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German Pages 409 [410] Year 2023
Forschungen zum Alten Testament Herausgegeben von
Corinna Körting (Hamburg) ∙ Konrad Schmid (Zürich) Mark S. Smith (Princeton) ∙ Andrew Teeter (Harvard)
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Jan Christian Gertz
Studien zum Buch Genesis
Mohr Siebeck
Jan Christian Gertz, geboren 1964; 1993 Promotion; 1998 Habilitation; 2000−04 Universitätsprofessor für Altes Testament am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Mainz; Ordinarius für Altes Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg. orcid.org/ 0000-0003-0328-9463
ISBN 978-3-16-162380-6 / eISBN 978-3-16-162381-3 DOI 10.1628/978-3-16-162381-3 ISSN 0940-4155 / eISSN 2568-8359 (Forschungen zum Alten Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.
Vorwort Der vorliegende Band bietet eine Auswahl an Studien zur Genesis aus den letzten zwei Jahrzehnten. In der Mehrzahl handelt es sich um Vorarbeiten zur Kommentierung der biblischen Urgeschichte für die Reihe Das Alte Testament Deutsch. Sie werden flankiert von Beiträgen zur Forschungsgeschichte sowie zur Kompositionsgeschichte der Erzelternerzählung und zum Verhältnis der Genesis zur nachfolgenden Pentateucherzählung im Buch Exodus. Eröffnet wird der Band mit einer Darstellung und knappen Würdigung des vielleicht am häufigsten genannten und mutmaßlich am wenigsten gelesenen Werkes zur Entstehungsgeschichte der Genesis, den Conjectures sur les Mémoires originaux dont il paroit que Moyse s’est servi pour composer le Livre de la Genèse von Jean Astruc. Der Beitrag liest Astruc als exegetischen Zeitgenossen und versucht ihn mit Benno Jacob, einem der profiliertesten Kritiker der Quellenscheidung, ins Gespräch zu bringen (Nr. 1). Auch der folgende Durchgang durch die literarkritische und redaktionsgeschichtliche Forschung zur Genesis ist von der Überzeugung geleitet, dass der Blick in die früheren Phasen der Pentateuchforschung, insbesondere des ‚langen 19. Jahrhunderts‘, für das Verständnis der gegenwärtigen Diskussion unverzichtbar ist. Zuvörderst geht es um die großen Umbrüche in den literarkritischen und redaktionsgeschichtlichen Arbeiten zur Genesis und zum Pentateuch, welche die Forschung seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts in Atem halten. Der forschungsgeschichtliche Abriss schließt mit einem Ausblick auf die mögliche weitere Entwicklung (Nr. 2). Es folgen Arbeiten zur biblischen Urgeschichte (Nr. 3–14). Den Auftakt macht ein Überblick zur Entstehungsgeschichte (Nr. 3). Er ist ursprünglich auf Englisch erschienen und nimmt die bis dahin auf Deutsch veröffentlichten Einzelstudien zu Genesis 2–4 (Nr. 5) und Genesis 6–9 (Nr. 9 und 10) sowie die Vorarbeiten einer Untersuchung zu Genesis 5 (Nr. 8) auf. Trotz der dadurch bedingten Doppelungen habe ich mich nach einigem Bedenken für die Aufnahme in diesen Band entschieden. Der Beitrag bietet eine sonst fehlende Gesamtsicht und stellt die wichtigsten Argumente für eine Beibehaltung einer modifizierten Zwei-Quellentheorie zur Erklärung der Genese der biblischen Urgeschichte zusammen. Die Auslegung des priesterschriftlichen Schöpfungsberichts in Genesis 1 ist immer auch von Fragen nach dem Verhältnis von Schöpfungsglaube und
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Naturwissenschaft sowie nach der Beziehung der biblischen Texte zu den Traditionen des alten Vorderen Orients bestimmt. Gängig ist eine ‚kerygmatische Deutung‘. Danach geht es nicht um Weltentstehung, sondern um Weltdeutung, und dies in betont-polemischer Abgrenzung gegen den monotheistisch überwundenen Mythos des alten Vorderen Orients. Diese Lesart scheint auf den ersten Blick das Doppelproblem der naturwissenschaftlichen Falsifizierung des biblischen Schöpfungsberichts und der religionsgeschichtlichen Einebnung der Bibel in die Religionen des alten Vorderen Orients zu entschärfen, macht es sich aber zu leicht. Das Erklären der Entstehung der Welt und die Weltdeutung lassen sich im Altertum noch weniger als heute trennscharf voneinander abheben. Auch übt sich die Priesterschrift nicht in Mythenkritik und polemischer Abgrenzung. Vielmehr ist sie mit Genesis 1 Teil einer ostmediterranen Koiné, in der sich seit dem 7. Jahrhundert v. Chr. eine neue Form der Naturbetrachtung etablierte, die ihre wesentlichen Impulse aus Mesopotamien erhielt und deren Vertreter sich bemühten, das naturkundliche Wissen ihrer Zeit mit vorgegebenen mythologischen Vorstellungen zu vermitteln (Nr. 4). Die Quellenscheidung hat ihren Ausgangspunkt in der biblischen Urgeschichte genommen und hat sich hier auch am längsten nahezu unhinterfragt halten können. Doch hat es von Anfang an nicht an Widerspruch gefehlt. Gegen die These eines sich selbst tragenden priesterschriftlichen Fadens in Genesis 1–11 wurden und werden immer wieder vermeintliche Lücken und als problematisch empfundene Anschlüsse innerhalb der rekonstruierten Urgeschichte der Priesterschrift angeführt. Dabei dient der erzählerisch nicht ausgeführte Übergang von der sehr guten zur korrumpierten Schöpfung häufig als Kronzeuge. Doch eine erneute Sichtung zeigt, dass die vorgetragenen Textbeobachtungen die ihnen auferlegte Beweislast nicht tragen können, und zwar unabhängig davon, ob es eine textgeschichtliche Evidenz für eine priesterschriftliche Fluterzählung ohne erzählerische Hinführung gibt oder nicht (Nr. 8). Im Rahmen der Neueren Urkundenhypothese galten die nichtpriesterschriftlichen Textanteile der Urgeschichte fast durchweg als das ältere Textstratum. Diese Einschätzung hat sich in der jüngeren Forschung grundlegend gewandelt – bis hin zu der Ansicht, dass die nicht-priesterschriftlichen Passagen in Genesis 1–11 von vornherein als eine Ergänzung zur Priesterschrift konzipiert worden sind. Der Befund ist jedoch komplex und verlangt eine differenzierte Erklärung: Die These, dass die Paradieserzählung zur Gänze oder in Teilen eine midraschartige Reflexion zum priesterschriftlichen Schöpfungsbericht bietet, die aus spätweisheitlich-skeptischer Anschauung und vor dem Hintergrund negativer geschichtlicher Erfahrungen in der nachexilischen Zeit die optimistische Sicht der Priesterschrift korrigiert, hat sich nicht bewährt. Genesis 2–4 ist in literarischer Hinsicht weitgehend einheitlich und der Anfang einer ehedem selbständigen Version der Urgeschichte. Die
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wiederholt für eine entstehungsgeschichtliche Differenzierung einer älteren Anthropogonie und deren sündentheologischer Bearbeitung angeführte ambivalente Grundstimmung ist nicht das Ergebnis umfangreicher redaktioneller Bearbeitungen. Vielmehr ist die urgeschichtliche Herleitung einer ambivalenten Daseinserfahrung das eigentliche und von vornherein angelegte Thema der Paradieserzählung und in deren Folge auch der Brudermorderzählung (Nr. 5). Zur Ambivalenz der Daseinserfahrung gehört auch die Notwendigkeit der mühsamen und mitunter vergeblichen Arbeit für den eigenen Lebensunterhalt. Für die biblische Überlieferung ist sie ein selbstverständlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens, dessen Mühen und wenige Freuden eher en passant erwähnt werden. Grundsätzlicher wird das Thema in der Paradiesgeschichte angesprochen. Für sie ist der Mensch zur Arbeit bestimmt. Doch steht die Arbeit ‚jenseits von Eden‘ unter dem Vorzeichen, dass der Ackerboden verflucht ist, sodass die Arbeit, wenn überhaupt, nur unter Mühen zum Erfolg führt. Auch die utopischen Zukunftsentwürfe erwarten nicht, dass die Bestimmung des Menschen zur Arbeit aufgehoben ist, sie erhoffen sich aber den sicheren Lohn der Mühe (Nr. 6). Dass der Erfolg der eigenen Mühen bis in den Bereich der Gottesbeziehung immer auch kontingent ist, bildet den Hintergrund der Brudermorderzählung. Sie hat die Auslegung seit jeher vor große Probleme gestellt, da sie die Spannungen der Kontingenzerfahrung aushält und der Versuchung widersteht, alles erklären zu wollen. Die Folge sind bewusst formulierte Ambiguitäten und mit Bedacht gesetzte Leerstellen, die schon im hellenistischen Judentum und in der Spätantike einschließlich der koranischen und frühen islamischen Überlieferung einen vielfältigen Auslegungsprozess aus sich herausgesetzt haben (Nr. 7). Neben der Paradieserzählung ist die nicht-priesterschriftliche Fluterzählung der zweite Textbereich, dessen Entstehungsgeschichte besonders kontrovers diskutiert wird. Anders als dies in jüngerer Zeit wiederholt vertreten worden ist, bietet die These von zwei redaktionell verbundenen, ehedem selbständigen Versionen der Fluterzählung nach wie vor die plausibelste Erklärung des literarischen Befundes. Die nicht-priesterschriftliche Fluterzählung ist weder eine Bearbeitung der priesterschriftlichen Version noch fällt sie aus dem nicht-priesterschriftlichen Zusammenhang von ‚Schöpfung und Flut‘ heraus (Nr. 9). Inhaltlich geht es der nicht-priesterschriftlichen Fluterzählung um die Selbstklärung der eigenen, bereits von der Unheilsprophetie geprägten Gotteskonzeption. Hierzu bediente sie sich des mesopotamischen Flutmythos. Sein hohes theologisches Problembewusstsein gab die Anregung zur Reformulierung des Mythos, um urgeschichtlich herzuleiten, wie der Gott Israels zu dem Gott geworden ist, als den ihn die Propheten und ihre Zeitgenossen erfahren haben (Nr. 10). Dass Prolog und Epilog der Fluterzählung mit ihren Spitzenaussagen über Gottes Reue und die dem Menschen inne-
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wohnende Schlechtigkeit eine große Nähe zum Jeremiabuch aufweisen, ist schon lange gesehen worden. Umstritten ist jedoch, wie das Verhältnis insbesondere zu Jeremia 18 zu bestimmen ist. Die wiederholt vorgetragene These einer literarischen Abhängigkeit von Jeremia 18 und die daraus abgeleitete ‚Spätdatierung‘ der nicht-priesterschriftlichen Fluterzählung hat sprachliche und konzeptionelle Unterschiede gegen sich. Die gemeinsame Begrifflichkeit ist durch die Sache vorgegeben und lässt sich wie die unverkennbaren thematischen Berührungspunkte mit geteilten theologischen Vorgaben erklären (Nr. 11). Die ehedem selbständig überlieferte nicht-priesterschriftliche Urgeschichte hat die Themen Schöpfung und Flut umfasst und ein judäisches Pendant zu den mesopotamischen Mythen vom Uranfang gebildet. Die klassisch einem ‚Jahwisten‘ zugewiesenen Erzählungen von Hams Sündenfall und Kanaans Erbfluch in Genesis 9,18–29 und vom Turmbau in Genesis 11,1–9 sind hingegen redaktionell und von vornherein auf die Verbindung mit der priesterschriftlichen Urgeschichte hin ausgerichtet. Genesis 9,18–29 ist nachträglich in die Toledot Noahs eingeschrieben worden und liefert eine urgeschichtliche Herleitung der stereotypen Beschreibung der Kanaanäer in der Mehrzahl alttestamentlicher Texte. Zugleich formuliert die Erzählung eine deutliche Korrektur an der priesterschriftlichen Oikumene, indem sie den universellen Segen Gottes über die Söhne Noahs (Gen 9,1–17) in Fluch und Segen differenziert (Gen 9,25–27). Dabei wird der Fluch über die böse Tat Hams ausdrücklich zum Erbfluch, der Kanaan auf Dauer aus dem brüderlichen Verhältnis der von der Priesterschrift dargestellten Menschheit ausschließt (Nr. 12). Die über weite Strecken problematische Rezeptionsgeschichte der Erzählung führt über die ‚biblische Herleitung‘ der mittelalterlichen Gesellschaftsordnung und die Abwertung von Menschen schwarzer Hautfarbe in der jüdischen, christlichen und islamischen Tradition bis hin zum rassistischen Mythos von ‚der doppelten Verfluchung Hams‘, der im Amerika vor und nach dem Bürgerkrieg (1861–1865) als ‚populärtheologische‘ Rechtfertigung der Sklaverei gedient hat und mitunter noch immer dient (Nr. 13). Die Turmbauerzählung wird gerne als Finale einer ehedem selbständigen nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte bestimmt. Doch die Erzählung liegt quer zur Chronologie des Erzählverlaufs und entfaltet nachholend den Anlass und die näheren Umstände, unter denen sich die von der Priesterschrift erstmals in Genesis 9,19 erwähnte und dann in der Völkertafel in Genesis 10* konstatierte Vielfalt und Ausbreitung der Völker und Sprachen (vgl. Genesis 10,20.31) vollzogen hat. Das spricht für eine nachpriesterschriftliche Einbindung der Erzählung in die Urgeschichte. Zugleich ist die literarisch weitgehend einheitliche Erzählung, die möglicherweise auf einem älteren Spottgedicht über Babylon beruht, auf die Fortsetzung in der Erzelternerzählung angewiesen und von ihrem Aussagegefälle als Abschluss einer ehedem selb-
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ständigen nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte denkbar ungeeignet (Nr. 14). Die beiden folgenden Beiträge sind Fragen der Kompositionsgeschichte der Erzelternerzählung gewidmet. Die redaktionsgeschichtliche Analyse von Genesis 15 fragt nach der Funktion der Exodusreminiszenzen in diesem Kapitel. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass im Grundbestand des Kapitels Abraham klassische Themen der Überlieferungen vom Auszug Israels aus Ägypten, der Gottesoffenbarung und des Bundesschlusses am Sinai sowie der Landgabe an sich gezogen hat. Auf diese Weise werden Gestalt und Geschichte Abrahams als klare Alternative zur Exoduserzählung präsentiert. Eine nachpriesterschriftliche Redaktion hat den Text zur Prolepse der heilsgeschichtlichen Daten der Exoduserzählung im Sinne der narrativen Vorschaltung der Erzelterngeschichte vor die Exoduserzählung umgestaltet und die Bedeutung Abrahams zugunsten der Bedeutung des Exodus relativiert. Dass die Grundschicht von Genesis 15 die Priesterschrift noch nicht gekannt hat, würde ich heute nicht mehr so bestimmt sagen. Die Ausführungen zur unterschiedlichen Intention der Anspielungen auf Exodus, Sinai und Landgabe bleiben davon aber unberührt (Nr. 15). Der zweite Beitrag zur Kompositionsgeschichte der Erzelternerzählung greift weiter aus und fragt nach der Verbindung der Überlieferungen um Abraham, Isaak und Jakob zu der einen Geschichte der Väter und Mütter Israels. In der Regel werden eine schon immer mitgedachte genealogische Abfolge von Abraham, Isaak und Jakob einerseits und die wesentlich später erfolgte literarische Verknüpfung der zugehörigen Überlieferungsblöcke andererseits deutlich voneinander unterschieden. Im Unterschied dazu wird hier die These vertreten, dass die Generationenfolge von Abraham, Isaak und Jakob nicht die stillschweigende Voraussetzung, sondern das Ergebnis der Überlieferungsbildung gewesen ist. Ferner werden die verschiedenen redaktionsgeschichtlichen Transformationen des Gunkel’schen Erzählkranzmodells problematisiert: Die im Nordreich beheimatete Jakobsgeschichte ist literarisch erstmals als eine Komposition greifbar, die bereits den Konflikt mit dem Bruder Esau und den Aufenthalt bei Laban umfasst und zu deren festem Bestand Isaak, der Vater der beiden Brüder, gehört. Nach dem Untergang des Nordreichs ist sie in den Süden gelangt und wurde dort unter judäischem Vorzeichen durch die redaktionelle Vorschaltung Abrahams adaptiert. Integraler Bestandteil der Abraham-Lot-Erzählung ist der Auftakt in Genesis 12 (Genesis 12,1–3.4a.6–8), mit dem diese von vornherein auf eine Fortsetzung durch die Jakobsgeschichte hin angelegt war (Nr. 16). Überlegungen zur Abtrennung der Bücher Genesis und Exodus beschließen den Band. Der Befund zu den Handschriften aus der judäischen Wüste zeigt, dass sich technische Buchgrenzen und Werkzusammenhänge nicht gegenseitig ausschließen und dass neben inner- auch mit intertextuellen Querverbindungen zu rechnen ist. Damit relativiert sich die Bedeutung der
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Frage eines buchtechnischen Einschnitts zwischen der Josephs- und der Exoduserzählung ganz erheblich. Da im Übergangsbereich zwischen beiden Erzählwerken mit tiefgreifenden Transformationen gerechnet werden muss, ist ohnehin jede These zur Entstehungsgeschichte der Buchgrenze mit Unsicherheiten behaftet. Mit diesem Vorbehalt bekräftigt eine erneute Sichtung der einschlägigen Textbeobachtungen und Argumente die These, wonach erst die priesterschriftlichen Texte die literarische Verknüpfung zwischen der Josephs- und der Exoduserzählung innerhalb eines Werkzusammenhangs hergestellt haben. Zugleich sind die priesterschriftlichen Texte ganz maßgeblich daran beteiligt gewesen, dass der Übergang von der Josephs- zur Exoduserzählung als Epocheneinschnitt und langfristig als Buchgrenze gestaltet worden ist (Nr. 17). Die Beiträge sind zum Teil bereits andernorts veröffentlicht worden. Erstmals erscheinen hier die Beiträge Nr. 13 und Nr. 16. Ebenfalls bislang unveröffentlicht sind die deutschen Fassungen der bislang auf Englisch publizierten Beiträge Nr. 1–3 sowie des ursprünglich auf Französisch erschienenen Beitrags Nr. 7. Die wiederabgedruckten Texte wurden lediglich leicht überarbeitet. Offenkundige Fehler wurden stillschweigend verbessert, die Rechtschreibung moderat an die neue deutsche Rechtschreibung angeglichen, in einigen Fällen hoffentlich eine deutlichere Formulierung gefunden und schließlich die Zitierweise vereinheitlicht. In einer Sammlung von Studien, die sich über Jahre mit den gleichen Texten und immer wiederkehrenden Fragestellungen beschäftigen, lassen sich Überschneidungen kaum vermeiden. Da die einzelnen Beiträge weiterhin für sich gelesen und verstanden werden sollen, wurden sie nicht getilgt. Abkürzungen folgen RGG4 (Abkürzungen Theologie und Religionswissenschaft nach RGG4, herausgegeben von der Redaktion der RGG4, Tübingen 2007), darüber hinaus gebrauchte Abkürzungen für antike Quellen erschließen sich aus dem Kontext. Ich danke den Herausgebenden und dem Verlag für die Aufnahme der Genesis-Studien in die „Forschungen zum Alten Testament“. Mein Dank gilt nicht zuletzt Hannah Lichtinger, Daniel Seifert und insbesondere Victoria Gaudlitz für ihre tatkräftige Unterstützung bei der Bearbeitung von Fußnoten, Bibliographie und Registern, für das Korrekturlesen und die Erstellung der Druckvorlage. Heidelberg, Januar 2023
Jan Christian Gertz
Inhaltsverzeichnis
Vorwort .......................................................................................................... V 1.
Jean Astruc und die Quellenscheidung im Buch Genesis........................ 1
2.
Quellenscheidung und Redaktionskritik im Buch Genesis.................... 15
3.
Die Entstehung der biblischen Urgeschichte ........................................ 37
4.
Antibabylonische Polemik im priesterlichen Schöpfungsbericht? ........ 65
5.
Von Adam zu Enosch. Überlegungen zur Entstehungsgeschichte von Genesis 2–4 .................. 85
6.
„Im Schweiße deines Angesichts ...“ Alttestamentliche Perspektiven zum Thema „Sinn der Arbeit – Ethos der Arbeit“ ......... 107
7.
Lesarten der Erzählung von Kain und Abel ........................................ 127
8.
Genesis 5 – Priesterliche Redaktion, Komposition oder Quellenschrift? ............................................................................ 147
9.
Beobachtungen zum literarischen Charakter und geistesgeschichtlichen Ort der nicht-priesterschriftlichen Sintfluterzählung ................................................................................. 177
10. Noah und die Propheten. Rezeption und Reformulierung eines altorientalischen Mythos .......... 195 11. Gottes Reue, Noahs Rettung und Jeremias Umkehrpredigt. Anmerkungen zur traditionsgeschichtlichen und literarhistorischen Verhältnisbestimmung von Genesis 6,5–8; 8,20–22 und Jeremia 18,7–12 ........................................................................... 215
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Inhaltsverzeichnis
12. Hams Sündenfall und Kanaans Erbfluch. Anmerkungen zur kompositionsgeschichtlichen Stellung von Genesis 9,18–29 ............................................................. 229 13. Ham und die Hamiten. Anmerkungen zu einer kulturgeschichtlich bedeutsamen ethnogeographischen Klassifizierung in der biblischen Urgeschichte ....................................................................................... 247 14. Babel im Rücken und das Land vor Augen. Anmerkungen zum Abschluss der Urgeschichte und zum Anfang der Erzählungen von den Erzeltern Israels .......................................... 259 15. Abraham, Mose und der Exodus. Beobachtungen zur Redaktionsgeschichte von Genesis 15 ................. 285 16. Wie Jakob zu seinem Großvater gekommen ist. Anmerkungen zur Komposition der nicht-priesterschriftlichen Erzelternerzählung .............................................................................. 305 17. Zusammenhang, Trennung und Selbständigkeit der Bücher Genesis und Exodus im priesterlichen und nachpriesterlichen Pentateuch ....... 331 Nachweis der Erstveröffentlichungen ......................................................... 351 Literaturverzeichnis .................................................................................... 355 Stellenregister ............................................................................................. 381 Personenregister .......................................................................................... 393
1. Jean Astruc und die Quellenscheidung im Buch Genesis* Im Rahmen der Sacred Conjectures Conference haben ausgewiesene Kenner der Forschungsgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts Jean Astrucs Beitrag zur Entstehung des Buches Genesis in die Anfangsgründe der historisch-kritischen Arbeit am Pentateuch eingezeichnet. Die in der Literatur viel genannten, vermutlich aber nur wenig gelesenen Conjectures sur les Mémoires originaux liegen in einer sorgfältigen Neuedition vor, deren Einleitung und Kommentar von Pierre Gibert das Wesentliche über das Werk und seine Entstehung sagen.1 Niemand wird also substanziell Neues erwarten und ich darf mir die Freiheit nehmen, die Perspektive eines interessierten Laien einzunehmen, der sich im 18. Jahrhundert nur wenig auskennt, dafür mit Astruc aber den Forschungsgegenstand teilt: die Entstehungsgeschichte des Buches Genesis. Ich möchte daher im Folgenden Astruc als exegetischen Zeitgenossen lesen. Für den historisch-kritischen Anachronismus dieses Zugangs lassen sich auch Sachgründe nennen. Grundsätzlich gilt die Feststellung, dass die Arbeit am Pentateuch eine „Disziplin [ist], wo der Stoff im Wesentlichen keine Veränderungen erfährt und seit Jahrhunderten von vielen Leuten über ihn nachgedacht worden ist, die nicht dümmer waren als wir“.2 Der zweite Grund führt unmittelbar in die gegenwärtige exegetische Diskussion. Es gibt nicht nur außerhalb der Fachdisziplin eine zunehmende Distanz und Skepsis gegenüber diachronen Fragestellungen, insbesondere gegenüber der von Astruc mitbegründeten Quellenscheidung im Pentateuch. In der deutschsprachigen Pentateuchforschung berufen sich die Kritiker diachroner Analysen gern auf die Ar-
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Vortrag auf der Konferenz „Sacred Conjectures“ anlässlich des 250-jährigen Jubiläums der Veröffentlichung von Robert Lowths „On Sacred Poetry“ und Jean Astrucs „Conjectures on Genesis“ im St. Catherine’s College, Oxford, April 2003. Die Beiträge sind veröffentlicht in J. JARICK (Hg.) 2007: Sacred Conjectures. The Context and Legacy of Robert Lowth and Jean Astruc, LHBOTS 457, New York/London. 1 J. A STRUC 1753/1999: Conjectures sur les Mémoires originaux dont il paroit que Moyse s’est servi pour composer le Livre de la Genèse, Brüssel 1753 (Neuedition: Conjectures sur la Genèse. Introduction et notes de Pierre Gibert, Paris). Zitate im Folgenden nach der Neuedition von Pierre Gibert. 2 R. SMEND 1989: Deutsche Alttestamentler in drei Jahrhunderten, Göttingen, 9.
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1. Jean Astruc und die Quellenscheidung im Buch Genesis
beiten Benno Jacobs (1862–1945), dessen Kommentare zu den Büchern Genesis und Exodus aus den Jahren 1934 und 1942 gegenwärtig eine bemerkenswerte Renaissance erfahren.3 Es ist eine glückliche Fügung, dass Jacob 1928, also 175 Jahre nach dem Erscheinen von Astrucs Conjectures, ebenfalls in Oxford auf dem Orientalistenkongress mit einem Vortrag über die Sintfluterzählung zum Angriff auf die Quellenscheidung geblasen hat: Das größte Hemmnis für das wahre Verständnis des Pentateuch ist die heute noch fast unumschränkt herrschende Quellenscheidung. Sie bedarf unter allen Umständen einer gründlichen Revision. Diese kann aber nur von einer Exegese geleistet werden, die sich von allen literarkritischen Dogmen frei hält und jede Behauptung der Quellenkritik mit unnachsichtiger Schärfe nachprüft.4
Mit diesem Zitat, in dessen Kontext ausdrücklich auch Astruc genannt wird, ist die Debatte zwischen Astruc (I) und Jacob (II) eröffnet. Es folgt eine knappe Auswertung (III).
I. Jean Astrucs Conjectures sur les Mémoires originaux Astrucs Beitrag zur Formierung der Älteren Urkundenhypothese gehört zum Grundwissen der alttestamentlichen Einleitungswissenschaft. An der mosaischen Verfasserschaft des Pentateuch grundsätzlich festhaltend, erklärt Astruc die Genese des Buches Genesis bis einschließlich Ex 1f mit der sekundären Verbindung von zwei durchlaufenden und zehn weiteren, nur fragmentarisch erhaltenen Urkunden. Habe Mose diese Urkunden in vier Kolumnen nebeneinander angeordnet, so hätte sie ein Späterer zu einer einzigen fortlaufenden Erzählung zusammengeschoben. Astrucs Kriterien für die Quellenscheidung sind Wiederholungen, der Wechsel zwischen den ‚Gottesnamen‘ sowie chronologische Unstimmigkeiten im Erzählverlauf. Im Einzelnen unterscheidet Astruc die beiden durchlaufenden Hauptquellen in Kolumne A5 und B6. Unter
3 B. JACOB 1934/2000: Das erste Buch der Tora Genesis, Berlin (Nachdr., Das Buch Genesis, hg. in Zusammenarbeit mit dem Leo-Baeck-Institut, Stuttgart 2000); DERS. 1942/1997: Das zweite Buch der Tora Exodus, übersetzt und erklärt (Nachdr., Das Buch Exodus, hg. im Auftrag des Leo-Baeck-Instituts v. S. Mayer/J. Hahn/A. Jürgensen, Stuttgart 1997). Schon die Neueditionen spiegeln das große Interesse an den Arbeiten Jacobs. Vgl. ferner B. S. CHILDS 1999: The Almost Forgotten Genesis Commentary of Benno Jacob, in: S. Beyerle u.a. (Hg.), Recht und Ethos im Alten Testament – Gestalt und Wirkung. Festschrift H. Seebass, Neukirchen-Vluyn, 273–280; W. JACOB/A. JÜRGENSEN (Hg.) 2002: Die Exegese hat das erste Wort. Beiträge zu Leben und Werk Benno Jacobs, Stuttgart. 4 B. JACOB 1930: Die biblische Sintfluterzählung. Ihre literarische Einheit, Berlin, 1. 5 Gen 1,1–2,3; 5; 6,9–22; 7,6–10.19.22.24; 8,1–19; 9,1–10.12.16.17.28.29; 11,10–26; 17,3–27; 20,1–17; 21,2–32; 22,1–10; 23; 25,1–11; 30,1–23; 31,4–47; 31,51–32,2; 32,24–
I. Jean Astrucs Conjectures sur les Mémoires originaux
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Kolumne C fasst Astruc diejenigen Texte zusammen, die einzelne Sachverhalte ein drittes Mal berichten und sich wegen des fehlenden ‚Gottesnamens‘ keiner der beiden Hauptquellen zuordnen lassen.7 Letzteres gilt auch für die Texte der Kolumne D, nur dass sie gegenüber A und B ‚Sondergut‘ bieten. Die Texte müssen ursprünglich nicht zu ein und derselben Quelle gehört haben, aus inhaltlichen Erwägungen hält Astruc auch eine Herkunft von den Nachbarn Israels für möglich.8 Entscheidend für die Bewertung dieser Hypothese ist die Feststellung, dass weder die grundlegenden Textbeobachtungen noch die einzelnen Elemente ihrer entstehungsgeschichtlichen Erklärung völlig neu sind. An dieser Stelle muss der Hinweis auf einige von Astruc zustimmend wie ablehnend genannte Autoren genügen: Thomas Hobbes (1588–1679),9 Issac de la Peyrère (1594– 1676),10 Baruch Spinoza (1632–1677),11 Richard Simon (1638–1712),12 Claude Fleury (1640–1723),13 Johannes Clericus (Jean Le Clerc; 1657–1736)14 6
33,16; 35,1–27 (So op. cit., 504; op. cit., 294 wird V. 27 jedoch D zugeordnet); 37; 40–48; 49,29–33; 50; Ex 1–2. 6 Gen 2,4–4,26; 6,1–8; 7,1–5.11–18.21.24; 8,20–22; 9,11.13–15.18–29; 10,1–11,9; 11,27–13,18; 15,1–17,2; 18,1–19,28; 20,18–21,1; 21,33–34; 22,11–19; 24; 25,19–26,33; 27,1–28,5; 28,10–22; 29; 30,24–43; 31,1–3.48–50; 32,3–23; 33,17–20; 38; 39; 49,1–28. 7 Gen 7,20.23.24; 34 (?). 8 Gen 14; 19,29–38; 22,20–24; 25,12–18; 26,34–35; 28,6–9; 34 (?); 35,28–36,43 (nach op. cit., 294 bereits ab Gen 35,27). Op. cit., 396ff verteilt Astruc die Texte der Kolumne D auf die Quellenfragmente E bis M. 9 TH. H OBBES 1651: Leviathan, or the Matter, Form, and Power of a Commonwealth Ecclesiastical and Civil, London (= Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, hg. von I. Fetscher, übers. von W. Euchner, Frankfurt a.M. 2002), von ASTRUC zitiert in op. cit., 507. 10 I. DE LA PEYRÈRE 1655: Systema Theologicum ex praeadamitarum hypothesi, pars prima, o.O., von ASTRUC zitiert in op. cit., 507. 11 B. SPINOZA 1670: Tractatus theologico-politicus, Amsterdam (= Theologisch-politischer Traktat, übertr. und eingel. nebst Anm. und Reg. von C. Gebhardt, 5. Aufl., Hamburg 1965), von ASTRUC zitiert in op. cit. 492, 506f. 12 R. SIMON 1678: Histoire critique du Vieux Testament, Paris (2. Aufl. Rotterdam 1685), von Astruc zitiert in op. cit., 135, 523f. 13 A STRUC, op. cit., 136. Sehr wahrscheinlich: C. FLEURY 1681/82: Les Mœurs des Israélites et des Chrétiens, Paris [?] (danach in mehreren Auflagen erschienen). Das Werk war mir nicht zugänglich. 14 J. C LERICUS 1693: ‘Dissertatio de scriptore pentateuchi Mose’, in: ders. Genesis sive Mosis prophetae liber primus ex translatione Joannis Clerici, Amsterdam mit Zurücknahme seiner älteren und kritischeren Position zur Entstehung des Pentateuch in: ders. 1685: Sentimens de quelques théologiens de Hollande sur l’histoire critique du Vieux Testament composée par le P. Richard Simon de l’Oratoire, Amsterdam. Astruc zitiert die genannten Werke in op. cit., 135, 408, 473ff, 507f, 515, 523f. Zu Clericus vgl. u.a. M. C. PITASSI 1987: Entre croire et savoir. Le problème de la méthode critique chez Jean Le Clerc, Leiden.
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1. Jean Astruc und die Quellenscheidung im Buch Genesis
und Laurent François (1698–1782).15 Natürlich stehen auch diese Autoren in einer Tradition der Rückfragen an die sachliche und sprachliche Kohärenz des Textes, welche die Lektüre des Pentateuch gleichermaßen im Christentum wie im nachbiblischen Judentum von Anbeginn an begleitet haben. Es ist aber das Verdienst der mit den genannten Autoren allmählich einsetzenden historischen Kritik, die Fragen und entstehungsgeschichtlichen Antworten der Kirchenväter, Philos und der Rabbinen in methodisch geleitete Fragen und darauf aufbauende wissenschaftliche Hypothesen zur Genese des Pentateuch überführt zu haben. Hierin liegt dann auch die eigentliche Leistung Astrucs, dessen Hypothese sich durch eine bemerkenswerte innere Stimmigkeit und argumentative Geschlossenheit auszeichnet.16 Zugleich ist sie aber so offen formuliert, dass sich weitere Beobachtungen integrieren lassen. Historiographische Voraussetzung der Hypothese Astrucs ist die Annahme der mosaischen Verfasserschaft des Pentateuch. Sie ist aus der traditionellen Lesart des alttestamentlichen Selbstzeugnisses übernommen, wird durch die Zurückweisung zeitgenössischer Gegenpositionen verteidigt17 und trägt nicht unwesentlich zur Erklärungsleistung des Modells bei. Die Zuschreibung des Pentateuch an Mose bedingt zunächst einmal die literarhistorische Unterscheidung der Darstellung der mosaischen Zeit von derjenigen der vormosaischen Zeit und die damit verbundene Eingrenzung der Untersuchung auf Gen 1– Ex 2: Während die Darstellung ab Ex 3 als Eigenbericht des gereiften Mose aus der Zeit nach dem Auszug bewertet wird, ist dies für Gen 1–Ex 2 grundsätzlich ausgeschlossen (S. 132). Es stellt sich die Frage, woher Mose seine Kenntnis von den Geschehnissen vom Anfang der Schöpfung an bis hin zu seiner Geburt hat. Die Möglichkeit einer Offenbarung verneint Astruc auf Grund einer Reihe von formgeschichtlichen Argumenten. Mose spricht im
15 A STRUC, op. cit., 136. Sehr wahrscheinlich handelt es sich um das mir nicht zugängliche Werk L. FRANÇOIS 1751: Les Preuves de la religion de Jésus-Christ contre les Spinosistes et les Déistes, Paris. 16 Dies ist auch gegenüber dem erst spät wiederentdeckten und Astruc wohl unbekannten älteren Henning Bernhard Witter (1683–1715) zu betonen. Witter begründet in seinem unvollendeten Genesiskommentar die Quellenscheidung in Gen 1–3 ebenfalls mit dem Wechsel der Gottesbezeichnung sowie sachlichen und stilistischen Unterschieden, zieht die Konsequenzen seiner Beobachtungen aber nicht über diesen Textbereich hinaus. Zu Witter vgl. H. BARDTKE 1954: Henning Bernhard Witter. Zur 250. Wiederkehr seiner Promotion zum Philosophiae Doctor am 6. November 1704 zu Helmstedt, ZAW 66, 153–181 sowie P. GIBERT 2007: De l’intuition à l’évidence: la multiplicité documentaire dans la Genèse chez H. B. Witter et Jean Astruc, in: J. Jarick (Hg.), Sacred Conjectures. The Context and Legacy of Robert Lowth and Jean Astruc, LHBOTS 457, New York/London, 174–189. 17 Vgl. op. cit., 506–515 zu den Zuschreibungen des Pentateuch an Esra u.a. durch T H. HOBBES (Leviathan), I. DE LA PEYRÈRE (Systema Theologicum) und B. SPINOZA (Tractatus theologico-politicus) oder den in 2Kön 17 genannten Priester durch J. CLERICUS (Dissertatio de scriptore).
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Buch Genesis als „simple historien“, im Gegensatz zu den Propheten beruft er sich nicht mittels der einschlägigen Formeln auf eine Offenbarung und schließlich unterscheidet sich seine Diktion in der Genesis deutlich von derjenigen in der Sinaiperikope, wo er als Übermittler des göttlichen Gesetzes auftritt (S. 132f). Für Astruc folgt hieraus, dass Mose Berichte seiner Vorfahren benutzt hat, und es stellt sich die Frage nach der Art des Überlieferungsprozesses. Eine rein mündliche Überlieferung sei wegen der geringen Anzahl an beteiligten Generationen von Adam bis hin zu den Nachfahren des Jakobssohnes Levi in Ägypten durchaus denkbar, wegen der formalen Eigentümlichkeiten des Textes mit der Fülle seiner Genealogien und topographischen Details jedoch höchst unwahrscheinlich (S. 133f). Hieraus folgt, dass es sich um einen schriftlichen Überlieferungsprozess gehandelt haben muss. Mose konnte auf schriftliche Berichte von Zeitzeugen zurückgreifen, und zwar auf mehrere parallele Berichte. Gegen die unausgesprochene Alternative der historischen Unglaubwürdigkeit der Genesis führt Astruc damit den schriftlichen Charakter der Urkunden, ihre Zeitgenossenschaft zu den berichteten Geschehnissen und ihre sich gegenseitig stützende Vielzahl an: Je prétends donc que Moïse avait entre les mains des Mémoires anciens contenant l’histoire de ses ancêtres depuis la création du monde; que pour ne rien perdre de ces Mémoires, il les a partagés par morceaux suivant les faits qui y étaient racontés; qu’il a inséré ces morceaux en entier les uns à la suite des autres, et que c’est de cet assemblage que le Livre de la Genèse a été formé. (S. 137)
In diesen Deuterahmen ordnet Astruc nun die bekannten Textbeobachtungen als Beweise ein, sodass sich die Plausibilität seiner Hypothese an ihrer Erklärungsleistung bemisst. Diesem Vorgehen entspricht der Aufbau der Conjectures. In den einleitenden „Réflexions préliminaires“ (S. 131–148) führt Astruc die grundlegenden Textbeobachtungen als die vier Beweise für seine Hypothese an. Nach der Quellenscheidung von Gen 1–Ex 2 werden dann im letzten Teil des Werkes, den „Remarques sur la distribution de la Genèse en différents Mémoires“ (S. 375–537), die fraglichen Textbeobachtungen in teilweise veränderter Reihenfolge und Zuordnung wieder aufgegriffen, um die Erklärungsleistung der Hypothese aufzuzeigen. In diesem Zusammenhang spricht Astruc von den vier Vorzügen („avantages“) seiner Hypothese. Ich gliedere im Folgenden den gesamten Argumentationsgang in drei Schritte. 1. Den ersten Beweis für die Existenz verschiedener durchlaufender Urkunden liefern die Wiederholungen der gleichen Geschehnisse, die auf einem so beschränkten Raum schwerlich auf den Gestaltungswillen eines Autors zurückgeführt werden könnten. Ihre parallele Tradierung erkläre sich allein durch das Bemühen eines Historikers, also Moses, um Vollständigkeit (S. 137f). Prominentes Beispiel ist neben den beiden Schöpfungsberichten in Gen 1,1–2,3 (!) und 2,4–3,24, der Völkertafel in Gen 10 und dem Bund zwischen Laban und
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Jakob in Gen 31 die Sintfluterzählung in Gen 6–8 (S. 432ff). Seine Stärke gewinnt das Argument der Wiederholungen nicht zuletzt dadurch, dass Astruc auch diejenigen Fälle aufgreift, die sich nicht mit der These mehrerer Urkunden erklären lassen. Neben nachmosaischen Glossen (S. 438f) rechnet Astruc mit Wiederholungen, die auf stilistische Eigentümlichkeiten des Hebräischen (S. 439–441, 442–444) oder den Einfluss der mündlichen Rede auf die frühe Form der Schriftlichkeit zurückgehen (S. 445–447). Dürfe schon für den „göttlichen Homer“ das moderne Sprachempfinden nicht für die Feststellung störender Wiederholungen herangezogen werden, so gelte dies umso mehr für den älteren, nicht weniger „göttlichen Mose“ (S. 445–447). Von ganz anderer Art sind nach Astruc schließlich die Wiederholungen in den gesetzlichen Partien der Bücher Exodus bis Deuteronomium. Sie erklären sich durch ihre pädagogische Abzweckung, was noch einmal die Notwendigkeit einer gesonderten Betrachtung von Gen 1–Ex 2 unterstreiche (S. 441f). 2. Den zweiten Beweis für die Hypothese liefert der Wechsel zwischen dem Tetragramm, dem nach damaligen Kenntnisstand Jéhovah ausgesprochenen Eigennamen Gottes, und Elohim, worunter Astruc in Anlehnung an die antiken Übersetzungen die eigennameartige Bezeichnung des höchsten Wesens, eben ‚Gott‘ versteht (S. 138, 395 und passim).18 Dieses Kriterium der Quellenscheidung ist freilich in der jüngeren Debatte stark in Verruf geraten,19 sodass es sich hier besonders lohnt, auf Astrucs Differenzierungen zu achten. Grundsätzlich beurteilt Astruc den Wechsel der Gottesbezeichnung, der bei einem einzigen Autor die pure Nachlässigkeit wäre, auf den eigentümlichen Sprachgebrauch verschiedener Urkunden hin. Dass Gottesbezeichnungen promiscue verwendet werden, schließt Astruc für seine beiden Hauptquellen aus, weil der Sprachgebrauch in ganzen Kapiteln oder doch wenigstens in längeren Abschnitten einheitlich sei (S. 139f). Hierin würde sich der Textbefund in der Genesis erheblich von demjenigen in Moses eigener Darstellung unterscheiden: Von Ex 3 an wechselten nicht längere Passagen, die jeweils Elohim oder das Tetragramm verwenden, sondern der Sprachgebrauch sei gemischt. Mose benutze in der Regel den Eigennamen, streue jedoch aus stilistischen Gründen die Bezeichnung Elohim ein (S. 140–142). In der Diskussion seiner These geht
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Zum Problem und den wesentlichen Stationen der Diskussion vgl. auch A. DE PURY 2002: Gottesnamen, Gottesbezeichnung und Gottesbegriff, in: J. Ch. Gertz/K. Schmid/M. Witte (Hg.), Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion, BZAW 315, Berlin/New York, 25–47. De Pury weist völlig zu Recht darauf hin, dass die Priesterschrift in ihrem Programmtext Gen 1 den Gebrauch des ehemaligen Appellativums Elohim als den universalen Gottesnamen einführt. 19 Vgl. statt vieler E. BLUM 1984: Die Komposition der Vätergeschichte, WMANT 57, Neukirchen-Vluyn, 471–475; ferner DERS. 2008: Der vermeintliche Gottesname ‚Elohim‘, in: I. Dalferth/Ph. Stoellger (Hg.), Gott nennen. Gottes Namen und Gott als Name, Tübingen, 97–119.
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Astruc ausdrücklich auch auf Ausnahmen in den beiden Hauptquellen ein (S. 413–432). Sie erklären sich ihm sämtlich durch Sachgründe wie den Gebrauch von Elohim als Appelativ oder einen etymologisierenden Kontext (zu Gen 28). Schließlich erkennt Astruc in den beiden Gottesbezeichnungen jeweils unterschiedliche Akzentuierungen des Gottesbegriffs. Bezeichne Elohim das höchste Wesen („l’Être suprême“), so Jéhovah den Ewigen („l’Éternal“) (S. 140, 392f). Doch möchte Astruc dies nicht gegen die Quellenscheidung ausgespielt wissen.20 3. Den dritten und seiner eigenen Einschätzung nach wichtigsten Beweis findet Astruc in den als „Antichronismen“ bezeichneten chronologischen Unstimmigkeiten des Erzählverlaufs. Ihre Existenz widerspreche eindeutig der Annahme einer einheitlichen Verfasserschaft, lasse sich aber gut mit der sekundären Verknüpfung von Urkunden erklären (S. 142, 447–470).21 Um Mose vom Vorwurf einer unordentlichen und fehlerhaften Edition der ihm vorliegenden Urkunden freizusprechen, greift Astruc zu der Hilfsannahme, dass die von Mose abschnittsweise und in einer Synopse angeordneten Texte erst nachträglich ineinander gearbeitet worden seien (S. 486–505). Diese Hilfsannahme wird freilich weder durch das literarkritische Argument noch durch die historiographische Grundannahme der mosaischen Verfasserschaft gedeckt. Sieht man von textkritischen Hinweisen auf spätere Editoren einmal ab, so verdankt sie sich allein dem apologetischen Interesse, die Glaubwürdigkeit des Pentateuch, die an der Zuverlässigkeit des Mose hängt, gegen Spinoza und andere Kritiker zu verteidigen (S. 506–515). Wegweisend ist indessen die Einsicht, dass sich derartige Kohärenzstörungen dort finden, wo Spätere an schriftliche Vorlagen gebunden waren. Der Beweisgang Astrucs wäre nur unvollständig beschrieben, würde man seine argumentative Offenheit unerwähnt lassen. Bekanntlich erweist sich die Erklärungskraft eines Modells nicht zuletzt in der Flexibilität, weitere, mitunter gegenläufige Beobachtungen zu integrieren. Die argumentative Offenheit Astrucs zeigt sich außer in dem bereits herausgestellten Verzicht, das Kriterium des Gottesnamens schematisch anzuwenden, vor allem im Umgang mit zwei denkbaren Einwänden gegen die Aufteilung von Gen 1–Ex 2 auf zwei durchlaufende Hauptquellen. Es sind dies die Lückenhaftigkeit und die Uneinheitlichkeit der erkannten Hauptquellen. Sie stellen bis in die Gegenwart hinein die wesentlichen Kritikpunkte an der Quellenscheidung dar.
20 Die Frage erörtert Astruc mit Blick auf Ex 6 und die dortige Selbstaussage JHWHs, er habe sich den Vätern nicht unter seinem Namen offenbart. Da diese Aussage im Widerspruch zum Gebrauch des JHWH-Namens in der Quelle B steht, sucht Astruc den inhaltlichen Ausgleich über die Bedeutung der beiden Gottesbezeichnungen. Vgl. op. cit., 387ff. 21 Op. cit., 470–485 erläutert Astruc noch einige strittige Passagen innerhalb der beiden Hauptquellen, meint aber, die fraglichen „Antichronismen“ auflösen zu können.
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Bei den Lücken in den Hauptquellen muss nach Astruc zunächst überprüft werden, ob sich ihre Wahrnehmung nicht nur modernen Leseerwartungen verdankt. Darüber hinaus führt Astruc redaktionsgeschichtliche Gesichtspunkte an. Gegen das Postulat der vollständigen Tradierung sei bei einer völligen Übereinstimmung der Hauptquellen durchaus mit Auslassungen zu rechnen. Aus diesem Grund schreibt Astruc einige Passagen gleich beiden Quellen zu (S. 146f).22 Die Uneinheitlichkeit der beiden Hauptquellen ist nach Astruc schon dadurch bedingt, dass sie das Resultat eines durch die jeweiligen Zeitzeugen vorangebrachten Fortschreibungsprozesses sind. So führt er den stilistischen Unterschied der weitgehend einheitlichen Josephsgeschichte gegenüber den vorangehenden Erzählungen in ein und derselben Urkunde auf das andere kulturelle Milieu zurück, in dem Joseph, der Verfasser der Josephsgeschichte, beheimatet gewesen ist (S. 403).23 Darüber hinaus möchte Astruc eine weitere Differenzierung der Quellen in Parallelberichte nicht grundsätzlich ausschließen, hält dies jedoch für schwer nachweisbar (S. 400f). Diese Unsicherheit ist allerdings auch darin begründet, dass Astruc auf Unterschiede im Sprachgebrauch, sieht man vom Wechsel des Gottesnamens einmal ab, nicht eingeht und auch hinter dem Stand der damaligen Diskussion zurückbleibt.24 Nur am Rande sei notiert, dass die Aufnahme und Weiterführung der Quellenscheidung Astrucs bei Johann Gottfried Eichhorn zeigt, wie sehr der ausführliche Rekurs auf den unterschiedlichen Sprachgebrauch und Charakter der Urkunden die Plausibilität der Hypothese zu steigern vermochte.25 Zur Offenheit des Modells trägt schließlich auch die Einsicht bei, dass eine Spätdatierung des Gesamtwerks die Annahmen einer Frühverschriftung und der Existenz älterer Quellen gerade nicht ausschließen. Hierin ist Astruc wegweisend, unbeschadet der Tatsache, dass er diese Einsicht an dem zeitlichen Abstand zwischen Adam, Noah und den Patriarchen einerseits und Mose andererseits gewinnt.
22 Gen 7,24 wird den Berichten A, B und C zugewiesen; Gen 9,28–29 den Berichten A und B. 23 Astruc schreibt die Josephsgeschichte seinem Bericht A zu, lediglich Gen 39 stamme aus anderer Quelle. Der feinsinnige Joseph habe die Episode mit Potiphars Frau übergehen wollen, der korrekte Mose sie jedoch aus Bericht B (Jéhovah) hinzugestellt. 24 Vgl. hierzu schon J. D. M ICHAELIS 1754: Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 1. Bd, 12. Stück den 19. September 1754, 973–975, der im Übrigen die Erklärungsleistung und Bedeutung der Hypothese Astrucs schlicht verkannt hat. 25 Zur Quellenscheidung in Gen 1–Ex 2, in der die Analyse der Sintfluterzählung eine zentrale Rolle einnimmt, vgl. J. G. EICHHORN 1790: Einleitung in das Alte Testament, 2. Teil (2. Bd.), 2. Aufl., Reutlingen, 245–348 (1. Aufl. 1781, 294–409). AaO 296f (1. Aufl. 1781, 297) findet sich auch der viel zitierte Hinweis auf Astruc.
II. Benno Jacobs Einspruch
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II. Benno Jacobs Einspruch Astrucs Quellenscheidung hat ganz deutlich eine apologetische Abzweckung. Der Nachweis von Urkunden in der Genesis soll die Autorität des Pentateuch verteidigen und die traditionelle Auffassung seiner mosaischen Verfasserschaft in eine stichhaltige historische These überführen. Wenn zudem Moses Arbeit als Sammler und Editor der Urkunden als inspiriert gilt (S. 133), dann läuft dies auf eine historisierende Reformulierung der Lehre von der Inspiration der Schrift hinaus, wie sie sich wenig später bei Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem (1709–1789), dem mutmaßlichen Vermittler der Gedanken Astrucs an Eichhorn,26 ausformuliert findet.27 Forschungsgeschichte hat das Werk Astrucs freilich darin geschrieben, dass es die literarkritischen Grundlagen für eine historische und von den Vorgaben der Tradition weitgehend unabhängige Betrachtung des Alten Testaments und seiner Religion gelegt hat. Insofern ist Astruc wider Willen zu einem der Väter der Pentateuchkritik geworden. Für Benno Jacob stellt sich die Diskussionslage hingegen völlig anders dar. Sein Beharren auf der Einheitlichkeit des Pentateuch und sein Angriff auf die Quellenscheidung ist nicht im Glauben an die Verfasserschaft Moses begründet. In diesem Sinne ist das Ziel seiner Auslegung nicht apologetisch. Ziel seiner Exegese ist vielmehr eine Werkinterpretation, die methodisch einholt, dass der vorliegende Text der Genesis als „eine Einleitung zur Geschichte Israels unter Mose“ gelesen sein will.28 In seinem Bemühen, den Text in seiner Ganzheit zu verstehen und nicht historisch aus seinen Entstehungsumständen und als Dokument einer religionsgeschichtlichen Entwicklung zu begreifen, sucht Jacob „fast um jeden Preis Kohärenz im Text“.29 Gleichermaßen Ziel- und Aus-
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Zur Frage der Abhängigkeit Eichhorns von Astruc vgl. die Hinweise bei SMEND 1989,
30f. 27 J. F. W. JERUSALEM 1762: Briefe über die Mosaischen Schriften und Philosophie, Braunschweig, besonders 110. Jerusalem nimmt aaO 107f direkt auf Astrucs Werk Bezug (Hinweis bei CH. BULTMANN 1999: Die biblische Urgeschichte in der Aufklärung. Johann Gottfried Herders Interpretation der Genesis als Antwort auf die Religionskritik David Humes, BHTh 110, Tübingen, 82 Anm. 148). Zu Jerusalem vgl. W. E. MÜLLER 1988: Legitimation historischer Kritik bei J.F.W. Jerusalem, in: H. Graf Reventlow/W. Sparn/J. D. Woodbridge (Hg.), Historische Kritik und biblischer Kanon in der deutschen Aufklärung, Wolfenbüttler Forschungen 41, Wiesbaden 205–218, besonders 209–212. Natürlich hat Astruc auch in dieser Hinsicht Vorgänger, zu denen wiederum H. B. Witter zu zählen ist. Vgl. zum zeitgenössischen Diskussionszusammenhang auch E. HIRSCH 1949: Geschichte der neuern evangelischen Theologie, Bd. 1, Gütersloh, 221–244 (Die Ermäßigung der Inspirationslehre und die veränderte Fragestellung hinsichtlich der christlichen Religion). 28 JACOB 1934/2000, 689. 29 S. G ESUNDHEIT 2002: Bibelkritische Elemente in der Exegese Benno Jacobs, in: W. Jacob/A. Jürgensen (Hg.), Die Exegese hat das erste Wort. Beiträge zu Leben und Werk Benno Jacobs, Stuttgart, 98–110, 100. Dort auch zum Folgenden.
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gangspunkt der Exegese ist der Nachweis der textkritischen Integrität des masoretischen Textes, seiner literarischen Einheitlichkeit und sachlichen Widerspruchsfreiheit. Das gilt auch für die Sintfluterzählung in Gen 6–8, die schon früh als „Meisterstück“ der Quellenkritik gehandelt worden ist und die Jacob daher argumentationsstrategisch klug als Angriffspunkt für seine Quellenkritik gewählt hat.30 Für die Quellenscheidung in der Sintfluterzählung hatte Astruc auf den Wechsel der Gottesbezeichnungen sowie eine Reihe von Wiederholungen verwiesen. Die Einzelheiten müssen an dieser Stelle nicht aufgezählt werden, es genügt der Hinweis, dass sich Astrucs Quellenscheidung nicht gänzlich mit der klassisch gewordenen Aufteilung in einen priesterschriftlichen und einen nicht-priesterschriftlichen Faden deckt.31 Natürlich fehlt auch der Hinweis auf Widersprüche zwischen den Quellen, handelt es sich doch nach Astruc um historisch glaubwürdige und daher notwendig zusammenstimmende Berichte von Zeitgenossen. Jacobs Angriff auf das „Glanzstück [sc. der Quellenscheidung] [...] seit Astruc-Eichhorn“32 hat demnach eine weiterentwickelte Argumentation vor Augen. Gleichwohl sind das Modell – Aufteilung auf Urkunden – und die wesentlichen Textbeobachtungen – Gottesbezeichnung und Wiederholungen – untrennbar mit Astrucs Werk verbunden. Den Wechsel zwischen Elohim und dem Tetragramm führt Jacob in weiterführendem Anschluss an die rabbinische Exegese auf die Theologie des Verfassers zurück, insofern dieser mit dem Wechsel inhaltliche Aspekte verbinde: 30
Vgl. H. GUNKEL 1910/1977: Genesis, HK I/1, 3. Aufl., Göttingen (= Nachdr. 9. Aufl. 1977), 137: „Die Quellenscheidung zwischen J und P ist ein Meisterstück der modernen Kritik. [...] Die Art, wie die Quellenscheidung zu geschehen hat, kann der Anfänger aus dieser Perikope lernen.“ In seiner (berechtigten) Begeisterung übersieht Gunkel, dass es sich bei der Sintfluterzählung in Gen 6–9 und der Meerwundererzählung in Ex 14 um Ausnahmen vom redaktionellen Verfahren handelt. Nur hier sind die beiden Quellen ineinander verwoben, in der Regel hat die Redaktion die einzelnen Quellenabschnitte hintereinandergestellt. Der Grund für die Ausnahmen liegt auf der Hand: Die Sintflut und die Rettung am Meer sind singuläre Ereignisse und können im Erzählverlauf nur einmal berichtet werden. 31 Vgl. op. cit., 434–436. An Wiederholungen führt Astruc an: die Beschreibung der Verderbnis der Welt in Gen 6,1–8 (Bericht B) und 6,11–14 (Bericht A), den Befehl zum Beladen der Arche samt Ausführungsbericht in Gen 6,19–21.22 (Bericht A) und 7,1–4.5 (Bericht B), die chronologischen Angaben in Gen 7,6 (Bericht A) und 7,11 (Bericht B), den Bericht vom Hineingehen der Tiere in Gen 7,8–10 (Bericht A) und 7,14–16 (Bericht B) sowie dem Kommen der Flut in 7,18 (Bericht A) und 7,19 (Bericht B). Schließlich werde die Vernichtung der Welt durch die Flut dreimal berichtet, weshalb Astruc neben Gen 7,21 (Bericht B) und 7,22 (Bericht A) in 7,23 (Bericht C) mit der Existenz eines weiteren, freilich nur fragmentarisch erhaltenen Berichts über die Sintflut rechnet. Gen 7,6 und 7,11 sowie Gen 7,18 und 7,19 werden gemeinhin nicht auf zwei verschiedene Schichten verteilt. Im Wesentlichen stimmt Astrucs Bericht A mit der Zuweisung an P überein, Abweichungen bestehen vor allem in Gen 7,8–10 (Bericht A) bzw. 7,14–16 (Bericht B). 32 JACOB 1930, 1.
II. Benno Jacobs Einspruch
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In unserer Erzählung liegt die Lösung in der zweifachen Natur Noahs. Einerseits ist er Mensch und Vertreter des Menschengeschlechts, das er als zweiter Adam nach der Flut erneuern soll. Dafür ist der Gottesname Elohim, der Gott der Schöpfung c. I. Andererseits ist er ein Frommer, und darum wird die Menschheit gerade in ihm gerettet. Dafür ist der Gottesname Jhvh.33
Dass innerhalb einer Urkunde aus inhaltlichen Erwägungen die alternative Gottesbezeichnung gewählt sein kann, hatte zwar schon Astruc erkannt,34 doch in Jacobs Analyse der Sintfluterzählung wird der zum Perspektivenwechsel erhobene Wechsel des Gottesnamens zum Nachweis der Einheitlichkeit des Textes. Es ist allerdings fraglich, ob sich die Unterscheidung der Perspektiven gerade mit Blick auf die beiden Flutprologe und den Befehl zum Betreten der Arche in Gen 6,5–8; 7,1–5 (JHWH) einerseits und Gen 6,9–22 (Elohim) andererseits durchhalten lässt. Reflexionen der Gottheit über den Zustand der Welt und direkte Anrede Noahs finden sich gleichermaßen in beiden Abschnitten, ohne dass sich der Perspektivenwechsel in der Benennung der Gottheit niederschlagen würde.35 Der zweite Einwand Jacobs bezieht sich auf Widersprüche innerhalb der Sintfluterzählung. Hier ist zunächst festzuhalten, dass die Beobachtung sachlicher Widersprüche, die sich mit der Differenzierung in verschiedene Quellen auflösen, Astrucs literarhistorisches Modell erheblich stützt, zugleich aber seiner apologetischen Intention entgegenläuft. Von den Widersprüchen sei an dieser Stelle nur die unterschiedliche Chronologie herausgegriffen, wonach die Flut entweder 40 Tage (Gen 7,4.12.17; 8,6) oder 150 Tage (Gen 7,24; 8,3b)36 JACOB 1930, 3; vgl. DERS. 1934, 78. Die Annahme, dass der Gebrauch des Tetragramms auf Gottes Barmherzigkeit ziele, bloßes Elohim hingegen auf Gottes richterliches Walten, findet sich bereits bei Philo (Mos. II, 99; somn. I, 162f). 34 So führt Astruc im näheren Umfeld der Sintflut an, dass in der Rede der Schlange das Tetragramm aus theologischen Gründen vermieden werde. Vgl. op. cit., 418. 35 Gleiches gilt für die Befehle zum Hineingehen in 7,1 (JHWH) und zum Hinausgehen in 8,15 (Elohim). 36 Mir ist bewusst, dass sich die Chronologie im Einzelnen noch differenzierter darstellt: P datiert den Beginn der Flut auf den 17.02. des 600. Lebensjahres Noahs (Gen 7,11) und das Ende auf den 27.02. des 601. Lebensjahres Noahs (Gen 8,14). Damit dauert die Flut ein Mondjahr (354 Tage vom 17.02. bis 16.02.) und 11 weitere Tage, was genau einem Sonnenjahr von 365 Tagen entspricht. Der Scheitelpunkt der Flut, an dem die Berge 15 Ellen hoch mit Wasser bedeckt sind (Gen 7,20), fällt auf den 150. Tag (Gen 7,24). Sofern man mit 5 Monaten zu 30 Tagen rechnet, ist dies der 17.07. An diesem Tag setzt die Arche auf (Gen 8,4): Die Arche ist 30 Ellen hoch (Gen 6,15), liegt also zur Hälfte im Wasser und muss beim geringsten Fallen des Pegels aufsetzen (Gen 8,3b). Am 01.10. sind die Spitzen der Berge sichtbar (Gen 8,5), am 01.01. des folgenden Jahres sind die Wasser auf der Erde verlaufen (Gen 8,13a) und am 27.02. ist der Erdboden trocken (Gen 8,14). Problematisch an dieser Rechnung bleibt, dass die 150 Tage nur nach dem Sonnenjahr 5 Monaten entsprechen. Nach dem Mondjahr beträgt der Zeitraum zwischen dem 17.02. und dem 17.07 nur 147/8 Tage. Vermutlich wird man in den 150 Tagen eine ungenaue, aber ‚runde‘ Bezeichnung für fünf 33
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andauert. Jacob löst das Problem mit einer komplizierten Berechnung: „Die mabbul war 40 Tage auf Erden“ (Gen 7,17) wird ausschließlich auf die Dauer des Regens bezogen. „Und die Wasser wurden 150 Tage mächtig über der Erde“ (Gen 7,24) soll hingegen das Ansteigen des Wassers und die Dauer des mit dem Ende des Regens erreichten Pegelhöchststandes beschreiben. Problematisch ist an dieser Sicht zum einen die Einschränkung der Bedeutung von mabbul auf das Kommen des Wassers.37 Sie verträgt sich nicht mit der Mitteilung des Vernichtungsbeschlusses in Gen 6,17, den chronologischen Angaben in Gen 7,6; 9,28; 10,1 sowie den Zusagen des Noah-Bundes in Gen 9,11.15. Dort bezeichnet das Wort mabbul, eigentlich der ‚Himmelsozean‘, eindeutig das Ganze der Flut. Sodann wird man den unterstellten Ablauf von 40 Tagen Regen und anschließendem 110-tägigen Pegelhöchststand nicht mit den Angaben von Gen 8,2f verbinden können, wonach das Wasser mit dem Ende des Regens zu sinken beginnt.38 Die beiden Beispiele mögen an dieser Stelle als Nachweis dafür genügen, dass
Monate sehen dürfen. Vgl. GUNKEL 1910/1977, 147. Das rechnerische Problem entsteht nicht, wenn mit der LXX in Gen 8,4 ἑβδόμῃ καὶ εἰκάδι τοῦ μηνός „27. Tag des Monats“ gelesen wird. MT „ בשבעה עשר יום לחדש17. Tag des Monats“ wäre in diesem Fall auf eine Haplographie eines ursprünglichen בשבעה עשרים יוםzurückzuführen. Bei dieser Lesart steigen die Wasser 150 Tage, das heißt nach dem Mondjahr bis zum 20.07. Nachdem das Wasser 7 Tage gesunken ist, setzt die Arche am 27.02. auf (Gen 8,4 LXX). Vgl. H. SEEBASS 1996: Genesis I. Urgeschichte (1,1–11,26), Neukirchen-Vluyn, 219. Gegen diese elegante Lösung spricht allerdings, dass die Chronologie der LXX auch den Beginn der Flut anders datiert, und zwar auf den 27.02. Schlichter sind die chronologischen Verhältnisse im nichtpriesterschriftlichen Text, der von insgesamt 100 Tagen ausgeht: 7 Tage von der Rede JHWHs bis zum Beginn der Flut (Gen 7,4); vierzig Tage Regen (7,12; vgl. den [redaktionellen?] Beleg 7,17); vierzig Tage Warten Noahs bis zur ersten Aussendung der Taube (Gen 8,6.8); jeweils 7 Tage Warten bis zum zweiten und dritten Aussenden der Taube (Gen 8,10.12) und Feststellung der Trockenheit der Erde, als die Taube nicht mehr zurückkehrt (101. Tag; Gen 8,13b). Vgl. auch M. RÖSEL 1998: Die Chronologie der Flut in Gen 7–8. Keine neuen textkritischen Lösungen, ZAW 110, 590–593; ferner J. CH. GERTZ 2006a: Beobachtungen zum literarischen Charakter und zum geistesgeschichtlichen Ort der nichtpriesterschriftlichen Sintfluterzählung, in: U. Schorn/M. Beck (Hg.), Auf dem Weg zur Endgestalt, Festschrift H.-Ch. Schmitt, BZAW 370, Berlin/New York, 41–57 (in diesem Band Nr. 9). 37 Vgl. JACOB 1930, 8. 38 Vgl. hierzu J. A. EMERTON 1987: An Examination of Some Attempts to Defend the Unity of the Flood Narrative in Genesis, Teil I, VT 37, 401–420 und DERS. 1988: An Examination of Some Attempts to Defend the Unity of the Flood Narrative in Genesis, Teil II, VT 38, 1–21. Jacob versucht das Problem mit einer plusquamperfektischen Übersetzung von V. 2 zu überspielen (vgl. DERS. 1934/2000, 213; ähnlich G. J. WENHAM 1991: Method in Pentateuchal Source Criticism, VT 41, 84–109), was jedoch angesichts der temporalen Struktur von 7,23–8,4 schwierig ist. Jacobs Verweis auf Ez 31,15; Hag 1,10 (1934/2000, 213) besagt wegen der unterschiedlichen syntaktischen Konstruktion nichts.
III. Schluss
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sich eine Reihe von Textbeobachtungen in der Sintfluterzählung im Anschluss an Astrucs Modell der Quellenscheidung leichter und ungezwungener erklären lassen als mit Jacobs These der literarischen Einheitlichkeit.39 Hat sich die literarkritische Analyse Astrucs unbeschadet ihrer widerlegten historiographischen Voraussetzung – der mosaischen Verfasserschaft des Pentateuch – bewährt, so ist mit Blick auf Jacob zu fragen, ob sein „close reading“ des alttestamentlichen Textes trotz der literarkritischen Fehlurteile auch in literarhistorischer Hinsicht textgemäß sein kann.
III. Schluss Wie schon erwähnt, gehört die Rekonstruktion des redaktionsgeschichtlichen Prozesses von der Zusammenstellung der Urkunden durch Mose bis hin zu ihrem Ineinanderschieben durch nur mäßig begabte Redaktoren zu den Schwachpunkten von Astrucs Hypothese. Auch wenn die Forschung Astruc im Detail nicht gefolgt ist, so hat sie lange Zeit seine in der Hochschätzung des Originären gründende Abwertung der späteren Redaktoren und Editoren des Pentateuch geteilt. Bekanntlich hat sich diese Einschätzung in den letzten Jahren grundlegend gewandelt. Kaum jemand wird im Nachhinein Jacobs Einschätzung widersprechen, dass der Redaktor „nicht der Schwachkopf“ gewesen sein kann, „als den man ihn oft hinstellt“, und dass er eher als „Verfasser“ zu bezeichnen ist.40 Schwer zu fassen ist freilich die Intention derjenigen Redaktion, die für die Verbindung der beiden Hauptbestandteile des Pentateuch, des priesterschriftlichen und des nicht-priesterschriftlichen Textes, verantwortlich ist. Es spricht einiges dafür, dass sie sich bemüht hat, die vorgegebenen Texte zu einer durch eigene Fortschreibungen ausgestalteten Gesamtschau zu vereinigen, die gegenüber ihren Vorgaben durchaus als eigenständige literarische
Es ist bezeichnend, dass neuere Entwürfe, die eine der beiden Textgrößen innerhalb der Sintfluterzählung als Bearbeitungsschicht der jeweils anderen auffassen, nicht umhinkönnen, die zweifache Textgebundenheit der Redaktoren zu betonen. Danach waren die Redaktoren auch in ihren Ergänzungen nicht gänzlich frei, sondern hatten überkommene Traditionen in den zu überarbeitenden Text zu integrieren – womit diese Erklärungen des Textbefundes auf eine Modifikation von Astrucs Quellenmodell hinauslaufen. 40 B. JACOB 1912/13: Die Thora Moses, Volksschriften über die jüdische Religion 1/3.4, Frankfurt a.M., 93. Nachtrag: Eine Ausnahme in der jüngeren Forschung sind die sogenannten „Neo Documentarians“, nach deren Ansicht der Pentateuch das Werk eines Kompilators sei, der die unabhängig voneinander entstandenen Quellen rein mechanisch zusammengefügt habe, weshalb der Pentateuch in seiner vorliegenden Gestalt nicht lesbar sei. Zur Debatte vgl. K. SCHMID 2021b: The Neo-Documentarian Manifesto: A Critical Reading, JBL 140, 461–479, der auch die wichtigsten Vertreter dieser Forschungsrichtung nennt. 39
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1. Jean Astruc und die Quellenscheidung im Buch Genesis
Komposition zu würdigen ist. Gedankliche Voraussetzung dieser neuen literarischen Komposition dürfte die Annahme der Redaktoren gewesen sein, dass die vorgegebenen Materialien zuverlässig von ein und demselben ‚wahren‘ Geschehen berichten. Diese Einschätzung teilen sie mit Astruc. Unter dieser Voraussetzung werden die bekannten Textbeobachtungen dann weniger als Wiederholungen, stilistische Abweichungen, Antichronismen und dergleichen wahrgenommen worden sein denn als verschiedene Perspektiven, die einander ergänzen und modifizieren. Hierin berührt sich die innerbiblische Exegese der Redaktoren mit der Suche nach Kohärenz bei Jacob, der so wider Willen zur Erhellung der Redaktionsgeschichte beiträgt – ein Aspekt, den Jean Astruc aufgrund seiner apologetischen Vorgaben noch nicht in den Blick nehmen konnte.
2. Quellenscheidung und Redaktionskritik im Buch Genesis I. Die longue durée der Pentateuchforschung Die Pentateuchforschung hat im 18. Jahrhundert mit der Analyse des „1. Buch Mose“ eingesetzt.1 Dies hat bis heute spürbare Auswirkungen auf die literarhistorische Analyse des Pentateuchs als Ganzen wie auch auf die Analyse seiner einzelnen Bücher und so auch der Genesis. Dass die Frage nach den Quellen und Redaktionen im Buch Genesis nicht ohne einen Seitenblick auf den ganzen Pentateuch beantwortet werden kann, liegt auf der Hand. Weniger offenkundig und in der Forschung entsprechend häufig unterbestimmt ist indessen, wie sehr die Ausgangsfragen der Pentateuchforschung die Forschungsansätze späterer Generationen präfiguriert haben, und zwar auch dort, wo sich die Fragestellungen deutlich verschoben haben. In ihren Anfängen ist die Pentateuchforschung ganz von der Frage der mosaischen Autorschaft des Pentateuchs bestimmt. Mit dem Einzug des historischen Denkens in die Theologie und dem Ablösungsprozess vom Dogma der Verbalinspiration ließ sich für die Bücher Exodus bis Deuteronomium auf Moses Zeitzeugenschaft verweisen. Für das Buch Genesis und die dort geschilderte ‚vormosaische Zeit‘ drängte sich jedoch eine andere Erklärung fast wie von selbst auf: Mose konnte sich für die in der Genesis erzählten Geschehnisse auf die Berichte von Zeitzeugen stützen. So wurde aus dem inspirierten Autor Mose der kundige Historiker Mose, der neben seinen eigenen Berichten die ihm überlieferten Dokumente aus ältester Zeit gesammelt, redigiert und zusammengestellt hat. Mit diesem Paradigmenwechsel war die wirkmächtige Suche nach den ‚Urkunden‘ oder ‚Quellen‘ eröffnet. Jean Astruc, der Ahnherr aller Urkundenhypothesen, erklärt die Entstehung des Buches Genesis mit der sekundären Verbindung von zwei
1 Zur Pentateuchforschung und ihrer Geschichte vgl. C. H OUTMAN 1994: Der Pentateuch. Die Geschichte seiner Erforschung neben einer Auswertung, CBET 9, Kampen; zur Dokumentation der jüngeren und jüngsten Diskussionslage die Beiträge in: TH. B. DOZEMAN/K. SCHMID/B. SCHWARTZ (Hg.) 2011: The Pentateuch. International Perspectives on Current Research, FAT 78, Tübingen; J. CH. GERTZ/B. M. LEVINSON/D. ROM-SHILONI/K. SCHMID (Hg.) 2016: The Formation of the Pentateuch. Bridging the Academic Cultures of Europe, Israel and North America, FAT 111, Tübingen.
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2. Quellenscheidung und Redaktionskritik im Buch Genesis
durchlaufenden und zehn weiteren, nur fragmentarisch erhaltenen Urkunden, die der um Vollständigkeit bemühte Mose fein säuberlich in vier Kolumnen nebeneinandergestellt habe.2 Erst im Zuge einer späteren Redaktion seien diese Kolumnen zusammengeschoben worden, wobei es zu chronologischen Unstimmigkeiten, störenden Wiederholungen und dem Wechsel der Gottesbezeichnungen ‚Elohim‘ (Gott) und dem Tetragramm ‚JHWH‘ gekommen sei. Auf diese Weise konnte Jean Astruc die Mosaizität des Pentateuchs historisch plausibilisieren. Er vermochte zudem Widersprüche und Dubletten zu erklären und schließlich Mose von dem Vorwurf freizusprechen, nachlässig oder fehlerhaft gearbeitet zu haben. Gut 250 Jahre später hat die Forschung die Vorstellung von Mose als Autor oder Kompilator von Quellen längst aufgegeben. Gleichwohl dominieren anders als in den übrigen Schriften der Hebräischen Bibel im Bereich des Pentateuchs weiterhin Urkundenhypothesen. Sie scheinen zur DNA der Pentateuchforschung zu gehören. Dies kann eine Verengung des Blickwinkels zur Folge haben. Denn eine Forschungsrichtung, die von Anfang an ‚Urkunden‘ sucht, fragt erst an zweiter Stelle oder auch gar nicht nach der Möglichkeit, ob Wiederholungen wie die dreifache Erzählung von der Gefährdung der Patriarchin durch sexuelle Übergriffe seitens fremder Herrscher (Gen 12,10–20; 20,1–18; 26,1–11) keine Parallelüberlieferungen, sondern das Ergebnis einer kommentierenden Ergänzung oder einer gewollten literarischen Gestaltung sein können. Auch das Ansinnen, um der Zuverlässigkeit des biblischen Zeugnisses willen Mose vom Vorwurf der Nachlässigkeit freizusprechen, hat noch in der jüngsten Forschung seine Spuren hinterlassen. Sie finden sich in der oftmals unkritisch vorausgesetzten Annahme, dass die ersten biblischen Autoren anders als ihre späteren Redaktoren oder die Kompilatoren der Urkunden ‚gute‘ und ‚fehlerfreie‘ Texte verfasst hätten. Nur so lässt sich erklären, dass die Wertschätzung des Endtextes in synchronen Zugängen erst auf dem Umweg über literaturwissenschaftliche Zugänge Eingang in die Pentateuchforschung gefunden hat.3 Dass dieser Prozess noch nicht abgeschlossen ist, mag man daran ersehen, dass in der Pentateuchforschung mitunter noch ernsthaft diskutiert
2 J. A STRUC 1753/1999: Conjectures sur les Mémoires originaux dont il paroit que Moyse s’est servi pour composer le Livre de la Genèse, Brüssel 1753 (Neuedition: Conjectures sur la Genèse. Introduction et notes de PIERRE GIBERT, Paris). Zu Astruc vgl. J. CH. GERTZ 2007a: Jean Astruc and the Quellenscheidung in the Book of Genesis, in: J. Jarick (Hg.) Sacred Conjectures: The Context and Legacy of Robert Lowth and Jean Astruc, LHBOTS 457, New York/London, 188–201 (in diesem Band Nr. 1). 3 Vgl. J. P. FOKKELMAN 1975: Narrative Art in Genesis: Specimens of Stylistic and Structural Analysis, SSN 17, Assen; R. ALTER 1981: The Art of Biblical Narrative, New York.
I. Die longue durée der Pentateuchforschung
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werden kann, ob und in welcher Hinsicht der Pentateuch in seiner vorliegenden Gestalt überhaupt ‚lesbar‘ ist.4 Jean Astruc hatte seine Suche nach Urkunden noch auf die ‚vormosaische‘ Zeit beschränkt, also den Textbereich zwischen der Weltschöpfung in Genesis 1 bis zu Moses Geburt in Exodus 2. In der Folgezeit wurde das am Buch Genesis entwickelte Urkundenmodell auf die übrigen Bücher des Pentateuchs übertragen. Dies hatte zur Folge, dass sich mit dem Begriff der Urkunde die Vorstellung von durchgehenden, den gesamten Pentateuch umfassenden Quellenschriften oder Geschichtsbüchern verbunden hat. Auch in dieser Hinsicht haben die Anfänge der Pentateuchforschung im 18. Jahrhundert die weitere Forschung nachhaltig geprägt. Bis in die Gegenwart hinein gilt das Buch Genesis und hier wiederum die Urgeschichte in Genesis 1–11 vielfach als Paradigma für den gesamten Pentateuch, und zwar selbst dann, wenn der Textbefund deutlich gegen eine Übertragung auf die übrigen Bücher des Pentateuchs spricht.5 Die schon bei Jean Astruc und auch bei Johann Gottfried Eichhorn6 aufkeimende Einsicht, dass ein einseitig verfolgter Erklärungsansatz den komplizierten literarischen Verhältnissen im Pentateuch nicht gerecht wird, konnte und kann so leicht aus dem Blick geraten. Das gilt auch für Gegenentwürfe, welche die Fokussierung auf das Buch Genesis kritisieren und dann ihrerseits die Ablehnung eines Urkundenmodells für die hinteren Bücher des Pentateuchs vorschnell für das Buch Genesis in Anschlag bringen. In beiden Fällen besteht die Gefahr, dass ein an einem bestimmten Text bewährtes Entstehungsmodell das Ergebnis der Analyse anderer Texte vorherbestimmt und sachgemäßere Er-
4 Vgl. zu dieser Debatte die Beiträge in G ERTZ u.a. (Hg.) 2016, 197–292 (“Part Two: Can the Pentateuch Be Read in Its Present Form? Narrative Continuity in the Pentateuch in Comparative Perspective”). Dass der Pentateuch in seiner vorliegenden Gestalt ‚unlesbar‘ ist, gehört zu den Grundannahmen der ‚Neo Documentarians‘. Zu den ‚Neo Documentarians‘ siehe auch im Folgenden. 5 Vgl. das vielfach zitierte und an Abraham Maslows „Law of the Instrument“ erinnernde Urteil von Martin Noth zum Numeribuch: „Nimmt man das 4. Mosebuch für sich, so käme man nicht leicht auf den Gedanken an ‚durchlaufende Quellen‘, sondern eher auf den Gedanken an eine unsystematische Zusammenstellung von zahllosen Überlieferungsstücken sehr verschiedenen Inhalts, Alters und Charakters (‚Fragmentenhypothese‘). Aber es wäre eben [...] unsachgemäß, das 4. Mosebuch zu isolieren. [...] Es ist daher gerechtfertigt, mit den anderwärts gewonnenen Ergebnissen der Pentateuchanalyse [...] an das 4. Mosebuch heranzutreten und die durchlaufenden Pentateuch-‚Quellen‘ auch in diesem Buche zu erwarten, selbst wenn, wie gesagt, der Sachverhalt im 4. Mosebuch von sich aus nicht gerade auf diese Ergebnisse hinführt.“ (M. NOTH 1966: Das vierte Buch Mose: Numeri, ATD 7, Göttingen, 8). 6 J. G. EICHHORN 1823: Einleitung in das Alte Testament, 2. Teil (3. Bd.), 4. Aufl., Göttingen, 204 (§ 429): Moses „Aufsätze“ hätten „durch fremde Hände [...] vielleicht ihre jezige Ordnung, auch wohl manche Einschiebsel und Glossen und Beylagen erhalten.“ Die Notiz fehlt noch in der 2. Auflage (§ 410).
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2. Quellenscheidung und Redaktionskritik im Buch Genesis
klärungen von vornherein ausgeschlossen werden. In der Regel wird dieser Gefahr dadurch begegnet, dass die Vertreter einer Urkunden- oder Ergänzungsoder Fragmentenhypothese jeweils auch Elemente der konkurrierenden Modelle integrieren. Schon Julius Wellhausen, der Nestor der Neueren Urkundenhypothese, erkannte in der Durchführung der Quellenscheidung zahlreiche redaktionelle Verarbeitungen und Ausgestaltungen der Quellenschriften, weshalb die „sogenannte Ergänzungshypothese“ ihr relatives Recht habe.7 Auch billigte er den Redaktoren, die für die Verbindung der Quellenschriften verantwortlich zeichneten, für zentrale Texte zu, dass sie als die eigentlichen Verfasser gelten können.8 Schließlich rechnete Julius Wellhausen mit späteren und spätesten Ergänzungen, die sich als „das letzte Sediment über das ganze Geschiebe oberflächlich lager[n]“9. Der „literarische Process“10 sei weit komplizierter gewesen als die von ihm wiederholt abgelehnte und als „verrückt“ abqualifizierte „mechanische Mosaikhypothese“.11 Dies ist auch deswegen hervorzuheben, weil sich in der gegenwärtigen Debatte die einzelnen Entstehungsmodelle vor allem darin unterscheiden, wie sie den Anteil zwischen Quellen und Redaktionen gewichten. Dabei ist die Spannbreite sehr groß. Um nur ein Beispiel für eine gegenwärtige Mosaikhypothese zu nennen: Nach Ansicht der ‚Neo Documentarians‘ wurden die vier Quellen des Pentateuchs von einem Kompilator vereinigt, der sich im Wesentlichen darauf beschränkt habe, die bis dahin völlig unabhängig voneinander überlieferten und ohne gegenseitige Kenntnis entstandenen Quellen ‚mechanisch‘ nebeneinander zu stellen.12 Auf der anderen Seite des Spektrums stehen Modelle für die Entstehung des Pentateuchs (und damit auch des Buches Genesis), die den weitaus größten
7 J. W ELLHAUSEN 1899: Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, 3. Aufl., Berlin (4. Aufl., Nachdr. d. 3. Aufl., Berlin 1963), 314–315 (Zitat: 315). 8 Vgl. aaO 94–95. 9 AaO 315. 10 AaO 207. 11 Die beiden letzten Zitate stammen aus einem Brief von Wellhausen an Adolf Jülicher vom 8. November 1880. Vgl. J. WELLHAUSEN 2013: Julius Wellhausen. Briefe, hg. von Rudolf Smend, Tübingen, Nr. 94, 78. 12 Es handelt sich um eine Gruppe von Exegeten um Baruch Schwartz und seine Schüler. Zum Forschungsansatz und zur Selbstbezeichnung als ‚Neo Documentarians‘ vgl. J. STACKERT 2014: A Prophet like Moses: Prophecy, Law, and Israelite Religion, Oxford, 1– 35. Zur Beschreibung der Arbeitsweise als ‚mechanisch‘ vgl. aaO 91 Anm. 5. Für die exemplarische Analyse eines Textes aus der Genesis vgl. B. J. SCHWARTZ 2012: How the Compiler of the Pentateuch Worked: The Composition of Genesis 37, in: C. A. Evans/J. N. Lohr/D. L. Petersen (Hg.), The Book of Genesis: Composition, Reception, and Interpretation, VT.S 152, Leiden, 263–278. Für eine kritische Sicht der wesentlichen Thesen und Grundannahmen dieser Forschungsrichtung vgl. K. SCHMID 2021b: The Neo-Documentarian Manifesto: A Critical Reading, JBL 140, 461–479.
II. Vom Konsens zur Krise
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Textbestand auf Fortschreibungsprozesse zurückführen und nur noch mit einem sehr reduzierten Quellenbestand rechnen oder sich gänzlich von der Annahme klassischer Quellenschriften verabschiedet haben.13 Insofern sich beide Seiten gerne auf Julius Wellhausen berufen, ist die gegenwärtige Debatte immer auch ein Streit um dessen Erbe.
II. Vom Konsens zur Krise Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts trat die vor allem von Karl Heinrich Graf, Abraham Kuenen und Julius Wellhausen begründete Neuere Urkundenhypothese ihren Siegeszug an.14 Sie hatte bis in die 1970er Jahre eine nahezu unhinterfragte Gültigkeit. Die Neuere Urkundenhypothese geht bekanntlich für den Hexateuch (Pentateuch und das Buch Josua) von vier ehedem selbständigen Literaturwerken aus. Es sind dies der im Südreich Juda beheimatete Jahwist (J) aus dem 9. Jahrhundert v. Chr., der etwas jüngere Elohist (E) aus dem Nordreich Israel des 8. Jahrhunderts v. Chr., das in seinen Anfängen mit der Reform des Königs Josia in Verbindung stehende Buch Deuteronomium (D) aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. und die exilisch-frühnachexilische Priesterschrift (P) aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. Der Jahwist verdankt seine Bezeichnung der durchgängigen Verwendung des göttlichen Eigennamens ‚JHWH‘, während der Elohist bis zur Offenbarung des Gottesnamens in Ex 3,14 die Gattungsbezeichnung ‚Elohim‘ für Gott verwendet. Diese vier Quellen seien von Redaktoren in einem mehrstufigen Prozess zusammengearbeitet und dabei auch eigenständig erweitert worden. Ihre besondere Überzeugungskraft gewann die Hypothese dadurch, dass Wellhausen die literarische Analyse mit einer religionsgeschichtlichen These verband, insofern er zeigen konnte, dass die erkannten Quellenschriften bestimmte Stadien der Geschichte des antiken Is-
Vgl. bei allen tiefgreifenden Unterschieden die Positionen von CH. LEVIN 1993: Der Jahwist, FRLANT 157, Göttingen; R. G. KRATZ 2000: Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments, Göttingen; CH. BERNER 2010: Die Exoduserzählung: Das literarische Werden einer Ursprungserzählung Israels, FAT 73, Tübingen. Berner charakterisiert die Entstehung der Exoduserzählung – einem Textbereich, in dem die Neuere Urkundenhypothese lange Zeit ähnlich unangefochten war wie im Buch Genesis – als „Prozess ‚midraschartiger‘ Selbstauslegung“ (AaO 7) und propagiert den „vollständigen Abschied von der Urkundenhypothese, die sich als ein dem Denken des 19. Jh. verhaftetes Paradigma schlicht überlebt hat“ (AaO 449). 14 K. H. G RAF 1869: Die s.g. Grundschrift des Pentateuchs, AWEAT 1/4, 466–477; A. KUENEN 1887: Historisch-kritische Einleitung in die Bücher des Alten Testaments hinsichtlich ihrer Entstehung und Sammlung, Bd. I/1 Die Entstehung des Hexateuch, Leipzig; WELLHAUSEN 1899. 13
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2. Quellenscheidung und Redaktionskritik im Buch Genesis
rael repräsentieren.15 Hinzu kommt, dass es sich um eine schlanke und in der Darlegung Wellhausens auch elegante Hypothese handelt, die mit wenigen Annahmen die Entstehungsgeschichte eines so komplexen Literaturwerks wie dem Pentateuch in ihren Grundzügen erklären kann. Wie erwähnt, wusste Julius Wellhausen anders als einige seiner selbsternannten Erben, dass die Konzentration auf vier Hauptquellen und ihre sukzessive Verbindung den Prozess des literarischen Wachstums stark vereinfacht.16 In der Folgezeit wurde versucht, diesen Prozess mit den Mitteln der Literarkritik immer präziser zu erfassen. Diese Versuche führten indes zu keinem befriedigenden und allgemein anerkannten Ergebnis, sodass Gerhard von Rad im Jahre 1938 eine gewisse Erschöpfung feststellen konnte: Man wird nicht sagen können, daß die theologische Erforschung des Hexateuchs sich in unseren Tagen in einer Krise befinde. Viel eher ließe sich behaupten, daß ein Stillstand eingetreten ist [...] Was die Analyse der Quellenschriften anlangt, so liegen Anzeichen vor, daß hier ein Weg zu Ende gegangen ist [...] Was die Untersuchung der Einzelstoffe anlangt [...], so kann freilich nicht in gleicher Weise gesagt werden, daß ungefähr alles getan sei, was zu tun war; aber auch hier ist es stiller geworden, so daß man hinsichtlich des Hexateuchs wohl ohne Übertreibung von einer Forschungsmüdigkeit, namentlich unter den Jüngeren, reden kann.17
Gut drei Jahrzehnte später beschloss Gerhard von Rad die letzte Auflage seines Genesiskommentars dann jedoch mit der vielfach zitierten Forderung nach „einer umfassenden Neuanalyse des pentateuchischen Erzählungsgutes, deren wir dringend bedürfen.“18 Was war geschehen? Unmittelbarer Anlass für diese Forderung war die Analyse der Josephsgeschichte in Genesis 37–50. Sie galt lange Zeit als Kronzeuge für die Scheidung in die Quellen ‚J‘ und ‚E‘. Im Unterschied dazu bescheinigte Gerhard von Rad der von ihm als „Novelle“ bezeichneten Josephsgeschichte, dass sie sich deutlich von den Vätererzählungen abhebt und „eine von Anfang bis zu Ende organisch aufgebaute Erzählung [ist], von der kein Einzelabschnitt je als gesondertes Überlieferungsgut eine ehedem
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J. WELLHAUSEN 1883: Prolegomena zur Geschichte Israels, Berlin (1878 als Geschichte Israels I, 6. Aufl. von 1927, Nachdr. 2001). Eine literarische Aussonderung von Quellenschriften ohne historische Fragestellung bezeichnete Wellhausen als langweiliges „Kegelspiel“. Vgl. DERS. 2013, Nr. 94. 16 Vgl. W ELLHAUSEN 1899, 207: „J und E haben wol erst mehrere vermehrte Auflagen (J1 J2 J3, E1 E2 E3) erlebt und sind nicht als J1 und E1, sondern als J3 und E3 zusammengearbeitet. Ähnliches gilt von JE [i.e. die Verbindung von J und E], Dt und Q [i.e. P], bevor sie mit den betreffenden größeren Ganzen vereinigt wurden.“ 17 G. VON R AD 1938: Das formgeschichtliche Problem des Hexateuch, BWANT IV/26, Stuttgart, 1 (wiederabgedr. in: DERS., Gesammelte Studien zum Alten Testament, TB 8, München 1958, 9–86, 9). 18 G. VON R AD 1972: Das erste Buch Mose. Genesis, ATD 2–4 (1949–1953), 9. Aufl., Göttingen (= 12. Aufl. 1987), 362.
II. Vom Konsens zur Krise
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selbständige Existenz gehabt haben kann.“19 Trotz dieser Einschätzung hielt Gerhard von Rad an der Quellenscheidung in der Josephsgeschichte (und darüber hinaus) fest. Er musste aber einräumen, dass sich in Genesis 37–50 kleinere Unstimmigkeiten gut mit der Annahme von Glossierungen und nachträglichen Interpolationen erklären ließen, und sich daher Stimmen mehrten, die eine Quellenscheidung für Genesis 37–50 ablehnten. Eine Entscheidung könne indessen nur die genannte Forderung einer „umfassenden Neuanalyse des pentateuchischen Erzählungsgutes“ herbeiführen. In der Tat lässt sich von Rads Charakterisierung der Josephsgeschichte als literarisches Meisterwerk kaum noch mit ihrer Aufteilung auf den Jahwisten und den Elohisten vereinbaren.20 Sollten sich aber die jahwistische und die elohistische Quelle hier nicht nachweisen lassen, dann fehlt für beide Pentateuchquellen das notwendige Verbindungsstück zwischen den Büchern Genesis und Exodus. Die Neuere Urkundenhypothese war dann nur mit sehr komplizierten Hilfskonstruktionen zu retten – etwa mit der Annahme, der Redaktor habe „die jahwistische und die elohistische Darstellung des Hinabzuges der Jakobssippe nach Ägypten durch eine ihm literarisch vorliegende Josephsgeschichte“21 ersetzt. Der Befund zur Josephsgeschichte war indes bei Weitem nicht der alleinige Grund dafür, dass die Neuere Urkundenhypothese seit den 1970er Jahren massiv in die Kritik geriet. Zwischen den beiden Voten Gerhard von Rads zum Stand der Pentateuchforschung liegt eine tiefgreifende Reformulierung der Neueren Urkundenhypothese durch von Rad selbst und durch Martin Noth.22 Auch wenn es schwer fällt, beide Positionen zu einem stimmigen Bild zusammenzufügen, so lässt sich doch konstatieren: Es ist weniger die ursprüngliche Gestalt der Neueren Urkundenhypothese als vielmehr ihre Modifikation und ihre Verbindung mit der formgeschichtlichen Fragestellung durch Martin Noth und Gerhard von Rad, an der alte Fragen neu aufgebrochen sind und die im weiteren Verlauf der Diskussion zu einer starken Ausdifferenzierung der Forschungspositionen geführt haben.
19 AaO 283. Diese Passage findet sich auch schon in früheren Auflagen des Kommentars, jedoch ohne das genannte Nachwort. 20 Vgl. R. N. W HYBRAY 1968: The Joseph Story and Pentateuchal Criticism, VT, 522– 528; H. DONNER 1994: Die literarische Gestalt der alttestamentlichen Josephsgeschichte [1976], in: ders., Aufsätze zum Alten Testament aus vier Jahrzehnten, BZAW 224, Berlin, 76–120, 84: „Man kann nicht beides haben: die Josephsgeschichte als Novelle und als Bestandteil der Pentateuchquellen J und E“. 21 D ONNER 1994. 22 VON R AD 1938; M. N OTH 1943: Überlieferungsgeschichtliche Studien I: Die sammelnden und bearbeitenden Geschichtswerke im Alten Testament, Halle (Nachdr. Darmstadt 1963); DERS. 1948: Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart (Nachdr. Darmstadt 1960).
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2. Quellenscheidung und Redaktionskritik im Buch Genesis
III. Neue und alte Fragen Wenn wir nach weiteren Gründen für die massive Infragestellung des bisherigen Konsenses fragen, dann sind mit Blick auf die Entstehungsgeschichte des Buches Genesis vor allem folgende Punkte von Interesse: (1.) die Verbindung der einzelnen Überlieferungen zu größeren Erzählwerken, (2.) die Bestreitung einer elohistischen Quellenschrift, (3.) der ursprüngliche Charakter der priesterschriftlichen Texte und (4.) das theologische und literarische Profil der jahwistischen Texte. 1. „Die Genesis ist eine Sammlung von Sagen“ Der berühmte Eingangssatz aus Hermann Gunkels Genesiskommentar23 hat nicht nur die formgeschichtliche Forschung zur Genesis angestoßen,24 sondern zeitigte auch Folgen für die quellen- und redaktionskritisch ausgerichtete Forschung. Aus der Bestimmung der einzelnen Erzählungen der Genesis als Sagen ergeben sich zwei Fragen mit weitreichenden Konsequenzen. Die Sage ist die mündliche Form der geschichtlichen Überlieferung. Damit war erstens die Frage nach der mündlichen Vorstufe des Textes und ihrer Verschriftung gestellt. Ferner sind Sagen Einzelüberlieferungen, die für sich stehen und auch entsprechend überliefert werden. Die Anordnung der Sagen in einer bestimmten Erzählfolge ist demnach nicht durch die Sagen selbst vorgegeben, sondern beruht auf dem Gestaltungswillen desjenigen, der die Sagen zusammengestellt hat. Damit ist zweitens die Frage gestellt, wie es zu der Verbindung der Einzelsagen zur Pentateucherzählung und zu ihrer Ausgestaltung durch die Erweiterung um weitere Personen und Erzählinhalte gekommen ist. Hermann Gunkel hatte ‚J‘ und ‚E‘ als Erzählerschulen charakterisiert, welche die mündlichen Volksüberlieferungen gesammelt und verschriftet haben. Nach Gerhard von Rad vermochte diese Auskunft aber nicht „die große Zielstrebigkeit und Bindung der Einzelstoffe an ganz wenige Grundgedanken“25 in der jahwistischen Geschichtserzählung zu erklären. Vielmehr sei die jahwistische Erzählung eine Entfaltung des sogenannten kleinen geschichtlichen Credos (vgl. Dtn 26,5b– 23 H. G UNKEL 1910/1977: Genesis, HK I/1, 3. Aufl., Göttingen (= Nachdr. d. 9. Aufl. 1977), VII. 24 Zur form- und traditionsgeschichtlichen Forschung am Buch Genesis vgl. C H. LEVIN 2022: Genesis in Form and Tradition Criticism Today, in: B. Arnold (Hg.), The Cambridge Companion to Genesis, Cambridge Companions to Religion, Cambridge, 74–98. 25 VON R AD 1938, 46 (58). Dort auch zum Folgenden. Der Elohist spielt in von Rads Argumentation nur eine untergeordnete Rolle. „Die Auflagerung von E und P auf J und ihre Verbindung untereinander ist ein rein literarischer Vorgang [...] Die Form des Hexateuchs liegt schon beim Jahwisten endgültig vor. Elohist und Priesterschrift bringen in dieser Hinsicht keine Wandlung mehr; sie sind nur Modi jener gewaltigen jahwistischen Konzeption, freilich je von großer theologischer Eigenart.“ (AaO 68f [81f]).
III. Neue und alte Fragen
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9). Mit diesem habe sich das vorstaatliche Israel beim Wochenfest in Gilgal (vgl. Jos 3–4) die grundlegenden Themen seiner Heilsgeschichte (die Väterzeit, die Bedrückung in Ägypten und die Herausführung aus Ägypten sowie die Führung in das Land) vergegenwärtigt. Der Jahwist habe in salomonischer Zeit das Credo um die im Bundesfest in Sichem (vgl. Dtn 31; Jos 24) beheimatete Sinaitradition erweitert, die Vätergeschichte ausgebaut und die Urgeschichte vorgeschaltet. Sein theologisches Interesse sei der Nachweis gewesen, dass das salomonische Reich die Erfüllung aller Verheißungen JHWHs gewesen ist. Die nach dem programmatischen Kerntext des Jahwisten in Genesis 12,1–3 Abraham gegebenen Verheißungen von Volkwerdung, Segen und Landbesitz seien unter Salomo sichtbar Wirklichkeit geworden, der verheißene „große Name“ sei David zugesprochen worden (vgl. Gen 12,2; 2Sam 7,9). Martin Noth hat diese These dahingehend modifiziert, dass er die Entstehung der Pentateucherzählung auf den Prozess des Zusammenwachsens der Überlieferungen und ihrer Trägergruppen zurückgeführt hat. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass der gemeinsame Aufriss von Jahwist und Elohist auf eine ältere gemeinsame Grundlage (‚G‘) zurückzuführen sei, die sich in vorstaatlicher Zeit im Rahmen des gemeinsamen Kultes des Zwölfstämmebundes herausgebildet habe.26 Der stärkste Punkt dieser Reformulierung der Neueren Urkundenhypothese ist die institutionelle Verortung der Literaturwerdung der alten Stoffe. Gerade hier haben sich die grundlegenden Annahmen aber nicht halten lassen. Weder die These eines sakralen Zwölfstämmebundes (‚Amphiktyonie‘) noch die Rekonstruktion eines Wochenfestes in Gilgal und eines Bundesfestes in Sichem haben sich bewährt. Gegen die These einer altisraelitischen Amphiktyonie wurde schon früh eingewandt, dass selbst die biblische Darstellung der vorstaatlichen Zeit kein den zwölf Stämmen gemeinsames zentrales Heiligtum kennt, dass die Lade nicht als Kultort, sondern als Kultgegenstand beschrieben wird und dass die Zwölfzahl der Stämme eine in den alttestamentlichen Texten inkonsequent durchgeführte Fiktion ist.27 Die für die kultische Verankerung der einzelnen Pentateuchthemen in Gilgal und Sichem angeführten Texte (Jos 3–4; Dtn 31 und Jos 24) gehören wie die Vorstellung eines Bundes und die Credoformulierungen in das Umfeld des Deuteronomiums in die ausgehende Königszeit oder die beginnende Exilszeit.28 Die These, dass die Verknüpfung
NOTH 1948, 40–44. CH. LEVIN 2009: Art. Amphictyony, EBR 1, 1044–1047. 28 L. PERLITT 1969: Bundestheologie im Alten Testament, WMANT 36, NeukirchenVluyn; für einen Überblick CH. KOCH 2012: Art. Covenant II. Hebrew Bible/Old Testament, EBR 5, 900–908. Zum sogenannten kleinen geschichtlichen Credo vgl. J. CH. GERTZ 2000a: Die Stellung des kleinen geschichtlichen Credos in der Redaktionsgeschichte von Deuteronomium und Pentateuch, in: R. G. Kratz/H. Spieckermann (Hg.), Liebe und Gebot. Studien zum Deuteronomium, Festschrift L. Perlitt, FRLANT 190, Göttingen, 30–45. 26 27
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2. Quellenscheidung und Redaktionskritik im Buch Genesis
der Stoffe der Pentateucherzählung bereits in vorstaatlicher Zeit im Rahmen kultischer Begehungen erfolgt ist, war damit gründlich widerlegt. Hinzu kam ein methodischer Einwand, den Rolf Rendtorff in einer einflussreichen Studie erhoben hatte:29 Die Urkundenhypothese habe die Einsicht zur Voraussetzung, dass der Pentateuch uneinheitlich ist und versuche die Genese des Pentateuchs mit der literarkritischen Herausarbeitung von Quellenschriften zu erklären. Die von Hermann Gunkel angestoßene und von Gerhard von Rad und Martin Noth weiterverfolgte überlieferungsgeschichtliche Fragestellung gehe dagegen von der Einzelerzählung aus und verfolge deren weitere Entwicklung. Eine methodisch konsequente Überlieferungsgeschichte müsse daher die Quellentheorie zunächst ausklammern und fragen, wie sich aus den kleinsten Einheiten die Gesamtkomposition herausgebildet habe. Nach Rendtorff führt die konsequente Überlieferungsgeschichte zu dem Ergebnis, dass sich der Pentateuch aus größeren in sich recht geschlossenen literarischen Einheiten zusammensetzt, unter denen es nur wenige und sehr späte Verbindungslinien gibt: die Urgeschichte (Gen 1–11), die Erzväter (Gen 12–50), der Auszug aus Ägypten (Ex 1–15), der Sinai (Ex 19–24; Ex 32–34), der Aufenthalt in der Wüste (Ex 16–18; Num 11–20), die Eroberung des Landes (Numeri und Josua). Ihre Verbindung sei erst durch Texte deuteronomischer Prägung erfolgt.30 2. „Der Elohist als Erzähler: Ein Irrweg der Pentateuchkritik?“ Die Annahme einer elohistischen Quellenschrift galt schon früh als Schwachpunkt der Neueren Urkundenhypothese. Der Elohist hat weder einen richtigen Anfang, noch ein richtiges Ende. Auch bieten die als elohistisch bezeichneten Texte keinen durchgehenden Erzählfaden und geben auch keine einheitliche theologische Konzeption zu erkennen. Bereits Julius Wellhausen hielt eine genaue Quellenscheidung zwischen ‚J‘ und ‚E‘ vielfach für undurchführbar.31 Gleichwohl rekonstruierte er einen elohistischen Quellenfaden, indem er von einigen Textblöcken wie Genesis 20–22; 28,10–22 und 37,3–11 ausgehend nach den vorauszusetzenden Verbindungen zwischen diesen als elohistisch erkannten Stücken fragte. Paul Volz und Wilhelm Rudolph haben dieses Verfah-
29 R. R ENDTORFF 1976: Das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch, BZAW 147, Berlin/New York. 30 Bereits 1972 hatte Rainer Kessler in seiner erst 2015 veröffentlichten Heidelberger Dissertation den Nachweis erbracht, dass die Querverweise im non-P Material späte Ergänzungen sind und nicht für einen ‚frühen‘ Jahwisten oder Elohisten in Anspruch genommen werden können. R. KESSLER 2015: Die Querverweise im Pentateuch. Überlieferungsgeschichtliche Untersuchung der expliziten Querverbindungen innerhalb des vorpriesterlichen Pentateuchs, BEATAJ 59, Frankfurt a.M. 31 W ELLHAUSEN 1899, 32–35, 207 und passim.
III. Neue und alte Fragen
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ren als „Irrweg der Pentateuchkritik“ bezeichnet und die Gegenthese vertreten, dass die elohistischen Stücke teils zum Jahwisten gehören, teils spätere Ergänzungen zum Jahwisten sind.32 Dieser Vorschlag hat sich vor allem aufgrund des massiven Einspruchs von Martin Noth zunächst nicht durchsetzen können. Hatten Paul Volz und Wilhelm Rudolph auf das Bruchstückhafte der vermeintlichen Quellenschrift ‚E‘ hingewiesen, so widersprach Martin Noth mit dem Hinweis auf das redaktionelle Verfahren, wonach nur eine Auswahl aus der elohistischen Quellenschrift in das jahwistische Werk eingearbeitet worden sei, was zu größerem Textverlust geführt habe.33 Aus diesem Grund sprach man in der Folgezeit auch gerne von Fragmenten einer elohistischen Quellenschrift.34 Langfristig konnten sich diese Fragmente jedoch dem Sog der Ergänzungshypothese kaum entziehen. Dies zeigt sich auch am Schicksal der beiden klassischen Argumente für eine Quellenscheidung zwischen Jahwist und Elohist, dem alternierenden Gebrauch der Gottesbezeichnungen ‚Elohim/El‘ (Gott) und des göttlichen Eigennamens ‚JHWH‘ sowie der Wiederholungen einzelner Erzählungen. Der Wechsel der Gottesbezeichnungen wird von Kritikern der These eines Elohisten als nicht stichhaltig zurückgewiesen und in seiner Bedeutung als Kriterium für eine Quellenscheidung auch von Vertretern der These eines Elohisten mehrheitlich stark relativiert oder abgelehnt.35 So lässt sich am Beispiel der Erzählung von Jakobs Traum von der Himmelsleiter in Genesis 28,10–22 – einem Text der für die Herausbildung der These eines Elohisten von grundlegender Bedeutung gewesen ist36 – sehr schön zeigen, dass der Wechsel zwischen ‚Elohim‘ und ‚JHWH‘ intendiert ist:37 Die Leser wissen von vornherein, dass es sich um eine Erscheinung JHWHs handelt (V. 13a). Jakob erkennt dies erst im Laufe seines Traumes. Er sieht zunächst himmlische Wesen („Boten Gottes/Elohims“; V. 12). Erst als sich JHWH mit Namen vorstellt (V. 13b), weiß er, welche Gottheit an dem ihm bislang unbekannten Heiligtum (V. 11.17) gegenwärtig ist (V. 16). Weil die Erzählung die Gründungs32 P. V OLZ/W. R UDOLPH 1933: Der Elohist als Erzähler: Ein Irrweg der Pentateuchkritik? An der Genesis erläutert, BZAW 63, Gießen. 33 N OTH 1948, 20–28. 34 H. W. W OLFF 1969: Zur Thematik der elohistischen Fragmente im Pentateuch, EvT 29, 59–72. Vgl. dazu J. CH. GERTZ 2014: Art. Elohist (E), EBR 7, 777–781. 35 E. B LUM 2008: Der vermeintliche Gottesname ‚Elohim‘, in: I. Dalferth/Ph. Stoellger (Hg.), Gott Nennen. Gottes Namen und Gott als Name, Tübingen, 97–119. 36 Vgl. H. H UPFELD 1853: Die Quellen der Genesis und die Art ihrer Zusammensetzung von neuem untersucht, Berlin, 38–40. Gen 28,10–20 ist einer der wenigen Texte, bei denen die Trennung der vermeintlich verwobenen Fäden von J und E von verschiedenen Quellenkritikern fast übereinstimmend durchgeführt wird. 37 Vgl. zuletzt zur Analyse von Gen 28,10–20 E. B LUM 2012a: The Jacob Tradition, in: C. A. Evans/J. N. Lohr/D. L. Petersen (Hg.): The Book of Genesis. Composition, Reception and Interpretation, VT.S 152, Leiden und Boston/MA, 181–211, bes. 197–203.
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2. Quellenscheidung und Redaktionskritik im Buch Genesis
legende für das Heiligtum in Bet-El ist, spricht er nach dem Aufwachen vom „Haus Gottes“ (bet elohim). Der eigentliche Clou der Erzählung liegt dann darin, dass JHWH der Gott (Elohim) Jakobs ist (V. 20–21). Dass Wiederholungen von Erzählungen nicht notwendig auf parallele Erzählfäden im Sinne der Neueren Urkundenhypothese zurückgeführt werden müssen, lässt sich am Beispiel der Erzählung von der Gefährdung der Patriarchin zeigen. Die Episode wird dreimal erzählt, wobei die Gefährdung Rebekkas und Sarahs durch Abimelech (Gen 20,1–18 ‚E‘; 26,1–11 ‚J‘) als Dubletten gelten. Innerhalb des Textes, der üblicherweise dem Jahwisten zugeschrieben wird, begegnet die Episode auch als Gefährdung Sarahs durch den Pharao (Gen 12,10–20). Offenkundig kann der Plot einer Erzählung auch innerhalb eines Literaturwerkes mehrfach aufgenommen werden, ohne dass gleich von Dubletten gesprochen werden muss. Was die vermeintlich elohistische Abimelech-Episode anbelangt, so handelt es sich bei Genesis 20,1–18 um eine späte Reflexion darüber, ob es auch in der Fremde „Gottesfurcht“ gibt (V. 11). Diese für die Diaspora essenzielle Frage wird am Beispiel des aus Genesis 12 und 26 bekannten Themas ‚Gefährdung der Patriarchin‘ erörtert. Dabei schöpft die Episode aus den ‚Dubletten‘ in Genesis 12 und 26 und setzt bei ihren Lesern die Vertrautheit mit beiden Texten voraus.38 Ähnlich kommt eine Vielzahl neuerer Analysen zu dem Ergebnis, dass die elohistischen Kerntexte entweder ein integraler Bestandteil von Texten sind, die dem Jahwisten zugerechnet werden, oder dass sie diese Texte und teilweise auch priesterschriftliche Texte ergänzen.39 Dieser Befund lässt sich aber wesentlich plausibler mit einer Ergänzungshypothese erklären als mit der Annahme der sekundären Verbindung ehedem unabhängig voneinander überlieferter Quellenschriften. 3. „Weder Quelle noch Redaktion“ – die janusköpfige Priesterschrift Die Aussonderung der Priesterschrift gilt weithin als einer der wenigen Fixpunkte innerhalb der Pentateuchforschung, da die Bestimmung der im weitesten Sinne zu P gehörigen Texte seit Theodor Nöldeke vor 150 Jahren so gut
M. KÖCKERT 2006a: Abraham: Ahnvater, Fremdling, Weiser. Lesarten der Bibel in Gen 12, Gen 20 und Qumran, in: St. Martus/A. Polaschegg (Hg.): Das Buch der Bücher – gelesen. Lesarten der Bibel in den Wissenschaften und Künsten, Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik 13, New York, 139–169. 39 J. VAN SETERS 1975: Abraham in History and Tradition, New Haven/CT und London; C. WESTERMANN 1981: Genesis 12–36, BK I/2, Neukirchen-Vluyn; DERS. 1982: Genesis 37–50, BK I/3, Neukirchen-Vluyn; E. BLUM 1984: Die Komposition der Vätergeschichte, WMANT 57, Neukirchen-Vluyn; T. VEIJOLA 1988: Das Opfer des Abraham – Paradigma des Glaubens aus dem nachexilischen Zeitalter, ZTK 85, 129–64; LEVIN 1993; D. M. CARR 1996: Reading the Fractures of Genesis. Historical and Literary Approaches, Louisville/KY. 38
III. Neue und alte Fragen
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wie unstrittig ist.40 Im Detail unterscheiden sich die Vorstellungen von der Priesterschrift jedoch sehr. Dies betrifft die literarische Differenzierung innerhalb der priesterschriftlichen Texte, den Umfang eines priesterschriftlichen Kernbestands, dessen literarischen Charakter – ehedem selbständiges Literaturwerk oder Redaktionsschicht – und Datierung sowie das Verhältnis zu den non-P Texten. Alle Fragen sind eng miteinander verzahnt, entsprechend komplex und vielstimmig ist die Debatte.41 Der bis in die 70er Jahre vorherrschende Konsens, wonach P eine ehedem selbständige und nahezu vollständig erhaltene Quellenschrift ist, wurde zuerst von Frank Martin Cross und Rolf Rendtorff in Frage gestellt.42 Beide plädierten mit Nachdruck dafür, dass P eine redaktionelle Schicht ist, die ältere Schriften in ihr Werk integriert hat. Gelehrte wie John Van Seters und Erhard Blum haben sich dieser Position angeschlossen,43 während die Forschungsmehrheit an der ‚klassischen‘ Position einer ehedem selbständigen Priesterschrift festhält. In der Tat ist der Befund zu den priesterschriftlichen Texten ambivalent, wie sich gerade am Buch Genesis aufzeigen lässt: In der Urgeschichte in Genesis 1–11 bietet P einen zusammenhängenden und vollständigen Text mit einem klaren theologischen und kompositorischen Profil. Ebenso lässt sich das durchlaufende Ineinander der non-P und der priesterschriftlichen Passagen in der Fluterzählung (Gen 6–9) am besten mit einem Quellenmodell erklären. Kein Bearbeiter hätte ohne Not die sachlichen Spannungen verursacht, die sich gerade in Nebenzügen finden und kein redaktionelles Interesse erkennen lassen.44 Andererseits bieten die priesterschriftlichen Texte in den Erzelternerzählungen in Genesis 12–36 und in der Josephsgeschichte in Genesis 37–50 für sich genommen keine selbsttragende Erzählung und wirken ohne Kenntnis der Stoffe der non-P Überlieferung unvollständig. Das ändert sich erst wieder mit der Exoduserzählung in Ex 1–14, in der das theologische Profil der priesterschriftlichen Darstellung von Moses Berufung, Plagen und Auszug erst unter Absehung der non-P Texte zu erkennen ist. So kann man erwägen, ob es sich bei P um eine Kompositionsschicht gehandelt 40 TH. N ÖLDEKE 1869: Die s.g. Grundschrift des Pentateuchs, in: ders., Untersuchungen zur Kritik des Alten Testaments, Kiel, 1–144. Die Charakterisierung von P als „Weder Quelle noch Redaktion“ stammt von E. BLUM 1990: Studien zur Komposition des Pentateuch, BZAW 189, Berlin/New York, 221–285. 41 Vgl. F. H ARTENSTEIN/K. SCHMID (Hg.) 2015: Abschied von der Priesterschrift? Zum Stand der Pentateuchdebatte, VWGTh 40, Leipzig; S. SHECTMAN/J. BADEN (Hg.) 2009: The Strata of the Priestly Writings. Contemporary Debate and Future Directions, ATANT 95, Zürich. 42 F. M. C ROSS 1973: The Priestly Work, in: ders., Canaanite Myth and Hebrew Epic, Cambridge 293–325; RENDTORFF 1976. 43 J. VAN SETERS 1992: Prologue to History: The Yahwist as Historian in Genesis, Zürich; BLUM 1984; DERS. 1990. 44 Zu P in Gen 1–11 vgl. J. C H. G ERTZ 2021: Das erste Buch Mose (Genesis). Die Urgeschichte Gen 1–11, ATD 1, 2. Aufl., Göttingen.
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hat, die ihre eigene Tradition – etwa in der Urgeschichte oder der Exoduserzählung – zunächst für sich formuliert und dann mit den älteren non-P Texten verbunden hat.45 Angesichts des extrem spärlichen priesterschriftlichen Textbestandes in Genesis 12–50 ließe sich auch überlegen, dass P in Genesis 12– 50 seiner Darstellung den non-P Textbestand zugrunde gelegt hat. P wäre dann in diesem Textbereich eher als eine Redaktion anzusprechen, die im Anschluss an eine eigenständig formulierte Urgeschichte eine von ihr redigierte Väterund Josephsgeschichte mit einer eigenen Darstellung der Entstehung des Volkes Israel in Ägypten und der Mosezeit fortgesetzt hat.46 Ein weiterer Zugang zu den priesterschriftlichen Texten im Buch Genesis ergibt sich schließlich aus Untersuchungen zum sogenannten Heiligkeitsgesetz in Levitikus 17–26. Es steht konzeptionell wie sprachlich P und dem Dtn gleichermaßen nahe und dürfte als redaktioneller Ausgleich dieser beiden Konzeptionen zum Abschluss der Formierung der Tora anzusprechen sein. Da sich Spuren dieser Redaktion vereinzelt auch andernorts im Pentateuch finden lassen (vgl. Gen 17,9.13–14*; Ex 12,14–20; Ex 31,12–17; Lev 11,41–45), lässt sich diese Redaktion, deren Zentrum das Heiligkeitsgesetz bildet, als „Holiness School“ bestimmen.47 Für das Buch Genesis wurde nun in jüngerer Zeit die These aufgestellt, dass der erste Schöpfungsbericht in Genesis 1,1–2,3, die Gliederung durch die Toledot-Formel („Dies sind die Zeugungen des N.N.“; Gen 2,4a; 5,1; 6,9; 10,1; 11,10.27; 25,12.19; 36,1.9; 37,2), der Bundesschluss mit Abraham nach Genesis 17 sowie eine Reihe von redaktionellen Versen auf die Holiness School zurückgehen. Deren Verfasser hätten sich weitgehend auf Materialien der Priesterschrift gestützt und diese mit den älteren epischen Traditionen Israels (JE) verbunden.48 Man wird indes fragen müssen, ob die bei dieser These vorausgesetzte literarkritische Unterscheidung des üblicherweise P zugerechneten Textes in P (knapp und inhaltsarm) und eine (umfangreiche)
BLUM 1990, 221–285, insbes. 278–285 zu P in Gen 1–11. J. WÖHRLE 2012: Fremdlinge im eigenen Land: Zur Entstehung und Intention der priesterlichen Passagen der Vätergeschichte, FRLANT 246, Göttingen. 47 I. K NOHL 1995: The Sanctuary of Silence. The Priestly Torah and the Holiness School, Minneapolis/MN; CH. NIHAN 2007: From Priestly Torah to Pentateuch. A Study in the Composition of the Book of Leviticus, FAT II/25, Tübingen. 48 J. M ILGROM 2003: H in Leviticus and Elsewhere in the Torah, in: R. Rendtorff/R. A. R Kugler (Hg.), The Book of Leviticus: Composition and Reception, VT.S 93, Leiden, 24–40; B. T. ARNOLD 2009: Genesis, New Cambridge Bible Commentary, Cambridge; DERS. 2017b: The Holiness Redaction of the Primeval History, ZAW 129, 483–500; DERS. 2017a: The Holiness Redaction of the Abrahamic Covenant (Genesis 17), in: Sh. L. Birdsong/S. Froloy (Hg.), Partners with God: Theological and Critical Readings of the Bible in Honor of Marvin A. Sweeney, Claremont Studies in Hebrew Bible & Septuagint 2, Claremont/CA, 51–61; M. WARNER 2015: The Holiness School in Genesis?, in: R. Gane/A. Taggar-Cohen (Hg.), Current Issues in Priestly and Related Literature. The Legacy of Jacob Milgrom and Beyond, Atlanta/GA, 155–174 (mit Fokus auf den Erzelternerzählungen). 45 46
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Holiness School durchführbar ist und ob etwa die Speisevorschriften in Levitikus 17 (H) und die Freigabe von fleischlicher Nahrung für den Menschen in Genesis 9,4–6 auf ein und derselben Linie liegen. Eher liegt mit Levitikus 17,3–7 eine Revision des priesterschriftlichen Textes in Genesis 9 vor.49 Schließlich ist noch auf die absolute und relative Chronologie von P einzugehen. Nach der Neueren Urkundenhypothese ist P die jüngste Quellenschrift und gehört in die Zeit um die Einweihung des zweiten Tempels im ausgehenden 6. Jahrhundert v. Chr. Allerdings wird P aufgrund seiner archaischen Sprachgestalt immer wieder in die Zeit der Monarchie datiert.50 Daran ist richtig beobachtet, dass die in P dargestellten Rituale und deren gedankliche Vorstellungen zum Teil in der kultischen Praxis des ersten Tempels wurzeln. Gleichwohl lässt sich nicht verkennen, dass P eine Reihe sprachlicher und sachlicher Berührungen mit dem Deuteronomismus, mit deuterojesajanischen Texten und mit Ezechiel aufweist. P setzt die im spätvorexilischen Deuteronomium geforderte Zentralisierung des Kultes voraus. Der von P schon in Genesis 1 vertretene Monotheismus findet sich im AT erstmals bei Deuterojesaja. Auch spiegelt der Universalismus des priesterlichen Schöpfungsberichts oder der Völkertafel in Genesis 10 die geistigen und politischen Verhältnisse des Achämenidenreiches. Insofern stellt P das über Jahrhunderte gewachsene und in frühnachexilischer Zeit zum Text geronnene Priesterwissen dar. Was nun die relative Chronologie anbelangt, so lässt sich beobachten, dass die alte Gleichung, wonach der überwiegende Teil der non-P Texte fraglos als vorpriesterschriftlich einzustufen ist, weitgehend aufgegeben ist. Zwar gilt die Erzählsubstanz der non-P Texte als älter, doch sind sie in der Ausgestaltung häufig jünger als P und das Deuteronomium. Um nur ein Beispiel zu nennen: Genesis 15 galt lange Zeit, schon wegen des mutmaßlich ‚archaischen‘ Ritus, wonach Abraham durch eine Reihe zerteilter Tiere schreiten muss, als Urgestein der Genesis. Inzwischen wird der Text vielfach um viele Jahrhunderte später datiert. Aus dem ‚archaischen‘ Ritus ist ein kontroverstheologischer Text geworden, der bereits P in Genesis 17 voraussetzt und in den Zusammenhang einer am
49 Zur (weitgehenden) Einheitlichkeit des priesterschriftlichen Anteils in Gen 1–11 und zur konzeptionellen Geschlossenheit dieses für den Gesamtaufriss von P grundlegenden Textbereichs vgl. GERTZ 2021, 9–11 und passim; zum Verhältnis von Gen 9,1–4 und Lev 17 vgl. NIHAN 2007, 412–413. 50 Zur Debatte vgl. E. B LUM 2009: Issues and Problems in the Contemporary Debate Regarding the Priestly Writings, in: S. Shectman/J. Baden (Hg.), The Strata of the Priestly Writings. Contemporary Debate and Future Directions, ATANT 95, Zürich, 31–33 (mit weiterer Literatur). Zum Problem des ‚linguistic Dating‘ vgl. DERS. 2016: The Linguistic Dating of Biblical Texts, in: J. Ch. Gertz/B. M. Levinson/D. Rom-Shiloni/K. Schmid (Hg.), The Formation of the Pentateuch. Bridging the Academic Cultures of Europe, Israel and North America, FAT 111, Tübingen, 303–325.
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Beispiel Abrahams geführten Auseinandersetzung um die eigene Identität im spätperserzeitlichen Juda gehört.51 4. Der schwer fassbare Jahwist Im Gebäude der Neueren Urkundenhypothese bewohnte der Jahwist stets die bel étage.52 Er hatte, so Gerhard von Rad, ein Werk geschaffen, das „als eine der größten Leistungen der Geistesgeschichte aller Zeiten“53 gelten darf. Gemeinsam mit den Geschichten über den Aufstieg und die Thronfolge Davids sei das Werk des Jahwisten Ausdruck eines geschichtlichen Denkens, das das antike Israel lange vor den Griechen entwickelt und zu einer ganz eigenständigen Form gebracht habe. In all dem sei der Jahwist ein Zeugnis der „freigeistigen Ära Salomos“54. In der gegenwärtigen Diskussion steht mit Blick auf die Texte, die herkömmlich dem Jahwisten zugeschrieben werden, jedoch fast alles zur Disposition: Alter und Umfang, innere Kohärenz und theologische Konzeption. Deshalb werden in der Forschung mittlerweile sehr unterschiedliche Größen als Jahwist bezeichnet. Gemeinsamer Nenner ist allenfalls die Annahme, dass es sich um den ersten Gesamtentwurf einer Pentateucherzählung gehandelt hat. Besonders einschneidend ist der Wandel in der Datierung. So hat John Van Seters für die Mehrzahl der in Genesis 12–25 enthaltenen Überlieferungen von Abraham herausgearbeitet, dass sie aus exilischer Zeit stammen: Abraham, der außerhalb des Pentateuchs erstmals bei Ezechiel (Ez 33,23–29) und Deuterojesaja (Jes 41,8–9; 51,2) erwähnt wird, ist eine Identifikationsfigur für das exilische Israel.55 Die Väterverheißungen sind anders als bei Albrecht Alt oder Gerhard von Rad nicht der Niederschlag von Erfahrungen aus der nomadischen Frühzeit Israels, die in monarchischer Zeit verschriftet wurden. Vielmehr handelt es sich um geschichtstheologische Reflexionen,
51 Vgl. M. K ÖCKERT 2013: Gen 15. Vom ‚Urgestein‘ der Väterüberlieferung zum ‚theologischen Programmtext‘ der späten Perserzeit, ZAW 125, 25–48; J.-L. SKA 2009a: Some Groundworks on Genesis 15, in: ders., The Exegesis of the Pentateuch. Exegetical Studies and Basic Questions, FAT 66, Tübingen, 67–81. 52 Zur Forschungsgeschichte und dem Stand der Debatte vgl. TH. C. R ÖMER 2006: The Elusive Yahwist: A Short History of Research, in: Th. B. Dozeman/K. Schmid (Hg.), A Farewell to the Yahwist? The Composition of the Pentateuch in Recent European Interpretation, SBL Symposium Series 34, Atlanta/GA, 9–27. 53 VON R AD 1972, 11. 54 AaO 14. Die einprägsame Formel von der „salomonischen Aufklärung“ begegnet erstmals in G. VON RAD 1944: Der Anfang der Geschichtsschreibung im Alten Israel (1944), in: ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament, TB 8, München 1958, 148–188, 187. 55 V AN SETERS 1975. Ferner A. M ÜHLING 2011: „Blickt auf Abraham, euren Vater“. Abraham als Identifikationsfigur des Judentums in der Zeit des Exils und des Zweiten Tempels, FRLANT 236, Göttingen; M. KÖCKERT 2017: Abraham. Ahnvater – Vorbild – Kultstifter, Biblische Gestalten 31, Leipzig.
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die auf die Erfahrungen des Exils reagieren und einem deprimierten Volk neue Zuversicht geben sollten. Der Jahwist ist ein Historiker nach dem Beispiel griechischer Geschichtsschreiber wie Herodot oder Hellanikos von Lesbos, der in exilischer Zeit die verschiedenen Gründungsüberlieferungen Israels zusammengestellt hat. Sein Werk ist später von einer priesterlichen Bearbeitung redigiert worden. Ähnlich und dann auch wieder ganz anders stellt sich Christoph Levin den Jahwisten vor.56 Für ihn ist der Jahwist ein in der Diaspora wirkender Redaktor, der in seinem Werk verschiedene ältere Quellen verarbeitet hat. Gerade in den Erzählungen von den Erzeltern polemisiert er gegen die Forderung des Deuteronomiums, JHWH nur an dem einen legitimen Heiligtum zu verehren (vgl. Dtn 12 versus Gen 12,7–8; 13,18). Anders als bei John Van Seters ist P nach Christoph Levin ein ehedem selbständiges Werk, das von einem Redaktor mit dem Jahwisten vereinigt wurde. Mit dieser Verbindung war – auch im Buch Genesis – die Überlieferungsbildung jedoch noch lange nicht abgeschlossen. Stimmen John Van Seters und Christoph Levin mit der älteren Forschung darin überein, dass der erste Gesamtentwurf der Pentateucherzählung auf den Jahwisten zurückgeht, so wurde in jüngerer Zeit auch dies massiv in Frage gestellt. Für das Buch Genesis betrifft dies die Urgeschichte in Genesis 1–11 und die Verbindung mit der Exoduserzählung.57 Die große thematische und kompositionelle Geschlossenheit der herkömmlich zum Jahwisten gerechneten Texte in Genesis 1–11 einerseits und ihre sehr lockere Verbindung zu der jahwistischen Vätergeschichte andererseits hat zur These einer ursprünglich selbständigen non-P Urgeschichte geführt.58 Andere wiederum führen die herkömmlich zum Jahwisten gerechneten Texte auf eine nach-priesterschriftliche Redaktion zurück, die unter Aufnahme älteren Materials die Urgeschichte der Priesterschrift redigiert hat.59 Sodann wird intensiv diskutiert, ob es einen ‚jah-
LEVIN 1993. Bereits S. SANDMEL 1961: Haggada within Scripture, JBL 80, 105–122, 113, hatte die These vertreten, dass J „never was a long, connected document“ und den unterschiedlichen Charakter der vier Hauptbestandteile der Genesis, der Urgeschichte und der Erzählungen um die drei Väterfiguren, herausgestellt. 58 Vgl. schon R. H. PFEIFFER 1941: Introduction to the Old Testament, New York, 159– 167. Grundlegend: F. CRÜSEMANN 1981: Die Eigenständigkeit der Urgeschichte. Ein Beitrag zur Diskussion um den ‚Jahwisten‘, in: J. Jeremias/L. Perlitt (Hg.), Die Botschaft und die Boten. Festschrift H. W. Wolff, Neukirchen-Vluyn, 11–29. Vgl. ferner BLUM 1984, 349– 361; CARR 1996, 234–248; M. WITTE 1998: Die Biblische Urgeschichte. Redaktions- und theologiegeschichtliche Beobachtungen zu Genesis 1,1–11,26, BZAW 265, Berlin/New York, 192–205; J. CH. GERTZ 2012: The Formation of the Primeval History, in: C. A. Evans/J. N. Lohr/D. L. Petersen (Hg.), The Book of Genesis: Composition, Reception, and Interpretation, VT.S 152, Leiden, 107–136 (in diesem Band Nr. 3). 59 J. B LENKINSOPP 2002: A Post-Exilic Lay Source in Genesis 1–11, in: J. Ch. Gertz/K. Schmid/M. Witte (Hg.), Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der 56 57
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wistischen‘ Übergang von der Josephsgeschichte zur Exoduserzählung gegeben hat oder ob erst die jüngere Priesterschrift die Vätererzählungen und die Exoduserzählung verknüpft hat.60 In diesem Fall werden non-P Erzählungen von den Erzeltern und die non-P Mose-Exodus-Erzählung als konkurrierende Entwürfe der Ursprünge Israels betrachtet.61 Zwar wird man davon ausgehen dürfen, dass die non-P Verfasser in den Büchern Genesis und Exodus mit beiden Traditionen vertraut waren, doch es wäre dann die Priesterschrift gewesen, die erstmals die Erzeltern mit Mose zu einem durchgängigen Geschichtsentwurf verbunden hat.
IV. Wege aus der Krise? Die Forschung ist zurzeit von einem Konsens weit entfernt, wenn es um die Entstehung des Pentateuchs oder des Buches Genesis geht:62 In der angelsächsischen, insbesondere der nordamerikanischen Forschung wird weiterhin vielfach die Urkundenhypothese in ihrer von Martin Noth modifizierten Gestalt vertreten. Daneben gibt es in Israel und den USA eine Rückkehr zu der bereits von Wellhausen mit Nachdruck zurückgewiesenen mechanischen Quellenscheidung durch den Kreis der Neo Documentarians.63 Hingegen werden vor allem in der kontinentaleuropäischen Forschung neben verschiedenen Spielarten einer modifizierten Fassung der Neueren Urkundenhypothese zunehmend
jüngsten Diskussion, BZAW 315, Berlin, 49–61; A. SCHÜLE 2006a: Der Prolog der hebräischen Bibel. Der literar- und theologiegeschichtliche Diskurs der Urgeschichte (Genesis 1– 11), AThNAT 86, Zürich; A. DE PURY 2007: Pg as the Absolute Beginning, in: Th. C. Römer/K. Schmid (Hg.), Les dernières Rédactions du Pentateuque, de l’Hexateuque et de l’Ennéateuque, BEThL 203, Leuven, 99–128, hier 113–118; M. ARNETH 2007: „Durch Adams Fall ist ganz verderbt ...“. Studien zur Entstehung der alttestamentlichen Urgeschichte, FRLANT 217, Göttingen. 60 Vgl. J. C H. G ERTZ 2015: Zusammenhang, Trennung und Selbständigkeit der Bücher Genesis und Exodus im priesterlichen und nachpriesterlichen Pentateuch, in: F. Giuntoli/K. Schmid (Hg.), The Post-Priestly Pentateuch. New Perspectives on its Redactional Development and Theological Profiles, FAT 101, Tübingen, 233–251 (in diesem Band Nr. 17) und die dort angegebene Literatur. Bereits F. V. WINNETT 1965: Re-examining the Foundation, JBL 84, 1–19 schlägt vor, dass die Verbindung der non-P Erzelternerzählung und der non-P Exoduserzählung nachpriesterschriftlich einzuordnen ist. 61 K. SCHMID 1999: Erzväter und Exodus. Untersuchungen zur doppelten Begründung der Ursprünge Israels innerhalb der Geschichtsbücher des Alten Testaments, WMANT 81, Neukirchen-Vluyn; J. CH. GERTZ 2000b: Tradition und Redaktion in der Exoduserzählung. Untersuchungen zur Endredaktion des Pentateuch, FRLANT 186, Göttingen. 62 Für einen Überblick vgl. TH. C. R ÖMER 2013: Zwischen Urkunden, Fragmenten und Ergänzungen: Zum Stand der Pentateuchforschung, ZAW 125, 2–24. 63 Siehe oben S. 18 mit Anm. 12.
IV. Wege aus der Krise?
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solche Modelle vertreten, die mit kleineren und größeren Kompositionen rechnen, die unabhängig voneinander und zu verschiedenen Zeiten entstanden sind und durch redaktionelle Klammern zu immer größeren Einheiten verbunden wurden. Schließlich sind noch die im Einzelnen wiederum sehr unterschiedlichen synchronen Zugänge zu erwähnen, die im Allgemeinen unter dem Begriff ‚literary criticism‘64 subsumiert werden. Diesen zunächst vorwiegend an English departments gelehrten Zugängen ist gemeinsam, dass sie biblische Texte als einheitliche literarische Werke (‚unitary works of literature‘) betrachten. Eine historische Dimension fehlt in der Regel bei diesen Ansätzen. Stattdessen werden die Texte in ihrer vorliegenden Gestalt (‚end-form‘) als Kunstwerke begriffen, wobei die inneren Strukturmerkmale und literarischen Strategien des Textes selbst im Fokus stehen und externe (historische) Daten bei der Interpretation keine Rolle spielen. Für die diachrone Forschung sind diese Arbeiten gleichwohl von großem Interesse, weil sie den Blick für die Eigenarten biblischer Erzähltexte öffnen und zeigen, dass nicht jede Wiederholung und vermeintliche sprachliche Unebenheit auf eine literarische Naht hinweisen muss. Ein besonders gelungenes Beispiel ist die Analyse der Erzählung von Jakobs Traum von der Himmelsleiter in Genesis 28 durch Jan P. Fokkelman.65 Sie hat einen maßgeblichen Einfluss auf diachrone Analysen des Textes gehabt, die hier auf die klassische Unterscheidung einer elohistischen und einer jahwistischen Version des Textes verzichten und stattdessen mit einem Grundtext und einigen Erweiterungen rechnen.66 Angesichts der Vielzahl der verschiedenen Zugänge könnte es als kühn erscheinen, mit einem Ausblick über mögliche Quellen und Redaktionen im Buch Genesis zu schließen. Gleichwohl lassen sich aus dem Gang der Diskussion einige Einsichten gewinnen, die Konturen eines Bildes zu erkennen geben und zumindest helfen, Sicheres von Unsicherem zu unterscheiden und offene Fragen zur Entstehung des Buches Genesis zu identifizieren.67 Wichtig ist die
64 Hier ist auf eine terminologische Unklarheit hinzuweisen. Der Ausdruck ‚literary criticism‘ und seine deutsche Entsprechung ‚Literarkritik‘ meinte ursprünglich die historischdiachrone Frage nach der Entstehungsgeschichte des Textes und den rekonstruierten Quellen und Redaktionen. Seit den 70er Jahren hat sich die Bedeutung des Ausdrucks ‚literary criticism‘ verschoben. Der historisch-diachrone Ansatz wird im Englischen häufig als ‚literaryhistorical criticism‘ bezeichnet, während unter ‚(new) literary criticism‘ im weitesten Sinne synchrone oder text-immanente Zugänge verstanden werden. Für einen Überblick vgl. D. J. A. CLINES 2015: Contemporary Methods in Hebrew Bible Criticism, in: M. Sæbø (Hg.), Hebrew Bible/Old Testament. The History of Its Interpretation. Vol. III/2: The Twentieth Century – From Modernism to Post-Modernism, Göttingen, 148–169. 65 FOKKELMAN 1975, 46–81. 66 Siehe oben S. 25–26 zu Gen 28. 67 Der folgende Abriss ist so kurz gehalten, dass ich auf Referenzen verzichte. Wichtige Argumente finden sich in den genannten Arbeiten von Blum, Gertz, Kratz, Levin und Schmid, die sich im Detail und in der Herangehensweise dann im Einzelnen zum Teil sehr
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2. Quellenscheidung und Redaktionskritik im Buch Genesis
schon früh aufgekommene Einsicht, dass weder der Pentateuch als Ganzes noch das Buch Genesis über einen Leisten geschlagen werden können. Zu Recht integrieren Vertreter einer Urkunden-, Ergänzungs- oder Fragmentenhypothese jeweils auch Elemente der konkurrierenden Modelle. Darüber hinaus ist in entstehungsgeschichtlicher Hinsicht zwischen den Großabschnitten der Urgeschichte, der Erzelternerzählungen – und hier zwischen den Erzählungen um Abraham, Isaak und Jakob – und der Josephsgeschichte zu unterscheiden. Für die Urgeschichte hat sich die Zweiquellentheorie (P und non-P) grundsätzlich bewährt, wobei eine Reihe von Texten auf spätere Redaktionen zurückgehen. Es ist unverkennbar, dass die priesterschriftlichen Texte in Genesis 1–11 Teil eines größeren priesterschriftlichen Entwurfs der Geschichte Israels sind, der zumindest bis zur Offenbarung Gottes am Sinai gereicht hat. Mit Blick auf die non-P Urgeschichte spricht einiges für die Annahme einer ehedem selbständigen Komposition um die beiden Pole Schöpfung und Flut. Der älteste Bestand der Erzelternerzählungen findet sich in der im Nordreich Israel beheimateten Jakob-Esau-Laban-Erzählung in Genesis 25–33*. Diese wurde mutmaßlich nach dem Fall des Nordreichs im Jahre 722 v. Chr. mit den im Südreich beheimateten Erzählungen um Isaak und Abraham verbunden. Es ist auffällig, dass die auf Genesis 26 konzentrierte Isaakerzählung größtenteils Varianten zu Erzählungen von Abraham und Sarah bietet, wobei die Priorität bei der Gefährdung der Patriarchin (Gen 12; 20; 26) und dem Vertrag mit Abimelech um Brunnenrechte (Gen 21; 26) bei Isaak liegen dürfte. Vermutlich hat also Abraham als die später beliebtere und bedeutendere Figur diese Geschichten an sich gezogen. Den Kern bilden die Erzählungen um Abraham und Lot (Gen 13,1–13*.18; Gen 18–19*; 21,1–7*). Er gehört geographisch in das Gebiet von Hebron, also auf judäisches Territorium. Sollte der Aufbruchsbefehl in Genesis 12 (Gen 12,1–3.4a.6–8) zum Kern der Erzählungen um Abraham und Lot gehört haben, dann sind diese von vornherein als Vorspann zur Jakobsgeschichte konzipiert worden.68 Der Hauptbestand der Erzählungen um stark unterscheiden. Für eine Zusammenfassung der eigenen Position vgl. J. CH. GERTZ 2019: Tora und Vordere Propheten, in: ders. u.a. (Hg.), Grundinformation Altes Testament, 6. Aufl., Göttingen, 193–312. 68 Dass Gen 12,1–3.4a.6–8 auf die literarische Verbindung von Abraham und Jakob und somit auf die Ausgestaltung einer Geschichte der Väter und Mütter Israels zielt, ist in der Forschung weithin Konsens. Umstritten ist jedoch die literarhistorische Ein- und Zuordnung des Abschnitts. Nach den einflussreichen Arbeiten von Erhard Blum und Matthias Köckert ist er einem ehedem selbständigen Abraham-Lot-Zyklus redaktionell vorangestellt worden. Vgl. E. BLUM 1984, 285f, 297–301 und passim; DERS. 1998: Art. Abraham, RGG4 1, 70– 74; M. KÖCKERT 1988: Vätergott und Väterverheißungen. Eine Auseinandersetzung mit Albrecht Alt und seinen Erben, FRLANT 142, Göttingen, 248–299; DERS. 2014: Wie wurden Abraham- und Jakobüberlieferung zu einer „Vätergeschichte“ verbunden?, HeBAI 3, 43–66, 48–52. Zur Auseinandersetzung mit dieser These und Begründung der hier nur angedeuteten Position siehe den Beitrag Nr. 16 in diesem Band.
IV. Wege aus der Krise?
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Abraham verdankt sich jedenfalls späteren Auffüllungen und setzt die Verbindung mit den Erzählungen um Jakob bereits voraus. Die hohe Attraktivität der Gestalt Abrahams als Identifikationsfigur in nachexilischer Zeit zeigt sich an den vielfältigen späten Ergänzungen wie der Brautwerbung um Rebekka (Gen 24), den Fürbitten Abrahams für Sodom (Gen 18) und für Abimelech (Gen 20) sowie der Opferung Isaaks (Gen 22). Die durch und durch novellistische Geschichte von Joseph und seinen Brüdern in Genesis 37.39–50* ist eine gegenüber der Erzelterngeschichte und der Exoduserzählung ehedem selbständige Erzählung. Die literarischen Verknüpfungen sind sämtlich sekundär. Wer für die Verbindung der Großabschnitte verantwortlich ist, ist derzeitig sehr umstritten. Ist dies vor der Verbindung mit der Priesterschrift im Sinne eines ‚späten‘ Jahwisten geschehen? Hat P die verschiedenen non-P Blöcke in ihr Werk integriert? Oder geht die Verbindung auf einen Redaktor zurück, der die Priesterschrift mit den non-P Literaturwerken verbunden hat? Schwierig zu bewerten ist schließlich auch der Befund zur Priesterschrift in Genesis 12–50. Es ist möglich, dass die ehedem selbständige Priesterschrift nur eine sehr reduzierte Version der Erzelternerzählungen und der Josephsnovelle geboten hat und bei ihren Lesern die Bekanntschaft mit den non-P Texten voraussetzen konnte. Es ist auch möglich, dass die Priesterschrift im Bereich von Genesis 12–50 eher als Bearbeitungs- oder Kompositionsschicht anzusprechen ist.
3. Die Entstehung der biblischen Urgeschichte I. Einleitung: Allgemeine Charakterisierung der Urgeschichte Die biblische Urgeschichte fragt in beispielhaften Erzählungen nach der Entstehung der Welt und ihrer Ordnung, nach dem Woher des Menschen und den Ursprüngen der Kultur. Dieses Fragen ist keine naive Historiographie, die geschichtliche und naturwissenschaftliche Unkenntnis durch schöne Erzählungen ausgleicht. Es ist vielmehr Ausdruck einer in antiken Kulturen weitverbreiteten Grundüberzeugung, wonach alles Gegenwärtige und alles Zukünftige sein Wesen im Anfang erhalten hat. Die dazugehörige sprachliche Ausdrucksform ist das mythische Erzählen. Im Zentrum dieser „Wesensbestimmung aus mythischem Grunde“1 steht die Menschheit in ihren vielfältigen Beziehungen untereinander sowie zur nichtmenschlichen Schöpfung und zu Gott. Schon der Bericht über die Entstehung der Welt und ihre zeitliche und räumliche Ordnung ist ganz auf die Erfahrungswelt des Menschen und seine Bestimmung in dieser Welt zugespitzt. Entsprechend sind die Aussagen über die Welt vor der Schöpfung oder über den Himmel oberhalb des sichtbaren Himmels oder die Tiefen des Meeres auf das absolut Notwendige reduziert, während die Beauftragung und Befähigung des Menschen zur Herrschaft über die Welt und die nichtmenschliche Schöpfung prominent am Ende der Schöpfungswerke stehen und breiten Raum einnehmen (Gen 1,1–2,3). Für die Paradieserzählung (Gen 2,4– 3,24) und die Erzählung vom Brudermord Kains (Gen 4,1–16) sowie die genealogischen Notizen über die Nachkommen Kains (Gen 4,17–24) liegt die ätiologische Ausrichtung auf die Grundgegebenheiten menschlicher Existenz noch deutlicher zu Tage. Vor dem kontrastierenden Hintergrund des paradiesischen Gartens als Ort einer mühelosen und ungefährdeten Lebenssicherung und eines naiv-ungetrübten Verhältnisses zwischen Mann und Frau sowie des Menschen zu Gott beschreiben sie die Ambivalenz menschlicher Existenz: Die wesensmäßige und bis in die Etymologie reichende Verbindung des Menschen ()אדם mit dem Ackerboden ()אדמה, von dem er genommen ist (Gen 2,7), von dessen
1 L. PERLITT 1980: Die Urgeschichte im Werk Gottfried Benns, in: R. Albertz u.a. (Hg.), Werden und Wirken des Alten Testaments. Festschrift C. Westermann, Göttingen, 9–37, (= DERS., Allein mit dem Wort, Theologische Studien, Göttingen 1995, 333–360), 11, mit Verweis auf Franz Overbeck und die Mythosdebatte des 18. und 19. Jahrhunderts.
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3. Die Entstehung der biblischen Urgeschichte
Erträgen er in beschwerlicher Arbeit sein Leben fristet und zu dem er mit dem Tod zurückkehrt (Gen 3,17–19); die geschöpfliche Nähe und gleichzeitige Feindschaft zwischen Mensch und Tier (Gen 2,18f; 3,15); das Gebären unter Schmerzen (Gen 3,16); die Verkehrung menschlicher Nähe in ein Herrschaftsgefälle zwischen Mann und Frau (Gen 3,16); die Erfahrung von Förderung oder Schädigung, die der Mensch unabhängig von seiner Leistung, gleichsam schicksalhaft erfährt und die durch diese Erfahrung hervorgebrachte tödliche Gewalt unter Brüdern (Gen 4,1–16); die Emanzipation des Menschen aus seiner ‚träumenden Unschuld‘ zu gottgleicher Selbstbestimmtheit (Gen 3,22) und seine fortschreitende kulturelle Entwicklung (Gen 3,21; 4,17.20–22) durch die Entdeckung des praktischen Wissens (Gen 3,7) bei gleichzeitig abnehmender Gottesnähe (Gen 3,24; 4,11.14) und zunehmender Gewalt (Gen 4,8.14–15.23– 24). Die Episode von den ‚Engelehen‘ (Gen 6,1–4) verknüpft die in der Paradiesgeschichte angesprochenen Themen der Hinfälligkeit des Menschen und der (sexuellen) Abgrenzung der menschlichen und der göttlichen Sphäre, was wiederum in räumlicher Perspektive in der Turmbauerzählung aufgegriffen wird (Gen 11,1–9). Grundsätzliche Aussagen zur Vorherrschaft der Gewalt und zum Wesen des Menschen rahmen schließlich auch die umfangreiche Fluterzählung (Gen 6,5–9,17). Der unabänderliche Hang des Menschen zum Bösen und das Übermaß an Gewalttat provozieren Gottes Beschluss zur Rücknahme der Schöpfung (Gen 6,5–7.11–13) und bestimmen am Ende der Flut das resignierte Urteil des Schöpfergottes über die postdiluvianische Welt (Gen 8,21). Gottes unterschiedliche Reaktionen auf das gleichbleibende Urteil über den Menschen vor und nach der Flut markieren zugleich einen tiefen Einschnitt innerhalb der biblischen Urgeschichte. Der nahezu vollständigen Vernichtung allen Lebens auf der Erde stehen der Neuanfang und die Zusage einer nachhaltigen Bewahrung der Schöpfung gegenüber (Gen 8,21f; 9,9–17), wenn auch um den Preis einer im Kontrast zum ursprünglichen Schöpferwillen stehenden Ordnung regulierter Gewalt (Gen 9,1–7; vgl. Gen 1,28–31a). Als Gegenmythos zur Schöpfungsgeschichte zeigt die Fluterzählung die notwendigen Konsequenzen auf, die sich aus der ‚Verderbnis‘ der Schöpfung ergeben. Als Auftakt der bis in die Gegenwart der Leser reichenden Epoche steht sie zugleich für die ein für allemal ‚überstandene‘ Infragestellung der Schöpfung.2 Im Sinne einer Beschreibung eines jeder Geschichte vorausliegenden Urgeschehens stellt die biblische Urgeschichte eine in sich geschlossene Größe dar und ist auch in der Folgezeit immer wieder als solche rezipiert worden. Doch auch wenn sie die allgemeinen Menschheitsthemen anspricht und das Ursprungsgeschehen der conditio humana erzählt, so handelt es sich dabei um kein Allgemeines, wie ‚die Welt‘ oder ‚der Mensch‘, sondern stets um die Kon-
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Vgl. E. BLUM 2002a: Art. Urgeschichte, TRE 34, 436–445, 437.
I. Einleitung: Allgemeine Charakterisierung der Urgeschichte
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kretion dieser Allgemeinbegriffe, also die vorfindliche Welt und der vorfindliche Mensch, und das heißt für eine biblische Urgeschichte: in der Perspektive einer wie auch immer zu bestimmenden Größe Israel. Diese Lesart lässt sich am Text leicht belegen. Sem, Ham und Jafet sind die Söhne Noahs, die mit ihrem Vater und ihrer namenlosen Mutter die Flut überleben und von denen es im Anschluss an die Flut heißt: „Das sind die drei Söhne Noahs; von ihnen kommen her alle Menschen auf Erden“ (Gen 9,19). Die anschließende Völkertafel führt diesen Gedanken aus (Gen 10,1–32) und endet mit der bis Terach und Abram reichenden Genealogie Sems (Gen 11,10–32). Am Ende der biblischen Urgeschichte steht also die spezielle Geschichte des Auszugs der Vorfahren Israels aus Ur in Chaldäa. Das Urgeschehen läuft auf die anschließende Ursprungsgeschichte Israels hinaus. Dieses Nebeneinander von Urgeschehen in Gen 1–9 und einer ethnisch und geographisch differenzierten Welt in Gen 10f hat wiederholt dazu geführt, dass gegen die übliche Abgrenzung das Ende der biblischen Urgeschichte bereits in der Notiz über Noahs Tod erkannt wird (Gen 9,29),3 während Gen 10f als Hinführung zur Erzelterngeschichte verstanden wird. Auf der Ebene des vorliegenden Textzusammenhangs spricht jedoch eine ganze Reihe von Textbeobachtungen gegen diese Gliederung: Die Unterschrift der Völkertafel und der Auftakt der Genealogie Sems nehmen jeweils die Flut zum ‚ereignisgeschichtlichen‘ Ausgangspunkt ihrer Chronologie (Gen 10,32; 11,10). Die Völkertafel und die Turmbauerzählung sind ‚urgeschichtlich‘, insofern sie auf die gesamte Menschheit bezogen sind, die in der Turmbauerzählung sogar als handelndes Subjekt auftritt (vgl. Gen 11,1). Vor allem aber ist in der vorliegenden Textgestalt die Darstellung des Urgeschehens durch die mit dem ersten Menschenpaar anhebende lückenlose Genealogie ( )תלדותmit der Geschichte Abrahams verbunden (Gen 5,1; 6,9; 10,1; 11,10.27). Schon diese Beobachtungen legen es nahe, auf der Ebene des vorliegenden Textzusammenhangs Gen 10f noch zur biblischen Urgeschichte zu zählen und von einem engen sachlichen und strukturellen Konnex der biblischen Urgeschichte mit der folgenden Ursprungsgeschichte Israels auszugehen. Sie schließen freilich nicht aus, dass sich die literarischen Grenzen im Laufe der Entstehungsgeschichte der biblischen Urgeschichte verschoben haben.
Vgl. N. C. BAUMGART 1996: Das Ende der biblischen Urgeschichte in Gen 9,29, BN 82, 27–58; DERS. 1998: Gen 5,29 – ein Brückenvers in der Urgeschichte und zugleich ein Erzählerkommentar, BN 92, 21–37; DERS. 1999: Die Umkehr des Schöpfergottes. Zu Komposition und religionsgeschichtlichem Hintergrund von Gen 5–9, HBS 22, Freiburg i.Br. u.a., 34–37. 3
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3. Die Entstehung der biblischen Urgeschichte
II. Forschungsgeschichtliche Perspektiven Die historisch-kritisch orientierte Erforschung der biblischen Überlieferung hat mit der Untersuchung der biblischen Urgeschichte eingesetzt.4 Ließ sich die grundsätzliche Frage, wie Mose im Buch Genesis über die Begebenheiten vor seiner Zeit habe berichten können, mit der wirkmächtigen Annahme überkommener ‚Urkunden‘ beantworten, so haben vor allem Beobachtungen zum Nebeneinander des Schöpfungsberichts (Gen 1,1–2,3) und der Paradieserzählung (Gen 2,4–3,24) zur Unterscheidung von zwei Textgruppen in der biblischen Urgeschichte (und darüber hinaus) geführt. Die seitdem stets wiederholten Argumente finden sich erstmals bei Henning Bernhard Witter (1683– 1715):5 Der auf die beiden Textgruppen verteilte Wechsel von אלהיםund יהוה אלהים, der große stilistische Unterschied zwischen Gen 1,1–2,3 und den beiden Folgekapiteln, die sachlichen Unstimmigkeiten zwischen den beiden Darstellungen der Schöpfung sowie die erneute Behandlung des Themas ‚Schöpfung‘, nachdem bereits deren Vollendung mitgeteilt worden ist (Gen 2,1). Die bald vergessenen Beobachtungen Witters wurden später in ausgeführter Form bei Jean Astruc (1684–1766) noch einmal präsentiert, der den Untersuchungsbereich erstmals auf das ganze Buch Genesis (und Ex 1–2) ausgeweitet und für die biblische Urgeschichte noch die Wiederholungen in der Fluterzählung und in der Völkertafel notiert hat.6 Wiederum halb in Vergessenheit geraten, erfuhren Witters und Astrucs Beobachtungen schließlich auf Umwegen durch Jo-
4 Vgl. zu den Anfängen im 17. Jahrhundert C H. B ULTMANN 1999: Die biblische Urgeschichte in der Aufklärung. Johann Gottfried Herders Interpretation der Genesis als Antwort auf die Religionskritik David Humes, BHTh 110, Tübingen, v.a. 49–85. 5 H. B. W ITTER 1711: Jura Israelitarum in Palaestinam terram Chananaeam, Commentatione in Genesin perpetua sic demonstrata, ut idiomatis authentici nativus sensus fideliter detegatur, Mosis autoris primaeva intentio sollicite definiatur adeoque corpus doctrinae et juris cum antiquissimum, tum consummatissimum tandem eruatur; accedit in paginarum fronte ipse textus Hebraeus cum versione Latina, Hildesiensi (Hildesheim). Zu Witter vgl. H. BARDTKE 1954: Henning Bernhard Witter. Zur 250. Wiederkehr seiner Promotion zum Philosophiae Doctor am 6. November 1704 zu Helmstedt, ZAW 66, 153–181; P. GIBERT 2007: De l’intuition à l’évidence: la multiplicité documentaire dans la Genèse chez H. B. Witter et Jean Astruc, in: J. Jarick (Hg.), Sacred Conjectures. The Context and Legacy of Robert Lowth and Jean Astruc, LHBOTS 457, New York/London, 174–189. 6 J. A STRUC 1753/1999: Conjectures sur les Mémoires originaux dont il paroit que Moyse s’est servi pour composer le Livre de la Genèse, Brüssel 1753 (Neuedition: Conjectures sur la Genèse. Introduction et notes de Pierre Gibert, Paris). Die Formulierung im 1753 anonym in Brüssel veröffentlichten Original lautet: „Conjectures sur les Mémoires originaux dont il paroit que Moyse s’est servi pour composer le Livre de la Genèse. Avec des remarques, qui appuient ou qui éclaircissent ces conjectures“. Vgl. J. CH. GERTZ 2007a: Jean Astruc and the Quellenscheidung in the Book of Genesis, in: J. Jarick (Hg.), Sacred Conjectures. The
II. Forschungsgeschichtliche Perspektiven
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hann Gottfried Eichhorn (1752–1827) in Gestalt der ‚Älteren Urkundenhypothese‘ eine weite Verbreitung und allgemeine Anerkennung.7 Der weitere Gang der Diskussion ist hier nicht zu referieren.8 Für unsere Themenstellung muss der Hinweis genügen, dass die über lange Zeit vorherrschende, aber nie gänzlich unumstrittene Auswertung des Befundes im Sinne zweier ehedem unabhängiger Quellen und die Extrapolation dieses Modells auf den Pentateuch in jüngerer Zeit höchst kontrovers diskutiert wird:9 Bekanntlich wird im Horizont der ‚Neueren Urkundenhypothese‘ für die biblische Urgeschichte mit einer älteren, mitunter literarkritisch weiter zu differenzierenden jahwistischen Quelle und einer jüngeren Quelle P gerechnet. Auch wenn es immer wieder Stimmen gibt, die den quellenhaften Charakter von P bestreiten und die priesterlichen Texte als Bearbeitungsschicht interpretieren,10 ist es vor allem der non-P (jahwistische) Textanteil, der kontrovers diskutiert wird. Dass diese Texte zum Teil keinen geschlossenen narrativen Zusammenhang bilden, wurde im Rahmen der ‚Neueren Urkundenhypothese‘ damit erklärt, dass P der Redaktion als Grundlage gedient habe.11 Haben danach die non-P Texte bei der Verbindung der ‚Urkunden‘ die Funktion einer Ergänzung zu P innegehabt, so wurde in jüngerer Zeit wiederholt die These vertreten, dass die non-P Textanteile von vornherein als eine Ergänzung von P konzipiert worden seien.12 Diese
Context and Legacy of Robert Lowth and Jean Astruc, LHBOTS 457, New York/London, 190–203 (in diesem Band Nr. 1). 7 J. G. EICHHORN 1790: Einleitung in das Alte Testament, 2. Teil (2. Bd.), 2. Aufl., Reutlingen, 245–348 (1. Aufl. 1781, 294–409). Zu Eichhorn siehe R. SMEND 1989: Johann Gottfried Eichhorn in: ders., Deutsche Alttestamentler in drei Jahrhunderten, Göttingen, 25–37. 8 Vgl. zur Geschichte der Pentateuchforschung C. H OUTMAN 1994: Der Pentateuch. Die Geschichte seiner Erforschung neben einer Auswertung, Kampen, sowie den auf die Frage nach der Verbindung der beiden Textgruppen in Gen 1–11 fokussierten Forschungsbericht bei M. WITTE 1998: Die biblische Urgeschichte. Redaktions- und theologiegeschichtliche Beobachtungen zu Genesis 1,1–11,26, BZAW 265, Berlin/New York, 1–43. 9 Vgl. J. C H. G ERTZ/K. SCHMID/M. W ITTE (Hg.) 2002: Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion, BZAW 315, Berlin/New York; TH. B. DOZEMAN/K. SCHMID (Hg.) 2006, A Farewell to the Yahwist? The Composition of the Pentateuch in Recent European Interpretation, SBL Symposium Series 34, Atlanta/GA; J.L. SKA 2006: Introduction to Reading the Pentateuch, Winona Lake/IN. 10 Mit Blick auf P in Gen 1–11 vgl. E. B LUM 1990: Studien zur Komposition des Pentateuch, BZAW 189, Berlin/New York, 278–285. 11 M. N OTH 1948: Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart (3. Aufl., Darmstadt, 1960). 12 Vgl. J. B LENKINSOPP 2002: A Post-exilic lay source in Genesis 1–11, in: J. Ch. Gertz/K. Schmid/M. Witte (Hg.), Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion, BZAW 315, Berlin/New York, 49–61; A. SCHÜLE 2006a: Der Prolog der hebräischen Bibel. Der literar- und theologiegeschichtliche Diskurs der Urgeschichte (Genesis 1–11), AThNAT 86, Zürich; M. ARNETH 2007: „Durch Adams Fall ist ganz verderbt ...“. Studien zur Entstehung der alttestamentlichen Urgeschichte, FRLANT
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3. Die Entstehung der biblischen Urgeschichte
nachexilische Bearbeitung habe sich vorgegebener, zum Teil auch prae-P Traditionen bedient und sei als programmatischer Vorbau zu Gen 12ff entworfen worden.13 Wird hingegen an der These einer non-P Version der biblischen Urgeschichte festgehalten, stellt sich in der gegenwärtigen Forschungsdiskussion zunehmend die Frage nach dem ursprünglichen literarischen Horizont dieses Literaturwerkes. Nach einer verbreiteten, aber nicht unumstrittenen Forschungsmeinung ist die non-P Version als eigenständige Erzählung über die Schöpfung und das anfängliche Dasein der Menschen auf Erden zu lesen.14 Damit verbindet sich die Frage nach dem ursprünglichen Umfang der non-P Urgeschichte. Neben der These, dass die ehedem eigenständige Urgeschichte mehr oder weniger alle non-P Haupttexte in Gen 1–11 umfasst habe,15 begrenzen sie andere in Anlehnung an den Aufbau der priesterlichen Urgeschichte und in Analogie zu mesopotamischen Urzeiterzählungen auf den Spannungsbogen von Schöpfung und Sintflut (Gen 2–4*; 6–9*). Die Erzählung von Noah und seinen Söhnen (Gen 9,18–29*), die Völkertafel (Gen 10*) und die Stadtund Turmbauerzählung (Gen 11,1–9) gelten dann als spätere Ergänzungen, die auf Gen 12ff zielen.16 Ein besonderes Problem stellt die non-P Fluterzählung dar, deren Zugehörigkeit zum Grundbestand der non-P Texte verschiedentlich und im Horizont verschiedener Modelle bestritten worden ist. Natürlich finden daneben auch die Neuere Urkundenhypothese und die Annahme, dass es sich bei der non-P Version der Urgeschichte um einen organischen Bestandteil der
217, Göttingen. Vgl. ferner für Gen 2,4–3,34 E. OTTO 1996a: Die Paradieserzählung Genesis 2–3: Eine nachpriesterschriftliche Lehrerzählung in ihrem religionshistorischen Kontext, in: A. A. Diesel u.a. (Hg.), Jedes Ding hat seine Zeit…“ Studien zur israelitischen und altorientalischen Weisheit. Festschrift D. Michel, BZAW 241, Berlin/New York, 167–192; für Gen 6,5–8,22* vgl. J.-L. SKA 2009c: The Story of the Flood: a Priestly Writer and Some Later Editorial Fragments, in: ders., The Exegesis of the Pentateuch. Exegetical Studies and Basic Questions, FAT 66, Tübingen, 1–22 (1. Aufl. 1994); E. BOSSHARD-NEPUSTIL 2005: Vor uns die Sintflut. Studien zu Text, Kontexten und Rezeption der Fluterzählung Genesis 6–9, BWANT 165, Stuttgart. 13 Vgl. SCHÜLE 2006a. 14 F. C RÜSEMANN 1981: Die Eigenständigkeit der Urgeschichte. Ein Beitrag zur Diskussion um den ‚Jahwisten‘, in: J. Jeremias/L. Perlitt (Hg.), Die Botschaft und die Boten. Festschrift H. W. Wolff, Neukirchen-Vluyn, 11–29; WITTE 1998; BAUMGART 1999; J. CH. GERTZ 2009b: Babel im Rücken und das Land vor Augen. Anmerkungen zum Abschluß der Urgeschichte und zum Anfang der Erzählungen von den Erzeltern Israels, in: A. C. Hagedorn/H. Pfeiffer (Hg.), Die Erzväter in der biblischen Tradition. Festschrift M. Köckert, BZAW 400, Berlin/New York, 9–34 (in diesem Band Nr. 14). 15 D. M. C ARR 1996: Reading the Fractures of Genesis. Historical and Literary Approaches, Louisville/KY, 235–240; BLUM 2002a, 439f. 16 W ITTE 1998; G ERTZ 2009b.
III. Redaktionsgschichtliche Fallbeispiele
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nachfolgenden jahwistischen Quellenschicht handelt, mit mehr oder weniger großen Modifikationen noch zahlreiche Vertreter.17 Angesichts der sehr unübersichtlichen Forschungssituation soll der knappe Überblick aber mit dem tröstlichen Hinweis enden, dass die Unterscheidung und weitgehend auch die Abgrenzung von zwei Textgruppen in Gen 1–11, die sich hinsichtlich ihres sprachlichen und inhaltlichen Profils und aufgrund je spezifischer Querverweise deutlich voneinander abgrenzen lassen, innerhalb der historisch orientierten Forschung unstrittig sind. Im Anschluss an die bahnbrechenden Analysen von Hermann Hupfeld, Eberhard Schrader, Karl Budde und Hermann Gunkel verteilt sich der Textbestand wie folgt:18 Zu der mit dem Schöpfungsbericht (Gen 1,1–2,3) einsetzenden priesterlichen Textgruppe gehören die Genealogie Adams (Gen 5,1–27.28*.30–32), eine Version der Fluterzählung (Gen 6,9–9,17[18a.19]*; 9,28f), eine Völkertafel (Gen 10,1– 7.20.22–23.31–32) und die Genealogie Sems (Gen 11,10–26). Zur non-P Textgruppe gehören die Paradieserzählung (Gen 2,4b–3,24), die Erzählung von Kains Brudermord an Abel sowie die Genealogie Kains und Sets (Gen 4,1–26; 5,28f*), die ‚Engelehen‘ (Gen 6,1–4), die zweite Version der Fluterzählung (Gen 6,5–8,22*), Noah der Weinbauer (Gen 9,[18f.]20–27), eine weitere Völkertafel (Gen 10,8–19.21.24–30) sowie die Turmbauerzählung (11,1–9). Hinsichtlich dieser grundsätzlichen Aufteilung beschränkt sich der Dissens auf wenige Details wie einige Verse im Flutbericht (Gen 7,7.17a.22*.23a; 8,3a) und einige Randverse (Gen 2,4a; 9,18a.19). In diesem Sinne besteht der von Witter, Astruc und Eichhorn im 18. Jahrhundert begründete Konsens nach wie vor.
III. Redaktionsgeschichtliche Fallbeispiele Wie angesprochen, sind der ursprüngliche literarische Charakter der non-P Texte der Urgeschichte – ehedem eigenständige Version der Urgeschichte oder spät-nachexilische Bearbeitung von P – sowie die Abgrenzung der non-P Texte
17 Vgl. für viele C H. LEVIN 1993: Der Jahwist, FRLANT 157, Göttingen; H. SEEBASS 1996: Genesis I. Urgeschichte (1,1–11,26), Neukirchen-Vluyn; A. LACOCQUE 2006: The Trial of Innocence. Adam, Eve, and the Yahwist, Eugene/OR. 18 H. H UPFELD 1853: Die Quellen der Genesis und die Art ihrer Zusammensetzung von neuem untersucht, Berlin; E. SCHRADER 1863: Studien zur Kritik und Erklärung der biblischen Urgeschichte: Gen Cap. I–XI. Zürich; K. BUDDE 1883: Die Biblische Urgeschichte (Gen 1–12,5), Gießen; H. GUNKEL 1910/1977: Genesis, HK I/1, 3. Aufl., Göttingen (= Nachdr. d. 9. Aufl. 1977).
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3. Die Entstehung der biblischen Urgeschichte
zur folgenden Erzelternerzählung in Gen 12ff und ihre literarische Einheitlichkeit sehr umstritten. Der folgende, notwendig kursorische Durchgang durch das Material greift einige Punkte dieser Debatte auf. 1. Die redaktionelle Brücke zwischen priesterlichem Schöpfungsbericht und non-P Paradieserzählung – Gen 2,4a Bis in das Druckbild der Biblia Hebraica Stuttgartensia, die hier vom Codex Leningradensis abweicht,19 hat es sich eingebürgert, Gen 2,4a als Unterschrift des priesterlichen Schöpfungsberichts zu betrachten. Für diese auf Werner Carl Ludwig Ziegler zurückgehende Gliederung des Textes wird angeführt, dass die Toledotformel zu den Kennzeichen von P gehört und dass sie deutlich auf den vorangehenden Text Bezug nimmt (vgl. Gen 1,1), während der nachfolgende Text eindeutig non-P Herkunft ist.20 Da aber die Toledotformel sonst ausschließlich als Überschrift belegt ist (vgl. Gen 5,1; 6,9; 10,1; 11,10.27; 25,12.19; 36,1.9; 37,2 und außerhalb der Genesis: Num 3,1; Ruth 4,18; 1Chr 1,29),21 und der priesterliche Schöpfungsbericht zudem in Gen 2,3 sein eigenes, mit Gen 1,1 korrespondierendes Summarium hat, wird sie in Gen 2,4a als Überschrift zur folgenden Paradieserzählung aufzufassen sein. Als solche schlägt sie eine Brücke zwischen dem priesterlichen Schöpfungsbericht und der Paradieserzählung, wobei sie wie üblich Inhalt und Formulierungen des vorangehenden Textabschnitts aufgreift und zugleich auf das Kommende vorgreift. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die unmittelbare Abfolge der temporalen Näherbestimmung in Gen 2,4a ( )בהבראםund des Auftakts von Gen 2,4b, der ebenfalls einen temporalen Aspekt hat ( )ביום עשותund abermals die Erschaffung von ‚Erde und Himmel‘ anspricht. Im vorliegenden Textzusammenhang wird man dies so zu verstehen haben, dass Gen 2,4 durch die Wiederholung der Zeitangaben eine Fermate im Geschehensablauf setzt, wodurch das Folgende im Sinne einer ‚nachholenden Vergegenwärtigung‘ als Explikation des zuvor grundsätzlich schon berichteten Schöpfungsgeschehens erscheint. Die Differenzen zwischen priesterlichem Schöpfungsbericht und non-P Paradieserzählung, die auch antiken Lesern nicht verborgen geblieben sein werden, erklären sich dann als jeweils unterschiedliche Perspektiven auf
Der Codex lässt zwischen Gen 2,3 und Gen 2,4 eine Leerzeile. W. C. L. ZIEGLER 1794: Kritik über den Artikel von der Schöpfung nach unserer gewöhnlichen Dogmatik, in: H. Ph. C. Henke (Hg.), Magazin für Religionsphilosophie, Exegese und Kirchengeschichte, Vol. II, Helmstedt, 1–113, 13, 50. 21 Vgl. auch die LXX, die aus Gen 5,1 ἡ βίβλος einträgt und so deutlich macht, dass sie in V. 4a eine Überschrift erkannt hat, sowie zur Toledotformel D. M. CARR 1998: Βίβλος γενέσεως Revisited: A Synchronic Analysis of Patterns in Genesis as Part of the Torah, ZAW 110, 159–172 und 327–347, 164f. 19 20
III. Redaktionsgeschichtliche Fallbeispiele
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ein und dasselbe Geschehen, dessen wichtigster Teil, die Erschaffung des Menschen, jetzt gesondert und detailliert in den Blick genommen wird. Wie aber ist der Befund in redaktionsgeschichtlicher Hinsicht zu bewerten? Weit verbreitet ist die Annahme, Gen 2,4a habe innerhalb einer ehedem selbständigen priesterlichen Urgeschichte vor Gen 1,1 gestanden und sei erst bei der redaktionellen Verbindung des priesterlichen Schöpfungsberichts mit der non-P Paradieserzählung dieser als redaktionelle Überleitung und Überschrift vorangestellt worden.22 Das ist aber wenig plausibel, weil Gen 1,1 eine vollgültige Überschrift ist. Auch ist die singuläre Wendung „Buch der Toledot“ ( )ספר תולדתin Gen 5,1 ein starkes Indiz dafür, dass innerhalb einer selbständigen priesterlichen Urgeschichte die Reihe der Toledot ursprünglich mit Adam in Gen 5,1 eröffnet wurde und der Schöpfungsbericht (wie im vorliegenden Textzusammenhang!) einen Prolog zur Geschichte der Toledot Israels dargestellt hat. Es liegt daher nahe, dass Gen 2,4a von vornherein als redaktioneller Übergang zwischen priesterlichem Schöpfungsbericht und non-P Paradieserzählung konzipiert worden ist. In der Regel wird angenommen, dass Gen 2,4a gemeinsam mit einigen weiteren kleineren Eintragungen in Gen 2–323 zwei ehedem selbständige Versionen der Urgeschichte verbindet (‚Zwei-Quellen-Hypothese‘). In jüngerer Zeit mehren sich jedoch die Stimmen, die den Anteil der redaktionellen Bearbeitung nicht auf Gen 2,4a und einige weitere Teilverse beschränken, sondern die Paradieserzählung insgesamt für eine midraschartige Auslegung oder Korrektur zu Gen 1 halten.24 Diese kritisiere unter den Erfahrungen der nachexilischen Zeit aus einer als weisheitlich (mitunter auch als weisheitsskeptisch) qualifizierten Position heraus die optimistische Sicht des priesterlichen Schöpfungsberichts. Insbesondere wolle sie erklären, wie die von Gott als „sehr gut“ bezeichnete Schöpfung (vgl. Gen 1,31) so verderbt werden konnte, dass Gott sich genötigt sah, sie mit der Flut ins uranfängliche Chaos zurückzuwerfen. Neben dieser ‚Lücke‘ im Erzählverlauf der Priesterschrift25 ist es vor allem die Ein-
So zuletzt WITTE 1998, 55 mit Anm. 14 (Lit.). Hierzu gehören Gen 2,7b und die Erweiterung der zweigliedrigen Aufzählung um „das ganze Vieh“ ( )לכל הבהמהin Gen 2,20 und 3,14 sowie möglicherweise die Erweiterung des Tetragramms zu JHWH-Gott und das unklare „lebendiges Wesen“ ( )נפש חיהin Gen 2,19. 24 Vgl. B LENKINSOPP 2002; O TTO 1996a; A. SCHÜLE 2005: Made in the ‘Image of God’: The Concepts of Divine Images in Gen 1–3, ZAW 117, 1–20; DERS. 2006a; ARNETH 2007; T. N. D. METTINGER 2007: The Eden Narrative. A Literary and Religio-Historical Study of Genesis 2–3, Winona Lake/IN; J.-L. SKA 2008: Genesis 2–3: Some Fundamental Questions, in: K. Schmid/CH. Riedweg (Hg.), Beyond Eden. The Biblical Story of Paradise (Genesis 2–3) and Its Reception History, FAT II/34, Tübingen, 1–27. 25 Ursprünglich galt diese ‚Lücke‘ als Begründung dafür, dass es sich bei P um eine Ergänzungsschicht gehandelt hat, die um die non-P Texte herumgelegt worden sei. Vgl. F. M. 22 23
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3. Die Entstehung der biblischen Urgeschichte
schätzung, dass Gen 2,4 literarisch einheitlich ist und damit die gesamte Paradieserzählung an der von P inspirierten Toledotformel in Gen 2,4a hängt.26 Ein religionsgeschichtliches Argument hat schließlich Andreas Schüle in die Debatte eingebracht. Er erkennt in der Beatmung des aus der Erde erschaffenen Menschen in Gen 2,7 eine Problematisierung des Gedankens der Gottebenbildlichkeit aus Gen 1,26f, die hierzu auf das mesopotamische Mundöffnungs- und -waschungsritual pīt/mīs pî zurückgreife, es aber an den entscheidenden Stellen charakteristisch abgewandelt habe. Brauche das „Bild“ nach Gen 2 eine Gefährtin und werde es nach Gen 3 aus dem Garten vertrieben, so zeige die Abwandlung des Rituals in kritischer Abgrenzung zu Gen 1,26f, inwiefern der Mensch Bild Gottes ist und inwiefern er dies nicht sein kann.27 Doch im Hinblick auf die religionsgeschichtliche Herleitung von Gen 2,7 bleibt zu fragen, ob die Vorstellung vom Einhauchen des Lebensodems in Gen 2,7 auf die genaue Kenntnis des besagten Rituals angewiesen ist. Hierzu dürfte doch die Beobachtung der natürlichen Gegebenheiten menschlichen Atmens als Zeichen von Leben (und Atemstillstand als Zeichen des Todes; vgl. Ps 104,29f; Hi 34,14f) genügen, zumal das zum Herrschaftswissen gehörige Ritual mit Sicherheit kaum in allen Details allgemein bekannt gewesen ist. Lässt sich aber keine direkte Abhängigkeit von dem besagten Ritual plausibilisieren, dann erübrigen sich auch die Überlegungen, die in der Abwandlung des Rituals eine Problematisierung der Vorstellung der Gottebenbildlichkeit in Gen 1,26f erkennen wollen.28 Was nun den literarkritischen Kronzeugen Gen 2,4 anbelangt, so sprechen bei genauerer Betrachtung eine Reihe von Gründen für die alte These, wonach Gen 2,4a und Gen 2,4b auf unterschiedliche Hände zurückgehen.29 Von den sprachlich-terminologischen Differenzen der inhaltlich nahezu identischen Halbverse zur Erschaffung des Himmels und der Erde fällt besonders die fehlende Determination dieser beiden Größen in Gen 2,4b im Unterschied zu Gen
CROSS 1973: Canaanite Myth and Hebrew Epic. Essays in the History of the Religion of Israel, Cambridge, 306f. 26 So vor allem O TTO 1996a, 185–188 im Anschluss an T. STORDALEN 1992: Genesis 2,4. Restudying a locus classicus, ZAW 104, 163–177. 27 SCHÜLE 2005; DERS. 2006a, 161–165. 28 Vgl. W. B ÜHRER 2008: Der Baum in der Mitte des Gartens – Prägende Traditionen hinter der biblischen Paradieserzählung, Magisterarbeit (masch.) Heidelberg, 78–82. 29 Vgl. statt vieler W ITTE 1998, 55f; H. PFEIFFER 2000: Der Baum in der Mitte des Gartens. Zum überlieferungsgeschichtlichen Ursprung der Paradieserzählung (Gen 2,4b–3,24), ZAW 112, 487–500 (Part I) und (2001) ZAW 113, 2–16 (Part II), 495. Die folgenden Ausführungen zu Gen 2,4a entsprechen weitgehend denen in J. CH. GERTZ 2004b: Von Adam zu Enosch. Überlegungen zur Entstehungsgeschichte von Genesis 2–4, in: M. Witte (Hg.), Gott und Mensch im Dialog. Festschrift O. Kaiser, BZAW 345/1, Berlin/New York, 215– 236, 218–220 (in diesem Band Nr. 5, 88–90).
III. Redaktionsgeschichtliche Fallbeispiele
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2,4a auf. Ließe sich ihre umgekehrte Reihenfolge noch als chiastische Aufnahme von V. 4a ( )השמים והארץin V. 4b ( )ארץ ושמיםerklären, und könnte man den Wechsel von der passivischen Konstruktion in V. 4a ( )בהבראםzur aktivischen ( )עשות יהוה אלהיםin V. 4b und die unterschiedlichen Schöpfungsverben בראin V. 4a und עשהin V. 4b noch als stilistische Variation bewerten,30 so ist dies für die fehlende Determination von Erde und Himmel in V. 4b bei gleichzeitiger Änderung der Reihenfolge von „Himmel und Erde“ schlicht ausgeschlossen. Der mitunter angeführte indeterminierte Gebrauch von „Erde und Himmel“ in Ps 148,13 ist kein Gegenargument, da es sich um keinen Beleg für den Wechsel von der determinierten zur indeterminierten Rede innerhalb einer syntaktischen Einheit handelt.31 Auch die Belege der Toledotformel in Gen 5,1 und Num 3,1 sind kein Beleg dafür, dass Gen 2,4a ein originärer Bestandteil von Gen 2,4b–7 gewesen ist.32 Die für die literarische Einheitlichkeit von Gen 2,4 angeführte Gemeinsamkeit der drei Belege besteht darin, dass auf die Toledotformel jeweils eine mit ביוםeingeleitete Wendung folgt. Doch gerade an diesem Punkt unterscheidet sich Gen 2,4 von Gen 5,1 und Num 3,1 in charakteristischer Weise. Im Unterschied zu den vermeintlichen Parallelen ist der Zusammenhang nämlich unterbrochen, und zwar durch die von der Toledotformel abhängige temporale Näherbestimmung, die ihrerseits in Konkurrenz zu Gen 2,4b steht.33 Sodann steht die als Überschrift zu verstehende Toledotformel – unbeschadet der Sinnhaftigkeit des vorliegenden Textzusammenhangs – in inhaltlicher und funktionaler Konkurrenz zu der sehr komplexen Überschrift der Paradieserzählung in V. 4b–7.34 Gen 2,4a und 2,4b gehen folglich mit der in diesen Dingen möglichen Gewissheit nicht auf einen Verfasser zurück. Die daraus folgende redaktionsgeschichtliche Bewertung von Gen 2,4–7 liegt auf der Hand: Schon wegen der fehlenden Determination von „Erde und Himmel“ lässt sich Gen 2,4b–7 nicht als Fortschreibung zu 2,4a bewerten, während es gut
Vgl. G. J. WENHAM 1987: Genesis 1–15, Word Biblical Commentary I, 2. Aufl., Dallas/TX, 46; STORDALEN 1992, 174f; OTTO 1996a, 187. 31 Vgl. W ITTE 1998, 55f; PFEIFFER 2000, 495 mit Anm. 34. Anders: STORDALEN 1992, 175; OTTO 1996a, 187, die ferner auf Jer 10,11a und 10,11b verweisen, doch sind hier „Himmel und Erde“ und „Erde und Himmel“ jeweils determiniert und der Vers also wirklich chiastisch aufgebaut. 32 So STORDALEN 1992, 171ff; O TTO 1996a, 187. 33 Vgl. W ITTE 1998, 54; PFEIFFER 2000, 495 Anm. 34; G ERTZ 2004b, 219 (in diesem Band Nr. 5, 90). 34 Gen 2,4b–7 ist eine Pendenskonstruktion, bei der die pendierende Zeitangabe ביוםsich auf das Imperfekt consecutivum וייצרin V. 7 bezieht, und die Verse 5 und 6 eine Parenthese bilden. Vgl. W. GROß 1987: Die Pendenskonstruktion im biblischen Hebräisch. Studien zum althebräischen Satz I, ATS 27, Sankt Ottilien, 49–55. 30
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3. Die Entstehung der biblischen Urgeschichte
möglich ist, dass ein von Gen 1 herkommender Redaktor die dort übliche Determination der beiden Größen (vgl. Gen 1,1.15.17.20.26.28.30; 2,1) für seine Formulierung von V. 4a beibehalten hat. Weitere Beobachtungen bestätigen die Annahme, dass Gen 2,4b–3,24* nicht als Ergänzung zum priesterlichen Schöpfungsbericht und wohl auch ohne Kenntnis desselben formuliert worden ist. Das Schöpfungsverb ( בראvgl. בהבראםin Gen 2,4a) wird nicht aufgegriffen und es findet weder eine positive Aufnahme noch eine kritische Auseinandersetzung mit der steilen Theologie des schöpferischen Gotteswortes aus Gen 1 statt. Vor allem aber ist an die oft notierten Differenzen zwischen dem priesterlichen Schöpfungsbericht und der non-P Paradieserzählung in der Darstellung des Urzustandes der Welt sowie der Erschaffung des Menschen und seiner Umwelt zu erinnern. Sie erstrecken sich auch auf Nebenzüge und wirken insgesamt nicht so, als seien sie von einer Bearbeitung aus Nachlässigkeit oder mit einer bestimmten Intention formuliert worden. Das lässt sich kaum anders deuten, als dass in Gen 1–3 zwei ehedem unabhängig voneinander überlieferte und erst redaktionell miteinander verbundene Texte vorliegen. Wird die non-P Paradieserzählung als Bearbeitung verstanden, die den Optimismus des priesterlichen Schöpfungsberichts korrigiert, dann gibt diese Auskunft womöglich die Intention der Redaktion wieder, die beide Texte nacheinander gestellt hat. Diese Redaktion hat in den Texten ihre Spuren hinterlassen. Doch diese lassen sich, wie für Gen 2,4a dargelegt worden ist, vom Grundbestand der jeweiligen Versionen mit der in diesen Fragen überhaupt erreichbaren Sicherheit als sekundäre Ergänzungen ablösen. 2. Die zwei Versionen der Nachkommen Adams – Gen 4,1–2.17–26; 5,28f* und Gen 5,3–28*.30–32 Weitgehend übereinstimmend werden die genealogischen Notizen zu den Nachkommen von Kain und Set in Gen 4 der Priesterschrift ab- und die Toledot Adams in Gen 5 der Priesterschrift zugesprochen. Kaum angezweifelt wird zudem die von Philipp Buttmann erstmals begründete Einschätzung, wonach es sich im Grunde genommen um zwei Versionen ein und derselben Genealogie handelt:35 Wenn auch in Gen 4 zwischen einer Kainiten- und einer Setitenlinie unterschieden wird, so kehren alle Glieder beider Linien mit Ausnahme der Nachkommen Lamechs unbeschadet kleinerer Abweichungen in der Schreibweise und einiger Umstellungen in der Reihenfolge in der Toledot Adams wieder. Bedenkt man ferner die konzeptionellen Differenzen der Zeitsysteme in Gen 5 zwischen den wesentlichen Überlieferungen des Masoretischen Textes, der Septuaginta und des Samaritanus, so verspricht eine Betrachtung der Genealogien einigen Aufschluss über die Entstehung der biblischen Urgeschichte, PH. C. BUTTMANN 1828: Mythologus oder gesammelte Abhandlungen über die Sagen des Alterthums I, Berlin, 171. 35
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zumal die Traditionsbildung und Überlieferung von Genealogien anderen Gesetzen folgt als diejenigen von Erzählungen. Vor einer redaktionsgeschichtlichen Auswertung der Übereinstimmungen und Unterschiede der Genealogien in Gen 4 und Gen 5 ist jedoch kurz auf den vorliegenden Textzusammenhang einzugehen.36 Der mit der Toledot des Himmels und der Erde in Gen 2,4a eröffnete Abschnitt umfasst die Generationen des ersten Menschenpaares (Gen 2,4b–3,24) und ihrer ersten Nachkommen, Kain, Abel und Set sowie deren Kinder (Gen 4,1–26). Eigentlich wäre die Erwähnung der Toledot Adams statt in Gen 5,1f bereits vor Gen 4,1 zu erwarten. Ihre jetzige Position ist in erster Linie dadurch bedingt, dass der vorliegende Textzusammenhang redaktionell ist und die verantwortliche Redaktion an vorgegebene Textabläufe gebunden war. Dessen ungeachtet weist die vorliegende Anordnung eine in sich stimmige Konzeption auf.37 Wie auch sonst blickt die als Überschrift fungierende Toledotformel mit ihren variablen Elementen auf das unmittelbar vorangehende Geschehen zurück. Schon auf der Ebene des priesterlichen Textes nimmt Gen 5,1b–2 die Aussagen zur Menschenschöpfung aus Gen 1,27f auf, deren Aussage zur Ebenbildlichkeit zugleich das Vorbild für den Übergang von der Schöpfung zur Zeugung in Gen 5,3 (בדמותו )כצלמוgeliefert hat.38 Entsprechend sind die Notizen über Set und die Zeugung des Enosch auf der Ebene des vorliegenden Textzusammenhangs, also ohne Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der jetzigen Textfolge, als Rückgriff auf den Schlussabschnitt von Gen 4 zu verstehen (vgl. Gen 5,3 mit Gen 4,25 und Gen 5,6 mit Gen 4,26). Somit knüpfen im vorliegenden Textzusammenhang die bis zu Noah reichenden Toledot Adams in Gen 5 direkt an die Abstammungslinie Adam – Set – Enosch in Gen 4,25f an, womit sich folgendes Gesamtbild der Abstammungslinien der Söhne des ersten Menschenpaares
36 Die folgenden Ausführungen führen Überlegungen aus G ERTZ 2004b, 218 (in diesem Band Nr. 5, 88) fort. 37 Vgl. TH. H IEKE 2003: Die Genealogien der Genesis, HBS 39, Freiburg i.Br. u.a., 80– 90. 38 Innerhalb von P folgt Gen 5,1b–2(3*) unmittelbar auf den Schöpfungsbericht und gilt daher häufig als redaktionelle Wiederaufnahme von Gen 1,27f und 2,4a zur Einbindung von Gen 2,4b–3,24 in den Zusammenhang der Priesterschrift. Vgl. statt vieler LEVIN 1993, 99f sowie (als Argument gegen eine ehedem selbständige Priesterschrift) BLUM 1990, 280. Das Problem besteht nicht, wenn erkannt wird, dass (1.) Gen 2,4a redaktionell ist (siehe oben) und dass (2.) die Toledotformel stets auf den vorangehenden Text zurückgreift. Hinzu kommt, dass der schwer darzustellende Prozess der Individuation Adams im Rekurs auf die Vorstellung von der Ebenbildlichkeit und als erste Erfüllung der Mehrungsverheißung aus Gen 1,28 erfolgt. Insofern ist die Aufnahme von Gen 1,27f sachgemäß. Sollte P ein ihr vorliegendes Toledotbuch aufgegriffen haben, bleibt jedoch mit CARR 1996, 72f, zu erwägen, dass Gen 5,1a.3*.4–5 zur Vorlage von P gehören und Gen 5,1b–2.3* auf P zurückgehen. Gegen eine literarkritische Differenzierung in Gen 5,1–3 bereits GUNKEL 1910/1977, 134f und in jüngerer Zeit u.a. WITTE 1998, 126f; ARNETH 2007, 34–39.
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3. Die Entstehung der biblischen Urgeschichte
ergibt: Die Kainiten werden durch die Gewalttat Kains und die unverhohlene Gewaltbereitschaft Lamechs negativ gekennzeichnet. Ihre Abstammungslinie in Gen 4,17–24 wird im vorliegenden Textzusammenhang nicht fortgeführt. Stattdessen wird in Gen 4,25 mit Set, dem als Ersatz für den erschlagenen Abel geborenen dritten Sohn Adams, eine neue und noch bis Noah (Gen 5,32) reichende Linie eröffnet. Sie ist allein schon durch das Fehlen von Gewalt positiv charakterisiert. Fügen sich nun die Toledot Adams in Gen 5 in die Abstammungslinie Adam – Set – Enosch in Gen 4,25f ein, so stellen sie ungeachtet der bekannten Überschneidungen zwischen Gen 5 und Gen 4,17–24 eine Genealogie dar, welche die Kainiten nicht mehr einschließt. Noah, der Held der Sintflut, ist demnach kein Nachkomme des Brudermörders Kain. Er steht vielmehr in der Nachkommenschaft des Set, der den Platz Abels einnimmt, dessen Opfer JHWH angesehen hatte (Gen 4,4), und des Enosch, zu dessen Zeit die Verehrung JHWHs einsetzt (Gen 4,26). Dieses Verständnis der Toledot Adams in Gen 5, bei der es sich literarhistorisch geurteilt um eine Parallelversion zu Gen 4,17–24.25–26 handelt, ergibt sich allein aus der Abfolge von Gen 4,25f und 5,1ff im vorliegenden Textzusammenhang. Ermöglicht wird es durch eine unterschiedliche Schreibweise und Reihenfolge bei einigen Namen und das Fehlen einer Brudermorderzählung in Gen 5. Betrachten wir nun die Toledot Adams in Gen 5, so ist zunächst auf die chronologischen Unterschiede zwischen dem Samaritanus und dem Masoretischen Text in Gen 5 einzugehen.39 Während die Jahreszahlen für die ersten fünf Generationen von Adam bis Mahalalel übereinstimmen, weichen sie für die folgenden fünf Generationen von Jered bis Noah und für das aus den Daten zu errechnende Jahr der Flut deutlich voneinander ab.40 Die Flut beginnt nach dem Masoretischen Text im Jahr 1656 (MT), während die chronologischen Daten des Samaritanus auf das Jahr 1307 (Sam) führen. Orientierungspunkt der längeren Chronologie des Masoretischen Textes ist sehr wahrscheinlich die Wiedereinweihung des Zweiten Tempels durch die Makkabäer im Jahr 4.000 anno mundi.41 Der Samaritanus dürfte sich hingegen an der in das Jahr 2.800
39 Grundlegend: B UDDE 1883, 89–116; A. JEPSEN 1929: Zur Chronologie des Priesterkodex, ZAW 47, 251–255 und vor allem M. RÖSEL 1994: Übersetzung als Vollendung der Auslegung. Studien zur Genesis-Septuaginta, BZAW 223, Berlin/New York, 129–144. Vgl. dort auch zum Folgenden sowie zur Chronologie der Septuaginta, die nach Rösel eine planvolle Neuberechnung bietet, die sich am Jahr 5.000 anno mundi als Datum der Einweihung des zweiten Tempels orientiert. Die Septuaginta darf wie die nochmals anderen Zeitangaben im Jubiläenbuch und bei Josephus für unsere Fragestellung unberücksichtigt bleiben. 40 Eine Synopse bietet R ÖSEL 1994, 131. 41 Vgl. R ÖSEL 1994, 135 mit Verweis auf A. E. M URTONEN 1954: On the Chronology of the Old Testament, StTh 8, 133–137; K. KOCH 1983: Sabbatstruktur der Geschichte. Die sogenannte Zehn-Wochen-Apokalypse (I Hen 93,1–10; 91,11–17) und das Ringen um die alttestamentlichen Chronologien im späten Israelitentum, ZAW 95, 403–430 sowie ähnliche
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anno mundi datierten Errichtung des Heiligtums auf dem Garizim ausgerichtet haben.42 Mit der unterschiedlichen Chronologie verbinden sich unterschiedliche Schicksale und Bewertungen der Patriarchen. Nach dem masoretischen Text erlebt lediglich der hochbetagte Metuschalach 956-jährig das Jahr der Flut, alle anderen Patriarchen sind friedlich vor der Flut verstorben. Dagegen unterscheidet der Samaritanus deutlich zwischen den ersten fünf Generationen und den folgenden fünf Generationen. Während die Sterbedaten der ersten fünf Generationen eindeutig vor dem Jahr der Flut liegen, sterben der nach dem Samaritanus wesentlich jüngere Metuschalach sowie Jered und Lamech im Jahr der Flut. Von den Patriarchen der zweiten Hälfte der Genealogie überleben lediglich Noah und Henoch, der im Jahre 887 (Sam) entrückt wurde. Das Konzept des Samaritanus ist eindeutig. Mit Ausnahme Henochs und Noahs endet das Leben der Patriarchen der sechsten bis zehnten Generation im Jahr der Flut. Da die Genealogie von einer durchschnittlichen Lebenserwartung von rund neunhundert Jahren ausgeht, sterben sie mit 847 (Jered), 720 (Metuschalach) und 653 Jahren (Lamech) vor der Zeit, was sie im Unterschied zu Noah, Henoch und den Patriarchen der ersten bis fünften Generation als Sünder kennzeichnet. Interessant ist hier vor allem Henoch. Er wäre im Jahr der Flut nur 780 Jahre alt geworden, doch wird der mit Gott wandelnde Henoch (ויתהלך )חנוך את האלהיםdurch seine Entrückung vor diesem Schicksal bewahrt. Die Bedeutung des besonderen Schicksals Henochs wird noch dadurch unterstrichen, dass nach dem Samaritanus alle Patriarchen Zeugen der Entrückung waren, während nach dem masoretischen Text Adam im Jahr der Entrückung Henochs (987 MT) bereits verstorben (930 MT) und Noah noch nicht geboren (1556 MT) war. Da nach dem Samaritanus das Lebensalter der Patriarchen, die im Jahr der Flut sterben, immer weiter abnimmt, liegt schließlich der Umkehrschluss nahe, dass die Sünde unter den Zeitgenossen Noahs von Generation zu Generation zugenommen hat (vgl. Gen 6,9), mithin die Genealogie ein deutliches Gefälle zum göttlichen Urteil über die Schlechtigkeit allen Fleisches aufweist (vgl. 6,12). Damit entfällt nach dem Samaritanus eine konzeptionelle Schwierigkeit innerhalb der als ehedem selbständigen Version gelesenen Priesterschrift, die bekanntlich recht unvermittelt von der sehr guten Schöpfung (vgl. Gen 1,31) in nur 10 Generationen zu deren vernichtenden Verurteilung durch den Schöpfergott gelangt (vgl. Gen 6,11f). Andererseits stimmen die Angaben des Masoretischen Textes mit der Vorstellung des vorliegenden Textzusammenhangs überein, wonach die Genealogie der Kainiten die Flut nicht überdauert und die Linie der Setiten durchweg positiv gewertet wird. Diesen Befund könnte man als Indiz dafür bewerten, dass die kürzere Chronologie des
Überlegungen bei J. HUGHES 1990: Secrets of the Times: Myth and History in Biblical Chronology, JOSTSup 66, Sheffield, 237f. 42 JEPSEN 1929, 253.
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Samaritanus die ältere Fassung der ehedem selbständigen Priesterschrift bewahrt hat, während der Masoretische Text die Möglichkeiten der vorliegenden Textfolge im Sinne seiner längeren Chronologie genutzt hat.43 Natürlich ist diese Form der external evidence für die Existenz einer ursprünglich unmittelbaren Abfolge der priesterlichen Texte in Gen 1,1–2,3 und 5,1ff mit erheblichen Unsicherheiten belastet. Deutlich wird aber, dass die Angleichung infolge der Verbindung des priesterlichen und non-P Textbestandes sich nicht auf das Moment der Zusammenführung (im Quellenmodell) oder der Erweiterung der Priesterschrift um den non-P Text oder vice versa (im Ergänzungsmodell) begrenzen lässt. Im Fall von Gen 5 reicht der Prozess der Angleichung – die sogenannte ‚Endredaktion‘ – bis in die Formierung des (Proto-)Masoretischen Textes hinein. Ganz unabhängig von diesen Überlegungen spricht einiges dafür, dass der Masoretische Text in Gen 5 die jüngere Fassung der Chronologie bietet. Dies zeigt sich daran, dass der Masoretische Text ab Jered das Zeugungsalter von gut 100 oder weniger Jahren, wie es der Masoretische Text in Übereinstimmung mit dem Samaritanus auch für Henochs Zeugung des Metuschalach angibt (Gen 5,21, 65 Jahre MT und Sam) und auch in Gen 11 fast durchgängig voraussetzt, erheblich anhebt.44 Auch dürfte die persönliche Bekanntschaft Noahs mit Henoch, wie sie nur nach dem Samaritanus möglich ist, der Intention des Textes gemäß sein, und schließlich haben die Namen der Patriarchen Jered („Abstieg“) und Metuschalach („Mann des Wurfspeers“) eine gewalttätige Konnotation, was wie die mit Lamech verbundene Gewalttätigkeit wiederum gut zu ihrem Tod im Jahr der Flut nach der Chronologie des Samaritanus passt.45 Im Vergleich von Gen 5 mit Gen 4 gewinnt man unweigerlich den Eindruck, dass der in Gen 5 von P bewahrte Stammbaum der Setiten in Gen 4 geteilt worden ist, um die bei P fehlende Erzählung von Kain (= Kenan) und Abel unterzubringen. Auf diese Weise verteilen sich die zehn Generationen der priesterlichen Toledot Adams im non-P Text auf zwei Genealogien, wobei Kain und Set als Brüder einer Generation zugerechnet werden. Wichtig für das Verständnis dieser beiden Genealogien ist die Einsicht, dass sich innerhalb der priesterlichen Toledot Adams ein Fragment des non-P Textes erhalten hat, und zwar in Gen 5,29*. Die Notiz über die Namensgebung Noahs weicht in mehrfacher Weise von der Regelmäßigkeit der genealogischen Notizen des Kontexts ab. Besonders auffällig ist im priesterlichen Kontext natürlich der Gebrauch des Tetragramms und der offenkundige Rückbezug der Formulierung 43 Der Samaritanus nimmt die für seine chronologische Konzeption notwendigen Angleichungen u.a. in Gen 11 vor, während der Masoretische Text in Gen 11 die älteren Zeitangaben bewahrt hat. 44 Vgl. R ÖSEL 1994, 130. Die Ausnahme in Gen 11,10–26 (MT) ist der erstgenannte Sem. Wie im Sam und der LXX ist er bei der Zeugung 100 Jahre alt. 45 Vgl. B UDDE 1883, 96, 99f.
III. Redaktionsgeschichtliche Fallbeispiele
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מן האדמה אשר אררה יהוהauf Gen 3,17 und Gen 4,11 sowie der Vorverweis auf Gen 6,5–8 sowie 8,21–22. Sämtliche genannten Bezugstexte gehören zum nonP Stratum in der Urgeschichte. Aus diesem Grund liegt es nahe, hier eine versprengte Notiz der non-P Erzählung über die Geburt Noahs zu sehen, zumal diese sonst unerwähnt bliebe.46 Freilich würde es sich im non-P Text ursprünglich um einen Ausspruch des Enosch gehandelt haben. Enosch dürfte an dieser Stelle von der Redaktion gestrichen worden sein, weil sich durch die Zusammenführung der beiden Versionen die genealogischen Verhältnisse geändert haben: Nach Gen 5 und nach dem vorliegenden Textzusammenhang ist nun einmal Lamech (der Nachkomme Sets!) der Vater Noahs. Das ließ sich auch durch eine höchst kreative innerbiblische Exegese nicht ausgleichen. Der nonP Text bietet demnach zwei Alternativstammbäume: Die Linie der Kainiten in Gen 4,17–22 (Kain, Henoch, Irad, Mechujael, Metuschael, Lamech und seine vier Kinder) und diejenige der Setiten in Gen 4,25–26; 5,29* (Set, Enosch und Noah), von denen dem Erzählverlauf nach der Stammbaum des Brudermörders Kain in der Flut endete und der andere in Gestalt Noahs und seines Hauses überlebte. Da aus dem Großvater Set und seinem Enkel Kenan durch Aufteilung des Setitenstammbaums Brüder wurden, blieb noch Raum für ein zehntes Glied. Dies sind die Kinder Lamechs, deren Erwähnung dem Erzähler Platz für kulturgeschichtliche Notizen ließ. Diese sind auch deswegen wichtig, weil die Ambivalenz des Fortschreitens in der Kultur und Abnahme der Gottesnähe – die Kulturstifter in Gen 4 sind sämtlich Nachkommen des Brudermörders Kain – ein bestimmendes Motiv der non-P Texte in der biblischen Urgeschichte ist. Zudem konnte Lamech wegen seines Prahlliedes (Gen 4,23f), das die zur Katastrophe führende Gewaltbereitschaft der Kainiten und ihre Opposition zu Set und seinen Nachkommen unterstreicht, nicht kinderlos bleiben. Wie ist nun das Verhältnis von Gen 4 und Gen 5 redaktionsgeschichtlich auszuwerten? Man könnte vermuten, dass ein post-P Bearbeiter in Gen 4 die Toledot Adams aus Gen 5 aufgegriffen, umgeformt und dem priesterlichen Text vorangestellt hat. Gegen dieses Ergänzungsmodell spricht aber, dass der vorliegende Textzusammenhang nicht den Eindruck macht, als ob ein Ergänzer hier relativ frei von Vorgaben agieren konnte. Auch bliebe das non-P Einsprengsel in Gen 5,29* unerklärt. Sodann ist die Umstellung Kains zum Sohn Adams und Bruder Sets in Gen 4 ohne Zweifel der Einfügung der Kain und Abel Erzählung geschuldet, weswegen Gen 4 hier die sekundäre Version bietet. Andererseits erklärt sich die Reihenfolge Mahalalel – Jered – Henoch in
Vgl. statt vieler LEVIN 1993, 99; CARR 1996, 70. Dagegen weist WITTE 1998, 207–217 den Vers wie die Notizen über Set und Enosch in Gen 4,25f der Endredaktion zu. Dass die genannten Notizen zueinander in Beziehung stehen, ist unbestritten, doch lässt sich die Aussonderung von Gen 4,25f aus dem non-P Grundbestand von Gen 4 nicht begründen. Vgl. GERTZ 2004b, 221f, 233–235 (in diesem Band Nr. 5, 91f, 103–105). 46
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3. Die Entstehung der biblischen Urgeschichte
Gen 5 gegenüber der Reihenfolge Henoch – Irad – Mechujael in Gen 4 am ehesten durch die priesterliche Konzeption, wonach Henoch in der zweiten Hälfte der Genealogie als Gegenbeispiel zu den vorzeitig in der Flut sterbenden Patriarchen der zweiten Hälfte der Genealogie dient. Dies wird noch dadurch unterstrichen, dass nach P Henoch und Noah den Abschluss der zweiten und der dritten Dreiergruppe der Nachkommen Sets bilden. Mit Blick auf die Position Henochs bietet also P die sekundäre Version. Diese Beobachtungen sprechen wie die leichten Abweichungen in der Schreibweise dafür, dass die Genealogien in Gen 4 und Gen 5 auf einer gemeinsamen Vorlage beruhen, die in zwei eigenständigen Versionen verarbeitet worden ist, die erst redaktionell zum vorliegenden Nebeneinander der Genealogien der Kainiten und Setiten verbunden wurden. 3. Die zwei Versionen der Fluterzählung – Gen 6,5–9,17 Über die Aufteilung und Abgrenzung des non-P und des priesterlichen Textbestandes in der Fluterzählung herrscht weitgehender Konsens. Unbestritten ist auch, dass der non-P Text eine Lücke enthält, da hier ein Bericht über den Bau der Arche fehlt. Dies wurde in jüngerer Zeit vermehrt so ausgewertet, dass der non-P Text eine späte Bearbeitung der priesterlichen Fluterzählung darstellt.47 Dagegen wirkt die im Kontext einer Zwei-Quellen-Hypothese übliche Auskunft, dass ein non-P Baubericht bei der Zusammenfügung der beiden Versionen ausgefallen sei, prima facie wie eine Verlegenheitsauskunft. Doch sollte man hier nicht voreilig urteilen. Methodisch kann ein redaktionell bedingter Textausfall nicht ausgeschlossen werden. Empirisch betrachtet, stellt eine vollständig rekonstruierbare Urkunde in einem sekundären Text ohnehin eher die Ausnahme dar. Was nun konkret das Fehlen eines Berichts über den Bau der Arche im non-P Text anbelangt, so lässt sich begründen, dass dieser bei der Zusammenführung der beiden Versionen aus konzeptionellen Gründen ausgefallen ist: Die priesterlichen Anweisungen zum Bau der Arche in Gen 6,9–22 korrespondieren mit denen zum Bau des Zeltheiligtums in Ex 25–40*.48 Sollte diese Korrespondenz nach der Zusammenführung der beiden Versionen
Position und Gegenposition habe ich ausführlich diskutiert in J. CH. GERTZ 2006a: Beobachtungen zum literarischen Charakter und zum geistesgeschichtlichen Ort der nichtpriesterschriftlichen Sintfluterzählung, in U. Schorn/M. Beck (Hg.), Auf dem Weg zur Endgestalt von Gen bis II Regum. Festschrift H.-Ch. Schmitt, BZAW 370, Berlin/New York, 41–57 (in diesem Band Nr. 7). 48 B. JACOB 1934/2000: Das erste Buch der Tora Genesis, Berlin (Nachdr., Das Buch Genesis, hg. in Zusammenarbeit mit dem Leo-Baeck-Institut, Stuttgart 2000), 187; TH. POLA 1995: Die ursprüngliche Priesterschrift. Beobachtungen zur Literarkritik und Traditionsgeschichte von Pg, WMANT 70, Neukirchen-Vluyn, 286–290, 367; BAUMGART 1999, 531– 559. 47
III. Redaktionsgeschichtliche Fallbeispiele
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erhalten bleiben, so war die Streichung eines non-P Bauberichts kaum zu vermeiden.49 Diese Annahme wird dadurch bestätigt, dass der ausgefallene non-P Bericht über den Bau der Arche auch im vorliegenden Textzusammenhang Spuren hinterlassen hat. Die non-P Notiz vom Öffnen „des Fensters der Arche, das er [sc. Noah] gemacht hatte“ ( )את חלון התבה אשר עשהin Gen 8,6 setzt offenkundig einen Bericht über den Bau der Arche voraus. Im vorliegenden Textzusammenhang läuft der Relativsatz אשר עשהins Leere, weil der (allein erhaltene) Baubericht von P kein חלוןerwähnt. Der in Gen 8,6 ursprünglich vorausgesetzte Baubericht wird folglich nicht in Gen 6,9–22 (P) zu suchen sein. Ähnlich verhält es sich mit der non-P Erwähnung des „Daches“ ( )מכסהin Gen 8,13b, das bei P ebenfalls nicht erwähnt wird. Allerdings fehlt hier der explizite Querverweis. Natürlich werden im vorliegenden Text das priesterliche צחרin Gen 6,16 und das non-P חלוןin Gen 8,6b sowie das priesterliche פתחin Gen 6,16 und das non-P מכסהin Gen 8,13b identifiziert. Doch die Notwendigkeit zu dieser recht komplizierten Identifizierung zeigt, dass sie kaum ursprünglich ist. Warum hat aber der Redaktor, der die non-P und die P Version der Fluterzählung kombiniert hat, mit dem non-P Bericht über den Bau der Arche nicht auch die non-P Notiz vom Öffnen des Fensters gestrichen? Zunächst ist festzuhalten, dass sie die angestrebte Korrespondenz von Bau der Arche und des Zeltheiligtums nicht gestört hat. Wichtiger dürfte indes gewesen sein, dass die kleine Szene die folgende Vogelflugszene einführt. Sie hat im priesterlichen Text kein Pendant und offenkundig wollte der Redaktor auf sie nicht verzichten. Der non-P Text diente also tatsächlich als Ergänzung zu P. Anders als die Vertreter eines Ergänzungsmodells meinen, besagt die Funktion, die der nonP Text an dieser Stelle für die Redaktion gehabt hat, aber noch nichts über seinen ursprünglichen literarischen Charakter. Auch dies lässt sich am Text belegen. Das Motiv der Vogelflugszene stammt aus der XI. Tafel des Gilgamesch-Epos (XI, 145–154), zu dem die non-P Texte in der Fluterzählung und in der restlichen Urgeschichte eine deutliche Nähe aufweisen. Damit wird zunächst die alte Einsicht bestätigt, dass Redaktoren in der Regel auf Wissensstoffe schriftlicher oder mündlicher Herkunft zurückgreifen. Doch wie soll man sich das in unserem Fall konkret vorstellen? Wenig wahrscheinlich ist die Vorstellung, ein religionsgeschichtlich interessierter Bearbeiter habe aus seinem Exemplar des akkadischen Originals ausgewählte Szenen in die Fluterzählung, aber auch an anderer Stelle in die Urgeschichte eingetragen. Auswahl und Änderungen gegenüber dem Original, wie zum Beispiel die Reihenfolge der Vögel, lassen eher an eine hebräische Erzählvariante der Fluterzählung denken. Insofern die non-P Allusionen zum Gilgamesch-Epos nicht auf dessen XI. Tafel und auf die Fluterzählung beschränkt sind, wird man darüber hinaus
49
BAUMGART 1999, 416.
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3. Die Entstehung der biblischen Urgeschichte
an eine vom Gilgamesch-Epos (und anderen mesopotamischen Stoffen) beeinflusste non-P Urgeschichte denken dürfen, die dem Verfasser unseres Textes als Material für seine Ergänzungen zu P gedient hat. Schließlich ist noch kurz auf die Struktur des Gesamttextes einzugehen. Das auffälligste Gliederungsmerkmal ist die doppelte Rahmung der Fluterzählung durch die non-P Texte in Gen 6,5–8 und Gen 8,20–22 einerseits und durch die priesterlichen Texte in Gen 6,9–22 und 9,1–17 andererseits. Damit sind die prominenten Eröffnungs- und Schlusspassagen der Fluterzählung auf priesterliche und non-P Texte verteilt. Schon diese Beobachtung spricht eher für die Zwei-Quellen-Hypothese. Folgendes kommt hinzu. In der Regel eröffnet die Toledotformel einen neuen Abschnitt. In der Fluterzählung wird die priesterliche Toledotformel in Gen 6,9 durch die non-P Eröffnung von der Anfangsposition verdrängt. Stattdessen wird die sonst als Überschrift verwendete Toledotformel zum Signal für einen Einschnitt innerhalb des zweiteiligen Prologs. Offenkundig überlagert die Struktur des vorliegenden Textes eine ältere, vorgegebene priesterliche Struktur. Vergleichbar ist der Befund zum Abschluss der Fluterzählung. In dem non-P Text Gen 8,21–22 sagt JHWH zu, zukünftig die Erde nicht noch einmal zu verwünschen, geschweige denn förmlich zu verfluchen, die Schlechtigkeit des Menschen zu ertragen und die Segenskraft der Erde zu erhalten. Diese Zusage greift unverkennbar auf den ersten Prolog in Gen 6,5–8 zurück. Sie ist in ihrem Schlussteil rhythmisch formuliert. Das weist Gen 8,21–22 als Schlusspunkt und – bedenkt man das alttestamentlichen Erzählungen eigentümliche Achtergewicht – als Höhepunkt einer mit Gen 6,5–8 eröffneten Fluterzählung aus. Im vorliegenden Textzusammenhang folgt freilich der inhaltsschwere Abschnitt Gen 9,1–17. Er ist wegen seiner engen Korrespondenz zu Gen 6,9–22 kaum von der Fluterzählung zu trennen. Im vorliegenden Textzusammenhang bilden demnach Segen und Bund den Schlussakt der Fluterzählung, wodurch Gen 8,20–22 aus seiner gleichsam natürlichen Schlussstellung verdrängt und zu einer Binnenzäsur der Fluterzählung transformiert wird. Abermals überlagert also die Gliederung des vorliegenden Textzusammenhangs ältere Textgrenzen. Diesmal handelt es sich aber um die vorgegebene Struktur des non-P Textes. Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Der vorliegende Textzusammenhang fußt auf zwei älteren Vorlagen mit je eigenen Gliederungsprinzipien.
III. Redaktionsgeschichtliche Fallbeispiele
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4. Die Frage der literarischen Einheitlichkeit des non-P Textes – Gen 2,4– 3,24; Gen 9,18–29 und 11,1–9 Spätestens seit Karl Buddes grundlegender Untersuchung wird die literarische Einheitlichkeit des non-P Textes in der biblischen Urgeschichte kontrovers diskutiert.50 Mit Blick auf die gegenwärtige Diskussion sind dabei zwei Fragestellungen von grundsätzlichem Interesse, (1.) die Binnendifferenzierung des nonP Textes und (2.) sein literarischer Horizont: 1. Im Anschluss an Budde wird gerne innerhalb der non-P Texte zwischen einer Grundschicht/Quelle und deren späterer Bearbeitung unterschieden. Ausgangspunkt dieser Unterscheidung ist eine oft festgestellte Ambivalenz zwischen optimistischer Weltbejahung und pessimistischer Kulturkritik in der Paradieserzählung. Sie führt gemeinsam mit der Einschätzung, dass die Benennung der Frau in Gen 3,20f eine unangemessene Reaktion auf die Strafsprüche in Gen 3,17–19 ist, zur literarkritischen Trennung zwischen einer ursprünglichen Anthropogonie in Gen 2,4b–24*; 3,20–21 und einer sekundären sündentheologischen Bearbeitung durch den Autor von Gen 3* (mit weiteren Ergänzungen innerhalb von Gen 2).51 Mit der sündentheologischen Bearbeitung werden auch die Erzählung von Kain und Abel in Gen 4,1–16 und öfters auch die non-P Passagen der Sintfluterzählung in Verbindung gebracht.52 Gegen die für die These grundlegende literarkritische Differenzierung der Paradieserzählung ist jedoch mit guten Gründen deren (weitgehende) literarische Einheitlichkeit vertreten worden.53 Dies braucht an dieser Stelle nicht ausführlich wiederholt
BUDDE 1883. Grundlegend für die neuere Diskussion: LEVIN 1993, 82–92 im Rückgriff auf entsprechende überlieferungsgeschichtliche Differenzierungen bei P. HUMBERT 1940: Études sur le récit du paradis et de la chute dans la Genèse, MUN 14, Neuchâtel. Zu der im Detail dann wieder sehr unterschiedlich verlaufenden Rezeption dieses Vorschlags vgl. WITTE 1998, 53– 61, 77f, 79–87(ff), 116f, 151–166(ff), 184–192(ff), 333f; R. G. KRATZ 2000: Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments, Göttingen, 254–256. Eine „antiweisheitlich“ überarbeitete „Early Creation Narrative” in 2,4b–24* erkennt D. M. CARR 1993: The Politics of Textual Subversion. A Diachronic Perspective on the Garden of Eden Story, JBL 112, 577–595. 52 Vgl. LEVIN 1993, 103; K RATZ 2000, 255f, 259–262. Schon Julius Wellhausen hatte die These vertreten, dass die Sintfluterzählung nicht zum (jahwistischen) Grundbestand gehört, da eine Reihe von Texten deren Kenntnis nicht voraussetze. Vgl. J. WELLHAUSEN 1899: Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, 3. Aufl., Berlin (4. Aufl., Nachdr. d. 3. Aufl., Berlin 1963), 7–12. 53 Vgl. PFEIFFER 2000; K. SCHMID 2002: Die Unteilbarkeit der Weisheit. Überlegungen zur sogenannten Paradieserzählung Gen 2f und ihrer theologischen Tendenz, in: ZAW 114, 21–39; BLENKINSOPP 2002; E. BLUM 2010: Von Gottesunmittelbarkeit zu Gottähnlichkeit. Überlegungen zur theologischen Anthropologie der Paradieserzählung, in: ders., Textgestalt und Komposition. Exegetische Beiträge zu Tora und Vordere Propheten, FAT 69, Tübingen, 50 51
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3. Die Entstehung der biblischen Urgeschichte
zu werden. Nur so viel sei genannt: Wie häufig bietet der rekonstruierte Grundtext nicht weniger Anstoß als der vorliegende Textzusammenhang. So ist die postulierte unmittelbare Abfolge der Benennung der Frau durch den Mann als Frau im Rückgriff auf die Verwandtschaftsformel in Gen 2,23 und als Chawwa mit Blick auf ihre nachmalige Funktion als Mutter in Gen 3,20 schwerlich ursprünglicher oder passender als die Positionierung von Gen 3,20 im vorliegenden Textzusammenhang. Man hat daher auch Gen 2,23 zuweilen als redaktionell ausscheiden und Gen 3,20 direkt an Gen 2,22 anschließen wollen. Dies ist aber unmöglich, da das in der altorientalischen Literatur sonst unbekannte Motiv vom Bau der Frau aus der Rippe (Gen 2,22), auf das die von Fehlschlägen begleitete Erschaffung der Frau hinausläuft, aus der Verwandtschaftsformel Gen 2,23 heraus gesponnen ist.54 Erklärbar ist das Neben- und Nacheinander von Gen 2,23 und 3,20 in einem Text allein unter der Vorgabe, dass sich zwischen den beiden Benennungen der Frau eine grundlegende Veränderung für die Frau (und den Mann) vollzogen hat. Und genau davon handelt die vermeintlich redaktionelle Erzählung vom sogenannten Sündenfall in Gen 3. Erst der Genuss der verbotenen Frucht erschließt dem Menschen seine sexuelle Differenzierung in Mann und Frau und eröffnet ihm seine Bestimmung zur Fortpflanzung und Kultivierung des Ackerbodens.55 Entsprechend sind in den Strafsprüchen die Geschlechtlichkeit, die Mühsal des Gebärens (Gen 3,16) und der Feldarbeit (Gen 3,17–19a) angesprochen, die dann in der Benennung der Frau als Chawwa und Mutter aller Lebendigen ebenso wie in der Entlassung des Mannes zur Feldarbeit ihre anfängliche Realisierung erfahren. Kurzum: Die literarkritische Differenzierung einer älteren Anthropogonie und einer jüngeren sündentheologischen Bearbeitung verursacht mehr Ungereimtheiten als sie zu lösen verspricht. Die Paradieserzählung erweist sich vielmehr als eine durchdachte Komposition. Ihre ambivalente Grundstimmung ist, wie in anderen antiken Literaturwerken auch, von vornherein intendiert. Die ambivalente Daseinserfahrung des Menschen ist der eigentliche Inhalt der Paradieserzählung und der beanstandete Wechsel der Grundstimmung das urgeschichtliche Mittel, diese Erfahrung begründend herzuleiten. 2. Gerhard von Rad hatte vermutet, dass die erstmalige Verbindung der urgeschichtlichen Stoffe mit den Erzählungen von den Erzeltern Israels das genuine Werk des Jahwisten gewesen sei, dessen Urgeschichte in der Berufung
1–19; GERTZ 2004b; SCHÜLE 2006a, 149–156(ff); ARNETH 2007, 97–147, 230–236; BÜHRER 2008, 7–58. 54 So mit SCHMID 2002, 25 mit Anm. 29; B LUM 2010, 4f. Anders C H. U EHLINGER 1988: Eva als ,lebendiges Kunstwerk‘. Traditionsgeschichtliches zu Gen 2,21–22(23.24) und 3,20, BN 43, 90–99. 55 So zu Recht B LUM 2010, 5.
III. Redaktionsgeschichtliche Fallbeispiele
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Abrahams in Gen 12,1–3 ihren Zielpunkt gehabt habe.56 Nach dieser breit rezipierten These wird die theologische Konzeption dieser Verbindung vom Zusammenspiel zweier gegenläufiger Bewegungen bestimmt, dem „lawinenartigen Anwachsen der Sünde“57 einerseits und dem „heimliche[n] Mächtigwerden der Gnade“58 andererseits. Lediglich die Turmbauerzählung falle prima facie aus diesem Rahmen. Doch die vermeintlich endgültige Katastrophe markiere nur den Übergang zu der mit Gen 12 anhebenden Heilsgeschichte, insofern die Berufung Abrahams auf die offene Frage nach dem „Verhältnis Gottes zu seiner empörerischen, nun aber in Splitter zerschlagenen Menschheit“59 antworte und zugleich eine partikulare Segensgeschichte in universaler Abzweckung eröffne. Die Charakterisierung der non-P Texte in Gen 1–11 als Geschichte des fortschreitenden Unheils hat jedoch auch Widerspruch erfahren.60 Insbesondere die non-P Flutgeschichte fügt sich nur schlecht in die aufgezeigte Kompositionslinie.61 Die im Flutprolog festgestellte Totalität der Sünde und die Härte des Gerichts, das beinahe zur totalen Vernichtung der Menschheit führt, sowie die am Ende der Flut zugesagte gnädige Entkoppelung von menschlicher Schuld und göttlicher Reaktion entziehen sich der vermeintlichen Steigerungslogik.62 Auch fällt es im Vergleich mit der Flutgeschichte schwer, in der Turmbauerzählung das abschließende „gnadenlose [...] Gottesgericht über die
56 Vgl. G. VON R AD 1938: Das formgeschichtliche Problem des Hexateuch, BWANT IV/26, Stuttgart (wiederabgedr. in: ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament, TB 8, München 1958, 9–86), 58–62 und vor allem DERS. 1972: Das erste Buch Mose. Genesis, ATD 2–4 (1949–1953), 9. Aufl. Göttingen (= 12. Aufl. 1987), 9f, 116–118, 121–123. Andeutungen finden sich bereits bei BUDDE 1883, 409 und W. STAERK 1924: Zur alttestamentlichen Literarkritik. Grundsätzliches und Methodisches, ZAW 42, 34–74, 38, 56, 64. Vgl. ferner O. H. STECK 1971: Genesis 12,1–3 und die Urgeschichte des Jahwisten, in: H. W. Wolff (Hg.), Probleme biblischer Theologie. Festschrift G. von Rad, München, 525–554 (wiederabgedr. in: ders., Wahrnehmungen Gottes im Alten Testament. Gesammelte Studien, ThB 70, München 1982, 117–148). 57 VON R AD 1972, 116. 58 AaO 10. 59 AaO 116. 60 Vgl. insbesondere C. W ESTERMANN 1974: Genesis 1–11, BK I/1, Neukirchen-Vluyn, 73f, 85f sowie CRÜSEMANN 1981. 61 Statt vieler mit wünschenswerter Deutlichkeit K RATZ 2000, 252, der aus diesem Grund im Anschluss an WELLHAUSEN 1899, 7–14 vorschlägt, die Turmbauerzählung einer non-P Urgeschichte zuzurechnen, die noch keine Fluterzählung gekannt habe. Diese These hängt bei Kratz wie Wellhausen an der Unterscheidung einer älteren Anthropogonie und einer jüngeren sündentheologischen Bearbeitung in Gen 2f. Andere argumentieren damit, dass die non-P Anteile in der Flutgeschichte eine redaktionelle Ergänzung zu P sind. Wie oben dargelegt, halte ich beide Annahmen für unhaltbar. 62 Vgl. dazu J. C H. G ERTZ 2007b: Noah und die Propheten. Rezeption und Reformulierung eines altorientalischen Mythos, DVjs 81, 503–522 (in diesem Band Nr. 10).
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3. Die Entstehung der biblischen Urgeschichte
Menschheit“63 zu sehen. So wurde in der Auseinandersetzung mit Gerhard von Rads These zunehmend die diachrone Selbständigkeit der non-P Urgeschichte vertreten.64 Für diese Annahme sprechen die Brüchigkeit der mutmaßlichen Verbindung zur Erzelterngeschichte auf der Ebene des non-P Textes sowie deutliche konzeptionelle Unterschiede zwischen beiden Textbereichen. Positiv lässt sich für die ursprüngliche Selbständigkeit der non-P Urgeschichte deren thematische und kompositionelle Geschlossenheit anführen. Sie ist von einem feinmaschigen Netz an Querverweisen durchzogen, weist aber in ihrem Kernbestand nicht über sich hinaus. Andererseits wird auf der Ebene des non-P Textes in der Erzelterngeschichte nirgends eindeutig auf die Urgeschichte Bezug genommen. Vor allem für Gen 12,1–3, den vermeintlichen Ziel- und Fluchtpunkt der non-P Urgeschichte, fällt das Fehlen eines auch nur annähernd mit den Querverbindungen innerhalb der Urgeschichte vergleichbaren Rückverweises auf.65 Inhaltlich unterscheiden sich die Problemhorizonte der auf die Existenz des Ackerbauern ausgerichteten urgeschichtlichen Ätiologie und der Hochschätzung der halbnomadischen Lebensweise der Erzeltern, die aus der Perspektive der Urgeschichte als unstet und fluchbeladen erscheinen muss (vgl. Gen 4,1–16). Kurzum: Die non-P Urgeschichte lässt sich besser verstehen, wenn sie als ehedem eigenständige Komposition und nicht als unselbständiger Vorbau zur Erzelterngeschichte gelesen wird. Die These einer ehedem selbständigen non-P Urgeschichte wird vielfach geteilt, umstritten ist indessen der Endpunkt dieser ehedem selbständigen nonP Urgeschichte. Verbreitet ist die am Endtext orientierte Sicht, wonach die non-P Urgeschichte ursprünglich mit der Turmbauerzählung in Gen 11,1–9 geendet hat.66 Allerdings ist es angesichts des üblichen Achtergewichts biblischer Erzähltexte nur schwer vorstellbar, dass ein in Juda, in Israel oder im Kreise der babylonischen Diaspora verfasstes Erzählwerk mit der Notiz geendet haben soll „Deshalb nennt man ihren Namen Babel, denn dort vermengte JHWH die Rede der ganzen Menschheit. Und von dort zerstreute sie JHWH über das Angesicht der ganzen Erde“ (Gen 11,9). Gänzlich undenkbar ist dies für eine biblische Ätiologie elementarer lebensweltlicher Verhältnisse, wie sie in der nonP Urgeschichte nun einmal vorliegt. Gestützt wird diese Einschätzung durch die Schwierigkeiten, der unterstellten Abfolge von Schöpfung, Flut und Turmbauerzählung eine Analogie aus der altorientalischen Literatur zur Seite zu
1972, 117. Vgl. CRÜSEMANN 1981; E. BLUM 1984: Die Komposition der Vätergeschichte, WMANT 57, Neukirchen-Vluyn, 359f; DERS. 2002a: Art. Urgeschichte, 438f; CARR 1996, 234–248; WITTE 1998, 192–205. 65 Vgl. C RÜSEMANN 1981, 18–22; B LUM 1984, 349–361; W ITTE 1998, 192–200. 66 Detailliert begründet wird diese Sicht von C ARR 1996, 235–240 und B LUM 2002a, 439f. 63 64
VON RAD
III. Redaktionsgeschichtliche Fallbeispiele
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stellen.67 Gerade die in der älteren Forschung mitunter genannten Babyloniaca des um den Ruf Babylons in der hellenistischen Welt bemühten Berossos zeigen, wie problematisch die Annahme eines bis Gen 11,9 reichenden biblischen Erzählwerks ist: Die von dem Babylonier Berossos wohl ohne mesopotamische Vorlagen gestaltete Schlussnotiz berichtet den Wiederaufbau seiner durch die Flut zerstörten Heimatstadt auf Geheiß der Götter! Die genannten Gründe machen skeptisch gegenüber der Annahme, die eigenständige nicht-priesterschriftliche Urgeschichte habe mit der Geschichte vom Turmbau zu Babel geendet. Vielmehr spricht sehr viel für ein Ende der Urgeschichte mit dem Abschluss der Sintfluterzählung.68 Die kompositorische Höhenlinie dieser Urgeschichte ist schnell skizziert. Im Kern handelt es sich um eine Geschichte der Krise und der Daseinsminderungen. Diese hebt mit der wider den Willen des Schöpfergottes erlangten Fähigkeit des Menschen an, sich zwischen dem Lebensfeindlichen und dem Lebensförderlichen zu entscheiden (Gen 2,4b–3,24). Die Brudermorderzählung beleuchtet die Wahl des Schlechten (Gen 4,1–16). Die Krise erreicht ihren Höhepunkt im Prolog zur Sintflut und Gottes Urteil über die Menschheit; ein Urteil, das die Entscheidung beinhaltet, grundsätzlich jede Erschaffung von Leben in Frage zu stellen (Gen 6,5–8). Mit der Bestandszusage des Schöpfergottes nach der Flut folgt die Auflösung der Krise: Der Bestand der Erde ist vom menschlichen Tun entkoppelt. Die Ambivalenz menschlichen Lebens ist nicht aufgehoben, wohl aber in die Schöpfungsordnung integriert (Gen 8,21f mit Bezug auf Gen 3,17; 4,10f). Wird die Geschichte der Sintflut als Geschichte einer überwundenen Krise und einer prinzipiellen Infragestellung der Schöpfung verstanden, so bildet sie den unüberbietbaren Abschluss eines Erzählwerks, das mit der Erschaffung des menschlichen Lebens und der Grundsituation seiner Ambivalenz einsetzt. Zugleich ist dieser Abschluss mit seiner Bestandszusage auf die Lebenswirklichkeit seiner Autoren und Leser hin formuliert, und zwar ohne dass dies einer weiteren Entfaltung bedarf. Schließlich ist daran zu erinnern, dass sich für eine Schöpfung und Flut umfassende Komposition mit dem AtrachasisEpos und der sumerischen Fluterzählung in der altorientalischen Literatur Analogien benennen lassen, was durch die offenkundige Vertrautheit der Autoren der non-P Urgeschichte mit diesen Traditionen ein besonderes Gewicht erhält.69
Vgl. dazu WITTE 1998, 190f (Lit.). Vgl. WITTE 1998, 184–205; BAUMGART 1999, 385–398; ähnlich schon R. RENDTORFF 1961: Genesis 8,21 und die Urgeschichte des Jahwisten, KuD 7, 69–78. 69 Vgl. ausführlich B AUMGART 1999, 419–495, ferner G ERTZ 2007b, 514–522 (in diesem Band Nr. 10, 205–214). 67 68
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3. Die Entstehung der biblischen Urgeschichte
Hat die non-P Urgeschichte ursprünglich mit der Fluterzählung geendet, so folgt daraus für die nachfolgenden non-P Erzählungen, dass sie erst nachträglich hinzugefügt worden sind. Sehr wahrscheinlich ist dies im Kontext einer Urgeschichte erfolgt, die bereits den priesterlichen und den non-P Text umfasst hat. Ob sie auch für diesen Zusammenhang konzipiert worden sind, steht auf einem ganz anderen Blatt. Für Gen 9,18–29 scheint mir das ganz gewiss zu sein. Die Erzählung von Noah und seinen Söhnen gehört zu den non-P Auffüllungen des genealogischen Materials der priesterlichen Urgeschichte in Gen 9,18a.19.28f.70 Für Gen 11,1–9 mag man mit einer älteren Tradition rechnen, doch ist die literarisch einheitliche Turmbauerzählung in einer Gestalt überliefert, die sie als Entfaltung der priesterlichen Notiz von der Zerstreuung der Menschheit in Gen 9,19 ausweist.71 So ist es kein literarhistorischer Zufall, dass beide Erzählungen wesentlich besser in den vorliegenden, von der Struktur der priesterlichen Urgeschichte geprägten Kontext passen als in eine noch selbständige non-P Urgeschichte. Ein weiterer Kandidat für eine solche späte (post-P) Erweiterung ist schließlich die mirakulöse Episode von den ‚Engelehen‘ in Gen 6,1–4.72
IV. Fazit Es hat also ganz den Anschein, als würde sich die Zwei-Quellen-Hypothese als Modell für die Entstehungsgeschichte der biblischen Urgeschichte grundsätzlich bewähren. Gleichwohl sind einige Modifikationen vorzunehmen. Wenig Korrekturbedarf besteht hinsichtlich der literarhistorischen Daten des priesterlichen Textbestandes, auf den nur en passant eingegangen werden konnte. Über seine Abgrenzung (und damit zugleich die Identifizierung des non-P Textes) herrscht ein weitgehender Konsens. Auch die Datierung der priesterlichen Texte in die ausgehende Exilszeit oder den Beginn der second temple period kann ebenso wie die Annahme einer mit Gen 1 einsetzenden und über die biblische Urgeschichte hinausgehenden priesterlichen Quelle nach wie vor eine
70 J. C H. G ERTZ 2009c: Hams Sündenfall und Kanaans Erbfluch – Anmerkungen zur kompositionsgeschichtlichen Stellung von Gen 9,18–29, in: R. Achenbach/M. Arneth (Hg.), „Gerechtigkeit und Recht zu üben“ (Gen 18,19). Studien zur altorientalischen und biblischen Rechtsgeschichte, zur Religionsgeschichte Israels und zur Religionssoziologie. Festschrift E. Otto, BZAR 13, Wiesbaden, 81–95 (in diesem Band Nr. 12). 71 G ERTZ 2009b. 72 Vgl. M. V ERVENNE 1995a: All They Need is Love: Once More Genesis 6.1–4, in: J. Davies u.a. (Hg.) Words Remembered, Texts Renewed. Essays in Honour of John F. A. Sawyer, JSOTSup 195, Sheffield, 19–40.
IV. Fazit
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hohe Plausibilität beanspruchen.73 Genauerer Untersuchung bedarf indes auch im Rahmen einer Zwei-Quellen-Hypothese das Verhältnis der priesterlichen Texte zu den non-P Texten. Dass die Autoren der priesterlichen Texte zumindest dem Hörensagen nach die älteren non-P Texte gekannt und mit im Blick gehabt haben, sollte zumindest nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Unstrittig ist die Bekanntschaft mit Traditionen, wie sie auch in anderen Texten des alten Vorderen Orients belegt sind. Hinsichtlich der hier nicht angesprochenen Frage nach der Identifizierung dieser Traditionen und der Rezeptionswege ist jedoch vieles nach wie vor ungeklärt. An dieser Stelle sei wenigstens angedeutet, dass sich die priesterliche Rezeption mit einem Modell der Teilhabe an einer gemeinsamen Wissenskultur angemessener erklären lässt als mit einem Modell (polemischer) Abgrenzung.74 Der Befund zu den non-P Texten in der Urgeschichte stellt sich uneinheitlich dar: Sie sind weder Teil einer die Urgeschichte übergreifenden Quellenschrift, noch sind sie zur Gänze als Bearbeitungsschicht der priesterlichen Texte zu qualifizieren. Für den non-P Erzählzusammenhang in Gen 2,4b–8,22 gibt es gute Gründe von einer ehedem eigenständigen Urgeschichte auszugehen. Die auf Gen 8,22 folgenden non-P Texte dürften wie auch Gen 6,1–4 Ergänzungen sein, die in ihrer vorliegenden Gestalt bereits die Verbindung von P mit den non-P Texten in der Urgeschichte und wohl darüber hinaus voraussetzen oder doch im Kontext dieser Verbindung stehen. Antike Autoren und Redaktoren haben traditionsgeleitet gearbeitet. Insofern liegt es nahe, dass eine post-P Bearbeitung neben eigenen Traditionen und ad hoc formulierten Ergänzungen auch eine ältere Erzählung von Schöpfung, Kulturbildung und Flut in den Zusammenhang der P eingearbeitet hat. Die Datierung dieser ehedem eigenständigen non-P Urgeschichte ist schwierig. Sicher scheint nur, dass sie unter anderem die mesopotamischen Fluterzählungen kennt und diese unter dem Vorzeichen der Unheilsprophetie rezipiert.75 Das spricht für eine Datierung nicht vor dem 7. Jahrhundert.
73 Die Frage der Reichweite der priesterlichen Quellenschrift ist hier bewusst offen formuliert, da sie außerhalb des Themas dieses Beitrags liegt. Dass P zumindest bis zur Sinaiperikope gereicht hat, scheint mir gewiss zu sein. 74 J. CH. G ERTZ 2009a: Antibabylonische Polemik im priesterlichen Schöpfungsbericht?, ZThK 106, 137–155 (in diesem Band Nr. 4). 75 G ERTZ 2007b.
4. Antibabylonische Polemik im priesterlichen Schöpfungsbericht? In der alttestamentlichen Wissenschaft gibt es eine seit langem währende Debatte über die Rezeption altorientalischer Vorstellungen in der biblischen Urgeschichte.1 In ihrem Verlauf hat sich ein weitgehender Konsens darüber herausgebildet, dass es sich bei den aus mesopotamischen Schöpfungsmythen bekannten Stoffen in Genesis 1–11 um keine genuin israelitischen Traditionen handelt. Weitaus weniger sicher ist sich die Forschung, wenn es darum geht, die aufgenommenen Traditionen zu identifizieren, die Rezeptionswege zu beschreiben und die Absichten zu eruieren, mit denen die biblischen Autoren ihnen vermeintlich fremde Vorstellungsgehalte aufgenommen haben. Im Folgenden geht es unter der Fragestellung, ob sich im priesterlichen Schöpfungsbericht eine oft behauptete antibabylonische Polemik feststellen lässt, um den letztgenannten Aspekt. Ein knapper Blick in die Forschungsgeschichte zeigt freilich, wie untrennbar alle drei zusammengehören.
I. Schöpfung und Chaos In seiner erstmals 1894 erschienenen Arbeit „Schöpfung und Chaos“ beansprucht Hermann Gunkel, den im weiteren Sinne babylonischen Ursprung des priesterlichen Schöpfungsberichts nachgewiesen zu haben. Darüber hinaus habe er „überall daneben erörtert, in welcher eigentümlichen Weise der übernommene Stoff in Israel aufgefasst und umgebildet [worden] sei“2.
1 Das Verhältnis der biblischen Urgeschichte zu den Texten und Vorstellungen des alten Vorderen Orients wurde schon in der Antike diskutiert. Den Beginn der wissenschaftlichen Debatte markiert die Erstpublikation der elften Tafel des Gilgamesch-Epos durch George Smith vor der Society of Biblical Archaeology 1872 in London. Vgl. G. SMITH 1873/74: The Chaldean Account of the Deluge, Transactions of the Society of Biblical Archaeology 2, 213–234. 2 H. G UNKEL 1894: Schöpfung und Chaos in Urzeit und Endzeit. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung über Gen 1 und Ap Joh 12, Göttingen, VI. Zur Entstehungsgeschichte und zeitgenössischen Rezeption von „Schöpfung und Chaos“ vgl. W. KLATT 1969: Hermann
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4. Antibabylonische Polemik im priesterlichen Schöpfungsbericht?
In der Durchführung dieses Programms betont Gunkel für Genesis 13, dass im Vergleich mit älteren Schöpfungshymnen das Mythologische zurückgetreten und die antike Poesie durch die nüchterne Prosa ersetzt worden sei. Beidem entspreche die höhere Gottesanschauung des priesterlichen Supranaturalismus, die an die Stelle antiker Naivität getreten sei.4 Die Frage, warum die biblischen Autoren die mesopotamischen Schöpfungsmythen rezipiert haben, wird von Gunkel indessen nicht beantwortet. Er kann sie auch gar nicht beantworten, weil sie sich ihm so gar nicht stellt. Genesis 1 ist für Gunkel zwar im weiteren Sinne babylonischen Ursprungs, doch entdeckt er daneben auch Phönizisches – Gunkel denkt hier im Zusammenhang mit dem mit „brüten“ übersetzten Partizip ( מרחפתGen 1,2; Luther: „schwebte“) an den Mythos vom Bebrüten des Welteis – und Ägyptisches. Wichtiger ist jedoch die Einschätzung, dass Genesis 1 die Schöpfungsvorstellungen der Umwelt nicht als fremde, sondern als eigene Traditionen rezipiert hat. Anhand der damals bekannten Originalquellen und einer traditionsgeschichtlichen Analyse alttestamentlicher Texte rekonstruiert Gunkel einen babylonischen Marduk-Mythos. Dieser sei in der Amarnazeit nach Kanaan gelangt, wo Israel im Zuge der Sesshaftwerdung und Staatenbildung mit ihm in Kontakt gekommen sei. Im Laufe der Zeit habe Israel das übernommene Gut in Gestalt des in den Psalmen erhaltenen JHWH-Mythos als eigen angenommen. Schließlich habe die Priesterschrift mit Genesis 1 diesen JHWH-Mythos in ein verständiges Nachdenken über Gott und Welt überführt. Auf diese Weise stellt sich der priesterliche Schöpfungsbericht für Gunkel als das Resultat eines innerisraelitischen Läuterungsprozesses dar.5 Diese ‚Mutter aller traditionsgeschichtlichen Thesen‘ hat sich im Nachhinein als unhaltbare Kombination verschiedener Traditionsbereiche erwiesen. Die zugrunde liegende Prämisse religionsgeschichtlicher Arbeit am Alten Testament ist gleichwohl bedenkenswert. Nach Gunkel gilt es, die Bedeutung der sogenannten Umwelt stets herauszustellen, zugleich aber erst dann mit fremden Einflüssen zu rechnen, wenn eine Erklärung aus dem eigenen Milieu versagt.6 Entsprechend wendet sich Gunkel auch gegen die verbreitete Annahme
Gunkel. Zu seiner Theologie der Religionsgeschichte und zur Entstehung der formgeschichtlichen Methode, FRLANT 100, Göttingen 46–80; K. HAMMANN 2014: Hermann Gunkel. Eine Biographie, Tübingen, 58–84. 3 ‚Genesis 1‘ wird im Folgenden als Kürzel für den P zugewiesenen Schöpfungsbericht in Gen 1,1–2,3 verwendet. 4 Vgl. G UNKEL 1894, 118ff. 5 Vgl. aaO 118–121. 6 Vgl. W. B AUMGARTNER 1977: Zum 100. Geburtstag von Hermann Gunkel (1962), in: H. Gunkel, Genesis, 9. Auflage mit einem Geleitwort von Walter Baumgartner, Göttingen, 1*–18*.
I. Schöpfung und Chaos
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direkter Abhängigkeit der Priesterschrift von babylonischen Schöpfungsmythen: Der Stoff ist babylonisch, PC [sc. die Priesterschrift] schreibt in Babylonien; was liegt näher, als beides zu combinieren und anzunehmen, dass der Verfasser von PC den babylonischen Mythus übersetzt und überarbeitet habe? Dann gelangen wir zu einem Tatbestand, wie ihn unsere literarkritische Zeit auch sonst gern annimmt. Es wird alles ganz einfach: nichts weiter als ein Schriftsteller, der von einem andern abschreibt; und der Stoff ist in derjenigen Zeit in Israel heimisch geworden, in der er auch in unseren Quellen zum Ersten Male deutlich auftritt. In der Wirklichkeit geht es freilich oft nicht so ‚natürlich‛ zu [...] Auch in unserem Fall entspricht die ‚natürliche‘ Annahme dem Tatbestande keineswegs [...] Ein Mann wie der Verfasser von PC, mit so ausgeprägter und ihrer selbst bewusster jüdischer Eigenart, hätte niemals einen so stark mythologischen und polytheistischen Bericht, dessen heidnischer Ursprung ihm bekannt war, übersetzt, umgearbeitet und seinem Werke als ersten Abschnitt vorangestellt. Diese, nach moderner literarkritischer Methode angesehen, so einfache Vermutung ist also religionsgeschichtlich ein Ungedanke. 7
Nach Gunkel wird man daher eine antibabylonische Polemik in der Priesterschrift vergeblich suchen,8 allenfalls eine unbewusste, weil an sich unmögliche Adaption babylonischer Stoffe. Bei genauerer Betrachtung lässt sich dann aber auch bei Gunkel eine Form antibabylonischer Überlegenheitsrhetorik mit Blick auf Genesis 1 finden, und zwar im Duktus der religionsgeschichtlichen Rekonstruktion selbst. Für Gunkel ist es der supranaturalistische Gottesbegriff, durch den sich Genesis 1 stark von den Schöpfungsmythen des alten Vorderen Orients, insbesondere Mesopotamiens, unterscheidet. Es ist dieser religiöse Gedanke, der die Gegenwartsbedeutung und den bleibenden Wert von Genesis 1 ausmacht: „Das babylonische Wissen ist als Irrtum erwiesen; auf Israels Glauben aber ruht der unsrige.“9 Mit Blick auf die Erschaffung der Gestirne in Gen 1,14–19 führt Gunkel dann an anderer Stelle noch deutlicher aus: Man kann sagen, diese Betrachtung über den praktischen Nutzen der Gestirne sei recht nüchtern; aber sicherlich ist diese Nüchternheit der mythologischen Betrachtung, die in ihnen Götter und Halbgötter sieht, religiös unendlich überlegen. Und die moderne Naturwissenschaft, die das Wesen der Gestirne besser als Gen 1 bestimmt, wäre unmöglich gewesen, wenn die Religion nicht vorher die Geister aus ihrer Gebundenheit an die Natur befreit hätte.10
GUNKEL 1894, 135f. Für den nach Gunkel auf Genesis 1 zurückgreifenden Deuterojesaja fällt das Urteil anders aus. Vgl. aaO 137. 9 AaO 170. 10 H. G UNKEL 1910/1977: Genesis, HK I/1, 3. Aufl., Göttingen (= Nachdr. d. 9. Aufl. 1977). 7 8
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4. Antibabylonische Polemik im priesterlichen Schöpfungsbericht?
Im kritischen Gegenüber zu Babylon wird der priesterliche Schöpfungsbericht so zum geistesgeschichtlichen Ahnherrn einer spezifisch neuzeitlichen Sicht der Welt und zum Vorläufer neuprotestantischer Mythenkritik.
II. Babylonisches und Antibabylonisches Völlig anders stellt sich der Befund dar, wenn mit einer wie auch immer gearteten direkten und darum auch den Verfassern und Adressaten des biblischen Schöpfungsberichts bewussten Abhängigkeit von den mesopotamischen Schöpfungsmythen gerechnet wird. Hier ist die Frage nach den Absichten, die sich für die biblischen Autoren mit der Aufnahme des fremden Gedankengutes verbunden haben, unabwendbar. In der Regel wird dabei mehr oder weniger explizit das, was bei Gunkel in der religionsgeschichtlichen Rekonstruktion als Fortschritt der alttestamentlichen Religion gegenüber den traditionsgeschichtlichen Vorgaben erschien, zum Ausdruck eines Überlegenheitsgestus der biblischen Autoren gegenüber ihrer ‚Umwelt‘.11 Es sind vor allem drei Textbeobachtungen, die in diesem Zusammenhang angeführt werden: Die Erwähnung der „Urflut“ ( )תהוםin Gen 1,2, die Pluralbildung beim göttlichen Entschluss zur Erschaffung des Menschen in Gen 1,26 und die Erschaffung der Gestirne in Gen 1,14–19. (1) Im Anschluss an Gunkel wird immer wieder für תהוםeine direkte oder indirekte etymologische und sachliche Verbindung mit der (mesopotamischen)
11 Nur am Rande sei bemerkt, dass sich mit der in diesem Zusammenhang immer wieder gebrauchten Kategorie ‚Umwelt‘ häufig eine problematische Argumentationsfigur in der religionsgeschichtlichen Betrachtung des Alten Testaments verbindet: Die Gegenüberstellung von ‚Altem Testament‘ und ‚Umwelt‘ löst die alttestamentliche Religion und Literatur aus ihrem zeitgeschichtlichen und kulturellen Umfeld heraus und dient dazu, das ‚Proprium‘ des Alten Testaments herauszustellen. Dabei markiert der Begriff ‚Proprium‘ nicht primär historische Individualitäten, sondern stellt ein (offenbarungs-)theologisches Werturteil dar. Das entspricht ohne Zweifel der (vor allem) deuteronomistisch geprägten Selbstsicht der Mehrzahl alttestamentlicher Texte. Als Generalschlüssel für ein Verständnis der rezeptionsgeschichtlichen Prozesse ist diese Sicht jedoch wenig geeignet. Mit Blick auf die unten in Abschnitt IV. diskutierten griechischen Texte ist zu notieren, dass die philosophiegeschichtliche Debatte um den Stellenwert der ionischen Naturphilosophie und die Ursprünge wissenschaftlichen Denkens durchaus Parallelen aufweist. Das betrifft die zum Teil hitzige Auseinandersetzung um den ‚orientalischen Einfluss‘ auf die ‚Anfänge der Philosophie‘ ebenso wie das gängige Urteil, die Vorsokratiker hätten mit der mythischen Tradition gebrochen und würden so den Übergang vom Mythos zum Logos, dem ‚Proprium‘ griechischen Geistes, markieren. Vgl. dazu M. L. GEMELLI MARCIANO 2007: Die Vorsokratiker, Bd. 1: Thales, Anaximander, Anaximenes, Pythagoras und die Pythagoreer, Xenophanes, Heraklit, Düsseldorf, 373–401.
II. Babylonisches und Antibabylonisches
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Ur-Göttin und Chaosmacht Tiamat behauptet.12 Zur Begründung wird außer auf den Gleichklang der Worte und den gemeinsamen Kontext einer Vorweltschilderung gerne auf den fehlenden Artikel zu תהוםin V. 2 verwiesen. Da תהום seiner Stellung und Singularität entsprechend determiniert sein müsse, könne es sich nur um einen per se determinierten Eigennamen handeln. Wird im Gegensatz zu Gunkel eine polemische Lesart vertreten, dann erwähnen die Verfasser von Genesis 1 für ihre Adressaten deutlich erkennbar die Ur-Göttin und Chaosmacht der mesopotamischen Schöpfungsmythen, um sie auf den Status bloßer Materie zu reduzieren und zugleich die Alleinwirksamkeit und Überlegenheit des Gottes Israels herauszustellen. Gegen die zugrunde liegende Verbindung von תהוםin Gen 1,2 und tiamat sprechen jedoch philologische Gründe. Das hebräische תהוםist anders als sein mutmaßliches Ursprungswort nicht feminin gebildet, und der gegenüber dem akkadischen tiamat überschüssige HLaut in תהוםlässt sich lautgeschichtlich kaum erklären. Nun mag man einwenden, dass es weniger auf eine in etymologischer Hinsicht korrekte Verbindung zwischen תהוםund der Tiamat ankomme und dass stattdessen die bloße Assonanz, etwa mit Blick auf das Motiv vom Scheiden des Wassers in Gen 1,6f und dem Spalten der (wässrigen) Tiamat, als Nachweis einer mythenkritischen Rezeption der mesopotamischen Tradition genüge. Doch sind die motivgeschichtlichen Unterschiede kaum zu übersehen: In Gen 1,2.6f fehlt jede Anspielung auf einen Kampf mit der Chaosmacht, wie er mit der Göttin Tiamat verbunden ist. Zwar könnte man hinter der in V. 2b erwähnten רוחGottes (Luther: „Geist Gottes“) die Tradition der Winde vermuten, welche nach dem babylonischen Marduk-Epos Enuma Elisch dem Schöpfergott Marduk als Waffe gegen seine Gegenspielerin Tiamat gedient haben. Doch selbst dann ginge V. 2b jegliche kämpferische Konnotation ab.13 Als religions- und motivgeschichtliches Ver-
12 Vgl. G UNKEL 1894, 115 und zuletzt A. SCHÜLE 2006a: Der Prolog der hebräischen Bibel. Der literar- und theologiegeschichtliche Diskurs der Urgeschichte (Genesis 1–11), AThANT 86, Zürich, 72. Zur Kritik der These vgl. schon die Reaktion Wellhausens in der 6. Auflage der Prolegomena (J. WELLHAUSEN 1883/1927: Prolegomena zur Geschichte Israels, Berlin [1878 als Geschichte Israels I, 6. Aufl. von 1927, Nachdr. 2001], 297 Anm. 1) sowie in jüngerer Zeit D. TSUMURA 2005: Creation and Destruction. A Reappraisal of the Chaoskampf Theory in the Old Testament, 2. Aufl., Winona Lake/IN. Eine Zusammenfassung der Debatte bei M. BAUKS 1997: Die Welt am Anfang. Zum Verhältnis von Vorwelt und Weltentstehung in Gen 1 und der altorientalischen Literatur, WMANT 74, NeukirchenVluyn, 122–126 (mit weiterer Literatur). 13 Gunkel hat diese Lücke mit großem argumentativen Aufwand durch die Einbeziehung des in den Psalmen durchscheinenden (zumeist ohne Erwähnung der )!תהום, jedoch in einem anderen traditionsgeschichtlichen Hintergrund wurzelnden Mythos vom Chaosdrachenkampf geschlossen. Zum Chaosdrachenkampf vgl. Ps 74,13–15; 89,10–13; 93 sowie Ps 104,5–7 (hier mit )תהום. Zum Motivkomplex und zur Abgrenzung zur Kosmogonie in Gen
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4. Antibabylonische Polemik im priesterlichen Schöpfungsbericht?
gleichsmaterial zu תהוםbieten sich daher andere Traditionen an, so die ägyptische Vorstellung des ruhenden Urmeeres Nun oder die Beschreibung der vorgeschöpflichen Welt mit der Feststellung „alle Länder waren Meer“ in einem mesopotamischen Schöpfungstext.14 Zu dieser Vorstellung passt jedenfalls, dass in den übrigen alttestamentlichen Belegen תהוםeine Art Urquelle bezeichnet, die das Land bewässert und fruchtbar macht (vgl. Ez 31,4.15; Dtn 8,7; Hi 38,30; Ps 78,15) – sei es als unterirdische (Gen 7,11; 8,2; 49,25; Dtn 33,13), sei es als überirdische, besser: überhimmlische Gewässer (vgl. Gen 7,11; 8,2), welche in der raumlosen Vorwelt noch ungeschieden sind. Diese Lesart wird dadurch bestätigt, dass das Wasser ( )המיםin V. 2b durch seine Determination auf die in V. 2a erstmals genannten und daher indeterminierten Wassermassen des Urzustandes ( )תהוםbezogen ist. (2) Für die Formulierung in V. 26 „Da sprach Gott, lasst uns Menschen machen nach unserem Bilde [...]“ hat schon Gunkel herausgestellt, dass der Kohortativ als kommunikativer Plural zu verstehen ist. Im Hintergrund steht die auch andernorts im Alten Testament belegte himmlische Ratsversammlung.15 Diese Vorstellung hat polytheistische Wurzeln, ist aber selbst nicht mehr polytheistisch.16 Den gegen dieses Verständnis des Verses immer wieder vorgebrachten Einwand, dass die Priesterschrift den göttlichen Hofstaat sonst nicht erwähnt,17 wird man nicht überbewerten dürfen. Die Notiz über die Entrückung Henochs (Gen 5,24 P) deutet jedenfalls an, dass die Priesterschrift mehr über die himmlische Welt weiß, als sie berichtet. Wenig überzeugend ist dagegen der Vorschlag, wonach in V. 26 ein kommunikativer Plural vorliegt, der seine
1 vgl. TH. PODELLA 1993: Der „Chaoskampfmythos“ im Alten Testament. Eine Problemanzeige, in: M. Dietrich/O. Loretz (Hg.), Mesopotamica – Ugaritica – Biblica. Festschrift K. Bergerhof, AOAT 232, 283–329. Podella spricht sich dezidiert gegen eine traditionsgeschichtliche Verbindung von Chaos(drachen)kampf und Schöpfung aus. Vgl. ferner den Überblick bei M. BAUKS 2001: „Chaos“ als Metapher für die Gefährdung der Weltordnung, in: B. Janowski/B. Ego (Hg.), Das biblische Weltbild und seine altorientalischen Kontexte, FAT 32, Tübingen, 431–464. 14 Der zum ‚Eridu-Babylon-Typ‘ gehörende neusumerisch/neubabylonische Schöpfungstext CT 13, 35–38 (Übersetzung: TUAT III, 608f) stammt aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. 15 Vgl. Gen 3,22; 11,7; Jes 6 (vgl. insbes. Jes 6,8 mit Pluralsuffix „für uns“); Ez 1–3; 1Kön 22,19–22; Hi 1f; Ps 29,1; 82; 89,8; Dan 4,14; 7,10. 16 So schon richtig G UNKEL 1910/1977, 111. 17 So u.a. C. W ESTERMANN 1974: Genesis 1–11, BK I/1, Neukirchen-Vluyn, 200, der für einen pluralis deliberationis plädiert; W. H. SCHMIDT 1967: Die Schöpfungsgeschichte der Priesterschrift. Zur Überlieferungsgeschichte von Genesis 1,1–2,4a und 2,4b–3,24, WMANT 17, 2. Aufl., Neukirchen-Vluyn, 129f, der einen Kohortativ erkennt, der sich von einer polytheistischen Vorstellung „zu einer bloßen Redeform“ abgewandelt habe; H. SEEBASS 1996: Genesis I. Urgeschichte (1,1–11,26), Neukirchen-Vluyn, 79, der von einem pluralis maiestatis spricht.
II. Babylonisches und Antibabylonisches
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kommunikative Funktion verloren hat. Nach dieser Erklärung ist der pluralische Kohortativ allein den sprachlichen Konventionen mesopotamischer Schöpfungsmythen geschuldet, in denen die Menschenschöpfung zuweilen mit einem Kohortativ des Schöpfergottes oder einer Ankündigung in der Götterversammlung beginnt.18 Die Annahme einer Adaption der Stilfigur ohne Berücksichtigung der kommunikativen Struktur muss an dieser wichtigen Stelle des mit großer Sorgfalt formulierten Schöpfungsberichts folglich mit einer für die Priesterschrift gänzlich ungewohnten Unachtsamkeit rechnen. Andere wiederum unterstellen der Priesterschrift an dieser Stelle einen besonderen Scharfsinn. Sie gehen von einer rein formalen Adaption der sprachlichen Struktur aus, die jedoch nicht ernsthaft pluralisch zu verstehen sei. Danach handelt es sich um eine polemische Spitze gegen die mesopotamischen Mythen. Die pluralische Formulierung nehme die mesopotamischen Mythen auf, doch erscheine im Gegensatz zu diesen die Menschenschöpfung als freier Entschluss des einen Gottes.19 Sieht man einmal von der Frage ab, ob hier den Verfassern und Lesern von Genesis 1 dann nicht doch zu viel Scharfsinn zugetraut wird, so bleibt mit Blick auf das im Zusammenhang mit Genesis 1 gern angeführte Marduk-Epos Enuma Elisch festzustellen, dass der Singular dies auch und besser getan hätte. Dort formuliert Marduk im Beisein der Götter die Selbstaufforderung zur Erschaffung der Menschen in der ersten Person Singular (Ee VI,1–8). (3) Wichtigster Beleg für eine polemische Ausrichtung des priesterlichen Schöpfungsberichts ist indes die Darstellung der Erschaffung der Gestirne in Gen 1,14–19. Zur Begründung werden immer wieder folgende Eigenheiten der priesterlichen Darstellung genannt und den ‚Astralkulten‘ des alten Vorderen Orients gegenübergestellt:20
18 Vgl. H.-P. M ÜLLER 1989: Eine neue babylonische Menschenschöpfungserzählung im Licht keilschriftlicher und biblischer Parallelen. Zur Wirklichkeitsauffassung des Mythos, Or 58, 61–85, 64 mit Anm. 14. 19 Vgl. U. N EUMANN-G ORSOLKE 2004: Herrschen in den Grenzen der Schöpfung. Ein Beitrag zur alttestamentlichen Anthropologie am Beispiel von Psalm 8, Genesis 1 und verwandten Texten, WMANT 101, Neukirchen-Vluyn, 171. Ähnlich, allerdings ohne polemische Abzweckung, MÜLLER 1989, 64, der sich im Anschluss an WESTERMANN 1974, 50f, deswegen für einen Gebrauch der konventionellen Wendung als pluralis deliberationis ausspricht. 20 SCHMIDT 1967, 119f; G. VON R AD 1972: Das erste Buch Mose. Genesis, ATD 2–4 (1949–1953), 9. Aufl., Göttingen (= 12. Aufl. 1987), 35; WESTERMANN 1974, 176f, 180– 186. Für neuere Genesiskommentare vgl. SEEBASS 1996, 74f. Die im Folgenden genannten Argumente finden sich in der wissenschaftlichen (und populärwissenschaftlichen) Literatur in verschiedenen Varianten. Für eine differenzierte Aufnahme des Konsenses vgl. M. ALBANI 1994: Astronomie und Schöpfungsglaube. Untersuchungen zum astronomischen Henochbuch, WMANT 68, Neukirchen-Vluyn, 326–334. Auch für den nicht-priesterlichen
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4. Antibabylonische Polemik im priesterlichen Schöpfungsbericht?
Nach Gen 1,14–19 ist erst am vierten Tag von den Gestirnen die Rede. Aus dieser Reihenfolge wird geschlossen, dass die Priesterschrift das Erschaffensein der Gestirne pointiert herausstellt. Zuweilen wird in diesem Zusammenhang auch die oft notierte Auffälligkeit genannt, wonach die Erschaffung des „Lichts“ und die den Sternen zugewiesene Unterscheidung von Tag und Nacht bereits Gegenstand des ersten Schöpfungstages sind. Dies wird so ausgedeutet, dass der eine Gott den Gestirnen ‚wesenhaft‘ voraus ist, sodass diese nicht selbsttätig sind, sondern unaufhörlich Gottes Werk wiederholen.21 Die ‚kosmische Lichtmacht‘ werde auf den Schöpfergott übertragen und die Bedeutung der Sonne entsprechend relativiert.22 Sodann gilt die Bezeichnung von Sonne und Mond als „Lampen“ weithin als Degradierung der in der Umwelt mächtigen Gestirne, insofern diese auf ihre Funktion beschränkt werden. Im Vergleich mit ‚den‘ Astralkulten des alten Vorderen Orients wird zudem herausgestellt, wie begrenzt diese Funktion ist, da sich ihr ‚Herrschen‘ auf kalendarische Fragen beschränkt und anders als in der Umwelt nicht das Schicksal der Menschen umfasst. Auch seien die Gestirne lediglich ‚Träger des Lichts‘ und nicht das Licht selbst. Schließlich wird angeführt, dass das hebräische ירחgleichermaßen „Mond“ und „Mondgott“23 bezeichnen kann und „ שמשSonne“24 unschwer mit dem im gesamten alten Vorderen Orient verbreiteten gleichnamigen Sonnengott zu
Textanteil der Urgeschichte ist die ‚antibabylonische‘ Lesart ein verbreiteter Interpretationsansatz. So spricht D. M. CARR 1996: Reading the Fractures of Genesis. Historical and Literary Approaches, Louisville/KY, 235–240, 245, für die nicht-priesterliche Urgeschichte von einem „counterwriting of its Mesopotamian counterpart“, was E. OTTO 1999: Brückenschläge in der Pentateucherzählung, ThR 64, 84–99, 91 mit Anm. 21 wiederum eher als eine passende Charakterisierung der priesterlichen Urgeschichte ansieht. Das Paradebeispiel für eine antibabylonische Polemik in den nicht-priesterlichen Texten der Urgeschichte ist natürlich die Turmbauerzählung in Gen 11,1–9, doch ist auch hier Vorsicht angebracht. Vgl. SEEBASS 1996, 278; SCHÜLE 2006a, 411–413 und J. CH. GERTZ 2009b: Babel im Rücken und das Land vor Augen. Anmerkungen zum Abschluß der Urgeschichte und zum Anfang der Erzählungen von den Erzeltern Israels, in: A. C. Hagedorn/H. Pfeiffer (Hg.), Die Erzväter in der biblischen Tradition. Festschrift Matthias Köckert, BZAW 400, Berlin/New York, 9– 34 (in diesem Band Nr. 14). 21 Vgl. H. D. PREUSS 1971: Verspottung fremder Religionen im Alten Testament, BWANT 92, Stuttgart, 180. 22 A LBANI 1994, 329. 23 Vgl. B. B. SCHMIDT 1999: Art. Moon, DDD 2, 585–593. 24 Vgl. E. LIPIŃSKI 1999: Art. Shemesh, DDD 2, 764–768 sowie B. JANOWSKI 1999: JHWH und der Sonnengott. Aspekte der Solarisierung JHWHs in vorexilischer Zeit, in: ders., Die rettende Gerechtigkeit. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 2, Neukirchen-Vluyn, 192–219.
III. Degradierte Astralgötter?
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identifizieren ist. Der Verfasser von Genesis 1 habe diese Bezeichnungen vermieden und spreche nur von den beiden „großen Lichtern“, um sie ihrer Göttlichkeit zu berauben.
III. Degradierte Astralgötter? Es ist kaum zu bestreiten, dass sich die Eigenheiten der priesterlichen Darstellung der Erschaffung der Gestirne für eine Polemik ausschlachten lassen. Das zeigen beispielhaft die Auslegung von Gen 1,14–27 in Dtn 4,16b–19a und die üblichen Paraphrasen des vierten Schöpfungstages in der exegetischen Literatur. Dtn 4,16b–19a ist zweifellos ein scharfzüngiger Text. Doch der erstmals von M. Fishbane herausgearbeitete „polemical use“ von Genesis 125 lebt von der Verbindung des priesterlichen Schöpfungsberichts mit dem Fremdgötterund Bilderverbot. Genauer: Der Text des Deuteronomiums schärft das Bilderverbot ein, das in seinem Bezugstext (noch) keine Rolle spielt. In diesem Kontext gerät auch die Verehrung der Gestirne innerhalb ‚Israels‘ in den Blick. Schärfe gewinnt die Polemik dadurch, dass Sonne, Mond und Sterne wie die Kriechtiere und Fische begrifflich identifiziert werden. Wie auch sonst scheut sich die deuteronomistisch geprägte Ausschließlichkeitsrhetorik gerade nicht, die Dinge beim Namen zu nennen. Entsprechend hat für die Abwehr der Astralkulte auch eher ein Text wie Dtn 17,3 Pate gestanden. Was die exegetische Literatur anbelangt, so verfallen die Paraphrasen von Gen 1,14–19 häufig in einen polemischen Ton, der dem priesterlichen Schöpfungsbericht selbst gänzlich fremd ist. Die Gestirne werden „degradiert“ und „depotenziert“, oder sie rangieren im Ablauf der Schöpfungswoche „unter ferner liefen“, noch „nach dem Gemüse“26. Von solchen Äußerungen unterscheidet sich der biblische Text recht deutlich. Die Darstellung der Erschaffung der Gestirne ist neben derjenigen der Menschen der ausführlichste und komplexeste Abschnitt des priesterlichen Schöpfungsberichts. Hinzu kommt, dass
Vgl. M. FISHBANE 1972: Varia Deuteronomica, ZAW 84, 348–352, 349; ferner E. OTTO 2000: Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch. Studien zur Literaturgeschichte von Pentateuch und Hexateuch im Lichte des Deuteronomiumrahmens, FAT 30, Tübingen, 168f. Der Bezug von Dtn 4,19a auf Genesis 1,14f ist im Gegensatz zur Exegese von Gen 1,20–27 in Dtn 4,16b–18 weniger deutlich und allein inhaltlichen Verbindungen und dem argumentativen Gefälle in Dtn 4 zu entnehmen. Die Formulierung stammt im Kern aus Dtn 17,3 und nicht aus Gen 1,14–19. Zu den Differenzen zwischen Gen 1 und Dtn 4 vgl. auch N. MACDONALD 2003: Deuteronomy and the Meaning of ‚Monotheism‘, FAT II/1, Tübingen, 196ff. 26 PREUSS 1971, 183. 25
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4. Antibabylonische Polemik im priesterlichen Schöpfungsbericht?
der vierte Schöpfungstag im Zentrum der Schöpfungswoche steht. Beide Beobachtungen sprechen nicht für eine Marginalisierung dieses Schöpfungswerkes.27 Vielmehr unterstreichen sie seine zentrale Bedeutung für das Hauptanliegen des priesterlichen Schöpfungsberichts, nämlich die Souveränität und Universalität des einen Schöpfergottes herauszustellen. Dass Souveränität und Universalität des Schöpfergottes sich gerade in der Erschaffung der Gestirne erweisen, ist eine Annahme, die P mit dem etwa zeitgenössischen Deuterojesajabuch teilt. Ein Blick auf Jes 40–48* lässt die Eigenart des priesterlichen Schöpfungsberichts in Formulierung, Abzweckung und Tonlage deutlicher hervortreten. Jes 40–48* ist kontroverstheologisch angelegt.28 Charakteristisch hierfür ist die Rezeption von Aussagen der MardukTheologie, die in gesteigerter Gestalt für JHWH in Anspruch genommen und gegen Marduk in Stellung gebracht werden. In der Theologie des Enuma Elisch ist Marduks Macht über die Gestirne das entscheidende Kriterium für seinen Aufstieg zum höchsten Gott. Nach Ee IV, 19–24 verlangen die Götter ihrem designierten König Marduk als Nachweis seiner Autorität und Befähigung zur Königsherrschaft ab, dass auf seinen Befehl hin ein Sternzeichen verschwindet und wieder erscheint. Wie der Kontext deutlich macht, steht hinter diesem Machterweis nichts weniger als die totale Befehlsgewalt über die Götter, insofern Marduk willfährige Götter verschonen und widerspenstige vernichten kann (Ee IV, 17f). Die Kehrseite von Marduks Macht über die Gestirne, die er als Standorte und Abbilder für die großen Götter errichtet (Ee V, 1–46), ist die Subordination der Götter zu „Sternenschafen“ (Ee VII, 130f) und die Reduktion der Gestirne auf ihre kalendarische Funktion. Beides zeigt sich besonders deutlich am Beispiel des Mondgottes Sîn, der von Marduk „erschaffen“ oder „sichtbar gemacht“29 und in dessen Schöpfungsordnung eingegliedert wird (Ee V, 12–22). In der Auseinandersetzung Deuterojesajas mit der Marduk-Theologie und der Ausbildung seiner eigenen Gotteskonzeption spielen diese Vorstellungen und das in ihnen sichtbare schöpfungstheologische Konzept eine zentrale Rolle, wobei die Rezeption alle Spielarten umfasst von der einfachen Übertragung auf JHWH, der Überbietung Marduks und der Radikalisierung der
27 Skeptisch: O. H. STECK 1991: Aufbauprobleme in der Priesterschrift, in: D. R. Daniels/U. Gleßmer/M. Rösel (Hg.), Ernten, was man sät. Festschrift K. Koch, NeukirchenVluyn, 287–308. 28 Zum Folgenden vgl. M. A LBANI 2000: Der eine Gott und die Heerscharen. Zur Begründung des Monotheismus bei Deuterojesaja im Horizont der Astralisierung des Gottesverständnisses im Alten Orient, Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 1, Leipzig. 29 Zur Übersetzung vom (w)apû(m) im Š-Stamm in Ee V, 12 vgl. AHw III, 1460. Nach Lamberts Übersetzung (TUAT III, 588) „erschuf“ Marduk den Mondgott. W. HOROWITZ 1998: Mesopotamian Cosmic Geography, Mesopotamian Civilizations 8, Winona Lake/IN, 116, gibt die Stelle textgemäßer mit „he [...] made the moon appear“ wieder. Vgl. ALBANI 2000, 68 mit Anm. 265.
III. Degradierte Astralgötter?
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theologischen Aussagen bis hin zur scharfen Kritik an der Marduk-Theologie. Letzteres gilt insbesondere für die mantischen Implikationen einer astrologisch fundierten Omenwissenschaft, die in einen scharfen Kontrast zur JHWH-Prophetie gesetzt wird (Jes 44,25; 47,9–13). Die Überbietung Marduks folgt häufig einer reinen Steigerungsrhetorik (Jes 40,12–17).30 Kommt es zu inhaltlichen Verschiebungen und einer Radikalisierung der Marduk-Theologie, dann verdankt sich dies der Deuterojesaja in der Tradition vorgegebenen Ausschließlichkeitsforderung JHWHs. Ihretwegen muss und darf Deuterojesaja anders als die Marduk-Theologie keinerlei Rücksicht auf die Göttlichkeit der Gestirne nehmen. Kann Deuterojesaja mit Blick auf den Sternenhimmel die rhetorische Frage stellen, wer dies geschaffen hat (Jes 40,26), so scheint sich die Schöpfermacht Marduks auf den himmlischen Raum zu beschränken, in dem er den Göttern und ihren Abbildern, den Sternen, ihren Ort zuweist (Ee V, 1f). Wie das schon genannte Beispiel des Mondgottes zeigt, sind die Unterschiede jedoch eher graduell (Ee V, 12–22). Mit Blick auf die Erschaffung der Gestirne bleibt festzuhalten: Für Deuterojesaja bietet die in der Marduk-Theologie nicht aufgegebene, sondern konzeptionell integrierte Göttlichkeit der Gestirne31 sicher einen willkommenen Angriffspunkt in der Auseinandersetzung mit Marduk. Im Vordergrund steht jedoch die Frage, wer der souveräne Schöpfergott und Weltenlenker ist. Es geht nicht um Sonne, Mond und Sterne, sondern um Marduk oder JHWH.32 Im priesterlichen Schöpfungsbericht werden die Souveränität und Universalität des einen Schöpfergottes in Einzelzügen wie der Schöpfung durch das Wort oder die Betonung der Alleinwirksamkeit Gottes herausgestellt. Für die Priesterschrift gibt es keinen Zweifel, dass der eine Schöpfergott mit JHWH zu identifizieren ist. Insofern schließt Genesis 1 wie Deuterojesaja den gleichlautenden Anspruch anderer Götter aus. Das kann man als Polemik bezeichnen.
30 Vgl. A LBANI 2000, 130 zum Vergleich von Jes 40,12–17 und dem Marduk-Hymnus DT 109. 31 In diesem Zusammenhang ist auf die oft beschriebene Gleichsetzungstheologie hinzuweisen, die auf eine inkludierende Identifikation der Götter in der Gestalt des Marduk hinausläuft. Vgl. Ee VI, 119f, ferner ALBANI 2000, 49ff mit weiterer Literatur. 32 Die Polemik gegen die Astralkulte beziehungsweise die Auseinandersetzung um die Astralisierung der JHWH-Religion gehört religionsgeschichtlich ohnehin eher in die ausgehende Königszeit. Dies legen jedenfalls die Konfliktlinien des Dtn und – soweit erkennbar – die Reform des Josia nahe. Vgl. dazu CH. UEHLINGER 1995: Gab es eine joschijanische Kultreform? Plädoyer für ein begründetes Minimum, in: W. Groß (Hg.), Jeremia und die „deuteronomistische Bewegung“, BBB 98, 57–89. In der alttestamentlichen Babel-Polemik spielt das Motiv eine nachgeordnete Rolle (vgl. Jer 50f). Grundtenor ist hier die Rache für die Untaten Babylons an Jerusalem und die Selbstüberhebung des von JHWH eingesetzten Werkzeugs. Geht es um Polemik gegen den babylonischen Kult, stehen die Götterbilder und -symbole im Vordergrund, was freilich mittelbar auch die Gestirne betrifft (vgl. Jer 50,38: Land von Götzenbildern).
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4. Antibabylonische Polemik im priesterlichen Schöpfungsbericht?
Sinnvoll ist das nicht, da die Aussage von Souveränität und Universalität des einen Schöpfergottes anders als bei Deuterojesaja nicht im argumentativen Gegenüber konkurrierender Ansprüche entfaltet wird. Gerade weil Genesis 1 gänzlich unpolemisch ist, braucht P weder die These noch die Antithese zu markieren und kann sogar darauf verzichten, den lediglich mit dem Gattungsbegriff „ אלהיםGott“ oder „Götterwesen“ bezeichneten Schöpfergott explizit mit JHWH zu identifizieren. Aus diesen Gründen wird man die Bezeichnung von Sonne und Mond als „große Leuchten“ nicht als Polemik werten dürfen. Es bleibt unbestritten, dass durch die gewählte Terminologie die auch im Alten Testament weithin spürbare religiöse Konnotation von ( שמשSonne) und ( ירחMond) – in Gen 1,16 scheint sie in der Herrschaftsaussage ziemlich ungefiltert durch – zurücktritt. Vermutlich war dies sogar ein gewünschter Nebeneffekt des ganz auf die Souveränität des einen Schöpfergottes zielenden Schöpfungsberichts. Doch ist die Vermeidung religiöser Konnotationen nicht das Kernanliegen der Formulierung. Die Bezeichnung von Sonne und Mond als „große Lichter“, die in ägyptischen und mesopotamischen Texten durchaus geläufig ist,33 ist vielmehr der Subsumierung der Schöpfungswerke unter Oberbegriffe oder Gattungsnamen geschuldet. So handelt der fünfte Tag davon, wie die Meere und der Raum zwischen Himmel und Erde belebt werden. Selbstredend wussten die Verfasser wie die Adressaten von Genesis 1, dass im Meer unter anderem Fische leben (vgl. Gen 1,26). Doch werden genauere Bezeichnungen gemieden, und niemand hat hierin bislang eine Polemik vermutet. Stattdessen wird eine Art biologische Systematik eingeführt, die zwischen Stamm, Gattung und Art zu unterscheiden weiß. Dabei differenziert P für die Tiere des Meeres zwischen den „lebenden Wesen, die sich regen, von denen das Wasser wimmelt, nach ihren Arten“ und den großen Seeschlangen. Offenkundig gehören Luthers berühmte „Walfische“ einer anderen Gattung an, sind aber lebende Wesen ( )נפש חיהwie die anderen Meerestiere und wie die Tiere auf dem Land und in der Luft (vgl. Gen 1,20.21.24.30). Die vermeintliche Polemik in der Nichtverwendung der Begriffe ‚Sonne und Mond‘ geht folglich auf das Bemühen des Verfassers zurück, die Schöpfung zu klassifizieren. Im Unterschied zum hymnischen Schöpferlob in den Psalmen (vgl. Ps 8,4; 19,5; 74,16; 104,19; 136,7–9) handelt es
33 Vgl. den unten bei Anm. 39 genannten Text KAR 307 (SAAS 3: 39 32). Dieser Text entwickelt wie Genesis 1 eine eher architektonische Sicht des Himmels. Dass sich die Beschreibung als „Leuchte“ und die göttliche Stellung der Gestirne nicht ausschließen, belegt die Anrufung des Sîn, dem Mondgott der nordsyrischen Stadt Harran, durch den assyrischen König Assurbanipal (668–626 v. Chr.): „Für Sîn, die Leuchte des Himmels [und der Erde] / der bedeckt ist mit der Herrschermütze der Himmelsgöttlichkeit / der bestimmt Tag, Monat und Jahr / der die Schlingen des Fein[des] sehen lässt / der das Gericht vollzieht, die Bestimmung der Göt[ter] entscheidet [...]“ (E. G. PERRY 1907: Hymnen und Gebete an Sin, Leipzig, 29, Z. 1–5).
IV. Priesterliche Wissenschaftsprosa
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sich um Wissenschaftsprosa. Der Hymnus preist den Gott JHWH als den, „der große Lichter gemacht hat, [...] die Sonne, den Tag zu regieren, [...] den Mond und die Sterne, die Nacht zu regieren“ (Ps 136,7–9*). Die Wissenschaftsprosa dekliniert dagegen ihre Systematik durch:34 Die Leuchten ( )מארתan der Feste des Himmels, das sind die großen Lichter ( )המארת הגדליםund die Sterne; bei den großen Lichtern ist wiederum zu unterscheiden zwischen dem größeren Licht ( )המאור הגדלund dem kleineren Licht ()המאור הקטן, deren unterschiedliche Funktionsbereiche die Unterscheidung von Tag und Nacht und die kalendarische Einteilung garantieren (Gen 1,14–19).
IV. Priesterliche Wissenschaftsprosa im Kontext des ostmediterran-nahöstlichen Kulturraums Mit Blick auf das Interesse des priesterlichen Schöpfungsberichts, die einzelnen Schöpfungswerke zu klassifizieren, ist immer wieder auf die ionische Naturphilosophie verwiesen worden. Welche Perspektive sich damit für Genesis 1 eröffnet, lässt bereits William F. Albright erahnen: P’s mind was an enlightened product of the sixth century B.C.; we must consider his worldview in connection with the philosophy of contemporary Ionia, and of other cultured lands of the eastern Mediterranean.35
In der Tat bieten die leider nur fragmentarisch und über Dritte überlieferten Kosmogonien des Anaximander von Milet (ca. 610–546 v. Chr.) und des Anaximenes von Milet (ca. 580–528 v. Chr.) eine mögliche Analogie für die Rezeptionsprozesse, die dem etwas jüngeren Schöpfungsbericht in Genesis 1 zugrunde gelegen haben können. Vor allem Walter Burkert hat in den letzten Jahren verschiedentlich darauf hingewiesen, dass die Kontakte und Übernahmen zwischen Griechenland und dem alten Vorderen Orient nicht nur die traditionelle Weisheit und Mythologie berührt haben,36 sondern auch den Bereich, der gemeinhin als der spezifisch
Vgl. bereits WELLHAUSEN 1883/1927, 296f. W. F. ALBRIGHT 1924: Contributions to Biblical Archaeology and Philology, JBL 43, 363–393, 369. Der Hinweis auf Thales findet sich auch schon bei WELLHAUSEN 1883/1927, 297. 36 Für eine ausführliche Diskussion und Bestandsaufnahme vgl. M. L. W EST 1997: The East Face of Helicon. West Asiatic Elements in Greek Poetry and Myth, Oxford. Zum (vorwiegend) archäologischen Befund vgl. J. BOARDMAN 1981: Kolonien und Handel der Griechen. Vom späten 9. bis zum 6. Jahrhundert v. Chr., aus dem Englischen von K.-E. und G. Felten, München (= DERS. 1980: The Greeks Overseas. Their Early Colonies and Trade, 3. Aufl., Oxford), für einen Überblick zum Kulturkontakt zwischen Mesopotamien und der 34 35
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4. Antibabylonische Polemik im priesterlichen Schöpfungsbericht?
naturphilosophische Neuansatz der Vorsokratiker bezeichnet wird.37 Hauptbeleg für diese These sind wiederholt notierte Berührungen zwischen der Kosmogonie der beiden Milesier mit neuassyrischen Notizen und spekulativen Weiterführungen zu klassischen Texten mythischen und wissenschaftlichen Inhalts. Diese Texte wurden erstmals von Alasdair Livingstone als Textgruppe eigener Art zusammengestellt, deren Interesse es gewesen sei „to find ways of making existing theology accord more precisely with the facts of the natural world“38. In diesem Interesse gleichen sie nach Burkert den Vorsokratikern, die neue naturkundliche Einsichten in das Gerüst ihrer mythischen Tradition eintrugen und so mythologische Vorstellungen mit der Alltagserfahrung vermittelten. Besonders interessant ist in dieser Hinsicht ein um 650 v. Chr. von einem Beschwörungspriester namens Kiṣir-Aššur geschriebener kosmologischer Kommentar zum Enuma Elisch.39 Unter dem Titel „Geheimnis der Großen Götter“ wird hier im Anschluss und Weiterdenken der mythischen Tradition die Struktur einer naturkundlich wahrgenommenen Welt entworfen, was sich im Übrigen immer auch als Depotenzierung der alten Hauptgötter lesen lässt. Danach existieren drei Schichten des irdischen Bereichs: die feste Erde, auf der die Menschen leben, darunter eine (Grund-)Wasserschicht mit dem Wassergott Ea, wie sie sich aus den Gegebenheiten Mesopotamiens nahelegt, und eine Unterwelt. Den drei irdischen Schichten korrespondieren drei jeweils durch eine feste Platte voneinander getrennte Stockwerke des Himmels.40 Der
Ägäis vgl. ferner ST. DALLEY/A. T. REYES 1998: Mesopotamian Contact and Influence in the Greek World. 1. To the Persian Conquest. 2. Persia, Alexander and Rome, in: ST. Dalley (Hg.), The Legacy of Mesopotamia, Oxford, 85–124. 37 Vgl. W. B URKERT 1994: Orientalische und griechische Weltmodelle von Assur bis Anaximandros, WSt 107, 179–186; DERS. 2003: Die Griechen und der Orient. Von Homer bis zu Magiern, München, bes. Kap. III. Ostwestliche Weisheitsliteratur und Kosmogonie: Zur Vorgeschichte der Philosophie. Vgl. ferner U. HÖLSCHER 1968: Anaximander und der Anfang der Philosophie, in: ders., Anfängliches Fragen. Studien zur frühen griechischen Philosophie, Göttingen, 9–89; M. L. WEST 1971: Early Greek Philosophy and the Orient, Oxford, bes. 76–110. 38 A. LIVINGSTONE 1986: Mystical and Mythological Explanatory Works of Assyrian and Babylonian Scholars, Oxford, 71. 39 KAR 307. Transliteration und Übersetzung in A. LIVINGSTONE 1989: Court Poetry and Literary Miscellanea, State Archives of Assyria 3, Helsinki, 99–102 (im Folgenden: SAAS 3). Zum Verständnis des Textes vgl. W. HOROWITZ 1998: Geography, 3–19 und passim; ferner LIVINGSTONE 1986, 78–91. Für eine Einführung in die keilschriftliche Kommentarliteratur vgl. E. FRAHM 2009: Origins of Interpretation. An Introduction to Babylonian and Assyrian Text Commentaries, Guides to the Mesopotamian Textual Records, Münster. Vgl. aaO Kap. 8 zur Bibliothek der Familie des Kiṣir-Aššur. 40 Für eine graphische Darstellung vgl. LIVINGSTONE 1986, 81.
IV. Priesterliche Wissenschaftsprosa
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obere Himmel ist der Sitz von Anu, dem klassischen Himmelsgott mesopotamischer Tradition, und der 300 himmlischen Götter. Der mittlere Himmel besteht aus strahlendem Stein und ist der Thron des allein regierenden BelMarduk. Dieser mittlere Himmel ist wohl als Sitz des Sonnenlichts vorgestellt, zu dem es heißt, „Bel-Marduk saß darin [...] und ließ eine Lampe (buṣinnu) aus Elektrum leuchten“41. Am unteren, von der Erde aus sichtbaren Himmel hat Bel-Marduk die Gestirne der Götter, die Fixsterne, eingezeichnet. Letzteres impliziert, dass sich die Sterne nicht unabhängig bewegen können und die Bewegung der Gestirne von der Rotation des Himmels herrührt.42 Fortgeführt wird die Beschreibung durch astronomische Berechnungen über die Himmelsausdehnungen. Ohne die Sprache der Schöpfungsmythen aufzugeben, strebt die Darstellung über den erzählenden Mythos hinaus, insofern sie allein an der bestehenden Struktur der Welt interessiert ist. Auf eine ähnliche Weise werden im folgenden Abschnitt des Textes die mythologische Vorgabe des zu kommentierenden Textes und die naturkundliche Betrachtung spekulativ verknüpft, wenn etwa Körperteile der Tiamat mit geographischen Begebenheiten identifiziert werden und eine am Kampf zwischen Marduk und Tiamat orientierte Ätiologie geographischer und zoologischer Sachverhalte entwickelt wird.43 Die von Burkert angeführten Ähnlichkeiten mit den ‚milesischen Philosophen‘ in der Beschreibung des Kosmos und im Sachanliegen sind bemerkenswert,44 zumal sie der griechischen Tradition überwiegend fremd waren: Anaximenes nahm einen eisartigen und kristallenen Himmel an, in dem die Sterne wie Nägel im kristallenen Himmel angebracht sind oder wie feurige Blätter als Bilder am Himmel hängen.45 Hieraus folgt, dass die Gestirne sich nicht unter der Erde hindurch bewegen, sondern „um die Erde herum, wie sich der Filzhut
SAAS 3: 39 32. Zur Diskussion vgl. HOROWITZ 1998, 12f. Vgl. HOROWITZ 1998, 15. 43 SAAS 3: 39 r1–19. Eher konventionell ist die Verknüpfung von kultischer und mythischer Ebene durch die Benennung des Königs mit dem Namen einer Gottheit mit Blick auf eine bestimmte kultische Handlung im darauffolgenden Abschnitt. Vgl. SAAS 3: 39 r20–21 und dazu B. PONGRATZ-LEISTEN 1994: INA ŠULMI ĪRUB. Die kulttopographische und ideologische Programmatik der akītu-Prozession in Babylonien und Assyrien im 1. Jahrtausend v. Chr., Baghdader Forschungen 16, Mainz, 87f. Ein weiteres Gebiet der ‚neuen‘ Wahrnehmung der Natur ist die Medizin. Auch hier gibt es strukturelle Ähnlichkeiten zu griechischprachigen Texten. Vgl. N. P. HEEßEL 2005: Stein, Pflanze und Holz. Ein neuer Text zur ‚medizinischen Astrologie’, Or 74, 1–22, bes. 20–22. 44 Textausgaben: H. D IELS/W. K RANZ 1966: Die Fragmente der Vorsokratiker I, 12. Aufl., Zürich (im Folgenden: DK); GEMELLI MARCIANO 2007. 45 DK 13 A 14. 41 42
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4. Antibabylonische Polemik im priesterlichen Schöpfungsbericht?
um unseren Kopf herumdreht“46. Der Kartograph Anaximander,47 der den im Orient vertrauten, im Griechischen hingegen ungewöhnlichen Plural für Himmel „οὐρανοί“ verwendete,48 kannte ebenfalls einen dreistöckigen Himmel, verband diese Vorstellung aber mit verschiedenen Kategorien von Gestirnen.49 Genau genommen handelt es sich um drei Räder wachsenden Umfangs, die als Sonne, Mond und Sterne erscheinen, sobald durch Löcher das Feuerlicht hinter der untersten Himmelsschicht durchdringt.50 Am weitesten von der Erde entfernt ist nach Anaximander die Sonne, es folgen der Mond und die Sterne.51 Wie in dem neuassyrischen Text verbinden sich damit Vermessungen des Himmels.52 Die zugrunde liegenden Berechnungen weisen wie die von Anaximander angeblich erstmals in Griechenland installierte Sonnenuhr53 oder die Einteilung des Tages auf zwölf Stunden54 nach Babylon, wo sie eine lange Vorgeschichte haben.55
46 DK 13 A 7. Vgl. für die Sonne, die nur wegen der hohen Regionen im Norden des Nachts nicht zu sehen ist, DK 13 A 14. 47 An dieser Stelle darf ein Hinweis auf die konzeptionelle Nähe der Anaximander zugeschriebenen Geographie zu der aus dem ausgehenden 8. Jahrhundert v. Chr. stammenden ‚Babylonischen Weltkarte‘ nicht fehlen. Vgl. HOROWITZ 1998, 20–42. 48 DK 12 A 9. 49 DK 12 A 18: Ἀναχίμανδρος καὶ Μητρόδωρος ὁ Χῖος καὶ Κράτης ἀνωτάτω μὲν πάντων τὸν ἥλιον τετάχθαι, μετ`αὐτὸν δὲ τὴν σελήνην, ὑπὸ δὲ αὐτους τὰ ἀπλανῆ τῶν ἄστρων καὶ τοὺς πλάνητας („Anaximander, Metrodoros von Chios und Krates haben an die oberste Stelle aller Gestirne die Sonne gesetzt, ihr folge der Mond, unter ihnen stünden Fixsterne und Planeten.“ Text und Übersetzung nach GEMELLI MARCIANO 2007, 43). 50 DK 12 A 11: Τὰ δὲ ἄστρα γίνεσθαι κύκλον πυρός ἀποκριθέντα τοῦ κατὰ τὸν κόσμον πυρός, περιληφθέντα δ`ὑπὸ ἀέρος. ἐκπνοὰς δ`ὑπάρξαι πόρους τινὰς αὐλώδεις, καθ`οὓς φαίνεται τὰ ἄστρα. διὸ καὶ ἐπιφρασσομένων τῶν ἐκπνοῶν τὰς ἐκλείψεις γίνεσθαι („Die Gestirne entstünden als Feuerkreis, der sich aus dem kosmischen Feuer abgesondert hat und von der Luft eingeschlossen worden ist. [An den Gestirnen] gebe es als Ausblaselöcher gewisse röhrenartige Durchgänge, an welchen diese sichtbar seien; deshalb entstünden auch die Finsternisse, wenn die Ausblaselöcher verstopft würden.“ Text und Übersetzung nach GEMELLI MARCIANO 2007, 43); vgl. DK 12 A 10; DK 12 A 21 (Sonne); DK 12 A 22 (Mond). 51 Vgl. DK 12 A 18. Nach Anaximenes ist nicht die Sonne am weitesten von der Erde entfernt, sondern die Sterne, da sie fühlbar nichts zur Erwärmung der Erde beitragen. Vgl. DK 13 A 7. 52 DK 12 A 19: [...] Ἀναξιμάνδρου πρώτου τὸν περὶ μεγεθῶν καὶ ἀποστημάτων λόγον εὑρηκότος, ὡς Εὔδημος ἱστορεῖ („[...] Indem Anaximander als Erster die Rede über die Größen und die Abstände [der himmlischen Körper] ersonnen hat, wie Eudemos berichtet.“ Text und Übersetzung nach GEMELLI MARCIANO 2007, 43). Vgl. DK 12 A 21; DK 12 A 22. 53 DK 12 A 1. Dass die Sonnenuhr von den Babyloniern zu den Griechen gelangt ist, weiß Herodot zu berichten (Hdt. 2,109). 54 Hdt. 2,109. 55 D. L. C OUPRIE 2003: The Discovery of Space. Anaximander’s Astronomy, in: ders. /R. Hahn/G. Naddaf, Anaximander in Context. New Studies in the Origins of Greek Philosophy, Albany/NY, 167–254, 168f u.ö. verneint jeden babylonischen Einfluss auf Anaximanders
IV. Priesterliche Wissenschaftsprosa
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Nun wird der neuassyrische Text in seinem Kolophon gekennzeichnet als ein „Geheimnis der großen Götter. Der Wissende soll es dem Wissenden zeigen, der Unwissende darf es nicht sehen. Tabu der großen Götter“56. Es handelt sich also um einen esoterischen Text, zudem auf Akkadisch geschrieben und daher wie auch das Enuma Elisch für einen Ionier aller Wahrscheinlichkeit nach unzugänglich. Dies führt zur Überlegung, inwieweit Anaximander und Anaximenes einerseits und der assyrische Beschwörungspriester andererseits Teil einer Koiné des ostmediterran-nahöstlichen Kulturraumes gewesen sind, in dem sich seit dem 7. Jahrhundert v. Chr. eine maßgeblich von Mesopotamien inspirierte neue Art der Naturkunde etabliert hat. In dieses Bild fügen sich dann auch die Konvergenzen der milesischen Philosophen zu fast zeitgleichen Texten des Alten Testaments. So erinnert der eisartige und kristallene Himmel des Anaximenes an die Beschreibung der Himmelsfeste in Ez 1 (V. 22) und Ex 24 (V. 10) sowie in späterer Zeit bei Jesus Sirach (vgl. Sir 43,1). Das Anbringen der Gestirne an der Himmelsfeste gleicht wiederum Genesis 1, wo die Himmelsfeste mehrfach genannt (V. 6.7.8.14.15.17.20), jedoch nicht beschrieben wird. Die Himmelsräder des Anaximander wecken Assoziationen mit der Konstruktion des Thronwagens in Ez 1 (V. 22), wobei der dort beschriebene Thron (vgl. Ez 10,1) wiederum dem von Bernsteinglanz umstrahlten, innerhimmlischen Lapislazuli-Thron Marduks in dem genannten neuassyrischen Text ähnelt.57 Vielleicht lässt sich auch die Verteilung der Erschaffung des Lichts und der Gestirne auf den ersten und vierten Schöpfungstag in Anlehnung an Anaximander so erklären, dass das Licht eine Art feinstoffliche, feuerartige Materie ist, die sich nach der Scheidung von der Finsternis oberhalb des Himmelsozeans befindet (vgl. Gen 1,5) und durch die Gestirne auf die Erde scheint.58
„speculative astronomy“ mit dem Argument, dass sich die Dreidimensionalität des Himmels bei Anaximander grundlegend von der zweidimensionalen babylonischen Sicht unterscheide. Der oben genannte Kommentar zum Enuma Elisch belegt das Gegenteil. 56 SAAS 3: 39 r26–27. 57 Mit Blick auf Ez 1 und Ex 24,10 hat sich Friedhelm Hartenstein dafür ausgesprochen, dass es sich um eine Aufnahme des bislang nur in KAR 307 belegten kosmologischen Konzepts „eines gestuften Himmels zusammen mit der im Himmelsinnern thronenden Gestalt des Welten- und Götterkönigs“ handelt. Vgl. F. HARTENSTEIN 2001: Wolkendunkel und Himmelsfeste. Zur Genese und Kosmologie der Vorstellung des himmlischen Heiligtums JHWHs, in: B. Janowski/B. Ego (Hg.), Das biblische Weltbild und seine altorientalischen Kontexte, FAT 32, Tübingen, 125–179, 142–152 (Zitat ebd.). Zum Vergleich von Ez 1,22.26–28; 10,1 und Ex 24,10 mit KAR 307 vgl. ferner HOROWITZ 1998, 9, 11. 58 Vgl. B. H ALPERN 2003: The Assyrian Astronomy of Genesis 1 and the Birth of Milesian Philosophy, Eretz-Israel 27, 74–83. Freilich spricht die Abfolge von V. 16 (Gott „machte die Leuchten“) und V. 17 („Gott befestige die Leuchten an der Feste / setzte sie in den Himmel“) eher für die Annahme, dass es sich um Himmelskörper handelt und nicht um eingesetzte Lichtluken. Eine schöne Parallele für die biblische Schöpfungschronologie bietet der allerdings nur schlecht erhaltene sumerische Text „Vor der Schöpfung“ aus der Ur III-
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4. Antibabylonische Polemik im priesterlichen Schöpfungsbericht?
Die wichtigste Gemeinsamkeit ist jedoch eine neue Geisteshaltung, in der die mythische Tradition und die Anfänge einer als naturkundlich-technisch zu bezeichnenden Weltsicht zu einem Weltbild verbunden werden, das gleichermaßen mythologisch wie naturkundlich ‚exakt‘ ist.59 Für Genesis 1 sei nur an die herausgehobene Verwendung des Schöpfungsverbs בראerinnert.60 Von allen Verben, die im Alten Testament für das Schöpfungshandeln Gottes benutzt werden, hat es den höchsten Grad theologischer Abstraktion. Ausschließlich Gott vorbehalten, ohne Analogie im handwerklichen Gebrauch und nie mit einer Materialangabe verbunden, enthebt das Verb das Schöpfungshandeln jeder Vorstellbarkeit. Daneben redet der Schöpfungsbericht in Genesis 1 aber auch ganz traditionell vom „Machen Gottes“ oder vom „Hervorsprossenlassen der Erde“, da er auf bildliche Vorstellungen zurückgreifen muss, will er Gottes Schöpfungshandeln beschreiben. Die vom priesterlichen Verfasser von Genesis 1 mit dem Schöpfungsverb בראeingeführte Abstraktion wird also nicht konsequent durchgehalten, vielmehr ist sie in das Gerüst traditioneller Vorstellungen eingetragen. Bei Anaximander und dem Verfasser von Genesis 1 hat die neue Geisteshaltung zudem mit der Wissenschaftsprosa eine neue Ausdrucksform gefunden. Das Werk des Anaximander gilt als das erste griechische Buch in Prosa,61 und auch der priesterliche Verfasser von Genesis 1 hat für seine Form des Schöpfungsberichts innerhalb des Alten Testaments keine klassischen Vorbilder.62 Fragen wir abschließend nach den äußeren Bedingungen der vermuteten Rezeptionsprozesse, so ist für die Milesier die Ausrichtung an den Wissenschaftskulturen Mesopotamiens und auch Ägyptens schon aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Kontakte Milets im 7. und 6. Jahrhundert v. Chr. naheliegend. Auch hat die babylonische Wissenschaft zu dieser Zeit Weltgeltung besessen. Für die Jerusalemer Priesterschaft und ihre Nachkommen dürfte sich die Lage kaum anders dargestellt haben, auch wenn die Weltgeltung babylonischer Wissenschaft alttestamentlich nur in Gestalt ihrer polemischen Abwertung überliefert ist (Jes 47,13).
Zeit (ca. 2100–2000 v. Chr.): Zunächst herrschte Finsternis, dann wurden Himmel und Erde getrennt. Während der Himmel bereits erleuchtet war, brachte die noch in der Dunkelheit liegende Erde Pflanzen hervor (NBC 11108. Zeile 9 „earth, bringing forth plant life did not glow on its own“. Textrekonstruktion und Übersetzung nach HOROWITZ 1998, 138f). 59 So schon W ELLHAUSEN 1883/1927, 297 über Genesis 1 und Thales und seine Nachfolger. 60 Das Verb findet sich in der Über- und Unterschrift des Schöpfungsberichts (Gen 1,1; Gen 2,3) und bei der Erschaffung der ersten Lebewesen (Gen 1,21) und des Menschen (1,27). 61 DK 12 A 7. Anaximenes scheint seinem Vorgänger hierin gefolgt zu sein. Vgl. DK 13 A 1. 62 Das gilt mutatis mutandis auch dann, wenn Genesis 1 ein Tatbericht aus priesterlicher Tradition zugrunde gelegen haben sollte.
IV. Priesterliche Wissenschaftsprosa
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Wann genau der wissenschaftliche Kontakt begonnen hat, darüber lässt sich nur spekulieren. Mit Ausnahme der Sintfluterzählungen sind uns die Übernahmen eher in Stoffen und Motiven erhalten.63 Deren Mischung mit Stoffen anderer Traditionskreise spricht, wie schon Gunkel erkannt hat, für einen längeren Prozess. Mit dem Hinweis auf das neuassyrisch bestimmte 8. und 7. Jahrhundert v. Chr. wird man für die Anfänge in Juda und Jerusalem sicher nicht falsch liegen. Sollten die Verfasser der Priesterschrift unter den Exulanten in Babylon zu suchen sein, so wird diese Situation ein Übriges bewirkt haben. Wie dem auch sei, der priesterliche Verfasser von Genesis 1 war wie die ionischen Naturphilosophen oder die assyrischen Beschwörungspriester Teil einer scientific community, die ihre wesentlichen Anregungen aus der Natur- und Himmelskunde Mesopotamiens erhalten hat. Die Besonderheiten und Leistungen der jeweiligen Weltentwürfe werden mit dieser Einschätzung nicht bestritten. Im Gegenteil: In Griechenland hat die Teilhabe an der neuen Geisteshaltung zur Vorstellung einer in sich abgeschlossenen autonomen Natur geführt. Die Priesterschrift hat dagegen den Gedanken des transzendenten, souveränen und universellen Schöpfergottes am naturkundlichen Material herausgestellt. Zur Entzauberung der Natur haben damit beide auf ihre Weise einen wesentlichen Beitrag geleistet.
Vgl. J. CH. GERTZ 2007b: Noah und die Propheten. Rezeption und Reformulierung eines altorientalischen Mythos, DVfLG 81, 503–522 (in diesem Band Nr. 10). 63
5. Von Adam zu Enosch Überlegungen zur Entstehungsgeschichte von Genesis 2–4 I. Einführung Der erste Dialog zwischen Gott und Mensch, von dem die biblische Überlieferung zu berichten weiß, findet sich in der Paradieserzählung in Gen 2–3 und steht bekanntlich unter keinem guten Vorzeichen. Sein Ergebnis lässt sich auf die Grundeinsicht religiöser Selbstdeutung zuspitzen und lautet schlicht: Der Mensch ist Mensch, und nicht Gott. In jüngerer Zeit mehren sich Stimmen, welche die Formulierung dieser Grundeinsicht und die Wahrnehmung der darin ausgedrückten Ambivalenz menschlicher Existenz in die weit fortgeschrittene Literaturgeschichte des antiken Israel einordnen und in der Paradieserzählung mitunter einen Text erblicken, der im Horizont des priesterschriftlichen Schöpfungsberichts zu lesen ist. Natürlich ist innerhalb dieser Neubewertung zu differenzieren: Teils wird die Paradieserzählung im Anschluss an die überlieferungsgeschichtlichen Arbeiten von W. H. Schmidt und O. H. Steck als literarisch einheitlich beurteilt,1 gilt im Gegensatz hierzu jedoch als Ergänzung des priesterschriftlichen Schöpfungsberichts.2 Andere sprechen sich für eine
1 W. H. SCHMIDT 1967: Die Schöpfungsgeschichte der Priesterschrift. Zur Überlieferungsgeschichte von Genesis 1,1–2,4a und 2,4b–3,24, WMANT 17, 2. Aufl., NeukirchenVluyn, 194–229; O. H. STECK 1982: Die Paradieserzählung. Eine Auslegung von Genesis 2,4b–3,24 (1970), in: ders., Wahrnehmungen Gottes im Alten Testament, GesSt, TB 70, München, 9–116. Für die literarische und überlieferungsgeschichtliche Einheitlichkeit vgl. E. KUTSCH 1986: Die Paradieserzählung Gen 2–3 und ihr Verfasser (1977), in: ders., Kleine Schriften zum AT, BZAW 168, Berlin/New York, 274–289. 2 Vgl. J. B LENKINSOPP 1992: The Pentateuch. An Introduction to the First Five Books of the Bible, London, 54ff; DERS. 2002: A Post-exilic lay source in Genesis 1–11, in: J. Ch. Gertz/K. Schmid/M. Witte (Hg.), Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion, BZAW 315, 2002, 49–61; E. OTTO 1996a: Die Paradieserzählung Genesis 2–3: Eine nachpriesterschriftliche Lehrerzählung in ihrem religionshistorischen Kontext, in: A. A. Diesel u.a. (Hg.), „Jedes Ding hat seine Zeit ...“ Studien zur israelitischen und altorientalischen Weisheit. Festschrift D. Michel, BZAW 241, Berlin/New
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5. Von Adam zu Enosch
redaktionsgeschichtliche Schichtung innerhalb der Paradieserzählung aus. Sie unterscheiden eine ältere Anthropogonie, die in Übereinstimmung mit dem seit J. Wellhausen bestehenden Konsens in der Zuordnung der beiden Schöpfungstexte in Gen 1 und Gen 2f als vorpriesterschriftlich beurteilt wird, und ihre sündentheologische Bearbeitung durch einen wesentlich jüngeren Redaktor.3 Die Sympathie des Jubilars für den skizzierten redaktionsgeschichtlichen Vorschlag ist ebenso bekannt4 wie seine Forderung, eigene Überzeugungen immer wieder neu zur Diskussion zu stellen. Das ist Anlass genug, die entstehungsgeschichtlichen Grundannahmen der geschilderten Neuansätze zu überprüfen.5 Da Gen 4 in der Diskussion um die Genese der Paradieserzählung eine wichtige Rolle spielt, ist dieser Text mitzubedenken. Vorangestellt sei, dass methodische Puristen in der Analyse von Gen 2–4 kaum auf ihre Kosten kommen werden. Schon die Tatsache, dass sich in der biblischen Urgeschichte deutlich ein priesterschriftliches und ein nicht-priesterschriftliches Textstratum voneinander abheben lassen, spricht gegen eine kategorische Ablehnung redaktionsgeschichtlicher Überlegungen. Andererseits ist die breite Rezeption verschiedener altorientalischer Motive in Gen 2–4 mit den Händen zu greifen.
York, 167–192. Etwas anders K. SCHMID 2002: Die Unteilbarkeit der Weisheit. Überlegungen zur sogenannten Paradieserzählung Gen 2f und ihrer theologischen Tendenz, ZAW 114, 21–39, der ebenfalls die weitgehende Einheitlichkeit der Paradieserzählung und ihre spätweisheitliche Verfasserschaft betont, das redaktionsgeschichtliche Verhältnis zu Gen 1 jedoch unbestimmt lässt. 3 Wegweisend: C H. LEVIN 1993: Der Jahwist, FRLANT 157, Göttingen, 82–102 im Rückgriff auf entsprechende überlieferungsgeschichtliche Differenzierungen bei P. HUMBERT 1940: Études sur le récit du paradis et de la chute dans la Genèse, MUN 14, Neufchâtel. Zu der im Detail dann wieder sehr unterschiedlich verlaufenden Rezeption dieses Vorschlags vgl. R. G. KRATZ 2000: Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments, Göttingen, 254–256; für eine spätweisheitliche Prägung der Redaktion vgl. M. WITTE 1998: Die biblische Urgeschichte. Redaktions- und theologiegeschichtliche Beobachtungen zu Genesis 1,1–11,26, BZAW 265, Berlin/New York; H. SPIECKERMANN 2000: Ambivalenzen. Ermöglichte und verwirklichte Schöpfung in Gen 2f, in: A. Graupner u.a. (Hg.), Verbindungslinien. Festschrift W. H. Schmidt, Neukirchen-Vluyn, 363–376. Eine „antiweisheitlich“ überarbeitete „Early Creation Narrative” in 2,4b–24* erkennt D. M. CARR 1993: The Politics of Textual Subversion. A Diachronic Perspective on the Garden of Eden Story, JBL 112, 577–595. 4 Vgl. O. K AISER 2003: Der Gott des Alten Testaments. Theologie des Alten Testaments. Teil 3: Jahwes Gerechtigkeit, Göttingen, 66–70 u.ö. 5 Vgl. bereits H. PFEIFFER 2000: Der Baum in der Mitte des Gartens. Zum überlieferungsgeschichtlichen Ursprung der Paradieserzählung (Gen 2,4b–3,24), ZAW 112, 487–500 (Part I) und (2001) ZAW 113, 2–16 (Part II) sowie E. BLUM 2004: Von Gottesunmittelbarkeit zu Gottähnlichkeit. Überlegungen zur theologischen Anthropologie der Paradieserzählung, in: G. Eberhardt/K. Liess (Hg.), Gottes Nähe im Alten Testament, SBS 202, Stuttgart, 9–29. E. Blum hat mir sein Manuskript freundlicherweise schon vor der Veröffentlichung zur Verfügung gestellt.
II. Die redaktionelle Verbindung mit dem priesterschriftlichen Textstratum
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Es ist also nachgerade das Natürliche, wenn sich vermeintliche oder echte Störungen der Kohärenz des Textes auch darauf zurückführen lassen, dass seine Verfasser vor einem traditionell geprägten Hintergrund formulierten und formulieren mussten, in dem die verschiedenen Stoffe bereits in Verbindung mit bestimmten Vorstellungsgehalten und Ausdrucksformen vorgelegen haben.
II. Die redaktionelle Verbindung mit dem priesterschriftlichen Textstratum Im vorliegenden Textzusammenhang wird die Paradieserzählung in Gen 2,4a mit einer Toledotformel eröffnet, dem vielleicht auffälligsten Gliederungsmerkmal innerhalb der Genesis. Es kann an dieser Stelle zunächst offen bleiben, ob die Formel in 2,4a ursprünglich für einen anderen literarischen Kontext verfasst worden ist. Angesichts ihrer übrigen Belege ist es jedenfalls ausgeschlossen, dass sie im vorliegenden Kontext eine andere Funktion gehabt hat als die einer Überschrift der nachfolgenden Erzählung.6 Dabei knüpft sie wie in anderen Fällen summarisch an den vorangegangenen Text an.7 Dies geschieht durch das nomen rectum der Toledotformel („der Himmel und der Erde“) und die davon abhängige temporale Näherbestimmung („als sie geschaffen wurden“). Beide greifen unverkennbar den Inhalt von 1,1–2,3 auf und lehnen sich in der Formulierung eng an 1,1 an. Bemerkenswert ist die unmittelbare Abfolge der temporalen Näherbestimmung in 2,4a und des Auftakts von V. 4b, der ebenfalls einen zeitlichen Aspekt hat und abermals die Erschaffung von „Erde und Himmel“ anspricht. Im Kontext der nachholenden Vergegenwärtigung des bereits in Gen 1 berichteten Geschehens wird dies so zu verstehen sein, dass der vorliegende Textzusammenhang von 2,4 einen Übergang von der Weltschöpfung in Gen 1 zur Paradieserzählung in Gen 2f gestaltet, der durch die Wiederholung der Zeitangaben eine Fermate im Geschehensablauf setzt. Auf diese Weise wird das Folgende als Explikation des zuvor grundsätzlich schon berichteten Schöpfungsgeschehens gekennzeichnet. Die Reichweite der mit 2,4a gesetzten Überschrift ergibt sich aus der nächsten Erwähnung der Toledotformel in 5,1f. Der mit 2,4a eröffnete Abschnitt umfasst demnach die Generationen des ersten Menschenpaares (2,4b–3,24) und ihrer ersten Nachkommen, Kain, Abel und Set sowie deren Kinder (4,1–
6 Vgl. in jüngerer Zeit D. M. C ARR 1998: Βίβλος γενέσεως Revisited: A Synchronic Analysis of Patterns in Genesis as Part of the Torah, ZAW 110, 159–172 und 327–347, hier 164f; WITTE 1998, 56. Die Toledotformel begegnet sonst stets als Überschrift (5,1; 6,9; 10,1; 11,10.27; 25,12.19; 36,1.9; 37,2; Num 3,1; Ruth 4,18; 1Chr 1,29), auch hat der erste Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3 in 2,3 ein eigenes, mit 1,1 korrespondierendes Summarium. 7 Vgl. C ARR 1998, 163f und die dort genannten Beispiele.
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5. Von Adam zu Enosch
26). Auf den ersten Blick überrascht diese Abgrenzung. Nach den sonst obwaltenden Regeln wären die Toledot Adams vor 4,1 zu erwarten, da bereits hier die Geschichte der Nachkommen Adams einsetzt. Sicherlich ist die jetzige Position von 5,1f in erster Linie dadurch bedingt, dass der vorliegende Textzusammenhang redaktionell ist und die verantwortliche Redaktion an vorgegebene Textabläufe gebunden war. Gleichwohl weist die vorliegende Anordnung eine in sich stimmige Konzeption auf.8 Der Schlüssel zu ihrem Verständnis liegt wiederum darin, dass die als Überschrift fungierende Toledotformel in Gen 5,1f auf das unmittelbar vorangehende Geschehen zurückblickt. Zwar greift die Toledotformel selbst auf die Erschaffung des Menschen nach 1,26f zurück, doch die folgenden Notizen über Set und Enosch haben ihre Entsprechung im Schlussabschnitt von Gen 4 (vgl. 5,3 mit 4,25 und 5,6 mit 4,26). Somit knüpfen im vorliegenden Textzusammenhang die bis zu Noah reichenden Toledot Adams in Gen 5 direkt an die Abstammungslinie Adam – Set – Enosch in 4,25f an, womit sich folgendes Gesamtbild der Abstammungslinien der Söhne des ersten Menschenpaares ergibt: Die Kainiten werden durch die Gewalttat Kains und die unverhohlene Gewaltbereitschaft Lamechs negativ gekennzeichnet. Ihre Abstammungslinie in 4,17–24 wird im vorliegenden Textzusammenhang nicht fortgeführt. Stattdessen wird in 4,25 mit Set, dem als Ersatz für den erschlagenen Abel geborenen dritten Sohn Adams, eine neue Linie eröffnet. Sie ist allein schon durch das Fehlen von Gewalt positiv charakterisiert. Fügen sich nun die Toledot Adams in 5,1ff in die Abstammungslinie Adam – Set – Enosch in 4,25f ein, so stellen sie ungeachtet der bekannten Überschneidungen mit 4,17–24 eine Genealogie dar, welche die Kainiten nicht mehr einschließt. Noah, der Held der Sintflut, ist demnach kein Nachkomme des Brudermörders Kain. Er steht vielmehr in der Nachkommenschaft des Set, der den Platz Abels einnimmt, dessen Opfer JHWH-Gott angesehen hatte (4,4), und des Enosch, zu dessen Zeit die Verehrung JHWHs einsetzt (4,26). Dieses Verständnis der Toledot Adams, bei der es sich literarhistorisch geurteilt um eine Parallelversion zu 4,17–24.25–26 handelt,9 ergibt sich allein aus der Abfolge von 4,25f und 5,1ff. Ermöglicht wird es durch eine unterschiedliche Schreibweise und Reihenfolge bei einigen Namen und das Fehlen einer Brudermorderzählung in Gen 5. Nun ist es eine alte und gut begründete Erkenntnis, dass sich die Einordnung von 2,4b–4,26 in die Abfolge der Toledotformeln der redaktionellen Zusam-
8 Vgl. dazu auch B. JACOB 1934/2000: Das erste Buch der Tora Genesis, Berlin (Nachdr., Das Buch Genesis, hg. in Zusammenarbeit mit dem Leo-Baeck-Institut, Stuttgart 2000), 150ff; TH. HIEKE 2003: Die Genealogien der Genesis, HBS 39, Freiburg i.Br. u.a., 80ff. 9 Grundlegend: PH. C. B UTTMANN 1828: Mythologus oder gesammelte Abhandlungen über die Sagen des Alterthums I, Berlin, 171. Eine Synopse bieten u.a. JACOB 1934/2000, 167; C. WESTERMANN 1974: Genesis I, BK I/1, Neukirchen-Vluyn, 472f.
II. Die redaktionelle Verbindung mit dem priesterschriftlichen Textstratum
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menstellung des priesterschriftlichen und des nicht-priesterschriftlichen Bestandes verdankt. Für ein genaueres Verstehen dieses Prozesses entscheidet sich sehr viel an der redaktionsgeschichtlichen Bewertung von 2,4. Hier spricht eine Reihe von Gründen für die alte These, wonach es sich um ein redaktionelles Produkt handelt und nicht um eine ursprüngliche literarische Einheit.10 Von den sprachlich-terminologischen Differenzen der inhaltlich nahezu identischen Halbverse zur Erschaffung des Himmels und der Erde fällt besonders die fehlende Determination dieser beiden Größen in V. 4b im Unterschied zu V. 4a auf. Ließe sich ihre umgekehrte Reihenfolge noch als chiastische Aufnahme von V. 4a in V. 4b erklären und könnte man den Wechsel von der passivischen Konstruktion in V. 4a zur aktivischen in V. 4b und die unterschiedlichen Schöpfungsverben בראin V. 4a und עשׂהin V. 4b noch als stilistische Variation bewerten,11 so ist dies für die fehlende Determination in V. 4b schlicht ausgeschlossen.12 Sodann steht die als Überschrift zu verstehende Toledotformel – unbeschadet der Sinnhaftigkeit des vorliegenden Textzusammenhangs – in inhaltlicher und funktionaler Konkurrenz zu der sehr komplexen Überschrift der Paradieserzählung in V. 4b–7, deren Struktur sich im Anschluss an die Analyse von Ch. Dohmen wie folgt beschreiben lässt:13 V. 4b ist eine überschriftartige Exposition, deren Wortfolge als temporaler Nebensatz zu verstehen ist, dessen Hauptsatz („da geschah Folgendes“) unterdrückt ist (Aposiopese; vgl. GK § 167a). Von dieser Überschrift ist die Vorweltschilderung in V. 5f und die mit V. 7 einsetzende Handlung syntaktisch nicht zu trennen, da V. 4b von dem syndetischen Anschluss der sogenannten Noch-Nicht-Aussagen vorausgesetzt wird.14 Erweist sich V. 4b–7 somit als syntaktisch selbständige und in sich ge-
10 Vgl. statt vieler W ITTE 1998, 55f; PFEIFFER 2000, 495. Für die literarische Einheitlichkeit von 2,4 hat sich im Anschluss an T. STORDALEN 1992: Genesis 2,4. Restudying a locus classicus, ZAW 104, 163–177, zuletzt und mit Nachdruck OTTO 1996a, 185–188, ausgesprochen. 11 Vgl. G. J. W ENHAM 1987: Genesis 1–15, Word Biblical Commentary I, 2. Aufl., Dallas/TX, 46; STORDALEN 1992, 174f; OTTO 1996a, 187. 12 Vgl. W ITTE 1998, 55f; PFEIFFER 2000, 495 mit Anm. 34: Der indeterminierte Gebrauch von „Erde und Himmel“ in Ps 148,13 ist kein Gegenargument, da es sich um keinen Beleg für den Wechsel von der determinierten zur indeterminierten Rede innerhalb einer syntaktischen Einheit handelt. Anders: STORDALEN 1992, 175; OTTO 1996a, 187. 13 C H. D OHMEN 1988: Schöpfung und Tod. Die Entfaltung theologischer und anthropologischer Konzeptionen in Gen 2/3, SBB 17, Stuttgart, 37ff. 14 Anders diejenigen, die V. 4b für redaktionell halten, dann aber den Fortfall des ursprünglichen Anfangs der Erzählung postulieren müssen. So zuletzt SPIECKERMANN 2000, 365. Ein wesentlicher Grund für die Ausscheidung von V. 4b dürfte sein, dass der Vers auf einen größeren Zusammenhang blickt als der jeweils rekonstruierte Grundbestand der Paradieserzählung. Vgl. WITTE 1998, 158.
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5. Von Adam zu Enosch
schlossene Einheit,15 so wird man auch nicht mit dem Hinweis auf die Toledotformel in 5,1 und Num 3,1 behaupten können, dass V. 4a ein originärer Bestandteil dieser Einheit gewesen ist.16 Die für die literarische Einheitlichkeit von Gen 2,4 angeführte Gemeinsamkeit der drei Belege besteht darin, dass auf die Toledotformel jeweils eine mit ביוםeingeleitete Wendung folgt. Doch gerade an diesem Punkt unterscheidet sich 2,4 von 5,1 und Num 3,1 in charakteristischer Weise. In 2,4 ist der Zusammenhang nämlich unterbrochen, und zwar durch die von der Toledotformel abhängige temporale Näherbestimmung „( בהבראםals sie geschaffen wurden“), die ihrerseits in Konkurrenz zu V. 4b steht. Schließlich wird man den weiteren literarischen Kontext bedenken müssen. Für die Toledotformel verweist er anerkanntermaßen auf das priesterschriftliche Schrifttum, während für 2,4b–7 schwerlich von einer Prägung durch priesterschriftliche Phraseologie gesprochen werden kann. Gen 2,4a und 2,4b gehen folglich mit der in diesen Dingen möglichen Gewissheit nicht auf einen Verfasser zurück. Auch lässt sich 2,4bff schon wegen der fehlenden Determination von „Erde und Himmel“ nicht als Fortschreibung zu 2,4a bewerten. Andererseits ist es gut möglich, dass ein von Gen 1 herkommender Redaktor die dort übliche Determination der beiden Größen (vgl. 1,1.15.17.20.26.28.30; 2,1) für seine Formulierung von V. 4a beibehalten hat. Handelt es sich demnach bei V. 4b–7 eindeutig um den Anfang einer ehedem selbständigen Erzählung, so wird man für V. 4a eine redaktionelle Herkunft nicht ausschließen dürfen. Immerhin ist der redaktionelle Zusammenhang von V. 4a und V. 4b ungeachtet der aufgezeigten Spannungen recht stimmig. So oder so ist innerhalb einer priesterschriftlichen Urgeschichte eine direkte Abfolge von 2,4a und 5,1 schon wegen der Funktion der Toledotformeln als Überschrift unmöglich. Gen 2,4a verdankt also zumindest seine Position einem redaktionellen Eingriff. Dass aber die Toledotformel von 2,4a innerhalb einer selbständigen Priesterschrift ursprünglich vor 1,1 gestanden hat, ist nur schwer plausibel zu machen:17 Gen 1,1–2 ist eine vollgültige Einleitung zum ersten Schöpfungsbericht, die programmatisch mit einem Mottovers überschrieben ist. Zudem ist die singuläre Rede vom „Buch der Toledot“ in 5,1 im Unterschied zum üblichen „Dies sind die Toledot“ ein starkes Indiz für die Annahme, dass innerhalb der priesterschriftlichen Urgeschichte die Reihe der Toledot ursprünglich mit Adam in 5,1 eröffnet wurde und der unmittelbar vorausgehende Schöpfungsbericht wie im vorliegenden Textzusammenhang einen
15 Die Ausscheidung von V. 6 und damit der für die Formung des Menschen aus dem Ackerboden notwendigen Feuchtigkeit verbietet sich aus sachlogischen Gründen, zur Bewertung von „ עפרStaub“ in V. 7 als redaktionell siehe unten unter IV. 16 So STORDALEN 1992, 171ff; O TTO 1996a, 187. 17 Für die ‚klassische‘ Hypothese einer Umstellung von V. 4a durch die Endredaktion hat sich zuletzt WITTE 1998, 55 mit Anm. 14 (Lit.), ausgesprochen; für die hier vertretene Erklärung vgl. aus der Wolke der Zeugen nur CARR 1998, 169.
II. Die redaktionelle Verbindung mit dem priesterschriftlichen Textstratum
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Prolog zur Geschichte der Toledot Israels darstellt. Gen 2,4a ist demnach ein rein redaktionelles Gebilde, das den ursprünglichen Auftakt der Paradieserzählung in 2,4b zum Übergang vom ersten Schöpfungsbericht zur Erzählung vom Ergehen des ersten Menschenpaares und ihrer Nachkommen umgestaltet. Redaktionsgeschichtlich gesprochen: Gen 2,4a verdankt sich der Verbindung des priesterschriftlichen und des mit 2,4b einsetzenden nicht-priesterschriftlichen Textbestandes der Urgeschichte. Diese Feststellung gilt auch dann, wenn P nicht – wie hier unterstellt – als ehedem selbständiges Literaturwerk anzusehen wäre. Freilich darf in diesem Zusammenhang an die sachlichen Differenzen zwischen Gen 1 und 2,4bff in der Darstellung der Erschaffung des Menschen und seiner Umwelt erinnert werden. Im vorliegenden Textzusammenhang erzeugen sie inhaltliche Spannungen, die sich gerade auch auf Nebenzüge erstrecken und im Ganzen nicht so wirken, als seien sie von einer Bearbeitung aus Nachlässigkeit oder mit einer bestimmten Intention formuliert worden. Wesentlich plausibler ist die Annahme, dass es sich bei den priesterschriftlichen und den nichtpriesterschriftlichen Passagen im Kernbestand um ehedem selbständige literarische Einheiten gehandelt hat, deren Zusammenfügung zu Spannungen geführt hat, die von den verantwortlichen Redaktoren aus übergeordnetem Interesse billigend in Kauf genommen worden sind. Dass sich der redaktionelle Übergang in 2,4a nicht gänzlich in die Reihe der mit 5,1 einsetzenden Toledotformeln fügt, spricht nach der hier vorgelegten Analyse im Übrigen ebenfalls gegen die Beschreibung des priesterschriftlichen Textbestandes als Ergänzungsschicht. 18
Dass zwischen 4,26 und 5,1 eine literarische Naht verläuft, ist weithin anerkannt. Zu deutlich geben sich die Genealogien in Gen 4 und 5 als Parallelen zu erkennen. Hinzu kommt der Rückverweis von 5,1f auf die Erschaffung des Menschen in 1,26f, die einem anderen literarischen Kontext angehört als die Paradieserzählung in Gen 2f, von der wiederum Gen 4 nicht zu trennen ist. Lässt der vorliegende Textzusammenhang von Gen 4f dennoch eine in sich stimmige Konzeption erkennen, so mögen die im vorliegenden Textzusammenhang bestehenden Rückbezüge von Gen 5 auf 4,25f prima facie dafür sprechen, in 4,25f analog zu 2,4a einen redaktionellen Übergang zu sehen.19 Hinzu kommen Abweichungen von 4,25 gegenüber den Geburtsnotizen in 4,1–2. Diese erklären sich jedoch im Wesentlichen aus dem Kontext von Gen 4, der die Abstammungslinie Adam – Set – Enosch als Gegenentwurf zu den Kainiten in V.17ff präsentiert. Parallel zu V. 17 kann am Beginn der Abstammungslinie nur der Eigenname des Vaters ( ;אדםV. 25) stehen, und nicht mehr wie in der gemeinsamen Vorgeschichte beider Linien die Gattungsbezeichnung (;האדם V. 1). Auch die Nichterwähnung des Namens der Frau verdankt sich der Paral-
18 Für den ausführlichen Nachweis einer ehedem selbständigen Priesterschrift vgl. für die Urgeschichte aus jüngerer Zeit WITTE 1998, 119ff und passim. 19 W ITTE 1998, 62ff mit Anm. 49 (Lit.).
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5. Von Adam zu Enosch
lelbildung zu V. 17. Schließlich ist die unterschiedliche Stimmung in der Begründung des Namens vom selbstbewussten „Ich habe hervorgebracht mit JHWHs Hilfe“ zum bescheidenen „Gott hat gegeben“ dem Erzählfortschritt geschuldet: Nach der Brudermorderzählung bleibt nur noch die demütige Bezeichnung des Kindes als Geschenk Gottes. Dass dabei statt JHWH (vgl. V. 1) die Bezeichnung Elohim/Gott gewählt ist, erklärt sich hinreichend mit der folgenden Notiz, wonach die Anrufung des JHWH-Namens erst eine Generation später einsetzt (V. 26). Stärker als die Unterschiede sind demnach die Gemeinsamkeiten zwischen den Geburtsnotizen in 4,1.17.25 zu gewichten. Hierzu zählt vor allem der innerhalb alttestamentlicher Genealogien nur in 4,1.17.25 belegte Gebrauch von „ ידעerkennen“ für sexuellen Umgang. Seine Verwendung hebt die Zeugungen des ersten Menschenpaares sowie die selbstverschuldet abgebrochene Linie der Kainiten und den Neuanfang mit der Zeugung Sets von den übrigen Generationen ab und stellt sie in ein komplexes Beziehungsgeflecht. Es ist also nicht erst die Redaktion des vorliegenden Textzusammenhangs gewesen, die nach dem Brudermord mit Set eine neue Abstammungslinie beginnen lässt. Vielmehr konnte sie hier auf die ältere Konzeption von Gen 4 aufbauen, freilich mit einem Unterschied: Die neu begründete Abstammungslinie wird in ihrem ursprünglichen Kontext schwerlich ins Leere gelaufen sein. Man wird daher annehmen müssen, dass nach der nicht-priesterschriftlichen Konzeption nicht Lamech, sondern Enosch der Vater Noahs gewesen ist.20 Der Setit Noah und der Kainit Lamech wären dann als Typ und Antityp der letzten Generation vor der Flut zu verstehen, was durch die namentliche Nennung von jeweils drei Söhnen (vgl. 4,20–22a; 9,18) und den starken Gegensatz von Lamechlied und Benennung Noahs (vgl. 4,23f; 5,29*)21 unterstrichen wird.
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So auch LEVIN 1993, 99, wenn auch unter anderem redaktionsgeschichtlichem Vorzei-
chen. 21 Vorausgesetzt, in 5,29* haben sich Reste des nicht-priesterschriftlichen Erzählfadens erhalten. So etwa LEVIN 1993, 99; vgl. aber auch WITTE 1998, 207ff. Gen 5,29 müsste dann ursprünglich ein Ausspruch des Enosch gewesen sein. Dass Enosch an dieser Stelle im Zuge der Zusammenführung des nicht-priesterschriftlichen Textes mit der priesterschriftlichen Genealogie ersatzlos gestrichen wurde, erklärt sich mit den natürlichen Grenzen, an die selbst die höchst kreative ‚innerbiblische‘ Exegese alttestamentlicher Redaktoren stößt: Nach Gen 5 und nach dem vorliegenden Textzusammenhang ist nun einmal Lamech (der Nachkomme Sets!) der Vater Noahs. Kaum noch beantworten lässt sich die weitergehende Frage, ob P die ältere Reihenfolge innerhalb der Genealogie der Kainiten/Setiten bewahrt hat. In diesem Fall müsste eine gemeinsame Vorlage der Genealogie in Gen 4 und 5 postuliert werden, die in Gen 4 aus konzeptionellen Gründen geändert worden wäre. Dass im Zuge dessen in 4,22 aus einem vierten Sohn des Kainiten Lamech, Noah, eine Schwester, Naama, geworden ist ( אחי תובל קין נחstatt ;אחות תובל קין נעמהvgl. WITTE 1998, 155, 176f mit Anm. 108), bleibt gelehrte Spekulation und nimmt der Urgeschichte ihre erste namentlich genannte (und zudem anmutige) Tochter.
III. Schöpfung und Fall
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Die Einbindung von 2,4b–4,26 in die Abfolge der Toledotformeln und die Formulierung von 2,4a verdanken sich der Zusammenführung des priesterschriftlichen und des nicht-priesterschriftlichen Textbestandes der Urgeschichte. Das gleiche gilt für die Ergänzung des Tetragramms zur Gottesbezeichnung JHWH-Gott, sowie die Wendungen נפש חיהin 2,7b.19b sowie לכל הבהמה ו/ מin 2,20 und 3,14.22 Mit Blick auf den hier zu untersuchenden Textbereich ist schließlich hervorzuheben, dass die Notwendigkeit eines redaktionellen Übergangs und der inhaltlich und syntaktisch in sich geschlossene Erzählungsbeginn in 2,4b–7 mit wünschenswerter Eindeutigkeit zeigen, dass die Paradieserzählung und ihr ursprünglicher Kontext nicht als Ergänzung zu einer priesterschriftlichen Urgeschichte konzipiert worden sind. Es handelt sich vielmehr um den Bestandteil eines ehedem selbständigen Literaturwerks, dessen Verbindung mit den priesterschriftlichen Texten redaktioneller Natur ist.
III. Schöpfung und Fall Die nicht-priesterschriftliche Paradieserzählung vereinigt in sich eine Vielzahl assoziationsreicher Motive, ihre Disposition ist dennoch wünschenswert klar. Nach der Überschrift in 2,4b folgt in V. 5 eine Reihe von Noch-Nicht-Aussagen, deren Schwergewicht auf dem letzten Glied liegt: Es gab noch keinen Menschen ( ;אדםV. 5bβ), den Ackerboden ( )אדמהzu bestellen (V. 5bγ). Nach den Regeln (nicht nur) der althebräischen Erzählkunst wird man erwarten dürfen, dass am Ende genau dieser Zustand aufgehoben ist, wobei die Erzählung die begründende Herleitung für die Herkunft und das Gewiesensein des Menschen ( )אדםan den Ackerboden ( )אדמהliefert. Und in der Tat stellt 3,23 fest, dass der inzwischen erschaffene Mensch auszieht, den Ackerboden zu bestellen.23 Damit endet die Paradieserzählung, die jedoch mit der Feststellung des Auszugs und der vorangehenden Bezeichnung der Frau als Mutter aller Lebendigen für eine Fortsetzung offen ist. Diese findet sich dann im folgenden Kapitel, das im deutlichen Rückgriff auf die Paradieserzählung von den Nachkommen des ersten Menschenpaares handelt. Das letzte Glied der Noch-Nicht-Aussagen in 2,5 gibt darüber hinaus auch die Binnengliederung der Paradieserzählung in die beiden Teile ‚Schöpfung und Fall‘ vor: Zunächst geht es um die Erschaffung des Menschen (V. 5bβ:
Für den Nachweis vgl. WITTE 1998, 57–61, 86f. Damit erübrigen sich Vorschläge, 3,23 dem Grundbestand einer mit 2,4b–5(.6) einsetzenden Paradieserzählung abzusprechen. Anders CARR 1993, 584f; KRATZ 2000, 254f. Wieder anders LEVIN 1993, 82ff, der den für die Erzählung schlicht konstitutiven engen Zusammenhang von Mensch, Tier und Ackerboden insgesamt für redaktionell hält. 22 23
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5. Von Adam zu Enosch
2,7–24[.25]) und dann um die Genese seiner Bestimmung zur Feldarbeit (V. 5bγ: 3,1–24). Zwar ist diese Bestimmung des Menschen ( )אדםin dem Verweis auf den Ackerboden ( )אדמהbereits vor seiner Erschaffung etymologisch (V. 5bβγ) und bei seiner Erschaffung stofflich (V. 7aα) angedeutet, doch wird die Feldarbeit erst im Anschluss an den Fall explizit angesprochen (3,17– 19a.23).24 Die Ausführungen zur Erschaffung des Menschen und seiner (bäuerlichen) Umwelt setzen mit der Formung des einen Menschen aus dem Ackerboden ein (2,7) und führen über mancherlei Umwege zur Erschaffung der Frau (2,21f). Erst mit ihr ist der Mensch komplett (vgl. 2,18). Entsprechend endet der erste Teil der Paradieserzählung mit dem Jubelruf des Mannes über diesen erfolgreichen Abschluss der Menschenschöpfung (2,23) und einem ätiologischen Ausgriff auf das Verhältnis von Mann und Frau (2,24). Der Beginn des zweiten Teils der Paradieserzählung, der Schilderung vom Fall und seinen Folgen, wird durch die betonte und ausführliche Einführung der Schlange markiert (3,1). Ihr Auftreten eröffnet einen Handlungsbogen, der bis zur Verfluchung des Ackers um des Menschen willen reicht. Am Ende stehen die Ankündigung der Rückkehr des Menschen zum Ackerboden nach einem harten und arbeitsreichen Leben (3,19) sowie seine umgehende Entlassung aus dem Garten zur Feldarbeit (3,23). Mit dieser gegenläufigen Aufnahme der Wesensbestimmung und der stofflichen Herkunft des Menschen aus 2,5.7 schließt der zweite Teil der Paradieserzählung. Die Paradieserzählung gliedert sich demnach deutlich in die beiden Teile Schöpfung und Fall, die jedoch miteinander verbunden sind. Insbesondere die Notiz über die unschuldige Nacktheit des ersten Menschenpaares in 2,25 bereitet einen Übergang von der Schöpfung zum Fall. So kündigt sich im Wortklang des Stichworts „ ערוֹםnackt“ die unmittelbar folgende Charakterisierung der Schlange als „ ערוּםlistig“ an, wie sie ihrerseits in dem folgenschweren Dialog zwischen Schlange und Frau zum Tragen kommt. Auch wird das den ersten Teil der Paradieserzählung beschließende Motiv der unschuldigen Nacktheit im zweiten Teil in sein Gegenteil verkehrt, wenn das erste Menschenpaar sich nach dem Fall seiner Nacktheit bewusst wird und fortan der Kleidung bedarf (3,7.21). Darüber hinaus sind Schöpfung und Fall durch eine Reihe von Querbezügen aufeinander bezogen: Die Einführung der Schlange erwähnt die Erschaffung der Tiere durch JHWH-Gott. Dadurch wird die Schilderung vom Fall und seinen Folgen von Anfang an unverkennbar an die vorangehende Erschaffung von Mensch, Tier und Umwelt rückgebunden (3,1; vgl. 2,19) und zugleich
24 Völlig zu Recht betont SPIECKERMANN 2000, 366f, dass auch die Garten- und Wächterarbeit des Menschen nach 2,15 wegen der fehlenden Korrespondenz zum Ackerboden nicht als Auflösung des Noch-Nicht-Satzes in 2,5 verstanden werden kann.
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herausgestellt, dass die Schlange ein Geschöpf Gottes ist, und keine gegengöttliche Macht oder ein Symbol des Bösen. Wie schon erwähnt, nimmt dann am Ende des zweiten Teils der Paradieserzählung das Strafurteil gegen den Menschen und seine Entlassung zur Feldarbeit die Angaben zu seiner stofflichen Herkunft und Wesensbestimmung auf (3,19.23; vgl. 2,7; 2,5). Die meisten Querbezüge zwischen den beiden Teilen der Paradieserzählung gelten jedoch den Bäumen des Gartens, der grundsätzlichen Freigabe ihrer Früchte zum Verzehr sowie dem Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu essen (2,16f), und der Übertretung dieses Verbots (3,1–7.11–13.17.22). Da das Verbot nur mitgeteilt wird, um von seiner Übertretung zu berichten, die ihrerseits die Formulierung des Verbots zwingend voraussetzt, zeigen diese Querbezüge, dass die beiden Teile der Paradieserzählung nur um den Preis einer völligen Neubestimmung ihrer Aussage entstehungsgeschichtlich voneinander gesondert werden können. Wir werden auf solche Versuche einer Neubestimmung zu sprechen kommen. Zuvor ist jedoch auf Erzählzüge einzugehen, die außerhalb der Korrespondenz von anfänglichen Noch-Nicht-Aussagen und ihrer Auflösung am Ende der Erzählung zu stehen kommen und auch sonst nur lose in das aufgezeigte Beziehungsgeflecht der Paradieserzählung eingebunden sind.
IV. Das redaktionelle Motiv vom Lebensbaum Nach 3,23 entlässt JHWH-Gott den Menschen zur Arbeit auf dem Ackerboden, von dem er genommen ist. Damit ist der in den anfänglichen Noch-Nicht-Sätzen beschriebene Zustand aufgelöst und die Erzählung an ihr Ziel gekommen. Gleichwohl schildert der folgende V. 24 abermals das von JHWH-Gott veranlasste Weggehen des Menschen. Ungeachtet der deutlich verschärften Formulierung („ גרשׁvertreiben“ statt „ שׁלחentlassen“) und der veränderten Motivation (dem Menschen soll der Zugang zum Baum des Lebens verwehrt werden) handelt es sich um eine funktionale Dublette zu V. 23, die zudem außerhalb des von der Exposition der Paradieserzählung in 2,4b–6 abgesteckten Rahmens steht.25 Gen 3,24 lässt sich aber auch nicht als Übergang zu der Brudermorderzählung in Gen 4 beschreiben, zumal dies bereits innerhalb des Rahmens der Paradieserzählung durch die Benennung der Frau als Eva/Chawwa ()חוה, als Mutter aller Lebendigen gewährleistet ist (3,20; vgl. 4,1). Die geschilderte kompositionelle Unbestimmtheit ist ein erster Hinweis auf eine redaktionelle Herkunft von 3,24. Ein Blick auf das mythologische Inven-
25 Zur Redundanz in V. 23f vgl. u.a. H. G ESE 1973: Der bewachte Lebensbaum und die Heroen: zwei Ergänzungen zur Urgeschichte der Quelle J, in: ders./H.-P. Rüger (Hg.), Wort und Geschichte, Festschrift K. Elliger, AOAT 18, Neukirchen-Vluyn, 77–85; WITTE 1998, 81ff; PFEIFFER 2000, 489.
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5. Von Adam zu Enosch
tar des Verses klärt den Befund. Die Keruben und das zuckende Flammenschwert haben in der Paradieserzählung allein darin einen Haftpunkt, dass ihre Wächterfunktion ( )שׁמרnach 2,15 vor dem Fall vom Menschen wahrgenommen worden ist.26 Nun handelt es sich bei 2,15 um eine thematische Doppelung und Wiederaufnahme von 2,8 zur Einbindung der kleinen Paradiesgeographie in 2,10–14, die in der Literatur mit guten Gründen und recht einmütig für redaktionell gehalten wird:27 Die Folge von Partizipialsätzen unterbricht den Erzählduktus durch eine statische Zustandsbeschreibung der Lage des Gartens. Der urgeschichtliche Horizont des nach 2,8 in mythischer Ferne ( )מקדםim Wonneland ( )עדןangesiedelten Gartens wird allein schon durch die Erwähnung von Euphrat und Tigris (V. 14: )חדקלvor der Zeit in die historische Welt hineingeholt – um diese dann sogleich wieder zu verlassen. Mit der kleinen Paradiesgeographie ist auch deren Einbindung in 2,15 als redaktionell zu bewerten.28 Der Haftpunkt für die Wächterfunktion der Keruben und des zuckenden Flammenschwerts gehört also nicht zum Grundbestand der Paradieserzählung,29 entsprechend wird die ohnehin als Nachtrag verdächtige Notiz in 3,24 zu beurteilen sein. Der unterstellte enge Zusammenhang von 3,24 und dem redaktionellen Abschnitt in 2,10–14.15 zeigt sich darüber hinaus in einer gemeinsamen, freilich nicht unumstrittenen Orientierung an den Gegebenheiten des Jerusa-
Vgl. WITTE 1998, 84; SPIECKERMANN 2000, 366. Vgl. statt vieler WITTE 1998, 83f. (Lit.). Dort auch zum Folgenden. Vorsichtige Skepsis meldet BLUM 2004, 18, an. 28 B LUM, aaO 18f Anm. 36, hält den literarhistorischen Zusammenhang des geographischen Exkurses und seine Einbindung in V. 15 nicht für zwingend, da V. 8–9.15 s. E. auch ohne V. 10–14 einen kohärenten Zusammenhang bilden: V. 8 sei eine summarische Prolepse, deren erster Teil in V. 9 und deren zweiter Teil in V. 15 entfaltet werde. Unbestreitbar lässt sich die Vorwegnahme von V. 9 und V. 15 in V. 8 als summarische Prolepse beschreiben. Man wird jedoch lediglich für das im Fortgang wichtige Motiv der Anlage eines Baumgartens (mit essbaren Früchten) in V. 8a.9 davon sprechen können, dass die Stilfigur ihre eigentliche Funktion einer orientierenden Vorwegnahme erfüllt. Das Motiv vom Hineinsetzen des Menschen in den Garten aus V. 8b und V. 15 wird im weiteren Verlauf der Erzählung dagegen nicht weiter entfaltet, vielmehr unterbricht seine nochmalige Erwähnung in V. 15 den engen Zusammenhang von V. 8–9* und V. 16f. Befragt man V. 15 nach seiner Funktion, so liegt diese primär in der Einbindung von V. 10–14 durch die Wiederaufnahme von V. 8b, wobei sich der Nachtrag an der in V. 8f vorliegenden Stilfigur der summarischen Prolepse orientiert und den so bewirkten Stillstand der Erzählung nutzt, um den sekundären Exkurs zur Paradiesgeographie und die durch ihn bewirkte Unterbrechung der Handlung zu überholen. 29 V. 15 ist literarisch einheitlich, die Wächterfunktion des Menschen nach V. 15bβ lässt sich keinem älteren Textstratum zuschlagen. Dass sich die fem. Pronominalsuffixe in V. 15bβ auf das mask. Substantiv גןin V. 15bα beziehen, ändert daran nichts, da auch nach Herauslösung von V. 9–15bα ein passendes Bezugswort zu weit entfernt ist (mit BLUM 2004, 18 Anm. 36, gegen CARR 1993, 578f). 26 27
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lemer Tempels30 – was die vielfach festgestellte Nähe von 2,10–14 zur Inszenierung der Gartenanlagen neuassyrischer Großkönige31 nicht ausschließt, sondern im Gegenteil erwarten lässt. So wird man den neben Euphrat, Tigris und dem rätselhaften Pischon genannten Fluss Gihon aus 2,13 kaum von der gleichnamigen Quelle in Jerusalem trennen können. In 3,24 wird diese Verbindung von ‚Paradies‘ und Jerusalemer Tempel und die damit gegebene Verschränkung von mythischer Urzeit und gegenwärtiger Erfahrungswelt durch die Lokalisierung des Zugangs zum Garten und seiner Wächter evoziert: מקדם לגן עדןkann eigentlich nur „im Osten vom Garten Eden“ bedeuten, was angesichts der Angabe von 2,8, wonach der Garten selbst im fernen Osten ( )מקדםliegt, schwierig ist. Doch erklärt sich die Vorstellung eines abgeschlossenen, rings umgrenzten heiligen Raumes, der nur nach Osten geöffnet ist, unschwer mit der Orientierung an der Architektur des Jerusalemer Tempels (1Kön 7,39; Ez 47,1). Darüber hinaus ist der von Keruben geschützte (Lebens-)Baum natürlich auch für die Ikonographie des Jerusalemer Tempels belegt (1Kön 6,29.32.35; vgl. Ez 41,17–20.25). Fassen wir den bisherigen Befund zusammen, so ist der kompositionell unbestimmte und den vorangehenden Abschluss der Paradieserzählung duplizierende Vers 3,24 dem Ergänzer von 2,10–15 zuzuschreiben. Dies hat erhebliche Konsequenzen für die redaktionsgeschichtliche Bewertung des Motivs vom Lebensbaum.31 Der Lebensbaum wird neben 3,24 noch in 2,9 und 3,22 erwähnt. Der Beleg in 3,22 ist von dem als redaktionell erkannten V. 24 nicht zu trennen. In beiden Fällen begründet JHWH-Gott die Vertreibung des Menschenpaares mit der Sorge, der Mensch könne vom Lebensbaum essen und so das ewige Leben erlangen. Die Formulierung der Sorge in V. 22 und die Vertreibung des Menschen aus dem ‚Paradies‘ sowie die Maßnahmen zum Schutz des Lebensbaums in V. 24 rahmen demnach die ursprüngliche Notiz von der Entlassung des Menschen zur Feldarbeit. Auf diese Weise wird V. 23 unter ein neues Vorzeichen gestellt und die Aussage des Erzählschlusses neu akzentuiert: Nach dem vorliegenden Textzusammenhang von 3,22–24 vertreibt JHWH-Gott den Menschen aus dem Garten Eden, damit dieser neben der Fähigkeit zur Erkenntnis von Gut und Böse, womit bekanntlich das elementare
30 G ESE 1973, 80ff; W ITTE 1998, 263–275; PFEIFFER 2001, 14. Dort jeweils auch zum Folgenden. 31 Vgl. hierzu M. D IETRICH 2001: Das biblische Paradies und der babylonische Tempelgarten. Überlegungen zur Lage des Gartens Eden,in: B. Janowski/B. Ego (Hg.), Das biblische Weltbild und seine altorientalischen Kontexte, FAT 32, Tübingen, 281–323. 31 Vgl. hierzu und zum Folgenden aus der Vielzahl der Beiträge nur G ESE 1973, 77ff; PFEIFFER 2000, 489–492, deren Analyse des literarischen Befundes ich mich trotz der Einwände von SCHMID 2002, 29ff, und BLUM 2004, 19ff, anschließe.
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wie eigenverantwortliche Orientierungsvermögen gemeint ist,32 nicht auch noch das ewige Leben erlangt. Der Ton liegt also eindeutig auf der Abwehr des Griffs nach dem Baum des Lebens, der in Verbindung mit der Erkenntnis von Gut und Böse zwangsläufig die Nivellierung des Unterschieds zwischen Mensch und Gott nach sich zöge (vgl. 3,22). Demgegenüber wird die Entlassung des fertigen Menschen in seine bäuerliche Lebenswelt aus V. 23, die ausweislich der Noch-Nicht-Aussage in 2,4b–6 das Ziel der Paradieserzählung darstellen sollte, in den Hintergrund gedrängt. Die redaktionsgeschichtlichen Verhältnisse in 2,9 sind dagegen weniger eindeutig als zumeist angenommen. Das in V. 9b geschilderte Nebeneinander von Lebens- und Erkenntnisbaum in der Mitte des Gartens gilt gemeinhin als syntaktisch schwierig und die Kombination der beiden Bäume folglich als redaktionsgeschichtlich oder (methodisch weniger überzeugend) überlieferungsgeschichtlich sekundär. In der Regel wird dabei der Erkenntnisbaum in V. 9bβ als ‚nachhinkend‘ klassifiziert. Mit Blick auf die übrigen Belege des Lebensbaums und auf 3,3, wo ein einziger Baum erwähnt ist, bei dem es sich nur um den Erkenntnisbaum handeln kann (siehe unten), wird dann jedoch der Lebensbaum als Nachtrag ausgeschieden.33 Wie A. Michel in einer sorgfältigen syntaktischen Analyse gezeigt hat, ist aber die Syntax von V. 9b mit der Figur der ‚gespaltenen Koordination‘ keineswegs zu beanstanden.34 Damit ist nun keineswegs ausgeschlossen, dass ein Redaktor sich dieser syntaktischen Figur bedient hat, um in V. 9b den Lebensbaum nachzutragen – es lässt sich nur nicht mit dem Hinweis auf die schwierige Syntax des Verses belegen. Man könnte daher versucht sein, V. 9 insgesamt als einen Nachtrag anzusprechen: V. 9a lässt sich als explizierende Wiederholung zu V. 8a lesen, da das Pflanzen eines (Gottes-)Gartens (V. 8a) in der altorientalischen Hortikultur auf die Anlage eines Baumgartens hinausläuft (V. 9a). Andererseits knüpft die redaktionelle Wiederaufnahme des Erzählfadens in V. 15 nach der Einschaltung von V. 10–14 über V. 9 hinweg an V. 8b (Einsetzen des Menschen in den Garten) an. Ist daher im vorliegenden Textzusammenhang die zweifache Aufnahme von V. 8 im Sinne einer summarischen Prolepse zu verstehen, deren erster Teil in V. 9 und deren zweiter Teil in V. 15 entfaltet wird, so könnte dies
32 Vgl. R. A LBERTZ 1993: „Ihr werdet sein wie Gott“. Gen 3,1–7 auf dem Hintergrund des alttestamentlichen und des sumerisch-babylonischen Menschenbildes, WO 24, 89–111, 91–94. 33 Grundlegend: K. B UDDE 1883: Die Biblische Urgeschichte (Gen 1–12,5), Gießen, 46ff; DERS. 1932: Die Biblische Paradiesgeschichte, BZAW 60, Gießen, 16ff. 34 A. M ICHEL 1997: Theologie aus der Peripherie. Die gespaltene Koordination im Biblischen Hebräisch, BZAW 257, Berlin, 1–22 mit ausführlicher Diskussion der Literatur. Danach ist der „spaltende Lokativ“ בתוך הגןauf beide Bäume zu beziehen, wobei er regelkonform auf das sprachlich kürzere der beiden koordinierten Objekte folgt.
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dafür sprechen, V. 9 und V. 15 ein und derselben Hand zuzuweisen.35 Diese hätte mit V. 9 und V. 15 nicht nur ihre kleine Paradiesgeographie mit dem Kontext verklammert, sondern zugleich das Motiv des Lebensbaums signifikant früh im Erzählverlauf positioniert, sodass der vor dem Fall freie Zugang zum Lebensbaum und seine nachmalige Verhinderung die äußere Klammer um den Baum der Erkenntnis und den Fall bilden. Problematisch bleibt indes, dass nach der Ausscheidung von 2,9 die Erwähnung des Erkenntnisbaums in V. 17 unvorbereitet kommt. Auch wird man in der Abzweckung der summarischen Prolepse in V. 8a und V. 9 als orientierender Vorwegnahme einerseits und V. 8b und V. 15 als erzählerischer Einbindung der sekundären Paradiesgeographie in V. 10–14 andererseits zu unterscheiden haben,36 womit die Annahme, dass V. 9 insgesamt auf den Verfasser des redaktionellen V. 15 zurückgeht, gleich wieder infrage gestellt ist. Für sich genommen bleibt der redaktionsgeschichtliche Befund zum Motiv des Lebensbaums in 2,9 uneindeutig. Lediglich unter Einbeziehung von 3,22 und 24 lässt sich mit einiger Sicherheit seine sekundäre Herkunft auch in 2,9 behaupten – sei es (weniger wahrscheinlich) mit dem Vers insgesamt, sei es nur in V. 9bα. Wie auch immer die redaktionsgeschichtlichen Verhältnisse in 2,9 im Einzelnen zu beurteilen sind, ohne seine Aufnahme in 3,22.24 wäre die Einführung des Motivs vom Lebensbaum in 2,9b jedenfalls schlicht witzlos. Bekanntlich lässt sich für die redaktionelle Herkunft des Motivs vom Lebensbaum auch die Antwort der Frau an die Schlange in 3,3 anführen: Dem Wortlaut nach wissen Frau und Schlange nur von einem besonderen Baum in der Mitte des Gartens. Führt der verbotene Genuss seiner Frucht nach Auskunft der Schlange in V. 5 zur Erkenntnis von Gut und Böse, was nach dem Lauf der Dinge am Beispiel der Bewusstwerdung sexueller Differenz zwischen Mann und Frau ausgeführt wird (vgl. V. 7.11), so handelt es sich bei diesem Baum unzweideutig um den Baum der Erkenntnis (vgl. 2,16f). Die Existenz eines Lebensbaums wird dagegen offensichtlich noch nicht vorausgesetzt.37 Gegen diese recht weit verbreitete Einschätzung haben in jüngerer Zeit K. Schmid und E. Blum Einspruch erhoben.38 Nach Schmid wirft die Frau die beiden Bäume durcheinander beziehungsweise identifiziert sie als den einen Baum in der Mitte des Gartens. Dehnt sie somit das Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu essen, unbedacht auf den Baum des Lebens aus, so hat der Mensch in seiner Naivität schon vor dem Fall die Möglichkeit vertan, das ewige Leben zu erlangen. Der Hinweis auf die Naivität des paradiesischen Menschen, und hier vor allem der Frau, erinnert freilich ein wenig an die überholte literarkritische Argumentationsfigur, wonach sich Redaktoren und ihre Eintragungen stets an ihrer intellektuellen
Dies erwägt PFEIFFER 2000, 491. GESE 1973, 78f und WITTE 1998, 81 rechnen dagegen mit einer Umformulierung in V. 9. 36 Siehe oben Anm. 28. 37 Statt vieler W ITTE 1998, 81. 38 SCHMID 2002, 31f; B LUM 2004, 19ff. 35
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Unbedarftheit erkennen lassen – nur dass sie hier in die Binnenwelt des Textes gewendet ist. Feinsinniger ist da, wie mir scheint, die Erklärung Blums. Er unterscheidet ebenfalls die Perspektive des Erzählers, der eingangs beide Bäume einführt, von derjenigen der handelnden Personen, die nur einen Baum im Sinn haben: Da die Frau den betreffenden Baum anschaue (vgl. V. 6f), sei die Kommunikation zwischen Schlange und Frau wenigstens an diesem Punkt eindeutig. Es darf jedoch bezweifelt werden, ob dies der Intention des Dialogs 3,1ff in einem ursprünglichen (!) Zusammenhang mit 2,9 entspricht: Die auf der Ebene der handelnden Personen vorgeblich eindeutige Identifizierung des Baums durch die Frau bedient sich ausgerechnet desjenigen Merkmals, das nach 2,9 in der syntaktischen Figur der ‚gespaltenen Koordination‘ als das Gemeinsame der beiden Bäume erscheint, nämlich ihre Lokalisierung „in der Mitte des Gartens“. Nicht umsonst kennt die Auslegung des vorliegenden Textzusammenhangs in der darstellenden Kunst das verstehensnotwendige Detail, dass die Schlange vom Baum der Erkenntnis aus zur Frau spricht – wovon in 3,1ff (noch) nicht die Rede ist. Die von Blum aufgezeigte narrative Funktion der vagen Antwort der Frau in 3,3 ist dagegen unbestritten: Sie provoziert die Enthüllung der Bedeutung des Baums auf der Handlungsebene durch die Schlange und sie unterstreicht den um das Verbot unbekümmerten und kindlichen Charakter des ersten Menschenpaares. Doch geht diese Abzweckung nicht verloren, wenn in der Paradieserzählung ursprünglich nur von einem Baum in der Mitte des Gartens die Rede gewesen ist.
Eine weitere Bestätigung erfährt die Bewertung des Motivs des Lebensbaums als redaktionell durch solche Passagen, in denen das Motiv nicht explizit auftaucht, die aber dennoch mit ihm verbunden sind und für die sich unabhängig von der Frage nach dem Motiv des Lebensbaums Gründe für eine redaktionelle Herkunft geltend machen lassen. Gemeint sind die beiden Eintragungen des Wortes „Staub“ ( )עפרin 2,7 und 3,19b. Sie bringen von Anbeginn an den Menschen mit der Sphäre des Todes in Verbindung und verankern damit das Motiv des verwehrten Zugangs zum Lebensbaum schöpfungstheologisch.39 In 2,7 ist עפרsyntaktisch und inhaltlich auffällig: Der Ausdruck ist am ehesten als Apposition zu האדםoder als dessen stoffliche Qualifikation40 zu verstehen, wobei er jedoch den engen stilistischen und sachlichen Zusammenhang von האדם und מן האדמהunterbricht. Inhaltlich fällt auf, dass gegen die Erzähllogik die stoffliche Parallelität zu den Tieren aufgegeben ist (vgl. 2,19). Die zusätzliche Stoffangabe bei der Formung des Menschen, die im Schöpfungsgeschehen von Gen 2 völlig folgenlos bleibt, wird erst in 3,19b wieder aufgegriffen. Der Teilvers ist eine Dublette zu V. 19aβγ, die anders als der Grundbestand der Paradieserzählung mit der pointierten Aussage „Staub bist du“ den Tod selbst zum Gegenstand der Reflexion macht. Natürlich spricht auch V. 19aβγ von der Sterblichkeit des Menschen, doch erscheint sie schlicht als gegebene Folge der als Strafe auferlegten Daseinsminderung.
39 Der Zusammenhang ist, soweit ich sehe, unbestritten. Zum Anklang der Todesthematik in dem Wort עפרvgl. u.a. Jes 26,19; Ps 22,30; 103,14; 104,29; Hi 4,19; Koh 3,20; 12,7 und dazu L. WÄCHTER 1989: Art. ‘āpār, ThWAT VI, Stuttgart u.a., 275–284, 282f. 40 Vgl. GK §117hh.
IV. Das redaktionelle Motiv vom Lebensbaum
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Da (1.) die Strafe für die Übertretung des Verbots in einer Daseinsminderung besteht, die auf den Tod hinführt, und da (2.) die Reproduktion des Lebens und der Tod aufeinander bezogen sind, handelt die Paradieserzählung auch davon, wie der Tod in die Schöpfung kam (Röm 5,12). Im Umkehrschluss folgt hieraus, dass der praelapsarische Mensch als nicht sterblich gedacht war.41 Doch „[wenn] die Alten Mythen vom Anfang erzählten, betrieben sie damit keine naive Historiographie, sondern gaben damit ihrer Grundüberzeugung Ausdruck, dass alles Gegenwärtige sein Wesen in der Urzeit erhalten hat“42. In diesem Sinn erzählt die Paradieserzählung von ihrem Ausgang her. Sie ist an den vorfindlichen Grundgegebenheiten des menschlichen Lebens und ihrer urgeschichtlichen Entstehung interessiert, weniger am Urstand selbst. In der ursprünglichen Paradieserzählung spielt denn auch die Frage nach den Möglichkeiten ewigen Lebens keine Rolle, was sich schon an einem so kleinen Detail wie der Beobachtung zeigt, dass der auf den Fall bezogene Strafspruch den Tod selbst konstatierend auf die Natur des Menschen bezieht (3,19a; vgl. selbst noch 3,19b) oder dass die Frage nach der Sterblichkeit der im Wesentlichen stoff- und ursprungsgleichen tierischen Natur unerörtert bleibt. Dass mit Blick auf die verlorene Möglichkeit ewigen Lebens und die Erlangung der göttlichen Erkenntnis „die beiden Bäume in der Mitte des Gartens [...] nebeneinanderstehen [müssen], und dies von Anfang an!“43, wird man für den Grundbestand der Paradieserzählung also nicht sagen können. Vielmehr ist angesichts des literarischen Befundes zu 3,22.24 und (mit Einschränkung) zu 2,9 sowie zu den weiteren Erzählzügen zum Thema die literarische Gleichursprünglichkeit beider Bäume, wie mir scheint, ausgeschlossen. Gleichwohl bot das Hineinkommen des Todes in die Schöpfung durch den Fall den Anknüpfungspunkt für weitergehende Überlegungen zum Urstand und der Möglichkeit des Menschen, das ewige Leben zu gewinnen. Insofern ist die Einfügung des Motivs vom Lebensbaum der sach- und textgemäße Beginn einer Auslegungsgeschichte, die bereits innerbiblisch einsetzt.
Vielleicht wird man für eine entstehungsgeschichtliche Differenzierung zwischen dem ursprünglichen Baum der Erkenntnis und dem nachgetragenen Lebensbaum sogar den gemeinsamen traditionsgeschichtlichen Hintergrund der beiden Bäume anführen dürfen. Bekanntlich sind beide Bäume im Alten Testament wie im Alten Orient analogielos. Nun spricht gerade dieser Befund dafür, in dem breit bezeugten Motiv des Weltenbaums den gemeinsamen traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Bäume zu vermuten.44 Allerdings wäre das Motiv vom Weltenbaum in je unterschiedlicher Weise aufgenommen worden. Dass die Verdoppelung des Motivs in der Paradieserzählung und seine damit verbundene zweifache Neufassung in einem Zuge geschehen sind, hat aber alle Wahrscheinlichkeit gegen sich.
41 Mit B LUM 2004, 22ff (vgl. auch B UDDE 1932, 23) ist an der Lesart der traditionellen Exegese seit Augustin festzuhalten, wonach 2,17 den Verstoß gegen das Verbot vom Baum der Erkenntnis zu essen mit dem Verhängnis der Sterblichkeit des Menschen sanktioniert. Anders bekanntlich die gegenwärtige opinio communis, die in 2,17 die (nie exekutierte) Todesstrafe für den schon immer sterblichen Paradiesbewohner angedroht sieht. 42 K AISER 2003, 67. 43 B LUM 2004, 24. 44 Vgl. dazu PFEIFFER 2001, 4ff.
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5. Von Adam zu Enosch
Das Motiv vom Lebensbaum gehört somit zu einer 2,9*.10–15; 3,19b.22.24; 4,16b45 sowie das Wort „Staub“ ( )עפרin 2,7 umfassenden Bearbeitungsschicht. In einer beinahe midraschartigen Kommentierung fragt sie nach den Bedingungen und Möglichkeiten des Urstandes und trägt so eine vertiefte Reflexion über die Sterblichkeit des Menschen ein. Mit ihrer symbolisch-geographischen Korrelation von ‚Paradies‘ und Jerusalemer Tempel verschränkt sie die mythische Urzeit mit der gegenwärtigen Erfahrungswelt und gibt darin – durchaus in Kontinuität zur überkommenen Paradieserzählung46 – ihre Orientierung an der Tempeltheologie zu erkennen. Nach einer ansprechenden These von M. Witte ist sie darüber hinaus mit derjenigen Redaktion zu identifizieren, die für die Verbindung der priesterschriftlichen und nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte verantwortlich zeichnet,47was sich jedoch allein anhand des Befundes zu Gen 2–4 nicht verifizieren lässt.
V. Die Ätiologie der ambivalenten Daseinserfahrung Damit kommen wir zur Überprüfung der eingangs erwähnten redaktionsgeschichtlichen Unterscheidung einer älteren Anthropogonie und einer sich daran als Bearbeitung anschließenden Fallerzählung.48 Die für diese Unterscheidung vorgebrachten Argumente liegen auf kategorial höchst unterschiedlichen Ebenen. So wird der ambivalente Eindruck bemüht, den die Paradieserzählung in ihrer vorliegenden Gestalt hinterlasse: Während sie die Erschaffung des Menschen und dessen anfängliche Kulturleistung durchweg bejahend beschreibe, verrechne sie den kulturellen Fortschritt mit einer zunehmenden Entfernung von Gott, die ihrerseits in der ersten Sünde des Menschen und der dadurch bedingten Vertreibung aus dem ‚Paradies‘ gründe. Eine redaktionsgeschichtliche Auflösung dieser Ambivalenzen führt dann zur Annahme einer positiv gestimmten Erzählung von der Menschenschöpfung und Kulturätiologie und ihrer späteren sündentheologisch ausgerichteten, pessimistisch gestimmten Bearbeitung. Freilich kann dem Ergebnis dieser Bearbeitung im selben Atemzug bescheinigt werden, dass es sich als eine durchdachte Komposition erweist, welche die Spannungen benützt, um den Leser auf die Komplexität zu stoßen, die Gottes Erschaffung des ersten Menschen mit sich bringt.49 Diese treffende Charakterisierung des vorliegenden Textzusammenhangs provoziert freilich
Die geographische Vorstellung des Teilverses ist von 3,24 (2,10–15) nicht zu trennen. Vgl. die Überlegungen zum Ort der (mündlichen) Paradiesüberlieferung bei PFEIFFER 2001, 13f. 47 Vgl. W ITTE 1998, 79ff. 48 Vgl. die in Anm. 3 genannte Literatur. Dort jeweils auch zum Folgenden. 49 Vgl. SPIECKERMANN 2000, 364. 45 46
V. Die Ätiologie der ambivalenten Daseinserfahrung
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die Rückfrage, ob die Ambivalenzen in der Paradieserzählung eine redaktionsgeschichtliche Differenzierung hinreichend zu begründen vermögen. Die Ambivalenzen könnten ja durchaus, wie in anderen antiken Literaturwerken auch, von vornherein intendiert sein. Immerhin ist die ambivalente Daseinserfahrung des Menschen der eigentliche Inhalt der Paradieserzählung und der beanstandete Wechsel der Grundstimmung das urgeschichtliche Mittel, diese Erfahrung begründend herzuleiten. Sicher wird man, da Anthropogonie, Kulturätiologie und die Erzählung vom Fall in unterschiedlichen motivgeschichtlichen Zusammenhängen beheimatet sind, kaum bestreiten können, dass die Ambivalenzen der Paradieserzählung erst durch eine neuartige Motivverbindung erzeugt werden und insofern auf der Bearbeitung von älteren Stoffen beruhen. Ob diese Bearbeitung erst in einem fortgeschrittenen literarischen Stadium des Textes zu verorten ist und nicht bereits auf der Stufe der schriftlichen (oder bereits mündlichen) Erstformulierung, lässt sich jedoch allein aufgrund literarkritischer (und gegebenenfalls überlieferungskritischer) Beobachtungen entscheiden. Das literarkritische Hauptargument liefert die Benennung der Frau in 3,20, die als unpassende Reaktion des Mannes auf die vorangehenden Strafsprüche empfunden wird. Galt deshalb anfänglich 3,20(f) als Einschub,50 so wird wegen der überleitenden Funktion von V. 20 zu Gen 4 und mit Blick auf mögliche Beweggründe der Redaktion dagegengehalten, dass 3,20(f) älter als die Strafsprüche ist: 3,20(f) habe ursprünglich unmittelbar an die Erschaffung der Frau in Gen 2,22(f) angeschlossen, die Erzählung vom Fall sei insgesamt ein literarischer Einschub.51 Doch die redaktionsgeschichtliche Erklärung schafft weitaus mehr Probleme als sie zu lösen verspricht. Die unmittelbare Abfolge der Benennung der Frau durch den Mann als Frau im Rückgriff auf die Verwandtschaftsformel in 2,23 und als Chawwa mit Blick auf ihre nachmalige Funktion als Mutter in 3,20 ist schwerlich ursprünglicher oder passender als die Positionierung von 3,20 im vorliegenden Textzusammenhang: Diese ist jetzt Gebein von meinem Gebein und Fleisch von meinem Fleisch! Diese soll ‚Männin‘ heißen, denn vom Mann ist sie genommen. 3,20 Da nannte der Mensch den Namen seiner Frau Chawwa, denn sie wurde die Mutter aller Lebenden. 2,23
Man hat daher 2,23 zuweilen als redaktionell ausgeschieden und 3,20 direkt an 2,22 angeschlossen. Dies ist aber unmöglich, da das in der altorientalischen Literatur sonst unbekannte Motiv vom Bau der Frau aus der Rippe (2,22), auf das die von Fehlschlägen begleitete Erschaffung der Frau hinausläuft, aus der Verwandtschaftsformel 2,23 heraus gesponnen ist.52 Erklärbar ist das Neben-
50 Vgl. J. W ELLHAUSEN 1899: Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, 3. Aufl., Berlin. 51 Grundlegend LEVIN 1993, 83f, mit dem Hinweis auf H UMBERT 1940, 59. 52 So mit SCHMID 2002, 25 mit Anm. 29; B LUM 2004, 12.
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5. Von Adam zu Enosch
und Nacheinander von 2,23 und 3,20 in einem Text allein unter der Vorgabe, dass sich zwischen den beiden Benennungen der Frau eine grundlegende Veränderung für die Frau (und den Mann) vollzogen hat. Und genau davon handelt die Erzählung vom Fall. Es lässt sich auch anders formulieren: Erst der Fall erschließt dem Menschen seine geschlechtliche Differenzierung in Mann und Frau und eröffnet ihm seine Bestimmung zur Fortpflanzung und Kultivierung des Ackerbodens.53 Entsprechend sind in den Strafsprüchen die Geschlechtlichkeit, die Mühsal des Gebärens (3,16) und der Feldarbeit (3,17–19a) angesprochen, die dann in der Benennung der Frau als Chawwa und Mutter aller Lebendigen ebenso wie in der Entlassung des Mannes zur Feldarbeit ihre anfängliche Realisierung erfahren. Schließlich wird man auch unabhängig von der redaktionsgeschichtlichen Beurteilung von 3,20 zu fragen haben, ob die Rekonstruktion einer positiv gestimmten Erzählung von der Erschaffung des Menschen in Gen 2f* plausibel ist. Zunächst bleibt mit H. Pfeiffer festzuhalten: „Der bunte Blumenstrauß schöpfungstheologischer Notizen in Gen 2f. führt kaum zu einer tradierbaren Schöpfungserzählung“54. Auch ist die Anthropogonie innerhalb der bekannten altorientalischen Literaturwerke nie als ein eigenständiges Thema belegt, sondern sie begegnet stets im Zusammenhang mit anderen urgeschichtlichen Themen. Schon die postulierte Anthropogonie in Gen 2f* wäre also auf eine Fortsetzung in Gen 4 angewiesen. Entsprechend wird der rekonstruierte Grundbestand von Gen 2f mit einer in Gen 4 erkannten Kulturätiologie verknüpft.55 Dabei gilt innerhalb von Gen 4 die Erzählung von Kain und Abel (V. 2–16) zumeist als sekundär,56 was mit Blick auf die rekonstruierte Anthropogonie auch notwendig ist, da sich die Rückbezüge der Erzählung von Kain und Abel auf die Erzählung vom Fall kaum vollständig literarkritisch isolieren lassen.57 Indessen ist die vorausgesetzte Eingrenzung des Grundbestandes von Gen 4
53 So zu Recht B LUM 2004, 12f im gegenläufigen Anschluss an SPIECKERMANN 2000, 365f, der die Veränderung, wenn ich recht sehe, zumindest in 2,24f angedeutet sieht. Doch zumindest 2,25 kommt hierfür nicht in Betracht, da der (redaktionelle?) Vers eindeutig aus der Handlung herausfällt. 54 PFEIFFER 2000, 488. 55 Vgl. statt vieler LEVIN 1993, 96; SPIECKERMANN 2000, 365, die jeweils noch Notizen zur Entstehung der Völkerwelt aus Gen 9f hinzunehmen. 56 So vor allem K RATZ 2000, 255f; SPIECKERMANN 2000, 365. 57 Zu den Rückbezügen in 4,7 (vgl. 3,16b); 4,9–15 vgl. W ITTE 1998, 166ff. Gegen Witte (AaO 151ff) lässt sich jedoch allein V. 6f wegen des unabgestimmten Wechsels von Handlung und direkter Rede als sekundär ausscheiden. Die direkte Rede in V. 9ff ist hingegen unverzichtbar, da der Erzählung sonst der Skopus fehlt. Der Mord hätte keinerlei Folgen und das erzählerische Interesse bliebe im Dunkeln. Um Begründung und Differenzierung der ‚Urberufe‘ des Viehzüchters und Ackerbauern wird es jedenfalls kaum gehen, da der Viehzüchter kinderlos ausscheidet und der Ackerbauer von der Scholle vertrieben wird.
V. Die Ätiologie der ambivalenten Daseinserfahrung
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auf die V. 1.17–22(23) und seine Charakterisierung als Genealogie von Kultstiftern nicht unproblematisch: Gen 4,1 unterscheidet sich durch den Gebrauch von „ ידעerkennen“ und die Namensgebung durch die Frau deutlich vom Sprachgebrauch alttestamentlicher Genealogien. Es fällt daher schwer, den Vers in seiner vorliegenden Formulierung als Beginn einer originären Genealogie in V. 1.17ff anzusprechen. Andererseits kann sich die Abtrennung von V. 2ff als sekundär nicht auf die gegenüber der Geburt Kains in V. 1 weniger ausführliche Darstellung der Geburt Abels in V. 2ff berufen: V. 1 stellt die mit dem ersten Sohn einsetzende Generationenfolge heraus, was sich für den zweitgeborenen Abel erübrigt, dann jedoch nach dem Brudermord und dem Ausscheiden der Kainiten aus der Generationenfolge in V. 25 in Gestalt des betonten Neuanfangs mit Set seine dem Erzählfortschritt geschuldete Korrektur erfährt. V. 1 lässt sich somit weder aus formgeschichtlichen noch aus literarkritischen Gründen von V. 2 abheben und ist gemeinsam mit V. 2 zur Exposition der Erzählung von Kain und Abel zu rechnen. Natürlich ist für die Brudermorderzählung die Aufnahme von Traditionsgut durch den Erzähler von Gen 4 nicht auszuschließen. Mit Blick auf die relativ weite Verbreitung des Motivs von den feindlichen Brüdern, den unbestrittenen genealogischen Zusammenhang von V.1f und V. 17ff und die Parallelversion zu Gen 4 in Gen 5, die eine solche Erzählung nicht hat, liegt diese Annahme sogar nahe. Nur bietet der Text von Gen 4 (mit Ausnahme von V. 6f.16b) kaum Anlass zur redaktionsgeschichtlichen Differenzierung, und erst recht nicht in Gen 2f. Wie wenig die redaktionsgeschichtliche Rekonstruktion einer älteren Anthropogonie mit Blick auf deren Fortsetzung überzeugen kann, zeigt schließlich 4,1. Wie erwähnt, zeichnet sich der in der postulierten Anthropogonie und Kulturätiologie unverzichtbare Vers durch den Gebrauch des für sexuellen Kontakt im alttestamentlichen Schrifttum auffällig selten belegten Wortes ידע „erkennen“ aus.58 Innerhalb der Urgeschichte ist es nur noch in 4,17 und 4,25 belegt, den beiden auf die erste Zeugung folgenden und als Alternativen konzipierten Genealogien. Offenkundig dient der von den sonstigen Genealogien abweichende Sprachgebrauch dazu, diese ersten Zeugungen der Menschheitsgeschichte besonders herauszustellen. Die Frage, weshalb hierzu „ ידעerkennen“ gewählt ist, beantwortet sich von Gen 2f her: Es handelt sich um das mit dem Fall untrennbar verbundene Schlüsselwort der Paradieserzählung (2,[9].17; 3,5.7.[22]), an deren Ende die Entlassung des Menschen aus dem ‚Paradies‘, die Umbenennung der Frau in Chawwa und Mutter aller Lebendigen und der Beginn menschlicher Fortpflanzung steht. Anders formuliert: Gen 4,1 setzt die Verbindung von ‚Schöpfung und Fall‘ zwingend voraus. In die
58 Außer in Gen 4 bezeichnet ידעnur noch in 1Sam 1,19 den Vollzug ehelichen Beischlafs. Gen 19,5; Ri 19,22.25 handeln von einer (geplanten) Vergewaltigung, Gen 19,8; 24,16; 38,26; Ri 11,39; 1Kön 1,4 notieren, dass (noch) kein Beischlaf stattgefunden hat.
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5. Von Adam zu Enosch
gleiche Richtung weist im Übrigen auch die Etymologie des Kindsnamens in V. 1b. Der Freudenruf der Chawwa über das entstandene Leben greift das ebenfalls als Etymologie formulierte Bekenntnis des Menschen zum Leben bei der Benennung der Frau als Chawwa nach den Strafsprüchen in 3,20 auf.59 Die Argumente für eine redaktionsgeschichtliche Unterscheidung einer älteren Anthropogonie und einer sich daran als Bearbeitung anschließenden Erzählung vom Fall halten einer Überprüfung nicht stand. Der Text von 2,4–4,26 ist literarisch weitgehend einheitlich. Nachträge beschränken sich auf die Verbindung mit der priesterschriftlichen Urgeschichte (2,4a; Erweiterung des Tetragramms um נפשׁ חיה ;אלהיםin 2,7b.19b; לכל הבהמה ו/ מin 2,20; 3,14), das eventuell auf die gleiche Redaktion zurückgehende Motiv vom Lebensbaum und die zugehörigen Passagen ( עפרin 2,7; 2,9*.10–15; 3,19b.22.24; 4,16b) sowie das erste Zwiegespräch zwischen JHWH und Kain (4,6f). Nur am Rande sei bemerkt, dass die gegen eine redaktionsgeschichtliche Differenzierung von Schöpfung und Fall vorgebrachten Einwände mutatis mutandis auch gegen die im wesentlichen gleichlautende Begründung entsprechender überlieferungsgeschichtlicher Differenzierungen der mündlichen Vorstufen des Textes sprechen.60 So ist für die überlieferungsgeschichtliche Analyse eher H. Pfeiffer zu folgen, der bereits für die mündliche Vorstufe der Paradieserzählung eine „zweistufige Anthropogonie [erkennt], die um die Differenz zwischen dem Natur- und Kulturwesen und die anthropologische Ambivalenz menschlicher Zivilisation weiß“61. Angesichts der weitgehenden Übereinstimmung der erkannten mündlichen Vorstufe mit dem schriftlichen Grundbestand der Paradieserzählung wird man darüber hinaus fragen können, ob die Annahme einer solchen mündlichen Vorstufe überhaupt notwendig ist. Der Verfasser der nichtpriesterschriftlichen Urgeschichte kann den hochgelehrten Text der Paradieserzählung durchaus eigenständig formuliert haben – selbstverständlich im Rückgriff auf traditionelle Motive wie den Weltenbaum, den Gottesgarten, die formatio des Menschen und dergleichen mehr, jedoch ohne die Verwendung einer direkten Vorlage. Die ausstehende literarhistorische Einordnung dieser Erstverschriftung von ‚Schöpfung und Fall‘ lässt sich kaum en passant erledigen und ist gesondert zu untersuchen. Nur so viel sei abschließend angedeutet: Die Paradieserzählung setzt wie die nicht-priesterliche Urgeschichte insgesamt die Unheilsprophetie voraus, deren Betonung der Unterscheidung von Gott und Mensch als bestimmendes Konstruktionsprinzip der Wirklichkeit sie in anthropologische Kategorien zu fassen sucht.
Vgl. WITTE 1998, 166f. Einen Überblick über die verschiedenen Spielarten und ihre wichtigsten Vertreter bietet PFEIFFER 2000, 487f mit Anm. 3. 61 PFEIFFER 2001 (Zitat ebd. 16). 59 60
6. „Im Schweiße deines Angesichts ...“ Alttestamentliche Perspektiven zum Thema „Sinn der Arbeit – Ethos der Arbeit“* I. Einleitung Wirkung, Problematik und Selbstaufhebung des Begriffs von Arbeit, wie er den Gesellschaften westlicher Prägung zugrunde liegt, sind ein aktuelles, aber kein neues Thema. Schon vor fünfzig Jahren wurde es von Hannah Arendt mit einer viel zitierten, griffigen Formulierung auf den Punkt gebracht: „Was uns bevorsteht, ist die Aussicht auf eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist, also die einzige Tätigkeit, auf die sie sich noch versteht“1. Seitdem haben sich die Veränderungsprozesse in den Arbeitsgesellschaften erheblich beschleunigt. Kirchliches Handeln ist hiervon in mehrfacher Hinsicht betroffen. Die mächtigen Veränderungsschübe und ihre Folgen für einzelne Betroffene wie für ganze Regionen verlangen einen großen diakonischen und seelsorgerlichen Einsatz. Zugleich muss sich die Gemeindearbeit auf veränderte Sozialstrukturen und Lebensläufe der Gemeindeglieder einstellen. Auch hat die allgemeine Ökonomisierung der letzten Jahre vor der Kirche nicht haltgemacht und unter anderem zu einer wachsenden Bedeutung effizienten Wirtschaftens in allen kirchlichen Tätigkeitsfeldern geführt, von den sozialen Diensten bis hin zu den Anfängen einer professionellen kirchlichen Personalentwicklung. Schließlich stellt das Nachdenken über einen Begriff von Arbeit, der den neuen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten gerecht zu werden sucht, eine theologische Herausforderung dar. Worin liegt die theologische Herausforderung in bibelwissenschaftlicher Hinsicht? Die Selbst- und Fremdbeschreibung des Begriffs von Arbeit in Arbeitsgesellschaften westlicher Prägung verdankt sich nicht unwesentlich einem spezifisch protestantischen Arbeitsethos. Zwar wird man Max Webers These
* Erweiterte Fassung eines Vortrags auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing (Sinn der Arbeit – Ethos der Arbeit. Beiträge aus Theologie und Ökonomie – 22. bis 23.06.2006). 1 H. A RENDT 1960: Vita Activa oder Vom tätigen Leben, Stuttgart, 11f.
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6. „Im Schweiße deines Angesichts ...“
über die Entstehung des Kapitalismus aus der protestantischen Ethik reformierter Prägung nicht als eine hinreichende wissenschaftliche Erklärung des Phänomens betrachten können.2 Davon unbeschadet handelt es sich aber um seine am weitesten verbreitete und eine seiner wirkmächtigsten Deutungen. Ähnlich verhält es sich mit den bewussten und – vor allem – unbewussten Fernwirkungen von Martin Luthers Sicht der Alltagsarbeit als Gottesdienst und Ort der göttlichen Berufung, wie sie Karl Holl in seiner Untersuchung über die „Geschichte des Wortes Beruf“3 beschrieben hat. Da der Protestantismus nach seinem Selbstverständnis seine Kriterien aus dem Zeugnis der Bibel gewinnt, liegt der Schluss nahe, dass der Begriff von Arbeit, wie er den Arbeitsgesellschaften westlicher Prägung zugrunde liegt, durch eine bestimmte Interpretation der Bibel in der Reformation angestoßen worden ist. Wird nun aus evangelischer Perspektive angesichts veränderter wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Gegebenheiten über ein neues Verständnis von Arbeit nachgedacht, so nimmt dieses Nachdenken wiederum die biblische Tradition als eine hilfreiche Grundorientierung in Anspruch, was im Einzelfall dazu führen mag, dass die biblische Tradition gegen bestimmte von ihr (mutmaßlich) angestoßene Mentalitäten in Stellung gebracht wird. An diesem Punkt sind die Bibelwissenschaften gefordert. In auslegungsgeschichtlicher Hinsicht wäre zu fragen, welches Bibelverständnis dieses spezifisch protestantische Arbeitsethos ausgebildet hat. In exegetischer Hinsicht wäre zu fragen, ob dieses Bibelverständnis insofern als sachgemäß gelten darf, als es die Grundanliegen der biblischen Texte aufnimmt. Schließlich wäre in biblisch-theologischer Hinsicht zu fragen, ob die biblischen Texte einen Begriff von Arbeit entwickeln, der die Transformation eines protestantisch geprägten Arbeitsethos unter den Bedingungen der Gegenwart begleiten könnte. Unter dem Vorzeichen der letztgenannten Frage sollen die alttestamentlichen Texte betrachtet werden. Die Überlegungen gliedern sich wie folgt: Nach
M. WEBER 1920/2004: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Herausgegeben und eingeleitet von Dirk Kaesler, München. Vgl. dort auch erste weiterführende Hinweise zur (Dauer-)Diskussion um die in den Jahren 1904 und 1905 entstandene und dann 1919 bis 1920 noch einmal überarbeitete Studie. Mit Blick auf die Ausbildung der These Webers ist unbedingt die kulturgeschichtliche Gesamtdeutung des Protestantismus von Ernst Troeltsch zu erwähnen, insbesondere sein Vortrag auf dem deutschen Historikertag des Jahres 1906 „Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt“. Vgl. E. TROELTSCH 1906/1909/1922: Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit, in: V. Drehsen (Hg.) 2004: Kritische Gesamtausgabe, Bd. 7, Berlin/New York; DERS. 1906– 1913: Schriften zur Bedeutung des Protestantismus für die moderne Welt, in: T. Rendtorff (Hg.) 2001, Kritische Gesamtausgabe, Bd. 8, Berlin/New York. 3 Vgl. K. H OLL 1928: Die Geschichte des Wortes Beruf, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, Bd. 3. Der Westen, Tübingen, 189–219. 2
II. Die ökonomischen Rahmenbedingungen
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einer Übersicht zu den ökonomischen Rahmenbedingungen (II.) und den verstreuten Notizen zur Bewertung der Arbeit (III.) wird mit der Paradieserzählung in Gen 2–3 auf einen Textbereich eingegangen, der sich grundsätzlicher zum Thema ‚Arbeit‘ äußert (IV.). Der Beitrag schließt mit einem knappen Fazit (V.).
II. Die ökonomischen Rahmenbedingungen Die Übersicht zu den ökonomischen Rahmenbedingungen beginnt mit einer notwendigen Einschränkung: ‚Arbeit‘ ist nach den Texten des Alten Testaments ein selbstverständlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens, sie ist aber kein eigenständiges Thema. Aussagen über die Arbeitswelt, die Bewertung der Arbeit und ihre Bedeutung für den Einzelnen wie für die Gemeinschaft fließen mehr nebenbei ein und sind in der ganz überwiegenden Zahl der Belege anderen Gegenständen zugeordnet.4 Aufs Ganze gesehen lässt sich für das Alte Testament wie für den alten Vorderen Orient insgesamt festhalten, dass die Bestimmung des Menschen in der ‚Arbeit‘ liegt. Insofern ist ‚Arbeit‘ ein im weitesten Sinne anthropologisches Thema. Vor einer weitergehenden Systematisierung wird man sich jedoch aus grundsätzlichen Überlegungen hüten müssen, suggerieren doch alle systematisierenden Zugriffe auf die Textvielfalt des Alten Testaments eine traditions- und zeitübergreifende Einheitlichkeit der Vorstellungen, die es unbeschadet der weithin geteilten agrarischen Lebensweise historisch geurteilt nie gegeben hat. Ein Kleinbauer im mittelpalästinischen Bergland wird anders über Sinn und Ethos der Arbeit gedacht haben als ein Schuldsklave auf einer königlichen Domäne in Samaria, ein Schreiber am
4 Vgl. H. D. PREUSS 1978: Art. Arbeit I. Altes Testament, TRE 3, 613–618, 613. Für einen Überblick vgl. ferner W. SCHOTTROFF 1991: Art. Arbeit (I) Im AT, NBL, 151–153; J. EBACH 1998: Art. Arbeit II. Biblisch, RGG4 1, 678–680 (jeweils mit weiterführender Literatur). Im Alten Testament sind die Zwangsarbeit – in Ägypten (Ex 1–15) oder im eigenen Land (1Kön 12) – und die Befreiung aus derartiger Unterdrückung ein wichtiges Thema mit weitreichenden Folgen für die Ausformulierung eines spezifisch alttestamentlichen Sozialethos (vgl. u.a. Dtn 5,15; 15,15). Wenngleich über Generationen hinweg immer wieder bittere Realität, bleibt dieser Aspekt des Themas ‚Arbeit‘ im Folgenden ausgeklammert, wenn es darum geht, die Bewertung alltäglicher Arbeit im Alten Testament zu skizzieren. Zwangsarbeit stellt nach Auffassung der alttestamentlichen Autoren die Perversion der grundsätzlich positiv bewerteten Arbeit dar und ist insofern vor allem unter den Gesichtspunkten der Befreiung und mahnenden Erinnerung in sozialethischer Abzweckung von Interesse. Die aus den fraglichen Texten zu erschließenden Informationen über die spezifischen Arbeitsbedingungen sind gut aufgearbeitet in J. KEGLER 1983: Arbeitsorganisation und Arbeitskampfformen im Alten Testament, in: L. Schottroff/W. Schottroff (Hg.), Mitarbeiter der Schöpfung. Bibel und Arbeitswelt, München, 51–71.
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6. „Im Schweiße deines Angesichts ...“
Tempel in Jerusalem anders als ein judäischer Söldner in ägyptischen Diensten oder als ein Händler im phönizischen Hinterland. Diese Differenzierung ließe sich etwa im Blick auf historische Entwicklungen oder auf die Genderperspektive noch weitertreiben. Gefordert wäre also mit Blick auf unser Thema eine historische Anthropologie, welche die Unterschiedlichkeit der materiellen Lebensbedingungen, die demographischen und sozialen Besonderheiten einzelner Epochen und Regionen, die historisch variablen Wahrnehmungs- und Handlungsmuster, kurz die Fülle der konkreten Existenzformen des Menschen in alttestamentlicher Zeit in Rechnung zu stellen und zu entfalten [hätte].5
Es ist allerdings fraglich, ob das uns vorliegende Quellenmaterial ein solches Unternehmen überhaupt zulässt. Ich greife einen Aspekt des Themas heraus: Es bedarf nur wenig historischer Phantasie, um sich die Unfallgefahren des antiken Arbeitslebens auszumalen. Gleichwohl erfahren wir kaum etwas über den in der Gegenwart vielverhandelten Zusammenhang von Arbeit und Krankheit. Arbeitsunfälle werden, soweit mir bekannt, lediglich im Zusammenhang von Rechtsbestimmungen zu Fällen von Körperverletzung angesprochen.6 So dient ein Arbeitsunfall beim Holzhacken als Beispiel für eine Körperverletzung ohne Vorsatz: Wer seinen Nächsten ohne Wissen erschlägt und ihn nicht schon seit längerem hasste ‒ etwa wer mit seinem Nächsten in den Wald geht, um Holz zu schlagen, und seine Hand holt mit der Axt aus, um das Holz abzuhauen, und das Eisen fährt vom Stiel und trifft seinen Nächsten, dass er stirbt ... (Dtn 19,4f*)
In einem anderen Fall von Körperverletzung hat der grob fahrlässig handelnde Täter neben den Heilungskosten auch den Verdienstausfall des Geschädigten zu erstatten (Ex 21,18f). Ein interessanter Fall von Krankschreibung findet sich im Danielbuch, wo wir nach einer grausigen Visionsschilderung lesen: „Und ich, Daniel, war erschöpft und einige Tage krank. Dann stand ich auf und verrichtete die Geschäfte des Königs“ (Dan 8,27). Von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall verlautet nichts, doch wurde Daniel als Bediensteter des Königs ohnehin alimentiert, so dass sich ihm dieses Problem vermutlich gar nicht gestellt hat. So interessant die geschilderten Fälle auch sein mögen, dass mit ihnen das gesamte Feld von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und Arbeitsunfähigkeit für das antike Israel beschrieben ist, lässt sich schwerlich behaupten. So stoßen wir in der Beschreibung der Arbeitswelt immer wieder an Grenzen, selbst wenn
B. JANOWSKI 2003b: Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, Neukirchen-Vluyn, 2 Anm. 3 mit weiterer Literatur. 6 Vgl. hierzu J. CH. G ERTZ 2006b: Regulierung von Gewalt in Gesellschaft und Politik im Alten Testament, in: F. Schweitzer (Hg.), Religion, Politik und Gewalt. Kongressband des XII. Europäischen Kongresses für Theologie, VWGTh 29, Gütersloh, 310–323. 5
II. Die ökonomischen Rahmenbedingungen
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wir unsere Quellen um Analogien aus der Umwelt und aus Beobachtungen in vergleichbaren, aber wesentlich jüngeren Gesellschaften ergänzen. Immerhin wird man für die vorhellenistischen Texte des Alten Testaments von einer gewissen Einheitlichkeit der Wirtschaftsweise ausgehen dürfen, die in der Antike mehr noch als heute durch die klimatischen, geographischen und ökologischen Bedingungen des Lebensraumes bestimmt ist7 und die zum Teil bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts die Lebenswelt in Palästina geprägt hat.8 Der Großteil der Bevölkerung lebte in kleineren Orten und Städten, insgesamt dürften 95% der Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt gewesen sein. Die Fläche der meisten Orte auf dem Lande betrug allenfalls 2 ha, woraus man auf maximal 500 Einwohner schließen kann. Lediglich wenige Städte wie Dan, Hazor, Lachisch, Akko oder Dor hatten bis zu 5.000 Einwohner, das Gebiet der beiden Hauptstädte Samaria und Jerusalem umfasste in der staatlichen Zeit (EZ II) maximal 60 ha beziehungsweise 70 ha, sodass von vielleicht 15.000 beziehungsweise 17.500 Einwohnern ausgegangen werden kann.9 Ein Vergleich mit den Metropolen Mesopotamiens, der sich auch durch einen Abgleich der erhaltenen Kunstgegenstände und Architekturreste bestätigen lässt, zeigt die relativ bescheidenen Verhältnisse auch in den Residenzen. Für die wenigen größeren Städte ist eine arbeitsteilige Organisation mit spezialisierten Berufen wie Bäckern, Schreinern, Metallhandwerkern und Töpfern sowie mit einigen wenigen Beschäftigten im öffentlichen Sektor, also Militär, Verwaltung und (Staats-)Kult, und im Bereich der Dienstleistung wie Händlern, Schankwirten, Prostituierten belegt. So hat es in Jerusalem eine Bäckergasse (Jer 37,21) und eine Walkerfeldstraße (Jes 7,3) gegeben, was auf eine Kon-
An dieser Stelle darf der Hinweis auf Fernand Braudel und die Unterscheidung von „histoire de la longue durée: temps géographique“, „histoire conjoncturelle: temps social“ und „histoire événementielle: temps individuel“ sowie Albrecht Alts Rede vom „Rhythmus der Geschichte Syriens und Palästinas“ nicht fehlen. Vgl. F. BRAUDEL 1990: La Méditerranée et le monde méditerranéen à l’époque de Philippe II, Bd. 1+2 (1949), 9. Aufl., Paris; DERS. 1977: Die lange Dauer (La longue durée), in: Th. Schieder/K. Gräubig (Hg.), Theorieprobleme der Geschichtswissenschaft, WdF 378, Darmstadt, 164–204; A. ALT 1968: Der Rhythmus der Geschichte Syriens und Palästinas im Altertum (1944), in: ders., Kleine Schriften zur Geschichte des Volkes Israel, Bd. III, 2. Aufl., München, 1–19. Einen Überblick über die Landes- und Altertumskunde des antiken Israel bietet W. ZWICKEL 2002: Einführung in die biblische Landes- und Altertumskunde, Darmstadt. 8 Vgl. dazu G. D ALMAN 1928–1942: Arbeit und Sitte in Palästina, Bd. 1–7, Gütersloh (Nachdr.: Hildesheim 1964) und DERS. 2001: Arbeit und Sitte in Palästina, Bd. 8, Berlin/New York. 9 Vgl. J. R. ZORN 1994: Estimating the Population Size of Ancient Settlements: Methods, Problems, Solutions, and a Case Study, BASOR 295, 31–48. Zur Stadtentwicklung sowie dem städtischen Leben und Wirtschaften im antiken Israel vgl. V. FRITZ 1990: Die Stadt im alten Israel, München. 7
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6. „Im Schweiße deines Angesichts ...“
zentration bestimmter Handwerkszweige, vielleicht auch auf eine Art zunftmäßige Organisation schließen lässt. Nicht alle Spezialisten waren vor Ort vorhanden, weshalb für Großprojekte wie den Tempel- und Palastbau ausländische Fachkräfte geholt werden mussten (1Kön 5,20; 7,13 u.ö.). In den kleinen Ortschaften lebten die Menschen dagegen nahezu ausschließlich von Ackerbau und Viehzucht. Sie waren weitgehend Selbstversorger. Die meisten Gebrauchsgüter und einfachen Gerätschaften für den Haushalt wurden selbst hergestellt. Da die antike Landwirtschaft in der Regel nur einen geringen Überschuss erwirtschaftete,10 konnten nur die wenigsten Dinge von Handwerkern in größeren Orten oder reisenden Händlern eingetauscht werden. Hierzu gehören Schmuck, Kunsthandwerk, Keramik, Waffen und andere Metallgegenstände. Der Arbeitsalltag war im Wesentlichen dadurch bestimmt, dass die benötigte Energie nahezu ausschließlich durch menschliche oder tierische Kraft beigebracht wurde, weshalb die Arbeitsabläufe aus langen, sich unablässig wiederholenden Sequenzen bestanden haben.11 So wird allein das Mahlen des täglichen Mehlbedarfs ein bis zwei Stunden in Anspruch genommen haben, in denen die Frauen noch vor dem Morgengrauen (vgl. Prov 31,15) den Oberstein der Handmühle „mit einer energischen Armbewegung und festem Druck über den Unterstein reiben, [...] Korn auf die Mahlfläche nachstreuen und das Mehl oder den Gries in einen Behälter schütten [mussten]“12. Ähnlich lang dauerte das Buttern der Milch, noch länger das Dreschen des Getreides oder das Pflügen des Ackers, das sich bis in die Abendstunden ziehen konnte (Ri 19,16). Schier unermesslich war der Bedarf an Arbeitskräften. Wie in allen Gesellschaften des Altertums wurde auch die kindliche Arbeitskraft im häuslichen
10 Eine bedeutende Ausnahme stellten der Anbau von Wein und Oliven dar. Vor allem Öl war ein begehrter Exportartikel, da weder Ägypten noch Mesopotamien aufgrund ungünstiger Anbaubedingungen den Bedarf selbst decken konnten. So wurde im 7. Jahrhundert unter neuassyrischer Oberherrschaft in Tel-Miqne, dem (philistäischen) Ekron des Alten Testaments, eine industrielle Anlage mit gut 200 Ölpressen errichtet, in der die Olivenernte des (judäischen) Berglandes für den Export verarbeitet wurde. Vgl. D. EITAM 1996: The Olive Oil Industry at Tel Miqne-Ekron in the Late Iron Age, in: ders./M. Heltzer (Hg.), Olive Oil in Antiquity. Israel and Neighbouring Countries From Neolithic to the Early Arab Period, Podova, 37–56; S. GITIN 1996: Tel-Miqne-Ekron in the 7th Century B.C.: City Plan Development and the Oil Industry, in: D. Eitam/M. Heltzer (Hg.), Olive Oil in Antiquity, 219–242. 11 Für diesen Gesichtspunkt aus der ungewohnten Perspektive der Alltagsgeräusche vgl. H. WEIPPERT 2002: Der Lärm und die Stille. Ethno-archäologische Annäherungen an das biblische Alltagsleben, in: A. Lemaire (Hg.), Congress Volume Basel 2001, VT.S 92, Leiden und Boston/MA, 163–184. 12 AaO 182f.
II. Die ökonomischen Rahmenbedingungen
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Umfeld beansprucht.13 Am Anfang manch steiler Karriere eines Mannes steht das Hüten des Kleinviehs (1Sam 16,11). Die Mädchen nahmen an den Frauenarbeiten, der Textilarbeit und der Versorgung von Familie und Gästen teil. Auch die Alten dürften so lange wie möglich gearbeitet und damit für den Lebensunterhalt ihrer Familien gesorgt haben. Altersbeschränkungen sind jedenfalls allein für die Priesterschaft belegt, was freilich nicht ausschließt, dass etwa Leviten vor dem dreißigsten und nach dem fünfzigsten Lebensjahr eine andere Tätigkeit ausgeübt haben.14 Besonders groß war der Bedarf an Arbeitskräften bei öffentlichen Großprojekten. So hat man für den Bau der Stadtmauer im Jerusalem der mittleren Bronzezeit bei einer Länge von 1.000 m, einer Höhe von 5 m und einer Breite von 2,8 m einen Bedarf an 15.680 Arbeitstagen für Lastesel und 30.260 Arbeitstagen für Bauleute errechnet, und das bei einer Einwohnerzahl von vielleicht 1.500 Einwohnern.15 Entsprechend ist für die Königszeit mehrfach belegt, dass Kriegsgefangene, aber auch die eigene Bevölkerung zu Fronarbeiten herangezogen worden sind (1Kön 12). Letzteres war auch notwendig, um den Bedarf der an sich eher bescheidenen königlichen Hauswirtschaft zu decken (vgl. 1Sam 8).16 Und schließlich sind in diesem Zu-
Zur Lebenswirklichkeit von Kindern im antiken Israel und in den Nachbarkulturen vgl. die Beiträge in: A. KUNZ-LÜBCKE/R. LUX (Hg.) 2006: „Schaffe mir Kinder ...“. Beiträge zur Kindheit im alten Israel und in seinen Nachbarkulturen, ABIG 21, Leipzig. 14 Interessanterweise wurden diese arbeits- und kultrechtlichen Bestimmungen im Laufe der Zeit gelockert und so offenkundig sich wandelnden Erfordernissen angepasst (Num 8,23–26 im Vergleich zu Num 4,2ff). 15 Vgl. B. B OAS-V EDDER 2001: Appendix 2. Jerusalem: The Wall of the MB II Period, in: M. L. Steiner, Excavations by Kathleen M. Kenyon in Jerusalem 1961–1967, Vol. III: The Settlement in the Bronze and Iron Ages, Sheffield, 137–153. Der Bau der Mauer umfasst natürlich auch die Bereitung eines Fundaments, eines Versorgungsweges etc. Der Berechnung der Einwohnerzahl liegt der Schlüssel von 300 Einwohnern pro ha Siedlungsfläche zugrunde. 16 An dieser Stelle kann offenbleiben, ob die Arbeit auf den königlichen Domänen nur durch Fronpflichtige geleistet wurde. Einen Einblick in Wirtschaftsweise und Abgabenwesen vermitteln die Ostraka von Samaria (vgl. D. CONRAD 1982–85: Hebräische Dokumente, in: TUAT I, Gütersloh, 247–252, darin: 248f) und die Krugstempel aus Juda (vgl. dazu H. M. NIEMANN 1993: Herrschaft, Königtum und Staat. Skizzen zur soziokulturellen Entwicklung im monarchischen Israel, FAT 6, Tübingen, 156–169) sowie ein Ostrakon des 7. Jahrhunderts mit einem Bittschreiben eines zum Frondienst (?) herangezogenen Erntearbeiters aus dem Militärstützpunkt Jabne-Yam (vgl. CONRAD 1982–85, 249f sowie F. CRÜSEMANN 1983: „... damit er dich segne in allem Tun deiner Hand ...“ [Dtn 14,29]. Die Produktionsverhältnisse der späten Königszeit, dargestellt am Ostrakon von Meṣad Ḥashavjahu, und die Sozialgesetzgebung des Deuteronomiums, in: L. Schottroff/W. Schottroff [Hg.], Mitarbeiter der Schöpfung. Bibel und Arbeitswelt, München, 72–103.) Einen Überblick über die Sozialgeschichte des antiken Israel bietet R. KESSLER 2006: Sozialgeschichte des alten Israel. Eine Einführung, Darmstadt (mit weiterer Literatur). 13
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6. „Im Schweiße deines Angesichts ...“
sammenhang auch die Deportationen seitens der assyrischen und babylonischen Eroberer zu erwähnen. Ließ der neuassyrische Großkönig Sargon II. (722–705 v. Chr.) nach eigenen Angaben über 27.000 Einwohner aus Samaria und Umgebung deportieren,17 so geschah dies sicherlich, um die Widerstandskraft des Nordreichs endgültig zu brechen. Es geschah aber auch aus arbeitspolitischen Gründen, wurden doch mit den Deportierten der eigenen (Haus-)Wirtschaft dringend benötigte Fachleute und einfache Arbeitskräfte zugeführt.18 Ein weiterer wichtiger Faktor im Wirtschaftsleben des antiken Israel ist die Überschuldung. Natürlich liegen uns auch hier keine genauen Zahlen vor. Aufgrund der einschlägigen rechtlichen Bestimmungen zum Zinsnehmen und zur Schuldsklaverei lässt sich aber vermuten, dass die Verschuldung im antiken Israel wie in vielen anderen Gesellschaften des Altertums ein drängendes soziales Problem dargestellt hat.19 Die Ursachen sind bekannt: Eine landwirtschaftliche Produktion, die kaum die Bildung von Kapital erlaubte, und die große Abhängigkeit von klimatischen Bedingungen haben Bauern immer wieder zur Aufnahme rein konsumtiver Darlehen zur Deckung von Grundbedürfnissen gezwungen. Durch die Aufnahme derartiger Darlehen, zu denen in einer Subsistenzwirtschaft auch die Saatleihe gehört, entsteht jedoch kaum Gegenwert, aus dem die Schulden beglichen und zusätzlich noch Zinsen bezahlt werden können. Die außerordentliche Höhe des üblichen Zinsfußes wird dann zusammen mit hohen Steuern und Abgaben ein Übriges dazu getan haben, dass weite Bevölkerungskreise so hoch verschuldet waren, dass sie kaum noch sinnvoll wirtschaften konnten. Für das antike Israel bilden die Verschuldung und damit zusammenhängende Folgeprobleme den Erfahrungshintergrund prophetischer Kritik an der Verweigerung des ohnehin geringen Lohns (Jer 22,13) sowie an Ausbeutung und Unterdrückung wirtschaftlich Abhängiger. Sie sind aber auch der Anlass für Ansätze einer Sozialgesetzgebung mit dem Ziel einer Grundsicherung gewesen, wie wir sie im Buch Deuteronomium des ausgehenden 7. Jahrhunderts v. Chr. finden (vgl. Dtn 14,22–29: Abgabe des Zehnten; 15,1–11: Erlassjahr; 15,12–18: Freilassung von Schuldsklaven; 23,20f: Zinsverbot; 24,19–22: Freigabe der Nachlese).
Die Auskunft findet sich u.a. in den Annalen Sargons (vgl. R. BORGER 1982–85: Historische Texte in akkadischer Sprache aus Babylonien, in: TUAT I, Gütersloh, 354–410, 379), im Kalah-Prisma (aaO 382) und in der „großen Prunkschrift“ (aaO 383f). Zu den Deportationen vgl. B. ODED 1979: Mass Deportations and Deportees in the Neo-Assyrian Empire, Wiesbaden. 18 Zur Arbeitsorganisation im neuassyrischen Reich vgl. J. N. POSTGATE 1987: Employer, Employee and Employment in the Neo-Assyrian Empire, in: M. A. Powell (Hg.), Labor in the Ancient Near East, AOS 68, New Haven/CT, 257–270. 19 Vgl. J. C H. G ERTZ 2004a: Art. Zins II. Altes und Neues Testament, TRE 36, 672–674 (mit weiterer Literatur). 17
III. Arbeit als Thema des Alten Testaments
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III. Arbeit als Thema des Alten Testaments Lassen wir die Nachrichten zum Wirtschaftsleben des antiken Israel noch einmal Revue passieren, so haben wir es mit einer vorneuzeitlichen, im direkten historischen Vergleich wenig entwickelten Ökonomie und deren typischen Problemkonstellationen zu tun. Für die Bibelinterpretation der Reformation wird man immer zu bedenken haben, dass sich die biblische und die zeitgenössische Alltagswirklichkeit zumindest im Hinblick auf die Produktionsbedingungen einer vornehmlich agrarischen Wirtschaft und das Problem der Verschuldung noch weitgehend gedeckt haben. Dass dies für unsere eigene Gegenwart nicht der Fall ist, bedarf keiner Erläuterung. Doch die Beschreibung der Wirtschaftsweise ist nur die eine Seite, ihre Wahrnehmung und Deutung durch die betroffenen Menschen ist eine andere, zumal ähnliche und gleiche Erfahrungen in verschiedenen religiösen und kulturellen Kontexten sehr unterschiedlich bewertet werden können. Hinzu kommt, dass Wahrnehmungen und Deutungen mitunter einen Geltungsanspruch formulieren, der über die konkrete Situation hinausgeht und der bleibend kulturprägend wirken kann. Ich gehe die einschlägigen Texte kurz durch. Arbeit ist für die alttestamentlichen Autoren ein selbstverständlicher Bestandteil menschlichen Lebens.20 Schon für das ‚Paradies‘ ist dem Menschen aufgetragen, den Garten zu bebauen und zu bewahren (Gen 2,15). Ebenso selbstverständlich ist der Mensch der vorfindlichen Welt als ein arbeitender vorgestellt. So ist nach Psalm 104 das Arbeiten des Menschen geradezu ein Charakteristikum der wohlgeordneten Welt: Du [gemeint ist Gott] bestellst Finsternis, und es wird Nacht. In ihr regen sich alle Tiere des Waldes. Die Junglöwen brüllen nach Raub, sie fordern von Gott ihre Speise. Geht die Sonne auf, ziehen sie sich zurück und lagern sich in ihren Verstecken. Der Mensch geht aus an sein Werk, an seine Arbeit bis zum Abend. (Ps 104,20–23)
Gehört die Nacht den wilden und gefährlichen Tieren, so der Tag dem Menschen und seiner Arbeit, wie der Psalmist „eindringlich und gewissermaßen als wichtigste Erkenntnis der Weltbeobachtung mitteilen will“21. Im Unterschied zu den Tieren erfährt der Mensch seine Bestimmung nicht über die Zuteilung eines Lebensraumes, sondern durch die ihm mit der Arbeit gestellte Lebensaufgabe.22 Anders formuliert: Löwen brüllen (nachdem sie ein Beutetier gerissen haben), Menschen arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu sichern.
20 Einen Überblick zu den alttestamentlichen Texten bieten PREUSS 1978; EBACH 1998; V. HIRTH 1989: Die Arbeit als ursprüngliche und bleibende Aufgabe des Menschen. Beobachtungen am Alten Testament, BZ 33, 210–221. Vgl. dort jeweils auch zum Folgenden. 21 H. SPIECKERMANN 1989: Heilsgegenwart. Eine Theologie der Psalmen, FRLANT 148, Göttingen, 38f. 22 Vgl. ebd.
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6. „Im Schweiße deines Angesichts ...“
Dass der Mensch seinen Lebensunterhalt durch Arbeit auch tatsächlich sichern kann und soll, dass Gott, wie es in Psalm 104 heißt, Gras hervorsprossen lässt für das Vieh und Pflanzen zum Dienst des Menschen, damit er Brot hervorbringe aus der Erde 15 und Wein, der des Menschen Herz erfreut; damit er das Angesicht glänzend mache vom Öl und Brot des Menschen Herz stärke (Ps 104,14f),
das ist die feste Überzeugung der älteren Weisheitsliteratur.23 Sie vertritt ein Arbeitsethos, das zum Fleiß mahnt, diesem auch Erfolg zusagt und entsprechend vor den Folgen der Faulheit warnt: „Bei jeder Mühe gibt es Gewinn, leeres Geschwätz führt nur zu Mangel“ (Prov 14,23). Das Grundmuster, wonach Fleiß sättigt und Faulheit eine selbstschädigende Dummheit ist, hält sich in allen Sentenzen durch. Unverkennbar ist ihr agrarischer Hintergrund: „Wer seinen Acker bestellt, sättigt sich mit Brot, wer nichtigen Dingen nachjagt, ist ohne Verstand“ (Prov 12,11), „Wer im Sommer sammelt, ist ein kluger Sohn, wer zur Erntezeit schläft, ist ein schändlicher Sohn“ (Prov 10,5). Besonderen Eindruck scheint die Geschäftigkeit der Ameise hinterlassen zu haben: Geh hin zur Ameise, du Fauler, sieh ihre Wege an und werde weise! Sie hat keinen Anführer, keinen Aufseher und Gebieter, und doch sorgt sie im Sommer für Futter, sammelt sich zur Erntezeit Vorrat. Bis wann, du Fauler, willst du noch liegen? Wann willst du aufstehen von deinem Schlaf? Noch ein wenig Schlaf, noch ein wenig Schlummer, noch ein wenig Händefalten, um auszuruhen – da kommt schon die Armut wie ein Strolch über dich, die Not wie ein zudringlicher Bettler. (Prov 6,6–11)
Bemerkenswert sind die Ausreden, die der Faule ersinnt, um nicht arbeiten zu müssen: „Es sagt der Faule: ‚Ein Löwe ist unterwegs, ein Löwe mitten auf der Straße‘“ (Prov 26,13), was den Weisen nur zu der spöttischen Bemerkung veranlasst: „Die Tür dreht sich in der Angel und der Faule auf seinem Bett“ (Prov 26,14). Natürlich werden derartige Vorstellungen immer wieder von der Erfahrung durchkreuzt. Doch scheint sich das Arbeitsethos in der älteren Zeit auf das (Familien-)Ganze gesehen zu bewähren. Insbesondere in der nachexilischen Zeit wird der Optimismus, der Fleiß mit (bescheidenem) Reichtum und Wohlstand belohnt sieht, aber auf eine schwere Probe gestellt. So kommt Arbeit zunehmend als eine zu beklagende Mühsal in den Blick (vgl. Ps 90,10; Hi 5,7; Koh 2,21). Eine hohe Steuerlast und Abgaben an die fremde Oberherrschaft, die Kosten für die Restituierung des Gemeinwesens und nicht zuletzt die zunehmende Einführung der Geldwirtschaft drängen die ohnehin ärmere Landbevöl-
23 Für einen Überblick vgl. TH. H IEKE 1998: „Geh zur Ameise, du Fauler ...“ (Spr 6,6). Zur Beurteilung der menschlichen Arbeit in den Psalmen und der biblischen Weisheitsliteratur, LebZeug 53, 19–31.
III. Arbeit als Thema des Alten Testaments
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kerung in der ausgehenden Perserzeit und später dann unter den Ptolemäern häufig unter das Existenzminimum.24 Schließlich bleibt selbst die dichtende Oberschicht nicht von der bitteren Erkenntnis verschont, dass mitunter Arbeit vergeblich und Erfolg unverdient sind. So beobachtet Kohelet:25 Es gibt ein Übel, das ich unter der Sonne gesehen habe, und es lastet schwer auf den Menschen: Da ist ein Mann, dem der Gott Reichtum, Vermögen und Ehre gibt, und es mangelt ihm an nichts von allem, was er begehrt; doch der Gott ermöglicht es ihm nicht, davon zu essen, sondern ein Fremder verzehrt es. Das ist nichtig und ein schlimmes Übel. (Koh 6,1f; vgl. 2,21)
Doch aus der Einsicht in die Vergeblichkeit allen Mühens folgt keinesfalls die Aufforderung zur Faulheit. Im Gegenteil! Es ist ein Gottesgeschenk, wenn sich jemand anstrengt und dann die Früchte seiner Arbeit auch genießen kann (Koh 5,17–19). Gerade Widerfahrnis und Unverfügbarkeit des Daseins raten dazu, weiterhin seine Arbeit zu tun: „Was immer du zu tun vermagst, das tu. Denn es gibt weder Tun noch Planen, noch Kenntnis, noch Weisheit in der Unterwelt, in die du gehst“ (Koh 9,10). Aus dieser Einsicht heraus fordert Kohelet zum Tun des jeweils Nötigen und Möglichen auf. „Menschliches Handeln soll sich also nicht [...] an der Erwartung zukünftiger Rückwirkungen auf den Handelnden orientieren, sondern an den Erfordernissen der Gegenwart“26, und das schließt Arbeit zum Lebensunterhalt ausdrücklich ein. Die bleibende Wertschätzung der Arbeit bei Kohelet ist deswegen so bemerkenswert, weil es sich um dasjenige alttestamentliche Buch handelt, das am stärksten vom griechischen Denken beeinflusst ist, das zum Teil zu einer anderen Bewertung von (körperlicher) Arbeit gelangt. Die in der Adelsgesellschaft der homerischen Epen und in der archaischen Zeit durchaus noch wertgeschätzte körperliche Arbeit erfährt in der Klassik mitunter eine deutliche Abwertung. So bezeichnen in der klassischen griechischen Philosophie Arbeit und Muße nicht selten Klassengegensätze, und die Arbeit gilt weitgehend als die Aufgabe von Sklaven. Nach Aristoteles ist derjenige, der körperlich arbeiten muss, unfähig, sich in der Tugend zu üben, weswegen es nur zu konsequent ist,
Vgl. dazu die Fallstudie bei W. SCHOTTROFF 1983: Arbeit und sozialer Konflikt im nachexilischen Juda, in: L. Schottroff/W. Schottroff (Hg.), Mitarbeiter der Schöpfung, Bibel und Arbeitswelt, München 104–148; sowie H. G. KIPPENBERG 1982: Religion und Klassenbildung im antiken Judäa. Eine religionssoziologische Studie zum Verhältnis von Tradition und gesellschaftlicher Entwicklung, StUNT 14, 2. Aufl., Göttingen, 78ff, 90ff. Ferner KESSLER 2006, 143–148, 177f; E. S. GERSTENBERGER 2005: Israel in der Perserzeit. 5. und 4. Jahrhundert v. Chr., BE 8, Stuttgart, 68ff, 93ff (jeweils mit weiterführender Literatur). 25 Zur Auslegung und Übersetzung vgl. TH. K RÜGER 2000: Kohelet (Prediger), BK XIX Sonderband, Neukirchen-Vluyn, jeweils zur Stelle. 26 AaO 307. 24
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dass er vom politischen Leben ausgeschlossen ist.27 Wie gesehen, votiert Kohelet mit dem gesamten Alten Testament anders. Anklänge an die Vorstellung, dass die Philosophie und Politik ermöglichende Muße das Ideal ist, finden sich allenfalls bei Jesus Sirach (vgl. Sir 38,24ff). Allerdings zielt seine Aussage „Die Weisheit des Schriftgelehrten vermehrt das Wissen. Wer frei ist von Arbeit, kann sich der Weisheit widmen“ (Sir 38,24) wohl eher darauf, der relativ neuen Tätigkeit eines Schriftgelehrten mit Schulhaus den gleichen Status wie der herkömmlichen Erwerbsarbeit zuzusprechen.28 Kommen wir zur Skepsis eines Kohelet zurück, dann bleibt festzustellen, dass sich andere Stimmen des Alten Testaments mit dieser Haltung angesichts der wirtschaftlichen Gegebenheiten nicht zufriedengeben mochten. Sie formulierten stattdessen eine fromme Kritik an dem Gedanken, allein auf die eigene Arbeit zu bauen. Besonders radikal fällt sie in Psalm 127 aus: Wenn JHWH das Haus nicht baut, arbeiten umsonst, die daran bauen. Wenn JHWH die Stadt nicht bewacht, umsonst wacht der Wächter. Es ist umsonst, wenn ihr früh aufsteht, euch spät niedersetzt und das Brot der Mühen esst: Dem Seinen gibt er es im Schlaf. (Ps 127,1f)
Man hat den Psalm einem der „sonnigere[n] Gemüter“ zugeschrieben, „die im Vertrauen auf Gottes rechtzeitige Hilfe ohne einen Blick auf die Zukunft von Tag zu Tag leben und sich der Lilien auf dem Felde getrösten“29. Das ist nicht falsch, dürfte aber die Brisanz des Problems und seiner Analyse in Psalm 127 eher verdecken. Es geht um die Zuordnung von Arbeit und Leistung einerseits und Ertrag und Erfolg andererseits. Die geschilderte Arbeitswirklichkeit ist diejenige des einfachen Volkes: Bauleute und Wächter in V. 1, während V. 2 an den Arbeitsalltag eines Bauern erinnert, der von früh bis spät arbeitet und dann am Abend seine Hauptmahlzeit einnimmt,30 die angesichts der ewig gleichbleibenden Anstrengungen als „Brot der Mühe“ bezeichnet wird. Gemessen an den oben zitierten Sentenzen der älteren Spruchweisheit verhalten
27 Vgl. Arist.Pol. 3,5,1278a und dazu Arist.e.N. 1161b. Es versteht sich von selbst, dass dieses elitäre Selbstverständnis „der“ Philosophie etwa von Vertretern des Handwerks nicht geteilt wurde. Für eine erste (notwendige) Differenzierung vgl. S. VON REDEN 1996: Art. Arbeit 2, Griechenland und Rom, in: DNP 1, Stuttgart, 964–969. 28 Vgl. dazu die Darstellung bei F. V. R EITERER 1991: Die Stellung Ben Siras zur „Arbeit“. Notizen zu einem kaum berücksichtigten Thema sirazidischer Lehre, in: ders. (Hg.), Ein Gott, eine Offenbarung. Beiträge zur biblischen Exegese, Theologie und Spiritualität. Festschrift N. Füglister, Würzburg, 257–289; ferner J. MARBÖCK 1979: Sir. 38,24–39,11: Der schriftgelehrte Weise. Ein Beitrag zu Gestalt und Werk Ben Siras, in: M. Gilbert (Hg.), La Sagesse de l’Ancien Testament, BETL 51, Leuven, 293–316. 29 H. G UNKEL 1926: Die Psalmen, HK II.2, 4. Aufl., Göttingen, 554. Das Zitat findet sich bei H. IRSIGLER 1987: „Umsonst ist es, daß ihr früh aufsteht ...“ Psalm 127 und die Kritik der Arbeit in Israels Weisheitsliteratur, BN 37, 48–72, 49. Vgl. dort auch zum Folgenden. 30 Vgl. IRSIGLER 1987, 56 mit Hinweis auf G. D ALMAN 1928–1942, Bd. I/2, 596, 633f.
III. Arbeit als Thema des Alten Testaments
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sich Bauleute, Wächter und Bauern richtig. Dennoch wird ihnen entgegengehalten beziehungsweise angesichts konkreter Lebenserfahrung bescheinigt, dass ihr Tun umsonst, lateinisch frustra, ist. Wird der Frustration entgegengestellt, dass der Erfolg des Tuns bei Gott liegt (vgl. auch Gen 4,12), so läuft das auf eine Kritik am Arbeitsethos der älteren Weisheit hinaus. Diese hat, so die Kritik, in ihrem rationalen Leistungsdenken und Erfolgsoptimismus das Unverfügbare nicht mit in den Blick genommen. Aus dieser Perspektive geurteilt, denkt die ältere Weisheit gottlos. Die Notwendigkeit der Arbeit zur Sicherung des Lebensunterhalts wird damit sicher nicht prinzipiell in Abrede gestellt. Es geht vielmehr um die Kritik an einer Haltung, die im Erfolg gelungener Arbeit nur die Früchte eigener Anstrengung erkennt und die den monotonen „Kreislauf von Mühe und Brot als ehernes Lebensgesetz betracht[et]“31. Im provozierenden Bild des JHWH-Lieblings, der wie im Schlaf, also ohne Mühen, seinen Lebensunterhalt zu sichern vermag, werden Tüchtigkeitsregeln und Leistungsgedanken durch das „irrationale Moment göttlicher Freiheit“32 relativiert. Für ein angemessenes Verständnis dieser Aussage wird man sich dabei die extrem angespannte wirtschaftliche Situation der nachexilischen Zeit vor Augen halten müssen: Die Adressaten von Psalm 127 plagen sich nicht ab, um Wunschträume erfüllt zu bekommen. Ihnen geht es um die Sicherung des Lebensnotwendigen. Hierzu sind sie in einen unerbittlichen Leistungszwang eingezwängt. Entsprechend warnt der Dichter des Psalms nicht vor Hochmut, falschem Ehrgeiz, Sucht nach Arbeit und dergleichen, sondern er warnt vor zwanghafter Arbeit um das tägliche Brot, und er ermutigt zum Vertrauen. Der nachfolgende Psalm 128 verschiebt den Akzent dieser Aussage nochmals leicht, insofern er nicht die unverfügbare Gabe Gottes ins Zentrum stellt, sondern dem Gottesfürchtigen Segen zusagt. Segen heißt in diesem Zusammenhang, dass er den Ertrag seiner Hände Arbeit genießen kann: „Gesegnet, der JHWH fürchtet, der auf seinen Wegen wandelt! Dass du den Ertrag deiner Hand genießen mögest!“ (Ps 128,1–2a). Mit dem Segenswunsch von Psalm 128 sind wir inhaltlich schon sehr nahe bei den Zukunftsaussagen des Alten Testaments. Sie bestätigen das gewonnene Bild aus einer Perspektive zuversichtlicher Erwartung. Die zuletzt vorgeführten Texte gehen von einer beklagenswerten Erfahrungswirklichkeit aus. In dieser Situation entwerfen späte prophetische Texte ein Gegenbild, das sich dadurch auszeichnet, dass für die erhoffte Heilszeit der Ertrag der Arbeit gesichert ist, womit gerade kein Leben ohne Arbeit gemeint ist. So beschreibt der nachgetragene Schluss des Amosbuches die künftige messianische Heilszeit als Zeit unvorstellbarer Fruchtbarkeit:
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IRSIGLER 1987, 63. AaO 60.
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6. „Im Schweiße deines Angesichts ...“
Siehe, Tage kommen, spricht JHWH, da rückt der Pflüger nahe an den Schnitter heran und der Traubentreter an den Sämann, und die Berge triefen von Most, und alle Hügel zerfließen. Da wende ich das Geschick meines Volkes Israel. Sie werden die verödeten Städte aufbauen und bewohnen und Weinberge pflanzen und deren Wein trinken und Gärten anlegen und deren Frucht essen. Ich pflanze sie in ihr Land ein. Und sie sollen nicht mehr herausgerissen werden aus ihrem Land, das ich ihnen gegeben habe, spricht JHWH, dein Gott. (Am 9,13– 15; vgl. Joel 4,18; Lev 26,5)33
Während des normalen landwirtschaftlichen Zyklus liegt zwischen Pflügen und Ernten eine Zeitspanne von etwa einem halben Jahr. Die Ernte der Gerste beginnt im April und die des Weizens im Mai. Die Zeit des Pflügens beginnt jedoch erst nach den ersten Regenfällen im Herbst. Doch die Ernte wird so reichlich ausfallen, dass sie sich über die Trockenzeit hinaus erstreckt. Auch wird das Keltern von Wein und Öl, das normalerweise während der Monate August und September stattfindet, bis zur Saat im November und Dezember andauern. Die Fülle, die hier erwartet wird, entspricht derjenigen der Urzeit. Sie ist aber kein Schlaraffenland. Vielmehr bedarf es weiterhin der landwirtschaftlichen Arbeit, die aufgrund der überreichen Erträge sogar noch zunimmt. Doch im Unterschied zu den Verhältnissen, in denen die Adressaten leben, ist der Erfolg der (Mehr-)Arbeit garantiert. Jeder wird die Früchte seiner Arbeit genießen können, ohne von Trockenheit (Am 7,4–6), Heuschrecken (Am 7,1– 3) oder Krieg (Jes 1,7; Hos 8,7) um den Erfolg seiner Mühen gebracht zu werden. Gesichertes Leben im erwarteten Friedensreich schließt erfolgreiche Arbeit zum Lebensunterhalt ein (vgl. auch Jes 2,4; 11,6; 65,21f). Erst in der Apokalyptik, deren Erwartungen dezidiert nicht von dieser Welt sind, spielt die Arbeit keine Rolle mehr. Doch selbst hier gilt: Wie andere Aspekte des Menschseins auch wird die Arbeit nicht ausdrücklich abgewertet, sie wird nur nicht mehr erwähnt.34 Anders als die Utopien der klassischen Antike träumt das Alte Testament also nicht von der „Entbindung vom Zwang der Arbeit, sondern von der Entbindung der Arbeit vom Zwang“35, was einen gerechten Lohn und die Arbeitsruhe einschließt.36 Partiell realisiert ist diese Utopie in der Forderung des Sabbatgebotes (Ex 20,8–11; Dtn 5,12–15). Als Ruhetag ist der Sabbat Ergänzung und Korrektiv jeder einseitigen Wertung der Arbeit. Leben ist nicht nur Arbeit, mehr noch: Beschließt die Gottesruhe am siebten Tag das Schöpfungshandeln
33 Klassisch: J. W ELLHAUSEN 1898: Die kleinen Propheten. Übersetzt und erklärt, 3. Aufl., Berlin, 96: „Rosen und Lavendel statt Blut und Eisen“ (wie beim ‚historischen Amos‘ des 8. Jahrhunderts v. Chr.). 34 So auch H IRTH 1989, 221. 35 J. EBACH 1989: Die Welt der Arbeit in der Welt der Bibel, in: ders. (Hg.), Theologische Reden, mit denen man keinen Staat machen kann, Bochum, 91–107, 95f. 36 H IRTH 1989, 679 und ausführlich: J. EBACH 1980: Zum Thema: Arbeit und Ruhe im Alten Testament. Eine utopische Erinnerung, ZEE 24, 7–21.
IV. Arbeit als Bestimmung des Menschen
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Gottes (Gen 2,1–3), so gehört die Ruhe konstitutiv zur Arbeit hinzu.37 Wie alle anderen Gebote steht der Sabbat unter dem Vorzeichen des Exodus.38 Er ist die Gegenordnung zur Fron in Ägypten und Ausgangspunkt eines sozialethischen Programms mit Sabbat- (Lev 25,2–7.20–22) und Jobeljahr (Lev 25,8–19.23– 55), dessen wirtschaftsethische Maxime sich vielleicht so auf den Punkt bringen lässt, dass weder aus dem Acker, noch aus der Arbeitskraft des Menschen, noch aus dem eingesetzten Kapital das Letzte herausgeholt werden soll.39
IV. Arbeit als Bestimmung des Menschen Eingangs wurde bemerkt, dass sich ein systematisierender Zugriff auf das Thema Arbeit für das Alte Testament vom Quellenbestand her verbietet. Sofern man eine Ausnahme zulassen möchte, ist dies die Paradieserzählung in Gen 2–340, da in ihr grundsätzlich und mit einem über die konkrete Erzählsituation hinausgehenden Gültigkeitsanspruch über den Menschen und seine Bestimmung zur Arbeit nachgedacht wird. Um vielleicht noch das eine oder andere weniger bekannte Detail dieses wirkmächtigen Textes genauer zu erfassen, nähern wir uns ihm von außen. Für den Gesamtentwurf wie für einzelne Details konnten die Dichter der biblischen Urgeschichte auf ein großes Reservoir eingeführter Motive zurückgreifen. Von besonderem Interesse für unser Thema ist das babylonische Atrachasis-Epos, dessen Sintfluterzählung als Exzerpt auch in der XI. Tafel des Gilgamesch-Epos überliefert ist.41 Das Werk
Vgl. aaO 19. So in beiden Dekalogfassungen durch die Präambel in Ex 20,2; Dtn 5,6 und in der Fassung des Deuteronomiums dann auch noch einmal ausdrücklich in der Begründung des Sabbatgebots, während die (von Gen 2,1–3 beeinflusste) Exodusfassung auf die Gottesruhe hinweist. 39 Vgl. den Überblick bei E. O TTO 1994: Theologische Ethik des Alten Testaments, THW 3/2, Stuttgart, 249–256. 40 Zur vorausgesetzten Analyse vgl. J. C H. G ERTZ 2004b: Von Adam zu Enosch. Überlegungen zur Entstehungsgeschichte von Gen 2–4, in: M. Witte (Hg.), Gott und Mensch im Dialog. Festschrift O. Kaiser, BZAW 345/1, Berlin/New York, 215–236 (in diesem Band Nr. 5). 41 Das Epos ist in deutscher Übersetzung von Wolfram von Soden gut zugänglich in: W. VON SODEN 1997, Der altbabylonische Atramchasis-Mythos, in: TUAT III, 612–645. Für eine deutsche Übersetzung des Gilgamesch-Epos vgl. ST. MAUL 2005: Das GilgameschEpos. Neu übersetzt und kommentiert, München. Zur Interpretation im Kontext der biblischen Urgeschichte vgl. R. ALBERTZ 1980: Die Kulturarbeit im Atramḫasis-Epos im Vergleich zur biblischen Urgeschichte, in: ders. u.a. (Hg.), Werden und Wirken des Alten Testaments. Festschrift C. Westermann, Göttingen, 38–57; J. CH. GERTZ 2007b: Noah und die Propheten. Rezeption und Reformulierung eines altorientalischen Mythos, DVfLG 81, 2007, 503–522 (in diesem Band Nr. 10). 37 38
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6. „Im Schweiße deines Angesichts ...“
aus dem frühen 2. Jahrtausend v. Chr. setzt mit einem der bemerkenswertesten Sätze der Literaturgeschichte ein, der zugleich ins Zentrum unseres Themas führt: „Als die Götter Menschen waren“ (Atr I,1). Worin das Absurde dieser Aussage besteht und was das Menschsein der Götter ausmacht, erschließt sich aus dem Fortgang des Mythos. Das Menschsein der Götter besteht darin, dass eine Gruppe niederer Götter von den anderen Göttern zur Arbeit, genauer zum Kanalbau und damit wohl auch zur Bestellung des Bodens verpflichtet wird. Doch nach einiger Zeit reagieren die zur Arbeit verpflichteten Götter mit Streik und Aufruhr. Daraufhin beauftragt die Götterversammlung den Gott Enki und die Muttergöttin mit der Erschaffung von Menschen, damit diese für die Götter arbeiten. Die Menschen übernehmen die Arbeit. Doch durch ihre ungebremste Vermehrung ist das Land alsbald wie vom „Lärm brüllender Stiere“ erfüllt. Das Lärmen belästigt den Götterkönig Enlil und raubt ihm den Schlaf, worauf dieser einen Beschluss der Götterversammlung bewirkt, die Menschheit erst durch Plagen zu dezimieren und schließlich mit einer Sintflut zu vernichten. Der Plan wird jedoch durch Enlils göttlichen Gegenspieler Enki vereitelt, weil er Atrachasis (Utanapischti), den mesopotamischen Noah, warnt und weil die Götter auf dem Höhepunkt der Flut wegen des Ausbleibens der Opfer einlenken. Es kommt zur Neuschöpfung des Menschen, wobei jetzt auch eine Reihe von Krankheiten, Dämonen und kultischen Institutionen miterschaffen werden, die ein übermäßiges Bevölkerungswachstum verhindern sollen. Wir müssen es uns versagen, an dieser Stelle ausführlicher auf die Erklärungsleistung und die literarische wie religionsgeschichtliche Bedeutung des ohnehin nur sehr verkürzt paraphrasierten Epos einzugehen. Im Vergleich mit der biblischen Urgeschichte sind für unser Thema nur folgende drei Punkte hervorzuheben. An erster Stelle steht dabei die für das Verständnis des Epos wie der biblischen Urgeschichte grundlegende hermeneutische Einsicht, dass sich Mythen vom Uranfang von ihrem Ende her erschließen.42 Ihr Interesse gilt den vorfindlichen Grundgegebenheiten menschlichen Lebens. Diese werden als so grundlegend angesehen, dass ihre Entstehung urgeschichtlich hergeleitet wird. Dabei markiert die Ausgangssituation des Mythos eine Problemkonstellation. Deren Auflösung beschließt den Mythos und ist dessen eigentlicher Bezug auf die Realität. Für das Atrachasis-Epos lässt sich das wie folgt darlegen: Weil die Menschen zur Arbeit für die Götter bestimmt sind, steht am Anfang der Hinweis auf die menschenlose Vorzeit, als die Götter noch (wie) Menschen waren und (statt der Menschen) den Tragkorb schleppten; weil die Sintflut auf die Begrenzung menschlichen Bevölkerungswachstums hinausläuft, lautet der
42 Hierauf macht auch C H. A UFFAHRT 1991: Der drohende Untergang. „Schöpfung“ in Mythos und Ritual im Alten Orient und Griechenland am Beispiel der Odyssee und des Ezechielbuches, RGVV 39, Berlin/New York, 73 aufmerksam: „Das ‚Experiment‘ klärt die Frage, warum und wie die Menschen und Götter aufeinander angewiesen sind.“
IV. Arbeit als Bestimmung des Menschen
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zu lösende Grundkonflikt, dass die Menschheit in einem Maße wächst, dass ihr Lärmen Enlil stört. So betrachtet, stellt das Atrachasis-Epos eine „Transformation ‚überwundener‘ Stationen in der Entstehung der jetzigen Welt“43 dar. Der Mythos unterscheidet zwischen einer irrealen Vorzeit und der vorfindlichen Realität. Merkmal des Irrealen ist die Verpflichtung von Göttern zur Arbeit, was in der realen Welt den Menschen obliegt. Die irreale Vorzeit ist wiederum in Phasen krisenhafter Gegebenheiten unterteilt. Auf Phasen eines regellosen Wachstums folgen katastrophale Einbrüche, bis mit dem letzten Einbruch ein „stabiles Gleichgewicht zwischen Wachstum und beschränkenden Faktoren hergestellt“44 ist, wie es nach Ansicht des Dichters die vorfindliche Gegenwart charakterisiert. Auch die Paradieserzählung in Gen 2–3 will von ihrem Ende her gelesen sein, was sich nirgends deutlicher als an ihrem Anfang zeigt. Nach der Überschrift in Gen 2,4b „An dem Tag, als JHWH-Gott Erde und Himmel machte“ folgt in V. 5 eine Reihe von Aussagen über den irrealen Ausgangszustand der Welt, deren Schwergewicht auf dem letzten Glied liegt: Es gab noch keinen Menschen ()אדם, den Ackerboden ( )אדמהzu bestellen (עבד, wörtlich: arbeiten). Nach den Regeln (nicht nur) der althebräischen Erzählkunst wird man erwarten dürfen, dass am Ende genau dieser Zustand aufgehoben ist, wobei die Erzählung die begründende Herleitung für die Herkunft und das Gewiesensein des Menschen ( )אדםan den Ackerboden ( )אדמהliefert.45 Und in der Tat stellt Gen 3,23 fest, dass der inzwischen erschaffene Mensch auszieht, den Ackerboden zu bestellen. Allerdings steht die Arbeit unter dem Vorzeichen, dass der Acker verflucht ist, weswegen die Arbeit, wenn überhaupt, nur unter Mühen zum Erfolg führt. Mit der Entlassung des Menschen aus dem Paradies zur Arbeit sind Mensch und Leser in der Realität angekommen. Anders formuliert: Die gegenwärtige Erfahrung mühevoller Arbeit wird als Transformation eines „Vorher“ dargestellt und erklärt. Somit steht „[h]inter der Erzählung von der ‚Entstehung des Menschen‘ [...] weniger die Frage, wie die Spezies Mensch entstand, als vielmehr die, warum wir nicht unsterblich, ewig gesund sind, arbeiten und leiden müssen“46. Wie alle Mythen vom Uranfang bestimmen das AtrachasisEpos und die Paradieserzählung das Wesen der fundamentalen Lebensbedingungen, indem sie erzählen, wie alles wurde. Gemeinsam ist beiden Wesensbestimmungen, dass die vorfindliche Gegenwart sich als das Ergebnis einer Daseinsminderung darstellt. Im Atrachasis-
43 F. STOLZ 2004: „Paradiese und Gegenwelten“, in: ders., Religion und Rekonstruktion. Ausgewählte Aufsätze, Göttingen, 28–44, hier: 34 (zum Dilmun-Mythos). Dort auch zum Folgenden. 44 AaO 39. 45 Statt vieler: EBACH 1980, 9. 46 C H. A UFFAHRT 1998: Art. Anthropogonie, RGG 4 1, 520f, 520. Vgl. ferner DERS. 1991, bes. 72f.
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6. „Im Schweiße deines Angesichts ...“
Epos wird dies am Beispiel der Kindersterblichkeit und der Unfruchtbarkeit von Frauen entfaltet. In der Paradieserzählung zeigt sich die Daseinsminderung in verschiedener Hinsicht: die Mühsal der Feldarbeit, die Gefährdung durch die Geburt, die Labilität des Zusammenlebens von Frau und Mann, eine verschämte menschliche Sexualität und der Tod. Sie alle kennzeichnen die vorfindliche Realität menschlichen Lebens und werden als das Resultat einer durch den sogenannten Sündenfall hervorgerufenen Daseinsminderung erklärt. Dem korrespondiert, dass vor dem sogenannten Sündenfall die Partnerschaft von Frau und Mann herrschaftsfrei gedacht ist (Gen 2,23f) und dass sich die Ureltern ihrer Nacktheit nicht geschämt haben (Gen 2,25). Entsprechend wird man für die Notiz „Und JHWH-Gott nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, ihn zu bebauen und ihn zu bewachen“ (Gen 2,15) annehmen dürfen, dass hier mit Bedacht die Mühen des Arbeitens nicht erwähnt werden. Wie in der späteren Weisheitsliteratur oder den prophetischen Zukunftserwartungen besteht der Fluch JHWHs nicht in der Arbeit an sich, sondern allein in den Umständen, die einen angemessenen Ertrag der Arbeit fraglich werden lassen. In diesem Sinne wurde also auch im Paradies gearbeitet,47 wobei man die Aussage über das Bewachen und Bebauen des Gartens theologisch nicht überbewerten sollte:48 Von der Struktur des Mythos her geurteilt, handelt es sich um nicht mehr als um eine positive Gegenfolie zu negativen Erfahrungen der Gegenwart. Ganz ähnlich verhält es sich im Übrigen mit dem Herrschaftsauftrag der Menschen über die Erde nach Gen 1,28.49 Schließlich liegt nach beiden Texten die Bestimmung des Menschen in seiner Arbeit. Im Falle des Atrachasis-Epos bedeutet dies konkret: in der Arbeit für die Götter. Der Mensch wird allein aus dem einen Grund geschaffen, einer Gruppe von niederen Göttern die Arbeit abzunehmen. Die Arbeit umfasst auch die materielle Versorgung der Götter. An diesem Punkt unterscheidet sich nun die Paradieserzählung sehr deutlich von ihrem altvorderorientalischen Vorbild. Nach Auffassung der Paradieserzählung hat der Mensch nicht für JHWH oder anstelle JHWHs zu arbeiten. Allerdings stellt Gen 1,27f heraus, dass der
47 Und zwar unabhängig davon, dass Gen 2,(10–14.)15 redaktionell ist. Vgl. G ERTZ 2004b, 225–227 (in diesem Band Nr. 5, 95–98). 48 Anders EBACH 1980, 9ff, der 2,15 im Gegenüber zur Arbeit nach dem Fall als utopische Erinnerung an ein Handeln im Einklang mit der Natur beschreibt. 49 Für die Zeit nach der Flut, mithin die Gegenwart der Autoren und Leser der Urgeschichte, gilt die Reformulierung in Gen 9,1f, die aus dem königlichen Sorgen des Menschen über die ihm anvertraute Natur eine Schreckensherrschaft des Menschen über die Tiere gemacht hat. Wie in Gen 2,15 und 3,17–19 wird also zwischen der Urzeit und der gegenwärtigen (Kultur-)Arbeit des Menschen unterschieden. Gen 2,15 dürfte (auch aus diesem Grund) derjenigen Redaktion zuzurechnen sein, die P (Gen 1,1–2,3) und die nicht-priesterschriftliche Paradieserzählung verbunden hat.
V. Schluss
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Mensch als Bild und „Mandatar Gottes dazu aufgerufen [ist], Gottes Herrschaftsanspruch auf Erden zu wahren und durchzusetzen“50. Hieraus folgt für den Menschen ein universaler Herrschaftsauftrag, wobei auch für den Menschen die erste Pflicht eines jeden Herrschers gilt, nämlich für die Sicherung des Lebens seiner Untertanen und damit für den inneren und äußeren Frieden zu sorgen. In diesem Sinn wirkt der Mensch dann doch an Stelle Gottes.
V. Schluss Ich fasse die alttestamentlichen Perspektiven auf die Frage nach Sinn und Ethos der Arbeit knapp zusammen: 1. Arbeit ist ein selbstverständlicher Teil menschlichen Lebens. Sie gehört zur Bestimmung des Menschen. Dies und die wirtschaftlichen Realitäten einer wenig entwickelten und randständigen Ökonomie bewahren das Alte Testament vor einer Abqualifizierung vor allem der körperlichen Arbeit wie sie in der klassischen griechischen Philosophie vereinzelt aber wirkmächtig vertreten worden ist. Auch wird man mit den alttestamentlichen Texten keine kategoriale Scheidung verschiedener Arbeitsweisen, etwa von körperlicher und geistiger Arbeit treffen können.51 2. Anders als im alten Vorderen Orient erschöpft sich die Bestimmung des Menschen zur Arbeit nicht darin, dass der Mensch für die Götter arbeiten muss. „Der Mensch arbeitet in der für ihn geschaffenen Welt für sich, für seinen Lebensunterhalt.“52 Entfremdungserfahrungen wurzeln nicht (allein) im Verhältnis der Götter zu den Menschen und sind daher (auch) beschreibbar als Folgen ökonomischer Ursachen. Das wiederum ermöglicht sozialpolitisches Handeln. Andererseits steht selbst das sozialpolitische Handeln unter dem Vorbehalt, dass die Arbeit mühevoll und ihr Ertrag kontingent ist. 3. Die alttestamentlichen Texte unterscheiden in der Mehrzahl sehr deutlich zwischen der grundsätzlich positiv gewerteten Arbeit und ihrem grundsätzlich unverfügbaren Ertrag. Das zuweilen an Parolen von Motivationstrainern erinnernde Arbeitsethos der älteren Weisheit wird von einer Reihe von Aussagen
50 G. VON R AD 1972: Das erste Buch Mose. Genesis, ATD 2–4 (1949–1953), 9. Aufl., Göttingen (= 12. Aufl. 1987), 39. Zu den beiden korrespondierenden Aussagen von der Gottebenbildlichkeit des Menschen und seinem Herrschaftsauftrag vgl. ferner B. JANOWSKI 2004: Die lebendige Statue Gottes. Zur Anthropologie der priesterlichen Urgeschichte, in: M. Witte (Hg.), Gott und Mensch im Dialog. Festschrift O. Kaiser, BZAW 345/1, Berlin/New York, 183–214. 51 So auch EBACH 1980, 7f. 52 AaO 17 (Hervorhebung JCG).
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6. „Im Schweiße deines Angesichts ...“
flankiert, die der Erfahrung Rechnung tragen, dass Erfolg nur in Grenzen planbar ist. Wird diese Einsicht zu den Motiven für ein sozialpolitisches Handeln in den alttestamentlichen Gesetzen in Beziehung gesetzt, dann besteht für das Alte Testament ein unlösbarer Zusammenhang von Arbeit, Solidarität, Segen und Ertrag. 4. Dient die Arbeit dem Lebensunterhalt, so bedeutet dies bei aller Hochschätzung sicher nicht, dass Arbeit „Inhalt des Lebens“ ist.53 Die Vorstellung von Selbstverwirklichung durch Arbeit dürfte den Verfassern der alttestamentlichen Texte vergleichsweise fremd gewesen sein. 5. Dass die Arbeit dem Lebensunterhalt dient, bedeutet auch keine Reduktion auf die Erwerbsarbeit im strengen Sinne, sondern schließt die Versorgung des gesamten Haushalts und die Wohlfahrtspflege vor Ort ein. Letzteres ist ohne Zweifel einer vormodernen Wirtschaftsweise geschuldet, dürfte aber auch unter den Bedingungen gegenwärtigen Wirtschaftens anschlussfähig sein. Darüber hinaus eröffnet das Alte Testament schon unter den harten ökonomischen Bedingungen seiner Zeit die Debatte darüber, was überhaupt ‚lebensnotwendig‘ ist – bekanntlich lebt der Mensch nicht vom Brot allein (Dtn 8,3).
53 Vgl. F. C RÜSEMANN 2003: Gottes Fürsorge und menschliche Arbeit. Ökonomie und soziale Gerechtigkeit in biblischer Sicht (1997), in: ders., Maßstab: Tora. Israels Weisung für christliche Ethik, Gütersloh, 190–207, 194 mit Hinweis auf die gegenläufige Beschreibung neuzeitlicher Lebensauffassung bei H. P. BAHRDT 1983: Arbeit als Inhalt des Lebens („denn es fähret schnell dahin“), in: Krise der Arbeitsgesellschaft? Verhandlungen des 21. Dt. Soziologentags Bamberg 1982, Frankfurt/New York, 120–137.
7. Lesarten der Erzählung von Kain und Abel* I. Einleitung Die hebräische Bibel, das Neue Testament und der Koran weisen hinsichtlich der erwähnten Personen und der mit diesen Personen verbundenen Erzählstoffe eine Reihe von Überschneidungen auf. Noch umfangreicher wird das gemeinsame Traditionsgut, wenn das nachbiblische Schrifttum jüdischer und christlicher Provenienz und die islamisch-arabische Literatur mit in die Betrachtung einbezogen werden. Der Umgang mit dieser allgemein bekannten Tatsache ist durchaus verschieden. Zum Teil wird sie in polemischer Absicht angeführt, etwa um den Koran zu einer Nachschrift älterer jüdisch-christlicher Schriften abzuwerten, oder um der biblischen Tradition eine Verfälschung vorzuwerfen. Zum Teil wird sie in freundlicher Absicht aber bei weitgehender Unkenntnis der Texte als Beleg dafür gewertet, dass es den genannten Schriften und mit ihnen verbundenen Traditionen mehr oder weniger um ein und dasselbe geht. Beides ist, wie mir scheint, ein unsachgemäßer Umgang. Die freundliche Gleichsetzung wird dem Selbstverständnis der Trägergruppen der genannten Schriften und Traditionen kaum gerecht. Zudem übersieht sie die literatur- und religionsgeschichtlichen Eigenarten der genannten Texte. Letzteres gilt vice versa auch für die polemische Auswertung der inhaltlichen Überschneidungen. Ein knapper Blick auf eine antike Debatte und ihren modernen Wiedergänger mag das veranschaulichen. Es geht um die Erzählung von Noah und der Sintflut. Durch Berossus, Apollodorus, Ovid und andere klassische Autoren mit außerbiblischen Sintfluterzählungen bekannt, wurde bereits in der Antike das Verhältnis der biblischen und außerbiblischen Traditionen diskutiert, und zwar mit durchaus unterschiedlichen Ergebnissen. Die kirchliche Tradition hat seit Euseb von Caesarea die außerbiblischen Sintflutberichte als apologetisches Argument für die Verlässlichkeit der biblischen Erzählung gewertet – heute würde man von external evidence sprechen. Andererseits konnte schon Kelsos
Vortrag auf der Konferenz „L’exégèse des écritures saintes en Christianisme et en Islam“ an der Université Cadi Ayyad, Marrakesch, April 2012. Die Ausarbeitung des Beitrags erfolgte im Rahmen der Forschergruppe „Convergence and Divergence in Pentateuchal Theory“ am Israel Institute for Advanced Studies in Jerusalem mit Unterstützung des EURIAS Fellowship Programme. *
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7. Lesarten der Erzählung von Kain und Abel
von Alexandria im 2. Jahrhundert in antichristlicher Polemik darlegen, dass die biblische Erzählung eine skrupellose Verfälschung der griechischen Sage von Deukalion sei. Als Ende des 19. Jahrhunderts keilschriftliche Texte mit der Sintfluterzählung des Gilgamesch-Epos entdeckt und entziffert wurden, wiederholte sich die Debatte. Christliche Apologeten meinten, mit den jahrtausendealten Tontafeln aus Mesopotamien endlich einen archäologischen Beweis für die Wahrheit und das Alter der Bibel gefunden zu haben. Andere meinten, die Verfasser der biblischen Erzählungen hätten aus den mesopotamischen Archiven abgeschrieben. Dieser Streit dürfte inzwischen beigelegt sein. Es ist im akademischen Diskurs unumstritten, dass die mesopotamischen Traditionen von der großen Flut älter sind als die biblischen Erzählungen und dass die biblische wie später auch die koranische Fassung der Fluterzählung in einem breiten Strom der Traditionen des alten Vorderen Orients stehen. Dessen ungeachtet weiß man aber auch um den Eigenwert der biblischen wie der koranischen Erzählung: Wenn zwei das Gleiche erzählen, ist es noch nicht dasselbe. Nach dieser Vorbemerkung komme ich zu unserem Text, der Erzählung von Kain und Abel im vierten Kapitel des Buches Genesis der hebräischen Bibel (Gen 4,1–16). Im Neuen Testament beziehen sich drei Texte auf diese Erzählung (Mt 23,35; Hebr 11,4 und 1Joh 3,12). Im Koran handelt nach der Mehrheit der Kommentatoren der Abschnitt über die beiden namenlosen Söhne Adams in der fünften Sure von Qābīl und Hābīl, wie Kain und Abel in der späteren islamisch-arabischen Literatur heißen (Sure 5,27–40).1 Ich werde im Folgenden so vorgehen, dass ich zunächst eine Übersetzung von Gen 4,1–16 präsentiere und dann auf einige philologische und inhaltliche Schwierigkeiten aufmerksam mache, welche die Auslegung von Anfang an beschäftigt haben (II.). Es wird sich zeigen, so meine These, dass von den Verfassern bewusst formulierte Ambiguitäten und mit Bedacht gesetzte Leerstellen schon im hellenistischen Judentum und in der Spätantike einen vielfältigen Auslegungsprozess aus sich herausgesetzt haben. Hierzu zähle ich insbesondere die antike griechische Übersetzung der hebräischen Bibel, die Septuaginta, die neutestamentliche und die koranische Aufnahme der Erzählung sowie pars pro toto für die jüdische Exegese die Targumim.2 Da ich kein Koranexperte bin, werde ich
1 Nach der von Ḥasan al Baṣrī und al-Ḍaḥḥāk vertretenen Minderheitsmeinung handelt es sich bei den beiden Söhnen Adams hingegen ganz unspezifisch um zwei Israeliten, da der Abschnitt auf das an die Israeliten gerichtete Verbot des Tötens ziele (Sure 5,32; vgl. A. T. KHOURY 1995: Der Koran. Arabisch-deutsch. Übersetzung und wissenschaftlicher Kommentar von Adel Theodor Khoury. Bd. 6, Sure 5,1–120, Sure 6,1–165, Gütersloh, 79, 81). 2 Die genannten Literaturen sind Gegenstand einer im höchsten Maße ausdifferenzierten Forschungsdiskussion, die hier nur partiell und ohne einschlägige Expertise aus der Perspektive der Literaturgeschichte des Alten Testaments in den Blick genommen wird. Dass die genannten Literaturen nicht einmal bruchstückhaft berücksichtigt werden konnten, bedarf
II. Zur Analyse und Auslegungsgeschichte von Genesis 4,1–16
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mich mit Blick auf den Koran auf einige wenige Anmerkungen beschränken und ich werde auch nicht auf die verwickelte Überlieferungsgeschichte der berühmten Rabenepisode im Koran (Sure 5,31) und in der jüngeren rabbinischen Überlieferung (PRE; TanB; TPsJ) eingehen. Ich schließe mit einigen Anmerkungen zur Sicht der hebräischen Bibel, was die Entstehung der Sünde anbelangt. Das Thema spielt bekanntermaßen in der jüdischen, christlichen und islamischen Auslegungs- und Theologiegeschichte eine große und kontrovers diskutierte Rolle (III.).
II. Zur Analyse und Auslegungsgeschichte von Genesis 4,1–16 Die Übersetzung von Gen 4,1–16 lautet wie folgt:3 4,1 Und
der Mensch erkannte Eva, seine Frau. Und sie wurde schwanger und gebar den Kain ( )קיןund sagte: „Ich habe einen Mann erworben (* )קנהmit JHWH.“ 2 Und sie fuhr fort zu gebären, seinen Bruder, den Abel ( )הבל. Und Abel wurde ein Kleinviehhirt und Kain wurde ein Ackerbauer. 3 Und nach geraumer Zeit brachte Kain von den Früchten des Ackers eine Opfergabe dar. 4 Und auch Abel brachte von den Erstgeborenen seines Kleinviehs dar, und zwar von ihren Fettstücken. Da blickte JHWH auf Abel und auf seine Opfergabe. 5 Aber auf Kain und seine Opfergabe blickte er nicht. Da wurde Kain sehr zornig und seine Gesichtszüge entgleisten (wörtlich: sein Angesicht fiel). 6 Da sprach JHWH zu Kain: „Warum bist du zornig und warum verfinstert sich dein Angesicht? 7 Ist es nicht so: Wenn du es gut sein lässt, (bedeutet es) freundliche Aufnahme; wenn du es aber nicht gut sein lässt, dann ist zur Tür hin die Sünde ein Lagernder, und sein Verlangen ist auf dich gerichtet. Du aber sollst über ihn herrschen.“ 8a Und Kain sagte (es) zu Abel, seinem Bruder. 8b Und als sie auf dem Feld waren, da erhob sich Kain über Abel, seinen Bruder, und tötete ihn. 9 Und JHWH sagte zu Kain: „Wo ist Abel, dein Bruder?“ Und er sagte: „Ich weiß nicht, bin ich der Hüter meines Bruders?“ 10 Und er sagte: „Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir vom Ackerboden. 11 Und nun: Verflucht bist du fort von dem Ackerboden, der seinen Rachen aufgerissen hat, um das Blut deines Bruders aus deiner Hand aufzunehmen. 12 Wenn du den Acker bestellst, wird er dir seine Kraft nicht mehr geben. Unstet und flüchtig wirst du sein auf der Erde!“ 13 Da sagte Kain zu JHWH: „Meine Schuld ist zu groß, um sie zu tragen. 14 Siehe, du vertreibst mich heute fort von dem Angesicht des Ackers, und vor deinem Angesicht muss ich mich verbergen, und ich werde unstet und flüchtig sein auf der Erde,
angesichts der offenkundigen Lücken kaum einer Erwähnung. Das somit in mehrfacher Hinsicht selektive Verfahren ist der für einen kurzen Beitrag notwendigen Konzentration auf einige Beobachtungen geschuldet, wobei es lediglich darum geht, die Ausgangskonstellation für die späteren Wege der Auslegungsgeschichte anzuzeigen. Textgenetische Beziehungen zwischen den einzelnen Literaturen spielen bei dieser Betrachtung allenfalls eine untergeordnete Rolle und werden hier nicht erörtert. Vorausgesetzt ist lediglich, dass die jüdische, christliche und islamische Tradition die Überlieferung aus dem Alten Testament/TaNaK – in welcher Überlieferungsform auch immer – gekannt haben. Dies sollte unstrittig sein. 3 Ergänzungen in Kursivschrift.
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7. Lesarten der Erzählung von Kain und Abel
und jeder, der mich antrifft, wird mich töten.“ 15 Und JHWH sagte zu ihm: „So nicht4, jeder der Kain tötet, soll siebenfach Rache erleiden.“ Und JHWH setzte Kain ein Zeichen, damit ihn nicht jeder, der ihn antrifft, tötet. 16 Da zog Kain weg von JHWHs Angesicht und ließ sich im Lande Nod, östlich von Eden, nieder.
Die Erzählung von Kain und Abel ist von ihrem Kontext klar abgegrenzt. Nach dem Abschluss der Paradieserzählung, die mit der Vertreibung des ersten Menschenpaares aus dem Garten Eden endet, markieren Wortstellung und Tempuswahl in Gen 4,1 einen Neueinsatz. Der mit V. 1 eröffnete Handlungsbogen reicht bis V. 16 und endet wie die Paradieserzählung mit einer Auszugsnotiz. In V. 17 beginnt mit der Genealogie der Kainiten ein neuer Abschnitt. Die V. 1–2 sind die Exposition der Erzählung. Sie setzt mit der Notiz ein, dass der Mensch seine Frau „erkannte“5, worauf diese schwanger wurde und einen Sohn gebar. Es folgt die Geburt eines weiteren Sohnes und die Feststellung, dass der erstgeborene Kain Ackerbauer wird, der zweitgeborene Abel hingegen Hirte. Da bei Abel abweichend von den üblichen Formulierungen nur die Geburt, nicht jedoch die Zeugung berichtet wird, ist schon früh diskutiert worden, ob es sich um Zwillinge handelt.6 Damit hätte der Bruderkonflikt noch mehr an Schärfe gewonnen. Ein Teil der rabbinischen Auslegung widerspricht dieser Annahme jedoch und geht davon aus, dass beide Brüder eine Zwillingsschwester gehabt hätten.7 In ihrer einfachsten Form findet sich diese Auskunft in dem rabbinischen Midrasch zum Buch Genesis (BerR 22) und wird dann immer stärker in der jüdischen, christlichen und islamischen Tradition ausgebaut.
4 Mit den antiken Übersetzungen (Septuaginta samt der jüdischen Rezensionen, Peschitta und Vulgata), die anders als der masoretische Text „( ל ֹא ֵכּןso nicht“) statt „( ָלֵכןdeshalb”) lesen. 5 Das hebräische Verb * „ ידעerkennen“ wird hier wie in Gen 4,17 und einigen anderen alttestamentlichen Belegen im sexuellen Sinn gebraucht. 6 Die Lesart wird immer wieder aufgegriffen. Vgl. W. D IETRICH 1977: „Wo ist dein Bruder?“ Zu Tradition und Intention von Genesis 4, in: H. Donner/R. Hanhart/R. Smend (Hg.), Beiträge zur Alttestamentlichen Theologie. Festschrift W. Zimmerli, Göttingen, 94–111 (= DERS. 2002: „Theopolitik“. Studien zur Theologie und Ethik des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn, 159–172), 105; F. ROSENTHAL 1989: The History of al-Ṭabarī, Vol. 1, General Introduction and From the Creation to the Flood, transl. and annot. by Franz Rosenthal, Albany/NY (engl. Übersetzung von MUḤAMMAD IBN-ǦARĪR AL-ṬABARI: Ta’rīkh al-rusul wa’l-mulūk). 7 Belege bei V. A PTOWITZER 1922: Kain und Abel in der Agada, den Apokryphen, der hellenistischen, christlichen und muhammedanischen Literatur, Wien/Leipzig, 1ff; ROSENTHAL 1989. Vgl. ferner L. M. TEUGELS 2003: The Twin Sisters of Cain and Abel. A Survey of the Rabbinic Sources, in: G. P. Luttikhuizen (Hg.), Eve’s Children. The Biblical Stories Retold and Interpreted in Jewish and Christian Traditions, Themes in Biblical Narrative 5, Leiden und Boston/MA, 47–56.
II. Zur Analyse und Auslegungsgeschichte von Genesis 4,1–16
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Die Auslegungstradition der Zwillingsbrüder bildet sich aus der ungewöhnlichen Formulierung heraus „Und sie fuhr fort zu gebären“ (V. 2), die in der Tat an eine Zwillingsgeburt denken lässt. Die Auslegungstradition der beiden Brüder, die jeweils eine Zwillingsschwester haben, versucht sicher auch das inhaltliche Problem zu lösen, woher Kain und Abel ihre Frauen haben. Doch vermag auch sie ihre Auslegung philologisch zu begründen. Die zweifache nota accusativi ֶאת, die in Gen 4,2 außer „vor seinem Bruder“ auch vor „Abel“ steht und hier eigentlich redundant ist, wird als Präposition „mit“ verstanden und als Hinweis auf eine Zwillingsschwester gedeutet (bJev 62a). In der späteren jüdischen, christlichen und islamischen Legendenbildung konnten sich daran Überlegungen anschließen, dass es wegen einer schönen Zwillingsschwester zum Streit unter den Brüdern gekommen sei (so schon BerR 22). In der jüdischen Traditionslinie ist zumeist die Zwillingsschwester Abels der Anlass des Streites. In der christlichen und islamischen Traditionslinie ist es in der Regel die Zwillingsschwester Kains. So berichten der Historiker und Korankommentator al-Ṭabari (839–923; ähnlich auch der jüngere Ibn al-Athīr [ca. 1160–1233]), dass Adam für Qābīl/Kain und seinen Bruder Hābīl/Abel jeweils die Zwillingsschwester des anderen Bruders als Frau vorgesehen habe. Da aber Qābīls Schwester von großer Schönheit war, sei es zum Streit unter den Brüdern gekommen. Qābīl habe sich benachteiligt gefühlt und die eigene Zwillingsschwester für sich beansprucht. Im lockeren Anschluss an Sure 5,27 heißt es dann, Adam habe die Brüder zu einem Opfer aufgefordert, um so eine Entscheidung herbeizuführen. Hier habe nun Hābīl das Beste seiner Herde geopfert, Qābīl hingegen das Schlechteste des Ackers, woraufhin ein weißes Feuer vom Himmel gekommen sei und Hābīls Opfer verzehrt habe. Das weiße Feuer ist natürlich die Bestätigung der Annahme von Abels Opfer.8 Ein späterer Historiker, Abū’l-Fidā (1273–1331), kennt diese Legende auch, erwähnt aber zusätzlich die kürzere Version, wonach Qābīl seinen Bruder Hābīl aus Neid darüber getötet hat, dass Gott dessen Opfer, aber nicht das seine, angenommen hat.9 Mit derartigen Überlegungen zur Rolle Adams und zur Frage, woran Gottes unterschiedliche Reaktion des Opfers erkannt werden konnte, sind wir schon recht weit vom Ausgangstext entfernt, es zeigt sich aber auch, dass diese Legendenbildung keine ‚haltlose‘ Erfindung ist, sondern sich einem Auslegungsprozess verdankt, der seinen Ausgangspunkt an bestimmten offenen Fragen des Textes nimmt und durch Antworten auf diese Fragen vorangebracht wird, die ihrerseits neue Fragen und Antworten generieren, wobei divergierende Mei-
8 Vgl. AL-ṬABARI, Ta’rīkh al-rusul wa’l-mulūk (Leiden edition), 137–145 (für eine englische Übersetzung vgl. ROSENTHAL 1989). 9 Vgl. M. G RÜNBAUM 1893: Neue Beiträge zur semitischen Sagenkunde, Leiden, 68f (mit Hinweis auf dessen Universalgeschichte Mukhtasar ta’rikh al-bashar).
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7. Lesarten der Erzählung von Kain und Abel
nungen und Traditionen immer wieder auch im Rückgriff auf die Tradition (biblisch oder koranisch) diskutiert und kritisiert werden. So bestreitet Philo von Alexandria, dass Kain seine Schwester geheiratet habe mit dem Hinweis auf das Verbot der Inzucht und die biblische Erzählfolge, wonach erst später von Töchtern Adams berichtet wird (vgl. Philo post. 11.33–44).10 Im Unterschied zu seiner späteren Auslegung beschränkt sich der biblische Text auf Andeutungen. Hierzu gehören die Namen der Brüder. Abel/Hæbæl bedeutet „Hauch“ und ist im übertragenen Sinn ein Ausdruck für die Vergänglichkeit (vgl. Ps 39,6.12; 62,10; 78,33; 94,11; 144,4; Hi 7,16). Die Wahl des Namens nimmt also das Schicksal des Kindes vorweg, dessen einzige Bedeutung in der biblischen Fassung der Erzählung darin besteht, dass es von seinem Bruder getötet wird. Zugleich nimmt der Name den Gedanken der Vergänglichkeit des Menschen aus der vorangehenden Paradieserzählung auf (vgl. Gen 3,19). Der Name des erstgeborenen Kain hängt etymologisch mit der im Arabischen belegten Wurzel *„ קיןgestalten, formen, bilden“ zusammen, das von der Wurzel abgeleitete Nomen bedeutet „Schmied“. Entsprechend führt eine genealogische Notiz in V. 22 den Beruf der reisenden Metallhandwerker auf einen späteren Nachkommen Kains namens Tubal-Kain zurück. In V. 1 wird der Name Kain jedoch mit dem Ausruf der Mutter in Verbindung gebracht, sie habe mit JHWHs/Gottes Hilfe einen Mann erworben (*)קנה. Die bei der Geburt eines Kindes (!) auffällige Äußerung erklärt sich aus dem Zusammenhang mit der Paradieserzählung. Kain ist nach der biblischen Darstellung das erste auf natürliche Weise entstandene Wesen. Schon aus diesem Grund erinnert der Ausspruch Evas an den freudigen Jubel, mit dem der Mensch nach der Paradieserzählung der aus der Rippe geformten Frau begegnet ist (Gen 2,23). Zudem bestätigt die erste Geburt die Namensgebung der Frau am Ende der Paradieserzählung als Mutter aller Lebendigen (Gen 3,20). Schließlich besteht auch ein Zusammenhang mit den Strafsprüchen, die auf die Übertretung des Verbots vom Baum der Erkenntnis zu essen folgen. Gott hatte der Frau angekündigt, dass sie unter Schmerzen gebären wird (Gen 3,16). Die eigenwillige Formulierung Evas in V. 1 könnte vor diesem Hintergrund so zu verstehen sein, dass die Frau mit Gottes Hilfe ein männliches Wesen rechtmäßig erworben hat, indem sie die nach der Vertreibung geltenden Bedingungen der Geburt, die in ihren Schmerzen nicht der ursprünglichen Schöpfungsordnung entsprechen, ertragen und anerkannt hat.11
10 Zur Auslegung von Gen 4,1–16 durch Philo von Alexandria vgl. H. N AJMAN 2003: Cain and Abel as Character Traits: A Study in the Allegorical Typology of Philo of Alexandria, in: G. P. Luttikhuizen (Hg.), Eve’s Children. The Biblical Stories Retold and Interpreted in Jewish and Christian Traditions, Themes in Biblical Narrative 5, Leiden und Boston/MA, 107–118. 11 Vgl. I. W ILLI-PLEIN 1993: Opfer und Kult im alttestamentlichen Israel. Textbefragungen und Zwischenergebnisse, SBS 153, Stuttgart, 79f.
II. Zur Analyse und Auslegungsgeschichte von Genesis 4,1–16
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Die V. 3–5 beschreiben in wenigen Worten den Ausgangskonflikt. Beide Brüder bringen JHWH eine Gabe ihrer Erträge dar. Aber der eine Bruder und seine Gabe werden von Gott angenommen, der andere nicht. Wie schon bei der Namenswahl zeigt sich, dass Kain die Hauptfigur der Erzählung ist. Die Beschreibung der Darbringung setzt mit Kain ein (V. 3) und hört mit ihm auf (V. 5a). Die Darbringung beider Brüder ist parallel gestaltet, was in V. 4 durch die etwas sperrige Konstruktion („und auch er“) noch betont wird. Beide Brüder opfern von den Erträgen ihrer Arbeit. Ein Unterschied besteht allenfalls darin, dass Abels Gabe durch einen kurzen Nachsatz etwas ausführlicher dargestellt wird und dass sie durch die Verwendung des Personalsuffixes (seines Kleinviehs) an den Opfernden zurückgebunden wird. In einem sehr sparsam formulierten Text kann man dies als Hinweis auf eine größere Hingabe Abels bei der Darbringung bewerten12 oder zumindest als Mittel, um beim Leser Sympathien für Abel zu wecken.13 Gleichwohl bleibt die unterschiedliche Reaktion Gottes auf die beiden Brüder und ihre Gaben unterbestimmt. Die knappe, ganz auf das bloße Geschehen konzentrierte Darstellung der Darbringung der Gaben durch die beiden Brüder und von Gottes unterschiedlicher Reaktion hat seit jeher die Auslegung – vorsichtig formuliert – irritiert und unbefriedigt gelassen. Nicht nur mit Blick auf die Folgen wurde gefragt, ob es möglich sei, dass sich der Text mit der Schilderung des Hintergrunds der folgenden Tat begnügt und keine Begründung dafür gibt, dass Gott Abel und seine Gabe ansieht, Kain und seine hingegen nicht. Sollte Gott Kains Gabe grundlos verschmäht haben, so ließe sich fragen, ob Kain nicht eine tragische Figur ist und die ursächliche Schuld an dem Brudermord bei Gott liegt oder ob – grundsätzlicher gefragt – der Mensch nicht ein dem willkürlichen Gott ausgeliefertes Wesen ist.14 Es ist also nicht überraschend, dass die Erzählung in der Auslegungsgeschichte wiederholt auf einen Grund für die Ablehnung von Kains Gabe befragt wurde und die Leerstellen des Textes entsprechend ausgedeutet worden sind. Teils vermutete man die Gründe für Gottes Handeln in der Gabe, teils in der Person Kains, teils wurde beides kombiniert. Ich beginne die knappe Durchsicht mit einem Hinweis auf die Entstehungsgeschichte und einem ersten Blick auf die kurze Gottesrede in den Versen 6– 7. Wie häufig in den Texten des Alten Testaments lässt sich auch in Gen 4,1– 16 noch das literarische Wachstum des Textes beobachten.15 Einerseits ist der
12 Vgl. U. C ASSUTO 1961: A Commentary on the Book of Genesis, Part I. From Adam to Noah. Genesis I – VI 8, Jerusalem (repr. 1989), 205; K. HEYDEN 2003: Die Sünde Kains. Exegetische Beobachtungen zu Gen 4,1–16, BN 118, 85–109, 94. 13 Vgl. H. SEEBASS 1996: Genesis I. Urgeschichte (1,1–11,26), Neukirchen-Vluyn, 151. 14 Vgl. H EYDEN 2003, 87. 15 Vgl. statt vieler (mit unterschiedlichen literarhistorischen Zuordnungen des Nachtrags und meist unter Absehung von V. 8a) DIETRICH 1977, 98–101; F. CRÜSEMANN 1980: Au-
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7. Lesarten der Erzählung von Kain und Abel
Wechsel von der Handlung zur Gottesrede in V. 5/6 und dann wieder zur Handlung in V. 7/8 wenig abgestimmt. Auch macht V. 8a einen unvollständigen Eindruck, insofern auf das hebräische Wort *„ אמרsagen“ im Regelfall eine mit einem weiteren verbum dicendi eingeleitete direkte Rede folgt. Schon die antiken Versionen haben darauf mit einer Ergänzung des Textes reagiert (siehe unten). In der vorliegenden Gestalt wirkt der Teilvers jedenfalls wie eine literarische Naht. Andererseits wird durch die Gottesrede und die etwas unglückliche Überleitung in V. 8a ein guter Zusammenhang von V. 5 zu V. 8b unterbrochen. Diese Beobachtungen sprechen für die Annahme, dass es sich bei den Versen 6–8a um einen Nachtrag handelt. Wie noch zu zeigen ist, bereitet das Verständnis von V. 7 erhebliche Schwierigkeiten. Deutlich ist aber, dass es sich um eine Mahnung Gottes an Kain handelt, die dieser offenkundig missachtet hat. Versteht man die Mahnung als göttliche Intervention angesichts Kains Reaktion auf die Ablehnung seiner Gabe, so wird Gott von dem Vorwurf freigesprochen, seine Verweigerung der Annahme von Kains Gabe habe unmittelbar zum Brudermord geführt. Zudem wird Kain als uneinsichtig gegenüber der Mahnung Gottes charakterisiert, was wiederum Gottes Ablehnung rückblickend rechtfertigt. Dass sich mit dieser Einfügung die Verhältnisse wirklich geklärt haben, wird man indes nicht behaupten wollen. Das belegt die nachfolgende Rezeptionsgeschichte, die stets den vorliegenden Text einschließlich der Erweiterung um die V. 6–8a vor Augen gehabt hat. Einige wenige Hinweise müssen genügen. Ich beginne mit der Septuaginta, der antiken griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel.16 Im hebräischen Text wird für die Gabe der beiden Brüder jeweils das Wort מנחהgewählt. Im profanen Gebrauch bezeichnet מנחהein Geschenk, das eine höhergestellte Person gnädig stimmen soll (vgl. Gen 32,14; 43,11ff), weshalb man bei einer Gott dargebrachten מנחהvon „Huldigungsgabe“ spricht. Diese offene Übersetzung entspricht dem alttestamentlichen Sprachgebrauch, insofern der Ausdruck מנחה von allen Termini, die im Zusammenhang mit Darbringungen für Gott ge-
tonomie und Sünde. Gen 4,7 und die „jahwistische“ Urgeschichte, in: W. Schottroff/W. Stegemann (Hg.), Traditionen der Befreiung. Sozialgeschichtliche Bibelauslegungen. Bd. 1. Methodische Zugänge, München, 60–77 (= DERS. 2003: Kanon und Sozialgeschichte. Beiträge zum Alten Testament, Gütersloh, 44–54), 63; CH. LEVIN 1993: Der Jahwist, FRLANT 157, Göttingen, 100f; J. CH. GERTZ 2004b: Von Adam zu Enosch. Überlegungen zur Entstehungsgeschichte von Gen 2–4, in: M. Witte (Hg.), Gott und Mensch im Dialog. Festschrift O. Kaiser, BZAW 345/1, Berlin/New York, 215–236, 234f mit Anm. 58; M. ARNETH 2007: „Durch Adams Fall ist ganz verderbt ...“. Studien zur Entstehung der alttestamentlichen Urgeschichte, FRLANT 217, Göttingen, 147, 153, 230ff. Anders SEEBASS 1996, 152–154, 161f. 16 Vgl. M. R ÖSEL 1994: Übersetzung als Vollendung der Auslegung, BZAW 223, Berlin/New York, 100–114.
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braucht werden, der am wenigsten spezifizierte ist. Die Septuaginta differenziert und spricht bei Abel von δῶρον „Geschenk“, was dem hebräischen מנחה entspricht, bei Kain hingegen von θυσία „Opfer“, womit verschiedene hebräische Opfertermini einschließlich „ זבחSchlachtopfer“ übersetzt werden. Nun wird man bei einem vegetabilen Opfer eigentlich nicht an ein Schlachtopfer denken dürfen. Doch ist dies nicht so eindeutig, wie der Fortgang der Erzählung in der Fassung der Septuaginta zeigt. Sie gibt den philologisch schwierigen V. 7a nämlich wie folgt wieder: οὐκ ἐὰν ὀρθῶς προσενέγκῃς ὀρθῶς δὲ μὴ διέλῃς ἥμαρτες „Ist es nicht so, dass, wenn du richtig dargebracht, aber nicht richtig zerteilt hast, du gesündigt hast?“ Diese kulttechnische Verfehlung gemahnt eher an ein Schlachtopfer als an die Darbringung von Ackerfrüchten. Martin Rösel hat gezeigt, dass die Übersetzung für jedes Wort des hebräischen Textes zwar eine Entsprechung bietet, aber die Wahl der griechischen Äquivalente und die Übertragung der grammatischen Formen zu erkennen geben, „daß sich der Übersetzer den mutmaßlichen Sinn des Verses aus dem Kontext erschlossen hat“17. Das kann ich an dieser Stelle nicht in allen Einzelheiten nachzeichnen. Wichtig ist, dass die Septuaginta den hebräischen Konsonantentext Wort für Wort übersetzt und dabei mit Blick auf den Kontext ausgelegt hat. Dass der hebräische Text in V. 7 ausgesprochen schwierig ist und damit Raum für sehr unterschiedliche Interpretationen gibt, wird uns gleich noch beschäftigen. Die Septuaginta sieht also in einem kultischen Vergehen die Ursache für Gottes Ablehnung von Kains Gabe. Das Argument ist einfach: Weil Gott Kains Gabe abgelehnt hat, muss Kain sich einer Verfehlung schuldig gemacht haben. Dieser Schluss liegt vor dem Hintergrund, dass der Text an dieser Stelle außerordentlich große philologische Probleme aufweist, also in jedem Fall der klärenden Interpretation bedarf, und dass im Alten Testament nur an zwei Stellen explizit und jeweils mit der Angabe von Gründen von der Ablehnung eines Opfers die Rede ist (Num 16; 1Sam 15), durchaus nahe. Das bestätigt im Übrigen auch die Reaktion Kains in der Übersetzung der Septuaginta. Heißt es im hebräischen Text, dass Kain zornig wurde, so wird er nach der Septuaginta „traurig“, was eine gewisse Einsicht in sein kultisches Fehlverhalten anklingen lässt. Auch wenn die Septuaginta somit eine Version der Erzählung bietet, „die Gott aus jedem Zwielicht herausrückt, ein willkürlicher Herrscher zu sein“18, bleibt dennoch festzustellen, dass der biblische Text kein kultisches Fehlverhalten Kains notiert und die Gaben und ihre unterschiedlichen Bewertungen nur knapp als Hintergrund für den folgenden Konflikt schildert – was die Aus-
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AaO 105. RÖSEL 1994, 111.
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legungsgeschichte nicht gehindert hat, den Gedanken des kultischen Fehlverhaltens breit zu erörtern. So wurde gerade auch auf Grundlage des Septuagintatextes diskutiert, inwiefern Kain sein Opfer nicht richtig zerteilt habe. So erwägt Philo, dass Kain zu viel von der Gabe habe für sich behalten wollen (vgl. Philo agr. 127ff). Diese Auskunft erinnert ein wenig an die bei Hesiod überlieferte griechische Sage, wonach Prometheus Zeus mit einem Trick den geringeren Teil des geschlachteten Ochsen überlassen habe (Hes. Theog. 535–560). Doch gerät dann endgültig aus dem Blick, dass Kain eine vegetabile Gabe und kein tierisches Opfer dargebracht hat. Auch die aramäischen Targumim gehen von einem kultischen Fehlverhalten aus, nehmen für ihre Erklärung aber eine andere Leerstelle des biblischen Textes zum Ausgangspunkt. In V. 8a liest der hebräische Text: „Und Kain sagte zu Abel, seinem Bruder.“ Es folgt die Schilderung der Tötung Abels auf dem Feld. Wie erwähnt ist die Formulierung von V. 8a erklärungsbedürftig, weil eigentlich im Anschluss an *„ אמרsagen“ eine mit einem weiteren verbum dicendi eingeleitete direkte Rede zu erwarten wäre. Einige moderne Übersetzungen beziehen die Aussage zurück auf die vorherige Gottesrede in V. 7. Sie lesen „und Kain sagte es Abel, seinem Bruder“. Andere lassen den Inhalt der Rede bewusst offen und übersetzen mit „Kain redete zu Abel, seinem Bruder“. Beide Lesarten sind philologisch nicht unmöglich (vgl. Ex 19,25; Jona 2,11; 2Chr 1,2), wären aber ein eher ungewöhnlicher Sprachgebrauch.19 Auch bliebe beim erstgenannten Vorschlag unklar, warum Kain seinem Bruder erzählt, was Gott ihm gesagt hat, und inwiefern dies zu der Bluttat auf dem Feld führen konnte. Die griechische Septuaginta, der hebräische Samaritanus, die syrische Peschitta und die lateinische Vulgata ergänzen daher ein „und sprach: ‚lass uns auf das Feld gehen‘“. Dieser Ausspruch kann vielleicht den folgenden Ortswechsel erklären, doch ist sie in einem Text, zu dessen stilistischen Kennzeichen eine ausgesprochen knappe Sprache zählt, von einer geradezu hinreißenden Belanglosigkeit. Die Targumim und ähnlich der Koran (Sure 5,27–29) nutzen dagegen die Leerstelle. In verschiedenen Variationen bieten sie einen mehr oder weniger ausführlichen Dialog, in dem Kain seinen Bruder Abel befragt, weshalb dessen Gabe von Gott angesehen wurde und von Abel die selbstbewusste Antwort erhält, dass seine Gabe besser im Sinne von „kultisch korrekt“ gewesen sei. In den Targumim folgt dieser Dialog auf die Aufforderung Kains, Abel möge mit ihm auf das Feld gehen, hingegen schließt im Koran der Dialog
19 Zur Diskussion vgl. B. JACOB 1934/2000: Das erste Buch der Tora. Genesis, Berlin (Nachdr. Das Buch Genesis, hg. in Zusammenarbeit mit dem Leo-Baeck-Institut, Stuttgart 2000), 140; HEYDEN 2003, 100f; B. JANOWSKI 2003a: Jenseits von Eden. Gen 4,1–16 und die nichtpriesterliche Urgeschichte, in: A. Lange/H. Lichtenberger/K. F. D. Römheld (Hg.), Die Dämonen. Demons. Die Dämonologie der israelitisch-jüdischen und frühchristlichen Literatur im Kontext ihrer Umwelt, Tübingen, 137–159, 152f; RÖSEL 1994, 108.
II. Zur Analyse und Auslegungsgeschichte von Genesis 4,1–16
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zwischen den Brüdern unmittelbar an eine Notiz über Annahme und Ablehnung der Gaben der Brüder an. Die Mahnung an Kain hat im Koran keine Entsprechung. Auf den ersten Blick wirkt der Dialog zwischen den Brüdern wie eine Variation des Themas „kultische Verfehlung“. Doch dadurch, dass er zumindest in den Targumim nach der Gottesrede in V. 7 platziert ist, kommt ein weiterer Gesichtspunkt hinzu. Wie immer man V. 7 auch zu verstehen hat, es ist deutlich, dass Kain von Gott ermahnt wird, womit die Debatte um die von Kain empfundene Ungerechtigkeit eigentlich beendet sein sollte. Dies gilt insbesondere für die Lesart der Targumim, wonach Gott in V. 7 Kain mahnt, gut zu handeln und ihn auf das Gericht und die Berücksichtigung der guten und schlechten Taten in der zukünftigen Welt hinweist. Da nun Kain nach der göttlichen Ermahnung Abel fragt, weshalb dessen Gabe von Gott angesehen worden ist, geht es um mehr als um einen kulttechnischen Gedankenaustausch unter Brüdern. Es geht darum, dass Kain mit seiner Frage Gottes Gerechtigkeit bezweifelt und in diesem Zuge auch das kommende Gericht, die Existenz eines (göttlichen) Richters sowie die Belohnung des Gerechten und die Bestrafung der Ungerechten leugnet. Am detailliertesten ist Targum Neofiti:20 Als sie beide auf das Feld hinausgegangen waren, begann Kain und sprach zu Abel: „Ich erkenne, dass die Welt nicht mit Barmherzigkeit erschaffen wurde; sie wird auch nicht nach den Früchten der guten Taten geleitet und es gibt Parteilichkeit im Gericht. Denn warum ist dein Opfer angenommen worden, während mein Opfer nicht angenommen wurde?“ Darauf erwiderte Abel und sprach zu Kain: „Ich erkenne, dass die Welt mit Barmherzigkeit erschaffen wurde; sie wird auch nach den Früchten der guten Taten geleitet und es gibt keine Parteilichkeit im Gericht; nur weil die Früchte meiner Taten besser waren als die der deinen und früher als die deinen, deshalb ist mein Opfer angenommen worden.“ Kain erwiderte und sprach zu Abel: „Es gibt kein Gericht und keinen Richter, es gibt keine zukünftige Welt, es gibt keinen guten Lohn für die Gerechten und keine Einforderung der Strafe von den Gottlosen.“ Darauf erwiderte Abel und sprach zu Kain: „Es gibt ein Gericht, es gibt einen Richter, es gibt eine zukünftige Welt, es gibt guten Lohn für die Gerechten und es gibt Einforderung der Strafe von den Bösen.“ Über den Inhalt dieser Rede stritten sie auf dem Felde.
Unverkennbar tritt also die moralische Bewertung der Person Kains (und damit auch seines Gegenübers Abel) in den Vordergrund, wenn es darum geht, Gottes Reaktion und damit den Auslöser für den tödlichen Konflikt zwischen den Brüdern zu erklären. Angesichts des Brudermordes liegt der Rückschluss von
20 Übersetzung nach C H. R OSE 1994: Die Wolke der Zeugen. Eine exegetisch-traditionsgeschichtliche Untersuchung zu Hebräer 10,32–12,3, WUNT II/60, Tübingen, 170–173, der eine Synopse der Targumim zu Gen 4,6–8 bietet (vgl. ferner G. VERMES 1975: The Targumic Versions of Genesis 4:3–16, in: ders., Post-Biblical Jewish Studies, Studies in Judaism in Late Antiquity 8, Leiden, 92–126). Ähnlich sind die Ausführungen im Targum Pseudo-Jonathan, deutlich knapper sind das Fragmenten-Targum und das Palästinische Targum aus der Kairoer Geniza; Targum Onqelos übersetzt sehr wörtlich.
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7. Lesarten der Erzählung von Kain und Abel
Gottes Reaktion auf die Gesinnung Kains nicht fern – auch wenn damit die Reihenfolge der Geschehnisse auf den Kopf gestellt wird. Die in den Targumim und im Koran gebotene Herleitung der unterschiedlichen Reaktionen Gottes auf die Gaben der beiden Brüder berührt sich mit den kurzen Notizen zu Abels Glauben und Gerechtigkeit im Neuen Testament. Nach dem Matthäusevangelium kündigt Jesus das Gericht an, in dem „das Blut Abels, des Gerechten“ (Mt 23,35) über die angeredete Generation kommen wird. Abel erscheint hier mit einem breiten Strom der jüdischen Tradition als der erste biblische Fromme und der erste jüdische Märtyrer.21 Mit Blick auf die biblischen Genealogien ist die Identifizierung Abels als Jude freilich ebenso falsch wie ihre spätere christliche Umkehrung, nach der Abel zum Typos der Christen und Kain zum Typos der Juden wurde (Tert. Adv. Judaeos 5; Aug. contr. Faustum 12,9). Im 1. Johannesbrief wird ganz auf der Linie der jesuanischen Gerichtsankündigung im Matthäusevangelium vor Streit innerhalb der christlichen Gemeinde mit dem Hinweis auf Kain gewarnt, der seinen Bruder umbrachte, „weil seine Werke böse waren und die seines Bruders gerecht“ (1Joh 3,11f). Der Hebräerbrief rechnet Abel zur Wolke der Glaubenszeugen: Aufgrund des Glaubens brachte Abel ein besseres Opfer dar als Kain; wodurch ihm bezeugt wurde, gerecht zu sein, weil Gott über seinen Opfergaben Zeugnis ablegte; und durch ihn (seinen Glauben) redet er noch immer, obwohl er gestorben ist. (Hebr 11,4)
Diese Aussagen erinnern deutlich an die (jüngeren) Targumim, verdanken sich aber wohl der selbständigen Exegese von Gen 4 durch den Autor des Hebräerbriefes.22 Die explizite Rede von Abels Gerechtigkeit und damit implizit von Kains Ungerechtigkeit in der Auslegungsgeschichte führt zu der Frage, ob von Kain ein konkretes Verhalten gefordert ist und damit zur Interpretation der Gottesrede in V. 7. Der Vers bereitet erhebliche philologische Verständnisprobleme, weshalb ein gut 100 Jahre altes Votum beinahe in jeder Untersuchung zu Gen 4 und so auch hier pflichtschuldig zitiert wird: Es ist „der dunkelste Vers des Kapitels, ja der Genesis“23. Entsprechend intensiv und vielgestaltig ist die Debatte, ich beschränke mich auf die wesentlichen Gesichtspunkte. Sicher ist so viel: Es handelt sich um eine rhetorische Frage Gottes, die Kain vor eine Alternative stellt. Aber schon der Bezugspunkt der Frage, ob sie auf Kains Zorn über Gottes unterschiedliche Reaktionen auf die Brüder und ihre Gaben zurückblickt oder ob sie auf Kains Brudermord vorausschaut, ist umstritten. Das
21 Vgl. U. LUZ 1997: Das Evangelium nach Matthäus. 3. Teilband (Mt 18–25), EKK I/3, Zürich/Düsseldorf/Neukirchen-Vluyn, 372 mit Verweis auf TestIss 5,4; TestAbr 11,2; Flav.Jos.Ant. 1,53; Philo sacr. 14; TFrag zu Gen 4,10. 22 Vgl. E. G RÄßER 1997: An die Hebräer, 3. Teilband (Hebr 10,19–13,25), EKK XVII/3, Zürich/Neukirchen-Vluyn, 111f. 23 O. PROCKSCH 1924: Die Genesis übersetzt und erklärt, KAT 1, 3. Aufl., Leipzig, 47.
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Verbum *„ יטבgut sein/gut handeln/für gut halten“ zeigt jedenfalls an, dass es erstmals darum geht, die im Paradies durch den Genuss der verbotenen Frucht erworbene Erkenntnisfähigkeit von „Gut und Böse“ unter Beweis zu stellen.24 Häufig wird mit einem moralischen Unterton übersetzt: „Wenn du gut handelst ... wenn du nicht gut handelst.“ Da * יטבim Grundstamm ein positives Urteil über eine Person, eine Tätigkeit oder einen Zustand beschreibt, wird der in V. 7 gebrauchte Kausativstamm eher so zu verstehen sein, dass man sich oder jemand anderes veranlasst, ein entsprechendes Urteil zu fällen.25 Die rhetorische Frage bezieht sich demnach wie in der hier gewählten Übersetzung darauf, dass Gott Abel und seine Gabe angesehen hat und Kain und seine Gabe nicht, und sie fordert Kain dazu auf, dieses Urteil zu akzeptieren. Als Konsequenz für die Anerkennung seines Urteils stellt Gott „erheben“ in Aussicht. Der knappe Ausdruck bietet einigen Interpretationsspielraum. Sehr wahrscheinlich handelt es sich um einen verkürzten Ausdruck, bei dem das Objekt zu „erheben“ fortgelassen wurde und deshalb aus dem Kontext erschlossen werden muss. Da in V. 5 vom „Fallen des Angesichts“ die Rede ist, wird es sich in V. 7 um die Kurzfassung der weit verbreiteten Wendung vom Erheben des Angesichts handeln, was wiederum einige Möglichkeiten eröffnet:26 Kain erhebt sein eigenes Angesicht, das bedeutet, er kann ohne Zorn gegenüber Gott und den Menschen frei auftreten (vgl. 2Sam 2,22; Hi 22,26); Kain erhebt das Angesicht Abels, das bedeutet, er kann ihn unbeschadet seiner Eifersucht wohlwollend wahrnehmen (vgl. Gen 32,21); Gott erhebt das Gesicht Kains, das bedeutet, er nimmt ihn unbeschadet der Annahme seiner Gabe wohlwollend wahr (vgl. Hi 42,8f). Eine Festlegung auf eine der genannten Möglichkeiten fällt schwer, ist aber vielleicht auch gar nicht gewollt. Noch schwieriger zu bestimmen ist, worin die Konsequenzen bestehen, sollte Kain das Urteil Gottes nicht anerkennen. Häufig wird übersetzt: „Zur Tür hin/an der Tür ist die Sünde ein Dämon/Lagerer, nach dir ist sein Verlangen, du aber sollst über ihn herrschen“. An dieser Übersetzung ist problematisch, dass das feminine Wort „ חטאתSünde“ auf das Partizip mask. Von *„ רבץlagern“ bezogen wird und sich die Personalsuffixe der 3. Pers. mask. (sein Verlangen; über ihn) inhaltlich auf das feminine Wort Sünde beziehen sollen. Die genannte Übersetzung versucht die grammatische Inkongruenz damit zu erklären, dass sie das Partizip mask. als Substantiv versteht. Der „Lagernde“ ist die Personifizierung der Sünde, auf die sich dann die Suffixe der 3. Pers. mask. beziehen. Diese Lesart hat man noch dadurch religionsgeschichtlich zu unterVgl. CRÜSEMANN 1980, 64f, 66f. Vgl. TH. WILLI 1983: Der Ort von Genesis 4:1–16 innerhalb der Althebräischen Geschichtsschreibung, in: A. Rofé/Y. Zakovitch (Hg.), Isac Leo Seeligmann Volume. Essays on the Bible and the Ancient World, Volume III. Non-Hebrew Section, Jerusalem, 99–113, 102 mit Anm. 11; HEYDEN 2003, 97. 26 Vgl. W ILLI 1983, 102 Anm. 12. 24 25
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füttern versucht, indem man den ( רובץrobeṣ) „Lagerer“ mit dem in akkadischen Texten belegten Dämon rābiṣu in Verbindung gebracht hat.27 Die Sünde ist (wie) ein Dämon, der wörtlich am Eingang des Hauses oder im übertragenen Sinne vor der Herzenstüre lauert. Gegen die verbreitete Lesart des Verses sind in jüngerer Zeit erhebliche Vorbehalte von Katharina Heyden und Bernd Janowski geäußert worden:28 1. Die Identifizierung des hebräischen ( רובץrobeṣ) mit dem akkadischen rābiṣu wirft die Frage auf, wie die Kenntnis des akkadischen Dämons zu den hebräischen Autoren und Lesern gelangt sein soll, will man nicht eine parallele Entwicklung der Bedeutung des Lexems rbṣ in beiden Sprachen unterstellen. Auch handelt es sich bei dem akkadischen rabiṣu eher um einen attackierenden Dämon als um einen, der seine Opfer zur Sünde anstiftet. Eine parallele Bedeutungsentwicklung, die zu diesem sehr spezifischen Gebrauch des Lexems rbṣ geführt hat, ist in der Tat recht unwahrscheinlich. Doch ist eine Kenntnis eines akkadischen Dämons im hebräischen Sprachraum ebenso wenig ausgeschlossen wie eine Verschiebung der Charaktereigenschaften dieses Dämons bei seinem Übertritt in einen anderen Sprachraum.29 Zudem wird nicht gesagt, dass der Dämon zur Sünde verführt, sondern es wird festgestellt, dass die Sünde als Dämon vor der Tür lauert, was durchaus ein überfallartiges Moment hat (vgl. * רבץin Dtn 29,19). Wie dem auch sei, die Interpretation, dass es sich bei dem „ רובץLagernden“ um eine Personifizierung der „ חטאתSünde“ handelt, wird durch die religionsgeschichtliche Analogie möglicherweise gestützt, sie hängt aber nicht von der Gleichsetzung des hebräischen ( רובץrobeṣ) mit dem akkadischen rābiṣu ab. 2. Unabhängig von der Frage nach der religionsgeschichtlichen Analogie wird gegen die vorgeschlagene Übersetzung, die ihrerseits wie jede Übersetzung eine Interpretation darstellt, vorgebracht, dass das Verb * רבץim Alten Testament sonst nicht die Bedeutung des hinterhältigen „(Auf-)lauerns“ hat, sondern das ruhige Liegen und Lagern beschreibt. Sodann ist der Nachsatz
H. DUHM 1904: Die Bösen Geister im Alten Testament, Tübingen/Leipzig, 9f; M. L. BARRÉ 1999: Art. Rābiṣu, DDD2, 682f. 28 H EYDEN 2003; JANOWSKI 2003a. Vgl. dort jeweils auch zum Folgenden. 29 Für einen Überblick zu den Dämonen siehe H. FREY-A NTHES 2007: Unheilsmächte und Schutzgenien, Antiwesen und Grenzgänger. Vorstellungen von „Dämonen“ im alten Israel, OBO 227, Göttingen/Freiburg (Schw.). Die Rezeptionsgeschichte derartiger Wesen verläuft nicht immer gradlinig und ohne Umdeutungen. Auch lässt sie sich kaum aus dem zum Teil sehr spärlichen Quellenmaterial vollständig rekonstruieren. Das zeigt das Beispiel der bekannten, im Alten Testament nur einmal belegten Dämonin Lilith (sumerisch LÍL; akkadisch lilītu): Die Verbindungslinien sind schon wegen der seltenen und umstrittenen Belege außerhalb akkadischer und sumerischer Texte unsicher, der ausgeprägte sexuelle Charakter der drei Lil-Geister in mesopotamischen Quellen fehlt in Jes 34,14 völlig, bestimmt aber das Bild dieser Dämonin bis in die Neuzeit. 27
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„nach dir ist sein Verlangen, du aber sollst über ihn herrschen“ eine eindeutige Anspielung auf die Beschreibung der Zuordnung von Mann und Frau in Gen 3,16. Auch wenn die frauenfeindliche Interpretation dieser Stelle eine lange Geschichte hat, so wird der biblische Verfasser ein „Liebäugeln mit der Sünde“ (Benno Jacob) kaum mit demselben Ausdruck wie die grundsätzlich positiv bewertete Zuneigung zwischen Mann und Frau bezeichnet haben,30 was nach einem anderen Verständnis des Nachsatzes in Gen 4,7 fragen lässt. Vor allem werden die syntaktischen Auffälligkeiten des Verses angeführt, die nach einer anderen Erklärung/Übersetzung verlangen. So sollte die adverbiale Bestimmung „zur Tür hin“ als lokale Bestimmung des Lagernden eigentlich nach dem Partizip und nicht betont am Anfang des Satzes stehen. Auch ist es ungewöhnlich, dass sich die Personalsuffixe der 3. Pers. mask. (sein Verlangen; über ihn) nicht auf das feminine Subjekt „Sünde“, sondern auf das Prädikatsnomen „Lagerer“ beziehen. Sofern „ חטאתSünde“ das Subjekt des Satzes ist und es um die Personifizierung der Sünde geht, wäre schließlich eine determinierte Form von „ חטאתSünde“ zu erwarten. Eine schon bei Ibn Ezra im 12. Jahrhundert einsetzende alternative Lesart vermeidet die genannten Inkongruenzen und erkennt in Abel das Subjekt des Nachsatzes.31 Abel ist derjenige, der sich lagert, wobei das Verb *„ רבץlagern“ gut zu Abels Hirtenexistenz passt. Das durch seine Wortstellung hervorgehobene „ לפתחzur Tür“ wird in diesem Fall mit „ חטאתSünde“ als metaphorischer Ausdruck für „Anlass zur Sünde“ verstanden, wobei abweichend von der masoretischen Vokalisation eine Verbindung im status constructus ְלֶפַּתח ַחָטּאת „zur Tür der Sünde“ zu lesen ist (statt „ ַלֶפַּתח ַחָטּאתan der Tür [ist die] Sünde“).32 Der Vers ist dann wie folgt zu übersetzen: „Wenn du es aber nicht gut sein lässt: Als Anlass zur Verfehlung lagert er [= Abel]. Aber zu dir [= Kain] hin ist sein [= Abel] Verlangen. Und du sollst über ihn walten.“33 Wenn Kain das Urteil Gottes nicht anerkennt und weiterhin eifersüchtig auf seinen Bruder ist, dann ist dieser ihm ein ständiger Anlass zur Sünde. Im Fortgang des Satzes bleibt Abel das Subjekt und die Personalsuffixe der 3. Pers. mask. (sein Verlangen; über ihn) beziehen sich regelkonform auf Abel: Zu Kain hin ist Abels Verlangen, doch soll Kain über seinen jüngeren Bruder walten. Dieser Satz ist eine unverkennbare Anspielung auf Gen 3,16. Wie es dort um die Zuordnung von Mann und Frau jenseits des Paradieses geht, so ist nun das fürsorgende Verhältnis des älteren zum jüngeren Bruder angesprochen. Hieran wird Kain
JACOB 1934/2000, 139. A. B. EHRLICH 1908: Randglossen zur Hebräischen Bibel. Textkritisches, Sprachliches und Sachliches. Bd. 1 Genesis und Exodus, Leipzig, 21; JACOB 1934/2000, 139; WILLI 1983, 103 mit Anm. 13; HEYDEN 2003, 98; JANOWSKI 2003a, 149. 32 Vgl. EHRLICH 1908, 20 und im Anschluss daran W ILLI 1983, 102f mit Anm. 13; H EYDEN 2003, 99. 33 Vgl. H EYDEN 2003, 98f. 30
31 Vgl.
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erinnert. Kain hat die Gelegenheit, seine Empörung über die Behandlung durch Gott und die damit verbundene Gefahr, eine Sünde zu begehen, dadurch zu überwinden, dass er das Urteil Gottes akzeptiert. Er kann „seinen Bruder als Konkurrenten vor Gott und auch seine eigene Empörung ertragen“34. Sollte er sich der Eifersucht hingeben, so die Warnung Gottes, dann wird ihm die schiere Existenz des bevorzugten und dabei völlig ahnungslosen Bruders zum Anlass zur Sünde.35 Die Sünde, um die es hier geht, ist ein Vergehen, das ein Gemeinschaftsverhältnis verletzt.36 Doch auch diese Lesart ist mit erheblichen Schwierigkeiten behaftet. Sie beginnen damit, dass der semantische Befund zu einzelnen Begriffen nicht eindeutig ist. Gegen eine vermeintliche Hirtenidylle ist nämlich festzuhalten, dass *„ רבץlagern“ auch eine negative Konnotation haben kann. Das Verb bezeichnet wie sein akkadisches Äquivalent rābaṣu in der Regel wertneutral das Lagern oder Ruhen (vgl. Jes 65,10 parallel zu Weideplatz). Gleichwohl kann es durch den Kontext eine negative Bedeutung bekommen. Dies dürfte im alttestamentlichen Sprachgebrauch dort der Fall sein, wo vom „Lagern“ prinzipiell bedrohlicher Dinge wie der Urflut (Gen 49,25; Dtn 33,13) oder Flüchen (Dtn 29,19) die Rede ist. Der ambivalente Gebrauch erklärt sich vielleicht damit, dass sich mit der Tierwelt in den altvorderorientalischen Kulturen auch dämonisch-mythische Vorstellungen verbunden haben. Das Lagern von Tieren dürfte daher nicht als so harmlos wahrgenommen worden sein, wie das heute der Fall ist. Dies gilt insbesondere für den Lagerplatz von Raubtieren (vgl. Gen 49,9). So lebt etwa die heilsprophetische Ankündigung des Tierfriedens, in dem der Panther beim Zicklein lagert (Jes 11,6), von der erfahrungsgesättigten Erkenntnis, dass das Lager der Raubkatze kein ungefährlicher Ort für deren Beute ist. Im Kontext mit „ חטאתSünde“ liegt eine negative Bedeutung von * רבץdurchaus nahe, zumal die Tür(schwelle) als Übergang vom gesicherten Innen zum ungeschützten Außen ein besonders gefährlicher Ort ist.37 Sodann ist festzuhalten, dass die vermutete abstrakte Bedeutung von „ פתחTür“ im Alten Testament nicht belegt ist.38 Die als Analogie beigebrachten Belege sind in dieser Hinsicht nicht einschlägig. In 1Kön 19,13 bezeichnet פתחden Eingang
AaO 100. AaO 99f. 36 Dazu siehe K. K OCH 1977: Art. חטא, ThWAT 2, 857–870, 860. Von den bei Koch genannten Belegen vgl. insbesondere Gen 50,17, wo es ebenfalls um einen sehr schweren Konflikt unter Brüdern geht. 37 Vgl. Zef 1,8f und dazu H. D ONNER 1979: Die Schwellenhüpfer: Beobachtungen zu Zef 1,8f, JSSt 15, 42–54, 53f. 38 So zu Recht A. SCHÜLE 2006a: Der Prolog der hebräischen Bibel. Der literar- und theologiegeschichtliche Diskurs der Urgeschichte (Gen 1–11), AThANT 86, Zürich, 199, der von „ungewöhnliche[n] Begriffsbedeutungen“ spricht. Anders HEYDEN 2003, 99; JANOWSKI 2003a, 151. 34 35
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zu einer Höhle. Die Rede vom Tal Achor in Hos 2,17 als Tür der Hoffnung mutet abstrakt an, dürfte aber aus der geographischen Lage des Tals am Übergang zum verheißenen Kulturland abgeleitet sein. Dass schließlich die Mischna פתחmetaphorisch als „Zugang, Eröffnung einer Möglichkeit“39 versteht, besagt für Gen 4,7 wenig. Es belegt lediglich den abstrakt-theologischen Gebrauch des Ausdrucks im späteren Hebräisch der Mischna. Vor allem aber stellt die vorausgesetzte doppelte Symbolik im Verständnis des Ausdrucks „ לפתחzur Tür hin“ eine schwere Hypothek für diese Lesart dar. Der Ausdruck wird zunächst metaphorisch verstanden als „Anlass zur Sünde“ und dieser metaphorische Gebrauch wird dann wiederum metaphorisch auf (den im Vers ungenannten) Abel bezogen. Gerade weil diese doppelte Symbolik nur schwer zu dechiffrieren ist und sich nach meiner Kenntnis auch keine Analogie innerhalb der erzählenden Literatur des Alten Testaments beibringen lässt, gewinnt die Beobachtung an Gewicht, dass sie in der Auslegungsgeschichte weitgehend eine neue „Entdeckung“ ohne Vorgeschichte in einer symbolischen Erklärungen nicht abgeneigten antiken und mittelalterlichen Exegese darstellt40 – so haben weder die Masoreten ausweislich ihrer Vokalisierung noch die antiken Übersetzungen den Text im Sinne dieser Lesart verstanden. Man wird daher unbeschadet der genannten Schwierigkeiten weiterhin eher der erstgenannten Alternative zuneigen. Gleichwohl ist mit der zweitgenannten Alternative daran festzuhalten, dass es in der Erzählung auch um das Verhältnis der beiden Brüder geht. Aus dieser Perspektive relativiert sich die Bedeutung der Suche nach dem Grund für die unterschiedliche Reaktion Gottes auf die Gaben der beiden Brüder ganz erheblich. Die in der Auslegungsgeschichte spätestens mit der Einfügung der V. 6–8a so breit diskutierte Frage nach dem „Warum?“ geht an der Intention des Textes vorbei: Gott hat das Opfer des einen angesehen, das des anderen nicht. Daß Gott das Opfer Kains nicht ansah, ist also weder auf seine Gesinnung noch auf ein falsches Opfer noch auf eine falsche Art des Opfers zurückzuführen. Es ist vielmehr das Unabänderliche damit ausgesagt, daß so etwas geschieht.41
Im Zentrum des Textes steht die Erfahrung von Ungleichheit unter Gleichen und der angemessene Umgang mit ihr sowie die Einsicht, dass objektiv gegebene oder subjektiv empfundene Ungerechtigkeit zur „Sünde“ führen kann.
39 H EYDEN 2003, 99 und JANOWSKI 2003a, 151 jeweils mit Hinweis auf C H. A LBECK 1971: Einführung in die Mischna, SJ 6, Berlin, 349f und EHRLICH 1908, 20. 40 Vgl. auch den zurückhaltenden Hinweis auf die Vorschläge von Heyden und Janowski in der einschlägigen Untersuchung von Gen 4,1–16 in den rabbinischen Midraschim bei J. ERZBERGER 2011: Kain, Abel und Israel. Die Rezeption von Gen 4,1–16 in rabbinischen Midraschim, BWANT 192, Stuttgart, 51 mit Anm. 61. Die Lesart der Midraschim entspricht durchweg der erstgenannten Alternative. 41 C. W ESTERMANN 1974: Genesis 1–11, BK AT I/1, Neukirchen-Vluyn, 403.
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7. Lesarten der Erzählung von Kain und Abel
Die Einfügung der V. 6–8a nimmt diesen Gedanken auf, wenn sie den wachsenden Hass Kains auf Abel zum Anlass für Gottes Warnung werden lässt.
III. Zur Entstehung der Sünde Im fünften Kapitel seines Römerbriefes legt Paulus dar, dass durch einen Menschen, Adam, die Sünde und mit ihr der Tod in die Welt gekommen sind (vgl. Röm 5,12ff).42 Diese Vorstellung hat das christliche Sündenverständnis tief geprägt. Sie ist biblisch, aber nur zu einem gewissen Grade alttestamentlich. Zunächst fällt auf, dass das Begriffsfeld Sünde in der Paradieserzählung nicht vorkommt. Auch wird man Paulus nur mit Einschränkung zustimmen können, dass die Übertretung des Verbots vom Baum der Erkenntnis zu essen, den Tod in die Welt gebracht hat. Der Mensch ist nach der vorliegenden Textgestalt von Gen 2–3 von vornherein mit dem Merkmal der Vergänglichkeit ausgestattet (vgl. Gen 2,7; 3,19) und man wird allenfalls sagen können, dass er durch die Vertreibung aus dem Garten vom Zugang zum ewigen Leben ausgeschlossen ist.43 Terminologisch begegnet die Sünde erstmals in der Erzählung von Kain und Abel. Hier wird sie zweimal erwähnt, und zwar gleich in differenzierender Weise: Gott warnt Kain vor einer Verfehlung, die ein Gemeinschaftsverhältnis verletzt (hebräisch: ;חטאתV. 7). Kains Zorn über die Benachteiligung gegenüber seinem Bruder könne sich zu einem Dämon auswachsen, der jede Form von Gemeinschaft zu zerstören vermag (vgl. „ חטאתSünde“ in Gen 50,17). Am Ende steht der Brudermord, weil es Kain nicht gelungen ist, sich der eigenen Veränderung durch seinen Zorn zu erwehren und sich so dem Beherrschtwerden durch die Sünde zu widersetzen. So kann die Sünde wie eine fremde Macht
42 Jan Dochhorn (J. D OCHHORN 2007: Mit Kain kam der Tod in die Welt. Zur Auslegung von SapSal 2,24 in 1 Clem 3,4; 4,1–7, mit einem Seitenblick auf Polykarp, Phil. 7,1 und Theophilus, Ad Autol. II, 29,3–4, ZNW 98, 150–159) hat anhand der Auslegung von SapSal 2,24 in 1Clem 3,4 Überreste einer alternativen Auslegungstradition wahrscheinlich machen können. Danach kam der Tod mit Kain in die Welt, was sich aber gegen die in Röm 5 erstmals bezeugten Ätiologie des Todes anhand von Gen 3 nicht behaupten konnte. Die Lesart führt sicher nicht zu einer Korrektur der landläufigen Interpretation von Gen 3 als ,Sündenfall‘, sie zeigt aber sehr schön den Interpretationsspielraum, den die biblischen Erzählungen eröffnen, und die exegetische Kunst der antiken Ausleger, diesen Raum durch eine Vielzahl möglicher Lesarten zu erschließen. 43 Vgl. K. SCHMID 2008: Loss of Immortality? Hermeneutical Aspects of Genesis 2–3 and Its Early Receptions, in: ders./C. Riedweg (Hg.), Beyond Eden. The Biblical Story of Paradise (Genesis 2–3) and Its Reception History, FAT II/34, Tübingen, 58–78. Die Ausführungen bei GERTZ 2004b, 230f mit Anm. 42 sind in diesem Sinne zu korrigieren.
III. Zur Entstehung der Sünde
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über ihn kommen. Dass eine gefasste Haltung auch angesichts der empfundenen Ungerechtigkeit gefordert ist, unterstreicht der mahnende Nachsatz. Er ruft Kain zur Herrschaft über die Sünde ( )חטאתauf. Kain ist bestimmt zur „Selbstkontrolle, die zugleich den fatalen Einfluss der Sünde niederhält“44. Der Mensch ist nicht nur Herr der Schöpfung (vgl. Gen 1,26), sondern er ist auch dazu aufgerufen, die Sünde zu beherrschen.45 Bekanntlich hat Kain die Warnung Gottes nicht beherzigt. Von Gott mit der Tat konfrontiert, reagiert er auf Gottes Ankündigung er werde vom Ackerboden verbannt und ruhe- und rastlos leben (V. 11–12) mit einer „klagende[n] Einrede“46 mit den typischen Elementen der Ich-Klage (V. 13), der Du-Klage (V. 14a) und der Feindklage (V. 14b). Das aus den Klageliedern des Psalters bekannte Element der Unschuldsbeteuerung fehlt aus verständlichen Gründen. Auch die übliche Bitte hat keine Entsprechung. Kain klagt lediglich über sein Leid, dass er als unabänderlich ansieht. In der Ich-Klage fällt mit dem hebräischen Wort ָﬠוֹןein weiterer Begriff aus dem Begriffsfeld Sünde. Die Intention der Ich-Klage in V. 13b wird sehr unterschiedlich bestimmt. Die Septuaginta hat in ihr ein Sündenbekenntnis Kains erkannt. Sie übersetzt: Μείζων ἡ αἰτία μου τοῦ ἀφεθῆναί με „Mein Verbrechen ist zu groß, als dass es mir vergeben werden könnte“. Das griechische αἰτία wird nur hier im Pentateuch als Übersetzung von ָﬠוֹןgewählt. Es bezeichnet die Ursache für eine Anklage im juristischen Sinne.47 Dem entspricht im religiösen Sprachgebrauch die Übersetzung mit „Sünde“. Damit ist das Bedeutungsspektrum des hebräischen Ausdrucks aber nicht abgedeckt, insofern עוֹן nicht nur das Vergehen meint, sondern auch seine unabwendbaren Folgen für den Täter im Sinne einer „Strafe“ umfasst.48 Für die deutsche Übersetzung bietet sich am ehesten der Begriff „Schuld“ an, der ebenfalls die beiden Aspekte der Ursache einer Strafe und der Folgen eines Vergehens umfasst. Wenn Kain sagt, dass seine Schuld zu groß sei, um sie zu tragen, so wird damit gleichermaßen für die Tat, den Brudermord, wie für die Tatfolgen, die Verfluchung, festgestellt, dass sie für ihn zu schwer sind, als dass er sie schultern könnte. Warum Kain die Schuld nicht tragen kann, zeigen die Du-Klage und die Feindklage. Gott vertreibt Kain vom Ackerboden. Bei Adam war nur der Ackerboden verflucht, jetzt trifft der Fluch den Menschen. Als Vertriebener ist Kain jedermanns Mutwillen ausgeliefert und muss um sein Leben fürchten. Mit seiner Klage strebt er keine Amnestie an, sondern nur, dass er mit der Strafe leben kann. Diese (unausgesprochene) Bitte seiner Klage wird ihm gewährt. Der
SCHÜLE 2006a, 188 mit Hinweis auf die Nähe zur stoischen Affektenlehre. I. V. LÖWENCLAU 1978: Genesis IV 6–7 – Eine jahwistische Erweiterung?, in: J. A. Emerton (Hg.), Congress Volume Göttingen 1977, VT.S 29, Leiden, 177–188, 187. 46 W ESTERMANN 1974, 419. 47 Vgl. M. R ÖSEL 1994, 110f. 48 Vgl. dazu K. K OCH 1986: Art. עון, ThWAT 5, 1160–1177. 44 45
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7. Lesarten der Erzählung von Kain und Abel
Mann, der JHWHs grundlose Bevorzugung des Bruders nicht zu akzeptieren vermochte, wird seinerseits grundlos unter JHWHs Schutz gestellt. Man ist versucht, angesichts der Nichterwähnung der Sünde in der Paradieserzählung und ihrer Ersterwähnung in der Erzählung von Kain und Abel die letztgenannte gegen Paulus zur eigentlichen Sündenfallerzählung zu erklären.49 Das ist möglich, beschreibt aber die Bewegung der biblischen Erzählungen nicht vollständig, insofern nicht nur mit Blick auf das Thema Sünde die Paradieserzählung und die Erzählung von Kain und Abel gemeinsam betrachtet werden müssen. Es fällt auf, dass beide Erzählungen eine große Parallelität im Aufbau aufweisen.50 Auf die Exposition und Darlegung der Ausgangssituation (Gen 2,4–15//Gen 4,1–5) folgen jeweils eine göttliche Warnung (Gen 2,16//Gen 4,7), die Missachtung der Warnung (Gen 3,1–7//Gen 4,8), eine erste mit „Wo?“ und eine zweite mit „Was?“ eingeleitete Frage Gottes (Gen 3,9+13//Gen 4,9+10), ein Fluchspruch und die Darlegung der Folgen für die Menschen (Gen 3,14–19//Gen 4,11–13), eine Notiz über Gottes Fürsorge für die betroffenen Menschen (Gen 3,21//Gen 4,15) sowie die Ausweisung der Menschen vom Ort des Geschehens (Gen 3,23f//Gen 4,16). Hinzu kommen vielfach festgestellte terminologische Querbezüge, die sich wie die mehrfach erwähnte Anspielung auf Gen 3,16 sämtlich auf die Übertretung des Verbots vom Baum der Erkenntnis zu essen und ihre Folgen beziehen. Dieser Befund ist kaum zufällig. Er lässt sich damit erklären, dass beide Erzählungen ein gemeinsames Thema behandeln, und zwar die Frage, wie die Sünde in die Welt gekommen ist. Dabei wird mit der Übertretung des Verbots vom Baum der Erkenntnis zu essen jedoch nur die Bedingung der Möglichkeit zur Sünde geschaffen, nämlich das Wissen um Gut und Böse und die damit verbundene Wahlmöglichkeit. Die Warnung Gottes an Kain spielt mit der Forderung „es gut sein zu lassen“ deutlich auf diese Wahlmöglichkeit an. Bekanntlich entscheidet sich Kain anders, woraufhin die Sünde erstmals Wirklichkeit wird. Anders als bei der Übertretung des Verbots vom Baum der Erkenntnis zu essen, ist jetzt die Frage der Verantwortlichkeit auch eindeutig geklärt. Sie liegt bei Kain.
49 50
Für diese Tendenz in der neueren Auslegungsgeschichte vgl. SCHÜLE 2006a, 155f. u.ö. Statt vieler vgl. DIETRICH 1977, 98ff; HEYDEN 2003, 103f.
8. Genesis 5 – Priesterliche Redaktion, Komposition oder Quellenschrift? I. Einleitung Beiträge zur Entstehungsgeschichte des Pentateuch pflegen auf die Unterscheidung priesterschriftlicher und nicht-priesterschriftlicher Texte als dem gesicherten Minimum einer von großen Differenzen geprägten Forschungsdebatte hinzuweisen.1 In der Tat ist die bald 150-jährige Abgrenzung der im weiteren Sinne zu P gehörigen Texte durch Theodor Nöldeke ungeachtet zahlreicher kontrovers diskutierter Detailprobleme im Kern unumstritten.2 Gleichwohl sind auch hier Abstriche zu machen, insofern die literarische Binnendifferenzierung des priesterschriftlichen Textbestandes mitunter sehr kontrovers diskutiert wird. Selbst wenn eine prinzipielle Einmütigkeit darüber besteht, dass die priesterschriftlichen Texte nicht von einer Hand stammen und dass sie eine spezifische Vor- und eine Nachgeschichte haben, so stützt sich die Differenzierung im Einzelfall weniger auf konsensfähige sprachliche oder literarkritische Argumente als auf Plausibilitätserwägungen, die übergeordneten Thesen zur Priesterschrift und zur literarischen Eigenart des priesterlichen Kernbestandes geschuldet sind. Und damit hört der Konsens auf. Die These, dass ein mehr oder weniger stark reduzierter Kernbestand ein ehedem selbständiges priesterschriftliches Literaturwerk gebildet hat, scheint nach wie vor die Forschungs-
1 Vgl. nur die Disputanten in F. H ARTENSTEIN/K. SCHMID (Hg.) 2015: Abschied von der Priesterschrift? Zum Stand der Pentateuchdebatte, VWGTh 40, Leipzig; E. BLUM 1990: Studien zur Komposition des Pentateuch, BZAW 189, Berlin/New York, 221; CH. LEVIN 1993: Der Jahwist, FRLANT 157, Göttingen, 437 (mit weniger Emphase); J. CH. GERTZ 2000b: Tradition und Redaktion in der Exoduserzählung. Untersuchungen zur Endredaktion des Pentateuch, FRLANT 186, Göttingen, 9f; CH. NIHAN 2007: From Priestly Torah to Pentateuch. A Study in the Composition of the Book of Leviticus, FAT II/25, Tübingen, 20; E. OTTO 1997: Forschungen zur Priesterschrift, ThR 62, 1–50, 1f; TH. C. RÖMER 2009: The Exodus Narrative According to the Priestly Document, in: S. Shectman/J. S. Baden (Hg.), The Strata of the Priestly Writings. Contemporary Debate and Future Directions, AThANT 95, Zürich, 157–174, 157f; eher beiläufig bei CH. BERNER 2010: Die Exoduserzählung: Das literarische Werden einer Ursprungserzählung Israels, FAT 73, Tübingen, 2. 2 TH. N ÖLDEKE 1869: Die s.g. Grundschrift des Pentateuchs, in: ders., Untersuchungen zur Kritik des Alten Testaments, Kiel, 1–144.
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8. Genesis – Priesterliche Redaktion, Komposition oder Quellenschrift?
mehrheit hinter sich zu haben.3 Aber die Stimmen, die von einem umfangreicheren Kernbestand ausgehen – zumeist unter Einbeziehung solcher Passagen, die fraglos eine Verbindung mit den nicht-priesterschriftlichen Texten voraussetzen – und diesen von vornherein als Bearbeitungs- oder Kompositionsschicht ansehen, sind gleichermaßen gewichtig wie hartnäckig.4 Wird diese Diskussion erneut aufgegriffen, so ist der These eines ehedem selbständigen priesterschriftlichen Literaturwerks vorweg eine erstaunliche Stabilität zu bescheinigen. Immerhin hat sie sich, von der ohnehin kaum konsequent durchgeführten Fragmentenhypothese einmal abgesehen, nicht nur in den verschiedenen Urkundenhypothesen, sondern auch in fast allen Spielarten der Ergänzungshypothese und den verschiedenen Kombinationsmodellen durchgehalten. Für die Anfänge der historisch-kritischen Erforschung der Entstehungsgeschichte des Pentateuch versteht sich das von selbst. Sie sind ganz von der Suche nach den von Mose oder anderen biblischen Historikern benutzten Urkunden geprägt, und die nachmalige Priesterschrift gehört als ElohimEpos zu den ersten Ergebnissen dieser Suche. Wesentlich für die anhaltende Akzeptanz der These eines ehedem selbständigen priesterschriftlichen Literaturwerks dürfte indes seine Charakterisierung als Grundschrift des Pentateuch gewesen sein. Bereits Wilhelm Martin Leberecht de Wette hatte die nachmalige Priesterschrift als „eine Art von epischem Gedicht“ beschrieben, das um jehowistische Abschnitte ergänzt die „Grundlage“ der Genesis und der Anfänge des Exodus dargestellt habe.5 Als „Grundschrift“ des Hexateuch wurde sie m.W. erstmals von Friedrich Tuch in seinem Genesiskommentar bezeichnet.6 Tuch vertrat eine Ergänzungshypothese. Doch die diesem Modell entsprechende Vorstellung einer „Grundschrift“ überlebte auch den Siegeszug der
Aus der Wolke der Zeugen seien nur angeführt: T. POLA 1995: Die ursprüngliche Priesterschrift. Beobachtungen zur Literarkritik und Traditionsgeschichte von Pg, WMANT 70, Neukirchen-Vluyn; R. G. KRATZ 2000: Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments, Göttingen, 226–248; J. CH. GERTZ 2019: Tora und Vordere Propheten, in: ders. u.a. (Hg.), Grundinformation Altes Testament. Eine Einführung in Literatur, Religion und Geschichte des Alten Testaments, 6. Aufl., Göttingen, 193–312, 237–248; NIHAN 2007. 4 Statt vieler: F. M. C ROSS 1973: Canaanite Myth and Hebrew Epic. Essays in the History of the Religion of Israel, Cambridge, 293–325; J. VAN SETERS 1975: Abraham in History and Tradition, New Haven/CT und London, 279–295; R. RENDTORFF 1976: Das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch, BZAW 147, Berlin/New York, 112–142; E. BLUM 1984: Die Komposition der Vätergeschichte, WMANT 57, Neukirchen-Vluyn; DERS. 1990; BERNER 2010. 5 W. M. L. DE W ETTE 1807: Beiträge zur Einleitung in das Alte Testament II, Halle, 28f. 6 F. TUCH 1838: Kommentar über die Genesis, Halle. Vgl. aaO LI mit Hinweis auf Wilhelm Martin Leberecht de Wette und Heinrich Ewald: „daher nennen wir sie die Grundschrift – dergestalt, dass Plan und Anordnung von ihr bedingt sind, der legislative Theil von ihr entnommen ist und im historischen Theile die Grundzüge, in grösseren Partien sogar die völlige Ausführung ihr allein angehört.“ 3
II. Argumente gegen eine ehedem selbständige Priesterschrift
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Neueren Urkundenhypothese, insofern sie dergestalt redaktionsgeschichtlich reformuliert wurde, dass das wohl seit Abraham Kuenen als Priesterschrift bezeichnete Literaturwerk7 dem Redaktor bei der Verbindung der Pentateuchquellen als literarische Grundlage gedient habe.8 Diese sehr verbreitete Sicht ist nicht ohne Widerspruch geblieben. So urteilte Christoph Levin mit Blick auf die Struktur der vorliegenden Gestalt der Patriarchenerzählung: „In der Vorstellung der Priesterschrift als ‚Grundschrift‘ schleppt die neuere Urkundenhypothese ein Relikt der älteren Urkundenhypothese mit, das durch die Spätdatierung der Priesterschrift überholt ist.“9 Wird man ähnlich auch für die Annahme eines ehedem selbständigen priesterschriftlichen Literaturwerks argumentieren können? Dass diese Frage nicht so fern liegt, zeigen die Anfänge der Spätdatierung der Priesterschrift, zu denen auch die Einschätzung Karl Heinrich Grafs gehört, dass „die s. g. Grundschrift des Pentateuchs nicht die Grundlage der Erzählung desselben ausmacht, sondern aus später dem ‚jahwistischen‘ Werke hinzugekommenen Zusätzen besteht.“10
II. Argumente gegen ein ehedem selbständiges priesterschriftliches Literaturwerk am Beispiel von Genesis 1–11 Zur Überprüfung der von Karl Heinrich Graf in die Diskussion gebrachten These einer priesterlichen Bearbeitungsschicht mit einem zum Teil erheblichen redaktionellen Eigenanteil soll ein Text aus der biblischen Urgeschichte dienen. Damit kehrt die Diskussion gewissermaßen zu ihren in der gegenwärtigen Debatte etwas in Vergessenheit geratenen Anfängen zurück.11 Auch spielt hier
7 A. K UENEN 1880: Dina en Sichem, TT 14, 257–281. Auf Kuenen geht zumindest das Siegel „P“ für den „priesterlichen Erzähler“ zurück. Hermann Hupfeld (H. HUPFELD 1853: Die Quellen der Genesis und die Art ihrer Zusammensetzung von neuem untersucht, Berlin) spricht bei seiner Aufteilung in zwei elohistische Werke von der „elohistischen Urschrift“, die üblicherweise „Urkunde Elohim“ oder „Grundschrift“ genannt werde (aaO 43). 8 Grundlegend M. N OTH 1948: Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart (3. Aufl., Darmstadt 1960), 11 und bereits J. WELLHAUSEN 1899: Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, 3. Aufl., Berlin (4. Aufl., Nachdr. d. 3. Aufl., Berlin 1963), 15; DERS. 1883/1927: Prolegomena zur Geschichte Israels, Berlin (1878 als Geschichte Israels I, 6. Aufl. von 1927, Nachdr. 2001), 330: „Es ist als ob P der rote Faden sei, an dem die Perlen von JE aufgereiht werden.“ 9 LEVIN 1993, 438 Anm. 12. Allerdings etabliert Levin im Gegenzug seinen Jahwisten als neue Grundschrift (vgl. aaO 151 [zu Gen 12–50], 315 [zu Gen 50–Ex 6], 436 und 438 [zum Gesamtaufriss]). 10 K. H. G RAF 1869: Die s.g. Grundschrift des Pentateuch, AWEAT 1/4, 466–477, 474. 11 Nach Eckart Otto besteht der Fehler der Pentateuchforschung darin, dass sie immer von der Genesis ausgeht, doch wird man die Ansatzpunkte nicht gegeneinander ausspielen
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8. Genesis – Priesterliche Redaktion, Komposition oder Quellenschrift?
die notorisch schwierige, in ihren Folgen für das Gesamtbild aber sehr folgenreiche Binnendifferenzierung der priesterschriftlichen Texte eine nur untergeordnete Rolle. Da nicht nur die These eines ehedem selbständigen priesterschriftlichen Literaturwerks erstaunlich zählebig ist, sondern sich auch die für und wider diese These vorgebrachten Argumente modellübergreifend durchhalten, setze ich mit einer massiven Kritik an der von Tuch vorgetragenen Ergänzungshypothese ein: Vergleicht man aber die der Grundschrift zugewiesenen Stücke so wird nach Ausscheidung der vom Ergänzer abgeleiteten Abschnitte der [sc. von Tuch behauptete] ‚ursprüngliche Plan und Zusammenhang‘ derselben sehr oft ganz vermisst. Es ist eine irrige Behauptung, dass blos der Ergänzer theils auf seine eigene Darstellung, theils auch auf die der Grundschrift zurückgehe, sie voraussetze, dagegen die Grundschrift zurückweisend sich nur auf sich selbst beziehe (Tuch); sondern häufig weisen auch die Erzählungen der Grundschrift auf Abschnitte des Ergänzers zurück, setzen sie zu ihrem Verständnis nothwendig voraus und werden ohne sie lückenhaft, planlos und zusammenhanglos und unbegreiflich, so dass es der Kritik trotz der reichlich angewandten, wohlfeilen Palliativmittel von Interpolationen und Ueberarbeitungen nicht gelungen ist, den behaupteten Zusammenhang der Grundschrift wirklich zu beweisen. 12
Das Zitat stammt aus der um den Nachweis der „Einheit und Echtheit“ der alttestamentlichen Schriften bemühten Einleitung in das Alte Testament von Karl Friedrich Keil, für den Tuchs Ergänzungshypothese der Inbegriff rationalistischer Bibelkritik ist. Was die Lücken der rekonstruierten Grundschrift im Bereich der Urgeschichte anbelangt, so macht Keil die erste Lücke im nahtlosen Übergang von Gen 2,3 zur Toledot Adams in Kapitel 5 aus, denn ohne Sündenfall wird die Verderbtheit alles Fleisches u. der ganzen Erde (VI, 11–13) ein Räthsel, da ja Gott alles gut und sehr gut geschaffen hatte (I, 9. 12. 18. 21. 25. 31), und selbst der Ursprung der Theokratie unbegreiflich.13
dürfen – sofern bedacht wird, dass sich der Befund in den einzelnen Büchern des Pentateuch recht unterschiedlich darstellt: vgl. E. OTTO 2000: Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch. Studien zur Literaturgeschichte von Pentateuch und Hexateuch im Lichte des Deuteronomiumrahmens, FAT 30, Tübingen, VII. 12 K. F. K EIL 1859: Lehrbuch der historisch-kritischen Einleitung in die kanonischen und apokryphischen Schriften des Alten Testaments, 2. Aufl., Frankfurt/Erlangen, 64 (mit Bezug auf die oben in Anm. 6 angeführte Stelle aus Tuchs Genesiskommentar und einer tabellarischen Auflistung der Unterscheidung von Grundschrift und Ergänzungsschicht nach Tuchs Kommentar). 13 K EIL 1859, 64, mit Hinweis auf B. W ELTE 1841: Nachmosaisches im Pentateuch, Karlsruhe/Freiburg i.Br., 157ff und J. H. KURTZ 1844: Beiträge zur Vertheidigung und Begründung der Einheit des Pentateuchs I. Nachweis der Einheit von Genesis I–IV, Königsberg, 69ff.
II. Argumente gegen eine ehedem selbständige Priesterschrift
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Letzteres deutet an, dass für Keil der für die christliche Dogmatik bedeutsame ‚Sündenfall‘ zum unverzichtbaren Kernbestand einer Grundschrift, mithin der Blaupause des Pentateuchs gehört. Die in der gegenwärtigen Diskussion immer wieder angeführte fehlende literarische Vorbereitung der Fluterzählung innerhalb des priesterschriftlichen Fadens spielt hingegen eher eine untergeordnete Rolle. Sie tritt erst mit Blick auf eine weitere ‚Lücke‘ zwischen Gen 5,32 und 6,9 in den Vordergrund, insofern „ohne VI, 1–8 die Allgemeinheit des Verderbens (auch der Sethiten) u. die Allgemeinheit der Fluth völlig unmotivirt sind“14. Rückverweise von der Grundschrift auf Abschnitte des jehowistischen Ergänzers erkennt Keil in Gen 5,29 sowie in Gen 5,3. Der Hinweis auf die Verfluchung des Ackerbodens bei Noahs Namensgebung in Gen 5,29 spiele auf den Strafspruch gegen Adam in Gen 3,17 an und die Notiz über Adams Sohn Set setze die Zeugungsnotiz in Gen 4,25 voraus.15 Das Argument der Lücken innerhalb der Grundschrift bzw. des priesterlichen Erzählfadens und der Ansatz einer kritischen Überprüfung des Resultats der Rekonstruktion im Modus einer literarkritischen Gegenprobe haben Schule gemacht. Seit Karl Heinrich Grafs Spätdatierung der Grundschrift und ihrer Neubestimmung als „priesterliche Bearbeitungsschicht“16 des Pentateuch findet sich der Hinweis auf die konzeptionelle Unstimmigkeit der rekonstruierten Quellenschrift auch in Arbeiten, denen es nicht um „Ursprung, Echtheit, und Glaubwürdigkeit“17 des Pentateuch im Sinne von Keil geht.18 Nur wenige Textbeobachtungen sind nachzutragen: Bereits Graf erkannte in der unmittelbaren Abfolge der Toledotformeln von Gen 2,4a und 5,1–3 eine Doppelung und plädierte für eine redaktionsgeschichtliche Lösung, wonach im Stile der Wiederaufnahme nach der Unterbrechung durch die nicht-priesterschriftlichen Abschnitte wieder an den priesterschriftlichen Schöpfungsbericht angeknüpft werde.19 Vergleichbar ist nach Erhard Blum der Befund zur Angabe des Lebensalters Noahs und der Zeugung seiner drei namentlich genannten Söhne am
14
KEIL 1859, 64 mit Hinweis auf J. H. KURTZ 1846: Die Einheit der Genesis, Berlin,
35f. KEIL 1859, 66 mit Hinweis auf KURTZ 1844, 129f und 132. Der Ausdruck findet sich bei Graf noch nicht im Wortlaut, wohl aber der Sache nach. Vgl. GRAF 1869, 475–477. 17 AaO Vorrede. 18 Zum Argument der fehlenden Begründung der Sintflut innerhalb einer isolierten Priesterschrift vgl. CROSS 1973, 306f; R. RENDTORFF 1989: L’histoire biblique des origines (Gen 1–11) dans le contexte de la rédaction „sacerdotale“ du Pentateuque, in: A. de Pury/Th. C. Römer (Hg.), Le Pentateuque en question, MoBi, Genf, 83–94, 91; BLUM 1990, 280. Zur Einschätzung einer inhaltlichen Insuffizienz der Priesterschrift in Gen 1–11 vgl. auch C. DE CATANZARO 1957: A Literary Analysis of Genesis I–XI. Diss. phil. masch. University of Toronto. In der Regel wird der Nachweis am Beispiel des dünnen Fadens der Priesterschrift in der Patriarchenerzählung geführt. Dazu siehe unten. 19 G RAF 1869, 470. Vgl. B LUM 1990, 280. 15 16
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8. Genesis – Priesterliche Redaktion, Komposition oder Quellenschrift?
Ende der Toledot Adams in Gen 5,32 und die weitgehende Wiederholung dieser Angaben zu Beginn der Toledot Noahs in Gen 6,10 sowie zur Nennung von Noahs Lebensalter zum Zeitpunkt des Flutbeginns in Gen 7,6 und 7,11.20 Die genannten Verse würden in einer selbständigen Priesterschrift mehr oder weniger unmittelbar aufeinander folgen. Rückverweise des priesterschriftlichen Textes auf nicht-priesterschriftliche Passagen werden von Blum noch in den Angaben zu Henochs und Noahs Wandeln vor Gott in Gen 5,22.24 erkannt, insofern diese Notizen Assoziationen an die Grundstimmung der Paradieserzählung und das Wandeln von JHWH-Elohim im Garten (jeweils הלךim Hitp.) weckten.21 Auch korrespondiere die priesterschriftliche Verheißung einer ברית עולםin Gen 9,1–17 mit dem göttlichen Zuspruch am Ende der nicht-priesterschriftlichen Fassung der Flutgeschichte in Gen 8,21f.22 Schließlich hat schon Graf auf den später von Sven Tengström im Sinne einer priesterlichen Bearbeitungsschicht breit dargelegten Befund aufmerksam gemacht, dass die Toledotformel stets als Überschrift benutzt werde und entsprechend in Gen 2,4a auf die Eröffnung der nicht-priesterschriftlichen Paradieserzählung in Gen 2,4b–7 hin angelegt sei.23 Das letztgenannte Argument wird in jüngerer Zeit freilich auch als Nachweis für die These angeführt, dass die nicht-priesterschriftlichen Passagen der Urgeschichte eine Ergänzung zur priesterschriftlichen Grundschrift darstellen.24 Eine vergleichbare Ambivalenz in der Auswertung modellübergreifend geteilter Textbeobachtungen ist auch mit Blick auf die Funktion der priesterschriftlichen Strukturmerkmale im vorliegenden Textzusammenhang und die offenkundigen Spannungen im Nebeneinander von priesterschriftlichen und nicht-priesterschriftlichen Abschnitten festzustellen. Auf beide Punkte möchte ich schon an dieser Stelle kurz eingehen, da sie in der Diskussion um Gen 5 keine wichtige Rolle spielen. Bereits August Klostermann hatte aus dem Aufbau des vorliegenden Textbestandes gefolgert, dass die priesterlichen Stücke „von vornherein um die zu Grunde gelegten altheiligen Stücke wie ein Rahmen herumgeschrieben sei[en]“ und es der priesterliche Redaktor verstanden habe, die vorgefundene Überlieferung „in das Fachwerk eines mit pietätsvoller Harmonistik dafür eingerichteten genealogisch-chronologischen und itinerarisch-
AaO 280–281. AaO 291. 22 R ENDTORFF 1989, 91; vgl. auch B LUM 1990, 289f und 293. 23 G RAF 1869, 470f; S. TENGSTRÖM 1981: Die Toledotformel und die literarische Struktur der priesterlichen Erweiterungsschicht im Pentateuch, CB.OT 17, Lund. 24 Vgl. E. O TTO 1996a: Die Paradieserzählung Genesis 2–3: Eine nachpriesterschriftliche Lehrerzählung in ihrem religionshistorischen Kontext, in: A. A. Diesel u.a. (Hg.), „Jedes Ding hat seine Zeit…“ Studien zur israelitischen und altorientalischen Weisheit. Festschrift D. Michel, BZAW 241, Berlin/New York, 167–192. 20 21
II. Argumente gegen eine ehedem selbständige Priesterschrift
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kalendarischen Gerüsts einzuordnen“25.Viele sind ihm darin gefolgt bzw. haben ähnlich argumentiert,26 doch musste Klostermann selbst zugestehen, dass sich der Befund auch im Sinne der von ihm bekämpften Neueren Urkundenhypothese als redaktionelles Verfahren der Verbindung von Priesterschrift und Jahwisten erklären lasse, und er fügt hinzu: „Ob diese beiden Theorien in so lächerlichem Mißverhältnis stehen, daß auf Grund der gemeinsamen Erkenntnis kein Übertritt von der einen zur anderen zu meinen gunsten möglich sei, mag der Leser selbst beurteilen.“27 Ohnehin wird man fragen müssen, ob die Ausgangsbeobachtung stimmig ist. Zwar dient der Schöpfungsbericht in Gen 1,1–2,3 wie in der rekonstruierten Priesterschrift als Prolog vor einer mit der Toledotformel eingeleiteten Menschheitsgeschichte (Gen 2,4a bzw. 5,1), deren auffälligstes Kennzeichen eben diese Toledotformel ist (vgl. Gen 6,9; 10,1.32; 11,10.27), aber es sind auch Abweichungen von der priesterschriftlichen Struktur zu notieren. In der durch einen zweifachen Prolog und Epilog gerahmten Fluterzählung (Gen 6,5–8; 8,20–22 [non-P] und 6,9–22; 9,1–17 [P]) bildet ein nicht-priesterschriftlicher Abschnitt den Auftakt, während der Beginn der Toledot Noahs in Gen 6,9 lediglich einen neuen Abschnitt innerhalb der Fluterzählung markiert. Das weicht vom sonstigen Gebrauch der Toledotformeln ab und entspricht auch nicht den übrigen genealogischen Notizen zu Noah und seinen Söhnen, mit denen die Priesterschrift die Flut als das zentrale Ereignis innerhalb der Toledot Noahs markiert (vgl. Gen 7,6; 9,28; 10,1.32; 11,10). Andererseits endet die Fluterzählung mit einem priesterschriftlichen Abschnitt, während der nicht-priesterschriftliche Schlussakkord in Gen 8,20–22 im vorliegenden Textzusammenhang lediglich eine (wichtige) Binnenzäsur markiert. Es hat den Anschein, dass in der Fluterzählung zwei Versionen mit unterschiedlichen Gliederungsprinzipien vereinigt worden sind, was für die Annahme einer klassischen Ergänzungs- oder Fortschreibungshypothese – ob nun
25 A. K LOSTERMANN 1893: Der Pentateuch. Beiträge zu seinem Verständnis und zu seiner Entstehungsgeschichte, Leipzig, 59 und 135f (das zweite Zitat bezieht sich auf den Verfasser des ‚vorjosianischen Pentateuch‘ in Gen 1–Num 36; Dtn 31,14–34,9; Jos 1–24). 26 Vgl. DE C ATANZARO 1957, 25–74, 244 (mit Blick auf die Fluterzählung, die sich von der priesterlichen Schöpfungserzählung darin unterscheide, dass der priesterliche Ergänzer in Gen 1,1–2,4a einen eigenständigen Text formuliert und vor die Paradieserzählung gesetzt habe, während er in der Fluterzählung als Ergänzer gewirkt habe); RENDTORFF 1989, 89; J. VERMEYLEN 1990: La formation du Pentateuque. Bref historique de la recherche et essai de solution cohérente, pro manu scripto. Centre d’Études Théologiques et Pastorales, Brüssel, 99f. 27 K LOSTERMANN 1893, 59. Die angesichts seines ansonsten grundbeleidigten Tonfalls auf den ersten Blick erstaunlich irenische Äußerung Klostermanns beruht freilich auf einer recht unpräzisen Beschreibung des von Wellhausen gezeichneten Bildes des redaktionellen Verfahrens.
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8. Genesis – Priesterliche Redaktion, Komposition oder Quellenschrift?
unter priesterschriftlichem oder nicht-priesterschriftlichem Vorzeichen – nicht eben günstig ist.28 Was die Spannungen im Nebeneinander offenkundiger Parallelüberlieferungen anbelangt, so sind diese seit jeher als stärkstes Argument für die These einer redaktionellen Verbindung ehedem selbständiger Literaturwerke empfunden worden. Dies gilt gerade für die Urgeschichte, zumal hier die „außerpriesterliche und die priesterliche Überlieferung eine vergleichbare Substanz [aufweisen]“29. Im Rahmen eines Urkundenmodells lassen sich die „diskontinuierlichen Fügungen“ (Blum) und stehengebliebenen Spannungen in der Regel mit einer konservativen Grundhaltung der Redaktion erklären, die sich weitgehend an das überlieferte Material gebunden fühlte. Auch wird man den kritischen Blick einer auf die Entstehungsgeschichte gerichteten Analyse von einem mit der Redaktion einsetzenden und über Jahrhunderte hinweg praktizierten komplementären Textverständnis unterscheiden müssen, das sehr wohl in der Lage ist, die Texte gedanklich zu verbinden. Dass eine reine Bearbeitungsschicht im Vergleich zu einer redaktionellen Verbindung von vorgegebenen Texten von vornherein einen größeren literarischen Gestaltungsraum hat und entsprechend spannungsärmere Texte hinterlassen müsste, liegt nahe, ist aber auch bestritten worden. So hielt Paul Volz in seiner Bestreitung eines ehedem selbständigen priesterschriftlichen Literaturwerks die Annahme der Verknüpfung von zwei Versionen der Fluterzählung deswegen für künstlich, weil zu viele Widersprüche stehen geblieben seien.30 Volz erklärt den Befund mit einer Bearbeitung der nicht-priesterschriftlichen Fluterzählung im Geiste von
28 Für eine ausführliche Begründung vgl. J. C H. G ERTZ 2006a: Beobachtungen zum literarischen Charakter und zum geistesgeschichtlichen Ort der nicht-priesterschriftlichen Sintfluterzählung, in: U. Schorn/M. Beck (Hg.), Auf dem Weg zur Endgestalt. Festschrift H.Ch. Schmitt, BZAW 370, Berlin/New York, 41–57 (in diesem Band Nr. 9), in Auseinandersetzung mit der These, dass die nicht-priesterschriftlichen Passagen der Sintfluterzählung eine redaktionelle Ergänzung der priesterschriftlichen Version sind. Zur Renaissance der zuerst von Tuch (Genesis, LXVII, 137–195) vertretenen These vgl. J.-L. SKA, 2009c: The Story of the Flood: a Priestly Writer and Some Later Editorial Fragments (1994), in: ders., The Exegesis of the Pentateuch. Exegetical Studies and Basic Questions, FAT 66, Tübingen, 1–22; E. BOSSHARD-NEPUSTIL 2005: Vor uns die Sintflut. Studien zu Text, Kontexten und Rezeption der Fluterzählung Genesis 6–9, BWANT 165, Stuttgart; A. SCHÜLE 2006a: Der Prolog der hebräischen Bibel. Der literar- und theologiegeschichtliche Diskurs der Urgeschichte (Gen 1–11), AThANT 86, Zürich, 247–301; M. ARNETH 2007: „Durch Adams Fall ist ganz verderbt …“. Studien zur Entstehung der alttestamentlichen Urgeschichte, FRLANT 217, Göttingen, 169–200. 29 B LUM 1990, 279, der in diesem Zusammenhang mit Recht auch auf den „singulären forschungsgeschichtlichen Rang der Urgeschichte“ (aaO 278) hinweist. 30 P. V OLZ 1933: Kurzer Anhang über den Priesterkodex, in: ders./W. Rudolph, Der Elohist als Erzähler. Ein Irrweg der Pentateuchkritik an der Genesis erläutert, BZAW 63, Gießen, 135–142, 140f (dort auch die folgenden Zitate).
II. Argumente gegen eine ehedem selbständige Priesterschrift
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Gen 1 zum „liturgischen Gebrauch innerhalb der Neujahrsliturgie“, mit der sich im Laufe der Zeit der „Weltschöpfungsgedanke“ verbunden habe, weshalb beim Neujahrsfest Gen 1 und die für diesen Anlass überarbeitete Fluterzählung verlesen worden seien. Dies habe zu drei Veränderungen geführt. Die Flut sei zu einem „kosmischen Ereignis, zum Weltuntergang, [ ... zur] Rückkehr zum Chaos“ geworden, es seien chronologische Daten eingefügt worden, was mit dem liturgischen Ablauf zusammenhänge, und mit Blick auf ausstehende Kultgesetzgebung sei die Zahl der Tiere korrigiert worden. Eine genaue Analyse liefert Volz nicht, stattdessen folgen ein Eingeständnis und ein Bekenntnis: Die Art der Bearbeitung und ihre Durchführung ist uns nicht mehr in allen Einzelheiten völlig durchsichtig. Man wird z. B. fragen, warum der Bearbeiter die tendenziösen Korrekturen (Zeitdauer, Zahl der Tiere) nicht so durchgeführt hat, daß das Ursprüngliche (40 Tage, 7 und 2 usw.) ganz gestrichen wurde. Aber man wird annehmen dürfen, daß der ursprüngliche Wortlaut zur Zeit des Bearbeiters zu fest stand, als daß er hätte ganz aufgegeben werden können. Das Entscheidende sind nicht solche Detailfragen, sondern die These, daß eine selbständige P-Fluterzählung nicht bestand, sondern nur die ursprüngliche, einzige Erzählung überarbeitet wurde.31
Mit Blick auf Volz’ Eingangskritik an der These einer redaktionellen Verbindung vorgegebener Texte muss diese Feststellung erstaunen. Sofern die These eines ehedem selbständigen priesterschriftlichen Literaturwerks abzulehnen ist, kann jedenfalls die Annahme, dass die priesterliche Redaktion unter anderem in der Fluterzählung auch eigenes Traditionsmaterial bei ihrer Bearbeitung der nicht-priesterschriftlichen Erzählung integriert hat,32 von vornherein größere Plausibilität beanspruchen als eine reine Ergänzungshypothese.
AaO., 141. Einen entsprechenden Ausgleich, der Einsichten des Urkundenmodells und der Ergänzungshypothese zu verbinden sucht, hat Blum mit seiner These einer „priesterlichen Kompositionsschicht“ vorgelegt. Vgl. dazu BLUM 1990, 281–285 (zur Sintflut) und 333–360 (zum Modell und seiner institutionsgeschichtlichen Verankerung). Blum spricht für den Pentateuch von einer „singulären Kompositionsstruktur“ (vgl. dazu die kritischen Einwände bei K. SCHMID 2011: Der Abschluss der Tora als exegetisches und historisches Problem, in: ders., Schriftgelehrte Traditionsliteratur, FAT 77, Tübingen, 159–184, 177f), die sich allein durch äußere Anlässe, genauer den von der persischen Oberherrschaft ausgeübten Zwang zur innerjüdischen Konsensbildung erklären lasse. Vgl. BLUM 1990, 358, 360; DERS. 2001: Esra, die Mosetora und die persische Politik, in: R. G. Kratz (Hg.), Religion und Religionskontakte im Zeitalter der Achämeniden, VWGTh 22, Gütersloh, 231–255, hier 235–246. Mit Blum ist für Hypothesen zur Entstehungsgeschichte des Pentateuch, die mit der Zusammenstellung sehr profilierter Literaturwerke oder auch nur Kompositionsblöcke rechnen, an der Forderung nach einer historischen Verortung dieses Vorgangs festzuhalten, der sich deutlich von schriftgelehrter Fortschreibungstätigkeit unterscheidet – unbeschadet der Diskussion um die sogenannte Reichsautorisation. Vgl. dazu die Beiträge in J. W. WATTS (Hg.) 2001, Persia and the Torah. The Theory of Imperial Authorization of the Pentateuch, SBL.SS 17, 31 32
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8. Genesis – Priesterliche Redaktion, Komposition oder Quellenschrift?
III. Bewertung der Argumente im Hinblick auf Genesis 5 Auf einige der vorgebrachten Argumente wurde bereits en passant eingegangen, im Folgenden geht es um Textbeobachtungen zu Gen 5 und ihre Auswertung. Eher ornamentalen Charakter hat der Hinweis auf die Assoziation, die von Henochs und Noahs Wandel vor Gott zur Szenerie des paradiesischen Gartens führt. Die nur in Gen 5,22.24; 6,9 belegte Wendung הלךhitp. + NN + את האלהיםlässt sich unschwer aus der auch in der Priesterschrift belegten Wendung הלךhitp. + ( יהוה/ ( לפני )אלהיםGen 17,1; vgl. 1Sam 2,30) ableiten, wobei die Abweichung eine besondere Gottesnähe in der Zeit vor der Flut ausdrückt.33 Eine entstehungsgeschichtliche Herleitung von Gen 5,22.24; 6,9 aus Gen 3,8 ist nicht notwendig. Gewichtiger sind hingegen die Beobachtungen zu Doppelungen innerhalb einer isolierten Priesterschrift und die Frage einer Begründung für die Flut und die Rückkehr ins Chaos. 1. Zur Textfolge Genesis 2,3–4a und 5,1–3 Ich beginne mit dem als problematisch empfundenen unmittelbaren Anschluss der Toledot Adams an den priesterschriftlichen Schöpfungsbericht. Viel hängt an der redaktionsgeschichtlichen Einordnung der Toledotformel in Gen 2,4a. Bis in das Druckbild der an dieser Stelle vom Codex Leningradensis abweichenden Biblia Hebraica Stuttgartensia34 hat es sich eingebürgert, Gen 2,4a als Unterschrift des priesterschriftlichen Schöpfungsberichtes zu betrachten. Für diese nach Andeutungen bei Wilhelm Friedrich Hezel auf Werner Carl Ludwig Ziegler zurückgehende Gliederung des Textes wird angeführt, dass die Toledotformel zu den Kennzeichen von P gehört und dass sie deutlich auf den vorangehenden Text Bezug nimmt, während der nachfolgende Text eindeutig nicht-priesterschriftlicher Herkunft ist.35 Die unmittelbare Abfolge der beiden Toledotformeln als Schlussnotiz und Überschrift würde innerhalb eines ehedem selbständigen priesterschriftlichen Literaturwerks als Gliederungssignal
Atlanta/GA sowie K. SCHMID 2006: Persische Reichsautorisation und Tora, ThR 71, 494– 506 und K.-J. LEE 2011: The Authority and Authorization of Torah in the Persian Period, Contributions to Biblical Exegesis and Theology 64, Leuven. 33 Vgl. zuletzt N IHAN 2007, 62f mit Hinweis auf G. VON R AD 1934: Die Priesterschrift im Hexateuch literarisch untersucht und theologisch bewertet, BWANT 65, Stuttgart, 171 Anm. 6; E. ZENGER 1987: Gottes Bogen in den Wolken. Untersuchungen zu Komposition und Theologie der priesterschriftlichen Urgeschichte, SBS 112, 2. Aufl., Stuttgart, 107 Anm. 17; BLUM 1990, 293. 34 Der Codex Leningradensis lässt zwischen Gen 2,3 und Gen 2,4 eine Leerzeile. 35 W. F. H EZEL 1780: Ueber die Quellen der Mosaischen Urgeschichte, Lemgo, 25; W. C. L. ZIEGLER 1794: Kritik über den Artikel von der Schöpfung nach unserer gewöhnlichen Dogmatik, in: H. P. C. Henke (Hg.), Magazin für Religionsphilosophie, Exegese und Kirchengeschichte, Vol. II, Helmstedt 1794, 1–113, 13, 50.
III. Bewertung der Argumente im Hinblick auf Genesis 5
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zu verstehen sein36 – was das ästhetische Empfinden der Kritiker dieser These schwerlich befriedigen dürfte. Gewichtiger ist indes die Beobachtung, dass die Toledotformel sonst ausschließlich als Überschrift belegt ist.37 Auch hat der priesterschriftliche Schöpfungsbericht in Gen 2,3 sein eigenes, mit Gen 1,1 korrespondierendes Summarium. Die Toledotformel in Gen 2,4a wird daher als Überschrift zur folgenden Paradieserzählung aufzufassen sein.38 Als solche schlägt sie eine Brücke zwischen dem priesterschriftlichen Schöpfungsbericht und der Paradieserzählung, wobei sie wie üblich Inhalt und Formulierungen des vorangehenden Textabschnitts aufgreift und zugleich auf das Kommende vorgreift.39 Wie aber ist der Befund in redaktionsgeschichtlicher Hinsicht zu bewerten? Weit verbreitet ist die Annahme, Gen 2,4a habe innerhalb einer ehedem selbständigen priesterschriftlichen Urgeschichte vor Gen 1,1 gestanden und sei erst bei der redaktionellen Verbindung von Schöpfungsbericht und Paradieserzählung dieser als redaktionelle Überleitung und Überschrift vorangestellt worden.40 Das ist aber wenig plausibel, weil Gen 1,1 eine vollgültige Überschrift ist und sich hier sofort eine neue, nicht weniger problematische Konkurrenz auftun würde. Es liegt daher nahe, dass Gen 2,4a von vornherein als redaktioneller Übergang zur Paradieserzählung konzipiert worden ist. Auf die redaktionsgeschichtlichen Verhältnisse innerhalb des Auftakts der Paradieserzählung in Gen 2,4–7 ist an dieser Stelle nicht weiter einzugehen,41 fest steht aber, dass innerhalb eines ehedem selbständigen priesterschriftlichen Literaturwerks die Toledotformeln in Gen 2,4a und 5,1 nie aufeinander gefolgt sind. Darüber hinaus gibt es starke Indizien dafür, dass beide Notizen nicht auf eine Hand zurückgehen. So spricht die singuläre Rede vom „Buch der Toledot“ in Gen 5,1
Vgl. NOTH 1948, 17 mit Anm. 41; C. WESTERMANN 1974: Genesis 1–11, BKAT I/1, Neukirchen-Vluyn, 22; O. H. STECK 1981: Der Schöpfungsbericht der Priesterschrift, FRLANT 115, 2. Aufl., Göttingen, 242f; ZENGER 1987, 143; P. WEIMAR 2008: Die Toledotformel in der priesterschriftlichen Geschichtsdarstellung, in: ders. Studien zur Priesterschrift, FAT 56, Tübingen, 151–184, 163f Anm. 43; POLA 1995, 82 Anm. 134 und 343 Anm. 144; KRATZ 2000, 230, 233–235, ARNETH 2007, 24–27. 37 Gen 5,1; 6,9; 10,1; 11,10.27; 25,12.19; 36,1.9; 37,2. Vgl. D. M. C ARR 1998: Βίβλος γενέσεως Revisited. A Synchronic Analysis of Patterns in Genesis as Part of the Torah, ZAW 110, 159–172 und 327–347, 164f. 38 Siehe oben bei Anm. 23. 39 Vgl. W ELLHAUSEN 1899, 320. 40 So zuletzt M. W ITTE 1998: Die Biblische Urgeschichte. Redaktions- und theologiegeschichtliche Beobachtungen zu Genesis 1,1–11,26, BZAW 265, Berlin, 55 mit Anmerkung 14 (Lit.). 41 Vgl. dazu J. CH. G ERTZ 2012: The Formation of the Primeval History, in: C. A. Evans/J. Lohr/D. L. Petersen (Hg.), The Book of Genesis. Composition, Reception, and Interpretation, VT.S 152, Leiden und Boston/MA, 107–136, hier 115–118 (in diesem Band Nr. 3, 44–48). 36
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dafür, dass die Reihe der Toledot ursprünglich mit Adam eröffnet wurde. Schon die LXX hat hier ein Problem erkannt und entsprechend ή βίβλος aus Gen 5,1 in 2,4a eingetragen. Auch sollte nicht überlesen werden, dass die Toledotformel in der Priesterschrift sonst nie die Entstehungsgeschichte des in der Genetivverbindung Genannten schildert, sondern immer die Familiengeschichte einer bestimmten Person. Die Toledotformel in Gen 2,4a ist redaktionell und sie ist nie Bestandteil eines ehedem selbständigen Literaturwerks gewesen. Mit der Herausnahme von Gen 2,4a ist der Einwand einer unschönen Textfolge innerhalb der isolierten priesterschriftlichen Texte freilich noch nicht vollständig entkräftet, insofern Gen 5,1–3 im unmittelbaren Anschluss an Gen 1,1–2,3 gerne bescheinigt wird, es rekapituliere nur „unbeholfen, was wenige Zeilen davor breit ausgeführt wurde“42. Zuweilen teilen Vertreter der These eines ehedem selbständigen priesterschriftlichen Literaturwerks diese Einschätzung, weshalb sie die vermeintlich störende Wiederholung aus Gen 1,27– 28 in 5,1b–2 der Endredaktion oder nachpriesterschriftlichen Glossatoren zuweisen.43 Die literarkritische Differenzierung wird dann damit begründet, dass Gen 5,1a.3 אדםdem Schema der nachfolgenden Genealogie entsprechend als Eigennamen verwende, während Gen 5,1b–2 die Gattungsbezeichnung ‚Mensch‘ gebrauche, was dem Schema widerspreche und der redaktionellen Wiederaufnahme von Gen 1,27f geschuldet sei. Doch die Charakterisierung von – je nach Modell – Gen 5,1b–2 oder Gen 5,1–3 als redaktionelle Wiederaufnahme übersieht die kompositionelle Funktion der Verse, die von der Schöpfung der Gattung Mensch als Ebenbild Gottes (Gen 5,1b; vgl. 1,26a.27a), ihrer geschlechtlichen Ausdifferenzierung (Gen 5,2b; vgl. 1,27b) und dem Schöpfersegen (Gen 5,2b; vgl. 1,28) zur Geschichte einzelner Menschen (Gen 5,1a) überleiten, in der sich der Segen realisiert (Gen 5,3). Es geht um den für die Entwicklung des Menschengeschlechts wesentlichen Vorgang der Individuierung, in dem die Benennung der Gattung durch Gott (Gen 5,2b) ihre sachliche Entsprechung in der Benennung Sets durch Adam hat (Gen 5,3b). Ebenso greift der vom Schema abweichende Vermerk, Adam habe Set „als ihm gleich, gemäß seinem Bilde“ gezeugt ( ;ויולד בדמותו כצלמוGen 5,3a), über Gen 5,1b die Menschenschöpfung in Gen 1,26f auf. In signifikanter Weise tritt an die Stelle
BLUM 1990, 280. H. HOLZINGER 1898: Genesis, KHC I, Freiburg i.Br. u.a., 58f; WEIMAR 2008, 165– 171; LEVIN 1993, 99f; H. SEEBASS 1996: Genesis I. Urgeschichte (1,1–11,26), NeukirchenVluyn, 180. Auf einer redaktions- oder überlieferungsgeschichtlich geurteilt anderen Ebene liegen Erwägungen, dass P mit Gen 5,1ff* ein vorgegebenes Toledotbuch aufgenommen und in sein Werk integriert hat. Vgl. u.a. NOTH 1948, 17 mit Anm. 41; STECK 1981, 145; D. M. CARR 1996: Reading the Fractures of Genesis. Historical and Literary Approaches, Louisville/KY, 71–73. 42 43
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des göttlichen Schaffens von nun an die Begrifflichkeit vom Zeugen und Gebären, womit sich zugleich die Segenszusage in Gen 1,28 realisiert. Der Übergang von der Schöpfung der Menschheit zur Generationenfolge der Nachkommen vollzieht sich also in der Benennung des ersten Nachkommens und – sachlich vorausgehend – in der Zeugung der Folgegenerationen, die mittels der Generationenkette Anteil haben an der Gottebenbildlichkeit des ersten Menschen bzw. der Gattung Mensch. Auf den ersten Blick mag der Abschnitt einen redundanten Eindruck machen, doch erweist er sich gerade in Verbindung mit Gen 1,1–2,3 als bis ins Detail hinein durchkonstruiert.44 Als redaktionelle Wiederaufnahme nach Gen 2–4 ist er eindeutig unterbestimmt, zumal in einem auf den nicht-priesterschriftlichen Text hin formulierten redaktionellen Text der Übergang zu Adam und seinen Nachkommen zu spät käme, da hier der Eigenname Adam bereits gefallen ist (Gen 4,25) und auch Geschehnisse aus dem
44 Vgl. dazu auch W ITTE 1998, 123–126. Wiederholt wurde behauptet, dass die Wendung von ביום+ inf.cstr. in Gen 5,1a auf den nicht-priesterschriftlichen Text Gen 2,4b zurückgreift (vgl. statt vieler WEIMAR 2008, 168 Anm. 56). Doch bedarf es für die Wendung kaum des Vorbildes aus der Priesterschrift (vgl. aus dem priesterschriftlichen Umfeld Lev 6,13; 7,16.36.38; Num 6,13; 7,10; 9,15 u.ö.), zumal mit ביוםin Gen 5,1 an einen bestimmten Tag gedacht ist, während ביוםin Gen 2,4b als schlichte Temporalbestimmung ‚als‘ gebraucht ist. Auch hat Gen 2,4b als Schöpfungsverb עשׂהstatt ברא, was ebenfalls gegen einen intendierten Rückbezug spricht. Anders B. ZIEMER 2009: Erklärung der Zahlen von Gen 5 aus ihrem kompositionellen Zusammenhang, ZAW 121, 1–18. Nach Ziemer werden durch den endkompositionell-priesterlichen Text Gen 5,1 die Geschehnisse von Gen 3,5.22 auf den Tag von Gen 1,26 datiert, den er wie die übrigen sechs Schöpfungstage unter Rückgriff auf Ps 90,4 als tausend Jahre währenden Gottestag versteht. Kündige Gen 2,17 für den Fall der Übertretung des Verbots vom Baum der Erkenntnis zu essen den Tod an, so sei im endkompositionellen Kontext damit dieser (sechste) Gottestag gemeint, womit sich das Problem löse, dass Adam den Tag der Übertretung des Verbots (nach menschlich-astronomischer Zeitrechnung) überlebt. Die Geschehnisse im Garten um Kain und Abel sowie die übrige Lebenszeit Adams ereignen sich während des tausend Jahre währenden Tages der Erschaffung des Menschen, gegen dessen Abend Adam im Alter von 930 Jahren stirbt. Diese harmonisierende Lesart ist schon in der frühjüdischen Literatur belegt (vgl. Jub 4,30; BerR 22,1), dürfte aber schwerlich der ursprünglichen Intention des endkompositionellen Textzusammenhangs von Gen 1–5 und ihrer Vorlagen entsprechen: Die Formulierung Ps 90,4 entfaltet keine Konzeption des Gottestages, sondern benennt die denkbar kleinste („Nachtwache“) und denkbar größte Zeiteinheit („tausend Jahre“), um die Außenperspektive Gottes auf die geschöpflichen Zeitläufte zu beschreiben. Ebenso rechnet auch Gen 1 nicht mit Gottestagen, was schon daraus hervorgeht, dass die Etablierung der Kategorie Zeit am ersten Schöpfungstag mit der Unterscheidung von Licht/Tag und Finsternis/Nacht erfolgt. Erst die im priesterschriftlichen Schöpfungsbericht nicht einmal angedeutete Kombination beider Bibelstellen führt zu der seit der frühjüdischen Auslegungsgeschichte immer wieder in den Text von Gen 1–5 hineingelesenen Konzeption des Gottestages. Vgl. bereits H. GUNKEL 1910/1977: Genesis, HK I/1, 3. Aufl., Göttingen (= Nachdr. d. 9. Aufl. 1977), 106.
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Geschlecht Adams geschildert worden sind.45 Schließlich wäre für eine ‚klassische‘ Wiederaufnahme zu erwarten, dass sie den Faden dort wiederaufnimmt, wo sie ihn wegen des Einschubs verlassen hat, in unserem Fall also mit einer Notiz über die Vollendung der Schöpfung mit der Heiligung des siebten Tages. 2. Zur Textfolge Genesis 5,32 und 6,9–10 Die Toledot Adams schließt in Gen 5,32 mit der Altersangabe ihres letzten Gliedes Noah und einem Vermerk über die Zeugung seiner namentlich genannten Söhne. In der isolierten Priesterschrift folgt darauf mit Gen 6,9f unmittelbar die Toledot Noahs, die nach der Überschrift abermals die Zeugung der drei Söhne Sem, Ham und Japhet notiert. Für Kritiker der These eines ehedem selbständigen priesterschriftlichen Literaturwerks gilt dies als eine „eklatante Doppelung [...], die kein Quellenkritiker im überlieferten Text toleriert hätte“46. Diese Einschätzung hat gemeinsam mit einigen auffälligen Formulierungen dazu geführt, dass Christoph Levin der Priesterschrift den Vermerk über die Zeugung der Söhne Noahs in Gen 5,32 abgesprochen hat.47 Die hierfür angeführten literarkritischen Gründe sind für unsere Fragestellung deswegen interessant, weil sich in Auseinandersetzung mit ihnen zeigt, dass die Abfolge der genannten Notizen in einer isolierten Priesterschrift keineswegs zu beanstanden ist. Ausgangspunkt für die Ausscheidung von Gen 5,32a aus P ist die Abweichung vom genealogischen Schema der Priesterschrift, während für Gen 5,32b eine „unbegründete [...] Wiederholung des Subjekts “נח48 angeführt wird. Beide Auffälligkeiten werden damit erklärt, dass die Redaktion mit V. 32a den priesterschriftlichen Faden aus Gen 5,31 und dem versprengten Fragment einer (vor-)jahwistischen Genealogie in 5,32b verbinde. Dass die Formulierung ויהי + PN + בן+ XY שׁנהdas sonst ohne בןgebildete genealogische Schema (zumeist: ויהי+ PN + XY )שׁנהvariiert, ist unbestritten. Es lassen sich aber innerhalb der Priesterschrift Parallelen (Gen 25,20) und ähnlich gestaltete Formulierungen anführen (Gen 7,6; 11,10; 37,2). Unter ihnen befindet sich mit Gen
Vgl. auch WITTE 1998, 125f. BLUM 1984, 451f, sieht dies auch, begründet dies aber damit, dass die „priesterliche Komposition“ auf ein vorgefundenes Toledotbuch zurückgegriffen hat. Doch bleibt auch dann unerklärt, warum nach dem Gebrauch von אדםals Eigenname in Gen 4,25 in 5,1b–2 אדםwieder als Appellativum gebraucht wird, zumal gerade diese Verse nicht zum vorgegebenen Toledotbuch gehört haben dürften. 46 B LUM 1990, 280. 47 So LEVIN 1993, 100. Vgl. dazu ausführlich W ITTE 1998, 114–116 sowie J. C H. G ERTZ 2009c: Hams Sündenfall und Kanaans Erbfluch. Anmerkungen zur kompositionsgeschichtlichen Stellung von Gen 9,18–29, in: R. Achenbach/M. Arneth (Hg.), „Gerechtigkeit und Recht zu üben“ (Gen 18,19). Studien zur altorientalischen und biblischen Rechtsgeschichte, zur Religionsgeschichte Israels und zur Religionssoziologie. Festschrift E. Otto, BZAR 13, Wiesbaden, 81–95, hier 86–90 (in diesem Band Nr. 12, 234–239). 48 LEVIN 1993, 100. 45
III. Bewertung der Argumente im Hinblick auf Genesis 5
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7,6 kaum zufällig auch eine Angabe zum Lebensalter Noahs in der priesterschriftlichen Flutgeschichte. Deutlicher wird der Befund, wenn Gen 5,32 im Zusammenhang mit dem nächsten P zugeschriebenen Text gesehen wird, und zwar der Toledot Noahs in Gen 6,9f. Dass die Abschlussformulierung einer Toledot bereits auf die nächste Toledot hinweist, ist ausweislich von Gen 11,26 und 11,27 nicht ungewöhnlich und mit Blick auf die umfangreiche Ausgestaltung der Toledot Noahs durch die Fluterzählung sogar zu erwarten. Im Zusammenhang mit der viermaligen Nennung Noahs in Gen 6,9f erstaunt dann auch die Wiederholung des Namens in Gen 5,32b nicht. Wichtiger für das Verständnis der vermeintlichen Dublette ist ohnehin, dass hier an ihrem jeweiligen Ort in der Toledot mit Blick auf die kommenden Ereignisse die notwendige Segmentierung der Genealogie Noahs in drei Linien erfolgt.49 Entsprechend wird für Noah auch nicht die restliche Lebensspanne nach der Geburt des Erstgeborenen angegeben. Dies geschieht erst zum Abschluss der Toledot Noahs in Gen 9,28f. Kurzum, die Abfolge der Toledot Adams und Noahs ist durchdacht, der prima facie redundante Stil lässt sich auch sonst beobachten, wenn wie in Gen 11,26f zwei Toledot in Kontaktstellung stehen, und die Abweichungen vom Schema sind der Ausweitung der Toledot Noahs durch die Sintfluterzählung geschuldet.50 3. Zur Frage des Übergangs von der guten Schöpfung zur korrumpierten Welt innerhalb einer isolierten Priesterschrift Innerhalb eines isolierten priesterschriftlichen Fadens folgen auf den Schöpfungsbericht die Toledot Adams und dann diejenige Noahs samt Fluterzählung. Das haben schon Keil und seine Gewährsleute als unerträgliche Lücke empfunden. Ihr Urteil verdankt sich, wie mir scheint, einem Unbehagen über eine Grundschrift des Pentateuch ohne die für die christliche Dogmatik wichtigen Passagen zum Sündenfall. Dies wird man heutigen Kritikern der These eines
49 Vgl. TH. H IEKE 2003: Die Genealogien der Genesis, HBS 39, Freiburg i.Br. u.a., 76. Auch in dieser Hinsicht ist auf Gen 11,26f hinzuweisen, wo zum Abschluss der Genealogie die drei Söhne Terachs erwähnt (Gen 11,26) und dann in der unmittelbar folgenden Toledot Terachs noch einmal genannt werden (Gen 11,27). Wie bei Noah fehlt nach der Zeugung des Erstgeborenen der Hinweis auf die Zeugung weiterer Söhne und Töchter sowie die Angabe über die restlichen Lebensjahre. Letztere wird wie bei Noah am Ende der Toledot als Angabe über die gesamte Lebenszeit nachgetragen (Gen 11,32). 50 Im Bereich der Sintfluterzählung wird für die isolierte Priesterschrift als weitere Dublette die Abfolge der Altersangaben zu Noah in Gen 7,6 und 7,11 diskutiert (vgl. BLUM 1990, 280). Hierauf ist der Vollständigkeit halber wenigstens anmerkungsweise kurz einzugehen: Gen 7,6 markiert im Rückgriff auf Gen 5,23 (Lebensalter Noahs) und Gen 6,17 (Ankündigung der Flut) einen Neuansatz, Gen 7,11a nennt hingegen das präzise Datum des Flutbeginns und steht im Zusammenhang mit den Datierungen in Gen 8,4.5.13.14. Vgl. WITTE 1998, 135f.
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8. Genesis – Priesterliche Redaktion, Komposition oder Quellenschrift?
ehedem selbständigen priesterschriftlichen Literaturwerks nicht unterstellen wollen. Jedoch steht hinter der Feststellung, „in einem isolierten ‚P-Faden‘ [wäre] die Korruption der guten Schöpfung durch die Gewalttat ( )חמסzwar konstatiert (6,11–13), aber nicht erzählerisch ausgeführt“51, die unausgesprochene Voraussetzung, die Priesterschrift müsse wie der nicht-priesterschriftliche Text erzählen, um als selbständiges Literaturwerk gelten zu können. Diese Voraussetzung hat schon Erich Zenger als unbewiesen und wenig wahrscheinlich bezeichnet, zumal sie der Priesterschrift ein eigenständiges Erzählinteresse abspreche.52 Dass die als „strukturelle Störung der Schöpfungs- und Lebensordnung“ verstandene Sünde das Gerichtshandeln Gottes auslöst, ist nach Zenger ein prominentes Thema der Priesterschrift, wobei diese jeweils keinen Prozess beschreibe, sondern sich auf eine definitionsartige Nennung der Gewalt als Ausdruck der durch Sünde hervorgerufenen Störung (vgl. Gen 6,11.13; Ex 1,13f) fokussiere. Markus Witte hat diesen Gedanken aufgenommen und mit Blick auf den Auftakt der priesterschriftlichen Fluterzählung in Gen 6,9–13 ausgeführt: Mittels der Gegenüberstellung des gerechten Noah und der verdorbenen Welt, der vierfachen Verwendung des Begriffs ( שׁחתV. 11–13), der doppelten Betonung, daß die gesamte Erde mit Gewalttat ( )חמסangefüllt sei (V. 11.13), sowie der zweifachen Wiederholung, daß „alles Fleisch“ ( )כל בשׂרkorrumpiert sei (V.12.13), zeichnet der Verfasser ein Kontrastbild zum siebenfachen כי טובdes ersten Schöpfungsberichts.53
Sein Fazit zu dem für sich genommen unstrittigen Textbefund lautet: Der Abschnitt 6,9–13 reicht aufgrund der mehrfachen Betonung der universalen Verdorbenheit der Erde und aufgrund der direkten Bezüge zu 1,1–2,3* als Einleitung der Fluterzählung vollkommen aus und ist nicht auf eine vorangehende „Erzählung eines Sündenfalls“ angewiesen.54
Wollte man andererseits den Abschnitt 6,9–13 als redaktionellen Rückgriff auf Gen 1,1–2,3 verstehen, der eine zum Verständnis notwendige erzählerische Entfaltung des Themas der Korruption der guten Schöpfung integrieren soll, so ließe sich angesichts des plerophoren Stils fragen, warum jegliche Anspielung auf Gen 2,4–4,26 und 6,1–4 fehlt. Kritiker eines ehedem selbständigen priesterschriftlichen Literaturwerks würden demgegenüber auf einer erzählerischen Hinführung zur Fluterzählung beharren. Ihrerseits würden sie den Einwand fehlender Anspielungen auf die nicht-priesterschriftlichen Erzählungen in dem als redaktionell erkannten Abschnitt Gen 6,9–13 womöglich mit dem Hinweis auf eine assoziative Verbindung von Noahs ‚Wandeln mit Gott‘ und
BLUM 1990, 280 im Anschluss an CROSS 1973, 302. Vgl. ZENGER 1987, 33. 53 W ITTE 1998, 131. 54 Ebd. 51 52
IV. Textgeschichtliche Evidenz?
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der Grundstimmung und Szenerie aus Gen 2–3 parieren, was wiederum die Bestreiter einer priesterlichen Redaktion schwerlich überzeugen wird.
IV. Textgeschichtliche Evidenz für eine Fluterzählung ohne erzählerische Hinführung? Mit der gegenseitigen Bestreitung von dem, was für ein ehedem selbständiges Literaturwerk oder für eine Redaktionsschicht unverzichtbar ist und was sich mit der jeweiligen These nicht vereinbaren lässt, läuft die Debatte auf mehr oder weniger konsensfähige Plausibilitätsurteile hinaus. Diese maßgebliche Rolle der historisch reflektierten Erwartungshaltung an ein Literaturwerk bei der Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte insbesondere von Traditionsliteratur gehört zum historischen Alltagsgeschäft und ist auch nicht zu beklagen. Angesichts der Quellenlage wird man ohnehin nur in den wenigsten Fällen ein Mehr an Sicherheit durch textgeschichtliche Evidenz gewinnen können. Ob dies in Gen 5 der Fall ist, möchte ich abschließend unter Aufnahme einer These von Karl Budde zur Diskussion stellen.55 Weithin anerkannt ist die erstmals von Philipp Buttmann begründete Einschätzung, wonach es sich bei den genealogischen Notizen in Gen 4 und der Toledot Adams in Gen 5 um zwei Fassungen ein und derselben Genealogie handelt.56 Zwar unterscheiden die nicht-priesterschriftlichen Notizen in Gen 4 zwischen einer Kainiten- und einer Setitenlinie, doch finden sich unbeschadet kleiner Abweichungen in der Schreibweise und einiger Umstellungen in der Reihenfolge sämtliche Glieder beider Linien mit Ausnahme der Nachkommen Lamechs auch im priesterschriftlichen Bestand von Gen 5. Vor einer redaktionsgeschichtlichen Auswertung dieses Befundes ist zunächst auf den vorliegenden Textzusammenhang einzugehen. Der mit der Toledotformel in Gen 2,4 eröffnete Abschnitt reicht bis Gen 4,26 und berichtet vom Geschick des ersten Menschenpaares und der ersten Folgegenerationen. Eigentlich gehören die Kinder und Kindeskinder des ersten Menschenpaares schon zur Toledot Adams, die erst in Gen 5,1 folgt. Der leichte Anachronismus hindert jedoch nicht an einer stimmigen Lektüre des vorliegenden Textzusammenhangs.57
55 K. B UDDE 1883: Die Biblische Urgeschichte (Gen. 1–12,5), Gießen, 89–116. Die folgenden Überlegungen habe ich mit anderer Zielsetzung und in etwas anderer Gestalt schon einmal vorgetragen in GERTZ 2012, 118–124 (in diesem Band Nr. 3, 48–54). Vgl. ferner M. RÖSEL 1994: Übersetzung als Vollendung der Auslegung. Studien zur Genesis-Septuaginta, BZAW 223, Berlin/New York; SEEBASS 1996, 177–182. Vgl. dort jeweils auch zum Folgenden. 56 PH. C. B UTTMANN 1828: Mythologus oder gesammelte Abhandlungen über die Sagen des Alterthums I, Berlin, 171. 57 H IEKE 2003, 80–90.
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8. Genesis – Priesterliche Redaktion, Komposition oder Quellenschrift?
Liest man die Toledotformel wie ihre übrigen Belege als Überschrift, die mit ihren variablen Elementen auf das unmittelbar vorangehende Geschehen zurückgreift, so sind auf der Ebene des vorliegenden Textzusammenhangs die nachfolgenden Notizen über Set in Gen 5,3 und die Zeugung des Enosch in Gen 5,6 als Rückgriff auf den Schlussabschnitt von Gen 4 zu verstehen (vgl. Gen 5,3 mit Gen 4,25 und Gen 5,6 mit Gen 4,26). Die bis Noah reichende Toledot Adams in Gen 5 knüpft damit direkt an die Abstammungslinie Adam – Set – Enosch an, womit sich für den vorliegenden Textzusammenhang folgendes Gesamtbild ergibt: Die Kainiten werden durch den Brudermord ihres Stammvaters und die unverblümte Gewaltbereitschaft Lamechs negativ gekennzeichnet. Ihre Abstammungslinie in Gen 4,17–24 wird im vorliegenden Textzusammenhang nicht fortgeführt. Stattdessen wird in Gen 4,26 mit Set, dem als Ersatz für den erschlagenen Abel geborenen dritten Sohn des ersten Menschenpaares, eine neue Linie eröffnet. Sie ist im Gegenüber zu den Kainiten allein schon durch das Fehlen von Gewalt positiv charakterisiert. Fügt sich die Toledot Adams in Gen 5 in die Abstammungslinie Adam – Set – Enosch in Gen 4,25f ein, so stellt sie ungeachtet der bekannten Überschneidungen zwischen Gen 5 und Gen 4,17–24 eine Genealogie dar, welche die Kainiten nicht mehr einschließt. Folglich ist der Sintflutheld Noah auch kein Nachkomme Kains, sondern steht in der Nachkommenschaft des Set, der den Platz Abels einnimmt, dessen Darbringung JHWH angesehen hatte (Gen 4,4), und des Enosch, zu dessen Zeit die Verehrung JHWHs einsetzt (Gen 4,26). Überdies zeichnet sich Noahs Stammbaum der Gerechten dadurch aus, dass die Linie von Set und Enosch zu Noah über eine Reihe von Patriarchen führt, die sich sämtlich eines wahrhaft biblischen Alters erfreut haben und friedlich vor der Flut verstorben sind. Die beiden Ausnahmen unterstreichen dies. Henoch wandelte mit Gott und wurde im Alter von nur 365 Jahren entrückt, Methusalem stirbt im Jahr der Flut, erreicht aber von allen Patriarchen mit 969 Jahren das höchste Alter. Freilich gilt das Gesagte nur für die Altersangaben des Masoretischen Textes (MT), jedoch nicht für diejenigen des Samaritanus (Smr). Die Jahreszahlen stimmen im MT und im Smr für die ersten fünf Generationen von Adam bis Mahalalel überein, weichen jedoch für die folgenden fünf Generationen von Jared bis Noah und für das aus den Daten zu errechnende Jahr der Flut deutlich voneinander ab.58 Der MT datiert den Beginn der Flut in das Jahr 1656, der
58 Eine Synopse bietet R ÖSEL 1994, 131. Vgl. dort auch zum Folgenden sowie zur Chronologie der Septuaginta, die nach Rösel eine planvolle Neuberechnung bietet, die sich am Jahr 5.000 anno mundi als Datum der Einweihung des Zweiten Tempels orientiert. Zur Frage, inwieweit die Chronologie der Septuaginta zur Rekonstruktion der ursprünglichen Chronologie herangezogen werden kann, siehe unten. Die nochmals anderen Datierungen des Jubiläenbuches und Josephus‘ können für unsere Fragestellung unberücksichtigt bleiben.
IV. Textgeschichtliche Evidenz?
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Smr in das Jahr 1307. Die übergeordneten chronologischen Konzepte sind hier nicht zu diskutieren.59 Für unsere Fragestellung ist allein von Interesse, dass sich aus der unterschiedlichen Chronologie unterschiedliche Schicksale und Bewertungen der Patriarchen ableiten lassen. Anders als die vorgestellte masoretische Fassung der Toledot Adams unterscheidet der Smr in Gen 5 deutlich zwischen den ersten fünf Generationen und den folgenden fünf Generationen. Während die Sterbedaten der ersten fünf Generationen eindeutig vor dem Jahr der Flut liegen, sterben der nach dem Smr wesentlich jüngere Methusalem sowie Jared und Lamech im Jahr der Flut. Von den Patriarchen der zweiten Hälfte der Genealogie überleben lediglich Noah und Henoch, der im Jahre 887 (Smr) entrückt wurde. Das Konzept des Smr ist eindeutig. Mit Ausnahme Henochs und Noahs endet das Leben der Patriarchen der sechsten bis zehnten Generation im Jahr der Flut. Da die Genealogie von einer durchschnittlichen Lebenserwartung von rund 900 Jahren ausgeht, sterben sie mit 847 Jahren (Jared), 720 Jahren (Methusalem) und 653 Jahren (Lamech) vor ihrer Zeit. Damit werden sie gegenüber den beiden jüngeren Zeitgenossen Henoch und Noah, deren Gerechtigkeit ausdrücklich hervorgehoben wird und die der Flut nicht zum Opfer fallen, sowie gegenüber den hochbetagten und friedlich entschlafenen Patriarchen der ersten bis fünften Generation als Sünder gekennzeichnet. Interessant ist hier vor allem Henoch. Er wäre im Jahr der Flut nur 780 Jahre alt geworden, doch wird der mit Gott wandelnde Henoch durch seine in der Tradition vorgegebene Entrückung vor diesem Schicksal bewahrt. Die Bedeutung von Henochs besonderem Ergehen wird noch dadurch unterstrichen, dass nach dem Smr alle Patriarchen Zeugen der Entrückung waren, während nach dem MT Adam im Jahr der Entrückung Henochs (987 MT) bereits verstorben (930 MT) und Noah noch nicht geboren war (1056 MT). Da nach dem Smr das Lebensalter der Patriarchen, die im Jahr der Flut sterben, immer weiter abnimmt, liegt schließlich der Umkehrschluss nahe, dass die Sünde unter den Zeitgenossen Noahs von Generation zu Generation zugenommen hat (vgl. Gen 6,9), mithin Mit Blick auf das Jubiläenbuch, das mit Abweichungen von bis zu drei Jahren mit dem Smr übereinstimmt, bleibt jedoch festzuhalten, dass die Konzeption des vorzeitigen Todes der unfrommen Patriarchen dadurch weniger ins Gewicht fällt, weil mit Ausnahme Adams die Sterbedaten ungenannt bleiben. 59 Orientierungspunkt der längeren Chronologie des MT ist sehr wahrscheinlich die Wiedereinweihung des Zweiten Tempels durch die Makkabäer im Jahr 4.000 anno mundi. Vgl. dazu RÖSEL 1994, 135 mit Verweis auf A. E. MURTONEN 1954: On the Chronology of the Old Testament, StTh8, 133–137; K. KOCH 1938: Sabbatstruktur der Geschichte. Die sogenannte Zehn-Wochen-Apokalypse (I Hen 93,1–10; 91,11–17) und das Ringen um die alttestamentlichen Chronologien im späten Israelitentum, ZAW 95, 403–430 sowie ähnliche Überlegungen bei J. HUGHES 1990: Secrets of the Times. Myth and History in Biblical Chronology, JSOTSup 66, Sheffield, 237f. Der Smr dürfte sich hingegen an der in das Jahr 2.800 anno mundi datierten Errichtung des Heiligtums auf dem Garizim ausgerichtet haben. Vgl. A. JEPSEN 1929: Zur Chronologie des Priesterkodex, ZAW 47, 251–255, hier 253.
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die Genealogie ein deutliches Gefälle zum göttlichen Urteil über die Schlechtigkeit allen Fleisches aufweist (vgl. Gen 6,12). Damit bietet der Smr zwar keine erzählerische, wohl aber eine genealogische Entfaltung des Themas der Korruption der guten Schöpfung. Andererseits stimmen die Angaben des MT mit der Vorstellung des vorliegenden Textzusammenhangs überein, wonach die Genealogie der Kainiten die Flut nicht überdauert und die Linie der Setiten durchweg positiv gewertet wird. Darf man diesen Befund als Indiz dafür bewerten, dass die kürzere Chronologie des Smr die ältere Fassung der ehedem selbständigen Priesterschrift bewahrt hat, während der MT die Möglichkeiten der vorliegenden Textfolge im Sinne seiner längeren Chronologie genutzt hat?60 Natürlich ist diese Form der (mittelbaren) external evidence für die Existenz einer ursprünglich unmittelbaren Abfolge der priesterschriftlichen Texte in Gen 1,1–2,3 und 5,1ff mit ganz erheblichen Unsicherheiten belastet, die überdies zunehmen, wenn weitere Textzeugen und die Toledot Sems in Gen 11,10–26 in die Überlegungen einbezogen werden. Immerhin spricht einiges für die Priorität der samaritanischen Chronologie in Gen 5. So hebt der MT ab Jared das Alter bei der Zeugung des ersten Sohnes deutlich an. Während Smr und MT für die ersten fünf Patriarchen von einem Durchschnittsalter von 92 Jahren ausgehen, beträgt es nach der Chronologie des MT bei Jared, Methusalem und Lamech 177 Jahre gegenüber 61 Jahren nach dem Smr, was wiederum zu den Angaben über Henoch im Smr und MT passt (Gen 5,21: 65 Jahre MT und Smr) und auch den in Gen 11 fast durchgängig vorausgesetzten Altersangaben des MT entspricht.61 Auch dürfte die persönliche Bekanntschaft Noahs mit Henoch, wie sie nur nach dem Smr möglich ist, der Intention des Textes gemäß sein, und vielleicht haben die Namen der Patriarchen Jared („Abstieg“) und Methusalem („Mann des Wurfspeers“) eine gewalttätige Konnotation, was wie die mit Lamech (traditionell?) verbundene Gewalttätigkeit wiederum gut zu ihrem Tod im Jahr der Flut nach der Chronologie des Smr passen würde.62 Eine andere Lösung hat Ronald S. Hendel vorgeschlagen.63 Er vertritt die These, dass es sich bei den chronologischen Daten im MT und Smr sowie der hebräischen Vorlage der LXX um eine nachträgliche Korrektur des „Genesis archetype“ handelt. Die Korrektur sei notwendig geworden, weil nach dem
60 Der Smr nimmt die für seine chronologische Konzeption notwendigen Angleichungen u.a. in Gen 11 vor, während MT in Gen 11 die älteren Zeitangaben bewahrt hat. 61 Vgl. R ÖSEL 1994, 130. Die Ausnahme in Gen 11,10–26 (MT) ist der erstgenannte Sem. Wie im Smr und der LXX ist er bei der Zeugung 100 Jahre alt. 62 Vgl. B UDDE 1883, 96 und 99f. 63 Vgl. R. S. H ENDEL 1998: The Text of Genesis 1–11. Textual Studies and Critical Edition, Oxford, im Anschluss an R. W. KLEIN 1974: Archaic Chronologies and the Textual History of the Old Testament, HThR 67, 255–263; J. HUGHES 1990; D. V. ETZ 1993: The Numbers of Genesis V 3–31. A Suggested Conversion and Its Implications, VT 43,171–189.
IV. Textgeschichtliche Evidenz?
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„Genesis archetype“ die drei Patriarchen Jared, Methusalem und Lamech weit über das Datum des Flutbeginns hinaus gelebt hätten, was sich mit der Fluterzählung nicht habe vereinbaren lassen. Ausgangspunkt für diese Annahme ist der Befund in der LXX, nach deren Chronologie Methusalem die Flut um 14 Jahre überlebt hat. Die chronologischen Unstimmigkeiten innerhalb des „Genesis archetype“ seien dadurch entstanden, dass die Daten der Patriarchen aus einem ehedem eigenständig überlieferten Buch der Toledot Adams stammten (Gen 5,1–32*), das erst sekundär mit der Fluterzählung verbunden worden sei: When the P writer or redactor integrated this work into the narrative context, he may not have perceived (or may have been unconcerned with) the implicit chronological conflicts. It remained for later scribes to detect the problems and to incorporate their textual solutions.64
Hendels Rekonstruktion der Chronologie des „Genesis archetype“ beruht auf der LXX und einem aus dem Vergleich mit MT und Smr am Beispiel der ersten fünf Patriarchen und Henoch erschlossenen Schema, mit dem die hebräische Vorlage der LXX den „Genesis archetype“ bearbeitet habe.65 Danach hat diese gegenüber dem „Genesis archetype“ jeweils das Alter bei der Zeugung des ersten Sohnes um 100 Jahre erhöht und die verbliebene Lebenszeit entsprechend um 100 Jahre reduziert, wodurch sich der Zeitraum vor der Flut erheblich verlängert. MT und Smr hätten demgegenüber für die ersten fünf Patriarchen und für Henoch die Chronologie des „Genesis archetype“ bewahrt. Für die Rekonstruktion der Chronologie des „Genesis archetype“ bei Jared, Methusalem und Lamech legt Hendel die Angaben der LXX zugrunde, wobei er von entsprechenden Änderungen der Datierungen der Zeugung des ersten Sohnes und der danach verbleibenden Lebenszeit ausgeht. Auf diese Weise ergibt sich für den „Genesis archetype“ eine kurze Chronologie, aus der sich in Verbindung mit Gen 7,6 ein Beginn der Flut für das Jahr 1342 ausrechnen lässt (MT: 1656; Smr: 1307; LXX: 2242). Interessanterweise werden die rekonstruierten Daten des „Genesis archetype“ zum Teil durch Smr oder MT bestätigt. Mit Smr stimmen die Datierungen der Zeugung des ersten Sohnes bei Jared und Methusalem überein, mit MT stimmen die Lebensalter von Jared und Methusalem überein. Die Übereinstimmungen und Abweichungen von MT und Smr mit der LXX sowie die fehlenden Übereinstimmungen von MT und Smr gegen LXX (unter Absehung der schematischen Änderungen) lassen sich nach dem vorgeschlagenen Modell so erklären, dass die LXX mit Ausnahme ihrer schematischen Änderung den „Genesis archetype“ bewahrt hat, während MT und Smr fallweise abgewichen sind. Die Schwierigkeiten dieser auf den ersten Blick einleuchtenden Lösung liegen im Detail und in den Grundannahmen für die Rekonstruktion. Zunächst zu HENDEL 1998, 63. Das Schema hat schon Budde erkannt und steht selbst nicht zur Debatte. Vgl. BUDDE 1883, 112f. 64 65
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8. Genesis – Priesterliche Redaktion, Komposition oder Quellenschrift?
den Details: Die Abweichungen zwischen MT und Smr betreffen die Patriarchen Jared, Methusalem und Lamech. Für Jared und Methusalem scheint eine Rekonstruktion eines „Genesis archetype“ nach der beschriebenen Weise möglich zu sein, die aus der LXX gewonnenen Daten werden teils durch MT, teils durch Smr bestätigt. Gänzlich anders stellt sich der Befund für Lamech dar. Hier führt die Rekonstruktion zu keinem überzeugenden Ergebnis, da sich die rekonstruierten Daten in keinem Fall durch MT oder Smr stützen lassen. Insbesondere die 35 Jahre Differenz bei Datierung der ersten Zeugung Lamechs zwischen Smr (53. Jahr) und dem aus der LXX rekonstruierten „Genesis archetype“ (88. Jahr = 188. Jahr nach LXX abzüglich 100 Jahre) bleiben unerklärlich, weil Smr sonst grundsätzlich den Wert ‚LXX minus 100 Jahre‘ bietet. Auffällig ist auch, dass MT bei Jared wie die LXX gegenüber Smr das Datum der ersten Zeugung um 100 Jahre anhebt und im Vergleich zum rekonstruierten „Genesis archetype“ die verbleibende Lebenszeit um 100 Jahre senkt, im Fall von Methusalem handelt es sich jeweils um 120 Jahre. Sollten hier LXX und MT im Umgang mit dem ihnen jeweils vorgegebenen „Genesis archetype“ völlig unabhängig voneinander auf die gleiche Idee gekommen sein? In der Regel würde eine übereinstimmende Abweichung von dem als ursprünglich erkannten Text als Indiz für eine gemeinsame Textgrundlage der abweichenden Texte gewertet werden. Sodann weichen für Jared die verbleibenden Lebensjahre nach der ersten Zeugung zwischen MT und LXX (800 Jahre) und Smr (785 Jahre) und entsprechend das gesamte Alter um 15 Jahre ab. Hendel erklärt dies damit, dass Smr vermeiden wollte, dass Jared anders als im postulierten „Genesis archetype“ die Flut überlebt.66 Legt man indes Hendels Rekonstruktion des „Genesis archetype“ im Sinne einer um die schematischen Änderungen revidierten LXX zugrunde, hätte Smr bei Jared gar nicht eingreifen müssen. Eine Korrektur der Lebensdaten Methusalems und des Datums der Zeugung Noahs hätten vollauf genügt. Die Erklärung der Unterschiede von Smr gegenüber MT und LXX im Falle Jareds als sekundäre Angleichung der vorsintflutlichen Chronologie an die Fluterzählung durch Smr macht überdies auf die, wie mir scheint, problematischen Grundannahmen aufmerksam: Aus der Beobachtung, dass nach der LXX Methusalem die Flut überlebt, wird auf ein Toledotbuch geschlossen, das sekundär mit der priesterschriftlichen Fluterzählung verbunden worden ist und dessen Chronologie nicht mit derjenigen der Priesterschrift zusammengepasst hat. Schon die Annahme eines ehedem selbständigen Toledotbuchs muss auch 66 Vgl. H ENDEL 1998, 64. Ähnliches vermuten H UGHES 1990, 12–14; H ENDEL 1998, 66 für MT im Falle Methusalems, wo im Vergleich mit LXX gegenüber Smr das Alter bei der Zeugung des ersten Sohnes um 120 Jahre statt um 100 Jahre erhöht werde, um den Beginn der Flut entsprechend nach hinten zu verlegen und die Patriarchen vor der Flut sterben zu lassen. Das ist im Prinzip richtig gesehen, nur ist die Rechenoperation des MT durch andere Vorgaben verursacht. Siehe dazu im Folgenden.
IV. Textgeschichtliche Evidenz?
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nach langer Diskussion als unsicher gelten.67 Sofern mit einem solchen Buch gerechnet wird, ist von einer Überarbeitung durch die Priesterschrift bei der Integration dieses Buches auszugehen. Dies geht aus Querbezügen in der Toledot Adams auf Passagen des priesterschriftlichen Textes hervor, die eindeutig nicht zu dem Toledotbuch gehört haben können (vgl. Gen 5,1b.2.3 mit Gen 1,26–28; Gen 5,22 mit Gen 6,9). Im Rahmen einer derartigen Überarbeitung scheinen hinsichtlich der Chronologie zumindest die stark von den übrigen Patriarchen abweichende Angabe über das Alter Noahs bei der Zeugung seiner drei Söhne (in einem Jahr!) und die Chronologie der Fluterzählung (Noah war bei Beginn der Flut 600 Jahre alt; vgl. Gen 7,6) und der Toledot Sems (Sem war im zweiten Jahr nach der Flut 100 Jahre alt; vgl. Gen 11,10) annähernd in Überstimmung gebracht worden zu sein. Dass dabei, wie von Hendel vermutet, die weit über die Flut hinausgehende Lebenszeit von drei Patriarchen (Jared 80 Jahre; Methusalem 214 Jahre; Lamech 65) ausgerechnet von der an diesen Dingen interessierten Priesterschrift einfach übersehen worden und erst später unabhängig voneinander (?) von den Schreibern des MT, des Smr und der Vorlage der LXX bemerkt worden ist, klingt wenig wahrscheinlich. Die Beweislast für diese Annahme trägt die Vermutung, dass sich der für P unterstellte Fehler in der LXX erhalten hat, obwohl diese die Chronologie mit dem Ziel geändert hat, genau dies zu vermeiden. Die von Hendel für die Merkwürdigkeit gebotene Erklärung lautet: This mishap may be an unintended consequence of a systematic application of the revision. For Methuselah to have died at or before the flood, a scribe would have had to alter the system, and this may have seemed too radical for a systematizing scribe. 68
Eine derartige Auskunft trägt alle Kennzeichen einer ad hoc-These, zumal sich diese prinzipielle Treue der LXX gegenüber den überlieferten Daten im Falle Lamechs nicht belegen lässt. Eine mögliche Alternative kommt mit weniger Voraussetzungen aus: Danach hat Smr die priesterschriftliche Chronologie der mit der Fluterzählung verbundenen Toledot Adams bewahrt. Die Frage der Existenz eines ehedem eigenständigen Buches der Toledot Adams und etwaiger Überarbeitung dieses Buchs bei der Integration in die Priesterschrift kann aus der Rekonstruktion der Textgeschichte herausgehalten werden. Sie ist gesondert zu klären.
67 Die prominent von Gerhard von Rad entfaltete These eines Toledotbuches (vgl. G. VON RAD 1934, 33–40) wurde in jüngerer Zeit – mit deutlich reduziertem Umfang dieser Quelle – u.a. von BLUM 1990, 279–281, CARR 1998, 169f und SCHÜLE 2006a, 44–46 aufgegriffen. Die Übereinstimmungen mit den genealogischen Angaben in Gen 4 sprechen in der Tat für die Annahme, dass die Priesterschrift an dieser Stelle aus einem vorgegebenen Text zitiert und nicht nur eine fiktive Quellenangabe macht (so auch SEEBASS 1996, 185f) – mehr lässt sich kaum sagen. 68 H ENDEL 1998, 64.
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8. Genesis – Priesterliche Redaktion, Komposition oder Quellenschrift?
Anders als Smr beruhen MT und die hebräische Vorlage der LXX auf einer mehrstufigen Adjustierung der priesterschriftlichen Chronologie im Zuge einer zunächst geteilten, später weitgehend eigenständigen Textgeschichte. MT hat auf Grundlage seiner Gesamtchronologie die Zeit vor der Sintflut ausgedehnt, indem er das Datum der Zeugung eines ersten Sohnes bei Jared um 100 Jahre, bei Methusalem um 120 Jahre und bei Lamech um 129 Jahre hochdatiert hat. Zugleich hat MT im Interesse einer längeren Chronologie die Lebenszeit der genannten Patriarchen dem gewonnenen Zeitraum entsprechend verlängert. Die hebräische Vorlage der LXX hat dem weitgehend entsprochen,69 allerdings hat sie (oder die Übersetzer) im Interesse einer nochmals längeren Gesamtchronologie das Alter bei der Zeugung des ersten Sohnes dem höheren Alter Jareds (und Methusalems) angeglichen und in diesen Fällen zugleich die verbliebene Lebenszeit reduziert. Zu klären bleibt, warum das Alter Methusalems bei der Zeugung des ersten Sohnes zwischen MT und LXX um zwanzig Jahre abweicht, die gesamte Lebenszeit aber gegen Smr übereinstimmt. Denkbar ist, dass nach der Trennung der hebräischen Vorlage der LXX von der gemeinsamen Textgeschichte mit dem nachmaligen MT das Alter Methusalems (ohne Auswirkung auf die gesamte Lebenszeit!) bei der Zeugung Lamechs im MT abermals um zwanzig Jahre erhöht worden ist, damit dieser in Anspielung auf Gen 4,24 vor Beginn der Flut ein Alter von 777 Jahren erreichen kann.70 Tentativ bleibt zu erwägen, ob MT die 20 Jahre dem Alter Lamechs bei der Zeugung Noahs einfach abgezogen hat, um die absolute Chronologie und das Flutdatum 1656 zu bewahren. In diesem Fall könnte man für Methusalem sämtliche Daten der LXX für die Rekonstruktion der gemeinsamen Vorstufe (V*) von MT und der hebräischen Vorlage der LXX ansetzen und für Lamech ließen sich immerhin die Angaben über die verbleibenden Jahre nach der Zeugung Noahs aus der LXX übertragen. Mit der gebotenen Vorsicht ließe sich demnach die Chronologie der gemeinsamen Vorstufe (V*) von MT und der hebräischen Vorlage der LXX und ihre Entstehung wie folgt rekonstruieren: Schon auf der Ebene der gemeinsamen Vorstufe (V*) wurde bei Jared und Methusalem das Alter bei der ersten Zeugung gegenüber der durch Smr belegten ursprünglichen Chronologie um 100 Jahre erhöht. Nach der Verzweigung der Textgeschichte von MT und hebräischer Vorlage der LXX hat MT das Alter Methusalems bei der Zeugung um 20 Jahre angehoben und die verbleibende Lebenszeit entsprechend reduziert. In
Für Gen 11 liegt der Fall anders. Da hier Smr und LXX bei allen Angaben über das Alter der Zeugung des ersten Sohnes gegen die (ursprünglichere) Chronologie des MT übereinstimmen, „ist die Annahme einer gemeinsamen Textgrundlage unausweichlich“ (RÖSEL 1994, 224), was spätere Überarbeitungen in der jeweiligen Textgeschichte nicht ausschließt. 70 Vgl. W ELLHAUSEN 1883/1927, 309. 69
IV. Textgeschichtliche Evidenz?
171
Übereinstimmung mit der LXX kann für die gemeinsame Vorstufe (V*) von einem Alter bei der ersten Zeugung von 167 Jahren ausgegangen werden. Das entspricht wie bei Jared einer Erhöhung der Angabe des Smr, der die ursprüngliche Chronologie bewahrt hat, um 100 Jahre. Hat MT die 20 Jahre dem Alter Lamechs bei der Zeugung Noahs einfach abgezogen, um die absolute Chronologie und das Flutdatum 1656 der Vorstufe (V*) zu bewahren, so ergibt sich für diese bei Lamech rechnerisch ein Alter von 202 Jahren bei der Zeugung Noahs. Das bedeutet gegenüber der ursprünglichen Angabe des Smr mit 53 Jahren eine Erhöhung um 149 Jahre. Diese Erhöhung wurde notwendig, weil wegen der verlängerten Lebensdaten für Jared und Methusalem die Chronologie mit Blick auf den Flutbeginn unstimmig zu werden drohte.71 Die Erhöhung des Alters Lamechs bei der Zeugung seines ersten Sohnes von 53 Jahren um 149 Jahre könnte sich an der offenkundig mit Lamech eng verbundenen Zahl Sieben orientiert haben, insofern die abermalige Erhöhung um 49 Jahre gegenüber den 100 Jahren bei Jared (MT; LXX; V*) und Methusalem (LXX; V*) das Ergebnis von sieben mal sieben Jahren ist (vgl. ebenfalls Gen 4,24). Sogar für die 188 Jahre, die die LXX als Alter Lamechs bei der Zeugung Noahs angibt, können derartige Überlegungen im Hintergrund gestanden haben. Ausgehend von den 53 Jahren, die Smr für das Alter bei der Zeugung des ersten Sohnes angibt, resultieren die 188 Jahre aus der üblichen Erhöhung um 100 Jahre und zusätzliche 35 Jahre. In diesem Fall hätten sich die Schreiber für den Faktor Fünf entschieden.72 Hinsichtlich der chronologischen Angaben zu Lamech besteht ohnehin eine große Unsicherheit, weil hier MT, Smr und LXX in allen Fällen unterschiedliche Daten bieten. Halbwegs sicher scheint zu sein, dass Smr für Lamech wie bei den übrigen Patriarchen das ursprüngliche Alter bei der Zeugung des ersten Sohnes bewahrt hat73 und dass der MT sich bei der Berechnung des Lebensalters an Gen 4,24 orientiert hat. Der widersprüchliche Befund zu Lamech ist jedenfalls ein deutliches Indiz dafür, dass die ursprüngliche Chronologie im Einzelfall eine mehrstufige Fortentwicklung erfahren hat74 und dass dieser Prozess in den großen Textzeugen unterschiedlich verlaufen sein muss und sich wohl auch an unterschiedlichen Prämissen ausgerichtet hat.
Auch nach V* überlebt keiner der Patriarchen die Flut. Die Überlegungen zur Herleitung der 100 + 49 Jahre (V*) und 100 + 35 Jahre (LXX) aus der Verbindung Lamechs mit der Zahl Sieben beruhen auf einem mündlichen Hinweis von Martin Rösel. 73 Mit H UGHES 1990, 19f. 74 Die Angleichung einer Reihe von griechischen Textzeugen an MT hinsichtlich Methusalems Alter bei der Zeugung Lamechs (vgl. den Apparat der Göttinger LXX) liegt ganz auf dieser Linie. 71 72
172
8. Genesis – Priesterliche Redaktion, Komposition oder Quellenschrift?
V. Ausblick Ganz unabhängig davon, ob die Unterschiede zwischen dem Masoretischen Text und dem Samaritanus in Gen 5 die ihnen zugedachte Beweislast tragen können oder nicht, spricht die abermalige Durchsicht der bekannten Argumente für die Existenz eines sich selbst tragenden priesterschriftlichen Fadens in der Urgeschichte. Dessen konzeptioneller Zusammenhang mit priesterschriftlichen Texten außerhalb der Urgeschichte steht für mich außer Frage. Für die Exoduserzählung möchte ich grundsätzlich an einem Zweiquellenmodell festhalten. Die immer wieder gegen die Existenz einer Quellenschrift P im Bereich von Ex 1–15 vorgebrachten Argumente haben mich bislang nicht überzeugen können. Anders sieht es indes mit den priesterschriftlichen Anteilen in den Erzählungen von den Erzeltern aus, von denen in der Josephsgeschichte ganz zu schweigen. Vielleicht muss der Befund zu den einzelnen Textbereichen unterschiedlich ausgewertet werden. Es könnte sich dann herausstellen, dass der Vorschlag von Erhard Blum, P sei weder Quelle noch Redaktion, sondern eine Kompositionsschicht, die eigene Textbereiche integriere und diese bei der Gesamtkomposition zuvörderst im Blick habe, für die größeren Themenblöcke zutrifft. Doch kann ich dazu nur eine ältere Vermutung wiederholen: Wegen der sehr spärlichen priesterschriftlichen Texte in Gen 12ff bleibt zu erwägen, ob in diesem Bereich nicht bereits P die nicht-priesterschriftlichen Texte integriert hat. P wäre in diesem Fall für Gen 12ff als Redaktion zu verstehen, die im Anschluss an eine eigenständig formulierte Urgeschichte eine von ihr redigierte Väter- und Josephsgeschichte mit einer eigenen Darstellung der Entstehung des Volkes Israel in Ägypten und der Mosezeit fortgesetzt hätte.75
75 G ERTZ 2000b, 389. Vgl. aber J. W ÖHRLE 2012: Fremdlinge im eigenen Land. Zur Entstehung und Intention der priesterlichen Passagen der Vätergeschichte, FRLANT 246, Göttingen.
VI. Anhang – Tabellen zur Chronologie in Genesis 5
173
VI. Anhang – Tabellen zur Chronologie in Genesis 5 Die nachfolgende Tabelle veranschaulicht (1.) die gemeinsame Textgeschichte von MT und hebräischer Vorlage der LXX nach der Trennung des Smr, wie sie sich aus der geschilderten Rekonstruktion ergibt, und (2.) den Fortgang der getrennten Textgeschichte von MT und LXX. Beigefügt sind (3.) die Datierungen nach Smr, der die ursprüngliche Chronologie bewahrt hat. Die Daten für die Patriarchen Adam bis Mahalalel sind der Vollständigkeit halber aufgeführt. Sie stimmen in MT und Smr überein, LXX datiert die Zeugung des ersten Sohnes jeweils 100 Jahre später und reduziert die verbleibende Lebenszeit um 100 Jahre, sodass das Alter der Patriarchen unverändert bleibt, sich die absolute Chronologie aber um 400 Jahre verlängert. Anzumerken bleibt, dass auch nach der Chronologie der rekonstruierten gemeinsamen Vorstufe (V*) von MT und hebräischer Vorlage der LXX keiner der Patriarchen die Flut überlebt. Dieses Problem scheint schon die Priesterschrift grundsätzlich gelöst zu haben. Lediglich in der LXX ist es aufgrund der mehrmaligen Änderungen zu dem Fehler gekommen, dass Methusalem erst 14 Jahre nach der Flut stirbt. Die Angaben zu Lamech in V* lassen sich nicht durch die Seitenreferenten stützen und sind entsprechend unsicher.
174
8. Genesis – Priesterliche Redaktion, Komposition oder Quellenschrift? Anno mundi
Alter Erste Zeugung
V*/ MT76 1–930 130
V*/ MT
LXX
Smr
230
Set
130– 1042
105
Enosch
235– 1140
Kenan
Restliche Lebenszeit
LXX
Smr
130
V*/ MT 800
700
205
105
807
90
190
90
325– 1235
70
170
Mahalalel
395– 1290
65
Jared
460– 1422
Henoch
622– 987
Gesamtalter
LXX
Smr
800
V*/ MT 930
930
930
707
807
912
912
912
815
715
815
905
905
905
70
840
740
840
910
910
910
165
65
830
730
830
895
895
895
162
162
62
800
800
785
962
962
847
65
165
65
300
200
300
365
365
365
Methusa- 687– lem MT 1656
187
167
67
782
802
653
969
969
720
Methusa- 687– lem V* 1656
167
167
67
802
802
653
969
969
720
Lamech MT
874– 1651
182
188
53
595
565
600
777
753
653
Lamech V*
854– 1621
202
188
53
565
565
600
767
753
653
Flut MT/V*
1656 (600. Jahr Noahs)
Adam
76 Die Daten der gemeinsamen Vorstufe (V*) von MT und der hebräischen Vorlage der LXX stimmen bis auf bei Methusalem und Lamech überein und sind aus Platzgründen in einer Spalte aufgelistet. Abweichungen von MT gegenüber der (rekonstruierten) Vorstufe sind eigens notiert.
175
VI. Anhang – Tabellen zur Chronologie in Genesis 5
Die zweite Tabelle zeigt die Lebensdaten der Patriarchen nach der errechneten absoluten Chronologie für MT, Smr, LXX und V* an. In der Regel wird bei der Berechnung davon ausgegangen, dass das Jahr der Zeugung mit dem Jahr der Geburt zusammenfällt. Sollte in Anlehnung an Gen 18,14 ein gerundetes Jahr für die Zeit zwischen Zeugung und Geburt zuzurechnen sein, würde sich die absolute Chronologie entsprechend verlängern.77 MT
Smr
LXX
V*
Adam
1–930
1–930
1–930
1–930
Set
130–1042
130–1042
230–1142
130–1042
Enosch
235–1140
235–1140
435–1340
235–1140
Kenan
325–1235
325–1235
625–1535
325–1235
Mahalalel
395–1290
395–1290
795–1690
395–1290
Jared
460–1422
460–1307
960–1922
460–1422
Henoch
622–987
522–887
1122–1487
622–987
Methusalem
687–1656
587–1307
1287–2256
687–1656
Lamech
874–1651
654–1307
1454–2207
854–1621
Beginn der Flut
1656
1307
2242
1656
77
So ZIEMER 2009, 2–4.
9. Beobachtungen zum literarischen Charakter und geistesgeschichtlichen Ort der nicht-priesterschriftlichen Sintfluterzählung Der Weg zur Endgestalt des Großen Geschichtswerks in Gen – 2Kön ist verschlungen und seine rekonstruierende Beschreibung erweist sich nach wie vor als ein schwieriges und zuweilen sehr hypothetisches Unternehmen. Innerhalb der ersten Wegstrecke, den vorderen Büchern des Pentateuch, gehört die Unterscheidung von im weitesten Sinne priester(schrift)lichen Texten und solchen Texten, die diesem Bereich nicht zuzuordnen sind, zu den wenigen Orientierungspunkten. Formuliert wurde dieser für die Rekonstruktion der Entstehung des Großen Geschichtswerks und für die Arbeit am Alten Testament insgesamt grundlegende Konsens erstmals in der Analyse von Gen 1–11. Somit trifft auch in forschungsgeschichtlicher Hinsicht zu, was für alle Leser des Großen Geschichtswerkes in Gen – 2Kön gilt: Der Weg zur Endgestalt setzt mit der biblischen Urgeschichte ein. Von den beiden für die Frage nach der Genese der Endgestalt besonders prominenten Textbereichen, den sogenannten Schöpfungsberichten in Gen 1–3 und der Fluterzählung in Gen 6,5–9,17 greife ich den letztgenannten auf. Obwohl in der neueren redaktionsgeschichtlichen Debatte ein wenig im Schatten der Paradieserzählung in Gen 2f stehend, bietet die Fluterzählung doch wichtige Einsichten in die Genese der Urgeschichte und damit des Geschichtswerks insgesamt. Zudem erlaubt sie einen Blick auf die Rezeption prophetischer Traditionen im Bereich des Pentateuch – eine Fragestellung, die Hans-Christoph Schmitt ganz wesentlich angeregt hat.1
Vgl. H.-CH. SCHMITT 1989: Tradition der Prophetie in den Schichten der Plagenerzählung Ex 7,1–11,10, in: ders., Theologie in Prophetie und Pentateuch (2001), BZAW 310, Berlin/New York, 38–58; DERS. 1995: Die Suche nach der Identität des Jahweglaubens im nachexilischen Israel. Bemerkungen zur theologischen Intention der Endredaktion des Pentateuch, in: ders., Theologie in Prophetie und Pentateuch (2001), BZAW 310, Berlin/New York, 255–276; DERS. 1979: „Priesterliches“ und „prophetisches“ Geschichtsverständnis in der Meerwundererzählung Ex 13,17–14,31. Beobachtungen zur Endredaktion des Pentateuch, in: ders., Theologie in Prophetie und Pentateuch (2001), BZAW 310, Berlin/New York, 203–219; DERS. 1982: Redaktion des Pentateuch im Geiste der Prophetie. Beobachtungen zur Bedeutung der „Glaubens“-Thematik innerhalb der Theologie des Pentateuch, in: 1
178
9. Literarischer Charakter und geistesgeschichtlicher Ort der Fluterzählung
I. Zur Redaktionsgeschichte der Fluterzählung Bekanntlich hat die Koinzidenz von Wiederholungen nahezu sämtlicher Bausteine der Fluterzählung mit Spannungen auf der Sachebene und der Bezeichnung identischer Sachverhalte durch unterschiedliche Begriffe zu einer Aufteilung des Textbestandes der Flutgeschichte auf zwei Textschichten geführt, deren Umfang seit den grundlegenden Analysen von Eberhard Schrader, Hermann Hupfeld, Karl Budde und Hermann Gunkel im Wesentlichen einheitlich bestimmt wird.2 Weitgehend unstrittig ist die Zuschreibung der einen erkannten Textschicht an das mit Gen 1 einsetzende und zumindest bis Ex 40 reichende priester(schrift)liche Textstratum des Pentateuch.3 Zudem wird auch jenseits der Kontroverse um das literarhistorische Profil dieses Stratums weithin die Einschätzung geteilt, dass die priester(schrift)liche Fluterzählung literarisch geschlossen und in erzählerischer Hinsicht vollständig und selbsttra-
ders., Theologie in Prophetie und Pentateuch (2001), BZAW 310, Berlin/New York, 220– 237; DERS. 1994: Der heidnische Mantiker als eschatologischer Jahweprophet. Zum Verständnis Bileams in der Endgestalt von Num 22–24, in: ders., Theologie in Prophetie und Pentateuch (2001), BZAW 310, Berlin/New York, 238–254. 2 H. H UPFELD 1853: Die Quellen der Genesis und die Art ihrer Zusammensetzung von neuem untersucht, Berlin; E. SCHRADER 1863: Studien zur Kritik und Erklärung der biblischen Urgeschichte. Gen Cap. I–XI, Zürich; K. BUDDE 1883: Die Biblische Urgeschichte (Gen 1–12,5), Gießen; H. GUNKEL 1910/1977: Genesis, HK I/1, 3. Aufl., Göttingen (= Nachdr. d. 9. Aufl. 1977). Zur Forschungsgeschichte vgl. D. M. CARR 1996: Reading the Fractures of Genesis, Louisville/KY, 48f; J.-L. SKA 1994: El relato del diluvio. Un relato sacerdotal y algunos fragmentos redaccionales posteriores, EstB 52, 37–62, 37ff; N. C. BAUMGART 1999: Die Umkehr des Schöpfergottes. Zu Komposition und religionsgeschichtlichem Hintergrund von Gen 5–9, HBS 22, 381–384 sowie die gründliche, auf die Frage nach der abschließenden Formation der Urgeschichte fokussierte Darstellung bei M. WITTE 1998: Die biblische Urgeschichte. Redaktions- und theologiegeschichtliche Beobachtungen zu Genesis 1,1–11,26, BZAW 265, 1–45. Zu den forschungsgeschichtlich einflussreichen Versuchen von B. JACOB 1934/2000: Das erste Buch der Tora Genesis, Berlin (Nachdr., Das Buch Genesis, hg. in Zusammenarbeit mit dem Leo-Baeck-Institut, Stuttgart 2000); U. CASSUTO 1964: A Commentary on the Book of Genesis II. From Noah to Abraham, Genesis VI 9–XI 32, Jerusalem; G. J. WENHAM 1972: The Coherence of the Flood Narrative, VT 22, 326–348; DERS. 1987: Genesis 1–15, Word Biblical Commentary I, 2. Aufl., Dallas/TX, die literarische Einheitlichkeit der Fluterzählung nachzuweisen, vgl. die grundlegende Auseinandersetzung bei J. A. EMERTON 1987: An Examination of Some Attempts to Defend the Unity of the Flood Narrative in Genesis. Teil I, VT 37, 401–420; DERS. 1988: An Examination of Some Attemps to Defend the Unity of the Flood Narrative in Genesis. Teil II, VT 38, 1–21. 3 Gen 6,9–22; 7,6f.11.13–16.17a*.18–21; 8,1.2a.3b–5.13a.14–19; 9,1–17. Abweichungen in dieser Zuordnung betreffen v.a. 7,7.17a.22*.23a; 8,3a.
I. Zur Redaktionsgeschichte der Fluterzählung
179
gend ist.4 Hinsichtlich der zweiten, im Folgenden rein formal als nicht-priesterschriftlich (non-P) bezeichneten Textschicht ist das Bild hingegen wesentlich divergenter. Neben der Binnendifferenzierung des non-P Textstratums wurde schon früh diskutiert, ob es sich um einen organischen5 oder um einen nachgetragenen6 Bestandteil einer ehedem selbständigen non-P Urgeschichte gehandelt hat. Andere haben den non-P Text als Bearbeitungsschicht zur priester(schrift)lichen Fluterzählung beurteilt, wobei sich dieses Urteil teils auf die Fluterzählung beschränkt,7 teils auf den gesamten non-P Textbestand der Urgeschichte bezieht.8 Unter den jüngeren Arbeiten, die den non-P Text der Fluterzählung als Ergänzung zu P beschrieben haben, kommt der Analyse von Erich Bosshard-Nepustil das Verdienst zu, die seit einiger Zeit wiederholt vertretene Position ausführlich dargelegt und begründet zu haben.9 Sie soll im Folgenden überprüft werden.
4 Vgl. für diese Einschätzung unter den Kritikern der Annahme einer ehedem selbständigen Quellenschrift P E. BLUM 1990: Studien zur Komposition des Pentateuch, BZAW 189, Berlin/New York, 282 mit Anm. 206. Anders L. SCHRADER 1998: Kommentierende Redaktion im Noah-Sintflut-Komplex der Genesis, ZAW 110, 489–502. 5 So ein breiter Forschungsstrom in der Nachfolge von J. A STRUC 1753/1999: Conjectures sur les Mémoires originaux dont il paroit que Moyse s’est servi pour composer le Livre de la Genèse, Brüssel 1753 (Neuedition: Conjectures sur la Genèse. Introduction et notes de PIERRE GIBERT, Paris). Astruc kommt zu folgendem Ergebnis: Quelle A in Gen 6,9–22; 7,6– 10.19.22.24; 8,1–19; 9,1–10.12.16.17; Quelle B in Gen 6,1–8; 7,1–5.11–18.21.24; 8,20–22; 9,11.13–15 und Quelle C in Gen 7,20.23.24. 6 Vgl. J. W ELLHAUSEN 1899: Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, 3. Aufl., Berlin (4. Aufl., Nachdr. d. 3. Aufl., Berlin 1963), 8– 14. 7 Vgl. R. G. K RATZ 2000: Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments, Göttingen, 259–261. 8 Vgl. F. TUCH 1838: Commentar über die Genesis, Halle. Eine Renaissance erlebt die Ergänzungshypothese Tuchscher Prägung in den in der folgenden Anmerkung genannten Arbeiten. 9 E. B OSSHARD-N EPUSTIL 2005: Vor uns die Sintflut. Studien zu Text, Kontexten und Rezeption der Fluterzählung Genesis 6–9, BWANT 165, Stuttgart, 59 nennt als wichtigsten Vorläufer seiner These SKA 1994, 37–62. Vgl. ferner J. BLENKINSOPP 2002: A Post-exilic lay source in Genesis 1–11, in: J. Ch. Gertz/K. Schmid/M. Witte (Hg.), Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion, BZAW 315, Berlin/New York, 49–61; E. OTTO 1996a: Die Paradieserzählung Genesis 2–3: Eine nachpriesterschriftliche Lehrerzählung in ihrem religionshistorischen Kontext, in: A. A. Diesel u.a. (Hg.), „Jedes Ding hat seine Zeit…“ Studien zur israelitischen und altorientalischen Weisheit. Festschrift D. Michel, BZAW 241, Berlin/New York, 167–192; KRATZ 2000, 259–261. Im Einzelnen sind die Positionen durchaus verschieden. So vertreten Ska (mit Abstrichen), Otto und M. ARNETH 2004: Art. Sintflut II., RGG4 Bd. 7, 1345–1346; DERS. 2005: Art. Urgeschichte II. Altes Testament, RGG4 Bd. 8, 826–827 die Ansicht, dass die non-P Redaktion
180
9. Literarischer Charakter und geistesgeschichtlicher Ort der Fluterzählung
1. Schwachpunkte des Zwei-Quellenmodells? Die von Bosshard-Nepustil vorgelegte redaktionsgeschichtliche Verhältnisbestimmung der beiden Textschichten in der Fluterzählung setzt mit einer Kritik am (klassischen) Zwei-Quellenmodell ein.10 Im Kern handelt es sich um die beiden folgenden Kritikpunkte: 1.) Das Zwei-Quellenmodell könne zwar die Inkohärenzen des vorliegenden Textzusammenhangs gut erklären, nicht jedoch die Kohärenzen des überlegt strukturierten Textganzen. 2.) Die rekonstruierte non-P Fluterzählung sei lückenhaft. Eine Streichung der fraglichen Passagen durch den Redaktor, der die beiden Versionen der Fluterzählung verbunden haben soll, sei nicht plausibel zu machen, zumal der non-P Text die Struktur der vorliegenden Gestalt der Fluterzählung vorgebe. Letzteres lasse sich wiederum kaum mit der gängigen Annahme einer priesterschriftlichen Prägung des Redaktors vereinbaren. Die Überprüfung der Stichhaltigkeit des ersten Kritikpunktes verlangt eine genauere Untersuchung der Abgrenzung und Gliederung des vorliegenden Textzusammenhangs der Fluterzählung in 6,5–9,17. Für die weithin übliche Bestimmung des Textumfangs spricht zunächst der unmittelbare Kontext. Die Erzählungen von den Engelehen in 6,1–4 sowie von Noah und seinen Söhnen in 9,18–29 stellen unbeschadet ihrer Bezüge zur Fluterzählung eigene Textabschnitte dar, die durch den ätiologischen Schlusssatz in Gen 6,4b und die Exposition in 9,18f gegenüber der Fluterzählung deutlich abgegrenzt sind.11 Diesem Befund korrespondiert das vielleicht offensichtlichste Strukturmerkmal der vorliegenden Fluterzählung, und zwar ihre häufig beschriebene doppelte Rahmung durch den zweigeteilten Prolog in 6,5–8.9–22 und den ebenfalls zweigeteilten Epilog in 8,20–22; 9,1–17. Am Anfang der Fluterzählung steht Gottes Entschluss, die Menschheit samt der belebten Schöpfung zu vernichten. Lediglich Noah, so viel ist von Anfang an klar, wird dem universalen Strafgericht entgehen (6,5–22). Nach der beinahe vollständigen Durchführung dieses Vorhabens endet die Erzählung mit Gottes Entschluss, die belebte Schöpfung von nun an zu bewahren und nicht erneut der Vernichtung preiszugeben (8,20–9,17). Der Prolog wird durch die Toledotformel in 6,9aα und den konstatierenden Nominalsatz in V. 9aβ in zwei
breit auf ältere Traditionen zurückgegriffen und diese in P integriert habe. Bosshard-Nepustil spricht hingegen von „ad hoc-Erweiterungen“. 10 B OSSHARD-N EPUSTIL 2005, 54–56. 11 Vgl. dazu und zum Folgenden B AUMGART 1999, 94ff. Zu den Vorschlägen, 6,1–4 in die Fluterzählung einzubeziehen, vgl. auch die Kritik bei H. SEEBASS 1996: Genesis I. Urgeschichte (1,1–11,26), Neukirchen-Vluyn, 188.
I. Zur Redaktionsgeschichte der Fluterzählung
181
Teile gegliedert. Beide Teile enthalten jeweils eine Begründung und Ansage der Vernichtung, wobei jedoch 6,5–8 eine Wahrnehmung JHWHs und eine darauf folgende Reaktion JHWHs schildern, die nach innen gerichtet ist, während 6,9–22 auf eine Mitteilung Gottes nach außen hinausläuft. Der Zweiteilung des Prologs entspricht diejenige des Epilogs. Der Beschluss, die Erde vor einer Wiederholung der Flut zu bewahren, wird in 8,20–22 in der Innenperspektive JHWHs geschildert und in 9,1–17 als Mitteilung nach außen. 6,5–8 und 8,20–22 sind durch die Korrespondenz von 6,5.6b.7 und 8,21aα1.α2β.b verbunden. 9,1–17 greift hingegen auf den Wortlaut der Ankündigung einer בריתin 6,9–22 zurück (vgl. 6,18; 9,9.11.17).12 Auch nimmt die Reformulierung der Mehrungsverheißung in 9,1.7 (vgl. 1,28) das Urteil vom Überhandnehmen „lebensbedrohlicher Gewalt“13 auf der Erde aus 6,11 sachlich auf, insofern der Herrschaftsauftrag zur Ankündigung der Schreckensherrschaft des Menschen über seine belebte Umwelt wird (9,2).
Unsicherheiten hinsichtlich der genannten Abgrenzung der Fluterzählung resultieren aus gegenläufigen Gliederungsmerkmalen, die im vorliegenden Textzusammenhang gegenüber ihrer zu erwartenden Verwendung eine andere Funktion wahrnehmen. Dies gilt vor allem für die Toledotformel in 6,9aα. Ausweislich ihrer übrigen Belege handelt es sich ursprünglich um eine Überschrift.14 Im vorliegenden Textzusammenhang ist dies jedoch eindeutig nicht der Fall, da die vorangehende Passage 6,5–8 ausweislich der späteren Aufnahmen des Abschnitts, insbesondere von 6,5 in 8,21 und von 6,7 in 7,23 bereits zur Fluterzählung gehört. Ihrer ursprünglichen Funktion als Überschrift entledigt, markiert die Formel jetzt lediglich einen deutlichen Einschnitt innerhalb des Prologs der Fluterzählung. Unverkennbar überlagert also die vorliegende Gliederung die Textgrenzen eines älteren Textzusammenhangs.15 Durchaus vergleichbar ist der Befund zum Abschluss der Fluterzählung. Die Zusage JHWHs in 8,21–22, zukünftig die Erde nicht noch einmal zu verwünschen, geschweige denn förmlich zu verfluchen ( קללpi.),16 die Schlechtigkeit
Ungeachtet der durch den Fortgang der Ereignisse bewirkten Verschiebungen wird es sich bei der je in 6,18–20 und 9,8–17 genannten בריתkaum um gänzlich unterschiedliche Größen handeln. Von zwei verschiedenen Zusagen einer בריתgeht (u.a.) BAUMGART 1999, 226, 342 aus, wobei die erste, auf das Überleben Noahs und seiner Familie während der Flut beschränkte Zusage das Modell für die zweite, zeitlich entgrenzte und auf alle Lebewesen bezogene Zusage liefert. Von einer Entfaltung der in 6,18 angekündigten בריתin 9,8–11 spricht WITTE 1998, 145 mit Anm. 101. 13 J. JEREMIAS 1990: Schöpfung in Poesie und Prosa des Alten Testaments. Gen 1–3 im Vergleich mit anderen Schöpfungstexten des Alten Testaments, JBTh 5, 11–36, hier 36. 14 Die Toledotformel begegnet sonst stets als Überschrift (5,1; 10,1; 11,10.27; 25,12.19; 36,1.9; 37,2; Num 3,1; Ruth 4,18; 1Chr 1,29). Das gilt auch für 2,4a. Vgl. in jüngerer Zeit D. M. CARR 1998: Βίβλος γενέσεως Revisited: A Synchronic Analysis of Patterns in Genesis as Part of the Torah, ZAW 110, 159–172 und 327–347, hier 164f; WITTE 1998, 56. 15 Für einen Einsatz der Fluterzählung in 6,9 hat sich dagegen u.a. JACOB 1934/2000, 183 ausgesprochen. 16 Zur Übersetzung vgl. C H. LEVIN 1993: Der Jahwist, FRLANT 157, Göttingen, 108. 12
182
9. Literarischer Charakter und geistesgeschichtlicher Ort der Fluterzählung
des Menschen zu ertragen und die Segenskraft der Erde zu erhalten, greift unverkennbar auf den ersten Prolog zurück (vgl. 6,5–8)17 und ist in ihrem Schlussteil rhythmisch formuliert. Das weist 8,21–22 als Schlusspunkt und – bedenkt man das alttestamentlichen Erzählungen eigentümliche Achtergewicht – als Höhepunkt einer mit 6,5–8 eröffneten Fluterzählung aus. Hierfür spricht auch, dass mit 9,18f – lässt man 9,1–17 zunächst einmal tentativ außer Acht – eindeutig eine neue Erzählung einsetzt. In gewisser Weise gilt letzteres sogar mit Blick auf den inhaltsschweren Abschnitt 9,1–17. Freilich ist es wegen der engen Korrespondenz zu 6,9–22 kaum möglich, den Abschnitt 9,1–17 von der Fluterzählung zu trennen: Die durch die Ereignisse der Flut modifizierte Neuauflage der Schöpfungsordnung in V. 1–7 setzt (neben 1,1–2,3 und 5,1–32) der Sache nach die Feststellung voraus, dass der urzeitliche Schöpfungsfrieden durch das Überhandnehmen von Gewalttat verloren gegangen ist (6,11), und die Gewährung des Bundes in V. 8–17 greift auf die entsprechende Ankündigung in 6,18 zurück. Im vorliegenden Textzusammenhang bilden demnach Segen und Bund den Schlussakt der Fluterzählung, wodurch die Zusage JHWHs in 8,20–22 aus ihrer gleichsam natürlichen Schlussstellung verdrängt und zu einer (wichtigen) Binnenzäsur der Fluterzählung transformiert wird. Abermals überlagert also die Gliederung des vorliegenden Textzusammenhangs ältere Textgrenzen.18 Der Aufbau der im Vergleich zur übrigen Urgeschichte ungewöhnlich langen Fluterzählung ist schwierig und wird in der Literatur höchst unterschiedlich vorgenommen. Sieht man von der doppelten Rahmung in 6,5–8.9–22 und 8,20–22; 9,1–17 einmal ab, so können die Versuche, einen chiastischen oder konzentrischen Aufbau aufzuzeigen, nicht überzeugen.19 Auch gelingt es nicht, sämtliche Gliederungsmerkmale, wie die Datierungen oder die Korrespondenz von Auftrag und Erfüllung(snotizen) in eine in sich stimmige Gliederung des
Vgl. dazu WITTE 1998, 182f. Eine Abgrenzung 6,5–8,22 deutet sich bei C. WESTERMANN 1974: Genesis 1–11, BKAT I/1, Neukirchen-Vluyn, 518ff an. 19 Zu den Schwierigkeiten derartiger Versuche, wie sie vor allem C ASSUTTO 1964, 30ff; WENHAM 1972, 326–348; DERS. 1987, 155ff; Y. T. RADDAY 1981: Chiasmus in Hebrew Biblical Narrative, in: J. W. Welch (Hg.), Chiasmus in Antiquity: Structures, Analyses, Exegesis, Hildesheim, 50–117 unternommen worden sind, vgl. EMERTON 1987, Teil I, 405ff und Teil II, 7ff, 16ff; BLUM 1990, 283 Anm. 208. Auch die von SEEBASS 1996, 205–207, vorgelegte ringförmige Struktur mit den Außengliedern 6,5–8 // 9,1–17 und 6,9–22 // 8,20– 22 hat, von Einzelheiten der Binnengliederung einmal abgesehen, vor allem gegen sich, dass die Entsprechungen zwischen Prolog und Epilog auf einen Aufbau des Rahmens nach dem Schema A – B – A’ – B’ hindeuten. 17
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I. Zur Redaktionsgeschichte der Fluterzählung
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vorliegenden Textzusammenhangs zu überführen.20 So wird man sich für den Hauptteil der Fluterzählung in 7,1–8,19 damit bescheiden müssen, dass er durch den Handlungsverlauf und unterschiedlich gewichtete Gliederungsmerkmale strukturiert wird.21 Im Einzelnen lassen sich folgende Abschnitte abgrenzen: I. 7,1–5; II. 7,6–16; III. 7,17–24; IV. 8,1–14 und V. 8,15–19. (I. + V.) Die erneute Ankündigung der Flut und der Befehl des Einzugs in die Arche in 7,1–4 sowie die summarisch mitgeteilte Ausführung des Befehls in 7,5 bilden den ersten Teil eines (weiteren) Rahmens um den Hauptteil der Fluterzählung. Der hintere Teil des Rahmens in 8,15–19 greift mit V. 16f auf Formulierungen von 7,1b–4 zurück. Zudem bietet 8,15–17 erstmals nach 7,1–5 wörtliche Rede. (II.) Der Abschnitt 7,6– 16 beginnt mit einer Datierung der Flut (V.6). In seinem Zentrum steht die von der Erzählung über den Einzug (V. 7–9) sowie der Feststellung (vgl. ;בעצם היום הזהV. 13aα) des erfolgten Einzugs (V. 13–16) flankierte und ihrerseits datierte Notiz vom Kommen der Flut (V. 10– 12). (III.) Die Schilderung der Flut in 7,17–24 ist durch Angaben zur Dauer der Flut gerahmt. Dabei sind im vorliegenden Textzusammenhang die 40 Tage in V. 17 auf das erste Ansteigen des Wassers zu beziehen, während die 150 Tage in V. 24 das Andauern der Flut zwischen dem 17.2. des 600. Lebensjahrs Noahs (7,11 MT) und dem Wendepunkt am 17.7. desselben Jahres (8,4 MT; vgl. 8,3) im Blick haben. Die Schilderung der Flut ist im Übrigen der einzige Abschnitt der Fluterzählung, in dem weder JHWH/Gott noch Noah explizit erwähnt werden. (IV.) Der folgende Abschnitt 8,1–14 ist zunächst rein inhaltlich bestimmt, insofern er die Wende des Geschehens beschreibt. Durch die Aufnahme von 8,1 in 9,15f ( )זכרzum Abschluss der Fluterzählung wird sein Einsatz jedoch betont herausgestellt.22 Das Ende des Abschnitts ist durch die Datierung in V. 14 und den Neueinsatz mit einer Gottesrede in V. 15 markiert.
Dies ist vor allem mit Blick auf BOSSHARD-NEPUSTIL 2005, 27–41, 265, zu betonen. Seine synchrone Analyse der Fluterzählung arbeitet eine Zweiteilung der Fluterzählung heraus. Hierfür beruft er sich auf die „Hauptzäsur“ nach 8,19 und die „analoge Sachabfolge“ der beiden erkannten Hauptabschnitte 6,5–8,19 und 8,20–9,17. So bewirke jeweils ein „initiales Geschehen“ eine Wahrnehmung JHWHs/Gottes, was eine doppelte Reaktion JHWHs/Gottes bei sich und nach außen evoziere. Von der Unausgewogenheit der beiden vermeintlich parallel angelegten Teile einmal abgesehen, wird diese Gliederung kaum der Beobachtung gerecht, dass 6,5–8 mit 8,20–22 und 6,9–22 mit 9,1–17 korrespondiert. Sie spricht eher für die oben vorgestellte doppelte Rahmung und widerrät einer Parallelsetzung von 6,13–8,14 und 9,1–17. Auch erscheint der Eigenwert der Darstellung der Flut in der von Bosshard-Nepustil vorgeschlagenen Gliederung deutlich unterbestimmt. Die Beobachtung, dass die Darstellung der Flut nochmals gerahmt ist und einen massiven Auftakt hat, wird jedenfalls nicht hinreichend berücksichtigt. Ferner ist befremdlich, dass mit der zum „initialen Geschehen“ erklärten „Vorgeschichte“ in 3,1–6,4 ein wesentliches Strukturmerkmal der Fluterzählung außerhalb der beschriebenen Struktur zu stehen kommt. Schließlich wird man Gottes Urteil in 6,11 kaum als ein „initiales Geschehen“ bezeichnen können. 21 Ähnlich zuletzt B AUMGART 1999, 96–98. 22 Vgl. statt vieler aaO, 334f, 343f. 20
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Der Befund zur Abgrenzung und Gliederung der vorliegenden Fluterzählung erlaubt eine redaktionsgeschichtliche Zwischenbemerkung: Da die beiden erkannten älteren Textgrenzen in 6,9aα und 8,20–22 nach dem bisher Gesagten nicht auf ein und dieselbe Hand zurückgehen können und in der Forschung auch übereinstimmend verschiedenen Verfassern zugeschrieben werden, ist der Schluss unabweisbar, dass der vorliegende Textzusammenhang auf zwei älteren Vorlagen mit je eigenen Gliederungsprinzipien fußt. Für die Toledotformel in 6,9aα wird man dabei an die Quellenschrift P, eventuell auch an ein von einer priesterlichen Bearbeitungsschicht verwendetes Toledotbuch denken; mit Blick auf die Zusage JHWHs in 8,20–22 wird man an der Existenz einer non-P Version der Fluterzählung festhalten müssen. Desgleichen zeigen die Schwierigkeiten, eine Gliederung der Fluterzählung zu beschreiben, die alle Gliederungsmerkmale aufnimmt und zusammengehörige Gliederungsmerkmale gleich gewichtet, dass sich in der vorliegenden Fluterzählung verschiedene Strukturierungen überlagern. Da sich jüngere Bearbeitungen eher an vorgegebene Strukturen anschmiegen, oder diese ausbauen und verdeutlichen, spricht dieser Befund ebenfalls eher für die Annahme älterer Vorlagen mit je eigenen Gliederungsprinzipien. Die unter 2.) zusammengestellten Kritikpunkte an dem Zwei-Quellenmodell sind von unterschiedlicher Aussagekraft. So dürfte die Festlegung der Endredaktion auf eine priesterschriftliche Prägung eine längst überholte Vereinfachung sein, der keinerlei argumentative Bedeutung zukommt.23 Auch verdankt sich die Struktur der vorliegenden Fluterzählung nicht allein den non-P Textanteilen, wie ein Blick auf die wichtige Rolle der priesterschriftlichen Datierungen (7,6.11.24; 8,3.4.5.13.14) und insbesondere die Übernahme des priesterschriftlichen Schlusses zeigen.24 Somit bleibt allein das Argument der Unvollständigkeit des non-P Textes. Bosshard-Nepustil nennt folgende Lücken: den Bau der Arche, die Mitteilung des Gerichtsgrundes an Noah und das Verlassen der Arche. Eine Mitteilung des Gerichtsgrundes an Noah wird man jedoch nicht erwarten dürfen, da der non-P Erzähler entsprechende Erläuterungen sämtlich auf der Deutungsebene des Textes unterbringt (vgl. 8,20–2225).
23 Vgl. dazu nur die in Anm. 1 genannten einschlägigen Arbeiten von Hans-Christoph Schmitt. 24 Darüber hinaus ist daran zu erinnern, dass es unter den älteren Vertretern einer Ergänzungshypothese immer als ausgemacht galt, dass die (non-P) Nachträge in die priesterschriftlichen Texte, die den vorliegenden Textzusammenhang prägen (daher Grundschrift), eingeschrieben worden sind. Insofern spräche die von Bosshard-Nepustil behauptete Prägung der vorliegenden Fluterzählung durch die non-P Texte eher für die Annahme einer priesterlichen Ergänzungsschicht. 25 Dazu siehe unten 1.2 unter Punkt 4. Im Übrigen erfahren auch die babylonischen Sintfluthelden Atrachasis und Uta-Napischti nicht, warum die Flut kommen wird. Stattdessen begnügen sie sich wie Noah damit, der rettenden Anweisung zu folgen.
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Ebenso ist eine Auszugsnotiz durchaus entbehrlich.26 Anders stellt sich der Sachverhalt für den Baubericht dar, insofern dieser in allen Fluterzählungen ein konstitutives Element darstellt. Zudem ist die erste (erhaltene) non-P Erwähnung der Arche in 7,1 determiniert und setzt somit eine entsprechende Ersterwähnung voraus. Doch die eine zu konstatierende Lücke ist kaum ein hinreichendes Argument für eine Ergänzungshypothese, kann doch ein redaktionell bedingter Textausfall nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden.27 Dies gilt umso mehr, als er sich in diesem Fall konzeptionell begründen lässt: Wie Clemens Baumgart zuletzt noch einmal ausführlich dargetan hat, korrespondieren die Anweisungen zum Bau der Arche in 6,9–22 (P) mit denen zum Bau des Zeltheiligtums in Ex 25–40*.28 Wollte die Endredaktion diese Korrespondenz beibehalten, so blieb ihr gar nichts anderes übrig als die Streichung eines non-P Bauberichts.29 Diese Annahme wird durch die non-P Notiz zum Öffnen „des Fensters der Arche, das Noah gemacht hatte“ in 8,6 bestätigt. Die Notiz setzt zweifellos einen Baubericht voraus. Im vorliegenden Textzusammenhang läuft jedoch der Querverweis „das er gemacht hatte“ ins Leere, da P das „Fenster“ ( )חלוןnicht erwähnt. Der in 8,6 ursprünglich vorausgesetzte Baubericht wird daher mit ziemlicher Sicherheit nicht in 6,9–22 (P) zu suchen sein. Ähnlich verhält es sich mit der Erwähnung des „Daches“ ( )מכסהin 8,13b (nonP), das bei P ebenfalls nicht erwähnt wird. Allerdings fehlt hier der ausdrückliche Querverweis.30 Die von Bosshard-Nepustil gegen die Annahme einer redaktionellen Verbindung von Versionen der Fluterzählung vorgebrachten Argumente können, wie mir scheint, nicht überzeugen. Umso wichtiger ist die Überprüfung seiner
Vgl. WITTE 1998, 180 mit Anm. 127, der zudem auf den analogen Sachverhalt in der Sumerischen Fluterzählung V. 1–7 (TUAT III, 456) verweist. 27 So auch B OSSHARD-N EPUSTIL 2005, 55 mit Anm. 64 und dem sachdienlichen Hinweis auf H. J. TERTEL 1994: Text and Transmission. An Empirical Model for the Literary Development of Old Testament Narratives, BZAW 221, Berlin/New York, 171ff, 232ff. 28 B AUMGART 1999, 531–559. Vgl. ferner die Synopse von Gen 6,13–17.18ff; 7,6 und Ex 25,1.8a.9; 29,45f; 40,16.17a.33b bei TH. POLA 1995: Die ursprüngliche Priesterschrift. Beobachtungen zur Literarkritik und Traditionsgeschichte von Pg, WMANT 70, NeukirchenVluyn, 286–290, 367, sowie JACOB 1934/2000, 187; E. ZENGER 1987: Gottes Bogen in den Wolken. Untersuchungen zu Komposition und Theologie der priesterschriftlichen Urgeschichte, SBS 112, 2. Aufl., Stuttgart, 174f; P. WEIMAR 1988: Sinai und Schöpfung. Komposition und Theologie der priesterschriftlichen Sinaigeschichte, RB 95, 337–385, 352ff; BOSSHARD-NEPUSTIL 2005, 127–130. 29 Vgl. B OSSHARD-N EPUSTIL 2005, 416. 30 Dass צהרin 6,16 und חלוןin 8,6b sowie מלמעלהin 6,16 und מכסהin 8,13b im vorliegenden Textzusammenhang identifiziert werden sollen (so aaO 45 mit Anm. 16) ist unstrittig, doch zeigt gerade die Notwendigkeit zu einer recht komplizierten Identifizierung, dass diese Identifikation von P aus wie vom non-P Text aus betrachtet kaum ursprünglich ist. 26
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Argumente für die These einer Bearbeitung der priesterschriftlichen Fluterzählung durch die non-P Textanteile. 2. Nachweis einer nicht-priesterschriftlichen Bearbeitung der priesterschriftlichen Fluterzählung? Für den Nachweis, dass die non-P Textanteile „als ad hoc-Erweiterungen der P-Grundschicht verfasst wurden“31, konzentriert sich Bosshard-Nepustil vor allem auf die non-P Blöcke 7,1–5 und 8,20–22. Ich greife die wichtigsten Argumente heraus.32 1. Die Gottesreden in 6,13–21 (P) und 7,1–4 (non-P) seien als rhythmischer Wechsel zwischen dem, was Gott/JHWH tun wird, und dem, was Noah tun soll, angelegt. Angezeigt werde dies durch die Abfolge des an Noah gerichteten Imperativs mit JHWH/Gott als Subjekt in 6,14.21; 7,1aβ und der Ankündigung göttlichen Handelns in einem Partizipialsatz mit והנני/ואני הנני/ אנכיals Subjekt in 6,17–20; 7,4. Für die Beurteilung des non-P Textanteils als redaktionell sei nun entscheidend, dass dieses „Leseraster“ sich erst von 7,1–4 her zu erkennen gebe, da in der Rede 6,13–21 das ausstehende göttliche Handeln auch mit anderen Satzkonstruktionen formuliert werde. Letzteres dürfte aber die Annahme einer auf 6,13–21 hin abgestimmten Rhythmisierung der Rede in 7,1–4 erheblich in Frage stellen, zumal auch die Imperative in beiden Reden unterschiedliche Fortsetzungen erfahren. Hinzu kommt, dass die Abfolge von göttlichem Befehl und Ankündigung göttlichen Handelns in 7,1–4 gegenüber 6,13–21 vertauscht ist und dass dementsprechend der begründende כי-Satz in 7,4 keine Entsprechung in 6,17–20 hat. Überdies bleibt der auf den Imperativ folgende כיSatz in 7,1b in dem aufgezeigten „Leseraster“ gänzlich unberücksichtigt. Schließlich wird man sich vor der Feststellung „abgestimmter Strukturen“ immer auch die Frage nach einer möglichen Formulierungsalternative stellen müssen, wenn es darum geht, dass JHWH einen Befehl erteilt und diesen begründet – von der Frage nach dem Sinn für eine redaktionelle Verdoppelung des Befehls, in die Arche zu gehen, einmal ganz abgesehen. 2. Die bekannten Widersprüche hinsichtlich der Anzahl der mit auf die Arche zu nehmenden Tiere pro Gattung zwischen 6,19f (P) und 7,2f (non-P) seien als eine redaktionell gewollte Differenzierung der Zweckbestimmung der zu rettenden Tiere zu erklären. Ähnlich stünden die Angaben über sieben- und vierzigtägige Fristen im non-P Text (7,4; 7,10 mit 12; 7,17a; 8,6.10.12) nicht in Konkurrenz zur priesterschriftlichen Chronologie (7,6.11; 8,4.5a.b.13.14) und den dort genannten 150 Tagen (7,24; 8,3). Vielmehr bezögen sich die nonP Angaben auf Fristen innerhalb der priesterschriftlichen Chronologie und
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BOSSHARD-NEPUSTIL 2005, 59. AaO 62–78.
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würden die dort genannten Tage entzerren. Nun ist es in beiden Fällen unstrittig, dass der vorliegende Textzusammenhang so gelesen werden kann und nach der Vorstellung der Redaktion mutmaßlich auch so gelesen werden sollte. Gleichwohl bleiben Unstimmigkeiten bestehen, die es als äußerst fraglich erscheinen lassen, dass die Verstehensmöglichkeiten des vorliegenden Textzusammenhangs und die ursprüngliche Intention des non-P Textanteils identisch sind: Ginge es bei den unterschiedlichen Angaben zur Zahl der zu rettenden Tiere von vornherein um eine Differenzierung der Zweckbestimmung, wäre eine entsprechende Notiz auch nach 7,15 (P) zu erwarten, wo sie jedoch fehlt. Andererseits bemüht sich, wie Bosshard-Nepustil selbst feststellt, 7,8–9 um einen „Ausgleich zwischen vorgegebenen Aussagen (scil. 6,19f [P] und 7,2f [non-P]), die – für den Autor von 7,7–9 – sachlich offenbar noch zu stark differieren“33. Dass im vorliegenden Textzusammenhang die sieben- wie die vierzigtägige Frist in 8,6.10.12 als Zeitspanne innerhalb des mit 8,1.2a.3b.4–5 (P) eröffneten Zeitraums verstanden sein will und dass dies auch möglich ist, bedarf keiner weiteren Diskussion. Insbesondere für die Angabe in 7,17a ergibt sich ein derartiges Verständnis aber nur, wenn der vorliegende Textzusammenhang gegen den Wortlaut, aber in Übereinstimmung mit der in 8,1–12* unter Beweis gestellten Möglichkeit so gelesen werden soll.34 3. Die Bezeichnung Noahs in 7,1b (non-P) als צדיק לפני בדור הזהsei eine gezielte Neuakzentuierung der Notiz נח איש צדיק תמים היה בדרתיוin 6,9 (P). Die Nähe zwischen beiden Formulierungen ist unverkennbar. Auffälligste Gemeinsamkeit ist die Charakterisierung Noahs als „gemeinschaftstreu“ ( ;צדיקvgl. auch Ez 14,14.20; Sir 44,17). Freilich gibt es gute Gründe dafür, dass der כיSatz in 7,1b nachgetragen ist: Die Begründung unterbricht den Befehl, die Arche zu besteigen und die Tiere mit an Bord zu nehmen, der überdies durch den כי-Satz in V. 4 dann seine sachgemäße Begründung erhält. Zudem bricht sie der Aussage von 6,8 (non-P) die Spitze ab, die Noah allein deswegen überleben lässt, weil Noah „Gnade in den Augen JHWHs gefunden hat“, ohne für diese
AaO 72. B. JACOB 1930: Die biblische Sintfluterzählung. Ihre literarische Einheit, Berlin, 8, bezieht 7,17 „Die Flut ( )מבולwar 40 Tage auf Erden“ auf die Dauer des Regens, während sich 7,24 „Und die Wasser wurden 150 Tage mächtig über der Erde“ auf das Ansteigen des Wassers und das Anhalten des mit dem Ende des Regens erreichten Pegelhöchststandes beziehen soll. Doch die Einschränkung von מבול, eigentlich „Himmelsozean“ (vgl. J. BEGRICH 1964: Mabbûl. Eine exegetisch-lexikalische Studie, in: W. Zimmerli [Hg.], Gesammelte Studien zum Alten Testament, TB 21, München, 39–54), auf das Kommen des Wassers verträgt sich nicht mit der Mitteilung des Vernichtungsbeschlusses in 6,17, den chronologischen Angaben in 7,6; 9,28; 10,1 sowie den Zusagen des Noah-Bundes in Gen 9,11.15. Dort bezeichnet מבולeindeutig das Ganze der Flut. So schon richtig erkannt bei SCHRADER 1863, 140 mit Anm. 1. 33
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Gunst einen Grund zu nennen (vgl. Gen 18,3; 19,19; Ex 34,9).35 Damit ist dann auch die Intention des Zusatzes beschrieben: Es geht um den Ausgleich zwischen der „Vorstellung der Bewahrung aufgrund der Gnade JHWHs“ (6,8; nonP) und derjenigen „aufgrund der eigenen Gerechtigkeit und Frömmigkeit“36 (6,9*; P). Allerdings dürfte die Explikation der Frömmigkeit Noahs durch seine Gemeinschaftstreue in 6,9 ihrerseits in P nachgetragen sein.37 Gerade mit Blick auf die innerpriesterschriftliche Parallele zu Gen 6,9 in Gen 17,1 fällt auf, dass צדיקin P singulär ist. Somit dürfte die Beschreibung Noahs als eines צדיקvon 7,1b ( )כי אתך ראיתי צדיק לפניausgegangen sein, und zwar in dem beschriebenen Sinne als sachlicher Ausgleich zwischen 6,8 und 6,9* ( נח איש צדיק תמים היה ;בדרתיו את האלהים התהלך נחvgl. Gen 17,1). Von 7,1b ist das צדיקdann in 6,9 eingedrungen, sei es durch den Verfasser von 7,1b, sei es durch eine spätere Hand. 4. Der Entschluss JHWHs in 8,20–22 ziele auf eine Mitteilung, wie sie allein in 9,1–17 geboten werde. In diesem Fall wäre indes eine stärkere Ausrichtung des vermeintlich redaktionellen Textes 8,20–22 auf seine Vorgabe in 9,1–17 hin zu erwarten. Wie in 6,5–8 (non-P) richten sich die deutenden Hinweise allein an die Leser der Fluterzählung. Auf der Handlungsebene begnügt sich Noah damit, den Befehlen JHWHs Folge zu leisten. Nach seiner Rettung tut er dann das, was religiös geboten ist: Er bringt ein Opfer dar. Weiterer Mitteilungen bedarf es nicht. 3. Ergebnis: Beibehaltung des Zwei-Quellenmodells Die Kritikpunkte an der Annahme einer ehedem selbständigen non-P Version der Fluterzählung lassen sich ausräumen. Hingegen bringt die Herleitung des non-P Textanteils und der offenkundigen Spannungen aus der Intention einer Bearbeitung der priesterschriftlichen Fluterzählung erhebliche Probleme mit sich, weshalb dem Zwei-Quellenmodell nach wie vor die größere Erklärungskraft für die Entstehung der vorliegenden Fluterzählung zuzubilligen ist. Die in der Analyse erkannten Textschichten lassen sich als zwei vollständige und ehedem unabhängig voneinander überlieferte Versionen der Fluterzählung beschreiben,38 was die Kenntnisnahme in der einen oder anderen Richtung im
Vgl. LEVIN 1993, 114; WITTE 1998, 76 mit Anm. 110. Auch unabhängig von der These eines Jahwisten dürfte sich mit Levins Hinweis auf Gen 18,3; 19,19; Ex 34,9 zugleich das Argument erledigt haben, dass 6,8 im isolierten non-P Text der Fluterzählung sperrig sei, weswegen der non-P Text auf P hin angelegt sei (so BOSSHARD-NEPUSTIL 2005, 67f). 36 W ITTE 1998, 76. 37 Vgl. LEVIN 1993, 114. Anders W ITTE 1998, 130 mit Anm. 42 (Lit.). 38 Vgl. (statt vieler) für beide Schichten in jüngerer Zeit W ITTE 1998, 130–146 (P) und 171–184 (non-P). Vgl. ferner für die Kontexte der priesterschriftlichen Fluterzählung BOS35
II. Zu den geistesgeschichtlichen Voraussetzungen
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Übrigen nicht ausschließen muss. Bei der redaktionellen Verbindung der beiden Versionen zur vorliegenden Fluterzählung hat sich der Redaktor mit großem Geschick und Erfolg – das haben die Ausführungen von Bosshard-Nepustil noch einmal sehr schön unter Beweis gestellt – um einen kohärenten Text bemüht. Ursprünglich dürfte die non-P Version der Fluterzählung auf 5,29* gefolgt sein.39 Mit Blick auf das Ergebnis der redaktionellen Arbeit, den vorliegenden Textzusammenhang, ist die Fluterzählung wie das vorliegende Arrangement der P und non-P Textanteile in Gen 1,1–4, 2640 ein Meisterwerk der Redaktion. Ähnlich lautet das Urteil zur Analyse der Fluterzählung durch Budde und dessen Vorläufer. Ihre Rekonstruktion der Genese der Fluterzählung darf nach wie vor als Glanzstück der Quellenkritik gelten. Dass sie wie die Meerwundererzählung in Ex 13f gleichwohl kein „Schulbeispiel der Quellenscheidung“41 ist, erhellt ein Blick auf das sonst zu beobachtende Verfahren, wonach die vorliegenden Texte in Blöcken hintereinander gestellt worden sind (vgl. für die biblische Urgeschichte außer Gen 1,1–2,3 und Gen 2,4[a.]b–3,24 auch die Genealogien in Gen 4 und Gen 5). Die enge Verzahnung der beiden Versionen erklärt sich aus dem Gegenstand. Flut und Meerwunder sind einmalige Ereignisse, deren Wiederholung – ausdrücklich (vgl. 8,21; 9,11) – ausgeschlossen ist. Gleichwohl ist innerhalb der Neukomposition Gen 6,5–9,17 das übliche Verfahren des Hintereinanderstellens von Textblöcken weitgehend beibehalten worden.
II. Zu den geistesgeschichtlichen Voraussetzungen der nicht-priesterschriftlichen Sintfluterzählung Die literarhistorische Verortung der non-P Version der Sintfluterzählung ist ein schwieriges Unterfangen. Darstellungen der Urgeschichte entziehen sich nun einmal weitgehend einem (zeit)historischen Zugriff, sodass allein die geistesgeschichtliche Einordnung bleibt. Unstrittig ist ein bis ins Detail reichender
SHARD-NEPUSTIL
2005, 110–123 (im Kontext von Gen 1–11[P]) sowie 123–143 (im Kontext der gesamten Priestergrundschrift). 39 Zu Gen 6,1–4 vgl. W ITTE 1998, 65–74. Zu Resten eines non-P Erzählfadens in 5,29* vgl. J. CH. GERTZ 2004b, Von Adam zu Enosch. Überlegungen zur Entstehungsgeschichte von Genesis 2–4, in: M. Witte (Hg.), Gott und Mensch im Dialog. Festschrift O. Kaiser, BZAW 345/1, Berlin/New York, 215–236, 221f mit Anm. 21 (in diesem Band Nr. 5, 91f mit Anm. 21) mit Hinweis auf LEVIN 1993, 99; WITTE 1998, 207ff. 40 Vgl. dazu Gertz 2004b. 41 Vgl. die häufig zitierte Äußerung Gunkels „Die Art, wie Quellenscheidung zu geschehen hat, kann der Anfänger aus dieser Perikope (scil. Gen 6,5–9,17) lernen“ (GUNKEL 1910/1977, 137) und ihre zutreffende Kritik bei LEVIN 1993, 439f. Dort auch zum Folgenden.
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9. Literarischer Charakter und geistesgeschichtlicher Ort der Fluterzählung
Rückgriff auf mesopotamische Sintfluttraditionen, die ausweislich eines Bruchstücks des Gilgamesch-Epos aus Meggido (TUAT III, 670) und Emar (Msk 74128d, Msk 7498n++) sowie einer mittelbabylonischen Rezension des Atrachasis-Epos in Ugarit (RS 22.421) auch im syrischen Raum bekannt gewesen sind. Für sich genommen erlaubt die Rezeption der mesopotamischen Sintfluttraditionen allein schon wegen der langen zeitlichen Erstreckung der einschlägigen keilschriftlichen Textzeugen42 keine literarhistorische Einordnung der non-P Sintfluterzählung. Doch man wird sich vergegenwärtigen müssen, dass die nächste Analogie einer derartigen Rezeption, die priesterschriftliche Version der Fluterzählung, in das 6. Jahrhundert v. Chr. gehört und dort im Kontext einer Auseinandersetzung mit der dominierenden (neu-)babylonischen Kultur steht. Ähnliches gilt für andere prominente Bezugnahmen auf genuin mesopotamische Traditionen, wie die Auseinandersetzung mit der babylonischen Marduktheologie bei Deuterojesaja. Wenn zudem erste Spuren eines neuassyrischen Einflusses auf die erzählende Literatur und die Rechtstexte in die ausgehende Königszeit zu datieren sind, so wird die breite Rezeption mesopotamischer Sintfluttraditionen in der non-P Sintfluterzählung schwerlich für frühere Zeiten zu veranschlagen sein. Neben der Aufnahme mesopotamischer Traditionen in beiden Versionen der biblischen Sintfluterzählung wird in der gegenwärtigen Diskussion zunehmend die (spät-)weisheitliche Prägung der non-P Texte der biblischen Urgeschichte betont, wobei diese Einschätzung sich in erster Linie auf Beobachtungen zur Paradieserzählung stützen kann.43 Mit der Fokussierung auf die vor allem in der Paradieserzählung festgestellte (spät-)weisheitliche Prägung gerät jedoch eine für die alttestamentliche Literatur insgesamt wesentliche Traditionslinie
Für einen Überblick zu den Textzeugen des Atrachasis-Epos vgl. Anhang I „Verzeichnis der Tafelfragmente“ in: D. SHEHATA 2001: Annotierte Bibliographie zum altbabylonischen Atrahasis-Mythos, Göttingen; zu denen des Gilgamesch-Epos vgl. R. GEORGE 2003: The Babylonian Gilgamesh Epic. Introduction, Critical Edition and Cuneiform Texts. Vol. I+II, Oxford. Übersetzungen: W. VON SODEN 1997: Der altbabylonische Atrachasis-Mythos, in: TUAT III, Gütersloh, 612–645; Übersetzung der spätbabylonischen Fassung in W. G. LAMBERT/A. R. MILLARD 1969: Atra-hasis. The Babylonian Story of the Flood, Oxford; K. HECKER 1997: Das akkadische Gilgamesch-Epos, in: TUAT III, Gütersloh, 646–744; ferner (mit neuer Zählung nach R. GEORGE 2003: Gilgamesh, Vol. I+II, Oxford) ST. MAUL 2005: Das Gilgamesch-Epos. Neu übersetzt und kommentiert, München. 43 Vgl. R. A LBERTZ 1992: „Ihr werdet sein wie Gott“ (Gen 3,5), in: F. Crüsemann u.a. (Hg.), Was ist der Mensch ...? Beiträge zur Anthropologie des Alten Testaments. Festschrift H. W. Wolff, München, 11–27; OTTO 1996a; WITTE 1998; E. BLUM 2002a: Art. Urgeschichte, TRE 34, 436–445; K. SCHMID 2002: Die Unteilbarkeit der Weisheit. Überlegungen zur sogenannten Paradieserzählung Gen 2f und ihrer theologischen Tendenz, ZAW 114, 21– 39. Eine „antiweisheitlich“ überarbeitete „Early Creation Narrative“ in 2,4b–24* erkennt D. M. CARR 1993: The Politics of Textual Subversion. A Diachronic Perspective on the Garden of Eden Story, JBL 112, 577–595. 42
II. Zu den geistesgeschichtlichen Voraussetzungen
191
aus dem Blick, und zwar diejenige der Unheilsprophetie. Das ist schon deswegen erstaunlich, weil für die priesterschriftliche Version der Sintfluterzählung ein derartiger Einfluss weitgehend anerkannt ist, insofern die Feststellung Gottes in Gen 6,13 „Das Ende allen Fleisches ist vor mich gekommen“ קץ כל בשר )בא( לפניgemeinhin als ein (mittelbares) Zitat des „Gekommen ist das Ende über mein Volk Israel“ ( )בא הקץ אל עמי ישראלaus Am 8,2 gilt.44 Gestützt wird die Annahme prophetischen Einflusses auf P dadurch, dass das konstatierte Ende allen Fleisches betont als Folge des Überhandnehmens von „ חמסGewalttat“ (Gen 6,11.13) beschrieben wird. Diese Begründung des Kommens der Flut ist dem Stoff der Fluterzählung keineswegs inhärent und gehört folglich zur priesterschriftlichen Deutung des Geschehens. Dabei wird mit „ חמסGewalttat“ ein Begriff verwendet, der sonst nicht bei P, dafür aber in der prophetischen Gerichtsankündigung breit belegt ist. Für die Frage nach der geistesgeschichtlichen Einordnung der non-P Variante folgt aus diesen Beobachtungen immerhin so viel, dass der Rückgriff auf prophetische Traditionen durchaus geeignet war, die Rezeption mesopotamischer Sintfluttraditionen im Alten Testament zu steuern. Die Vermutung eines Einflusses der Unheilsprophetie auch auf die non-P Sintfluterzählung lässt sich dadurch erhärten, dass auf der Deutungsebene der non-P Sintfluterzählung das Kommen der Flut mit JHWHs Reue ( נחםni.) über die Erschaffung des Menschen begründet wird (Gen 6,6f). Eine Musterung der alttestamentlichen Erwähnungen der Reue JHWHs zeigt auf, dass dieser Vorstellungskreis ursprünglich im Kontext der gewährten Fürbitte durch einen Propheten steht. Einschlägig sind in diesem Zusammenhang die ersten beiden Amosvisionen, in denen der Prophet wie jeder andere altorientalische Prophet versucht, durch Fürbitte das geschaute Unheil abzuwenden (vgl. Am 7,3.6),45 wobei die Bitte nicht auf die Sündenvergebung, sondern allein auf die göttliche „Selbstbeherrschung“ zielt.46 Ganz in dieser Traditionslinie steht der prophetische Mose, der am Sinai nach Israels Abfall von JHWH Fürbitte für sein von
R. SMEND 1986: „Das Ende ist gekommen“. Ein Amoswort in der Priesterschrift (1981), in: ders., Die Mitte des Alten Testaments, GSt 1, BEvTh 99, 154–159; O. H. STECK 1991: Aufbauprobleme der Priesterschrift, in: D. R. Daniels/U. Gleßmer/M. Rösel (Hg.), Ernten, was man sät, Festschrift K. Koch, Neukirchen-Vluyn, 287–308, 300ff. Anders BAUMGART 1999, 218ff, der gegen die Herleitung aus der prophetischen Gerichtsankündigung betont, dass Gen 6,11.13 weniger von einem göttlichen Gerichtsentscheid her zu verstehen sei als vom Gedanken der „konnektiven Gerechtigkeit“, dem früheren Tun-ErgehenZusammenhang. Doch wird man beides kaum gegeneinander ausspielen dürfen. 45 Zu den beiden ersten Amosvisionen vgl. J. C H. G ERTZ 2003: Die unbedingte Gerichtsankündigung des Amos, in: F. Sedlmaier (Hg.), Gottes Wege suchend. Beiträge zum Verständnis der Bibel und ihrer Botschaft. Festschrift R. Mosis, Würzburg, 153–170. 46 Vgl. J. JEREMIAS 1997: Die Reue Gottes. Aspekte alttestamentlicher Gottesvorstellung, BThSt 31, Neukirchen-Vluyn, 46. 44
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9. Literarischer Charakter und geistesgeschichtlicher Ort der Fluterzählung
Strafe bedrohtes Volk leistet (Ex 32,12.14).47 Der einschlägige Sprachgebrauch hält sich bis in die spätesten Texte des Alten Testaments durch, allerdings wird das Motiv der Reue zunehmend mit der vor allem in den späteren Schichten des Jeremiabuches ausformulierten Umkehrtheologie verbunden (vgl. Jer 18,8; 26,3.13.19). Entsprechend wird die Formulierung נחם על הרעה אשר דבר לעשות „sich das angesagte Unheil leid sein lassen“ in exilisch-nachexilischer Zeit geradezu zum terminus technicus.48 Den 24 alttestamentlichen Belegen für נחם ni. mit JHWH/Gott als Subjekt, in denen es um Bedauern oder Nicht-Bedauern im Hinblick auf Unheil geht, stehen neben Gen 6,6f nur zwei weitere Belege entgegen, in denen sich das Bedauern auf einen göttlichen Heilserweis bezieht.49 Der spätdeuteronomistische Nachtrag Jer 18,7–1050 entfaltet erstmals (innerhalb des Alten Testaments51) die Vorstellung einer zweigestaltigen Reue Gottes. Zunächst heißt es ganz konventionell, dass JHWH sich des von ihm geplanten Unheils gereuen lässt, wenn ein Volk umkehrt (V. 8). Im Anschluss daran wird die Kehrseite dieser Aussage formuliert: Sofern sich ein Volk JHWH gegenüber als ungehorsam erweist („das Böse in den Augen JHWHs tun“; Jer 18,10), lässt sich JHWH des Guten, das er diesem Volk zugedacht hat, gereuen. Auch der zweite, ebenfalls spätdeuteronomistische Beleg gibt die skizzierte Herkunft der Rede von Gottes Reue noch deutlich zu erkennen. Nach 1Sam 15,11.35 reut es JHWH, Saul zum König über Israel gemacht zu haben. Interessanterweise steht auch diese Aussage im Nahkontext einer prophetischen Fürbitte. Über Jer 18 hinausgehend, wird in 1Sam 15 mit der Zurücknahme der ‚bereuten‘ Heilssetzung auf eine neue Heilssetzung verwiesen. Darin gleicht 1Sam 15 dem Aussagezusammenhang von Gen 6,6f und 8,21f. Die Rede von JHWHs Reue im Prolog der Sintfluterzählung gründet demnach eindeutig in prophetischer Tradition, und zwar in ihrer (dtr) entwickelten Gestalt, wonach sich diese Rede nicht mehr allein auf ein von JHWH geplantes Unheil bezieht, sondern auch die bereits erfolgte Heilstat zum Gegenstand haben kann.52
Vgl. E. AURELIUS 1988: Der Fürbitter Israels. Eine Studie zum Mosebild im Alten Testament, CB.OT 27, Stockholm, 91–100. 48 Vgl. JEREMIAS 1997, 66 mit Verweis auf 2Sam 24,16 (= 1Chr 21,15); Jer 18,8; 26,3.13.19; 42,10; Jo 2,13; Jon 3,10; 4,2. 49 Zur Negation dieser Möglichkeit vgl. Ps 110,4. 50 Für diese Einordnung vgl. G. WANKE 1995: Jeremia. Teilband 1: Jeremia 1,1–25,14, ZBK.AT 20/1, Zürich, 173f. 51 Diese Einschränkung ist wichtig, um voreilige literarhistorische Urteile zu vermeiden: Weder lässt sich eine Linie literarischer Abhängigkeiten zwischen den genannten alttestamentlichen Belegen für נחםni. mit JHWH/Gott als Subjekt behaupten, noch ist ausgemacht, dass die Vorstellung der zweigestaltigen Reue Gottes ihren Ursprung in Jer 18,7–10 hat. 52 Vgl. auch H.-C H. SCHMITT 2001: Das spätdeuteronomistische Geschichtswerk Genesis I – 2 Regum XXV und seine theologische Intention, in: ders., Theologie in Prophetie und 47
II. Zu den geistesgeschichtlichen Voraussetzungen
193
Das Bild gewinnt dadurch Kontur, dass die Reue JHWHs über seine Erschaffung des Menschen mit der göttlichen Feststellung begründet wird, wonach alles Streben des Denkens des menschlichen Herzens nur böse ist (Gen 6,5). Diese Feststellung, die in der mesopotamischen Sintfluttradition keine Entsprechung hat, lebt sicher auch von ihrem weisheitlich geprägten Gegenbild einer gelingenden menschlichen Weltorientierung und -gestaltung. Gleichwohl ist die Nähe zur Unheilsprophetie, insbesondere zur Jeremiaüberlieferung unverkennbar (vgl. Jer 3,24f; 4,14; 17,9; 18,12).53 Auf prophetischen Einfluss deutet vielleicht auch die Tatsache hin, dass die Wende vom Unheil zum Guten in der non-P Sintfluterzählung nicht einmal annähernd begründet wird. Zwar ist dies vom Erzählverlauf auch nicht gefordert, da der richtende Gott bereits im Beschluss der Flut das Überleben der Schöpfung in Gestalt Noahs und seiner Söhne sowie der aufgenommenen Tiere garantiert. Doch mit Blick auf P, wo ausdrücklich festgestellt wird, dass Gott Noahs und des Bundes gedachte (Gen 8,1; vgl. 9,15f), bleibt der Befund auffällig. Eine mögliche Erklärung bietet der (knappe) Seitenblick auf die mesopotamische Sintfluttradition. Hier wird die Wende zum Guten damit begründet, dass sich die Götter ihrer Abhängigkeit von ihrer menschlichen Verehrerschar bewusst werden, wozu im Übrigen auch das Motiv der Reue ganz im Sinne des oben skizzierten Ursprungsortes dieses Motivs verwendet wird (Atrachasis III, II 24ff.32ff; Gilgamesch XI,118–123 [Maul XI,119–124]). Entsprechend markiert das Opfer des Sintfluthelden die Lösung des Konflikts, in der das auf Gegenseitigkeit beruhende Verhältnis zwischen Menschen und Göttern geordnet wird (Atrachasis III, V 34ff; Gilgamesch XI, 161 [Maul XI, 163]). Auch die non-P Sintfluterzählung erwähnt das Opfer, begnügt sich in diesem Zusammenhang aber damit, den einen Gedanken herauszustellen, dass die Gottheit bei sich beschließt, hinfort keine Flut mehr kommen zu lassen (Gen 8,21). Der Gedanke, dass die Götter den Menschen ebenso benötigen wie der Mensch die Götter, bleibt dagegen ausgespart. Stattdessen begegnen wir der im Kontext der Unheilsprophetie formulierten Gotteskonzeption, wonach die Gottheit (zumindest zeitweilig) völlig unabhängig von ihren Verehrern gedacht werden kann.54 Schließlich verrät
Pentateuch, BZAW 310, Berlin/New York, 277–294, 288 mit Anm. 42, der von einem traditionsgeschichtlichen Zusammenhang spricht. 53 Gerade mit Blick auf die für eine weisheitliche Herleitung der Rede von der Bosheit des menschlichen Herzens einschlägigen Belege Hi 4,17; 15,14; 25,4; Ps 143,2 fällt auf, dass deren Stichwort צדקin Gen 6,9 erst nachträglich aufgenommen worden ist. Koh 8,6.11 dürfte eher in die direkte Nachgeschichte der Sintfluterzählung gehören. Vgl. TH. KRÜGER 1997b: Die Rezeption der Tora im Buch Kohelet, in: ders., Kritische Weisheit, Studien zur weisheitlichen Traditionskritik im Alten Testament, Zürich, 173–193. 54 Vgl. den Übergang von den ersten beiden zur dritten und vierten Vision des Amos und dazu GERTZ 2003, 167.
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9. Literarischer Charakter und geistesgeschichtlicher Ort der Fluterzählung
auch die Tatsache, dass der Schwerpunkt der inneralttestamentlichen Rezeption der biblischen Sintfluterzählung eindeutig im Bereich der (späten) Prophetie liegt,55 eine gewisse Nähe dieser Erzählung zur prophetischen Tradition. Mit all dem soll nicht behauptet werden, dass die non-P Sintfluterzählung ausschließlich in unheilsprophetischer Tradition steht. Gerade mit Blick auf die gesamte non-P Urgeschichte wird man eher von einer weiteren geistesgeschichtlichen Koordinate neben der weisheitlichen Tradition sprechen wollen.56 Mit dieser Einschränkung scheint mir Eberhard Schraders Diktum, wonach die non-P Urgeschichte die „innere Entwicklungsgeschichte der Menschheit, von einem höheren, dem prophetischen Standpunkt aus betrachtet“57, jedoch durchaus treffend zu sein.
55 Vgl. Jes 24–27; Jes 54,9f; Jo 4,13; Zeph 1,2f und dazu B OSSHARD-N EPUSTIL 2005, 247ff. 56 So mit W ITTE 1998, 201 Anm. 277. Hinsichtlich der von Witte genannten dritten Koordinate, dem Deuteronomismus, wäre ich allerdings zurückhaltender. 57 SCHRADER 1863, 166. Für eine ausführliche Begründung vgl. J. C H. G ERTZ 2007b: Noah und die Propheten. Rezeption und Reformulierung eines altorientalischen Mythos, DVfLG 81, 503–522 (in diesem Band Nr. 10).
10. Noah und die Propheten Rezeption und Reformulierung eines altorientalischen Mythos I. Einführung Die biblische Urgeschichte in den ersten elf Kapiteln des Buches Genesis handelt von der Frage nach dem Woher der Welt und des Menschen, von der Kulturfähigkeit des Menschen und seinem Angewiesensein auf Kultur, sowie von seiner Fehlbarkeit. Und indem sie erzählt, wie alles wurde, erklärt sie, wie alles ist: „Sie ist Wesensbestimmung aus mythischem Grunde“1. Entwurf und Details der biblischen Urgeschichte sind nicht auf das Alte Testament beschränkt, was wegen ihres universalen Gegenstandes schon in frühester Zeit als das geradezu Natürliche gelten musste. Durch Berossos, Apollodorus, Ovid und andere klassische Autoren mit außerbiblischen Sintfluterzählungen bekannt, wurde bereits in der Antike das Verhältnis der biblischen und außerbiblischen Traditionen diskutiert, und zwar mit durchaus unterschiedlichen Ergebnissen. Während etwa die kirchliche Tradition seit Euseb von Caesarea die außerbiblischen Sintflutberichte als apologetisches Argument für die Verlässlichkeit der biblischen Erzählung gewertet hat,2 konnte schon Kelsos von Alexandria im 2. Jahrhundert in antichristlicher Polemik darlegen, dass „die Sintflut, die merkwürdige Arche, welche alles aufnahm, und als Boten die Taube und die Krähe [...] eine skrupellose Verfälschung der Sage von Deukalion sei“3. Neue Nahrung erhielt die Debatte als George Smith 1872 erstmals Originaltexte eines keilschriftlichen Sintflutberichts, und zwar Teile der elften Tafel des Gilgamesch-Epos der Öffentlichkeit präsentieren konnte. Zu den mittelbaren Folgen dieser wissenschaftlichen Sensation gehörte der sogenannte Babel-
1 L. PERLITT 1980: Die Urgeschichte im Werk Gottfried Benns, in: R. Albertz u.a. (Hg.), Werden und Wirken des Alten Testaments. Festschrift C. Westermann, Göttingen, 9–37, 11 (= DERS. 1995: Allein mit dem Wort. Theologische Studien, Göttingen, 333–360, 335), mit Hinweis auf die Mythosdebatte im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert. 2 Eus. Arm. Chron. p. 34,27–35,4 (vgl. J. K ARST 1911: Eusebius Werke. V: Die Chronik, aus dem Armenischen übersetzt mit textkritischem Kommentar, Leipzig). 3 Or.Cels. 4,41 (vgl. P. K OETSCHAU 1899: Origenes Werke, Leipzig).
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10. Noah und die Propheten
Bibel-Streit.4 Ausgelöst durch einen 1902 in Anwesenheit des Kaisers sowie der Spitzen von Hof, Universität und Kirche gehaltenen Vortrag des Assyriologen Friedrich Delitzsch, erregte die strittige Zuordnung von Babel und Bibel über mehrere Jahre die deutsche Öffentlichkeit in einem Maße, wie man es sich in den beteiligten Fächern heute kaum noch vorzustellen vermag. Der Streit ist vor allem in wissenschafts- und kulturgeschichtlicher Hinsicht von Interesse. Die Bemühungen um Drittmittel, die kulturpolitische Einbindung des wirtschaftlichen Engagements beim Bau der Bagdad-Bahn, die zur nationalen Aufgabe stilisierte wissenschaftliche Aufholjagd gegenüber Engländern und Franzosen, die aus politischen Gründen den direkten Zugriff auf die Ausgrabungsfunde hatten, die damit verbundene öffentliche Aufmerksamkeit und der innerwie interdisziplinäre Streit, in dem es auch um den Stellenwert einzelner Fächer in den Universitäten ging – all das hat durchaus Züge einer vorweggenommenen Realsatire auf gegenwärtige Exzellenzdebatten. Von fachlichem Interesse ist indessen ein Nebenaspekt des Babel-BibelStreits. Die Präsentation der mesopotamischen Funde wurde von Teilen der kirchlich-konservativen Öffentlichkeit auch wahrgenommen als ein handfester Einspruch gegen die historisch-genetische Rekonstruktion der alttestamentlichen Literatur und Religion durch Julius Wellhausen.5 Das hohe Alter der babylonischen Texte, die vermeintlichen und die echten Parallelen schienen eindeutig gegen die für damalige Verhältnisse ungehörige Spätdatierung der alttestamentlichen Texte durch Wellhausen zu sprechen und seine verstörende Auffassung zu widerlegen, wonach sich „die israelitische Religion [...] aus dem Heidentum erst allmählich emporgearbeitet [hat]“6. So war denn auch die von Wellhausen beeinflusste Forschung genötigt, die Frage nach Umfang, Art und Zeitpunkt des Einflusses mesopotamischer Traditionen auf das Alte Testament aufzugreifen. Für die biblische Urgeschichte hat sich Karl Budde dem Problem mit folgendem Ergebnis gestellt: Massiver Einfluss mesopotamischer Kultur auf Israel sei lediglich für die Zeit der assyrischen Vorherrschaft über Syrien4 Der Babel-Bibel-Streit ist gründlich dokumentiert bei R. G. LEHMANN 1994: Friedrich Delitzsch und der Babel-Bibel-Streit, OBO 133, Freiburg (Schw.)/Göttingen. Vgl. ferner: DERS. 1999: Der Babel-Bibel-Streit. Ein kulturpolitisches Wetterleuchten, in: J. Renger (Hg.), Babylon: Focus mesopotamischer Geschichte, Wiege früher Gelehrsamkeit, Mythos in der Moderne, CDOG 2, Saarbrücken, 505–521; K. JOHANNING 1988: Der Bibel-BabelStreit. Eine forschungsgeschichtliche Studie, Frankfurt a.M. Zu den Anfängen und zur Etablierung der Assyriologie als einer ‚neuen‘ Altertumswissenschaft an den deutschen Universitäten vgl. J. RENGER 1979: Die Geschichte der Altorientalistik und der vorderasiatischen Archäologie in Berlin von 1875 bis 1945, in: W. Arenhövel/Ch. Schreiber (Hg.), Berlin und die Antike, Berlin, 151–192. 5 Zu Julius Wellhausen (1844–1918) vgl. R. SMEND 1989: Julius Wellhausen, in: ders., Deutsche Alttestamentler in drei Jahrhunderten, Göttingen, 99–113. 6 J. W ELLHAUSEN 1884: Israelitische und jüdische Geschichte, (10. Aufl., 2004) Berlin, 32.
I. Einführung
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Palästina im 8. und 7. Jahrhundert v. Chr. und während des babylonischen Exils im 6. Jahrhundert v. Chr. nachweisbar. So gehöre die Aufnahme der Sintfluterzählung in die biblische Urgeschichte in die assyrische Zeit und zeichne sich dadurch aus, dass die von assyrischen Eroberern übernommene Erzählung unter dem Vorzeichen der eigenen Religion rezipiert worden sei: Alles hat Israel der babylonischen Überlieferung geglaubt; aber seine ganze Götterwelt mit ihrer Durchklüftung und dem starken Erdgeruch, der ihr anhaftet, hat es einfach als unwirklich, als unmöglich beseitigt und den einzigen, gerechten Gott der Propheten an ihre Stelle gesetzt.7
Budde hat es bei diesen Andeutungen belassen, seine Fragestellung wurde in der Folgezeit im Grunde genommen nicht weiterverfolgt. Denn ausgerechnet der Siegeszug der form- und religionsgeschichtlichen Schule hat mit der Entschränkung des Vergleichsmaterials und der Betonung der vorschriftlichen Überlieferung die Frage nach den Bedingungen und Leitvorstellungen der Rezeption weitgehend ins Allgemeine abgedrängt, was nebenbei eine Datierung der alttestamentlichen Sintfluterzählung oder einer vermeintlichen mündlichen Vorstufe in weit frühere Zeiten zur Folge hatte. So begnügte sich die Forschung weithin mit einem ungefähren ‚Dass‘ der Rezeption und bemühte den auf enzyklopädische Vollständigkeit angelegten religionsgeschichtlichen Vergleich im Wesentlichen, um die alttestamentlichen Fluterzählungen gegenüber den mesopotamischen Fassungen theologisch zu profilieren.8
7 K. B UDDE 1903: Was soll die Gemeinde aus dem Streit um Babel und Bibel lernen? Tübingen/Leipzig, 36. Budde beginnt seine Auseinandersetzung mit der von allen an der Debatte um „Bibel und Babel“ Beteiligten geteilten Einschätzung, dass in ihr materialiter keine grundstürzend neuen Erkenntnisse vorgetragen worden sind. Vgl. aaO 3 sowie F. DELITZSCH 1904: Babel und Bibel. Ein Rückblick und Ausblick, Stuttgart, 20. Entsprechend kann Budde auf die Ergebnisse seiner bereits 1883 erschienenen Analyse der biblischen Urgeschichte zurückgreifen. In ihr unterscheidet Budde innerhalb der nicht-priesterschriftlichen Texte zwischen einem älteren Jahwisten aus dem 10. oder 9. Jahrhundert v. Chr. (J1) und einem jüngeren Jahwisten (J2). Letzterer zeichne sich durch eine „stark synkretistische Färbung“ und „Anlehnung an die Sage des Zweistromlandes“ aus, was auf neue und andersartige Beziehungen zwischen Juda und dem neuassyrischen Reich zurückzuführen sei, die ein „Ueberspringen geistiger Funken“ allererst ermöglicht hätten. Letzteres führt zu einer historischen Einordnung von J2 in das 8. Jahrhundert v. Chr., einer Phase relativ friedlicher Beziehungen zwischen dem neuassyrischen Reich und Juda. Vgl. K. BUDDE 1883: Die biblische Urgeschichte (Gen 1–12,5), Gießen (Zitate: S. 515). 8 So im Ansatz bereits H. G UNKEL 1910/1977: Genesis, HK I/1, 3. Aufl., Göttingen (= Nachdr. d. 9. Aufl. 1977), 72f. Vgl. auch C. WESTERMANN 1974: Genesis 1–11, BKAT I/1, Neukirchen-Vluyn. Westermann weist die Fluterzählung einem Jahwisten des 10. oder 9. Jahrhundert v. Chr. zu, der bei seiner Formulierung der Fluterzählung auf vorliegende Erzählungen zurückgreifen konnte, die ihrerseits bereits mehrere (vormythische und mythische) Stadien durchlaufen hatten. Den Befund zur mesopotamischen Überlieferung und ihrem Verhältnis zu den biblischen Texten wertet Westermann wie folgt aus: „Es handelt sich
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10. Noah und die Propheten
Ich greife Buddes unerledigte Frage in einer abermals veränderten Forschungssituation auf und beginne mit einem knappen Überblick zum Stand der Überlieferung.
II. Zum Stand der Überlieferung „Jede Wissenschaft hat ihre Liebhabereien, die Mythologie hat diejenige des Spielens mit der Sintflutmythe.“9 Das belegen die bislang rund 300 bekannten und über die ganze Welt verbreiteten verschiedenen Fassungen und Ausgestaltungen des Themas der großen, beinahe alles Leben vernichtenden Flut.10 Leichter zu handhaben wird das Material bei einer Beschränkung auf die vorderorientalischen Texte. Für einen religions- und literaturgeschichtlichen Vergleich, auf den es mir im Folgenden ankommt, ist diese Beschränkung auf einen historisch und geographisch zusammenhängenden Kulturraum auch sachgemäß, wenngleich mit Blick auf die Zugehörigkeit des antiken Israel zur Welt des östlichen Mittelmeerraumes auch eine vergleichende Einbeziehung der griechischen Tradition wünschenswert wäre.11 Dass ich diesen Bereich der Überlieferung ausklammere, hat in erster Linie pragmatische Gründe, lässt sich aber auch sachlich rechtfertigen: Der griechische Sagenkreis um Deukalion und Pyrrha scheint nicht unbeeinflusst von vorderorientalischen Traditionen zu sein. Seinerseits hat der griechische Umgang mit der Fluttradition zumindest mit der Frage nach der ‚Realität‘ des Berichteten auf den Vorderen Orient zurückgewirkt. So berichtet Pausanias im 2. Jahrhundert n. Chr., dass die Athener beim Tempel des Zeus Olympios und in unmittelbarer Nähe des Grabes des Fluthelden Deukalion eine Erdspalte zu zeigen wussten, in der sich beim Flutende in Athen die Wasser verlaufen hätten.12 Und der babylonische Priester
nicht mehr um das Verhältnis der biblischen zu der babylonischen Fluterzählung, sondern um deren Verhältnis zu einer Überlieferungsreihe, aus der wir mehrere Überlieferungsformen kennen, z. B. die als eine Episode in das Gilgamesch-Epos aufgenommene [...] Damit ist die frühere Fragestellung, ob J[ahwist] und P[riesterschrift] in der Fluterzählung aus dem Gilgamesch-Epos eine literarische Vorlage benutzt hätten, abgewiesen. Wenn irgendwo, dann ist es bei der Fluterzählung klar geworden, daß eine Jahrtausende alte Traditionsgeschichte vorliegt [...]“ (aaO 67). 9 L. FROBENIUS 1904: Das Zeitalter des Sonnengottes, Band I, Berlin, 275. 10 Einen Überblick über die verschiedenen Flutüberlieferungen bietet W ESTERMANN 1974, 536–546. 11 Zur griechischen Tradition vgl. G. A. C ADUFF 1986: Antike Sintflutsagen, Hypomnemata 82, Göttingen. 12 E. M EYER 1967: Pausanias. Beschreibung Griechenlands. Neu übersetzt und mit einer Einleitung und erklärenden Anmerkungen versehen, Die Bibliothek der Alten Welt: Griechische Reihe, 2. Aufl., Zürich, I.18,7f.
II. Zum Stand der Überlieferung
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Berossos, der sich im 3. Jahrhundert v. Chr. bemühte, der griechischen Welt die Kultur seiner Heimat nahezubringen, erwähnt den Brauch, Reste der Arche für apotropäische Zwecke zu verwenden.13 Griechischer Einfluss auf die Formierung der alttestamentlichen Fluterzählung lässt sich dagegen nicht nachweisen. Die Identifizierung Noahs mit dem griechischen Sintfluthelden Deukalion, die erstmals bei Philo von Alexandrien im 1. Jahrhundert n. Chr. begegnet und von frühen christlichen Autoren wie von ihren literarischen Gegnern gerne aufgegriffen worden ist,14 stellt einen ersten vorkritischen Versuch dar, die Überlieferungen zusammenzuschauen, trägt aber für unsere Fragestellung nur wenig aus. So halten wir uns an Philos Zeitgenossen Flavius Josephus. Mit der Notiz, dass Flut und Arche von allen Autoren einer Geschichte der nichtgriechischen Welt der „Barbaren“, erwähnt worden seien, beschränkt er den Vergleich auf Mesopotamien und das Alte Testament, und setzt Noah mit den mesopotamischen Sintfluthelden gleich.15 Am Anfang der Überlieferung mögen einzelne Erfahrungen mit Flutkatastrophen und durch Überbevölkerung ausgelösten sozialen Unruhen gestanden haben, die sich zum Mythos der einen Überkatastrophe verdichtet haben. Erstmals greifbar wird der mesopotamische Sintflutmythos im frühen 2. Jahrtausend, und zwar in Gestalt der dritten Tafel des Atrachasis-Epos.16 Von da an ist der mesopotamische Sintflutmythos als Text greifbar und Gegenstand der
13 Berossos, Babyloniaca. Die Babyloniaca sind nur in Fragmenten, genauer in Zitaten und Exzerpten bei anderen antiken Autoren bekannt. Eine Zusammenstellung und Übersetzungen der Fragmente bietet P. SCHNABEL 1923: Berossos und die babylonisch-hellenistische Literatur, Leipzig (Neudr. Hildesheim 1968). Zum Hinweis auf die Reliquien der Arche vgl. aaO 265f. 14 Philo von Alexandrien, De praemiis et poenis, 4,23 (deutsch: „Über Belohnungen und Strafen“, in: L. COHN u.a. [Hg.] 1962: Philo von Alexandria. Die Werke in deutscher Übersetzung, Bd. 2, 2. Aufl., Berlin, 378–426) sowie die bei CADUFF 1986, 31–35 zitierten Autoren. 15 Flav.Jos.Ant. I, 96 (vgl. ST. M ASON [Hg.] 2000: Flavius Josephus. Translation and Commentary, Vol. 3. Judean Antiquities 1–4. Translation and Commentary by Louis H. Feldmann, Leiden). 16 Im Folgenden zitiert als ‚Atr‘ (mit Tafel- und Zeilenangabe). Für einen Überblick zu den Textzeugen des Atrachasis-Epos vgl. Anhang I „Verzeichnis der Tafelfragmente", in: D. SHEHATA 2001: Annotierte Bibliographie zum altbabylonischen Atramhasis-Mythos, Göttingen. Übersetzungen: W. VON SODEN 1997: Der altbabylonische Atramchasis-Mythos, in: TUAT III, Gütersloh, 612–645; Übersetzung der spätbabylonischen Fassung in W. G. LAMBERT/A. R. MILLARD 1969: Atra-Hasis. The Babylonian Story of the Flood, Oxford. Für eine inhaltliche Analyse des Atrachasis-Epos vgl. C. WILCKE 1999: Weltuntergang als Anfang: Theologische, anthropologische, politisch-historische und ästhetische Ebenen der Interpretation der Sintflutgeschichte im babylonischen Atramchasis-Epos, in: A. Jones (Hg.), Weltende, Wiesbaden, 63–112.
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10. Noah und die Propheten
Literatur- und Religionsgeschichte.17 Bekannt sind drei keilschriftliche Versionen der Fluterzählung, neben dem Atrachasis-Epos sind dies die vermutlich etwas jüngere sumerische Fluterzählung18 und die elfte Tafel des GilgameschEpos19, die mit einiger Sicherheit ein Exzerpt des Atrachasis ist und bei ihren Lesern eine größere Vertrautheit mit dem ganzen Stoff voraussetzt. Auf die sumerische Fluterzählung geht hingegen die auch andernorts belegte Unterteilung von Königslisten in besonders langlebige Herrscher vor der Flut und Herrscher nach der Flut zurück.20 Hinzu kommen weitere Epen, die an sich ein anderes Geschehen zum Gegenstand haben, dieses aber mit dem Sintflutmotiv verknüpfen, sowie eine Reihe von Erwähnungen der Sintflut in ganz anderen Textgattungen. So vergleichen neuassyrische Großkönige das Resultat ihrer Feldzüge mit der Sintflut, und Vertrags- und Rechtsbruch werden mit Strafen bewehrt, die einer Sintflut gleichkommen. Selbst in der Alltagssprache war die Vorstellung der alles vernichtenden Flut stets gegenwärtig. Entsprechend zu unserem, inzwischen auch etwas altbackenem ‚Jetzt wird es aber höchste Eisenbahn!‘ konnte es heißen ‚Jetzt wird es aber Flut!‘ (amarukkam).21 Bemerkenswert ist die zeitliche Erstreckung der genannten Texte. Sie reicht bis weit in das 1. Jahrtausend, im Fall des Gilgamesch-Epos sogar bis in die hellenistische Zeit. Ausweislich von Bruchstücken des Gilgamesch-Epos aus dem israelitischen Meggido und Emar am mittleren Euphrat sowie einer mittelbabylonischen Rezension des Atrachasis-Epos in Ugarit waren die Fluterzählungen auch im syrischen Raum bekannt.22 Neben der zeitlichen und räumlichen Erstreckung ist zu notieren, dass sich die Überlieferung als recht variabel erweist.
17 Zur Unterscheidung des einzelnen Mythos von seinen jeweiligen Textfassungen vgl. W. BURKERT 1982: Literarische Texte und funktionaler Mythos: Zu Ištar und Atrahasis, in: J. Assmann/W. Burkert/F. Stolz, Funktionen und Leistungen des Mythos. Drei altorientalische Beispiele, OBO 48, Freiburg (Schw.)/Göttingen, 63–82. 18 Übersetzung und Einleitung: W. H. P. R ÖMER 1997: Mythen und Epen in sumerischer Sprache, in: TUAT III, Gütersloh, 351–564, 448–458. 19 Im Folgenden zitiert als ‚Gilgm‘ (mit Tafel- und Zeilenangabe). Für einen Überblick zu den Textzeugen des Gilgamesch-Epos vgl. R. GEORGE 2003: The Babylonian Gilgamesh Epic. Introduction, Critical Edition and Cuneiform Texts. Vol. I+II, Oxford. Übersetzungen: K. HECKER 1997: Das akkadische Gilgamesch-Epos, in: TUAT III, Gütersloh, 646–744; ferner (mit neuer Zählung nach R. GEORGE 2003: Gilgamesh, Oxford) ST. MAUL 2005: Das Gilgamesch-Epos. Neu übersetzt und kommentiert, München. 20 Stilbildend ist in dieser Hinsicht die sumerische Königsliste (I,39f) aus dem 2. Jahrtausend v. Chr. (Übersetzung und Einleitung: W. H. P. RÖMER 1985: Historische Texte in sumerischer Sprache, in: TUAT I, Gütersloh, 289–353, 328–37, bes. 330). 21 Freundlicher Hinweis von Stefan Maul. 22 Zu Meggido vgl. K. H ECKER 1997, 670; zu Emar (Msk 74128d, Msk 7498++) vgl. D. ARNAUD 1987: Recherches au pays d’Aštata. Emar VI/4: Textes de la bibliothèque, Paris; zu Ugarit vgl. TH. KÄMMERER 1993: Das Sintflutfragment aus Ugarit (RS 22.421), UF 25, 189–200.
II. Zum Stand der Überlieferung
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Das belegt, neben den verschiedenen Namen des Fluthelden (Atrachasis, Ziusudra und Utanapischti), allein schon die Tatsache, dass die neuassyrische Fassung des Atrachasis-Epos als Neudichtung charakterisiert werden kann, während die in Sippar im spätbabylonischen Kontext gefundenen jungbabylonischen Fragmente weitgehend der altbabylonischen Fassung folgen. Das Alte Testament erzählt in Gen 6–9 von Noah, der Sintflut und der Arche. Bezugnahmen auf diese Erzählung beschränken sich im Alten Testament auf einige wenige Texte, vor allem prophetischer Provenienz. Was Gen 6–9 anbelangt, so hat das Zusammentreffen von Wiederholungen nahezu sämtlicher Bausteine der Erzählung mit inhaltlichen und sprachlichen Kohärenzstörungen zu einer Unterscheidung von zwei Textschichten geführt, deren Umfang seit den grundlegenden Analysen von Hermann Hupfeld (1853), Eberhard Schrader (1863) und Hermann Gunkel (1910) im Wesentlichen einheitlich bestimmt wird. Weitgehend unstrittig ist die Zuschreibung der einen erkannten Textschicht an das mit der Weltschöpfung in Gen 1 einsetzende und zumindest bis zur Einrichtung des Heiligtums in Ex 40 reichende priesterschriftliche Textstratum des Pentateuch. Seine Entstehung fällt in die ausgehende Exilszeit im frühen 6. Jahrhundert v. Chr. Die zweite Textschicht in Gen 6–9 wird herkömmlich mit dem Jahwisten in Verbindung gebracht, einer klassisch in die frühe Königszeit, also ins 10. bis 9. Jahrhundert, datierten Darstellung der Vorgeschichte Israels. Allerdings ist an dieser Auskunft in der gegenwärtigen Forschung so gut wie jeder Teilaspekt höchst umstritten.23 Ich klammere diese Diskussion aus und halte lediglich die für unser Thema entscheidenden Gesichtspunkte fest: Neben der priesterschriftlichen Version der Fluterzählung wird in Gen 6–9 eine weitere Fassung des Stoffs überliefert, die erst nachträglich mit der Priesterschrift zu der jetzt vorliegenden Textgestalt von Gen 6–9 vereinigt worden ist.24 Wie die Priesterschrift berichtet sie von der Flut im Zusammenhang mit der Schöpfung von Welt und Mensch. Die Datierung dieser
23 Für einen ersten Überblick zum gegenwärtigen Diskussionsstand der Pentateuchforschung vgl. TH. C. RÖMER 2004: Hauptprobleme der gegenwärtigen Pentateuchforschung, ThZ 60, 289–307; J. CH. GERTZ 2019: Tora und vordere Propheten, in: ders. (Hg.), Grundinformation Altes Testament. Eine Einführung in Literatur, Religion und Geschichte des Alten Testaments, 6. Aufl., Göttingen, 193–312 (jeweils mit weiterer Literatur). 24 In der jüngeren Diskussion wurde verschiedentlich die These aufgestellt, dass der nicht-priesterschriftliche Textanteil von Gen 1–11 insgesamt eine Bearbeitungsschicht zur Priesterschrift darstellt. Vgl. E. OTTO 1996a: Die Paradieserzählung Genesis 2–3: Eine nachpriesterschriftliche Lehrerzählung in ihrem religionshistorischen Kontext, in: A. A. Diesel u.a. (Hg.), „Jedes Ding hat seine Zeit…“ Studien zur israelitischen und altorientalischen Weisheit. Festschrift D. Michel, BZAW 241, Berlin/New York, 167–192; M. ARNETH 2007: „Durch Adams Fall ist ganz verderbt …“. Studien zur Entstehung der alttestamentlichen Urgeschichte, FRLANT 217, Göttingen, 169–200; E. BOSSHARD-NEPUSTIL 2005: Vor uns die Sintflut. Studien zu Text, Kontexten und Rezeption der Fluterzählung Genesis 6–9, BWANT 165, Stuttgart; mit Modifikationen: A. SCHÜLE 2006a: Der Prolog der hebräischen
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nicht-priesterschriftlichen Version in die frühe Königszeit ist mit guten Gründen weitgehend aufgegeben worden, doch werden wir auf diese Frage später zurückkommen. An der Abhängigkeit beider alttestamentlicher Fluterzählungen vom mesopotamischen Sintflutmythos und wohl auch von der uns vorliegenden Form der mesopotamischen Überlieferung sollten keine grundsätzlichen Zweifel bestehen. Der Stoff ist dem Alten Testament eher fremd. Eine Überflutung des ganzen Landes ist im bergigen Palästina anders als in Mesopotamien sicher keine traditions- und mythenbildende Erfahrung. Auch waren im südsyrischen Raum seit jeher andere Stoffe präsent, um die Gefährdung der Schöpfung durch das Chaos anzusprechen. Gestützt wird die Annahme der Abhängigkeit durch die gleiche Abfolge bei den Begebenheiten während der großen Flut: Die göttliche Seite beschließt eine weitreichende Vernichtung, ermöglicht aber die Rettung Einzelner. Aus diesem Grund baut der Flutheld ein wassertüchtiges Gefährt, befrachtet es nach Anweisung der Gottheit und geht selbst an Bord. Daraufhin bricht die verheerende Flut ein, in der die Götter beziehungsweise Gott walten. Nach Ende der Flut bringt der Flutheld den Göttern beziehungsweise Gott ein Opfer dar, woraufhin die Götter beziehungsweise Gott beschließen, dass sich die erzählte Katastrophe so nicht wieder ereignen wird. Hinzu kommen bis ins Detail reichende Übereinstimmungen, die sich nicht allein aus dem Thema ‚Flut‘ selbst erklären lassen.25 Angesichts des Alters der Quellen herrscht über die Richtung der Abhängigkeit kein Dissens. Die Einzelheiten, etwa die Gestalt der Vorlagen oder die Überlieferungswege, sind freilich unsicher. So weist die nicht-priesterschriftliche Fluterzählung eine große Nähe zur elften Tafel des Gilgamesch-Epos auf, kennt aber auch Details, die nur in den anderen mesopotamischen Texten belegt sind. Die priesterschriftliche Version steht näher beim Atrachasis-Epos und der sogenannten Dynastischen Chronik. Sodann
Bibel. Der literar- und theologiegeschichtliche Diskurs der Urgeschichte (Gen 1–11), AThANT 86, Zürich. Andere nehmen dies nur für Teile wie die Sintfluterzählung an. Vgl. R. G. KRATZ 2000: Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments, Göttingen. Zur Auseinandersetzung mit diesen Thesen vgl. M. WITTE 1998: Die Biblische Urgeschichte. Redaktions- und theologiegeschichtliche Beobachtungen zu Genesis 1,1–11,26, BZAW 265, Berlin (für den gesamten Textbestand von Genesis 1–11); sowie J. CH. GERTZ 2004b: Von Adam zu Enosch. Überlegungen zur Entstehungsgeschichte von Genesis 2–4, in: M. Witte (Hg.), Gott und Mensch im Dialog. Festschrift O. Kaiser, BZAW 345/1, Berlin/New York, 215–236 (für Gen 2–4) (in diesem Band Nr. 5); und J. CH. GERTZ 2006a: Beobachtungen zum literarischen Charakter und zum geistesgeschichtlichen Ort der nichtpriesterschriftlichen Sintfluterzählung, in: U. Schorn/M. Beck (Hg.), Auf dem Weg zur Endgestalt. Festschrift H.-Ch. Schmitt, BZAW 370, Berlin/New York, 41–57 (für Gen 6–9) (in diesem Band Nr. 9). 25 Das gilt vor allem für die Vogelflugszene in Genesis 6,8–12 und ihr Vorbild im Gilgamesch-Epos (Gilgm XI,145–154; MAUL 2005: Gilgm XI,145–155).
III. Das Atrachasis-Epos
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lässt sich für die Priesterschrift mit guten Gründen vermuten, dass die Rezeption des mesopotamischen Sintflutmythos im Kontext einer Beschäftigung mit der dominierenden (neu-)babylonischen Kultur erfolgt ist. Anlass und Leitvorstellungen der Rezeption in der nicht-priesterschriftlichen Fluterzählung sind hingegen offene Fragen. Zu ihrer Beantwortung müssen wir nochmals auf die mesopotamischen Texte eingehen.
III. Das Atrachasis-Epos Das Atrachasis-Epos setzt mit einem der bemerkenswertesten Sätze der Literaturgeschichte ein: „Als die Götter Menschen waren“ (Atr I,1). Ihr Menschsein besteht in der Arbeit, genauer darin, dass eine Gruppe niederer Götter von den anderen Göttern zum Kanalbau und damit wohl auch zur Arbeit in der Landwirtschaft gezwungen wird (Atr I,2–3). Dies geht nur geraume Zeit gut, die unterdrückten Götter reagieren mit Streik und Aufruhr, worauf nach Beschluss der Götterversammlung Enki, der weise Gott des Süßwasserozeans, und die Muttergöttin die Menschen schaffen, damit diese für die Götter arbeiten (Atr I,191.197.241). Doch die Menschen vermehren sich übermäßig schnell. Ihr Lärmen belästigt den Götterkönig Enlil und raubt ihm den Schlaf (Atr I,352–359). Enlil bewirkt daher einen Beschluss der Götterversammlung, der Bevölkerungsexplosion ein Ende zu bereiten. Nachdem eine Reihe von immer schwerer werdenden Plagen dieses Ziel nicht erreicht (Atr I,360ff; II i– vii), schicken die Götter – hier nimmt das Exzerpt des Gilgamesch-Epos den Faden auf (Gilgm XI,11) – eine Sintflut (Atr III ii,48–iii,23). Diesmal soll die Menschheit ganz vernichtet werden. Wie schon bei den Plagen hintertreibt Enlils göttlicher Gegenspieler Enki das von den Göttern vereinbarte Vorhaben. Enki, akkadisch Ea, warnt den Sintfluthelden und rät ihm, wie er der Katastrophe entgehen kann: Atrachasis, der Überaus-Weise, beziehungsweise Utanapischti, der den Beinamen Atrachasis trägt (Gilgm XI,49), rettet sich auf ein Boot (Atr III i,11–ii,55). Schließlich ist es das Ausbleiben der Opfergaben, das die Götter zum Einlenken bewegt (Atr III iv,15–20). Die Menschheit überlebt, aber das nachsintflutliche Leben ist neu geordnet (Atr III vi,46–vii,11): Die Muttergöttin wird zur Neuschöpfung von Menschen aufgefordert. Doch soll sie neben anderen todwirkenden Wesen auch eine Kindbettfieber-Dämonin erschaffen, es soll unfruchtbare Frauen geben und weibliche Berufsstände, denen das Kinderkriegen untersagt ist. Zusätzlich zu diesen Maßnahmen zur Regulierung des menschlichen Bevölkerungswachstums erhebt Enki die Forderung, zukünftig das Schicksal der Menschen an ihrem Tun zu bemessen. Darüber hinaus scheint mit dem Ende der Flut das Verhältnis unter den Göttern und das der Götter zu den Menschen grundsätzlich geklärt zu sein: Die Götter brauchen die Menschen, der abermalige Versuch einer Vernichtung wäre unklug. Auch
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deshalb will sich die Muttergöttin zukünftig anhand ihres Halsbandes mit Fliegen aus Lapislazuli stets daran erinnern, dass sie ihre Menschen nicht wieder der Vernichtung preisgibt (Atr III v,45ff). Unter den neuzeitlichen Auslegern des Textes hat vor allem die Begründung der Flut – Enlils Ärger über die fortwährende Ruhestörung – immer wieder Anstoß erregt. Wie üblich hat die Unzufriedenheit der Ausleger mit den auszulegenden Texten zu Erklärungen geführt, die das Problem zu entschärfen suchen. So hat man in Analogie zur biblischen Urgeschichte in der Rede vom Lärmen der Menschen einen Hinweis auf menschlichen Aufruhr gegen die Götter gesehen, was sich jedoch philologisch nur unzureichend begründen lässt und auch im Widerspruch zur Darstellung des Atrachasis-Epos steht.26 Andere haben eine sozialgeschichtliche Erklärung vorgeschlagen, wonach der Text massive politische und soziale Spannungen aufgrund von Überbevölkerung spiegelt.27 Diese Erklärung betont zwar zu Recht den demographischen Aspekt, doch trifft sie in ihrer Reduktion auf den sozioökonomischen Hintergrund kaum das Selbstverständnis der Texte, in denen menschliche Existenz in einen mythischen Bedeutungshorizont eingeordnet wird. In diesem Zusammenhang wird dann auch zu bedenken sein, dass die Erzählung gerade nicht auf die Problematik der Überbevölkerung hinausläuft. Mit Rainer Albertz lässt sich festhalten: Das Phänomen ständiger ungefährdeter Geburten ist unter den Bedingungen der babylonischen Zivilisation noch weniger als heute vorfindliche Realität, sondern Urgeschehen, mythischer spielerischer Gegenentwurf zur gegenwärtigen Weltwirklichkeit.28
So geht es im Atrachasis-Epos und seiner Herleitung von Faktoren, welche die Zahl von Lebendgeburten beschränken, sicher auch um Demographie. Doch bedeutet dies nicht, dass sich in der Ausgangskonstellation ein historisches Problem mit Überbevölkerung spiegelt, die zu sozialen Unruhen mit vielen Todesopfern führt, worauf der Dichter die besagten Dämonen und Institutionen ‚erfindet‘. Es verhält sich vielmehr umgekehrt: Der Mythos präsentiert bestehende Institutionen und Kontingenzerfahrungen als Lösungen für ein Problem, das er auf ein ungehemmtes Bevölkerungswachstum zurückführt, das aber als solches reines Konstrukt ist. Die Erklärungsleistung zielt also auf das Ende des
26 Vertreter dieser Position und Gegenargumente nennt H.-P. M ÜLLER 1985: Das Motiv für die Sintflut. Die hermeneutische Funktion des Mythos und seiner Analyse, ZAW 97, 295–316, 300. 27 Vgl. A. D RAFFKORN-K ILMER 1972: The Mesopotamian Concept of Overpopulation and Its Solution as Reflected in the Mythology, Or 41, 160–177; und dazu MÜLLER 1985, 301 mit Anm. 28. 28 R. A LBERTZ 1999: Das Motiv für die Sintflut im Atramhasīs-Epos, in: A. Lange/H. Lichtenberger/D. Römheld (Hg.), Mythos im Alten Testament und seiner Umwelt, BZAW 278, Berlin/New York, 3–16, 13.
III. Das Atrachasis-Epos
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Mythos und die dort angesprochenen Kontingenzerfahrungen, nicht auf die Ausgangskonstellation. Mithin dürfte es weniger um ein geschichtliches Bevölkerungsproblem und seine Folgen gehen als um eine grundsätzliche anthropologische Problematik. Schließlich wurde der Text beim Wort genommen und als Ausweis eines pessimistischen Weltverhältnisses verstanden. Demzufolge schreibt der Dichter des Atrachasis-Epos den Göttern eine verhältnismäßig begrenzte Weisheit zu, insofern der recht triviale Grund für die Vernichtung des Menschen vor dem Hintergrund des Anfangs des Epos geradezu widersinnig ist: Wer soll nach der Vernichtung der Menschen die Arbeit tun, um derentwillen sie geschaffen worden sind?29 Auch hat man in der Beschreibung „der Gier der Götter [...], den Geruch des lang entbehrten Räucheropfers zu riechen“, eine deutliche „Geringschätzung des Dichters für die Götter“ erkannt.30 Vor allem aber biete der Konflikt unter den Göttern, den die Menschen eher unbeabsichtigt mit auslösen, dessen katastrophale Folgen sie aber zu tragen haben, die negative Innenansicht einer polytheistischen Religion, die an dem theologischen Problem eines vieldeutigen, da auf mehrere Akteure verteilten, göttlichen Willens leide. Ungeachtet aller Vereinfachungen scheint mir die Stimmung der mesopotamischen Fluterzählungen auf der Handlungsebene der Erzählung damit recht gut getroffen zu sein, was im Übrigen ihrer Erklärungsleistung keinen Abbruch tut. Denn das Atrachasis-Epos spricht das geschilderte Problem selbst an. Es führt den Konflikt der Götter, der sich in menschlichen Kontingenzerfahrungen niederschlägt, einer auf Ausgleich zielenden Lösung zu. Menschliche Kontingenzerfahrung wird auf diese Weise in eine sinnstiftende Ordnung eingestellt und darin auch aufgehoben, insofern „mythisch gedeutete Lebensbedingungen [...] mythenkonform wirksam [werden]“31. Die Erklärungsleistung des Atrachasis-Epos tritt noch stärker hervor und das Anstößige des Motivs für die Sintflut noch weiter zurück, wenn die bereits angedeutete grundlegende hermeneutische Einsicht berücksichtigt wird, dass Mythen vom Uranfang sich von ihrem Ausgang her erschließen.32 Sie sind an
29 Vgl. U. R ÜTERSWÖRDEN 1993: Dominium Terrae. Studien zur Genese einer alttestamentlichen Vorstellung, BZAW 215, Berlin/New York, 35f mit Hinweis auf J. BOTTÉRO/S. N. KRAMER 1989: Lorsque les dieux faisaient l’homme. Bibliothèques des histoires, o.O., 585ff. 30 B. LANDSBERGER 1977: Einleitung in das Gilgameš-Epos, in: K. Oberhuber (Hg.), Das Gilgamesch-Epos, WdF 217, Darmstadt, 171–177, 175f. 31 Vgl. M ÜLLER 1985, 301 mit Anm. 28. 32 Hierauf macht auch C H. A UFFAHRT 1991: Der drohende Untergang. „Schöpfung“ in Mythos und Ritual im Alten Orient und Griechenland am Beispiel der Odyssee und des Ezechielbuches, RGVV 39, Berlin/New York, 73 aufmerksam: „Das ‚Experiment‘ klärt die Frage, warum und wie die Menschen und Götter aufeinander angewiesen sind.“
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10. Noah und die Propheten
den vorfindlichen Grundgegebenheiten menschlichen Lebens und ihrer urgeschichtlichen Entstehung interessiert, weniger am Zustand des Zuvor. Das Zuvor wird nur als eine Problemkonstellation geschildert, deren Auflösung am Ende des Mythos steht und den eigentlichen Zielpunkt und Bezug auf die Realität darstellt. Mit Blick auf das Atrachasis-Epos formuliert: Weil es die Bestimmung des Menschen in der Arbeit für die Götter sieht, steht am Anfang der Hinweis auf die Zeit, als die Götter Menschen waren und den Tragkorb schleppten; weil die Sintflut auf die Begrenzung menschlichen Bevölkerungswachstums hinausläuft, lautet der zu lösende Grundkonflikt, dass die Menschheit in einem Maße wächst, dass ihr Lärmen Enlil stört. So betrachtet, stellt das Atrachasis-Epos eine „Transformation ‚überwundener‘ Stationen in der Entstehung der jetzigen Welt“33 dar. Das Atrachasis-Epos unterscheidet also zunächst zwischen einer irrealen menschenlosen Vorzeit, in der die Götter arbeiteten, und der jetzigen Realität, in der die Menschen arbeiten. Diese Epoche ist wiederum gegliedert in Phasen regellosen Wachstums und katastrophaler Einbrüche, nach dem letzten Einbruch ist ein stabiles Gleichgewicht zwischen Wachstum und beschränkenden Faktoren hergestellt.34
Oder anders formuliert: Die ebenfalls irreale Zwischenzeit ist in die realen Bedingungen der vorfindlichen Gegebenheiten überführt worden, was an der Problematik der Arbeit und der Daseinsminderung durch Kindersterblichkeit, Unfruchtbarkeit von Frauen und der Einrichtung bestimmter Institutionen entfaltet wird. Zugleich wird unter dem Vorzeichen dieser Ordnung eine Wiederholung der Flut ausgeschlossen.35
IV. Die Transformation des Gottesbildes in der biblischen Sintfluterzählung Der Befund zu den mesopotamischen Fluterzählungen gibt die Fragen an die alttestamentlichen Texte vor: Welche Transformation wird in den alttestamentlichen Fluterzählungen geschildert? Weshalb wurde hierfür auf den zunächst fremden mesopotamischen Mythos zurückgegriffen? Wie erwähnt, liegt unser Hauptaugenmerk dabei auf der nicht-priesterschriftlichen Fassung. Ihr Aufriss
33 F. STOLZ 2004: Paradiese und Gegenwelten, in: ders., Religion und Rekonstruktion. Ausgewählte Aufsätze, Göttingen, 28–44, 34 (zum Dilmun-Mythos). 34 AaO 39. 35 Zu diesem Gesichtspunkt vgl. M ÜLLER 1985, 305–307, der die Sintfluterzählungen im Atrachasis-Epos und in der biblischen Urgeschichte als „Antimythos“ zum „Schöpfungsmythos“ beschreibt, der abschließend klarstellt, warum der Mensch sein darf und eine Wiederholung dessen ausschließt, was nicht sein darf.
IV. Die Transformation des Gottesbildes
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ist ebenso wie die meisten Einzelheiten vorgegeben; die für unsere Fragestellung entscheidenden Passagen finden sich im Prolog und Epilog der Erzählung. JHWH sah, dass das Böse des Menschen viel war auf der Erde und alles Streben des Denkens seines Herzens nur böse war den ganzen Tag. 6 Da reute es JHWH, dass er den Menschen auf der Erde gemacht hatte, und er war tief bekümmert in seinem Herzen. 7 Und JHWH sprach: „Ich will abwischen den Menschen, den ich geschaffen habe, vom Angesicht des Ackerbodens – von Mensch bis Vieh, bis Kriechtier und bis Geflügel des Himmels –, denn ich bereue, dass ich sie gemacht habe.“ 8 Aber Noah hatte Wohlwollen gefunden in den Augen JHWHs [...]. 7,1 Und JHWH sprach zu Noah: „Geh du und dein ganzes Haus in die Arche.“ Gen 6,5
Es folgt die allgemein bekannte Schilderung der Flut. Nach deren Ende heißt es dann: Und Noah baute einen Altar für JHWH und er nahm von allem reinen Vieh und von allem reinen Geflügel und er brachte ein Brandopfer dar auf dem Altar. 21 Da roch JHWH den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: „Ich will hinfort nicht noch einmal den Erdboden verfluchen um des Menschen willen, denn das Streben des menschlichen Herzens ist böse von Jugend an, und ich will hinfort nicht noch einmal alles Leben schlagen, wie ich es getan habe. 22 Solange die Erde steht: Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht sollen nicht aufhören.“ Gen 8,20
Zunächst ist mit Blick auf den Eigensinn der erzählten Handlung festzuhalten, dass ganz ähnlich wie im Atrachasis-Epos die Begründung für die Sintflut erzählerisch nicht recht überzeugen will – auch wenn die grundsätzliche Schlechtigkeit des Menschen und die daraus resultierende Reue JHWHs über das eigene Schöpfungshandeln die Störung des übellaunigen Enlil als Motiv ersetzt. Die Schwierigkeiten zeigt ein Blick auf die vorangehenden Erzählungen von Schuld und Strafe in Gen 2–4, die auf den gleichen Dichter zurückgehen und die stets von einem einzelnen konkreten Verfehlen ausgehen, dem dann eine angemessene Strafe folgt. Demgegenüber wirkt die Motivation der Flut „pauschal, geradezu willkürlich-doktrinär, wie denn die durch sie gerechtfertigte Strafe unbegrenzt ist“36. Dieser Eindruck wird nun noch dadurch unterstrichen, dass das gleichbleibende göttliche Urteil über die Schlechtigkeit des Menschen am Ende der Erzählung begründen soll, warum eine Wiederholung der Flut zukünftig ausgeschlossen ist. Begründungslos ist auch die Rettung des Sintfluthelden und seiner Familie. Die Notiz „Noah hatte Wohlwollen in den Augen JHWHs gefunden“ besticht zwar durch ihren „Verzicht auf (religiöse) Psychologie“37, hat aber schon die alttestamentlichen Autoren nicht immer über-
Vgl. MÜLLER 1985, 297. Der von Volkmar Fritz herausgestellte Aspekt der Verantwortlichkeit des Menschen im Sinne eines Tun-Ergehen-Zusammenhangs (vgl. V. FRITZ 1982: Solange die Erde steht, ZAW 94, 599–614, 608f) leidet nicht unerheblich an der Pauschalität des göttlichen Urteils. 37 L. PERLITT 1970: 1. Mose 8,15–22, GPM 59, 391–399, 392. 36
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10. Noah und die Propheten
zeugen können. So argumentiert die jüngere Priesterschrift mit Noahs seinerzeit singulärer Vollkommenheit und Frömmigkeit, und im Anschluss daran wusste ein noch späterer Bearbeiter nachzutragen, dass Noah von JHWH als einziger seiner Generation als „gerecht“ angesehen worden sei. Doch selbst diese Nachbesserung hat nicht immer befriedigt, weshalb seit der Antike wiederholt der Gedanke eingetragen worden ist, Noah habe eine Glaubensprobe bestanden, insofern er auf göttliches Geheiß gegen den Anschein mitten auf dem Land und bei strahlendem Sonnenschein damit begonnen habe, eine Arche zu bauen (vgl. Hebr 11,7). Dagegen haben andere darauf hingewiesen, dass Noah nur im Vergleich zu seiner Generation als gerecht bezeichnet werde, was sein Überleben allein auf den Willen JHWHs zurückführt, die Menschheit doch nicht gänzlich zu vernichten. Die Nötigung zu diesen und anderen Versuchen, die fehlende Plausibilität innerhalb der Erzählung auszugleichen, vornehmer formuliert: die Leerstellen des Textes zu füllen, nimmt ab, wenn die Fluterzählung als Teil eines biblischen Mythos vom Uranfang von ihrem Ausgang her gelesen wird. Dieser Ausgang der Flutgeschichte ist in anthropologischer Hinsicht deprimierend, in soteriologischer Hinsicht aber tröstlich. Alles, was sich die Menschen von Jugend an ausdenken, ist nichts als Bosheit.38 Gleichwohl soll die Erde nicht noch einmal verwünscht, geschweige denn förmlich verflucht werden. Offenkundig geht es also um die Zuordnung von der Strafwürdigkeit des Menschen und einer möglichst weitreichenden Bestandsgarantie der vorfindlichen Welt, die auch die wesensmäßige Schlechtigkeit des Menschen zu ertragen gewillt ist. Dass dieses Fazit auf den zitierten Prolog zurückgreift, ist schon immer gesehen worden,39 wird aber nur dann richtig bewertet, wenn erkannt ist, dass im Prolog das Problem geschildert wird, dessen Lösung am Ende steht. Der anfängliche Kausalzusammenhang zwischen der Schlechtigkeit des Menschen und einer als angemessen erachteten Strafe führt zu einer Krise, die beinahe zur totalen Vernichtung des Geschaffenen führt. Die Krise wird abgewendet, der alte Kausalzusammenhang aufgelöst und an die Stelle der alten Folge der weiterhin bestehenden Ursache tritt jetzt die Bestandsgarantie für die Erde.
38 Der mit Bosheit umschriebene hebräische Ausdruck רעbeziehungsweise רעהbeschreibt weniger ein moralisches Defizit als die Unfähigkeit, die lebensförderlichen Handlungsalternativen zu wählen. Das Ziel des Menschen ist demnach nicht auf „Böses“ hin ausgerichtet, es läuft aber – so der Verfasser von Gen 6,5–8 und 8,20–22 – erfahrungsgemäß darauf hinaus. Entsprechend ist auch „die Erkenntnis von ‚Gut‘ und ‚Böse‘“ in Gen 2–3 weder moralisch noch rechtlich gemeint, sondern beschreibt die Fähigkeit, Lebensförderliches von Lebenshinderlichem zu unterscheiden. 39 Vgl. dazu (statt vieler) W ITTE 1998, 182f sowie K. SCHMID 2005: Jenseits von Verfügungswissen und Orientierungswissen, ZEE 49, 190–197, 192f.
IV. Die Transformation des Gottesbildes
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Wie im Atrachasis-Epos wird also eine Transformation geschildert, doch geht es diesmal unverkennbar nicht darum, die jetzige Realität als Resultat einer Daseinsminderung zu beschreiben. Auf den ersten Blick könnte es sogar so scheinen, als habe der Dichter die Ambivalenz des Atrachasis-Epos, Bestandsgarantie um den Preis der Daseinsminderung, einseitig aufgelöst.40 Doch wird man den Gesamtzusammenhang der biblischen Urgeschichte zu bedenken haben, in dem die Themen Arbeit und Geburt schon im Kontext der Paradieserzählung hinlänglich abgehandelt worden sind: Die durch die Mühsal der Feldarbeit und die Gefährdung durch die Geburt gekennzeichnete vorfindliche Realität menschlichen Lebens ist das Resultat einer durch den sogenannten Sündenfall hervorgerufenen Daseinsminderung. Die Ambivalenz ist gerade nicht einseitig aufgelöst, aber der Dichter war frei, für die übernommene Fluterzählung ein neues Erzählziel zu formulieren, was er mit der am Ende der Flut ausgesprochenen Entkoppelung von menschlichem Tun und dem Bestand der Erde auch getan hat. Bedenkt man nun, dass der Epilog explizit festhält, dass sich das menschliche Tun und seine Bewertung durch Gott nicht geändert haben, wohl aber die Reaktion Gottes auf dieses Tun, dann besteht das Erzählziel des Sintflutmythos in seiner biblischen Fassung in einer Transformation der Gotteskonzeption. Dies wird noch dadurch unterstrichen, dass schon der Prolog mit der Notiz „da reute es JHWH, dass er den Menschen auf der Erde gemacht hatte“ das Motiv eines Wandels in der Gottheit anklingen lässt.41 Für die Formulierung des geschilderten Erzählziels ist freilich zu notieren, dass sie an Themen anknüpft, die schon im Atrachasis-Epos angesprochen sind. Neben der Garantie, dass sich die Flut nicht wiederholen wird, ist dies die grundsätzliche Klärung des Verhältnisses sowohl der Götter untereinander als auch der Götter zu den Menschen. Interessant ist vor allem das Motiv des Götterkonflikts und seiner auf Ausgleich bedachten Lösung. Zwar fällt die eindrückliche Schilderung eines handfesten Götterkonflikts mangels Masse göttlicher Protagonisten für die alttestamentlichen Autoren weitgehend aus, doch man hat schon immer gesehen, dass JHWH die verschiedenen Rollen der göttlichen Akteure des Atrachasis-Epos aufnimmt und den Konflikt insbesondere zwischen Enlil, dem Bringer der Flut, und Enki, dem Bewahrer des Menschen, gleichsam in sich austrägt.42 Die Konsequenzen dieser Verlagerung des Konflikts in das Innenleben der Gottheit sind nicht unbeträchtlich. Da der äußere Konflikt zwischen den Göttern als auslösendes Moment für die Flut ausscheidet, wird JHWH zwar als Bringer der Flut benannt, doch die Verantwortungslast wird dem Menschen zugeschrieben, und zwar unbeschadet der Tatsache,
So RÜTERSWÖRDEN 1993, 41. Deutlich PERLITT 1970, 392. 42 Vgl. (statt vieler) W ESTERMANN 1974, 549. 40 41
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10. Noah und die Propheten
dass der Erzählstoff dafür keinen Anknüpfungspunkt bietet.43 Mit dem Herausstellen der menschlichen Schuld geht einher, dass sich der Konflikt in JHWH weniger als Konflikt zwischen einer lebens- und menschenfeindlichen und einer lebens- und menschenfreundlichen Wirklichkeit beschreiben lässt, wie das im Atrachasis-Epos der Fall zu sein scheint.44 Vielmehr wird der lebens- und menschenfeindliche Aspekt demjenigen einer absoluten Strafgerechtigkeit untergeordnet. Schließlich fehlt der äußere Konflikt zwischen den Göttern, wenn es darum geht, den Wendepunkt der Krise erzählerisch zu motivieren. Dort, wo die Götter der mesopotamischen Sintfluterzählungen sich gegenseitig vorwerfen können, unüberlegt gehandelt zu haben (Gilgm XI,179; Maul: Gilgm XI,181ff), beschränkt sich der Dichter der nicht-priesterschriftlichen Fluterzählung auf Mitteilungen zum Ansteigen und Abnehmen des Wasserstandes, wie sich seine Darstellung der Katastrophe überhaupt durch ein auffälliges Schweigen der Akteure auszeichnet. Erst die Priesterschrift weiß als Begründung für die Wende zu berichten, dass sich Gott an Noah erinnert (Gen 8,1). Nun ist verschiedentlich vermutet worden, dass gerade in der Integration der verschiedenen göttlichen Rollen in die eine Gottheit JHWH der Anlass für die Aufnahme des mesopotamischen Sintflutmythos in das Alte Testament zu suchen ist. Entsprechend wird der Text als mono- oder henotheistischer Programmtext gelesen, der nur dann verständlich ist, wenn die ursprünglichen Adressaten des Textes auch gewusst haben, dass die verschiedenen Funktionen, die JHWH innehat, in ähnlichen Überlieferungen einer Vielzahl von Göttern zukommen.45 Doch mir scheint, dass diese Form elementarer Algebra in theologischer Absicht als Erklärung für die Rezeption und Reformulierung des zunächst fremden mesopotamischen Mythos zu kurz greift. Vielmehr dürften sie sich dem Ansinnen verdanken, eine schon andernorts im Alten Testament formulierte Gotteskonzeption urgeschichtlich zu verankern.
V. Die Sintfluterzählung und der ‚Gott der Propheten‘ Prolog und Epilog der nicht-priesterschriftlichen Fluterzählung formulieren eine grundlegende Spannung innerhalb JHWHs und im Verhältnis dieses Gottes zur Menschheit. Die eingangs festgestellte Schlechtigkeit des Menschen ruft gleichsam als JHWHs primäre Reaktion dessen Zorn hervor und setzt ein Gerichtshandeln frei, das beinahe zur totalen Vernichtung der Menschheit führt. Am Ende werden menschliche Schuld und primäre göttliche Reaktion
Vgl. MÜLLER 1985, 299; RÜTERSWÖRDEN 1993, 38. Vgl. MÜLLER 1985, 308. 45 Vgl. R ÜTERSWÖRDEN 1993, 41. 43 44
V. Die Sintfluterzählung und der ‚Gott der Propheten‘
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entkoppelt und es erfolgt die göttliche Bestandszusage ungeachtet der weiterhin bestehenden Schlechtigkeit des Menschen. Innerhalb des Alten Testaments findet sich ein vergleichbarer „Willensumsturz in Gott“46 und die damit einhergehende Spannung innerhalb JHWHs und im Verhältnis dieses Gottes zu den Menschen wohl nur noch innerhalb der prophetischen Literatur, und hier insbesondere in Hos 11. Das elfte Kapitel des Hoseabuches besteht aus einer zweiteiligen, antithetisch angelegten Gottesrede. Der erste Teil enthält die übliche, lediglich in der Tonart leicht modifizierte unheilsprophetische Gerichtsankündigung. Adressat ist das als „Gottesvolk“ und „Sohn“ angesprochene Israel, dem der klagende Gott Undank (V. 1f), Unverstand (V. 3) und Verstocktheit (V. 5.7) vorwirft und eine militärische Niederlage und mit ihr das Ende der (selbstredend religiös begründeten) staatlichen Eigenexistenz ankündigt. Der zweite Teil der Rede setzt mit der frustrierten Einsicht des Gottes Israels ein, dass keine Hoffnung besteht, das Volk könne sich, etwa durch die Erfahrung des Gerichts belehrt, wandeln, was nach der Logik jeder Gerichtspredigt nur die Ankündigung des endgültigen Untergangs bedeuten kann. Doch an die Stelle des zu erwartenden abschließenden Gerichtsworts gibt der Text einen Blick auf den inneren Konflikt der Gottheit frei, die wider Erwarten auf ihren gut begründeten Strafanspruch verzichtet: Wie könnte ich dich preisgeben, Ephraim, dich ausliefern, Israel? [...] Mein Herz hat sich in mir umgewandt, mit Macht ist mein Mitleiden entbrannt. Ich kann meinen glühenden Zorn nicht vollstrecken, kann Ephraim nicht wieder verderben: Denn Gott bin ich und nicht Mensch. (Hos 11,8–9*)
Die Analogie zur Sintfluterzählung ist unverkennbar. Angesichts der unlöslichen Verstrickung in Schuld kann die Strafe im Zuge der zuvor beschriebenen militärisch-politischen Niederlage nur in der Totalvernichtung bestehen, genau dies ist aber der zwischen Zorn, Klage und Mitleid hin- und hergerissenen Gottheit nicht möglich. Der innere Wesenskern Gottes wendet sich gegen Gott. So ist schließlich die göttliche „Selbstbeherrschung“47 diejenige Kraft, die den göttlichen Zorn an der endgültigen Vernichtung hindert und ihn besiegt, obwohl dieser Zorn nur zu gut begründet ist und seine Veranlassung weiterhin anhält. Mit alldem soll nun nicht die Abhängigkeit der Sintfluterzählung von
46 J. JEREMIAS 1983: Der Prophet Hosea, ATD 24/1, Göttingen, 143 (als Teilüberschrift zu Hos 11,7–11). Vgl. ferner DERS. 1997: Die Reue Gottes. Aspekte alttestamentlicher Gottesvorstellung, BThSt 31, Neukirchen-Vluyn, 52–59. Dort auch zum Folgenden. 47 Zu dieser Übersetzung vgl. JEREMIAS 1997, 43–48 (im Anschluss an J. H EMPEL 1965: Gottes Selbstbeherrschung als Problem des Monotheismus und der Eschatologie, in: H. Graf Reventlow [Hg.], Gottes Wort und Gottes Land. Festschrift H.-W. Hertzberg, Göttingen, 56–66).
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10. Noah und die Propheten
genau diesem Text behauptet werden. Es geht vielmehr um geistesgeschichtliche Zusammenhänge und die These, dass hinter Genesis 6–9 die Unheilsprophetie des Alten Testaments steht, deren Gotteskonzeption sich im Rückgriff auf den mesopotamischen Sintflutmythos ihre urgeschichtliche Herleitung geschaffen hat. Wenn die im Epilog der Fluterzählung geschilderte Transformation auf die Realität der Jetztzeit der Adressaten zielt, dann ist diese Realität die ausgebildete Gotteskonzeption der prophetischen Theologie des Alten Testaments, wenn auch in urgeschichtlicher, und das heißt: in universeller Perspektive. Etwas überspitzt formuliert: Genesis 6–9 bieten im Rückgriff auf den mesopotamischen Mythos eine Theogonie des Gottes der Propheten. Die Annahme, eine von der prophetischen Theologie des Alten Testaments geprägte Gotteskonzeption habe die Rezeption des mesopotamischen Sintflutmythos gesteuert, erklärt auch eine weitere Besonderheit der nicht-priesterschriftlichen Sintfluterzählung. Es fällt auf, dass diese anders als ihre Vorbilder die Wende vom Unheil zum Guten nicht einmal annähernd begründet. Im mesopotamischen Sintflutmythos sind es neben der Angst und dem Entsetzen über das eigene Tun vor allem Hunger und Durst der Götter, die diese zu der Einsicht bringen, sich mit der Sintflut ins eigene Fleisch geschnitten zu haben. Die Wende zum Guten ist also ganz wesentlich darin begründet, dass sich die Götter ihrer Abhängigkeit von ihrer menschlichen Verehrerschar bewusstwerden. Entsprechend markiert das Opfer des Sintfluthelden nach dem Ende der Flut die Lösung des anfänglichen Konflikts, in der das auf Gegenseitigkeit beruhende Verhältnis zwischen Menschen und Göttern geordnet wird (Atr III, v,34ff; Gilgm XI,163). Auch die nicht-priesterschriftliche Sintfluterzählung erwähnt das Opfer, begnügt sich in diesem Zusammenhang aber damit, den einen Gedanken herauszustellen, dass die Gottheit bei sich beschließt, hinfort keine Flut mehr kommen zu lassen (Gen 8,21). JHWH wird zwar als beeinflussbar dargestellt, doch der Gedanke, dass die Götter den Menschen ebenso benötigen wie der Mensch die Götter, bleibt ausgespart. Stattdessen begegnen wir der im Kontext der Unheilsprophetie formulierten Gotteskonzeption, wonach die Gottheit (zumindest zeitweilig) völlig unabhängig von ihren Verehrern gedacht werden kann.48 Mit den Worten des Mythos: JHWH kann riechen, hat aber weder Hunger noch Durst. Doch auch die Begründung für das Kommen der Flut – angesichts der Schlechtigkeit des Menschen reut es JHWH, dass er ihn geschaffen hat – weist
48 Vgl. den Übergang von den ersten beiden zur dritten und vierten Vision des Amos und dazu J. CH. GERTZ 2003: Die unbedingte Gerichtsankündigung des Amos, in: F. Sedlmaier (Hg.), Gottes Wege suchend. Beiträge zum Verständnis der Bibel und ihrer Botschaft, Festschrift R. Mosis, Würzburg, 153–170, 167.
V. Die Sintfluterzählung und der ‚Gott der Propheten‘
213
auf einen unheilsprophetischen Hintergrund.49 Eine Musterung der alttestamentlichen Erwähnungen der Reue JHWHs, oder besser: Selbstbeherrschung JHWHs, zeigt auf, dass dieser Vorstellungskreis ursprünglich im Kontext der gewährten Fürbitte durch einen Propheten steht. Einschlägig sind in diesem Zusammenhang die ersten beiden Amosvisionen, in denen der Prophet wie jeder andere altorientalische Prophet versucht, durch Fürbitte das geschaute Unheil abzuwenden (vgl. Am 7,3.6), wobei die Bitte nicht auf die Sündenvergebung, sondern allein auf die göttliche ‚Selbstbeherrschung‘ zielt. Der Sprachgebrauch, wonach es um JHWHs Bedauern oder Nicht-Bedauern im Hinblick auf ein beschlossenes Unheil geht, hält sich bis in die spätesten Texte des Alten Testaments durch und stellt die Mehrheit der Belege dar. Lediglich im Prolog der Sintfluterzählung und in zwei weiteren Belegen bezieht sich die Reue JHWHs auf einen göttlichen Heilserweis. Interessant ist dabei vor allem Jer 18,7–10, wo erstmals für das Alte Testament50 die Vorstellung einer zweigestaltigen Reue Gottes belegt ist. Zunächst heißt es ganz konventionell, dass JHWH sich des von ihm geplanten Unheils gereuen lässt, wenn ein Volk umkehrt (V. 8). Im Anschluss daran wird die Kehrseite dieser Aussage formuliert: Sofern sich ein Volk JHWH gegenüber als ungehorsam erweist (V. 10), lässt sich JHWH des Guten, das er diesem Volk zugedacht hat, gereuen. Man wird also nicht fehlgehen mit der Vermutung, dass die Rede von JHWHs Reue im Prolog der Sintfluterzählung in prophetischer Tradition gründet, und zwar in ihrer entwickelten Gestalt, wonach sich diese Rede nicht mehr allein auf ein von JHWH geplantes Unheil bezieht, sondern auch die bereits erfolgte Heilstat zum Gegenstand haben kann.51 Der Befund gewinnt schließlich noch dadurch Kontur, dass die Reue JHWHs über seine Erschaffung des Menschen mit der göttlichen Feststellung begründet wird, wonach alles Streben des Denkens des menschlichen Herzens nur böse ist (Gen 6,5). Diese Feststellung lebt sicher auch von ihrem weisheitlich geprägten Gegenbild einer gelingenden menschlichen Weltorientierung und -gestaltung.52 Gleichwohl ist die Nähe zur Un-
Die folgenden Formulierungen nehmen die ausführlichere Darlegung in GERTZ 2006a, 55–56 (in diesem Band Nr. 9, 191–192) auf. 50 Diese Einschränkung ist wichtig, um voreilige literarhistorische Urteile zu vermeiden: Weder lässt sich eine Linie literarischer Abhängigkeiten zwischen den genannten alttestamentlichen Belegen für נחםmit JHWH/Gott als Subjekt behaupten, noch ist ausgemacht, dass die Vorstellung der zweigestaltigen Reue Gottes ihren Ursprung in Jer 18,7–10 hat. 51 Vgl. auch H.-C H. SCHMITT 2001: Das spätdeuteronomistische Geschichtswerk Genesis I – 2 Regum XXV und seine theologische Intention, in: ders., Theologie in Prophetie und Pentateuch, BZAW 310, Berlin/New York, 277–294, 288 mit Anm. 42, der von einem traditionsgeschichtlichen Zusammenhang spricht. 52 Vgl. W ITTE 1998, 201f, der die ‚jahwistische‘ Urgeschichte theologiegeschichtlich mit der späten Weisheit in Verbindung bringt und für Gen 6,5 auf Hiob 22,5; Koh 8,6 und Joel 4,13 verweist. 49
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10. Noah und die Propheten
heilsprophetie, insbesondere zur Jeremia-Überlieferung unverkennbar (vgl. Jer 3,24f; 4,14; 17,9; 18,12). Vor dem Hintergrund dieses Befundes ist es dann auch wenig verwunderlich, dass die spärliche inneralttestamentliche Rezeption der Sintfluterzählung sich ganz überwiegend auf einige späte prophetische Texte beschränkt.53 Und es erklärt sich auch der Umstand, dass die wohl etwas jüngere Priesterschrift das Kommen der Flut mit einem (mittelbaren) Zitat des Propheten Amos (Am 8,2) ankündigt und die Flut mit dem Überhandnehmen von „Gewalttat“ ()חמס begründet – ein Begriff, der sonst nicht in der Priesterschrift, dafür aber in der prophetischen Gerichtsankündigung breit belegt ist.
VI. Schluss Die alttestamentliche Rezeption des mesopotamischen Sintflutmythos ist vor dem Hintergrund einer schon fortentwickelten Unheilsprophetie erfolgt. Das weist auf die neuassyrische, eher noch auf die neubabylonische Zeit. Anders als dies bei Budde anklingt, fehlt jedoch jeglicher polemische Unterton gegen das mesopotamische Original. Es geht in Genesis 6–9 um die Selbstklärung einer Gotteskonzeption und nicht um Abgrenzung nach außen. Die Wahl ausgerechnet des mesopotamischen Sintflutmythos für diese Selbstklärung kann schlicht dadurch veranlasst gewesen sein, dass aufgrund der politischen Gegebenheiten Mesopotamisches in Israel zeitweilig sehr en vogue gewesen ist. Wie dem auch sei, die Wahl war in der Sache gut begründet. Mit seiner ambivalenten Stimmung, den angesprochenen und unausgesprochenen Fragen, den offenen theologischen Flanken einer konfliktbeladenen Götterwelt, mit einem Wort: dem hohen Problembewusstsein des mesopotamischen Mythos, bot dieser die denkbar beste Vorlage, um zu erzählen, wie JHWH zu dem Gott geworden ist, als den ihn die Propheten und ihre Zeitgenossen in ihrer Gegenwart erfahren haben.
Vgl. Jes 24–27 (und dazu BOSSHARD-NEPUSTIL 2005, 247ff) sowie Jes 54,9f; Ez 26,19; 31,4; Joel 4,13; Zef 1,2f. 53
11. Gottes Reue, Noahs Rettung und Jeremias Umkehrpredigt Anmerkungen zur traditionsgeschichtlichen und literarhistorischen Verhältnisbestimmung von Genesis 6,5–8; 8,20–22 und Jeremia 18,7–12 I. Problemstellung Die Beziehungen zwischen dem Pentateuch und dem Jeremiabuch erfreuen sich in jüngerer Zeit eines zunehmenden Interesses der Forschung. So hat man einen priesterlichen „Mosediskurs“ einerseits und die vor allem durch das Jeremiabuch repräsentierten „Schuldiskurse der Tradentenprophetie“ andererseits nachgerade als strukturierende Pole der spätnachexilischen Literaturgeschichte bezeichnen können.1 Andere haben sich um den Nachweis bemüht, dass der eine nachexilische Autor des Jeremiabuches die Tora voraussetze und in kritischer Aneignung weiterdenke.2 Im Folgenden geht es indes nicht um derartige Großhypothesen, sondern um ein Einzelproblem, konkret um die Verhältnisbestimmung zwischen dem Prolog und Epilog der Fluterzählung des weisheitlichen Erzählers3 in Gen 6,5–8; 8,20–22 und der theologischen Entfaltung des Töpfergleichnisses aus Jer 18 (Jer 18,7–12). Es handelt sich um eine Detailfrage, der man bei der Auslegung der betreffenden Passagen schon deshalb nicht ausweichen kann, weil ihre Beantwortung in jüngerer Zeit zu einem wichtigen Mosaiksteinchen in der notorisch schwierigen Frage der Datierung der Flutgeschichte des weisheitlichen Erzählers geworden ist. Ausgangspunkt
1 So E. OTTO 2009: Jeremia und die Tora. Ein nachexilischer Diskurs, in: ders., Die Tora. Studien zum Pentateuch, BZAR 9, Wiesbaden, 515–560, 515. 2 G. FISCHER 2016: ותפשי התורה לא ידעוני. The Relationship of the Book Jeremiah to the Torah, in: J. Ch. Gertz/B. M. Levinson/D. Rom-Shiloni/K. Schmid (Hg.), The Formation of the Pentateuch. Bridging the Academic Cultures of Europe, Israel, and North America, FAT 111, Tübingen, 891–911. 3 Zur Terminologie vgl. J. CH. GERTZ 2021: Das erste Buch Mose (Genesis). Die Urgeschichte Gen 1–11, ATD 1, 2. Aufl., Göttingen, 16–19. Die Bezeichnung „jahwistisch“ oder „nicht-priesterlich“ wird dort gewählt, wo es der Klärung der jeweiligen Positionen dient.
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11. Gottes Reue, Noahs Rettung und Jeremias Umkehrpredigt
der gegenwärtigen Debatte sind Überlegungen von Christoph Levin zu einer „Theodizee-Bearbeitung“ in der Genesis, der er auch die Spitzenaussagen über Gottes Reue und die dem Menschen innewohnende Schlechtigkeit im Prolog und Epilog der Fluterzählung des weisheitlichen Erzählers zuschreibt.4
II. Die Doppelthese einer von Jeremia 18 abhängigen Überarbeitung von Prolog und Epilog der Sintfluterzählung Nach Levin beruht Noahs Rettung in der „jahwistischen“ Fluterzählung allein auf der „Parteilichkeit des rettenden Gottes“5 (vgl. Gen 6,8). Erst die Priesterschrift habe das Augenmerk auf Noahs Lebenswandel gelenkt (vgl. Gen 6,9* ohne „ צדיקgerecht“), was wiederum einen späteren Bearbeiter zur Charakterisierung Noahs als „ צדיקgerecht“ (Gen 6,9a; 7,1b) veranlasst habe. Das theologische Seitenstück zu dieser Ergänzung bilden nach Levin die Aussagen über die Bosheit als einer anthropologischen Konstante in Gen 6,5b, über Gottes Reue in Gen 6,6a.7b sowie die bleibende Schlechtigkeit des Menschen in Gen 8,21aβ. In allen Fällen handele es sich um Ergänzungen des jahwistischen Grundbestandes in Gen 6,5a.6b.7a; 8,21aα.b. Zur Begründung heißt es, dass der Jahwist in Gen 6,5a die gesamte Menschheit in den Blick nehme, während der Ergänzer in V. 5b sich auf die wesensmäßige Sünde des Einzelnen beziehe: „Der Wechsel des Aspekts zeigt, daß V. 5b später hinzukam.“6 Im Epilog des jahwistischen Flutberichts unterbreche Gen 8,21aβ die beiden parallelen Zusagen von Gen 8,21aα und 8,21b. Das Ausscheiden der Rede von der Reue Gottes in Gen 6,6a.7b7 wird mit der Feststellung, dass diese auf die vollständige Verderbnis des Menschen aus V. 5b reagiere, und der Charakterisierung von V. 7b als „nachschlagende Bekräftigung“ literarkritisch nur en passant begründet. Wichtiger für Levins These ist indes der traditionsgeschichtliche Bezug aller genannten Teilverse: „In der Feststellung über die umfassende Bosheit des
4 CH. LEVIN 2003: Gerechtigkeit Gottes in der Genesis, in: ders., Fortschreibungen, GSt. zum AT, BZAW 316, Berlin/New York, 40–48. Vgl. bereits DERS. 1985: Die Verheißung des neuen Bundes, FRLANT 137, Göttingen, 178 mit Anm. 92; DERS. 1993: Der Jahwist, FRLANT 157, Göttingen, 104–106, 114f. 5 LEVIN 2003, 44. 6 Ebd. Das Argument findet sich ähnlich bereits bei P. WEIMAR 1977: Untersuchungen zur Redaktionsgeschichte des Pentateuch, BZAW 146, Berlin/New York, 139, 145, der anders als Levin gleich Gen 6,5b–8 insgesamt als (gestuften) Nachtrag ausscheidet, sowie bei L. RUPPERT 1992: Genesis. Ein kritischer und theologischer Kommentar. 1. Teilband: Gen 1,1–11,26, FzB 70, Würzburg, 301f, 315, 366, der jedoch nur Gen 6,5b; 8,21aβ für einen (jehowistischen) Zusatz hält. 7 Anders noch LEVIN 1993, 104–106.
II. Doppelthese: Von Jeremia 18 abhängige Überarbeitung der Fluterzählung
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Menschen steckt eine Anspielung auf Jer 18,7–12“8. Für diese traditionsgeschichtliche Herleitung, die zugleich ein literarhistorisches Gefälle markiert, führt Levin an, dass die lehrsatzartigen Ausführungen im Anschluss an das Töpfergleichnis das Thema der „Reue Gottes“ verhandeln (Jer 18,8.10; vgl. Gen 6,6a.7b) und sich in ihnen die Wurzel *„ יצרbilden/formen“ (Jer 18,11; vgl. Gen 6,5b; 8,21aβ) sowie der Begriff „ מחשבהPlan“ (Jer 18,11.12; vgl. Gen 6,5b) finden. Da die Verwendung der Wurzel * יצרin Jer 18,7–12 an das Töpfergleichnis anknüpfe (vgl. „ היוצרTöpfer“ in Jer 18,2.3.4.6), wolle ihre Verwendung in Gen 6,5b „[i]n der eigenartigen Verbindung ‚ יצר מחשבת לבוdas Gebilde der Pläne seines Herzens‘ [...] geradezu als exegetischer Querverweis auf Jer 18,11–12 gelesen sein.“9 Die Theodizee-Bearbeitung habe den universalgeschichtlichen Horizont des theologischen Lehrsatzes aus Jer 18 dankbar aufgegriffen und vor diesem Hintergrund für die Fluterzählung behauptet, daß das unermeßlich große Strafgericht gleichwohl der Sünde genau entsprochen habe. JHWH hat nicht willkürlich, sondern nach der selbst gesetzten Ordnung gehandelt, genau so, wie das Verhalten der Menschen ihm vorgab.10
Wie eingangs erwähnt, hat diese traditionsgeschichtliche Herleitung11 Schule gemacht, wenn auch mit einer grundlegenden Modifikation. Während Levin die Abhängigkeit von dem in der Forschung mit großer Einmütigkeit als späten Nachtrag bewerteten Abschnitt Jer 18,7–1212 auf eine bereits „nach-endredaktionelle“ Bearbeitung in der „jahwistischen“ Fluterzählung beschränkt, wird
AaO 45. Ebd. 10 AaO 45f. 11 Die Berührungspunkte sind natürlich schon länger gesehen worden. Vgl. nur H. GUNKEL 1910/1977: Genesis, HK I/1, 3. Aufl., Göttingen (= Nachdr. d. 9. Aufl. 1977), 61. In unserem Zusammenhang kommt es darauf an, dass bei Levin aus den erkannten traditionsgeschichtlichen Bezügen ein literarhistorisches Argument im Sinne eines direkten literarischen Abhängigkeitsverhältnisses generiert wird. Anders in jüngerer Zeit J. JEREMIAS 1997: Die Reue Gottes. Aspekte alttestamentlicher Gottesvorstellung, BThSt 31, Neukirchen-Vluyn, 152–157; H.Ch. SCHMITT 2001: Das spätdeuteronomistische Geschichtswerk Genesis I – 2 Regum XXV und seine theologische Intention, in: ders., Theologie in Prophetie und Pentateuch, BZAW 310, Berlin/New York, 277–294, 288; J. CH. GERTZ 2006a: Beobachtungen zum literarischen Charakter und zum geistesgeschichtlichen Ort der nicht-priesterschriftlichen Sintfluterzählung, in: U. Schorn/M. Beck (Hg.), Auf dem Weg zur Endgestalt von Genesis bis II Regum, Festschrift H.-Ch. Schmitt, BZAW 370, Berlin/New York, 41–57, 53–57 (in diesem Band Nr. 9, 189– 194). Sie werten die traditionsgeschichtlichen Bezüge als Beleg für einen Einfluss der Unheilsprophetie auf den nicht-priesterlichen (jahwistischen) Flutbericht aus, verzichten aber auf die Annahme einer literarischen Abhängigkeit von Jer 18. 12 Zum spätdeuteronomistischen (oder besser: nachdeuteronomistischen) Charakter des mutmaßlich mehrstufigen Nachtrags in Jer 18,7–12 vgl. statt vieler CH. BREKELMANS 1997: Jeremiah 18,1–12 and Its Redaction, in: P.-M. Bogaert (Hg.), Le Livre de Jérémie. Le prophète et son milieu; les oracles et leur transmission, BEThL 54, 2. Aufl., Leuven, 343–350; W. 8 9
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11. Gottes Reue, Noahs Rettung und Jeremias Umkehrpredigt
diese redaktionsgeschichtliche Option von denen, die ihm hinsichtlich der Abhängigkeit von Gen 6,5b.6a.7b; 8,21aβ von Jer 18,7–12 folgen, zumeist nicht geteilt. Sie zählen die genannten Teilverse zum Kernbestand der nicht-priesterschriftlichen Texte in der Fluterzählung, womit sich das Urteil über das literarhistorische Gefälle auf diese insgesamt ausweitet.13 Beide Teilthesen sind getrennt zu bedenken.
MCKANE 1986: A Critical and Exegetical Commentary on Jeremiah. Vol. I: Introduction and Commentary on Jer I–XXV, ICC 24/1, Edinburgh, 423–428; G. WANKE 1995: Jeremia. Teilband 1: Jeremia 1,1–25,14, ZBK.AT 20/1, Zürich, 173f. Der Bericht von der symbolischen Handlung im Hause des Töpfers in Jer 18,1–6*(11a?) hat eine erste Erweiterung in V. 11(b?) erfahren, die zugleich die Funktion hat, zu Jer 18,13–17 überzuleiten. Die Erweiterung nimmt die rhetorische Frage und Legitimation des göttlichen Gerichtshandelns aus V. 6 auf, ergänzt sie aber zu einer Gerichtsankündigung mit Umkehrforderung. Eine zweite Erweiterung in den V. 7–10 nimmt die Symbolhandlung und die in V. 11 erhobene Umkehrforderung zum Ausgangspunkt für eine generalisierende Ausführung zum Thema der doppelten Reue Gottes. Mit der Völkerperspektive, die in der Symbolhandlung und der ersten Erweiterung noch keine Rolle spielt, nimmt sie Jer 1,10 auf. V. 12 ist ein Nachtrag zu V. 11, der sich aus verschiedenen Texten speist (vgl. Jer 2,25 bzw. 3,17; 7,24; 9,13 u.ö.) und herausstellt, dass die Angeredeten die Aufforderung zur Umkehr verworfen haben. Ob der Zusatz vor oder nach den V. 7–10 eingefügt worden ist, lässt sich kaum entscheiden. Zu den masoretischen Sonderlesarten in Jer 18,1–12 vgl. H.-J. STIPP 1994: Das masoretische und alexandrinische Sondergut des Jeremiabuches. Textgeschichtlicher Rang, Eigenarten, Triebkräfte, OBO 136, Freiburg (Schw.)/Göttingen, 94–98. 13 Vgl. insbesondere E. BOSSHARD-NEPUSTIL 2005: Vor uns die Sintflut. Studien zu Text, Kontexten und Rezeption der Fluterzählung Genesis 6–9, BWANT 165, Stuttgart, 242f; M. ARNETH 2007: „Durch Adams Fall ist ganz verderbt …“. Studien zur Entstehung der alttestamentlichen Urgeschichte, FRLANT 217, Göttingen, 170–172, 180. Etwas vage sind die Ausführungen zu den literarhistorischen Bezügen bei J.-D. DÖHLING 2009: Der bewegliche Gott. Eine Untersuchung des Motivs der Reue Gottes in der Hebräischen Bibel, HBS 61, Freiburg i. Br. u.a., 102–103 mit Anm. 90, der die „jahwistischen“ Passagen in der Fluterzählung als Ergänzung der Priesterschrift betrachtet (vgl. aaO 87–89) und in diesem Zusammenhang auch auf das Verhältnis zu Jer 18 eingeht, sich aber auf den Hinweis beschränkt, dass die Bezüge zu Jer 18 „literarhistorisch wichtig“ seien. Sein Interesse liegt auf inhaltlichen Präzisierungen, die Jer 18 für das Verständnis von Gen 6,5–8 biete. Entsprechend spricht er später in einer „kanonischkursorischen Lektüre“ für Jer 18,7–12; Am 7,1–6 von einem Rückgriff auf Gen 6,5ff. Im gleichen Kontext werden lediglich die Entsprechungen zwischen Gen 6,5–8 und Ex 32,7–14 explizit als „redaktionsgeschichtlich relevant“ charakterisiert. Vgl. aaO 129f.
III. Zur literarischen Einheitlichkeit
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III. Zur literarischen Einheitlichkeit von Prolog und Epilog der nicht-priesterschriftlichen Sintfluterzählung Zunächst ist in aller Kürze die mehrfach zurückgewiesene Annahme zu überprüfen, dass es sich bei Gen 6,5b.6a.7b; 8,21aβ um Zusätze handelt.14 Für die Aussonderung von Gen 6,5b werden in der Diskussion vornehmlich inhaltliche Beobachtungen angeführt, die sämtlich darauf hinauslaufen, dass durch V. 5b (und 8,21aβ) die Aussage über die Bosheit der Menschen aus V. 5a ins Grundsätzliche gesteigert wird. In der Tat lassen sich V. 5a als eine allgemeine Aussage zur Bosheit des Menschen und V. 5b als deren anthropologische Präzisierung charakterisieren. Doch was folgt hieraus für die literarische Einheitlichkeit oder Mehrschichtigkeit des Textes? Den für eine Ausscheidung von V. 5b angeführten Perspektivwechsel von einer auf die Menschheit bezogenen Aussage hin zu einer Aussage über den einzelnen Menschen vermag ich jedenfalls nicht zu erkennen, denn wie sollten Merkmale, die das Handeln jedes einzelnen Menschen auszeichnen, anders beschrieben werden denn als Strukturmerkmale am Individuum?15 Ebenso wenig leuchtet es ein, dass V. 5b eine Rechtfertigung für Gottes Gerichtshandeln eintrage,16 da diese doch bereits mit dem Hinweis auf die Bosheit der Menschheit in V. 5a gegeben ist. Und schließlich wird man sich angesichts der ätiologischen Ausrichtung der Urgeschichte auf die Grundgegebenheiten menschlicher Existenz kaum über den „grundsätzlichen Charakter“ der anthropologischen Charakterisierung des Menschen wundern.17 Die inhaltlichen Beobachtungen genügen folglich nicht den üblichen literarkritischen Indikatoren für die Identifizierung eines Zusatzes. Das gilt auch für den Hinweis auf die komplizierten Formulierungen in Gen 6,5b; 8,21aβ.18 Darüber hinaus widerrät die sorgfältige Anlage von Gen 6,5–7* einer Ausscheidung von Gen 6,5b oder von Gen 6,5b.6a.7b:19 Die Darstellung von Gottes innerem Empfinden in V. 6 entspricht im Aufbau V. 5 und unterstreicht den Zusammenhang von menschlichem Tun und göttlicher Reaktion. Die Ansage der Vernichtung der Menschheit in V. 7* ist wiederum eng auf V. 6 bezogen. V. 6a und V. 7b bilden einen Rahmen um Gottes Schmerz in V. 6b und seinen
14 Vgl. M. WITTE 1998: Die Biblische Urgeschichte. Redaktions- und theologiegeschichtliche Beobachtungen zu Genesis 1,1–11, 26, BZAW 265, Berlin/New York, 175f. (mit Ausnahme von Gen 8,21aβ); ARNETH 2007, 176–178 mit Anm. 232 und 235, 185 mit Anm. 260; GERTZ 2021, 238–244. 15 Mit ARNETH 2007, 176f. Anm. 234 und 235, gegen LEVIN 2003, 44f. 16 Gegen RUPPERT 1992, 315–317. 17 Anders WEIMAR 1977, 138–139. 18 So RUPPERT 1992, 301–302. 19 Vgl. WITTE 1998, 174–176; ARNETH 2007, 175–179; B. JANOWSKI 2017: Die Empathie des Schöpfergottes. Gen *6,5–8,22 und das Apathie-Axiom, JBTh 30, 49–74; GERTZ 2021, 240f.
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11. Gottes Reue, Noahs Rettung und Jeremias Umkehrpredigt
Plan zur Vernichtung der Menschheit in V. 7a, wodurch die Übereinstimmung von Gottes innerem Empfinden und seiner Willenskundgabe herausgestellt wird. Entsprechendes gilt für Gen 8,21. Die Wiederaufnahme von Gen 6,5b in V. 21aβ wird durch die parallelen Satzglieder V. 21aα und 21b gerahmt.20 Auf diese Weise betont der weisheitliche Erzähler die Kernaussage seiner Fluterzählung: Die Zusage, dass es hinfort keine Flut mehr geben wird, beruht nicht auf einer Umkehr oder Änderung des Menschen, sondern ist allein in der Entscheidung Gottes begründet, hinfort auf eine angemessene Reaktion auf die Boshaftigkeit des Menschen zu verzichten. In dieser Perspektive steht die Härte des Urteils in Gen 6,5b auch im Dienst einer allumfassenden Daseinsgarantie,21 die selbst die wesensmäßige Schlechtigkeit des Menschen zu ertragen gewillt ist. Mit dem Versuch einer nachträglichen Rechtfertigung des umfassenden Gottesgerichts im Sinne der von Levin herausgearbeiteten TheodizeeBearbeitung hat dies nur wenig zu tun.22
IV. Zur Frage der literarischen Abhängigkeit von Jeremia 18 Wie aber ist das inhaltliche und terminologische Verhältnis zwischen dem Prolog und Epilog der Fluterzählung des weisheitlichen Erzählers einerseits und den lehrsatzartigen Ausführungen zur Reue Gottes im Anschluss an das Töpfergleichnis in Jer 18 andererseits literarhistorisch auszuwerten? Die Berührungspunkte zwischen beiden Texten sind kaum zu übersehen. Auf einem ganz anderen Blatt steht aber die Frage, ob dieser Befund mit der These einer direkten literarischen Abhängigkeit zwischen beiden Texten zu erklären ist – von der Richtung des literarischen Gefälles einmal ganz abgesehen. Denkbar ist ebenso, dass die Gemeinsamkeiten durch die Sache vorgegeben sind und sich
Vgl. N. C. BAUMGART 1999: Die Umkehr des Schöpfergottes. Zu Komposition und religionsgeschichtlichem Hintergrund von Gen 5–9, HBS 22, Freiburg i. Br. u.a., 395f. Anders RUPPERT 1992, 301; WITTE 1998, 181, die V. 8,21aβ ausscheiden, weil der Teilvers den Parallelismus membrorum von V. 21aα und 21b aufsprenge. 21 Vgl. BAUMGART 1999, 151. 22 Vgl. A. SCHÜLE 2006a: Der Prolog der hebräischen Bibel. Der literar- und theologiegeschichtliche Diskurs der Urgeschichte (Gen 1–11), AThANT 86, Zürich, 334–335. Auch er sieht in Gen 6,5–8; 8,21 die Frage nach Gottes Gerechtigkeit angesprochen, bestimmt das Problem der Theodizee inhaltlich aber ganz anders. Es bestehe im Vorwurf, wie Gott das durch den Menschen verursachte Übel in der Welt zulassen könne. In diesem Kontext erweise sich der Appell an Gottes Gerechtigkeit deshalb „als prekär, weil dies ein Appell an den Gott wäre, der mit der Sünde untrennbar verbunden auch den sündigen Menschen aus der Welt schaffen müsste“ (aaO 334). 20
IV. Zur Frage der literarischen Abhängigkeit von Jeremia 18
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im Einzelfall auch damit erklären lassen, dass beide Texte konzeptionelle Vorgaben teilen. Für die traditionsgeschichtliche oder literarhistorische23 Ansetzung von Gen 6,5–8; 8,21 nach Jer 18,7–12 werden neben dem „analogen Sachgehalt“ auch „signifikante Lexementsprechungen“24 angeführt. Im Einzelnen handelt es sich um die Beschreibung der Schlechtigkeit des menschlichen Herzens (Gen 6,5b; 8,21aβ) und des Handelns und Planens der Völker (Jer 18,8.10) sowie der Judäer und Bewohner Jerusalems (Jer 18,11) mit („ רע)הBosheit/böse“, „ לבHerz“ und חשב/„ מחשבהplanen/Plan“. Hinzu kommt die Rede von Gottes Reue mit נחם ni. „bereuen“ (Gen 6,6a.7b; Jer 18,8.10) sowie die Verwendung ֵיֶצר/„ יצרGebilde/bilden“ (Gen 6,5b; Jer 18,11). Bei genauerer Betrachtung stellt sich der lexematische Befund jedoch als weit weniger eindeutig dar, als wiederholt behauptet worden ist. Die Lexeme („ רע)הBosheit/böse“ und „ לבHerz“ sind angesichts der Vielzahl der Belege für sich genommen wenig aussagekräftig. Interessant ist hingegen ihre im Vergleich dazu recht selten belegte Verbindung zur Qualifizierung des menschlichen Herzens als bösartig oder Ursprung von Schlechtigkeit.25 Diese Aussage wird in Jer 18,12 mit der für das Jeremiabuch konventionellen Bildung „ שררות לב הרעStarrsinn des bösen Herzens“26 formuliert. Die Wendung יצר מחשבת לבו רק רע/ יצר לב האדם רעin Gen 6,5; 8,21aβ lässt sich kaum auf diesen geprägten Sprachgebrauch zurückführen, zumal auch das in diesem Kontext für das Jeremiabuch typische „ שררותStarrsinn“ keine Entsprechung hat. Näher als Jer 18,11f steht Gen 6,5; 8,21aβ dagegen das Mahnwort Jer 4,14. Es dürfte zu einer früheren Erweiterung der ‚Frühzeitverkündigung Jeremias‘ Jer 4–6* gehören, die in der Regel zum ‚authentischen‘ Gut des Buches gezählt wird.27 Wie in Gen 6,5 und Jer 18,11f fällt in Jer 4,14 auch das Stichwort „ מחשבותPläne“. Während jedoch in Jer 18,11f von den Plänen JHWHs die Rede ist, denen das trotzige Verfolgen der eigenen Pläne der Jerusalemer und Judäer entgegengestellt ist, fokussiert sich Jer 4,14 wie Gen 6,5 ganz auf das
Diese Unterscheidung wird in den genannten Arbeiten nicht immer durchgehalten, ist aber in methodischer Hinsicht durchaus von Belang: Ein literarhistorisches Gefälle zwischen zwei Texten besagt, dass ein Text von einem anderen Text abhängig und also jünger ist. Hingegen kann von zwei Texten der literarhistorisch jüngere Text durchaus die in traditionsgeschichtlicher Hinsicht älteren Vorstellungen enthalten. 24 ARNETH 2007, 172. 25 Vgl. u.a. Jer 3,17; 7,24; 11,8; 16,12; Sach 7,10; Ps 28,3; 140,3; Prov 6,14; 25,20; 26,23; 2Chr 12,14; Koh 9,3. 26 Vgl. Jer 3,17; 7,24; 11,8; 16,12 und (ohne )הרע9,13; 13,10; 23,17 sowie Dtn 29,18; Ps 81,13. 27 Vgl. WANKE 1995, 61–63. Die Erweiterung unterbricht die an die 2. Pers. masc. pl. gerichtete Unheilsbeschreibung des Propheten in Jer 4,5–6a.7–8.13.15–17 und überführt sie in eine an die 2. Pers. fem. sg. gerichtete Anklage Jerusalems. 23
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11. Gottes Reue, Noahs Rettung und Jeremias Umkehrpredigt
zum Unheil führende Handeln der Menschen und verzichtet auf eine Korrelation von menschlichen und göttlichen Plänen. Auch wird in Jer 4,14 das Innere des Menschen („ קרבInneres“ parallel zu „ לבHerz“) wie in Gen 6,5 explizit als der Sitz der heillosen Pläne bezeichnet. Damit soll nun nicht behauptet werden, dass sich der Verfasser von Gen 6,5 an den im Vergleich zu Jer 18,11f mutmaßlich wesentlich älteren Text Jer 4,14 angelehnt hat. Es dürfte aber deutlich geworden sein, dass die Ableitung von Gen 6,5 (und 8,21aβ) von Jer 18,11f den Befund verkürzt, zumal sich die Formulierung unterscheidet und die für Jer 18,11 charakteristische figura etymologica „ חושב מחשבותPläne planen“ (vgl. u.a. Ex 31,4; 35,32.35; Jer 11,19; 18,18; 49,20.30; 50,45; Ez 38,10; 2Chr 2,13; 26,15; Dan 11,24.25) in Gen 6,5 fehlt. Auch für die Verwendung von נחםni. „reuen“ mit יהוהals Subjekt ist ein vielfach notierter Unterschied der Formulierung festzuhalten. Während Jer 18,8.10 mit der übergroßen Mehrheit der alttestamentlichen Belege den Anlass der Reue mit עלoder dem bedeutungsgleichen אלeinführt, hat der Verfasser von Gen 6,6a.7b einen perfektisch formulierten Objektsatz mit כיgewählt. Die Debatte, ob damit ein grundlegender Bedeutungsunterschied angezeigt ist, kann an dieser Stelle auf sich beruhen.28 Wichtiger ist, dass sich die Formulierung von Gen 6,6a.7b nur noch in der möglicherweise von Gen 6–8 beeinflussten Äußerung über JHWHs Reue wegen der Erhebung Sauls zum König in 1Sam 15,11.35 findet.29 Es ist wenig wahrscheinlich, dass ein unmittelbar von Jer 18,8.10 beeinflusster Schreiber ohne Not von der üblichen Formulierung abgewichen ist. Die (nahezu) singuläre Formulierung von Gen 6,6a.7b spricht vielmehr dafür, dass der Verfasser wie bei seiner Darstellung der Schlechtigkeit des menschlichen Herzens auf kein (uns bekanntes) Vorbild für seine Formulierung zurückgegriffen hat. Schließlich wird die in fast allen Literaturgattungen des Alten Testaments belegte Wurzel יצרin beiden Texten recht unterschiedlich gebraucht und lässt sich zudem in beiden Fällen aus dem Kontext herleiten. Gemeinsam ist beiden Texten die Vorstellung von Gottes schöpferisch formender Tätigkeit, die in den jeweiligen Kontexten mithilfe der Wurzel יצרbeschrieben wird. Gen 6,5 nimmt das Schöpfungsverb יצרaus Gen 2,7 (vgl. Gen 2,8.19) auf. Jer 18,11 knüpft hingegen an das Leitwort „ יוצרTöpfer“ aus dem von ihm ausgedeuteten Töpfergleichnis an, wonach Juda für JHWH wie der Ton in der Hand eines Töpfers ist. JHWH steht es wie dem Töpfer frei, ein missglücktes Werkstück zu zerstören. Der Symbolhandlung liegt die Vorstellung von JHWH als Schöpfer des Volkes zugrunde (vgl. Jes 43,1.7.21; 44,21; 45,11), die ihrerseits die
28 Vgl. dazu JEREMIAS 1997, 17f; R. OBERFORCHER 1981: Die Flutprologe als Kompositionsschlüssel der biblischen Urgeschichte. Ein Beitrag zur Redaktionskritik, IThS 8, Innsbruck u.a., 137f; DÖHLING 2009, 51–55. 29 Vgl. JEREMIAS 1997, 132–135.
IV. Zur Frage der literarischen Abhängigkeit von Jeremia 18
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allgemeinere Vorstellung von der Erschaffung des Menschen durch JHWH zur Voraussetzung hat, wie sie sich auch in Gen 2,7 findet (vgl. zur Begründungsstruktur auch die nachgetragene schöpfungstheologische Begründung in Jer 27,5). Lässt man sich tentativ auf die Ableitung von „ יצרGebilde“ in Gen 6,5b; 8,21aβ aus dem Töpfergleichnis in Jer 18,11 ein, dann erstaunt die Inkonsequenz des Verfassers von Gen 6,5–8, dessen Formulierung des göttlichen Vernichtungsbeschlusses den Ausdruck „Bilden eines Unheils“ aus Jer 18,11 nicht aufgreift. „Daß der Begriff ‚ יצרGebilde‘ aus dem Töpfergleichnis stammt,“30 ist nach alldem keineswegs selbstevident. Ungleich eindeutiger sind jedenfalls die Aufnahme der außergewöhnlichen Formulierungen von Gen 6,5 in der Chronik (vgl. „ כי כל לבבות דורש יהוה וכל יצר מחשבות מביןdenn JHWH erforscht alle Herzen und kennt alles Gebilde und Planen des Verstehens“ in 1Chr 28,9 und „ ליצר מחשבות לבב עמךals Gebilde des Planen des Herzens deines Volkes“ in 1Chr 29,18) und die Anspielung auf Gen 6,5a bei Kohelet (vgl. כי רעת האדם „ רבה עליוdenn die Bosheit des Menschen lastet schwer auf ihm“ in Koh 8,6). Auch für die recht pauschal adressierten inhaltlichen Übereinstimmungen hinsichtlich der Reue Gottes und der anthropologischen Kernaussagen stellt sich der Befund wesentlich differenzierter dar. Eine Musterung der alttestamentlichen Erwähnungen der Reue Gottes ergibt, dass dieser Vorstellungskreis, wie die jüngere Diskussion gezeigt hat,31 in prophetischer Tradition steht. Dass Gott aufgrund äußerer Umstände einen Entschluss zurücknimmt oder sich in seiner inneren Einstellung ändert ( נחםni.), gehört ursprünglich in den Kontext der gewährten Fürbitte durch einen Propheten, der bewirkt, dass sich die Gottheit ein angedrohtes Unheil leid sein lässt. Einschlägig sind in diesem Zusammenhang die ersten beiden Amosvisionen, in denen der Prophet wie jeder andere altorientalische Prophet versucht, durch seine Fürbitte ein geschautes Unheil abzuwenden (vgl. Am 7,1–6). Ganz in dieser Traditionslinie steht der prophetische Mose, der am Sinai Fürbitte für sein von Strafe bedrohtes Volk leistet (Ex 32,12.14).32 Der einschlägige Sprachgebrauch hält sich bis LEVIN 2003, 45. Vgl. JEREMIAS 1997, 152–154; DERS. 2015: Theologie des Alten Testaments, GAT 6, Göttingen, 338f Anm. 61. Die folgenden Formulierungen nehmen die ausführlichere Darlegung in GERTZ 2006a, 55–56 (in diesem Band Nr. 9, 191f) auf. 32 Auch für Ex 32–34 ist vermutet worden, dass dieser späte Abschnitt (vgl. zur Analyse J. CH. GERTZ 2001: Beobachtungen zu Komposition und Redaktion in Exodus 32–34, in: M. Köckert/E. Blum [Hg.], Gottes Volk am Sinai. Untersuchungen zu Ex 32–34 und Dtn 9–10, VWGTh 18, Gütersloh, 88–106) zum literarhistorischen Vorkontext der Fluterzählung des weisheitlichen Erzählers gehört. Vgl. BOSSHARD-NEPUSTIL 2005, 224–226; ARNETH 2007, 172f, 199f. Doch wie im Fall von Jer 18 vermögen die angeführten Übereinstimmungen die Beweislast nicht zu tragen. Zu notieren ist aber, dass Moses Auftritt als Fürbitter bei einer ‚kanonisch-kursorischen Lektüre‘ als Gegenstück zur Fluterzählung gelesen werden kann: „Nur weil Mose es ablehnte, wie Noah als einziger aus der Katastrophe der Gemeinschaft gerettet zu werden (Ex 32,10ff), ist Israel am Sinai nicht völlig vertilgt worden“ (TH. KRÜGER 30 31
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in die spätesten Texte des Alten Testaments durch, allerdings wird das Motiv der Reue zunehmend mit der vor allem in den späteren Schichten des Jeremiabuches ausformulierten Umkehrtheologie verbunden (vgl. außer Jer 18,8 noch Jer 26,3.13.19). Entsprechend wird die Formulierung נחםni. + הרעmit יהוהals Subjekt „JHWH lässt sich das angesagte Unheil leid sein“ in exilisch-nachexilischer Zeit geradezu zum terminus technicus.33 Das Bild gewinnt dadurch Kontur, dass Gottes Reue über seine Erschaffung des Menschen mit der göttlichen Feststellung begründet wird, wonach alles Streben des Denkens des menschlichen Herzens nur böse ist (Gen 6,5). Diese Feststellung, die in der mesopotamischen Sintfluttradition keine Entsprechung hat, lebt sicher auch von ihrem weisheitlich geprägten Gegenbild einer gelingenden menschlichen Weltorientierung und -gestaltung. Gleichwohl ist die Nähe zur Unheilsprophetie, insbesondere zur Jeremiaüberlieferung unverkennbar (vgl. Jer 3,24f; 4,5– 22; 17,5–13; 18,1–17). Steht Gen 6,5–8 nach alldem in prophetischer Tradition, so sind die Vorgaben des weisheitlichen Erzählers damit jedoch noch nicht gänzlich erfasst. David Carr hat erwogen, dass mit der Vorstellung von Gottes Reue über sein Schöpfungshandeln angesichts der Bosheit der Menschheit ein Erzählzug der mesopotamischen Fluttradition reformuliert wird, wonach die Muttergöttin nach Einbrechen der Flut den von ihr mitverantworteten Tod der von ihr geschaffenen Menschen betrauert (Atr III iv,4–14; Gilgm XI,117–124).34 Freilich wird man die Reue Gottes in Gen 6,5–8 und die Reaktion der Muttergöttin nicht direkt in Beziehung setzen dürfen. Das Motiv vom Weinen der Muttergöttin findet seinen Widerhall nämlich in dem tiefempfundenen Schmerz Gottes angesichts der Bosheit der Menschen, der zugleich die Konsequenzen seiner Reue – die Vernichtung ‚seiner‘ Menschheit – schon im Blick hat.35 Die Rezeption der mesopotamischen Fluttradition durch den weisheitlichen Erzähler steht also (auch) unter prophetischen Vorzeichen, wobei das rezipierte Material durchaus einen Einfluss darauf hat, welche Vorstellungsgehalte prophetischer Tradition zu seiner Reformulierung aufgegriffen werden. Lässt sich nun über den allgemeinen Hinweis auf den Einfluss der Unheilsprophetie hinaus wahrscheinlich machen, dass ganz konkret Jer 18,7–10 für die Aufnahme der Vorstellung von Gottes Reue in Gen 6,5–8 Pate gestanden hat? Die ganz überwiegende Mehrzahl der Belege handelt davon, dass Gott ein an-
1997a: Das menschliche Herz und die Weisung Gottes. Elemente einer Diskussion über die Möglichkeiten und Grenzen der Tora-Rezeption im Alten Testament, in: R. G. Kratz/Th. Krüger [Hg.], Rezeption und Auslegung im Alten Testament und in seinem Umfeld, OBO 153, Freiburg [Schw.]/Göttingen, 65–92, 76). 33 JEREMIAS 1997, 66 mit Verweis auf 2Sam 24,16 (= 1Chr 21,15); Jer 18,8; 26,3.13.19; 42,10; Joel 2,13; Jon 3,10; 4,2. 34 Mündliche Mitteilung. 35 Zum Schmerz Gottes in Gen 6,6b vgl. GERTZ 2021, 238f, 242f.
IV. Zur Frage der literarischen Abhängigkeit von Jeremia 18
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gesagtes Unheil bereut, lediglich in Gen 6,6a.7b (und 1Sam 15,11.35) geht es um die „Preisgabe einer Heilssetzung“36. Dem lassen sich prima facie die lehrsatzartigen Ausführungen über die zweigestaltige Reue Gottes in Jer 18,7–10 an die Seite stellen. Dort heißt es zunächst ganz konventionell, JHWH würde das geplante Strafhandeln zurücknehmen, sofern ein Volk von seiner Bosheit umkehre (V. 7f). Im Anschluss daran wird die Kehrseite dieser Aussage formuliert: Sofern sich ein Volk ihm gegenüber als ungehorsam erweist, lässt er sich des Guten, das er diesem Volk zugedacht hat, gereuen (V. 9f). Abermals gilt es, die Unterschiede zwischen beiden Texten zu beachten. Weniger ins Gewicht fällt, dass Gen 6,6a.7b sich anders als Jer 18,7–10 nicht auf die Zukunft bezieht, sondern auf ein Geschehen in der Vergangenheit. Wichtig ist indessen ein konzeptioneller Unterschied. Jer 18,7–12 erklärt Heil und Unheil in den Zeitläuften und korreliert hierzu menschliches Verhalten und die göttliche Rücknahme des bereits gefassten Entschlusses über zukünftiges Gericht oder Wohlergehen. Für Gen 6,6a.7b gilt nur der erste Teil der Gleichung, wonach die (übergroße) Bosheit des Menschen das göttliche Gericht zur Folge hat. Doch gilt das nur vor der Flut. Nach der Flut ist die strenge Gleichung mit Bezug auf die ganze Menschheit und die Erde aufgehoben. Während Jer 18,7– 12 grundsätzlich über das Verhältnis von menschlichem Verhalten und göttlicher Reaktion reflektiert und dabei von der prophetischen Rede über die Möglichkeit der Umkehr geprägt ist, spielt die Umkehr in der Fluterzählung des weisheitlichen Erzählers keine Rolle. Die für Jer 18,7–12 zentrale Umkehrthematik wäre aber von einem Ergänzer, dem an der Rechtfertigung Gottes im Lichte von Jer 18 gelegen war, kaum übergangen worden. Dieser, wie mir scheint, signifikante Unterschied betrifft auch die gegenläufigen anthropologischen Kernaussagen beider Texte. Mit der prophetischen Tradition stellt Jer 18 das menschliche Herz als „verstockt, sich auflehnend und gegenüber Gott verschlossen“37 dar. Das Herz erweist sich als anfällig für das Böse, doch hat die Alternativpredigt in Jer 18,7–10 zur Voraussetzung, dass der Mensch zur Umkehr fähig ist. Der weisheitliche Erzähler sieht die Dinge offenkundig anders. Anders als Jer 18,7–12 (und viele andere Texte der Unheilsprophetie) beschreibt er die Bosheit als Wesensmerkmal des menschlichen Herzens. Selbst der größtmögliche Eingriff Gottes, die weitgehende Vernichtung der Schöpfung und der Neuanfang mit Noah und seinen Söhnen, ändert nichts an der Disposition des Menschen. Beide Vorstellungen laufen offenkundig über einen längeren Zeitraum nebeneinander her. Erst die Verheißung des neuen Bundes in Jer 31,31–34 und verwandte Texte (vgl. Jer 24,7; 32,39f; Ez 11,19f; 36,26f) schaffen einen Ausgleich und versuchen „auf der Basis einer pessimistischen Anthropologie [...] die dauerhafte heilvolle Zu-
36 37
JEREMIAS 1997, 19. SCHÜLE 2006a, 335.
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kunft Israels theologisch denkbar zu machen“38. Hierzu ist es nach Auffassung der Verfasser dieser Texte vonnöten, dass „JHWH die Menschen an ihrem Herzen, d. h. in ihrer Personmitte fundamental und irreversibel umgestalten würde, um Israeliten, die unfähig waren, nicht zu sündigen, in solche zu verwandeln, die außerstande waren zu sündigen“39. In gewisser Weise arbeitet sich die späte (nicht nur) prophetische Literatur an den anthropologischen Kernaussagen aus Gen 6,5; 8,21 ab. Dies mag eine abschließende Überlegung noch verdeutlichen. Die Feststellung von Gen 8,21aβ, wonach alle Dimensionen menschlicher Existenz beständig von der Bosheit des Herzens bestimmt sind, gilt natürlich auch für Noah. Damit stimmt sie der Aussage von Gen 6,8 zu, wonach Noahs Rettung nicht in Noahs Verhalten gründet. Sie steht aber in einem fundamentalen Widerspruch zum vorliegenden Textzusammenhang, der den Eindruck erweckt, es könne trotz der wesensmäßigen Schlechtigkeit des Menschen einzelne Gerechte wie Noah geben (vgl. Gen 6,9 P; 7,1 R). Ähnliche konzeptionelle Schwierigkeiten mit Gen 8,21aβ dürften sich in einer ganzen Reihe von Nachträgen im Pentateuch wie Ex 28,3; 31,1–6; 35,30–35; Lev 26,41; Num 15,39 und Dtn 29,3; 30,6; 31,21 widerspiegeln. Sie lassen sich mit Thomas Krüger als ein Geflecht von Aussagen lesen, in denen die Konsequenzen aus der in Gen 6/8 benannten allgemein-menschlichen Problematik des Herzens und seines Denkens für die Möglichkeiten und Grenzen der Tora-Rezeption durch Israel diskutiert werden 40.
Dabei scheint es ein Anliegen dieser Bearbeiter gewesen zu sein, die Konsequenzen der grundsätzlichen Aussage von Gen 6,5 und 8,21 im Einzelfall abzumildern oder auszusetzen. Das wiederum spricht dafür, dass sich diese späten Bearbeiter an den Herausforderungen einer frühen Form einer ‚kanonischkursorischen Lektüre der Thora‘ abarbeiteten, mithin die Aussagen von Gen 6,5 und 8,21 vorgefunden haben und diese den Erfordernissen eines Gesamtbildes anzupassen suchten.41
H.-J. STIPP 2019: Jeremia. Bd. 2 Jer 25–52, HAT 12/II, Tübingen, 348. AaO 349. 40 KRÜGER 1997a, 73 (Hervorhebung im Original). 41 Anders KRÜGER 1997a, 73–81, der die genannten Texte einschließlich Gen 6,5; 8,21 einem redaktionellen Stadium zuweist, das „die formative Verbindung des Dtn mit vor-priester(schrift)lichen und priester(schrift)lichem Material in Gen–Num bereits voraussetzt“ (aaO 73). Das mag für die Belege in den Büchern Ex bis Dtn zutreffen, auch wenn hier im Einzelfall erheblich zu differenzieren ist. Es ist aber ganz fraglich, ob das bereits für die Texte gilt, die erst in der Verbindung mit der Frage nach den Möglichkeiten einer Tora-Rezeption durch Israel zum Problem geworden sind. Die Tora-Rezeption ist in der Fluterzählung des weisheitlichen Erzählers noch nicht im Blick. Die von KRÜGER, aaO 73–76, vorgebrachten Argumente für 38 39
V. Schluss
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V. Schluss Die These einer literarischen Abhängigkeit des Prologs und Epilogs der Fluterzählung des weisheitlichen Erzählers von der theologischen Entfaltung des Töpfergleichnisses aus Jer 18 hat sich aufgrund der sprachlichen und konzeptionellen Unterschiede nicht bewährt. Die gemeinsame Begrifflichkeit ist durch die Sache vorgegeben und lässt sich wie die unverkennbaren thematischen Berührungspunkte damit hinreichend erklären, dass beide Texte konzeptionelle Vorgaben teilen. Eine ‚Spätdatierung‘ des nicht-priesterschriftlichen Textanteils an Gen 6–9 ist mit dieser Feststellung natürlich nicht ausgeschlossen, nur scheidet Jer 18,7–12 als Argument in der Datierungsfrage aus. Sicher scheint mir hingegen zu sein, dass die Rede von Gottes Reue und der anthropologische Pessimismus die Unheilsprophetie voraussetzen. Das könnte ein Ansatzpunkt in der Datierungsfrage sein, bestünde in der Frage der literarhistorischen Einordnung der prophetischen Texte nur halbwegs ein Konsens. Diesen zu suchen, ist eine bleibende Aufgabe alttestamentlicher Exegese.41
eine entsprechende Datierung von Gen 6,5–8 und 8,20–22 sind jedenfalls schwach. Sie beruhen auf der strittigen Zuschreibung redaktioneller Passagen in Gen 6,7aβ, dem recht allgemeinen Hinweis, dass die ‚Reue Gottes‘ eine ‚späte‘ Vorstellung sei oder dass die Reihenfolge von der Errichtung eines Altars, der Darbringung des Opfers und dem Riechen des Opfergeruchs seine nächste Entsprechung in der Priesterschrift habe. Doch hätte Noah vor der Errichtung des Altars opfern oder gar erst auf JHWHs wohlwollende Reaktion warten sollen? Die ebenfalls für eine nachpriesterschriftliche Herkunft angeführte Unterscheidung in opfertaugliche und dafür nicht verwendbare Tiere nach Gen 7,2 u.ö. hat eine lange Tradition (nicht nur) im alten Vorderen Orient und ist sicher nicht von den priesterschriftlichen Reinheitsgeboten abhängig, zumal dann statt „ לא טהרהnicht-rein“ der priesterschriftliche terminus technicus „ טמאunrein“ zu erwarten wäre. Schließlich wird man fragen dürfen, welche argumentative Kraft für eine Spätdatierung von Gen 6,5–8 und 8,20–22 darin liegen kann, dass Koh 8,6 als einzige Parallele zur Aussage über die Schlechtigkeit des Menschen in Gen 6,5a und 1Chr 28,9; 29,18 als nächste Entsprechung zu יצר מחשבת לבוangeführt werden, wenn es sich bei den in der Argumentation betont an erster und zweiter Stelle genannten „Parallelen“ und „Entsprechungen“ um Neuinterpretationen und Radikalisierungen von Gen 6 und 8 handelt, wie Thomas Krüger im Fortgang seines Aufsatzes überzeugend darlegt. 41 Hermann-Josef Stipp hat diese Aufgabe nie aus den Augen verloren und auch die notwendige Kärrnerarbeit nie gescheut. Dafür und für seine freundschaftliche Kollegialität seit unserer gemeinsamen Zeit an der Universität Mainz sei ihm herzlich gedankt.
12. Hams Sündenfall und Kanaans Erbfluch Anmerkungen zur kompositionsgeschichtlichen Stellung von Genesis 9,18–29 I. Einführung Der üblicherweise mit „Noahs Fluch und Segen“ überschriebene Abschnitt Gen 9,18–29 steht in der Auslegungs- und Rezeptionsgeschichte ein wenig im Schatten der anderen Erzählstücke der biblischen Urgeschichte. Das könnte daran liegen, dass ihm eine positive Perspektive fehlt, was insbesondere nach dem versöhnlichen Ausgang der vorangehenden Fluterzählung eine intuitive Ablehnung hervorrufen muss.1 Doch greift diese Erklärung noch zu kurz, da sie ganz wesentlich vom Standpunkt der Rezipienten abhängt. Und hier bietet sich in der Nachfolge der Noahsöhne Sem und Japhet durchaus eine andere Sicht an als in derjenigen des Noahenkels Kanaan. Zudem lässt sich für die Turmbauerzählung eindrucksvoll belegen, dass sich die Beliebtheit einer Erzählung und der Mangel an einer positiven Perspektive, selbst wenn er die gesamte Menschheit betrifft, einander nicht notwendig ausschließen. So ist es vermutlich weniger der Inhalt als die Erzählweise, die Gen 9,18– 29 ein wenig an den Rand der Aufmerksamkeit drängt. Anders als bei den ‚großen‘, aber zum Teil nicht wesentlich umfangreicheren Texten der biblischen Urgeschichte handelt es sich um keine in sich selbst ruhende Erzählung mit einem vielschichtigen Sinnpotential. Die Begebenheiten um Noahs Trunkenheit werden mehr angedeutet als geschildert, auch fehlen die Reflexionen und Dialoge, die den übrigen Erzählungen ihre theologische Tiefe geben. Hinzu kommt der Eindruck einer bloßen Überleitung von der Fluterzählung zum Thema der Völkerwelt: Die Exposition (V. 18f) und der Abschluss des Abschnitts (V. 28f) beziehen die Episode von Noah und seinen Söhnen auf die Chronologie der Fluterzählung. Angesichts der ausführlichen Epiloge der Fluterzählung (Gen 8,20–22; 9,1–17) und ihres feierlichen Abschlusses wirkt diese 1 So A. SCHÜLE 2006a: Der Prolog der hebräischen Bibel. Der literar- und theologiegeschichtliche Diskurs der Urgeschichte (Genesis 1–11), AThANT 86, Zürich, 355 mit Bezug auf die moderne christliche Auslegungsgeschichte.
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12. Hams Sündenfall und Kanaans Erbfluch
letzte erzählte Begebenheit aus dem Leben Noahs (V. 29) jedoch wie ein Appendix. Zugleich weist die Exposition explizit, sich darin deutlich von den sonstigen Querverweisen innerhalb der biblischen Urgeschichte abhebend, über die von ihr eröffneten Begebenheiten hinweg auf die Völkertafel im folgenden Kapitel voraus (V. 19). So geben die nur sparsam ausgeführten Erzählzüge und der eigens thematisierte Bezug auf die vorangehenden und nachfolgenden Geschehnisse dem Abschnitt Gen 9,18–29 den Charakter eines reinen Zwischenspiels. Das mag seine Auslegungs- und Rezeptionsgeschichte nicht befördert haben, es macht ihn aber für die Analyse der Kompositions- und Redaktionsgeschichte der biblischen Urgeschichte umso interessanter. Dies zeigen neuere Arbeiten zur biblischen Urgeschichte, in denen er eine wichtige argumentative Funktion hat.2 Im Folgenden wird diese Diskussion aufgegriffen und mit Blick auf Fragen zur Abgrenzung und Gliederung des Abschnitts (II.), seine literarischen (III.) und inhaltlichen Probleme (IV.) sowie seine kompositionsgeschichtliche Stellung innerhalb der biblischen Urgeschichte (V.) an einigen Punkten weitergeführt.
II. Abgrenzung und Gliederung von Gen 9,18–29 Klassisch ist die auch von den masoretischen pārāšijjôt vorausgesetzte Abgrenzung von Gen 9,18–29.3 Es kann zunächst offenbleiben, ob V. 18f, V. 20– 27 und V. 28f ein und derselben literarischen Schicht zugehören, mit Blick auf den jetzigen Textzusammenhang ist diese Abgrenzung textgemäß, auch wenn die Zugehörigkeit von V.18f und von V. 28f in der Literatur kontrovers diskutiert wird. Gegen einen Anfang mit V. 18f wird angeführt, dass die Erwähnung des Auszugs aus der Arche deutlich auf die Flut bezogen ist.4 Das ist richtig,
2 M. W ITTE 1998: Die Biblische Urgeschichte. Redaktions- und theologiegeschichtliche Beobachtungen zu Gen 1,1–11,26, BZAW 265, Berlin/New York; N. C. BAUMGART 1999: Die Umkehr des Schöpfergottes. Zu Komposition und religionsgeschichtlichem Hintergrund von Gen 5–9, HBS 22, Freiburg i. Br. u.a.; SCHÜLE 2006a; M. ARNETH 2007: „Durch Adams Fall ist ganz verderbt ...“. Studien zur Entstehung der alttestamentlichen Urgeschichte, FRLANT 217, Göttingen. 3 Die im Druckbild der BHS durch eine Lücke nach Art der pārāšāh setûmā angedeutete Gliederung beruht wie im Fall der Aufteilung von Gen 2,4a/4b auf einer exegetischen Vorentscheidung des Herausgebers. Im Codex L wird 9,18–29 durch ein Spatium zwischen 9,17 und 9,18 und durch eine Leerzeile zwischen 9,29 und 10,1 abgegrenzt. Zwischen 9,19 und 9,20 findet sich gegen die BHS keine Lücke. 4 So H. G UNKEL 1910/1977: Genesis, HK I/1, 3. Aufl., Göttingen (= Nachdr. d. 9. Aufl. 1977), 78f, und aus der neueren Diskussion SCHÜLE 2006a, 355ff; M. VERVENNE 1995b: What Shall We Do With the Drunken Sailor? A Critical Re-Examination of Genesis 9.20– 27, JSOT 68, 33–55.
II. Abgrenzung und Gliederung von Gen 9,18–29
231
gleichwohl wird man V. 18f in seinem vorliegenden Kontext nicht der Fluterzählung zuschlagen dürfen: V. 18 führt die im Folgenden auftretenden Personen ein und gehört deshalb zur Exposition der Erzählung. Zudem kommt in V. 19, der wegen des rückverweisenden שׁלשׁה אלהvon V. 18 nicht zu trennen ist, mit dem Hinweis auf die Abstammung aller Völker von den drei Noahsöhnen erstmals die für die Fluch- und Segensworte in V. 25–27 grundlegende Völkerperspektive in den Blick.5 Die Zugehörigkeit von V. 28f wird mit dem Hinweis infrage gestellt, dass die genealogische Notiz über Noahs Lebensjahre nach der Flut und sein Gesamtalter den Abschluss der Noahgeschichte bilden.6 Auch das ist unstrittig, dennoch sollte man die beiden Verse nicht separieren. Zwar könnte die Erzählung grundsätzlich schon mit dem Fluchwort und den Segensworten V. 25–27 enden, doch würde ihr dann ein Ausklang fehlen.7 So beschließt V. 28f im vorliegenden Textzusammenhang die Noahgeschichte, deren letzter Akt die zuvor geschilderten Begebenheiten um Noah und seine Söhne sind. Eindeutig ist jedenfalls, dass mit der Toledotformel in Gen 10,1 eine neue Sinneinheit beginnt. Die Gliederung des Abschnitts ist klar. Die Exposition und der Schluss sind durch den Bezug auf die Flut und die genealogischen Angaben aufeinander bezogen und bilden einen Rahmen um den Hauptteil, der sich seinerseits aus zwei Unterabschnitten zusammensetzt. Des Näheren ist die Exposition des Abschnitts in V. 18f konzentrisch angelegt: V. 19 nimmt V. 18a in umgekehrter Reihenfolge auf, da die betonte Voranstellung der Kardinalzahl שׁלשׁהdie namentliche Nennung der drei Söhne Noahs am Ende des Halbverses zusammenfasst und anschließend die Wendung בני נחvom Anfang von V. 18a wiederholt. Von dieser chiastischen Struktur wird das erläuternde „Und Ham: Er war der Vater Kanaans“ in V. 18b gerahmt und dadurch besonders herausgestellt.8 Der betonten Einführung Kanaans entsprechen die nicht weniger betonte Wendung „Ham, der Vater Kanaans“ zu Beginn der Schilderung des Vergehens (V. 22) und die dreimalige Erwähnung Kanaans in den Fluch- und Segensworten (V. 25.26.27) auf dem Höhepunkt der Erzählung. Der auffällige V. 18b gibt also das Stichwort der Erzählung vor, die in erster Linie eine Geschichte über Kanaan, die abwesende und doch stets präsente Hauptfigur des Abschnitts, sein will.9
Vgl. TH. HIEKE 2003: Die Genealogien der Genesis, HBS 39, Freiburg i. Br. u.a., 94. BAUMGART 1999, 98; VERVENNE 1995b; ARNETH 2007. 7 Mit H. SEEBASS 1996: Genesis I. Urgeschichte (1,1–11,26), Neukirchen-Vluyn, 243, 250. 8 Vgl. W ITTE 1998, 100 und (etwas anders) A RNETH 2007, 50, 202. 9 Vgl. statt vieler SCHÜLE 2006a, 360. 5 6
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12. Hams Sündenfall und Kanaans Erbfluch
Der Hauptteil des Abschnitts umfasst die V. 20–27 und gliedert sich in formaler Hinsicht in zwei Unterabschnitte.10 V. 20–24 ist ein erzählender Text. Die Reihe von dreizehn Narrativen wird lediglich in V. 23b unterbrochen, um die näheren Umstände des angemessenen Handelns der beiden Brüder Sem und Japhet zu erläutern. Die V. 25–27 bieten Fluch- und Segensworte und lassen sich noch einmal in zwei Untereinheiten gliedern. Dem mit ויאמרund folgendem Partizip ( )ארורeingeleiteten Fluchwort gegen Kanaan steht ein ebenfalls mit ויאמרund folgendem Partizip ( )ברוךeingeleitetes Segenswort für Sem und Japhet gegenüber. Die an die beiden angemessen handelnden Brüder gerichteten Sprüche werden also ungeachtet der Binnendifferenzierung als Einheit aufgefasst.11 Dies wird durch den gleichlautenden Nachsatz „und Kanaan sei ihr Knecht“ unterstrichen, der wiederum das Fluchwort „Knecht der Knechte soll er für seine Brüder sein“ aufgreift. Insofern V. 24 die Reihe der Narrative nach ihrer Unterbrechung durch V. 23b fortsetzt und zugleich den Wechsel zu dem in den beiden Redeeinleitungen in V. 25 und V. 26 vorausgesetzten Subjekt Noah vollzieht, kann der Vers auch als Übergang bezeichnet werden. Inhaltlich lässt sich die von V. 24 verbundene Abfolge von V. 20–23 und V. 25–27 in lockerer Anlehnung an kasuistische Rechtssätze als Schilderung einer Tat und ihrer Umstände einerseits und der entsprechenden Tatfolge andererseits beschreiben. Dabei schildert der Übergangsvers die Feststellung der Tat und unterstreicht durch die Wendung עשׂה+ לin der Perspektive des Opfers die Entsprechung zwischen Tat und Tatfolge (vgl. Lev 24,19; Dtn 19,19).12 Besonders tritt der Entsprechungscharakter jedoch darin zutage, dass V. 24 explizit und gegen die übliche Genealogie (vgl. V. 18; Gen 5,32; 10,1) von Hams Tat als der Tat seines jüngsten Sohnes spricht und sich der Fluch dann gegen Kanaan, den jüngsten Sohn Hams, richtet (V. 25; vgl. Gen 10,6).13 Der Schluss des Abschnitts greift mit der Erwähnung der Flut die Chronologie der Exposition in V. 18 auf. Auffällig ist die dabei verwendete Datierung אחר המבול. Sie ist sonst nur noch in Gen 10,1.32 und 11,10 belegt und markiert dort jeweils den ‚ereignisgeschichtlichen‘ Bezugspunkt der Entstehung der Völkerwelt. Somit nimmt der Schluss der Erzählung auch die in V. 19 eröffnete Perspektive auf dieses Thema auf. Darüber hinaus stellt sich die genealogische Notiz in eine Reihe mit den Angaben zum Lebensalter Noahs aus Gen 5,32 und schlägt damit am Ende der Noahgeschichte einen Bogen zurück zu deren Anfängen. Auf diese Weise wird die letzte Episode im Leben Noahs noch einmal als Übergang von der Geschichte Noahs und seiner Söhne 10
Für eine ausführliche Analyse der sprachlichen Struktur vgl. VERVENNE 1995b, 44–
48. Vgl. ARNETH 2007, 209. Zur juristischen Terminologie vgl. H. J. BOECKER 1964: Redeformen des Rechtslebens im Alten Testament, WMANT 14, Neukirchen-Vluyn, 29f. 13 Vgl. dazu unter Abschnitt III. 11 12
III. Literarische Analyse von Gen 9,18–29
233
zur Geschichte der aus den Söhnen Noahs entstandenen Völker gekennzeichnet. Entsprechend weicht die nachfolgende Toledotformel am Anfang der Völkertafel vom Schema ab und erwähnt abermals „die Söhne Noahs, Sem, Ham und Japhet“ (Gen 10,1; vgl. 11,27).
III. Literarische Analyse von Gen 9,18–29 Die am häufigsten notierte Spannung innerhalb von Gen 9,18–29 resultiert aus den genealogischen Angaben zu den Söhnen Noahs. Die Abfolge Sem, Ham und Japhet in der Exposition setzt voraus, dass Ham der mittlere Sohn ist (V. 18a; vgl. Gen 5,32; 6,10; 7,13; 10,114; 1Chr 1,4). Dagegen gilt er im Hauptteil als der jüngste Sohn Noahs (V. 24). Hinzu kommt, dass Ham zweimal auffällig als der Vater Kanaans bezeichnet wird (V. 18b; 22a), was wiederum die Aufmerksamkeit darauf lenkt, dass Kanaan für die Tat seines Vaters Ham verflucht wird und in den Fluch- und Segenssprüchen von Kanaan und seinen Brüdern sowie von Sem und Japhet die Rede ist (V. 25.26.27). In der Regel wird dies so ausgewertet, dass V. 18f und V. 20–27 nicht von einer Hand stammen und die Identifizierung Hams als Vater Kanaans in V. 18b und V. 22a auf die redaktionelle Verbindung der beiden Texteinheiten zurückgeht.15 Darüber hinaus wurde verschiedentlich vorgeschlagen, die Erwähnung Hams in V. 22 ganz zu streichen, um so eine einheitliche Kanaanerzählung zu gewinnen.16 Fällt das Vater-Sohn-Verhältnis von Ham und Kanaan der literarkritischen Rekonstruktion zum Opfer, so ergibt sich nach einer wiederholt vorgetragenen These für den mutmaßlichen Grundbestand der Erzählung eine weitere Spannung zur Fluterzählung, insofern für Gen 9,20–27* vermutet wird, dass der Abschnitt von Noah und seinen kindlichen Söhnen handelt, während die Fluterzählung von erwachsenen Söhnen ausgeht.17
In Gen 10,1.2ff wird die Genealogie der Noahsöhne in umgekehrter Reihenfolge entfaltet, da die Darstellung auf die Nachkommen des ältesten Noahsohnes Sem hinausläuft. An der mittleren Position Hams ändert dies nichts. 15 Klassisch: J. W ELLHAUSEN 1899: Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, 3. Aufl., Berlin (4. Aufl., Nachdr. d. 3. Aufl., Berlin 1963), 12f; K. BUDDE 1883: Die biblische Urgeschichte (Gen 1–12,5), Gießen, 290–370, insbesondere 299–304, 310–313; GUNKEL 1910/1977, 78. 16 Erstmals wohl W ELLHAUSEN 1899, 13. 17 Neben der Art des Vergehens, die von kindlicher Unreife zeuge, wird noch angeführt, dass der Zugang zum Zelt des Vaters noch ein gemeinsames Hauswesen voraussetze: „Der Vater im Zelte, die Kinder, wie es sich gebührt, draußen, wohl spielend gedacht“ (BUDDE 1883, 310). Vgl. ferner GUNKEL 1910/1977, 78; G. VON RAD 1972: Das erste Buch Mose. Genesis, ATD 2–4 (1949–1953), 9. Aufl., Göttingen (= 12. Aufl. 1987), 102, und unter den 14
234
12. Hams Sündenfall und Kanaans Erbfluch
Unabhängig von der Diskussion um die Erwähnung Hams in V. 22 wird der Befund dadurch erschwert, dass sowohl V. 18f als auch V. 20–27 dem jahwistischen Textanteil an der biblischen Urgeschichte zugerechnet werden, was zu recht komplizierten Lösungsvorschlägen geführt hat, wie drei wichtige Entwürfe zum Jahwisten zeigen: Julius Wellhausen zählte den Abschnitt zu den Ergänzungen innerhalb des jahwistischen Stratums. Grund war die genannte Spannung zwischen 9,18 und dem Rest der Erzählung, wobei Wellhausen die Meinung vertrat, dass die Erzählung von Sem, Japhet und Kanaan als den Söhnen Noahs ausgeht und die Konstruktion, wonach Ham an die dritte Position der Söhne Noahs rückt (V. 18b und אבי חםin V. 22a), ein sekundärer Ausgleichsversuch zu V. 18 sei. Da Wellhausen Gen 9,18 samt der Fluterzählung als Nachtrag innerhalb der jahwistischen Urgeschichte bewertet hat, muss es sich seiner Ansicht nach bei Gen 9,20–27 um einen noch späteren Nachtrag gehandelt haben.18 Unklar bleibt, weshalb es innerhalb der jahwistischen Ergänzungen derart unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der Noahsöhne gegeben hat und weshalb der oder die Ergänzer diese Spannungen nicht eleganter beseitigt haben beziehungsweise warum sie von ihnen überhaupt geschaffen wurden. Wenig Hilfe verspricht hier die immer wieder vorgebrachte Erklärung, dass der Ergänzer mit V. 20–27 überkommenes Material treuherzig eingearbeitet hat:19 Dass eine ursprünglich selbständige Erzählung mit V. 20 begonnen hat, ist schon deswegen unwahrscheinlich, weil die Erzählung die in V. 18 genannten Personen und Verwandtschaftsverhältnisse voraussetzt. Ohne eine entsprechende Einführung bliebe die Angabe „zu seinen beiden Brüdern“ in V. 22 und die erstmalige namentliche Erwähnung der beiden Brüder in V. 23 mehr als erstaunlich.20 Karl Budde hat mit seiner Aufteilung der jahwistischen Urgeschichte auf zwei Quellen, einem älteren J1 und einem jüngeren J2, Wellhausens These modifiziert.21 Anders als Wellhausen erkannte er in Gen 9,20–27 keinen Nachtrag zu der um die Fluterzählung erweiterten Urgeschichte des älteren Jahwisten.22 Vielmehr gehöre der Abschnitt zu J1, sei allerdings im Zuge der Verbindung
neueren Kommentaren L. RUPPERT 1992: Genesis. Ein kritischer und theologischer Kommentar. 1. Teilband: Gen 1,1–11,26, FzB 70, Würzburg, 411. 18 W ELLHAUSEN 1899, 9, 12f. 19 Vgl. (statt vieler) C. W ESTERMANN 1974: Genesis 1–11, BK I/1, Neukirchen-Vluyn, 647f. 20 Mit B AUMGART 1999, 385. Reine Spekulationen sind die Reduktion auf einen Sohn (vgl. WESTERMANN 1974, 650) oder zwei Söhne Noahs (vgl. J. HERRMANN 1910: Zu Gen 9,18–27, ZAW 30, 127–131; WITTE 1998, 103) sowie der Vorschlag von RUPPERT 1992, 416: „Die ursprüngliche genealogische Notiz V. 18* dürfte gelautet haben: ‚Die Söhne Noachs, die aus der Arche herausgingen, waren Sem, Jafet und Kanaan‘“. 21 B UDDE 1883. 22 AaO 290–370, insbesondere 299–304, 310–313.
III. Literarische Analyse von Gen 9,18–29
235
mit J2 und der Einarbeitung der Flutgeschichte in den Erzählablauf von seiner ursprünglichen Position hinter der Turmbauerzählung an seinen jetzigen Ort verrückt worden. Dabei sei der von Budde frei geschaffene Übergang von der Turmbau- zur Noaherzählung („Es zog aber von Babèl aus auch Nôach, der Sohn Jabâl’s, er und sein Weib und seine drei Söhne, Schēm, Jèpheth und Kenáan, und er ging nach dem syrischen Mesopotamien und blieb dort. Und Nôach wurde ein Ackersmann ...“)23 durch den Abschluss der Fluterzählung des J2 in Gen 9,18 mit den bekannten Spannungen ersetzt worden. Diese erklären sich somit durch das Zusammenarbeiten von zwei Quellen. In methodischer Hinsicht vermag der Vorschlag ob seiner freihändigen Textergänzungen und ungesicherten Vorannahmen jedoch kaum zu überzeugen. Wieder stärker in den Bahnen Wellhausens argumentiert Christoph Levin, der zwischen den Quellen des Jahwisten und seinem redaktionellen Eigenanteil unterscheidet.24 Nach Levin gehört Gen 9,18.20–27 wie die Fluterzählung zu den Ergänzungen des jahwistischen Redaktors.25 Doch anders als bei Wellhausen gehen die Spannungen nicht auf Unstimmigkeiten innerhalb der jahwistischen Ergänzung(en) zurück. Sie erklären sich vielmehr aus dem Konflikt zwischen dem Eigeninteresse des jahwistischen Redaktors, der die Gegenüberstellung von Kanaan und Israel bereits in der Urgeschichte verankert sehen möchte, und einer ihm vorgegebenen Quelle, die von den Noahsöhnen Sem, Ham und Japhet zu berichten weiß. Für diese Auskunft beruft sich Levin aber nicht auf Gen 9,18, da dieser Vers eindeutig auf die zu derselben Ergänzungsschicht gehörige Fluterzählung bezogen ist. Stattdessen identifiziert er die genealogische Notiz über Noah und seine drei Söhne Sem, Ham und Japhet in Gen 5,32b als Quelle. In dieser habe Gen 5,32b gemeinsam mit Gen 9,19 die ursprüngliche Einleitung zur jahwistischen Völkertafel in Gen 10* gebildet. Die von Levin vorgeschlagene Lösung wird dem Befund gerecht, dass Gen 9,20ff auf den Kontext angewiesen ist, und sie kann die von der Ergänzung erzeugten Spannungen in den genealogischen Verhältnissen plausibel mit dem Eigeninteresse des Ergänzers erklären. Die Identifizierung von Gen 5,32b und 9,19 als Einleitung einer dem Jahwisten vorgegebenen Völkertafel beruht dagegen auf einer Reihe von, wie mir scheint, problematischen Voraussetzungen: 1. Die jahwistische Fluterzählung gilt mit Wellhausen als Nachtrag.26 Anders ließe sich weder ein ursprünglicher Zusammenhang von Gen 5,32 und 9,19 rekonstruieren, noch könnten die nicht-priesterschriftliche Fluterzählung und Gen 9,18.20–27 dem jahwistischen Redaktor zugewiesen werden. 2. Die üblicherweise als priesterschriftlich geltenden Genealogien Japhets, Hams und
Vgl. die Rekonstruktion aaO 530. CH. LEVIN 1993: Der Jahwist, FRLANT 157, Göttingen. 25 AaO 118–120. Dort auch zum Folgenden. 26 Vgl. aaO 103ff. 23 24
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12. Hams Sündenfall und Kanaans Erbfluch
Sems in Gen 10,2–7.20.22–23.31 werden der Quelle des Jahwisten zugeschrieben.27 Die Einleitung der dem Jahwisten vorgegebenen Völkertafel würde sonst ins Leere laufen. 3. Die genealogische Notiz zu Noah in Gen 5,32 wird üblicherweise P zugeschrieben, hingegen erkennt Levin in Gen 5,32a einen von der Endredaktion geschaffenen Übergang zum Auftakt der jahwistischen Fluterzählung in Gen 5,32b–6,8, der seinerseits an das Quellenfragment Gen 5,32b angehängt worden ist.28 Auf die beiden ersten Voraussetzungen ist an dieser Stelle nicht einzugehen.29 Für die Aufteilung von Gen 5,32 auf zwei Verfasser wird die „unbegründete Wiederholung des Subjekts “נח30 angeführt. Dass V. 32a P abzusprechen sei, ergebe sich aus Abweichungen vom Schema der priesterschriftlichen Genealogie in Gen 5.31 Da mit V. 32a auch die zweite Vershälfte für P verloren ist, kann V. 32b einer (vor)jahwistischen „Stammliste des Menschengeschlechts zwischen Schöpfung und Völkertafel“ zugeschrieben werden, wobei der Anschluss von V. 32b an die vorangehenden Teile der vermuteten Quelle durch das Einwirken der Endredaktion zugunsten von P verdrängt worden sei. Ferner habe die Endredaktion ein ursprüngliches ילדim Qal nach Vorgabe von P durch die Hifilform ersetzt.32 Nun gibt es jedoch gute Gründe, an der Zuschreibung von Gen 5,32 an P festzuhalten. Die Formulierung שׁנה... בן... ויהיstatt שׁנה... ויהיweicht zwar vom Schema in Gen 5 ab, doch lassen sich für P Parallelen (Gen 25,20) und ähnlich gestaltete Formulierungen anführen (Gen 7,6; 11,10; 37,2). Dass sich Vgl. aaO 121ff. Vgl. aaO 99f. 29 Zu den grundlegenden Voraussetzungen für die Ausscheidung der Fluterzählung als (innerjahwistische) Ergänzung gehören die Herauslösung einer umfangreichen sündentheologischen Bearbeitung der jahwistischen Urgeschichte, die eine ursprüngliche Anthropogonie zur Fallerzählung in Gen 2–3 ausgestaltet habe und auf die auch die Einarbeitung der Brudermorderzählung in Gen 4,1–16 zurückgehen soll. Zur Kritik an dieser Position vgl. H. PFEIFFER 2000: Der Baum in der Mitte des Gartens. Zum überlieferungsgeschichtlichen Ursprung der Paradieserzählung (Gen 2,4b–3,24), ZAW 112, 487–500 (Part I) und (2001) ZAW 113, 2–16 (Part II); E. BLUM 2010: Von Gottesunmittelbarkeit zu Gottähnlichkeit. Überlegungen zur theologischen Anthropologie der Paradieserzählung, in: ders., Textgestalt und Komposition. Exegetische Beiträge zu Tora und Vordere Propheten, FAT 69, Tübingen, 1–19; J. CH. GERTZ 2004b: Von Adam zu Enosch. Überlegungen zur Entstehungsgeschichte von Genesis 2–4, in: M. Witte (Hg.), Gott und Mensch im Dialog. Festschrift O. Kaiser, BZAW 345/1, Berlin/New York, 215–236 (in diesem Band Nr. 5). Zur vorgeschlagenen Neuordnung der quellenkritischen Verhältnisse in Gen 10 vgl. vorerst SEEBASS 1996, 266; WITTE 1998, 100–114; ARNETH 2007, 92–96. Für die Analyse von Gen 10 von Witte und Arneth hängt freilich sehr viel an der quellenkritischen Einordnung von Gen 9,19 (und 18a). 30 LEVIN 1993, 100. 31 Zu den aaO 100 en passant angeführten Unstimmigkeiten gegenüber der priesterschriftlichen Chronologie vgl. ausführlich WITTE 1998, 114–116. 32 LEVIN 1993, 53 Anm. c. 27 28
III. Literarische Analyse von Gen 9,18–29
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unter ihnen eine Angabe zum Lebensalter Noahs in der priesterschriftlichen Flutgeschichte befindet, wird kein Zufall sein. Deutlicher wird der Befund, wenn Gen 5,32 im Zusammenhang mit dem nächsten P zugeschriebenen Text gesehen wird, und zwar der Toledot Noahs in Gen 6,9. Dass die Abschlussformulierung einer Toledot bereits auf die nächste Toledot hinweist, ist nicht ungewöhnlich (vgl. Gen 11,26f) und mit Blick auf die umfangreiche Ausgestaltung der Toledot Noahs durch die Fluterzählung sogar zu erwarten. Im Zusammenhang mit der viermaligen Nennung Noahs in Gen 6,9f erstaunt dann auch die Wiederholung des Namens in Gen 5,32b nicht. Wichtiger für die Einordnung des Verses ist jedoch, dass V. 32b mit Blick auf die kommenden Ereignisse die notwendige Segmentierung der Genealogie Noahs in drei Linien vornimmt.33 Entsprechend wird für Noah auch nicht die restliche Lebensspanne nach der Geburt des Erstgeborenen angegeben. Dies geschieht erst zum Abschluss der Toledot Noahs in Gen 9,28f (P). Dass Gen 9,28f die Angaben zum Lebensalter Noahs in Gen 5,32 vervollständigt, ist ebenfalls ein untrügliches Zeichen für die priesterschriftliche Herkunft von Gen 5,32.34 Mit der Beibehaltung der klassischen Zuordnung von Gen 5,32 zu P fällt aber nicht allein die Rekonstruktion einer Gen 5,32b; 9,19 umfassenden Einleitung zu einer vom Jahwisten aufgenommenen Quelle. Mit Levin ist nämlich festzuhalten, dass die weitgehend parallel formulierte genealogische Notiz in Gen 9,18a kaum in einem anderen literarischen Umfeld zu verorten ist. Gegen Levin und die von ihm geteilte Forschungsmehrheit bedeutet dies freilich, dass Gen 9,18a mit einigen älteren und neueren Untersuchungen zu den priesterschriftlichen Texten zu rechnen ist.35 Die für eine jahwistische Herkunft von Gen 9,18a angeführten Gründe sind schwach: Die Verse erweisen sich schon dadurch als jahvistisch, dass sie in der Grundschrift völlig überflüssig wären, da diese die Söhne Noah’s bereits mehrere Male mit Namen angeführt hat. In J aber sind sie noch nicht genannt und darum nöthig, falls er sie ebenso kannte36.
Letzteres ist aber genau das Problem. Außer 1Chr 1,4 gehören alle sicheren Belege für die Reihe Sem, Ham und Japhet zu P (Gen 5,32; 6,10; 7,13; 10,1). Lediglich für Gen 9,18 wird eine nicht-priesterschriftliche Herkunft behauptet, 33 Vgl. H IEKE 2003, 76. Ähnlich werden zum Abschluss der Genealogie die drei Söhne Terachs erwähnt (Gen 11,26) und dann in der unmittelbar folgenden Toledot Terachs noch einmal genannt (Gen 11,27). Bei Terach fehlen wie bei Noah nach der Geburt des Erstgeborenen die Angabe über die restlichen Lebensjahre – sie wird wie bei Noah am Ende der Toledot als Angabe über die gesamte Lebenszeit nachgetragen (Gen 11,32) – und der Hinweis „er zeugte Söhne und Töchter“. 34 Vgl. dazu auch B AUMGART 1999, 34f. 35 TH. N ÖLDEKE 1869: Untersuchungen zur Kritik des Alten Testaments, Kiel; J. BLENKINSOPP 1992: The Pentateuch. An Introduction to the First Five Books of the Bible, London, 85; WITTE 1998, 100–102; ARNETH 2007. 36 B UDDE 1883, 302f.
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12. Hams Sündenfall und Kanaans Erbfluch
also genau für den Beleg, dessen genealogische Angaben in Spannung zu der nachfolgenden (nicht-priesterschriftlichen) Erzählung stehen. Diesem Befund korrespondiert die Beobachtung, dass die nicht-priesterschriftliche Fluterzählung anders als die genealogisch ausgerichtete priesterschriftliche Variante gar nicht von den Söhnen Noahs spricht, sondern von seinem ganzen Haus (Gen 7,1). Darüber hinaus erwähnt der Jahwist nach der üblichen quellenkritischen Zuordnung in Gen 10* Ham gar nicht und Japhet nur indirekt (Gen 10,21). Anderseits spricht dezidiert für eine priesterschriftliche Herkunft von Gen 9,18a, dass der Vers gemeinsam mit V. 28f den hinteren Rahmen der priesterschriftlichen Fluterzählung bildet. Ohne V. 18a und der davon nicht zu trennenden Notiz über die Völkerentstehung in V. 19 würde völlig untypisch für P am Ende der Toledot Noahs jeder Verweis auf die kommende Toledot (vgl. 10,1) fehlen. Damit ergibt sich folgender Zwischenbefund: In Gen 9,18–29 nimmt V. 18f die Funktion einer Exposition wahr. Diese Exposition wird von der Erzählung in V. 20ff vorausgesetzt, steht aber hinsichtlich der genealogischen Angaben in Spannung zu ihr. Das spricht für die These Levins, wonach der vorliegende Erzählzusammenhang von Gen 9,18–27(28f) das Werk eines Ergänzers ist, der seine Erzählung an vorliegendes Quellenmaterial angefügt hat und aus einem starken Interesse an der Fluchexistenz Kanaans die unverkennbaren Spannungen in Kauf genommen hat. Anders als Levin dies vermutet, diente dem Ergänzer nicht Gen 5,32b als Anknüpfungspunkt, sondern Gen 9,18a.19. Gen 9,18a.19 gehört wie die Parallelstelle in Gen 5,32 zu P, die Erzählung Gen 9,18–29 ist eine nachpriesterschriftliche Ergänzung zu den Begebenheiten aus dem Leben Noahs.37 Auf den nachpriesterschriftlichen Ergänzer geht außer den V. 20–27 auch V. 18b zurück, wodurch der vorgegebene Chiasmus in V. 18a.19 zu einer um V. 18b angelegten konzentrischen Struktur umformuliert wird.38 So herausgestellt, gibt der Teilvers das Leitwort vor und zeigt von Anfang an, dass es sich um eine Geschichte über Kanaan handelt. Die Umwandlung der Genealogie der Noahsöhne Sem, Ham und Japhet in eine Geschichte, die auf eine Verfluchung Kanaans hinausläuft, hat einige Auffälligkeiten verursacht, gibt jedoch keinen Anlass zu weiteren literarkritischen Eingriffen und bietet auch keine hinreichenden Indizien für eine überlieferungsgeschichtliche Neuerfindung der Erzählung. Die viel diskutierte Angabe von V. 24, wonach Ham anders als
So im Rahmen sehr unterschiedlicher Modelle zur Redaktionsgeschichte von Gen 1– 11 auch WITTE 1998, 102–105; A. DE PURY 2005: Sem, Cham et Japhet. De la Fraternité à l’esclavage? in: A. Kolde/A. Lukinovich/A.-L. Rey (Hg.), Koryphaiō Andri. Mélanges offerts à André Hurst, Recherches et rencontres 22, Genf, 495–508; ARNETH 2007, 200–210. 38 Siehe oben bei Anm. 8. 37
IV. Hams Vergehen
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sonst nicht der mittlere, sondern der jüngste Sohn ist, beruht auf der priesterschriftlichen Auskunft, dass Kanaan der jüngste Sohn Hams ist (vgl. Gen 10,6). Der Rest ergibt sich aus einer ganz einfachen Überlegung: Sollte die gewünschte Abqualifizierung Kanaans zum Knecht aller Völker in einem urgeschichtlichen Einzelgeschehen begründet werden, dann musste dieses wegen der genealogischen Kontinuität nach der Flut platziert werden. Wegen seines Menschheitsbezugs musste es noch zu Lebzeiten Noahs und vor der Ausdifferenzierung der Söhne Noahs zu den Völkern der Erde stattgefunden haben. Insofern bot Gen 19,18a.19 mit seinem deutlichen Rückbezug auf die Flut und seinem Vorgriff auf die Entstehung der Völker den einzig möglichen Ort für eine entsprechende Ergänzung. Wegen der vorgegebenen priesterschriftlichen Genealogie musste jedoch die Tat Hams zum Fluch gegen Kanaan werden. Die notwendige Verbindung zwischen dem ‚Sündenfall‘ Hams und dem Erbfluch Kanaans liefert die schlichte Entsprechung, wonach die Tat des jüngsten Sohns auf dessen jüngsten Nachkommen fällt.39 Schließlich erklärt die Anknüpfung an die vorgegebene Genealogie auch, weshalb ungeachtet der intendierten Entgegensetzung von Kanaan und Sem (und Israel) der Segensspruch über Japhet in V. 27 nicht als (noch späterer) Nachtrag beurteilt werden darf.40 Da es sich in der Folge von V. 18a notwendig um eine Geschichte von drei Brüdern handelt, darf Japhet einfach nicht fehlen. So handelt Japhet wie Sem (V. 23) und wird des Segens für Sem teilhaftig. Dass im Kontext des Japhet-Spruches von אלהיםstatt wie im Segensspruch über Sem von יהוהdie Rede ist, markiert keinen literarischen Bruch, sondern beruht auf einem theologischen Programm, das unter den Nachkommen Noahs zwischen Jahweverehrern, Gottesfürchtigen und Gottlosen zu unterscheiden weiß.41
IV. Hams Vergehen Neben der Zuordnung von Ham und Kanaan hat das Ham vorgeworfene Vergehen eine vielgestaltige, teilweise recht phantasievolle Diskussion ausgelöst,42 scheint der Text doch mehr zu verschweigen als zu sagen. So wurde zur
Vgl. SEEBASS 1996, 244. Anders u.a. HERRMANN 1910, 129 und LEVIN 1993, 120. Vgl. ferner WITTE 1998, 102–105, der den Japhetspruch auf den nachpriesterschriftlichen Ergänzer zurückführt und die (vermeintlichen) Spannungen von V. 27 zu den beiden anderen Sprüchen zum Ausgangspunkt für die Rekonstruktion einer vorgegebenen Geschichte von Noah und seinen Söhnen Sem und Kanaan nimmt. 41 Mit W ITTE 1998, 104. Für einen Vorschlag zur historischen Einordnung des Japhetspruchs (und damit von Gen 9,18–29) vgl. aaO 315ff. 42 Einen Überblick bietet V ERVENNE 1995b, 34f. 39 40
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12. Hams Sündenfall und Kanaans Erbfluch
Erklärung des Vergehens, das eine derart harsche und die Generationen übergreifende Reaktion hervorgerufen hatte, weit über den Kontext hinaus gegriffen.43 Unter der Voraussetzung, dass Ham seinem Vater etwas Gravierendes angetan haben musste,44 wird in der Diskussion vor allem auf die idiomatische Bedeutung der Wendungen ראה+ ערוהund גלה+ ערוהim Sinne von ‚Geschlechtsverkehr haben‘ verwiesen (vgl. Lev 20,17). Hiervon ausgehend hat Frederick W. Bassett in dem Vergehen einen Inzest mit der (nicht erwähnten!) Mutter erkannt.45 Nicht eben günstig für diese und ähnliche Thesen ist, dass sie sich nur schwer in den Kontext fügt, der ein besonderes Gewicht auf Hams Erzählen vor seinen Brüdern und deren Reaktion legt. Entsprechend sieht sich Bassett zu der Auskunft gezwungen, dass V. 23 ein späterer Nachtrag ist, wobei schon der Ergänzer nicht mehr verstanden hat, worum es in der Erzählung eigentlich geht. Von einer narrativen Umsetzung des in Lev 20,17 geschilderten Rechtsfalls des Beischlafs zwischen Geschwistern geht Martin Arneth aus.46 Als Beleg verweist er auf die im Pentateuch nur in Gen 9,22 und Lev 20,17 belegte Wendung את ערוה+ ראהsowie auf die im Anschluss an die Rechtssatzreihe über Inzestvergehen als Warnung an Israel formulierte Ankündigung, dass die Vorbewohner des Landes Kanaan wegen solcher Vergehen ihr Land verlieren werden (Lev 20,22f). Nun beschreibt Lev 20,17 den verbotenen Geschlechtsverkehr zwischen Geschwistern als beiderseitiges Sehen der Scham, während Gen 9,22 lediglich davon spricht, dass Ham die Scham des Vaters gesehen hat. Auch handelt es sich um eine im Rausch erfolgte, mithin unbewusste Selbstentblößung Noahs. Nach Arneth erklären sich diese Unterschiede damit, dass der beispiellos gerechte Noah (Gen 6,9; 7,1) noch als Fluch- und Segensinstanz fungieren muss. Außerdem dürfe es nicht zur Todessanktion gegen Ham, den einen der drei Väter der Völker kommen. Bedenkt man jedoch den Zustand Noahs samt seiner unbewussten Selbstentblößung, dann handelt die als narrative Umsetzung von Lev 20,17 gelesene Erzählung von einem inzestuös-homosexuellen Missbrauch des Vaters durch Ham. Ähnlich haben schon die Rabbinen diskutiert, ob Ham seinen Vater kastriert oder vergewaltigt hat.47 In die-
Für die Annahme, dass die Beschreibung von Hams Vergehen wegen ihres derben Charakters fortgelassen worden ist (H. HOLZINGER 1898: Genesis, KHC I, Freiburg i. Br. u.a., 90; GUNKEL 1910/1977, 79), gibt es keinen Grund. So auch ARNETH 2007, 205. 44 Vgl. (statt vieler) G UNKEL 1910/1977, 79. 45 F. W. B ASSETT 1971: Noah’s Nakedness and the Curse of Canaan a Case of Incest?, VT 21, 232–237. Zur Kritik an einer Interpretation im Sinne eines sexuellen Vergehens vgl. auch M. DUBACH 2009: Trunkenheit im Alten Testament. Begrifflichkeit – Zeugnisse – Wertung, BWANT 184, Stuttgart, 265–269. 46 A RNETH 2007, 206f. Vor Arneth haben u.a. bereits G UNKEL 1910/1977, 79; B ASSETT 1971, 237 und LEVIN 1993, 119f auf Lev 20,17 hingewiesen. 43
IV. Hams Vergehen
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sem Fall wäre V. 22b wohl so zu verstehen, dass sich Ham dieser Tat vor seinen Brüdern gebrüstet hat, was wiederum die Todessanktion unabwendbar gemacht haben sollte. Wie im Fall des unterstellten Inzests mit der Mutter bleibt die Handlung der Brüder unerklärt. Sprechen diese Einwände gegen die These einer narrativen Ausgestaltung von Lev 20,17, so führt der Hinweis auf den in Lev 20 (vgl. Lev 18,3) hergestellten Zusammenhang zwischen sexuellem Fehlverhalten und den Vorbewohnern des Landes Kanaan gleichwohl in die richtige Richtung. Legt man die Angaben des Textes zugrunde, dann besteht das Vergehen im Sehen der Scham des Vaters (V. 22a) und dem Umstand, dass sich Ham darüber vor seinen Brüdern auslässt (V. 22b). Im Kontrast zu diesem despektierlichen Verhalten steht dasjenige der beiden älteren Brüder. Sie erweisen dem Vater gegenüber Ehrfurcht, wobei die Bestimmung dessen, was in diesem Zusammenhang Ehrfurcht bedeutet, eindeutig von Vorstellungen geleitet ist, wie sie sich auch in Lev 18 und 20 finden. Entsprechend ist auch die Reaktion Noahs – wie er erkennt, was vorgefallen ist, bleibt unerwähnt – davon geprägt, dass der eine Bruder falsch und die beiden anderen richtig gehandelt haben.48 Folglich geht es bei dem Vergehen Hams um eine Frage von Scham und Ehre. Verletzt das Entblößen der Scham die Würde und Integrität der Person, so besteht im Fall Hams das eigentliche Vergehen in der fehlenden Diskretion. Ham erzählt seinen Brüdern von dem Vorfall, macht ihn dadurch erst öffentlich und entehrt so den Vater.49 In diesem Zusammenhang genügt „schon die Suggestion, die die Rede von der Blöße des Vaters umgibt“50. Hätte sich Ham sofort aus dem Zelt zurückgezogen und vielleicht den Vater noch bedeckt, wäre nichts passiert. 47
Nachweise bei VERVENNE 1995b, 34 Anm. 4. Vgl. ähnlich VERVENNE 1995b, 50. Was die soziale Konvention verlangt, zeigt sehr schön die in diesem Zusammenhang immer wieder angeführte Notiz aus dem Aqhat-Epos, die von einem Sohn spricht, der die „Hand [des Vaters] ergreift bei Trunkenheit, der ihn trägt bei Sättigung mit Wein“ (KTU 1,17 I 30f). Vgl. dazu E. OTTO 1996b: Sohnespflichten im antiken Syrien und Palästina, in: ders., Kontinuum und Proprium. Studien zur Sozial- und Rechtsgeschichte des Alten Orients und des Alten Testaments, OBC 8, Wiesbaden, 256– 282. 49 Mit W ESTERMANN 1974, 653 mit Hinweis auf J. A. B AILEY 1970: Initiation and the Primal Woman in Gilgamesh and Genesis 2–3, JBL 89, 137–150, 145, und in neuerer Zeit DUBACH 2009, 266–269 mit Hinweis auf Hab 2,15f; Klgl 4,21, der den Aspekt der Unterlassung Hams noch stärker herausstellt. Vgl. auch GUNKEL 1910/1977, 79, der dann aber in völliger Verkennung der Bedeutung von „Scham und Ehre“ in den Gesellschaften des antiken Mittelmeerraums fortfährt: „Dies kann noch nicht alles sein, [...] denn es ist doch nicht so schlimm, als daß darauf der furchtbare Fluch Noahs über ihn gegründet werden könnte“. 50 SCHÜLE 2006a, 357 mit Hinweis auf B. JACOB 1934/2000: Das erste Buch der Tora Genesis, Berlin (Nachdr., Das Buch Genesis, hg. in Zusammenarbeit mit dem Leo-BaeckInstitut, Stuttgart 2000), 268: „Aber der Text genügt, das Benehmen Hams von Anfang bis Ende abscheulich zu finden“. 47 48
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12. Hams Sündenfall und Kanaans Erbfluch
Schließlich ist auch auf die Verfluchung des jüngsten Sohnes als Tatfolge hinzuweisen. Gerade das betonte Herausstellen des literarhistorisch sperrigen Umstandes, dass Ham in der Erzählung als jüngster Sohn gilt, unterstreicht den spiegelnden Charakter des Fluches. Für das Verständnis der Tat wird man daher vor allem das Verhältnis des Vaters zu seinem (jüngsten) Sohn in Rechnung stellen. Sofern Gen 9,18–29 als narrative Umsetzung eines Rechtssatzes anzusprechen ist, handelt es sich der Sache nach um das Elterngebot. Diese Annahme wird dadurch gestützt, dass der Abschnitt zu den in der biblischen Urgeschichte thematisierten familiären Beziehungskonstellationen noch diejenige von den Kindern zu den Eltern nachträgt.51 Dass die Frage der Ehre am Beispiel der Sexualität erläutert wird, ist hingegen dem Erzählziel der Verfluchung Kanaans geschuldet, da den Kanaanäern beziehungsweise den Vorbewohnern des Landes Kanaan in dieser Hinsicht quer durch die alttestamentliche Überlieferung einfach alles zugetraut wird.
V. Kompositionsgeschichtliche Stellung von Gen 9,18–29 Der Abschnitt Gen 9,18–29 geht auf einen nachpriesterschriftlichen Verfasser zurück, der mit seiner Erzählung eine neue Überleitung von der Schöpfung, ihrer Umkehr und Wiederherstellung zur Entstehung der Völkerwelt gestaltet hat. Dass es sich um einen Brückentext handelt, wurde oben bereits mit Blick auf die Exposition und den Schluss der Erzählung aufgezeigt. Exposition und Schluss der Erzählung stammen aus dem priesterschriftlichen Kontext. An dieser Stelle bleibt nachzutragen, wie der Verfasser in dem von ihm frei formulierten Teil der Erzählung mit einem gezielten Rückgriff auf die Anfänge der vorsintflutlichen Menschheit den Neueinsatz nach dem Ende der Fluterzählung gestaltet hat.52 V. 20 bezeichnet Noah als Landmann. Die im Alten Testament singuläre Formulierung אישׁ האדמהnimmt das Stichwort אדמהaus Gen 2–4 auf, wo es den Wirkungsbereich und die Herkunft des Menschen bezeichnet (Gen 2,5.6.7.9.19; 3,17.19.23; 4,3.10.11.12.14; vgl. 5,29). Ist Adam der אישׁ האדמה par excellence,53 so wird Noah auf diese Weise nach der Wiederherstellung der Schöpfung als neuer Adam charakterisiert. Dass Noah einen Weinberg pflanzt
Vgl. SCHÜLE 2006a, 358. Für die Querbezüge von Gen 9,18–29 auf die vorangehenden Texte der biblischen Urgeschichte vgl. ausführlich BAUMGART 1999, 187–195, der sich wegen seiner redaktionsgeschichtlichen Einordnung des Abschnitts allerdings auf die nicht-priesterschriftlichen Texte beschränkt. Auch sind nicht alle hergestellten Bezüge wirklich überzeugend. 53 Vgl. A. J. TOMASINO 1992: History Repeats Itself: The “Fall” and Noah’s Drunkenness, VT 42, 128–130, 129. 51 52
V. Kompositionsgeschichtliche Stellung von Gen 9,18–29
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()נטע, erinnert dagegen an Jahwes Pflanzen eines Gartens (Gen 2,8). Ebenso dürfte die Verwendung des sonst für die Aufdeckung eines Vergehens nicht gebräuchlichen Verbs ידעin V. 24 ein gezielter Rückgriff auf Gen 2–4 sein. Die Wurzel ידעist das wichtigste Leitwort der Paradieserzählung und der folgenden Erzählung um die Nachkommen des ersten Menschenpaares (Gen 2,9.17; 3,5.22; 4.1.9.17.25).54 Sodann klingt in der Erwähnung von Noahs aufgedeckter Scham ( )ערוהdas Motiv der entdeckten Nacktheit aus Gen 2–3 (ערים/ ערוםGen 2,25; 3,7.10.11) an. Unbeschadet aller Unterschiede im Einzelnen, folgt wie in Gen 3,16 aus der Tat die Umwandlung eines partnerschaftlichen Verhältnisses in ein Verhältnis von Über- und Unterordnung. Dass die Tatfolge als Fluch formuliert wird, knüpft nicht nur an die Fluch- und Strafsprüche der Paradieserzählung an. Es nimmt auch die Grundstruktur der Brüdererzählung aus Gen 4,1–16 auf, in der das Vergehen eines der Brüder ebenfalls auf einen Fluch (Gen 4,11) und eine Teilung der Menschheit hinausläuft. Über das Motiv des Segens ist Gen 9,18–29 mit dem priesterschriftlichen Schöpfungsbericht (Gen 1,22.28; 2,3; 5,2) und der Fluterzählung (Gen 9,1 P) verbunden. Schließlich ist in diesem Zusammenhang die Noah zugeschriebene Einführung des Weinbaus zu erörtern. Sie wird häufig als Analogie zu den in Gen 2– 4 beschriebenen Kulturleistungen verstanden.55 Hierfür ließe sich auch anführen, dass der Weinbau wie die in Gen 2–4 geschilderte Entstehung der Kulturgüter ambivalent geschildert wird. Allerdings liegt die Ambivalenz nicht wie in Gen 2–4 in der Ausgangssituation der zivilisatorischen Entwicklung, sondern in den Kulturfolgen, was wiederum in Gen 2–4 keine Rolle spielt. Auch unterscheiden sich die Formulierungen der kulturgeschichtlichen Notizen in Gen 4,20–22 und diejenige in Gen 9,20 recht deutlich.56 So wird sich die kulturgeschichtliche Notiz über den Anfang des Weinbaus nicht nur dem Umstand verdanken, dass im Anschluss an Gen 2–4 das „edelste aller Kulturgüter“57 nachgetragen werden sollte. Desgleichen lässt sich die Notiz auch nicht allein als Erfüllung der Ankündigung in Gen 5,29 erklären, wonach Noah den Menschen Trost für ihre Mühen auf dem verfluchten Erdboden verschaffen wird.58 Zwar ist der Bezug über das Stichwort אדמהund wohl auch der Sache nach gegeben, doch ist er weitaus weniger eindeutig gestaltet als derjenige von Gen 5,29 auf Gen 3,17.59 Im unmittelbaren Anschluss an die Fluterzählung wird man mit Martin Arneth auch die symbolische Bedeutung der Anlage eines Weinbergs zu bedenken haben und in Noahs landwirtschaftlicher Innovation Vgl. dazu GERTZ 2004b, 235 (in diesem Band Nr. 5, 105). So u.a. SCHÜLE 2006a, 357f. 56 Mit W ITTE 1998, 102. 57 SCHÜLE 2006a, 357. 58 So erstmals B UDDE 1883, 306f. 59 Mit A RNETH 2007, 204. 54 55
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12. Hams Sündenfall und Kanaans Erbfluch
neben der kulturgeschichtlichen Großtat und dem Trost für die von den Mühen der Arbeit erschöpfte Menschheit auch ein Zeichen für das Ende des Gerichts erkennen.60 Ist diese Annahme richtig, dann greift der Verfasser des Abschnitts priesterschriftliche wie nicht-priesterschriftliche Leitvorstellungen auf, wonach die Fluttradition unter dem Vorzeichen der Unheilsprophetie zu lesen ist.61 Auf den durch die Kontextbezüge betont herausgestellten Neuanfang nach der Flut folgt sogleich das Vergehen Hams. Insofern wirkt Gen 9,18–29 wie eine narrative Umsetzung zu der im Flutepilog formulierten Einsicht Jahwes in das Wesen des Menschen und seines bleibenden Hangs zum Bösen (vgl. Gen 8,21). Allerdings unterschreitet die Illustration das theologische Niveau der Fluterzählung deutlich, insofern sie die anthropologischen Aussagen der vorangehenden Episoden in Urteile über abgrenzbare soziale Größen überführt. Wurden bis zum Ende der Fluterzählung am Beispiel von Einzelschicksalen Aussagen über die Grundbedingungen menschlicher Existenz getroffen, so führt die Verbindung eines urgeschichtlichen Exempels mit der Ausweitung der Familiengeschichte Noahs zur Völkergeschichte dazu, dass das Allgemeingültige auf eine nach Fluch und Segen differenzierte Menschheit aufgeteilt wird. Die Konsequenz daraus ist, dass aus dem Hang des Menschen zum Bösen diejenige Einzeltat wird, deren Folge die Fluchexistenz Kanaans ist, womit die stereotype Beschreibung der Kanaanäer in der Mehrzahl alttestamentlicher Texte ihre urgeschichtliche Begründung erhält. Mit der geschilderten Neuakzentuierung geht einher, dass Gen 9,18–29 im Vergleich mit seinem Kontext wie eine deutliche Korrektur oder Revozierung priesterschriftlicher Vorstellungen wirkt. Im Gegensatz zu P wird der universelle Segen Gottes über die Noahsöhne (Gen 9,1–17) in Fluch und Segen differenziert (Gen 9,25–27),62 wobei der Fluch über die böse Tat ausdrücklich zum Erbfluch wird, der Kanaan auf Dauer aus dem brüderlichen Verhältnis der von P dargestellten Menschheit ausschließt.63 Der Fluch enteignet Kanaan, dem nach der priesterschriftlichen Darstellung Landbesitz zusteht (vgl. Gen 10,15–19) und in dessen Gebiet Israel (vorerst) als Fremdling lebt (vgl. Gen 17,8). Dass mit alldem die Beziehungen der Völker untereinander von Anfang an durch Macht, Herrschaft und Unterwerfung bestimmt werden, wirkt ebenfalls wie eine Kritik an der priesterschriftlichen Völkertafel und ihrer Konzeption von einem konfliktfreien Nebeneinander der Völker. Schließlich ist auch die religiöse Differenzierung in Jahweverehrer, Gottesfürchtige und Gottlose,
Ebd. Vgl. dazu J. CH. GERTZ 2007b: Noah und die Propheten. Rezeption und Reformulierung eines altorientalischen Mythos, DVfLG 81, 503–522 (in diesem Band Nr. 10). 62 So auch W ITTE 1998, 104. 63 Vgl. A. DE PURY 2005, 503f. Ähnlich auch SCHÜLE 2006a, 364f. 60 61
V. Kompositionsgeschichtliche Stellung von Gen 9,18–29
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wie sie in den Fluch- und Segensworten eingeführt wird, als Gegenentwurf zur priesterschriftlichen Konzeption des einen Gottes zu lesen, der von allen Menschen verehrt wird und dessen wahrer Name Schritt für Schritt erst Abraham und seinen Nachfolgern offenbart werden wird.64 Natürlich lässt sich die Kritik an P auch weniger negativ werten: Der Verfasser von Gen 9,18–29 hat die durch die priesterschriftlichen Texte in die biblische Urgeschichte eingezogenen utopischen Züge mit einer gehörigen Portion Realismus konfrontiert. An einem Punkt wird man dem Verfasser von Gen 9,18–29 jedoch in jedem Fall zustimmen können: Der Weinbau ist eine der vornehmsten Kulturleistungen des Menschen, die eine Verankerung in der Urgeschichte verdient, und zwar unbeschadet seiner zuweilen ambivalenten Folgen.
Die Differenzierung in Jahweverehrer, Gottesfürchtige und Gottlose liegt auf einer Linie mit der (sekundären) Notiz über den Beginn der Anrufung des Jahwenamens in Gen 4,26b. Diese verknüpft die Anfänge der Jahweverehrung mit dem durch Set und Enosch gesetzten Neuanfang nach dem Brudermord und schließt Kain und seine Nachkommen nicht ganz kontextgemäß im Nachhinein aus dem Kreise der Jahweverehrer aus. 64
13. Ham und die Hamiten Anmerkungen zu einer kulturgeschichtlich bedeutsamen ethnogeographischen Klassifizierung in der biblischen Urgeschichte A class of men have gained the high reputation of attempting gravely to theorise themselves into the right to oppress, and to hate and abuse their fellow man! [...] Noah cursed his grand son Canaan, and this dooms the black man to slavery, and constitutes the white man the slaveholder! Astounding!1 James W. C. Pennington (1841)
I know that, according to many Christians, I was a descendent of Ham, who had been cursed, and that I was therefore predestined to be a slave.2 James Baldwin (1964)
Rassismus in all seinen Ausformungen ist ein besonders zählebiges Phänomen in ganz unterschiedlichen Gesellschaften. Dabei ist von jeher das Bemühen zu beobachten, das Postulat unterschiedlicher Grade des Menschseins mit moralischen, religiösen, biologischen oder kulturellen Argumenten zu belegen. Dieses Bemühen hat selbst vor der Bibel nicht Halt gemacht, deren Vorstellung
J. W. C. PENNINGTON 1841: A Text Book of the Origin and History, etc. of the Colored People, Harford, 13 (Hervorhebung im Original). James W. C. Pennington (1809–1870) entkam im Alter von 19 Jahren der Sklaverei. Er studierte als erster Afroamerikaner an der Universität Yale, ohne sich jedoch offiziell einschreiben oder einen akademischen Grad erwerben zu dürfen. In den Folgejahren wurde Pennington ein bekannter Pastor, ein angesehener Bürgerrechtler und ein führender Abolitionist. 1849 wurde er von der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg zum Dr. theol. h.c. promoviert. Es ist dies die erste Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg für einen Afroamerikaner, wahrscheinlich in Europa, vielleicht sogar weltweit. 2 J. B ALDWIN 1964: The Fire Next Time, New York, 45f. 1
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13. Ham und die Hamiten
von der einen gottebenbildlichen Menschheit eigentlich mit jedweder rassistischen Ideologie unvereinbar sein sollte. Wichtigster Bezugspunkt für Versuche einer biblischen Begründung von Rassismus ist die Erzählung von Noah und seinen Söhnen. Von ihr leitet sich auch der Mythos von ‚Hams Fluch‘ ab, ein in Amerika vor und nach dem Bürgerkrieg (1861–1865) vielfach gebrauchtes, vermeintlich biblisches Argument für die Rechtmäßigkeit der Sklaverei.
I. Ham und die Söhne Hams in der Völkertafel Ham ist nach biblischer Darstellung nach Sem und gefolgt von Japhet der mittlere von Noahs Söhnen (Gen 5,32; 6,10; 7,13; 9,18; 10,1; 1Chr 1,4). Die insgesamt 17 biblischen Belege des Namens verteilen sich auf die kurz nach dem Ende des babylonischen Exils entstandene Priesterschrift3 und davon literarisch abhängige Texte.4 Die Priesterschrift entfaltet ihr ethnogeographisches System in der sogenannten Völkertafel (Gen 10*). Diese bietet eine genealogisch und geographisch angelegte Übersicht über die Nachkommen der Söhne Noahs, die als Stammväter der Völker der Erde betrachtet werden (Gen 10,1.32; vgl. Gen 5,32). Die Völkertafel setzt mit der bekannten Reihenfolge der Söhne Noahs ein, stellt aber in der genealogischen Durchführung den jüngsten Sohn Japhet und dessen Nachfahren an den Anfang, da sie auf den Erstgeborenen Sem als Schlusspunkt abzielt. Denn mit Sem und seinen Nachfahren ist die Völkertafel auf das aus konzeptionellen Gründen noch nicht genannte Volk Israel hin ausgerichtet. So werden im Anschluss an die Völkertafel die Angaben zu den Söhnen Sems (Gen 10,22–23) in einer Genealogie Sems
3 Priesterschrift (P) ist ein exegetischer Fachbegriff der Pentateuchforschung. Ursprünglich war er fest mit der Neueren Urkundenhypothese verbunden, in der er eine der Quellenschriften des Pentateuchs bezeichnet. In der gegenwärtigen Debatte dient das Sigel „P“ modellübergreifend als Sammelbezeichnung für ein Schrifttum, dessen Abgrenzung den Ausgangspunkt der Analyse der Quellen und Redaktionen im Pentateuch bildet. Die Abgrenzung des im weitesten Sinne zu P gerechneten Textbestandes ist seit Theodor Nöldeke (1836– 1930), einem der bedeutendsten Orientalisten des 19. Jahrhunderts und außerordentliches Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, eine der wenigen festen Größen in der Pentateuchforschung. Zur gegenwärtigen Diskussion um die Priesterschrift vgl. die Beiträge in F. HARTENSTEIN/K. SCHMID (Hg.) 2015: Abschied von der Priesterschrift? Zum Stand der Pentateuchdebatte, VWGTh 40, Leipzig. 4 Zur hier vorausgesetzten Rekonstruktion der biblischen Urgeschichte vgl. J. CH. G ERTZ 2021: Das erste Buch Mose (Genesis). Die Urgeschichte Gen 1–11, ATD 1, 2. Aufl., Göttingen. Dort auch jeweils zur Analyse und Interpretation der im Folgenden genannten Textstellen. Die ältere Version der Sintfluterzählung des ‚weisheitlichen Erzählers‘ spricht nur von Noah und seinem Haus, erst die Priesterschrift kennt die Namen der drei Söhne und bindet sie in ihr genealogisches und ethnogeographisches System ein.
I. Ham und die Söhne Hams in der Völkertafel
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entfaltet, die über den jeweils ältesten Sohn auf Terach und seine Söhne, darunter Abraham und damit auf das Volk Israel hinausläuft (Gen 11,10–26). Neben dieser Fokussierung auf die Vorfahren Israels ergibt sich eine grobe geographische Ordnung der Völkerwelt, die aus judäisch-palästinischer Perspektive von den äußersten Rändern im Norden, Nordwesten und Nordosten (Japhet), über den Süden (Ham) zur Mitte (Sem) fortschreitet. Als „Söhne Hams“ nennt die Völkertafel Kusch, Mizrajim, Put und Kanaan (Gen 10,6). Es sind die Eponyme von Völkerschaften, die am westlichen und südwestlichen Rand der den Autoren bekannten Welt beheimatet sind. Ihr Gebiet umfasst das heutige Libyen und angrenzende Regionen bis Mauretanien im Westen (Put), den Nil von Ägypten (Mizrajim) bis in den heutigen Sudan und Äthiopien (Kusch) sowie – nimmt man die Söhne und Enkel von Kusch mit hinzu (Gen 10,7) – die Arabische Halbinsel vom Golf von Akaba bis zum Golf von Aden. Die Einordnung Kanaans fällt ein wenig aus diesem geographischen Rahmen. Kanaan bezeichnet in keilschriftlichen und ägyptischen Texten der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. den südlichen, von Ägypten kontrollierten Teil der syrisch-palästinischen Landbrücke. Das entspricht den geographischen Vorstellungen des Alten Testaments des 1. Jahrtausends v. Chr., wonach das ‚Land Kanaan‘ das Israel verheißene und nach der Landnahme an seine Stämme verteilte Siedlungsgebiet ist. Nach der geographischen Ordnung der Völkertafel müsste Kanaan wie die Vorfahren des nachmaligen Israel also zu den Söhnen Sems gezählt werden. Man hat vermutet, dass die Zuordnung Kanaans zu Ham auf „einer sehr alten Tradition“5 beruht, insofern sie den genannten politischen Verhältnissen der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. entspricht.6 Wahrscheinlicher ist indes, dass die Zuordnung Kanaans zu Ham auf die ethnographisch-historische Konzeption der Priesterschrift zurückzuführen ist. Nach dem auch von der Priesterschrift geteilten Geschichtsbild des Alten Testaments gelangt Israel von außen in das Land Kanaan, in dem einst die Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob als ‚Fremde‘ unter den Kanaanäern weilten. Nach seiner Selbstwahrnehmung ist das Israel des Alten Testaments von der autochthonen Bevölkerung des verheißenen Landes also deutlich unterschieden. ‚Israel‘ und ‚Kanaan‘ sind zwei einander fremde, gar feindliche Völker, die folgerichtig nicht auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückgeführt werden. Deshalb wird Kanaan wie das im Alten Testament ebenfalls durchgängig als fremd und feindlich wahrgenommene Ägypten zu den Söhnen Hams gezählt und nicht wie die Ahnherren des nachmaligen Israel zu den Söhnen
C. WESTERMANN 1974: Genesis 1–11, BKAT I/1, Neukirchen-Vluyn, 682. Dem Anspruch nach käme auch die 25. (kuschitische) Dynastie im 8./7. Jahrhundert v. Chr. in Frage. Vgl. A. MALAMAT 2004: The Conception of Ham and His Sons in the Table of Nations (Gen 10:6–20), in: G. N. Knoppers (Hg.): Egypt, Israel, and the Ancient Mediterranean World. Studies in Honor of Donald B. Redford, Leiden, 359–360. 5 6
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13. Ham und die Hamiten
Sems. In historischer Perspektive ist die Entstehung ‚Israels‘ jedoch das Ergebnis eines komplexen Prozesses innerhalb des Kulturlandes, in dem ‚Israel‘ in und aus ‚Kanaan‘ hervorgegangen ist. Der im Alten Testament dargestellte Gegensatz zwischen ‚Israel‘ und ‚Kanaan‘ ist kein ethnischer Konflikt, sondern ein Interpretationsmuster, durch den sich das Alte Testament (‚Israel‘) in Distanz zum eigenen Lebensraum, der eigenen Geschichte und ethnischen Zugehörigkeit (‚Kanaan‘) setzt. Leitend ist dabei das Bemühen, Israel im Exil Kriterien der Abgrenzung nach außen und der Identitätsstiftung nach innen vorzugeben. Die Zuordnung Kanaans zu Ham in der Völkertafel hat also ideologische Gründe. Sie trägt die im Alten Testament gängige Unterscheidung von ‚Israel‘ und ‚Kanaan‘ in die ethnogeographische Ordnung der nachsintflutlichen Welt ein.
II. Ham, der Vater Kanaans Die Völkertafel der Priesterschrift entfaltet insgesamt das Ideal einer sich friedlich ausdifferenzierenden Welt gleich geachteter Völker. Den für die Selbstwahrnehmung Israels grundlegenden Gegensatz von ‚Israel‘ und ‚Kanaan‘ hat sie vergleichsweise dezent und gelehrt-nüchtern notiert. Eine ganz andere Tonart schlagen hingegen die jüngeren Bearbeiter der biblischen Urgeschichte an.7 Von ihnen stammt die Erzählung von ‚Noah und seinen Söhnen‘, die sie nachträglich in die genealogischen Angaben der Priesterschrift eingehängt haben (Gen 9,18a.19.28f): Der von der Sintflut erschöpfte Noah entdeckt den Weinbau, erlebt den ersten Rausch der Menschheitsgeschichte und zieht sich in sein Zelt zurück, wo er sich entblößt. Ham, der zweimal ausdrücklich als „Vater Kanaans“ bezeichnet wird, sieht die Scham seines Vaters und lässt sich darüber vor seinen Brüdern aus. Diese reagieren jedoch mit Respekt und bedecken den Vater, ohne ihn anzusehen. Nach seinem Erwachen verflucht Noah nicht Ham, sondern dessen Sohn Kanaan und dessen Nachkommen zu Knechten aller Völker, während er Sem, Japhet und deren Nachkommen segnet. Fluch und Segen zeigen deutlich, dass die Söhne Noahs und sein Enkel Kanaan weniger als Familienmitglieder denn als Repräsentanten von Volksgruppen zu verstehen sind.
7 Eine ausführliche Begründung der hier nur skizzierten These zur literarhistorischen Einordnung und Interpretation der Erzählung bietet J. CH. GERTZ 2009c: Hams Sündenfall und Kanaans Erbfluch. Anmerkungen zur kompositionsgeschichtlichen Stellung von Gen 9,18– 29, in: R. Achenbach/M. Arneth (Hg.), „Gerechtigkeit und Recht zu üben“ (Gen 18,19). Studien zur altorientalischen und biblischen Rechtsgeschichte, zur Religionsgeschichte Israels und zur Religionssoziologie. Festschrift E. Otto, BZAR 13, Wiesbaden, 81–95 (in diesem Band Nr. 12).
II. Ham, der Vater Kanaans
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In der sehr sparsam formulierten Erzählung bleibt offen, worin Hams Vergehen besteht. Auch fehlt jegliche Begründung für die Verfluchung Kanaans, das eine derart harte und generationenübergreifende Reaktion hervorgerufen hat. In der Auslegungsgeschichte ist die offene Formulierung „Noah erkannte, was sein jüngster Sohn ihm angetan hatte“ (Gen 9,24) häufig als Leerstelle verstanden worden, die dazu auffordert, sich das Geschehen aus Andeutungen des Textes zu erschließen.8 Hierzu zählt vor allem die idiomatische Bedeutung der Wendung vom ‚Sehen‘ und ‚Entblößen der Scham‘ (Gen 9,22.23) im Sinne von ‚Geschlechtsverkehr haben‘ (vgl. Lev 18,6–19; Lev 20,11.17.19–21). Diese Assoziation drängt sich allein schon wegen der in den Literaturen des alten Vorderen Orients gut belegten Verbindung von Alkoholgenuss und Sexualität auf, wozu auch das erotisch aufgeladene Motiv des Weinbergs gehört (vgl. Hld 1,6.14; 2,15).9 Besonders prominent ist in diesem Zusammenhang die Erzählung von Lot und seinen Töchtern, die ihren Vater betrunken machen, um von ihm schwanger zu werden (Gen 19,30–38). Das Resultat dieser inzestösen Mesalliance sind die Ahnherren der im Alten Testament nicht sonderlich gutgelittenen Moabiter und Ammoniter. Vor diesem Hintergrund lag es nahe, dass man in der Auslegungsgeschichte schon früh in dem Vergehen Hams einen Inzest mit der (nicht erwähnten!) Frau des Vaters erkannt hat, was in Lev 20,11 als „Aufdecken der Scham des Vaters“ bezeichnet wird.10 Andere haben einen inzestuös-homosexuellen Missbrauch des Vaters oder dessen Kastration durch Ham erwogen (TPsJ; bSan 70a; BerR 36,7).11 Doch derartige Konkretisierungen der Tat fügen sich nur schlecht in den Kontext. Ausweislich der Gegenüberstellung des Verhaltens der Brüder liegt der Ton auf Hams Erzählen vor den Brüdern.12
Nach H. GUNKEL 1910/1977: Genesis, HK I/1, 3. Aufl., Göttingen (= Nachdr. d. 9. Aufl. 1977), 79, ist der Text lückenhaft. Auch wenn „der israelitische Mann [...] in seiner Art sehr schamhaft ist“, sei das Vergehen nicht so schlimm, dass es Anlass für den furchtbaren Fluch Noahs gewesen sein könne. Deshalb kommt Gunkel zu dem Schluss, dass „ein späterer Leser an der hier berichteten Handlung des Sohnes an dem Vater solchen Anstoß genommen [hat], daß er sich gescheut hat, sie hier wiederzugeben“. Ähnlich argumentiert N. M. SARNA 1989: Genesis/Be-rêšît. The Traditional Hebrew Text With the New JPS Translation, Philadelphia/PA. 9 Vgl. dazu M. D UBACH 2009: Trunkenheit im Alten Testament. Begrifflichkeit – Zeugnisse – Wertung, BWANT 184, Stuttgart, 214–225. 10 BerR 36,4 sowie TestRub 3,11–15. In TestRub 3,11–15 wird in Anspielung auf Gen 9,18–27 in der Auslegung von Gen 35,22 notiert, dass Ruben die Nebenfrau Jakobs nackt und betrunken schlafend im Zelt vorgefunden habe. Vgl. dazu S. OPFERKUCH 2017: Ein Rausch und seine Folgen. Parallelen zwischen der Erzählung von Noah als Weinbauer (Gen 9,20–27) und ihren Auslegungstraditionen und der Bilha-Episode in TestRub 3,11–15, ZNW 108, 281–305. 11 Nachweise und Diskussion bei O PFERKUCH 2017, 289–291. 12 A. SCHÜLE 2006b: Die Urgeschichte (Genesis 1–11), ZBK AT I/1, Zürich, 357. 8
252
13. Ham und die Hamiten
Gleichwohl führt der Hinweis auf die Inzestverbote und die sexuelle Konnotation des verwendeten Vokabulars in die richtige Richtung. Das Vergehen Hams besteht im Sehen der Scham des Vaters und dem Umstand, dass sich Ham darüber vor seinen Brüdern auslässt. Im Kontrast zu diesem despektierlichen Verhalten steht dasjenige der Brüder. Sie erweisen dem Vater die gebotene Ehrfurcht. Es geht bei dem Vergehen Hams also um eine Frage von Scham und Ehre. Verletzt das Entblößen der Scham die Würde und die Integrität der Person, so besteht im Fall Hams das eigentliche Vergehen in der fehlenden Diskretion. Ham erzählt seinen Brüdern von dem Vorfall, macht ihn dadurch erst öffentlich und entehrt so den Vater. Darüber hinaus deutet sich in der begrifflichen Nähe zu den Inzestverboten des Buches Levitikus auch eine Begründung der Verfluchung Kanaans für die Tat seines Vaters Ham an. Die Inzestverbote werden mit dem Hinweis eingeschärft, dass die Vorbewohner des Landes (‚Kanaanäer‘) ihr Land wegen derartiger Vergehen verlieren werden (Lev 20,22f; vgl. Lev 18,3). Der Vorfall sollte und musste daher bei seinen schriftkundigen Lesern die stereotype Schilderung der in der alttestamentlichen Überlieferung ohnehin schlecht beleumdeten Kanaanäer ins Bewusstsein rufen. Anders formuliert: Die sexuell konnotierte Übertretung Hams zielt auf die moralische Verurteilung Kanaans, der abwesenden aber stets präsenten Hauptfigur der Erzählung. Sollte die gewünschte Abqualifizierung Kanaans zum Knecht aller Völker in einem urgeschichtlichen Einzelgeschehen begründet werden, dann musste dies noch vor der Ausdifferenzierung der Söhne Noahs zu den Völkern der Erde in der Völkertafel platziert werden. Wegen der ethnogeographischen Vorgaben der Völkertafel konnte aber nur mittelbar von Kanaan die Rede sein. Deshalb musste Hams Vergehen zum Anlass für den Fluch gegen Kanaan werden, wobei der Fluch über die böse Tat ausdrücklich zum Erbfluch wird, der Kanaan auf Dauer aus dem brüderlichen Verhältnis der von der Priesterschrift dargestellten Menschheit ausschließt.13 Die Erzählung läuft auf eine Verfluchung Kanaans hinaus und gibt eine urgeschichtliche Begründung dafür, warum die Kanaanäer so geworden sind, wie sich das die biblischen Autoren ausgemalt haben. In der Auslegungsgeschichte ist dieser Gedanke kräftig ausgebaut worden. Nach einer schon in Qumran belegten und später breit aufgenommenen Lesart wurde Kanaan deswegen verflucht, weil Gott Noah und seine Söhne beim Verlassen der Arche gesegnet hatte (Gen 9,1), was wiederum einen Fluch gegen einen der Söhne unmöglich gemacht habe (4Q252; vgl. BerR 37; Iust. dial. 139; Ephraim der Syrer, Comm. Gen. 72). Die Interpretation der Tat Hams als Kastration des Vaters führte nach einer weiteren Lesart zu der Erklärung, dass
13 Vgl. A. DE PURY 2005: Sem, Cham et Japhet. De la Fraternité à l’esclavage? in: A. Kolde/A. Lukinovich/A.-L. Rey (Hg.), Koryphaiō Andri. Mélanges offerts à André Hurst, Recherches et rencontres 22, Genf, 495–508, 503f.
III. Die Verfluchung Hams
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Noah Hams vierten Sohn verflucht habe, weil Ham seinen Wunsch nach einem vierten Sohn zunichte gemachte habe (TPsJ; bSan 70a; BerR 36,7). Im Buch der Schatzhöhle, einer Sammlung apokrypher Schriften aus der frühen Syrischen Kirche wird der Fluch über Kanaan damit begründet, dass Noah wusste, dass Kanaan „das Werk Kains erneuerte und Musikinstrumente hergestellt hatte, in denen Dämonen wohnten“ (Spelunca thesaurorum, 21). In eine ähnliche Richtung geht die Auskunft, Kanaan habe anders als seine wohlgeratenen Brüder dem Vater in dessen Bosheit geähnelt, weshalb Noah nicht Ham und damit alle Hamiten verflucht habe (Ephraim der Syrer, Comm. Gen. 70). Andere begründeten die Verfluchung Kanaans damit, dass er sich gemeinsam mit seinem Vater Ham an Noah vergangen habe (PRE 23), wobei teilweise Kanaan ein sexueller Übergriff und Ham die minder schwer bewertete unterlassene Hilfeleistung zugeschrieben wurde (Kommentare von Origenes, Fragm. E 2014; Ibn Esra z.St.). Wie schon der biblische Ausgangstext laufen diese Antworten auf die Frage, weshalb Kanaan für die Tat seines Vaters verflucht wird, auf eine Degradierung Kanaans und der ‚Kanaanäer‘ hinaus. Dazu passt auch die Rezeption der Erzählung als Rechtfertigung dafür, dass nach biblischer Darstellung Israel die Kanaanäer weitgehend ausrotten und ihr Land in Besitz nehmen konnte (vgl. Jub 10,29–34).15
III. Die Verfluchung Hams Mit ihrer ätiologischen Herleitung einer dauerhaften, gleichsam vererbten Über- und Unterordnung von Ethnien durch die moralische Abqualifizierung eines Ahnherrn samt den sexuellen Konnotationen hat die Erzählung von Noah und seinen Söhnen eine höchst problematische Wirkungsgeschichte hervorgerufen. Wie eingangs erwähnt, diente der Mythos von ‚Hams Fluch‘ im Amerika vor und nach dem Bürgerkrieg vielfach als ein vermeintlich biblisches Argument für die Rechtmäßigkeit der Sklaverei. Er diente in jüngerer Zeit aber auch als Argument, dem rabbinischen Judentum die Schuld für den europäischen
14 K. M ETZLER 2010: Origenes. Die Kommentierung des Buches Genesis, Bd. 1/1, Berlin u.a., 218–219. 15 Die dtr. geprägte Darstellung der sogenannten Landnahme und des Vollzugs des Banns im Josuabuch aus exilisch und nachexilischer Zeit nimmt keinen Bezug auf die Verfluchung Kanaans in Gen 9. Stattdessen wird er in Texten wie Jos 11,16–20 mit Weigerung der eroberten Städte begründet, sich den Israeliten zu ergeben (vgl. als ‚Rechtsgrundlage‘ Dtn 20), die ihrerseits auf eine Verstockung durch JHWH zurückgeführt wird, deren Ziel die Vertilgung dieser Völker sei. Der Zusammenhang von Fluch und Vertreibung wird erst in nachbiblischen Texten hergestellt.
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13. Ham und die Hamiten
Rassismus in die Schuhe zu schieben.16 Wichtig für das Verstehen dieser Entwicklung ist zum einen die Beobachtung, dass sich die Rezeption der Erzählung weniger am biblischen Text als an dessen frühen Nacherzählungen orientierte. Wie bei anderen alttestamentlichen Texten auch haben echte oder vermeintliche Leerstellen einen bereits im Frühjudentum einsetzenden Diskurs freigesetzt, an dem sich in der Spätantike Juden, Christen und Muslime gleichermaßen beteiligten. Zum andern ist zu unterscheiden zwischen der Ätiologie der schwarzen Hautfarbe der zu Ham gerechneten Völker und der jüngeren Vorstellung der Verfluchung der Nachkommen Hams mit schwarzer Hautfarbe zur Sklavenexistenz. Obwohl die Bibel nichts dergleichen erwähnt, scheint in der Auslegungsgeschichte recht früh die Frage aufgekommen zu sein, wie es bei der Abstammung von einem Menschenpaar so offenkundige äußere Unterschiede wie die unterschiedlichen Hautfarben geben kann. Dass die im Anschluss an die Erzählung von Noah und seinen Söhnen gebotene Ätiologie in der Regel pejorativ war, erklärt sich wohl mit dem kulturübergreifenden Phänomen, dass das ‚Andere‘, z. B. in Bezug auf die Hautfarbe, gegenüber einer selbst definierten und am ‚Eigenen‘ orientierten Norm als minderwertig angesehen wird. Auch wird es eine Rolle gespielt haben, dass die Bibel größtenteils von Menschen ohne schwarze Hautfarbe verfasst und überliefert worden ist. Vor diesem Hintergrund bot sich Ham für eine ätiologische Herleitung der schwarzen Hautfarbe daher vermutlich besonders an: Zum einen galt er als Vater von Kusch, den Bewohnern des südlich von Ägypten gelegenen Nubien. Zum andern bot sein nur angedeutetes und daher für Spekulationen offenes Vergehen an Noah hinreichend Gelegenheit für noch weitergehende Unterstellungen. So wusste eine bei den Rabbinen überlieferte und von islamischen Historikern aufgenommene Tradition zu berichten, dass Ham trotz des göttlichen Verbots auf der Arche mit seiner Frau geschlafen habe, weshalb er mit einer schwarzen Hautfarbe gestraft sei: Rabbi Chija bar Rabba sagte: „Cham und der Hund betrieben in der Arche den Coitus, deshalb ging Cham geschwärzt heraus und der Hund zeichnet sich durch Geilheit bei seiner Begattung aus.“ Rabbi Levi sagte: „Gleich einem, welcher seine Münzerei im Zelt des Königs aufstellte, da sprach der König: Ich befehle, dass das Gesicht dieses Menschen geschwärzt und seine Münze für ungültig erklärt werde. So verhielt es sich auch mit Cham und dem Hunde, welche beide während ihres Aufenthalts in der Arche den Coitus vollzogen, weshalb Cham geschwärzt herausging und letzterer als geil bekannt wurde.“ (BerR 36,7 zu Gen 9,24)
16 D. M. G OLDENBERG 1997: The Curse of Ham. A Case of Rabbinic Racism?, in: J. Salzman (Hg.), Struggles in the Promised Land. Toward a History of Black-Jewish Relations in the United States, New York, 21–51.
III. Die Verfluchung Hams
255
Die Rabbanan lehrten: „Drei vollzogen den Beischlaf in der Arche und alle wurden sie bestraft, und zwar: der Hund, der Rabe und Ḥam. Der Hund wird [bei der Begattung] angeschlossen, der Rabe spuckt [den Samen] und Ḥam wurde an seiner Haut[farbe] bestraft.“ (bSan 108b)
Nach Raschi (1040–1105), dem bedeutendsten jüdischen Kommentar des Mittelalters, ging die dauerhafte Verfärbung dann allerdings auf seinen Sohn Kusch über. Zu notieren ist, dass diese und ähnliche Ätiologien der schwarzen Hautfarbe noch nichts von der Verbindung vom Fluch der schwarzen Haut mit dem Fluch der Sklavenexistenz wissen. Nach einer These von David M. Goldenberg ist sie erstmals in muslimischen Adaptionen der biblischen Geschichte und ihrer interpretierenden Nacherzählungen belegt.17 Anfänglich scheint in der muslimischen Rezeption der Überlieferung von Ham, der im Koran nicht erwähnt wird, die schwarze Hautfarbe, jedoch nicht die Versklavung Kanaans zum ‚Knecht aller Völker‘ die Folge von Noahs Fluch gewesen zu sein. Dies legt eine Version einer ʿAbdallāh ibn Masʿūd (gest. 653), einem Gefährten Mohammeds, zugeschriebenen Erzählung nahe. Noah, der als Prophet gilt und sich deshalb anders als im Alten Testament nicht betrinkt, „badete gerade und sah, wie sein Sohn [Ham] ihn ansah und sagte zu ihm: ‚Siehst du mir beim Baden zu? Möge Gott deine Farbe ändern!‘ Und er ist der Vorfahre der sūdān.”18 Anders als im Alten Testament wird nicht Kanaan für das Vergehen seines Vaters an Noah verflucht und die Folge des Fluches ist auch nicht die Sklavenexistenz, sondern wie bei den genannten jüdischen Traditionen über Hams Verhalten auf der Arche die Hautfarbe. Die Verbindung der Verfluchung Kanaans der biblischen Erzählung mit der Ätiologie der schwarzen Hautfarbe aufgrund eines Vergehens Hams in der nachbiblischen Tradition zur doppelten Verfluchung Hams (!) und seiner Nachkommen mit schwarzer Hautfarbe und Sklavenexistenz findet sich dann explizit bei islamischen Historikern und in Prophetengeschichten, so in einer in den Ḳiṣaṣ al-Anbiyāʾ überlieferten Tradition:19 Ein Windstoß deckte Noahs Genitalien auf; Ham lachte [...] Als Noah aufwachte, fragte er: „Was war das Lachen? [...] Lachst du über die Genitalien deines Vaters? [...] Möge Gott deine Hautfarbe verändern und möge dein Gesicht schwarz werden!“ Und genau in diesem Moment wurde sein Gesicht schwarz. „Möge er Sklaven und Sklavinnen aus Hams Nachkommen machen, bis zu dem Tag der Auferstehung!“
17 D. M. G OLDENBERG 2017: Black and Slave. The Origins and History of the Curse of Ham, Studies in the Bible and Its Reception 10, Berlin. 18 Zitiert nach J. H UNWICK/F. H ARRAK 2000: Mi`rāj al-Ṣu`ūd: Aḥmad Bābā’s Replies on Slavery, Rabat, 30–31. Vgl. auch GOLDENBERG 2017, 68. 19 Zitiert nach I. EISENBERG 1923: Vita prophetarum auctore Muḥammed ben ʿAbdallāh al-Kisaʾi, Leiden, 99.
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13. Ham und die Hamiten
Auch bei dem Historiker Muḥammad Ibn-Ǧarīr aṭ-Tabarī (839–923) findet sich in leicht abgewandelter Konstellation die Kombination zum Doppelfluch:20 Kanaan ben Ham ben Noah heiratete Arsal [...] und sie gebar ihm Schwarze, Nubier [...] und das ganze Volk des Sudan. Gemäss Ibn Ḥumayd – Salamah – Ibn Isḥaq in der ḥadīth: Das Volk der Thora behauptet, dass dies nur wegen einer Anrufung Noahs gegen seinen Sohn Ham geschah. Das lag daran, dass, während Noah schlief, seine Genitalien entblößt waren, und Ham sah sie, bedeckte sie aber nicht [...] Als er erwachte [...] sagte er: „Verflucht ist Kanaan ben Ham. Sklaven werden sie seinen Brüdern sein!“
Der historische Kontext dieser Verbindung ist die islamische Eroberung Afrikas und die daraus resultierende dramatische Zunahme der Versklavung von Schwarzafrikanern. Wie der Verweis auf das „Volk der Thora“ zeigt, scheint diese Verknüpfung implizit schon länger bestanden zu haben oder sich vor dem Hintergrund der verschiedenen Traditionen zu Ham in einer bestimmten historischen Konstellation exegetisch nahegelegt zu haben. Nach Goldenberg findet sich der Doppelfluch ‚Schwarz und Sklave‘ im christlichen Kontext erstmals im 16. Jahrhundert bei dem in Peru wirkenden Dominikaner Francisco de la Cruz (1578 als Ketzer verbrannt).21 Doch bot auch die vorausgehende christliche Auslegungsgeschichte der Erzählung von Noah und seinen Söhnen zumindest Anknüpfungspunkte für diese Verbindung. Schon früh wurde die Erzählung in Verbindung mit der Völkertafel in Gen 10 zur Grundlage einer geographisch-ethnischen Hierarchisierung der Kontinente.22 Die Karte der Kontinente in der Schedelschen Weltchronik von 1493 steht in dieser Tradition und zeigt die gängige Zuordnung von Sem zu Asien, Japhet zu Europa und Ham zu Afrika. Durch die korrespondierende Darstellung von Noahs Trunkenheit und seinen drei Söhnen hierarchisiert Schedel die Kontinente und ihre Bewohner – die Nachfahren von Sem, Japhet und Ham – im Sinne einer „moralisch begründete[n] Raumordnung, die auf Noahs Fluch zurückzuführen ist“23. Daneben wurde die Erzählung in der mittelalterlichen volkssprachlichen Literatur nach
Zitiert nach W. M. BRINNER 1987: The History of al-Ṭabarī (Ta’rīḫ ar-Rusūl wa-lMulūk). Vol. II, Prophets and Patriarchs, transl. and annot. by. William M. Brinner, Albany/NY, 11. 21 G OLDENBERG 2017, 121. 22 H. W ENZEL 2006: Noah und seine Söhne oder Die Neueinteilung der Welt nach der Sintflut, in: S. Martus/A. Polaschegg (Hg.), Das Buch der Bücher – gelesen. Lesarten der Bibel in den Wissenschaften und Künsten, Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik 13, Bern, 53–84, 66–70. K. GRUBMÜLLER 1979: Nôes Fluch. Zur Begründung von Herrschaft und Unfreiheit in mittelalterlicher Literatur, in: D. Huschenbett u.a. (Hg.), Medium Aevum deutsch. Beiträge zur Literatur des hohen und späten Mittelalters. Festschrift K. Ruh, Tübingen, 99–119, nennt als einen der ältesten Belege das Hexaemeron Sive Libri Quatuor In Principium Genesis des Beda Venerabilis (gest. 735). 23 W ENZEL 2006, 69f mit Abb. 8 und 9. 20
III. Die Verfluchung Hams
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dem Vorbild Augustins unbeschadet gegenläufiger Stimmen als biblische Begründung für die Unterscheidung von Freien und Unfreien gelesen und zur Legitimationserzählung für die gesellschaftliche Aufteilung in Freie (Sem), Adlige (Japhet) und Leibeigene (Ham) ausgeweitet.24 Von einem Doppelfluch ‚Schwarz und Sklave‘ ist in diesem Kontext naturgemäß nicht die Rede. Diese Verbindung der beiden Auslegungslinien, die sich seit jeher mit der Erzählung verbunden haben, beruhte auf einer bestimmten historischen Situation wie den portugiesischen Handelsexpeditionen des 15. Jahrhunderts nach Afrika und der Ankunft schwarzer (Ex-)Sklaven in Europa.25 Wie immer die traditionsgeschichtlichen Verhältnisse bei der Ausbildung der Vorstellung vom Doppelfluch ‚Schwarz und Sklave‘ auch gewesen sein mögen, ihre steile und unheilvolle Karriere machte dieses spezielle Motiv der Auslegungsgeschichte allerdings erst in der Zeit um den amerikanischen Bürgerkrieg (1861–1865), wo der ‚Curse of Ham‘ als vermeintlich biblische Rechtfertigung der Sklaverei diente. Dass es sich dabei um eine vorwiegend populärtheologische Auslegung mit einer längeren inneramerikanischen Vorgeschichte handelt, zeigt ihre (vergebliche) Widerlegung bereits im frühen 18. Jahrhundert durch Cotton Mather, den seiner Zeit vielleicht wichtigsten Theologen und Intellektuellen Neuenglands:26 Q[uestion], The Curse upon Cham, does it not Justify our Enslaving the Negro’s, wherever we can find them? V. 27. A[nswer], The whole Family of Cham was not concerne’d in that Curse. None but Canaan, the youngest Son of Cham, is mentioned; and he is Thrice mentioned. The Negroes are not the Posterity of Canaan. The Imprecation of the Patriarch, seems to be little more than a Prophecy, of the Canaanites Overthrow & Reduction, under the Power of the Israelites, who were the Posterity of Shem. And, as one observes, the Recording hereof by Moses, doth seem especially to Justify, or at least Encourage, the Israelites, in Dispossessing them.
Die als Frage formulierte Mehrheitsmeinung des Doppelfluchs von ‚Schwarz und Sklave‘ wird deutlich und exegetisch gut begründet zurückgewiesen – geholfen hat es freilich nur wenig.
GRUBMÜLLER 1979. Vgl. dazu GOLDENBERG 2017, 105–120 („The Curse of Ham Migrates to the West”), 121–145 („The Dual Curse in Europe”). 26 C. M ATHER 2010: Biblia Americana (1663–1728), in: R. Smolinski (Hg.), Volume I: Genesis, Tübingen, 672 (Hervorhebungen im Original). Zu Cotton Mathers Position zur Sklaverei und zum Umgang mit den indigenen Völkern Nordamerikas vgl. J. STIEVERMANN 2010: The Genealogy of Races and the Problem of Slavery in Cotton Mather's „Biblia Americana“, in: R. Smolinski/J. Stievermann (Hg.), Cotton Mather and Biblia Americana – America's First Bible Commentary. Essays in Reappraisal, Tübingen, 515–576. 24 25
14. Babel im Rücken und das Land vor Augen Anmerkungen zum Abschluss der Urgeschichte und zum Anfang der Erzählungen von den Erzeltern Israels Es hat den Herausgebern der Reihe „Das Alte Testament Deutsch“ gefallen, den Nachfolgeband zu Gerhard von Rads klassischem Genesiskommentar1 auf mehrere Schultern zu verteilen. Auf den ersten Blick könnten die vorgesehenen Einzelkommentierungen der biblischen Urgeschichte, der Erzelterngeschichte und der Josefserzählung wie ein vorweggenommenes Zugeständnis an die gegenwärtige Renaissance modifizierter Fragmenten- und Ergänzungshypothesen in der Pentateuchforschung wirken. Doch die Dreiteilung greift, wenn auch bei anderer Gliederung des Buches, nur die alte Zählung des ATD auf.2 Die Verpflichtung mehrerer Kommentatoren dürfte hingegen auf der Hoffnung beruhen, durch kleinere Einheiten dem landläufigen Herausgeberleid mit säumigen Autoren ein Schnippchen zu schlagen. Ist die besagte Aufteilung der Kommentierung der Genesis folglich in erster Linie ein Gebot pragmatischer Klugheit, so wirft sie dennoch eine Reihe wichtiger Detailfragen auf. Diese betreffen vor allem die dem Jubilar auferlegte Kommentierung der Erzelterngeschichte. Ist eine abgerundete und in sich stimmige Auslegung der Jakobserzählungen überhaupt möglich, wenn Jakobs Wanderung nach Ägypten (Gen 46,1–34), sein Segen (Gen 49,1–28) oder der Tod und das Begräbnis des Pa-
1 G. VON R AD 1972: Das erste Buch Mose. Genesis, ATD 2–4 (1949–1953), 9. Aufl., Göttingen (= 12. Aufl. 1987). 2 von Rads Genesiskommentar ist zunächst als ATD 2–4 in Einzellieferungen erschienen (Band 2: Gen 1,1–12,9 [1949], Band 3: Gen 12,10–25,18 [1952] und Band 4: Gen 25,19– 50,26 [1953]). Die Einzelbände haben mehrere Auflagen erlebt. Seit 1961 erscheint der Kommentar in einem Band. Der Briefwechsel von Rads mit dem Verlag gibt verlegerische Gründe für das Erscheinen in Einzellieferungen zu erkennen: Die Wiederaufnahme der Reihe nach längerer Pause sollte zügig vorangehen. Gewünscht waren Doppellieferungen von 10 Bogen. Die Mehrzahl der erwarteten Abnehmer seien Landpfarrer, denen die einzelnen Lieferungen mit der Post zugeschickt werden müssten. Da das Porto für die Doppellieferung nicht höher sei als für eine Einzellieferung, ergebe sich für die Bezieher der ganzen Reihe im Laufe der Jahre eine erhebliche Ersparnis. Die Abgabe des Manuskripts hat sich durch den Krieg, den Tod des Sohnes, Krankheit und andere Buchprojekte jedoch sehr verzögert.
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14. Babel im Rücken und das Land vor Augen
triarchen (Gen 49,29–50,26) einem Mitkommentator überlassen werden? Darüber hinaus hängen gerade die Schlusskapitel der Genesis mit der schwierigen literarhistorischen Verhältnisbestimmung von Erzelterngeschichte und Exoduserzählung zusammen. Dass diese wiederum einige Bedeutung für die Bestimmung des Erzählziels der Erzelterngeschichte im Allgemeinen und die Auslegung der Verheißungen im Besonderen hat, dürfte unstrittig sein.3 Mit Blick auf die Separierung der Urgeschichte ist das Problem für die Kommentierung der Erzelterngeschichte schon damit angezeigt, dass diese bei von Rad erst mit Gen 12,10 einsetzt4 – eine Einteilung, welche die Herausgeber der Reihe nicht übernommen haben, die jedoch daran erinnert, dass für das Verständnis von Urgeschichte und Erzelterngeschichte die wechselseitige Zuordnung und Abgrenzung der beiden Textbereiche von grundlegender Bedeutung ist. Insofern der Auslegungshorizont für die priesterschriftlichen Texte und für die kanonische Endgestalt ohnehin die Buchgrenzen der Genesis überschreitet, stellt sich das genannte Problem vor allem für den nicht- und zugleich vorpriesterschriftlichen Textbestand, also den klassischen Jahwisten. Er steht im Zentrum der folgenden Bestandsaufnahme, die darüber Auskunft geben soll, welche literarhistorischen Perspektiven sich aus der Urgeschichte für die Kommentierung der Erzelterngeschichte ergeben können und welche Pfade der Auslegung vielleicht weniger nahe liegen. Nach einem Überblick zur Diskussion um die diachrone Selbständigkeit des nicht-priesterschriftlichen Textbestandes der Urgeschichte (I.) soll mit der Turmbauerzählung in Gen 11,1–9 deren letzter größerer nicht-priesterschriftlicher Abschnitt untersucht werden (II.–III.), um abschließend die in diesem Text zusammenlaufenden und von ihm ausgehenden Interpretationslinien zu skizzieren (IV.).
I. Zur Diskussion um die diachrone Selbständigkeit der biblischen Urgeschichte Die ursprüngliche Zusammengehörigkeit des nicht-priesterschriftlichen Textbestandes in der Urgeschichte und in der Erzelterngeschichte gehört zu den
3 Vgl. dazu M. K ÖCKERT 1988: Vätergott und Väterverheißungen. Eine Auseinandersetzung mit Albrecht Alt und seinen Erben, FRLANT 142, Göttingen und DERS. 2002: Art. Verheißung I, TRE 34, 697–704. 4 von Rad erkennt in Gen 12,1–3 das Ende der Urgeschichte. Der jahwistische Anteil am anschließenden Auszug Abrahams in Gen 12,4–9 (V. 4a.6–9) kommt so ein wenig zwischen den Büchern zu stehen. Vgl. VON RAD 1972, 9, 123–127.
I. Zur Diskussion um die diachrone Selbstständigkeit der Urgeschichte
261
Grundlagen der klassischen Hypothese eines Jahwisten.5 Mit von Rads Genesiskommentar wurde sie zum Schlüssel für die Herausarbeitung des literarischen Profils dieser Quellenschrift und für ihr theologisches Verständnis.6 Die weithin rezipierte These ist bekannt: Die Voranstellung der Urgeschichte ist das originäre Werk des Jahwisten, der in dieser Verbindung seine Gedanken habe frei entfalten können. Ein strikter Beweis für diese These lässt sich nach von Rad nicht führen, doch fehlten alle Anzeichen dafür, daß der Jahwist hier schon einer vorgegebenen Tradition folge. Diese Schau ist so einmalig, und man glaubt jenem noch Lockeren der ganzen Komposition das Wagnis des ersten Wurfes noch abfühlen zu können.7
Die theologische Konzeption der aus sehr verschiedenen Elementen zusammengesetzten Komposition entfalte sich im Zusammenspiel zweier gegenläufiger Bewegungen, dem vielzitierten „lawinenartigen Anwachsen der Sünde“8 einerseits und dem vergebenden und tragenden Heilshandeln Gottes andererseits. So korrespondieren nach von Rad in der Urgeschichte des Jahwisten die Ausbreitung des Fluchs und die stetige Daseinsminderung menschlicher Existenz als Folge der Sünde einerseits und „ein heimliches Mächtigwerden der Gnade“9 andererseits. Lediglich in der abschließenden Turmbaugeschichte wirke das Gericht auf den ersten Blick wie das letzte Wort. Doch deute dies auf die charakteristische Verzahnung von jahwistischer Urgeschichte und Erzelterngeschichte hin, insofern die Berufung Abrahams in Gen 12,1–3 auf die
5 Vgl. die Wolke der Zeugen bei F. C RÜSEMANN 1981: Die Eigenständigkeit der Urgeschichte. Ein Beitrag zur Diskussion um den „Jahwisten“, in: J. Jeremias/L. Perlitt (Hg.), Die Botschaft und die Boten, Festschrift H. W. Wolff, Neukirchen-Vluyn, 11–29, 11 Anm. 4; die Ausnahmen bei M. WITTE 1998: Die Biblische Urgeschichte. Redaktions- und theologiegeschichtliche Beobachtungen zu Gen 1,1–11,26, BZAW 265, Berlin/New York, 198f. Anm. 216. 6 Vgl. VON R AD 1972, 9f, 116–118, 121–123 in Aufnahme und Weiterführung seiner Ausführungen in G. VON RAD 1938: Das formgeschichtliche Problem des Hexateuch, BWANT IV/26, Stuttgart, 58–62 (wiederabgedr. in ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament, TB 8, München 1958, 9–86, 71–75). Andeutungen finden sich bereits bei K. BUDDE 1883: Die biblische Urgeschichte (Gen. 1–12,5), Gießen, 409 und W. STAERK 1924: Zur alttestamentlichen Literarkritik. Grundsätzliches und Methodisches, ZAW 42, 34–74, 38, 56, 64. Vgl. ferner G. VON RAD 1957: Theologie des Alten Testaments. Band 1. Die Theologie der geschichtlichen Überlieferung Israels, EETh 1, München, 164–168, sowie H. W. WOLFF 1964: Das Kerygma des Jahwisten, EvTh 24, 73–98 und O. H. STECK 1971: Genesis 12,1–3 und die Urgeschichte des Jahwisten, in: H. W. Wolff (Hg.), Probleme biblischer Theologie. Festschrift G. von Rad, München, 525–554 (wiederabgedr. in: ders., Wahrnehmungen Gottes im Alten Testament. Gesammelte Studien, ThB 70, München 1982, 117– 148). 7 VON R AD 1972, 9. 8 AaO 116. 9 AaO 10.
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14. Babel im Rücken und das Land vor Augen
offene Frage nach dem „Verhältnis Gottes zu seiner empörerischen, nun aber in Splitter zerschlagenen Menschheit“10 antworte und zugleich eine partikulare Segensgeschichte in universaler Abzweckung eröffne. Die Beschreibung einer fortschreitenden Unheilsgeschichte hat jedoch zunehmend Widerspruch erfahren.11 Insbesondere die nicht-priesterschriftliche Flutgeschichte fügt sich nur schlecht in die aufgezeigte Kompositionslinie.12 Die im Flutprolog festgestellte Totalität der Sünde und die Härte des Gerichts, das beinahe zur totalen Vernichtung der Menschheit führt, sowie die am Ende der Flut zugesagte gnädige Entkoppelung von menschlicher Schuld und göttlicher Reaktion entziehen sich der vermeintlichen Steigerungslogik.13 Auch fällt es im Vergleich mit der Flutgeschichte schwer, in der Turmbauerzählung das abschließende „gnadenlose [...] Gottesgericht über die Menschheit“14 zu sehen. Christoph Levin hat daher in einer redaktionsgeschichtlichen Reformulierung der von Radschen These JHWHs Zusage am Ende der Flut in Gen 8,21–22* als den grundsätzlichen, dann mit der Berufung Abrahams ins Spezielle gewendeten Anfang der Segensgeschichte ausgemacht.15 Der „Schlußstein der jahwistischen Urgeschichte“ wird somit nach vorn verschoben, während Gen 12,1–3 ihr „Schlüssel“ bleibt.16 Folgerichtig wird das Schema von Sünde und Strafe in der Turmbauerzählung als sekundär ausgesondert und diese im beherzten literarkritischen Zugriff – gegen die redaktionsgeschichtliche communis opinio und auch auf Kosten des sachlichen Zusammenhalts mit Gen 12,1–
AaO 116. Vgl. insbesondere C. WESTERMANN 1974: Genesis 1–11, BK I/1, Neukirchen–Vluyn, 73f, 85f sowie CRÜSEMANN 1981, 22–26. 12 Statt vieler mit wünschenswerter Deutlichkeit R. G. K RATZ 2000: Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments, Göttingen, 252, der aus diesem Grund im Anschluss an J. WELLHAUSEN 1899: Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments (1876/77), Berlin (= 4. Aufl. Berlin 1964), 7–14 (und CH. LEVIN 1993: Der Jahwist, FRLANT 157, Göttingen, 103) vorschlägt, die Turmbauerzählung einer Urgeschichte zuzurechnen, welche die Flut noch nicht gekannt habe. Dazu s.u. unter III. 13 Vgl. dazu J. C H. G ERTZ 2007b: Noah und die Propheten. Rezeption und Reformulierung eines altorientalischen Mythos, DVfLG 81, 514–522 (in diesem Band Nr. 10). 14 VON R AD 1972, 117. 15 Vgl. LEVIN 1993, 86. Für die Vorverlegung des Endes der Geschichte des Fluches greift Levin auf die von Eduard Riehm in die Diskussion eingebrachte und dann von Rolf Rendtorff ausformulierte Einschätzung zurück, dass mit Gen 8,21a die Gen 3,17 ausgesprochene Verfluchung des Ackerbodens außer Kraft gesetzt sei und fortan der in Gen 8,22 ausgesprochene Segen regiere (vgl. E. RIEHM 1885: Rezension zu K. Budde, Die biblische Urgeschichte, ThStKr 58, 753–786, 780f; R. RENDTORFF 1961: Genesis 8,21 und die Urgeschichte des Jahwisten, KuD 7, 69–78; LEVIN 1993, 108, 426f). Von Abraham an trete der Segen überschwänglich zutage – konturiert durch seine Kehrseite, den Fluch über die nicht zu JHWH Gehörenden (vgl. LEVIN 1993, 427). Zur kritischen Auseinandersetzung mit der These Rendtorffs vgl. STECK 1971, 526–531 (119–124). 16 VON R AD 1972, 116, 118. 10 11
I. Zur Diskussion um die diachrone Selbstständigkeit der Urgeschichte
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3 – auf das Zerstreuungsmotiv reduziert.17 Als Ergebnis der Analyse formulieren die Turmbauerzählung und ihr Gegenstück in Gen 12,1–3 das Leitthema des Jahwisten, die segensvolle Bewahrung der Israeliten, an denen sich unter den Bedingungen der Teilung und Zerstreuung der Menschheit die Verheißungen JHWHs erfüllen.18 Andere haben sich in kritischer Auseinandersetzung mit von Rads These für die diachrone Selbständigkeit der nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte ausgesprochen.19 Für eine entstehungsgeschichtliche Trennung der nicht-priesterschriftlichen Anteile in der Urgeschichte und der Erzelterngeschichte sprechen die Brüchigkeit der mutmaßlichen Verbindung und deutliche konzeptionelle Unterschiede zwischen beiden Textbereichen. Positiv lässt sich für die ursprüngliche Selbständigkeit der nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte deren thematische und kompositionelle Geschlossenheit anführen. Während die nicht-priesterschriftliche Urgeschichte von einem feinmaschigen Netz an Querverweisen durchzogen ist, weist sie im Kernbestand nicht über sich hinaus. Andererseits wird in der nicht-priesterschriftlichen Erzelterngeschichte nirgends eindeutig auf die Urgeschichte Bezug genommen. Vor allem für Gen 12,1–3, den vermeintlichen Ziel- und Fluchtpunkt der nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte, ist das im Anschluss an Frank Crüsemann mehrfach aufgezeigte Fehlen eines derartigen Rückverweises, der auch nur annähernd mit dem Beziehungsnetz innerhalb der nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte vergleichbar wäre, auffällig.20 Inhaltlich unterscheiden sich die Problemhorizonte der auf die Existenz des Ackerbauern ausgerichteten urgeschichtlichen Ätiologie und der Hochschätzung der halbnomadischen Lebensweise der Erzeltern, die aus der Perspektive der Urgeschichte als unstet und fluchbeladen
Vgl. LEVIN 1993, 127–132. Sofern in der Turmbauerzählung redaktionsgeschichtlich differenziert wird, gelten zumeist die von Levin dem Grundbestand (Gen 11,2.4aα.b.5. 6aα*β.8a.) zugerechneten Zerstreuungsnotizen als sekundär (vgl. bereits F. GIESEBRECHT 1901: Rezension zu H. Gunkel, Genesis, DLZ 22, 1861–1866, 1863). 18 LEVIN 1993, 128, 133f. 19 Vgl. C RÜSEMANN 1981, 11–29 und vor allem E. B LUM 1984: Die Komposition der Vätergeschichte, WMANT 57, Neukirchen–Vluyn, 359f; DERS. 2002a, Art. Urgeschichte, TRE 34, 436–445, 438f; D. M. CARR 1996: Reading the Fractures of Genesis: Historical and Literary Approaches, Louisville/KY, 234–248; WITTE 1998, 192–205. Die Diskussion bis 1983 ist dargestellt bei E. ZENGER 1983: Beobachtungen zu Komposition und Theologie der jahwistischen Urgeschichte, in: Katholisches Bibelwerk (Hg.), Dynamik im Wort. Lehre von der Bibel, Leben aus der Bibel. Festschrift aus Anlaß des 50jährigen Bestehens des Kathol. Bibelwerks, Stuttgart, 35–54, 36–44. Für die seitherige Diskussion kann auf die gen. Beiträge von Witte und Blum sowie das Referat bei K. SCHMID 1999: Erzväter und Exodus. Untersuchungen zur doppelten Begründung der Ursprünge Israels innerhalb der Geschichtsbücher des Alten Testaments, WMANT 81, Neukirchen–Vluyn, 165–169 verwiesen werden. 20 Vgl. C RÜSEMANN 1981, 18–22; B LUM 1984, 349–361; K ÖCKERT 1988, 264–266; WITTE 1998, 192–200. 17
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erscheinen muss (vgl. Gen 4,1–16). Laufen diese Beobachtungen darauf hinaus, dass sich die nicht-priesterschriftliche Urgeschichte besser verstehen lässt, wenn sie als ehedem eigenständige Komposition und nicht als unselbständiger Vorbau zur Erzelterngeschichte gelesen wird, so bleibt deren Endpunkt doch umstritten. Die gängige, sich vom kanonischen Endtext und der Auslegungsgeschichte her nahelegende Abgrenzung lässt die ehedem selbständige nicht-priesterschriftliche Urgeschichte mit Gen 11,1–9 enden. Ausführlich begründet wird diese Sicht von David M. Carr und Erhard Blum.21 Beide führen die vielfach erkannten Querbezüge an, die von der Paradieserzählung bis zur Turmbauererzählung reichen (vgl. Gen 2,8a.10–14[und 4,16] mit Gen 11,2; Gen 3,22 mit Gen 11,6) und eine thematisch und strukturell geschlossene Komposition umgreifen. Diese wird von Carr aufgrund der strukturgebenden Korrespondenz der Erschaffung des Menschen aus dem Ackerboden in Gen 2–3 und seiner Vernichtung vom Ackerboden in Gen 6–8 als zweiteilig beschrieben, wobei Paradies und Flut jeweils den Ausgangspunkt einer parallel angelegten Reihe markieren: Auf die Einführung des urgeschichtlichen Vorfahren (Adam, Noah) folgen Geschichten zunächst über die erste Generation (Adam und Eva in Gen 2,4b–3,24 und Noah in Gen 6,5–8,22*), dann über die Kinder (Kain und Abel in Gen 4,1–16 und Noahs Söhne in Gen 9,18–27), sowie genealogische Informationen (Gen 4,17–26; 5,29 und Gen 10*). Die Reihe schließt mit Episoden, welche die gesamte Menschheit betreffen (Gen 6,1–4 und Gen 11,1–9). Zwischen den einzelnen Parallelgliedern kann Carr zahlreiche Bezüge beschreiben. Für die Frage nach dem Endpunkt der Komposition ist dabei von besonderem Interesse, dass die Turmbauerzählung das Thema der Grenzen zwischen göttlicher und menschlicher Sphäre aufnimmt, das auch Anfang (Gen 3,22) und Ende (Gen 6,1–4) der ersten Reihe bestimmt. Die Beziehungen zwischen diesen drei Texten gewinnen damit eine tragende Funktion für den Aufbau und die Reichweite der Gesamtkomposition sowie für die Kontexteinbindung der Turmbauerzählung. Auffälligerweise spielt in diesem Beziehungsgeflecht die umfangreiche Flutgeschichte keine maßgebliche Rolle, wie bei der Strukturbeschreibung auch nicht hinreichend berücksichtigt ist, dass die Flutgeschichte nicht nur den neuen Anfang der Menschheit mit Noah beschreibt, sondern auch das Ende einer mit Gen 2 einsetzenden Bewegung.22 Beide Probleme gelten nicht für die von Blum beschriebene Struktur. Blum, der die Engelehen in Gen 6,1–4 als spätere Einschreibung bewertet, rückt die Flutgeschichte ins Zentrum
Vgl. CARR 1996, 235–240; BLUM 2002a, 439f. Vgl. dort jeweils auch zum Folgenden. Letzteres stellt auch CARR 1996, 236f u.ö. heraus, was teilweise zu Verschiebungen innerhalb der von ihm erkannten Struktur führt und die Flutgeschichte (genauer: Gen 6,9) eher als Mitte der Komposition denn als Eröffnung ihres zweiten Teils erscheinen lässt. 21 22
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der Komposition. Die Bezüge zwischen Paradies- und Turmbauerzählung markieren die Eckpunkte einer Höhenlinie, deren „Exempel [...] des Scheiterns und Gelingens im zwischenmenschlichen Bereich und in der Weltgestaltung“23 (Gen 2,4b–3,24; 4,1–16 und Gen 9,20–27 und Gen 11,1–9) samt den Genealogien (Gen 4,17–26; 5,29 und Gen 9,18f; 10*) eine inclusio um die Flutgeschichte bilden.24 Hinzu kommt eine weitere Bewegung, deren Problematisierung der „Daseinssteigerung durch zivilisatorische Weltgestaltung“25 in der Turmbauerzählung kulminiert. Schon die Differenzen zwischen Blum und Carr zeigen die Ambiguität von Strukturbeobachtungen bei Texten, die anerkanntermaßen über einen längeren Zeitraum gewachsen sind. So lässt sich insbesondere die von Carr aufgezeigte Struktur auch unter Einbeziehung der priesterschriftlichen Texte nachzeichnen.26 Mit Blick auf den nicht-priesterschriftlichen Textbestand hängt für Carr vieles an der von Blum wohl zu Recht bestrittenen Ursprünglichkeit von Gen 6,1–4.27 Für Carr wie für Blum haben sodann die Querbezüge der Turmbauerzählung zu Gen 3,22 eine wichtige Funktion. Doch auch für diesen Text ist wiederholt eine redaktionelle Herkunft angenommen worden.28 Ist diese Einschätzung richtig, dann gehören die auf Gen 3,22 rekurrierenden Strukturen
BLUM 2002a, 440. Ähnlich schon CH. UEHLINGER 1990: Weltreich und „eine Rede“. Eine neue Deutung der sogenannten Turmbauerzählung (Gen 11,1–9), OBO 101, Freiburg (Schw.), 563. 25 B LUM 2002a, 440. 26 Bezeichnenderweise beruft sich Carr für seine Strukturanalyse auf synchron angelegte Arbeiten zum vorliegenden Textzusammenhang: vgl. CARR 1996, 236 Anm. 4 sowie R. L. COHN 1983: Narrative Structure and Canonical Perspective in Genesis, JSOT 25, 3–16, bes. 5; J. M. SASSON 1980: The 'Tower of Babel' as a Clue to the Redactional Structuring of the Primeval History (Gen.1–11:9), in: G. Rendsburg (Hg.), The Bible World. Essays in Honor of Cyrus H. Gordon, New York, 211–219. Für sich genommen wäre dies noch kein Einwand gegen Carrs These zur Struktur einer Vorstufe des vorliegenden Textzusammenhangs. Der Redaktor (sei es die Priesterschrift selbst, sei es die klassische Verbindung der beiden Versionen der Urgeschichte) kann sich gut an eine vorgefundene Struktur angelehnt haben. Bemerkenswert ist, dass die von Carr rezipierten Strukturanalysen den Bogen bis zu Abraham schlagen. Dazu siehe unten. 27 Zu Gen 6,1–4 vgl. W ITTE 1998, 65–74. Sofern der Abschnitt dem Grundbestand der nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte beziehungsweise dem Jahwisten zugewiesen wird, gilt ausgerechnet der in philologischer Hinsicht notorisch problematische V. 3, der in der von Carr beschriebenen Struktur eine wichtige Bedeutung hat, häufig als (nachpriesterschriftlicher) Nachtrag. Vgl. aus der Kommentarliteratur H. GUNKEL 1910/1977: Genesis, HK I/1, 3. Aufl., Göttingen (= Nachdr. d. 9. Aufl. 1977), 57; VON RAD 1972, 84f; WESTERMANN 1974, 495. Anders wieder H. SEEBASS 1996: Genesis I. Urgeschichte (1,1–11,26), Neukirchen–Vluyn, 187–196. 28 Vgl. zuletzt H. PFEIFFER 2000: Der Baum in der Mitte des Gartens. Zum überlieferungsgeschichtlichen Ursprung der Paradieserzählung (Gen 2,4b–3,24), ZAW 112, 487–500 23 24
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nicht zum Grundbestand der nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte, sondern zum Kompositionsbogen eines anderen literarischen Kontextes. Nun wäre es naiv, für die redaktionsgeschichtliche Feindifferenzierung innerhalb des nichtpriesterschriftlichen Textbestandes einen Konsens herbeischreiben zu wollen. Doch auch unabhängig von der literarhistorischen Zuordnung der Querbezüge lassen sich erhebliche Bedenken gegen die Annahme vorbringen, die Turmbauerzählung sei der Endpunkt einer ehedem unabhängigen nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte gewesen: Angesichts des üblichen Achtergewichts biblischer Erzähltexte ist es nur schwer vorstellbar, dass ein in Juda, in Israel oder im Kreise der babylonischen Diaspora verfasstes Erzählwerk mit der Notiz geendet haben soll „Deshalb nennt man ihren Namen Babel, denn dort vermengte Jahwe die Rede der ganzen Menschheit. Und von dort zerstreute sie Jahwe über das Angesicht der ganzen Erde“ (Gen 11,9). Gänzlich undenkbar ist dies für eine biblische Ätiologie elementarer lebensweltlicher Verhältnisse, zumal in der Urgeschichte ausgerechnet mit der zitierten Nennung Babels der Übergang von der Urgeschichte in die Geschichte erfolgt. Aus der Perspektive biblischer Autoren kann dieser Überschritt nur ein vorläufiges Ende beschreiben, dem mit Notwendigkeit die Fokussierung auf Israel, sprich Gen 12,1–3, folgen muss. Bestätigt wird diese Einschätzung durch die Schwierigkeiten, der unterstellten Abfolge von Schöpfung, Flut und Turmbauerzählung eine Analogie aus der altorientalischen Literatur zur Seite zu stellen.29 Gerade die in der älteren Forschung mitunter genannten Babyloniaca des um den Ruf Babylons in der hellenistischen Welt bemühten Berossos zeigen, wie problematisch die Annahme eines bis Gen 11,9 reichenden biblischen Erzählwerks ist: Die von dem Babylonier Berossos wohl ohne mesopotamische Vorlagen gestaltete Schlussnotiz berichtet den Wiederaufbau seiner durch die Flut zerstörten Heimatstadt auf Geheiß der Götter!30
(Part I), 489f; J. CH. GERTZ 2004b: Von Adam zu Enosch. Überlegungen zur Entstehungsgeschichte von Genesis 2–4, in: M. Witte (Hg.), Gott und Mensch im Dialog. Festschrift O. Kaiser, BZAW 345/1, Berlin/New York, 215–236, bes. 225–227 (in diesem Band Nr. 5, 95– 97) (jeweils bei Annahme einer weitgehenden literarischen Einheitlichkeit der Paradieserzählung). Sofern in Gen 2–4 eine ursprüngliche Anthropogonie von einer redaktionellen Hamartiologie unterschieden wird, ist der Vers ohnehin sekundär. Vgl. LEVIN 1993, 92; WITTE 1998, 79–86. Für eine umsichtige Begründung der Einheitlichkeit von Gen 2,4b–3,24 (einschließlich Gen 3,22) vgl. dagegen E. BLUM 2004: Von Gottesunmittelbarkeit zu Gottesähnlichkeit. Überlegungen zur theologischen Anthropologie der Paradieserzählung, in: E. Gönke/K. Liess (Hg.), Gottes Nähe im Alten Testament, SBS 202, Stuttgart, 9–29. 29 Vgl. dazu W ITTE 1998, 190f. 30 Zur Schlussnotiz vgl. P. SCHNABEL 1923: Berossos und die babylonisch-hellenistische Literatur, Leipzig/Berlin (Neudruck Hildesheim 1968), 91f; ferner UEHLINGER 1990, 97– 101; WITTE 1998, 191 Anm. 166.
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Die zuletzt von Markus Witte und Norbert Clemens Baumgart ausführlich begründete Alternative, wonach die ehedem selbständige nicht-priesterschriftliche Urgeschichte lediglich bis zum Abschluss der Flutgeschichte gereicht hat, kann daher von vornherein mehr Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen.31 Die kompositorische Höhenlinie dieser Urgeschichte ist schnell skizziert. Es ist im Wesentlichen eine Geschichte der Krise und der Daseinsminderungen. Diese setzt mit der wider den Willen des Schöpfergottes erlangten Fähigkeit des Menschen ein, sich zwischen dem Lebensfeindlichen und dem Lebensförderlichen zu entscheiden (Gen 2,4b–3,24). Am Beispiel der Brudermorderzählung illustriert sie die Wahl des Schlechten (Gen 4,1–16). Mit dem im Prolog über die Menschheit ausgesprochenen Urteil und dem darin begründeten Entschluss, die Erschaffung des Lebens grundsätzlich in Frage zu stellen (Gen 6,5–8), erfährt die Krise ihre äußerste Zuspitzung, der dann in der Bestandszusage des Schöpfergottes nach der Flut die Auflösung folgt: Der Bestand der Erde ist vom menschlichen Tun entkoppelt, die Ambivalenz menschlichen Lebens ist nicht aufgehoben, wohl aber in die Schöpfungsordnung integriert (Gen 8,21f mit Bezug auf Gen 3,17; 4,10f). Als Geschichte einer überwundenen Krise und grundsätzlichen Infragestellung der Schöpfung bietet die Fluterzählung den kaum überbietbaren Abschluss eines Erzählwerks, das mit der Erschaffung des menschlichen Lebens und der Grundsituation seiner Ambivalenz einsetzt. Zugleich ist dieser Abschluss mit seiner Bestandszusage auf die Lebenswirklichkeit seiner Autoren und Leser hin formuliert, und zwar ohne dass dies einer weiteren Entfaltung bedarf.32 Schließlich darf an die Tatsache erinnert werden, dass sich für eine Schöpfung und Flut umfassende Komposition in der altorientalischen Literatur Analogien benennen lassen,33 was durch die offenkundige Vertrautheit der Autoren der nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte mit diesen Traditionen ein besonderes Gewicht erhält.34 Die Konsequenzen dieser Abgrenzung für den nicht-priesterschriftlichen Textbestand zwischen Flut und Berufung Abrahams liegen auf der Hand: Sie
31 Vgl. W ITTE 1998, 184–205; N. C. B AUMGART 1999: Die Umkehr des Schöpfergottes. Zu Komposition und religionsgeschichtlichem Hintergrund von Gen 5–9, HBS 22, Freiburg i. Br. u.a.; ähnlich schon RENDTORFF 1961, 69–78. 32 Es bleibt allenfalls zu überlegen, ob noch die Notiz über die Noahsöhne Sem, Ham und Japhet (Gen 9,18*) hinzuzunehmen ist. 33 So im altbabylonischen Atrachasis-Epos und in der sumerischen Fluterzählung. 34 Vgl. ausführlich B AUMGART 1999, 419–495. Ferner G ERTZ 2007b. Auch C ARR 1996, 242f weist auf die konzeptionelle Nähe der nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte zu Atrachasis hin, wobei er die Erzählung von Noah und seinen Söhnen, deren Genealogie und die Turmbauerzählung unter die Überschrift „Postflood Structure“ subsumieren muss, um mit Blick auf die von ihm vorgenommene Abgrenzung eine Parallelität behaupten zu können.
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sind auf eine Fortsetzung in der Erzelterngeschichte hin angelegt. Für die genealogischen Notizen zu den Nachkommen Noahs bietet sich dieses Verständnis ohnehin an,35 für die Turmbauerzählung ist es im Folgenden herauszuarbeiten.
II. Zur literarischen Analyse der Turmbauerzählung Die Abgrenzung und Beschreibung des Aufbaus von Gen 11,1–9 bereiten keine Probleme. Unabhängig von der Frage nach der ursprünglichen Selbständigkeit der Turmbauerzählung oder ihrer Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stratum der Urgeschichte handelt es sich um eine formal und thematisch geschlossene Einheit. Die Unterschrift der vorangehenden Völkertafel und der Auftakt der folgenden Genealogie Sems nehmen jeweils die Flut zum ‚ereignisgeschichtlichen‘ Ausgangspunkt ihrer Chronologie (Gen 10,32; 11,10). Auf diese Weise entsteht der Eindruck eines chronologischen Déjà-vu, wodurch die Turmbauerzählung und die in ihr berichteten Geschehnisse aus der Zeit- und Generationenfolge in der Völkertafel und der Genealogie Sems herausgenommen sind.36 Ihrem eigentümlichen Jenseits zur zeitlichen Struktur des Kontextes entspricht die Exposition in V. 1. Sie ist als Zustandssatz formuliert, der knapp und affirmativ das notwendige, sich offenbar nicht aus dem Kontext herleitbare Vorwissen für das Verstehen der Geschichte mitteilt und an den sich der mit dem üblichen ויהיeingeleitete Erzählanfang anschließt. Der Exposition entspricht die Ätiologie am Schluss, welche den Schauplatz des Geschehens mit Babel identifiziert. Die Begründung für die Namensgebung greift das Motiv der einen Sprache der gesamten Menschheit aus V. 1a auf, konstatiert jedoch die Verkehrung der Ausgangssituation durch die geschilderten Ereignisse in ihr Gegenteil. Darüber hinaus nimmt die Identifizierung des Ortes wie die abschließende Zerstreuungsnotiz (V. 9b) den Erzählanfang in V. 2 auf. Aus dem einen namenlosen Wohnort der Menschheit im Lande Schinear ist der eine bestimmte Ort ihrer Zerstreuung und damit ein Ort unter vielen geworden. Auch in dieser Hinsicht sind die ursprünglichen Verhältnisse in ihr Gegenteil verkehrt worden.
35 In üblicher Abgrenzung: Gen 9,18f; 10,(1b.)8–19.21.24–30. Die Erzählung von Noah und seinen Söhnen in Gen 9,20–27 gehört zur Auffüllung des genealogischen Materials. 36 Die Turmbauerzählung wird häufig als Teil der Genealogie Sems beschrieben. Damit ist die Positionierung von Gen 11,1–9 nur unvollständig beschrieben. Insofern Gen 11,10 auf Gen 10,32 zurückgreift und zugleich hinter den in Gen 10,31 erreichten Stand der Genealogie Sems zurückfällt, und andererseits Gen 10,32 alle Völker im Blick hat, steht die Turmbauerzählung innerhalb der Genealogie der Söhne Noahs am Übergang zu deren Fokussierung auf Sem.
II. Zur literarischen Analyse der Turmbauerzählung
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Innerhalb dieses Rahmens ist eine vielfach beschriebene Zweiteilung zu notieren. Die V. 2–4 sind durch menschliches Handeln und Reden bestimmt, die V. 6–8 durch das Reden und Handeln JHWHs. Den Übergang bildet V. 5, der erstmalig vom Handeln JHWHs berichtet und dieses in einen expliziten Zusammenhang mit demjenigen der Menschen stellt. Innerhalb der Grundstruktur sind zahlreiche Querbezüge zu erkennen, was wiederholt im Sinne einer konzentrischen Struktur der Erzählung ausgedeutet worden ist. Doch keines der (in sich divergierenden) Modelle erfasst den Text in seiner Gesamtheit,37 weswegen es angemessener ist, von Parallelhandlungen in beiden Teilen ohne eine strenge Konzentrik zu sprechen.38 Unter Einbeziehung der Rahmenverse handelt es sich um folgende Entsprechungen: 1. Feststellung der einen Sprache der Menschheit (V. 1) und der Verlust derselben (V. 9aβ); 2. „sie blieben dort“ (V. 2b) – „von dort hat JHWH sie zerstreut“ (V. 9b); 3. „einer sprach zu seinem Nächsten“ (V. 3a) – „keiner vermag die Sprache seines Nächsten zu hören“ (V. 7b); 4. der mit הבהund Kohortativ Plural formulierte Entschluss der Menschen, Baumaterialien herzustellen (V. 3a), wird in der Formulierung des Entschlusses zum Bau von Stadt und Turm aufgenommen (V. 4). Dieser wiederum hat sein Gegenüber in dem mit הבהund Kohortativ Plural formulierten Entschluss JHWHs, in das Geschehen einzugreifen (V. 7a), wobei wie in V. 4 eine Angabe des Ziels folgt (vgl. V. 4b und V. 7b); 5. dem Vorhaben der Menschen, dass die Spitze des Turms bis an den Himmel reichen soll (V. 4a), korrespondiert die Notiz vom Herabsteigen JHWHs, um das Bauwerk zu sehen (V. 5a); 6. das Ziel der Menschen, sich nicht zu zerstreuen (V. 4b), findet sein Gegenüber im Bericht von JHWHs Zerstreuen der Menschen (V. 8a). Blickt man ferner auf die beiden figurae etymologicae in der ersten Rede der eine Sprache und dieselben Worte sprechenden Menschheit (V. 3a), dann ist die häufig testierte Kunstfertigkeit des sprachlichen Ausdrucks unverkennbar, wie sie auch dem in V. 1 angeschlagenen Thema der Erzählung entspricht. Bei diesem weithin geteilten Urteil ist eine Eigentümlichkeit der Turmbauerzählung noch gar nicht berücksichtigt, und zwar ihre interessanten Unregelmäßigkeiten. Sie betreffen vor allem das Verhältnis der Ankündigung und
37 Vgl. insbesondere I. M. K IKAWADA 1974: The Shape of Gen 11:1–9, in: J. J. Jackson/M. Kessler (Hg.), Rhetorical Criticism. Festschrift J. Muilenburg, Pittsburgh/PA, 18–32 sowie das Referat und die Kritik bei UEHLINGER 1990, 296–301. Nachzutragen ist M. ARNETH 2007: „Durch Adams Fall ist ganz verderbt ...“. Studien zur Entstehung der alttestamentlichen Urgeschichte, FRLANT 217, Göttingen, 221. 38 So auch SEEBASS 1996, 274, mit dem treffenden Hinweis darauf, dass „[d]ie Sprachkunst [...] nicht ein totales Aufgehen aller Bezüge“ verlangt.
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Schilderung von Handlungen. Mit Ausnahme der Herstellung der Baumaterialien in V. 3 wird in der Turmbauerzählung keine Handlung geschildert, die zuvor in einer Rede so angekündigt worden ist,39 wie andererseits für jede geschilderte Handlung eine entsprechende Ankündigung fehlt. Zumindest für die lediglich angekündigten Handlungen wird ihre Ausführung offenkundig vorausgesetzt (die Ausnahme ist V. 4aβ), ohne dass dies eigens notiert wird oder beim Lesen des Textes irritiert. Auf diese Weise gewinnt die Erzählung an Dichte, worin sich eine Kunstfertigkeit des sprachlichen Ausdrucks zeigt, die über die bloße Symmetrie hinausragt. Unbeschadet seiner ausgefeilten sprachlichen Form wurde wiederholt eine erhebliche Störung der Kohärenz des Textes festgestellt, was zu recht unterschiedlichen Rekonstruktionen der Entstehungsgeschichte geführt hat. Da die Frage der literarischen Homogenität des Textes kaum mit dem Hinweis auf die durchdachte Struktur des vorliegenden Textzusammenhangs erledigt ist, kann ihr nicht ausgewichen werden. Klassisch ist die Beobachtung vom zweimaligen Herabsteigen JHWHs, ohne dass ein zwischenzeitlicher Wiederaufstieg berichtet wird (V. 5; V. 7). Bekanntlich hat Hermann Gunkel dies mit einer Reihe von ihm als Dubletten bewerteter Erzählzüge zum Anlass genommen, Gen 11,1–9 im Rahmen seiner Hypothese zweier jahwistischer Quellen auszuwerten und auf dieser Grundlage eine Stadt- und eine Turmrezension zu unterscheiden.40 Nach anfänglicher Zustimmung hat die quellenkritische Erklärung vor allem deswegen nicht überzeugen können, weil keine der beiden Versionen einen in sich stimmigen Text bietet.41 Auch ist die Aufteilung der Wendung „Stadt und Turm“ (V. 4.5) auf zwei Quellen offenkundig allein dem gewünschten Ergebnis geschuldet. Das gleiche gilt für Gunkels freie Bildung einer mit der Zerstreuungsnotiz ( )פוץin V. 9b korrespondierenden Namensgebung (Piz oder Puz). Als Folge der Kritik wurden die von Gunkel erkannten Quellen in die jedem analytischen Zugriff entzogene mündliche Vorgeschichte des Textes verlegt42 oder aus dem quellenkritischen Nebeneinander wurde ein redaktionsgeschichtliches Nacheinander.43 Letzteres hat den pragmatischen Vorteil, dass lediglich ein plausibler
39 Dass die (teilweise) Ausführung der Ankündigung von V. 4aα in JHWHs Rede (V. 5) vorausgesetzt ist, ändert nichts an dem Befund: Eine Ausführungsnotiz fehlt. 40 Vgl. G UNKEL 1910/1977, 92–97. Stadtrezension mit Sprachverwirrung zu Babel: V. 1.3a.4aα1[bis Stadt]4β.5[nur Stadt].6aα.7.8b.9a: Turmrezension mit Turmbau zu Piz: V. 2.3b.4aα2[ab Turm]b.5[ohne Stadt].6aβb.8a.9b. 41 Zur Kritik der Argumente Gunkels vgl. K. SEYBOLD 1976: Der Turmbau zu Babel. Zur Entstehung von Genesis XI 1–9, VT 26, 456–458. 42 Vgl. VON R AD 1972, 114. 43 Vgl. SEYBOLD 1976, 453–479; H. B OST 1985: Babel: Du texte au symbole, Genf, 21– 38; UEHLINGER 1990, 304–343 und passim; LEVIN 1993, 127–132; WITTE 1998, 87–99; KRATZ 2000, 258f.
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Grundtext nachzuweisen ist, dem dann eine Reihe von Ver(schlimm)besserungen gefolgt wären. Wie schon in Gunkels Quellenmodell gilt das Nebeneinander von Sprachverwirrung und Zerstreuung literarhistorisch als sekundär, wobei die überwiegende Zahl der einschlägigen Analysen davon ausgeht, dass das Zerstreuungsmotiv der Erzählung nachträglich zugewachsen ist.44 Ich gehe die einzelnen Textbeobachtungen kurz durch: 1. V. 1 und V. 2 wurden von Gunkel als zwei eigenständige Erzählungsanfänge beurteilt. In redaktionsgeschichtlichen Modellen gilt in der Regel V. 1 als nachgetragen, da im Anschluss an Claus Westermanns Analyse im ויהיvon V. 1 „eigentlich das vorgezogene ויהיvon V. 2“ erkannt wird.45 Sofern V. 1 als Nachtrag beurteilt wird, gilt dies zumeist auch für den korrespondierenden V. 9a. Als Anlass für den Nachtrag wird entweder angegeben, dass er eine ehedem selbständige Erzählung von der Sprachverwirrung in den jetzigen urgeschichtlichen Kontext einbinden soll46 oder dass er im Zusammenhang der sekundären Eintragung des Motivs von der Verwirrung der Sprache steht.47 Doch sollte das zweifache ויהיnicht überbewertet werden, da es in V. 1 eine andere syntaktische Funktion hat als in V. 2. In V. 1 eröffnet ויהיeine nominale Zustandsbeschreibung, die als Exposition der Erzählung dient, in V. 2 handelt es sich um die übliche Formulierung des Beginns einer Handlung.48 Sodann fehlt dem Suffix zu בנסעםin V. 2 nach Ausscheidung von V. 1 das Bezugswort. Ein Anschluss von V. 2 an die Völkertafel ist unmöglich, der mitunter ins Spiel gebrachte Anschluss an Gen 10,3149 oder Gen 10,2550 ist ebenfalls denkbar schlecht: In beiden Fällen würde die Turmbauerzählung lediglich eine Begebenheit der Nachkommen Sems (Gen 10,31) oder von dessen Urenkel Eber (Gen 10,25) berichten. Beides widerspricht eindeutig den Intentionen der Turmbauerzählung, die selbst in einer reduzierten Gestalt von der gesamten Menschheit handelt. Ohne die präzise Nennung eines Subjekts ist V. 2 als Auftakt einer Erzählung – sei es als selbständiger Text, sei es als Abschnitt eines Erzählwerkes – ungeeignet.51
Die (mir bekannten) Ausnahmen sind LEVIN 1993, 127–132 und KRATZ 2000, 258. WESTERMANN 1974, 710. 46 Vgl. SEYBOLD 1976, 458f: B OST 1985, 33ff; mit Modifikationen auch U EHLINGER 1990, 317ff. 47 So LEVIN 1993, 129f, 473f und K RATZ 2000, 258; mit Modifikationen auch W ITTE 1998, 88–91. 48 Mit U EHLINGER 1990, 312. 49 Vgl. LEVIN 1993, 55, 127. 50 So wohl K RATZ 2000, 258, 263. 51 So auch U EHLINGER 1990, 312, der allerdings die Möglichkeit eines Anschlusses in der Urgeschichte gar nicht erwägt, da er von einer selbständigen Erzählung ausgeht. 44 45
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14. Babel im Rücken und das Land vor Augen
Auch Christoph Uehlinger rechnet daher V. 1 prinzipiell dem Grundbestand der Erzählung zu, betrachtet jedoch V. 1b und V. 2 als sekundär.52 Für die Ausscheidung von V. 1b führt er die fehlende Wiederaufnahme des Teilverses in der restlichen Erzählung an, wodurch er „weniger organisch in die narrative Logik der Erzählung integriert [sei] als V. 1a“53. Dies gelte ebenso für V. 3aβγ.b (sic!), den Uehlinger zutreffend als Illustration (auch) von V. 1b charakterisiert. Zusammen mit V. 9a werden sie zu einer Bearbeitungsschicht aus neubabylonischer Zeit gezählt, die eine ursprünglich selbständige Erzählung zu einer Kritik am Weltherrschaftsanspruch Babylons umgestaltet habe. Die ursprüngliche Erzählung stamme dagegen aus neuassyrischer Zeit und biete eine theologisch-politische Reflexion über Sargon II und den unvollendeten Ausbau seiner Residenz in Dur-Šarrukin (Khorsabad). Auf eine noch spätere Bearbeitung gehe V. 2 zurück, weil der Vers anders als die jeweils selbständig überlieferte Grunderzählung aus neuassyrischer Zeit und ihre relecture in neubabylonischer Zeit den Kontext der Urgeschichte voraussetze. Nun ist die literarkritische Ausscheidung von V. 1b.2.3aβγδ.b (und auch V. 9a; dazu siehe unten) zwar denkmöglich, aber kaum hinreichend begründet. Insofern hängt die literarkritische Rekonstruktion der postulierten Grunderzählung einzig und allein daran, dass nach Uehlinger die in Gen 11,1–9* dominanten Motive der ‚einen Rede‘, des Baus von ‚Stadt und Zitadelle‘, des ‚Namenmachens‘ und vermutlich auch die Charakterisierung der Bauleute als ‚ein Volk‘ im Horizont neuassyrischer Weltherrschaftsrhetorik zu interpretieren sind.54
Die bemerkenswert materialreiche und geschlossene Begründung dieser These hat jedoch schwerwiegende methodische und inhaltliche Einwände gegen sich: So werden die vom Text genannten Referenzgrößen – Babel und der urgeschichtliche Horizont der an einem Ort wohnenden und gemeinsam handelnden einen Menschheit – durch außertextliche Bezüge ersetzt, wodurch eine Deutung etabliert wird, die sich allein auf die herangezogenen Texte aus der Umwelt stützt und zugleich eine erhebliche Reduzierung des Bestandes des gedeuteten Textes verlangt.55 Vom Erzählverlauf des Textes her geurteilt, legt sich die skizzierte historisch-politische Deutung jedenfalls nicht nahe. Aus Sicht JHWHs (beziehungsweise des Textes) ist nicht die „eine Lippe/Rede“ problematisch, sondern die Möglichkeiten menschlichen Handelns, die im Bauprojekt der Stadt und ihres bis zum Himmel reichenden Turmes symboli-
Vgl. UEHLINGER 1990, 310, 312, 317ff. AaO 310. 54 AaO 512. 55 Vgl. auch W ITTE 1998, 94 Anm. 71, der von einem „textfremde[n] Deutemuster“ spricht. Auf das grundsätzliche Problem, welche zum Verständnis unabdingbare Text- und Traditionskenntnis bei den biblischen Autoren und ihren Lesern vorausgesetzt werden kann, ist an dieser Stelle nicht weiter einzugehen. 52 53
II. Zur literarischen Analyse der Turmbauerzählung
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siert sind.56 Auch zwingt in der neuassyrischen Weltherrschaftsrhetorik der König den Völkern „einen Mund“ (pû ištēn)57 auf, während in Gen 11,1 die „eine Lippe“ ( )שפה אחתdie unhinterfragte (urgeschichtliche) und bis zum Bau von Stadt und Turm unproblematische Voraussetzung der Erzählung ist.58 Der ganze militärisch-machtpolitische Hintergrund der Weltherrschaftsrhetorik bleibt dagegen in Gen 11,1–9 ungenannt, wie denn auch das Königtum als conditio sine qua non jeder weltherrschaftskritischen Deutung mühsam in den Text hineingelesen werden muss.59 2. Die Verabredung zum Streichen von Ziegeln etc. in V. 3 gilt dort als Nachtrag, wo das Motiv der Sprachverwirrung als sekundär beurteilt wird.60 Richtig erkannt ist dabei, dass sich beides kaum trennen lässt, insofern die zweifache figura etymologica den in V. 1 beschriebenen Zustand der einen Rede und derselben Worte treffend illustriert und zugleich den Gegenpunkt zu dem in V. 7 angekündigten Vermengen der Rede darstellt.61 Für sich genommen bietet V. 3 keinen Anlass für einen literarkritischen Eingriff. 3. Das in V. 4b erstmals explizit erwähnte Motiv der Zerstreuung (vgl. noch V. 8a.9b) wird seit Friederich Giesebrecht immer wieder als Nachtrag bewertet.62 Vermutlich steht wie bei der Gegenthese, wonach die Sprachverwirrung sekundär sei, die Überzeugung im Hintergrund, dass eine kurze Erzählung unmöglich zwei Grundmotive haben könne.63 Hinzu kommt die Einschätzung,
56 Dass מגדלauch mit „Zitadelle“ übersetzt werden kann und dass die Wendung וראשו בשמיםhyperbolisch gemeint sein kann (vgl. Dtn 1,28; 9,1), ist unbestritten. Vom Erzählverlauf legt sich aber nahe, dass an einen Turm gedacht ist, dessen Spitze an den Himmel reichen soll. Siehe unten Abschnitt IV. 57 Zur Verbindung der akkadischen Wendung mit dem hebräischen שפה אחת, das im Akkadischen keine genaue Entsprechung hat, vgl. UEHLINGER 1990, 435–444. SEEBASS 1996, 281 weist jedoch mit Recht darauf hin, dass sich für die akkadische Wendung im Hebräischen durchaus eine wörtliche Übertragung angeboten hätte (vgl. ;פה אחדvgl. Jos 9,2). 58 Ähnlich auch A. SCHÜLE 2006a: Der Prolog der hebräischen Bibel. Der literar- und theologiegeschichtliche Diskurs der Urgeschichte (Genesis 1–11), AThANT 86, Zürich, 412. 59 So auch SEEBASS 1996, 281, 285, der deswegen den Umweg über die kulturelle Hegemonie Babylons nimmt. Doch auch das steht nicht im Text und lässt sich bestenfalls mit den Assoziationen begründen, welche die Erwähnung Babels in V. 9a hervorgerufen haben mag. 60 Vgl. LEVIN 1993, 129ff; ferner U EHLINGER 1990, 310, der allerdings die Redeeinleitung herausnimmt. 61 Anders K RATZ 2000, 258f, der V. 3 für ursprünglich, das Motiv der Sprachverwirrung hingegen für nachgetragen hält. 62 Vgl. G IESEBRECHT 1901, 1862. Vgl. ferner SEYBOLD 1976, 457f; U EHLINGER 1990, 308f. 63 Vgl. LEVIN 1993, 129 „Bei einer kurzen einsträngigen ätiologischen Erzählung, wie sie für Gen 11,1–9 vorauszusetzen ist, kann beides nicht gleichursprünglich sein“. Diese formgeschichtliche Argumentation ist auch deswegen erstaunlich, weil nach Levin die Ätiologie in V. 9 redaktionell ist.
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dass die Handlungsfolge in den V. 7–9 durch die Verquickung der beiden Motive gestört ist.64 Doch zeigt sich gerade hier, wie sich die beigebrachten Argumente gegenseitig aufheben – sofern beachtet wird, dass in Gen 11,1–9 mit Ausnahme von V. 3 keine Ankündigung einer Handlung einen entsprechenden Bericht nach sich zieht und dass umgekehrt keine Handlung zuvor angekündigt wird. Aus diesem Grund wird man für die Ankündigung der Sprachverwirrung (V. 7aβ) voraussetzen dürfen, dass JHWH sie tatsächlich wahr gemacht hat, was dann die berichtete, aber nicht angekündigte Zerstreuung (V. 8a) und das ebenfalls nicht angekündigte Bauende (V. 8b) zur Folge gehabt hat. Die Gegenprobe bestätigt diese Sicht. Wird zusammen mit dem Zerstreuungsmotiv V. 8a gestrichen, dann fehlt jeder Bericht über eine Aktion JHWHs. Wird zusammen mit dem Motiv der Sprachverwirrung V. 7b gestrichen, dann fehlt die Absichtserklärung JHWHs. Letzteres wäre schon deswegen auffällig, weil diese ihr Gegenüber in der Absichtserklärung der Menschen hat (V. 4b: Zerstreuungsmotiv!). Man wird also die beiden Motive nicht gegeneinander ausspielen dürfen. Nach dem Erzählverlauf hat die Störung der eingangs erwähnten unproblematischen Kommunikation (V. 1) die Zerstreuung der ursprünglich an einem Ort befindlichen Menschheit (V. 2) zur Folge. Hinzu kommt, dass sich weder für eine Ausscheidung der V. 2.4b.8a.9b (Zerstreuungsmotiv) noch für diejenige von V. 1.3.7.9a (Sprachverwirrung) oder die Aufteilung von V. 6 (beide Motive)65 hinreichende sprachliche Gründe beibringen lassen. So wird für V. 4b.8a.9b auf die Verwendung von „ על פני כל הארץErdoberfläche“ gegenüber „ כל הארץMenschheit“ in V. 1.9aβ verwiesen.66 Der Sprachgebrauch mag oszillierend sein, doch besteht wegen des vereindeutigenden על פניkeine semantische Kohärenzstörung. Da es um die Zerstreuung der gesamten Menschheit über die ganze Erdoberfläche geht, sind die Begriffe vielmehr klug gewählt, deutet sich doch schon in der Exposition (Spracheinheit der Menschheit) das Ergebnis (Zerstreuung über die Erdoberfläche) an.67 Sodann wird angemerkt, dass V. 4b nur schlecht an V. 4a anschließt. Das ist sicher richtig, doch fügt sich V. 4b bestens an V. 4aα an. Auch ist eine V. 4b entsprechende Zweckangabe, wie bemerkt, in jedem Fall zu erwarten.68 So lässt sich eher erwägen,
64
Vgl. statt vieler WESTERMANN 1974, 734f; SEYBOLD 1976, 457f; UEHLINGER 1990,
308. 65 Die von SEYBOLD 1976, 460 festgestellte „syntaktische Inkonzinnität“ vermag ich nicht zu erkennen. Dass die Herauslösung von ושפה אחתkeine Lücke hinterlässt, hängt von Erwartungen ab, die von dem gemutmaßten Grundtext bestimmt sind, und ist ebenso wenig einschlägig wie die begriffliche Wiederholung von V. 1. Angemerkt sei, dass Seybold selbst auf den „relativ hypothetischen Charakter“ seiner Argumentation zu V. 6 hinweist. 66 Vgl. (mit unterschiedlichen Konsequenzen) LEVIN 1993, 130 einerseits und U EHLINGER 1990, 308 andererseits. 67 Letzteres betont auch SCHÜLE 2006a, 389f. 68 Mit SEEBASS 1996, 272.
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ob die Selbstaufforderung „und machen wir uns einen Namen“ in V. 4aβ ein späterer Nachtrag ist.69 Es bleibt die schon früh beanstandete Erwähnung der Zerstreuung im Kontext der Namensätiologie in V. 9b. Das Nebeneinander von Zerstreuung und Sprachverwirrung gilt als „unerträglich“70, da eine doppelte und widersprüchliche Begründung der Namensätiologie vorliege. Diese Auskunft zielt insbesondere auf das Zerstreuungsmotiv in V. 9b, da es „keine für den Ortsnamen בבלätiologisch verwertbare Information“71 biete. Nun ist es nicht ausgeschlossen, dass mit V. 9b eine Randbemerkung in den Text geraten ist,72 was freilich noch nichts über die redaktionsgeschichtliche Bewertung der übrigen Erwähnungen der Motive aussagt. Davon einmal abgesehen, überzeugen die angeführten Gründe für eine Streichung von V. 9b nicht. Der Teilvers bietet nämlich keine weitere Begründung für den Ortsnamen, sondern eine aus der Erzählung resultierende Information zu dem genannten Ort, die zugleich im Stil eines Itinerars (vgl. Num 21,16) die in V. 2 unterbrochene Bewegung der Menschheit ( )בנסעם מקדםwieder aufnimmt. Die Ausscheidung von V. 4b.8a.9b und des damit zusammengehörenden Zerstreuungsmotivs (V. 2.6*) lässt sich nicht hinreichend begründen. 4. Auch unabhängig von der Frage der Zugehörigkeit von V. 9b gilt die Ätiologie in V. 9a häufig als Zusatz, da sie einen neuen Gesichtspunkt in die Erzählung eintrage.73 Vor einer redaktionsgeschichtlichen Auswertung dieses bei Ätiologien stets gegebenen Eindrucks ist jedoch zu bedenken, dass V. 9a mit der Exposition in V. 1 fest verbunden ist und dass die Identifizierung des in V. 2 genannten Ortes im Gefälle der Erzählung liegt. Zudem liest sich das Wortspiel ( בלל – בבלvgl. auch ונבלהin V. 7) wie ein ironisierendes Echo von V. 3.74 Sofern man nicht davon ausgeht, dass eine Ätiologie nur dann ursprünglich sein kann, wenn sie den Haft- und Ausgangspunkt der Überlieferungsbildung markiert, spricht also viel für die Zugehörigkeit von V. 9a zum Grundbestand. 5. Wie erwähnt, gilt das zweimalige Herabsteigen JHWHs in V. 5 und V. 7 als problematisch. Unbestritten setzt der vorliegende Textzusammenhang einen Wiederaufstieg oder – weniger wahrscheinlich – einen gestaffelten Abstieg
69 Vgl. LEVIN 1993, 131; B LUM 2002a, 439. Allerdings lässt sich kaum ein besserer Ort für die Beibringung dieses Motivs anführen, sei es nun redaktionell oder ursprünglich. 70 LEVIN 1993, 130, der den Vers einer redaktionellen Hand zuschreibt, wodurch der „unerträgliche“ Widerspruch freilich nicht aufgelöst ist. 71 U EHLINGER 1990, 308f Anm. 74. 72 So schon D. ILGEN 1798: Die Urkunden des ersten Buchs von Moses in ihrer Urgestalt zum bessern Verständniss und richtigem Gebrauch derselben in ihrer gegenwärtigen Form I, Halle, 38 (für den ganzen V. 9; notiert bei LEVIN 1993, 130). 73 Vgl. statt vieler (mit überlieferungsgeschichtlicher Erklärung) W ESTERMANN 1974, 736 und (mit redaktionsgeschichtlicher Erklärung) UEHLINGER 1990, 311f. 74 Mit U EHLINGER 1990, 312, der V. 9a und V. 3aβγb seiner Babel-Bearbeitung zuweist.
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voraus, erwähnt dies aber nicht. Bei der quellenkritischen Bewertung von V. 5 und V. 7 könnte das Nebeneinander damit erklärt werden, dass sich der Redaktor an seine Vorgaben gebunden fühlte und aus welchen Gründen auch immer auf einen Ausgleich verzichtet hat. Für das Modell einer redaktionell erweiterten Grundschicht scheidet diese mögliche Erklärung aus. Der Überarbeiter hätte die Doppelung unschwer vermeiden können. Es ist also wie beim fehlenden, gleichwohl vorausgesetzten Baubericht von einer intendierten Nichterwähnung auszugehen. Da die vermeintliche Doppelung die Reflexion JHWHs in V. 6 rahmt, soll sie diese (anstatt eines mutmaßlich umständlichen Berichts über den Wiederaufstieg JHWHs) vermutlich betont herausstellen. Auch wird durch das zweimalige Herabsteigen das Projekt eines bis zum Himmel reichenden Turms ironisiert.75 Die Turmbauerzählung erweist sich damit als weitgehend einheitlich. Lediglich für V. 4aβ lässt sich eine redaktionelle Herkunft vermuten. Dass in Gen 11,1–9 zwei Grundmotive zu erkennen sind, ist damit keineswegs bestritten. Im Gegenteil: Der Verfasser von Gen 11,1–9 hat die Motive der Zerstreuung und der Sprachverwirrung für seine Erzählung kombiniert. Für das Motiv der Sprachverwirrung darf man vielleicht eine Herkunft aus einem Spottgedicht über Babel erwägen.76 Verifizieren lässt sich diese Vermutung kaum. Die Isolierung des Motivs gibt allenfalls Umrisse einer solchen Überlieferung zu erkennen.77 Für das Motiv der Zerstreuung liegt es dagegen nahe, dass es der Verfasser von Gen 11,1–9 dem Kontext entnommen hat.
III. Zum Kontext der Turmbauerzählung Die literarisch weitgehend einheitliche Turmbauerzählung ist durch eine Reihe sprachlicher Referenzen und motivlicher Querverweise in die Urgeschichte integriert:78
75 Vgl. O. PROCKSCH 1924: Die Genesis übersetzt und erklärt, KAT 1, 3. Aufl., Leipzig, 90. Von einem ironisierenden Grundton der gesamten Erzählung spricht B. JACOB 1934/2000: Das erste Buch der Tora Genesis, Berlin (Nachdr., Das Buch Genesis, hg. in Zusammenarbeit mit dem Leo-Baeck-Institut, Stuttgart 2000), 300. Anders J. WELLHAUSEN 1883/1927: Prolegomena zur Geschichte Israels, Berlin (1878 als Geschichte Israels I, 6. Aufl. von 1927, Nachdr. 2001), 305. 76 So W ITTE 1998, 87–99. 77 Zu optimistisch ist wohl auch noch W ITTE 1998, 92f. (2*[nur ]ויהי בארץ שׁנער 4a.5a.8b[?].9aα). 78 Die literarhistorischen Zuordnungen sind für die priesterschriftlichen Passagen unproblematisch. Bei den nicht-priesterschriftlichen Passagen unterscheide ich nach meinem bisherigen Kenntnisstand eine ehedem selbständige Urgeschichte in prophetischer Tradition
III. Zum Kontext der Turmbauerzählung
1. 2.
3. 4.
5. 6.
7.
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Die vage Angabe über den Ausgangspunkt der Wanderung der Menschheit „von Osten“79 ( )מקדםgreift auf die Paradiesgeographie in Gen 2,8 (prUG); 3,24 (R); 4,16 (R) zurück; die Ortsangaben „im Lande Schinear“ (V. 2) und „Babel“ (V. 9a) sind aus Gen 10,10 (R) bekannt, was angesichts der sparsamen Verwendung von Ortsnamen in den Erzähltexten der Urgeschichte besondere Aufmerksamkeit verdient; das Motiv der Zerstreuung ( ;פוץV. 4b.8a.9b) der „ganzen Menschheit“ ( כל ;הארץV. 1.9) nimmt die Notiz über die Abstammung ( פוץ3. fem. perf. ni.?) der „ganzen Menschheit“ ( )כל הארץin 9,19 (P?) auf;80 der Ausdruck „die ganze Menschheit“ ( )כל הארץhat seinerseits die Formulierung „über die ganze Erdoberfläche“ ( )על פני כל הארץveranlasst, zugleich knüpft die überraschend selten belegte Wendung an Gen 1,29; 7,3; 8,9 (alle P) an. Außerhalb der Urgeschichte ist sie noch in Dtn 11,25; 1Sam 30,16; 2Sam 18,8; Sach 5,3 und Dan 8,5 belegt, bezeichnet aber lediglich in Dan 8,5 wie in der Urgeschichte die Oberfläche der bewohnbaren Welt und nicht nur eine einzelne Region; JHWHs Reflexion über das Trachten des Menschen und sein darauf gefasster Entschluss zum vorbeugenden Handeln (V. 6) steht unverkennbar inhaltlich und sprachlich in der Fluchtlinie von Gen 3,22 (R);81 V. 6 ist darüber hinaus motivisch über das Thema der Abgrenzung zwischen göttlicher und menschlicher Sphäre noch mit Gen 6,1–4 (R) verbunden.82 In diesem Zusammenhang erinnert die Formulierung in V. 5, wonach JHWH die „Söhne des Menschen“ ( )בני האדםsieht ()ראה, deutlich an Gen 6,2, wo es von den Göttersöhnen heißt, dass sie die Menschentöchter ( )בנות האדםsehen ()ראה. Die Wendung „Söhne des Menschen“ ()בני האדם ist sonst in der Urgeschichte nicht belegt; das Motiv des kulturgeschichtlichen Fortschritts aus V. 3 und V. 4 nimmt ein Leitmotiv der Genealogie der kulturgeschichtlichen Heroen und Nach-
(prUG) und Ergänzungen, die im Zusammenhang der Verbindung beider Versionen der Urgeschichte stehen oder diese schon voraussetzen (R). 79 Die bereits von den versiones bevorzugte Übersetzung מקדםals Ausgangspunkt ist nicht ganz sicher. Möglicherweise handelt es sich um die Zielangabe „ostwärts“ oder ein schlichtes „im Osten“ (vgl. bereits A. DILLMANN 1892: Die Genesis, KEH 11, 6. Aufl., Leipzig, 205 beziehungsweise BUDDE 1883, 379, jeweils mit Hinweis auf נסע+ מקדםin Gen 13,11). In diesem Fall wäre die Angabe dem Standpunkt des Verfassers in Palästina geschuldet oder es handelt sich um den Versuch der Menschheit, nach der Flut zu ihrem ursprünglichen Siedlungsgebiet zurückzukehren. 80 So schon zu Recht D ILLMANN 1892, 202 gegen B UDDE 1883, 377f. 81 Zu diesem schon immer aufgefallenen Zusammenhang vgl. W ITTE 1998, 88. 82 So u.a. C ARR 1996, 237–239.
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14. Babel im Rücken und das Land vor Augen
kommen Kains in Gen 4,17–22 (prUG) auf.83 Dass hier auch von der ersten Stadtgründung berichtet wird (Gen 4,17), stellt nach dem Erzählverlauf keinen Widerspruch zu Gen 11,1–9 dar, dürften doch diese und alle anderen Städte in der Flut untergegangen sein; 8. der Vollständigkeit halber sei noch das vermutlich nachträglich hinzugefügte Motiv des Namenmachens in V. 4aβ erwähnt.84 Es erinnert an die Männer des Namens in Gen 6,4 (R). Mit Blick auf die Verbindungen in die Urgeschichte erübrigt sich für Gen 11,1– 9 die Annahme eines ehedem selbständigen Traditionsstücks. Die Turmbauerzählung ist vielmehr von vornherein für einen urgeschichtlichen Kontext formuliert worden. Nach den bisherigen Überlegungen ist sie jedoch nicht als Abschluss einer ehedem nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte konzipiert worden, sondern auf eine genuin auf Israel bezogene Fortsetzung hin angelegt. Die Bezugspunkte innerhalb der Urgeschichte legen darüber hinaus eine nachpriesterschriftliche Herkunft nahe. Beobachtungen zum Kontext der Turmbauerzählung stützen diese Annahme. Die Stellung der Turmbauerzählung innerhalb der jahwistischen Urgeschichte ist stets problematisiert worden:85 Mit den herkömmlich dem Jahwisten zugeschriebenen Anteilen der Völkertafel (Gen 10,1b.8–19.21.24–30*) sei die Ausdifferenzierung der Söhne Noahs (Gen 9,18f) in die Völker der Welt bereits eine vollendete Tatsache, der gegenüber die in der Turmbauerzählung berichtete Zerstreuung der einen Menschheit über die Erde als verspätet erscheine. Auch ereigne sich die Entstehung der Völkerwelt nach Gen 10 auf gleichsam natürliche Weise nach dem Prinzip der Genealogie, hingegen sei sie nach Gen 11,1–9 das Resultat eines übernatürlichen Eingreifens JHWHs. Bekanntlich hat Julius Wellhausen hieraus auf eine erste Ausgabe der jahwistischen Urgeschichte ohne Flut und Völkertafel und eine zweite, um eben diese Stücke erweiterte Ausgabe geschlossen.86 Die von Karl Budde ausgebaute87 und dann in verschiedenen Ausformungen rezipierte These ist jedoch mit Blick auf die vorausgesetzten literarkritischen Eingriffe in Gen 2–4,88 die unverkenn-
Vgl. statt vieler BLUM 2002a, 439f. Vgl. dazu auch A. K. JENKINS 1978: A Great Name: Genesis 12:2 and the Editing of the Pentateuch, JSOT 10, 41–57. 85 Vgl. statt vieler W ELLHAUSEN 1899, 11; B UDDE 1883, 371–388. 86 Vgl. W ELLHAUSEN 1899, 8–14. 87 Vgl. B UDDE 1883. 88 Nach W ELLHAUSEN 1899, 8f, 14 sind Gen 4,1–15 und 5,29 im Zuge der Einschreibung der wohl schon schriftlich vorliegenden nicht-priesterschriftlichen Fluterzählung nachgetragen worden. Gegen WELLHAUSEN 1899, 9 lässt sich die Brudermorderzählung literarhistorisch nicht aus dem Erzählzusammenhang von Gen 3–4 herauslösen. Wenig überzeugend ist, wie mir scheint, auch die weitergehende, in jüngerer Zeit mehrfach vertretene These 83 84
III. Zum Kontext der Turmbauerzählung
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baren Querbezüge zwischen Paradieserzählung und dem nicht-priesterschriftlichen Prolog und Epilog zur Flut89 und die auch andernorts belegte Abfolge von Menschenschöpfung und Flut ausgesprochen problematisch. Mit Blick auf die Turmbauerzählung ist zu konstatieren, dass der herausgestellte Widerspruch zur Völkertafel kaum die Intentionen erfasst hat, die sich für den Verfasser der Turmbauerzählung mit der Platzierung im Kontext der Völkertafel verbunden haben dürften. Schon August Dillmann hat in Auseinandersetzung mit Wellhausen und Budde treffend bemerkt, dass die Turmbauerzählung „nachholend den Anlass u. die näheren Umstände an[gibt], unter denen das נפצה הארץ9,19 sich vollzog“90. Dies geschieht, wie die Formulierung der Exposition der Turmbauerzählung deutlich zeigt, in Form einer aus dem chronologischen Ablauf der Genealogien herausgenommenen Rückblende. Wenn diese Rückblende durch die Völkertafel in einem deutlichen Abstand zur Flutgeschichte positioniert wird, dürfte das zudem der einfachen Überlegung geschuldet sein, dass es nach der Flut eines gewissen zeitlichen Abstandes bedurfte, bevor wieder angemessen vom Handeln der gesamten Menschheit gesprochen werden konnte. Letzteres spricht gegen den immerhin denkbaren direkten Anschluss von Gen 11,1–9 an die Notiz über die Noahsöhne in Gen 9,19. Doch auch der immer wieder in die Diskussion gebrachte unmittelbare Anschluss an die ‚jahwistischen‘ Notizen zur Genealogie Sems (Gen 10,31), an diejenige seines Urenkels Eber (Gen 10,25) oder an die Notiz über NimrodGilgamesch, den König der Städte Babel, Erech, Akkad und Kalne im Lande Schinear (Gen 10,8–10), verbietet sich, da die Turmbauerzählung auf diese Weise gegen ihre Intention auf das Erleben eines Teils der Menschheit beschränkt werden würde. Im vorliegenden Textzusammenhang bestehen diese Schwierigkeiten nicht. Als Rückblende über den Hergang der Entstehung und Verteilung der Völker der Welt kann Gen 11,1–9 nur auf eine abschließende Notiz über das Werden der Völker nach der Flut (10,32; P) und vor der Konzentration auf die Nachkommenschaft des einen Noahsohnes Sem, in dessen Linie Abraham steht (11,10; P), eingeschaltet werden. Der urgeschichtliche Kontext der Turmbauerzählung ist derjenige der Priesterschrift und der mit dieser zum vorliegenden
einer umfangreichen sündentheologischen Bearbeitung der jahwistischen Urgeschichte, auf die außer Gen 4,1–15 auch die Ausgestaltung einer ursprünglichen Anthropogonie zur Fallerzählung in Gen 2–3 zurückgehen soll. Vgl. dazu GERTZ 2004b. Dass in der Durchführung immer kleinteiligere literarkritische Eingriffe notwendig geworden sind (vgl. zuletzt KRATZ 2000, 252–263), spricht sicher auch gegen Wellhausens These. 89 Vgl. W ITTE 1998, 174–184; ferner (unter Einschluss von Gen 6,1–4) B AUMGART 1999, 141–162. 90 D ILLMANN 1892, 202. Ähnlich u.a. auch VON R AD 1972, 116 und zuletzt K RATZ 2000, 258, was Kratz’ mit Berufung auf Wellhausen formulierten These einer späteren (nachpriesterschriftlichen) Eintragung der Flutgeschichte nicht eben günstig ist.
280
14. Babel im Rücken und das Land vor Augen
Textzusammenhang vereinigten nicht-priesterschriftlichen Texte. Die wiederholt notierte Nähe der Reflexion JHWHs in V. 6 zu Hi 42,1f spricht sicher auch nicht gegen die aus diesen Überlegungen folgende späte (‚nachpriesterschriftliche‘) Einordnung von Gen 11,1–9.
IV. Interpretationslinien der Turmbauerzählung Die Turmbauerzählung expliziert den Hergang der in der Völkertafel genannten Entstehung der Völker und ihrer Sprachen (vgl. Gen 10,5.20.31) aus der einen Familie der Nachkommen Noahs (vgl. Gen 9,19). Insofern hat sie eine nicht zu bestreitende ätiologische Abzweckung. Sie geht aber nicht darin auf, da sie mit ihrer Schlussnotiz über die Zerstreuung der Menschheit (Gen 11,9b) zugleich eine Begründung für die nachfolgende Fokussierung auf die Nachkommen Sems und schließlich auf Abraham liefert. Mit der Turmbauerzählung ist aus der einen einheitlich agierenden Menschheit die Vielzahl der Völker und damit die Welt geworden, in die Abraham eintritt. Insofern handelt es sich um den Epilog der Urgeschichte und zugleich um den Prolog zur Vorgeschichte des Volkes Israel, weswegen die Kommentierung der Erzelterngeschichte mit Gen 11,10,91 spätestens jedoch mit Gen 11,27 einsetzen sollte. Natürlich erschöpft sich die Turmbauerzählung auch nicht darin, mit einigem ätiologischen Beiwerk den Übergang von der Menschheit in die Völkerwelt sowie die in Gen 12,1–3 einfach vorausgesetzte Herkunft Abrahams außerhalb des Landes zu erzählen.92 Sie hat vielmehr mehrere Erzählziele, die sich schon deswegen nicht gegeneinander ausspielen lassen, weil der Abschnitt aufgrund seiner Querbezüge und seiner exponierten Stellung gleichermaßen als urgeschichtlicher Text und mit Blick auf seine Fortsetzung in der Geschichte Abrahams und seiner Nachkommen gelesen sein will. Die Auslegung der Turmbauerzählung im Rahmen der Urgeschichte setzt am sinnvollsten mit der Reflexion JHWHs über das von ihm beobachtete Handeln der Menschheit in V. 6 ein. Hier bündeln sich die Bezüge zur Urgeschichte. Darüber hinaus wird man kaum fehlgehen, hinter der Autorität JHWHs die Deutung der erzählten Geschehnisse durch den Verfasser formuliert zu sehen. Nach V. 5f ist es der Bau von „Stadt und Turm“, der JHWH zunächst zur Reflexion über das Tun des Menschen und dann zum Einschreiten veranlasst. Worin besteht das Problem? Unbestritten ist mit den geographi-
91 So richtig U. B ERGES 1994: Gen 11,1–9: Babel oder das Ende der Kommunikation, BN 74, 37–56, 52. 92 Dass Abraham aus Mesopotamien kommt, ergibt sich erst aus dem Zusammenhang mit 11,27–32 und dem in 12,4 genannten nordsyrischen Haran.
IV. Interpretationsleitlinien der Turmbauerzählung
281
schen Angaben „im Lande Schinear“ und „Babel“ ein zeitgeschichtliches Ambiente intendiert. Gleichwohl ist es wenig wahrscheinlich, dass eine konkrete (religions-)geschichtliche Situation den Schlüssel zum Verstehen bietet und die Turmbauerzählung als „konstruierter Mythos“93 zu verstehen ist. Zwei Deutungen werden in diesem Zusammenhang in verschiedenen Variationen immer wieder durchgespielt. So soll sich der Text in religionspolemischer Abgrenzung mit der Errichtung oder Renovierung der Ziqqurrat Etemenanki in Babylon auseinandersetzen. Ausweislich der Ortsangabe Babel und der auch aus Bauinschriften Nebukadnezars am Etemenanki bekannten Metaphorik eines bis zum Himmel reichenden Bauwerks dürfte der Verfasser wohl tatsächlich an diesen hohen Turm gedacht haben. Gleichwohl scheitert die religionspolemische Deutung schon an der Nichterwähnung des dazugehörigen kultischen Inventars und Handelns sowie an der mangelnden sakralen Konnotation des Ausdrucks מגדל.94 Vor allem aber fehlt der Erzählung – unbeschadet der ironisierenden Namensätiologie – jeglicher polemischer Unterton, wie ein Vergleich mit einschlägigen Babeltexten zeigt (vgl. Jes 14; Ez 28).95 Der friedfertige und unaufgeregte Charakter der Darstellung spricht auch gegen die Annahme, es handele sich um eine Kritik an Weltherrschaftsansprüchen mesopotamischer Großreiche. Hinzu kommt in diesem Fall die Nichterwähnung des Königtums. Wie schon angemerkt, schließt sie jede herrschaftskritische Lesart der Erzählung aus. Kontext und Erzählverlauf legen vielmehr die exemplarisch-urgeschichtliche Lesart eines „reflektierten Mythos“96 nahe. Die Korrespondenz der geplanten Himmelshöhe des Turmes (V. 4a) und des durch die Doppelung betonten Hinabsteigen JHWHs (V. 5.7) spricht dafür, dass es beim Bau des Turms und dem Eingreifen JHWHs um die Distanzüberwindung beziehungsweise Unterscheidung zwischen göttlich-himmlischer und menschlich-irdischer Sphäre geht.97 Wie das betonte Herausstellen des Hinabsteigens JHWHs und JHWHs
93 W. VON SODEN 1984: Reflektierte und konstruierte Mythen in Babylonien und Assyrien, StOr 54, 149–157: Eine Form mythisierenden Erzählens, die sich nicht einer langen Überlieferung verdankt, sondern einem konkreten historischen Ereignis entspringt. 94 Zur Diskussion um den Ausdruck מגדלvgl. U EHLINGER 1990, 372–378 (Lit.). Die dort favorisierte Festlegung von מגדלauf „Zitadelle“ oder „Akropolis“ ist gut möglich (Jud 9,46– 49), aber nicht zwingend (vgl. auch aaO 380 Anm. 176). 95 So zu Recht SEEBASS 1996, 278; SCHÜLE 2006a, 411–413. 96 Vgl. VON SODEN 1984, 149–157: Mythische Dichtungen, in denen der Dichter ihm wichtige Überzeugungen im bisweilen recht freien Rückgriff auf mythische Überlieferungen veranschaulicht. In Gen 11,1–9 beschränkt sich die Verwendung von Überlieferung allerdings auf einzelne Motive, den Namen der Stadt und ein als charakteristisch empfundenes Bauwerk. Das Interesse am exemplarisch Gültigen betont auch SCHÜLE 2006a, 382. 97 So u.a. auch C ARR 1996, 238; W ITTE 1998, 94; SCHÜLE 2006a, 383, 395f. Damit wird dem zuletzt von UEHLINGER 1990, 378–380 begründeten hyperbolischen Verständnis von
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Rede von den Anfängen menschlichen Tuns zeigen, stellt der Turm dabei weniger eine tatsächliche Gefährdung der himmlischen Sphäre dar, sondern eher ein Symbol für das Potential des Menschen, diese Grenze zu überschreiten. In diesem Sinn ist der Turm, der in der Folge auch nicht mehr eigens erwähnt wird (vgl. V. 8), gar nicht das Hauptmotiv. Dies ist vielmehr die in seiner Planung und anfänglichen Errichtung erkennbare Tendenz des Menschen, die von Gott gesetzten oder auch nur vorausgesetzten Grenzen zu überschreiten. So gesehen setzt die Turmbauerzählung das im Zusatz zur Paradieserzählung (Gen 3,22) und in der redaktionellen Notiz von den Engelehen (Gen 6,1–4) angeschlagene Thema der Grenzziehungen fort: Nach der lebenszeitlichen (Gen 3,22) und sexuellen Grenzziehung (Gen 6,1–4) zwischen Gott und Mensch geht es jetzt abschließend um die Trennung der Wirkungssphären. Wie bei den beiden vorangehenden Episoden weiß der Mensch im Übrigen gar nicht um das von JHWH gefürchtete Potential seines Handelns und überschreitet die Grenzen eher naiv als wissentlich, was seinem Ergehen eine tragische Note gibt:98 Der Mensch beginnt lediglich aus Angst vor seiner Zerstreuung ein einheitsstiftendes Bauwerk (V. 4b). Die in dem Unternehmen zu Tage tretende Fähigkeit des Menschen zur Überschreitung der Grenzen tritt erst mit dem sekundären V. 4aβ in das Kalkül des Menschen. In der Grundschicht wird sie allein von JHWH erkannt, worauf dieser mit der Verunmöglichung einer menschheitlichen Kommunikation die Voraussetzung für ein solches Handeln rein prophylaktisch aufhebt und den Menschen um seine Einheit bringt, die er zu sichern bestrebt war. Zusätzliche Tiefe gewinnt das genuin urgeschichtliche Thema der abgrenzenden Verhältnisbestimmung von Gott und Mensch durch die oft notierte Parallelität von V. 6 zu Hi 42,2–6.99 Sie macht deutlich, worin JHWHs Problem mit dem menschlichen Handeln liegt: Die Menschen machen sich anheischig, den unendlichen Abstand zwischen Gott und Mensch in Frage zu stellen. Dass dies eher unbeabsichtigt durch ein Handeln geschieht, das durch die existentielle Angst des Menschen hervorgerufen wird, ist ein psychologisch fein beobachteter Zug.100 Ebenso fein beobachtet ist in diesem Zusammenhang die Bedeutung menschlicher Kulturleistung. Sie gilt in den nichtpriesterschriftlichen Texten der Urgeschichte von Anfang an (auch in literarhistorischer Hinsicht101) als ambivalent. Gen 11,1–9 unterstreicht dies am Beispiel eines Großbaus und benennt die Grundkräfte der Kultur: Neben der Erfindungsgabe und der Fähigkeit zur gemeinsamen Anstrengung zielgerichteten
וראשׁו בשׁמיםin V. 4a eine Absage erteilt. Wie schon DILLMANN 1892, 206 dargelegt hat, ist es dem Erzählverlauf nicht angemessen. 98 Zur Ahnungslosigkeit der Menschen vgl. auch SCHÜLE 2006a, 394 u.ö. 99 Vgl. dazu W ESTERMANN 1974, 733f; W ITTE 1998, 94; SCHÜLE 2006a, 397. 100 Vgl. dazu auch VON R AD 1972, 113; SEEBASS 1996, 273f. 101 Zu den Versuchen, die Ambivalenzen in Gen 2–4 redaktionsgeschichtlich oder überlieferungsgeschichtlich ‚aufzulösen‘, vgl. GERTZ 2004b.
IV. Interpretationsleitlinien der Turmbauerzählung
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Handelns sind dies auch die Ängstlichkeit und eine gehörige Portion Naivität.102 Darüber hinaus führt die Turmbauerzählung in Verbindung mit Gen 3,22 einen weiteren Aspekt an, der in den älteren Strata der Urgeschichte noch nicht ausgeführt ist. Die in der Erkenntnis gründende Kulturleistung provoziert das vorbeugende Einschreiten JHWHs. Dies geschieht jedoch nicht mit dem Ziel, den Menschen zu strafen oder fürsorgend vor den Folgen seines Handelns zu bewahren, sondern um die göttliche Sphäre dem Zugriff des Menschen zu entziehen: JHWH greift ein, „weil der Entfaltung menschlichen Lebens eine Dynamik eigen ist, die letztlich auf einen Konflikt mit ihm hinausläuft“103. Am Ende der Urgeschichte hat die beste aller möglichen Welten doch ganz erheblich von ihrem Glanz verloren. Die Auslegung der Turmbauerzählung mit Blick auf ihre Fortsetzung in der Geschichte Abrahams und seiner Nachkommen muss zunächst zur Kenntnis nehmen, dass das Motiv des Namenmachens auf der Ebene des Grundtextes keine Verbindung zu Gen 12,1–3 herstellt. Die Formulierungen der Verheißung eines großen Namens in Gen 12,2 ( )ואגדלה שמךund die Selbstaufforderung der Bauherren in Gen 11,4aβ ( )ונעשה לנו שםunterscheiden sich zu deutlich, um hier einen gezielt gesetzten Kontrapunkt behaupten zu können. Allenfalls wird man von einer impliziten Stichwortassoziation sprechen können.104 So oder so würde sich der Verfasser von Gen 12,1–3 auf einen Nachtrag beziehen. Aussagekräftiger sind hingegen die von Andreas Schüle herausgearbeiteten Beziehungen zu den Anfängen der Exoduserzählung.105 Schüle hat sie zum Anlass genommen, die Turmbauerzählung als „mythologische Reflexion auf die Exoduserzählung“ zu lesen, die es erlaubt, die in der Exoduserzählung formu-
Vgl. VON RAD 1972, 113. SCHÜLE 2006a, 396. 104 Vgl. U EHLINGER 1990, 321 mit Hinweis auf die „gewundene Formulierung” bei K ÖCKERT 1988, 265. Anders u.a. JENKINS 1978, 41–57; BERGES 1994, 51–53. Wenig bedacht ist in den meisten Interpretationen zu Gen 11,4aβ der Aspekt der Identifikation der Namensträger mit dem im Bauwerk gesetzten Namen. Sie eröffnet dem Namensträger die Möglichkeit, die eigene physische Vergänglichkeit zu überwinden (vgl. dazu für Mesopotamien K. RADNER 2005: Die Macht des Namens. Altorientalische Strategien zur Selbsterhaltung, Santag 8, Wiesbaden). Sollte dieser Aspekt in Gen 11,4aβ mit im Blick sein (Handlungsträger ist ‚die Menschheit‘), so wird in dem Zusatz noch einmal das Thema der Sterblichkeit aus Gen 3,22 und 6,1–4 aufgegriffen. 105 Vgl. SCHÜLE 2006a, 406f mit Hinweis auf D. SMITH 1996: What Hope After Babel? Diversity and Community in Gen 11:1–9; Exod 1:1–14; Zeph 3:1–13 and Acts 2:1–3, HBT 18, 169–191, 179–181. V. 3b weist terminologische Überschneidungen mit Ex 1,14a auf; die Konstruktion der Selbstaufforderung in V. 4 mit Kohortativ Plural und negativ formulierter Zielbestimmung begegnet im AT nur noch in Ex 1,10, wobei dann in beiden Fällen die Zielsetzung noch von Gott durchkreuzt wird. Die Rede vom Hinabsteigen Gottes in V. 5.7 erinnert deutlich an Ex 3,8. 102 103
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lierten „besonderen Erfahrungen Israels in einem universellen Deutungshorizont zu reflektieren“106. Denkbar ist aber auch, dass die vorwegnehmende Erwähnung einzelner sprachlicher Details aus der Schilderung von Israels Aufenthalt in Ägypten dazu dient, Abrahams Auszug aus Mesopotamien als exemplarische Vorwegnahme des Exodus zu charakterisieren. Die Erzählungen von Abraham bieten für dieses Verständnis bekanntlich eine ganze Reihe von Anknüpfungspunkten. Die auf eine Fortsetzung in der Erzelterngeschichte hin angelegte Turmbauerzählung schildert in diesem Sinn erstmals den in der späteren Tradition kräftig ausgemalten Prolog von Abrahams Aufenthalt in der Fremde,107 was natürlich auch Auswirkungen auf das Verständnis Abrahams hat: Mit Babel im Rücken und dem Land vor Augen durchlebt Abraham exemplarisch das Schicksal der Menschheit nach ihrer Zerstreuung. Dass sich dieses Leben ungeachtet seiner Widrigkeiten als Geschichte des Segens entfaltet, ist das Thema der Erzelterngeschichte.
SCHÜLE 2006a, 409. Einschlägig sind die Kombination von Turmbau- und Abrahamserzählung bei PseudoPhilo (LAB 4,19–7,5), ferner Pseudo-Eupolemus (überliefert bei Eus.praep. 9,17,2–9), Jub 11,14–12,31. Schilderungen vom Aufenthalt Abrahams in der Fremde bieten unter anderenApkAbr 1–8, Jud 5,6–8, Philo (Abr 68–74) sowie Josephus (AntJud I, §§ 154–160). Vgl. dazu A. MÜHLING 2011: „Blickt auf Abraham, euren Vater“. Abraham als Identifikationsfigur des Judentums in der Zeit des Exils und des zweiten Tempels, FRLANT 236, Göttingen. 106 107
15. Abraham, Mose und der Exodus Beobachtungen zur Redaktionsgeschichte von Genesis 15 I. Problemstellung Der Jahwist präsentiert sich der wissenschaftlichen wie der breiteren Öffentlichkeit seit nunmehr einem guten Vierteljahrhundert in höchst unterschiedlicher Gestalt. Grund hierfür ist ein breiter Dissens innerhalb der Forschung über die grundlegenden Daten dieser Pentateuchquelle. Die strittigen Punkte sind bekannt. Sie betreffen den verschieden erklärten Befund der mangelnden literarischen Geschlossenheit der als jahwistisch erkannten Texte, den ungleich bestimmten Umfang des jahwistischen Erzählwerkes und seine sehr voneinander abweichenden Datierungen. Bei all dem geht es natürlich nicht nur um literarhistorische Detailfragen, zur Debatte steht vielmehr das Gesamtverständnis des jahwistischen Erzählwerkes und so reichen die vorgeschlagenen Deutungen vom heilsgeschichtlichen Entwurf eines Theologen aus salomonischer Zeit bis hin zum Geschichtswerk eines exilischen Redaktors, dem es um die Antwort auf die Frage nach der Entstehung der jüdischen Diaspora geht, oder der archaeologia und historica eines nachdtr. Historikers. Ist es vorderhand also völlig unklar, von welchem Jahwisten hier Abschied genommen wird, so bietet es sich an, vom Minimalkonsens derjenigen auszugehen, die an der Existenz eines Jahwisten oder einer vergleichbaren Pentateuchschicht festhalten. In wünschenswerter Eindeutigkeit findet sich dieser Konsens bei Christoph Levin formuliert: Es muß im vorpriesterschriftlichen Material des Tetrateuch ein redaktioneller Faden vorhanden gewesen sein, der einen beträchtlichen Teil des unterschiedlichen Stoffs erstmals zu der vorliegenden Abfolge des heilsgeschichtlichen Geschehens verknüpft hat1.
Fragen wir nach dem Mindestumfang der jahwistisch konzipierten Heilsgeschichte, so hat diese dem allgemeinen Dafürhalten nach zumindest die Urge-
1
CH. LEVIN 1993: Der Jahwist, FRLANT 157, Göttingen, 9 (Hervorhebung im Original).
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15. Abraham, Mose und der Exodus
schichte, die Vätergeschichte und die Exoduserzählung, also die dem Jahwisten zugeschriebenen Texte in Gen 2,4b bis Ex 14 beinhaltet.2 Mit diesen Angaben ist vorgegeben, unter welchem Gesichtspunkt die Überprüfung der These eines jahwistischen Geschichtswerkes erfolgen soll: Zur Diskussion steht im Folgenden abermals die Annahme einer vorpriesterschriftlichen Verknüpfung einer dem Jahwisten zugeschriebenen Vätergeschichte mit ihrem Pendant in der Exoduserzählung.3 Sie soll im Folgenden noch einmal anhand der Erzählung von JHWHs Bundesschluss mit Abraham4 in Gen 15 überprüft werden. Für die Wahl von Gen 15 sind zwei Gründe ausschlaggebend. Zum einen handelt es sich um einen der wenigen nicht-priesterschriftlichen Texte der Genesis, die ausdrücklich das Verhältnis zwischen der Väter- und der Mosezeit ansprechen, mithin Aussagen zur literarischen Verbindung der Vätergeschichte mit der Exoduserzählung erlauben. Zum anderen hat sich in den letzten Jahren für Gen 15 fast allgemein eine literarhistorische Einordnung durchgesetzt, die bereits den (wie auch immer abgegrenzten) Grundbestand des Kapitels einem weit fortgeschrittenen Stadium der nicht-priesterschriftlichen Traditionsbildung zuweist.5 Angesichts der Anklänge des gesamten Kapitels an den Deute-
Vgl. O. KAISER 1992: Grundriss der Einleitung in die kanonischen und deuterokanonischen Schriften des Alten Testaments, Bd.1: Die erzählenden Werke, Gütersloh, 63. „Doch rechnet man in der Regel auch mit einer jahwistischen Grundlage der Wüstenwanderungserzählung I und II, der Sinaiperikope und weithin auch der Bileamerzählung“ (ebd.). 3 Vgl. dazu ausführlich K. SCHMID 1999: Erzväter und Exodus. Untersuchungen zur doppelten Begründung der Ursprünge Israels innerhalb der Geschichtsbücher des Alten Testaments, WMANT 81, Neukirchen-Vluyn, mit eingehender Diskussion der einschlägigen Literatur. Ferner die knappen Andeutungen bei J. CH. GERTZ 2000b: Tradition und Redaktion. Untersuchungen zur Endredaktion des Pentateuch, FRLANT 186, Göttingen, 380–388. Zur kritischen Auseinandersetzung mit der These einer ursprünglichen literarischen Eigenständigkeit der nicht-priesterschriftlichen Vätergeschichte und der nicht-priesterschriftlichen Exoduserzählung, die erst durch die Verbindung mit den priesterschriftlichen Texten aufgehoben worden ist, vgl. auch D. M. CARR 2001: Genesis in Relation to the Moses Story. Diachronic and Synchronic Perspectives, in: A. Wénin (Hg.), Studies in the Book of Genesis. Literature, Redaction and History, BEThL 155, Leuven, 273–295. Auch Carr gelangt zu der Einschätzung, „[…] the most significant division in pre-P Pentateuchal materials may be between the Moses story and its backward extension through the composition of an early form of Genesis and connected materials“ (aaO 294), möchte aber gleichwohl an der vorpriesterschriftlichen Einordnung dieses Vorgangs festhalten. 4 Die in Gen 15 ausnahmslos gebräuchliche Benennung אברםwird im Folgenden mit „Abraham“ wiedergegeben. Entsprechend ist für die Wiedergabe von „ שריSara“ gewählt. 5 Grundlegend: J. HOFTIJZER 1956: Die Verheissungen an die drei Erzväter, Leiden, 17– 23, 80f; O. KAISER 1958: Traditionsgeschichtliche Untersuchung von Genesis 15, ZAW 70, 107–126 (wiederabgedr. in: ders., Von der Gegenwartsbedeutung des Alten Testaments. Gesammelte Studien zur Hermeneutik und Redaktionsgeschichte, 1984, 107–126); L. PERLITT 1969: Bundestheologie im Alten Testament, WMANT 36, Neukirchen-Vluyn, 68–77; H.H. 2
II. Genesis 15 – ein heilsgeschichtlicher Brückentext
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ronomismus6 und Deuterojesaja7 sowie der sprachlichen Gemeinsamkeiten mit dem Buch Hiob,8 wird man diese Einordnung sogar dahingehend präzisieren dürfen, dass der Grundbestand von Gen 15 Aussagen über das vermutlich letzte Stadium der nicht-priesterschriftlichen Vätergeschichte vor ihrer Verbindung mit den priesterschriftlichen Texten erlaubt.9 Es wird sich zeigen, dass dies für die Frage nach den Umständen und dem Zeitpunkt der Verbindung der nichtpriesterschriftlichen Vätergeschichte mit der nicht-priesterschriftlichen Exoduserzählung von grundlegender Bedeutung ist.
II. Genesis 15 – ein heilsgeschichtlicher Brückentext In seinem vorliegenden Textzusammenhang ist Gen 15 ein Brückentext, der die beiden Hauptbestandteile der Pentateucherzählung, die Vätergeschichten des Buches Genesis und die Moseerzählung der folgenden Bücher des Pentateuch, zusammenbindet.10 Kennzeichnend hierfür ist, dass in keinem anderen Text der Genesis die Geschehnisse des Exodus und all das, was sich aus ihnen entwickelt, die Offenbarung JHWHs am Sinai und die Gabe des Landes, so präsent sind wie hier: Die Selbstvorstellung JHWHs in V. 7a „Ich bin JHWH, der dich herausgeführt hat aus Ur Kasdim“ ()אני יהוה אשר הוצאתיך מאור כשדים spielt bekanntlich auf den Wortlaut des Dekaloganfangs „Ich bin JHWH, dein Gott, der dich herausgeführt hat aus dem Land Ägypten, dem Haus der Knechtschaft“ ( אנכי יהוה אלהיך אשר הוצאתיך מארץ מצרים מבית עבדיםEx 20,2; Dtn 5,6)
SCHMID 1976: Der sogenannte Jahwist. Beobachtungen und Fragen zur Pentateuchforschung, Zürich, 121–127; J. VAN SETERS 1975: Abraham in History and Tradition, New Haven/CT und London, 249–278. 6 Zu den sprachlichen Anklängen vgl. M. A NBAR 1982: Genesis 15. A Conflation of Two Deuteronomic Narratives, JBL 101, 39–55. Unbeschadet eines terminologischen Einflusses bestehen konzeptionelle Unterschiede zum Deuteronomismus. Hierauf hat in jüngerer Zeit u.a. D. M. CARR 1996: Reading the Fractures of Genesis. Historical and Literary Approaches, Louisville/KY, 165 hingewiesen. 7 Vgl. nur VAN SETERS 1975, 263–269. 8 Hinweise finden sich schon bei H. G UNKEL 1910/1977: Genesis, HK I/1, 3. Aufl., Göttingen (= Nachdr. d. 9. Aufl. 1977), 181. Die Berührungen mit Hi 4,12ff sind allerdings wesentlich enger als von Gunkel angenommen: Vgl. דברmit אלin Hi 4,12 und Gen 15,1.4; מחזינותin Hi 4,13 und מחזהin Gen 15,1; תרדמהmit נפלin Hi 4,13 und Gen 15,12 sowie die Frage in Hi 4,17 mit Gen 15,6. 9 Zu neueren Vorschlägen, das ganze Kapitel nachpriesterschriftlich einzuordnen, siehe unten Abschnitt III. 10 Zu dieser Funktion von Gen 15 vgl. SCHMID 1999, 172–186, der – über die recht verbreitete Einsicht, dass der Horizont von Gen 15 in seiner vorliegenden Gestalt den gesamten Pentateuch umfasst, hinausgehend – die Linien bis in das corpus propheticum hinauszieht.
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15. Abraham, Mose und der Exodus
an.11 Nach V. 7b zielt der Exodus aus Ur Kasdim auf die Inbesitznahme des Landes, wobei die Formulierung der Landgabeformel „um dir dieses Land zu geben, um es zu besitzen“ ( )לתת לך את הארץ הזאת לרשתהVorstellungsgehalte der dtr Landnahmetheologie evoziert.12 Die Verbindung von Selbstvorstellung JHWHs als Gott des Exodus und der Landverheißung hat eine enge Parallele im sinaitischen Heiligkeitsgesetz (Lev 25,38). Das Abraham gewährte Zeichen besteht nach V. 17 in einer Schwurzeremonie, deren Theophanie-Elemente in Motivik und Terminologie deutlich an die Sinaioffenbarung erinnern, insofern JHWH die Szene als rauchender Ofen und Feuerfackel ( ;תנור עשן ולפיד אשvgl. Ex 19,18; 20,18) durchschreitet ( ;עברvgl. Ex 34,6).13 Sodann verwendet die Bundeszusage für Abraham in V. 18 mit der Formulierung כרת ברית אתmit JHWH als Subjekt den terminus technicus für den Bundesschluss am Sinai/Horeb.14 Von einer ganz besonderen Qualität ist indes die Vorschau auf die Unterdrückung und die Herausführung aus Ägypten in V. 13–16. Anders als die bisher genannten Exodusreminiszenzen erschöpft sie sich nicht in terminologischen und motivischen Anspielungen. Vielmehr setzen die V. 13–16 die Gestalt und Geschichte Abrahams in einen Sachzusammenhang mit den Exodusereignissen. Mittels einer Geschichtsvorschau, die deutlich auf die Darstellung der Unterdrückung der Israeliten durch die Ägypter in Ex 1,11f, das Motiv der Beraubung in Ex 3,22; 11,2; 12,35f, das Gerichtshandeln JHWHs an den Ägyptern durch die Plagen und am Schilfmeer nach Ex 7–12 und Ex 14 sowie den erfolgreichen Auszug nach 430 Jahren in Ex 12,40 zielt, konstruieren die V. 13–16 eine heilsgeschichtliche Verbindung zwischen den Vätergeschichten, der Ägyptenzeit und dem Exodus. Danach sind es die zahlreichen Nachfahren Abrahams, die als Fremde ( )כי גר יהיה זרעך בארץin einem Land leben werden, das ihnen nicht gehört ( )בארץ לא להםund wo sie Fronarbeiten zu leisten haben ( )עבדund unterdrückt werden ( ענהpi.). Doch nach 400 Jahren wird JHWH das Volk, dem die Nachkommen Abrahams dienen müssen, richten und die Nach11 Statt vieler: W. ZIMMERLI 1976: 1. Mose 12–25: Abraham, ZBK 1,2, Zürich, 53.; M. FISHBANE 1985: Biblical Interpretation in Ancient Israel, Oxford, 375f. und SCHMID 1999, 182. 12 Auf die Anklänge an die dtn-dtr Landnahmetheologie hat bereits G UNKEL 1910/1977, 178 aufmerksam gemacht. Vgl. ferner Dtn 3,13; 9,6, sowie Dtn 5,28; 12,1; 19,2.14; Jos 1,11. 13 So schon G UNKEL 1910/1977, 181f und M. N OTH 1948: Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart (3. Aufl., Darmstadt 1960), 218f. Vgl. ferner PERLITT 1969, 74; M. KÖCKERT 1988: Vätergott und Väterverheißungen. Eine Auseinandersetzung mit Albrecht Alt und seinen Erben, FRLANT 142, Göttingen, 228f; H. GESE 1991: Die Komposition der Abrahamserzählung, in: ders., Alttestamentliche Studien, Tübingen, 29–51, 45f; SCHMID 1999, 183. 14 Vgl. TH. C. R ÖMER 1989/90: Genesis 15 und Genesis 17, DBAT 26, 32–47, 44 mit Verweis auf Ex 24,8; 34,10.27; Dtn 4,23; 5,2f; 9,9; 29,69; 29,11.13.24; 31,16; 1Kön 8,21; 2Kön 17,15; Jer 11,10.
II. Genesis 15 – ein heilsgeschichtlicher Brückentext
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kommen werden mit großen Besitztümern ( )ברכש גדולaus dem Land ihrer Unterdrückung ausziehen, sodass die vierte Generation der Ausziehenden15 endlich in das Abraham zugesagte Land zurückkehren kann. Dass dieser heilsgeschichtliche Zusammenhang jünger ist als die durch ihn verbundenen einzelnen Überlieferungsblöcke, ist seit langem erkannt.16 Doch gerade an Gen 15 wird ersichtlich, um wie viel jünger er ist. Denn lässt sich für jeden der genannten Überlieferungsblöcke eine nicht- und zugleich vorpriesterschriftliche Fassung anführen, so setzt die Verbindung der Überlieferungsblöcke durch die Geschichtsvorschau in V. 13–16 eindeutig die Kenntnis der Priesterschrift voraus. Für diese zunehmend akzeptierte Annahme17 sprechen folgende Beobachtungen: Die Ankündigung in V. 13, dass die Bedrückung der zahlreichen Nachkommen Abrahams in der Fremde 400 Jahre währen wird, rundet die Angaben der priesterschriftlichen Chronologie des Exodus, die von einem 430-jährigen Aufenthalt in Ägypten ausgeht (vgl. Ex 12,40).18 Ebenso dürfte die Ankündigung von V. 14a, dass JHWH die Bedrücker richten werde ()וגם את הגוי אשר יעבדו דן אנכי, auf die priesterschriftliche Vorstellung zurückgehen, wonach die Herausführung der Israeliten aus Ägypten unter großen Strafgerichten erfolgt ( ;בשׁפטים גדוליםEx 7,4). Die Ankündigung von V. 15, dass Abraham „im schönen Alter“ ( )בשׂיבה טובהbegraben werden wird, greift die priesterschriftliche Darstellung des Todes Abrahams in Gen 25,8 wörtlich auf.19 Sodann gebraucht der Vorgriff auf das Motiv der Beraubung der Ägypter in V. 14 den für P typischen Ausdruck „ רכושׁBesitz“, obwohl die entsprechenden Exodustexte anders formulieren (vgl. Ex 3,21f; 11,2f; 12,35f).20 An der nachpriesterschriftlichen Herkunft der heilsgeschicht-
Zu diesem Verständnis der „vier Generationen“ in V. 16 und zu ihrem Verhältnis zu den 400 Jahren in V. 13 vgl. RÖMER 1989/90, 34f. 16 Vgl. bereits K. G ALLING 1928: Die Erwählungstraditionen Israels, BZAW 48, Gießen. 17 Ohne Rücksicht auf die für das jeweilige Gesamtbild entscheidenden Differenzierungen: J. WELLHAUSEN 1899: Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, 3. Aufl., Berlin (4. Aufl., Nachdr. d. 3. Aufl., Berlin 1963), 22; H.CH. SCHMITT 1982: Redaktion des Pentateuch im Geiste der Prophetie. Beobachtungen zur Bedeutung der „Glaubens“-Thematik innerhalb der Theologie des Pentateuch, in: ders., Theologie in Prophetie und Pentateuch (2001), BZAW 310, Berlin/New York, 220–237, 182; E. BLUM 1984: Die Komposition der Vätergeschichte, WMANT 57, Neukirchen-Vluyn, 379; RÖMER 1989/90, 37 u.ö.; SCHMID 1999, 181. 18 Vgl. ZIMMERLI 1976, 58. 19 Vgl. G UNKEL 1910/1977, 183, ferner bereits W ELLHAUSEN 1899, 22. Anders S. TALMON 1990: „400 Jahre“ oder „vier Generationen“ (Gen 15,13–15): Geschichtliche Zeitangaben oder literarische Motive?, in: E. Blum (Hg.), Die Hebräische Bibel und ihre zweifache Nachgeschichte. Festschrift R. Rendtorff, Neukirchen-Vluyn, 13–25, 24. 20 Vgl. Wellhausen 1899, 22 und zuletzt Römer 1989/90, 37 mit Anm. 43; Schmid 1999, 181. Gegen Römer wird man jedoch festhalten müssen, dass das Motiv der Beraubung zum 15
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15. Abraham, Mose und der Exodus
lichen Verknüpfung von Vätergeschichten, Ägyptenzeit und Exodus durch die Geschichtsvorschau in den V. 13–16 besteht daher kein Zweifel. Die Beobachtungen zu der Verknüpfung von Vätergeschichte und Exoduserzählung in Gen 15,13–16 entsprechen im Übrigen – was hier nicht weiter auszuführen ist – denjenigen zu den vergleichbaren Brückentexten in Gen 46,1–5* und 50,24–26 sowie zur nicht-priesterschriftlichen Exoduserzählung:21 Die genannten Brückentexte der Genesis schreiben gleichermaßen die nicht-priesterschriftliche wie die priesterschriftliche Überlieferung fort. Die nicht-priesterschriftliche Exoduserzählung lässt keinen inneren Zusammenhang mit den im vorliegenden Textzusammenhang vorausgehenden Geschehnissen der Vätergeschichte erkennen, während ihre expliziten Rückbezüge auf die Genesis sämtlich nachpriesterschriftlicher Herkunft sind. Wir können daher den Befund zu Gen 15,13–16 wie folgt verallgemeinern: Anders als die Priesterschrift, die eine Reihe von expliziten und geplant eingesetzten Querverbindungen zwischen der Urgeschichte, der Väterzeit und der Exoduserzählung kennt, lassen sich für den nicht-priesterschriftlichen Textbestand derartige Brückenschläge erst in solchen Texten eindeutig nachweisen, die bereits die Priesterschrift und damit auch deren heilsgeschichtliches Konzept von der Vorschaltung der Vätergeschichten vor die Exoduserzählung voraussetzen. Diese Feststellung ist nun für die Annahme eines die Hauptbestandteile der vorliegenden Pentateucherzählung umfassenden Jahwisten nicht eben günstig, sondern spricht eher dafür, dass die Priesterschrift die erste (und einzige) durchlaufende Quellenschrift des Tetrateuch gewesen ist. Freilich bleibt eine gewisse Unsicherheit, insofern es durchaus denkbar ist, dass es sich bei den genannten nachpriesterschriftlichen Brückentexten um späte Verstrebungen handelt, die in einen bestehenden Erzählungszusammenhang eingezogen worden sind, der mehr durch den in sich stimmigen Ablauf der Ereignisse und ein bestimmtes theologisches Profil definiert wird.22 Wir fragen daher nach Indizien für die Annahme, dass die nicht-priesterschriftliche Vätergeschichte und die nicht-priesterschriftliche Exoduserzählung bis zu ihrer Verbindung mit der
ältesten Bestand der nicht-priesterschriftlichen Exoduserzählung gehört. Vgl. GERTZ 2000b, 303f. 21 Die ausführliche Begründung bei G ERTZ 2000b, besonders 273–277 (zu Gen 46,1–5), 363–365 (zu Gen 50,24–26) und 382f (zum Gesamtbefund). Für die Bezüge von Gen 46,1– 5* zur Exoduserzählung vgl. auch CARR 2001, 279–282. Nach SCHMID 1999, 62f ist Gen 46,1–5* allerdings nur für eine Gen 12–50 umfassende Vätergeschichte verfasst worden. Vgl. E. BLUM 2002b: Die literarische Verbindung von Erzvätern und Exodus. Ein Gespräch mit neueren Endredaktionshypothesen, in: J. Ch. Gertz/K. Schmid/M. Witte (Hg.), Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion, BZAW 315, Berlin/New York 2002, 119–156. 22 So in jüngerer Zeit mit Nachdruck LEVIN 1993 sowie C ARR 2001, 273–295, bes. 276ff.
III. Literarische Analyse von Genesis 15
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Priesterschrift als selbständige literarische Werke überliefert worden sind. Auch dieser Frage ist am Beispiel von Gen 15 nachzugehen.
III. Literarische Analyse von Genesis 15 Die Forschung ist in der literarischen Analyse von Gen 15 viele Wege gegangen und hat kaum eine Denkmöglichkeit ausgelassen.23 Doch zeichnet sich ab, dass gegenüber der Herausarbeitung paralleler Quellenfäden24 durch einen Längsschnitt und der Aufteilung in zwei Szenen unterschiedlicher Herkunft in V. 1–6 und V. 7–21 durch einen Querschnitt25 zunehmend von der substantiellen Einheitlichkeit des Kapitels ausgegangen wird.26 Das Verteilen des Textes auf zwei parallele Quellenfäden hat im Grunde genommen nie recht überzeugen können.27 Gegen die entstehungsgeschichtliche Trennung von V. 1–6 und V. 7–21 spricht die Beobachtung, dass V. 6 nicht allein Abschluss der ersten Szene ist, sondern zugleich mit der „Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit“28 sachlich auf deren Konkretisierung in der Landverheißung der zweiten Szene überleitet.29 Der Vers verbindet somit zwei Szenen eines Gesamtzusammenhangs, die zudem mit der Verheißung JHWHs in V. 1 und V. 7, der Frage Abrahams in V. 2f und V. 8 sowie der Reaktion JHWHs in V. 4.5a und V. 9–
23 Einen Überblick bieten J. H A 1989: Genesis 15. A Theological Compendium of Pentateuchal History, BZAW 181, 30–38; KÖCKERT 1988, 325–327. 24 Vgl. G UNKEL 1910/1977, 177f. 25 Vgl. K AISER 1985, 109; ZIMMERLI 1976, 53; C. W ESTERMANN 1981: Genesis 12–36, BK I/2, Neukirchen-Vluyn, 255; ANBAR 1982, 40. 26 Vgl. H OFTIJZER 1956, 17–23; N. LOHFINK 1967: Die Landverheißung als Eid, SBS 28, Stuttgart, 35–50; VAN SETERS 1975, 249–263; BLUM 1984, 377–381; KÖCKERT 1988, 210– 227; RÖMER 1989/90, 33; SCHMID 1999, 175f. 27 Dies belegt schon die Synopse über die sehr unterschiedlichen Quellenzuweisungen der einzelnen Verse bei KÖCKERT 1988, 325–327. 28 V. 6 ist wegen der unklaren syntaktischen Zuordnung – wer ist Subjekt zu ויחשׁ בה: JHWH oder Abraham? – und der Tempusfolge der Verben mehrdeutig. Die Ambiguität kann durchaus intendiert gewesen sein, auch wenn inhaltlich einiges dafür spricht, dass JHWH Subjekt zu ויחשׁבהist. Sicher scheint lediglich, dass צדקהim Unterschied zu צדקkein Prinzip, etwa die dauerhafte Glaubenshaltung Abrahams, bezeichnet, sondern eine einzelne Handlung. Vgl. R. MOSIS 1989: „Glauben“ und „Gerechtigkeit“ – zu Gen 15,6, in: M. Görg (Hg.), Die Väter Israels. Beiträge zur Theologie der Patriarchenüberlieferung im Alten Testament, Festschrift J. Scharbert, Stuttgart, 225–257 im Anschluss an D. MICHEL 1964: Begriffsuntersuchung über sädäq – sedaqa und ämät – ämuna, HabSchr. (masch.), Heidelberg. Zur Diskussion vgl. auch M. OEMING 1998: Der Glaube Abrahams. Zur Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 in der Zeit des zweiten Tempels, ZAW 110, 16–33; SCHMID 1999, 184f, Anm. 90. 29 Vgl. LOHFINK 1967, 45f. Dort auch zum Folgenden.
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15. Abraham, Mose und der Exodus
17 weitgehend parallel aufgebaut sind und denen überdies die Leitwörter זרע und ירשׁgemeinsam sind. Unbeschadet seiner substantiellen Einheitlichkeit ist Gen 15 jedoch nicht frei von Spuren redaktioneller Bearbeitung: V. 2a „Da sprach Abram: Mein Herr JHWH, was willst du mir geben? Denn ich bin einer, der kinderlos dahingeht“ und V. 3 „Da sprach Abram: Ach, du hast mir ja keine Nachkommen gegeben und so wird ein Sohn meines Hauses mich beerben“ gehen schwerlich auf einen Verfasser zurück. Sehr wahrscheinlich ist V. 3 eine nachträgliche Entfaltung des sehr seltenen Wortes „ עריריkinderlos“ durch die geläufigeren Antonyme „ זרעNachkommen“ und „ יורשׁErbe“.30 Ob V. 3 auch den heillos verderbten V. 2b ersetzen sollte, ist hingegen weniger sicher. Es erscheint durchaus möglich, dass es sich bei V. 2b um eine exegetische (Rand-)Glosse handelt, die nachträgt, wer der in V. 3 genannte „Sohn des Hauses“ ist, und deren Antwort sich aus der Anzahl der Knechte Abrahams speist, die bekanntlich mit der Gematria von „Elieser“, dem nur in V. 2 erwähnten Oberknecht Abrahams, übereinstimmt. Die Völkerliste in V. 19f schließt syntaktisch nur schlecht an das Vorherige an und wirkt deutlich angehängt.31 Weniger eindeutig in ihrer literarhistorischen Bewertung ist die sachliche Inkongruenz zwischen der einleitenden Charakterisierung des Folgenden als „ מחזהVision“ in V. 1 und der tatsächlichen Darstellung des Geschehens in V. 5ff. Mit Blick auf die deutlichen Überarbeitungsspuren in V. 2f wird man daher, ohne dass sich weitere, halbwegs eindeutige literarkritische Indizien anführen ließen, für V. 1 eine Überformung vermuten dürfen, die die Positionierung des Kapitels auf einen gegenüber seinem ursprünglichen literarischen Ort sekundären Textzusammenhang abgestimmt hat. Einen Hinweis auf diesen sekundären Textzusammenhang bietet die Selbstbezeichnung JHWHs als „Schild“ מגןin V. 1, worin unschwer eine Anspielung auf die vorausgehende Abraham-Melchisedek-Episode zu erkennen ist (vgl. ִמֵגןin 14,20).32 Einen weiteren Hinweis enthält die Beobachtung, dass das auffällige „ מחזהVision“ im Pentateuch nur noch in Num 24,4.16 belegt ist.33 Damit ergibt sich für Gen 15, dass das Kapitel in seiner vorliegenden Gestalt gut in den Gesamtzusammenhang des Pentateuch eingebunden ist, und zwar einschließlich der in der Forschung zu Recht als Spätling eingestuften Abraham-Melchisedek-Episode.34 Es ist aber recht wahrscheinlich, dass sich diese Kontextbezüge der vorliegenden Textgestalt
Eine knappe Zusammenfassung der Diskussion zu V. 2f gibt KÖCKERT 1988, 211. Vgl. zuletzt BLUM 1984, 379. 32 Vgl. SCHMID 1999, 176f. 33 Vgl. dazu M. W ITTE 2002: Der Segen Bileams – eine redaktionsgeschichtliche Problemanzeige zum „Jahwisten“ in Num 22–24, in: J. Ch. Gertz/K. Schmid/M. Witte (Hg.), Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion, BZAW 315, Berlin/New York 2002, 191–213. 34 Zu Gen 14 vgl. SCHMID 1999, 176 und die dort in Anm. 32 genannte Literatur. 30
31
III. Literarische Analyse von Genesis 15
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des Kapitels der späteren Überformung seiner Einleitung verdanken. Freilich wird man die Alternative, dass Gen 15 von vornherein auf seinen jetzigen Textzusammenhang hin formuliert worden ist,35 allein aufgrund der genannten Textbeobachtungen nicht ausschließen dürfen. Hierzu bedarf es vielmehr einer Abwägung aller Hinweise auf eine mehrstufige Entstehung des Kapitels, insbesondere der für unsere Fragestellung entscheidenden redaktionsgeschichtlichen Beurteilung der V. 13–16. Der heilsgeschichtliche Vorgriff in Gen 15,13–16 unterbricht den Handlungsbogen, der von Abrahams Zeichenforderung in V. 8 an zielgerichtet auf die feierliche Bundeszusage JHWHs an Abraham zuläuft. Dadurch wird die Aussage von V. 18 sachlich zum Teil vorweggenommen, was darauf hinausläuft, dass die Verheißung von V. 18 zugunsten JHWHs nachmaliger Rettungstat in Ägypten an den Rand gedrängt wird.36 Man wird in dieser Unterbrechung der Handlungsschilderung am falschen Ort nicht gerade eine Ungeschicklichkeit der Redaktion, wohl aber eine bewusste Akzentverschiebung gegenüber der ursprünglichen Intention des Kapitels sehen dürfen.37 Hinzu kommt, dass der Auftakt der JHWH-Rede in V. 13 mit der Zusage „Du sollst genau wissen“ zwar das Stichwort „ ידעerkennen/wissen“ aus Abrahams Frage in V. 8 „Woran soll ich erkennen, dass ich es besitzen werde“ aufgreift und so prima facie auch eine Antwort gibt. Doch verschiebt sich unter der Hand die Bedeutung von ידע. Während es sich in V. 8 um eine vergewissernde Zeichenforderung handelt, die ihre Erfüllung dann sachgemäß in der Schwurzeremonie und Bundeszusage findet, geht es in V. 13 um das Erkennen des Zukünftigen, wonach in V. 8 gar nicht gefragt war.38 Schließlich ist an den Befund zu erinnern, dass die V. 13– 16 die Priesterschrift aufgreifen, was sich ungeachtet gegenteiliger Behauptungen für das restliche Kapitel nicht belegen lässt,39 und dass sich die Exodusreminiszenzen in V. 13–16 deutlich von denen des Kontextes unterscheiden. Der Einschub der V. 13–16 wird durch V. 11 vorbereitet, der schildert, wie Raubvögel auf die für die Schwurzeremonie bereit gelegten Tierhälften herabstoßen. Für dieses „eigentümlich isolierte [...] und fremdartige [...] Intermezzo“40 gibt es kaum eine andere Erklärung, als dass sich in ihm die drohende Gefährdung der Nachkommen Abrahams ankündigt, von der dann in den V. 13–16 ausführ-
Vgl. zuletzt RÖMER 1989/90, 40f; SCHMID 1999, 176f. Das weithin rezipierte Argument geht auf WELLHAUSEN 1899, 21f zurück. 37 Vgl. aaO 20. Gerade der Hinweis, dass sich durch die V. 13–16 die Akzente innerhalb von Gen 15 verschieben, lässt den Einwand von RÖMER 1989/90, 37, in einem „theologischen summary“ seien nicht so hohe Anforderungen an einen stringenten Handlungsverlauf zu stellen, ins Leere laufen. 38 Vgl. H. M ÖLLE 1988: Genesis 15. Eine Erzählung von den Anfängen Israels, FzB 62, Würzburg, 113f, gegen VAN SETERS 1975, 259. 39 Zu den vermeintlichen Belegen für eine Abhängigkeit von P siehe unten. 40 W ESTERMANN 1981, 268. 35
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15. Abraham, Mose und der Exodus
licher, gleichwohl ähnlich andeutend die Rede ist.41 V. 11 geht daher sehr wahrscheinlich auf die Redaktion zurück, die auch für die Hinzufügung von V. 13–16 verantwortlich ist. Wie wir gesehen haben, setzt diese Redaktion im Gegensatz zum Grundbestand von Gen 15 bereits die Verbindung der priesterschriftlichen und der nicht-priesterschriftlichen Bestandteile des Pentateuch voraus, wenn sie nicht mit der hierfür verantwortlichen Redaktion zu identifizieren ist. Die Bewertung der heilsgeschichtlichen Vorschau in V. 11.13–16 als redaktioneller Nachtrag hat sich über lange Zeit weitgehender Zustimmung erfreut, ist in jüngerer Zeit jedoch heftig kritisiert worden, insofern man sie als axiomatische Setzung beurteilte, die allein darauf beruhe, dass im Gegensatz zu der erkannten Erweiterung in V. 11.13–16 für den ermittelten Grundbestand von Gen 15 eine nachpriesterschriftliche Herkunft von vornherein ausgeschlossen werde.42 Für eine nachpriesterschriftliche Herkunft des gesamten Kapitels werden die in V. 7 erwähnte Herausführung Abrahams aus Ur Kasdim, die auf die priesterschriftliche Notiz in Gen 11,28 zurückgreife,43 und die Aufzählung der für die Schwurzeremonie geteilten Tiere, die die priesterschriftliche Opferthora voraussetze,44 angeführt. Freilich sind die Akten über Gen 11,27–32 noch nicht geschlossen.45 Wenn der Abschnitt nicht zur nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte gehört, wofür einiges spricht, dann handelt es sich jedoch eher um einen Nachtrag, der die Verbindung des nachpriesterschriftlichen Textes mit der Priesterschrift bereits voraussetzt. In diesem Fall kann der Redaktor von Gen 11,28 für die Ortsangabe „Ur Kasdim“ sehr gut möglich von Gen 15,7 angeregt worden sein.46 Was die Bezüge zur Opferthora anbelangt, so wird man
41 Zur Deutung der herabstoßenden Vögel in V. 11 als „böses Zeichen“ vgl. A. D ILLMANN 1892: Die Genesis, KEH 11, 6. Aufl., Leipzig, 246, mit Hinweis auf Verg.Aen. 3, 225ff. Für Dillmanns Erklärung spricht auch, dass der noch in Jes 18,6; 46,11; Jer 12,9; Ez 39,4 und Hi 28,7 belegte Begriff in der prophetischen Literatur stets metaphorisch für feindliche Völker gebraucht wird. Den Zusammenhang von V. 11 und V. 13–16 betonen u.a. WESTERMANN 1981, 268; VAN SETERS 1975, 258. 42 So R ÖMER 1989/90, 33, ähnlich SCHMID 1999, 176. Gegen eine Ausscheidung von V. 11.13–16 haben sich ferner HOFTIJZER 1956, 17–23; VAN SETERS 1975, 258f; HA 1989, 52– 55 ausgesprochen. Vgl. auch J.-L. SKA 2001: Essai sur la nature et la signification du cycle d’Abraham (Gn 11,27–25,11), in: A. Wénin (Hg.), Studies in the Book of Genesis. Literature, Redaction and History, BEThL 155, Leuven, 153–177, hier 172. Ska betrachtet Gen 15 als nachpriesterschriftlich, allerdings mit der wichtigen Einschränkung: „dans sa composition actuelle“, wobei auch die Frage nach der redaktionsgeschichtlichen Einordnung von V. 11.13–16 offenbleibt. 43 Vgl. R ÖMER 1989/90, 37 mit Anm. 44; SCHMID 1999, 181. 44 Vgl. R ÖMER 1989/90, 43; SCHMID 1999, 181. 45 Vgl. zuletzt C ARR 1996, 110f, 194f, 203f. 46 In eine ähnliche Richtung läuft die Argumentation bei G ESE 1991, 45. Vgl. ferner Apg 7,2ff.
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gerade bei der Behauptung literarischer Abhängigkeit nicht übersehen dürfen, dass Lev 1,17; 5,8 anders als Gen 15,9 nicht von dreijährigen, sondern von einjährigen Tieren spricht. Davon abgesehen könnte „ פגריםkeinesfalls von rituell geschlachteten Tieren gesagt werden“47. Schließlich wird gegen die Ausscheidung der V. 11.13–16 vorgebracht, dass der heilsgeschichtliche Vorgriff ähnlich wie V. 7 auf den Dekalog anspiele.48 Das ist richtig beobachtet, beweist allerdings eher das Gegenteil. Denn schon das schlichte, die Anspielungen auf den Dekalog und den Exodus zusammenfassende Resümee lässt die Konkurrenz, die zwischen V. 7 und V. 11.13–16 besteht, offenbar werden: „God will take them [die exilischen Adressaten von Gen 15] out of exile as he brought Abraham out of Ur of the Chaldeans and the offspring of Abraham out of Egypt“49. Durch die Hinzufügung der V. 11.13–16 entsteht also eine Verdoppelung der heilsgeschichtlich fundierten Gegenwartsanalyse, und die schadet deren Eindeutigkeit und Verbindlichkeit mehr als dass sie ihr nützt. Die Vorschau auf den Auszug aus Ägypten beraubt JHWHs Selbstvorstellung als dem Gott, der Abraham aus Ur Kasdim herausgeführt hat, um seinen Nachkommen dieses Land zu geben, ihrer Eigenständigkeit und drängt sie in ihrer Zukunft eröffnenden Perspektive an den Rand. Völlig anders stellt sich hingegen der Nachweis der bleibend gültigen Landverheißung ohne die V. 11.13–16 dar: Wie Abraham aus Ur Kasdim herausgeführt wurde, um dieses Land zu besitzen (V. 7), so wird jetzt den Nachkommen Abrahams als dessen legitimen Erben, die wie der Ahnherr glauben ( אמןhi.; V. 6), der Besitz eben dieses Landes mit dem Vollzug der Schwurhandlung – das Perf. „ נתתיhiermit gebe ich“ ist explizit-performative Rede50 – dauerhaft zugesprochen (V. 18).51 Fassen wir die bisherigen Beobachtungen in einer These, die es im Folgenden zu entfalten gilt, zusammen, dann sind V. 11.13–16 als dogmatische Korrektur einer nachpriesterschriftlichen Redaktion zu bewerten, die die Bedeutung des Exodus in Ägypten und das heilsgeschichtliche Gefälle von Abraham hin zu der Heilstat JHWHs an den Nachkommen Abrahams in Ägypten ins rechte Licht rückt, und zwar im Sinne der uns vorliegenden Gestalt der Pentateucherzählung, in der die Väterzeit den Vorspann zur Exoduserzählung darstellt. Unter diesem Blickwinkel hat dann auch die Auskunft, der Zusatz in V. 11.13–16 solle das „Rätsel sich verzögernder Erfüllung“ der Abraham von JHWH gegebenen Verheißung klären,52 ihre Berechtigung. Die durch die re-
47 B. JACOB 1934/2000: Das erste Buch der Tora Genesis, Berlin (Nachdr., Das Buch Genesis, hg. in Zusammenarbeit mit dem Leo-Baeck-Institut, Stuttgart 2000), 397. 48 Vgl. R ÖMER 1989/90, 36f; SCHMID 1999, 181. 49 A NBAR 1982, 55. 50 Vgl. B LUM 1984, 381f, ferner A. W AGNER 1987: Sprechakte und Sprechaktanalyse, BZAW 253, Berlin/New York, 109f. 51 So treffend K ÖCKERT 1988, 247. 52 ZIMMERLI 1976, 49 und 57.
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15. Abraham, Mose und der Exodus
daktionellen V. 11.13–16 aufgehobene Spannung zwischen der Übergabe des Landes an Abrahams Nachkommen durch JHWH in feierlicher Schwurzeremonie einerseits und der Überlieferung vom Zug der Israeliten aus dem zugesagten Land nach Ägypten, von wo sie erst aus der Fron hinaus und in das verheißene Land hinein befreit werden müssen andererseits, entsteht jedenfalls erst dann, wenn die Vätergeschichte und die Exoduserzählung in einem literarischen Zusammenhang zu stehen kommen.
IV. Die Exodusreminiszenzen im Grundbestand und ihre Korrektur Die redaktionelle Hinzufügung der V. 11.13–16 ist offenkundig nicht dadurch veranlasst, die Exodusmotivik allererst in Gen 15 einzuführen. Wie gezeigt, finden sich Exodusreminiszenzen auch außerhalb der Erweiterung, die ihrerseits vorläufig als Korrektur bestimmt werden konnte. Es stellt sich die Frage, welche Funktion die Exodusreminiszenzen des Grundbestandes von Gen 15 im Kontext der nicht-priesterschriftlichen Vätergeschichte haben und was die Korrektur ihrer ursprünglichen Verwendung ausgelöst hat. In der Forschung ist weitgehend unstrittig, dass im vorliegenden Textzusammenhang von Gen 15 die Anspielungen auf den Exodus, die Sinaitheophanie und die Landnahme im Dienst einer Prolepse stehen, nach der sich bereits in Gestalt und Geschichte Abrahams alles, was für Israels Heilsgeschichte konstitutiv ist, abschattet. Wie wir gesehen haben, geschieht dies freilich nicht zugunsten einer Abrahamerzählung, die dem Exodus Israels aus Ägypten gleichwertig zur Seite gestellt wird. Es geschieht vielmehr zu Lasten der Eigenbedeutung von JHWHs Selbstverpflichtung in der ursprünglichen Schwurzeremonie in Gen 15, die im vorliegenden Textzusammenhang durch den redaktionellen Vorverweis auf JHWHs Rettungstat in Ägypten an den Rand gedrängt ist. So liegt der Ton des vorliegenden Textzusammenhangs auch ganz auf dem Propheten Abraham, dem als dem ersten Propheten JHWHs der göttliche Geschichtsplan im Voraus kundgetan wird53 – nicht weniger, aber auch nicht mehr. An dem Verständnis von Gen 15 als Prolepse der im Exodusbuch geschilderten Heilsgeschichte ändert sich in der Regel auch dann nichts, wenn der redaktionelle Charakter der heilsgeschichtlichen Vorschau erkannt ist und die V. 11.13–16 bei der Interpretation des Grundbestandes von Gen 15 demgemäß unberücksichtigt bleiben. So hat man es als das eigentümlich Neue an Gen 15*
53
Vgl. SCHMID 1999, 180.
IV. Die Exodusreminiszenzen im Grundbestand und ihre Korrektur
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bezeichnen können, dass neben der schon in Gen 12,10–20 vorfindlichen „Exodusprolepse“ mit Gen 15,18 im Zusammenhang der Vorstellung eines Abrahambundes auch noch eine „Sinaiprolepse“ erfolgt.54 Nun wird niemand die Anklänge an den Exodus Israels aus Ägypten, den Sinai und die Landnahme in Gen 15,7.17f ernsthaft bezweifeln wollen. Gleichwohl ist es fraglich, ob ihr Verständnis als Prolepse wirklich textgemäß ist oder ob es sich nicht gänzlich dem Eindruck der vorliegenden Pentateucherzählung verdankt, deren Grundgerüst eines von der Schöpfung bis zur Landnahme reichenden Handlungsbogens bereits einem vorpriesterschriftlichen Jahwisten zugeschrieben wird. Für sich genommen legt der Grundbestand von Gen 15 eine derartige Lesart jedenfalls nicht nahe. Bereits V. 7 lässt die Eigenarten der Exodusreminiszenzen im Grundbestand von Gen 15 deutlich hervortreten. Unverkennbar greift die Selbstvorstellung JHWHs als Gott, der Abraham aus Ur Kasdim herausgeführt hat, die Herausführungsformel der Exoduserzählung, konkret deren Verwendung zum Auftakt des Dekalogs (Ex 20,2; Dtn 5,6) auf. Dass Abrahams Aufbruch aus Mesopotamien als Herausführungstat JHWHs gewertet wird, und zwar in sprachlicher Aneignung von Israels „Urbekenntnis“,55 der Herausführung aus Ägypten, ist ein singulärer Vorgang.56 In der Sache bedeutet dies, dass eine „Fundierung der Heilsgeschichte über Ägypten hinaus in der frühestmöglichen Ursprungsgeschichte gesucht [wird]“57, was wiederum auf eine massive Relativierung der Heilstat JHWHs in Ägypten in ihrer Bedeutung als Grundlegung von Israels Gottesverhältnis hinausläuft: „[…] the reference to Egypt has been changed to Ur of the Chaldeans, and with it there is a fundamental shift in the whole election-tradition. Yahweh is now the God of Abraham and his offspring.“58 John Van Seters, der Gen 15 seinem nachdtr Jahwisten zuschreibt, hat den von ihm solchermaßen zutreffend beschriebenen Bekenntniswechsel damit erklären wollen, dass das als Beweis für den Bruch des mit der Exodusgeneration geschlossenen Bundes verstandene Exil den heilsgeschichtlichen Rückgriff auf Abraham notwendig gemacht habe.59 Doch scheint mir für diese Begründung
So GESE 1991, 45f, der Gen 12,10ff dem „Jahwisten“ und Gen 15* dem „Jehowisten“ zuschreibt. 55 N OTH 1948, 52. Zur religions- und literargeschichtlichen Einordnung des „Urbekenntnisses“ vgl. J. CH. GERTZ 2002: Mose und die Anfänge der jüdischen Religion, ZThK 99, 3–20. 56 Zu den Belegen der Herausführungsformel vgl. H. H AGELIA 1994: Numbering the Stars. A Phraseological Analysis of Genesis 15, CBOT 39, Stockholm, 79 mit Anm. 6. 57 B LUM 1984, 380. 58 VAN SETERS 1975, 264. 59 Vgl. aaO 265. 54
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15. Abraham, Mose und der Exodus
nicht nur die Textbasis recht schmal zu sein.60 Im Rahmen eines die Vätergeschichte und die Exoduserzählung umfassenden (spät-)jahwistischen Erzählwerkes irritiert vor allem das Fehlen jeglicher Spur, die der vermutete Übergang von Mose und dem Israel des Exodus auf den Ahnen Abraham und seine Nachkommen in der Darstellung des Exodus hinterlassen haben müsste. Allenfalls könnte man in diesem Zusammenhang auf die Patriarchentrias in Ex 3,6.15.16 und die Erinnerung an den Patriarchenschwur in Ex 13,5.11 verweisen. Doch diese Spuren verdanken sich erst derjenigen Redaktion, auf welche die Verbindung der Priesterschrift mit der nicht-priesterschriftlichen Exoduserzählung zurückgeht,61 womit sie in etwa auf einer Ebene mit der redaktionellen Vorschau auf den Exodus in Gen 15,11.13–16 liegen. Die gerade mit Blick auf das vorausgesetzte großjahwistische Erzählwerk problematische Annahme eines „fundamental shift in the whole election-tradition“62 erübrigt sich jedoch, wenn die Vätergeschichte und die Exoduserzählung als zwei konkurrierende Konzeptionen von den Ursprüngen Israels erkannt sind, die noch bis zur Abfassung des Grundbestandes von Gen 15 als selbständige literarische Größen tradiert worden sind. Anders formuliert: Die Umwidmung der sonst für den Exodus aus Ägypten reservierten Herausführungsformel auf Abraham erklärt sich nicht als werkimmanente Akzentverschiebung der heilsgeschichtlichen Grunddaten. Vielmehr wurde die Herausführungsformel aus der Exoduserzählung bewusst aufgenommen, um so eine zentrale theologische Aussage der konkurrierenden Herleitung der Ursprünge Israels für die prominenteste Gestalt des eigenen Entwurfs, Abraham, in Anspruch zu nehmen. Die Gestalt und Geschichte Abrahams sind für den Verfasser des Grundbestandes von Gen 15 keine Prolepse zur Exoduserzählung, sondern bezeichnen deren Alternative, und zwar kaum innerhalb eines geschlossenen nicht-priesterschriftlichen Erzählzusammenhangs. Die an V. 7 entwickelte Lesart bewährt sich auch in der Interpretation der Schwurzeremonie und anschließenden Bundeszusage in V. 17f. Die ganze Szenerie, in der JHWH in Rauch und Feuer durch die zerlegten Tiere hindurchschreitet und so durch eine hypothetische Selbstverfluchung, die das „israelitische Gottesbild fast überfordert“63, die Landverheißung in Geltung setzt, weckt
Zu dieser Einschätzung gelangt auch BLUM 1984, 380 mit Anm. 132. Van Seters beruft sich für seine These hauptsächlich auf Ez 20,5f. 61 Für die Begründung vgl. die Hinweise bei G ERTZ 2000b, 383; J. VAN SETERS 1994: The Life of Moses. The Yahwist as Historian in Exodus – Numbers, Louisville/KY, 35–63 weist die genannten Belege allerdings seinem nachdtr Jahwisten zu. 62 VAN SETERS 1975, 264. 63 PERLITT 1969, 74. Zum Ritus vgl. zusammenfassend K ÖCKERT 1988, 227–233, der das wichtigste altorientalische Vergleichsmaterial und die einschlägige Literatur diskutiert. Köckert erkennt zu Recht in dem Vertrag zwischen den Herrschern Bar-ga’jā von KTK und Matī’el von Arpad der Stele Sfīre I A (KAI I, Nr. 222) die stärksten Analogien zu dem Ritus 60
IV. Die Exodusreminiszenzen im Grundbestand und ihre Korrektur
299
unweigerlich Assoziationen an die Sinaitheophanie. Die wichtigsten Entsprechungen seien an dieser Stelle nochmals genannt:64 Die Präsenz JHWHs in einem rauchenden Ofen und einer brennenden Fackel ( תנור עשן ולפיד אשV. 17), die unter den Gotteserscheinungen der Genesis ihresgleichen sucht, nimmt die Schilderung des rauchenden Berges und des Rauches eines Schmelzofens (והר ויעל עשנו כעשן הכבשן... )סיני עשן כלוsowie das Feuer bei der Herabkunft JHWHs auf den Berg aus Ex 19,18, die Fackeln ( )הלפידםaus Ex 20,18 und vielleicht auch den brennenden Dornbusch aus Ex 3,2 auf. Die Finsternis (V. 12.17) – gleichermaßen durch das Traummotiv (V. 1.12) und die Umstände der Theophanie bedingt – erinnert an das Dunkel der Begegnung Moses mit Gott in Ex 20,21. JHWHs Vorübergehen ( עברV. 17) hat seine Entsprechung in Ex 34,6 und die Wendung כרת ברית אתmit JHWH als Subjekt (V. 18) ist terminus technicus für den Bundesschluss am Sinai/Horeb (vgl. Ex 34,27; Dtn 5,2). Nimmt man diese Anspielungen, die eindeutig auf literarische Abhängigkeit des Abrahambundes von einer recht weit entwickelten nicht-priesterschriftlichen Sinaiperikope schließen lassen,65 ernst, so machen sie unmissverständlich klar: In Gen 15 „ereignet sich [...] die Sinaitheophanie für Abraham“66. Gen 15 gelangt anhand der genannten Sinaireminiszenzen zu der Feststellung, dass die Abraham gewährte Offenbarung keine geringere gewesen ist als diejenige, die Mose am Sinai empfangen hat. Mehr noch: Die hypothetische Selbstverfluchung JHWHs und seine Selbstvorstellung geben deutlich zu erkennen, dass bereits Abraham in kaum zu überbietender Verbindlichkeit offenbart worden ist, wer JHWH ist und dass der Landbesitz für die Nachkommen Abrahams das Ziel des göttlichen Handelns ist.67 Ähnlich wie zu V. 7 stellt sich die Frage, ob diese Feststellung von Gen 15 sachgemäß als eine Prolepse der im Buch Exodus geschilderten Ereignisse zu beschreiben ist. Die Gründe, die in der Forschung für eine derartige zweite Sinaioffenbarung innerhalb eines Erzählwerkes angeführt werden, gleichen denen, die im Zusammenhang der Aneignung der Herausführungsformel in V. 7 zu diskutieren waren. Es ist das als Folge des Sinaibundes gedeutete Exil, das zu der Einsicht geführt habe, dass allein die Offenbarung an die Väter Israel seiner religiösen Identität versichern kann.68 Nun ist der Gedanke des Abrahambundes, der das Ganze des Sinaibundes umfasst und diesen in seiner Identität stiftenden
in Gen 15. Gegenüber dem Vergleichsmaterial zeichnet sich Gen 15 darin in einzigartiger Weise aus, dass die Gottheit, die sonst als Garant und Vollstrecker der für einen Vertragsbruch angedrohten Fluchfolgen eintritt, sich jetzt selbst dem Ritual unterwirft. 64 Siehe oben bei Anm. 13 und 14. Vgl. auch die dort genannte Literatur. 65 Literarische Abhängigkeit des Verfassers von Gen 15 hat bereits G UNKEL 1910/1977, 181 vermutet. 66 G ESE 1991, 45. 67 Ähnlich SCHMID 1999, 183. 68 Statt vieler: G ESE 1991, 46.
300
15. Abraham, Mose und der Exodus
Funktion umgreift, in den Schichten des Pentateuch keineswegs singulär. Bekanntlich kennt die Priesterschrift mit Gen 17 eine durchaus vergleichbare Konzeption. Nur lässt sich an der Priesterschrift deutlich ablesen, wie ein derartiger Abrahambund in einem Werk zu stehen kommt, das auch vom Exodus aus Ägypten und von JHWHs Offenbarung am Sinai zu berichten weiß. Die Priesterschrift zieht in Ex 2,23aβ–25; 6,2–8 eine markante Verbindungslinie zwischen Väter- und Exodusüberlieferung. Gottes Offenbarung an Mose erscheint auf diese Weise gleichsam als Konsequenz des Bundesschlusses mit den Patriarchen, wodurch die Mosezeit in die theologische Kontinuität zur Väterzeit gestellt ist. In der nicht-priesterschriftlichen Exoduserzählung fehlen hingegen vergleichbare Bezugnahmen und Vorstellungen offenbarungstheologischer Zusammenhänge. Wie erwähnt, finden sie sich innerhalb des nichtpriesterschriftlichen Textbestandes der Exoduserzählung erst als Folge der Verbindung der Priesterschrift mit der nicht-priesterschriftlichen Exoduserzählung.69 Das gilt auch für die Sinaiperikope, die den Patriarchenschwur in deutlicher, durch Gen 22,17 und Gen 26,4 vermittelter Bezugnahme auf Gen 15,5 erstmals in dem nachpriesterschriftlichen Zusatz Ex 32,13 zur Kenntnis nimmt.70 Für den noch nicht mit der Priesterschrift vereinigten Textbestand der nicht-priesterschriftlichen Pentateucherzählungen lässt sich also ein Gesamtentwurf, in dem die Konkurrenz von zwei vollwertigen Sinaioffenbarungen in einer offenbarungstheologischen Konzeption aufgehoben ist, noch nicht aufweisen. Hieraus folgt: Wenn in Gen 15 die tragende Bundesgrundlage für Israel auf Abraham vorverlegt wird, dann geschieht dies nicht im literarischen Miteinander von Vätergeschichte und Exoduserzählung, sondern in deutlicher Abgrenzung. Es ist bemerkenswert, dass die Konkurrenz zwischen Gen 15 und der Sinaiperikope selbst noch in der kanonischen Endgestalt des Pentateuch so deutlich zu erkennen ist, dass sie Paulus im Galaterbrief noch als Argument dienen konnte: „Der Bund (διαθήκη), der von Gott zuvor bestätigt worden ist, wird nicht aufgehoben durch das Gesetz, das vierhundertdreißig Jahre danach gegeben worden ist, so dass die Verheißung zunichte würde“ (Gal 3,17).71
Siehe oben bei Anm. 60. Zur literarhistorischen Einordnung vgl. J. CH. GERTZ 2001: Beobachtungen zur Komposition und Redaktion in Exodus 32–34, in: M. Köckert/E. Blum (Hg.), Gottes Volk am Sinai. Untersuchungen zu Ex 32–34 und Dtn 9–10, VWGTh 18, Gütersloh, 88–106, 96ff. 71 Zur Sache vgl. M. B ACHMANN 1994: Jüdischer Bundesnomismus und paulinisches Gesetzesverständnis, das Fußbodenmosaik von Bet Alfa und das Textsegment Gal 3,15–29, KuI 9, 168–191. 69
70
V. Ergebnis und Ausblick
301
V. Ergebnis und Ausblick Die redaktionsgeschichtliche Analyse hat unterschiedliche Funktionen der Exodusreminiszenzen in Gen 15 aufweisen können. Für den Grundbestand des Kapitels hat sie gezeigt, wie Abraham, die zentrale heilsgeschichtliche Gestalt der Vätergeschichte, klassische Themen der Überlieferungen vom Auszug Israels aus Ägypten, der Gottesoffenbarung und des Bundesschlusses am Sinai sowie der Landgabe an sich gezogen hat. Auf diese Weise wird eine klare Alternative zur Exoduserzählung formuliert. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass eine vergleichbare Tendenz für die Darstellung von Abrahams und Saras Wanderung nach Ägypten und ihren anschließenden Exodus in Gen 12,10–20 sowie für die Hagar-Sara-Episode in Gen 16 beobachtet worden ist.72 Die Formulierung einer heilsgeschichtlichen Alternative zur Exoduserzählung in Gen 15 ließ sich am ehesten unter der Voraussetzung erklären, dass die beiden konkurrierenden nicht-priesterschriftlichen Konzeptionen von den Ursprüngen Israels, die Vätergeschichte und die Exoduserzählung, zur Zeit der Abfassung des Grundbestandes von Gen 15 noch unabhängig voneinander überliefert wurden. Damit ist der These eines jahwistischen Erzählwerkes zumindest für die Zeit der Abfassung des Grundbestandes von Gen 15 eine klare Absage erteilt. Insofern der Grundbestand von Gen 15 die vermutlich letzte Fortschreibung des nicht-priesterschriftlichen Abrahamzyklus vor seiner Verbindung mit den priesterschriftlichen Texten darstellt, ist diese letzte Einschränkung jedoch gleich wieder aufzuheben: Die These eines Jahwisten im Sinne einer vorpriesterschriftlichen Pentateuchquelle, die bereits die Vätergeschichte und die Exoduserzählung umfasst, lässt sich nicht mit dem Befund zum Grundbestand von Gen 15 vereinbaren. Die vorgelegte Interpretation und die redaktionsgeschichtliche Bewertung der Exodusreminiszenzen des Grundbestandes von Gen 15 werden durch das Profil des in Gen 15,11.13–16 herausgearbeiteten Nachtrags bestätigt. Es hat sich gezeigt, dass in den V. 11.13–16 eine nachpriesterschriftliche Redaktion von Gen 15 die Gestalt und Geschichte Abrahams als Prolepse der heilsgeschichtlichen Daten der Exoduserzählung entfaltet. Auf diese Weise wird JHWHs Bundesschluss mit Abraham seines Eigenwertes beraubt und der Grundbestand von Gen 15 gleichzeitig im Sinne der narrativen Vorschaltung der Vätergeschichte vor die Exoduserzählung ausgelegt. Eine derartige dogmatische Korrektur erklärt sich ungezwungen aus den Erfordernissen der literarischen Verknüpfung der beiden ehedem je für sich überlieferten Erzählungen.
72 Vgl. TH. C. R ÖMER 1999: Isaac et Ismaël, concurrentes ou cohéritiers de la promesse? Une lecture de Genèse 16, ETR 74, 161–172, ferner DERS. 2001: Recherches actuelles sur le cycle d’Abraham, in: A. Wénin (Hg.), Studies in the Book of Genesis, Literature, Redaction and History, BEThL 155, Leuven, 179–211, hier 196–198.
302
15. Abraham, Mose und der Exodus
Auch für die an der Exoduserzählung ausgerichtete und im Zuge der Verbindung mit der Priesterschrift und der nicht-priesterschriftlichen Exoduserzählung erfolgte Korrektur des vorpriesterschriftlichen Abrahambildes lassen sich Analogien beibringen. So ist zu überlegen, ob nicht die JHWH-Reden an Isaak in Gen 26,1–6 und Jakob in Gen 46,1–5* eine recht unverblümte Kritik an dem in Gen 12,10–20 berichteten Exodus Abrahams und Saras üben. Gen 26,1aβ.γ führt Isaaks Vorhaben, das Verheißungsland wegen einer Hungersnot zu verlassen, auf das Vorbild Abrahams ()מלבד הרעב הראשון אשר היה בימי אברהם zurück, was jedoch ausweislich des folgenden Verbots, nach Ägypten zu ziehen, als eine in den Augen JHWHs unsachgemäße Reaktion qualifiziert wird. In Gen 46,1–5* wird nun das an Isaak ergangene Verbot für Jakob durch die ausdrückliche Ermutigung, nach Ägypten zu ziehen, aufgehoben (vgl. V. 3). Diese Ermutigung ist mit JHWHs Verheißung an Jakob verbunden, in Ägypten zu einem großen Volk ( )גוי גדולzu werden. Der Rückgriff auf die entsprechende Verheißung an Abraham in Gen 12,2 ist offenkundig. Im Kontext von Gen 46,1–5* stellt die aus Gen 12,2 übernommene Zusage jedoch einen deutlichen Kontrast zu dem eigenmächtigen Ägyptenaufenthalt Abrahams her, insofern sie nun als Motivation eines von JHWH ausdrücklich gebotenen Ägyptenaufenthalts dient.73 Die Notiz in Gen 26,1aβ.γ, die diese Kritik an Abraham in die JHWH-Rede an Isaak hineinträgt, geht ebenso wie Gen 46,1–5a* auf eine Redaktion zurück, die in das Umfeld der Verbindung der Priesterschrift mit den nicht- und zugleich vorpriesterschriftlichen Erzählzusammenhängen des Pentateuch gehört.74 Zu den Analogien für eine Korrektur des vorpriesterschriftlichen Abrahambildes durch eine nachpriesterschriftliche Redaktion sind ferner diejenigen Rückgriffe in der Exoduserzählung auf die Väter zu rechnen, in denen die Mosezeit in eine heilsgeschichtliche Kontinuität zu den Vätern gestellt wird. Hierzu gehört neben den bereits genannten Erwähnungen der Patriarchen (Ex 3,6.15.16; 13,5.11; 32,13) auch der Gebrauch von אמןhi. „glauben/vertrauen“ mit JHWH oder seinen Worten und Taten als Gegenstand der fiducia in der Exoduserzählung, insbesondere zum Abschluss des Meerwunders (Ex 14,31; vgl. ferner Ex 4,1.5.8.9.31).75 Ex 14,31 interpretiert das Meerwunder als Gotteserweis und stellt betont heraus, dass die Israeliten Mose als Offenbarungsmittler par excellence anerkennen und an die von ihm übermittelte Botschaft glauben. Den Bezugspunkt für das Glaubensmotiv bietet seine erstmalige Verwendung in Gen 15,6. Durch seine Aufnahme in der Exoduserzählung wird
Vgl. KÖCKERT 1988, 266. Vgl. oben Anm. 21. 75 Zu Ex 14,31 vgl. G ERTZ 2000b, 221–226, zum Glaubensmotiv auch SCHMITT 1982.
73
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V. Ergebnis und Ausblick
303
Abraham in der Perspektive des Pentateuchganzen zum Vorläufer des Glaubens, der erst im Zusammenhang mit JHWHs Rettungstat am Schilfmeer und JHWHs Offenbarungsmittler Mose seine volle Bedeutung für Israel entfaltet. Fassen wir die Ergebnisse unserer Untersuchung von Gen 15 zusammen, dann lässt der Grundbestand des Kapitels, der vermutlich das jüngste Stadium einer noch nicht mit der Priesterschrift verbundenen Vätergeschichte repräsentiert, eine deutliche Konkurrenz zum heilsgeschichtlichen Entwurf der nichtpriesterschriftlichen Exoduserzählung erkennen. Dieser Befund ist nur schwer mit der Annahme zu vereinbaren, dass die Vätergeschichte und die Exoduserzählung bereits Bestandteil eines nicht-priesterschriftlichen Erzählwerkes gewesen sind. Andererseits korrigiert die nachpriesterschriftliche Redaktion von Gen 15 das vorpriesterschriftliche Abrahambild mit Blick auf die Exoduserzählung, was sich unschwer aus den Erfordernissen einer literarischen Verknüpfung der beiden ehedem je für sich überlieferten Erzählungen herleiten lässt. Ist dies zutreffend beobachtet, dann haben diese Erzählungen niemals das zusammenhängende Ganze einer nicht- und zugleich vorpriesterschriftlichen Pentateuchquelle gebildet, wie sie sich mit dem Begriff eines Jahwisten verbindet. Vielmehr fanden die nicht-priesterschriftliche Vätergeschichte und die nicht-priesterschriftliche Exoduserzählung erst auf dem Umweg über ihre Verbindung mit der Priesterschrift eine gemeinsame literarische Heimat.
16. Wie Jakob zu seinem Großvater gekommen ist Anmerkungen zur Komposition der nicht-priesterschriftlichen Erzelternerzählung I. Problemstellung Der Titel der folgenden Ausführungen ruft eine Problemstellung auf, wie sie sich für eine traditionelle Bibellektüre kaum stellen würde. Beginnend mit Abrahams Wanderung aus Ur in Chaldäa nach Kanaan entfalten die Erzählungen von den Vätern und Müttern Israels die Geschichte einer patriarchal organisierten Familie. Abraham, Isaak und Jakob sind Vater, Sohn und Enkel. Oder anders formuliert, Jakobs Großvater war seit jeher Abraham. Dass sich die Sache mit Blick auf die Kompositionsgeschichte des Buches Genesis als etwas komplizierter erweist, ist eine altbekannte Einsicht der Forschung. Schon die älteste literarisch greifbare Erzählfolge der Geschichten um Abraham, Isaak und Jakob ist das Resultat eines (vor)literarischen Traditionsprozesses. Es sei nur an einige Grundannahmen eines breiten Forschungskonsenses erinnert, angefangen mit Hermann Gunkels viel zitierter Äußerung „Die Genesis ist eine Sammlung von Sagen“1. Aus der Bestimmung der einzelnen Erzählungen der Genesis als Sagen ergeben sich zwei Fragestellungen mit weitreichenden Konsequenzen. Die Sage ist die mündliche Form der geschichtlichen Überlieferung. Damit ist erstens die Frage nach der mündlichen Vorstufe des Textes und seiner Verschriftung sowie der damit möglicherweise einhergehenden Transformationen des Sagenstoffes gestellt. Sodann handelt es sich bei Sagen um Einzelüberlieferungen, die für sich stehen und auch entsprechend überliefert werden. Damit ist zweitens die Frage nach der Komposition des Gesamtwerks gestellt, wie dies vor Gunkel schon Julius Wellhausen scharfsichtig erkannt hatte: Wo es sich [...] nicht um Geschichte, sondern um Sagen über die Vorgeschichte handelt, da kann die Anordnung des Stoffes nicht mit dem Stoffe selber gegeben sein, sondern muss auf
H. GUNKEL 1910/1977: Genesis, HK I/1, 3. Aufl., Göttingen (= Nachdr. d. 9. Aufl. 1977), VII. 1
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16. Wie Jakob zu seinem Großvater gekommen ist
dem Plane eines Darstellers beruhen. Aus dem Volksmunde stammen bloß die losen und nur ganz ungefähr auf einander bezogenen Erzählungen; ihre Verbindung zu einer festen Einheit ist das Werk dichterischer oder schriftstellerischer Formung.2
Nach Gunkel erfolgte die Zusammenstellung und Literaturwerdung der Sagen in mehreren Schritten, in denen die einzelnen Sagen zu – vorliterarischen – Erzählkränzen von den jeweiligen Vätergestalten und schließlich zur Geschichte aller Väter zusammengeführt wurden. Unbeschadet der tiefgreifenden Umbrüche der Pentateuchforschung dürfte diese Sicht in ihrer Grundbewegung von den ‚kleinsten Einheiten‘ über erste Sammlungen hin zu den großen Kompositionen nach wie vor vielfach geteilt werden. Modifikationen verdanken sich vornehmlich einer gewissen Zurückhaltung gegenüber Versuchen, die mündlichen Vorstufen der biblischen Texte zu rekonstruieren. Damit geht einher, dass wichtige Schritte der Kompositionsgeschichte aus der mündlichen Überlieferung der vorstaatlichen Zeit in die Literaturgeschichte der Staaten Israel und Juda und des exilisch-nachexilischen Judentums rücken. Aus den mündlichen Erzählkränzen wurden in der jüngeren Forschungsgeschichte kleinere Literaturwerke: der im Südreich entstandene Abraham-Lot-Erzählzyklus (Gen 13*; 18–19; 21,6–7) und der im Nordreich beheimatete Jakob-Esau-Laban-Zyklus (Gen 25*; 27–35). Hinzu kommt noch eine kleinere, aus dem Süden stammende Isaakerzählung (Gen 26*). Diese Kompositionen wurden ursprünglich unabhängig voneinander überliefert und sukzessive miteinander zur Vätergeschichte verbunden. Den Grundstock bilden die Erzählungen um Jakob. Er ist der Patriarch schlechthin, insofern er den Namen Israel erhält und sich die zwölf Stämme Israels auf seine Söhne zurückführen. Frühestens nach dem Untergang des Nordreichs im Jahre 722 v. Chr. wurde der Jakob-Esau-Laban-Erzählzyklus um die Isaakkomposition und den Abraham-Lot-Erzählzyklus erweitert. Die Verbindung der einzelnen Überlieferungsblöcke erfolgte nach weithin geteilter Ansicht durch explizite Querverweise und durch die Gottesreden mit ihren Verheißungen an den Wendepunkten der Geschichte. Hinzu kommen itinerarartige Notizen, die die Väter und ihre Überlieferungen geographisch in Kontakt bringen. – Soweit bei allen kleineren und größeren Unterschieden im Detail das weithin geteilte Bild der Entstehungsgeschichte der Erzelternerzählungen,3 in das sich auch die Annahme
2 J. W ELLHAUSEN 1883/1927: Prolegomena zur Geschichte Israels, Berlin (1878 als Geschichte Israels I, 6. Aufl. von 1927, Nachdr. 2001), 294. 3 Es mag eine unangemessene Vereinfachung sein, die sehr stark divergierenden Ansätze in der Forschung zur Kompositionsgeschichte auf diese Weise zusammenzufassen, doch gehört die Unterscheidung der Abraham- und der Jakobüberlieferung und ihre späte, frühestens in der ausgehenden Königszeit anzusetzende Verbindung zum Kernbestand der meisten Modelle. Vgl. dazu die knappe „Orientierung“ bei M. KÖCKERT 2014: Wie wurden Abrahamund Jakobüberlieferung zu einer „Vätergeschichte“ verbunden?, HeBAI 3, 43–66, hier 43– 46, dem die nachfolgenden Ausführungen auch die forschungsgeschichtliche Genealogie
I. Problemstellung
307
eines als Redaktor oder Historiker verstandenen ‚späten‘ Jahwisten integrieren lässt.4 Blickt man auf die in diesem Zusammenhang genannten Verbindungstexte, die sämtlich späteren literarischen Stufen der Entstehungsgeschichte zuzurechnen sind,5 so drängt sich eine Frage wie von selbst auf: Wie sieht es mit der viel grundlegenderen Verknüpfung der Überlieferungsblöcke durch die genealogische Abfolge aus? Dass Isaak der Sohn Abrahams und dass Jakob der Sohn Isaaks ist, gehört nach verbreiteter Auffassung bereits zur Grundsubstanz der jeweiligen Erzählungen und ist den redaktionellen Verbindungsgliedern bereits vorgegeben.6 Wie kann aber eine genealogische Linie entstehen, wenn die Akteure beziehungsweise die von ihnen handelnden Erzählzyklen ursprünglich geographisch getrennt sind und zumindest literarisch erst auf einer späteren Stufe in Kontakt treten? Zur geographischen kommt eine chronologische Schwierigkeit. Schon Wellhausen hatte zu Abraham kurz und bündig angemerkt, er sei „wol die jüngste Figur in dieser Gesellschaft und wahrscheinlich erst verhältnismäßig spät seinem Sohne Isaak vorgesetzt“7. Andererseits hält Wellhausen an der Ursprünglichkeit der biblischen Generationenfolge fest: Das Knochengerüst der Erzvätersage bildet bekanntlich die ethnographische Genealogie | [...] Sie ist das naturgemäße Band, um die Sagen aufzureihen. Auch in der Zeit, wo diese letzteren nur erst einzeln und mündlich umliefen, ist sie dem Volke nicht unbekannt gewesen. Aber sie hat nur als stillschweigende Voraussetzung zu grunde gelegen. Wenn von Isaak und Ismael und Lot und Esau erzählt wurde, so wußte man ohne weiteres, was man sich unter diesen Personen vorzustellen hatte, in welcher Beziehung sie zu Israel und zu einander standen.8
Die Aporie, wonach die „jüngste Figur in dieser Gesellschaft“ von vornherein der Vater und Großvater der beiden älteren ‚Figuren‘ gewesen sein soll, lässt sich nur mit der Unterscheidung der literarischen Ausgestaltung der Vätererzählungen im Buch Genesis und ihrer mündlichen Vorgeschichte oder ihrem von Wellhausen über Noth zu Blum verdanken – allerdings mit stark abweichenden Folgerungen. 4 Vgl. J. VAN SETERS 1992: Prologue to History: The Yahwist as Historian in Genesis, Zürich; CH. LEVIN 1993: Der Jahwist, FRLANT 157, Göttingen; R. G. KRATZ 2000: Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments, UTB 2157, Göttingen. 5 K ÖCKERT 2014. Köckert nennt folgende ‚Verbindungsglieder‘: Gen 12,1–4a.6.8.9; 13,1.3–4.14–17.18b; 26,2–3bα.23.25aα; 27,29b; 28,13aα2–14; 33,18*, 20; 35,1.6*.7. Wie Köckert gegen VAN SETERS 1992, 215–276 und D. M. CARR 1996: Reading the Fractures of Genesis. Historical and Literary Approaches, Louisville/KY, zu Recht betont, liegen die Gottesreden wegen ihrer unterschiedlichen Reichweite, Formulierung und theologischen Abzweckung kaum alle auf ein und derselben Ebene. 6 Vgl. statt vieler E. B LUM 1984: Die Komposition der Vätergeschichte, WMANT 57, Neukirchen-Vluyn, 471–491 und passim. 7 W ELLHAUSEN 1883/1927, 317. 8 AaO 316, 331.
308
16. Wie Jakob zu seinem Großvater gekommen ist
vorliterarischen Rückraum auflösen. Wellhausen führte die Genealogie auf die Zeit eines vorstaatlichen Stämmebundes in Israel zurück. Oder anders formuliert: Wellhausens „stillschweigende Voraussetzung“9 ist die Annahme eines vorstaatlichen Gesamtisrael, welches durch die Genealogie repräsentiert wird. Es fällt allerdings auf, dass Wellhausen, der ausdrücklich keine Geschichte der israelitischen Sage entwickeln will,10 sich für die historische Konkretisierung auf die Erzählungen von Isaak, Lot, Jakob und vor allem von dessen Söhnen beschränkt. So erwägt Wellhausen, dass die Erzählungen über Josef aus einer Zeit stammen, in der sich „die Vereinigung der beiden Hälften des nachmaligen Volkes Israel gerade erst vollzog“11. Entsprechendes gelte für das übrige Erzählmaterial von den Jakobssöhnen: Ebenso sind auch die geschichtlichen Beziehungen, die den Erzählungen von den übrigen Söhnen Jakobs zu grunde liegen, verhältnismäßig sehr alt; sie liefern uns beinah die einzigen Nachrichten über die große Veränderung, welche bald nach Moses in dem Bunde der Stämme vor sich gegangen sein muß.12
Wellhausen denkt dabei an den Übergang des Erstgeburtsrechts von Ruben an Juda. Abraham spielt in diesen Überlegungen allerdings keine Rolle, und das wohl nicht ohne Grund: Nur Abraham ist gewiß kein Volksname wie Isaak und Lot; er ist überhaupt ziemlich undurchsichtig. Natürlich wird man ihn in diesem Zusammenhange darum nicht für eine geschichtliche Person halten dürfen; eher noch könnte er eine freie Schöpfung unwillkürlicher Dichtung sein.13
Einen anderen Weg ist Martin Noth gegangen. Er hat das Zusammenwachsen der Überlieferungen in einen historischen Kausalzusammenhang mit dem Zusammenwachsen ihrer Tradentenkreise zum Stämmebund gestellt.14 Hierbei unterscheidet er „eigentliche Genealogien“ und „sekundäre Genealogien“. Erstere sind Namenslisten, die wie erratische Blöcke in den verschiedensten Stadien der Überlieferungsbildung in den Pentateuch aufgenommen worden sind und bei denen die listenmäßige Zusammenstellung eine eigenständige Bedeutung hat. Hingegen dienen die „sekundären Genealogien“ der Verbindung verschiedener Gestalten. Das sei auch der Fall bei der nachträglichen Verbindung der ehedem für sich stehenden Vätergestalten Abraham, Isaak und Jakob samt der dazugehörigen Überlieferungen:
AaO 331. AaO 295. 11 AaO 321. 12 AaO 321. 13 AaO 317. 14 M. N OTH 1948: Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart (3. Aufl., Darmstadt 1960), 232–236. Dort auch die folgenden Zitate. 9
10
I. Problemstellung
309
Den Ausgangspunkt bildet Jakob, an den die Liste der zwölf ‚Israel‘-Söhne, eine eigentliche Genealogie, angeknüpft wurde. [...] Damit war die Verwandtschaftsbeziehung als wesentliches verbindendes Element in die Pentateuchüberlieferung aufgenommen. Die in der judäischen Weiterentwicklung der Pentateucherzählung hinzukommenden ‚Erzväter‘-Gestalten erst Isaaks und dann Abrahams konnten, da auch sie wie Jakob direkte Ahnherren Israels werden mußten, nur noch als Vater und dann Großvater dem Jakob genealogisch vorangestellt werden. Damit war das genealogische Knochengerüst der ganzen ‚Erzväter‘-Geschichte gegeben, und aller weiterer Zuwachs ist durch Beziehung zu einer der genannten Gestalten hinzugekommen. 15
Dieser Prozess ging nach Noth nicht nur den beiden von ihm in die davidischsalomonische Zeit datierten Pentateuchquellen eines Jahwisten und Elohisten voraus, sondern auch der von ihm wegen der zahlreichen Übereinstimmungen der beiden Quellenschriften postulierten gemeinsamen „Grundlage G“ aus vorstaatlicher Zeit.16 Aus heutiger Sicht mag diese Frühdatierung des Zusammenwachsens der Überlieferungsblöcke irritieren. Eines wird aber bei aller berechtigten Kritik leicht übersehen. Noths Rekonstruktion der Überlieferungsbildung entspricht zeitversetzt im Kern der literarischen Entwicklung, wie sie in der gegenwärtigen Debatte weithin angenommen wird. Auch findet Wellhausens vielfach geteilte Ansicht, wonach Abraham als „die jüngste Figur [...] erst verhältnismäßig spät seinem Sohne Isaak vorgesetzt“17 worden sei, bei Noth eine plausible überlieferungsgeschichtliche Erklärung. Der Preis hierfür ist freilich die Annahme, dass das Vater-Sohn-Verhältnis von Abraham zu Isaak und dasjenige von Isaak zu Jakob und damit die Vorstellung eines wie auch immer gearteten ‚Gesamtisrael‘ nicht zur Erzählsubstanz der Einzelüberlieferungen und frühen Sammlungen gehört haben kann.18 Noths Ausführungen zu diesem Punkt bleiben vage, führen sie doch nach eigener Auskunft „in das dunkle und unübersichtliche Gebiet der vorliterarischen mündlichen Überlieferung“, bei deren Analyse kaum über „Wahrscheinlichkeiten oder auch nur Möglichkeiten hinauszukommen [sei].“19 Wird Noths Rekonstruktion der Verbindung der Überlieferungsblöcke redaktionsgeschichtlich reformuliert, so bedürfte es jedoch starker literarkritischer Indizien für eine Herauslösung der Erzählungen aus der genealogischen Abfolge.20
NOTH 1948, 234. Vgl. auch aaO 113f. AaO 40–44. 17 W ELLHAUSEN 1883/1927, 317. 18 N OTH 1948, 40–44. 19 AaO 1948, 4. 20 Vgl. für einen solchen Versuch in jüngerer Zeit K RATZ 2000, 263–280. Kratz hält die genealogischen Verbindungen der Einzelerzählungen von Isaak mit Abraham einerseits und von Isaak mit Jakob andererseits für sekundär. Die Isaak- und die Jakobüberlieferung hätten ursprünglich nichts miteinander zu tun gehabt. Bevor Isaak und Jakob zu Vater und Sohn wurden, sei erst Esau von den Tradenten der Isaaküberlieferung ‚adoptiert‘ worden, ihm 15 16
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16. Wie Jakob zu seinem Großvater gekommen ist
Dass sich Noths These der „exegetischen Überprüfung“ entzieht und „insbesondere die ältesten Überlieferungselemente [...] in ihrer Erzählsubstanz [...] die genealogischen Beziehungen schon notwendig voraus[setzen]“, ist dann auch der Haupteinwand von Erhard Blum.21 Hinzu kommt die Einschätzung, die Genealogien würden vornehmlich als ein Phänomen der Textüberlieferung ohne hinreichende Würdigung ihrer „Bedeutung für das konkrete gemeinschaftliche Leben“22 wahrgenommen. Beide Kritikpunkte an Noths These führen Blum zurück zu Wellhausen: [Die] genealogische Abfolge von Abraham, Isaak, Jakob (Israel) und den zwölf Jakobssöhnen spiegelt aller Wahrscheinlichkeit das Ergebnis eines sozialen und politischen Prozesses der (mehr oder weniger festen) Vereinigung ‚israelitischer‘ Stämme bzw. Stämmegruppen zu der größeren Einheit ‚Israel‘ [in vorstaatlicher Zeit]23.
Davon ist freilich die literarische Verbindung der älteren nordisraelitischen „Jakobsgeschichte“ mit der judäischen Abraham-Lot-Erzählung zu einer „Vätergeschichte“ zu unterscheiden. Sie datiert Blum nach 587/6 v. Chr. angesichts des Untergangs Jerusalems und einer scheinbar revozierten Heilsgeschichte.24 Blum unterscheidet also wie Wellhausen zwischen der literarischen Überlieferung einerseits und der von den Erzählungen stets vorausgesetzten Ausbildung der genealogischen Abfolge von Abraham, Isaak und Jakob andererseits. Freilich geschieht dies in einer völlig veränderten Forschungslandschaft, in der weder der mosaische Stämmebund noch das davidisch-salomonische Königtum über Gesamtisrael als historisch gesicherte Größen und Haftpunkte der literarhistorischen Rekonstruktion gelten können.25 Insofern führt Blums Datierung der mündlichen Ausbildung der Vätertrias „kaum lange vor David, aber auch nicht wesentlich später“26 wie bei Noth „in das dunkle und unübersichtliche Gebiet der vorliterarischen mündlichen Überlieferung“27. Auch hat sich nach Blums eigener Analyse gegenüber Wellhausen der Abstand zwischen der Aus-
habe der Segen in Gen 27 gegolten. Erst durch die Verbindung der Isaak-Esau-Erzählung mit der Jakob-Laban-Erzählung seien Esau und Jakob zu Brüdern geworden. Der Kern der Abraham-Erzählungen liege in Gen 19* vor. Er wisse noch nichts von Abraham, sondern sei eine reine Lot-Erzählung gewesen. 21 Zur Kritik an Noth vgl. B LUM 1984, 484–490 und passim (Zitate, aaO 493, 484). 22 B LUM 1984, 485. 23 AaO 488. Vgl. auch DERS. 1998: Art. Abraham, RGG 4 1, 70–74. 24 So nach B LUM 1998, 72. In DERS. 1984, 289–297, hatte sich Blum noch für eine Datierung der Verbindung in die Zeit nach dem Untergang des Nordreichs 722 v. Chr. ausgesprochen. 25 Für einen Überblick vgl. C H. FREVEL 2018b: Geschichte Israels, KStTh 2, 2. Aufl., Stuttgart, 67–200. 26 B LUM 1998, 71. 27 N OTH 1948, 4.
I. Problemstellung
311
bildung der Genealogie und den Erzählungen noch einmal erheblich vergrößert. So hätte sich die Verknüpfung des im Süden beheimateten Abraham mit dem nordisraelitischen Jakob zu der gesamtisraelitischen Trias AbrahamIsaak-Jakob im Abstand von mehreren Jahrhunderten gleich zweimal ereignet. Die Premiere wäre in vorstaatlicher Zeit erfolgt, und zwar als genealogischer Niederschlag einer „bestehenden Konstellation“28 im Sinne der Vereinigung verschiedener Stämmegruppen zu der größeren Einheit ‚Israel‘. Die Wiederaufnahme dieser ‚Konstellation‘ wäre die Verknüpfung literarischer Kompositionen des Nordreichs Israel und Judas frühestens nach dem Untergang des Nordreichs gewesen. Angesichts dieser erstaunlichen Doppelung des Werdens eines ‚Gesamtisrael‘ drängt sich folgende Frage auf: Sollten sich die Ausbildung der genealogischen Reihenfolge und die Verbindung der Überlieferungsblöcke vielleicht auf ein und dieselbe ‚Konstellation‘ in der Welt der Redaktoren und ihrer Adressaten zurückführen lassen? Das wäre die einfachere und somit wahrscheinlichere Annahme. Historisch dürfte diese ‚Konstellation‘ am ehesten in der Zeit nach 722 v. Chr. zu verorten sein, in der sich Juda anschickte, das politische, ideologische und literarische Erbe des untergegangenen Nordreichs anzutreten. Voraussetzung für diese These wäre freilich, dass sich die genealogische Verknüpfung erst als Ergebnis dieses Prozesses erweist oder – sollte schon in der Grundsubstanz der jeweiligen Erzählungen Isaak der Sohn Abrahams (Gen 18) und Jakob der Sohn Isaaks (Gen 25*; 27) gewesen sein – dass die Erzählungen um Abraham und Lot als Vorspann zur Jakobsgeschichte konzipiert worden sind. Für die letztgenannte Alternative könnte sprechen, dass sämtliche Belege Abrahams außerhalb der Genesis in die exilisch-nachexilische Zeit gehören.29 Auch könnten die schon häufiger festgestellten Parallelen der Erzählungen um Abraham zu denen um Isaak und Jakob ein Hinweis auf eine bewusste literarische Vorwegnahme oder eine Parallelisierung der Vätergestalten sein. Bei alldem geht es natürlich nicht allein um die Entstehungsgeschichte vertrauter Erzählungen, sondern auch um das Verhältnis von Geschichte und Überlieferungsbildung oder konkret gesprochen um die Frage, seit wann es das ‚Israel des Alten Testaments‘ gibt.
BLUM 1998, 71. Jes 29,22; 41,8; 51,2; 63,16; Ez 33,24; Jer 33,26; Mi 7,20; Ps 47,10; 105,6.9.42; 2Chr 20,7; Dan 3,35. Vgl. dazu A. MÜHLING 2011: „Blickt auf Abraham, euren Vater“. Abraham als Identifikationsfigur des Judentums in der Zeit des Exils und des Zweiten Tempels, FRLANT 236, Göttingen. 28 29
312
16. Wie Jakob zu seinem Großvater gekommen ist
II. Vater und Sohn – Isaak und Jakob Unter den drei Patriarchen ist Isaak die am wenigsten profilierte Gestalt. Die Überlieferung konzentriert sich auf fünf Episoden in Gen 26, die zum Großteil Parallelen unter den Erzählungen um Abraham und Sara haben (vgl. Gen 26,1– 14a mit Gen 12,10–20; 20; Gen 26,26–33 mit Gen 21,22–34; lediglich Gen 26,14b–25 hat keine direkte Parallele). Davon abgesehen ist Isaak in den Patriarchenerzählungen nur als Sohn Abrahams (Gen 17,19.21; 21; 22; 24; 25,5.6.9.11 und Gen 18,12.13) beziehungsweise als Vater Jakobs (Gen 25,19– 28; 27; 28,1–9; 31,18.53; 32,10; 35,12.27.29) von Bedeutung. Allem Anschein nach gehört Isaak zum Kernbestand der Jakobsgeschichte: Jakobs Betrug an seinem blinden Vater Isaak setzt die Erzählung von Jakobs Konflikt mit seinem Bruder Esau und seiner Flucht zu seinem Onkel Laban in Gang. Zugleich beginnt damit die Geschichte von Jakobs Segen, in der aus dem erlisteten und deshalb defizitären Segen des Vaters am Ende der Gott abgerungene volle Segen wird. Allerdings ist es im Gefolge von Hermann Gunkel üblich geworden, zwischen den Erzählungen um Jakob und seinen Bruder Esau einerseits (Gen 25,19–34; 27,1–45; 32,4–22; 33,1–20) und den Erzählungen um Jakob und Laban (Gen 29,1–32,2a) andererseits entstehungsgeschichtlich zu unterscheiden.30 Das ältere Erzählmaterial wird dabei in den Erzählungen um Jakob und Laban vermutet. Ohne Isaak zu erwähnen, schildern sie Jakob als Ahnherrn einer großen Familie und erfolgreichen Hirten und berichten von der Trennung seiner Familie von derjenigen Labans sowie einem Vertrag zwischen beiden Familien. Demnach ist es also gut möglich, dass es ein Stadium der Jakobüberlieferung gegeben hat, das entweder noch nichts von Jakobs Vater Isaak wusste oder zumindest nichts von ihm erzählt hat. Jedoch ist hier im Hinblick auf einige neuere Arbeiten zur Jakobsgeschichte eine wichtige Einschränkung zu machen. Schon Gunkel hatte die gravierenden Probleme einer trennscharfen Differenzierung zwischen den Erzählungen um Jakob und Esau von denen um Jakob und Laban klar benannt und war von einer Vereinigung der beiden Erzählkränze bereits im vorquellenschriftlichen Stadium ausgegangen: „Die Anfänge des Prozesses [des Zusammenarbeitens] reichen jedenfalls in die älteste, uns erreichbare Zeit hinein; das Ganze ist schon in sehr alter Zeit ziemlich fertig gewesen“31. Erhard Blum hat Gunkels Modell modifiziert aufgegriffen. Er geht weiterhin von einer entstehungsgeschichtlichen Differenzierung von den beiden Erzählzyklen aus, bleibt aber im Hinblick auf deren Umfang und Überlieferungsgeschichte vage. So beschränkt er den überlieferungsgeschichtlichen Kernbestand der Jakob-Laban-Erzählung auf eine Einzelerzählung von einem Vertragsschluss zwischen Jakob und Laban in Gilead (Gen
30 31
GUNKEL 1910/1977, 292f. AaO 293.
II. Vater und Sohn – Isaak und Jakob
313
31,44–32,1). Stattdessen betont er, dass die „novellistische Jakob-Laban-Erzählung“ bereits Gen 25–27* voraussetzt.32 In einem jüngeren Beitrag spricht er überzeugend von einer „major integrated story with themes of its own“33. Dass Isaak der Vater Jakobs und Esaus ist, gehört zu den Themen dieser Geschichte. Andere urteilen weniger vorsichtig und überführen Gunkels Aussagen über die (mutmaßlich) mündlichen Vorstufen der Jakobsgeschichte in ein redaktionskritisches Modell. Zuletzt hat Jakob Wöhrle trennscharf unterschieden zwischen einer judäischen Jakob-Esau-Erzählung (Gen 25–27*), deren Autoren sich mit dem Verhältnis zu ihrem Nachbarvolk Edom auseinandersetzten, und einer im Nordreich Israel beheimateten Jakob-Laban-Erzählung (Gen 29–31*), in der das Verhältnis zwischen Israel und den Aramäern reflektiert werde.34 Die literarkritischen Differenzierungen, auf denen diese These aufruht, sind jedoch problematisch: Ausgangspunkt ist die vielfach geteilte Einschätzung, dass „in den Jakob-Laban-Erzählungen an keiner Stelle auf die vorangehenden Jakob-Esau-Erzählungen Bezug genommen [wird]“35. Die motivischen und erzählerischen Analogien zwischen Gen 25–27* einerseits und Gen 29 andererseits sprechen jedoch eine andere Sprache, wie sich an dem mutmaßlich stärks-
BLUM 1984, 173, 202f. E. BLUM 2012a: The Jacob Tradition, in: C. A. Evans/J. N. Lohr/D. L. Petersen (Hg.): The Book of Genesis. Composition, Reception and Interpretation, VT.S 152, Leiden und Boston/MA, 181–211, 182. 34 J. W ÖHRLE 2016: Art. Jacob (Patriarch). I. Hebrew Bible/Old Testament, EBR 13, 582–585; DERS. 2018: Koexistenz durch Unterwerfung. Zur Entstehung und politischen Intention der vorpriesterlichen Jakoberzählung, in: M. G. Brett/J. Wöhrle 2018: The Politics of the Ancestors. Exegetical and Historical Perspectives on Genesis 12–36, FAT 124, Tübingen, 307–327; DERS. 2021: Jacob From Israel and Jacob From Judah: Reflections on the Formation and the Historical Backgrounds of the Jacob Story, in: B. Hensel, The History of the Jacob Cycle (Genesis 25–35), Archaeology and Bible 4, Tübingen, 135–153. Die redaktionsgeschichtliche Transformation von Gunkels These erfreut sich breiter Zustimmung. Vgl. bereits LEVIN 1993, 221–231, und KRATZ 2000, 265, 270; ferner J. CH. GERTZ 2019: Tora und Vordere Propheten, in: ders. (Hg.), Grundinformation Altes Testament, 6. Aufl., Göttingen, 193–312, 274f; K. SCHMID 2021a: Literaturgeschichte des Alten Testaments, 3. Aufl., Darmstadt, 90f; CH. FREVEL 2018a: „Esau, der Vater Edoms“ (Gen 36,9.43). Ein Vergleich der Edom-Überlieferungen in Genesis und Numeri vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung, in: M. Brett/J. Wöhrle (Hg.), The Politics of the Ancestors. Exegetical and Historical Perspectives on Genesis 12–36, FAT 124, Tübingen, 329–364, 357; B. HENSEL 2021a: Tightening the Bonds Between Edom and Israel (Gen 33:1–17*): On the Further Development of Edom’s Role Within the Fortschreibung of the Jacob Cycle in the Exilic and Early Persian Periods, VT 71, 397–417. 35 W ÖHRLE 2018, 310. 32 33
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16. Wie Jakob zu seinem Großvater gekommen ist
ten literarkritischen Argument aufzeigen lässt.36 Zumeist gilt Gen 29,16 als Auftakt der ehedem selbständigen Jakob-Laban-Erzählung.37 Der Vers führe die in der Brunnenszene in Gen 29,1–14 erwähnte Rahel wie eine bis dahin unbekannte Person ein, weshalb es sich um den Auftakt einer neuen und vom Vorkontext unabhängigen Erzählung handele. Freilich bleibt ohne Gen 29,1– 14 und die dortigen Rückbezüge auf Gen 27 völlig unklar, weshalb Jakob bei Laban auftaucht, was in Gen 29,18 als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Ohne die Flucht Jakobs vor seinem Bruder Esau gibt es keinen Grund für den Aufenthalt bei Laban, dessen Pointe vor allem im Motiv vom betrogenen Betrüger liegt: Jakob, der seinen Bruder um den Segen des Erstgeborenen ()בכור betrogen hat, wird von Laban in der Brautnacht um die versprochene jüngere ( )הצעירהTochter Rahel betrogen und erhält statt ihrer die erstgeborene ()הבכירה Lea. Dies wird im Text auch recht unverhohlen als Retourkutsche gekennzeichnet (vgl. Gen 29,26 mit Gen 27,19.32).38 Sodann markiert Gen 29,16 zwar einen Neueinsatz, aber es handelt sich um einen Neueinsatz innerhalb des Erzählfadens. Die erneute Einführung Rahels ist an dieser Stelle notwendig, da sie ihrer Schwester betont gegenübergestellt werden soll, was auf die kommenden Ereignisse vorbereitet, die vom Gegensatz der beiden Schwestern bestimmt sind. V. 16f stellt die beiden Töchter Labans in jeweils zwei parallel aufgebauten Halbversen einander gegenüber. Lea ist die ältere, Rahel die jüngere, Lea diejenige mit den sanften Augen, Rahel die von schöner Gestalt. Diese Gegenüberstellung der beiden Schwestern weist eine große Ähnlichkeit mit der Einführung der beiden Brüder Esau und Jakob in Gen 25 auf, was darauf hindeutet, dass Gen 29,1–30 als Gegenpol zu den Eingangskapiteln der Jakoberzählung konzipiert ist.39 Ganz erhebliche Schwierigkeiten bereitet sodann der hintere Teil der JakobEsau-Erzählungen. Es ist in der Forschung unbestritten, dass die Darstellung der Versöhnung der beiden Brüder in Gen 32–33 den Aufenthalt Jakobs bei Laban voraussetzt. Wöhrle erklärt dies damit, dass der ursprüngliche Abschluss der Jakob-Esau-Erzählungen beim Zusammenarbeiten der Erzähl-
36 Vgl. dazu und zum Folgenden K. TRÖNDLE 2023: Jakob, der ambivalente Ahnherr Israels. Die Jakobserzählung auf dem Weg von der Volks- zur Völkergeschichte, FRLANT 287, Göttingen. 37 Vgl. insbesondere LEVIN 1993, 221–231, und K RATZ 2000, 265, 270. 38 Die Stichwortverbindung über הבכירהist schon häufig notiert worden. Wie TRÖNDLE 2023, 153–158 zu Recht herausgestellt hat, wird der Begriff in beiden ‚Betrugsszenen‘ auf ein und dieselbe Weise eingeführt, insofern er erst fällt, wenn es um den Rechtsanspruch des beziehungsweise der Erstgeborenen geht. Zuvor werden andere, weniger spezifische Bezeichnungen wie „ גדלgroß“ und „ קטןklein“ verwendet. Die beiden Stellen legen sich gegenseitig aus und es ist nicht zu plausibilisieren, dass es sich in einem oder beiden Fällen um eine spätere Verzahnung ehedem selbständig überlieferter Einheiten gehandelt hat. 39 Dies hat jüngst TRÖNDLE 2023, 148–152 gezeigt.
II. Vater und Sohn – Isaak und Jakob
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kränze unter dem Eindruck veränderter politischer Konstellationen im Verhältnis zwischen Juda und Edom ersetzt oder tiefgreifend überarbeitet worden ist.40 Das ist natürlich möglich, entzieht sich aber jeder Form der Überprüfbarkeit. Von diesen literarkritischen Fragen einmal abgesehen, ist schließlich nach der Plausibilität der entstehungsgeschichtlichen Rekonstruktion zu fragen: Diese geht davon aus, dass zwei unterschiedliche Autoren(-kreise) in Juda und im Nordreich Israel unabhängig voneinander die Auseinandersetzung zwischen dem eigenen Volk und einem Nachbarvolk über das literarische Genre einer Familienerzählung schriftlich konzipiert haben und sich dabei ganz ähnlicher Motive für die Darstellung bedient hätten. Hier wird dem Zufall der Überlieferungsbildung sehr viel zugetraut. Man kann fragen, ob die Differenzierung zwischen Erzählzyklen ein hilfreiches Modell zur Klärung für die frühesten Stufen der Überlieferungsbildung der Jakoberzählungen bietet. Literarisch greifbar ist die Jakobsgeschichte jedenfalls erstmals als eine Komposition, die bereits den Konflikt mit dem Bruder Esau und den Aufenthalt bei Laban umfasst und zu deren festem Bestand Isaak, der Vater der beiden Brüder, gehört. Dass dieser Komposition ältere Erzählungen oder Stoffe zugrunde gelegen haben, ist mit Hermann Gunkel sehr wahrscheinlich,41 doch lässt sich dieses vorgegebene Material kaum mit Sicherheit herausarbeiten. Grundlage der Analyse kann daher allein die älteste literarisch greifbare Jakobsgeschichte sein, und diese hat neben ihrem Hauptprotagonisten Jakob bereits von Esau, Laban und Isaak erzählt. Das geographische Setting dieser ältesten Jakobsgeschichte weist eindeutig in den Bereich des Nordreichs Israel, insofern eine ganze Reihe für die Geschichte des Nordreichs wichtiger Ortschaften mit Jakob ätiologisch in Verbindung gebracht wird: Bet-El (Gen 28,18–19; 35,1.6*.7), Mizpa (Gen 31,49), Machanaijim (Gen 32,2–3), Pnuël (Gen 32,31–32), Sukkot (Gen 33,17) und
40 W ÖHRLE 2018, 324: „Die älteren Jakob-Esau-Erzählungen sind noch ganz an der Vormachtstellung Jakobs über Esau und so an der Vormachtstellung des eigenen Volkes über die benachbarten Edomiter orientiert. Ja, in den älteren Jakob-Esau-Erzählungen wird von Jakob und Esau her die Vorherrschaft des eigenen Volkes über die Edomiter theologisch legitimiert. An deren Ende wurde vermutlich sogar die Trennung von Jakob und Esau, wenn nicht gar die Vertreibung Esaus, und so die Durchsetzung dieser Vorherrschaft dargestellt. Im weiteren Verlauf der Entstehung der Jakoberzählung wurden die älteren Jakob-Esau-Erzählungen dann aber einer grundlegenden Umarbeitung unterzogen. Deren ursprüngliches Ende wurde abgebrochen. Es wurden die Jakob-Laban-Erzählungen ergänzt. Und es wurde ein neuer Abschluss geschaffen, in dem die Unterwerfung Jakobs unter Esau und schließlich die Versöhnung der beiden Brüder geschildert wird.“ 41 Für einen historischen Vorschlag zur Verortung der Erzählungen um Laban und Jakob vgl. O. SERGI 2018: Jacob and the Aramaean Identity of Ancient Israel Between the Judges and the Prophets, in: M. G. Brett/J. Wöhrle (Hg.), The Politics of the Ancestors. Exegetical and Historical Perspectives on Genesis 12–36, FAT 124, Tübingen, 283–306.
316
16. Wie Jakob zu seinem Großvater gekommen ist
Sichem (Gen 33,18a).42 Besonders auffällig ist die herausgehobene Stellung von Bet-El als Anfangs- und Endpunkt von Jakobs Wanderung (Gen 28,10– 22; 35,1.6*.7).43 Sie ist ein starkes Argument für eine Entstehung der Jakobsgeschichte noch vor dem Ende des Nordreichs und dem Untergang Samarias in den Jahren 720–722 v. Chr.44 Da in Gen 28,10–22 Motive mesopotamischer Tempeltheologie auf Bet-El übertragen werden,45 ist näherhin an die erste Hälfte des 8. Jahrhunderts v. Chr. zu denken, was sich auch mit dem archäologischen (Fehl)Befund zu Bet-El/Betin korrelieren lässt.46 Wenn Jakob auf dem Höhepunkt seiner Segensgeschichte den Namen ‚Israel‘ erhält (Gen 32,23–32), so ist er der Stammvater des gleichnamigen Nordreichs. Dazu passt schließlich auch die besondere Stellung Josefs unter seinen Söhnen (Gen 30,22–24a*). Die Analyse von Gen 29,31–30,24 ist auch nach der Zurückweisung der Aufteilung des Textes auf die Quellenschriften ‚E‘ und ‚J‘ höchst strittig. Die Positionen reichen von der Annahme einer weitgehenden Einheitlichkeit bei einer frühen Abfassung47 über unterschiedliche Fortschreibungsmodelle48 bis hin zur Annahme, eine ursprüngliche Geburtsnotiz sei in einer nachpriesterschriftlichen Bearbeitung durch den vorliegenden Text ersetzt worden.49 Die Debatte kann hier nicht aufgenommen werden, nur so viel sei an dieser Stelle mit Blick auf unsere Fragestellung festgehalten: Die Hochzeit Jakobs mit den beiden Schwestern Lea und Rahel läuft auf die Geburt von Söhnen hinaus (Gen 29,16–30; vgl. insbes. V. 23.30). Dass die Geburten nur implizit vorausgesetzt werden, ist angesichts des weiteren Verlaufs der Jakobsgeschichte, die Jakob explizit zum Volkseponym erklärt, höchst unwahrscheinlich. Auch ist der analog zum Konflikt der beiden Brüder ausgestaltete Wettstreit zwischen
42
Vgl. statt vieler die ausführliche Zusammenfassung des Befundes bei CARR 1996, 264–
268. 43 Anders zuletzt TRÖNDLE 2023, 299–307. Sie spricht sich mit I. FINKELSTEIN/TH. C. RÖMER 2014: Comments on the Historical Background of the Jacob Narrative in Genesis, ZAW 126, 317–338, 327f, für ein Ende der Jakobsgeschichte in Gen 33,18–20 aus und hält Gen 35,1.6f für eine Erweiterung, die jedoch von P bereits vorausgesetzt wird. 44 Vgl. B LUM 2012a, 208. Diese Datierung erfreut sich einer wachsenden Zustimmung – allerdings häufig in der Begrenzung auf die Erzählungen um Jakob und Laban. 45 Vgl. C H. K OCH 2018: Gottes himmlische Wohnstatt, FAT 119, Tübingen, 45–86. 46 Nach I. FINKELSTEIN/L. SINGER-A VITZ 2009: Reevaluating Bethel, ZDPV 125, 33–48 prosperierte Bet-El/Betin in der Eisenzeit I und der Eisenzeit IIB, während für die frühe Eisenzeit IIA, die neubabylonische Zeit und die Perserzeit jegliche archäologische Evidenz fehlt. 47 Vgl. K. W EINGART 2014: Stämmevolk – Staatsvolk – Gottesvolk?, FAT II/68, Tübingen, 236–241, mit Ausnahme der weithin als sekundär erkannten Geburt der Dina in Gen 33,23. 48 Vgl. LEVIN 1993, 221–231; DERS. 1995: Das System der zwölf Stämme Israels, in: J. A. Emerton (Hg.), Congress Volume Paris 1992, VT.S 61, Leiden, 163–178, 172–174; KRATZ 2000, 270–271, 280. 49 Vgl. FINKELSTEIN/R ÖMER 2014, 317–338, 335–336; ferner A. TOBOLOWSKY 2017: The Sons of Jacob and the Sons of Herakles, FAT II/96, Tübingen, der von einer Angleichung an die priesterschriftliche Konzeption der 12 Stämme Israels ausgeht.
II. Vater und Sohn – Isaak und Jakob
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den beiden Schwestern schon in der Hochzeitsszene angelegt.50 Mithin greift Gen 29,31 den Vorkontext schlüssig auf, der seinerseits auf eine konfliktreiche Geschichte der Geburten der Nachkommen und der beiden Schwestern angelegt ist. Kurzum: Es lässt sich kein plausibles Argument für die Annahme anführen, Gen 29,31–30,24 sei zur Gänze als redaktionell zu beurteilen. Damit ist aber noch kein Urteil über die Einheitlichkeit des Textes gefällt. Sicher zum Grundbestand gehören die Geburten der ersten vier Söhne Leas (Ruben, Simeon, Levi und Juda [!] in Gen 29,31–35), sowie die Geburt von Rahels Sohn Josef, auf den hin die ganze Erzählung angelegt ist (Gen 30,22–24a [ohne )]לאמר. Die zweifache Namensätiologie bei Josef ist ein recht deutliches Indiz dafür, dass die als Platzhalter für den nachgeborenen Benjamin dienende Notiz in Gen 30,24b redaktionell ist,51 was wiederum darauf hindeutet, dass der Grundbestand des Kapitels nicht auf das System der zwölf Stämme Israels hinauswollte.52 Die Söhne der Mägde (Dan, Naftali, Gad, Asser in Gen 30,3–13) sind wie ihre Mütter in der Hochzeitsszene (Gen 29,24.29) nachgetragen. Sollte die Dudaimepisode (Gen 30,14–16) ebenfalls sekundär sein, so wird das auch für die ‚verspäteten‘ Geburten (vgl. Gen 29,35b) der Lea-Söhne Issachar und Sebulon (Gen 30,17–20) gelten.53
Wie aber verhält sich die Erwähnung Isaaks zu dieser geographischen und historischen Verortung der Jakobsgeschichte? Gen 26 wie auch die übrigen Erwähnungen verorten Isaak in der Gegend um Beerscheba (vgl. Gen 28,10*), also im nördlichen Negev an der Südgrenze Judas.54 Wenn die Jakobsgeschichte ihren Hauptprotagonisten zum Eponym des Nordreichs Israel erklärt und ihren Schwerpunkt eindeutig im Norden hat, so wird man die Erwähnung des im Süden beheimateten Vaters Isaak am ehesten als Selbstverständnis eines Israel verstehen, dessen Ansprüche auch auf den Süden ausgreifen. Historisch lässt sich dieser Anspruch gut mit der Suprematie des Nordreichs Israel über Juda erklären. Sie bestimmte das Verhältnis Israels zu Juda während der Omriden und Nimschiden fast durchgängig. Mit dem Sieg des Joasch über Amasja bei Bet-Schemesch (2Kön 14,12–13) dürfte sie in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts unter den späten Nimschiden Joasch (802–787 v. Chr.) und Jerobeam II (787–747 v. Chr.) an Bedeutung zugenommen haben.55 Nach einer ansprechenden These von Israel Finkelstein markiert das Heiligtum in Beerscheba die südliche (kultische) Grenze des vom Norden beanspruchten Einflussbereichs, wobei offenbleiben kann, ob Beerscheba von Israeliten aufgesucht wurde oder
50 Vgl. J. TASCHNER 2000: Verheißung und Erfüllung in der Jakoberzählung (Gen 25,19– 33,17). Eine Analyse ihres Spannungsbogens, HBS 27, Freiburg i.Br. u.a., 104. 51 Vgl. K RATZ 2000, 270; gegen B LUM 1984, 110f. 52 Vgl. D. E. FLEMING 2012: The Legacy of Israel in Judah’s Bible, Cambridge, 77–81. 53 Ähnlich auch TRÖNDLE 2023, 159–165. Vgl. auch C H. FREVEL 2021: Jacob as Father of the Twelve Tribes. Literary and Historical Considerations, in: B. Hensel (Hg.), The History of the Jacob Cycle (Genesis 25–35), Archaeology and Bible 4, Tübingen, 155–181. 54 Zur Lage von Beerscheba und der Identifizierung der alttestamentlichen Ortslage mit dem Tell es-Sebaʿ vgl. D. JERICKE 2015: Art. Beerscheba, in: Ortsangaben der Bibel (odb), http://www.odb.bibelwissenschaft.de/ortsnamen/ortsname.php?n=15 (22.03.2022). 55 Vgl. C H. FREVEL 2018b: Geschichte Israels, KStTh 2, 2. Aufl., Stuttgart, 221–265.
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ein vom Norden aus gegründetes Heiligtum gewesen ist.56 Dass Isaak im 8. Jahrhundert für das Nordreich Israel eine Rolle gespielt hat, ergibt sich vielleicht auch aus seiner Nennung im Amosbuch. Es handelt sich dabei um die einzigen von den Patriarchenerzählungen unabhängigen Erwähnungen Isaaks. Die beiden in Bet-El lokalisierten Gerichtsworte setzen die „Höhen Isaaks“ mit den „Heiligtümern Israels“ (Am 7,9) und das „Haus Isaak“ mit dem Nordreich „Israel“ (Am 7,16) gleich. Sie gelten zumeist als redaktionell.57 Jörg Jeremias denkt insbesondere für Am 7,9 wegen der „Höhen“ an einen Einfluss des Hoseabuches.58 Freilich wird Isaak bei Hosea nicht erwähnt. So kann der Hinweis auf Hosea vielleicht die Höhen, nicht jedoch deren Verbindung mit Isaak erklären. Ohnehin ist die Gleichsetzung Isaaks mit dem im Amosbuch sonst stets als Jakob bezeichneten Nordreich (vgl. Am 3,13; 6,8; 7,2.5; 8,7; 9,8) singulär. So mögen die beiden Belege für Isaak im Amosbuch redaktionell sein. Sie sind jedoch alles andere als konventionell und können durchaus eine Reminiszenz an eine Jakobüberlieferung beinhalten, in der Isaak unzweideutig mit dem Nordreich verbunden war. Vor diesem Hintergrund ist eventuell auch die Kritik an Wallfahrten nach Beerscheba in Am 5,5 neu zu bewerten: „(A) Sucht nicht Bet-El, (B) und nach Gilgal wallfahrtet nicht, (C) und nach Beerscheba zieht nicht hinüber! (B`) Denn Gilgal endet zwingend im Exil, (A´) und Bet-El wird zur Unheilsstätte.“ Anders als die beiden anderen Kultorte, Bet-El und Gilgal, hat Beerscheba keine Entsprechung im zweiten Teil des Verses. Auch wird mit seiner Erwähnung der geographische Rahmen der auf das Nordreich bezogenen Verkündigung des Amos verlassen. Die Erwähnung von Beerscheba wird daher meist als Nachtrag bewertet, der eine judäische Perspektive in das Buch einträgt.59 Zwingend ist das allerdings nicht. Der größere geographische Rahmen entspricht durchaus den politischen Ansprüchen des Nordreichs im 8. Jahrhundert und die Struktur des Verses lässt sich auch so lesen, dass Beerscheba durch die beiden anderen Orte und ihre gegenläufige Aufnahme gerahmt und betont in die Mitte gestellt wird.60 Doch auch wenn man die Belege für Isaak und die Erwähnung Beerschebas im Amosbuch unberücksichtigt lässt, so lässt sich für die älteste literarisch
I. FINKELSTEIN 2020: Jeroboam II’s Temples, ZAW 132, 250–265. Am 7,9.10–17 unterbricht den Zusammenhang zwischen der dritten und vierten Vision und ist deutlich auf den Kontext hin formuliert. Vgl. H. UTZSCHNEIDER 1988: Die Amazjaerzählung (Am 7,10–17) zwischen Literatur und Historie, BN 41, 76–101; H. G. M. WILLIAMSON 1990: The Prophet and the Plumb-Line. A Redaction-Critical Study of Amos 7, in: A. S. van der Woude (Hg.), In Quest of the Past. Studies on Israelite Religion, Literature and Prophetism, OTS 26, Leiden, 101–121. 58 J. JEREMIAS 1995: Der Prophet Amos, ATD 24,2, Göttingen, 106–112. 59 JEREMIAS 1995, 66–67. 60 Die Erwähnung von Beerscheba in Am 8,14 dürfte indes redaktionell sein. 56 57
II. Vater und Sohn – Isaak und Jakob
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greifbare Jakobsgeschichte folgendes festhalten: Es handelt sich um eine Herkunftsgeschichte des Nordreichs Israel. Jakob ist das Eponym des Nordreichs, das im Übrigen die einzige politische Größe ist, für die in vorhasmonäischer Zeit die Bezeichnung ‚Israel‘ inschriftlich belegt ist.61 Die prominente Einbeziehung des im Süden ansässigen Isaak als Vater Jakobs erklärt sich leicht mit dem Bemühen, die Suprematie des Nordens über den Süden in der Herkunftsgeschichte zu verankern. Hierin und in der Erwähnung Judas als viertgeborener Sohn Jakobs (Gen 29,35) kann man den Kern einer im Nordreich Israel im 8. Jahrhundert entwickelten Vorstellung eines auch Juda umfassenden Gesamtisrael erkennen.62 Nur am Rande sei bemerkt, dass sich mit Erhard Blum auch die Erwähnung Edoms in dieses historische Szenario einzeichnen ließe.63 Die mit dieser Einschätzung verbundenen Fragestellungen sind komplex und Gegenstand einer intensiv geführten Debatte. 64 Mögliche Antworten können hier nur angedeutet werden. Weithin geteilt wird die von Blum mit Nachdruck in die Diskussion eingebrachte Auffassung, wonach sich die Gleichsetzung von Esau mit Edom literarkritisch nicht vom Grundbestand der Erzählung ablösen lässt.65 Im Unterschied zu Blum wird jedoch ein Interesse an Edom aus Nordreichsperspektive mehrheitlich als historisch unwahrscheinlich eingestuft. Zugleich wird herausgestellt, dass Edom als direkter politischer Nachbar für Juda Relevanz hatte. Die Annahme einer von Anfang an gegebenen Identifizierung Esaus mit Edom geht daher in der Regel mit einer Verortung der Erzählungen um Jakob in Juda einher. Das wiederum scheint im Widerspruch zur Herkunft der Jakobsgeschichte aus dem Norden zu stehen. Zumeist wird eine literar- oder redaktionskritische Lösung des so formulierten historischen Problems vorgeschlagen. Entweder wird zwischen einer Jakob-Laban-Erzählung aus dem Nordreich und einer Jakob-Esau-Erzählung aus Juda unterschieden, die erst redaktionell verbunden worden sind. Oder die Erzählungen um Jakob und Esau werden auf judäische Bearbeitung der Jakob-Laban-Erzählung zurückgeführt. Beide Vorschläge jedoch sind mit den geschilderten Problemen einer literar- oder redaktionskritischen Zerteilung der Jakobsgeschichte belastet, die in ihrem ältesten literarisch greifbaren Bestand bereits Jakob, Esau und Laban umfasst haben dürfte. Die hieraus resultierende Problematik hat beinahe aporetische Züge. Doch es gibt gute Gründe, (1.) die historische und (2.) die literarkritische Prämisse der skizzierten Mehrheitsmeinung in der gegenwärtigen Forschung zu hinterfragen: (1.) Vor dem Hintergrund der Suprematie des
Den bemerkenswerten Befund hat FREVEL 2021, 159–160 in Erinnerung gerufen. Vgl. I. FINKELSTEIN 2017: A Corpus of North Israelite Texts in the Days of Jeroboam II?, HeBAI6, 262–289; DERS. 2019: First Israel, Core Israel, United (Northern) Israel, NEA 82, 8–15. 63 B LUM 2012a, 208–209. 64 Zum Stand der Debatte vgl. FINKELSTEIN/R ÖMER 2014, bes. 331f; FREVEL 2018a; WÖHRLE 2018; sowie die Beiträge in B. HENSEL (Hg.) 2021b: The History of the Jacob Cycle (Genesis 25–35), Archaeology and Bible 4, Tübingen. 65 BLUM 1984, 69–79. Vgl. für die derzeitige Forschungsmehrheit K. SCHMID 2017: Von Jakob zu Israel. Das antike Israel auf dem Weg zum Judentum im Spiegel der Fortschreibungsgeschichte der Jakobüberlieferungen der Genesis, in: M. Grohmann (Hg.), Identität und Schrift: Fortschreibungsprozesse als Mittel religiöser Identitätsbildung, BThSt 169, NeukirchenVluyn, 33–67, 41–47. 61 62
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16. Wie Jakob zu seinem Großvater gekommen ist
Nordreichs über Juda im 8. Jahrhundert v. Chr. ist die Annahme, dass die im Norden beheimatete, konzeptionell in den Süden ausgreifende Jakobsgeschichte ein Interesse an dem neu in den Blick tretenden Konkurrenten um seine südliche Einflusssphäre gehabt hat, historisch durchaus plausibel. (2.) Kristin Tröndle hat jüngst gute Gründe für eine Reformulierung der älteren These vorgetragen, wonach Esau erst nachträglich mit Edom identifiziert worden ist. Sie beschreibt die Karriere Esaus wie folgt:66 Im Grundbestand der Jakoberzählung ist Esau der behaarte Bruder des zivilisierteren Jakob. Traditionsgeschichtlich entstammt die Behaarung Esaus einer motivischen Entlehnung aus dem Gilgamesch-Epos67 mit der Intention, die unterschiedlichen Wesenszüge der Brüder herauszustellen und auf diese Weise die Vielschichtigkeit des Protagonisten Jakob deutlicher zu konturieren. Während Jakob seit jeher für das Nordreich Israel gestanden hat, ist Esau erst nachträglich zum Eponym Edoms geworden. Die völkergeschichtliche Lesart Esaus im Völkerorakel (Gen 25,22–23) und in der Episode vom Linsengericht (Gen 25,29–34) geht ebenso wie weitere Anspielungen auf diese Identifizierung (Gen 25,25* [ ;]אדמוניGen 27,29.36–40; 32,4b; 33,14b* [ ;]שעירה33,16* [ )]שעירהauf eine spätere Bearbeitung im Rahmen der judäischen Adaption der Jakoberzählung zurück. Diese Bearbeitung hat das ambivalente Verhältnis der beiden Brüder für Anspielungen auf das Verhältnis Judas zu den Edomitern im 7. Jahrhundert v. Chr. fruchtbar gemacht.
Dass diese Herkunftsgeschichte des Nordreichs Israel das Königtum nicht erwähnt, ist kein Grund, vor- oder nachstaatliche Verhältnisse bei der Abfassung anzunehmen. Es ist vielmehr dem Plot und sehr wahrscheinlich auch den aufgenommenen Traditionen geschuldet. Zudem bot die Darstellung der Geschichte eines Clans Anknüpfungspunkte in der Lebenswelt der intendierten Adressaten und dürfte wohl auch den Verhältnissen am Königshof entsprochen haben. Ohnehin greift die Erwartung zu kurz, dass identitätsstiftende Literatur eins zu eins die politischen und sozialen Verhältnisse der Autoren und ihrer intendierten Adressaten widerspiegeln müsse. So wurden beinahe alle erhaltenen Werke von Aischylos, Sophokles und Euripides im ‚demokratischen‘ Athen verfasst und aufgeführt. Ihre Tragödienstoffe handeln aber nicht von der Volksversammlung, den Archonten oder dem Areopag, sondern von Göttern
TRÖNDLE 2023, 42–49. Vgl. mit zum Teil erheblichen Unterschieden im Detail auch E. OTTO 1979: Jakob in Sichem. Überlieferungsgeschichtliche, archäologische und territorialgeschichtliche Studien zur Entstehungsgeschichte Israels, BWANT 110, Stuttgart, 25– 28; DERS. 2001: Art. Jakob I. Altes Testament, RGG4, 352–354; C. WESTERMANN 1981: Genesis 12–36, BK I/2, Neukirchen-Vluyn, 503; LEVIN 1993, 197–200. 67 Zu den vielfach beobachteten Berührungen vgl. E. A. SPEISER 1964: Genesis, AncB 1, 2. Aufl., Garden City/NY u.a., 196–197; WESTERMANN 1981, 505–506; A. C. HAGEDORN 2009: Hausmann und Jäger (Gen 25,27–28). Aus den Jugendtagen Jakobs und Esaus, in: ders./H. Pfeiffer (Hg.), Die Erzväter in der biblischen Tradition. Festschrift M. Köckert, BZAW 400, Berlin/New York, 137–157, 143; E. J. HAMORI 2011: Echoes of Gilgamesh in the Jacob Story, JBL 130, 625–642, 633; R. S. HENDEL 2018: Politics and Poetics in the Ancestral Narratives, in: M. G. Brett/J. Wöhrle (Hg.), The Politics of the Ancestors. Exegetical and Historical Perspectives on Genesis 12–36, FAT 124, Tübingen, 11–34, 25. 66
III. Vater und Großvater – Isaak und Abraham
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und längst vergangenen Königshäusern. Gleichwohl waren sie nicht zuletzt daraufhin angelegt, die Identitätsfragen der attischen Demokratie zu thematisieren.68
III. Vater und Großvater – Isaak und Abraham Die Verbindung von Jakob zu Isaak gehört zum Kernbestand der ältesten literarisch greifbaren Jakobsgeschichte. Wie aber ist das Verhältnis der Überlieferungen um Abraham und Isaak zur Jakobsgeschichte zu bestimmen? Für die Beantwortung dieser Frage ist es nicht notwendig, die Debatte um die Analyse der gesamten Abrahamüberlieferung zu referieren oder gar neu in Angriff zu nehmen.69 Es genügt die Erinnerung daran, dass modellübergreifend die Geschichte von Abraham und Lot als literarischer Kern der Überlieferung gilt, an den sich dann im Laufe der Entstehungsgeschichte weitere Texte angelagert haben. Hierzu gehören die zahlreichen Anspielungen auf den Exodus, wie sie sich gerade in den Erzählungen um Abraham und Sara finden und die Abraham als ersten Offenbarungsempfänger des JHWH-Glaubens und als Vorläufer zu Mose zeichnen (Gen 12,9–13,1; 15; 16). Maßgeblich vorangetrieben wurde der weitere Ausbau der Abraham-Sara-Geschichte durch die hohe Attraktivität der Gestalt Abrahams als Identifikationsfigur in nachexilischer Zeit. Hier sind vor allem die Brautwerbung um Rebekka (Gen 24), die Fürbitten Abrahams für Sodom (Gen 18) und für Abimelech (Gen 20) sowie die Opferung Isaaks (Gen 22) zu nennen. Die Bestimmung der Geschichte von Abraham und Lot als literarischer Kern der Überlieferung geht auf Hermann Gunkel zurück, der allerdings von einem
68 M. G RIFFITH 1995: Brilliant Dynasts: Power and Politics in the Oresteia, ClA 14, 62– 129. Auch folgender Gesichtspunkt trifft für die Jakobsgeschichte zu, die in der Forschung allzu oft nur ‚politisch‘ gelesen wird: „Tragôidia provided multiple pleasures and satisfied a variety of social and emotional needs, which may well not have been entirely self-consistent or coherent, and we should not try to tie them all up too tidily in a single theoretical package.“ (aaO 108). 69 Aus der schier unendlichen Fülle der Literatur seien nur einige Titel genannt: B LUM 1998, 70–74; M. KÖCKERT 2006b: Die Geschichte der Abrahamüberlieferung, in: A. Lemaire (Hg.), Congress Volume Leiden, VT.S 109, Leiden, 103–128; FINKELSTEIN/RÖMER 2014, 3–23; O. LIPSCHITS/TH. C. RÖMER/H. GONZALEZ 2017: The Pre-Priestly Abraham Narratives From Monarchic to Persian Times, Sem. 59, 261–296; O. LIPSCHITS 2018: Abraham zwischen Mamre und Jerusalem, in: M. G. Brett/J. Wöhrle (Hg.), The Politics of the Ancestors. Exegetical and Historical Perspectives on Genesis 12–36, FAT 124, Tübingen, 187–209; TH. C. RÖMER 2018: Die politische Funktion der vorpriesterlichen Abrahamtexte, in: M. G. Brett/J. Wöhrle (Hg.), The Politics of the Ancestors. Exegetical and Historical Perspectives on Genesis 12–36, FAT 124, Tübingen, 211–232.
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16. Wie Jakob zu seinem Großvater gekommen ist
Sagenkranz gesprochen hatte.70 Wie insbesondere Erhard Blums wegweisende Analyse gezeigt hat, handelt es sich jedoch weniger um eine Zusammenstellung von Einzelsagen als um „eine einheitlich ‚konzipierte‘, in wesentlichen Teilen neu gestaltete Komposition“71. Für diese Annahme sind zwei Beobachtungen grundlegend:72 (1.) Die Darstellung von Abrahams und Lots Trennung in Gen 13,2–18* beruht nicht auf einer Einzelerzählung. Der Abschnitt zielt von vornherein darauf ab, Lot nach Sodom und Abraham nach Hebron zu bringen. Es handelt sich also um die einführende Szene zu Abrahams Begegnung mit den drei Männern in Mamre in Gen 18,1–15* und zu Sodoms Untergang und Lots Rettung in Gen 19,1–38*. (2.) Diese beiden Erzählungen sind wiederum bis in die Einzelzüge hinein aufeinander angelegt und abgestimmt. Natürlich ist nicht ausgeschlossen, dass die Verfasser der Abraham-Lot-Geschichte auf vorgegebene Motive oder ältere Traditionen zurückgegriffen haben. Im Kontext der Literaturgeschichte des alten Vorderen Orients wäre dies wie bei den Erzählungen um Jakob auch gar nicht anders zu erwarten. Doch gebietet es die methodische Vorsicht, beim halbwegs Sicheren einzusetzen, und das ist bei allen Ungewissheiten diese älteste greifbare Abraham-Lot-Erzählung. Im Hinblick auf unsere Problemstellung stellen sich für die Abraham-LotErzählung zwei Fragen: 1. Ist ein Stadium zu erkennen, in dem Isaak noch keine Rolle gespielt hat? 2. Ist ein Stadium zu erkennen, in dem sie noch nicht auf eine Fortsetzung in der Jakobsgeschichte hin angelegt war? Beide Fragen sind zu verneinen. Zu ersten Frage: Isaaks Geburt wird in Gen 18,1–15 angekündigt. Die Erzählung vom Besuch der drei Männer wird gerne auf den Hieros Logos des Terebinthen-Heiligtums von Mamre bei oder in Hebron mit einem klassischen Sagenmotiv zurückgeführt:73 Unerkannt reisende Götter werden in vorbildlicher Weise gastlich aufgenommen und belohnen dafür den Gastgeber mit einem Geschenk. Das ist in diesem Fall die Verheißung eines Sohnes (V. 10a). Sie bildet den Höhepunkt der Erzählung, steht aber anders als zu erwarten nicht an deren Ende. Stattdessen folgt eine kleine Szene, in der Saras Lachen (;צחק V. 12f.15) die Begründung für den Namen des angekündigten Sohnes Isaak ( )יצחקgibt und zugleich auf dessen Geburt voraus weist (V. [9.]10b–15). Auffällig ist auch, dass der Grund für Saras Erheiterung – das hohe Alter des Paares – erst in der Szene selbst in einem umständlich wirkenden Erzählerkommentar angesprochen wird (V. 11). Zudem wird auf der Ebene der handelnden Perso-
GUNKEL 1910/1977, 159–161. BLUM 1984, 289. 72 AaO 273–289. 73 Vgl. zuletzt LIPSCHITS/R ÖMER/G ONZALEZ 2017, 290f; FINKELSTEIN/R ÖMER 2014, 9f; M. KÖCKERT 2021: Eigenart und Entstehung des Buches Genesis, in: ders., Von Jakob zu Abraham. Studien zum Buch Genesis, FAT 147, Tübingen, 3–31, 22. 70 71
III. Vater und Großvater – Isaak und Abraham
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nen nur in dieser Szene einer der göttlichen Besucher explizit mit JHWH identifiziert (V. 14). Konrad Schmid hat daraus gefolgert, dass die Szene der ‚lachenden Sara‘ ein nachgetragener zweiter Höhepunkt ist und in Gen 18 somit eine Abraham-Erzählung „greifbar wird, die ursprünglich noch ohne Isaak-Bezug gewesen ist“74. Für die Abraham-Lot-Erzählung ist es aber ganz unwahrscheinlich, dass die Begründung für den Namen des angekündigten Sohnes Isaak ein Nachtrag ist. Auf dieser Ebene ist die Erzählung vom Besuch der drei Männer bei Abraham vom Kontrast zur Erzählung von Lot und seinen Töchtern in Gen 19 bestimmt. Diese lässt sich unschwer als komplexe und in sich abgeschlossene Einheit isolieren. Die Ortsätiologie zum Toten Meer läuft auf die Rettung Lots und die Erstarrung seiner Frau zur Salzsäule hinaus. Das Schicksal der Frau und die Notiz, dass sich die zukünftigen Schwiegersöhne weigern, Sodom zu verlassen, wirft wiederum die Frage nach den Nachkommen der beiden Töchter auf, die „noch von keinem Mann wussten“ (V. 8). Damit ist das Ganze auf die inzestöse Zeugung und etymologische Ätiologie von Moab und Ammon hin angelegt. Entsprechend ist für Gen 18 die unerwartete Geburt eines Sohnes und Ätiologie seines Namens zu erwarten, wobei die Verheißung einen starken Unterschied zum Inzest der (verzweifelten) Töchter Lots markiert. Isaak gehört somit zum Kernbestand der Abraham-Lot-Erzählung. Vermutlich hat deren Verfasser ein klassisches, vielleicht sogar bereits mit Abraham und dem heiligen Baum75 von Mamre verbundenes Sagenmotiv aufgenommen und in Gen 18 mit Blick auf Gen 19 ausgestaltet.76 Die etymologische Herleitung könnte dabei von der Isaaküberlieferung in Gen 26 angeregt worden sein (V. 8). Zur zweiten Frage: Die Abraham-Lot-Erzählung zielt in ihrer ältesten Gestalt auf die Geburt Isaaks im Kontext der Geburten Moabs und Ammons. Damit ist ihr von vornherein eine völkergeschichtliche Perspektive zu eigen, in der Isaak für das eigene Volk ‚Israel‘ steht. Wie aber ist der literarische Horizont zu bestimmen und um welches Israel handelt es sich? Die Antwort auf diese Frage entscheidet sich an der Bestimmung des Auftakts der AbrahamLot-Erzählung. Nach Gunkel gehören der Aufbruchsbefehl an Abraham und die gemeinsame Wanderung mit Lot nach Bet-El in Gen 12,1–3.4a.6–8 zum Grundbestand der Abraham-Lot-Erzählung. In der Tat hängt von „der reinen
SCHMID 2021a, 121. Mit zuletzt FINKELSTEIN/RÖMER 2014, 9 verwendet MT in Gen 13,18; 14,13; 18,1 den Plural, um den kultischen Aspekt des heiligen Baumes herunterzuspielen. Die LXX liest den Singular und dürfte die ursprünglichere Lesart bieten. Anders u.a. D. JERICKE 2003: Abraham in Mamre. Historische und exegetische Studien zur Region von Hebron und zu Genesis 11,27–19,38, Culture and History of the Ancient Near East 17, Leiden, 35f. 76 Vgl. auch R. G. K RATZ 2000, 276. Anders B LUM 1984, 287–288 mit Anm. 10, der in Gen 18,1–16* den Überlieferungskern vermutet. 74 75
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16. Wie Jakob zu seinem Großvater gekommen ist
Erzähllogik her [...] die gesamte Komposition [...] an dem Kopfstück“77 in Gen 12,1–8*: Auf JHWHs Befehl hin (Gen 12,1–3) macht sich Abraham auf den Weg und zieht gemeinsam mit Lot (Gen 12,4a) zunächst nach Sichem, wo Abraham einen Altar errichtet (Gen 12,6–7) und schließlich in die Gegend von Bet-El (Gen 12,8). Wie eingangs verheißen, wird Abraham reich gesegnet, ebenso der ihn begleitende Lot (Gen 13,2.5). Der Reichtum führt zum Streit unter den Hirten, der schließlich durch die Trennung beigelegt wird (Gen 13,7a.8–11). Lot zieht nach Sodom (13,12bβ.13) und Abraham zur Terebinthe von Mamre (Gen 13,18a; 18,1). Gegen die ursprüngliche Zugehörigkeit von Gen 12,1–8* zum Grundbestand der Abraham-Lot-Erzählung haben Erhard Blum und Matthias Köckert wirkmächtig Einspruch erhoben.78 Nach Blum führt der Abschnitt „thematisch [...] wie auch in der Erzählweise (aneinandergereihte Wegnotizen) über die in dieser Hinsicht bemerkenswert homogene Abrahamerzählung hinaus“79. Sodann hat Köckert die Ansicht vertreten, dass Gen 12,1–8* auf einer Linie mit der Gottesrede in Gen 13,14–17 liegt. Erst mit ihr sei das in Gen 12,1–3.4a ungenannte Ziel der Reise erreicht. Dies zeige die betonte Aufnahme des Stichworts ראהaus dem Aufbruchsbefehl „das Land, das ich dir zeigen werde“ (Gen 12,1; vgl. Gen 13,14.15). Da die Gottesrede den nicht-priesterschriftlichen Erzählfaden von Gen 13,12*.13.18 unterbricht und durch die Einführung in V. 14 (vgl. V. 11) umständlich in dessen Verlauf eingebunden ist, wird Gen 13,14–17 mit einem weitgehenden Forschungskonsens als Nachtrag zur Abraham-Lot-Erzählung beurteilt.80 Daraus folgert Köckert, dass dies auch bei Gen 12,1–8* der Fall ist. Gen 12,1–8* sei ein redaktioneller Vorspann und die Einleitung einer die Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob umfassenden Väterge-
77 R. G. K RATZ 2018: Die Verheißungen an die Erzväter: Die Konstruktion ethnischer Identität Israels, in: M. G. Brett/J. Wöhrle (Hg.), The Politics of the Ancestors. Exegetical and Historical Perspectives on Genesis 12–36, FAT 124, Tübingen, 35–66, 37. Vgl. dort auch zum Folgenden. 78 B LUM 1984, 285f, 297–301 und passim; DERS. 1998; M. K ÖCKERT 1988: Vätergott und Väterverheißungen. Eine Auseinandersetzung mit Albrecht Alt und seinen Erben, FRLANT 142, Göttingen, 248–299; DERS. 2014, 48–52. 79 B LUM 1984, 285f. 80 Am Anfang des Konsenses steht die zögerliche Auskunft Wellhausens, der die Gottesrede aus „Gründe[n], die von einer allgemeinen Anschauung hergenommen, Wenige überzeugen werden“, als Nachtrag beurteilt hatte. Vgl. J. WELLHAUSEN 1899: Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, 3. Aufl., Berlin (4. Aufl., Nachdr. d. 3. Aufl., Berlin 1963), 23–24. Die literarhistorische Einordnung der Gottesrede ist hingegen umstritten. Erhard Blum und Matthias Köckert (siehe oben Anm. 78), denken an die redaktionelle Verbindung der Abraham-Lot-Erzählung mit der Jakobsgeschichte. LEVIN 1993, 145–146 und KRATZ 2000, 276, halten Gen 13,14–17 für einen Zusatz zu der bereits durch Gen 12,1–8* konstituierten ‚Vätergeschichte‘.
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schichte, der die ursprüngliche Einleitung der ehedem selbständigen AbrahamLot-Erzählung ersetzt habe. Wie sind diese Argumente zu bewerten? In der unterschiedlichen Erzählweise vermag ich keinen Grund für eine literarkritische Differenzierung zu erkennen. Sie ist dadurch vorgegeben, dass Abraham hier in entstehungsgeschichtlicher Hinsicht in den Spuren Jakobs wandelt.81 Wie aber verhält es sich mit dem Argument, dass der Abschnitt thematisch über die Abraham-Lot-Erzählung hinausführe? Mit Blick auf Gen 18 konstatiert Blum: Die Erzählung zielt in ihrer Substanz auf die Geburt des Stammvaters Isaak, oder anders gesehen: Sie erzählt die ‚wunderbaren‘ Umstände der Weiterführung von Abrahams Linie, die ohne göttliches Eingreifen abgebrochen wäre (V. 11). Insofern (und in einem weiteren Sinne) geht es hier geradezu um eine Ätiologie Israels82.
Diese zutreffende Charakterisierung lebt, wie mir scheint, jedoch von Voraussetzungen, die außerhalb des vermeintlichen Überlieferungskerns liegen, und zwar sowohl außerhalb der von Blum angenommenen Einzelerzählung in Gen 18 als auch außerhalb der nach Blum und Köckert mit Gen 13,2 einsetzenden Abraham-Lot-Erzählung. Das Thema der „‚wunderbaren‘ Umstände der Weiterführung von Abrahams Linie“ ruht ebenso wie der Reichtum Abrahams auf der Verheißung von Gen 12,2f.83 Hinzu kommt die Israel-Perspektive, die für Abraham allein in Verbindung mit Jakob eröffnet ist. Anders als der in ‚Israel‘ umbenannte und so zum ‚nationalen‘ Patriarchen des Nordreichs erklärte Jakob, war Abraham (wie auch Isaak) niemals ein ‚offizieller‘ Patriarch des Königreichs Juda oder eines ‚Gesamtisrael‘.84 Dass schließlich die Gottesrede in Gen 13,14–17 auf den Auftakt in Gen 12,1–3 zurückgreift, ist nicht zu übersehen. Das sagt aber noch nichts über die literarische Stratigraphie aus, zumal Gen 12,1–3 nicht auf Gen 13,14–17 angewiesen ist: Abrahams Reise hat ihr zunächst unbekanntes Ziel bereits mit Sichem in 12,6a.7–9 erreicht. Dies wird durch die Altarbaunotiz in V. 7 deutlich markiert. Gegen diese Lesart wendet Köckert ein, Abraham werde anders als in Gen 13,14–17 das Land nicht ausdrücklich gezeigt, sondern nur den Nachkommen in Aussicht gestellt. Doch das deiktische „dieses Land“ macht deutlich, dass Abraham das Land von JHWH in einer Theophanie ( ראהni.) „gezeigt“ bekommt (12,7). Das hat natürlich auch Köckert gesehen. Seiner Ansicht nach fällt V. 7 aus dem Bogen von 12,1–3.4a zu 13,14–17 „heraus, weil die ausdrückliche Zusage ‚dieses Landes‘ die Unbestimmtheit des Ziels der
81 Vgl. zum Befund K ÖCKERT 2014, 52–55 (allerdings bei anderer literarhistorischer Zuordnung der ‚Wandernotizen‘ und unter Einbeziehung des m.E. später hinzugefügten Abstechers nach Ägypten in Gen 12,9.10–20; 13,1.3–4). 82 B LUM 1984, 279 (Hervorhebung im Original). 83 Ähnlich auch K RATZ 2018, 45f. 84 Mit LIPSCHITS 2018, 198.
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16. Wie Jakob zu seinem Großvater gekommen ist
Reise ignoriert und damit 13,14–17 die Pointe verdirbt“85. In der Konsequenz identifiziert er V. 7 als unbestimmten Nachtrag, der die Rolle Sichems herausstellt. Wie mir scheint, liegt die skizzierte und schon von Gunkel vertretene Auffassung näher, wonach die Ankunft im Land das in 12,1–3 angekündigte Ziel ist, von dem aus Abraham dann das Land erkundet, indem er es durchzieht. Insofern verdirbt V. 7 nicht die Pointe, sondern ist die angemessene Reaktion Abrahams (vgl. Gen 33,18–20*). Demgegenüber ist die im Übrigen nur im Ungefähren lokalisierte Gottesrede in 13,14–17 ein zweiter Gipfel beziehungsweise eine Bestätigung der Verheißung von V. 7 nach der Trennung von Lot. Das hat schon Benno Jakob erkannt: Zu der Verheißung 12,7 konnte die ganze Rede [in 13,14–17] nichts Neues hinzufügen, sie sollte sie nur dramatisch und rhetorisch ausführen, um Abraham für seinen edelmütigen Verzicht und die Trennung von Lot zu trösten.86
Auch der Hinweis auf den Nachtragscharakter von Gen 13,14–17 vermag also nicht zu begründen, dass Gen 12,1–8* den ursprünglichen Einsatz der Abraham-Lot-Erzählung verdrängt hat. Dass Gen 12,1–8* auf die Verbindung mit der Jakobsgeschichte hin angelegt ist, wurde schon vielfach beschrieben und muss nicht en détail ausgeführt werden. Schon die eigenwillige Reiseroute erklärt sich mit dem Vorbild der Wanderungen Jakobs.87 Wie sehr die Verfasser dabei auf eine sachliche Stimmigkeit geachtet haben, zeigt allein die auffällige Angabe, Abraham habe zwischen Bet-El und Ai gelagert (Gen 12,8; vgl. 13,3). Auf diese Weise kann Abraham auch mit Bet-El in Verbindung gebracht werden, ohne jedoch der Entdeckung des Ortes und der Gründung des Heiligtums erst durch Jakob (Gen 28,10–19[20–22]) in die Quere zu kommen. Mit ihrem Einsatz in Gen 12,1–8* ist freilich die Abraham-Lot-Erzählung von vornherein auf die Jakobsgeschichte hin ausgerichtet. Oder anders formuliert: Auch wenn die Verfasser der Abraham-Lot-Erzählung für die Episode von Sodoms Untergang und Lots Rettung in Gen 19 und eventuell auch für die Erzählung vom Besuch der drei Männer bei der Terebinthe von Mamre in Gen 18 auf ältere Traditionen und Motive zurückgegriffen haben, so ist die älteste literarisch greifbare AbrahamLot-Erzählung als Vorgeschichte zur Jakobsgeschichte konzipiert worden. Es liegt nahe, diese Vorschaltung Abrahams mit dem Übergang der im Nordreich Israel beheimateten Jakobsgeschichte nach Juda zu erklären. Damit dürfte der Untergang des Nordreichs mit der Eroberung Samarias den terminus post quem markieren. Das sollte unstrittig sein. Die literarhistorischen Einord-
KÖCKERT 2014, 49. B. JACOB 1934/2000: Das erste Buch der Tora Genesis, Berlin (Nachdr., Das Buch Genesis, hg. in Zusammenarbeit mit dem Leo-Baeck-Institut, Stuttgart 2000), 365. 87 Vgl. zuletzt K ÖCKERT 2014; FINKELSTEIN/R ÖMER 2014, 332–334. 85 86
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nungen von Gen 12,1–3 und der dadurch eröffneten Komposition reichen allerdings vom königszeitlichen Juda des ausgehenden 8. Jahrhunderts88 über das Exil89 bis in die persische Zeit90. Ich selbst denke an die ausgehende Königszeit und schließe mich gerne dem Urteil von Reinhard Kratz an: Weder der traditionsgeschichtliche Hintergrund in der Königsideologie bzw. Segenstheologie der vorexilischen Zeit noch die Anwendung dieser Traditionen auf den Ahnvater des Volkes ‚Israel‘ nötigen dazu, die Komposition in die exilisch-nachexilische Zeit zu datieren.91
Auch die Identifizierung Esaus mit Edom, die nach meiner Einschätzung im Zuge der judäischen Vereinnahmung der Jakobsgeschichte und der Vorschaltung Abrahams erfolgt ist, ließe sich recht gut mit den politischen Verhältnissen Judas im 7. Jahrhundert verbinden. Weitergehende Versuche, von der Textwelt auf die realpolitischen Verhältnisse der Abfassungszeit zu schließen, sind mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Das gilt insbesondere dann, wenn Abraham von vornherein als Vorschaltung zu Jakob konzipiert worden ist. So lässt sich kaum bestreiten, dass die Konstruktion der Vorgeschichte Israels in Form einer Familiengeschichte nach dem Verlust von Monarchie und Tempel zur Ausbildung der Identität des ‚biblischen Israel‘ beigetragen hat. Das bedeutet aber nicht, dass die Präsentation der Vorgeschichte Israels von vornherein als Reaktion auf vor- oder nachstaatliche Verhältnisse oder den ‚Schwebezustand‘ zwischen dem Untergang Israels und Samarias und dem Fall Jerusalems konzipiert worden ist.92 Die nomadische Verortung der Geschichte war durch die literarische Welt der Jakobsgeschichte und deren judäische Adaption vorgegeben und kann daher gar nicht oder doch nur mit größter Vorsicht ‚realpolitisch‘ ausgewertet werden. Das gilt auch für die genealogische Reihenfolge. Sie wurde ‚realpolitisch‘ so interpretiert, dass Abraham mit dem Ziel an die Spitze der vereinten Vorgeschichte gestellt wurde, „to subordinate the Jacob stories to the Abraham ones, in essence, to subordinate Israel (which was no more) to Judah“93. Insofern Jakob bereits ‚Israel‘ und der Vater der Stämme Israels einschließlich Judas war, gab es jedoch für Abraham keinen anderen Ort in der Vorgeschichte des ‚biblischen Israel‘.94 Erwägungen über eine intendierte Unterordnung Israels unter Juda sind daher recht spekulativ. Vgl. KRATZ 2018, 51–53, der Gen 12,1–3 nach 722 v. Chr. und vor 597 v. Chr. einordnet. 89 K ÖCKERT 2014, 61–66. 90 J.-L. SKA 2009b: The Call of Abraham and Israelʼs Birth-Certificate (Gen 12:1–4a), in: ders., The Exegesis of the Pentateuch: Exegetical Studies and Basic Questions, FAT 66, Tübingen, 46–66; RÖMER 2018, 215. 91 K RATZ 2018, 52 mit dem wichtigen Hinweis in Anm. 58. 92 So K RATZ 2018, 43f. 93 FINKELSTEIN/R ÖMER 2014, 17. 94 Vgl. bereits N OTH 1948, 234. Vgl. auch aaO 113f. 88
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16. Wie Jakob zu seinem Großvater gekommen ist
Desgleichen ist auch Zurückhaltung gegenüber Versuchen angebracht, die Wahl Hebrons mit der Siedlungsgeschichte in der Perserzeit zu korrelieren95 oder als Dokument einer „‚rural‘ resistance against a Jerusalemite expansion under Josiah“96 zu lesen. Es ist nämlich nicht ausgemacht, dass das ländliche Hebron in der Abraham-Lot-Erzählung gegen Jerusalem und seine Elite in Stellung gebracht werden sollte. Wie für Abrahams ‚nomadische Existenz‘ können rein textimmanente Gründe für die Wahl Hebrons ausschlaggebend gewesen sein. In einer ‚offiziellen‘ Ursprungsgeschichte, mit der Juda sich anschickte, das Erbe des untergegangenen Nordreichs anzutreten, hätte die Wahl Jerusalems vielleicht ‚realpolitisch‘ nahegelegen. Doch wäre dies vor dem Hintergrund der eigenen historischen Traditionen über die Anfänge des Königtums in Jerusalem kaum möglich gewesen. Andererseits ist Hebron nach der Darstellung der Samuelbücher der Ursprungsort des judäischen und dann auch gesamtisraelitischen Königtums (2Sam 2; 5). Geographisch und historisch enger ließ sich der mit königlichen Zügen gezeichnete Abraham nicht mit der Geschichte des zu Israel gewordenen Juda verbinden.
IV. Schluss Die Geschichte von den Vätern und Müttern Israels folgt dem natürlichen Lauf der Dinge, wonach Generation auf Generation folgt und aus Männern und Frauen zunächst Eltern und dann Großeltern werden. Die Ausgangsfrage, wie Jakob zu seinem Großvater gekommen ist, stellt sich erst vor dem Hintergrund der literaturgeschichtlichen Einsicht, dass die Erzählungen um die Väter und Mütter Israels in einem längeren Prozess zu der als Familiengeschichte entfalteten Vorgeschichte des Volkes Israels zusammengewachsen sind. Wurden die Erzählungen um die Väter und Mütter Israels zunächst unabhängig voneinander konzipiert und überliefert, so liegt die Vermutung nahe, dass die Generationenfolge von Abraham, Isaak und Jakob das Ergebnis der Überlieferungsbildung gewesen ist. Gleichwohl wird sie vielfach als vorgegebenes Grundgerüst der Erzählungen angesehen. Sie gilt als die „stillschweigende Voraussetzung“ (Wellhausen), die in das vorliterarische Stadium der Überlieferungsbildung gehört, sich aber streng genommen erst in den jüngeren Stadien der Entstehungsgeschichte an den Texten belegen lässt. Dass somit das Ergebnis der Entstehungsgeschichte zu deren Voraussetzungen erklärt wird, verdankt sich nicht allein der Suggestivkraft der ‚natürlichen‘ Generationenfolge der biblischen Darstellung, sondern auch der festen Verankerung Isaaks gleichermaßen in den
95 96
Vgl. JERICKE 2003. Zur Kritik vgl. LIPSCHITS 2018, 194f. LIPSCHITS/RÖMER/GONZALEZ 2017, 287. Vgl. auch RÖMER 2018.
IV. Schluss
329
Erzählungen um Abraham wie in denen um Jakob. Letzteres ist für die Jakobsgeschichte im Rückgriff auf Gunkels entstehungsgeschichtliche Unterscheidung der Erzählungen um Jakob und seinen Bruder Esau einerseits und denjenigen um Jakob und Laban andererseits immer wieder bestritten worden. Doch gegen die verschiedenen redaktionsgeschichtlichen Transformationen des Gunkel’schen Erzählkranzmodells ist festzuhalten, dass die Jakobsgeschichte literarisch erstmals als eine Komposition greifbar ist, die bereits den Konflikt mit dem Bruder Esau und den Aufenthalt bei Laban umfasst und zu deren festem Bestand Isaak, der Vater der beiden Brüder, gehört. Dass dieser Komposition ältere Erzählungen oder Stoffe zugrunde gelegen haben, ist mit Gunkel sehr wahrscheinlich, doch lässt sich dieses vorgegebene Material kaum mit Sicherheit herausarbeiten. Entsprechendes gilt für die älteste literarisch greifbare Abraham-Lot-Erzählung. Hier gilt der Vorbehalt vor allem solchen Versuchen, den Auftakt in Gen 12,1–3.4a.6–8 als redaktionellen Vorspann auszuweisen, durch den eine ehedem isolierte Abraham-Lot-Erzählung nachträglich in den Horizont der Jakobsgeschichte eingestellt worden ist. Sollte Gen 12,1–3.4a.6– 8 hingegen zum Grundbestand der ältesten literarisch greifbaren Abraham-LotErzählung gehören, dann war diese von vornherein auf eine Fortsetzung durch die ursprünglich im Nordreich beheimatete Jakobsgeschichte hin angelegt. Oder anders formuliert: Jakob kam erst im Zuge des Ausbaus der Jakobsgeschichte zur Erzählung von den Erzeltern Israels zu seinem Großvater.
17. Zusammenhang, Trennung und Selbständigkeit der Bücher Genesis und Exodus im priesterlichen und nachpriesterlichen Pentateuch I. Problemstellung Die ersten beiden Kapitel des Buches Exodus eröffnen die alttestamentliche Darstellung der Geschichte des Volkes Israel. Zugleich führen sie mit Mose und dem Pharao die beiden Hauptakteure der Exoduserzählung ein und legen die Ausgangssituation der folgenden Ereignisse dar. Dies geschieht vor dem Hintergrund eines größeren Zusammenhangs von Begebenheiten. Die Bemerkungen über die Auswanderung der Söhne Israels/Jakobs nach Ägypten, die Todesnotiz Josephs, seiner Brüder und seiner ganzen Generation sowie die Feststellung des Auftretens eines neuen ägyptischen Herrschers, der nichts von Joseph wusste (Ex 1,8), weisen offensichtlich auf die Geschehnisse der Josephsgeschichte zurück. Bemerkenswert ist nun, dass die Exoduserzählung in ihrer vorliegenden Gestalt nicht direkt an die vorhergehende Erzählung anschließt. Die Darlegung des im Folgenden vorausgesetzten Hintergrundes erfolgt vielmehr in Gestalt einer Rekapitulation von Gen 46,8–27, wie schon die weitgehende Entsprechung von Gen 46,8 mit Ex 1,1 zeigt. Der Auftakt der Exoduserzählung stellt sich also weniger als der Anfang eines neuen Kapitels innerhalb eines fortlaufenden Erzählzusammenhangs dar, sondern entspricht eher seiner jetzigen Funktion als Beginn eines neuen Buches. Dieser Eindruck wird durch die zweifache Überlieferung der Sterbenotiz Josephs in Gen 50,24 und Ex 1,6 noch verstärkt. Damit ist die Frage nach der Verbindung der Bücher Genesis und Exodus oder auch nur der Josephsgeschichte und der Exoduserzählung gestellt. Sie wurde von den biblischen Autoren wie auch in der Forschung unterschiedlich beantwortet und soll im Folgenden noch einmal erörtert werden.
332
17. Zusammenhang, Trennung und Selbstständigkeit
II. Buchtrennung und Epochengliederung Für den vorliegenden Textzusammenhang steht der Form nach die Büchertrennung, inhaltlich dagegen die Epochenunterteilung im Vordergrund. Hinsichtlich des erstgenannten Aspektes lohnt sich ein Blick auf den Befund der Qumranhandschriften.1 Die mit 4QGenh-Titel belegte, wohl auf der Rückseite der Rolle platzierte Überschrift ( ברשיתsic.!) spricht ebenso wie der hinsichtlich des Textcharakters unterschiedliche Befund zu den LXX-Fassungen der einzelnen Bücher des Pentateuch für die Annahme, dass die heutige Fünfteilung dem antiken Judentum schon vor Philo von Alexandrien bekannt gewesen ist.2 Andererseits macht der materiale Befund aus Qumran und dem Wadi Murabba’at aber auch deutlich, dass die Bücher des Pentateuch als Texteinheit angesehen wurden. Zu den Funden aus der judäischen Wüste zählen mehrere Schriftrollen, deren erhaltener Textbestand zwei oder mehr Bücher der Tora umfasst (4QRPb.c.d, 4QGen-Exa, 4QpalaeoGen-Exl, MurGen-Ex.Num, 4QExLevf, 1QpalaeoLev-Numa, 4QLev-Numa). Die Handschrift 4QRPc hat ausweislich der ihr zugehörigen Fragmente mit Texten aus allen Büchern des Pentateuch und der rekonstruierten Maße mit Sicherheit den ganzen Pentateuch umfasst.3 Da viele Rollen mit Büchern des Pentateuch im Vergleich zu anderen Rollen wie 4QRPc besonders großformatig sind, liegt der Schluss nahe, dass 4QRPc keine Ausnahme, sondern eher die Regel gewesen ist.4 Ferner lässt sich beobachten, dass die wenigen erhaltenen Buchgrenzen auf den einzelnen Rollen im Text eindeutig auch als solche markiert sind. Für unseren Textabschnitt ist die um 100–50 v. Chr. geschriebene Rolle 4QpalaeoGen-Exl von Interesse.
1 Vgl. zum Folgenden A. LANGE 2009: Handbuch der Textfunde vom Toten Meer. Bd. 1: Die Handschriften biblischer Bücher von Qumran und den anderen Fundorten, Tübingen. Für eine erste redaktionsgeschichtliche Auswertung des Befundes vgl. auch die Überlegungen bei K. SCHMID 1999: Erzväter und Exodus. Untersuchungen zur doppelten Begründung der Ursprünge Israels innerhalb der Geschichtsbücher des Alten Testaments, WMANT 81, Neukirchen-Vluyn, 26–33. 2 Vgl. aaO 168f. 3 Vgl. aaO 40. 4 So auch aaO 169.
II. Buchtrennung und Epochengliederung
333
4QpaleoGen-Exl, Fragm. 1. Gen 50,26? – Exod 1,1–5; © Israel Antiquities Authority: Leon Levy Dead Sea Scrolls Digital Library, Foto: Shai Halevi. Rekonstruktion: P.W. SKEHAN, E. C. ULRICH, J. E. SANDERSON 1992, Qumran Cave 4/IV Palaeo-Hebrew and Greek Biblical Manuscripts, DJD 9, Oxford, 25.
4QpalaeoGen-Exl, Fragm. 1 hat am rechten Rand Löcher einer Rollennaht.5 In der obersten erhaltenen Zeile sind noch zwei Buchstaben am rechten Rand zu erkennen. Der Rest der Zeile ist unbeschrieben. Es folgen drei gänzlich unbeschriebene, aber linierte Zeilen. Die fünfte bis achte Zeile bieten den fragmentarischen Text von Ex 1,1–5. Die beiden Buchstaben der obersten Linie ()במ passen perfekt zu במצרים, dem letzten Wort von Gen 50,26. Vergleichbar ist der materiale Befund zu 4QExb, Fragm. 1, wo zumindest eine Leerzeile vor dem mitten in der Kolumne befindlichen Text von Ex 1,1 wahrscheinlich ist.6 Ein ähnliches Layout wird auch für den Übergang von Leviticus zu Numeri in 4QLev-Numa, Fragm. 27 vermutet, doch scheint diese Annahme lediglich auf Analogieschlüssen und einer rechnerischen Rekonstruktion zu beruhen.7 Anders sieht der Befund zum Zwölfprophetenbuch aus. Während die Handschrift
5 P. W. SKEHAN/E. C. U LRICH/J. E. SANDERSON 1992: Qumran Cave 4/IV Palaeo-Hebrew and Greek Biblical Manuscripts, DJD 9, Oxford, 17–18, 24–26, pl. I. Vgl. zum Folgenden E. C. ULRICH 1999: The Dead Sea Scrolls and the Origins of the Bible, Grand Rapids/MI, 124f. 6 E. C. U LRICH u.a. 1994: Qumran Cave 4/VII, DJD 12, Oxford, 79f, 84f, pl. XIV. 7 DJD 12, 163, pl. XXVI. Als weiteres Beispiel wird zuweilen die aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. stammende Handschrift 4QExod-Levf genannt. Sicher ist lediglich, dass die Rolle
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17. Zusammenhang, Trennung und Selbstständigkeit
des Dodekapropheton aus dem Wadi Murabba’at (MurXII) zwischen den einzelnen ‚kleinen Propheten‘ drei Leerzeilen lässt,8 haben die Schreiber der in Qumran gefundenen Handschriften nur eine freie Zeile zwischen den einzelnen ‚kleinen Propheten‘ gelassen.9 Ähnlich sind die Schreiber auch bei den Psalmen verfahren.10 In den Pentateuchrollen markieren Leerzeilen wie freie Zeilenenden oder Spatien innerhalb einer Zeile Abschnittsgrenzen.11 Diese Abstufung entspricht der Sache nach im Kern der späteren rabbinischen Regel, die für Torarollen und die ‚großen‘ Propheten vier freie Zeilen zwischen den einzelnen Büchern vorschrieb, im Zwölfprophetenbuch die Trennung hingegen mit drei freien Zeilen markiert sehen wollte (b. Baba Batra 13b; m. Soperim 2:2; y. Megilla 1:9[8]). Auf den ersten Blick macht der Befund zum Pentateuch in den Qumranhandschriften einen ambivalenten Eindruck, weil sowohl Pentateuchrollen als auch Einzelrollen der Bücher belegt sind. Die deutliche Buchtrennung in 4QpalaeoGen-Exl, 4QExb und 4QLev-Numa zeigt aber, dass der Pentateuch tatsächlich als eine aus mehreren Büchern bestehende Einheit wahrgenommen wurde. Die Markierung der Büchertrennung auf einer Rolle legt dabei den Ton auf ‚mehrere Bücher‘. Spricht schon die unterschiedliche Länge der einzelnen Bücher des Pentateuch dagegen, dass allein pragmatische Gründe für eine nachträgliche Aufteilung der Tora in fünf Bücher ursächlich gewesen sind,12 so wird dies durch das Nebeneinander von Einzelrollen und Pentateuchrollen in den
zwei Bücher umfasst hat, ob das Layout eine Bucheinteilung markiert hat, lässt sich aber wohl nicht mehr sagen. 8 P. B ENOIT/J. T. M ILIK/R. DE V AUX 1961: Les Grottes de Murabb’ât, DJD 2, Oxford (192, pl. LXI: Jona und Micha; 202, pl. LXXI: Zephanja und Haggai; 205, pl. LXXII: Haggai und Sacharja. Weniger gut zu erkennen: 197 pl. LXVI: Micha und Nahum; 200, pl. LXIX: Habakuk und Zephanja). 9 4QXIIg, Fragm. 71 (eine Leerzeile zwischen Amos und Obadja); 4QXIIg, Fragm. 76 ([mindestens] eine Leerzeile zwischen Obadja und Jona); 4QXIIb, Fragm. 3 (eine Leerzeile zwischen Zephanja und Haggai und größerer Zeilenabstand zwischen den ersten beiden Zeilen in Hag). Vgl. E. C. ULRICH u.a. 1997: Qumran Cave 4/X, DJD 15, Oxford, 308, 309f, 235, pl. LVIII, LIX, XLIII. 10 Vgl. G. H. W ILSON 1985: The Editing of the Hebrew Psalter, SBLDisSer 76, Chico/CA, 93–138. 11 Vgl. dazu und zu den Entsprechungen wie Abweichungen der buchinternen Gliederungen in den Qumranhandschriften und der späteren Tradition des masoretischen und des samaritanischen Textes J. M. OESCH 2009: Formale und materiale Gliederungshermeneutik der Pentateuch-Handschriften von Qumran, in: A. Lange u.a. (Hg.), From Qumran to Aleppo, FRLANT 230, Göttingen, 81–122. 12 So wieder mit Blick auf unsere Fragestellung des Übergangs von Gen 50 zu Ex 1 J. BADEN 2012: The Continuity of the Non-Priestly Narrative From Genesis to Exodus, Bib. 93, 161–186, 163f. Vgl. dazu auch die Kritik bei K. SCHMID 2012: Genesis and Exodus as Two Formerly Independent Traditions of Origins for Ancient Israel, Bib. 93, 187–208, 187– 189.
II. Buchtrennung und Epochengliederung
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Qumranhandschriften weiter gestützt. Deutlich ist auch, dass die Schreiber in Qumran zwischen Buchgrenzen einerseits und dem Wechsel der Autorschaft andererseits zu unterscheiden wussten. So darf unterstellt werden, dass die Schreiber von 4QpalaeoGen-Ex1 und 4QExb mit der Tradition davon ausgegangen sind, dass es sich bei den Büchern Genesis und Exodus um zwei Bücher eines Werkes und sehr wahrscheinlich auch ein und desselben Autors gehandelt hat.13 Andererseits kennzeichnen die Schreiber von 4QXIIa+b+g die einzelnen Prophetenschriften des Zwölfprophetenbuches als Abschnitte innerhalb eines Buches, wenngleich kaum anzunehmen ist, dass die Schriften nach Ansicht der Schreiber auf denselben Verfasser zurückgegangen sind.14 Zum Befund zu den Handschriften fügt sich auch die literarische Gestaltung der Buchanfänge und -abschlüsse.15 Betrachten wir den vorliegenden Textzusammenhang, so hat man den Eindruck, dass sie im Pentateuch anders gestaltet sind als im Zwölfprophetenbuch. Wenngleich sich die Abschnitte des Zwölfprophetenbuches als Einheiten zu erkennen geben, die auf das Wort bestimmter Propheten zurückgehen, so fällt doch auf, dass an den Übergängen das Bemühen zu erkennen ist, die Bücher redaktionell durch gemeinsame Motive oder Themen miteinander zu verzahnen. Die Buchgrenzen oder -übergänge im Pentateuch vermitteln dagegen trotz der durchgehenden Pentateucherzählung eher den Eindruck als handele es sich um Einzelbücher, die durch Wiederholungen des Endes des jeweils vorangehenden Buches verbunden sind. Dies ist ein Verfahren, dass an Fangzeilen in der Keilschriftliteratur oder auch an die Doppelüberlieferung 2Chr 36,22f par Esr 1,1f erinnert. In Gen 50 und Ex 1 sind dies vor allem die zweifache Nennung des Todes Josephs (Gen 50,26a; Ex 1,6) und die häufig P zugeschriebene Auflistung der nach Ägypten ausgewanderten Söhne Israels (Ex 1,1–5*). Es bleibt zusammenfassend festzuhalten: (1.) Rolle und ‚Buch‘ sind nicht identisch. Das spiegelt sich auch im alttestamentlichen Sprachgebrauch. Jedes Schriftstück kann als „Buch“ ספרbezeichnet werden, doch wissen die Autoren mit der Formulierung „Rolle des Buches“ מגלת ספרauch zwischen Inhalt und
13 Insofern wird man aus der Notiz „damit du Einblick gewinnst in das Buch Moses und in die Bücher der Propheten und in David“ ([ -- ו֯ש ֯ה ]ו[בספר]י הנ[ביאים ובדו ֯י]ד€ )בספר מin 4QMMT (4Q397) kein Argument gegen eine allgemein gebräuchliche Aufteilung des ‚Buches Mose‘ in fünf Bücher gewinnen können. Meines Erachtens steht hier wie bei der schon im Alten Testament belegten Wendung ‚Buch der Tora Moses‘ (vgl. 2Chr 25,4; 35,12; Neh 8,1; 13,1) die Zuschreibung an Mose im Vordergrund. 14 Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert (und stimmig), dass der Babylonische Talmud das Zwölfprophetenbuch den „Männern der großen Versammlung“ zuschreibt (Baba Batra 14b) – auch wenn die einzelnen Bücher innerhalb des Buches als das Werk der jeweiligen namengebenden Propheten gelten. 15 Vgl. SCHMID 1999, 29–32 (mit weiterer Literatur).
336
17. Zusammenhang, Trennung und Selbstständigkeit
Schriftträger zu unterscheiden (vgl. Jer 36,2.4; Ez 2,9; Ps 40,8). (2.) Die Unterscheidung von Büchern im Pentateuch ist kein Adiaphoron, das sich mit dem Hinweis auf den buchübergreifenden Erzählfortschritt erledigen würde.16 (3.) Sollten tragende Elemente der buchverbindenden Fangzeile wie Ex 1,1–5* bereits der Priesterschrift zuzurechnen sein, dann standen Schreiber und Redaktoren nicht erst am Ende der literarischen Genese vor der Aufgabe, Bücher zu verbinden. Doch auch unabhängig von der literarhistorischen Einordnung von Ex 1,1–5* erweist sich die Bucheinteilung mit Blick auf den Gesamtbefund der Buchanfänge und -schlüsse im Pentateuch (und den Vorderen Propheten) als Teil des produktiven Wachstums des Textes, insofern sie noch deutliche Spuren in der Komposition der einzelnen Bücher hinterlassen hat.17 (4.) Reicht die Unterscheidung des Gesamtwerkes (Pentateuch) und seiner Teile (Bücher) in die literarische Genese des Pentateuch zurück, dann ist – auch selbstkritisch18 – für Querbezüge innerhalb dieses Werkes die häufig unbeachtete Unterscheidung von inner- und intertextuellen Bezügen noch deutlicher einzufordern: Nicht jede erkannte Beziehung eines Textes zum Vor- oder Nachkontext an der jetzigen Buchgrenze muss ausschließlich mit innertextuellen Bezügen erklärt
16 Vgl. auch die in vielerlei Hinsicht vergleichbare Diskussion um das Verhältnis der Ilias zur Odyssee aber auch zur These eines Chronistischen Geschichtswerks. Anders BADEN 2012, 164f, der die Frage der literarischen Verbindung auf der Ebene des nichtpriesterschriftlichen Textes mit Hinweis auf die Geschehensfolge als irrelevant abtut. 17 Vgl. für das Kolophon des Buches Leviticus und die Komposition des Buches Numeri CH. NIHAN 2007: From Priestly Torah to Pentateuch. A Study in the Composition of the Book of Leviticus, FAT II/25, Tübingen, 69–76. Ähnliche Einschätzungen über das Alter der ‚Büchertrennung‘ finden sich auch bei D. T. OLSON 1985: The Death of the Old and the Birth of the New. The Framework of the Book of Numbers and the Pentateuch, Brown Judaic Studies 71, Chico/CA, 51–53 und R. ALBERTZ 2011: Der Beginn der vorpriesterlichen Exoduskomposition (KEX). Eine Kompositions- und Redaktionsgeschichte von Exod 1–5, TZ 67, 223–262, 234 mit Anm. 44. Allerdings sind gegen Albertz die Einwände gegen eine priesterschriftliche Herkunft von Ex 1,1–5* mit dem Hinweis auf das vergleichsweise hohe Alter der Einteilung des Pentateuch in „Bücher“ noch nicht ausgeräumt. 18 Dies betrifft vor allem die literarhistorische Einordnung von Gen 46,1–5a in J. CH. GERTZ 2000b: Tradition und Redaktion in der Exoduserzählung. Untersuchungen zur Endredaktion des Pentateuch, FRLANT 186, Göttingen, 277ff. Vgl. dazu die Kritik bei E. BLUM 2002b: Die literarische Verbindung von Erzvätern und Exodus. Ein Gespräch mit neueren Endredaktionshypothesen, in: J. Ch. Gertz/K. Schmid/M. Witte (Hg.), Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion, BZAW 315, Berlin/New York, 119–156, 131ff, der mit SCHMID 1999, 62f die Ankündigung der Heraufführung auf Jakob bezieht und nicht auf den Exodus des Volkes. Dass spätere Rezipienten wie die Ergänzer in Ex 3 diese ursprünglich wohl nicht intendierte Verbindung gesehen haben, ist damit freilich nicht ausgeschlossen, nur handelt es sich dann um eine intertextuelle Verbindung. Vgl. auch E. BLUM 2012b: Zwischen Literarkritik und Stilkritik. Die diachrone Analyse der literarischen Verbindung von Genesis und Exodus – im Gespräch mit Ludwig Schmidt, ZAW 124, 492–515, 513 mit Anm. 82.
III. Die priesterschriftliche Integration der Patriarchen- und der Exoduserzählung
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werden. Es ist denkbar, dass die Autoren bei ihren intendierten Lesern nur eine Stoffkenntnis voraussetzen oder dass es sich um intertextuelle Bezüge handelt, wobei die Frage der Autorschaft dieser Texte ein eigenes Problem ist. Inhaltlich ist der vorliegende Textzusammenhang Ex 1 durch den Epochenübergang von der Zeit der Patriarchen zur mosaischen Geschichte geprägt. Hatte schon Gen 50,26a das Lebensalter und den Tod Josephs notiert, so konstatiert Ex 1,6.8 abermals den Tod Josephs, und auch den seiner Brüder samt der ganzen Generation sowie den Herrschaftsantritt eines neuen Pharao, der von Joseph nichts wusste. Die Übereinstimmung von Gen 50,22b (oder 50,26a*) und Ex 1,6.8 mit dem Schluss des Josuabuches in Jos 24,29f und dem Auftakt der Richterzeit nach Ri 2,8.10 ist vielfach beschrieben worden. Auf die literarhistorische Einordnung des Befundes ist gesondert einzugehen. Hier genügt der Hinweis, dass die Parallele das Anliegen unterstreicht, einen Epochenübergang zu formulieren.
III. Die priesterschriftliche Integration der Patriarchenund der Exoduserzählung in den Zusammenhang eines literarischen Werkes Auf der Ebene der priesterschriftlichen Texte sind die Patriarchen- und die Exoduserzählung durch eine Reihe expliziter Querverweise verbunden. Das zeigt ein Blick auf die priesterschriftliche Darstellung von Moses Berufung in Ex 2,23aβb–25; 6,2–7,7*: Gottes Offenbarung an Mose wird ausdrücklich in die Kontinuität zu den Patriarchen gestellt, sein rettendes Eingreifen in Ägypten gilt P als Konsequenz des ‚Bundes‘ mit Abraham, Isaak und Jakob. Zugleich wird von den in Gen 17* (P) gebündelten Verheißungen an die Patriarchen die Zusage eines immerwährenden Gottesverhältnisses bestätigend aufgegriffen, wie sie dann in der Ankündigung von JHWHs Wohnen inmitten Israels in Ex 29,45f (P) eingelöst wird. Nimmt man hinzu, dass in der Priesterschrift der Schöpfungsbericht und der Anfang der Sinaioffenbarung reziprok gestaltet sind,19 so ergibt sich für P ein unauflösbares Ineinander von Schöpfung, Patriarchen, Exodus und Sinai. Das spricht unabhängig davon, welchem Modell man für die Priesterschrift zuneigt, für einen literarischen Werkzusammenhang.
19 Zu den Strukturparallelen zwischen Gen 1,1–2,3 und Ex 24,15b–18aα; 25–31; 35–40 vgl. u.a. J. D. LEVENSON 1984: The Temple and the World, JR 64, 275–298, bes. 286ff; B. JANOWSKI 1990: Tempel und Schöpfung. Schöpfungstheologische Aspekte der priesterschriftlichen Heiligtumskonzeption, JBTh 5, 37–69, bes. 46ff.
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17. Zusammenhang, Trennung und Selbstständigkeit
In Ex 1 gehören nach einem recht breiten Konsens die V. 1–5.7.13f in ihrem Grundbestand zu P. Für Ex 1,13f ist diese Zuschreibung unproblematisch.20 Das gilt unbeschadet jüngerer Einsprüche auch für Ex 1,7.21 Die Beschreibung der Vermehrung der Israeliten in V. 7 entspricht priesterschriftlicher Diktion. Das Verb פרהqal und hi. „fruchtbar sein, fruchtbar machen“ findet sich im Pentateuch mit wenigen Ausnahmen nur bei P oder im Kontext priesterschriftlicher Texte. Die Zusammenstellung von פרהmit רבהqal und hi. „zahlreich sein, zahlreich machen“ ist bis auf einen Beleg im Heiligkeitsgesetz (Lev 26,9) auf P beschränkt. Die Wurzel שרץbegegnet vorwiegend in der priesterschriftlichen Literatur. Das Verb „ שרץwimmeln“ ist im Zusammenhang einer mit פרה und mit רבהgebildeten Mehrungsaussage nur noch in der priesterschriftlichen Sintfluterzählung (Gen 8,17; 9,7) belegt. Das adverbiale „ במאד מאדüber alle Maßen“ aus V. 7a kommt abgesehen von den hinsichtlich ihres Kontextes gänzlich verschiedenen Belegen in Ez 9,9; 16,13 nur noch bei P vor, und zwar wie in V. 7 in Verbindung mit den Verben פרהund ( רבהvgl. Gen 17,2.6.20). Die abschließende Feststellung „ ותמלא הארץ אתםund das Land war voll von ihnen“ hat ihre einzige Entsprechung in der imperativischen Segenszusage von Gen 1,28 „ ומלאו את הארץund füllt die Erde“. Der exklusive Bezug auf die vorhergehenden priesterschriftlichen Mehrungsaufträge und -verheißungen (vgl. Gen 1,22.28; 8,17; 9,1.7; 17,2.6.20; 28,3; 35,11) ist also unverkennbar. Von P in Gen 47,27 vorbereitet, vermerkt V. 7 die entsprechende Erfüllung und markiert auf diese Weise einen deutlichen Einschnitt zu Beginn der Mosezeit. Der Vers hat also innerhalb der priesterschriftlichen Darstellung eine strukturierende Funktion, zumal in Verbindung mit der heilsgeschichtlichen Periodisierung in der folgenden Berufung Moses und der dort erfolgten Verheißung der Inbesitznahme des Landes (6,4.8). Der Vers kann P nicht abgesprochen werden.22 Hieran ändert auch der Befund nichts, dass in Ex 1,7 die in priesterlichen Passagen sonst nicht belegte Wurzel „ עצםmächtig sein“ gebraucht wird, die sich im unmittelbaren Kontext zudem in eindeutig nicht-priesterschriftlichen Aussagen über das Wachstum der Israeliten findet (Ex 1,9.20). Da sich keine Argumente für eine literarkritische Aufteilung in Ex 1,7 anführen lassen, ist die prima facie einfachste Erklärung, dass P in Ex 1,7 von vornherein für den vorliegenden Kontext, mithin die nicht-priesterschriftliche Exoduserzählung,
Zum Folgenden vgl. GERTZ 2000b, 352–357 und die dort genannte Literatur. Anders vor allem CH. BERNER 2010: Die Exoduserzählung. Das literarische Werden einer Ursprungslegende Israels, FAT 73, Tübingen, 14–16, der den Vers einer nachpriesterschriftlichen Bearbeitung zuweist. Ferner CH. LEVIN 1993: Der Jahwist, FRLANT 157, Göttingen, 315; W. PROPP 1999: Exodus 1–18. A New Translation With Introduction and Commentary, AncB 2, New Haven/CT und London, 125; R. G. KRATZ 2000: Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments, Göttingen, 243. 22 Vgl. J. W ÖHRLE 2012: Fremdlinge im eigenen Land. Zur Entstehung und Intention der priesterlichen Passagen der Vätergeschichte, FRLANT 246, Göttingen, 139. 20
21
III. Die priesterschriftliche Integration der Patriarchen- und der Exoduserzählung
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formuliert hat.23 Deren genauere literarhistorische Einordnung wird freilich kontrovers diskutiert, weil die Aussage des Pharao zumindest nach dem vorliegenden Textzusammenhang die zuvor konstatierte Mehrung des Volkes voraussetzt.24 Zudem ist die einzige, wie mir scheint, sicher vorpriesterschriftliche Mehrungsaussage des Kontextes in Ex 1,12 mit רבהund dem in Ex 1,7 nicht gebrauchten פרץformuliert, während sie das fragliche עצם/ עצוםgerade nicht verwendet. Wegen dieser Schwierigkeiten bleibt zu erwägen, ob es sich bei der Formulierung von Ex 1,7 um eine Variation innerhalb der priesterschriftlichen Mehrungsaussagen handelt, die nicht von Ex 1,9.20 literarisch abhängig ist, sondern umgekehrt ihrerseits auf die Formulierung in Ex 1,9.20 eingewirkt hat.25 Immerhin beschließt Ex 1,7 die Reihe der priesterschriftlichen Mehrungsaussagen und leitet zugleich zur Volksgeschichte über. Hinzu kommt, dass Ex 1,7 auf Gen 47,27 zurückgreift, dort aber die übliche Kombination von פרהmit רבה auf das Wachstum der Jakobssippe zu Lebzeiten Josephs bezogen ist. Möchte man die Aussagen des Wachsens der Jakobssippe in Gen 47,27 zu Lebzeiten Jakobs und Josephs und die Aussage über das Entstehen eines mächtigen Volkes in Ex 1,7 nach dem Tode Josephs nicht mit Christoph Berner als Dubletten bewerten und von vornherein auf zwei unterschiedliche Schichten verteilen,26 so bietet es sich an, Ex 1,7 als Steigerung innerhalb der priesterschriftlichen Mehrungsaussagen zu verstehen. An Vorbildern für das Wortpaar רבהund עצם beziehungsweise רבund עצוםhat es den priesterschriftlichen Autoren, die sicher auch andere Texte als die eigenen zur Kenntnis genommen haben, nicht gemangelt.27 Dass von den vier Begriffen aus Ex 1,7 in Ex 1,9 (und davon abhängig Ex 1,20) nur die beiden Begriffe רבund רבה( עצוםund )עצםvorkommen, besagt über die Richtung einer möglichen Beeinflussung hingegen rein gar nichts.28 Die Feststellung des Pharao in Ex 1,9 „sie sind uns zu zahlreich und zu stark“ ist mit Blick auf eine mögliche militärische Auseinandersetzung formuliert. Hier kommt es auf die Anzahl und Stärke an. Ein Vergleich der Fertilität „sie sind uns zu fruchtbar“ ( )פרהwäre sprachlich möglich, inhaltlich
So WÖHRLE 2012, 139–141. Siehe im Folgenden unter VI. 25 Vgl. G ERTZ 2000b, 366–368. Auch das von W ÖHRLE 2012, 140f, beobachtete Aufsprengen der Paarung פרהmit רבהdurch עצםund das sonst bei P breit belegte, in Ex 1,9.20 nicht gebrauchte )!( שרץließe sich so leicht erklären. 26 B ERNER 2010, 15. 27 Vgl. Dtn 7,1; 9,14; 26,5; Jes 53,12; Jo 2,2; Am 5,12; Mi 4,3; Sach 8,22; Ps 35,18; 135,10. 28 Gegen B ERNER 2010, 15f. Auch das von Berner als Steigerung gegenüber Ex 1,9 apostrophierte במאד מאדaus Ex 1,7 hätte in der Vergleichsaussage keinen Platz und lässt sich kaum redaktionsgeschichtlich für den Nachweis auswerten, dass Ex 1,7 von Ex 1,9 abhängig ist. 23
24
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17. Zusammenhang, Trennung und Selbstständigkeit
in diesem Zusammenhang aber unpassend. Für das Verb „ שרץwimmeln“ ist er sprachlich wie sachlich ausgeschlossen. Sollte Ex 1,9 von Ex 1,7 abhängig sein, so liegt wie auch in Ex 1,20 die Aufnahme allein des Wortpaars רבהund ( עצםbeziehungsweise רבund )עצוםnahe. Nun ließe sich zurückfragen, ob das Motiv „sie füllten das Land“ in Ex 1,7 analog zu Gen 1 und Gen 9 ein überschießendes Moment enthält, das im priesterschriftlichen Faden der Exoduserzählung nicht aufgelöst wird. Das wäre ein Indiz für die Annahme, dass P mit Blick auf den nicht-priesterschriftlichen Kontext konzipiert worden ist.29 Doch ist die kompositionsgeschichtliche Auswertung der Beobachtung nicht zwingend. Ebenso ließe sich argumentieren, dass die intendierten Leser dieses überschießende Moment heraushören konnten, es den Autoren aber nur um die Rückbindung an Gen 1 und 9 gegangen ist. Die Beschreibung der Unterdrückung Israels in Ägypten in V. 13f ist im vorliegenden Textzusammenhang als Ausdruck des gesteigerten Zwangs und der verschlimmerten Lage der Israeliten zu verstehen. Gleichwohl ist kaum zu übersehen, dass es sich um eine Dublette zu 1,11f handelt, die sich leicht von ihrem gegenwärtigen Kontext abheben lässt. V. 11f und V. 13f berichten jeweils, dass die Ägypter den Israeliten Fronarbeiten auferlegen. Hinzu kommt der schlechte Übergang von V. 14 zum Beschluss des Pharao in V. 15, die Hebammen zur Tötung der männlichen Neugeborenen zu verpflichten. Er kommt nach V. 13f völlig unvermittelt, da über Erfolg oder Misserfolg der verordneten Zwangsmaßnahmen nichts verlautet. V. 15 schließt aber gut an V. 12 an, insofern die Vermehrung der Israeliten und das Grauen der Ägypter vor den Israeliten als Motiv für die Entscheidung des Pharao zu gelten haben. Andererseits bietet V. 13f einen guten Anschluss an P in 1,7 und bildet einen stimmigen Zusammenhang mit der priesterschriftlichen Darstellung in 2,23aß– 25; 6,2ff. Während für Ex 1,7 die Möglichkeit nicht auszuschließen ist, dass der Vers von vornherein auf den vorliegenden Kontext formuliert ist, spricht der Befund für V. 13f (und vollends für 2,23aß–25; 6,2ff) für eine von P weitgehend unabhängig formulierte Exoduserzählung.30 Die Zuweisung der Liste der Jakobssöhne in Ex 1,1–5 an P ist umstritten. Die Liste der Namen in V. 2–4 entspricht mit Ausnahme der kontextbedingten Sonderstellung von Josephs Nennung der zumeist P zugeschriebenen Aufstellung in Gen 35,22b–26 (Vorreihung der Rahel-Magd Bilha). Der historisie-
Vgl. BLUM 2002b, 148. Vgl. WÖHRLE 2012, 154, der für die Erzelternerzählung und den Auftakt der Exoduserzählung P als Bearbeitungsschicht beschreibt, hingegen für die Urgeschichte und die Exoduserzählung (ab Ex 2,23aβb–25) von einer zunächst unabhängigen Quelle spricht. Vgl. auch die Andeutungen bei GERTZ 2000b, 391. 29
30
III. Die priesterschriftliche Integration der Patriarchen- und der Exoduserzählung
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rende Rahmen in V. 1.5 erinnert hingegen deutlich an die nachpriesterschriftliche Genealogie in Gen 46,8ff (vgl. V. 1 mit Gen 46,8; V. 5 mit Gen 46,20.26f). Dabei wird häufig als auffällig notiert, dass die Liste jeweils mit der Wendung „Dies sind die Namen der Söhne Israels“ beginnt, womit eindeutig der in Israel umbenannte Patriarch gemeint ist. Zwar kennt auch P die Umbenennung Jakobs in Israel (Gen 35,10), dennoch gebraucht P weiterhin den Namen Jakob, und zwar auch in der parallelen Auflistung der Söhne in 35,22b– 26 (im unmittelbaren Anschluss an Gen 35,10 [!]; vgl. ferner 46,6; 47,28; 49,1.33). Hinzu kommt, dass in Ex 1,7 בני ישׁראלwie auch sonst in den priesterschriftlichen Texten, nicht wie in V. 1 die leiblichen Söhne, sondern das von Jakob und seinen Söhnen herkommende Volk Israel bezeichnet. Da zwischen dem Gebrauch von בני ישׁראלin V. 1 und V. 7 nicht vermittelt wird, ließe sich vermuten, dass die Liste der Israelsöhne wie ihre ohnehin noch jüngere korrigierende Vorwegnahme in Gen 46 eine von priesterschriftlichen Passagen abhängige Erweiterung ist.31 Gegen diese Begründung wurde vorgebracht, dass mit den בני ישׁראלin V. 1 schon die Ahnherren der Stämme Israels im Blick seien, deren Volkwerdung Ex 1,7 konstatiere.32 Das ist richtig beobachtet. Der Gedanke hätte sich aber – wenn auch nicht sprachlich so ansprechend wie er vom vorliegenden Textzusammenhang geboten wird – auch ohne die innerhalb von P unübliche Verwendung von בני ישׁראלin V. 1 ausdrücken lassen. Angesichts der (nicht nur) von P vorausgesetzten „ursprungsgeschichtlichen Identität ‚Israels‘“33 sind auch bei der (namentlichen) Erwähnung der Gesamtzahl der בני יעקבstets die Stämme und das nachmalige Volk ‚Israel‘ mitgedacht. Argument und Gegenargument halten sich demnach halbwegs die Waage. Eine andere Beobachtung spricht indessen doch recht eindeutig für eine Zuschreibung an P. Wie gesehen, greift Ex 1,7 auf Gen 47,27 zurück. Die dieser Aufnahme inhärente Steigerungslogik von der Vermehrung der Jakobssippe zu Lebzeiten des Patriarchen zur nachmaligen Entstehung eines großen Volkes erschließt sich wesentlich besser, wenn Ex 1,7 auf die Angaben zu der beachtlichen, gleichwohl überschaubaren Großfamilie des Einwanderers Jakob in Ex 1,1–5(a?)34 folgt. Deren Gesamtzahl von 70 Personen (V. 5a) zum Zeitpunkt
31 Vgl. LEVIN 1993, 315; PROPP 1999, 125; SCHMID 1999, 30 Anm. 177; G ERTZ 2000b, 354–357; KRATZ 2000, 243; BERNER 2010, 14. 32 B LUM 2002b, 150. 33 B LUM 2002b, 150 Anm. 144. 34 Nach B LUM 2002b, 151; DERS. 2012b, 511 Anm. 70 ist die Erwähnung Josephs in V. 5b nachgetragen. Schwierigkeiten bereitet die Stellung des Teilverses (Joseph aber war schon in Ägypten) nach V. 5a (Und es waren insgesamt siebzig, die von Jakob abstammten). Die Abfolge der beiden Teilverse kann den Eindruck erwecken, dass Joseph nicht zu den leiblichen Söhnen Jakobs gehört, was ihn als Nachtrag eines Bearbeiters verdächtig macht, der Joseph in einer Liste der Nachkommen Jakobs nicht missen wollte. Doch könnte dies von Anfang an intendiert gewesen sein. Der Ton in V. 5a liegt jedenfalls ganz auf der Anzahl
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17. Zusammenhang, Trennung und Selbstständigkeit
der Übersiedlung (vgl. V. 1) ist „die Kontrastfolie“35 zu der in 1,7 notierten grundlegenden Wende zur Volksgeschichte. Abschließend ist noch ein kurzer Blick auf die priesterschriftlichen Anteile in Gen 50,22–26 zu werfen. Auf das Ende der nicht-priesterschriftlichen Josephsgeschichte in Gen 50,21 folgt mit Gen 50,22a ein kurzer Vermerk, dass Joseph mit der Familie seines Vaters in Ägypten wohnte, dem sich in Gen 50,22b ein priesterschriftlicher Vermerk über das Lebensalter Josephs anschließt.36 Aus Josephs Altersangabe hat ein späterer Bearbeiter in V. 23 den Schluss gezogen, dass Joseph seine Nachkommen noch bis in das dritte Glied sehen konnte.37 Für das Verständnis der Entstehungsgeschichte ist nun wichtig, dass die idiomatische Wendung ויהי+ Lebensjahre aus Gen 50,22b für sich
der mit Jakob eingewanderten leiblichen Nachkommen des Patriarchen (vgl. V. 1b). Aus diesem Grund erscheint Joseph – redaktionell oder von Anfang an – nicht an der genealogisch korrekten Position und mit dem historisierenden Vermerk „er war in Ägypten“. Die Erwähnung Josephs hat in der Textgeschichte einige Verwirrung ausgelöst: Den stimmigsten Text bietet nach Ansicht einiger 4QExodb: Joseph wird an der genealogisch richtigen Stelle in die Liste der Jakobssöhne eingeordnet; auf den Hinweis, dass Joseph schon in Ägypten war (vgl. V. 5bMT+Smr), wird verzichtet und insgesamt handelt es sich um 75 Personen. Allerdings wird 4QExodb eine harmonisierende Tendenz bescheinigt, weshalb es sich um einen schlechten Zeugen für eine späte Hinzufügung von V. 5bMT+Smr handelt. Dass die LXX V. 5a hinter V. 5b gestellt hat, lässt sich leicht als eine Verbesserung erklären. In diese Richtung weist auch die Angabe der LXX, dass es sich bei Jakobs Nachkommen in Übereinstimmung mit Gen 46,27LXX um 75 Personen handelt. Diese Angabe ist eine unmittelbare Folge der Umstellung von V. 5b: Die LXX rechnet wie die harmonisierende Handschrift 4QExodb und mutmaßlich auch 4QGen-Exoda Joseph und seine Söhne und ersten Enkel (vgl. Gen 46,20LXX) zu den 70 Personen hinzu, die „mit Jakob nach Ägypten zogen“ (V. 1). Der von MT, Smr, 4QpaleoGen-Exodl gebotenen 70 dürfte aber wie in Gen 46,27 die Priorität zukommen. Die 70 ist eine traditionelle Zahl der Vollständigkeit (vgl. Dtn 10,22), die ein Nachrechnen erübrigt. Zu welchen Schwierigkeiten ein Nachrechnen führt, zeigt Gen 46,27f: gezählt werden 70 männliche Nachkommen, namentlich genannt werden 69 [Beri’a scheint doppelt gezählt zu sein], von den 69/70 ‚Söhnen‘ sind bereits zwei in Kanaan gestorben, so dass sich 67 oder 68 Nachkommen ergeben würden. Zieht man die beiden in Ägypten geborenen Söhne Josephs ab, kommt man auf 65 oder 67 ‚Söhne‘, während V. 26 von 66 „Seelen, die aus Jakobs Lenden hervorgegangen waren“ spricht und V. 27 unter Einschluss der beiden in Ägypten geborenen Söhne Josephs von 70 Personen. Doch selbst wenn MT und Smr die, wie mir scheint, bessere Lesart bieten, ist damit über die Ursprünglichkeit des Teilverses noch nichts ausgesagt. 35 B LUM 2002b, 150. 36 Zur priesterschriftlichen Herkunft von Gen 50,22 vgl. die ausführliche Begründung bei R. LUX 2000: Geschichte als Erfahrung, Erinnerung und Erzählung in der priesterschriftlichen Rezeption der Josefsnovelle, in: ders. (Hg.), Erzählte Geschichte. Beiträge zur narrativen Kultur im alten Israel, BThSt 40, Neukirchen-Vluyn, 147–180, 158–161; WÖHRLE 2012, 130f (mit weiterer Literatur). 37 Vgl. LEVIN 1993, 316.
III. Die priesterschriftliche Integration der Patriarchen- und der Exoduserzählung
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genommen nie das Lebensalter bezeichnet. Vielmehr bezeichnet sie die Lebensjahre, die bis zu einem bestimmten, unmittelbar darauffolgend genannten Ereignis vergangen sind oder es handelt sich um die Lebensjahre nach einem explizit genannten Ereignis.38 Hieraus folgt für Gen 50,22b zunächst, dass der Teilvers für sich genommen nicht als Todesnotiz Josephs gedient haben kann (was eine erhebliche Schwierigkeit bei der Rekonstruktion vollständiger Quellenfäden bedeutet). Eine weitere Konsequenz ist, dass die für sich genommen unvollständige Notiz von ihrer ursprünglichen Fortsetzung getrennt worden ist.39 Diese Fortsetzung steht in Gen 50,26a. Bekanntlich ist die Zugehörigkeit von V. 26a zu P nicht unumstritten. Grund hierfür sind leichte Abweichungen in der Formulierung der Altersangabe und deren Wiederholung im Anschluss an die Todesnotiz. Beides lässt sich aber leicht damit erklären, dass die dazwischenliegende Abschiedsszene in Gen 50,24–26 in P eingebunden werden sollte.40 Dabei hat der Ergänzer dieser Szene die priesterschriftliche Todesnotiz im Anlehnung an Ri 2,8.10 überarbeitet.41 Steht die überformte priesterschriftliche Todesnotiz in Gen 50,26a in einem unauflösbaren Zusammenhang mit Gen 50,24–26*, so ist dies ein deutliches Indiz dafür, dass die Abschiedsszene insgesamt eine nachpriesterschriftliche, bereits auf der priesterschriftlichen Lebensalter- und Todesnotiz in Gen 50,22b.26a* aufruhende Ergänzung ist.42 Es bleibt zusammenfassend festzuhalten: (1.) Die literarischen Querbeziehungen innerhalb der priesterschriftlichen Texte sprechen dafür, dass auf dieser Ebene die Urgeschichte, die Patriarchen- und die Moseerzählung Teil eines literarischen Werkes gewesen sind. (2.) Der Auftakt der priesterschriftlichen Moseerzählung umfasst Ex 1,1–5.7.13–14. Vorangegangen ist eine knappe Notiz über den Aufenthalt Josephs in Ägypten, sein Lebensalter und seinen Tod (Gen 50,22.26a*). (3.) Somit gestaltet P unbeschadet des von ihm herausgestellten Werkzusammenhangs den Auftakt der Moseerzählung zum Epocheneinschnitt und nimmt darin die spätere Büchertrennung vorweg.
Vgl. BLUM 2012b, 507. Das gilt mutatis mutandis auch dann, wenn P eine Bearbeitungsschicht gewesen ist und die priesterschriftliche Angabe über die Lebenszeit einer Todesnotiz vorgeschaltet worden ist. So BERNER 2010, 13. 40 Vgl. B LUM 1990, 364 mit Anm. 14. 41 Vgl. G ERTZ 2000b, 360 Anm. 43; DERS. 2006c: The Transition Between the Books of Genesis and Exodus, in: TH. B. Dozeman/K. Schmid (Hg.), A Farewell to the Yahwist?, SBL Symposium Series, Atlanta/GA, 73–87, 79f; BLUM 2012b, 510. Nach BERNER 2010, 21, ist nicht einsichtig, was einen „späteren Bearbeiter dazu veranlaßt haben sollte, die von 50,22b her unstrittige Lebensdauer Josephs in 50,26aβ nachzutragen“. Der Grund steht in Ri 2,8b (par Jos 24,29b)! 42 Vgl. B LUM 2012b, 510 mit Anm. 67, der zudem darauf hinweist, dass die in V. 24 vorausgesetzte Väterverheißung als Eid ausschließlich in nachpriesterschriftlichen Kontexten begegnet. 38
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17. Zusammenhang, Trennung und Selbstständigkeit
IV. Der nicht-priesterschriftliche Textanteil: Fortlaufende Erzählung(en), Scharnier oder Bearbeitung? Die Debattenlage zu den nicht-priesterschriftlichen Textanteilen in Ex 1 (und den damit verbundenen Passagen in Gen 50,22–26) ist unübersichtlich. Ausgangspunkt der Analyse ist die Beobachtung, dass der Großteil der nicht-priesterschriftlichen Textanteile am Übergang von der Josephs- zur Exoduserzählung in einem komplexen Beziehungsgeflecht steht, das weit über den Buchzusammenhang hinausreicht. Wie häufig ist die Beobachtung weder neu noch an sich strittig, kontrovers diskutiert wird lediglich ihre Auswertung. Die Verflechtungen im Einzelnen: 1. Josephs letztwillige Verfügung über seine Gebeine und die Einbalsamierung seines Leichnams in Gen 50,25.26b stehen in einem Verweiszusammenhang mit der Notiz in Ex 13,19 über die Mitnahme der Gebeine beim Auszug und ihrer Grablegung in Jos 24,32. Hinzu kommt die Mitteilung über den Ankauf des Landes durch Jakob in Gen 33,19 (vgl. Gen 33,18 und 48,22); 2. Die Abfolge von der Todesnotiz in Gen 50,26a (par Ex 1,8) und dem Auftreten eines neuen Pharao in Ex 1,8 und Ri 2,8.10 weisen eine wiederholt beschriebene Parallelität in der Kennzeichnung eines Epochenübergangs auf: Joseph starb ( )וימתim Alter von 110 Jahren [...] (Gen 50,26) [...] und jene ganze Generation (Ex 1,6). Und ein neuer König erstand ( [ )ויקם...], der Joseph nicht kannte (Ex 1,8). Josua starb ( [ )וימת...] im Alter von 110 Jahren (Ri 2,8) [...] und jene ganze Generation. [...] Und eine neue Generation erstand ()ויקם, die JHWH [...] nicht kannte (Ri 2,10).
Wie Erhard Blum nochmals gezeigt hat, stehen beide Epochenübergänge in einem literarischen Abhängigkeitsverhältnis.43 Von den von Blum angeführten Beobachtungen scheint mir besonders wichtig zu sein, dass die mit der Sterbenotiz verbundene Verfügung Josephs über die Heimführung seiner Gebeine genau auf Jos 24 und damit auf den Epochenübergang von Josua zu den Richtern zielt. Das spricht wiederum dafür, dass beide Verflechtungen auf ein und derselben redaktionellen Ebene liegen. Modellbildend für die Kennzeichnung der Epochengrenze dürfte dabei der Übergang von der Josua- zur Richterzeit gewesen sein, insofern die dortige Sukzession von einer Generation zur nächsten in Ex 1,8 mit Blick auf die spezifische Situation zu Beginn der Exoduserzählung auf den Übergang von der verstorbenen Generation zum neuen Pharao abgewandelt worden ist. Bezieht man dann noch die doppelte Todesnotiz in Gen 50,26; Ex 1,6 in die Überlegungen mit ein und bedenkt man ferner die
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BLUM 2012b, 509f.
IV. Fortlaufende Erzählung(en), Scharnier oder Bearbeitung?
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Indizien für eine nachpriesterschriftliche Einschreibung von Gen 50,24–26,44 dann liegt der Schluss nahe, dass bei der Markierung des Übergangs in Gen 50,26; Ex 1,6.8 eine nachpriesterschriftliche Hand am Werk gewesen ist, die auch am Übergang vom Josua- zum Richterbuch eine Buchgrenze gezogen hat.45 Es stellt sich freilich die Frage, ob sich einzelne Verse dieses nachpriesterschriftlichen Buchübergangs mit hinreichender Wahrscheinlichkeit aus ihrem jetzigen Kontext herauslösen und für eine vorpriesterschriftliche Verbindung von Patriarchen- und Exoduserzählung in Anschlag bringen lassen. Nach Lage der Dinge ist das für Gen 50,23–26 nicht der Fall, etwaige vorpriesterschriftliche Verbindungen müssten also an das Ende der Josephsgeschichte in Gen 50,21 anschließen. In der Regel werden Ex 1,6.8 für einen vorpriesterschriftlichen Anschluss herangezogen. So hat zuletzt Christoph Berner die These vertreten, dass Ex 1,6*(nur )וימת יוסף.8–10abα* (bis )פן ירבהeine mit Ex 2,1 einsetzende Exoduserzählung46 mit der Josephsgeschichte verbinde: Anfang und Ende des Scharniers (Tod Josephs / Tötungsbefehl) sind so perfekt auf eine literarische Verknüpfung mit dem Ende der Josephsgeschichte (Gen 50,21) bzw. mit dem Anfang der Exoduserzählung (Ex 2,1) abgestimmt, daß kein Zweifel daran bestehen kann, daß hier das ursprüngliche Verbindungsstück zwischen den Erzvätern und Exodus greifbar wird.47
Einen ähnlichen Übergang hatte schon Levin rekonstruiert, allerdings hatte er die Todesnotiz Gen 50,26a entnommen.48 Hinter dieser Differenz steckt ein sachliches Problem, insofern Berner völlig zurecht herausstellt, dass beide Notizen in ihrer vorliegenden Gestalt für einen vorpriesterschriftlichen Übergang ausscheiden: Gen 50,26a notiert, daß Joseph im Alter von 110 Jahren das Zeitliche segnet [...], und setzt dabei die entsprechende Angabe aus 50,22 P voraus, während Ex 1,6 neben Joseph auch dessen Brüder und die gesamte Generation sterben läßt [...], was sich nur so erklärt, daß hier bereits die nachpriesterschriftliche Liste aus 1,1–5 im Blick ist.49
Zur literarischen Einheitlichkeit vgl. GERTZ 2000b, 360–362 und WÖHRLE 2012, 132– 133, der jedoch verneint, dass die Ergänzung in V. 26a auf einer priesterschriftlichen Formulierung beruht. Nach BLUM 2012b, 510, gehört auch noch V. 23 zu dieser Ergänzung. 45 Vgl. B LUM 2012b, 510. 46 Auf die Problematik der Annahme eines Einsatzes der Exoduserzählung mit Ex 2,1 ist hier nicht nochmals einzugehen. Die Gegenargumente sind hinlänglich bekannt. Wie BERNER 2010, 49 vor dem Hintergrund dieser Debatte davon sprechen kann, dass „sich verstärkt die Erkenntnis durchgesetzt [hat], daß die vorpriesterschriftliche Exoduserzählung mit der Geburtsgeschichte Moses in Ex 2,1–10 einsetzte“, ist mir ein Rätsel. Zur Diskussion vgl. zuletzt ALBERTZ 2011, 227–229. 47 B ERNER 2010, 17f. 48 LEVIN 1993, 313f. 49 B ERNER 2010, 20. 44
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17. Zusammenhang, Trennung und Selbstständigkeit
Angesichts der vielfältigen Transformationsvorgänge, die in unserem Textabschnitt zu beobachten sind, wird man eine literarkritische Ausscheidung der Notizen über den Tod der Brüder und dieser ganzen Generation in Ex 1,6 nicht von vornherein ausschließen wollen, auch wenn sich beim besten Willen keine literarische Spannung innerhalb des Verses hierfür angeben lässt.50 Gleichwohl macht die Notwendigkeit, die Notizen über den Tod der Brüder und der ganzen Generation auszuscheiden, auf grundlegende Probleme der Rekonstruktion aufmerksam. Mit etwas Realismus und dem Bedürfnis nach literarischer Stimmigkeit setzt die im Munde eines Ägypters in jeder Hinsicht auffällige Bemerkung „Siehe, das Volk der Söhne Israels )עם( בני ישראלist zahlreicher und stärker als wir“ (Ex 1,9) voraus, dass die Nachfahren Jakobs/Israels ( ;בני ישראלvgl. Ex 1,1) zu einem Volk geworden sind,51 vor dem sich der Pharao fürchten muss. Dass diese Voraussetzung schon mit Josephs Hinweis gegeben ist, Gott habe durch ihn „viel Volk“ retten wollen (Gen 50,20), ist wenig wahrscheinlich. Auf der Ebene der handelnden Personen (zu der auch der Pharao gehört) handelt es sich bei dem „vielen Volk“ in Gen 50,20 um die nach Ägypten ausgewanderte Jakobssippe. Auf einer Metaebene ist diese Aussage natürlich durchsichtig auf die Tatsache, dass die Söhne Jakobs wie in den Erzählungen der Genesis überhaupt die Metonyme für die Stämme Israels sind und dass die Volksgeschichte im Modus der Familiengeschichte erzählt wird. Auf der Erzählebene müsste dies aber expliziert werden, wenn aus der Familie ein Volk im Sinne der in Ex 1,8f vorausgesetzten Situation werden soll. So ist Ex 1,8f ganz von der Annahme durchdrungen, dass seit dem Tode Josephs einige Zeit vergangen ist, in der aus der Jakobssippe wirklich ein großes Volk geworden ist und in der es zu einer Tradierungslücke auf Seiten der Ägypter kommen konnte. Denn bei dem neuen Pharao wird es sich kaum um den unmittelbaren Nachfolger (und Sohn) des Pharao gehandelt haben, unter dem es Joseph zum Wesir und zweiten Mann im Staate gebracht hat. Folgendes kommt hinzu: Wenn mit Berner und anderen Ex 1,6.8–10 direkt an Gen 50,21 angeschlossen wird, dann sind die Brüder Josephs beim Exodus mit dabei oder ihr Tod ist nicht erwähnt. Das eine ist so unwahrscheinlich wie das andere. In einer ehedem selbständigen, mit Gen 50,21 schließenden Josephsgeschichte muss weder der Tod Josephs noch der seiner Brüder erwähnt werden. Für eine ursprünglich an die Josephsgeschichte anschließende Exo-
50 Ähnlich wie Berner optiert D. M. C ARR 2006: What is Required to Identify Pre-Priestly Narrative Connections Between Genesis and Exodus? Some General Reflections and Specific Cases, in: TH. B. Dozeman/K. Schmid (Hg.), A Farewell to the Yahwist? The Composition of the Pentateuch in Recent European Interpretation, SBL Symposium Series 34, Atlanta/GA, 159–180, 175. Berner unterscheidet zudem innerhalb des Nachtrags und erkennt in der Notiz „und diese ganze Generation“ eine noch spätere Ergänzung. 51 Der Ausdruck עם בני ישראלist ganz auf den vorliegenden Kontext hin gewählt. Er findet sich sonst nur noch Ri 20,14; 1Kön 8,9; 2Chr 5,10; 6,11.
IV. Fortlaufende Erzählung(en), Scharnier oder Bearbeitung?
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duserzählung sieht das ganz anders aus, zumal diese das Austauschen des Personals für Joseph und den Pharao ausdrücklich erwähnt. Schließlich ist der unmittelbare Anschluss der Todesnotiz an die auf eine gemeinsame Zukunft der Brüder ausgerichtete Versöhnungsszene in Gen 50,15–21 („Ich werde euch und eure Kinder versorgen“) so abrupt, dass man ihn schwerlich als originären Erzählverlauf anerkennen möchte.52 Es lassen sich also sehr wohl Zweifel an der Annahme äußern, dass Ex 1,6* (nur )וימת יוסף.8–10abα* (bis )פן ירבהdas ursprüngliche Verbindungsstück von Patriarchen- und Exoduserzählung gewesen ist. Vielmehr setzt Ex 1,6.8–10 den von P formulierten Einschnitt in Ex 1,1–5.7 voraus. Zumindest gilt das für diejenigen Elemente, die konstitutiv für eine literarische Verbindung der Exoduserzählung mit der Josephsgeschichte sind. Es gilt, wie mir scheint, aber auch für einen von der Todesnotiz in Ex 1,6 und der Anspielung auf Josephs Stellung in Ägypten in Ex 1,8b losgelösten Erzählanfang einer in Ex 1,(8a.)9– 10 neu einsetzenden Exoduserzählung.53 [Die] Aussage des Pharao, die Israeliten seien zahlreicher als die Ägypter, ist eine phantastische Übertreibung, die ohne die redundanten, die Exorbitanz des Vorgangs betonenden Mehrungsaussagen isoliert dastünde. So betrachtet hängen alle Aussagen zur Größe des Volkes Israel bis 1,9 [...] an der priesterlichen Abfolge von Minimierung in 1,5 und Maximierung in 1,7.54
Gegen eine Abhängigkeit der Aussage des Pharao in Ex 1,9 von Ex 1,7 ist zwar wiederholt vorgebracht worden, dass die Leser nicht durch den Erzähler, sondern aus dem Munde des Pharao von der Mehrung der Israeliten erfahren haben könnten,55 doch ist dies bei einem so prominenten Thema eher unwahrscheinlich. Hinzu kommt eine Beobachtung zur Terminologie in Ex 1,9. Die Wendung עם בני ישראלist im Pentateuch singulär und auch sonst im Alten Testament nur selten und sehr spät belegt (Ri 20,14; 1Kön 8,9; 2Chr 5,10; 6,11). Ginge es lediglich versintern um die Gegenüberstellung von Israel und dem angeredeten Volk des Pharao, wäre vielleicht בני ישראלzu erwarten. Die auffällige Wendung עם בני ישראלerklärt sich dagegen unschwer als Aufnahme des בני ישראלin Ex 1,1, durch welche die Kontinuität zwischen den Söhnen Jakobs und dem Volk
BLUM 2012b, 508. Vgl. ALBERTZ 2011, 232. So ALBERTZ 2011, 230–236; BLUM 2012b, 511. 54 W. O SWALD/H. U TZSCHNEIDER 2013: Exodus 1–15, IEKAT, Stuttgart, 72. 55 C ARR 2006, 172; B ERNER 2010, 22f. Die von Berner mit Hinweis auf K RATZ 2000, 287, als Parallelen angeführten Beispiele Gen 26,16; Num 22,3f.6 sind schlecht. Gen 26,16 bietet keine neue Information, vielmehr zieht Abimelech die Konsequenz aus dem in V. 13– 15 festgestellten Reichtum Isaaks. Wenn die Moabiter Num 22,3f.6 feststellen, dass es sich um ein großes Volk handelt, ist das vielleicht für Balak, aber sicher nicht für die Leser des Pentateuch eine Neuigkeit. 52
53
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17. Zusammenhang, Trennung und Selbstständigkeit
Israel herausgestrichen werden sollte.56 Auch in dieser Hinsicht wird P in Ex 1,9 vorausgesetzt. Erst mit Ex 1,11 ändern sich die literarischen Verhältnisse.57 Die Einsetzung von Fronaufsehern bedarf keiner vorherigen Mehrung des Volkes.58 Zwar ist die Fronarbeit nach dem vorliegenden Kontext eine erste Maßnahme zur Dezimierung der Israeliten, doch für sich genommen erweckt V. 11 nicht den Eindruck, dass es sich bei den Israeliten um ein Volk handelt, dass größer als dasjenige der Ägypter ist. Die Vermehrung setzt erst mit 1,12 ein. Dass sich 1,12 einer mit Ex 1,9 (und 1,7) zusammenhängenden Steigerungslogik entzieht, wird auch daran ersichtlich, dass die Begrifflichkeit für die Mehrung des Volkes nicht aufgenommen wird.59 Sollte der nicht- und zugleich vorpriesterschriftliche Erzählfaden der Exoduserzählung erstmals in V. 11 eindeutig zu identifizieren sein, so ergibt sich allerdings die Schwierigkeit des fehlenden Anfangs dieser Exoduserzählung. Da in V. 11 das einleitende Subjekt fehlt, ist man zu der Annahme genötigt, dass der Anfang weggebrochen oder bei der Gestaltung von Ex 1,1–10 so tiefgreifend überformt worden ist, dass er sich nicht mehr rekonstruieren lässt.
V. Fazit Die erneute Analyse und Sichtung der einschlägigen Argumente hat die in jüngerer Zeit verschiedentlich vorgetragene Annahme bekräftigt, wonach erst die priesterschriftlichen Texte die literarische Verknüpfung zwischen der Josephsund der Exoduserzählung innerhalb eines Werkzusammenhangs hergestellt ha-
56 Vgl. auch A LBERTZ 2011, 235 mit Anm. 45, der aus diesem Grund vermutet, dass der priesterschriftliche Bearbeiter das Wörtchen בניin das עם ישראלseiner Vorlage eingeschoben hat. 57 Zum Anfang der Exoduserzählung in Ex 1,11 vgl. G ERTZ 2000b, 370–372; ferner OSWALD/UTZSCHNEIDER 2013, 72. 58 Für A LBERTZ 2011, 230 fehlt ohne V. 9 die Motivation, die Israeliten für Fronarbeiten einzusetzen. Ein Blick auf die bis in unsere Gegenwart verbreitete Praxis im Umgang mit Kriegsgefangenen, Flüchtlingen und anderen Migranten zeigt leider ein anderes Bild, zumal die Maßnahme durch V. 12a hinreichend motiviert ist. 59 B ERNER 2010, 32 erkennt in Ex 1,11–12 einen gestaffelten Nachtrag, der auf den Zusatz Ex 2,11aβ vorbereitet und die wenig konkreten Angaben über das Elend der Israeliten zu konkretisieren sucht. Zur Terminologie vermerkt er: „Aus dem Rahmen fallen Exod 1,11a.12 schließlich auch deshalb, weil sie den zweiten Teil der in 1,9.20 vorgegebenen Mehrungsformel ( )עצםdurch das Verbum פרץersetzen (1,12aβ). Offenbar fühlte sich der Verfasser nicht mehr an die terminologischen Vorgaben gebunden.“ Diese Aussage erstaunt im Kontext einer Analyse, die sonst aus kleinsten terminologischen Differenzen ganze Ketten literarischer Abhängigkeiten herleitet.
V. Fazit
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ben. Es ist aber auch deutlich geworden, dass dieses Ergebnis mit einiger Unsicherheit belastet ist, insofern der Übergangsbereich zwischen den beiden Erzählwerken ganz offensichtlich einer tiefgreifenden Transformation unterzogen worden ist. Es ist ein Gebot wissenschaftlicher Redlichkeit, diese Unsicherheit in der Rekonstruktion der literarischen Genese klar zu benennen. Sicher scheint jedoch zu sein, dass sich eine literarische Verbindung gleich auf der Ebene mehrerer durchlaufender Quellenfäden kaum nachweisen lässt. Ferner hat sich gezeigt, dass die Existenz einer literarischen Verknüpfung von Josephs- und Exoduserzählung nicht überbewertet werden sollte. Schon der Befund zu den Handschriften aus der judäischen Wüste gibt zu erkennen, dass sich technische Buchgrenzen und Werkzusammenhänge nicht gegenseitig ausschließen, er macht aber auch deutlich, dass neben innertextuellen Querverbindungen immer auch mit intertextuellen Querverbindungen zu rechnen ist, womit sich die Frage eines literarischen Einschnitts zwischen den beiden Erzählwerken ganz erheblich relativiert. Dies wird durch den Befund zu den priesterschriftlichen Texten unterstrichen, der durchaus gegenläufige Tendenzen zeigt. Auf der einen Seite werden erst auf der Ebene der priesterschriftlichen Texte die Josephs- und Exoduserzählung und mit ihnen die Bücher Genesis und Exodus zu einem literarischen Werk verbunden. Auf der anderen Seite sind die priesterschriftlichen Texte ganz maßgeblich daran beteiligt, dass der Übergang von der Josephs- zur Exoduserzählung als Epocheneinschnitt und langfristig als Buchgrenze gestaltet worden ist. Anders formuliert: Zusammenhang und Selbständigkeit der Bücher Genesis und Exodus sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.
349
Nachweis der Erstveröffentlichungen 1.
Jean Astruc und die Quellenscheidung im Buch Genesis Bisher unveröffentlichte deutsche Fassung von: Jean Astruc and Source Criticism in the Book of Genesis, in: J. Jarick (Hg.) 2007, Sacred Conjectures. The Context and Legacy of Robert Lowth and Jean Astruc, LHBOTS 457, New York/London, 188– 201.
2.
Quellenscheidung und Redaktionskritik im Buch Genesis Bisher unveröffentlichte deutsche Fassung von: Genesis in Source and Redaction Criticism Today, in: B. T. Arnold (Hg.) 2022, The Cambridge Companion to Genesis, Cambridge, 53–73.
3.
Die Entstehung der biblischen Urgeschichte Bisher unveröffentlichte deutsche Fassung von: The Formation of the Primeval History, in: C. A. Evans/J. Lohr/D. L. Petersen (Hg.) 2012, The Book of Genesis. Composition, Reception, and Interpretation, VT.S 152, Leiden/Boston, 107–136.
4.
Antibabylonische Polemik im priesterlichen Schöpfungsbericht? ZThK 106 (2009), 137–155.
5.
Von Adam zu Enosch. Überlegungen zur Entstehungsgeschichte von Genesis 2–4 M. Witte (Hg.) 2004, Gott und Mensch im Dialog. Festschrift O. Kaiser, BZAW 345/1, Berlin/New York, 215–236.
6.
„Im Schweiße deines Angesichts ...“ Alttestamentliche Perspektiven zum Thema „Sinn der Arbeit – Ethos der Arbeit“ M. Oeming/W. Boës (Hg.) 2009, Alttestamentliche Wissenschaft und kirchliche Praxis, Festschrift J. Kegler, BVB 18, Münster, 267–283.
7.
Lesarten der Erzählung von Kain und Abel Bisher unveröffentlichte deutsche Fassung von: Variations autour du récit de Caïn et Abel, RHPhR 94 (2014), 27–50.
352 8.
Nachweis der Erstveröffentlichungen
Genesis 5 – Priesterliche Redaktion, Komposition oder Quellenschrift? F. Hartenstein/K. Schmid (Hg.) 2015, Abschied von der Priesterschrift? Zum Stand der Pentateuchdebatte, VWGT 40, Leipzig, 65–93.
9.
Beobachtungen zum literarischen Charakter und zum geistesgeschichtlichen Ort der nicht-priesterschriftlichen Sintfluterzählung U. Schorn/M. Beck (Hg.) 2006, Auf dem Weg zur Endgestalt von Genesis bis II Regum, Festschrift H.-Ch. Schmitt, BZAW 370, Berlin/New York, 41–57.
10.
Noah und die Propheten. Rezeption und Reformulierung eines altorientalischen Mythos DVfLG 81 (2007), 503–522.
11.
Gottes Reue, Noahs Rettung und Jeremias Umkehrpredigt. Anmerkungen zur traditionsgeschichtlichen und literarhistorischen Verhältnisbestimmung von Genesis 6,5–8; 8,20–22 und Jeremia 18,7– 12 A. Michel/N. K. Rüttgers (Hg.) 2019, Jeremia, Deuteronomismus und Priesterschrift. Beiträge zur Literatur- und Theologiegeschichte des Alten Testaments, Festschrift H.-J. Stipp, ATS 105, Sankt Ottilien, 35–49.
12.
Hams Sündenfall und Kanaans Erbfluch. Anmerkungen zur kompositionsgeschichtlichen Stellung von Genesis 9,18–29 R. Achenbach/M. Arneth (Hg.) 2009, „Gerechtigkeit und Recht üben“ (Gen 18,19). Studien zur altorientalischen und biblischen Rechtsgeschichte, zur Religionsgeschichte Israels und zur Religionssoziologie, Festschrift E. Otto, BZAR 13, Wiesbaden, 81–95.
13.
Ham und die Hamiten. Anmerkungen zu einer kulturgeschichtlich bedeutsamen ethnogeographischen Klassifizierung in der biblischen Urgeschichte Bisher unveröffentlichte und erweiterte Fassung eines Vortrags auf der Sitzung der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften am 17. Juli 2020. Eine gekürzte Fassung des Vortrags wurde veröffentlicht in: JHAW 2020, Heidelberg 2020, 25–29.
14.
Babel im Rücken und das Land vor Augen. Anmerkungen zum Abschluss der Urgeschichte und zum Anfang der Erzählungen von den Erzeltern Israels A. Hagedorn/H. Pfeiffer (Hg.) 2009, Die Erzväter in der biblischen Tradition, Festschrift M. Köckert, BZAW 400, Berlin/New York, 9–34.
Nachweis der Erstveröffentlichungen
15.
353
Abraham, Mose und der Exodus. Beobachtungen zur Redaktionsgeschichte von Genesis 15 J. Ch. Gertz/K. Schmid/M. Witte (Hg.) 2002, Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion, BZAW 315, Berlin/New York, 63–81.
16.
Wie Jakob zu seinem Großvater gekommen ist. Anmerkungen zur Komposition der nicht-priesterschriftlichen Erzelternerzählung Bisher unveröffentlicht. Stark erweiterte Fassung einer Gastvorlesung, die am 23. Mai 2022 an der Universität Oxford und am 29. November 2022 an der Universität Göttingen gehalten worden ist.
17.
Zusammenhang, Trennung und Selbständigkeit der Bücher Genesis und Exodus im priesterlichen und nachpriesterlichen Pentateuch F. Giuntoli/K. Schmid (Hg.) 2015, The Post-Priestly Pentateuch. New Perspectives on Its Redactional Development and Theological Profiles, FAT 101, Tübingen, 233– 251.
353
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Stellenregister Altes Testament Genesis 1,1–2,3
5, 28, 37, 52, 65– 83, 87, 153, 158 f., 162, 166, 182, 189 1,1–2 90 1,1 44 f., 87, 157 1,2 68–70 1,5 81 1,6–8.14–15.17.20 81 1,6–7 69 1,14–19 67 f., 71 f., 77 1,16 76 1,22.28 243, 338 1,26–27 46, 88, 91 1,26 68, 70, 76, 145 1,27–28 49, 124, 158 1,28 124, 159, 181 1,29 277 1,31 51 2,1–3 121 2,3–4a; 5,1–3 156–160 2,3 157, 243 2,4–3,24 5, 37, 57–62, 189 2,4 44–48, 89–91, 163 2,4a 28, 49, 87, 93, 106, 151–153, 156–158 2,4b–3,24 48 f., 87, 264 f., 267 2,4b–7 47, 89 f., 152 2,4b 87, 93, 123, 286 2,5 93–95, 123, 242 2,6 242 2,7–24 94 2,7 37, 46, 89, 94 f., 100, 102, 106, 144, 222, 242 2,7b 93, 106
2,8 2,9 2,10–15 2,10–14 2,13 2,15 2,16–17 2,18 2,19 2,19b 2,20 2,21–22 2,22–23 2,22 2,23 2,24 2,25 3,1–24 3,1–5 3,1 3,3 3,5 3,7 3,10 3,11 3,14 3,16 3,17–19 3,17 3,19 3,20–21 3,20
96–99, 243, 264, 277 97 f., 100 f., 242 f. 97 96–99, 264 97 96, 98 f., 115, 124 95, 99 94 94, 100, 242 93, 106 93, 106 94 103 58 58, 94, 124, 132 94 124, 243 94 100 94 98–100 99, 243 38, 94, 99, 243 243 99, 243 93, 106 38, 58, 104, 132, 141, 146 38, 57 f., 94, 104 53, 61, 99, 151, 242 f., 267 94 f., 100 f., 132, 144, 242 57, 103 58, 95, 104, 106, 132
382 3,21 3,22 3,22.24 3,23 3,24 4,1–16 4,1–2 4,1–2.17–26 4,1 4,1.17.25 4,2–16 4,2 4,3–5 4,4 4,5 4,6–8a 4,6–7 4,7 4,8a 4,8b 4,10–11 4,11–12 4,11 4,12 4,13 4,14 4,16 4,17–24 4,17 4,20–22 4,22 4,23–24 4,24 4,25–26 4,25 4,26 5,1–3 5,1–2 5,1 5,1a.3
Stellenregister 38, 94, 146 38, 97 f., 243, 264 f., 277, 282 f. 99, 101 93–95, 97 f., 242 38, 95–97, 277 37 f., 57, 60 f., 127–146, 243, 264, 265, 267 91, 130 48–54 91 f., 95, 105 f., 130, 132, 243 92 104 f. 105, 131 133 50, 88, 164 134, 139 134, 143 f. 133 134–139, 141, 143 f., 146 134, 136 134 61, 267 145 38, 53, 242 f. 119, 242 145 38, 145, 242 130, 146, 264, 277 37, 88, 164 91 f., 105, 130, 243, 278 92, 243 132 92 170 f. 88, 91, 164 105, 151, 159, 164, 243 91 f., 163 f. 151 87 f., 91 28, 39, 44 f., 47, 90 f., 153, 157 f., 163 158
5,1b–2 5,1b 5,2 5,3–28.30–32 5,3 5,6 5,21 5,22 5,24 5,28–29 5,29 5,31 5,32 5,32; 6,9–10 6,1–8 6,1–4 6,2 6,4 6,4b 6,5–9,17 6,5–8,22 6,5–8 6,5–7 6,5 6,5b 6,6–7 6,6 6,6b 6,7 6,8 6,9–22 6,9–13 6,9–10 6,9
6,10 6,11–13 6,11–12
49, 158 169 169, 243 48–54 88, 151, 164, 169 49, 88, 164 166 152, 169 70, 156 48–54 92, 151, 189, 242 f., 264 f. 160 151 f., 232 f., 235– 237, 248 160 f. 151 38, 62 f., 162, 180, 264 f., 277, 282 277 278, 338 180 38, 54–56, 177– 184, 185–214 264 11, 53, 56, 61, 153, 180–182, 188, 207, 215–227, 267 219 f. 181, 193, 213, 216, 218–224, 226 217 f. 191 f., 221 f. 216–219, 225 181 181, 217–220, 225 187 f., 216, 226, 338 11, 54–56, 153, 180–182, 185 162 237 28, 39,44, 51, 151, 153, 156, 165, 169, 180, 184, 187 f., 216, 226, 237, 240 152, 233, 237, 248 162 51
Stellenregister 6,11 6,12 6,13 6,14 6,16 6,17–20 6,17 6,18 6,21 7,1–5 7,1 7,3 7,4 7,6 7,11 7,13 7,15 7,17 7,17a 7,24 8,1 8,2 8,2a 8,3 8,3b 8,4–5 8,4 8,5 8,6 8,6b 8,9 8,10 8,12 8,13 8,13b 8,14 8,17 8,20–22 8,21–22 8,21 9,1–17
181, 191 51, 166 191 186 55 186 12 181 f. 186 11, 183, 186 185–188, 207, 216, 226, 238, 240 277 11, 186 f. 12, 152 f., 160 f., 167, 169, 184, 186, 236 70, 152, 184, 186 233, 237, 248 187 11 f. 186 f. 11, 184, 186 183, 187, 193, 210 70 187 184, 186 11, 187 187 184, 186 184, 186 11, 55, 185, 186 f. 55 277 186 f. 186 f. 184–186 55 184, 186 338 56, 153, 180–182, 184, 186, 188, 207, 215–227, 229 38, 53, 61, 152, 181, 192, 262, 267 181, 189, 193, 212, 216–222, 226, 244 56, 152 f., 180–182, 188, 229, 244
9,1–7 9,1 9,2 9,4–6 9,7 9,9 9,11 9,15–16 9,15 9,17 9,18–29 9,18–19 9,18 9,18a 9,19 9,20–27 9,20 9,22 9,23 9,24 9,25 9,26 9,27 9,28–29 9,28 9,29 10,1 10,2–7 10,5 10,6 10,7 10,8–10 10,10 10,15–19 10,20 10,21 10,22–23 10,25 10,31
383 38, 182 243, 252, 338 181 29 338 181 12, 181, 189 183, 193 12 181 57–62, 180, 229– 245 180, 182, 229–231, 233 f., 239, 250, 265, 278 92, 231 f., 235, 238, 248 233, 237 39, 62, 230–232, 235, 237 f., 277, 280 232–235, 238, 265 234, 242 f., 279 231, 234, 240 f., 251 234, 239 f., 251 238, 243, 251, 254 231, 233, 244 231, 233, 244 231, 233, 239, 244 161, 229 f., 237 f., 250 12, 153 39, 230 12, 28, 39, 44, 153, 231–233, 237, 248 236 280 232, 239, 249 249 279 277 244 236, 280 238 236, 248 271, 279 236, 271, 279 f.
384 10,32 11,1–9 11,1 11,2 11,2b 11,3 11,3a 11,4 11,5–6 11,5 11,5a 11,6 11,7–9 11,7 11,7a 11,7b 11,8 11,8a 11,9 11,9aβ 11,9b 11,10 11,10.27 11,26–27 11,27 11,28 12,1–8 12,1–3 21,1–3.4a 12,1–3.4a.6–8 12,1 12,2–3 12,2 12,6–7 12,6a.7–9 12,7–8 12,7
Stellenregister 153, 232, 248, 268, 279 38, 57–62, 260, 264 f., 268–284 268 f., 271–274, 277 264, 268, 271 f., 274 f., 277 269 270, 272–275, 277 269 269 f., 273–278, 281–283 280 269 f., 275–277, 281 269 264, 275–277, 280, 282 274 270, 273, 275 f., 281 269 269 273, 275, 277, 282 269 60 f., 266, 271–273, 275, 277 269 268–270 39, 160, 169, 232, 236, 268, 279 f. 28, 39, 44, 153 161, 237 233, 280 294 324, 326 23, 59 f., 261–263, 266, 280, 283, 324– 326 f. 325 34, 323, 329 324 325 283, 302 324 325 31 325
12,8 12,10–20 12,10 13,2 13,2.5 13,3 13,7–11 13,7 13,12–13 13,12–13.18 13,14–17 13,14–15 13,14 13,18 14,20 15,1 15,2–3 15,2 15,3 15,4–5a 15,5 15,6 15,7 15,8 15,9–17 15,9 15,11 15,11.13–16 15,12 15,13–16 15,13 15,17–18 15,17 15,18 15,19–20 17,1 17,2 17,6 17,8 17,9.13–14* 17,19 17,20 17,21 18,1 18,3 18,8 18,9–15
324, 326 16, 26, 34, 297, 301 f., 312 260 325 324 326 324 326 324 324 324–326 324 324 31, 324 292 291 f., 299 291 292 292 291 300 291, 295, 302 287 f., 291, 294 f., 297–299 291, 293 291 f. 295 293 f. 294–296, 298, 301 299 288–290, 293 f. 293 297 f. 299 288, 293, 295, 297 292 156, 188 338 338 144 28 312 338 312 324 188 323 322
Stellenregister 18,10 18,11 18,12–13 18,14 18,19 19,30–38 20,1–18 22,17 25,5 25,6 25,8 25,9 25,11 25,12.19 25,19–34 25,19–28 25,20 25,22–23 25,25 25,29–34 26,1–14a 26,1–11 26,1–6 26,4 26,12–33 26,14b–25 26,26–33 27,1–45 27,19 27,29 27,32 27,36–40 28,1–9 28,3 28,10–22 28,10–19[20–22] 28,10 28,18–19 29,1–32,2a 29,1–30 29,1–14 29,16–30 29,16–17 29,16 29,18 29,24 29,26 29,29 29,31–30,24
322 322 312, 322 175, 323 322 251 16, 26, 34 300 312 312 289 312 312 28, 44 312 312 160, 236 320 320 320 312 16, 26, 34 302 300 34 312 312 312 314 320 314 320 312 338 24–26, 316 326 317 315 312 314 314 316 314 314 314 317 314 317 316 f.
29,31–35 29,31 29,35 30,3–13 30,14–16 30,17–20 30,22–24a 30,24 31,18 31,44–32,1 31,53 32,2–3 32,4–22 32,4b 32,10 32,14 32,21 32,23–32 32,31–32 33,1–20 33,14b 33,16 33,17 33,18–20 33,18 33,18a 33,19 35,1 35,6 35,7 35,10 35,11 35,12 35,22b–26 35,27 35,29 36,1.9 37,2 37,3–11 43,11–15 46,1–34 46,1–5 46,6 46,8–27 46,8 46,20 46,26–27 47,27 47,28
385 317 317 317, 319 317 317 317 316 f. 317 312 312 f. 312 315 312 320 312 134 139 316 315 312 320 320 315 326 344 316 344 315 f. 315 f. 315 f. 341 338 312 340 f. 312 312 28, 44 28, 44, 160, 236 24 134 259 290, 302 341 331, 341 331, 341 341 341 338 f., 341 341
386 48,22 49,1–28 49,1 49,25 49,29–50,26 49,33 50,15–21 50,17 50,20 50,21 50,22–26 50,22 50,22.26a 50,23–26 50,23 50,24–26 50,24 50,25.26b 50,26 Exodus 1,1–5 1,1–5.7 1,1–5.7.13–14 1,1 1,2–4 1,6 1,6.8–10 1,7 1,8–9 1,8 1,9–10 1,9 1,10 1,11–12 1,11 1,12 1,13–14 1,14 1,14a 1,15 1,20 2,23–25 2,23aβ–25
Stellenregister 344 259 341 70, 142 260 341 347 144 346 342, 345 f. 342, 344 337, 342 f., 345 343 345 342 290, 343, 345 331 344 333, 335, 337, 343, 345 333, 335 f., 340, 345 347 338, 343 331, 333, 342, 346 f. 340 331, 335, 337, 344 f., 347 345–347 338–342, 347 f. 346 331, 337, 344 f., 347 347 338–340, 346–348 283 288, 340 348 339 f., 348 162, 338, 340 340 283 340 338–340 300 340
2,23aβb–25 3,2 3,6 3,6.15 3,8 3,14 3,15 3,16 3,21–22 3,22 4,1.5.8.9.31 6,2–7,7 6,2–8 7,4 11,2–3 11,2 12,14–20 12,35–36 12,40 13,5 13,5.11 13,11 13,19 14,31 19,18 19,19 19,25 20,2 20,8–11 20,18 20,21 21,18–19 24,10 28,3 29,45–46 31,1–6 31,4 31,12–17 32,12.14 32,13 34,6 34,9 34,27 35,30–35 35,32.35 40
337 299 298 302 283 19 298 298 289 288 302 337, 340 300 289 289 288 28 288 f. 288 f. 298 302 298 344 302 288, 299 188 136 287, 297 120 288, 299 299 110 81 226 337 226 222 28 192, 223 300, 302 288, 299 188 299 226 222 178
Levitikus 1,17
295
387
Stellenregister 5,8 11,41–45 17,3–7 18,3 18,6–19 20,11.17.19–21 20,17 20,22–23 24,19 25,2–7.20–22 25,8–19.23–55 25,38 26,5 26,9 26,41
295 28 29 241, 252 251 251 240 f. 240, 252 232 121 121 288 120 338 226
Numeri 3,1 15,39 21,16 24,4.16
44, 47, 90 226 275 292
Deuteronomium 4,16b–19a 5,2 5,6 5,12–15 8,3 8,7 11,25 14,22–29 15,1–11 15,12–18 17,3 19,4–5 19,19 23,20–21 24,19–22 26,5b–9 29,3 29,19 30,6 31,21 33,13 49,9
73 299 287, 297 120 126 70 277 114 114 114 73 110 232 114 114 22 f. 226 140, 142 226 226 70, 142 142
Josua 24,32
344
Richter 2,8.10 19,16 20,14
337, 343 f. 112 347
1Samuel 2,30 15,11.35 16,11 30,16
156 192, 222, 225 113 277
2Samuel 2,22 7,9 18,8
139 23 277
1Könige 5,20 6,29.32.35 7,13 7,39 8,9 19,13
112 97 112 97 347 142
2Könige 14,12–13
317
Jesaja 1,7 2,4 7,3 11,6 40,12–17 40,26 41,8–9 41,17–20.25 43,1.7.21 44,21 44,25 45,11 47,9–13 47,13 51,2 65,10 65,21–22
120 120 111 120, 142 75 75 30 97 222 222 75 222 75 82 30 142 120
Jeremia 3,24–25 4,5–22
193, 214, 224 224
388
Stellenregister
4,14 11,19 17,5–13 17,9 18,1–17 18,2 18,3 18,4 18,6 18,7–21 18,7–10 18,7–8 18,8 18,8.10 18,9–10 18,10 18,11–12 18,11 18,12 18,18 22,13 24,7 26,3.13.19 27,5 31,31–34 32,39–40 36,2.4 37,21 49,20.30 50,45
193, 214, 221 f. 222 224 193, 214 224 217 217 217 217 215–227 192, 213, 225 225 192, 222, 224 217, 221 225 222 222 217, 221, 223 193, 214, 217, 221 222 114 225 192, 224 223 225 225 336 111 222 222
Ezechiel 1,22 2,9 9,9 10,1 11,19–20 14,14.20 16,13 31,4.15 33,23–29 36,26–27 38,10 47,1
81 336 338 81 225 187 338 70 30 225 222 97
Hosea 2,17 8,7 11,8–9
143 120 211
Joel 4,18
120
Amos 3,13 5,5 6,8 7,1–6 7,1–3 7,2.5 7,3.6 7,4–6 7,9 7,16 8,2 8,7 9,8 9,13–15
318 318 318 223 120 318 191, 213 120 318 318 191, 214 318 318 120
Jona 2,11
136
Sacharja 5,3
277
Psalmen 8,4 19,5 39,6.12 40,8 62,10 74,16 78,15 78,33 90,10 94,11 104,14–15 104,19 104,20–23 104,29–30 127,1–2 128,1–2a 136,7–9 144,4 148,13
76 76 132 336 132 76 70 132 116 132 116 76 115 46 118 f. 119 76 f. 132 47
Hiob 5,7 7,16
116 132
389
Stellenregister 34,14–15 38,30 42,1–2 42,2–6 42,8–9
46 70 280 282 139
Sprüche 6,6–11 10,5 12,11 14,23 22,26 26,13–14 31,15
116 116 116 116 139 116 112
Ruth 4,18
44
Hohelied 1,6.14 2,15
251 251
Kohelet 2,21 5,17–19 6,1–2
116 f. 117 117
8,6 9,10
223 117
Daniel 8,5 8,27 11,24.25
277 110 222
Esra 1,1–2
335
1Chronik 1,4 1,19 28,9 29,18
233, 237, 248 44 223 223
2Chronik 1,2 2,13 5,10 6,11 26,15 36,22–23
136 222 347 347 222 335
Neues Testament 1. Johannesbrief 3,11–12 3,12
138 128
144 101
Hebräerbrief 11,4 11,7
128, 138 208
300
Judasbrief 5,6–8
284
Matthäus 23,35
128, 138
Römerbrief 5,12–20 5,12 Galaterbrief 3,17
Apokryphen/Pseudepigraphen Apokalypse Abrahams 1–8 284
Erster Clemensbrief 3,4 144
390
Stellenregister
Jubiläenbuch 4,30 10,29–34 11,14–12,31
159 253 284
Jesus Sirach 38,24–34 43,1 44,17
118 81 187
Sapientia Salomonis 2,24 144 Spelunca thesaurorum 21 253 Testament Rubens 3,11–15 251
Texte aus der judäischen Wüste 4Q252 4QGen-Exa 4QGenh-Titel 4QExb 4QpalaeoGen-Ex1
252 342 332 333–335, 342 332–335
4QLev-Numa 333 f. 4QXIIa+b+g 335 4QMMT (4Q397) 335 MurXII
334
Rabbinische Texte Tosefat-Mischna-Talmud b. Baba Batra 13b 334 b. Baba Batra 14b 335 bJev 62a 131 m. Soperim 2:2 334 y. Megilla 1:9[8] 334
Bereschit Rabba 22 22,1 36,4 36,7 37
Targume bSan 70a TN Gen 4,8 TPsJ
Pirqe de Rabbi Eli’ezer 23 253
251, 253 137 251, 253
130 f. 159 251 251, 253 f. 252
Altorientalische Texte Atrachasis-Epos I,1 I,2 f. I,191 I,197 I,241 I,352–359 I,360–425 II i–vii III i,11–ii,55 III iii,24–iv,23
122, 203 203 203 203 203 203 203 203 203 193
III ii,48–iii,23 III iv,4–14 III iv,15–20 III v,34–vi,4 III v,45–vi,4 III vi,46–vii,11
203 224 203 193, 212 204 203
Cuneiform Texts from Babylonian Tablets in the British Museum CT 13, 35–38 70
391
Stellenregister Enuma Elisch IV, 17 f. IV, 19–24 V,1 f. V, 1–46 V, 12–22 VI, 1–8 VII, 130 f.
74 74 75 74 74 f. 71 74
Gilgamesch-Epos XI XI, 11 XI, 49 XI, 117–124 XI, 118–123
121 203 203 224 193
XI, 145–154(5) XI, 161 XI, 163 XI, 179
55 f.; 202 193 212 210
Texte aus Ugarit KTU 1,17 I 30 f.
241
State Archives of Assyria SAAS 3 39 = KAR 307 76, 78–79, 81 Sumerische Königsliste I,39f 200
Fragmente der Vorsokratiker DK 12 A 1 DK 12 A 7 DK 12 A 9 DK 12 A 11
80 82 80 80
DK 12 A 18 DK 13 A 1 DK 13 A 7 DK 13 A 14
80 82 80 79
Antike Autoren Aristoteles
Eusebius
Nikomachische Ethik 1161b 118
Arm. Chronik 34,27–35,4
Politik 3,5,1278a
Praeparatio evangelica 9,17,2–9 284
118
Flavius Josephus
Augustin Contra Faustum 12,9
195
138
Ephraim der Syrer Commentarii in Genesim 70 253 72 252
Antiquitates Judaicae I, 96 199 I, 154–160 284 Herodot Historien 2,109
80
392
Stellenregister
Hesiod Theogonie 535–560
De agricultura 127–130 136
De posteritate Caini 11.33–44 132
Justin
De praemiis et poenis 4,23 199
Dialogus cum Tryphono Judaeo 139 252
Pseudo-Philo
Origenes Commentarii Fragm. E 20
Liber Antiquitatum Biblicarum 4,19–7,5 284
253
Tertullian
Philo De Abrahamo 68–84
136
284
Adversus Iudaeos 5
138
Sure 5,27–40 Sure 5,31
128 129
Koran Sure 5,27 Sure 5,27–29
131 136
Personenregister Albani, Matthias 71 f., 74 f. Albeck, Chanoch 143 Albertz, Rainer 98, 121, 190, 204, 336, 345, 348 Albright, William F. 77 al-Ḍaḥḥāk 128 al-Ṭabari 131 Alt, Albrecht 30, 111 Alter, Robert 16 Anbar, Moshe 287, 295 Aptowitzer, Avigdor 130 Arendt, Hannah 107 Arnaud, Daniel 200 Arneth, Martin 32, 41, 45, 49, 58, 134, 154, 157, 179, 201, 218 f., 221, 223, 230–232, 236–238, 240, 243, 269 Arnold, Bill T. 28 f. Astruc, Jean 1–15, 16 f., 40, 43, 179 Auffahrt, Christoph 122 f., 205 Augustin 101, 257 Aurelius, Erik 192 Bachmann, Michael 300 Baden, Joel S. 334, 336 Bahrdt, Hans P. 126 Bailey, John A. 241 Baldwin, James 247 Bardtke, Hans 4, 40 Bassett, Frederick W. 240 Bauks, Michaela 69 Baumgart, Norbert C. 39, 42, 54 f., 61, 178, 180 f., 183, 185, 191, 220, 230 f., 234, 237, 242, 267, 279 Baumgartner, Walter 66 Begrich, Joachim 187 Benoit, Pierre 334 Berges, Ulrich 280, 283 Berner, Christoph 19, 147 f., 338 f., 341, 343, 345–348
Berossos 61, 195, 199, 266 Blenkinsopp, Joseph 31, 41, 45, 57, 85, 179, 237 Blum, Erhard 6, 25–28, 33 f., 38, 49, 57 f., 60, 86, 96 f., 99–101, 103 f., 147 f., 151 f., 154 f., 158, 160, 162, 169, 179, 190, 236, 263–266, 275, 278, 289–292, 295, 297 f., 307, 310–313, 316 f., 319, 321 f., 324 f., 336, 340–345 Boardman, John 77 Boas-Vedder, Diny 113 Boecker, Hans Jochen 232 Borger, Rykle 114 Bosshard-Nepustil, Erich 42, 154, 179–189, 194, 201, 214, 218, 223 Bost, Hubert 270 Bottéro, Jean 205 Braudel, Fernand 111 Brekelmans, Christian 217 Brinner, William M. 256 Budde, Karl 43, 50–52, 57, 59, 98, 101, 163, 166 f., 178, 196 f., 233–235, 237, 243, 261, 277–279 Bultmann, Christoph 9, 40 Burkert, Walter 77–80, 200 Buttmann, Philipp 48, 88, 163 Bührer, Walter 46, 58 Caduff, Gian A. 198 Carr, David M. 26, 31, 42, 44, 49, 53, 57, 60 f., 72, 86 f., 90, 93, 96, 157 f., 169, 178, 181, 190, 224, 263–265, 267, 277, 281, 286 f., 290, 294, 346 f. Cassuto, Umberto 133, 178, 182 de Catanzaro, Carmino J. 151, 153 Childs, Brevard S. 2 Clericus, Johannes 3 f. Clines, David J. A. 33 Cohn, Robert L. 265
394
Personenregister
Conrad, Diethelm 113 Couprie, Dirk L. 80 Cross, Frank M. 27, 45 f., 148, 151, 162 de la Cruz, Franceso 256 Crüsemann, Frank 31, 42, 59 f., 113, 126, 133, 139, 261, 263 Dalley, Stephanie 78 Dalman, Gustaf 111 Delitzsch, Friedrich 196 Dietrich, Manfried 97 Dietrich, Walter 130, 133, 146 Dillmann, August 277, 279, 282, 294 Dochhorn, Jan 144 Dohmen, Christoph 89 Donner, Herbert 21, 142 Dozeman, Thomas 15, 41 Draffkorn-Kilmer, Anne 204 Dubach, Manuel 240 f., 251 Duhm, Hans 140 Döhling, Jan-Dirk 218, 222 Ebach, Jürgen 115, 120 f., 123–125 Ehrlich, Arnold B. 141, 143 Eichhorn, Johann G. 8–10, 17, 40 f., 43 Eisenberg, Isaac 255 Eitam, David 112 Emerton, John A. 12, 178, 182 Erzberger, Johanna 143 Etz, Donald V. 166 Finkelstein, Israel 316–319, 322 f., 326 f. Fischer, Georg 215 Fishbane, Michael 73 Fleming, Daniel E. 317 Fleury, Claude 3 Fokkelman, Jan P. 16, 33 Frahm, Eckart 78 François, Laurent 4 Frevel, Christian 310, 313, 317, 319 Frey-Anthes, Henrike 140 Fritz, Volkmar 111, 207 Frobenius, Leo 198 Galling, Kurt 289 Ibn-Ǧarīr aṭ-Tabarī,Muḥammad 256 Gemelli Marciano, M. Laura 68, 79 f. George, Andrew R. 190, 200 Gerstenberger, Erhard 117
Gese, Hartmut 95, 97, 99, 288, 297, 299 Gesundheit, Shimon 9 Gibert, Pierre 1, 4, 40 Giesebrecht, Friedrich 263, 273 Gitin, Seymour 112 Goldenberg, David M. 254–257 Gonzales, Hervé 321 f., 328 Graf, Karl H. 19, 149, 151 f. Griffith, Mark 321 Groß, Walter 47 Grubmüller, Klaus 256 f. Gräßer, Erich 138 Grünbaum, Max 131 Gunkel, Hermann 10, 12, 22, 24, 43, 49, 65– 70, 118, 159, 178, 189, 197, 201, 217, 230, 233, 240 f., 251, 265, 270 f., 287– 289, 291, 299, 305 f., 312, 315, 321–323, 329 Ha, John 291, 294 Hagedorn, Anselm C. 320 Hagelia, Hallvard 297 Halpern, Baruch 81 f. Hammann, Konrad 66 Hamori, Esther J. 320 Harrak, Fatima 255 Hartenstein, Friedhelm 27, 81, 147 Ḥasan al Baṣrī 128 Hecker, Karl 190, 200 Heeßel, Nils P. 79 Hempel, Johannes 211 Hendel, Ronald S. 166–169, 320 Hensel, Benedikt 313 Herrmann, Johannes 234, 239 Heyden, Katharina 133, 136, 139–143, 146 Hezel, Wilhelm F. 156 Hieke, Thomas 49, 88, 116, 161, 163, 231, 237 Hirsch, Emanuel 9 Hirth, Volkmar 115, 120 Hobbes, Thomas 3 f. Hoftijzer, Jacob 286, 291, 294 Holl, Karl 108 Holzinger, Heinrich 158, 240 Horowitz, Wayne 74, 78–82 Houtman, Cornelis 15 Hughes, Jeremy 51, 165 f., 168, 171 Humbert, Paul 57, 86, 103 Hunwick, John 255
Personenregister Hupfeld, Hermann 25, 43, 149, 178, 201 Hölscher, Uvo 78 Ilgen, Karl D. 275 Irsigler, Hubert 118 f. Jacob, Benno 2, 9–14, 54, 88, 136, 141, 178, 187, 241, 276, 295, 326 Jacob, Walter 2 Janowski, Bernd 72, 110, 125, 136, 140– 143, 219, 337 Jenkins, Allan K. 278, 283 Jepsen, Alfred 50–52, 165 Jeremias, Jörg 181, 191 f., 211, 222–225, 318 Jericke, Detlef 317, 323, 328 Jerusalem, Friedrich W. 9 Johanning, Klaus 196 Jürgensen, Almuth 2 Kaiser, Otto 86, 101, 286, 291 Keil, Karl F. 150 f. Kegler, Jürgen 109 Kessler, Rainer 24, 113, 117 Khoury, Adel Th. 128 Kikawada, Isaac M. 269 Kippenberg, Hans G. 117 Klatt, Werner 65 Klein, Ralph W. 166 Klostermann, August 152 f. Knohl, Israel 28 f. Koch, Christoph 23, 316 Koch, Klaus 50, 142, 145, 165 Kramer, Samuel N. 205 Kratz, Reinhard G. 19, 33, 57, 59, 86, 93, 104, 148, 157, 179, 202, 270 f., 273, 279, 307, 309 f., 313 f., 317, 323 f., 327, 338, 341, 347 Krüger, Thomas 117, 193, 223, 226 f. Kuenen, Abraham 19, 149 Kunz-Lübcke, Andreas 113 Kurtz, Johann H. 150 f. Kutsch, Ernst 85 Kämmerer, Thomas 200 Köckert, Matthias 26, 30, 34, 260, 263, 283, 288, 291 f., 295, 298, 302, 306 f., 321 f., 324–326 Lambert, Wilfried G. 190, 199 Landsberger, Benno 205
395
Lange, Armin 332 Lee, Kyong-Jin 156 Lehmann, Reinhard G. 196 Levenson, Jon D. 337 Levin, Christoph 19, 22 f., 26, 30, 33, 43, 49, 53, 57, 86, 92 f., 103 f., 134, 147, 149, 158, 160, 181, 188 f., 216–219, 220, 223, 235 f., 237–240, 262 f., 266, 270 f., 273–275, 285, 290, 307, 314, 316, 338, 341 f., 345 Levinson, Bernard M. 15 Lipiński, Edward 72 Lipschits, Oded 321 f., 325, 328 Livingstone, Alasdair 78 Lohfink, Norbert 291 Luther, Martin 108 Lux, Rüdiger 113, 342 Luz, Ulrich 138 von Löwenclau, Ilse 145 MacDonald, Nathan 73 Malamat, Abraham 249 Marböck, Johannes 118 Maul, Stefan 190, 200 Ibn Mas’ūd, Abdallāh 255 Mather, Cotton 257 McKane, William 217 f. Mettinger, Tryggve N. D. 45 Metzler, Karin 253 Meyer, Ernst 198 Michaelis, Johann D. 8 Michel, Andreas 98 Michel, Diethelm 291 Milgrom, Jacob 28 f. Milik, Józef T. 334 Millard, Allan R. 190, 199 Mosis, Rudolf 291 Murtonen, Aimo E. 50, 165 Mölle, Herbert 293 Mühling, Anke 30, 284, 311 Müller, Hans-Peter 71, 204–207, 210 Müller, Wolfgang E. 9 Najman, Hindy 132 Neumann-Gorsolke, Ute 71 Niemann, Hermann M. 113 Nihan, Christophe 29, 147, 156, 336 Noth, Martin 17, 21, 23–25, 32, 41, 149, 157 f., 288, 297, 308–310, 327
396
Personenregister
Nöldeke, Theodor 26 f., 147, 237, 248 Oberforcher, Robert 222 Oded, Bustenay 114 Oeming, Manfred 291 Oesch, Josef M. 334 Olson, Dennis T. 336 Opferkuch, Stefan 251 Oswald, Wolfgang 347 f. Otto, Eckart 42, 45–47, 72 f., 89 f., 85, 121, 147, 149 f., 152, 179, 190, 201, 215, 241, 320 Overbeck, Franz 37 Pennington, James W. C. 247 Perlitt, Lothar 23, 37, 195, 207, 209, 286, 288, 298 Perry, E. Guthrie 76 de la Peyrère, Issac 3 f. Pfeiffer, Henrik 46 f., 57, 86, 89, 95, 97, 99, 101 f., 104, 106, 236, 265 Pfeiffer, Robert H. 31 Pitassi, Maria C. 3 Pola, Thomas 54, 148, 157, 185 Pongratz-Leisten, Beate 79 Postgate, John N. 114 Preuss, Horst D. 72 f., 109, 115 Procksch, Otto 138, 276 Propp, William H. 338, 341 de Pury, Albert 6, 32, 238, 244, 252 von Rad, Gerhard 20–24, 30, 58–61, 71, 125, 156, 169, 233, 259–262, 263, 282 f. Radday, Yehuda T. 182 Radner, Karen 283 Raschi 255 von Reden, Sitta 118 Reiterer, Friedrich V. 118 Rendtorff, Rolf 24, 27, 61, 148, 151–153, 262, 267 Renger, Johannes 196 Reyes, A. T. 78 Riehm, Eduard 262 Rom-Shiloni, Dalit 15 Rose, Christian 137 Rosenthal, Franz 130 Rudolph, Wilhelm 24 f. Ruppert, Lothar 216, 219, 234
Römer, Thomas 30, 32, 147, 201, 288 f., 291, 293–295, 301, 316, 319, 321–323, 326–328 Römer, Willem H. P. 200 Rösel, Martin 12, 50–52, 134 –136, 145, 163–166, 171 Rüterswörden, Udo 205, 209 f. Sanderson, Judith E. 333 Sandmel, Samuel 31 Sarna, Nahum M. 251 Sasson, Jack M. 265 Schedel, Hartmann 256 Schmid, Hans H. 286 f. Schmid, Konrad 13, 15, 18, 27, 32 f., 41, 57 f., 86, 97, 99 f., 103, 144, 155 f., 208, 263, 286, 288–295, 296, 299, 313, 319, 323, 332, 334–336, 341 Schmidt, Brian B. 72 Schmidt, Werner H. 70 f., 85 Schmitt, Hans-Christoph 177, 184, 192, 213, 217, 289, 302 Schnabel, Paul 266 Schottroff, Willy 109, 117 Schrader, Eberhard 43, 178 f., 187, 194, 201 Schwartz, Baruch 15, 18 Schüle, Andreas 32, 41 f., 45 f., 58, 69, 72, 142, 145 f., 154, 169, 201, 220, 225, 229–231, 241–244, 251, 283 f., 273 f., 281 f. Seebass, Horst 12, 43, 70, 72, 133 f., 158, 163, 169, 180, 182, 231, 236, 238, 265, 269, 273, 281 f. Sergi, Omer 315 van Seters, John 26 f., 30 f., 148, 287, 291, 293 f., 297 f., 307 Seybold, Klaus 270 f., 273 f. Shehata, Dahlia 190, 199 Simon, Richard 3 Singer-Avitz, Lily 316 Ska, Jean-Louis 30, 41 f., 45, 154, 294, 327 Skehan, Patrick W. 333 Smend, Rudolf 1, 41, 191, 196 Smith, David 283 Smith, George 65, 195 von Soden, Wolfram 190, 199, 281 Speiser, Ephraim A. 320 Spieckermann, Hermann 86, 89, 94, 102, 104, 115
Personenregister Spinoza, Baruch 3 f. Stackert, Jeffrey 18 Staerk, Willy 59, 261 Steck, Odil H. 59, 85, 74, 157 f., 191, 261 f. Stievermann, Jan 257 Stipp, Hermann-Josef 218, 226 f. Stolz, Fritz 123, 206 Stordalen, Terje 46 f., 90 Talmon, Shemaryahu 289 Taschner, Johannes 317 Tengström, Sven 152 Tertel, Hans J. 185 Teugels, Lieve M. 130 Tobolowsky, Andrew 316 Tomasino, Anthony J. 242 Troeltsch, Ernst 108 Tröndle, Kristin 314, 316 f., 320 Tsumura, David 69 Tuch, Friedrich 148, 150, 154, 179 Uehlinger, Christoph 58, 75, 265 f., 269– 275, 281, 283 Ulrich, Eugene C. 333 f. Utzschneider, Helmut 318, 347 f. de Vaux, Robert 334 Veijola, Timo 26 Vermes, Géza 137 Vermeylen, Jaques 153 Vervenne, Marc 62, 230–232, 239, 241 Volz, Paul 24 f., 154 f. Wagner, Andreas 295 Wanke, Gunther 192, 218, 221 Warner, Megan 28 f. Weber, Max 107 f. Weimar, Peter 157–159, 185, 219
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Weingart, Kristin 316 Weippert, Helga 112 Wellhausen, Julius 18–20, 24, 57, 59, 69, 77, 82, 86, 103, 120, 149, 153, 157, 170, 179, 196, 233–235, 262, 276, 278 f., 289, 293, 305–310, 324 Welte, Benedikt 150 Wenham, Gordon J. 12, 47, 89, 178, 182 Wenzel, Horst 256 West, Martin L. 77 f. Westermann, Claus 26, 59, 70 f., 88, 143, 145, 157, 182, 197 f., 209, 234, 241, 249, 265, 271, 274 f., 282, 291, 293 f., 320 de Wette, Wilhelm M. L. 148 Whybray, Roger N. 21 Wilcke, Claus 199 Willi, Thomas 139, 141 Williamson, Hugh G. M. 318 Willi-Plein, Ina 132 Wilson, Gerald H. 334 Winnett, Frederick V. 32 Witte, Markus 31, 41 f., 45–47, 49, 53, 57, 60, 86 f., 89, 90–93, 95–97, 99, 102, 104, 106, 157, 159–162, 178, 181 f., 185, 188–190, 194, 202, 208, 213, 219, 230 f., 234, 236–239, 243 f., 261, 263, 265–267, 270, 272, 276 f., 279, 281 f., 292 Witter, Bernhard 4, 40, 43 Wolff, Hans W. 25 Wächter, Ludwig 100 Wöhrle, Jakob 172, 313–315, 319, 338–340, 342, 345 Zenger, Erich 156 f., 162, 185, 263 Ziegler, Werner C. L. 44, 156 Ziemer, Benjamin 159, 175 Zimmerli, Walther 288 f., 291, 295 Zorn, Jeffrey R. 111 Zwickel, Wolfgang 111