Sinne von „vor ihrem Angesicht“, „ihnen zum Trotz“ versteht. Beide Charakteristika passen zu Gruppen, die abseits von Städten und vom Kulturland leben.60 Im gegenwärtigen Zusammenhang kann sich der Stammesspruch nur auf Ismael beziehen, dessen Geburt V. 11 unmittelbar zuvor ankündigt. Inhaltlich verbindet ihn nichts mit dem Namen „Ismael“. Der Spruch erwächst weder aus dem Namen, noch führt er auf ihn hin. Offenbar hat der Erzähler Gen 16 als Ursprungsgeschichte der Ismaeliter mit Hilfe verschiedener Materialien formuliert. Dazu gehört auch jener Spruch. Er war ihm vorgegeben. Indem er ihn mit der Ankündigung der Geburt Ismaels verband, gab er der von ihm geschaffenen Hagar-Ismael-Erzählung die Pointe einer Ursprungsgeschichte der Ismaeliter. Die Wendung „allen seinen Brüdern gegenüber“ in der letzten Zeile des Stammesspruches thematisiert jedenfalls das Verhältnis Ismaels als einer von Abraham/ Israel getrennt lebenden Gruppe („allen seinen Brüdern gegenüber“) zu Israel (V. 12). Die völkergeschichtliche Dimension gehört zur Substanz der Erzählung. 2.4 Zur Entstehung Die meisten sehen in der Grundschicht von Gen 16 eine „geschlossene Einzelerzählung“61 und schreiben ihr deshalb ein mehr oder weniger hohes Alter zu.62 59
Diesen Akzent verbinden mit dem Wildesel Jes 32,14; Jer 2,24; Hos 8,9; Hi 24,5; bes. Hi 39,5–8. Der Vergleich von Kriegern der arabischen Königin Šamši mit einem Wildesel auf der Flucht findet sich auch in den Annalen Tiglatpilesers III. (TUAT I/4, 374). 60 „Aus Saras Versuch, die göttliche Verheißung mit menschlichen Mitteln zu verwirklichen, gehen die Beduinen als Plage ihrer bäuerlichen Brüder hervor“ (A. Knauf, Art. Ismael, RGG4 IV [2001] 282). 61 So Blum, Komposition, 317; ihm folgt Fischer, Erzeltern, 340 (wenn auch mit etwas anderer Literargeschichte). 62 Gese (Die Komposition der Abrahamserzählung, in: Ders., Alttestamentliche Studien, Tübingen 1991, 29–51, bes. 38 f.) rechnet Gen 16 zu dem Material, das J vorgegeben war. Fischer zählt die Grundschicht zum „ältesten Bestand“ der Erzelternerzählungen, der aus der „früheren Königszeit, auf alle Fälle vor dem Zusammenbruch des Nordreiches“ stammt (Erzeltern, 339). Für H. Spieckermann/D. M. Carr, Art. Abraham: Hebrew Bible/ Old Testament, EBR 1 (2009) 16–23, gehört das Kapitel „möglicherweise“ zum ältesten Bestand der Abraham-Erzählungen (S. 20).
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Erst neuerdings gibt es ein paar Apostaten.63 Leider haben sie die Gründe für ihr Abweichen vom Konsens der Forschung zumeist für sich behalten. Deshalb trage ich fünf Beobachtungen nach, die gegen eine Ansetzung von Gen 16 in die Königszeit und gegen die Beurteilung als geschlossene Einzelerzählung sprechen.64 Dabei nehme ich eine Beobachtung von Thomas Römer auf, der seine früher vertretene Frühansetzung inzwischen aufgegeben hat.65 1. Die Erzählung macht den Eindruck eines zusammengesetzten Puzzles.66 Wie schon lange gesehen, besteht sie aus zwei Erzählteilen mit offenen Enden, die nicht geschlossen werden, und aus mehreren Gliedgattungen: Das im ersten Teil aufgeworfene Problem wird sowenig gelöst, wie die im zweiten Teil angekündigte Geburt berichtet wird; hinzu kommen unmittelbar nacheinander ein Geburtsorakel (V. 11), ein Stammesspruch (V. 12) und eine Ortsätiologie (V. 13–14a). Ein beruhigender Abschluss der Erzählung fehlt.67 Vielmehr springt die Ortsätiologie unmittelbar in die Gegenwart der Leser: „Deshalb nennt man den Brunnen (heute) …“ Eine geschlossene für sich stehende Einzelerzählung sieht anders aus. Offenbar war hier ein Literat am Werk,68 der aus verschiedenen Bausteinen eine Erzählung für einen schon vorliegenden Kontext geschaffen hat. 2. Für eine geschlossene Einzelerzählung gehört es sich, dass ihr Spannungsbogen zu einer ihm entsprechenden Lösung geführt wird. Das ist hier nicht der Fall. Die Kinderlosigkeit des Ahnpaares, deretwegen Hagar überhaupt erst auf die Bühne kommt, wird in der ältesten Gestalt der Erzählung nicht beseitigt; denn mit Hagars Flucht verschwindet die Möglichkeit, durch sie zu einem Kind zu kommen. Die Geburt des angekündigten Sohnes der Hagar wird in der ursprünglichen Fassung fernab vom Haushalt Abrahams und Saras wohl in der 63 R. Albertz, Die Exilszeit. 6. Jahrhundert v. Chr. (Bibl. Enzyklopädie 7), Stuttgart 2001, 201, hält Gen 16* zwar für eine ältere Einzelerzählung, die aber erst in der Exilszeit in die Vätergeschichte eingeschoben worden sei. D. M. Carr, Reading the Fractures of Genesis. Historical and Literary Approaches, Louisville 1996, 231–232, rechnet Gen 16 zu seiner „proto-Genesis composition“ aus „the late preexilic or (mor likely) early exilic periods“. R. G. Kratz, Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments, Göttingen 2000, 278: Obwohl P Ismael voraussetzt, könne er in der vorpriesterschriftlichen Komposition „gut fehlen“. 64 Damit revidiere ich ausdrücklich mein vorsichtiges Plädoyer für eine Ansetzung noch in der Königszeit (Geschichte, 121–122 [in diesem Bd. Nr. 2]). 65 S. seinen Beitrag „Die politische Funktion der vorpriesterlichen Abrahamtexte“ in: M. G. Brett/J. Wöhrle (Hg.), The Politics oft he Ancestors. Exegetical an Historical Perspectives on Genesis 12–36 (FAT 124), Tübingen 2018, 211–232, gegen I. Finkelstein/T. Römer, Comments on the Historical Background of the Abraham Narrative, HeBAI 3 (2014) 3–23, bes. 14. 66 Schon Westermann, Genesis I/2, 298, klagt über die „Fülle von Motiven, die keineswegs alle auf einer Linie liegen“. 67 Deshalb haben die älteren Kommentatoren (wie Gunkel, Genesis, 190, und O. Procksch, Die Genesis übersetzt und erklärt [KAT 1], Leipzig 2–31924, 115) gern 25,18 unmittelbar an 16,14 angeschlossen, was freilich nur neue Probleme schafft. 68 Den kunstvollen literarischen Charakter der Erzählung rühmte schon Knauf, Ismael, 32–33.
7. Hagar und Ismael
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Wüste vorgestellt. Das Problem, das die gesamte Erzählhandlung veranlasst, wird erst in Gen 18; 21,6 gelöst. Der Erzähler hatte also von vornherein die Abraham-Lot-Erzählung69 im Auge. 3. Die Exposition der Erzählung setzt überdies einen größeren Vorkontext voraus, der als Hintergrund Saras Lösungsvorschlag überhaupt erst verständlich macht. Saras Deutung ihres Geschicks in V. 2 („Jhwh hat mich verschlossen, dass ich nicht gebären kann“) blickt auf eine offenbar schon langjährige Erfahrung zurück. Beide Aspekte kommen erst in einer größeren Erzählkomposition zur Geltung. Zu ihr können Gen 14 und 15 noch nicht gehört haben, weil Gen 16 keinerlei Verweise auf diesen Vorkontext enthält. Außerdem wäre Abrahams stillschweigendes Einverständnis mit der Lösung Saras in 16,2.4 nach 15,4–6 wenig plausibel.70 Erst auf dem Hintergrund der Mehrungsverheißung 13,14–17 erhält Saras Kinderlosigkeit ihre über das Einzelschicksal hinausgehende Schärfe. Die Gottesrede 13,14–17 kann aber nicht aus dem Bogen herausgelöst werden, der in 12,1(–3) gespannt worden ist.71 Zu jenem Vorkontext, auf den hin Gen 16* geschrieben wurde, gehören also die vor-priesterlichen Teile 12,1–4a.6.8–9.10– 20;13,1.2.3–4.5.7–11a.12bß-13.14–17.18a. b.72 Dadurch wird Gen 16* in Hebron lokalisiert. 4. Es verwundert nicht, dass die Exposition der Erzählung mit Informationen aus dem Kontext arbeitet und diesen ausdrücklich in Erinnerung bringt: Dass Sara eine ägyptische Sklavin hat, ruft 12,16 auf.73 In Gen 16 fallen außerdem einige Exodus-Motive auf, wie Irmtraut Fischer, Thomas Römer und andere gesehen haben.74 Hagar wird durch Sara „unterdrückt, gedemütigt“ wie Israel in Ägypten (ענה: Ex 1,11–12; 14,5); Hagar flieht 69 Zur Abraham-Lot-Erzählung (Gen *… 13; 18–19; 21,6) s. Gunkel, Genesis, 159–161 („Sagenkranz“ von Abraham und Lot als Kristallisationskern der Abrahamüberlieferung) und vor allem Blum, Komposition, 273–287. 70 Das spricht entschieden gegen Knauf, der meint, die Erzählung entfalte „ihre Intention am stärksten, wenn ihr die Verheißung Gen. 15* … vorausgeht“ (Ismael, 34 Anm. 137). Zu Gen 15 s. M. Köckert, Gen 15: Vom „Urgestein“ der Väterüberlieferung zum „theologischen Programmtext“ der späten Perserzeit, ZAW 125 (2013) 25–48 [in diesem Bd. Nr. 4]. 71 Beide Gottesreden stammen von derselben Hand. Gegen die seit Wellhausen, (Composition, 23–24) bis Levin (Jahwist, 133, 145) und Kratz (Komposition, 280) übliche Verteilung auf unterschiedliche Textebenen sprechen: (1) Schon die offene Formulierung von 12,1b („Geh … in das Land, das ich dich sehen lassen werde!“) kommt nicht in V. 4b zur Ruhe sondern weckt beim Leser eine Erwartung, die 13,14–15 wörtlich erfüllt („… Hebe deine Augen auf und sieh …; denn das gesamte Land, das du siehst, dir will ich es geben und deinen Nachkommen für immer …“). (2) Von allen Gottesreden in Gen wird nur in diesen beiden das Thema Land mit der Wurzel ראהin Verbindung gebracht (so schon Köckert, Vätergott, 250–255). 72 Zur Begründung s. M. Köckert, Wie wurden Abraham- und Jakobüberlieferung zu einer „Vätergeschichte“ verbunden? HeBAI 3 (2014) 43–66, bes. 48–52 [in diesem Bd. Nr. 16]. 73 S. van Seters, Abraham, 196; Knauf, Ismael, 34. 74 Fischer, Erzeltern, 296, nimmt P. Trible, Mein Gott, warum hast du mich vergessen? Frauenschicksale im Alten Testament, Gütersloh 1987, 30–41, auf. S. zuletzt Römer, Exodusmotive, 10–14. Nicht alle überzeugen; am wichtigsten ist die Wurzel „ ענהunterdrücken, demütigen“ (vgl. Ex 1,11–12; 3,7; 14,5).
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II. Zur Abrahamüberlieferung
von Sara wie Israel aus Ägypten (ברח: Ex 14,5); Gott nimmt Hagars Unterdrückung ( )עניgenauso wahr wie die seines Volkes in Ex 3,7. Eine derartige Stilisierung als Exodus-Geschichte lässt sich in der Abrahamüberlieferung nur noch in der Erzählung vom Ahnpaar in Ägypten 12,10–2075 beobachten, auch wenn die Motive unterschiedlich verwendet werden. Die für Gen 12,10–20 schon dem Midrasch76 bekannte Stilisierung gehört zur Substanz der Erzählung und lässt sich dort sowenig abheben wie hier in Gen 16. 5. Gen 16 setzt auch die Jakobüberlieferung voraus. So nimmt 16,2 mit dem Motiv der Sklavin als Leihmutter bis in den Wortlaut hinein Gen 30,3.4 auf. Beide Male will die kinderlose Herrin durch ihre Sklavin „aufgebaut“ werden. Sara sagt in 16,2: „Jhwh hat mich verschlossen ()עצרני.“ Das korrespondiert der Notiz in 30,22: Gott erhörte Rahel und „öffnete ihren Schoß.“ Aus der Jakobüberlieferung stammt auch das Motiv vom Sehen Gottes in 16,13. Es begegnet im Buch Genesis sonst nur noch in 32,31 und als Vergleich in 33,10. Im Munde Hagars aber überrascht dieses Motiv. Schon die Benennung Jhwhs mit dem Beinamen „Du bist ein Gott des Sehens“77 kommt unerwartet, weil unmittelbar zuvor ausschließlich von Gottes Hören die Rede ist: „Jhwh hat deine Demütigung gehört.“ Aber auch ihr zweiter Satz überrascht: „Wahrlich, ich habe hier dem nachgesehen, der mich sieht.“ Zuvor lesen wir lediglich, dass Jhwh mit ihr „geredet hatte“. Es spricht also einiges dafür, dass der Erzähler die Jakobüberlieferung kannte. Er formuliert freilich vorsichtiger: Hagar hat Gott nur nach-gesehen – wie Mose in Ex 33,23. Was folgt aus diesen Beobachtungen? Offenbar ist schon die Grundschicht von Gen 16 von demjenigen gebildet worden, der die Jakob- mit der Abrahamüberlieferung verbunden und den vor-priesterlichen Erzählbogen in 12,1–13,18 als Eingangsportal zu seiner Vätergeschichte geschaffen hat. Das kann schon wegen 12,1–4 nicht mehr in der Königszeit geschehen sein.78 In diesem literarischen Kontext hat die Grundschicht von Gen 16 zwei Funktionen. Sie betreffen die beiden Hauptthemen der Vätergeschichte: Nachkommen und Land. Zwischen der Verheißung von Nachkommen so zahlreich wie der Staub der Erde in 13,16 und der Ankündigung eines Sohnes in 18,10–15 wirkt Gen 16 als große Verzögerung, die das Thema Nachkommen mit Spannung auflädt und verstärkt. 75 Dazu
Köckert, Vätergeschichte, 50 (mit Lit.). Bereschit Rabba zu Gen 12,16 und 20 in: Der Midrasch Bereschit R abba. Das ist die haggadische Auslegung der Genesis. Zum ersten Male ins Deutsche übertragen von Lic. Dr. Aug. Wünsche, Leipzig 1881. 77 So die Übersetzung des Beinamens in der masoretischen Vokalisierung. Die Form roʾi ist als Infinitiv mit יstatt הzu deuten. Die Wendung kann entweder bedeuten „ein Gott der sich sehen lässt“ oder „ein Gott der sieht“. Die letzte Zeile von V. 13 legt jedoch das Verständnis nahe: „Du bist der Gott, der mich sieht.“ So hat auch die LXX den Namen ins Griechische übersetzt. Diese Deutung entspricht ganz dem Kontext von V. 7–12. 78 Köckert, Vätergeschichte, 61–66 (ich setze übrigens – gegen Römers Introduction im Editorial auf S. 2 – diese Verbindung nicht zwischen 722 und 587, sondern nach [!] 587 an). 76
7. Hagar und Ismael
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Für das Thema Land ist die Verwendung der Exodusmotivik in 12,10–20 und in Gen 16 bedeutsam. Sie bringt Hagar und Ismael in einen Gegensatz zu Sara und Abraham. Mit dem Aufenthalt in Ägypten und der Rückkehr ins Land nimmt das Ahnpaar Israels Exodus aus Ägypten und seinen Eisodos ins Land vorweg. In der Mitte des Landes angekommen (zwischen Bethel und Ai),79 erhält Abraham und mit ihm Israel „das ganze Land“ zugesagt, das er sieht (13,14–15). Hagar und mit ihr Ismael fliehen dagegen aus dem Land, das Abraham und seinen Nachkommen verheißen ist. Die mit Ismael verbundenen Gruppen leben außerhalb des Verheißungslandes, auf der Ebene des Stammesspruches vielleicht „östlich ihrer Brüder“ (16,12). Mit den „Brüdern“ wären dann nicht allein die Nachkommen Abrahams, sondern auch die Lots gemeint. Die jüngeren Zusätze verstärken Ismaels Exodus aus dem Land noch, indem sie ihn zu einem AntiExodus geradewegs in die Nähe Ägyptens machen (16,7b.14b).
3. Wandlungen in den politischen Dimensionen der Ismael-Überlieferung 3.1 Ismael in der Priesterschrift (1) In der älteren Überlieferung erscheint Hagar zunächst als ‚Leihmutter‘ für ihre kinderlose Herrin, die durch sie „aufgebaut“ zu werden hofft (16,2). Saras Plan entspricht einem im Alten Orient verbreiteten Brauch, im Falle eigener Kinderlosigkeit über eine Sklavin zu Kindern zu kommen, die dann als rechtmäßige Kinder der Ehefrau gelten (30,3) und erbberechtigt sind (21,10).80 Hagar aber flieht und bringt ihren Sohn – jedenfalls im nicht mehr erhaltenen Schluss der ursprünglichen Fassung von Gen 16* – fern vom Haushalt des Ahnpaares in der Wüstensteppe zur Welt. In der priesterlichen Bearbeitung jedoch gibt Sara ihre Sklavin Abraham ausdrücklich „zur Frau“ (16,3). Außerdem setzen 16,15–16 voraus, dass Hagar in den Haushalt Abrahams zurückgekehrt ist, jedenfalls gebiert sie dort ihren Sohn Ismael nicht als Leihmutter für Sara, sondern ausdrücklich als Zweitfrau „für Abraham“.81 Deshalb wird Hagar auch nicht mehr „Sklavin Saras“ genannt wie in V. 3. Auf diese Weise erscheint Ismael nicht mehr als Sohn Saras, sondern als der Abrahams. Darüber hinaus gibt Abraham dem Neugeborenen den Namen und erkennt ihn damit als seinen Sohn an. Das hat erbrechtliche Folgen. Es kommt 79
Köckert, Vätergeschichte, 52–55. Diskussion der Fälle bei T. L. Thompson, The Historicity of the Patriarchal Narratives. The Quest For The Historical Abraham (BZAW 133), Berlin 1974, 252–269, und J. van Seters, The Problem of Childlessness in Near Eastern Laws and the Patriarchs of Israel, JBL 87 (1968) 401–408, die vor allem auch auf Belege aus dem 1. Jt. hinweisen. 81 So schon Fischer, Erzeltern, 261–262, und zuletzt Wöhrle, Fremdlinge, 39. 80
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II. Zur Abrahamüberlieferung
deshalb nicht von ungefähr, dass die große Gottesrede in 17,20 ausdrücklich auch Ismael bedenkt. Damit verstärkt die priesterliche Version die Legitimität Ismaels als Sohn Abrahams. Zugleich hält sie damit die Verheißung von Nachkommen für das Ahnpaar weiterhin offen: Wird es noch einen gemeinsamen Sohn Abrahams und Saras geben? Die priesterliche Bearbeitung hat mit alledem schon Gen 17 im Blick. Vor allem aber bleibt Ismael in der priesterlich bearbeiteten Vätergeschichte82 bis zu Abrahams Tod im Haus seines Vaters, so dass Abraham in 25,9a von seinen beiden Söhnen Ismael und Isaak begraben werden kann. Erst danach verlässt Ismael das Verheißungsland (25,12–18). (2) Die dreiteilige Gottesrede Gen 17 stellt denn auch Ismael in der Familie Abrahams vor. Deshalb wird er gemeinsam mit allen männlichen Hausgenossen beschnitten (17,23), und zwar als Abrahams Sohn (V. 23.25.26), nicht als einer der im Hause geborenen Sklaven. Im dritten Teil der Rede kündigt Gott die Geburt eines Sohnes durch Sara an (17,15–21): 15Gott
sprach zu Abraham: Deine Frau Saraj sollst du nicht mehr Saraj nennen, sondern Sara ist ihr Name. 16Ich werde sie segnen und dir auch von ihr einen Sohn schenken. Ich werde sie segnen, dass sie zu Völkern werde; Könige von Völkerschaften werden von ihr abstammen. 17Da fiel Abraham auf sein Angesicht und lachte. Er dachte in seinem Herzen: Einem Hundertjährigen soll geboren werden, und Sara, eine Neunzigjährige, soll gebären? 18Abraham sprach zu Gott: Möchte doch Ismael vor dir leben! 19Gott erwiderte: Nein, vielmehr wird Sara, deine Frau, dir einen Sohn gebären; den sollst du Isaak nennen.
Künftig wird es also zwei Söhne Abrahams geben: Ismael, den schon geborenen Sohn Abrahams mit Hagar, und Isaak, den jetzt verheißenen gemeinsamen Sohn mit Sara. Deshalb bedarf es einer Klärung des Verhältnisses zwischen beiden Söhnen. Die wird von Gott selbst, also mit höchster Autorität vorgenommen. Gott differenziert zwischen beiden Söhnen und damit auch zwischen den von ihnen als Ahnen repräsentierten ‚Völkern‘, berücksichtigt aber ausdrücklich Abrahams Intervention zugunsten seines Erstgeborenen Ismael. 19Gott
erwiderte: Nein, vielmehr wird Sara, deine Frau, dir einen Sohn gebären; den sollst du Isaak nennen. Mit ihm werde ich meinen Bund errichten als einen ewigen Bund für seine Nachkommen nach ihm.
82
P kennt Gen 21 noch nicht (s. u. und Köckert, Gen 20–22, 166–173).
7. Hagar und Ismael
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20Was
aber Ismael angeht, habe ich dich gehört: Siehe, hiermit segne ich ihn; ich werde ihn fruchtbar machen und überaus zahlreich. Zwölf Fürsten wird er zeugen, und ich werde ihn zu einem großen Volk machen. 21Aber meinen Bund errichte ich mit Isaak, den dir Sara im nächsten Jahr um diese Zeit gebären wird.
Allein den Nachfahren, die aus der Linie Abraham, Isaak und Jakob stammen werden, gilt der Bund (V. 19). Er wird nach den Ismael geltenden Zusagen ausdrücklich wiederholt (V. 21). Allein den Nachfahren aus der Linie Abraham, Isaak und Jakob gelten auch die damit verbundenen großen Zusagen, von denen im ersten Teil der Gottesrede schon die Rede war: 7Ich
werde meinen Bund errichten zwischen mir und dir und deinen Nachkommen nach dir in ihren Generationen als einen ewigen Bund, dass ich dir und deinen Nachkommen nach dir Gott sei. 8Ich werde das Land deines Aufenthalts, das gesamte Land Kanaan, dir und deinen Nachkommen nach dir zum ewigen Besitz geben und werde ihnen Gott sein.
Nur sie werden eines besonderen Gottesverhältnisses gewürdigt. Nur sie sollen das gesamte Land Kanaan besitzen (17,7–8.19.21).83 Überdies gelten beide Zusagen „für alle Zeit“ ()עולם, sind also dauerhaft und können deshalb anders als der Bund vom Sinai von keiner Schuld Israels zunichte gemacht werden.84 Zwar segnet Gott auch Ismael – wie alle Menschen mit dem Schöpfungssegen (vgl. 17,20a mit 1,26–28) – und verspricht darüber hinaus, ihn überaus zahlreich und zu einem großen Volk zu machen; sogar zwölf Fürsten sollen aus ihm hervorgehen (V. 20) – aber meinen Bund errichte ich (nur) mit Isaak, den dir Sara im nächsten Jahr um diese Zeit gebären wird (17,21).85
Damit sind die Karten eindeutig verteilt: Ismael wird außerhalb des Landes Kanaan und außerhalb des besonderen Gottesverhältnisses leben, dessen allein Israel gewürdigt wird und das fortan sein Identität ausmacht. (3) Von der Erfüllung der Verheißungen an Ismael lesen wir in 25,12–17. Dort werden seine Söhne einzeln genannt: 83 Zur Auseinandersetzung mit den verschiedenen „ökumenischen“ Ausweitungen des Bundes auf Ismael usw. s. zuletzt M. Köckert, Gottes „Bund“ mit Abraham und die „Erwählung“ Israels in Genesis 17, in: N. McDonald (Hg.), Covenant and Election in Exilic and Post-Exilic Judaism, in: Studies of the Sofia Kovalevskaja Research Group on Early Jewish Monotheism Vol. 5 (FAT II/79), Tübingen 2015, 1–28 [in diesem Bd. Nr. 8]. 84 S. dazu W. Gross, Zukunft für Israel. Alttestamentliche Bundeskonzepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176), Stuttgart 1998, 61. 85 Zu den subtilen Differenzierungen im Einzelnen s. Wöhrle, Fremdlinge, 45–50, und Köckert, Bund.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
12Das
sind die Nachkommen Ismaels, des Sohnes Abrahams, den die Ägypterin Hagar, die Sklavin Saras, Abraham geboren hatte. 13Das also sind die Namen der Söhne Ismaels mit ihren Namen entsprechend ihren Geschlechtern: Nebajot, der Erstgeborene Ismaels, und Qedar und Adbeel und Mibsam 14 und Mischma und Duma und Massa, 15Hadad und Tema, Jetur, Nafisch und Qedma. 16Das also sind sie, die Söhne Ismaels, und das sind ihre Namen nach ihren Gehöften und ihren Zeltlagern, zwölf Fürsten entsprechend ihren Stämmen.
Knauf will in den ersten sieben Gliedern der auf die Priesterschrift zurückgeführten Liste eine ältere Überlieferung finden und hält diese für Quellenmaterial aus dem 7. Jh. v. Chr.86 Die durchgängige Verbindung der ersten Glieder durch die Kopula und der Wechsel in V. 15 können jedoch weder eine „Grundschicht“ begründen noch deren hohes Alter.87 Viel näher liegt die Annahme, dass P die gesamte Liste mit Wissensstoffen ihrer Zeit gebildet hat, um über Ismael die Gesamtheit der protoarabischen Gruppen in ein Verhältnis zu Abraham-Israel zu setzen. Die Zwölfzahl verdankt sich der Ankündigung in 17,20 und dort der Analogie zum Zwölf-Stämme-Volk Israel. Obwohl Ismael bis zu Abrahams Tod im Hause seines Vaters vorgestellt wird, tragen Ismaels Söhne Namen, die seit der Assyrerzeit für nordwestarabische Stämme auch außerhalb der Bibel belegt sind.88 Ihr Lebensraum befindet sich tatsächlich „östlich ihrer Brüder“, wie schon der ältere Stammesspruch in 16,12 und seine Variante in 25,18b sagen. Doch das ist nicht das letzte Wort über die Ismaeliter in der Abrahamüberlieferung. 3.2 Verschiebungen in nach-priesterlichen Texten (1) An die Todesnotiz der Toledot Ismaels in 25,17 wurden noch zwei Sätze angefügt: 18Sie
wohnten von Hawila bis Schur, das östlich von Ägypten auf dem Weg nach Aschschur liegt. Allen seinen Brüdern gegenüber setzte er sich fest.
Der letzte Satz wirkt wie eine Variante von 16,12. Er setzt ebenfalls die Ansiedlung der Ismaeliter im Osten voraus. Er hat wieder Ismael als Ahn, nicht seine 86 Knauf, Ismael, 63, 88–89. Knauf ist an einer Reduktion interessiert, um mit der Liste die von ihm behauptete Stämmekonföderation stützen zu können, die in den beiden assyr. Belegen (s. o.) nur wenige Gruppen umfasst haben kann. 87 Neues Material zu Naphisch nötigte Knauf zur Korrektur der historischen Schlussfolgerung in den Nachträgen S. 155 (jetzt scheint ihm, „dass schon ihrer Grundschicht die Struktur des aktuellen Stämmebundes aus der ersten Hälfte des 7. Jh. v. Chr. unbekannt war“). Leider hält er an seiner literarhistorischen Annahme fest. 88 Vgl. Knauf, Ismael, 65–81.
7. Hagar und Ismael
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Söhne im Blick, wie der Singular zeigt. Mit der Notiz vom Wohnsitz knüpft er unmittelbar an V. 12.17 an. Der erste Satz setzt dagegen die Liste der Söhne in V. 13–16 fort.89 Deren Lokalisierung widerspricht aber der im letzten Satz. Sie ist in den Details schwierig, aber im ganzen klar: Der Lebensraum der als Söhne Ismaels vorgestellten Gruppen reicht hier offenkundig von Südwestarabien (Hawila, vgl. 2,11; 10,7) bis zur Grenze Ägyptens (Schur: „Mauer“ des Herrschers im Nildelta).90 So bringt 25,18a die Ismaeliter von Nordwestarabien bis in den Südwesten Arabiens und des Sinai. Dieser erweiterten Perspektive trägt die offene Formulierung im letzten Satz Rechnung: Die Wendung „allen seinen Brüdern gegenüber“ kann jetzt nicht mehr lokal im Sinne von „östlich“, sondern muss vielmehr allgemein als „außerhalb seiner Brüder“ oder polemisch verstanden werden: „all seinen Brüdern zum Trotz“. Im Süden Palästinas werden die Ismaeliter auch in den schon erwähnten Zusätzen lokalisiert, die Hagar an einem Wasserloch „auf dem Weg nach Schur“ (16,7b) und den Brunnen „zwischen Kadesch und Bered“ (16,14b) suchen. (2) Als nach-priesterlich ist auch die Hagar-Ismael-Erzählung in Gen 21,8–21 einzuordnen; denn sie setzt mit den Geburtsnotizen 21,1–7 und mit der programmatischen Gottesrede Gen 17 zentrale priesterliche Texte voraus.91 Vor allem drei Beobachtungen sprechen dafür, dass Gen 21 in Kenntnis von P geschrieben wurde. So wendet der Erzähler die Differenzierungen, die in Gen 17 aus dem Thema „Bund“ entfaltet werden, in Gen 21 auf die Frage an, wer allein Erbe sein soll. Sodann setzt die Sonderstellung Isaaks in 21,12b (nur „nach Isaak sollen deine Nachkommen genannt werden“) die Argumentation von 17,19–21 voraus. Schließlich korrigieren 21,20–21 mit der alsbaldigen Trennung Ismaels von Isaak das Konzept familiärer Gemeinschaft, das P bis 25,9 durchhält. In ihrem ersten Teil (V. 8–13) nimmt die Erzählung mehrfach Rücksicht auf Gen 16 und setzt Umstände voraus, die dort erzählt werden, die aber ohne Gen 16 unverständlich bleiben.92 Außerdem hat die Hand, die 21,8–21 als Fortsetzung von Gen 16, nicht als Variante geschaffen hat, ihr Werk durch die Einträge in 16,9–10 (nach-priesterlich) vorbereitet. Die Erzählung spielt vordergründig auf der Bühne der Familie, nun aber unter der Perspektive des Erbes und mit der Frage nach dem Erben.93 Deshalb fordert Sara: 89 Vgl.
Wöhrle, Fremdlinge, 68. Dort ist vielleicht auch Aschur zu suchen, das hier eher einen Ort oder die (unbekannte) Region der Aschuriter (25,3) als die Stadt am Tigris bezeichnet. Aber vielleicht verdankt sich das ominöse Aschschur hier nur einer Verlesung aus באכה שור. 91 Köckert, Gen 20–22, 166–173; die Geburtsnotizen haben durch 21,1a.7 zudem eine nach-priesterliche Gestalt (S. 161). 92 Vgl. van Seters, Abraham, 197; Knauf, Ismael, 18–19; Blum, Komposition, 311–315. 93 Es verwundert nicht, dass die Verben, die in V. 10 zur Beschreibung des Konflikts und seiner Lösung gebraucht werden, in familienrechtlichen Zusammenhängen begegnen: גרש Lev 21,7; 22,13 u. ö., ירשzur Übertragung des Eigentums Gen 15,3–4. 90
190
II. Zur Abrahamüberlieferung
10Vertreibe
diese Magd und ihren Sohn! Denn der Sohn dieser Magd soll nicht mit meinem Sohn erben, mit Isaak!
Kein Wunder, dass Saras Forderung Abraham missfällt, ist doch Ismael sein erstgeborener Sohn. Der Fall ist kompliziert, weil Abrahams Erstgeborener zugleich Sohn einer Sklavin ist, der Sohn der Hauptfrau dagegen nachgeboren. Eine genaue Entsprechung für diesen Fall findet sich in den biblischen Rechtstexten nicht. Immerhin sieht Dtn 21,17 vor, dass der Erstgeborene des Mannes einen Vorzugsanteil von zwei Dritteln erhält, auch wenn es sich nicht um den Sohn der geliebten, sondern um den der „ungeliebten Frau“ handelt. Im Codex Hammurapi § 170 sind bei mehreren Frauen alle anerkannten Söhne des Erblassers erbberechtigt. Da in 16,15 (P) ausdrücklich Abraham Ismael den Namen gibt und ihn damit als seinen Sohn anerkennt, wäre Ismael auf jeden Fall erbberechtigt. Doch zeigt Ri 11,3.7, wie man in derartigen Fällen verfahren ist. Dort vertreiben ( )גרשdie Söhne der Ehefrau ihren Halbbruder Jeftach, den Sohn einer Dirne, vom Hof, damit sie das Erbe nicht mit ihm teilen müssen. Freundlicher wird Abraham das Problem in 25,6 lösen, indem er die Söhne seiner Nebenfrauen mit Geschenken abfindet und „fortschickt“ ()שלח. Beide Verfahren hat der Erzähler im Falle Ismaels als irregulär empfunden. Das geht aus dem Missfallen Abrahams in V. 11 hervor. Deshalb muss eigens Gott eingreifen: 12Aber Gott sprach: Es missfalle dir nicht wegen des Jungen und wegen deiner Magd. Höre auf Sara in allem, was sie zu dir sagt; denn nach Isaak sollen deine Nachkommen benannt werden. 13Aber auch den Sohn der Magd will ich zu einem Volk machen, weil er dein Nachkomme ist.
Gott heißt Saras Forderung ausdrücklich gut (V. 12a) und begründet diese mit der Sonderstellung Isaaks (V. 12b), bevor er mit der Verheißung in V. 13 auch Ismaels Zukunft sichert.94 Die Intervention Gottes kommt nicht von ungefähr; denn mit dem Thema „erben“ ist in V. 10 nicht nur die Zukunft Isaaks im Blick, sondern die Zukunft all jener, die aus der Linie Abraham-Isaak-Jakob stammen werden (vgl. 21,12 mit 17,19–21). Auf der Ebene des Volkes aber ist das Erbe das verheißene Land. Die beiden Verben „vertreiben“ ( גרשPiel) und „erben, besitzen, in Besitz nehmen“ ( )ירשhaben auch für das Verhältnis Israels zu seinem Land entscheidende Bedeutung: Gott „vertreibt“ die Vorbewohner des Landes, und Israel „nimmt deren Land in Besitz“.95 In dieser Familiengeschichte geht es um mehr als lediglich um 94 Vgl. 95 Zu
Köckert, Gen 20–22, 169–171.
גרשPiel: Gott veranlasst den Pharao, dass der Israel aus Ägypten vertreibt (Ex 6,1;
11,1), bzw. vertreibt selbst die Bewohner des Landes (Ex 23,29–31; 33,2; Dtn 33,27; Jos 24,12.18; Ri 2,3; 6,9; Ps 78,55; 80,9). Zu ירשQal: Gen 15,7.8; 28,4; und zahlreiche Belege im Dtn und davon abhängigen Texten.
7. Hagar und Ismael
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Familie, es geht um Israel als Volk in einem Land anderer Völker. Deshalb heißt Gott Saras Forderung ausdrücklich gut, und Abraham gehorcht (V. 14). Der zweite Teil (V. 14–21) führt Hagar mit ihrem Sohn in die Wüstensteppe Beerschebas. Bald verirrt sie sich und ist dem Tode nahe. Da greift Gott ein: 17Gott
hörte ( )שמעdie Stimme des Jungen ()הנער, und der Bote Gottes rief Hagar vom Himmel her zu und sprach zu ihr: Fürchte dich nicht; Gott hat die Stimme des Jungen gehört ( )שמעdort, wo er ist. 18Auf, nimm den Jungen und halte ihn fest an deiner Hand; denn zu einem großen Volk will ich ihn machen.
Gottes Fürsorge gilt nicht nur Isaak, sondern auch Ismael und den mit ihm verbundenen Gruppen: Als Sohn Abrahams erhält er mit der Zusage, ein „großes Volk“ zu werden, Anteil an der Verheißung Abrahams (vgl. V. 18 mit 17,20; 12,2). Mit der Rettung Ismaels könnte der zweite Teil enden, aber nicht die Erzählung. Die muss nach der Intervention Gottes in V. 12–13 vielmehr zur endgültigen Trennung Ismaels von der Familie Abrahams führen. Davon erzählt V. 20: 20Gott war mit dem Jungen. Er wuchs heran und blieb in der Wüste und wurde ein Bogenschütze. 21Er blieb in der Wüste Paran, und seine Mutter nahm ihm eine Frau aus dem Land Ägypten.
Auch Ismael liegt Gott am Herzen, so dass der unter seinem Schutz heranwächst und sein Auskommen in der Wüste findet.96 Der Erzähler sucht die Wüste bei Paran. Das liegt – wen wundert’s – auf dem Weg nach Ägypten.97 Damit ist der Lebensraum Ismaels und der Seinen endgültig von dem Isaaks geschieden. Aus 16,3 erschließt der Erzähler, dass Hagar ihrem Sohn eine Ägypterin zur Frau gibt. Die Heirat Ismaels und der neue Lebensraum in der Nähe Ägyptens unterstreichen die Unwiderruflichkeit der Trennung von Abraham und den Seinen. (3) In den Vätergeschichten erscheinen die Ismaeliter zunächst in den östlichen Grenzregionen des Ostjordanlandes, so im Stammesspruch 16,12: „östlich seiner Brüder“ (vorpriesterlich), und in Nordwestarabien, wohin die Namen der Söhne Ismaels in 25,12–16.(18b) führen (P). Die nach-priesterlichen Texte suchen Ismael zunehmend im Süden Palästinas, in den Wüstensteppen auf dem Sinai östlich von Ägyptens (16,7b; 16,14b; 21,21; 25,18a). Diese ‚literargeschichtliche Wanderung‘ entspricht bis zu einem gewissen Grad dem, was wir historisch über die Verbreitung jener arabischen Gruppen 96 „Wüste“ ist hier ein Ort, an dem man leben kann, wenn man sich angemessen zu verhalten weiß. In dieser „Wüste“ gibt es Gesträuch (V. 15) und mitunter auch ein Wasserloch (V. 19). Es handelt sich also eher um das, was wir Steppe nennen, einen kargen, vom Kulturland unterschiedenen Raum. 97 Paran und die nach diesem Ortsnamen benannte Wüste liegen vielleicht im Umkreis des Wadi Feran (1 Kön 11,18) auf dem Sinai (vgl. Jericke, Ortsangaben, 151).
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II. Zur Abrahamüberlieferung
seit assyrischer Zeit wissen, die in der Abrahamüberlieferung zu Ismael gezählt werden. Einige von ihnen begegnen in der Perserzeit im Ostjordanland.98 Andere breiten sich bis nach Südpalästina aus, was dann zu Konflikten mit Juda/ Jehud führt. Die Ausbreitung in den Süden könnte ihren Niederschlag auch in dem Nebeneinander von ismaelitischen und midianitischen Händlern auf dem Weg nach Ägypten in 37,25–28 gefunden haben. Doch hatten schon die Assyrer protoarabische Gruppen mit der Sicherung der Wege nach Ägypten betraut.99 In der Mitte des 5. Jh. wird Qedar die wichtigste Macht in Südpalästina. Das erklärt Unheilsansagen gegen Qedar wie Jes 21,16–17 und die Erwartung, der Reichtum der Herden der Qedar und der Nebajoth werde nach Zion gebracht (Jes 60,7). Schließlich kontrolliert Qedar als Klientel-Königtum der Perser einen Bereich, der später dem Reich der Nabatäer entspricht.100 Auf dem Hintergrund dieser Entwicklung verwundert nicht, dass der als Gegner Nehemias bekannte Geschem (Neh 2,19; 6,1.2.6), ein König oder Häuptling der Qedar, „den ganzen Süden Palästinas und den nördlichen Hegaz“ beherrscht.101 Nachtrag: Die Monographie zu Hagar und Ismael von T. Naumann (Ismael. Israels Selbstwahrnehmung im Kreis der Völker aus der Nachkommenschaft Abrahams [WMANT 151], Göttingen 2018) trägt leider zu den literargeschichtlichen und historischen Fragen der oben behandelten einschlägigen Texte nichts bei, da der Vf. über eine synchrone Textanalyse nicht hinausgehen will. Die wenigen Bemerkungen zu den „historischen Ismaelitern“ (S. 406–415 argumentieren lediglich auf der Basis der biblischen Texte; ansonsten schließt sich der Vf. den Hypothesen Knaufs an.
98 Vielleicht spiegelt sich dieser Prozess auch in den Ehen Esaus mit Töchtern Ismaels (Gen 28,9; 36,3). 99 Auf seinem Ägyptenzug ordert Asarhaddon arabische Hilfstruppen für den Wassertransport: „Kamele aller Könige von Arabien bot ich auf und belud sie …“ (TUAT I, 399). 100 Vgl. Hübner, Arabs, 39. Das verwundert nicht, wenn man mit Knauf davon ausgeht, dass die Nabatäer anfänglich eine Untergruppe der Qedar waren (Ismael, 106). 101 Knauf, Ismael, 104–105 (im Anschluss an Alt, Judas Nachbarn zur Zeit Nehemias, PJ 27 [1931], 66–74 = KS II, 338–345, bes. 343–345, mit dem Hinweis auf Herodot, Hist. III, 4,3, der „den König der Araber“ auf der Sinaihalbinsel kennt), vgl. Hübner, Ammoniter, 213–215.
8. Gottes „Bund“ mit Abraham und die „Erwählung“ Israels in Gen 17 In meiner Studienzeit war die Welt der alttestamentlichen Wissenschaft noch wohlgeordnet. Da gab es für fast alle Fragen zu Gen 17 bündige Antworten, und kaum einer widersprach. Von dieser paradiesischen Zeit können wir nur noch träumen. Heute gibt es auch zu Gen 17 mehr Fragen als konsensfähige Antworten. Zu den wichtigeren Fragen gehört zweifellos die nach den inhaltlichen Bestimmungen des „Bundes“, den Gott hier Abraham gewährt.1 Wem gilt dieser Bund? Die klassische Antwort lautet: Der „Bund“ gilt allein Abraham und der Linie der Nachkommenschaft, die über Isaak und Jakob zu Israel führt. Diese Antwort ist jedoch in den letzten zwanzig Jahren nicht nur mit exegetischen Gründen bestritten worden. Seither findet eine andere Deutung wachsende Zustimmung: Der Abrahambund gelte keineswegs nur Israel, sondern allen Völkern, die von Abraham abstammen. Diese Deutung wird in verschiedenen Spielarten vertreten. Deshalb verschaffen wir uns zunächst einen kurzen Überblick. Dabei kommen die tragenden Voraussetzungen und wichtigsten exegetischen Argumente in den Blick. Sie bestimmen den Gang unserer kritischen Prüfung.
1. Deutungen des Bundes in Gen 17 auf alle Nachkommen Abrahams Schon 1975 hatte John van Seters einen neuen Ton in die Diskussion gebracht, indem er von einem „ecumenical spirit“2 in P sprach. Dabei spielte die Beschneidung der zum Haushalt Abrahams gehörenden Nichtisraeliten die entscheidende Rolle: Gen 17 ermöglicht durch die Beschneidung deren Eingliederung. Außerdem erhält Ismael einen eigenen Segen, so dass „the covenant would seem to be wider than Israel“.3 Dieses Argument hat jüngst Jakob Wöhrle noch vertieft und ausgebaut: Ismael trägt als Beschnittener das „Zeichen des Bundes“ an seinem Leib, was auch für die Söhne der Ketura (und für Esau) vorausgesetzt 1 Das hebr. Wort בריתwird hier ganz konventionell mit „Bund“ übersetzt und fortan auch nicht mit Anführungszeichen versehen, obwohl diese Übersetzung schon seit J. J. P. Valeton „keinen Beifall“ mehr findet (Bedeutung und Stellung des Wortes Berith im Priestercodex, ZAW 12 [1892] 1–22, 5); wegen der Schwierigkeiten, dafür ein brauchbares deutsches Wort zu finden, begnügte er sich mit einigen sachlichen Umschreibungen. 2 J. van Seters, Abraham in History and Tradition, New Haven/London 1975, 293. 3 A. a. O. 291.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
wird. Die können dann vom Bund nicht ausgeschlossen sein, wie Mark Brett einwendet.4 Im Gefälle von Gen 17 sei Ismael – so Jakob Wöhrle – der „exemplarische Fremde“, der aufgrund seiner Beschneidung „von außen in den Abrahambund integriert“ werde.5 Allerdings halten Brett und Wöhrle sowohl das Beschneidungsgebot V. 9–14 als auch den Bericht über die erfolgte Beschneidung in V. 23–27 für redaktionelle Nachträge, so dass für sie die Integration Ismaels und damit die von Nichtisraeliten in den Abrahambund nicht zum ursprünglichen Profil von Gen 17 gehört.6 – Diese Argumentationslage nötigt dazu, nicht nur das Verhältnis von Beschneidung und Teilhabe am Bund genauer zu prüfen, sondern auch die literarische Zugehörigkeit der Beschneidungsordnung zu Gen 17, die seit Rudolf Smend sen. und Carl Steuernagel immer wieder auf unterschiedliche Weise bestritten wird.7 Darüber geht Thomas Naumann weit hinaus.8 Er beurteilt das Kapitel als literarische Einheit. Für seine Deutung ist neben der Beschneidung Ismaels die erste Bestimmung des Bundes in V. 5 grundlegend: Gott sagt Abraham zu, er soll Vater einer Menge von Völkern werden. „Im Duktus der Gesamterzählung sind diese גויםneben Israel eine Vielzahl von Völkern Transjordaniens und Nordarabiens, die in den Genealogien … Gen 25; 36 … erfasst werden.“9 Der „Abraham-Bund“ umfasst also nicht nur Ismael und seine Nachkommen, sondern auch die Söhne der Ketura, ja sogar Esau und dessen Nachfahren. Naumann sieht zwar, dass für Ismael lediglich der Schöpfungssegen wiederholt und dass ihm keine V. 19 entsprechende Bundeszusage gegeben wird; dennoch seien die V. 19–21 „weder Korrektur noch Eingrenzung des Abrahambundes, sondern eine 4 M. G. Brett, Reading the Bible in the context of methodological pluralism: The undermining of ethnic exclusivism in Genesis, in: R. Carroll (Hg.), Rethinking Contexts, Rereading Texts (JSOT.S 299), Sheffield 2000, 48–74, bes. 73: „… the circumcision of Ishmael contradicts the exklusivism of vV. 19–21 by holding to the inclusivism of vV. 9–12.“ 5 J. Wöhrle, Fremdlinge im eigenen Land. Zur Entstehung und Integration der priesterlichen Passagen der Vätergeschichte (FRLANT 246), Göttingen 2012, 211–212 mit Anm. 18. 6 Brett, Reading, 73, resümiert: „In short, the editors have smudged the edges of the covenant tradition by gently undermining its exclusivist tendenca.“ Er schließt daraus, dass „the covenant is seen as broader than Israelite kinship“; vgl. J. Wöhrle, The Integrative Function of the Law of Circumcision, in: R. Albertz u. a. (Hg.), The Foreigner and the Law (BZAR 16), Wiesbaden 2011, 71–87, bes. 78–81. 7 R. Smend, Die Erzählung des Hexateuch auf ihre Quellen untersucht, Berlin 1912, 9, hält V. 12b.13a für nachgetragen und V. 23–27 für stark erweitert; C. Steuernagel rechnet nur 17,7–8.11b.13b.14.16a.17–21 zu PG (Bemerkungen zu Genesis 17, in: K. Marti [Hg.], Beiträge zur alttestamentlichen Wissenschaft Karl Budde zum siebzigsten Geburtstag am 13. April 1920 überreicht von Freunden und Schülern [BZAW 34], Giessen 1920, 172–179). 8 Die bislang unpublizierte Habil.-Schrift war mir nicht zugänglich [Inzwischen s. aber: Ders., Ismael. Israels Selbstwahrnehmung im Kreis der Völker aus der Nachkommenschaft Abrahams (WMANT 151), Göttingen 2018]. Ich stütze mich auf die übrigen in der Bibliographie angegebenen Arbeiten, in denen der Vf. seine Thesen wiederholt vorgetragen hat. 9 Th. Naumann, Ismael – Abrahams verlorener Sohn, in: R. Weth (Hg.), Bekenntnis zu dem einen Gott? Christen und Muslime zwischen Mission und Dialog, Neukirchen-Vluyn 2000, 70–89, bes. 80.
8. Gottes „Bund“ mit Abraham in Gen 17
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Bekräftigung dessen, was in V. 4–8 Abraham und allen seinen Nachkommen zugesprochen wurde“.10 Insofern nehmen die V. 15–21 Isaak in den Abrahambund auf, in dem sich Ismael bereits befindet.11 Albert de Pury hat diese Position noch verstärkt. Er argumentiert mit der Struktur des Kapitels und mit dem Verständnis der „Völker“ und „Könige“ als einer „multi-nation-posterity“, die aus Abraham hervorgehen solle. Da diese Verheißung schon zu Beginn als erster Akt des Bundesschlusses in V. 4–6 gegeben wird, könne eben diese Nachkommenschaft nicht wenig später aus dem „ewigen (!) Bund“ ausgeschlossen sein.12 Da die Zusagen eines besonderen Gottesverhältnisses und des Landbesitzes „dir und deiner Nachkommenschaft nach dir“ gelten, haben auch die darin beschlossenen Völker Anteil an diesen Gaben.13 Konrad Schmid folgt in der Sache Naumann und de Pury. Er beobachtet die nahezu gleichen Formulierungen der Mehrungsverheißung für Abraham (in V. 2.6 als „Bund“) und für Ismael (in V. 20 als Segen) und folgert daraus: Die V. 19–21 wollen nicht Ismael aus dem Abrahambund ausschließen, sondern vielmehr Isaak in ihn integrieren. Der Abrahambund verheiße der „‚abrahamitische(n) Ökumene‘ von Arabern (‚Ismael‘), Israel (bzw. Samaria) und Juda (‚Jakob‘) und Edom (‚Esau‘)“ als „beteiligten Bundespartner(n) spezifisch Mehrung, Landgabe und Gottesnähe“.14 Mit alledem wird das traditionelle Bild geradezu auf den Kopf gestellt. – Indes, erlauben Struktur und Gedankenführung des Kapitels diese Schlussfolgerungen? Und ist die Deutung der Völker und Könige als „multi-nation-posterity“ naheliegend, gar alternativlos? Wer den Abrahambund „ökumenisch“ deutet, muss sich der Frage stellen, ob und wie Gen 17 die besondere Rolle Israels zum Zuge bringt. Albert de Pury beantwortet sie in der Perspektive der Gesamtkomposition der Priesterschrift mit der kultischen Funktion im Heiligtum, die allein Israel zukomme. Überdies habe die Wendung „leben vor dir“ ( )חיה לפניךin V. 18 einen kultischen Horizont. Aus Abrahams Einwand „Möchte doch Ismael leben vor dir“ (V. 18) und Gottes Ver10 Ebd.
11 Mit alledem will Naumann Ismael und Isaak nicht einfach gleichstellen: „Die theologischen Bewertungen Ismaels betonen Nähe und Vergleichbarkeit zu Isaak, sie zielen nicht auf Gleichrangigkeit, wohl aber auf die Zuordnung der verschiedenen Abrahamsöhne in einer gemeinsamen Segens- und Bundeskonzeption“ (Ismael 2000, 88, vgl. ders., The Common Basis of the Covenant and the Distinction between Isaac and Ishmael in Gen 17. The Case of Ishmael and the Non-Israelite Descendants of Abraham in the Priestly Source, in: R. Achenbach u. a. [Hg.], The Foreigner and the Law. Perspectives from the Hebrew Bible and the Ancient Near East [BZAR 16], Wiesbaden 2011, 89–110, bes. 106). Was hinsichtlich des Segens kaum strittig ist, steht freilich hinsichtlich des Bundes gerade in Frage. 12 A. de Pury, Die Patriarchen und die Priesterschrift/ Les Patriarches et le document sacerdotal. Gesammelte Studien zu seinem 70. Geburtstag/Recueil d’articles, à l’occasion de son 70e anniversaire (AThANT 99), Zürich 2010, 79. 13 Zu dieser weiten Deutung der Landverheißung s. de Pury, Patriarchen, 63–69. 14 K. Schmid, Gibt es eine „abrahamitische Ökumene“ im Alten Testament?, in: A. C. Hagedorn/H. Pfeiffer (Hg.), Die Erzväter in der biblischen Tradition, FS M. Köckert (BZAW 400), Berlin 2009, 67–92, bes. 84.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
weis auf Isaak (V. 19) schließt de Pury: Nicht Ismael, sondern allein Isaak sei zum Priesterdienst berufen.15 Auch in dieser Hinsicht ist ihm Konrad Schmid gefolgt. Zwar lasse sich Ismaels Zugehörigkeit zum Abrahambund aus V. 23–27 nicht begründen. Doch setzen V. 15–21 Ismael und Isaak in ein Verhältnis. Die Konkordanz zeige, dass mit der Formulierung „vor Jhwh“ die kultische Präsenz vor Jhwh im Heiligtum gemeint sei. In dieser, aber nur in dieser Hinsicht ist „Ismael … nicht in gleicher Weise Partner im Bunde Gottes wie Isaak“.16 – Diese Rettung einer Sonderstellung Isaaks hängt allerdings ganz und gar an dem unterstellten kultischen Horizont der Wendung „leben vor Jhwh“.
2. Überprüfung der Argumente Die exegetischen Argumente der neuen Deutung betreffen (1) Anlage und Gedankenführung des Textes, (2) die Gestalt der Mehrungsverheißung in V. 4–6, (3) die literarische Zugehörigkeit des Beschneidungsgebots, (4) das Verhältnis von Beschneidung und Bund, (5) die Berufung Israels zu kultischer Nähe bzw. „priesterlichem Dienst“ und (6) die Einbettung von Gen 17 in die Konzeption der priesterlichen Brückentexte. Diese Hauptargumente gilt es nun zu prüfen. 2.1 Aufbau und Gedankenführung Das Verständnis des Kapitels hängt entscheidend von der „inneren Dynamik“ ab, „in welcher der Inhalt der בריתfortschreitend näher bestimmt und präzisiert wird“17. Man darf deshalb die einzelnen Aussagen des Textes nicht voneinander isoliert betrachten, sondern muss sie im Gefüge des Ganzen verstehen. (1) Aufbau Der außerordentlich komplexe Inhalt dieses Schlüsseltextes der Priesterschrift ist überraschend einfach strukturiert.18 Ein knapper Rahmen des Erzählers umschließt eine mehrteilige Gottesrede: In V. 1a erscheint Jhwh19, in V. 22 verlässt Gott Abraham. Weil Gott im Mittelteil seiner Rede (V. 9–14) die Beschneidung anweist, darf ihr Vollzug nicht fehlen. Der wird sogleich nach der Gottesrede in 15
De Pury, Patriarchen, 66, 81. Schmid, Ökumene, 81 (Hervorhebung von Sch.). 17 E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte (WMANT 57), Neukirchen-Vluyn 1984, 421 (Hervorhebung von B.). 18 Die grundlegenden Beobachtungen zur Anlage des Kapitels haben S. E. McEvenue, The Narrative Style of the Priestly Writer (AnBib 50), Rom 1971, 145–178, bes. 158 f., und W. Gross, Bundeszeichen und Bundesschluß in der Priesterschrift, TrThZ 87 (1978) 98–115, 109–113; ders., Zukunft für Israel. Alttestamentliche Bundeskonzepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176), Stuttgart 1998, 53–60, mitgeteilt. 19 Zum Tetragramm in V. 1 s. Blum, Komposition, 421 mit Anm. 10. 16
8. Gottes „Bund“ mit Abraham in Gen 17
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V. 23–27 berichtet. Wenige Redeeinführungen gliedern die Gottesrede in fünf Abschnitte: V. 1b–3a, V. 3b–8, V. 9–14, V. 15–18, V. 19–21. Das initium der Rede in V. 1–3a mit Selbstvorstellung Gottes, Imperativen, Ankündigung einer בריתund Mehrungsverheißung scheint durch die Reaktion Abrahams in V. 3a und durch den Wechsel von der Präformativkonjugation in V. 2 zu wAK in V. 4–8 vom Korpus abgesetzt zu sein. Es hat offenbar die gesamte Rede im Blick. Dazu würde die Eröffnung des Fortgangs mit V. 3b passen. Denn hier heißt es nicht nur: „Er/Gott sprach zu ihm/zu Abraham“ (wie in V. 1.9.15.19), sondern: „Gott redete mit ihm“ ()דבר אתו. Dem entspricht der Abschluss in V. 22: „Als er aufgehört hatte, mit ihm zu reden, stieg Gott von Abraham auf.“ „Mit jemandem reden“ setzt ein dialogisches Moment voraus, und das ist nur im letzten Teil der Rede mit dem Einwand Abrahams und mit Gottes Antwort gegeben (V. 15–21). Drei Beobachtungen sprechen freilich dagegen, V. 1–3 vom Folgenden so stark abzusetzen. Abraham fällt nicht nur in V. 3 nieder, sondern auch in V. 17. Allerdings beendet diese Reaktion Abrahams dort nichts; sie fordert vielmehr Gottes Antwort heraus. Weiter fällt auf, dass die beiden Verben des Schöpfungssegens „fruchtbar und zahlreich machen“ nicht als Paar auftreten, sondern in umgekehrter Abfolge auf V. 2 ( )רבהund V. 6 ()פרה verteilt sind. Vor allem aber kündigt Gott in V. 2 nur an: „Ich will meinen Bund geben“ (Kohortativ). Erst mit der Deixis in V. 4 überreicht er die Gabe tatsächlich, bzw. ‚schließt er den Bund‘: „Ich – da, mein Bund mit dir …“20 Diesem vorangestellten „Ich“ in V. 4 entspricht das betonte „Du“ in V. 9. Der Bund, den Gott in V. 7–8 Abraham und seinen Nachkommen ankündigt, bedarf der persönlichen Aneignung durch den einzelnen. Das geschieht mit der Beschneidung als „Zeichen des Bundes“. Sie wird in V. 9–14 geordnet. So sind die Verheißungen V. 2–8 und das Gebot der Beschneidung V. 9–14 durch die Korrespondenz von „Ich“ und „Du“ sub voce בריתaufeinander bezogen. Der Abschnitt hat außerdem einen Rahmen: Dem Anfang in V. 9 („Du aber – meinen Bund sollst du bewahren“) korrespondiert der Schluss in V. 14 („Meinen Bund hat er gebrochen“). Die V. 15–18.19–21 setzen deutlich neu ein. Nur hier kommt es zu einem Wortwechsel, der Abraham (und uns) zu einem entscheidenden Erkenntnisgewinn verhilft. Als Neueinsatz geben sie sich dadurch zu erkennen, dass sie das strukturelle Muster der V. 2–8 aufnehmen: Gott kündigt an (in V. 2 die Mehrung, in V. 16 einen Sohn), Abraham fällt auf sein Angesicht (in V. 2 anbetend, in V. 17 20 Man sollte also V. 1–3 nicht als vorangestellte Summe absetzen (wie ich das noch in Leben in Gottes Gegenwart, FAT 43, Tübingen 2004, 79–82, getan habe), sondern eher mit V. 4 ff. zusammen sehen. Die Wendungen zur Eröffnung der Redeabschnitte markieren offenbar nicht die Zäsuren der Hauptteile. Zur Deixis als syntaktisches Signal für den Bundesschluss s. Gross, Bundeszeichen, 107 f. (zu Gen 9,12: „Indem Gott das Zeichen setzt, schließt er die b.rit.“) und 112 (zu 17,4: bezeichnet „die Sprechhandlung des b.rit-Gebens“); er weist außerdem auf die Fortführung in 17,5b mit w=qatal-x hin.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
räsonierend), Gott entfaltet und präzisiert seine Gabe (für Abraham in V. 4–6, für Abraham und seine Nachkommen in V. 7 f., für Isaak und Ismael in V. 19–21); hinzu kommen die neuen Namen (in V. 5 Abraham für Abram, in V. 15 Sara für Saraj und in V. 19 Isaak für den noch ungeborenen Sohn). (2) Fortschreitende Präzisierung des Inhalts Die inklusive Deutung geht davon aus, dass Gottes Bund in der Formulierung der V. 7–8 allen Nachkommen Abrahams gelte und deshalb weder Ismael noch den Söhnen Keturas mit Midian noch Esau abgesprochen werden könne.21 Müsste aber dann nicht auch Isaak schon in V. 7 f. inbegriffen sein? Warum bedarf es dann noch einer ausdrücklichen Bundeszusage für Isaak, wie Gott sie in V. 19.21 gibt? Die komplexe Gedankenführung des Kapitels ist offenbar nur deshalb nötig, weil zwischen den Nachkommen Abrahams ohne Sara und den Nachkommen Abrahams in der Verbindung mit Sara differenziert werden soll.22 Aus der Art der Gedankenführung erschließen sich die Unterschiede. Der Ankündigung eines Bundes für Abraham in V. 2 folgt in V. 4 seine ‚Übergabe‘ oder der ‚Bundesschluss‘. Dabei wird die zugesagte Mehrung entfaltet (V. 4–6). Zunächst wiederholt Gott mit Fruchtbarkeit (und Mehrung) den Schöpfungssegen, der allen Menschen gilt, auch über Abraham. Dann aber entfaltet er das Thema Mehrung in einer eigentümlichen Weise: Abraham soll „Vater einer Menge von Völkern ( “)גויםwerden, und „Könige“ ( )מלכיםwerden aus ihm hervorgehen. Vergleichbares begegnet sonst nur noch bei Sara (17,16) und Jakob (35,11). Während der Bund in V. 2–6 allein Abraham23 gilt, kündigt Gott in V. 724 einen Bund mit Abraham und dessen Nachkommen an, so dass nun jede künftige Generation der Gaben dieses Bundes teilhaftig werden soll. Insofern kann erst hier und nicht schon bei Abraham selbst von einem „ewigen Bund“ gesprochen werden. Mit der Erweiterung des Bundes auf Abrahams Nachkommen wechselt 21 Zuletzt wieder Schmid: „… die gesamte (!) Nachkommenschaft Abrahams“ (Ökumene, 80). Doch formuliert P in V. 7 viel offener („deine Nachkommenschaft nach dir in ihren Generationen“), offenbar wegen der in V. 19–21 folgenden Differenzierung innerhalb der Nachkommenschaft. 22 Zur Differenzierung innerhalb der Nachkommenschaft Abrahams vgl. auch Gen 21,12 f. (nach-P): Zwar sind beide, Isaak und „der Sohn der Magd“, זרעAbrahams, aber erbrechtlich (vgl. 48,6 im Zusammenhang mit dem Thema )!נחלהsteht nur Isaak für Abrahams Nachkommenschaft. 23 So schon Gross, Bundeszeichen, 109–111, aber auch Schmid, Ökumene, 75. 24 Als Ankündigung mit dem Verb הקיםsind V. 7 f. von der Ankündigung mit dem Verb נתן in V. 2 und von dem Bundesschluss V. 4–6 abgesetzt, was Naumann übersieht, wenn er mit der „inner structure of Gen 17:2–8“ argumentiert (Basis, 94) oder von „the recent covenantal act (vv. 4–8)“ spricht (Basis, 101). Gross geht aufgrund der von ihm beobachteten Unterscheidung von Ankündigung und Bundesschluss von drei Bünden aus: 1. mit Abraham allein (V. 2–6), 2. mit Abraham und seinen Nachkommen nach ihm (V. 7–18), 3. mit Isaak (V. 19–21) (Bundeszeichen, 109–113).
8. Gottes „Bund“ mit Abraham in Gen 17
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das Verb von נתןin V. 2 zu הקיםin V. 7. Nur die Priesterschrift gebraucht diese alltäglichen Verben im Kontext von ברית, wohl um die sonst übliche Formulierung כרת בריתzu vermeiden. Die ließ zu deutlich vertragsrechtliche Töne und Wechselseitigkeit anklingen25, zwei für das priesterschriftliche Verständnis von ברית wenig geeignete Assoziationen. Vor allem aber implizierte diese plastische Wendung die Schlachtung eines Tieres beim Ritual eines Bundesschlusses. Derartiges ist sowohl bei Noah (Gen 9,9.11.17) als auch bei Abraham (Gen 17,7.19.21) und Mose (Ex 6,4) ausgeschlossen, weil es für die Priesterschrift keine profane Schlachtung26 gibt und die Opferbestimmungen erst in Lev 1–7 gegeben werden.27 Eine begriffliche Unterscheidung zwischen dem Aufrechterhalten ()הקים eines schon vorher errichteten ( )נתןBundes empfiehlt sich also nicht.28 In Verbindung mit בריתbezeichnen beide Verben in der Priesterschrift das Errichten oder Schließen eines Bundes. Das lehrt auch Gen 6,18. Dort wird das Verb הקים gebraucht, obwohl kein Bundesschluss vorausgeht.29 Inhaltlich ist der Bund für Abraham und seine Nachkommen von der traditionellen Landgabe bestimmt, allerdings ebenfalls in einer neuen Gestalt.30 Thematisch gänzlich neu ist jedoch die Zusage eines besonderen Gottesverhältnisses. Hieran war der Priesterschrift offenbar besonders gelegen. Beide Inhalte, das Land Kanaan und das besondere Gottesverhältnis, gehen über den Schöpfungssegen hinaus. Beide gelten allein Abraham und seinen Nachkommen. Der Ton liegt auf dem besonderen Gottesverhältnis, wie die rahmende Wiederholung nach der Landgabe zeigt. Nachdem Gott seinen Bund mit Abraham und dessen Nachkommen angekündigt und die damit verbundenen Gaben genannt hat (V. 7 f.), teilt er Abraham mit, wie er und seine Nachkommen nach ihm in den Genuss dieser Gaben kommen. Dazu ordnet er in V. 9–14 die Beschneidung an. Schließlich erklärt Gott in V. 15–21, wer zur Nachkommenschaft Abrahams im Sinne des Bundes gehört. Jetzt kommt Sara ins Spiel. Nach einer Segens25 So
Gross, Zukunft, 49. Für die priesterlichen Texte im weiteren Sinne s. Lev 17,3–4. 27 So die Erklärung des Sprachgebrauchs bei P durch J. Day, Why Does God ‚Establish‘ rather than ‚Cut‘ Covenants in the Priestly Source? in: A. D. H. Mayes/R . B. Salters (Hg.), Covenant as Context. Essays in Honour of E. W. Nicholson, Oxford 2003, 92. 28 Gegen Naumanns Verständnis von V. 19.21 als „a particular affirmation of the recent covenantal act (vv. 4–8)“ (Basis, 101). 29 Mit Day, Covenant, 100 (er weist auch auf Gen 9,9.11.17 hin, wobei V. 17 wegen rückblickender Afformativkonjugation besonders aufschlussreich ist), gegen J. Milgrom, Leviticus 23–27. A New Translation with Introduction and Commentary (AB), New York 2001, 2343–2346, u. a. Eine derartige begriffliche Unterscheidung greift nur in jenen Texten, die הקים בריתeinem כרת בריתgegenüberstellen wie Dtn 8,18 nach 5,2.3; 7,2 oder Jer 34,18 nach 34,8.13.15. Es ist deshalb verfehlt, Gen 17,7–8 als Einlösung der in V. 2 gegebenen Zusage zu deuten und so die Abraham allein geltenden Verheißungen in V. 2–6 auf die Adressaten der V. 7–8 zu beziehen. 30 S. nur ארץ מגוריך, כל ארץ כנען, לאחזת עולם. 26
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II. Zur Abrahamüberlieferung
ankündigung für Sara erhält Abraham die verpflichtende Zusage: „Auch von ihr bestimme ich dir hiermit einen Sohn“ (V. 16). Was wir von Abraham aus V. 4 f. schon wissen, wird jetzt in leichter Variation über Sara wiederholt: Auch sie soll zu „Völkern“ ( )גויםwerden, und „Könige von Völkerschaften“ ()מלכי עמים werden von ihr stammen. Nichts legt nahe, dass hier andere Größen gemeint sind als in V. 6. Dann können aber auch in V. 4–6 weder Ismael noch die Söhne der Ketura inbegriffen sein.31 Die V. 19–21 präzisieren schließlich, mit wem Gott seinen „Bund als einen ewigen Bund aufrichtet“: mit Isaak, nicht mit Ismael.32 Das schärft V. 21 noch einmal unübersehbar ein. Ismael wird dagegen in V. 20 lediglich eines Segens und der Mehrung zu einem „großen Volk“ mit „zwölf Fürsten“ gewürdigt.33 Die Formulierung des Segens wiederholt den Schöpfungssegen, der allen Menschen gilt. Diese Segensworte stellen Ismael gewiss „in eine Reihe mit Noach und den israelitischen Erzvätern Abraham und Jakob“ (wie Naumann immer wieder betont)34, aber eben nicht nur mit diesen, sondern mit allen Menschen. Der Segen begründet gerade keine differentia specifica, die Ismael nur mit Abraham, Isaak und Jakob verbindet und ihn mit diesen aus dem Meer aller Menschen heraushebt. Die Antwort Gottes auf Abrahams Einwand ist also – gegen Naumann u. a. – keineswegs „nur eine Bekräftigung dessen, was in V. 4–8 Abraham und allen Nachkommen zugesprochen worden ist“. Denn Gott richtet seinen Bund allein mit Isaak auf und gerade nicht mit Ismael. Hätten die V. 19–21 einen Bund, der seit V. 7 f. schon Ismael gilt, nur noch auf Isaak ausweiten sollen, wäre es ein Leichtes gewesen, in V. 19 das Wörtchen גםeinzufügen. Dagegen markiert V. 21 mit der syntaktischen Inversion35 („aber meinen Bund richte ich mit Isaak 31 Vgl. G. von R ad, Das erste Buch Mose Genesis übersetzt und erklärt (ATD 2/4), Göttingen 91972, 156: „Man trifft den Sinn dieser Verheißung schwerlich, wenn man dabei vornehmlich an die Ismaeliter, Edomiter und Keturasöhne … denkt; … da unten die gleiche Zusage an Sara gerichtet ist (V. 16).“ 32 Das sieht auch Wöhrle ganz klar: „An dieser Stelle wird also festgehalten, dass der zuvor mit Abraham und seinen Nachkommen geschlossene ewige Bund nur auf Isaak und dessen Nachkommen übergeht … Ismael hat nach Gen 17,18–21 keinen Anteil an diesem Bund“ (Fremdlinge, 211, mit weiteren Argumenten in Anm. 18). 33 Schon Valeton, Bedeutung, 14, zieht daraus den Schluss: „Die Berith aber bezieht sich nur auf den zu erwartenden Sohn der Sara“, während es für Ismael „bei einem einfachen Segen“ bleibt. 34 Th. Naumann, Ismael – Abrahams Sohn und arabischer Erzvater. Biblische Wege zum Verständnis des Islam, Blätter Abrahams Heft 2 (2003) 48–79, bes. 71. 35 Die hat Naumann (Basis, 102) übersehen. Eine Inversion ist allerdings keine überzeugende Stütze für eine inklusive Deutung. Gerade die Inversion der ( בריתV. 21) gegenüber dem Segen (V. 20) muss gegen Naumann als „an adversative juxtaposition of the gifts promised to Isaac and Ishmael in v. 19–21“ gedeutet werden (Basis, 102). An der Inversion scheitert auch seine unbeweisbare Deutung der V. 19–21 „as complementary declarations“, die beiden (!) Abrahamssöhnen gemeinsam (!) gelten (Basis, 105). Der „ewige Bund“ mit Isaak in V. 19–21 verbindet mit V. 7 f., nicht mit V. 4–6. Insofern liegen „Bund“ und „Segen“ nicht einfach auf derselben Ebene, wie Schmid, Ökumene, 81, mit weiteren Gewährsleuten annimmt.
8. Gottes „Bund“ mit Abraham in Gen 17
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auf “) einen Gegensatz zwischen dem Mehrungssegen für Ismael und dem ewigen Bund für Isaak.36 Wortlaut und Syntax von V. 19–21 sprechen entschieden gegen die Behauptung, es gehe hier nur um die theologische Plazierung beider Söhne Abrahams im Bund, der beide einschließe.37 Gerade die Wiederholung des „ewigen Bundes“ (V. 7) allein bei Isaak (V. 19) zeigt an, dass „V. 19–21 als verbindliche Interpretation der Zusagen in V. 7 f. verstanden sein wollen: ‚זרע Abrahams‘ im theologisch relevanten Sinne ist die Linie Isaaks“.38 Noch aber ist nur der Bund mit Abraham in der Gestalt der Verheißung von Mehrung nicht nur angekündigt (V. 2), sondern auch vollzogen worden (V. 4–6). Vom Bund mit Abraham und seinen Nachkommen nach ihm in der Gestalt besonderer Gottesnähe und Landgabe war dagegen bislang nur als Ankündigung die Rede (V. 7–8.19.21). Da bei diesem Teil des Bundes zwischen Gottes Geben (in der Verheißung V. 7–8.19.21) und dem Empfangen durch die Adressaten (in der Beschneidung V. 9–14) unterschieden wird, muss die Beschneidung nun auch tatsächlich vollzogen werden, damit der „Bund“ wirksam wird. Das geschieht ausdrücklich bei Abraham und „seinem Haus“. Wenn also V. 23–27 und – nach der Geburt Isaaks – auch 21,4 von der Durchführung der Beschneidung erzählen, dann geschieht das nicht, „um den Gesetzesgehorsam Abrahams zu betonen, sondern weil erst durch diese erste Beschneidungshandlung die verheißene b.rit aktuell wird“.39 (3) Fortschreitende Differenzierung der Adressaten des Bundes Der Gedankengang des gesamten Kapitels wurde mit einem Gefälle auf Isaak hin konzipiert. Das lässt sich an der fortschreitenden Differenzierung der Adressaten des Bundes beobachten. Abschnitt für Abschnitt werden sie weiter unterschieden40, so dass auch in dieser Hinsicht die V. 15–21 als Ziel der Gedankenbewegung in Gen 17 hervortreten. In V. 2–6 geht es allein um Abraham, wie die Umbenennung zeigt, in V. 7–14 jedoch um Abraham und seine Nachkommen. Allerdings wird Abrahams Nach36
Schmid versucht, die Inversion in eine „bekräftigende Inklusion“ umzudeuten (Ökumene, 81) – syntaktisch m. E. unmöglich, s. nur W. Gross, Die Satzteilfolge im Verbalsatz alttestamentlicher Prosa. Unter Mitarbeit von A. Diße und A. Michel (FAT 17), Tübingen 1996, 141. Außerdem meint er, „die doppelte Verwendung der ‚Bundes‘-Terminologie“ bei Isaak mit dem Hinweis neutralisieren zu können, ein Bundesschluss mit einer noch gar nicht geborenen Person bedürfe „besonderer terminologischer Hervorhebung“ (Ökumene, 81, was Naumann, Basis, 101, 106, übernimmt) – eine Verlegenheitsauskunft. Doch es handelt sich in V. 19.21 gar nicht um einen Bundesschluss, sondern um dessen Ankündigung; sie entspricht darin den anderen Verheißungen in Gen 17 mit ihren nicht weniger „waghalsige(n)“ Ankündigungen, von denen jedoch keine besonders hervorgehoben ist. 37 Gegen Naumann, Basis, 100. 38 Blum, Komposition, 422. 39 Gross, Bundeszeichen, 114. 40 S. die Differenzierung der „Bünde“ für Abraham, für Abraham und seine Nachkommen und für Isaak und dessen Nachkommen bei Gross, Bundeszeichen, 111.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
kommenschaft hier noch nicht differenziert. Damit berücksichtigt der Verfasser (den literarischen Kontext und) die erzählte Zeit; denn Abrahams Nachkommenschaft besteht bisher nur aus Ismael, dessen Geburt Gen 16 berichtet hatte. Von Isaak wird erst in 17,15–18 die Rede sein. Deshalb kann es in 17,4–6.7–8 nur um die Differenzierung der verschiedenen Inhalte, noch nicht um die der Empfänger gehen. Deshalb heißt es auch mit den Worten der Tradition ganz unspezifisch „deine Nachkommen“; V. 7 fügt lediglich noch „nach dir“ hinzu. Abraham und mit ihm die Leser können die Verheißungen für die Nachkommenschaft in V. 7 f. nur auf Ismael und dessen Nachkommen beziehen. Gen 17,25 stellt ihn als Knaben von dreizehn Jahren vor. Diese Deutung der Nachkommenschaft auf Ismael spricht noch aus Abrahams Reaktion in V. 17 f. Abraham denkt nur an Ismael: „Wenn nur Ismael vor dir lebte!“ Gott aber korrigiert in V. 19 das Missverständnis Abrahams41 und öffnet Abraham und uns die Augen für den, den er von Anfang an mit „deine Nachkommenschaft nach dir in ihren Generationen“ gemeint hatte: nicht Ismael, sondern Saras noch ungeborenen Sohn Isaak. So erweisen sich die V. 18 f. als das hermeneutische Gelenk des Textes. Entsprechend wird abschließend das Verhältnis beider Söhne zueinander geklärt: Gott gewährt seinen „ewigen Bund“ allein Isaak und dessen Nachkommen nach ihm.42 Damit nimmt V. 19 die Formulierung von V. 7a auf, bezieht nun aber – nach der Geburtsankündigung – die Nachkommenschaft mit dem Namen unmissverständlich auf Isaak. Was Gott von Anbeginn an im Sinn hatte, enthüllt er erst im Schlussteil seiner Rede. Auf diese Weise sind Abraham und wir am Ende klüger geworden. In dieser Perspektive erklärt sich auch, warum in der Ankündigung des „Bundes“ für Isaak (V. 19.21) dessen inhaltliche Füllung mit dem besonderen Gottesverhältnis und der Landgabe fehlt, was sonst verwundern müsste. Die V. 19–21 41 Dieses Verständnis ergibt sich auch unabhängig von der Bedeutung des Wortes אבל. Die Einwände, die Naumann (zuletzt wieder in: Basis, 102) und J. Wöhrle (Isaak und Ismael. Zum Verhältnis der beiden Abrahamsöhne nach Gen 17 und Gal 4,21–31, EvTh 71 [2011] 115–132, 119 Anm. 13) gegen ein adversatives Verständnis des Wortes vorgebracht haben, treffen in den syntaktischen Zusammenhängen der wenigen Belege nicht ohne weiteres zu. Auch wer mit „ja, gewiss“ oder mit „wahrlich“ übersetzt, setzt damit den so eingeleiteten und hervorgehobenen Satz wenigstens überbietend oder sogar gegen die voran stehende Aussage. Wer אבלauf den Einwand Abrahams bezieht (wie L. Ruppert, Genesis. Ein kritischer und theologischer Kommentar. 2. Teilband: Gen 11,27–25,18 [FzB 98], Würzburg 2002, 333), muss noch ein „aber“ – wenigstens in Gedanken – hinzufügen, um den Sinn der Antwort Gottes wiederzugeben: „Gewiss doch (natürlich soll Ismael leben), aber deine Frau Sara wird dir einen Sohn gebären … und meinen Bund richte ich mit ihm auf …“ Vgl. V. P. Hamilton, The Book of Genesis. Chapters 1–17 (NICOT), Grand Rapids 1990/1995, 476, und die New International Version, die mit „Yes, but …“ übersetzen. 42 P. R. Williamson, Abraham, Israel and the Nations. The Patriarchal Promise and its Covenantal Development in Genesis (JSOT.S 315), Sheffield 2000, 162, unterscheidet zwischen Ismael in der Hausgemeinschaft Abrahams und Ismaels Nachkommen: „Whereas Ishmael, as part of Abraham’s family (sic!), was himself included within the covenant community, this covenantal status was not explicitly extended to his progeny, as is clearly so in the case of Isaac …“
8. Gottes „Bund“ mit Abraham in Gen 17
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klären, wer der Nachkomme im Sinne von V. 7 f. ist, dem die Zusagen dort gelten. Deren Wiederholung ist deshalb unnötig.43 Die Differenzierung innerhalb der Nachkommen Abrahams erklärt außerdem, warum auch ein Mehrungssegen für Isaak im Unterschied zu Ismael fehlt: Mit Isaak, nicht mit Ismael beginnt die überaus große Mehrung Abrahams, von der die V. 2–6 sprechen und die über ihn zum großen Volk von Ex 1,7 führen wird.44 Dazu gehört Ismael nicht, und deshalb erhält er als Abrahams Sohn einen eigenen Mehrungssegen in V. 20.45 2.2 Die Mehrungsverheißung in V. 4–6 Die Mehrungsverheißung ergeht an Abraham in einer auffälligen Gestalt. Sie unterscheidet sich vom Schöpfungssegen mit den Wurzeln פרהund רבה, der allen Menschen gilt und der auch Abraham in 17,2.6 und Ismael in 17,20 zugesprochen wird. Gott bestimmt aber darüber hinaus Abraham dazu, „Vater einer Menge von Völkern“ ( )אב המון גויםzu werden. Diese Verheißung rahmt in V. 4.6 die Umbenennung Abrams in V. 5. Das ungewöhnliche המוןwurde gewählt, um der Umbenennung von Abram in אברהםeine volksetymologische Basis zu geben. Das Element המוןfehlt deshalb bei der entsprechenden Verheißung für Sara in V. 16. Deshalb ist dort nur von Völkern ( )גויםdie Rede. Ungewöhnlich ist jedoch schon die Verwendung von גויםhier wie dort. Das Wort weckt sonst eher politische Assoziationen. Die werden noch verstärkt durch die abschließende Fortsetzung: „… und Könige werden aus dir hervorgehen“ ()מלכים ממך יצאו. Auch das begegnet bei Sara in V. 16 leicht variiert: „… und Könige von Völkerschaften werden aus ihr entstehen“ ()מלכי עמים ממנה יהיו. Wie sind diese auffälligen Formulierungen zu verstehen?46 Thomas Naumann und Albert de Pury haben daraus auf eine multinationale Nachkommenschaft Abrahams geschlossen. Dieser Schluss legt sich jedoch nach unseren bisherigen Überlegungen nicht gerade nahe. Er bewährt sich auch nicht im Kontext. Zwar wäre es möglich, V. 4–6 und V. 16 – jeweils für sich genommen (!) – auf verschiedene Größen zu beziehen.47 Gegen diese Deutung spricht aber 43
Die von de Pury (Patriarchen, 63 und 78) behauptete Differenz zwischen dem Bund in V. 7 f. und jenem in V. 19–21 gibt es nicht. 44 Zwar gilt der Bund in V. 2–6 allein Abraham, aber er realisiert sich erst in der Kette der Generationen. 45 Unter den Voraussetzungen der inklusiven Deutung wäre jener Segen für Ismael völlig unnötig, weil doch gerade ihm all das schon gelten soll, was V. 2–8 ankündigen. Auch passen die „Fürsten“ in V. 20 schwerlich zu den „Königen“ von V. 6. Dann stellt sich erst recht die Frage, warum bei Ismael lediglich der Mehrungssegen wiederholt wird, nicht aber die Bundeszusagen von V. 7 f., auf die es doch gerade ankommt. 46 Die zahlreichen Möglichkeiten diskutiert W. Gross, Israels Hoffnung auf die Erneuerung des Staates, in: J. Schreiner (Hg.), Unterwegs zur Kirche. Alttestamentliche Konzeptionen (QD 110), Freiburg 1987, 87–122 (= Ders., Studien zur Priesterschrift und zu alttestamentlichen Gottesbildern [SBAB.AT 30], Stuttgart 1999, 65–96, dort 66–70). 47 Denn Abraham ist über Isaak und Jakob nicht nur Ahnvater Israels, sondern über Hagar zugleich der Ahn der Ismaeliter und über die Söhne der Ketura Ahn noch anderer Völker-
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nicht nur das Gefälle in Gen 17, wie oben gezeigt, sondern erst recht die Wiederholung jener Verheißungen bei Jakob in 35,11: Ein Volk und eine Schar von Völkern wird aus dir entstehen ( גוי וקהל גוים48)יהיה ממך, und Könige werden aus deinen Lenden hervorgehen ()ומלכים מחלציך יצאו.
Gegen eine multinationale Deutung sprechen auch der Abschiedssegen Isaaks über Jakob in 28,3 f. und der Rückblick Jakobs gegenüber Joseph in 48,3 f. Beide Male erscheint nach der Wiederholung des Schöpfungssegens aus Gen 1,28 (פרה und )רבהdie Verheißung, Jakob solle „zu einer Schar von Völkern“ ()קהל עמים werden. Die Differenz der Formulierungen zwischen עמיםin 28,3 gegenüber גויםin 35,11 weist nicht auf eine Differenz in der Sache; denn 28,3 und 35,11 können trotz unterschiedlicher Formulierungen nur dieselbe Größe meinen. Das darf man dann auch für 17,4.6 und 17,16 annehmen.49 Die besondere Gestalt der Mehrungsverheißung kann sich bei Jakob nur auf Israel und seine Binnengliederung beziehen, weil Jakob lediglich Ahn jenes einen Volkes ist, das als (eine) Schar von (zwölf ) Völkern oder Stämmen erscheint, in der Formulierung von 35,11: גוי וקהל גוים.50 Bei den Königen könnte der Verfasser an die Könige Israels und Judas51 in der vergangenen Geschichte, aber auch an ein staatlich und deshalb königlich verfasstes künftiges Gemeinwesen52 gedacht haben. Von derlei konnte in der Perserzeit allenfalls verhüllt die Rede sein. Diese auffällige Gestalt der Mehrungsverheißung begegnet nur bei Jakob und Abraham. Dass sie bei beiden verschiedene Größen meint, ist wenig wahrscheinlich. Ihre Deutung auch in 17,4.6 auf innerisraelitische Gruppen legt die davon abweichende Gestalt der Segensverheißung nahe, die Ismael in 17,20b erhält: schaften. Außerdem ist er über Isaak auch der Urahn der Edomiter. Sara dagegen ist lediglich Ahnmutter Isaaks und Urahnin Esau-Edoms sowie Jakob-Israels. An dieser durchaus überschaubaren Zahl von Völkern, die auf beide Ahnen zurückgeführt werden, scheitert auch die Deutung H. Spieckermanns, „Jedes (!) Volk dieser Welt hat seine Herkunft von diesen beiden. Abrahamitische Gemeinschaft ist Weltgemeinschaft …“ („Ein Vater vieler Völker“. Die Verheißungen an Abraham im Alten Testament, in: R. G. Kratz/T. Nagel [Hg.], „Abraham, unser Vater“. Die gemeinsamen Wurzeln von Judentum, Christentum und Islam, Göttingen 2003, 8–21, bes. 18). 48 Vgl. 28,3 und 48,4: קהל עמים. 49 Gross, Studien, 73, erinnert an Gen 48,19: Sowohl עםfür Manasse als auch גויfür Ephraim bezeichnen israelitische Stämme. 50 In der Gegenwart des Erzählers wäre auch ein Bezug auf Juda und Samaria möglich, die als zusammengehörig ( )קהלverstanden werden. Blum, Komposition, 457, stützt diese Deutung noch mit Heiratsbeziehungen zwischen beiden Oberschichten (Neh 13,28). 51 So schon E. A. Knauf, Die Priesterschrift und die Geschichte der Deuteronomisten, in: T. Römer (Hg.), The Future of the Deuteronomistic History (BEThL 147), Leuven 2000, 101–118, bes. 116–118, der eine Kenntnis des deuteronomistischen Geschichtswerkes bei P voraussetzt. Er beobachtet ganz richtig, dass ismaelitische Könige wegen 17,16e ausscheiden und edomitische wegen 35,11 f.; und er resümiert: „Es muß sich schlechterdings um Könige Israels handeln“ (S. 117). 52 Gross, Studien, 70, 74–75; und Blum mit Verweis auf Ez 37,24–28 (Komposition, 458).
8. Gottes „Bund“ mit Abraham in Gen 17
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… zwölf Fürsten ( )נשיאםwird er zeugen, wobei ich ihn zu einem großen Volk bestimme ()ונתתיו לגוי גדול.53
„Fürsten“ und „großes Volk“ hier statt „Menge/Schar von Völkern“ und „Könige“ dort zeigen den Unterschied zwischen Ismael und Isaak an.54 Aus der auffälligen Gestalt der Mehrungsverheißung für Abraham lässt sich für eine multinationale Deutung also kein Honig saugen.55 Umgekehrt hebt die besondere Gestalt der Mehrungsverheißung für Ismael diesen als Abrahams Sohn aus der übrigen Menschheit heraus. Zwar gilt für Ismael wie für alle Menschen der Schöpfungssegen von Gen 1,28, aber er wird ihm in 17,20 noch einmal eigens zugesprochen wie Abraham in V. 2.6 und Sara in V. 16. Darüber hinaus klingt die besondere Gestalt der Mehrungsverheißung, die Ismael gilt, an jene für Abraham an.56 Auf diese Weise trägt Gen 17 Ismaels Stellung als Abrahams Sohn Rechnung, ohne ihn in das besondere Gottesverhältnis und die Landgabe einzubeziehen. 2.3 Wurde das Beschneidungsgebot erst nachträglich eingestellt? Julius Wellhausen urteilte über die literarische Integrität von Gen 17 noch lakonisch: „Über Gen. 17 ist nichts zu bemerken.“57 Seit Holzinger und Gunkel jedoch hat man sehr unterschiedliche Einwände gegen die Beschneidungsordnung in V. 9–14 vorgebracht, ohne freilich immer gleich zum Messer zu greifen.58 Für eine literarkritische Amputation des gesamten Abschnitts führen zuletzt Klaus Grünwaldt und Jakob Wöhrle vier Hauptargumente ins Feld. Wir prüfen deren Belastbarkeit. 53 Gen 25,12–16 berichten mit der Genealogie des Stämmeverbandes der Ismaeliter von der Erfüllung dieser Verheißung. Zum „großen Volk“ für Ismael vgl. 21,18 in der Gottesrede an Hagar. 54 „Die terminologische Differenzierung rät davon ab, die 12 Fürsten unter die Abraham verheißenen Könige zu subsumieren“ (Gross, Studien, 71). 55 Williamson findet in Gen 17 „Abraham’s phenomenal expansion in a multinational sphere“ (Abraham, 166), allerdings nur weil er die „Völker“ in Gen 17 auf die in Abraham und seinem Samen Gesegneten von Gen 12,3; 18,18; 22,18 bezieht und זרעnicht biologisch, sondern wie Paulus in Röm 4 metaphorisch deutet. 56 Vgl. „überaus fruchtbar und zahlreich“ mit V. 2.6, „zwölf Fürsten“ mit V. 6, „großes Volk“ mit 12,2. 57 J. Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, Berlin 1899, 23. 58 Einerseits ohne literarkritische Konsequenzen H. Holzinger, Genesis (KHC 1), Freiburg 1898, 128; H. Gunkel, Genesis übersetzt und erklärt (HKAT I/1), Göttingen 81969, 272; anderseits Smend sen., Erzählung, 9 („Eingeschoben ist ferner 17,12b.13a …, womit eine starke Erweiterung in v 23–27 zusammenhängt.“); Steuernagel, Bemerkungen, 177 (rechnet zu seiner Grundschicht V. 7–8.11b.13b.14.16a.17–21); P. Weimar, Gen 17 und die priesterschriftliche Abrahamserzählung, ZAW 1000 (1988) 22–60 (mit vier Textebenen); dgg. aber M. Köckert, Leben in Gottes Gegenwart. Studien zum Verständnis des Gesetzes im Alten Testament (FAT 43), Tübingen 2004, 82.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
(1) Die Wendungen „die בריתbewahren“, „die בריתbrechen“ und die sog. „karet-Formel“ verraten eine sprachliche Mischung von dtr. und priesterlicher Sprache und können deshalb nicht zur Grundschicht von Gen 17 = PG gehören. – Indes: Das Argument deckt keineswegs den gesamten Abschnitt ab. Auch ohne jene beanstandeten Wendungen ließe sich – probeweise – durchaus ein in sich verständliches Beschneidungsgebot „konstruieren“. Es würde etwa so lauten: 9Und
Gott sprach zu Abraham: Was dich betrifft … Beschnitten werde bei euch jeder, der männlich ist. 11Und zwar sollt ihr beschnitten werden am Fleisch eurer Vorhaut. Das soll das Zeichen des Bundes zwischen mir und euch sein. 12Im Alter von acht Tagen soll bei euch beschnitten werden in euren Generationen jeder, der männlich ist …, 13… Mein Bund an eurem Fleisch soll ein ewiger Bund sein …59 10…
Der Wechsel vom „du“ zu „euch“ am Anfang ist literarkritisch kaum zu beanstanden, da die Priesterschrift mit dem Beschneidungsgebot ohnehin eine vorgegebene Überlieferung aufgenommen haben dürfte, die eine bereits bestehende Praxis reflektiert. Die Argumentation mit den beanstandeten Wendungen gegen V. 9–14 insgesamt leistet also nicht, was sie soll. Sie ist auch nicht so stark, wie sie klingt; denn die ersten beiden Wendungen haben ihre Heimat im Vertragsrecht, das P sicherlich kannte.60 Zur Illustration der Heimat für beide Wendungen sehe man nur Ez 17,14 f.61, für die zweite 1 Kön 15,19. Es zwingt also nichts dazu, die Wendungen der Priesterschrift rundheraus abzusprechen. (2) Noch schlechter steht es mit dem zweiten Argument: Die Beschneidungsordnung stehe stilistisch und inhaltlich in Spannung zu ihrem Kontext in Gen 17. – Wer den Wechsel des Stils in V. 9–14 gegenüber dem Rest des Kapitels literarkritisch benutzt, setzt P als ein reines Erzählwerk voraus, eine klassische, gleichwohl methodisch fragwürdige petitio principii.62 Inhaltliche Spannungen entstehen nur, wenn man zwei Voraussetzungen für gesichert hält: 1. Die Beschneidung an sich mache „jeden Männlichen bei euch“ zum Teilhaber am Abrahambund, und 2. der Abrahambund gelte in 17,1–8.15–22 exklusiv nur Abraham und seinen Nachkommen in der Linie Isaak, Jakob, Israel. Ich stimme 59 Zur Analyse s. die Argumente gegen V. 12b–13a.14 in der Lit. und bei Köckert, Leben, 85–88, gegen V. 9aβ.10a bei J. C. Gertz, Rezension von K. Grünwaldt, Exil und Identität, ZAR 1 (1995) 155–159, bes. 157. 60 S. die berechtigten Einwände von H.‑J. Stipp, „Meinen Bund hat er gebrochen“ (Gen 17,14). Die Individualisierung des Bundesbruchs in der Priesterschrift, MThZ 56 (2005) 290–304, bes. 301 f. 61 Warum der „profane Zusammenhang“ diesen Beleg einer weiteren Berücksichtigung entzieht (so K. Grünwaldt, Exil und Identität. Beschneidung, Passa und Sabbat in der Priesterschrift [BBB 85], Frankfurt/M. 1992, 27), hat sich mir nicht erschlossen. 62 S. dazu auch Stipp, Bund, 303.
8. Gottes „Bund“ mit Abraham in Gen 17
207
Grünwaldt und Wöhrle im zweiten Punkt zu, nicht aber im ersten. Auf ihn komme ich noch zurück.63 (3) Die größte Spannung bestehe darin, dass der Bund in V. 2–8 voraussetzungslos und ohne Bedingungen, also als ein reiner „Gnadenbund“ gegeben wird, während die V. 9–14 mit dem Gebot der Beschneidung nun erst noch nachträglich eine Bedingung einführen. – Indes: Der Begriff „Bedingung“ allein klärt nichts, weil er die entscheidende Frage unbeantwortet lässt: Bedingung wofür? Die Beschneidung ist gerade keine Bedingung dafür, dass Gott seinen Bund gibt.64 Insofern begründet Israels Beschneidung weder Gottes Bund noch dessen Verheißungen. In diesem Sinne ist der Bund in Gen 17 durchaus bedingungslos.65 Peter Weimar resümiert ganz zutreffend: „Die Geltung der ‚Bundeszusagen‘ ist nicht von menschlicher Gebotserfüllung abhängig …“66 Der Autor unterstreicht den Gnadencharakter des Bundes noch, indem er das Gebot der Beschneidung als zweites Wort einführt. Gott übergibt mit seinem Bund gewissermaßen einen Scheck ohne jede Vorbedingung. Der Scheck bleibt allerdings für den Empfänger wertlos, wenn er ihn nicht einlöst. (4) Die Konditionierung des Bundes passe überdies nicht zum Konzept der Priestergrundschrift, wie der Noahbund in Gen 9 zeige, der keine Bedingung nennt. Deshalb sei die Beschneidungsordnung 17,9–14 ein Fremdkörper in PG. Das ergebe sich auch aus dem „Zeichen des Bundes“, das hier eine ganz andere Funktion hat als dort. In Gen 9 erinnert der „Bogen in den Wolken“ Gott an seine Verpflichtung, nie mehr die Erde zu vernichten; in Gen 17 weist dagegen das beschnittene Fleisch darauf hin, „dass der Mensch den Bund für sich angenommen hat.“67 – Die Berührungen mit dem Noahbund in Gen 9 und jene Unterschiede sind seit langem bekannt, wurden aber bislang kaum literarkritisch genutzt68 und das mit guten Grund. Denn beide Bundesschlüsse haben zwar mancherlei Berührungen69, stehen aber in ganz verschiedenen Sachzusammenhängen. Die beobachteten Unterschiede hängen damit zusammen, dass der Noahbund allem Leben auf Erden zugute kommt: „Dies ist das Zeichen des Bundes, den ich jetzt gebe zwischen mir und euch und allen Lebewesen, die bei euch sind, für ewige Geschlechter.“ Der Abrahambund kommt dagegen weder allen Lebewesen noch der gesamten Menschheit, sondern unter allen Menschen allein einer bestimmten Gruppe zugute, eben Abraham und seinen 63
S. u. 4. Beschneidung und Bund. Köckert, Leben, 82–85. 65 So schon Valeton, Bedeutung, 3–4, und zuletzt wieder mit guten Gründen C. Nihan, The Priestly Covenant, Ist Reinterpretations, and the Composition of „P“, in: S. Shectman/ J. S. Baden (Hg.), The Strata of the Priestly Writings. Contemporary Debate and Future Directions (AThANT 95), Zürich 2009, 87–134, bes. 95–103 (auch angesichts von V. 1–2). 66 Weimar, Gen 17, 45. 67 Wöhrle, Fremdlinge, 49. 68 Grünwaldt, Exil, 58–59; Wöhrle, Fremdlinge, 48–49. 69 S. nur Gross, Bundeszeichen, und Köckert, Leben, 77–78. 64
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Nachkommen nach ihm. Insofern muss Gen 17 die besondere Beziehung Gottes zu diesen Adressaten eigens formulieren. Dazu gehört die Zusage, für immer dieser Menschen Gott zu sein, und dazu gehört die Beschneidung der Knaben am achten Tag. „Zeichen des Bundes“ ist die Beschneidung an den Israeliten in doppelter Hinsicht: Sie weist den Vollzug des Gebots aus; und damit weist sie auf die Wirksamkeit der von Gott gewährten Beziehung „zwischen mir und euch“ und der damit verbundenen Zusagen in jeder Generation neu hin.70 Die bislang vorgetragenen Argumente haben einer Überprüfung nicht standgehalten. Deshalb ist an der Zugehörigkeit des Beschneidungsgebots – in welcher Gestalt auch immer – zur Grundschicht von Gen 17 festzuhalten. Dafür spricht auch eine Beobachtung zur Struktur der Gottesrede. Für sie ist das Gegenüber von „Ich …“ (V. 4–8) und „Du …“ (V. 9–14) charakteristisch. Ohne das „Du“ hängt das „Ich“ in der Luft. Und umgekehrt lässt jenes so exponiert vorangestellte „Ich“ ein ihm korrespondierendes „Du“ erwarten. 2.4 Beschneidung und Bund Wenn ein Kern des Beschneidungsgebots von Anfang an zu Gen 17 gehört, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Beschneidung und Teilhabe am Bund nur umso dringlicher. De Pury geht davon aus, dass auch Menschen, die nicht von Abraham abstammen, „durch Beschneidung in die Abrahams-ברית aufgenommen werden (Gen 17,12–13.27)“ können.71 Auch für Jakob Wöhrle folgt aus der Beschneidung zwingend die Teilhabe am Abrahambund. Da diese Deutung zu einem Widerspruch mit V. 19–21 führt, schreibt er die Beschneidung Ismaels in V. 23–27 und in der Konsequenz auch das Beschneidungsgebot jüngeren Händen zu. Erst die hätten den Abrahambund redaktionell nun doch über Abraham-Isaak hinaus für Fremde und Nichtisraeliten geöffnet. Ismael sei „gewissermaßen der exemplarische Fremde, der aufgrund seiner Beschneidung von außen her in den mit Abraham geschlossenen … Bund integriert wird“.72 Kühne Thesen, doch lassen sie sich am Text beweisen? Schon ein kurzer Blick auf die historischen Gegebenheiten in der Levante des 1. Jahrtausend macht skeptisch; denn dort waren die meisten Völkerschaften beschnitten. Auch die Bibel weiß das. In Jer 9,25 gelten jedenfalls die Ammoniter und die Edomiter als Beschnittene. Der Priesterschrift kann das nicht verborgen geblieben sein. Gen 17 kennt als umfassende Größe „alle Männer des Hauses Abrahams“ (vgl. V. 23 mit V. 27). Innerhalb „der Männer des Hauses Abrahams“ wird unterschieden zwischen den „Nachkommen Abrahams“ und verschiedenen Arten von 70 Der Beschneidung als „Zeichen des Bundes“ entspricht also bis zu einem gewissen Grade die Beschneidung als „Siegel der Gerechtigkeit des Glaubens“ bei Paulus in Röm 4,11. 71 De Pury, Patriarchen, 67. 72 Wöhrle, Isaak, 125; Fremdlinge, 49 f.; Function, 78–80.
8. Gottes „Bund“ mit Abraham in Gen 17
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Sklaven, den im Hause geborenen und den von Fremden für Silber erworbenen. In dieser Hinsicht ist Ismael weder Sklave noch Fremder, sondern Nachkomme Abrahams. Innerhalb dieser Gruppe unterscheidet Gen 17 zwischen dem schon geborenen Ismael73 und dem erst angekündigten Isaak, zwischen dem Sohn Hagars und dem Sohn Saras. In dieser Hinsicht gilt die Differenzierung in V. 19–21: ewiger Bund allein für den einen, ein Segen für den andern, aber ein besonderer Segen, weil auch er Abrahams Sohn ist. Geht man von dieser Unterscheidung aus, wird der angebliche Widerspruch gegenstandslos und damit die redaktionsgeschichtliche Lösung Wöhrles überflüssig. Nicht die Beschneidung an sich ermöglicht Teilhabe am Bund, sondern nur die Beschneidung derer, die aus der Linie Abraham, Isaak und – so wird man daraus folgern dürfen – Jakob stammen. Warum werden dann auch Ismael und die Sklaven beschnitten? Offenbar deshalb, weil sie zum Haus Abrahams gehören und weil das Beschneidungsgebot fordert: „Beschnitten werde bei euch jeder (!), der männlich ist“ (V. 10b.12a). Wie schon bei Abraham, hat es auch später immer zahlreiche Beschnittene gegeben, die nicht zum „Bund“ gehörten. Gegen diese Deutung scheint die ausdrückliche Bestimmung der Beschneidung als „Zeichen des Bundes“ in V. 11b zu sprechen. Denn damit tragen auch Ismael und die Sklaven „meinen Bund“ „an ihrem Fleisch“ (V. 13b). Der Verfasser von Gen 17 hat versucht, die dadurch entstandene Unklarheit zu minimieren, indem er Isaak möglichst tiefgreifend von Ismael unterscheidet: So steht der „ewige Bund“ für Isaak weit über dem Segen für Ismael. Die Unterscheidung zwischen allen möglichen Beschnittenen und den beschnittenen Israeliten, die aus V. 19–21 folgt, gilt auch im Blick auf das „Zeichen des Bundes“: Viele tragen es, aber nicht allen gilt der Bund. Ismael wird beschnitten, weil er zu Abrahams Haus gehört. Deshalb hat – mit Blum gesprochen – „Ismaels Beschneidung … allein für Abraham eine Bedeutung als Bundeszeichen“.74 Die Beschneidung Ismaels ist also kein tragfähiges Argument für die Zugehörigkeit Ismaels zum Abrahambund.75 Es besteht also eine „gewisse konzeptionelle Inkongruenz zwischen der ברית, deren umfassende Gestalt nur der Isaak-Linie gilt (Gen 17,19.21), und der Beschneidung als ihrem Zeichen“.76 Die Ambivalenz der Beschneidung in Gen 17 hängt damit zusammen, dass die Priesterschrift eine längst vorgegebene Praxis aufgreift, sie mit der Verlegung auf den achten Tag verändert und ihr damit die neue Bedeutung eines „Zeichens des Bundes“ gibt.77 73
Dazu kommen in 25,1–8 die Söhne der Ketura. Blum, Komposition, 422. 75 So auch Schmid, Ökumene, 77: Die Zugehörigkeit Ismaels zum Abrahambund „lässt sich … aufgrund von V. 23–27 weder widerlegen noch bestätigen“. 76 A. Ruwe, Beschneidung als interkultureller Brauch und Friedenszeichen Israels. Religionsgeschichtliche Überlegungen zu Gen 17, Gen 34, Ex 4 und Jos 5, ThZ 64 (2008) 309–342, bes. 315. 77 So schon Gross, Bundeszeichen, 113–114 mit Anm. 36. Brett rechnet mit einem 74
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Als Gegenprobe übertrage man einmal die spezifischen Bundesinhalte aus V. 7 f. auf Ismael und die Sklaven: das exklusive Gottesverhältnis und die Zusage bleibenden Besitzes des Landes Kanaan. Man sieht sofort, dass beides bei den Sklaven ausgeschlossen ist. Bei Ismael ist das schwieriger zu sagen, weil er in Gen 17 als Kind noch zum „Haus Abrahams“ gehört; aber er wird es bald verlassen und irgendwo in den südlichen Randgebieten leben. Gen 25,18 findet die Ismaeliter „östlich von Ägypten nach Assur hin“. Was damit auch immer gemeint sein mag, Kanaan ist das gewiss nicht.78 Was die Priesterschrift geographisch unter „Land Kanaan“ verstanden hat, wissen wir nicht; das Ostjordanland jedenfalls scheint für sie außerhalb Kanaans zu liegen.79 Von einem besonderen Jhwh-Verhältnis Ismaels oder der Ismaeliter verlautet sonst so wenig wie von dem Esaus und der Edomiter.80 Dagegen spricht auch nicht die zusätzliche Heirat einer Tochter Ismaels durch Isaaks Sohn Esau (28,6–9).81 Offenbar sind Heiratsregeln weiter gefasst, als das exklusive Gottesverhältnis reicht. 2.5 „Bund“ und „Erwählung“ – zu priesterlichem Dienst? Der Abrahambund ist als reiner Gnadenbund formuliert. Diesem Satz scheint das Gebot der Beschneidung zu widersprechen. Auch die Formulierung „ברית zwischen mir und …“ legt einen zweiseitigen Vertrag nahe, in dem sich Gott als Vertragsgeber und Israel als Vertragsempfänger gegenseitig verpflichten, so dass der „Bund“ mit der Einhaltung jener Verpflichtungen steht und fällt. Von alledem kann jedoch nicht die Rede sein.82 Zwar stehen Gottes Verheißung („Ich“) und Gebot („Du“) formal einander gegenüber, doch hat Gen 17 gerade keine zweiseitige בריתmit gegenseitigen Verpflichtungen konzipiert, die durch die Verletzung einer Seite außer Kraft geWechsel der Bedeutung der Beschneidung: Das exklusive Zeichen der Unterscheidung von den unbeschnittenen Babyloniern in der Exilszeit verlor seine exklusive Bedeutung nach der Rückkehr ins Land, in dem auch andere die Beschneidung übten (Reading, 74). Er übersieht aber völlig die Terminierung auf den achten Tag, die offenbar etwas Neues in Gen 17,9–14 darstellt. 78 Ob Gen 25,18 zu PG gehört, ist unsicher. Die Stämme der Šumuʾil siedelten nach Ausweis der neuassyrischen Texte in Nordarabien von der Nefud-Wüste bis zu den Rändern des Fruchtbaren Halbmondes, also vielleicht südöstlich der Safatene (so E. A. Knauf, Ismael. Untersuchungen zur Geschichte Palästinas und Nordarabiens im 1. Jahrtausend v. Chr. [ADPV], Wiesbaden 1985, 64 [s. dazu jetzt in diesem Bd. Nr. 7]). 79 Vgl. Gen 13,12; dem entspricht Num 34,10–12 (Ps). [Zum Land in P: s. in diesem Bd. Nr. 9] 80 Nationalgott der Edomiter war der Wettergott Qaus; für die Šumuʾil ist die Trias ʿAttaršamain, Ruda und Nuha (s. Knauf, Ismael, 86) epigraphisch bezeugt. 81 Damit sucht de Pury die Zugehörigkeit Ismaels und Esaus zum Abrahambund zu erhärten. Erlaubt seien nur Heiraten „mit den Frauen anderer, ebenfalls der Abraham-ברית entsprungener Völker“ (Patriarchen, 66). Nach dieser Sicht hätte ausgerechnet Jakob Frauen außerhalb dieser Grenzen genommen. 82 S. die Gesichtspunkte bei Köckert, Leben, 82, und bei Gross, Zukunft, 59–64.
8. Gottes „Bund“ mit Abraham in Gen 17
211
setzt werden könnte.83 Stets heißt es „mein Bund“ und zwar nicht nur bei Gottes Verheißungen in V. 2.4.7.19.21, sondern eben auch im Gebotsteil V. 9.10.13.84 Es ist allein Gott, der seine „ בריתgibt“ ( נתןV. 2) oder „aufrichtet“ (הקים V. 7.19.21). Gott gewährt überdies einen „ewigen Bund“ ( ברית עולםin V. 7.19, aber auch in V. 13). Wie könnte er „ewig“ heißen, wenn sein Bestand vom Gehorsam Israels abhängig wäre?85 Vor allem aber wird die Beschneidung selbst ausdrücklich nicht בריתgenannt, sondern als „Zeichen der “בריתeingeführt. Indem Abraham und seine Nachkommen über Isaak und Jakob dieses Zeichen an ihrem Fleisch anbringen, haben sie Teil an der ברית, die Gott gewährt. Auf diese Weise wird „meine בריתzwischen mir und euch“ für die Adressaten Wirklichkeit.86 Die בריתbleibt also Gottes Gabe. Deshalb kann man sie zwar ausschlagen, aber nicht zerstören. V. 14 spricht freilich davon, dass derjenige „meinen Bund gebrochen hat“, der sich nicht beschneiden lässt. Entscheidend ist aber, dass der Bund nur von der Person „gebrochen“ werden kann (V. 14), die sich der Beschneidung und damit dem Bund versagt, nicht aber von Israel als Volk. Darauf hat schon Walter Gross nachdrücklich hingewiesen.87 Mit Hermann-Josef Stipp: „Empfänger der berit als Zusage und Gebot sind alle Israeliten; Subjekt des Bundesbruches und Objekt seiner Folgen ist der einzelne israelitische Mann.“88 Insofern hält selbst der mutmaßlich nachgetragene V. 14 am Gnadencharakter des Abrahambundes fest.89 Das wird noch deutlicher, wenn man sich V. 14 einmal konkret vorstellt.90 Was heißt hier „brechen“ ( )הפר בריתund was bedeutet „ausrotten ( )כרתaus der Verwandtschaft“? Man bedenke, dass die Beschneidung am achten Tage zu erfolgen hat. Offenbar hat der Ergänzer anderwärts gebrauchte und dort taugliche Formeln in einen dafür nicht geschaffenen Zusammenhang gebracht.91 Der von der Priesterschrift konzipierte Abrahambund hat bis in seine jüngeren Fortschreibungen hinein bleibenden Bestand. Er ist also – anders 83 So schon Valeton, Bedeutung, 3–5: „von Seiten Gottes ohne Vorbehalt“ (S. 4); „doch ist auch so (sc. durch die Beschneidung) die Berith nicht … ‚bedingt‘“ (S. 5). 84 Ein doppeltes Verständnis von „Bund“ ist deshalb ausgeschlossen (gegen E. Kutsch, „Ich will euer Gott sein“. berit in der Priesterschrift, ZThK 71 [1974] 361–388, 388): „‚Meine b.rit‘ meint in Gen 17 immer dasselbe, und zwar reine Verheißung YHWHs“ (Gross, Bundeszeichen, 113). 85 So auch Nihan, Covenant, 101. 86 Köckert, Leben, 83–84: Die Beschneidung ist nicht ברית, sondern „Zeichen der ;“ברית Gross, Zukunft, 60, weist m. R. darauf hin, dass die Beschneidung in V. 10–11 nur metonymisch בריתheißt. 87 Gross, Zukunft, 61. 88 Stipp, Bund, 303. 89 Damit korrigiere ich meine nomistische Deutung von V. 14 (Leben, 87–88) und verweise nochmals auf Nihan, Covenant, 102 (der Beitrag von Stipp ist ihm entgangen). 90 Vgl. Stipp, Bund, 300–302. 91 Das verstärkt den Verdacht, dass es erst die Priesterschrift war, welche die Beschneidung von einem späteren Termin (etwa in der Pubertät?) auf den achten Tag nach der Geburt verlegt hat.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
als der Sinai- oder Horebbund – durchaus ein „ewiger Bund“. Deshalb bedarf es in der Priesterschrift nach Gen 17 auch keines „neuen Bundes“. Was hat zu dieser besonderen Gestalt des Abrahambundes genötigt? Sie lässt sich m. E. nur als Antwort auf die dtr. Bundestheologie erklären. Die hatte gewiss Großes geleistet, indem sie das Desaster von 587 als Folge des Vertragsbruches durch Gottes Volk erklärte und damit an der Gerechtigkeit Gottes festhielt. So wurde Israels Gott nicht mit in den Strudel gezogen, in dem sein Volk zu versinken drohte. Aber was heißt hier schon „erklärt“, Antworten für die Zukunft waren mit dieser Erklärung noch nicht gegeben. Es war die priesterliche Konzeption eines „ewigen Bundes“, die den Himmel wieder aufriss: Gott hat sich schon bei Abraham bleibend dazu bestimmt, „dir und deinen Nachkommen nach dir Gott zu sein“ (V. 7). Nicht minder wichtig war in dieser Lage die Zusage übergroßer Mehrung, vor allem aber die Vergewisserung „des gesamten Landes Kanaan“ zu bleibender Nutzung92 ( )לאחזת עולםin V. 8. Exklusives Gottesverhältnis und Recht auf das gesamte Land machen das Proprium der priesterlichen Väterverheißung und des Abrahambundes aus. Beides wird nur Abraham und seinen Nachkommen aus der Linie Isaak und Jakob zugesprochen. Damit geschieht in Gen 17 das, was anderwärts mit dem Deutewort „Erwählung“ bezeichnet wird. Zwar erscheint hier keiner der für das Wortfeld der Erwählung einschlägigen Termini.93 Doch lässt sich die Konstellation, die für „Erwählung“ typisch ist, auch in Gen 17 entdecken: Gott wählt aus einer größeren Gruppe einen Einzelnen aus und setzt sich zu ihm in ein besonderes Verhältnis, das ihn von den anderen unterscheidet. Auf diese Weise integriert die Priesterschrift die Erwählung Israels in den Bund, ohne das entsprechende Wortfeld zu bemühen. Sie kann darauf verzichten, weil sie allein am Binnenverhältnis zwischen Gott und den Ahnvätern Israels interessiert ist. Gibt Gen 17 darüber hinaus ein besonderes kultisch-priesterliches Profil Israels zu erkennen? Albert de Pury und Konrad Schmid argumentieren mit der Wendung „vor Jhwh“ und dem Konkordanzbefund dazu.94 Die so verkürzte Wendung erscheint in Gen 17 schon in der Anweisung Gottes an Abraham in V. 1. Hier kann von einem kultischen oder priesterlichen Dienst schwerlich die Rede sein. Die Wendung erscheint sodann im Wunsch Abrahams für seinen bereits vorhandenen Sohn Ismael in V. 18, nicht aber im Zusammenhang mit Isaak. 92 G. Gerlemann, Nutzrecht und Wohnrecht. Zur Bedeutung von ʾhzh und nhlh, ZAW 89 (1977) 313–325, bes. 315–318; M. Köckert, Das Land in der priesterlichen Komposition des Pentateuch, in: D. Vieweger/E.‑J. Waschke (Hg.), Von Gott reden. Beiträge zur Theologie und Exegese des Alten Testaments. FS S. Wagner, Neukirchen-Vluyn 1995, 147–162, bes. 155 f. [In diesem Bd. Nr. 9] 93 Wohl deshalb geht N. MacDonald in seinem zum Thema einschlägigen Aufsatz (Did God Choose the Patriarchs? Reading for Election in the Book of Genesis, in: N. MacDonald u. a. [Hg.], Genesis in Christian Theology, Grand Rapids 2012, 245–266) auf Gen 17 nicht näher ein. 94 De Pury, Patriarchen, 66, 81; Schmid, Ökumene, 77–78.
8. Gottes „Bund“ mit Abraham in Gen 17
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Dieser eindeutig negative Befund für Isaak ist einer positiven Argumentation für einen priesterlichen Dienst Israels als differentia specifica nicht gerade günstig.95 Der Konkordanzbefund der Wendung „vor Jhwh“ besagt jedoch für die Wendung gar nichts, auf die es hier allein ankommt: „vor dir/vor Jhwh leben“. Die begegnet zwar in Hos 6,2, allerdings gerade nicht im Sinne kultischer Gegenwart: Nach zwei Tagen wird er uns aufleben lassen, am dritten Tage uns wieder aufrichten, dass wir vor ihm leben ()חיה לפניו.
„Vor ihm leben“ deutet die erlittene Not als Gottesferne und meint hier soviel wie „heiles Leben in Fülle“96, nicht aber kultische Präsenz vor Jhwh. In Gen 17 kann von der Erwählung Israels zu einem priesterlichen Dienst auch deshalb keine Rede sein, weil in der Priesterschrift der Zugang zur Gegenwart Gottes im Kult keineswegs allen Nachfahren Jakobs gewährt wird, sondern allein den aaronidischen Priestern. Mit der impliziten Erwählungstheologie unterscheidet sich Gen 17 von der eines Deuterojesaja; anders als er verbindet die Priesterschrift die Erwählung auch nicht mit einer besonderen Aufgabe Israels. 2.6 Gen 17 und die priesterlichen Brückentexte Die Rückkehr zur klassischen Deutung des Abrahambundes legt schließlich auch ein Blick auf die priesterlichen Brückentexte nahe.97 Sie zeigen, „the Moses narrative is the place where the Abrahamic covenant is realized“.98 Das in der Bundesformel konzentrierte besondere Gottesverhältnis verbindet Gen 17,7 f.; Ex 6,7 und Ex 29,45 f. miteinander. Ex 6,7 nimmt die Ankündigung eines besonderen Gottesverhältnisses aus Gen 17,7b.8b auf. Die Priesterschrift verbindet Ex 6 darüber hinaus mit Gen 17, indem sie von keinem eigenen Bundesschluss mit dem Volk berichtet, sondern in 6,3 f.5 lediglich an den Bund mit den Vätern erinnert (vgl. 2,24) und diesen auf das Volk überträgt.99 Dabei 95
Gegen eine kultische Funktion Isaaks spräche auch der sonst von den Befürwortern der ökumenischen Deutung bemühte Hinweis darauf, dass Isaak ja nicht nur Vater Jakob-Israels ist, sondern auch der Ahn Esaus. 96 Vgl. W. Rudolph, Hosea (KAT 13/1), Gütersloh 1966, 136: Leben „in Jahwes Schutz“; J. Jeremias, Der Prophet Hosea (ATD 24/1), Göttingen 1983, 85: „Wiederaufleben des kranken Volkskörpers“ 97 Dazu s. Köckert, Leben, 77–79, sowie P. Weimar, Zwischen Verheißung und Verpflichtung. Der Abrahambund im Rahmen des priesterschriftlichen Werkes, in: C. Dohmen/ C. Frevel (Hg.), Für immer verbündet. Studien zur Bundestheologie der Bibel, FS F.‑L. Hossfeldt (SBS 211), Stuttgart 2007, 261–270, bes. 267–269. 98 C. Koch, Art. Covenant: Ancient Near East, Hebrew Bible/Old Testament, EBR 5 (2012) 897–908, 905. 99 Das liegt ganz in der Konsequenz von Gen 17,7–14; denn der Bund mit Abraham und seinen Nachkommen nach ihm wird durch die Beschneidung jedes Knaben am achten Tag seines Lebens jeweils angeeignet.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
erweitert sie in 6,7 ihre Bundesformel um ein zweites Glied, indem sie ausdrücklich das Volk in jenes Bundesverhältnis einbezieht, allerdings in der ihr eigenen Weise100: 7aIch
werde euch mir zum Volk nehmen und werde euch Gott sein; 7bund ihr werdet erkennen, dass ich Jhwh bin, euer Gott, der euch aus den Fronarbeiten Ägyptens herausführt.
Von Bedingungen verlautet kein Wort, und auch von Gegenseitigkeit kann keine Rede sein, weil Gott es ist, der sich Israel zum Volk „nimmt“. Das Verb לקחhat hier geradezu die Funktion eines Erwählungsterminus.101 Die Fortsetzung in Ex 6,7b zeigt an, dass sich die Ankündigung jenes besonderen Gottesverhältnisses in der Befreiung aus Ägypten zu erfüllen beginnt. Noch ein letztes Mal erscheint die Bundesformel in Ex 29,45, am Ende der Anweisungen zum Bau des Heiligtums, allerdings – dem Kontext entsprechend – in jener aus Gen 17,7 f. bekannten eingliedrigen Gestalt: 45Ich
werde mitten unter den Israeliten wohnen und werde ihnen Gott sein; sie werden erkennen, dass ich Jhwh bin, ihr Gott, der sie aus dem Land Ägypten herausgeführt hat, um in ihrer Mitte zu wohnen. Ich bin Jhwh, ihr Gott. 46und
Was mit dem Exodus (V. 46) begonnen hat, erfüllt sich endgültig in der Einwohnung Jhwhs inmitten dieses Volkes im Heiligtum ()אהל מועד.102 In dieser Perspektive muss Gen 17 gelesen werden.103 Deshalb kann keine Rede davon sein, dass Ismael, die Söhne der Ketura und Esau in das Gottesverhältnis Abrahams und Israels einbezogen sind. Gewiss stehen auch sie wie jeder Mensch nach Gen 1 und 9 unter dem Segen des einen Gottes, aber sie sind nicht Teilhaber jenes Bundes von Gen 17,7 f. Eine besondere Gottesbeziehung für Israel ergibt sich nicht nur aus dem Gefälle der spezifischen „Bundestexte“ in der Priesterschrift, sondern auch aus der Landverheißung.104 Sie ist in 17,7 f. mit der Ankündigung jenes besonderen Gottesverhältnisses verbunden, die sie rahmt. Wie die בריתerhält auch die Land100
Vgl. Ex 6,7 mit Dtn 26,17–18. Für Abraham vgl. Gen 24,7 und Jos 24,3. 102 Zu den voranstehenden subtilen Formulierungen in Ex 29,43–44, die hier auf sich beruhen können, s. B. Janowski, Sühne als Heilsgeschehen. Traditions- und religionsgeschichtliche Studien zur priesterschriftlichen Sühnetheologie (WMANT 55), Neukirchen-Vluyn 22000, 317–328. 103 S. schon Valeton: „In dieser Einwohnung Gottes, wie sie im Heiligtum symbolisiert wird, concentrirt sich das Verhältniß Gottes zum Volk, und dieses Verhältniß ist augenscheinlich wieder das selbe, welches in der Berith, namentlich im zweiten Theile derselben, dem Abraham und seinem Samen zugesagt war“ (Bedeutung, 18). 104 Von der besonderen Gestalt der Mehrungsverheißung für Abraham und Jakob war schon unter 2.4 die Rede. 101
8. Gottes „Bund“ mit Abraham in Gen 17
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gabe das Prädikat עולם. In 17,20 ist für Ismael jedoch weder von einer בריתnoch von einer Landgabe die Rede; er wird lediglich eines Mehrungssegens gewürdigt. Schon dieser Befund spricht gegen die Annahme, die Landverheißung richte sich in Gen 17 „an die gesamte, multinationale Nachkommenschaft Abrahams“.105 Die Gottesrede an Jakob in 35,11 f. entzieht ihr m. E. vollends den Boden. Nach der Wiederholung des Schöpfungssegens und nach der Mehrungsverheißung mit der Ankündigung einer „Schar von Völkern“ und von „Königen“ heißt es an Jakob: Das Land, das ich Abraham und Isaak gegeben habe – dir will ich es geben; und deinen Nachkommen nach dir gebe ich das Land.
Im Zusammenhang der Priesterschrift kann sich der Relativsatz hier wie in 28,4 nur auf 17,8 und dessen Erfüllung beziehen. Dann aber überträgt Gott hier auf Jakob, was er dort bereits Abraham und Isaak, nicht aber Ismael zu geben angekündigt hatte.106 Schließlich nimmt die Priesterschrift das Thema Land in Ex 6 noch einmal auf, indem sie es als Rahmen um das besondere Gottesverhältnis Israels legt: Landgabe an die Väter (V. 4), Gottesverhältnis (V. 7), Führung ins Land der Väter (V. 8). Das Land Kanaan, einst den Vätern gegeben, erscheint nun als Ziel des Exodus, in das Gott Israel führen will, um es ihm zum Besitz zu geben: 4Auch
habe ich meinen Bund mit ihnen (= Abraham, Isaak und Jakob V. 3) aufgerichtet: ihnen das Land Kanaan zu geben, das Land ihres Aufenthalts107, in dem sie sich aufhielten. 5Auch habe ich das Stöhnen der Israeliten gehört, welche die Ägypter zu Sklaven machen. Da gedachte ich meines Bundes. … 8Ich werde euch in das Land bringen, das Abraham, Isaak und Jakob zu geben ich meine Hand erhoben habe; und ich werde es euch zum Besitz geben. Ich bin Jhwh. 105 De Pury, Patriarchen, 64; vgl. Schmid, Ökumene, 81: Ismael und Isaak sind „bezüglich Mehrung und Landgabe … innerhalb des Großbereichs des ‚ganzen Landes Kanaan‘ … gleichberechtigt“. 106 De Pury stützt sich vor allem auf den Terminus ארץ מגורים, der weder in 35,12 noch in 28,4 begegnet, wohl aber in 17,8; 28,4. Er deutet ihn so, dass es bei der Landgabe in P nicht um „die nationale, politische Kontrolle eines Territoriums gehe, sondern“ um „das erbliche Wohnrecht in Kanaan“. Das mag so sein, wie Gerlemann, Nutzrecht, gezeigt hat. Dass aber deshalb Israel das Land Kanaan mit Ismael und den anderen Söhnen Abrahams teile, folgt daraus so wenig wie aus der singulären Formulierung „das gesamte Land Kanaan“ in 17,8 (so aber wieder Schmid, Ökumene, 76; Naumann, Basis, 94), zumal wir über die Grenzen Kanaans in der Vorstellung von P nichts Sicheres wissen. 107 Zu diesem Verständnis vom Verb „ = גורweilen“, „wohnen“, „sich aufhalten“ s. Blum, Komposition, 443, der für das Nomen auf Hi 18,19 verweist. Für das Verb in dieser Bedeutung s. Jes 11,6; 33,14; Jer 43,5; 49,18.33; 50,40; Ps 5,5.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Im Besitz ()מורשה108 des Landes Kanaan durch Israel kommt die Bewegung zur Ruhe, die Gott mit jenem Bund für Abraham und seinen Nachkommen nach ihm in Gen 17 in Gang gesetzt hat. Nach alledem kann es nicht verwundern, dass die Priesterschrift weder das Wort בריתnoch das in Gen 17,7 f. damit verbundene besondere Gottesverhältnis noch die Gabe des Landes Kanaan jemals ausdrücklich auf Ismael oder Esau bezieht. Hätte die Priesterschrift wirklich das ökumenische Anliegen einer multinationalen Bestimmung des Abrahambundes verfolgen wollen, dann ist ihr das gründlich misslungen; denn sie hat diese unterstellte Absicht ganz und gar unsichtbar gemacht.
3. Ergebnisse (1) Die Gedankenbewegung in Gen 17 führt über fortschreitende Präzisierung der Verheißungsinhalte und Differenzierung zwischen den Empfängern auf Isaak als Ziel der Bundeszusagen Gottes an Abraham und seine Nachkommen. Deshalb müssen V. 7 f. von V. 19–21 her gelesen werden. (2) Die besondere Gestalt der Mehrungsverheißung („Völker“ und „Könige“) für Abraham (17,4–6) und für Sara (17,16) geht über den Schöpfungssegen hinaus. Sie erstreckt sich nur auf Israel, nicht auf andere Völker, wie aus den Unterschieden zu den Segensverheißungen für Ismael in 17,20 und aus dem Fehlen jeglicher Verheißung für Esau hervorgeht. (3) Der Kern der Beschneidungsordnung, der etwa V. 9aα.10b.11.12a.13b umfasst haben mag, lässt sich aus dem Grundbestand von Gen 17 nicht herauslösen. (4) Jedoch gilt der Bund Gottes mit Abraham hinsichtlich des besonderen Gottesverhältnisses und der Landgabe nicht jedem, der beschnitten ist, sondern allein den Beschnittenen aus der Linie Isaak-Jakob-Israel. (5) Gottes Bund mit Abraham erscheint in Gen 17 als reiner Gnadenbund, den nur der einzelne, nicht aber Israel als Volk „brechen“ kann (V. 14). Die Priesterschrift antwortet damit auf die dtr. Bundestheologie. Der Bund schließt in Gen 17 die Erwählung Israels ein, allerdings nicht zu einem wie auch immer bestimmten kultischen Dienst, der allein den Söhnen Aarons obliegt. (6) Die literarischen Bezüge des Bundes mit Abraham und seinen Nachkommen innerhalb der Priesterschrift schließen eine Integration anderer Gruppen 108 Der Ausdruck ist in P singulär, weshalb Ex 6,8 zuweilen P abgesprochen wird, dgg. jedoch Köckert, Land, 152 f., und die Beobachtungen zur Aufnahme von Ez 33,24 von B. Gosse, Exode 6,8 comme réponse à Ezéchiel 33,24, RHPR 74 (1994) 241–247. Der auffällige Wechsel von אחזהzu מורשהhängt wohl mit Gen 47,11 zusammen: Joseph gibt seinem Vater und seinen Brüdern אחזהin Ägypten; von diesem zeitlich begrenzten „Wohnrecht“ in Ägypten hebt Ex 6,8 mit מורשהden „Landbesitz“ Israels in Kanaan ab.
8. Gottes „Bund“ mit Abraham in Gen 17
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als Israel in den Abrahambund aus. Das gilt sowohl für das besondere Gottesverhältnis (Gen 17,7 f.; Ex 6,7; Ex 29,45 f.) als auch für die Landgabe (Gen 17,8; 28,4; 35,12; 48,4; Ex 6,4.8). (7) Deshalb ist eine Deutung des Abrahambundes unter Einbeziehung von Völkerschaften außerhalb Israels aufzugeben. Nachtrag: Die bislang ungedruckte und mir deshalb nicht erreichbare Habilitationsschrift Th. Naumanns von 1996 liegt nun in einer erweiterten Gestalt vor: Ismael. Israels Selbstwahrnehmung im Kreis der Völker aus der Nachkommenschaft Abrahams (WMANT 151), Göttingen 2018. Darin geht Naumann auch auf einige Gegenargumente ein, bleibt aber bei seiner ökumenischen Deutung. Allerdings räumt er bei der Behandlung von 17,7 f. ein: „Selbstverständlich kann auch die traditionelle These nicht ausgeschlossen werden“ (S. 187). In der Zusammenfassung seiner Auslegung von 17,17–21 räumt er ein, dass man in der Frage, ob Ismael zur berit olam gehöre, „verschiedener Meinung sein und bleiben“ könne (S. 224), dass mithin seine Deutung nicht zwingend ist. Überdies behaupte niemand, dass Isaak und Ismael im Abrahambund „gleich gewichtet werden“, vielmehr werden „die Abrahamsöhne hier wie später auch in Gen 21,12f in ein abgestuftes Verhältnis zueinander gesetzt“: Nach dem einen (Isaak) werde sich Israel nennen, aber auch der andere (Ismael) stehe „unter Gottes Fürsorge“ (S. 224 f.). Dieser Differenzierung schließe ich mich gern an, doch kann ich in Gen 17 weiterhin keinen Hinweis auf eine beide Söhne „gemeinsam tragende Bundeskonzeption“ (ebd.) erkennen. Hier kann nur auf wenige Gesichtspunkte nochmals eingegangen werden. Die Weichen werden schon am Anfang in der Wahrnehmung der syntaktischen und inhaltlichen Differenzierung der verschiedenen Aussagen über die berit gestellt. Naumann beachtet m. E. nicht ausreichend die schon von W. Gross beobachtete Unterscheidung zwischen Ankündigung der berit und deren Vollzug bei den verschiedenen Adressaten sowie die unterschiedliche Terminologie bei der berit mit Abraham und der mit Abraham und seinen Nachkommen: (1) Ankündigung der berit allein mit Abraham (V. 2: נתןKoh.), Vollzug der berit allein mit Abraham (V. 4–6: הנה+ NS); (2) Ankündigung einer berit mit Abraham und seinen Nachkommen (V. 7–8: והקםתיwAK). Wenn Ismael in dieser Ankündigung gemeint wäre, müsste spätestens nach der Beschneidungsordnung (V. 9–14) nun auch der Vollzug der berit mit ihm berichtet werden. Statt dessen wird nach der Ankündigung eines Sohnes auch von Sara und der Ankündigung der berit mit Isaak und seinen Nachkommen (V. 19b: והקםתיwAK) nicht etwa die berit mit dem angeblich in der Ankündigung von V. 7–8 eingeschlossenen Ismael vollzogen, sondern lediglich ein Mehrungssegen (V. 20: הנה+ ברכתיAK). Dass der Vollzug der berit mit Isaak fehlt, kann nicht verwundern, weil Saras Sohn noch nicht geboren ist. An dessen Stelle tritt bei Isaak die Bekräftigung der angekündigten berit (V. 21: אקיםPK). Es handelt sich also in 17,2–8 keineswegs um einen einzigen „Bund“, der zunächst nur Ismael gilt und in den dann in V. 19–21 nachträglich noch Isaak einbezogen wird. Vielmehr wird der für Abraham und seine Nachkommen in V. 7–8 angekündigte Bund nicht mit Ismael realisiert, sondern in V. 20 durch den Vollzug des Segens ersetzt, der zahlreiche Mehrung zu einem großen Volk bewirkt. Die künftige Realisierung des Bundes mit Abrahams Nachkommen wird dagegen allein mit Isaak verbunden (V. 19b.21). Die subtilen Formulierungen der Bundesaussagen in Gen 17 dienen im Gefälle des Textes offenbar der Differenzierung innerhalb der Nachkommen Abrahams.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Dieses Verhältnis wird durch die Syntax der V. 19–21 noch unterstrichen; denn die auch von Naumann (S. 212) beobachtete Inversion in V. 21 (x-yiqtol) gegenüber V. 20 (qatal-x, w=qatal-x) zeigt einen Gegensatz an. Deshalb ist mir sein Urteil völlig unverständlich: „Eine adversative Zuordnung legt sich durch nichts nahe“ (S. 211–212). Gerade die Verbindung von inversiver Wortstellung mit der einleitenden Kopula waw in V. 21 legt „eine adversative Zuordnung“ nahe! Auch die Einführung der Antwort Gottes auf Abrahams Intervention zugunsten Ismaels mit אבלin V. 19 kann – selbst wenn man sie bejahend auf Abrahams vorausgehenden Wunsch zurückbezieht – schwerlich anders als eine adversative Hinwendung zu Saras künftigen Sohn gedeutet werden: „gewiss, aber“, „gleichwohl“ (so Dillmann). Dass es keine weiteren Belege für eine abweisende Bedeutung der Partikel gebe, wie Naumann S. 210 suggeriert, kann man angesichts von 1 Kön 1,43 nicht sagen; denn der Bote Abjatar gehört zur Partei Adonias, für die Salomos Salbung das Ende bedeutet. Die hier mit der Partikel אבלeingeleitete Antwort bezieht sich also nicht auf den vorangehenden Satz, sondern auf die Antwort des Boten. Deshalb liegt eine Übersetzung in Gen 17,19 entweder mit „Nein, vielmehr“ oder mit „Gewiss, aber“ sehr viel näher. Wäre es in Gen 17 um die Einbeziehung Isaaks in einen schon bestehenden Bund mit Ismael gegangen, hätte man in V. 19b unschwer mit גםformulieren können: „Auch mit ihm werde ich meinen Bund errichten …“ Was im Blick auf Abrahams Frauen sinnvoll war (V. 16: „Ich werde sie [Sara] segnen und dir auch [ ]גםvon ihr einen Sohn schenken“), soll offenkundig hinsichtlich der beiden Söhne vermieden werden. Schließlich erstaunt bei einer inklusiven Deutung des Bundes, dass bei Ismael in V. 20 ausgerechnet Segen und Mehrung wiederholt werden, die ihm nach Naumanns Deutung doch schon seit V. 2–8 gelten sollen. Sinnvoll ist das nur, wenn mit Segen und Mehrung hier und mit einem „ewigen Bund“ dort zwischen Ismael und Isaak unterschieden werden soll. Weil ברית עולםoffensichtlich für die mit Isaak beginnende Linie der Nachkommen Abrahams reserviert werden soll, fehlt die exklusive Gottesbeziehung bei Ismael. Es kommt ja doch nicht von ungefähr, dass in den biblischen Texten weder Ismael oder die Söhne Keturas noch später Esau und deren Nachkommen eines besonderen Verhältnis des Gottes Israels zu ihnen gewürdigt werden, wohl aber die Linie Abrahams, die über Isaak und Jakob zu Israel führt. Von dem besonderen Gottesverhältnis wird in V. 8 die Gabe des gesamten Landes Kanaan ( )כל ארץ כנעןgerahmt. Diese Verbindung beider gehört zu den Spezifika des Bundes in Gen 17. Dass mit dem Thema „Land“ lediglich Gen 15,7–18 variierend aufgenommen werde (S. 183), kann man nur sagen, wenn man mit Naumann die literargeschichtlichen Verhältnisse völlig außer Acht lässt (zur Einordnung von Gen 15 s. dagegen in diesem Bd. Nr. 4). Da in den priesterlichen Texten jede nähere Bestimmung Kanaans noch gar des „ganzen Landes Kanaan“ fehlt, bleibt Ismaels Teilhabe daran unbeweisbar. Der Hinweis auf Gen 21,9–21, überdies ein nach-priesterlicher Text (s. in diesem Bd. Nr. 10), geht völlig an der Intention der Erzählung vorbei, der es dort ja gerade darum geht, allein Isaak als legitimen Erben Abrahams und damit auch des Landes hervorzuheben (gegen Naumann, S. 186). Das schließt natürlich nicht aus, dass der Vertriebene (21,10.12.14) weiterhin unter Gottes Schutz bleibt (21,20: „Gott war mit ihm“). Auch aus der späten nachpriesterlichen Beschreibung der Wohnsitze der Ismaeliten in 25,18 lässt sich kein Honig für eine Teilhabe Ismaels an der ארץ כנען, in welcher Gestalt auch immer, saugen (gegen S. 185). Das bekräftigen auch die priesterlichen Rückbezüge in 28,4 und 35,11–12 auf 17,8.
8. Gottes „Bund“ mit Abraham in Gen 17
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Einen letzten Hinweis gegen Ismael als (Mit-)Empfänger der Landverheißung von 17,8 gibt Naumann selbst: Ismael repräsentiere keine Völker, die jemals Ansprüche auf das Land Kanaan erhoben hätten; nur deshalb habe man Ismael in die Ursprungserzählung Israels einbinden können (S. 318). Offenbar nimmt Naumann hier die Landverheißung von V. 8a nicht für Ismael in Anspruch. Mit dieser Beurteilung Ismaels ist einer inklusiven Deutung von 17,7–8 der Boden vollends entzogen; denn was für die Verheißung des „Nutzrechts am gesamten Land Kanaan für immer“ ( )אחזת עולםin V. 8a gilt, kann schwerlich für die rahmende Ankündigung eines ewigen Bundes ( )ברית עולאםin V. 7.8b bestritten werden. Neuerdings ist noch einmal G. Braulik im Rahmen seiner Untersuchung zur Beschneidung auf die alternativen Deutungen zu Gen 17 eingegangen. Er hat sich aber der inklusiven Deutung des Abrahambundes in Gen 17 durch Naumann angeschlossen: Die Beschneidung an Vorhaut und Herz. Zu Gebot und Gnade des Bundeszeichens im Alten Testament, in: J.‑H. Tück (Hg.), Die Beschneidung Jesu. Was sie Juden und Christen heute bedeutet, Freiburg 2020, 63–95, bes. 66–80. Vieles, was schon oben gegen Naumann eingewandt wurde, muss hier nicht wiederholt werden. Braulik setzt bei der „kanonischen Abfolge der Abrahamgeschichten“ ein, die für ihn den „Horizont für Kap. 17 bilden“ (S. 68). Dazu rechnet er nicht nur Gen 16, sondern vor allem auch die Ankündigung eines leiblichen Erben 15,4 und die eidliche Zusicherung des Landes 15,18, dessen Ausdehnung durch die dort lebenden zehn Völker in 15,19–21 bestimmt werde. Das damit definierte Gebiet umfasse „neben dem westjordanischen Kanaan auch den Sinai und transjordanische Siedlungsgebiete, die von den Ismaelitern und den Söhnen Keturas … bewohnt werden“. Über diesen Kontext, so schließt er, erhalte in Gen 17 auch Ismael am Verheißungsland Anteil, weil der Bereich vom Grenzbach Ägyptens (Südgrenze Kanaans) bis zum Nil für Ismaels Nachkommen offen bleibe (S. 67). Also müsse, zumindest in kanonischer Lesung, auch Ismael Anteil am Bund mit Abraham und seinen Nachkommen haben. Dagegen spricht nicht nur die von keiner Handschrift oder Version nahegelegte Änderung von נהר מצריםin ( נהל מצרים15,18), die bereits N. Lohfink, Dtn 12,1 und Gen 15,18, in: M. Görg (Hg.), Die Väter Israels, Stuttgart 1989, 199 Anm. 38, abgewiesen hatte. Ich sehe auch nicht, dass die Gottesreden in 17,2–8 die Zusagen von Gen 15 in ihrer besonderen Gestalt über die reinen Motive Segen, Mehrung, Land hinaus aufnehmen (S. 69). Entscheidender ist, dass die schon von Naumann (S. 146–151) betriebene sog. kanonische Lesung an der Literargeschichte der Abrahamüberlieferung vorbeigeht. Ich denke immer noch, dass über den Sinn eines Textes nicht das entscheidet, was irgendwo im dem nicht ohne Zufälligkeiten zustande gekommenen Kanon voran steht, sondern was zu den literarischen Kontexten gehört, die dem in Frage stehenden Text mit großer Wahrscheinlichkeit bekannt waren: Gen 15 im Ganzen, vollends die umfänglichste Völkerliste 15,19–21 im AT überhaupt, gehörten sicher nicht dazu (s. in diesem Bd. Nr. 1 und 4). Muss nicht eine kanonische Auslegung, die nicht literargeschichtlich kontrolliert wird, in Willkür enden? Weiter verstehe ich nicht, inwiefern die Mehrungszusage in Gen 17 „den entscheidenden Inhalt des Bundes mit Abraham und (!) seinem Samen“ bildet (S. 69), weil davon nur bei der Ankündigung und dem Vollzug des Bundesschlusses mit Abraham die Rede ist (V. 2.4–6). Das Thema Mehrung hat dort seinen guten Grund, weil dieser Bund mit der Umbenennung Abrahams verbunden ist, die auf die bedeutungsvolle Erklärung seines neuen Namens abzielt. Beim Bund mit Abraham und seinen Nachkommen in V. 7–8
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II. Zur Abrahamüberlieferung
fehlt dagegen das Thema Mehrung völlig. An deren Stelle tritt das für immer gewährte Gottesverhältnis und die Gabe des Landes, die – noch dazu in dieser Verbindung – zum Proprium des Abrahambundes in Gen 17 gehören. Die schon von Naumann gegebene erzähltechnische Erklärung der Wiederholung des Mehrungssegens bei Ismael in V. 20 wäre vielleicht diskutabel, wenn sie unmittelbar auf Abrahams Bitte in V. 18 folgen würde. Aber an ihrem gegebenen Ort nach V. 19 und vor V. 21 und im gegenwärtigen syntaktischen Gefälle der V. 18–21 spricht alles für die adversative Deutung (Segen für Ismael, ewiger Bund mit Isaak). Alles in allem bringt mich auch Brauliks Beitrag nicht dazu, mein Verständnis des Abrahambundes in Gen 17 aufzugeben; ich tröste mich mit Brauliks Zugeständnis, dass die traditionelle Deutung „nicht ausgeschlossen werden kann“ (S. 73, Anm. 32). Schließlich sei noch auf die differenzierten Ausführungen von J. J. Krause zu einer konditionalen Konzeption des „Bundes“ in Gen 17 hingewiesen: Die Bedingungen des Bundes. Studien zur konditionalen Struktur alttestamentlicher Bundeskonzeptionen (FAT 140), Tübingen 2020, bes. 61–81. Seine Korrekturen an der auch von mir vertretenen Charakteristik des Bundes in Gen 17 als eines unkonditionierten reinen Gnadenbundes sind bedenkenswert. Hinsichtlich einer ökumenischen Deutung des Abrahambundes hält auch Krause an der Unterscheidung „zwischen der Mehrungsverheißung in V. 4–6, die auf alle Nachkommen Abrahams zielt …, und den Isaak vorbehaltenen Verheißungen von Land und besonderer Gottesbeziehung“ fest (S. 64 Anm. 106).
9. Das Land in der priesterlichen Komposition des Pentateuch Seit dem Siegeszug Wellhausens versteht man – vor allem im deutschsprachigen Raum – die Priesterschrift (= P) im Wesentlichen als große Ätiologie des zweiten Tempels und als Rückprojektion der bereits bestehenden nachexilischen Kultgemeinde. Das Thema Land spielt in dieser Perspektive eine marginale Rolle: „Aufs Ganze gesehen steht das Thema in P am Rande, nicht in der Mitte; schon in Pg ist die Sinaiperikope der eigentliche Skopus.“1 Diese Interpretation ist freilich nicht unwidersprochen geblieben: Ziel und „Inbegriff der göttlichen Geschichts lenkung“ in der priesterlichen Grundschrift sei „der Besitz des Landes Kanaan als der materiellen und ideellen Basis, auf der das Leben des Volkes und selbstverständlich des Kultus als wichtigste Funktion sich erst richtig entfalten kann“, ja, in P sei – man liest und staunt – alles „noch straffer“ als in der vorgegebenen Tradition auf diesen einen Punkt hin ausgerichtet.2 Dieser Dissens hat weitreichende Folgen für das jeweilige Gesamtverständnis der Priesterschrift. Es ist jedoch sehr die Frage, ob diese schlichte Alternative den komplexen Textbefunden und den sich darin aussprechenden differenzierten Vorstellungen der Priesterschrift gerecht wird. Den weiteren Untersuchungen liegen zwei Voraussetzungen zugrunde, die hier nicht eigens begründet werden können. Die erste betrifft die für die Behandlung des Themas nicht unwesentliche Frage nach dem Abschluss der sogenannten Priesterschrift. Da sich die Annahme, P sei im Josuabuch nachweis1 R. Smend, Die Entstehung des Alten Testaments (ThW 1), Stuttgart 41989, 58, nimmt damit M. Noth, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart 1948, 8, und G. v. R ad, Theologie des Alten Testaments I. Die Theologie der geschichtlichen Überlieferungen Israels, München 51966, 233, auf; ähnlich argumentieren auch A. G. Auld, Joshua, Moses and the Land. Tetrateuch-Pentateuch-Hexateuch in a Generation since 1938, Edinburgh 1980, 115, und F. Kohata, Jahwist und Priesterschrift in Exodus 3–14 (BZAW 166), Berlin 1986, 31 ff. 2 K. Elliger, Sinn und Ursprung der priesterlichen Geschichtserzählung, ZThK 49 (1952) 121–143 (= ThB 32, München 1966, 174–198); er rechnet übrigens nicht mit einer Landnahmeerzählung in PG; vgl. W. Brueggemann, The Kerygma of the Priestly Writers, ZAW 84 (1972) 397–414: „The kerygmatic key to priestly theology is that the promise of the land of blessing still endures and will be realized soon“ (S. 413). Auf dieser Linie auch J. Blenkinsopp, The Structure of P, CBQ 38 (1976) 275–292; R. Kilian, Die Priesterschrift – Hoffnung auf Heimkehr, in: J. Schreiner (Hg.), Wort und Botschaft, Würzburg 1967, 226–243 (das Thema Land sei „roter Faden vom Anfang der Geschichte Israels an … bis zum Mosetod“ S. 226) und N. Lohfink, Die Priesterschrift und die Geschichte, in: W. Zimmerli (Hg.), Congress Volume Göttingen 1977 (VT.S 29), Leiden 1978, 189–225.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
bar3 und habe mit der Landnahme geendet, schwerlich halten lässt4, wird man besser wieder zu der von Wellhausen und Noth einst begründeten klassischen These zurückkehren, das letzte, was P erzählt habe, sei der Tod des Mose in Dtn 34,7–9 gewesen. Doch hat die Kritik auch hier nicht halt gemacht. Nach Perlitts minutiöser Analyse5 scheint die Suche nach P auch im Dtn vergeblich zu sein. Das letzte größere Stück, das mit einiger Wahrscheinlichkeit P zugeschrieben werden kann, dürfte dann Num 20 sein.6 Ohne die Frage, wo P geendet habe, hier weiter verfolgen zu können, gehe ich davon aus, dass P zur Landnahme nicht das Wort ergriffen hat, obwohl diese Stoffe von der Tradition vorgegeben waren. Die Gründe für dieses auffällige Schweigen müssen in einem bestimmten Verständnis des Landes gesucht werden. Die Schwierigkeiten, den Abschluss des priesterlichen Werkes zu bestimmen, hängen mit verschiedenen Unsicherheiten in der Beurteilung seiner literarischen Eigenart zusammen. Ihr gilt die zweite Vorentscheidung. Die Forschungs geschichte zu P vollzog sich als ein Prozess fortwährender Reduktion des kultgesetzlichen Materials aus der Substanz von P.7 Hinter der Amputation des Gesetzes stand die Prämisse, bei P handele es sich um eine den älteren Pentateuchquellen parallele selbständige Quellenschrift. Auch diese Voraussetzung ist nicht unbestritten geblieben.8 Der Streit ist noch im Gange.9 Er könnte an Schärfe 3 Lohfink, Priesterschrift, 217 ff., rechnet Jos 4,19; 5,10–12; 14,1–2 und vor allem 18,1; 19,51 zu P. 4 Siehe den berechtigten Widerspruch von E. Zenger, Gottes Bogen in den Wolken. Untersuchungen zu Komposition und Theologie der priesterschriftlichen Urgeschichte (SBS 112), Stuttgart 21987, 38–40, und die Argumentation von E. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch (BZAW 189), Berlin/New York 1990, 295 Anm. 28. 5 L. Perlitt, Priesterschrift im Deuteronomium? ZAW 100. Suppl.: Lebendige Forschung im AT (1988) 65–88. 6 Indes hängen ohne die Erzählung von Moses Tod sowohl die in Num 20 gegebene Motivierung des Todes vor den Toren des gelobten Landes als auch die entsprechende Ankündigung in Num 27,12–13 in der Luft. 7 Der stillschweigende Wechsel in der Bezeichnung von „Priestercodex“ (Wellhausen, der dessen Kern in „Q“ [= Vierbundesbuch] sieht) zu „Priesterschrift“ (Noth, Pentateuch) signalisiert die immer schärfere Scheidung von Geschichte und Gesetz und deren säuberliche Verteilung auf PG und Psek , wobei Noth einen großen Teil des legislativen Materials noch nicht einmal mehr zu PG rechnet. E. Aurelius, Der Fürbitter Israels. Eine Studie zum Mosebild im Alten Testament (CT. OTS 27), Lund 1988, 186 ff., spricht auch die erzählenden Stücke zwischen Num 20 und 27 PG ab. 8 Schon K. H. Graf, Die geschichtlichen Bücher des Alten Testaments. Zwei historischkritische Untersuchungen, Leipzig 1869, 474, beurteilte die erzählenden Stücke von P als eine Reihe von „später zu dem ‚jahwistischen‘ Werk hinzugekommenen Zusätzen“. Ihm folgten in der Beurteilung von P. B. D. Eerdmans, Alttestamentliche Studien I. Die Komposition der Genesis, Gießen 1908; P. Volz, P ist kein Erzähler, in: P. Volz/W. Rudolph, Der Elohist als Erzähler, ein Irrweg der Pentateuchkritik? (BZAW 63), Gießen 1933, 135–142, und von den neueren zum Beispiel F. M. Cross, Canaanite Myth and Hebrew Epic. Essays in the History of the Religion of Israel, Cambridge/Mass. 1973, 293–325; R. Rendtorff, Das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch (BZAW 147), Berlin/New York 1977, 130–142, 160–163; J. van Seters,
9. Das Land in der priesterlichen Komposition des Pentateuch
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verlieren, wenn man bedenkt, dass P auf die älteren Pentateuchüberlieferungen ausdrücklich Bezug nimmt und sich zum Teil von ihnen absetzt.10 Ein Großtext, der einen ausdrücklichen Diskurs mit ihm vorgegebener und vorliegender literarischer Überlieferung führt, ist zwar in einem gewissen Sinne Bearbeitung, aber doch zugleich eine neue kompositorische Größe eigener Art.11 Die weiteren Untersuchungen hier orientieren sich vorwiegend an dem Beziehungsgeflecht, das die für die Komposition entscheidenden Stücke miteinander verbindet. Es ist an tragenden Motiven und reflexen Formulierungen erkennbar. Die dabei zu Tage tretenden Bezügen liegen jenseits der strittigen Alternative Quelle oder Bearbeitung.
1. Völker und Länder Die priesterliche Komposition teilt mit der ihr vorgegebenen Überlieferung die Darstellung der Ursprungsgeschichte Israels in einem Dreischritt von der Schöpfung über die Väter zum Volk. Sie setzt aber schon am Anfang ganz neue Akzente. Im Schöpfungsbericht wird der Mensch als Gottes Partner und Platzhalter auf Erden bestimmt; er ist zum Repräsentanten Gottes berufen (Gen 1,26–28)12, der Gottes Nähe gewürdigt wird (Henoch und Noah „wandeln mit Gott“ Gen 5,22.24; 6,9). Diese Bestimmung gilt der Menschheit insgesamt, die kraft des Schöpfungssegens alsbald die Erde zu füllen beginnt. Die Toledot Adams in Gen 5 zeigen das Gegenüber aller Menschen auf der ganzen Erde zu Gott. Eine Gliederung in Länder und Völker ist ihnen völlig fremd (vgl. Gen 5 mit Gen 10). Abraham in History and Tradition, New Haven/London 1975, 279; E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte (WMANT 57), Neukirchen-Vluyn 1984, und ders., Studien. 9 Die klassische Sicht ist zuletzt mit besonderem Nachdruck von F. Kohata, Jahwist und Priesterschrift in Exodus 3–14 (BZAW 166), Berlin/New York 1986, und L. Schmidt, Studien zur Priesterschrift (BZAW 214), Berlin 1993, vertreten worden; ihr Platz ist in den Hand- und Lehrbüchern ungefährdet: Smend, Entstehung (P aus der Perserzeit), O. K aiser, Grundriß der Einleitung in die kanonischen und deuterokanonischen Schriften des Alten Testaments I. Die erzählenden Werke, Gütersloh 1992, 58–62 (wegen des Offenbleibens der Landverheißung Abfassung im babylonischen Exil). 10 Zur Überwindung der Alternative vgl. Lohfink, Priesterschrift, 196, mit Blum, Studien, 222! 11 So ausdrücklich Blum, Studien, 222 u. ö. Er zeigt an mehreren Fallstudien, dass „die priesterliche Schicht … weder ‚Quelle‘ noch ‚Redaktion‘“ (so die Überschrift über S. 229–285) ist, und trägt damit den vieldeutigen Textbefunden Rechnung. 12 Vgl. B. Ockinga, Die Gottebenbildlichkeit im alten Ägypten und im Alten Testament (ÄAT 7), Wiesbaden 1984. P wendet das ursprünglich königliche Motiv auf den Menschen überhaupt. Vor diesem Traditionshintergrund sind die Gottunmittelbarkeit des Menschen, aber auch die Herrschaftsaussagen und der universale Weltbezug nach P zu verstehen. Herrschaft meint zweifellos nicht schrankenloses Verfügen, wie Zenger, Bogen, 89, mit Recht hervorhebt; dass jedoch durch die Menschen „der Schöpfergott sein innerstes Wesen offenbaren“ wolle, überzieht den Text und trifft schwerlich die Absicht von P.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Diesem Anfang entspricht das Herzstück der priesterlichen Komposition, die Sinaiperikope in ihrem Zentrum.13 Die Anweisungen zum Bau des Heiligtums enden in Ex 29,42b–46. Auch hier geht es um Gottes Nähe, aber sie wird nur noch Israel gewährt: Ich werde mitten unter den Israeliten wohnen und ihnen Gott sein … Ich, Jhwh, bin ihr Gott!
Außerdem ist jetzt von einer unmittelbaren Gottesnähe keine Rede mehr. Vielmehr sondert sich Israels Gott das Begegnungszelt als besonderen Ort und die aaronidische Priesterschaft als kultische Mittler aus, indem er sie heiligt. Diese Verschiebungen sind in einem reflex gearbeiteten Werk nicht zufällig. Zwischen jenem Anfang in der Schöpfung und diesem Höhepunkt am Sinai liegt die Wirklichkeit der Sünde. Die priesterlichen Theologen, denen wir diese große Komposition verdanken, waren keine Phantasten, die sich die Welt zurechtträumten, wie sie sein sollte. Sie waren vielmehr nüchterne Realisten. Sie nahmen die Menschen als unverbesserliche Sünder genauso ernst wie Gottes Nähe. Und so erzählen sie, wie die Kraft des Schöpfungssegens die Erde mit Menschen füllt, die Erde aber von Menschen und Tieren mit „Gewalttat“ ()חמס, mit der Ursünde schlechthin erfüllt wird (Gen 6,11). Diese Sünde erscheint als unheimliche Macht, die nicht nur Menschen und Tiere, sondern die gesamte Erde in Mitleidenschaft zieht. So muss Gott selbst eingreifen und mit den Wassern der Flut die Erde von ihrer Entartung reinigen. Allein Noah, der mit Gott wandelt, bleibt. Doch von einer Besserung des Menschengeschlechts lesen wir nichts. Das priesterliche Werk ist durchzogen von paradigmatischen Sündenfällen14, die die Sünde als bleibendes Stigma der Menschen zeigen. Dessen ungeachtet stellt Gen 9 die noachitische Menschheit nach der Flut erneut unter den Schöpfungssegen Gottes. Mit einer ausdrücklichen בריתbegrenzt Gott sich selbst. Allein sein Gedenken an seine Selbstbegrenzung gewährt unverbesserlichen Sündern Leben. Von einer Rückkehr in die ungebrochene „sehr gute“ Schöpfungswirklichkeit vor der Flut kann freilich nicht die Rede sein. Von einem unmittelbaren Wandel mit Gott verlautet hinfort nichts, obwohl der mit Bedacht wiederholte Schöpfungssegen allen Menschen gilt. Hier gilt es nun genauer hinzusehen. Bei einem Vergleich von Gen 9,1 mit Gen 1,28 fällt eine Differenz auf. Von den vier Verben – seid fruchtbar und 13 Zum fundamentalen strukturellen Gegenüber von Schöpfung und Heiligtum in P siehe M. Köckert, Leben in Gottes Gegenwart. Zum Verständnis des Gesetzes in der priesterschriftlichen Literatur, in: JBTh 4 (1989) 29–62, und jetzt vor allem B. Janowski, Tempel und Schöpfung. Schöpfungstheologische Aspekte der priesterschriftlichen Heiligtumskonzeption, in: JBTh 5 (1990) 37–69 = ders., Gottes Gegenwart in Israel, Neukirchen-Vluyn 1993, 214–246. 14 Vgl. N. Lohfink, Die Ursünden in der priesterlichen Geschichtserzählung, in: G. Bornkamm u. a. (Hg.), Die Zeit Jesu, FS für H. Schlier, Freiburg 1970, 38–57.
9. Das Land in der priesterlichen Komposition des Pentateuch
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mehret euch und füllet die Erde und nehmt sie in Besitz15 – fehlt in Gen 9,1 das letzte Verb: כבש. Nun kann man natürlich mit dem Besteck des Chirurgen den Schönheitsfehler operativ beseitigen. Man kann aber auch die Runzeln des Textes als gezielte Interpretationssignale würdigen. Dazu ist ein Blick auf die nachfolgende Völkertafel in Gen 10 nötig. Sie illustriert, wie sich der Segen von Gen 9,1 realisiert. Er realisiert sich nicht wie vor der Flut in einer Menschheit, die familiär organisiert ist (so noch in Gen 5), sondern in voneinander unterschiedenen Gruppen, die in Sippen, Sprachen, Völker und eben auch Länder ( )ארצותdifferenziert sind.16 So können zwar auch nach der Flut die Menschen insgesamt sich mehren und die Erde füllen. In Besitz genommen und beherrscht werden können aber immer nur konkrete Länder durch die jeweiligen Völker mit ihren je besonderen Sprachen, nicht mehr die ganze Erde von der einen Menschheit. Weil die Grundsatzaussage von Gen 9,1 allen Menschen gilt, muss das Verb כבשjetzt notwendig fehlen. ארץist also fortan ein mehrdeutiges Wort, das in bestimmter Hinsicht die Erde als ganze meint, das sich jedoch unter dem Gesichtspunkt politischer Herrschaft nur auf ein konkretes Land beziehen kann. Die priesterliche Schule nimmt dabei die ältere Vorstellung auf, in der Volk und Land zusammengehören, und schreibt sie in die Konditionen des Menschseins nach der Flut ein. Die Verbindung von Volk und Land ist etwas gleichsam Natürliches. Sie ist in Gottes Segen verankert, der allen Menschen gilt, und bedarf keiner außerordentlichen Landgabe.17 Dem Befund in der Völkertafel fügen sich die Toledot in der Väterzeit ein: Auf die Todesnotiz des Stammvaters folgt die Angabe des jeweiligen Wohnsitzes und zuweilen eine territoriale Abgrenzung zu den Nachbarn: Gen 25,11 (Abraham); Gen 25,18 (Ismael); Gen 36,8 (Esau); Gen 37,1 (Jakob).18 Zu jedem von einem Ahnvater repräsentierten Volk gehört eben ein „Land“ als Bleibe. Daraus folgt: Die Gliederung der Menscheit auf Erden in differenzierte Völker und Länder ist das Produkt der um der Sünde willen erfolgten Revision 15 So mit N. Lohfink, Die Priesterschrift und die Grenzen des Wachstums, in: Ders., Unsere großen Wörter. Das Alte Testament zu Themen dieser Jahre, Freiburg 1977, 166. 16 Diese Vorstellung (siehe Gen 10,5.20.31) berührt sich auffällig mit der Reichsidee der Achämeniden, wie sie in altiranischen Königsinschriften (etwa in der Behistun-Inschrift) dokumentiert ist. Zu deren Formular gehören in der Selbstvorstellung die Bezeichnungen „König der Länder“ und „König auf der ganzen Erde“, welche die klassischen mesopotamischen Titel „König der vier Weltgegenden“ und „König der Gesamtheit“ ersetzen. Damit wird Weltherrschaft als Herrschaft über einen in Länder und Völker vielfältig gegliederten Organismus verstanden. Die zum Formular der Einführung gehörende Völkerliste expliziert diesen Gedanken, der auch hinter den Repräsentanten der Völker auf den Reliefs in Persepolis und Naqš-i Rustam steht. Hinzu kommt, dass in den Inschriften die Einsetzung zur Weltherrschaft in diesem Sinne ausdrücklich mit dem Thema Weltschöpfung verbunden wird, insofern die Gottheit als Schöpfer prädiziert erscheint. Zu den Einzelheiten s. C. Herrenschmidt, Désignation de l’empire et concepts politiques de Darius Ier d’après ses inscriptions en vieux-perse, in: Studia Iranica 5 (1976) 33–65. 17 Dieser Konzeption steht Jes 45,18 nahe. 18 Die Angaben „verdeutlichen jeweils, dass die Haupterben im Verheißungsland bleiben, während die Nebenlinien andere Territorien in Besitz nehmen“ (Blum, Komposition, 437).
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II. Zur Abrahamüberlieferung
der Schöpfungsordnung; als solche gehört sie zur natürlichen Ordnung der Menschheit nach der Flut.
2. Das Land der Gottesnähe Die gesamte Menschheit nach der Flut steht unter der immerwährenden Noah- בריתund unter dem Segen von Gen 9. Abraham aber (und in ihm Israel) wird noch einmal besonders genommen. Ihm allein gilt im Lande Kanaan eine besondere ברית. Da das Leitwort בריתim genuin priesterlichen Beistand der Sinaiperikope fehlt, soll offenbar die gesamte Väter- und Volksgeschichte im Lichte von Gen 17 gelesen werden.19 Diese Abraham- בריתhat für Israel eine unaufhebbare und bleibende Bedeutung. Was ist ihr Proprium? Gewiss, auch Abraham und alle, die Abraham ihren Vater nennen, stehen wie alle Menschen diesseits von Gen 9. Indes allein bei Abraham findet sich etwas dem Wandel Noahs mit Gott Vergleichbares. Die programmatische Gottesrede in Gen 17 beginnt mit dem Imperativ: „Wandle vor mir und sei vollkommen!“ Dieser Imperativ eröffnet einzig Abraham/Israel Gottesnähe. Die folgende Verheißung wiederholt den Schöpfungssegen mit Fruchtbarkeit und Mehrung. Das Füllen der Erde aber wird ersetzt durch die Verheißung des Landes Kanaan. Die Landgabe steht jedoch nicht einfach als drittes Glied neben Fruchtbarkeit und Mehrung; sondern sie wird ausdrücklich umrahmt von der Zusage bleibender Gottesnähe: Ich werde dir und deinen Nachkommen nach dir Gott sein.
Gottes Selbstbeschränkung in Gen 9 ermöglicht allen Menschen Leben; aber Gottes Selbsterschließung in Gen 17 gewährt allein Israel ein Leben in seiner Nähe. Die P verbindet die vorgegebenen traditionellen Topoi Mehrung und Land mit ihrer besonderen Zusage eines einzigartigen Gottesverhältnisses. Mit dieser Innovation gibt sie das Land Kanaan als den Ort zu verstehen, an dem das „dein Gott“ für alle Zeit Wirklichkeit wird. Dieses Land, „das ganze Land Kanaan“, rückt in den Rang des äußeren Grundes für den Bund. In dieser Perspektive bekommen die auffälligen Gabesätze einen neuen Sinn. Wie Dtn 32,8 oder Dtn 2 zeigen, gab es die Vorstellung einer Landgabe für die verschiedenen Völker oder für die Nachbarvölker Israels durch Gott. P hat dergleichen vermieden. Eine extraordinäre Landgabe ist vielmehr Folge der Gottesnähe, mit der unter allen Völkern allein Israel ausgezeichnet wird. Durch die Verschränkung des Themas Land mit dem besonderen Gottesverhältnis Israels hat sich die Funktion der Gabesätze grundlegend verändert. Gott sagt sich selbst 19
Ausführlicher zu Gen 17 Köckert, Leben, 33–44.
9. Das Land in der priesterlichen Komposition des Pentateuch
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als Israels Gott zu und bestimmt mit der Gabe des Landes den Lebensraum, in dem er Israel nahe bleibt. So ist der Bund innerer Grund für das Land. Das alles wird noch deutlicher, wenn wir der Spur folgen, die die sogenannte Bundesformel in den Spitzentexten der Komposition gelegt hat. Am Anfang der Exodusgeschichte greift die programmatische Gottesrede Ex 6 ausdrücklich auf Gen 17 zurück. Sie erinnert das Erscheinen Gottes als El-Schaddaj und den Väterbund mit dem Landgabesatz. Der angekündigte Exodus aus Ägypten erscheint im Lichte des Abrahambundes als Akt der Treue Gottes; und die Herausführung kann unter dieser Perspektive nur als Heimführung verstanden werden. Anders als in der Tradition ist das Land freilich nicht unmittelbares Ziel des Exodus.20 Unmittelbares Ziel ist die Nähe Gottes (Ex 6,7): Ich werde euch mir zum Volk nehmen; und ich werde euch Gott sein.
Zur Realisierung dieser Nähe bedarf es jedoch der Heimführung. Ganz auf dieser Linie liegen Ex 29,45–46. Sie decken darüber hinaus auf, wo Israels Gott seinem Volk nahe kommt: Ich will inmitten der Israeliten wohnen und ich werde ihnen Gott sein. Sie werden erkennen, dass ich der Herr, ihr Gott bin, der ich sie aus Ägyptenland herausgeführt habe, um in ihrer Mitte zu wohnen.
Hier, im Heiligtum, kommt jene bei Abraham anhebende Selbsterschließung Gottes ans Ziel. Das „auf Begegnung zielende Verweilen“21 Gottes im Zelt hat den Platz eingenommen, den in der vor-priesterlichen Tradition die Landgabe oder die Hineinführung ins Land inne hatten. Weil auch in P die Wüste nie als Ziel des Exodus erscheint, ist damit das schon Abraham gegebene Land impliziert. Es ist der Bereich, in dem das Heiligtum als Begegnungsstätte des Gottes Israels seinen Ort hat. Das Land ist deshalb bei P nicht mehr unter politischterritorialen Aspekten von Interesse. Das Land ist vielmehr der natürliche Ort, ohne den die kultische Präsenz des Gottes Israels ein bloßes Phantom bleiben müsste.22 20 Dem scheint Ex 6,8 zu widersprechen, weshalb Kohata, Jahwist, 31, diesen Vers P abspricht („nicht nur dem Ausdruck, sondern auch der Sache nach priesterschriftlichem Landverständnis fremd“). Doch steht V. 8 keineswegs in Spannung zu V. 4. Beide Male sind die Erzväter Empfänger der Landgabe; denn auch in V. 8 bezieht sich der Gabesatz auf die Väter, worauf Schmidt, Studien, 185 f., mit Recht hinweist. 21 Zu Ex 29,42–46 siehe B. Janowski, Sühne als Heilsgeschehen. Studien zur Sühnetheologie der Priesterschrift und zur Wurzel KPR im Alten Orient und im Alten Testament (WMANT 55), Neukirchen-Vluyn 1982, bes. 303–327, der mit dieser Formulierung jenes für die priesterliche Heiligtumskonzeption bezeichnende Ineinander von שכןund יעדNif. zu erfassen trachtet. 22 In der Perspektive der Gegenwart des heiligen Gottes könnte man – über die Begrifflichkeit der priesterlichen Texte hinausgehend – vom „heiligen Land“ sprechen. Was hier in der priesterlichen Darstellung der Ursprungsgeschichte Israels der erzählten Situation und der vor den Toren des Landes endenden Konzeption entsprechend nur indirekt erscheinen kann,
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Der letzte in diesen Zusammenhang gehörende Text findet sich in Lev 26.23 Der Segen, der dort das gesamte priesterliche Gesetz abschließt, stellt paradiesische Fruchtbarkeit und vor Feinden gesicherte Existenz Israels im Lande in Aussicht. Er gipfelt in der Zuwendung Gottes, die in Fruchtbarkeit und Mehrung erfahren wird, und in der Gewährung göttlicher Nähe: Dann werde ich meinen Bund mit euch aufrichten …, und ich werde meine Wohnung unter euch aufschlagen …, und ich werde unter euch wandeln, und ich werde euch Gott sein; und ihr werdet mir Volk sein.
Noah wandelte mit Gott (Gen 6,9). Abraham soll vor Gott wandeln (Gen 17,1), Gottes Volk im Lande aber wird der einzigartigen Nähe seines Gottes gewürdigt, der mitten unter ihnen wandelt.24 Das Heiligtum im Lande als Ort der Begegnung mit seinem Volk ist die Antwort Gottes auf die Ursünde, mit der sich die Menschheit von Gott geschieden hat. Gott selber kommt im Heiligtum Menschen nahe, die von sich aus für immer von Gott geschieden bleiben müssten. Aus alledem folgt: Das Land Kanaan ist der einzige Bereich auf Erden, in dem unter allen Völkern allein Israel, als Gottesvolk um das Heiligtum geschart, der Gegenwart des Weltschöpfers gewürdigt wird. Eine ausdrückliche „Landgabe“ zeichnet deshalb nur Israel aus.
3. Das übereignete Land Die vor-priesterliche Komposition der Väterüberlieferung wird an den entscheidenden Gelenkstellen von Gottesreden zusammengehalten, in deren Zentrum das Thema Land steht. Der Gabesatz ist dabei stets als Verheißung formuliert. Er stellt den Vätern einen Scheck auf die Zukunft aus, der erst von den Söhnen eingelöst werden kann. Was einst dem Abraham verheißen, wird an den Söhnen spricht Sach 2,16 am anderen Ende der Geschichte offen aus: „Jahwe wird Juda als sein Erbe in Besitz nehmen auf heiligem Erdboden ()על אדמת הקדש, indem er Jerusalem wieder erwählt.“ Zu diesem Topos der Wiedererwählung siehe M. Köckert, Die Erwählung Israels und das Ziel der Wege Gottes im Jesajabuch, in: I. Kottsieper u. a. (Hg.), „Wer ist wie du, Herr, unter den Göttern?“ Studien zur Theologie und Religionsgeschichte Israels, O. Kaiser zum 70. Geburtstag, Göttingen 1994, 277–300, bes. 289 ff. 23 Zwar werden Lev 26,9–13 auf Grund der Voraussetzung eines von P zu unterscheidenden Heiligkeitsgesetzes weithin nicht zu PG gerechnet. Das Stück nimmt aber zweifellos die entscheidenden Leitwörter und Motive aus den Brückentexten der priesterlichen Komposition (Ex 29; Ex 6; Gen 17; Gen 9) auf. Blum, Studien, 325–329, deutet die Paränese von Lev 26 insgesamt als eine „für die Gesamtstruktur von KP … notwendige Komponente“. 24 Vgl. Ez 43,7: „… die Stätte meines Thrones und die Stätte meiner Fußsohlen (!), an der ich inmitten der Israeliten für immer wohnen ( )שכןwill.“
9. Das Land in der priesterlichen Komposition des Pentateuch
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erfüllt.25 Die dtr. Einbindung der Vätergeschichte kann, ganz im Gefälle dieses Konzeptes, nach erfolgter Landnahme die Erfüllung der zum Väterschwur aufgehöhten Verheißung feststellen (Jos 21,43–45): So gab Jhwh Israel das ganze Land, das zu geben ( )נתןer ihren Vätern geschworen hatte; und sie nahmen es in Besitz ( )ירשund siedelten sich darin an ()ישב.
Die priesterliche Theologie beschreitet neue Wege. Mögen auch die Rede von der ארץ מגוריםund die Verheißung in Gen 17,8 wie eine Fata Morgana ferner Zukunft erscheinen, so geht doch schon der Segenswunsch des greisen Isaak für Jakob in Gen 28,4 selbstverständlich davon aus, dass Gott dem Abraham das Land nicht erst für ferne Zukunft in Aussicht gestellt, sondern bereits gegeben hat. Dasselbe wiederholt sich bei Jakob in Gen 35,12. Schließlich überträgt Ex 6,4 im Rückblick den Vollzug der Landgabe auf die Vätertrias insgesamt. P hat also die ihr vorgegebenen Landverheißungen als schon an den Verheißungsempfängern erfüllt interpretiert.26 Was meint in diesem Horizont „Landgabe“? Drei kleinere Notizen im Schlussteil der priesterlichen Komposition verhelfen zu einer Antwort. Num 13,2 ist leider nicht eindeutig wegen der partizipialen Formulierung. Klar sind dagegen Num 20,12 und 27,12: Mose und Aaron werden die Gemeinde „nicht in das Land bringen, das ich ihnen gegeben habe“; und Mose soll auf das Gebirge steigen und von ferne das Land sehen, „das ich den Israeliten gegeben habe.
Die Wurzel נתןin der Afformativkonjugation kann sich in den Landgabesätzen der priesterlichen Komposition nur auf die rechtlich-deklarative Übertragung des Landes Kanaan an die Väter und in ihnen an Israel beziehen. Sind damit die Väter zwar de iure Landbesitzer, wenn auch in re noch ohne Land? Hier hilft die Wendung אחזת עולםweiter, die mehrfach in Landgabesätzen begegnet. אחזהbezeichnet in den priesterlichen Texten ausschließlich ein Nutzungsrecht, kein Eigentumsrecht27, wie aus Gen 47,11.27 eindeutig 25 Die unterschiedlichen Gestaltungen und literarischen Ebenen werden behandelt von Blum, Komposition, und M. Köckert, Vätergott und Väterverheißungen. Eine Auseinandersetzung mit A. Alt und seinen Erben (FRLANT 142), Göttingen 1988. 26 Gegen R. W. Klein, The Message of P, in: J. Jeremias/L. Perlitt (Hg.), Die Botschaft und die Boten. FS H. W. Wolff, Neukirchen-Vluyn 1981, 57–66, bes. 61 f., u. v.a. Anders als die Mehrungszusagen (in Gen 17,2.6; 28,3; 35,11; 48,4 in der Präformativkonjugation, bzw. mit wAK oder als Imperativ formuliert) erscheint das Land beim Sohn im Rückverweis auf die bereits vollzogene Gabe ( נתןAK). Die abweichende Formulierung mit wAK im Sterbesegen Jakobs (Gen 48,4) erklärt sich daraus, dass hier die Landgabe auf die Söhne Jakobs (= Israel) übertragen wird. Zu diesem Verständnis der Landgabe bei P siehe auch Blum, Vätergeschichte, 443, Kohata, Jahwist, 31 f., und jüngst Schmidt, Studien, 257 ff. 27 G. Gerlemann, Nutzrecht und Wohnrecht. Zur Bedeutung von אחזהund נחלה, ZAW 89 (1977) 313–325 (315–318), gegen F. Horst, Zwei Begriffe für Eigentum (Besitz): נחלהund
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II. Zur Abrahamüberlieferung
hervorgeht: Joseph lässt seinen Vater und seine Brüder im besten Teil Ägyptens wohnen und gibt ihnen אחזהim Lande Ägypten – also Grund und Boden zur Nutzung. Die Vorstellung, Israel sei Landeigentümer in Ägypten gewesen (Gen 47,27!), widerspräche der Konzeption von P total.28 Landgabe meint also nicht Übergabe des Landes als eines frei verfügbaren Grundeigentums, sondern ein Nutzungsrecht. Jetzt tritt das besondere theologische Verständnis des Landes in P klar hervor: Gott hat schon Abraham ein bleibendes Nutzungsrecht am Lande Kanaan übereignet. Dieses Recht wird jeweils an das nächste Glied in der Generationenfolge übertragen (Gen 35,12 an Jakob, Gen 48,4 an Jakobs Söhne = Israel). Eigentümer des Landes aber bleibt der, der hier Nutzungsrechte vergibt: der Gott Israels, der als Schöpfergott Herr der ganzen Erde ist. Kein Volk der Erde ist deshalb sensu stricto Eigentümer seines Landes, sondern nur Nutzer. Deshalb heißt es am Ende der Edomiterliste (Gen 36,43): Das sind die Fürsten Edoms nach ihren Wohnsitzen im Lande, das sie nutzen ()בארץ אחזתם.
Dieser Konzeption entspricht ganz Lev 25,23–24: Das Land darf nicht unter Verfall des Rückkaufrechtes verkauft werden; denn mir gehört das Land; denn Schutzbürger ( )גריםund Beisassen ( )תושביםseid ihr bei mir. Im gesamten Land, das ihr nutzt, sollt ihr Rückkaufmöglichkeit ( )גאלהgeben für das Land.29
In diesem Lichte kann auch die eigentümliche Bezeichnung des Väterlandes als „Land der Fremdlingsschaft“ ( )ארץ מגריםverstanden werden.30 Diese Beאחזה, in: A. Kuschke (Hg.), Verbannung und Heimkehr. FS für W. Rudolph, Tübingen 1961,
135–156. 28 Das Verständnis von אחזהals „Verfügungsrecht, Nutzungsrecht“ bewährt sich auch bei der Deutung des Erzelterngrabes Gen 23: Abraham kauft nicht das Eigentumsrecht; er bezahlt „das Recht, Feld und Höhle als Grabstätte zu benutzen“ (Gerlemann, Nutzrecht, 317). Allerdings sind die Einwände gegen die Zuschreibung von Gen 23 zu P zu bedenken (Blum, Vätergeschichte, 441 ff., und die dort verhandelte Literatur). 29 Die konzeptionelle Übereinstimmung ist unabhängig von der Frage, welcher Erweiterung in P Lev 25 angehört (zu den verschiedenen Strata J. A. Fager, Land Tenure and the Biblical Jubilee. Uncovering Hebrew Ethics through the Sociology of Knowledge [JSOT.S. 155]), Sheffield 1993, zum Verhältnis von V. 23 zu V. 24 M. Köckert, Jahwe, Israel und das Land bei den Propheten Amos und Hosea, in: A. Meinhold/R . Lux (Hg.), Gottesvolk. Beiträge zu einem Thema Biblischer Theologie. Siegfried Wagner zur Vollendung des 60. Lebensjahres gewidmet, Leipzig 1991, 43–74 (68 Anm. 35). 30 Allerdings ist es überhaupt fraglich, ob die Bezeichnung von גרabzuleiten ist (so jedoch G. v. R ad, Verheißenes Land und Jahwes Land im Hexateuch [1943], in: Ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament [ThB 8], München 1943, 87–100) oder besser von גורin einem allgemeineren Sinn wie „wohnen“, „sich aufhalten“ (so Blum, Komposition, 443): siehe dazu Jer 43,5; Jes 11,6 (von Tieren!), und für das Nomen vgl. Hi 18,19. Wenig wahrscheinlich ist die Deutung, die Schmidt, Studien, 263, gibt: P charakterisiere mit dem Ausdruck „das Land der Fremdlingsschaft“ die Zeit der Patriarchen „als eigene Epoche, die sich von der Geschichte der Israeliten markant abhebt“. Denn entweder muss der Ausdruck gegen seinen semantischen
9. Das Land in der priesterlichen Komposition des Pentateuch
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zeichnung meint nichts Vorläufiges gegenüber ;אחזת עולםbeide Bezeichnungen stehen nicht im Verhältnis von Verheißung zu Erfüllung. Vielmehr bleiben Väter und Söhne im Blick auf Gottes unaufgebbares Eigentumsrecht am Land Schutzbürger und Beisassen. Weil die Väter in einem Lande leben, das Gott gehört, sind sie גרים, und deshalb ist Kanaan für die Väter ערץ מגרים. Als solches aber hat es ihnen Gott zu dauernder Nutzung übereignet. Aus alledem folgt: Das Land Kanaan ist der Lebensraum, den Israels Gott seinem Volk zu bleibender Nutzung übereignet hat. Der Weltschöpfer gibt aber damit sein Eigentumsrecht an der gesamten Erde nicht preis.
4. Das gute Land Weil Israels Gott Eigentümer des Landes bleibt31, kann P weder von einer Landnahme, noch gar von einer Landeroberung reden. Ganz konsequent fehlen derartige Geschichten in der priesterlichen Komposition. Andrerseits bedarf die Übereignung des Landes zur Nutzung einer erzählerischen Realisierung. Die priesterliche Komposition bietet derlei dort, wo es zu erwarten steht, im Buche Numeri nach dem Aufbruch vom Sinai. Abschließend sei die sog. Kundschaftergeschichte Num 13–14 herausgegriffen, um an ihr die wichtigsten Sachverhalte darzustellen.32 Anders als der dtr. Rückblick in Dtn 1 setzt P keinerlei kriegerische Akzente. Schon die Auswahl der Männer weist in eine ganz andere Richtung: Mose schickt nicht eine Eliteschar von Fachleuten des militärischen Geheimdienstes ins Land, sondern zwölf Älteste und Würdenträger, aus jedem Stamm Israels einen. Sie sickern auch nicht konspirativ ins Land; ihr Zug gleicht eher einer Prozession. Sie werden ausdrücklich mit Namen aufgeführt – Spione sind in der Regel namenlos.33 Es handelt sich in Num 13 also gar nicht um Kundschafter und Spione, sondern um Repräsentanten Israels, die stellvertretend für das ganze Volk das Land betreten sollen. Die Erzählung legt außerdem Wert auf die Gesamtheit des Landes in seiner ganzen Ausdehnung vom äußersten Süden bis zum höchsten Norden. Es geht also um das ganze Land, nicht um strategische Schlüsselorte. Wozu schreiten jene Würdenträger das gesamte Land gleichsam liturgisch ab? Num 14,2: Gehalt verstanden werden oder die priesterliche Konzeption der bereits an den Vätern erfüllten Gabesätze kann nicht ernst genommen werden. 31 Zu dieser Vorstellung und deren altorientalischen Seitenstücken siehe Köckert, Jahwe, Israel und das Land, 44–51. 32 Das Profil des Textes hat vor allem S. E. McEvenue, The Narrative Style of the Priestly Writer (AnBib 50), Rom 1971, 90–144, herausgearbeitet, vgl. zuletzt Schmidt, Studien, 106–113. 33 Vgl. Jos 2.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Sende Männer aus, dass sie das Land Kanaan erkunden, das ich den Israeliten gebe.
Offenbar geschieht im Akt des Abschreitens die Übereignung des Landes zur Nutzung. Die Prozession durch das Land in seiner gesamten Ausdehnung ist also ein Rechtsakt.34 Der Übereignung durch Gott entspricht die Aneignung durch Israel. Dass eben dies mit jener Prozession durchs Land geschehen ist, unterstreichen Num 20,12 und Num 27,12, in denen mit Rücksicht auf Num 13–14 jeweils perfektisch formuliert ist: das Land, das ich den Israeliten gegeben habe.
Doch damit nicht genug. Die Aufgabe der Männer wird mit der Wurzel תור bezeichnet, die in bestimmten militärischen Kontexten „ausspähen“ bedeuten kann35, jedoch nicht auf diese Bedeutung festgelegt ist.36 Die Kontexte entscheiden. Die israelitischen Würdenträger haben das Land erkundet ( )תורund dabei Männer von großer Länge gesehen ()ראה. Was das Verb in Num 13–14 meint, kann man am besten mit „begutachten“, „ein Urteil gewinnen und abgeben“ umschreiben.37 Dieses Gutachten kommt in zwei Spitzensätzen zu Wort. Sie erinnern an priesterliche Deklarationsformeln. Beide nehmen überraschend die Schöpfungsgeschichte auf. Num 13,32 stellt Gen 1,29 f. und 9,2 f. auf den Kopf: Dort hatte Gott alle Pflanzen und schließlich auch die Tiere den Menschen zu essen gegeben. Jetzt aber urteilen zehn der zwölf Ältesten: Das Land, das wir durchzogen haben, um es zu begutachten, ist ein Land, das seine Bewohner frisst.
Damit weisen sie Gottes Gabe als Antischöpfung ab. Israel macht sich damit ein Urteil zu eigen, das in Ez 36,13 die Feinde über Israels Land fällen.38 Die priesterliche Kundschaftergeschichte nennt diese Beurteilung „Verleumdung des Landes“.39 Die Ursünde der Menschheit war Gewalttat. Verleumdung des Landes ist die Ursünde Israels. Auf die Gewalttat folgte die Flut. Auf die Verleumdung des Landes folgt der Tod in der Wüste, mit dem der Schöpfer nur dem maßlosen Urteil Israels (Num 14,2) willfährt. Am Urteil über das Land entscheidet sich Israels Zukunft als Gottesvolk. Größer kann man vom Land nicht denken. 34 Vgl. Gen 13,17; Jos 1,3; 1 Kön 21,15–18; die Wendung „den Schuh auf etwas werfen“ in Ps 60,10; 108,10 und D. Daube, Studies in Biblical Law, Cambridge 1947, 37; F. Horst, Gottes Recht. Studien zum Recht im Alten Testament (ThB 12), München 1961, 210. 35 S. Ri 1,23: Bethel wird ausgespäht. 36 S. Num 10,33: Jhwh sucht für sein Volk in der Wüste einen Rastplatz aus; Ez 20,6: Jhwh hat für Israel ein Land ausersehen, in dem Milch und Honig fließen. Beide Male liegt eine militärische Bedeutung völlig fern. 37 Vgl. McEvenue, Narrative Style, 122: Zweck der Expedition war „to judge the promised land, and that תורdesignates an activity leading to such a judgement“. 38 „Eine Menschenfresserin bist du; du hast dein Volk kinderlos gemacht.“ 39 Zu דכהals „Verleumdung“ siehe Gen 37,2; Prv 10,18; 25,10. In Ez 36 steht ( דכהV. 3) neben „Schimpf “ (V. 6.7.15) und „Schmähung“ (V. 15). Ihre Qualität als Ursünde hebt Lohfink, Ursünden, 52–54, hervor.
9. Das Land in der priesterlichen Komposition des Pentateuch
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Aber nicht alle Repräsentanten Israels urteilen so. Josua und Kaleb geben in Num 14,7 ein Minderheitenvotum ab. Dabei zitieren sie ausdrücklich Gen 1,31: Das Land, das wir durchzogen haben, um es zu beurteilen, ist sehr, sehr gut!
Sie nehmen mit ihrem Urteil die Billigungsformel des Schöpfers aus Gen 1,31 auf. In der Schöpfungsgeschichte von P verleiht der Weltschöpfer seinem gesamten Schöpfungswerk mit der Billigungsformel Bestand. Josuas und Kalebs Urteil „sehr gut“ rückt das Land Kanaan in den Rang der keiner Verbesserung bedürftigen Schöpfungsgabe für Israel. Am Thema Land bringt die priesterliche Komposition den Zusammenhang von Schöpfung und Geschichte zur Geltung, indem sie dem Land urgeschichtliche Qualität verleiht. Daraus folgt: Das Land Kanaan ist das Land auf Erden, in dessen bejahender Annahme durch Israel sich Gottes Freude an seiner Schöpfung spiegelt. * Der kurze Durchgang hat gezeigt, dass die eingangs skizzierte Alternative dem Anliegen der priesterlichen Komposition des Pentateuch nicht gerecht wird. Das Ziel der priesterlichen Erzählung dürfte kaum am Sinai und damit in einem ewig wandernden Gottesvolk zu sehen sein. Gottes Gegenwart am Sinai und die Stiftung des Kultus als die Ermöglichung, in Gottes Gegenwart leben zu können, sind zweifellos ihr Zentrum; ihr Ziel aber liegt im Land, das der Weltschöpfer dem Gottesvolk zur Nutzung übereignet hat und in dem es, um das Heiligtum geschart, in der Gegenwart seines Gottes lebt.40 Gen 17,6–8 haben bleibende Bedeutung für Israel.
40 Der Kompromiss nimmt mit der Unterscheidung von „Zentrum“ und „Ziel“ P. Weimar, Struktur und Komposition der priesterschriftlichen Geschichtsdarstellung, BN 23 (1984) 81–134; 24, 138–162 (161), und U. Struppe, Die Herrlichkeit Jahwes in der Priesterschrift (ÖBS 9), Klosterneuburg 1988, 237 f., auf. Deren Beurteilung der Landverheißung als noch offen und der daraus gezogenen Konsequenz einer Ansetzung von P in exilischer Zeit stehen freilich gewichtige Gründe entgegen (dazu zuletzt Schmidt, Studien, 259 ff.).
10. Gen 20–22 als nach-priesterliche Erweiterung der Vätergeschichte Vor fast zwanzig Jahren untersuchte Jean Louis Ska Gen 12,1–4 in seinen Kontexten und Horizonten. Dabei stellte er eine Frage, die damals im Blick auf Gen 12 ungewöhnlich war, die mich aber gerade deshalb zum Nachdenken brachte: „Gn 12,1–4a est-il lui aussi postsacerdotal?“1 In diesem innovativen Aufsatz kommen auch die Texte in den Blick, die in einer literarischen Verbindung zu jenem großen Eingangsportal in die Vätergeschichte stehen. Dazu gehören Gen 20–22. Insofern sind die folgenden Überlegungen auch eine Fernwirkung jener Anregungen, welche die Arbeiten des Jubilars auszeichnen. In jenen glücklichen Zeiten, als es in der Pentateuchforschung noch Gewissheiten gab, die von den meisten geteilt wurden, zählte man Gen 20–22 zu den Texten, in denen man die Stimme des „Elohisten“ am deutlichsten zu vernehmen meinte.2 Er findet auch heute noch Verteidiger,3 doch ist es um ihn in den letzten Jahrzehnten stiller geworden. Dazu haben neben den offenkundigen und schon immer bekannten Binnenproblemen des Quellenmodells überhaupt4 und des „Elohisten“ im Besonderen vor allem die grundsätzliche Bestreitung der Urkun1 J. L. Ska, L’appel d’Abraham et l’acte de naissance d’Israel Genèse 12,1–4a, in: M. Vervenne/J. Lust (Hg.), Deuteronomy and Deuteronomic Literature, FS C. H. W. Brekelmans (BEThL 133), Leuven 1997, 367–390, 376 (in: Ders., The Exegesis of the Pentateuch. Exegetical Studies and Basic Questions [FAT 66], Tübingen 2009, 46–66). 2 Klassisch: J. Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, Berlin 1876/77, 41963. Zwar hält er eine reinliche Scheidung zwischen J und E nicht überall für möglich, weil beide „zu einem Werke von wirklich beinah einheitlichem Charakter“ unauflöslich verbunden sind (S. 35 zu Gen 25.27), doch sind Gen 20–22 „Kapitel sui generis“, die weder P noch J angehören können. 3 Als Gesamtdarstellung: A. Graupner, Der Elohist. Gegenwart und Wirksamkeit des transzendenten Gottes in der Geschichte (WMANT 97), Neukirchen-Vluyn 2002; für Gen 20–22 zuletzt vor allem: L. Schmidt, Weisheit und Geschichte beim Elohisten (1996), in: Ders., Ges. Aufs. zum Pentateuch (BZAW 263), Berlin 1998, 150–166; F. Zimmer, Der Elohist als weisheitlich-prophetische Redaktionsschicht (EHS XXIII/656), Frankfurt/M. 1999; H.‑C. Schmitt, Die Erzählung von der Versuchung Abrahams Gen 22,1–19* (1986), in: Ders., Theologie in Prophetie und Pentateuch. Ges. Schriften (BZAW 310), Berlin 2001, 108–130; ders., Arbeitsbuch zum Alten Testament (UTB), Göttingen 2005, 223–233; ders., „Versuchung durch Gott“ und „Gottesfurcht“ in Gen 22,1.12 und Ex 20,20, ZAW 126 (2014) 15–30; J. Jeremias, Gen 20–22 als theologisches Programm, in: M. Beck/U. Schorn (Hg.), Auf dem Weg zur Endgestalt von Genesis bis II Regum. FS Hans-Christoph Schmitt (BZAW 370), Berlin 2006, 59–73. Sie alle plädieren für eine königszeitliche Ansetzung der elohistischen Texte, obwohl z. B. H.‑C. Schmitt ‚seinen‘ Elohisten durchaus anders als üblich versteht. 4 S. nur das Resumee bei J. C. Gertz, Tora und Vordere Propheten, in: Ders. u. a. (Hg.), Grundinformation Altes Testament (UTB), Göttingen 2006, 202: „Das Werk des Elohisten hat
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II. Zur Abrahamüberlieferung
denhypothese durch Rolf Rendtorff und die detailliert begründete Alternative durch Erhard Blum beigetragen.5 Beiden vorangegangen war John Van Seters mit seiner Arbeit zur Abrahamüberlieferung, die in der Pentateuchforschung für Aufregung gesorgt hat.6 Geblieben ist die Einsicht, dass sich die Erzählungen in Gen 20–22 sowohl von den priesterlichen Texten wie auch von der älteren nicht-priesterlichen Abraham-Lot-Erzählung (Gen 13; 18–19) unterscheiden.7 Über ihre genauere Einordnung in die Literargeschichte des Pentateuch gehen die Meinungen jedoch auseinander. Blum verbindet Gen 20 mit 21,22 ff.* und schreibt die Abraham-AbimelechErzählung einer späten nach-exilischen Bearbeitung der Vätergeschichte im dtr. Geist zu,8 während er 21,8–21 als eine auf 22,1–14.19 hin gearbeitete literarische Bildung beurteilt und beide als Teile seiner exilischen Vätergeschichte („Vg2“) erklärt.9 Für Van Seters sind dagegen alle nichtpriesterlichen Texte (außer Gen 14) Teile eines großen historiographischen Werkes, dessen Verfasser er „Yahwist“ nennt. Er habe sein Werk in der Exilszeit in Kenntnis von DtrH geschrieben und dafür vorgegebene „pre-Yahwistic-Tradition“ verarbeitet.10 Gen 20,1–17; 21,25–26.28–31a zählt er zur „second pre-Yahwistic expansion“, 21,8–21; 22 dagegen zu seinem exilischen „J“.11 Thomas C. Römer sieht wiederum in 21,8 ff. und 22,1–14.19 wie in 12,1–4 eine nach-priesterliche Redaktion am Werk, die vom gleichen dtr. Geist beseelt sei wie die Theodizee in 18,16 ff.12 weder einen richtigen Anfang und ein richtiges Ende, noch bieten die als elohistisch bezeichneten Texte einen durchgehenden Erzählfaden oder gar eine einheitliche Konzeption.“ 5 R. Rendtorff, Das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch (BZAW 147), Berlin 1976; E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte (WMANT 57), Neukirchen-Vluyn 1984. 6 J. Van Seters, Abraham in History and Tradition, New Haven/London 1975; später ein wenig modifiziert und ausgeweitet in: Ders., Prolog to History. The Yahwist as Historian in Genesis, Louisville/K ent. 1992. 7 R. Kessler sprach wegen ihrer durchgehenden Bindung an den Negeb bzw. an Beerscheba von der „Negev-Gruppe“, die eine „fast vollständige Abrahamsgeschichte“ darstelle (Die Querverweise im Pentateuch. Überlieferungsgeschichtliche Untersuchung der expliziten Querverbindungen innerhalb des vorpriesterlichen Pentateuchs, Diss. Masch. Heidelberg 1972, 91). 8 Blum, Komposition, 405–416 (mit Verweis auf Gen 18,17–19.22b–32 und das Jonabuch). 9 Blum, Komposition, 311–315.320–331; eine Entstehung von Gen 22,1–14.19 vor dem 7. Jh. v. hält er für „unwahrscheinlich“ (S. 328). 10 Van Seters, Abraham, 311. 11 Van Seters, Prologue, 247.261–265. 12 T. Römer, Recherches actuelles sur le cycle d’Abraham, in: A. Wenin (Hg.), Studies in the Book of Genesis. Literature, Redaction and History (BEThL 155), Leuven 2001, 194–196. Allerdings fehlt eine genauere exegetische Argumentation; in der Ansetzung von 21,8–21 folgt er E. A. Knauf, Ismael. Untersuchungen zur Geschichte Palästinas und Nordarabiens im 1. Jahrtausend v. Chr. (ADPV 1), Wiesbaden 1985, und A. de Pury, Abraham: The Priestly Writer’s „Ecumenical“ Ancestor (2000); ders., Gottesname, Gottesbezeichnung und Gottesbegriff Elohim als Indiz zur Entstehungsgeschichte des Pentateuch (2002); alles in: Ders., Die Patriarchen und die Priesterschrift/Les Patriarches et le document sacerdotal. Ges. Stud. zu seinem 70. Geb., hg. v. J.‑D. Macchi u. a. (AThANT 99), Zürich 2010, 73–89 (87) und 173–216
10. Gen 20–22 als nach-priesterliche Erweiterung
237
Schon Ernst Axel Knauf hatte 21,8–21 für „eine späte Ergänzung zum bereits in seiner priesterschriftlichen Ausgestaltung vorliegenden Pentateuch“ gehalten.13 Inzwischen rechnet Konrad Schmid auch bei Gen 22 mit einer nach-priesterlichen Entstehung.14 Reinhard G. Kratz beurteilt Gen 20–22 insgesamt als spiegelbildliches Resümee der vorausgehenden Abrahamgeschichte, das „eher nach- als vorpriesterschriftlich“ sei.15 Auch Rainer Albertz deutet Gen 20–22 als „eine variierende Neufassung der Abrahamerzählungen von Gen 12–19, die mit Blick auf sie als deren Fortsetzung“ für eine zweite, erweiterte Auflage der Vätergeschichte zwischen 539 und 521 v. Chr. geschaffen wurde, ohne freilich deren Verhältnis zu P näher zu erörtern.16 Eingehende Analysen zu diesen Spätansetzungen von Gen 20–22 im Ganzen haben von den genannten Forschern bislang nur Van Seters und vor allem Blum vorgelegt. Die folgenden Beobachtungen und Überlegungen gelten allein der Frage, ob sich die nach-priesterliche Herkunft der nicht-priesterlichen Stücke in Gen 20–22 erweisen lässt.17 Dazu müssen alle erkennbaren Berührungen mit priesterlichen Texten in den Blick genommen und nach deren Verankerung in der Substanz der jeweiligen Einheit gefragt werden. Das wiederum erfordert eine Analyse der jeweiligen Erzählung und deren Verhältnis zum Kontext. Beides kann hier nur sehr verkürzt geschehen. Leider ist der priesterliche Bestand in Gen 12–25 sehr schmal und noch dazu nur auf wenige Themen konzentriert, so dass Querverbindungen überhaupt nur in diesen Fällen erkennbar sind. Hinzu kommt, dass bei sprachlichen oder thematischen Berührungen die Richtung einer möglichen literarischen Abhängigkeit keineswegs immer eindeutig ist. Deshalb müssen anderweitige Indizien, z. B. der historische Ort der in Frage stehenden Texte und Querverbindungen zwischen den Einheiten in 20–22, die Argumentation unterstützen.
(206). Gen 20; 21,22 ff. ist für Römer dagegen das Produkt der Diaspora. Zur nach-priesterlichen Einordnung von Gen 20–22 s. zuletzt Römer in: W. Dietrich u. a., Die Entstehung des Alten Testaments. Neuausgabe (ThW 1), Stuttgart 2014, 100–101. 13 Knauf, Ismael, 18–19. 14 K. Schmid, Die Rückgabe der Verheißungsgabe. Der „heilsgeschichtliche“ Sinn von Gen 22 im Horizont innerbiblischer Exegese, in: M. Witte (Hg.), Gott und Mensch im Dialog, FS Otto Kaiser (BZAW 345), Berlin 2004, 271–300. 15 R. G. Kratz, Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments. Grundwissen der Bibelkritik (UTB), Göttingen 2000, 264. 16 R. Albertz, Die Exilszeit. 6. Jahrhundert v. Chr. (Bibl. Enzykl. 7), Stuttgart 2001, 197–209; das Zitat findet sich auf S. 196. 17 Als „nach-priesterlich“ werden hier die Textbestände bezeichnet, die P voraussetzen und sich – in welcher Weise auch immer – darauf beziehen.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
1. Gen 21,1–7: Die Geburt Isaaks Es empfiehlt sich, mit den Notizen zur Geburt Isaaks zu beginnen, weil sie für die vorliegende Abfolge der Erzählungen in Gen 20–21 verantwortlich sind.18 Mindestens die V. 2–5 sind durch mehrere Verbindungen zu Gen 17 für P gesichert. Zwar heben auch 18,11–13 wie 17,17 das hohe Alter Abrahams hervor, aber der Rückverweis auf den Zeitpunkt der Ankündigung steht der Formulierung in 17,21 näher als der in 18,10. Isaaks Namengebung folgt ausdrücklich 17,19, die Beschneidung 17,12, das Alter Abrahams 17,17. Die Herkunft der anderen Verse ist jedoch weniger sicher. V. 1a könnte unmittelbar an 19,38 anschließen und in Verbindung mit V. 6 die Ankündigung von 18,10–14 einlösen. Allerdings wird der in 18,10–14 angekündigte Besuch nicht aufgenommen. Schwerer wiegt, dass das Verb פקד mit Gott als Subjekt im Buch Genesis sonst nur noch im Vorverweis 50,24 f. vorkommt, der zweifellos nicht mehr zum vorpriesterlichen Gut gehört, sondern zu einer Redaktion, deren Horizont den Hexateuch umfasst.19 V. 1b kann dagegen durchaus die Geburtsnotizen von P eingeleitet haben.20 Die Ätiologie des Namens Isaak mit dem Lachen in V. 6 verbindet auf subtile Weise mit 18,12–15, setzt aber voraus, dass Sara den Namen gibt, was nicht zu V. 3 passt. Hier liegt wahrscheinlich ein Rest des Abschlusses der älteren Abraham-Lot-Erzählung vor.21 Er ist jedoch jetzt auf den priesterlichen Kontext angewiesen, weil ihm eine Verbindung zu Gen 18–19 fehlt. Davon ist V. 7 zu unterscheiden. Er ist – wie vielleicht auch V. 1a – nachpriesterlich; denn er setzt im letzten Glied V. 2 (P) und als Rede Saras V. 6 (vor‑P) voraus. Überdies verbindet er durch die Notiz „Sara stillt Kinder“ mit der folgenden Erzählung. Es handelt sich in 21,1–7 also um ein im Kern priesterliches Stück mit Resten älterer Überlieferung, das aber nur noch in einer nach-priesterlichen Gestalt auf uns gekommen ist.
18 Gen 20 kann nicht nach der Geburt Isaaks erzählt werden; die Vertreibung Hagars und Ismaels (Gen 21) löst ein Problem, das erst durch die Geburt Isaaks geschaffen wurde; und Gen 22 setzt voraus, dass Isaak Abrahams „einziger“ Sohn ist, also Ismael bereits vertrieben ist. 19 Dazu s. E. Blum, Die literarische Verbindung von Erzvätern und Exodus. Ein Gespräch mit neueren Endredaktionshypothesen, in: J. C. Gertz u. a. (Hg.), Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion (BZAW 315), Berlin 2002, 119–156. 20 Die ausdrückliche Nennung von Jhwh spricht nicht dagegen, wie 17,1 zeigt. 21 Elohim, noch dazu in Figurenrede, ist kein Einwand (vgl. Gen 30–31 und E. Blum, Der vermeintliche Gottesname ‚Elohim‘, in: I. U. Dalferth und P. Stoellger [Hg.], Gott Nennen. Gottes Namen und Gott als Name, Tübingen 2008, 23–72).
10. Gen 20–22 als nach-priesterliche Erweiterung
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2. Gen 20,1–17a; 21,22–34*: Abraham und Sara bei Abimelech in Gerar Die Suche nach Berührungen mit P muss hier aufgrund der Verschiedenheit der Stoffe ins Leere laufen. Umso mehr hängt an dem eigentümlichen Ort dieser Erzählung und an der Wahrnehmung ihres besonderen Charakters. Beide hängen eng zusammen. Zunächst zur Erzählweise. Diese Erzählung von Abraham und seiner Frau im Ausland ist keine gewachsene Erzählung22 mit einer mündlichen Vorgeschichte, sondern eine literarische Neufassung der älteren Version von 12,10–20, wie schon Van Seters und Blum gezeigt haben.23 Sie rechnet mit Lesern, die Gen 12 und 26 kennen, wie man an vielen Einzelheiten erkennen kann.24 Der Ortswechsel in V. 125 und die Lüge in V. 2 sind, anders als in der Vorlage, gänzlich unmotiviert, erinnern aber an die Erstfassung. An die Erstfassung muss erinnert werden, um sie korrigieren zu können. Das geschieht in den Erweiterungen gegenüber Gen 12. Sie füllen die dort offenen Leerstellen aus, rücken Anstößiges zurecht und setzen neue Akzente. Die V. 3–7 erklären, wie der König von der Wahrheit erfährt; die V. 10–13 deuten das Schweigen Abrahams in 12,18–19 als Schuldeingeständnis und suchen, den Ahn zu entlasten. Die wichtigste Erweiterung gegenüber Gen 12 besteht darin, dass der Verfasser eine neue Szene schafft, die – im vollkommenen Kontrast zur Ausweisung in 12,20 – Abraham ein Bleiberecht in Gerar vertraglich zusichert. Schon Blum hat gesehen, dass die Einladung Abimelechs zu einem convivium (V. 15) nach Fortsetzung verlangt, die jedoch bis V. 18 nicht erfolgt. Sie findet sich jetzt im Vertrag Abimelechs mit Abraham in 21,22–34*. Einige Züge dort weisen denn auch auf Gen 20 zurück.26 Schon Abimelechs Hinweis auf Gottes Beistand 22 Wer sie literarkritisch wie eine gewachsene Erzählung behandelt, bringt sie gerade um ihr besonderes inhaltliches Profil und erhält eine Art Dublette zu dem Handlungs-Gerippe, das er schon aus Gen 12 destilliert hat. An diesem Verfahren leiden die Analysen von Zimmer, Elohist; C. Levin, Der Jahwist (FRLANT 157), Göttingen 1993, 172–180; I. Fischer, Die Erzeltern Israels (BZAW 222), Berlin 1994. Die ungefähre Übereinstimmung in der Bestimmung ihrer jeweiligen Grundschicht verwundert nicht (s. Fischer, Erzeltern, 153 Anm. 151). 23 Van Seters, Abraham, 167–183; Blum, Komposition, 405–411; auch Schmitt, Erzählung, 118 f. (nennt Gen 20 „eine bewusste Neugestaltung“ von 12,10–20); ähnlich L. Schmidt, Weisheit, 152. Schmitt wie Schmidt halten aber an der vorexilischen Datierung fest. 24 Man sehe nur folgende Beispiele: V. 1 „zog in den Negeb“ aus 12,9; V. 1 „Gerar“ aus 26,1; V. 2 „sie ist meine Schwester“ aus 26,2; V. 4b aus 18,23–25; V. 9 „was hast du uns angetan“ aus 12,18; V. 11 „man wird mich wegen meiner Frau umbringen“ aus 12,12; V. 13 „als mich Gott aus dem Hause meines Vaters ins Ungewisse führte“ aus 12,1; V. 13b „an jedem (!) Ort, zu dem wir kommen“ deckt auch 12,10–20 ab; V. 14a aus 12,16; V. 18 „wegen Sara, der Frau Abrahams“ aus 12,17. 25 V. 1 gehört nicht zu einem älteren Itinerar (denn es kombiniert 12,9 mit 16,14, 16,7 und 26,1); V. 1a stellt keine Wiederaufnahme von 12,9 dar (gegen Levin, Jahwist, 171). Es handelt sich nur um ein ‚Erinnerungssignal‘. 26 Blum, Komposition, 413–414.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
und Schutz („Gott ist mit dir bei allem, was du tust“) und der Loyalitätseid, ja nicht „treulos“ zu handeln, (21,22b.23), erhalten ihr Profil erst, wenn man sie auf Gottes Beistand für Abraham trotz dessen durchaus ambivalentem Tun in Gen 20 bezieht. Der Hinweis auf „die Güte, die ich dir erwiesen habe“ zusammen mit „dem Land, in dem du dich aufgehalten hast“ (21,23) greift auf des Königs generöses Angebot in 20,15 zurück, ebenso die Schlussbemerkung: „Abraham hielt sich lange Zeit im Land auf “ (21,34*). Mit dem Verb גורkehrt der Erzähler zum Anfang in 20,1b zurück. Diese abschließende Szene ist allerdings jetzt mit dem Streit um Wasserrechte übermalt, der über den Horizont dieser Erzählung hinausgeht und fest mit Beerscheba, nicht mit Gerar verbunden ist.27 Diese Weiterungen sind dagegen in Gen 26 beheimatet. Der Ortswechsel von Gerar nach Beerscheba knüpft an 21,14 an. Mit ihm sind Abimelechs Rückkehr in V. 32 und die von Gen 26 unabhängige Notiz V. 3328 verbunden. Aus 26,1.8.14.18 stammt die Lokalisierung Gerars im „Land der Philister“ (21,32.34), aus 26,26 Abimelechs Offizier Pichol (21,2229.32). Angestoßen durch die Namen von König (Abimelech) und Ort (Gerar) sowie von dem ähnlich gelagerten Fall (die Ehefrau als Schwester des Ehemannes) wollte der Bearbeiter mit Gen 26 ausgleichen.30 Aus der Erwähnung der „Wüste von Beerscheba“ (21,14), in der Hagar nach ihrer Vertreibung durch Abraham herumirrt, und aus der Pflanzung einer Tamariske in 21,33 schloss er auf den Aufenthalt Abrahams in Beerscheba. Zieht man diese Bearbeitung ab, bleiben 21,22*-24.27.34* übrig.31 Sie folgten ursprünglich unmittelbar auf 20,17a.32 In dieser Abfolge hatte die abschließende Feststellung „Abraham hielt sich lange Zeit im Land auf “ (21,34*) einen guten Sinn. Wer aber hat die ursprünglich abschließende Szene abgeschnitten? Warum ist sie nach die Vertreibung Hagars gestellt worden?33 Am einfachsten ist es, den auch von Blum angenommenen Bearbeiter dafür verantwortlich zu machen. Er konnte die von ihm erweiterte Schlussszene wegen der Brunnenstreitigkeiten 27
Zur Analyse s. Blum, Komposition, 411 f. Blum vermutet, dass diese „Kurznotiz“ ursprünglich die Vertreibung Hagars (21,8–21) unmittelbar mit Gen 22,1 ff. verband (Komposition, 335). 29 Der Bearbeiter hat in V. 22 vergessen, das Verb in den Plural zu setzen, und so seinen Zusatz für uns erkennbar gemacht. 30 Auf sein Konto gehen wahrscheinlich auch 26,15.18. 31 Auf das Konto des Bearbeiters gehen in V. 22 mit Sicherheit „und Pichol, sein Feldhauptmann“, wahrscheinlich auch die Überleitungswendung „zu jener Zeit“ (vgl. 38,1), die einen längeren Zeitraum abdeckt und sich deshalb besser auf die Ereignisse von 21,1–21 als unmittelbar auf Gen 20 bezieht. In V. 34 gehört „… der Philister“ zur Bearbeitung, weil Gerar und Abimelech nur in Gen 26 mit den Philistern in Verbindung gebracht werden. 32 20,17b–18 gehören vielleicht zu einer Erweiterung, weil sie über V. 6b.17a hinausgehen, indem sie der Zeugungsunfähigkeit Abimelechs die Gebärunfähigkeit aller (!) Frauen im Harem des Königs an die Seite stellen. 33 Die Frage wird so gut wie nie gestellt. Levins Auskunft, der Redaktor habe es halt so gewollt (Jahwist, 173, mit einer komplizierten Redaktionsgeschichte), erklärt nichts. 28
10. Gen 20–22 als nach-priesterliche Erweiterung
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nicht mehr unmittelbar auf 20,17a folgen lassen; denn sie erforderte nun einen längeren zeitlichen Abstand zu Gen 20.34 Weil die Vertreibung Hagars unlösbar mit den Geburtsnotizen verbunden ist, war der nächstliegende passende Ort der gegenwärtige. Außerdem boten die Erwähnung der „Wüste von Beerscheba“ in 21,14 und die ursprünglich auf 21,21 folgende Notiz von der Tamariske in Beerscheba in 21,33 eine Anknüpfungsmöglichkeit. Der Bearbeiter geht offenbar davon aus, dass Abraham seit 21,1 in Beerscheba wohnt und dass Abimelech mit seinem Feldhauptmann dorthin kommt, um den Vertrag abzuschließen und dann wieder nach Gerar zurückzukehren (21,32). An seinem neuen Ort kann der abschließende V. 34 nur als eine rückblickende Feststellung gemeint sein: „Abraham hatte sich lange Zeit im Land der Philister aufgehalten.“35 Eine Verschiebung des Sinnes muss man auch in V. 23b annehmen. Am ursprünglichen Ort nach 20,17 hatte das Verb in der Afformativkonjugation ( )גרתהden Sinn: „Land, in dem du dich bis jetzt aufgehalten hast.“ Am neuen Ort aber bezieht es sich auf den längst zurückliegenden Aufenthalt Abrahams in Gerar: „Land, in dem du dich einst aufgehalten hast.“ Blum deutet 20,1–18; 21,22–24.27.34 als eine Einheit36, die einst ein Eigenleben hatte, bevor sie in den gegenwärtigen Zusammenhang eingestellt und dabei auseinandergerissen worden ist. Die Annahme einer ursprünglichen Selbständigkeit ist m. E. nicht nötig37, wenn man sieht, dass einige Einzelzüge dieses literarischen Produkts eigens im Blick auf die folgende Geburt Isaaks geschaffen worden sind. So reinigen V. 3–7 den fremden König und Sara von jedem Verdacht. Das war auch dringend nötig, um die Legitimität dessen zu sichern, der in 21,2 geboren wird. Auch hat man in V. 2 den Hinweis auf Saras Schönheit (12,11) mit Rücksicht auf den literarischen Ort unterdrückt; denn von einer „überaus schönen“ Sara (12,14) konnte bei einer (nach 17,17 und vor 21,5) Neunundachtzigjährigen nicht gut die Rede sein. Diese Rücksicht auf den unmittelbar folgenden Kontext war dem Erzähler offenbar so wichtig, dass er einige Ungereimtheiten in Kauf genommen hat. So bleibt Abimelechs Interesse an Sara völlig unverständlich, und das Verschwinden Saras im Harem 34
Man beachte vor allem 21,26. Lösung, Beerscheba kurzerhand dem „Land der Philister“ zuzuschlagen, scheidet aus, weil Abimelech gerade von Beerscheba ins „Land der Philister zurückkehrt“ (21,32). Wortstellung und Narrativ in 21,34 deuten Progression der Handlung an und sprechen gegen eine vorzeitige Deutung, aber ein von ihnen nahegelegter neuerlicher Aufenthalt Abrahams in Gerar ist ganz unwahrscheinlich, weil Abraham in Gen 22,19 wieder in Beerscheba wohnt. So muss man wohl damit rechnen, dass die jetzt unpassende Verbform beim Wechsel an den neuen Ort stehen geblieben ist – eine nicht gerade elegante Lösung, zumal der Bearbeiter das Land ausdrücklich als „Land der Philister“ gekennzeichnet hat. 36 Er nimmt dabei H. Gunkel auf, der indes auch 21,31 dazu rechnet (Genesis übersetzt und erklärt [HKAT 1/1], Göttingen 91977, 233). 37 Sie erscheint mir schwierig, weil dieses Kunstprodukt gar nicht den Regeln einer Einzelerzählung folgt, wie Blum zu Recht herausgearbeitet hat, und weil kein Grund für den gegenwärtigen Ort der Schlussszene in 21,22 ff. beigebracht wird. 35 Die
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Abimelechs, der Auslöser des Konflikts, wird in der Exposition – erzählerisch unmöglich – gar nicht begründet. Es verwundert nicht, dass man immer wieder versucht hat, diesen Ungereimtheiten literarkritisch zu begegnen, vor allem dann, wenn man an einem älteren „Elohisten“ interessiert ist. Jedoch hält keine der vorgeschlagenen Amputationen einer kritischen Prüfung stand.38 Das gilt auch für V. 13.39 Dann aber steht der Annahme, Gen 20,1–17a; 21,22*–24.27.34* sei nach der Priesterschrift in Kenntnis von wenigstens 21,1b–5 verfasst worden, nichts ernstlich im Wege. Man könnte freilich einwenden, dass schon die vor-priesterliche AbrahamLot-Erzählung vom hohen Alter des immer noch kinderlosen Ahnenpaares in 18,10–15 berichtet und dass sie – schon wegen der Ankündigung dort – die Geburt Isaaks erzählt haben muss, auch wenn uns jetzt nur noch wenige ältere Spuren in 21,1–7 (nach P) erhalten sind. Doch ist der gegebene Nahkontext einer postulierten, aber verlorenen Überlieferung vorzuziehen.40 Außerdem ist gerade die Steigerung des Wunderbaren in der Ankündigung durch die biologische Unmöglichkeit in 18,10–15 nicht vom Verdacht nachträglicher Übermalung frei.41 Überdies steht die Erzählweise in Gen 20 mit ihren ausführlichen Reden, Nachholungen und Rückblenden dem Erzählstil nachweislich älterer Überlieferungen denkbar fern.42 Vor allem aber spricht die gesamte Intention der Neufassung entschieden für eine Entstehung erst in der fortgeschrittenen Perserzeit. Dazu müssen jetzt wenige Hinweise genügen.43 Die Erzählung beginnt damit, dass sich das Ahnpaar außerhalb Judas in Gerar unter einem fremden König aufhält. Sie endet mit der Rückkehr Abrahams dorthin, wo er „sich für lange Zeit aufhält“. Thema ist offenkundig das 38 S. die Diskussion der divergierenden Vorschläge von T. Seidl, „Zwei Gesichter“ oder zwei Geschichten? Neuversuch einer Literarkritik zu Gen 20, in: M. Görg (Hg.), Die Väter Israels. Beiträge zur Theologie der Patriarchenüberlieferungen, FS Joseph Scharbert, Stuttgart 1989, 305–326; Levin, Jahwist, 171–174; Zimmer, Elohist, 52–58; Fischer, Erzeltern, 137– 156, bei M. Köckert, Abraham: Ahnvater, Fremdling, Weiser. Lesarten der Bibel in Gen 12, Gen 20 und Qumran, in: St. Martus und A. Polaschegg (Hg.), Das Buch der Bücher – gelesen. Lesarten der Bibel in den Wissenschaften und Künsten (Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik 13), Bern 2006, 139–170, bes. 156–161 (Anm. 49, 50, 55). [s. in diesem Bd. Nr. 3] 39 Die mehrfache Erklärung der Lüge – aus Fremdenfurcht (V. 11) und als Halbwahrheit (V. 12) – und die Entschuldigung Saras (V. 13) schließen sich nicht aus und können wie die indirekten Rückverweise in V. 13 auf 12,1.10–20 doch nur befremden, wenn man von einer gewachsenen Erzählung ausgeht, aber nicht in Rechnung stellt, dass es sich um eine literarische Neufassung zur Rechtfertigung der Erzeltern handelt, noch dazu aus sehr später Zeit (dazu s. u.). Ska meint, V. 13 könne nur verstanden werden, wenn 12,1 und 12,13 bereits Teil desselben Erzählzusammenhangs sind, weshalb V. 13 in der von ihm erwarteten älteren Erzählung befremdet (L’appel, 373). Genau das ist der Fall, aber die von ihm unterstellte Voraussetzung trifft m. E. nicht zu. 40 Noch dazu mit der ausdrücklichen Altersangabe durch P in 21,5. 41 Hinweise bei M. Köckert, Vätergott und Väterverheißungen. Eine Auseinandersetzung mit Albrecht Alt und seinen Erben (FRLANT 142), Göttingen 1988, 236–238. 42 Vgl. schon Gunkel, Genesis, 226. 43 Vgl. Blum, Komposition, 415 f.; Köckert, Abraham: Ahnvater, 159–161.
10. Gen 20–22 als nach-priesterliche Erweiterung
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Leben Abrahams (und mit ihm Israels) in der Diaspora und dessen Verhältnis zu den Fremden. Gegen Abrahams Vormeinung (20,11) attestiert der Erzähler auch den Nichtjuden „Gottesfurcht“, also das, was wir Anstand und Sitte nennen. Gott ist mitnichten nur an das gelobte Land und die Seinen gebunden; er lenkt vielmehr auch die Geschicke der Heiden (20,3–7), ja Abimelech klagt sogar dieses Gottes Gerechtigkeit ein (20,4b). Der fremde Oberherr erkennt ausdrücklich Israels Sonderstellung an (21,22), und auch den Fremden bekommt das Zusammenleben gut, weil Abraham ihnen Gottes Hilfe vermittelt (20,17). Am Ende steht eine vertragliche Regelung des gedeihlichen Zusammenlebens von Juden und Nichtjuden. Aus dem xenophoben Abraham von Gen 12 ist ein Werber für ein weltoffenes Judentum und ein Leben in der Diaspora geworden, das aber durchaus Grenzen kennt: Trotz gemeinsamem Handel und Wandel keine ethnische Vermischung!44 Gen 20 steht gegen Dtn 7,7; 18,9–14 u. a.45, respektiert aber Esr 9–10. All das setzt eine längere Zeit positiver Erfahrungen mit einem Leben in der Diaspora voraus. Für die spätpersische Zeit sprechen unter anderem auch die Berührungen von 20,4b mit 18,22b–33a und von V. 4–5 mit Jon 1. Sollte diese Bestimmung des historischen Ortes von Gen 20 das Rechte treffen, ist mit einer vor-priesterlichen Ansetzung von Gen 20 kein Staat zu machen.
3. Gen 21,8–21: Die Vertreibung Hagars und Ismaels Die vorliegende Erzählung hat zwei Teile, die durch einen Ortswechsel und die Reduktion des Personals klar abgegrenzt sind. Der erste Teil (V. 8–13) führt uns zu einem Festmahl in die Familie Abrahams. Wir lernen zunächst Isaak und den im gesamten Stück namenlosen Sohn Hagars kennen, sodann Sara und Abraham, schließlich tritt auch Gott auf, der zu Abraham spricht. Der zweite Teil (V. 14–21), der uns aus der Familie Abrahams in die Wüste bringt, kennt nur noch Hagar und ihren Sohn, bevor überraschend Gott „vom Himmel her“ durch seinen Boten mit Hagar spricht. Der gesamte erste Teil (V. 8–13) erwächst aus den unmittelbar voran stehenden Geburtsnotizen in V. 1–7; denn weder mit V. 8 noch mit V. 9 kann eine Erzählung beginnen46: „Das Kind“ kann sich nur auf den in V. 1–7 geborenen Isaak beziehen; die mit einem Fest gefeierte Entwöhnung greift auf das Stillen Saras in V. 7 zurück; die Forderung Saras in V. 10, welche die Vertreibung Hagars und 44
Gott selbst sorgt in 20,6b.17a dafür, dass die Reinheit des Blutes gewahrt bleibt. deshalb geht die Charakterisierung von Gen 20 „als Beispiel für den Gehorsam gegen das deuteronomische Gesetz“ (so Levin, Jahwist, 173, aufgrund seiner literarischen Analyse) am Text vorbei. 46 Schon Knauf stellte lapidar fest: „Sie hat keinen Anfang … hier schreibt jemand eine Geschichte weiter, die schon ein ganzes Stück vorher angefangen haben muß“ (Ismael, 17). 45 Schon
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II. Zur Abrahamüberlieferung
ihres Sohnes in V. 14 auslöst, entsteht überhaupt nur durch die Geburt Isaaks in V. 1–7; schließlich wird auch der Anlass der Erzählhandlung – der Sohn Hagars „scherzt“ (V. 9: צחקPi.)47 – unmittelbar aus dem Namen des in V. 1–7 Geborenen entwickelt: Isaak ()יצחק. Will man nicht zu der unbeweisbaren Vermutung greifen, ein älterer Anfang sei verloren gegangen, muss man davon ausgehen, dass der vorliegende Text auf die in nach-priesterlicher Gestalt auf uns gekommenen Geburtsnotizen hin geschrieben wurde.48 Seinen Stoff hat der Erzähler vor allem aus Gen 16 genommen. Er spricht in 21,9 vom „Sohn Hagars, der Ägypterin, den sie Abraham geboren hatte“, und kombiniert damit 16,15b (P?) mit der aus 12,16 erschlossenen ägyptischen Herkunft Hagars in 16,3 (P). Die Forderung Saras in 21,10, „diese Magd und ihren Sohn“ zu „vertreiben“, setzt Umstände voraus, die in Gen 21 nicht erzählt werden, wohl aber in Gen 16. Die veränderte Lage zeigt sich in der neuen Bezeichnung Hagars: Weil Sara „ihre Sklavin“ Abraham „zur Frau gegeben“ hat (16,3 P), ist Hagar nach der Geburt Ismaels offenbar „deine“ (in Gottes Rede 21,12 also Abrahams Magd) oder „diese Magd“ (so aus Saras Perspektive 21,10). Deshalb muss jetzt, anders als in 16,6, Abraham aktiv werden. Der Erzähler präsentiert also seine neue Geschichte nicht als Variante der alten, sondern als deren Fortsetzung und nimmt dabei stets auf Gen 16 Rücksicht.49 Das sieht man vor allem an der Verschiebung des Themas. In Gen 16 ging es um ein Kind für die kinderlose Sara, in Gen 21 – nach der Geburt Isaaks – geht es dagegen um die Sicherung des Erbes für Isaak. Der Fall ist insofern kompliziert, als der Erstgeborene der Sohn einer Sklavin, der Sohn der Hauptfrau dagegen nachgeboren ist. Dafür gibt es in den Rechtstexten des AT keine Regelung.50 Doch zeigen Gen 25,6 und Ri 11,1–3.7, was man in ähnlichen Fällen getan hat.51 Offenbar haben alle Söhne eines Vaters unter bestimmten Umständen ein Erbrecht, doch können diese Rechte nicht wahrgenommen werden, wenn der Erblasser, die Nebenfrau mit ihrem Sohn „fortschickt“. Dass dieses Verfahren irregulär ist, zeigen das Missfallen Abrahams in V. 11 und die ausdrückliche Intervention Gottes in V. 12–13; erst nachdem Gott die Forderung Saras gutgeheißen hat, 47 Möglich wäre vielleicht auch die Übersetzung des Verbs im Piel mit: „sich lustig machen“ (HALAT, Leiden 32004, 955; vgl. Ges.-Donner, Berlin 182009, 1113). 48 Gen 21,7 könnte von der Hand stammen, die auch V. 8–13 ff. geschrieben hat. 49 So schon Van Seters (Abraham, 196–200, der hier freilich seinen „Late J“ am Werk sieht) und mit vielen Beobachtungen Blum, Komposition, 311–313, und Knauf, Ismael, 19–25; auch Schmitt, Erzählung, 120. 50 Allerdings sehen Dtn 21,15–17 einen Vorzugsanteil für den Erstgeborenen des Mannes vor. In Cod. Hammurapi § 170 sind bei mehreren Frauen alle anerkannten Söhne des Erblassers erbberechtigt. Da ausdrücklich Abraham seinem Sohn den Namen gibt (16,15) und ihn damit anerkennt, wäre Ismael erbberechtigt. 51 In Gen 25,6 schickt Abraham seine Söhne, die er von seinen Nebenfrauen hat, mit Geschenken fort und übergibt alles, was er hat, seinem Sohn Isaak. Das irreguläre Verfahren schildert Ri 11,1–3.7; dort jagen die Söhne der Ehefrau ihren Halbbruder Jephtach, den Sohn einer Dirne, vom Hof ()גרש, damit sie nicht mit ihm das Erbe teilen müssen.
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gehorcht Abraham (V. 14). Da sich aber alles, was folgt, erst aus V. 8–14 ergibt, hängt auch der zweite Teil der Erzählung von V. 1–14 ab. Der zweite Teil (V. 14–21) nimmt ebenfalls Rücksicht auf Gen 16. So bereitet V. 17 zwar eine Ätiologie des Namens „Ismael“ vor, führt sie aber wegen 16,11 nicht aus. Dennoch lassen sich im zweiten Teil Spuren einer älteren Vorgeschichte52 ausmachen, die bei allen Unterschieden mancherlei Berührungen mit Gen 16 aufweist: In V. 19 erblickt Hagar nach Gottes Eingreifen ein Wasserloch in der Wüste und stillt ihren Durst, während in 16,7 der Bote Jhwhs Hagar an einem Wasserloch findet; in V. 17 „hört“ Gott die Stimme des Jungen, in 16,11 hat er die Demütigung Hagars „gehört“. Hinzu kommt eine Differenz im Alter Ismaels. Die V. 15–19 stellen ihn als ein etwa vierjähriges Kleinkind vor, das Hagar unter einem Strauch ablegt (V. 15), das schreit (V. 16–17) und das sie schließlich auf himmlisches Geheiß „an die Hand nehmen“ soll (V. 18). Dagegen muss er im ersten Teil ungefähr 17 Jahre alt sein, wenn man die priesterliche Chronologie von 17,25; 21,5 zugrunde legt und mit 2 Makk 7,27 mindestens drei Jahre bis zur Entwöhnung Isaaks veranschlagt. In V. 14 hinkt jetzt „und das Kind“ merkwürdig nach. Der MT suggeriert damit, das Kind werde anders behandelt als das zuvor genannte Brot und Wasser, die Abraham der Hagar gibt und auf den Rücken lädt. Der Syrer stellt dagegen „das Kind“ als Objekt zum Verb נתן: „Er gab Hagar das Kind“. Ismael muss hier offenbar noch getragen werden, während der MT durch die Umstellung mit dem im ersten Teil vorausgesetzten höheren Alter Ismaels ausgleicht.53 Am Ende bleibt nur das Motiv vom Hören Gottes „auf die Stimme des Jungen“ (V. 17), das einst auf eine Ätiologie des Namens Ismael führte.54 Aber aus diesen wenigen Spuren lässt sich keine „Parallelversion“ zu Gen 16 rekonstruieren.55 Dagegen sprechen auch die Erzählzüge, die mit Gen 22 (und 20) verbinden.56 So wird vorausgesetzt, dass die Gottesrede, die alles weitere auslöst (vgl. V. 12–13 mit 22,1b–2), des Nachts geschah; denn die jeweiligen Adressaten „machen sich am Morgen auf “ ( שכםvgl. V. 14 mit 22,357). Der Erzähler nennt den gefährdeten Sohn Hagars in V. 12.17–20 wie in 22,5.1258 „Junge“ ()נער, obwohl er in 52 Das haben schon Gunkel (Genesis, 229 f.), Blum (Komposition, 312–313) u. a. gesehen. 53 So schon die Erklärung von Gunkel, Genesis, 229 f. 54 Gen 21,17 bietet eine gegenüber 16,11 „‚verbesserte‘ Erklärung des Namens Ismael. Der Name Ismael selbst aber kommt in der ganzen Geschichte nicht vor – ein letztes Indiz dafür, daß diesem Text Gen. 16 vorlag und daß er von vorneherein für Leser verfaßt ist, denen Gen. 16 auch vorlag“ (Knauf, Ismael, 21). 55 Blum erklärt deshalb den vorliegenden Text von Gen 21 mit den beobachteten Unausgeglichenheiten als „‚Transformation‘ einer mit Gen 16 ‚konkurrierenden‘ Parallelüberlieferung“ (Komposition, 312). 56 S. vor allem Blum, Komposition, 314–315, und Jeremias, Gen 20–22, 61–64. 57 Vgl. auch 20,8; in 20,3 ist ebenfalls ausdrücklich vom „Traum des Nachts“ die Rede, in dem Gott zu Abimelech kommt. 58 In 22,19 ist Isaak wegen des „gingen sie zusammen“ in den נעריםeinbegriffen.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
V. 8.14–16 „das Kind“ ( )הילדsagt. Gottes Bote ruft in V. 17 wie in 22,11 „vom Himmel“. Der Ruf erweitert den Blick der Angesprochenen, so dass sie in V. 19 wie in 22,13 etwas sehen, was ihnen vorher verborgen war, wodurch sie aber nun gerettet werden. Ist der erste Teil mit dem Stoff aus Gen 16 auf 21,1–7 hin erzählt, so ist der zweite offenkundig von vornherein auf Gen 22 ausgerichtet. Bezieht man die sachlich-thematischen Bezüge ein, ist sie in der Tat ein „Vorspiel, man möchte fast sagen, … (eine) ‚Generalprobe‘ für Gen 22“.59 Gegen einen älteren Kern in Gen 21 spricht weiter, dass die vermeintliche Familienerzählung zur Beschreibung des Konflikts und seiner Lösung die Verben „erben“ ( )ירשund „vertreiben“ ( )גרשverwendet, die für das Verhältnis Israels zum Land und seinen Bewohnern von Bedeutung sind. Besonders signifikant ist die Verwendung von גרש60 für einen Vorgang, der im familiären Kontext gewöhnlich mit „entlassen“ ()שלח61 formuliert wird (25,6).62 Im Sohn Saras ist eben schon Israel als Volk im Blick, im Erbe das Land und mit der Vertreibung Israels Landnahme. Doch bleibt Gott in Gen 21, anders als in den dtr. Landnahmetexten, den Vertriebenen weiter zugewandt (V. 13.18.20). Gegen einen älteren Kern und für eine nach-priesterliche Entstehung sprechen schließlich die mehrfachen Berührungen von 21,10–13 mit Gen 1763 und der deutliche Einspruch gegen 25,9 in 21,20–21. (1) Die Abfolge von der Forderung Saras (V. 10) über das Missfallen Abrahams (V. 11) zur Intervention Gottes, die Isaak wie Ismael betrifft (V. 12.13), entspricht der Anlage von 17,15–21: Auf die Ankündigung der Geburt eines Sohnes von Sara reagiert Abraham skeptisch mit dem Verweis auf Ismael und erhält eine ebenfalls Isaak wie Ismael betreffende Antwort, mit der Gott seiner Skepsis begegnet. Diese strukturelle Ähnlichkeit dürfte kein Zufall sein. Was in Gen 17 aus dem das gesamte Kapitel prägenden Thema „Bund“ folgerichtig entfaltet wird, wendet der Erzähler in Gen 21 auf einen neuen Fall an, der unter der Überschrift steht: Isaak allein soll Erbe sein. (2) Der Hinweis auf die Sonderstellung Isaaks in V. 12b entspricht nicht nur Gen 17, sondern setzt es voraus: Weil Gott seinen Bund nur mit Isaak als einen „ewigen Bund für seine Nachkommen nach ihm“ errichten wird (17,19b), sollen
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Blum, Komposition, 314. Zu national-politischen Kontexten des Verbs vgl. auch die Meschastele (KAI 181,19) und die Texte, in denen es um die Vertreibung der Völker Kanaans und die Übergabe des Landes an Israel geht (Ex 23,28; 33,2; 34,11; Dtn 33,27; Jos 24,12.18 u. ö.). 61 Im Fall der Scheidung wird die Ehefrau „entlassen“ (Dtn 21,14; 24,1; Jes 50,1; Jer 3,1.8). Aber auch der Sklave oder die Skalvin werden „entlassen“ (Dtn 15,12; Jer 34,9.11.14.16). 62 Allerdings wird auch Jephtach „vertrieben“ (Ri 11,1–3.7). 63 T. D. Alexander, The Hagar Tradition in Genesis XVI and XXI, in: J. A. Emerton (Hg.), Studies in the Pentateuch (VT.S 41), Leiden 1990, 131–148 (bes. 146), sieht richtig: „In their present form verses 1–21 make complete sense only in the light of chs xvi and xvii.“ Nachweise im Einzelnen gibt er freilich nicht. 60
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auch Abrahams Nachkommen nur „nach Isaak benannt werden“, nicht nach Ismael (21,12b). (3) Zunächst fällt in V. 13 die Formulierung auf: „Aber auch den Sohn der Magd will ich zu einem Volk machen ()שים, weil er dein Nachkomme ist.“ Das Thema Volk erscheint in Gen 21 erstmals hier. Ausdrücklich ist nur von einem Volk, nicht von einem großen Volk die Rede, um jede Assoziation an 12,2 zu vermeiden.64 Der Beginn mit „aber auch“ setzt nach der Hervorhebung Isaaks in V. 12 voraus, dass es eine entsprechende Zusage für Isaak gibt, die V. 13 übersteigt. Dergleichen kennt die Überlieferung nur in Gen 17. Allerdings muss man das subtile Gesamtgefälle der Gottesrede mit der fortschreitenden Präzisierung der Adressaten dort berücksichtigen; denn eine Verheißung an Isaak von der Art, ihn zu einem (großen) Volk zu machen gibt es auch dort nicht. Wohl aber macht die Differenzierung zwischen Isaak und Ismael in 17,19–21 und die Wiederholung der besonderen Mehrungszusage aus 17,6 bei Sara in 17,16 deutlich, dass sie allein der über Isaak und Jakob zu Israel führenden Linie gilt.65 Nur Isaak, nicht Ismael ist in der Verheißung der Mehrung von V. 6 inbegriffen, die darin gipfelt, dass Abraham zu „Völkern“ werden soll und dass „aus ihm Könige hervorgehen“. Weil weder diese Mehrungsverheißung noch jener Bund mit seinem exklusiven Gottesverhältnis Ismael gilt, erhält Ismael eine eigene Verheißung in 17,20, die nur ihn betrifft. Die Zusage von Fruchtbarkeit und überaus zahlreicher Mehrung gilt nach 1,26 ff. allen Menschen und deshalb auch Ismael. Aber er wird darüber hinaus zwölf Fürsten zeugen, und Gott wird ihn zu einem „großen Volk“ machen. „Fürsten“ und „großes Volk“ hier statt „Völker“ (bzw. eine „Menge/Schar von Völkern“) und „Könige“ dort (17,5–6.16) zeigen den Unterschied zwischen Ismael und Isaak an. Die Formulierungen in 21,13 tragen eben diesen Differenzierungen Rechnung. Nachdem V. 13 gleich zu Beginn die Weiche in diese Richtung gestellt hat, kann die Gottesrede an Hagar in V. 18 Ismael in Aussicht stellen, zu einem „großen Volk“ zu werden, ohne Missverständnisse zu riskieren; denn 21,18 sagt damit nichts anderes als 17,20. Gen 21,12–13.18 sind nur auf dem Hintergrund von Gen 17 eindeutig verständlich. (4) Die Vertreibung führt Ismael in 21,20–2166 endgültig aus der Familie Abrahams hinaus in die Wüste. Die Trennung von Isaak ist damit endgültig, und 64 Es empfiehlt sich deshalb nicht, V. 13 mit V. 18 zu verbessern, was auch textkritisch nicht naheliegt (m. R. Knauf, Ismael, 17 Anm. 72; dass freilich das „verwirrende Fehlen“ des Attributs גדלden Leser „auf die Vorlage 17,20“ zurückweise, versteht sich nicht von selbst und bedarf einer überzeugenderen Begründung). 65 Eine detaillierte Begründung dieses Verständnisses in Auseinandersetzung mit den neueren „ökumenischen“ Deutungen findet sich bei M. Köckert, Gottes „Bund“ mit Abraham und die „Erwählung“ Israels in Gen 17, in: N. MacDonald (Hg.), Covenant and Election, Tübingen 2015, 1–28. [s. in diesem Bd. Nr. 8] 66 21,21 erläutert das Bleiben Ismaels in der Wüste und deren Lage, so dass eine nachträgliche Fortschreibung nicht ausgeschlossen werden kann.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
Isaak ist nun der Alleinerbe. Das widerspricht ausdrücklich der priesterlichen Vorstellung: In 25,9a (P) begraben beide Söhne ihren Vater Abraham, und in 28,9 (P) nimmt sich Esau, der noch in Verbindung mit seinen Eltern Isaak und Rebekka vorgestellt wird, zwei Töchter Ismaels zu seinen bisherigen Frauen hinzu. Offenbar leben Isaak, Esau und Ismael noch nicht vollkommen getrennt voneinander. Gen 21 konnte in dieser Hinsicht P nicht einfach übernehmen, weil die Erbfrage in dem besonderen Fall von Hagar nur auf dem Wege der Trennung geklärt werden konnte. Setzt man einmal versuchsweise voraus, dass P von Gen 21 abhängig sei, dann stellt sich doch die Frage: Warum hätte die Priesterschrift, die so nachdrücklich zwischen Isaak und Ismael unterscheidet wie in Gen 17 die ihr vorgegebene Trennung rückgängig machen sollen? Es spricht auch hier alles dafür, dass Gen 21 in Kenntnis von P geschrieben wurde, nicht umgekehrt. Wer von einer vor-priesterlichen Herkunft für Gen 21 ausgeht oder mit einem Elohisten rechnet, wird sich bemühen, alle bisher angeführten Sachverhalte zu neutralisieren oder sie literarkritisch zu eliminieren. An Versuchen dazu hat es nicht gefehlt.67 Gern streicht man V. 11–13 als ein „verzögerndes Element“, das den unmittelbaren Anschluss von V. 14 an V. 10 unterbricht.68 Beides, Bewertungen und behauptete Möglichkeiten, sind noch nie literarkritische Kriterien gewesen. Außerdem wird übersehen, dass die V. 11–13 „der Entschuldigung Abrahams“ dienen.69 Diese Intention sei „für eine Gottesrede erdenklich wenig“?70 Dieses Geschmacksurteil bleibt nun wiederum unter den Anforderungen für eine seriöse Literarkritik. Es übersieht, dass gerade diese Absicht auch für die Erweiterungen in Gen 20 gegenüber Gen 12 leitend war. Andere nehmen nur V. 12b.13 oder wenigstens V. 13 heraus.71 Beide Amputationen sind weder literarkritisch gerechtfertigt noch sinnvoll, weil erst in V. 13 Abrahams Unbehagen gegenüber seinem Sohn Ismael angesichts der Forderung Saras zerstreut wird. Als Dubletten beurteilt man gern die zweiseitige Antwort Gottes in V. 12–1372 und die Verheißung für Ismael, ein großes Volk zu werden in V. 13.18.73 Von einer Dublette kann weder hier noch dort die Rede sein: Nachdem V. 12 das Nötige über Isaak gesagt hat, folgt in V. 13, was Ismael betrifft. Insofern ist „aber auch“ keineswegs eine Floskel, mit der ein Nachtrag angeflickt wird. Der Anfang 67 Ich beschränke mich jetzt nur auf zwei neuere Untersuchungen, die nicht nur dekretieren, sondern relativ ausführlich argumentieren: Zimmer, Elohist, 80–84, und Fischer, Erzeltern, 300–305. 68 Fischer, Erzeltern, 303. 69 So m. R. Zimmer, Elohist, 80. 70 Fischer, Erzeltern, 321. 71 S. für die erste Lösung Schmitt, Erzählung, 120, für die zweite Zimmer, Elohist, 82 f. 72 Kessler, Querverweise, 86. 73 Levin, Jahwist, 178.
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mit וגםerfolgt gerade aus sachlichen Gründen in Fortführung zu dem, was Isaak gilt. Wer V. 13.18 als Dubletten beurteilt, übersieht die verschiedenen Adressaten: Gott zerstreut in V. 13 zunächst die Bedenken Abrahams, bevor er in V. 18 Hagar anspricht und ihr mit der Verheißung für ihren Sohn neuen Lebensmut erweckt. Wer zwischen der von Gott autorisierten Vertreibung Ismaels und „dem Interesse an Abrahams nichtisraelitischer Nachkommenschaft“ einen „Gegensatz“ konstruiert, der das literarkritische Messer wetzen lässt, traut dem Erzähler weniger zu als jedem Richter, der zwischen zwei Parteien schlichtet. Die Ortsangabe „Beerscheba“ in V. 14 verflache die Erzählung und gehöre zu derselben Schicht wie V. 11–13.74 Zweifellos liegt in der Lokalisierung der Wüste das Interesse, konkret zu erzählen. Die Näherbestimmung muss aber nicht erst nachträglich vorgenommen worden sein; denn zur Substanz der Erzählung gehört das Wasserloch, das Hagar nach der Gottesbegegnung entdeckt. Derartige Wasserlöcher gehören aber nun einmal zur Wüstensteppe Beerschebas. Zuweilen werden V. 16a und V. 16b als Dubletten betrachtet, wobei V. 16a zur Steigerung der Dramatik eingefügt worden sei75 – wenig überzeugend und unnötig; denn V. 16b nimmt nach der Mitteilung, was Hagar dachte, V. 16a wieder auf, um nun die Handlung fortzuführen: „… und weinte laut.“ Andere halten V. 17–18* für eine Erweiterung (wie V. 12b–13), die wegen der Formulierung der Verheißung mit 46,3 zusammenhänge, einem „sekundären ‚elohistischen‘ Stück“.76 Hier wird vorausgesetzt, was allererst hätte bewiesen werden müssen. Der Hinweis auf 46,3 ist zweifellos richtig, aber der gilt nicht allein für die Gottesrede, sondern für die Erzählung von Hagars Vertreibung insgesamt. Alles in allem haben sich alle Rückbindungen an 21,1–7, an Gen 16 und 17 sowie alle Berührungen mit Gen 22 als Bestandteile herausgestellt, die zur Substanz der Erzählung gehören. Vor allem aber hat sich gezeigt, dass das Stück 21,8–21 die Priesterschrift voraussetzt, mithin nach-priesterlich sein muss.
4. Gen 22,1–19: Die Preisgabe Isaaks Diese abgründige Erzählung, kann hier nur noch unter der Frage nach ihrer möglichen nach-priesterlichen Herkunft in den Blick genommen werden. Sie ist die einzige in Gen 20–22, die nicht als Neubearbeitung einer verwandten Überlieferung in Gen 12–19 gelesen werden muss. Insofern geht sie über die bisher 74
Fischer, Erzeltern, 304 f. Levin, Jahwist, 178–179. 76 Schmitt, Erzählung, 120 Anm. 67; er hält in V. 17–18 lediglich den Satz „Gott aber hörte“ für ursprünglich. 75
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II. Zur Abrahamüberlieferung
behandelten Texte hinaus und hängt doch auf vielfältige Weise mit ihnen zusammen, vor allem mit der Erzählung von der Vertreibung Hagars in Gen 21.77 Ihr literarischer Horizont reicht freilich weiter. Zwar schließt der Anfang mit „nach diesen Begebenheiten“ unmittelbar an den Vorkontext an78, doch hat er sehr viel mehr vor Augen, wie Anspielungen in der Erzählung signalisieren. Schon die Anknüpfungswendung in V. 1a erinnert an 15,1. Die Aufforderung in V. 2 „geh ( )לך לךin das Land …“ mit dem unbestimmten Ziel „bring ihn dort als Brandopfer dar auf einem der Berge, den ich dir sagen werde“ erinnert an 12,1, während die gehorsame Ausführung am nächsten Morgen mit dem Rückverweis „zu der Stätte, die ihm Gott gesagt hatte“ (V. 3) sofort 12,4a aufruft.79 Die Wendung „Abraham hob seine Augen auf “ (V. 4.13) begegnet in vielen Kontexten, lenkt aber den Leser hier – nach dem verstärkten Imperativ „nimm doch“ (V. 2) und den anderen Anspielungen – auf 13,14–15, wo das unbestimmte Ziel von 12,1b eingelöst wird. Einmal auf Gen 12–13 eingestimmt, ruft der Altarbau in V. 9 sogleich 12,7.8 auf. Auf diese Weise schlägt Gen 22 einen großen Bogen zum programmatischen Anfang der Vätergeschichte zurück, welche die Überlieferungen von Jakob mit denen von Abraham verbunden hat und wohl zeitnah zu P entstanden ist.80 Offenbar will Gen 22 so etwas wie ein „letztes Wort“ zu Abraham sagen. Schon diese Beobachtungen machen eine Entstehung von Gen 22 noch in der Königszeit unwahrscheinlich.81 Lassen sich Hinweise zum Verhältnis von Gen 22 zu P finden? Vier Beobachtungen führen vielleicht weiter, obwohl die Verschiedenheit der Motive und Stoffe hier gegenüber denen der Priesterschrift wenig erwarten lässt. (1) Zwei Mal wird Gottes Anweisung, den eigenen Sohn zu opfern, durch eine Kette von Appositionen emotional aufgeladen: „deinen Sohn, deinen einzigen, den du lieb hast, Isaak …“ (V. 2.12). Nun hatte Abraham aber zwei Söhne. Dass Isaak hier der einzige geworden ist, setzt im Sinne von „einzigartig“82 die Kenntnis der Differenzierung zwischen beiden Söhnen durch Gott in 17,19–21 77 S. o. vor Anm. 59. Man kann fragen, ob nicht die Einführung der Gottesrede durch den „Boten Jhwhs“ in 22,11 überhaupt erst durch 21,17 veranlasst ist. Für weitere Einzelheiten sei auf die grundlegenden Beobachtungen von Blum, Komposition, 314 f., verwiesen, weiteres bei Jeremias, Gen 20–22, 61–65, und zuletzt bei Schmid, Rückgabe, 384 ff. 78 Mit dieser Wendung kann schwerlich einmal eine für sich stehende Erzählung begonnen haben (m. R. T. Veijola, Das Opfer des Abraham – Paradigma des Glaubens aus dem nachexilischen Zeitalter, ZThK 85 [1988] 150). 79 Ska, L’appel, 386 f. 80 S. dazu M. Köckert, Wie wurden Abraham- und Jakobüberlieferung zur „Vätergeschichte“ verbunden? HEBAI 3 (2014) 43–66. [s. in diesem Bd. Nr. 16]. 81 Für die Rekonstruktion einer Vorlage zu Gen 22, die Schmitt, Erzählung, 121, von Kilian übernimmt, und für die daraus konstruierte Vorgeschichte fehlen m. E. überzeugende Gründe. L. Schmidt reduziert den Grundbestand auf 22,1–13.19, in dem er „keine Anzeichen für eine ältere Vorlage“ entdeckt (Weisheit, 156). 82 So übersetzt I. Willi-Plein, Das Buch Genesis Kapitel 12–50 (NSK.AT 1), Stuttgart 2011, 123; für diese Bedeutung geben aber weder HALAT noch Ges.-Donner einen biblischen Beleg an.
10. Gen 20–22 als nach-priesterliche Erweiterung
251
voraus. Versteht man יחידdagegen im numerischen Sinn von „nur noch ein einziger“, was wahrscheinlicher ist, dann setzt V. 2 die endgültige Trennung Ismaels von Isaak durch 21,20 f. voraus, was – wie oben gezeigt – ausdrücklich 25,9a (P) kritisiert. So oder so muss der Erzähler P gekannt haben. (2) Wenn der Erzähler P kannte, hat er mit Gen 22 die „unbedingte Verheißung“ von Gen 17 „in die Krise geführt“.83 Allerdings setzt das voraus, was m. E. nur durch die voran stehenden Überlegungen hinlänglich wahrscheinlich geworden ist. (3) Nicht überzeugt die Argumentation, mit dem Widder in V. 13 werde ausdrücklich ein Bezug zu Lev 9,3; 16,5 hergestellt, um auf diese Weise den Opferkult Israels als „Selbstopfer“ Israels zu deuten. Diese Interpretation übersieht, dass Isaak ja gerade nicht geopfert wird!84 (4) Die Erzählung stelle das gehorsame Vertrauen auf Gott höher als den Vollzug des Opfers. Abraham sei hier zum „Paradigma einer neben- oder nachkultischen Heilsordnung für Israel“ geworden. Diese „Subordination der Kulthandlung … unter die … Gesinnung“ richte sich kritisch gegen P.85 Indes dürfte die Zuspitzung auf diese Alternative kaum in der Absicht des Textes liegen; denn die Erzählung endet ja durchaus mit einem realen Opfer, wenn auch eines Widders, nicht des Sohnes. Am Ende hängt für Gen 22 alles an der ersten Beobachtung. Nun hat Christoph Hardmeier Gen 22 einer erstaunlichen ‚Literarkritik‘ unterzogen und dabei nicht nur wie die meisten V. 15–18, sondern neben der Überleitungswendung in V. 1a und dem lokalen Verweis „dort“ in V. 2 eben auch die gesamte Reihe der Appositionen zu „deinen Sohn“ in V. 2a.12b einer späteren Hand zugeschrieben.86 Für die Beurteilung von V. 15–18 als jüngere Fortschreibung gibt es seit langem gute Gründe, die auch von Van Seters nicht widerlegt worden sind.87 Gegen die anderen von Hardmeier amputierten Teile sehe ich dagegen gar keine Handhabe. Er argumentiert ja auch nicht wirklich literarkritisch, nennt jedenfalls keine Gründe, die einen Verbleib der kritisierten Teile im Text unmöglich machen. Entscheidend ist für ihn die Behauptung, das Verb עלהsei in Gen 22 mehrdeutig. Gott habe in V. 2 Abraham nur befohlen, seinen Sohn auf 83 So die Interpretation von Schmid, Rückgabe, 294, der damit versucht, den Einwand von H.‑D. Neef zu entkräften, Gen 22 hätte bei einer Bekanntschaft mit P nicht am Thema „Bund“ vorübergehen können (Die Prüfung Abrahams. Eine exegetisch-theologische Studie zu Gen 22,1–19 [AzTh 90], Tübingen 22014, 120). 84 Das wendet mit Recht Schmid (Rückgabe, 294) gegen G. Steins ein: Die „Bindung Isaaks“ im Kanon (Gen 22). Grundlagen und Programm einer kanonisch-kontextuellen Lektüre (HBS 20), Freiburg 1999, 195. 85 Schmid, Rückgabe, 294. 86 C. Hardmeier, Realitätssinn und Gottesbezug. Geschichtstheologische und erkenntnisanthropologische Studien zu Genesis 22 und Jeremia 2–6 (BThSt 79), Neukirchen-Vluyn 2006, 1–81. 87 Van Seters, Abraham, 227–240; er rechnet 22,1–19 zu seinem „Late J“.
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II. Zur Abrahamüberlieferung
den Berg „bezüglich eines Brandopfers hinaufzubringen“88 ([ לעולהHif.] )עלה, er werde sich dann schon ein Opfertier ersehen. Da dieselbe Formulierung mit ( לעולהHif.) עלהbei der Darbringung des Widders in V. 13 gebraucht wird89, fragt man sich, woran ein Leser die semantische Differenz in V. 2 hätte erkennen können. Ist aber die eigenwillige Deutung des Verbs in V. 2 nicht beweisbar, hängen alle anderen Operationen in der Luft. Gegen die Ursprünglichkeit der Appositionen zu „deinen Sohn“ wird gleichfalls nicht literarkritisch argumentiert, sondern lediglich behauptet, die Betonung der Einzigkeit des Sohnes habe „nur im Großkontext von Gen 12 ff.“ einen Sinn. Selbst wenn das zuträfe, spräche das nicht gegen diese Apposition, solange es keine anderen Gesichtspunkte gibt, sondern gälte dann für die gesamte (!) Erzählung. Im Übrigen reicht für das Verständnis der Apposition „deines einzigen“ durchaus der Nahkontext von 21,8–21 und Gen 17.90 Man wird also bei einer nach-priesterlichen Ansetzung bleiben können. Die wird durch die Beobachtungen zum historischen Ort von Gen 22 in der fortgeschrittenen Perserzeit gestützt, die Timo Veijola und Konrad Schmid zusammengetragen haben und die deshalb hier nicht noch einmal ausgebreitet werden müssen.91 Am schwersten wiegen die sachlichen Berührungen mit dem Hiobbuch, besonders mit den beiden Himmelsszenen, und mit dem Chronikbuch. Dabei dürfte das Hiobbuch genommen, das Chronikbuch dagegen gegeben haben. Nachtrag: Im voranstehenden Aufsatz wurde der Ort des Opfers in Gen 22 nicht eigens thematisiert, obwohl sich daraus auch Gesichtspunkte für die literargeschichtliche Einordnung des Textes ergeben. Inzwischen ist der Frage nach der Identifizierung des Ortes Morija C. Nihan nachgegangen (Abraham Traditions and Cult Politics in the Persian Period, 88 Hardmeier beruft sich dafür auf B. Jacob (Das erste Buch der Tora: Genesis, Berlin 1934, 493 f.), allerdings kaum zu Recht; denn Jacob schließt daraus keineswegs auf ein Missverständnis Abrahams, sondern bleibt bei der üblichen Deutung. 89 Das spricht auch gegen die Übersetzung Jacobs zu V. 2: „und bringe ihn dort hinauf für ein Ganzopfer …“ (Genesis, 493); denn auf S. 500 übersetzt er V. 13: „und brachte ihn für ein Ganzopfer dar.“ 90 Dagegen betrachtet Levin (Jahwist, 176), Gen 22 als eine Einzelerzählung, die erst sekundär zwischen 21,34 und 22,19b eingeschoben worden sei. Der Einschub kenne 21,8 ff. noch nicht, was er aus den Appositionen in 22,2 entnimmt, die nötig waren, weil es neben Isaak eben noch den Sohn im Hause „gab, den Abraham nicht liebhatte“. Die Apposition „deinen einzigen“ sei erst dazu gekommen, als Gen 22 in den gegenwärtigen Kontext nach 21,8–21 gestellt wurde. – So sehen Lösungen für Probleme aus, die man zuvor selbst geschaffen hat. 91 T. Veijola, Opfer, 129–164; ders., Abraham und Hiob. Das literarische und theologische Verhältnis von Gen 22 und der Hiob-Novelle, in: C. Bultmann u. a. (Hg.), Vergegenwärtigung des Alten Testaments. Beiträge zur biblischen Hermeneutik, FS R. Smend, Göttingen 2002, 126–144; vgl. auch A. Michel, Ijob und Abraham. Zur Rezeption von Gen 22 in Ijob 1–2 und 42,7–17, in: A. Michel/H.‑J. Stipp (Hg.), Gott, Mensch, Sprache, FS W. Groß (ATSAT 68), St. Ottilien 2001, 73–98; und Schmid, Rückgabe, 294 ff.
10. Gen 20–22 als nach-priesterliche Erweiterung
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in: M. G. Brett/J. Wöhrle [Hg.], The Politics of the Ancestors [FAT 124], Tübingen 2018, 259–282, bes. 260–272). Er sucht zunächst die traditionellen Argumente für das Heiligtum auf dem Zion zu entkräften, was ihm hinsichtlich der samaritanischen Lesungen und der kaum lesbaren Inschrift von H. Bet Layy gelingt, m. E. aber nicht im Blick auf 2 Chr 3,1. Aus der Formulierung von ( ארץ המריהGen 22,2) und deren lautlichen Nähe zum Baum אלון מורה (Gen 12,6), der in Sichem lokalisiert wird, sowie aus der Ableitung beider Wörter von der Wurzel ירהIII „lehren, unterweisen“ erklärt er Morija in Gen 22,2 als Verbindung von מורה+ יה: Unterweisung sei nicht mehr von jenem Warbaum bei Sichem zu erwarten, sondern von Jhwh in der Region von Sichem. Schon die Septuaginta habe bei Morija in 22,2 durch ὑψηλός eine Verbindung mit Sichem in 12,6 hergestellt. Morija beziehe sich also ursprünglich auf das samaritanische Heiligtum auf dem Garizim, das im 5. Jh. erbaut wurde, und sei erst nachträglich und in polemischer Absicht vom Chronisten auf den Jerusalemer Tempelberg bezogen worden. Ich frage mich aber, was einen jüdischen Autor in spätpersischer Zeit veranlasst hat, seinen Ahn Abraham zum Begründer des samaritanischen Heiligtum auf dem Garizim zu machen, es sei denn er sei Samaritaner gewesen. Ist das für den Erzähler von Gen 22 wahrscheinlich?
III. Zur Jakobüberlieferung
11. Was träumte Jakob in Gen 28? Möglichkeiten und Grenzen historischer Exegese Im Jahr 1984 erschien eine Dissertation als Buch mit dem schlichten Titel „Die Komposition der Vätergeschichte“. Dieser erinnert an einen der großen unserer Zunft.1 Das Buch von 1984 hielt, was sein beziehungsvoller Titel versprach. Schon seit mehr als dreißig Jahren bestimmt es die Forschung. Nicht von ungefähr setzt sein Autor mit einer Analyse von Gen 28,10–22 ein, hängt doch von ihr viel für die Entstehungsgeschichte der Jakobüberlieferung ab.2 Allein dieser Text soll uns jetzt beschäftigen; denn er stellt einen Modellfall exegetischer Arbeit dar.3
1. Die Diskussion von Blum 1984 bis Blum seit 2000 Erhard Blum mustert zunächst die Verweise auf den Kontext. Sie begegnen nur in den Reisenotizen V. 10, in der Gottesrede V. 13–15 und im Gelübde V. 20–22. Sodann erhebt er eine kunstvolle konzentrische Erzählstruktur, aus der die verheißende Gottesrede und das Gelübde herausfallen.4 Darauf entkräftet er in einer detaillierten und methodisch reflektierten Auseinandersetzung die von Wellhausen5 und seither ins Feld geführten Argumente für zwei parallele Erzählfäden in der Erzählung. Abschließend fragt er nach der Gattung des Textes. Sein Ergebnis lautete damals: Gen 28 enthält eine ursprünglich selbständig überlieferte „Kultgründungssage“, deren „erzählerische Substanz in den Versen 11–13a1.16–19 bewahrt ist“.6 Sie handelt von einer stummen Schau Gottes und der himmlischen Welt durch Jakob, kennt also weder Jhwhs Selbstvorstellung noch die Verheißungsrede noch das Gelübde. Erst diese jüngeren Bestandteile 1 J. Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, Berlin 1989. 2 E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte (WMANT 57), Neukirchen-Vluyn 1984, 7–35. 3 Er ist denn auch mehrfach als Beispiel in Methodenlehren behandelt worden: G. Fohrer u. a., Exegese des Alten Testaments. Einführung in die Methodik (UTB 267), Heidelberg 41983, 180–220; O. H. Steck, Exegese des Alten Testaments. Leitfaden der Methodik. Ein Arbeitsbuch für Proseminare, Seminare und Vorlesungen, Neukirchen-Vluyn 121989, 197–201. 4 Vgl. dazu auch R. Rendtorff, Jakob in Bethel. Beobachtungen zum Aufbau und zur Quellenfrage in Gen 28,10–22*, ZAW 94 (1982) 511–523. 5 Wellhausen, Composition, 30–32. 6 Blum, Komposition, 34; es handle sich um „ein besonders klares Beispiel eines Hieros Logos“ (S. 29).
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III. Zur Jakobüberlieferung
beziehen die Heiligtumslegende auf größere Kontexte. Das Gelübde V. 20–22 bindet sie in die Jakobgeschichte von Flucht und Rückkehr ein. Die demgegenüber jüngere Gottesrede V. 13–14 hat schon eine Vätergeschichte im Blick, in der die Jakoberzählung mit Überlieferungen über Abraham verbunden ist. Die Reisenotizen V. 10 gehen auf eine „Harran-Bearbeitung“7 zurück, die auch in der Abrahamüberlieferung begegnet, während V. 15 einer deuteronomistischen Bearbeitung zugerechnet wird.8 Obwohl Blum die herausgearbeitete ältere Erzähleinheit für ein „besonders klares Beispiel eines Hieros Logos“ hält, lässt er – freilich nur anmerkungsweise – ausdrücklich offen, ob die gegenwärtige kontextbezogene Verheißungsrede „an eine Gottesrede in der Einzelüberlieferung (Selbstvorstellung u. ä.) anknüpfen konnte oder ob der Traum ‚nur‘ ein ‚stummes‘ Bild beinhaltete“.9 Allerdings versucht Blum gar nicht erst, eine Gestalt der für möglich gehaltenen Gottesrede zu erschließen, die ohne Bindung an den Kontext auskommt und so „die Substanz der Einheit als ein(en) in sich ruhende(n) Zusammenhang bewahrt“. Es verwundert deshalb nicht, dass die erwogene Möglichkeit in der weiteren Untersuchung keine Rolle mehr spielt. Diese Analyse von Gen 28 ist unabhängig von den literargeschichtlichen Folgerungen mehrfach diskutiert worden. Davon sind vor allem die Rekonstruktion der ältesten noch erreichbaren Gestalt und die Zugehörigkeit wenigstens eines Teils der Gottesrede und mit alledem die Entstehungsgeschichte der Erzählung betroffen.10 Die Kritik betrifft einerseits die Jhwh-Erscheinung V. 13.16. Seit Wellhausen wird sie immer wieder als Konkurrenz zur Treppe in den Himmel mit Gottes Engeln auf ihr angesehen und deshalb (zusammen mit der Gottesrede) dem Grundbestand abgesprochen.11 David M. Carr argumentiert überdies mit dem Rückverweis in 31,13, der nur das Gelübde kennt, aber weder die Gotteserscheinung noch die Verheißungen. Hinzu komme die auffällige Verdoppelung des Überraschungsmoments in V. 16.17.12 Mit der Abtrennung der V. 13.16 kommt eine Basisbeobachtung der Quellenscheidung neu zur Geltung, ohne mit dem angeblichen Wechsel der Gottesnamen belastet zu werden. 7
A. a. O., 164–166. A. a. O., 159–163. 9 A. a. O., 29 und Anm. 89. 10 Eine Auseinandersetzung mit den wichtigsten Argumenten von G. Fleischer, Jakob träumt. Eine Auseinandersetzung mit Erhard Blums methodischem Ansatz am Beispiel von Gen 28,10–22, BN 76 (1995) 82–102; T. Nauerth, Untersuchungen zur Komposition der Jakoberzählungen. Auf der Suche nach der Endgestalt des Genesisbuches (BEATAJ 27), Frankfurt/ M. u. a. 1997, 233–251; L. Schmidt, El und die Landverheißung in Bet-El, in: Ders., Ges. Aufsätze zum Pentateuch (BZAW 263), Berlin 1998, 137–149; K. Koenen, Bethel. Geschichte, Kult und Theologie (OBO 192), Freiburg 2002, 153–157; u. a. findet jeweils zur Stelle statt. 11 D. M. Carr, Reading the Fractures of Genesis. Historical and Literary Approaches, Louisville/K ent. 1996, 205–208. Vgl. R. G. Kratz, Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments (UTB 2157), Göttingen 2000, 273, und Koenen, Bethel, 153–157. 12 So auch Fleischer, Jakob träumt, bes. 86 f. mit Anm. 19. 8
11. Was träumte Jakob in Gen 28?
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Die Kritik betrifft andrerseits die Gottesrede. In seinem „Prolog to History“ hat John Van Seters seine einst an der Abrahamüberlieferung entwickelte Sicht auf das Buch Genesis insgesamt ausgeweitet und eine „vor-jahwistische“ JakobErzählung bestritten. Dabei kommt er auch ausführlicher auf den Schlüsseltext Gen 28 zu sprechen. Er setzt eine im Wortlaut noch erkennbare Kultätiologie als Vorlage (!) der Betelerzählung voraus. Diese Kultätiologie habe aber ursprünglich nur V. 11–12.16a*.17–19 umfasst.13 Erst der von ihm „Jahwist“ genannte Historiker, der in der Exilszeit und in Kenntnis des deuteronomistischen Geschichtswerks schrieb, habe die ihm vorgegebene Kultätiologie aufgegriffen und sie mit der Jhwh-Erscheinung und Verheißungsrede (V. 13– 15.16a*b) sowie mit dem Gelübde (V. 20–22) in sein Werk integriert.14 Es hat also nie eine Jakoberzählung mit Jakobs Traum in Betel ohne Gottesrede und Gelübde gegeben. Dieser Einspruch hat Wirkung gezeigt. So plädiert Carr nun – auch aufgrund von Gen 35,3 und Hos 12,5.7 – für die Zugehörigkeit der Beistandszusage 28,15* zum Grundbestand15; und auch für Blum ergeben sich aus Hos 12 gewichtige Argumente dafür, daß dem ältesten erkennbaren Grundbestand in Gen. 28 neben der Erzählung von 28,11–13a*.16–22 auch eine Gottesrede mit (vermutlich) einer Selbstvorstellung Gottes und mit einer Zusage JHWHs für Jakobs Rückkehr von seinem bevorstehenden Weg zu rechnen ist.16
Diese Änderung hat weitreichende Folgen: Mag der Betel-Episode auch eine ältere Heiligtumsätiologie vorausliegen (die Möglichkeit will Blum nicht ausschließen), so ist sie doch nicht mehr erweisbar. Der älteste noch erreichbare Wortlaut in Blums neuer Sicht ist von Anfang an auf den Kontext der Jakoberzählung hin formuliert worden und setzt sowohl Jakobs Flucht als auch seine Rückkehr voraus. – Auf den ersten Blick meint man, Van Seters, Carr und Blum seien ungefähr einer Meinung. Doch was Blum und Carr einer noch selb13 J. Van Seters, Prologue to History. The Yahwist as Historian in Genesis, Westminster 1992, 288–296. Da V. 17 Jakob und sein Erwachen nicht ausdrücklich nennt, rechnet Van Seters mit vielen anderen den ersten Satz in V. 16a noch zur älteren Überlieferung: „Da erwachte Jakob von seinem Schlaf “ (Prologue, 289, 292). 14 A. a. O., 294–295. 15 D. M. Carr, Genesis 28,10–22 and Transmission-Historical Method: A Reply to John Van Seters, ZAW 111 (1999) 398–403. 16 E. Blum, Noch einmal: Jakobs Traum in Bethel – Genesis 28,10–22, in: S. L. McKenzie/ T. Römer (Hg.), Rethinking the Foundations. Historiography in the Ancient World and the Bible. Essays in Honour of John Van Seters (BZAW 294), Berlin 2000, 33–54, 43 f. Er hat seine Deutung von Hos 12 später noch vertieft: E. Blum, Hosea 12 und die Pentateuchüberlieferungen, in: A. Hagedorn/H. Pfeiffer (Hg.), Die Erzväter in der biblischen Tradition, FS Matthias Köckert (BZAW 400), Berlin u. a. 2009, 291–322 (dazu s. meinen Beitrag: M. Köckert, Die Rückverweise auf Gen 28,10–22 innerhalb der Jakobüberlieferung und in Hos 12, in: A. Michel/N. C. Rüttgers [Hg.], Jeremia, Deuteronomismus und die Priesterschrift. Beiträge zur Literatur- und Theologiegeschichte des Alten Testaments, FS H.‑J. Stipp [EOS 105], St. Ottilien 2019, 103–130 [in diesem Bd. Nr. 13]).
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III. Zur Jakobüberlieferung
ständigen Jakobüberlieferung im 8. Jh. zuschreiben, rechnet Van Seters seinem exilischen Jahwisten der Genesis insgesamt zu. Der modifizierten Analyse Blums samt den daraus erwachsenen Folgerungen hat sich auch Melanie Köhlmoos angeschlossen17, allerdings mit völlig anderer Deutung und abweichender historischer Einordnung. Für sie ist das stumme Traumbild nur die „Kulisse für ein Geschehen, das sich im Traum abspielt“ und das in einem „Wortempfang“ besteht, worunter sie Jhwhs Selbstvorstellung und Beistandsverheißung versteht.18 Die Betel-Ätiologie begründe „nicht die Entstehung eines Heiligtums, sondern die Beziehung JHWHs zu dem Ort Bet-El und die daraus abgeleitete Gottesbeziehung Jakobs“. Eine materiale Kultgründung liege „außerhalb des textlichen Horizonts“.19 Es handle sich vielmehr um einen „theologischen Reflexionstext“, der in die Jakoberzählung eingestellt wurde, um mit dieser „Gegenstimme“ der prophetischen Kritik an Betel entgegenzutreten: Gegen die Bestreitung der Anwesenheit Jhwhs an diesem Ort, wie sie etwa in Am 4,4; 5,5 laut wird, betone Gen 28: „JHWH ist dort, entgegen allen Erwartungen, anwesend.“20 Noch einen Schritt weiter geht Uwe Becker. Die von ihm ohne Stein-Mazzebe,21 Gottes Engel und ohne Gottesrede rekonstruierte ursprüngliche Erzählung enthalte „keine alte Ätiologie Bet-Els“, sondern sei für eine bereits „zusammenhängende Vätererzählung geschrieben worden“ und setze eine „gesamtisraelitische Jakob-Interpretation“ voraus.22 Dieser Ausschnitt aus der Diskussion der letzten 30 Jahre zeigt, wie eng in Gen 28,10–22 literarische, konzeptionelle und religionsgeschichtliche Fragen verwoben sind. Mit den folgenden Überlegungen möchte ich lediglich den jungen Blum gegen den älter gewordenen verteidigen und ihm mit Dtn 33,25 in Luthers Übersetzung zurufen: „Dein Alter sei wie Deine Jugend!“
2. Die älteste erreichbare Textgestalt von Gen 28,10–22* Die literargeschichtlichen Rekonstruktionen lassen sich zu drei verschiedenen Typen bündeln. Sie unterscheiden sich in dem, was Jakob träumt. Präsentiert der Traum ursprünglich nur ein stummes Bild jener Himmelstreppe mit Engeln ohne 17 M. Köhlmoos, Bet-El – Erinnerungen an eine Stadt. Perspektiven der alttestamentlichen Bet-El-Überlieferung (FAT 49), Tübingen 2006, 235. 18 A. a. O., 236. 19 A. a. O., 239. 20 A. a. O., 247. 21 Auch Nauerth, Untersuchungen, 238–252, löst Stein und Mazzebe aus dem ältesten Erzählfaden heraus, lässt aber die Erzählung mit dem Gelübde, nicht mit der Benennung des Ortes enden (28,10*.11a1.12.17.20–21). 22 U. Becker, Jakob in Bet-El und Sichem, in: A. C. Hagedorn/ H. Pfeiffer (Hg.), Die Erzväter in der biblischen Tradition, FS M. Köckert (BZAW 400), Berlin u. a. 2009, 159–185, hier 167 f.
11. Was träumte Jakob in Gen 28?
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Jhwh und seine Reden? Das meinen John Van Seters (1992; 1998) und David Carr (1996) mit den Klassikern des Quellenmodells. Sieht Jakob darüber hinaus auch noch Jhwh über der Treppe? Das haben Rolf Rendtorff und Erhard Blum 1984 gegen die alten und neuen Vertreter des Quellenmodells begründet. Oder hört Jakob sogar noch Jhwh reden? Das vertreten Blum seit 2000 und Köhlmoos. – Ich halte die zweite Möglichkeit, die der junge Blum 1984 eingehend begründet hat, für die wahrscheinlichste und prüfe deshalb nun die beiden anderen. 2.1 Jakob träumt nur von einer Himmelstreppe mit Engeln (Gen 28,[10].11–12.17–19a). Diese älteste Gestalt der Betel-Erzählung kannte weder Jhwh noch seine Selbstvorstellung noch die Verheißungen. Von der Herauslösung der V. 13–15 ist unweigerlich auch V. 16 betroffen.23 Denn ohne die Erwähnung Jhwhs im Traumbild (V. 13a*), wirkt V. 16 unmotiviert. Umgekehrt bliebe ohne Jakobs Feststellung der Gegenwart Jhwhs an diesem Ort (V. 16) der Höhepunkt des Traumes – Jhwh über der Himmelstreppe – ungedeutet und ohne Reaktion des Träumers. Das eine ist so unmöglich wie das andre. Mit der Erklärung von V. 13–16 als nachträgliche Erweiterung käme die klassische Lösung der Quellenkritik zur Geltung24, nun aber im Gewand eines Ergänzungs- oder Fortschreibungsmodells. Wie begründet man die Abtrennung der V. 13–16? (1) Es sind vor allem die Verbindung von V. 12 zu V. 13 und das Nebeneinander von V. 16 und V. 17, die Widerspruch herausfordern. Beide Male wird die „Konkurrenz zwischen ʾälohym … und JHWH“ als „irritierend“ empfunden.25 Doch worin soll die Konkurrenz zwischen einem Eigennamen und einem Appellativum bestehen? Etwa darin, dass Jakob im Traum zunächst nur die Engel Elohims sieht, während er in V. 13 mit Jhwh direkt verkehrt?26 Damit – so könnte man noch hinzufügen – werde die terminologische Differenz – hier Elohim, da Jhwh – mit unterschiedlichen Vorstellungen von der Distanz des Göttlichen verbunden, und das sei auch jenseits des Gottesnamen-Syndroms literarkritisch relevant.27 Das Argument träfe jedoch nur, wenn Jhwh den Träumer anspräche. Das setzt wenigstens Jhwhs Selbstvorstellung oder seine Verheißung im Text voraus. Sonst kann in einem stummen Traumbild von einem „direkten Verkehr“ mit Jhwh wohl kaum die Rede sein. 23 Fleischer, Jakob träumt, 92–93; Nauerth, Untersuchungen, 240–243; J. Van Seters, Divine Encounter at Bethel (Gen 28,10–22) in Recent-Critical Study of Genesis, ZAW 110 (1998) 503–513, hier 512; Carr, Reading, 206 f.; ders., Genesis 28, 401. 24 Von Wellhausen bis zuletzt Koenen, Bethel, 150–159; L. Schmidt, El, 137–149. 25 Fleischer, Jakob träumt, 92, und Becker, Jakob, 164–166. 26 Koenen, Bethel, 154. 27 Nauerth bringt dieses Argument merkwürdigerweise gegen die Verbindung von V. 16/17 in Stellung (Untersuchungen, 240), es hätte gegen V. 12/13 besser gepasst.
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III. Zur Jakobüberlieferung
Sodann werde das Syntagma „stehen über“ ( )נצב עלim Pentateuch stets personal verwendet und bedeute dann „stehen vor/bei/gegenüber jemandem“. Hätte der Erzähler Jhwhs Stehen „über“ oder „auf “ der Himmelstreppe gemeint, hätte על ראשו נצבformulieren und Jhwh wegen der großen Entfernung „laut rufen“ lassen müssen.28 Der letzte Einwand berücksichtigt nicht die Situation des Traumes, der andern Regeln folgt als die Wachwelt. Deshalb läuft der Hinweis auf 21,17 und 22,11 ins Leere. Nun hängt die konkrete Bedeutung der Präposition עלnatürlich an den jeweiligen Kontexten. Immerhin zeigen Am 7,7; 9,1, dass die Wendung durchaus „stehen auf/über etwas“ heißen kann. Überdies wird die Bedeutung „stehen vor/bei“ einer Person ja aus der Situation abgeleitet, in welcher der Stehende aus der Perspektive eines Sitzenden oder Liegenden als „über ihm“ befindlich wahrgenommen wird (18,1–2).29 Vor allem aber spricht für die Himmelstreppe ( סלםmask.) als Bezugswort seine unmittelbare Nähe. Wer also seit Wellhausen Jhwhs Stehen עליוauf Jakob bezieht, setzt immer schon voraus, was er damit beweisen will: dass V. 13a von einer anderen Hand stammt als V. 12. Noch weniger überzeugt der Versuch, die angebliche Konkurrenz zwischen den Boten Gottes auf der Leiter und Jhwh dadurch zu „lösen“, dass man V. 12b mit Gottes Boten kurzerhand für später eingetragen erklärt.30 Dagegen stehen Struktur und Gefälle des Traumbildes. – Man kann es wenden, wie man will: Gegen die Verbindung V. 12–13a ist literarkritisch nichts einzuwenden. (2) Kaum überzeugender sind die Gründe, die gegen V. 16 als Teil der ursprünglichen Erzählung vorgebracht werden. Sicher, ohne V. 13 wäre Jakobs Erstaunen in V. 16 unverständlich.31 Wenn aber Jhwh aus dem Traum nicht herausgelöst werden kann, ist diese zutreffende Beobachtung kein Einwand mehr. Und wenn die älteste Schicht keine Verheißung enthalten hat, kann man in V. 16 natürlich auch keinen Bezug darauf erwarten. Schwerer wiegt auf den ersten Blick die doppelte Redeeinleitung in V. 16.17. Aber dazu hatte schon Blum mit Verweis auf Revell alles Nötige gesagt.32 Beide Verse stellen weder eine inhaltliche Dop28 Das hatte vor Fleischer, Jakob träumt, 92, schon Wellhausen, Composition, 30 f., eingewandt. 29 S. Ges.-Donner, HAHAT 837a. 30 Becker, Jakob, 165 f., will aus dem Traumbild V. 12b mit den Engeln auf der Treppe und aus V. 17bβ das „Tor des Himmels“ herausnehmen: Jhwhs Stehen עליוschließe besser an 12a an (gegen einen Anschluss an V. 12b spricht freilich nichts); die auf- und absteigenden Boten interpretieren das schwierige hapax legomenon סלםals Leiter oder Treppe (was allerdings das akkadische Pendant ohnehin bedeutet); V. 12b gehöre zusammen mit 32,2b–3 „möglicherweise“ zu einer Ergänzungsschicht, die Jakob schon als Ahnvater deutet (das gilt freilich schon für die älteste Ebene der Kultätiologie); die mit den Gottesboten verbundene „indirekte Präsenztheologie“ distanziere sich „möglicherweise“ von der „allzu massiven Vorstellung“ von Jhwhs Stehen auf einer Leiter (die aber doch erst durch die angebliche Einfügung entstanden ist). Die Gründe haben mich nicht überzeugt. 31 Fleischer, Jakob träumt, 93. 32 E. J. Revell, The Repetition of Introductions to Speech as a Feature of Biblical Hebrew, VT 47 (1997) 91–110 (bei Blum, Jakobs Traum, 42 Anm. 31).
11. Was träumte Jakob in Gen 28?
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pelung33 noch einen Widerspruch34 dar. Denn in der ersten Reaktion wird eine Einsicht festgestellt, in der zweiten eine Emotion.35 Außerdem schließen sich Einsicht und daraus erwachsene Furcht keineswegs aus; denn zuweilen erwächst aus einer Einsicht durchaus Furcht.36 Das befremdet nur, wenn Jakob schon auf dieser ältesten Stufe der Überlieferung Ohrenzeuge jener später eingetragenen Gottesrede gewesen wäre. Wie man aus beiden Versen außerdem noch unterschiedliche Vorstellungen von der Distanz des Göttlichen37 herauslesen kann, ist mir ein Rätsel, werden doch sowohl Jhwhs Anwesenheit als auch Gottes Haus „an dieser Stätte“ lokalisiert. Dieses Haus ist natürlich nicht irgendeines Gottes Haus, sondern das des zuvor genannten Gottes Jhwh. Insofern ist der als unlogisch beklagte Gedankengang38 gerade in der gegebenen Abfolge beider Verse durchaus stringent. (3) Nun hat Blum die notwendige Zugehörigkeit von V. 16 zum Grundbestand damit verteidigt, dass nur hier Jakobs Überraschung und sein Erwachen ()יקץ berichtet werde, welches sich auf das vorausgehende חלםin V. 12 beziehe und auch aus strukturellen Gründen nicht fehlen könne; überdies werde das Erwachen von V. 16 in V. 17.18 vorausgesetzt.39 Indes impliziert die plötzliche Furcht in V. 17 durchaus ein Moment der Überraschung.40 Sodann ist eine ausdrückliche Erwähnung des Erwachens bei Träumen keineswegs notwendig, wie man in Gen 20 sehen kann. Nachdem dort in V. 3 Gott zu Abimelech „des Nachts im Traum“ gekommen war, heißt es in V. 8 lakonisch: „Da stand Abimelech früh am Morgen auf ( “… )וישכם בבקרDem entspricht 28,18: „Am Morgen“ steht Jakob auf ( )וישקם בבקרund richtet den Stein als Mazzebe auf. Die Wendung וישקם בבקרsetzt das Aufwachen voraus, das in der ökonomischen Erzählweise deshalb nicht eigens berichtet werden muss.41 Deshalb kann ich weder die Kohärenzstörung entdecken, die das Fehlen von V. 16 verursachen würde42, noch sehen, inwiefern V. 17–18 die ausdrückliche Erwähnung des Erwachens voraussetzen. Nun mag es durchaus sein, dass im gegebenen Text חלםund יקץeine Brücke bilden, die sich in die chiastische Struktur einfügt, doch derlei kann auch erst 33
Jakob spreche „zweimal die Besonderheit des Ortes“ aus (so L. Schmidt, El, 138). Fleischer, Jakob träumt, 86. 35 Die Verschiedenheit des Inhalts und der Einstellung Jakobs erklären die doppelte Redeeinführung (Blum, Jakobs Traum, 42). 36 Blum, Jakobs Traum, 42–43 (in Auseinandersetzung mit Van Seters), und Blum, The Jacob Tradition in: C. A. Evans (Hg.), The Book of Genesis. Composition, Reception, and Interpretation, Leiden 2012, 181–211, hier 198. 37 Nauerth, Untersuchungen, 240. 38 Koenen, Bethel, 154. 39 Blum, Komposition, 9–10, 24; J. Taschner, Verheissung und Erfüllung in der Jakoberzählung (Gen 25,19–33,17) (HBS 27), Freiburg 2000, 66. 40 Blum findet dagegen in V. 17 kein „expression of surprise“ (Jacob Tradition, 199). 41 Vgl. auch 31,10–13. Natürlich kann (!) nach „Traum“/“träumen“ (Gen 41,7; 1 Kön 3,5– 15/Gen 41,1–4.5–7; Jes 29,8; Dan 2,1 ff.) auch das Erwachen genannt werden. 42 Blum, Jakobs Traum, 40–41 (mit Anm. 24). 34 So
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III. Zur Jakobüberlieferung
redaktionell hergestellt sein. Würde also 28,16 der Grundschicht fehlen, fände Jakobs Erschrecken und seine Deutung des Gesehenen im Traum statt. Aber warum sollte derlei nicht möglich sein? Auch Abimelech spricht ja im Traum (20,4–5). Diese Möglichkeit zieht Blum nicht in Betracht. Zwar haben sich die angeführten Beobachtungen zur Verteidigung der Zugehörigkeit von V. 16 zum Grundbestand keineswegs als zwingend herausgestellt. Auch lassen sich die V. 13a2.16 als nachträglich gebildete Klammer zur Einfügung der Gottesrede sinnvoll erklären; denn sie binden diese in die ältere Traumerzählung ein: V.13a gleicht an die Traumschilderung an und formuliert mit deren Material: „Siehe, Jhwh stand über ihr“; V. 16 nimmt aus ihr das Leitwort מקוםund verbindet damit die Verheißungsrede mit dem Schlussteil der Erzählung, wo das Leitwort noch zweimal erscheint.43 Doch durchschlagende Argumente gegen die Zugehörigkeit von V. 16 zur ursprünglichen Erzählung sind das so wenig wie gegen den Zusammenhang von V. 12–13a*. (4) Aus alledem folgt: Auch ohne Gottesrede und Selbstvorstellung gibt es keinen überzeugenden Grund, Jhwh aus dem Traumbild herauszunehmen. Sein Stehen im Himmel über der Treppe bildet in der Tat die Klimax44 des Bildes. Es kann deshalb nicht ohne Reaktion in Jakobs Deutung bleiben. Eine Betel-Erzählung ohne Jhwh und Jakob kann man jedenfalls mit Gen 28 nicht begründen. Damit scheiden alle Rekonstruktionsversuche einer „kanaanäischen“ Vorgeschichte aus Gen 28 aus. Der Erzählung ging es schon in ihrer ältesten Gestalt um die Begründung des Jhwh-Heiligtums in Betel durch den Ahnvater der Gruppen, die Jakob repräsentiert. Bisher befand ich mich weitgehend im Einvernehmen mit dem jungen Blum. Wenn ich mich jetzt den kritischen Punkten zuwende, hoffe ich auf das neugierige Wohlwollen des älter gewordenen, der sicherlich die meisten Einwände schon bedacht hat. 2.2 Jakob träumt von der Himmelstreppe mit Engeln und von Jhwh, der zu ihm spricht (Gen 28,[10].11–12.13a*.15*.16–19.20–22). Die älteste Traumerzählung umfasst in dieser Version auch eine nicht näher bestimmte Form der Selbstvorstellung Gottes und einen älteren Kern der Beistandszusage sowie das Gelübde.45 Sie wurde später noch um die Verheißungen V. 13b–15* in ihrer heutigen Gestalt erweitert. Entscheidend für Blums Wandlung waren mehrere Einwände von Van Seters.
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Van Seters, Prologue, 292. Blum, Komposition, 24. 45 Blum, Jakobs Traum, 54. Es handelt sich im Grunde genommen um die Minimalfassung der Erzählung des „Yahwist“ bei Van Seters, allerdings aus dem 8. Jh., nicht aus dem Exil. 44
11. Was träumte Jakob in Gen 28?
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(1) Eine bloße Erscheinung Jhwhs (V. 13a) ohne folgende Gottesrede sei in der Bibel unüblich.46 Nun ist von Jhwhs „Erscheinen“ gar nicht die Rede; die dafür übliche Terminologie ( )וירא יהוהfehlt. Jhwh ist vielmehr Teil eines stummen Traumbildes, das in allen Einzelheiten überrascht. Eine Analogie dafür gibt es so wenig wie für eine Himmelstreppe mit Engeln in einem Traum. Dass dergleichen singulär ist und deshalb von manchen als unüblich empfunden wird, kann freilich weder das eine noch das andre in Frage stellen. (2) Gegen die Beibehaltung von V. 16 ohne eine ausdrückliche Jhwh-Rede spreche, dass Jakob dann gar nicht habe wissen können, welche Gottheit an dieser Stätte gegenwärtig ist.47 Dazu braucht es freilich weder die Verheißungen von Land und Nachkommen noch die Beistandszusage. Ist aber nicht wenigstens die Selbstvorstellung Jhwhs nötig, damit Jakob in V. 16 sagen kann: „Fürwahr Jhwh ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht“?48 Notwendig wäre das nur, wenn Jakob hier erstmals Jhwh kennenlernen würde. Das ist aber nicht der Fall. Im Kontext der vorausgegangenen Betrugsgeschichte antwortet er auf die Frage seines Vaters, wie er so rasch ein Wild gefunden habe: „Jhwh, dein Gott, hat es mir begegnen lassen“ (27,20). Zwar lügt Jakob hier, aber nur mit der Auskunft über sein schnelles Jagdglück, nicht mit dem Hinweis auf den Gott Isaaks. Doch auch wenn man den Hinweis auf den Kontext in diesem Fall nicht für überzeugend hält, nötigt unter der strengen Voraussetzung einer Einzelerzählung nichts zu der Annahme einer Selbstvorstellung der Gottheit; denn um welchen Gott sonst sollte es sich gehandelt haben, noch dazu bei Tradenten, die das Staatsheiligtum des Nordreichs in Betel auf ihren Ahnvater zurückführen? Das Fehlen einer Selbstvorstellung wäre in Gen 28 nur dann ein Problem, wenn Jakob nach der Meinung jener Tradenten zuvor noch nichts von Jhwh gewusst haben kann, oder wenn er zuvor der Verehrer eines anderen Gottes gewesen ist. Für beides bieten die Texte keine Handhabe. Dann kann es sich doch nur um eine jener gar nicht so seltenen erzählerischen Leerstellen49 handeln, deren Füllung dem Leser überlassen wird, zumal doch der Erzähler schon zuvor in V. 13 keinen Zweifel an der Identität der Gottheit gelassen hat: „und siehe, Jhwh stand darüber“. Wer aber in der Beistandszusage von V. 15 einen alten Kern vermutet, braucht dafür eine entsprechende Eröffnung. Zwar knüpft „und siehe“ an die Traumschilderung an, doch kann die Gottesrede schwerlich so begonnen haben. Blum meint: Da „alles für die Ursprünglichkeit“ einer Beistandszusage spreche, wird sie der „inneren Logik solcher Gottesreden entsprechend … wenigstens auch 46 Van Seters, Prologue, 291. Diesen und den nächsten Einwand findet Blum „sehr bedenkenswert“ (Jakobs Traum, 43). 47 Van Seters, Prologue, 291. 48 So auch Becker, Jakob, 164. 49 Wie hat z. B. Pharao in 12,17–18 erfahren, dass Sarai Abrahams Frau und nicht dessen Schwester ist; die „großen Schläge“ haben ihm ja nur zu verstehen gegeben, dass er Schuld auf sich geladen hat, nicht aber worin diese besteht.
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III. Zur Jakobüberlieferung
die Selbstvorstellung JHWHs beinhaltet haben“.50 Das verwundert, weil es neben Gottesreden mit Selbstvorstellung durchaus auch solche ohne diese gibt.51 Zur inneren Logik solcher Reden kann derlei also nicht gehören. Dass die vorliegende Gestalt der Selbstvorstellung nicht in Frage kommt, um die als problematisch empfundene Leerstelle zur Zeit der Erzähler zu füllen, liegt auf der Hand. In ihrer gegenwärtigen Gestalt gehört sie zweifellos auf eine Linie mit 26,24 und damit zu jenen literarischen Brücken, die Abraham-, Isaak- und Jakobüberlieferung zur Vätergeschichte verbinden. Blum hält deshalb einen „transformierende[n] Eingriff “ für „durchaus wahrscheinlich“, ohne anzudeuten, worin die Transformation bestanden habe.52 Fragen wir einmal hypothetisch, wie eine noch nicht transformierte Selbstvorstellung hätte lauten können? Etwa: „Ich bin Jhwh, der Gott deines Vaters“? Das wäre für den Sohn so wenig eine Überraschung (s. V. 16) wie seine Gegenwart an dieser Stätte, ist doch der persönliche Gott und Schutzgott der Familie gerade nicht an einen bestimmten Ort gebunden. (3) Bleibt allein die behauptete „Ursprünglichkeit einer Gen 28,15 entsprechenden Beistandszusage“.53 Während das Gelübde den generellen Beistand auf die Situation des Flüchtlings konkretisiert, ist V. 15 in allen Teilen an Allgemeinheit nicht zu überbieten: Der erste Satz – „Ich bin mit dir“ – passt zu jeder Lage. Im zweiten Satz wird „der Weg, den ich jetzt gehe“ (aus dem Gelübde) zu „überall wohin du auch gehst“. Das daran anschließende Versprechen ersetzt Jakobs „wohlbehaltene“ Heimkehr ins „Vaterhaus“ durch die blasse Rückkehr „in dieses Land“, was an 31,3; 32,10 erinnert – zwei erwiesenermaßen junge Zusätze.54 Schließlich setzt das letzte Glied in V. 15b die in V. 13b–14 voranstehenden Verheißungen voraus. Es verlängert „Jakobs Bedeutung ins Überzeitliche und Überindividuelle“55 und erinnert in den Formulierungen an 18,19. Nun sieht natürlich auch Blum, dass alle Teile bis auf den ersten Satz von V. 15 „deutliche Anzeichen einer jüngeren Neuformulierung“ tragen und „ihre nächsten Parallelen in deuteronomistisch geprägten Texten“, mit der Rückkehrverheißung sogar „die Problematik des Exils im Blick“ haben.56 Deshalb weist er auch hier sogleich auf „spätere Umformung“ hin. Indes, wie hätte die ursprüngliche Fassung aussehen sollen? Der ältere und durch die behauptete Umformung gänzlich unerkennbar gewordene Kern der Gottesrede bleibt unbeweisbar. 50
Blum, Jakobs Traum, 50 f. Gottesreden mit Selbstvorstellung in einer Erscheinung des Nachts: 26,24; 46,2–4; ohne: 12,1–3; 12,7 (mit Jhwh-Erscheinung); 13,14–17; 15 (Szenerie setzt Nacht und Erscheinung Jhwhs voraus); 26,2–3 (mit Jhwh-Erscheinung und Beistandszusage). 52 Blum, Jakobs Traum, 52 Anm. 68. 53 Blum, Jakobs Traum, 50. 54 Vgl. die Lit. bei Blum, Komposition, 152–164. 55 Köhlmoos, Bet-El, 235. 56 Blum, Jakobs Traum, 51 mit Hinweis auf 1 Kön 8,34; Jer 16,15; 24,6. 51
11. Was träumte Jakob in Gen 28?
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Nun hatte Blum sich schon in seiner Dissertation für die Möglichkeit offengehalten, Hos 12,5.7 könnte „immerhin bedeuten, daß auch unsere Überlieferung in Gen 28 eine ältere Zusage der Rückführung beinhaltete“. Er fällt sich jedoch sogleich mit einer in diesem Fall nur allzu berechtigten Skepsis ins Wort: „Allerdings wäre es nicht geraten, auf diesen Beleg weitere hypothetische Rekonstruktionen gründen zu wollen.“57 Das sieht er 15 Jahre später offenbar anders; denn jetzt führt er Hos 12 als Kronzeugen für eine ursprüngliche Beistandsund Rückkehrzusage in Betel an, während Van Seters und Carr (auf seinen Spuren) mit den Rückbezügen auf die Betel-Erzählung in Gen 31,13 und 35,3 argumentieren. Beide Argumentationslinien verdienen eine genauere Prüfung, die jedoch hier nicht im Einzelnen durchgeführt werden kann.58 Ihr Ergebnis gestattet freilich keine positiven Schlüsse auf die ursprüngliche Zugehörigkeit einer wie auch immer gearteten Beistands- oder Rückkehrzusage an Jakob. Denn von den Verweisen innerhalb der Jakobüberlieferung spielen nur die jüngsten (Gen 31,3; 32,10; 35,3) auf die Gottesrede in Gen 28 an, die älteren (Gen 31,13; 35,1.7) kennen sie dagegen noch nicht. Auch die Anspielungen auf Jakob in Betel in dem hochkomplexen Textgefüge Hos 12, bes. in V. 5b–7, können eine Beistandszusage an Jakob im 8. Jh. nicht stützen.59 Die Jakobpassagen setzen die Efraim-Teile voraus, die – vielleicht noch aus dem 8. Jh. stammend – einen selbständigen Textzusammenhang bilden, und kommentieren diesen nachträglich. Zwar spielt Hos 12,5b auf eine Gottesrede an, die jedoch nicht Jakob, sondern dessen Nachfahren gilt: „dort redet er mit uns.“ Die Adressierung an Jakob verdankt sich einer Textänderung („dort redet er mit “), die sich zwar auf die Septuaginta berufen kann, aber die lectio facilior darstellt. Der Verdacht liegt nahe, dass bei dieser Änderung der Wunsch der Vater des Gedankens war. (4) Schließlich noch ein Wort zur Integration des Gelübdes durch Blum.60 Schon Van Seters hatte gemeint, das Gelübde könne kaum auf die Traumerzählung gefolgt sein, sondern setze V. 13–15 voraus.61 Gründe für diese Behauptung nennt er nicht. Nun ist schon immer aufgefallen, dass das Gelübde aus dem Netzwerk 57
Beide Zitate in Blum, Komposition, 163. Sie erfolgt in: Köckert, Rückverweise [in diesem Bd. Nr. 13]. 59 Detaillierte Argumentation bei M. Schott, Die Jakobpassagen in Hosea 12, ZThK 112 (2015) 1–26, und Köckert, Rückverweise. 60 Blum, Jakobs Traum, 40: Die Substanz der Erzählung gehe mit nicht mehr genau bestimmbaren Teilen der Rückkehrzusage und „einschließlich Jakobs Gelübde (V. 20–22) auf ein und denselben Erzähler zurück“. Allerdings setzt Blum dabei die Verarbeitung von Wissensstoffen und mündlich überlieferten Traditionen voraus, keinen „Yahwist“ im Sinne von Van Seters. Köhlmoos integriert das Gelübde, weil sich Jakob mit ihm „die Verheißungen als Wunsch zu eigen“ mache; Gen 28 habe auf diese Weise „ein offenes Ende, das erst am Abschluss der Jakobserzählung aufgelöst“ werde (Bet-El, 238). Für Nauert bildet der Kernbestand des Gelübdes, den er in V. 20–21 sieht, der Abschluss der Traumerzählung, weil er – mir unverständlich – V. 19a dem Grundbestand abspricht (Untersuchungen, 243–246). 61 Van Seters, Prologue, 293; ders., Divine Encounter, 512. 58
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III. Zur Jakobüberlieferung
der Verbindungswörter weitgehend herausfällt. Immerhin nimmt V. 22 mit „dieser Stein, den ich als Mazzebe gesetzt habe“ V. 18 und mit „Gottes Haus“ V. 17 auf, setzt jedoch mit den Stichwörtern andere Pointen: In der Erzählung richtet Jakob am Morgen den Stein als Symbol für die Anwesenheit Gottes an dieser Stätte auf und zeichnet ihn mit Öl kultisch aus. Im Gelübde dagegen soll dieser Stein Gottes Haus werden, was die heilige Stätte in der Erzählung aber schon ist (V. 17.18).62 Aus dem Symbol für Gottes Anwesenheit wird ein Tempel. Diese Verschiebung lässt sich kaum erklären, wenn man das Gelübde derselben Hand zuschreibt wie die Traumerzählung.63 Hätte ein neuer Erzähler, der ältere Stoffe aufnimmt und „transformiert“, solche Differenzen nicht vermieden? Allerdings sind Gelübde und Gottesrede durch die in V. 20.21a64 genannten Bedingungen und durch die Beistandszusage V. 15 miteinander verbunden. Jedoch geht der versprochene und erwartete Beistand beide Male, wenn auch auf verschiedene Weise, über die konkrete Lage Jakobs in Gen 28,10–19 hinaus. So fasst Jakobs Gelübde nicht die Rückkehr „an diese Stätte“ ins Auge, was doch nach V. 12.17–18 nahegelegen hätte, sondern die Flucht zur Verwandtschaft und die Heimkehr in die Großfamilie („Vaterhaus“). Die Bedingungen des Gelübdes nehmen also den Kontext der Jakoberzählung insgesamt in den Blick, greifen aber mit Gottes Versorgung (Brot und Kleidung) und mit seinem Schutz „auf diesem Weg, den ich (gerade) gehe“, Jakobs konkrete Lage auf. Ganz anders dagegen Gottes Zusagen in V. 15, die ganz allgemein gehalten sind. Da das Gelübde ansonsten nicht auf die Gottesrede reagiert, spricht doch alles dafür, V. 15 als eine wesentlich jüngere Elaboration aus dem Material des Gelübdes anzusehen und nicht umgekehrt.65 Dass dieselbe Hand für beides verantwortlich sei, liegt so wenig nahe wie die zuweilen behauptete Abhängigkeit des Gelübdes von V. 15.66 So spricht m. E. doch mehr für die Annahme verschiedener Hände.
3. Das Verhältnis der Traumerzählung zur Gottesrede Da mich weder die Minimalisten mit ihrer Reduktion auf eine Traumerzählung ohne Jhwh noch Erhard Blum, der älter gewordene, mit der Ausweitung auf 62 Blum selbst weist auf die Differenz hin (Komposition, 19). Köhlmoos hält aus diesem Grund V. 22 für einen Zusatz (Bet-El, 235). 63 So auch C. Levin, Der Jahwist (FRLANT 157), Göttingen 1993, 218–219; Koenen, Bethel, 155–156, u. a. 64 Bei 28,21b handelt es sich um einen an der dtr. Bundesformel orientierten Nachtrag (so schon Blum, Komposition, 89–91), der allerdings nicht erlaubt, mit ihm gleich das gesamte Gelübde für einen „bundestheologischen Anhang“ zu erklären (Levin, Jahwist, 218). 65 So schon Blum, Komposition, 163 f., Koenen, Bethel, 157, u. a. 66 Gegen C. Westermann, Genesis II (BK I/2, Lfg. 17), Neukirchen-Vluyn 1980, 559; Fleischer, Jakob, 93, 95; Taschner, Verheißung, 62.
11. Was träumte Jakob in Gen 28?
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die Gottesrede überzeugt haben, bleibe ich beim jungen Blum von 1984. Beobachtungen an der Traumerzählung erhärten die Beurteilung der Gottesrede als jüngere Erweiterung. Traumerzählung und Gottesrede unterscheiden sich tiefgreifend. Dabei ist der Unterschied der literarischen Genera nicht entscheidend. Warum sollte sich der Erzähler eines Traums nicht auch einer Gottesrede bedienen?67 Entscheidend ist vielmehr die inhaltliche Ausrichtung beider. Die Erzählung ist nach dem kontextuellen Übergang in V. 10 von Anfang an auf einen bestimmten Ort ausgerichtet, den Jakob nicht gesucht hat, sondern auf den er zufällig gestoßen ist ( פגעV. 11). Dass es sich dabei um einen ganz besonderen Ort handelt, ahnt Jakob noch nicht.68 Nur wir Leser werden vom Erzähler durch den Artikel vor מקוםsogleich darauf hingewiesen, dass es mit diesem Ort eine besondere Bewandtnis haben muss. Worin die besteht, erfahren jedoch auch wir noch nicht. Erst der Traum in V. 12 enthüllt Jakob und uns, was es mit diesem Ort auf sich hat: Es ist der Ort auf Erden, an dem der Himmel offensteht („Tor des Himmels“ V. 17) und Gott gegenwärtig ist („Haus Gottes“ V. 17). Das zeichnet nach antikem Verständnis ein Heiligtum aus. Zur Symbolik eines Heiligtums fügen sich auch die Einzelheiten des Traumbilds.69 Der סלם, der auf die Erde gestellt mit seiner Spitze an den Himmel rührt, visualisiert einen Tempel als vertikale Verbindung zwischen himmlischer und irdischer Welt. Er hat als axis mundi eine kosmische Dimension, die ohnehin zu den Topoi altorientalischer Tempeltheologie gehört.70 So ist im Traumbild mit dem heiligen Ort von vornherein das Heiligtum auf dem Plan und mit dem Heiligtum der Himmel auf Erden. Die „Engel Gottes“, die auf der Treppe „hinauf- und herniedersteigen“, tanzen weder, noch sollen sie „die Offenbarung vermitteln“, wie Wellhausen annahm.71 Sie haben vielmehr eine eigene Funktion, die sich gerade nicht auf die Gottesrede bezieht. Indem die einen auf der Treppe hinauf- und die andern zur gleichen Zeit herniedersteigen, visualisieren die Engel den ständigen Verkehr zwischen der himmlischen und der irdischen Welt an diesem Ort. Ihm eignet deshalb nicht nur einmalige oder zeitweilige 67 Eine kurze Musterung der wichtigsten Beispiele und deren Auswertung bei M. Köckert, Die Traumerzählung Gen 28 im Licht altorientalische Tempeltheologie und Tempelbaunachrichte, in: J. J. Krause u. a. (Hg.), Eigensinn und Entstehung der Hebräischen Bibel. Erhard Blum zum siebzigsten Geburtstag (FAT 136), Tübingen 2020, 77–98 [in diesem Bd. Nr. 12]. 68 Deshalb scheidet eine Erklärung der Traumerzählung als Inkubation aus. 69 Dazu s. Köckert, Traumerzählung, und die intensive Darstellung von C. Koch, Gottes himmlische Wohnstatt. Transformationen im Verhältnis von Gott und Himmel in tempeltheologischen Entwürfen des Alten Testaments in der Exilszeit (FAT 119), Tübingen 2018, 69–86 (Der Vf. hat mir das entsprechende Kapitel seiner damals noch ungedruckten Habil.-Schrift dankenswerter Weise noch kurz vor Abschluss dieses Manuskripts zur Verfügung gestellt). 70 Zu den Einzelheiten s. Köckert, Traumerzählung. Vgl. die Beispiele bei V. Hurowitz, I Have Built You an Exalted House (JSOT.S 115), Sheffield 1992, 335–337. 71 Wellhausen, Composition, 30.
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III. Zur Jakobüberlieferung
numinose Qualität, Gottes dauerhafte (!) Präsenz72 macht ihn vielmehr bleibend zu einem heiligen, Ehrfurcht gebietenden Ort ()מקום נורא. Mit „Gott“ ist freilich nicht irgendeine Gottheit gemeint, auch nicht irgendein unbekanntes Ortsnumen von Betel, sondern Jhwh. Auf ihn zielt die gesamte Inszenierung des Traums mit Himmelstreppe und Engelprozession. Er steht „über“ der von den Engeln begangenen Treppe. Der Erzähler führt die Entdeckung der Gegenwart Gottes an diesem Ort auf Jakob zurück, der das Gesehene in V. 17 deutet: Er identifiziert diese Stätte mit „Gottes Haus“ und mit dem „Tor des Himmels“. Hier ist also als der Ort, an dem der himmlische Palast des Gottes Jhwh sein irdisches Gegenstück haben soll. Deshalb zeichnet Jakob diesen Platz damit aus, dass er „am Morgen“ den Stein, in dessen Schutz er geträumt hat, als Mazzebe setzt73 und mit Öl salbt (V. 18). Sie ist sichtbares Zeichen für Gottes Anwesenheit an diesem Platz.74 Israels Ahn hat verstanden, was ihm Jhwh mit jenem Traum ohne Worte sagen wollte: Hier ist der Ort auf Erden, wo ich von dir und den Deinen verehrt werden will. Jakob nennt den Ort denn auch בית אל „Haus Gottes“ (V. 19a).75 Der Traum zielt also auf die Gründung des Heiligtums in Betel, nicht auf die Verheißungen für Jakob. Im vorliegenden Text wird jedoch der ursprüngliche Zusammenhang von Traum (V. 12–13a1) und Reaktion Jakobs (V. 16–19a) durch eine Gottesrede unterbrochen. Man sieht das schon daran, dass die Leitwörter der Traumerzählung in der Gottesrede fehlen. Sie begegnen erst wieder danach: die „Stätte“ und der „Stein“ sowie die oft notierte Entsprechung von „Himmel“ und „Tor des Himmels“, von „Gottes Engel“ und „Gottes Haus“. Zwar kennt die Gottesrede mit der Konkretion des verheißenen Landes, „auf dem du liegst“, die Traumerzählung. Doch kann die Landverheißung kaum das Stück Boden meinen, auf dem Jakob nächtigt, werden sich doch die Nachkommen, denen diese Landverheißung gilt (V. 13b), in alle Himmelsrichtungen ausbreiten (V. 14). Sollte dergleichen von ein und derselben Hand stammen? Erst recht spricht dagegen, dass Jakob nach dem Traum zwar auf das Traumbild reagiert, nicht aber auf die 72
Gegen alle Signale des Textes deutet Levin V. 13–16 als redaktionelle Eigenformulierungen seines exilischen Jahwisten mit dem Ziel einzuschärfen, dass „Jahwe allgegenwärtig und … nicht ortsgebunden“ sei, „wie Jakob (in v16) offenbar noch meinen konnte“ (Jahwist, 216–217). Ihm folgt auch Köhlmoos: Jhwh werde in V. 16 „gewissermaßen transportabel“ (Bet-El, 237). 73 Die Größe des Steins spielt in der gesamten Erzählung keine Rolle, es bedarf deshalb auch keiner übermenschlichen Stärke, ihn aufzurichten – gegen V. Maag, Zum Hieros Logos von Beth-El (1951), in: Ders., Kultur, Kulturkontakt und Religion. Ges. Stud. zur allgemeinen und alttestamentlichen Religionsgeschichte, Göttingen 1980, 29–37, hier 31 ff., der daraus auf einen kanaanäischen Ursprung der Betel-Erzählung schließt. 74 Der Stein ist jedoch weder Symbol für einen Tempelturm noch Repräsentation Jhwhs, der vor Jakob steht, was C. Houtman annimmt: What Did Jacob See in His Dream at Bethel? Some Remarks on Genesis 28:10–22, VT 27 (1977) 337–351. 75 Der Name unterscheidet sich von der Deutung, die Jakob in V. 17 gibt, weil der Ortsname älter als die Heiligtumsätiologie ist und ihr bereits vorgegeben war (Levin, Jahwist, 218; Köhlmoos, Bet-El, 240, u. a.).
11. Was träumte Jakob in Gen 28?
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Gottesrede, ja, dass seine Furcht in V. 17 so gar nicht zu Gottes Versprechungen passt, am wenigsten zu dem zugesagten Beistand. Überdies berücksichtigt Jhwh in seiner Rede mit keiner Silbe, was er zuvor so eindrücklich inszeniert hat. Das verwundert umso mehr, als es anderwärts durchaus Beispiele dafür gibt, dass eine Gottheit in Träumen direkte Anweisungen gibt, was der Träumer angesichts des Gesehenen tun soll.76 Hier dagegen werden Thema und Bildwelt des Traums verlassen.77 Aus „dem heiligen Ort“ ( )המקוםwird „das Land auf dem du liegst“ ()הארץ. Es geht nicht mehr um die Entdeckung, sondern nur noch um den Entdecker, genauer um sein künftiges Geschick und deshalb auch um seine Nachkommen. Dazu geht die Gottesrede literarisch über die Jakobüberlieferung hinaus, wie die Querverbindungen zu Gen 13,14–16 und 12,3 zeigen.78 Außerdem greift die Gottesrede weit in die Zukunft aus: Jede der drei göttlichen Versprechungen von Land (V. 13b), Mehrung („wie der Staub der Erde“ V. 14a) und Segen (beispielhaft „für alle Sippen des Erdbodens“ V. 14b) gelten ausdrücklich „dir und deinen Nachkommen“. Allerdings muss bis zur Einlösung dieser glorreichen Zusagen noch sehr viel Wasser den Jordan hinabfließen.
4. Schlussfolgerungen Die mitgeteilten Beobachtungen sprechen m. E. dafür, an der These des jungen Blum festzuhalten: Bei der Erzählung von Jakobs Traum in Gen 28, …79 11–13a1.16–19a handelt es sich um die in Betel überlieferte Gründungslegende des Jhwh-Heiligtums.80 Deren Entstehung lässt sich in der Zeit vor den Aramäerkriegen im 9. Jh., leichter aber in der Zeit danach vorstellen, also im 8. Jh., in den 76
Beispiele dafür bei Köckert, Traumerzählung. Köhlmoos sieht scharf, dass Gen 28 mit Jhwhs Anwesenheit und mit seiner „Rolle für die Geschichte Jakobs“ zwei verschiedene theologische Schwerpunkte entfaltet und dass die Traumoffenbarung „der Verheißung nicht wirklich“ bedarf (Bet-El, 238). Umso erstaunlicher sind ihr Fazit auf S. 240 und ihre Forderung auf S. 241: „Trotzdem ist die Zusammenschau der Traumoffenbarung mit der Verheißung und somit mit der gesamten Jakobsgeschichte nicht nur methodisch geboten.“ 78 So schon Blum, Komposition, 290–293; ders., Jakobs Traum, 53 (mit Anm. 74); M. Köckert, Vätergott und Väterverheißungen. Eine Auseinandersetzung mit Albrecht Alt und seinen Erben (FRLANT 142), Göttingen 1988, 320. 79 Um sich einen möglichen ursprünglichen Anfang vorzustellen, an dessen Stelle die nachträgliche Einbindung in den Kontext durch V. 10 getreten ist, ersetze man mit Blum (Komposition, 26 Anm. 77) probeweise V. 10 durch Ex 3,1a1: … יעקב היה רעה את הצאן 80 Auch Blum rechnet noch in seinem letzten Beitrag zur Sache mit der Einbindung einer „nicht mehr zu rekonstruierende[n] Heiligtumsätiologie“ (Jakobs Traum, 54), und auch für Köhlmoos spricht „prinzipiell … nichts dagegen, Gen 28,11–12.16–18 für ein genuines Stück Bet-Eler Theologie zu halten, das vom Kontext der Jakobsgeschichte unabhängig ist“ (Bet-El, 241); trotzdem lehnt sie die Annahme einer „vorgängige[n] Tradition über Bet-El … im Sinne eines Hieros Logos“ ab (S. 239). 77
272
III. Zur Jakobüberlieferung
Tagen, da Jerobeam II. das Nordreich regierte. Hier stimmen wir Erhard Blum, dem älter gewordenen, gern zu.81 Die Ansetzung der Betel-Überlieferung in die erste Hälfte des 8. Jh.s wird vom archäologischen Befund insofern gestützt, als stark wachsende Siedlungsaktivitäten in Betel nur in dieser Zeit belegt sind.82 Auch begegnen anikonische Mazzeben vor allem im 9./8. Jh. auch an anderen heiligen Orten83, so im offiziellen Jhwh-Heiligtum in Arad oder in kultischen Installationen am Tor in T. el-Fara/ Tirza, in et-Tel/Bethsaida, vielleicht auch in Dan. Ende des 7. Jh.s diskreditieren Prohibitive wie Dtn 16,21.22 Mazzeben als Repräsentationen Jhwhs endgültig.84 Von der prominenten Rolle der Mazzebe in Betel mit mehreren Anspielungen auf sie in der Jakobüberlieferung wäre dann wohl kaum noch neu erzählt worden.85 * Die exegetischen Bemühungen um Gen 28 haben uns Möglichkeiten, aber auch Grenzen historischer Auslegung vor Augen geführt. Lässt sich daraus ein Grundsatz für das gewinnen, was Erhard Blum „Exegetik“86 genannt hat? Vielleicht ein Satz wie dieser, mit dem einst Traugott Holtz, mein Greifswalder Lehrer im Fach Neues Testament, unserer studentischen „Fantastik“ im Seminar begegnete: Möglich ist vieles, wahrscheinlich nur manches; Aufgabe der Exegese ist es, das Wahrscheinlichere vom weniger Wahrscheinlichen zu unterscheiden.
81
So zuletzt Blum, Jacob Tradition, 210. I. Finkelstein/T. Römer, Comments on the Historical Background of the Jacob Narrative in Genesis, ZAW 126 (2014) 317–338, hier 325 f. mit Verweis auf I. Finkelstein/ L. Singer-Avitz, Reevaluating Bethel, ZDPV 125 (2009) 33–48. 83 Ich danke Herrn Kollegen Jens Kamlah für diesen Hinweis. 84 Die Beziehung der Aschere auf Jhwh, neben dessen Altar sie in V. 21 steht, wird bei der Mazzebe durch die Erläuterung „die Jhwh, dein Gott, hasst“ hergestellt, so dass die Repräsentanz eines Fremdgottes anders als in 2 Kön 3,2; 10,26–27 („Mazzebe Baals“) ausgeschlossen ist. 85 Gen 35,13–15 (P oder nach-P) macht aus der Mazzebe als kultischer Repräsentanz Gottes (28,18–19a) einen Gedenkstein für die Begegnung mit Gott. 86 E. Blum, Notwendigkeit und Grenzen historischer Exegese. Plädoyer für eine alttestamentliche „Exegetik“, in: B. Janowski (Hg.), Theologie und Exegese des Alten Testaments/der Hebräischen Bibel. Zwischenbilanz und Zukunftsperspektiven (SBS 200), Stuttgart 2005, 11–40 (wieder abgedruckt in E. Blum, Grundfragen der historischen Exegese. Methodologische, philologische und hermeneutische Beiträge zum Alten Testament, hg. von W. Oswald und K. Weingart [FAT 95], Tübingen 2015, 1–29). 82 So
12. Die Traumerzählung Gen 28 im Licht altorientalischer Tempeltheologie und Tempelbaunachrichten Erhard Blum hat 1984 in seiner bahnbrechenden Untersuchung zur Komposition der Vätergeschichte eine eingehende Analyse der Betel-Erzählung Gen 28,10–22 vorgelegt. Dort kam er zu dem Ergebnis, dass die in Gen 28 eingestellte ursprüngliche Traumerzählung aus dem gegenwärtigen Textbestand nur die Verse 11–13a1.16–19a, aber weder die verheißende Gottesrede (V. 13a2b–14.15) noch das Gelübde (V. 20–22) enthalten habe.1 Ihr älterer Anfang sei freilich in V. 10 durch die Einbindung in den gegenwärtigen Kontext ersetzt worden.2 Die Erzählung zielte also ursprünglich nicht wie die Gottesrede in all ihren Teilen auf das Geschick Jakobs und der Seinen, sondern auf die Begründung des Jhwh-Heiligtums in Betel mit der Entdeckung der Gegenwart Jhwhs an diesem heiligen Ort durch den Ahnvater Israels. Ihr Verständnis als Ätiologie eines Heiligtums lässt sich mit dem Traumbild und dessen Deutung auf dem Hintergrund altorientalischer Nachrichten zur Tempelsymbolik und zu Träumen anlässlich von Tempelbauten weiter erhärten. Daraus ergeben sich auch Gesichtspunkte für die Auseinandersetzung mit neueren Versuchen, die Erzählung historisch einzuordnen.3
1. Die ursprüngliche Traumerzählung in Gen 28,10–13a1.16–19a Zu Beginn der Traumerzählung stellen V. 10*–11 die Szenerie für den Traum (eine bestimmte Stätte, nach Sonnenuntergang, Übernachtung und Schlaf ) und die Requisiten (einen „Stein“) bereit, die im Fortgang der Erzählung eine Rolle spielen: 1 E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte (WMANT 57), Neukirchen-Vluyn 1984, 7–35. Zur Auseinandersetzung mit den seitherigen Modifikationen, nicht zuletzt durch Blum selbst, s. M. Köckert, Was träumte Jakob in Gen 28? Möglichkeiten und Grenzen historischer Exegese, in: J. J. Krause/K . Weingart (Hg.), Exegetik des Alten Testaments. Bausteine für eine Theorie der Exegese (FAT II), Tübingen 2021 [in diesem Bd. Nr. 11]. 2 Man sehe nur die Rücksicht, die V. 10 auf den Aufenthalt der Familie Jakobs in Beerscheba (26,23–33) und auf Jakobs Reiseziel Harran (27,43) nimmt, das sich nicht mit dem „Land der Ostleute“ (29,1) und erst recht nicht mit Paddan Aram (28,2.6) verträgt. 3 N. Naʾaman, The Jacob Story and the Formation of Biblical Israel, TA 41 (2014) 95–125; I. Finkelstein/T. Römer, Comments on the Historical Background of the Jacob Narrative in Genesis, ZAW 126 (2014) 317–338, bes. 323.
274
III. Zur Jakobüberlieferung
10Jakob
… [hütete Schafe,]4 (da) stieß (er) auf eine Stätte und übernachtete dort; denn die Sonne war untergegangen. Er nahm einen von den Steinen der Stätte, setzte ihn an sein Kopfende und legte sich an jener Stätte schlafen. 11
Im Zentrum der Erzählung stehen Jakobs Traum (V. 12–13a*) und seine Deutung (V. 16–17). Der Traum besteht aus einem Bild, das in drei Sätzen gezeichnet wird, die den Blick des Träumers unaufhaltsam von seinem irdischen Schlafplatz in den geöffneten Himmel ziehen: 12 Er
träumte: Siehe, eine Treppe ( )סלםwar auf die Erde gestellt und rührte oben an den Himmel; und siehe, die Engel Gottes stiegen auf ihr hinauf und hernieder; 13und siehe da, Jhwh stand darüber5.
Die Treppe zwischen Erde und Himmel markiert eine vertikale Achse, die ihr Ziel in einem geöffneten Himmel hat. Das Bild ist stumm, aber voller Bewegung; denn zwischen Erde und Himmel bilden die hinauf- und herniedersteigenden Engel Gottes eine fortwährende Kommunikation ab. Der Blick des Träumers kommt jedoch erst im geöffneten Himmel zur Ruhe, in dem Jhwh über der von den Engeln begangenen Treppe steht. Auf ihn zielt die gesamte Inszenierung des Traums mit Himmelstreppe und Engelprozession. Nach seinem Erwachen deutet Jakob in V. 16–17 das Traumbild rückläufig zu dem, was er gesehen hat: 16Da erwachte Jakob von seinem Schlaf und sagte: Wahrhaftig, Jhwh ist an dieser Stätte, und ich, ich wusste es nicht.
Seine Überraschung darüber, dass Jhwh an diesem Ort anwesend ist (V. 16), mündet sogleich in einen heiligen Schauder über die numinose Qualität dieser Stätte (V. 17).6 17Furcht überkam ihn und er sagte: Wie furchtbar ist doch diese Stätte. Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist das Tor des Himmels.
Mit dieser Deutung identifiziert Jakob die Stätte als den Ort, an dem der himmlische Palast des Gottes Jhwh sein irdisches Gegenstück hat und der Himmel auf Erden ist. 4 Um sich vorzustellen, wie die ursprüngliche Erzählung vor ihrer Einbindung in den Kontext angefangen haben könnte, ersetze man (mit Blum, Komposition, 26 Anm. 77) probeweise V. 10 durch Ex 3,1a1: 10… ויפגע במקום וילן שם11 )יעקב (היה רעה את הצאן. 5 Zu dieser Übersetzung von עליוs. Köckert, Was träumte, 2.1.1. [in diesem Bd. Nr. 11]. 6 Vgl. Ex 3,6b*.
12. Gen 28 im Licht altorientalischer Tempeltheologie
275
Deshalb antwortet Jakob am Ende (V. 18–19a) auf das, was er gesehen und gedeutet hat, indem er diesen Platz auszeichnet. Er setzt den Stein, in dessen Schutz er geträumt hat, als Mazzebe7 und salbt deren Spitze mit Öl: 18Früh
am Morgen stand Jakob auf, nahm den Stein, den er an sein Kopfende gesetzt hatte, richtete ihn als Mazzebe auf und goss Öl über seine Spitze. 19Er nannte jene Stätte Bet-El.
Die Mazzebe ist sichtbares Zeichen für Gottes Anwesenheit an dieser Stätte.8 Jakob benennt sie denn auch mit einem Namen, der das Traumbild aufnimmt ( )בית אלהיםund ihm entspricht: „Haus Gottes“ ( בית אלV. 19a). Diese Benennung des Ortes greift den vorgegebenen Ortsnamen auf und gibt dem Jhwh-Heiligtum zu Betel eine solenne Ursprungsgeschichte, indem sie dessen Gründung auf Jhwh selbst zurückführt, der die Stätte seiner Gegenwart dem Erzvater Jakob im Traum bezeichnet hat. Die Erzählung ist symmetrisch strukturiert9 und von Leitwörtern, Motiven und Themen durchzogen, die ihr ein besonderes Gepräge geben und ihre unterschiedlichen Teile miteinander verbinden.10 Da ist zunächst von המקוםdie Rede, also von einer ganz bestimmten Stätte (V. 11a.b.c/16.17.19a), deren Identität in V. 19a mit der Benennung als Bet-El geklärt wird.11 Da ist sodann אבן, einer „von den Steinen“ jener Stätte, den Jakob „nimmt“ und zu seinen Häupten („ )מראשתיוsetzt“ (V. 11), bevor er sich zum Schlafen niederlegt. Am Morgen „nimmt“ er ihn dann von seinen Häupten ()מראשתיו, „setzt“ ihn als Mazzebe (V. 18) und gießt „über ihre Spitze“ ( )על ראשהÖl aus. Mit der „Spitze“ ()ראש der „Mazzebe“ wird wiederum die Treppe aufgegriffen, die in V. 12 auf die Erde „gestellt“ war ( )מצבund „deren Spitze“ ( )ראשוan den Himmel rührt und über der Jhwh „steht“ ( נצבV. 13a). So ist fast alles in jener ursprünglichen Traum7 Die Größe des Steins spielt in der gesamten Erzählung keine Rolle; deshalb bedarf es auch keiner übermenschlichen Stärke, ihn aufzurichten – gegen V. Maag, Zum Hieros Logos von Beth-El (1951), in: Ders., Kultur, Kulturkontakt und Religion. Ges. Stud. zur allgemeinen und alttestamentlichen Religionsgeschichte, Göttingen 1980, 29–37, 35, der daraus sogar auf einen vor-kanaanäischen Ursprung der Betel-Erzählung in einer Megalith-Kultur schließt. 8 Der Stein ist jedoch weder Symbol für einen Tempelturm noch Repräsentation Jhwhs, der vor Jakob steht, was C. Houtman, What Did Jacob See in His Dream at Bethel? Some Remarks on Genesis 28:10–22, VT 27 (1977) 337–351, annimmt. Eher visualisiert er wie die mesopotamischen Tempeltürme die kosmologische Achse. 9 J.‑M. Husser, Dreams and Dream Narratives in the Biblical World (BS 63), Sheffield 1999, 128–131, 129. 10 J. P. Fokkelman, Narrative Art in Genesis. Specimens of Stylistic and Structural Analysis (SSN 17), Assen 1975, 46–81; Blum, Komposition, 9–19. 11 Das ist in 28,11 ff. allerdings kein Hinweis auf eine Inkubation, wie zuweilen gemeint wird; denn Jakob stößt zufällig (!) auf diesen bestimmten Ort und hat ihn nicht absichtsvoll aufgesucht, um ein Orakel zu erhalten (gegen zuletzt wieder J. Lanckau, Der Herr der Träume. Eine Studie zur Funktion des Traumes in der Josefsgeschichte der Hebräischen Bibel [AThANT 85], Zürich 2006, 290).
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III. Zur Jakobüberlieferung
erzählung miteinander verzahnt, während die Gottesrede außerhalb steht und Jakobs Gelübde in V. 22a mit einem Rückverweis und einer bezeichnenden Verschiebung an die Traumerzählung anknüpft.12
2. Traumbild und Deutung Das Traumbild (V. 12–13a) setzt in seinen Einzelheiten wie in seiner Gesamtheit mesopotamische Tempeltheologie ins Bild, wenn auch auf eine in der Bibel singuläre Weise. Jakob fasst sie in seiner Deutung (V. 16.17) in entsprechende Worte. (1) Zur altorientalischen Tempeltheologie gehört eine kosmische Dimension.13 In Gen 28 visualisiert der סלם, der – auf die Erde gestellt – mit seiner Spitze an den Himmel rührt, die vertikale Verbindung zwischen irdischer und himmlischer Welt. Das vielleicht eindrücklichste Beispiel für die kosmische Dimension eines mesopotamischen Tempels findet sich in Enuma elisch, das Ende des 2. Jt.s zusammengestellt wurde. Nach dem Sieg über Tiamat richtet Marduk die Welt in ihren kosmischen Bereichen mit den entsprechenden Götterpalästen ein (IV 135–146): Im höchsten Himmel lässt er Anu, im mittleren mit dem escharra Enlil Wohnung nehmen, im unterirdischen Grundwasserozean apsu residiert Ea. Sich selbst will er dagegen, so teilt er den Göttern mit (Kol. V 119–124), ein Heiligtum als seine Wohnstatt im Zentrum des Kosmos begründen: 119oberhalb
des Apsu, der smaragdenen Wohnstatt, Escharra, das ich für euch baute, 121unterhalb der himmlischen Teile, deren Boden ich stark machte, 122will ich ein Haus als meine luxuriöse Wohnstatt bauen. 123Darin will ich sein Heiligtum begründen, 124mein Gemach anlegen und mein Königtum etablieren.14 120gegenüber
Marduks Palast Esagila steht also auf der Erde („oberhalb des Apsu … gegenüber Escharra“). Er verbindet alle kosmischen Bereiche und dient deshalb zugleich als Ruheplatz für die Götter, die hier Marduk als ihrem König alljährlich ihre Aufwartung machen (V 125–130): 12
Zum Gelübde und zu V. 15 s. Köckert, Was träumte, 2.2 (4). [In diesem Bd. Nr. 11] Vgl. die Beispiele bei V. A. Hurowitz, I have Built you an Exalted House (JSOT.S 115), Sheffield 1992, 335–337, und die neue detaillierte Untersuchung des babylonischen Vergleichsmaterials bei C. Koch, Gottes himmlische Wohnstatt. Transformationen im Verhältnis von Gott und Himmel in tempeltheologischen Entwürfen des Alten Testaments in der Exilszeit (FAT 119), Tübingen 2018. Ich danke Herrn Kollegen Christoph Koch, dass er mir den Gen 28 betreffenden Teil seines damals noch im Druck befindlichen Manuskripts zugänglich gemacht hat. Deshalb konnte ich ihn noch vor dem Druck meines Beitrags lesen. Er hat mir hinsichtlich der mesopotamischen Analogien zu größerer Klarheit verholfen. 14 Übersetzung von W. G. Lambert, TUAT III/4, Gütersloh 1994, 590. 13
12. Gen 28 im Licht altorientalischer Tempeltheologie
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125Wenn
zur Versammlung ihr heraufsteigt vom Apsu, dort euer Nachtlager vor eurer Versammlung! 127Wenn zur Versammlung ihr herabsteigt vom Himmel, 128sei dort euer Nachtlager vor eurer Versammlung! 129Ich will [seinen] Namen [Babylon] nennen: „Häuser der großen Götter“, 130und wir, wir werden darin F[est]e begehen!15 126sei
Das Heiligtum Esagila und die Stadt Babylon erscheinen als Einheit.16 Auch in der Komposition Tintir wird Babylon „das Haus der Götter“ genannt, weil Gottes Tempelpalast nicht von seiner Stadt zu trennen ist.17 Da Esagila das „irdische Abbild des im Himmel gelegenen Palastes der himmlischen Götter und … des Palastes der in der Erde beheimateten Götter“18 ist, befindet sich Babylon mit dem Tempel Marduks im Zentrum jener von den Götterpalästen im Himmel, auf der Erde und in der Erde gebildeten kosmischen Achse. Diese wurde architektonisch in jenem berühmten siebenstufigen Tempelturm realisiert, der den Namen „Haus, Fundament von Himmel und Erde“ (E-temen-an-ki) trug. Zusammen mit dem Heiligtum Esagila, das die Götter als Entsprechung des Apsu19 erbaut hatten, der wiederum unter Esagila in der Erde vorgestellt wurde, bildete er diese mythische kosmische Achse in der real-gegenwärtigen Welt ab. Die Dimension des Apsu bzw. der Unterwelt fehlt freilich in Gen 28. Zwar hat man zuweilen in der Formulierung „eine Treppe war auf die Erde/erdwärts ( )ארצהgestellt“ (28,12a) Anklänge daran finden wollen, weil ארץmitunter auch in der Bibel die Unterwelt bezeichnen kann.20 Doch fehlen in Gen 28 weitere Hinweise, die dort eine derartige Bedeutung nahelegen könnten. Mit dem Gebrauch von ארץbzw. אדמהin 28,13–15 kann man weder so noch so argumentieren, weil die Gottesrede in allen Teilen nicht zur ältesten Schicht gehört. Überdies war eine alternative Formulierung zu ארצהin V. 12 nicht möglich.21 15
Übersetzung von K. Hecker, TUAT NF Bd. 8, Gütersloh 2015, 117. En. el. VI 72: „Dies ist Babylon, der Wohnsitz eurer Gründung.“ Dort findet die Götterversammlung statt, in der die Weltordnung festgelegt wird. 17 Darauf hat Koch (Wohnstatt, 75) im Anschluss an A. R. George (‚Bond of the Lands‘: Babylon, the Cosmic Capital, in: G. Wilhelm [Hg.], Die orientalische Stadt [CDOG 1], Saarbrücken 1997, 125–145, bes. 140) hingewiesen. 18 S. M. Maul, Das Haus des Götterkönigs. Gedanken zur Konzeption überregionaler Heiligtümer im Alten Orient, in: K. Kaniuth u. a. (Hg.), Tempel im Alten Orient (CDOG 7), Wiesbaden 2013, 314; vgl. ders., Die altorientalische Hauptstadt – Abbild und Nabel der Welt, in: G. Wilhelm (Hg.), Die orientalische Stadt. Kontinuität, Wandel, Bruch (CDOG 1), Saarbrücken 1997, 109–124, bes. 114. 19 En. el. VI 61–62. 20 V. A. Hurowitz, Babylon in Bethel – New Light on Jacob’s Dream, in: S. W. Holloway (Hg.), Orientalism, Assyriology and the Bible (HBM 10), Sheffield 2007, 436–448, bes. 437; Koch, Wohnstatt, 83–84, weist für diese Bedeutung auf Ex 15,12; Jes 26,19; Jer 17,13; 31,37; Jon 2,7; Ps 22,30; 71,20 hin, trägt aber den originellen Gedanken aus den babylonischen Analogien in Gen 28,12 ein. 21 Die Verwendung von מקוםscheidet in diesem Zusammenhang aus, weil damit nie der Gegenpol zu שמיםausgedrückt wird, auf den es doch hier gerade ankommt. 16 Vgl.
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III. Zur Jakobüberlieferung
(2) Bei dem Hapaxlegomenon סלםhandelt es sich wahrscheinlich um ein Synonym22 zu dem akkadischen simmiltu, was „Treppe“ oder „Stufenrampe“ bedeutet.23 Eine mit diesem Wort bezeichnete Installation begegnet auch in der neuassyrischen Version des Mythos von Nergal und Ereschkigal.24 Sie wurde auf einer ungebrannten Schülertafel überliefert. Offenbar diente der Mythos auch zu Schreibübungen. Mehrfach ist in ihm von der „langen Treppe des Himmels“ (simmelat schamami) die Rede, die den Himmel mit der Unterwelt verbindet und auf der die Götterboten Kakka und Namtar sowie der Gott Nergal hinaufund hinabsteigen, um „das Tor der Ereschkigal“ bzw. „das Tor von Anu, Enlil und Ea“ zu erreichen. Die Treppe verbindet Himmel und Unterwelt und endet jeweils am Tor der beiden kosmischen Bereiche. „Treppe“ und „Tor“ verbinden mit Gen 28. Allerdings unterscheiden sich die kosmologischen Konzepte: Während im Mythos von Nergal und Ereschkigal die Erde keine Rolle spielt, fehlt in Gen 28 die Dimension der Unterwelt. Das Wort simmiltu begegnet auch in einem altbabylonischen Hymnus auf Schamasch: Shamash, you opened the bolt of the doors of heaven (da-la-at scha-me-e). You ascended the stairway (si-mi-la-at) of pure lapis.25
Hier steigt der Sonnengott auf der „Treppe“ aus Lapislazuli26 auf, nachdem er den Riegel des „Himmelstores“ geöffnet hat. Lapis war ein den Göttern (und Königen) vorbehaltenes Material und erinnert mit seiner blauen Farbe an den Taghimmel. Dieser „stairway“ hat jedoch weder etwas mit der Treppe in Gen 28 noch mit jener aus der Unterwelt in den Himmel zu tun, von dem im Mythos Nergal und Ereschkigal die Rede ist. Näher bei Gen 28 steht zweifellos ein Text aus neubabylonischer Zeit, den Victor Avigdor Hurowitz in die Diskussion gebracht hat. Es handelt sich um eine Passage auf dem Imgur-Enlil-Zylinder27, in der Nabopolassar (gest. 605) den Bau der Mauer mit Namen Imgur-Enlil feiert, die innerhalb Babylons den Tempelbezirk von der Stadt abgrenzt. Nabopolassar rühmt in II 8–21 die 22
Hurowitz, Babylon, 437 Anm. 4. AHw 1045; erst die LXX lässt mit κλίμαξ an Treppe denken. Die Etymologie von סלםist jedoch nicht gesichert. 24 G. W. Müller in: TUAT III/4, Gütersloh 1994, 769–780 (Kol I 16, IV 26 f., V 42 f., VI 18 f.); M. Hutter, Altorientalische Vorstellungen von der Unterwelt. Literar- und religionsgeschichtliche Überlegungen zu „Nergal und Ereskigal“ (OBO 63), Fribourg 1985. Der Mythos war weit verbreitet, wie die drei erhaltenen Versionen aus Amarna, Sultantepe und Uruk zwischen 1400 und 400 v. Chr. zeigen. Sie erzählen, wie der Gott Nergal zum Unterweltsgott wurde. 25 Zit. bei W. Horowitz, Mesopotamian Cosmic Geography (MC 8), Winona Lake 1998, 66. 26 Deshalb kann es sich hier nicht um eine bewegliche „Leiter“ handeln. 27 Erstveröffentlichung: Iraq 47 (1985) 1–13; engl. Übersetzung von P.‑A. Beaulieu in: The Context of Scripture II, Leiden 2000, 307–308. 23
12. Gen 28 im Licht altorientalischer Tempeltheologie
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mythischen Dimensionen der Mauer. In Z. 15 erscheint sie als Zentrum des Kosmos: 8Imgur-Enlil,
die große Mauer von Babylon: Grenzwache, berühmt von Anbeginn der Zeit, 10feste Sperre, so alt wie die undenkliche Zeit, 11hochragender Horst, so hoch wie die Himmel, 12starker Schild, der den Zutritt der Feindländer versperrt, 13die weite Anlage der Igigi (= Götter des Himmels), 14der geräumige Hof der Anunnaki (= Götter der Unterwelt), 15Aufstieg zum Himmel (melit schamami), Treppe hinab in die Unterwelt (simmilat ganzir).28 9Uralte
Wie in Gen 28,12–13a vermischen sich auch hier irdische und kosmische Dimensionen. Die seltenen poetischen Wörter in Z. 15 für die Unterwelt, in der die Mauer gegründet ist, und für den Himmel, in den die Mauerkrone ragt, bezeichnen kosmische Größen, nicht das, was sonst „Himmel“ und „Erde“ genannt wird.29 Wie gesehen fehlt in Jakobs Traum die Dimension der Unterwelt völlig. Auch nimmt Jakob mit der Errichtung der Mazzebe nicht wie der königliche Bauherr Nabopolassar Aufgaben wahr, welche im Uranfang in der Hand der Götter lagen.30 Wahrscheinlich ist bei סלם/simmiltu an eine Treppe gedacht, vielleicht an die Freitreppe eines mehrstufigen Tempelturms. So heißt die Ziqqurat von Sippar „Haus, reine Treppe des Himmels“.31 Diese mit Treppen versehenen Tempeltürme bilden vielleicht die architektonische Entsprechung zu dem Bild, das Jakob träumt. So ist im Traumbild mit dem heiligen Ort sogleich das Heiligtum auf dem Plan. (3) Die „Engel Gottes“ ()מלאכי אלהים, die auf der Treppe „hinauf- und herniedersteigen“, tanzen weder noch sollen sie „die Offenbarung vermitteln“, wie Wellhausen annahm.32 Anders als im Mythos von Nergal und Ereschkigal handelt es sich bei den Engeln auch nicht um Boten, die mit der Übermittlung von Nachrichten betraut sind. Sie gehören vielmehr wie in Ps 103,20; 104,4; 148,2; vgl. 29,1 zu Gottes Gefolge und markieren dessen himmlische Sphäre. Indem die einen auf der Treppe hinauf- und die andern zur gleichen Zeit herniedersteigen, visualisieren die Engel den ständigen Verkehr zwischen der himmlischen und der irdischen Welt an diesem Ort. Ihm eignet deshalb nicht nur eine einmalige oder zeitweilige numinose Qualität. Die von den auf- und absteigenden Engeln 28
Text des Abschnitts in Umschrift und engl. Übersetzung bei Hurowitz, Babylon, 439. Hinweis bei Hurowitz, Babylon, 441. 30 Vgl. En. el. VI 59: Die Anunnaki greifen selbst zur Hacke und formen die Ziegel zum Bau. 31 A. R. George, House of Most High. The Temples of Ancient Mesopotamia (MC 5), Winona Lake 1993, Nr. 672; vgl. C. Uehlinger, Art. Himmelsleiter, NBL 2 (1995) 161. 32 J. Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, Berlin 41963, 30. 29
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III. Zur Jakobüberlieferung
vermittelte dauerhafte Präsenz Jhwhs macht diesen Ort bleibend zu einem heiligen Ort.33 (4) In seiner Deutung fasst Jakob die Qualität dieses Ortes in die Worte „Haus Gottes“ ( )בית אלהיםund „Tor des Himmels“ ()שער השמים. Die Bedeutung beider Fügungen hängt von der Antwort auf zwei Fragen ab: (a) Warum ist אלהיםhier wie in Ri 17,5 gegen die überwiegende Mehrzahl der Belege dieser Wendung sonst nicht determiniert? Das könnte damit zusammenhängen, dass die Wendung im Blick auf den Jerusalemer Tempel stets determiniert gebraucht wird, während es hier um Betel geht. Indes kann אלהיםunmittelbar nach V. 16 ohnehin keinen anderen Gott als Jhwh meinen. (b) Worauf beziehen sich die beiden Demonstrativa ?זהDas erste kann im Leseablauf nur die in V. 16 genannte „Stätte“ meinen: Sie ist „Haus Gottes“. Bezieht sich auch das zweite זהauf diese „Stätte“ oder auf eine dritte Größe, wie einige mit Verweis auf die Grammatik meinen?34 Ex 3,15 und Hld 5,16 zeigen dagegen, dass auch beim zweiten זהdie erste Lösung grammatisch möglich ist. Sie liegt kontextuell am nächsten und ist sachlich nicht zu beanstanden. Die durch Jhwhs Anwesenheit geheiligte Stätte ist also beides, „Haus Gottes“ und „Tor des Himmels“.35 Was ist damit gemeint? „Haus (des Gottes N. N.)“ bezeichnet im alten Israel wie in Mesopotamien nicht nur ein gewöhnliches Wohngebäude oder einen königlichen Palast, sondern auch das, was wir „Heiligtum“ oder „Tempel“ nennen.36 Jakob nimmt in seiner Deutung vorweg, was diese Stätte einmal sein wird. Dass hier ein Ort und kein Heiligtum als „Haus Gottes“ bezeichnet wird, befremdet nur auf den ersten Blick; denn die dabei vorausgesetzte scharfe Unterscheidung zwischen dem heiligen Ort und dem Heiligtum in Betel geht an der Erzählung vorbei, die als Gründungslegende von der Fiktion lebt, dass die Heiligkeit der Stätte vom Ahn Jakob zwar schon entdeckt wurde, das Heiligtum aber erst noch 33 M. Köckert, Divine Messengers and Mysterious Men in the Patriarchal Narratives of the Book of Genesis, in: F. V. Reiterer u. a. (Hg.), Deuterocanonical and Cognate Literature Yearbook. Angels – The Concept of Celestial Beings – Origins, Development and Reception, Berlin 2007, 51–78, bes. 57. 34 Ges.-K. § 136a. So schon A. de Pury, Promesse divine et légende culturelle dans le cycle de Jacob: Genése 28 et les traditions patriarcales (ÉtB), Paris 1975, 424–430, der das erste זה auf den Stein, das zweite auf den סלםbezieht, und zuletzt M. Oblath, ‚To sleep, perchance to dream …‘ What Jacob saw at Bethel (Genesis 28.10–22), JSOT 95 (2001) 117–126, der das erste auf die Stätte, das zweite aber auf den סלםbezieht, den Jakob folglich als „Tor des Himmels“ deute. Die beiden Gegenbeispiele führt Oblath leider gar nicht erst auf. 35 Der im Kontext am nächsten liegende Bezug beider Verweise auf den מקוםspricht auch gegen die Deutung des Traumbildes durch Hartenstein: Jhwh stehe aufrecht auf der Himmelstreppe „vor dem Himmelstor“ (F. Hartenstein, Wolkendunkel und Himmelsfeste. Zur Genese und Kosmologie der Vorstellung des himmlischen Heiligtums JHWHs, in: B. Janowski/ B. Ego [Hg.], Das biblische Weltbild und seine altorientalischen Kontexte [FAT 32], Tübingen 2001, 125–179, hier 160). 36 Vgl. En. el. V 129; בית יהוהin Ex 23,19; 34,26; Dtn 23,19 usw. und die Belege für Tempel anderer Gottheiten im Alten Orient in: ThWAT I, 1973, 631–634; zu Mesopotamien bes. Maul, Haus, 311–312.
12. Gen 28 im Licht altorientalischer Tempeltheologie
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gebaut werden muss.37 Der Erzähler trägt dem Rechnung, indem er Jakob den Stein als Mazzebe setzen lässt, die den Ort der Anwesenheit Jhwhs auszeichnet, aber in der erzählerischen Fiktion zugleich für den erst später gebauten Tempel steht. Die Fügung „Tor des Himmels“ begegnet in der Bibel nur hier.38 „‚Himmel‘“ meint hier nicht den sichtbaren Himmel, den Ort meteorologischer Phänomene, sondern den transzendenten Ort Gottes, der den Menschen entzogen ist.39 Er wird als Palast mit einem Tor vorgestellt. Wenn Jakob in V. 17 diese Stätte mit dem „Tor des Himmels“ identifiziert, ist an dieser durch Gottes Anwesenheit geheiligten Stätte der Himmel auf Erden. Dieser kurze Durchgang durch die Topoi der Traumschilderung zeigt, wie stark alle Einzelheiten des Traums von altorientalischer Tempelsymbolik durchdrungen sind. Das später angefügte Gelübde (V. 20–22) knüpft mit dem Versprechen, an dieser Stätte ein „Gotteshaus“ zu bauen, daran an. Die noch jüngere Gottesrede (V. 13b–15) lässt jedoch diesen Horizont weit hinter sich. Das spricht einmal mehr gegen die zuweilen behauptete ursprüngliche Einheit von Traumerzählung, Verheißung (wenigstens von V. 15*) und Gelübde.40
3. Traum und Gottesrede in altorientalischen Tempelbaunachrichten Nachrichten darüber, wie eine Gottheit ihren Wunsch nach einem Tempel an einem noch unbebauten Ort kundtut, sind im Alten Orient selten, da Tempel in der Regel auf den Fundamenten des Vorgängerbaus errichtet wurden, wenn er verfallen war oder als nicht mehr ausreichend erachtet wurde. Außerdem galt jedes Heiligtum idealiter als von den Göttern selbst in unvordenklicher Zeit gebaut.41 „Der Bau oder die Renovierung eines Tempels war daher stets die Wiederherstellung eines in mythischer Zeit erschaffenen Urbildes.“42 Deshalb kann es sich bei einem Tempelbau immer nur um einen Wiederaufbau handeln, aber auch der darf nicht ohne ausdrückliche Autorisierung durch die Gottheit in 37 Dieser Einwand stellt die von Koch beobachtete Nähe der im AT singulären Anwendung auf einen Ort mit der Qualifikation Babylons in En. el. V 129 in Frage (Wohnstatt, 76); denn obwohl es in der mythischen Vergangenheit die Stadt Babylon in ihrer irdisch-realen Gestalt noch nicht gab, wird sie in En. el. VI 72 ausdrücklich genannt. Das geschieht mit Betel in Gen 28,17 gerade nicht; erst V. 19b identifiziert sek. „jene Stätte“ mit der Stadt. 38 Vgl. die Tore der Unterwelt in Hi 36,17; Jes 38,10 u. ö. 39 Nur in besonderen Ausnahmefällen gelangen Menschen dorthin, wie die Mythen von Nergal und Ereschkigal, von Adapa und von Etana zeigen. Vgl. zur Geographie des Himmels und seiner Tore Horowitz, Cosmic Geography, 266–267. 40 S. die Auseinandersetzung bei Köckert, Was träumte [in diesem Bd. Nr. 11]. 41 Maul, Hauptstadt, 113–114. 42 C. Ambos, Rituale beim Abriß und Wiederaufbau eines Tempels, in: K. Kaniuth u. a. (Hg.), Tempel im Alten Orient (CDOG 7), Wiesbaden 2013, 19–31, 22.
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III. Zur Jakobüberlieferung
Angriff genommen werden. Für den Wiederaufbau oder die Erweiterung eines bereits bestehenden Tempels holt der König den Willen der Gottheit durch Inkubation, durch Omina oder durch Orakelpriester ein.43 Als Tukulti-Ninurta I. beim Wiederaufbau des Tempels für Ischtar in Assur den Grundriss und die Ausrichtung verändert, weist er auf den ausdrücklichen Wunsch der Göttin hin: Damals, zu Beginn meiner Königsherrschaft, wünschte sich Ischtar, meine Herrin, von mir ein anderes Haus, noch heiliger als ihren früheren Tempel.44
Eigenmächtige Bauarbeiten an Tempeln, sogar Umbauten, hatten für den königlichen Verursacher schlimme Folgen: 47Ebabbar, sein Tempel, welcher in Sippar (gelegen), 48den Nabu-kudurri-usur, ein König früherer Zeit, gebaut und 49dessen alte Gründung er gesucht, aber nicht gefunden hat – 50fdiesen Tempel hat er (dann aber trotzdem) gebaut und daher sanken (schon) nach 45 Jahren die Mauern dieses Tempels um.45
Nabonid dagegen sucht solange, bis er die alte Gründung gefunden hat – die Gründung Naram-Sins, 57des Sohnes Scharrum-kins, die 3200 Jahre lang kein König, 58fder mir vorausging, gesehen hatte –
und baut dann zu einem Termin, den Schamasch und Adad ihm „durch Opferschau“ enthüllten, „über der Gründung Naram-Sins … nicht um Finger(sbreite) hinaus, nicht um Finger(sbreite) hinein“ den Tempel wieder auf. Von einem Neubau an einem vordem unbesiedelten Ort ist mir nur der Bau des Assur-Tempels durch Tukulti-Ninurta I. in der von ihm neu gegründeten Hauptstadt Kar-Tukulti-Ninurta (3 km östlich von Assur) bekannt, von der der König mehrfach in Verbindung mit seinen militärischen Erfolgen berichtet.46 Auf einer Steintafel47 aus dem Bereich des Tempelturms heißt es: 88–90In
diesen Tagen verlangte Assur, mein Herr, auf dem jenseitigen Ufer meiner Stadt, der Stadt, die die Götter suchen, einen Kultort von mir und 90–91befahl mir, ein Heiligtum 43 Beispiele
bei Hurowitz, House, 149–152; vgl. die Opferschau vor dem Wiederaufbau des Ebabbar für Schamasch in Sippar durch Nabonid (H. Schaudig, Die Inschriften Nabonids von Babylon und Kyros’ des Großen samt den in ihrem Umfeld entstandenen Tendenzschriften. Textausgabe und Grammatik [AOAT 256], Münster 2001, Nr. 2.9 Ex. 1 I 24–29; Nr. 2.12 II 60–66; Nr. 2.13 II 24–29; Nr. 2.14 Ex. 2 II 50–56) oder bei der Erneuerung der Tore von Esangil (Nr. 2.23 8′–11′); vgl. den Larsa-Zylinder (Nr. 2.11 II 41–51). 44 Ambos, Rituale, 25. 45 Man sehe nur Nabonids Berichte über Nebukadnezzar, der „aus eigenem Antrieb“ das Ebabbar in Sippar wiederaufgebaut hatte, das daraufhin einstürzte, bei Schaudig, Inschriften Nr. 2.12 (II 47–52); Nr. 2.13 (I 46′–II 29) u. ö. 46 Herr Kollege Johannes Renger (Berlin) macht mich brieflich darauf aufmerksam, dass Tukulti-Ninurta I., nachdem der ältere Ischtar-Tempel in Assur verfallen war, den Nachfolgebau an einem neuen Standort neben dem alten errichtet hat, aber in seiner Bauinschrift (RIMA I A.0 78.11) nicht von einem neuen Standort redet. 47 Übersetzt von K. Hecker in: TUAT NF Bd. 6, Gütersloh 2011, 26–27.
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für ihn zu erbauen. 91–92Auf das Geheiß von Assur, dem Gott, der mich liebt, 99erbaute ich fürwahr 92–94… auf unkultiviertem Gelände 95–98… eine Stadt für Assur. 99–109… 110–113In diesen Tagen errichtete ich in meiner Stadt Kar Tukulti-Ninurta, den Kultort, den ich erbaute, einen heiligen Tempel (und) ehrfurchtgebietendes Heiligtum als Wohnung für Assur, meinen Herrn …48
Auf welche Weise der König vom Wunsch des Gottes Assur Kenntnis erhielt, berichtet die Tafel freilich nicht. In der Regel teilt die Gottheit ihre Wünsche in einem Traum mit, in dem sie den Träumer anredet. Belege dafür gibt es m. W. vom Ende des 3. Jt. bis in die hellenistisch-römische Zeit.49 Träume sind im Alten Orient und deshalb auch in der Bibel ein beliebtes Medium, durch das die Gottheit Kontakt mit Menschen aufnimmt.50 Gottes Gedanken äußern sich in dem, was der Mensch träumt. Zum Verständnis derartiger Traumerzählungen ist die Unterscheidung zwischen „primärem Trauminhalt“ und dem „dahinter liegenden Traumgedanken“ zu beherzigen, die Annette Zgoll in ihrer detaillierten Untersuchung mesopotamischer Träume herausgearbeitet hat. Die Träume sind in der Bibel wie auch sonst im Alten Orient als literarische (!) Texte überliefert, in denen „ausschließlich die im Traum erkannte Botschaft, der gedeutete und für wichtig erkannte Kern des Traumes interessiert“.51 Wir haben es in den Texten also immer mit schon gedeuteten und durch die Wirklichkeit beglaubigten Traumgedanken zu tun, nicht mit den primären Trauminhalten und ihren Ambivalenzen. 3.1 Die Tempelbauhymne Gudeas von Lagasch Genaueres über den Inhalt eines derartigen Traumes erfahren wir aus der Tempelbau-Hymne Gudeas von Lagasch (2122–2102 v. Chr.), die auf zwei Tonzylindern auf uns gekommen ist.52 Hier schildert der Herrscher von Lagasch die Wiederherstellung des Tempels Ningirsus, des Stadtgottes der Hauptstadt Girsu. Das vom Vorgänger gegründete Heiligtum war entweder baufällig 48 Freilich war der Verlagerung der Hauptstadt und des Assur-Tempels kein Erfolg beschieden. Schon nach dem Tod des Königs wurde die neue Residenz mitsamt dem neuen Tempel Assurs aufgegeben. 49 Eine kleine Zusammenstellung der vorhellenistischen Beispiele findet sich bei Hurowitz, House, 143–149. Ihm folgt auch D. Lipton, Revisions of the Night. Politics and Promises in the Patriarchal Dreams of Genesis (JSOT.S 288), Sheffield 1999, 86–92, die Gudeas Traum aus dem Tempelbau-Zylinder A für Gen 28 auswertet. 50 Hi 4,12–16; 33,14–16; zu Träumen in mesopotamischen Texten s. A. L. Oppenheim, The Interpretation of Dreams in the Ancient Near East, Philadelphia 1956; A. Zgoll, Traum und Welterleben im antiken Mesopotamien (AOAT 333), Münster 2006; Lanckau, Herr der Träume, 51. 51 Zgoll, Traum, 243–244. 52 Ich folge der Übersetzung von W. Heimpel in: K. Volk (Hg.), Erzählungen aus dem Land Sumer, Wiesbaden 2015, 119–165; vgl. auch die Übersetzung mit kurzen Erläuterungen bei A. Falkenstein/ W. v. Soden, SAHG Nr. 32; und W. H. Ph. Römer, Die Zylinderinschriften von Gudea (AOAT 376), Münster 2010.
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III. Zur Jakobüberlieferung
geworden oder entsprach nicht mehr den Ansprüchen Gudeas, wir wissen es nicht. Jedenfalls erweiterte es der König zu einer sechstufigen Terrassenanlage auf dem alten Grundriss von 60 × 60 m. Zylinder A berichtet vom Bau und wie es zu diesem Bau gekommen ist, Zylinder B handelt dagegen von der Einweihung des Neubaus, verbunden mit zahlreichen Riten. Der Text beginnt in der mythischen Urzeit, „als die Schicksale im Himmel und auf Erden entschieden wurden“. Nach einem kurzen Rückblick auf die Wohltaten für seine Stadt sagt Ningirsu den Bau seines Tempels durch den Stadtfürsten, einen „Menschen mit weitem Verstand“, voraus (I 10–16): 15Der
vom Schicksal bestimmte Ziegel wird vor ihm das Haupt erheben um das reine Haus zu bauen, vor ihm seine Schultern heben.
16und,
Noch am selben Tag teilt ihm der Gott seinen Wunsch in einem Traum mit. Was Gudea träumt, erfahren wir hier noch nicht; wir lesen nur, dass er Ningirsu sah, der ihm vor Augen stellt, „wie groß der Tempel und seine göttlichen Kräfte sind“ (I 17–21). Doch die in Gudeas „Traumgedanken“ begegnenden „Gottesgedanken“ verstehen sich für den König offenbar nicht von selbst; denn er sagt: 25Den
Sinn des mir im nächtlichen Traum Gebrachten verstehe ich nicht.
Der Traum bedarf der Deutung, will sagen: der Vergewisserung. Deshalb bedenkt der König die Sache und beschließt, zur Göttin Nansche, der „Traumdeuterin der Götter“, zu reisen (I 22–IV 6). Ihr schildert er, was er im Traum gesehen hat (IV 14–V 10): Eine Person, iv 15„riesig war sie wie der Himmel, riesig war sie wie die Erde“, ein Mischwesen mit göttlichem Haupt, mit Armen wie die Schwingen des Sturmvogels und mit einem Unterleib wie die Flut, flankiert von Löwen. 20Die Person „redete zu mir über das Bauen eines Hauses. Den Sinn verstand ich nicht.“ Weiter sah er: 22„Eine Sonne ging vor mir am Horizont auf. Es war eine Frau. Wer war sie nicht, wer war sie doch?“ Sie nahm einen silbernen Griffel in die Hand und konsultierte eine Tafel mit den Himmelssternen auf ihren Knieen. Außerdem war noch ein Recke anwesend. Er v 4„war dabei, den Grundriß eines Hauses“ auf eine Schreibtafel aus Lapislazuli zu setzen. Schließlich stand vor Gudea ein v 5„Tragkorb. 6Eine reine Ziegelform war hergerichtet. vom Schicksal bestimmter Ziegel befand sich in der Ziegelform“.
7Ein
Überdies sangen Vögel in einer Pappel, und ein Eselshengst scharrte Seite meines Gebieters den Boden“.
10„an
der rechten
Mögen manche Einzelheiten auch unverständlich sein, so war doch damals jedem bewusst, dass jene merkwürdigen Wesen nur Gottheiten sein konnten. Deutlich war auch, dass der Gewaltige mit Adlerarmen kein anderer als der
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Sturm- und Wettergott Ningirsu selber sein musste. Seine kosmischen Dimensionen – „riesig wie der Himmel“ und „riesig wie die Erde“ – spiegeln sich in der Tempelsymbolik. Dass der Grundriss für ein Haus, den der Recke auf die Tafel aus Lapislazuli setzte, nicht der Planung eines gewöhnlichen Gebäudes, sondern eines Tempels galt, geht schon aus dem Material der Tafel hervor. Schließlich bestimmen Tragkorb und Ziegelform für den rituellen ersten Ziegel den königlichen Träumer unübersehbar zum Bauherrn. Die anschließende Deutung der Einzelheiten des Traums durch die Göttin Nansche (V 1–VI 13) bringt großenteils nur das in Worte, was sich Gudea schon selber sagen konnte. Die Deutung hat also den Charakter einer Vergewisserung des göttlichen Auftrags: Die riesige Person war Ningirsu, der über den Bau seines Tempels redete. v 20„Dein [Schutz-]Gott Ningischzida ging vor dir wie eine Sonne am Horizont auf.“ Die junge Frau mit dem silbernen Griffel war v 25“meine Schwester Nissaba. vi 1Über die reinen Sterne für das Bauen dieses Hauses sprach sie zu dir“. Der Recke mit der Schreibtafel „vi 5war Ninduba. Er war dabei, sie (die Sterne) dem Grundriss des Hauses anzupassen.“ Der Tragkorb mit der Ziegelform enthielt den Gründungsziegel für den Tempel. Das Singen der Vögel zeigt an, dass vi 11„guter Schlaf nicht über dich kommen wird, solange das Haus gebaut wird“. Der Eselshengst „warst du. vi 13Wie ein Fohlen aus bestem Gestüt wirst du für das Haus den Boden scharren.“
Daraufhin berät Nansche den König über Geschenke für die Götter, die er alsbald anfertigt und den im Traum erschienenen Gottheiten darbringt. Mit der Planierung und kultischen Reinigung des Baugrunds bereitet Gudea die Bauarbeiten vor. Vor deren Beginn bringt der König nochmals Opfer dar und bittet Ningirsu um weitere Auskünfte. Die Einleitung stilisiert das Folgende als Inkubation am heiligen Ort. Der Gott erscheint in einem zweiten Traum. Aufschlüsse über Einzelheiten des Baus gibt der Gott freilich nicht, dafür spricht er über sich und seine Stellung unter den Göttern. Als Dank für den Bau des Heiligtums versichert er schließlich den König seiner himmlischen Gaben: Regen, Reichtum und gute Erträge. Vom Traum erwacht, erschrickt Gudea und senkt ehrfürchtig sein Haupt. Eine Leberschau bestätigt, dass der König nun mit dem Bau beginnen kann: xii 12Gudea stand auf. Es war ein tiefer Schlaf. Er war erschrocken. Es war ein Traum. 14Vor den von Ningirsu gesprochenen Worten senkte er das Haupt. 16Indem er ein weißes Böckchen untersuchte, ergriff er ein Vorzeichen, und sein Vorzeichen war gut. 18Die Absicht Ningirsus ging Gudea auf wie die Sonne (XII 12–19).
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III. Zur Jakobüberlieferung
Mit Gen 28 verbindet zunächst das auf den Zweck abgestimmte Traumbild (hier der Auftrag zum Bau des Heiligtums, dort die Entdeckung des heiligen Ortes), sodann die Reaktion des Träumers (Erschrecken und Ehrfurcht), schließlich entspricht dem Bau des Heiligtums durch Gudea die Aufrichtung des Steins zur Mazzebe als Zeichen für Jhwhs Gegenwart an diesem Ort durch Jakob. Diana Lipton geht noch weiter, indem sie Treppe und Mazzebe von Gen 28 mit dem Grundriss und dem Gründungsziegel im Traum Gudeas deutet: The vision of the ladder provides God’s authorization to build a temple, as well as the blueprint for its design, while the pillar is the foundation stone, representing Jacob’s commitment to fulfilling God’s command.53
Dann entspräche die Aufrichtung des Steines und dessen Ölung altorientalischen Ritualen zur Weihe, beispielsweise der Tempeltore.54 Allerdings geht Liptons Beurteilung als „blueprint“ für die Gestalt des Tempels zu weit; denn erst Ex 25,9; Num 8,4 und 1 Chr 28,19 geben ausdrückliche Hinweise auf ein von Gott gezeigtes Modell. Auch geht die Deutung der Mazzebe als „the foundation stone“ nicht aus der Traumerzählung hervor. 3.2 Nachrichten von Tempelbauten Nabonids Von Träumen im Zusammenhang mit Restaurierungen von Tempeln berichten auch einige Inschriften Nabonids (556–539 v. Chr.).55 Es handelt sich zunächst um drei Texte zum Wiederaufbau des Tempels für Sin in Harran. Auf dem Ehulhul-Zylinder56, einer zurückblickenden Sammelinschrift über den Bau verschiedener Heiligtümer in Harran und Sippar, berichtet Nabonid von einem Traum zu Beginn seiner Königsherrschaft: 16Marduk,
der große Herr, und Sin, die Leuchte des Himmels und der Erden, 17traten beide hin, (und) Marduk sprach zu mir: 18Nabunaid, König von Babil, mit deinen Reitpferden 19f bring Ziegel (heran), baue Ehulhul und laß Sin, den großen Herrn, darin seine Wohnung aufschlagen!
Der Traum ist auf das bloße Erscheinen der beiden Götter, auf Marduks Auftrag zum Bau des Tempels für Sin und auf ein Gespräch mit Nabonid reduziert. Der König gibt zu bedenken, dass Sins Heiligtum in Harran in der Hand der Meder sei. Doch Marduk zerstreut Nabonids Bedenken mit der Ankündigung, dass es den Mederhaufen in Harran bald nicht mehr geben werde. Und in der Tat, drei Jahre später hatte Kyros von Anschan die Meder besiegt. Daraufhin macht sich Nabonid sofort ans Werk (Z. 41 ff.). – Der Bauauftrag mit dem Dialog zwischen 53
Lipton, Revisions, 88. Hurowitz, House, 278, weist auf Nabonids Weihe des Ebabbar für Schamasch hin: „… Riegel und Türen ließ ich triefen von Salböl“ (Schaudig, Inschriften, Nr. 2.9 II 13 f.). 55 Übersetzungen bei Schaudig, Inschriften. 56 A. a. O., Nr. 2.12. 54
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König und Marduk findet sich auch auf dem Harran-Zylinder.57 In der jüngsten Version, auf der Harran-Stele58, ist Sin schon zum „Herrn der Götter und Göttinnen“ aufgestiegen. Jetzt ist allein er derjenige, der Nabonid „des Nachts einen Traum sehen“ lässt und ihn auf diese Weise mit dem Wiederaufbau des Tempels beauftragt (I 6–14). Auf einer weiteren Sammelinschrift59 berichtet Nabonid vom Wiederaufbau des verödeten „Eʾulmasch zu Sippar-Anunitu“. Auch hier empfängt er den göttlichen Auftrag „im Traum, des Nachts“. Schließlich gibt Nabonid auf der Babylon-Stele60, die ursprünglich an der Prozessionsstraße vor dem Ischtar-Tor aufgestellt war, einen umfassenden Rückblick von der Zerstörung Babylons durch Sanherib 698 v. Chr. bis zur Wiederherstellung der Tempel für Marduk in Babylon und für Sin in Harran samt deren Götterstatuen. Allerdings verrät keine der Inschriften Nabonids, was der König im Traum sah; sie teilen stets nur den göttlichen Auftrag zum Bau mit. 3.3 Nachrichten aus hellenistischer Zeit Auch in hellenistischer Zeit waren Träume ein beliebtes göttliches Kommunikationsmittel, um die Errichtung eines Heiligtums oder eines Götterbildes zu veranlassen.61 So findet sich in Priene an der Südseite des Turmes neben dem sog. Quellentor über einer heute leeren Kultnische eine Inschrift aus der zweiten Häfte des 4. Jh. v. Chr. Sie berichtet, dass ein gewisser Philios – offenbar während einer Inkubation – einen Traum hatte: Er sah den Naulochos und die gesetzbringenden, ehrwürdigen Herrinnen in weißen Gewändern; in drei Traumgesichten befahlen sie, diesen Heros62 als Schützer der Stadt zu verehren, und zeigten die Stelle an. Deswegen stellte Philios diesen Gott (als Bild) auf.63
Bei den „ehrwürdigen Herrinnen“ handelt es sich um hier nicht namentlich genannte Göttinnen, die an der Mykale nordwestl. von Priene ein Heiligtum hatten.64 Die Inschrift belegt den selten dokumentierten Fall, dass die Himmlischen nicht nur den Wunsch nach einem Heiligtum äußern, sondern darüber 57
A. a. O., Nr. 2.19. A. a. O., Nr. 3.1. 59 A. a. O., Nr. 2.14. 60 A. a. O., Nr. 3.3. 61 Die Kenntnis dieser Texte aus der Zeit zwischen 350 und 250 v. Chr., verbunden mit wertvollen Hinweisen, verdanke ich Herrn Kollegen Hans-Ulrich Wiemer (Erlangen). 62 „Heros“ ist hier gleichbedeutend mit „Gott“ (vgl. letzte Zeile) und bezieht sich auf Naulochos. 63 Text, Übersetzung und Kommentar in: W. Blümel/R . Merkelbach (Hg.), Die Inschriften von Priene (Inschriften griechischer Städte aus Kleinasien 69), Bonn 2014, Nr. 195. Der Gott Naulochos („Schützer des Ankerplatzes“) begegnet auch anderwärts (s. Komm.). 64 Blümel verweist dafür auf Herodot 9,97. Vielleicht waren Demeter und Kore gemeint. 58
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hinaus auch den Ort dafür bestimmen. Leider erfahren wir nur, dass das in mehreren Traumgesichten geschah, nicht aber was der Träumer sah. Auch eine Weihinschrift aus dem Demeter-Heiligtum auf Knidos um 350 v. Chr. führt den Bau eines Heiligtums mit einem Kultbild auf eine nächtliche Erscheinung zurück.65 Sie berichtet davon, dass eine gewisse Chrysina für Kura und Damater ein Haus und ein Standbild aufstellte, nachdem sie in der Nacht eine göttliche Erscheinung gesehen hatte: Hermes nämlich sagte, dass sie den Göttinnen in Tathne als Priesterin dienen soll.
Mit den eingangs genannten Göttinnen sind Demeter und Kore gemeint. Aufschlussreich ist ein Brief aus den Zenon-Papyri.66 Zoilos, ein Diener des Sarapis, schreibt 258/257 v. Chr. an den ägyptischen Finanzminister Apollonios: Es widerfuhr mir, als ich vor Sarapis gottesdienstlich für Deine Gesundheit eintrat und für Deinen Erfolg beim König Ptolemaios, daß der Sarapis mich mehrfach im Schlafe anwies, ich solle zu Dir hinüberfahren und [Dir] ku[ndtun dies]e Weisung: es müsse i[hm von Dir ein Sarapistempel] errichtet werden und ein heiliger Hain im Hellenenviertel beim Hafen, auch müsse ein P[riester] darüber amtieren u[nd] auf dem Altar für Euch opfern.
Es folgt die Schilderung von allerlei Schwierigkeiten: Zoilos will zunächst von der Aufgabe entbunden werden; daraufhin erkrankt er schwer – ein deutlicher Wink des Gottes. Während Zoilos krank darniederliegt, erscheint plötzlich ein Nobody aus Knidos, um Sarapis ein Heiligtum zu bauen. Da greift der Gott wieder ein und untersagt ihm das. Offenbar will Sarapis sein Heiligtum nur von dem prominenten und viel mächtigeren Apollonios erbaut haben. Zoilos macht sich endlich auf die Reise nach Alexandria. Dort angekommen, zögert er aber, den großen Apollonios mit dieser Angelegenheit zu behelligen. Doch Sarapis gibt Zoilos mit einem Rückfall in seine Krankheit deutlich zu verstehen, was er von diesem Verhalten hält. Zoilos setzt schließlich sein Schreiben auf. Es endet mit dem durch die eigene Erkrankung nur umso dringlicher gemachten Rat: Es wäre nun gut, Apollonios, wenn Du den Befehlen vom Gotte nachkommen wolltest, auf daß der Sarapis Dir wohlgeneigt sei und Dich noch viel größer beim König mache und noch berühmter, nicht zu vergessen Deines Leibes Gesundheit. So erschrick denn nicht über die Ausgabe, weil sie Dich viel kosten werde. Vielmehr soll sie Dir von ganz beträchtlichem Nutzen sein; denn ich für meine Person werde bei alledem mitamtieren …67 65 Text bei: W. Blümel (Hg.), Die Inschriften von Knidos (Inschriften griechischer Städte aus Kleinasien 41), Bonn 1992, Nr. 131. 66 Text, Übersetzung und Kommentar bei: A. Deissmann, Licht vom Osten. Das Neue Testament und die neuentdeckten Texte der hellenistisch-römischen Welt, Tübingen 31923, 121–128. 67 Deissmann (Licht, 123 Anm. 1) weist darauf hin, dass Zoilos den Tempelbau nicht als eine profane Arbeit, sondern als „heilige Liturgie“ auffasst.
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Auch hier teilt also die Gottheit ihren Wunsch nach einem offiziellen Tempel mit Kulthain und einem ordentlich bestellten Priester in mehrfachen Träumen („im Schlafe“) mit und nennt darüber hinaus sogar den Ort für das künftige Heiligtum, für das natürlich nur die beste Lage in Frage kommt: „am Hafen“. Als letztes Beispiel sei die Sarapisaretalogie genannt, die Ende des 3. Jh. v. Chr. auf einer Säule vor dem bescheidenen Sarapistempel in Delos stand.68 Der Aretalogie ist ein Prosabericht vorangestellt, der erzählt, wie es zu dem Sarapistempel in Delos gekommen ist. Der ägyptische Priester Apollonios, der Großvater des Erbauers, war aus Memphis ausgewandert und hatte eine kleine Statue seines Gottes Sarapis aus der Heimat mitgebracht, die er in seiner Mietswohnung in Delos aufstellte. Allmählich sammelte zunächst er, dann sein Sohn Demetrius, der ihm als Priester gefolgt war, eine kleine Schar von Verehrern des Sarapis in der angemieteten Wohnung. Inzwischen hatte der Enkel, Apollonios jun., das Priesteramt übernommen. Die Wohnung war für die Menge der Verehrer längst zu klein geworden, da (so berichtet der Enkel) (14) offenbarte mir der Gott im Schlaf, dass ein ihm gehörendes Sarapeion (15) geweiht werden müsse und nicht mehr (16) gemietet werden solle wie früher. Er selbst werde den Ort finden, (17) an dem es gebaut werden solle, und den Ort bezeichnen, (18) was auch geschah.
Zwar erwies sich der vom Gott gewiesene Ort als ein Schuttplatz, aber er war gerade auf der Agora zum Verkauf ausgeschrieben und konnte deshalb auch erworben werden: (21) Weil der Gott es wollte, wurde der Kauf ausgeführt (22) und das Heiligtum ohne weiteres (23) in 6 Monaten gebaut.
So hatte Sarapis alles wohl gefügt. Des Gottes Hilfe war freilich auch weiterhin erforderlich; denn eine Gruppe von Feinden reichte eine Klage gegen Apollonios und den Tempel ein. Wahrscheinlich stieß der neue Kult bei den alteingesessenen Anhängern Apollos in Delos auf Widerstand. Aber Sarapis ließ die Seinen nicht im Stich: (25) Gott versprach mir im Schlaf, dass wir siegen werden.
Der Prozess ging denn auch zu Gunsten der Beklagten aus, so dass die Erzählung mit Preis und Dank endet und von einem anderen Verfasser mit einer kunstvollen Aretalogie der Taten des Gottes in Versen gekrönt wird, die freilich hinsichtlich der Umstände des Tempelbaus keine neuen Informationen mitteilt. In stärkerem Maße als in den Beispielen zuvor erscheinen hier alle Belange der Verehrung des Sarapis von der Gottheit selbst auf wunderbare Weise gelenkt und gefügt: Der Gott teilt nicht nur seinen Wunsch nach einem offiziellen Hei68 Griech.
Text und Kommentar bei H. Engelmann, Die Delische Sarapisaretalogie herausgegeben und erklärt (BKP 15), Meisenheim 1964.
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III. Zur Jakobüberlieferung
ligtum an prominenter Stelle mit, er bezeichnet auch den Platz, indem er ein zum Verkauf stehendes Grundstück finden lässt, auf dem der Bau in erstaunlich kurzer Zeit vollendet werden kann, und er setzt seinen Willen gegen alle Widerstände durch. Natürlich ist es am Ende Apollonios, der ins Werk setzen muss, was Sarapis ihn im Traum zu tun heißt. Aber was er tut, ist – weil von Sarapis angewiesen und gefügt – wohlgetan.
4. Zur historischen Einordnung der Traumerzählung in Gen 28 In allen Fällen von Gudea bis zu den Beispielen aus hellenistischer Zeit haben die göttlichen Traumoffenbarungen auch die Funktion, die Heiligtümer zu legitimieren. Ihr Ort (und ihre Gestalt) entsprechen dem Willen der hier verehrten Gottheit. Leider erfahren wir meist nicht, was der Schläfer träumte. Das hängt sicher auch mit der Gattung der Texte zusammen; denn allermeist handelt es sich um Inschriften, die am Ergebnis orientiert sind und deshalb nur den Bau und seine göttliche Veranlassung im Traum mitteilen. Diese Texte verstärken die Deutung der Erzählung von Jakobs Traum in Gen 28 als einer Ätiologie des Jhwh-Heiligtums zu Betel. Jhwh selbst, der Staatsgott des Nordreichs Israel, hat im Traum dem Ahn den Ort bezeichnet, an dem er auf Erden für ihn und seine Nachkommen fortan gegenwärtig sein will. Solenner als durch den Staatsgott und durch den Ahnvater lässt sich das „Reichsheiligtum“ (Am 7,13) nicht legitimieren. Es kann deshalb kaum verwundern, dass man lange Zeit annahm, die literarische Gestalt dieser Gründungserzählung stamme aus der Königszeit, vielleicht sogar aus „vorprophetischer Zeit“69, in jedem Fall noch vor dem Ende des Nordreichs durch die assyrische Eroberung70, spätestens aber aus dem ausgehenden 8. oder frühen 7. Jh. v. Chr.71 Zuweilen rechnete man dabei aufgrund des mit El gebildeten Ortsnamens und der Mazzebe, die in der Erzählung eine zentrale Rolle spielt, mit der Aufnahme wenigstens einer älteren „Orts- bzw. Tempeltradition“72, wenn nicht mit einer „Heiligtumsätiologie“ aus vor-israelitischer und vor-jahwistischer73, ja sogar aus „vorkanaanäisch(er)“74 Zeit. 69 H. Gunkel,
Genesis übersetzt und erklärt (HK 1/1), Göttingen 91977, 321. So z. B. Blum, Komposition, 178–181; K. Koenen, Bethel. Geschichte, Kult und Theologie (OBO 192), Freibourg/Göttingen 2003, 166–167, und viele andere. 71 Koch, Wohnstatt, 67–68. 72 A. a. O. 67. 73 C. Westermann, Genesis. 2. Teilband: Genesis 12–36 (BK I/2), Neukirchen-Vluyn 1981, 552. 74 A. Graupner, Der Elohist. Gegenwart und Wirksamkeit des transzendenten Gottes in der Geschichte (WMANT 97), Neukirchen-Vluyn 2002, 237; Maag hat hinter ihr sogar eine vor-kanaanäische „Gigantenerzählung“ entdeckt (Hieros Logos, 35). 70
12. Gen 28 im Licht altorientalischer Tempeltheologie
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Dabei ist es freilich nicht geblieben. Inzwischen sehen manche die BetelErzählung „in der Nachbarschaft der frühen dtr. Literatur“; sie sei als „theologischer Reflexionstext aus frühexilischer Zeit … unter dem Eindruck der prophetischen Auseinandersetzung mit Bet-El“, gleichsam als ihr positiver Kontratext formuliert worden, der als „dezidierte Reaktion auf Am 5,5“ verstanden werden müsse.75 Andere verstehen Gen 28 aus einer vorausgesetzten Konkurrenz zwischen Betel und Jerusalem in frühnachexilischer Zeit: Israels Gott habe nicht Jerusalem, sondern Betel „zu seinem ‚Haus‘ erwählt“.76 Die eine wie die andere Spätansetzung der Betel-Erzählung setzt voraus, dass das Heiligtum vor allem nach 586 eine große Bedeutung hatte. Diese Voraussetzung entspricht jedoch weder den Texten, noch dem archäologischen Befund; denn Betel war offensichtlich nur im 8. Jh. v. Chr. ein prosperierender Ort.77 Der von Knauf behauptete Aufstieg Betels zum kulturellen und kultischen Zentrum nach 586 kann archäologisch nicht gestützt werden.78 Derartige Aktivitäten hätten Spuren in der Keramik und Besiedlung hinterlassen müssen, die aber fehlen für die neubabylonische Zeit. Blenkinsopps Lösung, das Heiligtum außerhalb des Ortes östlich in burg betin zu lokalisieren, scheitert ebenfalls am archäologischen Befund.79 Lässt man die spekulativen Vermutungen zu einer möglichen vorisraelitischen Vorgeschichte Betels beiseite, spricht m. E. auch heute noch viel für eine Ansetzung des Grundbestands in die Königszeit; denn warum und zu welchem Zweck sollte man so massiv die Gegenwart Jhwhs ausgerechnet in Betel propagieren, nachdem das Nordreich samt seinem Staatsheiligtum untergegangen und der Tempel auf dem Zion zum dominanten Jhwh-Heiligtum aufgestiegen war? Lassen sich aus dem Traumbild Argumente zur Datierung gewinnen? Derartige Versuche haben jüngst Israel Finkelstein und Thomas Römer, andrerseits Nadav Naʾaman unternommen.80 Finkelstein und Römer finden im Traumbild die Vorstellung eines himmlischen Hofstaates81 und das ikonographische 75 So M. Köhlmoos, Bet-El – Erinnerungen an eine Stadt. Perspektiven der atl. Bet-ElÜberlieferung (FAT 49), Tübingen 2006, die Zitate finden sich auf S. 241, 247 und 314. 76 So U. Becker, Jakob in Bet-El und Sichem, in: A. C. Hagedorn/H. Pfeiffer (Hg.), Die Erzväter in der biblischen Tradition, FS M. Köckert (BZAW 400), Berlin 2009, 159–185, hier 181, vgl. die zeitliche Einordnung S. 168–169. 77 I. Finkelstein/L . Singer-Avitz, Reevaluating Bethel, ZDPV 125 (2009) 33–48, hier 45: „The only possible period for the supposed strong scribal activity at Bethel is the Iron Age IIB, in the 8th century B. C.E., probably before the fall of the Northern Kingdom.“ Das passt durchaus zu den Erwähnungen Betels in Am und Hos. 78 E. A. Knauf, Bethel. The Israelite Impact on Judean Language and Literatur, in: O. Lipschits/M. Oeming (Hg.), Judah and the Judeans in the Persian Period, Winona Lake 2006, 291–349, hier 319. 79 Finkelstein/Singer-Avitz, Reevaluating, 43 Anm. 122 zu: J. Blenkinsopp, Bethel in the Neo-Babylonian Period, in: O. Lipschits/J. Blenkinsopp (Hg.), Judah and the Judeans in the Neo-Babylonian Period, Winona Lake 2003, 93–107. 80 Finkelstein/R ömer, Comments, 323. 81 Vgl. Dtn 32,8 in der ursprünglichen Lesart, die in LXX und in Qumran erhalten geblieben ist.
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III. Zur Jakobüberlieferung
Konzept der Einführungsszenen: Das Tor des Himmels und die Treppe in den Himmel setzen einen unsichtbar im Himmel thronenden El voraus, während der persönliche Gott Jhwh neben Jakob ( )עליוstehe, um ihn vor El zu führen. Die göttliche Assistenz werde durch die Beistandszusage „Ich bin mit dir“ im Munde Jhwhs ausgedrückt, die ihr nächstes Seitenstück in den neuassyrischen Orakeln Ischtars von Arbela an Assurbanipal habe. Leider beruht diese ikonographische Deutung des Traumbildes auf Daten, die erst in den Text hineingelesen werden müssen. Dass die Treppe zu einem unsichtbar im Himmel thronenden El führe, verdankt sich der Kombination von Gen 28 mit Vorstellungen, die zwar anderwärts bekannt sind, in Jakobs Traum aber fehlen. Für die Konstellation Jhwh – El kann man allenfalls auf Jakobs Benennung des Ortes als Bet-El verweisen, an dem ihm Jhwh erschienen ist. Doch erklärt sich die Namengebung viel einfacher dadurch, dass dem Erzähler der ältere Ortsname vorgegebenen war. Ein Hinweis darauf, dass Jhwh den Träumer zu El führe, sucht man in der Traumerzählung vergebens. Außerdem legt das Textgefälle gerade nicht nahe, עליוin v. 13 auf Jakob zu beziehen82 und so Jhwh neben den Träumer zu plazieren. Vielmehr wird Jhwh über/auf der Treppe vorgestellt.83 Damit entfallen alle für eine Einführungsszene notwendigen Voraussetzungen. Umgekehrt hat zuletzt Naʾaman gerade mit dem Traumbild eine Spätansetzung von Gen 28 ins 6. Jh. v. Chr. begründen wollen.84 Er verweist auf die von Hurowitz in die Diskussion gebrachten Texte, die oben zur kosmischen Dimension eines Heiligtums und zur „Himmelstreppe“ vorgestellt worden sind. Besonders wichtig für seine Deutung ist eine Passage auf dem schon erwähnten Imgur-Enlil-Zylinder.85 Naʾaman behauptet, das Traumbild der Betel-Erzählung sei speziell von diesem neubabylonischen Text beeinflusst worden; deshalb könne die Traumerzählung nicht älter sein. Sie stamme aus Betel, das im 6. Jh. v. Chr. auf „a kind of temple-city“ geschrumpft sei.86 Der herangezogene neubabylonische Text ist jedoch weder der einzige noch der älteste, in dem die kosmische Achse mythisch aufgeladen wird. Hurowitz verweist dazu auch auf Enuma elisch, V 119–130. Er sieht starke Berührungen mit Gen 28,12: Auch hier finde sich ein gleichzeitiges Hinauf- und Herabsteigen, auch hier werde das Hinaufsteigen vor dem Herabsteigen genannt. Außerdem gebe Marduk dem Heiligtum in Z. 129 einen Namen, dem die Deutung des Traumbildes durch Jakob in 28,17 entspricht („Das ist nichts anderes als Gottes 82
Zur Diskussion s. Köckert, Was träumte. Vgl. die Diskussion a. a. O., 2.1 (1). 84 Naʾaman, Jacob Story, 100–101. 85 S. o. 2. (1) und (2). 86 Naʾaman, Jacob Story, 101. Gegen Naʾamans These und deren neuerliche Verteidigung (Ders., Does Archaeology really deserve the status of a ‚High Court‘ in Biblical historical research, OTS 59 [2010] 165–183) s. I. Finkelstein, Archaeology as a High Court in Ancient Israelite History: A Replay to Nadav Naʾaman, JHS 10 (2010) 1–9. 83
12. Gen 28 im Licht altorientalischer Tempeltheologie
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Haus“) und die in der Benennung der Stätte mit „Bet-El“ in 28,19 aufgenommen wird. Freilich ist die Bezeichnung „Haus des Gottes N. N.“ eine in den Texten des alten Mesopotamien durchaus übliche Bezeichnung für einen Tempel.87 Hurowitz übersieht außerdem, dass sich die kosmologischen Konzepte beider Texte tiefgreifend unterscheiden: In Betel fehlt die Dimension der Unterwelt (apsu) wie auch die Vorstellung des irdischen Tempels als Ruhe- und Versammlungsortes für die Götter. Auch entspricht das Hinaufsteigen aus dem Apsu unter der Erde und das Herabsteigen vom Himmel über der Erde keineswegs der gleichzeitigen Bewegung der Engel zwischen Erde und Himmel. Schließlich trifft die Behauptung nicht zu, außerhalb mythologischer Texte werde allein Babylon „Tor des Himmels“ genannt, während Vorstellung und Bezeichnung einer Stadt als „Band von Himmel und Erde“ o. ä. für Nippur, Babylon und Assur begegnen. Christoph Koch zitiert ein neuassyrisches Preislied auf Arbela, in dem der Ort als „erhabene Kultstätte, Hochsitz der Schicksalsbestimmungen, Tor des Himmels“ besungen wird.88 Die weiteren angeblichen Analogien beruhen auf punktuellen Assoziationen ohne inhaltliche Bezüge.89 Hurowitz schließt aus dem Imgur-Enlil-Zylinder und aus Enuma elisch, Gen 28,10–22 enthalte kaum ein Detail „without some prominent linguistic or thematic parallel to Babylon in general and the myth of its primeval foundation in particular“.90 Davon kann freilich nicht ohne weiteres die Rede sein, man müsste denn eine tiefgreifende Umarbeitung der übernommenen babylonischen Motive in Betel annehmen, die jene behauptete Analogie geradezu unkenntlich gemacht hat. Auf diese Weise ist jedoch eine Analogie nicht mehr beweisbar. Zweifellos sind in die Traumschilderung von Gen 28 Motive mesopotamischer Tempeltheologie eingegangen, auch mag in Gen 28 Betel als Spiegelbild Babylons gezeichnet sein. Doch folgt daraus nicht ohne weiteres eine Datierung von Gen 28 erst ins 6. Jh. v. Chr.; denn Enuma elisch wurde wohl schon am Ende des 2. Jahrtausends zusammengestellt.91 Hurowitz rechnet denn auch mit der Möglichkeit eines kulturellen Einflusses spezifisch babylonischer Motive seit der Zeit Nebukadnezzars I. (1125–1104 v. Chr.) Dann wäre – selbst wenn man die von Hurowitz und Naʾaman angenommenen Berührungen als zutreffend voraussetzt – eine Datierung der Traumerzählung ins 8. Jh. v. Chr. durchaus denkbar. Deren Ansetzung in neuassyrische Zeit hat jüngst Christoph Koch mit dem Nachweis der Verbreitung der babylonischen kosmologischen Vorstellungen und Heiligtumskonzeption im 1. Jahrtausend v. Chr. gestützt. Er verweist 87
Maul, Haus, 311 f. Koch, Wohnstatt, 78, aus: K. Hecker, TUAT II, Gütersloh 1991, 769. 89 So sei das Verb „ ליןübernachten“ (Gen 28,11) das Äquivalent zur akkad. Wurzel batu, die in mubattu „Nachtlager“ (En. el. V 128) steckt. Noch weniger überzeugt die angebliche Analogie zwischen akkad. aschruschschu/aschrata und dem Leitwort מקוםin Gen 28,11.16.17.19. 90 Hurowitz, Babylon, 443. 91 W. G. Lambert in: TUAT III, Gütersloh 1997, 565. Die ältesten Fragmente werden paläographisch zwischen 1100 und 700 v. Chr. datiert. 88
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III. Zur Jakobüberlieferung
auf die assyrische Rezension des Enuma elisch, in der die kosmologischen Vorstellungen von Babylon auf Assur übertragen werden, und auf die Bezeichnung Arbelas als „Tor des Himmels“.92 Die Verbreitung derartiger Vorstellungen wurde zweifellos auch dadurch gefördert, dass Enuma elisch in den Schreiberschulen prominent war. Es spricht also manches dafür, dass babylonische Mythologeme nicht erst in neubabylonischer Zeit nach Westen gelangt sind. Gegen eine Ansetzung der Traumerzählung als Ätiologie des Jhwh-Heiligtums von Betel im 8./7. Jh. v. Chr. kann man schwerlich die Archäologie ins Feld führen, die bislang keine Hinweise auf einen Tempel zu Tage gefördert hat. Zwar konnte bisher nur ein wenn auch durchaus repräsentativer Teil des Ortes93 erforscht werden, doch wird man bei seiner Bedeutung in der Königszeit die Existenz eines Heiligtums voraussetzen dürfen. Dafür sprechen nicht zuletzt Texte wie Am 4,4; 5,4; Hos 8,4–6*; 10,5–7*, unabhängig davon, ob sie noch im 8. oder erst im 7. Jh. v. Chr. entstanden sind. Auf das noch unzerstörte „Staatsheiligtum“ des Nordreichs bezieht sich auch Am 9,1.94
92
Koch, Wohnstatt, 78–79. Finkelstein/Singer-Avitz, Bethel, 44–45. 94 J. Jeremias, Das unzugängliche Heiligtum. Zur letzten Vision des Amos (Am 9,1–4), in: Ders., Hosea und Amos. Studien zu den Anfängen des Dodekapropheton (FAT 13), Tübingen 1996, 244–256. 93
13. Die Rückverweise auf Gen 28,10–22 innerhalb der Jakobüberlieferung und in Hos 12 „Deuteronomistisch“ redigierte Literatur der Bibel gehört zu den Feldern, die Hermann-Josef Stipp seit Jahren mit Scharfsinn und methodischer Sorgfalt bearbeitet. Nun haben Deuteronomisten in der Bibel zahlreiche Spuren hinterlassen, doch lag das Buch Genesis ihnen nicht sonderlich am Herzen. Zwar stößt man in der Abraham-Überlieferung auf einige Passagen, die dtr. Formulierungen und derartig geprägte Texte kennen, für die aber das Label „dtr.“ ein Etikettenschwindel wäre, weil an ihrer Wiege auch noch andere Paten gestanden haben.1 Manche – wie Gen 24 – sind vom typisch dtr. Idiom nur sporadisch infiziert, andere – wie 18,17–19 – kombinieren zu viele Versatzstücke typischer Konzeptionen aus dem dtr. Fundus und wecken dadurch eher exegetisches Misstrauen. Noch geringer sind die Spuren in der Jakobüberlieferung. Überhaupt haben sich Deuteronomisten nicht gerade als Erzähler hervorgetan, sieht man einmal vom Jeremiabuch2 ab. Auch größere programmatische Texte, wie sie etwa im dtr. Geschichtswerk die Wendepunkte der Geschichte markieren, fehlen in der Genesis. Von einer dtr. Redaktion dieses Buches kann jedenfalls nicht die Rede sein. Indes gehören gerade Quer- und Rückverweise zu den literarischen Mitteln, mit denen Überlieferungen zu größeren Kompositionen verbunden werden. Hier könnte man vielleicht auch „Deuteronomistisches“ finden. Derartige ausdrückliche Verweise fehlen im Abrahamzyklus, begegnen aber in der Jakobüberlieferung und beziehen sich dort in der Hauptsache auf Gen 28. Sie verdienen auch deshalb unsere Aufmerksamkeit, weil man mit ihrer Hilfe versucht, die literarischen Verhältnisse innerhalb der Betel-Erzählung gewissermaßen von außen zu klären. Auf diese Weise hofft man, überzeugendere Ergebnisse zu 1 Man denke an Gen 15; 18,17–33; 22,15–18; 26,3b–5.24b oder Gen 24. E. Blum hatte diese Texte einst seiner D-Komposition zugeschrieben, hält sie aber inzwischen nur noch für punktuelle Einschreibungen; vgl. dazu K. Schmid, Erzväter und Exodus (WMANT 81), Neukirchen-Vluyn 1999, bes. 172–186; E. Blum, Die literarische Verbindung von Erzväter und Exodus. Ein Gespräch mit neueren Endredaktionshypothesen, in: J. C. Gertz u. a. (Hg.), Abschied vom Jahwisten (BZAW 315), Berlin 2002, 119–156; M. Köckert, Gen 15: Vom „Urgestein“ der Väterüberlieferung zum „theologischen Programmtext“ der späten Perserzeit, ZAW 125 (2013) 25–48. [In diesem Bd. Nr. 4] 2 S. etwa Jer 26; 36; 45 und dazu H.‑J. Stipp, Probleme des redaktionsgeschichtlichen Modells der Entstehung des Jeremiabuches, in: W. Gross (Hg.), Jeremia und die „deuteronomistische Bewegung“ (BBB 98), Weinheim 1995, 225–262.
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III. Zur Jakobüberlieferung
erzielen und dabei auch die Ursprünglichkeit einer Gottesrede in der Betel-Erzählung erweisen zu können.3 Bei diesem Verfahren stößt man jedoch auf mehrere Probleme; denn die Art der Verweise hängt immer auch von den Absichten ab, die ihre Verfasser damit verfolgt haben. Deshalb kann man aus dem, was im Verweis ungenannt bleibt, nicht ohne weitere Klärungen schließen, es sei dem Verfasser unbekannt gewesen. Vor allem aber müssen in jedem einzelnen Fall die literarischen Verhältnisse geklärt sein. Das gilt zuerst für den Text, auf den sich die Verweise beziehen.
1. Jakob in Betel (Gen 28,10–22) Nach der überzeugenden Analyse von Erhard Blum können wir uns kurz fassen. Die Erzählung von Jakob in Betel ist in drei Schritten entstanden. 1.1 Die Traumerzählung Sie umfasste aus dem gegenwärtigen Textbestand nur die Verse 11–13a*.16–19a, aber weder die Selbstvorstellung Jhwhs mit der verheißenden Gottesrede noch das Gelübde enthielt.4 Ihr ursprünglicher Anfang ist verloren, weil er bei der Einbindung der Erzählung in den gegenwärtigen Kontext durch V. 10 ersetzt wurde.5 Die Erzählung zielt noch nicht wie die Gottesrede auf das Geschick Jakobs und der Seinen, sondern allein auf die Begründung des Jhwh-Heiligtums in Betel mit der Entdeckung der Gegenwart Jhwhs an diesem heiligen Ort durch den Ahnvater Israels: 3 J. Van Seters hat mit 31,13 und 35,3 die Zugehörigkeit von Gottesrede und Gelübde zur Traumerzählung erweisen wollen (Prologue to History. The Yahwist as Historian in Genesis, Louisville/K ent. 1992, 302; ders., Divine Encounter at Bethel [Gen 28,10–22] in Recent Literary-Critical Study of Genesis, ZAW 110 [1998], 503–513, bes. 507, 512); D. Carr ist ihm lediglich bei 35,3 gefolgt und hat auf Hos 12 verwiesen (Genesis 28,10–22 and TransmissionHistorical Method: A Reply to John Van Seters, ZAW 111 [1999], 398–403, bes. 401). Diesem Text hat vor allem E. Blum intensive Beachtung geschenkt: Hosea 12 und die Pentateuchüberlieferungen, in: A. Hagedorn/H. Pfeiffer (Hg.), Die Erzväter in der biblischen Tradition, FS Matthias Köckert (BZAW 400), Berlin 2009, 291–322. 4 So das überzeugende Ergebnis der eingehenden Analyse von Gen 28,10–22 von E. Blum (Die Komposition der Vätergeschichte [WMANT 57], Neukirchen-Vluyn 1984, 7–35). Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den seitherigen Modifikationen bei M. Köckert, Was träumte Jakob in Gen 28? Möglichkeiten und Grenzen historischer Exegese, in: J. J. Krause/ K. Weingart (Hg.), Exegetik des Alten Testaments. Bausteine für eine Theorie der Exegese (FAT II), Tübingen 2021, 91–108 [in diesem Bd. Nr. 11]. 5 Man sehe nur die Rücksicht, die V. 10 auf den Aufenthalt der Familie Jakobs in Beerscheba (26,23–33) und auf Jakobs Reiseziel Harran (27,43) nimmt, das sich nicht mit dem „Land der Ostleute“ (29,1) und erst recht nicht mit Paddan Aram (28,2.6) verträgt.
13. Die Rückverweise auf Gen 28,10–22
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10Jakob
… [hütete Schafe,]6 stieß (er) auf eine Stätte und übernachtete dort; denn die Sonne war untergegangen. Er nahm einen von den Steinen der Stätte, setzte ihn an sein Kopfende und legte sich an jener Stätte schlafen. 11(da)
12Er träumte: Siehe, eine Treppe ( )סלםwar auf die Erde gestellt und rührte oben an den Himmel; und siehe, die Engel Gottes ( )מלכי אלהיםstiegen auf ihr hinauf und hernieder; 13und siehe da, Jhwh stand darüber. 16Da erwachte Jakob von seinem Schlaf und sagte: Wahrhaftig, Jhwh ist an dieser Stätte, und ich, ich wusste es nicht. 17Furcht überkam ihn und er sagte: Wie furchtbar ist doch diese Stätte. Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist das Tor des Himmels. 18Früh am Morgen stand Jakob auf, nahm den Stein, den er an sein Kopfende gesetzt hatte, richtete ihn als Mazzebe auf und goss Öl über seine Spitze. 19aEr nannte jene Stätte Bet-El.7
Mit dem Namen, den der Ahn dem Ort der Gegenwart Gottes gibt, findet die Erzählung ihren organischen Abschluss. Es handelt sich ursprünglich um eine Einzelerzählung, die einst für sich überliefert worden ist. In dieser Gestalt wäre sie wohl mit dem Ende des Heiligtums in Betel früher oder später in Vergessenheit geraten. Sie überlebte, weil man sie als literarisches Gelenkstück in die mehrere Kompositionen umfassende Jakoberzählung eingefügt hat. 1.2 Das Gelübde (V. 20–22) Das Gelübde spielt eine entscheidende Rolle, das unmittelbar an die Erzählung angeschlossen wurde. Es verklammert die Jakob-Laban-Erzählung mit der von Jakob und Esau und macht aus der älteren Überlieferung von der Entdeckung 6 Um sich vorzustellen, wie die ursprüngliche Erzählung vor ihrer Einbindung in den Kontext angefangen haben könnte, ersetze man (mit Blum, Komposition, 26 Anm. 77) probeweise V. 10 durch Ex 3,1a1: ... ויפגע במקום וילן שם11 )יעקב (היה רעה את הצאן10. 7 Die „historisierende Notiz“ V. 19b kann nicht von derselben Hand wie die Traumerzählung stammen; denn in ihr ist die Stätte der Gottesbegegnung noch unbesiedelt (s. auch C. Levin, Der Jahwist [FRLANT 157], 220) und namenlos; sie setzt offensichtlich eine bereits bestehende Ortslage voraus, wie sie in 35,6a (P) genannt wird, und gleicht damit aus. Sie dürfte also erst nach-priesterlich sein.
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III. Zur Jakobüberlieferung
des heiligen Ortes eine Episode unterwegs auf der Flucht Jakobs vor seinem Bruder (27,41–45) ins „Land der Ostleute“ (29,1) zu seinen Verwandten: 20Jakob
legte folgendes Gelübde ab ()וידר יעקב נדר: Wenn Gott mit mir ist ()אם יהיה אלהים עמדי und mich behütet auf dem Weg, den ich jetzt gehe, und wenn er mir Brot zu essen und Kleidung anzuziehen gibt, 21dass ich wohlbehalten zu meines Vaters Haus ( )בית אביzurückkehre ()שוב, dann soll Jhwh mir Gott sein ()והיה יהוה לי לאלהים. 22Dieser Stein aber, den ich als Mazzebe gesetzt habe ()שים, soll ein Haus Gottes werden, und von allem, was du mir geben wirst, will ich dir gewiss den zehnten Teil geben.
Das Gelübde gibt sich mehrfach als jüngere Zutat zu erkennen. Es fällt aus dem Netzwerk der Leitwörter weitgehend heraus, die 28,10–19a verbinden. Einzig V. 22 nimmt mit „dieser Stein, den ich als Mazzebe gesetzt habe“ V. 18 und mit „Gottes Haus“ V. 17 auf, verschiebt jedoch die Pointe: In der Erzählung richtet Jakob am Morgen den Stein als Symbol für Gottes Anwesenheit an dieser Stätte auf und zeichnet ihn mit Öl kultisch aus. Im Gelübde dagegen soll dieser Stein erst werden, was die heilige Stätte in der Erzählung bereits ist (V. 17.18): Gottes Haus.8 Aus dem Symbol für Gottes Anwesenheit wird ein Tempel. Diese Verschiebung lässt sich nur erklären, wenn man das Gelübde einer jüngeren Hand zuschreibt als die Traumerzählung. Während diese allein und für sich überliefert wurde, thematisiert das Gelübde in der Protasis V. 20–21a Gottes Führung, die im Kontext realisiert wird (s. nur 31,13.24). Die Bedingungen des Gelübdes nehmen also den Fortgang der Jakoberzählung insgesamt in den Blick, greifen aber mit Gottes Versorgung (Brot und Kleidung) und mit seinem Schutz „auf diesem Weg, den ich (gerade) gehe“, Jakobs konkrete Lage auf. Da „Vaterhaus“ die väterliche Großfamilie9 bezeichnet, hat V. 21a mit der „wohlbehaltenen Rückkehr ins Vaterhaus“ auch die friedliche Begegnung mit Esau (Gen 32–33) im Blick. 1.3 Anspielung auf die Bundesformel (V. 21b) Innerhalb des Gelübdes irritiert V. 21b mit seiner Anspielung auf die Bundesformel. Sie nötigt dazu, nicht erst in mit V. 22, sondern schon hier die Apodosis 8 Blum selbst weist auf die Differenz hin (Komposition, 19). M. Köhlmoos, Bet-El – Erinnerungen an eine Stadt (FAT 49), Tübingen 2006, 235, hält aus diesem Grund V. 22 für einen Zusatz, ohne freilich überzeugende Gründe innerhalb von V. 20–22 zu nennen. Der unvermittelte Wechsel in die Anrede an Jhwh betrifft lediglich V. 22b und ist in Gelübden durchaus geläufig (Ri 11,30–31; 1 Sam 1,11) worauf schon E. Otto, Jakob in Bethel, ZAW 88 (1976) 170 Anm. 19, hingewiesen hat. 9 Vgl. Gen 7,1; Ex 12,3–4; Dtn 14,26; 15,20; Jos 2,12; 7,14; 24,15 u. ö.; dazu schon R. de Vaux, Das Alte Testament und seine Lebensordnungen, Bd. 1, Freiburg 1964, 46–48.
13. Die Rückverweise auf Gen 28,10–22
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beginnen zu lassen. Dann aber befremdet das Gegenüber zur Protasis in V. 20b mit der Erwähnung von אלהים: „Wenn Gott mit mir ist …, soll Jhwh mir Gott sein.“ Verursacht wird diese Spannung von der Erwähnung des Gottesnamens, der mit der Bundesformel zusammenhängt. Das legt die Annahme nahe, das Gelübde sei nachträglich durch V. 21b erweitert worden.10 Traditionsgeschichtlich setzt V. 21b die Übertragung der Bundesvorstellung aus der Terminologie der Vasallenverträge auf das Gottesverhältnis voraus, die erstmals im Dtn und davon beeinflussten dtr. Texten greifbar ist.11 1.4 Die Jhwh-Rede (V. 13a*b.14) Um die Jakoberzählung mit der Abrahamüberlieferung zur Vätererzählung zu verbinden fügte man schließlich eine Jhwh-Rede in die Traumerzählung ein12: 13a*Der
sprach: Ich bin Jhwh, der Gott deines Vaters Abraham und der Gott Isaaks. Das Land, auf dem du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. 14Deine Nachkommen werden wie der Staub der Erde sein, und du wirst dich ausbreiten nach Westen und Osten, nach Norden und Süden. Mit dir werden sich segnen alle Sippen des Erdbodens und mit deinen Nachkommen.
Die Selbstvorstellung Gottes zu Beginn greift 26,24 auf und verlängert die Generationenfolge um das nächste Glied. Nur hier und in 13,14–16 wird das verheißene Land durch einen Relativsatz näher bestimmt, der auf den jeweiligen Kontext abgestimmt ist. Beide Male gilt diese zentrale Gabe „dir und deinen Nachkommen“, deren Mehrung durch den Vergleich mit dem „Staub der Erde“ besonders hervorgehoben wird. Nur hier findet sich eine Beschreibung des Horizontes der Verheißung mit den vier Himmelsrichtungen, ebenfalls auf den jeweiligen Kontext abgestimmt, aus dem sich auch die Unterschiede erklären. Schließlich sind beide Gottesreden in Betel lokalisiert. Gen 13,14–17 hängt über das Motiv des Sehens eng mit der ersten Gottesrede 12,1–3 zusammen, die Abraham gebietet, in das Land zu gehen, „das ich dich sehen lassen werde“. Deshalb gehört auch 12,3b das Motiv des Segens zu derselben Kompositionschicht wie 28,14b. Die z. T. singulären literarischen Brücken sowie die kontextuelle Einbettung der dazu verwendeten Motive zwischen 28,13–14 und 13,14–16; 12,3 stammen von demselben Verfasser, auf den die Verbindung zur Vätergeschichte zurückgeht. 10 So schon J. Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, Berlin 41963, 31; H. Gunkel, Genesis (HK 1/1), Göttingen 51922, 321; Blum, Komposition, 91–92. 11 Man sehe nur Dtn 26,17–18; 29,12; 2 Sam 7,24 u. a. 12 M. Köckert, Wie wurden Abraham- und Jakobüberlieferung zu einer „Vätergeschichte“ verbunden? HEBAI 3 (2014) 43–66, bes. 55–57 [in diesem Bd. Nr. 16].
300
III. Zur Jakobüberlieferung
1.5 Die Beistands- und Rückkehrzusage (V. 15) Doch damit nicht genug, noch später hat eine jüngere Hand aus den konkreten Formulierungen des Gelübdes eine sehr viel allgemeiner gehaltene Beistandsund Rückkehrzusage Jhwhs gebildet und an die in 28,13b–14 schon vorliegenden Verheißungen von Land, Ausbreitung der Nachkommen und Segen angefügt: 15Siehe,
ich bin mit dir ()אנכי עמך und werde dich behüten, wohin auch immer du gehst, und werde dich zurückbringen ( שובHif.) in dieses Land (;)אל האדמה הזאת denn ich verlasse dich nicht, bis ich getan, was ich dir zugesagt habe.
Hier, an einem in der Großerzählung wichtigen Ort – Israels Ahn entdeckt Gottes Gegenwart – finden wir erstmals in der Jakobüberlieferung tatsächlich „Deuteronomistisches“. Sprachlich und konzeptionell lugt es hinter allen Formulierungen in V. 15 hervor, wie schon Blum gezeigt hat.13 Er verweist für Gottes Mit-Sein „überall wohin du gehst“ auf Jos 1,7.9; 2 Sam 7,9 u. a., für „ich will dich nicht verlassen“ auf Jos 1,5 u. a. und für die „Rückführung ( שובHif.) in dieses Land“ auf 1 Kön 8,34; Jer 16,15; 24,6. Als besonders markant sticht V. 15b heraus; denn דברals terminus technicus für göttliche Versprechungen findet sich nur in dtr. Texten und in Passagen, die von der spät-dtr. Konzeption der Entsprechung von göttlichem Verheißungswort und dessen Erfüllung beeinflusst sind.14 Die reiche Kombination der verschiedenen Formulierungen aus diesem rhetorischen Arsenal in V. 15 zeigt jedoch schon einen gewissen zeitlichen Abstand an, in dem dieses Idiom für eine mit der geistigen Welt der Deuteronomisten vertraute Elite zum Allgemeingut geworden war.
2. Verweise auf die Betel-Erzählung in der Jakoberzählung 2.1 Gen 31,3 Ein erster, wenn auch indirekter Hinweis auf Gen 28 findet sich in Gen 31,3. Als Jakob das Missfallen der Söhne Labans zu Ohren kommt und er merkt, dass dieser ihm seinen wirtschaftlichen Erfolg neidet, greift Gott ein. Jhwh sprach zu Jakob: Kehre zurück ( )שובin das Land ( )ארץdeiner Väter und zu deiner Verwandtschaft (!)מולדת Ich werde mit dir sein ()ואהיה עמך. 13
Komposition, 159–161 (mit Belegen für alle Formulierungen des gesamten Verses). S. dazu nur Dtn 1,11; 9,28; 11,25; Jos 21,45; 23,14–15; 1 Kön 9,5 usw. und in der Vätergeschichte Gen 18,19, vor allem aber die Programmtexte 2 Sam 7,18–25 und 1 Kön 8,23–26. 14
13. Die Rückverweise auf Gen 28,10–22
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Die Beistandszusage erinnert in ihrer Formulierung an die in 28,15a („Siehe, ich bin mit dir [“)]עמך15, die auf der Reise zu Laban ergeht. Auch nimmt der Befehl zur Rückkehr ( )שובGottes drittes Versprechen in V. 15 auf: „Ich will dich zurückbringen ( שובHif.) in dieses Land“ (dort allerdings )אדמה. Indem Jhwh in 31,3 Jakobs Rückkehr in Gang setzt, erfüllt er genau das, was er in Betel versprochen hatte. Diese kurze Rede Jhwhs unterbricht den Erzählgang in 31,1–16. Sie wirkt wie eine Dublette zu jener des „Gottesboten“ in V. 11.13, doch fehlt ihr anders als jener eine szenische Einbindung; V. 3 wird also später eingestellt worden sein. Auf diese Weise erhält der Leser gleich zu Beginn eine Deutebrille, mit der er den rückblickenden Bericht Jakobs an seine Frauen mit der Rede des Gottesbotens V. 11–13 lesen soll. 2.2 Gen 31,13 Hier erzählt Jakob in einer großen Rückblende seinen Frauen, dass ihm im Traum ein Gottesbote erschienen sei und gesagt habe: (1) Ich bin der Gott von Betel ()העל בית אל16, (2) wo ( )שםdu eine Mazzebe gesalbt und mir ein Gelübde abgelegt hast. (3) Nun auf, ziehe aus diesem Land ( )הארץ הזאתweg (4) und kehre in das Land deiner Verwandtschaft zurück (!)שוב אל ארץ מולדתך
Der Verfasser von V. 13 kennt in (1) die Traumerzählung; denn er spielt auf die besondere Bindung Gottes an Betel und die Vertrautheit Jakobs damit an. Er weiß überdies von Jakobs Reaktion auf seinen Traum (2), die ebenfalls die Traumerzählung voraussetzt. Er weiß auch von dem Gelübde (2) und fordert sogar – der dritten Bedingung des Gelübdes entsprechend – Jakob in (4) zur Rückkehr in das Land seiner Verwandtschaft auf, wobei er mit „aus diesem Land“ (3) den zuvor erzählten Aufenthalt Jakobs bei Laban voraussetzt. Aber einen Reflex auf die Gottesrede in 28,13–14.15 sucht man vergebens. Die Rede des Gottesboten geht offensichtlich auf die Hand zurück, die schon das Gelübde an die Traumerzählung angefügt und die verschiedenen Überlieferungen, die über Jakob in Umlauf waren, erstmals zu einer Jakoberzählung zusammengebunden und gedeutet hat.17 Ihr war mit Sicherheit die Gottesrede noch unbekannt, sonst hätte sie sich wohl kaum entgehen lassen, nach der 15 31,5 redet zwar vom „Gott meines Vaters“ (vgl. 28,13 mit 27,20), gebraucht aber עמדי statt עמי. 16 Die auffällige hebr. Wendung האל בית אלmuss wohl als ( האל בבית אלunter Voraussetzung einer Haplographie des )בgelesen werden. Die LXX gibt sie mit der erleichternden Deutung wieder: „Ich bin der Gott, der dir an dem Ort Gottes erschienen ist, wo du mir einen Kultstein salbtest …“ (vgl. schon Carr, Genesis 28, 401, gegen Van Seters, Divine Encounter, 512 f.). 17 Blum, Komposition, 127 f.
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III. Zur Jakobüberlieferung
Selbstvorstellung der Gottheit in der ersten Zeile auf Gottes glorreiche Versprechungen in 28,13–14 hinzuweisen. 2.3 Gen 32,10–13 Auf einen dritten Rückverweis stoßen wir im Gebet Jakobs vor der Begegnung mit Esau. Wie der Gottesrede in 31,3 fehlt auch dem Gebet eine szenische Einbettung. Wie jene unterbricht auch dieses den Erzählfaden, indem es der profanen Vorsichtsmaßnahme Jakobs (V. 4–9.14–22) eine religiöse an die Seite stellt:18 10Jakob
sprach: Du Gott meines Vaters Abraham und Gott meines Vaters Isaak, Jhwh, der du zu mir gesagt hast: Kehre zurück ( )שובin dein Land ( )ארץund zu deiner Verwandtschaft ()מולדת, ich will dir Gutes tun (!)ואיטיבה עמך 11Ich bin zu gering all der Wohltaten und all der Treue, die du deinem Knecht erwiesen hast; denn nur mit einem Stock zog ich durch diesen Jordan da, nun aber bin ich zu zwei Lagern angewachsen. 12Rette mich doch aus der Hand meines Bruders, aus der Hand Esaus; denn ich fürchte mich vor ihm, dass er kommt und mich erschlägt, die Mutter mitsamt den Kindern. 13Doch du hast ja selbst gesagt: Gutes, nur Gutes will ich dir tun ()היטב איטיב עמך und deine Nachkommen wie den Sand des Meeres machen ()שםתי כחול הים, den man vor Menge nicht zählen kann ()אשר לא יספר מרוב.
Die religiöse Überhöhung zeigt sich mehrfach, am deutlichsten in V. 11: Jakob deutet die beiden Lager als Ausdruck göttlicher Wohltaten und Treue. Zuweilen hat man vermutet, hinter der überfüllt wirkenden Anrede in V. 10 und in der ganz auf die Situation bezogenen Bitte V. 12 lasse sich eine ältere Gestalt des Gebets erschließen.19 Dagegen spricht freilich, dass der gesamte Text – abgesehen von der religiösen Deutung – flächendeckend auf bereits Berichtetes Bezug nimmt oder es voraussetzt. Besonders dicht sind die Bezugnahmen in den Rahmenversen des Gebets (V. 10.13). Sie enthalten eine Kombination von Stichwörtern, die eine gewisse Verwandtschaft mit der Gottesrede 31,3 erkennen lassen: שוב, ארץ, מולדת, ( יטבHif.) עמךbegegnen leicht variiert beide Male.20 Die kleinen Variationen tragen dem 18 Schon Welhausen bemerkt den anderen Ton und schreibt das Gebet dem Jehovisten zu, auf dessen Konto auch 31,3 gehe (Composition, 50). 19 C. Westermann vermutet, dass unmittelbar auf V. 8a die einfache Anrede mit dem Gottesnamen Jhwh und der mit Jakobs Lage begründete (vgl. V. 12b mit V. 8a) Hilferuf V. 12a gefolgt sind (Genesis II [BK I/2], Neukirchen-Vluyn 1981, 619). 20 Zur literarischen Einordnung beider Texte s. schon Blum, Komposition, 152–158, und
13. Die Rückverweise auf Gen 28,10–22
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veränderten Kontext Rechnung; denn jetzt befindet sich Jakob schon auf der Rückreise von Laban und unmittelbar vor der gefürchteten Begegnung mit dem betrogenen Bruder. Das erklärt die Formulierung von V. 10b. Aufgrund der Berührungen mit 31,3 muss man davon ausgehen, dass der Verfasser des Gebets auch 28,15 und damit die gesamte Gottesrede gekannt hat. Das lässt sich mit weiteren motivlichen Brücken erhärten. So bezieht sich der Verweis auf die mit einem Bildvergleich illustrierte Unzählbarkeit der Nachkommen „wie der Sand des Meeres“ in V. 13 auf das ähnliche Versprechen in 28,14, Jakobs Nachkommen zu mehren „wie den Staub der Erde“, was wiederum mit 13,16 verbindet. Unzählbarkeit in Verbindung mit Mehrung verbindet 32,13 auch mit dem tertiären Nachtrag 16,10.21 Zwar findet sich der Vergleich mit dem „Sand des Meeres“ in 28,14 nicht, wohl aber in der nachpriesterlichen Erweiterung 22,15–18.22 Dagegen ziehen spezifisch dtr. Texte beim Thema Mehrung den Vergleich mit den Sternen vor.23 Sodann fällt die Variation in der Beistandszusage durch die Verwendung der Wurzel יטבHif. auf. Sie wurde offenbar gewählt, um die verschiedenartigen, im unmittelbaren Kontext von V. 10.13 teilweise auch genannten konkreten Zusagen Gottes auf einen verallgemeinernden Begriff zu bringen und zusammenzufassen. Für diesen Gebrauch von יטבHif. mit Gott als Subjekt zur Zusammenfassung seiner Wohltaten an Israel gibt es im Wörterbuch der Deuteronomisten die nächsten Analogien: Dtn 8,16; in 28,63; 30,5 verbunden mit Mehrung; in Jos 24,20; Jer 18,10 verbunden mit der Negation. Schließlich erhält auch der im Erzählzusammenhang merkwürdige Hinweis auf „diesen Jordan da“ auf dem Hintergrund der dtn/dtr. Konzeption von den Grenzen des Landes einen Sinn.24 Da das Verheißungsland hier nur westlich des Jordan vorgestellt wird, betritt Jakob das gelobte Land mit einem Gebet. Dass Jakob in 32,23–33 erst noch den Jabbok überschreiten muss, also in 32,4 ff. noch gar nicht den Jordan sehen kann, zeigt nur das geringe Interesse an der realen Topographie des Ergänzers, der das Gebet in den älteren Zusammenhang eingebracht hat. All diese Verweise und Anspielungen zeigen, dass Jakobs Gebet zu den jüngsten Schichten der Väterüberlieferung gehört. Es bedient sich dtr. FormuM. Köckert, Vätergott und Väterverheißungen. Eine Auseinandersetzung mit A. Alt und seinen Erben (FRLANT 142), Göttingen 1988, 145–147 und 270 f. 21 Vgl. dazu auch Gen 13,16b; Num 23,10; 1 Kön 3,8; Jer 33,22; Hos 2,1. 22 Zur literarischen Einordnung s. M. Köckert, Gen 20–22 als nach-priesterliche Erweiterung der Vätergeschichte, in: F. Giuntoli/K . Schmid (Hg.), The Post-Priestly Pentateuch, FS J. L. Ska (FAT 101), Tübingen 2015, 157–176 [in diesem Bd. Nr. 10]; zum Bild vom „Sand des Meeres“ in Verbindung mit der Mehrung vgl. 1 Kön 4,20; Jes 48,19; Hos 2,1; es begegnet auch in anderen Zusammenhängen, um die Unzählbarkeit zu betonen. 23 S. die Rahmenteile des Buches Dtn: 1,10; 10,22; 28,62 und die noch jüngeren Belege in Gen (15,5;) 26,4; 1 Chr 27,23; Neh 9,23. 24 Dazu P. Diepold, Israels Land (BWANT 95), Stuttgart 1972, 29–30.56–57.
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III. Zur Jakobüberlieferung
lierungen und Vorstellungen und mischt diese zwanglos mit anderen Moti ven.25 2.4 Gen 35,1.6a.7 und 35,2–4 Die letzten Rückverweise auf die Betel-Erzählung innerhalb der Jakobüberlieferung finden sich in Gen 35. Die Vielzahl der hier versammelten Materialien weist auf ein längeres literarisches Wachstum hin.26 Lediglich über den Anteil der priesterlichen Bearbeitung durch V. 6a.9–15 besteht weitgehend Einigkeit. Sie gestaltet die Betel-Erzählung aus Gen 28 völlig um und macht aus dem Ort der Gegenwart Gottes (28,16–17) den Ort, an dem Gott mit Jakob geredet hat, und aus der Mazzebe als geweihtem Symbol der Gottesgegenwart am Kultort (28,18.22) ein Denkmal für Gottes Verheißungen, die denen für Abraham in Gen 17 folgen.27 Der priesterlichen Relecture steht jetzt mit V. 1–5.6b–7 ein höchst komplexes Gebilde voran, dessen Entstehung umstritten ist. Am wahrscheinlichsten erscheint mir folgende Lösung28: In der älteren Jakoberzählung kommt der Ahn von Sichem (33,18a1)29 nach Bet-El: 35,1.6*[„So kam Jakob nach Bet-El“].7, wo in V. 8 auch die Amme Rebekkas begraben wird. Aus diesem Zusammenhang fällt V. 5 heraus.30 Er erklärt nach der Einfügung von Gen 34, warum Jakob und die Seinen nach ihrer Bluttat in Sichem unbehelligt nach Bet-El gelangen konnten. Schließlich machen die V. 2–4 Jakobs Aufenthalt bei Sichem zu einem Vorspiel von Jos 24, wie ein Vergleich der Wendung „entfernt die Götter des Auslands31, die unter euch sind“ aus 35,2 mit Jos 24,23 oder ähnlichen Formulierungen in 24,14.16.20 zeigt.32 Die Formulierung „Götter des Auslands“ setzt voraus, dass man in der Fremde fremden Göttern dient (31,30; Jos 24,2), die 25
Blum rechnet das Gebet zu seiner KD (Komposition, 152–164). Westermanns Sicht auf 35,1–7 wird der Komplexität nicht gerecht; er hält den Abschnitt 35,1–7 für das Werk eines Redaktors, der J und P miteinander verbunden und die Notiz vom Auftrag zum Bau eines Altars und dessen Ausführung unter Verwendung eines Itinerars gebildet hat (Genesis II, 668). 27 Zu den Zielen jener Umarbeitung s. zuletzt E. Blum, Noch einmal: Das literargeschichtliche Profil der P-Überlieferung, in: F. Hartenstein/K . Schmid (Hg.), Abschied von der Priesterschrift. Zum Stand der Pentateuchdebatte (VWGTh 40), Leipzig 2015, 32–64, 47–50. 28 Etwas anders Blum, Komposition, 36–61; in: Ders., Studien zur Komposition des Pentateuch (BZAW 189), Berlin 1990, 363–364; er hat seine Sicht dahingehend modifiziert, dass die Jos 24-Bearbeitung KD und KP voraussetzt. 29 Alles andere in 33,18a verrät durch die Formulierungen ( פדן ארם, )ארץ כנעןseine priesterliche Herkunft. 30 Zwar setzt V. 5 Gen 34 und mit ויסעוden Zusammenhang von V. 1–4 voraus, aber V. 1–4 bedürfen keineswegs V. 5 (gegen Blum, Komposition, 39, der V. 5 als integrierenden Bestandteil der Einheit ansieht). 31 Die Wendung אלהי (הנ)נכרbegegnet in Gen 35,2.4; Jos 24,20.23; Ri 10,16; 1 Sam 7,3; 2 Chr 33,15. 32 Weitere Bezugstexte (Jos 24; Ri 10; 1 Sam 7) nach A. Alt, Die Wallfahrt von Sichem 26
13. Die Rückverweise auf Gen 28,10–22
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aber bei der Rückkehr in die Heimat entsorgt werden müssen, weil sie hier keine Funktion mehr haben. Während Jakob die fremden Göttersymbole unter einer Terebinte bei Sichem vergräbt (Gen 35,4), richtet Josua einen großen Stein unter eben demselben großen Baum auf (Jos 24,26). Diese Bezüge sind zweifellos beabsichtigt.33 Ihr literarischer Horizont ist der Hexateuch. Spezifisch dtr. ist an Gen 35,2–4 nichts34; denn die einschlägigen dtr. Weisungen wie Dtn 7,5.25; 12,2–3 u. a. zielen nicht auf sorgsame Entsorgung, sondern auf die Zerstörung und totale Vernichtung fremder kultischer Objekte. Aus alledem folgt, dass die Verweise auf Betel in Gen 35,1.7 und 35,3 auf zwei verschiedenen literarischen Ebenen liegen und deshalb jeweils für sich beurteilt werden müssen. Der ältere Zusammenhang in *35,1–7 umfasste folgenden Text: 1Gott sprach zu Jakob: Wohlan, ziehe hinauf nach Bet-El, lass dich dort nieder und errichte dort einen Altar dem Gott, der dir erschienen ist, als du vor deinem Bruder Esau flohst! 6a*Jakob kam nach Bet-El 7und baute dort einen Altar und nannte die Stätte: Gott ist in Bet-El ()אל בית אל35; denn dort hatten sich ihm die Göttlichen gezeigt ()נגלו האלהים, als er vor seinem Bruder floh.
Die Aufforderung in Gen 35,1, nach Betel hinaufzuziehen und sich dort niederzulassen, kennt mit dem Bau eines Altars „für den Gott ()לאל, der dir erschienen ist, als du vor deinem Bruder Esau flohst“, schon den Grundbestand einer großen, aber noch vor-priesterlichen Jakoberzählung.36 Doch deckt V. 1 mit der Gotteserscheinung nur die Traumerzählung (28,12) ab, weder die Selbstvornach Bethel (1938), in: Ders., Kleine Schriften II, München 1953, 66–75, bei Blum, Komposition, 39–45. 33 Hinzu kommen Bezüge auf die Sinaiperikope in V. 2bβ. 34 Anders Blum, Komposition, 45–61, der den mit Jos 24 verbindenden Abschnitt im Rahmen „dtr Traditionsbildung“, aber „nach der Gestaltung von dtrG“ ansetzt. 35 Die Deutung als Satzname (mit der Voraussetzung einer Haplographie des בbei בית אל wie in Am 7,13 u. a.) liegt im Zusammenhang am nächsten (vgl. die Benennung des Altars in 33,20), vgl. 31,13 und 1 Sam 10,3 (beide Male aber mit Artikel), möglich ist jedoch auch: „Gott (von) Bet-El“. 36 Schon für H. Gese schließt die Jakoberzählung mit der Rückkehr über Sichem nach Betel in 35,1–7 (Jakob, der Betrüger? in: M. Görg u.a [Hg.], Meilensteine [ÄAT 30], FS H. Donner, Wiesbaden 1995, 33–43); so auch K. Schmid: Für das vor-priesterliche Finale der Vätererzählung sei „der Textzusammenhang mindestens bis Gen 35 hinzuzunehmen“ (Die Josephsgeschichte im Pentateuch, in: J. C. Gertz u. a. [Hg.], Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion [BZAW 315], Berlin 2002, 83–118, bes. 114).
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III. Zur Jakobüberlieferung
stellung Jhwhs, noch die Verheißungen. Außerdem scheint die Formulierung אל (!) הנראהdie Benennung des Ortes mit בית אלin 28,19a zu deuten. Zur selben literarischen Schicht gehört V. 7, der erzählt, wie Jakob nach seiner Rückkehr in Betel sein Gelübde einlöst.37 Mit seiner Benennung der Stätte als „Gott ist in Betel“ gibt Jakob keine Ätiologie des Ortsnamens wie 28,19, sondern eine theologische Deutung des heiligen Ortes.38 Das Verb גלהbezieht sich im Nifal nicht notwendig auf verbale Akte39, setzt also keineswegs eine Gottesrede voraus. Die pluralische Verbform legt die Übersetzung von האלהיםmit „die Göttlichen“ nahe.40 Jakob spielt damit auf die Engel an, die er in 28,12 im Traum gesehen hat. Mit dem Altar wird die heilige Stätte kultisch in Betrieb genommen. Der Altar steht wie in Am 9,1 für das Heiligtum als Ganzes. Jünger sind zweifellos Gen 35,2–4 mit Jakob Aufforderung an „sein Haus und alle, die mit ihm waren“, die fremden Götter zu entfernen. 3Dort will ich einen Altar errichten für den Gott, der mich am Tag meiner Not erhört hat und mit mir ( )עמדיauf dem Weg war, den ich gegangen bin.
Die Wendung „der mich am Tag meiner Not erhört hat“ erinnert an 31,42 und deckt in ihrer Allgemeinheit vieles ab, vielleicht auch eine Gottesrede, allerdings ohne nähere Konkretion. Der letzte Satz bezieht sich mit היה עמדי בדרך zweifellos auf das Gelübde 28,20, das ebenfalls diese Wörter verwendet, anders als V. 15 auch עמדי.41 Doch gehören 35,2–4 mit ihrer Aufforderung „entfernt die Götter des Auslands, die in eurer Mitte sind ( “)הסרו את אלהי הנכר אשר בתככםzu einer nach-priesterlichen Bearbeitung, die mit Jos 24,23 verbindet42 und das dtr. Geschichtswerk schon im Rücken hat. Aus diesem Rückverweis ist also für die ursprünglichen Verhältnisse in Gen 28 nichts entnehmen.43
37 Anders Blum, Komposition, 37 f., und K. Koenen, Bethel. Geschichte und Kult (OBO 192), Fribourg 2003, 160 Anm. 73, doch ist ein ausdrücklicher Verweis auf das Gelübde und die Einführung des Zehnten kaum nötig, um als Erfüllung von 28,20–22 gelten zu können, weil das gelobte Heiligtum mit dem Altarbau in seiner wichtigsten kultpraktischen Funktion aufgenommen wird. 38 Blum spricht im Blick auf die Wendung im gegenwärtigen Kontext zu Recht von einem „Beinamen“, der „für Erzähler und Adressaten nur in der ‚erzählten Welt‘ existiert und hierin seine Bedeutung hat“ (Komposition, 63). 39 S. z. B. 1 Sam 14,8.11. 40 Die Versionen streichen dagegen bei der Benennung des Ortes in V. 7a das erste אלund lesen beim Verb in V. 7b den Singular, deuten also האלהיםnicht auf die Engel, sondern auf den Gott Israels. 41 Vgl. die Synopse bei Blum, Komposition, 37. Eine spezifische Kenntnis von 28,15 findet sich dagegen nicht (gegen Köhlmoos, Bet-El, 257). 42 Vgl. Blum, Komposition, 40–45. 43 Gegen Van Seters, Divine Encounter, 512–513, und Carr, Genesis 28, 402.
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3. Jakob in Betel in Hos 12 Der Text gehört wegen der in ihm verarbeiteten disparaten, aber dicht vernetzten Materialien und wegen der schillernden Bezüge und Anspielungen in seiner virtuosen Schriftauslegung zu den schwierigen Texten der Bibel. Wir beschränken uns allein auf die Fragen nach seinem Verhältnis zur Betel-Erzählung. Sollte Hos 12 trotz seines disparaten Charakters im Wesentlichen von einer Hand und noch dazu aus dem 8. Jh. stammen, wäre er in der Tat ein starker Zeuge für eine entsprechend früh anzusetzende Jakobüberlieferung. Das nachzuweisen hat nach Albert de Pury vor allem Erhard Blum mit dem ihm eigenen Scharfsinn unternommen.44 Für beide sind die Jakobpassagen unverzichtbarer Teil einer „kohärenten diskursiven Einheit“. Da V. 12–13 den Verlust Gileads 732 v. Chr. voraussetzen, aber noch nicht die Katastrophe von 722 v. Chr., gehe die gesamte Einheit (V. 3–15) wenn nicht auf den Propheten selbst, so doch auf das 8. Jh. zurück.45 Überdies deuten beide V. 5b als Einführung einer Gottesrede an Jakob in Betel und V. 7 als deren Zitat. Dieser Gesamtdeutung von Hos 12 hat jedoch Martin Schott in seiner Analyse und intensiven Interpretation mit bedenkenswerten Gründen widersprochen.46 Blum begründet die Kohärenz der Einheit (1) mit der Struktur der Komposition jener gerichtlichen Untersuchung ( ריבmit Rahmen V. 3.15) in drei Teilen (V. 4–7/8–11/12–14) und mit der Funktion der darin unverzichtbaren Jakobpassagen, (2) mit der „Verklammerung von Einzelelementen“ jener Jakobpassagen „mit dem Kontext“ und (3) mit „inhaltlichen Zusammenhängen“ oder Entsprechungen.47 Von diesen drei Gründen sind die strukturellen und die inhaltlichen nicht die stärksten, weil inhaltliche Zusammenhänge immer auch vom Auge des Betrachters und dessen Interessen abhängen und Strukturen redaktionell gebildet sein können.
44 A. de Pury, Erwägungen zu einem vorexilischen Stämmejahwismus. Hos 12 und die Auseinandersetzung um die Identität Israels und seines Gottes, in: W. Dietrich/M. A. Klopfenstein (Hg.), Ein Gott allein? JHWH-Verehrung und biblischer Monotheismus im Kontext der israelitischen und altorientalischen Religionsgeschichte (OBO 139), Fribourg 1994, 413–439; E. Blum, Noch einmal: Jakobs Traum in Bethel – Genesis 28,10–22, in: St. L. McKenzie u. a. (Hg.), Rethinking the Foundations. Historiography in the Ancient World and the Bible, Essays in Honor of John Van Seters (BZAW 294), Berlin 2000, 44–49 (zunächst auf die Jakob-Betel-Aussagen beschränkt, sodann aber in einer „kontextuellen Lesung“ auf Hos 12,3–15 ausgeweitet: E. Blum, Hosea 12 und die Pentateuchüberlieferungen, in: A. C. Hagedorn/H. Pfeiffer [Hg.], Die Erzväter in der biblischen Tradition, FS M. Köckert [BZAW 400], Berlin 2009, 291–321). 45 Blum, Jakobs Traum, 46; ders., Hosea 12, 310, 318. 46 S. bes. M. Schott, Die Jakobpassagen in Hosea 12, ZThK 112 (2015) 1–26; vgl. auch die unabhängig davon entstandene Arbeit von J. Wöhrle, der aber nicht umfassend auf Hos 12 eingeht: Jacob, Moses, Levi. Pentateuchal Figures in the Book of the Twelve, in: J. C. Gertz u. a. (Hg.), The Formation of the Pentateuch (FAT 111), Tübingen 2016, 997–1014, bes. 998–1007. 47 Blum, Jakobs Traum, 44–48; ders., Hosea 12, 302–305.
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III. Zur Jakobüberlieferung
3.1 Die Abgrenzung der Einheit Das Bild einer diskursiven Einheit in einer dreiteiligen Struktur, die noch dazu aus dem 8. Jh. stammen soll, ergibt sich freilich nicht ohne weiteres aus dem komplexen Text, sondern beruht auf mehreren Eingriffen. Der erste betrifft die Abgrenzung der Einheit, wodurch deren Struktur und das Netz von Leitwörtern verändert48 werden: Inhaltlich wirken die V. 8–9 mit dem Betrug in der Wirtschaft geradezu als Fortsetzung des „Betrugs in der Politik“49 (V. 1a.2); beides zielt auf die Strafankündigung in V. 10.12.15. Das Leitwort „Betrug“ ( )מרמהin V. 1 bindet über V. 8 und den Nachklang in V. 15 ( )תמרוריםdie gesamte Einheit von V. 1–15 zusammen. Weil Blum V. 1–2 von vornherein aus der Komposition ausklammert, fehlt für wichtige inhaltliche Bezüge das Gegenüber.50 Zwar trennen viele Ausleger V. 1–2 ab, weil in V. 3a eine mit 4,1; 2,4 vergleichbare Überschrift vorliegt, doch zerstören sie damit die Struktur von Hos 12 und schaffen sich ohne überzeugende Gründe einen eigenen Text. Wie die Wortbezüge zeigen, gehörten die abgetrennten Verse ursprünglich zur Einheit hinzu; überdies wird nur hier das Subjekt für V. 8 ausdrücklich genannt. Mit Recht resümiert Schott seine kritische Prüfung: „V. 1–2 bilden somit ursprünglich einen integralen Bestandteil des Kapitels.“51 3.2 Die Textgestalt Der zweite Eingriff betrifft die Textgestalt; auch er verändert die Struktur der Einheit: Weil „Juda“ (V. 3) in der gesamten Einheit nur hier vorkomme und sich nicht zum Rückblick auf Jakob in V. 4 füge, wohl auch weil „Juda“ parallel zu „Jakob“ einer Herleitung des Stückes von Hosea im 8. Jh. im Wege steht, ändern de Pury und Blum „Juda“ mit vielen anderen in „Israel“ bzw. „Efraim“ und halten den vorliegenden Text für das Ergebnis einer auch anderwärts im Buch tätigen „judäischen Redaktion“.52 Für diese Textänderung gibt es jedoch keine textkritische Handhabe. Überdies war schon in V. 1b von Juda die Rede. Wie schon 48 Zwar spricht Blum im Blick auf Hos 12,3–15 von „Haupteinheit“ (Hosea 12, 291), doch berücksichtigt er die V. 1–2 in seiner Untersuchung nicht, obwohl sie mehrere Leitwörter enthalten. 49 So die Überschrift für V. 1–2 bei J. Jeremias, Der Prophet Hosea (ATD 24/1), Göttingen 1983, 151. 50 Von den angeführten Stichwortbeziehungen trifft streng genommen nur „hüten, bewahren“ in V. 7b.13.14 zu, was aber gerade nicht mit den Efraim-Teilen verbindet. Die anderen wie „finden“ (V. 5b.9a.b) und „zurückkehren (lassen)“ (V. 7a.3.15) spielen mit verschiedenen Bedeutungen des Verbs oder betreffen Opposita: „Harren auf deinen Gott“ (V. 7b) als Gegenteil zum „Jagen nach Wind“ (V. 2); „Güte, Treue“ (V. 7b) als Kontrast zum „Betrug“ (V. 1.8). 51 Schott, Jakobpassagen, 7. 52 S. nur Jeremias, Hosea, 152; de Pury, Erwägungen, 421; Blum, Hosea 12, 299. Dagegen freilich W. Rudolph, Hosea (KAT XIII/1), Gütersloh 1966, 221; H. Pfeiffer, Das Heiligtum von Bethel im Spiegel des Hoseabuches (FRLANT 183), Göttingen 1999, 72 u. a.
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bei der Amputation der V. 1–2 handelt es sich auch bei der Textänderung hier um Eingriffe aufgrund einer vorgefassten Meinung, die zwar viele teilen, die aber den Blick auf andere Möglichkeiten verstellt. Macht man sich einmal vom Vorurteil frei, Hos 12 stamme insgesamt aus dem 8. Jh. und Jakob könne deshalb nur für das Nordreich stehen, kommt in V. 3 Jakob als gemeinsamer Ahn Gesamt-Israels und damit auch Judas in den Blick. „Juda“ aber war nach dem Untergang des Nordreichs 720 v. Chr. der Ort, an dem auch die Jakobüberlieferung gepflegt und an die neuen Verhältnisse in Juda und in der persischen Provinz Jehud angepasst wurde. Es verwundert also keineswegs, dass „Jakob“ und die ihm geltende Überlieferung auch nach dem Untergang des Nordreichs von Bedeutung waren. Insofern sind Juda und Jakob in V. 3 keine einander ausschließende Größen.53 „Der Autor unterscheidet erzähltechnisch zwar zwischen Jakob und Juda, zielt aber sachlich durchaus auf eine Identität zwischen beiden Größen.“54 Dagegen spricht auf den ersten Blick V. 1b, der in der Tat „Juda“ dem „Haus Israel“ gegenüberstellt55, weil es Gott die Treue hält, während Efraim Gott betrügt. Doch zeigt die Partikel „ עודnoch“ an, dass V. 1b schon mit dem Wissen darum geschrieben wurde, dass Judas Treue nicht von Dauer war. Der Rückblick erklärt, warum Juda das Schicksal Efraims zunächst nicht teilen musste. „Erst V. 3 schließt Juda als Teil des von Jakob abstammenden Gottesvolkes in die Anklage ein.“56 3.3 Die Verklammerung der Jakobpassagen mit ihren Kontexten Mehr Gewicht könnte die Verklammerung der Jakobpassagen mit ihren Kontexten gewinnen. Nun unterscheiden sich die an Efraim orientierten Teile als Gottesrede mit dem Wortfeld „Betrug, Lüge, Täuschung, Gewalt“ (V. 1.2.8–9.15) erheblich von den als Prophetenrede stilisierten Jakobpassagen, in denen diese Wörter gerade fehlen. Kohärenz wäre in diesem Fall nur dann zu beweisen, wenn der Efraim-Kontext ohne die Jakobpassagen nicht verstanden werden könnte. Das ist jedoch nicht der Fall.57 Vielmehr stellen die an Efraim orientierten V. 1a.2.8–12.1558 eine in sich verständliche Redekomposition dar, wie Schott 53 Die Begründung von H. W. Wolff für die Ersetzung von Juda in Israel in V. 3 trifft deshalb nicht zu (Hosea [BK XIV/1], Neukirchen-Vluyn 31976, 267). 54 Pfeiffer, Heiligtum, 76–77 (Hervorhebungen dort). 55 Für einen Gegensatz spricht die inversive Stellung des Subjekts, so dass sich die zahlreichen Textänderungen in V. 1b erübrigen, mit denen man verschiedentlich versucht hat, Juda in negatives Licht zu rücken (vgl. nur W. Rudolph, Hosea [KAT XIII/1], Gütersloh 1966, 220 f.; Jeremias, Hosea, 148). 56 So Schott, Jakobpassagen, 18. 57 Entschiedene Bestreitung der Einheitlichkeit von Hos 12 bei Schott und Wöhrle mit weiteren Begründungen unterschiedlicher Überzeugungskraft. 58 Die Ausweitungen auf Juda in V. 1b.3a hatte auch Blum mit den meisten Auslegern als
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III. Zur Jakobüberlieferung
überzeugend gezeigt hat.59 Die Jakobpassagen V. (1b)60.3–7.13–14 bedürfen dagegen eines Kontextes. Offenbar sind sie erst nachträglich auf diesen EfraimKontext hin formuliert und darin eigeschoben worden.61 Die Art der Anspielungen in den Jakobpassagen setzt bei den Lesern zweifellos eine „(relativ intime) Kenntnis“62 der fast kompletten Jakobüberlieferung voraus. Diese Anspielungen stammen jedoch nicht aus der Zeit zwischen 732 und 720, in der vielleicht die ältere Redekomposition gegen Efraim entstand.63 Nachdem aber einmal jene Efraim-Komposition mit den Jakobpassagen bereichert war, konnten findige Leser auch in mancherlei Einzelheiten der Efraim-Komposition ‚Jakobisches‘ herauslesen, was sie – mit der ‚Jakob-Brille‘ auf ihrer Nase – erst in sie hineingesehen hatte.64 Man denke etwa an V. 2: Efraim „hütet“ ( )רעהWind – war nicht Jakob ein „Hüter“? (allerdings von Schafen Gen 30,31.36). Man sehe weiter V. 8: Efraim ist ein Händler mit „betrügerischer“ Waage – war nicht Jakob in betrügerischer Absicht zu seinem Vater Isaak gekommen, den Segen an sich zu bringen (Gen 27,35)? Man lese V. 9: „Wahrhaftig, ich bin reich geworden ()עשר, habe mir ein Vermögen gemacht, alles meine Mühe (“)יגיעי – war Jakob bei Laban nicht „reich“ geworden (31,16 )עשר, hatte er nicht dort trickreich ein Vermögen erworben (Gen 30,25–43) und hatte nicht Gott seine „Mühe“ (יגיע )כפיwahrgenommen (31,42)? Auch hat Laban bei Jakob keinen Erwerb ()יגיע gefunden ()מצא, den dieser durch eine Verfehlung ( )חטאהerlangt hätte (31,36). Man vergleiche darüber hinaus V. 10 „in Zelten (wohnen)“ mit 25,27; 31,25.33; auch könnte die Erwähnung Gileads in V. 12 den Grenzvertrag mit dem Aramäer Laban in 31,46 ins Gedächtnis rufen. Mit ein wenig Phantasie findet man sogar in den zahlreichen „Schauungen“ V. 10 eine Anspielung auf Jakobs nächtliches Traumbild in Gen 28 wieder. Einträge einer judäischen Redaktion und V. 6 als eine spätere Einschreibung abgetrennt (Jakobs Traum, 44 Anm. 35). 59 Eine eingehende Interpretation der mit Stichworten verzahnten selbständigen EfraimKomposition bei Schott, Jakobpassagen, 13–17. 60 Zwar ist hier von Jakob nicht die Rede, doch steht V. 1b über „Juda“ mit V. 3 und über die rückblickende Perspektive mit den Jakobpassagen überhaupt in Verbindung. 61 Die Unselbständigkeit der Jakobpassagen spricht auch gegen die Ansicht, in Hos 12 seien zwei ursprünglich selbständige Traditionen verbunden worden (Jeremias, Hosea, 148–158, der beide auf Hosea im 8. Jh. zurückführt; Pfeiffer, Heiligtum, 68–100, der die Jakobpassagen einer exilischen Hand zuweist). 62 Blum, Jakobs Traum, 48. 63 Die Kritik von N. Naʾaman an Hos 12 greift zu kurz (The Jacob Story and the Formation of Biblical Israel, TA 41 [2014], 95–125, bes. 110–114). Er entledigt sich des Hoseatextes als Zeugen für eine schon in der Königszeit entstandene Jakoberzählung dadurch, dass er kurzerhand die Überlieferung Gen 25–32 als erzählerische Ausmalung der Anspielungen in Hos 12 erklärt. Indes dürfte es keinem noch so erfindungsreichen Kopf gelingen, aus jenen änigmatischen Sätzen in Hos 12,4–5.7.13 die Jakobüberlieferung herauszuspinnen. Jene Sätze funktionieren als Anspielungen doch nur bei Lesern, die jene Erzählungen in Gen bereits kennen. 64 Vgl. de Pury, Erwägungen, 423–429; Blum, Hos 12, bes. 303–312.
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Einmal auf die Jakob-Fährte gesetzt, kann man – den entsprechenden Willen vorausgesetzt – zweifellos manche Transparenz und Anspielung in den EfraimTeilen entdecken.65 Wenn man weiß, wonach man sucht, findet man es leichter. Für sich gelesen, haben die Efraim-Teile jedoch einen durchaus eigenen Sinn, der in sich und ohne Jakob-Brille verstanden werden kann. Auch setzen manche der Assoziationen, wie etwa die in V. 9, schon die Kenntnis eines schriftlich vorliegenden Textes der Jakoberzählung voraus. Blums differenzierte Nachzeichnung der Vernetzung aller Teile und seine eingehende Interpretation der mehrdimensionalen Sachaussagen treffen – wie ich meine – besser auf die um die Jakobpassagen ergänzte gegenwärtige Gestalt von Hos 12 zu. Die stammt aber nicht aus dem 8., sondern allenfalls aus dem 6., vielleicht aber erst aus dem 5. Jh. v. Chr.66 3.4 Gründe für die Annahme mehrerer Hände Aber – so wird man einwenden – kehre ich nicht die Beweislast um, wenn ich einen Erweis der Kohärenz fordere und (mit Schott und anderen) die Jakobteile als Fortschreibungen einer Komposition gegen Efraim deute? Nicht jeder überlieferte Text ist kohärent im Sinne historisch-kritischer Exegese, auch wenn diese Inkohärenzen seine Tradenten einst nicht gestört haben. Deshalb kann Kohärenz in diesem Sinn nicht einfach als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Sie bedarf genauso der Prüfung, wie die Annahme von Inkohärenz überzeugend begründet werden muss. Dass über die Tragweite der Gründe und deren Überzeugungskraft gestritten wird, ändert nichts an der Notwendigkeit einer Prüfung in beide Richtungen. Ich nenne deshalb noch einmal die wichtigsten Gründe, die m. E. zur Annahme mehrerer Hände in Hos 12 zwingen. Das Kapitel besteht, grob gesagt, aus zwei Textreihen, die sich stilistisch-formal wie inhaltlich-thematisch stark unterscheiden. Einem Unheilswort, das Efraims gegenwärtige Schuld thematisiert und Gottes kommende Strafe ankündigt, steht ein Rückblick gegenüber, der die Ursprungsgeschichte des Volkes im Ahn Jakob erzählt. Beide Textreihen sind so ineinander geschoben, dass sie den unmittelbaren Vorkontext jeweils abrupt unterbrechen und keinerlei Rücksicht auf ihn nehmen.67 Hinzu kommt, dass die Teile des Efraim geltenden Unheilswortes einen fortlaufenden Zusammenhang bilden, was man von den Jakobpassagen nicht sagen kann. Die vorliegende durchaus „diskursive Einheit“ ist auch deshalb schwerlich „kohä65 Vgl.
Schott, Jakobpassagen, 17. S. „Juda“ in V. 3, die Doxologie in V. 6 usw. und u. bei (3.7). 67 Einzig V. 1b ist als Kontrast relativ organisch an V. 1a angefügt, wird aber von Blum und den meisten wie „Juda“ in V. 3 der judäischen Redaktion zugeschrieben (Jakobs Traum, 44 Anm. 35). 66
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III. Zur Jakobüberlieferung
rent“68, weil allenfalls die Jakobpassagen einen Diskurs mit den Efraim-Teilen führen, während diese an jenen gar kein Interesse zeigen. Dass die Efraim-Teile nach der Einfügung der Jakobpassagen an einigen Stellen transparent auf die Jakobgeschichte werden, bewirkt allein das Licht, das die Jakobbearbeitungen auf die älteren Efraim-Teile werfen. All das kann schwerlich ein und demselben Kopf entsprungen sein. Wann, wenn nicht in einem derartigen Fall, legt sich eine diachrone Lösung nahe? 3.5 Die Bezüge auf Betel (V. 5b.7) Bezüge auf Betel finden sich allein in V. 5b.7. Text und masoretische Vokalisierung sind klar und eindeutig: 5bIn Betel fand er ihn (immer wieder), und dort redet er mit uns: 6… 7Du, ja du wirst mit deines Gottes Hilfe zurückkehren; hüte Treue und Recht, und hoffe beständig auf deinen Gott!
Weniger eindeutig ist, auf wen sich die Personalpronomina und die Suffixe beziehen. Vier Möglichkeiten ergeben sich: 1. Möglichkeit: Subjekt des Findens und Redens in V. 5b ist Jakob, war er es doch, der in V. 5a kämpfte und standhielt, weinte und flehte.69 Warum also sollte nicht auch in V. 5b von Jakob70 die Rede sein, der in Betel „ihn [Gott] findet“ und „dort mit uns redet“. V. 7 wäre dann zusammenfassendes Zitat einer Rede Jakobs, der seine Nachfahren ermahnt. Das „Du“ zielt auf das Volk Jakobs als die gegenwärtigen Adressaten.71 Dann wäre freilich mit Hos 12,5.7 für eine Gottesrede an Jakob in Betel kein Staat zu machen. 2. Möglichkeit: Wer den Suffixwechsel auf engstem Raum in V. 5b beschwerlich findet, könnte (wie die Vertreter der 3. Möglichkeit) im letzten Satz von V. 5 das Suffix ändern und Jakob „mit ihm“, also mit Gott, reden lassen. Man müsste dann Jakobs Rede auf das Gelübde beziehen, das er in Gen 28,20–22 ablegt. Dann wäre V. 7 natürlich kein Zitat der Rede Jakobs, sondern müsste als prophetische Anrede an das gegenwärtige Jakobvolk verstanden werden. Auch in diesem Fall wäre für eine Gottesrede an Jakob nichts zu gewinnen. Doch ist diese Lösung 68 Blum spricht bei Hos *12,1–15 von einer „kohärenten diskursiven Einheit“ (Jakobs Traum, 44). 69 Mit „weinen“ und „flehen“ deutet Hos 12,5a Jakobs Bitte um den Segen in Gen 32,27. 70 Das hatte schon Blum als Möglichkeit nicht ausgeschlossen (Komposition, 162). 71 So schon Blum, Komposition, 162: „mahnendes Wort an die Hörerschaft“, wofür vor allem die Einleitung mit ואתהund V. 5b spreche. Der Personenwechsel vom Plural („uns“) in den Singular („Du“) wurde hier – anders als Blum, Hosea 12, 296 Anm. 25, behauptet – noch nicht als Zeichen von Inkohärenz empfunden.
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nicht nur mit einer Textänderung und einem abrupten Subjektwechsel von V. 5b zu 7 erkauft; auch passt ein Iterativ der Vergangenheit ( )ידברnicht zu Jakobs einmaligem Gelübde. 3. Möglichkeit: Dass es Gott ist, der Jakob findet und redet, setzt nach V. 5a einen Subjektwechsel voraus. Der wird zwar nicht eigens angezeigt, ist aber nicht unmöglich. Doch auch dann kann nur der eine Gottesrede an Jakob in Betel finden, der zuvor den Text ändert: „dort redet er (Gott) mit ihm (> עמו πρὸς αὐτόν LXX)“, nicht „mit uns ( עמנוMT)“.72 Gibt es für diese Änderung überzeugende Gründe? Als beschwerlich, ja geradezu als Indiz von Inkohärenz73 hat man immer wieder den Wechsel der Suffixe bei den Verben empfunden, wohl weil der Inhalt nicht der Symmetrie der beiden Sätze entspricht. In der Regel ändert man mit der Septuaginta den Text und erklärt den MT als Anwendung von Gen 28,15 auf zeitgenössische Hörer.74 Das mag eine Möglichkeit sein, aber keineswegs die einzige. Sie liegt vor allem dann nicht nahe, wenn gerade dieser Wechsel der Suffixe beabsichtigt ist.75 Das scheint hier der Fall zu sein: In V. 5 wechselt das Objekt von Gottes Begegnungen mit Jakob in Betel einst („er fand ihn“) zur gegenwärtigen Kommunikation des Gottes Jakobs mit dessen Nachfahren („dort redet er mit uns“). Als beschwerlich gilt auch der Numerus-Wechsel in V. 7: Das „Du“ dort passe nicht zum Reden Gottes „mit uns“ in V. 5b.76 Doch wie hätte man den Wechsel zur Anrede an den Einzelnen im gegenwärtigen Jakobvolk anders ausdrücken können? Der Wechsel von einem kollektiven Wir zur göttlichen Anrede mit Du findet sich auch in Hos 6,3–4.77 4. Möglichkeit: Da der gegebene Text von V. 5.7 verständlich ist und nichts zu einer Änderung zwingt, sollten wir ihn so verstehen, wie er von den Masoreten vokalisiert wurde. Der Subjektwechsel von Jakob in V. 5a zu Gott in V. 5b ist durch „er flehte ihn ( )לוan“ ermöglicht. Auch hat das Verb „finden“ einen Bezug zum Wortfeld göttlicher Erwählung (mit Hos 9,10 als prominentem Beispiel). Der Subjektwechsel kommt also nicht völlig überraschend. Dagegen überrascht, dass Jakob in V. 5 anders als in V. 4.13 als positives Beispiel angeführt wird.78 Das 72 So seit J. Wellhausen, Die kleinen Propheten, Berlin 31998, 129, viele Kommentatoren und zuletzt Blum, Jakobs Traum, 46; ders., Hosea 12, 300; Wöhrle, Jacob, 999. 73 Mit dieser klassischen Meinung auch Blum, Hosea 12, 296 mit Anm. 25, und zuletzt Wöhrle, Jacob, 999. 74 So geht für Blum die 1. Pers. Pl. auf eine „applizierende Bearbeitung“ zurück, „die V. 6 im Blick hatte“ (Hosea 12, 300 Anm. 43). 75 Dazu s. schon Pfeiffer, Heiligtum, 71, 76 f. und 78 f. (hinsichtlich der Differenzierung in V. 7 ist freilich Blum, Hosea 12, 296, recht zu geben). Weitere Erklärungen des Wechsels finden sich u. bei der 4. Möglichkeit des Verstehens. 76 Vgl. Blum, Hosea 12, 296, Anm. 25. 77 Darauf hat schon Pfeiffer hingewiesen (Heiligtum, 73). 78 Das ist unter anderen einer der Gründe, der Schott veranlasst, V. 5–7 einem zweiten Nachtrag zuzuschreiben (Jakobpassagen, 9 f., 21–24).
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III. Zur Jakobüberlieferung
hängt mit der geradezu aufregenden Pointe zusammen, die in dem immer wieder kritisierten Wechsel der Objekte von V. 5b liegt. Hier wird direkt ausgesprochen, was Blum in seiner Auslegung der Anspielungen des Textes eindrücklich vor Augen führt: Hos 12 zeige „so etwas wie eine grundsätzliche ‚Jakob‘-Kontinuität Israels, die … bereits in der Vita des Ahnvaters angelegt ist“.79 Ganz entsprechend deutet Schott den Wechsel der Suffixe in V. 5: „‚Jakob‘ meint nicht nur den Ahnvater, sondern auch das aus ihm entstandene Volk.“80 V. 7 teilt mit, was der Gott von Betel zu der im letzten Satz von V. 5 angesprochenen Gemeinschaft sagt: Er verspricht Rückkehr und – auf einem Hintergrund wie Thr 5,2181 wohl besser – „Umkehr“ mit seiner Hilfe, mahnt aber zu Solidarität und Recht untereinander. Das schließt nicht aus, dass V. 7a mit der Beistandszusage von Gen 28,15 im Ohr geschrieben wurde. Aber er zielt jetzt auf das im Ahn beschlossene Volk und eröffnet ihm Hoffnung jenseits des erfahrenen Gerichts. Der Aufruf an das Jakobvolk, „auf deinen Gott“ zu hoffen (V. 7b), fordert nicht blindes Vertrauen, sondern hat einen unerschütterlichen Grund im Beispiel Jakobs. Gott fand ihn nicht nur einmal. Die Präformativkonjugation in V. 5b nach den Narrativen in V. 5a drückt aus, dass der Vorgang des Findens noch nicht abgeschlossen ist oder dass er wiederholt stattgefunden hat. Im ersten Fall wäre das Jakobvolk im Ahn einbeschlossen, im Fall eines Iterativs wäre nicht nur Gen 28, sondern auch Gen 35 im Blick, die einzige weitere Begegnung Gottes mit Jakob in Betel, von der wir wissen. Die aber fand nach seiner Rückkehr aus Aram statt. So oder so vermittelt die im ersten Satz von V. 5b angedeutete Rückkehr Jakobs einst seinen Nachfahren jetzt die Gewissheit, dass auch sie zurückkehren werden. 3.6 Worauf bezieht sich V. 5b? Mit einem Blick auf die Abfolge der Jakob-Anspielungen stellt Jakob Wöhrle in Frage, dass sich V. 5b überhaupt auf die Traumerzählung Gen 28 bezieht. Da in Hos 12 nach Jakobs vorgeburtlicher Existenz (V. 4a) sogleich von seinem Kampf in Pnuel bei der Rückkehr von Laban die Rede sei (V. 4b–5a), könne V. 5b nicht seine Gottesbegegnung in Betel auf der Flucht zu Laban meinen, sondern nur seine zweite auf der Rückkehr von Laban in Gen 35. Deshalb müssten sich Gottes Reden „mit ‚ihm‘“ und seine Worte in Hos 12,7 auf Gen 35,9–13 beziehen.82 Man fragt sich dann allerdings, welchen Sinn die Zusage der Rückkehr mit Gottes Beistand in Betel hat, wenn doch Jakob gerade zurückgekehrt ist und sich nun im Land befindet. Die Adressierung von V. 7 an das gegenwärtige Jakob-Israel ist dem allemal vorzuziehen.83 79
Blum, Hosea 12, 303. So m. R. Schott, Jakobpassagen, 12 Anm. 52. 81 S. dazu bes. Pfeiffer, Heiligtum, 79. 82 Wöhrle, Jacob, 1004–1005. 83 Schott, Jakobpassagen, 23: Adressat ist „das überzeitliche Jakobvolk“, nicht der Ahn. 80
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Ändert man V. 5b in „mit ‚ihm‘“, wäre es immer noch naheliegender, mit Klaus Koenen die Zusage „Du wirst mit Hilfe deines Gottes zurückkehren ( שובQal); hüte ( )שמרnur Treue und Recht“ als Antwort auf Jakobs Gelübde zu deuten: „Wenn Gott mit mir ist und mich behütet ( … )שמרund ich zurückkehre ( שובQal)“ (Gen 28,20–21a).84 Die auffällige Formulierung „in Betel fand ( )מצאer ihn“ greift wohl den Topos Erwählung auf und verwandelt damit die Ätiologie Betels in „eine Ätiologie der Erwählung Jakobs und in ihm Israels“.85 Mit Hos 12,7 ist auch in diesem Fall für eine ältere Beistandszusage in Gen 28,15 nichts zu gewinnen. 3.7 Wann ist die vorliegende Komposition von Hos 12 entstanden? Die Frage nach der Entstehungszeit der vorliegenden Komposition Hos 12 beantwortet Blum mit der historischen Situation, auf die V. 12 anspielt: der Verlust des Ostjordanlandes nach der Abtrennung Gileads durch Assur 732 v. Chr.86 Da er die Jakobpassagen und also auch V. 13 derselben Hand zuschreibt, glaubt er mit dieser Situierung von V. 12 den archimedischen Punkt für die Datierung der gesamten „diskursiven Einheit“ gefunden zu haben. Jedoch können nach unseren bisherigen Überlegungen mit Hilfe von V. 12 nur die damit zusammenhängenden Efraim-Teile ins 8. Jh. datiert werden. Denn nichts an der Anspielung auf Jakob in V. 13 weist in spezifischer Weise auf die Ereignisse gerade von 732 v. Chr. oder auf deren besondere Ursachen. Jakobs Flucht „ins Gefilde von Aram“ und seinen „Dienst um eine Frau“ erinnern lediglich an Gen 27,43–44; 29,1–30; 30,25–43. Wer diese Anspielungen auf die „außenpolitische Dimension der Untreue Israels“, konkret auf antiassyrische Bündnisse mit dem aramäischen Reich von Damaskus und damit auf die Ursachen von 732 v. Chr. bezieht87, muss voraussetzen, dass Jakobs Flucht nach Aram und seinen Dienst um seine Frauen dort als etwas Illegitimes verstanden worden sind. Dafür gibt es in der gesamten Jakobüberlieferung nicht den geringsten Hinweis. Er muss außerdem voraussetzen, was ja gerade in Frage steht, dass die Anspielungen auf Jakob von Anfang an mit den Efraim-Teilen verbunden waren. Gegen eine Deutung von V. 13 auf dem Hintergrund von V. 12 spricht schließlich auch, dass die politische Untreue nur in V. 2 ausdrücklich thematisiert wird, dort aber die Macht, mit der Efraim Assur betrügt, Ägypten, nicht aber Aram heißt. Eine Ausweitung der Datierung von V. 12 auf V. 13 und die anderen Anspielungen auf Jakob setzt immer schon die behauptete Kohärenz voraus; aus den Jakobpassagen selbst ergibt sich kein Gesichtspunkt für diese Datierung. 84
Koenen, Bethel, 196 f. Anm. 6. Koenen, Bethel, 196. 86 Blum, Hosea 12, 306–307; vgl. M. Weippert, HTAT Nr. 145 und 146. Dort ist unter anderem von den „Städten Galʾadda …, die im Grenzgebiet von Bit-Humriya liegen“, die Rede. 87 So Blum, Jakobs Traum, 46. 85
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III. Zur Jakobüberlieferung
Nicht die behauptete inhaltliche Nähe von Ursache (Vertragsbruch in V. 13) und Folge (Dezimierung in V. 12), sondern die durch Wortbrücken und Kontrastformulierungen hergestellten Verbindungen mit V. 1488 machen die letzte Anspielung auf Jakob verständlich: Der Heraufführung Israels aus Ägypten durch einen Propheten und dessen Hütedienst ( )שמרin V. 14 stehen die Flucht und der Hütedienst ( )שמרJakobs in V. 13 gegenüber. Die Heraufführung (עלה Hif.) „aus Ägypten“ impliziert als Ziel das gelobte Land; dagegen führt Jakobs Flucht „in das Gefilde von Aram“ aus dem Land hinaus in die Fremde. Subjekt der Heraufführung ist Jhwh, der durch seinen Propheten Israel ins Land gebracht und gehütet hat; ihm steht Israels Ahn gegenüber, auf der Flucht und in fremdem Dienst. Der Bearbeiter hat diese Jakobpassage mit Bedacht vor das unausweichliche Gericht gestellt: Eine Jakobexistenz ohne Jhwh und seinen Propheten (V. 13–14) führt geradewegs in den Untergang (V. 15). Das verstärkt noch die Dringlichkeit der Mahnung in V. 7b, nachdem man einmal Hos 12 um das positive Jakobbild in V. 5–7 erweitert hatte. Wenn aber V. 13 seinen Sinn nur in Verbindung mit V. 14 und im Gefälle auf V. 15 hin erhält, entscheidet dieser Zusammenhang auch über die Datierung der Jakobpassagen. Nun hat man schon lange gesehen, dass mit dem Propheten hier nur Mose gemeint sein kann; denn die Überlieferung erwähnt keine andere Führungsperson beim Exodus, die als Prophet bezeichnet wird, und keinen anderen Propheten beim Exodus als Mose. Von Mose als Propheten wird erstmals in Dtn 18,15.18; 34,10 gesprochen, und in Ex 3,1–4,17 ist es Mose, der Israel im Auftrag Jhwhs aus Ägypten in das Land führen soll.89 Diese beiden Textgruppen sind eindeutig dtr. geprägt. Hos 12,14 verbindet beide, nennt aber Mose nicht namentlich, weil hier jene Texte bereits vorausgesetzt werden und die dtr. Vorstellung von Mose als dem Propheten schlechthin schon längst geläufig war.90 Auf das dtr. Mosebild weist auch der letzte Satz in V. 14b hin. Wodurch „hütet/ bewahrt“ ein Prophet Israel, wenn nicht durch das Wort, das Gott in seinen Mund legt? Im Hintergrund steht, wie Dtn 18 zeigt, die Kette der Propheten als Prediger der Tora und Ausleger des in ihr mitgeteilten Gotteswillens.91 Daran knüpft V. 14 an. Weitere dtr. Spuren finden sich vielleicht in V. 3b (vgl. 4,9b), in dem das Jakobvolk mit der Vergeltung nach seinen „Wegen“ und „Taten“ bedroht wird, 88
Blum hat diese scharfen Gegensätze gesehen (Hosea 12, 311). zeichnet Ex 4,12 Mose in den Konturen von Dtn 18,18 und macht damit Mose, der das Volk Jhwhs aus Ägypten führen soll, zum Propheten. 90 Dazu schon Pfeiffer, Heiligtum, 93–95, und das Resumee von Schott: „Dass ausgerechnet Hos 12,14 ihr prägender Vorläufer sein sollte, scheint aufgrund des indirekten Charakters der Formulierungen ausgeschlossen“ (Jakobpassagen, 19–20). 91 Dazu M. Köckert, Zum literargeschichtlichen Ort des Prophetengesetzes Dtn 18 zwischen dem Jeremiabuch und Dtn 13 (2000), in: Ders., Leben in Gottes Gegenwart. Studien zum Verständnis des Gesetzes im Alten Testament (FAT 43), Tübingen 2004, 195–216. 89 Dabei
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was an Ri 2,19 (DtrN), vor allem aber an dtr. geprägte Texte wie Jer 17,10; 32,19 u. ö. erinnert. Vielleicht hat auch die jüngere positive Fortschreibung der Jakobtypologie in V. 5–7 dieses dtr. Prophetenbild vor Augen: Rückkehr oder Umkehr ist nur möglich durch Beachtung ( )שמרvon חסדund משפט. Mag dieses Begriffspaar auch nicht typisch dtr. sein, so ist es die Bindung der göttlichen Zusagen (hier )שובan die Beachtung ( )שמרder Weisungen, wie sie durch die Tora gelehrt werden, umso mehr. Es liegt deshalb nahe, in der prophetischen Anrede von V. 7a („du wirst mit deines Gottes Hilfe zurückkehren []שוב, bewahre nur []שמר …“) einen Reflex auf die dtr. Rückkehrzusage Gen 28,15 zu sehen, freilich nicht aus dem 8., sondern frühestens aus dem 6. Jh. Wenn mit dem Iterativ in V. 5 nicht nur an Gen 28, sondern auch an Gen 35,9– 15 gedacht ist, kennt zumindest diese Anspielung auf Jakob schon priesterliche Texte. Dazu passt, dass Betel nur in 35,13.15 als Stätte bezeichnet wird, „an der er (Gott) mit ihm ( )אתוgeredet hatte“. Auch die singuläre Wendung „Feld Arams“ ( שדי ארםV. 13) setzt wahrscheinlich P voraus; denn es handelt sich lediglich um die hebr. Übersetzung der nur im priesterlichen Schrifttum belegten aram. Bezeichnung „Paddan Aram“, die hier gewählt wurde, um V. 13 über das Stichwort שדהmit dem voranstehenden V. 12 zu verbinden. Die Jakobpassagen in Hos 12 setzen also nicht-priesterliche, priesterliche und dtr. Texte voraus.92 Gegen diese Spätansetzung der Jakobpassagen wird zuweilen eingewandt, es habe in der Perserzeit keine Gründe gegeben, ausgerechnet auf Jakob zurückzugreifen. Das wird schon durch die Überlieferung widerlegt, die Jakob ausdrücklich zum Ahn aller macht, die zum Zwölf-Stämme-Israel gehören, und die gerade deshalb erhalten und weiter gepflegt wurde.
4. Ergebnisse Von den Rückverweisen auf die Betel-Erzählung spielen nur die jüngsten auf die Beistands- und Rückkehrzusage (31,3; 32,10; 35,3) oder auf die Landverheißung (35,12 [P]) in Gen 28 an, die älteren (31,13; 35,1.7) beziehen sich dagegen noch nicht auf eine Gottesrede in Betel. Der älteste Rückverweis in der Rede des Gottesbotens (Gen 31,13) setzt die Traumerzählung und das Gelübde voraus. Die Aufforderung zur Rückkehr in das „Land deiner Verwandtschaft“ spielt nicht auf die Beistandszusage an, sondern realisiert nur die Bedingung des Gelübdes in 28,21a. Sie stammt wahrscheinlich von der Hand, die das Gelübde an die Traumerzählung angefügt hat, um die verschiedenen Überlieferung zu einer Jakoberzählung zu verbinden. 92
Schott, Jakobpassagen, 26; Wöhrle, Jacob, 1005 Anm. 23: Hos 12,5b setze aufgrund von Gen 35,14–15 sogar eine „post-Priestly version“ voraus.
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III. Zur Jakobüberlieferung
Auch der ältere Grundbestand in Gen 35,1–7 kennt schon die Traumerzählung (V. 1b.7b) und das Gelübde. Jakob erfüllt es nun nach seiner Rückkehr mit dem Bau eines Altars (V. 7a), der für das gelobte Heiligtum steht, und deutet die heilige Stätte ganz im Sinne der Traumerzählung als Ort bleibender Gegenwart Gottes. Dieser Grundbestand wurde durch die V. 2–4 erweitert und dadurch zu einem Vorspiel für Jos 24 gemacht. Diese Erweiterung gehört zu einer Bearbeitung, die jünger als P und das dtr. Geschichtswerk ist. Sie bezieht sich in V. 3b auf den im Gelübde zur Bedingung gemachten Beistand Gottes „auf dem Weg, den ich gegangen bin“. Die Rückverweise Gen 31,3 und 32,10–13 sind durch mehrere Stichworte miteinander und mit ihrem Bezugstext 28,15 verbunden. Jeder der drei Texte findet sich an einem besonderen Ort im Verlauf der Großerzählung: Die Beistands- und Rückkehrzusage in 28,15 vergewissert Jakob in der ersten Nacht auf der Flucht vor Esau seiner Zukunft. Die Gottesrede in 31,3 veranlasst Jakobs Rückkehr von Laban in die Heimat. Mit dem Gebet 32,10–13 reagiert Jakob vor dem Zusammentreffen mit seinem Bruder auf die bedrohliche Nachricht seiner Boten. Alle drei sind in einer Sprache und mit Vorstellungen formuliert, die aus einer geistigen Welt stammen, in der Deuteronomistisches schon Allgemeingut der geistigen Elite geworden war. Die bedient sich relativ frei der dtr. Formulierungen, mischt diese aber zwanglos mit anderen Motiven. Aus dem Arsenal dtr. Konzeptionen stammt auch die Übertragung der Bundesvorstellung auf das Gottesverhältnis in der nachträglichen Erweiterung des Gelübdes in 28,21b. Die Jakobpassagen in Hos 12 setzen ein aus dem 8. Jh. stammendes Gerichtswort gegen Efraim voraus. Sie gehen auf „zwei Fortschreibungen“ (M. Schott) zurück, welche den Betrug Efraims (12,1a.2.8–10.12.15) mit Jakob als Ahn Israels und Judas deuten: 12,1b.3–4.13–14 decken sie mit Hilfe des negativ gedeuteten Ahns als eine schon im Ursprung gründende Betrugsgeschichte auf und begründen damit das Gericht; 12,5–7 eröffnen mit Hilfe des positiv gedeuteten Ahns dem in ihm beschlossenen Volk Hoffnung jenseits des erfahrenen Gerichts. Der Wechsel in V. 5b von Jakob, der Gott in Betel „findet“, zu „uns“ (den gegenwärtigen Nachkommen Jakobs), mit denen Gott redet, ist beabsichtigt und sollte nicht in „ihn“ (Jakob) geändert werden. V. 7a hatte zwar Gen 28,15 vor Augen, richtet sich aber an das gegenwärtige Volk, das aus Jakobs Rückkehr aus Aram einst Vertrauen schöpfen kann. Beide Fortschreibungen verarbeiten dtr. Vorstellungen (V. 3b.7.14) und setzen priesterliche Texte (V. 5.13) voraus, ohne dass man sie mit dem Label „dtr.“ bezeichnen kann. Die schon lange für 28,15; 31,3; 32,10–13 angenommene dtr. Färbung hat sich bestätigt.93 Darüber hinaus fanden sich entsprechende Spuren auch in Hos 12. Allerdings lässt sich weder eine dtr. Redaktion noch eine entsprechende 93 Letzte
gründliche Untersuchung bei Blum, der sie seiner D-Komposition zuschreibt (Komposition, 152–164).
13. Die Rückverweise auf Gen 28,10–22
319
kompositionelle Absicht erkennen. Für all diese Texte ist „Deuteronomistisches“ schon Allgemeingut geworden, das frei gebraucht und mit mancherlei verbunden werden konnte. Die zuweilen unternommenen Versuche, mit Hilfe der Rückverweise und vor allem mit Hos 12 eine wie auch immer geartete Gottesrede aus dem 8. Jh. in Gen 28 als ursprünglich zu erweisen, konnten dagegen nicht überzeugen.
14. War Jakobs Gegner in Gen 32,23–33 ein Dämon? Viel Stoff zum Thema stellt das Alte Testament nicht bereit. Die Gründe für den Mangel liegen auf der Hand. Nachdem einmal Jhwh zum einzigen Gott für alle Welt avanciert war, blieb kein Raum für numinose Wesen neben ihm. Jhwhs Einzigkeit und – damit verbunden – seine Allwirksamkeit waren nun das Filter, durch das die Traditionsliteratur Israels in die Sammlung gelangt ist, die wir Altes Testament nennen. Kein Wunder also, dass man hier höchst selten auf derartige Phänomene stößt. Und doch muss es dergleichen im alten Israel gegeben haben wie anderwärts bei seinen altorientalischen Geschwistern.1 Wir lesen beispielsweise von den שעירים, die nach Jes 13,21 und 34,14 zusammen mit anderem unerfreulichem Getier in der Wüste hausen. 2 Kön 23,8 (cj.) berichtet von einem Open-Air- Heiligtum für sie, das an den Toren Jerusalems gelegen war; und 2 Chr 11,15 fügt zu den Bosheiten zur Diskreditierung Jerobeams noch hinzu, er habe sogar eigene Priester für sie bestellt. Schon dass man Opfer für jene Gesellen eigens verbieten musste (Lev 17,7), sagt genug. Viel genützt haben derartige Verbote selten. Auch damals galt wie heute: „Was verboten ist, das macht uns grade scharf.“ Deshalb griff man – ungleich wirkungsvoller – zum Mittel der Uminterpretation von Bräuchen, die ehedem in Verbindung mit Dämonen standen. So versah man das Verbot der Nachlese auf dem Feld und im Weinberg in Lev 19,9 mit einer sozialen Begründung, die den ursprünglichen Sinn dieses Brauches völlig verdrängt hat. Kurzum, wer Dämonen und Dämonisches im Alten Testament finden will, muss schon sehr sorgfältig suchen. Zu den wenigen hier einschlägigen Texten rechnen viele seit langem die Erzählung von Jakobs Kampf am Jabbok in Gen 32. Vor allem drei Beobachtungen und subjektive Eindrücke sind für diese Beurteilung leitend: 1. Das Bild, das die Erzählung von Gott zeichnet, trage archaische Züge, die bis heute als anstößig empfunden werden, ja, die dem Gott Israels fremd gewesen seien.2 Für viele stehe H. Gunkel: „Jedenfalls führt die Gottesgestalt der Sage in sehr alte Zeit. Dazu stimmt auch der eigentümliche Ton der Sage, die das Grauen der Gottheit in das Dämmerlicht des Geheimnisses hüllt.“3 Und auch 1 S. die Übersicht von J. Maier, Art. Geister (Dämonen) B. I. c. Israel, RAC 9 (1976) 579–585. 2 Zu den wenigen, die in der Erzählung „ein für die Gotteserfahrung Israels wesentliches [!] Moment bewahrt“ sehen, gehört H.‑J. Hermisson, Jakobs Kampf am Jabbok (Gen 32,23–33), ZThK 71 (1974) 239–261, 240, wenn auch seiner Rückführung auf den „Gott der Väter“ nicht gefolgt werden kann. 3 H. Gunkel, Genesis (HK 1/1), Göttingen 51964, 365.
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III. Zur Jakobüberlieferung
G. v. Rad spricht bei aller Würdigung der Erzählung von „uralte(m), aus roher heidnischer Vorzeit stammende(m) Gerüst und Vorstellungsmaterial“.4 2. Die Erzählung stehe „unglücklich“5, indem sie retardierend zwischen die Vorbereitungen Jakobs auf die Begegnung mit Esau in Kap. 32 und die Begegnung selbst in Kap. 33 eingeschoben zu sein scheint. 3. Die Erzählung verbinde zu viele Ziele und Motive. Die Fülle des Angebotes hat immer wieder zu neuen Rekonstruktionen einer einsträngigen Einzelsage eingeladen und tief gestaffelte Entstehungsgeschichten des Textes unterschiedlicher Art erfinden lassen. Aus alledem ergibt sich: Eine Deutung des Gegners Jakobs auf einen Dämon hängt nicht nur an internen Textbeobachtungen, sondern setzt stets voraus, dass die Erzählung aus einer vor-jahwistischen, ursprünglich selbständigen Einzelsage erwachsen ist. Diese Deutung soll im folgenden überprüft werden. Das betrifft (1) die einzelnen Züge innerhalb der Erzählung und das Vergleichsmaterial, das man für die Deutung auf einen Dämon herangezogen hat; das betrifft (2) die Rekonstruktionsversuche einer ursprünglichen Einzelsage und deren literarische Voraussetzungen. Schließlich sei (3) eine alternative Erklärung vorgestellt.
1. Prüfung der Argumente für die Deutung auf einen Dämon Die Hypothese ruht in der Hauptsache auf fünf Argumenten, gleichgültig ob man von einem Fluss- oder Nachtdämon spricht und welche Funktion man ihm zuschreibt. 1. „Die vorjahwistische Vorlage teilt offenbar die Vorstellung, daß es sich bei einem Fluss nicht lediglich um eine physikalische Erscheinung, sondern um ein göttlich oder dämonisch beseeltes Wesen handelt. Daher glaubte man, ihn nicht ohne sein Einverständnis oder seine Abschreckung überschreiten zu können.“6 Dafür verweist man seit Dillmann7 und Gunkel auf Material einerseits aus der klassischen Antike8, anderseits aus der ethnologischen Feldforschung9 in Afrika, 4 G. v. R ad, Das erste Buch Mose Genesis (ATD 2–4), Göttingen 111981, 263; vgl. A. Jirku, Die Abwehr der Dämonen im Alten Testament, Leipzig 1912, 31. 5 So M. Noth, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart 1948, 111. 6 O. K aiser, Vom Deus absconditus und Deus revelatus. Drei schwierige Erzählungen im Pentateuch, in: M. Tamcke (Hg.), Syrisches Christentum weltweit. Studien zur syrischen Kirchengeschichte, FS Hage, Hamburg 1995, 417. 7 A. Dillmann, Die Genesis. Von der dritten Auflage an erklärt (HAT 11), Leipzig 1892, 363. 8 S. die Übersicht von Waser, Art. Flußgötter, PW VI/2 (1909) 2774–2815, und die Belege für Kämpfe zwischen Göttern und Heroen, die N. Schmidt, The Numen of the Penuel, JBL 45 (1926) 260–279, 270 ff., zusammengetragen hat. 9 So vor allem J. G. Frazer, The Collected Works Vol. XIII: Folk-Lore in the Old Testa-
14. War Jakobs Gegner in Gen 32,23–33 ein Dämon?
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Wales und bei den Indianern. – Die Pointe ist dabei freilich stets die, dass man vor der Überschreitung des Flusses Opfer darbringt oder Omina einholt oder dass man nach negativer Erfahrung, wie sie Xerxes mit dem Hellespont machen musste, das Wasser bestraft und magisch fesselt.10 All das fehlt in Gen 32 völlig; denn der Überfall erfolgt erst, nachdem der Fluss bereits durchschritten ist.11 Jakob hat offenbar diese Vorstellungen nicht geteilt, welche die Kommentatoren dem Text allzu selbstverständlich unterstellen, sonst hätte er entsprechende Vorsorge getroffen. Man muss diese Vorstellung aus entfernten Regionen und Kulturen erst an den Text herantragen, um ihn dann auf der Basis dieser ihm fremden Voraussetzung so deuten zu können. 2. „Die Gefährlichkeit der Furt ist in dem Geist oder Dämon personifiziert, der den Wanderer nicht hinüberlassen will (das mehrfache )עברund ihn überfällt, um ihn am Übergang des Flusses zu hindern“.12 – Dagegen sprechen jedoch V. 23 f. Der vorausgesetzte Dämon hatte offenbar nichts dagegen, dass Jakobs Familie und seine ganze Habe den Fluss überquerten. Er kommt mit seinem Angriff zu spät! Dass die für Jakob überraschende Attacke gar auf die Vernichtung des Erzvaters ziele, entnehmen Westermann und Gunkel allein Ex 4,24–26. Was aber dort ausdrücklich als Absicht ausgesprochen wird, fehlt bezeichnenderweise in der Erzählung Gen 32, die auch keine magische Abwehr kennt. Auch diese Deutung setzt voraus, was zuvor hätte erwiesen werden müssen, dass der „Mann“ in V. 25 ein Schadensdämon gewesen sei. 3. „Zu seiner wilden Mordlust passt seine lichtscheue Art“13; und dass der Kampf bis zum Anbruch der Morgenröte währt, „hängt mit dem Charakter des alten Nachtdämons zusammen“14, der „seine Kraft mit dem anbrechenden Tag verliert“15. – Die für das Aufbrechen Himmlischer am Morgen angeführten Parallelen aus der klassischen Antike erlauben jedoch keine Rückschlüsse auf deren dämonischen Charakter. Der schon von Dillmann gegebene Hinweis auf Plautus, Amphitryon, wird seither zwar immer wieder zitiert, betrifft aber keinen Dämon, sondern Juppiter. Und der verlässt die schöne Alkmene vor dem Morgengrauen nicht etwa deshalb, weil nun seine Kräfte schwinden, nachdem er Herakles gezeugt hat, sondern weil er unerkannt in seiner Verkleidung als ment. Studies in Comparative Religion, Legend and Law II, Richmond 1994, 410–425, und T. H. Gaster, Myth, Legend, and Custom in the Old Testament. A Comparative Study with Chapters from Sir James G[eorge] Frazer’s Folklore in the Old Testament [Ausz.], London 1969, 205–212. 10 Herodot VII 34 f. 11 So m. R. C. Levin, Der Jahwist (FRLANT 157), Göttingen 1993, 252. 12 C. Westermann, Genesis II (BK I/2), Neukirchen-Vluyn 1981, 627. 13 Gunkel, Genesis, 364. 14 K. Elliger, Der Jakobskampf am Jabbok. Gen 32,23 ff. als hermeneutisches Problem, ZThK 48 (1951) 1–31 = Ders., Kleine Schriften zum Alten Testament (ThB 32), München 1966, 141–173. 15 Westermann, Genesis II, 631.
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III. Zur Jakobüberlieferung
Amphitryon bei Tagesanbruch wieder im Heerlager sein will.16 Auch Otto Kaisers Erinnerung an den Ringkampf zwischen dem Flussgott Achelous und Herakles aus Ovid17 beweist nicht das, was sie soll. Denn weder ist Achelous, der Sohn Poseidons, ein Dämon, noch schwinden seine Kräfte erst am Morgen, als die ersten Sonnenstrahlen die Berggipfel erleuchten. Herakles hatte ihn, trotz seiner Verwandlung in eine Schlange und schließlich in einen Stier, schon lange vor dem Morgen noch mitten in der Nacht besiegt. Der Sonnenaufgang markiert hier nur das Ende der Begegnung und die Trennung der Gegner: „… als die ersten Strahlen die Gipfel treffen, scheiden die Männer.“18 Zweifellos ist das Motiv von der Geisterstunde und von der Nacht als Zeit aller möglichen zwielichtigen Wesen in der Folklore weit verbreitet, wie die Beispiele bei Frazer und Gaster zeigen.19 Aber keineswegs jedes Wesen, das vor Tagesanbruch zu entschwinden trachtet, muss allein deshalb schon ein Dämon sein. Wer wollte das beispielsweise von den Heinzelmännchen zu Köln oder gar vom Auferstandenen in Joh 20,17 behaupten? „Frühmorgens, als es noch dunkel war“ (V. 1) begegnet Maria dem Gärtner, wie sie meint (V. 15). Jesus gibt sich zu erkennen und sagt zu ihr (V. 17): „Halte mich nicht fest …“20 Umgekehrt zeigt das reiche altvorderorientalische Material, dass sich Dämonen zwar räumlich beschränken lassen, nicht aber auf bestimmte Zeiten. Dem scheint auf den ersten Blick die Beschwörung W 22652 zu widersprechen.21 Hier heißt es von den „Sieben“, denen man nicht opfert, weil „ihr Wandel böse“ ist (rto. II): 2 Ihrer
Sieben, wurden sie im Gebirge des Sonnenuntergangs (= Westen) geboren; Sieben, wuchsen sie im Gebirge des Sonnenaufgangs (= Osten) auf; 6 in den Spalten der Erde hocken sie jeweils (herum); 4 ihrer
16 Plautus,
Amphitruo, I 3,34 f., bzw. 526 ff. Ovid, Metamorphosen, IX 1–96. 18 IX 93 f. Dieses Beispiel zeigt auch, dass keineswegs jeder Sonnenaufgang mythisch konnotiert sein muss. 19 Frazer, Myth, 205 ff.; vgl. auch das im wesentlichen neuzeitliche Material in den einschlägigen Artikeln (Dämonen, Morgen, Nacht, Sonnenuntergang – Sonnenaufgang) in: HWDA und EdM. „Die N.[acht] ist die Zeit der Geister und des Zaubers … Vielfach betonen die Geister selbst ausdrücklich, daß diese Zeit ihnen gehört und dem Menschen nur der Tag zukommt …: ‚Der Tag ist dein, die N. ist mein‘“ (Art. Nacht, HWDA 6 [1987] 776). Deshalb agiert der Teufel vornehmlich nachts bis zum ersten Hahnenschrei, bei dem er sein Werk „unvollendet einstellen und verschwinden muß“ (S. 778), nicht aber seine Kraft verliert! 20 Die Analogie wird noch deutlicher, wenn man sieht, dass der den Zusammenhang unterbrechende Besuch der zwei Jünger am Grabe in den V. 2–10 auf die johanneische Redaktion zurückgeht; zur Übersetzung von V. 17 s. F. Blass/A . debrunner, A Greek Grammar of the New Testament and Other Early Christian Literature, Chicago 1961, § 336,3 und W. Bauer, Griechisch-Deutsches Wörterbuch, zu den Schriften des Neuen Testaments und der übrigen urchristlichen Literatur, Berlin 31937, 203. 21 Die Kenntnis dieses Textes (in: E. von Weiher, Spätbabylonische Texte aus Uruk, Teil II, Ausgrabungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Uruk-Warka, Bd. 10, Berlin 1983, 15 ff.) verdanke ich dem freundlichen Hinweis von Frau Kollegin Angelika Berlejung. 17
14. War Jakobs Gegner in Gen 32,23–33 ein Dämon?
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8 aus
dem unbebauten Land der Erde erheben (?) sie sich jeweils heraus. im Himmel noch auf der Erde werden sie ergründet, von Schreckensglanz bedeckt(e) – (das) sind sie; 12 (selbst) unter den weisen Göttern sind sie nicht bekannt; 14 ihre Namen existieren weder im Himmel noch auf der Erde. 16 Ihrer Sieben, laufen sie im Gebirge des Sonnenuntergangs immer umher; 18 ihrer Sieben, treiben sie im Gebirge des Sonnenaufgangs ihr Spiel … 10 Weder
Deutlich gilt die Nacht („vom Gebirge des Sonnenuntergangs bis zum Gebirge des Sonnenaufgangs“) als Heimat („da wurden sie geboren und dort wuchsen sie auf “) der „bösen Sieben“. Dass ihre Wirksamkeit oder Macht nur auf die Nacht beschränkt sei, kann man daraus freilich nicht folgern; denn wenig später (vs. III 25 ff.) empfiehlt der Text Maßnahmen, die den Kranken Tag (!) und Nacht vor den Dämonen schützen sollen. Die einzige mir bekannte Analogie in größerer zeitlicher und räumlicher Nähe zu Gen 32 befindet sich auf einem der Beschwörungstäfelchen KAI Nr. 27 aus Arslan Tasch aus dem 7. Jh. v. Chr. Verschiedene Auffälligkeiten am ikonographischen und epigraphischen Befund wecken Zweifel an der Echtheit.22 Wie dem auch sei, in Z. 22–29 ist von einem Dämon Sasam die Rede. Am Schluss heißt es: „Die Sonne geht auf ! O Sasam – geh vorüber und höre auf niederzutreten!“23 F. M. Cross übersetzt: „… Disappear, and fly away home!“24 Die Differenz im Verständnis der letzten Zeile kann hier auf sich beruhen. Entscheidend ist: Auch hier verschwindet der Dämon bei Tagesanbruch nicht ohne weiteres von selbst; er muss dazu mit einer Beschwörung erst auf Trab gebracht werden – und der Erfolg steht noch dahin. Das Motiv vom Aufsteigen der Morgenröte ist in Gen 32 sowohl innerhalb der Jabbokszene als auch im Nahkontext der Begegnung mit Esau ohne dämonische Untertöne viel leichter erklärbar. E. Blum spricht von der zeitlichen Begrenzung des Kampfes25, und schon H. Gunkel sah in dem Begründungssatz V. 27 ein szenisches „Mittel, um von der als länger dauernd vorgestellten Handlung des Ringens an einen Endpunkt zu kommen, der die Hauptsache bringen muß“.26 Das Motiv passt sich bestens in das zeitliche Gefälle von Gen 32 ein. Seit V. 14 ist es Nacht. Auf sie weist V. 23 zurück. In V. 32 geht die Sonne auf, nachdem der Kampf beendet und der Segen gesprochen sind. Voraus geht die Notiz des allwissenden Erzählers in V. 25b: „Da rang ein Mann mit ihm bis zum Anbruch 22 J. Teixidor, Les tablettes d’Arslan Tash au Musée d’Alep, Aula Orientalis 1 (1983) 105– 108, und P. Amiet, Observations sur les „Tablettes Magiques“ d’Arslan Tash, Aula Orientalis 1 (1983) 109, weisen vor allem auf singuläre ikonographische Züge und auf epigraphische Eigentümlichkeiten hin. 23 W. Röllig, Die Amulette von Arslan Tas (NESE 2), Wiesbaden 1974, 17–36, 19. 24 F. M. Cross, Phoenician Incantations on a Plaque of the Seventh Century B. C. From Arslan Tash in Upper Syria, BASOR 197 (1970) 47. 25 E. Blum, Die Komplexität der Überlieferung. Zur diachronen und synchronen Auslegung von Gen 32,23–33, DBAT 15 (1980) 2–55, 15. 26 Gunkel, Genesis, 361.
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III. Zur Jakobüberlieferung
der Morgenröte.“ Die Forderung des Angreifers in V. 27 („Lass mich; denn die Morgenröte ist angebrochen!“) muss in dieser Erzählperspektive als Angebot zur Beendigung des Kampfes verstanden werden. 4. Weil der Angreifer den Namen seines Gegners nicht kenne und in V. 28 ausdrücklich danach frage, müsse er ein untergeordnetes Wesen, eben ein Dämon sein.27 – Dieser Schluss berücksichtigt weder die Gestalt noch die Funktion der Frage im Zusammenhang. Die Art der Formulierung zeigt, dass der „Mann“ die Antwort bereits kennt, wie aus einem Vergleich mit Ex 4,2 hervorgeht.28 Außerdem ist der Mann von Jakob auch dadurch unterschieden, dass er „spricht“, während Jakob „fragen“ muss. Die Frage nach dem Namen Jakobs wird aber vor allem zu dem Zweck gestellt, die Umbenennung Jakobs wirkungsvoll vornehmen zu können: Nach dem Kampf wird aus ( יעקבmit allen Neben- und Untertönen, welche die Jakobüberlieferung zuvor bereitgestellt hat) ein ישראל. Bei den Untertönen denke man nicht nur an Esaus Klage in 27,36, sondern auch an die Frage Isaaks in 27,24! 5. Der Gegner Jakobs versuche seine Identität zu verbergen, weil er fürchtet, Jakob könne andernfalls Macht über ihn gewinnen. Deshalb könne das nächtliche Wesen kein Gott, sondern müsse ein Dämon sein.29 – Die Abweisung der Frage Jakobs, nachdem (!) der Unbekannte ihm einen neuen Namen und damit eine neue Zukunft gegeben hat, erklärt sich sehr viel einfacher ohne das ‚Rumpelstilzchen-Syndrom‘. Man muss nur Ri 13 lesen. Auch dort kommt ein „Mann“ zur Frau Manoahs und kündigt Großes an, die Geburt eines Sohnes. Manoah weiß aber – anders als der vom Erzähler informierte Leser – nicht, wer dieser „Mann“ ist. Er fragt deshalb nach dessen Namen. Aber er erhält – wie Jakob – eine abweisende Antwort. Erst als die Flamme das Opfer verzehrt und der Mann in der Flamme gen Himmel fährt, erkennt Manoah, daß es der „Bote Jhwhs“ war. Offenbar gehört es zu den Topoi von Epiphanieerzählungen, in denen die Gottheit zunächst inkognito bleibt, dass die Frage nach dem Namen abgewiesen wird, um das Inkognito zu wahren. An der Verweigerung des Namens erkennt Jakob Gott selbst. Wer ist also der „Mann“ von V. 25? Auf keinen Fall ein Dämon. Keiner der auf einen Dämon gedeuteten Erzählzüge nötigt zu dieser Annahme. Umgekehrt unterstützt der Umstand, dass jener in der Erzählung zunächst unbekannte Angreifer seinen Gegner segnet, nicht gerade die Deutung auf einen Dämon.30 Die 27
Gunkel, Genesis, 362. B. Jacob, Das Buch Genesis. Hrsg. In Zusammenarbeit mit dem Leo Baeck Institut, Stuttgart 2000, 639: „Wer so fragt, kennt die gefragte Sache schon, läßt sich aber den Tatbestand erst von dem andern bestätigen, ehe er eine Bemerkung darüber macht.“ 29 So seit Gunkel, Genesis, und Jirku, Dämonen, 25, viele. 30 „Die gute Macht des Kämpfers zeigt das Segnen an. Es wird nie von einer anderen ausgesagt …“ (H. Eising, Formgeschichtliche Untersuchung zur Jakobserzählung der Genesis, Emsdetten 1940, 120). 28
14. War Jakobs Gegner in Gen 32,23–33 ein Dämon?
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altvorderorientalische Welt war zweifellos von zahlreichen Schadensgeistern und Dämonen bevölkert. Vor ihnen schützte man sich mit Beschwörung, Magie und Zauber. Von Kämpfen mit Dämonen Mann gegen Mann berichtet die auf uns gekommene Literatur des Alten Orients so wenig wie von segnenden Dämonen.31
2. Prüfung der Gründe für die Annahme einer ursprünglichen Einzelsage Die hier abgewiesene Deutung auf einen Dämon stützt sich allerdings stets noch auf eine zweite Argumentationsbasis: Die Erzählung von Jakobs Kampf am Jabbok sei eine gewachsene Einzelüberlieferung, die aus vor-jahwistischer Zeit stamme. Auch in dieser Frage hat H. Gunkel Schule gemacht: „Ursprünglich steht die Sage auf ganz eigenen Füßen und hat mit der Jaqob-Esau-Geschichte nichts zu tun: der mutige Gottesbesieger und der Jaqob, der vor Esau zittert, sind eigentlich ganz verschiedene Gestalten …; ja eigentlich sprengt die PenuelErzählung die beiden Esau-Geschichten, zwischen denen sie steht, geradezu aus einander.“32 M. Noth beurteilt deshalb das Stück als „eine ausgesprochene Einzelerzählung“.33 Dieses Urteil erfreut sich breiter Zustimmung. 1. Schon die literarische Einbindung der Erzählung in den Kontext von Gen 32–33 macht es schwer, einen Beweis für die Behauptungen Gunkels am Text von Gen 32 zu führen. V. 23 markiert mit zwei Rückverweisen auf den voranstehenden Kontext gerade keinen selbständigen Erzählanfang. Das Subjekt Jakob ist nicht eingeführt34, und die Zeitangabe „in jener Nacht“ bindet ausdrücklich an V. 22 und V. 14 zurück. Auch setzt der Aufbruch einen Ort voraus, der über den Rückverweis „dort“ in V. 14 auf Mahanajim in V. 3 zurückführt. Und schließlich bedarf die Erwähnung der Frauen und Kinder Jakobs in V. 23 des vorangehenden Kontextes. Was dann folgt, hat zweifellos den Charakter 31 In der Diskussion auf der Tagung in Rottenburg wurde dieser Gesichtspunkt mit einem Hinweis auf Schedu in Zweifel gezogen. Zwar erscheint er (häufig zusammen mit Lamassu) in apotropäischer Funktion als Schutzgott des Hauses, der deshalb einem Eindringling (!) gefährlich wird, jedoch kenne ich keinen Beleg für einen segnenden schedu. Die These von J. L. McKenzie (Jacob at Peniel, Gen 32,24–32, CBQ 25 [1936] 71–76, 73), es handle sich bei dem Angreifer in Gen 32,25 um „a god or a demon who is the protecting genius of the land against the arrival of Israel in its eponymous ancestor“, könnte auf diesem Hintergrund religionsgeschichtliches Profil erhalten, scheitert aber daran, dass nicht das Thema Land, sondern der Segen für die Erzählung konstitutiv ist. 32 Gunkel, Genesis, 365. 33 Noth, Pentateuch, 104. 34 Levin, der allerdings das Stück für einen „unselbständigen Einschub“ hält, der „ohne Zweifel ‚auf einem uraltem Stoff ‘“ beruhe (Jahwist, 251), und andere machen aus der Not flugs eine Tugend, indem sie aus der richtigen Beobachtung den zweifelhaften Schluss ziehen, die unbewiesen vorausgesetzte Einzelsage sei erst nachträglich mit Jakob in Verbindung gebracht worden.
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III. Zur Jakobüberlieferung
einer Szene auf dem Wege, ist also Teil eines größeren Zusammenhangs, nicht aber eine Einzelsage. Am Beginn der Szene zieht Jakob durch den Jabbok (עבר in V. 2335), am Ende zieht er an Pnuel vorüber (ebenfalls עברin V. 3236), so dass auch der Schluss allenfalls einen szenischen Einschnitt markiert, nicht aber eine ursprünglich selbständige Einzelsage beendet. Der Anfang fällt mit der Tür ins Haus, und der Schluss lässt das Ziel der Bewegung offen. Das entspricht nicht gerade dem, was Olrik den „beruhigenden Ausklang“ nennt. Mag die Szene durch die Bezüge zwischen Anfang und Schluss eine gewisse Geschlossenheit zeigen, wozu nicht nur das Verb עבר, sondern auch der Kontrast von Nacht und Sonnenaufgang beiträgt, so ist sie doch ohne ihren Kontext nicht wirklich funktionsfähig. Umgekehrt gibt es nach Amputation der Szene keinen auch nur einigermaßen befriedigenden Übergang von Gen 32 nach 33. Die Szene ist geradezu notwendig, um zwischen den Vorkehrungen Jakobs (Gen 32) und der Begegnung der beiden Brüder (Gen 33) zu vermitteln.37 2. Für eine ursprüngliche, gewachsene Einzelsage enthält die Szene zu viele Themen und Erzählziele: Kampf und Segen erscheinen verbunden mit den Ätiologien des Namens „Israel“, des Ortes Pnuel und einer israelitischen Speisesitte. Das hat man natürlich schon immer gesehen und Abhilfe zunächst dadurch zu schaffen gesucht, dass man die Themen auf zwei Quellen verteilte.38 So erhielt man meist zwei Versionen der vorausgesetzten Einzelsage: eine Ortssage mit dem Ziel der Benennung Pnuels und eine Sage mit der Ätiologie Israels. Schon R. Smend sen., gewiss kein Verächter der Literarkritik, meinte freilich: „Die Dubletten, die man in der Erzählung hat nachweisen wollen, beruhen auf schlechter Exegese.“39 35
Vgl. Gen 31,21. Vgl. Ri 3,26. 37 „Was 32,21 als Hoffnung ausgesprochen wird und sich in 33,4 erfüllt zeigt, bedarf einer eigentlichen Durchführung der Geschenke oder, da diese nicht gut möglich ist, einer anderen Überleitung“ (so m. R. Eising, Untersuchung, 136). Die erzählstrategische Notwendigkeit eines Kerns von 32,23–33 für den Kontext sieht auch R. G. Kratz, Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments. Grundwissen der Bibelkritik (UTB), Göttingen 2000. Seine Rekonstruktion eines älteren Erzählzusammenhangs vor J, bestehend aus 32,1–2a.2b– 3.4–9.14a.25–27.30b–32; 33,1a.4.12–15 (vgl. S. 273 Anm. 56–57 mit der zusammenfassenden Tabelle S. 280), ist insofern problematisch, als ein unmittelbarer Anschluss von V. 25 (Jakob ist allein) an V. 14 (Jakob wird mit Familie und aller Habe in Mahanajim vorgestellt: V. 3) Schwierigkeiten macht; auch erscheint die Benennung des Ortes in V. 31 mit Pnuel als befremdlich, wenn doch V. 25–27 in dem rekonstruierten Kontext in Mahanajim (V. 3) oder im Lager (V. 22) vorgestellt werden. Unabhängig davon rechnet Kratz in V. 25–27.30b mit einer ursprünglich anonymen Einzelüberlieferung von der Erlangung des Segens (S. 274 – zur analytischen Basis dieser Abgrenzung s. u. 4.). 38 Eine Dokumentation braucht hier nicht gegeben zu werden; statt dessen sei lediglich auf zwei zutreffende Resumees verwiesen: „Die vielen Versuche zeigen die Schwierigkeit der Aufgabe“ (Gunkel, Genesis, 360) und: Die Bemühungen sind „wenig ermutigend“ (Elliger, Jakobskampf, 144). 39 R. Smend, Die Erzählung des Hexateuch auf ihre Quellen untersucht, Berlin 1912, 86; zu einer u. E. durchaus berechtigten Literarkritik an der Erzählung s. u. 3. 36
14. War Jakobs Gegner in Gen 32,23–33 ein Dämon?
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Er rechnet deshalb die Erzählung wie vor ihm J. Wellhausen40 im großen und ganzen zum Jahwisten. Doch selbst wenn man die Verteilung auf zwei literarische Fassungen der Sage für berechtigt hält, muss bei einer ursprünglichen Einzelsage im Sinne Gunkels befremden, dass in der Erzählung selbst keines der genannten Erzählziele – sieht man von der Begründung der Speisesitte einmal ab – sonderlich gut vorbereitet ist, am wenigsten die Benennung Pnuels. Schlüssiger erscheinen da schon die Versuche, die auf das Quellenmodell verzichten und eine Grundschicht mit dem Thema Segen herausarbeiten. Sie habe etwa V. 23*.25b.26a.27.30b.32a umfasst und sei dann mehrfach fortgeschrieben worden.41 Ein Schwachpunkt dieser Rekonstruktion liegt darin, dass nur der Akt des Segnens auf der Ebene des Erzählers, nicht aber der Segen selbst in Figurenrede mitgeteilt wird und dass der unmittelbare Anschluss der Segensnotiz (V. 30b) an die mit der Rede des Angreifers kunstvoll verknüpfte Bedingung Jakobs (V. 27) reichlich abrupt wirkt.42 3. Am folgenreichsten für die Rekonstruktion der Vorgeschichte des Textes war die Beobachtung von zwei Spannungen, welche die Erzählharmonie stören, ohne die eine selbständige Einzelsage nicht nachgewiesen werden kann. Während der im Kampf errungene Segen über eine Kette von lautlichen Anspielungen (יבוק, יאבק, יעקב, )ויברךharmonisch mit der Exposition der Erzählung verknüpft ist, erscheint die Ätiologie des Namens „Israel“ (V. 29) mit dem entscheidenden Deutewort שרהnicht nur völlig unvorbereitet, sondern auch gegenüber dem Leitwort des Kampfes ( )אבקals durchaus sperrig. Diese Beobachtung führt in der Regel zur Eliminierung der V. 28–29.(30a) aus der vermuteten ältesten Überlieferungsschicht. Die zugrunde liegende Beobachtung trifft zweifellos zu, jene Schlussfolgerung aber ist weder die einzig mögliche Erklärung des Befundes noch die beste.43 Die andere Spannung erwächst aus der eigentümlich mehrdeutigen Art der Erzählung vom Ausgang des Kampfes. In V. 26aα.27.30b.32a erscheine Jakob als Sieger; und obwohl jener Unbekannte in V. 28–29a die Macht hat, Jakob einen 40
J. Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, Berlin 41963, 44. 41 So das Ergebnis der subtilen Analyse von P. Weimar, Beobachtungen zur Analyse von Gen 32,23–33 I, BN 49 (1989) 79, der diese Grundschicht allerdings nicht als eigenständige Überlieferungseinheit, sondern nur als Szene innerhalb des literarischen Kontextes der Begegnung und Versöhnung der beiden Brüder versteht; in der Analyse ähnlich Levin, Jahwist, 251 (ohne V. 32a), der wiederum mit einer uralten Einzelüberlieferung rechnet. 42 Diese Abruptheit hatten L. Schmidt, Der Kampf Jakobs am Jabbok, Gen 32,23–33, ThViat 14 (1977/78) 125–143, 127, und E. Otto, Jacob in Sichem. Überlieferungsgeschichtliche, archäologische und territorialgeschichtliche Studien zur Entstehungsgeschichte Israels (BWANT 110), Stuttgart 1979, 42–43, dadurch zu mildern getrachtet, dass sie auch V. 30a zum alten Überlieferungskern hinzu nahmen, doch widerrät die Aufeinanderfolge von zwei Jakobreden, dazu noch mit ausdrücklicher Erwähnung des Namens in der zweiten, dieser Lösung. Man würde dann die Frage Jakobs nach dem Namen eher nach dem Segen erwarten. 43 S. dazu die Alternative u. 3.
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III. Zur Jakobüberlieferung
neuen Namen zu geben, erkenne er dem Erzvater ausdrücklich den Sieg zu: ( ותוכלV. 29b). Dagegen zeichnen V. 26b.30a.31.32b deutlich den unbekannten Angreifer als überlegen. Manche Ausleger sind noch weiter gegangen. Da in den drei Sätzen von V. 26a das Subjekt nie ausdrücklich genannt ist, wendete man viel Scharfsinn darauf, Jakob als Subjekt jener Sätze zu erweisen: Als Jakob merkte, dass er des Mannes nicht Herr werden konnte, griff er zu einem Ringertrick, so dass der Unbekannte sich nun aufs Bitten verlegen musste (V. 27a).44 Ursprünglich habe also Jakob den Angreifer besiegt; erst ein Späterer45, bei manchen überhaupt erst der Jahwist, habe aus dem strahlenden Sieger über den Fluss- und Nachtdämon einen unterlegenen Erzvater gemacht, weil er den ursprünglichen Sinn nicht mit seinem Gottesbild vermitteln konnte. Das eigentümliche Oszillieren in der Frage nach dem vermeintlichen Sieger kann freilich nur dann als disharmonische Spannung gewertet werden, wenn man schon voraussetzt, die Erzählung habe die Rollen zwischen Sieger und Verlierer ursprünglich eindeutig verteilen wollen und können, weil sie den Unbekannten ohnehin als Dämon verstanden hat. Mir scheinen all diese Versuche eher Rückprojektionen der Schwierigkeiten zu sein, welche die Ausleger damit haben, die Erzählung in ihr Gottesbild zu integrieren. Die auf vielen Seiten minutiös diskutierte Frage „Wer schlägt wen?“46 ist m. E. völlig müßig. Nach den schlichten Regeln des Handwerks gibt es in V. 26a kein uneindeutiges Subjekt, weil nach dem „Mann“ in V. 25 kein Subjektwechsel angezeigt worden ist. Der geheimnisvolle „Mann“ von V. 25 ist es also, der Jakob an seiner Hüfte versehrt. Die Erzählung lässt die Frage nach dem Sieger nicht einfach offen, weil sie von Israels Ursprung als von einem Kampf des Ahnen mit Israels Gott erzählt – abgründiger hat kein Volk sonst von seinem Ursprung zu erzählen gewusst; vielmehr kennt die Erzählung gar keinen Sieger im strengen Sinne des Wortes. Jakob hält, obgleich an seiner Hüfte versehrt, an seinem Gott fest. Das ist es, was die Deutung des neuen Namens damit würdigt, dass sie sagt: „Du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast standgehalten (“!)ותוכל47 4. Weil sich auf literarkritischem Wege keine ursprüngliche Einzelsage herausschälen lässt, hat man die Kombination der Motive und die dabei entstandenen 44 Das Spiel hat Tradition; schon E. Meyer, Die Israeliten und ihre Nachbarstämme. Alttestamentliche Untersuchungen. Mit Beiträgen von B. Luther, Halle 1906, 57, erwägt derlei. 45 Für viele stehe G. Hentschel, Jakobs Kampf am Jabbok (Gen 32,23–33) – eine genuin israelitische Tradition, in: W. Ernst (Hg.), Dienst der Vermittlung: FS zum 25-jährigen Bestehen des Philosophisch-Theologischen Studiums im Priesterseminar Erfurt (EThSt 37), Leipzig 1977, 13–37, 33. 46 So der Titel der Studie von J. P. Floss, Wer schlägt wen? Textanalytische Interpretation von Gen 32,23–33, BN 20 (1983) 92–132; 21 (1983) 66–100. 47 Diese Übersetzung trägt überdies dem Gegenüber von V. 26a besser Rechnung: „da sah er, dass er ihn nicht überwinden konnte“ ( יכלmit Objekt) und V. 29b ( יכלabsolut). Auch die nächste Parallele Gen 30,8 zwingt nicht zu der Übersetzung mit „siegen“.
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Spannungen als Hinweise auf eine längere mündliche Überlieferungsgeschichte gedeutet.48 Das befreit von der lästigen und – wie die zahlreichen älteren Versuche gezeigt haben – unerfüllbaren Pflicht, jene ursprüngliche Einzelüberlieferung im Wortlaut rekonstruieren zu müssen. Statt dessen kann man nun mit den Stoffen viel freier jonglieren. Man bekleidet sie kurzerhand mit den jeweils für passend erachteten Zügen aus den V. 23–33 und kreiert auf diese lockere Weise das ungefähre Gerüst einer Einzelsage aus grauer Vorzeit. Zu ihrem Kern gehören stets der Kampf eines Helden mit einem übermächtigen Gegner, dem am Ende jedoch der Protagonist den Segen abtrotzt. Die Überlieferung eines dieser unterschiedlich rekonstruierten Gebilde über längere Zeit ist allerdings nur vorstellbar, wenn es von vornherein entweder an die Person des Jakob oder an einen lokalen Haftpunkt (Jabbok, Penuel) gebunden war. Im ersten Falle scheidet eine vor-israelitische Überlieferung aus. Das trifft vor allem auf die Rekonstruktion einer mündlichen Einzelüberlieferung allein mit dem Thema Segen zu. Gegen sie spricht, dass der Segen für Jakob gar nicht ohne Assoziationen an Gen 27 gehört werden konnte, es sei denn man hält den Kampf am Jabbok für die älteste Jakobüberlieferung überhaupt.49 Diese Annahme scheitert jedoch auch daran, dass der Inhalt des Segens nicht mitgeteilt wird. Diese Leerstelle erklärt sich dagegen gut als stummer Verweis auf den literarischen (!) Kontext der Jakobüberlieferung. Eine ursprüngliche Einzelsage, wie Jakob den Segen gewinnt, ist deshalb aus Gen 32 nicht zu erweisen. 5. Unwahrscheinlich ist auch eine zuweilen vermutete ursprüngliche Ortssage50 oder gar eine Heiligtumsätiologie von Pnuel51 als überlieferungsgeschichtliches Urgestein; denn weder kommt der siegreiche Wanderer in Pnuel ans Ziel seiner Reise, noch gründet er dort einen Kult oder gar ein Heiligtum.52 Vielmehr zieht der Gesegnete lediglich an Pnuel „vorüber“ ( עברV. 32aβ), was der Annahme 48 S. etwa Elliger, Jakobskampf, 144–152; Hentschel, Jakobs Kampf, 31–35, rechnet beispielsweise mit vier (!) vor-literarischen Überlieferungsstufen, bevor der Jahwist die Einzelsage in sein Werk eingestellt habe, auf dessen Hand allein V. 23 zurückzuführen sei. 49 So A. Jepsen, Zur Überlieferungsgeschichte der Vätergestalten, WZ(L).GS 2/3 (1953/54) 265–281 = Ders., Der Herr ist Gott. Aufsätze zur Wissenschaft vom Alten Testament, Berlin 1978, 46–75, 61. 50 Elliger, Jakobskampf, 151: „Wie es kam, daß ein bestimmter Ort in nächster Nähe des Jabbok den merkwürdigen Namen Pnuel = Gottesgesicht trägt …“ Hentschel, Jakobs Kampf, 31, rekonstruiert als älteste Überlieferung eine vorisraelitische Ortssage, die V. 27.30b.32a. (und natürlich eine nicht mehr erhaltene passende Einleitung) umfasst habe. Als ältester Überlieferungskern erscheint bei Otto, Jakob, 43, mit der Substanz der V. 25b.26aα.27.30.31.32a „eine Ätiologie von Pnuel als Ort der Furt“ (S. 45), die aber von Anfang an schon auf Jakob bezogen war. Den Anfang dieser Überlieferung gewinnt er durch Rückschlüsse aus V. 31–32a, was auf eine schlichte petitio principii hinauskommt. 51 Die vermutet von R ad, Genesis, 262; vgl. Noth, Überlieferungsgeschichte, 104. 52 Für derlei Konstruktionen reicht die Bezeichnung מקוםin V. 31 nicht aus, wie schon Elliger (Jakobskampf ) richtig gespürt hat.
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III. Zur Jakobüberlieferung
einer Ortssage nicht gerade günstig ist. Vor allem aber wird die Benennung der Stadt in V. 31 nicht mit dem in der Überlieferungssubstanz allein fest verankerten Ringkampf begründet, sondern mit dessen Deutung (!) als Epiphanie der Gottheit, was der Annahme einer ursprünglichen Ortssage von Penuel noch mehr widerrät.53 Lediglich der Jabbok sitzt über die Kette lautlicher Anspielungen fest in der Überlieferung von V. 23.25b, nicht aber an deren Ende54, so dass damit zwar ein gewisses Lokalkolorit aufgetragen wird, nicht aber eine Ortssage begründet werden kann. 6. Wesentlich besser scheint die Speisesitte (V. 33) in der Erzählung vorbereitet zu sein, so dass man fragen möchte, ob nicht der älteste Überlieferungskern in ihrer Ätiologie zu finden sei.55 Zu ihr könnten nach einer Exposition (aus V. 23) die V. 25b.26.27.30b.32–33 gehören, die durch den Ringkampf und seine Folgen und durch das Stichwort (ירך- )כףverbunden sind. Dagegen sprechen freilich folgende Beobachtungen: Der für diese Vorstufenrekonstruktion entscheidende V. 33 schließt mit der einleitenden Konjunktion nicht nur reichlich unorganisch an V. 32 an56, sondern steht auch außerhalb des szenischen Rahmens, der von den Tagzeiten und mit dem Stichwort עברin V. 23.32 gebildet wird. Er verlässt außerdem mit „den Israeliten“ als neuem Subjekt den Horizont jener vorausgesetzten Erzählung.57 Die Israeliten sind aber nicht ohne weiteres von dem neuen Namen des Ahnen in V. 28–29 zu trennen, so dass auf diese Weise alle Themen bis auf die Pnuel-Ätiologie wieder versammelt sind. Überdies erscheint es doch als wenig wahrscheinlich, dass „die Israeliten bis auf diesen Tag“ (V. 33) eines ihrer Speisetabus auf einen vor-jahwistischen Dämon zurückgeführt haben sollten. Spätestens auf der Ebene von V. 33 dürfte die Berührung der Hüfte Jakobs in V. 26 auf Israels Gott bezogen worden sein. Mit der Einsicht in den sekundären Charakter von V. 33 ist jedoch der Hypothese einer ursprünglichen Einzelerzählung mit der Begründung der Speisesitte als Ziel ohnehin der Boden entzogen. 53
Wer die Benennung des Ortes mit dem Namen Pniel (V. 31a) für ursprünglich hält, muss ohnehin die Dämonen-Deutung fallen lassen; denn das „Nächstliegende ist doch, theophore Namen auch aus einer wirklichen Gotteserscheinung zu erklären“ (so m. R. Eising, Untersuchung, 124). 54 Dass Jakob bei Sonnenaufgang über den Jabbok zieht, wie Otto (Jakob, 43) um der engeren Verbindung der Erzählsubstanz von V. 25b–26a mit der Ätiologie in V. 31 willen gerne möchte, sagt der Text gerade nicht. 55 O. Keel hat auf der Tagung in Rottenburg nachdrücklich eine vor-jahwistische Einzelsage verfochten, deren Ziel er in der Begründung jener Speisesitte sieht. 56 Nicht V. 32b begründet das Essverbot, sondern erst V. 33! 57 Die in der Forschung fast durchgängige Beurteilung von V. 33 als sekundär kommt also keineswegs von ungefähr (vgl. Gunkel, Genesis, 363; Hentschel, Kampf, 19; Schmidt, Kampf, 125 f.; u. a.). Lediglich A. de Pury, Jakob am Jabbok. Gn. 32,23–33 im Licht einer altirischen Erzählung, ThZ 35 (1979) 18–34, hält V. 33 für ursprünglich (S. 31) – allerdings nur auf Grund einer in ihrer Beweiskraft als Analogie mehr als zweifelhaften Erzählung aus Irland.
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7. So bleibt allein die „Israel“-Ätiologie als möglicher Überlieferungskern.58 Doch lässt sich auch damit keine ursprüngliche Einzelsage begründen. In ihr wäre ja die Spannung zwischen der Deutung des Namens „Israel“ mit der Wurzel שרה und der Schilderung des Kampfes mit der Wurzel אבקgeradezu konstitutiv, die zu beseitigen man die überlieferungsgeschichtlichen Konstruktionen überhaupt erst bemüht. Die Erklärung des Namens in V. 29b gibt dem dunklen Geschehen in der Nacht V. 25b–26a rückblickend eine Deutung, die im Ahnen das Volk voraussetzt.59 Ein vor-israelitischer Ursprung dieser Erzählversion ist damit ebenso ausgeschlossen wie eine Deutung des Gegners Jakobs auf einen Dämon. Gerade in einer von Anfang an israelitischen Gestalt der Erzählung erwartet man an der Wiege Israels einen Dämon zu allerletzt. Dem steht auch der Wortlaut der Deutung (V. 29) entgegen, die ja zugleich den vieldeutigen „Mann“ von V. 25b in der Umbenennung Jakobs zu Israel mit אלund in der Begründung des neuen Namens mit אלהיםidentifiziert. Weder das eine noch das andere bezeichnet im AT sonst einen Dämon.60 8. Es ist nun alles andere als zufällig, dass bislang für die Erzählung von Jakobs Kampf am Jabbok keine überzeugenden Analogien aus dem Alten Orient bekannt geworden sind. Der zuweilen mit Gen 32 in Verbindung gebrachte hethitische Ritualtext (KBo XXI 34 I 59–II 3)61 handelt vom König, der die Gottheit mit seinem Streitwagen bedroht, um sie zur Rückkehr nach Hattuscha zu bewegen. Die Göttin Hepat weicht jedoch der Auseinandersetzung aus, indem sie von sich aus dem König einen Wunsch gewährt. Der bittet um Leben, Gesundheit, Söhne und Töchter sowie um die Unterwerfung der Feinde. – Von einer Analogie in der Erzählstruktur kann nicht die Rede sein. Außerdem scheitert der Vergleich schon daran, dass Jakob den Kampf mit einer Gottheit gesucht und schon von vornherein mit der Absicht geführt haben müsste, Segen zu erlangen. Nichts davon lässt sich an Gen 32 nachweisen. Allenfalls eine der Traumszenen Gilgameschs in der Fassung der Tafeln von Tell Harmel62 kommt in Betracht. Die Traumszene ist allerdings Teil eines größeren Zusammenhangs, der Abenteuer im Zedernwald, also ebenfalls keine Einzelüberlieferung. Gilgamesch träumt des Nachts, vor dem Kampf mit Chumbaba, von einem Ringkampf mit einem Wildstier. „Vor ihm ging ich in die Knie. Da packte er [mich …], (indem) er meine Arme umfaßte … Meine 58 Das hat Blum, Komplexität, 24, zurecht hervorgehoben, ohne damit eine Einzelsage postulieren zu wollen. 59 Insofern ist die Erwähnung der Frauen und Kinder Jakobs in V. 23 nicht nur kontextgemäß, sondern auch sachgerecht. 60 Die einzigen Belege für „Elohim“ in einem vom üblichen Gebrauch abweichenden Sinne betreffen den Totengeist (von Samuel in 1 Sam 28,13; allgemein Jes 8,19). 61 Vgl. H. Otten, Kampf von König und Gottheit in einem hethitischen Ritualtext, BaghM 7 (1974) 139–142, und M. Tsevat, Two Old Testament Stories and Their Hittite Analogues, JAOS 103 (1983) 321–326. 62 TIM 9,43; Übersetzung und Nachweise in TUAT III/4, 660.
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III. Zur Jakobüberlieferung
Schläfe berührte er, mit Wasser aus seinem Schlauch tränkte er mich.“ Enkidu deutet den Traum seinem Freund so: „… Der Wildstier, den du sahst, ist der leuchtende Schamasch. In der Not wird er unsere Hand ergreifen. Der dich mit Wasser aus seinem Schlauche tränkte, ist dein Gott, der dir Ehre erweist, Lugalbanda.“ Schamasch war der besondere Schutzgott Gilgameschs und Lugalbanda sein vergöttlichter Ahn. – Hier hätten wir also einen Ringkampf, wenn auch im Traum, so doch bei Nacht, in den ein übermenschliches Wesen den Helden verwickelt. Der Held geht in die Knie, aber der Angreifer vernichtet den Helden nicht, sondern erweist sich als freundlich. In der Deutung des Traums verwandelt sich der Angreifer in den Schutzgott des Helden. Das Ganze findet in der Nacht vor der entscheidenden Auseinandersetzung mit Chumbaba statt, der den Zedernwald bewacht. Hier gibt es also durchaus mehrere Berührungen mit Gen 32. Allerdings betreffen sie gerade nicht die behauptete Urfassung, in der Jakob einen Nachtdämon besiegt, sondern eher die komplexe Gestalt der Szene sogar im Kontext der bevorstehenden Begegnung mit Esau, die Jakob fürchtet. 9. Am Ende dieses kritischen Durchgangs stehe ein kurzes Experiment: ‚Erfinden‘ wir einmal – rein hypothetisch und ohne uns um literarkritische Indizien zu kümmern – aus dem vorliegenden Text eine weitgehend homogene ‚Erzählung‘, die nach den klassischen Regeln Olriks und Gunkels für sich selbst stehen könnte. Sie würde ungefähr V. (23).25b.26a.27.30b.32a umfassen und etwa so lauten: Ein Held X überquerte nachts (!) einen gefährlichen Fluss. Da fiel ihn ein Unbekannter an und rang mit ihm bis zum Anbruch der Morgenröte. Als der sah, dass er ihn nicht überwinden konnte, berührte er seine Hüfte und sprach: „Lass mich los; denn die Morgenröte ist angebrochen!“ Da sprach der Held: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“ Da segnete er ihn. Da ging die Sonne auf.
Ist dieses Gebilde, für sich allein stehend, als Erzählung lebensfähig? Und konnte dieses Gebilde über längere Zeit mündlich überliefert werden? Dagegen sprechen nicht nur die oben unter 4. mitgeteilten Bedenken.
3. Eine alternative Erklärung Wenn Gen 32,23–33* keine ursprüngliche Einzelsage zugrunde liegt, kann der strittige Befund nur so erklärt werden, dass es sich bei diesem Stück um eine Szene handelt, die gemeinsam mit dem literarischen Kontext der Rückkehr Jakobs und der Versöhnung beider Brüder gebildet worden ist.63 Zu ihr haben ursprünglich wenigstens V. 23.25b.26a.27.28–30.31(?64).32 gehört. 63 Mehrere innovative Arbeiten der letzten Jahre haben die zahlreichen Kontextbezüge herausgearbeitet, die der Szene überhaupt erst Profil und Tiefenschärfe geben. Das braucht hier nicht wiederholt zu werden. Genannt seien jetzt nur J. P. Fokkelmann, Narrative Art in
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Sie ist – wohl nur noch punktuell65 – bearbeitet worden: V. 24–25a stellen eine Dublette zu V. 23 dar, die daran interessiert ist, dass die unheimliche Begegnung in V. 25b ohne Zeugen allein zwischen Jakob und jenem „Mann“ stattgefunden hat, den dieser Zusatz auf jeden Fall mit Israels Gott identifiziert. Zu diesem Zweck entfernt sie die Familie Jakobs (V. 24) und hebt des Erzvaters Einsamkeit hervor (V. 25a). V. 26b sichert die Identifizierung der vorangehenden Subjekte vor möglichen Missverständnissen dadurch, dass das verrenkte Hüftgelenk ausdrücklich als das Jakobs bezeichnet wird.66 V. 33 wurde schon oben als Nachtrag begründet. Bei der Annahme einer von vornherein für den Zusammenhang literarisch konstruierten Szene erklären sich sowohl die Fülle der konkurrierenden Motive als auch deren keineswegs reibungslose Verbindung am einfachsten. Der Verfasser dieser Szene im Zusammenhang wie auch deren Bearbeiter haben ja nicht einfach frei fabuliert, sondern mit Stoffen und Motiven gearbeitet, die ihnen vorgegeben waren. Vorgegeben war zweifellos (1) die „Israel“-Ätiologie in V. 29 als Kern der Szene und damit auch die Vorstellung von einem Gotteskampf.67 Dass sie nicht erst für Gen 32 erfunden worden ist, zeigt die Inkongruenz zwischen ( אבקV. 25b) und ( שרהV. 29). Aus der Welt des Erzählers stammt (2) die Lokalisierung am Jabbok und bei Pnuel, woran sich zugleich die literarische Gestaltung des Kampfes mit Gott als Ringkampf (יבק – )אבקinspirieren konnte. Für die Lokalisierung der Rückkehr Jakobs legte sich das Ostjordanland nicht nur wegen der damit verbundenen Begegnung mit Esau/Edom, sondern auch wegen der alten Gileadüberlieferung Genesis. Specimens of Stylistic and Structural Analysis (SSN 17), Assen 1975; Weimar, Beobachtungen II, 58–80; bes. aber E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte (WMANT 57), Neukirchen-Vluyn 1984, 140–151. Eine Zusammenfassung der kontextuellen Bemühungen um Gen 32 f. findet sich nun bei J. Taschner, Verheißung und Erfüllung in der Jakoberzählung (Gen 25,19–33,17). Eine Analyse ihres Spannungsbogens (HBS 27), Freiburg 2000, 140–195. – Die oben vorgetragenen Beobachtungen führen im Ergebnis zu einer Bestätigung dieses Ansatzes. Leider sehe ich erst jetzt (nach dem Satz), dass F. Lindström, God and the Origin of Evil. A Contextual Analysis of Alleged Monistic Evidence in the Old Testament (CB 21), Lund 1983, 40, zu der selben Lösung gekommen ist: „… the pericope is a literary composition designed for this specific context.“ 64 Hinsichtlich der literarischen Ursprünglichkeit von V. 31 bleiben Unsicherheiten. Für seine Zugehörigkeit sprechen, dass המקוםdurch שםin V. 30b vorbereitet ist und dass der Ortsname Pnuel in V. 32 ohne ihn unmotiviert und überraschend käme. Anderseits verbindet die Wurzel נצלmit dem Gebet Jakobs (32,10–13), das nicht zur Grundschicht in Gen 32–33 gehört. Auch hängt die ätiologische Erklärung mit 33,10b zusammen, was in Verbindung mit V. 11aα wie eine nachträglich aufgetragene Deutung der Geschenke als ברכהJakobs an Esau wirkt. Die Wiederaufnahme von V. 10aβ durch V. 11aα weist den gesamten כי-Satz als Einschub aus. Der Relativsatz von V. 11 schloss ursprünglich unmittelbar an V. 10a an. 65 Anders dagegen Weimar, Beobachtungen II, 81–94. 66 Wäre der gesamte Vers ursprünglich, würde man den Namen Jakob in V. 26a erwarten. 67 So m. R. schon Blum, Komplexität, 24.
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III. Zur Jakobüberlieferung
in 31,45–54* nahe, so dass sich mit Gilead, Mahanajim, Jabbok/Pnuel, Sukkot ungezwungen eine ungefähre Reiseroute ergab. Als lebensweltliche Vorgabe stellt sich (3) jener Erzählzug heraus, welcher der Szene ihr ‚dämonisches Kolorit‘ verleiht: der Angriff bei Nacht. Dass vor allem in der Nacht allerlei unheimliche Wesen ihr Unwesen treiben, gehörte zu den Elementarerfahrungen im Alten Orient68 und in Israel. Cant 3,8 spricht vom „Schrecken der Nacht“, Ps 91,5 vom „Schrecken der Nacht“ und vom „Pfeil, der am Tag daherfliegt“ (vgl. Hi 24,17; viel. auch Jes 8,19 f.). Traditionell ist (4) die Frage nach dem Namen dessen, den Jakob nicht loslässt und den er in V. 30a um Segen bittet. Wie aus Ri 13 hervorgeht, sind diese Frage und deren Abweisung Teil des Erzählmusters ‚Epiphanie incognito‘. Ebenso lässt sich (5) die ausdrückliche Benennung des Ortes in V. 31 als literarischer Topos erklären; denn sie folgt – wie an anderen Stellen in der Väterüberlieferung stets69 – auch hier auf eine Gottesbegegnung. Nicht ohne Vorbild ist (6) die Erklärung des Ortsnamens „Pnuel“ in V. 31b mit dem Motiv des Sehens von Angesicht zu Angesicht. Das verbindet aufs engste mit Ri 6,22, aber auch mit Ri 13,22 f. Die erschrockene Feststellung, den Boten Jhwhs, bzw. Gott gesehen zu haben, bedarf wie jede Gottesbegegnung der Bewältigung (vgl. Gen 28,18 nach V. 17!). Was in Ri 6,23 Gott selber tut, leistet in Ri 13,23 die Frau Manoahs. Da Jakob in Gen 32,31 allein ist, erfolgt die Bewältigung hier in der Erklärung des Ortsnamens. Das Motiv ist in Ri 6 eng mit der Altarätiologie und in Ri 13 mit dem Opfer des Manoah verbunden, in Gen 32 jedoch nicht zwingend mit dem vorangehenden Geschehen in der Nacht vermittelt. Allerdings lässt sich V. 31b durchaus auch auf den unmittelbaren Kontext bezogen lesen, ohne dass man die Vorstellung zu bemühen braucht, nach der sterben muss, wer Gott sieht, was zu einer späten Ansetzung führt. Im Kontext des Kampfes gelesen, kommt in der Erklärung des Ortsnamens nur das erschreckte Staunen Jakobs zu Wort, Auge in Auge nicht lediglich mit einem Mann, sondern mit Gott gekämpft zu haben und dennoch mit dem Leben davon gekommen zu sein. Schließlich gehört (7) auch das Speisetabu in V. 33 zu den lebensweltlichen Vorgaben. Der Bearbeiter gibt ihm eine Begründung in der vita des Ahnen derer, die seiner achten. Der Vorgang ist in etwa der Historisierung der Erntefeste mit deren Begründung im Exodus zu vergleichen. Damit kommen wir zum Schluss noch einmal auf die Frage zurück, die wir bisher eher negativ beantwortet haben: Wer ist der „Mann“, der mit Jakob ringt? Näher als die abgewiesene Deutung auf einen Dämon liegt zweifellos jene auf einen „Boten Gottes“ oder „Engel“, die erstmals Hos 12,5 ausdrücklich vornimmt. Dort wird Gen 32,25 offenbar mit Gen 18 f. ausgelegt. Die drei Männer, die in 18,1 bei Abraham erscheinen und die in 18,16 nach Sodom aufbrechen, werden 68 69
S. das altorientalische Material o. in 1.3. S. z. B. Gen 22,14; 28,19; 32,3; 35,7; 35,15 usw.
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nach der Einfügung des Lehrgesprächs zwischen Abraham und dem „Richter der ganzen Erde“ (18,22b–33a) nachträglich so näher bestimmt, dass zwei von ihnen als „Boten“ (19,1.15) zu Lot nach Sodom gehen70, während Jhwh nach dem Gespräch mit Abraham in 18,33a offenbar zu dem Ort geht, von dem aus er dann Feuer und Schwefel auf Sodom regnen lässt (19,24). Die Identifikation bestimmter „Männer“ mit „Gottes Boten“ und anderen himmlischen Wesen findet sich auch anderwärts.71 In Jos 5,13 sieht Josua einen bewaffneten Mann, der sich auf Nachfrage als „General des Heeres Jhwhs“ vorstellt ( שר צבא יהוהV. 14.15). In Ri 13,6 berichtet Manoahs Frau ihrem Mann von der Ankündigung des „Mannes Gottes“ und beschreibt dessen Aussehen als das eines „Boten Gottes“ (vgl. V. 8–9.10); erst in V. 21 erkennt Manoah, dass er mit dem „Boten Jhwhs“ gesprochen hat, identifiziert ihn aber als „Elohim“ (V. 22)! Schließlich erscheint in Dan 8,16 Gabriel als Deuteengel, „der aussah wie ein Mann“ (8,15 כמראה גבר vgl. 9,21)72. Die in der jüdischen Auslegung dominierende Deutung des Gegners Jakobs in Gen 32,25 auf einen Engel beruht also durchaus auf exegetischem Scharfsinn, die Schrift durch die Schrift auszulegen.73 Dass der älteste Midrasch zum Jakobskampf, Hos 12,5, mit seiner Deutung den ursprünglichen Sinn von Gen 32 bewahrt habe, darf gleichwohl bezweifelt werden. Hier begegnen wir vielmehr erstmals dem Versuch, das theologische Problem zu entschärfen, das der Wortlaut der Deutung aufwirft, die V. 29 (und 31) geben. Insofern liegen die Engel- und die Dämonen-Deutung nicht nur religionsgeschichtlich74 nahe beieinander. Die oben vorgetragenen Überlegungen stehen ihnen stracks entgegen und führen geradewegs dazu, in dem „Mann“, der Jakob angreift und mit ihm ringt, keinen anderen zu sehen als den, der sich in der Namendeutung V. 29 ausdrücklich als „Elohim“ zu erkennen gibt und der Jakob-Israel schließlich segnet: den Gott Israels. Entfällt der Zwang, eine vor-jahwistische Einzelsage rekonstruieren zu müssen, füllt V. 29 die Leerstelle aus, die V. 25 mit der neutralen Bezeichnung „Mann“ mit Bedacht offen gelassen 70
Vgl. die „Männer“ in 18,22a; 19,5.8b.10.12a.16. Vgl. Dan 10,5; 12,5 ff. – Ez 9,2 berichtet von „sechs Männern“ mit Werkzeugen der Zerstörung in ihren Händen, von denen 10,2 einen besonders nimmt; und doch ist dem Visionär wie den Lesern klar, dass es sich um Himmlische handelt, mit denen Gott das Gericht an Jerusalem vollstreckt. 72 Die Bezeichnung גברstatt der sonst üblichen mit אישist wegen des Namens Gabriel gewählt. 73 So von Josephus, Ant. I 331 ff., bis Jacob, Genesis, 643; bes. erhellend ist die Formulierung in Targ. Neophyti I: „ein Engel in der Gestalt eines Mannes“! Einen guten Einblick in die jüdische Auslegung von Gen 32 geben W. T. Miller, Mysterious Encounters at Mamre and Jabbok (BJSt 50), Chico 1984, 97–118, und A. Butterweck, Jakobs Ringkampf am Jabbok. Gen 32,4ff in der jüdischen Tradition bis zum Frühmittelalter (JudUm 3), Frankfurt/M. 1981. 74 S. dazu G. Ahn, Grenzgängerkonzepte in der Religionsgeschichte. Von Engeln, Dämonen, Götterboten und anderen Mittlerwesen, in: G. Ahn/M. Dietrich (Hg.), Engel und Dämonen. Theologische, anthropologische und religionsgeschichtliche Aspekte des Guten und Bösen, Münster 1997, 1–48. 71
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III. Zur Jakobüberlieferung
hatte. Der Gottesname „Jhwh“ fällt nicht, ja, seine Kundgabe wird in V. 30 ausdrücklich verweigert, nicht allein um der Erzähldramaturgie willen, sondern weil ein Kampf zwischen Israels Ahn und Israels Gott die Grenzen des Sagbaren überschreitet. In diesem Zusammenhang sei ausdrücklich daran erinnert, dass die religionsgeschichtliche Verschiebung des Problems auf einen vor-jahwistischen Dämon das Gottesbild des vorliegenden Textes keineswegs entlastet. Denn „daß in und hinter jenem ‚Mann‘, jenem nächtlichen Angreifer, Jhwh selbst aufs unmittelbarste an Jakob gehandelt hat, das ist unter allen Umständen die Meinung des Erzählers“.75 Für denjenigen, der jene Überlieferung vom Überfall eines angeblichen Dämons auf den Erzvater Israels in die Gründungsgeschichte seines Volkes eingeschrieben hat, war die Identifikation des Angreifers mit Jhwh offenbar kein unmöglicher Gedanke! Nicht der Text muss um eine animistische Vorstufe bereichert und korrigiert werden, was am Ende auf die Banalisierung dieses großen Textes hinausläuft.76 Vielmehr bedürfen unsere harmlosen Vorstellungen von dem, was ein Mensch der Antike mit einer Gottheit verbinden konnte, der Korrektur! Wer in Israel von Jhwh sprach, meinte damit auch unbegrenzte Macht. Jhwh ist so wenig wie ein antiker Gott sonst der Extrakt unserer Moralvorstellungen, noch deren Gefangener. In diesem Sinne ist auch Jhwh zweifellos a-moralisch. Das teilt Gen 32 mit Gen 22. Insofern steht Gen 32 nicht allzu weit von den Metaphern für Gott im Hoseabuch, der als Löwe und Panther, als Knochenfraß und Eiter gegen sein Volk wütet. Man mag das mit Paul Volz „das Dämonische in Jahwe“ nennen. Das aber ist etwas anderes, als Bernhard Duhm mit dem Satz meinte: „Das dämonistische Gewimmel wird nach und nach von dem großen Gott absorbiert.“77 Denn es betrifft nichts lediglich Akzidentielles, das der Gottheit erst allmählich zugetragen worden ist, sondern deren Wesen. Erst in der Spätzeit nach dem Exil lässt sich eine Tendenz beobachten, die man vielleicht als Ausbürgerung des Dämonischen aus Jhwh beschreiben kann. Zwei bekannte Beispiele mögen genügen. Was Hiob als das Satanische in Jhwh erfährt, erklären die Himmelsszenen ausdrücklich als zwar von Gott gestattete, jedoch als von „dem Satan“ veranlasste Probe. „Der Satan“ gehört freilich noch ganz auf Gottes Seite, zu seinem himmlischen Hofstaat. – Während 2 Sam 24 die unheilvolle Volkszählung Davids auf Jhwhs Zorn zurückführt, der David dazu anstiftet ()סות, bringt 1 Chr 21 zu diesem Zweck den Satan ins Spiel. „Satan“ ist hier – anders als noch im Hiobbuch – bereits als Eigenname ohne Artikel gebraucht und gehört nicht mehr zum Gefolge Gottes, sondern handelt auf eigene Faust. Gen 32 ist von derlei noch weit entfernt. 75
von R ad, Genesis, 263. So m. R. H. Spieckermann, Der Gotteskampf. Jakob und der Engel in Bibel und Kunst, Zürich 1997, 106 Anm. 14. 77 B. Duhm, Israels Propheten, Tübingen 21922, 65. 76
IV. Zur Vätergeschichte
15. Engel, Gottesboten und geheimnisvolle Männer in den Vätererzählungen des Buches Genesis 1. Phänomene Das Wort „Engel“ bezeichnet himmlische Wesen unabhängig von ihrer Funktion. Es geht auf das lateinische angelus zurück, das eine spezifischere Bedeutung hat und einen Boten der himmlischen Welt bezeichnet, im Unterschied zum Boten zwischen Menschen, der im Lateinischen nuntius genannt wird. Weder die griechische noch die hebräische Sprache kennt diese terminologische Unterscheidung. Dem hebräischen Wort für „Bote“ ( )מלאךliegt wahrscheinlich die Wurzel לאךzugrunde, die nicht in der Bibel, wohl aber im Ugaritischen1 belegt ist. Sie bedeutet „schicken“, „senden“. Das Nomen מלאךbegegnet dagegen auch im Aramäischen2 und in einer phönizischen Inschrift3. Wie das griechische ἄγγελος wird das hebräische מלאךfür himmlische und irdische Boten gebraucht.4 Auch sieht man den Boten in der Bibel nicht in jedem Fall an, ob sie von Gott kommen oder lediglich von dieser Welt sind. „Gottes Engel brauchen“ – in der Tat – „keine Flügel“.5 Sie werden in der Gestalt eines Mannes vorgestellt.6 Wenn jedoch ein Mann als Engel erkannt wird, also als Bote, den Gott gesandt hat, ist er meist schon verschwunden. Aber dann identifizieren ihn die Menschen, die 1 Zur Etymologie s. E. L. Greenstein, Trans-Semitic Idiomatic Equivalency and the Derivation of Hebrew mlʾkh, UF 11 (1979) 329–336, zu den Belegen außerhalb der Bibel J. L. Cunchillos, Étude philologique de MALʾAK. Perspectives sur le MALʾAK de la divinité dans la bible hebraique (VT.S 32), Leiden 1981, 32–39, und D. N. Freedman/B. E. Willoughby, Art. מלאך, ThWAT IV (1984) 888–890. 2 In den Inschriften aus Sfire (KAI Nr. 224,8), in Dan 3,28; 6,23, und in einer jüdischaramäischen Inschrift (s. die Belege in DNWSI II, 629). 3 Der „Bote des Milk-Astart“ in KAI Nr. 19 (222 v. Chr.) ist wahrscheinlich ein Priester. 4 Vgl. Gen 19,1, aber auch 1 Kön 19,5 u. a. mit Gen 32,4.7; 1 Kön 19,2 u. a. 5 So der Titel der populären Schrift von C. Westermann von 1957. Flügel haben die Gottesboten der Bibel erst in Dan 9,21 (Gabriel) und Apk 14,6 erhalten. In der christlichen Ikonographie begegnen Engel mit Flügeln erst im 4. Jh., in der jüdischen ein wenig früher (s. die Darstellung von Ez 37 auf den Wandbildern der Synagoge von Dura Europos im 3. Jh.). 6 So verwechselt Josua den „General des Heeres Jhwhs“ (Jos 5,15) zunächst mit einem der Soldaten (V. 13: „Mann“). Umgekehrt kann der König mit dem „Boten Gottes“ verglichen werden (so David in 1 Sam 19,9; 2 Sam 14,15; 19,28). Die Frau des Manoah hingegen beschreibt den Boten Jhwhs (Ri 13,3) als einen „Mann Gottes“, dessen Aussehen „wie das Aussehen des Boten Gottes, überaus Ehrfurcht gebietend“ ( )נורא מאדwar (V. 6). Das am Ende dargebrachte Opfer für den „Gottesmann“ gilt jedoch Jhwh (V. 16).
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IV. Zur Vätergeschichte
seiner himmlischen Botschaft gewürdigt waren, in der Regel als „Gott“ selbst.7 Welch verwirrendes Vexierspiel! In der Bibel gibt es freilich noch andere himmlische Wesen, die mit Menschen verkehren, aber nicht מלאךgenannt werden. In Gen 18,2–9 sind es schlicht „drei Männer“ ()אנשים, die Abraham begegnen und von ihm gastfreundlich bewirtet werden. Im Fortgang der Erzählung erweisen sie sich jedoch schnell als nicht von dieser Welt. Auch in Gen 32,25 scheint zunächst lediglich ein „Mann“ ()איש mit Jakob zu ringen.8 Am Ende aber hat Jakob mit keinem anderen als mit Gott gekämpft, wie der Erzähler den „Mann“ in V. 29 sagen lässt. Während der mit einer Botschaft Gottes betraute Bote stets als Einzelner auftritt, begegnet in den Überlieferungen von Jakob wenige Male auch eine Vielzahl himmlischer Wesen, die ebenfalls „Boten Gottes“, nun aber im Plural genannt werden.9 In Gen 28,12 verkehren sie hinauf- und herniedersteigend zwischen der irdischen Schlafstatt Jakobs und dem himmlischen Ort Jhwhs. In Gen 32,2 identifiziert Jakob die „Boten Gottes“ als „(Heer-)Lager Gottes“. Beide Male heißen die Himmlischen zwar „Boten“, aber sie künden keine Botschaft. Sie ähneln vielmehr jenen Wesen, die außerhalb der Vätererzählungen der Genesis als „Heer Jhwhs“10 in Erscheinung treten oder als „das ganze Heer des Himmels zur Rechten und zur Linken“ Jhwhs stehen11, zum Hofstaat des himmlischen Königs gehören und den Thronrat Gottes bilden. Außerhalb der Überlieferungen von den Erzvätern gibt es in der Bibel noch weitere Gestalten neben Gott. In Gen 6,1–4 lesen wir von „Göttersöhnen“ (בני )האלהים, die sich mit „Menschentöchtern“ verbinden. Die Rahmenerzählung des Hiobbuches lässt uns einen Blick in den Himmel werfen. Dort versammeln sich die „Göttersöhne“ und unter ihnen auch „der Satan“ zur Audienz vor den Himmelsherrn, der sich wie ein König mit seinem Thronrat berät (Hi 1,6; 2,1). Einige Texte stellen sie neben die Sterne. So jauchzen „Göttersöhne“ mit den „Morgensternen“ dem Schöpfergott bei seinem gewaltigen Werk zu (Hi 38,7). Anderwärts heißen sie „Söhne des Höchsten“ ()בני עליון, sind sogar „Götter“ – und werden doch vom „Höchsten“ gerichtet (Ps 82). Wie lässt sich die Vielgestaltigkeit der Phänomene erklären? Was wir landläufig „Engel“ nennen, ist offenbar in zwei verschiedenen Vorstellungskreisen 7
S. nur Gen 16,13; 22,14. Ez 9,2 berichtet von „sechs Männern“ mit Werkzeugen der Zerstörung in ihren Händen, von denen 10,2 einen besonders nimmt. Jedoch ist dem Visionär wie den Lesern klar, dass es sich um Himmlische handelt, durch die Gott das Gericht an Jerusalem vollstreckt. Ebenso führt in Ez 40–47 ein „Mann“ den Visionär durch den neuen Tempel und erläutert dessen Bauten (40,3 ff.), während der ratlose Daniel von einem, der aussah wie ein Mann ( )גברund der sich schließlich als der Engel Gabriel herausstellt, Aufschluss über die Vision vom Widder und dem Ziegenbock erhält (Dan 8,15 ff.; vgl. 9,21; andere Gestalten in 10,5; 12,5 ff.). 9 Außerhalb der Gen nur noch in Ps 91,11–13; 103,20; 148,2; Hi 4,18. 10 Vgl. Jos 5,14 mit Ps 148,2. 11 So in 1 Kön 22,19; dazu gehört auch „der Geist“ ( ;)הרוחzur Vorstellung vgl. Hi 1–2. 8
15. Engel, Gottesboten und geheimnisvolle Männer
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beheimatet. Die hängen mit zwei gänzlich verschiedenen Funktionen jener Wesen zusammen.12 (1) Die Vorstellung vom „Boten“ ist primär an der Sendung zu Menschen mit einer Botschaft orientiert. Derartige Boten begegnen in der Bibel nur auf Erden. In der Botenvorstellung überlagern sich irdische und himmlische Seite so sehr, dass der „Bote“ zunächst als ein ganz gewöhnlicher „Mann“ erscheint. Erst der Inhalt seiner Botschaft lässt erkennen, dass er von weiter her kommt. Die Bezeichnung „Bote“ hebt allein seine Funktion hervor, unabhängig von dem, der ihn sendet. Deshalb oszilliert seine Gestalt zwischen einem irdischen und einem himmlischen Wesen. Erst die syntaktische Verbindung „Bote(n) Gottes“ oder „Bote Jhwhs“ macht – jedoch nur für den Leser – eindeutig, dass es sich um eine himmlische Größe handelt. Dann aber entsteht ein neues Problem. Da die Botschaft des Boten ganz die seines Herrn ist, redet der Bote häufig an Stelle seines Auftraggebers. Das Ich des Boten lässt sich dann nicht mehr ohne weiteres vom Ich Gottes unterscheiden.13 Was in der vom Erzähler gebrauchten Bezeichnung „Bote Gottes“ für den Leser eindeutig ist, verschwimmt in der Formulierung der Botschaft für die angeredete Erzählfigur. Anders als wir Leser kann die zunächst nicht erkennen, ob es sich um einen Menschen oder eben um einen „Engel“ handelt. Lediglich die Außergewöhnlichkeit der Botschaft legt ihre „himmlische“ Herkunft nahe. (2) Daneben kennt die Bibel himmlische Wesen in der Umgebung Gottes, der als König mit einem Hofstaat vorgestellt wird.14 Die nehmen in der Hauptsache Funktionen vor Gott wahr und agieren nur oder doch wenigstens vorwiegend in der himmlischen Welt. Da diese Himmelswesen mit Menschen nur in Zusammenhängen Kontakt haben, die – wie Träume oder Visionen – nicht alltäglich sind und in denen die Gesetze dieser Welt ohnehin nicht ausnahmslos gelten, sind die mit der Botenvorstellung verbundenen Probleme hier gegenstandslos. Für die Träumer oder Visionäre steht die himmlische Provenienz jener Wesen stets außer Frage. Sie mögen wie der Satan in Hi 1 oder der Lügengeist in 1 Kön 22 in die Welt der Menschen empfindlich eingreifen, aber sie haben keine Botschaft zu überbringen. Und wenn sie mit dem Träumer oder Visionär reden, dann erklärt, was sie sagen, lediglich den Traum oder die visionären Vorgänge. Insofern unterscheiden sie sich von den „Botschaften“ der „Boten Gottes“. Da 12 Dazu vgl. H. Röttger, Malʾak Jahwe – Bote von Gott. Die Vorstellung von Gottes Boten im hebräischen Alten Testament (RStTh 13), Frankfurt/M. 1978, 12–32. Zum doppelten Hintergrund der Engelvorstellung s. zuletzt M. Mach, Entwicklungsstadien des jüdischen Engelglaubens in vorrabbinischer Zeit (TSAJ 34), Tübingen 1992, 10–64. 13 Das regelmäßige Fehlen der sog. Botenformel in den Fällen, wo ein „Bote Gottes“ redet, besagt nichts, da in den nicht sehr zahlreichen Erzählungen von Boten zwischen Menschen die Botenformel häufig nicht gebraucht wird: Gen 32,5; Num 20,14; Ri 11,15; 1 Kön 20,3.5 bringen sie, Num 22,5; Dtn 2,26; 1 Sam 6,21; 1 Kön 20,9.10 u. a. formulieren ohne sie. 14 Den gesamten Vorstellungsbereich behandelt E. T. Mullen, The Divine Council in Canaanite and Early Hebrew Literature (HSM 24), Chico 1980.
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IV. Zur Vätergeschichte
diese Himmelswesen nicht zu Menschen gesandt werden, um ihnen eine göttliche Botschaft zu bringen, heißen sie in der Regel (zunächst) auch nicht „Boten“. (3) Allerdings gibt es durchaus Texte, die zur zweiten Gruppe gehören und trotzdem die Bezeichnung „Boten“ verwenden. Offenbar sind Hofstaat- und Botenvorstellung miteinander verschmolzen worden. Das ist in Gen 28,12 und 32,2 der Fall, aber auch in den Visionen Sacharjas, in denen der Deutengel stets „Bote, der mit mir zu reden pflegt“ heißt.15 Davon hebt sich der „Bote Jhwhs“ in Sach 3,1–7 ab, der – wie der Gottesbote sonst – mit Josua redet, wenn auch in einer visionären Szene. Das erklärt, warum der Himmlische hier „Bote Jhwhs“ heißt und terminologisch von jenem Deuteengel unterschieden wird, der sonst Sacharja unterrichtet.16 Aus alledem folgt: Da die Botenfunktion zwischen Mensch und Mensch, zwischen Gott und Mensch und zwischen Gott und anderen himmlischen Wesen nicht grundsätzlich verschieden vorgestellt wird, kann die Bezeichnung „Bote“ auf all diesen Ebenen gebraucht werden. Die unterschiedlichen Bezüge ergeben sich aus den näheren Bestimmungen: „Bote des PN“, „Bote Gottes/Jhwhs“, „Bote, der mit mir zu reden pflegte“.
2. Befunde In den Überlieferungen von den Erzvätern nimmt Gott auf sehr verschiedene Weise Kontakt mit den Menschen auf. Dabei ist die Verteilung der Belege bemerkenswert. (1) In den meisten Fällen wendet sich Gott nicht über „Boten“ oder geheimnisvolle „Männer“ an die Menschen, sondern verkehrt mit ihnen ganz unmittelbar, indem er Abraham, Issak und Jakob direkt anspricht. In Gen 12,1–3; 13,14–17; 22,1–2; 31,3; 35,1 fehlt überdies jede szenische Einkleidung. (2) In einige Texte stehen die Gottesreden in einem lockeren szenischen Rahmen, der mit dem Verb ( ראהim Nifal: „erscheinen“) als Epiphanie Gottes stilisiert ist: Gen 12,7; 17,1–22; 18,1a; 26,2–5.24; 35,9–13. (3) Anderwärts redet Gott in einer visionären Schau (15,1.13; 46,2), im Traum (zu Abimelech von Gerar 20,3; zu Jakob 28,13–15; zu Laban 31,24) oder durch ein Orakel (zu Rebekka 25,23).
15
Sach 1,9.13.14; 2,2.7; 4,1.5; 5,5.10; 6,4. Schließlich begegnet innerhalb des visionären Geschehens Sach 1,11.12 ein himmlisches Wesen als „Bote Jhwhs“, der mit Jhwh und mit den von ihm ausgesandten himmlischen Reitern kommuniziert, nicht aber mit dem Visionär Sacharja. Der erhält seine Informationen nur von jenem schon erwähnten Deuteengel. Der davon zu unterscheidende „Bote Jhwhs“ erscheint hier offenbar als eine Mittlergestalt aus der himmlischen Hierarchie. Ihre Bezeichnung erklärt sich aus ihrer Funktion. 16
15. Engel, Gottesboten und geheimnisvolle Männer
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Kein Beleg dieser drei Gruppen gehört zur Substanz einer alten Erzählung. Das ist für die großen priesterschriftlichen Gottesreden in Gen 17 und 35,9–13 schon lange unbestritten,17 hat sich aber auch für die anderen in den letzten Jahren zunehmend durchgesetzt. Gen 15 setzt schon den Pentateuch voraus.18 Gen 20 kennt mindestens die erste Erzählung von der Preisgabe der Ahnfrau in Gen 12 und wirbt für ein Leben in der Diaspora.19 Gen 22,1–2 ist literarisch an 12,1 orientiert. Die Erzählung von der Bindung Isaaks ringt mit Problemen, die auch das Hiobbuch bewegt20; und das Problemgespräch Abrahams mit Jhwh über die Gerechtigkeit Gottes angesichts der Vernichtung Sodoms in 18,22b–33a hat den Untergang Jerusalems hinter sich.21 Aber auch bei den anderen Gottesreden handelt es sich um junge literarische Bildungen. Davon steht die programmatische Rede 12,1–3 in einem engen kompositorischen Zusammenhang mit jener in 13,14–17, insofern hier Abraham das Land zu sehen aufgefordert wird, das zu zeigen ihm Gott in 12,1 versprach.22 Beide Reden ergehen an keinem kultisch qualifizierten Ort. Sie können deshalb auch keines Erscheinens Gottes gewürdigt werden. In Gen 12,1–3 befindet sich Abraham noch außerhalb des Landes Kanaan. Deshalb muss auch eine Landverheißung fehlen, die an „diesem Land“ orientiert ist. Das trägt 12,7 in Sichem nach. Die Rede 13,14–17 ist zwar lokalisiert, aber nicht an einem bekannten Ort. Die eigentümliche Beschreibung („zwischen Betel im Westen und Ai im Osten“) bildet den künstlichen Mittelpunkt des Landes genau auf der Grenze zwischen dem nachmaligen Nordreich und Juda23 im Rahmen einer theologischen Geographie. Beide Reden gehören zusammen mit 28,13–14 sowie mit 26,2–5.24 und 46,2–4 zu den Pfeilern einer literarischen Brücke, welche die Erzählungen von Abraham, Isaak und Jakob 17
T. Nöldeke, Untersuchungen zur Kritik des Alten Testaments, Kiel 1869, 143 f. M. Köckert, Vätergott und Väterverheißungen. Eine Auseinandersetzung mit Albrecht Alt und seinen Erben (FRLANT 142), Göttingen 1988 (mit Lit.) [zu Gen 15 in diesem Bd. Nr. 4]. Nachdem die ursprüngliche Fortsetzung von 13,18 in 18,1b durch die nachträgliche Einfügung von Gen 15 (und 14) unterbrochen war, wurde 18,1a notwendig (zur Analyse s. E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte [WMANT 57], Neukirchen-Vluyn 1984). 19 Vgl. J. Van Seters, Abraham in History and Tradition, New Haven/ London 1975, 171–175; Blum, Komposition, 405–410; Köckert, Abraham: Ahnvater, Fremdling, Weiser. Lesarten der Bibel in Gen 12, Gen 20 und Qumran, in: S. Martus/A . Polaschegg (Hg.), Das Buch der Bücher – gelesen. Lesarten der Bibel in den Wissenschaften und Künsten, Bern 2006, 152–161 [in diesem Bd. Nr. 3]. 20 G. von R ad, Das erste Buch Mose. Genesis (ATD 2–4), Göttingen 41972, 192; C. Westermann, Genesis. 2. Teilband: Genesis 12–36 (BK I/2), Neukirchen-Vluyn 1981, 436; T. Veijola, Das Opfer Abrahams – Paradigma des Glaubens aus dem nachexilischen Zeitalter, ZThK 85 (1988) 129–164, bes. 149–162. 21 L. Schmidt, De Deo. Studien zur Literarkritik und Theologie des Buches Jona, des Gesprächs zwischen Abraham und Jahwe in Gen 18,22 f. und von Hi 1 (BZAW 143), Berlin 1976, 143, 156–164. 22 Köckert, Vätergott, 250–255. 23 Nach der Grenzbeschreibung in Jos 16,1–3 und 18,12–13 verläuft die Grenze zwischen Ephraim und Benjamin (das zum Südreich gehört) auf der Linie Jericho – Betel – Lus – Atarot. Auf dieser Linie befindet sich der Ort zwischen Betel und Ai. 18
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IV. Zur Vätergeschichte
miteinander verbindet.24 Dagegen sind 31,3 und 28,15 literarisch aufeinander bezogen und binden die Jakobüberlieferung zusammen. Es sind also gerade die jüngeren und jüngsten Stücke der Väterüberlieferung, in denen Jhwh ohne Mittler direkt mit den Erzvätern verkehrt. Angesichts der großen Zahl dieser Gottesreden treten die Texte, in denen Gottesboten eine Rolle spielen, auffallend zurück: (4) Ein „Bote Jhwhs“ trifft unterwegs in der Steppe auf Hagar (16,7–11) und ruft „vom Himmel her“ Abraham (22,11–12.15–16). Gleichfalls vom Himmel her ruft ein „Bote Gottes“ die Hagar (21,17) und redet im Traum mit Jakob (31,11). Schließlich segnet Jakob die Söhne Josephs, indem er den „Boten, der mich freigekauft hat ( )גאלvon allem Unheil“ anruft (48,16). (5) Eine Gruppe von Gottesboten erscheint Jakob im Traum auf seiner Flucht vor Esau in 28,12. Auf sie stößt er auch bei seiner Rückkehr in 32,2–3. (6) Hinzu kommen jene geheimnisvollen „Männer“, die zunächst von Abraham und dann von Lot gastfreundlich aufgenommen werden (Gen 18–19). Ein „Mann“ ist es auch, der am Jabbok mit Jakob ringt und ihn beim Anbruch der Morgenröte segnet (32,23–33). Die kurze Erinnerung der Jakoberzählung in Hos 12,4–5 spricht dagegen von einem Kampf Jakobs mit einem „Boten“ (Gottes), der hier freilich keine Botschaft überbringt, sondern Gott vertritt.
3. Himmlische Wesen in der Jakobüberlieferung 3.1 Gen 28 und 32,2–3 Im älteren Kern der Jakobüberlieferung trifft Jakob zweimal auf eine Gruppe von „Boten Gottes“. Beide Begegnungen zeichnen die entscheidenden Wendepunkte der Großerzählung aus. Die eine findet statt, als Jakob das Land verlässt, um bei seinem Onkel Zuflucht vor seinem Bruder Esau zu finden (Gen 28,12), die andere bei seiner Rückkehr, als er nach dem Grenzvertrag mit Laban seine Heimat wieder betritt (Gen 32,2–3). Dabei hat Gen 28 eine längere Literargeschichte hinter sich. Die in Gen 28,(10.)11–13a*.16–19a verarbeitete Erzählung von der Entdeckung des Kultortes Betel25 ist über das Gelübde 28,20–21a.22 so in den Jakobzyklus eingebunden worden, dass Israels Ahn auf der Flucht vor dem Zorn seines Bruders Esau zufällig „auf den Ort stößt“ ()פגע במקום, an dem sich ihm der Himmel öffnet. Im Traum sieht er eine Treppe, die Himmel und Erde verbindet.26 Auf 24
Köckert, Vätergott, 320–321. Die Gottesrede mit den weitausgreifenden Verheißungen (V. 13a2b–14[15]) kennt schon die Vätertrias und geht auch inhaltlich über den Horizont der Jakobüberlieferung hinaus. Sie verdankt sich wie auch 12,1–3; 13,14–17 einem Spätstadium der Vätergeschichte. Zur Analyse s. Blum, Komposition 7–35. 26 Das Wort סלםhängt mit akkad. simmiltu zusammen (AHw 1045a) und bezeichnet eine 25
15. Engel, Gottesboten und geheimnisvolle Männer
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ihr steigen „Boten Gottes“ ( )מלאכי אלהיםhinauf und herab. Über ihr aber steht Jhwh im Himmel. Nach seinem Erwachen stellt Jakob fest: „Fürwahr Jhwh ist an dieser Stätte, ich aber wusste es nicht.“ Und er fährt erschreckt fort: „Dies ist nichts anderes als das Haus Gottes ()עין זה כי אם בית אלהים, und dies ist das Tor des Himmels ()וזה שאר השמים.“ Deshalb nennt er diesen Ort (ויקרא את שם המקום )ההואBeth-El, „Haus Gottes“. Die wesentlichen Konturen der älteren Heiligtumsätiologie sind noch erkennbar. Der Jakob begegnende Gott wird im Himmel vorgestellt, der aber ist in Betel geöffnet. Das wird hier mit der Treppe inszeniert, deren Spitze „an den Himmel stößt“ und auf der Engel auf- und niedersteigen. Die Himmlischen heißen nicht von ungefähr „Boten Gottes“, obwohl von einer Botschaft nichts verlautet; denn durch sie vollzieht sich die ständige Begegnung zwischen Jhwh im Himmel und der Erde an diesem Ort. Durch sie ist der Gott Jhwh in Betel gegenwärtig. Die „Boten Gottes“ sind hier Himmlische, Wesen jener anderen Welt, und deshalb wie der Gott, in dessen Dienst sie stehen, normalerweise unsichtbar. Jakob aber, der Ahn Israels darf in Betel für einen kurzen Moment hinter die Grenzen dieser Welt schauen und wird der an diesem Ort unsichtbar gegenwärtigen himmlischen Wirklichkeit ansichtig. Deshalb reagiert Israels Ahn durchaus angemessen, indem er einen Stein als Mazzebe aufrichtet, deren Spitze mit Öl übergießt und auf diese Weise zeichenhaft ein Heiligtum gründet. Das Heiligtum ist der Ort, an dem sich Himmel und Erde begegnen. Im Kontext der Flucht Jakobs bekommt die Szene jedoch noch eine Bedeutung, die über die der älteren Heiligtumsätiologie hinausgeht. Sie stellt Jakobs Weg in die Fremde unter den besonderen Schutz des Gottes, dessen Gegenwart an dieser Stätte erfahren wird. Die „Boten Gottes“ sind hier am ehesten mit dem Gottesboten zu vergleichen, der Abrahams Knecht vorausgehen und bei seinem schwierigen Auftrag der Brautwerbung in der Fremde die Wege ebnet (24,7.40).27 Auf der jüngsten Ebene der Traumerzählung fungieren die „Boten Gottes“ geradezu als Visualisierung des unsichtbaren, aber wirksamen göttlichen Geleits: „Und siehe, ich werde mit dir sein und dich überall bewahren, wo immer du hingehst, und dich zurückbringen in dieses Land …“ (28,15). Damit ist nicht nur die gesamte Jakobüberlieferung im Blick, sondern über V. 15b die Väterüberlieferung als ganze in einem sehr jungen Stadium. Spätestens auf der Ebene von V. 15 sind aus den Gottesboten von Gen 28 „Schutzengel“ geworden. „Stufenrampe“ oder „Stiege“, die auch im Mythos von Nergal und Ereschkigal eine Rolle spielt (dazu s. u. 5. [und in diesem Bd. Nr. 11 und 12]). 27 Vgl. die „Schutzengel“ in Ps 91,11. Midrasch Bereschit R abba LXVIII (Wünsche, 333), R aschi (Bamberger, 77) und auch B. Jacob, Das Buch Genesis (1934), Stuttgart 2000, 580, rechnen in Gen 28 mit Engeln der Heimat, die nun – da Jakob die Heimat verlässt – aufsteigen, und Engeln der Fremde, die herabsteigen, um ihn auf der Flucht zu geleiten. Diese Auslegung trägt dem Umstand Rechnung, dass die Engel zuerst aufsteigen – ein Zug der Erzählung, der von den Auslegern meist übergangen wird.
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IV. Zur Vätergeschichte
Wie die Flucht Jakobs unter himmlischem Schutz steht, so wird auch seine Rückkehr durch Engel ausgezeichnet. Gen 32,2b–3 lehnt sich in seinen Formulierungen eng an Gen 28 an.28 Jakob befindet sich – unmittelbar nach dem Grenzvertrag mit Laban in Gilead – wieder auf heimatlichem Gebiet.29 Da begegnet er „Boten Gottes“ ()מלאכי אלהים, die aber dieses Mal „auf ihn stoßen“ ()ופגעו בו. Als Jakob die Engel sieht, deutet er den Ort als „Lager Gottes“ und gibt ihm den Namen ( )ויקרא שם המקום ההואMahanajim, „Doppellager“. Die kleine Szene „präludiert … die folgende Handlung“30 des abschließenden Teils der Jakoberzählung thematisch wie sprachlich: Die Boten Gottes kehren in den Boten Jakobs wieder (32,4.7), das Lager Gottes (Mahanajim) in den beiden (!) Lagern Jakobs ( מחנות32,8.9.11.22); damit sind wiederum die Geschenke für Esau verbunden ( מנחה32,14.19.21.22; 33,10). Die Szene 32,2b–3 ist weder als Heiligtumsätiologie31 noch überhaupt als ehedem selbständiges Stück, sondern als eine Notiz zu beurteilen, die von vornherein mit Blick auf die Betel-Erzählung Gen 28,11 ff. für die Hauptkomposition der Jakobüberlieferung als deren Seitenstück im Schlussteil geschaffen worden ist.32 Die kleine Szene ist an diesem Ort der Komposition alles andere als entbehrlich. Sie wirkt gerade wegen ihrer Anklänge an Gen 28 wie eine himmlische Begrüßung des Heimkehrers durch jene Gottesboten.33 Während in der älteren Überlieferung von der Entdeckung des heiligen Ortes Betel Jakob zufällig auf diesen Ort trifft, wird die Begegnung hier durch die Himmlischen selbst herbeigeführt. Durch ihr bloßes Dasein versichern sie Jakob vor der beunruhigenden Begegnung mit seinem betrogenen Bruder Esau der Nähe Gottes und des Schutzes. Wie einst in Betel braucht ihre Botschaft auch hier keine Worte. 3.2 Gen 31,1–16 Hier stellen sich die Befunde verwickelter dar. Die gesamte Szene setzt einerseits die vorangehende Erzählung von der wundersamen Vermehrung des Tierbestandes Jakobs in 30,25–43 voraus und führt sie weiter. Anderseits aber deutet sie diese um, indem sie Gott ins Spiel bringt. Sie dürfte also schon im 28 Vgl. Jacob, Genesis, 629; v. R ad, Genesis 256; J. P. Fokkelman, Narrative Art in Genesis, Assen 1975, 198. 29 Mahanajim gehört nach Jos 13,26.30; 21,38; 2 Sam 2,8–10; 1 Kön 4,14 zum ostjordanischen Gebiet des Nordreiches Israel. 30 Blum, Komposition 141. 31 Gegen C. Houtman, What did Jacob See at Bethel? VT 27 (1977) 337–351. 32 Vgl. auch T. Römer, Genèse 32,2–22: préparations d’une rencontre, in: J.‑D. Macchi/ T. Römer (Hg.), Jacob. Commentaire à plusieurs voix de Gen. 25–36, FS Albert de Pury (MB 44), Genf 2001, 181–196, bes. 190. 33 Der Ortsname Mahanajim ist gegenüber der Namensätiologie primär. Deshalb erfordert der Dual auch keine besondere Erklärung durch die Szene.
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Grundbestand von einer jüngeren Hand stammen.34 Zweimal ergeht ein Rückkehrbefehl an Jakob. Der erste findet sich in V. 3, der zweite in V. 11–13. In 31,3 befiehlt Jhwh ohne Vermittlung oder szenische Einkleidung: „Kehre zurück ( )שובins Land deiner Väter ( )ארץ אבותיךund zu deiner Verwandtschaft ( !)מולדתךIch werde mit dir sein ()אהיה עמך.“ Jhwhs Geleit bürgt für das Gelingen. Dieser Rückkehrbefehl unterbricht den Erzählzusammenhang von V. 1–2 zu V. 4–5 und verdirbt dem zweiten Rückkehrbefehl in V. 11–13 die Pointe. Zugleich korrespondiert er dem jüngsten Element der göttlichen Verheißung in Betel (28,15), wie die Stichwortbezüge zeigen: „Siehe, ich bin mit dir ()אנכי עמך. Ich werde dich behüten überall, wo du hingehst. Ich werde dich zurückbringen ( שובHif.) in dieses Land ( “… )האדמה הזאתOffensichtlich gehört V. 3 zu einer deutenden Bearbeitung, die – anderen befehlenden Jhwh-Reden vergleichbar35 – jede Aktion des Erzvaters schon vorab unter die Autorität göttlicher Anweisung stellt. Der andere Rückkehrbefehl ergeht szenisch vermittelt in V. 11–13. Hier redet nicht Jhwh, sondern der „Bote Gottes“, und Jakob vernimmt dessen Botschaft im Traum. Allein auf diese Rede kann sich die Antwort der Frauen Jakobs in V. 16b beziehen: „Und nun – alles, was Gott (!) zu dir gesagt hat, tu!“ Die Rede des Gottesboten in 31,11–13 ist nach Gen 28 das entscheidende Gelenkstück der Jakobüberlieferung. Sie schloss ursprünglich wohl unmittelbar an V. 9 an36 und ist nachträglich erweitert worden. Ihr ursprünglicher Bestand lautet: 11 Da
sprach zu mir der Bote Gottes im Traum: Jakob! Da sprach ich: Hier bin ich. 12Da sprach er: …37 13Ich bin der Gott (der in) Betel (ist)38, 34
So m. R. Blum, Komposition 121–132; vgl. auch R. G. Kratz, Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments (UTB), Göttingen 2000, 71 [zu 31,3 u. a. s. in diesem Bd. Nr. 13]. 35 S. o. 2.1. 36 Unmittelbar vor der Traumoffenbarung des Boten Gottes steht in V. 10 konkurrierend ein weiterer Traum, in dem Jakob sieht, wie sein Herdenreichtum allen Schikanen Labans zum Trotz zustande gekommen ist. In ihm wird außerdem eine gegenüber V. 8 neue Farbe eingeführt ( ברדיםstatt טלאיםin 30,39). Da Träume seit alters als göttliche Kundgaben gelten, legt V. 10 nachträglich die Feststellung Jakobs in V. 9 aus, Gott selber sei es gewesen, nicht Jakob mit seinen dubiosen Hirtentricks (30,37–43), der das Vieh dem habgierigen Laban entrissen und Jakob gegeben hat. 37 Ein Späterer hat die Träume von V. 10 und 12 miteinander identifiziert und die im zweiten Traum vermisste Mitteilung über die wunderbare Tiervermehrung der Herden Jakobs in V. 12 nachgetragen. Sie tritt jetzt störend zwischen Anrede und Selbstvorstellung des Gottesboten. 38 Die nach האלschwierige Fügung בית אלkann hier kein Gottesname sein, sondern muss sich auf den Ort beziehen, wie die daran anschließenden Relativsätze mit der Partikel שם zeigen. Sie ist am besten als Breviloquenz GK § 127 („der Gott [nämlich der Gott von] Betel“) oder als adverbiale Bestimmung im Sinne von Brockelmann, Syntax § 82, zu verstehen. Die LXX erläutert entsprechend mit „der dir in Betel erschienen ist“, vgl. die Targume Onkelos und Pseudo-Jonathan.
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IV. Zur Vätergeschichte
wo du eine Mazzebe gesalbt hast und wo du mir ein Gelübde gelobt hast. Nun, mache dich auf, ziehe aus diesem Land und kehre zurück in das Land deiner Verwandtschaft.
Die Rede bezieht sich ausdrücklich auf die Gotteserscheinung Jhwhs in 28,12– 13a*, die Errichtung der Mazzebe und deren Salbung (28,18), die Benennung des Ortes (28,19) und das Gelübde Jakobs (28,22) zurück. Der „Bote Gottes“ in 31,11–13 ist auf der Ebene der Komposition der Jakobüberlieferung also kein anderer als Jhwh selbst, der dem Ahn in Betel erschienen ist und der sich gerade anschickt, ihn wohlbehalten ins Haus seines Vaters zurückzuführen (28,21a). Diese Identifikation ergibt sich schon aus der Selbstvorstellung. In diese Identifikation fügt sich auch V. 3 als Jhwh-Rede ein. „Bote“ ist er, insofern der in Betel erschienene Gott jetzt in V. 11–13 mit Jakob redet. Auf der Ebene Jakobs als Erzählfigur aber handelt es sich bei dem Gottesboten in V. 11 um den Boten des Gottes, dem er laut V. 9 seinen Reichtum an Vieh verdankt und den er in V. 5 „Gott meines Vaters“ nennt. Auf dieser Ebene gehört der „Bote Gottes“ zum numinosen Personal der Familienreligion und der Schutzgottheiten. 3.3 Gen 32,23–33 Das ist nun zweifellos der theologisch tiefsinnigste Text zum Thema, aber auch der dunkelste.39 Kein Gottesbote, sondern „ein Mann“ ( )אישfällt Jakob in der Dunkelheit der Nacht an und ringt mit ihm am Jabbok. Als der Angreifer sieht, dass er Jakob nicht überwältigen kann ()לא יכל, versehrt er ihm die Hüfte (V. 26a). Meist hat man der Schwierigkeiten dieses Textes Herr werden wollen, indem man den Ungenannten kurzerhand mit einem Dämon identifizierte.40 Doch davon rät schon die Fortsetzung der Erzählung ab: Schadenbringende Dämonen pflegen nicht zu segnen. Wer aber ist dann jener mysteriöse „Mann“? Angeleitet von Hos 12,5a und der jüdischen Exegese vom Targum Neofiti I bis Benno Jacob, denkt man schnell an einen Engel. Gen 32 geht jedoch viel weiter. Der Unbekannte gibt Jakob einen neuen Namen, bevor er ihn segnet, und begründet den neuen Namen „Israel“ mit dem soeben stattgefundenen 39 Es handelt sich – gegen H. Gunkel, Genesis übersetzt und erklärt (HK 1/1), Göttingen 31910, 365 (die Sage gehöre „zu den ältesten, am knappsten erzählten“), M. Noth, Über-
lieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart 1948, 110 („alte Lokalsage von Pnuel“), u. v.a. – um keine Einzelsage, sondern um eine für den vorliegenden literarischen Kontext konstruierte Szene. Eine vorisraelitische Herkunft lässt sich nicht wahrscheinlich machen. Die Szene umfasste ursprünglich V. 23.25b.26a.27–30.31a(?).32. Zu Analyse und Literatur s. M. Köckert, War Jakobs Gegner in Gen 31,23–33 ein Dämon? in: A. Lange u. a. (Hg.), Die Dämonen/ Demons. The Demonology of Israelite-Jewish and Early-Christian Literature in Context of their Environment, Tübingen 2003, 16–181, hier 167–174 [in diesem Bd. Nr. 14]. 40 Zu den mit der Deutung auf einen Dämon verbundenen Problemen s. Köckert, Gegner, 161–166.
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Kampf: „Du hast mit Gott (!) und mit Menschen gekämpft ( )שרהund hast standgehalten41 (( “)יכלV. 29). Dem entspricht die Benennung des Ortes durch Jakob: „Und Jakob nannte die Stätte ‚Penuel‘; denn (so sprach er:) Ich habe Gott42 von Angesicht zu Angesicht gesehen, und mein Leben wurde gerettet“ (V. 31). Der Erzähler war offenkundig der Meinung, Jakob habe mit keinem anderen als mit Gott gerungen.43 Auch Jakob ist dessen gewahr geworden, wie die Benennung der Stätte in V. 31 zeigt. Spätestens als der Unbekannte sich weigert, seinen Namen zu nennen44, wahrscheinlich aber schon während des Kampfes muss Jakob gemerkt haben, dass er es mit keinem Sterblichen, sondern mit seinem Gott zu tun hat. Deshalb hält er an diesem übermenschlichen Kämpfer fest: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn“ (V. 27b). So ist aus dem SegensBetrüger Jakob der gesegnete Gotteskämpfer Israel geworden. Die Änderung des Namens signalisiert sein neues Wesen. Nach dieser Gottesbegegnung auf Leben und Tod, in der Jakob-Israel standgehalten hat, kann er nun auch dem von ihm betrogenen Bruder Esau begegnen und dessen Angesicht sehen „wie man das Angesicht Gottes sieht“ (33,10).45 Israel wurde in einem Gotteskampf geboren – abgründiger hat kein Volk von seinen Ursprüngen erzählt. Der Gottesname Jhwh fällt in der Erzählung freilich nicht. Seine Kundgabe wird in V. 30 sogar ausdrücklich verweigert. Das liegt nur vordergründig an der Erzähldramaturgie, die das Inkognito des Angreifers erfordert. Denn ein Kampf zwischen dem Ahnvater Israels und Israels Gott Jhwh überschreitet die Grenzen des Sagbaren. Daraus hat ein kühner Schriftausleger in Hos 12 weitere Konsequenzen gezogen. Er rezipiert große Teile der Jakobüberlieferung einschließlich der Priesterschrift in äußerster Dichte und legt sie für seine Leser auf überraschende Weise aus.46 Der frühe Midrasch greift in V. 4–5a den Kampf mit Gott (שרה עם )אלהיםund Jakobs Stehvermögen ( )יכלaus der Israeletymologie Gen 32,29b auf, entschärft aber die Vorlage, indem er in V. 5a den Kampf mit Gott als Kampf47 41 Nach Köhler-Baumgartner, Lexicon 380b, ist die Grundbedeutung des Verbs „fassen, ertragen, aushalten können“. Für die Bedeutung „standhalten“ in 32,29 (und Hos 12,5a) spricht (anders als in V. 26) der absolute Gebrauch des Verbs. K. Elliger, Der Jakobskampf am Jabbok. Gen 32,23 ff. als hermeneutisches Problem (1951), in: Ders., Kl. Schriften zum AT (ThB 32), München 1966, 141–173: Das Verb sage hier „nicht mehr aus, als die objektive Tatsache, dass Jakob wie in den gefährlichen Verwicklungen mit den Menschen so auch jetzt wieder, wo Gott selbst ihn an den Rand des Verderbens gebracht hat, ‚oben geblieben‘ ist“ (S. 166). 42 Hier versagt eine Deutung des אלהיםauf „Himmlische“ im Gegensatz zu „Irdischen“, die vielleicht in V. 29 noch möglich wäre. 43 So m. R. auch H. Spieckermann in seiner eingehenden Auslegung (Der Gotteskampf. Jakob und der Engel in Bibel und Kunst, Zürich 1997, 19). 44 Vgl. Ri 13,17–18. 45 Zu den zahlreichen Kontextbezügen, die der Szene überhaupt erst ihre Tiefenschärfe geben s. Blum, Komposition 140–151, und Spieckermann, Gotteskampf, 17–34. 46 Vgl. dazu vor allem H. Pfeiffer, Das Heiligtum von Bethel im Spiegel des Hoseabuches (FRLANT 183), Göttingen 1999, 68–100. 47 Die wegen der masoretischen Vokalisierung gewöhnlich vorgenommene Ableitung des
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IV. Zur Vätergeschichte
gegen einen „Engel“ deutet ( מלאך48)וישר אל. Er bleibt mit dieser Deutung insofern beim Text seiner Vorlage, als er mit dem „Engel“ dem Umstand Rechnung trägt, dass es ja ein „Mann“ war, der Jakob am Jabbok entgegentrat (V. 25b). Das Verständnis von „Mann“ = „Engel“ mag der subtilen Exeget aus Gen 18–19 gewonnen haben.49 Wie dem auch sei, der Engel repräsentiert in Hos 12,4–5 Gott auf Erden. Vor allem die folgenden anthropomorphen Aussagen in V. 5, die 32,27 auslegen, waren jenem Schriftausleger zu ungeheuerlich, um sie auf Gott zu beziehen: „Der weinte und flehte ihn an“ – derlei konnte man allenfalls von einem Engel, nicht aber von Gott sagen.50 Die Deutung des Angreifers in Gen 32 auf einen Dämon in der neuzeitlichen Auslegungsgeschichte liegt ganz auf dieser Linie. 3.4 Gen 48,15–16 Ein letztes Mal in der Jakobüberlieferung ist von einem Engel im dritten Glied des Segensspruches über Ephraim und Manasse die Rede. Der מלאךerscheint hier ohne nähere Bestimmung, wird aber durch den Parallelismus mit den beiden vorangehenden Gliedern deutlich als Repräsentant Gottes ausgewiesen. Zwar führt Jakob sein Leben „vor Gott“, ins Leben aber greift nicht Gott, sondern der „Engel“ ein: Er kauft frei und bewahrt vor Unheil. Der Segensspruch gehört in ein Spätstadium der Überlieferung und galt, wie seine Einleitung zeigt, ursprünglich wohl Joseph.51 Die ältere zweigliedrige Gottesprädikation von V. 15 ist in V. 16a nachträglich mit jener dritten erweitert worden. Die Formulierungen des Segens sind in der Vätergeschichte ungewöhnlich. Die erste Wendung „der Gott, vor dem meine Väter gewandelt sind“ greift 17,1 (P) und 24,40 (nach-P) auf; und die dritte kennt bereits den metaphorischen Gebrauch des familienrechtlichen Begriffs „( גאלfreikaufen“) für Gott52, wendet ihn aber auf den „Boten, der mich von allem Unheil ( )רעfreigekauft hat“. Leider bleibt ungewiss, worauf sich der Freikauf bezieht. Am nächsten kommt 31,7: „Gott hat nicht zugelassen, dass er (= Laban) mir Böses zufügt ( רעעHif.).“ Verbs von der Wurzel „ שררer erwies sich als Herr“ empfiehlt sich wegen des nachfolgenden יכל nicht. Am besten bleibt man mit LXX und Aquila bei der Wurzel שרה. 48 Der Wechsel der Präposition gegenüber der Vorlage ( )עםaber auch gegenüber Hos 12,4b ( )אתliegt vielleicht daran, dass Hos 12,5a mit der Formulierung ישר אלeine noch größere Nähe zum Namen „Israel“ herstellen wollte. 49 Dazu s. u. 4.1. 50 Bis heute ist allerdings umstritten, wer Subjekt dieser Verben in Hos 12,5a ist und ob sie sich auf Gen 32,27a (Gott in der Gestalt jenes Mannes) oder V. 27b (Jakob) beziehen. Inhaltlich sind beide Möglichkeiten sinnvoll. Die oben verfolgte Linie nimmt die von Pfeiffer, Heiligtum 86–88, begründete Deutung auf. 51 S. dazu K. Schöpflin, Jakob segnet seinen Sohn. Genesis 49,1–28 im Kontext von Josefs- und Vätergeschichte, ZAW 115 (2003) 501–523, bes. 511 ff. 52 Derlei findet sich im Pentateuch nur in Ex 6,6 und 15,13; vgl. Jes 63,9, das gegen den Freikauf lediglich durch einen Engel polemisiert.
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Der מלאךist in 48,16 kein Bote, sondern Gottes Repräsentant, der an Jakob das tut, was der in 31,7 Gott zuschreibt.
4. Himmlische Wesen in der Abrahamüberlieferung 4.1 Gen 18–19 Von den einschlägigen Texten hat Gen 18 im Christentum, vor allem in den Kirchen des Ostens, große Wirkung entfaltet. Der Besuch jener drei Männer bei Abraham wurde schon früh als Darstellung der Dreifaltigkeit Gottes gedeutet.53 Besondere Berühmtheit erlangte die Dreifaltigkeits-Ikone, die Andrej Rubljov um 1410 gemalt hat.54 Die Deutung des Besuchs der drei Männer in Gen 18 auf die Trinität lag allerdings kaum in der Absicht des Erzählers. Das wird schnell deutlich, wenn man die Verteilung der verschiedenen Bezeichnungen der Himmlischen in Gen 18–19 untersucht. Zuvor muss freilich die Verbindung beider Kapitel zu einer Erzähleinheit im Rahmen der zu Grunde liegenden größeren Gesamtkomposition in den Blick kommen.55 Als älteste noch erreichbare literarische Gestalt lässt sich ein Diptychon herausschälen, dessen beide Teile komplementär, aber als Kontrast gestaltet sind und vom Ablauf der Tagzeiten zusammengehalten werden.56 Im ersten Teil besuchen Himmlische in des Tages Mitte unerkannt Abraham. Der erweist ihnen vor seinem Zelt alle Ehren, ohne zu wissen, wen er so verschwenderisch bewirtet. Darauf kündigen die Gäste als Dank die Geburt eines Sohnes an (18,1b–1657). Der zweite Teil spielt nachts in Sodom. Auch Lot erweist den Männern Gastfreundschaft, indem er die Fremden in sein Haus bittet. Die bedanken sich, indem sie ihn und seine 53
Klassisch ist Augustinus (De trinitate 2,10–11; 3,11) geworden: et ipse Abraham tres vidit, unum adoravit, bzw. nonne unus erat hospes in tribus qui venit ad patrem Abraham. Vgl. das Fresko in S. Maria Maggiore in Rom (4. Jh.); s. auch die Belege in LCI I, 532 und Abb. 3. 54 Die Ikone zeigt drei bis auf die unterschiedliche Gewandung mit Flügeln, Nimbus und Stäben gleich ausgestattete Männer um einen Tisch, der mit einer gefüllten Schale gedeckt ist. Sie befindet sich heute in der Tretjakow-Galerie, Moskau. Die Moskauer Synode von 1551 hat sie in den Rang eines geradezu kanonischen Vorbildes für die Darstellung der Hl. Dreifaltigkeit in der russischen Ikonenmalerei erhoben. 55 Zur Gesamtkomposition der Abraham-Lot-Erzählung (Gunkel) s. Blum, Komposition, 273–289, und zu Gen 18,1–16 s. Köckert, Vätergott, 235–238. Kompliziertere Lösungen verfolgen C. Levin, Der Jahwist (FRLANT 157), Göttingen 1993, 153–170, und Kratz, Komposition, 275–278, der mit einer selbständigen Überlieferung von Lot in Gen 19 als Kristallisationskern rechnet. 56 18,1b (Mittag); 19,1a (Abend), V. 5 (Nacht), V.15 (in der Morgendämmerung), V. 23 (bei Sonnenaufgang) , V. 27 (früh am Morgen), V. 33 (in jener Nacht), V. 34 (am folgenden Tag), V. 35 (in jener Nacht). 57 18,1b kann nicht seit je auf V. 1a gefolgt sein, weil dann am Eingang des Zeltes nicht Abraham, sondern Jhwh sitzen würde. 18,1a wurde nötig, als Gen 18 von seinem ursprünglichen Bezugstext (13,1–18*) als Fortsetzung abgetrennt war. 13,18 nennt Abraham, der sich dort an dem Ort befindet, den 18,1a nennt.
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IV. Zur Vätergeschichte
Familie vor dem städtischen Mob und dem hereinbrechenden Gottesgericht über Sodom retten (19,1–27a.2858). Der erste Teil zielt auf die Geburt Isaaks. Darauf spielt die Wurzel צחקin 18,12–15, aber auch in der Geburtsnotiz 21,1–6 mehrfach an, die den älteren Abschluss der Gesamtkomposition jetzt ersetzt hat. Der zweite Teil endet dagegen im Dunkel einer Höhle (19,30–38). Während sich Isaak einem Gastgeschenk Himmlischer verdankt, entstammen Moab und Ammon einem Inzest. Die Großerzählung hat also von vornherein eine völkergeschichtliche Perspektive. Es geht um den Ursprung Israels und seiner östlichen Nachbarn. Die unerlässliche erzählerische Brücke zwischen beiden Teilen bilden 18,16b.20–22a.33b.59 Sie bereiten den Sodom-Teil vor, der ohne den Mamre-Teil und diese Brücke gar nicht lebensfähig wäre.60 Zwar sind in Gen 19 verschiedene Stoffe verarbeitet, literarisch lässt sich jedoch keine Szene herauslösen.61 Viel Verwirrung hat der Wechsel zwischen Jhwh und drei Männern, den Männern und zwei Boten und der mit alledem verbundene Wechsel zwischen pluralischen und singularischen Verbformen hervorgerufen. Der gesamte exegetische Werkzeugkasten ist durchprobiert worden.62 Im Blick auf die Grundstruktur der Großerzählung Gen 18–19 wird die Lösung Erhard Blums dem oszillierenden Text am ehesten gerecht.63 Die Einführung der drei Männer an Jhwhs Statt ermöglichen dem Erzähler, Jhwh zunächst inkognito erscheinen zu lassen. Das gehört zu den Eigentümlichkeiten der Erzählungen vom „Besuch 58 19,27b setzt die sehr viel spätere Einfügung des Rechtsstreits Abrahams mit Jhwh um Gottes Gerechtigkeit in 18,22b–33a voraus, der wiederum nicht von der Reflexion Jhwhs in 18,17–19 abgelöst werden kann. Gen 19,29 gehört zur Priesterschrift. 59 Zur Analyse hat schon J. Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, Berlin 31899, 25 f., das Richtige bemerkt. 60 Blum, Komposition, 280, hat überzeugend gezeigt, dass sich schon die Exposition 19,1–3 strukturell der Mamre-Erzählung verdankt. 61 Das gilt ohnehin für die Begebenheiten in Sodom (19,4–11), die zweifellos unter Kenntnis des in Ri 19 (Schandtat zu Gibea) verarbeiteten Stoffes gebildet wurde (wie 18,1–15 die Erzählstruktur von 2 Kön 4 voraussetzt) [s. aber dgg. jetzt H. Pfeiffer, Sodomie in Gibea, in: Ders./A. C. Hagedorn (Hg.), Die Erzväter in der biblischen Tradition. FS Matthias Köckert (BZAW 400), Berlin 2009, 267–290]. Die Szene in Sodom löst 18,21 ein; denn hier hat Jhwh – anders als in 18,17.23–33 – noch kein endgültiges Urteil über Sodom gefällt. Insofern zeigen 19,4–11, inwiefern Sodom tatsächlich „Vertilgung bewirkt“ (vgl. 18,21a mit 19,4b.13). Auch die Zoar-Episode darf nicht fehlen, weil an ihr 19,30–38 hängen. Die [von Kratz, Komposition, 266 f.] für die Abtrennung ins Feld geführten Beobachtungen lassen sich nur stoffgeschichtlich, nicht aber literargeschichtlich auswerten. 62 Zur Forschungsgeschichte s. R. I. Letellier, Day in Mamre, Night in Sodom. Abraham and Lot in Genesis 18–19 (BIS) 10, Leiden 1995, 1–29; die vorläufig letzte Verwirrung ist bei H.‑J. Fabry zu besichtigen (Warum zu dritt? Gott zu Gast bei Abraham. Ein Werkstattbericht, in: K. Kiesow/T. Meurer [Hg.], Textarbeit. Studien zu Texten und ihrer Rezeption aus dem Alten Testament und der Umwelt Israels. FS Peter Weimar [AOAT 294], Münster 2003, 171–190): Fabry arbeitet eine „Grundschicht“ mit dem Thema „Theoxenie“ heraus, die noch nicht einmal eine Pointe hat. 63 Blum, Komposition, 277–282.
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Himmlischer“ auf Erden.64 In Gen 18 ist Jhwh einerseits einer von den dreien (V. 3), anderseits erscheint er als die drei (V. 1.9.10), bei der Ankündigung der Geburt Isaaks (V. 10–15) ist jedoch nur noch von ihm die Rede. Zur anfänglichen Wahrung des Inkognito hätte freilich wie in 32,23 ff. ein einziger „Mann“ genügt. Die drei Männer könnten auf eine vorisraelitische Lokaltradition von Hebron zurückgehen. Allerdings ist die Basis für diese Vermutung sehr schmal.65 Klarer sind die Verhältnisse in Ugarit. Dort treten in den mythischen Texten Boten häufig paarweise auf.66 Sollte diese Vorstellung auch hinter Gen 18 stehen, waren die drei Männer von vornherein als Jhwh mit zwei Boten konzipiert, ohne dass jedoch die Botenfunktion aktiviert wurde. Beide Erklärungen müssen sich nicht ausschließen: Mag der noch zu vermutenden Vorstufe von Gen 18 die vorisraelitische Lokaltradition einer Triade von Hebron zugrunde liegen; in der erweiterten Fassung der Großerzählung ist sie als Jhwh mit zwei Boten umgedeutet worden. Wie dem auch sei, nach dem Besuch bei Abraham gehen in der ältesten Fassung der Großerzählung jedenfalls alle drei Männer nach Sodom. Wie in 18,3.10–15 tritt Jhwh auch in Gen 19 gelegentlich als einer der drei besonders hervor.67 Er ist das Subjekt der für die Erzählung entscheidenden Handlungen. Er kündigt die Geburt des Sohnes Isaak an (18,10–15), und er ist es auch, der die Vernichtung Sodoms bewirkt (19,23–25). Die Unterscheidung zwischen Jhwh und „den Männern“ gestattet über das Inkognito hinaus, so etwas wie göttliche Ubiquität erzählend zu realisieren, bzw. Ereignisse unter Beteiligung Himmlischer synchron stattfinden zu lassen, obwohl man sie nur nacheinander erzählen kann. Das geschieht in der um 18,17–19.22b–33a erweiterten Fassung. Während ursprünglich alle drei Männer nach Sodom gingen, verwickelt Abraham jetzt Jhwh in eine Diskussion über die Gerechtigkeit des Richters der Erde angesichts der Vernichtung einer ganzen Stadt. Der Leser muss nun „die Männer“, die sich „von dort wandten und nach Sodom gingen“ (18,22a), stillschweigend auf die beiden anderen Männer beziehen, weil Jhwh bei Abraham stehen bleibt.68 Die erweiterte Fassung hat diesem 64 Vgl. Ri 6,11–24; 13,2–24 und die Parallelen aus der klassischen Antike, die Gunkel mitteilt. 65 Das lässt sich vielleicht aus Num 13,22; Jos 15,14; Ri 1,10 erschließen, die für Hebron von drei namentlich genannten Kindern Enaks berichten, die dort möglicherweise als Heroen (die Enakiter erscheinen in Num 13,33 als Nephilim, in Dtn 2,10 f.; 2,20 f. als Rephaim) verehrt wurden. – Göttertriaden begegnen auch sonst im syrisch-palästinischen Raum; vgl. dazu die Hinweise bei H.‑P. Müller, Gott und die Götter in den Anfängen der biblischen Religion, in: O. Keel (Hg.), Monotheismus in Israel und seiner Umwelt (BB 14), Fribourg 1980, 99–142, bes. 128–132 (die jedoch einer kritischen Prüfung bedürfen). 66 Belege s. u. 5. 67 Vgl. 19,13bα.14.16. Auch der Sprecher in V. 17 ist im MT ein einzelner (LXX, Syr. und Vulg. lesen jedoch Plural), dem Lot in V. 18 so antwortet, dass die Masoreten ( אדוניmit Kamäs) auf Jhwh beziehen konnten (vgl. 18,3!). Er muss im MT dann auch der Sprecher von V. 21–22 sein. 68 In 18,22b haben die Schreiber Subjekt und Objekt vertauscht (s. Apparat BHS), weil sie
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IV. Zur Vätergeschichte
Umstand auch in Gen 19 Rechnung getragen und das Verhältnis zwischen Jhwh und den anderen beiden Männern so geklärt, dass sie in 19,1(.15) die auf alle drei Männer bezogenen Plurale mit „die (beiden) Boten“ präzisiert und in 19,13b ausdrücklich deren Sendung durch Jhwh einfügt. Nachdem in 19,1 einmal die nach Sodom gegangenen Männer als Boten definiert waren, musste jeder Leser „die Männer“ in V. 10.12.16 und die entsprechenden Plurale in V. 17 („Da führten sie ihn hinaus“) und V. 18 („Da sprach Lot zu ihnen“) auf jene Boten beziehen. Entsprechend deutet der Samaritanus in V. 12 und die Septuaginta in V. 16 jene Männer auch ausdrücklich als „Boten“. Das lag an beiden Stellen besonders nahe, weil sowohl in V. 12–13 als auch in V. 16 Jhwh eigens neben den Männern genannt ist. Mit der Verteilung der drei Männer auf Jhwh und zwei Boten gelingt es dem Erzähler, den Besuch der beiden Boten bei Lot und das Gespräch Abrahams mit Gott über das Ergehen der Gerechten beim Strafgericht über Sodom gleichzeitig stattfinden zu lassen. Wo aber befindet sich Jhwh nach dem Gespräch mit Abrahm? In 18,33a heißt es lapidar: „Da ging Jhwh …“ Wohin er gegangen ist, wird allerdings nicht gesagt. Das wird erst bei der Vernichtung Sodoms in 19,24 deutlich. Hier erscheint der Text verworren und redundant: „Jhwh ließ regnen über Sodom und Gomorra Schwefel und Feuer, von Jhwh, vom Himmel.“ Die letzten vier Wörter wirken sperrig und scheinen nichts Neues mitzuteilen.69 Das ist allerdings nicht der Fall, wenn man „vom Himmel her“ als eine in besonderer Absicht vorgenommene Näherbestimmung zu Jhwh versteht.70 Dann enthüllt die nicht ganz elegant angefügte Bemerkung, wo sich Jhwh seit 18,33a befindet: nicht wie die Männern bei Lots Familie auf dem Weg nach Zoar, sondern im Himmel. Einer persönlichen Begegnung mit Jhwh, dem Gott Israels, wird in der erweiterten Fassung der Großerzählung allein Abraham gewürdigt. Die Einzelperson, die in 19,17–22 mit Lot redet, ist in dieser Perspektive nicht mehr Jhwh, sondern einer der beiden anderen Männer, die als seine Boten Lot mit seinen Töchtern auf dem Weg aus der todgeweihten Stadt geleiten. Erst bei Sonnenaufgang betritt Jhwh wieder die Bühne, nun aber im Himmel (V. 23–25), um Schwefel und Feuer auf die Städte sprichwörtlicher Gottlosigkeit regnen zu lassen. Die „drei Männer“, die Abraham besuchen, mögen zum religiösen Erbe Hebrons aus grauer Vorzeit gehören. Der judäische Erzähler der Königszeit „stehen vor …“ als „dienend stehen vor …“ verstanden haben, was ihnen für Jhwh unmöglich erschien. 69 O. Keel, Wer zerstörte Sodom? ThZ 35 (1979) 10–17, hat das mit der Vorgeschichte des Stoffes erklärt, in dem die Vernichtung Sodoms dem Sonnengott zugeschrieben wurde, wofür in der Tat der auffällige Tatbestand spricht, dass das Gericht bei Sonnenaufgang beginnt. Die letzten vier Wörter sollen sicherstellen, dass jetzt Jhwh die Funktionen des Sonnengottes ausübt. Das mag im Blick auf die vermutete Vorgeschichte zutreffen. Aber dazu bedarf es nicht der ausdrücklichen Ortsbestimmung „vom Himmel“. 70 Wo Jhwh sonst im AT Schwefel und Feuer über Menschen kommen (Ez 38,22) oder regnen lässt (Ps 11,6), fehlt die Näherbestimmung „vom Himmel“.
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greift es auf und beschreibt mit dessen Hilfe, wie die Wirklichkeit Jhwhs vom Erzvater Abraham auf Erden erfahren wurde. Diese Erfahrung ist wie alle rechte Gotteserfahrung die Erfahrung eines Geheimnisses. In wenigen biblischen Erzählungen wird das so deutlich wie in dieser, die Gottes Gegenwart in jenen drei Männern zugleich verbirgt. In der erweiterten Fassung aus der Perserzeit wird Jhwh ausdrücklich im Himmel vorgestellt, ist aber nicht an ihn gebunden. Auf Erden begegnet er jedoch als „Mann“ in irdischer, verwechselbarer Gestalt. Mit der Vorstellung von Boten Gottes wird das Verhältnis zwischen Jhwh und den „Männern“ geklärt. Anders als in der ersten Fassung erscheint Jhwh nur noch Abraham. Dem Nichtisraeliten Lot begegnen allein Jhwhs Boten. 4.2 Gen 16 Auch hier71 begegnet ein Bote Jhwhs einer Volksfremden, die in V. 1b als ägyptische Sklavin vorgestellt wird.72 In dieser Erzählung stehen in wenigen Versen der Bote Jhwhs, Jhwh und Gott nebeneinander. Dieses Nebeneinander erklärt sich auch hier in der Hauptsache aus den unterschiedlichen Kommunikationsebenen. Hagar befindet sich auf der Flucht vor ihrer Herrin Sara. Da findet sie der „Bote Jhwhs“ an einem Wasserloch in der Steppe und spricht sie an (V. 7–8). Von den folgenden V. 9–11, die durch ihre gleichlautenden Redeeinleitungen auffallen, ist nur V. 11 auf die Situation der Hagar bezogen. V. 9 dagegen missbilligt die Flucht, die doch V. 11 stillschweigend bejaht, und bereitet V. 15 vor, der die Rückkehr der Hagar voraussetzt. Beide Verse hat man hier eingebracht, nachdem Gen 21,8 ff. in die Abrahamüberlieferung eingestellt waren und man das in Gen 16 berücksichtigen musste.73 Noch jünger dürfte V. 10 sein; denn diese Verheißung geht in ihrer Allgemeinheit weit über die Situation der Hagar hinaus und macht die folgende Ankündigung eines Sohnes überflüssig.74 Ursprünglich wurde also die Erzählung nach V. 8 in V. 11 fortgesetzt. Nachdem der Bote Hagars Woher und Wohin in Erfahrung gebracht hat, kündigt er der bereits Schwangeren die Geburt eines Sohnes an, dem sie den Namen „Ismael“ geben soll. Die daran angeschlossene Deutung des Namens bezieht sich zwar auf die Lage Hagars und trägt dem ersten Glied des Namens Rechnung, passt aber nicht zu dessen theophorem Element אל. Dass die Namendeutung erst nachträglich eingeschoben worden ist, erkennt man auch an dem inhaltlich unpassenden 71 Die Erzählung ist nicht aus einem Guss. Entgegen der üblichen Meinung (s. Gunkel und Westermann) kann P nur in V. 3.16 erkannt werden. [Zu Gen 16 s. in diesem Bd. Nr. 7] 72 Die Herkunft könnte aus 12,16 erschlossen sein. 73 16,15 widerspricht deutlich der Anweisung von V. 11, nach der Hagar, nicht Abraham dem Kind seinen Namen geben soll. Wahrscheinlich hat V. 15 die ursprüngliche Geburtsnotiz verdrängt, um mit Gen 21 auszugleichen. 74 Außerdem kombiniert V. 10 die jungen Verheißungen von 22,17 und 32,12 und fällt deshalb – im Kontext von Gen 16 gänzlich unmotiviert – in direkte Gottesrede.
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Anschluss von V. 12, der mit dem rückweisenden Pronomen הואsachlich nur unmittelbar an den Namen, nicht aber an dessen Deutung anknüpfen kann. Der Vorblick auf das künftige Geschick des Knaben im Stil eines Geburtsorakels75 oder Stammesspruches hatte also die Namendeutung mit dem Verweis auf Jhwh, der das Elend Hagars gehört hat76, noch nicht vor sich. Umso überraschender ist die Reaktion Hagars auf die Botenrede in V. 13–14.77 Zwar weiß der Leser vom Erzähler seit V. 7, dass es der Bote Jhwhs war, der in der Steppe die Flüchtende fand, nicht aber Hagar. Sie sah nur einen Mann, der sich nach ihrem Geschick erkundigte. Am Ende aber identifiziert sie den Mann, der „zu ihr geredet hatte“, aufgrund seiner wunderbaren Ankündigung mit Gott ()אל: „Du bist ein Gott des Sehens …“78 Der Erzähler weiß jedoch, dass es der Bote Jhwhs war. Deshalb führt er in V. 13a Hagars dankbares Bekenntnis als Preis des Namens Jhwhs ein. Zumindest der Erzähler hat die singuläre Fügung nicht als eine eigene Gottheit, sondern als Jhwh-Prädikat verstanden. In Gen 16 unterscheidet der Erzähler zwischen dem Boten und Jhwh so, dass Jhwh Hagar zwar wahrnimmt, aber sich durch seinen Boten um sie kümmert, der mit ihr spricht. Der Bote vertritt im Bereich der Menschen Gott. Weil Gott in der Botschaft des Boten gegenwärtig ist, kann Hagar am Ende ihre Begegnung als Gottesbegegnung deuten. 4.3 Gen 21,8–21 Die zweite Erzählung über Hagar setzt in ihrer vorliegenden Gestalt die erste literarisch voraus.79 Sie gehört zu einer erweiterten „Neuauflage“ der Abrahamüberlieferung in der Perserzeit.80 In ihr haben sich nicht die Relationen zwischen 75
Vgl. Gen 25,23. Vgl. Ex 3,7. 77 Beide Verse sind mit zahlreichen Problemen belastet, die hier nicht gelöst werden müssen, s. zuletzt E. A. Knauf, Ismael. Untersuchungen zur Geschichte Palästinas und Nordarabiens im 1. Jahrtausend v. Chr. (ADPV 1), Wiesbaden 21989, 45–49, K. Koenen, Wer sieht wen? Zur Textgeschichte von Genesis XVI 13, VT 38 (1988) 468–474, und H. Irsigler, Erhörungsmotiv und Ismaelname in Gen 16,11 und 21,17, in: M. Görg (Hg.), Die Väter Israels. Beiträge zur Theologie der Patriarchenüberlieferungen im Alten Testament, Stuttgart 1989, 107–138, bes. 121–124. Zuweilen hat man V. 13–14 von der ursprünglichen Erzählung überhaupt abtrennen wollen (Van Seters, Abraham, 193; Knauf, Ismael, 26 f.), doch bedarf die Erzählung einer identifizierenden Reaktion Hagars. Dann kann der Brunnen mit seinem Namen erst nach V. 13 benannt werden. Die Spannung zwischen dem Namen Ismael („Gott hat gehört“) und der Reaktion Hagars, die Gottes Sehen hervorhebt, sowie dem Brunnennamen kann hier nicht weiter verfolgt werden. 78 Am einfachsten ist immer noch, diese Wendung sachlich mit der LXX als „Gott, der mich sieht“ zu deuten. Zur Wendung אל ראיvgl. Köckert, Vätergott, 76–77. 79 Vgl. Blum, Komposition, 311–320. 80 So auf unterschiedliche Weise Levin, Jahwist, 177; Kratz, Komposition, 264; M. Köckert, Die Geschichte der Abrahamüberlieferung, in: A. Lemaire (Hg.), Congress Volume Leiden 2004 (VT.S 109), Leiden 2006, 103–128, bes. 119, 125 [s. in diesem Bd. Nr. 2 und 10]. 76
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Gott und seinem Boten verschoben, wohl aber ist die Distanz zwischen dem Boten Gottes und den Menschen gewachsen. Noch weniger als in Gen 16 handelt es sich hier um eine Familienerzählung. 21,10 verwendet für die Beschreibung des Konflikts und seiner Lösung zwei Verben, die für das Verhältnis Israels zum Land entscheidende Bedeutung haben: „vertreiben“ ( )גרשund „erben“ ()ירש. Das Erbe ist auf der Ebene der Volksgeschichte das Land. Der Erzähler lässt in V. 12 Gott selbst die Frage beantworten, wer der legitime Erbe dieses Erbes sei und was mit den anderen geschehen soll. Wenn das Land geradezu Heilsbedeutung hat, kann es in Fragen des Landbesitzes keine Kompromisse geben. Wo nur die einen erben können, müssen die anderen das Erbland verlassen. Entscheidend für Gen 21 aber ist, dass Gott nicht nur mit den Erben ist, sondern auch mit den Vertriebenen, wie der Erzähler in V. 20 für den Knaben (Ismael) ausdrücklich feststellt. Ja, die Verheißung, ein großes Volk zu werden, gilt nicht nur Abraham (12,2) und Isaak, sondern „auch dem Sohn der Magd“ (21,13). Im zweiten Teil der Erzählung arbeitet Gen 21 wie schon Gen 16 mit den Leitwörtern „sehen“ und „hören“, setzt aber neue Akzente. Gott im Himmel hört die Stimme des vertriebenen Knaben (V. 17). Er öffnet Hagar die Augen, so dass sie Wasser findet (V. 19). Aber er redet nur mit Abraham unvermittelt (V. 12–13). Mit der Vertriebenen redet er allein durch seinen Boten. Indes macht der sich hier – anders als in 16 – nicht auf die Suche nach Hagar, sondern befindet sich wie Gott im Himmel und muss von dort aus eigens „rufen“ ()קרא. Deshalb ist seine Rede von vornherein als himmlische Rede erkennbar. Der Bote teilt Hagar einerseits mit, dass Gott die Stimme des Knaben gehört hat (V. 17b). Insofern unterscheidet er sich ausdrücklich von Gott. Anderseits kündet er in Form einer Gottesrede, was Gott mit dem Knaben vorhat (V. 18): „Zum großen Volk will ich ihn machen.“ Der Wechsel in die erste Person nimmt die direkte Rede an Abraham in V. 13 auf und ist deshalb literarkritisch kaum zu beanstanden. Der Bote Gottes erscheint hier als Gott selbst. Gott kommuniziert mit den Menschen, sei es direkt oder indirekt durch Boten, nur noch vom Himmel her. Sein Bote ist ein reines Himmelswesen geworden, das Gott nicht mehr auf Erden vertritt. Damit hat die Unterscheidung zwischen Gott und seinem Boten ihren ursprünglichen Sinn verloren, aber sie ermöglicht eine Differenzierung in der Kommunikation: Mit Abraham redet Gott, mit Hagar hingegen sein Bote. 4.4 Gen 22 Auch hier agiert der Bote vom Himmel her81 und erscheint nicht leibhaftig auf Erden. Er ist wie in 21,17–18 ein reines Himmelswesen geworden, eben ein 81
Vgl. 22,11 mit 21,17 [zu Gen 22 s. in diesem Bd. Nr. 10].
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IV. Zur Vätergeschichte
„Engel“.82 Hier wie dort redet er in der ersten Person Gottes.83 Allerdings sorgt in Gen 22 der Wechsel von „Gott“ (V. 1–3.8.9) zum „Boten Jhwhs“ (V. 11–12.15– 18) und schließlich zu Jhwh (V. 14) für weitere Komplikationen. Der mehrfache Wechsel lässt sich nicht als Ergebnis literarischer Bearbeitungen erklären. Zwar hat man die zweite Botenrede (V. 15–18) schon lange als Zusatz84 erkannt, aber auch ohne den Zusatz bleibt der „Bote Jhwhs“ in der Substanz der Erzählung verankert. Selbst wenn man V. 14b einer jüngeren Hand zuschreibt, wie häufig, aber kaum berechtigt geschehen85, bleibt Jhwh in der Benennung des Ortes durch Abraham in V. 14a unverzichtbar. Anstoß bereitet vor allem der Wechsel von „Elohim“ gleich am Anfang der Erzählung zu dem „Boten Jhwhs“ an deren Wendepunkt. Dabei fällt auf, dass der Begriff „Elohim“ mit dem Artikel versehen ist.86 Bedenkt man die mannigfachen Verbindungen zwischen 21,8–20 und Gen 2287, liegt es nahe, den Artikel als ausdrücklichen Rückbezug auf den Gott zu deuten, der in 21,12 Isaak zum Erben Abrahams bestimmt hat und der in 21,20 auch „mit Ismael“ ist.88 Das verschärft auf den ersten Blick die Zumutung dieses Gottes in 22,2 noch. Beim zweiten Lesen lässt sich der Rückbezug jedoch auch als ein Hinweis des Erzählers für die Leser deuten, allen Zumutungen zum Trotz an dieses Gottes Zusage von 21,12 festzuhalten. Obwohl Abraham diese Lesebrille nicht hat, tut er genau das, wenn man seine Reden an seine Knechte in V. 5 und an seinen Sohn in V. 8 beim 82 Das hat Westermann, Genesis I/2, 442, gesehen. Leider ebnet Röttger in seiner Spezialmonographie zum Thema Engel die Besonderheiten der Vorstellung in Gen 21–22 ein und eliminiert ohne Gründe die wichtige Ortsangabe „vom Himmel“ literarkritisch (Malʾak Jahwe 48–71). 83 Vgl. 22,12b mit 21,18. 84 S. nur Wellhausen, Composition, 26. Die neuerliche Verteidigung der V. 15–18 allein mit intertextuellen Beobachtungen durch G. Steins, Die „Bindung“ Isaaks“ (Gen 22). Grundlagen und Programm eine kanonisch-intertextuellen Lektüre (HBS 20), Freiburg 1998, 135–147, zeigt nur, wie die exegetische Methodik mancherorts auf den Hund gekommen ist. Nicht viel besser verhält es sich mit der willkürlichen Herstellung eines den eigenen Auslegungszielen genehmen Textes durch C. Hardmeier, Realitätssinn und Gottesbezug. Geschichtstheologische und erkenntnisanthropologische Studien zu Genesis 22 und Jeremia 2–6 (BThSt 79), Neukirchen-Vluyn 2006, 1–75, der sich ohne Anlass, und leider auch ohne Gründe zu nennen, in V. 1–2 und 12 als Chirurg betätigt. 85 Man sehe nur die Hinweise auf jenen besonderen Ort, welche die Erzählung durchziehen (V. 2.3.4.9.14) und an den das Opfer offenbar gebunden ist. Jhwh selbst hat diesen Ort erwählt (V. 2.3.9). Der abschließende Satz V. 14b, mit dem der Erzähler in seiner Gegenwart ankommt („heute“), ist das Ziel dieser Kette von Anspielungen. „Berg, (auf dem) Jhwh erscheint“ ist kein wirklicher Ortsname, sondern eine kaum verhüllte Anspielung auf Jerusalem. Vgl. dazu die Hinweise bei Blum, Komposition, 324, und Veijola, Opfer, 152–153. 86 In V. 3 und 9 soll der Artikel zweifellos einen Rückbezug auf den am Anfang erwähnten Gott herstellen. 87 Blum, Komposition, 314, der die „Vertreibung Ismaels … als ‚Generalprobe‘ für Gen 22“ versteht. 88 Schon der Midrasch Bereschit Rabba sieht den Zusammenhang von 22,2 und 21,12, deutet ihn aber als Widerspruch in Gott, den Abraham willig erträgt (LVI 10).
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Wort nimmt. Dass dieser Gott kein anderer als Jhwh ist, steht für den Erzähler zweifelsfrei fest, wie 22,14 zeigt. Hat der Wechsel zu Jhwh und seinem Boten einen erkennbaren Grund? Der besondere Gottesname Jhwh wird erst bei dem rettenden Eingreifen des Boten in V. 11 genannt. Bei dem Ansinnen, den Sohn als Brandopfer darzubringen, fällt statt dessen der allgemeine Begriff für „Gott“. Deshalb liegt die Vermutung nahe, dass der Erzähler mit der auffälligen Unterscheidung „die Gotteserfahrungen Abrahams abbilden“ wolle: „Solange sich Jhwh rätselhaft hinter seinem drohenden Befehl in V. 2 verbirgt, steht die Gottesbezeichnung )ה(אלהים, seine befreiende Zuwendung zu Abraham hingegen zeigt die Verwendung des Eigennamens an.“89 Während der Wechsel von Gott zu seinem Boten in Gen 21 mit den Angeredeten zusammenhängt, differenziert der Wechsel von „Gott“ zu Jhwh und seinem Boten in Gen 22 zwischen den verschiedenen Weisen, in denen Gott Abraham begegnet. Obwohl allein der „Bote Jhwhs“ vom Himmel her zu ihm gerufen hatte, ist Abraham in diesem Ruf Jhwh selbst begegnet. Hatte Abraham nicht seinem Sohn auf dem Wege zur Schlachtstatt geantwortet: „Gott90 wird sich das Schaf für das Brandopfer ersehen“? Am Ende nennt er jene Stätte „Jhwh ersieht“. 4.5 Gen 24 Ein letztes Mal in der Abrahamüberlieferung ist in Gen 24 von einem Gottesboten die Rede. Abraham ermutigt seinen Knecht mit den Worten: „Jhwh, der Gott des Himmels, … wird seinen Boten vor dir her senden“ (V. 7). Bei den Verwandten in Aram-Naharaim angekommen, erinnert der Knecht an Abrahams Worte: „Jhwh, vor dessen Angesicht ich gewandelt bin, wird seinen Boten mit dir senden und deine Reise gelingen lassen“ (V. 40). Die Erfahrungen, die Abraham mit Jhwh gemacht hat und aus denen sein Vertrauen in dieses Gottes Beistand erwächst, erscheinen summarisch in den beigegeben Relativsätzen. Sie lassen den literarischen Horizont von Gen 24 erkennen. Der umfasst die gesamte Abrahamüberlieferung in ihrem nachpriesterlichen Spätstadium: V. 7 spielt auf 12,1–3, auf die verheißenden Gottesreden generell und auf die eidliche Zusicherung des Landes für Abrahams Nachkommen in 15,18 an; V. 40 kennt 17,1. Die Vorstellung von der Sendung eines Gottesboten „vor dir“ her ist allerdings nicht in der Vätergeschichte beheimatet, sondern stammt aus späten dtr. Passagen der Exoduserzählung. Der „Führungsengel“ ist eng mit der Rettung aus Ägypten und der Führung durch die Wüste ins Land verbunden.91 Ander89
Blum, Komposition, 323. in V. 8 fehlt bezeichnenderweise der Artikel bei אלהים, vielleicht ein Indiz dafür, dass Abraham als Erzählfigur bis zuletzt auf Gottes Eingreifen hofft. 91 Ex 14,19; 23,20–23; Num 20,16. 90 Hier
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seits erscheint die Sendung eines Boten an Stelle unmittelbarer Führung durch Gott als eine Notmaßnahme, die nach der Ursünde Israels in Ex 32 göttliches Geleit gewährleistet und dennoch Israel vor dieses Gottes Zorn schützt.92 Gen 24,7.40 setzen nicht nur die literarische Verbindung von Väter- und Exodusgeschichte voraus, sondern übertragen dabei die Figur des Führungsengels in den Bereich der Familienreligion. Die sehr späte zeitliche Ansetzung der außergewöhnlich umfangreichen Erzählung hat Alexander Rofé überzeugend nachgewiesen.93 Der מלאךtritt in Gen 24 sowenig sichtbar in Erscheinung wie in Gen 48,16, noch hat er eine ausdrückliche Botschaft zu überbringen. Er ist vielmehr die Weise, in der Gott verborgen Menschen nahe ist. Deshalb sollte man das Wort an beiden Stellen besser mit „Engel“ übersetzen. Gott ist bei den Menschen als „Schutzengel“94, der die Wege des einzelnen ebnet (V. 7) und Leben gelingen lässt ( צלחV. 40). Jhwh befindet sich im Himmel und wird schon längst als „Gott des Himmels“95 bezeichnet. Aber sein „Engel“ ist unsichtbar „mit“ und „bei“ den Menschen.
5. Himmlische Boten und ihr altorientalischer Hintergrund Auf der Grundlage eines religionsgeschichtlichen Entwicklungsschemas ging man lange davon aus, dass in Israel beim Übergang zum Monotheismus ursprünglich kanaanäische Gottheiten in „Engel“ und „Gottesboten“ verwandelt wurden.96 Für eine derartige Depotenzierung gibt es jedoch keine belastbaren Belege. Diese Erklärung setzt voraus, dass es sich bei den Texten, in denen Gottesboten eine Rolle spielen, stets um alte vor-israelitische Ortssagen mit vor-jahwistischen Göttern handelt. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Lediglich auf einer Vorstufe der Erzählung vom Besuch der unerkannten Himmlischen in Gen 18 kann man hinter den drei Männern vor-israelitische Numina vermuten. Die aber werden gerade nicht als Boten, sondern als „Männer“ eingeführt. Mehr Überzeugungskraft hat die „Interpolationstheorie“ entfaltet, die auf Lagrange97 zurückgeht: „Wo die ältere Zeit unbedenklich Jahwe selber auftreten 92
Ex 32,34; 33,2; vgl. Gottes Angesicht in 33,14. A. Rofé, An Inquiry into the Betrhothal of Rebekah, in: E. Blum u. a. (Hg.), Die Hebräische Bibel und ihre zweifache Nachgeschichte. FS R. Rendtorff, Neukirchen-Vluyn 1990, 27–40, hier 27–39. 94 Vgl. Ps 91,11. 95 Die Belege (Jon 1,9; 2 Chr 36,23; Esr 1,2; Neh 1,4.5; 2,4.20 u. ö.) gehören samt und sonders in die fortgeschrittene Perserzeit und später (Dan 2,18.19.37.44; Jdt 5,8; 6,19; 11,17; Tob 7,13; 8,15; 10,11), vgl. Rofé, Enquiry, 28. 96 Zur „Depotenzierungstheorie“ vgl. D. Irvin, Mytharion. The Comparison of Tales from the Old Testament and the Ancient Near East (AOAT 32), Neukirchen-Vluyn 1978, 101 f. 97 M.‑J. Lagrange, L’ange de Iahvé, RB 12 (1903) 212–225, bes. 221. 93
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und handeln liess, ersetzt man ihn später gern durch den Engel, entsprechend der zunehmenden Neigung, Jhwh von unmittelbarer Berührung mit dieser Welt fernzuhalten, namentlich ihn von gewissen belastenden Handlungen zu befreien.“98 Für diese Erklärung sprechen zunächst einmal die Texte, in denen Jhwh allein im Himmel sein Wesen hat. Gegen die Erklärung stehen jedoch jene Texte, in denen der Bote und sein Herr zu Menschen reden (Gen 18–19; 21).99 Vor allem aber hat sich gezeigt, dass gerade die Texte, in denen Gott ganz ungezwungen direkt mit den Menschen verkehrt, keineswegs aus den Anfangsstadien der Überlieferungsgeschichte stammen, sondern zu den jüngsten gehören.100 Ein Blick in den Alten Orient kann über dieses Dilemma hinausführen. Lowell K. Handy hat am Beispiel Ugarits einleuchtend gezeigt, dass Botengottheiten schon immer integraler Bestandteil des syrisch-palästinischen Pantheon mit seiner in vier Kategorien geordneten Hierarchie war. Auf der untersten Eben stehen „messenger gods“. Diese sind zwar Götter, aber nicht an den Entscheidungsprozessen der übergeordneten Gottheiten beteiligt, sondern lediglich deren ausführenden Organe.101 In den mythischen Texten aus Ugarit begegnen Boten, die Yammu zur Götterversammlung und zu El, dem Vater der Götter, schickt.102 Auch Baal sendet gelegentlich Boten aus.103 Sie erscheinen als „junge Männer“, die Nachrichten an Anat, aber auch an Mot überbringen. Sie agieren paarweise und haben sogar Namen. Selbst Mutter Aschera bedient sich eigener Botengottheiten.104 Diese Botengottheiten agieren – jedenfalls in Ugarit – nur in der himmlischen Sphäre. Mit dem König (Danil und Keret) verkehren El und Baal schon selber. Auch in Mesopotamien nehmen Gottheiten untereinander durch Botengötter Kontakt auf. So haben mehrere große Götter eigene, namentlich bekannte Boten zur Verfügung, während das Paar Nuska und Kakka verschiedenen Herren dient.105 Instruktiv ist der Mythos von Nergal und Ereschkigal. Dort lässt der Himmelsgott Anu der Herrin des Totenreichs durch Kakka ausrichten, sie möge ihren Gesandten Namtar schicken, damit er die ihr zustehende Portion 98
W. Baumgartner, Zum Problem des „Jhwh-Engels“, in: Ders., Zum Alten Testament und seiner Umwelt, Leiden 1959, 240–246, hier 245. Was belastet Jhwh in Gen 16; 21? 99 Die Erklärung von R ads, gehe es um Gott, abgesehen vom Menschen, steht Jhwh, sobald „aber Gott in die Apperzeption des Menschen tritt, stellt sich der M.(alak)-J.(ahwe) ein“ (ThWNT I, 76), greift nicht in allen Fällen. 100 S. o. 2.1–3. 101 L. K. Handy, Among the Host of Heaven. The Syro-Palestinian Pantheons as Bureaucracy, Winona Lake 1994, 149–168. 102 KTU 1.2 I 11 (= TUAT III 1119). 103 KTU 1.3 III 8,13,32,36; IV 5,32. KTU 1.3 III 36 nennt die Botengötter mit Namen: gpn und ugr. 104 Sie heißen qdš und amrr (KTU 1.3 VI 10–11) und stehen neben großen Gottheiten (KTU 1.123, 26). 105 Dazu vgl. S. A. Meier, The Messenger in the Ancient Semitic World (HSM 45), Atlanta 1988, 119–122.
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IV. Zur Vätergeschichte
an Opfermahlzeiten abhole. Zwar gibt es eine „lange Leiter des Himmels“ (vgl. Gen 28,12), die den Götterhimmel und das Totenreich verbindet, die aber nur die Boten, nicht die anderen Gottheiten benutzen (können).106 Während in der Bibel „Gottesboten“ gesandt werden, um die Geburt eines Sohnes anzukündigen (Gen 16; Ri 13; Lk 1), lassen sich in diese Angelegenheit sogar der Göttervater El und in einem hethitischen Text der Sonnengott verwickeln. Das sog. Appu-Märchen107 verbindet mit Gen 18 wenig mehr als das Motiv vom kinderlosen Ehepaar, dem eine Gottheit zu Söhnen verhilft. Die Ursache der Kinderlosigkeit liegt allerdings hier in der gänzlichen Unerfahrenheit Appus und seiner Frau. In seiner Ratlosigkeit wendet sich Appu an den Sonnengott, der sich in einen jungen Mann (!) verwandelt, Appu unerkannt besucht und den Rat gibt, sich ordentlich zu betrinken und auf richtige Weise mit seiner Frau zu schlafen. Der Erfolg stellt sich prompt ein. Wie man sieht, muss auch im Alten Orient die Gottheit menschliche Gestalt annehmen, um auf Erden agieren zu können.108 Die untersuchten biblischen Texte vermeiden aus ganz unterschiedlichen Gründen eine direkte Kommunikation zwischen Gott und Mensch. In Gen 18–19 und 32 steht dem die Erzählstrategie entgegen. In Gen 16; 19 und 21 entspricht die Unterscheidung zwischen Gott und Bote auf der Ebene der Erzählfiguren der Unterscheidung zwischen Israel und Nichtisrael. In Gen 22 dagegen werden die unterschiedliche Gotteserfahrungen auf Gott und den Boten Jhwhs verteilt. Wie die Beispiele aus dem Alten Orient zeigen, braucht man keine der erwähnten beiden zweifelhaften Theorien zu bemühen, um die Vorstellung von geheimnisvollen Männern und Gottesboten in der Bibel zu erklären. Das alte Israel war Teil der Kultur des antiken Orients. Ihm kann die Vorstellung von Botengöttern nicht unbekannt gewesen sein, die ja doch nur die irdische Hierarchie in Verbindung mit der Institution des Botenverkehrs in die himmlische Welt transponiert. Dass die Popularität der „Engel“ mit der Erfahrung einer wachsenden Transzendenz Gottes zunimmt, ist unbestreitbar. Schon in Gen 28 und 32,2–3 bilden die „Boten Gottes“ die Transzendenz der himmlischen Welt irdisch ab. Die Tendenz zunehmender Transzendierung führt schließlich sogar dazu, selbst den „Boten Jhwhs/Gottes“ vom Himmel her agieren zu lassen (Gen 22,11 f.15–18; 21,17 f.). Aber die altorientalische Vorstellung von „Gottesboten“ geht ihr lange voraus.
106
Die entscheidenden Passagen finden sich in Kol. I der Sultantepe-Version (übersetzt in
108
Vgl. den „Mann“ in Gen 32,23–30 und die „Männer“ in Gen 18–19.
TUAT III/4, 769–771. 107 TUAT III/4, 848–851.
16. Wie wurden Abraham- und Jakobüberlieferung zu einer „Vätergeschichte“ verbunden? 1. Kurze Orientierung Die Frage nach der Verbindung beider Überlieferungskreise hatte einst J. Wellhausen so knapp wie klar beantwortet: „Das Knochengerüst der Erzvätersage bildet bekanntlich die ethnographische Genealogie …. Dieses Gerippe … findet sich nnu (sic) beim Jehovisten überall mit Fleisch und Blut belebt.“1 Diese Belebung war für Wellhausen in der mittleren Königszeit im Wesentlichen abgeschlossen. Das genealogische Gerippe war freilich auch in der Zeit, als die Sagen „erst einzeln und mündlich umliefen“, deren „stillschweigende Voraussetzung“, gehörte also schon dem vorliterarischen Stadium an.2 Ein Menschenalter später drehte M. Noth das Verhältnis von Genealogie und Erzählung um, ein folgenschwerer Schritt in der Beurteilung der Überlieferung. Die genealogischen Verbindungen in den Väterüberlieferungen sind bei ihm nichts anderes als ein lockeres Band, das erst nachträglich aus den Erzählungen geknüpft worden ist, um mit ihm die ehedem für sich stehenden Vätergestalten und deren Überlieferungen zu verbinden.3 Diese neue Sicht machte aus „stillschweigenden Voraussetzungen“ der Überlieferung ein erst nachträglich angerührtes literarisches Bindemittel. Dennoch ging sie mit einer Rückverlegung der zeitlichen Ansetzung jener Verbindung einher. Denn die genealogische Verknüpfung lag nicht nur den beiden älteren Pentateuchquellen zu Grunde, die Noth in der davidisch-salomonischen Zeit ansetzte, sondern schon jener „Grundlage“, die er wegen der zahlreichen Übereinstimmungen postulierte. Dann aber müssen Abraham- und Jakobüberlieferungen im Kern schon in vorköniglicher Zeit miteinander verbunden worden sein.4 1 J. Wellhausen, Prolegomena zur Geschichte Israels, Berlin 61927, 316, 318. Natürlich setzte auch er voraus, dass die Genealogie eine Vorgeschichte hatte, die von Jakob zu Abraham lief: „Er ist wol die jüngste Figur in dieser Gesellschaft und wahrscheinlich erst verhältnismäßig spät seinem Sohne Isaak vorgesetzt“ (S. 317). 2 Wellhausen, Prolegomena, 331. 3 M. Noth, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart 1948, 232–236; zur Kritik s. E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte (WMANT 57), Neukirchen-Vluyn 1984, bes. 484–490 mit instruktiver Erörterung der Funktionen von Genealogien im Leben an ausgewähltem empirischen Material. 4 Allerdings war sich Noth bewusst, dass die meisten Stoffe der Vätergeschichte wie des Pentateuch eine „lokal beschränkte … Beziehung“ hatten, „aber sie stehen im Pentateuch nur in einer offenkundigen gesamtisraelitischen Bedeutung“ (Überlieferungsgeschichte, 46). „Die
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IV. Zur Vätergeschichte
Von beiden Antworten sind wir heute weit entfernt, wie ein Blick in die Artikel „Jakob“ und „Abraham“ in der RGG4 zeigt. E. Otto erklärt die literarische Entstehung der Verbindung von Abraham- und Jakobüberlieferung im Rahmen der Herausbildung eines Hexateuchs, also im Rahmen der Urkundenhypothese, E. Blum begründet dagegen die Unabhängigkeit der Vätergeschichte vom Rest des Pentateuchs. Für Otto war es die Priesterschrift, die in der Exilszeit erstmals eine von Abraham bis Jakob reichende Erzvätererzählung geschaffen hat. Dabei fungierten das Toledotschema und die Verheißungen als Klammern. Weitere Überlieferungen von Jakob und von Abraham, die mitunter bis in die Königszeit zurückreichen, habe aber erst die Hexateuchredaktion im 5. Jh. v. Chr. in ihr Geschichtswerk integriert, das den Großteil der Texte von Gen 1 bis Jos 24 umfasste. Die hat dabei auch „die für sie zentralen Abrahamsverheißungen (12,1–3.7) in die J(akobs)erzählung (28,13–15)“ eingetragen.5 In ähnliche Richtung geht A. de Pury, der die gesamte Abrahamerzählung als nach-priesterliche Erweiterung einer priesterlichen Grundschicht deutet.6 Ein wesentlich anderes Bild liegt Blums Artikel „Abraham“ zugrunde.7 Er setzt bei Wellhausens ethnogenetischem Verständnis der Genealogien an. Weil diese Genealogien reale Konstellationen in der Welt der Adressaten widerspiegeln, sei „die Verknüpfung mit dem nordisraelit(ischen) Jakob in der Trias A(braham)-Isaak-Jakob kaum lange vor David, aber auch nicht wesentlich später zu denken.“8 Davon ist freilich die literarische Verbindung der älteren nordisraelitischen „Jakobgeschichte“ mit der judäischen Abraham-Lot-Erzählung zu einer „Vätergeschichte“ zu unterscheiden.9 Sie werde in den großen Verheißungsreden 12,1–3; 13,14–17 mit ihrem Gegenstück in 28,13–14 erkennbar. Deren Inhalte legen eine Ansetzung „doch wohl nach 587/6 v. Chr. angesichts der scheinbar revozierten Heilsgesch(ichte)“ nahe.10 gesamtisraelitische Orientierung der Pentateuchüberlieferung … gehört zu deren Grundbestand“ (Überlieferungsgeschichte, 45). 5 E. Otto, Art. Jakob, RGG4 4 (2001) 352–354, bes. 353; vgl. ders., Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch (FAT 30), Tübingen 2000, 128, 269. 6 A. de Pury, PG as the Absolute Beginning (2007), in: Ders., Die Patriarchen und die Priesterschrift/Les Patriarches et le document sacerdotal. Ges. Studien zu seinem 70. Geburtstag (AThANT 99), Zürich 2010, 13–42, bes. 32–37. 7 E. Blum, Art. Abraham, RGG4 1 (1998) 70–74. Er hat das dort skizzierte Bild ausführlich begründet (in: Komposition), und seither in zahlreichen Veröffentlichungen weiter entwickelt. 8 A. a. O., Sp. 71. 9 Dieser Verbindung lag die Vereinigung der ehedem selbständigen Jakoberzählung mit der Josepherzählung zur „Jakobgeschichte“ im Nordreich schon vor (Blum, Komposition, 258 ff.). 10 So Blum, Art. Abraham, RGG4 1 (1998) 72; dafür sprechen vor allem der Relativsatz 12,1b(–3), der für den Erzählbogen bis 13,14–18 konstitutiv ist, und die Verbindungen in 28,13–14 zu beiden (s. M. Köckert, Vätergott und Väterverheißungen [FRLANT 142], Göttingen 1988, 252 f.; Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch [BZAW 189], Berlin 1990, 214 Anm. 35). Im spätexilischen Juda vor 515 siedelt auch W. Oswald die erste vereinigte Vätergeschichte an (Staatstheorie im Alten Israel. Der politische Diskurs im Pentateuch und in
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Demgegenüber hat R. G. Kratz die von Blum aufgegebene Erklärung der Vätergeschichte bereits aus der Zeit nach dem Untergang Samarias11 erneuert. Wie Noth hält er das genealogische System für sekundär. Auch für ihn sind 12,1–3 wie 28,13–16 die entscheidenden Gelenke, allerdings in einer „jahwistischen Urund Vätergeschichte (JG)“.12 Die in ihr enthaltene „Darstellung der Nationalreligion im Gewand der Familien- und Ortsreligion“ spiegele den „Schwebezustand zwischen 720 und 587 v. Chr.13 Das Werk wolle „dem staaten- und heimatlos gewordenen ‚Israel‘ eine … eigene, nichtstaatliche Identität neben und im noch bestehenden Staate Juda“ geben. So sei das „untergegangene ‚Israel‘ zum Vater ‚Judas‘“ geworden.14 Zwischen beiden Positionen steht D. M. Carr. Er geht von einer „ProtoGenesis Composition“ aus, in der erstmals die Jerusalemer Urgeschichte mit dem judäisch bearbeiteten Jakob-Joseph-Zyklus verbunden worden ist. Dieses Werk stamme aus „the late preexilic or (more likely) early exilic periods“.15 Als Brücke zur Verbindung von Urgeschichte und Jakob-Joseph-Erzählung habe jener Kompositeur überhaupt erst eine Abraham-Isaak-Erzählung konzipiert und dafür die tragenden Verheißungen in 12,1–3.7; 13,14–16; 26,1–3bα; 28,13– 15aβ; 31,3; 46,2–4 geschaffen. Die angeführten Texte liegen freilich – anders als Carr meint – auf verschiedenen literarischen Ebenen. Dass die ältere von ihnen bis in die Königszeit zurückreicht, ist heute allerdings noch fraglicher als vor zwanzig Jahren. Zwar treffen sich Blum und Otto bis zu einem gewissen Grade mit de Pury und Carr, in jedem Falle aber mit J. Van Seters16, R. Albertz17 und C. Levin18 in der Annahme, dass die Abraham- und Jakobüberlieferung in der Königsden Geschichtsbüchern des Alten Testaments, Stuttgart 2009, 157–169 – mit originellen inhaltlichen Profilierungen). 11 Blum, Komposition, 289–297 (auf der noch isolierten Basis von 13,14–17 und 28,13–14). 12 R. G. Kratz, Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments (UTB), Göttingen 2000, 279, 309 f., 315–321. Warum dann aber lediglich 13,14–16 einem nachexilischen Bearbeiter zugeschrieben werden, erschließt sich mir nicht. 13 A. a. O., 309. 14 A. a. O., 310. 15 D. M. Carr, Reading the Fractures of Genesis. Historical and Literary Approaches, Louisville/K ent. 1996, 177–232, 232; zu den Intentionen jener „proto-Genesis composition“ s. S. 305–310. 16 J. v. Seters, Prologue to History. The Yahwist as Historian in Genesis, Louisville/K ent. 1992, sieht alle Verheißungen außerhalb von P literarisch auf demselben Level seines „Yahwist“, der sein Werk während des Exils in Kenntnis von DtrH geschrieben hat. 17 R. Albertz, Die Exilszeit. 6. Jahrhundert v. Chr. (Bibl. Enzykl. 7), Stuttgart 2001, 191–209, schreibt der ersten Ausgabe seiner exilischen Vätergeschichte jene entscheidende konzeptionelle Verbindung zu; sie habe (noch im Exil?) eine zweite um Gen 20,1–22,14.19; 46,1–5a; 48,13–15.21b erweiterte Ausgabe erfahren. 18 C. Levin, Der Jahwist (FRLANT 157), Göttingen 1993. Sein Jahwist sei (ganz anders als der von v. Seters) antideuteronomisch, aber vordeuteronomistisch und in der Diaspora entstanden (S. 431), wahrscheinlich das „älteste theologische Zeugnis der babylonischen Judenheit“ (S. 435).
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IV. Zur Vätergeschichte
zeit noch nicht miteinander verbunden waren. Doch gehen sie in zahlreichen Einzelheiten wie in den grundlegenden konzeptionellen Entscheidungen weit auseinander, so dass eine erneute Untersuchung der zentralen Texte und ihrer Horizonte nicht überflüssig erscheint. Die Annahme jener weitreichenden Verbindung von Abraham- und Jakobüberlieferung, durch die eine „Vätergeschichte“ überhaupt erst geschaffen wurde, hängt vom Nachweis literarischer Brücken zwischen den Überlieferungsblöcken ab. Freilich stellen nicht alle sprachlichen Berührungen bewusste literarische Verbindungen dar. Das gilt insbesondere für geprägte Formulierungen, die in vergleichbaren Alltagssituationen nahe liegen, beispielsweise die anklagende Frage „Was hast du (mir an-)getan?“ (12,18; 29,25; 31,26) oder die Wendungen „Jhwh richte zwischen mir und dir“ (vgl. 16,5 mit 31,53), „das Land steht dir/ euch offen“ (vgl. 13,9; 20,15 mit 34,10), „weder Böses noch Gutes sagen“ (24,50; 31,24) usw. Als wenig signifikant müssen auch feste Topoi gelten, wie Brunnenszenen (24,11 ff.; 29,2.10), Rechtsgeschäfte im Tor der Stadt (23; 34,24) oder Abschiedssegen (24,60; 32,1) u. a. Aufschlussreich sind dagegen ausdrückliche Querverweise zwischen den verschiedenen Überlieferungsblöcken19, vor allem aber wiederkehrende Stücke, die als literarische Verbindungsglieder fungieren. Hierzu gehören – wie schon lange gesehen – die Gottesreden, die an charakteristischen Wendepunkten der Großerzählung eingesetzt sind. Ihre literarischen Horizonte und Inhalte ermöglichen Schlüsse auf die zeitliche Ansetzung der durch sie geschaffenen Verbindungen. Dabei ist es eher unwahrscheinlich, dass diese Gottesreden alle auf derselben literarischen Ebene liegen.20 Aufschlussreich sind auch unerwartete Erzählzüge, die in den verschiedenen Überlieferungskreisen begegnen, vor allem wenn sie unterschiedlich motiviert werden und verschiedene Ziele verfolgen: z. B. die Unfruchtbarkeit von Ahnmüttern (11,30; 25,21; 29,31), die Verschärfung der faktischen Endogamie zum Exogamieverbot (24,3; 28,1–8; 34,9; 35,2), die Verbindung der Ahnväter mit bestimmten Orten (Harran, Sichem, Bethel) usw. Aus der Art der Verwendung können sich auch Hinweise auf den Verlauf der Verbindung ergeben. Der begrenzte Raum erlaubt weder die Behandlung des gesamten Materials, noch ausreichende Einblicke in die Verarbeitung der von jener Kompositionsschicht aufgegriffenen Überlieferungen. Doch sollen wenigstens einige wichtige Sachverhalte untersucht werden, die Antworten auf die Art jener Verbindung und ihren Ort in der Literargeschichte ermöglichen. Wie schon der kurze Blick in die Forschungsgeschichte gezeigt hat, sind die Gottesreden und der Beginn der Abrahamerzählungen für die Beantwortung der Leitfrage besonders wichtig. 19 S. dazu die klassische Untersuchung von R. Kessler (Die Querverweise im Pentateuch. Überlieferungsgeschichtliche Untersuchung der expliziten Querverbindungen innerhalb des vorpriesterlichen Pentateuchs, Diss. masch. Heidelberg 1972). 20 Gegen v. Seters, Prologue, 215–276, bes. 270, und Carr, Reading.
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Dabei hängt viel von der Einordnung der unterschiedlichen inhaltlichen Profile jener Verbindungsstücke in die Literargeschichte ab. Ebenso muss geklärt werden, in welchem Verhältnis die Verbindung beider Überlieferungskreise zu den priesterschriftlichen Texten steht. Auch hier müssen wir uns auf wenige Andeutungen beschränken. Mit Blum gehe ich davon aus, dass jener Verbindung zwei von Anfang an völkergeschichtlich konzipierte Ursprungserzählungen21 literarisch vorgegeben waren: eine vor 720 im Nordreich entstandene Jakoberzählung (Gen *25; 27–35) und eine im königszeitlichen Juda22 beheimatete Abraham-Lot-Erzählung (Gen … *13; 18–19; 21,6–723).
2. Gen 11,27–13,18 als Eingangsportal zur Vätergeschichte Am vorliegenden literarischen Anfang der Abrahamüberlieferung sind zwei Kompositionsbögen ineinander geschoben worden, die verschiedene Hände gebaut haben. Der erste setzt in 11,27 mit der Überschrift ein: „Dies sind die Toledot Tärachs.“ Er stellt in 11,27b–32 das Personal vor, das dann in Gen 12–25 eine Rolle spielen wird.24 Dieser Beginn wirkt jetzt als Exposition für den gesamten Abrahamkreis und darüber hinaus; denn mit Nahor und Milka ist die Seite der Verwandtschaft im Blick, die in der Jakoberzählung wichtig wird.25 Abrahams Vater Tärach nimmt seine Söhne und deren Frauen und zieht mit ihnen aus dem südbabylonischen Ur aus, um „ins Land Kanaan zu gehen“ (V. 31). Doch sie kommen nur bis Harran am oberen Balich und lassen sich vorerst dort nieder. Wo endet jener mit dem Auszug aus Ur begonnene Bogen? Erst in 12,5 erreichen Abraham und Lot mit ihren Frauen und ihrer Habe das Land Kanaan (vgl. 11,31). Dass sich Abraham dort niederlässt, lesen wir indes erst in 13,12, nachdem sich Lot von seinem Onkel getrennt (13,6.11b) und „in den Städten der (Jordan-)Ebene“ niedergelassen hat. Dieser Bogen (11,31 ;יצא 12,5b ;בוא13,12 )ישבwird allgemein als priesterschriftlich beurteilt.26 21
Dazu s. Blum, Komposition, 479–491 u. ö., und Köckert, Vätergott, 306–308 u. ö. Abrahams Lokalisierung in und um Hebron, der judäischen Königsstadt vor Jerusalem (2 Sam 2,1–4; 5,1–5; 15,7.9), schließt eine nach-königszeitliche Ansetzung aus, weil Hebron in neubabylonischer und persischer Zeit nicht zur Provinz Jehud gehörte. Da ein König keine Rolle spielt, sucht man die Überlieferung der Abraham-Lot-Erzählung im Milieu des judäischen Landadels. 23 Sie gehört seit H. Gunkel zum relativ sicheren Bestand (Genesis übersetzt und erklärt [HK 1/1], Göttingen 31910, 159–161 und z. St., er redet freilich noch von „Sagenkranz“), man sehe nur: Blum, Komposition, 273–289; K. Schmid, Literaturgeschichte des Alten Testaments. Eine Einführung, Darmstadt 2008, 91–93; u. a. 24 Außer Abraham und Sara s. noch Nahor (20,20–23; 24,15.25.47), Milka (22,20; 24,15), Lot (12; 13; 14,12.16; 19); nur Jiska begegnet allein in 11,29 und Haran in 11,26–31. 25 Auch Saras Kinderlosigkeit, in V. 30 zum Erfahrungsurteil „unfruchtbar“ ( )עקרהverdichtet, hat nicht nur Gen 16*; 17; 21,1–7* im Blick, sondern wiederholt sich bei Rebekka (25,21) und Rahel (29,31). 26 Zu ihm gehören in Gen 13 wenigstens V. 6 (vgl. 36,7 P) und V. 11b.12abα (so seit 22
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IV. Zur Vätergeschichte
In ihn wurde ein zweiter eingeschoben.27 Auch in ihm kommt Abraham als Einwanderer von außen ins Land Kanaan. Allerdings bricht er hier nicht aus eigenem Antrieb auf, sondern auf Gottes Geheiß und beschenkt mit seinen Gaben (12,1–3.4a). Der aber schickt ihn auf eine Reise ins Blaue; denn er lässt in V. 1b vorerst das Ziel der Reise offen: „Gehe aus deinem Land … in das Land, das ich dich (erst noch) sehen lassen will!“ Diese Differenzen und der Wandel des Stils gegenüber 11,27–32 zwingen zur Annahme eines zweiten Verfassers. Wo kommt der Aufbruch Abrahams und Lots ans Ziel? Die Reise führt zunächst nach Sichem (V. 6), sodann an einen Ort östlich von Bethel im Zentrum des Landes (V. 8). Zwar suggeriert die Rede von „diesem Land“ in V. 7, dass Abraham bereits am Ziel seines Auszugs angekommen sei. Doch muss es nach dem außerordentlichen Beginn mit 12,1–3 befremden, dass dieses Land dem Ahn hier nicht eigens gezeigt, sondern allein seinen Nachkommen28 als Gabe in Aussicht gestellt wird. Erst die Gottesrede 13,14–17 nimmt die Wurzel ראהmehrfach auf: „Hebe deine Augen auf und sieh … Das ganze Land, das du siehst – dir will ich es geben.“ Erst hier endet also der Bogen, den 12,1b schlägt. Aus ihm fällt 12,7 auch deshalb heraus, weil die ausdrückliche Zusage „dieses Landes“ die Unbestimmtheit des Ziels der Reise ignoriert und damit 13,14–17 die Pointe verdirbt.29 Mit 12,1 kann freilich der zweite Bogen nicht begonnen haben.30 Ihm fehlt in seiner vorliegenden Gestalt eine Exposition der Personen und des Ortes. Das spricht auch gegen einen Beginn mit 12,6 oder 12,10.31 Zwar hat man immer wieder in 11,28–30 jenen vermissten Anfang finden wollen, doch schwerlich zu Recht, wie v. Seters gezeigt hat.32 Insofern setzt der zweite Bogen jetzt den ersten T. Nöldeke, Untersuchungen zur Kritik des Alten Testaments, Kiel 1869, 18), die sich mit dem korrespondierenden ישבvon אהלin V. 12b.18a unterscheiden. 27 S. die Analyse bei Köckert, Vätergott, 250–266, die im folgenden in einigen Punkten leicht modifiziert wird. 28 Auch in den außerordentlich jungen Texten 15,18; 24,7; 26,4 gilt die Landverheißung Abrahams Nachkommen allein. 29 Gegen V. 6 spricht nichts; er ist vielmehr unerlässlich, weil nur er, nicht aber V. 8 an V. 4a anschließen kann. Gegen die Altarbaunotiz in V. 7b (auch ohne den Rückverweis auf V. 7a) spricht die Zurückhaltung der Kompositionsschicht bei der Wahl des Ortes in V. 8. 30 „Wie Erzählungsanfänge aussehen, belegen etwa 1 Sam 1,1; Hi 1,1; Ruth 1,1“ (Blum, Komposition, 243); eine andere Möglichkeit stellt Gen 12,10 dar. 31 Für 12,6 votiert J.‑L. Ska, L’appel d’Abraham et l’acte de naissance d’Israel, in: M. Vervenne/J. Lust (Hg.), Deuteronomy and Deuteronomic Literature. FS C. H. W. Brekelmans (BEThL 133), Leuven 1997, 371. I. Fischer zieht dagegen den Beginn mit 12,10 ff. vor (Die Erzeltern Israels. Feministisch-theologische Studien zu Genesis 12–36 [BZAW 222], Berlin 1994, 340), ihr hat sich T. Römer angeschlossen: Recherches actuelles sur le cycle d’Abraham, in: A. Wenin (Hg.), Studies in the Book of Genesis (BEThL 155), Leuven 2001, 179–212, bes. 193 f. 32 J. v. Seters, Abraham in History and Tradition, New Haven/ London 1975, 225. Gen 11,31 kann nicht unmittelbar an V. 27 anschließen, weil ohne V. 28 nicht erklärt wird, warum nur Lot, nicht aber Haran mitgenommen wird; V. 31 setzt also zwingend V. 28 voraus, aber auch V. 29 wegen der Einführung der Frauen. Die Heirat der Nichte war in diesen Gesellschaften nicht ungewöhnlich.
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voraus. Eine nach-priesterliche Herkunft jenes nicht-priesterlichen Bogens ist damit aber nicht erwiesen; denn dessen ursprünglicher Anfang könnte ja auch der Verbindung beider Bögen zum Opfer gefallen sein. Die hat vielleicht auch noch im Ort von 12,4b eine Spur hinterlassen; denn die Angabe des Alters Abrahams bei seinem Auszug aus Harran setzt jetzt den Aufbruch Abrahams in 12,4a voraus. Der nicht-priesterliche Bogen integriert verschiedene vorgegebene Überlieferungen. Da ist zunächst die selbständige Einzelerzählung 12,10–20.33 Kaum in Kanaan angekommen, verlässt Abraham das Land34 wieder und zieht nach Ägypten, um einer Hungersnot zu entgehen. Die Erzählung ist jetzt von Reminiszenzen an den Exodus überformt, wie man schon lange gesehen hat.35 Diese Übermalung lässt sich jedoch literarkritisch nicht abheben. Sie dürfte auf das Konto dessen gehen, der jenen zweiten Bogen überhaupt erst geschaffen hat. Dieser Erzählung vom Ahn als Schutzbürger in der Fremde korrespondiert die Variante 26,1–13, die sich in V. 1–3 ausdrücklich auf 12,10 bezieht und Abrahams Ägyptenaufenthalt negativ bewertet.36 Auch diese Variante ist mit der ursprünglichen Gestalt der Erzählung nicht einfach identisch, die beiden Varianten zugrunde lag, wie aus mehreren Auffälligkeiten hervorgeht.37 Offenbar war es ein und dieselbe Hand, die aus einer nicht mehr erhaltenen Vorlage38 beide Varianten für die neuen Kontexte gebildet und in diese eingepasst hat: 12,10–20 für das Eingangsportal der von ihr geschaffenen Vätergeschichte, 26,1–3bα.6–13 als Kopfstück der Isaak-Komposition. Sie hat beide als Kontrastpaar angelegt und die zweite Variante zugleich auf die erste ausgerichtet.39 33 Gunkel erklärt aus dieser Mustererzählung die Erzählweise der „Volkssage“; für den Anfang vgl. Ruth 1,1. Zuweilen will man 13,1 als Abschluss noch hinzuziehen, doch spricht die Korrespondenz mit 12,9 dagegen. Zu 12,10–20 s. zuletzt W. Oswald, Die Erzeltern als Schutzbürger, BN 106 (2001) 79–89, und M. Köckert, Abraham: Ahnvater, Fremdling, Weiser. Lesarten der Bibel in Gen 12, Gen 20 und Qumran, in: St. Martus/A . Polaschegg (Hg.), Das Buch der Bücher – gelesen. Lesarten der Bibel in den Wissenschaften und Künsten (Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik NF 13), Bern 2006, 139–169. 34 Noch ist das Land für Abraham auf der Ebene jener nicht-priesterlichen Komposition nicht das ihm verheißene Land, das wird es erst durch den später eingetragenen V. 7. 35 Schon der Midrasch Bereschit Rabba macht darauf aufmerksam; eine kurze Auflistung der wichtigsten Züge findet sich bei Köckert, Ahnvater, 151. Eine Exodustypologie wird zuweilen nicht nur für 12,10 ff., sondern auch für Gen 16 angenommen (so Römer, Recherches, 196–198). 36 Im Lichte von 26,2b.3 erscheint 12,10 als eigenmächtige Aktion. 37 In Gen 26 begegnen mehrere unmotivierte Züge: Abimelechs Blick durchs Fenster in V. 8, seine vorwurfsvolle Frage in V. 10, des Königs Furcht in V. 11. 38 Diese Vorlage ist nicht erhalten und kann auch nicht mehr literarisch rekonstruiert, sondern nur noch aus den Gemeinsamkeiten der erhaltenen Varianten stofflich einigermaßen bestimmt werden: Der Ahn befindet sich in der Fremde und befürchtet, wegen seiner Frau umgebracht zu werden, deshalb gibt er sie als seine Schwester aus; der ausländische Herrscher entdeckt den wahren Sachverhalt, fordert vom Ahn Rechenschaft („Was hast du getan?“) und stellt die Ordnung wieder her; der Ahn wird reich beschenkt. 39 Ohne diese Ausrichtung und lediglich als Einzelerzählung gelesen, enthält diese Fassung
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IV. Zur Vätergeschichte
Da ist sodann die Trennung Lots von Abraham in 13,2–18*. Auch hier hat man versucht, eine ursprüngliche Einzelerzählung herauszupräparieren.40 Dagegen spricht jedoch, dass diese für sich genommen merkwürdig pointenlos bleibt.41 Das Stück hat lediglich den Sinn, Lot aus dem Verheißungsland hinaus nach Sodom (V. 12b) und Abraham nach Hebron (V. 18a) zu bringen. An dieses Ende schließt nahtlos 18,1b an. Im Horizont von Gen 13 steht aber auch Gen 19, was die ausdrücklichen Verweise 13,10.12b.13 noch unterstreichen.42 Blum hat deshalb die Trennung Lots von Abraham als einführende Szene jener älteren Abraham-Lot-Erzählung beurteilt.43 Sie wurde allerdings aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgelöst und dadurch in ihrer Ausrichtung verändert. Im literarisch komplexen Anfang der Abrahamüberlieferung lassen sich also folgende Ebenen unterscheiden: (1) zwei voneinander unabhängige vorgegebene ältere Überlieferungen (die Trennung Lots von Abraham als einführende Szene der umfassenderen Abraham-Lot-Erzählung und die Einzelerzählung vom Ahn als Schutzbürger in der Fremde44), (2) der priesterliche Zusammenhang der Toledot Tärachs in 11,27–32; 12,(4b).5–6; 13,6.11b–12abα, (3) die Gottesreden 12,1–3 und 13,14–17 mit den durch sie veranlassten Wandernotizen 12,4a.6.8–9; 13,1.3–4.18b, (4) die Einbindung des nicht-priesterlichen Bogens in die Toledot durch V. 4b und (5) die Hervorhebung Sichems mit einer eigenen Gotteserscheinung und Landverheißung in V. 7. Davon kennen allein die beiden aufgenommenen älteren Erzählungen die Jakobüberlieferung noch nicht. Im Blick auf unsere Leitfrage verdient das Material der dritten Ebene besonderes Augenmerk. Die Textteile jener dritten Ebene bilden einen Rahmen für die beiden vorgegebenen älteren Stücke und binden diese erstmals in eine Vätergeschichte ein.45 Gen 12,9 bringt Abraham in den Negeb und bereitet damit den Ägyptenaufenthalt vor; 13,1 bringt ihn wieder aus Ägypten in den Negeb herauf und nur beinahe (V. 10!) ein Problem, so dass 26,1–13 sowohl die Erzählspannung (man sehe nur V. 8!) als auch eine Pointe fehlen. Beide ergeben sich erst aus dem Kontrast zu Gen 12. Mit dieser Einsicht erübrigen sich auch die sonst üblichen literarkritischen Eingriffe in 26,1–2. Zu den Bezügen von 26,1–3a auf Gen 12 s. Blum, Komposition, 299. 40 So etwa R. Kilian, Die vorpriesterlichen Abrahamsüberlieferungen literarkritisch und traditionsgeschichtlich untersucht (BBB 24), Bonn 1966, 16–35; C. Westermannn, Genesis 12–36 (BK I/2), Neukirchen-Vluyn 1978, 199–202, und leider auch Köckert, Vätergott, 251–252. 41 So der berechtigte Einwand Blums (Komposition, 283–284). 42 Dieser Horizont wäre auch durch V. 11a.12b gegeben, selbst wenn man die ausdrücklichen Verweise in V. 10.13 als sek. Erweiterungen beurteilt. 43 Blum, Komposition, 284, im Anschluss an Gunkel, Genesis, 173. 44 Ihre vorliegende Gestalt als „Abraham in Ägypten“ verdankt sie jedoch demjenigen, der mit den Texten der 3. Ebene den Eingangsteil für die Vätergeschichte geschaffen hat. 45 Eine 12,10–20 einbeziehende „première version (CA1)“ des Abrahamzyklus aus der Exilszeit, aber vor 12,1–9 und der hier vorgestellten dritten Ebene in 12,1–13,18 hat es m. E. nicht gegeben (so jedoch T. Römer, Genèse 15 et les tensions de la communauté juive postexilique dans le cycle d’Abraham, Transeuphratène 7 [1994] 107–121, bes. 111).
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bezieht sich überdies ausdrücklich auf die Ägyptenepisode.46 Außerdem bereitet die überraschende Erwähnung Lots, der in 12,10–20 trotz 12,4a völlig fehlt, die folgende Trennung von Abraham vor. Gen 13,3–4 geben der Trennung, aber mehr noch der Gottesrede V. 14–17, einen konkreten Ort. Die Rückkehr zu dem Ort im Land, wo Abraham das Land verlassen hatte, wertet den Ägyptenaufenthalt zusätzlich ab. Die beiden ausdrücklichen Rückverweise auf den früheren Zeltplatz und ersten Altarbau heben dagegen jenen Ort bei Bethel besonders hervor. Mit alledem erweist sich die dritte Ebene als die entscheidende „Kompositionsschicht“, die mit ihren Mitteln und mit vorgegebenem Material, etwas vollkommen Neues schafft. Hierzu gehört die ausdrückliche Verbindung der Abraham- mit der Jakobüberlieferung.47
3. Wanderwege und Orte Zu den literarischen Mitteln, die der Verbindung beider Überlieferungen dienen, gehören Reisen mit bestimmten Ortsangaben. Bis auf 20,1 finden sich alle itinerarartigen Notizen der Abrahamüberlieferung in 12,1–13,18.48 Da 13,14–17 den Relativsatz 12,1b aufnehmen und da die Aufforderung in 13,14 mit „dem Ort, an dem du bist“ eben jenen Ort von 13,4 im Land voraussetzt, gehören alle Wandernotizen, die zu diesem Ziel führen, zur selben literarischen Schicht. Es handelt sich also um literarische Reisen, die realisieren, was in 12,4a beginnt.49 Dabei fallen zunächst die Orte auf, mit denen Abraham jeweils in Berührung gebracht wird. Bei Bethel und Sichem handelt es sich um Orte, die für Jakob eine besondere Rolle spielen. In Bethel wird Jakob auf der Flucht vor seinem Bruder erstmals einer Gottesbegegnung gewürdigt, er salbt eine Mazzebe und gelobt, ein Heiligtum an diesem Ort zu errichten, wo ihm der Himmel offen stand (28,10–22). Vor der Stadt Sichem baut Jakob nach seiner wohlbehaltenen Rückkehr von Laban einen Altar mit dem bezeichnenden Namen: „Ein mächtiger Gott50 ist der Gott Israels51“ (33,18a1b.20). Während Jakob in der Überlieferung 46
Vgl. „er, seine Frau und alles, was ihm gehörte“ in 13,1 mit 12,16.20b. Römer bringt mit dem Schlüsseltext 12,1–9 auch noch 18,16 ff., ja sogar 22,1–14 und Gen 24* sowie 26* in Zusammenhang und erkennt hier eine „rédaction ‚pro-Golah‘“ mit Zügen der dtr. Schule (Genèse 15, 113–114). Ich stimme gern der Charakteristik von 12,1–9 als golafreundlich zu (was m. E. überhaupt von den Texten der oben vorgestellten dritten Ebene gilt), nicht aber der Verbindung mit den anderen angeführten Texten. Sie liegen auf ganz verschiedenen Ebenen und befinden sich nicht im Horizont von 12,1–9. Römer traut hier einer Hand zu Verschiedenartiges zu. Auch finde ich in 12,1–9 nichts Deuteronomistisches. 48 20,1 hängt im Kontext völlig in der Luft, dürfte sich also als Anspielung auf 12,9 erklären. 49 Es kann bei den Wandernotizen weder von einem „Itinerar“ mit einem Sitz im Leben, noch von der „älteste(n) Grundlage der Abrahamerzählung“ die Rede sein, noch wird das vermeintliche Itinerar in 20,1a fortgesetzt, wie C. Levin meint (Jahwist, 138). 50 Zu dieser Bedeutung s. E. Blum, Genesis 33,12–20: Die Wege trennen sich, in: J.‑D. Macchi/T. Römer (Hg.), Jacob. Commentaire à plusieurs voix de Gen. 25–36. Mélanges 47
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IV. Zur Vätergeschichte
mit diesen wichtigen Orten des nachmaligen Nordreichs Israel52 fest verbunden ist, berührt Abraham diese Jakobstätten nur auf der Durchreise nach Mamre/ Hebron, wo er sich schließlich niederlässt (13,18). Sodann haben nicht nur die Orte, sondern auch die Reise von Sichem nach Bethel in der Jakobüberlieferung ein Seitenstück; denn 35,6*.7 folgte einst unmittelbar auf 33,18*.20.53 Mit der Rückkehr nach Bethel kommt der Erzählbogen ans Ziel, den 28,10–22* aufbaut. Bei Abraham haben dagegen weder die Reise von Sichem nach Bethel noch Bethel oder Sichem selbst irgendeine tragende Bedeutung außerhalb der Stationen in der Kompositionsschicht Gen 12–13. Weiter fällt die merkwürdige Reiseroute auf. Sie hängt damit zusammen, dass Abraham – wie 12,1 voraussetzt – von außerhalb ins Land kommt, aber wie Jakob auch außer Landes geht. Deshalb ist ein zweiter Eisodus erforderlich. Das erste Mal kommt Abraham von Norden ins Land und zieht über Sichem zu einem Platz zwischen Bethel im Westen und Ai im Osten (12,4a.6.8). Das entspricht der Rückkehr Jakobs von Laban. Wie Jakob bleibt auch Abraham nicht im Land. Der eine flieht zur Verwandtschaft nach Aram (Gen 27 f.; 29–31), der andere begibt sich wegen einer Hungersnot nach Ägypten (12,10–20). Deshalb zieht Abraham noch einmal ins Land ein, jetzt aber kommt er von Ägypten über den Negeb ins Land. Der Kompositeur führt ihn jedoch nicht sogleich nach Hebron im Süden, sondern lässt ihn eigens wieder zu jenem Platz bei Bethel zurückgehen (13,1.3). Warum? Sichem liegt im Norden, Bethel in der Mitte und Hebron im Süden des Landes. Der doppelte Einzug zeichnet jene Stelle zwischen Bethel und Ai als die Mitte des gesamten Landes aus. Es kommt deshalb nicht von ungefähr, dass Abraham in Gen 12 f. zwar auch in Hebron (und in Sichem)54 einen Altar baut, den Namen Jhwhs aber nur hier ausruft (12,8). Damit wird das „Land, in dem damals die Kanaanäer wohnten“ (12,6b), für Jhwh beansprucht. Abraham muss hierher zurück, weil Gott ihn nirgendwo anders als hier, in der ‚Mitte‘ des offerts à Albert de Pury, Genf 2001, 227–238, 233 (mit berechtigten philologischen Einwänden gegen meine früher vertretene monotheistische Deutung). 51 „Israel“ kann sich im Kontext nach 32,29 nur auf Jakob selbst beziehen. 52 In Betel befand sich das Reichsheiligtum des Nordreichs (1 Kön 12,25–33; Am 5,5; 7,13; Hos 8,5–6; 10,5–8), Sichem war die erste königliche Residenzstadt des Nordreichs (1 Kön 12,25). 53 Nach dem Abschluss des Erzählbogens der Rückreise Jakobs von Laban in 33,17 und 33,18.20 gehört Gen 34 zu jenen Texten, die den Vorrang Judas in 49,8–12 vorbereiten. 54 Die Erscheinung Jhwhs in Sichem mit der Landverheißung für „deine Nachkommen“ und mit dem abschließenden Altarbau in 12,7 gehört zu einer punktuellen Bearbeitung, deren Horizont bis nach Jos 24 reicht, also weit über die Vätergeschichte hinaus. Blum rechnet zu dieser „Hexateuch-Bearbeitung“ auch 33,19; 35,1–7*; 48,21 f.; 50,24–26; Ex 1,5b.6.8; 13,19; Jos 24,1–32 (Ders., Die literarische Verbindung von Erzvätern und Exodus. Ein Gespräch mit neueren Endredaktionshypothesen, in: J. C. Gertz u. a. [Hg.], Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngeren Diskussion [BZAW 315], Berlin 2002, 119–156, bes. 153). Sie legitimiert das Heiligtum in Sichem nicht nur durch Jakob, sondern auch durch Abraham, dürfte also noch vor dem samaritanischen Schisma entstanden sein.
16. Wie wurden Abraham- und Jakobüberlieferung zur „Vätergeschichte“?
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Landes, „das gesamte Land“ als Ziel seiner Reise zeigen will, das er dann ihm und seinen Nachkommen als immerwährenden Besitz zusagt (13,14–17). Zwar ist Abraham ursprünglich ein Mann des Südens, aber bevor er in Mamre/Hebron zur Ruhe kommen darf, muss er in Gen 12,1–13,18 „das gesamte Land“ gesehen und durchzogen haben; denn er ist in dieser Kompositionsschicht längst der Ahn Gesamtisraels geworden. Schließlich fällt die merkwürdige geographische Lokalisierung des Ziels jenes doppelten Einzugs ins Land auf. Es wird nicht einfach mit der historischen Ortslage Bethel identifiziert, sondern geographisch als ein Ort zwischen Bethel und Ai bestimmt (12,8; 13,3), der vielleicht genau auf der Grenze zwischen den beiden ehemaligen Reichen Israel und Juda gedacht ist.55 Er hebt also noch einmal die Mitte des Landes hervor.56 Offenbar soll jede direkte Identifikation mit dem ehemaligen Reichsheiligtum des Nordreichs und ein Widerspruch zur Heiligtumsgründung in Bethel erst durch Jakob vermieden werden. Als Jakob zufällig auf jene „Stätte“ ( )מקוםstieß (28,10 ff.), zeichnete sie sich lediglich durch ein paar Steine aus. Von kultischen Handlungen auf den Altären verlautet ohnehin nichts. Die Altarbauten begründen also keine Kultorte. Mit ihnen wird vielmehr das Land zeichenhaft in Besitz genommen.57 Während die Orte Bethel und Sichem sowie die Reisen in der Substanz der Jakobüberlieferung fest verankert sind, erscheinen sie in der Abrahamüberlieferung nur als episodenhafte Vorschaltung vor die ältere Abraham-Lot-Erzählung. Sie sind also offenkundig von Jakob auf Abraham übertragen worden.
4. Die Gottesreden 13,14–17 und 28,13ab–14 Anders als die Wandernotizen, die nur das Eingangsstück durchziehen, knüpfen die Gottesreden ein Netz, das die verschiedenen Überlieferungen und älteren Kompositionen zusammenhält. Von ihnen stehen sich 13,14–17 und 28,13aα2–1458 am nächsten. Beide sind in ältere Erzählungen eingesetzt.59 Beide 55 In den Grenzbeschreibungen des Buches Josua begegnen zwar die geographischen Relationen von Gen 12,8 nicht, wohl aber das damit bezeichnete Gebiet (Jos 18,12 f.). Gen 12,8 nennt mit „ins Gebirge östlich von Bethel“ ein Gebiet des Grenzverlaufs von Jos 16,1: „Die Grenze der Josephiter ging aus vom Jordan bei Jericho … heraufsteigend von Jericho ins Gebirge bei Bethel.“ 56 K. A. Deurloo, Narrative Geography in the Abraham Cycle, in: S. A. Van der Woude (Hg.), In Quest of the Past: Studies in Israelite Religion, Literature and Prophetism (OTS 26), Leiden 1990, 48–62, bes. 53 ff. 57 Blum, Komposition, 338, kritisiert mit guten Gründen Westermanns Deutung auf einen unkultischen „Gottesdienst der Väterzeit“ (Westermann, Genesis 12–36, 182). 58 Dazu s. Blum, Komposition, 289 ff.; und Köckert, Vätergott, 252 f. Dagegen fällt Gen 28,15 nicht nur durch die erneute Einführung mit והנה, sondern auch durch seinen auf Jakob beschränkten Horizont aus dem Duktus der weit ausgreifenden Gottesrede. V. 15a hat bereits die Rückkehr Jakobs „in dieses Land“ im Blick und deckt mit „überall, wo du hingehst“ die
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IV. Zur Vätergeschichte
sind bei bzw. in Bethel lokalisiert. In beiden sagt Gott den Ahnvätern zunächst das Land, dann die Mehrung der Nachkommen zu. Mögen die verheißenen Gaben traditionell sein, so ist ihre sprachliche Gestalt umso origineller; denn in der gesamten Vätergeschichte wird das Land nur hier jeweils mit einem Relativsatz näher bestimmt. Er ist ganz auf den jeweiligen Kontext abgestimmt. In 13,15 heißt es: „… das gesamte Land, das du siehst“; denn es ist Tag, und Abraham befindet sich auf dem Gebirge östlich von Bethel (12,8; 13,3), offenbar ein Ort mit großer Aussicht in alle Richtungen.60 In 28,13b heißt es dagegen: „… das Land, auf dem du liegst“; denn Jakob, von der Nacht überrascht, hat sich an der Stätte des nachmaligen Bethel zum Schlafen niedergelegt (28,11).61 Hier wie dort gilt die Gabe überdies nicht allein den Nachkommen, sondern „dir und deinen Nachkommen“. Deren Mehrung wird durch den eindrücklichen Bildvergleich mit dem „Staub der Erde“ unterstrichen (13,16; 28,14).62 Die Erwähnung der vier Himmelsrichtungen markiert den Horizont und die umfassende Dimension der in Aussicht gestellten Gaben. Auch dieses Mittel wird ganz kontextbezogen eingesetzt: Dem Einwanderer Abraham wird die Weite des „gesamten Landes“ buchstäblich vor Augen geführt (13,14), das ihm und den Seinen „für immer“ (13,15b) Heimat werden soll; der einsame Flüchtling Jakob erhält das Versprechen, er werde sich in seinen unzählbaren Nachkommen nach allen Himmelsrichtungen ausbreiten (28,14). Neben diesen Gemeinsamkeiten finden sich in beiden Gottesreden außer kleineren Besonderheiten auch überschießende Elemente, die sich nicht einfach literarkritisch erklären lassen.63 Sie hängen gleichfalls mit den unterschiedlichen Kontexten zusammen. So beginnt die Gottesrede in 28,13–15* deshalb mit einer Selbstvorstellung der Gottheit, weil es sich hier um die erste Begegnung Gottes gesamte Jakoberzählung ab; V. 15b ist dagegen wie 18,19, aber mit Rücksicht auf die Situation Jakobs formuliert und gehört zu den jüngsten Zusätzen in der Vätergeschichte. 59 Das war für 13,14–17 immer unstrittig (s. die Verbindung von 13,11a.12bb.18a). Für 28,13b–15 hat das vor allem Blum in Auseinandersetzung mit der seit Wellhausen üblichen Zuschreibung an „J“ gezeigt (Komposition, 19 ff.); Blum rechnet allerdings neuerdings aufgrund von Hos 12,5 mit einer ursprünglichen Beistandszusage in V. 15a, die freilich aus dem gegenwärtigen Wortlaut nicht mehr rekonstruiert, sondern nur vermutet werden kann (E. Blum, Noch einmal: Jakobs Traum in Bethel – Genesis 28,10–22, in: St. L. McKenzie/T. Römer [Hg.], Rethinking the Foundations. Historiography in the Ancient World and in the Bible. FS J. v. Seters [BZAW 294], Berlin 2000, 33–54) [dazu s. in diesem Bd. Nr. 12 und 16]. 60 Westermann, Genesis 12–36, 210, mit Berufung auf M. Noth, ZDPV 82 (1966) 266. 61 H. Seebass (Genesis II/2. Vätergeschichte II, Neukirchen-Vluyn 1999, 316 f.) will den Relativsatz wörtlich verstehen: Jakob werde lediglich das Gebiet des nachmaligen Kultortes Betel verheißen. Ein derartiges Verständnis verkennt nicht nur die Absicht dieser kontextuellen Verknüpfung, sondern scheitert auch daran, dass bei buchstäblicher Auslegung des Relativsatzes Jakob nur der unmittelbare Ort seines Nachtlagers zugesprochen würde, wogegen schon die Ausbreitung seiner Nachkommenschaft spricht. 62 Er findet sich sonst nur noch in 2 Chr 1,9. 63 Eine derartige Lösung wäre allenfalls bei der zusätzlichen Erklärung des Bildvergleichs vom Staub der Erde mit dem Hinweis auf dessen Unzählbarkeit in 13,16b zu erwägen.
16. Wie wurden Abraham- und Jakobüberlieferung zur „Vätergeschichte“?
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mit Jakob handelt, noch dazu an einem Ort, an dem derartiges nicht zu erwarten war (V. 16). Eine Selbstvorstellung Gottes kann in 13,14–17 fehlen, weil Jhwh hier nicht das erste Mal zu Abraham spricht.64 Jhwh erscheint Jakob in 28,13 im Traum und stellt sich ihm als „der Gott Abrahams, deines Vaters, und der Gott Isaaks“65 vor. Die verkürzte Formel spielt auf die Vätertrias an und stellt damit Jakob stillschweigend als drittes Glied in diese ein. So bindet sie auf kurze wie wirkungsvolle Weise die ältere Jakoberzählung in die Vätergeschichte ein. Diesem Zweck dient auch die überschießende Ankündigung exemplarischen Segens im Anschluss an die Ausbreitung der Nachkommen Jakobs (28,14b). Sie muss in 13,14–17 fehlen, weil Abraham sie schon zu Beginn in 12,3b empfangen hatte66, dort allerdings als krönenden Abschluss einer viergliedrigen Segenskette. Die beiden Überschüsse in 13,14–17 erklären sich gleichfalls aus ihrem Ort. Die doppelte Aufforderung zu Beginn, aufzublicken und sich umzusehen, und der wiederholte Gebrauch des Verbs „sehen“ in V. 14–15 hängen mit 12,1b zusammen. Deshalb sind auch die vier Himmelsrichtungen hier mit dem Thema „Land“ verbunden. Zu ihm kehrt der singuläre Schluss der Gottesrede wieder zurück und gibt ihm dadurch ein besonderes Gewicht, was im Licht von 12,1 nicht verwundern kann. Die Aufforderung, das Land in seiner Länge und Breite zu durchziehen (13,17), nimmt einerseits die Reisen Abrahams in 12,6.8–9; 13,3–4 auf und wird anderseits durch Abrahams Zug von Bethel nach Hebron in 13,18 befolgt. Abraham darf also von dem verheißenen Land nicht nur wie Mose allein mit den Augen Besitz ergreifen, sondern er soll es mit seinen Füßen abschreiten. Zur Übereignung von Grundbesitz gehört, dass der künftige Eigentümer das Grundstück betritt.67 Gott fordert Abraham mit diesem Rechtsakt dazu auf, schon jetzt von der Verheißung Gebrauch zu machen, obwohl deren Erfüllung noch aussteht. Unbezweifelbarer kann das gesamte Land als Gottes Gabe nicht vergewissert werden. Die Überschüsse in 13,14–17 dienen – anders als die in 28,13–14 – nicht der Integration der Jakobüberlieferung, sondern der Verbindung mit 12,1–8*. Die Formulierungen der beiden Abraham und Jakob verbindenden Gottesreden lassen zugleich erkennen, dass 28,13aα2–14 von derselben Hand geschrieben 64 In Gen 12,1–3 findet sich merkwürdigerweise keine göttliche Selbstvorstellung. Das darf vielleicht als ein Indiz dafür gedeutet werden, dass der ursprüngliche Anfang dieses Erzählbogens der Verbindung mit 11,27–32 zum Opfer gefallen ist. 65 Die auffällige Benennung Abrahams als אבJakobs setzt die Trias der Ahnväter voraus; vgl. 32,10 (dort erscheint allerdings die Vaterbezeichnung auch bei Isaak). 66 Sie ist hier wie dort mit ברךNif. formuliert. Das letzte Wort in 28,14 ( )ובזרעךerklärt sich nicht als nachträgliche Erweiterung, sondern berücksichtigt die Verbindung der Segensankündigung mit der Ausbreitung der Nachkommen im Vorkontext. 67 Vgl. 1 Kön 21,15–18 und Jos 1,3; Dtn 11,24 sowie die Wendung „den Schuh werfen auf …“ in Ps 60,10 als zeichenhaftes Betreten. Zum juridischen Hintergrund derartiger symbolischer Handlungen s. D. Daube, Studies in Biblical Law, Cambridge 1947, 37, und zuletzt A. Viberg, Symbols of Law. A Contextual Analysis of Legal Symbolic Acts in the Old Testament (CB 34), Stockholm 1992, 160 f.
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wurden. Sie dürfte es auch gewesen sein, die mit einer Reminiszenz an 12,3a die Segensworte Isaaks an Jakob in 27,29 um das letzte Glied erweitert hat. Sie hat der von ihr geschaffenen Vätergeschichte mit 12,1–4a.6.8–9; 13,1.3–4.14–17 und mit den davon eingebundenen Überlieferungen ein solennes literarisches Entree gegeben.
5. Gottesreden mit Aufbruchsbefehlen Fünf weitere Gottesreden zeichnen sich dadurch aus, dass sie an entscheidenden Wendepunkten im Leben der Akteure mit Imperativen weiträumige Reisen veranlassen: 12,1: Gehe aus deinem Land und aus deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in das Land, das ich dich sehen lassen werde! … 26,2: Steige nicht hinab nach Ägypten! Wohne in dem Land, das ich dir sagen werde! Verweile in diesem Land! … 31,3: Kehre zurück in das Land deiner Väter und zu deiner Verwandtschaft! … 31,13: Auf, ziehe aus diesem Land und kehre zurück in das Land deiner Verwandtschaft! … 46,3b: Fürchte dich nicht davor, nach Ägypten hinabzusteigen! …
Vier von ihnen verbinden die Imperative mit Verheißungen Sie sind aufeinander und auf ihre jeweiligen Kontexte bezogen.68 Über 12,1–3 sind sie außerdem mit der für die Vätergeschichte leitenden Kompositionsschicht verbunden, allerdings auf unterschiedliche Weise.69 Ich beschränke mich hier auf diese Bezüge; die Inhalte der Segensankündigung in 12,1–370 werden abschließend den historischen Ort jener Kompositionsschicht erhellen.71 Die erste Gottesrede an Isaak nimmt in ihrem Grundbestand 26,2–3bα72 mit der auffälligen Formulierung „Wohne in dem Land, das ich dir sagen wer68 Zu diesen Verheißungsreden s. vor allem Blum, Komposition, 297–301, Köckert, Vätergott, 268 ff., Carr, Reading, 177–183, u. a. 69 Vgl. Blum (Komposition 297 ff.) und Köckert (Vätergott, 321 f.). 70 S. dazu Köckert, Vätergott, 266 ff. 71 S. dazu u. Abschnitt 6. 72 Gen 26,3b–5 werden dagegen seit Gunkel (Genesis, 300 f.) einer jüngeren Bearbeitung zugeschrieben. Sie kommt auch im Nachtrag 22,15–18 zu Wort (vgl. die Erinnerung an den Eid, den Gott Abraham geleistet hat, die Mehrungsverheißung mit Sternenvergleich usw.) und macht aus Abraham den ersten Torafrommen, um dessentwillen alle Verheißungen gegeben werden. Dieselbe Stimme lässt sich auch in der zweiten Gottesrede an Isaak 26,24 vernehmen. Die Landverheißung in 26,3bα enthält dieses Profil jedoch nicht; sie hat außerdem in V. 4 ein Seitenstück, in dem aber die Landgabe (wie in 12,7!) nur den Nachkommen gilt. Deshalb lässt sich mit Blum (Komposition, 299, 362 f.) in V. 2–3* durchaus ein älterer Bestand sichern (vgl. schon Köckert, Vätergott, 269).
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de!“73 und mit der Zusage des Segens die erste Gottesrede an Abraham in 12,1b.2aβ auf. Die Landverheißung gilt wie in 13,15 und 28,13 „dir und deinen Nachkommen“. Damit sind die intertextuellen Signale jedoch noch nicht erschöpft. Schon die Motivierung der Ausreise Isaaks mit einer „Hungersnot im Lande“ (26,1) wird zur „ersten Hungersnot in den Tagen Abrahams“ in Beziehung gesetzt. Auch das Verbot, „nicht nach Ägypten“ hinabzusteigen, erklärt sich nur durch 12,10–20.74 Schließlich bezieht sich die Verheißung „aller dieser Länder“ (V. 3bα) im unmittelbaren Kontext auf Kanaan und das philistäische Gerar.75 Sie geht damit wie 13,14–15 über Kanaan hinaus. Zwar steht dort nur der Singular, doch „das gesamte Land“, das Abraham sieht, umfasst gen Westen sicher auch Philistäa und gen Osten auch das Land, in dem die Söhne Lots siedeln werden. Beide Landverheißungen haben damit ein gehöriges utopisches Potential.76 Der Grundbestand der ersten Gottesrede an Isaak gehört wie die Notizen vom Bau eines Altars in Beerscheba mit der Proklamation des Jhwh-Namens in 26,23.2577 zu jener Kompositionsschicht, mit der erstmals die Abraham, Isaak und Jakob umfassende Vätergeschichte gebildet wurde. Gen 46,1–5a unterbrechen den älteren Übergang von 45,28 zu 46,5b78 und geben der Reise Jakobs nach Ägypten die höheren theologischen Weihen. Der ältere Übergang lässt den Vater ganz selbstverständlich zu seinem bisher für tot gehaltenen Sohn reisen, jener Einsatz aber hält eigens eine besondere Ermutigung für erforderlich, die sich vom Vorkontext her nicht nahelegt. Überdies gewährt er dem Ahn einen Blick in die Zukunft, was ebenfalls überrascht. Die ausdrückliche Erlaubnis, nach Ägypten hinabzuziehen, spielt auf den eigenmächtigen Ägyptenaufenthalt in 12,10–20 an und berücksichtigt das Verbot in 26,2. Schließlich greift die letzte Gottesrede in der Vätergeschichte auf die erste zurück, indem sie mit der Verheißung, ein großes Volk zu werden, an 12,1–3 erinnert. Sie lokalisiert aber deren Erfüllung – dem neuen Kontext entsprechend – in Ägypten, setzt also die Kenntnis der Mehrung in Ägypten und des Exodus voraus. Ihr literarischer Horizont umfasst jedoch nicht ohne weiteres auch das Exodusbuch; denn V. 4b bezieht die „Hinaufführung“ zurück nach Kanaan unter Gottes Geleit allein auf Jakob, nicht auf das durch ihn repräsentierte Volk.79 73 Sie muss unmittelbar vor der Anweisung „Verweile in diesem Land!“ nicht befremden, wenn man mit Blum (Komposition, 299) das unbestimmte Ziel wie in 12,1 auf Kanaan, „dieses Land“ aber auf Gerar bezieht, in dem sich Isaak nach 26,1 schon befindet. 74 Anspielungen auf Gen 20 finden sich jedoch nicht (gegen v. Seters, Abraham, 167–191). 75 So Blum, Komposition, 299. 76 Die Ansprüche, die damit erhoben werden, decken sich ungefähr mit den Hoffnungen, die in Jes 11,14, in Zef 2,7.9 oder in Ps 60,8–10 laut werden. 77 Vgl. 26,25 mit 12,8; zu 26,24 s. u. bei Anm. 80. 78 W. Rudolph, Der Elohist als Erzähler. Ein Irrweg der Pentateuchkritik an der Genesis erläutert, Giessen 1933, 165 (nimmt V. 1aα von der Erweiterung aus), gegen Gunkel, Genesis, 463. 79 K. Schmid, Erzväter und Exodus. Untersuchungen zur doppelten Begründung der Ur-
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Während 26,1–3bα.25a mit Sicherheit zu der herausgearbeiteten Kompositionsschicht gehören, gilt das für Gen 46,1–5a nicht. Die differenten Formulierungen verbinden das Stück vielmehr mit Texten einer jüngeren Bearbeitung, mit denen die Vätergeschichte später noch erweitert worden ist. Es setzt die Integration der Josepherzählung voraus. Die Stilisierung als nächtliche Gotteserscheinung80 in Beerscheba mit der Selbstvorstellung „des Gottes deines Vaters“ erinnert an die zweite Gottesrede an Isaak (26,24), die wiederum mit der Erweiterung in 26,3bβ–5 zusammenhängt. Zwar spielt „das große Volk“ als Ziel der Wege Gottes mit Jakob in 46,3 auf 12,2 an, aber die Formulierung der Verheißung mit שיםstatt mit 81 עשהwie auch die Verwendung des Appellativs אלהיםverbinden mit 21,13.18. Indes gehören die Erzählungen in Gen 20–22* zu jüngeren Erweiterungen der Abrahamüberlieferung.82 Bleiben schließlich noch die beiden Gottesreden, welche die Rückkehr Jakobs von Laban veranlassen. Die erste (31,3) ist in den Bericht des Erzählers nachträglich eingeschaltet worden. Der göttliche Befehl kommt in jenem kritischen Moment, als Jakob merkt, dass Labans Verhältnis zu ihm schwierig geworden ist. Die Wurzel שובspielt kurz auf Jakobs Gelübde in 28,21 an; die Formulierung „ins Land deiner Väter und zu deiner Verwandtschaft“ erinnert an 12,1a.83 Die kurze Beistandszusage „Ich werde mit dir sein“ ( )ואהיה עמךnimmt 28,15a auf, wenn auch in leicht variierter Formulierung.84 Sie ist von größter Allgemeinheit, kann aber jetzt auf die bevorstehende Reise bezogen werden. Der zweite Befehl zur Rückkehr ist dagegen integraler Bestandteil der folgenden Rede Jakobs an seine Frauen. Er hat aber hier eine andere Gestalt und ist als Rückblende formuliert, verbunden mit einer Traumschilderung (31,11–13). Die erinnert wiederum an Gen 28. Der Bote Gottes stellt sich zudem ausdrücklich als „der Gott“ vor, „(der in) Bethel ist“85. Mit dem ausdrücklichen Rückverweis auf die Salbung der Mazzebe und auf das Gelübde in V. 13 schlägt der Gott von Bethel einen großen Bogen zu Gen 28,10–22*, zitiert aber die Verheißungsrede sprünge Israels innerhalb der Geschichtsbücher des AT (WMANT 81), Neukirchen-Vluyn 1999, 62 f., und Blum, Verbindung, 132–133. 80 Was 28,10 ff. in der Erzählung realisieren, gebrauchen 46,2 und 26,24 lediglich als Stilmittel. 81 Auf diese terminologischen Differenzen macht K. Berge aufmerksam: Die Zeit des Jahwisten (BZAW 186), Berlin 1990, 34. 82 Die Erzählung von Abraham bei Abimelech setzt mit ihrer ursprünglichen Fortsetzung in 21,22 ff. positive Erfahrungen einer schon länger währenden jüdischen Diasporaexistenz voraus, was schwerlich schon in der Exilszeit gegeben war (s. die Lit. bei Köckert, Ahnvater, 152–161 [in diesem Bd. Nr. 3]). Zu Gen 20–22 als jüngere Erweiterung und deren Profil s. auch Albertz, Exilszeit, 204–209 (zu VGR2) [und in diesem Bd. Nr. 10]. 83 Das sehr spät eingefügte Gebet Jakobs (32,10–13) bezieht sich ausdrücklich auf 31,3 und verwendet die entsprechenden Wendungen aus 12,1 wörtlich: „Kehre zurück in dein Land und zu deiner Verwandtschaft!“ S. dazu Blums D-Bearbeitung (Komposition, 152–164) [und in diesem Bd. Nr. 13]. 84 „Siehe, ich bin mit dir (“… )והני אנכי עמך 85 So die vielleicht einfachste Auflösung der Ellipse.
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von dort nicht. Der Befehl zur Rückkehr in V. 13 kennt keine Beistandszusage und unterscheidet sich auch sonst vollkommen von dem ersten: „Auf, ziehe aus diesem Land und kehre zurück in das Land deiner Verwandtschaft!“ Wie verhalten sich beide Gottesreden zueinander? Anders als die Rede in V. 3, die den Erzählfaden unterbricht und weder als Gotteserscheinung stilisiert ist noch vom Erzähler eingeführt wird, ist die Gottesrede in V. 11–13 bis in die Einzelheiten auf 30,28–43 und auf 28,10–22* abgestimmt und in den unmittelbaren Kontext vollkommen integriert. Ihr literarischer Horizont befindet sich allein innerhalb der Jakoberzählung. Für diese hat die Rückblende allerdings die Funktion eines Bandes, das deren Hauptteile zusammenhält. Der Horizont von 31,3 reicht dagegen über die Teile der Jakoberzählung hinaus und umfasst auch 12,1. Beide Texte kann schwerlich dieselbe Hand geschrieben haben. 31,11–13 gehört zu den verbindenden und deutenden Stücken innerhalb der Jakoberzählung, die der Kompositionsschicht der Vätererzählung vorgegeben waren.86 31,3 wurde nachträglich eingestellt, um die Leerstelle zu füllen und der Rückblende Jakobs einen ausdrücklichen Bezugspunkt in der vorangehenden Erzählung zu geben.87 Das auch inhaltlich bedeutsame Mittel, Ortsveränderungen mit göttlichen Weisungen zu veranlassen und so als von Gottes Führung gebahnt zu deuten, hat offenbar nicht erst derjenige erfunden, der die vielfältigen Überlieferungen zur Vätergeschichte verbunden hat. Er konnte dafür auf 31,13 in der Jakoberzählung zurückgreifen.
6. Zum historischen Ort der „Vätergeschichte“ Die Abraham-Lot-Erzählung ist mit der Jakoberzählung erstmals durch den Kompositionsbogen 12,1–13,18 und durch die Gottesreden 26,2–3*; 28,13*–14 zu einer großen Vätergeschichte verbunden worden. Lässt sich diese folgenreiche Verbindung in der Literargeschichte des Alten Testaments noch genauer einordnen? Eine erste Entscheidung fällt bei der Bestimmung des Verhältnisses dieser Stücke zu den priesterschriftlichen Teilen. Ich greife hierfür einige Beobachtungen Blums zum Charakter von „P“ auf.88 Der priesterliche Bogen 11,27–32; 12,4b–5; 86 Zu 31,1–2.4–16 und gegen die wenig überzeugenden Versuche, auch hier zwei Quellen zu finden (Gunkel, Genesis, 340 f.), s. bes. Blum, Komposition, 117 ff. Er arbeitet heraus, wie 31,4–16 die Herdenvermehrung Jakobs in 30,25–43 voraussetzen und theologisch umdeuten: Gott hat alles so gefügt. Die Gottesrede V. 11–13 legitimiert und motiviert die Antwort der beiden Frauen in V. 16. 87 Wegen der Berührungen mit 32,10(–13) rechnet Blum auch 31,3 zur D-Bearbeitung (Komposition, 153, 161). 88 Eine genauere Untersuchung der einschlägigen Befunde für ein differenzierteres Bild von P hat E. Blum auf einem Fachgruppentreffen 2012 in Stuttgart-Hohenheim vorgetragen;
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13,6.11b–12bα kann auf den ersten Blick als geschlossener Zusammenhang gelesen werden. Jedoch verwundert bei genauerem Hinsehen die mehrfache Erwähnung Lots gleich zu Beginn. Lot wird in 11,30 überraschend eingeführt und in 12,5 sogar nach Kanaan mitgenommen – aber nur zu dem Zweck, sich alsbald von seinem Onkel zu trennen und sich außerhalb des Landes in der Jordanebene niederzulassen (13,6.11b–12*). Von seinem weiteren Geschick erfahren wir nur noch seine Rettung aus dem Untergang Sodoms in 19,29, der einzigen priesterlichen Notiz in Gen 18–19.89 Die Einführung Lots erscheint ohne den nicht-priesterlichen Kontext pointenlos, und die Notiz von seiner Rettung versteht nur, wer die ausführliche nicht-priesterliche Abraham-Lot-Erzählung kennt. Offenbar ist „P“ hier keine selbständige Quellenschrift, sondern im Blick auf das ihr bereits bekannte nicht-priesterliche Material hin formuliert worden. Das muss dann natürlich älter sein als die priesterlichen Teile, jedoch ist damit noch nicht gesagt, wie alt. Vieldeutiger ist der Befund zu 12,4b. Allgemein wird die Altersangabe zu P gezählt, sie dürfte aber dann nicht vor V. 5 stehen, sondern müsste an den Auszug Abrahams in V. 5 unmittelbar anschließen. Vor V. 5 datiert sie Abrahams Alter in Bezug auf die nicht-priesterliche Gottesrede 12,1–4a. Da Abraham seine Heimat hier auf Gottes Weisung hin verlässt, kann 12,4b für diesen Ort nicht von dem formuliert worden sein, der in 11,27–32 Abrahams Großfamilie in Ur aus eigenem Antrieb und von vornherein mit Kanaan als Ziel aufbrechen lässt. Entweder hat die Altersangabe ursprünglich nach V. 5 gestanden und ist von einem späteren Redaktor zur Integration des nicht-priesterlichen Bogens in P umgestellt worden, oder jener Redaktor hat V. 4b im Stil von P mit Rücksicht auf V. 4a überhaupt erst selbst gebildet.90 Die zweite Annahme erscheint mir plausibler, da V. 4b den engen Zusammenhang zwischen V. 5bα ( )יצאund β ()בוא91 nicht unterbrochen haben kann, nach V. 5bβ aber hinter die dort erreichte Situation – bereits „im Land“ – zurückfällt. Ein ursprünglicher Text in der Abfolge V. 4a.5.4b kann also keineswegs als gelungen gelten. Wie dem auch sei, V. 4b hat jetzt die Funktion, die gegenüber 11,27–32 theologisch aufgeladene Fassung des Aufbruchs mit dem nüchternen priesterlichen Bericht auszugleichen. Die priesterschriftliche Art der Einfügung von 12,1–4a durch V. 4b und ihr Ort vor V. 5 zeigen, dass jener Redaktor den durch Gottes Initiative veranlassten Aufsie wird in einem Sammelband erscheinen [E. Blum, Noch einmal. Das literargeschichtliche Profil der P-Überlieferung, in: F. Hartenstein/K . Schmid (Hg.), Abschied von der Priesterschrift? Zum Stand der Pentateuchdebatte (VWGTh 40), Leipzig 2015, 32–64]. 89 Mit den „Städten, in denen Lot wohnte“ nimmt 19,29 die entsprechende Notiz in 13,12a. bα auf. 90 Zu den anderen mit V. 4b verbundenen Fragen s. zuletzt J. Wöhrle, Fremdlinge im eigenen Land (FRLANT 246), Göttingen 2012, 34–36. Gegen Wöhrle lässt sich aus V. 4b jedoch kein Argument für P als Bearbeitungsschicht gewinnen, weil dann jene Bearbeitung Widersprüche auf engstem Raum in Kauf genommen hätte. 91 Vgl. 11,31.
16. Wie wurden Abraham- und Jakobüberlieferung zur „Vätergeschichte“?
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bruch nicht durch den priesterlichen Bericht desavouieren wollte. Er suggeriert jetzt, dass nur Abrahams Aufbruch aus Harran von 12,1–3 veranlasst worden ist.92 Auch dieser Befund legt die Annahme nahe, der nicht-priesterliche Bogen sei den priesterlichen Stücken vorgegeben.93 Vor allem aber spricht für eine vor-priesterliche Ansetzung der Kompositionsschicht, dass die erste Gottesrede „12,1–3 nicht über Gen hinausblickt, was für einen nachpriesterlichen Text an dieser Stelle aber zu erwarten wäre“.94 Zwei weitere Argumente zur zeitlichen Ansetzung ergeben sich aus den Inhalten der beiden großen Verheißungsreden 12,1–3; 13,14–17. Zunächst einmal ist die gesamte Topik der Segensankündigung von Hause aus im Königtum beheimatet.95 In der Vätergeschichte werden aber diese glorreichen Gaben keiner königlichen Gestalt übereignet, sondern in Abraham dem Ahnvater des Volkes. Derlei ist weder denkbar, solange das Königtum in Saft und Kraft steht, noch denen zuzuschreiben, die die Glut der Hoffnung auf dessen irdische Wiederkehr schüren. Sodann sind die Stimmen aus der Zeit des Exils und danach zu bedenken, die mit ihren Kontrastaussagen zu jenen bunten Zukunftsbildern der wenig erfreulichen Gegenwart Gehör verschaffen. Ist Israel überhaupt noch ein „Volk“ ( ?)גויIst Israel unter den Völkern nicht vielmehr zum „Fluchwort“ ()קללה geworden?96 Angesichts dieser Stimmen und der erlittenen Verluste erhalten jene Verheißungen eine besondere Leuchtkraft: Mehrung der Nachkommen97 so zahlreich wie „der Staub der Erde“ und ein „großes Volk“, welches „das ganze Land“ sein eigen nennt. Schließlich hat die neu geschaffene Vätergeschichte einige Akzente gesetzt, durch die sie ihre Absichten zu erkennen gibt. Zunächst fällt auf, welche Bedeutung das Thema Mehrung sowohl bei Abraham (12,1–3; 13,15) als auch bei Jakob (28,14) hat. Derlei wäre den Jerusalemern in Ez 33,24 zwischen 597 und 587 als vollkommen überflüssig erschienen; denn die meinten noch: „Ein einzelner war Abraham, und er besaß das Land; wir aber sind viele, uns ist das Land zum Besitz gegeben!“98 Es kann deshalb auch gar nicht verwundern, dass weder die ältere Jakoberzählung noch die Abraham-Lot-Erzählung eine 92 Insofern macht es durchaus einen Unterschied, ob V. 4b nach V. 4a oder erst nach V. 5 gelesen wird. 93 Beide oben mitgeteilten Überlegungen machen mich heute – trotz meiner Sympathien für die scharfsinnigen Beobachtungen von J.‑L. Ska, L’appel, 367–389 – skeptischer im Blick auf eine nach-priesterliche Ansetzung von 12,1–4a, als ich bisher war. 94 Schmid, Erzväter, 105. Der von mir (Vätergott, 322) behauptete Bogen von 12,1–3 über 46,1–5 zu Ex 3,4.6.12 beruht in Ex 3 auf Indizien, die zu allgemein und deshalb nicht belastbar sind. Vgl. die Einwände von Blum, Verbindung, 132. 95 Köckert, Vätergott, 276–294, und die dort genannte Lit. [und jetzt auch in diesem Bd. Nr. 2 (3.2) und Nr. 16]. 96 Vgl. Jer 33,23–26; 31,35–37 mit Jer 24,9; 25,18; 26,6; 42,18; 44,8.12.22. 97 Auch der „große Name“ in 12,2 gehört wohl in diesen Zusammenhang, wie Ps 72,17 u. a. zeigen. 98 Das Zitat ist älter als dessen Verwendung im Prophetenbuch.
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IV. Zur Vätergeschichte
Mehrungsverheißung kennen.99 Das hat sich nach dem nationalen Desaster gründlich geändert. Der neuen Lage trägt auch das Motiv des hohen Alters bzw. der Unfruchtbarkeit der Ahnfrau bei Sara (18,10b–15100), Rebekka (25,21) und Rahel (29,31) Rechnung. Die Virulenz des Themas Kinder für die Unfruchtbare und Mehrung der Nachkommen ist „Ausdruck der Minderheitenexistenz der Adressaten der Vätergeschichte, deren Überwindung sie in Gestalt der Mehrungsverheißung erhoffen“.101 Die Reaktion Gottes in 18,14 auf Saras Einwände ermuntert, an dieser Hoffnung gegen allen Augenschein festzuhalten. Standen in den völkergeschichtlich konzipierten Erzählungen von Jakob sowie von Abraham und Lot die Ahnen für die von ihnen repräsentierten Völker, so gilt das in der Vätererzählung nicht mehr in gleich selbstverständlicher Weise. Sodann ist nicht zu übersehen, dass sich Abraham und in ihm die Adressaten der Vätergeschichte außerhalb des verheißenen Landes befinden und aufgefordert werden, mit Land, Verwandtschaft und Vaterhaus ihre gegenwärtige Heimat zu verlassen (12,1a), um dort exemplarisch gesegnet zu werden (12,2–3), wohin sie Jhwh führt (12,1b). Hatten sich nach 587 die im Lande Verbliebenen mit Ez 33,24 auf einen autochthonen Abraham berufen können, um mit ihm als Gewährsmann ihre Ansprüche auf den Landbesitz gegen die Gola zu begründen102, so macht die Vätergeschichte Abraham sogleich am Anfang ihrer Großerzählung in 12,1 zu einem Einwanderer. Sie entwindet damit Abraham denen, die im Lande gebliebenen waren, und macht ihn zur Identifikationsfigur für die Gola. Ihr ist jetzt in Abraham das Land verheißen. Deshalb sollen sich die Exilierten dorthin auf den Weg machen. Eine ähnliche Intention verfolgt die Vätergeschichte dadurch, dass sie Jakobs Aufenthalt bei Laban vom südsyrischen Hauran und von der Safaitis103 nach Harran am oberen Balich verlegt (27,43; 28,10; 29,4). Aus der Verlegung des Aufenthaltes Jakobs ausgerechnet nach Harran kann man vielleicht schließen, dass Harran schon vor 12,1 in der jetzt fehlenden Exposition der vor-priesterlichen Vätergeschichte als 99 Die Ankündigung der Geburt eines Sohnes in Gen 18 ist von der Verheißung der Mehrung zu unterscheiden. Auch gehört das hohe Alter des Ahnpaares zu einer nachträglichen Übermalung. 100 Hier scheint die ältere Erzählung vom Besuch der drei Männer nachträglich mit einem zweiten Spannungsbogen überarbeitet worden zu sein. Vor allem V. 14 erstaunt mit seinen nächsten Seitenstücken in Ri 13,19; Jer 32,17.27; Sach 8,6 und dadurch, dass der Sprecher sein Inkognito für Abraham durchbricht. S. dazu die Beobachtungen bei Köckert, Vätergott, 235–240, und zuletzt die Andeutungen bei Schmid, Literaturgeschichte, 92. 101 Mit Oswald, Staatstheorie, 164, gegen Albertz, der die große Bedeutung des Themas „Kinder für die Unfruchtbare“ mit einer abnorm hohen Kindersterblichkeit in der Exilszeit erklärt (Exilszeit, 206). 102 Zu den beiden Deuteebenen jener fiktiven vox populi s. M. Köckert, Die Geschichte der Abrahamüberlieferung, in: A. Lemaire (Hg.), Congress Volumen Leiden 2004 (VT.S 109), Leiden 2006, 103–128, 104–107 (mit Lit.) [in diesem Bd. Nr. 2]. 103 Dort ist das „Land der Ostleute“ von 29,1 wohl zu lokalisieren. Dazu passen die zehn Tage währende Flucht Jakobs von Laban bis zum Gebirge Gilead in 31,22–23 und die Lokalisierung des Grenzvertrags 31,44–54 gerade in Gilead.
16. Wie wurden Abraham- und Jakobüberlieferung zur „Vätergeschichte“?
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Heimat Abrahams genannt war. Insofern appelliert die Vätergeschichte mit der in 13,14–17 und 28,13–14 so hervorgehobenen Landverheißung an die Gola, sich aufzumachen – wie weiland ihre Ahnen in Harran104 – und ins Land der Verheißung zurückzukehren. Wie gezeigt, wird Gen 12–13 als großes Eingangsportal zur Vätergeschichte sowohl in den Verheißungen als auch in den Wandernotizen mit Mitteln der Jakobüberlieferung gestaltet und in 12,10–20 mit den Farben des Ägyptenexodus übermalt. Hartmut Gese formulierte den Befund mit dem Satz: „Auf die Jakobprolepse folgt die Exodusprolepse.“105 Mit Abraham-Jakob ist immer schon eine gesamtisraelitische Perspektive, ist Juda als „Israel“ auf dem Plan. Es kann also gar nicht verwundern, dass nun auch eine judäische Perspektive in die Abschnitte der Vätergeschichte eingetragen wird, die von Jakob erzählen. Die ist freilich schon in der auf uns gekommenen Gestalt der Jakoberzählung indirekt dadurch gegeben, dass sich die mit Jakob–Esau gesetzte völkergeschichtliche Konstellation Israel–Edom nur auf ein Juda beziehen kann, das sich als „Israel“ verstand; denn eine derart fundamentale Beziehung des Nordreichs zu Edom ist mit den uns verfügbaren Daten nicht zu verifizieren und historisch auch unwahrscheinlich. Ein derartiges Selbstverständnis Judas als „Israel“ setzt freilich das politische Ende der Größe voraus, deren geistiges Erbe Juda nach 720 zum Teil übernimmt. Nach 587 wiederum hätte man aber die Konflikte zwischen „Israel“ und Edom schwerlich in der Art jener friedlichen Koexistenz gelöst, von der Gen 32 f. erzählen. Dagegen stehen jene Erfahrungen und Wünsche, die Texte wie Obd 8–15 und Obd 18 hervorgebracht haben, mag die historische Realität auch hinter manchen Phantasien zurückgeblieben sein. Wie dem auch sei, offenbar ist schon die ältere Jakoberzählung nur in einer Fassung auf uns gekommen, die nach 720 von Flüchtlingen aus dem Norden nach Juda gebracht worden und dort noch selbständig, aber an die neuen Verhältnisse adaptiert überliefert worden ist. Davon sind jene Spuren zu unterscheiden, die Juda in der Jakobüberlieferung nun auch ausdrücklich hervorheben. Am deutlichsten geschieht das im Judaspruch des Jakobsegens Gen 49,8–12. Er stellt mit seinen acht Bi- bzw. Trikola nicht nur ein Gleichgewicht zum entsprechenden Josephspruch her, sondern schreibt gegenüber Joseph den Führungsanspruch ausdrücklich für Juda fest: Er ist der Erste; ihm „danken“ seine Brüder (V. 8); ihm ist dauerhafte Herrschaft gegeben; denn „nicht wird das Szepter von Juda weichen“ (V. 10). Dem Primat Judas dienen auch jene Stücke, die davon erzählen, wie sich die älteren Brüder selbst desavouieren: Ruben in 35,22, Simeon und Levi in Gen 34. In dieser Perspektive rückt Juda ganz selbstverständlich an die erste Stelle. Spätestens 104 Darüber geht die Priesterschrift noch hinaus, indem sie Abrahams Heimat ins südbabylonische Ur verlegt (11,27–32; vgl. 15,7 nach-priesterlich). 105 H. Gese, Die Komposition der Abrahamserzählung, in: Ders., Alttestamentliche Studien, Tübingen 1991, 29–51, bes. 34–35.
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IV. Zur Vätergeschichte
durch diese Texte ist dann auch die Josepherzählung Teil der Vätergeschichte geworden. Von den hier behandelten Texten gehören zur Kompositionsschicht der erstmaligen Verbindung der älteren Jakoberzählung mit der Abraham-Lot-Erzählung zu einer Vätergeschichte vor allem folgende Stücke: Gen 12,1–4a.6.8.9; 13,1.3–4.14–17.18b; 26,2–3bα.23.25aα; 27,29b; 28,13aα2–14; 33,18aα1b; 35,1.6a*–8. Aus den voranstehenden Beobachtungen ergeben sich vier Hinweise für den literargeschichtlichen Ort jener Vätergeschichte: (1) Sie ist vor-priesterlich, zumindest in dem Sinne, dass sie der Priesterschrift vorgelegen hat, mag sie auch zeitnah zu ihr in einem anderen Milieu entstanden sein; (2) deuteronomistische Profile lassen sich nicht erkennen; (3) sie hat die nationale Katastrophe von 587 im Rücken und bahnt mit den Verheißungen und deren Inhalten Wege aus der Krise; (4) mit Abraham als Einwanderer setzt sie eine gegenüber der neubabylonischen Oberherrschaft veränderte Lage voraus, die erst in der Perserzeit vorstellbar ist. Nachtrag: Zu den Verheißungen sind nach der voranstehenden Untersuchung zwei Arbeiten erschienen, die – von anderen Voraussetzungen ausgehend – ein jeweils anderes Bild zeichnen: C. Levin, Die Väterverheißungen: Eine Bestandsaufnahme, in: F. Giuntoli/K . Schmid (Hg.), The Post-Priestly Pentateuch. New Perspectives on its Redactional Development and Theological Profiles (FAT 101), Tübingen 2015, 125–143; und R. G. Kratz, Die Verheißungen an die Erzväter. Die Konstruktion ethnischer Identität Israels, in: M. G. Brett/ J. Wöhrle (Hg.), The Politics of the Ancestors. Exegetical and Historical Perspectives on Genesis 12–36 (FAT 124), Tübingen 2018, 35–66. Beide haben m. E. die oben mitgeteilten Beobachtungen und Argumente nicht entkräftet. Wer die drei Beiträge liest wird sich sein eigenes Urteil bilden. Deshalb möchte ich hier nur auf drei für mich entscheidende Gesichtspunkte eingehen. Der eine betrifft die ursprüngliche Verbindung zwischen 12,1–3 und 13,14–17, der andere die angebliche Verbindung von 12,1–3 mit der Urgeschichte und der dritte den geistigen und historischen Ort von 12,1–3. (1) Beide Autoren bestreiten eine ursprüngliche Verbindung zwischen 12,1–3 und 13,14–17. Indes: Wer beide Gottesreden verschiedenen Händen zuschreibt, schneidet die einzige Einlösung für die unbestimmte Weisung in 12,1b im Kontext ab; denn nur in 13,14–15 (zweimal )ראהbekommt Abraham das Land zu sehen, das ihn sehen zu lassen Jhwh in 12,1b ( )ראהin Aussicht gestellt hatte; die Amputation verfehlt die erzählerische Strategie vollkommen: Ohne 13,14–15 hängt 12,1b in der Luft. Hingegen geht 12,7 gar nicht auf 12,1b ein und verdirbt mit der vorweggenommenen Verheißung „dieses (!) Land deinen Nachkommen (!)“ der literarischen Brücke von 12,1b zu 13,14–15 die Pointe. 12,7 kann also nicht auf derselben literarischen Ebene liegen, sondern muss jünger sein. Beide gehen davon aus, dass die Gottesrede 13,14–17 nachpriesterlich sei, weil V. 14 auf V. 11 (P) zurückweise. Indes: 13,14 ( )פרדbezieht sich nicht auf V. 11, sondern auf V. 9 ()פרד, der zur vorgegebenen Abraham-Lot-Erzählung gehört. Nach-priesterlich ist in dieser Gottesrede also nichts. Wenn aber 12,1–3 nicht mit 12,7, sondern mit 13,14–15 zusammenhängen, gibt es auch keinen Grund, mit Levin 28,13–15 einer dritten Hand
16. Wie wurden Abraham- und Jakobüberlieferung zur „Vätergeschichte“?
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zuzuschreiben. Dass das Motiv der vier Himmelsrichtungen in 13,14 älter als in 28,14 sei, begründet Levin allein mit einem ästhetischen Urteil Heinrich Ewalds – das ist zu wenig. (2) Für beide ist die erste Gottesrede nicht nur der unverzichtbare Anfang einer Vätergeschichte (dem ich nicht widerspreche), sondern auch „das Scharnier, das Ur- und Vätergeschichte miteinander verbindet“ und die Urgeschichte voraussetze (was ich nicht sehe) – JR (als „Ätiologie des Volkes Israel“) bei Levin, JG (als „Gründungslegende Israels und Judas“) bei Kratz. Dass es in der Vätergeschichte um die Identität Israels geht, steht außer Frage. Fraglich ist jedoch deren schon ursprüngliche Verbindung mit der Urgeschichte. Die Scharnierfunktion von 12,1–3 entnimmt Kratz den „narrativen Verknüpfungen“: Das Land, das Gott in V. 1b Abraham zu zeigen verspricht, mache dem Umherirren (Gen 4) und der Zerstreuung (Gen 11) ein Ende. Indes meint ארץin 12,3 nicht פני האדמה (den Ackerboden) wie in 4,14 oder ( כל הארץdie gesamte Erde) wie in 11,8, sondern einen konkreten Lebensraum, wenn nicht sogar ein politisches Territorium. – Die „große Nation“ in V. 2 ersetze die „Idee von der einen Menschheit“ (11,6). Indes ist גוי גדולetwas völlig anderes als עם אחד. – Der Segen in V. 3 kontrastiere den Fluch in Gen 3; 4 und 9. Indes gilt das in dieser Allgemeinheit für jeden Segen angesichts jedes Fluches. Bedenkenswert wäre der Kontrast nur, wenn er die jeweiligen specifica beträfe. Das ist jedoch nicht der Fall; denn die Daseinsminderungen von Gen 3,16–19 mit dem Fluch über den Ackerboden werden doch auch in 12,1–3 keineswegs aufgehoben. – Das einzige Motiv in 12,1–3, das auf den ersten Blick mit der Urgeschichte verbindet, ist die Verheißung eines „großen Namen“ in V. 2. Der ersetze „den zweifelhaften Ruhm der Heroen“ von 6,4 sowie den von der einen Menschheit erhoffte Ruhm in 11,4. Sicher kann שם גדולauch so etwas wie „Ruhm“ bedeuten. Die Bedeutung hängt nicht nur am Wort als solchem, sondern in nicht geringem Maße auch am Kontext. Der aber ist hier von der Königsideologie geprägt. Das Großmachen des Namens bedeutet in 12,2 das Gegenteil von „den Namen auslöschen“ (1 Sam 24,22 [שם// ;]זרעRuth 4,10; Zef 1,4; bes. instruktiv ist Jes 48,19), im königsideologischen Zusammenhang Dauer und Fortbestand der Dynastie (Ps 72,17 [hier überdies wie in Gen 12,2–3 neben dem Segen der Völker]; 89,37; 2 Sam 7,12, vgl. die Parallelität von Name und Nachkomme in 2 Sam 7,14). All das ist etwas anderes als ein großer Name im Sinne von ruhmvoller Ruf. Überdies spricht einiges dafür, Gen 11,1–9 einem nach-priesterlichen Ergänzer zuzuschreiben; denn die Gliederung der Menschheit in Völker, Sippen und Länder (10,5.20.31 f.) war P bereits vorgegeben. (3) Anders als Levin hält Kratz an der Herkunft von 12,1–3 noch aus der Königszeit fest. Er begründet das unter anderem mit der Vorschaltung der südlichen Väter; denn nicht der Norden werde in den Süden integriert, sondern Abraham als Vertreter der Südstämme den Nordstämmen vorgeschaltet. Indes wäre der umgekehrte Fall gar nicht möglich, weil die Vätertrias den Erzählungen in allen Teilen vorgegeben ist, wie schon Wellhausen gesehen hat. Entscheidend gegen eine Beheimatung der ersten Gottesrede vor 587 sprechen aber die spezifischen Topoi der Verheißung von 12,2–3 und deren Kombination. Sie entstammen allesamt der Königsideologie. Dass derartige ‚Insignien‘ vom König auf das Volk übertragen werden, für das Abraham als Ahn steht, ist m. E. undenkbar, solange das judäische Königtum noch existierte. Es kommt nicht von ungefähr, dass die entsprechenden Kontrastaussagen zu der Verheißung erst in exilischen Texten und später begegnen. Kratz behauptet, die von mir oben unter 6. mitgeteilten Gesichtspunkte träfen „allesamt auch schon auf die Situation des Nordreichs nach 722 zu“ (Anm. 58). Selbst wenn das für das Nordreich zuträfe, wofür es freilich keine Belege gibt, besagt das nichts für die Tradenten und Adressaten von 12,1–3.
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IV. Zur Vätergeschichte
Um dem Einwand mit der königlichen Herkunft der Verheißungsinhalte zu begegnen, bestreitet Kratz diesen traditionsgeschichtlichen Hintergrund von 12,2–3 kurzerhand und verweist statt dessen auf Ex 20,24 und die Inschriften von Khirbet el-Qom und Kuntillet Ajrud als genuine Zeugnisse einer „vorexilischen Segenstheologie“. Indes fehlen in diesen Texten sämtliche Topoi, die gerade das Profil von Gen 12,1–3 ausmachen. Deshalb kommen sie als „traditions- und religionsgeschichtliche[r] Hintergrund“ für diese Gottesrede nicht in Frage. Insofern beweisen sie gerade das, was mit ihrer Hilfe bestritten wird. Ich sehe also nach wie vor keine Möglichkeit, 12,1–3 und eine damit zusammenhängende „Vätergeschichte“ als Literatur zur Bewältigung der Identitätskrise nach 722 oder aus der Königszeit vor 587 zu erklären.
V. Zur Auslegungsgeschichte
17. Wie Augustinus die Bibel liest Abraham in De civitate Dei 1. Zur Auswahl der Texte Als Augustinus während der Belagerung Hippos durch die Vandalen im Jahr 430 am Fieber starb, an den Wänden seines Zimmers die sieben Bußpsalmen vor Augen, hinterließ er ein reiches literarisches Werk, durch das er zum einflussreichsten Kirchenlehrer der Spätantike wurde.1 Viele seiner Schriften sind in theologischen Auseinandersetzungen mit anderen Strömungen in der Kirche entstanden, zunächst mit den Manichäern, dann mit den Donatisten und schließlich mit den Pelagianern. Dabei spielt stets die Auslegung der Bibel eine zentrale Rolle. Doch kann man seine Kunst der Schriftauslegung nicht nur in den zahlreichen polemischen Schriften, sondern mehr noch in umfangreichen Kommentaren zu biblischen Büchern2, darunter auch zum Buch Genesis3, vor allem aber in mehr als 550 erhaltenen Predigten bewundern. Auch die erste umfassende wissenschaftlich fundierte Lehre von der Auslegung der Bibel stammt von ihm.4 Auf Abraham kommt er in seinen Werken häufig zu sprechen. Meist greift er einzelne Textpassagen auf und argumentiert mit ihnen in der jeweiligen Diskussion.5 Sein Verständnis Abrahams und der Texte, die von ihm handeln, kann 1 „Die lat. Theologie ist bis heute nur eine Fußnote zu A.“ (W. Geerlings, Art. Augustinus, in: S. Döpp u. a. [Hg.], Lexikon der antiken christlichen Literatur, Freiburg 1998, 78–98, 96b). 2 Am wichtigsten sind seine Auslegungen der Genesis (De Genesi ad litteram), der Psalmen (Ennarrationes in Psalmos; sie erfolgen ab Ps 19 in Predigten), des gesamten Johannes-Evangeliums (In Iohannis evangelium tractatus, ebenfalls in Predigten) und von Röm 1–7 (Epistolae ad Romanos inchoata expositio) sowie des gesamten Galaterbriefes (Expositio epistulae ad Galatas). 3 Im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit den Manichäern entstanden De genesi adversus Manichaeos (388/390) und De Genesi ad litteram liber imperfectus (393–394). Am wichtigsten sind jedoch der groß angelegte, aber nur die ersten drei Kapitel umfassende Kommentar De Genesi ad litteram (401–414) und die Quaestiones in heptateuchum (419, etwa gleichzeitig mit Buch 16 von De civitate Dei), die Einzelproblemen der Bücher Gen bis Ri nachgehen. 4 De doctrina christiana (Buch 1–3: 396/97, Buch 4: 426/27). K. Pollmann, Art. Doctrina christiana, AugL 2 (2002) 551–975, paraphrasiert den Titel mit „Über die christlich gebotene Methode der Wissensaneignung und -vermittlung“ und zeigt damit, dass das Buch weit mehr ist als eine Methodenlehre (Sp. 552). Augustinus zitiert in 3,30 ausdrücklich das Werk des Tyconius De septem regulis als wichtigen Vorläufer. Schon Origenes hatte in De principiis von der Inspiration der Schrift (4,1) und der rechten Weise gehandelt, ihren mehrfachen Sinn zu erfassen (4,2–3). 5 Drecoll, Art. Isaac, AugL 3 (2010) 746, erwähnt für Abraham ungefähr 2100 Belege, für Jakob 1300 und für Isaak etwa 500 Belege.
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V. Zur Auslegungsgeschichte
also nur aus seinen zahlreich auf uns gekommenen Schriften erschlossen werden. Deshalb müssen wir uns beschränken, wohl wissend, dass keine Auswahl alle Facetten des Bildes erfassen kann, das Augustinus von Abraham zeichnet. Wir beziehen uns vor allem auf sein Hauptwerk De civitate Dei (Vom Gottesstaat). Obwohl Augustins Auslegung hier ganz im Dienst des von ihm verfolgten Grundgedankens vom Kampf der beiden Reiche steht, orientieren wir uns an ihr, weil er nur hier Gen 11,26–25,18 zusammenhängend auslegt. Bei einigen Texten der Abrahamüberlieferung können wir jedoch verfolgen, wie Augustinus exegetisch arbeitet, wenn er nur daran interessiert ist zu verstehen, was geschrieben steht: In den Quaestiones in heptateuchum diskutiert er Probleme, auf die er bei seiner außerordentlich scharfsichtigen Lektüre einzelner Bibelabschnitte gestoßen ist. Wir greifen seine Diskussion zur jeweiligen Stelle auf (qu. 1,25,1 – qu. 1,71). Indes können seine erhellenden Predigten zu Gen 21 (sermo 2) und zu Gen 22 (sermo 3) in diesem beschränkten Rahmen nicht behandelt werden. Die Textgruppen, auf die sich die folgende Untersuchung hauptsächlich stützt, entstanden, nachdem er – wohl zwischen 395 und 397 – Bischof von Hippo geworden war. (Eine Liste der eingesehenen Quellentexte und der im folgenden zitierten Übersetzungen findet sich am Ende des Beitrags.)
2. Hermeneutik und Methodik der Auslegung bei Augustinus in De doctrina christiana 2.1 Voraussetzungen der Schriftauslegung Augustins Augustins Auslegung der Bibel beruht auf Voraussetzungen, die von den meisten Christen seiner Zeit geteilt wurden: 1. Die gesamte Bibel ist Heilige Schrift, durch die Gott gegenwärtig spricht. Menschen, die zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten lebten, haben sie geschrieben. Aber sie alle waren von Gottes Geist inspiriert.6 Deshalb kann das Einzelne als Teil dieses einheitlichen Ganzen verstanden werden, und deshalb erklärt sich die Heilige Schrift durch sich selbst, wenn man sie nur recht liest. 2. Das Alte Testament ist nicht weniger Heilige Schrift als das Neue: Fast alles, was sich im Neuen Testament findet, findet sich auch im Alten Testament (retr. 1,22,2). Dieselben Dinge sind ja freilich im Alten und im Neuen enthalten: dort verhüllt, hier offenbart, dort vorausbezeichnet, hier offenkundig (qu. hept. 4,33,1; vgl. 2,73). Denn was ist der Alte Bund, wie man ihn nennt, anders als die Verhüllung des Neuen, und was anders der Neue, wie man ihn nennt, als die Enthüllung des Alten (civ. 16,26)? 6
Von der späteren Verbalinspiration ist noch keine Rede.
17. Wie Augustinus die Bibel liest
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Allerdings unterscheiden sich beide vielfältig, z. B. in den verheißenen Gütern: Dort sieht man zeitliche vor Augen gestellt, durch die versteckt ein geistlicher Schatz symbolisiert wird; hier hingegen werden ganz offen geistliche und ewige verheißen (qu. hept. 4,33,1).7
3. Um die biblischen Texte recht zu verstehen, muss man freilich beachten, dass sie mehrere Bedeutungsebenen haben: eine buchstäblich- historische und eine geistige. In sämtlichen heiligen Büchern soll der darin verborgene ewige Gehalt ebenso betrachtet werden (quae ibi aeterna intimentur) wie die Geschehnisse, die sie erzählen (quae facta narrentur), die zukünftigen Dinge, die sie voraussagen, ebenso wie die Forderungen und Mahnungen, die sie an uns richten. Gerade bei den Berichten über vergangene Dinge wird sich die Frage stellen, ob alles nur in figürlichem Sinne aufgefaßt werden soll (secundum figurarum tantummodo intellectum accipiantur), oder ob es auch als Tatsache den Glauben zu beanspruchen hat (secundum fidem rerum gestarum adserenda) und dementsprechend zu verteidigen ist (Gen. litt. 1,1,1).8
Verstanden ist ein biblischer Text erst dann, wenn sein geistiger Sinn (intelligentia spiritalis) entdeckt ist. Dazu bedarf es der Hilfe des Hl. Geistes. 4. Mitte der Schrift ist Jesus Christus als das Mensch gewordene Wort Gottes. Ihn verkündet die gesamte Bibel: Wer vermag schon … alle Ankündigungen der Propheten der Hebräer über unseren Herrn und Erlöser Jesus Christus zu erwähnen? Denn alles, was jene Bücher enthalten, ist entweder über ihn oder seinetwegen gesagt worden. Doch … wird dort weitaus mehr durch Allegorien und Symbole teils mit Worten allein mitgeteilt, teils auch als Ereignis erzählt (c. Faust. 12,7). Wir müssen alles auf Christus beziehen, wenn wir den Weg des rechten Verständnisses einhalten wollen …. Bevor jemand zum Verständnis Christi gelangt ist, soll er nicht meinen verstanden zu haben (en. Ps. 96,2).9
2.2 Die Unterscheidung von Sache (res) und Zeichen (signa) Zum genaueren Verständnis der Schriftauslegung Augustins ist ein kurzer Blick in seine Schrift De doctrina christiana nützlich.10 Dort entwickelt er „Regeln für den auslegenden Umgang mit der Hl. Schrift“ (praecepta quaedam tractan7
Zum Verhältnis beider Testamente s. auch W. Gross in: Quaestiones, 290–294. Augustins komplexem Verständnis von Literalsinn und Spiritualsinn der Schrift s. G. Strauss, Schriftgebrauch, Schriftauslegung und Schriftbeweis bei Augustin (BGBH 1), Tübingen 1959, 126–148. 9 Weitere Belege bei G. Madec, Art. Christus, AugL 1 (1994) 864–869. 10 Text: CChr.SL 32; zitiert wird die Übersetzung (mit Anmerkungen und einem Nachwort) von K. Pollmann; zu den Einleitungsfragen der Schrift s. Pollmann, Doctrina, 551–975, aus der zahlreichen Lit. s. nur D. F. Wright, Augustine: His Exegesis and Hermeneutics, in: 8 Zu
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darum scriptarum), damit jeder (!) ihren Sinn erschließen kann (Prol. 1). In den Büchern 1–3 geht er der Frage nach, wie man die Dinge entdeckt (modus inveniendi), die man verstehen muss (Hermeneutik), im Buch 4 widmet er sich der Frage, wie man die Dinge, die man verstanden hat, weitergibt (modus proferendi: Rhetorik). Mit alledem hat Augustinus also mehr im Sinn als lediglich ein Lehrbuch der Methoden; er schreibt in der 396 begonnenen und nach einer langen Pause mit 3,35–4,64 erst 426 fertiggestellten11 Schrift die erste christliche Wissenschaftslehre. Uns interessieren jetzt nur die ersten drei Bücher. In Buch 1 entfaltet Augustinus den Horizont für das hermeneutische Instrumentarium, das dann in den Büchern 2–3 systematisch dargestellt wird. Grundlegend für seine Hermeneutik ist die Unterscheidung zwischen „Dingen“ und „Zeichen“: Jede Lehre/Unterweisung (doctrina) bezieht sich auf Dinge (res) oder Zeichen (signa), aber Dinge werden durch Zeichen gelernt (1,2).
Buch 1 befasst sich mit den res. Dabei unterscheidet er zwischen „Dingen, die man genießen muss ( frui)“, von „Dingen, die man gebrauchen muss (uti)“. Die einen machen uns glücklich, die anderen verhelfen uns dazu. Da frui bedeutet „eine Sache um ihrer selbst willen lieben“ (1,4), ist der dreieinige Gott das „höchste Ding“ oder der „Grund aller Dinge“, der nur genossen und nicht wie andere Dinge zu etwas gebraucht werden kann (1,5.22). Als Summe aller Überlegungen in Buch 1 ergibt sich: Die hl. Schriften zielen alle auf die „Liebe zu der Sache, die man genießen muss“ und die allein Gott ist (1,39). Horizont aller Auslegung ist also die Liebe (caritas) zu Gott und zum Nächsten, die Gott selbst geboten hat. Weil die caritas Gott und die Menschen, Zeit und Ewigkeit verbindet, hat jede rechte Auslegung unter diesem Horizont eine ethische Dimension. Nur diejenigen haben die Bibel verstanden, die durch ihr Verstehen „diese doppelte Liebe zu Gott und zum Nächsten“ aufbauen.12 Die Liebe ist also Grundlage und Ziel der Auslegung. Dieser hermeneutische Zirkel ist unauflösbar. Er wiederholt sich im Verhältnis von res und signa: Die Bibel und was in ihr erzählt wird, ist nicht die Sache selbst (res). Sie sind vielmehr Zeichen (signa), die auf die Sache verweisen. Indes können nur diejenigen die Zeichen verstehen und recht deuten, welche die Sache kennen, die letztlich Gott ist.13
M. Saebo (Hg.), Hebrew Bible/Old Testament The History of Its Interpretation I/1: Antiquity, Göttingen 1996, 701–730. 11 Vgl. retr. 2,4,1 mit 2,30,1. 12 Doctr. chr. 1,40–44 mit implizitem Verweis auf Mt 22,37–40. 13 Vgl. mag. 10,33.
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2.3 Die wörtlich zu verstehenden Zeichen (signa propria) In Buch 2 entwickelt Augustinus seine Lehre von den „Zeichen“14: Ein signum ist eine res, die bewirkt, dass außer ihrer äußeren Erscheinung, die sie den Sinnen einprägt, irgend etwas anderes aus ihm selbst im Nachdenken ausgelöst wird (2,1).
Er verdeutlicht das am Beispiel einer Fährte, bei deren Anblick wir an das Tier denken, das diese Fährte hinterlassen hat. Er unterscheidet zwischen natürlichen und konventionellen Zeichen (signa naturalia … signa data). Unter Menschen sind die wichtigsten konventionellen Zeichen die verba (2,4), in ihrer schriftlichen Gestalt die litterae als Zeichen für Worte (2,5). Allein diesen gilt das weitere Interesse Augustins, weil zu ihnen auch die von Gott gegebenen Zeichen gehören, mit denen Menschen seine Offenbarung in den Schriften des biblischen Kanons aufgeschrieben haben (2,6–13).15 Der Hl. Geist hat dafür gesorgt, dass in den dunklen Stellen der Bibel „fast nichts aufgestöbert“ wird, was in der Bibel „nicht anderswo in klarster Weise ausgedrückt gefunden werden kann“ (2,8.13). Deshalb muss man die dunklen Aussagen von den klaren her erhellen (2,14.30). Damit setzt Augustinus grundsätzlich die Kohärenz der Bibel voraus, so dass die Bibel aus sich selbst erklärt werden kann. Weil sich Gott zwar in den biblischen Texten kundgetan hat, diese aber von Menschen auf menschliche Weise in Menschenworten geschrieben sind, gelten auch für die Bibel die für alle Arten von Texten gültigen Regeln der Auslegung. Augustinus versteht seine Hermeneutik als eine universale. Er entwickelt sein philologisches Programm in zwei Anläufen. Zunächst befasst er sich mit der Erhellung der unbekannten, aber wörtlich zu verstehenden „eigentlichen Zeichen“ (signa ignota propria 2,16–22). 1. Die größte Hilfe, sie zu entschlüsseln, bietet die Kenntnis der Sprachen, in denen die Bibel verfasst ist, und deren Grammatik. Hier nimmt Augustinus das am Literalsinn orientierte Programm des Hieronymus auf. Gerade angesichts der zu seiner Zeit noch großen Anzahl an lateinischen Übersetzungen mit zahlreichen Abweichungen16 kann nur der Rückgriff auf die Originalsprachen nicht nur manche Dunkelheit erhellen, sondern auch offensichtliche Fehler beseitigen (1,16–18). 2. Auch die rechte Lesung und Betonung der Wörter der in scriptio continua geschriebenen Texte muss gefunden werden; denn in nicht wenigen Fällen entscheiden sie über den Sinn (2,19). 14 Zur Zeichenlehre Augustins s. R. Lorenz, Die Wissenschaftslehre Augustins, ZKG 67 (1955/56) 229–239. 15 Augustinus empfiehlt, zunächst nur die kanonisch genannten Bücher zu lesen (wohl des lat. Kanons, der später die Vulgata bestimmt), bevor man sich den übrigen zuwendet (gemeint sind wohl die über den lat. Kanon hinausgehenden Bücher in der Septuaginta). Im NT gehören zu den „kanonischen“ Büchern auch Hebr und Apk, deren Zugehörigkeit zum Kanon damals noch umstritten war. 16 Augustinus stand noch nicht die Vulgata zur Verfügung.
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3. Schließlich hilft oft der Vergleich verschiedener Übersetzungen weiter. Zur Verbesserung der altlateinischen Handschriften sind die griechischen17 nützlich, besonders die der Septuaginta, die er aufgrund der Legende für göttlich inspiriert hält. Auch bei Differenzen zwischen ihr und dem hebräischen Original geht er von der Inspiriertheit beider (!) aus, bei Differenzen zwischen der Septuaginta und den lateinischen Übersetzungen gebührt ihr der Vorrang (2,22). Aus der göttlichen Inspiration ergibt sich auch die Irrtumslosigkeit sowohl des hebräischen Originals als auch der griechischen Übersetzung. Der Vergleich von Handschriften und Übersetzungen hat also nicht den Zweck, der ältesten Textfassung oder gar dem Urtext näher zu kommen, sondern dient offenbar dazu, möglichst viele Sinndimensionen des Textes an den Tag zu bringen. Sodann befasst sich Augustinus mit den „unbekannten, aber übertragen zu verstehenden Zeichen“ (signa ignota translata 2,23–63). Darunter versteht er: Namen jeglicher Art, „Eigenschaften von Lebewesen, Steinen, Pflanzen und anderen Dingen“, die symbolische Bedeutung von Zahlen, Musik und die dazu gebrauchten Instrumente usw. (2,24–26), ohne deren genaue Kenntnis ein Text nicht sachgemäß verstanden werden kann. Dazu verhelfen die verschiedenen nützlichen Wissenschaften, sofern sie die Erkenntnis der Wahrheit fördern, die alle Teilwissenschaften übersteigt. Ihrer muss sich die Auslegung bedienen.18 Besonderen Wert haben diejenigen Wissenschaften, die der Mensch nicht erfindet, sondern vorfindet: an erster Stelle die Geschichtswissenschaft (2,42–44), dann auch die Naturwissenschaft, die Technik, Dialektik, Rhetorik, Mathematik. 2.4 Die mehrdeutigen Zeichen (signa ambigua propria vel translata) Erst wenn die bisher behandelten Möglichkeiten zu keinem sinnvollen Verständnis des biblischen Textes führen, muss man mit den Methoden fortfahren, die in Buch 3 behandelt werden; denn es handelt sich dann um „eigentliche (meint: wörtlich zu verstehende) doppeldeutige Zeichen“ (signa ambigua propria 3,2–8) oder um „übertragen (translata) zu verstehende doppeldeutige Zeichen“ (3,9–56). Im ersten Fall geht es um die richtige Interpunktion, Abtrennung und Aussprache der Wörter, um die sachgemäße Intonation (z. B. bei Fragesätzen ohne Fragewort oder entsprechenden Partikel) und um die Klärung morphologisch oder grammatisch doppeldeutiger Wortformen. Meist helfen der Kontext, ein Vergleich der verschiedenen Übersetzungen oder der Blick in den originalsprachlichen Text weiter. Ist eine eindeutige Klärung nicht möglich, 17 Er hat hier wohl die griech. Versionen der Hexapla des Origenes vor Augen. Augustinus beherrschte Griechisch (in welchem Maß, ist umstritten), aber (anders als Hieronymus) kein Hebräisch. 18 Magie, Astrologie und alle Arten von Aberglauben sind dabei ausgeschlossen.
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muss die regula fidei befragt werden, die wir aus klareren Stellen der Bibel und durch die Autorität der Kirche empfangen haben (3,2; vgl. Gen. litt. 1,21).
Bleiben auch dann mehr als eine Möglichkeit des Verstehens, haben sie alle ihr Recht.19 Dennoch soll derjenige, der die göttlichen Aussagen erforscht, versuchen, zur Aussageabsicht des Autors vorzudringen, durch den der Hl. Geist jene Schrift abfasste (3,38).
Wesentlich schwerer lassen sich die Probleme mit den „übertragen zu verstehenden doppeldeutigen Zeichen“ klären (3,9 ff.). Die größte Gefahr besteht darin, Zeichen, die übertragen verstanden werden müssen, wörtlich zu verstehen, so dass gleichsam der „Geist“ mit dem „Buchstaben“ verwechselt wird (3,9–13). So verkennen die Juden den Zeichencharakter der biblischen Erzählung und halten sie für die Sache selbst, verwechseln also die signa mit der res, während die Heiden ihre Mythen für die Sache halten (3,10–11). Wie kann übertragene oder figürliche Rede (locutio figurata) von eigentlicher (locutio propria) unterschieden werden? Augustin formuliert folgende Regel: Alles, was in der Bibel im wörtlichen Sinn weder auf die Lauterkeit der Sitten noch auf die Wahrheit des Glaubens bezogen werden kann, muss für figürlich gehalten werden (3,14, vgl. 34).
Davon sind die atl. Texte in besonderer Weise betroffen, fanden doch schon die damaligen Leser hier für ihr Empfinden mancherlei Anstößiges.20 Jedoch gilt es zu beachten: 1. „Wenn etwas eindeutig klingt, darf es nicht auf anderes bezogen werden, als ob es gewissermaßen figürlich gesagt worden ist“ (3,17). 2. Nicht alles, was uns anstößig erscheint, war auch damals anstößig. Vieles (wie Jakobs Ehen) muss als zeitbedingt erklärt werden („gemäß der Sitten der Zeit“: 3,20). 3. Allerdings hat alles, was in den hl. Schriften steht, bleibende Bedeutung, weil alles auf die Liebe zu Gott und den Nächsten zielt (1,39), wenn auch nicht in seinem zeitbedingten wörtlichen Sinn. Deshalb müssen alle derartigen Dinge nicht nur historisch und wörtlich, sondern auch figürlich und prophetisch aufgefasst und ausgelegt werden, um jenes Auslegungsziel der Liebe zu erreichen, sei es die zu Gott, sei es die zum Nächsten oder zu beiden (3,20). 19 „Dabei muss freilich der Sinn, den man in dunklen Stellen findet, entweder durch das Zeugnis offenkundiger Tatsachen oder durch andere unzweideutige Schriftstellen bestätigt werden“ (civ. 11,19); zur Vielfalt legitimer figuraler Auslegung einer Stelle vgl. conf. 13,24,36. 20 Augustinus bekennt von sich selbst, wie er sich einst lustig gemacht und entrüstet habe über vieles in der Schrift, weil sein „Sehen mit den Augen nur bis zu Körpern“ und sein „Sehen mit dem Geiste nur bis zu Einbildungen [phantasma] reichte“; auch müsse man bedenken, dass „Gott den Menschen damals und denen heute je andere Weisungen gab, indes doch beide im Dienst der nämlichen Gerechtigkeit stehen“ (conf. 3,7).
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4. Anderes, was uns anstößig erscheint (wie Jeremias Auftrag in Jer 1,10 oder Hoseas Ehe mit einer Dirne in Hos 1), ist „Zeichen einer bedeutenden Sache“, hat also von Hause aus eine figürliche Bedeutung (3,17; 3,18). So muss also „alles oder beinahe alles, was in den Büchern des Alten Testamentes an Taten enthalten ist, nicht nur im eigentlichen Sinne, sondern auch figürlich aufgefasst werden“ (3,32). Im übrigen gilt die schon in Buch 2 aufgestellte Regel, den Sinn dunkler Stellen von den klaren und unverhüllten aus zu verstehen.21 5. Figürlich zu verstehende Worte sind „entweder von anlogen Dingen hergeleitet“ oder von Dingen, die durch andere Gemeinsamkeiten verbunden sind (3,34). 6. Schließlich erinnert Augustinus daran, dass die biblischen Autoren alle möglichen Arten von Tropen gebrauchen, was eigentlich zur Grammatik gehört22 und was natürlich die Auslegung beachten muss: Allegorie, Parabel, Metapher, Katachrese usw. „Deren Kenntnis ist notwendig, um Doppeldeutigkeiten in der Hl. Schrift aufzulösen“ (3,41.91).23 2.5 Figurative bzw. allegorische Auslegung Größte Bedeutung hat die Allegorie. Die von ihr inspirierte allegorische Auslegung der Bibel lernte Augustin als junger noch ungetaufter Lehrer der Rhetorik einst in Mailand durch die Predigten des Ambrosius kennen. Sie eröffneten ihm den Zugang zur christlichen Bibel, die ihm zuvor wegen des schlechten Stils der biblischen Schriften und mancher anstößigen Texte verschlossen war.24 Augustinus kennt aus der Tradition vier Sinnebenen25, unterscheidet aber meist nur zwischen einem wörtlichen oder historischen und einem allegorisch figurativen oder geistigen Sinn. Ihn zu finden, bedarf es einer umfassenden Kenntnis der biblischen Texte. Nur wenn man die Vielfalt der durch wörtliche oder sachliche Ähnlichkeit ermöglichten Verbindungen kennt, kann man die sich daraus ergebenden Deutungen für den Text bedenken, der ausgelegt werden soll, und zwischen mehreren möglichen Allegorien entscheiden. Zuvor muss freilich der wörtliche Sinn ermittelt sein. Im Übrigen grenzen die hermeneutischen Grundregeln von 3,2 die allegorische Auslegung ein.26 21
Vgl. 3,38 mit 2,8.14; 2,9.31. S. o. Buch 2. 23 Als besonders hilfreich empfiehlt Augustinus das Studium des Tyconius, Liber regularum, dessen sieben Regeln er in 3,42–56 kritisch paraphrasiert. 24 Conf. 3,5–7; 6,6–8; 13. 25 In Gn. litt. inp. 2,5 erwähnt er mit Verweis auf griechische Autoren vier Weisen, die Schrift auszulegen: secundum historiam (befasst sich mit den Berichten der Taten Gottes oder der Menschen), secundum allegoriam (klärt figürliche Rede), secundum analogiam (zeigt die Übereinstimmung zwischen Altem und Neuen Testament), secundum aetiologiam (wird angewandt, wenn die Gründe berichtet werden, aus denen etwas gesagt oder getan wird). Zu den Interpretationsregeln vgl. C. Mayer, Art. Allegoria, AugL 1 (1994) 233–239, 236. 26 So will er zwar diejenigen nicht schelten, die jedem in der Bibel geschilderten Ereignis 22
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Der Ansatz bei der Unterscheidung von res und signa ermöglicht es Augustinus, bis zu einem gewissen Grad „die historisch–kritische und die allegorische Bibelauffassung in einem gestuften System zu verbinden“.27 Allerdings entspricht sein Verständnis des literalen oder wörtlichen Sinnes nicht ohne weiteres dem, was wir heute mit einem historisch-kritischen Textverständnis meinen.
3. Abraham in De civitate Dei De civitate28 ist zwischen 412 und 426 unter dem Eindruck der Eroberung Roms 410 durch die Westgoten entstanden. Mit diesem Werk in 22 Büchern tritt er der Behauptung entgegen, die neue Religion des Christentums sei schuld an dieser Katastrophe. Zum ersten Mal in der Antike wird hier die Weltgeschichte nicht als ein sich immer wiederholender Kreislauf beschrieben, sondern als ein sich verschärfender Konflikt zwischen dem Reich Gottes und dem Reich der Welt. Beide Reiche treten erstmals in Kain und Abel in Erscheinung (civ. 15,1.5). Die Weltgeschichte läuft in sechs Perioden von Adam an auf das göttliche Endgericht zu. In ihr geben prophetische Zeichen Orientierung. Im Erscheinen Christi ist die letzte Periode angebrochen. Mit Abraham, von dem im 16. Buch die Rede ist, tritt der Gottesstaat deutlicher in Erscheinung als in den beiden Epochen zuvor; wir lesen von „unmissverständlicheren Verheißungen Gottes, die wir jetzt in Christus sich erfüllen sehen“ (civ. 16,12). In den Kapiteln 12–34 geht Augustinus die biblische Abrahamüberlieferung von Gen 11 bis 25 vornehmlich in dieser Perspektive durch.29 3.1 Terachs Familie (Gen 11,26–32 in civ. 16,12–13) Anders als ein Zweig der jüdischen Tradition30 geht Augustinus davon aus, dass sich allein im Haus Terachs die Verehrung des einen Gottes31 und die Ureinen geistigen Sinn abgewinnen, „vorausgesetzt dass sie an der zunächst feststehenden geschichtlichen Wahrheit nicht rütteln“ (civ. 17,3). 27 Pollmann, im Nachwort ihrer Übersetzung von doctr. chr. (S. 285). 28 Dazu s. G. J. P. O’Daly, Ciuitate dei, AugL 1, Basel 1994, 969–1010. 29 Wir folgen dem Text in CChr.SL 47–48 und zitieren die Übersetzung von Thimme in der Ausgabe der BAW. – Der zur Verfügung stehende Platz zwingt zur Beschränkung. Deshalb können die intensiven Diskussionen der biblischen Datierungen (bes. civ. 16,13–16; qu. hept. 1,25,1–3), die Augustins Interesse am Literalsinn belegen, nicht behandelt werden. 30 ApkAbr 1–8 (um 70 n.) erzählen von Abrahams Vater Thare, der mit der Herstellung von Götzenbildern sein Brot verdient, und wie der noch junge Abraham in verschiedenen Experimenten mit diesen Figuren erkennt, dass sie vollkommen nutzlos sind. Auch in Jub 12,17–19 und bei Philo (Abr, 68–89) gelangt erst Abraham zur Erkenntnis des wahren Gottes. Zu beiden M. Köckert, Abraham. Ahnvater – Vorbild – Kultstifter (BG 31), Leipzig 2017, 301–307.316–324. 31 Das erinnert an LibAnt 4,11–16.
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sprache der Menschheit vor dem Turmbau, die nach dem Stammvater Heber „Hebräisch“ genannt wird, erhalten haben (civ. 16,3.12).32 Jedoch hat Abraham seine ererbte Sprache33 nicht an alle seine Söhne weitergegeben, sondern „nur an die, welche durch Jakob fortgepflanzt wurden und … zum Volk Gottes heranwuchsen“ (civ. 16,11). Mit dieser merkwürdig anmutenden Theorie trägt Augustinus der Erfahrung Rechnung, dass die verschiedenen Völker verschiedene Sprachen sprechen, das Gottesvolk aber die von der Strafe der Sprachverwirrung in Gen 11 nicht berührte Ursprache vor der Flut. Allein Abrahams Vaterhaus wurde also „zur Pflege der Pflanzung des Gottesstaates erhalten“. Weil es von den Chaldäern Verfolgung erdulden musste, gebot ihm Gott nach Kanaan auszuziehen, wie Augustinus aus Jdt 5,4 schließt. Nahor scheint sich dagegen „dem Aberglauben der Chaldäer ergeben“ zu haben; denn weder er noch seine Frau Milka wird bei denen erwähnt, die wie Lot und Sara mit Terach auszogen (civ. 16,13).34 Mit diesen Überlegungen bleibt Augustin ganz auf der Ebene des Literalsinns und folgt dem in der Antike gängigen Verfahren, die Leerstellen eines Textes auszufüllen, um aus dem Text sich ergebende Fragen oder Spannungen kohärent zu klären. Anders verfährt er mit der Spannung zwischen Act 7,2 (Gottes Auszugsbefehl ergeht in Mesopotamien, aber noch vor Abrahams Ankunft in Haran)35 und Gen 12,1 (Gottes Befehl ergeht nach Terachs Tod in Haran). Die löst er in civ. 16,15 auf allegorische Weise, indem er den Auszug auf das Losreißen der Seele deutet, die bis Gen 12,1 noch hoffte, wieder in die Heimat zurückkehren zu können. 3.2 Die Verheißungen (Gen 12,1–3; 12,7; 13,14–17; 15,4–5; 22,15–18 in civ. 16,16.18.21.32) Augustinus ordnet sie in drei Gruppen: Die einen nehmen Irdisches in den Blick, das sich in der Vergangenheit erfüllt hat, die anderen Himmlisches, dessen Erfüllung bei ihrem Ergehen noch ausstand, und wieder andere beides (civ. 17,2–3). Die Verheißungen der dritten Gruppe spielen in den erzählenden Büchern der Bibel die größte Rolle, stellen aber vor die besondere Schwierigkeit, zu klären wie das, was von Abrahams Samen nach dem Fleisch geschichtlich vorhergesagt und erfüllt ward, sinnbildlich als noch zu erfüllende Weissagung auch von dem Samen Abrahams dem Glauben nach gilt (civ. 17,3). 32 Weil die Sprachverwirrung nur die Gottlosen getroffen hat, Heber aber als Ahn der Hebräer unmöglich gottlos gewesen sein kann, muss die Ursprache der Menschheit vor Gen 11 Hebräisch gewesen sein (civ. 16,11). 33 Abraham musste also nicht erst Hebräisch lernen wie in Jub 12,26. 34 Augustinus identifiziert Sara mit Jiska (Gen 11,29), der zweiten Tochter Harans. 35 Zu den damit verbundenen schwierigen chronologischen Fragen s. auch die ausführlichen Überlegungen in qu. hept. 1,25,3.
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Augustinus rät, man könne jedem der geschilderten Ereignisse einen geistigen Sinn abgewinnen, vorausgesetzt, man rüttelt nicht „an der zunächst feststehenden geschichtlichen Wahrheit“, erst recht natürlich bei dem, „was nicht zutreffen kann“. In Gen 12,1–3 und Gen 12,7 bezieht sich das verheißene Land auf das große Volk als den „fleischlichen Nachkommen“ Abrahams, also auf Israel. Aber die Verheißung „In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden“ (12,3b) gilt seinen „geistlichen Nachkommen“. Durch sie ist er der Vater aller Völker geworden, „die seinen Glaubensspuren folgen“ (civ. 16,16). Diese Völker sind für Augustinus die christlichen, weil „auch sie Abrahams Nachkommen“ sind (civ. 16,21) und weil die Verheißung des Segens sich nur in Christus erfüllt hat (civ. 16,28). In Gen 13,14–17 bezieht sich „das Land, das du siehst“, nicht nur auf das, was Abraham im Moment sehen kann36, sondern auf ganz Kanaan. Dazu argumentiert Augustinus mit dem Kontext: Gott befiehlt Abraham, das Land in seiner Länge und Breite abzuschreiten.37 Diese Landverheißung hat sich an „Abrahams Nachkommen dem Fleische nach“ erfüllt. Die Formulierung der Mehrung der Nachkommen „wie Staub der Erde“ deutet er als Hyperbel, die nicht wörtlich, sondern übertragen verstanden werden muss; sie bezieht die „umfangreichere Nachkommenschaft dem Glauben nach“ mit ein.38 Gen 15,4–5 gelten dem leiblichen Erben, über den Abrahams Nachkommen so zahlreich wie die Sterne werden sollen. Hier will Augustinus mehr noch als in 13,16 „an eine Nachkommenschaft“ denken, „die zu himmlischem Glück erhöht sein wird“ (civ. 16,23). Die letzte39 Verheißung ergeht als Gottesschwur aus Engelmund, nachdem Abraham sein Vertrauen im Gehorsam erwiesen hat (Gen 22,15–18). Augustinus versteht sie „nach dem auf Christus hinweisenden Opfer“ als Bekräftigung der Verheißung, in den Nachkommen Abrahams so zahlreich wie die Sterne des Himmels und der Sand am Meer „würden die Heidenvölker berufen werden“ (civ. 16,32). 3.3 Abraham mit Sara in Ägypten (Gen 12,10–20 in civ. 16,19; qu. hept. 1,26) Schwierigkeiten bereitet Abrahams Zug nach Ägypten; denn diese Erzählung trübt das Bild eines vorbildlichen Gerechten. Muss man nicht die Lüge, Sara sei seine Schwester, als Ausdruck von Schwachheit im Glauben ansehen? Die manichäischen Gegner wiesen genüsslich darauf hin, um das AT zu disqualifizieren. 36
Es heiße ja auch nicht: „so viel vom Land, wie du siehst“ (qu. hept. 1,28). Qu. hept. 1,28 mit Verweis auf Gen 13,17. 38 Vgl. civ. 16,21 mit qu. hept. 1,28. 39 Zu Gen 17 s. u. 3.6. 37
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V. Zur Auslegungsgeschichte
Augustinus verteidigt Abraham mit dem ethischen Grundsatz, ein Mensch dürfe Gott nicht versuchen, solange er die Möglichkeit hat, etwas selbst zu tun.40 Er argumentiert allein auf der Ebene des Literalsinnes mit dem Hinweis auf Gen 20,12 und deutet Abrahams Vorsichtsmaßnahme als Gottvertrauen: Er verschwieg seine Ehe, ohne sie zu leugnen, überließ es Gott, die Keuschheit seiner Gattin zu schützen, und wich menschlichen Nachstellungen aus (civ. 16,19).
Hätte er anders gehandelt, „hätte er Gott mehr versucht als seine Hoffnung auf ihn gesetzt“. So aber tat Gott selbst, was Abraham nicht tun konnte: Gottes Hand schlug Pharao, „damit er sie dem Mann unberührt zurückgebe“ (qu. hept. 1,26). Doch war Sara tatsächlich unberührt geblieben? Schon Hieronymus hatte diesen Verdacht mit dem Hinweis auf die in Est 2,12–13 geschilderte Praxis zu entkräften versucht: Jede Frau, die dem König gefiel, wurde vor ihrer Begegnung zweimal sechs Monate mit verschiedenen Ölen und Essenzen gesalbt.41 Augustinus nimmt dieses Argument auf und schließt daraus (und aus Gottes Intervention) auf Saras Unberührtheit.42 3.4 Abraham und Melchisedek (Gen 14,18–20 in civ. 16,22) In der Gabe von Brot und Wein erscheint in Gen 14,18 erstmals „das Opfer, das jetzt [im Sakrament der Eucharistie] von den Christen auf dem ganzen Erdkreis Gott (!) dargebracht wird“ (civ. 16,22).43 Mit Hebr 7 deutet Augustinus das Priestertum Melchisedeks auf das ewige Priestertum Christi. Mit ihm trat ans Licht, was „durch jene Schatten vorgebildet wurde“. 3.5 Abrahams Glaube und der Bund zwischen den Stücken (Gen 15 in civ. 16,23–24; qu. hept. 1,30) Augustin argumentiert ganz in der Tradition von Röm 4,10: Wie Abraham in Gen 15,6 als noch Unbeschnittener glaubte, so sind auch die Heiden ohne Beschneidung „zum Glauben an Christus zuzulassen“, damit sich die Beschneidung nicht rühme (civ. 16,23). Auf die Verheißung des Landes antwortet Abraham in V. 8 mit einer Frage. Sie ist keineswegs Ausdruck des Misstrauens, war ihm doch soeben sein Glaube zur 40 So in c. Faust. 22,35 (bei T. Heither/C . Reemts, Abraham [Biblische Gestalten bei den Kirchenvätern], Münster 22009, 345). 41 Qu. hept. 1,26. 42 Vgl. damit wiederum Gen 20,6. Saras Unberührtheit war besonders wichtig, weil es sich um die Ahnmutter des erwählten Volkes handelt. 43 Das Verständnis dieser Formulierung wird durch civ. 10,6.20 erhellt: Opfer können nur Gott dargebracht werden. Das Opfer der Christen ist: „‚Die vielen ein Leib in Christo!‘ Die Kirche aber feiert es auch in dem den Gläubigen bekannten Sakrament des Altars, wo ihr vor Augen gestellt wird, daß sie in dem, was sie darbringt, selbst dargebracht wird.“
17. Wie Augustinus die Bibel liest
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Gerechtigkeit angerechnet worden, auch lautete seine Frage nicht: „‚Wie soll ich das erkennen?‘ als ob er’s noch nicht glaubte, sondern ‚Woran …?‘“ Augustinus deutet sie als Verlangen, was er glaubte, möchte in der Art, wie es erfüllt werden sollte, durch ein Sinnbild verdeutlicht werden.44
Das folgt denn auch sogleich mit den Tieren in V. 9–11, die entsprechend allegorisch ausgelegt werden. Diese allegorische Deutung der ‚Opfertiere‘ auf das künftige Geschick des Volkes erscheint uns heute als willkürlich. Augustin vermutet, dass mit der Kuh das Volk „unter dem Joch des Gesetzes“, mit der Ziege „dasselbe Volk in seiner zu erwartenden Sündhaftigkeit“ gemeint seien, dreijährig sollen die Tiere sein, weil es drei Epochen sind „von Adam bis Noah, von da bis Abraham und von da bis David“. Er hält freilich auch andere Deutungen für möglich. Auch die „sinnbildliche“ Deutung der Feuerflamme, die durch die gehälfteten Tiere zieht, befremdet uns.45 Augustinus deutet sie als Hinweis darauf, dass „am Ende der Welt die fleischlich Gesinnten durchs Feuer gerichtet werden“ (civ. 16,24). Diese Tiere weisen auf die fleischlich Gesinnten, weil sie zerteilt, also „zwiespältig“ sind. Abrahams Furcht (Gen 15,12) bildet die Drangsal des Gottesstaates beim Nahen des Weltendes ab. Auf das Endgericht deute schließlich das Feuer. So wird das Gesicht Zug um Zug „gedeutet“. Von all diesen Deutungen ist die der 400 Jahre Fremdlingschaft auf den Aufenthalt der Nachkommen in Ägypten die sicherste. Auch hier bemüht sich Augustinus redlich, die verschiedenen Möglichkeiten der Berechnung46 zu erhellen, um am Ende mit Recht festzustellen: „Vierhundert Jahre sind hier übrigens als runde Zahl aufzufassen. In Wirklichkeit waren es ja etwas mehr“, nämlich 430 Jahre, wie er Gal 3,17 entnimmt. Schon im hellenistischen Judentum galt Abraham als Weiser, ja geradezu als Philosoph, der tugendhaft ist und von keinen Leidenschaften übermannt wird.47 In der Stoa gebildete Christen und Heiden nahmen deshalb nicht nur an mora44 Augustinus war mit seinem Verständnis der Frage weiter als manche moderne Ausleger, die ihre Fehldeutung der Frage als Argument für die Zuweisung von V. 7 an eine andere Hand als V. 6 gebrauchen. Augustinus führt als Analogie Marias Frage nach der Ankündigung ihrer Schwangerschaft in Mt 1,34 an: Dass sie nach der Engelbotschaft schwanger werden würde, stand für sie fest; „sie fragte nur nach der Weise, wie es geschehen werde“. Zum gegenwärtigen Stand der Exegese von Gen 15: M. Köckert, Gen 15: Vom Urgestein der Väterüberlieferung zum „theologischen Programmtext“ der späten Perserzeit, ZAW 125 (2013) 25–48, und die dort genannte Lit. [jetzt in diesem Bd. Nr. 4]. 45 Zum Ritus als Schwurhandlung s. L. Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament (WMANT 36), Neukirchen-Vluyn 1969, 73–77. 46 In qu. hept. 2,47 stellt er fest, dass man verschiedene Berechnungen findet, die davon abhängen, ob man den gesamten Aufenthalt der Söhne Jakobs in Ägypten berechnet oder lediglich die Zeit der Bedrückung, die ja erst nach Josefs Tod begann. 47 Man sehe nur Philo, Abr., und Josephus, Ant. (zu beiden Köckert, Abraham, 316–332).
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lisch Bedenklichem Anstoß, sondern auch an der „großen Furcht“, die Abraham in Gen 15,12 überfällt. Deshalb geht auch Augustinus in qu. hept. 1,30 darauf ein. Als hochgebildeter Philosoph und Theologe argumentiert er in dieser Sache mit dem Bildungsgut, welches er bei jenen Adressaten als bekannt voraussetzen kann. Er zitiert aus dem Gedächtnis eine Beispielgeschichte aus den Attischen Nächten des Gellius48 mit der Pointe, Leidenschaft liege nur dann vor, „wenn der Verstand derartigen Gemütsbewegungen nachgibt“. 3.6 Der Bund der Beschneidung (Gen 17 in civ. 16,26–28; qu. hept. 1,32–33) Seine große Bedeutung für Augustinus kann man schon daran erkennen, dass er ihm drei Kapitel widmet. Mit ihm treten die Verheißungen „deutlicher“ hervor (civ. 16,26). Denn sie beziehen sich nicht etwa auf Israel, sondern „auf die Berufung der [Heiden-] Völker in Isaak“. Der ist ein „Sinnbild der Gnade“, weil er nicht auf natürliche Weise gezeugt wurde, sondern durch Gottes Wirken an „einem Greis und an seiner unfruchtbaren alten Frau“. Die Beschneidung am Fleisch hat ihren geistigen Sinn in der Wiedergeburt. Deshalb wird die Beschneidung (Gen 17) vor der Verheißung des Sohnes (Gen 18) angeordnet, weil die Gnade in Zukunft „nicht durch Geburt, sondern durch Wiedergeburt“ in der Taufe vermittelt werden soll. Die Beschneidung nicht nur der Söhne, sondern auch aller zum Haus gehörenden Sklaven zeigt an, dass „diese Gnade sich auf alle Menschen erstreckt“. Wie die Beschneidung die erneuerte Natur bedeutet, so deutet ihre Durchführung jeweils am achten Tag auf das neue Zeitalter. Das begann am Ostermorgen, als Christus „nach Ablauf der Siebentagewoche, also nachdem der Sabbat vergangen war, auferstand“. Auch die Änderung der Namen Abram in Abraham und Sarai in Sara verkündet das Neue, das Gott mit Christus ins Werk setzt, kurz, alles verkündet Neuheit, und man sieht, wie im Alten Bunde der Neue abgeschattet ist (in testamento vetere obumbratur novum civ. 16,26).
Das gilt vor allem für Abraham, dessen neuer Name in Gen 17,4 als „Vater vieler Völker“ gedeutet wird. Deshalb erfülle sich jetzt die Verheißung von vielen Völkern und Königen, die aus Abraham (so Augustinus) und Sara (so MT) hervorgehen werden (Gen 17,16), in Christus (civ. 16,28).49 Dabei hat er die Christianisierung der römischen Welt vor Augen.
48
19,1, nachgewiesen bei Gross, Quaestiones, 125. qu. hept. 1,32 überlegt er vorsichtig, ob man diese Verheißung – weil sie doch „bezüglich irdischer Reiche nicht eingetroffen ist“ – „von der Kirche verstehen soll oder ob es wegen Esau auch dem Buchstaben nach eingetroffen ist“; denn Gen 36 zählt „Fürsten“ und „Könige“ aus Esaus Geschlecht auf. Eine Deutung auf die Stämme Israels und Judas und deren Könige oder Führer zieht er nicht in Erwägung. 49 In
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Andere Züge des Textes werden ganz auf der Ebene des Literalsinnes gedeutet. So ist Abrahams vieldeutiges Lachen in Gen 17,17, das den Auslegern Schwierigkeiten bereitet, nicht etwa Ausdruck des Misstrauens, sondern „das Frohlocken des Glücklichen“; und seine gleichfalls mehrdeutigen Gedanken – ein Hundertjähriger soll von einer Neunzigjährigen noch ein Kind bekommen – quellen „nicht aus einem zweifelnden, sondern staunenden Herzen“. Die Entscheidung für dieses Verständnis wird nicht eigens begründet, erklärt sich aber wohl aus dem Gesamtbild Abrahams als glaubenden Gerechten in Gen 15,6 und dessen Aufnahme durch Paulus in Röm 4. Augustinus fragt, in welchem Sinne der verheißene Besitz des Landes in Gen 17,8 „ewig“ (aeterna) genannt wird, „obgleich er den Israeliten doch auf Zeit (temporaliter) gegeben ist“50, wie in römischer Zeit vor aller Augen lag. Müssen wir hier „eine geistliche Verheißung heraushören“, mit der „etwas tatsächlich Ewiges bezeichnet wird“, oder handelt es sich um „eine idiomatische Ausdrucksweise“ für etwas, dessen „Ende man nicht festlegt“? Augustinus klärt die Frage philologisch durch einen Übersetzungsvergleich51: Das lat. aeterna ist die Übersetzung des in der Septuaginta hier gebrauchten und von dem gr. Wort αἰῶν („Weltzeit“) abgeleiteten Adjektivs αἰώνιον („weltzeitlich“). Gemeint ist also nichts tatsächlich Ewiges, sondern ein Besitz, der bis zum Ende dieses Weltzeitalters dauert.52 Hätte der Übersetzer das lat., von saeculum („Zeitalter“) abgeleitete Adjektiv saeculare („zeitaltrig“) gebraucht, wäre das Missverständnis unausweichlich gewesen, es handle sich bei dem Besitz des Landes um etwas, das „rasch vorübergeht“. In qu. hept. 1,31 belegt er den idiomatischen Gebrauch des Wortes „ewig“ mit einem Horaz-Zitat. Er fügt aber sofort hinzu, er tue das nur, weil hier allein der Gebrauch eines Wortes in Frage steht; sind doch jene Schriftsteller uns (lediglich) Urheber von Worten, nicht von Sachen oder Urteilen,
über die nur die Heiligen Schriften befinden können. Damit trägt er seiner Unterscheidung von res und signa Rechnung.53 Ein weiterer Anstoß liegt darin, dass „die Seele eines jeden ausgerottet wird“, der am achten Tage unbeschnitten bleibt, hat doch nicht der kleine Knabe „meinen Bund gebrochen“ (Gen 17,14), wenn die Eltern „nicht für seine Beschneidung sorgten“ (civ. 16,27). Augustinus versteht unter „dessen Seele (anima) ausrotten“ nicht einfach den Vollzug der Todesstrafe, sondern den Verlust der Seele.54 Während der hebr. Text in Gen 17,14 von ( )הנפש ההואspricht 50 Vgl.
qu. hept. 1,31 mit civ. 16,26. Er wendet hier seine Regel aus doctr. chr. 2,21 f. an. 52 Diese Deutung in civ. 16,26 widerspricht allerdings jener als idiomatische Redeweise in qu. hept. 1,31. 53 Doctr. chr. 1,2; 2,1. 54 Er spricht im letzten Satz von Kap. 27 nicht von sterben o. ä., sondern davon, dass „die Seele (anima) eines unbeschnittenen Kindes … verlorengeht“. 51
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V. Zur Auslegungsgeschichte
und damit „dieses Leben“ oder „diese Person“ meint, die ausgerottet werden soll, führt die lat. Übersetzung mit anima Augustinus auf eine andere Fährte: Er denkt offenbar an den ewigen, nicht an den zeitlichen Tod. Sodann bezieht er den Bruch des Bundes nicht auf den „Bund der Beschneidung“, sondern auf den ersten, „mit dem ersten Menschen geschlossenen Bund“, der in dem Verbot bestand, vom Baum der Erkenntnis in Gottes Garten zu essen (Gen 2,17). In die Ursprungssünde (peccatum originale) der Übertretung dieses Verbots sind alle Menschen verstrickt, weil alle Nachfahren Adam und Evas sind. Deshalb deutet Augustinus den Bundesbruch von Gen 17,14 als Hinweis auf die „Erbsünde“. Weil jeder Mensch als Sünder geboren wird, bedarf jeder der Gnade der Wiedergeburt, auf welche die Beschneidung hinweist.55 Deshalb paraphrasiert er V. 14 so: Wer nicht wiedergeboren wird (qui non fuerit regeneratus), dessen Seele soll ausgerottet werden aus ihrem Volk (interibit anima illis de genere eius).
Wie die Beschneidung das Zeichen des Alten Bundes (signum regenerationis) war, ist die Taufe das Zeichen des Neuen. Mit dem Stichwort „Wiedergeburt“ (regeneratio) spielt Augustinus darauf an, ohne die Taufe ausdrücklich zu nennen.56 3.7 Abraham und Sara, Hagar und Ismael (Gen 16; 21 in civ. 16,25; qu. hept. 1,53–54) Die Verbindung Abrahams mit Saras Sklavin Hagar fordert die exegetische Kunst Augustins heraus, hatten sich doch die Manichäer mit derlei moralischen Zweideutigkeiten gegen das AT munitioniert. Sind diese Selbsthilfe Saras und Abrahams Einwilligung nicht Ausdruck tiefen Unglaubens in Gottes soeben erneuertes Versprechen, dem kinderlosen Paar einen Erbsohn zu schenken (Gen 15,4–5)? Diesen Vorwurf suchte Augustinus gegen Faustus mit der Vermutung zu entkräften, Abraham habe gemeint, Gott wolle auf diese Weise seine Verheißung erfüllen.57 In civ. 16,25 erklärt er wortreich, dass in diesem Verhältnis weder zuchtlose Leidenschaft oder gar sträfliche Schamlosigkeit noch Liebe im Spiel gewesen sei, sondern allein Saras Kinderwunsch. Er ist voller Verständnis für die Not Saras, deren Unfruchtbarkeit es unmöglich macht, auf natürliche Weise zu Kindern zu kommen. Überdies verhält sich das Ehepaar doch so, wie Paulus in 1 Kor 7,4 bestimmt, was Augustinus ausdrücklich zitiert. Kurz: „Beide suchen nicht schuldbefleckten Genuss, sondern naturverliehene Frucht“. Abraham war „nicht sklavischer Liebhaber, sondern freier Erzeuger“; denn 55 Zur gegenwärtigen Auslegung von Gen 17 s. M. Köckert, Gottes „Bund“ mit Abraham und die „Erwählung“ Israels in Genesis 17 (2015), in diesem Bd. Nr. 8 (mit Lit.). 56 In diesem Licht gelesen, schärft Gen 17,14 die Heilsnotwendigkeit der Taufe ein. 57 So c. Faust. 22,32 (bei Heither/R eemts, Abraham, 91).
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bei ihm hieß es: Willig, nicht gierig, hingegangen, aber nicht angehangen, Samen gespendet, aber keine Liebe verschwendet (civ. 16,25).
Als sich Hagar, schwanger geworden, über ihre Herrin erhebt und Sara Klage gegen ihre Sklavin führt, erweist sich Abrahams „Keuschheit“ aufs Neue, indem er Sara freie Hand lässt. Am Ende lässt Augustinus seiner Bewunderung freien Lauf: Ja, das war ein Mann, der männlich mit Frauen umging, mit der Gattin sittsam, mit der Magd fügsam, mit beiden genügsam (civ. 16,25).
Allerdings hat die Entlastung Abrahams von jeder Lust ihren Preis: Er und Sara benutzen Hagar nur als Mittel zum Zweck, was Augustinus genauso übergeht wie die kleinen Signale im Text, die Missbilligung erkennen lassen. Er füllt die Leerstellen der Erzählung ganz im Sinne einer von vornherein feststehenden Entlastung Abrahams. Die Vertreibung Hagars und Ismaels in Gen 21,8–21 versteht Augustinus auf dem Hintergrund von Gal 4 als Gleichnis der beiden Testamente, des Alten und des Neuen, dargeboten, indem Sara die Gestalt des oberen Jerusalem, nämlich des Gottesstaates, verkörpert (civ. 16,31).
Doch er übersieht auch nicht die Schwierigkeiten, die diese Erzählung aufmerksamen Leser bereiten und stellt scharfsinnige Fragen: (1) Warum gibt Abraham weder am Tag der Geburt noch an dem der Beschneidung, sondern erst am Tag der Entwöhnung ein Festmahl?58 Er antwortet, der ungewöhnliche Termin59 weise auf dessen rein „geistliche Bedeutung“ (significatio spiritalis) hin. Die findet Augustinus, indem er – wie in doctr. chr. empfohlen60 – mit dem klaren Text 1 Kor 3,2–3 den dunklen erhellt: Es kann nur die „große Freude über das geistliche Alter sein, wenn ein neuer geistlicher Mensch (homo novus spiritalis) erschaffen worden ist“ (qu. hept. 1,50). (2) Warum war Abraham traurig (contristatus), als er Saras Forderung hörte: „Verstoße die Magd und ihren Sohn; der Sohn der Magd wird (non enim erit [!]) nämlich nicht Erbe sein mit meinem Sohn Isaak“?61 Er antwortet, es handle sich bei Saras Begründung um eine Prophezeiung, die Abraham gewiss besser kennen musste als Sara. Er hält zwei Antworten für möglich: Entweder spreche Sara aufgrund einer zuerst an sie ergangenen Offenbarung, die Abraham – in V. 11 noch von „seiner väterlichen Zuneigung zu seinem Sohn bewegt“ – erst später, nämlich in V. 12 erhält. Oder Sara habe dies, „ohne es zu verstehen, prophetisch gesprochen, da sie weiblicher Zorn wegen der Überheblichkeit ihrer Magd 58
Qu. hept. 1,50 (zu Gen 21,8). Die Entwöhnung wird in der Bibel nur wenige Male erwähnt, ist aber bis auf Gen 21,8 nie mit einem Festmahl verbunden. 60 S. doctr. chr. 2,8.14; 2,9.31; 3,38. 61 Qu. hept. 1,51 zu Gen 21,10. 59
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V. Zur Auslegungsgeschichte
bewegte“. In beiden Antworten legt Augustinus einmal mehr eine der Möglichkeiten aus, die nur die ihm vorliegende lat. Übersetzung62 bietet. Während im hebr. Text von 21,10 לא+ PKLF steht, womit starke Verbote (Prohibitive) ausgedrückt werden, steht das verneinte Futur im Lat. zwar auch für Verbote, aber mehr noch für in der Zukunft verneinte Handlungen, also auch für Prophetie künftiger Ereignisse.63 Augustinus zieht diese zweite Möglichkeit vor. Wäre er des Hebräischen mächtig gewesen, hätte er sich gewiss für die erste entschieden, zumindest aber das von ihr nahegelegte Verständnis diskutiert. (3) In Gen 21,12–13 werden zunächst Isaak, sodann Ismael als Abrahams Same/Nachkomme (semen, )זרעbezeichnet. Was bedeutet dann: „In Isaak wird dein Same genannt werden“?64 Der Wortsinn ist klar: Nur die über Isaak laufende Linie der Nachkommen hat Teil am Erbe Abrahams. Aber Augustinus will – ohne es in civ. 16,3265 ausdrücklich zu sagen – mehr, er will die Christen als legitime Kinder Abrahams erweisen. Dazu bemüht er Paulus (Röm 9,7–8) und unterscheidet zwischen „Kindern nach dem Fleisch“ (wie Ismael) und „Kindern der Verheißung“ (wie Isaak aufgrund von Gen 18,10).66 Allein diese werden als Same anerkannt. Er folgert daraus: Wenn die Verheißung über Abrahams Nachkommen alle Völker einschließt (wie er aus Gen 18,18; 22,18 entnimmt), kann sie sich nur auf den Sohn der Verheißung beziehen (qu. hept. 1,52). Zu denen gehören für ihn die Christen; denn wie sich Isaak allein der Verheißung verdankt, so werden auch die Kinder der Verheißung „durch den Ruf der Gnade in Christus gesammelt“ (civ. 16,32). (4) Wer Gen 21,14 liest, fragt sich, wie Abraham der Hagar „einen so großen Knaben67 auf die Schulter legen konnte“ (qu. hept. 1,53). Augustinus argumentiert rein philologisch, indem er das Verb „er gab“ vor dem Objekt „und das Kind“ wiederholt, so dass Abraham die Brote und den Schlauch mit Wasser nahm, diese ihr auf die Schultern legte, und außerdem das Kind (an die Hand) gab.68 Das ist auch im nicht eindeutigen hebräischen Text die wahrscheinlichste Lösung.69 62
Auch die Vulgata hat das Futur: non enim erit heres filius ancillae cum filio meo Isaac. Darauf macht Gross, Quaestiones, 140 f., aufmerksam. 64 Quaest. hept. 1,52 und civ. 16,32. 65 Er kann in civ. 16,32 darauf verzichten, weil er schon in civ. 15,2 mit Hilfe von Gal 4 ausführlich dargelegt hat, wie Hagar und Ismael Vorbild des irdischen, Sara und Isaak Vorbild des himmlischen Staates sind: „Bürger des Erdenstaates gebiert die durch Sünde verderbte Natur, Bürger des himmlischen Staates dagegen die Gnade, die die Natur von Sünde erlöst. Darum werden jene ‚Gefäße des Zornes‘, diese ‚Gefäße der Barmherzigkeit‘ genannt. Dasselbe ist in den beiden Söhnen Abrahams angedeutet.“ 66 Civ. 16,32 und qu. hept. 1,52. 67 Ismael muss – folgt man der Priesterschrift – in Gen 21 ungefähr 17 Jahre alt gewesen sein: Er wurde als 13-jähriger im 99. Jahr Abrahams beschnitten (Gen 17,24–25), der bei der Geburt Isaaks 100 Jahre alt war. Rechnet man bis zur Entwöhnung 2–3 Jahre, was im antiken Israel üblich war, kommt man für Ismael in 21,8 auf ca. 17 Jahre. 68 Qu. hept. 1,53. 69 Gross, Quaestiones, 82–83, verweist auf Ges.-K. § 117e, und König, Syntax, § 370m. 63
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Allerdings erschwert Augustinus das Verständnis dadurch, dass er einen völlig unnötigen Subjektwechsel annimmt, der bei Verben in der 3. Pers. im Griechischen und Lateinischen möglich ist: Abraham nimmt … und gibt …, aber sie legt sich die Brote und das Wasser auf die Schultern. Im Hebräischen ist das unmöglich, weil in der 3. Pers. feminine Formen von maskulinen unterschieden werden. (5) Wie ist es möglich, dass Hagar ihren 17-jährigen Sohn „unter einen Baum geworfen haben könnte und … weggegangen sei, um ihn nicht sterben sehen zu müssen“?70 Augustin antwortet wieder mit einer (noch dazu höchst befremdlichen) Exegese seiner lateinischen Vorlage: Nicht die, die ihn trug, sondern, wie es vorkommt, sein (!) Gemüt (!) warf ihn, als wenn er sterben müsste, umher (!) (qu. hept. 1,54).
Im hebr. Text ist jedoch die Verbform eindeutig 3. Pers. fem. „sie warf “. Noch mehr befremdet die von Augustin bemühte Analogie: Denn auch derjenige, der das Schriftwort sprach: ‚Ich bin verworfen vom Angesicht deiner Augen‘ (Ps 31,23), wurde nicht getragen.
Die weiteren psychologischen Lösungen der selbst geschaffenen Probleme können auf sich beruhen bleiben. 3.8 Besuch Himmlischer in Hebron und Sodom (Gen 18 in civ. 16,29; qu. hept. 1,33–47) (1) Das Gastmahl in Hebron: Viel Scharfsinn wendet Augustinus auf um zu klären, wer die drei Gäste waren, die Abraham unter dem Baum bewirtet (Gen 18). Diese Frage hatte schon vor ihm viele beschäftigt. Augustinus bezieht sich auf Justin, Irenäus, Tertullian und andere, wenn er – ohne Namen zu nennen – von denen redet, die meinten, einer von den dreien sei Christus gewesen, der sich schon gezeigt habe, bevor er Mensch wurde.71 Er will nicht bestreiten, dass es „der göttlichen Macht“ grundsätzlich möglich sei, menschlichen Blicken zu erscheinen, „zwar nicht so, wie sie ist, aber durch Vermittlung von etwas anderem“. Jedoch biete die Erzählung vom Besuch der drei Männer trotz des irritierenden Wechsels von Singular und Plural dafür keine Handhabe.72 Augustinus hält grundsätzlich daran fest, dass nur der Mensch gewordene Sohn Gottes sichtbar gewesen sei.73 Aber wahrscheinlich weist diese schwierige Syntax des MT auf eine überlieferungsgeschichtliche Vorstufe hin, in der Ismael als Kleinkind vorgestellt wurde. 70 Qu. hept. 1,54. 71 In trin. 2,6,12 wendet er dagegen ein, dass Gott seinen Sohn erst sandte, „als er aus dem Weibe geboren wurde“ und die Fülle der Zeit gekommen war (Gal 4,4). 72 Zur gegenwärtigen Erklärung des Oszillierens zwischen einem und dreien (in Gen 19
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Nach gründlicher Erwägung der verschiedenen Möglichkeiten beweist er vor allem aus dem Zusammenhang von Gen 18–19, dass die drei Männer weder der dreieine Gott waren, noch dass der eine von ihnen Christus gewesen sein könne. Keiner von den dreien habe den anderen an Gestalt, Alter oder Macht überragt, so dass man allenfalls annehmen darf, dass hier durch sichtbare, geschöpfliche Gebilde die Gleichheit der Dreieinigkeit und die Gleichheit und Dieselbigkeit der Substanz in den drei Personen angedeutet und veranschaulicht werden soll (trin. 2,11,20).74
Vielmehr sei Gott „in drei Männern“ erschienen, „die ohne Zweifel Engel waren“ (civ. 16,29). Dafür spreche auch Hebr 13,2. Allerdings haben Abraham und Lot in ihnen „den Herrn erkannt, zu dem sie in der Einzahl redeten, obwohl sie die Männer für Menschen hielten“.75 Nur deshalb haben sie jene wie Sterbliche gespeist.76 Augustinus führt zur Verdeutlichung als Beispiel die Propheten an, in denen „der Herr selbst“ begegnet. Vor einem weiteren Problem steht der Leser, wenn er Gen 25,1–4 nach 18,11 liest: In V. 11 heißt es von Abraham und Sara, sie seien „älter (senior) und vorgerückt an Tagen“, in V. 12 spricht auch Sara von ihrem Mann so und sagt über sich, es gehe ihr nicht mehr nach Frauenart; wie kann dann Abraham in Gen 25,1–4 nach Saras Tod mit Ketura noch weitere sechs Söhne zeugen? Augustinus argumentiert mit der medizinischen Erfahrung seiner Zeit: Ein alter Mann könne mit einer alten Frau keine Kinder mehr haben, wohl aber ein junger Mann mit einer alten, aber noch gebärfähigen Frau, und ebenso auch ein alter Mann mit einer jungen Frau, aber natürlich niemals mit einer nicht mehr gebärfähigen Frau.77 Das erklärt, wie Abraham mit Ketura Kinder zeugen konnte: Sie muss viel jünger als Abraham gewesen sein.78 Deshalb ist dort von einem Wunder auch nicht die Rede. Von einem Wunder könnte nur gesprochen werden, wenn der betagte Abraham von der nicht mehr gebärfähigen Sara ein Kind bekäme. Genau das geschieht (21,1–6), und deshalb führen Röm 4,17–20 sind es zunächst nur zwei) vgl. M. Köckert, Divine Messengers and Mysterious Men in the Patriarchal Narratives of the Book of Genesis, in: T. Nicklas u. a. (Hg.), Angels. The Concept of Celestial Beings. Origins, Development and Reception, Berlin 2007, 51–78, bes. 63–67 [dtsch. Fassung in diesem Bd. Nr. 15]; Köckert, Abraham. Ahnvater – Vorbild – Kultstifter, 133–139. Auffällig ist, dass bei der Ankündigung der Geburt eines Sohnes in Gen 18,10–15 nur einer spricht, der vom Erzähler in V. 13 ausdrücklich mit Jhwh identifiziert wird. 73 Vgl. auch civ. 10,13. 74 Bei den beiden Männern („Boten“) in Gen 19 denkt er an den Sohn und den Hl. Geist, weil nur die beiden sagen, dass sie gesandt seien (trin. 2,12,21–22). 75 Vgl. damit auch trin. 2,10,19. 76 Justin dagegen legt großen Wert darauf, dass die drei nicht wirklich aßen, um deren Jenseitigkeit zu wahren (dial. 57,1). Man müsse das so verstehen wie unsere Redeweise, „das Feuer verzehre alles“ (bei Heither/R eemts, Abraham, 123). 77 Vgl. qu. hept. 1,35 mit civ. 16,28. 78 Das setzt Augustinus stillschweigend voraus, im Text steht freilich nichts davon.
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diese wundersame Geburt aus dem „erstorbenen Mutterschoß“ auf die Macht dessen zurück, der die Toten erweckt. Schließlich wundert man sich darüber, dass nur Sara getadelt wird (18,13–15), obwohl doch beide über die Ankündigung eines Sohnes gelacht haben (17,17; 18,12). Augustinus beurteilt Abrahams Lachen als Ausdruck des Staunens und der Freude, das Lachen Saras aber als „ein Lachen des Zweifels“ (qu. hept. 1,36– 37). Dieses Urteil gewinnt er zum einen aus der Reaktion Jhwhs in V. 13–14 und aus der Furcht Saras in V. 15. Zum andern schließt er aus Saras Lüge, dass sie ihr Gegenüber für einen Menschen, nicht für Gott oder einen Engel hielt, während die Ehre, die Abraham seinen Gästen erweist, eher darauf deute, dass er aus den Männern Gott zu vernehmen meinte. Der von Augustinus freilich nicht konsultierte hebräische Text deutet das damit an, dass Abraham sie mit „mein HERR“ ( אדניmit Kamäs vokalisiert) anredet, was sonst nur für Gott üblich ist. (2) Auf dem Weg von Hebron nach Sodom Gen 18,17–19 teilen die Gedanken mit, die Gott – von Abraham begleitet – unterwegs bewegen.79 Augustinus deutet in v.18 die Verheißung „Abraham soll ein großes und zahlreiches Volk werden“ auf das Volk Israel nach dem Fleisch, bezieht aber die andere „und alle Völker sollen in ihm gesegnet werden“ auf alle Völker nach dem Glauben (civ. 16,29). Gen 18,21 liest sich so, als wolle Gott in Erfahrung bringen, was er noch nicht sicher weiß. Das könne keinesfalls gemeint sein, weil er sonst nicht Gott wäre. Deshalb müsse man den Satz als Ausdruck des Zorns und als Drohung auffassen. Denn Gott spricht ja in den Schriften auf menschliche Weise zu den Menschen, und die Verständigen sind einsichtig genug zu verstehen, daß sein Zorn ohne Leidenschaft ist … Gott überfällt keine Leidenschaft. Es ist jedoch die herkömmliche und übliche menschliche Ausdrucksweise … Ihr paßt Gott seine Redeweise an. (qu. hept. 1,39).
(3) Abrahams Rechtsstreit mit Gott Häufig werde gefragt, ob Gottes Zusicherung, Sodom zu verschonen, wenn er zehn Gerechte in der Stadt fände, für jedes Gemeinwesen gelte, in dem sich wenigstens zehn Gerechte befinden (qu. hept. 1,40). Das lasse sich aus der Erzählung keinesfalls entnehmen. Vielmehr „konnte Gott so reden“, „weil er wußte, daß es dort nicht einmal zehn gab“. Für eine entsprechende Redeweise verweist Augustinus auf Jer 5,1. 79 Augustinus zitiert den Anfang von V. 19 in einer Textgestalt, die der LXX folgt: „Ich wusste nämlich, dass er seinen Söhnen …“, dagegen heißt es in der hebräischen Fassung: „Denn ihn habe ich dazu ersehen, dass er seinen Söhnen …“ Der Übersetzer kannte die Spezialbedeutung des Verbs ידעin Verbindung mit למעןals Terminus der Erwählung nicht.
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(4) Gottes Strafgericht an Sodom Für Augustinus weist die Vernichtung Sodoms auf das künftige Gericht Gottes am Ende der Tage hin. Das Verbot, sich nicht umzublicken, gelte allen, die durch Gnade wiedergeboren sind. Nur wer sich vom alten Leben löst und auch nicht mit seinem Herzen dahin zurückkehrt, werde beim letzten Gericht gerettet. Lots Frau dagegen blickt zurück, und muss nun, in Salz verwandelt, den gläubigen Menschen sozusagen als Würze dienen, um ihnen die Lebensweise schmackhaft zu machen, durch welche man solches Schicksal vermeidet (civ. 16,30).
(5) Isaaks Geburt und Name Isaaks Name spiegelt sowohl Abrahams Lachen „in frohem Staunen“ als auch das Saras, das „zwar ein Zeichen der Freude war, aber auch mangelnden Glauben verriet“ (civ. 16,31). 3.9 Abrahams Opfer (Gen 22 in civ. 16,32; qu. hept. 1,57–59) Zunächst räumt Augustinus einige Stolpersteine für das Verstehen aus dem Weg. Die dicksten Brocken liegen gleich am Anfang der Erzählung: „Nach diesen Begebenheiten stellte Gott Abraham auf die Probe“ (22,1). Wie kann Gott jemanden „auf die Probe stellen/versuchen“, wenn doch in Jak 1,13 behauptet wird, Gott versuche niemanden? Die lat. Übersetzungen gebrauchen beide Male das Verb tentare, das beides bedeuten kann. Augustinus unterscheidet die Versuchung, von der Jakobus spricht und die notwendig einschließt, dass „durch sie jedermann in Sünde verwickelt wird“, von der Probe, auf die Gott jemanden stellt (qu. hept. 1,57). Überdies stellt Gott Abraham nicht auf die Probe, damit er etwas erfahre, was er nicht schon wüsste; vielmehr sollten künftige Generationen von Abrahams frommem Gehorsam Kunde erhalten (civ. 16,32). Auch dürfe man sich zu jeder „Versuchung beglückwünschen, wenn sie zur Erprobung dient“; denn dadurch lerne sich der menschliche Geist selbst erkennen. Sodann stellt er sich den Bedenken, die Gottes Forderung auslöst, Abraham solle seinen Sohn opfern. Was ist das für ein Gott, und was ist das für ein Vater? Augustinus entgegnet: Niemals wäre Abraham auf den Glauben gekommen (crederet), Gott habe an Menschenopfern Wohlgefallen (civ. 16,32).
Doch Gottes Weisungen begegnet man nicht mit Einwänden, sondern mit Gehorsam. Abraham blieb nicht nur frei vom Vorwurf der Grausamkeit, sondern ward obendrein wegen seiner Frömmigkeit gelobt, weil er gehorsam und nichts weniger als frevelhaft seinen Sohn töten wollte (civ. 1,21; vgl. 14,15).
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Doch würde nicht jeder, der sich entschließt, seinen Sohn Gott zu opfern, darum vom Verbrechen freizusprechen sein, weil Abraham, der dies tat, deswegen gepriesen wird (civ. 1,26).
Hier zeigt sich, dass Augustinus seinem Grundsatz folgt, die Auslegung sei erst dann an ihr Ziel gelangt, wenn sie die ethische Dimension eines Textes in der Liebe zu Gott und dem Nächsten entfaltet.80 Am meisten rühmt er Abrahams festen Glauben, „sein Sohn werde, wenn hingeopfert, alsbald wieder auferstehen“, weil Gott ihm doch in 21,12 verheißen hatte, dass in Isaak sein Same genannt werde.81 Dieser Verheißung vertraute Abraham und zweifelte nicht daran, daß ihm der Geopferte ebensowohl zurückgegeben werden könnte, wie der Nichterwartete gegeben werden konnte (civ. 16,32).
Mit dieser Argumentation folgt Augustinus Hebr 11,17–19.82 Dann aber nimmt er das Stichwort „Gleichnis“ aus Hebr 11,19 auf. Der Verfasser des Hebräerbriefes meinte jedoch ein Gleichnis für Gottes Macht, die von den Toten zu erwecken vermag, woher Abraham seinen Sohn auch empfing. Dagegen deutet Augustinus Isaak als ein Gleichnis für Jesus Christus. Er verbindet Hebr 11,17 mit Röm 8,32, was ihm die Wort-Brücke „seinen Sohn dahingeben“ ermöglicht, und findet auch mehrere Hinweise darauf in Gen 22,6.13: Darum musste auch Isaak, wie der Herr sein Kreuz, selbst das Holz, auf das er gelegt werden sollte, zur Opferstätte tragen (civ. 16,32).83
Auch der Widder weise mit dem Dornstrauch, an dem er hängt, mit seiner Schlachtung und mit seinem „sinnbildlich vergossenem Blut“ auf den Herrn: Wen anders also bildete er ab als Jesus, den die Juden vor seiner Opferung mit Dornen krönten (civ. 16,32)?
Verwunderlich ist freilich, dass es bei Augustinus, der doch so genau die Schrift liest, die Juden sind, die Jesus mit Dornen krönen, wie er auch sonst den Juden anlastet, was in den Passionsgeschichten der Evangelien die Römer tun.84 Wie verhängnisvoll das gewirkt hat, ist bekannt. Im Fortgang wendet er sich der ersten Engelrede zu und versteht das anstößige „Nun weiß ich“ in V. 12 als „Nun habe ich’s ans Licht gebracht. Denn Gott wusste 80
Doctr. chr. 1,42–44. Aber der Same beziehe sich mit Röm 9,8 auf diejenigen, die „durch den Ruf der Gnade in Christus gesammelt sind“. 82 S. die Hinweise auf prominente Vorbilder in der jüdischen Auslegung bei Köckert, Abraham, 338–347, und die dort genannte Lit. 83 S. auch trin. 2,6,11. 84 Dazu H. Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld (1.–11. Jh.) (EHS/XXIII 172), Frankfurt/M. 31995, 354 (mit Belegen). Augustinus beschuldigt sogar die Juden seiner Zeit (Schreckenberg zitiert adv. Jud. 8,11: „Ihr habt Christus in euren Eltern getötet“). 81
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es ja längst“ (civ. 16,32). Dieses Problem erörtert er noch mehrfach, zunächst in qu. hept. 1,58 als „idiomatische Ausdrucksweise“.85 Er vergleicht sie dort mit dem Namen, den Abraham jener Stätte abschließend gibt: „Er hat gesehen“86 bedeute „Er hat sehen lassen (videri fecit)“ (qu. hept. 1,58) oder Dominus aparuit (civ. 16,32). Auch bei der Auslegung von „Gottes Ruhen“ in Gen 2,2 kommt er auf Gottes Erkennen in 22,12 zu sprechen: Können wir das anders auffassen als so: Nun habe ich bewirkt, daß du erkennst? Mit solchen Redeweisen, die nicht auf Gott zutreffen, die wir aber gebrauchen, als träfen sie auf Gott zu, schieben wir Gott ein Tun zu, das eigentlich unser Tun ist; freilich nur ein solches, das lobenswert ist und nur, soweit der Brauch der Schrift es erlaubt (Gen. litt. 4,9,17).
Schließlich fragt er, ob das Wort „Engel“ Christus bezeichnet, der ohne Zweifel Gott ist, oder ob die Schrift so formuliert, „weil Gott im Engel war und der Engel in der Rolle Gottes sprach, wie es bei den Propheten gebräuchlich ist“ (qu. hept. 1,59). Für diese zweite Deutung spreche die zweite Gottesrede, in der zwar der Engel des Herrn spricht, aber sagt: „Ich habe bei mir selbst geschworen, sagt der Herr.“87 3.10 Eine Frau für Saras Sohn und Keturas Kinder (Gen 24 und 25 in civ. 16,33–34; qu. hept. 1,62–70) (1) Eine Frau für Isaak Bei dieser längsten Erzählung über Abraham beschränkt sich Augustinus mit Rücksicht auf sein thematisches Ziel in De civitate allein auf den Eid, den Abraham seinem Knecht in Gen 24,2–4 abnimmt: Er soll für Isaak eine Frau holen, aber nur aus seiner Heimat und Verwandtschaft. Der mit dem Schwur verbundene und offenbar für Augustins Zeitgenossen anstößige Ritus – die Hand des Schwörenden unter die „Hüfte“ des Eidnehmers zu legen – beunruhige nur Unerfahrene, die nicht beachten, daß dies eine bedeutende Prophetie über Christus war, der Herr, Gott des Himmels und der Erde, werde selbst in dem Fleisch kommen, das aus dieser Hüfte hervorgegangen ist (qu. hept. 1,62; vgl. civ. 16,33).
Für Augustinus ist auch dieser einzelne Erzählzug ein „nicht geringe(s) Anzeichen der vorherverkündeten Wahrheit, deren Erfüllung in Christus wir nun 85 Schon die jüd. Auslegung in Jub 18,16 versteht Gottes Wissen in Gen 22,12 so: Ich habe die Völker „alle wissen lassen, dass du mir glaubenstreu warst in allem, was ich dir gesagt habe“. 86 Augustins lat. Text hatte Dominus vidit, während die Vulgata Dominus videt, der MT יהוה „( יראהJhwh sieht“) und die LXX κύριος εἶδεν lesen. 87 Mit einer Erörterung der wenigen Belege, in denen der präexistente Christus (Ps 2,7; 110,1; vgl. auch Gen 19,24) und im Evangelium der irdische (Joh 20,17) seinen Vater „Herr“ nennt, bestärkt er in qu. hept. 1,59 seine Deutung.
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sehen“. Hinter dieser Argumentation steht – obgleich hier nicht erwähnt – die im NT bezeugte Eingliederung Jesu in die mit Abraham beginnende (Mt 1,1 vgl. Gal 3,16) oder über Abraham führende (Lk 3,34) Genealogie.88 In den Quaestiones geht er dagegen mehreren Einzelproblemen nach, von denen hier nur einige mitgeteilt werden können. Bei V. 12–14 fragt er, worin sich unerlaubtes Suchen nach Vorzeichen von der Bitte des Knechts um ein Zeichen unterscheide, und antwortet: Der Knecht bittet um „etwas Außergewöhnliches, das durch ein echtes Wunder als Zeichen dienen soll“; dagegen legen Zeichendeuter alles Mögliche aus (qu. hept. 1,63). Aber darf man von Gott überhaupt ein Wunder verlangen um zu erfahren, was man wissen will? Aus den herangezogenen biblischen Belegen gewinnt er die Unterscheidung zwischen einer erlaubten Befragung Gottes (Ri 6,36–40) und einem unerlaubten Gottversuchen (Dtn 6,16; Mt 4,7). Als genauer Bibelleser ist schon Augustinus aufgefallen, dass der Knecht den in V. 3–9 erhaltenen Auftrag bei seiner Erzählung in V. 37–38 zwar in der Sache, aber nicht wörtlich wiederholt.89 Er rechnet dennoch mit demselben Autor; denn „für die Wahrheit einer Erzählung genügt es, daß sie sich auf die Sachverhalte und den Sinn erstreckt“ (qu. hept. 1,64). Bei V. 41 erörtert er die abweichende Begrifflichkeit in den Übersetzungen (qu. hept. 1,65): Die lateinischen haben „Eid“ oder „Schwur“ (iuratio), die griechische dagegen „Fluch“ (also ἀρά statt ὄρκος). Deshalb fragt er, „wie dieser Eid als Verwünschung verstanden werden kann“; ist ihm doch an der sachlichen Kohärenz beider Übersetzungen gelegen. Er verbindet beide Bedeutungen so: Wer gegen seinen Eid handelt, ist verflucht. Nach der Rede des Knechts willigen Laban und Betuel in V. 51 mit den Worten ein: Rebekka „werde die Frau des Sohnes deines Herrn, wie der Herr gesagt hat“. Augustinus vermisst das Gotteswort, auf das sich die beiden berufen. Er sieht zwei Lösungen (qu. hept. 1,67): Entweder erkannten sie den vom Knecht in V. 40 erzählten Worten Abrahams aus V. 7 prophetische Qualität zu, oder sie verstanden das in V. 14 vom Knecht erbetene Zeichen, von dem er ihnen in V. 43–46 erzählt hatte, als „Ausspruch des Herrn“. Er zieht die zweite Lösung vor, weil nur sie eindeutig auf Rebekka zielt, während Abraham in seinem Eid offenlässt, welche Frau der Knecht bringen soll. „So formuliert man keinesfalls, wenn man prophezeit. Denn eine Prophetie sollte schon sicher sein.“
88 Belege bei C. Mayer, Art. Abraham, AugL 1 (1998) 10–33, 14; Gross, Quaestiones, 153, nennt: en. Ps. 72,1; Hieronymus, Qu. Hebr. Gen. zu Gen 24,9, und Ambrosius, Abr. 1,9,83. 89 Die zahlreichen Abweichungen in den mehrfach wiederholten Erzählteilen haben viele moderne Exegeten zu unterschiedlichen literarkritischen Laubsägearbeiten am Text verführt, die freilich wenig sinnvoll sind, weil sie mit keinen inhaltlich-konzeptionellen Verschiebungen verbunden sind, wie schon Augustinus feststellt: „dieselbe Aussage, aber die Worte sind nicht alle identisch“.
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(2) Abrahams Ehe mit Ketura und die daraus hervorgegangenen Kinder Da nichts in den heiligen Schriften bedeutungslos ist, beschäftigt Augustinus in civ. 16,34 die Frage, was es zu bedeuten habe, dass Abraham nach Saras Tod (Gen 23,1) Ketura zur Frau nimmt (25,1). Mangel an Enthaltsamkeit komme so wenig in Betracht wie der Wunsch nach noch mehr Söhnen. Denn von dem einen könne keine Rede sein, weil Abraham „schon so alt und die Heiligkeit seines Glaubens bewährt war“, gegen das andere spreche, dass er „mit erprobtem Glauben an Gottes Verheißung festhielt“, die ihm aus Isaak Nachkommen versprochen hatte so zahlreich wie die Sterne des Himmels und der Sand am Meer. Da eine natürliche Erklärung offenbar nicht naheliegt, müsse diese zweite Ehe mit deren Kindern eine übertragene Bedeutung haben. Seinem hermeneutischen Konzept entsprechend findet Augustinus des Rätsels Lösung in einer Analogie und in deren allegorischen Deutung durch das NT. Gen 25,1 erzählt, dass Abraham Ketura zur „Frau nahm“ ()לקח אשה, aber aus 25,6 kann man schließen, dass sie zu seinen „Nebenfrauen“ ()פילגשים gehörte.90 Augustinus sagt dazu concubinae. Hagar wird von Sara ihrem Mann zur Frau gegeben ()נתן אשה, bleibt aber Saras Sklavin (16,2.35.8). Sie ist also wie Ketura Abrahams concubina, ohne freilich mit dem entsprechenden hebr. Wort bezeichnet zu werden. Nur Sara wird „seine Frau“, nie Nebenfrau genannt. Deshalb kann Augustinus über die drei Frauen sagen: Beide werden sowohl Weiber Abrahams als auch seine Konkubinen genannt; Sara aber heißt niemals Konkubine (civ. 16,34).
Wie die beiden Konkubinen einander entsprechen, müssen auch deren Kinder einander entsprechen. Indes wie? Augustinus antwortet mit Hilfe der in dieser Sache klaren Deutung in Gal 4,22–24; denn Abrahams Verhalten ist in beiden Fällen prophetisch geschehen …, damit so in beiden Rollen der Frauen und ihrer Söhne die beiden Testamente zur Verheißung zukünftiger Ereignisse allegorisch präfiguriert würden (qu. hept. 1,70).
Aufgrund von Gal 4 deutet er Hagar und Ismael auf die fleischlichen Menschen des Alten Bundes. Dann müssen Ketura und ihre Söhne auch auf die fleischlichen gedeutet werden, nun aber auf die, die sich zum Neuen Bund rechnen. Aber auch das Verhalten Abrahams zu den Söhnen beider Konkubinen muss auf Künftiges hinweisen. Er vermutet es in den „Geschenken“, mit denen er die Söhne seiner (beiden91) Nebenfrauen entlässt (25,6): Also haben auch die Söhne der Konkubinen einige Gaben, aber ins verheißene Reich gelangen sie nicht, weder die Häretiker [gemeint sind die Söhne der Ketura] noch die 90 91
So wird sie auch in 1 Chr 1,32 ausdrücklich genannt. Von anderen Nebenfrauen außer Hagar und Ketura wissen wir nichts.
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fleischlich gesinnten Juden [gemeint sind die Ismaeliten als Kinder Hagars], denn Isaak ist der einzige Erbe, und „nicht das sind Gottes Kinder, die nach dem Fleisch Kinder sind, sondern die Kinder der Verheißung werden zum Samen gerechnet“, zum Samen, von dem es heißt: „In Isaak wird dein Same genannt werden.“ (civ. 16, 34).
Wie künstlich diese Deutung ist, hat Augustinus selbst gespürt. Deshalb schlägt er darüber hinaus eine ethische Deutung vor und vermutet, vielleicht werde hier auch eine zweite Ehe nach dem Tod der ersten Ehefrau erlaubt. Diese Praxis wurde zu seiner Zeit von vielen Christen missbilligt, weil sie als Ausdruck sexueller Unbeherrschtheit galt. Auf welche Weise auch immer, die drei Frauen und ihre Kinder haben bleibende Bedeutung für die christliche Gemeinde. Allerdings ist der Preis für die heilsgeschichtliche Auslegung hoch, zu hoch; denn sie führt geradewegs zu einer Enterbung des Judentums.
4. Wie liest Augustinus die Abrahamgeschichten? An Augustins Behandlung Abrahams in De civitate Dei zeigt sich beispielhaft, dass er die Weltgeschichte als von Gott gewollt und geplant versteht. Zwar kann kein Mensch Gottes Pläne durchschauen, aber Gott hat im Früheren schon das Spätere angekündigt. So weist die Abrahamüberlieferung vielfältig auf das Neue hin, das mit Jesus Christus erschienen ist. Weil allein der Glaube an Christus über die Zugehörigkeit zum Gottesvolk entscheidet, ist Abraham Vater auch der Christen: Denn die Sache, die jetzt christliche Religion genannt wird, hat es bereits bei den Alten gegeben, ja, sie fehlte seit dem Beginn des menschlichen Geschlechts nicht, bis Christus selbst im Fleische erschien. Von da an begann die wahre Religion, die es schon gab, die christliche genannt zu werden (retr. 1,13,3).
Deshalb haben die Schriften des Alten Bundes für Christen bleibende Bedeutung. Sie in den einzelnen Texten zu entdecken und methodisch nachvollziehbar zu entfalten, gilt Augustins exegetische Kunst. Er geht davon aus, dass die Heiligen Schriften von Menschen geschrieben wurden, die von Gottes Geist erfüllt waren. Deshalb sind sie grundsätzlich kohärent und enthalten keine Irrtümer, und deshalb ist nichts in ihnen bedeutungslos. Aber nicht alles erschließt sich unmittelbar dem Verstehen. Augustins Auslegung zeigt exemplarisch, wie er mit den verschiedenartigen Schwierigkeiten biblischer Texte umgeht und zu einem begründeten Verständnis gelangt. An erster Stelle steht die Klärung des buchstäblichen Sinnes eines Textes unter Wahrung seiner Kohärenz. Dazu greift Augustinus zu folgenden Mitteln92: 92
Vgl. dazu auch den Exkurs „Exegetische Vorgehensweisen“ in der Einleitung bei Gross, Quaestiones, 74–87.
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1. Er prüft bei Abweichungen im Wortlaut den Sachgehalt: Weil die Abweichungen in Gen 24,37–38 von V. 3–9 nicht den Sinn berühren (qu. hept. 1,64), bedürfen sie keiner weiteren Erklärung. 2. Er füllt Leerstellen im Text aus. Dabei löst er zuweilen Probleme, die er zuvor erst geschaffen hat, wenn er z. B. fragt, warum Nahor nicht mit Terach aus Chaldäa ausgezogen ist (civ. 16,13 zu Gen 11,31), oder wenn er das Verhalten des Ahnpaares in Gen 16 entschuldigt (civ. 16,25). 3. Er argumentiert mit dem präzisen Wortlaut und mit dem Kontext: Sara ist tatsächlich Abrahams Halbschwester (vgl. Gen 12,13 mit 20,12); die Frage nach dem, was Abraham in Gen 13,14–17 vom Land sieht, beantwortet V. 17; Saras Lachen kündet von Zweifeln, weil Gott sie in Gen 18,13–14 tadelt. 4. Er zieht das Wissen seiner Zeit heran: Sara blieb an Pharaos Hof in Gen 12,10–20 unberührt, weil die aus Est 2,12–13 erschlossene lange Vorbereitungszeit sie vor Pharao schützte; Gen 25,1–4 sei medizinisch nicht unmöglich, weil ein alter Mann mit einer jungen Frau sehr wohl noch Kinder zeugen kann. 5. Er vergleicht die Übersetzungen: So erklärt er die Verheißung des Landes als „ewigen Besitz“ in Gen 17,8 vom griech. αἰώνιον (civ. 16,26) und die Abweichung der lat. Übersetzung in Gen 24,41 (iuratio) von der griech. (ἀρά statt ὄρκος) damit, dass der Eidbrüchige verflucht ist. 6. Er klärt Mehrdeutiges und Missverständliches durch die Logik der Texte: Die drei Männer in Gen 18–19 können nur Engel gewesen sein, weil Abraham sie sonst hätte weder sehen noch speisen können (civ. 16,29). 7. Er beseitigt moralisch Anstößiges durch scharfsinnige philosophisch-ethische Argumentation (Abrahams Lüge in Gen 12,10–20 und seine Furcht in Gen 15,12), durch psychologische Erwägungen (die Selbsthilfe des Ahnpaares in Gen 16,1–4), durch Harmonisierung mit dem unter Umständen auch weiteren Kontext (Abrahams Lachen in Gen 17,17 als Frohlocken civ. 16,26) oder durch das Heranziehen eines unerwarteten Bezugstextes (der in Gen 17,14 mit dem Tod bedrohte Bundesbruch beziehe sich auf Gen 2,17 als „ersten Bund“ [civ. 16,27]; Abraham war bei seiner Einwilligung in Gen 22,1–14 nicht grausam, sondern lobenswert fromm, weil Gott gehorsam [civ. 1,21 bei der Diskussion von Ex 20,13]). 8. Er deutet unangemessen erscheinendes Reden über Gott um: Gottes Zorn ist ohne Leidenschaft (qu. hept. 1,39 zu Gen 18,21); Gott versucht niemanden, sondern erprobt Abraham, damit künftige Generationen von
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seinem Glaubensgehorsam erfahren (zu Gen 22,1); durch die Erprobung Abrahams erfährt Gott nichts, was er nicht schon wüsste (civ. 16,32 zu Gen 22,1.12). Erst wenn der „wörtliche Sinn“ eines Textes geklärt ist, kann sein „geistiger Sinn“ durch typologische oder allegorische Auslegung gesucht werden. Eine derartige Auslegung wird vor allem von folgenden Sachverhalten nahegelegt: 9. Ausdrückliche Bezüge des Neuen Bundes auf den Alten: Paulus bezieht sich in Röm 4 ausdrücklich auf Gen 15,6 und eröffnet damit Nichtjuden den Zugang zur Gemeinde ohne Beschneidung (civ. 16,23); Hebr 11,17–19 erhellt in Verbindung mit Röm 8,32 Isaak als ein Gleichnis für Jesus Christus (civ. 16,32); Hebr 7 deutet Gen 14,18–20 einerseits auf das Gott im Sakrament der Eucharistie dargebrachte Opfer und anderseits auf Christus als den Hohepriester (civ. 16,22); aus Gen 21,8–21 folgern Gal 4 und Röm 9,7–8, die Christen seien – wie Isaak – Kinder „nach dem Geist“ und deshalb Erben, die Juden dagegen – wie Ismael – Kinder „nach dem Fleisch“, die vertrieben werden (civ. 16,31). 10. Vollzüge im Alten Bund, die in christlicher Praxis gegenstandslos geworden sind: So werden die gehälfteten ‚Opfertiere‘ in Gen 15,9–11 und die Feuerflamme in V. 17 in ihren Einzelzügen allegorisch gedeutet (civ. 16,24); das Fest am Tag der Entwöhnung in Gen 21,8 ziele (veranlasst durch 1 Kor 3,2–3) auf die Erschaffung eines „geistlichen Menschen“ (qu. hept. 1,50); die Beschneidung (Gen 17,9–14) habe ihren geistigen Sinn in der Wiedergeburt, deren Gnade jetzt durch die Taufe vermittelt wird (civ. 16,26). 11. Auffällige oder anstößige Züge: Der Vollzug des Eids in Gen 24,2–4 sei eine Prophezeiung auf Christus, der aus ebendiesem Fleisch kommen werde (civ. 16,33); der greise Ahn heiratet noch einmal in Gen 25,1–4, weil die Kinder Keturas die fleischlichen Menschen des Neuen Bundes abbilden, die Häretiker (civ. 16,34 mit qu. hept. 1,70), wie Hagar und Ismael die fleischlichen Menschen des Alten Bundes sind. 12. Verheißungen, die im Alten Bund nicht erfüllt worden sind: Während sich in Gen 12,1–3 die Verheißung des Landes und des großen Volkes auf die biologischen Nachkommen Abrahams beziehen, gelten 12,3b; 18,18b Abrahams geistigen Nachkommen im Glauben (civ. 16,16.29), desgleichen auch die Mehrung „wie der Staub der Erde“ (Gen 13,16), „wie die Sterne des Himmels“ (Gen 15,5), „wie der Sand des Meeres“ (Gen 22,17); ebenso erfülle sich die Verheißung vieler Völker und Könige, die aus Abraham und Sara hervorgehen sollen (Gen 17,16), jetzt in Christus (und in der Kirche) (civ. 16,28). Auf diese Weise gelingt es Augustinus weitgehend, dem Wortsinn der Texte gerecht zu werden und zugleich an ihrer bleibenden Bedeutung für die christliche Kirche festzuhalten. Allerdings beruht seine Auslegung auf vier Vorausset-
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zungen: (1) die Inspiration der biblischen Autoren im augustinischen Sinne, (2) die daraus folgende sachliche Einheit der gesamten Schrift, (3) ihre Irrtumslosigkeit und (4) die Historizität des von ihr Berichteten. Diese Voraussetzungen teilen wir heute nicht mehr. Deshalb können wir das AT nicht mehr ohne weiteres als ‚prophetische‘ Vorankündigung des im NT offen zutage liegenden Heils lesen oder allegorisch auslegen noch historisch für bare Münze nehmen. Anders als für uns heute war es Augustinus undenkbar, dass die Erzählungen über Abraham nicht die erzählte Zeit, sondern die ihrer Erzähler widerspiegeln und dass sie in dem, was sie erzählen, nicht Gottes Absichten, sondern ihre eigenen verfolgen. So erklären wir heute z. B. Abrahams zweite Ehe mit Ketura und die daraus hervorgegangenen Kinder nicht mehr allegorisch, sondern völkergeschichtlich: Gen 25,1–4 wurde erzählt, um die durch jene Söhne repräsentierten Völkergruppen mit Abraham in eine ursprungsgeschichtliche Verbindung zu bringen. Das kann man vielleicht auch „übertragene Bedeutung“ nennen, aber gewiss nicht „allegorische Exegese“. Vorbildlich und anregend bleibt jedoch auch für uns heute, wie kontextbezogen Augustinus die Texte und ihre Einzelheiten auslegt. Seine intensive Kenntnis der Bibel und die dadurch erschlossenen Assoziationsmöglichkeiten erstaunen immer wieder. Die Sorgfalt und der Scharfsinn, mit denen er die Texte liest, sind so bewundernswert wie die Klarheit seiner Argumentation auch dort, wo wir ihm heute nicht mehr folgen können. * Eingesehene Quellen: civ.: Sancti Aureli Augustini De civitate dei libri I–X; XI–XXII (B. Dombart/A . K alb), CChr.SL 47; 48, Turnhout 1955. conf.: Augustinus, Confessiones – Bekenntnisse. Lateinisch und Deutsch. Eingeleitet, übersetzt und erläutert von Joseph Bernhart, München 41984. doctr. chr.: Sancti Aureli Augustini De doctrina christiana libri IV (I. Martin/K . Daur), CChr.SL 32, Turnhout 1962. Gn. litt. inp.: Sancti Aureli Augustini De Genesi ad litteram inperfectus, (J. Zycha), CSEL 28/1, 459–503, Wien 1894. Gn. litt.: Sancti Aureli Augustini De Genesi ad litteram libri XII (J. Zycha), CSEL 28/1, 3–456, Wien 1894. mag.: Aurelius Augustinus, De magistro/Über den Lehrer. Lateinisch/Deutsch übersetzt und herausgegeben von Burkhard Mojsisch (RUB 2793), Stuttgart 1998. qu. hept.: Augustinus Quaestiones in Heptateuchum – Fragen zum Heptateuch, zweisprachige Ausgabe, Augustinus Opera – Werke Bd. 57, eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Walter Gross, Teil 1: Genesis – Exodus, Paderborn 2018. vera rel.: Aurelius Augustinus, De vera religione. Über die wahre Religion. Lateinisch/ Deutsch. Übersetzung und Anmerkungen von Wilhelm Thimme (RUB 7971), Stuttgart 1983.
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Nachweis der Erstveröffentlichungen 1. Eigenart und Entstehung des Buches Genesis Bisher unveröffentlicht.
2. Die Geschichte der Abrahamüberlieferung A. Lemaire (Hg.), Congress Volumen Leiden 2004 (VT.S 109), Leiden 2006, 103–128.
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4. Gen 15: Vom „Urgestein“ der Väterüberlieferung zum „theologischen Programmtext“ der späten Perserzeit ZAW 125 (2013) 25–48.
5. „Glaube“ und „Gerechtigkeit“ in Gen 15,6 ZThK 109 (2012) 415–444.
6. Abrahams Glaube in Röm 4 und im vorpaulinischen Judentum C. Breytenbach (Hg.), Der Römerbrief als Vermächtnis an die Kirche. Rezeptionsgeschichten aus zwei Jahrtausenden, Neukirchen-Vluyn 2012, 15–47.
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8. Gottes „Bund“ mit Abraham und die „Erwählung“ Israels in Gen 17 N. MacDonald (Hg.), Covenant and Election in Exilic and Post-Exilic Judaism. Studies of the Sofja Kovalevskaja Research Group on Early Jewish Monotheism, Bd. 5 (FAT II/79), Tübingen 2015, 1–28.
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12. Die Traumerzählung Gen 28 im Licht altorientalischer Tempeltheologie und Tempelbaunachrichten J. J. Krause/W. Oswald/K. Weingart (Hg.), Eigensinn und Entstehung der Hebräischen Bibel. FS Erhard Blum (FAT 136), Tübingen 2020, 77–98.
13. Die Rückverweise auf Gen 28,10–22 innerhalb der Jakobüberlieferung und in Hos 12 A. Michel/N. K. Rüttgers (Hg.), Jeremia, Deuteronomismus und Priesterschrift. Beiträge zur Literatur- und Theologiegeschichte des Alten Testaments. FS HermannJosef Stipp (ATSAT 105), St. Ottilien 2019, 103–130.
14. Ist Jakobs Gegner in Gen 32,23–33 ein Dämon? A. Lange/H. Lichtenberger/K. F. D. Römheld (Hg.), Die Dämonen/Demons. Die Dämonologie der israelitisch-jüdischen und frühchristlichen Literatur im Kontext ihrer Umwelt, Tübingen 2003, 160–181.
15. Engel, Gottesboten und geheimnisvolle Männer in den Vätererzählungen des Buches Genesis Bisher unveröffentlichte deutsche Fassung von: Divine Messengers and Mysterious Men in the Patriarchal Narratives oft he Book of Genesis, in: F. V. Reiterer/T. Nicklas/K. Schöpflin (Hg.), Angels. The Concept of Celestial Beings – Origins, Development and Reception (Deuterocanonical and Cognate Literature Yearbook 2007), Berlin 2007, 51–78.
16. Wie wurden Abraham- und Jakobüberlieferung zu einer „Vätergeschichte“ verbunden? HEBAI 3 (2014) 43–66.
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Register der Bibelstellen (Vereinfacht, in Auswahl und ohne Kennzeichnung der Anmerkungen) Gen 1–11 5 1 25 1,26–28 223 1,31 233 2–3; 4; 6–8 7, 23 2,1–3 7 2,4a 6, 7, 27 2,7 31 2,9 31 2,10–15 27 2,17 406 3,16–19 23, 31 3,22.24 31 3,24 27 5–9 7 5 223 5,1 3, 6 5,22.24 223 6,1–4 31, 342 6,11 224 8,21–22 23 9,1–17 26, 207 9,1 224 9,18.20–27 31 10–11 8 10 4, 31, 225 10,5.20.31 f. 52, 225 11,1–9 31, 52, 387 11,10–26 4, 26 11,27–25,18 6, 8–9 11,27–13,18 369–373 11,27–32 26, 41, 46, 385, 399–400 11,28–31 53, 86, 370 11,29 400 12–36 5 12–19 8 12,1–3.7 367 12,1–3 24, 43, 52, 299, 377, 383, 386–388, 400–401 12,1a 41, 384
12,1b 12,2
183, 250 63, 191, 247, 380, 383, 387 12,3 24, 271, 299, 377, 388 12,4–5 26, 27 12,4a.6.8 374 12,4a 250, 373 12,4b 372, 382–383 12,6a.8–9 24, 51, 370 12,6 253, 370, 374 12,7 8, 29, 48, 372, 374, 386 12,8 53, 375 12,10–20 23, 50, 51, 63–71, 86, 184, 371, 401–402 12,11–13 68 12,16 183 12,17 51, 70 13,18–19; 21,6 21, 50 13,1.3–4 24, 53 13,3 375 13,10 41 13,14–17 24, 53, 183, 299, 345, 375–378, 386–387, 401 13,15 8 13,16 303 13,17 47, 232, 377 13,18 22 14–17 48 14 8, 31, 55, 86, 114 14,18–20 31, 49, 402 14,20 43 14,21–24 96 15 38, 55, 89–110, 402–404 15,1–6 61, 98, 104, 132, 155 15,1 92, 99, 250 15,2.3 92, 100–101 15,2b 115 15,4–5 401 15,6 30, 45, 93, 105, 106, 111–138 15,6 LXX 133–135
450
Register der Bibelstellen
15,7–21 98–100 15,7–8 99, 101 15,7 45, 47, 86, 98, 105, 385 15,8 402 15,11.13–16 101–102, 107, 163 15,13 162 15,17–18 105, 106, 109 15,17 30 15,19–21 102–103, 219 16 57, 175–185, 244, 357–358, 406–407 16,1a 176 16,3.16 176 16,3 185 16,7b 177 16,9–11 177 16,10 46, 357 16,11–12 180 16,12 170, 185 16,13.14 177, 184, 358 16,15.16 185, 177, 190, 357 17 193–220, 226, 404–406 17,1–8 104 17,1–3a 1976 17,1 25, 55, 212, 228 17,2–6.7 198, 217 17,2 41 17,4–6.7–8 202 17,4.6 203–205 17,5–6.16 247 17,5LXX 146, 194 17,6–8.9–14 26 17,7–8 105, 187, 198, 199, 201, 217 17,8 8, 27, 218–219, 405 17,9–14 29, 194, 205–208 17,9 197 17,11 144, 209 17,14 211 17,15–21 186, 195, 197, 199, 246 17,16 198, 204, 404 17,17 55, 105, 405 17,18–19.20 202 17,18 195 17,19–21 27, 194, 200, 202, 209, 218, 247 17,19 200, 218, 246 17,20 186, 199, 215
17,21 187 17,23–27 194 18–19 336, 353–357 18,1–15 22, 409–411 18,1 353 18,6 43 18,13–15 411 18,14 148, 384 18,17–32a 30 18,17–19 45, 54, 411 18,22b–33a 54, 78, 79, 243, 411 18,22b 355 19 412 19,24 356 19,30–35 22 19,36–38 6 20–22 8, 28, 48, 53 20,1–17a; 21,22–34 54, 71–79, 239, 242 20,1a 72, 177, 373 20,2 72, 239, 241 20,3–7 241 20,4 78 20,6 28, 75, 243 20,8 28, 263 20,11 78, 79 20,15 239 20,17b–18 240 20,18 74 21,1–6.7 8, 49, 50, 238 21,1 238 21,2–5 238 21,6 22, 238, 412 21,8–21 53, 177, 243–249, 358–359, 407–409 21,8–13 189–191, 243–245 21,11–13 248 21,13.18 247, 249 21,14–21 191, 245–248 21,14 245, 249, 408 21,16a.b 249 21,17–18 249 21,18 177, 247 21,20–21 247 21,22b.23 240 21,23b 241 21,24–25 120 21,34 78, 240, 241
22,1–19
Register der Bibelstellen
245, 249–252, 359–361, 412–414 22,2.12 250, 251 22,2 43, 49, 251, 253 22,3.9 360 22,5.8 360 22,13 251 22,14b 49 22,15–18 30, 54, 145, 303, 401 22,17 177 22,19 245 22,20–25,18 9, 49 22,20–24 6 23 49 24 28, 55, 361–362, 414–415 24,4.24 6 24,7.40 8, 30, 46, 347, 36224,41 24,65.67 49 25–50 21 25,1–6 46,49 25,1–4 6, 410, 416–17 25,6 244 25,9a 248 25,12–18 6, 46, 186 25,12–17 187–188 25,12–16 191, 205 25,13–15 170 25,18 170, 188, 210 25,19–37,1 9 25,19–35,29 6 25,21–34 10 25,21–28 17 25,21 24, 368, 384 25,23 15 25,25 15 25,27 310 25,29–34 18 25,30 15 26 11, 19, 23, 51, 73, 240 26,1–3*.6–13 371 26,2–3* 24, 378–379 26,3b–5.24 30, 43, 54, 378 26,3 30, 47 26,5 145 26,15.18 240 26,23.25 379 26,24 24, 266, 299, 380 26,26–31 6
451
26,34–35 27 27 331 27,1–40 10, 17 27,28–29 10, 15 27,29 17, 24, 378 27,35 310 27,39–40 10, 15 27,41–45 16, 18 27,43 19, 384 27,46–28,5 27 28 257–272, 346–348 28,3–4 204 28,4 215, 299 28,6–9 210 28,6b.8 28,6 120 28,9 192, 248 28,10–22 10 28,10 19, 384 28,11–13*.16–19 17 28,12–13a* 261, 276, 279 28,12 262, 277 28,13b–14 24, 53, 264–268, 299, 375–378 28,13.16 258 28,14b 377 28,15 28, 265, 268, 300, 303, 347 28,16.17 258, 261, 262, 276, 281 28,20–22 10, 18, 267, 197 28,21b 28, 298 29–31 10 29,1–32,1 16 29,4 19, 384 29,24.29 18 29,30–30,24 4, 6, 18 29,31 369, 384 30,3.4 23, 184 30,21 29 30,22–24 18 30,22 184 30,25–43 310 30,31.36 94, 310 30,41 120 31,1–2.4–16 18, 348–350 31,3 28, 266, 300–301, 302, 380 31,5 301
452
Register der Bibelstellen
31,6–7 120 31,10 349 31,11–13 349–350, 380–381 31,12 349 31,13 18, 301 31,16 310 31,24 f.29.41–43 18 31,33 310 31,36 310 31,42 306, 310 31,45–54 11, 15, 16, 336 31,46 310 32–33 10, 18, 298 32,2–3 10, 346 32,4 15 32,5.6 18, 343 32,10–13 28, 266, 302–304, 380 32,13 177 32,23–33 321–339, 334–336, 250–252 32,24–25 335 32,25 230 32,26.32 329 32,27 352 32,29 15, 333, 335 32,31 23, 184, 332, 335 32,32 331 32,33 332, 336 33,10 23, 184 33,18a*b.20 373, 386 33,18 26, 304 33,19–20 30 34 11, 21, 29 34,5 120 34,9 368 34,13.27.31 68 35,1.6a.7 19, 304–306 35,2–4 30, 306 35,9–15 26 35,11 204, 215 35,12 27, 229 35,13.15 272, 317 35,14.20 29 35,16–18 6 35,19–21 19 35,19 19 35,21–22a 29 35,22 11
35,28–29 9 36,1–8.9 6, 7 36,3 192 36,43 230 37–50 6, 20 37,2–50,13 6 37 12 37,2 232 37,3 120 38 13, 29 38,5 120 38,9 120 38,15 123 39–41 12, 20 41,45 21 41,50–52 11, 13, 21 41,57 67 42–45 12 43,1 70 44,16–34 20 45,5–7 13 45,5–6.8 20 46–47 12 46 46 46,1b–5a 11, 489, 379–380 46,6–9 13 46,8–27 13 47,4 70 47,11.27 229 47,29–31 20 48 13, 22 48,3–4 204 48,4 229 48,7 19 48,15–16 352 48,21–22 30 49 13, 21, 29 49,1b 30 49,3–4.5–8 21 49,8–12 385 50 12 50,1–11 20 50,15–18 13 50,18–21 13, 20 50,20 123 50,23–25.26b 12, 30 50,24 30, 54 50,26 1
Register der Bibelstellen
Ex 1,1–6 3 1,6–8 11, 30 1,11–12 183 3,1–4,17 316 3,1a 271, 274 3,7 184 4,24–26 323 4,31 107, 129 6,3–5 26, 213 6,4–8 215 6,4 105 6,7.8 38, 213–214, 227 11,1 70 12,31 f.33.35 70 12,40 162 12,48 29 13,19 30 14,5 183 14,31 107, 129 16,22–30 7 19,18 106 20,2 55 20,18 106 23,32 79 25–40 25 25,22 26 29,45–46 27, 224, 227, 214, 224 33,23 184 34,6 106 34,12 79 34,15–16 29
13,32 232 13,33 21, 355 14,2 231 14,7 233 18,27.30 125 20,12 229, 232 25,11 158 27,12 229, 232
Lev 7,18 122, 125 9 25 16 25 17,3–4 122, 125, 199 17,7 321 19,7 121 25,23–24 230 25,38 55, 105 26,9–13 228 26,12 25
Jos 1,7.9 300 5,13 337 5,15 341 9,13 72 13,26.30 348 15,14 21, 355 16,1–3 53, 345 16,1 6, 375 17,17 6 18,5 6 18,12–13 53, 345 21,43–45 229 24 30, 45–46 24,2 304
Num 13–14 13,22
231 21, 355
Dtn 2 226 2,10 f.20 f. 21 3,12–13 16 5,10 43 6,5 43 6,25 131, 137 7,3–4 28, 29 7,5.25 305 7,7 243 7,9 43 8,18 199 16,21–22 272 18,9–14 243 18,15.18 316 21,17 190 22,28–29 29 24,13 131 26,5 16 27,22 76 32,8 226 34,4 54 34,10–12 30, 316
453
454 24,14–15.23 30 24,23 304 24,26 305 24,32 30, 54 Ri 1,10 21, 355 6,22 336 7,16–22 31 11,1–3.7 244 11,3.7 190 13 326 13,3.6 341 13,22–23 336 19 354 1 Sam 10,2 19 2 Sam 2,1–4 50 2,8–10 348 7,12 387 13 68 13,13 76 15,2.6.10 14 15,3.7 22 17,11 14 18,18 29 19,20 124 19,21 20 24 338 1 Kön 1,43 218 4,14 348 6,23–28.29–35 27 8,34 300 11,40 20 12,2–3 20 21,15–18 232, 377 2 Kön 3 22 13,25 17 14,8–14 20 15,29 16 17,6 19
Register der Bibelstellen
17,24 19 22,14 19 23,8 321 23,25 30 25,18 25 Jes 1,2 44 7 104 7,5–9 20 8,14 14 11,14 379 13,21 321 21,16–17 192 29,22 109 30,29 40 33,21 40 34,14 321 41,1–4.5 41 41,8–13 41–43 41,8.9 41, 108, 157 45,18 225 48,1 42 48,13 147 48,19 303, 387 51,1–8 38–41, 108 51,1–3 22 51,2 39, 41, 44 51,9–11 40 53,12 LXX 149 57,13 109 58,14 109 60,21 109 61,3 40 63,7–64,11 43–44, 108 63,9 352 65,6 137 65,9 100, 109 Jer 9,25 208 13,23 23 18,1–17 23 24,6 300 24,9 383 25,18 383 29,7 79 31,15 19
Register der Bibelstellen
31,35–37 383 33,23–26 383 34,18–20 104 34,18 106, 199 42 24 42,2.4 79 49,7–22 18 Ez 9,2 337, 342 11,14–16 36 18,9 121 20,27–28 37 24,21 36 28,11–19 27 33,23–29 36–38 33,24 22, 24, 37, 38, 108, 383 33,25–26 37 33,27–29 36 36,10–12 100 36,13 232 37,16–19 6 47,1–12 27 Hos 4,17 20 5,3 20 6,2 213 6,3–4 313 8,4–6 15 10,5–7 15 11,7 23 12 307–312 12,1–2 308 12,3 308 12,4–5 351 12,5.7 259, 267, 312–315, 336 12,5 267, 312, 317, 337, 350–352 Joel 4,18 27 4,19 18 Am 4,4 260 5,5 260
7,7 262 7,9.16 20 7,13 15, 290 9,1 262, 294, 306 Obd 1–14 18 8–15.18 385 Jon 1 243 Mi 4,8 19 5,1 19 7,20 108 Zef 2,7.9 379 Sach 1,11.12 344 3,1–7 344 14,8 27 Mal 3,6–12 31 3,16 123 Ps 24,5 131 27,5 40 31,1b–2 124, 142, 143 40,18 123 46,5 40 56,9 137 60,8–10 379 60,10 232, 377 69,36–37 100 72,17 383, 387 77,15 178 84,8 49 87,7 40 89,37 387 91,5 336 91,11 347 105 46–47 105,6.42 59
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Register der Bibelstellen
106,30 158 106,28–31 157 106,31 124, 131 108,10 232 137,7 18 Hi 1–2 342 Prv 11,5.18 f.30 131 21,21 130 27,14 124 Ruth 4,11 19 4,18–22 29 Hld 3,8 336 5,15 81 7,8–9 81 Est 2,12–13 402 Dan 1,20; 2; 4,4 f.; 85 5,7–11 85 7,10 137 8,15.16 337 9,21 337, 341 Esr 9–10
79, 243
Neh 2,19 192 6,1.2.6 192 8,1 3 9 45, 109, 150–151 9,7–8 103, 136 13,1 3 13,10–13 31 1 Chr 21 338
2 Chr 3,1 49, 253 11,15 321 20,7 43, 157 25,4 3 30,25 19 34,14 4 35,12 3 Mt 1,34 403 5,17 3 Mk 12,26 3 Lk 6,31 77 Joh 20,17 324 Apg 7,2 7,2 Röm 3,21–31 139 3,22.26 149 3,28 143 4,1–8 141–143 4,5 162, 167 4,9–12 143–145 4,10–12 167 4,11 167 4,13–17a 145–147 4,17b–22 147–148 4,18–22 137 4,21 141, 149 4,23–25 148–150 4,23 148 8,32 413 9,7–8 408 Gal 3,10–13 146 3,15–18 146 3,17 162 4 408
4,22–24 416 Hebr 7 402, 418 11,17–19 413
Register der Bibelstellen
Jak 1,13 412 Apk 14,6 341
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