Von Diana zu Minerva: Philosophierende Aristokratinnen des 17. und 18. Jahrhunderts 9783050061290, 9783050049236

Im 17. und 18. Jahrhundert waren Intelligenz und wissenschaftlicher Ehrgeiz keineswegs ausreichende Gründe für eine wiss

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Von Diana zu Minerva: Philosophierende Aristokratinnen des 17. und 18. Jahrhunderts
 9783050061290, 9783050049236

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Von Diana zu Minerva

Von Diana zu Minerva Philosophierende Aristokratinnen des 17. und 18. Jahrhunderts

Herausgegeben von Ruth Hagengruber Unter Mitwirkung von Ana Rodrigues

Akademie Verlag

Gedruckt mit Hilfe der Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein

Abbildung auf dem Einband: Willem van Honthorst: Elisabeth von der Pfalz, Öl-Gemälde auf Holz, um 1640, Staatl. Schlösser u. Gärten Bad Homburg, © Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-05-004923-6 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2011 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Einbandgestaltung: Ingo Scheffler, Berlin Satz: Frank Hermenau, Kassel Druck: MB Medienhaus Berlin Bindung: Buchconcept, Calbe Printed in the Federal Republic of Germany

Inhalt

Vorwort der Herausgeberinnen

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Ruth Hagengruber Von Diana zu Minerva. Philosophierende Aristokratinnen des 17. und 18. Jahrhunderts

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Eine eigene Genealogie Diana, „La Grèque": Prinzessin Elisabeth von Böhmen und der englische Zirkel Das Netzwerk Minerva der Aufklärung: Emilie du Châtelet und ihr Umfeld

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Sabrina Ebbersmeyer Tristesse und Glück einer gelehrten Prinzessin - Der Briefwechsel zwischen Elisabeth von Böhmen und René Descartes

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Einleitung Der Briefwechsel zwischen Elisabeth und Descartes Tristesse versus Vernunft Schlussbemerkungen

33 35 37 44

Catherine Newmark Prinzessin Elisabeth von Böhmen - Philosophin und Politikerin . . . .

49

Einleitung Das Leben der Prinzessin Elisabeth: die ersten dreißig Jahre der Dreißigjährige Krieg Heidelberg - die Restitution der Kurpfalz Fürstäbtissin von Herford Elisabeth als Philosophin und Politikerin Karin Ilg Leibniz' Briefgespräche mit den Damen

49 50 55 58 61

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INHALT

Sarah Hutton Philosophinnen oder Prinzessinnen? Anne Conway, Margaret Cavendish und die Neubewertung philosophierender Aristokratinnen des 17. und 18. Jahrhunderts

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Philosophinnen oder Prinzessinnen? Ausräumung von Missverständnissen Anne Conway (1630-1679) Margaret Cavendish (1623-1673) Zusammenfassung

84 88 90 93 95

Ana Rodrigues Emilie du Châtelet - Vom glücklichen Leben zur Freiheit des Denkens

97

Ein Leben für die Wissenschaft und die Liebe Glück zwischen Leidenschaft und Vernunft Vom glücklichen Leben zur Freiheit des Denkens

97 100 104

Ruth Hagengruber Das Glück der Vernunft - Emilie Du Châtelets Reflexionen über die Moral

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Biografisches Moralisches Das Glück der Reichen - das Glück der Armen? Öffentliche Anerkennung

111 115 118 124

Gerhild Komander Elisabeth Christine - Königin und Schriftstellerin der Aufklärungstheologie

131

Zum Lebenslauf Schriften und Übersetzungen

131 134

Katharina Grote Friederike Charlotte Leopoldine Luise von Brandenburg-Schwedt La Princesse d'Allemagne

143

INHALT

7

Ana Rodrigues Emilie du Châtelet, Julien Offray de La Mettrie und Pierre Louis Moreau de Maupertuis im Zwiegespräch über das Glück

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Das Glück ist in den Sinnen Das Glück kennt keine Wahrheit oder: Vom Wert der Illusionen Machen Verbrechen glücklich? Das höchste Glück

154 156 158 160

Bibliographie Abbildungsverzeichnis Zu den Autorinnen Namenverzeichnis

163 173 175 178

Vorwort

Elisabeth von Böhmen, auch Elisabeth von der Pfalz genannt, wird durch ihren kritischen Briefwechsel mit dem Philosophen René Descartes heute wieder als wichtige Persönlichkeit der Philosophiegeschichte wahrgenommen. Sie steht in unserer Darstellung am Anfang einer Tradition philosophierender Aristokratinnen des 17. und 18. Jahrhunderts. Ihre Schwester, Sophie-Charlotte von Hannover und deren Tochter förderten den Philosophen Leibniz und pflegten weitreichende Kontakte. Berühmt sind die Schriften der Philosophin und Marquise Emilie du Châtelet. Sie stand über Jahre im Briefwechsel mit dem Preußenkönig, ihre Freunde gehörten zum Kreis der Philosophen um Friedrich II.: Voltaire, Maupertuis und La Mettrie. Auch die Frau des Philosophenkönigs, Königin Elisabeth von Preußen, verfasste moralphilosophische Schriften. Die Gattin Friedrichs II. hatte sich einst auf Schloss Hundisburg aufgehalten. Von den Schriften der Gattin des berühmten Preußenkönigs war und ist immer noch wenig bekannt. Von dieser Konstellation ausgehend, begannen wir, den Netzwerken philosophierender Aristokratinnen dieser Epoche nachzugehen. Vom Anbruch der Neuzeit bis zur beginnenden Aufklärung reichten diese Beziehungen vom Sitz der Fürstbischöfinnen in Herford bis nach London, Paris und Berlin. Der Band vereinigt Biographien gelehrter Damen, die sich in recht unterschiedlicher Weise mit Philosophie beschäftigten. Unter ihnen sind überragende Philosophinnen ihrer Epoche, die durch ihre philosophierende Tätigkeit erheblichen Einfluss auf die geistigen Strömungen ihrer Zeit ausüben konnten, und andere, die das Glück der Vernunft mehr zu ihrer Zerstreuung pflegten. Sie alle korrespondierten, kommunizierten, förderten, übersetzten und waren selbst schreibend tätig. Einige unter ihnen verstanden es, die Macht, die ihnen wenn auch eingeschränkt zuteil war, nutzbringend fiir die von ihnen gut geheißenen Ziele zu nutzen. Dem vorliegenden Band liegen die Beiträge der Tagung: Vom Glück der Vernunft. Philosophierende Aristokratinnen des 17. und 18. Jahr-

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VORWORT

hunderts zugrunde, die vom 6.-8. Juni 2008 auf Schloss Hundisburg stattfand. Herrn Dr. Dammaschke vom Akademie Verlag danken wir für seine anhaltende Unterstützung. Paderborn, Juni 2010 Ruth Hagengruber, Ana Rodrigues

Ruth Hagengruber

Von Diana zu Minerva Philosophierende Aristokratinnen des 17. und 18. Jahrhunderts und ihre Netzwerke

„Ich fühle das ganze Gewicht der Vorurteile, das uns Frauen so allgemein aus den Wissenschaften ausschließt, und das ist einer der Widersprüche in dieser Welt, der mich am meisten erstaunt hat: Denn es gibt große Staaten, wo man uns erlaubt, zu regieren, aber es gibt keinen, wo wir erzogen wurden, zu denken!" Emilie du Châtelet (1706-1749)

Elisabeth von Böhmen zählt heute zu den wichtigen Referenzen der Kritik an dem Philosophen Descartes. Als intime Freundin dieses großen Philosophen nahm sie erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung seines Werks. Ihre Seelenzustände und Erfahrungen stellt sie seiner Theorie entgegen, der sie nicht in allen Punkten folgen will. Anne Conway formulierte Überlegungen zur Monade, die Leibniz mehrfach als wichtige Inspiration seiner Philosophie testiert. Emilie du Châtelet stand im Zentrum der französischen Aufklärung und im Zentrum jener Männer und Wissenschaftler, die nach ihrem Tod die Tischgesellschaft Friedrich des Großen stellte. Die nähere Beschäftigung mit diesen Frauen zeigt, dass sie keine einzelnen Figuren, nicht Solitäre sind und nicht nur zufällig in ihrer Zeit wirkten, wie sie es taten. Zwischen ihnen entfaltet sich ein Netzwerk von Anregungen, Verweisen und Zitationen, die in ihrer untergründigen Wirksamkeit verkannt werden. So zeigen sich auf einmal Verbindungen von Hannover nach Berlin, von Herford nach England und nach Paris. Vor unseren Augen entsteht ein Beziehungsgeflecht, in dem sich mehr als hundert Jahre Philosophiegeschichte spiegeln. Die Göttinnen Diana und Minerva werden zum Symbol dieser Frauen. Diese römischen Göttinnen, der griechischen Antike entlehnt, symbolisieren als Diana/Artemis die Tradition der Unschuld und Unabhängigkeit von der Männerwelt, die andere beansprucht fur sich die Allegorie zur Zeus gleichen Tochter Athene/Minerva, Göttin der Weisheit und des Krieges. Elisabeth von Böhmen wird als junges Mädchen als Diana gemalt; Emilie du Châtelet thront göttinnengleich

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über den wissenschaftlichen Erkenntnissen der französischen Aufklärung. So zeigt es der Stich, den Voltaire seinem Buch über die Elemente der Philosophie Newtons voranstellte. Mit diesen Allegorien prägen sie das Selbstverständnis weiblicher Existenz in ihrer Zeit und formulieren ein entsprechendes Maß an eigenem Anspruch auf Welt. Sie erfanden ihre eigene Geschichte, indem sie die Welt dieser Göttinnen für ihre Selbstdarstellung in Anspruch nahmen. Als dem Göttervater Zeus geweissagt wurde, ihm würde ein Kind geboren, das ihm gleich sei, riss er es aus dem Leib seiner Mutter und fraß es auf. Nach neun Monaten entstieg seinem Haupte in voller Rüstung Athene, Göttin der Weisheit und des Krieges. Sie war es, die im griechischen Götterhimmel die Schlachten entschied und als Göttin der Weisheit die geistige Größe des antiken Athens formte. Die Römer adaptierten die griechische Götterwelt und nannten Athene dort Minerva. Griechen und Römer kannten ebenso viele Göttinnen wie Götter. Auch Amazonen, Frauenreiche deren Herrschaft ohne Männer sprichwörtlich wurde, gehörten zum Denken der Antike. Das Andenken an sie lebte in vielen Kunstwerken fort. Diana ist die jungfräuliche und von Männern nicht bezwingbare Göttin der Jagd. An zahlreichen Stellen wird in der griechischen antiken Literatur die Gleichheit von Frauen und Männern diskutiert. Sie veranschaulicht sich im tiefgründigen Spaß des Dichters Aristophanes. In seiner Komödie Lysistrate übernehmen die Frauen die Herrschaft, um den Krieg in Griechenland zu beenden. Mit großem Ernst dagegen diskutiert Piaton die Frage nach der Gleichheit der Geschlechter in seiner Utopie vom besten und gerechten Staat. Er fordert für die Frauen den gleichen Teil der Herrschaft. Dennoch waren Frauen über Jahrhunderte aus der Öffentlichkeit und dem politischen Leben ausgeschlossen. Weshalb - so könnte man deshalb fragen - beschäftigt man sich mit Frauen, von denen wir mit guten Gründen annehmen können, dass die Verhältnisse, in denen sie lebten, immer schon privilegierter waren als die all jener rechtlosen Frauen, von denen die Geschichte erzählt? Bedenken wir, dass in diesem Buch eine Zeitspanne abgehandelt wird, in der gerade noch Frauen als Hexen verbrannt worden waren und teilweise noch wurden! Welchen Frauen war es möglich, wenn nicht den Aristokratinnen, sich männlicher Dominanz zu entziehen? Welche Rolle spielte dabei der Kampf um ihre intellektuelle Eigenständigkeit? Wie lässt sich das Verhältnis ihrer Forderung, frei zu denken, mit ihren ständischen Abhängigkeiten zusammenbringen?

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Bildung war von jeher ein wichtiges Instrument, gesellschaftliche Klassen zu überwinden. Die durch die Ständegesellschaft aufgezwungene enge Selektion konnte von Gebildeten (Männern) zu jeder Zeit durchbrochen werden. Selbst statische Ständegesellschaften waren abhängig von geistreichen Menschen, die sich auf diese Weise Anerkennung über Standesgrenzen hinweg zu verschaffen wussten. Das galt fur Leibniz ebenso wie für Voltaire. Frauen war diese gesellschaftliche Mobilität aufgrund von Geist, Bildung und Esprit untersagt, sie hatten andere Qualitäten vorzuweisen. Bildung als Moment gesellschaftlicher Mobilität war nur in der männlichen Welt möglich. Frauen waren folglich von allen Funktionen ferngehalten, in denen sich Bildung und Wissen als vorteilhaft hätten erweisen können. Interessant ist nun ein Blick in die Geschichte. Dieser Blick lehrt, dass Frauen, wenngleich grundsätzlich von allen Vorteilen, die Bildung verheißt, ausgeschlossen, so doch dafür kämpften, dass es ihnen in Ausnahmen gelang und dass sie dafür auch bittere Rache erfuhren. So ist der gesellschaftliche Aufstieg der klugen Aspasia als Gattin des Perikles an die Spitze des griechischen Staates und in das Zentrum der athenischen Aufklärung ein Exempel, das ihre Zeitgenossen zu strafen wussten. Sie wurde wegen Gotteslästerung verurteilt. Das 19. Jahrhundert spricht von ihr im Wesentlichen nur als Kurtisane. Die Philosophin Hypatia, Leiterin der platonischen Akademie in Alexandrien, wird von einer Horde von Männern im wörtlichen Sinn in Stücke gerissen und bei lebendigem Leibe von der Christengemeinde unter Leitung des Bischofs Kyrill zerschnitten.1 Wissenschaftlerinnen und Künstlerinnen von der Antike bis zur Aufklärung bezeugen Willen und Ohnmacht der Frauen, im Kampf um ihre gesellschaftliche Anerkennung durch Wissen. In diesem Buch wird ein kleiner und besonderer Teil dieser Geschichte zusammengefasst. Hier werden Lebensläufe von Frauen geschildert, die gewöhnlich nicht im Focus der emanzipatorischen Frauengeschichte stehen. Eine nähere Betrachtung könnte zeigen, dass sie in besonderer Weise aus den gegenwärtigen Forschungen ausgeschlossen sind. Im Zentrum der historisch forschenden Frauengeschichte stehen zumeist die bürgerli-

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Vgl. dazu: Hagengruber, Ruth. 1998. „Über die Vervollständigung des Wissens. Philosophinnen in der Wissenschaft", in: Völger, G (Hrsg.), Sie und Er. Frauenmacht und Männerherrschaft im Kulturvergleich, Bd. 1, Köln: Rautenstrauch-Joest Museum, 105-109.

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chen Frauen. Dass es sinnvoll ist, die Wurzeln der Frauenbewegungen historisch früher zu datieren, als etwa mit der Französischen Revolution, ist allerdings bereits gut belegt. So gibt es zahlreiche biografische Literatur zu den Wissenschaftlerinnen und Künstlerinnen seit der Renaissance. Weshalb die Frage nach dem emanzipatorischen Beitrag der Aristokratinnen bisher kaum gestellt wurde, kann hier nicht beantwortet werden. Auch in diesem Falle waren die Recherchen durch einen äußeren Anlass motiviert. Elisabeth, Königin von Preußen, hatte auf Schloss Hundisburg logiert. Von Elisabeth, der Frau Friedrichs II., führte nur ein kurzer Weg zu Emilie du Châtelet, der herausragenden Wissenschaftlerin und Philosophin, deren Freunde die Tischgesellschaft Friedrichs II. bestimmten. Von Berlin schließlich führten uns die Spuren nach Hannover und weiter über Den Haag nach England. Wie von selbst entfaltete sich dabei ein Netzwerk der Aristokratinnen vor unseren Augen, dass wir bis dahin nicht wahrgenommen hatten. Eine Reihe neuer Einsichten sind daraus hervorgegangen. Die hier vorgestellten Biografien lassen deutlich werden, dass es kontinuierliche Anstrengungen von Frauen gegeben hat, ihr Schicksal kritisch zu reflektieren und zu verändern. Nicht selten wird unterstellt, dass jene Frauen, die Teil und auch machtvoller Teil der ständischen Gesellschaft waren, von Ausschlussstrategien verschont oder nur in zu geringem Maße betroffen gewesen seien, um sich dagegen aufzulehnen. Hier werden Biografien verfolgt, in denen weibliches Selbstverständnis und ständische Herkunft in ganz unterschiedlicher Weise reflektiert sind. Gemeinsames Merkmal der hier vorgestellten Aristokratinnen ist ihr Anliegen, an die Stelle der gesellschaftlichen Macht die Macht des Wissens zu setzen. Sie alle streben nach dem Glück, das die Vernunft verheißt. Der Wille zum Wissen wird von diesen Frauen in recht unterschiedlicher Weise realisiert. Jede von ihnen setzt ihre intellektuelle Kraft in eigener Weise ein, um ihr Leben, durch das sie in die Pflicht genommen ist, zu gestalten. Unsere Aufgabe war es, zu zeigen, wie diese Frauen die ihnen zugedachte Differenz von Stand und Bildung erfuhren, wie sie mit ihrer Erfahrung lebten und wie sie diese artikulierten. So äußert Elisabeth von Böhmen ganz direkt die Vermutung, ihr Stand hindere sie daran, glücklich zu werden. Wie diese Frauen dachten, wird nicht dadurch greifbar, dass sie als Repräsentantinnen eines gesellschaftlichen Standes identifiziert werden. Eher soll den Frauen die Herrschaft über das Reich zuteil werden, als das Reich der Weisheit zugesprochen werden! So etwa argumentierte vor mehr als 250 Jahren

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Emilie du Châtelet. Die in diesem Buch versammelten Frauen und Aristokratinnen unterscheiden sich erheblich voneinander in Rang, wissenschaftlicher Leistung und in Bezug auf ihre Auffassung von ständischer Pflicht und weiblicher Neigimg. Nur einige von ihnen haben den philosophischen Olymp des Glücks der Vernunft erreicht. Diese Frauen waren nicht aus dem Reich der Macht ausgeschlossen, wohl aber aus dem Reich des Wissens. Gemeinsam war ihnen die sichere Überzeugung, dass die Glückserfahrung nicht einhergeht mit aristokratischem Dünkel. Sie wissen, dass Glück als das Ziel menschlicher Existenz von jeder Person selbst errungen werden muss und dass dieses Glück nicht aus Äußerlichkeiten hervorgeht, sondern nur durch rationale Anstrengungen zu erreichen ist. In ihrer Suche nach dem Glück realisieren sich ihre Anstrengungen, ihre Identität zu erfassen und zu artikulieren und ihr Wille, die Welt zu gestalten. In ihren Biografien spiegeln sich Zeiten, Zustände, Epochen, gesellschaftliche Bedingungen und persönliche Reflexionen. Sie wirkten als Fürstinnen, Gräfinnen, Königinnen. Die hier versammelten Biografien erzählen von ihrem Willen, sich selbst, ihr Leben und ihre Umgebung zu erkennen und zu verändern. Jede von ihnen hat hierzu ihren eigenen Beitrag geleistet.

Eine eigene Genealogie „Glücklich bist du Leser, wenn du nicht zu diesem Geschlecht gehörst, dem man alle Güter versagt, [...] um ihm als einziges Glück, als höchste und ausschließliche Tugend die Unwissenheit, den Anschein der Dummheit und das Dienen zu bestimmen. Glücklich weiterhin, der du straflos gebildet sein kannst [...]" Marie Le Jars de Gournay (1565-1645)

Christliche und hebräische Religionen, der Islam und der Buddhismus kennen nicht die Vielfalt von Göttern und Göttinnen, wie sie aus den Religionen der Griechen und Römer, aber auch aus den Mythen der Germanen und vieler anderer Religionen überliefert sind. Das Bild von den Frauen im Götterhimmel veränderte sich erheblich und der Mythos göttlicher Frauen verblasste über viele Jahrhunderte und in vielen Teilen der europäischen Kultur. Noch völlig im Dunkeln ist, weshalb die Götterwelt der Antike sich in dieser Weise veränderte. Erst

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in den Allegorien und Kunstwerken der Renaissance erhellt sich der Himmel wieder für die Göttinnen. Die Wiederentdeckung antiker Bildung und Kultur verlief zeitgleich mit Veränderungen in der Lebenswelt der Menschen. Neue Werte und Überzeugungen wurden formuliert, die sich in der Folge erheblich auf die Gestaltung des alltäglichen und weniger alltäglichen Lebens der Menschen auswirkten. Mit der Wiederentdeckung der Welt der Antike wird auch das weibliche Selbstverständnis überdacht und neu bestimmt. Wir begegnen einer Literatur, die den Lobpreis der Frauen anstimmt. Schon um 1400 war die Schriftstellerin Christine de Pizan gegen die Vorstellung aufgetreten, Bildung und Wissenschaft sei eine Männerdomäne. In ihrem Buch von der Stadt der Frauen zählt sie die Leistungen der Frauen auf, die sie wie eine Mauer als Bollwerk gegen den männlichen Dünkel errichtet. Alternativ zu den christlich geprägten Universitäten wie Paris, Oxford und Köln, die aus den Domschulen hervorgingen und zu denen man den Frauen über viele weitere Jahrhunderte den Zugang verwehrte, entstanden Akademien. Sie sollten Stätten des Wissens sein, ganz in der Tradition der antiken platonischen Akademien. Auch hier gelingt es erst vereinzelt und dann zunehmend Frauen, Mitglied und sogar Präsidentin solcher Akademien zu werden. In den Universitäten, die sich aus Medizin- und Rechtsschulen entwickeln, finden sich Professorinnen in verschiedenen Fakultäten. Bologna und Padua besetzen Lehrstühle mit Frauen. Im Geist der neuen Epoche quillt an jeder Ecke neues Leben hervor, das seine individuelle Bedeutung feiern will. Die Kirche jedoch will ihre Macht über die Wissenschaften und die Frauen nicht aufgeben. Die Hexenbulle von Papst Innozenz VIII., publiziert im Jahr 1484, kostet das Leben von einer Million Frauen. Jahrhunderte der Dominanz eines religiös-patriarchal geprägten Frauenbildes forderten die Unterordnung und den Gehorsam der Frau gegenüber dem Mann und institutionalisierten ein vermännlichtes Gottesverständnis auch politisch. Mit der Renaissance und der damit verbundenen Wiederentdeckung der antiken Gedanken erwachte eine neue Ära. Schon nehmen die Frauen die Ideen der griechischen Mythologie auf und fragen mit Bezug auf die Amazonen, ob es nicht besser sei, die Frauen lebten ohne die Männer. Moderata Fonte schreibt in ihrem Buch über die Verdienste der Frauen.2 Mit der veränderten Perspektive 2

Fonte, Moderata. 1997. The Worth of Women: Wherein Is Clearly Revealed Their Nobility and Their Superiority to Men, Cox, Virginia (Hrsg.), Chicago: University of

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auf Bildung und Wissenschaft geht ein gesellschaftlicher Wandel einher und ein neues Frauenbild entsteht.3 Die Geburt der Aphrodite im Gemälde von Sandro Boticelli zeigt, wie der Göttinnenmythos der Antike wieder belebt wird. Das Leben von Künstlerinnen und Dichterinnen, Philosophinnen und Wissenschaftlerinnen ist für diese Zeit dokumentiert. Frauen werden in vielfältiger Weise wieder sichtbar. Die Wiedergeburt des antiken Denkens ist wesentlich bestimmt durch die Wiederentdeckung der platonischen Schriften. In ihnen findet sich ein neues Frauenbild. Der neu entdeckte Piatonismus verändert den Blick auf die Liebe und die Geschlechter. Marsilio Ficino singt das Lied der hohen und platonischen Liebe, Thomas Morus belebt die Ideen der platonischen Staatslehre. In seinem utopischen Staat ist die platonische Auffassung von der Gleichberechtigung der Geschlechter wieder einer breiten Öffentlichkeit in Erinnerung gebracht. Die neuen Platoniker kämpfen gegen die alten mit der Kirchenlehre nur zu eng verbundenen Aristoteliker. Hatten die Aristoteliker im Einklang mit den christlichen Dogmen die Unterordnung der Frau gelehrt und dies mit den wissenschaftlichen Schriften des Aristoteles belegt, so lässt Hans Baidung Grien in seinem Holzschnitt die Frau nun auf dem Rücken des Aristoteles reiten. Die aristotelische Lehre von der Unterordnung der Frau unter den Mann wird ebenso fragwürdig, wie die Kosmologie des Aristoteles, in der die Erde im Zentrum des Universums ruht. Nichts von den alten Wahrheiten soll beibehalten werden. Neue Inhalte sind gefragt. Das gesellschaftliche Bild von den Frauen veränderte sich, dennoch waren Freiheit und Gleichheit noch fern. Beschränkt durch soziale, politische, ökonomische Zwänge war das Leben der bürgerlichen Frauen wie das der Aristokratinnen erheblich eingeschränkt. Die Glaubenskämpfe, die mit der Erneuerung des Denkens einhergingen, erschüttern den Kontinent. Kriege vernichten Wohlstand und Kultur. Die Kriege werden zur Herstellung von Ruhe und territorialer Einheit geführt, als

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Chicago Press. Über Musen und Amazonen: Cereta, Laura. 1997. Collected Letters of a Renaissance Feminist, Robin, Diana (Hrsg.), Chicago: University of Chicago Press. Siehe auch: D'Aragona, Tullia. 1997. Dialogue on the Infinity of Love. Russell, Rinaldina und Merry, Bruce (Hrsg.), Chicago: University of Chicago Press. Vgl. hierzu die zahlreiche Literatur: Simpson, Kathleen. 2006. Women in the Renaissance, New York: Benchmark Education. Servadlo, Gaia. 2005. Renaissance Woman, New York: Macmillan. Wilson, Katharina M. 1987. Women writers of the Renaissance and Reformation, Athens: University of Georgia Press. Benson, Pamela and Kirkham, Victoria (Hrsg.). 2005. Strong Voices, Weak History: Early Women Writers and Canons in England, France and Italy, University of Michigan Press.

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Preis dafür wird das emanzipatorische Bestreben der Individuen zurückgedrängt. Dies betrifft alle bürgerlichen Menschen, aber im Besonderen die Frauen. Ein Rückschlag ist die Staatstheorie von Jean Bodin. Es gebe diesen einen, von Gott legitimierten, absoluten König. Die Individualrechte des Bürgertums werden erheblich geschwächt, ein Reich, eine Religion, ein König. Die Frauen müssen ferngehalten werden von allen öffentlichen Ämtern, aller Befehlsgewalt und Rechtsprechung sowie von öffentlichen Zusammenkünften und Ratsversammlungen! Das ist die Reaktion, doch die Frauen nehmen ihre erneute Entmündigung nicht mehr als Selbstverständlichkeit hin. Die Philosophin und Schriftstellerin Marie de Gournay weist in ihrem Traktat Über die Gleichheit der Männer und Frauen Bodins Zumutungen zurück. Marie de Gournay ist mit ihrem Zorn und ihrem Anspruch, den sie für die Frauen erhebt, nicht allein. Sie verlangt die Beteiligung der Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft, der Wissenschaft und der Kirche. Frauen sollen alle Ämter und Würden im Staate bekleiden, für die Regierung seien sie ebenso geeignet wie die Männer. Ihre Forderungen kann sie triftig begründen. Männer und Frauen seien nur körperlich verschieden, ihr Verstand sei derselbe. Zum Regieren bedürfe man schließlich geistiger, nicht körperlicher Fähigkeiten.4 Marie de Gournay geht aber noch weit über diese Forderungen hinaus. Sie sucht nach der Ursache der Ungerechtigkeit. Ihre Antwort ist so innovativ wie provokativ; stichhaltig kritisiert sie das männliche Gottesbild: Wer sich einen Gott männlich vorstelle, sei ein ebenso schlechter Theologe wie Philosoph. Allerdings sollte es noch bis ins 3. Jahrtausend dauern, bis sich diese Überlegungen von Marie de Gournay in einer Bibelübersetzung niederschlugen, die das männliche Gottesbild relativiert und die Grenzen einer theologisch fragwürdigen aber praktisch wirksamen Zuschreibung aufgezeigt hat.5 Die Schriften von Marie de Gournay waren von außerordentlicher Wirkung und sie stellen ein wesentliches Bindeglied im Netzwerk der Aristokratinnen vor. Ihre Thesen markieren den Ausgangspunkt und das 4

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Gournay, Marie le Jars de. 1998. „Gleichheit von Männern und Frauen", in: Hagengruber, Ruth (Hrsg.), Klassische philosophische Texte von Frauen, München: dtv, 61-72, hier: 71. Vgl.: Rauschenbach, Brigitte. 2000. Der Traum und sein Schatten. Frühfeministin und geistige Verbündete Montaignes. Marie de Gournay und ihre Zeit., Königstein: Ulrike Helmer Verlag. Bail, Ulrike u. a. (Hrsg.). 2006. Die Bibel in gerechter Sprache, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

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Niveau der Diskussion, das nur allzu oft ignoriert wird, wenn wir über diese vergangenen Epochen nachdenken. Sie selbst hatte an einflussreicher Stelle gewirkt. Zeitweilig ist sie die Bibliothekarin von Margarete von Valois. Diese wiederum entstammt einer Linie des florentinischen Medicigeschlechts, das mit dem Neuplatonismus in Florenz auf das Engste verbunden ist. So nimmt es gar nicht wunder, dass Margarete selbst als Verfasserin ihrer Memoiren in die Geschichte der Frauen eingeht.6 Aber es ist nicht nur diese Nähe zum französischen Königshof, der ihre Thesen so wirkungsreich werden lässt. Dreißig Jahre nach ihren Thesen publiziert Poulain de la Barre ein Buch, das auf den Texten von Marie de Gournay beruht. Es ist sein Buch Über die Gleichheit der Geschlechter, und über die Notwendigkeit, sich der Vorurteile zu entledigen. Dieses Buch erscheint bereits vier Jahre später in London in englischer Übersetzung. Zusammen mit der Schrift der venezianischen Schriftstellerin Lucretia Marinella, Über den Adel und die Exzellenz der Frauen und die Mängel der Männer7 zitiert Pierre Bayle daraus in seinem Lexikon. Daneben erwähnt Pierre Bayle auch Anna Maria von Schurmann. Ihr 1648 erschienenes Buch: Über die Fähigkeiten der Frauen zur Wissenschaft zeigt ebenfalls enge Bezüge zur Schrift von Marie de Gournay. Die Thesen von Marie de Gournay wurden über Frankreich hinaus gelesen. Die Italienerinnen, Holländerinnen, Engländerinnen und Exilantinnen rezipieren ihre Gedanken. Jean de la Forge zählt sie in seinem 1663 verfassten Cercle des femmes savantes zu den siebzig berühmtesten Frauen aller Zeiten.8 Ihrem Haupte sei der Feminismus in voller Rüstung entsprungen, schreibt ein Autor zu Beginn des 20. Jahrhunderts und weist ihr damit dass Sinnbild der Göttin Athene zu. So mögen die Einen oder Anderen Marie de Gournay durchaus als Göttin des Krieges oder der Weisheit wahrgenommen haben.9 Diese außerordentliche Leistung der Marie de Gournay blieb nicht wirkungslos. In dem Umfeld von Margarete von Valois ist sie aufgehoben. Margarete vertraute ihre eigene Lebensgeschichte ihren Memoiren und Briefen an. Diese Frauen hatten Tradition. Ihre Urgroßmutter, Louise 6 7

8 9

Valois, Marguerite de. 1998. Correspondance, 1569-1614, Paris: Honoré Champion. Vgl. Marinella, Lucretia. 1985. „La Nobilita et Eccelenze delle Donne et i Difetti e Mancamenti de gli Huomini. 1600/1608/1621", in: Gössmann, Elisabeth (Hrsg.), Eva - Gottes Meisterwerk, München, 33-44. Forge, Jean de la. 1663. Le cercle des femmes savantes, Paris: Jean-Baptiste Loyson. Joran, Théodore. 1910. Les féministes avant le feminisme, Paris: A. Savaète.

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von Savoyen, hatte ihre schützende Hand über Heinrich Agrippa von Nettesheim gehalten. Auch er hatte eine Schrift Über die Exzellenz der Frauen verfasst.10 Auch die Schwester Franz I., Margarete von Angoulême, Königin von Navarra, hatte aus ihrem Hof ein bedeutendes Zentrum humanistischer Kultur geschaffen und selbst ein Werk verfasst, das Heptameron, eine Novellensammlung nach dem Vorbild des Florentiners Sandro Boccaccio. Ihre schriftstellerische Tätigkeit setzte fur die Aristokratinnen einen Meilenstein. Darüber hinaus zog sie Gelehrte an ihren Hof und regte die Übersetzung der florentinischen Neuplatoniker an.11 Katharina von Medici, die einen Sohn von König Franz I. heiratete, war Florentinerin. Diane von Poitiers, die Geliebte ihres Gatten, zierte sich und ihren Namen mit dem Symbol der Göttin Diana und ließ sich als Göttin Diana im Bild verewigen. Auch Elisabeth von Böhmen nimmt das Symbol der jungfräulichen Göttin der Jagd und des Mondes fur sich in Anspruch, um Freiheit und Stärke zu zeigen. Zweihundert Jahre später greift auch noch Madame de Pompadour auf die Symbolkraft dieser Göttin zurück und lässt sich als Diana porträtieren.12

Diana, „La Grèque": Prinzessin Elisabeth von Böhmen und der englische Zirkel In einem Medaillon sehen wir das Porträt eines jungen Mädchens, das uns durch seinen klaren Blick bezwingt. Der markante Gegensatz von heller Haut und schwarzem Haar unterstreicht die Bestimmtheit der Betrachteten. Zierliche Stirnlocken umrahmen das ovale Gesicht. Kraftvolle schwarze Augenbrauen liegen über den dunklen und mandelförmigen Augen und fuhren deren Linie weiter bis zu der langen schlanken Nase. Der fordernde und selbstbewusste Blick, mit dem die Porträtierte uns entgegen blickt, wird durch die Attribute unterstützt, mit denen sie sich auszeichnet. Offensiv trägt sie ihr Jagdgerät 10 Von Nettesheim, Agrippa und Cornelius, Heinrich. 1997. De nobilitate et praecellentia foeminei sexus, Würzburg : Königshausen und Neumann. 11 Cazauran, Nicole. 2001. L'Heptaméron de Marguerite de Navarre, Paris: Sedes. 12 Jean-Marc Nattier (1685-1766), Jeanne-Antoinette Poisson,Marquise de Pompadour (1722-1764) Diana die Jägerin. Oil on canvas, H. 1.02 m; L. 0.82 mlnv. M.V. 9042 Versailles, Musée national des châteaux de Versailles et de Trianon© Photo RMN/ Gérard Blot.

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zur Schau, in der einen Hand den Bogen, um die Schulter den Köcher mit den Pfeilen. Auf ihren Locken sitzt ein juwelenverziertes Band, in dessen Mitte die Sichel der Mondgöttin Diana ruht. Diana, römische Variante der griechischen Göttin Artemis, Tochter des Zeus und Zwillingsschwester des Apoll, ist die Göttin der Jagd, der wilden Tiere und des Waldes. Selbstverständlich ist sie jungfräulich, denn kein Mann kann Gewalt über sie haben. 13 Das Porträt von Elisabeth als Göttin Diana ist mehr als nur ein Zugeständnis an den Zeitgeschmack. Elisabeth stellt sich damit in eine Tradition jenseits der Grenzen engen christlichen weiblichen Selbstverständnisses. Die griechischen und römischen Göttinnen kolportieren eine Bedeutung fur die Frauen jener Epoche und die Zuschreibungen sind bezeichnend fur eine Reihe von Aristokratinnen. Welche Bedeutung diesen Allegorien zukommt, ist freilich schwer zu bestimmen. Klar ist jedoch, dass diese Frauen durch die Gestalten, in denen sie sich repräsentieren lassen, eine neue Welt für sich gewinnen, die nicht mit der zu identifizieren ist, in der sie leben müssen. Mit den Allegorien der Göttinnen erobern sie ein Stück Präsenz in dieser Welt zurück. Vor unseren Augen entfaltet sich eine Bildergalerie von Frauen, die sich im Geiste der Antike definieren. Diana, Aspasia, Hypatia, Minerva, sie alle begleiten die Frauen auf ihrem Weg in die Emanzipation und in die Aufklärung. Weit über das Selbstporträt hinaus, nutzte Elisabeth von Böhmen fur sich die gedankliche Freiheit der Antiken. Elisabeth von Böhmen ist unter vielen verschiedenen Namen bekannt. Als Elisabeth von der Pfalz, Elisabeth Palatine und Elisabeth of Bohemia oder Elisabeth von Herford verkörpert sie ein neues Selbstverständnis der Frauen; sie ist eine politische und intellektuelle Instanz. Geboren als älteste Tochter des Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz, des sogenannten „Winterkönigs" und seiner Gemahlin Elisabeth, einer Enkelin Maria Stuarts, ist sie ein Sprössling einer Familie, die eine erhebliche Rolle in den Religionswirren auf deutschem Boden spielt.14 Das Familienleben ist durch die politischen Geschicke bestimmt. Die Hochzeit ihrer Eltern sollte den Zusammenhalt der Protestanten zwischen England und dem Kontinent festigen. Friedrich ist der Kopf der protestantischen Ver13 Diana kann auch als eigenständige römische Göttin angesehen werden; diese Unterschiede spielen in diesem Zusammenhang allerdings noch keine Rolle. 14 Eine Einführung in die macht- und religionspolitischen Zusammenhänge, in denen der Winterkönig agierte, finden sich in: Yates, F. 2 1997. Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes, Stuttgart: Klett.

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einigung, die den katholischen Habsburgern die Stirn bietet. Mit dem Prager Fenstersturz beginnen der Dreißigjährige Krieg und die Auseinandersetzung um die herrschaftliche und religiöse Vormacht in Böhmen, Deutschland und auf dem Kontinent. Die Schlacht am Wießen Berg bei Prag wird den Protestanten zum Verhängnis. Die Familie des Winterkönigs flieht zu Verwandten nach Brandenburg; später leben Teile der Familie in Den Haag. Elisabeth bleibt unverheiratet. 1661 wird sie auf Veranlassung des protestantischen brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm zur Ko-Adjutorin des Damenstifts Herford gewählt, einer politisch angesehenen und reichen Pfründe der reformierten Kirche. 1667 zur Fürstäbtissin des Herforder Reichsstift gewählt, steht sie diesem bis zu ihrem Tode 1680 vor.15 Elisabeth von Böhmen wendet sich früh den Wissenschaften zu und erhält - offenbar aufgrund ihrer Begeisterung für die griechische Kultur von ihren Geschwistern den Kosenamen la Grecque, die Griechin.16 Elisabeth beherrschte Latein und Griechisch, Französisch, Englisch und lernte hinreichend Mathematik, Politik und Philosophie. Von Constant i n , dem Vater des berühmten Mathematikers Christian Huygens wurde sie unterrichtet. Dass sie über ordentliche Kenntnisse verfügte, zeigt ihre kundige Behandlung des sogenannten Appollonius-Problems aus den Briefen an Descartes. Elisabeth von Böhmen ist bereits Teil eines Netzwerks, in dem das neue Selbstverständnis der Frauen Fuß gefasst hat. Ihre Schwester Louise Hollandine erhält eine Schulung als Malerin, unterrichtet wird sie von Gerrit von Honthorst, der Tochter des Malers des Diana-Porträts, Willem. In einem bildungsinteressierten Hause aufgewachsen und für ihre Zeit und als Frau ihres Standes hervorragend unterrichtet, nimmt Elisabeth die Chancen wahr, die sich ihr bieten. Die Frage nach Vernunft und Glück, die Probleme des Standes, der damit verbundenen Verpflichtungen, ebenso wir ihre persönlichen körperlichen Erfahrungen und ihre Identifikation mit ihrem Geschlecht werden von ihr selbst bedingungslos zur Diskussion gestellt und analysiert. Über diese Fragen reflektiert sie mit einem der bedeutendsten Philosophen, mit René Descartes. Mit ihm hat sie Bekannt15 Vgl. Bei der Wieden, Helge (Hrsg.). 2008. Elisabeth von der Pfalz, Äbtissin von Herford, 1618-1689. Eine Biographie in Einzeldarstellungen, Hannover: Hahnsche Buchhandlung. 16 Shapiro, Lisa (Hrsg.). 2007. Princess Elisabeth of Bohemia and Descartes, The Correspondence between princess Elisabeth of Bohemia and René Descartes, Chicago: University of Chicago Press, 11.

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schaft am Hof geschlossen; im Gespräch mit ihm und in ihren Briefen an ihn nimmt sie die Chance wahr, ihre Gedanken zu artikulieren. Selbstbewusst eröffnet sie diesen Austausch mit einer Konfrontation: In dem ersten uns erhaltenen Brief der gemeinsamen Korrespondenz teilt sie ihm mit, dass sie seiner Theorie der zwei Substanzen nicht zustimmt. Dass das Körperliche vom Geistigen vollständig getrennt sein soll, kann sie nicht überzeugen. Für diesen Einwand ist sie im 20. Jahrhundert berühmt und zur Ikone der Descartes-Kritik geworden. Elisabeth von Böhmen hat Anteil an den wichtigen geistigen und politischen Geschehnissen ihrer Zeit, sie wächst auf im Zentrum von Aufklärung und Reformwillen, an einem Ort, an dem sich die Flüchtlinge der politischen Turbulenzen treffen. Aristokraten wie Bürgerliche verschiedener europäischer Staaten finden in den toleranten Niederlanden ihr Exil. Hier begegnen sich Emigranten unterschiedlicher politischer und ständischer Couleur. Religiöse, politische und gesellschaftliche Erfahrungen existieren hier miteinander und prallen aufeinander und werden im Kreuzfeuer der Diskussionen beruhigt. Politische und religiöse Reformen, aber auch das neue weibliche Selbstverständnis werden debattiert. In Den Haag treffen sich Elisabeth und Descartes. Nach Den Haag kommen Christina von Schweden und Margret Cavendish. Elisabeth von Böhmen lernt Anna Maria von Schurmann kennen, die uns bereits als Rezipientin der Schriften von Marie de Gournay begegnet ist. Anna Maria von Schurmann, das „Wunder von Utrecht" genannt, weil sie schon im Alter von drei Jahren habe lesen können, will den gerechtfertigten Anspruch der Frauen auf Bildung aus der recht zu interpretierenden Bibel ableiten. Das Studium der Wissenschaften zieme den christlichen Frauen, denn , jedem Menschen sind von Natur die Prinzipien oder die Potenzen der Prinzipien aller Künste und Wissenschaften eingegeben. Auch den Frauen ist alles eingegeben. Ergo kommen alle Künste und Wissenschaften den Frauen zu."17 Jahre später sollte Elisabeth von Böhmen als Fürstäbtissin von Herford ihre schützenden Hände über Anna Maria von Schurmann und ihre Labadistenfreunde halten, als diese in Herford Zuflucht sucht. Als Elisabeth von Böhmen 1743 ihren Briefwechsel mit René Descartes aufnimmt, ist sie also mit den Thesen der Anna Maria von

17 Schurmann, Anna Maria von. 1984. „Num foeminae christianae conveniat Studium litterarum? 1648/1650/1652", in: Gössmann, Elisabeth (Hrsg.), Das wohlgelahrte Frauenzimmer, München: Judicium, 40-53.

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Schurmann schon vertraut. Auch Elisabeth artikuliert in ihren Briefen die Geschlechterfrage, differenziert und fragt, ob es so sein muss, wie es ist es, von Natur her, oder ob doch Natur und Geist interagieren. Durchaus süffisant argumentiert sie in ihrem Brief vom 24. Mai 1645, dass ihr Körper mit den Schwächen ihres Geschlechtes ausgestattet und daher leicht durch den Kummer der Seele zu irritieren sei. Damit widerspricht sie nicht nur Descartes' These von der Getrenntheit der körperlichen und geistigen Substanzen; sie bereitet ein ganz eigenes Terrain des Arguments mit ihren Erfahrungen vor. Elisabeth ist in ihrer Zeit als gelehrte Aristokratin kein Einzelphänomen. Sie ist vielmehr eine unter einer Anzahl von jungen Frauen, durch die ein verändertes weibliches Selbstverständnis artikuliert wird. Anna Maria von Schurmann und Christina von Schweden sind in ihrer Zeit „weltberühmte" Frauen. Die Familie von Christina von Schweden, Tochter des Königs der Schweden und Führer im Krieg der Protestanten, steht schon aus politischen Gründen in Kontakt mit der Familie von Elisabeth von Böhmen, ihre Väter kämpfen an der selben, nämlich protestantischen Front. Schon in jungen Jahren wurde Christina von Schweden zu einem Mythos. Jünger und zweifellos auch berühmter als Elisabeth, in Kunst und Wissenschaft ebenso gelehrt wie diese, wird Christina von Schweden von ihrem Vater Gustav Adolf in einer sagenhaften Aktion für den Fall seines Ablebens zu seiner rechtmäßigen Thronfolgerin bestimmt. Christina ist in ihrer Zeit das Modell einer jungen Frau, deren Rang und geistige Brillanz einen neuen Maßstab setzen. Es ist kein Zufall, dass Christina von Schweden, als sie Holland besucht, auch die berühmte Anna Maria von Schurmann kennenlernt. Auch Elisabeths Diskussionspartner René Descartes folgt schließlich dem Ruf der neuen schwedischen Königin. Elisabeth von Böhmen hat diese Reise vermittelt. So jedenfalls deutet es die französische Philosophin Emilie du Châtelet hundert Jahre später und vergleicht sich mit Elisabeth. Emilie du Châtelet setzt die Tradition dieser philosophierenden Aristokratinnen fort. Aber nicht nur hundert Jahre später, selbst in ihrer Familie ist Elisabeth von Böhmen nicht die einzige philosophisch Gebildete. Ihre Schwester Sophie wird zur Gönnerin des Philosophen Wilhelm Gottfried Leibniz.

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Das Netzwerk Sophie von Hannover (1630-1714), die jüngste Schwester von Elisabeth von Böhmen, wird im Exil der Familie in Den Haag als zwölftes Kind des aus seinem Land vertriebenen „Winterkönigs" Friedrich V. von der Pfalz und seiner Frau Elisabeth Stuart im Jahre 1630 geboren. Sie ist also zwölf Jahre jünger als ihre Schwester. Die beiden sind nicht nur durch familiäre Bande verbunden; sie bewegen sich in einem aufgeklärten Umfeld, beide pflegen Freundschaft und regen Austausch mit Philosophen und Denkern ihrer Zeit. Sie sind erzogen, um im Licht der Öffentlichkeit zu wirken, sie sind politisch und gesellschaftlich aktiv. 1658 mit Herzog Ernst August von Braunschweig-Lüneburg verheiratet, beginnt Sophie 1667, also in jenem Jahr, in dem ihre Schwester zur Fürstäbtissin von Herford gewählt wird, mit dem Bau des Schlosses in Osnabrück. Räumlich gesehen, leben sie kaum eine Tagesreise voneinander entfernt. Wie Elisabeth, verfolgt auch Sophie eine aufgeklärte und tolerante Religionspolitik, die sie gemeinsam mit „ihrem" Philosophen Leibniz fundieren will. Für sie schreibt er seine Theodizee. Auch politisch handelt sie ebenso rational wie nachhaltig. Nach langen Verhandlungen mit den Engländern gelingt es Sophie, der Tochter der englischen Stuartprinzessin, die Erbfolge der Hannoveraner auf den englischen Königsthron zu sichern, und so ihrem Enkel zur englischen Königswürde zu verhelfen. Ihre Tochter Sophie Charlotte (16681714) setzt die Politik der Mutter und die Freundschaft zu Leibniz als Königin von Preußen fort. Politische Anteilnahme, ja Aktivität und planvolles Handeln lassen Tante, Mutter und Tochter im Spiel der Mächte sichtbar werden. Für Leibniz gründet Sophie Charlotte die Akademie in Berlin und macht ihn zum ersten Akademiepräsidenten. Die dreizehnjährige Waise Caroline von Ansbach (1683-1737) lebt an ihrem Hof und wird mit dem Enkel Sophies verheiratet. Als Königin wird sie den englischen Thron besteigen und noch von dort dem alten Leibniz ihre Hochachtung mitteilen, zu spät allerdings für jenen. Schwester und Nichte hinterlassen jedoch kein philosophisches Werk, doch viele Briefe, die auch sie mit ihrem Philosophen Leibniz wechseln. Nicht so deutlich und pointiert wie Elisabeth sprechen Sophie und ihre Tochter ihre Gedanken aus und es fällt uns schwer, einen eigenen philosophischen Standpunkt in ihren Memoiren und Briefen zu identifizieren. Deutlich aber artikulieren auch sie ihren Unmut über die Pflichten des Standes und die Ungerechtigkeiten gegen ihr Ge-

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schlecht. Elisabeth dagegen präsentiert sich gegenüber Descartes kraftvoll, kritisch und als eigenständige Denkerin. Der Einfluss der Hannoveranerinnen auf das Werk und aus der Biografie Leibnizens ist gar nicht wegzudenken. Man denke nur an die eindrucksvolle Demonstration des Satzes der Identität, die Leibniz im Schlossgarten von Hanno ver-Herrenhausen vorgeführt haben soll. Auch Elisabeth von Böhmen pflegte Kontakt mit Leibniz. Er soll sie noch an ihrem Totenbett besucht haben, gemeinsam mit dem Arzt und Philosophen Mercurius van Helmont, dem so große Bedeutung für das Schaffen von Leibniz nachgesagt wird. In dieser Konstellation der Personen und über die Verbindung mit Mercurius van Helmont erscheint eine weitere philosophierende Aristokratin in diesem Netzwerk: Anne Conway. Anne Finch, Viscountess von Conway, (1631 -1679) verfasste selbst ein philosophisches Werk von größter Wirkung: In ihrer Schrift: Über die Prinzipien der alten und neuen Philosophie führt sie den Begriff der Monade ein.18 Mit diesem zentralen Terminus ihrer Philosophie will sie zeigen, dass sich Geist und Materie gegenseitig durchdringen, sie können nicht voneinander getrennt gedacht werden, vielmehr bilden sie eine Einheit, die eben nicht atomistisch zu denken ist, sondern die in ein Kontinuum führt. Ebenso wie Elisabeth lehnt Anne Conway die strenge Trennung von Geist und Materie im cartesianischen Weltbild ab. Die Natur sei ein lebendiges Ganzes, bestehend aus kleinsten individuellen Einheiten, den Monaden, mit eigener Lebenskraft. Wie Elisabeth von Böhmen formuliert auch Anne Conway einen kritischen Beitrag zur Philosophie von René Descartes. Wie Elisabeth, ist auch Anne Conway ein eigenwilliger Kopf. Ob sich die Frauen begegnet sind, wissen wir heute noch nicht. Dass dieser Kontakt bestand, liegt auf der Hand. Ihr philosophisches Werk wurde lange Zeit dem Kabbalisten Mercurius von Helmont zugeschrieben, der als Freund von Leibniz bekannt ist; die Freundschaft von Leibniz und Mercurius wurde von den Hannoveraner Frauen herbeigeführt. Über Jahre befand sich Mercurius von Helmont im Hause von Anne Conway, da er als Arzt 18 Vgl. hierzu die Angaben von A. P. Coudert and T. Corse in der Einleitung zu: Conway, Anne. 1996. The Principles of the Most Ancient and Modem Philosophy, Cambridge: Cambridge University Press. Einen deutschen Textauszug findet man in: Conway, Anne. 1998. „Die Prinzipien der ältesten und gegenwärtigen Philosophie", in: Hagengruber, Ruth. 1998. Klassische philosophische Texte von Frauen, München: dtv. 88-97.

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für sie tätig war.19 Der Einfluss des Mercurius von Helmont auf Leibniz ist bestätigt. Viel weniger Aufmerksamkeit wurde allerdings bisher jener Tatsache zuteil, die doch Leibniz selbst mehrfach erwähnt, nämlich den tiefen Eindruck, den die Philosophie der Anne Conway bei ihm hinterließ. In einem Brief an Thomas Burnett vom 24. August 1697 schreibt Leibniz, seine Philosophie nähere sich jener der Madame von Conway an und halte die Mitte zwischen Piaton und Demokrit.20 Auch in seinen Essays bekundet Leibniz, wie sehr ihn diese Philosophin beeindruckte.21 Heute gibt es interessante Literatur über den Einfluss von Anne Conway auf die Ideen von Leibniz.22 Elisabeth von Böhmen und Sophie von Hannover sind die Töchter einer englischen Stuart-Prinzessin. Auch die Familie Conway steht in engem Kontakt zum englischen Königshof. Margaret Cavendish aber, eine weitere herausragende philosophische Schriftstellerin, kommt im Gefolge der Stuart-Königin in das holländische Exil. Margaret Cavendish (1623-1673) unterscheidet sich jedoch in mancher Hinsicht von den Vorgenannten. Mit ihren Schriften wagt sie den Schritt in die Öffentlichkeit. Sie publiziert ihre eigenen Gedanken und Bücher zu Lebzeiten und sie prägt den Ausdruck: „Eine Welt für sich selbst". Immerhin war es Margarets Dictum, sie schaffe eine Welt für sich selbst, das in der Variante ihrer Kommentatorin Virginia Wolf zu einem „Zimmer für mich allein" bis heute zitiert wird. Samuel Pepys' häufig zitierte Bemerkung „The whole story of this Lady is a romance, and all she 19 Hutton, Sarah. 2004. Anne Conway. A Women Philosopher, Cambridge: Cambridge University Press. 20 Zitiert nach: Leibniz, G W. 1887, in: Gerhardt, C. I. (Hrsg.). 1962. Die philosophischen Schriften, Bd. 3, Hildesheim: Olms. 21 Leibniz, G W. 1996. Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, Cassirer, E. (Hrsg.), Hamburg: Meiner, 31. Conway, Anne. 1982. The Principles of the Most Ancient and Modern Philosophy, Loptson, Peter (Hrsg.), The Hague/Boston/ London: Nijhoff. 22 Leibniz habe aus Conways Text einige seiner charakteristischen Ideen gezogen, vgl. hierzu: Nicolson, M. H. (Hrsg.). 1992. The Comvay Letters, with an introduction and new material by Sarah Hutton, Oxford: Clarendon, XXVII. A. Coudert sieht einen entscheidenden Einfluss von Conway auf die Entwicklung der Leibnizschen Monadenkonzeption und die Ausführungen der Theodizee, vgl. hierzu: Coudert, Allison. 1994. Leibniz and the Kabbalah, New York: Kluwer; ebenso: Merchant, C. 1979. „The Vitalism of Anne Conway: It's Impact on Leibniz's Concept of the Monad", Journal for History of Philosophy 17/3, 255. Vgl. auch: Frankel, L. 1995. „Anne Finch, Viscountess Conway", in: Waithe, Mary Ellen, A History of Women Philosophers, Bd. 3, New York: Kluwer, 42-58.

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doth is romantic" gibt einen Eindruck von der sagenhaften Wirkung wieder, die dieser Frau zu ihren Lebzeiten zugeschrieben wurde. Mit der Forderung nach einer Welt für sich selbst artikulierte Margaret Cavendish freilich ein ganz neues Selbstbewusstsein. Die bescheidene Zurückhaltung von Elisabeth von Böhmen steht geradezu im Gegensatz zum Auftreten von Margret Cavendish. Elisabeth war schon von Descartes selbst und auch von seinem Verwalter nach dessen frühem Tode im Jahr 1650 gebeten worden, ihre bedeutsamen philosophischen Briefe fur die Publikation freizugeben. Elisabeth hatte dies abgelehnt. Margaret Cavendish dagegen publizierte ihre Gedanken und erzielte damit in ihrer Zeit eine herausragende Wirkung. Damit wurde Margaret Cavendish zur Ausnahmefigur. Teilten die Vorgenannten ihre Ideen zum großen Teil nur in privat gebliebenen Briefen mit, so erhob Margaret Cavendish die literarische Form zur Methode. Sie publizierte eine imaginäre Korrespondenz und vermischte ganz bewusst die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Leben.23 Margaret Lucas, verheiratet und bekannt als Autorin unter dem Namen Margaret Cavendish, 1623 in einer vornehmen Familie in Essex geboren, gelangte im Gefolge der Königin und mit der Familie des Stuart-Königs Charles I. 1644 ins Exil nach Frankreich. Im Haus ihres Gatten verkehren die Philosophen René Descartes und Thomas Hobbes.24 Es gibt also genug Gründe, die für eine Bekanntschaft der jungen Frauen sprechen, die den exilierten Stuarts verbunden waren und sich sämtlich in Den Haag aufhielten. Margaret dinierte mit Descartes und korrespondierte mit Christian Huygens, dem Sohn des Mathematiklehrers der Elisabeth von Böhmen. Erst im Jahre 1660 kehrt die Familie Cavendish aus Frankreich und Holland nach England zurück. Es

23 Cavendish, Margaret. 2001. Die gleissende Welt, übers, und mit einem Nachwort versehen von Virginia Richter, München: Scaneg Verlag. Cavendish, Margaret. 2001. Observations upon Experimental Philosophy, O'Neill, Eileen (Hrsg.), New York: Cambridge UP. Whitaker, Katie. 2002. Mad Madge: The Extraordinary Life of Margaret Cavendish, Duchess of Newcastle, the First Woman to Live by Her Pen, New York: Basic Books. Einen deutschen Textauszug findet man in: Cavendish, Margaret. 1998. „Die Beschreibung einer Neuen Welt, Flammende Welt genannt", in: Hagengruber 1998, 72-88. Siehe auch die einleitenden Bemerkungen ebenda: Hagengruber 1998,24-26. 24 Hughes, Ann und Sanders, Julie. 2007. "The Hague Courts of Elizabeth of Bohemia and Mary Stuart: Theatrical and Ceremonial Cultures", Early Modem Literary Studies 15. URL: http://purl.oclc.org/emls/si-15/hughsand.htm>.

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ist schwerlich anzunehmen, dass sie in unserem Zirkel der Aristokratinnen unbekannt gewesen wäre.

Minerva der Aufklärung: Emilie du Châtelet und ihr Umfeld „Minerve dictois, et moi j'écrivois" Voltaire

Minerva wird jene genannt, die den Göttern im Olymp der Wissenschaft nahezu gleichkam. Schon zu Lebzeiten wird sie zu den hundert illustresten Persönlichkeiten ihrer Zeit gezählt.25 Gabrielle Emilie Le Tonnelier de Breteuil, Marquise du Châtelet-Laumont, 1706 in eine alte Adelsfamilie hineingeboren, brachte mit ihrer Feststellung auf den Punkt, was sich am biografischen Exempel der hier versammelten Aristokratinnen realisiert hatte. Den Frauen war es offenbar erlaubt zu regieren, die Macht des Wissens aber sollte ihnen nicht zuteil werden. Emilie du Châtelet, Philosophin, Mathematikerin und Mitglied der geheimen und illustren Zirkel der philosophes in Paris, besucht in Männerkleidung die Cafés der Literaten und nimmt an den Gesprächen der geistigen Elite ihrer Zeit teil und bestimmt diese wesentlich mit. Sie fordert den Sekretär der Akademie der Wissenschaften zu einem intellektuellen Schlagabtausch heraus und triumphiert. Sie genießt internationalen Ruhm, ihre Schriften werden ins Deutsche und Italienische übersetzt. Immanuel Kant widmet ihr seine erste Publikation im Jahre 1747 und muss eingestehen: „Der Vorzug des Verstandes und der Wissenschaft (setzt) ... sie über alle übrigen ihres Geschlechtes und auch über einen großen Theil des anderen hinweg".26 Die intellektuelle Leistung der Emilie du Châtelet stellt zweifellos einen Höhepunkt in der Tradition aufgeklärter Aristokratinnen dar. Ihr Todesjahr 1749 wird nachgerade der Schlusspunkt dieser Entwick-

25 Brucker, Jakob. 1741-1755. Bilder-Sal heutiges Tages lebender und durch Gelahrheit berühmter Schriftsteller. Augsburg. 26 Kant, Immanuel. 1746. Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte, Bd. I, Berlin: Preußische Akademie der Wissenschaften, 1-213, hier: 133.

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lung.27 In diesem Jahr erhält der Philosoph Jean Jacques Rousseau den Preis der Akademie von Dijon. Er hat die Frage, ob der Fortschritt der Wissenschaften und Künste zur Läuterung der Sitten beitrage, verneint. Rousseau erteilt dem fortschrittsoptimistischen, wissenschaftsfreundlichen Zeitalter eine Absage und weist die Frauen in ihre Schranken zurück. „Die Erforschung der abstrakten und spekulativen Wahrheiten, die Prinzipien und Axiome der Wissenschaften, alles, was auf die Verallgemeinerung der Begriffe abzielt, ist nicht Sache der Frauen".28 Rousseau wolle die Menschen wieder auf allen Vieren kriechen sehen, schreibt Louise d'Epinay.29 Voltaire, der Lebensgefährte von Emilie du Châtelet wird zum Gegenspieler Rousseaus. Auch die bürgerlichen Frauen wenden sich gegen ihn. Mary Wollstonecraft, eine englische Journalistin, sieht sich um die gerechten Früchte der Revolution gebracht, die Frauen wurden nicht zur Regierung zugelassen. In Rousseaus Frauenpolitik erkennt sie die Ursache dieser Politik.30 Auch die Revolutionärin Olympe de Gouges warnt: „Frauen, erwacht! [...] Der versklavte Mann hat eurer Kräfte bedurft, um seine Ketten zu brechen. Nun er frei ist, ist er ungerecht gegen seine Gefährtin geworden."31 Nach dem frühen Tod von Emilie du Châtelet schreibt Voltaire über sie in seinen Erinnerungen: „Wenig Menschen hatte eine so rasche Auffassung, so eleganten Geschmack und diesen Wunsch nach Wissen. Sie liebte die Gesellschaft und das Spiel, aber sie entschloss sich, alles zu verlassen um ihre Studien voranzutreiben." Emilie du Châtelet gehörte dem höchsten Adel an und verfügte über politischen Einfluss. Diderot dankt ihr in seinen Memoiren; sie stand ihm als Bürgin zur Seite, als er eine Gefängnisstrafe anzutreten hatte wegen seiner Briefe über die Blinden. Am Hofe von Versailles zog sie die Fäden, um gute

27 Vgl. hierzu: Hagengruber, Ruth. 2002. „Gegen Rousseau - für die Physik: Gabrielle Emilie du Châtelet (1706-1749). Das Leben einer Wissenschaftlerin im Zeitalter der Aufklärung", Konsens 3/18,27-30. 28 Rousseau, J. J. 1978. Emile oder über die Erziehung, Paderborn: Klett-Cotta, 447. 29 Louise d'Epinay in einem Brief an Ferdinando Galiani, in: Galiano, Fernando und Epinay, Louise d'. 1992. Ferdinando Galiani und Louise d'Epinay, Helle Briefe, Frankfurt a. M.: Eichborn, 180. 30 Vgl. hierzu: Wollstonecraft, Mary. 1998. „Die Pflichten der Freiheit", in: Hagengruber, Ruth (Hrsg.), Klassische philosophische Texte von Frauen, München: dtv, 30-32. 31 Gouges, Olympe de. 1995. Mensch und Bürgerin. „Die Rechte der Frau", Schröder, Hannelore (Hrsg.), Aachen: ein-fach-Verlag.

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Stimmung für ihre Philosophenfreunde zu erlangen.32 Emilie du Châtelet ist ein Idol in ihrer Zeit, ihre wissenschaftliche Bildung wird zum Modell und prägt den Stil. Aristokratinnen und Bürgerliche ahmen sie nach. Sie lassen sich - ebenso wie Emilie - mit Büchern porträtieren. Wie keine andere ihres Standes und ungeachtet der Anfeindungen gegen ihr Geschlecht und gegen ihre Person gelang es ihr, ein Werk von enormer Wirkung zu schaffen. Ihre Zeitgenossin, die deutsche Schriftstellerin Louise Gottsched (1713-1762), hebt in ihrer Eloge an Mme du Châtelet ihre Verdienste als Wissenschaftlerin und als Frau hervor: „Du, die Du jetzt den Ruhm des Vaterlandes stützest / Frau! Die Du ihm weit mehr, als tausend Männer nützest / Erhabene Châtelet! oh fahre ferner fort / der Wahrheit nachzugehn..."33 Emilie du Châtelet wird zu einer bedeutenden Figur auch der deutschen Aufklärung. Die Wirkung, die sie in Deutschland im Kreis der WolfFianer erzielt, zieht weite Kreise. Am Hofe des Preußenkönigs Friedrichs II. versammeln sich jene Geister, die zu ihren Lebzeiten wie Planeten um dieses Gestirn der Minerva kreisten. Pierre Louis Moreau de Maupertuis, ihr Mathematiklehrer und jahrelanger Brieffreund, wurde 1746 von Friedrich II. zum Präsidenten der Berliner Akademie ernannt. Voltaire, ihr Lebensgefährte, und Julien Oftray de La Mettrie, ihr Verehrer, gehören zur Tischgesellschaft von Friedrich II. Leonhard Euler, der große Mathematiker, ist Akademiemitglied und tauscht mit ihr Briefe aus. Emilie du Châtelet ist die Koryphäe der Bildungswelt, herausragendes Exempel weiblicher Bildung und Wissenschaft, deren Vorbild anregt, aber auch erregt. An ihr müssen sich die Frauen ihrer Zeit und ihres Standes messen lassen. Intellektuell stehen alle aristokratischen Frauen im Schatten von Emilie du Châtelet. Das Beispiel ihres Könnens wird der Königin Elisabeth von Preußen nicht unbekannt gewesen sein. Auch Elisabeth, Gattin Friedrichs II. von Preußen, ist nicht nur Königin. Auch sie ist Schriftstellerin und Übersetzerin, gerade wie Emilie du Châtelet. 1715 in Wolfenbüttel geboren und 1797 in Berlin verstorben, war sie 1733 mit dem Kronprinzen Friedrich von Preußen verheiratet worden. Bereits 1736 hatte Friedrich den Briefkontakt, zuerst 32 Zinsser, Judith P. 2008. La Dame d'Esprit. A Biography of The Marquise du Châtelet, New York: Viking. 33 Du Châtelet, Emilie. 1741. Zwo Schriften, welche von der Frau Marquise von Châtelet und dem Herrn von Mairan, das Maaß der lebendigen Kräfte betreffend, gewechselt worden sind, aus dem Franz. übersetzt von Louise Adelgunde Victoria Gottsched, Leipzig: Breitkopf.

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mit Voltaire und dann auch mit Emile du Châtelet begonnen. Betrachtet man das schriftstellerische Lebenswerk von Elisabeth von Preußen als Spiegelung oder Abgrenzung zu den Schriften von Emilie du Châtelet, so mag schnell die Diskrepanz sichtbar werden, die zwischen ihren geistigen Welten besteht. Die Erbauungsschriften der Königin sind inhaltlich geradezu konträr zu dem aufgeklärten Denkgut der radikalen Wissenschaftlerin und Sozialphilosophin Emilie du Châtelet. Leonhard Euler, neben Pierre Louis Moreau de Maupertuis, herausragendes Mitglied der preußischen Akademie, steht ebenfalls im wissenschaftlichen Austausch mit Emilie du Châtelet. Sind vielleicht seine Briefe an eine deutsche Prinzessin über verschiedene Gegenstände aus der Physik und Philosophie als Exempel der mathematischen Frauenbildung statuiert? Ist auch hier die herausragende Mathematikerin und Philosophin die Ursache dafür, dieses Experiment zu wagen, Frauen an die Wissenschaften heranzufuhren? Leonhard Euler richtet seine Lehrbriefe an die Tochter des Markgrafen Friedrich Heinrich von Brandenburg-Schwedt, die Markgräfin Friederike Charlotte Ludovica Luise (1745-1808). Die Adressatin ist Schützling des Königs. Möglicherweise sollte das von Du Châtelet erbrachte Beispiel weitergeführt werden. Während einer kurzen Epoche hatte die Mädchenbildung Bedeutung erhalten und sich eine aufklärerische Bewegung installiert, die Bildungsinstitutionen fur Mädchen errichtete. Wie keine der hier erwähnten Denkerinnen vor ihr, analysierte Emilie du Châtelet mit Scharfsinn die Abhängigkeiten von Geschlecht, Bildung und Stand. Sie spottete über die vermeintlichen Gründe, die es den Frauen untersagen, wissen zu wollen. Das eine sei sicher, so sagt Emilie du Châtelet, dass die Liebe zum Studium für das Glück der Frauen weit wichtiger sei als für das der Männer, denn es seien ihnen ja sonst keine Freuden erlaubt! Emilie du Châtelet schließt den Bogen zu Elisabeth von Böhmen zurück. In ihren Briefen vergleicht sie sich mit ihr und ihrem Schicksal. Zwischen den Werken und Gedanken von Elisabeth von Böhmen bis hin zu Emilie du Châtelet aber hat sich ein Netzwerk philosophierender Frauen entfaltet.

Sabrina Ebbersmeyer

Tristesse und Glück einer gelehrten Prinzessin Der Briefwechsel zwischen Elisabeth von Böhmen und René Descartes „Sie war sehr gelehrt: sie beherrschte alle Sprachen und alle Wissenschaften und pflegte einen regelmäßigen Umgang mit M. Descartes; aber dieses große Wissen machte sie etwas zerstreut und gab uns häufig Anlass zum Lachen."1

Einleitung Elisabeth von Böhmen (1618-1680), Tochter von Elisabeth Stuart und Friedrich V. von der Pfalz, des sogenannten „Winterkönigs", gehört nicht nur zu den berühmten Frauen ihrer Zeit, sondern auch zu den gelehrtesten.2 Von ihren Geschwistern aufgrund ihrer ungewöhnlich umfangreichen Bildung, die auch die klassischen Sprachen umfasste, la Grècque genannt,3 stand sie im brieflichen Austausch mit zahlreichen führenden Intellektuellen des 17. Jahrhunderts, etwa mit Descartes, Malebranche, Leibniz, Huygens und Anna Maria van Schurmann.4 In den heutigen Standardphilosophiegeschichten wird man allerdings kaum auf ihren Namen treffen.5 Damit teilt sie das Schicksal zahl1

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„l'autre [= Elisabeth] estoit fort sçavante; elle sçavoit toutes les langues et toutes les sçiences et avoit un commerce réglé avec M. Descartes; mais ce grand sçavoir la rendoit un peu distraite et nous donnoit souvent sujet de rire." Köcher, Adolf (Hrsg.). 1879. Memoiren der Herzogin Sophie nachmals Kurßrstin von Hannover, 38. Zur Biografie Elisabeths vgl. Guhrauer, Gottschalk Eduard. 1850. Elisabeth, Pfalzgräfin bei Rhein, Äbtissin von Herford, Leipzig. Und: Néel, Marguerite. 1943. Descartes et la Princesse Elisabeth, Paris. Vgl. Hauck, Karl. 1908. Die Briefe der Kinder des Winterkönigs, Heidelberg, 140. Zu Elisabeths umfangreichen Briefwechsel mit zahlreichen berühmten Persönlichkeiten vgl.: Creese, Anna. 1993. The letters of Elisabeth, Princess Palatine: A seventeenth century correspondence, Ph.D. diss., Princeton Unversity. Allerdings spielt Elisabeth in der jüngeren Descartes-Forschung eine zentrale Rolle, da die Korrespondenz zwischen Descartes und Elisabeth einzigartige Einblicke in die Komplexität der Philosophie Descartes' gewährt (siehe unten Anm. 12). Die philosophischen Ansichten von Elisabeth selbst werden dagegen eher selten untersucht. Ausnahmen bilden die Arbeiten von Andrea Nye zum ethischen und politischen Denken Elisabeths: „Polity and Prudence. The Ethics of Elisabeth, Princess Palatine",

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reicher Philosophinnen der Frühen Neuzeit.6 Obgleich wir seit der Renaissance umfangreiche Zeugnisse von gelehrten Frauen haben, war ihr gesellschaftlicher und institutioneller Ort - auch noch im 17. Jahrhundert - alles andere als geklärt und etabliert. Die traditionelle gelehrte Karriere an einer Universität stand ihnen nach wie vor nicht offen - weder als Studentin noch als Dozentin. Und die sich mit dem Humanismus verbreitende Welle einer gelehrten Laienkultur trug Frauen auch nur ein Stück weit: Als Briefpartnerinnen waren sie, vor allem, wenn sie noch jung waren, geduldet, aber nur wenigen Frauen gelang es, sich in der gelehrten Welt zu etablieren. Die Möglichkeiten, mit denen sich Frauen in den gelehrten Diskurs der Frühen Neuzeit einbringen konnten, waren mithin stark limitiert. Dies spiegelt sich auch in den von Frauen bevorzugten Textformen wider, denn häufiger als an akademische Professionen gebundene Textformen wie Traktat und Kommentar, verwendeten Frauen informelle literarische Genres wie Brief, Dialog und Memoiren. Abgesehen von den bereits genannten sozialen Bedingungen mag ein weiterer Grund für die Bevorzugung informeller literarischer Genres von Frauen verantwortlich sein: Zahlreiche Frauen aus Renaissance und früher Neuzeit betrachten ihre philosophischen Tätigkeiten nicht als eine rein theoretische Angelegenheit, sondern reflektieren damit zugleich auch ihre reale Lebenssituation und setzen das theoretisch Verhandelte in Beziehung zu ihrem eigenen Leben.7 Als ein typisches Beispiel dafür,

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in: Lopez McAlister, Linda (Hrsg.). 1996. Hypatia 's Daughters. Fifteen Hundred Years of Women Philosophers, Bloomington/Indianapolis, 68-9. Und von Lisa Shapiro zu ihrem Philosophieverständnis: „Princess Elisabeth and Descartes: The Union of Soul and Body and the Practice of Philosophy", British Journal for the History of Philosophy 7 (1999), 503-520. Eileen O'Neill hat den Ausschluss von Frauen aus der Philosophiegeschichte umfassend untersucht und differenzierte Gründe fur dieses eigentümliche Faktum der Historiographie diskutiert. Vgl.: O'Neill, Eileen. 1998. „Disappearing Ink: Early Modern Women Philosophers and Their Fate in History", in: Kourany, Janet A. (Hrsg.), Philosophy in a Feminist Voice, Princeton, 17-62; O'Neill, Eileen. 1999. „Women Cartesians, ,Feminine Philosophy' and Historical Exclusion", in: Bordo, Susan (Hrsg.), Feminist Interpretations of René Descartes, University Park, Pennsylvania, 232-257. Diese Verbindung von Philosophie und dem eigenen Leben ist freilich keine exklusiv weibliche Angelegenheit. Die Vorstellung, dass Philosophie zugleich eine bestimmte Lebensform meint, hat ihre Wurzeln bereits in der Antike, vgl. dazu ausführlicher: Hadot, Pierre. 1991. Philosophie als Lebensform. Geistige Übungen in der Antike, Berlin: Fischer.

TRISTESSE UND GLÜCK EINER GELEHRTEN PRINZESSIN

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wie sich eine junge gelehrte Frau in den gebildeten Diskurs ihrer Zeit einbringt und dabei zugleich ihre eigene Lebenssituation zu klassischen Themen der Philosophie in Beziehung setzt, gilt der Briefwechsel zwischen Elisabeth von Böhmen und dem um mehr als zwanzig Jahre älteren Philosophen René Descartes (1596-1650). 8

Der Briefwechsel zwischen Elisabeth und Descartes Im Mai des Jahres 1643 erkühnt sich die gerade einmal vierundzwanzigjährige Prinzessin Elisabeth von Böhmen, sich mit einer kritischen Nachfrage bezüglich der Metaphysischen Meditationen, die zwei Jahre zuvor in Paris auf Latein erschienen waren, brieflich an deren berühmten Verfasser zu wenden. Dieser Schritt war alles andere als selbstverständlich und erforderte Mut und Selbstbewusstsein der jungen Prinzessin. Sie konnte sich durch Descartes' Schriften allerdings selbst dazu ermutigt fühlen. Mit seiner Entscheidung, den Discours de la Méthode nicht in der Gelehrtensprache Latein, sondern auf Französisch zu verfassen, hat er seine Philosophie, von der er annahm, dass sie prinzipiell von allen Menschen verstanden werden könne, einem weiteren Laienpublikum zugänglich gemacht. In einem Brief an Vatier äußert er explizit, er habe mit diesem Text beabsichtigt, „dass auch die Frauen etwas verstehen könnten".9 Dieser erste Brief Elisabeths ist der Auftakt eines Briefwechsels, der sich vom Mai des Jahres 1643 bis zum Tod des Philosophen im Januar 1650 erstreckt. Von diesem Briefwech8

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Der Briefwechsel befindet sich in den Bänden III, IV und V der Werkausgabe Descartes'. Vgl. Adam, Charles und Tannery, Paul (Hrsg.). 1897-1913.11 Bde., Cerf: Paris. Neu herausgegeben: 1964-1967. Vrin: Paris. Und: 1996. Vrin: Paris. Er liegt ferner in verschiedenen separaten Editionen auf Französisch vor. Chevalier, Jacques (Hrsg.). 1935. Lettres sur la morale: correspondance avec la Princesse Elisabeth, Chanut et la Reine Christine, Paris. Beyssade, Jean-Marie (Hrsg.). 1989. Correspondance avec Elisabeth et autre lettres, Paris. Und auf Englisch: Nye, Andrea. 1999. The princess and the philosopher: letters of Elisabeth of the Palatine to René Descartes, Lanham. Shapiro, Lisa (Hrsg.). 2007. The Correspondance between Princess Elisabeth of Bohemia and René Descartes, Chicago. Eine deutsche Übersetzung wird von mir zurzeit vorbereitet. Descartes an Vatier, 22. Februar 1638: „[...] où j'ay voulu que les femmes mesmes pussent entendre quelque chose". AT I 560. - Zu Descartes' Haltung gegenüber Frauen vgl. ausfuhrlicher: Rodis-Lewis, Geneviève. 1999: „Descartes et les femmes: L'exceptionnel apport de la princesse Elisabeth", in: Totaro, Pina (Hrsg.), Donne filosofìa e cultura nel seicento, Rom: Totaro, 155-172.

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sel sind 59 Briefe überliefert, von denen 33 von Descartes und 26 von Elisabeth stammen. Obgleich die Beziehung zwischen Elisabeth und Descartes von zahlreichen hierarchischen Unterschieden geprägt ist, die Alter, Geschlecht und gesellschaftlichen Stand betreffen, entwickelte sich zwischen ihnen eine anhaltende Freundschaft, die auf gegenseitiger Wertschätzung beruht. Es kommt auch zu gelegentlichen persönlichen Treffen.10 1644 widmet Descartes ihr sein Werk Prinzipien der Philosophie und stellt sie in dieser Widmung nicht nur den Grazien zur Seite, sondern lobt zudem ausfuhrlich ihre geistigen Vermögen.11 Vor allem die ersten Briefe dieser Korrespondenz haben die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich gezogen, da Descartes und Elisabeth hier über das Verhältnis von Körper und Seele, wie es Descartes in den Metaphysischen Meditationen entworfen hat, diskutieren.12 Es schließen sich Briefe über mathematische und naturphilosophische Themen an. Eine große Anzahl von Briefen schließlich handelt von ethischen Problemen: von der rechten Lebensführung, der Glückseligkeit, dem höchsten Gut und den Leidenschaften. Und sie lesen und diskutieren brieflich Seneca und Machiavelli. Mit diesen moralphilosophischen Themen tritt zugleich ein persönliches Moment in den Briefwechsel, denn moralphilosophisches Nachdenken ist für Elisabeth keine rein intellektuelle Angelegenheit. Es geht ihr vielmehr immer auch darum, sich durch diese Reflexionen einen Lebensmodus zu entwerfen, der einerseits ihren eigenen Bedürfnissen gerecht wird und andererseits ihren realen Lebensumständen Rechnung trägt. Ausgangspunkt dieser Reflexionen bildet eine Krankheit Elisabeths, deren Ursache, ihre tristesse, zu einem immer wiederkehrenden Motiv der folgenden Briefe wird.

10 Eine Beschreibung der persönlichen Seite dieser Beziehung findet sich in Ludger Oeing-Hanhoff 1984: „Descartes und Elisabeth von der Pfalz", Philosophisches Jahrbuch 91, 82-106. 11 Vgl. AT VIII1-4. 12 Die Bibliografie zu diesem Thema ist sehr umfangreich, vgl. etwa Garber, Daniel. 1983. „What Descartes Should Have Told Elisabeth", Southern Journal of Philosophy 21 (suppl.), 15-32. Yandell, David. 1997. „What Descartes Really Told Elisabeth: Mind-Body Union as a Primitive Notion", British Journal for the History of Philosophy 5, 249-273. Tollefson, Deborah. 1999. „Princess Elisabeth and the Problem of Mind-Body Interaction", Hypatia 14, 59-77.

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Tristesse versus Vernunft Nach einer längeren Pause vom August des Jahres 1644 bis Mai 1645 richtet sich Descartes mit einem Brief an Elisabeth, in dem er auf ihre Krankheit zu sprechen kommt, von der er über Alphonse Pollot, durch dessen Vermittlung der Briefwechsel zwischen Descartes und Elisabeth überhaupt zustande gekommen war, erfahren hatte.13 Descartes wagt sich an eine Diagnose und vermutet Traurigkeit {tristesse) als deren Ursache. Damit bestimmt er einen seelischen Zustand, nämlich eine bestimmte Emotion, als Ursache fur ihre körperliche Befindlichkeit. Traurigkeit, bzw. Melancholie ist eine problematische Diagnose.14 Einerseits zählt die Melancholie seit der Antike zu den Krankheiten und bedarf als solche der Therapie. Andererseits wird die Melancholie seit genauso langer Zeit mit der spezifischen Haltung des Philosophen zur Welt in Beziehung gesetzt.15 Seit der Renaissance gewann diese zweite Komponente an Bedeutung und führte, vor allem durch die Arbeiten Marsilio Ficinos, zu einer „geistigen Nobilitierung der Melancholie".16 Descartes scheint sich dieser Ambivalenz bewusst zu sein. In seinem Antwortbrief distanziert er sich von denjenigen „brutalen Philosophen" - gemeint sind die Stoiker - , die „wollen, dass der Weise unempfindlich" sei.17 Im Gegensatz zu dieser Position hält er es für eine Tugend und eine Auszeichnung, dass Elisabeth an dem Schicksal ihres Hauses und ihrer Angehörigen Anteil nimmt. Allerdings zeichne es eine „große Seele" aus, dass die Vernunft auch über starke Leidenschaften „Meisterin" (¡maistresse) bleibe.18 In den sich anschließenden Briefen wird es, mit unterschiedlichen Akzentuierungen, immer um diese Grund-

13 rV204f. 14 Raymond Klibansky, Erwin Panofsky und Fritz Saxl haben in ihrem umfangreichen Werk 1992. Saturn und Melancholie. Studien zur Geschichte der Naturphilosophie und Medizin, der Religion und der Kunst, Frankfurt: Suhrkamp, die Entwicklung der Melancholie in medizinischer und metaphysischer Deutungsperspektive von der Antike bis zur frühen Neuzeit rekonstruiert. 15 Die Verbindung von Philosophie und Melancholie geht auf die dem Aristoteles zugeschriebenen Problemata zurück, vgl. XXX, 1 : „Warum sind alle hervorragenden Männer, ob Philosophen, Staatsmänner, Dichter oder Künstler, offenbar Melancholiker gewesen?" (Zitiert nach der Übersetzung in Saturn und Melancholie (wie Anm. 14), 59). 16 Ebd., 351. 17 AT IV, 202. 18 Ebd.

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frage gehen: Über wie viel Macht verfugt die Vernunft angesichts der uns von außen drohenden oder durch unseren Körper verursachten Leiden? Es ist der große Rationalist Descartes, der die Macht der Vernunft verteidigt, während die junge Prinzessin immer wieder Einspruch erhebt und Argumente hervorbringt, die der Möglichkeit einer streng rationalen Lebensführung widersprechen. In ihrer Antwort stimmt Elisabeth zunächst der Diagnose Descartes' zu. Im Gegensatz zu den Medizinern, welche sie jeden Tag sehen können, habe er sogleich die Ursache ihrer Leiden erkannt. Explizit macht sie die „Schwäche ihres Geschlechts" dafür verantwortlich, dass ihr Körper so leicht von den Betrübnissen der Seele beeinflusst werde, und lenkt Descartes' Aufmerksamkeit darauf, dass fur sie als Frau andere Voraussetzungen gelten als für einen Mann.19 Dennoch spricht aus ihrem Brief auch ein nicht geringes Selbstbewusstsein. Dies zeigt sich vor allem in ihrer Bereitschaft, den Einschätzungen Descartes' zu widersprechen und seine Urteile an ihrer eigenen Lebenserfahrung kritisch zu überprüfen: Auch wenn sie einsieht, dass man sein Glück nicht von äußeren Dingen abhängig machen sollte, so komme sie doch nicht umhin, den Zustand ihrer Familie als „Übel" (mal) zu bezeichnen und ihre eigene Haltung zu diesen als „Besorgnis" (inquietude).20 Dass sie sich in diesen für sie und ihre Familie schwierigen Zeiten überhaupt so lang erhalten hat, schreibt sie ihrer eigenen persönlichen Leistung zu, die sie für nicht gering hält: „Und ich denke, wenn Ihnen mein Leben völlig bekannt wäre, würden Sie den Umstand, dass ein sensibler Geist wie der meine sich unter solchen Schwierigkeiten, in einem so schwachen Körper, ohne weiteren Rat als den seines eigenen Denkens und ohne Trost als den seines Bewusstseins, so lange erhalten hat, eigentümlicher finden als die Ursachen dieser gegenwärtigen Krankheit."21

19 „Sachez donc que i'ay le corps imbu d'vne grande partie des foiblesses de mon sexe, qu'il se ressent tres-facilement des afflictions de l'ame, & n'a point la force de se remettre auec elle, [...]." Ebd., 208. 20 Ebd., 209. - Elisabeth spielt hier auf die schwierige Situation ihrer Familie an, die sich im Exil in Holland befand, während nur wenig Aussicht darauf bestand, das Königreich Böhmen oder das Erbland in der Pfalz zurückzuerhalten. 21 „Et ie pense que, si ma vie vous estait entièrement cognue, vous trouueriez plus estrange qu'vn esprit sensible, comme le mien, s'est conserué si longtemps, parmi

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Descartes schlägt nun ein Heilmittel gegen diese „häuslichen Feinde" (iennemis domestiques) vor: Sie solle ihre Einbildungskraft und ihre Sinne von den unangenehmen und problematischen Dingen abziehen und diese allein mit der Vernunft betrachten. Von traurigen Gedanken und „ernsthaften Meditationen, die die Wissenschaft betreffen" möge sie sich fernhalten und ihre Sinne und Einbildungskraft auf das anwenden, was sie entspanne und was sie genießen könne, etwa das Grün der Bäume, die Farben der Blumen oder den Flug eines Vogels.22 Obgleich Elisabeth die Briefe Descartes' in ihrer Antwort als „Heilmittel gegen Melancholie" {antidote contre la melancolie) bezeichnet, macht sie doch deutlich, dass sich seine Ratschläge nur zum Teil umsetzen lassen. Sie gesteht, dass es ihr nicht möglich ist, ihr Leben und das ihrer Familie mit der von Descartes geforderten nötigen Distanz zu betrachten, ohne zugleich auch ihre Pflichten diesen gegenüber zu vernachlässigen.23 Sie sieht sich selbst in einer isolierten und prekären Situation: Von den sie umgebenden Zeitgenossen trennt sie ihre Wertschätzung der Vernunft, und anders als für Philosophen wie Descartes, ist für sie das ruhige Glück der Philosophie auch nicht erreichbar: „Es ist zu dieser Stunde, dass ich die Unbehaglichkeit spüre, ein bisschen vernünftig zu sein. Denn wenn ich es überhaupt nicht wäre, würde ich mit denjenigen gemeinsame Vergnügen finden, mit denen ich leben muss, um diese Medizin mit Gewinn einzunehmen. Und [wenn ich so vernünftig wäre] wie Sie, würde ich mich heilen, wie Sie es gemacht haben."24 Dass es insbesondere ihre Existenz als Frau ist, die sie daran hindert, den Weg des philosophischen Glücks weiterzugehen, wird deutlich, wenn sie bemerkt, dass „der Fluch ihres Geschlechtes" dafür verantwortlich tant de trauerses, dans vn corps si foible, sans conseil que celuy de son propre raisonnement, & sans consolation que celle de sa conscience, que vous ne faites les causes de cette presente maladie." AT IV, 209. 22 Ebd., 220. 23 „Mais i'auoue que ie trouue de la difficulté a séparer des sens & de l'imagination des choses qui y sont continuellement représentées par discours & par lettres, que ie ne saurois euiter sans pecher contre mon deuoir." Ebd., 233. 24 „C'est a cette heure que ie sens l'incommodité d'estre vn peu raisonnable. Car, si ie ne l'estois point du tout, ie trouuerois des plaisirs communs auec ceux entre lesquels il me faut viure, pour prendre cette medecine auec profit. Et au point que vous l'ests, ie me guerirois, comme vous auez fait." Ebd., 234.

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ist, dass sie nicht nach Egmond zu Descartes reisen könne, um dort die Wahrheiten zu lernen, die er aus seinem „neuen Garten" ziehe.25 Descartes macht nun den Vorschlag, sich bei den Schriften der Klassiker umzusehen, ob sich dort nicht Hinweise auf die richtige Lebensführung finden ließen. Er empfiehlt Senecas Schrift Vom glücklichen Leben.16 Im Ausgang von Seneca schließt sich Descartes der stoischen Einsicht an, dass wahre Glückseligkeit (beatitude) nicht von äußeren Dingen abhängt, die nicht in unserer Macht stehen, sondern allein in der „Zufriedenheit des Geistes" und „innerer Befriedigung" bestehen.27 Diese sei erreichbar, wenn man drei Regeln befolge, die er bereits in dem Discours aufstellte, nämlich 1. in seinen Entscheidungen der Vernunft zu folgen, 2. fest zu bleiben und 3. schließlich nur das zu begehren, was in unserer Macht liegt. Damit propagiert Descartes eine Position, die die Glückseligkeit in die Macht jedes einzelnen legt. Glück ist deshalb im eigentlichen Sinne Glück des Geistes.28 Es ist diejenige Zufriedenheit, die sich nur auf den Geist und nicht auf den Körper bezieht. Elisabeth ist von der Realisierbarkeit dieses Glücks nicht wirklich überzeugt. Sie macht geltend, dass es Krankheiten und Lebensumstände gibt, die uns daran hindern, gemäß den Grundsätzen der Philosophie glücklich werden zu können. Sie bezieht sich auf ein prominentes Beispiel der Philosophiegeschichte, um die Grenzen des philosophischen Ideals eines völlig selbstbeherrschten und selbstbestimmten Lebens deutlich zu machen: „Als Epikur sich bemühte, seine Freunde davon zu überzeugen, dass er wegen seiner Nierensteine keine Schmerzen verspürte, statt zu schreien, wie das gemeine Volk, führte er das Leben eines Philosophen, nicht das eines Prinzen, eines Anführers oder eines Hofmanns. Und er wusste, dass ihn nichts von draußen erreichen

25 „Avec cela, la malediction de mon sexe m'empesche le contentement que me donnerait vn voyage vers Egmond, pour y apprendre les vérités que vous tirez de vostre nouveau iardin." Ebd. 26 Ebd., 252f. 27 „[...] la beatitude consiste, ce me semble, en vn parfait contentement d'esprit & une satisfaction intérieure". Ebd., 264. 28 Ebd., 277.

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würde, das ihn seine Rolle vergessen und ihn fehlen ließe, sich über sie zu erheben gemäß den Regeln seiner Philosophie."29 Mit dieser Bemerkung weist Elisabeth Descartes daraufhin, dass ethische Positionen von Philosophen - seien es die von Epikur oder von Descartes selbst - häufig exklusiv für eine kleine und privilegierte Gruppe von Menschen gedacht sind, nämlich für Philosophen selbst.30 Das Ideal einer vollständig von der Vernunft dominierten Lebensform lässt sich im tätigen Leben nicht problemlos umsetzen. Descartes gibt Elisabeth mit dieser Einschätzung Recht und schränkt seine vorher gemachten Behauptungen ein: nur diejenigen, die frei über ihren Geist verfugen und nicht, etwa durch Krankheiten, in dem Gebrauch ihrer Vernunft eingeschränkt sind, können den von ihm vorgeschlagenen Weg gehen.31 Allerdings betont er explizit, dass tristesse nicht zu dieser Art Krankheiten gehört, sondern zu den Leidenschaften, die durch einen starken Geist überwunden werden können.32 Was Descartes empfiehlt, ist freilich nicht die Überwindung aller Gefühle, sondern die vernünftige Einschätzung der jeweiligen Vergnügen und Übel. Ein Leben gemäß den Regeln der Vernunft ist nicht eines, das prinzipiell auf Vergnügen verzichtet. Es ist eines, in dem die Vernunft vorurteilslos jeweils „die Größe der Vollkommenheit", die jedes Vergnügen erzeugt, kalkuliert und entsprechend handelt.33 Mit dieser an Epikur erinnernden Lustökonomie distanziert sich Descartes von einer rein stoischen Perspektive. Allerdings bleibt er dabei, dass es vor allem der Körper, speziell die Leidenschaften sind, die oft dazu führen, dass wir unvernünftige Entscheidungen treffen, weil die Leidenschaften die

29 „Quand Epicure se demenoit, en ses accès de grauelle, pour asseurer ses amies qu'il ne sentoit point de mal, au lieu de crier comme le vulgaire, il menoit la vie de philosoph, non celle de prince, de capitaine ou de courtisan, & sauoit qu'il ne luy arreueroit rien de dehors, pour luy faire oublier son role & manquer a s'en demesler selon les regles de sa philosophie". AT IV 269. - Zu Berichten über Epikurs Tod vgl. Diogenes Laertius, De vita et moribus philosophorum X, 15-16 und 20. 30 Diesen Punkt hat auch Andrea Nye (wie Anm. 5), 74, betont. 31 Ebd., 281 f. 32 Ebd., 283. 33 „Car, selon la regle de la raison, chasque plaisir se deuroit mesurer par la grandeur de la perfection qui le produit, & c'est ainsy que nous mesurons ceux dont les causes nous sont clairement conneues." Ebd., 284.

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erstrebten Güter häufig größer erscheinen lassen, als sie in Wahrheit sind.34 Elisabeth formuliert zwei Einwände gegen diese Position. Erstens hält sie eine vollständige rationale Kalkulation der Güter fur nicht möglich, jedenfalls nicht für denjenigen, der ein aktives Leben fuhrt. Hier müsste man über ein unendliches Wissen verfugen, das man allerdings im Vollzug des Lebens nicht erreicht. Man muss also handeln, ohne alles vollständig durchdacht haben zu können, was dazu fuhrt, dass man Handlungen bereut und mithin unglücklich wird. Zudem fällt eine solche Kalkulation unterschiedlich aus, je nachdem, ob man den Nutzen einer Sache nur nach dem Eigennutz oder nach dem Nutzen für andere kalkuliert.35 Zweitens ist Elisabeth mit Descartes' Beurteilung der Leidenschaften nicht einverstanden und fordert von ihm eine Definition der Passionen. Die stoische Interpretation von Leidenschaften als „Störungen" (perturbationes/perturbations) scheint ihr zu ungenau, weil sie eine wesentliche Eigenschaft von Leidenschaften übersieht, nämlich dass sie uns zu vernünftigen Handlungen fuhren: „Denn diejenigen, die sie [= Leidenschaften] Störungen der Seele nennen, würden mich überzeugen, dass ihre Kraft nur darin besteht, die Vernunft zu blenden und zu unterwerfen, wenn mir nicht die Erfahrung zeigte, dass es unter ihnen einige gibt, die uns zu vernünftigen Handlungen führen." 36 In seinem Antwortbrief unterscheidet Descartes zunächst zwischen „Freude" (ioye) und „Befriedigung des Geistes" {satisfaction d'esprit) und hält letztere für das höchste Gut. Man müsse also nicht unbedingt fröhlich sein, um glücklich zu sein. Und er sieht nicht ein, warum Elisabeth mit dieser Perspektive nicht über ihr Wissen und ihre Ausbildung, die sie sich erworben hat, stolz und zufrieden sein könne.37 Dass

34 „El le semblable arriue en toutes les autres passions; car il n'y en a aucune qui ne nous represente le bien auquel elle tend, auec plus d'esclat qu'il n'en mérité, & qui ne nous face imaginer des plaisirs beaucoup plus grands, auant que nous les possédions, que nous ne les trouuons par après, quand nous les auons." Ebd., 285. 35 Ebd., 289. 36 „car ceux qui les nomment perturbations de l'ame, me persuaderoient que leur force ne consiste qu'a éblouir & soumettre la raison, si l'experience ne me montroit qu'il y en a qui nous portent aux actions raisonables." Ebd., 289f. 37 Ebd., 304-307.

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ihre Gelehrsamkeit ihr möglicherweise manche Freuden genommen hat, so können wir schließen, sei kein Grund für Traurigkeit, da sie sich immerhin die viel bedeutsamere Befriedigung des Geistes verschaffen könnte. Anschließend reagiert Descartes auf die beiden von Elisabeth gemachten Einwände. Zunächst argumentiert er dafür, dass man im Bereich des Handelns kein absolutes Wissen erstreben sollte, da dieses für uns unerreichbar sei. Es sei vielmehr ausreichend, gemäß dem eigenen Gewissen zu handeln - auch wenn wir später durch mehr Informationen zu einem anderen Entschluss gekommen wären.38 Er kommt auch Elisabeths Wunsch nach, die Leidenschaften zu definieren. Leidenschaften im allgemeinen Sinne seien alle die Gedanken, die ohne Zutun des Willens aufgrund bestimmter physiologischer Zustände in unserem Geist hervorgerufen werden. Im engeren Sinne sind es die „Gedanken, die von einer bestimmten Erregung der Lebensgeister verursacht werden und von denen man die Effekte wie in der Seele selbst empfindet".39 Auf Elisabeths Behauptung, dass uns die Leidenschaften auch zu vernünftigen Taten fuhren, geht Descartes an dieser Stelle nicht 40

weiter ein. In den folgenden Briefen tritt die tristesse Elisabeths in den Hintergrund. Es entwickelt sich eine Auseinandersetzung über das Wesen und die Bedeutungen von Leidenschaften allgemein, die Descartes schließlich dazu veranlasst, einen Traktat über die Leidenschaften der Seele zu verfassen, in den zahlreiche Passagen aus den Briefen an Elisabeth eingehen.

38 „II me semble aussy qu'on n'a point suiet de se repentir, lorsqu'on a fait ce qu'on a iugé estre le meilleur au tems qu'on a deu se résoudre a l'execution, encore que, par après, y repensant auec plus de loysir, ou iuge auoir failly. Mais on deuroit plutost se repentir, si on auoit fait quelque chose contre sa conscience, encore qu'on reconnust, par après, auoir mieux fait qu'on n'auoit pensé;" 307. 39 „En suite de quoy, on peut generalement nommer passions toutes les pensées qui sont ainsy excitées en l'ame sans le concours de sa volonté, & par consequent, sans aucune action qui viene d'elle [...] Ainsy il ne reste que les pensées qui viennent de quelque particulière agitation des esprits,