Von der Chronik zum Weltbuch: Sinn und Anspruch südwestdeutscher Hauschroniken am Ausgang des Mittelalters [Reprint 2014 ed.] 9783110874112, 9783110168051

In order to combine their facts and make sense of them, writers of history in the 16th century made use of literary genr

201 100 17MB

German Pages 532 [536] Year 2001

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Table of contents :
Vorwort
1. Einleitung
2. Adlige Hauschroniken im deutschen Südwesten
2.1. Die historiographische Tradition
2.2. Die ‘Gattung’ Hauschronik
2.3. Das Herkommen in der Literatur des 16. Jahrhunderts
2.4. Der Wahrheitsbegriff in der historiographischen Literatur des 16. Jahrhunderts
3. Die ‘Truchsessenchronik’
3.1. Der Auftraggeber - Georg III. von Waldburg
3.2. Die Entstehungsgeschichte der Chronik
3.3. Die Handschriften der Chronik
3.4. Die Quellen der Chronik
3.5. Struktur und Inhalt
3.5.1. Das Herkommen der Truchsessen
3.5.2. Die ‘Frühgeschichte’ des Geschlechts bis zur Stauferzeit
3.5.3. Das Ende des schwäbischen Herzogtums und die Wappensage der Truchsessen
3.5.4. Die literarische Verarbeitung des Niedergangs - Die Geschichte des Geschlechts im 14. Jahrhundert
3.5.5. Minne und aventiure in der ‘Truchsessenchronik’
3.5.6. Literarische Strukturen in den Truchsessenbiographien des 15. und 16. Jahrhunderts
3.5.7. Die Biographie Georgs III
3.6. Resümee
4. Sebastian Küngs Chronik der Grafen und Herzöge von Württemberg
4.1. Der Chronist und die Chronik
4.2. Das Selbstverständnis des Historiographen: Die Vorrede der Chronik
4.3. Grundkonstituenten der memoria: Herkommen, Namen, Wappen
4.4. Annalistik und Narration
4.4.1. Die Geschichte der Herren von Beutelsbach und Grafen von Württemberg bis zum 14. Jahrhundert
4.4.2. Die Geschichte der Grafen von Württemberg im 15. und 16. Jahrhundert
4.5. Resümee
5. Die ‘Zimmerische Chronik’
5.1. Handschriftenlage, Entstehungsgeschichte, Grundzüge der Forschung
5.2. Struktur und Inhalt: Die Abschnittsgliederung der Chronik
Exkurs: Gattungsbegriffe in der ‘Zimmerischen Chronik’
5.3. Das Herkommen der Zimmern
5.3.1. Chronik im Zeichen der humanistischen Historiographie: Die Kimbernableitung
5.3.2. Der Mythos von der Meerfee
5.3.3. Die Kimbernherkunft im Kontext adliger Herkunftsfiktionen
5.3.4. Die Konstituenten des Herkommens und der Wahrheitsdiskurs
5.4. Konstruierte Vergangenheit. Die Geschichte des Geschlechts im Mittelalter
5.4.1. Das Universum der Texte und die Wahrheit
5.4.2. Der Reichsdiskurs in der Dynastiegeschichte
5.4.3. Die Bewahrung der memoria. Klostergründungen und Grablegen
5.4.4. Die Absicherung der Zukunft: Prinzipien richtiger Adelspolitik und das Beispiel der Anderen
5.4.5. Funktionen der Literarisierung. Die Geschichte des Kreuzfahrers Friedrich von Zimmern
5.5. Aufstieg und Niedergang. Projektion eines geschichtlichen Gesetzes
5.5.1. Die widerspenstigen Quellen - Die Biographien Werners (IV.) und Konrads (II.)
5.5.2. Strukturmuster einer idealisierten Dynastiegeschichte: Hauspolitik im Spannungsfeld zwischen Reichs- und Fürstendienst - Die ‘Biographie’ Werners d. Ä. (Kap. 30-36)
5.5.3. Literarische Muster, geschichtliche ‘Fakten’ und der richtige Umgang mit dem Erfolg - Die ‘Biographie’ Johanns d. Ä. (Kap. 37-45)
5.5.4. Die literarische Bewältigung des Widerspruchs - Die Geschichte Werners d. J., des Urgroßvaters des Chronisten (Kap. 46-59)
5.6. Katastrophe und Rettung. Die Werdenberg-Zimmem-Händel
5.6.1. Der unfaal des Geschlechts und die Geschichte Johann Werners d. Ä. - Werdenberg-Zimmem-Händel I (Kap. 61-72)
5.6.2. Die Geschichte Veit Werners - Werdenberg-Zimmem- Händel II (Kap. 73-79)
5.6.3. Die Rettung des Geschlechts - Werdenberg-Zimmem- Händel III (Kap. 80-85)
5.7. Literarisierte Geschichte. Gattungsvermischung als Medium der Epistemologie
5.7.1. Die Diversifizierung der Diskurse und die allmähliche Verschwankung der Chronik - Die ‘Übergangskapitel’ 86-101
5.7.2. Die Abrechnung mit dem Vater. Zur Funktion der Narrenschwänke in der Biographie Johann Werners (Kap. 102-112)
5.7.3. Literarische Strategien zur Bewältigung von Widersprüchen. Die Biographie Gottfried Werners (Kap. 113-130)
5.7.4. Die Aporien der Gelehrsamkeit - Die Biographie Wilhelm Werners (Kap. 131-134)
5.7.5. Der Bauernkrieg in der ‘Zimmerischen Chronik’
5.7.6. Der Rhythmus der zimmerischen Geschichte, Ereigniskommentar und Poetologie. Der Übergangsabschnitt Kap. 135-145
5.8. Autobiographie im Horizont des ‘Weltbuchs’
5.8.1. Die ‘Zimmerische Chronik’ als Form autobiographischen Schreibens?
5.8.2. Individualität und Identität in der literarischen Darstellung
5.8.3. Aporien der memoria - Der Nachruf auf die Vatergeneration
5.8.4. Die Wahrheit des Historikers
5.9. Die Dynamik der Diskurse: Ideologie, Erkenntnis und Ästhetik
5.9.1. Aufbewahrung der memoria versus Repräsentation. Der ideologische Diskurs der Chronik
5.9.2. Die Wahrheit des Historikers - Das gesetz der historien und die lex totius
5.9.3. Der ästhetische Diskurs
6. Die ‘Zollernchronik’
6.1. Entstehungsgeschichte und Überlieferung
6.1.1. Die Zollerngenealogie des Johannes Basilius Herold
6.1.2. Die Überlieferung der ‘Zollernchronik’
6.1.3. Autor und Anlage der ‘Zollernchronik’
6.2. ‘Argumentation’ und Regentenbilder
6.2.1. Der Aufbau der ‘Argumentation’
6.2.2. Die Legenden der Regentenbilder
6.3. Literarische Muster in der ‘Zollernchronik’
6.4. Resümee
7. Schlußbemerkung
Literaturverzeichnis
Anhang
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Von der Chronik zum Weltbuch: Sinn und Anspruch südwestdeutscher Hauschroniken am Ausgang des Mittelalters [Reprint 2014 ed.]
 9783110874112, 9783110168051

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Gerhard Wolf Von der Chronik zum Weltbuch

Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte Begründet als

Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker von

Bernhard Ten Brink und Wilhelm Scherer

Herausgegeben von

Ernst Osterkamp und Werner Röcke

18 (252)

W G DE

Walter de Gruyter · Berlin · New York 2002

Von der Chronik zum Weltbuch Sinn und Anspruch südwestdeutscher Hauschroniken am Ausgang des Mittelalters

von

Gerhard Wolf

w DE

G

Walter de Gruyter · Berlin · New York 2002

Als Habilitationsschrift auf Emfehlung der PMlosopliischen Fakultät ГУ (Sprach- und Literaturwissenschaften) der Universität Regensburg gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

@ Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Wolf, Gerhard: Von der Chronik zum Weltbuch : Sinn und Anspruch südwestdeutscher Hauschroniken am Ausgang des Mittelalters / von Gerhard Wolf. - BerHn ; New York : de Gruyter, 2002 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte ; 18 = (252)) Zugl.: Regensburg, Univ., Habü.-Schr., 1992 ISBN 3-11-016805-7

ISSN 0946-9419 © Copyright 2001 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teñe ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Veriages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Sigurd Wendland, Berlin Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin

Meiner Frau

Vorwort Eine adlige НашсЬгошк ist prinzipiell als Werk ohne Ende konzipiert. Ihre Autoren oder Auftraggeber verbanden mit ihr die Hoflbiung, daß jede künftige Generation an der Geschichte des Hauses weiterschreiben wird. Der offene Text war immer auch die Verheißung einer kontinuierlichen Zukunft. Bei drei der hier behandelten Geschlechter (Waldburg, Württemberg, Zollem) ist dieser Wunsch in Erfüllung gegangen, nur die Grafen von Zimmern, deren Hauschronik das Kernstück der Untersuchung bildet, sind 1594 ausgestorben. Aber während bei den lebenden Dynastien die chronikalisch-literarische Bewahrung der memoria weitgehend aus der Mode gekommen ist, wird am Text der 'Zimmerischen Chronik' nach wie vor gearbeitet. Zwar sind es Wissenschaftler, die sich des Werks angenommen haben, aber wenn man auf die Editionsgeschichte dieser Hauschronik blickt, kann man den Eindruck gewinnen, als ob auch sie kein Ende finden solle. Nachdem die Erstausgabe aus dem 19. Jahrhimdert den modernen philologischen Ansprüchen schon lange nicht mehr genügte, wurde in den 60er Jahren mit einer auf fünf Bände angelegten Neuedition begonnen. Obwohl die zwei fehlenden Bände schon mehrmals angekündigt worden sind, steht die Zukunft dieses für die Hauschronikforschung zentralen Projekts in den Sternen. Nicht viel anders verhält es sich mit der 'Zollemchronik'. Hier liegt der geplante Erscheinungstermin der Erstausgabe zehn Jahre zurück. Es war der ursprüngliche Plan, mit der Publikation dieser im WS 1991/92 von der Philosophischen Fakultät der Universität Regensburg angenommenen Habilitationsschrift so lange zu warten, bis die angekündigten Editionen vorlagen. Nachdem sich jedoch die Hofbiungen auf deren baldiges Erscheinen zerschlagen haben, beschloß ich die Arbeit mit den Stellenangaben der veralteten Ausgabe bzw. denen der Handschriften zu veröffentlichen. Das Manuskript der Habilitationsschrift mußte für den Druck erheblich gekürzt werden. Die bis zum Jahr 1999 erschienene Literatur wurde eingearbeitet, spätere Werke nur in Ausnahmefällen. Es ist mir ein Bedürfiiis an dieser Stelle vielfältigen Dank abzustatten. Die Entstehung der Habilitationsschrift wäre nicht denkbar gewesen ohne die selbstlose Unterstützung, intellektuelle Förderung und akademische Souveränität Gerhard Hahns. In den langen Nachtsitzungen seines Regensburger Oberseminars konnten nicht nur die allfälligen Probleme, die derartige Unternehmen mit sich bringen, diskutiert werden, sondern hier herrschte auch der methodologische Spielraiun, der transdisziplinäres Arbeiten erst möglich macht. Während dieser Zeit hat mich Ursula Doerk mit ihrer energischen und produk-

vili tìven Ungeduld davor bewahrt, von der Hermeneutik zur Ontologie überzugehen und die Wissenschaft mit dem Leben zu verwechseln. Für Kopien, Mikrofilme und fi-eundlich gewährte Unterstützung danke ich den Mitarbeitern der Universitätsbibliothek Regensburg, der (bedauerlicherweise nicht mehr existierenden) Fürstlich Fürstenbergischen Bibliothek Donaueschingen, der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, der Bibliothek des Paul-Getty-Museums Malibu, der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe, der Österreichischen Nationalbibliothek Wien, sowie des Thum & Taxis Archivs Regensburg und des Staatsarchivs Sigmaringen. Der überarbeiteten Fassung sind auf vielföltige Weise Anregungen und Kritik zugute gekommen. Ich danke insbesondere Franz Fuchs, Karl Heinz Göller, Klaus Graf, Hanne Hauenstein-Pöppel, Nikolaus Henkel und Jan-Dirk Müller. Bei der Einrichtung der Druckfassung haben mich meine Bayreuther Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ulrike Deavin-Spindler, Erika Kirschner, Daniela Reichert, Heidemarie Reichert und Thorsten Parchent sowie meine Berliner Lektoren Sebastian Baier und Albrecht Dröse mit viel Engagement und Sorgfalt unterstützt. Werner Röcke danke ich für die Aufiiahme des Buches in die Reihe der 'Quellen und Forschungen' imd der Deutschen Forschungsgemeinschaft fiir einen großzügigen Druckkostenzuschuß.

Gerhard Wolf

Inhaltsverzeichnis Vorwort 1. Einleitung

VII 1

2. Adlige Hauschroniken im deutschen Südwesten 2.1. Die historiographische Tradition 2.2. Die 'Gattung' Hauschronik 2.3. Das Herkommen in der Literatur des 16. Jahrhunderts 2.4. Der Wahrheitsbegriff in der historiographischen Literatur des 16. Jahrhunderts

24 24 30 33

3. Die 'Truchsessenchronik' 3.1. Der Auftraggeber - Georg III. von Waldburg 3.2. Die Entstehungsgeschichte der Chronik 3.3. Die Handschriften der Chronik 3.4. Die Quellen der Chronik 3.5. Struktur und Inhah 3.5.1. Das Herkommen der Truchsessen 3.5.2. Die 'Frühgeschichte' des Geschlechts bis zur Stauferzeit 3.5.3. Das Ende des schwäbischen Herzogtums und die Wappensage der Truchsessen 3.5.4. Die literarische Verarbeitung des Niedergangs - Die Geschichte des Geschlechts im 14. Jahrhundert 3.5.5. Minne und aventiure in der 'Truchsessenchronik' 3.5.6. Literarische Strukturen in den Truchsessenbiographien des 15. und 16. Jahrhunderts 3.5.7. Die Biographie Georgs III 3.6. Resümee

47 47 51 59 60 62 63 66

40

69 71 73 75 82 83

4. Sebastian Küngs Chronik der Grafen und Herzöge von Württemberg... 87 4.1. Der Chronist und die Chronik 87 4.2. Das Selbstverständnis des Historiographen: Die Vorrede der Chronik 90 4.3. Grundkonstituenten der memoria: Herkommen, Namen, Wappen.. 97 4.4. Annalistik und Narration 105 4.4.1. Die Geschichte der Herren von Beutelsbach und Grafen von Württemberg bis zum 14. Jahrhundert 105

Inhaltsverzeichnis

4.4.2. Die Geschichte der Grafen von Württemberg im 15. und 16. Jahrhundert 4.5. Resümee

118 127

5. Die 'Zimmerische Chronik' 130 5.1. Handschriftenlage, Entstehimgsgeschichte, Grundzüge der Forschung 130 5.2. Struktur und Inhalt: Die Abschnittsgliederung der Chronik 147 Exkurs: Gattungsbegriffe in der 'Zimmerischen Chronik' 152 5.3. Das Herkommen der Zimmern 155 5.3.1. Chronik im Zeichen der humanistischen Historiographie: Die Kimbemableitung 155 5.3.2. Der Mythos von der Meerfee 173 5.3.3. Die Kimbemherkunft im Kontext adliger Herkunftsfiktionen 177 5.3.4. Die Konstituenten des Herkommens imd der Wahrheitsdiskurs 183 5.4. Konstruierte Vergangenheit. Die Geschichte des Geschlechts im Mittelalter 186 5.4.1. Das Universum der Texte und die Wahrheit 186 Exkurs: Das 'Tumierbuch' Georg Rüxners 190 5.4.2. Der Reichsdiskurs in der Dynastiegeschichte 196 5.4.3. Die Bewahrung der memoria. Klostergründungen und Grablegen 205 5.4.4. Die Absicherung der Zukunft: Prinzipien richtiger Adelspolitik und das Beispiel der Anderen 209 5.4.5. Funktionen der Literarisierung. Die Geschichte des Kreuzfahrers Friedrich von Zimmern 211 5.5. Aufstieg und Niedergang. Projektion emes geschichtlichen Gesetzes 221 5.5.1. Die widerspenstigen Quellen - Die Biographien Werners (IV.) und Konrads (II.) 222 5.5.2. Strukturmuster emer idealisierten Dynastiegeschichte: Hauspolitik im Spaimungsfeld zwischen Reichs- und Fürstendienst - Die 'Biographie' Werners d. Ä. (Kap. 30-36) 230 5.5.3. Literarische Muster, geschichtliche 'Fakten' und der richtige Umgang mit dem Erfolg - Die 'Biographie' Johanns d. Ä. (Kap. 3 7 ^ 5 ) 237 5.5.4. Die literarische Bewältigung des Widerspruchs - Die Geschichte Werners d. J., des Urgroßvaters des Chronisten (Kap. 46-59) 246

Inhaltsverzeichnis

5.5.4.1. Die Ambivalenz des Hofdienstes und die Folgen der/й/ 5.5.4.2. Der Umgang mit der adligen Konkurrenz 5.5.4.3. Persönlichkeit und Charakter Werners 5.5.4.4. Sexualitätsdiskurs und Rottenburger Musenhof 5.5.4.5. Zur Stellung der Biographie Werners d. Ä. innerhalb der Chronik 5.6. Katastrophe und Rettung. Die Werdenberg-Zimmem-Händel 5.6.1. Der unfaal des Geschlechts und die Geschichte Johann Werners d. Ä. - Werdenberg-Zimmem-Händel I (Kap. 61-72) 5.6.1.1. Der moralische Diskurs I: Die 'Schuld' der Werdenberger 5.6.1.2. Der moralische Diskurs II: Der unfaal und die Magie 5.6.1.3. Die poetologische Funktion des Märes 'Der enttäuschte Liebhaber' in der Johann-WernerBiographie 5.6.1.4. Kommentierte Geschichte - Zur Funktion der Nachtragskapitel m der Johann-WernerBiographie 5.6.2. Die Geschichte Veit Werners - Werdenberg-ZimmemHändel II (Kap. 73-79) 5.6.3. Die Rettung des Geschlechts - Werdenberg-ZimmemHändel III (Kap. 80-85) 5.7. Literarisierte Geschichte. Gattungsvermischung als Medium der Epistemologie 5.7.1. Die Diversifizierung der Diskurse und die allmähliche Verschwankung der Chronik - Die 'Übergangskapitel' 86-101 5.7.2. Die Abrechnung mit dem Vater. Zur Funktion der Narrenschwänke in der Biographie Johann Werners (Kap. 102-112) 5.7.3. Literarische Strategien zur Bewältigung von Widersprüchen. Die Biographie Gottfiied Wemers (Kap. 113-130) Exkurs: Der Geldemkrieg in der 'Zimmerischen Chronik' (11,382,34-385,16) 5.7.4. Die Aporien der Gelehrsamkeit - Die Biographie Wilhehn Wemers (Kap. 131-134) 5.7.5. Der Bauernkrieg in der 'Zimmerischen Chronik'

XI

247 253 261 264 272 274

277 277 281

286

294 297 302 310

310

318

328 331 342 347

XII

Inhaltsverzeichnis

5.7.6. Der lUiythmus der zimmerischen Geschichte, Ereigniskonmientar und Poetologie. Der Übergangsabschnitt Kap. 135-145 351 5.7.6.1. Die dynastische Dimension. Der erneute Niedergang der Zimmern 352 5.7.6.2. Die Ebene des Kommentars. Zur Funktion des Schwankkapitels 136 354 5.7.6.3. Die poetologische Dimension: Den sachen ein ansehen machen 357 Exkurs: Die 'Elisa-Novelle' in der 'Schwäbischen Chronik' 361 5.8. Autobiographie im Horizont des 'Weltbuchs' 364 5.8.1. Die 'Zimmerische Chronik' als Form autobiographischen Schreibens? 365 5.8.2. Individualität und Identität in der literarischen Darstellung 369 5.8.2.1. Die Sorge um den eigenen Körper 369 Exkurs: Ein Reisebericht als ICrankheitsgeschichte 372 5.8.2.2. Der Wert änigmatischen Sprechens - Frobens Konflikt mit dem Vater 375 5.8.2.3. Soziale Identität - Die Verieihung des Grafentitels 379 5.8.2.4. Status - Ehe - Sexualität und das weltbuech 383 5.8.3. Aporien der memoria - Der Nachruf auf die Vatergeneration 389 5.8.4. Die Wahrheit des Historikers 399 5.8.4.1. Gottes Wirken in der Geschichte - Die Geburt des Stammhalters 399 5.8.4.2. Die 'große' Politik und das Recht des Historikers. 404 5.8.4.3. Der Historiker und das Unheimliche 410 5.9. Die Dynamik der Diskurse: Ideologie, Erkenntnis und Ästhetik ..415 5.9.1. Aufbewahrung der memoria versus Repräsentation. Der ideologische Diskurs der Chronik 417 5.9.2. Die Wahrheit des Historikers - Das gesetz der historien und die lex totius 422 5.9.3. Der ästhetische Diskurs 424 5.9.3.1. Die Ordnung der sachen 424 5.9.3.2. Mit verdeckten worten 427 5.9.3.3. schimpf und ernst vermischet schon 429 6. Die 'Zollemchronik' 6.1. Entstehungsgeschichte und Überlieferung 6.1.1. Die Zollemgenealogie des Johannes Basilius Herold 6.1.2. Die Überlieferung der 'Zollemchronik'

434 434 434 437

Inhaltsverzeichnis

6.1.3. Autor und Anlage der 'Zollemchronik' 6.2. 'Argumentation' und Regentenbilder 6.2.1. Der Aufbau der 'Argumentation' 6.2.1.1. Die 'Vorrede' der Chronik (Abschnitt 1-4) 6.2.1.2. Das Herkommen der Zollern (Abschnitt 5-12) 6.2.1.3. Das genealogische Verhältnis zu den Coloima und Habsburgem (Abschnitt 13-29) 6.2.2. Die Legenden der Regentenbilder 6.3. Literarische Muster in der 'Zollemchronik' 6.4. Resümee

ΧΠΙ

439 441 441 441 443 447 449 451 455

7. Schlußbemerkung

458

Literaturverzeichnis

470

Anhang

496

1. Einleitung Wer das menschliche Herz, den Bildungsgang der Einzelnen kennt, wird nicht in Abrede sein, daß man einen trefflichen Menschen tüchtig heraufbilden könnte, ohne dabei ein anderes Buch zu brauchen als Tschudis schweizerische oder Aventins bayerische Chronik. '

In Goethes oft zitiertem Satz über zwei der bekanntesten spätmittelalterlichen Chroniken spiegelt sich ein Verständnis wider, welches der Intention der Autoren mehr entspricht als das Erkenntnisinteresse ihrer modernen Interpreten. Goethe hebt in seinem Urteil gerade nicht ab auf die Frage nach der historischen Stimmigkeit der dargestellten Ereignisse. Anstelle von positivistisch zu verifizierbaren Fakten geht es ihm um die Totalität des in den Chroniken enthaltenen speculum vitae und um die damit verbundenen anthropologischen und didaktischen Perspektiven. Das "Musterbuch" der Chronisten ist nach Goethes Meinung die Bibel,^ in der die Geschichte eines Volkes "zum Symbol aller übrigen [aufgestellt wird].'" Die Erkenntnis, wonach Geschichte nie um ihrer selbst willen aufgeschrieben wird, sondern immer unter den Bedingungen einer politischen oder pädagogischen Funktion entsteht, lenkt das Interesse notwendigerweise auf (üe rhetorisch-ästhetische Form und damit auf eine metaphysisch-sinnliche Dhnension von Geschichtsschreibung, die auch nach Meinung JAKOB GRIMMS Ziel der historischen Wissenschaft sein soll.^ Derartige holistische Vorstellungen hatten jedoch gegenüber dem Objektivitätsanspruch der sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts etablierenden Geschichtswissenschaft keine Chance. Im Zeitalter des Positivismus dominierte RANKES Kardinalfrage, wie es eigentlich gewesen ist.' Diesen eigentlichen Kem der Geschichte glaubte man entsprechend den zeitgenössischen Vorstellungen von der geschichtsprägenden Kraft bedeutender Individuen in der Beschäftigung mit den politischen Ereignissen, den 'Haupt- und Staatsaktionen', zu finden. Das diesem Ansatz zugrundeliegende positivistische Ideologem verlangte vom Historiker, verifizierbare Fakten der Geschichte zu erschließen, die mit Hilfe der Quellenkritik Goethe, Werke 14, S. 52. Ebd.: "Wieviel mehr rauß also die Bibel zu diesem Zwecke genügen, da sie das Musterbuch zu jenen erstgenannten gewesen, da das Volk, als dessen Chronik sie sich darstellt, auf die Weltbegebenheit so großen Einfluß ausgeübt hat und noch ausübt." Ebd. Vgl. dazu etwa GRIMM, Rechtsaltertümer 1, S. Vlff. GRIMMS Ziel ist es, das "sinnliche element der deutschen Rechtsgeschichte" (S. VII) zu erfassen. Daß sich hinter dem Anspruch sehr aktuelle Fragestellungen verbergen können, zeigt exemplarisch THEODOR MOMMSENS Werk über die römische Geschichte (4 Bde., Leipzig 1854-1885), die eine Kritik am preußischen Imperialismus enthält.

2

Einleitung

nach dem Kriterimn der historischen Wahrheit, die recht besehen kaum etwas anderes war als historische Wahrscheinlichkeit, befragt werden konnten. Für die Erforschung des Mittelalters bedeutete dies eine Präponderanz der sog. 'Überreste', vornehmlich der lateinischen Urkunden, gegenüber den beschreibenden Geschichtsquellen. Bei der Suche nach der Faktizität der vergangenen Ereignisse war insbesondere die volkssprachige Geschichtsschreibung des Mittelalters wegen ihrer zahlreichen immanenten Widersprüche, offensichtlichen Irrtümern und Fälschungen rasch in Verruf geraten. Mitverantwortlich für die negative Bewertung war die zutreffende Beobachtung, daß die in der Volkssprache schreibenden Historiographen prima vista historische Fakten mit den imaginären Elementen der poetischen Gattungen vermischten. Im Bestreben sich von ihrer illegitimen Schwester Geschichtsdichtung abzugrenzen, minimierte die Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts den Quellenwert der mittelalterlichen Chroniktexte und überließ sie bereitwillig den Nachbardisziplinen. Die daraus resultierende Herablassung gegenüber der volkssprachigen Geschichtsschreibimg des Mittelalters prägte die Einstellung vieler Historiker bis in die Gegenwart.' Sie führte freilich auch zu bezeichnenden Widersprüchen: Wenn die volkssprachige Historiographie mangels anderer Quellen doch herangezogen werden mußte, vsojrde eine Trennung von literarischer Form und historischem Kem normativ vorgenommen, ohne jede Rücksicht auf literarische Strategien eine angeblich faktische Quintessenz aus den Texten herausgelöst. Nicht selten saßen Historiker dabei der literarischen Organisation des in den Texten beschriebenen Vorgangs auf. Die Kritik des einer 'objektiven' Wahrheit veφflichteten Historikers an der 'fiktionalen' Ausgestaltung mittelalterlicher Chroniken ist jedoch keine Erfindung der Neuzeit, so verlangte bereits Aventin in seinen Glossen zu Uhich Füetrers 'Bayerischer Chronik' eine Entmischung von Dichtung und Geschichtsschreibung.' Entscheidend dafür waren nicht methodische Gründe, sondern die "Abwehr einer geschichtslosen Statusinterpretation des Adels.'" Aventin hatte erkannt, daß die Füetrerschen Geschlechtermythologien den Wahrheitskriterien nicht entsprechen und letztlich damit die poeterey die dynastisch-genealogische Funktion unterläuft. Schon bei Aventin kündigte sich damit jene binäre Sicht auf historiographische Texte an, die letztlich zu der Gattungstrennung in eine Ge-

Vgl. paradigmatisch GRUNDMANN, Geschichtsschreibung, S. 10: "[Die Kaiserchronik ist] nicht als Quelle brauchbar für den Historiker [...]" (vgl. auch ebd., S. 74f.). Aventin schrieb an den Rand von Füetrers Chronik Bemerkungen wie: lautier meri, is nit war, poetisch dicht ding, ist narrenwerk usw. (zit. nach WENZEL, Alls, S. 21). Dieses Urteil bestimmt die Füetrer-Rezeption bis heute. So schreibt GLASER (Wissenschaft, S. 854): "[Fuetrer formt seine Chronik] als eine fesselnde und erbauliche, zuweilen phantastisch-fabulöse, immer etwas märchenhafte, erdichtet anmutende Erzählung." Gleichwohl verlangt GLASER dann fast im selben Atemzug, die Historiographie müsse den "Sinn für die menschliche Realität des geschichtlichen Lebens" bewahren. WENZEL, Alls, S. 22.

Einleitung

3

schichtsschreibung, die sich mit dem historischen Diskurs' beschäftigt, und einer Geschichtsdichtung, die zum Diskurs des Imaginären gehört, führte. Es ist freilich nicht zu übersehen, daß die Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts nicht allein von dem RANKEschen Ideal der 'Faktentreue' und der damit einhergehenden Vernachlässigung rhetorisch-poetisch gestalteter Quellen geprägt war, sondern auch die melliodologischen Grundlagen für eine Einbeziehung der fiktionalen Ebene der Historiographie in den Gegenstandsbereich des Fachs vorbereitete. Ausgehend von der individualistischen Philosophie SCHLEIERMACHERS hatte DROYSEN gegen RANKE betont, daß die historischen Tatsachen überhaupt nicht aus sich heraus sprechen, sondern erst "durch den Mund dessen, der sie aufgefaßt und verstanden hat.'"" Damit wird die Interpretation der Geschichte durch das forschende und erzählende Subjekt zum maßgebenden Medium historischer Erkenntnis, und dies ändert implizit die Bewertung der poetisch-rhetorischen Formen mittelalterlicher Historiographie. Auch wenn es umstritten ist, inwieweit DROYSEN die interpretierende Darstellung der Geschichte überhaupt noch an historische Forschung zurückbindet oder ob dies fiir ihn nur ein äußerliches Kriterium bleibt, das von der ethischen Aufgabe der Geschichtsschreibung völlig überdeckt wird," so hat er den konstruktivistischen Charakter jeder Art von Historiographie erkannt, wenn er sie von den jeweiligen Interessen, Lebensumständen und Intentionen des Autors oder Auftraggebers ableitet.'^ Indirekt hat sich DROYSEN von der Vorstellung gelöst, daß Geschichte "ein objektiver Prozeß oder eine empirisch beobachtbare Struktur von Beziehungen ist", viel eher versteht er Geschichte als "Diskurs, dem es gelingt, seine Leser in den Kreis der Moralbegrifíe, die ihren praktischen sozialen Horizont definieren, zu integrieren.'"' Innerhalb dieses Verständnisrahmens sind dann - so ist zu folgern - Plausibilitätskriterien den Wahrheitsfragen vorgeordnet, die überhaupt nur dann eine Rolle spielen, wenn Nach FOUCAULT verstehe ich unter Diskurs ganz allgemein alle jene 'geregelten' Aussageformationen, die unmittelbare Bewußtseins- und Machteffekte auf die Subjekte ausüben bzw. Subjektivität überhaupt erst generieren. Dabei werden die auf der Autorebene zu beobachtenden bewußten und subjektiven 'Schöpfimgen' nicht geleugnet, aber deren Vemetzung mit den unter der Oberflache liegenden Diskursen mit in die Analyse einbezogen. Vgl. dazu auch WOLF, Autopoiesis. Um die erkenntnistheoretischen Aporien des Diskursbegriffs zu umgehen, schlägt GRAF einen erweiterten, 'weichen' Diskursbegriff vor (siehe unten Anm. 78). JOHANN GUSTAV DROYSEN, Historik, hg. v o n PETER LEYH, Stuttgart 1977, Bd. 1, S. 218. -

Zur Dichotomie von Faktenkenntnis und Einsicht in die unversalen Zusammenhänge vgl. HARDTWIG, V e r w i s s e n s c h a f t l i c h u n g , S. 179-184.

Vgl. dazu etwa WHITE (Bedeutung, S. 110) sowie die Stellungnahme ROSENS (Bemerkungen, S. 196f). Gegen die Vorstellung einer quasi externen Didaxe, die die Geschichtsdarstellung präfiguriert, beharrt ROSEN (Bemerkungen, S. 200) filr DROYSEN auf einer "inneren Didaktik", die aus der Forschung selbst resultiere. Zur Diskussion um DROYSENS gleichzeitiger Kritik und Apologie der Erzählung in der Geschichte siehe HARTH, Geschichte, S. 469-476. Nach WHITE (Bedeutung, S. 110) hat DROYSEN "immer darauf insistiert, daß die beste Historiographie aus der Beschäftigung des Historikers mit den Problemen seiner eigenen Epoche entsteht." Ebd., S. 131.

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die dargestellte Vergangenheit den Nonnen, Erfahrungen und Erwartungen der Rezipienten widerspricht. Angesichts ihres Unbehagens an den historiographischen Texten des Mittelalters kam die Geschichtswissenschaft auf die Idee, sie als eine Art Mischform zu definieren und damit emen quasi 'historischen Kern' ftir die eigenen Bedürfiüsse zu retten. Nach F R A N Z - J O S E F S C H M A L E bietet sich die Geschichtsschreibung "keineswegs ausschließlich in den eigentlichen historiographischen, sondern auch in im engeren Sinn literarischen Genera dar, besonders im epischen Genus. Die erzählte und literarisch vergegenwärtigte Geschichte besitzt an sich bereits einen epischen Charakter [...].'"'' Dementsprechend wird die Offenheit der mittelalterlichen Chroniken gegenüber anderen literarischen Gattungen, aus denen sie immer wieder Elemente amalgamieren, als ihr formales Spezifikum akzeptiert.'' Zumindest in der Geschichtstheorie wird heute die Idee einer a priori existierenden Geschichte verworfen und anerkannt, daß jeder "Geschichtsschreibung ihre Literarizität als Darstellungsproblem mitgegeben" ist," der Prozeß der Literarisierung von Geschichte von den Erlebnisstrukturen des Interpreten abhängt," die Vergangenheit immer wieder in neuen Konfigurationen geordnet wird und deswegen Geschichte - nicht nur wegen aktueller politischer Erfordernisse - immer wieder umgeschrieben werden muß. Zumindest in der Theorie wird jetzt auch die Abgrenzung zwischen (wissenschaftlicher) Historiographie und (literarischer) Chronistik als willkürlich erkannt. Denn weder kann man die Texte nach ihren Funktionen voneinander scheiden - gleichermaßen können sie der Unterhaltung, Propaganda, Belehrung, der Begründung eines historisch fundierten Selbstbewußtseins dienen" noch nach der Professionalität ihrer Autoren." Im Gegensatz zur Theoriediskussion sind jedoch in der wissenschaftlichen Praxis die alten VorbehaUe gegenüber Poetizität und Rhetorik der Literatur noch immer lebendig, und die mittelalterlichen Chroniken sind für die meisten Historiker nach wie vor ungeliebte Stiefkinder.

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SCHMALE, Funktion, S. 121. Eine Abgrenzung zwischen Geschichte und Dichtung stand im 16. Jahrhundert bereits im Brennpunkt der Poetik-Diskussion. Vgl. hierzu Caesar Scaliger, Poetices libri Septem ( I / l f ) , Lyon 1561, Neudr. Bad Cannstatt 1964, bes. S. 3-6. Zur Abgrenzungsproblematik vgl. auch EHLERS, Literatur, S. 429f; METZNER, Geschichtsdichtung; HEITMANN, Verhältnis; SCHMALE, Funktion, bes. S. 6 8 - 8 4 , 1 2 0 f î . ; MOLLER, Gedechtnus, bes. S. 203-210; JOHANEK, Weltchronistik, S. 296-300. SrœRLE, Erfahrung, S. 117. GUMBRECHT (Zeiten, S. 495-501) demonstriert anhand der 'Chanson de Roland', wie das "von den Lesern aktualisierte historische Wissen [...] in den Rahmen von Erlebnisstrukturen zurückversetzt [wird]" (ebd., S. 495). Vgl. GRAUS, Funktionen, S. 48 und passim. GRAUS, Zusammenfassungen, S. 843.

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Gegenüber der volkssprachigen Historiographie blieb aber auch die frühe Germanistik distanziert,^" man beschränkte sich auf die Edition einzelner Texte.^' Der wesentliche Grund hierfür war das aus den Zeiten einer idealistischen Ästhetik stammende Verdikt gegenüber jenen Werken, die mit ihrer ungebremsten Erzähllust, ihren offenbar didaktischen Absichten, ihrer unsystematischen Verquickung von Alltäglichem und Besonderem, von Öffentlichem und Privatem, von Narration und Reflexion, von archivalischer Aufzeichnung und literarischer Form keine poetische Einheit boten. Von dieser Abwertung, die mit wenigen Ausnahmen für das ganze Spätmittelalter gah, hat sich die Germanistik bis weit in die jüngere Gegenwart nicht lösen können." Nur zu bereitwillig übernahm man hier die negativen Urteile der Historiker, um sich den Gegenstand vom Leib zu halten." Fachpolitische Motive kamen hinzu: Im Bestreben sich gegenüber den naturwissenschaftlichen Paradigmen am Ausgang des 19. Jahrhunderts zu behaupten und gegenüber der historischen Nachbardisziplin den Wissenschaftscharakter unter Beweis zu stellen, ging die Germanistik Texten, die nach einer interdisziplinären Fragestellung verlangten, aus dem Weg und konzentrierte sich mit der 'Höhenkammliteratur' auf Werke, die eindeutig der Literaturwissenschaft zuzuschlagen waren. Auch standen methodologische Gründe einer Beschäftigung mit den - im weitesten Sinne - historiographischen Texten des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit entgegen. Für eine Literaturwissenschaft, die als eine ihrer Hauptaufgaben die gattungsgeschichtliche Systematisierung der Überlieferung begreift, war und ist die klaren Abgrenzungen entgegenstehende Unübersichtlichkeit dieses Gebiets ein Dom im Auge. Wie die Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts insgesamt, lassen sich auch jene Texte, die vergangenes Geschehen für die Zukunft aufbewahren wollen, nicht in das feste Schema literarischer Gattungen pressen." Gattungs-

Zum Einfluß des Positivismus auf die Germanistik vgl. JOSEF DÜNNINGER, Geschichte der deutschen Philologie, in: Deutsche Philologie im Aufriß 1, hg. von WOLFGANG STAMMLER, Berlin 1952, Sp. 191-214; Die "methodologische Verengung" der Germanistik am Ende des 19. Jahrhunderts beschreibt JANOTA in der Einleitung seiner Anthologie zur Frühgeschichte des Faches (JOHANNES JANOTA [Hg.], Eine Wissenschaft etabliert sich: 1810-1870 [Texte zur Wissenschaftsgeschichte der Germanistik III. Deutsche Texte 53], Tübingen 1980, hier S. 7). Vgl. dazu etwa das Monumentalprojekt 'Die Chroniken der deutschen Städte vom 14.-16. Jahrhundert', hg. durch die Historische Commission der Königlichen Academie der Wissenschaften, Leipzig 1862fr, Vgl. zur Haltung der Germanistik gegenüber dem Spätmittelalter THOMAS CRAMER, Geistesgeschichte und Spätmittelalter, in: Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 1910 bis 1925, hg. v o n CHRISTOPH KÖNIG u n d EBERHARD LÀMMERT, Frankftirt a. M. 1993, S. 58-72.

Vgl. GRUNDMANN, Geschichtsschreibung, S. 9ff; WEHRLI, Geschichte, S. 1030: Aventins deutsche Chronik "setzt eine Auffassung von historischer Wahrheit voraus, die vom heutigen Wissenschaftsbegriff aus schwer zugänglich ist." Die Folge ist die bis in die Gegenwart andauernde Verwirrung bei Gattungszuordnungen, Begrifflichkeit und Bewertung dieser Texte, die der mittelalterlichen Begriffsdiffusion sehr wohl entspricht und die Diskussion bereits im Vorfeld erschwert. Die Texte firmieren in der Sekundärliteratur unter Begriffen wie Stadt-, Regional-, Landes-, Adelschronik, Biographie,

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theoretische Diskussionen fflhren angesichts eines unübersehbaren Konglomerats historiographischer Mischformen rasch zu zwanghaften Schablonen. Ein Blick in die Literaturgeschichten zeigt, wie sich in den jeweiligen Systematisierungsversuchen formale mit inhaltlichen, personale mit territorialen, religiöse mit historischen Kriterien überkreuzen: Bezeichnungen wie Autobiographie, Hausbücher, Reiseliteratur, Tagebücher imd schließlich Geschichtsdichtung werden gebraucht, ohne daß ein differenziertes Gattungssystem daraus entstehen könnte." Teilweise werden diese Texte der humanistischen Artesliteratur, den Selbstzeugnissen und Biographien einer universalen oder regionalen Geschichtsschreibung,^' der Didaxe oder - noch allgemeiner - einem Zweck- und Gebrauchsschrifttum zugeordnet. Funktionale, geistes- und sozialgeschichtliche Kategorien werden häufig miteinander vermischt. Selbst die Gattungsbesthnmung der frühneuzeitlichen Autobiographie, die dank des modernen Interesses an vormodemen Formen der Subjektivität am weitesten gediehen ist," grenzt die adligen Hauschroniken meistens aus, weil sich hier je nach Entstehimgssituation ein (auto-)biographischer Modus neben dem chronikalischen oder einem rein dokumentarischen fmdet.^' Ganz abgesehen vom Erkenntniswert einer Gattungsdiskussion, ist eine solche erst sinnvoll, wenn das Material auch überregional erschlossen wäre. Die Literaturgeschichten bieten mmierhin eine sehr detaillierte Aufzählung der in Frage kommenden Texte," aber recht besehen ist die Historiographie noch eher 'Faszinationstyp' denn Gattung.'"

Hausbuch, Historien, Annalen, Gedächtnisbuch, Stamm- und Geschlechtsbücher. Vgl. dazu EHLERS, Literatur, S. 442-458. GRAUS, Zusammenfassungen, S. 842. Vgl. RUPPRICH, Geschichte Π, S. 415-421. Der betreffende Abschnitt, in dem die Geschichtsschreibung der Jahre 1520-1570 eher aufgelistet, als beschrieben wird, ist typisch für die Behandlung der Gattung in den Literaturgeschichten. Ein guter Überblick über den Stand der Forschung findet sich bei VELTEN, Leben, S. 29-40. Der Versuch VELTENS (Leben, S. 45-67), die Autobiographien in Abgrenzung von den Hausund Familienchroniken gattungstheoretisch zu definieren, zeigt die ganze Problematik. Obwohl VELTEN ein hervorragender Kenner der Materie ist, verwendet er Hauschronik und Hausbuch als Synonyme (S. 48) und schlägt sie "zur vornehmlich im städtischen Bereich auftretenden pragmatisch-extrovertierten Autobiographik, deren wichtigste Bezugssysteme neben der Familie (Stamm, Geschlecht) der bürgerliche (bzw. bürgerlich-patrizische) Stand und der christliche Glaube sind" (S. 50). Dementsprechend steht die "didaktisch-exemplarische Funktion [...] überall im Vordergrund, [...] bezweckt die Chronik die Tradierung von vorgegebenen und kaum hinterfragten Verhaltensmustern und Lebensformen, sie ist ein Reservoir von Daten, Fakten, Beispielen und Handlungen, die eventuell ftlr die Nachkommen informative und pädagogische Bedeutung besitzen" (ebd.). VELTEN übersieht, daß gerade weil Name und Stand im 16. Jahrhundert problematisch geworden sind, die 'vorgegebenen Lebensformen' an Relevanz verloren haben, und deswegen eine Konstruktion der Geschichte erfordern, die weit über eine einlinige Didaxe oder bloße Information hinausgehen. Dies gilt insbesondere für die Literaturgeschichte von RUPPRICH (Geschichte I, S. 661-676; Geschichte Π, S. 415-427), die eine noch lang nicht ausgeschöpfte Fundgrube flir die historiographischen Schriften des 15. und 16. Jahrhunderts bietet. GUMBRECHT, Zeiten, S. 480.

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Auch der sozialgeschichtliche Paradigmenwechsel in den 70er Jahren änderte wenig an der randständigen Stellimg der spätmittelalterlichen Chronistik, denn der neue Ansatz mit seinem Blick auf die sozialen Entstehungsbedingungen der Literatur und auf soziologische Theorien, mußte sich erst an der 'schönen' Literatur, der in der geistesgeschichtlichen Tradition als der eigentliche Gegenstand des Faches verstanden wurde, beweisen. Paradoxerweise suchte man in Epik und Minnesang nach jenem sozialen Gehalt, der in den historiographischen Werken ofifenlag. Einem rezeptionsästhetischen Ansatz stand dagegen die geringe Repräsentativität der spätmittelalterlichen Historiographie im Wege. Da sie meist innerhalb begrenzter sozialer Räume, wie Stadt, Bistum, Dynastie entstanden war, ging man davon aus, daß sie keine weite Verbreitung gefimden hatte und sich deswegen an ihnen auch keine allgemeinen Erkenntnisse über literarische Prozesse gewinnen lassen. Eine solche Argumentation berücksichtigt freilich weder die rege Kommunikation der Chronisten untereinander," noch die häufige Benutzung der Handschriften durch humanistische Gelehrte und Historiographen. Die Randstellung der volkssprachigen, im weitesten Sinne historiographischen Texte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit scheint allerdings in jüngster Zeit zu schwinden, wie vor allem das Interesse an biographischen Texten bezeugt. Diese Entwicklung ist nicht denkbar, ohne a) die von verschiedenen Seiten her erfolgte methodologische Öffiiung der Geschichtswissenschaften und b) die Erweiterung des Literaturbegriffs in der Germanistik. Die Darstellung dieses Prozesses fiir beide Disziplinen wäre eine Arbeit für sich, ich beschränke mich hier auf die Notierung einiger markanter Positionen, soweit sie für die nachfolgenden Textanalysen von Belang smd. Ein Meilenstein in der Wissenschaftsgeschichte war bekanntlich die Arbeit der Historiker um die Zeitschrift 'Annales' mit ihrer Abkehr von der Oberfläche der Ereignisse, von dem langweiligen Einerlei der Kriege und der Hinwendung zu den Motiven der Geschichte, die als "geographische, ökonomische, ebenso soziale und intellektuelle, religiöse und psychologische"" gesehen wurden. Damit war der Weg frei für die Untersuchung der langen Zeitrhythmen (longue durée) von gesellschaftlichen Strukturen, Ideen, Mythen, Bildern, Mentalitäten etc. Dies erfordert, "daß alle Dokumente, die eine Gesellschaft hinterlassen hat, insbesondere literarische und künstlerische Werke"" herangezogen werden. Die wesentliche Dimension der Geschichte war somit nicht mehr das Ereignis, sondern deren nicht-materiale, imaginäre Voraussetzungen. Diese aber finden ihren Niederschlag auch in literarischen Werken, so daß für die Historiker der 'Annales' etwa die Untersuchung der 'Melusine' nahelieVgl. zu diesem allgemeinen Einwand die Entgegnung EHLERS, Literatur, S. 437-442 sowie n e u e r d i n g s VELTEN, Leben, S. 141-160.

LUCIEN FEBVRE, Combats pour l'histoire, Paris 1953, S. 63; zit. nach LE GOFF, Geschichtswissenschaft, S. 19. LE GOFF, G e s c h i c h t s w i s s e n s c h a f t , S. 50.

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gend war. Die deutsche Mediävistik hat dies rezipiert, wenn auch mit einiger Skepsis im Hinblick auf die Gühigkeit von Aussagen über historische Mentalitäten anhand poetischer Texte. Denn es war nach wie vor "der Blick des Historikers, der die Texte auf ihre mentalitätsgeschichtlichen Informationen abklopft"" und dabei deren narrative Struktur und ästhetischen Gehalt unberücksichtigt läßt. Dieser Einwand ist verständlich, er verliert aber viel von seiner Berechtigung, wenn man die Gattung wechseh und anstelle von Romanen historiographische Texte des Mittelalters heranzieht. Deren Autoren smd - wie noch zu zeigen sein wird - selbst auf der Suche nach der longue durée und referieren keine Ereignisse, sondern konstruieren selbst erzählend Geschichte. In ihrem expliziten Verständnis von historia als magistra vitae" konnten sie sich nicht auf die Ereignisse bzw. ihre Voraussetzungen und Folgen beschränken, und genauso wenig wie für die Historiker der 'Annales' kam ffir sie eine 'Rosenkranz-Historiographie' in Frage. Auch sie suchten viehnehr nach jenen zugrundeliegenden Strukturen, die sie in den religiösen, ökonomischen, sozialen, familiären oder psychologischen Gegebenheiten fanden. Obwohl die Mitglieder der 'Armales' die Beschäftigung mit den poetischen Werken für unerläßlich hielten, blieb ihnen deren Narrativität ideologieverdächtig und letztlich ein Hindernis für die Rekonstruktion 'objektiver' Strukturen. Insofern kam auch hier wieder das traditionelle Vorurteil gegenüber der Historiographie zum Vorschein. Anders verhieb es sich dagegen mit jener hermeneutisch orientierten Richtung in der Geschichtswissenschaft, fiir deren Vertreter die Erforschung einer geschichtlichen Wahrheit sekundär ist und die historiographische Texte "als die Manifestation im Diskurs einer spezifischen Art von Zeitbewußtsein oder Zeitstruktur'"' betrachteten. Irrtümer und Fälschungen der Chronikautoren sind demnach nicht als solche zu denunzieren, sondern geben Auskunft über ein zeittypisches Verhältnis zur 'Realität', zur Geschichte und zur Zeit. Vor allem PAUL RICŒUR hat in 'La métaphore vive' diesen Ansatz methodologisch vorangetrieben und gezeigt, daß gerade im metaphorischen Sprechen sich fiktionale und historische Erzählung überschneiden, es mithin keine Möglichkeit gibt, in der Darstellung von 'Realität' der Narrativität zu entkommen. Wie sehr die historische Darstellung einer der aktuellen Wirklichkeit angepaßten, inkohärenten Form bedarf, um überhaupt ernst genommen zu werden, hat - in Anschluß an HANS-GEORG GADAMER HAYDEN WHITE mit Nachdruck betont. WHITE differenziert zwischen einer reinen Auflistung von Ereignissen, die er Chronik nennt, und einer "Narrativisierung" der chronologischen Ereignisse. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Formen ist, daß erstere nur einen chronologischen Code verwendet, zweitere aber noch andere Codes und so einen Sinn produziert, "der vom " " ^

PETERS, Historicism, S. 375. Vgl. zur Geschichte dieses Topos KOSELLECK, Zukunft, S. 38-66; MELVILLE, Geschichte, S. 86-146. WmiE, Bedeutung, S. 45.

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Sim jeder Art von Chronik gänzlich verschieden ist."" Dieser narrative Code ist eher dem Performanzbereich, der poiesis, als dem der noesis entnommen, und dem auf Information ausgelegten wissenschaftlichen Code überlegen, weil er weitere Codes beinhaltet und mehr Verschlüsselungen aufweist." Die historische Erzählung gehört somit wie der Roman, die oratorische Deklamation oder der juristische Schriftsatz zur Kunstprosa." Genauso aber begründeten auch die traditionelle Geschichtswissenschaft oder die Mitglieder der 'Annales' ihre Skepsis gegenüber der Narrativität, und dementsprechend erhebt WFFLTE in seiner Kritik dieser Auffassung die Narrativität in den Rang des entscheidenden Faktors für die Erkenntnis einer Kultur. Für WFFLTE besteht ihre Leistung darin, daß man nur in der Poesie "Rhythmen und Wiederholungen motivischer Strukturen [findet], die zu Themen verschmelzen, und Themen, die sich zu 'plot-Strukturen' verbinden.'"^ Nach dem jeweiligen Modus des 'emplotment', also nach der jeweiligen der je unterschiedlichen Verbindung der Plots, lassen sich Kulturen und Zeiten differenzieren. Die Plotstrukturen geben Auskunft darüber, wie in einer Kultur reale Ereignisse so miteinander verknüpft werden, daß ihnen 'Sinn' verliehen wird. Darin unterscheidet sich narrative Historie in der Tat von einer 'wissenschaftlichen' Schilderung von Ereignissen, aber es kommt der Erzählung damit kein geringerer Wahrheitswert zu, weil sich an einem solchen Modus die Sinnproduktion einer Kultur herausdestillieren läßt."' Diese Sinnproduktion aber folgt eher den Topoi literarischer Plots als den Kausalgesetzen der Wissenschaft."^ Die besondere Leistung der historischen Erzählung und damit ihr Erkenntniswert besteht nun gerade darin, daß in ihr "die ftir eine bestimmte Kultur oder Gesellschaft typischen Systeme der Sinnproduktion gegen die Fähigkeit einer beliebigen Reihe 'realer' Ereignisse, sich solchen Systemen zu unterwerfen, getestet [werden].'"" Da die literarischen Plots metaphorisch, also potentiell mehrdeutig bzw. allegorisch vermittelt werden, ist auch die Frage nach der Wahrheit der narrativen Historie inadäquat, weil sich Metapher und Allegorie nie auf eine binäre Struktur reduzieren lassen. Mit dieser Argumentation läuft WHITE fi'eilich Gefahr, die historiographische Literatur denn doch aus dem Bereich der für eine allgemeine Geschichte aussagekräftigen Quellen auszuschließen. Er begegnet ihr, indem er dem Plot einen ganz außergewöhnlichen Stellenwert zuschreibt. Denn em Plot steht dem Historiker nicht etwa zur freien Verfügung, "er ist kein Code, der dem ReperEbd, S. 59. Ebd., S. 58. WHITE bedient sich letztlich eines konstruktivistischen Modells, wenn er davon ausgeht, daß Fakten an sich keine konstanten Beziehungen zueinander haben, sondern diese erst durch sprachliche Artikulationen hergestellt werden, die wiederum auf tropologischen Mustern beruhen. Vgl. WHITE, Klio, bes. S. 119-122. WHIPE, Bedeutung, S. 59. Ebd. Ebd., S. 61. Ebd., S. 60. Ebd.. S. 61.

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toire literarischer Modelle entlehnt und 'pragmatisch' verwendet wird, um in eine bestimmte rhetorische Form zu kleiden, was sonst bloß eine Ansammlung von Fakten wäre." Vielmehr scheint es, "als ob der 'plot' eine im Prozeß der Entwicklung begriffene Größe noch vor dem Eintreten eines jeweiligen Ereignisses wäre imd als ob ein jeweiliges Ereignis nur in dem Maße 'Geschichtlichkeit' besitzt, wie es zu diesem Prozeß beiträgt.'"" Damit versucht WFFLTE in der Plotstruktur jene Elemente zu identifizieren, die dem geschichtlichen Ereignis vorangehen, ja es bedingen. W M T E steht hier jenen metapheratheoretischen Ansätzen nahe, die Metaphern als Definitionsmerkmale für die Art des Denkens und Handelns einer Kultur verstehen."' Innerhalb solcher Konzepte ist das Moment der Wiederholung besonders wichtig, weil sich in ihr die eine Kultur prägenden Denkkonfigurationen erschließen lassen. Diese zu begreifen, ist - wie RICŒUR herausgearbeitet hat - wesentlich fur die "Wiedergewinnimg unserer elementarsten Potentialitäten, die wir von unserer Vergangenheit in Gestalt des persönlichen Schicksals und der kollektiven Bestimmung ererbt haben.""* Die alte Formel historia magistra vitae erfährt hier eine neue Legitimation, als Voraussetzung für die Wirkung von Geschichte ist die Narrativität eine anthropologische Voraussetzimg für Wahrnehmung. Damit ist eine Position in der Diskussion über die Abgrenzung von 'historischer Wahrheit' und 'dichterischer Fiktion' erreicht, die sich auch in der gegenwärtigen Konstruktivismusdebatte wiederfinden läßt." Hier wird gar nicht bestritten, daß es eine Wahrheit der Ereignisse gibt, aber diese ist als solche nicht mehr wahrnehmbar, sondern nur noch in ihrer vermittelten Form, quasi als Wahrheit zweiter Ordnung."' Diese zweite Ordnung ist mit ihrer Intention, den Ereignissen einen Sinn zuzuschreiben, sie nach den gängigen Wahmehmungskriterien (Anfang, Schluß, Ambiguität etc.) zu formen, aber eindeutig dem Diskurs des Imaginären zuzuordnen. Im Lichte dieser Diskussion erweist sich dann die Unterscheidung zwischen 'wahr' und 'falsch' als ideologisches Produkt des Positivismus 44 45

Ebd., S. 69. Vgl. GEORGE LAKOFF und MARK JOHNSON, Metaphors we live by, Chicago und London 1980, S. 22ff. PAUL RICŒUR, Narrative Time, Critical Inquiry 7 (1980), S. 183f.; zit. nach WRAXE, Bedeutung S. 70. Diese, maßgeblich von der Biologie beeinflußte Theorie geht davon aus, daß jedes Individuum als autopoietisches System nur innerhalb seiner Kognitionsbereiche handeln kann, seine Wirklichkeit selbst konstruiert und seine Aussagen über die Wirklichkeit nicht diese selbst beschreiben, sondern das eigene Erleben (SCHMIDT, Konstruktivismus, S. 35). Angewandt auf die Fragestellungen der Literaturwissenschaft bedeutet dies eine Absage an die Suche nach den Aussagen und der Intention des Autors als defmitiv zu bestimmenden Größen, bzw. - und dies gilt im gleichen Maße für die Geschichtswissenschaft - die Abkehr von der Vorstellung, daß die außerliterarische Wirklichkeit Faktizitätscharakter hat. Vgl. zur Unterscheidung zwischen verschiedenen Stufen von Realität WATZLAWICK, Bausteine, S. 218-221. WATZLAWICK trennt zwischen einer Wirklichkeit erster Ordnung, die alle die Gegebenheiten der Realität umfaßt, die empirisch zu beobachten sind, und einer Wirklichkeit zweiter Ordnung, die diesen Gegebenheiten Sinn und Bedeutung zuschreibt.

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und als dementsprechend ungeeignet für die Bewertung der vormodemen Historiographie. Maßgeblich profitiert hat die Erforschung der volkssprachigen historiographischen Texte des Mittelalters auch vom 'linguistic tum' in den Geisteswissenschaften imd des damit verbundenen, schon von Nietzsche formulierten Theorems eines prinzipiell metaphorischen Wesens der Sprache. Zum einen wird auch damit das Wahrheitsparadigma, das bislang als Bollwerk gegen die volkssprachigen Texte wirkte, dekonstruiert und zum andern Geschichte zu einem Text, dessen Wahrheit entsprechend der herrschenden Konventionen und Relationen immer wieder neu gefunden werden muß. Der Hinweis auf das 'Vertextungsproblem' der Geschichte, auf die subjektive Verknüpfimg der erwiesenen Daten, hat das "Bewußtsein von der Historizität jener narrativen Strukturen, über die die Historiographie bisher ihre Fakten geordnet hat","' geschärft, und der geschichtlichen Kontingenz gegenüber den großen Metaerzählungen der Empirie und den kausalen Verbindungen von Ereignissen ihr Recht zurückgegeben.^ Verabschiedet ist hiermit die Vorstellimg einer festen, nicht hinterfragbaren historischen Basis, auf die sich die Texte bezögen. Damit aber haben die geschichtlichen 'Überreste' ihre privilegierte Stellung verloren. Der entscheidende Gewinn dieser Theorie für die historiographischen Texte des Mittelalters mit ihrer typischen Vermischung von Gattungs- und Sprachformen liegt darin, daß die verschiedenen Texte'' gleichberechtigt zum Gegenstand einer 'Poetik der Kultur' werden, sich an ihnen die Zirkulation und Transformation kultureller Praktiken ablesen läßt. Genau dafür scheinen die volkssprachigen Historiographien das prädestinierte Material zu sein, weil sich in ihrer spezifischen Verknüpfung von (literarischen) Motiven und (geschichtlichen) Fakten erschließen läßt, wie "Menschen sich ihre Lebensweh als sinnvoll interpretieren."" Diese Texte scheinen mit ihrer polyphonen, unsystematischen Organisation, ihrem Faible für die Anekdote, das Ritual oder Alltagserlebnisse wie die Erfüllung einer Forderung des New Historicism nach einer "nicht-wertenden, minutiösen Beschreibungstechnik, von GEERTZ als 'thick description' bezeichnet."" Genausowenig wie der New Historicism kennen die Autoren der Chroniken und Biographien disziplinäre Zäune. Oft werden Ereignisse nur in anekdotischer Form präsentiert, so als ob den Verfassern bewußt war, daß sich Geschichte nur durch Geschichten repräsentieren läßt. Unter dem BASSLER, Historicism, S. 10. Zur epistemologischen Kritik an dieser These siehe HARTH, Geschichte, S. 479. Dazu gehört auch eine weitere Domäne der Geschichtswissenschaft, die Quellen- und Abhängigkeitsforschung, die FOUCAULT als "liebenswerte, aber verspätete Spielchen von Historikern in kurzen Hosen" bezeichnet hat (zit. nach BASSLER, Historicism, S. 13). Die in der Literaturwissenschaft gebräuchliche Trennung zwischen (literarischen) Gattungen und (nicht-literarischen) Textsorten ist ftlr die hier behandelten Werke ungeeignet, weil für sie gerade die Hybridität signifikant ist. Vgl. dazu auch oben Arm. 24, KAES, Historicism, S. 259. Ebd.

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Aspekt der Textualität der Geschichte wird die von den Historikern monierte Heterogenität der volkssprachigen Historiographie, ihre geringe 'Exaktheit', zu ihrem eigentlichen Gütesiegel. Auch wenn ein derartiger Ansatz das Streben der historischen Wissenschaften nach einem objektiven Tatsachenwissen generell in Frage stellt" und sich die institutionell etablierte deutsche Geschichtswissenschaft bislang gegenüber den jüngeren methodologischen Innovationen eher reserviert verhalten hat, so setzt sich doch auch hier vielleicht die Erkenntnis durch, daß die Suche nach einer historischen Realität ein indefiniter Prozeß ist, weil in jeder geschichtlichen Deutung eine "implizite Subjektivität"" am Werke ist und es dem Historiker bestenfalls gelingt, seine Interpretation der Geschichte an dem Maßstab desjenigen Wissens zu verifizieren, welches mnerhalb des wissenschaftlichen Diskurses seiner eigenen Gegenwart als historisch gültig angesehen wird. Materialisiert hat sich diese fachübergreifend gefiihrte Diskussion auch in den Arbeiten der Forschungsgruppen 'Theorie der Geschichte' und 'Poetik und Hermeneutik', deren zentrale Ausgangspunkte die Fragen nach dem Verhältnis von 'Dichtung und Wahrheit' sowie 'Geschichte und Narration' waren. ' ' Angesichts von Überlegungen, wonach die "Standortbezogenheit konstitutiv ist für die geschichtliche Erkenntnis"," erschien denn auch das Wirken des frühneuzeitlichen Historikers in einem neuen Licht. Der ist nun nicht länger dem Vorwurf ausgesetzt, gelogen oder die Wahrheit manipuliert zu haben, vielmehr rücken nun die Gründe für seine Darstellung einer geschichtlichen 'Wirklichkeit' in den Vordergrund. Nicht mehr die Frage nach 'Dichtung oder Wahrheit' interessiert, sondern wie die Gründungsväter der Zunft ihre historische Welt konstruiert haben. Die Geringschätzung der mittelalterlichen Historiographen durch die Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts erfährt im übrigen aus dieser Perspektive eine Erklärung: In der ideologischen Präfiguration der volkssprachigen Geschichtsschreibung sah man wie m einem Spiegel, wie wenig objektiv Geschichtswissenschaft ist.''

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Vgl. dazu RUSCH, Erkenntnis, S. 467f. RICOEUR, Geschichte, S. 40. Vgl. dazu in erster Linie die Veröffentlichungen der Studiengruppe 'Theorie der Geschichte' der Wemer-Reimers-Stifhing, die als 'Beiträge zur Historik' in sechs Bänden vorliegen, sowie den 5. Band von 'Poetik und Hermeneutik' (= KOSELLECK/STEMPEL, Geschichte) und darin insbesondere die Beiträge von STEMPEL (Erzählung) und STTERLE (Geschichte). STTBRLE plädiert gegen eine Einebnung der Unterschiede zwischen Literatur und Geschichte und fur ein spezifisch historiographisches Ordnungsprinzip (Geschichte, S. 344ff.). KOSELLECK, Standortbindung, S. 35. Auf dieses Phänomen macht auch Goethe in seinen Materialien zur Geschichte der Farbenlehre aufmerksam: "Daß die Weltgeschichte von Zeit zu Zeit umgeschrieben werden müsse, darüber ist in unsem Tagen wohl kein Zweifel übriggeblieben. Eine solche Notwendigkeit entsteht aber nicht etwa daher, weil viel Geschehenes nachentdeckt worden, sondem weil neue Ansichten gegeben werden, weil der Genösse einer fortschreitenden Zeit auf Standpunkte geführt wird, von welchen sich das Vergangene auf eine neue Weise überschauen und beurteilen läßt" (Werke 14, S. 93).

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Der hier kurz skizzierte Paradigmenwechsel in der Geschichtswissenschaft, insbesondere die Rehabilitierung von Narration und Rhetorik, die alhnähliche Abkehr von einem ausschließlich ästhetischen Textverständnis" sowie eine generelle Erweiterung von Literaturbegriflf und Erkenntnisinteresse, fflhrte in der Literaturwissenschaft zu einer Annäherung an die volkssprachigen historiographischen Werke." Den entsprechenden Texten des 15./16. Jahrhunderts kommt dabei das in jüngster Zeit wieder erwachte Interesse an Umbruchszeiten, Übergangsphänomenen sowie Weltbild- und Medienwandel zugute. Da man sich jetzt mehr fiir den Gebrauchscharakter der Texte bzw. deren Kontexte interessierte, sah man auch über ihre bemängelte ästhetische Qualität und die Vermischung der Formen hinweg. Nicht zuletzt durch die kulturanthropologische Ausweitung des Literaturbegriffs wird nun auch "die Poetizität sämtlicher gesellschaftlicher, nicht nur im engeren Sinn literarische[r] Diskurspraktiken"*' untersucht, die dezidierte Kontextualisierung der Literatur als "eines zirkulierenden Gesprächs unterschiedlicher Stmimen"*^ begriffen, das in den hybriden Formen der volkssprachigen Chroniken des 16. Jahrhunderts besonders augenfällig entgegentritt. Mit der Dekonstruktion der einen sinnstiftenden Interpretation wurde auch der Wiederentdeckung der Geschichtstheorie WALTER BENJAMINS der Weg bereitet. Wenn BENJAMIN iur ein "Denken in Konstellationen" plädiert, das "nicht nur die Vergangenheit erhellt, sondern auch die Gegenwart"," dann bedeutet das eine Aufwertung des Polyphonen und Unsystematischen, und dies richtet das Erkenntnisinteresse erst recht auf die in den Historiographien zu fmdende Collage der unterschiedlichen Gattungsformen. Das Zeitaher der Renaissance, bevorzugtes Studienobjekt des New Historicism,*^ erscheint fiir die Untersuchung historischer Vermischungsprozesse auch deswegen besonders prädestiniert, weil das Denken dieser Zeit ständig bestrebt war, die Kohärenz der Welt durch ein Netz von Analogien und Ähnlichkeiten zu bestimmen. Vielleicht liegt hier und weniger in den Wirren der Reformation und der sozialen Konflikte der Grund für die vermeintliche "Lutherische Pause",'' fur das Fehlen der 'grand récits', wie sie das Hochmittelalter mit seinen großen dichte-

Zum sozialgeschichtlichen Paradigmenwechsel und seinen Implikationen vgl. JAN-DIRK MOLLER, Literaturgeschichte/Literaturgeschichtsschreibung, in: Erkenntnis der Literatur. Theorien, Konzepte, Methoden, hg. von DIETRICH HARTH und PETER GEBHARDT, Stuttgart

1982, S. 224fr. WEHRLI, Geschichte, S. 176-202, 573-579, 823-834,1027-1052. PETERS, Historicism, S. 37Sf. Ebd., S. 378. KAES, Historicism, S. 262. Dies gilt insbesondere für die Leitfigur des New Historicism STEPHEN GREENBLATT und seine Forschungen zur englischen Renaissance (vgl. bes. S. G., Renaissance Self-Fashioning. From More to Shakespeare, Chicago 1980). WOLFGANG STAMMLER, Von der Mystik bis zum Barock. 1400-1600 (Epochen der deutschen Literatur Π/Ι), Stuttgart M950, S. 302.

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rischen Weltentwürfen noch geboten hat. Die literarischen Innovationen dieser Zeit sind denn auch in den kleinen literarischen Formen (Anekdote, Spruch, Lied, Reiseberichte, Traktat, Sprichwort etc.) zu finden oder eben in den historiographischen Werken, die das "Prinzip der Montage in die Geschichte"^ verwenden. Die Vielfah der Detailbeobachtungen dient keinem archivalischem Interesse, sondern dem Ziel, im Partikulären und Rudimentären das 'Totalgeschehen' zu erfassen." Der enorme Aufschwung, den die Historiographie im 15. und 16. Jahrhundert erfuhr," hatte einen qualitativen Differenzierungsprozeß zur Folge. Waren im Hochmittelalter vorrangig Welt-, Kaiser- und Klosterchroniken in deutscher Sprache verfaßt worden, so kamen nun Landes-, Stadtund Hauschroniken sowie die ersten Biographien und Autobiographien hinzu. In zunehmendem Maße werden also die Entitäten des sozialen Mikrokosmos für die Aufzeichnung interessant. Die Produktion historiographischer Texte erfaßte alle Landschaften des deutschen Sprachraums; Zentren entwickelten sich im deutschen Südwesten, insbesondere in der Schweiz, in Bayern, im Umkreis der großen Reichsstädte sowie an einzelnen Fürstenhöfen." Angesichts dieses Ausstoßes - insgesamt übertreffen die chronikalischen Werke etwa die sogenannten Volksbücher sowohl an Zahl wie auch an Umfang - ist der erhebliche Niveauunterschied zwischen den einzehien Werken nicht weiter erstaunlich: Die stilistische Bandbreite reicht von anspruchslosem Schrifttum, wo die der memoria für würdig befundenen Daten und Fakten in dürre Worte imd ein streng annalistisches Schema gefaßt sind,™ bis hin zu Aufzeichnungen, die gezielt literarische und rhetorische Mittel einsetzen. Hier werden etwa mit einer schon neuzeitlich anmutenden Emphase auch persönliche Erlebnisse geschildert - ein Phänomen, welches, wie der Blick auf die fi-anzösischen Autobiographien zeigt, grenz- und sprachüberschreitenden Charakter hat. Selbst wenn die Geschichtsschreibung an der Wende zur Neuzeit noch nicht gesamthaft beschrieben ist," so lassen sich doch zwei Prämissen hn Hinblick auf ihre Gestah formulieren: Eine allgemein akzeptierte Trennung von 'schöner' Literatur und 'wissenschaftlicher' Geschichtsschreibung gibt es für die Autoren des 66 67

BENJAMIN, Passagen-Werk 1, S. 575. Vgl. dazu unten S. 422ff. WEHRLI, Geschichte, S. 823: "Das 15. und 16. Jahrhundert sind unvergleichlich geschichtsfreudige, geschichtsbewußte Epochen, in denen ein wesentlicher Teil auch der schriftstellerischen Energien der Chronistik zugute kommt." WEHRLI spricht in diesem Zusammenhang von der "Omnipräsenz spätmittelalterlicher Prosachronistik." Zu der gegenwärtig mit Verve betriebenen Erforschung der Historiographie am Hof Friedrichs 1. von der Pfalz vgl. KELLER/WORSTBROCK, Träger; zur Geschichtsschreibung der Wittelsbacher vgl. GLASER, Wissenschaft, S. 841-860. Zu den einzelnen Subgattungen der mittelalterlichen Geschichtsschreibung vgl. die Übersicht bei EHLERS, Literatur, S. 442-458; SCHMALE, Funktion, S. 105-123. Eine Ausnahme bildet lediglich das Werk BERNARD GUENEES, Histoire et culture historique dans l'occident médiéval, Paris 1980. Vgl. dazu auch den Versuch METZNERS (Geschichtsdichtung, bes. S. 635-637).

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16. Jahrhundert nicht," und deswegen ist in jedem Fall einzeln zu untersuchen, wie der jeweilige Chronist das Verhältnis zwischen den Gattungen definiert. Wo aber keine eindeutige Scheidung zwischen Historiographie und Dichtung möglich ist und die Fiktion nicht als die Antithese des Faktischen gilt, da ist auch die kategorische Trennung zwischen Chronistik und wissenschaftlicher Historiographie anachronistisch." Zwar besteht kein Zweifel daran, daß im Zeichen von Renaissance imd Humanismus wissenschaftliche Kriterien auch für die deutsche Historiographie an Bedeutung gewamen,'·* aber im wesentlichen wurde dabei nur die alte Methode in em 'wissenschaftliches' Gewand gehШlt; es erfolgte weniger eine Professionalisierung des Historikers, als eine des Literaten." Der Paradigmenwechsel in der Geschichts- und Literaturwissenschaft blieb aber nicht auf den theoretischen Diskurs beschränkt, er öfftiete auch die Tür für die Auseinandersetzung mit der Literarizität volkssprachiger Chroniken. HORST WENZEL hat in einer grundlegenden Untersuchung zu den Welt-, Landes- imd Stadtchroniken sowie den Autobiographien des 13./14. Jahrhunderts auf die Verwendung der höfischen Denkmuster von mime und aventiure in diesen Texten aufinerksam gemacht. WENZEL gelangt zu dem Ergebnis, daß im Gegensatz zu Stadtchroniken und bürgerlicher Autobiographie diese Denkmuster für "einzelne Repräsentanten'"' des Adels nach wie vor Geltungskraft besaßen, nicht aufgrund eines rückorientierten Romantizismus, sondern "als kalkulierter Rückgriff auf ein publikumswirksames Medium zur Veφflichtung auf eine immer schon gültige Moralität."" KLAUS GRAF begreift die 'Schwäbische Chronik' Thomas Lirers imd die 'Gmünder Kaiserchronik' als adligen Diskurs über verschiedene Modelle der gesellschaftlichen Ordnung - bezogen auf das 'Land' Schwaben." GRAFS interdisziplinär ausgerichtete Studie setzt an Als Beispiele für die Verwischung der Gattungsgrenzen sei hier für den deutschen Sprachraum nur auf Aventins 'Bayerische Chronik' und für den französischen Sprachbereich auf Jean Froissarts 'Croniques de France, d'Angleterre, d'Escocne, d'Espangne, de Bretaingne, de Gascongne, de Flanders, et Lieux Circunuoisins' (Paris 1495) verwiesen. Froissarts Bericht ist mit zahlreichen Anekdoten angereichert. Auch Philippe de Commynes betreibt in seinen 'Mémoires', die in den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts in Paris gedruckt werden, pschychologische Ursachenforschung. Dem Autor der 'Zimmerischen Chronik' waren sowohl Aventins Chronik in der lateinischen und deutschen Fassung (ZG IV,96,24-30; vgl. Stuttgart, WLB, Cod. Don. 652), wie auch die beiden französischen Werke, die sich in der Bibliothek des Geschlechts (Wien, ÖNB, Cod. 12595, f. 59''-60' (Froissart); f. 60" (Commynes) befanden, bekannt. Zum Einfluß Commynes' auf die Anlage der 'Zimmerischen Chronik' vgl. unten S. 405 und Anm. 977. Vgl. dazu JOACHIMSOHN, Geschichtsschreibung, Klio, S. 151.

S.

61fr.;

GRAUS,

Funktionen,

S. 2 6 ; WHITE,

Z u A v e n t i n vgl. SCHMID, M e t h o d e , b e s . S. 3 9 0 - 3 9 5 ; d e r s . , A v e n t i n u s , b e s . S. 1 4 - 1 7 .

Vgl. zu diesem Phänomen GRAUS, Zusammenfassungen, S. 843. WENZEL, G e s c h i c h t e , S. 3 4 8 .

Ebd., S. 3 4 9 . GRAF, Geschichten, S. 19-24, bes. S. 23. GRAF definiert den Diskursbegriff als ein heuristisches Konstnikt, mit dem - im Unterschied zu Begriffen wie 'Rede', 'Diskussion' etc. - glei-

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der entscheidenden Schnittstelle zwischen Historiographie und Dichtung, bei deren gemeinsamen Diskursen an. Den in den Texten zu beobachtenden Wechsel zwischen historischem und exemplarischem bzw. fiktionalem Erzählen erklärt er aus den beiden unterschiedlichen Funktionen der Chroniken. Das Herkommen zielt auf die 'Präsentation der Identität'" einer Gemeinschaft, wogegen "das Exempel die gleiche Geschichte als Anwendungsfall eines Lehrsatzes" behandeh.®" Dies entspricht cum grano salis auch der von JAN ASSMANN vorgenommenen Differenzierung zwischen formativen Texten, die nach der Identität fragen, und normativen Texten, die Handlungsanleitungen für die Zukunft geben.'' Die unausweichliche stilisierende Umformung der Vergangenheit im Modus ihrer Beschreibung und die strukturbildende Kraft der hieraus entstehenden Deutungsmuster und StiHsierungsmodelle betont die Monographie von URS MARTIN ZAHND über die Aufzeichnungen Ludwigs von Diesbach.'^ In einem Vergleich mit patrizischen Familienbüchern und Autobiographien kommt ZAHND zu dem Ergebnis, daß die Vertrautheit mit den traditionellen adligen Deutungsmustem - Herkunft, Dynastie und ritterlichem Ethos - zum allgemeinen Horizont jeder historiographischen Arbeit im Umkreis des adligen oder patrizischen Hauses gehören. Für Ludwig von Diesbach konstatiert ZAHND aber bereits eine Auflösung des Modells, da Ludwig in seiner Autobiographie die vorgegebenen Rollenmuster als ungenügend erfährt." Auch eine weitere Arbeit ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, selbst wenn sie sich nicht mit historiographischen Texten im engeren Sinn befaßt: JAN-DIRK MÜLLERS Studie zum Ruhmeswerk des Kaisers Maximilian MÜLLER zeigt eindringlich, im welchem Maß das literarische Schaffen am Hof Maximilians an den Kriterien Bewahrung, Aufbereitung und Aktualisierung der Tradition zur Sicherung des herrscherlichen Nachruhms orientiert ist.'' Grosso modo chennaßen "Bewußtseinszeugnisse", "Bewußtseinsäußerungen" und "Fremdeinschätzungen" gemeint sind. Der pragmatische Vorteil seines Diskursbegriflfs liegt darin, daß sich mit ihm die "Konfrontation zwischen 'Wahrnehmung' und 'Darstellungskonvention'" auflösen läßt (S. 20f.) und die "Gegenüberstellung 'literarischer Topos' versus 'Erfahrung'" (S. 21) obsolet wird. " Vgl. HERMANN LÜBBE, Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse. Analytik und Pragmatik der Historie, Basel/Stuttgart 1977, S. 168. "" GRAF, Geschichten, S, 227. " AssMANN, Gedächmis, S. 142. Zu den normativen Texten rechnet ASSMANN alle diejenigen, die der "Urteilsbildung, Rechtsfmdung und Entscheidung" dienen, zu den formativen Stammesmythen, Heldenlieder, Genealogien. Die adligen Hauschroniken des deutschen Südwestens gehören beiden Typen an. Vgl. ZAHND, Aufzeichnungen, S. 385. Zu den Identitätsvorstellungen in der Autobiographie vgl. VELTEN, Leben, S. 308-335. MÜLLER, Gedechtnus. Zu den forschungsstrategischen Einschränkungen vgl. S. 96. MÜLLER rekonstruiert auch die Auseinandersetzungen unter den docti am Hof über das Problem der richtigen Abgrenzung zwischen Literatur und Geschichtsschreibung. Während etwa Riccardus Bartholinus den Standpunkt vertritt, daß gerade die Werke der Historiographen des erlesensten ornatus bedürfen, kritisieren Pirckheimer und Cuspinian eine solche Darstellungsform, weil sie den Gegenstand verdunkle (MÜLLER, Gedechtnus, S. 184f ). Nach Vadian ver-

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kommen die Arbeiten zu dem ScMuß, daß die Gestaltung historiographischer Texte des 15./16. Jahrhunderts nicht von allgemeinen Gattungsprinzipien her zu begreifen ist, sondern von konkreten Gebrauchssituationen. Eine allgemeine Gattungsgeschichte liegt aber noch in ebenso weiter Feme wde eine Gattungspoetik. Bevor diese Aufgabe angegangen werden kann, muß das Terrain der spätmittelalterlichen Historiographie noch durch weitere Sondierungen erschlossen werden. Sie sind besonders Шг jene Gebiete notwendig, die bislang noch wenig von der Literaturwissenschaft beachtet worden sind. Dazu gehört eine Gattung, welche im deutschen Südwesten des 15./16. Jahrhundert geradezu eine Modeerscheinung gewesen war, die Hauschroniken des Adels.*^ Inhaltlich lassen sich diese Texte gegenüber den Welt-, Stadt-, Kloster-, Bistums-, Landschafts- und Territorialchroniken, den patrizischen oder adligen Familien- bzw. Hausbüchern" und den frühen Autobiographien*' abgrenzen, selbst wenn es eine Vielzahl von formalen und thematischen Überschneidungen gibt. Aufgekommen ist diese Form von Adelsliteratur in Schwaben erst seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert." Wurde zuvor die Geschichte adliger Häuser fast nur in Urkunden und Kollektaneen überliefert, tritt nun offenbar das Bedürfiiis hinzu, die eigene Vergangenheit in einer ästhetisch ansprechenden Form zu tradieren, bzw. ein

schafft "die poetische Einkleidung dem diuinum auf alioqui subtile bei der Menge höheres Ansehen" (S. 187). Die Verhüllung steigert den Wert des Verhüllten, das dem Publikum auf diese Weise überhaupt erst nahegebracht wird. Nimmt man etwa die 'Austrias' des Bartholinus als Beispiel, so läßt sich hier besonders gut zeigen, wie fließend im 16. Jahrhundert die Grenzen zwischen Historiographie und Literatur sind (zur 'Austrias' vgl. STEPHAN FÜSSEL, Riccardus Bartholinus Perusinus. Humanistische Panegyrik am Hofe Kaiser Maximilians 1. [Saecvia Spiritalia 16], Baden-Baden 1987, S. 141-206). - Angesichts dieses Beñmdes kommt Mt)LLER zu einer Begriffsbestimmung von histori, die zumindest für das Spätmittelalter auf eine strikte Defmition im Hinblick auf Wahrheit, Wahrscheinlichkeit verzichten kann. Der Begriff histori oszilliert für ihn vielmehr zwischen den Polen Tatsachenwahrheit und Belehrung (S. 209), wobei das Publikum nicht erwartet, daß etwa letzteres durch 'reale' Handlungen bestätigt ist, sondern es vollkommen ausreicht, wenn eine Wahrscheinlichkeit - verstanden als allgemeiner Lauf der Dinge (S. 210) - vermittelt werden soll. Da zudem die histori immer noch auch eine panegyrische Funktion zu erfüllen hat, geht die Suche nach der Historizität der geschilderten Ereignisse ohnehin meistens ins Leere. Zum mittelalterlichen Hausbuch vgl. jetzt auch CHRISTOPH GRAF ZU WALDBURG WOLFEGG, Venus und Mars. Das mittelalteriiche НашЬисЬ aus der Sammlung der Fürsten zu Waldburg Wolfegg. Katalog der Ausstellung München, Haus der Kunst, 23.7.-11.10.1998, München^^ew York 1997. ** Vgl. GRAUS, Zusammenfassungen, S. 842; JENNY, Froben, S. 24. " Zu den Charakteristika dieser Gattung vgl. MEYER, Hausbücher, S. 742-769. Hausbücher werden nicht nur vom städtischen Bürgertum angelegt, sondern auch vom landsässigen Adel. Ein Beispiel für ein adliges Hausbuch smd die 'Aufzeichnungen' des Hans Ulrich Landschad von Steinach (IRSCHLINGER, Aufzeichnungen, S. 228-258). Weitgehend ohne jede inhaltliche oder chronologische Systematik sind hier alle möglichen Memorabilien aus der Geschichte des Geschlechts verzeichnet. " Den aktuellen Stand der Forschung repräsentiert die Arbeit VELTENS. Dort findet sich auch die Auseinandersetzung mit der älteren Forschungsliteratur. " SEIGEL, Geschichtsschreibung, S. 93f

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erst im Medium der ErzäMimg konsistentes Bild des jeweiligen Hauses zu erstellen. Die räumliche Beschränkung resultiert aus pragmatischen Überlegungen. Zum einen sind die Hauschroniken des schwäbischen Adels zumindest oberflächlich schon gesichtet, emige liegen bereits ediert vor, zum anderen erlebte die Gattung in dieser Region ihre eigentliche Blüte.'" Anhand der Wechselbeziehungen zwischen den einzekien Texten lassen sich mtensive Beziehungen zwischen den historisch gebildeten Autoren vermuten. Eine Analyse aller von RUDOLF SEIGEL aufgezählten südwestdeutschen Hauschroniken" würde den Rahmen dieser Studie sprengen, zumal zu diesen Werken auch die 'Zimmerische Chronik' mit allein 1500 Folioseiten gehört. Mit der hier getroffenen Auswahl sollten Werke erfaßt werden, die aufgrund ihres Anspruchs und ihrer Entstehungsbedingungen eine besondere Stellung innerhalb der Gattung verkörpern. Im Mittelpunkt steht die 'Zimmerische Chronik', die kein Auftragswerk ist, sondern von einem Angehörigen der Dynastie, Proben von Zimmern (1519-66) verfaßt worden ist. Die drei weiteren hier behandelten Chroniken sind wegen ihrer jeweiligen Besonderheit aufgenommen worden. Sofern man Lirers 'Schwäbische Chronik', die keiner Dynastie zuzuordnen ist, bzw. Bliggers verschollene Chronik der Landschaden von Steinach'^ außer Betracht läßt, markiert die Chronik der Truchsessen von Waldburg den Anfang der Gattung. Dire näheren Entstehungsbedingungen sind noch weitgehend im Dunkel. Sicher ist lediglich, daß sie ursprünglich von Georg III., dem Bauemjörg, in Auftrag gegeben worden ist, und dieser sich für die Sammlimg des Materials der Hilfe eines Fachmaims, des gelehrten Augsburger Domherrn Matthäus von Pappenheim bedient hat. Dir Endredaktor ist hingegen unbekannt, Georg III. ist es wahrscheinlich nicht gewesen. Die 'Truchsessenchronik' ist mit einer Pergament- und sechs Papierhandschriften nicht nur verhältnismäßig breit überliefert, sondern war offenbar schon für den Druck vorbereitet." Das Werk und die umfangreichen Nachforschungen, die man im Vorfeld betrieben hatte, dürften innerhalb einer vergangenheitsbewußten Adelsgesellschaft ein Anlaß für andere Häuser gewesen sein, selbst mit ähnlichen Unternehmungen zu beginnen. Sie diente des öfteren als Vorlage und Queüe, auch der Verfasser der 'Zimmerischen Chronik' hat sie gekannt. Bereits im Übergang zur Landesgeschichte steht Sebastian Küngs 'Chronik der Grafen von Württemberg'. Dire Entstehungsgeschichte weist bereits in die Zukunft. Im Die Möglichkeit, die südwestdeutschen Hauschroniken des Humanismus als eine eigene Gattung, die gegenüber den früheren und späteren Historiographien abzugrenzen ist, einzustufen, hat als erster JENNY (Proben, S. 24-34) erkannt Allerdings liegen die Gemeinsamkeiten dieser Chroniken nicht allein im Bereich der Quellenkunde (SEIGEL, Geschichtsschreibung, S. lOlf.), sondern auch auf der ftinktionalen und literarischen Ebene. Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts zählt SEIGEL (Geschichtsschreibung, S. 94-98) über zwei Dutzend dieser Werke. SEIGEL, Geschichtsschreibung, S. 95. Zur verlorenen 'Landschadenchronik' Bliggers vgl. IRSCHLINGER, Aufzeichnungen, bes. S. 209-224. ZOEPFL, Matthäus, S. 28.

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Unterschied zu den anderen Hauschroniken scheint hier nicht der gestalterische Wille eines adligen Auftraggebers maßgebend gewesen zu sein, sondern sie wurde wahrscheinlich von einem Stuttgarter Bürger aus eigenem Antrieb heraus verfaßt. Eine Besonderheit in anderer Weise ist die Chronik der Grafen von Zollem. Wie die Truchsessen hatte sich der Zollemgraf eines Fachmannes bedient, dessen Arbeit aber nur in äußerst reduzierter Form in die Endfassung eingeflossen ist. An die Stelle der historischen Argumentation tritt vielmehr das Bild, an die Stelle der literarischen Form ostentative künstlerische Prachtentfaltung. So entstand ein Werk, das zwar schmal an Umfang ist, dessen visuelle Repräsentation von Macht und Reichtum der Zollem ihm bis heute beständige Attraktivität und einen Platz in einer der wertvollsten Kunstsammlungen der Welt sichert.'" Soweit diese vier Hauschroniken bisher Gegenstand einer wissenschaftlichen Analyse geworden sind, entsprang dies einem historischen, volksund quellenkundlichen oder kunstgeschichtlichen Interesse. Nur im Falle der 'Zimmerischen Chronik' blieb es nicht bei solchen Einzeluntersuchungen. In der Absicht, eine Biographie des Verfassers imd eine Geschichte der Entstehung der Chronik zu schreiben, unterzog der Schweizer Historiker BEAT JENNY das Werk einer genaueren Analyse." Für diese wie für die wenigen sonstigen Arbeiten zu den vier Chroniken ist ein Grundvwderspruch evident: Scheint der Text über Lebensumstände und Mentalität seines Verfassers Auskunft zu geben, nimmt man dies als Abbild von Realität. Umgekehrt werden jedoch die Aussagen über historische Ereignisse danach gewichtet, inwieweit sie einer von der Geschichtswissenschaft erschlossenen Wahrheit entsprechen. Für die Wissenschaft sind die Hauschroniken bislang fast ausschließlich geschichtliche Quelle, wogegen ihre Literarizität in der Regel unberücksichtigt geblieben ist.'* Das trifft sogar auf die 'Zimmerische Chronik' zu, obwohl sich in ihr Gattungen finden, die eindeutig dem Bereich des Imaginären angehören. Angesichts dessen erscheint es sinnvoll, die literarischen Strukturen der Chroniken ins Zentrum einer Untersuchimg zu stellen. Diese Überlegung impliziert eine methodologische Prämisse. Die Arbeit wird nicht in sachlich-

" "

Eine der Handschriften (Ms. Ludwig ХШ, 11) erwarb das Paul-Getty-Museum in Malibu aus der Sammlung Ludwig. Zu JENNYS Arbeit über Proben von Zimmern vgl. unten S. 143f. Konkrete Ansätze zur konsequenten Erfassung historiographischer Quellen für die Literaturgeschichte sind bislang selten geblieben. Für den hier interessierenden Zeitraum kann eigentlich nur die Arbeit von GRAF über die 'Schwäbische Chronik' des Thomas Lirer und die 'Gmünder Kaiserchronik' genannt werden. GRAF bestimmt die Funktion einiger literarischer Passagen der Texte als Exempel, mit denen die dargestellten geschichtlichen Ereignisse illustriert werden; die Exempelgeschichten sind also der "Anwendungsfall eines Lehrsatzes" (GRAF, Geschichten, S. 227). GRAF kommt am Ende zum Ergebnis, "daß in der Schwäbischen Chronik Herkommen und Exemplum in einem spezifischen, untypischen 'Schwebezustand' miteinander vermittelt sind", die Fiktionalität des Textes "nach wie vor" rätselhaft sei und dieser im "Niemandsland zwischen der Chronik und den fiktionalen Prosahistorien" (ebd.) stehe.

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systematische Teilfragen gegliedert, um so etwa das Verhältnis der Autoren zu Wahrheit, Geschichte, literarischen Formen etc. zu erschließen. Denn wie sich rasch zeigt, befinden sich die Texte in einem quasi osmotischen Prozeß mit den narrativen Strukturen ihrer Vorlagen und dementsprechend unbefriedigend verlief eine Suche nach einer einheitlichen Autorintetion. Man wird der spezifischen Literarizität der Texte eher gerecht, wenn man die komplizierten Strukturen der Texte durch ein induktives Verfahren erschließt, das den regen Austausch zwischen Text und Kontext nachzuvollziehen versucht. Entgegen einer systematisierenden deduktiven Methode wird so die Bedeutung der Form ernst genommen und die textuelle Konstruktion der Geschichte erfaßt. Es soll versucht werden, die Collage der verschiedenartigen Texte als ein 'zirkulierendes Gespräch' über Themen, die zur Zeit der Textentstehung soziale Relevanz besaßen, darzustellen. Die Hauschroniken selber werden dabei verstanden als "Medium komplexer Weltaneignung und Weltauslegung."" Angesichts der StofiRille muß ein solches Vorgehen hinsichtlich der gewählten Themenbereiche restriktiv in der Auswahl und - darin dem Gegenstand entsprechend - in der konkreten Analyse geradezu eklektizistisch bleiben. Gleichwohl sind die Chroniken auch durch gemeinsame 'Metaerzählungen' miteinander verbunden, insbesondere durch das Bewußtsein eines autochthonen Adels, emes instabilen Wahrheits- und Geschichtsbegriifs und einer ideologischen und pragmatischen Absicherung des eigenen Geschlechts. Damit werden zwangsläufig zenfrale anthropologische Themen zum Gegenstand der Chroniken, der Umgang mit Macht, Sexualität, Besitz, Krieg, Tod und Wahnsim. Auf einer poetologischen Ebene steht dabei die Relation der Geschichten zur Diskussion, geht es auch um Formen imd Funktionen der Fiktionalisierung. Denn wenn die Chroniken tatsächlich über kurzfiistige didaktische Zielsetzungen hinaus der Erkenntnis von Weh dienen, dann ist auch nach der Funktion literarischer Modelle in diesem Prozeß zu fragen. Hinsichtlich des Geschichtsbegriffs rekurriert die Arbeit auf die jüngere Methodendiskussion," die gezeigt hat, daß die Vorstellung, wonach die res factae den res fictae vorangehen, unhaltbar ist." Geschichte kann danach nicht als eine präexistente ontologische Größe definiert werden,"*' sondern sie wird vom einzelnen je verschieden erfahren, und ihre Erkenntnis ist an den Standort

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KAES, Historicim, S. 263. Vgl. dazu den zusammenfassenden Bericht bei GRAF, Geschichten, S. 9-24; im einzelnen se vor allem auf folgende in der Reihe 'Beiträge zur Historik' erschienenen Aufsätze verwiesen KOSELLECK, Standortbindung, bes. S. 43ff.; ROSEN, Geschichtsschreibung, bes. S. 17-22 HARTH, Geschichte, bes. S. 454ff. Vgl. dazu etwa JAUSS, Gebrauch, S. 415-421. Zur erkenntnistheoretischen Diskussion der Rezeption der Realität vgl. BENJAMIN, Schriften 1/2, S. 693-704, bes.: S. 701: "Die Geschichte ist Gegenstand einer Konstruktion, deren Ort nicht die homogene und leere Zeit, sondern die von Jetztzeit erfüllte bildet. [...] Die französische Revolution verstand sich als ein wiedergekehrtes Rom."

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des sie Beobachtenden gebunden. Der sich daraus ergebende Verzicht auf die Rekonstruktion historischer Tatsachen wird aber nicht nur von der modernen Forschungsdiskussion her gestützt, sondern auch vom Geschichtsverständnis der Hauschronisten selbst. Denn entgegen ihren gelegentlich vorgebrachten Beteuerungen, wonach sie in ihren Werken die Wahrheit ans Licht holen wollten, ist doch ihr zweckgebundenes Interesse offensichtlich: Hauschroniken werden nicht angefertigt, um ein antiquarisch-'wissenschaftliches' Interesse zu befriedigen'"^ oder um eine - abstrakt gedachte - historische Wahrheit zu erforschen, sondern zunächst um die angemessene Repräsentation eines Geschlechts. Die so entstehenden Texte können jedoch nie bloße Verherrlichxmg der Vergangenheit sem, weil sie sich in der Regel auf eine aktuelle Problemlage der betreffenden Dynastie,'" die in der Argumentation unausgesprochen präsent ist, beziehen. Die Rahmenbedingungen, vor deren Horizont man die Hauschroniken sehen muß, haben direkten Einfluß auf Methode imd Gestaltung der Werke selbst, und dies betrifft nicht nur die Erforschung und Verwertung der Quellen. Der Chronist weiß, daß er in der Vergangenheit eine Geschichte 'finden' muß, mit der er auf Fragen antworten kann, die in seiner Gegenwart gestellt werden. Dies geht nicht ohne die sachdienliche 'Verfälschung' der Vergangenheit mit Hilfe erfimdener oder veränderter Quellen. Welche Lizenz der Chronist dafür hat, mit welcher Berechtigung er sich gegenüber dem Wahrheitsanspruch seiner Zeit behaupten kann, ist die eine Ausgangsfrage für diese Studie; eine zweite, auf welche Weise er seine Konstruktionen literarisch umsetzt."" Wenn es dem Chronisten darum geht, ein Bild - respektive ein Gegenbild - der zeitgenössischen Situation zu erzeugen, dann verfahrt er nicht so, daß er sein Ergebnis dem Leser in Form einer historischen Theorie präsentiert, vielmehr läßt er das Erkenntnisziel aus der gedanklichen Anordnung seines Materials hervorleuchten. Damit aber ist der Chronist zwangsläufig an den 'literarischen Diskurs' gebunden, eine normativ-reflexive oder traktathafte

Vgl. dazu auch KOSELLECK, Standortbindung, S. 35f. Zur jüngeren systemtheoretischen Diskussion um das Phänomen 'Beobachtung' vgl. LUHMANN, Sthenographie, bes. S. 127f. ' Zum Verhältnis zwischen wissenschaftlicher Erforschung der Geschichte, den erkenntnistheoretischen Begrenzungen und handlungspragmatisch-ethischen Implikationen vgl. zusammenfassend KESSLER, Theoretiker, S. 44-47. ' Vgl. dazu z. B. die Entstehungssituation der Vorstufe zur 'Zimmerischen Chronik': Das lateinische Werk, der sog. 'Liber', wurde im Rahmen der Verleihung des Grafenprivilegs angefertigt. Vgl. dazu unten S. 140f. ' Vgl. zu dem sich daraus ergebenden methodischen Dilemma die 'Lösung' BAUMGARTNERS, (Thesen, S. 277): "Geschichte ist eben deshalb weder wiederholendes Abbild noch verdoppelnde Reproduktion des Geschehens, sondern eine spezifische, Bedeutung und Sinn verleihende konstruktive Organisation, räumlich-zeitlich lokalisierbarer Elemente, Vorgänge, Ereignisse, Handlungen. Sie setzt fìtr ihre, Wirklichkeit a 1 s Geschichte erdeutende Konstruktion die Konstitution der sinnlich konkreten Lebenswelt des Menschen als Basis und Material voraus, ist aber keineswegs mit ihr identisch."

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Darstellung verbietet sich dann ebenso wie eine reine Exempelsammlung.'"' Das Ziel spätmittelalterlicher Geschichtsschreiber kann demnach dahingehend bestimmt werden, daß die Autoren unter den Prämissen von exempla und memoria eine "komplexe Struktur des historischen Geschehens" entwickeln, die einen "bedeutungsvollen Zusammenhang" besitzt. Der moderne Interpret darf daher den Text nicht m Archivierung der Vergangenheit, historischen Bericht, unterhaltsame Anekdote und didaktisches Exempel zerlegen. In diesem Zusammenhang ist z. B. die Bedeutimg des rhetorischen ornatus genauso relevant wie die mögliche Funktion einer ästhetisierten Darstellung zur Aufhebung von dem Material immanenter Widersprüche. Wenn die Chronisten Werke vorlegten, mit denen sie den selbständigen Nachvollzug einer Geschichte als Form menschlicher Praxis ermöglichen wollten, dann mußten sie sich für die Darstellung von Handlimgen übertragbarer Modelle bedienen. Es liegt nahe, Strukturen und Prinzipien einer solchen Organisation zuerst in literarischen Mustern und Vorbildern zu suchen. Konkret bedeutet dies für die Analyse der vier Chroniken, daß in einem interpretierenden Durchgang die Strukturen der Textorganisation"" und der Gebrauch der literarischen Elemente und Stoffe zu beschreiben sind. Ein solches 'mikroskopisches' Verfahren erfordert eine exemplarische Einbeziehung der jeweiligen Kontexte,'"' zu denen auch die Quellen, welche die Autoren fflr ihre Texte verwendeten, gehören. An ausgewählten Stellen der Untersuchung wird versucht, die von den Autoren verwendeten - aber meistens verschwiegenen Quellen zu belegen, aber dies geschieht im Bewußtsein, daß mit dem Entdekken einer möglichen Quelle die Interpretation des Chroniktextes nicht geleistet, sondern die Deutungsproblematik nur auf eine andere Ebene verlagert wird."" Der Zielpunkt einer Analyse ist, dies sei noch einmal betont, nicht die Rekonstruktion einer historischen Vergangenheit,"" sondern die Frage nach deren Die Bindung an den 'literarischen Diskurs' trifft selbst noch für die rudimentäre Textform der 'Zollemchronik' zu. Vgl. unten S. 452-456. HARTH, G e s c h i c h t e , S. 4 7 4 .

" " Die literarischen Organisationsmuster und Strukturen der Texte sind stets vor dem Hintergrund der Gattimgsgeschichte zu sehen. So läßt sich etwa ein Bezug zwischen der Schilderung verschiedener Lebensbereiche und den dafür eingesetzten literarischen Formen erketmen über ein Rechtsgeschäft wird anders berichtet als über eine Reise. Hier provoziert vor allem die Gattungsvielfalt der 'Zimmerischen Chronik', die Vermischung von historisch-juristischen Themenbereichen mit literarischen Kur2formen - wie Sage, Anekdote oder erotisch-obszönem Schwank - die Frage nach der Funktion einer solchen Darstellungsweise. In den Chroniken fmden sich Passagen, die je nach der darin behandelten Materie ganz unterschiedlich ausgestaltet sind. So ist der juristische Diskurs am Kanzleistil und der Urkundensprache orientiert, wogegen im literarischen die Sprache der poetischen Vorlagen übernommen wird. Der Kontrast, der bei der Konfrontation der verschiedenen Sprachebenen erzeugt wird, karm dabei Teil der angestrebten Sinnaussage sein. Nach GRAUS (Funktion, S. 40) darf man nicht bei der Feststellung der aufgefundenen Topoi verharren, da diese - in einen neuen Zusammenhang gesetzt - auch ein neues Bild erzeugen. " " Das bedeutet auch, daß die genealogischen Daten der hier zu behandelnden Geschlechter nicht einer eindeutigen Revision unterzogen werden können. Und zudem ist es fraglich, ob man tat-

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Konstruktion durch die Autoren des 16. Jahrhunderts. Dementsprechend werden die erzählten Handlungen nicht primär als 'reale' historische Ereignisse, sondern in ihrer Literarizität bzw. ihrer literarischen Funktion betrachtet. Dies erscheint auch heute noch notwendig, weil die in den Hauschroniken überlieferten Ereignisse von der Geschichtswissenschaft vorschnell historische Authentizität zugesprochen vsdrd.'" Es würde auch dem hier gewählten Verfahren widersprechen, die Texte als Belegmaterial für übergreifende geistesgeschichtliche Theorien zu verwenden."^ Eine solche Interpretation müßte sich zu weit von der Spezifik des literarischen Textes, um die es hier geht, entfernen. Konsequenterweise wird denn auch weitgehend darauf verzichtet, allgemeine Schlußfolgerungen auf die geistige und politische Situation im 16. Jahrhundert zu ziehen.

säcMich mit LUTZ (Spiritualis, S. 13) eine Rekonstruktion der Vergangenheit überhaupt herstellen kann. " ' Vgl, hierzu etwa die Rezeption der 'Zimmerischen Chronik' in den Arbeiten von KRIEGER (siehe unten S. 142, Anm. 72) oder Spffiß. RUSCH (Autopoiesis, S. 395) hat darauf aufmerksam gemacht, daß bei einem solchen Verfahren eher die "Assoziationsleistungen, Kohärenzkriterien, Referenzrahmen" des hiterpreten expliziert werden als der Text.

2. Adlige Hauschroniken im deutschen Südwesten 2.1. Die historiographische Tradition Die Geschichte der spätmittelalterlichen Historiographie im deutschen Südwesten - also etwa in der Region, welche das alte schwäbische Stammesherzogtmn mnfaßte - ist noch nicht geschrieben, und deswegen können hier mögliche außerliterarische Einflüsse und Entwicklungstendenzen nur angedeutet werden, hat eine Werktypologie angesichts einer immer noch unbefriedigenden Editionslage nur vorläufigen Charakter.' Wenn hier versucht wird, einige zentrale literaturgeschichtliche Linien nachzuzeichnen, dann dient das lediglich dem heuristischem Zweck, das literarische Koordinatensystem zu bestimmen, iimerhalb dessen sich die adligen Hauschroniken bewegen.^ Ende des 14. Jahrhunderts wird die Geschichtsschreibung im deutschen Südwesten noch im wesentlichen von den im Юoster entstandenen lateinischen Chroniken dominiert.' In ihnen werden entweder jahrweise die besonderen Ereignisse im Kloster bzw. in dessen Umfeld als bloße Fakten aufgezeichnet oder ebenso karge Verzeichnisse der Kaiser, Päpste, Äbte etc. erstellt. Formal bleiben diese Werke an dem annalistischen Verfahren orientiert, wie es Martin von Troppau·· in seiner Papstchronik vorgeführt hatte; eine Deutung der berichteten Ereignisse findet allenfalls peripher im Hinblick auf die Heilsgeschichte statt. Als Gegenstück zu solchen annalistischen Aufzeichnungen gibt es im geistlichen Umkreis aber auch schon Werke, in denen versucht wird, geschichtliche Ereignisse im Hinblick auf eine pragmatische Nutzanwendung zu gestalten. In ihnen wird eine Vielzahl von Exempeh, Abenteuern, Legenden etc. aufgenommen, deren Inhalt dann verbimden wird mit geschichtlichen Ereignissen. Dieser Strang ist vor allem repräsentiert von den im 13. und 14. Jahrhundert entstandenen 'Flores temporum',^ die Heinrich Stainhöwel 1473 m Vgl. PFAFF, Quellen, S. 21-37.

Daß die 'dynastischen Chroniken' insgesamt noch unausgewertet sind, konstatiert auch GRAUS (Zusammenfassung, S. 842). Vgl. dazu Konrad von Sindelfmgen (Chronici Sindelfmgensis [...], hg. von CARL FRIEDRICH HAUG, Tübingen 1836) und die 'Annales Colmariensis' (BÖHMER, Fontes Π, S. 1-43). Das 'Chronicon pontificum et imperatorum' des Martin von Troppau (Chronicon, hg. von LUDWIG WEILAND [ M G H SS ΧΧΠ] 1872, S. 3 7 7 - 4 7 5 ) aus d e m 13. J a h r h u n d e r t war die meist-

benutzte lateinische Weltchronik des Mittelalters. Vgl. dazu ANNA-DOROTHEE VON DEN BRINCKEN, Art. Martin von Troppau, in: ^VL 6 (1987), Sp. 158-166. Die Erstausgabe des 'Chronicon' erschien bereits 1559. Die 'Flores temporum' (hg. von OSWALD HOLDER-EGGER [MGH SS XXIV] 1879, S. 226-250 [Teiledition]) entstanden im alemannischen Raum. Eine Handschrift befand sich auch in der

Die historiographische Tradition

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einem deutschen Auszug drucken ließ. Die Verbreitung sowoM der bloße 'Tatsachen' verarbeitenden annalistischen Werke - neben geschichtlichen Ereignissen auch Beobachtungen zu Wetter, Ökonomie, Todesfällen etc. - wie auch der erzählerisch gestalteten 'Flores'-Sammlungen ist groß, ihr Einfluß auf die volkssprachige Geschichtsschreibung des 15. und 16. Jahrhunderts kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.' Das Kloster bleibt nicht die einzige Institution, in welcher die Geschichte des eigenen sozialen Raumes als überlieferungswürdig erachtet wird, in den Städten, namentlich in Zürich^ und Straßburg,' werden systematisch annalistische Jahrbücher angelegt.' Lange vor der Reformation wird hier auf jeden universalhistorischen Anspruch verzichtet, die Weltgeschichte bestenfalls noch zur äußeren Emkleidung der Chronik herangezogen.An dessen Stelle tritt die Begründung einer spezifisch lokalen oder regionalen Identität. Eine neue Stufe erreicht die Geschichtsschreibung in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts in Straßburg, als Pritsche Closener und Jakob Twinger von Königshofen ihre umfangreichen Straßburger Chroniken vorlegen. Beide sind nun nicht mehr wie ihre Vorgänger in Latein," sondern in der Volkssprache verfaßt. Closeners Werk ist zunächst im wesentlichen Quellenkompilation und am Anfang als ein annalistisches Werk hn Stil einer Martin-Chronik geplant. In den späteren Partien aber gelingt dem Chronisten eine Verbindung von Welt-, Reichs-, Bistums- und Stadtgeschichte. Einen entscheidenden Schritt weiter geht dann Twinger, der für kluge Laien und gelehrte Geistliche schreibend," zwar auch noch einen, gegenüber Closener sogar ausgeweiteten welthistorischen Teil verfaßt, sein Augenmerk in erster Linie aber auf die Stadtereignisse richtet. Hier wendet sich Twinger auch gänzlich ab von der annalistischen Form; anhand eingefügter Memorabilien versucht er, seiner Chronik auch eine literarifürstenbergischen Bibliothek (Stuttgart, WLB, Cod. Don. 506, f. Ι'-ΙΟδ"). Vgl. zu den 'Flores' PETER JOHANEK, Art. 'Flores temporum', in: ^VL 2 (1980), Sp. 753-758. ® Vgl.OTT,ChronistiIc,S. 188. ' STALIN, Geschichte Ш, S. 3f. ' Vgl. hier den sog. 'Ellenhard-Codex' (in: Annales Argentinenses, hg. von PHILIPP JAFFÉ [MGH SS ΧνΠ], S. 91-104), auf welchem die volkssprachige Straßburger Stadtgeschichtsschreibung aufbaute. Zum 'Ellenhard-Codex' vgl. DIETER MERTENS, Art. Ellenhard, in: ^VL 2 (1980), Sp. 501ff.; ders., Ellenhard-Codex. ' Wesentlich seltener sind im deutschen Südwesten die Landeschroniken. Vgl. GRAF, Geschichten, S. 114. Vgl. dazu etwa: Oberrheinische Chronik, hg. von FRANZ KARL GRIESHABER, Rastatt 1850. " Als Vorläufer der Straßburger Chronistik gilt die Chronik des Matthias von Neuenburg (hg. von ADOLF HOFMEISTER [MGH SRG NS IV] M955, S. 1-500; vgl. auch BÖHMER, Fontes IV, S. 149-276), die Mitte des 14. Jahrhunderts entstanden sein dürfte (vgl. SOLTAU, Verfasser, S. 18ff.). Diese Chronik wurde bereits 1553 von Cuspinian als Anhang zu seinem unter den Humanisten weit verbreiteten Werk 'De consulibus Romanis' gedruckt (ebd., S. 4). Twinger wendet sich in der Vorrede zu seiner deutschen 'Chronik' an die klugen legen wie an die gelehriefn] pfaffen (Twinger, Chronik, S. 230). Der Hinweis auf die Laien ist jedoch nur in der sog. A-Fassung enthalten, in В und С fällt er weg (KIRCHERT, Geschichtsschreibung, S. 39, Anm. 57).

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sehe Gestalt zu verleihen. Formal schließt sich Twinger zwar noch an die bestehende Tradition an," aber Geschichte wird nun nicht mehr unter dem Aspekt ihrer antiquarischen Sicherung betrieben, sondern im Hinblick auf aktuelle Interessen - im Straßburg des ausgehenden 14. Jahrhunderts könnten dies die Zunftaufstände gewesen sein, die eme Identitätsbildung durch Geschichte verlangten.''' Angesichts eines solchen Vermittlungsinteresses genügt jedoch eine aimalistische Faktenansammlung nicht mehr, die einzelnen Ereignisse der Vergangenheit müssen in einen sinnstiftenden Zusammenhang gestellt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, löst sich Twinger vor allem in den letzten Abschnitten, die das Verhältnis der Bischöfe von Frankreich zum Straßburger Bistum sowie die Stadtgeschichte behandehi, von der chronologischen Sukzession und ordnet den Stoff nach sachlichen Gesichtspimkten." So wirkt gerade die Konstruktion einer bestimmten Geschichte, d. h. die Ausdeutung der vorhandenen Fakten im Hinblick auf ein Sinnganzes, traditionsstiftend imd legitimierend. Die Chroniken sind hier Ausdruck eines stadtbürgerlichen Bewußtseins, dem sie entstammen und auf das sie moralisierend Einfluß zu nehmen versuchen. Die Einfügung von fiktivem Erzählgut bietet sich hier geradezu an, da so - entlastet von einem rechtlichen Zwang und einer ständischen Spezifizierung - allgemeine Bedingungen menschlichen Handelns vorgeführt werden können. Diesem Konzept war ein überragender Erfolg beschieden, Twingers Chronik ist noch in über 50 Handschriften sowie einem Druck des 15. Jahrhundert überliefert und die Wirkung des Werkes auf die Historiographen des 16. Jahrhunderts dürfte schwerlich zu überschätzen sein." Politischen Ereignissen ist auch die Blüte der Historiographie in der Schweiz zuzuschreiben. Bevor noch der Humanismus ein ganz neues Frageinteresse an die Geschichte heran trug, sind es namentlich Schweizer Autoren, die aus einer legitimierenden Absicht heraus die Geschichte ihrer Kommunitäten niederlegen. Offenbar erzeugte der Mangel an einer politischen Legitimation, die in der endgültigen Lösung der Schweiz vom Reich besonders virulent wurde, das Bedürfiiis nach einer eigenen Traditionsbildung. Natürlich hatten auch die schweizerischen Chronisten des 15. Jahrhunderts lateinische, im Юоster entstandene Vorlagen, aus denen sie schöpften, wie etwa aus der Chronik Zu Twinger vgl. HOFINGER, Studien, bes. S. 79-87 und jetzt KIRCHERT, Geschichtsschreibung, S. 21, 26ff. Zur älteren Tradition vgl. den 'Ellenhard-Codex' (vgl. dazu MERTENS, EllenhardCodex, S. 543-580). Nach KLRCHERT galt die von dem Straßburger Bürger Ellenhard "iniitierte und mitgestaltete Geschichtsschreibung" der "Förderung bürgerlichen Selbstbewußtseins und Gemeinsinns" (ebd., S. 28). Ähnlich argumentiert auch GRAUS, Funktionen, S. 43-52. Vgl. dazu HOFINGER, Studien, bes. S. 46-64; zur Stadtchronistik PETERS, Literatur, S. 234240; zur lateinischen Chronistik in Straßburg vgl. das Werk des Matthias von Neuenburg (siehe oben Anm. 11). Zum Unterschied zwischen Matthias und Twinger siehe KIRCHERT, Geschichtsschreibung, S. 34f. Im Literaturverzeichnis der 'Zimmerischen Chronik' wird Twingers Werk zwar als Quelle erwähnt (ZC IV,337), jedoch verschweigt der Chronist, welche Stellen er übernommen hat.

Die historíographische Tradition

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des Johannes von Winterthur oder аш den 'Nüwen Casus Monasterii Sancti Galli' des Christian Kuchimaister." Wie sehr gerade in der Schweiz die schriftliche Erfassung von Vergangenheit und Gegenwart von Interesse war, zeigt der im 15. Jahrhundert einsetzende 'Boom' von literarisch gestalteten Chroniken der einzekien Städte, wobei an dieser Stelle nur auf zwei der wichtigsten, Konrad Gustingers und Diebold Schillings Chroniken der Stadt Bern, erinnert werden soll." Während Closener in seiner Vorrede die Berechtigung einer volkssprachigen Chronik noch eigens begründen mußte, ist dies fur die Schweizer Chronisten des 15. Jahrhunderts bereits eine selbstverständliche Grundvoraussetzung fur die Bildung eines spezifischen Selbstverständnisses. Ein besonderes Charakteristikum der Schweizer Chroniken, das sich insbesondere zu Beginn des 16. Jahrhunderts ausprägte, ist die Inserierung von Texten, die man m der Regel als signifikant für die fiktionale Literatur erachtete: Gedichte, Legenden, Sagen und Anekdoten." Selbst wenn dies vereinzeh bereits in den hochmittelalterlichen Chroniken, angefangen bei 'Kaiserchronik' und 'AnnoUed' zu beobachten ist, so dominiert tradiertes und umgeformtes Erzählgut nirgends so wie in den Schweizer Chroniken Petermann Etterlins und Heinrich Brennwalds (1478-1551). Einen Nachhall dieser 'literarischen' Phase der Schweizer Historiographie findet sich trotz des wissenschaftlichen Anspruchs noch im Werk Tschudis.^" Die Einfügung der zahkeichen "Chronikale[n] Kurzerzählungen"^' in der schweizerischen Geschichtsschreibung entspringt wohl zunächst dem Bestreben, einen historischen Ablauf, der nicht in reflexiver Gestaltung dem Leser vermittelt wird, in Form von signifikanten Erzählungen, die prägnante und exemplarische Ereignisse zum Gegenstand haben, zu vermittebi. Je mehr dann bei Tschudi die vollentfaltete Geschichtskonstruktion dominiert und der historische Stoff selbst gestaltet wird, desto mehr treten die chronikalischen Kurzerzählungen zurück." Bei Etterlin und Brennwald wird noch die potentielle Spannung zwischen einer chronikalischen Ebene, die auf einem sukzessiven Fortgang gründet, und emem exemplarischen Erzählen, welches einen Gegenstand sachlogisch erfaßt, zum Darstellungsproblem, das von beiden Chronisten nicht gelöst wird und so ihren Texten einen heterogenen Charakter verieiht." Allerdings darf man Etterlins und Brennwalds Werk nicht

Das Werk Kuchimaisters ('Nüwe Casus Monasterii Sancti Galli') wurde ediert von EUGEN NYFFENEGGER (Quellen und Forschungen zur Sprach- u. Kulturgeschichte d. german. Völker 60), Berlin/New York 1974. Vgl. dazu auch FELLER/BONJOUR, Geschichtsschreibung 1, S. 109f. Vgl. zu den Einzelheiten FELLER/BONJOUR, Geschichtsschreibung 1, S. 49-65. Vgl. HÖHN, Studien, bes. S. 7-15; RATTAY, Entstehung, bes. S. 91-99 (zu den literarischen Beschreibungsmustem in den Chroniken). Zur Kritik der Forschung an diesen Elementen vgl. HÖHN, Studien, S. 7f. BegrifTnach HÖHN, Studien, S. 13. Vgl. hierzu eine ähnliche Beobachtung bei GRAUS, Zusammenfassungen, S. 844. Vgl. dazu auch HÖHN, Studien, S. 19ff., 49-58. In diesem Zusammenhang sei auf die nicht eigens erwähnte 'Strätlinger Chronik' des Eulogius Kiburger hingewiesen bzw. auf das be-

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Adlige Hauschroniken im deutschen Südwesten

an Einheitskriterien messen, da doch der epische Zusammenhang für beide kein intentionales Kriterium ist. Viehnehr begründet die große Anzahl der sagenhaften Erzählungen eine eigene Tradition, die aufgrund der Abspaltung vom Deutschen Reich nicht aus den Mythen imd Sagen der Reichsgeschichte gewonnen werden konnte, sondern erst geschaffen werden mußte. Wie der Ruf nach einer kirchlichen Reformation den Blick des Historikers auf die geschichtlichen Verwerfungen richtete und ihn nach dem vermemtlich heilen Ursprung forschen ließ, bedingte auch die Forderung der Schweizer nach der Wiederherstellung ihres alten Rechts die Fingierung desselben. Verbunden mit der Trennung vom Reich war aber auch, daß sich nun nicht mehr - wie in der traditionellen Chronik - an den Figuren der Kaiser, Fürsten und Geistlichen die Verwirklichung des Heilsplans Gottes festmachen ließ. Ersetzt wurde das Fehlende in den wundersamen Geschichten aus den Kriegszügen gegen das Reich, wobei als Protagonisten und Identifikationsfiguren nur unbekannte Helden zur Verfügung standen, welche jedoch stellvertretend für das Volk eintreten konnten." Die Einführung eines literarisch-fiktionalen Momentes in die Geschichtsschreibung ist auch für Schwaben zu beobachten. Hier ist es insbesondere ein Werk, welches als 'Initialzündung' für eine Geschichtsdichtung in diesem Raum wirkte, die 'Schwäbische Chronik' des Thomas Lirer imd ihre Fortsetzung, die 'Gmündner Kaiserchronik'. Diese noch im 15. Jahrhundert gedruckten Texte versprechen vordergründig eine Geschichte Schwabens, in Wirklichkeit handelt es sich um die bruchstückhafte Konstruktion der Geschichte emzelner schwäbischen Geschlechter, insbesondere der der Werdenberger und Montforter. Die Wirkung des Lirerschen Werkes war überwäUigend, innerhalb kürzester Zeit erlebte es mehrere Druckauflagen, und die meisten Hauschronisten des 16. Jahrhunderts benutzten es als Quelle. Daran änderte auch die rasch einsetzende Kritik gelehrter Humanisten nichts, die rasch einsetzte und die 'Schwäbische Chronik' weitgehend als Fabelei 'entlarvte'. Die Chronisten der einzelnen Adelsgeschlechter ließen sich davon nur wenig beirren, nur daß sie jetzt die Fiktionalität ihrer eigenen Arbeiten besser kaschierten." Neben den politischen Rahmenbedingungen und dieser historiographischen Tradition dürfte aber auch die aufkommende humanistische Geschichtswissenschaft ihren Einfluß auf die Hauschronisten nicht verfehlt haben. Bekanntlich haben sich die großen oberrheinischen Städte sehr früh den aus Italien vordringenden Ideen des Humanismus geöfibiet, und damit gerieten die antiken Geschichtsschreiber, deren Werke am Oberrhein gedruckt wurden, ins Bewußtsein der Gelehrten. Die neuen Methoden, mit denen Lorenzo Valla an die Texte

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rühmte 'Weiße Buch von Samen', in denen die Autoren einen anderen Weg gegangen sind und historische Fakten der fiktiven Erzählung angepaßt haben. Vgl. BONJOUR/FELLER, Geschichtsschreibung 1, S. lOOff. (mit Lit.). Vgl. dazu auch WEHRLI, Tschudi, S. 44Iff. Zur Intention Lirers vgl. GRAF, Geschichten, S. 154-157.

Die historiographische Tradition

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herangetreten war, setzten sich zwar erst allmählich durch, aber zumindest am Ende des 15. Jahrhunderts entstanden die ersten 'kritischen' Werke zur einheimischen Geschichte.^* Während diese Arbeiten jedoch jenseits des hier interessierenden Zeithorizontes liegen, ist für die südwestdeutsche Chronistik ein anderes Œuvre von weit größerer Bedeutung: das des Sponheimer Abtes Johaimes Trithemius," dessen Werke bereits seit 1486 erschienen waren und dessen 'Chronicon Hirsaugiense' posthum 1559 veröffentlicht wurde.^' Trithemius befriedigte in hohem Maße die Bedürfiüsse eines historiographisch interessierten Publikums, welches hier Stützen für seine eigenen genealogischen Ambitionen fand. Einer seiner eifrigen Benutzer, Proben von Zimmern, würdigte ihn als einen herrlichefn] autor." Die Verehrung des Sponheimer Abtes war auch deswegen so groß, weil er von Maximilian für seine Arbeit an der Habsburger Genealogie'" herangezogen worden war und seitdem - trotz der Kritik der österreichischen Hofhistoriker - als wissenschaftliche Kapazität galt. Gegenüber seinem Werk blieb der Einfluß der 'wissenschaftlichen' Historiographie des Habsburger Hofes - die mit den Namen Cuspinian, Mennel und Vadian verbunden ist - auf die südwestdeutschen Adelschroniken gering. Die methodische Strenge der gelehrten Humanisten des Kaiserhauses war für ein genealogisch-dynastisches Interesse wohl eher kontraproduktiv. Zur frühneuzeitlichen Historiographie sind im weiteren Sinn auch die frühen Autobiographien zu zählen.'' Diese waren untrennbar verknüpft mit den antiken Vorläufern der Lebensbeschreibung, insbesondere mit Plutarchs 'Βίοι παράλληλοι' ('Vitae Parallelae'), ein Werk, das im 16. Jahrhundert breit rezipiert, mehrfach ediert und übersetzt worden ist." Vorbildfunktion für diese Gattung hatten femer Petrarcas 'De viris illustribus', Boccaccios 'De casibus virorum illustrium' und 'De claris mulieribus'" sowie die in^dichter Folge im 16. Jahrhundert erschienenen biographischen Schriften der deutschen Humani-

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Dazu sind die beiden Werke des Martin Crusius (Annales Suevici, 3 Bde., Frankfurt 15951596) und Oswald Gablkovers G^eue wirtembergische Chronik, Tübingen 1744-1755) zu rechnen, die beide um die Wende zum 17. Jahrhundert entstanden sind. Zu den Verkaufsschwierigkeiten solcher Werke vgl. Göz, Crusius, S. 718-727. Zu Trithemius ist allgemein auf die Arbeiten von KLAUS ARNOLD (Trithemius) und NOEL L. BRANN (Trithemius) zu verweisen. Dort finden sich auch umfangreiche Angaben zu den einzelnen Werken des Trithemius sowie zur Sekundärliteratur. Zum Problem der Fälschungen des Trithemius vgl. SCHREINER, Trithemius und STAUBACH, Suche. Vgl. dazu auch die Kritik Frobens von Zimmern an dieser Ausgabe (ZC IV,96,1 Sff.). ZCIV,96,19. Zu den gelehrten Autoren am Hof Maximilians vgl. MÜLLER, Gedechtnus, S. 58-64. Zu den Autobiographien der Renaissance vgl. grundsätzlich den von BUCK herausgegebenen Sammelband (Biographie) sowie MISCH, Geschichte, S. bes. 573-738 und ZIMMERMANN, Bekenntnis. Die frühen deutschen Autobiographien haben ein vielfaches Interesse auf sich gezogen. Vgl. jetzt VELTEN, Leben. VELTEN, Leben, S. 185f Die Ed. princ. des Plutarch stammt aus dem Jahr 1517. Beide Werke Boccaccios waren in der Bibliothek der Grafen von Zimmern enthalten (Wien, ÖNB, Cod. 12595, f. 14' und 17'.

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Adlige Hauschroniken im deutschen Südwesten

Sten." In der 'Zimmerischen Chronik' ist die Benutzung Plutarchs evident und man könnte sogar im Bestreben des Autors, die Geschichte des Geschlechts plastisch zu erzählen, und sie in einzelne Erzählungen aufzulösen, eine direkte Folge einer Plutarchlektüre vermuten." Der gravierende Unterschied besteht jedoch darin, daß der Charakter einer Person in der Chronik eindeutig hinter der Logik des Geschehens zurücktritt.

2.2. Die 'Gattung' Hauschronik der eine umfangreiche Sichtung der adligen Hauschroniken des deutschen Südwestens vorgenommen hat, zählt für die Zeit des 16. und die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts etwa zwei Dutzend Hauschroniken. Diese Zahl ist nur vorläufig, weil das Material noch nicht vollständig erfaßt ist und die Abgrenzung zu den Genealogien und Hausbüchern noch einer Diflerenzienmg bedarf" SEIGEL hat als gattungsstiftende Merkmale für die Hauschroniken eine Reihe von inhaltlichen und formalen Kriterien genannt: Im Mittelpunkt steht die Familiengeschichte, während die Herrschaftsgeschichte zurücktritt. Ausgangspunkt ist stets das 'Herkommen', worunter "Abkunft, Abstammung, Herkimft, Ursprung imd anschließende Geschlechterfolge verstanden wurde."" Der Begriff des Herkommens hatte bereits im 16. Jahrhundert - wie JENNY gezeigt hat - diesem Texttyp den Namen gegeben." Das Herkommen mußte unter dem Einfluß der humanistischen Geschichtsschreibung den Ansprüchen der Quellenkritik genügen, und daher war eine möglichst umfangreiche Archivforschung eine zentrale Voraussetzung. Nach SEIGEL ist schließlich die "Eigenständigkeit der Hauschronistik [...] in ihrer Zielsetzung begründet: Sie dient in erster Linie dem Hausinteresse und keineswegs der Befriedigung des geschichtsinteressierten Publikums."" Dieses letzte Kriterium enthält freilich einen impliziten Widerspruch, denn angesichts der innerständischen Konkurrenz kann eine Hauschronik überhaupt erst Wirkung nach außen entfalten, wenn sie mit dem übergreifenden Landesdiskurs"" verbunden ist und die Aufrnerksamkeit der adligen Öffentlichkeit erregt. SEIGELS Gattungsbestimmung bietet gewiß eine gute Grundlage für die hermeneutische Arbeit, es wird jedoch zu zeigen sein, daß die hier behandelten vier Chroniken nicht allein die formale Absicherung eines gegenwärtigen Status zum Ziel RUDOLF SEIGEL,

" Vgl. den Überblick bei VELTEN, Leben S. 188-192. " Vgl. dazu unten S. 161f. ^^ So sind in SEIGELS Aufzählung die 27 lateinischen Genealogien und Hauschroniken, die Matthäus von Pappenheim über alle wichtigen schwäbischen Grafengeschlechter verfaßt hat (Regensburg, Thum & Taxis, Ms. 166), nicht enthalten. " SEIGEL, Geschichtsschreibung, S. 102. " JENNY, Proben, S. 24. " SEIGEL, Geschichtsschreibung, S. 106. GRAF, Geschichten, S. 23f

Die 'Gattung' Hauschronik

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haben, sondern ihre Autoren auf je verschiedene Art und Weise und in unterschiedlicher Intensität die Zukunft beeinflussen wölken. Insofern übersteigt der Anspruch der adligen Hauschroniken in der Regel ein im engeren Sinn dynastisches Interesse. Abzugrenzen ist die Gattung von den anderen Formen der Aufbewahrung der gedechtnus - gegenüber den einfachen Genealogien und Stammbäumen, die ledigUch Namen und Daten überliefern, den Hausbüchern, (bürgerlichen) Familienchroniken und Autobiographien. Die Gattungsgrenzen sind naturgemäß fließend. Mit den bürgerlichen Haus- und Familienchroniken teilen die Adelschroniken eine Schwerpunktsetzung auf familienbezogene Inhalte, sie unterscheiden sich jedoch von ihnen hinsichtlich des Gewichts des ständischen und religiösen Diskurses:'" Die Absicherung des adligen Standes nimmt in den hier behandelten Hauschroniken bei weitem nicht den Stellenwert ein wie in den bürgerlichen Chroniken die Begründung eines eigenen Standesbewußtseins - dazu war den Adligen das Bewußtsein ihrer Exklusivität doch zu selbstverständlich und in ihrer Perspektive haben Glaubensfragen nur msofem Relevanz, als sie Herrschaftsfragen berühren. Auch die exemplarische Funktion der adligen Hauschroniken ist gegenüber ihren bürgerlichen Pendants wesentlich geringer zu veranschlagen,und keineswegs sind die Einzelbiographien der Hauschroniken als "pädagogische[s] Modell fiir die männlichen Nachkommen"^' angelegt. Zu den adligen und bürgerlichen Hausbüchern," die im Grunde ein Archiv der die Familie und ihre Zeit betreffenden Nachrichten enthalten imd dazu Zeugnis von der jeweiligen Sammelleidenschaft ablegen,"' besteht der Unterschied im gestalterischen Formwillen ihrer Verfasser. Trotz einer prinzipiellen Offenheit fur eine spätere Ergänzung durch die Nachfahren"* soll das Werk als Einheit verstanden werden, als solche repräsentativ wirken und das Material qua Narration oder Bild in einen ästhetischen und bedeutungsvollen Zusammenhang stellen. Hier befindet sich auch die Schnittstelle zu den

Vgl. VELTEN, Leben, S. 50. Für einen Adligen war die Wahl des richtigen Ehepartners nach biologischen, juristischen, sozialen, politischen und materiellen Kriterien eine der wichtigsten Entscheidungen in seinem Leben (vgl. SPffiß, Familie, S. 36-82). VELTEN, Leben, S. 50. Ebd., S. 51. Um eine Definition der Gattung Haus- und Familienchronik bemüht sich VELTEN (Leben, S. 48if.) in seiner grundlegenden Studie zur Geschichte der deutschen Autobiographie des 16. Jahrhunderts. VELTEN sieht die Familiengeschichte als inhaltlichen Mittelpunkt und die Funktion exemplarisch-didaktisch. Für die hier interessierenden Texte sind seine formalen Kriterien allerdings nicht brauchbar, weil er auch die Hausbücher mit ihrem "bloßen Sammelsurium von Fakten" (S. 48) hierzu rechnet. Ein illustratives Beispiel fiir diesen Typ bietet IRSCHLINGER, Aufzeichnungen, S. 228-258. Zu den thematischen tateressen bürgeriicher Sammler vgl. die Pilotstudie von MEYER, Hausbücher, bes. S. 693-733. In der 'Truchsessenchronik', der 'Zollemchronik' und in der 'Zimmerischen Chronik' ist mit dem Beginn der Arbeit an einer Hauschronik immer auch der Auftrag an die Nachkommen verbunden, das Werk fortzufilhren.

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Adlige Hauschroniken im deutschen Südwesten

frühneuzeitlichen Autobiographien, von denen die adligen Hausbücher jedoch die Orientierung an dem Leben des Verfassers und die fehlende pädagogische Intention trennt. Eine frühbürgerliche Individualität hat in den meisten adligen Hauschroniken ebenfalls keinen Platz, sofern - wie in der 'Zimmerischen Chronik' - der Autor Teile seiner Lebensgeschichte einbaut, meidet er die dfrekte Ich-Aussage. Nach ihrer Entstehungssituation lassen sich die adligen Hauschroniken in drei Gruppen unterteilen. In den meisten Fällen bat ein adliger Auftraggeber einen professionellen Historiographen um die Erstellung eines Werkes, welches - um den Stammbaum gruppiert - Herkommen und möglichst eine sukzessive Geschichte des eigenen Geschlechts enthalten sollte. Die inhaltliche Aufbereitung innerhalb dieser ersten Gruppe ist dabei sehr unterschiedlich: ausführliche Geschichtsdarstellungen wechseln mit Werken, die nur kurze Bemerkungen zum Stammbaum der jeweiligen Dynastie enthalten. Zu dieser Gruppe gehören die 'Württembergische"" und die 'Helfensteiner Chronik' Oswald Gabelkovers, die beide um 1600 im Auftrag Herzog Ludwigs I. bzw. Graf Rudolfs IV. von Helfenstein geschrieben wurden. Gleichfalls eine 'Helfensteinergenealogie', die jedoch heute verloren ist, verfaßte der Historiker Johaimes Basilius Herold."' Georg III. und die Herren von Geroltseck beauftragten den Augsburger Domherren Matthäus von Pappenheim mit der Anfertigung der 'Trachsessenchronik' bzw. der 'Geroltseckerchronik'. Im Auftrag der Fugger verfaßte der Augsburger Schuster, Zunftmeister und Ratdiener Clemens Jäger zuerst eine 'Fuggerchronik' und dann eine Geschichte des Hauses Österreich, der Rudersberger Pfarrer Johann Georg Waltz eine 'Rechbergische Chronik'. Zu den Werken dieser Gruppe gehören die 'Genealogia comitum de Montfort' des Hofgeschichtsschreibers Kaiser Ferdinands I., Wolfgang Lazius, der in den 50er Jahren des 16. Jahrhunderts für diese Arbeit gewonnen worden war; die 'Limpurger Chronik' Christoph Fröscheis, Caspar Baidungs 'Ebersteinherkommen', Wilhelm Werners von Zmrniem 'Rechbergisches Stammregister"", der 'Kirchberg-Traktat' Jakobs von Ramingen, Rainolts 'Chronik der Grafen von Sulz', die 'Zollemchronik' sowie verschiedene Werke zur Genealogie ritterlicher Geschlechter. Bei der zweiten Gruppe ist die Entstehungssituation entweder nicht rekonstruierbar oder es kann angenommen werden, daß keine direkte Beauftragung seitens einer Dynastie erfolgte. Dazu gehört wahrscheinlich auch Lfrers 'Schwäbische Chronik', sicher die 'Öttingerchronik' des Johaim Rauchpar, VaVon den ursprünglich 11 Büchern sind nur die ersten fünf erhalten. Vgl, SEIGEL, Geschichtsschreibung, S. 96. Einen Lebenslauf sowie eine ausführliche Würdigung Herolds, insbesondere unter dem Aspekt seines Verhältnisses zum Reich, bietet die umfangreiche Studie von В х ж с и ш ш т , die allerdings nicht alle Genealogien Herolds behandelt. Zur Entstehung seiner großen 'Pfälzergenealogie· vgl. dort S. 173-193. Stuttgart, WLB, Cod. hist. fol. 30.

Das Herkommen in der Literatur des 16. Jahrhunderts

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lentin Salomons 'Wemau-Chronik', die 27 Genealogien des Matthäus von Pappenheim^ sowie die 'Württembergische Chronik' des Sebastian Küng. Zur dritten Gruppe schließlich zählen zwei Werke, in denen Familienmitglieder selbst die Chronik verfaßten: die verlorene 'Landschadenchronik' des Bligger von Steinnach und die 'Zimmerische Chronik'. Die Entstehungssituation der Hauschroniken spiegelt in gewisser Weise die Bedingungen literarischer Kommunikation im Mittelalter. Eine anspruchsvolle Hauschronik kann nur entstehen, wenn dies nicht im Verborgenen geschieht, sondern im Austausch mit anderen Adelsgeschlechtem. Deswegen wird nach Informationen über das eigene Geschlecht geforscht, werden regekechte Archi vreisen imtemommen. Das Herkunftsthema ist bei den Adelszusammenkünften ein beliebter Streitpunkt.'' Soweit man dies aus den Chroniken erschließen kann, waren die Hauschroniken Medium der adligen Konkurrenz. Da Ursprungsfragen immer Statusfragen sind und in alten Urkunden vergessene Forderungen und Rechte auftauchen konnten, bewegten sich die Chronisten auf einem schmalen Grat zwischen Wissenschaft und Politik. Eine Chronik wird nie nur fur das eigene Haus geschrieben, auch wenn dies der primäre Rezeptionsraum ist. Die Autoren hatten immer das Forum der regionalen Adelsgesellschaft," der gelehrten Öffentlichkeit, der anderen Historiographen und Beiträger von Hauschroniken" und letztlich auch den kaiserlichen Hof, der sich spätestens seit Maximilian als das Zentrum adliger Ursprungsforschung etabliert hatte, im Visier Der mehrfache Adressatenbezug läßt sich in den Texten gelegentlich identifizieren. So denkt der Autor der 'Zimmerischen Chronik' sowohl an seine Nachkommen, wie auch an benachbarte und befreimdete Adelsfamilien oder gar an ein anonymes Publikum. Die wechsehiden Vorstellungen vom jeweiligen Rezipientenkreis führten auf der Darstellungsebene zu Widersprüchen. So wurde die Geschichte anderer Geschlechter aufgenommen, obwohl sie m keinem Verhältnis zur eigenen Dynastie standen, und damit die geforderte, klare Beschränkung auf die Dynastiegeschichte unterlaufen. Die divergierenden Urteile über historischen Personen, läßt sich auch aus dem unterschiedlichen Rezipientenkreis erklären, den der Autor jeweils vor Augen hatte.

2.3. Das Herkommen in der Literato des 16. Jahrhunderts'^ Eine literarische Beschäftigung mit dem eigenen Herkommen beginnt mit der Suche nach den jeweiligen Ursprüngen, einer Suche, die teils aus Material" " " "

Zum hihalt vgl. unten S. 85, Anm, 160. Siehe unten S. 170, Anm. 185. GRAUS (Funktionen, S. 41) macht für die spätmittelalterliche Geschichtsschreibung geltend, daß sie immer bestrebt sei, "nicht nur Einzelpersonen, sondern Gemeinschaften zu belehren." Zu Begriff und Funktion vgl. JENNY, Froben, S. 174-185. Zum Thema allg. vgl. BORST, Turmbau; LHOTSKY, Apis. Zur Funktion von Herkunfisableitungen GRAUS, Vergangenheit, S. Iff.; ALTHOFF, Fiktionen, bes. S. 419f., 440f; GYÖRFFY, Stammesgründer.

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mangel, teils aus rezeptionsästhetischen Erfordernissen in Geschichtskonstruktionen einmündet. Für die Historiographie läßt sich der Versuch, die Geschichte eines Geschlechts bis in eine mythische Vorzeit zu verlegen und dort eine Verbindung mit dem Numinosen zu knüpfen, bis auf Hekataios von Milet zurückverfolgen, der in seinen Genealogien'^ die Geschlechterfolge als Ordnungsprinzip der Darstellung verwendet. Hekataios kennt bereits die Kritik an solchen Projektionen in die Vergangenheit, ohne sich davon jedoch beeinflussen zu lassen. Da im republikanischen Rom die Herkunft von den alten Patriziatsgeschlechtem genauso legitimierend fur einen konkreten politischen Herrschaftsanspruch war wie in der Kaiserzeit die 'göttliche' Abstammung des Throninhabers, fuhren auch die Annalisten und Kaiserbiographen, die jeweiligen Geschlechter auf einen republikanischen Urvater oder göttlichen Ursprung zurück. Dieses Denken, welches in der Vorstellung verwurzelt war, eine Verbindung mit legendären und positiven Leitfiguren der Geschichte ließe sich für konkrete Ansprüche in der Gegenwart benutzen, war auch vorbildhaft für jene mittelalterlichen Autoren, die fur Юöster und Städte eine vorzeigbare und vorteilhafte Vergangenheit konstruierten. Dies gilt für die Stifterbücher, die fundationes, wie sie etwa in Zwettl, Weingarten oder Murau erstellt worden sind.'' In diesen Werken vermischten sich verschiedene Motive. Neben einer 'Ansippung' an einzelne repräsentative Adelsgeschlechter wollten die Юosterhistoriographen konkrete Ansprüche gegenüber der Stifterdynastie bzw. deren Nachfolger begründen. Daneben diente ein solches Herkommen auch dazu, dem eigenen Kloster einen ideellen Vorsprung gegenüber anderen kirchlichen Gemeinschaften zu sichern. Während bei den Klosterchroniken die Geschichtskonstruktionen ihre zeitliche Grenze in der Gründungsgeschichte des Stammklosters fand und sich die Erfmdungen auch nicht auf die kirchliche, sondern auf die weltliche Geschichte bezogen, standen die Hauschrorüsten des 15./16. Jahrhunderts vor einem anderen Problem. Der schon viel fiiiher einsetzende Prozeß der Adelsdifferenzierung hatte dazu geführt, daß hn Zuge der fortschreitenden Territorialisierung und Mediatisierung des Adels durch die neuen Territorialherrscher die Konkurrenz irmerhalb des Adels - und gegenüber den Städten - zunahm. In Schwaben, wo es aufgrund des langjährigen Fehlens einer zentralen Herrschaftsmacht eine große Zahl mehr oder minder unabhängiger Adelsgeschlechter gab, kam der etwa in Bayern schon wesentlich weiter fortgeschrittene Territorialisierungsprozeß jetzt voll zur Entfaltung." Als Folge davon mußten sich die Grafen und freie Herren auf der einen Seite gegen die Machtaspirationen der großen Adelsgeschlechter imd auf der anderen ge-

Die Fragmente der griechischen Historiicer. 1. Teil: Genealogie und Mythographie, hg. von FELIX JACOBY, V e r m e h r t e r N e u d r u c k L e i d e n 1 9 5 7 , B d . 1/1, S. 7 - 1 5 .

Zu Zwettl siehe: PATZE, Adel, S. 71-75 und KARL BRUNNER, Die Zwettler 'Bärenhaut'. Versuch einer Einordnung, in: PATZE (Hg.), Geschichtsschreibung, S. 647-662. Zur Entwicklung der Staatenbildung im deutschen Südwesten siehe die Zusammenfassung bei BADER, S ü d w e s t e n , S. 8 8 - 1 8 2 .

Das Herkommen in der Literatur des 16. Jahrhwdetts

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gen den nachdrängenden Юemadel behaupten. Diese Ausemanderset2mgen wurden auf juristischem Weg oder - soweit dies nicht gelang - mittels Krieg entschieden. In beiden Fällen war es unabdingbar, die eigenen Ansprüche ideologisch zu untermauern. Dazu gehörte in der Regel auch der Nachweis ständischer Dignität, der in der Weise erbracht werden konnte, daß anhand der Herkunft des eigenen Geschlechts, seiner Tugendhaftigkeit oder politischen und militärischen Leistung die Gleichrangigkeit mit den herausragendsten Geschlechtem des Landes bzw. die Überlegenheit gegenüber den territorialen Mitkonkurrenten demonstriert wurde.'" Ein solches Vorhaben war aber unauflöslich geknüpft an eine schriftliche Fixierung," und daraus ergab sich das Bedürfiiis für die Aufzeichnung einer Herkunftssage. Dieser Prozeß ging aus von den Kanzleien der großen Höfe®' und erstreckte sich auch auf den mittleren und niederen Adel, bi diesem Zuge entstanden dann auch Sagen über den Ursprung der Städte, sogar über die Herkunft der einzelnen germanischen Volksstämme," ja der ganzen deutschen Nation." Die kritischen Methoden der humanistischen Geschichtsforschung taten dieser Entwicklung keinen Abbruch; allenfalls zog man jetzt auch verstärkt die antiken Quellen für die Herkunftsfiktionen heran. Im Wettstreit der Adelsgeschlechter genügte aber nicht nur das Ancienitätsprinzip" - eine zweite wesentliche Voraussetzung war es, den für die eigenen aktuellen Interessen möglichst 'richtigen' Ursprung zu finden. Maßgebend waren beide Überlegungen schon für Thomas Lirer, der in seiner 'Schwäbischen Chronik' gleich einer großen Zahl von schwäbischen Adligen ein altadliges Herkommen, mit teils römischem Ursprung, andichtete. Auch das weit verbreitete 'Tumierbuch' des Georg Rüxner^ diente indirekt diesem Zweck, wenngleich sich der 'Tumierherold' damit begnügte, den einzelnen Geschlechtem 'Beweise' dafür vorzulegen, daß ihre Vorfahren bereits an den (fiktiven) Turnieren des 9. Jahrhunderts teilgenommen hatten. Obwohl die gelehrte Kritik an diesen Abstammungsmythen sehr fitih einsetzte, hielten selbst die humanistisch gebildeten Historiographen daran fest, weil allein dies die Aura eines möglichst alten und ehrwürdigen 'Herkommens' sicherte. Wie sich die Intentionen der Auftraggeber und -nehmer oft gegenseitig überkreuz-

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Vgl. dazu im nationalen Bereich GRAUS, Funktionen, S. 44. Zur Diffamierung eines Gegners durch Herabwürdigung seines 'Herkommens' vgl. auch GRAUS, Funktionen, S. 44, OTT,Chronistik,S. 195f Vgl. zu den in dieser Arbeit behandelten Volksstämmen auch Зснмшт, Geschichte. GRAUS, Funktionen, S. 43f Vgl, zu diesem Themenkomplex allg. GRAF, Geschichten, S, 121ff, Zu den bürgerlichen Versuchen genealogischer Ableitungen vgl, LUDWIG, Kröll, S, 36 und 143, JENNY (Proben, S. 26) weist die Verantwortung an der 'Herkommensseuche' des 16, Jahrhunderts dem Humanismus zu, Zur Bedeutung des 'Turnierbuchs' im 16. Jahrhundert vgl, die Einleitung des Reprints der Ausgabe Simmem 1530 (Rüxner, Tumierbuch, S, 7-23); zu Geschichte und Ablauf der Turniere vgl. GAMBER, Ritterspiele, S, 515-528, Die wenigen Daten zu Leben und Werk Georg Rüxners verzeichnet KURRAS, Rixner,

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ten m d damit die Suche nach einer historischen Wahrheit von vornherein unterbanden, läßt sich wie in einem Prisma anhand der Bemühungen Celtis', Cuspinians und anderer Hofhistoriographen um den stam Kaiser Maximilians" beobachten. Zunächst von Maximilian mit dem Ziel initiiert, die Geschichte des eigenen Hauses bis in die Vergangenheit 2iirückzuverfolgen, wächst sich das Unternehmen zu einer Genealogie auch anderer königlicher Häuser aus. Dies freilich ergibt sich aus der Vorgabe einer solchen Arbeit fur die docti: Um den Vorrang der Habsburger zu beweisen, wurde die Geschichte anderer Geschlechter substitutiv miteinbezogen. Der von Maximilian offenbar gewünschte Nachweis einer Trojanerabstammung der Franken, "eine der beliebten genealogischen S a g e n , b r a c h t e seine Hofhistoriographen dazu, die genealogische Linie bis zu den Urvätern des Alten Testaments zurückzuziehen." Der Entfaltung einer historiographischen Tätigkeit im Humanismus ist es zuzuschreiben, daß derartige Herkunftskonstruktionen nun nicht mehr einfach postulierbar sind, sondern vielmehr ihrer 'wissenschaftlichen' Rechtfertigung bedürfen. Zu diesem Zweck wurden von Trithemius eine Reihe von Quellen erfunden, die angeblich die Geschichte der Franken in vorchristlicher Zeit enthielten. Doch der Widerspruch zwischen den politischen Interessen des Kaisers und dem wissenschaftlichen Anspruch seiner Historiographen ließ sich nicht lösen. Zwar liefern sie Maximilian noch den gewünschten stam und die Universität Wien die gewünschte Approbation desselben,®' aber bei Johannes Stabius regt sich auch schon die Kritik,'' und selbst Mennel relativiert den politischen Anspruch, der an den stam geknüpft ist,™ wenn er dessen Glaubwürdigkeit weiterer Forschimg und Kritik anheimstellt." Was alle derartigen Herkunftssagen gemeinsam haben, ist die Herstellung eines fiktiven Ursprungs des Geschlechts, die Ansippimg an berühmte und akzeptierte geschichtliche Leitfiguren sowie die Stilisierung fiktiver Vorfahren zu Helden des Geschlechts. Die betreffenden Texte waren zwar nicht unbedingt für die Drucklegung gedacht,''^ aber sie soll-

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Vgl. dazu grandsätzlich MÜLLER, Gedechtnus, S. 87-89. Ebd., S. 87. Zur Aufnahme der mittelalterlichen Überlieferung von der Trojanerabstammung der Franken in die Dichtung vgl. vor allem das 1572 erschienene Eposfragment 'La Franciade' von Pierre de Ronsard. Vgl. dazu den Überblick bei LHOTSKY, Apis, S. 243. Vgl. dazu LAScraTZER, Genealogie, S. 29f LASCraTZER, Genealogie, bes. S. 20-25, mit dem berühmten Spottbild auf Trithemius (S. 23), das in der Schrift des Stabius überliefert ist. Zu den phantastischen genealogischen Konstruktionen Jakob Mennels vgl. LHOTSKY, Apis, S. 205-212. Zu Mennels Methode vgl. MERTENS, Geschichte. Offenbar durchschaute ein Teil der docti die Erfindungen des Trithemius (MÜLLER, Gedechtnus, S. 314, Anm. 41). Zumindest ist anders ihr beharrliches Nachfragen bei dem Sponheimer Abt nicht zu erklären. Aufgrund des enormen Erfolgs von Lirers 'Schwäbischer Chronik' wäre es denkbar, daß auch die Hauschronisten eine Drucklegung beabsichtigten. Am ehesten gilt dies für die 'Truchsessenchronik', die mehrfach abgeschrieben worden ist (vgl. ZOEPFL, Matthäus, S. 28).

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ten auch nicht im Dunkel der Archive verschwinden, sondern standen einer durch den Auftraggeber kontrollierten Benutzung offen. Die habsburgische Hofhistoriographie war maßstabsetzend fur die entsprechenden Projekte des südwestdeutschen Adels. Angesichts des Schweigens der Quellen über die Geschichte der Geschlechter mußten die Historiographen auch hier eigene Konstruktionen setzen. Dies geschah mittels der erst zu erfindenden Beziehungen des jeweiligen Hauses zu anderen anerkannten Dynastien sowie zu kirchlichen und weltlichen histitutionen von Rang. Außerdem mußte den Ahnen eine entsprechende virtus verliehen werden, eine virtus, von der man annahm, sie lebe in den gegenwärtigen Vertretern des Geschlechts weiter und verleihe dem Ansehen des Geschlechts die notwendige ethische Patina." Wollte man all diese Prämissen erfШlen, geriet man jedoch zwangsläufig in Widerspruch zu den historischen Quellen, und das Ergebnis war eine bunte Mischung von Wahrheh, Fiktion und Interpretation der Quellen, die einer konzisen Darstellungslogik unterworfen werden mußte. Das Hauptproblem für die Chronisten bestand in der Vereinbarung zweier unterschiedlicher Ansprüche. Das Herkommen sollte sowohl verifizierbar die Geschichte eines Geschlechts überliefern, als auch der Maxime Ciceros genügen und magistra vitae'* sein. In welchem Verhältnis die wissenschaftliche Erforschung der Vergangenheit bzw. ihre antiquarische Bewahrung zu dem didaktischen Motiv stand, läßt sich für die historiographischen Arbeiten des 16. Jahrhunderts nicht pauschal bestimmen. Von seiten der Forschung liegen hierzu völlig gegensätzliche Aussagen vor. Während etwa JAN-DIRK MÜLLER ШГ die maximilianische Hofhistoriographie den Vorrang der memoria vor der Lehre behauptet,'' ist es flir FRANTISEK GRAUS ausgemacht, daß "bei der Schilderung der Vergangenheit immer mehr die Belehrung und die gezielte Funktion überhand nahmen.'"' Unbestritten ist, daß - wie alle Formen der gedechtnus - auch eine Herkunftssage auf die Gegenwart zielt, ja daß sogar im Wege eines 'Präsentismus'" die Anforderungen der Gegenwart bei der Darstellung der Geschichte immer mit einbezogen werden. So verfolgen die Konstruktionen der '' Dies gilt zumindest noch für Maximilian, der die Bewahrung der erinnerungswürdigen Taten des eigenen Geschlechts als Aufgabe des Fürsten begreift und demgemäß auch die notwendigen Ausgaben dafür bereitsteUt. Vgl. MÜLLER, Gedechtnus, S. 81. Cicero, De oratore П,36: Historia vero testis temporum, lux veritatis, vita memoriae, magistra vitae, nuntia vetustatis qua voce alia nisi oratoris immortalitati commendatur? Die didaktische Funktion der Geschichte war im 16. Jahrhundert ein verbreiteter Topos. Vgl. dazu Aventins Funktionsbestimmung der Geschichte: Dan in den alten historien wie in ainem spiegl besiecht ein ietlicher das leben der andern und nimbt im also von andern ein ebenpild, wird än seinen schaden erinnert was er tun oder lassen sol, was im ubel oder wol anstet [...] (Aventinus, Werke IV/1, S. 12). Im unmittelbaren Zusammenhang der zitierten Passage erklärt Aventin, der Teufel sei ein Feind der Wahrheit. Zur Rezeption des Cicerozitats im Spätmittelalter vgl. MELVILLE, Geschichte, S. 86-146 und MÜLLER, Gedechtnus, S. 316, Anm. 52. "

MÜLLER, Gedechtnus, S. 90-93.

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GRAUS, Zusammenfassungen, S. 844.

'' Zum Begriff des 'Präsentismus' vgl. GRAUS, Funktionen, S. 41.

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adligen Historiographen das Ziel, über den erfundenen Ruhm des Gesclilechts in einer grauen Vorzeit die Fiktion einer Unsterblichkeit des Geschlechts zu erzeugen, ihm für die politische Auseinandersetzung die distanzgebietende Aura eines hohen Alters zu verleihen. Um dies zu vermitteb, bediente man sich nicht nur des geschriebenen Wortes. So war der ausgemalte stam und die Ehrenpforte Kaiser Maximilians ein anderes, ebenfalls besonders aufwendiges Verfahren, mit welchem sich 'admirative Identifikation' durch die Angehörigen des eigenen Geschlechts bzw. eme respektheischende Geste gegenüber dem fremden Betrachter erzielen ließ. Und analog zu Maximilians Unternehmung sind auch im südwestdeutschen Raum™ eine ganze Reihe solcher Ahnengalerien belegt, wie etwa die Ausschmückung des Heidelberger Schlosses mit den 'Porträts' der fürstlichen Vorfahren, die Fresken in der Burg des Grafen von Eberstein" und vor allem die zahlreichen illuminierten Stammbücher und blätter mit Allianzwappen und Abbildungen erflmdener oder tatsächlich existenter Vorfahren, wie wir sie aus dem deutschen Südwesten in reicher Zahl,*" u. a. aus den Häusern Waldburg, Württemberg^', Zollem und Zimmern, kennen. Welche Wirkung die verschiedenen Formen des 'Herkommens' auf Außenstehende gehabt hat, ist nur un Einzelfall belegt, allerdings warnt GRAUS davor, deren längerfristige politisch-rechtliche Wirkung zu unterschätzen.'^ Und in der Tat genügte auch eine im Zweifelsfall immer bestreitbare und bestrittene, in keinem Fall mit der notwendigen Genauigkeit rekonstruierbare Ur- und Frühgeschichte nicht, rechtliche Ansprüche durchzusetzen. Insofern zielen die Herkommen auch nicht so sehr auf die Durchsetzung konkreter Rechtsansprüche als vielmehr auf die Vorbereitung eines solchen Anspruchs im Vorfeld des Rechts sowie auf die Erzeugung einer distanzgebietenden Aura, die sich um das eigene Geschlecht verbreiten sollte. Von letzterem versprach man sich vor allem eine Wirkung nach innen, ein Herkommen soll unter den Angehörigen eines Geschlechts ein historisches Selbstbewußtsein erzeugen, welches über die reine Rechtfertigung von Macht- und Herrschaftsansprüchen bzw. die Legitimation politischer und ethischer Werte hinausgeht und dazu dient, der Geschichte der Dynastie Sinn und Bedeutung zu verleihen. Das Herkommen sollte demnach fur die Mitglieder einer Dynastie den Zugang zu einer Vergangenheit

' ' Zur Tradition dieser Fresken vgl. die Wandbemalungen auf Schloß Rodeneck bei Brixen und in Schmalkalden (OTT/WALLICZEK, Bildprogramm). " Vgl. dazu JENNY, Proben, S. 25. Einen illustrativen Überblick über die Stammbücher des deutschen Südwestens bietet der Katalog der Ausstellung 'Die Renaissance im deutschen Südwesten', hg. vom Badischen Landesmuseum Karlsruhe, Karlsrahe 1986, Bd. 1, S. 454-463. Zu den Porträts der Grafen und Herzöge von Württemberg vgl. ebd., S. 445. Hier gibt es interessante Querverbindungen im Adel. So entstand etwa die Porträtsammlung der Grafen und Herzöge von Württemberg auf den ausdrücklichen Wunsch des Erzherzog Ferdinand Π. von Tirol, der die Porträts seiner Ambraser Sammlung einverleiben wollte. Hinter dem archivalischen Interesse kann man auch politische Motive vermuten (vgl. ebd., S. 445). GRAUS, F u n k t i o n e n , S. 3 0 .

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eröffoen, die auch das Handeln der Gegenwart in einen verbindlichen Bezugsrahmen stellte." Dazu genügte keine reine Aneinanderreihxmg von Fakten und Daten, viehnehr war eine dezidiert sinnstiftende imd daher literarische Arbeit Voraussetzung für die erhoffte Wirkung eines 'Herkommens'. Ein Herkommen erffllt seine verschiedenen Aufgaben nur dann, wenn es so angelegt ist, daß es in mehrfacher Hinsicht vor dem Umfeld bestehen kann: Es darf weder die Rechts- oder Standesstellimg des eigenen Geschlechts - etwa durch oberflächliche Konstruktionen - beeinträchtigen noch den 'historischen' und literarischen Anspruch, dem sich der Chronist aussetzt, enttäuschen. Deswegen zog man sich für ein Herkommen einen auch literarisch versierten Fachmann heran, der diesen beiden zentralen Ansprüchen gerecht werden konnte.*^ Die Gefahr einer Blamage oder einer dem eigentlichen Zweck entgegenstehenden Konfrontation mit konkurrierenden Geschlechtem scheint demnach allgemein virulent gewesen zu sein, und zwar nicht nur für den Rechtsfall, sondern auch im Hinblick auf literarische Erfordernisse." Hier waren auch Rücksichten auf veränderte Auffassungen über die Dignität einer bestimmten Herkunft zu nehmen, wofür das bekannteste Beispiel der Wechsel von der Herleitung von einem römischen Ursprung'' zu einem germanischen ist.'' Logischerweise mußten im Vorfeld auch unerwünschte Ansippungen, die dem Geschlecht von fremder Seite angehängt werden konnten, abgewiesen werden.*® Auf der anderen Seite distanziert man sich auch von der reinen Enkomiastik, die vielleicht literarisch akzeptiert sein mag, aber einer didaktischen Intention nicht entspricht. Den Wert, den die Autoren und Auftraggeber auf diesen Aspekt legen, zeigt auch die 'Truchsessenchronik' und der im Zusammenhang ihrer Entstehung überiieferte Briefwechsel, wo derartige Konsequenzen ebenfalls im Vorfeld vermieden werden sollen. Wenn der Auffraggeber Georg III. in einem Brief zur Genealogie ausführt, daß zu jeder Person des Geschlechts nach seinem Tod sein wol vnnd vbell hallten Inn das Buech geschrieben werde," dann grenzt sich der Chronist eindeutig gegen eine nur propagandistisch-repräsentative Funktion ab, die den Wert der Geschichte nach dem Maß ihrer panegyrischen Wirkung bestimmt. Es ist fast naheliegend, daß ange' Vgl. dazu RusCH, Erkenntnis, S. 445. GRAUS (Funktionen, S. 48f.) weist darauf hin, daß die Arbeiten auch deswegen literarisch versierten Fachleuten übertragen wurden, um den Werken größere Aufinerksamkeit zu verleihen. Am deutlichsten kann man die Wirkung einer literarisch gestalteten Chronik bei Twinger, Froissart und Commynes beobachten, wobei die letzteren beiden Werke auch gedruckt worden sind. Die 'Mémoires' des Cotnmynes erschienen sogar bald in einer deutschen Übersetzung. Zur Arbeit Herolds an der 'Truchsessenchronik' vgl. unten S. 435-438. " Vgl. dazu JENNY, Froben,S. 31. LHOTSKY, Apis, S. 223f. KLEINSCHMTOT, Herrscherdarstellung, S. 180f. " GRAF, Geschichten, S. 123f.: "hn 16. Jahrhundert wird die Zurückweisung der italienischen Herkunft zu einem Topos der adligen Hauschronik, auch wenn es Familien gab, die an ihrem römischen Ursprung festhalten wollten." ^ Vgl. hierzu das Beispiel der 'Zimmerischen Chronik' (1,22,30-24,36). " TCI,8.

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sichts einer solch vielfaltigen Funktionalisienmg der Historiographie diese selbst einen Eigenwert erhält und schließlich das Maß der Aufbewahrung der Geschichte zum Gradmesser für das intellektuelle Niveau und das Geschichtsbewußtsein eines Adligen selbst wird. Dies entspricht auch dem berühmten Diktum Melanchthons, wonach derjenige eine gar grobe Sau sei, qui non delectatur cognitione historiarum.^ Ganz dezidiert ist dieser Aspekt auch im Weisskunig Maximilians formuliert. Dort heißt es über den Protagonisten: [...] er hat alle kunig ubertrqffen; dann wo findt man von andern kunigen geschriben, die also die kuniglichen und fürstlichen geschlecht mit irer gepurt und guten taten mit schriftlicher gedächtnus erhebt, als diser jung weiß kunig gethan hat? Er ist ain anweiser aller kunfligen kunigen und fursten, das sy die kuniglich undfürstlich gedächtnus eren sollen.^^

Nicht nur die Anbindung bzw. Ansippung an ein berühmtes Geschlecht oder eine heldenmäßige Tradition ist entscheidend, sondern die Aufzeichnung eben dieser Tradtion und damit die Absicherung gegen einen drohenden Verlust. Der weise kunig Maximilian ist mit seiner historiographischen Arbeit aber nicht nur Vorbild {anweiser) aller künftigen Könige und Fürsten, viehnehr demonstriert er auch ein dem gesamten Adel naheliegendes Interesse an der Bewahrung der gedechtnus. Erinnerung der Tradition geschieht nicht mehr in repräsentativer Abgrenzung bzw. Übertrumpfung anderer konkurrierender Geschlechter, sondern in der wissenschaftlichen Bestätigimg. Diese bildet die Basis für einen Wettbewerb, in dem derjenige sich standesrechtliche Vorteile verschafft, der am besten die Bewahrung der Tradition besorgt.

2.4. Der Wahrheitsbegriff in der historiographischen Literatur des 16. Jahrhunderts Es ist heute nachgerade eine Selbstverständlichkeit, wenn in Arbeiten zur Chronistik darauf hingewiesen wird, daß sich mittelalterlicher und neuzeitlicher Wahrheitsbegriff fundamental voneinander unterscheiden. Mit einer solchen Feststellung ist in der Regel aber keine Diskussion darüber verbunden, wie denn mm die spezifische 'Wahrheit' des Mittelalters bzw. der Gegenwart zu defmieren sei, viehnehr begnügt man sich in der Regel mit dem Hinweis, daß für den mittelalterlichen Chronisten ungeschieden eine faktische, moralische, religiös-allegorische oder-gar dichterische Wahrheit existiert und alle diese 'Wahrheiten' ihm erlauben, fiktive Ereignisse als 'reale' Geschehnisse zu beschreiben.'^ Unausgesprochen ist dabei immer die Vorstellung zugrunde Zit. nach RUPPRICH, Geschichte Π, S. 415. Zit. nach MÜLLER, Gedechtnus, S. 81f. Zum Problem der Fälschung und des Fälscherbewußtseins im Mittelalter vgl. grundsätzlich FUHRMANN, Fälschungen; ders. Mundus, S. 212-221; femer STUBACH, Fiktionen; ALTHOFF, Fiktionen; GYÖRFFY, Stammesgründer; WEHRLI, Geschichte, S. 578f.; OTT, Chronistik, S. 194; KLEINSCHMTOT, Wirklichkeit.

Der Wahrheitsbegriff in der historiographischen Literatur des 16. Jahrhunderts

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gelegt, daß eine solche Dissoziation des Wahrheitsbegrifles ein Spezifikum der Vergangenheit sei, wogegen in der Gegenwart allein dasjenige einen Anspruch auf Wahrheit erheben könne, was sich als ein empirisch verifizierbares Faktum belegen läßt. Freilich wissen wir auch längst, daß selbst auf empirischem Weg gewonnenes Datenmaterial vom Standpunkt des Beobachters abhängt, also relativ ist." Nun kann im Rahmen dieser Arbeit nicht der Versuch unternommen werden, Geschichte imd Inhah des Wahrheitsbegriffs nachzuzeichnen; da sich jedoch die Frage nach dem Wahrheitsverständnis der Hauschronisten im Rahmen der Einzelinterpretationen immer wieder stellt, soll hier wenigstens der Horizont umrissen werden, iimerhalb dessen sich die Chronisten des 16. Jahrhunderts bei der Rezeption historischer Überlieferungen und zeitgenössischer Ereignisse bewegen. Das Wahrheitsproblem begleitet die Historiographie seit Beginn ihrer Geschichte; es wird schon in Piatons Verdikt'" gegen die Dichter aufgeworfen und zeigt sich bereits in der Reaktion des Thukydides auf die mythenträchtige, anekdotenhafte und fabulose Geschichte Herodots." Die Unterscheidung zwischen einer (Geschichts-)Dichtung, die Wahrheit allenfalls objektivierte, und einer Historiographie, die Fakten wiedergab, blieb in den wichtigen historischen Werken der Antike weitgehend aufrechterhalten, was der umfangreichen und produktiven Rezeption zuzuschreiben ist, die Thukydides bei Xenophon, Krattipos, Sallust und Tacitus erfahren hatte. Neben Piatons Verurteilung des Fiktiven innerhalb der Geschichtsschreibung wirkte auch die Poetik des Aristoteles nach, in welcher das Fiktive streng an die Regeln des Wahrscheinlichen gebunden wurde.'* Im Früh- und Hochmittelalter war zimächst die poetologische Diskussion über das Fiktive beschränkt" auf den lateinischen Sprachbereich, erst im 15./16. Jahrhundert" setzte sich die Abgrenzung der Gattungen in fiktionale und nicht-fiktionale Texte allgemein durch. So leitete Heinrich Bebel seme Fazetiensammlung mit dem Worten ein: Scriba enim fabellas et facetias, non rem veram et gestam.^ Eine solche Argumentation dringt jedoch noch nicht auf eine begriffliche Ebene vor, bekanntlich deckt der Begriff der historia für diese Zeit sowohl Volksbuch/Roman wie auch die chronikalische Ge-

Vgl. STEPHAN W. BLAWKJNG, Eine kurze Geschichte der Zeit. Die Suche nach der Urkraft des Universums, Reinbek bei Hamburg 1988, S. 36f.; zur Abhängigkeit der empirischen Erkenntnis vom eigenen Wunschdenken vgl. ebd., S. 50. Vgl. etwa JÜRGEN LANDWEHR, Fiktion und Nichtfiktion, in: Literaturwissenschaft 1, hg. von HELMUT BRACKERT und JÜRGEN STOCKRATH, Reinbek 1981, S. 380-404, hier S. 398ff. sowie KLEINSCHMTOT, Wirklichkeit. Thukydides hielt demgegenüber selbst an der Notwendigkeit von Quellenkritik und der Existenz einer Tatsachenwahrheit fest. Vgl. JAUSS, Erfahrung, bes. S. 324-328. KNAPE, Historie, S. 14flf. Vgl. HEITMANN, Verhältnis, S. 260, 273f Bebel, Facetiae, 1,5 (S. 6); vgl. auch 1,6.

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schichtsdichtung ab.'°° Je mehr sich die Humanisten um die "philologischempirische Grundlage" ihrer Arbeit bemühten und bestrebt waren, die Geschichtswissenschaft innerhalb der Utterae als Gegenstand des Studiums zu etablieren,"" mußten sie ihren Gegenstand gegenüber Mythos, Poesie und Rhetorik abgrenzen. Humanisten wie Agrippa von Nettesheim und Pico della Mirandola nahmen dabei den antiken Topos auf, wonach alle Geschichtsschreiber lügen m ü s s e n . D i e Hauptgründe dafür sind Selektion und Interesse: Jede Geschichtsdarstellung wählt unter der unendlichen Vielzahl der zurückliegenden Ereignisse aus,'" und eine perspektivische Konstruktion der Vergangenheit manipuliert die Geschichte zwangsläufig. Diese letztlich moderne Einschätzung setzte sich jedoch noch nicht durch, die meisten Humanisten versuchten mit den neuen empirischen Methoden die Geschichte als magistra vitae zu retten'"" und ihre private wie öffentliche Nutzanwendung zu sichern.'"^ Dazu mußte das Fiktive der Dichtkunst zumindest theoretisch aus der auf Faktenwahrheit ausgerichteten neuen Geschichtswissenschaft ausgeschlossen werden. Gleichzeitig änderte sich in einem langsamen Prozeß der Wahrheitsbegrifif: Wurde bislang Wahrheit "nicht mit Fakten gleichgesetzt, sondern mit einer Kombination von Tatsache und der begrifflichen Matrix, innerhalb derer diese in den Diskurs angemessen eingeordnet wurde,'""' so wird jetzt Fiktion als Gegenteil dieser Wahrheit bestimmt. Implizit liegt diesen Vorstellungen immer der Fehlschluß zugrunde, daß die Tatsachen ftir sich selbst sprechen würden und es keiner logischen und ästhetischen Kohärenz bei der Darstellung der Tatsachen bedürfte.'" Der Abschluß dieser Entwicklung ist dann mit den Namen I U N K E und D R O Y S E N verknüpft."" Bei allen tiefgreifenden Unterschieden zwischen ihnen bestand ihr Verfahren und Ansatz darin, die res factae ihrer res fictae mittels Text- und Quellenkritik zu entkleiden und so auf den historischen 'Kem' eines wirklichen Geschehens vorzustoßen.

KNAPE, P r o b l e m a t i k , S. 2 4 . V g l . b e i KNAPE ( H i s t o r i e , S. 4 3 3 - 4 4 3 ) d e n H i n w e i s a u f d e n w i s -

senschaftlichen Gebrauch des Wortes im 16. Jahrhundert. " " KNAPE, H i s t o r i e , S. 2 3 .

Vgl. hierzu HEITMANN, Verhältnis, S. 275. Bereits ein italienischer Chronist des 14. Jahrhunderts, Paulinus Minorità, hat auf die Unmöglichkeit verwiesen, ein mehrsträngiges historisches Geschehen in eine einzige lineare Darstellung umzusetzen. Vgl. MELVILLE, Kompilation, S. 139. V g l . d a z u LANDFESTER, H i s t o r i a , S. 1 0 8 - 1 3 0 ; HARTH, G e s c h i c h t e , S. I44FF.

KNAPE, Historie, S. 24. WFFLTE, K l i o , S. 147. " " E b d . , S. 1 4 6 - 1 4 9 .

DROYSENS Haltung war ambivalent, (vgl. oben S. 3 f ) so wendete er sich auch gegen alle Versuche die Historiographie an die Dichtung anzuschließen. Über GERVD-nus schreibt er, er "tut sehr unrecht, wenn er [den Historiker] bald mit dem Epiker, bald mit dem Dramatiker zusammenstelk. Der Historiker hat weder Charaktere zu den Tatsachen, noch Tatsachen zu den Charakteren zu erfinden; seine Wahrheit ist die, daß in ihr die Tatsachen und die Charaktere sich nach ihrem eigensten Wesen und Zusammenhang verstanden und verständlich zeigen" (DROYSEN, H i s t o r i k , S. 2 3 2 ) .

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Die Verfahren, mit denen die italienischen Humanisten zahkeichen mittelalterlichen Fälschungen auf die Spur kamen,'"* waren nördlich der Alpen bekannt. Dies aber hinderte weder Trithemius, Aventin"" oder die Hauschronisten daran, alle diese neuen Entwicklimgen unberücksichtigt zu lassen und genauso - wie in Italien Annius von Viterbo - neue Quellen und Autoren zu erfinden."' Das Ausmaß, in welchen die Chronisten in ihre Vorlagen eingriffen oder selbst 'alte' Texte schufen, war naturgemäß unterschiedlich. In der Regel wurde denn auch nicht einfach blind darauflos fabuliert, sondern die Autoren reagierten auf das humanistische Instrument der Quellenkritik und fälschten jetzt vorsichtiger. Sie berücksichtigen die bekannte Quellenlage, übernahmen sie bisweilen sogar, verschwiegen aber Beurteilungen, die ihren eigenen Aussageinteressen widersprechen. Ein anderes Verfahren war die reine Quellenkonstruktion, die in sprachlich-stilistischer Anlehnung an vorhandene Quellen erfolgte; gefälscht wurde hier gewissermaßen mit wissenschaftlich-kritischer Methode. Insgesamt lassen sich drei verschiedene Verfahrensweisen der Autoren im Umgang mit ihren Quellen oder ihren eigenen Erfindungen beobachten. Die häufigste Form ist die einfache Tatsachenbehauptung, die als so selbstverständlich dargestellt wird, daß sich jeder weitere Beleg erübrigt. Im zweiten Fall vsdrd em Ereignis zunächst vorgestellt und dann seine Stimmigkeit anhand mehr oder minder umfangreicher Quellenberufimgen bestätigt oder verworfen. Bei der dritten Form schließlich wird das Geschehen aus verschiedenen Perspektiven und anhand von divergierenden Quellen erzählt. Hier bleibt eine Ambiguitätstoleranz gewahrt, der Chronist trifft keine Entscheidung über den Wahrheitsgehalt der verschiedenen Aussagen, sondern überläßt diese dem Leser. Wenn die Hauschronisten von Wahrheit sprechen, dann meinen sie nur die Ebene der Fakten. Eine explizite Reflexion darüber, was denn nun die Wahrheit der Geschichte sei, findet sich hingegen nur in den seltenen Fällen, in denen zwei einander widersprechende Quellen miteinander konfi-ontiert werden. Aber auch hier dringen die Chronisten nicht zur Frage nach dem Wesen der Wahrheit durch, sondern belassen es dabei, anhand von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen der einen oder anderen Quelle den Vorrang zu geben. Die theoretische Abstinenz überrascht, wenn man bedenkt, daß eine Reihe der Hauschroniken von humanistisch gebildeten Autoren - wie etwa Johannes Herold"^ - verfaßt

Vgl. dazu grundlegend FUHRMANN, Fälschungen. "" Zum Wahrheitsverständnis bei Aventin vgl. SCHMTO Methode, S. 390-394. " ' Vgl. zur Thematik jetzt insgesamt ALTHOFF, Fiktionen; STAIJBACH, Suche; zu Annius von Viterbo vgl. SCHMID Methode, S. 356f. Vgl. dazu etwa die genealogische Tätigkeit des Johannes Herold, der u. a. für die Grafengeschlechter der Zollern und Helfensteiner (SEIGEL, Geschichtsschreibung, S. 96f ) eine Genealogie verfaßt hat und der neben vielen anderen Geschlechtem auch den Zimmern als Berater zur Verfügung stand (zu seinem engen Verhältnis zu den Zimmern vgl. BURCKHARDT, Herold, S. 248-253, zu seiner Arbeit an der Zollerngenealogie unten S. 435-438.

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Adlige Hauschroniken im deutschen Südwesten

wurde, die die Reflexion über GescHchtsschreibimg und Wahrheit kannten."' Insofern läßt sich daraus schließen, daß humanistische Methodenreflexion und hauschronikalische Praxis nebenemanderher laufen konnten. Der Gebrauchszusammenhang bestimmte das Erkenntnisinteresse. Die Hauschronisten konnten davon ausgehen, daß sich die Auftraggeber eben nicht fur eine hypothetische Wahrheitsdiskussion interessierten, sondern ein repräsentativ verwertbares Herkommen haben wollten. Auch ansonsten blieben methodische Fragen meist unberührt, beschränkten sich die Autoren auf die Versicherung, auf der Suche nach dem Herkommen eines Geschlechts möglichst viele Quellen gesichtet zu haben. Allerdings wurde die Glaubwürdigkeit des eigenen Ansatzes nicht durch eine Absicherung gegenüber fiktionalen Textes abgegrenzt. Die ICritik an fragwürdigen Zeugen - wie Lirer und Rüxner - blieb aus dem Kontext der Hauschroniken weitgehend verbannt. Allerdings gab es auch Ausnahmen: In der 'Zimmerischen Chronik' distanzierte sich der Autor gegenüber einigen märlin, was ihn freilich nicht hinderte, dort, wo er solche Geschichten für die eigene Argumentation benötigte, sie bedenkenlos als historische Wahrheit wiederzugeben. Dieses Verfahren ist typisch für die zeitgenössische Historiographie, sie findet sich auch bei dem ansonsten so kritischen Aventin. Auch sein Werk hinterläßt den Eindruck einer schier undurchdringlichen Gemengelage: auf der einen Seite angestrengte Suche nach einer Faktenwahrheit und auf der anderen Seite eine ebenso bedenkenlose Erfindungsbereitschaft, wenn es galt, Leerstellen in der Chronik der Ereignisse zu besetzen. So bezweifelte Aventm die Glaubwürdigkeit seines Vorgängers Füetrer,"' ging aber mit vergleichbar kritischem Sachverstand nicht an seine eigenen Quellen - wie etwa den Berosus heran."' Ähnliches kann bei Meisterlin beobachtet werden, der selbst nicht vor den wildesten Fabeleien zurückschreckte, aber auf der anderen Seite Johannes Hartlieb kritisierte, weil er gedickte rokenmärl in seine historiographischen Werke aufgenommen habe."' Heißt dies aber, daß im Falle der Konstruktion oder Fälschung der Zweck die Mittel heiligte und die Fakten einer poetischen, repräsentativen oder didaktischen Absicht untergeordnet wurden?"' Die Frage so zu stellen bedeutet, ein neuzeitliches Wahrheitsverständnis, welches zwischen empirisch verifizierbaren Daten und Inteφretamenten eine kategoriale Trennungslinie zieht, auf das Wahrheitsverständnis der Frühen Neuzeit zu übertragen. Hinter den ErfindunZw humanistischen Geschichtstheorie siehe allg. die Anthologie von KESSLER, Theoretiker, bes. S. 17-30, sowie speziell zur Wahrheitsdiskussion OTTO, Wahrheit, S. 134-173. Zu den zeitgenössischen geschichtsphilosophischen Überlegungen, die auch den Hauschronisten bekarmt gewesen sein dürften, vgl. die Vorrede von Sebastian Francks 'Chronika' (f. aij^ff.). Siehe dazu KOHLMANN, Allegorese, bes. S. 53-65. "" Vgl. dazu Sigmaringen, Staatsarchiv, FHHD Dep. 39, A 654. Vgl. oben S. 2f. Vgl. SCHMm Methode, S. 351FF. " ' V g l . JOACHIMSOHN, G e s c h i c h t s s c h r e i b u n g , S. 6 2 .

Vgl. MOLLER, Gedechtnus, S. 210.

Der Wahrheitsbegriff in der historiographischen Literatur des 16. Jahrhunderts

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gen der Chronisten steht noch etwas anderes als der Zwang der Darstellimgslogik, der Enkomiastik bzw. einer lebensweltlich ausgerichteten Didaxe; historia ist nicht nur memoria im Sinne einer reinen Erinnerung des Vergangenen und erschöpft sich demnach auch nicht in ihrer bloßen Aufzeichnung. An der Beschäftigung mit der Geschichte entfaltet sich vielmehr die eigene Subjektivität. Geschichte - wie sie etwa der italienische Geschichtstheoretiker Francesco Patrizi in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts versteht"' - ist nichts anderes als ein subjektiv geleistetes Verstehen objektiv-historischer Faktizität. Die sich hieraus ergebende Verschränkung von Subjektivität und Objektivität macht es folglich unmöglich, immer nur von der einen Wahrheit oder Geschichte zu sprechen, sondern es geht allenfalls um eine 'mögliche Wahrheit', deren Kem die Interpretation des Vergangenen durch das Subjekt im Hinblick auf dessen bewußte und imbewußte Ziele ist. Bis zu einer solchen geschichtstheoretischen Reflexion gelangen die hier behandelten Autoren der Hauschroniken nicht, wenngleich Spuren dieser Diskussion bei Sebastian Küng zu finden sind.'^° In der Regel jedoch stehen humanistische Quellenkritik und Quellenfiktion genauso einträchtig beisammen, wie bei einem der bekanntesten zeitgenössischen 'Geschichtsschreiber', Trithemius. Die Gegensätze waren den Autoren bewußt, und sofern sie diese Ebene wie der Zollemchronist nicht völlig ausblenden, um die gewünschte repräsentative memoria nicht zu gefährden, führt dies zu den verschiedensten, in sich widersprüchlichen Methoden, die Wahrheit der erzählten Geschichte zu bestätigen.'^' Die Rechtfertigung der Vergangenheit verläuft nur selten noch über eine heilsgeschichtliche Argumentation, die Übereinstimmung der Geschichte mit der göttlichen Wahrheit verliert zunehmend an Relevanz.'" An Stelle der Heilsgeschichte dominieren jetzt UrsacheWirkung-Relationen, die jedoch die Chronisten angesichts der Schwierigkeit, eindeutige kausallogische Verknüpftmgen evident zu machen, sehr rasch an das Problem der Perspektivität von Geschichte imd damit auch an das Thema Objektivität und Parteilichkeit heranfuhren. Wenn die göttliche Wahrheit als höchste Referenzgröße aus dem Geschichtsdiskurs ausgeschlossen wird, dann wird die perspektivische Wahrheit des Historikers zu einer Frage von Macht. Deswegen wird im 16. Jahrhundert Wahrheit definiert als umfassende, dialektische Beschreibung der Gegenstände, die 'Gutes oder Böses"" umfaßt. Fast gilt schon die moralisch-ethische Kritik als entscheidendes Kriterium für die histoOTTO, Wahrheit, S. 134-164; bes. S. 162ff. Vgl. unten S. 91. Zur Renaissance-Diskussion um die Frage nach dem Wesen geschichtlicher Wahrheit vgl. KESSLER, Theoretiker, S. 2 2 - 2 5 u n d OTTO, Wahrheit, bes. 134-138.

Die potentielle Orientierung der Autoren an einer heilsgeschichtlichen 'Wahrheit' wird zwar von der Forschung immer wieder betont (vgl. KNAPE, Historie, S. 361-365), allerdings findet sich in den Chroniken nur selten eine Konkretisierung (vgl. GRAUS, Funktionen, S. 24fF.). Zur Ablösung von dem heilsgeschichtlichen Paradigma und der Zuwendung zum empirischen Wahrheitsverständnis vgl. KOSELLECK, Zukunft, S. 183-188. ' " Vgl. dazu die Reflexion Sastrows (1, S. 179f) in seiner Autobiographie.

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Adlige Hauschroniken im deutschen Südwesten

rische Wahrheit. Indem jedoch der Standpunkt des Historikers zur relevanten Größe im Geschichtsdiskurs wird, verschärft sich das Problem der Geschichtsdarstellung: Da eine objektive Wahrheit zuvor als gegeben, aber für den einzelnen Menschen als undurchschaubar gilt, ist dem Historiker aufgegeben, seine Geschichte in narrativen Strukturen wiederzugeben, die seiner Version ein hohes Maß an Akzeptanz sichert. Dies kann gelingen, indem der Chronist die Vielfalt menschlicher Perspektiven ernst nimmt und die Vieldeutigkeit menschlichen Lebens in seiner Darstellung emfängt. Insofern nämlich, als alles, was überliefert ist oder die Gedanken der Menschen bewegt, einen eigenen Realitätsanspruch hat, gehört all dies - gleich ob 'Wahrheit', 'Fälschung', Idee etc. - zu der Komplexität des Lebens, hat als eine menschliche Konstruktion zu gelten, die etwas über anthropologische, psychologische oder soziale Bedingungen aussagt;'" und deshalb ist sie als Teil des menschlichen Lebens der Aufzeichnung wert. Wenn dieses Thema in den Chroniken nicht explizit erörtert wird, dann ist dies nicht einem theoretischen Unvermögen zuzurechnen, sondern wird von dem Wissen gespeist, daß es wegen des subjektiven Zugriffs des einzelnen keine abstrakte objektive Wahrheit gibt und Wahrheit erst durch die 'Weltdeutung' des Rezipienten entsteht. Diese Erkenntnis verlangt aber - was schon Vadian bemerkt hat - nach einer Geschichtsdarstellung, die absolute Aussagen meidet imd der Weltkontingenz auch in der Weise entspricht, daß sie das Reflexionspotential nur aktiviert, aber nicht befiiedigt. Hierbei ist nur ein konsequenter Schritt, wenn die Veritas historiae nicht als eine endgültige betrachtet, sondern immer nur sub figura symboli angeboten wird.

Vgl. zum Nutzen der Historiographie für die Bewältigung des Alltags LANDFESTER, Historia, S. 1 3 2 - 1 4 0 , 1 5 4 - 1 5 9 .

3. Die 'Truchsessenchronik'' 3.1. Der Auftraggeber - Georg Ш. von Waldburg Die rasche und vollständige Niedersclüagimg des Bauernaufstandes von 1525 im deutschen Südwesten verdankten Fürsten und Kaiser ganz wesentlich dem militärischen und politischen Geschick des Reichstruchsessen Georg III. von Waldburg (1488-1531), der als Anfìihrer der Truppen des Schwäbischen Bundes die unkoordinierten Bauemhaufen erst spaltete imd dann einzeln besiegte. Sein durchschlagender Erfolg brachte dem 'Bauemjörg' reichen Lohn ein, neben Ländereien und Geld auch die Statthalterschaft in Württemberg sowie den Ehrentitel eines Reichserbtruchsessen.^ Georg profilierte sich jedoch nicht nur als homme de guerre, sondern in seiner Eigenschaft als Territorialherr bewies er großes politisches und ökonomisches Geschick. Der 'Bauemjörg' vergrößerte das ererbte Waldburger Herrschaftsgebiet stückweise, am Ende seines Lebens gebot er über ein Territorium von der Größe einer mittleren Grafschaft. Angesichts seines rasanten Aufstiegs lag es für Georg nahe, das Erreichte durch ein ständisch-ideologisches Äquivalent für die Zukunft abzusichern und die Erhebung seines Geschlechts, das aus der staufischen Ministerialität kam, in den Grafenstand zu betreiben. Vorbilder fiir ein solches Unterfangen gab es bereits,' ein probater Weg zu diesem Ziel bestand darin, die angestrebte Standeserhöhung als bloße Wiederherstellung eines fiüheren Zustands auszugeben." Aber Georg hatte nichts dergleichen im Sim. Denn soweit

Die 'Truchsessenchronik' wird zitiert nach der zweibändigen, erweiterten Ausgabe von 17771785 Literaturverzeichnis, 3. Textausgaben). Der Herausgeber hat zwar in die Reihenfolge der Tnichsessenbiographien eingegriffen, bietet aber einen relativ sorgfältigen Text. Auf diese Ausgabe beziehen sich die reinen Band- und Seitenangaben in diesem Kapitel. Die zitierten Textstellen wurden überprüft anhand der Hs. Stuttgart, WLB, Cod. Don. 590. - Ich übernehme zur leichteren Orientierung die Kapitelzählung der Edition, obwohl diese ab der Biographie des Tnichsessen Johannes (1Л5; vgl. München, BSB, Cgm. 1292, f 145'; Stuttgart, WLB, Cod. Don. 590, f 184^0 nicht mehr der Reihenfolge der Handschrift folgt. Die Handschriften selber haben keine Kapitelnummerienmg. Die Namen der Truchsessen sind vereinheitlicht nach der Schreibweise von VOCHEZER, Geschichte I und П. Vgl. dazu I,178f und VOCHEZER, Geschichte П, S. 628ff.; zu Georgs finanzieller Siftiation am Ende seines Lebens vgl. VOCHEZER, Geschichte П, S. 751-768; siehe femer: DEMARCE, Career, S. 184f Am wichtigsten flir den Besitzausbau der Truchsessen war die erbliche Überlassung der Grafschaft Zeil. Vgl. KWEGER, Lehnshoheit, S. 2 6 9 u n d A n m . 159.

Vgl. zu der Grundlage dieses Verständnisses KERN, Recht, bes. S. 38-42. Zur Verarbeitung sozialen Wandels in der Geschichtsschreibung vgl. KLAUS SCHREINER, Sozialer Wandel im

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Die 'Truchsessenchronik'

seine Korrespondenz, seine autobiographischen Aufzeichnungen und die von ihm initiierte 'Truchsessenchronik' darüber Aufschluß geben,' verstand er sich dezidiert als Vertreter des niederen Adels. Den Interessen dieses Standes fühlte er sich zeitlebens verpflichtet.' Aber auch wenn er keine Standeserhöhung betrieb, so war ihm doch die ehrenvolle Herkunft seines Geschlechts essentiell, und einem zeitgenössischen Ondit zufolge wäre er bereit gewesen, länger im Fegefeuer zu bleiben, wenn er damit das Ansehen seiner Dynastie hätte vergrößern können.^ In dieselbe Richtung weist auch eine Erzählung aus der 'Zimmerischen Chronik' über Georgs Verhältnis zu Herzog Uhich von Württemberg. Geschildert wird hier der Mord des Grafen Felix von Werdenberg (Kap. 101) an einem nahen Verwandten Georgs, dem Grafen Andreas von Sonnenberg. Georg versuchte - wegen der Intervention der Habsburger zugunsten Felix' allerdings vergeblich,' - den Mörder zur Rechenschaft zu ziehen und wurde dabei von Herzog Ulrich von Württemberg unterstützt. Aber Georg dankte ihm diese Hilfe nicht, denn als wenige Jahre später der Schwäbische Bund Herzog Ulrich aus seiner Herrschaft vertrieb, ließ ihn Georg im Stich und beteiligte sich sogar - weim auch zögerlich - am Krieg gegen ihn.' Der Autor der 'Zimmerischen Chronik' sucht nach einer Erklärung für diesen Gesinmmgswandel und fmdet sie in einer vorhergegangenen Zurücksetzung Georgs am Württemberger Hof Herzog Ulrich hatte dort mit seinen Räten eine newe hoffordnung gemacht, nach der die Pferde des Юeinadels weniger Futter erhalten sollen. Als Georg dagegen protestiert, hält ihm der Herzog seine kleinadlige Herkunft vor und prompt kommt es zum Bruch zwischen den beiden: Dess beschweret sich der herr Jerg gegen dem herzogen selbs, aber der herzog gab im was schregen beschaids und rupft ime in ainer gehe sein herkommen uf. Das verdroß her Jergen nit wenig, darumb stali er auch von dannen.^° Da der Futteranteil ein Indikator für den ständischen Status ist, bedeutet die neue Hofordmmg eine handfeste soziale Diskriminierung Georgs. Die in der 'Zimmerischen Chronik' berichtete Geschichte muß sich in dieser Form nicht so abgespielt haben - Froben hat ein Faible ftir die Reduktion

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Geschichtsdenken und in der Geschichtsschreibung des späten Mittelalters, in: PATZE, Geschichtsschreibung, S. 237-286. Vgl. dazu auch unten S. 65. Vgl. DEMARCE, Career, S. Uff. Anekdoten zum Leben Georgs Ш. sind in der Edition der 'Truchsessenchronik' (I,213ff.; vgl. dazu auch Π,189-200) enthalten. Der Bericht des sog. Schreibers des Truchsessen (Stuttgart, WLB, Cod. hist. fol. 835, f . 179'-3500 über Georgs Taten während des Bauernkrieges ist auszugsweise veröffentlicht bei BAUMANN, Quellen, S. 527-606. DEMARCE, Career, S. 516f Ebd., S. 38. Die betreifende Passage übernimmt der Autor der 'Zimmerischen Chronik' fast wörtlich aus der 'Truchsessenchronik' (vgl. ZC n,256,15ff.). ZC 11,249,28-33. Der Truchsessenchronist selbst verschweigt den Grund für Georgs Sinneswandel. Vgl. dazu auch VOCHEZER, Geschichte Π, S. 448f DEMARCE, Career, S. 17f ZC n,252,33-37. Für Georgs Angst vor jeder ständischen Blamage bietet DEMARCE (Career, S. 38) ein illustratives Beispiel.

Der Auftraggeber - Georg Ш. von Waldburg

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komplexer Zxjsammenhänge auf einfache psychologische Erklärungen - , aber immerhin gibt der Text doch Aufschluß darüber, daß Georg im Ruf stand, ein Mann zu sein, dessen point d'honneur rasch verletzt war. Auch ein Brief Georgs legt Zeugnis davon ab, daß er sein Selbstwertgefiihl nicht aus seinem Stand, sondern aus seinen militärischen Leistungen bezog, die er im Dienst von Reich und Landesfursten vollbracht hatte. Leistung und Kompetenz steht in Georgs Wertesystem deutlich an erster Stelle." Sein Selbstverständnis und seine ständische Position gerieten aber so zwangsläufig m einen Gegensatz. Deim der 'Makel' einer Herkunft aus der unfreien Reichsministerialität der Staufer haftete den Truchsessen an, und zudem war auch ihre Vergangenheit wenig glorreich gewesen: Im 14./15. Jahrhundert waren die Truchsessen politisch unbedeutend, ihr Besitz durch zahlreiche Erbteilungen zersplittert.'^ Im Gegensatz zu anderen Geschlechtem akzeptierte Georg, daß trotz seiner großen Verdienste für das Reich sein Geburtsstand einen Aufstieg verhinderte. Seine Zurückhaltung bedingte freilich nicht, daß er auf eine ständische Legitimation gänzlich hätte verzichten können; aufgrund seiner militärischen Erfolge stand er im Blickpunkt der adligen Öffentlichkeit und mußte an einer ideologischen Absicherung des eigenen Standes interessiert sein. Georgs Nachkommen orientierten sich übrigens nicht mehr an der ständischen Bescheidenheit ihres berühmten Vorfahren, 1628 erreichten sie die Erhebung in den Grafenstand. Der eigentliche Grund für die württembergfeindliche Haltung Georgs III. lag kaum in seinem verletzten Stolz, sondern in seiner eigenständigen und selbstbewußten Territorialpolitik," die er ohne Rücksicht auf sein geburtsständisches Handikap verfolgte und die den Interessenkonflikt erst heraufbeschwor. Als Territorialherr mußte er mit seiner Politik klug zwischen den kaiserlichen und landesherrlichen Forderungen lavieren. Deswegen hatte er sich den Württembergem entzogen, aber umgekehrt wollte er sich auch nicht für den Krieg gegen sie mißbrauchen lassen."· Seine Unabhängigkeit hatte Georg durch den Verzicht auf einen Beitritt zum Schwäbischen Bund bewahrt. Ihm dürfte bewußt gewesen sein, daß aus dieser genossenschaftlichen Einung ein Instrument der habsburgischen Territorialpolitik geworden war'' und die Habsburger einen Sieg über Herzog Ulrich nur dazu benützen würden, ihre Position im deutschen

Vgl. einen Brief Georgs Ш., der bei DEMARCE (Career, S. 38) in modifizierter Schreibweise abgedruckt ist. STALIN, Geschichte Π, S. 615F Vgl. DEMARCE, Career, S. 514-526 und passim. Die überlieferte Begründung mit der vormaligen Loyalität gegenüber seinem alten Dienstherrn war also eher ein Vorwand gewesen. Dies deutet Proben von Zimmern an, wenn er schreibt: Der herr Jerg widert sich dessen, under dem schein, im welle nit gepüren, wider den herzogen zu ziehen, der im so vil gnaden ainest hell bewissen (ZC 11,253,10-13). BADER, Südwesten, S. 186-190. Vgl. zur Geschichte des Schwäbischen Bundes auch HELMO HESSLINGER, Die Anfänge des Schwäbischen Bundes. Ein Beitrag zur Geschichte des Einigungswesens und der Reichsreform unter Kaiser Friedrich Ш., Stuttgart 1970.

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Die 'Truchsessenchronik'

Südwesten zu festigen." Aus seinen politischen Interessen erklärt sich auch sein späteres rücksichtsloses Vorgehen gegenüber den aufständischen Bauern: Hier war Georg nicht nur in seinem adligen Standesbewußtsein getroffen, es bot sich ihm hier die Chance, alle seine divergierenden Interessen im Kampf gegen einen gemeinsamen Feind unter emen Hut zu bringen und - angesichts des zeitweiligen Paktierens zwischen dem vertriebenen Herzog Ulrich und den Aufständischen - auch territorialen und politischen Gewinn für sich herauszuschlagen. Beide Rechnungen gingen auf, der Kaiser belehnte ihn mit der Herrschaft Zeil, und die 'Landschaft' des Herzogtums Württemberg übertrug ihm das Amt des Statthalters." Trotz seiner Unbeliebtheit im Herzogtum wurde er von den Ständen als ein Garant für die innere Stabilität in Württemberg betrachtet. Georg III. hatte nun neben seiner eigenen Territorialherrschaft eine fürstengleiche Stellung erreicht; um so mehr mußte ihm jetzt die Diskrepanz zwischen Stand und Macht als Hmdemis für eine Konsolidierung semer Stellung erscheinen. Angesichts einer solchen Disposition drängte sich der Gedanke geradezu auf, die neugewonnene Stellung auch ideologisch durch ein angemessenes Herkommen zu untermauern. Die äußeren Bedingungen dazu waren für Georg so gut wie nie zuvor, da er als Statthalter von Württemberg im Oktober 1525 Zugang zu den württembergischen Archiven erhielt, die ihm zuvor verschlossen waren. Aus einer Bemerkung in der 'Zimmerischen Chronik' ist zu schließen, daß sich Georg spätestens nach der Übernahme dieses Amtes auch mit genealogischen Überlieferungen anderer Dynastien befaßte und anderen Geschlechter Hinweise auf deren Vergangenheit gab." Ein unmittelbares literarisches Vorbild für sein Unterfangen ist zwar nicht auszumachen, aber die bereits gedruckte 'Schwäbische Chronik' des Thomas Lirer" und der 'Theuerdank' (1517) waren ihm sicher bekannt. Aufgrund seines guten Kontakts zu Maximilian und Karl V. könnten ihm auch die genealogischen Projekte der Habsburger^" bekaimt gewesen sein, er selbst erhielt jedenfalls eine Nachricht über sein Geschlecht aus Wien.^'

In diesem Zusammenhang dürfte auch Georgs Aversion gegen die Habsburger, die den Mörder seines Neffen schützten, eine Rolle gespielt haben. Vgl. dazu DEMARCE, Career, S. 15. DEMARCE, Career, S. 184ff. ZC 1,158,34-38: [Georg hat] etlichen geschlechter vil damit gedienet, das er one schaden seins herren oder des lands denselhigen, was in der canzlei von den alten sachen irer forder gefiinden, mit het getailt. Vgl. GRAF, Geschichten, S. 121fr. Vgl. dazu LASCFFLTZER, Genealogie und MÜLLER, Gedechtnus, S. 96-159. JENNY, Proben, S. 31. Zur Bedeutung des Malers Hans Burgkmair fur eine Vermittlung des 'Weißkunig' vgl. unten S. 57 und 61. Für die Kenntnis des maximilianischen Ruhmeswerks spricht auch Georgs Absicht, die geplante Chronik mit Wappen illustrieren zu lassen. Vgl. dazu den Dankesbrief Georgs an Matthäus (1527); siehe unten S. 56f

Die Entstehungsgeschichte der Chronik

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3.2. Die Entstehungsgeschichte der Chronik Sein intellektueller Werdegang prädestinierte Georg III. fur eine Beschäftigung mit der Geschichte seines Geschlechts. Schon im Alter von 11 Jahren (1499) an den Hof seines Onkels Friedrich von Zollem, des Bischofs von Augsburg, gekommen, wurde er zunächst drei Jahre von einem Kanoniker im Stift St. Moritz erzogen. In den folgenden fünf Jahren gehörte er zum Gefolge seines Onkels, den er auch auf verschiedenen ofíiziellen Reisen begleitete, und selbst als Friedrich 1505 starb, verblieb er noch bis 1507 in der bischöflichen Residenz zu Dillingen." Georg wuchs so in einem geistigen Umfeld auf, welches sich schon Mitte des 15. Jahrhunderts den humanistischen Einflüssen aus Italien geöfl&iet hatte. Unter Kardinal Petrus von Schamburg sowie seinen Nachfolgern Johannes von Werdenberg und Friedrich von Zollem beeinflußten humanistisch gesinnte Ratgeber die bischöfliche Kanzlei entscheidend, und auch in den Oberschichten des reichsstädtischen Augsburg herrschte eine dem neuen Geist gegenüber aufgeschlossene Atmosphäre, die in reger literarischer Tätigkeit und neuen literarischen Formen ihren Ausdruck fand. Hier wirkten Hermann Schedel, Sigismund Meisteriin," Sigismund Gossembrot, hier entstand um 1500 mit Konrad Peutinger als spiritus rector die 'Sodalitas literaria Augustana'." Parallel dazu wurde Augsburg eme Keimzelle des Buchdruckes, gefordert von einer gegenüber den neuen Wissenschaften aufgeschlossenen Kirche. Ausgehend von dem Юoster St. UMch und Afra wurde eine Vielzahl historiographischer Projekte (Sebastian Franks 'Germaniae Chronicon', Sigismund Meisterlins 'Chronographia Augustensium', Wilhehn Wittwers 'Catalogus Abbatum') in Angriff genommen, und zugleich entfaltete sich eine patrizische und bürgerliche Historiographie (Ehrhard Wahraus, Burkhard Zink, Hector Mülich). Man wird dieses geistige Klima, in welchem Georg seine Erziehung erfahren hatte, seinen Kontakt mit der Geschichtsforschung in Hochstift und Reichsstadt sowie seine dynastischen und politischen Interessen als mitentscheidend für die Entstehung der 'Truchsessenchronik' ansehen dürfen. Allerdings konnte oder wollte Georg diese Aufgabe nicht allein bewältigen, sondern er beauftragte den Augsburger Domherrn Matthäus Marschalk von Pappenhehn (1460-1541) mit archivalischen Vorarbeiten." Es ist denkbar. DEMARCE, Career, S. 11-14.

Zu Meisterlin vgl. immer noch JOACHIMSOHN, Geschichtsschreibung, bes. S. 23-63. Vgl. RUDOLF PFEIFFER, Augsburger Humanisten und Philologen, Gymnasium 71 (1964), S. 190-204. Die wenigen Informationen über die näheren Lebensumstände dieses vielseitig Gelehrten hat FRIEDRICH ZOEPFL zusammengetragen. Neben den Lebensdaten verzeichnet ZOEPFL (Matthäus, S. 23ff.) auch verschiedene Schriften des Domherrn. Zu ergänzen ist noch für das Regensburger Thum & Taxis Archiv - neben jenem von ZOEPFL erwähnten Band (Ms. 182) mit geschichtlichen Auszügen (u. a. Otto von Preisings 'Gesta Friederici') - eine Sammlung lateinischer Genealogien südwestdeutscher Adelsgeschlechter (Ms. 166) sowie Kollektaneen zur Geschichte deutscher Klöster, Städte und Herrscher (Ms. 184). Im Besitz der Grafen von Zimmern befanden sich außerdem eine Genealogie der deutschen Fürstenhäuser (Donaue-

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Die 'Truchsessenchronik'

daß Georg Matthäus bereits aus seiner Augsburger und Dillinger Zeit näher kannte, zumindest schlägt er in seiner Korrespondenz einen sehr vertrauten Umgangston an. Den endgültigen Entschluß zum Beginn einer genealogischen Arbeit faßte Georg offensichtlich auf dem Reichstag von Speyer (1526), und die Vermutung hat viel fur sich, daß er aus Gesprächen mit den Augsburger Gesandten von den genealogischen Interessen Matthäus' erfahren hat. In seinem Bittbrief an Matthäus vom 22.7. artikuliert sich der Wille Georgs, nicht nur ein Verzeichnis seiner Vorfahren anzulegen, sondern auch alle greifbaren Informationen über deren Leben festzuhalten:^' Dem Edlen Würdigen und Hochgelerten meinem besondern lieben unnd guetten Freündt, Herren Matheus von Bappenhaym, des hailigen Römischen Reichs Erbmarschalck Thumbherren zue Augspurg und baider Rechten Doctor. Mein freündtlich willig diennst zuuor, Edler würdiger Hochgelerter Herr, besonnder lieber und guetter Freüundt, vß ettwann vil vrsachen, mich darzue bewegennd, hab Ich mir ßrgenommen, alle meine Ellttuordem, mit Iren geihatten, vnnd wie die gelept vnnd gestorben zubeschreiben. Dieweyll Ich nu guett wissen trag, das diser Zeitt, niemannds aliter Geschlecht vnnd deren Herkomen mer wissen, auch Inn den allten Cronicken vnnd Historien, bas erfaren dann Ir. So lanngt an euch, mein gannz freündtlich bitt, aus sonnderm guettem vertrawen, so Ich zue euch hab. Ir wollet alls vil euch Immer möglichen, von meinen vordem, aus allten Cronicken, vnnd Geschichten, souerr Ir ettwas funden auffziehen, auff mein costen abschreiben lassen, vnd mir sollichs zueschickhen. Das will Ich Inn aller Freündschaft umb euch verdienen. Datum zue Speyr, auff dem Reichs Tag am Sonntag vor Maria Magtalene, Anno Christi 26. Jörg des hailigen Römischen Reichs Erbtruchsaß Frey-Herr zue Waltpurg etc. Statthalltter Inn Würtemperg. (1,6)" Bemerkenswert sind die von Georg verwendeten 'Gattungsbegriffe'" der Chronicken und Geschichten, die nicht als Synonyme gemeint sind. Dezidiert spricht Georg Matthäus als ausgewiesenen litteratus an, der mit jeder Art von Überlieferung vertraut ist, und der alle verfügbaren schriftlichen Quellen hereschingen, FFA, Catalogus, N [Manuscripta] 26 / BARACK, Handschriften, Nr. 577) und ein Wappenbuch des deutschen Adels (Donaueschingen, FFA, Catalogus, N 28 [7] / BARACK, Handschriften, Nr. 576). Der Speyerer Reichstag wurde am 25.6.1526 eröffnet, Georgs Brief datiert vom Sonntag vor Maria Magdalena (22.7 ), Matthäus' Antwortbrief aus Augsburg datiert bereits vom Donnerstag nach Jakobi (25.7 ). Angesichts der kurzen Brieflaufzeit läßt sich annehmen, daß heimkehrende Augsburger Gesandte den Brief an den Domherrn überbrachten. Die Ausgabe wird mit folgenden Änderungen zitiert: Die Abbreviaturen sind aufgelöst, das diakritische Zeichen ' wird als Umlaut oder als (u)e/(u)o geschrieben. Die Schreibung von i und j ist dem neuhochdeutschen Gebrauch angepaßt worden. - Das obige Zitat entspricht Stuttgart, WLB, Cod. Don. 590, S. 3i Zu 'Historie' als Gattungsbegriff vgl. KNAPE, Historie, S. 385-400.

Die Entstehungsgeschichte der Chronik

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anziehen soll. Ein expliziter Wimsch nach der Sichtung von mommenten, also geschichtlichen Überresten, fehlt hingegen. Georg wollte offenbar zunächst nicht, daß Matthäus Archivforschungen m den Юöstem betrieb. Die Grundlage fur seine Arbeit sollten vielmehr die reichhaltigen Unterlagen, Bücher und Archivalien des Pappenheimers sein. Maßgeblich für diese Zurückhaltung könnte die Frage der Kosten gewesen sein. Zwar verspricht Georg deren Übernahme, aber diese sind klar definiert und betreffen nur das Geld für den Abschreiber. Daß es sich bei der Frage der Kostenerstattimg um ein prekäres Thema handelte, wissen wir von einem der bekanntesten Historiographen dieser Zeit, dem Basler Gelehrten Johannes Basilius Herold. Dieser hatte für die Pfalzgrafen ein Herkommen verfaßt und dabei seine Ausgaben vorgestreckt. Herolds Auftraggeber, Kurfürst Friedrich П., starb jedoch vor der Fertigstellung des Werkes, und sein Nachfolger weigerte sich, die entstandenen Aufwendungen zu bezahlen.^' Vielleicht wollte Georg mit seiner einschränkenden Formulierung auch vermeiden, daß er sich am Schluß einer hohen Geldforderung des Matthäus ausgesetzt sah. Der ebenfalls in einem vertraulichen Ton gehaltene Antwortbrief des Matthäus, in welchem er den Auftrag annimmt und zu Georgs wollgefallen zu erledigen verspricht, muß sofort nach Eingang der Anfi'age geschrieben worden sein. Mit großer Genugtuung reagiert Matthäus auf Georgs Hochachtung, die seinem Selbstbewußtsein entspricht. Begrifflich scheint sie ihn allerdings nicht ganz zu befriedigen, und so unterstellt er Georg, er habe ihn alls ainen erfarnen Historiogrqfum bezeichnet - ein Selbstlob, das auf seinen Arbeiten zur Genealogie seines eigenen Geschlechts,'" der des Hauses Hohengeroldseck sowie auf seinen Werken über die Geschichte Österreichs und des Юoster Ellwangen beruhte (I,3f ): Edler wolgepomer günstiger lieber Herr vnnd Freündt, mein freiindtlich vnnd guttwillig dienst zuuor. Ewer schreiben mir gethon, darinnen Ir mich freündtlichen ersuchen vnnd bitten, alls ainen erfamen Historiogrqfum euch ettwas, von ewem ellttuordem auszueziehen, vnnd zuebeschreiben. Daraufffüeg Ich euch zuuememen, das Ich ettwann vil guetter vnnd redlicher getätten von deren ellttuordem gelesen, Vnnd wiewoll mein erfam vnnd wissen, gannz klainföeg, Nochdann euch zue freundtlichem geuallen, will Ich mich mit allem vleiß darüber richten, vnnd veruassen, darab Ir one Zweiffei sounder wollgefallen haben werden, dann euch Inn dem vnnd annderm freündtlichen zuediennen, sollt er Ir mich allzeitt

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BURCKHARDT, Herold, S. 188f. Die lateinische Genealogie der Pappenheimer trägt den Titel: 'Matthaei a Pappenheim de origine & familia illustrium Dominorum de Calatin, qui hodie sunt Domini de Pappenheim, S R. Imperii Marescalci hsereditarii, fol. Aug. Rhet. 1553'. Zum Druck siehe Matthäus von Pappenheim, origine, S. 841ΊΓ. Vgl. auch ZOEPFL, Matthäus, S. 26ff.

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Die 'Tnichsessenchronik' willig erfinden, damit Gott beuolchen, Datum Augspurg Domnstag nach Jacobi, Anno Christi 26. (1,6)"

Trotz des privaten Tons ist Matthäus um professionelle Distanz bemüht; wie in einem beiderseitigen Vertrag wiederholt er in seinem Schreiben die Wünsche Georgs. In einem bezeichnenden Punkt weicht Matthäus freilich von den Vorstellungen seines Auftraggebers ab. Während der Truchseß nur um Exzerpte der die Geschichte seines Geschlechts betreffenden Schriften gebeten hatte, spricht Matthäus vom vervassen eines Textes. Dezidiert tritt Matthäus, also aus der Rolle eines remen Materialsammlers heraus und kündigt ein von ihm selbst gestaltetes Werk an. Bereits nach sechs Monaten legte Matthäus dem Truchsessen das Ergebnis seiner Bemühungen vor, ein Begleitbrief - datiert vom 2. Februar 1527 - ist erhalten. Auch dieser Brief ist fìir die historiographische Forschimg von Interesse, da sich in ihm nicht nur die konkreten Entstehungsbedingungen der 'Truchsessenchronik' widerspiegeln, sondern er auch Aufschlüsse darüber gibt, in welchem Rahmen sich Forschungen zur Geschlechtsgeschichte zu Beginn des 16. Jahrhunderts bewegen: Edler wolgepomer günstiger lieber Herren vnd Freündt Mein fivündtlich vnnd guettwillig diennst, seyen euch zuuor, Demnach, vnnd Ir mir von Speyr aus, alls Ir auff dem Kayserlichen Reichstag daselbst gewesst, geschriben vnnd mich gepetten, so ich etwas Inn den allten Historien, auch sonnst von ewem ellttvordem befitnden, oder gelesen, ausszueziehen vnnd euch dasselbig zuegeschickhen, Sollichs hab Ich mit allem Vleis gethon vnnd ewem ellttem zue Lob, euch zue Eren, vnnd Ewem nachkhomen zue ainem guetten Vorbild, vnnd Exempel alles das so Ich mit Warhaitt Inn alltten Historien Cronicken der gotzheuser, Stifftungen, vnnd Freyhaitten, von Römischen Kaysem vnnd Künigen Inen geben, bey ainem Jeden sonnderbar auffgezaichnet, an wölchem Ort sollichs geschriben, das Ich euch hiemit zue schickh, ganz freundtlichs Vleis bitten, an meinem langen Verzug nit Verdruß zuehaben, dann Ich an vili Ortt wie Ir sehen werdt, geschickt, vnnd erfarung gehabt, deßgleichen ob Ich etwann, ainem oder merem, vnnder ewem ellttuordem, an dem Hellm gegriffen. Ir wollt sollichs nit zue Schmach, oder mir zue vnfreundtschafft auffhemen Dann euch alls ainem erfamen, vnnd verstenndigen guett wissen, wöllicher allt oder new Historien beschreiben will, das der das böß, gleich alls das guett vnnd die Warhaitt beschreiben, und an tag bringen mueß, thue mich euch hiemit, alls meinem lieben Herren, vnnd Freündt dem ich zue diennen allzeit willig, beuelchen, Datum Augspurg an Freyttag nach Liechtmeß Anno Xti 27. (1,7)" Wie schon in seinem ersten Brief rekapituliert Matthäus zunächst erneut den Wxmsch seines Auftraggebers, und vermerkt - gewissermaßen als 'Betreflfan" "

Vgl. Suttgait, WLB, Cod. Don. 590, S. 4f. Stattgart, WLB, Cod. Don. 590, S. 6.

Die Entstehungsgeschichte der Chronik

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gäbe' - Ort und Datum von Georgs Schreiben. Dann aber formuliert er die intentionalen und die methodologischen Prämissen seiner Arbeit. Erstere bestehen in der Verbindung eben jener potentiell widersprüchlichen Elemente, die fiir die gesamte historiographische Tätigkeit m d insbesondere die Hauschroniken im 16. Jahrhundert charakteristisch sind. Auch Matthäus will die ansehenstiftende memoria des Geschlechts aus der Geschichte des Truchsessengeschlechts erheben, und dieses Bild der Vergangenheit soll vorbildhaften Charakter fiir die Nachkommen haben. Läßt sich dies noch notfalls mit einem enkomiastischen Ansatz verwirklichen, so steht das dritte Kriterium, das der Wahrhaitt, dieser Intention aber potentiell im Wege. Damit ist das klassische Dilemma jeder Historiographie der frühen Neuzeit beschrieben, einen Weg zwischen der Szylla der historischen Wahrheit - oder was man dafür hielt - imd der Charybdis einer die spezifische Auftrags- und Rezeptionssituation berücksichtigenden Darstellung zu finden. Die hier lauernde Gefahr sieht Matthäus klar vor sich, und deswegen bittet er gleich darauf prophylaktisch um Nachsicht, falls er einem Vorfahren Georgs 'an den Helm gegriffen' haben sollte." Aber diese Bemerkimg ist eher rhetorisch gemeint, denn sofern der vorliegende Text auf seinem Material beruht und nicht von dem Truchsessenchronisten gereinigt wurde, gibt es kaum einen Grund fiir eine solche captatio benevolentiae: Von wenigen bezeichnenden Ausnahmen abgesehen," hat sich Matthäus weitgehend jeder Kritik an Familienmitgliedern enthalten. Allerdings hat er seinen Auftrag in zwei Richtungen erweitert: Zum einen ist die erhobene Materialart eine andere als die angeforderte, denn Matthäus spricht auch von archivalischen Quellen," die er offenbar durch Hilfskräfte hat auswerten lassen. Zum anderen betont er im Sinne des im vorherigen Brief angeführten vervassen seine eigene redigierendordnende Arbeit an der Chronik. Über seine schriftlichen Quellen gibt Matthäus nur soviel preis, daß er kirchliche Chronicken herangezogen hat, und im Umkehrschluß liegt die Annahme nahe, daß er unter den Historien weltliche Quellen verstanden hat. Den Abschluß des Briefwechsels bildet das Dankschreiben Georgs an Matthäus, das ebenfalls erhalten ist. Es bestätigt, daß der schriftlichen memoria fiir den weiteren Erfolg des Geschlechts ein enormer Stellenwert eingeräumt wird. Das Buch wird quasi zu einer Kontrollinstanz für die zukünftigen Gencin dem von Matthäus verwendeten Bild des 'An-den-Helm-Greifens' spiegelt sich unmittelbar der Bedeutungshorizont einer geschichtlichen Arbeit wider: Die Helmzier eines Vorfahren kann sich etwa als Anmaßung erweisen, ein damit ausgedrückter Besitzanspruch als unberechtigt. Vgl. dazu auch MAER, Malerei, bes. S. 45FF. Vgl. unten S. 77. Daß Matthaus selbst Archivforschungen betreiben ließ, wird durch die Formulierung in seinem Brief vom 2.2.1527, wonach er an vili Ott [...] geschieh, vnnd erfarung gehabt halie (1,7; vgl. oben S. 54), nahegelegt und bestätigt durch einen Quellenbeleg im Abschnitt über Herrn Werner Graf zu Tanne (1,15), wo es heißt: Wie dann sollichs zue Ellwanngen auff dem Stifft / inn ainem allien Protocoll begriffen.

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Die 'Truchsessenchronik'

rationen, die sich an den Taten der Vorfahren orientieren und ihr eigenes Wirken (wo/ vnnd vbell hallten) daran messen lassen müssen: Mein freündtlich und willig diennst zuuor Edler würdiger Hochgelerter Herr, besonder lieber vnnd guetter Freundt, Ewer schreiben mir gethon sampt zueschickhung ettwann vil aliter Historien von meinen elltuorderen, vnnd wie die Vrsprung gehappt, habe ich mit sonndern Freuden vnnd freundtschafft vernommen, befind darbey, das Ir sollichs mit sonnderm lust vnnd Vleis gethon, des Ich mich inn aller fi-eundtschafft gegen euch bedannck, Mit erpietung warzue Ir mein Notturfftig, das Ir mich allzeitt willig vnnd beraitt finden sollt, Vnnd will aliso gemellt ewer anzaigen, mit sonderm Vleiß Inn ain Buech, mit alltten Wäppnem malen, vnnd zue ainem Jeden sein sonnder Histori, vnnd was der gehandeilt schreiben lassen, auch dermassen fiirsehung thun, das hinfiiro allwegen, nach ains Jeden Truchsessen zue Wallttpurg abganng, des person gemalet, vnnd sein wol vnnd vbell hallten Inn das Buech geschrieben, auch ewer darinnen zum besten gedacht vnnd nit vergessen werdn soll, damit wolle euch gott, dem Ich euch hiemit beuilch allzeitt bewaren, Datum Stuttgartten, an Sanct Vallenteinstag. AnnoXti27.Q.Jf)^''

Trotz des emphatischen Tonfalls kann Georgs Antwort als eine vorsichtige Distanzierung von der redigierenden Tätigkeit des Matthäus aufgefaßt werden. Er würdigt zwar das überlieferte Material, stellt jedoch seine eigenen Vorstellungen dagegen. Das Werk soll in Form von Einzelbiographien die Erfolge und Mißerfolge eines jeden Truchsessen festhalten. Damit grenzt sich Georg - den Widerspruch zwischen exemplarischer Funktion und historischer Wahrheit zugunsten letzterer entscheidend - explizit gegen jede Panegyrik ab und gibt das Leben seiner Vorfahren fiir die Urteile des Matthäus frei. Vielleicht dachte Georg hier an jene umfangreichen Besitzverkäufe der Truchsessen, die die Macht des Geschlechts geschmälert hatten. Allerdings werden die finanziellen Mißgrifle seiner Vorfahren in der 'Truchsessenchronik' dann meistens nur verdeckt erwähnt. Georg selbst hat sich damit auch völlig von seinem ursprünglichen Ziel im ersten Brief (1,6) entfernt, wonach er nur historiographische Materialien und literarische Zeugnisse sammeln lassen wollte. Er hatte offenbar in der Zwischenzeit erkannt, daß sich eine bloße Archivierung des verstreuten Materials nicht lohnen würde, sondern im Hinblick auf die Zukunft seines Geschlechts eine Bewertung (erkanntnus) des Handelns der Vorfahren erforderiich sei. Dazu reicht eine reine Materialsammlung nicht aus; was hier gefordert wird, sind literarische Techniken, mit denen die gewünschte Wirkung erst zu erzielen ist. Eine Literarisierung des Gegenstandes steht an diesem Punkt nicht mehr im Gegensatz zur Wahrheit, weil das Engagement, mit der Matthäus die Quellen zusammengetragen hat, als wahrheitsstiftender Wert fiir sich erkannt wird. Wenn Georg jetzt die Wahrheitsfrage nicht mehr stellt. Stuttgart, WLB, Cod. Don. 590, S. 7f.

Die Entstehungsgeschichte der Chronik

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dann vertraut er implizit der normativen Kraft des Faktischen, die bereits durch den Namen des Beiträgers imd die Chronik selbst gegeben ist. In der 'Truchsessenchronik' sind auch die Illustrationswünsche Georgs realisiert worden, jeder Einzelbiographie wurde ein (fingiertes) Porträt des betreffenden Dynasten vorangesteüt." Wahrscheinlich hatte dabei Matthäus von Pappenheim ebenfalls seine Hand im Spiel.^' Er könnte es gewesen sein, der für Georg den bekannten Augsburger Maler Hans Burgkmair d. Ä. (14731531) engagierte. Burgkmair hatte bereits die Bildnisse fur die Habsburger Genealogie angefertigt" und verwendete einen Teil der erhaltenen Holzschnitte - mit kleinen Abwandlungen - auch für die 'Truchsessenchronik'.'"' Die wichtige Rolle, die Matthäus für die Entstehung und Beglaubigung der 'Truchsessenchronik' spielte, kommt vorzüglich darin zum Ausdruck, daß sein Bildnis als Titelblatt des Werks gewählt wurde."' Wieweit Georg sich allerdings bei der Bewertung der Taten seiner Vorfahren auf das Material Matthäus' stützen wollte, läßt sich aus dem Brief nicht entnehmen. Georgs Schreiben weist jedoch auf sein hohes fachliches Selbstbewußtsein hin, das Matthäus - jenseits eines rhetorischen Auftraggeberiobs - schon in seinem ersten Schreiben berücksichtigt hatte, als er Georg einen Experten nennt, der der 'Objektivität' des Historikers verpflichtet sei." Georgs historiographische Interessen und Kompetenzen belegen denn auch seine autobiographische Aufzeichnungen, ein vermutlich von ihm in Auftrag gegebener Bericht über seine Taten im Bauernkrieg"' sowie die mäzenatische Unterstützung der Herausgabe der Annalen des Lambert von Hersfeld."" Inwieweit enthäU der Briefwechsel Aussagen über den Verfasser der 'Truchsessenchronik'?·" Die Einfügung des Briefwechsels am Beginn der Chronik und die Betonung der Beiträgerschaft des Matthäus sollen offenbar suggerieren, daß die Chronik in dieser Form das Werk des Matthäus von Pappenheim sei. Anderseits spricht Georg von einer Materialsammlung und von einem erst noch zu erstellenden Werk. Dies körmte ein Plan geblieben sein, und Die Bildnisse sind nicht im Druck des 18. Jahrhunderts enthalten, sondern erst durch MAX GEISBERG ediert und beschrieben worden (GEISBERO, Illustrationen, Heft 8, S. 3). ' ' GEISBERG, Illustrationen, Heft 8, S. 5. " LASCHrrzER, Genealogie, S. 39-46. Für Details sei auf die Ausführungen GEISBERGS (Illustrationen, Heft 9, S. 9-15) verwiesen. Das Porträt Matthäus von Pappenheim steht zusammen mit dem Pappenheimischen Wappen und der Jahreszahl 1530 auf der ersten Seite der Handschrift. Dann euch alls ainem erfamen, vnnd verstenndigen guett wissen, wöllicher allt oder new Historien beschreiben will, das der das böß, gleich alls das guett vnnd die Warhaitt beschreiben, und an tag bringen mueß [...] (1,7; vgl. Stuttgart, WLB, Cod. Don. 590, S. 7). Eine nahezu identischen Formulierung findet sich in der 'Zimmerischen Chronik' (Ш,260,23ЙГ.). Vgl. BAUMANN, Quellen, S. 525-606; zur Rolle Georgs im Bauernkrieg vgl. immer noch FRANZ, Bauernkrieg, S. U l f , 132ff., 137f, 205-208,221. "" Vgl. VOCHEZER, G e s c h i c h t e П, S. 708.

Vgl. dazu auch JENNY, Proben, S. 30-32, der jedoch die 'Truchsessenchronik' nur im Hinblick auf eine mögliche Vorbildwirkung für die 'Zimmerische Chronik' untersucht.

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Die 'Truchsessenchronik'

Georg hätte dennoch den Text des Matthäus mehr oder weniger redigiert in die Chronik aufiiehmen lassen können. Jedoch kann sich das Dankschreiben Georgs aus dem Jahr 1527 nicht auf die gesamte 'Truchsessenchronik' in der vorliegenden Form beziehen: Die beiden letzten Biographien enthalten Ereignisse, die sich zwischen 1527 und 1536 ereignet haben, und ein stilistischer Vergleich mit den vorhergehenden Kapiteln bietet keine Anhaltspimkte dafür, daß sie von einem Fortsetzer abgefaßt wurden.·^ Aus dem gleichen Grund scheidet auch der 1531 gestorbene Georg selbst als Verfasser oder Endredaktof·' der 'Truchsessenchronik' aus. Matthäus kommt nur dann als Verfasser der gesamten 'Truchsessenchronik' in Frage,·" wenn man folgenden Entstehxmgsprozeß konstruiert: Matthäus übersandte seine Materialsammlung·" an Georg, der ihn nach seinem Dankschreiben mit der Ausführung des Gesamtwerkes beauftragte und dazu genaue Anweisungen gab. Matthäus übernahm diesen Auftrag und führte die Chronik bis zu seinem eigenen Tod (1541) weiter. Gegen diese Hypothese spricht jedoch, daß keine weiteren Briefe zwischen Matthäus und den Truchsessen erhalten sind und ein Autor Matthäus seine Autorschaft wohl direkt vermerkt hätte, zumal die Korrespondenz auf einen von ihm unabhängigen Verschriftlichimgsakt schließen läßt.'° Es kommt demnach auch ein anonymer Dritter in Frage, der das Material des MatÜiäus auf Anweisung Georgs verarbeitete und die Chronik auch über den Tod des Bauemjörgs hinaus fortsetzte. Über dessen Identität wissen wir nichts, er ist - wie ein Stilvergleich zeigt - keineswegs mit dem sog. 'Schreiber des Truchsessen' identisch," der eine Biographie" und einen Bericht über die Taten Georgs im Bauernkrieg'' angefertigt haben зоИ.'·* Unabhängig von der Verfasserfrage läßt

Davon geht noch der Herausgeber der Chronik aus (TC 1,4). Anders jedoch JENNY, Proben, S. 31f. Dies stünde zumindest mit der Lebenszeit des Matthäus in Einklang, da der Domherr erst am 1 4 , 1 0 . 1 5 4 1 gestorben ist (vgl. ZOEPFL, Matthäus, S. 22),

Ein Vergleich mit den anderen genealogischen Werken des Matthäus erhärtet sowohl die These, daß Matthäus weniger an einer "lebendigen Gestaltung der Quellenaussagen" (ZOEPFL, Matthäus, S. 26) gelegen war als an deren Sammlung, wie auch das Gegenteil: So bemüht er sich in der Chronik der Geroldsecker ('Tractatus seu historia de origine progressuque generosorum et inclitorum baronum de Gerolzeck', Karlsruhe, GLA 65, Nr. 239) und in seinen lateinischen Hauschroniken (Regensburg, Thum & Taxis, Ms, 166) um eine naπative Gestaltung, Eine solche Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte der 'Truchsessenchronik' verwirft allerdings ZOEPFL (Matthäus, S, 28), Er vermutet, die Chronik sei für den Druck vorbereitet worden und nur der fmhzeitige Tod des Auftraggebers habe das Erscheinen verhindert. GEISBERG (Illustrationen, Heft 8, S, 4) meint hingegen, Georg Ш, hätte "von vornherein eine Vervielfältigung der Chronik in Form einer Handschrift, nicht in Druck, sondern nur in wenigen zur Widmung bestimmten Exemplaren vorgeschwebt," Vgl, zum 'Schreiber des Truchsessen' BAUMANN (Quellen, S, 608), der in ihm Georgs Kaplan vermutet (vgl, DEMARCE, Career, S, 11, Anm. 8). Stuttgart, WLB, Cod. hist, fol, 835, f. 138''-178' und f. 35Г-455', Bei der Ks. handelt es sich nur um eine Kopie, die um 1600 hergestellt wurde. Das Original ist verloren, Stuttgart, WLB, Cod. hist, fol, 835, f. 179'-351'(teilweise ediert durch BAUMANN, Quellen, S. 527-606), Der Verfasser dieses Berichts ist weit entfernt von jedem Kanzleistil, Seine Absicht

Die Handschriften der Chronik

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sich aber in der 'Truchsessenchronik' ein eigenständiger gestalterischer Plan und eine partielle Literarisierung erkeimen." Es erscheint daher gerechtfertigt, den Unbekannten als 'Truchsessenchronisten' zu bezeichnen.''

3.3. Die Handschriften der Chronik Die Chronik der Truchsessen von Waldburg ist die am breitesten überlieferte südwestdeutsche Hauschronik. Handschriften befinden sich in der Staatsbibliothek München (Cgm. 1292), in der Württembergischen Landesbibliothek (Cod. Don. 590; Cod. hist. fol. 835)," im Hauptstaatsarchiv Stuttgart (Jl, 112a) in der Nationalbibliothek Paris (Ms. all. 367), m der Rosenwald-Collection (olim Jenkingtown/Pa., USA) sowie im Archiv der Fürsten von WaldeckWolfegg in Schloß Wolfegg." Außerdem sind noch "größere Sätze von Einzelblättem"" erhalten (Germanisches Nationahnuseum, Nürnberg; Kupferstichkabinett, Berlin; Stuttgart, WLB, Cod. hist. fol. 371). Sechs Handschriften sind mit einem teils aufwendig kolorierten Bilderzyklus versehen.^ Da die Handschriften keine textlichen Unterschiede aufweisen," ist nicht ersichtlich, welches das von Georg in. in Auftrag gegebene Original war. Die Münchner Handschrift umfaßt 175 + 6 Blätter und ist in einem Lederband von 41 χ 29 cm enthalten. "[Sie] kann nach der Form der großen Schnörkelbuchstaben bald nach 1536 geschrieben sein.'"^ Die Reihe der Truchsessen beginnt mit dem sagenhaften Urahn Gebhart und setzt sich bis zu Georgs III. Sohn, Jakob, fort, der im Jahre 1536 gestorben ist. Bei den 82 Kapiteln schmückt ein kolorierter Holzschnitt mit dem fiktiven Porträt des jeweiligen Truchsessen den Text; 56 Holzschnitte tragen das Monogramm Hans Burgkmairs d. Ä., die anderen dürften zumindest aus seiner Werkstatt sein. Nach Burgkmairs Tod hat Christoph Amberger die Holzschnitte für die restlichen drei Truchsessen angefertigt." Die Porträts der Truchsessen, bei denen es dem Künstler auf die "omamentale[] Gesamtwirkung"^ ankam, stehen jeweils auf der linken Seite, der zugehörige Text beginnt, ohne Überschrift, auf der gegenüberiiegenden rechten Seite. Der Umfang der Texte variiert zwischen drei Zeilen und drei Folioseiten. Eine Prachthandschrift auf Pergament ist die Stuttgarter Folio-Handschrift (olim Cod. Don. 590), die 127 Blätter Text (32,5 χ 23) und ebenfalls 82 "künstlerisch bedeutende Holzschnitte"*' enthäh. Textabschriften ohne Illustra-

eine Apologie Georgs zu schreiben, setzt er mittels literarischer Techniken um. Er scheint bei einzelnen Aktionen Georgs im Bauernkrieg dabei gewesen zu sein. BAUMANN, Quellen, S. 607-611 (vgl. auch oben Anm. 5). Vgl. unten S. 70-77. Zur Identität des Chronikautors vgl. VOCHEZER, Geschichte 1, S. niff. und Geschichte Π, S. 707f.; BAUMANN, Quellen, S. 608, Anm. 2; KARL WALCHNER und JOHANN K. BODENT, Biographie des Truchsessen Georg Ш. von Waldburg, Konstanz 1832. Aus der (ohnehin fraglichen) Anfertigung der biographischen Notizen Georgs durch den Schreiber des Truchsessen (siehe oben Anm. 52) kann nicht auf seine Verfasserschaft für die Chronik geschlossen werden (so jedoch JENNY, Proben, S. 31).

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Die 'Truchsessenchronik'

tionen enthält der Cod. Mst. fol. 835 der Württembergischen Landesbibliothek sowie Cod. Jl, 112a des Hauptstaatsarchivs Stuttgart. Den Text zuzüglich der Illustrationen enthalten schließlich die drei Exemplare der Sammlung Waldburg-Wolfegg und der Rosenwald-Collection."

3.4. Die Quellen der Chronik Wie bei einem humanistischen Historiographen nicht anders zu erwarten, gibt der Autor der 'Truchsessenchronik' die von ihm herangezogenen literarischen Quellen an." Allerdings vermeidet er jeden genaueren Hinweis auf die benutzten Ausgaben oder die betreffende Stelle. Neben archivalischen Quellen, bei denen er nur den Herkunftsort {zue Weingarten·, 1,9) erwähnt, verweist er auf die 'Schwäbische Chronik' des Thomas Lh-er, auf das Rüxnersche 'Tumierbuch' und das unverzichtbare 'Chronicon Urspergiensis' (Augsburg 1515).''

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Zur Hs. Stattgart, WLB, Cod. Don. 590 vgl. BARACK, Handschriften, S. 416f. Zur Hs. Cod. hist. fol. 835 vgl. oben Anm. 52 und 53. Auf Wolfegg befmden sich vermutlich drei Exemplare, zwei Papierhandschriften und eine Folio-Pergamenthandschrift. Diese Angaben (Burgkmair, Werk, (Einleitang zum K.ap.) 'Die Pappenheim-Chronik' (unpaginiert) konnten aufgrund des schwierigen Zugangs zur Wolfegger Bibliothek nicht verifiziert werden. In dem 1777 veranstalteten Druck der Chronik ist noch von mehreren Pergamenthandschriften, die sich in allen Reichs Erbtruchseßischen Archiven befänden, die Rede (1,4). Zu den Handschriften und den separat überlieferten Holzschnittfolgen vgl. Burgkmair, Waerk). Die Angaben bei GEISBERG Qllustrationen, Heft 8, S. 3f ) sind unvollständig. Vgl. Burgkmair, Werk, (Einleitung zum Kap.) 'Die Pappenheim-Chronik' (unpaginiert). Vgl. dazu FELIX HEINZER, Matthäus Marschalk von Pappenheim - Chronik der Truchsessen zu Waldburg, in: HEINZER (Hg.), Zinsen, S. 138: "Die Seltenheit der Holzschnittfolge läßt vermuten, daß diese nur in kleinster Auflage ftlr den Auftraggeber und dessen engsten Umkreis gedruckt wurde. In Verbindung mit dem Text haben sich sechs Exemplare des Zyklus erhalten, alle in einheitlicher Kolorierung, die wohl von Anfang an vorgesehen war und von Augsburger Briefmaler stammen dürfte". ZOEPFL, Matthäus, S. 27. GEISBERG, Illustrationen, Heft 8, S. 4. GEISBERG GUustrationen, Heft 9, S. 15) kam noch zu dem Ergebnis, daß alle Holzschnitte von Burgkmair d. Ä. stammen. Vgl. dagegen: Burgkmair, Werk, (Einleitang zum Kap.) 'Die Pappenheim-Chronik (unpaginiert). Vgl. auch HEINRICH GEISSLER, Eine verschollene BurgkmairZeichnung, WRJ 38 (1976), S. 65-67. Burgkmair, Werk, (Einleitang zum Kap.) 'Die Pappenheim-Chronik' (unpaginiert). BARACK, Handschriften, S. 416. Vgl. Burgkmair, Werk, (Einleitang zum Kap.) 'Die Pappenheim-Chronik' (unpaginiert). Die Rosenwald-Collection befand sich bis 1979 in Jenkingtown/Pa., USA, und ging daim an die Library of Congress. Die Hs. konnte dort allerdings nicht ermittelt werden. Schon Matthäus hat in seinem Begleitbrief diese Methode erwähnt: bey ainem Jeden sonnderbar auffgezaichnet, an wölchem Ort sollichs geschriben (1,7). ZOEPFL (Matthäus, S. 29f ) verzeichnet eine Liste von Büchern aus dem Besitz des Matthäus, die in der Münchner Staatsbibliothek erhalten sind. Diese Werke wurden auch von Proben von Zimmern benutzt. Vgl. dazu ZC IV,337f

Die Quellen der Chronik

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Andere frühe Werke, wie etwa den 'Sabellicus'" oder Aventins 'Baierische Chronik' wird der Chronist wahrscheinlich benutzt haben, da sie in keiner Humanistenbibliothek fehlten. Von den zeitgenössischen Quellen nennt er des öfteren die Chronik Nauclers, die ihm offenbar als besonders vertrauenswürdig erschienen ist.™ Die Mehrzahl der Quellen stammt aus Klosterarchiven, wobei Weingarten besonders hervorgehoben wird, sowie aus fürstlichen und adligen Kanzleien, insbesondere aus Mainz und aus der Waldburgischen Kanzlei selbst. Es wird aber an keiner Stelle erwähnt, ob sie von Georg, Matthäus oder einem anderen Zuträger herbeigeschafft worden sind." Unzweifelhaft ist jedoch Georgs eigenes Engagement bei der Suche nach archivalischem Material. So ist ein Brief von ihm an die Stadt Lindau erhalten, in welchem er um eine Abschrift der sein Geschlecht betreffenden Lehensbriefe ersucht. Er begründet dies mit einem Plan, der meinem namen und stamm hochlich belangt.''^ Aus Wien erhäh er die "Abschrift eines östreichischen Privilegiums von vor fast 300 Jahren, worin Eberhard Truchseß als Zeuge vorkommt,"" vom Kloster Weisenau Urkundenauszüge. Auffällig ist, daß Matthäus nichts über eine Auswertung jener württembergischen Archive berichtet, die sich Georg anläßlich seiner Statthalterschaft über Württemberg geöfbiet hatten.^^ Ob diese Quellen tatsächlich in die 'Truchsessenchronik' eingeflossen sind, läßt sich nicht sicher sagen, da explizite Quellenhinweise auf die Archive in Stuttgart und Lindau fehlen." Entscheidend für die Gestah der 'Truchsessenchronik' ist jedoch eme weitere Quelle, die zwar nicht den Chroniktext, dafür jedoch das gesamte Unternehmen Hauschronik maßgeblich beeinflußt haben dürfte - der 'Weißkunig' Maximilians I. Hans Burgkmair kannte aufgrund seiner Arbeit am 'Weißkunig' die Vorstellimgen emes Herrscherhauses hinsichtlich der künstlerischen Gestaltung eines der memoria dienenden Werks. Er dürfte nicht nur diese weitervermittelt, sondern mit Matthäus, Georg III. oder dem Chronisten auch systematische und inhaltliche Grundlagen von Maximilians Ruhmeswerk diskutiert haben. Es ist

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Marc Antonius Sabellicus verfaßte mehrere historiographische Schriften (vgl. dazu GRAESSE, Tresor VI/1, S. 201), darunter eine Weltgeschichte in 92 Bänden, die sog. 'Eneades' (Venedig 1498-1504), die - meist auch in späteren Auszügen - von den deutschen Humanisten benutzt wurde. Der 'Sabellicus' taucht auch in der Quellenliste der 'Zinunerischen Chronik' (ZG IV,337) auf, seine 'Venetianische Geschichte' (Wien, ÖNB, Cod. 12595, f. 46', Nr. 23) und ein Supplementband befanden sich in der zimmerischen Bibliothek (ebd., f 5', Nr. 15). Vgl. 1,24. Ob Matthäus auch - wie der Herausgeber vermutet (l,45f) - die ungedruckten Werke des Aeneas Silvio kannte, läßt sich nicht nachweisen. Vgl. oben Anm. 35. Zit. nach VOCHEZER, Geschichte Π, S. 707. Zit. nach ebd.; Original im Wolfegger Archiv, Nr. 7705. Zum Kontakt zwischen Habsburg und Waldburg vgl. oben S. 50. So VOCHEZER, Geschichte Π, S. 707 und JENNY, Proben, S. 31. Belege fiir diese Behauptung fehlen. Gesichert ist indessen die Benutzung des waldburgischen Archivs in Wolfsegg (1,69).

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Die 'Truchsessenchronik'

sogar vorstellbar, daß auf diesem Weg die Initialzündung fur die prachtvolle Ausstattung einer Hauschronik erfolgte.''

3.5. Struktur und Inhalt" Die äußere Anlage der Chronik folgt einem einfachen Schema, das streng beachtet wird: Leben und Taten eines Truchsessen werden jeweils in einer Biographie beschrieben, und die Reihung ist strikt an der Sukzession der einzehien Dynasten ausgerichtet. Umfang wie Inhah der einzehien Biographien divergieren erheblich. Während die Biographie über Georg III. und den ersten Truchsessen, Gebhart, mehrere Seiten umfassen, bestehen andere nur aus einer knappen Mitteilung, in Ausnahmefällen überhaupt nur aus einem Satz, in welchem der Name des betreffenden Truchsessen festgehalten wird.·" Die Biographie jener Truchsessen, die hn Jahre 1536 noch am Leben sind, smd nicht enthalten. Auch nach dem Tod Georgs fühlte sich der Chronist also an die Vorgabe seines Auftraggebers gebunden, das Leben eines Truchsessen, sein wol und vbell hausen, erst nach dessen Tod zu würdigen. Da in der Frühgeschichte die genealogische Folge der einzehien Truchsessen nicht gesichert ist, suggeriert der Chronist in den späteren Passagen eine vollständig durchlaufende Kette von Filiationen. Dies wird erreicht, indem Heirat und Namen der Kinder am Ende verzeichnet sind und der Übergang zur nächsten Biographie dadurch so eng wie möglich wird. Der Autor befolgt dieses Prinzip selbst dort, wo er wegen der Teilung des Geschlechts in mehrere Linien zu einer synchronen Darstellung gezwungen ist. Hier wird am Anfang die genealogische Verbindung nochmals wiederholt. Bei diesem stark schematisierten Verfahren muß der Chronist zwar zwangsläufig Überschneidungen in Kauf nehmen, aber auf der anderen Seite kann der Chroniktext so leicht als Grundlage für einen Stammbaum verwendet werden. Die narrative Gestaltung der emzelnen Biographien divergiert sehr stark. So finden sich Biographien mit breiter historiographischer Darstellung und geschlossenen Erzählungen™ neben solchen, die lediglich Heh-at und Nachkommen eines Truchsessen erwähnen. Gelegentlich beschränkt sich der Chronist auch darauf, Namens- bzw. Zeugenlisten in ihrer Gesamtheit aufzunehmen, wenn dort der Name eines Truchsessen erscheint. Erst in den späteren Biographien finden sich narrative Elemente. Das Fehlen einer der antiken und humanistischen Tradition entsprechenden Vorrede wurde vom Endredaktor der Chronik oder von ihrem Auftraggeber als Manko empfunden. Da im BriefVgl. zum 'Weißkunig' MÜLLER, Gedechtaus, S. 130-148. In den folgenden beiden Kapiteln kann keine Gesamtinterpretation der 'Truchsessenchronik' geboten werden, sondern es geht im wesentlichen um die Memorialfunktion des Werkes sowie um seine poetologischen und geschichtstheoretischen Elemente. Vgl. dazu Kap. 66 0,74) und 67 a,74f ). Dies hat JENNY (Proben, S. 32) im Einzelfall übersehen.

Struktur und Inhalt

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Wechsel zwischen Georg III. und Matthäus von Pappenheim mit der Angabe des Gegenstandes, den Überlegungen zum Wahrheitsbegrifif sowie den aus dem Geschriebenen zu ziehende pragmatischen Nutzanwendungen fur die Nachkommen alles thematisiert war, was in ein klassisches Chronikproömion gehörte, stellte man die Korrespondenz zwischen dem Initiator der Chronik und dem wichtigsten Beiträger dem Text voran. 3.5.1. Das Herkommen der Truchsessen Die erste Voraussetzung für die Konstruktion eines angemessenen Herkommens besteht in dem durch Quellen gesicherten Nachweis über den eigentlichen Ursprung eines Geschlechts in ihrem jetzigen Herrschaftsraum. Der Beginn der Dynastiegeschichte darf kein negatives Licht auf Stand und Besitzverhältnisse werfen. Dies Erfordernis führt - ähnlich wie bei den Habsburgem zur Rückprojektion der eigenen Geschichte bis zu den biblischen Erzvätern*" oder zumindest in eine nebulose germanische bzw. römische Vergangenheit, immer in der Absicht, das edelfreie Herkommen des Geschlechts zu erweisen." Der Autor der 'Truchsessenchronik' geht hier einen anderen Weg. Am Begiim der Chronik verlegt er den Ursprung des Geschlechts bescheidenerweise 'nur' ins 4. Jahrhimdert n. Chr. und betont die Stellung der Waldburger als diener eines Herzogs namens Rumelns (i. e. Rumulus).'^ Der Chroniktext suggeriert, daß der erste (sagenhafte) Truchseß Gebhard Land und Herrschaft als Lohn für seine Tapferkeit bei der Eroberung dieses ehemals heidnischen Landes erhalten habe:»' Zue Zeitten Kaiser Constantini des Ersten regiert Inn Swaben Hertzog Rumelus / alls ain Fürst des Lannds / der hett ainen getrewen vnnd fromben diener / Gebhartt genannt / dem gab er das Schloß Walltpurg sampt der Herrschafft / so vormalls der Hayden was gewesen / darzue ainen blawen schillt / vnnd drey guldin Thannzapffen darinnen / deßgleichen ain gryene Thann auff seinem Hellm / mit guldinen Thanzapffen / macht den zue seinem Truchsässen / darumb er / vnnd seine nachkamen die Truchsässen von Walltpurg genennt wurden. Diser Hertzog Rumelus / Ist gestorben / Nach Christi gepurt drewhundert / zwaintzig vnnd zway Jar / dann sollichs aigenntlich / Inn ainer allten Cronicken / zue Allschhausen Im teuttschen Haus / Inn Swaben / dessgleichen Inn der allten schwebischen Cronick / auch anndem mer ortten gefunden wurt / bey dem Ist abzuenemen / das die Truchsässen zue Walltpurg

Zu Details der Herbleitung der Habsburger von den Erzvätern vgl. LASCHITZER, Genealogie, S. 29fr.; LHOTSKY, Apis, S. 243. Vgl. zu diesem Verfahren bes. unten S. 155-183. Als einen Reflex auf die humanistische Diskussion über den Vorrang von germanischer oder römischer Vergangenheit kann man auch die Erwähnung des Kaiser Constantin I. verstehen. Vgl. etwa über die Gründe für die Aufgabe einer römischen Abkunft LHOTSKY, Apis, bes. 192ff. und SCHMID, Methode, bes. S. 350-360. Vgl. VOCHEZER, Geschichte I, S. 4.

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Die 'Truchsessenchronik'

so lanng herkamen vnnd Ir geschlächt ettìich Jar / vor Hertzog Rumeìus tod waìltpurg Innen gekappt haben. (1,9)'''

Der Widersprach zu den historischen Fakten muß nicht eigens betont werden, aber selbst die vom Chronisten angegebene Quelle ist nicht korrekt wiedergegeben. Seine Quelle ist die 1485/86 edierte und von den meisten schwäbischen Geschichtsschreibern reichlich ausgebeutete 'Schwäbische Chronik' des Thomas Lirer, dessen Namen der Chronist allerdings verschweigt. Rätselhaft bleibt die zweite Quelle, die angeblich die gleiche Nachricht enthäh und rni Deutschordenhaus zu Altshausen gefimden worden sein soll.'' Bei Lirer taucht zum ersten Mal der Name des Herzogs Kumulus auf, ebenso jene etymologische Herleitung des Namens und damit auch des waldburgischen Wappens. Nun het er, heißt es da von Kumulus, ainen diener der hieß Gebhart, dem gab er ain Jaghauß das was vor der Haiden gewesen, vnd nannt es Waltpurg. wann es in ainem tannwald lag. Vnd gab ym ain schilt mit einer grünen tannen. vnd gülden tantzapffen dar ein. und hieß yn Truchsäß von Waltpurg.*^ Der Trachsessenchronist hat also entweder übersehen, daß Lirer den Tod des Herzogs Kumulus auf das Jahr 222 datiert, oder er wollte gegen seine Quelle eine chronologische Verbindung mit dem ersten christlichen Kaiser Konstantin (1,9) retten und verlegte deswegen den Tod des Kumulus um 100 Jahre." Besitzgründung, Wappen- und Namenserklärung lieferte der Chroniktext Lirers so perfekt, daß ihn der Chronikautor nur geringfügig variiert übernehmen konnte. Mit dem Hinweis auf den Dienstmannenstatus war die Abstammung der Truchsessen aus dem Ministerialenstand festgeschrieben. Damit stand der Chronikautor vor einer fast paradoxen Situation: Er mußte jetzt geradezu den 'Verdacht' abwehren, die Truchsessen hätten früher zum hohen Adel gehört. Dieser Beweis wäre aber ausgerechnet bei den Trachsessen sehr leicht zu führen gewesen. So wußte Matthäus aus den Archivforschungen im Kloster Weingarten, daß als Herren des tmchsessischen Stammsitzes Waldburg auch die Grafen oder Herren von Tanne urkundlich belegt sind. Daraus ließ sich ein ehemals gräflicher Stand der Trachsessen ableiten, was noch dadurch untermauert werden konnte, daß 1463 eine Seitenlinie der Waldburger, die Soimenberger, den Grafentitel zugesprochen bekam." Dieser 'Abfall' vom altherge-

Stuttgait, WLB, Cod. Don. 590, S. 11. Auch hier fehlt eine genauere Quellenangabe. Möglicherweise bezieht sich der Autor auf die Chronik des Hermann Contractus, der in Altshausen geboren war. Zum Versuch, den Herzog Rumulus zeitlich zu lokalisieren, vgl. I,213ff. Lirer, Chronik, S. 13. Siehe auch GRAF, Geschichten, S. 57f Die geschichtlichen Wurzeln der Waldburger und der Herren von Tanne sind eng miteinander verbunden. Vgl. dazu am ausführlichsten VOCHEZER, Geschichte I, S. 45-106. Die sog. älteren Waldburger waren zunächst welfische, dann staufische Ministeriale; ihre Amts- und Besitznachfolger die Herren von Tanne, die sich seit 1219 nach ihrem Sitz Waldburg nannten. Vgl. dazu auch BOSL, Reichsministerialität Π, S. 428ff.

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brachten Stand mußte nun erzäMerisch verarbeitet werden, ohne die Sonnenberger als Renegaten erscheinen zu lassen: Man findt auch zue Weingarten vnnd anndern ortten / wie sich ettlich nachmalls Grauen zue Thann / vnnd Truchsessen zue Walltpurg / ettlich allain Herren zue Thann / ettlich Truchsessen zue Thann genempt / vnnd geschriben / aber bey sollicher Graueschafft dermas abgenommen / das sy den Grauen namen / widerumb haben lassen fallen, vnnd sich allain Truchsässen zue Walltpurg genempt / doch so sind sy allwegen von Römischen Kaysem vnnd Khüngen / mit Iren Tittelln / wie annder Grauen vnnd Herren gehallten worden / bis zue Zeitten Kayser Friederichs des dritten / hatt sich Herr Eberhartt Truchseß zue Walltpurg / sampt seiner Sane vieren / Nämlich Otten / Eberhartten / Anndreassen / vnnd Hannsen / widerumb auff die Graueschafft Sonnemperg grauen lassen / Graue Otto ist ain Bischoue zue Constanntz

worden. (I,9f.)" Angesichts einer an der Tradition orientierten Rechtsaufifassung®" ist diese Argumentation ein kleines Kunststück für sich. Der frühere Grafenstatus wird nicht bestritten, aber die Truchsessen hätten ihn aus Überzeugimg aufgegeben. Damit ist die 'Erhebung' der Sonnenberger in den Grafenstand im Grund nur die Wiederherstellung des guten alten Rechts, aber gleichzeitig behalten auch die Truchsessen ihre ständische Würde. Auf diese Weise umgeht der Chronist eine iCritik an den habsburgischen Standeserhebungen. Aber auch die Truchsessen werden nicht als 'verhinderte' Grafen vorgestellt, was die Loyalität des Юeinadels, auf die das Geschlecht angewiesen war, bedroht hätte. Schon allein der Vorgriff des Chronisten ins 15. Jahrhundert relativiert die Wertigkeit des Grafentitels und manifestiert das spezifisch ministeriale Selbstbewußtsein der Truchsessen erst recht: Den Waldburgem stünde der Grafentitel zu, aber sie verzichten auf ihn, da er - wie das Verlöschen der gräflichen Linie der Sonnenberger (1511) im Mannesstamm zeigt - kein Glück bringt und für sie die Stabilität der Rechtsordnung Vorrang vor eigenen ständischen Ambitionen hat. Als letzte Instanz für die Dignität des niederen Standes wird schließlich Gott angerufen, der für das Geschlecht eben diesen Stand vorbestimmt hat: Darumb woll abzuenemen / das vnnder dem geschlecht der Truchsässen zue Wallttpurg / die Grauen kain fitrganng / oder gott die nit / sonnder Herren zue Wallttpurg haben will / alls Inen auch getrewlich zueratten / dann es Inen / bey gemellten Truchsässen namen glücklichen vnnd wol ergangen. (1,10)

Die ganze Argumentation muß vor dem Hintergrund der Aufstiegsbestrebungen dieser Zeit, die auch innerhalb des Adels gesellschaftliche Dynamik erzeugten, gesehen werden. Auf der einen Seite häh der Chronist dezidiert an dem niederen Stand fest, wertet ihn aber auf der anderen Seite durch Dienstleistung und göttliche Gnade so auf, daß jede Benachteiligimg gegenüber den Grafen als "

Stuttgart, WLB, Cod. Don. 590, S. 1 If. Vgl. KERN, R e c h t , bes. S. 11-23.

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Die 'Tnichsessenchronik'

unrechtmäßig erscheint. Die Ideologie der ständischen Stabilität wird damit bestätigt, und gleichzeitig alle daraus fur das eigene Geschlecht resultierenden negativen Folgen ausgeschlossen. Eine solche Strategie konnte freilich nicht im Interesse des Hochadels sein, weil sie die Standesdififerenzierung zu einer reinen Formalität degradierte. Deswegen traf jene Demütigung durch Herzog Uhich" den Kem von Georgs Standesideologie. Die Grenzen seiner Doppelstrategie waren ihm unübersehbar vor Augen gefuhrt worden. 3.5.2. Die 'Frühgeschichte' des Geschlechts bis zur Stauferzeit Für die Zeit vom 4. Jahrhundert bis 1100 braucht der Chronist gerade sieben Kapitel, und im Gegensatz zur Habsburger Genealogie versucht er erst gar nicht, eine genealogische Sukzession herzustellen. Er beschränkt sich viehnehr darauf, die legendären Vorfahren mit einigen historisch bedeutsamen Gestalten in Beziehung zu setzen, mit Karl Martell (Kap. 2)," Karl d. Gr. (Kap. 3), Otto I. (Kap. 4), Otto III. (Kap. 5), Heinrich I. (Kap. 6) und Heinrich III. (Kap. 7). Die Biographien Nr. 2, 3 und 6 bestehen dabei lediglich aus (fingierten) Namens- bzw. Zeugenlisten, in denen die Namen von Truchsessen unter vielen anderen erwähnt sind. Als Quelle werden angegeben eine alte Regensburger Chronik (Kap. 2; 1,10), ein altes Meßbuch des Юosteгs Murhard (Kap. 3; 1,12) oder ein allttefs] protokoll aus dem Stift zu Bllwangen (Kap. 8; 1,15). Die Biographien Nr. 4" und 5 referieren nach Rüxners Tumierbuch"'' die Teilnahme der Truchsessen bei den sagenhaften Turnieren des 10. und 11. Jahrhunderts. Auch hier übernimmt der Chronist Angaben einer Quelle, um deren Glaubwürdigkeit es bereits zu seiner Zeit schlecht bestellt war, und die er offensichtlich deswegen nicht namentlich nennt." Die Struktur dieses Chronikabschnitts ist stilbildend für die Bewältigung historischer Lücken in anderen Chroniken: Die Fiktion eines alten und ehrwürdigen Stammbaums wird dadurch erreicht, daß man berühmte Herrscher und ihre Taten nennt und versucht, das eigene Geschlecht an deren Aura partizipieren zu lassen. Trotz der in den folgenden Jahrhunderten deutlich ansteigenden Materialfulle beschränkt sich der Chronist bis ins 14. Jahrhundert weitgehend darauf, einzehie Urkunden und Monumente aufzunehmen bzw. bei Leerstellen Material zu fingieren. Der Vergleich mit dem Origmal läßt die Zielsetzung des Chroni-

" "

Vgl. oben S. 48, Zur KapitelzäMung siehe oben Anm. 1. Ь der Biographie über Heß Graue zue Thann (Kap. 4; 1,13f.) erwähnt der Chronist den Tod eines Graue Hessen von Thann vnnd [!] Truchseßzue Wallllpurg auf dem Lechfeld im Kampf gegen die Huni. Zu Rüxners 'Turnierbuch' vgl. unten S. 190-196. Rüxner nennt einen Truchsessen Sebastian von Winterstetten, der zum habsburgischen Gefolge gehört, als Teilnehmer an dem (fiktiven) 10. Turnier von Zürich (Turnierbuch, f 124*'152^). Häufiger treten dann die Truchsessen bei den späteren Turnieren des 13. Jahrhunderts auf, wo sie unter der Gruppen der 'Edlen' rangieren (vgl. ebd., f 221').

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Sten erkennen. So schreibt er in der BiograpMe über Com Graue zue Thann (Kap. 10): Zue Weingarten Im Gottshaws findt mann inn der Cronick daselbst geschriben / alls man zallt / von der Gepurt Christi / tausenntt hundertt zwaintzig vnnd vier Jar / ist gewesen Hertzog Hainrich von Swaben / ain Vatter Gwellffonis mit seiner Eefrawen Willphilde genannt / der hatt das Closter Weingartten / so nachennd gar abgangen / widerumb von newen dingen erbawen / inn wölchen er auch kurtz darnach alls er sterben wollen / ain Münch worden / Zur selbigen Zeitt ist Graue Conon von Thann / vnnd Truchseß zue Walltpurg ain Abbte des Gotzhaus Weingartten / vnnd wie der von dem Stammen Edeil vnnd wolgepom / aliso ist er auch tugennttsam vnnd kunstreich gewesen / hatt ain hailigs gaistlichs Leben mit kunst vnnd tugennden vollnfiiertt / das Gotzhaus Weingartten / mit Hillff obgemelltts Hertzogen gebawen / gebessert / vnnd daneben das gaistlich wesen daselbst/so gar abganngen, wider auffgepracht / hatt auch Ettlich auslegungen vnnd comenntarien vber Johannem den Ewangelisten geschriben / wie das bey der Liberey daselbst zuefinden ist / Vnnd Ime hiemit ain Gedächtnus seins namens hinderlassen. (I.löf.)"

Die historische Basis sind hier die Jahrbücher des Юosters Weingarten." Der Chronist wertet sie in der Form aus, daß er Passagen aus einzehien Jahrbüchern entnimmt, miteinander verknüpft und umdeutet. So konstruiert er die gesamte Biographie im Anschluß an den Eintrag der 'Historia Welfici Weingartenses'" zum Jahr 1124. Allerdings handelt es sich bei dem angeblichen Herzog Heinrich von Schwaben, der das Kloster Weingarten wieder habe aufbauen lassen," um den Weifenherzog Heinrich IX. von Bayern, dessen altersbedingter Eintritt ins Юoster in den Weingartner Jahrbüchern ebenso verzeichnet ist wie die ebenfalls in die gleiche Phase fallende Amtszeit des Abtes Kuno von Waldburg (ca. 1108-1132).'°° Beides verdreht der Chronikautor nun so, daß Kuno als der eigentliche Bauherr auftritt, wogegen Herzog Heinrich zum bloßen Helfer degradiert wird. Vor allem aber zielt die Argumentation des Chronisten auf die Stilisierung Kunos zu einem Klosterreformator: eine Glorifizierung der Vorfahren, die unterstützt wird durch den topischen Lobpreis seiner moralischen Integrität und seiner Förderung der Künste. Wie anhand der Interpretation der 'Zimmerischen Chronik' noch im einzehien zu zeigen sein wird, gehört es zum Standard einer angemessenen Dynastiegeschichte, daß sich die Vorfahren auch als Юostergrшlder betätigt haben. Dies ist deswegen so wichtig, weil sich an diesem materiellen Akt sowohl religiöse Einstellung wie die Sorge um Begründung und Erhalt einer Familientradition demonstrieren lassen: Im Hauskloster

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Stuttgart, WLB, Cod. Don. 590, S. 31. STÄLIN, Geschichte Π, S. 697, Anm. 1. Annales Welfici Weingartensis, in: Historia Welforum (Schwäbische Chroniken der Stauferzeit 1), hg. von ERICH KÖNIG, Stuttgart/Berlin 1938, S. 86-94, hier S. 88. Vgl. STALIN, Geschichte Π, S. 257. Vgl. VOCHEZER, Geschichte I, S. 4f., 15.

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Die 'Truchsessenchronik'

wurde im Gebet bzw. in der Grabstätte des GescMechts die Erinnerung an den Gründer auf Dauer wachgehalten."" Für die Stauferzeit beruft sich der Autor auf die - für alle schwäbischen Hauschronisten unentbehrliche - Chronik des Burchard von Ursperg, die 'Weingartner Annalen' und Nauclers 'Weltchronik'. Auf genaue Stellenangaben wird dabei genauso verzichtet wie auf wörtliche Textwiedergaben. Dem Chronisten genügt es viehnehr, die Wahrheit seiner Erzählung mit einem pauschalen Hinweis auf die Tradition abzusichern.In diesem Abschnitt findet sich nach der ersten Biographien die zweite längere, zusammenhängende Erzählung, die von der Ermordung König Philipps von Schwaben durch den bayerischen Pfalzgrafen Otto handelt (Kap. 26). Dieses Ereignis nimmt der Autor zum Anlaß, Truchseß Heinrich von Waldburg (1183-1209),'" der nach der Überlieferung nur Randfigur war, in der Rolle eines Hauptakteurs und vorbildlichen Vasallen, der ubertreffliche stercke vnnd geschicklichkeit (1,27) besaß, auftreten zu lassen. Dabei kommt er jedoch in ein erzählerisches Dilemma, denn Hemrich konnte den Mord nicht verhindern. Er löst dies mit einer reichlich kuriosen Argumentation. Aufgrund von Heinrichs mannhaften Eingreifen konnte Otto nicht wie geplant dem König den Kopf abschlagen, sondern ihm nur eine unbedeutende Halswunde beibringen. Diese sei nur deswegen tödlich gewesen, weil Ottos Schwert vergiftet war. Auf diese Weise bleibt das Ansehen des königlichen Leibwächters Heinrich fast unberührt, der Tod des Königs erscheint als feiges Attentat. Diese Darstellung, die der Chronikautor der Chronik Burchhards von Ursperg entnommen haben dürfte, fuhrt jedoch zu einem erzählerischen Widerspruch. Denn wenn das Schwert des Pfalzgrafen mit Gift behandeh war und der König daran stirbt, warum bleibt dann der Truchseß, dem Otto eine Gesichtswunde beibringt, von der tödlichen Wirkung des Giftes verschont? Die schwere Verwundung Heinrichs ist jedoch für den Autor ein essentielles Element in der Chronik, auf das er ebenfalls nicht verzichten kann. Sie ist der sichtbare Beweis für die unverbrüchliche Treue eines Truchsessen gegenüber dem König in der höchsten Not.'°^ Zur Geschichte der Beziehung zwischen Dynastenfamihe und Hausklöstem sowie zur Bedeutung für die Entstehung einer Stifterchronik vgl. PATZE, Adel, S. 21-35. Anhand des Refomklosters Hirsau zeigt PATZE, daß manche Klöster nicht automatisch die memoria der Stifter bewahrten, sondern deren Namen unterdrückten (S. 35). Vgl. dazu das Beispiel im Kap. 22. Der gesamte Text der 'Biographie' lautet: Herr Ulrich Truchseß zu Walltpurg / was ain Brobst Inn der Weyssenaw / alls man gezellt / Tausennt hundert achtzig vnnd dreiv Jar / wie man daselbst im Gotzhaus geschriben flnt 0,23). " " Zu den urkundlichen Quellen über Heinrich (Π.) vgl. VOCHEZER, Geschichte I, S. 16-32. 1,26: Vnnd setzen die Geschichtsschreiber, wann gemellter Truchseß Inne mit seinem mannlichen auschreyen nitt verhindert hette er Ime den Kopff abgeschlagen. Der Skandal des Königsmords kann für den Chronisten nicht ungerächt bleiben. Deswegen berichtet er von dem Ende des Mörders, der vom Reichsmarschall Heinrich von Kalden 1209 erschlagen wurde. Obwohl dies weniger aus Treue zu dem getöteten König geschah, als vielmehr ein klug kalkulierter Akt war, mit dem Heinrich einen unliebsamen Konkurrenten ausschaltete, stelh die 'Truchsessenchronik' einen eindeutigen Zusammenhang her: icurz nach

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Die BiograpMen Nr. 27-40 bieten keine ErzäMung, sondern bestehen im wesentlichen nur aus Urkundenabschriften. Der Chronist verzeichnet hier kommentarlos Gebietszuwächse, die kirchlichen Ämter der Truchsessen, diverse Stiftungen an Klöstern, gelegentlich auch Heiraten und die damit verbundenen Besitzerweiterungen. Die Zeugenlisten werden vollständig und gemäß ihrer hierarchischen Folge wiedergegeben, ohne daß dabei die Erwähnung der Truchsessen an einer der letzten Stellen dem repräsentativen Wert der Passage irgendeinen Abbruch tun würde (vgl. 1,31).'"' 3.5.3. Das Ende des schwäbischen Herzogtums und die Wappensage der Truchsessen Es ist wieder ein spektakulärer und lange nachwirkender 'Mordfall' - diesmal ein Justizmord - , dem der Chronikautor die nächste größere Erzählimg widmet: die Niederlage Konradins in Italien, seine Hinrichtung (1268) und die Rolle, die ein Truchseß Heinrich dabei gespielte haben soll. Die Existenz dieses Heinrich wurde schon vom Historiographen der Truchsessen, JOSEPH VOCHEZER, m Zweifel gezogen."" Eine direkte Vorlage für die Erzählung ist nicht auszumachen, die Einzelheiten der Entscheidungsschlacht stehen der Burchardschen Chronik nahe.'™ Ansonsten aber verfährt der Truchsessenchronist völlig fi-ei mit der Überiieferung, er verändert die geschichtliche Perspektive und erfindet einzehie Begebenheiten, die das Verhalten der idealen Vasallenfigur Heinrich ins richtige Licht rücken. So wird der Veriauf der Schlacht nicht als ein Produkt kriegsbedingten Zufalls, sondern als das Ergebnis eines genau kalkulierten, verräterischen Plans dargestellt. Der Plan stammt von einem des Landes ver-

dem vmd Khünig Philips erschlagen / hat Herr Hainrich von Calenndi Marschalckh zue Bapenhaym gemellten seinen Herren Khünig Philipssen gerochen / vnnd Pfaltzgraue Otto von Weittellspach nachennd bey Regenspurg erstochen (1,27). Selbst hier verzichtet der Chronist auf eine explizite Beurteilung des Geschehens und begnügt sich damit, dem Leser aus dem Mitvollzug der Erzählung erschließen zu lassen, daß der Mord an Philipp eine feige Tat war, für die der Mörder den gerechten Lohn bekam. Der Chronist begnügt sich damit, eine Kausalbeziehung abzuleiten (post hoc ergo propter hoc), die auf einem rein politisch-logischen Kalkül basiert und als Rachehandlung firmiert. " " Eine vorsichtige Kritik an einem Truchsessen enthält das Kap. 36, in welchem ein Werturteil über den Konstanzer Bischof Heinrich lautet: Er war aber ain Liebhaber der Weiber (1,37). " " Nach VOCHEZER hat der Truchsessenchronist aus den 'Historia Friderici' (Ш,38) des Aeneas Silvus einen dort im Kontext der Konradin-Geschichte erwähnten anonymen Ritter mit dem Namen Heinrich versehen. "Und zwar geschah dies zu dem Zweck, um zu erklären, wie die Truchsessen dazu gekommen seien, die drei Löwen im Wappen zu führen" (VOCHEZER, Geschichte I, S. 265). An dieser Stelle übernimmt der Chronist den Text der Chronik Burchhards von Ursperg, wo ein Heinricufs] dapifer de Walpurc erwähnt wird, und es weiter heißt: [...] sed dapifero exclamante territus vix plagam perfecU et parvulum vulnus in collo regis dédit, sed venant unam organicum amputavit (S. 84). Vgl. dazu 1,26: Allsbald Hainrich Truchsäß das ersach / schry er Otto frauenlich an / dardurch er verhindert / vnrui ainen verzagten Straich thätt. Eine Übersicht über die wenigen Werke, die uns aus der Bibliothek des Matthäus bekannt sind, gibt ZOEPFL, Matthäus, S. 29f. Vgl. oben S. 53.

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Die 'Truchsessenchronik'

wiesenen Schwaben, der sich an Konradin rächen will (1,42). Dem Verrat steht die Treue des Truchsessen Hemrich gegenüber, den die Niederlage emotional völlig aus der Fassung bringt."" Der Chronist operiert hier mit dem Gegensatz von kalkulierender, heimtückischer Rationalität und positiv besetzter, ehrlicher Spontaneität. Auf der Flucht weichen Konradin imd seine Begleiter in ein Gebirge aus (richtig: nach Rom), wo sie sich jedoch wegen mangelnder Nahrung nicht lange verbergen können. Ein Fischer, welcher den Ring des Königs erkennt, täuscht die Fliehenden und liefert sie Karl von Anjou aus. Truchseß Heinrich wird mit Konradin zum Tode verurteilt, jedoch in Erfüllung des letzten Wunsches Konradins freigelassen. Heinrich erhäU von Konradin den verräterischen Ring und den rechten Handschuh mit dem Auftrag, dies König Peter von Aragon zu überbringen. Der König von Aragon verleiht dann Heinrich aus königlicher MilUikait das Wappen / mit den dreyen Lewen / so der genannt König Connradin / alls ain Hertzog von Schwaben gefuertt, Vnnd sagt die Histori / wann das Hertzogthumb Schwaben des Königs von Arragons gewesen / hett er das dem Truchseßen auch geben (1,45). Obwohl der Truchseß Heinrich im Kampf und auf der Flucht nur eine Nebenfigur abgibt, wird er jetzt zum Motor der Rache an Karl von Anjou: kurtz darnach versamellt Künig Fetter / ain treffennlich Hör / zock inn Neappolis / vnnd Sicilien, erobert die beiden Königreich / erschlug Karolum des Königs von Frannckreichs Brueder / erwürget den Bapst an ainem Strickh / vnnd vertrib alle die / so schuld an seins Vettern Khönig Connradinus tod hetten / aliso ward der fromb Khönig dem Gott genad gerochen / Seydherr haben die Truchseßen zue Walltpurg / die drey Lewen gefitertt / vnnd one Zweiffell /so ist gemelltter Hainrich bey sollicher Rachsal / auch gewesen / Er hat zue Eelichem Gemahell gehabt, Frau Itta ein Grauin zue Dockhempurg. (I,45)'>°

Das Rachemotiv an diese Stelle zu setzen, entspricht dem Bedürfiiis des Autors, das Walten einer göttlichen 'Gerechtigkeit"" als Agens des geschichtlichen Prozesses zu präsentieren, und um dies zu erreichen, bedient er sich literarischer Motive. In ihrer strukturellen Anordnung entspricht die narrative Organisation der Darstellung von König Philipps Tod: Heimtückische Verschwörung gegen den Herrscher - bewiesene Treue des waldburgischen Truchsessen - Tod des Herrschers - Rachehandlung. Der Autor der 'Truchsessenchronik' verfälscht in diesem Kapitel die historischen Fakten, da der Papst weder gehängt worden ist, noch Karl von Anjou einen gewaltsamen Tod fand; zudem werden die 14 Jahre bis zur Sizilianischen Vesper zu emer ganz kurzen Zeitspaime zusammengerafft. Die fingierte Rache für den Tod des schwäbischen Herzogs hat denn auch in erster Linie einefionktionaleBedeutung: Indem

"" 1,43: Aber demnach er von dem Vnfall betriept könnt er kainen Rath geben. Stuttgart, WLB, Cod. Don. 590, S. 112. " ' Vgl. dazu GRAUS, Funktionen, S. 24f.

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er die Rache am Tod Konradins initiiert und den Ring überbringt, tritt Heinrich selbst in die Nachfolge der Herrschaft ein, er wird damit der Aura der staufischen Macht teilhaftig. In der Überreichung der Herrschaftssymbole Ring und Handschuh wird zugleich die Gleichberechtigung Heinrichs mit dem Fürstenstand dokumentiert; seine Beteiligung an der Rachsal imterstreicht seine mustergültige Dienstauffassung, die über den Tod des Herrn hinaus Bestand hat. Durch die Sage der Verleihung des ehemals herzoglichen schwäbischen Wappens an Heinrich suggeriert der Autor indirekt die tramlatio imperii von den Staufem auf die Truchsessen, somit deren fiirstliche Stellung, und schreibt alle diese Erfolge der idealen Diensterfullung für das Reich zu. Damit ist dem Chronisten die Verbindung eigentlich gegenläufiger Ideologeme gelungen: Die bestehende Ständehierarchie und die mit ihr verbundene Dienstideologie wird akzeptiert, aber dennoch eine moralisch-ethische Gleichstellung mit den Fürsten erreicht. Strukturell entspricht auch diese Sage genau der Intention Georgs III., die geburtsständischen Nachteile durch die Betonung des ideologischen Parameters des 'Tugendadels' zu egalisieren. 3.5.4. Die literarische Verarbeitung des Niedergangs - Die Geschichte des Geschlechts im 14. Jahrhundert Mit der Vita Eberhards II. von Waldburg (1335-1362), wird das genealogische Netz dichter. Um die genaue Sukzession zu vermitteln, werden am Ende jeder Biographie die Namen der Kinder erwähnt, und in deren Biographie die elteriiche Abstammung nochmals wiederholt. Mit Eberhard begmnt eine Zeit des Niedergangs des Geschlechts,"^ wobei der Chronist dessen umfangreichen Güterverkäufe ohne jeden Kommentar beschreibt (1,58) oder seine Beteiligung daran schlicht übergeht. So bleibt bei dem nachteiligen Verkauf der Herrschaft Rohrdorf an Werner von Zimmern (I,60f ) die in der 'Zimmerischen Chronik' beschriebene maßgebliche Aktivität Eberhards unerwähnt.'" Der Schwerpunkt der historiographischen Argumentation des Chronisten liegt vielmehr auf einem anderen Motiv: So wird der Verlust der Stadt Isny entgegen den historischen Fakten - die Stadt hatte sich bereits 1365 von den Truchsessen losgekauft und die Reichsunmittelbarkeit erlangt - als eine Konsequenz der Uneinigkeit zwischen den beiden Linien des Hauses erzählt. Truchseß Otto II. (1365-1386)"" unterstützt im Schweizer Krieg 1386 als perfekter Vasall - hier erscheint wieder das Motiv der Fürstentreue - die Habsburger mit finanziellen Vorleistungen. Da er diese nicht selbst aufbringen kann, will er sich das Geld

Zur Niedergangthematik in der Historiographie vgl. WroMER, Realität sowie die Beiträge im Sammelband von KosELLECK/WmMER (Niedergang). Vgl. ZC 1,193,28; 202,15. Im übrigen hat Proben von Zimmern trotz seiner Kenntnis der 'Truchsessenchronik' immer wieder den Ritterstatus der Truchsessen betont. " " Vgl. VOCHEZER, Geschichte I, S. 369-377. Im Kap. 60 (1,65) wird die Ehegattin Ottos aufgrund eines Lesefehlers Erentraut, ain Gräuin von Durchperg genannt. Otto war jedoch verheiratet mit Adelheit von Kirchberg.

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Die 'Truchsessenchronik'

von seinem Vetter, Trachseß Johannes (Hans) 11.,"^ leihen, was jedoch dessen Frau, eine Gräfin von Montfort, verhindert. Wenn Otto daraufhin in Wut gerät, dann ist die Analogie zu der emotionalen Spontanität des Truchsessen Heinrich unübersehbar, imd die Wiederholung des Musters weist auf ein vom Chronisten bewußt konstruiertes Familiencharakteristikum. Otto droht seinem Vetter, er wolle ain sach förnemen die ine Herr Hannsen / vnnd allen seinen Nachkamen zue merckhlichen Schaden raichen muest (1,62). Er leiht sich das Geld von der Stadt Isny und setzt seine Herrschaftsrechte als Pfand ein. Als er dann in der Schlacht von Sempach fällt, gehen die Rechte an Isny über. Der Verlauf der Schlacht interessiert den Chronisten nur unter dieser einen Perspektive. Das Leitmotiv des vorbildlichen Dienstes wird wieder aufgenommen, wenn der Chronikautor am Ende des Kapitels das Gerücht tradiert, wonach Truchseß Otto auff Hertzog Lewpollten erschlagen sein sollte (1,65). Aus dieser Darstellung ergibt sich eine einfache Lehre fur die Nachkommen: Uneinigkeit innerhalb der Dynastie ist der Ursprung des Niedergangs, wobei eine große Gefahr von der eingeheirateten Frau und deren Familieninteressen ausgeht. Zugleich wird indirekt der Dienstgedanke als quasi dynastische Bestimmung der Truchsessen glorifiziert. Wenn aber die Truchsessen den ihnen auferlegten Dienst für das Reich verweigern, folgt die Schicksalsstrafe auf dem Fuß,"* erleiden sie einen erheblichen Verlust. Die historiographischen Konstruktionen des Autors dienen immer der Perspektivierung der Geschichte unter der Prämisse sich laufend wiederholender Handlungsmuster, die das spätere Verhalten der Truchsessen erklären, präfigurieren und determinieren. Der Schweizer Krieg wird nicht etvra in den epochalen Konflikt zwischen feudaler Herrschaft und republikanischer Verfassung eingeordnet, auch interessieren den Chroiüsten die regionalen Expansionspläne der Beteiligten nicht,"' viehnehr wird die Schlacht von Sempach als Folge einer RebeUion von Herzog Leopolds aargauischen Untertanen, denen die Waldstätten zu Hilfe kamen, dargestellt."' Der Autor hat hier eine Konstellation geschaffen, wie sie sich für ihn 130 Jahre später im Bauernkrieg wiederholt: Bauemrebellion und Einmischung der Schweizer von außen. Diese Parallelfuhrung der geschichtlichen Ereignisse dient als historiographischer 'Doppelpunkt', er unterstreicht nochmals die Gefahrdung des Landes durch einen Aufruhr von unten und damit die Wichtigkeit adliger Solidarität. Die Analogie zum Verhalten Georgs ΙΠ. im Bauernkrieg drängt sich auf, er hat aus der Schweizer Geschichte gelernt imd die richtigen Schlüsse gezogen. Aus der Vergangenheit erwächst so die Legitimation für gegenwärtiges Handeln, die Niederlagen werJohannes П. trägt den Beinamen 'mit den vier Frauen'. Vgl. zu ihm VOCHEZER, Geschichte I, S. 379-496. " ' Vgl. zu dieser Strategie GRAUS, Funktionen, S. 24f. " ' Vgl. zum historischen Hintergrand: Handbuch der Schweizer Geschichte I, Zürich 1972, S. 202-206.

" ' D e r habsburgische Aargau wurde erst 1415 von den Eidgenossen erobert.

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den als Chance und Anstoß zu einer neuen, erfolgreicheren Politik in der Gegenwart begriffen. Die näheren Umstände der Niederlage von Sempach bzw. die einzelnen taktischen Schachzüge der Schweizer, die in der schweizerischen Chronistik"' eine zentrale Stellung einnehmen, verschweigt der Chronist, er begnügt sich mit der lapidaren Feststellimg, daß sich das Glückh [...] von Hertzog Lewpollten auf der Schweitzer seytten (1,63) wendete. Die Chronik versteht sich nicht als Kriegsbericht oder Reichsgeschichte, das epochale Geschehen bleibt vielmehr vollkommen den dynastischen Interessen unterworfen. 3.5.5. Miime und aventiure in der 'Trachsessenchronik' Mit der Geschichte von der vorbildlichen Treue Ottos gegenüber seinem Herrn rekurriert der Chronist auf ein Motiv, das auch den höfischen Epen des Mittelalters zugrunde liegt. Noch deutlicher wird diese intertextuelle Beziehung in der Biographie Nr. 64, in der die literarischen Motive von mime und aventiure in den Text eingespielt werden. Der Chroiüst nimmt hier eine weitverbreitete Stadtsage auf und verwandeh sie der Dynastiegeschichte an: den Kampf zwischen einem Städter und einem übermächtigen fi-emden Ritter. Der Kem dieser Wandersage besteht in einer überheblichen Herausforderung der einheimischen Ritterschaft durch einen fremden, heidnischen und scheinbar übermächtigen Helden. Motivgemäß versagen alle anderen Ritter vor der Provokation, bis schließlich ein vermeintlich schwacher, manchmal auch ständisch inferiorer, aber überaus tapferer Ritter den Sieg über den Fremden erringt. Eine Tradition dieses Motives fuhrt bis zum David-Goliath-Kampf, zum Kampf zwischen Manlius Torquatus und einem riesenhaften Gallier'^" sowie im 16. Jahrhimdert zu Aventins 'Baierischer Chronik'. Nach JoSEF DÜNNINGER'^' sind dergleichen Sagen vornehmlich im Zeitalter des Humanismus entstanden imd hier vornehmlich in Stadtmythen integriert worden. Man kann sie aber auch als eine Spätfolge der vom Adel getragenen 'Ritterrenaissance' und als eine Form der literarischen Rezeption des Tumierwesens, die ihren sichtbarsten Ausdruck in den Tumierbüchem des 16. Jahrhunderts gefunden hat, deuten.'" In der 'Truchsessenchronik' ist es ein heidnischer Ritter aus dem Königreich Wosen (= Bosnien [?]; 1,67), der die Christen herausfordert. Als es niemand wagt, gegen den Fremden zu kämpfen, kritisiert ein Truchseß Otto'" in aller Öffentlichkeit die allgemeine Feigheit und wird daraufhin von einer Gräfin von Cilli gebeten, den Kampf in ihrem Namen zu fuhren. Ihren Minneritter stattet sie mit den nötigen Waffen aus, nach dem Sieg erklärt sie sich zur Heirat Vgl. hierzu beispielhaft Tschudis Schilderung der Schlacht von Sempach. Siehe dazu RATTAY, Winkelried. Livius Vn.IX,6-Vin,X,14. DONNINGER, St. Erhard, S. 14f. Vgl. dazu GÖLLER/WURSTER, Dollingerlied, S. 9-16 und S. 39-42. Schon VOCHEZER (Geschichte I, S. 479) hat Zweifel an der historischen Existenz dieses Truchsessen formuliert und auf eine Parallele zur Konradin-Geschichte (vgl. oben Anm. 107) hingewiesen.

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bereit.'^" An dieser Stelle wechselt das literarische Motivrepertoire: Bewegte sich die Erzählung bisher entlang dem aus dem höfischen Roman bekannten Motiv der ritterlichen Minne-Bewährung in der aventiure, so wird nun die Erzählung mittels eines epischen Motivs weitergefiihrt, das dem Brautwerbungsschema aus einem 'Spielmannsepos' ähneh. Da Otto bereits verlobt ist, bittet er die Gräfin,'" seinen Bruder Johannes II. zum Gatten zu nehmen. Obwohl Johannes schon den geistlichen Stand angenommen hat und Otto deswegen befurchtet, die von Zili wurd Ine darumb nit anemen (1,68), kommt die Heirat zustande. Diese Verbindung steüt innerhalb der Geschlechtsgeschichte einen entscheidenden Wendepunkt dar. Die finanzielle Notlage ist beendet, da die Gräfin so viel an Gellts unnd Guetts (1,68) mitbringt, daß man fünf verpfändete Städte, Walltsee / Ruedlingen / Sullgaw / Menngen / Mundrichingen und den Buchssen (1,70) auslösen kann. Diese Biographie weicht in besonderer Weise von der Anlage der 'Truchsessenchronik' ab, und deswegen läßt sich an ihrer Einordmmg das historiographische Verständnis des Chronisten beschreiben. Im Gegensatz zu den meisten anderen Biographien enthäU sie keine genealogischen und dynastischen 'Fakten', sondern ist rein narrativ gestaltet. Wie schon in der KonradinGeschichte'^' übenümmt der Chronist eine Sage und besetzt sie mit Protagonisten aus der Truchsessendynastie. Diesmal bedient er sich nicht historischer Familienmitglieder, sondern reiht fiktive Figuren in die Genealogie ein. Die Einfügung des Brautwerbungsmotivs ist nicht durch historiographische Überlegungen gesteuert - hier hätte die Erwähnung der vorteilhaften Heirat jenes Johannes mit der Gräfin von Cilli in der Biographie Nr. 65 vollauf genügt - , sondern durch einen deiktischen Akt, mit dem eine das Haus xmd seine Gesamtinteressen in den Vordergrund stellende, selbstlose Tat eines Truchsessen demonstriert werden soll: Nur aufgrund von Ottos familienpolitischer Weitsicht verläßt Johannes den geistlichen Stand, d. h. er tritt wieder als aktiver Faktor in die Genealogie ein, und nur dadurch wird dem Haus Waldburg mit dem Gut der Gräfin von Cilli em neuer Aufstieg ermöglicht. Offenbar war der Chronist bestrebt, losgelöst von der genealogischen Vorgabe, eine rein fiktive Erzählung in sein Werk einzubauen, anhand derer er Normen für das richtige dynastische Verhalten vermittehi konnte. Die Motive entnimmt er der Literaturtradition. Das Brautwerbungsmotiv ist hier nicht mehr in seiner gattungstypischen Komplexität interessant, es ist aus seinem ursprünglichen Kontext gelöst worden

Zur Tradition dieses Motivs im Spätmittelalter vgl. WENZEL, Geschichte, bes. S. 96fr. Zur Bedeutung ritterlicher Bewährungsmuster für bürgerliche Selbstdarstellungen vgl. ebd., S.

294-300. Die Gräfin Katharina von Cilli ist die zweite Gattin Eberhards Π. mit den vier Frauen. Vgl. dazu oben S. 69 und Anm. 107.

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und wird zum Beweis dynastischer Solidarität.'" Der Chronikautor hat mit dieser Konstruktion gleich mehrere Ziele erreicht. Zum einen beweist er, daß sich - wie im Fall Ottos - ein Truchseß selbst dann an ein Verlobungsversprechen gebunden fühlt, weim er eigentlich durch seine Leistung für eine andere Heirat, die dazu noch unvergleichlich mehr Besitzzuwachs verspricht, prädestiniert gewesen wäre. Zum anderen weiß der Leser jetzt, daß die Zugehörigkeit zur Truchsessendynastie impliziert, sich immer um die Interessen der Gesamtfamilie zu kümmern: Otto verschafft seinem Bruder die reiche Heirat mit einer Gräfin, imd dieser wiederum verzichtet auf seinen geistlichen Stand. Wahrschemlich ungewollt signalisiert der Chronist durch die atypische Struktur der Geschichte jenes Ottos, daß er hier erzählerisches Fremdgut aufgenommen hat. Woher dies stammt, läßt sich angesichts der fehlenden Quellenangaben nicht sagen, aber ein Indiz spricht doch dafür, daß es aus Aventin entlehnt ist. Denn in der folgenden Biographie (Nr. 65), in welchem dann die Geschichte jenes Johannes behandelt wird, fügt der Chronist die Mitteilung ein, daß Johannes, dem auch die Gräfin von Cilli keinen Erben geschenkt hat, in vierter Ehe mit einer Freifi'au von Abensberg, die 32 Brüder gehabt habe, verheiratet gewesen ist. Von den 32 Brüdern berichtet auch Aventin in seiner 'Baierischen Chronik'.'" Weim der Truchsessenchronist tatsächlich hier Aventin anonym benutzt, dann kann man daraus schließen, daß er in seinem theoretischen Vorverständnis durchaus zwischen Literatur imd Historiographie unterscheidet. Er achtet darauf, daß solche literarischen Elemente nur locker mit den genealogischen Fakten verknüpft sind. Eine Aufdeckung der wirklichen Quellenverhältnisse würde demnach die Wahrheit der anderen Biographien nicht direkt berühren. In seiner Darstellimg hingegen trennt der Chronist nicht zwischen Historiographie und Literatur, und es scheint, daß derartige Biographien für ihn jenen Zweck erfüllen, der sich mit faktengesättigten biographischen Kapitehi nicht erreichen läßt: die Wahrheit der Geschichte durch Sinnstiftung und pragmatische Handlungsnormen zu ergänzen. 3.5.6. Literarische Strukturen in den Truchsessenbiographien des 15. und 16. Jahrhunderts Die Biographie des Johannes (Kap. 65) ist deutlich zugeschnitten auf die Beschreibung seiner Ritterlichkeit, die im Unterschied zur vorausgegangenen Biographie nicht in einem fiktiven Zweikampf demonstriert wird, sondern in einem - historisch gesicherten - Kampf Johannes' gegen die Städte am Bodensee. Diesmal aber ist es nicht das Thema des Sieges, unter dem der Chronist

Von daher ist auch erklärbar, warum der Chronist nicht in seine sagenhafte Vorlage gleich den späteren Gemahl der Gräfin von Cilli, Truchseß Johannes, als den ritterlichen Kämpfer einsetzt. Vgl. Aventin, Werke V, S. 285. Dies berichtet nach der gleichen Quelle auch die 'Zimmerische Chronik' (vgl. hierzu LŒBRECHT IV, S. 177). Zur Truchsessenchronik' als Quelle der 'Zimmerischen Chronik' vgl. ZC 1,193,28; 202,15 mitTC l,60f.

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das Mstorische Geschehen berichtet, vielmehr das der Niederlage. Johames bewährt sich zwar im Kampf {ain treffemlicher unnd ßrnemer Man·, 1,69), wird aber schwer verwundet und karm seinen Verfolgern nur knapp in den Ort Leupolz entkommen, welcher unter der Herrschaft des Vogtes Heinrich von Sunmierau steht.'" Der Vogt, obwohl durch nichts dazu verpflichtet, schützt Johannes zwar aus adliger Solidarität (1,69), aber ein Wächter, der Bürger des feindlichen Wangen ist, verläßt heimlich den Ort und teilt den Verfolgern den Aufenthaltsort des Truchsessen mit. Als sich die Städte daraufhin anschicken, Leupolz zu belagern, ergibt sich Johannes und wird zusammen mit seinen Mittverwannten ins Gefängnis von Ravensburg gebracht. Tapferkeit imd gegenseitige Treue auf der Seite des Adels, Verrat auf jener des Städtebundes bestimmen das Koordinatensystem, in welchem sich der Chronist bewegt. Alle weiteren Informationen über den Grund für den Angriff auf die Städte oder über die Freilassung des Truchsessen bzw. die Aussöhnung zwischen den Gegnern steht mit der epischen Handlimg nicht im Einklang, der Chronist hängt lediglich an den Schluß der Passage eine kurze Nachricht darüber an, wobei die juristischen Formehl des Friedensvertrages und die direkte Rede den Bruch in der Darstellung noch betonen. Die gegensätzlichen Intentionen des Textes, Exemplarität der Handlung einerseits und historische Wahrheit andererseits, sind die Ursache für die Disparatheit. Um das mustergültige Verhalten des Truchsessen und seiner adligen Freunde - Kampf bis zum letzten Augenblick, Rücksicht auf die Verbündeten und Bewahrung der Treue auch in der Niederlage - zu unterstreichen, muß sich der Chronist sogar von der historischen Überlieferung lösen. Denn danach ergab sich Johannes nicht freiwillig, und deswegen zündeten die verbündeten Städte die Burg Leupolz an. Die Fehde gegen die Städte ist der eine thematische Schwerpunkt der Biographie des Truchsessen Johannes, der zweite seine vier Heiraten. Brachte die Heirat mit der Gräfin von CilU einen beträchtlichen Besitzzuwachs, so diente seine vierte Heirat allein dem Fortbestand des Geschlechts. Da Johannes trotz seiner drei Ehen keine Nachkommen hat, unterwirft er sich dem Ratschluß seiner Verwandten und heiratet Ursula von Abensberg."" Obwohl schon im hohen Alter wird er wie Abraham für seinen Entschluß mit reichem Kindersegen belohnt. In Anlehnung an das biblische Motiv erscheint so unausgesprochen Gottes Wirken als Garant für das Fortbestehen der Dynastie. Die exemplarische Behandlung eines spezifischen Themas anhand einer Biographie kennzeichnet auch die narrative Struktur und den Inhalt der Biographie über den Truchseß Jakob I. (f 1460),"' in der der Chronist die BewälZu Einzelheiten vgl. VOCHEZER, Geschichte I, S. 409-412. 1,70: alls aber sein Geschlecht / bis auff ine abgestorben / hat er auff annhalltten seiner Freund / damit sein Geschlecht nit abgieng / das viert Weib genomen. Vgl. dazu VOCHEZER, Geschichte Π, S. 481 f. Bei diesem Jakob handelt es sich um den Begründer der Jakobischen Linie der Truchsessen (vgl. VOCHEZER, Geschichte Π, S. 1-59).

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tigung einer für die Dynastie schwierigen ökonomischen Sinjation vorfuhrt. Diskutiert wird dies vor dem Horizont eines prinzipiellen Konflikts zwischen den Zielvorgaben ritterlicher Bewährung bzw. Vergrößerung der dynastischen Reputation imd den ökonomischen Anforderungen. Jakob, der der Ehe zwischen Johannes und Ursula von Abensberg entstammt, verwendet das von seinem Vater erworbene Vermögen fiir eine Pilgerfahrt ins Heilige Land.'" Als ihm deswegen bei der Erbteilung von seinen Brüdern Vorhaltungen gemacht werden und ihm das ausgegebene Geld von seinem Erbe abgezogen werden soll, widerspricht Jakob: [...] unnd vermaint / dieweyll er das Erlichen umd seinem Stammen unnd Namen zue guett verthon / were er inen [i. e. den Brüdern] nichts schuldig (1,75). Der Chronist steht Jakobs Prachtentfaltung, die ihm den Spottnamen 'goldener Ritter"" eingetragen hat, ambivalent gegenüber, denn im unmittelbaren Anschluß an die Geschichte von der Palästinareise setzt er ein erzählerisches Gegengewicht. Er erzählt davon, wie Kaiser Friedrich III. dem Truchsessen eine besondere Gunstbezeugung zuteil werden läßt. Das Ereignis wird wiederum literarisch ausgestaltet, diesmal in Form einer Anekdote von einem Festtanz in Wien, auf welchem Kaiser Friedrich und König Ladislaus von Ungarn dem Truchsessen vorgetanntzet (1,76) haben sollen. Das hohe Ansehen, das Jakob am kaiserlichen Hof genießt, mildert zwar etwas die Kritik an seiner desaströsen Verschwendungssucht, aber der Chronist erwähnt nicht den materiellen Vorteil, den der Truchseß daraus zieht: Er erhäU die Gerichtsbarkeit in der Herrschaft Trauchburg sowie die Vogtei über Schaffhausen und verschiedene Klöster. Da der Truchsessenchronist wahrscheinlich das Familienarchiv benutzt hat und Kenntnisse über die ökonomischen Verhältnisse des Geschlechts besaß, dürfte ihm dies nicht unbekannt geblieben sein. Warum aber werden diese Nachrichten unterdrückt, und warum erscheint Jakobs Finanzpolitik in einem so negativen Licht? Der Chronist will hier offenbar exemplarisch den Widersprach zwischen adliger Repräsentation und ökonomischen Denken vorführen. Wie wichtig ihm diese Erkenntnis ist, drückt sich auch in einem abschließenden Urteil über den Trachsessen aus, welches an einer Stelle eingerückt wird, die eine Veränderung m der Struktur zum Ausdruck bringt und damit auch deren Relevanz bezeichnet: Waren bislang in den einzelnen Biographien am Ende meist lediglich die Namen von Frau und Kinder sowie der Todestag verzeichnet, so fügt der Chronist in die JakobBiographie eine Kurzcharakteristik ein, welche die Dichotomie von ständischem Ansehen und ökonomischen Erfordernissen pointiert: Gemellter Herr Jacob hat auch sein Tag / ganntz Erlichen vnnd wol gelept / aber übell gehauset / seinen Khindern groß Schulden verlassen (1,76). Durch die strikte Trennung von ökonomischer und ethischer Sphäre wird es dem Chronisten möglich, Vgl. zum repräsentativen Wert einer Reise ins Heilige Land: WOLF, Reisebericht, bes. S. 100. Nach VOCHEZER (Geschichte Π, S. 53f.) gibt es auch eine positive Deutung des Namens. So habe nach Felix Fabri Kaiser Friedrich im Jahre 1452 in Rom multos auratos [...] milites gekrönt. Allerdings legt die 'Truchsessenchronik' dezidiert Wert auf eine pejorative Deutung.

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beide Argumentationslinien in ihrem je eigenen Recht bestehen zu lassen. Deswegen verzichtet der Chronist darauf, die ökonomische Seite des kaiserlichen Wohlwollens mitzuteilen. Jakobs Biographie wird so 'zugerichtet', daß an ihr die unaufhebbaren Widersprüche adligen Lebens zu Tage treten. In den Autobiographien und Hauschroniken des Spätmittelalters läßt sich beobachten, wie zunehmend auch der Bildimgsdiskurs berücksichtigt wird, und die 'Truchsessenchronik' ist hier keine Ausnahme. Während der Chronist im bisherigen Text dieses Thema fast gar nicht berührt hat,'" erhält m der Biographie des Truchsessen Christoph (1509-1535) dieser Aspekt einen herausgehobenen Platz: Herr Christoff Herr Wilhalmert Erbtruchsässen etc. vnnd Frawen Sibilla gepome Gräuin zue Sonnemberg etc. Eelicher vnnd Erster Sone/Ist Inn seiner Jugennt von obbenanntenn seinem Vatter / bis Inn das Sechst Jar / auff den studiis / vnnd hohen schulen Inn Germanien vnnd Ittalien erhalten worden /da er mit [!] allain der Freyen Künsten / die ainem Jeglichen adennlichen man zue wissen getzymen / sonder auch der främbden sprachen, nämlich Ittalianisch vnnd Latinisch dermaßen Inn erfarung komen, das seines alters wenig Im gleich gefunden. (1,100)'"

Eine funktionale Beziehung zu der folgenden Biographie besitzt die Passage nicht, dem Chronikautor genügt es, die Erfordernis einer gelehrten Ausbildung in Verbindung mit Fremdsprachenkenntnissen zu unterstreichen. Sein eigentliches Ansehen verdankt Christoph den ritterlichen Qualitäten, die ihn zum Bannerträger des schwäbischen Heeres im Türkenkrieg prädestinieren und zum zweimaligen Ritterschlag durch Karl V. fuhren. Christophs Biographie wird im Rahmen des Türkenkampfes - und wiederum exemplarisch - auf die Dienstsituation gegenüber dem Reich hin entwickek. Die narrative Einfiigung der geschichtlichen Ereignisse entspricht der literarischen Methode des Chronisten, Geschichte nach psychologischen Motiven - z. B. ungerechte Herausforderung, Verbrechen und nachfolgende Rache - zu erzählen. Dazu bedarf es jedoch einer Neubewertung der deutschen Geschichte zur Zeit Karls V. Die Belagerung Wiens (1529) wird gar nicht erwähnt, dafür wird umgekehrt der Feldzug Karls V. gegen Tunis zu einer Eroberung Nordafrikas stilisiert (1,101)."' In der Äquivalenz zwischen der Eroberung merernnthaill des Khunigreichs Unngern (1,100) durch die Türken imd der Eroberung von Tunis durch Karl V. spiegelt sich die Vorstellung des Chronisten, wonach das Walten einer ausgleichenden Gerechtigkeit die Welt bestimme und der Sieg des Christentums über die Türken gewährleistet sei.

Eine Ausnahme bildet lediglich im Kap. 64 der Hinweis darauf, daß ein Truchseß Otto möglicherweise in Wien auff der Hohenschuoll zue Lere gewesen sei (1,67). Stuttgart, WLB, Cod. Don. 590, S. 234. Der Herrschaftsbereich der Habsburger in Tunesien blieb (bis 1574) auf eine kleine Enklave beschränkt.

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Der Biographie des Truchsessen Eberhard I. (1424-1479), eines weiteren Sohns des Truchsessen Johannes und Ursulas von Abensberg (I,132f.),'" hätte eigentlich ein besonderer Platz in der Chronik gebührt. Es ist dieser Eberhard, der zwei Grafschaften erwirbt und bei Kaiser Friedrich für die Seitenlinie der Sonneberger"' die Erhebung in den Grafenstand erreicht. Zwar erwähnt der Chronist diesen Erfolg zusammen mit einer positiven Charakterisierung Eberhards gleich am Anfang der Biographie über Eberhard von Sonnenberg (Kap. 76),"' aber zwei Drittel des Kapitels verwendet er darauf, das Leben dieses Grafen als eine einzige Abfolge von Kämpfen zu schildern. Zxmächst wird von den blutigen Auseinandersetzungen Eberhards mit dem österreichischen Herzog wegen der Forstrechte der Grafschaft berichtet, danach von Eberhards Krieg mit den Eidgenossen, in dem er in die Gefangenschaft seiner Gegner gerät (1,133). Die Biographie Eberhards suggeriert, daß die durch den Aufstieg entstandenen Kosten größer waren als der Gewinn. Die Art und Weise, wie dies mit der Nachricht von dem Kauf der Grafschaft Sonnenberg verknüpft ist, erweckt den Eindruck, als ob es der Erfolg sei, welcher die Kämpfe heraufbeschwor. Eine solche Deutung entspricht der Ablehnung von Standeserhöhungen durch Georg III., und es ist denkbar, daß seine Einstellung für die lapidare Schilderung von Eberhards Leben und die Überbetonung der daraus entstandenen Leiden maßgebend war. Die Biographie Eberhards dient als Exempel für die Dialektik des Erfolgs. Erstaunlicherweise berichtet die Chronik nichts über den wichtigsten dynastischen Erfolg Eberhards, die 1463 errichtete Erbeinigung mit den anderen waldburgischen Linien.'^ Vielleicht verschweigt dies der Chronist deswegen, weil in den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts die Streitigkeiten zwischen den Linien wieder aufgelebt waren und Georg einen neuen Hausvertrag anstrebte.'·" Jeder Hinweis auf den fi^heren 'MißgrifT hätte hier wie ein böses Omen gewirkt. Literarisch ausgefeilter ist die Biographie von Eberhards Sohn Johannes (Kap. 79; 1,143-146). Die genealogisch bedeutsamen Nachrichten über Johannes (1471-1510) - seine finanziellen Erfolge und seinen Charakter (1,146) bilden dabei nur die spärliche Folie fur eine literarische Erzählung um diesen Grafen. Johannes nimmt 1487 am Krieg Erzherzog Sigmunds gegen die Venetianer teil, und in einer Pause des Kriegszuges tritt er gegen einen Italiener namens Anton Maria zu einem ritterlichen Zweikampf an. Von diesem Kampf V ^ . oben S. 76. Diese Sonnenberger Seitenlinie war durch die große Teilung unter den Söhnen des Truchsessen Johannes entstanden (1429). I,132f.: Herr Eberhart Truchseß zue Walltpurg Herr Hannsen Sorte, was aein verninfflig geschieh Man aein guetter Haußwurt / kaufft die Graueschaß Sonnenberg / ließ sich [von] Kayser Friderichen sampt seinen vier Sorten Otto / Eberharten / Enndressen / vnnd Hannsen [...] darauffGraven. RAUH, Erbeinigung, S. Sff. Zu den Zeugen dieser Erbeinigung gehört auch Werner von Zimmern, was auf das enge Verhältnis zwischen beiden Geschlechtem schließen läßt. Vgl. dazu unten S. 84.

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ist ein Bericht im truchsessischen Archiv erhalten geblieben,den der Chronist seiner Darstellimg zugrunde gelegt hat. Vergleicht man den Bericht mit der Vorlage, die ihr erzählerisches Gewicht auf die Inszenierung des Duellarrangements legt, dann strafft der Chronist die Präliminarien und konzentriert sich auf den genauen Verlauf des Zweikampfes. Darin unterscheidet sich die Darstellung auch fundamental von dem Kampf des Truchsessen gegen den Heiden aus dem Königreich fVosen,'^^ wo allein das Ergebnis, der Gewinn der Minnedame, interessierte. Gegenüber der Vorlage baut der Chronist alle erzählerischen Elemente aus, die Johannes' Tapferkeit betonen. So tritt der Graf nur mit einem Dolch gegen den schwerbewafifeeten Italiener an. Spannungsmomente werden eingearbeitet, wenn etwa der Chronist die Angst der Deutschen imi ihren Kämpfer schildert. Ausgeblendet bleibt die den Kampf abschließende Festlichkeit, die sich anbahnende Freundschaft zwischen den beiden ehemaligen Feinden und der gegenseitige Austausch von Geschenken, die der Archivbericht (I,150f) genau verzeichnet. Im Gegensatz zu der hn Archivbericht pointierten personalen Dimension ist für den Chronisten der durch Kampf und Sieg erreichte Ansehensgewinn für das gesamte Haus Waldburg entscheidend: also gewarm (Gott hab Lob) Graue Harms von Sonnennberg / unnd Truchseß zue Walltpurg den Kampff von aller Teutschen wegen / darumb Ime von dennselben / auch anndern groß Lob unnd Er zugemessen (1,145). Anders als die Vorlage bemüht sich der Chronist hier, den Kampf an literarische Schemata anzupassen. Und dazu gehört auch die aus Dankbarkeit für den Sieg angeführte Stifhmg des Franziskanerklosters Wolfegg durch Johannes, was zwar ebenfalls literarischen Mustern entspricht, jedoch weder der Vorlage noch den historischen Fakten - die Gründung wurde erst von Georg III. vorgenommen. Auch dieses Kapitel wartet wieder mit einer abschließenden Gesamtbewertung Johannes' auf, die abgehoben ist von seiner im Zweikampf bewiesenen Tapferkeit und abzielt auf seine Charaktereigenschaften. Hier werden im Kem die Werte genannt, nach dem das Leben jedes Truchsessen beurteilt wird - Religiosität, politische Entschiedenheit und ökonomisches Denken: Gemelltter Graf Hanns was ain frommer/aber ain zorniger Mann / ain guetter Haushalhter / war seinen Vnderthonen mit Fronndiennsten / auch sonst Inn der Graueschaffl vast hertt / Erbawt von newen das Schloß Wolffegg / kauffet die Alb / auch die Weingärtten am Bodennsee / das Dorff Christoll unnd sonnst vil ander Güetter, vmb das Gellt / so Ime Inn der Ablösung der Lanndtsvogty geben. (¡.Мб)'""

Wie stark die Einzelbiographien in der 'Truchsessenchronik' auf die Vermittlung von Erkenntnis ausgerichtet sind, beweist die Biographie des Grafen AnAuszüge dieses Berichts sind im 2. Zusatz zum Kap. 74. der 'Truchsessenchronik' (1,146-152) enthalten. Vgl. oben S. 73. Stuttgart, WLB, Cod. Don. 590, S. 213.

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dreas von Sonnenberg (1472-1511),"" der von Graf Felix von Werdenberg heimtückisch bei der Jagd überfallen und getötet wurde. Obwohl die Truchsessen den Werdenberger vor dem königlichen Gericht umb peinlichs Recht (1,155) verklagen, bleibt die Tat ungesühnt, da Maximilian, der mit den Grafen von Werdenberg entfernt verwandt ist, ein Verfahren gegen Graf Felix hintertreibt. Dies formuliert der Chronist freilich lücht explizit, sei es aus Angst vor dem Unwillen der Habsburger oder aus Gründen historiographischer Neutralität. Viehnehr versteckt er sich hinter der Kritik anonymer Dritter am Kaiser. Aber die strukturelle Anordnung des Kapitels bestätigt den impliziten Tadel des Chronisten: Die Mitteilung über den Mord und den Schutz des Mörders durch Maximilian folgt unmittelbar nach einer ausgiebigen Würdigung der Verdienste des Grafen Andreas um Reich und Kaiser. Nach Ansicht des Chronisten war des Grafen Andreas politisches Handeln bestimmt von seiner unbedingten Treue gegenüber Maximilian, die er als OberstefrJ Veldhauptman (1,154) in zahlreichen militärischen Einsätzen bewiesen hat. Das harte Gegeneinander von Vasallentreue und Treulosigkeit des Herrn erzeugt in dieser Konstruktion fast notwendigerweise beim Leser den Eindruck, Undank sei des Kaisers Lohn. Am Ende bestätigt dies der Chronist explizit in einem Schlußurteil über Andreas: im denen und anndern Hanndlungen hat er vil guetter erheben gethatten gethon / Kayser Maximilion erheben und wol gediennt/ aber nach seinem Tod nit bedacht (1,154). Auch die in den letzten Biographien fast obligatorisch gewordene abschließende Würdigung schließt nochmals an die militärischen Qualitäten des Grafen Andreas an (ain sigUcher Mann im Krieg / im Frid] 1,155), zieht aber angesichts seines spektakulären Endes eine Verbindungslinie zwischen seiner Jagdleidenschaft und seinem Tod und mündet schließlich in einer generellen Hofkritik. Anhand des Schicksals des Grafen kann der Leser den ScMuß ziehen, daß Herrschern nicht zu trauen sei, und Diensterfüllung sie nicht automatisch zur Dankbarkeit veφflichte. Der Chronist hat damit eine Thematik angeschlagen, die in der 'Zimmerischen Chronik' noch viel grundsätzlicher ausgeführt werden wird imd die zu den zentralen Überlegungen bei den adligen Geschlechtem des 16. Jahrhunderts gehört.'"' Der abschließende Hinweis des Chronisten, wonach Andreas in Ausübimg seiner Jagdleidenschaft gestorben sei, überrascht, da der Autor damit tendenziell von dem gewalthaften Ende ablenkt. Dies kann man als Versuch des Autors sehen, im Ende des Grafen

"" Zur Biographie des Grafen Andreas vgl. VOCHEZER, Geschichte Π, S. 726-797. 1,155: vnnd ward Kayser Maximilian gatmlz verdächtlich geacht / deßgleichen von unparteischen vil geredt / vnnd jederman sagt das Graue Felix vbell gehanndellt hett / an Graue Enndressen / unnd der Kayser thätt den Truchseßen unrecht. Die Unbeständigkeit der Herrschenden beklagen auch die bürgerlichen Hofkritiker des 16. Jahrhunderts (vgl. etwa KffiSEL, Hof, S. 40-43, 59ff. und passim), allerdings wendet sich der Truchsessenchronist mit seiner Argumentation nicht gegen das Hofleben an sich, sondern nur gegen das Verhalten der Fürsten und Könige.

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doch eine gewisse Logik zu erblicken und den Leser durch das Motiv des glücklichen Todes mit dem nicht gesühnten Mord zu versöhnen. 3.5.7. Die Biographie Georgs ΙΠ. Die umfangreichste Einzelbiographie innerhalb der 'Truchsessenchronik' stellt die des Truchsessen Georg ΙΠ. (1488-1531) dar (Kap. 85; 1,173-176).Im Vergleich zu allen anderen Biographien verzeichnet der Chronist den Lebenslauf einigermaßen ausführlich, wobei er den Schwerpunkt auf die militärischen imd politischen Funktionen Georgs legt. Während jedoch die einzelnen Feldzüge unter Herzog Wilhelm von Bayern und Kaiser Maximilian nur stereotyp seine besondere Tapferkeit unterstreichen, sind drei Feldzüge erzählerisch breiter ausgestaltet, die Öttinger-Fehde, der Krieg gegen den 'Armen Konrad' und der Bauernkrieg. Der Chronist wählt diese drei Ereignisse deswegen, weil sich an ihnen Georgs Standesbewußtsein, vor allem seme adlige Solidarität demonstrieren lassen. Die Öttinger Fehde ist dabei unter dem Aspekt vorbildlichen Handelns im Interesse der Dynastie inszeniert. Georg rächt den Tod seines Schwagers Graf Joachim von Öttingen, indem er das Heer des Schwäbischen Bundes gegen die Mörder des Grafen aufbringt. So erfolgreich dieser Feldzug auch ist, so bitter sind die persönlichen Konsequenzen fur Georg. Denn als späte Rache entführt einer der zu Unrecht davon betroffenen Adligen den einzigen Sohn Georgs, Jakob (Kap. 86). Georg gelingt es zu Lebzeiten nicht mehr, ihn zu befreien. Erst nach seinem Tod lösen ihn die Verwandten in einem weiteren Akt der Familiensolidarität aus (1,210). Der Chronist verschweigt allerdings den Zusammenhang zwischen Entfuhrung und der Fehde Georgs, wodurch der Eindruck entsteht, der Sohn Georgs sei tatsächlich vnnschuldigclich entführt worden. Um adlige Solidarität geht es auch in den beiden Abschiütten über die Kriege gegen die Bauern. Aus der historischen Retrospektive betrachtet, verwundert es weiter nicht, wenn der Chronist die Bauernkriege nur als gerechte Strafaktionen beschreibt, in denen sich Georg darin bewährt, die aufrührerischen Vnnderthonen widerumb zugehorsam (1,173) zu bringen. Der Bauernkrieg erscheint allein aus adliger Perspektive."" Der Chronist verliert kein Wort über dessen Gründe, sondern bedauert die vili Mühe Arbeit und Sorg Georgs III. Der Tod von hundert tausennt Bauren (1,174) erscheint als eine Leistung, für die Georg zu Recht mit der Statthalterschaft über Württemberg belohnt wird. Indem der Chronist Georgs frühen Tod als Folge des Krieges erklärt, wird der Tod des einen mit dem der vielen verrechnet, sind nicht die Bauern, sondern der Bauemjörg das Opfer. Gemäß des ideologischen Subtextes der 'Truchsessenchronik' erfüllt sich in Georgs Biographie all das, was die IdentiStuttgart, WLB, Cod. Don. 590, S. 222-230. Diese Biographie ist auch separat überiiefert in Stuttgart, WLB, Cod. hist. fol. 371. In der 'Zimmerischen Chronik' wird dagegen der Bauernkrieg im Hinblick auf dynastische Interessen instrumentalisiert. Vgl. dazu unten S. 348-351.

Resümee

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tät des GescMechts ausmacht: Die Trachsessen sind die vorbildlichen Diener des Reichs, die fur ihren Lehensherm Gesundheit und Leben aufs Spiel setzen.'" Mit dieser Apotheose des Dienstgedankens - als Leitmotiv bereits in der Geschichte von der mißglückten Verteidigung Königs Philipps formuliert'^' wird implizit auch eine De-facto-Gleichrangigkeit mit dem hohen Adel suggeriert. Der Chronist verschweigt nicht den finanziellen und ideellen Gewinn, welchen Georg aus seinem Dienst zieht, aber dieser ist interessanterweise nicht entscheidend für den Wohlstand der Dynastie. Dies heißt nichts anderes, als daß der Dienst nicht um des Geldes willen geleistet worden sei, sondern aus Gehorsam gegenüber dem Reich. Folgerichtig wird das höchste Lob, welches der Chronist für einen Truchsessen finden kann, dadurch begründet, daß Georg sein Kapital optimal für den Ausbau des truchsessischen Territoriums einsetzte: [Georg] war darzue ein guetter Haußhallter / dann er bis inn die hundert tausennt Guldin wert Guetter bey seiner Regierung an sich pracht / wiewoll er darbey vil Schulden machen mueßt / vermaint aber es were besser Guetter die ainem gelegen / mit Schulden an sich zuebringen / dann Gellt zur übrigen / aus Vrsachen / das nit allweg solliche gelegne Güetter fail werennt / wann ainer gleich Gellt hett.{l,n5T^

3.6. Resümee Insgesamt gesehen bietet die 'Truchsessenchronik' wesentlich mehr als die schriftliche Fixierung und Konservierung genealogischer Informationen, da sie gerade in ihren literarisch ausgefeilten Abschnitten und in ihren Werturteilen indirekt Handlungsanweisimgen für die Nachkommen vermittelt. Inwieweit eine solche Aufarbeitung der Biographie noch dem Material des Matthäus von Pappenheim entstammt oder durch den Chronisten nach dem Wunsch Georgs III. gestaltet wurde, kann nicht defmitiv entschieden werden. Ein Vergleich mit den lateinischen Genealogien des Matthäus'" deutet indessen auf die zweite Variante, da Matthäus nur wenig literarische Passagen verarbeitet und auch kaum Bewertungen vornimmt. Dies führt hinsichtlich der Entstehung der 'Truchsessenchronik' zu der Schlußfolgerung, daß die Bewertungen nicht aus der Vorlage des Matthäus stammen, sondern von dem Endredaktor eingefügt

1,175: [Georg] ward auch inn treffennlichen grossen Sachen / von Kayser und Küngen dermassen so strennglichen gepraucht / das sollichs nit die wenigist Vrsach seins Sterbens geweßt. Auch wenn die Dienstpflicht gegenüber dem Herrn prinzipiell unbegrenzt war, mußte dieser auf die Verhältnisse des Vasallen eine gewisse Rücksicht nehmen (MITTEIS, Lehnrecht, S. 598-606). Insofern kann die Argumentation als eine indirekte Entschädigungsbitte verstanden werden. Vgl. oben S. 68ff. Stuttgart, WLB, Cod. Don. 590, S. 228. Regensburg, Thum & Taxis, Ms. 166.

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Die 'Truchsessenchronik'

worden sind."* Die wichtigste Norm, an welcher das Handehi der Truchsessen gemessen wird, ist die der Ökonomie. Gleich ob Heiratsentscheidmg, Güterkäufe oder -Verkäufe oder sonstige Rechtsakte - wenn der Chronist selbst ein solches Geschehen bewertet, geht es ihm um die Konsequenzen für den ökonomischen Status des Hauses. Angesichts der Bedeutung, die dieser Aspekt insgesamt in der 'Truchsessenchronik' hat, kaim sogar angenommen werden, daß hierin ein zentraler Grund für die Erstellung der Hauschronik in der vorliegenden Form lag. Zumindest dort, wo nicht nur genealogische Daten referiert werden, besitzt das ökonomische Handeln der Truchsessen exemplarische Funktion und wird - soweit explizit positiv bewertet - zur Richtschnur für die Nachkommen.'" Als ideeller Maßstab fiir die Bewertung des Verhaltens der Truchsessen dient die Erfüllung ihrer Dienstverpflichtung gegenüber Adel und Reich. Sofern die Truchsessen dieser zentralen Verpflichtung genügen, wird - so suggeriert der Chronist - ihr Haus keinen Schaden nehmen, werden sie immer wie im Bauernkrieg auf der Seite der Gerechtigkeit sein. Potentiell steht die Loyalität gegenüber dem Reich in einem Gegensatz zu den Interessen des eigenen Hauses. Aber dieser Widerspruch wird vom Chronisten soweit wie möglich ignoriert, vielmehr versucht er semen Lesern das Dogma von der Unteilbarkeit adliger Solidarität zu vermittehi: Wenn sich die Truchsessen der Idee der Loyalität verschreiben, dann wirkt dies gleichermaßen nach innen und außen. Die Apotheose der Loyalität liegt in der Vergangenheit der Truchsessen begründet. Nach der Chronik werden Phasen des dynastischen Niedergangs nicht durch äußere Faktoren ausgelöst, sondern sie sind immer mit innerdynastischer Uneinigkeit verbunden, msbesondere mit den zahlreichen Erbstreitigkeiten. Zwar ist die größte Gefahr für den Erhalt des Hauses durch die Erbeinigung von 1463 gebannt,"* aber es tritt dieser Aspekt in der 'Truchsessenchronik' deutlich hervor, wenn der Chronist die verderbliche Wirkung von Besitzaufteilungen und Familienstreitigkeiten immer wieder als das größte Manko der Dynastiegeschichte hervorleuchten läßt.'" Vielleicht liegt hier ebenfalls ein Grund für die Entstehimg der Chronik. Deim trotz der Erbeinigung von 1463 schwellten die Konflikte weiter, und um 1530 führten Wilhehn d. Ä. und Georg III. als die Vertreter der trauchburgischen und georginischen Linie neue Verhandlungen mit dem Ziel beim Aussterben der einen Linie den Besitz der verbliebenen zukommen zu lassen."" Möglicherweise

Dagegen spricht allerdings die prophylaktische Entschuldigwg Matthäus', er hofFe keinem Truchsessen an dem Hellm gegriffen (1,7) zu haben, wenngleich diese Entschuldigung auch rein rhetorischen Charakter haben kann. Die Truchsessen Andreas, Georg I. und Georg Ш. stehen hier für den richtigen Umgang mit dem Geld, Georg Π. fllr den falschen. Vgl. dazu RAUH, Erbeinigung, S. 5ff. Vgl. 1,62-65; 75f RAUH, Erbeinigung, S. 9F

Resümee

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sollte die in der gleichen Zeit entstandene 'Truchsessenchronik' diese Pläne, die den Erhalt des Stammes zum Ziel hatten, flankieren. Die Passagen, in denen exemplarischer Dienst am Reich vorgeführt wird, sind am sorgfaltigsten literarisch inszeniert. Die Erzählungen folgen immer einer ähnlichen und sehr einfachen Struktur, die erkennen läßt, daß der Chronist ein historisches Grundprinzip vermittehi will: Treue wird stets belohnt, dem Verrat folgt die Rache auf dem Fuß. Mit einer expliziten moralischen Bewertung hält sich der Chronist weitgehend zurück. Geradezu hymnisch faUt nur das Lob für Georg III. aus.'" Allerdings kritisiert der Autor die Truchsessen Andreas und Johannes (ain somder Liebhaber der Gaistlichen / aber ain Buler; 1,161) wegen ihres leichtfertigen Umgangs mit Frauen; das einzige, eindeutige Gegenbild und 'Negativbeispiel' Georg II. tadeh der Chronist wegen seiner Trunksucht. In der Exempelfimktion jeder Biographie liegt denn auch die Lizenz für den Chronisten, die Angehörigen des Geschlechts zu kritisieren. Abgesehen von den aufgefflhrten Punkten bleibt die Darstellung wertneutral, der Begriff der Schuld ist ausgeschlossen, und auch Gott tritt nicht als der Garant einer höheren oder historischen Gerechtigkeit auf. Konsequenterweise werden Niederlagen denn auch nicht mit emer religiösen Haltung bewältigt. Diese haben vielmehr ganz irdische kausale Gründe, und auf die will der Chronist in Form einer säkularen Logik aufinerksam machen. Stilistisch ist die Chronik eine Mischform, annalistische wechsehi mit narrativen Abschnitten. In den zahlreichen 'Kurzbiographien', mit denen der Chronist keine politischen oder geschichtlichen Einsichten vermittehi will, orientiert er sich völlig an der èrev/to-Forderung. Die erzählerisch gestalteten Biographien sind auf einzelne Schlüsselereignisse zugeschnitten und gewinnen gerade in der Konzentration auf diese ihre exemplarische Potenz und Erkenntnisfunktion. Die erzählerische Durchgestaltung des Stofies dient nicht dazu, die Geschichte des Hauses in epischer Breite oder als spannende Unterhaltung aufzubereiten. Vielmehr wird in einer gestrafften Form ein gut und zügig lesbarer Leitfaden für die Geschichte des Hauses - Reichsgeschichte und Nachrichten über andere Geschlechter bleiben weitgehend ausgespart - geboten. Der repräsentative Zweck der Hauschronik wird gewährleistet durch die aufwendige Illustrierung der Handschriften mit den Porträts der Trachsessen. Hier setzt sich der Chronist ab von der sonst üblichen Beschränkung auf Wappenzeichnungen"® und lehnt sich an die Habsburger-Tradition an. Die für eine Genealogie unabdingbaren Merkmale - Herkommen, Filiationen, Verdienste - sind

1,175: Dieser Herr Georg ist ein tewrer / vernunfftiger gescickhter und bereiter Man der zue Schimpff und Ernnst inn Kriegssachen unnd Rattschiegen für ander zugeprauchen. "" Siehe dazu Matthäus' Sammlung lateinischer Genealogien südwestdeutscher Adelsgeschlechter (Regensburg, Thum & Taxis, Ms. 166), die u. a. die Genealogien folgender Geschlechter aus dem deutschen Südwesten enthält: Württemberg (f. 19"'-26'), Calw (f. 20"'-320, Tübingen (f. Зг'-Зб"), Helfenstein (f 36M50, Nellenburg & Veringen (f 55'-580, Werdenberg (f 87'920, Hohenzollem (f ПГ-ПбО, Geroltseck(f 128"-1320, Zimmern (f 151).

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Die 'Truchsessenchronik'

zwar enthalten, genauso wichtig aber ist es dem Chronisten Prämissen mitzuteilen, bei deren Beachtung sich eine erfolgreiche Zukunft fur das Geschlecht erwarten läßt. Deswegen findet sich in der 'Truchsessenchronik' auch eine durchgehende Tendenz, Widersprüche in den politischen Handlungen des Geschlechts so gut wie möglich auszuklammern. Mit dieser Formation, der Verbindung von Genealogie, Literatur und indirekter Didaxe, hat der Chronist im deutschen Südwesten eine Gattung begründet, derer sich bald viele Geschlechter bedienen sollten.

4. Sebastian Küngs Chronik der Grafen und Herzöge von Württemberg" 4.1. Der Chronist und die Chronik Der Freihem zu Bütelspach, Graven und Hertzogen zu Wurtemberg Ankunfi, Leben, Wesen, Handlungen und Abschidt, aigentliche und summarische Beschreibung durch S. K. von Stutgarten jetzt niulich ververtigt, anno 1554, den 25. Juli. (22) Dieser Titel bezeichnet ein Werk, das heute die älteste volkssprachige Geschichte der Grafen von Württemberg darstellt.^ Diese Chronik ist in der Originalhandschrift ihres Verfassers, des Stuttgarter Ratsherren Sebastian Küng (ca. 1514-1561), überliefert und befindet sich neben späteren Abschriften und einer veränderten Fassung als einziges Werk Küngs' in der Stuttgarter Landesbibliothek/ D e n Forschungen der Herausgeberin INGRTO SOMMER' zufolge stammt Küng aus einem alten Stuttgarter Bürgergeschlecht, von dessen Exi-

Die Chronik wird zitiert nach der Edition INGRID SOMMERS (zitiert: Küng, Chronik). Auf ihre Edition beziehen sich die Seitenangaben ohne Zusatz in diesem Kapitel. - Zur Vita der einzelnen Regenten ab Mitte des 13. Jahrhunderts vgl. RAFF, Wirtemberg S. 3-511. SOMMER (Küng, Chronik, S. lOfF.) vermutet die Existenz einer älteren verlorenen schwäbischen Quelle, aus welcher nicht nur Küng, sondern auch die zahlreichen Historiographen schöpften, die sich um die Wende zum 17. Jahrhundert mit der Geschichte Württembergs und des Herzoghauses befaßten. In dieser Zeit nahm - vielleicht auch angeregt durch das Küngsche Werk, das häufig benutzt wurde - die württembergische Geschichtsschreibung einen enormen Aufschwung: U. a. verfaßte der herzogliche Rat Georg Gadner (1522-1605) eine 1598 abgeschlossene Geschichte der württembergischen Herzöge (Stuttgart, WLB, Cod. hist. fol. 16), Balthasar Mütschlin (t 1609) eine württembergische Chronik (Stuttgart, WLB, Cod. hist. fol. 184), Jakob Frischlin (1557-1616) einen 'Panegyricus' (Stuttgart, WLB, Cod hist. fol. 327) auf das fürstliche Haus Württemberg und eine Hauschronik des Geschlechts (Stuttgart, WLB Cod. hist. fol. 73), David Wolleber (vgl. SCHNEROER, Wolleber) eine Landeschronik (1598; Stuttgart, WLB Cod. hist. fol. 167) und selbst der mit politischen Geschäften überlastete Kanzler Johannes Feßler (1501-72) eine 'Wahrhaftige Beschreibung, wie das Land Wirtemberg zu einem Herzogtum seye erhöht' (vgl. WUNDER, Feßler, S. 27). In einer weiteren Chronik (Stuttgart, WLB, Cod. hist. fol. 73) wird zwar ebenfalls Küng als Verfasser genannt, nach HEYD (Handschriften I, Nr. 73, S. 30) stammt dieses Werk jedoch von Jakob Frischlin (vgl. Küng, Chronik, S. 3 und 12). Stuttgart, WLB, Cod. hist. fol. 78. Trotz einiger Corrigenda (vgl. etwa Küng, Chronik, S. 159, Anm. 5 zur Lebenszeit Lirers) bietet der ausführliche Kommentar SOMMERS im Anmerkungsapparat noch immer die wichtigsten historischen Sachinformationen, auf deren Wiederholung hier weitgehend verzichtet werden kaim.

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Sebastian Küngs Chronik der Grafen und Herzöge von Württemberg

Stenz noch viele urkundliche Belege zeugen.' Anhahspunkte iur den Verlauf von Küngs Leben sind seine Inmatrikulation an der Universität Tübingen und seine Tätigkeit als Stuttgarter Ratsherr 1546-60.' Küng besaß eine umfassende humanistische Bildung und gehörte zu den fωlrenden Bürgern der Stadt. Welche Politik er im Stadtrat betrieb oder welcher Tätigkeit er nachgmg, verzeichnen die Quellen genauso wenig wie Zeit, Umstände und Intention seiner Chronik. Sicher ist nur, daß er bis zu seinem Tod an ihr gearbeitet hat. Die ersten drei Viertel des Werks sind eigenhändig von ihm geschrieben, ab Bl. 125 hat er emem Schreiber diktiert, der offenbar die letzten Seiten (Bl. 159''-163'^ nach Küngs Tod anhand von dessen Notizen eintrug.' Eine dritte Hand beginnt auf Bl. 164' mit emer Fortsetzung der Chronik, bricht jedoch bereits nach fünf Zeilen ab.' Von Küng sind auch die 94 Zeichnungen und Aquarelle, meist Wappenzeichnungen. Die Chronik selbst ist in eine Vorrede und 27 durch Überschriften markierte Kapitel gegliedert." Allerdings verhält es sich nicht so, wie das Inhaltsverzeichnis der Ausgabe von SOMMER nahelegt,'^ daß die ersten drei Kapitel sowie weitere zehn, in deren Überschriften Jahreszahlen enthalten sind, die Oberkapitel bilden und die anderen deren Unterkapitel. Denn letztere enthalten Ereignisse, die überhaupt nicht zu den in den Überschriften angegeben Zeiträumen gehören. Die wirkliche Gliederung der Chronik ist eine andere: Nach der geschichtstheoretisch bedeutsamen Vorred an den guthertzigen leser folgen drei systematische Kapitel über den ursprung der freihern zu Beutelshach und graven zu Wirtemberg (25-28), über die geschichtlichen Gründe ftir die territoriale Zersplitterung des deutschen Südwestens (29f ) und über eine etymologisch-historische Deutung des Namens Wirtemberg (30f ). Danach beginnt die Dynastiegeschichte mit einem Emich von Groningen (31). Dieser fiktive Vorfahr besetzt die von den anderen Hauschroniken her bekannte Position eines 'Stammvaters' des Geschlechts, auch weim es Küng vermeidet, ihn so zu be-

Küng, Chronik, S. If. Eine Identität mit dem gleichzeitig bezeugten Tuchhändler und Eichmeister Sebastian König wird von SOMMER verneint (Küng, Chronik, S. 2). Küng, Chronik, S. 243f., Anm. 1346. Zur näheren Beschreibung der Handschrift vgl. Küng, Chronik, S. 1 Sf. Offen bleibt ein Datierungsproblem: Nach Küng hat er die summarische beschreibung am 25.7.1554 abgeschlossen. Im Text fmdet sich jedoch in diesem Jahr keine Zäsur, vielmehr reicht der Text dieses letzten Kapitels mehrfach über das angebliche Datum der Fertigstellung hinaus (vgl. etwa S. 119, 137), ja sogar das vorhergehende Kapitel vermerkt die Umbettung des Leichnams Graf Ludwigs von Württemberg im Jahre 1555. Da der jüngere Text aber gleichfalls von Küng geschrieben wurde, ist anzunehmen, daß er seine Chronik 1554 zunächst abschloß und die letzten beiden Kapitel später nachtrug. Vgl. dazu das 'Inhaltsverzeichnis' der Chronik im Anhang 1. Die zur Genealogie gehörenden Überschriften sind dabei mit Buchstaben, die systematischen Exkurse mit römischen und die chronologischen mit arabischen Ziffern gekennzeichnet. Vgl. dazu Küng, Chronik, S. 20f.

Der Chronist und die Chronik

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zeichnen." Die Genealogie setzt sich fort im folgenden Kapitel, das die Überschrift trägt Linea der Freihern zu Beutelspach (32). Diese Kapitelüberschrift bezieht sich auf die unmittelbaren Vorgänger der Württemberger Grafen, und bereits hier wird ein Conrad erwähnt, der sich als erster Graf zu Württemberg und Freiherr von Beutelsbach genannt habe (33). Danach handehi die genealogischen Passagen der Chronik nur noch von den Württemberger, aber dies wird nur noch in drei weiteren Kapitelüberschriften festgehalten. Ansonsten werden Überschriften nur noch verwendet a) fiir neun Exkursen zur Geschichte anderer Herrschaften (Calw, Tübingen, Stuttgart usw.) und b) fiir zehn Kapitel mit vermischten Inhalten. Die Überschriften zu diesen lauten jeweils: Sunderliche geschickten, die sich von anno [...] bis [...] in dieser landtsartt verloffen haben. Die jeweiligen Jahreszahlen umfassen insgesamt und ohne Unterbrechmmg die Zeit von 920 bis 1561. Aber damit sind nicht besonders abgrenzbare Epochen der Dynastiegeschichte erfaßt, sondern wie der Begriff sunderliche geschickten bereits signalisiert, werden in diesen relativ kurzen Abschnitten meistens Einzelereignisse berichtet, die nicht im direkten Zusammenhang mit der fortlaufenden Dynastiegeschichte stehen. Das 'Metathema' der Geschichte der regierenden Fürsten von Württemberg ist mit dem Titel des Werks benannt. Eigene Kapitelüberschriften erhalten dann fast nur noch jene Abschnitte, die nicht unmittelbar zur fortlaufenden Geschichte der Württemberger gehören. Zwar erlauben die Jahreszahlen bei den 'vermischten' Kapiteln auch eine gezielte Suche nach einzelnen Ereignissen oder Dynasten, aber im wesentlichen ist die Chronik Küngs nicht als Jahrbuch angelegt, sondern als historisches Werk, das fortlaufend gelesen werden sollte. Autorintention, Entstehungsbedingung und Gebrauchssituation der Chronik eröflfoen sich weder aus dem kodikologischen Befimd noch aus dem Inhalt. Gesichert ist nur ihre rege spätere Benutzung durch die württembergische Geschichtswissenschaft des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts.'^ Die frühe Besitzgeschichte der Originalhandschrift ist nicht genau rekonstruierbar, wahrscheinlich verblieb sie bei den Nachkommen Küngs. Erst im Jahre 1776 übergab sie der Rektor des Stuttgarter Gymnasiums der herzoglichen Bibliothek." Es ist daher nicht anzunehmen, daß die Chronik auf einen Auftrag des herzoglichen Hofes zurückgeht. Welchen Anlaß aber hatte ein Stuttgarter Ratsherr in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, ein historisches Werk über das württembergische Herzogshaus zu verfassen? Küng selbst erwähnt in der Vorrede lediglich sein persönliches Interesse an der Geschichtsschreibung und legitimiert seine Arbeit mit drohenden Quellenverlusten und dem Fehlen eines vergleichbaren Werks:

"

Vgl. unten S. 107. Küng, Chronik, S. 11-13. " Ebd., S. 16.

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Sebastian KOngs Chronik der Grafen und Herzöge von Württemberg Damiti nun auch solches nitt zugrundt gienge, wie wenig das ist, so ist demnach nachvolgende Beschreibung allermest darum under die hand genumen worden, daß hiemitt ein rechter, gewisser anfang und erstreckung dises fiirstlichen haus Wirtemberg beschriben und an tag gegeben würde. (25)

Die gedechtnus des Fürstenhauses als eine an sich bestehende Herausforderung für den historiographisch interessierten Laien? Dafür und damit gegen eine konkrete Beauftragung durch den Herzog spricht nach S O M M E R "Küngs oflFensichtliches Bemühen um Objektivität und Distanz."" Es wäre gut denkbar, daß der Chronist nicht allein antiquarisch-bewahrend im Sinne des Herrscherhames wirken, sondern einen kohärenten Landesdiskurs" institutionalisieren wollte. Gegen einen arkanen Leserkreis, der nur aus Angehörigen des herzoglichen Hofs bestand, spricht auch die rhetorisch überformte dedicatio am Schluß seiner Vorrede, wo sich Küng an den gutherzigen leser wendet und ihn animiert, aus dem vorliegenden Werk ein bessers zu machen." Die Bescheidenheitstopoi dieser Passage - Küng behauptet, er würde sich über eine Kritik an seinem als verzeichnus bezeichneten und als ungeformbt ding bewerteten Werk freuen - verdecken freilich, daß Küng sich eine breite Rezeption erhoffte und vielleicht sogar an eine Druckausgabe dachte.

4.2. Das Selbstverständnis des Historiographen: Die Vorrede der Chronik Die humanistischen Geschichtsschreiber hatten aus der Antike Form und Funktion des Proömiums übernommen, und dem Anspruch einer theoretischen Begründung der eigenen Arbeit fühlten sich auch die Autoren der hier behandelten Hauschroniken veφflichtet." Die Vorrede Küngs ist dabei die am sorgKüng, Chronik, S. 6. Gegen diesen Stil abzugrenzen wäre etwa die württembergische Chronik des Kanzlers Johannes Feßler, der die Ereignisse zugunsten des Herrscherhauses schönte (vgl. WUNDER, Feßler, S, 28f.). Zum Begriff'Landesdiskurs' vgl. GRAF, Geschichten, S. 104-112. 25: [...] hieruff wellest du, guttherziger leser, mit diser geringfiegen arbeit diser zeit für gutt haben, dich deren mittlerweil, - bis ettwa einer durch dises werck erweckt ein bessers macht und an tag gibt -, gebrauchen; welches, ob Galt will, bald ettwa durch ain, so dise mein verzaichnus als ein ungefombt ding den leiten nitt under den henden wirtt lassen megen, geschehen Wirt; welches, wa es geschickt, ich mitt froden vememen will und mich vil mer des, daß ich ain andern ermundert, aufgeweckt hab, dann diser meiner aignen arbait erfröwen. Zu den Proömien in der antiken Literatur vgl. KLAUS BEYER, Das Prooemium im Geschichtswerk des Thukydides, Marburg 1971 und ECKHARD LEFÈVRE, Das Prooemium der Argonautica des Valerius Flaccus (Akademie der Wiss. u. d. Lieratur. Abh. d. Geistes- u. Sozialwiss. Kl. 1971,6), Wiesbaden 1971. Die Werke der beiden antiken Autoren waren im 16. Jahrhundert in Druckausgaben zugänglich. Für die Historiographen war eine Vorrede unerläßlich, sie gehörte aber offenbar zu den schwierigsten Partien. So blieb etwa in der Chronik des Johannes Stumpf vor dem 7. Buch eine Seite für die Vorrede frei (Stumpf, Schweizer- und Reformationschronik, S. 1). Vgl. zu den Vorreden in den zeitgenössischen Autobiographien VELTEN, Leben, S. 88-141, in den zeitgenössischen Sammlungen von Exempel, Fabeln etc. SCHwrrzGEBEL, Vorrede, S. 3-6 und 18-56.

Das Selbstverständnis des Historiographen: Die Vorrede der Chronik

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fältigsten gestaltete. Sie deckt die klassischen Aufgaben einer Vorrede ab (23ff.), der Autor verständigt sich mit seinen gebildeten Lesern über den Schreibanlaß und versucht, Konsens über gemeinsame Wertmaßstäbe für die Beurteilung der Vergangenheit herzustellen. In einem prologus praeter rem rechtfertigt er sein Werk zuerst anhand der Юagen aller geschickt- und chronickschreiber über den mercklichen unfleiß und unachtsame, welche unsere vorfarn in beschreibung ierer zeit historien gebraucht haben sollen (23). Küng begnügt sich nicht mit dieser Feststellung, sondern fragt nach den Ursachen fur die Vernachlässigung der Historiographie. Das ist für ihn keine empirisch zu beantwortende Frage, viehnehr führt sie zu dem geschichtstheoretisch bedeutsamen Gegensatz von Wahrheit und Interesse und damit zu den Maßstäben der Historiographie: Und erstlich, wann wier die alten hisorien, zeit- und jarbiecher [...] besehen und mitt fleiß lesen, befitnden wier, daß beinach ie und allweg ain ieder kaiser ein aignen aemulum und fegtuifeP" gehapt, durch welcher anstifien solche rumor und Zwietracht, auch krieg- und blutvergießen, ja so ein wild wesen in tuitschem landt werden, daß man darbei aller gutter und edler künsten wenig geacht Darum haben auch wenig leit in solchem rumorischen wesen ettwas ordenlichs zu stellen oder schreiben lust gehaptt, dieweil sie gesehen, daß beinach der greßer hauff sich nun uff kriegen und rumorn gelegt, darinnen sich erlustigt, wiewol onersetigt, - aber dameben der guten künsten wenig gedacht, auch kain kosten auff solche als auff ein unnütz ding gewendet. Und ob sie gleich ein herlich that begangen, nitt darnach gefragt, ob die nach noturfft beschriben wurde, sunder vilmer sich an einem übell gereimpten liedlin, wann man nun sollichs in allen zechen und auff der gössen gesungen hatt, begnügen lassen. (23)

Küng gewinnt seinen Zugang zu seinem letztlich politisch verstandenen Sujet, indem er das gängige Argument der Vorgängerschelte durch die lebende Historikergeneration aufgreift und es als oberflächlich zurückweist. Die Ursachen für die Mißachtung der Geschichte findet er im politischen Kontext. Dies entspricht der modernen Einsicht, daß die sozialen Bedingungen, unter denen ein Text entsteht, "die diskursiven und materiellen Bereiche menschlicher Aktivität formen."^' Küng bezeichnet als Hauptvoraussetzung für das Florieren der guten künstef], zu denen er die Geschichtsschreibung zählt, einen allgemeinen Landfrieden. Da jedoch früher angesichts eines permanenten Kriegszustandes kein Herrscher^^ Interesse, Zeit und Geld für eine gebührende Würdigung der res gestae gehabt habe, und in einer aktionistischen Zeit die Taten wichtiger als

DWB Ш, Sp. un-.fegteufel = 'Quälgeist'. SPffiGEL, Geschichte, S. 195. Nach Küng reicht die Zeitspanne, in der die Geschichtsschreibung in Deutschland vernachlässigt wurde, vom Frankenkönig Ludwig Ш. über das Interregnum bis zum Kaiser Friedrich Ш. (23f.).

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Sebastian Küngs Chronik der Grafen und Herzöge von Württemberg

deren Überlieferung seien," hätte man sich mit übell gereimpten liedlin, zufrieden gegeben. Daraus spricht die Erkenntnis des Historikers, daß die Voraussetzung fur seine Tätigkeit ein allgemeines Rechtsbewußtsein ist, welches überhaupt erst einer langfristigen Sicherung der memoria politischen Sinn imd Nutzen verleiht. Auf den ersten Blick scheint Küng hier eine Entschuldigung der deutschen Könige und Fürsten bezwecken zu wollen, zumal sie die Kriege nicht selbst vom Zaum gebrochen hätten, sondern nur das Reich gegen - anonym bleibende - Feinde verteidigten. Aber implizit erstreckt sich die Verantwortung für die schlechte Lage der Kultur doch auf den deutschen Adel, der haftbar gemacht wird für das Niveau der Geschichtsschreibung. Indirekt definiert er damit die Bewahrung einer angemessenen memoria zur vornehmsten Pflicht des Adels und bestellt den Historiker zum Richter über die Qualität von Herrschaft. Küng konkretisiert zwar nicht, an welche liedlin er denkt, aber er meint wohl die zeitgenössische Geschichtsdichtung und politischen Lieder. Werm er sich hier gegen solche panegyrische Texte abgrenzt, dann spricht er sicher pro domo, denn angesichts der öffentlichen Geringschätzung sind die Widersprüche in den historischen Werken auch mit entschuldigt. Allerdings hat Küng damit noch nicht seine Ausgangsfrage beantwortet, warum die 'seriösen' Quellen," die historien, zeit- und jarbiecher (23) nur wenige Fakten und nichts über geschichtliche Hintergründe enthalten. Küng hätte sich auf Urkundenverluste im Lauf der Zeit berufen können, aber gerade dies vermeidet er, um die Glaubwürdigkeit seiner eigenen Arbeit nicht zu unterminieren. In einer zweiten, historiographischen Argumentationslinie, die in einem Widerspruch zu der ersten, politisch-pragmatischen steht, sucht er die Gründe für die annalistische Kürze der Quellen in einer bewußten Entscheidung der fitiheren Geschichtsschreiber. Diese hätten die wahren Ursachen der nur auf den ersten Blick hervorragenden Taten der großen hannsen erkannt: In Wirklichkeit seien sie nur unternommen worden aus eergeitz, neid, haß, die begird zu herrschen und ander untugendt (24) imd deswegen hätten sie die wertbewußten Geschichtsschreiber nicht überliefert. Während Küng zuvor noch die Leistungen der deutschen Herrscher bei der Reichsverteidigung gewürdigt hat, werden sie jetzt indirekt als ehrgeizig und machtgierig denunziert. Implizit legt Küng damit als Maxime der Geschichtsschreibung die Vermittlung der Wahrheit und die Erkenntnis der Ursachen fest, der Historiograph ist - und hier findet sich Küngs Abbildtheorie am prägnantesten formuliert - an die Intentionalität der zu beschreibenden Handlungen gebunden, d. h. wenn die geschichtlichen Taten aus eergeitz unternommen wurden, dann müßte sich dies auch in den historischen Schriften niederschlagen. Dieser Maxime aber können

" "

Die Konkurrenz zwischen Taten und memoria behandelt schon Hartmann von Aue im Prolog des 'Iwein· (v. 48-5g). Zu den von Küng verwerteten Quellen siehe unten S. 95.

Das Selbstverstandnis des Historiographen: Die Vorrede der Chronik

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die früheren und selbst die zeitgenössischen Historiographen, wie Küng mit deutlicher Kritik an den Hofgeschichtsschreibem hinzufügt, wegen der kutzligen weltt, die in allen sachen recht haben und ongestrafft sein will, nicht entsprechen. Küng verbindet Vergangenheit und Gegenwart, wenn er allen Historiographen das Wissen zuschreibt, das [es] ein gevarlich ding ist, von dienen ettwas zu schreiben, - so es gleich die warhait ist - , welche zu verschreiben gewalt haben: hieruff zu besorgen, daß wier zu unsem Zeiten gleich so wenig warhaffler, rechtgeschajffher geschichtschrifflen, als eben unser vereitern gehapt haben, dann die weltt ist wo! so kutzlich, hert auch iem übeistandt woll so ungern als vor jam; so kinden die, so die geschickten diser zeit verzeichnen und auffinercken, woll so fein heuchlen als die alten immer gethon haben megen, sunderlich wan solche geschichtsverzaichner an der großen herren hoff erhalten und mitt dem hqfklaidt bedeckt werden. (24)

Eine Vergangenheit und Gegenwart, die Küng als Zeit des Unheils - auffiur, mordt, brandi und alles übel (24) - begreift, ist implizit immer eine Kritik an den Herrschenden. Alle Historiographen stehen also vor einer paradoxen Situation," da sie einerseits zur Wiedergabe der Fakten verpflichtet sind, andererseits über deren Ursachen nur spekulieren können." Der zentrale, mehrfach wiederholte Aspekt einer leicht in Aufruhr zu versetzenden (höfischen) Welt und der Hinweis auf das allgemeine gesellschaftliche Chaos, entschuldigen zwar ebenfalls den Geschichtsschreiber, aber Küng versteckt sich nicht hinter diesem Argument. Vielmehr sucht er nach einer maßstabsetzenden Norm, die es trotz einer drohenden Vergeltung durch die Herrschenden gerechtfertigt erscheinen iäßt, die historische Wahrheit zu berichten. Vorbilder fiir eine solche Begründung von Hofkritik gibt es bereits und in einigen Zügen erinnert Küngs Argumentation an Sebastian Francks Vorrede zu seiner 'Cronica'." Wie Franck, freilich ohne dessen Allegoresen, zerstört Küng das Bild des rex Justus et pacificus, indem er psychologisch die Erfolge der Herrscher auf ihre niederen Triebe - Ehrgeiz, Neid, Haß und Machtgier zurückfuhrt. Für den Spiritualisten Franck liegt die Alternative zu den Grausamkeiten seiner Zeit in der Preisgabe der (totalitären) Idee der Verwirklichung eines Friedensreiches auf Erden und in der Hinwendung zum eigenen christlichen Gewissen. Daraus entwickeh sich bei ihm eine neue Referenzgröße für 24: [...] obwol etlich willens gewesen, haben sie dannocht sollichs vor der hutzligen weltt [verborgen].

24; Dann wie die Handlungen ergeitzig also auch die schrifften nicht dahin zu verstaun, daß niemandt nicht gedenckwürdigs gethon oder geredt habe, sunder vilmer, daß die thaten gemainlich, so die großen hannsen begangen, ob sie gleich wol im ersten ansehen ein herlichen schein und ansehen der tugendt haben, so flndts sichs doch im grundt, wann man die Ursachen recht besieht, daß sie weit ein andern, ja gemainlich den eergeitz, neid, haß, die begird zu herschen und ander untugendt zu eim grundt und ursach haben. Franck, Cronica, f. aij". Vgl. zur politischen Brisanz der Thematik KOHLMANN, Ailegorese, S.

51-76.

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Sebastian Küngs Chronik der Grafen und Herzöge von Württemberg

den Historiker: Panegyrik, Fürstenlehre und selbst die gescliichtliche Faktizität werden ersetzt durch die Idee der Toleranz. Nur von einem außerhalb der Geschichte liegenden Standort bekommt Geschichte und damit auch Historiographie ihren Sinn. Dies dient bei Franck dazu, dem Menschen überhaupt einen Zugang zu seiner eigenen Geschichte zu geben. Im unbedingten Bekenntnis zu einer Konstruktion der Geschichte unter den eigenen Prämissen lesen sich Francks geschichtsphilosophische Thesen wie eine frühe Kritik an historistischer Geschichtswissenschaft. Franck nimmt hier Gedanken vorweg, die in einer vergleichbaren persönlichen Situation auch WALTER BENJAMIN in seinem Essay über den Begriff der Geschichte verfolgt hat.^' Den Weg in die Geschichtsphilosophie geht Küng nicht, fiir ihn ist die alleinige Legitimation die Rekonstruktion der wahren Geschichte, die unter dem Schleier der Panegyrik imd Rhetorik verborgen ist. Er will die Geschichtsschreibung dieser Fassade entkleiden und zu den Fakten der Geschichte kommen - deswegen legt er bei der Beschreibung seiner Quellen so viel Wert auf die historischen 'Überreste', die noch nicht durch die Konstruktion des Historiographen verformt woirden. Im Vergleich zu Franck glaubt Küng noch eher an die Wahrheit der Fakten, sein gelegentlicher Verzicht auf jede narrative Gestaltung einzehier Chronikpassagen ist dafür Beleg. Wahre Gelehrsamkeit, die jedoch von den Fürsten nicht anerkannt wird, definiert er fast im Stil des Positivismus des 19. Jahrhunderts als unermüdliche Forschung in den alten libereien [...] nach den historien (25). Ziel ist die Veröffentlichung der Ergebnisse und deren Diskussion mit anderen Historikern. Hier kündigt sich bereits em Selbstverständnis des Historiographen an, der außerhalb jedes sozialen Bezugs zu existieren und nur der geschichtlichen Wahrheit zu dienen vorgibt. Parallel dazu setzt Küng seine Kritik an dem sich entfaltenden Obrigkeitsstaat. Dieser versuchte, seine Macht zur Errichtung eines Monopols zur Deutung der Geschichte zu mißbrauchen und eine Zensur über die Historiographie auszuüben. Küngs Argumentation ist an dieser Stelle bis in die Grammatik hinein subtil angelegt. Denn er spricht hier im Perfekt von den Gründen fur die bisherige Vemachlässigimg der Geschichtsschreibung, um dann unversehens ins Präsens zu wechsehi und die fortdauernde Gefahrdung der Wahrheit durch die Macht als Problem der Gegenwart zu benennen. Als Mittel gegen die Anmaßung der Macht setzt Küng die Wahrheit der Fakten. Mit semer positivistischen Methode gewinnt er ein Selbstvertrauen, das ihn unabhängig von dem Votum der Herrschenden macht, imd implizit setzt er das Fehlen eines höfischen Auftrages als Argument für die Objektivität des eigenen Werkes ein. Diese Fakten präsentiert er im anschließenden prologas ante rem. Hier differenziert er zwischen gedruckten Quellen und Überresten, wobei schon die Formulierung Küngs Prioritäten verrät: Die reine Buchgelehrsamkeit und das Anfertigen von Exzerpten aus gedruckten Geschichtsbüchern hat bei weitem nicht den gleichen Wert wie

BENJAMIN, Schriften 1/2, (Über den Begriff der Geschichte (1940]), S. 695 und 701.

Das Selbstverstündnis des Historiographen: Die Vorrede der Chronik

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die empirische Feldforschung, weil letztere einen wesentlich höheren Aufwand an Fleiß, Arbeit und - für den Schwaben nicht unwichtig - Geld erfordert: Sein Werk ist nitt alain aus alten historien zusamen geklaupt [...], sunder vilmer außer alten monumenten, jarzeitbiechem, grabstainen, brieffen, sigillé», stiffiungen, überschriffien und dergleichen anzaigungen hieher dienlich, fönvar mitt sunderer mie, kost,fleiß und arbait zusammengetragen worden. (25)

Aber trotz dieses Bekenntnisses zur Empirie versteht sich Küng nicht als Antiquar der Geschichte, vielmehr will er die Fakten kausallogisch verknüpfen, um so eine Erkenntnis der Ursachen zu ermöglichen. Auch hier meidet er jede philosophische Grundsatzdiskussion. Wenn er etwa als einen Urgrund menschlichen Handelns den eergeitz identifiziert, dann würde man eine Betrachtung über das Wesen der Macht erwarten. Küng behandelt jedoch bloß einen Aspekt des Themas, das Verhältnis zwischen den Herrschenden und den Historiographen. Das Urteil über letztere fällt vernichtend aus, weil sie es wegen ihrer Abhängigkeit und trotz besseren Wissens unterlassen, nach den Ursachen für die gesellschaftlichen Mißstände zu forschen und statt dessen Laster für Tugenden ausgeben. Die Konsequenz für Küng lautet denn auch, daß die Geschichte der Vergangenheit und ihre Ursachen nicht kritiklos aus den Werken der Historiographie übernommen werden darf, sondern man die auftragsbedingten Konstrukte der 'Panegyriker'" durchschauen muß. Die Kritik an der Geschichtsschreibung der Vergangenheit enthält ex negativo Programm und Methode Küngs: Die Historiker müssen die menschlichen Motive für Krieg und schlechte Herrschaft erforschen und beschreiben.'" In Küngs theoretischen Überlegungen spiegeh sich damit auch die Erkenntnis wider, daß geschichtlicher Sinn nicht unmittelbar aus der Überlieferung erhoben werden kann, die geschichtlichen Tatsachen viehnehr von dem Urteil und der Perspektive desjenigen abhängen, der sie formuliert." Küngs Ideal des Geschichtsschreibers verkörpert demnach nicht der unermüdliche Gelehrte, der möglichst viele schriftliche Quellen und historische 'Überreste' sammelt, sondern der jenseits einer positivistischen Anhäufung von Faktenmaterial die Ursachen der Geschehnisse - und damit die Wahrheit - an den Tag bringt, der sich quasi zu den Wurzehi der Geschichte durchgräbt. Die Unfähigkeit, die Wahrheit zu berichten, ist nicht auf die Vergangenheit beschränkt, sondern wirkt auch in der Gegenwart fort. Des weiteren identifiziert Küng Wahrheit immer mit der Kritik an einem übelstandt, und deswegen ist der Wahrheitsdiskurs immer unangenehm und schmerzlich. Das Ergebnis der Bemühungen des Geschichtsschreibers muß demnach nicht eine beliebige historia " Vgl. dazu unten S. 408 und 428. Vgl. oben Anm. 26. " Vgl. zu dieser Diskussion auch KOSELLECK, Standortbindung, S. 43f.; HARTH, Fiktion, S. 629f.; WHRRE, Wio, bes. S. 149f.

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Sebastian Küngs Chronik der Grafen und Herzöge von Württemberg

sein, sondern eine rechtgeschaffnefj historief], in der alle diese Hintergründe geschichtlicher Ereignisse ohne Vorbehalt oder enkomiastische Intention zum Ausdruck kommen. Daraus entsteht für einen nach der warheit suchenden Historiker ein hermeneutisches Problem. Denn wie ist angesichts allgemeiner heichlerei der Geschichtsschreiber überhaupt die warheit der Geschichte zu erkennen? Für Küng kann dies nicht auf rationalem Weg, etwa durch Quellenkritik oder -vergleich, erreicht werden, sondern nur durch einen emphatischen Prozeß, dessen Erfolg einem göttlichen Wunder gleichkommt: Demnach ist es warlich ein groß wunder, wann einer ein solche historien lesett, daß er dannocht den rehten kern und griff spüren und mercken kann (24). Unter dem Firnis der Panegyrik ist demnach selbst noch in den Werken der geschichtverzaichner die eigentliche Wahrheit verborgen, die jedoch nur durch eine einfiihlende Interpretation erschlossen werden kann. Es wird an Küngs eigenem Text zu überprüfen sem, in welcher Form sich dieser Umgang mit der Überlieferung niederschlägt. Der in der Vorred angegebene heuristische Weg zur Wahrheit fuhrt demnach immer über die deutende Erkenntnis der Ereignisursachen. Küng argumentiert in seiner methodischen Vorüberlegimg zweigleisig: Da die Historiographie in jedem Fall historische Verhältnisse widerspiegelt, gewährt ihr Zustand einen bezeichnenden Blick auf die geschichtliche Vergangenheit, und msofem bedingen sich die Ursachen der Malaise der Historiographie und die moralische Defizienz der Herrschenden gegenseitig. Die Verantwortung verteilt Küng gleichmäßig auf die Fürsten und die Historiographen, und auf einer anthropologischen Ebene verschwinden denn auch die Unterschiede zwischen beiden: Darum ist unser vorfarn unfleiß nitt nur alain schuldig daran, daß mier so wenig rechtgeschaffiier historien haben, sunder vilmer ist die schuld der argen, rumorischen weit, der fììrsten Unachtsamkeit auff gelerte leit, die forchtsame der schribenten und zum letsten unserer untrei und unfleiß, - da mier ettwa in den alten libereien nitt nach den historien suchen oder, so miers gleich beihanden, andern leiten (auff daß mier darfiir angesehen werden, als die ain ding alain wissen) nitt mittailen megen -, zuzurechnen. (24f.)

In einer rumorischen weit, in der die unmittelbaren Erfolge mehr zählen als die entsagungsvolle Arbeit im Verborgenen, streben auch die Historiographen nach öffentlichem Prestige. Die Triebfeder ihres Handelns ist demnach wie bei den Fürsten der Ehrgeiz. Ihre Reputation bemessen sie an der Kenntnis von Hintergründen, die der Masse verborgen bleiben soll, und in dieser Weise profitieren Sie von der Existenz einer herrscherlichen Arkansphäre. Auch wenn sich Küng rhetorisch in den Kreis dieser Historiographen mit einbezieht, ist sein Geschichtsverständnis genau entgegengesetzt ausgerichtet: Eine Historiographie, die solcherart ihre Gegenstände zu verbergen sucht, beraubt der Geschichte ihres eigentlichen Potentials, den Nachkommen eine Richtschnur für künftiges Handeln zu geben. Küngs Antwort auf seine eingangs gestellte Frage nach den

Grundkonstítuenten der memoria: Herkommen, Namen, Wappen

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Gründen für die Vernachlässigung der Geschichtsschreibung hat denmach zu einem sehr differenzierten Ergebnis gefuhrt, welches in letzter Konsequenz die Beschäftigung mit der Geschichte zu einem Medium der Auseinandersetzung mit den Bedingungen geschichtlichen und des eigenen Handelns erhebt. Es ist demnach bei der Analyse des Inhalts und seiner narrativen Muster zu fragen, in welcher Weise der Autor selbst seine eigenen Bedingungen erfШlt, wie er seinem expliziten Ziel, die rechte herkomenhait und erstreckung dises fiirstlichen geschlechts (25) vor dem Vergessen zu bewahren, nahekommt und inwieweit sich die Suche nach geschichtlicher Erkermtnis und die Rekonstruktion der Geschichte ergänzen bzw. durchkreuzen.

4.3. Grundkonstituenten der memoria·. Wappen

Herkommen, Namen,

Das Emgangskapitel, welches den Ursprung der Freihern zu Beutelspach und Graven zu Wirteberg behandelt, ist streng systematisch angelegt. Ähnlich wie in der 'Zimmerischen Chronik' werden verschiedene Herkunftstheorien referiert, aber anders als dort geschieht dies in der Absicht, sie zu widerlegen und eine eigene Theorie vorzustellen. Auch Küng steht im Spannungsfeld von germanisch-fränkischen und römisch-etruskischen Abstammungstheorien." Für die Herkunft der Württemberger Grafen zieht er drei Theorien aus verschiedenen Traditionen heran, die Frankreich-Theorie des Jakob von Mainz," die Rom-Theorie der 'Hirsauer Chronik' und die Tuscier-Theorie,^·· die von dem auch hier unverzichtbaren Lirer vertreten worden ist. In der Diskussion dieser Thesen tritt Küngs Verständnis von einer vorbehaltlos-objektiven und erkenntnisfordemden Historiographie zutage. Alle drei werden neutral referiert, dann aber unter Aufbietung seines ganzen rhetorisch-literarischen Geschicks zurückgewiesen. Den Anhängern der Frankreich-Theorie hält er vor," sie würden ihre Argumentation lediglich auf eine grundsätzliche, aber nur auf Frankreich zutreffende Gegnerschaft zwischen Herzögen und König stützen. Er sieht die anti-wöirttembergische Speerspitze dieser Theorie und deswegen schüttet er seine, ansonsten selten zu beobachtende Ironie über eine solche Herieitung aus. Scharfsinnig weist er sie mit dem Argument zurück, daß aufgrund der Herkunft niemals Aussagen über das Verhältnis zum Landesherm möglich sind: Vgl. zur Behandlung der Thematik in der 'Zimmerischen Chronik' unten S. 183f. Die heute verlorene Chronik des Jakob von Mainz' (Jacobus Moguntinus) soll Küng aus dem Werk Nauclers gekannt haben (Chronik, S 159, Anm. 1 ). Vgl. hierzu MERTENS, Geschichte, S. 139. Frankreich war der Hauptkonkurrent der Habsburger um die Macht in Mitteleuropa, und dieser Kampf wurde auch mit den Mitteln der Genealogie ausgefochten, wie die 'Fürstliche Chronik' Jakob Meimels zeigt. Offenbar war Küng über diese Kontroverse unterrichtet, wenn es sich bei der Herkunftsdiskussion indirekt auf den Gegensatz Frankreich-Habsburg bezieht. Vgl. zu Mennel, MERTENS, Geschichte, S. 145f

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Sebastian Küngs Chronik der Grafen und Herzöge von Württemberg fVa nun das war wer, so mießte volgen, daß alle adeliche fürstliche geschlecht des tutschen landts ieren ursprung aus Franckreich haben mießten, dieweil man кит ein fiirstlich geschlecht in Tuitschlandt findett, darunter sich r;itt auch ettwa personen funden, die sich mer nach Franckreich dann nach dem Romischen kaisern genaigt, ja die sich nitt auch ettwa den kaisern mitt aller macht widersetzt haben und haben dannocht ieren ursprung nitt usser Franckreich, wie sollichs mitt vil teütschen geschlechten auch mitt den alten historien mag bewisen werden. Und wann darum einer aus Franckreich sein herkamen hette, dieweil er Franckreich genaigt und günstig were, so würde volgen, welcher sich der cron Franckreich widersetzte, daß der selbig sein ursprung nitt aus Franckreich hette; nun kamen aber die herrn von Osterreich ursprunglich von den alten franckreichen kunigen heer und widersetzt sich doch niemandt der cron Franckreich ernstlicher dann eben die österreichischen herrn, wie sollichs im Maxemiliano und Carolo К klarlich zu sehen. (26)

Die Tuscier-Theorie erledigt Küng mit dem Hinweis auf das Fehlen etruskischer (i. e. rätoromanischer) Namen im deutschen Südwesten, die Römer -Theorie mit dem Schweigen der Geschichtsschreiber Flavius Blondus,^' Piatina," Sabellicus^' und Pierozzi" über eine Flucht römischer Geschlechter nach Deutschland. Hier kaim Küng erstmals das in der Vorrede seiner Chronik verwendete Argiunent der Fixierung aller Chronisten auf die historischen Sieger nutzbringend anwenden, indem er den Nachweis der Nichtabstammung e silentio erbringt."" Auch ein zweites Argument für die römische Herkunft lehnt Küng mit einem Analogieschluß ab. Er befaßt sich nämlich mit dem naheliegenden Einwand, ob denn nicht die Grafen von Württemberg erst zum Zeitpunkt ihrer frühesten urkundlichen Erwähnung, also während der Regierung Konrads II.,"' nach Schwaben gekommen seien. Küngs 'Gegenbeweis' setzt bei der Tradition jenes Geschlechts an, welches - ebenso wie fiir den zollerischen Chronisten"^ - Vorbildftmktion für alle anderen Häuser hat: dann wo das war were, so mießten die hern von Osterreich auch erst um das jar Christi 1300 in das Tütschlandt komen sein, da sie hem zu Osterreich worden, das ist aber gar nitt, dann sie zuvor bei den 675jar darinnen gewonet und die graven von Hapspürg seiendt genent worden. (27)

Zum römischen Geschichtsschreiber Flavius Blondus (1338-1463) vgl. GRAESSE, Trésor I, S. 442. Bartholomäus Platina (1421-1481) schrieb einen 'Uber de vita Christi ac pontificum omnium qui hactenus ducenti et viginti duo fuere. ' Zu Marc Antonius Sabellicus' zahlreichen historiographischen Schriften vgl. GRAESSE, Trésor VI/1, S. 201. Eine venetianische Geschichte de Sabellicus (Basel 1556) befand sich auch in der zimmerischen Bibliothek (Wien, ÖNB, Cod. 12595, f 46'Nr. 23). Zu Antonius Pierozzi (1389-1459) vgl. GRAESSE, Trésor I, S. 154ίΤ. hnplizit wirft Küng den italienischen Historikern Autoritätshörigkeit und Gefallsucht vor, wenn er schreibt, diese hätten etwaige Aufstände sicher vermeldet, um damit den obsigenden

[...] zu hoflern Çil). Nach SOMMER (Küng, Chronik, S. 160, Anm. 23) ist dies das Jahr I08I. Vgl. unten S. 448ff.

Grundkonstituenten der memoria: Herkommen, Namen, Wappen

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Abzuweisende Thesen mittels Analogien als paradox zu diskreditieren, ist ein beliebtes rhetorisches Mittel."' Natürlich weiß jeder, der von den genealogischen Forschungen der Habsburger Kenntnis hatte, daß es keinen Zusammenhang zwischen gegenwärtiger Herrschaft und namentlich bezeugter Herkunft dieses Geschlechts gibt. Was jedoch in diesem Fall nicht zutrifft, kann bei einem anderen Geschlecht durchaus stimmig sein. Diese naheliegende Möglichkeit übergeht Küng stillschweigend, anstelle von Sachargumenten setzt er auf die Ridikülisierung der Gegenpositionen, die schon mit der einleitenden Ironie-Formel dann wo das war were vorbereitet wird. Nachdem er die fränkische Abstammung so süffisant von sich gewiesen hat, verdeutlicht er den Status, den er den bisherigen Herkunftserklärungen zumißt, in einem, keinen Widerspruch duldenden Satz: Darum ist die angezaigt ursach nichtig und on alles ansehen, will also hiemitt dise ursach abgetriben haben (26). Genauso apodiktisch wie er die gängigen Ursprungstheorien abgelehnt hat, formuliert Küng seine eigene. Sie beruht im wesentlichen auf der Fiktion einer autochthonen Herkunft der Schwaben. Dieser Volksstamm sei nicht im Lauf der Geschichte in sein jetziges Siedlungsgebiet eingevrandert, sondern würden seit Anfang der Zeit - und dies ist nach christlichem Bewußtsein die Sintflut in Schwaben leben. Die Sintflut als geschichtliche tabula rasa wird als absoluter Begim der Geschichte gesetzt, und eine Herkunft der Schwaben von Noah, wie sie die Habsburger-Genealogie ausdrücklich behauptet,"" zumindest indirekt angedeutet. Eine solche Theorie bedarf der Absicherung, und Küng erreicht dies durch einen rhetorischen Kunstgriff, mit einem fast unmerklichen Wechsel der Bezugsebene seiner Argumentation: Die Rede ist nicht mehr von den Württemberger Grafen, sondern von den rechten uralten Schwabenn (27), die nach der Sintflut ins Land gekommen seien. Mit dieser Argumentation bindet er das Selbstverständnis des Volkes und das des Herrscherhauses zusammen, es entsteht erstmals eine eigene Landestradition, der die Herkunft der regierenden Grafen untergeordnet ist. Um möglichen Einwänden gegen eine solche nicht geschlechts- sondern landesbezogene Herkunftstheorie aus dem Weg zu gehen, veriagert er im folgenden die Argumentation von der historiographischen auf die ideologische Ebene. Nicht die Herkunft der regierenden Dynastie entscheidet, sondern die ethnische Reinheit und politische Integrität des Volkes in der Geschichte. Allerdings muß er seine These von der ununterbrochenen schwäbischen Besiedlung seit der Sintflut gegen die historische Tradition verteidigen und für seine weitreichende 'Landesgenealogie' auch nachweisen, daß die Schwaben nie einer Fremdherrschaft unterworfen waren. Sein allerdings nicht namentlich genannter Widerpart ist Caesars 'De bello Gallico' und der dort beschriebene Sieg über die Sueben."' Küng kann zwar mit

V g l . LAUSBERG, H a n d b u c h , § 6 4 , 5 .

"" Vgl. LHOTSKY, Apis, S. 240fr. Caesar, Bei. Gal. IV.

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Sebastian Küngs Chronik der Grafen und Herzöge von Württemberg

Recht darauf verweisen, daß Caesar die rechtsrheinischen Gebiete nicht auf Dauer erobert habe (27), aber dieses Argument bringt ihn in ein anderes Dilemma, denn genauso wichtig wie die ununterbrochene schwäbische Herrschaft ist die Besiedelung der Gegend. Küng faßt die Thematik in die Form eines Frage-Antwort-Spiels, mit dem er den Leser sehr eng an den Zügel nimmt: Die suggestiven Antworten auf die Fragen sollen offenbar die Kritikfähigkeit lahmlegen. Bevor man noch über die Frage nachdenken kann, ob die Römer, die sich doch herrn der gantzen weltt geriempt haben (27), tatsächlich nicht nach Schwaben gekommen seien, konfrontiert Küng den Leser mit der seine eigene These scheinbar widerlegenden Behauptung, ein kritischer Leser könne daraus schließen, ganz Schwaben wäre zur Zeit Caesars unbesiedelt gewesen (28). Als Gegenbeweis gegen diesen selbstgestellten Einwand zieht er nun ausgerechnet Caesar heran, der angeblich von tausent derffer[n] (28) in Schwaben geschrieben habe. Aber Küng verfälscht hier - wie SOMMER erkannt hat - die historische Quelle.'^ Da er jedoch die Fundstelle verschweigt, kann der zeitgenössische Leser seine Angabe nur schwer übeφrüfen. Trotzdem mag Küng der Wirksamkeit seiner rhetorischen Strategie selbst nicht ganz getraut haben, denn gleich danach setzt er die Methode des 'Bühnenwechsels' em, wenn er in die Zeit der Frankeneinfalle springt und die Behauptung aufsteUt, die Thüringer hätten die Franken gegen die Schwaben zu Hilfe geholt: Oder haben die Thüringer darum die Francken von dem ausfluß des Reins beruffen und inen den bessern thail ierer landtschafft, nämlich das Mäugauw eingegeben, damiti sie von den wiltnussen und großen thannen des Schwartzwaldts nitt überfallen wurden? Nein, gar nitt, sunder die Schwaben, so teglich mitt inen zu har lagen und inen an vile des volcks und manhait überlegen waren, die haben sie geforcht und entsessen und inen mitt den Franckenn ein mauren, - eben um die zeit, das ist ungevarlich anno Christi 300, da Rom noch in ierem höchsten und größten wesen gestanden -, machen wellen. (28)

Damit wird eine historische Konstruktion durch eine andere gestützt, beide scheinen sich iur den Leser wechselseitig in ihrem Wahrheitsgehah zu bestätigen. Der ironische Bezug auf die drohenden Überfälle der Schwarzwälder Tannenbäume wirkt komisch, und ein solches Verfahren ist Teil der literarischen Strategie Küngs, der mit derartig witzigen Bemerkungen von der Brüchigkeit seiner historischen Argumentation ablenkt."" Um den vollständigen Nachweis der autochthonen Herkunft der Schwaben zu fuhren, muß sich Küng mit dem Mythos von der kimbrischen Abstammung

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Während Caesar von 100 Gauen spricht, von denen jeder 1000 Mann aufstellt, nimmt Küng die letztere Zahl und beschreibt damit die Anzahl der vorhandenen Dörfer! Vgl. Caesar, Bei. Gal. IV, 1,4. Vgl. dazu auch Küng, Chronik, S. 30f

Gnmdkonstituenten der memoria: Herkommen, Namen, Wappen

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der Schwaben bzw. Sueben auseinandersetzen." Wenngleich kein unmittelbarer Kontakt zwischen dem Stuttgarter Ratsherrn und den Grafen von Zimmern bestanden haben dürfte, so war Küng die in den humaiüstischen Gelehrtenkreisen gefflhrte Diskussion über diesen Volksstamm bekannt.·" Aufgrund seiner Abstammungsthese kommt Küng aber zu dem genau umgekehrten Schluß wie Proben: Die Kimbern besiedelten nach ihrer Niederlage gegen Marius nicht herrenloses Gebiet, sondern erhielten es von den Schwaben. Damit hat Küng pars pro toto klargestellt, daß die zahlreichen anderen Volksstämme, die sich nach Ausweis der antiken Quellen in Schwaben niedergelassen haben, nicht als Eroberer, sondern als von den Schwaben 'geladene Gäste' anzusehen sind. Die autochthone Qualität des schwäbischen Volksstamms ist so gegen jeden quellenmäßigen Einwand abgeschottet. Die zwei Fäden dieses sorgfältig strukturierten Kapitels läßt der Chronist am Ende in einer conclusio zusammenlaufen, ihm erscheint es nun unwiderlegbar, daß Schwaben kontinuierlich besiedelt war und das Land nie unter einer Fremdherrschaft gestanden hat. Daß Küng jedoch selbst bei seiner Auswertung der antiken Quellen - neben Caesar dürfte dies Strabon gewesen sein - Bedenken an seiner Schwabenthese gekommen sind, zeigt ein eingeschobener, überdeterminierter Satz, der hn Rahmen seiner argumentativen Generallinie eigentlich kontraproduktiv ist. Er steht in einiger Entfernung zu der Quellenangabe aus 'De bello Gallico' und enthäh die dekuvrierende Einschränkung, daß es doch zwei schwäbische Stämme gegeben habe, von denen emer im Süden, der andere an der Elbe beheimatet gewesen sei. Küng teilt seinen Lesern zwar nicht explizit mit, daß die antiken Autoren die ursprünglichen Wohnstätten der Sueben im Norden Deutschlands lokalisiert haben, weil damit eine spätere Einwanderung der Sueben nach Südwestdeutschland denkbar gewesen wäre, aber er möchte sich im vorhinein gegen den Vowurf schützen, er habe bei seiner Herkunftsthese die Angaben bei Caesar und Strabon übersehen oder unterschlagen. Mit dem 'Nachweis' der autochthonen Herkunft der Schwaben ist immer noch nichts über die Herkunft der Grafen von Württemberg gesagt. Daß dies jedoch das eigentliche Ziel der ganzen Konstruktion ist, belegt das Ende des Kapitels, in dem Küng in einem weiteren Argumentationssprung den Zusammenhang zur Geschichte der Beutelsbacher herstellt: Daraus abermals abzmemen, daß dise landtsartt der Schwaben altvatter landt seie und demnach die ietzt lebenden gar nittför einkümling oder einsetzling zu halten, es werde dann mitt gewissem anzaigungen, dan wier noch haben, bewisen. fVa man nun kain gewisse anzaigung oder sunst ansehenlich Ursachen kan an tag bringen, daß einem ettwas geschenckt oder sunst übergeben [...], so ist leichtlich zu erachten, daß er solche von seinen voreitern herren erblich und 48

Die Popularität dieses vielleicht auf Tacitus zurückgehenden Mythos belegt die 'Zimmerische Chronik' (1,8,30-9,42 und passim). Siehe unten S. 178. Zur Historizität dieser Vorstellung vgl. SCHMIDT, W e s t g e r m a n e n , S. 129.

Vgl. BAUCH, Frühhumanismus, S. öflf.

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Sebastian Küngs Chronik der Grafen und Herzöge von Württemberg

aigentümlich innen hab und besitze, wie hie mitt Beutelspach eigentlich zu vermutten. (28)

Die Fragwürdigkeit einer solchen Argumentation ex negativo ist Küng bewußt, da er sie nur einsetzt, wenn es um zentrale Inhalte geht, hier um den Nachweis, daß die Herren von Beutelsbach schon seit jeher auf Allod sitzen. Dasselbe gilt für die persuasive Redeweise, denn ansonsten will er den Leser durch seine filigrane Argumentationstruktur auf die richtige Erkenntnis der historischen Wahrheit bringen. InhaltUch geht Küng einen anderen Weg als die übrigen Hauschronisten, indem er gar nicht erst versucht, die Geschichte des Geschlechts möglichst weit zurückzuverlegen, sondern sich auf die Vergangenheit des Volksstamms beschränkt und deduktiv von dessen konstruierter Historie auf die eines einzehien Geschlechts schließt. Die Geschichte des Volksstammes ist damit identisch mit ihrem Herrschergeschlecht - eine These, welche vollkommen an der historischen Tatsache vorbeigeht, daß es vormals mit den Staufem^° ein Herrschergeschlecht gab, das sich viel eher für eine solche Identifikation mit Land und Volksstamm angeboten hätte. Wie anhand der 'Zimmerischen Chronik' noch im einzehien gezeigt werden ward,'' ist neben der Stammes- die Standesherkunft fìir ein adliges Herkommen unerläßlich. Anders jedoch als der Zimmemchronist läßt Küng die relevante Frage, ob denn die Herren von Beutelsbach tatsächlich dem Uradel angehörten oder nicht aus der Ministerialität kommen, einfach aus. An deren Stelle positioniert er eine Diskussion über die autochthone Abstammimg der Schwaben, d. h. er beantwortet mit besonderem Aufwand eine Scheinfrage, für deren positive Beantwortung er sich der Zustimmung des einheimischen Publikums sicher sein kann. Aber es sprechen noch zwei weitere Gründe für diese Argumentationsstrategie. Indem er anstelle eines Herkommens der Württemberger das des ganzen schwäbischen Volkes setzt, nimmt er potentiellen Konkurrenten die Möglichkeit, seme Abstammungstheorie zu kritisieren, und es wäre denkbar, daß dies ein Reflex auf die Querelen um die Abstammung der Habsburger ist." Gleichzeitig begründet Küng damit einen spezifisch schwäbischen 'Nationalstolz', der letztlich auch sein eigenes Selbstbewußtsein stärkt. Während in der 'Zimmerischen Chronik' die Aura des adligen Geschlechtes von dem des Volksstammes nur sekundär profitiert, zehrt bei Küng das württembergische Geschlecht von der des Volksstammes. Implizit weist dies auf eine neue, selbstbewußte Einstellung des Stuttgarter Bürgers hin," der sich selbst aufgrund des Ruhmes der gemeinsamen Vorfahren auf eine Stufe mit dem Adel stellt. An der Aura des furstiichen Herrscherhauses soll demnach das ganze Volk partizipieren. Erwähnt werden die Staufer erst an späterer Stelle (33). Sie erscheinen dort als Freihermgeschlecht, das nur vorübergehend das Herzogtum als Lehen innehatte. Vgl. unten S. 171ff. Vgl. MOLLER, Gedechtnus, S. 87f Zur Geschichte der bürgerlichen Autobiographien vgl. REIN, Entwicklung, S. 321-342.

Grundkonstituenten der memoria: Hericommen, Namen, Wappen

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Warum der Chronist der Württemberger dieser Gleichsetzung der Herren von Beutelsbach mit dem schwäbischen Volk solch großes Gewicht beimißt, läßt sich auch durch einen Blick auf das 2. Kapitel erklären, das die Überschrift trägt: Woher sovil graff und herschafften in diser landtsart erwaxsen (29). Dort greift Küng nochmals die bislang nur vordergründig beantwortete Frage nach dem ständischen Rang der Herren von Beutelsbach auf und läßt deren Geschichte in der des Landes Schwaben aufgehen. Sein implizites Ziel ist der Nachweis, daß die Freiherren von Beutelsbach hn Gnmde nicht dem niedrigen, sondern dem hohen Adel angehört haben. Dazu muß er die Sozialgeschichte des schwäbischen Adels umschreiben. Im Gegensatz zu Froben von Zimmern, der Grafen und fi-eie Herren für gleichberechtigt hält, dreht Küng das Verhältnis um, indem er die Grafen zu der kaiser amptleitt und bevelchhaber, ja auf gutt tutsch, des reichs richter (29) erklärt. Demgegenüber waren die Freiherren alle zeit von adelichen, alten geschlechten herkomen, und was sie hetten, das waren iere aigne gietter, die sie allodia nanten (ebd.). Da der Rang einer Herrschaft an den Status des Herrschaftsgebiets - Lehen oder Allod - gebunden ist, hat Küng so den Herren von Beutelsbach einen Vorrang über die zahlreichen Grafen in Schwaben verschafft. Was der Leser durch seine eigene Erfahrung bestätigt fmdet, nämlich die große Zahl gräflicher Geschlechter in Schwaben, wird instrumentalisiert fiir eine Argumentation, wonach diese Masse gräflicher Geschlechter gar nicht auf allodialen Herrschaften sitzen kann. Der Chronist stützt seine These mit einem weiteren Scheinbeweis. Da das Chorherrenstift Beutelsbach keine Reichslehengüter, sondern nur eigene Güter besitzt, folgt fur ihn, daß eben in früherer Zeit nicht die reichslehenabhängigen Grafen, sondern nur die über freies Eigentum verfügenden Herren die Möglichkeit der Besitzbegabung an die Юöster hatten. Die petitio principi ist hier, daß damit die zuvor behauptete These von der Lehensabhängigkeit der Grafen indirekt bestätigt wird. Küng verfahrt hier ähnlich wie in dem vorangegangenen Herkunftskapitel: Die Beweise für eine aufgestellte Theorie setzen in einem klassischen Zirkelschlußverfahren deren Richtigkeit bereits voraus, kritische Überlegungen werden - anders als in der 'Zimmerischen Chronik' - gar nicht erst formuliert oder - wie im Herkunftskapitel - von vome herein lächerlich gemacht. Auch in diesem Kapitel steUt sich die Schlußfolgerung aus der geschichtlichen Situation wieder ganz unvermittelt ein, wenn der Chronist aus dem Diskurs der schwäbischen Adelsgeschichte heraus eine ganz präzise Konsequenz für die Grafen von Württemberg zieht, in welche bilanzhaft auch das Ergebnis des vorherigen Kapitels einbezogen wird. Also sein nun die, so ietzund in Wurtemberg hertzogen sein, von anfang und altersher rechte, uralte Schwaben gewesen und volgender zeit rechte aigenthumbs herrn zu Beutelspach worden (29). Das 3. Kapitel (30f ) setzt sich mit der Etymologie des Namens Wirtemberg auseinander. Auch dies ist - wie wir aus den anderen Hauschroniken wissen unverzichtbarer Gegenstand eines jeden Herkommens. Küng beginnt mit leichter Ironie, wenn er sich von der Spezies der Scheingelehrten abgrenzt:

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Hie sein abermals die klugling, so gern ettwas nuis dichten weiten, gar gefochten, wie sie disent namen ain ethimologiam schepffen wellen, und sein ettlich, die sagen, es sei vor Zeiten ein kaiser durch dise landtsart gezogen, und da er also imerdar ein berg auff, den andern ab hab ziehen miessen, hab er gesagt, in disent lant wirt ein berg nach dem anderen. (30)

Sein Argument gegen eine solche toponomastische Erklärung setzt an bei dem naheliegenden Vergleich mit der Schweiz, die aufgrund ihrer geomoφhologischen Beschaffenheit noch viel eher einen solchen Namen verdient hätte.^" Es ist weniger die intellektuelle Prägnanz, die hier den Leser von der Absurdität einer solchen Herleitung überzeugt, als die ironische Sprache und anekdotische Form der Darstellung, die bei Küng ein Signal für die Fragwürdigkeit von Behauptungen ist. Den gleichen Darbietungsmodus verwendet er bei der zweiten Deutungsaltemative: Angeblich habe ein deutscher Kaiser die ständige Bitte eines vertriebenen Römers um einen Stammsitz mit dem Satz beantwortet: Verzuich! dier wirt ein berg (30).^' Nachdem Küng zuvor bereits eme Ansiedlung vertriebener römischer Geschlechter in Schwaben zurückgewiesen hat, braucht er zur Ablehnung dieser These nur daran zu erinnern. Eine dritte, gleichfalls anekdotische Ableitung des Namens als 'Wirt am Berg' kommentiert Küng nicht mehr, da er im folgenden die ihm allein zutreffend erscheinende Erklärung bietet. Er folgt der These des Beatus Rhenanus - ein gar fleißiger erkundiger der alten tuitschen geschickten - , der in seinen 'Rerum Germanicarum libri''' den Namen Württemberg von der Burg Wittlingen bei Münzingen ableitet. Küng expliziert m diesem Zusammenhang das Verhältnis von 'Dichtung' und Wahrheit (30). Zu letzterer gehören jene Fakten, die sich zweifeis- und widerspruchsfrei aus der Geschichte ergeben, zu ersterer alle Interpretationen, die sich nicht diesen Kriterien fugen. Er trennt zwischen beiden Erscheinungen aber nur theoretisch, denn in der Chronikpraxis selbst kann er eine solche Differenzierung gar nicht aufrechterhalten. Die 'Dichtung' hat sogar in der Chronik ihren Wert, werm sie ein gewisses ansehen gewinnt und als Inspiration für eigenes Nachdenken und Weiterforschen dient. Mit dem Begriff des Dichtens umschreibt Küng aber auf der anderen Seite auch die Innovationslust der Historiker, die die Geschichte ständig revidieren wollen. Gegen solche klugling, so gern ettwas nuis dichten weiten grenzt er sich ab, er beläßt es bei vorsichtigen Thesen, die einer späteren Korrektur gegenüber offen bleiben: Hieruff, dieweil mier nicht grüntlichers von disem namen in historiis haben megen finden, haben wier dise coniecturen ettlicher spitzkopf, doch hierin Renanum ausgeschlossen, erzelen wellen, ob wier durch dis jemanden, wer der 30: Diser kaiser muß freilich nie in das Schweitzerlandt kamen sein, dann sunst würde er dasselbig mitt disem namen getauffl haben. Eine ähnliche Argumentation findet sich bei der etymologischen Herleitung des Namens der Wartburg. Rhenanus, Rerum Ш, S. 45f.

Annalistik und Narration

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(31)

Faßt man die drei Anfangskapitel zusammen, dann ergibt sich trotz ihrer gedrängten Form eine enge strukturelle Übereinstimmung mit dem Herkommensabschnitt der 'Zimmerischen Chronik':" Die repräsentative Herkunft der Herzöge von Württemberg wird aus drei Elementen abgeleitet. Zuerst wird die allodiale Herkunft des Besitzes, dann die Zugehörigkeit zu den schwäbischen 'Ureinwohnern' sowie die hochadlige Herkunft des Geschlechts 'nachgewiesen'. Dazu gehört auch die Deutung des Namens, den der Autor deswegen erklären muß, weil er gegenläufige Argumente, die seine Abstammungstheorie gefährden könnten, zu entkräften hat. Was in der 'Zhnmerischen Chrorük' diskursiv und ausfiihrlich behandelt wird, ist bei Küng nur in rudimentärer Form vorhanden. Vor allem fehlt bei ihm die in der 'Zimmerischen Chronik' zu beobachtende Ansippung des Geschlechts an verschiedene Hausklöster. Die argumentative Straffimg wird auch erreicht, indem Küng zu unmittelbaren und klaren Schlußfolgerungen kommt oder durch eindeutige sprachliche Mittel seinen Standpunkt defmiert. bn Vergleich mit der 'Zimmerischen Chronik' ist der Küngsche Text zwar knapper und präziser, er verliert aber gerade durch den Verzicht auf diskursive Durchdringung auch an Glaubwürdigkeit, da sich aufgrund der lapidaren Argumentation die Fragen, die der Autor eigentlich vermeiden will, hinterrücks wieder emsteilen. So bleibt der Widerspruch zwischen der altadligen Herkunft und dem späteren Vorrang der Grafen gegenüber den Freiherren im Grunde unversöhnt. Während Froben an dieser Stelle die statusmäßige Scheidung zwischen Grafen und Freiherren zumindest mit einer möglichen historischen Genese unterfiittert, beläßt es Küng bei einer nur oberflächlichen und nicht diskutierten Geschichtskonstruktion.

4.4. Annalistik und Narration 4.4.1. Die Geschichte der Herren von Beutelsbach und Grafen von Württemberg bis zum 14. Jahrhundert" Der Stil Küngs ist nicht emheitlich, in seiner Chronik wechseln annalistische mit längeren narrativ ausgestalteten Passagen - die Chronik ist mithin eine Hybridform, die teilweise zwar noch ihre annalistischen Quellen spiegelt, aber bereits vom Willen des Autors zeugt, die Geschichte zu literarisieren. Bei den annalistischen Angaben, die meist nur wenige Zeilen umfassen, handelt es sich um die üblichen Angaben zu den wichtigsten Jahresereignissen, zu PreisentVgl. unten S. 155-182. Die Geschichte der Grafen von Württemberg ist mit einiger Sicherheit erst seit Ende des 12. Jahrhunderts zu rekonstruieren, tasofem ist die Beziehung zwischen den Beutelsbachem, die zu Zeiten des hivestiturstreits die Burg Württemberg erbauten, unsicher. Vgl. dazu RAFF, Wirtemberg, S. XLIV und XL ΥΠ.

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Sebastian Küngs Chronik der Grafen und Herzöge von Württemberg

Wicklung, Besitzänderungen" oder sonst dem Chronisten bedeutsam erscheinenden Ereignissen'" und Kuriositäten. In eklektischer Weise werden fur die ersten Jahrhunderte die dynastisch bedeutsamen Daten wie Geburt, Heirat und Todestag aufgenommen." Die Erläuterungen sind so knapp gehalten, daß Küng dort, wo er nicht mehr zu berichten weiß, nur den Namen eines Familienmitglieds erwähnt." Daneben bietet Küng auch umfangreichere Abschriften aus Quellen, so etwa die Stiftung des Wurmlinger Jahrtags, die er wörtlich aus einer Quelle des 16. Jahrhunderts abschreibt." Aus der Literatur im engeren Sinne übernimmt er kaum einen Stoff, eine Ausnahme ist die gar schöne histori (45) über den Herzog Friedrich von Schwaben." Die historischen Fakten, deren Charakter bereits von S O M M E R einer ausführlichen Analyse unterzogen worden sind, interessieren hier nur am Rande, im Mittelpunkt der Überlegungen stehen die narrativen Strategien, deren sich Küng bedient, um seine jenseits eines archivierenden Interesses liegenden Intentionen zu vermitteln. Mit dem Kapitel über einen sagenhaften Grafen Emich von Beutelsbach, der im 10. Jahrhundert gelebt und mit Heinrich I. gegen die Ungarn gekämpft haben soll," beginnt der Chronist die chronologische Abfolge. Im Gegensatz zu anderen Hauschroniken verzichtet er auf die Bestimmung eines Stammvaters und nennt Emich lediglich den ersten urkundlich überlieferten Grafen. Auf diese Weise vermeidet er jeden Verdacht einer allochthonen Herkunft. Die Quelle, aus welcher Küng hier schöpft, bleibt zwar ungenannt, aber es ist das Rüxnersche 'Tumierbuch'." Küng zieht es mehrfach heran und nennt es einmal auch als Quelle." Wenn er ihn ausgerechnet an einer solch zentralen Stelle nicht namentlich erwähnt, dürfte dies eine Reaktion auf die zeitgenössische Kritik an dessen Glaubwürdigkeit gewesen sein." Die Rüxnersche Sage von der Stiftung der Turniere im Anschluß an einen Sieg über die Ungarn wird allerdings mit einer anderen Jahreszahl - wiedergegeben, die besondere Lei34: Freiher zu Sigburg hatt dem dosier Hirsauw den flecken Reichenbach under obgemeltem apt vergäbet!. 68: Ulrich, grqff zu Urach, anno 1169 zu Ziirch an der Lindmat den tumier besucht (50). Anno 1280 galt ein moden rocken 12 Pfand, ain moden dinckhel 10 Pfand und ain moden habern 8 Pfand. 32: Heinrich, freiherr zu Beütelspach, hatt under Henrico dem dritten gelept und anno 1048 gestorben, weiters hab ich von im diser zeit nitt finden megen. Etlich wölln, er sei Emerichs söhn gewest. An anderer Stelle (67f.) erinnert die Wiedergabe der genealogischen Daten an die Geschlechtsregister des Alten Testaments. Vgl. Hugo der ander (59). Eytelfritz anno 1485 (89). Küng, Chronik, S. 36-40. Vgl. auch S. 168, Anm. 121. Vgl. dazu GRAF, Geschichten, S. 152. Zur Inteφretation der histori vgl. unten S. 110. Küng hat hier Familiennamen der Beutelsbacher aus dem 12. Jahrhundert entlehnt (vgl. Küng, Chronik, S. 162, Anm. 52). Die Quelle für den Ungamkrieg ist - wie bei den anderen Hauschronisten auch - Rüxner, Tumierbuch, f 2"-12'. Die genaue Beschreibung eines Turnierablaufs gibt Rüxner bei der Beschreibung des (fiktiven) 1. Turniers in der Stadt Magdeburg (Rüxner, Tumierbuch, f 29''-320. Vgl. dazu Küng, Chronik, S. 162, Anm. 52. Vgl. oben S. 2, Anm. 7 und unten S. 190 und 461, Anm. 11.

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Stung Emichs nur ganz lapidar mitgeteilt: Und [Emich] ist anno 922 dem gemelten kaiser, under hertzog Hermans von Schwaben gezuig, zu hilff wider die Ungern und Wendenn zugezogen und dieselben vor Mersburg in Saxsen heißen schlacken und bezwingen (31)." Das Emich-Kapitel erfiillt aber noch eine weitere Funktion. Fast nebenbei und stillschweigend soll gleich am Beginn das Problem des Doppelstandes der Beutelsbacher, die als Freiherren und Grafen erscheinen, erledigt werden: Emich sitzt auf allodialem Besitz, nennt sich freiher zu Beütelspach und erhält von Kaiser Heinrich die Aufgabe, des reichs graffschafft Groningen zu verwalten, und wird demnach graff zu Groningen genant (31). Nach der Logik der zuvor entworfenen Systematik müßte dieser Titel, da es sich ja nur um ein verliehenes Amt handeh, hinter dem des 'Freiherm' zurückstehen, aber die Überschrift - Emich, Graff zu Groningen - belehrt eines Besseren. Hier legt Küng also bereits die neuzeitliche Rangordnung zugrunde. Küng besitzt für diese frühe Zeit des 11./12. Jahrhunderts naturgemäß kaum Angaben zur Geschichte der Beutelsbacher, er füllt diese Leerstelle, indem er einfach beliebige, ihm zugängliche Quellen aus dem südwestdeutschen Raum einfügt. Das Fakteimiaterial soll offenbar die Dürftigkeit der dynastischen Nachrichten überspielen. Ausgewertet hat Küng fiir diesen Zeitabschnitt wesentlich die 'Hirsauer Chronik' - er übernimmt die Aufzählung der Äbte und der wichtigsten Schenkungen (34f) inklusive des annalistischen Stils (36: Erlafrid, stiffter zu Hirsauw, anno 838У^ Nach Rüxner erwähnt er die Teilnahme der Grafen von Calw auf den Turnieren (36). Diese ersten Kapitel der Chronik sind stilistisch relativ anspruchslos, Küng schreibt Urkunden und Quellen, die ihm zugänglich waren, ab, ohne sich weiter um einen narrativen Zusammenhang oder eine Interpretation zu bemühen. Den breitesten Raum (36-39) nimmt die Geschichte der wunderseltzam stifftung des Wurmlinger Jahrtags ein, die er aus einer 1530 entstandenen Beschreibung wortwörtlich übernommen hat." Diese Stiftung hat keinen Bezug zur Geschichte der Grafen von Württemberg, ihre Aufiiahme in die Chronik erlaubt Rückschlüsse auf weitergehende Intentionen des Chronisten. Küng nennt selbst zwei Gründe. Der erste ist sachlich-historischer Natur: Angesichts des gegenwärtigen Religionsstreits sei zu befürchten, die Stiftung könne, ähnlich wie der Name des Stifters, verlorengehen. Der zweite Grund ist ironisch formuliert, hinter ihm versteckt sich der protestantisch beemflußte BHck Küngs auf die Fragwürdigkeit von Werkgerechtigkeit: er habe die Erzählung eingefügt, damitt man sehe, an welcher laiter unsere altvordern haben gen himel steigen wellen (40). Es ist

Nach der von Rüxner wiedergegebenen Sage wurden die Turniere nach dem Sieg Kaiser Heinrichs I. im Jahre 938 von ihm in der Absicht gestiftet, die Kampfkraft seiner Krieger zu fördern. Vgl. dazu Rüxner, Tumierbuch, f. 12'-15'. Der Chronist nimmt hier eine Tradition auf, die auf der angeblichen Verbindung zwischen den Grafen von Beutelsbach und dem Kloster Hirsau beruht (vgl. ScHNEroER, Regesten, S. 66). Küng, Chronik, S. 168, Anm. 121.

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Sebastian Küngs Chronik der Grafen und Herzöge von Württemberg

dies der erste Fall in der Küngschen Chronik, in dem ein liistoriographisch-antiquarisches Interesse mit einer impliziten religiösen Überzeugung verknüpft wird." Die Geschichte der Beutelsbacher wird in diesem frühen Abschnitt der Chronik nur annalistisch wiedergegeben, erwähnt werden lediglich Heiraten, Geburten, Stiftungen usw. Eine ganz wesentliche Information geht in diesen verstreuten Nachrichten fast unter: der Wechsel von Name und Titel (32f.)." Küng diskutiert die These, ob ein Konrad von Beutelsbach wegen seiner Unterstützung Heinrichs IV. im Kampf gegen Sachsen und Thüringer mit der Grafschaft Württemberg belehnt worden sei.'·* Der Argumentation liegt hier die gleiche Struktur zugrunde wie beim Herkommen dieser Grafen (28): Küng, der aus den Quellen heraus die selbstgestellte Frage nicht beantworten kann, lenkt die Diskussion auf einen Analogiefall - auch die Freiherren von Hohenstaufen sind wegen ihrer Verdienste um das Reich mit dem Herzogtum Schwaben belehnt worden - und übergeht die argumentative Leerstelle mit einer schwungvoll-ironischen Formulierung: Ob aber der nam Wirtemberg vor auch gewesen oder erst zu diser zeit auffkomen sei, würt niemandt leichtlich anzaigen megen. Wier wellen diser zeit daran vergniegt sein, daß mier wissen, daß die, so vorhin freiherm zu Beütelspach gewesen, nun hinfüro graven zu Wirtemberg seien genentt worden. (33)

Das Ironiesignal weist zugleich auf die Distanz des Historikers gegenüber Standeserhebungen wie auch der Verifizierbarkeit von Geschichte. Wenn Küng diesen an sich entscheidenden Einschnitt, die Verleihung der Grafschaft Württemberg, als Margmale behandeh, dann ist dies nur die konsequente Weiterftihrung einer Denkfigur, deren Grundlage er bereits im systematischen Anfangsteil geschaffen hat. Dort wurde zu Beginn des 2. Kapitels (29) die Begründung fìir eine Standeshierarchie, in welcher die Freiherren vor den Grafen rangieren, gegeben." Küng bedient sich einer Argumentationsfigur, die ähnlich in der 'Zimmerischen Chronik' zu beobachten ist, wo eine Gleichsetzung von Freiherren und Grafen in der Frühzeit suggeriert wird.™ Auch Küng dürfte diese Geschichte der Standesunterschiede mit Blick auf seine eigene Gegenwart geschrieben haben, denn indem er den Wechsel zu einer reinen Namensänderung macht, nivelliert er die Adelshierarchie und verringert damit auch den Abstand zwischen Adel und Bürgertum.

Zur Bedeutung des Religionskonflikts für die Autobiographien des 16. Jahrhunderts vgl. VELTEN, L e b e n , S. 70FF., 1 9 6 - 2 2 0 .

Vgl. hierzu auch SCHNEmER, Regesten, S. 66fr. Die fnlheste Erwähnung dieses Konrads zeigt ihn eher im Lager der Gegner Heinrichs IV.; vgl. SCHNEROER, R e g e s t e n , S. 6 6 .

Vgl. oben S. 103. Vgl. dazu auch die 'Grafschaftstheorie' Frobens in der 'Zimmerischen Chronik' (unten S. 182f und 345).

Annalistik und Narration

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Das Verhältnis 2Avischen den thematisch orientierten Exkursen und der annalistisch strukturierten Dynastiegeschichte spiegeh Küngs prinzipielle Schwierigkeiten mit einer Vergangenheit, die er nicht zu einer einheitlichen Erzählung zusammenfügen kann. Dementsprechend setzt Küng in die fortlaufende Chronik der Württemberger Unterkapitel ein, die entweder in systematischer Form die Geschichte solcher Herrschaften behandehi, die zum großen Teil an die Württemberger Herzöge gefallen sind (Calw, Tübingen, Acheln, Herrenberg, Mömpelgart, Schwaben und Teck), oder relativ disparate Informationen zur Geschichte Württembergs enthalten:" Der Anlaß fiir dieses komplizierte Verfahren ist die Grundproblematik jeder Geschichtsschreibung, synchrone und diachrone Darstellimg miteinander verbinden zu müssen. Im Gegensatz zum zimmerischen Chronisten, der solche Brüche durch Kontextualisierungen zu kaschieren versucht, begründet Küng den Wechsel zwischen Themen explizit. So etwa erklärt er die Einfügung der Geschichte der Grafen von Calw und Achehi gegen jede chronologische Ordnung mit dem Aussterben dieses Geschlechts oder teilt dem Leser Anfang und Ende eines Exkurs mit (z. B. 41, 51, 86, 101)." Die Einfügung der Geschichte der Grafen von Tübingen m die Chronik begründet er mit der Unübersichtlichkeit einer rein chronologischen Anordnung: [...] nach dem in disen jaren, nämlich von dem jar 1119 bis 1235, welcher jar sunderliche geschichten wier ietzt beschreiben, vili von der graven zu Tubingen hendelln und sachen sollen anzaigen. So wellen wier, gleich hie auch wie vor mer, ettwas aus der zeit schreiten und solche graven all hie zusamensetzen, uff daß in erzelung ierer historien kain irtum entstände, und soll hieruff die narration anfachen. (51)

Die narration, eine fortlaufende, chronologisch kontinuierliche Erzählung der Geschichte der Württemberger, ist für den Chronisten ein zentraler Eckstein für die Akzeptanz seines Werkes. Der prinzipielle Widerspruch zwischen chronologischem und systematischen Modus wird an dieser Stelle demnach zugunsten des ersteren entschieden. Das annalistische Schema mit seiner strengen ReiDie darin enthaltenen Nachrichten übernimmt Küng innerhalb des fhihen Zeitramns nach wie vor aus Rüxner. So behauptet er etwa von einem Graf Uhich, er hätte am 3.12.1165 an dem 10. Turnier in Zürich teilgenommen, hi Rüxners 'Turnierbuch' wird anläßlich dieses Turniers ein Ulrich Freiherr zu Wittelspach (f. 1360, im 11. Turnier von Köln ein Ludwig Grave zu Wirttenberg und Herr zu Wittehbach (f. 104^ erwähnt. SOMMER (Küng, Chronik, S. 173, Anm. 207) vermutet eine Verwechslung Rüxners wegen der Klangähnlichkeit Wittelsbach-Beutelsbach. Diesen Fehler hätte dann Küng stillschweigend korrigiert. Vgl. dazu etwa die Behandlung der Geschichte der Grafen zu Groningen (Küng, Chronik S. 41-45). Die Genealogie dieses Zweiges hat zahlreiche Lücken, und Küng schließt sie mit den Worten: wellen hiemitt also die Uni der graven zu Groningen beschließen und uns widerum zurück uff beschreibung der wirtembergischen Uni wenden und die narration an graff Ulrichen, da wier sie gelassen haben, anheben (45). Aufgrund der von der Herausgeberin gewählten Gliederung nach 'Überschriften' wird die Chronik unübersichtlich, da man nicht gleich erkennt, wo der Chronist zu seinem Oberthema zurückkehrt.

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Sebastian Küngs Chronik der Grafen und Herzöge von Württemberg

hung der Ereignisse beherrscht demnach immer noch das Denken der Chronisten - eine Beobachtung, die bestätigt wird durch die zeitgenössischen bürgerlichen Haus- und Familienbücher." In der Frühphase seiner Chronik weicht Küng nur an einer Stelle von dem annalistischen Verfahren ab, wenn er mit einer gar schöne[n] histori der Inbesitznahme Stuttgarts durch die Württemberger einen literarischen Anstrich verleiht. Der Erzählung liegen Rudimente des Brautwerbungsschemas zugrunde. Der Brautwerber, ein fiktiver Johannes von Württemberg, wird von der Familie der Braut dem Auftraggeber, Herzog Friedrich von Schwaben, vorgezogen. Als jedoch der Werber aus Treue zu seinem Herrn auf das Angebot verzichtet, kann umgekehrt der schwäbische Herzog solche Vasallentreue nur mit einem seinerseitigen Verzicht auf die Braut beantworten, die dann Johannes von Württembergs Gattin wird xmd ihm die Stadt Stuttgart einbringt. Das historische Ereignis ist für Küng sekundär, die Erzählung ist vielmehr auf den ständischen Diskurs und dabei besonders auf dessen hierarchischen Aspekt hin konzipiert. Küng illustriert hier das Motiv der gegenseitigen Verpflichtung von Herr und Diener: Eia, wa noch solche früntlichhait bei den fiirsien gefunden, da sollen ia die diener vleißig und getruiw sein, hinwider auch die försten solliche redliche diener haben, sollen sie sich auch hinwider gegen inen mitt allen gnaden erzeigen (47). Mit Erreichen des 13. Jahrhunderts wandelt sich der Chronikstil, Küng gestaltet einzelne Biographien nach narrativen Muster. Die erste ist dem Grafen Eberhard П., dem Eriauchten (1279-1325), gewidmet (63-66). Die Historizität dieser Biographie kann hier außer Betracht bleiben, da die zahlreichen Irrtümer von SOMMER gewissenhaft verzeichnet worden sind." Die Anlage der Biographie ist sorgfältig geplant. Küng stellt Eberhards Leben nicht einfach in seinen verschiedenen Phasen dar, sondern entwickelt es unter dem Aspekt des permanenten Kampfes. Dieses 'Leitmotiv' wird bereits mit einer Anekdote von seiner Geburt angeschlagen. So soll seine Mutter beim ersten Anblick des Kindes gesagt haben: [...] thondt hinweg, thond hinweg das kind, dann es sunst dem gantzen reich wirt zu schaffen machen (63). Unter diesem Aspekt steht nun die gesamte Biographie Eberhards, der bereits seinen Pflegevater gefangensetzt, weil er sich von ihm ausgenommen fühlte. Auch sein weiteres Leben wird ausschließlich als eine Aneinanderreihimg von Kriegen und Fehden geschildert." Zuerst kämpft er gegen die Reichsstadt Esslingen (1286), dann gegen König Adolf (1298), wieder gegen die Reichsstädte (1308) und schließlich gegen

Vgl. dazuZAHND, Aufzeichnungen, S. 309-341. Auch wenn Küng seine Quelle nicht angibt, scheint er diese historie aus Lirers 'Schwäbischer Chronik' entnommen zu haben (Lirer, Chronik, S. 39-52). Vgl. dazu auch GRAF, Geschichten, S. 152. Diese Geschichte hätte nach der zeitlichen Terminierung der Überschrift eigentlich dem folgenden Kapitel zugeordnet werden müssen. Vgl. etwa Küng, Chronik, S. 186, Anm. 355-372. Dies entspricht jedoch nicht der historischen Realität vgl. dazu STALIN, Geschichte Ш, S. 46168, bes. S. 5 5 - 7 0 u n d K ü n g , Chronik, S. 1 8 6 , A n m . 3 5 6 - 3 6 6 .

Annalistik und Narration



Kaiser Heinrich. Indem die vier Kriege in einem Stück erzäMt werden, bestätigt Küng die Prophezeiung der Mutter. Auch in einem Resümee zu Eberhards Leben wiederholt Küng dieses Verdikt: [...] ain man, der all die tag seines lebens im selbs, auch andern leiten, wenig ru gelassen (66)."

Die Eberhard-Biographie erlaubt Erkenntnisse über Küngs Begriff der historischen Ursachenforschung.*^ Er versteht darunter weniger die Auflistung politischer Beweggründe, die er nur als Oberflächenphänomene behandelt,"' sondern psychologische Motive. So wird UMch, der Sohn Eberhards IL, 1377 bei Reutlingen von den Städten besiegt. Diese Niederlage ist fur Graf Eberhard ein äußerst schmerzlicher Schlag; um dies bildlich zu verdeutlichen, verwendet Küng das Discordia-Motiv: und thet [Eberhard] dise niderlag so wee, daß er auch solche sein sun so schwerlich auffgerupfft und das tischtuch zwischen inen baiden, als sie zu tisch saßen, soll zerschnitten haben, gleichsam sein sun mitt ime an einer thafel zu essen nitt wertt were, dieweil er geflochen und so vil

gutter kit verlassen hett (74). Diese dramatische Szene ist aber nicht allein eine literarische Illustration, denn Küng sieht darin nicht nur den Anlaß für die Feindschaft zwischen Vater und Sohn, sondern auch die Ursache für den Tod Uhichs zehn Jahre (1388) später. Das Trauma der Niederlage hat einen lebenslangen Haß UMchs auf die Städte zur Folge, deswegen kämpft er in einer neuen Schlacht in vorderster Linie und fallt." Unverkennbar bemüht sich Küng hier, psychologische Erklärungen - wie die lebenslange Prägung in der Jugend - für die Ursachen von irrationalen Handlungsweisen zu erfassen. Auf der Ebene solcher psychologischen Kriterien werden adliges und bürgeriiches Handehi vergleichbar, der Chronist wird zum legitimen Richter über das moralische Handeln des Adels. Gleichwohl bleibt für Küng der alte Adel aber auch ein Faszinosum, an dessen Moral sich das Bürgertum orientieren soll. Dies manifestiert sich in einer Anekdote, die auch eine chronikalische Bedeutung hat, da sie den permanenten Aufstieg der Württemberger" erklärt und zeigt, wie die Stadt Beilstem an das Geschlecht gekommen ist: Graf Eberhard hat im Städtekrieg den ganzen Adel auf seine Seite gebracht und erhält selbst von Auch die nächste ausführliche Biographie Eberhards Ш. (des Greiners), eines Enkels Eberhards П., wird reduziert auf seine Bewährung im Krieg, wobei sich Küng allein auf die Auseinandersetzung Eberhards mit den Städten konzentriert und hier vornehmlich auf den schwäbischen Städtekrieg (71-75). Die Intention, Eberhard als einen Herzog zu zeigen, der es verstand, die überheblichen Städte in die Schranken zu weisen, diktiert den ganzen Abschnitt. Und Küng gelingt dies auch, indem er die geschichtlichen Zusammenhänge für die Rivalität zwischen Eberhard und den Städten beiseite läßt. Vgl. Küng, Chronik, S. 195, Anm. 476; STALIN, Geschichte Ш, S. 305-308; 316-320. Siehe oben S. 92. Vgl. etwa das Wiederaufleben des Städtekriegs, welches Küng in der Weigerung der Städte sieht, die von den Adligen geforderten Kontributionen zu bezahlen. Über die genaueren Hintergründe dieser Forderungen erfährt man bei Küng nichts (74). Vgl. dazu STALIN, Geschichte Ш, S. 345f Im Gegensatz zur 'Wellenbewegung' in der zimmerischen Geschichte (vgl. dazu bes. unten S. 320Í) wird die württembergische als beständiger Aufstieg gezeichnet.

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Sebastian Küngs Chronik der Grafen und Herzöge von Württemberg

seinem Fehdegegner Wolf von Wunnenstein Unterstützung."' Als der Krieg siegreich beendet ist, erklärt Wolf den Fortgang der Fehde und überfölh das württembergische Zuffenhausen."' Eberhard rächt sich aus Dankbarkeit für die geleistete Hilfe jedoch nicht. Auf dieses großherzige Verhalten reagiert Wolf seinerseits entsprechend und vererbt Eberhard Beilstein. Küng zeichnet mit dieser Geschichte das Bild eines Adels, der zugunsten des Ganzen auf egoistische Vorteile verzichtet - auch hier wird Küngs Fokus auf ein bürgerliches Publikum und dessen Konkurrenzdenken gerichtet gewesen sein. Im übrigen war die Übertragung Beilsteins an Württemberg nichts anderes als ein lapidarer Geschäftsvorgang, dem Küng nur eme moralische Aura verliehen hat: die Herren von Wunnenstein,'" deren letzter Sproß jener Wolf gar nicht war, verkauften die Burg an Württemberg. Dennoch konstruiert der Chronist einen solchen Geschichtsverlauf, um hier Werte wie Ritterlichkeit, Treue und gegenseitiger Dankbarkeit zu illustrieren. Trotz seiner Bewunderung für Eberhards Kriegskunst, seine moralischen Tugenden und rational-bedachtsame Politik mischt Küng auch vorsichtige Kritik ein. In Übereinstimmung mit den pazifistischen Ideen Sebastian Francks und den Interessen der (handeltreibenden) Bürger, für die Krieg hnmer die schlechteste Lösung ist, stellt er fest: [...] und darnach wardfrid; warum nitt vorhin, e diser schad geschach! (71). Zur historiographischen Methode Küngs gehört auch der - ebenfalls in der 'Zimmerischen Chronik' zu beobachtende - Versuch, die Geschichte des zu beschreibenden Geschlechts mit epochalen Ereignissen in Verbindung zu bringen. Wie schon für den Autor der 'Truchsessenchronik' ist dies fiir Küng die Hinrichtung Konradins und der damit verbundene Untergang des Herzogtums Schwaben. Im Gegensatz zum Truchsessenchronist will Küng aber nicht die Württemberger Dynastie an dieses epochale Ereignis 'ansippen', viehnehr ist das Ereignis Ausgangspunkt für eine tour d'horizont über die aktuelle politische Situation der Schwaben und Deutschen: Conradus, Römischer kürtig, hatt mitt frau Elisabeth, hertzog Otten von Bayern thochther, ain einigen sun, Conradinum genant, geziuget, welcher von Carolo, dem künig von Franckreich, in der Schlacht, so er mitt im gehalten, erlegt und gefangen worden und anno 1267 mit hertzog Friderich von Osterreich [...] zu Neapolis enthauptet worden. Daher es dann kumpt, daß alle abtrinnige, verleugnete Schwaben so gern dem küng von Franckreich dienen, dann damitt

Zum Verhältnis zwischen Eberhard und Wolf von Wunnenstein bzw. dessen Sonderrolle in der Adelsverschwörung der 'Martinsvögel' vgl. HOFMANN, Adel, S. 19f. Küng verfährt metonymisch, wenn er die Verabschiedungsszene zwischen Wolf und Eberhard nach dem Städtekrieg mit den Worten kommentiert; [Wolf] sagt zu graff Eberhart in seinem abschaiden: Her von Wirtemberg, nun stell es wider in altem rechte. Als wollt er sagen: Ob ich gleichwol mein vermigen in disem krieg dargestrekt hab, auch in der schlacht das best gethon, noch dannocht soll der unerörterft] spann zwischen unns nitt auffgehept sein; demnach wa ich ein kochflaisch zu gelegener zeit wurde mittnemen und mitt hinbringen, soll man mier das, als von einem, der vorhin beveedet ist, nitt zu ungutt auffiiemen (75). Vgl. dazu Küng, Chronik, S. 198f, Anm. 528.

Annalistik ш(1 Nairation

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wellen sie beziugen, daß sie das Schwabenlandt leitlos, gleich wie Carolus vorgemelt erblos gemacht hatt, machen wellen. Nun ist obgemelte handlung alle durch der bapst practicken in das werck angericht und volzogen worden, was der tüfel noch zur zeit, aus Gottes verhencknus, noch im sinn hatt, besorg ich, mier werden sollichs nun zu bald erleben. Das ist war, daß nun der mererthail der teiitschen natzion dem bapst oder seinem wesen gar nitt günstig. Noch dannocht um des schendtlichen geltz willen dienen wier, ja betreiten gleich, als darzu erfordert, alle die, so der bapst wider die hoch oberkait und aller teiitschen freihait hetzt und anstifft, daß ich hinfiiro dem Francosen die türckischen büntnus, davon man redt, schier Uber weite zu gutt auffiiemen, dann die bapstisch, dieweil das endt, dahin die sachen gericht, schier ain zweck, nemlich die Verleugnung Christi, hinnemung des teiitschen landts freihait, den gehorsam gegen der oberkait und in summa alle erberkait treffen wellen, darvor unns Gott nach seinem gnedigen willen noch lang behieten und bewaren well (68)

Klings Feindbild ist Frankreich, unvergessen ist für ihn die Schuld, die der französische König, Karl von Anjou, bei der Hinrichtung des letzten schwäbischen Herzogs auf sich geladen hat. In Karls Verhalten sieht Küng die Ursache für die 'Erbfemdschaft' zwischen Deutschen und Franzosen, die er bereits am Anfang der Chronik als konstante Größe der europäischen Politik einführte." Küng illustriert anhand eines bildhaften Vergleichs, wie sich im Verhältnis zu den Franzosen die wahre Gesinnung eines Schwaben normhaft abbilden läßt: Daher es dann noch kumpt, daß alle abtrinnige, verleugnete Schwaben so gern dem küng von Franckreich dienen, dann damitt wellen sie bezuigen, daß sie das Schwabenlandt leitlos, gleich wie Carolus vorgemelt erblos gemacht hatt, machen wellen. (68)

Küngs Aversion gegenüber den Franzosen wird nur noch übertroffen durch seine Aversion gegen den Papst, den er ebenfalls für den Tod Konradins verantwortlich macht und der mit seinen prakticken gegen die Deutschen noch verwerflicher handeh als die Franzosen, die sich 'nur' mit dem Erzfeind des christlichen Glaubens, den Türken, verbünden. Küng hat hier die lutherische Gleichsetzimg von Papst, Türken und Franzosen aufgenommen. Anhand der Rangfolge, in welcher Küng abschließend die Ziele des Papstes benennt Zerstörung des christlichen Glaubens, Beendigung der teiitschen freihait, Aufstachelung der Untertanen und Vernichtung des adligen Ansehens - wird die propagandistische Intention Küngs offenbar. Der Hinweis auf das Ende des schwäbischen Herzogsgeschlechts ist das Mittel, einen im Analogieverfahren erstellten Beweis darüber zu fuhren, daß der Untergang des deutschen Reiches schon immer die Absicht des Papstes war. An dieser Stelle verläßt der Autor die chronikalische Ebene und fügt einen Kommentar ein, der gemäß seiner Vorrede die Ursachen für den Untergang des schwäbischen Herzogtums be-

Vgl. Küng, Chronik, S. 25f.

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Sebastian Küngs Chronik der Grafen und Herzöge von Württemberg

nennt und einen geschichtlichen Bogen spannt von der Enthauptung Konradins bis 7Ш Gegenwart und seine lutherische, antipäpstliche und antifranzösische Haltung aus der Geschichte rechtfertigt. Die Argumentation beruht auf der Fortdauer geschichtlicher Konstellationen: Papst und Franzosen werden als natürliche Gegner des Reiches, und damit auch des schwäbischen Herzogtums gesehen. Ihr Interesse ist auf die Zersplitterung der Macht in Schwaben gerichtet, und demnach lassen sich die Schwaben aufgrund ihrer Haltung zu Frankreich als treue oder abtrinnige einordnen. Implizit ist damit der feudale Widerstand gegen die Entwicklung des württembergischen Obrigkeitsstaates zu einem Identitätsproblem umstilisiert: Machtfragen werden diskutiert als xenologische Probleme. Küng identifiziert eine landestypische Fremdenfemdlichkeit und instrumentalisiert sie, um den Anspruch der Württemberger auf die Landeshoheit zu untermauern. In dieses Koordinatensystem ordnet er auch den Religionskonflikt ein. Die antipäpstliche Haltung der mererthail der teütschen natzion wird als legitimer Widerstand gegen die antideutsche Politik Roms begründet. Küng defmiert die Werte, die die deutsche und schwäbische Nationalidentität ausmachen und denen die Attacken des Papstes gelten, auch positiv: Es ist die Verbindung von teütsche[r] Freiheit im Sinne einer nationalen Selbstbestimmung und der Existenz hierarchischer Strukturen, die Unabhängigkeit nach außen gewährleisten. Die spezifisch deutsche Fiktion, nur ein starker Staat könne die innere Zersplitterung überwinden, ist hier ebenso vorformuliert wie ein Freiheitsbegriff, der sich nicht mehr an der mittelalterlichen Gewaltenteilung orientiert, sondern die Existenz einer Obrigkeit als Voraussetzung fur Freiheit nach außen sieht. Stereotyp ist auch Küngs Behauptung, daß alle diejenigen Schwaben, die sich dem neuen Obrigkeitsstaat entziehen, lediglich aus finanziellen Interessen, die üim minderwertig erscheinen, handeln. Dem fiöihneuzeitlichen Staat wird auf diesem Weg der Status ethischer Werthaffigkeit veriiehen, die partikularen Interessen moralisch diskreditiert - auch dies ist eine Argumentationsfigur, die im deutschen Identitätsdiskurs eine lange Tradition hat. Am Ende seiner Philippika geht Küng dann doch noch auf ein Thema em, das in der Chronik erstaunlich peripher behandeh wird, den Religionskonflikt: Dieser dient einer letzten Steigerung seiner Anklage imd zugleich einer Differenzierung zwischen den beiden Hauptgegnem Deutschlands. Selbst das Bündnis der Franzosen und Türken übertrifft der Papst, denn dessen Ziel ist nicht - wie das der Franzosen - die Schwächung der politischen Macht der Deutschen, sondern die Abschaffung des Glaubens und ein soziales Chaos. In Küngs Argimentation deutet sich indirekt das Bündnis des Bürgers mit dem Obrigkeitsstaat an, das geschlossen wird in der Absicht, die bestehende soziale Ordnung, in der er letztlich seine freiheit sieht, zu erhalten. Voraussetzung dafìir ist jedoch, daß die soziale Instabilität im Inneren nicht durch eine schlechte 'Außenpolitik' noch verstärkt wird. Der alte Adel ist in diesem Konzept nur noch am Rande präsent, wenn Küng daran erinnert, daß ein sozialer Umsturz auch die erberkait treffen wird.

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In diesem Abschnitt präsentiert sich Küng nicht als Archivar der Vergangenheit, sondern als Chronist, der aus einem nationalen und ständischen Interesse heraus schreibt. Seine Argumentation verbindet unterschiedliche Diskurssysteme mit der Absicht, seinem Publikum die (niederen) Motive der Handelnden und den Zusammenhang zwischen diesen und den politischen Ereignissen ins Bewußtsein zu bringen. Das Ziel aller deutschen Feinde ist die Auflösung der ständischen Hierarchie, weil damit das Land leitlos gemacht werden kaim. Der Bürger Küng identifiziert sich hier noch ganz mit der altständischen Vorstellung, daß nur der Adel den Fortbestand des Landes garantieren kann. Küng verwendet in der Chronik immer wieder geschichtliche Muster und kombmiert sie miteinander. Bei der Behandlimg des Städtekriegs Eberhards III., des Greiners (1344-1392), sind dies die beiden Motive 'plötzliche Errettung m aussichtsloser Lage' und 'Hochmut kommt vor dem Fall'. Nachdem die Städte zunächst in der Schlacht von Reutlingen (1377) gegen Eberhard gewonnen haben, stolzierten und überhüben [sie] sich des erlangten sigs (74), werden aber von ihm 1388 bei Weil der Stadt besiegt. Den Sieg bei Weil verdankt sich nach Darstellung des Chronisten der Юugheit Eberhards, der als ein alt kempffer noch in aussichtsloser Lage die richtigen, weil den Gegner überraschenden Entscheidungen, trifft." Dieses Motiv verwendet Küng, weil sich hier die Wirkung von Handlungsmustem demonstrieren läßt, die weit in den menschlichen Alltag hineinreichen. Deswegen auch findet die bekaimte Geschichte der 'Weiber von Weinsberg' ihre Aufiiahme in die Chronik (60). Auf die geschichtlichen Zusammenhänge kann der Chronist verzichten, die Darstellung ist ganz auf die Demonstration einer fast novellenhaften, außergewöhnlichen Tat und ethischer Werte abgestellt: Die List der Frauen wird als Beweis einer besonderen Treue akzeptiert, die vom Autor sofort wieder mit dem Diskurs eines 'Nationalcharakters' verbunden wird, wenn er die Tat der Frauen höher bewertet als die der antiken Heroen: Also nam ein iede iem Herrn und gemachel uff sich und trug in darvon; das wolt Henrich nitt zulassen, anzaigendt, daß nun von dem gutt und nitt von den menschen were geredt worden. Aber kaiser conradt ließ im dise handlung und trui der weiter wolgefallen und sagt, man sollte kaiserliche wort nitt endem und demnach den weibem auch ier hab und gutt mittzunemen erlaupt. Zaig mier einer ain solche menschlich thatt in der Griechen und Romer histori, die doch meinen, es hab nie jemandts usserhalb Her selbs iemal ettwas rechts gethon. (60)

In der ScMacht bei Weil wendet sich das Kriegsglück bereits auf die Seite der Städte und die Württemberger setzen schon zur Flucht an. Doch da greift Eberhard zu einer List: Aber graff Eberhart, der alt kempffer, sprach den sein manlich zu, kam inen mitt geruwetem volck zu rechter zeit zu hilff, zugt die nottwer und schri den seinen, was er vom hals macht, zu: Frisch dran, frisch dran, sie fliechen! Als sich nun die stettischen umsehen, wer doch fliehe, trangen die Wurtembergischen behertzt auffsie undgewunnen den vorstraich [...] (75).

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Von dem beträchtlichen Besitzzuwachs der Württemberger mi 14. Jahrhundert berichtet Küng eher zurückhaltend. Zwar verzeichnet er in einzehien Exkurskapiteln Geschichte und Bedeutung der Neuerwerbungen (80: Herrenberg; 81 f.: Neufen; 86: Mömpelgard),'^ aber er stellt dies bezeichnenderweise nicht als Produkt einer planvollen Politik der Württemberger Grafen dar, sondern verfahrt rein deskriptiv. Das wichtigste Ereignis war sicher die Mömpelgarder Heirat (85), die der Chronist eher beiläufig erwähnt: Eberhart [...] halt nach absterben seines vatiers die graffschafft Wirtemberg erlangt und dieselbig durch ain heiratt miti der graffschafft Mumpelgart gemert und gebessert (85).'^ Viel wichtiger als eine historische Bewertung dieses Besitzzuwachs oder eine Ursachenforschung erscheint ihm der Hinweis, daß Eberhards Witwe bis zur Volljährigkeit ihres Sohnes die Herrschaft wider alle anstöß, mer dann einem Weibsbild müglich (85) regiert hat. Küng interessiert das 'Besitzinventar' der Württemberger wenig. Wenn er aus der Dynastiegeschichte keine allgemein ausmünzbaren politischen, psychologischen oder anthropologischen Erkenntnisse ziehen kann, beläßt er es bei einem annalistischen Vorgehen. Welche politische Strategie hinter der Mömpelgarder Heirat steht, die den württembergischen Herrschaftsbereich weit über den schwäbischen Raum hinausschob und der Intention emes geschlossenen Territoriums eigentlich widerspricht, bleibt außerhalb jeder Reflexion. Küng verzichtet auch bei der Vereinnahmung der Herrschaften Herrenberg und Neifen auf jede analytische Durchdringung des Geschehens und begnügt sich lapidar mit dem Hinweis auf die unter dem Adel entstandenen Verluste im Städtekrieg. Wie diese Besitzübertragung an die Württemberger Grafen konkret vonstatten ging, wird nicht erwähnt. Küng verwendet in seinem Resümee eine passivische Konstruktion, mit der dieser Vorgang als etwas Selbstverständliches erscheint: Wann man aigentlich die sachen und zeit besehen wii, so erfindt sich, daß durch den stettkrieg, darinnen so manig schlachen, brandt, nam und raub ßrgangen, der merer thail adelicher geschlecht in disem landt abgangen und stett, schlosser und derfer an die graven von Wirtemberg gefallen sein: dann das ist gewißlich war, daß kain dorff uff den Fildern und im Schonbuch gewesen, das nitt ein aigen adelich geschlecht gehapt hab (82)."

In gewisser Weise hat sich hier der historiographische Diskurs verselbständigt. Küng will dezidiert gar nicht im einzehien die Gründe für die Besitzausdehnung der Württemberger geben, weil damit auch die Frage nach dem aggressiven Potential der Württemberger Politik relevant werden würde. Viehnehr ist er darum bemüht, keine Widersprüche zu seiner anfangs geäußerten Kemthese, Eine Icnappe Zusammenfassung der Ereignisse findet sich bei PRESS, Welt, S. 20ff.; ausführlicher bei STALIN, Geschichte Ш, S. 227-354. Mit keinem Wort erwähnt der Chronist die expansive Machtpolitik Eberhards auf Kosten der kleineren Adelsgeschlechter (vgl. HOFMANN, Adel, S. 19). Als Scheinbegründung bietet Küng eine ausführliche Liste (78-80) der in der Schlacht bei Reutlingen (1377) gefallenen Adligen. Vgl. dazu auch STALIN, Geschichte Ш, S. 316-328.

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wonach es in Schwaben eine große Zahl kleiner Herrschaften gegeben habe, auftreten zu lassen. Damit vermeidet er Kritik an der expansiven Politik Eberhards, dessen Erfolge scheinen ihm nur aufgrund der Gimst der Umstände in den Schoß gefallen zu sein. Damit tritt Küng in einen deutlichen Gegensatz zu der in der Vorrede geäußerten Absicht die eigentlichen Ursachen, besonders den fürstlichen eergeitz, als Quelle des Unfriedens nachzuweisen. Bin weiterer Grund fur diese Argumentation dürfte in der Absicht des Autors liegen, die Geschichte der württembergischen Dynastie als Exempel für seine Friedensideologie zu verwenden. Ein narrativ breit ausgestaltetes Paradebeispiel hierfür ist Eberhard IV., der Milde (tl417), und sein Verhalten gegenüber der sich im Schleglerbund vereinigenden Adelsopposition (82f ). Eberhards Biographie wird bereits einleitend mit einer der seltenen psychologischen Ursachenforschung eröfifiiet: Da dessen voreitern miti vil blutvergießens das Land erweitert und beschitzt hetten (82), grenzt sich Eberhard von deren Politik ab und regiert mit giettickhait und friden. Küng benutzt mm das Verhalten Eberhards im Schlegleraufstand, um sein Thema, das Lob herrscherlicher Friedfertigkeit mit dem Vorwurf der Nachlässigkeit, die württembergischen Adligen verachten ihn als ein waichling, zu konfrontieren. Das Ergebnis der Diskussion wird nicht abstrakt formuliert, sondern Küng kleidet es in eine tendenziöse Erzählung des Streits Eberhards mit den 'Schleglem'. Er hebt dabei von dem historischen Vorgang ab und konzentriert sich auf das erzählerische Motiv 'Friedfertigkeit und politische Schlauheit'. Ein dramatischer Effekt entsteht, da Küng Eberhard als einen Landesherm darstellt, der mit seiner Nachsicht emen konsequenten politischen Handlungswillen kaschiert. Eberhard läßt die Verschwörer des Schleglerbundes solange gewähren, bis sie sich schon als sichere Sieger fühlen, zieht jedoch in aller Heimlichkeit ein Heer zusammen imd überfällt im Morgengrauen die Versammlung des Bundes in Heimsheim, womit - so der ironische Kommentar Küngs - dise rebellion gestillt (83) war. Nach den ihm vorliegenden Quellen muß Küng klar gewesen sein, daß jenes Ereignis nur eine periphere Bedeutung hatte, daß dabei weder die meisten Aufrührer gefangen worden sind," noch der Bund zusammengebrochen war." Mit dem literarischen Listmotiv hat Küng vielmehr den Beweis dafür erbringen wollen, daß Friedfertigkeit nicht mit Handlungsunfähigkeit oder Feigheit gleichzusetzen ist." Im Hinblick auf den württembergischen Herrscher ist damit ofíengelegt, daß seine gittickhaitt nur eine Variable in der Gleichung ist, die Eberhard heißt. Küng faßt das Prinzip der vita activa Eberhards in das Bild: Aber graff Eberhard verschlieff die rechte zeit nitt (83)." Anhand der

Vgl. Küng, Chronik, S. 83, nebst Anmerkungen. Vgl. dazu auch STALIN, Geschichte Ш, S. 354-371. Küng bietet auf engem Raum beide Erklärungsmuster fur den Charakter Eberhards: Einerseits ist er - in den Augen des Adels - ein waichling, andererseits aber auch ein rechter fridliebender Salomon undNuma gewesen (Küng, Chronik, S. 83). Die gleiche Formel fmdet sich mehrfach in der Chronik. Vgl. dazu etwa ebd., S. 103.

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Biographie Graf Eberhards gelingt Küng die Vermittlung einer grundsätzlichen Lebensweisheit: Die Bemühung um Harmonie darf nicht als Schwäche gedeutet werden, sondern dahinter karm sich als Motiv auch geduldiges Warten auf den richtigen Zeitpunkt verstecken. Es gehört ebenfalls zur Darstellungsstrategie Küngs, daß er den Wert eines solchen Verhaltens durch die Reaktion der Gesellschaft sanktioniert: Eberhard erwirbt sich mit seiner Politik so viel Ansehen, daß man ihn bei allen Streitfällen im Reich als Ratgeber hinzuzieht. 4.4.2. Die Geschichte der Grafen von Württemberg im 15. und 16. Jahrhundert Mit der Biographie Ludwigs I. (91f), der von 1419/26-50 regierte,"" geht Küng zu umfangreicheren, narrativ geschlossenen Emzelbiographien über. Besonders ausfuhrlich behandelt er die Lebensgeschichte Eberhards I. im Bart, Eberhards IL, UMchs (119-136) und Christophs (137-143).'°^ Zur Biographie Eberhards 1. im Bart (93-98) gehören die Verleihung des Herzogtitels (1495), die Wiederherstellung der Landeseinheit und die Erbregelung, die die künftige Unteilbarkeit der Herrschaft sichern soll.'"' Dies war das Endergebnis einer konsequent betriebenen und langfristig geplanten Territorialpolitik des Herzogs, der damit zum Begründer des neuzeitlichen Herzogtums wird."" Wenn 83: Er ist im gantzen reich in ein sollich ansichen kommen, daß selten ein span oder contracta erörtert oder aufgericht hatt worden, darzu er nitt als ain schidman were gezogen worden. " " Zu Ludwig I. (1412-1450) vgl. RAFF, Wirtemberg, S. 266-274. Die Teilungen des Hauses Württemberg in eine Uracher und eine Stuttgarter Linie, später in eine herzoghche und gräfliche, stellen den Chronisten vor das darstellerische Grundproblem jeder Hauschronik, er muß zwischen einem diachronen und synchronen Verfahren entscheiden. Obwohl er innerhalb der Geschichte Württembergs streng nach der chronologischen Abfolge verfahren wollte, weicht er wegen des ständigen Wechsels zwischen den Linien von diesem Prinzip ab und will diee Geschichte der einen Linie bis zu ihrem Ende berichten: Hie solt ich nun graff Ulrichen, dieweil er dem Bartman im leben und regement vorgangen, an die hand nemen, aber in ansehung, daß des Bartmans Uni ausgestorben, aber graff Ulrichs nachkamen noch vorhanden, so wellen wier jetzundt den Bartman an die hand nemen und ausrichten und alsdann erst zu graff Ulrich und sein nachkumen greiffen (93). Ein komplementärer Hinweis zum Ende der Geschichte über die Stuttgarter Linie findet sich zu Beginn des Kapitels über Graf Uhich V: Nachdem wir nun graff Ludwigen und seine nachkumen, so letstlich on erben abgangen, haben hingericht und abgevertigt und demnach ettwas über die gewonlich Ordnung der jarzal und antrettung in die regement, damitt sie wie ietzt gemelt samenlich abgevertigt würden, haben schreiten miessen, so wellen wier unns nun widerum zurück wenden und graff Ulrichen, vilgedachts graff Ludwigs bruder und graff Eberharts des Jüngern und frauw Hainriethen gravin zu Mompelgart sun, von welchem sich die lini und stam der wirtembergischen fürsten bis auff unser zeit erstreckt hatt, an die handt nemen und seine geschickten, so vil unns deren bekandt, kürtzlich und darlieh also anhebendt erzelen (101). Eine synchrone Darstellung der Geschichte beider Linien vermag Küng also im Gegensatz zu Proben von Zimmern nicht zu liefern. Dies ist niedergelegt in dem Uracher Vertrag von 1473, im Münzinger Vertrag von 1482, im Stuttgarter Vertrag von 1485 und im Esslinger Vertrag 1492. " " Immer noch grundlegend zur Innen- und Außenpolitik Eberhards ist ERNST, Eberhard, S. 27-44 und S. 107-135. Zu Eberhard vgl. auch die Gesamtdarstellung von PRESS (Eberhard) und zu seinen literarischen Ambitionen MERTENS (Eberhard) und BAUM (Beziehungen).

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sich auch diese Einsicht erst à la longue ergeben konnte, so war doch auch dem Zeitgenossen bewußt, auf welchen Grundlagen seine Politik beruhte: Außenpolitisch betrieb er eine Balancepolitik zwischen der vordringenden Pfalz auf der einen und dem Kaiserhof auf der anderen Seite, innenpolitisch flankierte er seine dynastischen Pläne durch ein Bündnis mit der Landschaft, insbesondere mit Städten und Prälaten. Diese standen in einem latenten Gegensatz zu den wichtigen Adelsgeschlechtem, die er aber ebenfalls an seinen Hof zu binden suchte. Ein Vorgang, der sich in seiner ganzen Ambivalenz auch in der 'Zimmerischen Chronik' widerspiegelt. Eberhards Politik nimmt jedoch bei Küng einen denkbar kleinen Raum ein, so fehlt etwa jeder Hinweis auf seine Haltung hn Pfälzer Krieg (1458-63).'°' Als einzige Fehde überhaupt erwähnt Küng die Auseinandersetzung mit der Reichsstadt Rottweil, wobei er sogar einen seiner seltenen ironisch-kritischen Untertöne einmischt, wenn er schreibt, Eberhard habe die Rottweiler letstlich dahin gebracht,

daß sie sich mit den Schweitzern

verbunden,

damiti sie

sich

sein enveren mechten (96). Druck erzeugt demnach Gegendruck, dies nicht zu berücksichtigen, ist ein politischer Fehler. Abgesehen von diesem Konflikt wird Eberhard als ein Regent dargestellt, der mit kluger Taktik {geschicklichchait) größtmöglichen Nutzen erreicht."" Genau aus dieser eher psychologischen als politischen Disposition heraus erfolgt dann auch die Erhebung des Geschlechts in den Herzogstand: Deshalb er bei allen fiirsten in ain sollichs ansehen kamen, daß auch der Romisch kaiser Maxemilianus dardurch bewegt ine in des reichs hachen und großen sachen gebraucht, auch ine in die geselschqfft des Guldin Vels und Widers auff- und angenumen und in letstlich uff dem reichstag zu Worms anno 1495, den 21. julii, hertzogen zu Wirtemberg und Deck gemacht und mitt dem Wappen, wie das die fiirsten von Wurtemberg noch dises tags fiem, begabett. (96f.)

Die Verleihung des Herzogtitels erscheint in Küngs Darstellung als Lohn für die moralisch-ethische Dignität Eberhards; auch hier findet sich kein Wort davon, daß es sich um das Ergebnis einer gezielten Plammg handelt. Genauso wenig werden die Sukzessionsverträge mit der Uracher Linie in einen Zusammenhang mit einer strategischen Planung gebracht, sondern nur als Einzelfaktum mitgeteilt. Nur beiläufig wird vermerkt, daß Eberhard das landt in Ordnung gefaßt habe. Die überragende Bedeutung Eberhards für die württembergische Geschichte veranlaßt Küng - entsprechend seiner historiographischen Prämissen Vgl. hierzu die Darstellwg Frobens von Zimmern: ZC I,362,25ff. (Feindschaft zwischen Eberhard und Zimmern), 1,436,1-439,19; vgl. aber 1,583,17,37. Vgl. hierzu STÂLIN, Geschichte Ш, S. 509ff. " " 96: Sunst [hat Eberhard] nitt vil krieg gefiert und dannocht die sachen dahin gericht, daß im kain frembder jemals ein gaul an sein zaun gebunden, dann er alle zeit die sach mitt geschicklichait abgewisen.

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zu einer Charakteranalyse des Herzogs. Die Vorlage liefert ihm die Chronik Nauclers, der von 1450-59 Erzieher Eberhards gewesen war. Küng übersetzt den Nauclerschen Text an einigen Stellen wörtlich, an anderen paraphrasiert er ihn.'"' Mit Naucler"" leitet er Eberhards innere Unruhe aus seiner vaterlosen Erziehung ab. Das Bild Eberhards ist ganz eindeutig ambivalent ausgelegt: Seinem zeitweise überstürzten Handehi und seiner Arroganz steht auf der anderen Seite Unentschlossenheit und standtmietickhait gegenüber. Wie in der 'Zimmerischen Chronik' oder in der 'Autobiographie' Maximilians"" wird besonderer Wert auf die aktive Teilnahme des Herzogs am Literaturbetrieb"' gelegt, sowie seine Fähigkeit zur rhetorisch gestalteten, freien Rede gewürdigt (95). Küng übernimmt auch die subtile Distanzierung Nauclers von seinem ehemaligen Schüler: Naucler spricht ihm zwar ein eidetisches Gedächtnis zu, meint damit aber auch, daß Eberhard das Gehörte und Gelesene zwar wiedergeben konnte, aber nicht verstanden hat. Küng selbst kommentiert den Bericht Nauclers nicht, allenfalls läßt sich aus der Form der Übernahme schließen, daß er Stärken und Schwächen des Herzogs gleichermaßen herausheben und die Distanz gegenüber ihm nicht aufgeben will. Mit großer erzählerischer Verve schildert Küng das Leben Graf Ulrichs V., des Vielgeliebten (101-108), des Begründers der Stuttgarter Linie. Der Chronist formuliert hier wieder durchweg eigenständig, Naucler dient nur noch vereinzeh als Vorlage. Bemerkenswerterweise findet sich diesmal kein Hinweis auf Uhichs Persönlichkeit und Wesen, der gesamte Raum seiner Biographie wird vielmehr eingenommen von der Beschreibung der beiden großen Kriege, in welche Uhich verstrickt war: den Städte- und den Pfälzerkrieg (102-105). Dies läßt darauf schließen, daß Küng an einer psychologischen Deutung politi" " Vgl. hierzu Küng, Chronik, Anm. 706 und 733. Naucler, Chronik Π, f. 30Γ-302'. Vgl. dazu etwa den Nauclerschen Bericht über die schlimme Jugend Eberhards: Post mortem patris libertóte potius mox eßrenis efflcitur et die nocteque venationibus et aucupiis insistebat. Postea pubertatis annis potius luxuriae operam dabat, gulae et illecebris deserviebat, virgines et vestales constuprabat. Quid plura? tot et tanta perpetrabat in juventute mala, quae vel qualia postea de nullo homnie potuit audire senex (f. 30 Π- Naucler sieht sich als denjenigen, der aus einem leichtsinnigen und durch Krankheit gestraften Knaben einen besonnenen und gelehrten Regenten gemacht hat. Man wird freilich bei dieser Konstruktion nicht übersehen dürfen, daß Naucler hier nicht nur pro domo spricht, sondern das beliebte Motiv der 'Herrscherbekehrung' verwendet. Dieses Motiv gebraucht schon Aeneas Silvio (De viribus, S. 55) bei der Charakteristik des Grafen Ludwig von Württemberg: Allerdings wird bei Aeneas Ludwig nicht durch seinen Erzieher, sondern durch seine Frau bekehrt. Den überraschenden Wandel Eberhards konkretisiert Naucler (Chronik, f 3 0 0 anhand von drei Elementen: Erstens erfüllt Eberhard die moralischen Standesansprüche, wenn er sich bei einer Pilgerreise ins Heilige Land zum Ritter schlagen läßt, zweitens heiratet er, was moralisch als Zeichen der Umkehr interpretiert wird, und drittens weist ihn seine Wertschätzung der Künste und der Wissenschaften als vorbildlichen Herrscher aus. " " MOLLER, Gedechtnus, S. 96-100. ' " 95: Er las gern in biechern, bevalch demnach vil lateinischer biecher in teutsch schen,

damiti

er solche

auch lesen mechte

und miti den sprichen

und geschickten,

vertolmetso er

sunderlich auffinerckt, sein reden und meinung dester baß zierte und an tag brechte.

also

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scher Handlungen nicht grundsätzlich gelegen ist, sondern die jeweilige Quellenvorlage auch seine eigene Diskursstrategie determiniert. Küng schildert bei der Beschreibung des Städtekriegs (1449) weitgehend neutral die einzelnen Kriegshandlungen, enthält sich abgesehen von der Bemerkung, daß Graf Ulrich erstlich das schwert gezückt (102), jeder Schuldzuweisung und läßt den Kriegsausbruch als Naturereignis erscheinen. Dies unterstreicht auch die grammatikalische Konstruktion, mit der der Abschnitt beginnt: Hernach, anno 1448, erhub sich der stettkrieg [...] (102). Diese scheinbare distanzierte Neutralität des Historikers resultiert aus einem Interessenkonflikt. Auch wenn Küng lücht unbedingt auf der Seite der Städte steht, ist er doch sorgsam darauf bedacht, mit seiner Kriegsdarstellung den Herzögen keinen Freibrief für eine künftige Unterdrückung der Städte auszustellen. Eindeutig hingegen werden die Ursachen für den Pfälzerkrieg (1462-63) im Sume einer Kritik an der katholischen Kirche funktionalisiert: Die Verantwortung für den Krieg trägt die Kirche (pfaffenwerck; 105) und damit jene Institution, der Küng selbst zutiefst mißtraut. Der Pfälzerkrieg endet mit einer schweren Niederlage Ulrichs, seiner Gefangennahme durch Pfalzgraf Friedrich den Siegreichen und seiner späteren Auslösung durch ein Lösegeld in Höhe von 10000 Gulden. Küng vervierfacht diesen Betrag und rechnet dann die gesamten Kriegskosten auf 500000 Gulden hoch, wohl um die anschließende Mahnung um so eindringlicher wirken zu lassen: Hie soll man nun sehen, wie es lonet, wo man sich frembder sachen, die ein wol nitt angangen, annimpt (106). Ulrich war in Wirklichkeit selbst zutiefst in den Pfälzerkrieg verwickelt, aber Küng zieht es auch hier vor, anstelle einer Erforschung historischer Ursachen eine exemplarisch verwertbare Schlußfolgerung zu ziehen. Von dieser Aussage her ist auch die narrative Struktur der gesamten vorherigen Erzählung gesteuert: Ulrich erscheint als Randfigur, nur einmal wird er namentìich erwähnt, ansonsten gehört er zu den anonymen, kriegsführenden obgemelten ßrsten, die im weiteren nur unter dem Personalpronomen sie subsummiert werden. Erst bei seiner Gefangennahme und Verwundung wird sein Name wieder genannt (104). Entgegen den historischen Gegebenheiten reduziert Küng den gesamten Krieg auf den Streit um das Mainzer Erzbistum, und insofern wird schon vom Verlauf des Krieges die nachfolgende conclusio gestützt, wonach die Nichteinmischung in fremde Angelegenheiten zu einem Kernpunkt württembergischer Politik zu gehören habe. Die Relevanz dieser Maxime unterstreicht Küng zusätzlich durch eine Anekdote, mit welcher er die Unrechtmäßigkeit der württembergischen Politik illustriert. Küng verfahrt dabei nach dem (literarischen) Muster, wonach fehlendes Rechtsbewußtsein der Herrscher zu analogen Verhalten bei den Untertanen führt: Die gefangenen württembergischen Soldaten erhalten von den Siegern kein Brot, weil sie den armen leiten die fruchten so jamerlich

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verderbt und das brott vor dem mundt abgeschnitten (106) haben. Die Erwähnung einer solchen spiegebiden Strafe ist ein Beleg dafür, daß Küng auch die Partei der Gegner ergreift, wenn er von der Rechtlosigkeit der württembergischen Position überzeugt ist. Das Recht steht mithin auch über den Fürsten. Allerdings vertritt Küng keinen abstrakten Rechtspositivismus, sondern er befürchtet mit der Aushöhlung des Rechts unmittelbare Nachteile für Bürger und Stadt. Die Konzentration imd Ausrichtung des Textes auf einen Lehrsatz und eine für den Leser nachvollziehbare Erkenntnis ist auch bei der Biographie von Ubichs V. Sohn, des Herzogs Eberhard IL, zu beobachten. Bereits von Anfang an wird hier sein Regiment als Gegenstück zur Regierung Eberhards im Bart beschrieben. Herzog Eberhard IL ändert bei seinem Regierungsantritt gleich die bisherige Ordnung: Also griffe er die regieruttg und haushaltung [...] an und endert zu handt alles, was sein vorfarn hett geordnet, und erzaigt sich nitt anders, als ob er ein sundern haß und Widerwillen zu seinen Ordnungen und Satzungen trüge, urlaubt ettiich der ehesten und ßirnemsten rhätt; und ob er gleichwol ander an ier statt ordnet, ließ er inen doch wenig gewaltz, hielt also mitt haillausen, liederlichen und schlechten leiten haus, gab durch solche frembden und haimschen beschaidt, fördert allain solche an die empier etc. (114)

Die Kritik an der Lebensführung Eberhards II. präzisiert Küng zusätzlich durch eine erotische Anspielung,"' wenn er über Eberhard schreibt: Ich hob von alten leiten, die in selbs personlich kent und gesehen haben, gehört, daß er gantz ein gaistlich mann gewesen und deshalb gern über nacht in den frauwenclostern gelegen, also daß man auch liedlen davon uff der gössen gesungen (114). Diese moralische Fragwürdigkeit des Herzogs erhäk ein politisches Gewicht, da sie zur Legitimation für das Eingreifen der Landstände gegen den Herzog herangezogen wird."^ Der Chronist nimmt für sich in Anspruch die allgemeine Moral des Landes gegenüber dem Herzog zu vertreten. Er vermeidet dadurch

Dieses Exemplum hat Küng offenbar nicht aus einer der ihm voriiegenden Quellen entnommen (vgl. Küng, Chronik, S. 219, Anm. 832). Vgl. dazu auch eine bezeichnende Anekdote des zimmerischen Chronisten, der erzählt wie ein Hofmeister der Truchsessen im Schlafsaal einen Knaben findet, dem der zagel über sich [raget] und dies seinem Herrn mit den Worten meldet: Botz herziger herz! gnediger herr, es haben die klainen buhen dieser zeit größer schwenz, dann bei herzog Eberharts Zeiten die gewachsenen edlleut (ZC 11,67,3-9). An anderer Stelle wird nach einem Bericht über eine Orgie in einem Kloster als Resümee formuliert: Es ist bei herzog Eberharts zeiten, wie ainmal ainer sprach, alles hingegangen und wenig für unrecht geachtet worden, dann wol hausen, die güeter behalten und den stammen und namen bedenken [...] Und aber die Ordnungen unserer vorfaren und das guet wolmainen ist darum nit zu straffen oder zu verwerfen, sonder die missbreuch, das niemands die abthuen oder den hundt will, als man sagt, zum fenster hinauß werfen, sonder die weltlichen obrigkaiten und furgesetzten sehen durch die finger und ligen zu Zeiten auch under der deckin (ZC 11,641,1-12). Zum historischen Hintergrund vgl. S T Ä L I N , Geschichte IV, S . 12ΊΤ.

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jeden Anschein einer ständischen RebelUon, Moral wird zum Medium der Politik. Alle weitergehenden Fragen, die sich an die moralische Integrität des Herrscherhauses richten könnten, bleiben jedoch unausgesprochen, und so begeht Küng denselben Fehler des parteilichen und schonenden Umgangs mit den Herrschenden, den er in der Vorrede den geschichtsverzaichnern vorgeworfen hat. Selbstverständlich erwähnt Küng die Absetzung Eberhards II. durch Maximilian (1498), allerdings ohne die Mitverantwortung der Stände zu erwähnen. Die Kürze, mit welcher er dieses aufsehenerregende Ereignis schildert,"' ist die Konsequenz seines Bestrebens, angesichts der Interessenkonflikte sich einer Bewertung zu entziehen. Dem Chronisten erscheint Rechtfertigung fürstlichen oder ständischen Verhaltens obsolet, obwohl seine Argumentationstendenz eher auf eine Herabwürdigung Eberhards ausgerichtet ist. Zu diesem Schluß gelangt man auch gerade von der Positionierung eines Erfolgs Eberhards IL, den der Chronist in einen aparten narrativen Kontext stelh. So setzt Küng unmittelbar vor die Anspielung auf den unziemlichen Umgang Eberhards mit Klostemonnen die Nachricht von seiner erfolgreichen Auslösung der Herrschaft Hoheneck (14). Auf diese Weise wird der politische Erfolg durch die moralische Diskreditierung relativiert. Die Biographie von Eberhards Bruder, des Grafen Heinrich von Mömpelgard (llSflf.), ist demgegenüber auf ein spektakuläres Ereignis konzentriert, auf das alle weiteren biographischen Angaben zu Leben und Tod Heinrichs ausgerichtet sind. Auf diesem Weg gewinnt Küng einen Fixpunkt, von dem aus sich eine relativ komplexe Biographie auf knappem Raum darstellen läßt und dem Leser zugleich eine über die Biographie Heinrichs hinausreichende politische Lehre in komprimierter Form vermittelt werden kann. Diese Komponente liegt nicht Olfen zutage, sie erschließt sich aus den gezielten Geschichtskonstruktionen des Chronisten. Das Ereignis ist die Gefangennahme Heinrichs durch Karl den Kühnen von Burgund im Jahr 1474. Karl inszeniert vor den Toren der Burg Mömpelgard die Hinrichtung Heinrichs, um den Burgvogt zur Übergabe zu bewegen. Dies scheitert jedoch an dessen Standhaftigkeit: Aber der burckvogt im Schloß ließ sich dise grausamen handlungen nicht bewegen, sunder hielt vest und gab zu antwurt, es hette hertzog Carle seinen herrn graff Hainrichen one alle vorgende verwar[n]ung und demnach wider recht gefangen, und ob er ine gleich ietzundt thottet, solte er dannocht wissen, daß noch mer graven von Wirtemberg vorhanden, die sollichs zu gebürender zeit nitt würden onegerochen lassen. Den selbigen were er auch gleich so wol

115: [...] anno 1498, zock Maxemiüan, der Romisch kunig, durch das landt Wirtemberg, welcher, als er solichs Widerwillens und abweichens behebt, imderstundt er sich, die sachen abzuschaffen und zu vergleichen. Da es aber bei den partheien nitt statt weit haben, verordnet er dem landt hertzog Ulrich, graff Hainrichs sun, nunmer ailßarig, mittsampt seinen regenten zu eim herm [...].

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Sebastian Küngs Chronik der Grafen und Herzöge von Württemberg

gel opt und geschworn ah graff Hainrichen, weite demnach die statt one vorwissen derselbigen niemanden, wer der were, einromen. (116)"'

Da der Chronist gleich im Anschluß daran die Entlassung Heinrichs aus der Gefangenschaft ansetzt und deren dreijährige Fortdauer unterschlägt, erwächst der Eindruck, als ob gerade die bestendickhaitt des Burgvogtes die Freilassung des Grafen zur Folge hatte. Küng leitet von der fingierten Hinrichtung Heinrichs noch ein zweites Faktum ab, die spätere Geisteskrankheit bzw. Mondsüchtigkeit des Grafen: Als hertzog Carolus solche bestendickhait erkantt, fiiret er den gefangnen graven mitt im darvon, und ließ in darauff doch baldt one alle engaltung ledig. Aber es ist dannocht graff Hainrich durch solche ernstliche handlung in seinem haupt dermaßen zerritt worden, daß er je zu zeiten, nach lauff des mons, nitt so gar wol bei im selbs was und demnach zu der regierung gleich ettwas untaugenlich. (116)

Auch dies ist eine typische Finalkonstruktion Küngs, da sich die Anfälle der Geisteskrankheit nach Auskunft der Quellen erst über 13 Jahre später zeigten und Heinrich seit seiner Freilassung 1477 durchaus 'rational' handelte, wenn er im Dienste des Erzherzogs Maximilian gegen die aufrührerischen Niederländer kämpfte.'" Nach den methodischen Prämissen des Chronisten bedarf auch eme Geisteskrankheit einer kausalen Erklärung, da sie sonst in einem Ursache-Wirkung-Kalkül, wie sie der Küngschen Geschichtstheorie zugrunde liegt, keinen Platz hat. Soweit erfiillt Küngs Bemühen um rationale Erklärungen einen Anspruch der neuzeitlichen Geschichtsschreibung."' Die Geschichte Herzog Ulrichs, der von 1503-19 und von 1534-50 regierte, nimmt unter den Einzelbiographien der Chronik den meisten Raum em (119-136). Küng entwickelt sie vornehmlich unter dem Aspekt permanenten Krieges: Dies beginnt mit der Verwicklung Ubichs in den Bayerischen Erbfolgekrieg von 1504/5 (120f.), setzt sich fort mit dem Reichskrieg von 1513 gegen Dijon (123), der Erhebung des 'Armen Konrad' im folgenden Jahr (124f ) und mündet schließlich in dem Bericht über den jahrelangen Kampf (1519-1534) des vertriebenen Herzogs gegen Kaiser und Schwäbischen Bund, 025-136),"' der erst 1534 mit der Wiedereinsetzung Ulrichs durch den Vertrag von Kaaden endete.'^" Küng beschreibt im wesentlichen nur den Verlauf des Krieges gegen das Reich, die einzehien Aktionen der beiden Heere sowie den kriegsentscheidenden zweimaligen Rückzug der schweizerischen Hilfstruppen Ulrichs. Eine besondere Betonung legt er auf die Rekonstruktion der KriegsurAufweiche Quelle sich hier Küng sffltzt, ist unklar. Vgl. STALIN, Geschichte Ш, S. 575fï. STALIN, G e s c h i c h t e Ш, S. 6 0 0 ,

Deshalb hat noch STALIN (Geschichte Ш, S. 576) diese Erklärung in seine 'Württembergische Geschichte' übernommen. " ' Anlaß zu diesem schwerwiegenden Konflikt war Ulrichs Angriff auf die Reichsstadt Reutlingen (STALIN, Geschichte IV, S. 157f). 120

Ebd., S. 373FF.

Annalistik und Narration

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sachen. Küng erwähnt toposhaft die zahlreichen Verleumder, die Ulrich bei Maximilian des Paktierens mit den Franzosen bezichtigen (126). Den eigentlichen Ursprung des Konflikts faßt Küng wiederum'^' in einer dramatisch gestalteten Szene: Uhich hält gerade in Stuttgart eine Totenfeier zu Ehren des inzwischen verstorbenen Kaisers Maximilian ab, als er die Nachricht erhält, sein Uracher Forstmeister'" sei zu Reyttlingenn erstochen worden (126). Spontan gerät Uhich darüber so in Wut, daß er gleich die Reichsstadt Reutlingen angreifen läßt. Eine psychologische Deutung wird demnach auch hier als Rechtfertigung fur einen offenen Rechts- und Vertragsbruch, auf den Küng selbst gar nicht eingeht, verwendet. Die in der Vorrede versprochene Ursachenforschung entpuppt sich in diesem Fall als Eskamotierung der rechtlichen Gründe mit Hilfe einer psychologischen Argumentation. Zwar schildert Küng jetzt neutral und nachvollziehbar die Gegenreaktion des Schwäbischen Bimdes, dessen Mitglied Reutlingen ja war, aber es entsteht trotzdem der Eindruck, als ob nicht Uhich, sondern seine Gegner das Recht gebrochen hätten. Allerdings wird diese Schuldzuweisung nirgends expliziert. Ausgeblendet bleibt jede politisch-strategische Überlegung, die bei UMchs Angriff auf Reutlingen maßgebend war. Auch die persönlichen Friktionen im Verhältnis Uhichs zu seiner Frau, die in diesen Konflikt mit hineinspielten, verschweigt Küng. Zwar kommt der Chronist angesichts der Bedeutung des Ereignisses nicht umhin, von der Flucht der Gattin nach Bayern zu berichten, aber auch hier gibt er keine Begründung dafür, sondern beläßt es dabei, die angebliche Reaktion des Landes auf das Geschehen zu schildern: und war also abermals iamer und nott an allen ortten vorhanden, ließ sich auch ansehen, als weite es alles zu trimern gon (125). Bezieht man mit ein, daß jenes Zerwürfiiis zwischen dem Ehepaar auch durch den Mord UMchs an seinem Hofinarschall Hutten, den er um seine schöne Frau beneidete,'" begründet war, dann wird deutlich, wie sorgfältig der Chronist eine biographisch-psychologische Ursachenforschung dort vermeidet, wo die Ehre des württembergischen Hauses angegriffen werden könnte. Zwar teih der Chronist - wie im Fall des Hofinarschalls Hutten - das faktische Ereignis als solches mit, jedoch ohne den Zusammenhang mit dem geschichtlichen Kontext sichtbar werden zu lassen. Allerdings weist die lapidare Kürze der Formulierung und der konsekutive Anschluß indirekt doch auf die Verantwortung Ulrichs für den Mord: Volgender zeitt kam hertzog Ulrich mit frewin von Huttenn, seinem hoffdiener einem, in ain Widerwillen. Also ward der von Hutten ob der s ach erstochen [...] (125). Von seiner vordergründig sachlich-neutralen Darstellung des Geschehens weicht Küng nur an wenigen Stellen ab. Um die Dramatik der Vertreibung Uhichs zu illustrieren, schildert er dessen Abschied als eine herzzerreißende Vgl. dazu die Darstellung des Konfliktes Eberhards mit den Schleglem (siehe oben S. 117). Richtig: Der Achalmer Burgvogt. Vgl. STALIN, Geschichte IV, S. 158. Diese Geschichte lehnt sich sichtbar an die Bathseba-Episode an und könnte als eine Frucht der David-Dramen gesehen werden, die seit den 40er Jahren des 16. Jahrhunderts entstehen.

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Szene: Da nun hertzog Ulrich sollichs vernam, auch sach, daß er -weder hilff oder rettung oder anders thon kundt, besegnett er mitt ainer kleglichen redt, die manchem man die threher austrib, sein landschafft [...] (127).'^" Eine eigene Stellung bezieht der Chronist nur in AusnahmefMllen, etwa wenn er dem Schwäbischen Bund und insbesondere den Bayern die Ausbeutung des besetzten Schwabens vorhält. Offene iCritik an Herzog Ulrich gestattet sich Küng nur an einer Stelle, wenn er dessen Verschwendungssucht hervorhebt. Diese hat jedoch ein hohes Gewicht in der Darstellung, da er sie als maßgebend für das Scheitern seiner politischen Unternehmungen ansieht. Auf der Basis haushälterischen Denkens gewinnt denn auch Küng den Standpunkt, von welchem er das Handeln eines Herrschers zu verurteilen vermag. So wirft er Ulrich vor, nicht einmal seine Kriegskosten hätten ihn zur Sparsamkeit bewegen können:'" Nun maint jederman, er würde sich hinfiiro in ansehung des großen auffgeloffiien hastens, schweren schadens und mercklichen rantzierung etwas eingezogner in der haushaltung erzaigt haben. Aber er hatt sollichs, als der dem unglick nit weichen wolt, nit gethon, sunder erst herpecken, trumetter, singer, geiger und vil ander dergleichen diener angenumen und erhalten. (135f.) Auch wenn Küng keine Sympathien für die Bauern zeigt, so rückt er doch den Aufstand des 'Armen Konrads' unter die Perspektive der herzoglichen Mißwirtschaft. Es sind die bei der Hochzeit Ulrichs aufgelaufenen unmentschliche[n] Kosten, die zu Gewichtsmanipulationen und zur blutig unterdrückten Rebellion fuhren. Auch hier dient eine kurze szenische Erzählung über eine Verhandlung zwischen Ulrich und den Bauern zur Illustration der Konfliktinhalte: Solcher unwill lang in dem und nach dem gemainen man gejerennt hetten, brauch es doch zuletst aus, also daß ein paur von Betitelspach, genant der Gayspeter, auff den Osterabendt die geringerten pfundstain von der metzgt hinwegnam, warff die in die Rems und sprach: 'Haben wir раит recht, so fallendt zu boden, hatt aber unnser herr recht, so schwimen embor. ' Aber die stain fielen nach iierer artt zu boden, deshalben der paur recht zu haben vermaint, zaigt solches seinen mittgenossen an; bald lauffen sie zusamen so weitt das thall, wurtt iem ain hauff. Ist eben zu derselbigen zeitt hertzog Ulrich im landt zu Hessenn; so baldt er sollichs gewar, eilt er haim so vast er mag und vermaint die auffiur in der erst mitt wortten zu stillen, reitt gen Schomdorff, da die раит versamlett waren, und redt gantz giettiglich mitt innen. Aber die paurn geben darauff schlechten beschaidt und zaigen im fi-ei mitt truzigen wortten an, daß er mitt disen newen beschwernussen des schuldenlasts nit ledig werdt, sunder er soll seine finantzer, singer, jeger, hund, reitter und dergleichen unnutz hofgesindt abschaffen und sich in ain ander haushaltung schicken, die

Vgl. dazu ebenso Küng, Chronik, S. 128. Im Gegensatz zu der ersten Vertreibung des Herzogs werden diesmal die Kriegsereignisse auf wenige Zeilen komprimiert (135).

Resümee

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rhett und amptleitt, so nun auff Heren aignen nutz sehen und reich werden, bis er drob Verderb, dannenthon; damit werde der sach geholffen. (124)

Küng Steht zwar auf der Seite der Obrigkeit, aber deren Repräsentanten sind dem gemeinen nutzen des Landes unterworfen. Deswegen ist die Darstellung des Aufstandes weitgehend 'objektiv' angelegt, der Chronist trägt gleichermaßen Herzog Uhichs Motiven für die Münzverschlechterung Rechnung wie der bäuerlichen Kritik an der herzoglichen Prachtentfaltung. Allerdings wird nirgends Kritik an der Reaktion des Hofes geübt oder das Geschehen überhaupt kommentiert. Die implizite Haltung Küngs läßt sich allenfalls an der sorgfaltigen Aufzählung der politischen Versäumnisse des Herzogs und der detaillierten Wiedergabe der bäuerlichen Forderungen, die implizit gegen einen zentralen Wesenszug des Obrigkeitsstaates, der Legitimation durch Repräsentation, gerichtet ist, ablesen. In diesem Punkt schließt sich Küng offenbar der Kritik an Herzog Uhich an. Sein Ideal ist der starke Herrscher, der jedoch den traditionellen ethischen Werten, insbesondere der modestas, genügt. Die Nahperspektive auf das Geschehen, wie die drakonischen Strafen für die gefangenen Bauern, ist aber zugleich Warnung vor einem Aufbegehren gegen die Obrigkeit. Küng gewinnt in einem Gesamtinteresse des Landes einen Fixpunkt, von dem aus er die Handlungen aller Beteiligten bewerten kann. Auch hierin deutet sich die Tendenz an, das persönliche Verhalten eines Herzogs nach ethischen Kriterien zu bewerten und von der legitimen Verteidigung des Landesinteresses zu trennen.

4.5. Resümee Betrachtet man die Chronik insgesamt, dann kann man davon ausgehen, daß Küng keine vollständige Darstellung von historischen und biographischen Ereignissen bezweckte, sondern die 'Einzelbiographien' der württembergischen Dynasten auf exemplarische Momente hin organisiert hat. Gerade in den Grafen- und Herzogsbiographien m den letzten Abschnitten der Chronik wird ein signifikanter Charakterzug des jeweiligen Protagonisten als Leitthema herausgestellt, auf das die Erzählung ausgerichtet ist. Selbst bedeutende historische Ereignisse können dabei fast völlig in den Hintergrund treten, wogegen die Motive für die Handlungsweise den Mittelpunkt der Darstellung bilden.'" Dabei entstehen historische Stereotypen, die auf eine Erklärung menschlicher Komplexität - wie sie etwa in der 'Zimmerischen Chronik' versucht wird verzichten. Realitätsbezogen und -stiftend wirken die Ausführungen des Chronisten immer dann, wenn es darum geht, das Leben eines württembergischen Grafen in eine historische Matrix einzuordnen, aus welcher sich dem Rezipienten die Möglichkeit eröfibet, die Bedmgungen herrscherlichen Verhaltens

Vgl. dazu auch das von Küng bei Naucler entlehnte und selbständig weiterentwickelte 'Bekehrungs'-Motiv in der Biographie Eberhards V. und Ulrichs. Vgl. auch oben Anm. 109.

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zu erkennen. Am Gegenstand der württembergischen GescMchte und der des Herrscherhauses führt Küng den Leser auch zur Erkenntnis allgemeiner politischer und anthropologischer Gesetzmäßigkeiten: So taucht bei Küng immer wieder das Motiv auf, daß es eine dauerhafte Harmonie in der Politik nicht geben kann: Immer wenn man [...] meint, es were alles eben (141), beginnt ein neuer Konflikt. Um solche allgemein gültigen Gesetzmäßigkeiten nachdrücklich zu bestätigen, erzählt der Chronist nicht synchron, sondern diachron. Auf diese Weise kann er anhand emer Herrscherbiographie immer wieder zeigen, wie Konflikt und Konfliktlösung ständig aufeinander folgen. Die Erkenntnis herrscherlichen Handekis bzw. der geschichtlichen Gesetzmäßigkeiten ist der Darstellung immanent, und nur an wenigen Stellen wendet sich der Chronist ausdrücklich an sein Publikum und vermittelt die aus der Geschichte zu ziehenden Lehren. Gerade in diesen Passagen aber schlägt sich auch die andersartige Aufh-ags- und Gebrauchssituation des Textes nieder: Küng schreibt nicht für den Splendor des herzoglichen Hauses,'" sondern wie bei Aventin ist sein 'Held' das Land Württemberg. An seiner Geschichte arbeitet sich der Stuttgarter Bürger ab und versucht, aus ihr eine transpersonale institutionelle Identität des ganzen Landes zu entwickeln.'^' Aus dieser ständeübergreifenden Position erklärt sich auch, warum er dem Herrscherhaus mit einiger Distanz gegenübertritt, jedoch allzu deutliche Kritik an der Politik des Hauses vermeidet, obwohl er selbst jeder kriegerischen Besitzerweiterung skeptisch gegenüber steht. Innerhalb seiner ständestaatlichen Ideologie hat die Obrigkeit ihre feste Funktion, sie erfulh sie jedoch nur, wenn ihr Verhalten den Normen ihres Standes entspricht. Deswegen ist der Ansatzpunkt seiner Kritik das ethische und moralische Verhalten einzebier Landesherrscher. Neu fìir die Hauschroniken sind Küngs dezidiertes Bekenntnis zu einer historischen Ursachenforschung und seine Beschäftigung mit den menschlichen bzw. (sozial-)psychologischen Handlungsmotiven. Deren Relevanz liegt für ihn in ihrer potentiellen Widerständigkeit gegen die politischen Pläne der Herrscherdynastie. Aus diesem Grund interessiert er sich besonders fur die passive Politik des Herzog Christoph (137-143), die er mit dessen Jugenderfahrungen erklärt. Da kein Mensch vor derartigen Prägungen geschützt ist, bleibt gegenüber der Politik jedes Herrschers ein gewisses Maß an Skepsis angebracht xmd die Frage nach den Gründen fiir sein Handeln legitim. Allerdmgs bleibt Küng dabei immer in einem engen Rahmen, und in erster Linie setzt er solche Erklärungen zur Rechtfertigimg der Betroffenen ein oder dazu, offensichtliche Widersprüche im Verhalten eines Menschen zu erklären. Überall dort, wo die psychologischen Erklärungen die Ehre der Württemberger Grafen beschädigen könnte, schweigt Küng. Denn trotz aller ethisch-moralischen Kritik am Für' " Vgl. KRAUS, Welt, S. 57. Anders als Aventin ist Küng freilich nicht der "große Erzieher zur Moralität in Staat und Kirche" (ebd.), sondern er vertraut auf die Wirkung einer entmoralisierten Geschichte. Vgl. dazu auch MELVILLE, Vorfahren, S. 250f

Resümee

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stenhaus und seinem standesbewußten Vertrauen auf die Legitimität der württembergischen /awifccÄflj^'" definiert sich Küng auch als Untertan, der im Heil des Herrscherhauses sein eigenes erblickt. Im historiographischen Spannungsfeld zwischen verum und bonum müßte man Klings Chronik ungefähr in gleichen Abstand zu beiden Werten setzen. Küng fiihlt sich zwar gegenüber den Quellen verpflichtet, aber er erhebt fur sein eigenes Werk keinen absoluten Wahrheitsanspruch. Mehr oder minder offen thematisiert er seine Methode, angesichts der schlechten Überlieferung selbst die Wahrheit konstruieren zu müssen, und er leitet daraus die Aufforderung an seine Nachfolger ab, seine Chronik zu revidieren.''" Die Geschichtsschreibung wird hier als ein Prozeß beschrieben, der nicht nur wegen der Überlieferung prinzipiell unendlich ist, sondern auch aufgrund der xmabdingbaren Notwendigkeit der Ursachenforschimg immer wieder neue Konstruktionen hervorbringen wird. Die geschichtliche Wahrheit ist fur Küng deshalb prinzipiell prekär, da sie ständig rekonstruiert werden muß. Damit begründet er auch implizit seine perspektivenreiche Sicht auf die Geschichte, deim eine lineare Anschauung wird der Vielfalt der möglichen Ursachen nicht gerecht. Aus diesem Grund formuliert er auf der Basis seiner eigenen Deutung der Geschichte keine konkreten politischen Handlungsanleitungen, diese gewinnt er vielmehr aus einer Moral, die aus der antiken Vorstellungen eines ideal organisierten Gemeinwesens gespeist ist. Darunter versteht Küng die gegenseitige Kontrolle der Stände und die Verhinderung jeder Dominanz eines Standes. Die antiken Tugenden verkörpern einen Anspruch, vor dem Bürger imd Fürst gleich sind, und der Historiograph, der sich aufgrund seiner Kenntnisse auf diesen Werthorizont versteht, wird zum moralischen Richter auch über den Adel. Damit hat sich der Chronist von jeder heilsgeschichtlichen Begründung von Herrschaft gelöst, sein Werk ist als Beleg für eine ideologische Gegenbewegung zum aufkommenden Fürstenstaat zu sehen. Seinem Versuch, ein bürgerliches Selbstbewußtsein auf der Basis der Geschichte des eigenen Stammes zu begründen, war allerdings vor dem Hintergrund der Vereinnahmung der Geschichte durch die Landesherrschaft kein Erfolg beschieden.

Vgl. dazu Küng, Chronik, S. 141f. und passim. "" Siehe oben S. 18.

5. Die 'Zimmerische Chronik'· 5.1. Handschriftenlage, Entstehungsgeschichte, Gnmdzüge der Forschimg Wie ein Monolith ragt aus den südwestdeutschen Hauschroniken die Chronik der Grafen von Zimmern hervor. Überliefert ist sie in zwei Handschriften (A und B),^ die sich bis zu ihrem aufsehenerregenden Verkauf an die Württembergische Landesbibliothek Stuttgart im Jahr 1993 in der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek zu Donaueschingen befanden.^ Hier ist die Chronik seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts nachweisbar. Ihr Weg dorthin läßt sich jedoch nicht rekonstruieren, obwohl wir über die Geschichte der umfangreichen Bibliothek der Zimmern, die im deutschen Südwesten ihresgleichen suchte, relativ gut unterrichtet sind." Der größte Teil der Bibliothek blieb offen-

Da ein Abschluß der Ausgabe DECKER-HAUFFS noch nicht absehbar ist, wird die 'Zimmerische Chronik' zitiert nach der vierbändigen Ausgabe BARACKS. Auf diese Ausgabe verweisen die zusatzlosen Band- und Seitenangaben in diesem Kapitel. Stuttgart, WLB, Cod. Don. 580 (= Hs. B); Cod. Don. 581 (= Hs. A). Zur Vorgeschichte des Ankaufs durch die Württembergische Landesbibliothek vgl. HANSPETER GEH, Die Erwerbung der Handschriftensammlung der F. F. Hofbibliothek durch das Land Baden-Württemberg, in: HEINZER (Hg.), Zinsen, S. 1-4; zum jetzigen Standort des Donaueschinger Bestands siehe HEINZER, Standorte. Einen Einblick in den Bestand der Zimmembibliothek erlauben folgende Quellen: 1. Das Literaturverzeichnis der 'Zimmerischen Chronik' (Hs. B, S. 1558f ; vgl. IV,337f); 2. Das Bücherverzeichnis des Jakob von Ramingen aus dem Jahr 1575 (Wien, ÖNB, Cod. 12595; vgl. dazu MODERN, Handschriften; GOTTLIEB, Handschriften); 3. Der Meßkircher Katalog von 1730-40 ('Catalogus Librorum Bibliothecae Moesskirchensis' [Donaueschingen, FFA]); 4. Der Meßkircher Katalog von 1768 ('Consignation' [weitgehend Abschrift von 3]; vgl. dazu JOHNE, Kataloge, S. 65). Jakob von Ramingen (zu ihm vgl. MODERN, Handschriften, S. 116, Anm. 2; PFAFF, Quellen, S. 28f ) verzeichnet 293 Druckwerke und 68 Handschriften, die im Auftrag Graf Wilhelms von Zimmern aus der Bibliothek ausgewählt und Erzherzog Ferdinand n. geschenkt wurden. Dies war aber nur ein Bruchteil der Bibliothek. Der Meßkircher Katalog von 1768 weist neben 3785 Büchern 98 Handschriften nach, darunter die "wichtigsten des alten Bestands aus Meßkirch" (BARACK, Handschriften, S. V; zur Geschichte der Schloßbibliothek Meßkirch vgl. HEYCK, Hausbibliothek, bes. S. 68-73; BADER, Meßkirch, S. 539ff). Auch wenn BARACK, GOTTLIEB, MODERN und IRTENKAUF schon wichtige Vorarbeiten zum Bestand der zimmerischen Bibliothek und ihrer Geschichte geleistet haben, so fehlt bislang ein Gesamtüberblick. Dennoch steht fest, daß die Zimmern eine bedeutende Sammlung mittelalterlicher Texte besaßen. Aus Meßkirch stammen u. a. folgende Handschriften der mhd. und fmhd. Literatur (Catalogus/BARACK/Fundort ZC): Füetrer, 'Lanzelot' (Ν3/141/Π,259,31; 403,37 [Hinweise]); Wolfram von Eschenbach, 'Parzival', vermutlich mit der Fortsetzung Philipp Köllns (N6/97/-); 'Apollonius' (N14/150/-); Hennann Contractus (N38/-AV,337 u. ö.); Gallus Oehem, 'Chronik der Reichenau' (N17/622/1,70,6; 162,26); Füetrer, 'Poytyslier'

Handschríñenlage, Entstehungsgeschichte, Gnindzüge der Forschung

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sichtlich bis ins Jahr 1768 im zinmierischen Stammschloß zu Meßkirch und wurde erst dann nach Donaueschingen überfuhrt.' In dem anläßlich des Transports angefertigten Katalog ist die Hauschronik jedoch nicht vermerkt.' Ungewiß ist ihr Schicksal bereits nach dem Tod Graf Wilhelms von Zimmern (15491594), mit dem das Geschlecht im Mannesstamm ausstarb und dessen Erbe an seine acht Schwestern fiel. Der Zweitältesten, Apollonia, die in die Dynastie der Helfensteiner eingeheñatet hatte, war beim Erbgang eine bevorzugte Rolle zugedacht worden, ihre Kinder, Georg (1571-1603) und Proben (1573-1622) (N30/140/--); Konrad v. Stoffeln, 'Gauriel von Muntabel' (?) und der 'Apollonius' in der Hs. Petrus Hamers (N35/86/-- [vgl. Konrad v. Stoffehi, S. 13ff.]); Thüring von Ringoltingen: 'Melusine' 0^42/143Л,28,34 u. ö.); Wimt von Gravenberg, 'Wigalois' (N43/71Л,481,34 [nur Automame]); Schiltberger, 'Reisen' (N59/481/--); Pleier, 'Melerantz' (7/87/1,423,17; vgl. dazu Konrad von Stoffeln, S. 37, Anm, 61). Ramingen verzeichnet unter den deutschen Handschriften folgende Werke, die im 18. Jahrhundert noch in Meßkirch vorhanden sind (Nr. bei Ramingen, f 52'-577Catalogus/Nr. BARACK): Wolfram von Eschenbach, 'Parzival' (21/N6/ 70); Füerter, 'Polytyslier' (—/N30/140); außerdem führt der Meßkircher Katalog noch drei 'alte Romane' (N13, 24, 33; vgl. auch 44) auf, hinter denen sich ebenfalls höfische Epen des Mittelalters verbergen könnten. Die Doubletten deuten daraufhin, daß die Zimmern im 15/16. Jahrhundert mittelalterliche Handschriften abschreiben ließen (zu den Schreibern der Zimmern vgl. jetzt Konrad von Stoffeln, S. 17-36, 91-104 und passim). Nur bei Ramingen sind darüber hinaus noch verzeichnet: Konrad von Ammenhausen, 'Schachzabelbuch'; Jakob von Cessole, 'Vom Schachzabelspiel'; Meister Ingold, 'Das goldene Spiel' (f 5275); ein 'Heldenbuch' (f 5279 ['Omit' und 'Wolfdietrich'?] vgl. BARACK, Handschriften, Nr. 80); Hermann von Sachsenheim, 'Mörin' (f 52713 und f . 56756); eine illustrierte Handschrift mit Heinrichs von Veldecke 'Eneasroman' (f 54742); Rudolf von Ems, 'Der gute Gerhard' (f 53716), 'Baarlaam und Josaphat' (f 57767); 'Fünf Gedichte von der Minne' (f 53723; vgl. GLIER, Artes, S. 252-259); Füetrer 'Merlin' (f 53726); 'Minneburg' (f 54737); 39 Erzählungen des Strickers (f 57767; vgl. MENHARDT, Verzeichnis 1, S. 518-526; Stricker Hs. W); Konrad von Würzburg, 'Der heilige Pantaleon' (f 57767). - Unter den Druckwerken nennt Ramingen (f 58'66Ό, der im wesentlichen nur fremdsprachige narrative Werke erwähnenswert findet, in der Rubrik Designatione delli libri lingua Italiana Spagunola et Francese, de diversi autori, materie et discorsi u. a. folgende Bücher: 'Amadis de Gaule', Paris 1543-1555 (f 60'"714-17); L'historie du Sainct Greaal, Paris 1564 [?] (f 60719); Tres plaisante et recreatine historiae du tresielux et uaillant Chevallier Percenal [!] le galloys, Paris 1530 (f 60721); L'Heptameron des novelles de [...] Margerite de Valois Reyne di Navarre, Paris 1560 (f 61711). Der Meßkircher Katalog von 1730-40 verzeichnet unter der Rubrik M: Impressa antiqua u. a.: 'Clementina', Peter Schöffer 1467 (Nr. 1); 'Ritter Teuerdancks Gedichte' 1519 (6); 'L'histoire de Lancelot du lac' (18); 'Amadis de Gaule' (19); 'L'histoire du Chevalier de Tristan (33); 'L'histoire du Saintgreaal' (42); 'L'histoire de Parceval' (45; wahrscheinlich der Prosa-Druck von 1530). Zur Rezeption der mhd. Epen in der Frühen Neuzeit vgl. BECKER, Handschriften; zum Eneasroman ebd., S. 19-29. JOHNE, Kataloge, S. 66f Auch das Verzeichnis der Fürstlich Fürstenbergischen Bibliothek (BARACK, Handschriften) gibt Aufschlüsse über den alten Meßkircher Bestand. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, daß bis 1744 durch Erbgang und Erwerb noch andere Bestände aus südwestdeutschen Adelsbibliotheken nach Donaueschingen (vgl. HEYCK, Hausbibliothek, S. 68ff.) gelangten. Die Geschichte der Fürstenbergischen Bibliothek anhand ihrer Kataloge dokumentiert mustergültig die Arbeit von JOHNE. Die Angabe HEYCKS (Hausbibliothek, S. 70), wonach sowohl die 'Zimmerische Chronik' wie auch der zimmerische Totentanz im Meßkircher Katalog verzeichnet sind, ist falsch. Für diesen Hinweis danke ich der früheren Bibliothekarin der FFB, Fr. Gisela Holzhüter.

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Die 'Zimmerische Chronik'

von Helfenstein,' übernahmen den wichtigsten Familienbesitz um Meßkirch und Wildenstein und "fanden die Miterben im Juli 1596 mit 400.000 Gulden ab.'" Mit Herrschaft, Schloß und Bibliothek Meßkirch könnte die Chronik 1627 im Zuge der Heirat von Frobens Tochter Johanna Eleonora (1606-1629) mit Wratislaus zu Fürstenberg in den Besitz dieses Geschlechts gekorrmien sein. Selbst wenn dies der wahrscheinlichste Übertragungsweg ist, so gibt es doch auch Belege dafür, daß schon vor der Erbteilung von 1594 Teile der Zimmembibliothek als Aussteuer Meßkirch verließen. Die berühmte zimmerische Totentanzhandschrift' war in den Besitz einer jüngeren Schwester Wilhelms, Kunigunde, die 1580 den Grafen Berthold von Königsegg geheiratet hatte, übergegangen und befand sich 1592 in der Aulendorfer Bibliothek dieses Geschlechts.Den gleichen Weg nahm ein Band von Wilhelm Werners 'Chronik des Erzbistums Mainz'." Die Königsegger waren literarisch interessiert; es wäre denkbar, daß sie sich anläßlich des Erbfalls aus der Bibliothek bedienten und mit der Bistumschronik, dem Totentanz auch die 'Zimmerische Chronik' als künstlerisch wertvolle Werke mitnahmen.'^ Gegen eine Herausgabe der 'Zimmerischen Chronik' durch die Helfensteiner spricht allerdings, daß in ihr Rechte und Besitzansprüche verzeichnet sind, die fiir die Rechtsnachfolger der Zimmern von besonderer Bedeutung sein konnten. Denkbar wäre aber auch ein früherer, direkter Übergang der Chronik, eventuell nur der Hs. A, an das Haus Fürstenberg. Anna, die älteste Tochter Frobens, hatte 1562 Graf Joachim von Fürstenberg geheiratet. Wie wir aus einer Abschrift aus dem Archiv des Kloster Frauenalb wissen, hat Anna den Nonnen geschichtliche Informationen aus einem ihr gehörigen uhralten [...] Buch übermittelt.Dabei handelt es sich um Nachrichten, die auch die 'Zimmerische Chronik' überliefert. Es könnte also sein, daß Anna - nach dem Tod Ihres Vaters - zumindest die Hs. A erhalten

Zu den Helfensteinem vgl. HEINRICH F. KERLER, Geschichte der Grafen von Helfenstein, Ulm 1840. IRTENKAUF, Hinterlassenschaft, S. 58. Vgl. dazu auch JOHNE, Kataloge, S. 60f Stuttgart, WLB, Cod. Don. A Ш 54. FISCHER-HEETFELD, Totentanzhandschriften, S. 307. Nachdem die Jahreszahl 1592 auf dem Vorsatzblatt erscheint, kann die Hs. nicht erst 1594 im Zuge des Erbfalls nach Aulendorf gelangt sein. Offenbar hat sich Graf Wilhelm schon vor seinem Tod von Handschriften aus der Meßkircher Bibliothek getrennt. Vgl. IRTENKAUF, Hinterlassenschaft, S. 57FF. und FELIX HEINZER, Wilhelm Werner von Zimmern - Chronik der Bistümer Worms, Würzburg und Eichstädt, in: ders. (Hg.), Zinsen, S. 150f Zur Würzburger und Eichstätter Bistumschronik Wilhelm Werners Literaturverzeichnis, 3. Textausgaben: Zimmern, Wilhelm Werner. Eine Anfrage in der Bibliothek der Grafen von Königsegg nach einem Hinweis auf eine frohere Aufbewahrung der 'Zimmerischen Chronik' oder anderer Werke aus zimmerischen Besitz in Aulendorf blieb ergebnislos. Die Aufbereitung der Königsegger Bestände steht noch aus. Auch im Fürstembergischen Archiv in Donaueschingen gibt es keine Hinweise darauf, daß die Chronik etwa von den Königseggem im 17. Jahrhundert zurückgekauft worden ist. GMELIN, Urkunden I, S. 264-267, hier S. 264.

Handschriftenlage, Entstehungsgeschichte, Grand23iige der Forschung

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hat.'" Im 17. Jahrhundert war der Standort der Chronik offenbar bekannt, denn sie wurde von zeitgenössischen Historikern benutzt. Bei A handelt es sich um eine Pergamenthandschrift von 296 Blatt in alter Foliierung (Blattgröße ca. 362 : 250 mm), die nur in einem Umschlag aus Pergament geheftet ist.'' Ursprünglich enthielt der Band auch Illustrationen, von denen allerdings alle bis auf ein Wappenbild (Bl. 36a) entfernt worden sind. Ebenfalls herausgetrennt wurde eine Anzahl von Blättern, darunter die ersten Blätter der Handschrift, auf denen vielleicht eine Vorrede gestanden hat." Der erhaltene Text beginnt und endet mitten im Satz, er umfaßt ungefähr das erste Drittel des in В überlieferten Textes." Aufgrund des teuren Schreibstoffs, der Illustrationen und der sorgfältig kalligraphisch gestalteten Kapitelüberschriften kann angenommen werden, daß А zunächst als Reinschrift gedacht war, jedoch diesen Charakter verlor, als zahlreiche Streichimgen, Korrekturen vorgenommen und Anmerkungen eingefugt wurden. Schließlich diente sie nur noch als Konzept und Vorlage fur В und wurde deswegen auch ihrer kostbaren Ausstattung beraubt. Die Hs. А ist nicht datiert, ihre Entstehungszeit läßt sich nur im Kontext der anderen Arbeiten zur Vergangenheit der Grafen von Zimmern erschließen. Die Papierhandschrift В bestand ursprünglich aus einem Band von insgesamt 1581 Seiten, der Ende des 18. Jahrhunderts wegen seiner Unhandlichkeit in zwei Bände (Blattgröße ca. 390 : 280 mm) geteilt wurde." Der Haupttext iparerga) reicht bis S. 1181, bis S. 1557 folgen Nachträge (extravagantes), an die sich ein Quellenverzeichnis anschließt. Im ersten Teilband finden sich die Figur des zimmerischen Bannerträgers, 41 Wappenbilder und "drei Schmuckseiten mit aus Vasen bzw. einer Kanne aufsteigenden Omamentranken,"^" der zweite Teilband ist nicht illustriert, er enthält am Ende zwei weitere zimmerische Wappenbilder. Zu Beginn der Nachträge steht eine einleitende Bemerkung, die belegt, daß - wie schon А - auch В im Prozeß des Schreibens zur Vorlage einer endgültigen und noch zu schreibenden Chronik geworden ist. Diese Aufgabe wird an die nächste Generation delegiert: Hernach volgeri etliche handlungen und sachen, so erst, nachdem und die zimbrische historia ingrossiert, erfaren. Die haben nit wol föegclich der Die Vermutung GMELINS (ebd., S. 266), Anna könnte die Hs. A schon bei ihrer Hochzeit 1562 erhalten haben, ist unzutreffend, da Proben zu diesem Zeitpunkt noch an A arbeitete. JENNY, Proben, S. 21f Vgl. dazu auch die ausführliche Darstellung bei GMELIN, Urkunden I, S. 265ff. Vgl. dazu die Handschriftenbeschreibung von ERNA HUBER in: Chronik der Grafen von Zimmern 1, S. 10. Vorreden waren sowohl in der historiographischen (vgl. dazu oben S. 90ff. und unten Anm. 676) wie auch in der zeitgenössischen erzählenden Literatur weit verbreitet (vgl. SCHWITZGEBEL, Vorrede, S. 3-6 und 18-56).

Die Hs. A endet mit der Schilderung der Ereignisse des Jahres 1504. Vgl. BAUMGART, Studien, S. 3 und JENNY, Proben, S. 17f.

Chronik der Grafen von Zimmern I, S. 9.

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Die 'Zimmerische Chronik'

historiae megen inverleibt werden, derhalben, damit die in langwüriger gedechtnus auch erhalten, sein die in den nachvolgenden sexternen, so vil sein künden, registrirt worden, verhoffenlich, die nachkommen werden diese arbeit an die handt und zu guet nehmen, auch mehr erkundigen und volgendts aus dem allem ein wesenliche historiam schreiben, darzu und zu allem dem, das guet, verleihe der allmechtig Gott sein gnad! (IV, 323) Keine der beiden Handschriften gibt explizit Auskunft über Autor, Schreiber oder Beiträger, über den Entstehungszeitraum, ihr Verhältnis zueinander und etwaige Konzepte und Vorarbeiten, doch läßt sich das meiste aus dem Text erschließen. In beiden Handschriften sind insgesamt drei Hände nachweisbar,^' die Masse des Textes stammt allerdings von einer Hand, die bereits der 'Entdecker' der Chronik JOSEF FREIHERR VON LASSBERG (1770-1855) und ihr erster Editor KARL AUGUST BARACK" anhand von Urkundenvergleichen als die des seit 1552 in den Diensten der Zimmern nachweisbaren Sekretärs Johannes Müller (IV,332) identifiziert haben. Ungefähr die Hälfte der Nachträge in В stammt von einem zweiten, namentlich nicht bekannten Schreiber. Im Gegensatz zu Müller, der zumindest über rudimentäre Lateinkeimtnisse verfugte, konnte dieser nur Deutsch. Eine dritte Hand fugte in А und В zahlreiche Korrekturen und Notizen ein und schrieb über viele Nachträge präzise Kapitelzuweisungen." Diese Hand konnte als die des Grafen Proben von Zimmern (19.2.1519-27.11.1566 [?]) identifiziert werden.^^ Da Proben an einer Stelle in А den Vermerk eingefugt hat: Allhie sol Hanns Müller mit dem Schreiben still stehen", steht fest, daß Müller im Auftrage Probens В von А abgeschrieben hat.^' Aus dieser Konstellation folgerte BARACK, "die chronik ist beider, des grafen Proben Christof und seines sekretärs Johannes Müller, werk" (IV,333). Gegen eine gemeinsame Verfasserschaft des Grafen und seines Sekretärs spricht jedoch die Beobachtung," daß fast überall dort, wo ein Ich auf eigene Erfahrungen verweist, es sich um einen Angehörigen des Grafenhaus handelt

Vgl. BAUMGART, Studien, S. 3-8. Zu ihm vgl. MARTIN, Barack. Diese Kapitelzuweisungen haben manchmal über die Verweisfuktion hinaus den Stellenwert einer kommentierenden Zusammenfassung. So schreibt Proben über einen Nachtrag auf S. 1267: In caput als vermeldet das herr Wernher freyherr zu Zimbern anfangs so übel zu Meßkirch hauß gehalten. Bei anderen Überschriften versucht er den Kapitelinhalt im Haupttext auf einen Begriff zu bringen: In caput de discordia trium fratrum a Cimbris (S. 1350) oder In idem caput de Tullia Cimbria [. . ,] (S. 1194). Vgl. BAUMGART, Studien, S. 10. Stuttgart, WLB, Cod. Don. 581, f 266b. Die von Proben in А angebrachten Korrekturen sind dabei eingearbeitet worden, gleichzeitig hat Müller aber selbst einige Irrtümer von А berichtigt. Andere Pehler hat Müller bei der Abschrift übernommen bzw. neue hinzugefügt, insbesondere bei den Passagen in lateinischer Sprache. Erstmals wurde dies von EGETMEVER (Verfasserschaft, S. 7) erkannt (vgl. BAUMGART, Studien, S. 9).

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und nicht um einen subalternen Schreiber.^' Das Gegenargument, wonach von Proben in der Chronik meistens in der dritten Person die Rede ist, konnte HANS BAUMGART mit dem Hinweis auf einen systematischen Wechsel des Personalpronomens widerlegen: Wenn Proben "das Gesehene und Gehörte [...] bekräftigen und glaubhaft" machen will, verwendet er die erste, wenn es ihm "auf historische Darstellung ankommt, da spricht er auch von sich wieder in der dritten Person."" Hinzu kommt, daß Müller gar nicht die intellektuellen Fähigkeiten zur Konzeption eines solchen Riesenwerkes besaß und seine schlechten Lateinkenntnisse einer eigenständigen Quellenarbeit im Wege gestanden haben dürften. Damit stand Proben als alleiniger Verfasser der Chronik fest. Aufgrund des einheitlichen und unverwechselbaren Stils erscheint auch die These hinfallig, wonach Frobens Onkel, der Jiuist und Historiograph Graf Wilhelm Werner, Mitverfasser des Textes sei.'° An keiner Stelle läßt sich nachweisen, daß von ihm verfaßte Textpassagen^' in Probens Text inseriert worden sind," weimgleich Wilhehn Werner als überaus aktiver Historiker regen Anteil an der Entstehung der Chronik nahm und der wichtigste Beiträger und Berater war." Schwieriger als die Autorenschaft sind die Entstehungsbedingungen der Handschriften zu bestimmen, eine Präge, die unmittelbar verknüpft ist mit der Rekonstruktion des ihr zugrundeliegenden Konzepts. Die Antworten der Forschung hierzu waren lange vorgeprägt von den jeweiligen Fachperspektiven, wobei sich jedoch die Ergebnisse ähneln. Die Germanisten, orientiert an dem qualitätsstiftenden Charakter von Werkkohärenz, konnten kein ästhetisches Gesamtkonzept in der 'Zimmerischen Chronik' finden," die Historiker wollten dies gar nicht, da eine akzidentielle und unsystematische Vorgehensweise des Chronisten, dem Werk quasi Regestcharakter und damit einen höheren Wahrheitswert sicherte. Übersehen wurde, daß sich letzteres der Ausgabe BARACKS

32

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BAUMGART, Studien, S. 9-25. Zur Widerlegung von BARACKS Beweisgang siehe die Belege S. ISff. BAUMGART, Studien, S. 19. Einen Vergleich erlauben die Eichstätter und die Würzburger Bistumschroniken Wilhelm Werners (-> Literaturverzeichnis, 3. Textausgaben), die in einem gravitätischen und völlig humorlosen Duktus abgefaßt sind. Eine Sonderrolle hat das 205. Kapitel, das nach seiner Überschrift zwei von Wilhelm Werner selbst verfaßte Gedichte, ain gaistlichen und ain weltlichen spruch enthält. Ersteres ist parallel überliefert in der von Wilhelm Werner zusammengestellten Handschrift (Autograph: d i m Donaueschingen, FFB, A Ш 53, jetzt Stuttgart, WLB. Drei Abschriften aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts: Berlin, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett, Cod 78 A 19; Stuttgart, WLB, Cod. Don. 123; Nürnberg, Gennanisches Nationalmuseum, Hs. 86321). Zur Authentizität der beiden Gedichte siehe unten S. 397. JENNY, Proben, S. 42ff. Wilhelm Werner war unter den Humanisten als Gelehrter und Förderer der Geschichtswissenschaft bekannt. Dies bezeugt der sehnliche Wunsch des Basler Historiographen Johaimes Herold, von ihm aufgenommen zu werden. Herold war vermutlich zwischen 1563 und 1565 in Herrenzimmern und dürfte dabei auch Proben mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben (Zimmern, Eichstätter Bischofschonik, S. 13ff.; BURCKHARDT, Herold, S. 249-255). Anders WOLF, Allhie; ders., Proben.

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verdankt, der durch die Einfügung der Nachträge in den Haupttext alles dazu getan hatte," sein eigenes Urteil über den unsystematischen Entstehungsprozeß mit seiner Edition zu bestätigen. Über diesen schreibt er, "daß die chronik nicht fortlaufend, sondern materieweise auf einzelblättem oder bogen bearbeitet und erst bei der Zusammenstellung chronologisch geordnet worden ist."" Als Beleg verweist BARACK (IV,334) auf die chronologischen Sprünge in der Darstellung der Jahre 1564-66. In der Hs. B. befindet sich auf S. 801 ein Eintrag (Verschines jars, anno 1564), der im Jahr 1565 geschrieben worden sein muß, während dann auf S. 999 wieder Ereignisse aus dem Jahr 1564 verzeichnet sind. Auf S. 1001 werden dann erneut Vorgänge aus dem Jahr 1565 erwähnt. Bereits BAUMGART hat die Annahme geäußert, daß hier Müller noch der Text von A zugrunde lag, in den Proben 1565 den Zusatz mit dem Verweis auf das vorangegangene Jahr eingetragen hat. Müller übernahm dies daim einfach in die Reinschrift B." Diese These paßt zu Inhalt und Umfang der betreffenden Passage: Sie umfaßt nur wenige Zeilen und ergänzt mit einem weiteren Beispiel das Thema des 159. Kapitels, in dem die Rottweiler wegen ihrer Feigheit und Dummheit verspottet werden. Genauso verhält es sich auf S. 1001, wo die Jahresangabe 1566 in einer Bemerkung steht, die als kurzer biographischer Nachtrag zu einem Ereignis aus dem Jahre 1551 das weitere Schicksal eines Anwahes am Speyrer Reichskammergericht, der die Bastardkinder Gottfried Werners vertreten hat, vermerkt.^' Ein erster Nachtrag auf das Jahr 1564 findet sich im übrigen bereits im 127. Kapitel auf S. 585," und auch dieser steht in keinem Zusammenhang mit den Ereignissen aus dem Bauernkrieg, um die es in diesem Kapitel geht. Gegen BARACKS These von der imsystematischen Anlage der Chronik lassen sich noch zwei weitere Argumente vorbringen. Zum einen zeigt bereits ein Blick auf die Hs. A, daß sie - sieht man von Frobens Korrekturen und nachträglichen Ergänzugen ab - einen einheitlichen und chronologisch stimmigen Text bietet. Zum anderen versuchte der Chronist ab dem Zeitpunkt, als er die ursprüngliche Reinschrift A nur noch als Vorlage ftir die neue Fassung verwandte, die Systematik des Textes zu verbessern. Dies läßt sich an den Kor-

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BARACK kann sich zwar auf den Wunsch Frobens beziehen, seine Nachkommen sollten die Hs. В als Vorlage für eine wesenliche historia (IV,323; vgl. dazu auch oben S. 134) nehmen, damit hat aber Proben wohl kaum eine nicht-redigierende Übernahme der Nachträge in den Haupttext gemeint. BARACK hat an Stellen, wo Proben keine Angaben über die geplante Zuweisung gemacht hat, nach eigenem Gutdünken die Zuordnung vorgenommen. 1V,334. BARACK ist in gewisser Weise zum Opfer' seiner eigenen editorischen Arbeit geworden, da es ihm bei der Zusammenfassung gar nicht mehr bewußt gewesen ist, daß von der Anlage der Nachträge nicht auf die Entstehung des Haupttextes geschlossen werden kann.

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BAUMGART, Studien, S. 2 7 .

'' Den Dienst versieht er noch in disem 1566jar [...] (ffl,630,15f ). " n,546,12f : In diesem 1564 jar ist auch ain reicher wolhebiger burger zu Mösskirch gestorben [...]. Eine relativ genaue Datierung ist auch für den Nachtrag 47 möglich, der 1565 oder 1566 geschrieben worden ist (Ш,98,5-25).

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rekturen und Bearbeitungshinweisen ablesen, die Proben in A eingetragen hat. Am aufschlußreichsten sind hier die Änderungen bei den Kapitelüberschriften. Einige werden offenbar deswegen gestrichen,''" weil in ihnen der direkte Bezug auf die Dynastiegeschichte oder einen zimmerischen Leitnamen"' nicht deutlich genug ist bzw. die behandelte Thematik im vorhergehenden und nachfolgenden Absatz gleich ist." An anderer Stelle (Hs. A. f 199b u. 201b) wird eine alte Kapitelüberschrift nach vome gezogen, um die Geschlossenheit eines Themas zu unterstreichen. Seine klare Systematik hat Proben freilich nicht durchgehalten. Spätestens als er seine eigene Autobiographie erreicht, löst er sich von einer linearen Darstellung. Ausgehend von diesen Überlegungen kann man Rückschlüsse auf den ursprünglichen Umfang der Hs. A, die nur bis f 295b (in Hs. B, S. 361; 85. Kap.) erhalten ist, ziehen. Betrachtet man die datierten Stellen der Chronik,"' daim ist zunächst das Fehlen chronologischer Sprünge zwischen Berichts- und Abfassungszeit nach S. 1057 (Hs B; Kap. 195)"" festzustellen. Umgekehrt bietet aber - wie ERICH KLIENSCHMTOT"^ erkannt hat - die S. 1050 (Kap. 194) den Beweis dafür, daß diese Seite bereits in A gestanden haben muß. Denn hier erzählt der Chronist eine Geschichte aus den Rudolf von Schlettstadt zugeschriebenen 'Historiae Memorabiles'"' und datiert die Ereignisse mit den Worten: Dergleichen sachen haben sich nit allain bei unsern Zeiten begeben, sondern auch vor 270 Jahren, anno 1288 [...] (IV,86,4f.). Demnach schrieb Proben diesen Text im Jahr 1558, und dafür kommt nur die Hs. A in Frage. Ob A noch über das 194. Kapitel hinausgereicht hat, läßt sich nicht sicher sagen, einige der letzten Chronikkapitel sind vermutlich Nachträge."' Demnach hätte die Hs. A zumindest bis zum 194. Kapitel gereicht, und noch im Jahr 1564 wurde an ihr geschrieben. Der Beginn der Arbeit an A liegt wesentlich weiter zurück als bislang angenommen. Für einen größeren zeitlichen Abstand zwischen dem Beginn von

Vgl. Hs. A, f. 35a, 47b, 64b, 98b, 112a, 133a, 181b, 242b. Zum Leitnamenprinzip in der 'Zimmerischen Chronik' vgl. unten S. 148ff. So steht etwa am Rand zweier Absätze von f. 72a der Hinweis: Soll ain capittl sein. Siehe dazu in Anschluß an EGETMEVER (Verfasserschaft, S. 183) das Stellenverzeichnis bei BAUMGART (Studien, S. 26). BAUMGART (Studien, S. 26f.) weist hier bereits die Vermutung EGETMEYERS zurück, die Hs. A. sei im Jahre 1564 entstanden. Dies bestätigt sich durch eine Beobachtung KLEINSCHMIDTS, der 1558 als "Fixpunkt für den Beginn der Arbeit" nermt (Rudolf von Schlettstadt, Historiae, S. 34 und Anm. 105). Die Datierung auf 1566 (IV, 112,24) entstammt einer typischen Zusatzgeschichte. Der Chronist berichtet, wie der Knecht eines Müllers vom bösen Geist befallen wird und schwer erkrankt. Er fügt dann im letzten Satz der Geschichte an, daß der Knecht in disem ¡566jar noch lebt. Rudolf von Schlettstadt, Historiae, S. 33f Die Verfasserschaft Rudolfs für die gesamte Sammlung ist durch die Freiburger Magisterarbeit STEFAN GEORGES widerlegt (vgl. dazu HEINZER, Handschrift, Anm. 45). Vgl. Kap. 196-198, 204f Allerdings gehören die Kapitel über das Ende Gottfried Werners (200-202) wieder zur Geschichte der Familie und könnten durchaus in der uφrünglichen Fassung der Hauschronik gestanden haben.

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A und в sprechen schon die Veränderungen der Handschrift Müllers," aber vor allem ein Hinweis im 5. Kapitel."' Der Chronist behauptet dort, die erste Erwähnung seines Geschlechts findt man ob den sechzehnhundert und vier jaren in den commentarien oder sommarischen verzaichnussen Caji Julii Cesaris, des dictators und ersten römischen kaisers, im ersten buoch, darein er die gallischen krieg, so er selbs gefürt, beschriben [...] (1,33,2-6). Die Präzision der Zeitangabe verrät, daß der Autor genau zurückgerechnet hat. Da 'De bello Gallico' im Winter 52/51 v. Chr. entstanden ist, ergibt sich das Jahr 1554 als ungefährer Zeitpunkt für die Arbeit an der Hs. A. Dies paßt sehr gut zur Biographie Frobens: 1548 war sein Vater gestorben, der dem Sohn offenbar einen so großen Schuldenberg hinterlassen hatte, daß er sein Auskommen immer noch im Dienst seines Onkels Gottfried Werner suchen mußte. In dieser Zeit dürften Frobens finanzielle Ressourcen kaum für eine intensive Arbeit an der Chronik ausgereicht haben, und der Onkel nahm ihn zeitlich so in Beschlag, daß er sich noch Jahre später in seiner Chronik darüber bitter beklagte. Mit der Geburt des Stammhalters Wilhelm (1549) besserte sich jedoch offenbar Frobens Situation, weil Gottfried Werner jetzt wieder stärker dynastiebewußt plante.'" Wahrscheinlich engagierten die Zimmern Anfang der 50er Jahre Johannes Müller mit der Absicht, ihn die Schreibarbeiten für die Hauschronik erledigen zu lassen." Nach dem Tod Gottfiied Werners 1554 war Froben dann seine fmanziellen Sorgen endgültig los und konnte sich jetzt als sein eigener Herr ungestört der Chronikarbeit widmen. Ungeklärt ist bisher der Beginn der Abfassung der Hs. B. Eine erste Datierungsstelle findet sich schon im 10. Kapitel, wo der Chronist über einen Bilderteppich in Ettenheimmünster schreibt, er sei bei vierzig jharen [...] noch vorhanden gewesen, nachvolgends anno domini ßnfzehenhundert fünfundzwainzige ist er [...] in der beurischen aufruor zerhawen und verbrennt worden (1,65,17-22). Demnach müßte dieser Passus in den Jahren 1564/65 geschrieben worden sein. Überliefert ist er nur in B, da in A die entsprechenden Seiten herausgerissen worden sind. Nachdem auszuschließen ist, daß mit A erst 1564 begonnen wurde, bietet das 10. Kapitel einen Hinweis auf die Datierung von B. Legt man die übliche Zeilenzahl pro Seite zugrunde, stand auf den fehlenden Seiten von A weniger Text als В überliefert." Vermutlich hatte der Chronist in А so viele Verbesserungen eingefugt, daß die Seiten unlesbar vsoirden und er sie neu schreiben mußte. Unter den Ergänzungen befand sich auch der Hinweis auf die Zerstörung des Bilderteppichs. Wir können demnach den Beginn von В auf 1564/65 festlegen.

BAUMGART, S t u d i e n , S. 2 8 ,

Auch BAUMGART (ebd., S. 30) geht davon aus, daß der Beginn von А nicht datierbar sei. JENNY, F r o b e n , S. 109.

''

Zu Beginn der 50er Jahre taucht auch Johannes Müller als zimmerischer Sekretär auf. Auf den fehlenden 9 Blättern in А müßten ca. 200 Zeilen gestanden haben, wogegen die sieben Textseiten in В ca. 250 Zeilen umfaßt haben müßten.

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Die Arbeit an В dürfte, da es sich weitgehend um eine Abschrift handelte und man neben Müller noch einen zweiten Schreiber beschäftigte, rasch vorangegangen sein. Parallel dazu verfaßte Proben noch Nachträge sowie einige Querverweise, die aber nur in jene Kapitel von В eingearbeitet werden konnten, die Müller noch nicht geschrieben hatte. Alles, was sich nicht mehr in В einfügen ließ, woirde vermutlich auf separate Blätter geschrieben, die dann ihrerseits die Vorlage des keinerlei Chronologie oder Systematik gehorchenden Nachtragteils in В bildeten." Dort wurden die meisten Nachträge von Proben, Müller oder dem zweiten Schreiber mit einer Überschrift versehen, die die Zuordnung zu einem Kapitel oder Ereignis im Haupttext enthielt. Da die Hälfte der Nachträge von dem zweiten Schreiber geschrieben wurden, dürften sie parallel zu Müllers Abschrift von А entstanden sein. Proben diktierte die entsprechenden Kapitelverweise meistens gleich hinzu.'" Da er im Zuge der Korrektur von А die gesamte Chronikstruktur präsent hatte, konnte er die betreffenden Kapitelverweise leicht einfügen. Sofern er sich der Zuordnung noch nicht sicher war, verschob er den Kapitelverweis auf später." Die Abschrift von А und die Anfertigung der Nachträge erfolgte also parallel.^' Damit erklärt sich auch, warum die Zahl der Nachträge zum Ende von В hin stetig abnimmt: Der Vorspann des 203. Kapitels gibt einen unzweideutigen Hinweis auf die Clironikarbeit. Frohen hatte bereits - bevor der Haupttext bis zu dieser Stelle gekommen war - eine Thematik auf einem separaten Blatt behandelt, jedoch vergessen, das Geschriebene in den Haupttext zu integrieren. Dieses Versehen entschuldigt er jetzt: Ich soll gleichwol diß capitel von den Sigmaringer spennen vorlengest und insonderhait vor dem absterben graf Gotfriden Wernhers geordnet haben, seitmals solche bei seinen lebzeiten angefangen und vil jar nach seinem absterben geweret. So ist es aber vermischt und übersehen worden, iedoch, von wegen das sich mancherhandt sachen und handlungen darunder begeben und fiirgefallen, darumb nil zu underlasen (IV,208,25-32). Proben bezieht sich hier auf einen Streit, welcher in Folge der werdenbergischen Erbschaft zwischen Karl von Zollern und Gottfried Werner von Zimmern entstanden ist. Proben ist allerdings nicht mehr dazu gekommen, dieses Kapitel zu Ende zu führen; er muß es aber geplant haben, denn der Schreiber hatte Anweisung, elf Seiten für die Fortsetzung des Kapitels in der Chronik frei zu lassen (vgl. dazu IV,213,5f und Anm. zur Zeile 6). Gelegentlich fügt Proben in die Nachträge noch weitere Verweise auf zukünftige und nicht ausgeführte Kapitel ein. So sollte im Anschluß an den Nachtrag 491 (1,150,28-159,5) zu Kapitel 28 ein weiteres Kapitel über die Verbrennung der württembergischen Akten bei der Belagerung des Hohenasperg folgen. Am Ende des Kapitels heißt es; Daher gehert das capiti, wie die alten würtenbergische Brief und handlungen ufm Asperg durch den Kanzler Mimingen sein verbrennt worden anno 1534 (I,159,3ff.). Dieses Ereignis war für Proben ein Schlüsselereignis, das er dreimal in seiner Chronik erwähnt. Dieser relativ 'späte' Nachtrag (Hs. B, S. 1540-1543) kann als Hinweis dafür gewertet werden, daß Proben mit der geplanten Neufassung der Chronik stärker systematisch gliedern wollte. Bei einigen Nachträgen (z, B. Nr. 238 [S. 1388] und 240 [S. 1393]) war sich Proben noch nicht über die richtige Zuordnung im klaren, dort steht nur In caput, und manchmal wird auch eine frühere Zuordnung ergänzt und präzisiert (z. B. Hs. B, S. 1296, 1297, 1510, 1548). Vgl. zu den Nachträgen und ihrer Entstehung auch BAUMGART, Studien, S. 7. Dies wird bestätigt durch den Hinweis Frobens am Anfang der Nachträge, wo er schreibt: Hernach volgen etliche handlungen und sachen, so erst, nachdem und die zimbrische historia ingrossiert, erfaren (IV,323).

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Die'Zimmerische Chronik'

Müller trug jetzt sämtliche Verbesserungen und Paralipomena aus A oder die auf separaten Blättern stehenden Nachträge direkt in В em, Neues fiel kaum noch an." Die 'Zimmerische Chronik' war nicht der Beginn von Frobens Arbeit an der Geschichte seiner Familie. Bereits während eines Studienaufenthaltes in Paris verfaßte er den 'Liber rerum Cimbriacarum', der auf den 23.2.1540 datiert ist.'' Das Original des 'Liber' ist heute verloren, aber der Text ist in einer Abschrift erhalten, die der Genealoge und Chronist Andreas Rüttel um 1575 angefertigt hat. Die ersten zweieinhalb Seiten der Rütteischen Abschrift lassen sich zudem durch eine Parallelüberlieferung kontrollieren: Im 17. Jahrhundert hat Johann Christoph Ayrer, Leibarzt des Markgrafen von Ansbach, diese Seiten - vermutlich aus dem Orginal - exzerpiert'' und an seinen Freund Limnaeus geschickt, der sie in die Nachträge zu seinem 'Jus publicum imperii romano-germanici'"' aufiiahm. Gewidmet hat Proben das Erstlingswerk seinem Onkel Wilhelm Werner von Zimmern als Dank für vielfähige Hilfe und Ratschläge sowie iur dessen Bemühungen um die Erhebung des Geschlechts in den Grafenstand. Wie bereits J E N N Y in seiner Untersuchung des 'Liber' zu Recht hervorhebt,'' enthält das Werk bereits eine Chronik in nuce. Zugleich repräsentiert der 'Liber' auch Frobens Grundentscheidung, "nicht ein gewöhnliches 'Herkommen', sondern eine Hauschronik zu schreiben" bzw. die "Geschichte seiner Familie zu erzählen statt eine bloße Geschlechterfolge zu g e b e n . B e i seiner späteren Ausarbeitung der 'Zimmerischen Chronik' greift Proben in der Tat auf die Struktur^' des 'Liber' zurück und übernimmt auch einige inhaltliche Elemente. Im Gegensatz zu jener hat jedoch der lateinische Text eine unmittelbare Zweckbindung, die sich aus dem Panegyrikus auf Wil-

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Auch hierfür liefert das 203. Kapitel, das eigentlich einen Nachtrag darstellt, aber trotzdem gleich in den laufenden Text aufgenommen wurde, einen Beleg (IV,208,24ff.; 234,7ff.). Zum Text vgl. oben Anm. 53. Auf den 'Liber' hat erstmals EGETMEYER aufmerksam gemacht (Verfasserschaft, S. 10; zit. nach BAUMGART, Studien, S. 24, Anm. 4). Die wissenschaftliche Erschließung dieser Entdekkung ist das Verdienst JENNYS (Proben, S. 45ff.). Vgl. hierzu JENNY, Proben, S. 45. L i m n a e u s IV, S. 525FF.

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JENNY, P r o b e n , S. 4 5 - 4 8 .

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Ebd., S. 45. Der 'Liber' (f Г-?") enthält die Kimbem-Zimmem-Deduktion, sowie Erzählungen über sagenhafte Vorfahren, die zur Zeit Karls d. Gr., Heinrichs L und Ottos d. Gr. gelebt haben, sowie die Erzählung von dem Wunder auf dem Stromberg (vgl. unten S. 215ff.). Ab f 7" folgen dann genealogische Nachrichten, in denen das narrative Element nicht so stark hervortritt wie am Anfang des 'Liber'. In diesem Abschnitt führt der Chronist die Geschichte seines Geschlechts bis ins späte 15. Jahrhundert, wobei die Geschlechtsfolge lückenhaft bleibt. Der Beginn der Werdenberg-Fehde (f 10*) ist Auftakt fiir eine Klage über die Calamitates Familiae nostrae. Ein verschwommener Bericht über die Erhebung des Geschlechts in den Grafenstand (f 1 ΓΙ 2' ), und zwei Panegyrici auf Frobens Onkel Gottfried Werner und Wilhelm Werner (f 12'14^0 schließen den Text ab. Zu Anlage und Aufbau des 'Liber' vgl. JENNY, Proben, S. 45-48.

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heim Werner (f. 13*^-14") ergibt. Proben wollte sich dem Onkel als dankbarer Neffe'^ und historiographisch versierter Nachwuchshumanist empfehlen. Die ursprüngliche Fassung der 'Zimmerischen Chronik', d. h. der Hs. A ohne Anmerkungen und Zusätze, läßt noch das Konzept des 'Liber' erkennen: In relativ kurzen Abschriften - von den ersten 100 Kapiteln umfaßt kaum eines mehr als vier Folioblätter - wird die Geschichte des Hauses präsentiert. Die stringente Argumentationsführung im ersten Chronikdrittel, die fast vollständige Vermeidung von Wiederholungen belegen, daß die Niederschrift von A ein gestalterischer Akt von hoher Konzentration war: Aus einer Vielzahl von verstreuten Informationen und Quellen wurde eine fortlaufende Chronik. Selbst werm Froben in einer Vorstufe zu A mit Notizen und Quellenexzerpten gearbeitet hat, so ist im Text davon aufgrund von Frobens "zügigem, zielstrebigem, mitunter fast dramatischem Stil"" nichts mehr zu merken. Als äußeres Gerüst dient das in den Kapitelüberschriften zu beobachtende Leitnamenprinzip, die Darstellung konzentriert sich weitgehend auf die dynastiegeschichtlichen Ereignisse. Dies ändert sich jedoch genau zu jenem Zeitpunkt, als die Chronikerzählung die Vatergeneration erreicht.^ Hier verliert das bisherige Konzept an Wirkungskraft, die Kapitel werden länger, die Diskurse vermischen sich und schwankhafte Erzählungen nehmen zu." Das gilt erst recht fur die Kapitel, die von der Lebenszeit des Chronisten handeln. Während der Chronist sich zu Beginn seiner Arbeit noch am 'klassischen' Typus der Hauschronik nach dem Muster der 'Truchsessenchronik'" orientieren konnte, ließ ihn das Vorbild für die Darstellung der eigenen Lebenszeit im Stich. Froben mußte neue Wege gehen. Die gelehrte Beschäftigung mit der 'Zimmerischen Chronik' setzte ein mit der enthusiastischen Würdigung durch LASSBERG. Solange die Chronik jedoch nur im Archiv der Fürstenberger zugänglich war, vmrde sie nur sporadisch von Historikern ausgewertet.®' Dies änderte sich durch BARACKS Edition (4 Bde., Tübingen 1866-69, Literar. Verein Stuttgart 1891/94) und deren verbesserter, mit Nachwort und Register versehener zweiten Auflage (Freiburg i. Br./Tübin-

Vgl. hierzu 'Liber' f. П'-И*'. Begründet werden sollte mit dem 'Liber' auch eine zimmerische Hauschronik. Darauf weisen die Kapitelüberschriften am Schluß, zu denen der Text erst später geschrieben werden sollte. So mit Recht DECKER-HAUFF in. Chronik der Grafen von Zimmern I, S. 6. " Vgl. unten S. 296ff. " Diese Neuorientierung wirkt sich auch auf die Korrekturarbeiten an der Hs. A aus, so sind ein Schwankkapitel (Kap. 79; 11,30,6-40,16) und zwei schwankhafte Erzählungen (1,449,32450,13; 504,21-505,15) bei der Anfertigung von В neu eingeschoben worden. Aufgrund der kurzen Vorrede zum 79. Kapitel, dem ersten Schwankkapitel der Chronik, erkennt man, daß Froben dies als einen innovativen Akt begreift, der der Rechtfertigung bedarf. Vgl. dazu auch unten Anm. 78. ' ' Die Benutzung der 'Truchsessenchronik' ist eindeutig gesichert, Froben erwähnt sie im Text (П,244,37) und schreibt aus ihr ab (П,256,11-17). " Zu den Einzelheiten vgl. JENNY, Froben, S. 22f

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gen 1881/82) nicht grundsätzlich.™ Zwar war nun die Stofíulle leicht erschließbar, aber ausgerechnet das hervorragende Register degradierte die Chronik zu Fundgrube und Steinbruch für positivistisch orientierte Historiker und Germanisten. Als literarisches Gesamtwerk wurde das Werk nicht wahrgenommen, weil BARACKS Einfügung der Nachträge in den Haupttext den ursprünglichen Textduktus weitgehend verwischte. Die Historiker befragten die Chronik vornehmlich nach ihrer Glaubwürdigkeit, insbesondere im Hinblick auf die Wiedergabe rechtsgeschichtlicher Gegebenheiten" imd konstatierten zahlreiche Irrtümer und Fehler des Chronisten. Dies hatte zur Folge, daß die Geschichtswissenschaft die Chronik bis heute in der Regel" nur noch als Quelle für lokal-, regional- oder dynastiegeschichtliche Detailforschungen zur Kermtnis nimmt." In diesem Kontext sind auch einige volkskundliche bzw. kulturgeschichtliche Arbeiten'" zu erwähnen, die jedoch methodologisch unreflektiert die Inhalte der Chronik als geschichtliche Realität werten." Entscheidend fur die Randstellung der 'Zimmerischen Chronik' in der Geschichtswissenschaft waren aber in erster Linie die vielen Partien, die eindeutig fiktionalen Charakter haben und mehr dem Bereich des Imaginären als einem historischen Chronikbericht zuzuordnen sind. Konsequenterweise mußte denn eine Analyse, die die 'Zimmerische Chronik' als historische Quelle 'retten' wollte, ihre Doppelnatur als Chronik und fiktionale Literatur ernst nehmen und als Ergebnis eines Gesamtkonzepts werten. Eben dieser Aufgabe unterzog sich der Züricher Historiker BEAT RUDOLF JENNY in der bislang einzigen Monographie zur 'Zimmerischen Chronik'. Ausgangspunkt war die Absicht, einen "Beitrag zur Geschichte des Humanismus in Schwaben" zu leisten, und dazu gehörte es, jene Atmosphäre, in 70

Ein Neudruck dieser Auflage ist die Ausgabe PAUL HERMANNS, Meersburg/Leipzig 1932. Eine, gelegentlich im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie das Original verfremdende, Teilübersetzung der Chronik stammt von JOHANNES BÜHLER (Frankfurt a. M. 1940). Ein Beispiel für seinen Versuch, beim Leser alle ungewünschten Assoziationen zum herrschenden Regime zu vermeiden, ist die Überlegung über das Verhältnis von privater und öffenüicher Sphäre, w o BCTHLER Frobens Hinweis auf die gottgewollte Verantwortung des Adels für die Nation in der Übersetzung einfach wegläßt. Vgl. Ш,402,10-403,11 (insbesondere 403,7-11) mit BÜHLER, S. 543. FRANKLIN, Herren; BADER, Chronik; BONNEKAMP, Chronik. Allerdings gibt es auch Ausnahmen. So mißt KRIEGER in seiner Arbeit über das mittelalterliche Lehensrecht den entsprechenden Aussagen der 'Zimmerischen Chronik' historischen ürkundenwert zu. KRIEGER übernimmt die Darstellung des Chronisten, wonach die Zimmern immer auf allodialem Eigentum gesessen hätten (Lehenshoheit, S. 300, Anm. 354) und übersieht dabei, daß diese Behauptung der Absicherung des Aufstiegs in den Grafenstand dient. Zur Geschichte der Zimmern: RUCKGABER, Geschichte; NADLER, Herren; SINGER, Einnahme; ders., Herrn; BADER, Hausgeschichte. BADER, Chronik; JOHNE, Leben; KAPF, Volkskundliches; KLEINER, Untersuchungen; LAUCHERT, Beiträge. Auch eine moderne, den Methoden der historischen Sozialanthropologie veφflichtete Volkskunde nutzt die 'Zimmerische Chronik' als Quelle. Vgl. dazu vor allem SCHINDLER, Leute. JOHNE (Leben, S. 310-361) bietet eine systematische Erfassung der einzelnen volkskundlichen Themenbereiche in der Chronik.

Handschriftenlage, Entstehungsgeschichte, Grandzüge der Forschung

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der die 'Zimmerische Chronik' entstand, zu rekonstruieren. Deshalb widmete er sich in den beiden zentralen, mittleren Kapiteln seiner Arbeit, der Familienbiographie und der Quellenverarbeitung.'" Als bestimmend für Frobens Leben sieht JENNY das konfliktgeladene Verhältnis zum Vater Johann Werner imd dem Onkel Gottfried Werner, auf der anderen die Seelenverwandtschaft zu Wilhelm Werner, seinem jüngeren Onkel. Den Bericht über die Studienjahre Frobens nahm JENNY zum Anlaß, ein intellektuelles Porträt des Chronisten zu zeichnen. Fragwürdig ist in diesem Abschnitt eine methodologische Vorentscheidung. Nachdem sich Frobens Leben nicht aus den Regesten des zimmerischen Archivs in Donaueschingen oder aus anderen historischen Überresten erheben ließ," nahm JENNY die umfangreichen biographischen Teile, die sich vornehmlich am Ende der Chronik befinden, als historisch getreue Widerspiegelung von Frobens Leben. An die Möglichkeit einer literarischen Selbststilisierung dachte er nicht. In seinem letzten Kapitel liefert JENNY indirekt die Rechtfertigimg fur die historiographische Dignität der chronikalischen Partien der Chronik, indem er ihre "VerSchwankung" aus rezeptionsästhetischen Überlegungen des Chronisten, seinem Charakter sowie der literarischen Situation seiner Zeit erklärt. JENNY nimmt dazu die mehrfachen Beteuerungen des Chronisten, sich mit den eingefügten Schwänken lediglich an die Horazsche Prämisse des delectare et prodesse zu orientieren," imreflektiert als einzige Begründimg für den Doppelcharakter des Werks. Für ihn zerfallt die Autorrolle in zwei Teile, in die des glaubwürdigen humanistischen Geschichtsschreibers und die des phantasievollen Literaten. Daß den beiden unterschiedlichen Schreibmodi gemeinsame Erkenntnis- und Darstellungsmuster zugrunde liegen könnten, wird nicht bedacht. Allerdings gehen auch für JENNY die literarischen Partien nicht völlig in einer rein unterhaltenden Funktion auf Die Gründe liegen in der überbordenden Fülle der Schwänke gegen Ende der Chronik und in deren oft obszönen

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Im ersten Kapitel seiner Untersuchung (S. 17-51) befaßt sich JENNY mit der Verfasserfrage, im letzten Kapitel mit der Chronik als Schwankbuch (S. 187-199). So auch BADER, Hausgeschichte, S. 124f. Die ausführlichste Begründung bietet Proben am Beginn des 106. Kapitels, das durch seinen Titel als reines Schwankkapitel ausgewiesen wird: Diß capitel sagt von etlichen schalksnarren

und andern dorechten mentschen, was sie zu disen Zeiten für gueter schwenk getriben haben. (n,310,14ff.). Proben rechtfertigt diese Vermischung mit dem Argument: [...] wiewol

villeucht

ain ernhafter leser ganz superstttios vermainen mechte, schimpflich oder verkerlich zu sein, die lecherlichen bossen von obgehörten dorechten oder unbesinnten mentschen in ain solliche historiam einzumischen, iedoch das alles wol erwegen und diese gedanken bedechtlich hündangesetzt, so werden die sachen, wie die ergangen, auch was sich in unser landtsart bei den zimbrischen underthonnen, zugehörigen und vernachpurten zu Zeiten begeben, angezeicht und mueß der leser also nach erkündigung sovil trauriger und nachtailiger handlungen mit diesen dorechten oder kurzweiligen sachen widerumb recreirt und u/gehalten werden [.. .] (Π,310,19-30).

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Die 'Zimmerische Chronilc'

Charakter. Seinem Unbehagen an der Obszönität des Autors" begegnet JENNY mit einer psychologischen Analyse, er nimmt die Chronik als "Selbstzeugnis des Verfassers", als Beleg für seinen Lebenshunger, der gepaart mit Lebensscheu gewesen sei.'" Aus Frobens Biographie glaubt JENNY "mit aller Deutlichkeit sein äußerlich morbides imd fast linkisches Wesen ablesen" zu können, "die auffallendsten Merkmale seines Wesens sind Schüchternheit, übertriebene Ängstlichkeit, eine gewisse Hinterhältigkeit und die Unfähigkeit, sich in kurz entschlossenem, kühnen Handeln durchzusetzen."^' Wie Frobens Text für JENNY als autobiographischer Beleg für Selbsterlebtes fungiert, sei an einem Beispiel verdeutlicht. JENNY zieht eine Erzählung aus der Chronik heran, in der Froben berichtet, wie er mit einem Freund dessen ehemalige, verheiratete Geliebte besucht. Im Gespräch entsteht eine erotisch-prickelnde Atmosphäre, Froben fiirchtet, die Situation könnte außer Kontrolle geraten {dann die weit ist wunderbarlich) und drängt zum Aufbruch. Die männlichen Urängste, die ihn dabei befallen, faßt er in eine Lukian-Reminiszenz: Es file mir zu sinn der essel Luciani; do sich der selbig begerte an geliebten ort zu letzen, do ward er die stigen hinab geworfen et nudus kam er darvon (11,646,29-32).'^ Für JENNY sublimiert Froben hier seine sexuellen Ängste und Neurosen durch Erzählen," er übersieht dabei völlig, in welchem Kontext diese Erzählung steht. Sie gehört zu einem Schwankkapitel (136) und ist Teil einer Reihe von Erzählungen, denen - ähnlich dem 'Nonnentumier' - das Motiv der minnelüstemen, die Zölibatsregel verletzenden Mönche und Nonnen zugrunde liegt: Jene anonyme Geliebte ist zum Ehebruch durch Nonnen verfuhrt worden, die ihr Kloster als heimlichen Lustort zur Verfügxmg stellten. Der Besuch bei ihr ist demnach auch ein Authentizitätsbeweis für ein literarisches Motiv. Darüber hinaus thematisiert diese Erzählung nicht etwa eine sexuelle Verklemmung des Autors, sondern den ironischen Umgang mit dem nachlassenden Sexualtrieb. Weder erJENNY, Froben, S. 190: "Froben bleibt fast ausnahmslos auf dem Boden des TierischTriebhaften, der plumpen Erotik und der mit ihr in Beziehung stehenden Absurditäten und Anomalien. [...] Grenzen kennt er überhaupt keine." Ebd., S. 192f Ebd.,S. 193. Lukianos, Lukios 56. Froben hat dabei - genau zur Situation passend - jene Szene vom Schluß des Werkes anzitiert, als der in Menschengestalt zurückverwandelte Lucius von der Dame, die "seine Eselsnatur so wohl zu schätzen wußte [...] enttäuscht zur Tür [hinausgeworfen wird]" (THŒL, Eselsroman 1, S. 150), - Die Erstausgabe der Schriften Lukians in einer lateinischen Übersetzung wurde 1496 in Florenz gedruckt. Die deutsche Übersetzung des Niklas von Wyle ('Von dem guldin esel Lutziani') erschien 1478. Von Lukian ist auch die Schrift 'De historia conscribenda' erhalten, in der er sich u. a. kritisch mit dem Wahrheitsbegriff der zeitgenössischen Geschichtsschreibung auseinandersetzt. Zum Verhältnis der Epitome des 'Eselromans' (Lukios) zum 'Apuleius' vgl. THffiL, Eselsroman 1, S. 1-21. JENNY, Froben, S. 194 (ähnlich auch an anderer Stelle; ebd., S. 76): JENNY beruft sich auf eine Bemerkung Frobens, Konrad Peutinger habe ihn als naturae frigidae (Ш, 173,9) bezeichnet. Auch wenn dies zutreffen mag, so übersieht JENNY doch, daß Froben diesen Vorwurf deswegen erwähnt, weil er ihn widerlegen kann, und gleichzeitig rächt er sich an Peutinger, indem er erzählt, wie diesen seine Frau wegen seiner hnpotenz verlassen hat.

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scheint die Frau besonders attraiitiv, noch die beiden verhinderten Freier, über deren kühle Verabschiedung Froben sagt: uf unser parthei war der reifen so reuhlich im part und haar gefallen, das ich gedacht: 'Wolan, man hat uns darfiir, wir seien in simias conversi' (11,646,35-38). Die daran anschließenden Exempel, die die Themen der unersättlichen Frau und der männlichen Potenz in verschiedenen Variationen behandeln,'" weisen das gesamte 136. Kapitel als Teil des Sexualitätsdiskurses in der Chronik aus und taugen nicht für eine umstandslose Charakteranalyse des Autors. Der Wert von JENNYS Untersuchungen liegt in der Erforschung der Entstehungsbedingungen der 'Zimmerischen Chronik' im Kontext des Humanismus und der historiographischen Bemühimgen des südwestdeutschen Adels: Detailliert wird belegt, wie Frobens Quellenangaben zur historischen Verifikation, zur Repräsentation der eigenen Dynastie und zur Belehrung des Lesers über rechtliche oder geschichtliche Hintergründe dienen. Angesichts dieser Funktionen ist naturgemäß der Weg zur Quellenfalschimg bzw. -fiktion nicht weit, imd dementsprechend versucht JENNY jeweils festzustellen, an welchen Stellen der Chronikautor tatsächlich nach modernen historischen Maßstäben gearbeitet hat und wo nicht. Insofern fällt denn auch Frobens Quellenarbeit unter das Verdikt JENNYS, daß diese nicht einmal dem quellenkritischen Niveau historiographischer Forschung des 16. Jahrhunderts genügt.'^ BARACKS Edition der 'Zimmerischen Chronik' weckte auch das germanistische Interesse, die Forschung blieb aber zunächst zeitbedingt auf überlieferungs-, quellen-, motiv®'- und sprachgeschichtliche'·' Fragestellungen konzentriert. Das Werk selber blieb für das Fach randständig, auch wenn Frobens Anmerkimgen zu wichtigen Autoren und Texten des Mittelalters, ihm einen sicheren Platz in der Literaturgeschichte verschafft haben.'' Demgegenüber und Als Beispiel mag hier der Abschnitt über männliche Sexualprotze gelten, in dem Froben über die 'Künste' eines gewissen Peter Hagenmann sagt: Ich hab oft hören sagen, es hab der Hagenman dozumal dem von Maßmiinsler das weih dermasen entricht, wie ain lauten wurt deacordiert, das sie ime, Hagenman, wa es ainichen fueg gehapt, nachgeloffen und er kain ruhe von ir gehapt. Gleichwol mit groser gefahr seines lebens (11,647,25-31). Die Wertungsskala JENNYS ist geprägt von seinem Anspruch, eine historische Faktizität zu ermitteln. So bezeichnet er z. B. die Literaturliste in der 'Zimmerischen Chronik' als rückständig "gegenüber gewissen ähnlichen Listen in gleichzeitigen Publikationen" (Froben, S. 139). V g l . n e b e n LFFIBRECHT 1-Ш a u c h HAGENMEYER, É t u d e . ALEFELD, B e i t r ä g e ; ROCKWELL, W o r t s t e l l u n g .

Dies gilt insbesondere für die Sachsenheimforschung (STROHSCHNEMER, Versepik, S. Uff.; 22f ), für die Lirer- (GRAF), Faust- (BARON) und Minneredenforschung (GLIER, Artes, S. 339; BRANDIS, Minnereden Nr. 241, 440). Zur Liederhandschrift X vgl. unten S. 315. Zur Funktion der Zimmern als Literaten und Sammler vgl. jetzt auch CURSCHMAN/WACHINGER, Bemer. Johaim Werner d. Ä. gab eine Minneredenhandschrift in Auftrag (ÖNB, Cod. 2796; vgl. GHER, Artes, S. 252), und beschäftigte mehrere Schreiber (u. a. Gabriel Lindenast [auch Sattler gennant], Jörg von Ellerbach, Hans Minner [?]), die für ihn poetische Texte des Mittelalters zusammentrugen und abschrieben (vgl. MODERN, Handschriften, S. 126, 131flf und ACHNITZ [Konrad von Stoffeln, S. 35f, 98-104]). Gottfried Werner ('Die Minnewerbung' - dieser Text ist auch in einer Berliner Hs. enthalten; GLIER, Artes, S. 338) und Wilhelm Werner ('Das

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trotz gelegentlich lobender Bewertimgen der literarischen Qualität^' galt die Chronik aufgrund BARACKS unübersichtlicher A u s g a b e , i n der die Handlungsfáden durch die zahlreichen eingeschobenen Nachträge immer wieder durchschnitten werden, als poetisch mißglückt, blieb der Blick auf die Einheit des Werks aufgrund der scheinbaren Disparatheit der Gegenstände und der narrativen Vielschichtigkeit versperrt. Dieses Manko behebt nun die bislang in drei Bänden vorliegende Ausgabe HANSMARTIN DECKER-HAUFFS. Hier sollen die Nachträge gemäß der Vorlage von В an den Schluß gesteUt werden. Auch wenn man über die DECKER-HAUFFsche Ausgabe noch kein abschließendes Urteil fällen kann, weil die Versäumnisse der ersten drei Bände im Abschlußband nachgeholt" und einzelne Fehler in einer Neuauflage verbessert werden könnten, so ist doch zu hoffen, daß nach Abschluß der auf fünf Bände angelegten Ausgabe die Voraussetzung für eine neue Bewertung der Chronik geschaffen ist, und sich dann die Literaturwissenschaft mit Gehalt und ästhetischer Struktur des Textes befassen wird.'^ Der weitgehende Verzicht auf eine Analyse der literarischen Dimension ist um so erstaunlicher, als sich im letzten Jahrzehnt das Interesse der Altgermanistik gerade jenen 'Gattungen"^ der mittelalterlichen Kurzerzählungen (Märe, Schwank, Anekdote, Fazetie usw.) zuwandte, die in der 'Zimmerischen Chronik' so reichhaltig vertreten sind. Da jedoch die Vielfalt dieser Gattungsformen und die hybride Form der Chronik insgesamt jeder Gattungsdiskussion im Weg steht, interessierte man sich kaum für das Werk,'" oder es wurde - wie von den

weltliche Юösterlein') werden literarische Texte zugeschrieben. - Vorfahren mit fremden literarischen Federn zu schmücken, ist eine auch sonst geübte Praxis in der Familienchronik. Wilhelm Werner hat femer den Auftrag für die Abschrift einer Minneredenhandschrift (Lana ХХШ, D 33; BRANDIS, Mirmereden, S. 244) erteih. Zu den von den Zimmern in Auftrag gegebenen bildkünstlerischen Leistungen zählt neben der Ausgestahung der Meßkircher Residenz auch ein von WACHINGER in seiner Bedeutung erkannter Freskenzyklus mit Motiven aus dem 'Sigenot' auf der Burg Wildenstein. Wahrscheinlich hat Gottfried Werner den früher vermutlich repräsentativen Zwecken dienenden Raum mit den Fresken ausmalen lassen (vgl. CURSCHMANN/WACHINGER, Hemer; CLIRSCHMANN, Zyklus). Für Gottfried Wemer ist sein fateresse an Heldenliteratur belegt (vgl. dazu unten S. 335). Möglicherweise stammen ein 'Sigenot' und ein Fragment des 'Virginal', die sich in der Fürstenbergischen Bibliothek befanden (jetzt Karlsruhe, BLB, Hs. Don. 74 und 91), von ihm. Allerdings enthält die Hs. 74 den Eintrag eines bürgerlichen Besitzers, des Konstanzer Bürgermeisters Christoph Schultheiß (15121584). Vgl. dazu HEINZLE, Dietrichepik, S. 276. Vgl. WEHRLI, Geschichte, S. 1043f Vgl. dazu oben Anm. 35. So wäre es unbedingt wünschenswert, in die neue Ausgabe auch die Ergänzungen in A aufzunehmen. Leider orientiert sich DECKKER-HAUFF ebenfalls allein an B. Siehe dazu auch meine Vorarbeiten WOLF, Allhie; ders., Froben. Da die Arbeit weder eine Klassifizierung der verschiedenen 'Gattungen' innerhalb der Chronik zum Ziel hat, noch die Begriffsdiskussion weiterführen kann, meint der Begriff 'Gattung' hier die 'historischen Textgruppen' und ihre jeweiligen Untergruppen. Ganz anders sieht hingegen die auch heute noch andauernde, populäre Rezeption der Chronik aus. Man schätzt das Werk als Kuriositätenkabinett, was sich vor allem in Sammlungen der

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Historikern - als Abbild von geschichtlicher Realität verstanden. So wollte WILFRED DEUFERT an der Chronik "die Rolle des Schwanks und des Schwankhaften in der gesellschaftlichen Wirklichkeit des 16. Jahrhunderts" demonstrieren. Ohne die Bedenken gegen ein solches Verfahren zur Kenntnis zu nehmen, kommt er zu dem Ergebnis, daß der "formalen Integration des Schwankhaften in der Zhnmerischen Chronik [...] die Integration des Schwankhaften in das Leben ihrer Menschen,'"' entspricht. Die Chronik ist sie ihm Beleg daftir, daß man im 16. Jahrhundert "von einer Verschwankung der gesellschaftlichen Wirklichkeit sprechen kann;"^ der Schwank werde nicht nur erzählt und gelesen, sondern gelebt, "Welt und Narrenwelt sind gleichsam deckimgsgleich."" DEUFERT bleibt in seinem phänomenologischen Ansatz der topischen Behauptung Frobens verhaftet, die Schwänke dienten der Entspannung des Lesers eine nähere Beziehung zwischen Geschichte und Literatur bzw. zur Geschichtlichkeit dieser Form von Literatur findet er nicht. Nur en passant bemerkt er an einer Stelle, daß der Autor historischen Bericht und Schwankhandlung durch ein gemeinsames Motiv verknüpft."

5.2. Struktur und Inhalt: Die Abschnittsgliederung der Chronik Proben hat den einzelnen Kapiteln Überschriften gegeben, die nicht nur den Namen des behandelten Dynasten nennen, sondern entsprechend der Praxis des Prosaromans auch Sachüiemen ankündigen. Da die Überschriften mit maximal drei Zeilen sehr kurz gefaßt sind, muß er sich auf ein oder zwei Punkte beschränken. Dies sind in der Mehrzahl der Kapitelüberschriften Ereignisse, die für die Geschichte seines Geschlechts relevant sind - Geburt, Heirat, Tod, aber auch Fehden und Besitzfragen. Eine kleinere Zahl von Überschriften weist nicht auf ein genealogisches Thema, sondern auf ein literarisches; hier werden in der Regel schwankhafte Erzählungen angekündigt. Dies bedeutet nicht, daß sich solche nicht auch in den genealogischen Kapiteln fmden lassen, wie sich auch die umgekehrte Konstellation beobachten läßt - wenn auch seltener. In dieser Trennung artikuliert sich ein differenziertes Gattungsbewußtsein des Autors, das jedoch nicht auf ein theoretisches Vorverständnis von Gattungen schließen läßt, sondern pragmatisch und rezeptionsästhetisch zu erklären ist. Proben will mit seinen Überschriften gleichermaßen eine kontinuieriiche wie selektive Lektüre seines Werks ermöglichen. Der Leser kann gezielt nach dem Geschick einzelner Dynastien suchen und hat einen Leitfaden, mit welchem er sich die übergreifenden Themen und Abschnitte der Dynastiegeschichte er-

( o b s z ö n e n ) K u r z g e s c h i c h t e n n i e d e r s c h l ä g t (vgl. FRICK, QUASIGROCH, O. ZIMMERMANN u n d AMRAIN, S. 7 9 - 1 4 9 ) .

"

DEUFERT, Narr, S. 82.

" "

Ebd., S. 75. Ebd., S. 82. Ebd., S. 71.

G.

HAUG,

HECHT,

IHRINGER,

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Die 'Zinmierische Chronik'

scMießen kann. Diesem Ziel hätte ein aus diesen Kapitelüberschriften bestehendes Inhahsverzeichnis gedient. Ob es geplant war, wissen wir nicht." Da oft mehrere aufeinanderfolgende Kapitel mit dem gleichen Namen beginnen, ergibt sich ein Leitnamen- bzw. Kennamensystem,mit dem einzelne Kapitel zu einer Dynastenbiographie zusammengefaßt werden. Über diese Einzelbiographien hinaus verweisen die Kapitelüberschriften auch auf größere Struktureinheiten, so daß sich die 209 Einzelkapitel in etwa sechs mehr oder minder scharf voneinander abgrenzbare Abschnitte gliedern lassen. Auch die zahlreichen Exkurse zur Geschichte fremder Geschlechter sowie die wenigen themenzentrierten Kapitel ffigen sich in diese Systematik. Der ursprüngliche Gesamtplan, wie er sich in den Kapitelüberschriften abbildet, soll hier anhand der Überschriften kurz vorgestellt werden. Dies dient zugleich zur Erleichterung bei der Lektüre dieser Arbeit, da die Kapitelgliederung an der Gesamtstruktur ausgerichtet ist. Den 1. Abschnitt bildet das Herkommen der Zimmern (Kap. 1-7), den 2. die 'dunkle' Vergangenheit des Geschlechts im frühen und hohen Mittelalter (Kap. 8-27). Da angesichts der fehlenden Quellen keine fortlaufende Genealogie geschrieben werden konnte, treten an deren Stelle Personen und Ereignisse aus der Reichs- und Regionalgeschichte. Die historischen Markierungen, die der Chronist in den Überschriften setzt, sind die Heerzüge der Kimbern nach Italien, ihre Schlachten gegen die Römer (1-5), die Regierungszeit der bedeutendsten deutschen Kaiser (6-10) und die Kreuzzüge (16,18,19). Genealogisch motiviert sind die eingestreuten Kapitel über kaiun 'bezeugte' Vorfahren und deren Heiraten (11,13,17), machtpolitisch die angeblich engen Beziehungen zu den Bistümern St. Gallen und Konstanz (12,14,15). Ab dem 17. Kapitel finden sich in den Kapitelüberschriften bereits einzelne Leitnamen zimmerischer Dynasten, mit dem Beginn des 3. Abschnitts (28-60) setzt dann die ummterbrochene genealogische Sukzession ein. Der erste Vorfahr, dessen Biographie Proben mehrere Kapitel widmet (31-36), ist dann Werner d. Ä. (1289-1384). In den sechs Kapitelüberschriften seiner Biographie stehen am Beginn - abgesehen von Kapitel 34 - immer gleichlautend die Worte: Wie herr Wörnher [...] von Zimbern. Damit sind diese Kapitel schon formal zu einer Einheit zusammengefaßt, sie werden zusätzlich durch eine spannimgsstiftende Ankündigung

"

Die Gliederung der 'Zimmerischen Chronik' ist eng verknüpft mit ihrer Entstehungsgeschichte. Denn Frobens lateinischer 'Liber' (vgl. oben S. 140f.) enthält bereits die Gliederung des Hauptwerks, wobei Proben in den einzelnen Abschnitten, die freilich nicht durch Überschriften markiert sind, ebenfalls von den Namen der Vorfahren ausgeht. Proben hat in seinem Monumentalwerk dieses System beträchtlich aufgefüllt, gleichgeblieben sind die namenszentrierte Gliederung am Anfang sowie der Übergang zu einer eher themenzentrierten Ordnung am Schluß. Ein entscheidender Unterschied besteht darin, daß Proben nicht wie im 'Liber' bei den calamitates eine eindeutige Zäsur setzt, sondern durch diesen Abschnitt beide Ordnungsprinzipien parallel laufen läßt, bevor er sich dann am Ende seiner Chronik fast ganz einer sachlogischen Gliederung bedient. Zum Begriff vgl. BADER, Hausgeschichte.

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in der Überschrift des 30. Kapitels auch inhaltlich verknüpft: Dort heißt es im Zmammenhang mit Werners Geburt, bei desselbigen zeiten [sei] die herrschaft Zimbern übel verbrennt und verderbt worden}"^ Das 37. Kapitel nennt in der Überschrift Werners Sohn Johann, mit dessen Name die meisten der folgenden acht Kapitelüberschriften eingeleitet werden {Wie herr Johanns freiherr von Zimbern [...]). Bezeichnend sind die Ausnahmen: So tritt im Kapitel 38, welches den Ritterschlag Johanns thematisiert, der Name Kaiser Karls an den Anfang, und im Kapitel 43 geschieht das gleiche mit dem Namen des Grafen Friedrich von Zollern. Der Chronist beachtet also in den Überschriften sehr genau die Ständehierarchie. Die Johann betreffenden Kapitelüberschriften geben bereits für sich einen kurzen Überblick über die nach feudalrechtlichen Kategorien wichtigsten Stationen seines Lebens: Heirat (37), Erfolg und Verlust beim Ausbau des Eigenbesitzes (38-40 und 42-43), Verheiratung des Sohnes (41) und schließlich sein Tod (45). Wo aus genealogischen Gründen das Schicksal minder wichtiger Familienmitglieder aufzunehmen ist, wird dies in einem eigenen Kapitel abgehandelt, welches jedoch eingebettet bleibt in den Abschnitt einer 'Leitfigur' des zimmerischen Geschlechts. So etwa geschieht es mit dem Sohn Johanns d. Ä., Johanns d. J., der bereits 1430, also 11 Jahre vor seinem Vater stirbt (Kap. 41), und ebenso verfahrt der Chronist bei der Behandlung der nächsten Generation, den Kindern Johanns d. J. und seiner Frau Anna, Werners d. J. (1423-1483) und Gottfi-ieds (ca. 1425-1508). Froben steht hier vor dem darstellerischen Problem, eigentlich die Geschichte beider Brüder - die der Schwestern interessiert ihn ohnehin wenig - parallel oder sukzessive erzählen zu müssen. Da die Chronik generell dem chronologischen Prinzip verpflichtet ist und die Geschichte der beiden Brüder sehr unterschiedlich verläuft, erfordert dies eine Schweφunktsetzung, die Froben schon durch die Namensaufiiahme in der Überschrift zum Ausdruck bringt. Den Vorzug erhält eindeutig Werner d. Ä., da nur er mit seinen Söhnen das Weiterleben der Dynastie sichert, während Gottfi-ied unverheiratet stirbt: Von den 14 Kapiteln, die sich mit dieser Generation befassen, nennen neun zu Beginn den Leitnamen Werner freiherr von Zimbern, wogegen Gottfried nur drei Kapitel erhält. Je ein Kapitel thematisiert die Vita der Schwester Gottfrieds und Werners, Anna von Zimmern (49) sowie Geburt und Jugend (54) des Stammhalters Johann Werner d. Ä. ( 1454-1495). Mit der Beschreibimg der Großvätergeneration (4. Abschnitt, Kap. 61-73), repräsentiert durch Johann Werner d. Ä., tritt die Chronik in eine neue Phase, was sich schon durch einen Blick auf die Zahl der Seiten offenbart: Ohne die Nachträge umfaßt das Werk in В 1181 Seiten, davon sind bis zur Großväterge"" 1,164,1-6: Wie herr Albrecht freiherr von Zimbern seinem son, Herrn Wörnhern, frölin Anna freiin von Falkenstain vermehelt, von welcher er nit mer dann ain ainigen son, auch Wörnher genannt, verlassen, bei desselbigen Zeiten die herrschaft Zimbern übel verbrennt und verderbt worden. Zur Genealogie vgl. SCHWENNICKE, Stammtafeln, Nr. 83f.

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neration erst 239 Seiten, also rund 20%, geschrieben. Man muß sich demnach vor Augen halten, daß 80 % des Haupttextes nur die letzten 100 Jahre der Geschlechtsgeschichte umfassen. Allein fur die Behandlung der Biographie Johann Werners d. Ä. benötigt Frohen 60 Seiten, die sich auf nur 13 Kapitel verteilen. Der Umfang der einzelnen Kapitel wächst also zunehmend. Die Biographie Johann Werners d. Ä. stellt damit die erste ausfuhrliche Lebensbeschreibung der Chronik dar. Im Anschluß daran folgt der Bericht über die Vatergeneration (5. Abschnitt, Kap. 74-134).'°' Die Biographien der vier zimmerischen Brüder (Veit Werner, Gottfried Werner, Johann Werner und Wilhelm Werner) sind stark miteinander verzahnt. Ab jetzt werden auch ganze Schwankkapitel und historischgenealogische Exkurse eingefugt, aber dennoch läßt sich aufgrund des Leitnamenprinzips der Kapitelüberschriften die genealogische Gliederung gut weiterverfolgen. Proben beginnt mit dem kurzen Leben Veit Werners (1479-1499). Danach fehlt ihm ein direkter Anschluß, da mit dem Tod Veit Werners zunächst kein erwachsener Zimmern mehr vorhanden ist, der in einer Kapitelüberschrift den Part einer Leitfigur hätte übernehmen können. Bezeichnenderweise und fur die Interpretation von Bedeutung'"" ist die Einfügung eines Schwankkapitels (79), welches als erstes auch in der Kapitelüberschrift als solches bezeichnet wird. Nach einem weiteren Übergangskapitel lenkt der Chronist wieder auf das herkömmliche Leitnamenprinzip zurück. Eine Einheit fur sich bildet die Biographie von Frobens Vater, Joharm Werner, sie ist in zwei Teile gegliedert, wobei die Kapitel 81-92 bis zur Vermählung mit Katharina von Erbach, die Kapitel 102-112 bis zur Geburt seiner Kinder reichen. Der 5. Abschnitt ist aber nicht nur durch das dynastische Leitnamenprinzip strukturiert, sondern parallel dazu erscheint in den Überschriften eine thematische Orientierung: So nimmt Froben in die Überschriften der Kapitel 64-85 die Thematik des langjährigen Kampfes gegen das Haus Werdenberg auf Mit diesem benachbarten Geschlecht war um das Jahr 1483 ein Konflikt wegen einiger Rechte entstanden, der sich in kürzester Zeit zu einer substantiellen Krise für das Haus Zimmern auswuchs. Der Chronist gestaltet die Kapitelüberschriften so, daß der Fortgang dieser Fehde und ihre endliche Beilegung allein schon anhand der Überschriften verfolgt werden kann. Hinzu kommen jetzt auch zahlreiche genealogisch oder sachlich motivierte Exkurse. So fugt der Chronist nach dem Heiratskapitel eine vier Kapitel umfassende Abhandlung zu dem Geschlecht seiner Mutter an (Kap. 95-99), parallel dazu wird der Faden der Werdenberg-Fehde weitergesponnen und der Niedergang dieses Geschlechts mitgeteilt (Kap. 100-101). Die chronologisch-dynastische Struktur wird also zusehends von einer thematischen überlagert, wobei letztere zuneh-

Das vorhergehende Kap. 73 ist ein typisches Überleitungskapitel zwischen der Biographie des Vaters Gottfried Werner und der seines ältesten Sohnes Veit Werner 104 Vgl. unten S. 300ff.

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mend an Relevanz gewinnt. In der Zusammenfuhrung weit auseinanderliegender Ereignisse wie der Erbacher und der Werdenberger Händel sollen außerdem zeitunabhängige Muster Geschichte transparent werden lassen. Nachdem der Chronist in einem Zug die Geschichte seines Vaters über 13 Jahre bis 1525 hinweg verfolgt hat, geht er in der Chronologie der Ereignisse wieder zurück in die frühe Jugend seines Onkels Gottfried Werner und berichtet mm von dessen Leben in den Kapitehi 113-130. Auch hier beinhalten die Kapitelüberschriften bereits die dynastisch-genealogisch wichtigen Ereignisse im Leben Gottfried Werners: Ausbildung im Dienst verschiedener Fürstenhöfe (113-115), Hochzeit mit Apollonia von Henneberg (116), Geburt und Verheiratung der ältesten Tochter (117), Besitzausdehnung, Verkäufe und Ankäufe wichtiger Regalien (120, 122, 123, 130) sowie der Umgang mh den Geistlichen (127, 129) und den Bauern (126). Genau derselben Struktur folgt der nächste Teilabschnitt (131-134), der das Leben des zweiten Onkels, Wilhelm Werner, bis zu dessen dritter Ehe imd seiner Beruñmg ans Reichskammergericht (1529) verfolgt. Die nächsten elf Kapitel bieten Varia (135-145), sie markieren einen Übergang zum 6. Abschnitt der Chronik und belegen, daß Proben in dieser Phase seiner Chronikarbeh bereits immer mehr einem Vollständigkeitsideal huldigt. So erzählt er jetzt nach Abschluß der Werdenberg-Fehde die Geschichte dieses Hauses (139-141) und bringt neben drei Schwankkapiteln noch einige separate Erzählungen aus dem Leben der Vatergeneration (135, 138, 142, 144f). Diese haben einen gemeinsamen thematischen Nenner, in ihnen werden Besitz- und Statusfragen abgehandeh - und zwar mit einer eindeutigen Tendenz: Schon die Kapitelüberschriften künden von den zahlreichen nachteiligen Verkäufen und Rechtsgeschäften Johann und Gottfried Werners, sie sind äußeres Signal flir eine Gesamtkomposition, die an dieser Stelle einen Tiefpunkt der Geschlechtsgeschichte vorgesehen hat und den Auftritt eines 'Erlösers' vorbereitet. Den neuen Anfang bringt das 146. Kapitel (6. Abschnitt), mit dem der Chronist zum Leben der eigenen Generation kommt. Proben will dezidiert keine Autobiographie im eigentlichen Sinn b i e t e n , v o n einigen bezeichnenden Fehlem abgesehen'"' spricht er von sich in der dritten Person und erweckt so den Eindruck einer Fremdbeobachtung des eigenen Lebens. Probens Name wird wie der seiner Brüder in den Kapitelüberschriften als Leitbegrifif eingesetzt, womit deutlich zum Ausdruck gebracht wird, daß eine neue Generation an die Stelle der alten tritt. Der Abschnitt beginnt mit den Erzählungen über die Jugend der drei Brüder Johann Christoph (145f), Proben Christoph (146f ) und Gottfried Christoph (148), das Schwergewicht liegt auf ihrer Erziehung und Ausbildimg in Frankreich. Der Bericht über den Frankreich-Aufenthalt zieht

Zur Autobiographie in Spätmittelalter und Früher Neuzeit vgl. PASCAL, Autobiographie; MOLLER, Autobiographie; BUCK, Biographie; VELTEN, Leben Vgl. dazu JENNY, Proben, S. 41-44.

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sich bis zum 155. Kapitel hin, wobei der Autor jedoch immer wieder einen Blick auf die gleichzeitigen Vorgänge in der Heimat wirft. Die nachfolgenden Kapitel bis zum Ende der Chronik folgen dann weitgehend einem chronologischen Prinzip, Ausnahmen bilden einzelne Exkurse etwa über die Reichsstadt Rottweil (156-158) und etliche Grafengeschlechter (z. B. 161, 168 etc.). Eingestreut sind exkurshafte Kapitel über die Eltemgeneration: So etwa widmet Proben seinem Vater noch ein einziges Kapitel anläßlich seines Todes (185), seinem Onkel Gottfried Werner bzw. dessen Gemahlin sieben (159, 186, 190, 198-199, 202-203) und Wilhelm Werner ebenfalls die gleiche Zahl (152, 163, 180-183, 191, 204). Am auffalligsten j e d o c h - allem von den Überschriften her - sind die zahlreichen Kapitel, die sich im Titel als Schwankkapitel ausweisen (149, 150, 164, 168, 179, 195-197). Wie in der gesamten Chronik erfüllen diese Schwankkapitel die Funktion eines chronologischen oder thematischen Übergangs. Da sie an Gelenkstellen in der Chronik eingesetzt werden, unterstreichen sie deutlich den strukturierenden Willen des Chronisten. Exkurs: Gattungsbegriffe"" in der Zimmerischen Chronik Proben hat sein Werk selbst nie mit dem heute geläufigen Begriff als Chronik bezeichnet: Pür ihren Autor ist sie historia,einmal auch commentarf] (1,175,27). Mit dem historia-Begáff"'' trifft Proben aber keine Aussage über einen spezifischen Darstellungsmodus. Dies zeigt sich schon bei einem ersten Blick in die 'Zimmerische Chronik', wo Proben etwa die 'Annales Bebenhusani'"" als historien (11,161,1) bezeichnet. Diese Schrift entspricht nach modernen Gattungskriterien einem atmalistischen Werk, da jeweils zu den einzelnen Jahreszahlen die geschichthch relevanten Ereignisse mitgeteih werden. Insofern karm auf die 'Zinunerische Chronik' auch nicht die bekaimte Definition übertragen werden, wonach der lateinische Begriff historia ein literarischer Gattungsbegriff ist, "mit dem historische Erzählwerke bezeichnet werden.'"" Was aber die Zuordnung des historia-BegtiSs und seiner deutschen Übersetzung geschickt in der 'Zimmerischen Chronik' vollkommen unübersichtlich macht, ist die Verwendung für jede Art von mündlicher oder schriftlicher Überlieferung: So steht historia in der 'Zimmerischen Chronik' selbst noch für Texte, die heute als Schwank, Anekdote, Gespenstergeschichte,"^ Biographie, Reisebericht etc. bezeichnet werden. Allenfalls lassen sich Präferenzen Probens erkennen: Pür lateinische Quellen verwendet er selten den Begriff historia, sondern bezeichnet sie mit dem Namen ihres Autors."' Soweit Zum Begriff 'Gattung' vgl. oben Anm. 93. Vgl. IV,32 Iff.; 331-334. Zur Begriffsgeschichte grundsätzlich KNAPE, Historie, bes. S. 389-394. Die 'Zimmerische Chronik' wird in seiner Untersuchung nicht erfaßt. KARL PF ÄFF (Hg), Annales in monasterii in Bebenhausen, Württembergische Jahrbücher (1855/Π), S. 172-190. " ' KNAPE, Problematik, S. 27. Historie oder geschickt mit dem Zusatz wunderbarlich (I,268,27f.) dient als Bezeichnung einer Gespenstergeschichte mit tödlichem Ausgang. Als Synonym dafür wird vom Autor auch die Bezeichnung abenteuerliche und erschrockenliche handlung (n,104,9f ) verwendet. Vgl. 1,18,32-21,13. Ein Beispiel dafür, daß Proben etwa die 'Annales' des Tacitus als histori bezeichnet, bietet 1,18,32.

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sich die Verwendung eines Namens eingebürgert hat, gilt dies auch für lateinische oder volkssprachige Chroniktexte, wogegen Frohen bei anonymen Werken wieder rundweg von histori imd geschickten spricht. Doch scheint der Chronist bereits selbst den vagen Gebrauch des /izi/ona-Begriffes als unzureichend empfunden zu haben, da er ihm meistens differenzierende Attribute beigibt, wie abenteuerliche, gute, lächerliche, seltsame etc. Als eine wunderbarliche historia firmiert die Geschichte um einen Schmeller von Ringingen (11,161,11-168,6), der für die Greueltaten, die er zu Lebzeiten seinen Untertanen zugefügt hat, durch nächtliche Wiedergängerei büßen muß. Proben verwendet hier noch einen anderen Begriff, wenn er diese Historie ainer tragedien vergleicht. Damit ist nicht die erst im 18. Jahrhundert gebräuchliche Gattungsbezeichnung fur ein Drama mit traurigem Ausgang und ungelöst bleibendem Konflikt gemeint, sondern bezeichnet werden die schrecklichen Umstände, die mit der Wiedergängerei des Schmellers verbunden sind.'" Eine guete historia (vgl. 11,269,15) schließlich meint eine Geschichte, deren moralisches Exempel allgemein hochzuachten ist, wogegen lecherliche historien (vgl. 11,491,28f.) Erzählungen sind, die nach modernen Gattungsbezeichnungen als Schwank gelten."' Doch unabhängig davon, ob bzw. mit welchem Attribut der historia-BegriS auch versehen ist - in einer Hinsicht haben alle historien eines gemeinsam: Der Chronist ist von ihrem Wahrheitsgehalt überzeugt bzw. möchte seine Zuhörer von der Authentizität des Berichteten überzeugen. Fürs erste bleibt damit festzuhaken, daß historia eine faktisch'" wahre Geschichte bezeichnet, jedoch keine Gattungsdistinktion beinhaltet; eine Differenzierung erfolgt nur ansatzweise in Verbindung mit entsprechenden Attributen. Wenn Proben den Begriff der historia auch für Ereignisse gebraucht, die er selbst kurz zuvor erzähh hat, darm ist die Nähe zum Kollektivabstraktum 'Geschichte' offenkundig. So steUt er - nachdem er die Urgeschichte des antiken Reitervolkes der Kimmerier erzählt hat - abschließend fest: Dises ist die erst histori der Cimberer [...] (1,2,16). Der Präzision der Verwendung des /iw/ona-Begriffs im Hinblick auf den Wahrheitsgehah einer Erzählung entspricht die Verwendung der Begriffe für 'poetische' Texte gedieht, sage,fabel, mörlin etc. Proben benutzt diese ausschließlich bei erdichteten Artefakten und grenzt sie apodiktisch gegenüber den 'wahren' Erzählungen ab. Dies zeigt sich etwa besonders deutlich an seiner Einstufimg der 'Melusine', von der Proben sagt, sie sei ursprünglich kain gedieht (IV, 146,16) gewesen, sondern erst nachträglich mit unwarhaflen zusetzen gemert worden, das es iezo bei unser zeiten alles fiir eitel und ain lauters fabelwerk geschetzt wurt (IV,146,18ff.). Da Proben ein Druck der 'Melusine' vorgelegen hat, lassen sich hier sowohl Lektüre wie auch Rezeption an einem Punkt gut nachvollziehen. Proben übernimmt aus der Vorrede Thürings die Stofftradition, nach der ein Franzose, der lateinische Bücher ausgewertet hatte, die 'Melusine' zu einem Versepos ausgestaltete und Thüring daraus eine Prosaübersetzung machte.'" Proben geht offenbar davon aus, es könne sich bei der lateinischen Vorlage keineswegs um eine Versfassung gehandelt haben und so kann er die Verfälschung der ursprünglichen Geschichte mit seinem 'Textbeweis' den Franzosen in die Schuhe

"" Vgl. DWB XXI, Sp. 1 1 5 5 , Mit FISCHER (Studien, S. 101, Anm. 16) verwende ich den Begriff 'Schwank' nicht allein als Gattungsterminus. Zur Begriffsproblematik vgl. auch STRASSNER, Schwank, S. 1-3. Vgl. hierzu KNAPE, Historie, S. 356-360. Proben bezeichnet aber auch eine erfiindene Ausrede als gedieht (11,429,21). Vgl. dazu Thüring von Ringoltingen, Melusine, S. 3fr.

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schieben (IV,146,13-20)."' Die traditionelle Gleichsetzung von Versgattung und Unglaubwürdigkeit ist hier nach wie vor in Geltung, sie orientiert sich auch weiterhin an der vom Autor und Auftraggeber der 'Melusine' ausgehenden Vorstellung, es handele sich dabei um res factae}'^" Mit der pejorativen Begrifflichkeit ist freilich keine generelle Ablehnung von Gedichten signalisiert. Im Gegenteil: Anläßlich der Beschreibung der Erziehung und Ausbildung Johaim Werners d. Ä. wird insbesondere neben dessen Kenntnissen in den einzelnen Wissenschaftsdisziplinen und in beiderlei Rechten dessen poetische und künstlerische Neigung gewürdigt. Proben hebt dabei besonders hervor, daß Johann Werner in der Lage war, mit anderen Adligen gerimpte missive[] zu wechsehi (1,423,10) und generell in den gereumpten gedickten und Schriften [...'\fürbindig gewesen sei (1,423,8).'^' Diese literarische Kommunikationsform belegt den hohen Stellenwert, den poetische Fähigkeiten im Adel hatten. Ein großes Lob hat Proben auch für die dichterischen Unternehmungen seines Onkels Gottfried Werner übrig (IV,213,10-19),'" wobei wiederum vermerkt wird, daß derartige Kunst in so hohem Ansehen stehe, daß sogar die pottentaten mit umbgangen seien (IV,213,13f). Dies letzte Beispiel mag als Beweis dafür genügen, daß für Proben Dichtung als solche nicht minderen Wert besitzt. So schreibt er über die poetischen Unternehmungen seines Onkels Gottfried Werner, er habe alle moralia so weislichen angezogen, daß dies von den nachkommen des zimberischen geschlechts zu ainer 1er und underweisung verwendet werden solle (rV,213, 17f ). Die Relevanz der res factae, so sieht man hier erneut, steht demnach gleichberechtigt neben der der moralia, und der Vers - in der Geschichtsschreibung wegen angeblicher 'Lügenhaftigkeit' verpönt - hat im Bereich der Didaxe durchaus eine Lizenz. Neben den historien beschreibt der Chronist noch eine zweite Gruppe von Texten, die bei ihm aufgrund ihrer Glaubwürdigkeit im selben Ansehen stehen: die briefe oder missiven. Der Grund fur diese Wertschätzung liegt auf der Hand: brief meint in den meisten Fällen nicht schriftliche Mitteilungen, sondern ist Synonym für Verträge, Lehens- und Gnmdbesitzübertragungen und sonstige rechtsgültige Abreden.'" Dementsprechend wird meistens über den Verlust von briefen geklagt, wobei der Chronist sogar so weit geht, hier Nützlichkeitserwägungen zugunsten einer historischen Wahrheit und Vollständigkeit zurückzustellen. An deren Stimmigkeit wird in der Regel auch nicht gezweifelt, sofern nicht die 'Quellenkritik' triftige Gründe nahelegt. Proben gibt nicht zu erkennen, weswegen er diesen briefen solche Dignität zuordnet. Offenbar braucht er darüber kein Wort zu verlieren, da dies stillschweigend vorausgesetzt werden kaim: Urkunden werden meist von beiden Vertragspartnern unterzeichnet, von Zeugen beglaubigt, in doppelter oder mehrfacher Ausfertigung erstellt, von jeder Partei ins Pamilienarchiv niedergelegt und gelegentlich in einem neutralen Archiv (z. B. Reichsstadt, Kloster etc.) verwahrt. Demnach ist für Proben die Frage der Überlieferung einer Nachricht auch ein wichtiger Hinweis auf ihre Glaubwürdigkeit.

So schreibt Proben über die 'Melusine': [...] wiewol es an im selben kain gedieht, im grund aber ist hinach von den verlognen Franzosen [. . .] gebessert [. . .] worden (IV, 146,16-19). MÜLLER, Melusine, S. 54. Zu Johann Werner d. Ä. vgl. PRFFIDER SCHANZE, Art. Johann Werner von Zimmern in: ^VL 4

(1983), Sp. 813ff. Vgl. dazu unten S. 335. DWB Π, Sp. 379.

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Die Verwendung der Gattimgsbegrifie in der Chronik trägt nichts zur Lösung der Frage bei, was der Chronist selbst als wahr oder falsch einschätzte. Denn dafür wird der gei/ic/iZ-Begriff einfach zu selten und der Λζί/οπα-BegrifiF zu undifferenziert und zudem auch für Geschichten, die nicht einmal einer Wahrscheinlichkeitsanforderung entsprechen, gebraucht.

5.3. Das Herkommen der Zimmern'" 5.3.1. Chronik im Zeichen der humanistischen Historiographie: Die Kimbemableitung Wer in der Mitte des 16. Jahrhunderts ein Herkommen'" fur ein Geschlecht verfassen wollte, mußte sehr unterschiedlichen Anforderungen genügen: Die Darstellung hatte sich an der aktuellen humanistischen Diskussion über die Herkunft des deutschen Adels zu orientieren, sie durfte den publizierten antiken Quellen nicht widersprechen, sollte Rücksicht auf andere Adelsgeschlechter nehmen, den eigenen Ursprungsmythos möglichst glaubhaft konstruieren, und vor allem dem Hauptzweck jeder genealogischen Arbeit, den gegenwärtigen Stand und das Ansehen einer Dynastie aus seiner glorreichen Vergangenheit zu begründen, dienen. Der Spielraum für den Chronisten war also denkbar eng. Es läßt sich nicht mehr sicher rekonstruieren, von wem die Idee stammte, aus der etymologischen Nähe von Zimmern und dem germanischen Volksstamm der Kimbern'^' auf eine unmittelbare Filiation zu schließen, aber Proben, der die Kimbemdeduktion bereits in seinem 1540 verfaßten 'Liber rerum Cimbriacarum"" referiert, nennt den Juristen und Historiker Caspar Baldung'^'

1. Chronikabschnitt: Kap. 1-7; zur Gliederung siehe oben S. 148. Zur Funktion des Herkommens und zur Erinnerungskultur vgl. MÜLLER, Gedechtnus, bes. S. 80-95; GRAF, Geschichten, S. 115-128; ASSMANN, Gedächtnis, S. 18-25,138-144. Zur Geschichte der Kimbern vgl. З с н м ш т , Geschichte, S. 3-21. Der vollständige Titel nach der Abschrift des Andreas Rüttel (Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, Hs. 48p) lautet: 'Christophori Frobenii comitiis ex Cimbricis et Vildoduri rerem Cimbriacarum Liber ad familiae suae Liberatorem'. Bei Limnaeus (S. 526) findet sich anstatt Cimbricis Cymbris. Zur Kimbernableitung siehe f. V-l". Bereits JENNY hat nachgewiesen (JENNY, Proben, S. 179Í), daß Wilhelm Werner schon in den 30er Jahren mit Baidung im gelehrten Austausch über die Zimmemherkunft stand. Baidung selbst gehörte zu jenen humanistisch gebildeten Genealogiespezialisten, an die sich interessierte Adlige wenden konnten, falls sie die eigene Abstammung erschließen oder sich selbst ein Herkommen anfertigen lassen wollten. Sein Renommee war so groß, daß andere Humanisten aus seinen Werken abschrieben, wie etwa der Colmarer Schultheiß Hieronymus Boner, der in seiner schon 1534 erschienenen und Wilhelm Werner gewidmeten Plutarchauswahl die Abkunft der Zimmern von den germanischen Kimbern erwähnt und Baidung als den Urheber und Gewährsmann dieser These nennt (Vgl. JENNY, Proben, S. 180). In seiner OrosiusÜbersetzung übertrug Boner Cimbri et Tuetones mit Zimbrischen und Teutschen (vgl. dazu BORCHARDT, Antiquity, S. 185). Boner übersetzte aus Plutrach die Viten des Alexander, Caesar, Marius, Pjörhus, Demetrius, Antonius, Phokions und des Cato Uticensis (Druck: Augsburg 1534; vgl. dazu WORSTBROCK, Antikerezeption, S. 117, Nr. 297). Möglicherweise bediente sich Proben bei der Darstellung der Kimbemkriege Boners Übersetzung.

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als den Urheber. Die Verbindung zu dem Genealogiespezialisten Baidung'" dürfte durch Frobens Onkel, Wilhelm Werner, zustande gekommen sein, der zur gleichen Zeit am Reichskammergericht war''° und selbst an historischen Schriften arbeitete.'" Den entscheidenden Anstoß für die pseudoetymologische Herleitung des Namens Zimmern lieferte Baidung offenbar Plutarchs 'Vita' des Gaius Marius,'" des Siegers über die Kimbern. Frohen gab sich aber mit dieser Quelle nicht zufiieden, sondern suchte noch nach früheren Zeugnissen der Geschlechtsgeschichte, die er dann bei Strabon und Herodot fand.'" Damit konnte er die Geschlechtsgeschichte bis in die Zeiten der zweiten indogermanischen Völkerwanderung zurückverlegen. Denn bei Strabon treten die Kimbern eben nicht erst - wie bei den späteren lateinischen Autoren"" - mit der Schlacht von Noreia in die Geschichte ein, sondern Strabon, der sich hier auf Poseidonius beruft, setzt diesen Volksstamm mit den Kimmeriem gleich.'" Diese fehlerhafte Identifizienmg'" war fur Froben besonders wertvoll, mit ihr gewann die Kimbem-Zimmem-Theorie eine zusätzliche Tiefenwirkimg. Denn die Herleitung des Geschlechts von einem Volksstamm, der erst um 120 v. Chr. in der Geschichte auftaucht, verschaffte gegenüber Adelsgeschlechtem, die sich auf älteste römisch-republikanische oder gar griechische Geschlechter berufen,'" keine Vorteile. Hingegen ließ sich mit der Anbindimg an die Kimmerier, die

Baidung verfaßte für die Grafen von Eberstein ein solches Herkommen (KRŒG VON HOCHFELDEN, Geschichte, S. 304F, ANM. 18; vgl. HEYD, Handschriften Π, Nr. 70, S. 27; SEIGEL, Geschichtsschreibung, S. 95. Vgl. dazu JENNY, Froben, S. 36. ' ' ' Wilhelm Werners Hauptwerk war die fünfbändige 'Chronik von dem Erzstifte Mainz und dessen Suffraganbistümem', die eine Sammlung von 13 Bistumschroniken darstellt. Vgl. Zimmern, Würzburger Bischofschronik, S. 6 i Zur Überlieferungssituation der Chronik vgl. STANELLE, Bischofschronik, zur literarischen Tätigkeit Wilhelm Werners unten S. 396ff. Plutarch, Vitae parallelae, Marius. Vgl. dazu auch oben Anm. 128. Froben erwähnt beide Autoren in seiner Literaturliste (IV,337). In der zimmerischen Bibliothek befanden sich laut Ramingens Katalog zwei Ausgaben von Strabons 'Geographia' (Basel 1549 und Basel 1557; Wien, ÖNB, Cod. 12595, f 17'und 9^0. Der Hinweis auf Strabon als Quelle für das Kimbemkapitel gehört zu den wenigen expliziten Quellenbelegen in der Chronik (1,2,3). Von Herodot besaßen die Zimmern eine mit Erläuterungen des Laurentio Valla versehene Ausgabe (Köln 1527; Wien, ÖNB, Cod. 12595, f 16^. Froben verweist explizit darauf, daß bei den Römern diese Geschichte in Vergessenheit geraten sei (I,2,20ff.). Strabon Vn,2. Vgl. auch die Ausgabe: Strabon, Geographicarum, Basileae 1539, S. 195-197. Zu den historischen Kimmeriem, einem iranisch-thrakischen Reitervolk, vgl. HEINZ KOTHE, Die Herkunft der kimmerischen Reiter, Klio 41 (1963), S. 5-37. Die lateinische Obersetzung der 'Γεώγραφια' liegt bereits seit ca. 1471 vor, die griechische Ausgabe wurde bei Aldus Manutius 1516 in Venedig gedruckt. Insofern hätte die Fragwürdigkeit der Kimmerier-Kimbem-Theorie auch Baldung bekannt sein können. Verwertet wurde Strabon auch von Naucler in seiner 'Weltchronik' (f 1 d i e Froben nach seinen eigenen Angaben benutzte. Zur Funktion der Behauptung einer römischen Herkunft bei den Habsburgem vgl. LHOTSKV, Apis, S. 181.

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GescMechtsgeschichte bis zu den Zeiten Homers zurückverlegen,'" und damit in die Nähe der Trojanerabstaimnung der Habsburger. Nachdem sich Baidung offenbar auf Plutarch beschränkt hat, war die weitergehende Sukzession Kimmerier - Kimbern - Zimmern ein genuines Ergebnis eigener 'Hausforschung'.'" Proben bezog damit Stellung in einer Diskussion, welche am Ende des 15. Jahrhimderts von den deutschen Humanisten eröffiiet worden war, als man sich im Zuge einer 'nationalen' Bewußtwerdung auf die vorchristliche Herkunft der Deutschen besann und anhand der antiken Schriftsteller die Geschichte der deutschen Stämme zurückzuverfolgen suchte.''"' Hier liegt einer der Gründe für die allmähliche Abkehr von stadtrömischen Ursprüngen. Ivo Wittich etwa las in Leipzig über die deutschen gentes, wobei er die Flamländer als die Nachfahren der Kimbern ansah."" Wittich ging dabei von den antiken Wohnstätten der Kimbern, wie sie die griechisch-römischen Autoren erwähnt haben, aus und behauptete, daß trotz der Kimbemzüge, immer Angehörige dieses Volksstamms an ihrem alten Siedlungsplatz geblieben seien. Angesichts solcher Konstruktionen ist die pseudoetymologische Ableitung Baidungs bzw. Wilhelm Werners für das zimmerische Geschlecht gar nicht ungewöhnlich. Der Grundfehler dieser Ableitung scheint keinem der beiden Historiker aufgefallen zu sein: Von den Römern wurde с stets wie Guttural к und erst seit dem 6. Jahrhundert vor e, i, y, ae und oe wie ζ gesprochen. Überraschenderweise reflektiert dies auch Proben nicht, obwohl ihm der Unterschied zwischen dem с der lateinischen Sprache und dem deutschen ζ durchaus eine Erläuterung wert ist. Diese findet sich erst am Ende der gesamten Deduktion, als der Chronist die Abstammung von den Kimbern gegen den Einwand der verschiedenartigen Schreibung der Anfangskonsonanten in den lateinischen und deutschen Quellen abzusichern versucht (I,41,7ff.). Die Gültigkeit seiner Abstammungstheorie wollte Proben damit nicht gefährden, vielmehr reagierte er mit dieser Argumentation auf eine bei den humanistischen Genealogen üblich gewordene Gepflogenheit, mittels eines Vergleichs alternativer Theorien den Nachweis von Wissenschaftlichkeit zu fuhren.

Strabon (1,2,9 und 1,1,10) beruft sich in der 'Geographia' auf Homer. Dessen 'Odyssee', auf die sich Strabon hier stützen dürfte (X,81-86 und Xl,15i,19), lag bereits seit 1537 in einer deutschen Übersetzung (S. Schaidenreisser, Augsburg) vor (vgl. WORSTBROCK, Antikerezeption, S. 78, Nr. 202). ' " Wenn Proben sein Geschlecht von den Kimmeriem ableitet, dann hat auch er wie die Habsburger die direkte Anlehnung an Noah vollzogen, denn die Kimmerier (Gomer) befinden sich auf der Völkertafel der Genesis. Vgl. dazu BoRST, Turmbau 1, S. 120ff. Vgl. dazu FRANZ JOSEF WORSTBROCK, Zur Einbürgerung der Übersetzung antiker Autoren im deutschen Humanismus, ZfdA 99 (1970), S. 45-81, hier S. 45ff. und ders., Selbstverständnis, bes. S. 500-507. '•" BAUCH, Frühhumanismus, S. 7. Dieses Verfahren findet sich bereits bei der Auseinandersetzung Mennels und Stabius' über d i e H a b s b u r g e r g e n e a l o g i e . Vgl. d a z u LASCfflTZER, G e n e a l o g i e , S. 2 0 - 3 1 .

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Die Art, wie Proben die spärlichen Angaben Strabons, für seine erst histori der Cimberer (1,2,16) instrumentalisiert, zeigt im Kem sein historischliterarisches Verfahren. Er beginnt suggestiv mit der repräsentativen Einführung der Kimbern als ein mechtigs, streitbars und sighafis volk (1,1,4f.), welches im Jahre 1905 v. Chr. seine Wohnsitze verlassen und im Verlauf seiner Wanderung mechtige königreich und lender eingenomen (I,l,6f) habe. Eine Behauptung, die so nicht bei Strabon'"' oder Herodot'"" steht. Proben hat hier vielmehr zwei verschiedene Textpassagen aus Strabon vermischt. Die Datierung erschließt er aus einer Stelle im 1. Buch,"" wo Strabon die Kimmerier in die zeitliche Nähe Homers rückt. Die räumliche Fixierung leitet Proben aus einer Homerkritik Strabons ab, der sich gegen dessen mythologische Verlegung des ursprünglichen Wohnsitzes der Kimmerier nach Westen zum Eingang des Hades wendet"' und deren Herkunft in den Norden verlegt. Proben benutzt die vage Angabe Strabons, um nun selbst die Herkunft der Kimmerier {diser zeit Hollstain und Schleswig genannt-, I,l,12f) zu lokalisieren. Ebenso pseudopräzis ist die Datierung des kimmerierischen Exodus auf das Jahr 1905 v. Chr. Die Informationen aus beiden Strabon-Passagen verbindet Proben zusätzlich mit den wenigen Informationen bei Herodot'"' und gibt den Pakten einen erzählerischen Rahmen, so daß eine stringente Kurzerzählung entsteht, die mit dem Auszug der cimberer beginnt und mit ihrer Rückkehr zu ihren ehemaligen Wohnstätten endet. Preilich geht die narrative Stringenz auf Kosten der historischen Glaubwürdigkeit, denn Proben unterschlägt Strabons Hinweis darauf, daß es sich bei der Identifizierung von Kimmeriem und Kimbern um eine Konjektur des Poseidonius handeh.'·" Allerdings scheint er der Beweiskraft seiner Quellen selbst nicht ganz zu trauen, denn das stärkste Gewicht hat für ihn der onomastische Beweis. Probens Methode der Quellenverwertung läßt sich als höchst subtile Konstruktion von Vergangenheit charakterisieren: Daten, die von antiken Quellen bestätigt woirden, werden so mit reinen Geschichtsfiktionen vermischt, daß die seriösen Quellen die Wahrheit des Ganzen sichern. Dabei werden die Quellen selektiv ausgewertet, Kritisches unterdrückt. Vage Hinweise - wie etwa auf die Herkunft der Kimmerier aus dem Norden - dienen zu weitreichenden Konstruktionen, die sich an folgenden Kriterien orientieren. Sie sollen widerspruchsfrei sein, narrativ konsistent und vor allem Denkmuster enthalten, die dem Publikum vertraut sind. So entspricht es der AUtagserfahrung, daß ge"" Strabon 1,1,10; 1,2,9. Vor dem Hintergrund von Herodots Bericht (1,6), wird Frobens großzügiger Umgang mit seinen Quellen sichtbar. Herodot erwähnt nämlich ausdrücklich, daß es sich bei den Heerfahrten der Kimmerier nicht um Eroberungen, sondern nur um Raubzüge gehandelt hat. Diese negative Komponente verschweigt Proben seinen Lesern. Strabon 1,1,10. Vgl. dazu Strabon 1,2,9. "" Vgl. dazu Herodot 1,6; 1,16; I V , n - 1 4 ; I V , 2 8 . Strabon Vn,2,l.

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scMagene Heere in die Heimat zurückkehren - genauso wie die Kimmerier nach ihren Niederlagen in Юе1па51еп wieder nach Schleswig-Holstein zurückgekehrt seien und dies Jahrhimderte später nach ihrer Niederlage von Vercelli emeut tun werden. Die zirkulären Züge der Kimmerier/Kimbem fußen auf anthropologischen Mustern und gelten daher als authentisch - freilich ist nicht zu übersehen, daß auch Frobens Beweisführung selbst zirkulär ist. Mit diesem Verfahren wird auch die Plausibilität einer weiteren Passage gesichert, in welcher Proben den Auszug der Kimmerier aus ihrer Heimat begründet: demnach sie in ain große macht erwachsen, ist ain aufruor und bürgerlicher krieg under inen, wie gewonlichen beschicht, so ain reich am höchsten schwebt, entstanden, derhalben ain große und streitbare anzall volks sambt irem könig Liddamio ire angebornne wonungen verlassen, newe länder zu erobern. (1,1,19-24)

Das Motiv der Zwietracht auf dem Höhepunkt der Macht weist voraus auf ein Leitthema der gesamten zimmerischen Geschichte. Wie die Kimmerier werden die Zimmern immer dann uneins, wenn sie bedeutende Erfolge errungen haben. Der aktuelle Bezug dieses geschichtlichen Musters liegt auf der Hand: Frobens Vater hatte sich mit seinen Brüdern völlig überworfen, und auch Proben stritt mit seinen eigenen Brüdern wegen der Erbschaft. Insofern warnte er mit der Geschichte der Kimmerier seine Familienmitglieder davor, die um 1565 errungene Macht durch Uneinigkeit zu gefährden. Was daraus folgt, demonstriert Proben anhand der weiteren Geschichte der Kimmerier: Aus der Heimat vertrieben, köimen die 'Rebellen' zwar neue Siedlungsgebiete erobern, sie rufen damit aber Gegengewalt hervor, der sie schließlich unterliegen und dabei alles, insbesondere die von ihnen errichtete Stadt Cymericum, verlieren (1,2,8f). Nach modernen Maßstäben ist die ganze Erzählung Fiktion, ihre Quellenbasis ist lediglich die kurze Nachricht bei Herodot über die Niederlage der Kimmerier gegen den Lydierkönig Ardys."" Die dramatische Ausgestaltung des Geschehens hat ihre Funktion darin, die Ambivalenz gewaltsamer Expansion zu demonstrieren'^" und damit rezeptionsästhetisch den Grundstein für die Entwicklung effektiverer Formen der Machterweiterung zu legen. Auch ein weiterer Aspekt von Frobens Kimmeriergeschichte, die gewaltsame Aneignung fremden Gebiets ohne jede Rechtsgrundlage, ist direkt auf die Situation des 16. Jahrhunderts hin entworfen, geht es doch um die Legitimität Proben verwechselt hier die beiden Lydierkönige Ardys und Alyattes. Vgl. Herodot 1,6. "" Die humanistische Diskussion über das Wesen der Geschichte und der 'Wahrheit' sowie über die Funktion der Rhetorik für die Geschichtswissenschaft hat im 16. Jahrhundert eine Vielzahl geschichtstheoretischer Texte hervorgebracht. Zu den wichtigsten Werken vgl. KESSLER, Theoretiker (S. 7-57) und bes. die bio-bibliographischen Skizzen (S. 48-57). Einen ersten Zugang zu der komplexen Materie, die hier nicht vorgestellt werden kann, findet sich in: STEPHAN OTTO (Hg.), Renaissance und frühe Neuzeit (Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung 3), Stuttgart 1984, S. 192-203 und S. 250-259.

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von Gebietserweiterungen. Die Logik der Darstellung, die unmittelbare Verbindung von Aufstieg und Niedergang, deutet an, daß gewaltsame Eroberungen keinen Bestand haben. Positive Identifikationsmodelle sind in der Kimmeriergeschichte gleichfalls enthalten: Da ist einmal das Motiv der Heimattreue, das weder bei Strabon noch bei Herodot zu finden ist, sowie der Mythos einer 'Unverwüstlichkeit' der Kimmerier und Kimbern, die in den Zimmern weiterlebt und ihren Ursprung in ihrer Heimatverbundenheit hat. Daraus ergibt sich fìir die Zimmern die Gewißheit, daß die erinnerte Geschichte eine nicht zu unterbrechenden continuatio des Geschlechts verbürgt. Trotz des Fehlens weiterer Nachrichten über das Schicksal der Kimmerier macht Proben nicht von der Möglichkeit Gebrauch, dieses erzählerisch fi-ei auszugestalten. Vielmehr gibt er sich bei der Frage nach deren weiterem Geschick darm überraschenderweise als kritischer, der Wissenschaft verpflichteter Humanist, indem er die Quellenlücke seinem Leser e i n g e s t e h t . W i e verhält sich eine solche Genauigkeit zu den historischen Fabulierereien (1,1,10-13 und 1,1,19-24) im selben Abschnitt? Das Verfahren Frobens läßt sich leicht erschließen. Alle mit Strabon und Herodot belegbaren Passagen nimmt er als geschichtliche res factae in die Chronik auf, erweitert sie aber um rein fiktive, aber exakte geographische Angaben und verschafft ihnen Realitätsmächtigkeit durch die Einfügung von Handlungsmotivationen und -deutungen. Die enge Verñechtung von historischer Quelle und eigener Zutat erzeugt den Eindruck der Authentizität des Ganzen, vor allem aber erscheinen Frobens Deutungen durch die Autorität der Quellen abgesichert. Die jeweiligen Ergänzungen sind dabei zwei Prinzipien unterworfen: Sie dürfen nicht in Widerspruch zu den benutzten Quellen stehen und müssen in sich stimmig sein. In der Rolle des kritischen Historikers tritt Froben hingegen dann auf, wenn eine Geschichtskonstruktion mangels Quellen überhaupt keine Basis hat.''^ Die Geschichte der Kimbern entspricht in ihrem Aufbau der vorhergehenden über die Kimmerier: Auf den Exodus aus ihren Siedlungsgebieten im Norden folgt die Niederlage gegen die Römer und die Rückkehr in ihre Heimat. Trotz erheblicher Widerstände erweisen sich die Kimbern auf ihrem Weg durch Europa als kampfstark und widerstandsfähig. Die historischen Forschungen,

' " 1,2,18-27 : (Vas sie aber volgends gehandelt, biß ungevärlich auf ain hundert und zwainzig jar vor Christi unsers herren gepurt, ist von länge wegen der zeit, auch das sie vor gemelten jarn den Römern unbekant, villeucht verloren oder aber unverzaichnet in ain vergess komen, und ist zu vermuoten, das sie in ir vatterlandt, den cimbrischen Chersonesum, darauß sie dann vormals in ainer aufruor, wie abgehört, verjagt worden, wider komen seien oder zum wenigisten ain landtschaft, nit weit davon gelegen, darinen sie sich nidergelassen, eingenomen haben. Implizit ist hier bereits die für die Chronik zentrale Forderung nach der Aufzeichnung der Geschichte enthalten, da die Taten der Vorfahren sonst vergessen werden. Bezeichnenderweise nimmt Froben auch in dieser kritisch reflektierenden Passage die Konstruktionen aus dem vorhergegangenen Teil wieder auf und wiederholt sie jetzt bestätigend als gesicherte res factae: So etwa, wenn er den aufruor, wegen dessen ein Teil der Cimbri ihre Heimat verlassen hat, an dieser Stelle nochmals erwähnt.

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die der Autor für die Rekonstruktion und Darstellung der Kimbem-Geschichte betrieben hat, beruhen auf mehr Quellen als bei der ersten histori. So benutzt Proben (1,5,18-7,12) jetzt Orosius, Floras, Valerius Maximus und Plutarch.'" Probens Auswertung der antiken Autoren ist aufschlußreich für seine Intention. So fällt gleich zu Beginn auf, daß er die Gründe fur den Aufbruch der Kimbern aus ihrer schleswig-holsteinischen Heimat zwar Strabon entnimmt, jedoch die Aussage seiner Quelle nahezu in ihr Gegenteil verkehrt. Denn während Strabon die von anderen Historikern wie Artemidor von Ephesus vertretene These,"" die Kimbern hätten ihre Heünat wegen einer verheerenden Plutwelle verlassen, nach sorgfältiger Überlegung als unglaubwürdig zurückweist, weil dieses Volk auch noch zu Zeiten des Augustus dort wohnen würde, und Küstenbewohner um die Seltenheit außergewöhnlicher Plutwellen wüßten,'" übernimmt Proben die widerlegte Behauptung als wahrhafte res factae in seine Chronik. Das Motiv fur diese Verfälschung der Quellenaussage liegt wiederum in der Erzählstrategie des Autors, der eine gleichermaßen einleuchtende Handlungsmotivierung wie eme das Ansehen der Cimbri nicht schädigende Deutung der Ereignisse erreichen will. Wenn die Geschichte der Kimbern seinen Vorbildcharakter für das eigene Geschlecht behalten soll, dürfen die 'Ahnen' nicht aus Raub- oder Machtgier ihre Heimat verlassen haben, vielmehr muß der Exodus als unabwendbare Notwendigkeit erscheinen. Vor dem Hintergrund einer existentiellen Bedrohung scheinen selbst die Plünderungen auf dem Zug durch Mittel- und Südeuropa - der in seinem räumlich-zeitlichen Ablauf nach Strabon geschildert wird - als gerechtfertigt. Die Schuld wird den Römern zugeschoben, die den Kimbern alles ir begern und freuntlichs ansuochen (I,3,24f ) auf Zuweisung von Siedlungsplätzen abschlägig beschieden hätten. Ziel der moralisierenden Argumentation'^ ist eine Strukturanalogie zwischen dem Verhalten der Kimbern und der Zimmern im Umgang mit einer Zentralgewalt, das Verhalten der angeblichen Vorfahren wird als Prädestination fur die Haltung der Zimmern in den Konflikten des 16. Jahrhimderts ausgegeben: Kimbern und Zimmern verhalten sich stets loyal gegenüber den Landesherren und greifen nur in legitimer Notwehr zum Schwert. Entsprechend seiner methodischen Prämisse einer umfassenden Ursachenbeschreibung nennt Proben aber auch für das intransigente Verhalten der Römer ein Motiv. Dies entspricht jenem, das er als Grund för den Niedergang der Kimmerier genannt hat: Die Römer seien

Orosius V,16 (ed. princ. Augsburg 1471, dt. Übers, von H. Boner, Kolmar 1539); Florus 1,38,1 Iff., 16ÍF. (ed. princ. Paris ca. 1470; dt. Übers, v. H. v. Eppendorf, Straßburg 1536); Valerius Maximus V,8.4 (ed. princ. Straßburg 1470, dt. Übers. Straßburg 1533); Plutarch, Vitae paralellae, Marius 23,25-27. Zu den Übersetzungen vgl. WORSTBROCK, Antikerezeption. " " SCHMTOT, G e s c h i c h t e , S . 4 f .

Strabon V n , 2 , l . WHITE, Bedeutung, S. 37. Nach WMIE ist die Moralisierung des Geschehens der entscheidende ünterschied zwischen erzählter Geschichte und einer modernen 'objektiven' historischen Darstellung.

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dozumal under in selbs unainig und misshältig (1,3,23f.) gewesen.'" Mit diesem geschichtlichen Quidproquo fuhrt Frohen erneut seinem eigenen Geschlecht die Vergangenheit als lebendigen Beweis für die negativen Folgen von Zwietracht warnend vor Augen."' In der Schilderung des Verhaltens der Kimbern in der Schlacht selbst hebt Froben zwei Aspekte hervor, die seiner eigenen Vorstellung von adliger Ritterlichkeit entsprochen haben dürften: Die Kimbern sind unvergleichlich tapfer, ihr Kampfinotiv ist ausschließlich das Überleben ihres Volkes, materielle oder politische Ziele verfolgen sie nicht. Damit wird die Geschichte der Kimbern instrumentalisiert, um fur die Konflikte der Gegenwart die moralische Integrität der Zimmern zu suggerieren. Selbst der Niederlage der Kimbern gewinnt Froben eine politische Erkenntnis ab: Der Sieger Marius wird mit seinem fürbeträchtigclichfen] Verhalten (1,4,39) als Vorbild für den Adel vereinnahmt, spiegelbildlich konterkariert seine Vernunft die Desorganisation des römischen Staates. Freilich sind die Fähigkeiten des Marius nicht der einzige Grund für die Niederlage der Kimbern, vielmehr hat - und der römische Feldherr erkennt dies und verhäh sich entsprechend dilatorisch - deren Aggressivität, ihr griemen, im südlichen Klima stark nachgelassen (1,5,2-4).'" Wie die Wiederholung dieses Arguments nur wenige Zeilen später (1,5,24-35) belegt, ist Verweichlichung und Müßiggang ein zentraler Begriff für Frobens Geschichts- und Menschenbild. Methodisch verfährt er dialektisch: Aggressivität und Verweichlichimg sind die beiden Gegenpole, zwischen denen der richtige Weg der Selbstbehauptung liegt. Das Scheitern der Kimbern wird insofern als zweifache Negativfolie für eine erfolgreiche dynastische Politik entwickelt. Die in den römischen Quellen hervorgehobene Selbsttötung der kimbrischen Frauen und Fürsten angesichts der drohenden Niederlage erhält bei Froben eine besondere Nuance."" Der Kollektivselbstmord wird begründet mit dem Hinweis, sie hätten auf diese Weise unerliche dienstbarkeit und schandtliche sachen vermeiden wollen. Der Bericht der antiken Schriftsteller, wonach die Frauen zunächst um Aufiiahme unter die Vestalinnen gebeten haben sollen, hätte den hohen moralischen Anspruch unterlaufen und wird deswegen von Froben nicht erwähnt. Anstelle einer Bitte um Schonung läßt Froben die Frauen mit einem trotz der Niederlage ungebrochenem Selbstbewußtsein freien Diese Erklärung ist direkt aus Orosius V,16,l entnommen. Freilich steht sie dort nicht im Kontext einer römischen Absage an die Kimbern, sondern als Erklärung für die römische Niederlage bei Arausio (Orange) am 6.10.105 v. Chr. Solche entstanden vor allem bei Erbschaftsauseinandersetzungen. Da Froben sowohl seinen Vater wie auch seinen Onkel beerbte, mußte er sich mit seinen beiden Brüdern vergleichen. Vgl. dazu die entsprechenden Stellen bei Plutarch, Vitae parallelae, Marius; Floras 1,38,8; Orosius V,16,10. Der Abschnitt wird zunächst eingeleitet mit einer nochmaligen Bestätigung jener KimbemZimmem-Herleitung, der dann die Aufzählung der von den Römern gefangenen kimbrischen Heerführer folgt. Froben überträgt hier die von den antiken Schriftstellern vermeintlich ins Lateinische übertragenen Namen ins Deutsche zurück (1,6,8-11).

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Ab2xig fordern (1,6,25-30). Damit ist ein möglicher Makel, wonach die Frauen der Kimbern eine 'ehrenvolle' Gefangenschaft bei den Römern ertragen hätten, weggefallen. Die Kimbern erscheinen so im ungetrübten Licht ihres selbst in der Niederlage ungebrochenen Stolzes und als Vertreter des Prinzips eines 'Alles oder Nichts'. Für Froben sind die antiken Quellen ein Steinbruch, aus dem er sich bedient, um neben der Abstammung auch den sozialen Status seines Geschlechts historisch zu begründen. Dabei scheut er sich auch nicht, an sekundäre Merkmale weitreichende Konstruktionen anzuschließen: Das aber die raisigen Cimbrischen, wie gehört, ir hauptharnasch mit flügeln und thierköpfen gezieret, gibt nit ain ciaine vermuotung, sondern gar nach ain unablainig argument, sie haben ain treffenlichen adel under inen gehabt, under welchen sonder zweifei der sitt gewesen, das ain ieder vom adel sein helmclainat auf dem hauptharnasch hab gefiiert, wie dann vil hundert jar hernach allain in tumiern dasselbig im brauch beliben. (1,6,31-38)

Als Beleg fur diese statusqualifizierende Funktion der Helmzier dienen Froben angebliche Abbildungen kaiserlicher und fìirstUcher Rüstungen (1,6,38-7,1) sowie eine Tacitusstelle, in der Schildbemalungen bei den Germanen zwar erwähnt werden,'" jedoch keine statusdifferenzierende Bedeutung haben. Froben kermzeichnet seine These von der Existenz eines kimbrischen Adels deutlich als Spekulation, indessen läßt die Text-Bild-Beziehung in diesem Abschnitt iur den Leser keinen anderen Schluß zu, als daß schon die ersten Zimmern zweifelsfrei zum Adel gehörten: Auf der Miniatur des sagenhaften Stammvaters Lusso (Hs. B, S. 29)'" prangt überdimensional der zimmerische Löwe auf Lanzenfahne, Schild und Kleidung. Im 2. Kapitel muß Froben den wichtigen Übergang von der kimbrischen Niederlage zur Ansiedlung der Überlebenden am Neckar bewältigen. Der Chronist ist hier vollkommen auf seine eigene Phantasie verwiesen, da die antiken Autoren über das weitere Schicksal der Kimbern nichts Näheres berichten. Nach Froben sind es nur einige wenige, die die zimbrische herzogen [!] oder hörfierer (I,9,2f.) sammehi und über die Alpen bringen, aber diese gelangen unbehelligt bis in den südöstlichen Schwarzwald, welche art und gegne derzeit noch ganz ain wildtnus, unerbawen und ohne alle mentschliche wonung war (1,9,14f.). In den wenigen Zeilen des Kapitelbeginns (1,8,36-9,15) gelingt es dem Chronisten, indirekt zwei zentrale Informationen zu vermitteln, die für sich genommen belanglos erscheinen, im Zusammenhang jedoch einen wichtigen Mosaikstein fur die ständerechtliche Legitimation der Zimmern bieten. So flicht der Chronist die Nachricht ein, die zimbrische[n] herzogen oder hörfierer seien in latein duces genannt worden und suggeriert damit, daß die Hierarchie der Römerzeit der des 16. Jahrhunderts entspricht und damals Tacitus, Germania, 6: lectissimis coloribus distiguunt. ' " Vgl. unten S. 167.

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wie jetzt der Titel dux nur dem höchsten iurstüchen Adel zusteht.'" Gleiches gilt für den beiläufigen Hinweis auf die Besitznahme eines unbesiedelten Gebietes durch die Kimbern. Rodungssiedlungen sind Allod des Rodenden und begründen kein Lehensverhältnis zum König. Damit erzeugt Proben die Suggestion einer Lehensfreiheit des zimmerischen Allods - ein Argument, welches für die Behauptung einer hochadligen Herkunft der Zimmern eine folgenschwere Bedeutung hat.'" Das Verhalten der Kimbern im Schwarzwald ist deuüich als Gegenmodell zu ihrer früheren bürgerkriegsauslösenden Zwietracht gestaltet. Sie teilen sich in zwei Gruppen, damit frid und ainigkait dester beharrlicher under inen belibe (L9,16f ), und beginnen rechts und links des oberen Neckars zu räumen und zu seubern, auch Schloß, stött, flecken und wonungen zu bawen, welche alle nach inen Zimbern genannt wurden (I,9,20ff.). Rechts des Neckars sind dies Rottenzimbem, Zimbem im Loch, Hailigenzimbem, Kleinzimbem, links des Neckars Waldzimmem, Marschalkzimmem und Herrenzimmern. Letzteres soll der Vorort bzw. Gerichtsort der Kimbern gewesen sein."* Wie kommt Proben auf diese Behauptung? Die Zimmern sind bei den Porschungen zur Pamiliengeschichte auf die 'Petershausener Chronik' gestoßen, in der ein Ancencimbra erwähnt wird.'" Allerdings ist dies nicht der Mittelpunkt eines Territoriums,"' und deswegen schiebt Proben noch eine Bemerkung nach, um die Superiorität von Herrenzimmern über die anderen Gebiete am oberen Neckar zu belegen (1,12,19-28): So hätte angeblich vor der Installierung des kaiserlichen Hofgerichts in Rottweil durch Kaiser Konrad IIL"' dieses Gericht in Zimbern ge-

Dieses Argument wirkt vorbereitend für das 4. Kapitel, in dem es um die Abstammung der Zimmern von solchen duces geht. Vgl. unten S. 171f. Sofern der Adel Wald auf eigene Faust roden mußte, betrachtete er das neu gewonnene Gebiet als Allod, "das nicht im Lehensnexus stand und den König als Oberlehensherr nichts anging" (MiTTEls/LFFIBERICH, Rechtsgeschichte, S. 166, vgl. auch S. 140). Zur Rodung allg. ADALBERT ERLER und RUTH SCHMIDT-WLEGAND, Art. 'Rodung', in: HRG 4 (1990), Sp. 1096ff. Nach der Theorie der Rechtsbücher hätte es gar keine 'allodialen Grafschaften' geben dürfen. Es gab sie freilich in der Praxis doch. Vgl. dazu auch KRŒGER, Lehenshoheit, S. 279. Im Gegensatz zur bayerischen Historiographie baut Proben aber nicht auf der Identität von Land und Territorialherm auf (MOEGLIN, Bewußtsein, S. 18-28), weil für die Zinmiern die Reichsunmittelbarkeit politisch nicht durchzusetzen war. Mit dieser Tradition hat der Chronist dokumentiert, daß die Zimmern auf ihrem Gebiet schon immer die Blutgerichtsbarkeit ausübten. Damit ist in der Tradition die historische Basis dafür gelegt, daß Proben in den Kapiteln 84 (1,81,19-83,18) und 135 (Π,633,20-636,2) den zimmerischen Anspruch auf die hohe Gerichtsbarkeit vertreten kann. Siehe dazu: Quellensammlung der badischen Landesgeschichte 1, S. 128 und WUB I, S. 231. Vgl. auch JENNY, Proben, S. 153f JENNY, Proben, S. 154ff. Urkundlich wird das Rottweiler Hofgericht erst im Jahr 1299 erwähnt. Vgl. dazu GRUBE, Verfassung, S. 10. Die Sage von der Gründung des Hofgerichts durch Konrad Ш. im Jahr 1146 als Dank für Waffenhilfe der Rottweiler erscheint erstmals in der lateinischen Vorrede zur sog. 'Alten Hofgerichtsordnung' (dt. 1523). Vgl. GRUBE, Verfassung, S. 11, Anm. 36. Wahrscheinlich kannte Proben die 'Alte Hofgerichtsordnung' und hat von dort die Sage übemom-

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tagt.'™ Nach dieser kühnen Geschlechtskonstruktion kehrt Proben freihch sofort den kritischen Historiker hervor, bezeichnet diese auf den allgemeinen leumbedt zurückzuführende Nachricht als unzutreffend und hält bestenfalls ein eignes Landgericht der Zimmern, das dann im Rottweiler Gericht aufgegangen sei, fur wahrscheinlich. Diese Behauptung ist nichts anderes als eine raffinierte, indirekte Bestätigung einer weiteren zimmerischen Statusfiktion: Da das Landgericht von den Landesherren ausgeübt wird, wäre dies ein klassischer Beleg für die hochadUge Stellung der Zhnmem und fällt demnach nur wenig hinter die kurz zuvor abgelehnte These vom kaiserlichen Hofgericht in Herrenzimmern zurück. Die im Gewand wissenschaftlicher Genauigkeit vorgenommene Aufgabe eines politisch und rechtlich ohnehin unhaltbaren Anspruchs hat also lediglich die Funktion, im Windschatten solcher 'Bescheidenheit' den für die zimmerische Geschichte ungleich wichtigeren Anspruch auf ein eigenes Landgericht zu vermitteln. Die Details über die einzebien Zimmemorte und ihrer jeweiligen Funktion sollen sich fur den Leser zu einem einheitlichen Bild fügen: Es war Rodimgsgebiet, auf dem die Cimbri ihr Gemeinwesen gründeten. Dessen Autonomie wird nachgewiesen, indem der Chronist ihm alle die Eigenschaften andichtet, die nach zeitgenössischem Verständnis zu einer eigenständigen Territorialherrschaft gehören: Eine Hauptstadt (Antian- bzw. Herrenzimmern) als Wohnort der Volksfuhrer, ein parlament (Landtag) als ständische Vertretung, ein oberstes Gericht sowie ein Kultort (Heiligenzimmem). Mit letzterem begründet der Chronist bereits eine Tradition, die zum adligen Hauskloster fuhrt. Um die Existenz eines Fürstenstandes bei den Kimbern zu beweisen, zieht Froben auch den Ortsnamen Marschalkzimmem heran, den er als Beleg fur das Vorhandensein kimbrischer Hofbeamter deutet. Damit ist wiederum die Existenz einer Adelshierarchie 'gesichert' und Froben muß nur noch in einem letzten Schritt die Abstammung seines Geschlechts von diesem kimbrischen Adel darlegen. Aber genau hier liegt ein prinzipielles Problem, denn der bloße Hinweis auf den angeblichen Hauptort Herrenzimmern, der jetzt im Eigentum der Zimmern ist, erscheint selbst Froben zu unsicher,'" und so formuliert er

men (GLITSCH/MÛLLER, Ordnung, S. 32-35). Zum kaiserlichen Landgericht in Rottweil vgl. SCHEYHING, L a n d g e r i c h t .

1,12,13-18: Derhalben Antiamzimbern [!] nichts anders dann ain stai oder parlament der Cimberer gewesen, welches schlos und stat, iezund Herrenzimbern genannt, obgemelten ñamen zu kaiser Otten des dritten Zeiten noch gehabt, wie man des glaublich urkundt und brief bei der pfarrkirchen zu Epfendorf und in der chronica zu Petershausen findet. ' " Am Anfang des Kapitels wurde dies von Froben gleichwohl noch behauptet: Item Antianzimbern, so iez und bei unsern zeiten Herrenzimbern genannt wurdt von wegen der grafschaft und freiherrschaft, so das als ir ehest guot von der ersten zeit her seines auferbawens ingehabt, und one allen zweifei hat es anfengclich Antiana Zimbria daher gehaißen, das die eltisten und ersten von Zimbern, iezund diser graven und freiherm voreitern, [. . .] iren entschaid und austrag gesucht und genomen haben (1,12,2-13).

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einen abscMießenden Satz, in dem kritische Rationalität und Geschichtsfiktion verbunden wird, um die Fragwürdigkeit der Beweisführung zu verdecken: Welches aber under disen Zimbem allen der ersten herschaft rechte wonung, sitz und haimat gewesen, kan man grundtlich nit wissen, aber unzweifenlichen sein die eltisten freiherrn von Zimbern von disen Cimbris entsprungen, welcher nachkomen also das regiment derselben art über die Zimberer inngehabt und von der alleriengst en und ersten zeit her das vilgedacht schlos und s tat Antianzimbern bewonet und für andere ire güeter unverendert behalten [...]. (1,14,31-38)

Die komplex-zirkuläre Struktur dieser Argumentation lohnt eine genauere Analyse. Zunächst gibt sich Proben als quellenkritischen Historiker aus, erlaubt sich allerdings dann sofort einen Gedankensprung und setzt die Kimbemabkunft als Faktum voraus. Das Vorgehen Frobens in der zweiten Satzhälfte ist genauso subtil: Er behauptet, daß erstens die Zimmern das regiment über den Volksstamm innegehabt und zweitens immer in Herrenzimmern gewohnt hätten. Dann bricht der Satz ab, die naheliegende Schlußfolgerung muß der Leser selbst ziehen, nämlich daß Herrenzimmern doch der Hauptsitz der Kimbern in Schwaben gewesen sei. Die Fiktion von der Vorherrschaft der Zimmern imd die Hauptortthese stützen sich so gegenseitig, und mit diesem wechselseitigen Scheinbeweis verdeckt der Chronist den rein fiktiven Charakter der Darstellung. Die Fragwürdigkeit seiner Argumentation war Froben bewußt, weil er seine Konstruktion nochmals durch einen 'Quellenbeleg' stützt: wie dann sollichs von doctor Caspar Baidung in ainer seer alten cronica gefunden, der sollichs ainer grafschaft und freiherrschaft Zimbern zu lob und eer abgeschriben und zugeschickt (1,14,38-15,2)."^ Von besonderem Gewicht ist im 2. Kapitel auch die Toponomastik. Für die Machtaspirationen der Zimmern im 16. Jahrhundert muß es besonders verlokkend gewesen sein, ihr Geschlecht mit den im deutschen Südwesten weit verbreiteten Orten mit dem Namensbestandteil -'zimmern' in Verbindung zu bringen."^ Mit einer toponomastischen Argumentation"" hätte man all diese Orte dem ehemaligen Kimbemgebiet zuschlagen können und sich selbst so indirekt als Nachkomme einer großen Herrschaft ausgeben können. Aber Froben sieht auch den Nachteil einer solchen Theorie: Wenn die Zimmern ihre eigenen Z u Caspar B a i d u n g vgl· KRIEG VON HOCHFELDEN, Geschichte, S. 3 0 4 f . , A n m . 18 u n d o b e n A n m . 129. Zur Erklärung d e s N a m e n s b e s t a n d t e i l s 'zimmern' vgl. BACH, N a m e n k u n d e , S. 4 1 3 , § 3 8 8 . Z u den Z i m m e m - O r t e n a m oberen N e c k a r vgl. JANICHEN, Dorf, S. 1 5 6 - 1 6 2 . - E i n e n Ort n a m e n s Z i m m e r n gibt e s auch n a h e Krautheims an der Jagst. Z u diesen Herren v o n Z i m m e r n vgl. H. BAUER, Herrenzimmern, Wirtembergisch Franken. Zs. d. Hist. Vereins für d. wirtembergisch Franken 4 ( 1 8 5 7 ) , S. 2 2 1 - 2 2 5 u n d ders., Herren v o n Zimmern, Wirtembergisch Franken. Zs. d. Hist. Vereins für d. wirtembergisch Franken 8 ( 1 8 6 8 / 7 0 ) , S. 3 9 9 - 4 0 2 s o w i e SCHÖNHUTH, C r a u t h e i m , S. 1 0 - 1 3 .

"" Zur E t y m o l o g i e als B a s i s für eine H e r k u n f t s b e s t i m m u n g vgl. jetzt ALTHOFF, Fiktionen, S. 420ff

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Gründungen alle mit dem Namenssuffix versehen haben sollen, dann muß erklärt werden, warum selbst im Kemherrschaftsbereich liegende, wichtige Orte keinen Hinweis auf die Kimbern tragen. Proben hat sich mit diesem Problem intensiv auseinandergesetzt und zumindest fur den Namen der für sein Geschlecht äußerst bedeutenden Stadt Rottweil eine Erklärung gefimden, mit der aus dem Stadtnamen die kimbrische Besiedlung 'bewiesen' wird: und gewisslich hat dieselbig statt iren namen nit von dem rothen boden oder erdtrich derselben gegne, als etlich wollen, sonder von den rotten der Zimberer, die erstlichs aida gewont und sie gebawen haben (1,10,19-11,1).'" Ansonsten erklärt Proben das Pehlen entsprechender Ortsnamen mit möglichen Namensveränderungen im Lauf der Zeit, er fuhrt femer eindeutige Zimmemgründungen an, die von Anfang an nicht den Geschlechtsnamen tragen, und es gelingt ihm sogar den gewichtigsten Einwand gegen diese Verknüpfimg von Namen und autochthoner Herrschaft, nämlich die Existenz eines Burgstalls namens Lusburg gegenüber von Herrenzimmern, zu entkräften."' Zunächst räumt Proben ein, daß diese Lusbiu-g älter sei als der Zimmemsitz, aber dann erfolgt die überraschende Wendung: Mit aller für den humanistischen Historiker gebotenen Vorsicht,'" aber doch mit einiger Entschiedenheit behauptet er, ein Preiherr Lusso von Zimmern sei der Erbauer gewesen. Dieser Lusso wird fur Proben zum eigentlichen Stammvater des Geschlechts, sein Phantasiebild nimmt er als Miniatur in die Hs. В (S. 29) auf. Einen Hinweis auf den Namen findet man schon im 'Liber', in dem ein Lucio Biorgie als kimbrischer König auftaucht."" Die Argumentation Frobens in diesem Abschnitt beruht auf einem Scheinbeweis, eine glaubwürdige historische Urkunde wird als Beleg für eine Geschichtskonstruktionen verwendet. Zuerst behauptet Proben, daß sich die Kimbern in Rottweil niedergelassen haben, dann belegt er die gar nicht zur Diskussion stehende Existenz Kottweils zu Zeiten Karls des Kahlen, um dann erneut darauf zu insistieren (und gewisslich), daß Rottweil allein von den Rotten der Kimbern seinen Namen haben kann. Die von Proben erwähnte Urkunde stammt übrigens aus der Kanzlei Karls des Dicken. Vgl. TRUDPERTUS NEUGART (Hg.), Codex diplomaticus Alemarmiae et Burgundiae I, St. Blasien 1791, Nr. DLXVn. In der Tat befindet sich an der von Proben erwähnten Stelle eine Ruine und auch Probens Ortsbeschreibung entspricht ziemlich genau den heutigen Verhältnissen: AUernechst bei dem schlos Antian- oder Herrenzimbem, dargegen herüber auf dem rucken am Nägker, ist ain alt burgstal, Lusburg genannt, weiches vor zeiten an allen zweifei ain fest, werlich, guot hus gewesen, seitmals es mit zwaien diefen greben in ainen felsen erhawen, vor ainandern zu sambt aim vorhof versorgt und versehen (1,20,18-23). Vgl. dazu auch: Topographische Karte 1:25000, 7177 Obemdorf, hg. vom Landesvermessungsamt Baden-Württemberg, Stuttgart 1987, 48°,13' N; 8°, 34'. Allerdings heißt diese Ruine heute nicht mehr Lusburg, sondern Nußburg. Natürlich will der Chronist angesichts der unklaren Zusammenhänge nicht apodiktisch diese Beziehung zwischen Ort und Name behaupten, sondern bietet als mögliche Varianten die Herkunft des Wortes von Lust bzw. Luchs an (vgl. 1,20,30-40). Limnaeus IV, S. 525: [...] casibus deinde variis, cum Lud Biorige, Gladio atque Lyddamio, regibus, liberis, coniugibusque; suis per Chaucos, Frisiosque; prefectos, ad septentrionalem Oceanum consedisse. Nach JENNY (Proben, S. 45) repräsentiert der Auszug Ayrers, welchen Limnaeus mit der Anfangspartie abdruckte, das Original eher als die Abschrift Rütteis (Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, Hs. 48p.).

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Möglicherweise hat die Eindeutschung des Gentilnamen 'Lucio' Pate für den Namen des sagenhaften Ahnen gestanden. Implizit deutet Proben damit an, daß die Zimmern königlichen Ursprungs gewesen seien. Hinter diesem Verfahren wird denn auch ein prinzipielles Muster für Frobens Herkommenskonstruktion sichtbar. Seine Phantasie entfaltet sich gerade an den offensichtlichsten Gegenargumenten, wie eben der Existenz des Burgstalls Lusburg, imd je unsicherer die Zusammenhänge sind, desto prominenter wird die Konstruktion in der Chronik piaziert. Die mangelhafte Belegbarkeit wird ostentativ überspielt. Nur so ist die Erfindung eines Lusso von Zimmern zu erklären, obwohl dessen Name dem Prinzip eines konsequenten Leitnamenprinzips bei den Zimmern widerspricht. Aber auch wenn damit die Lusburg von einem Konkurrenten nicht mehr als Stammsitz reklamiert werden konnte, bestand immer noch die Gefahr, daß ein benachbartes Geschlecht eine Lehensherrschaft über das zimmerische Gebiet behauptete. Dem begegnet Proben prophylaktisch mit dem erneuten Hinweis auf die qua Rodung autochthone Herrschaft der fichen Zimmern,''" und er läßt nur zwei Geschlechter als damalige Nachbarn zu, die Grafen von Hohenberg und die Schenken von Staufenberg.'^" Ausgewählt hat er beide Geschlechter, weil sie im 16. Jahrhundert ausgestorben sind und keine Ansprüche mehr geltend machen können. Im 3. und 4. Kapitel geht Proben noch einen Schritt weiter, indem er den Abstammungsmythos im Hinblick auf seine ständischen Implikationen grundsätzlich diskutiert. Was Proben bislang nicht expressis verbis formuliert hat, sondern nur im Mitvollzug des Textes implizit zu erkennen war, behauptet er jetzt explizit: Die Zimmern stammen nicht nur von den Kimbern ab, sondern auch von deren Adel: Wiewol nun abgesagte hendel mit historiis wol zu erweisen, ist doch mit grundtlichen vermuotungen und anderm bericht darzethun, das der iezigen graven und herrn zu Zimbern voreitern von disen vilgenannten Zimbris, wie obgehört, entsprungen und sonder zweifei dozumal ains höherns, auch ansehenlichers standts, dann freiherrn gewesen, wie dann das nachvolgend capiti gnugsamen bericht darvon thun wiirt. (1,21,18-25)

Vgl. dazu KRIEGER, Lehenshoheit, S. 300, Ашп. 354. Gegen KRFFIGER ist aber daran festzuhalten, daß der Autor der 'Zimmerischen Chronik' diese allodiale Form der Herrschaft zwar behauptet, aber nicht belegt. 1,15,8-19: In diser herschaft und aller gegne vor dem Schwarzwald gegen dem Negker zu haben vilgenannte Cimbri sich hinfürter enthalten und [sind] der enden dhainer nachparschaft beschwärlich noch überlästig gewesen, dann sie der dhaine in der nähe gehabt, ausgenomen das loblich und eltest geschlecht teutscher nation, davon man wissen mag, die graven von Hohenberg, dann der zeit die grafschafl Zoller in unsern landen ganz unbekannt, sonder haben dozumal die edelleut Schenken von Staufenberg den Zollerberg [...] ingehabt [...].

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Auch bei dieser Beweisführung stützt eine Fiktion die andere, aber dennoch bekommt der Leser den Eindruck eines methodisch abgesicherten Verfahrens. Wiederum hat Proben im vorangegangenen Kapitel die zentralen Indizien beiläufig erwähnt, so daß sich jetzt dem Leser die Identität von kimbrischem Adel und Zimmern zwangsläufig aufdrängt. Die Grundlage dieses rückwärts schreitenden Beweisgangs ist die Heraldik. Proben beschreibt einleitend das zimmerische Wappen - ein Löwe mit aufgerissenem Maul, der eine Streitaxt hält (1,21,32-38). Vom Leser ist dies unschwer mit jener Helmzier der Kimbern, die bereits Tacitus beschrieben haben soll (1,5,42-6,4), zu identifizieren. Jetzt auch ergibt sich die Erklärung für die Erwähnung eines kimbrischen Adels'" im 1. Kapitel: Da nur Ritter Wappen tragen, müssen jene von Tacitus erwähnten kimbrischen Krieger Adlige gewesen sein, und weil die Zimmern ein Wappen besitzen, gehören sie zu dieser Gruppe. Unterstrichen wird dieser Zirkelschluß, indem in der Miniatur des sagenhaften Stammvaters Lusso von Zimmern gleich dreifach das zimmerische Wappen erscheint. Wenn es sich dabei jedoch tatsächlich um das kimbrische Adelswappen handeln soll, dann muß es noch in anderen Gegenden Europas vorkommen. Falls es sich nicht andernorts nachweisen ließe, entstünde ein Widerspruch zu der für die gesamte Herkommensthese wichtige Behauptung, nach der Niederlage gegen die Römer seien versprengte Kimbern nach Norden gezogen."^ Der Chronist muß dies irgendwie belegen, und die Existenz des Kimbern-Wappens in Nordeuropa beweisen. Die Voraussetzung dazu hat er bereits im 2. Kapitel geschaffen, als er Strabon als Quelle für die Behauptung nannte, ein Teil der Kimbern habe sich nach der Niederlage in Italien in der Schweiz niedergelassen und dementsprechend würden sich manche Schweizer aus Schweden und Nortweden erstlichs herkamen [...] berüement (1,19,14f).'" Diese Fiktion verarbeitet eine tatsächliche Schweizer Herkunftssage'" und schafft Raum für die im 3. Kapitel aufgestellte These, wonach das zimmerische Wappen in Norwegen häufig zu finden sei. Dieses Land ist weit genug entfernt, so daß der Chronist nicht das Auftauchen eines Geschlechts befürchten muß, welches um diese Herkunft mit den Zimmern rivalisieren würde. Proben tariert dabei (literarische) Konstruktion und

Vgl. 1,6,31-38 und oben S. 163. Zur Untersmtzung seiner These verweist Proben auf andere Orte (1,19,15-20,17) in Deutschland, die den Namensbestandteil -'zimmern' tragen (Vgl, BACH, Namenkunde, S. 414, § 388). Dabei handelt es sich allerdings um eine Erfindung Frobens, denn wie bereits LIEBRECHT IV, S. 176 bemerkt hat, wird bei Strabon Vn,2,2. lediglich eine Allianz der Helvetier und Kimbern gegen die Römer erwähnt. Wahrscheinlich kannte Proben diese Schweizer Herkunftssage aus der Chronik des Johannes Stumpf, die er in seinem Literaturverzeichnis erwähnt und deren äußere Porm er detailliert beschreibt (1,141,3Iff.). Zu der Herkunftssage vgl. Stumpf, Schweizerchronik (Zürich, Zentralbibliothek, Msc. A 1, f 268' und f 2690- Mit der Kimbemherkunft der Schweizer versucht Stumpf, die Historiker der Habsburger zu widerlegen, die behaupteten, daß sich die Helvetier bei den Habsburgern niedergelassen hätten. Demgegenüber postuliert er die autochthone Herkunft der Schweizer und nermt die Habsburger die neüwen hertzogen (ebd., f 268^.

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Die 'Zimmerische Chronik'

(wissenschaftliche) Argmnentation sorgfältig aus. Auf die kühne Theorie folgt ein kritischer Abschnitt, in dem er Argumente gegen die Kimbemabstammung behandelt.'" So greift er jetzt die unterschiedliche Schreibweise der beiden Namen auf, wendet dies aber zu einer Scheinbestätigung der eigenen Argumentation: Eben weil man in den antiken Quellen den Namen nur mit С geschrieben findet, nie aber mit Z, ist der Beweis erbracht, daß die Änderung erst beim Übergang in die deutsche Sprache erfolgt sein muß. Wären die Zimmern dagegen ein jüngeres Geschlecht gewesen, so wären sie schon immer mit Ζ geschrieben worden (1,22,18-30). Angesichts einer solchen apriorischen Argumentation überrascht es, wenn der Chronist trotzdem noch Alternativen fiir die Zimmemherkunft diskutiert. Dies scheint notwendig zu sein, weil gerade der großzügige Umgang mit Lautung, Orthographie und Geschichte Tür und Tor für andere Spekulationen öffnet. Als erstes befaßt er sich mit einer nur von etlich persevanten und ander behaupteten Abstammung des Geschlechts von den zypriotischen Königen (I,22,32f ) - selbst die nur oberflächliche lautliche Entsprechung von Cimbern und Cippern erfordert eine Erläuterung."^ Bereits im konjunktivischen Modus seines Berichts signalisiert Proben seine Distanz. Die Zurückhaltung wird um so verständlicher, wenn man die daraus entstehenden rechtlichen Konsequenzen bedenkt: Da die Könige von Zypern Vasallen Karls d. Gr. gewesen seien, würde sich ein wesentlicher Bestandteil des zimmerischen Selbstverständnisses auflösen, nämlich die eigene Herrschaft eben nicht als Lehen empfangen zu haben. Außerdem würde über Zypern wieder eine nicht-germanische Linie der Abstammung in das Herkommen gelangen. Aber noch aus einem weiteren Grund wird diese These verworfen. Eine Gefahr bei der Fixierung jedes Herkommens ist die 'unbeabsichtigte' Herstellung einer Abhängigkeit, die nicht im Interesse des eigenen Geschlechts liegen kann. So ist es auch hier: Der Abstammung vom zypriotischen König rühmt sich der Graf Leonhard von Görz, der dem Großvater des Chronisten am Hof Sigmunds Ein Herkommen mußte nicht nur gelehrter Kritik standhalten, sondern seine Wirkung im adligen 'Alltag' beweisen. Welche Bedeutung hier eine Schwachstelle in der Argumentation haben konnte, zeigen zwei literarisch überformte Beispiele. So berichtet der zimmerische Chronist, wie sich Gottfried von Zimmern und Graf von Werdenberg um das Alter ihrer Herkunft streiten (Π,89,22-28; vgl. dazu auch die fast wörtliche Wiederholung in 11,240,19-22). Haug beruft sich auf das Geschlecht der heiligen Elisabeth, Gottfried übertrumpft ihn, indem er sein Geschlecht von dem heiligen Zacharias, Elisabeths Gatten, ableitet. Zur Bedeutung des Herkommens, mit dessen Hilfe Machtfragen entschieden werden konnten, vgl. auch 11,252,3337 und GRAF, Geschichten, S. 112. Proben stellt die Zypern-These zunächst ausführlich und anscheinend neutral vor: Der König von Zypern hinterläßt vier Kinder, von denen zwei, Balduff und Adelwert, mangels eigener Herrschaftschancen an den Hof Karls ziehen (1,23,12fr.) und von diesem mit eigenen Herrschaften belehnt werden: Balduff erhält die graveschatz Bullion und wird so zum Stammvater jenes Geschlechts, aus dem dann an der Wende zum 12. Jahrhundert die Begründer des Königreichs Jerasalem, Gottfried und Balduin von Bouillon, hervorgehen. Der zweite Bruder Adelwert erhält von Karl die Herrschaft Zimmern vor dem Schwarzwald.

Das Herkommen der Zimmern

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von Tirol begegnet ist und ihn wegen der vermeintlich gemeinsamen Abkunft als Freund und Verwandten angesprochen hat. Nun ist eine Verwandtschaft mit diesem wesentlich mächtigeren, fürstmeßigen Geschlecht der Pfalzgrafen von Görz gewiß keine Schande, aber an die völlig ungesicherte Abkunft der Görzer will sich der Chronist nicht anlehnen: wiewol ain zweifei einfeit, ob ernempte graven zu Görz ir geschlecht bis zu kaiser Karle des großen Zeiten bringen mügen (I,24,34ff.). Um dieser Möglichkeit einer konkurrierenden Parallelgenealogie den Boden zu entziehen, ftihrt der Autor die Dignität einer historischen Quelle als schlagendes Gegenargument ins Feld: So sei in der zeitgenössischen Chronik des Amfried von Marsburg von vier Herren aus Antianzimbem die Rede, wogegen es sich bei jenen zypriotischen Zimmern nur um zwei Brüder gehandelt habe. Diese 'Chronik' Amfrieds ist freilich eine Fälschung, welche Proben aber immer wieder fiir diese Frühzeit heranzieht.'^' Nach der Widerlegung der Zypem-Deszendenz bleibt innerhalb der Abstammungsdiskussion noch offen, welche Stellimg die frühen Zimmern innerhalb der Adelshierarchie eingenommen haben. Der Klärung dieser Frage dient das 4. Kapitel, in welchem die einzelnen Argumentationsstränge, die die zentrale Frage nach dem Stand der frühen Zimmern betreffen, miteinander verbunden werden. Die Materie ist prekär, da ein historisch begründeter höherer Status von den Adelsgenossen immer als Aimaßung gedeutet werden konnte. Angesichts dessen gih em erster Blick der rhetorischen Strategie dieses Kapitels, welches als eines der wenigen rein reflexiv angelegt ist. Der Chronist beginnt diesmal mit der Einordnung der Standesspekulationen in den Kontext 'wissenschaftlicher' Forschung: Es ist auch ain alte sag bei unsern vorfarn gewesen und von vilen erfamen leuten dafür gehalten, die freiherren von Zimbern seyen von herzogen abkamen und haben ain lange zeit solchen stand gefüert, welche sag von unverdechtlichen jaren herkomen und durch alte leut continuiert und also auf unsere zeit geweret hat. Wiewol nu sollichs durch kain gewisse, glaubwürdige historia kan bezeucht und erwisen werden, auch solichs ich darßr nit anziehen, iedoch will ich mein ainfältige conjecturas und vermuotungen anzaigen, durch welche die freiherrn von Zimbern, so vor etlich hundert jaren gelept, sich sollichs zu berühemen verursacht sein. (1,24,40-25,11)

Frobens Gestus des kritischen Historikers, der mündlicher Überlieferung mißtraut, dekuvriert sich noch im gleichen Atemzug als bloßer Selbstschutz, Quellenkritik wird nicht um ihrer selbst willen betrieben, sondern nur zur Unterstützung der eigenen Theorien. Wenn Proben seine Überlegungen bescheiden als conjecturas bezeichnet, mit denen er nur die Behauptungen seiner Vorfahren erklären will, dann relativiert er die folgenden Argumente fur die fìirstliEinen Arnfried von Marsburg erwähnt Proben noch 1,26,10; 36,13; 39,11 (mit einem lateinischen Quellenzitat); 42,25 und im Literaturverzeichnis (IV,337). Dennoch scheint es sich dabei um eine Fälschung zu handeln, die Proben übernommen hat (vgl. WATTENBACH, Geschichtsquellen, S. 492f. und JENNY, Proben, S. 238, Anm. 162).

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Die 'Zimmerische Chronik'

che Stellung der Zimmern schon von vornherein. Proben reklamiert als Beleg für eine hochadlige Herkimft zuerst die Existenz von vier Erbämtem - Truchsessen-, Schenken-, Marschall- und Kämmereramt.'" Ein weiterer Beleg sei der Titel Dux, welchen die Zimmern, wie ein alter Teppich im Юoster Alpirsbach beweise,"' geführt hätten, und schließlich habe auch Amfried von Marsburg die Zimmern viros nobilissimos und viros potentes genannt, eine Titulatur, welche nur Herzögen und Fürsten zugekommen sei. Mit diesen drei 'Beweisen' hätte Proben eigentlich die fürstenmäßige Abkunft seines Geschlechts abgesichert - seine Abstammungsthese von den Kimbern ist nicht wesentlich besser begründet. Doch diesmal bringt Proben echte Gegenargumente, die nicht rhetorisch gemeint sind, sondern wissenschaftliche Glaubwürdigkeit suggerieren. Auch die Grafen von Lechsgemünd hätten dergleichen Erbämter gehabt,"" ohne zum Pürstenstand zu gehören (I,25,27f.), und eine Reihe adliger Geschlechter, die den Herzogtitel führten, besäßen kein Herzogtum. Aber das letzte Argument enthält eine feinsinnige Pointe, es gehört indirekt zu der in der gesamten Chronik zu beobachtenden Diskussion über das Verhältnis von Stand und Ansehen. Proben bringt hier erstmals eine Dissoziierung zwischen realiter ausgeübter Herrschaft und dem Titel ins Spiel. Der Chronist trennt theoretisch zwischen tatsächlicher Macht und ständischem Ansehen und stellt sich damit bei der Bestimmung des eigenen Standes außerhalb des problematischen Feldes der aktuellen Machtpolitik. Denn wenn eine konkrete Machtstellung nicht dem ständischen Ansehen entsprechen muß, dann kann die bloße Behauptung einer ständisch hohen Abkunft der Zimmern nicht provozieren. Proben sichert sich demnach mit seiner pseudowissenschaftlichen Argumentation gegen Vorwürfe seiner Standesgenossen ab, bevor er dann doch aus seiner historischen Konstruktion Kapital schlägt. Denn jenseits konkreter politischer Ansprüche ist die Behauptung einer furstengleichen Stellung keine reine historiographische Marotte, da sich selbst um 1560 und trotz der fortgeschrittenen Territorialisierung immer noch ständische Reservatsrechte aus einer superioren ständischen Abkunft herleiten lassen.'" Der Grund hierfür liegt vor allem in der besonderen politischen Situation des deutschen Südwestens, in dem sich mangels eines dauerhaften Herzogtums eine Vielzahl kleiner gräflicher Häuser in unabhängiger Stellung von den großen Territorialmächten Württemberg und Habsburg

I,25,24FF.: weil allain fürstliche oder fürstmeßige geschlechter solche oder dergleichen erbempter gehabt. Vgl. zu dieser Quelle den ausführhchen Aufsatz von HAGENMEYER, Étude, S. 42-48. Allerdings steht HAGENMEYER der Erzählung des Chronisten nahezu unkritisch gegenüber. Zu den Grafen von Graisbach-Lechsgemünd vgl. FRANZ TYROLLER, Genealogie des altbayerischen Adels im Hochmittelalter (Genealogische Tafeln zur mitteleuropäischen Geschichte 4), Göttingen 1969, S. 257-262. Diese Grafen stammten aus hoch- und edelfreiem Geschlecht, und es war ihnen bis ins Spätmittelalter gelungen, ihre Unabhängigkeit aufrechtzuerhalten. ' " Zu den Motiven einer Standeserhebung vgl. KRIEGER, Lehenshoheit, S. 216, 266-279.

Das Herkommen der Zimmern

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halten kann.'" Da auch die Zimmern zu diesen Grafenhäusem gehören, bekräftigt die Fiktion von der herzoglichen Abkunft den eigenen Status. Dies bestätigt sich in der 'Zimmerischen Chronik' gerade in der wiederhohen Behauptung des Chronisten,"^ die Zimmern hätten die Hoch- und Blutgerichtsbarkeit als Quelle der eigentlichen Landeshoheit nicht als königliches Lehen empfangen, sondern diese sei ihnen von den Königen auf ewig überlassen worden."" Das Spezifische an Frobens Rhetorik besteht darin, daß er seinen Leser einem ständigen Wechselspiel von suggestiver Geschichtskonstruktion und deren 'wissenschaftlicher' Widerlegung aussetzt: So wird zunächst ein großer Aufwand betrieben, um die Existenz sogenannter Titularherzöge in Schwaben nachzuweisen und die frühen Zimmern diesem Stand zuzuordnen. Fast im gleichen Atemzug aber weist der 'Historiker' Froben diese These aufgrund von fehlenden Quellen als unwissenschaftlich zurück. Auf diese Weise verbindet er zwei sich eigentlich ausschließende Rollen: Er arbeitet sowohl im Stil eines seriösen Historiographen wie auch als zimmerischer Familienpolitiker, der die Legende von einer hochadligen Abstammung ftir die Auseinandersetzung mit konkurrierenden Geschlechtem am Leben halten will. Indem er jeden dezidierten Anspruch aus dieser Herkunft unterläßt, vermeidet er jeden Vorwurf der Standesanmaßung. 5.3.2. Der Mythos von der Meerfee Die Herleitung von den Kimmeriem und Kimbern erfüllt zwar die implizite Forderung an emen Hauschronisten, Ansehen imd Alter des eigenen Geschlechts 'wissenschaftlich' nachzuweisen, aber eine solche rationale Argumentation reicht doch nicht aus. So erzählt Froben am Schluß des 4. Kapitels eine alte sag, wonach ein Freiherr von Zimmern anläßlich eines Kreuzzugs mit einer Meerfee eine besondere linia der Zimmern gegründet habe. Im Gegensatz zu den fiiiheren Überlegungen zum Stand der fiühen Zimmern ist Frobens Meinung jetzt eindeutig. In direkter Anlehnung an das antik-humanistische Verständnis von richtiger Geschichtsschreibung beruft er sich auf die Angabe der Hauptumstände der Ereignisse - Raum, Zeit, Namen, Motive - als entscheidendes Kriterium für die Abgrenzung von fabulosum und authenticum^^^ imd distanziert sich dementsprechend von dem Wahrheitsgehalt der sag:

Zur Politik des schwäbischen Adels zwischen den Territorialmächten vgl. PRESS, Vorderösterreich, bes. S. 16-24. Vgl. etwa 1,427,10-428,9. ""* Vgl. zur Hochgerichtsbarkeit im Südwesten MlTTEIS/LlEBERlCH, Rechtsgeschichte, S. 245. Maßgebend fur die humanistische Geschichtsschreibung war etwa die Forderung des Aulus Gellius, die genaueren Umstände, Motive und Ursachen der Ereignisse anzugeben. Aulus Gellius zitiert in den 'Noctes atticae' (V,18) Sempronius Asellio mit den Worten: Nobis non modo satis esse uideo, quod factum esset, id pronuntiare, sed eliam, quo Consilio quoque ratione gesta essent demonstrare (V, 18,8). Vgl. LANDFESTER, Historia, S. 79ff. und 108fr. Da Froben Aulus Gellius auch in seinem Quellenverzeichnis aufführt, ist zu vermuten, daß er die 'Noctes

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'Zimmerische Chronik'

Dieweil aber sollichs fabulosum, zudem unwissendt, wann, durch was ursach, auch wie solche herren mit iren namen gehaißen, wiewol etwan größere, auch wunderbarlichere sachen, als mit Melusina etc., auch in unseren landen, als mit dem ritter von Staufenberg und andern, beschehen, so hab ichs vor authenticum nit anziehen, sonder wils allain ßir ain alte sag, die villeicht unsern vorfarn zu gefallen erdicht, melden etc. (1,27,17-24)

Bliebe das Thema auf den kurzen Abschnitt im 4. Kapitel beschränkt, darm könnte man Frobens Darstellung als eine Form der Abgrenzung von derartigen Texten verstehen. Aber bereits der Hinweis auf die 'Melusine' und den 'Peter von Staufenberg' belegt, daß sich der Chronist über den Wahrheitsgehalt solcher Geschichten nicht sicher ist. Deswegen oszilliert seine Argimentation ständig zwischen 'Wissenschaft' und literarischer Fiktion hin imd her. Wie sehr er selbst um ein Verständnis ringt, zeigen drei Nachträge, die ebenfalls das Thema der Existenz einer Zwischenwelt behandeln, und erst recht in den späteren Abschnitten der Chronik kommt er immer wieder darauf zurück."' Aus der Retrospektive erscheint so die sag von der Meerfee als Beginn des Transzendenzdiskurses in der 'Zimmerischen Chronik'. Die Frage nach der Funktion dieses Diskurses für den Chronisten fuhrt unmittelbar hinein in seine Vorstellung von dem Verhältnis von Welt und Gott, in seinen Glauben von der Wirkimg übernatürlicher Kräfte auf den Menschen und damit auch in seine psychische Disposition. Allerdings erlaubt diese Stelle am Anfang der Chronik noch keine derartigen weitergehenden Schlußfolgerungen, vielmehr bleibt der Mythos von der Meerfee selbst in seiner Negation noch streng an das Feld eines politisch-sozial fimktionalisierten Herkommens gebunden. Proben entspricht mit der sag den Interessen eines Adels, der wie in der 'Melusine' den Abglanz mythischer Herkunft benötigt, um die eigene Überlegenheit ideologisch zu manifestieren. Allerdings ist diese Funktion hier nur noch Reminiszenz, der Mythenmechanismus konkurriert auch weder mit politisch-feudalen noch religiösen Denkmustem: Die Fee wird bestenfalls als Gründerin einer unbedeutenden Nebenlinie akzeptiert, zwischen ihrer erotischen Attraktivität und ihrer Stellung außerhalb der Gesellschaft gibt es keinen Konflikt, und keinesfalls ist sie dämonischer Herkunft. Froben erwähnt gerade noch eben das den Übergang zum Jenseits symbolisierende Motiv der Herkunft aus dem Wasser"' als Unterschied zu einer menschlichen Existenzform. Das Dämonische ist damit vollkommen zum Außergewöhnlichen domestiziert. Dies entspricht auch der politischen Funktion der sag: Froben vermutet in ihrer Erfindung ein Interesse seiner Vorfahren, und dies bestätigt eine im 16. Jahrhundert allerdings schon reflektierte und überwundene Annahme von dem

atticae' besaß, auf jeden Fall aber kannte er die besonders von Erasmus ausgehende Wertschätzung des antiken Autors. Vgl, unten S. 410-414. Vgl. LECOUTEUX, Motiv, S. 66.

Das Herkommen der Zimmern

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Reputationsgewinn, den die Anbindimg der eigenen Vergangenheit an das Numinose mit sich bringt. Die Faszination des Themas ist offenbar ungebrochen, denn anders ist es nicht zu erklären, warum Proben in den Nachträgen drei analoge Fälle"' behandek. Zuerst berichtet er über unerklärliche Ereignisse im Hause Dersy, dann erzählt er die Geschichte des Peter von Staufenberg"' und schließlich von der Begegnung des letzten Grafen von Sarwerden mit einer Fee. In diesen drei Nachträgen stehen dämonische und 'domestizierte' Elemente^'" der Feengestalten unvermittelt nebeneinander, wobei der Chronist jede eigene Stellungnahme zur göttlichen oder dämonischen Herkunft der Feen vermeidet.^"' Ganz anders als im Haupttext aber bewertet Froben in den Nachträgen diese Feengeschichten nicht mehr lediglich als fabulosum. Die Abkehr von der früheren Einschätzung vollzieht er schrittweise. Zu Beginn der Dersy-Geschichte (Nr. 16) bestätigt er zwar nochmals den mangelnden Authentizitätsgrad dieser 'Familiensage', fügt dann aber ein wichtiges Indiz für die Lebendigkeit solcher Traditionen an: Ähnlich wie in der 'Melusine' hätte seine Großmutter Fehler oder Mängel ihrer Söhne mit dem genealogischen 'Makel' einer Mahrtenehe im zimmerischen Stammbaum erklärt (I,27,95f). Allerdings folgt nach der nochmaligen Bestätigung der Unglaubwürdigkeit der Feengeschichte dann ein Argumentationsbruch, den der Autor syntaktisch damit kaschiert, daß er anstelle einer adversativen eine satzanknüpfende Konjunktion setzt: Solchs alles [sc. Geschichte von der Meerfee] ist gleichwol ungleublich, kan auch in unsern verstandt nit wol gebracht werden. Zudem unsere lerer gemainlich dem tex allain anhangen und, was sie in iren täglichen büechern nit

1,27,25-32,36 und IV,146,7-147,15. " ' Froben hat für diese Nachträge die Druckfassungen der 'Melusine' und des 'Peter von Staufenberg' herangezogen. Der 'Peter von Staufenberg' ist in drei Drucken (um 1483-1500) überliefert, ein weiterer Straßburger Druck aus dem Jahr 1550 ist gesichert (vgl. dazu FISCHER, Studien, S. 184f; KARL-HEINZ SCHIRMER, Art. Egenolf von Staufenberg, in: "VL 2 [1980], Sp. 366-368; LBCOUTEUX, Mélusine, S. 98-102). Froben kennt die Druckfassung der Geschichte (1,28,37f) imd verzichtet im Haupttext auf deren Wiedergabe, im Nachtrag 192 referiert er sie darm doch. Auch im 18. Jahrhundert inteφretiert man das Märe als Vita des Peter Diemringer von Staufenberg (vgl. EIMER, Studien, S. 52-59). Zur Geschichte der namensgebenden Burg Staufenberg und zur Sage vgl. WILHELM GEILER, Schloß Staufenberg, Die Ortenau21 (1934), S. 275-288. Dies bestätigt die Annahme MÜLLERS (Melusine, S. 66), daß in der 'Melusine' das Dämonische zum Außergewöhnlichen domestiziert worden ist. Der Nachtrag Nr. 16 enthält eine klassische Form der Mahrtenehe: Ein Herr von Dersy begegnet im Wald einer schönen Frau, sie heiratet ihn unter der Bedingung, nie ihre Herkunft zu erfragen. Als er nach vielen Jahren das Verbot übertritt, verschwindet sie (Vgl. LECOUTEUX, Motiv, S. 60ff.). Als Grund für den Tabubruch nennt Froben einen Vollrausch des Gatten. Im 'Peter von Staufenberg' führt der Held nur eine heimliche Ehe mit der Fee. Als er seinen Eid, keine andere Frau zu heiraten, auf Anraten der Kirche bricht, stirbt er nach drei Tagen. Dem Grafen Peter von Sarwerden (Nachtrag Nr. 16) bietet die Fee nur ein erotisches Abenteuer an, das jedoch abrupt endet, als er ihren Namen wissen will.

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Die 'Zimmerische Chronik'

finden, aintweders nit wissen oder doch dem kainen glauben geben. (1,27,3628,1)

Mit dem letztem Satz grenzt sich Proben von der Überbewertung der schriftlichen gegenüber den mündlichen Quellen ab, und damit läßt sich der weite Weg ermessen, den Proben von der Abfassung des 'Liber' bis zur Anfertigung der Nachträge gegangen ist. Zugleich belegt dies auch die Abhängigkeit der Diskurse von ihrer Stellung innerhalb der wissenschaftlichen oder biographischen Entwicklung des Autors: Während Proben im Herkommen jede noch so marginale Quelle auswertet und diese die Garanten fur die Glaubwürdigkeit seiner Konstruktion sind, stellt er am Ende seiner Arbeit den wissenschaftlichen Anspruch zurück und befaßt sich unverhohlen mit dem Numinosen imd Esoterischen,^"^ dem er jetzt einen großen Einfluß auf das menschliche Leben zuschreibt. Der rationale Historiker ist hier zum Kritiker einer einseitig auf die schriftliche Überlieferung vertrauenden Wissenschaft geworden und setzt demgegenüber das kulturelle Gedächtnis in seinen Wert In den Nachträgen pointieren die drei Beispiele einer Mahrtenehe - Dersy, Peter von Staufenberg, Sarwerden - unterschiedliche Facetten des Themas 'Zwischenwelt'. Der Wahrheitsdiskurs, der noch im Haupttext dominierte, bleibt dabei weitgehend ausgespart, er wird nur in der 'Peter von Staufenberg'Geschichte berührt, wenn Proben den Nachkommen dieses Geschlechts vorwirft, sich nicht um den Nachweis für die Authentizität dieses Ereignisses gekümmert zu haben (1,31,15-18). In der Sarwerden-Geschichte steht die erotische Komponente im Zentrum, der Mann zerstört mit seiner Präge nach der Herkunft seiner Bettgenossin seinen sexuellen Genuß. Der Pee ist alles Dämonische genommen, sie ist eher Produkt einer Männerphantasie, die sich eine Sexualität ohne Polgen und Verpflichtungen wünscht. In dieser Porm liest sich diese Peenliebe wie eine Allegorie auf die Vernichtung der Körperlichkeit durch die wissenschaftliche Neugierde. In der Dersy-Geschichte ist es der Tabubruch des Mannes, den Proben narrativ breit ausgestaltet, und mit dem er die Präge nach den Gründen fiir die Zerstörung des eigenen Glücks aufwirft. Insofern reiht sich diese Erzählung ein in eine Reihe anderer, die alle die Grundüberzeugung des Chronisten repräsentieren, wonach jeder selbst seinen Untergang verursacht.^"'* Im Falle des Herrn von Dersy ist es dessen durch Alkohol verursachte Disziplinlosigkeit, die ihn die verhängnisvolle Frage stellen läßt. Aus einem theologischen oder feudalrechtlichen Problem ist hier ein ethisches geworden, das Proben mit regionalen Ressentiments zusätzlich aufladen kann {Als aber die Saxen- und Hessenkerle müeßen saufen [...]; I,28,25f.). Demgegenüber ist die Fee kein Dämon, sie ist vielmehr als vorbildliche Hausfi-au und Mutter von Anfang an domestiziert und schon fast bürgerliches Ideal-

Kapitel 194, 196-198. Vgl. dazu unten S. 410-414. Vgl. dazu ASSMANN, Gedächtnis, S. 75-78. Vgl. dazu auch die betreffenden Sprichwortsentenzen in n,286,8ff.; Ш,23,18; 52,19.

Das Herkoramen der Ziramem

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bild. In Frobens verkürzter Nacherzählung des 'Peter von Staufenberg' schließlich ist die Übertretung des Redeverbots^"' noch aus dem unbewähigten Konflikt zwischen feudalgesellschaftlichen und kirchlichen Ansprüchen einerseits und dem privaten 'Glück' und Wohlstand andererseits erklärt. Allerdings nimmt der Autor zu diesem Problem ebenso wenig Stellung wie zu der im Text kontrovers behandelten Frage nach der Herkunft der Fee. Dies läßt vermuten, Proben habe diese Nachträge weniger aus theologischen oder aitiologischen Gründen geschrieben, sondern wollte eine Allegorie auf die Ehebeziehimg verfassen. Die Beziehungen zu den Feen sind Teil des Diskurses über die Bedingungen des Glücks und seiner Zerstörung. Der Herr von Dersy und der Staufenberger finden sexuelle Erfüllung, Zuneigimg und Wohlstand in der ausschließlichen Bindung an den einen Partner. Ihr Scheitern wird nicht mehr historisch mi Fortleben des Geschlechts aufgehoben - wie in der LusignanTradition der 'Melusine' - , sondern sie beschwören damit das Ende einer ganzen Dynastie (Sarwerden) oder einer Linie (Staufenberg) herauf Mit einer solchen Reduktion des Sagenschemas auf eine 'frühbürgerliche' Ethik und Psychologie deutet sich zugleich an, daß der Transzendenzdiskurs in der 'Zimmerischen Chronik' der Ort ist, an dem über Emotionen, Körperwehen und Utopien verhandelt wird. 5.3.3. Die Kimbemherkunft im Kontext adliger Herkunftsfiktionen Mit der Ansippung an den kimbrischen Adel hatte Proben dem eigenen Geschlecht einen respektablen 'germanischen' Ursprung verschafft, in den folgenden Kapiteln (5ff.) waren nun gleichermaßen Indizien fur eine ununterbrochene continuatio des Geschlechts wie fur seinen (hoch-)adligen Status zu sammeln. Dazu boten sich die gedruckten antiken imd frühmittelalterlichen Quellen an, wie Caesars 'Comentarii de bello Gallico' (Rom 1469)^°^ oder Einhards 'Vita Karoli Magni' (Köln Caesar erwähnt im ersten Buch als Anführer der Sueben zwei Brüder: His prœesse Nasuam et Cimberium fratres}"* Es muß für Proben verlockend gewesen sein, dieses Zitat in die Chronik aufzunehmen (1,34,23), ließ sich doch so eine verwandtschaftliche Beziehung zu den Fürsten von Nassau andeuten.^"' Allerdings war eine Ansippung an den Hochadel riskant, und deswegen wechselt Proben wieder in die Rolle des kritischen Historikers und argumentiert sprachgeschichtlich gegen Zur Bedeutung der Verbote in den Feeerzählungen vgl. auch LECOUTEUX, Melusine, S. 173195.

^

Frohen erwähnt Caesars 'Comentarrii de hello Gallico' in seinem Literaturverzeichnis. In der Zimmembihliothek befand sich eine Basler Ausgabe des Werkes aus dem Jahr 1528 (Wien, ÖNB, Cod. 12595, f. 4 8 7 ^^ Zur Popularität der 'Vita' im Mittelalter vgl. Einhard, Vita, S. 93. Caesar, Bei. Gal. 1,37. Froben gibt hier sogar explizit ein Motiv für die Aufnahme des Zitats aus 'De bello Gallico' an: Diser historia ist derhalben, seitmals ainer von Nassaw und ainer von Zimbern über die Schwaben vor so vil hundert jaren, wie gehört, abriste gewest, anzogen worrfen (1,35,11-14).

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Die 'Zimmerische Chronik'

die Bruderschaft der beiden Sueben: Er bedient sich dabei der im 16. Jahrhundert geläufigen Ableitung des Wortes germani vom lateinischen germanus ('Geschwister') imd behauptet, Caesar hätte fratres und germani synonym verwendet und deswegen könne fratres in dem Zitat auch nur die Volkszugehörigkeit bezeichnen. Aber diese (sehr gezwungene) Beweisffihrung bestätigt im Grunde nur die Verwandtschaft zwischen Zimmern und Nassauern - um so mehr als Proben Ähnlichkeiten zwischen den Wappen beider Geschlechter erwägt, Caesars Glaubwürdigkeit betont und das Fehlen eines Vornamens bei jenem Cimberius mit dem lateinischen Benennimgsbrauch mittels Gentilnamen erklärt. Die pseudowissenschaftliche Diskussion dient demnach einzig dem Zweck, eine problematische Ansippung zwar zu dementieren, gleichzeitig aber die Phantasie der Rezipienten erst richtig anzuregen. Der impliziten Begründung eines hochadligen Rangs der Zimmern im Frühmittelaher dient auch das 6. Kapitel, das die Geschichte des Geschlechts in Verbindung bringen soll mit der charismatischen Leitfigur Karls d. Gr. Proben zitiert hier eine lateinische Passage aus einer seer alten chronik, die von einem apt Arnfridt von Marspurg (i. e. Eresburg)^"' geschrieben worden sein soll (1,39,13-37). Geschildert wird dort die Belagerung der Eresburg durch die Sachsen.^" Unter den fiinf Anführern ihrer Besatzung ist ein ValtmarufsJ de Cimbern (1,39,18), der bei der Verteidigung fällt. Da es weder über Amfried von Marsburg noch über den angeblichen Beiträger dieser Quelle, einen gewissen Konrad von Asceburg (AschafFenburg?), einen gesicherten Beleg gibt, kann man die Amfried-Chronik als Erfindung werten.^'^ Dafür sprechen neben stilistischen und sprachlichen Kriterien, die die Passage als einen Text des 16. Jahrhunderts erscheinen lassen, auch inhaltliche Überiegungen: Geschildert wird hier keine 'Schlacht' des Frühmittelalters, sondern der Frühen Neuzeit und für eine so fiühe Quelle wären auch die detaillierten Angaben über den Stand der Heerführer höchst imgewöhnlich.^" Proben hat sich aber mit der lateinischen 'Vorlage' nicht begnügt, sondern sie selber noch einmal ausschmückend gedeutet. So wird aus dem Satz Miracula et signa durante prœlio multis apparuere (I,39,32f.) ein mythologischer Schildkampf am Himmel

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Vgl. zu dieser etymologischen Deutung ALTHOFF, Fiktionen, S. 420. Vgl. dazu MARTIN LINTZEL, Der sächsische Stammesstaat und seine Eroberung durch die Franken (Historische Studien 227), Berlin 1933, Nachdr. Vaduz 1965, S. 39-60. Vgl. dazu oben Anm. 187. Zur Frage des Selbstverständnisses eines fälschenden Historiographen siehe STAUBACHS Überlegungen zu den Hunibald-Fälschungen des Trithemius vgl. STAUBACH, Suche, S. 278ff., 300-310 und passim. Die Zimmern besaßen Werke des Trithemius (Wien, ÖNB, Cod. 12595, f. 2 r u n d f. O^· ['Compendium']). 1,39,15: Huicpresidium imposuit et duces belliprœfecit quinqué nobiles et potentes viros [...]. Vgl. dazu dann die Ausgestaltung im deutschen Text Frobens: Dann so bald denen fünf vorgemelten obristen der Sachsen begem anzaigt, theten sie als biderleut und enpoten widerumb, ir leib und leben vil ehe zu verlassen, dann an irem herrn, von dem sie ire regalia zum thai! und alle wolfart ketten, zudem das sie ime mit aidtsphlichten verwanten, trewlos zu werde« (1,37,8-13).

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(1,38,10-14).''" Frobens Methode der Herstellung historischer Authentizität besteht hier darin, seine in deutscher Sprache abgefaßte und literarisch ausgestaltete Kampferzählung mit dem bestätigenden Auszug eines historischlapidaren, lateinischen Textes zu verknüpfen. Zusätzlich untermauert wird die historische Fiktion durch die sublime Einfügung von aus Tacitus entnommenen Materialien: Wie Amfiied nennt er die Führer des fränkischen Heeres nobiles."^ Die herausragende Bewährung eines Zimmern in den Sachsenkriegen'" dient also gleichermaßen dem 'Nachweis' einer ununterbrochenen translatio des Geschlechts und der neuerlichen Begründung einer adligen Vorrangstellung qua Leistung. Wie in anderen Chroniken nimmt auch bei Proben die Zeit Karls d. Gr. einen besonders breiten Raum ein. Damit wird die Diskussion mit jenen Abstammungsmythen anderer Geschlechter eröflfoet, die die Idee der translatio imperii auf die genealogische Ebene übertrugen und sich von römischen Geschlechtem herleiteten. Froben muß sich mit seinem 'germanischen' Herkommen gegen diese Mythen wehren, und dazu dient ihm die Politik Karls d. Gr. Froben fuhrt diese Diskussion weder theoretisch noch explizit, sondern bewegt sich auf dieses Thema in konzentrischen Kreisen zu: Ausgangspunkt ist die Geschichte der Empörung der Römer gegen Papst Leo III. und das Eingreifen Karls auf dessen Seite. An die Wiedergabe der historischen Ereignisse fugt der Chronist die Behauptung an, Karl habe, um einem erneuten Aufruhr gegen Leo III. vorzubeugen, etliche der alten und guoten geschlechter (I,40,29f ) Roms im Schwarzwald angesiedeU. Damit bezieht er sich indirekt auf die schon bei Lirer geführte Diskussion über die Abstammung der südwestdeutschen Adelsgeschlechter. Wie LHOTSKY nachgewiesen hat, versuchten diese seit dem 13. Jahrhundert den Mangel einer hochedlen Abkunft mit einer Rückbindung an stadtrömische Geschlechter zu heilen.'" Als legitimes Motiv für die Auswanderung eines römischen Geschlechts gilt dabei eine Straftat im Affekt oder Rebellion gegen ungerechte Herrschaft,"* später auch Zugehörigkeit zum christlichen Glauben.'" Froben kennt derartige Abstammungsmythen nicht nur aus der

"" Auch hier rettet der Chronist seine wissenschaftliche Seriosität, indem er selbst Zweifel an seiner Quelle äußert (1,37,16f.). Natürlich kann es sich bei diesen Titeln auch um eine sekundäre Adaptation handeln, Froben verzeichnet die 'Germania' in seinem Literaturverzeichnis und zitiert aus ihr (1,7,1 und 9; 18,32; 35,24; Ш,273,19). Auch im Katalog Ramingens (Wien, ÖNB, Cod. 12595) sind die 'Germania' ( 2 7 ^ und andere Schriften (17^) des Tacitus enthalten. Froben beruft sich hier neben Amfried noch auf Regino von Prüm, dessen Namen er gleichfalls in seinem Literaturverzeichnis erwähnt. Froben kannte demnach Reginos Chronik (Chronicon cum continuatione Treverensi [MGH SS rer. Germ.], hg. v. FRFFIDRICH KURZE, Hannover 1890). LHOTSKY, Apis, S. 181. KLEINSCHMIDT, Herrscherdarstellung, S. ISOFF. und 198. ' " LHOTSKY, Apis, S. 183FLF. ' " GRAF, Geschichten, S. 122.

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Die 'Zimmerische Chronik'

Chronik Lirers, sondern ihm ist die 'Weltchronik' Johannes Nauclers"" bzw. die 'Anthropologia' des Raffaele Maifei aus Volterra (Voluterranus)"' mit ihren etymologisch begründeten Herleitungen der Habsburger von den Römern vertraut. Implizit begegnet Frohen dieser Abstammungsthese auf dreifache Weise. Durch seine Erzählung von der Rebellion gegen Leo ΙΠ. als Grund für eine Ausweisung römischer Geschlechter wird indh-ekt das Argument, die im Schwarzwald wohnenden und sich auf römische Ahnen berufenden Geschlechter"^ stammten von den ersten römischen Christen und Märtyrern ab, zurückgewiesen - diese Geschlechter sind denmach nicht zu Zeiten des Römischen Reiches, sondern erst unter Karl nach Deutschland gekommen. Mit dieser Argumentation ist schon ein wesentlicher Teil des Nimbus dieser Abstammungsthese zerstört. In einem zweiten Schritt werden diese Geschlechter nun indirekt mit der antipäpstlichen Rebellion in Verbindimg gebracht,"' und schließlich versetzt er ihrer ständischen Reputation noch dadurch einen subtilen Tiefschlag, daß er Karl eine strikte Lehenspolitik betreiben läßt und damit die Ausgabe von Allod an Landfremde ausschließt. Gegenüber den römischen Neuankömmlingen hat also der alte schwäbische Adel einen erheblichen ständischen Vorteil. Während den eingebürgerten römischen Adligen ihr Besitz von Karl nur als Lehnen gegeben wird, sitzen die Zimmern auf freiem Allod und stehen in keinem Lehensverhältnis zum Kaiser."" Auf den Nachweis eines solchen Allodialbesitzes ist letztlich das gesamte Herkommen des zimmerischen Geschlechts ausgerichtet und dementsprechend wird dieser Status des eigenen Besitzes im folgenden Kapitel gleich dreifach beschworen."'

Chronica Johannis Nauden ab exordio mundi ad annum 1500, Basel 1516 (vgl. Wien, ÖNB, Cod. 12595, f. 4711). Der Name Nauclers ist im Literaturverzeichnis der 'Zimmerischen Chronik' (Hs. В Π, S. 1158) verzeichnet. " ' Vgl. dazu das Literaturverzeichnis der 'Zimmerischen Chronik' (Hs. В 1558 und IV,337fr.). Da bedeutende südwestdeutsche Adelsgeschlechter sich von einem stadtrömischen Ursprung ableiten, ist Frohen vorsichtig genug, diese nicht als Abkömmlinge von Hochverrätern erscheinen zu lassen. Er betont, daß diese mit den hingerichteten Empörern nur verwandt oder befreundet gewesen seien, aber dennoch hat er damit dem Herkunftsmythos seiner ständischen Konkurrenten, insbesondere den Werdenberger einen empfindlichen Stoß versetzt. Vgl. GRAF, Geschichten, S. 122f. Angesichts der Reformation in Deutschland hütet sich der Chronist davor, diese Geschlechter umstandslos mit antipäpstlichen Rebellen gleichzusetzen. Er hält ihnen nur vor, solche frävenliche ungepürliche begangne that der andern gestatet und zugesehen zu haben (I,40,32f ). Diesem Anspruch kam auch im Spätmittelalter noch eine gewisse Bedeutung zu, da über die 'allodiale Herrschaft' unbeschränkt verfügt werden konnte, über die 'reichslehnbare Herrschaft' aber nicht (vgl. KRIEGER, Lehenshoheit, S. 279ff.). Bei den Zimmern macht jedoch die allodiale Herrschaft nur einen kleinen Teil ihres Besitzes aus (anders hingegen KRFFIGER, ebd., S. 300, Anm. 354), und deswegen ist für sie der Anspruch auf rechtliche Selbständigkeit von wenig praktischem Nutzen. Allerdings wird man den immateriellen Wert einer solchen Behauptung nicht unterschätzen dürfen. Immerhin konnten so die Zimmern mit ihren unmittelbaren Konkurrenten, den Zollem, die ebenfalls auf Allod saßen (ebd., S. 280), zumindest ideologisch gleichziehen. Vgl. 1,41, 8ff.; 41,20-24; 42,1-5.

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Mit der indirekten Abwehr aller Statusansprüche, die ein Geschlecht aus römischem Ursprung ableiten könnte, hat es aber noch nicht sein Bewenden, in einem dialektischen Verfahren zieht der Chronist jetzt die Qualität römischer Herkunft generell m Zweifel. Er zählt namentlich neun, mehr oder minder erloschene Geschlechter auf (1,41,24-41,32),^^' die unter Karl nach Deutschland gekommen seien. Dabei handelt es sich freilich meistenteils um Ministeriale oder kleinadlige Herren, deren zuvor suggerierte Lehensabhängigkeit damit selbstredend bestätigt wird. Die Stoßrichtung Frobens geht jedoch nicht gegen diese unbedeutenden Geschlechter, gemeint sind jene großen Dynastien, die sich von denen Römern herkamen sein berüemet (I,41,7f.). Sie bleiben ungenannt, aber aufgrund der politischen Konkurrenz und ihrer herausgehobenen Stellung in der Chronik können nur die Werdenberger und Zollem gemeint sein."'' Da nach Frobens Rechtsverständnis freies Allod gleichbedeutend mit dem Anspruch auf Territorialherrschaft ist, sichert er implizit mit seiner genealogisch-literarischen Konstruktion der eigenen Dynastie einen ständischen Rang, wie er dem südwestdeutschen Hochadel entspricht. Freilich muß er bedachtsam argumentieren und mögliche Kritik an seiner Konstruktion abfangen. Deren entscheidende Schwachstelle wird im Versuch, sie argumentativ aus dem Weg zu schaffen, deutlich. Denn auch die Zimmern treten nach der Neuwahl eines Königs mit diesem in Verhandlungen über ihren Besitz und ihre Rechte ein, und ein solcher formaler Akt ist ftir alle sichtbar: Also haben die freiherren von Zimbern nie nichts von dem römischen reich oder ainigem kaiser an iren herschaften zu lehen enpfangen, sonder dieselben als ire aigne und freie güeter ie und allwegen on beschwert und auflegung, ja on alle phlicht, ingehapt. Des zu ainer glaublichen urkundt phligt ain römischer kaiser der zu ieder zeit regiert, der herschaft Zimber die regalia nicht wie andern Stenden im reich zu verleihen, sonder inen die, wie sie die von alter here herbracht, gnedigist zu confürmiren. (1,42,1-10)

Froben läßt offen, was sich hinter dem Begriff confürmieren verbirgt. Aber im nachhinein scheinen seine ganze bisherige Argumentation und die zahlreichen 'Belegerzählimgen' darauf ausgerichtet gewesen zu sein, an dieser Stelle den Leser zur Erkenntnis zu bringen, die Lehensbestätigung sei nur ein formaler Akt, der den allodialen Besitz der Zimmern nicht berührt."' Froben erzeugt

Herzöge von Urslingen (1442 erloschen; zu ihrer Geschichte vgl. SCHUBRING, Herzoge, S. 1994), Freiherren von Homberg (1399 erloschen), Herren vorn Triberg (1325 erloschen), Herren von Kümeck (furstenbergische Ministerialen bis ins 15. Jahrhundert), Herren von Brandeck (Vasallen der Grafen von Hohenberg), Herren von Neckarburg (11. Jahrhundert), Eisenburg (?), Falkenstein (?), Edelfreie von Grüningen (im 14. Jahrhundert letztmals bezeugt). Vgl. zu den Werdenbergem GRAF, Geschichten, S. 123; zu den Zollem LHOTSKV, Apis, S. 186.

Eine vergleichbare Bestätigung allodialer Herrschaft ist mir nicht bekannt, und auch für die Forschung sind die Zimmern ein singulärer Beleg. Vgl. KRffiGER (Lehnshoheit, S. 300, Aran. 354), der die Chronikstelle als historischen Beweis für die Existenz derartiger Akte ansieht

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geschichtliche Wahrheit hier in einem diskursiven Verfahren. Das eigentliche Ziel, die Bestätigung der allodialen Herrschaft, wird dabei nicht expliziert, sondern Argumente und Gegenargumente 'ausgelegt', die vorrangig dem Zweck dienen, an der entscheidenden Stelle die Erkenntnis des Lesers im Sirme des Chronisten zu steuern. Inhaltlich gesehen unterscheiden sich die Herkommenkapitel der 'Zimmerischen Chronik' in Intention und Funktion nicht von vergleichbaren Bemühungen des Adels oder Patriziats: Nach dem Grundsatz, wonach Erhabenheit und ständischer Rang einer Gemeinschaft in der Vergangenheit einen Widerschein auf die Lebenden wirft, wird dem eigenen Geschlecht oder Gemeinwesen zur Anbindung an eine als ehrenvoll anerkannte Vergangenheit verhelfen. Alter und Rang begründen dabei eine auf der Metaebene ideologischer Behauptungen basierende Legitimation, die über eine rein machtpolitische oder rechtliche Statuierung hinausreicht, gleichwohl diese immer auch das mittelbare Ziel darstellt."' Gemäß dem mittelalterlichen Grundsatz, wonach altes Recht immer auch gutes Recht ist,"° wird der zeitgenössische Status quo in die Vergangenheit verlängert, bzw. die eigenen politischen Ambitionen und Wünsche werden als Realitäten einer früheren Zeit präsentiert, die es bloß wieder zu aktualisieren gilt. In dieser Tradition steht auch das zimmerische Herkommen, bei dessen Lektüre sich implizit der Eindruck einstellt, die Erhebung in den Grafenstand sei keine Neuerung, sondern Wiederherstellung eines alten Zustandes. Die Chronik leistet also hier eine Art öffentlicher Nobilitierung im historiographischen Umfeld. Dessen Horizont erfordert aber vom Chronisten eine angemessene Darstellungsmethode, die aus einer engen Vermischung von Chronographie"' und einer poetisch-fabulösen Konstituierung einer genealogischen Sukzession besteht."^ Charakteristisch für Proben ist die Aufwertung des eigenen Geschlechts durch einen diskreten Rufinord an anderen Herkommen. So werden die bekannten fiktiven Erzählungen von der Exilierung stadtrömischer Geschlechter so umkonstruiert, daß jene deutschen Adligen, die sich auf diese Vergangenheit berufen, nicht mehr als Abkömmlinge christlicher Märtyrer erscheinen, sondern als Verschwörer gegen Kirche, Papst und König.

und damit den diskursiven Zusammenhang dieser Chronikpassage verkennt. Zum Problem siehe auch SCHEYHING, Eide, S. 289f. Vgl. MÜLLER, Gedechtnus, S. 93f. Vgl. KERN, Recht, bes. S. 38-42. RÜSEN, Typen, S. 543. Anders jedoch in der Chronik der Grafen von Zollern, in der das Bild über den Text dominiert. Als Musterbeispiel dieses Typs darf die 'Schwäbische Chronik' Lirers gelten. Vgl. zu dieser Thematik auch die immer wieder zitierte Kritik Aventins (WENZEL, Alls, S. 21) an der Chronik Füeterers sowie die Auseinandersetzungen um die Fälschungen des Trithemius (STAUBACH, Suche).

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5.3.4. Die Konstituenten des Herkommens und der Wahrheitsdiskurs Das zimmerische Herkommen ist Bestandteil des zeitgenössischen Diskurses über die Abstammung der Deutschen. Proben folgt der allgemeinen Tendenz, die bisherige römisch-italienische Tradition zugunsten einer urgermanischen Herkunft aufzugeben."' Vorreiter hierfür war Maximilian, der die Habsburgerabstammung vom Haus Colonna revidieren ließ;"" ihm folgten Waldburg, Geroldseck, Zollem und Rechberg. Zwar geht der zimmerische Chronist nicht so weit, wie Maximilian die eigene Genealogie bis zu den Erzvätern zurückzuverfolgen,"' aber der trojanischen Herkunft der Habsburger setzt er doch die eigene Herkunft von den Kimmeriera entgegen, die schon 100 Jahre vor Homer (1,1,15) von Schleswig-Holstein nach Kleinasien gezogen seien. Wie die maximilianische Historiographie mußte Proben bei seinen Konstruktionen offensichtliche Widersprüche vermeiden und Rücksicht auf die Abstammungsmythen konkurrierender Geschlechter nehmen. Die Ausnahme bilden die Werdenberger und ihre römische Herkunft - hier wirkt noch das Trauma der Werdenberg-Zimmem-Händel nach. Nicht aus Objektivitäts-, sondern aus Opportunitätsgründen orientiert sich Proben an der im 16. Jahrhundert auf der Textoberfläche üblichen Trennung zwischen res fictas und res factae, verfährt dabei aber nicht schematisch. Er differenziert zwar zwischen historia, wie er sie bei den antiken Schriftstellern und in mittelalteriichen Chroniken (1,36,12f) findet, und den erdicht Geschichten (1,27,23f), aber damit fällt er nicht zwangsläufig ein Urteil über den Wahrheitscharakter: Auch eine aus den historien bezogene Nachricht bedarf des prüfenden Vergleichs, und selbst bei jenen, ihm unglaubwürdig erscheinenden Nachrichten hält er sich die Möglichkeit offen, auch darin eine historische Wahrheit zu entdecken (I,27,36flf.). In der Auseinandersetzung mit der Überlieferung erkennt Proben, daß sich die geschichtliche Wahrheit nicht von selbst aus den Quellen ergibt, sondern vom Chronisten zu erschließen ist, und selbst den 'wahren' Pakten ein Sinn verliehen werden muß. Mit anderen Worten: Ohne eine übergreifende Sinnorientierung ist keine ChroDie Geschleciiter benötigten nun - wie SEIGEL (Geschichtsschreibung, S. 103) meint - allgemein den Nachweis ihrer deutschen Herkunft. Dies wurde unterstützt durch eine mehr oder minder direkte 'Ansippung' an das Geschlecht Karls d. Gr. Vgl. dazu ALTHOFF, Fiktionen, S. 421; MELVILLE, Vorfahren, S. 273ff. ^^^ Paradigmatisch dafür war die Weiterentwicklung der Abstammungslegenden der Habsburger: Während Thomas Ebendorfer zur Regierungszeit Friedrichs Ш. noch aus politischen Gründen die italienische Herkunft der Habsburger in seine Chronik aufnimmt, zeigt sich nur 50 Jahre später an der Neubegründung des Stammbaums durch Maximilian, wie wenig die italienische Herkunft Maximilians politischen Erfordernissen genügt. Maximilian hatte ja damit nicht weniger im Sinn als das Haus Habsburg als Kulminationspunkt einer Synthese der hervorragendsten Geschlechter Europas zu beschreiben. Vgl. auch SEIGEL, Geschichtsschreibung S. 100, Arun. 40. Nach MOEGLIN (Bewußtsein, S. 41) war die Colonna-Abstammung nur ein "Notbehelf zu dem Zwecke, mögliche Zweifel an dem glorreichen Ursprung der Dynastie zu widerlegen". Auf die Absurdität einer genealogischen Rückbindung an die Erzväter wurde bereits schon zu Lebzeiten Maximilians hingewiesen. Vgl. LHOTSKY, Apis, S. 212.

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nik ZU schreiben. Der Frage nach der vergangenen Wirklichkeit geht demnach das Nachdenken über den politischen Nutzen der Antwort voraus. Deswegen erörtert Proben die Gründe fur die Aufiiahme geschichtlicher Quellen im Hinblick auf ihre Sinnhaftigkeit oder verlangt, man müsse den 'Fakten' der Geschichte erst ein ansehen machen}^'' Implizit ist damit auch die Frage nach dem Fiktionalitätsbewußtsein des Chronisten beantwortet:^" Derm was nützt eine Wahrheit, aus der sich für den Leser kein Sinn ergibt? Die klassische Möglichkeit der Sinnstiftung ist die narrative Organisation"' eines Geschehens, wie sie in 'poetischen' Texten zu finden ist. Da jedoch der Wert einer Chronik mit der Frage nach der geschichtlichen Wirklichkeit verknüpft bleibt, muß sich der Chronist gleichermaßen an der Faktizität wie an fiktionalen, Sirmhaftigkeit erzeugenden Zusammenhängen orientieren. Dies trifft in besonderem Maß fiir das Herkommen zu, da sich nur mit Hilfe einer narrativen Organisation des aus disparaten Quellen zusammengetragenen Materials ein zusammenhängender Erzählfluß herstellen läßt und nur so Geschehen deutbar wird. Das erzählerische Kontinuum erst suggeriert eine entsprechende Kontinuität des Geschlechts und ermöglicht es, anhand des konstruierten Bildes der Vergangenheit eine Identität des eigenen Geschlechts zu stiften."' Diese Konstitution eines in der Chronik entworfenen geschlechtstypischen Profils entspricht einer "anthropologische[n] Grundform des historischen Erzählens", die nach RÜSEN die Funktion besitzt, "das Deutungspotential der Erinnerung so zu mobilisieren und zu aktualisieren, daß mit ihm über handlungshemmende Zeiterfahnmgen orientiert und mit Hilfe dieser Orientierung Handlungshemmungen aufgelöst werden können.""" Hierin unterscheiden sich die historiographischen Werke auch vom christlichen Ahnenkuh oder humanistischer Panegyrik. Um einem Orientierungsbedürfiiis mittels einer dynastiespezifischen Identität zu entsprechen, ist es erforderlich, eine möglichst große Bandbreite an geschichtlichen Ereignissen, die dieser Anforderung entsprechen, zu bieten und alles darstellerisch so zu organisieren, daß es als wahr akzeptiert wird. Wie bereits erwähnt, sichert dies der Chronist nach außen, gegenüber der sodalitas eruditorum, ab, indem er sich Niveau, Duktus und den historiographischen Diskussionen der Humanisten anpaßt. Deswegen

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Siehe unten S. 358ff. Vgl. dazu auch HARTH, Fiktion, S. 627: "Der Standpunkt des Historikers [...] verdankt sich häufig genug keiner bewußten Wahl. Insofern liegt ihm auch keine Fiktion zugrunde, da diese sich im Unterschied zu Täuschung und Irrtum des Scheincharakters des von ihr Behaupteten stets bewußt ist". Im Gegensatz zur nicht-narrativen Organisation der Chronographie, an die der Sinn erst von außen herangetragen werden muß. Vgl. RUSEN, Typen, S. 526f. Vgl. ebd., S. 535. Ebd., S. 529. Anders hingegen GUMBRECHT (Versuch, S. 481), der sich gegen eine metahistorische und interkulturelle Anwendung des Begriffs 'Historiographie' wendet und mit sanfter Ironie auf den forschungsgeschichtlichen Reigentanz von historisierenden und anthropologisierenden Tendenzen verweist (ebd., S. 512).

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postuliert Proben nicht einfach eine bestimmte Abstammungstheorie als historisches Faktum, sondern entwickeU diese diskursiv. Unmittelbar mit dem Wahrheitskriterium hängt die Frage zusammen, wie Froben mit negativen Ereignissen in der Geschichte fertig wird. Es ist wiederum ein besonderes Charakteristikum der Chronik, daß die Identität des Geschlechts nicht nur mittels Rang und Alter, sondern auch anhand von Niederlagen aufgebaut wird. Diese werden in der Deutung des Chronisten zum historischen Erfolg, weil sich an ihnen die Fähigkeit der Khnbem/Zimmem zeigt, selbst nach einer fast völligen Vernichtung doch wieder zur früheren Größe emporzusteigen. Der aktuelle Bezug dieser Geschichtskonstruktion ist die Erfahrung des Chronisten,^"' der den Niedergang seines Geschlechts am Ende des 16. Jahrhunderts und die permanente Gefahr des Aussterbens im Marmesstamm vor Augen hat. Die vom Leser der Chronik zu leistende Deutung richtet sich auf Gegenwart und Zukunft: Wie das Geschlecht in der Vergangenheit selbst größte Niederlagen überstanden hat, so wird es auch jetzt weiterieben. Die Funktionen eines adligen Herkommens sind heterogen, sie lassen sich, wie die historiographischen Unternehmungen der Habsburger auch dem Zeitgenossen vor Augen gefuhrt haben,widerspruchsfrei in keiner theoretischen Abhandlung bewältigen. Vielleicht hat sich Froben nicht zuletzt deswegen zu einer narrativen Organisation des zimmerischen Herkommens entschieden. Mittels plastischer historischer Szenen, wie der Flutkatastrophe in Norddeutschland, und den Kimberaschlachten, mit der Konzentration auf Entfaltung und Lösung historiographischer Probleme und mit der Perspektivierung des historischen Geschehens lenkt er von offenen Unstimmigkeiten und Paradoxien ab und erzeugt eine finale Ausrichtung der Geschichte des eigenen Geschlechts. Froben erfüllt den humanistischen Wahrheitsanspruch und unterläuft ihn gleichzeitig. Ausgehend von seinen in die Vergangenheit projizierten aktuellen Erfahrungen, gilt Frobens Interesse dem Ziel, die Dynastiegeschichte als sinnvoll zu interpretieren und ein geschlechtsspezifisches Grundmuster, das gewissermaßen ein Element der longue durée ist, zu definieren. Es wird zu zeigen sein, auf welche Weise Froben das hier erstmals entfaltete 'Gesetz der Dynastiegeschichte' im weiteren Fortgang der Handlung zur Geltung bringt.

Vgl. dazu RÜSEN, Typen, S. 528. In der zimmerischen Bibliothek befand sich eine Druckausgabe des 'Theuerdanks' von 1519 (Donaueschingen, FFA, Catalogus, M [Impressa antiqua] 6).

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5.4. Konstruierte Vergangenheit. Die Geschichte des Geschlechts im Mittelalter"^ 5.4.1. Das Universum der Texte und die Wahrheit Der Genealoge und Historiker des 16. Jahrhunderts steht in der gleichen Situation wie der Historiker der Moderne, er versucht einem Universum von Texten eine Struktur abzugewinnen, die seiner eigenen Sicht der Welt entspricht. Die ideologischen Vorgaben iur Proben sind dabei eindeutig, die Texte müssen die ununterbrochene Existenz und den adligen Status des eigenen Geschlechts belegen, und da dies mittels der wenigen ihm zugänglichen Quellen aus dem frühen Mittelalter nicht möglich ist, bedient er sich der Denkmuster seiner Zeit und projiziert sie in die Vergangenheit zurück. Die Verschmelzung der Vergangenheit mit der Gegenwart auf der Basis anthropologischer Grundkonstanten soll letztlich die Glaubwürdigkeit der Fiktion erzeugen. An die Stelle der Berufung auf die antiken Autoren müssen andere Beglaubigungsstrategien für die Geschichte treten, Proben findet sie in der Einschreibung zimmerischer Vergangenheit in die Reichsgeschichte, in der Operationalisierung narrativer Muster und in der kreativen Verarbeitung der vorhandenen Quellen. Angesichts der schlechten Quellenlage zwischen dem Ende des Karolingerreichs und der ottonischen Herrschaftszeit tritt Proben jetzt wieder im Gewand des kritischen Historikers auf und gesteht eine Lücke in der 'Überlieferung' der Dynastiegeschichte ein; ein Bekenntnis, welches angesichts der bislang behaupteten ungebrochenen Kontinuität des Geschlechts überrascht."" Der Vorteil eines solchen Eingeständnisses liegt in dem Zuwachs an wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit. Wie sich bei der Approbation des bis zu den Erzvätern zurückgeführten Stammbaums Maximilians durch die Wiener Universität nämlich gezeigt hat, lösen allzu vollständige Genealogien Widersprach aus."' Der Nachteil einer aufgrund der mangelhaften Quellenlage nur brachstückhaft zu verfolgenden Genealogie wiegt für den Chronisten nicht allzu schwer, da die Linie dadurch nicht grundsätzlich in Präge gestellt wird, aber die bisherigen 2. Chronikabschnitt (Kap. 8-27) Die Kapitel 8-27 lassen sich gegenüber den vorangegangenen dadurch abgrenzen, daß der Chronist selbst eine Überlieferungslücke zwischen der Zeit Karls d. Gr. und dem 10. Jahrhundert einräumt, die Geschlechtsgeschichte zurücktritt und die einzelnen Kapitel sich an übergreifenden Sachthemen orientieren. Dazu gehören Standesfragen, das Verhältnis zwischen weltlicher und geistlicher Macht, die Reichs- und Regionalpolitik aber auch in Ansätzen eine Theorie der Geschichtsschreibung. Ab dem 28. Kapitel werden die 'Biographien' der regierenden Freiherren von Zimmern zum ordnungsstiftenden Faktor. Dies findet seinen äußeren Ausdruck in den Überschriften, in denen leitwortartig die Namen der jeweiligen Dynasten stehen. Zur Gliederung vgl. oben S. 148. 1,42,31-36: Nach obgeschribner zeit findt man ungevärlich bei ainhundert und zwainzig jaren nichts von denen freiherrn von Zimbern geschhben, gleicherweis wie vor kaiser Carlen bis auf die zeit, das regiert hat das römisch reich Hainrich, der erst des namens, genannt der Vogter, seines stamens ain herzog von Sachsen und Teuringen etc. Vgl. dazu LASCFFLTZER, Genealogie S. 25-30, MÜLLER, Gedechtaus, S. 87f

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und künftigen Quellenberufimgen um so glaubwürdiger wirken. Zudem karm Frohen auf die feMenden Quellen gut verzichten, weil er bereits frühzeitig mit dem toponomastischen Herkunftsbeweis eine zweite beweiskräftige Stütze in seine genealogische Konstruktion eingezogen hat. Da der Chronist nicht ganz ohne Quellenbezeugungen auskommt, bedient er sich einer Kombination aus Quellenerfmdung und -verschweigung. Seine 'Quellenangaben' sind mitunter ganz nebulös - so etwa sein Hinweis auf einen verbrannten Bilderteppich^·^ oder ein Zimmemgrab in Cassuben^" Die methodische Raffinesse Frobens besteht darin, daß sich gelegentlich hinter den vagen Angaben nicht nur Erfmdungen verbergen, sondern 'Fakten', die von edierten Quellen bestätigt werden. Wenn Froben die Herkunft seines Wissens verschweigt, dann suggeriert er die Existenz einer eigenständigen, ihm bekannten Quelle, deren Wahrheitsgehalt durch die Parallelüberlieferung bewiesen ist. Die von Froben verwendeten Quellen lassen sich anhand des Verzeichnisses am Schluß der Hs. В (S. 1558-1561) und des erhaltenen zimmerischen Bibliothekskatalogs rekonstruieren. So hat Froben die reichsgeschichtlichen Ereignisse im 8. Kapitel wahrscheinlich der 'Sachsengeschichte' Widukinds von Corvey entnommen, zumindest weist seine Darstellung deutliche Parallelen dazu auf."' Frobens Methode besteht also in einer historiographischen Camoflage. Er schöpft eine allgemein akzeptierte, historiographische Quelle aus und fiigt deren Bericht ohne Quellenangabe in seine Geschichtskonstruktion ein. Ein historisch versierter zeitgenössischer Leser erkennt ohne weiteres die Parallelen, und kann so zur Schlußfolgerung verfuhrt werden, Frobens dynastische Erfmdungen seien durch die reichsgeschichtliche Quelle bestätigt. Die Glaubwürdigkeit der in die Reichsgeschichte inserierten Dynastiegeschichte beruht auf der Plausibilität des Erzählten. Wie Froben dabei verfährt, läßt sich an der Verarbeitung des Investiturstreits im 15. Kapitel sehen. Für den Chronisten ist dabei nicht die Zuordnung der Zimmern zu einem der beiden

^^ Als Beleg für die Teilnahme eines Werners von Zimmern am böhmischen Feldzug Heinrichs Ш. verweist der Chronist auf einen Bilderteppich, den die schwäbischen Adligen nach ihrer glücklichen Rückkehr anfertigen ließen. Über diesen Teppich schreibt Froben weiter, er sei bei vierzig jharen in gemelter kirchen bei sant Lienhart zu Etenhaim noch verbanden gewesen, nachvolgends anno domini fünfzehenhundert fünfundzwainzige ist er sambt vilen andern monumenten, daraus dise historia zu thail gezogen, in der beurischen aufruor zerhawen und verbrennt worden (1,65,17-22). 1,53,35-40: Das aber dises ain warhaftige geschickt sey, so sieht man noch heut bei tags die begrebtnus herrn Friderrichs von Zimbern, der in dem land todts verschiden und in aim closter in Cassuben, Benedicter ordens, Abelshausen gehaißen, in ainer sondern cappelin begraben ligt, inmaßen sein abcontrofetung in ain fenster in selbiger cappe! geschmelzt etc. Natürlich liegt auch hier wieder ein rein fiktiver Augenscheinbeweis vor, was schon allein an der Nachricht über das Fensteφorträt Friedrichs erkennbar ist: Ein derartiges Glasschmelzverfahren war im frühen Mittelalter noch unbekannt. Vgl. hierzu unten S. 197. Vielleicht hat Froben für diesen Abschnitt auch das im Literaturverzeichnis der Chronik erwähnte Werk Reginos von Prüm (Hs. B, S. 1558; IV,337) herangezogen.

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Die 'Zinunerische Chronik'

Lagern relevant, denn die kaisertreue Haltung der Zimmern ist schon längst mehrfach pointiert unterstrichen worden, vielmehr dient die Reichsgeschichte jetzt auch der Illustration angemessenen dynastischen Verhaltens. bi Frobens Bericht über den Konstanzer B i s t u m s t r e i t , d e r Teil des Investiturstreits war, wird ein Georg von Zimmern als Vertreter des Geschlechts zum königlichen Heer geschickt. Auf dem Weg zum Sammelplatz übernachtet Georg bei dem Freiherm Hartmann von Hohenklingen, dessen Gattin aus der Familie der Heiligenberger stammt. Nach dem Sieg kehrt Georg von Zimmern wieder auf Hohenklingen ein und bleibt dort, bis er mit der Tochter Adelgund verlobt wird."" Zwar kommt die Hoch2eit wegen Georgs unzeitigem Tod nicht zustande, aber dies schmälert nicht die dynastische Funktion der Geschichte: Proben, der die Klingenberger und die - mittlerweile ausgestorbenen - Heiligenberger^^' als bedeutende Grafenfamilie einfuhrt, signalisiert die Ebenbürtigkeit mit den Grafen. Die Erzählung von der Minne-Beziehung zwischen Georg und Adelgund trägt romanhafte Züge, sie entspricht dem 'Erbtochtermotiv'"^ im zeitgenössischen Prosaroman. Narrative Sparmung baut Froben am Ende des Kapitels auf, wenn er verspricht, die Gründe für den frühzeitigen Tod Georgs an späterer Stelle nennen zu wollen (1,85,8-11). Spezifisch literarische Gestaltungsmittel sind die Verdichtung und Konzentration des Erzählten auf die Wendepunkte der Geschichte (1,83,2-21) sowie die Beschränkung auf szenische und bildhafte Ausschnitte (1,84,36-85,2). Bei der Darstellung der erwachenden Liebe zwischen Georg und Adelgund in der 'Burgeinkehr' greift er auf ein verbreitetes literarisches Motiv des Artusromans zurück."^ Froben formuliert das Ziel seiner Geschichte nirgendwo explizit, aber das Arrangement der Handlung fuhrt den Rezipienten zu der Schlußfolgerung, daß Reichstreue ihren Lohn in einer lukrativen Heirat findet. Die Darstellung der Reichs- oder Regionalgeschichte hat demgegenüber kaum Relevanz, sie ist hier für Froben nur als Rahmen fur seine literarische Fiktion interessant."" Die Anpassung der Geschichte an die eigenen Intentionen bei einer gleichzeitigen Bewahrung wissenschaftlicher Seriosität erfordert einen kreativen Umgang mit den Quellen. Dies zeigt Frobens Verarbeitung der Chronik des

Zu Ereignissen und Quellen vgl. STALIN, Geschichte Π, S. 27f. und BURCKHARDT, Schweiz, S. 31-38. Vgl. zur Geschichte um Adelgund auch unten S. 212. Der Besitz des letzten Heiligenberger fiel durch Verkauf an die Grafen von Werdenberg. Auch hier könnte in der Wahl des Heiligenberger Namens ein Hinweis auf уефаВ1е Arrondierungschancen der Zimmern zu sehen sein, waren sie doch mit den Heiligenbergem verwandt. THOMAS, Handlungsstruktur, S. 33-40. Vgl. etwa Hartmann von Aue, Iwein, v. 276-395 und v. 780-794 oder Konrad von Stoffel, v. 3 9 4 5 - 4 1 9 6 und 4544-4634.

"" Deswegen geht JENNYS Kritik (Froben, S. 164), wonach Froben "ein wildes Gewirr von Wahrheit, Verfälschung, Interpretation und die Fakten beliebig interpretierender Motivierung" biete, ins Leere.

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Gallus Oehem (vor 1450-1522),"' die er aus der Bibliothek seines Onkels Wilhelm Werner, der eine Abschrift mjt zahlreichen scharfsinnigen Konjekturen anfertigte, gekannt haben dürfte."' Während Wilhelm Werner den Oehemschen Text in seiner ganzen strukturellen Unübersichtlichkeit unangetastet ließ,"' hat Frohen ihn redaktionell bearbeitet. So berichtet der kaisemahe Oehem vom Bann des Papstes gegen Heinrich IV. und verschweigt nur die Gründe: Der küng ward hoch durch dise bottschafft belaidigt und erzürnt, handelt etwaz, hie nit nott zuo beschriben, wider den babst, darumb in der babst in den bann verkünt."' Proben hingegen unterschlägt auch den Barmfluch. Außerdem vertauscht er Ursache und Wirkung: Sind es bei Oehem die abtrürmigen Fürsten, die den Papst in die Streitigkeiten der Deutschen hineinziehen, ist es bei Proben der Papst, welcher zu verderpnus und zerrittung ganzer teutscher nation (I,75,30f.) die Großen des Reiches gegen den König aufhetzt. Der Vergleich zwischen beiden Darstellungen läßt die unterschiedliche geschichtliche Akzentuierung deutlich werden. Während Oehem gegenüber Papst und Kaiser den gleichen Abstand wahrt und die Schuldigen an dem Konflikt unter den deutschen Fürsten ausmacht, verfährt Frohen anders: Für ihn ist der Papst der Schuldige, und Zweifel an einem Mitverschulden Heinrichs IV. läßt er gar nicht erst aufkommen. Besonders bezeichnend für Frobens Vorgehen ist seine Verarbeitung von Georg Rüxners 'Tumierbuch',"' einer Quelle, die bereits zu seiner Zeit gleichermaßen bekarmt wie imistritten war. Proben mußte hier sehr vorsichtig zu Werke gehen, weim er das 'Tumierbuch' för seine Zwecke instrumentalisieren wollte, ohne die Seriosität seiner Arbeit zu gefährden. Er bedient sich deswegen von Anfang an einer Doppelstrategie. Zunächst hilft wieder das bewährte Mittel der Quellenverschweigung: Bereits im 8. Kapitel schreibt er bei der Darstellung des Ungamkriegs zwei Passagen aus Rüxner ohne Quellenangabe ab.^®" Wenn er ihn jedoch im 9. Kapitel anläßlich der Tumierstiftung nennt, geht er auf vorsichtige Distanz.^" In einer beachtenswerten Mischung aus wisZu Gallus Oehem vgl. HILLENBRAND, Öhem, S. 728-731. Donaueschingen, FFA, Catalogus, N17 (BARACK, Handschriften, Nr. 622). " ' Oehem, Chronik, S. ХХУШ. Ebd., S. 97,15ff. " ' Das Werk ist in einem Nachdruck der Augabe von 1530 bequem zugänglich (vgl. Rüxner, Tumierbuch). Der Erstdruck von 1530 war einer Prachtausgabe, die in der Hofdruckerei des Johanns n. von Simmem entstand (Hieronymus Rodler, Simmern). Ihr folgte rasch eine große Zahl weiterer, weniger kostspieliger Ausgaben, in denen einzelne Änderungen vorgenommen wurden. Trotz der bald einsetzenden wissenschaftlichen Kritik an dem Werk wurde das Interesse der Öffentlichkeit nicht geringer. Zum Autor Rüxner vgl. unten Anm. 264. ^^ Der Sieg Heinrichs I. und die sich daran anknüpfende Gründung der Turniere hat für die adligen Hauschroniken deswegen entscheidende Bedeutung, weil die Hauschronisten ihr Geschlecht mit diesem hiitialmythos unbedingt verknüpfen wollten. Die Quelle ist jeweils Rüxner, Tumierbuch, f. 2"-12'. 1,55,6-12: Wie aber solcher turner verbracht, welche geschlecht und wer turniert, auch w a i die capitel und Ordnungen des turners in sich halten, das ist vor kurzen jaren [...] durch den

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senschaftlichen Korrektheit und unverblümter Offenbarung der eigenen Motive wird die Verwendung des 'Tumierbuchs' mit dem sich darin widerspiegetaden frühen Glanz und Ruhm der Zimmern begründet: AUain ist der turner izmals aus der ursach anzogen, dieweil die alten freiherm von Zimbern auch darin erfunden, das die nit weniger, dann andere ernliebhabende geschlechter, vor sovil hundert jarn der ritterschaft nachzogen, denen römischen kaisern und königen gedient, wider die ungleubigen gestriten und aller eeren und tugenden sich beflissen haben, als nemlichen herr Jörg freiherr zu Zimbern, der hat disen turner besucht. (1,55,12-19)

Angesichts der Erwähnung des Dynastienamens zu einer Zeit, aus der keine Quellen vorhanden sind, treten die Zweifel an Rüxner zurück. Ein solch weitverbreitetes, aufwendiges und in seiner Verbindung von Text und Bild attraktives Werk kann nicht übergangen oder verworfen werden. Das von einem Herzog geforderte 'Tumierbuch' wirkte normativ und entsprach trotz aller Widersprüche einem tiefsitzenden Bedürfiiis der Zeit nach Kategorisierung und Historisierung. Gleichwohl bleibt sich Proben der mangelnden Glaubwürdigkeit seiner Quelle bewußt, imd im Zuge einer wachsenden Quellenkritik in den Nachträgen geht er dann doch auf deutliche Distanz und bescheinigt dem Werk, es habe allgemein ein schlechts ansehen (1,18,6). Vor allem stehen manche Angaben des 'Tumierbuchs' im Widerspruch zu seinen eigenen Konstruktionen und Interessen. So verwirft Proben in geradezu "ärgerliche[m] Ton"^'^ Rüxners Herleitung der Zollem von den Römern^" und moniert die Angabe eines falschen zimmerischen Leitnamens (1,185,13-16). Die so entstandenen Widersprüche in seinem Werk löst Proben nicht auf, denn er will beides, die Vorteile von Rüxners Konstruktionen nützen und sich gleichzeitig gegen politische und wissenschaftliche Kritik absichern. Exkurs: Das 'Tumierbuch' Georg Rüxners Das ' T u m i e r b u c h g e h ö r t noch immer zu den Werken, bei denen weder Inhah und Struktur noch Produktions- und Rezeptionsbedingungen hinreichend analysiert sind.

ernholden Jergen Rixner, mit seinem zunamen genempt Hierusalem, vleisig und seer weitleufig geschriben. JENNY, Frohen, S. 27.

1,15,39-16,9: Der persevant Jörg Rixner schreibt in seinen collectanien von dem ursprung deren grafen von Zollern, das die von den Colonesern uszer Rom erstlichs entsprungen und herkommen, vermeldet darbei, das der erst Ferfridus gehaiszen und im die grafschaft Zollem von kaiser Hainrichen dem dritten ingeben seye. Sollt ein wunder nemen, woher diser Rixner mit solcher fantasei keme, seitmals darzuthuon (got geh, was die welschen heuchler schreiben), das der Coloneser nam der zeit in Rom unerkannt oder doch in kainer besondern achtunggewesen. Vgl. zu dieser Thematik oben S. 181. Zu Georg Rüxner vgl. KURRAS, Rixner, S. 341-344.; ZOTZ, Adel, S. 452; MEYER, Tumiergesellschaften, S. 501; GAMBER, Ritterspiele, S. 514, 517ff.

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Zwar ist die weitgehende Fiktionalität des Werkes nicht mehr b e s t r i t t e n , a b e r diese Erkenntnis hat die literaturwissenschaftliche wie die historische Analyse gleichermaßen behindert. Dabei handelt es sich bei Rüxners Werk immerhin um eines der erfolgreichsten gedruckten Pnmkbücher des 16. Jahrhunderts, und anhand der dort zu findenden Erzählungen ließe sich die Weiterentwicklung der bislang in den höfischen Epen vermittelten ritterlichen Wertvorstellungen erschließen und die damit einhergehende Verlagerung vom fiktionalen zum wissenschaftlichen Diskurs verfolgen. Die Frage nach der Funktion des Rüxnerschen Werkes läßt sich anhand der Schilderung des ersten Turniers von 938 und des darin aufgenommenen Adelskatalogs beantworten: Rüxner will den dabei erwähnten Adelsgeschlechtem den imbezweifelbaren Nachweis ihrer Tumierfähigkeit ermöglichen und damit ihre Zugehörigkeit zum alten deutschen Adel bestätigen. Dessen Ursprung als einheitlicher und herausgehobener Stand wird damit definitiv ins 10. Jahrhundert zurückverlegt. Die Tumierfähigkeit wird in der sogenannten Tumiersatzung, die ebenfalls Heinrich I. - Rüxner tituliert ihn wie später Proben stets als Kaiser - erlassen haben soll, folgendermaßen definiert: Welcher vom Adel wolt einreiten und Thumirn / der nit von seinen Eltern Edel geborn und herkommen were und das mit seinen Vier Anichen nit beweißen kündt / der mag mit Recht diser Thurnir keinen besuchen}^ Abgesehen davon, daß noch weitere Kriterien die Turnierteilnahme reglementieren, etwa ritterliche Lebensfiihrung, Verzicht auf Ausübung eines bürgerlichen Berufs etc.,^" war fiir manche Ritter bereits die vierfache Adelsprobe - im 16. Jahrhimdert wird in der Praxis oft noch mehr verlangt - nur schwer zu erbringen. Rüxner kommt also einem weitverbreiteten Bedürfiiis entgegen, wenn er als Teilnehmer der ersten Tumiere Namen von Geschlechtem nennt, die es auch in der Gegenwart noch gibt. Rüxner schreibt gewissermaßen einen 'Gotha' des Adels im 15. Jahrhundert. Er bedient sich dabei der bekannten Leitnamen der lebenden Adelsgeschlechter^'' imd projiziert deren gegenwärtigen Status in die Vergangenheit. Ein solcher 'Nachweis' ist von unschätzbarem Wert, werm es gilt, eine altadelige Herkunft zu rekonstruieren. Es sei hier dahingestellt, ob die einzelnen Geschlechter sich selbst um die Aufiiahme in das Buch beworben haben, was zumindest angesichts der großen Bedeutung einer Tumierteilnahme fur das Selbstverständnis denkbar wäre.^" Jedenfalls ist es Rüxner darum zu tun, mit seinem Buch, welches schon von Anfang an auf den Druck ausgelegt ist, einen Absatzmarkt zu erschließen. Dazu setzt er neben den bekannten Fürsten- und Grafengeschlechtem vor allem Namen der Rittergeschlechter

Zur Geschichte der Turniere vgl. etwa in der älteren Literatur LUDWIG ALBERT FREIHERR VON GUMPPENBERG, Die Gumppenberger auf Turnieren. Nachtrag zur Geschichte der Familie von Gumppenberg, Würzburg 1862; ROTH VON SCHRECKENSTEIN, Ritterwürde, S. 610-668. Maßgebend fiir die geschichtliche Aufarbeitung des Themas ist jetzt der von FLECKENSTEDM (Turnier) herausgegebene Sammelband; zur literatur- und kulturwissenschafilichen Bedeutung der Tumiere vgl. BUMKE, Kultar, S. 342-379. Rüxner, Tumierbuch, f 23'. Vgl. WENZEL, Geschichte, S. 281-285; MEYER, Tumiergesellschaften, S. 509. So erscheint etwa für die Zimmern ein Werner als Teilnehmer eines Turniers in Würzburg (f 800 bzw. ein Wilhelm auf einem Turnier in Zürich (f 136·)· Beide Namen lesen sich fast wie eine Reverenz gegenüber Wilhelm Wemer von Zimmern (1485-1575), der ein Jahr vor Erscheinen des 'Tumierbuchs' Reichskammerrichter geworden war. Vgl. dazu ein Beispiel, welches ZOTZ (Adel, S. 489) anführt: Ein Nürnberger Bürger, der an einem Turnier teilgenommen hatte, "ließ sein Haus mit einer bildlichen Darstellung des Stechens schmücken."

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aus Süd- und Mitteldeutschland ein, in erster Linie also Angehörige des Reichsritterstandes. Rüxner hat sich nicht allein auf den Adel beschränkt. In seinem Bericht über das große Nürnberger Turnier von 1198 nimmt er auch eine Erzählung über eine Eskorte auf, die die Nürnberger Kaiser Heinrich V. für seine Weiterreise bis nach Donauwörth zur Verfugung gestellt haben sollen und für die sich der Kaiser mit der Verleihung zahlreicher Privilegien, wozu auch die Tumierfähigkeit für 40 Nürnberger Patrizierfamilien gehörte, bedankt habe. Diesen Bericht übersandte Rüxner bereits vier Jahre vor Drucklegung an den Nürnberger Rat, wohl in der Hofi&iung - wie ROTH VON SCHRECKENSTEIN zutreffend bemerkt"" - , dafür eine Belohnung zu erhalten. Der Schluß liegt nahe, daß Rüxner auf ähnlichem Weg auch an einzelne potentielle 'Kunden' herangetreten ist. Die Entstehung des 'Tumierbuchs' ist unmittelbar verknüpft mit der Spätblüte des Tumierwesens am Ausgang des Mittelahers und deren literarischen Folgen. Im Spätmittelalter kamen die kleinadligen Geschlechter von zwei Seiten ständerechtlich unter Druck:"' Einmal durch die Nobilitierungen neuer Geschlechter seitens des Königs und der Landesherrn und einer latenten Mediatisierungstendenz, zum anderen durch den Machtzuwachs der Städte. In diesem Kontext ist die Funktion der "Repristination""^ der Turniere zwischen 1479 und 1489 zu sehen. Mit der Restauration des Timiiergedankens hatte der Юeinadel am Ende des 15. Jahrhunderts ein wirksames Mittel entdeckt, sich als 'alter' Tumieradel gegenüber der neuen ständischen Konkurrenz abzugrenzen.^" Bald zeigte es sich allerdings, daß die aus Sparsamkeitsgründen vorgenommene Begrenzung auf ein Turnier pro Jahr^'" die Attraktivität der Idee minderte. Die Folge war das Ende der ritterlichen Tumiertätigkeit und ihre ausschließliche Verlagerung an den fürstlichen Hof, wo unter Ausschluß des Kleinadels tumiert wurde. Mitte des 16. Jahrhunderts vsoirden Turniere außerhalb der Höfe nur noch selten durchgeführt. Was von der ritterlichen Idee jedoch erhalten geblieben ist, wirkte jetzt in der Literatur fort und sicherte den Tumierdarstellungen einen hohen Wert. Die Exklusivität, die vormals die Tumierfähigkeit garantiert hat, wurde jetzt auf die Literatur übertragen, die Aufiiahme in ein Tumierbuch sicherte den Rang des erwähnten Geschlechtes - aus dem ritterlichen war ein literarischer 'Sport' geworden. Mit welchem Emst er betrieben wurde, zeigen die Änderungen in den Auflagen des 'Tumierbuchs' sowie eine Reihe von ähnlichen Unternehmungen."^ Die Diskussion um die Tumierfähigkeit eines Geschlechts hatte etwa dann eine ganz konkrete Bedeutung, wenn es um dessen Stiftsfahigkeit ging. Diese war zwar nicht unmittelbar von der Tumierfähigkeit abhängig, aber von einem Adelsnachweis. Im Unterschied zur kostenintensiven Tumierteilnahme brachte das Aufschwören in ein Stift Geld und Pfninde. Eine solche Aufiiahme in die 'Versorgungseinrichtung' Stift streben zunehmend mehr Adlige an, und entsprechend der Nachfrage werden die ZulasROTH VON SCHRECKENSTEIN, Ritterwürde, S. 643. " ' SABLONŒR, Rittertum, S. 563f ROTH VON SCHRECKENSTEIN, Ritterwürde, S. 667. " ' Zur Aufnahme des Tumiergedankens durch Maximilian vgl. JACKSON, Turnier, S. 290-294. Zur Instrumentalisierung des Tumiergedankens durch die deutschen Fürsten vgl. MEYER, Turniergesellschaften, S. 503-510. " ' ' MEYER, Turniergesellschaften, S. 512. Vgl. dazu die bildlichen Tumierberichte Kaspars von Lamberg, die Holzschnittfolge von Maximilians Triumphzug und Hans Burgkmaiers d. J. 'Tumerbuch' (1555-60); siehe hierzu GAMBER, Ritterspiele, S. 513ff.

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sungsvoraussetzungen iimner höher angesetzt."' Auch der zimmerische Chronist bezeugt diese Entwicklung, wenn er von den Verhandlungen über die Aufiiahme seines Bruders Christoph in das Straßburger Domkapitel berichtet (Ш,127,20-134,20). 14 hochadlige Vorfahren, väterlicher- wie mütterlicherseits, müssen die Zimmern nachweisen (Ш,129,160·.) und die lückenlose Ahnenkette anschließend von zwei Fürsten und zwei Grafen beglaubigen lassen. Die damit zusammenhängenden Untersuchungen und Verhandlungen nahmen mehrere Jahre in Anspruch und kommen erst im September 1531 mit dem Eintritt ins Domkapitel zum Abschluß. Proben bezeugt, daß hierfür reichlich Bestechungsgelder gezahlt worden sind, und da auch bei der Rekonstruktion der Ahnenreihe mütterlicherseits Lücken auftraten, kam das 1530 erschienene 'Tumierbuch' Rüxners für diesen Zweck genau zur rechten Zeit. Eine andere, wesentliche Funktion des 'Tumierbuchs' - weitgehend unabhängig von dem Wahrheitsaspekt - ist die in ihm vorgenommene Vermittlung einer Ethik, die gezielt auf ständeideologische Interessen eines adligen Publikums ausgerichtet ist. Rüxner bietet in den Tumierregeln eine Ritterlehre, wie sie fniher etwa im 'Jüngeren Titurel' zu finden war."^ Vor allem diese Lehre ist es, die das 'Tumierbuch' für den zimmerischen Chronisten zu einer Quelle von höchster Relevanz machte. Er fand darin eine traditionelle Adelsideologie vor, in der Verdienst immer mit dem Geburtsstand im Einklang stand.

Proben beschäftigt sich nur als Historiograph mit dem Wahrheitsgehalt des 'Tumierbuchs', als Hauschronist verwendet er diese Quelle dazu, um - mit GREENBLATT ZU sprechen - die sozialen Energien, die der Text konstituiert, zu erschließen und nutzbar zu machen. Proben stützt sich auf diese Quelle und die Erwähnung eines Georg von Zimmern, aber ihn interessiert die Tumierteilnahme nur sekundär, sondern fingiert eine ganze Familiensage um diese Pigur herum. Er beginnt zunächst im 8. Kapitel mit der Geschichte eines Friedrichs von Zimmern (1,43,1-44,20), des angeblichen Bruders jenes Georgs. Friedrich wird dargesteUt als Held von heroischer Statur, der sich in den Kriegen Heinrichs L auszeichnet und dafür mit der Sicherung der Grenze nach Osten betraut wird. Die Zugehörigkeit der Zimmern zum Adel ist somit durch das traditionelle Kriterium der Kampfkraft begründet, und in zirkulärer Beweisführung werden Friedrichs Verdienste durch die Zulassung zum ersten deutschen Turnier von der Adelsgemeinschaft bestätigt. Der zweite Schritt im folgenden Kapitel dient dem Nachweis einer dauerhaften Bewahrung des erreichten Standes. Proben gibt dazu - immer in Anlehnung an Rüxner - eine kleine Geschichte der deutschen Turniere mit sorgfältiger Erwähnung zimmerischer Teibiehmer. Seine Intention ist offenkundig: Da nur Adlige zum Turnier zugelassen sind, wird so die ungebrochene Zugehörigkeit des Geschlechts zum Adel

Eine sorgfältige Ahnenforschung barg immer ein gewisses Risiko, da die Betroffenen dies auch als Versuch verstehen konnten, sie ständisch herabzuwürdigen. Vgl. dazu das Beispiel in Anm. 761. Vgl. dazu ROTH VON SCHRECKENSTEIN, Ritterwürde, S. 621.

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'bewiesen'."' Die Verwendung des 'Tumierbuchs' erklärt sich demnach aus aktuellen Gründen: Proben will eine frühere Zugehörigkeit des eigenen Geschlechts zum Grafenstand belegen, und deswegen werden Rüxners fabulose Angaben übernommen und sogar dort noch ausgeschrieben, wo die ständische Glorie der Zimmern bei Rüxner unvollkommen repräsentiert erscheint. So sind es bei Proben gleich zwei Preiherren von Zimmern, Georg und Gottfried (1,55,19 u. 23),"' die am ersten Turnier teilnehmen und eine zimmerische Gräfm namens Agnes wirkt bei der Hehnteilung All das dient dem Ziel, dem eigenen Geschlecht, die Turnier- und Stiftsfahigkeit durch den Nachweis ihrer Teilnahme an den ersten Turnieren weiterhin zu sichern.^" Seine ständepolitische Punktionalisierung der Turniere verlangt von Proben, sie gegen jede andere Inteφretation in Schutz zu nehmen, und damit gerät der höfische Roman ins Blickfeld. Die dort enthaltenden Tumierschilderungen sieht er in einem deutlichen Widerspruch zu seiner eigenen Theorie, weil sie nur dazu dienten, denen frawen und junkfrawen kurzweil und freide zu machen (1,54,19f.). Ein Turnier darf aber keineswegs Spiel sein. Die Lösung besteht in einer Auslagerung der unerwünschten Tradition in die Premde. Das 'Mirmeturnier' des höfischen Romans wird mit dem französischen und britischen Ursprung erklärt. Ihm gegenüber steht ein 'autochthones' deutsches Turnier, das allein wegen der ständischen Klassifizierung und der militärischen Ertüchtigung ins Leben gerufen wurde. Probens Abwehrstrategie, die bereits nationalstaatliche und xenophobe Denkmuster enthält, belegt, daß Mitte des 16. Jahrhunderts der höfische Roman im literarischen Bewußtsein der Öffentlichkeit präsent war und als historische Quelle ernst genommen wurde. Einen besonders prominenten Platz in der Prühgeschichte des Geschlechts erhält notwendigerweise die erste urkundlich gesicherte Erwähnung des Namens Zimmern.^" Sie findet sich im 'Rotulus Sanpetrinus', der die Stiftung des Klosters St. Peter im Schwarzwald überliefert, und in dem ein Werner von

Diese Absicht ist im Text deutlich überdeterminiert. So berichtet Frohen in einem Nachtrag zum 2. Kapitel von einer strengen Adelsprobe, die jedem Turnier vorausgeht (1,16,19-27): [. ..] wie dann der zeit gepreuchlich, so ain geschlecht inerhalb ainer benannten amall jaren kain turnier besucht und dessen nil erhebliche ursach hat fürbringen künden, so hat es große müeh gebraucht, das er zugelassen worden: es hat auch alsdann vor den turniervögten und andern darzu verordneten sein adenlichs herkomen und geschlecht, dergleichen wie er, auch seine voreitern, sich gehalten, müeßen mit urkunden und kuntschaften darthuen (1,16,19-27). Zum 'Zulassungsverfahren' vgl. GAMBER, Ritterspiele, S. 520f. " ' Rüxner (Tumierbuch, f. 3 3 0 erwähnt als Teilnehmer einen Gibfridt von Zymmern. Ebd., f. 34*. Bei Rüxner ist Agnes jedoch eine geborne von Helffenstein, die Proben einfach seinem eigenen Geschlecht zuschlägt. Vgl. MEYER, Turniergesellschaften, S. 509ff. Kein Original ist die angeblich aus dem Jahr 1099 stammende 'Stiftungsurkunde' für das Kloster Alpirsbach, in der Wernhervs et Manegoldvs fratres de Cimbern als Zeugen auftreten ( W U B l , S. 316).

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Zimmern als Zeuge erscheint.^" J E N N Y hat gezeigt, daß Proben den 'Rotulus' übernommen, und auch - abgesehen von Mißverständissen - nur sparsam eingegriffen hat. So läßt er die zweite Hälfte der Zeugen ganz weg, was die Bedeutung der verbliebenen erhöht, und die in der Urkunde aufgeführten Adligen werden der zeitgenössischen Standesdififerenzierung entsprechend in prelaten, graven, freiherrn und vom adel (1,99,14f) aufgeteilt.^'" Werner von Zimmern klettert dabei vom achten Platz der nicht differenzierten Zeugenliste im 'Rotulus' auf den dritten Platz in der Gruppe der weltlichen Zeugen. Dies eröffoet den Blick auf den fiktionalen Spielraum des Chronisten und sein Wahrheitsverständnis. Die Möglichkeit der Fiktionalisierung der Geschichte ist abhängig vom Grade ihrer Falsifizierbarkeit. Sind Urkimden vorhanden, muß mit deren Verwendung durch andere Chronisten gerechnet werden, hat jede allzu deutliche Veränderung des Inhalts zu unterbleiben. Einzig zulässig ist eine vorsichtige Modifizierung des Urkundentextes im Hinblick auf die Gepflogenheiten der Gegenwart, sofern dies als eine nachträgliche Korrektur eines offensichtlichen Fehlers im Original erscheint. Wenn Froben freilich die iCriterien seiner Zeit auf die des hohen Mittelalters überträgt, gerät er in einen Widerspruch. Denn bislang hat er die fehlende Differenzierung zwischen Grafen und Freiherren in der Vergangenheit als Argument für die hochadlige Herkunft der Zimmern herangezogen. Die ständische Trennimg deutet dagegen auf ein anderes Interesse: Nach der Etablierung seines Geschlechts im Grafenstand bekennt sich Froben zur Standestrennung. Offenbar bezieht der Chronist aber auch die Möglichkeit in seine Überlegungen ein, daß gegen seine Standesdififerenzierung Einwände erhoben werden - gespeist etwa aus dem Wissen um die wirkliche Reihimg der Zeugen in den Urkunden des 12. Jahrhunderts. In einem Nachtrag bietet Froben dann eine weitere Überlieferung der Fundationsurkunde von St. Peter in einem Alten Testament, und jetzt gibt er die ursprüngliche Zeugenliste des 'Rotulus' (1,99,28-101,23) wieder, in der Werner von Zimmern an achter Stelle steht. Froben begründet die fehlende Differenzierung in Hochund Niederadel mit der einfalt und frombkait (I,100,22f) der Vorfahren. Am Vergleich der beiden Urkundenabschriften lassen sich die gewandelten Intentionen Frobens ablesen. Während im Haupttext noch der adlige Stand der Zimmern im Vordergrund steht, hebt der Nachtrag bereits auf ethische Werte ab.^" In einem solchen Arrangement verschiedener, miteinander konfligierender Begründungen zeichnet sich die Spur von Frobens historiographischem Diskurs deutlich ab. Geändert haben sich aber nur die Methoden, denn wäh-

Der 'Rotulus' (FLEIG, Studien, S. 103f.) datiert die Stiftung auf das Jahr 1113, Froben auf 1124 (vgl. 1,99,8-27). Siehe dazu, FLEIG, Studien, S. 22-25. Der 'Rotulus Sanpetrinus' ist kein Original, so daß sein Zeugniswert nur begrenzt ist. ^^ JENNY, Froben, S. 152Í 1,100,32-36: Dem wer soll sonst glauben, das der jung herzog Conral von Zeringen sich erst in der ailflen zal het lassen verzaichnen, dergleichen graf Adelwert von Gammertingen, das er sich kain grafen het wellen lassen beschreiben.

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rend Proben im ersten Fall den Urkxindentext einfach verändert, verfährt er im zweiten 2Avar dokumentarisch, deutet jetzt aber seine Quelle so aus, daß seine im Haupttext entworfene These von dem besonderen Stand der Zimmern nicht beeinträchtigt wird. Damit ersetzt jetzt die Hermeneutik die Quellenverfälschimg. 5.4.2. Der Reichsdiskurs in der Dynastiegeschichte Für die Zeit zwischen dem 9. und der Mitte des 13. Jahrhunderts sind es im wesentlichen nur einige wenige politische Ereignisse, die für den Chronisten erwähnenswert sind: Der Schwaben- und Ungamkrieg (Kap. 8), der Investiturstreit (Kap. 14f) und die Kreuzzüge (Kap. 16-19). Hier ist nun nicht mehr danach zu fragen, warum der Chronist ausgerechnet diese Ereignisse auswählt, derm die Funktion der Reichs- und Kirchengeschichte als Medium für die Integration der Dynastie in den Gang der deutschen Geschichte ist bereits hinlänglich dargelegt worden. An dieser Stelle soll vielmehr die Plotstruktur^'' untersucht werden, mit der Froben die Ereignisse in der Geschichte erklärt und für die die Geschichte ein Beispiel ist. Nach WfflTE muß der Historiker "aus dem Fundus an kulturell zur Verfügimg stehenden mythoi schöpfen, um die Fakten so zu konstituieren, daß sie eine Geschichte von ganz bestimmter Art bilden, ebenso wie er bei den Lesern sich auf einen Fundus an mythoi beziehen muß, um der Darstellung der Vergangenheit den Anschein von Sinn und Bedeutung zu g e b e n . I m Fall der 'Zimmerischen Chronik' ermöglichen es die Mythen, die aktuellen Spannungsfelder, in denen sich die Zimmern bewegen - Herrschaftsausbau und -erhalt, dynastische Heiratspolitik, Verhältnis zu Reich und Land, Kirche und Reformation - als Teil der eigenen Tradition zu verstehen und sie in die Strukturen der Dynastiegeschichte zu integrieren. Wenn die aktuellen Konflikte aber als ein konventioneller Teil der Eigenkultur erscheinen, erlauben es die prägenerischen Plotstrukturen,^'" selbst bedrohlichen Ereignissen der Gegenwart einen produktiven Sinn zu verleihen. Ein zentrales politisches Problem für die Zimmern im 16. Jahrhundert ist ihre Position im Spannungsfeld zwischen Reich und Land. Wollten sie ihre Unabhängigkeit bewahren, mußten sie zwischen beiden Kräften lavieren. Eben diese Konstellation ist auch Grundlage für die Geschichte des Schwabenkrieges (1,43,1-44,20),^" in dem Froben seinen fiktiven Vorfahren Friedrich auf der Seite des Reichs gegen die schwäbische Regionalmacht kämpfen läßt. Um jedoch überhaupt einen solchen Konflikt zwischen Reich und Land erzählen zu können, mußte Froben die Geschichte mit einem entsprechenden Plot struktu-

^^ Zur Unterscheidung von Plot ('plot') und Geschichte ('story') siehe WraTE, Klio, S. 78-82. Ebd., S. 78. Zur Beziehung zwischen Mythos und Plot siehe FRYE, Directions, S. 80-83. JOSEF FLECKENSTEIN und МАКШ LUISE BULST, Begründung und Aufstieg des deutschen Reiches (GEBHARDT, Hdb. d. dt. Gesch. 3), München ^1975, S. 28.

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rieren, denn selbst nach seiner eigenen Quelle^'" verlief der Krieg zwischen Heinrich I."' und Burchard von Schwaben anders, als er ihn wiedergibt: Heinrich I. und nicht Burchard begann den Kampf, und der angebliche Schwabenkrieg war kem Konflikt zwischen Reich und Schwaben, sondern zwischen Heinrich I. und König Rudolf II. von Hochburgund. Relevant sind eigentlich nur die Folgen des Kriegs für die Zimmern: Der Eintritt Friedrichs auf der Seite der ReichsgewaU gegen die schwäbische Landesherrschaft wird belohnt durch die Verleihung der hauptmanmchaft über die Obotriten"^ - ein Amt, welches Friedrich Gelegenheit zu erneuter Auszeichnung verschafft. Im Konflikt zwischen Reich und Land - so suggeriert die Geschichte - garantiert Reichstreue für die Zimmern den Erfolg, und diese soll deshalb das politische Signet des Geschlechts sein. Legitimiert wird die Entscheidung der Zimmern für das Reich vom Chronisten auch dadurch, daß dem Land die latente Kooperation mit dem ausländischen Feind unterstellt wird. Damit entscheidet Froben auch die zu seiner Gegenwart bestehende Alternative zwischen Landesherzog und Kaiser klar zugunsten der Reichsgewalt."' Ständepolitisch enthält die Geschichte das 'Eingeständnis' Frobens, daß sein Geschlecht nicht zum Hochadel gehört hat. Aber dieses 'Manko' hätten die Vorfahren durch herausragende Leistungen wett gemacht."^ Den zweiten Schwerpunkt des Chronikabschnitts bildet der Investiturstreit im deutschen Südwesten (Kap. 14f). Der eigentliche Anlaß, die Laieninvestitur, findet ebensowenig Frobens Beachtung wie der historische Verlauf des Widukind von Corvey, Sachsengeschichte 1,27. Die Herrschaft Heinrichs I. gerät bei Froben zu einer Glanzzeit der deutschen Geschichte. In dieser rückwärts gewandten Utopie, die ein provokantes Gegenbild zur Gegenwart bietet, sichert der Kaiser die Grenzen des Reiches und die Fürsten unterstützen ihn vorbehaltlos. Die prominente Stellung der Hauptmannschaft über die slawischen Obotriten rührt von der entsprechenden Stellung dieser mit den Ungarn verbündeten Völker in Rüxners Turnierbuch (f. 10*-12"). Froben hat für den Ungamkrieg von 933 auch Widukind von Corvey, Sachsengeschichte l,37f. herangezogen. Hätte Froben von der Unterwerfung entsprechend seiner Vorlagen berichtet, wäre der Entscheidungscharakter dieser Szene eingeebnet worden. Hinzu kommt noch, daß aus der Verbindung des schwäbischen Herzogs mit dem ausländischen Feind sich erst recht die Legitimation für die Verbindung der Zimmern mit der Reichsgewalt ergibt. Auf diese Absicht des Chronisten deutet auch die Überschrift des 8. Kapitels: fVie herr Albrich freiherr von Zimbern vier son verlassen, under denen herr Friderich bei Kaiser Hainrich, dem ersten des namens, in ainer schlackt wider könig Ruodolphen von Burgundi und herzog Burkharten von Swaben beistendig gewest (1,43,1-5). Vgl. dazu 1,44,15-18. Die Vermutung liegt nahe, daß Frobens These hier einen fernen Nachklang des Aufstiegs des Ministerialenstandes enthält. Jedoch wird dies nirgends von Froben explizit thematisiert. Vgl. zur Entwicklung der Reichsministerialität in Schwaben BosL, Reichsministerialität Π, S. 356-384. - Die Begründung einer adligen Familienehre durch Leistung ist in der Vorstufe der Chronik, dem 'Liber' (f 2M'), noch deutlicher zu erkennen. Dort läßt Froben den Stanunbaum mit einem Sieger über die Ungarn beginnen läßt. Die Struktur dieses fiktionalen Vorgangs erirmert an den Kampf gegen den Riesen in der 'Truchsessenchronik' (vgl. oben S. 73f). -Zur hiterpretation solcher Kämpfe als Teil der Repristination des Tumierwesens im 16. Jahrhundert vgl. GÔLLER/WURSTER, Dollingerlied, S. 39ff.

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Machtkampfes, aber anhand der Formulierungen und Titulierungen im einleitenden Abschnitt wird Frobens Haltung deutlich: Dem loblich kaiser (1,76,4) steht ein simonistischer Papst g e g e n ü b e r , u n d indem Froben dessen ganzes Verhaken mit seiner illegitimen Wahl verknüpft, ist Gregors Politik von vornherein diskreditiert. Dementsprechend kann Froben auch alle politischen und staatsrechtlichen Überlegungen beiseite lassen und als Grund für Gregors Handeln seine Machtgier nennen. Konsequent verweigert Froben Gregor seinen Papstnamen und nennt ihn stattdessen bapst Hiltenbrandt, worin das bekaimte papstfeindliche Wortspiel 'Höllenbrand' anklingt.^'' Gegen diesen Papst, welcher zu verderpnus und zerrittung ganzer teutscher nation alle gewaltige und mechtige fürsten, von dem fromen kaiser, irem herrn, zu fallen und ain andern zu wellen triben hat (1,75,30-33), fuhrt Heinrich IV. einen gerechtfertigten Verteidigungskrieg. Die Schwarz-Weiß-Zeichnung bei der Charakterisierung des Verhältnisses zwischen König- und Papsttum entspricht der zeitgenössischen Polemik, wie sie Froben auch in seinen Quellen - vermutlich den 'Casus S. Galli' bzw. der 'Schweizerchronik' des Johaimes Stumpf" - vorgefiinden und übernommen hat. Der Hauptvorwurf gegen den Papst ist die Spaltung der deutschen Fürsten in zwei Parteien, die in der Wahl eines Gegenkönigs ihren Ausdruck findet und in deren Konsequenz es liegt, das auch in vilen jaren hernach Teütschland in den vorigen standi und macht nit komen hat mögen (I,75,34f ). Froben interessiert der Investiturstreit nicht allein als Beispiel für einen strukturell bedingten Konflikt zwischen wehlicher und geistlicher Macht, sondern als Exempel für menschliches Machtstreben. Dies gilt auch für seine Darstellung des Konflikts im deutschen Südwesten, den er auf den Kampf zwischen dem papstfi-eundlichen Herzog Berthold von Zähringen und dem königstreuen Abt Ulrich (III.) von St. Gallen fokussiert. Berthold von Zähringen"' erscheint als der eigentliche Widerpart des Kaisers, ohne daß er jedoch deswegen vom Chronisten explizit ins Unrecht gesetzt werden würde: Seine Empörung rechtfertigt Froben mit einem nicht eingehaltenen Versprechen des Kaisers, ihm die Herzogtümer Schwaben und Kärnten zu verleihen. Auf der Sehe der kaiserlichen Partei steht ihm Abt Ulrich von St. Gallen gegenüber, ein

Zugleich verzerrt er die rechtsgeschichtiiche Situation erheblich. Zwar hat der Kaiser nach der 'Constitutio Lotharii' von 824 ein Bestätigungsrecht bei der Papstwahl, jedoch hat sich dieses Recht spätestens bei der Kirchenreform von 1059 schon aufgelöst und auf eine rein formale Handlung reduziert. Bemerkenswert ist, daß Froben sich hier immerhin auf die geschichtliche Tatsache stützt, daß Gregor VE. zwar an verschiedene Adressaten Wahlanzeigen sandte, nicht jedoch an den deutschen König; auch das Verbot der Laieninvestitur gibt Froben korrekt wieder 0,83,7-12). ^^ Vgl. FUHRMANN, Geschichte, S. 73. Vgl, dazu das Literaturverzeichnis der Chronik (IV,337FF.) und JENNY, Froben, S. 133. Die Erstausgabe der Schweizerchronik erschien 1548 in Zürich. Zu Stumpf vgl. BONOMO, Stumpf, und dort den Abdruck seiner 'Autobiographie' sowie MÜLLER, Geschichtsschreiber. V g l STÀLIN, Geschichte I, S. 512. Der Chronist vermengt Berthold L ( t 1078) u n d seinen Sohn Berthold Π. zu einer Person.

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Verwandter Heinrichs IV.^" Damit ist der politische Konflikt mit dem literarischen Muster der Sippenfeindschaft begründet, wogegen das prinzipielle Spannungsverhältnis zwischen Königtum und Adel völlig aus dem Blickfeld verschwindet imd der politische Konflikt so zur Privatfehde wird. Für die Darstellung im emzelnen greift Proben ebenfalls auf literarische Muster zurück. Nicht politische Strategie, sondern Personen und Emotionen entscheiden den Kampf in der Schlacht bei Feldheim (1079): Zunächst hat die päpstliche Partei die Oberhand, die Wende bringt der Tod des Thurgauer Freiherm Werner von Bürgehi {Wetzel von Buergleri) auf Seiten des Abts Ulrich. Das Muster ist dem Kenner der Chanson de geste vertraut: Werners Tod versetzt seine Freunde, Kuno von Werdenberg und Gottfried von Zimmern, in eine solche Erregung, daß sie die Feinde mit Ungestüm angreifen und in die Flucht schlagen. Bei der Verfolgimg der Fliehenden verliert einer der wichtigsten Verbündeten Bertholds, Graf Dietzel von Toggenburg, sein Leben. Dessen Tod ist wiederum der Anlaß für einen Revanchefeldzug Bertholds, den er nicht gegen Bischof Uhich fiihrt, sondern gegen dessen Verbündete - und dazu zählen die Zimmern, deren ober schlos und stettle Herrenzimbern dabei zerstört werden (1,79,26-38).'°" Der Verlust der Burg und die Verwüstung ihres gesamten Besitzes trifft die Zimmern schwer, weil sie keinerlei Aussicht auf Entschädigung haben: Treue gegenüber dem Reich zahlt sich mithin nicht aus. Wenn Proben die Konsequenz schildert, die die Vorfahren aus dieser Situation gezogen haben, dann hat er weniger die Vergangenheit oder gar die historische 'Wahrheit' vor Augen als eine Lehre für die Gegenwart. In der Not halten Gottfried (L) und seme zehn Söhne sich ganz ainig und trewlichen bei ainandern mit entsprechend positivem Ergebnis: Durch dise ainigkait der zehen brüeder und durch trewlich hausen herrn Gotfridts des eitern, ires herrn vatters, pessereten sich ire güeter und namen in kurzen jaren dermaßen zu, das sie iren schaden zimlich widerumb einbrachtent (1,81,2-6). Frobens literarische Methode läßt sich auch anhand eines Vergleichs mit seiner Vorlage, der Chronik des Gallus Oehem, charakterisieren:'"' Dieser berichtet für die Jahre 1077/78 vom Konflikt zwischen den Äbten von St. Gallen und der Reichenau. Oehem schildert ausführlich die einzelnen Ereignisse: die Einsetzung eines Gegenabts in der Reichenau durch den königstreuen Ulrich von St. Gallen, die daraus resultierende Unterstützung eines St. Gallener Gegenabts durch die auf der Seite des Gegenkönigs Rudolfs von Rheinfelden stehenden Reichenauer und den sich anschließenden Krieg. Auf die Deutung des Geschehens als eines Äbtekriegs verzichtet Proben völlig und stellt stattdessen den Markgrafen Berthold von Zähringen als den eigentlichen und einzi^ ^ V g l . STALIN, G e s c h i c h t e I, S. 5 0 6 u n d BURCKHARDT, S c h w e i z , S. 28FF.

Vgl. zu dieser Nachricht auch Oehem, Chronik, S. 99,7-12. Es spricht viel dafür, daß die Oehemsche Erwähnung des Schlosses Zimmern die Voraussetzung für die Aufhahme des gesamten Abschnitts war. Ebd., S. 97ff.

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gen Gegner des St. Gallener Abts heraus. ErzäMerischer Höhepunkt bei Proben ist die Schlacht von Feldheim, die er zwar ganz wie die Darstellung der Reichenauer Chronik gestaltet (Anzahl der Soldaten, Härte des Kampfes, Sieg der St. Gallener), aber doch in einem wesentlichen Detail verändert. Oehem berichtet, daß der allerfestest graujf Cuono die Rudolfmger so gewaltig angegriffen hat, das sy schantlich die flucht gauben. Oehem fáhrt darm fort: Us diserri hass und vindschqfft ward graf Wezil von Bürglen von marggraff Berchtolden von Zähringen erstochen?°^ Genau an dieser Stelle des Kampfes setzt Proben jenen Preiherm von Zimmern ein, der neben Graf Kuno, den Proben zu einem Angehörigen des Hauses Werdenberg macht, die Auseinandersetzung zugimsten der St. Gallener entscheidet. Eine wichtige Veränderung gegenüber Oehem stellt auch Probens Instrumentalisierung von Wetzeis Tod dar: Während er für Oehem einfach Ergebnis der allgemeinen feindschafdt ist, wird er für Proben der Anlaß zum kampfentscheidenden Aufbäumen der kaiserlichen Partei. Mit diesem literarischen Plot bringt er zum Ausdruck, daß zwischen der Kampfgemeinschaft, dem Tod des Verbündeten und dem siegbringenden Jähzorn ein Kausalnexus besteht. Gleichzeitig suggeriert der Autor, daß die Zimmern immer im Moment der höchsten Bedrohung ihrer Standesgefahrten als Retter auftreten und sich seine Dynastie weiterhin dieser 'Tradition' verpflichtet fühlt. Die daraus zu ziehende Lehre wird diesmal explizit formuliert: Kooperatives, an adligen Werten orientiertes Verhalten ist nicht nur im Kampf der Maßstab, sondern soll die Leitlinie für adlige Pamilienpolitik sein. Nur weil die zehn Brüder sich trotz der schweren Bedrängnis solidarisch verhalten, gelingt es ihnen, das sie iren schaden zimlich widerumb einbrachtent Der Literarisierung fallen die in den Quellen enthaltenen Unstimmigkeiten zum Opfer: Um einen Peind von heroischer Größe zu stilisieren, wird Berthold von Zähringen als eine einheitlich und konsequent denkende und handelnde Pigur gezeichnet. Demselben Ziel dienen die spannungssteigemden Verweise auf Ereignisse, die an späterer Stelle der Chronik beschrieben werden und die das Geschehen über die einzelnen Kapitel hinweg miteinander verbmden. Die relativ kurze und lakonische Behandlung des Investiturstreits hat Proben im weiteren Verlauf seiner Arbeit offenbar nicht mehr genügt, und deswegen vertieft, perspektiviert und moralisiert er den Konflikt in den Nachträgen. In einem Nachtrag zum 14. Kapitel (1,76,4-77,15) erzählt Proben etwa davon, wie Bischof Heinrich II. von Augsburg, der zuchtmaister Heinrichs IV., dessen Schwester schwängert. Der König greift daraufhin den Bischof auf dessen Burg an. Nachdem die Belagerung erfolglos bleibt, sichert Heinrich IV. ihm freien Abzug aus der Burg zu. Der Bischof nimmt dies an und plant, seine Unterwerfung durch einen Pußfall vor dem König öflFenflich zu vollziehen, was jede Porm von Rache ausgeschlossen hätte. Der König - der welschen stückle und Ebd., S. 98, 40ff. Vgl. Oehem, Chronik, S. 99,8.

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absprung vil erfaren und gelernet - durchkreuzt diesen Plan: Bei seiner Ankunft hindern königliche Vertraute den Bischof am Fußfall, füvten ine zu aim block, daselbs zogen sie im das geschier und den weiber-werJaeug herfür, legten ime den auf den block und zu einer straf begangener handlung do schlugen sie ime ain hilzin pfal durch den schwänz (1,77,2-6).^*" Proben kommentiert dies ironisch mit den Worten: Mit was großen schmerzen das zugangen, das ist leuchtlich zu gedenken (I,77,6f.) - imd signalisiert so sein Einverständnis mit dieser spiegelnden Strafe.'"^ Damit nimmt Proben auch indirekt Stellimg zum Verhalten der Gegner im Investiturstreit: Durch den Verstoß gegen das Keuschheitsgebot und den Vertrauensbruch gegenüber dem König stellt sich der Bischof außerhalb kirchlichen und weltlichen Rechts und liefert damit die Rechtfertigmg für einen komplementären Rechtsbruch Heinrichs IV. Dieser bedient sich mit seinen Winkelzügen gegenüber dem Bischof aber auch nur derselben Methode, die der Papst ihm gegenüber anwendet, der Repräsentant der Kirche wird also zum Opfer der von seiner eigenen Partei praktizierten Suspendierung moralischer Normen. So brutal die Verstümmelung des Bischofs auch erscheinen mag - indem sie Teil einer Plotstruktur 'kirchliche Intrigen' ist, wird sie für den Rezipienten zum Teil eines kulturellen Symbolsystems, mit dem er bestens vertraut ist. Angesichts dessen wird sich für ihn gar nicht die Frage nach der Glaubwürdigkeit des Geschehens stellen, sondern im Kontext einer Kirchenkritik hat sie ihren Sinn in sich. Auffällig ist jedoch, daß diese Plotstruktur nicht alle Nachträge zum Investiturstreit beherrscht, es scheint vielmehr, als ob durch die Aneinanderreihung von weiteren Beispielfällen eine Dialogisierung des Themas beginnt, imd es dem Chronisten schließlich nicht mehr möglich ist, sein bisheriges Werturteil über die moralische Verworfenheit der geistlichen und das hohe Ethos der weltlichen Macht aufrecht zu erhalten. Dies sei an dem Beispiel der zahlreichen Nachträge zum 25. Kapitel erläutert."^ Im Nachtrag 253 greift Proben dort eine Geschichte aus dem Kampf zwischen Papsttum und Staufem auf, den Mordanschlag bischöflicher Ministerialen am 28.12.1250 auf Konrad IV. im

^

Der historischen Forschung zufolge war Heinrich Π. der Berater der Kaiserwitwe Agnes. Er fiel am Hof in Ungnade und starb nach langer Krankheit. Bereits im Bericht Lamprechts von Hersfeld zum Jahre 1062 wird verbreitet, der Bischof habe mit der Kaiserwitwe eine unerlaubte Beziehung unterhalten. Dies wandelte sich in der Augsburger Chronistik zu einem Verhältnis mit der Schwester Heinrichs IV. Der fniheste Hinweis darauf findet sich in einer 'Chronik von der Gründung der Stadt Augsburg bis zum Jahr 1469' (Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis zum 16. Jh., Bd. 4, Leipzig 1865, S. 267-356, hier S. 300 und Anm. 4). Möglicherweise hat Proben die Geschichte aus der Augsburger Tradition übernommen und zusätzlich ausgeschmückt. Proben verstößt hier gegen die Chronologie: 1063, im Todesjahr Bischof Heinrichs П., ist Heinrich rV. erst neun Jahre alt, der Investiturstreit selbst bricht erst 1075 mit dem Verbot der Laieninvestitur aus. Siehe dazu auch unten S. 218.

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Regensburger Kloster St. Emmeran.^"' Erzählt wird dies ganz im Stil der bisherigen Plotstruktnr als weiterer Beleg fur die Heimtücke der Geistlichkeit:^"' Der König, als fromm und unschuldig (1,131,25) charakterisiert, wird von der Kirche verraten, seine Rettung durch einen treuen Diener, der dafür selbst mit dem Leben bezahlt, gilt als ebenbildte zu ewigen tagen (1,132,11). Aber obwohl Proben davon ausgeht, daß viele Morde sub pretextu religionis (I,132,22f.) ungestraft bleiben, wird in einem Nachtrag (Nr. 318) zum Nachtrag darm genau der umgekehrte Fall geschildert. Hier ist es ein gerechter Bischof, Konrad von Würzburg, der von zwei Adligen umgebracht wird. Der Diskurs über die politische Moral hat demnach eine Eigendynamik gewonnen. Möglicherweise hat Proben trotz aller Vorwürfe gegen den Klerus die Gefahr erkannt, die sich aus seiner einseitigen Betonung kirchlicher Mißstände und eines daraus abgeleiteten adligen Widerstandsrechts ergeben. Im Prozeß der Literarisierung der Geschichte, der Moralisierung und Personalisierung der Ereignisse, könnte ihm bewußt geworden sein, daß er die Auflösung kirchlicher Autorität und damit letztlich die der gesamten gesellschaftlichen Hierarchie betreibt.^"* Literarische Struktur und inhaltliche Funktion der Nachträge lassen sich nun genauer bestimmen: Zunächst wird die Glaubwürdigkeit des im Haupttext Berichteten in der Weise unterstrichen, daß die dort vorgeführten Handlungsund Ereignismuster wiederholt werden. Gleichzeitig werden die Geschehnisse perspektiviert und vertieft, indem anhand von weiteren Erzählungen Gegenbeispiele vorgeführt oder alternative Handlungsmöglichkeiten demonstriert werden. So wird im Anschluß an die Kirchenkritik im Haupttext in den Nachträgen die Gefahr allgemeiner Autoritätsauflösung diskutiert, und damit treten Nachträge und Haupttext in ein dialogisches Verhältnis zueinander. Dies läßt sich besonders gut an der vom Chronisten behandelten Frage nach dem Recht auf Widerstand gegen Willkürakte der Geistlichen zeigen. Zum einen erscheint Proben die Auflehnung gegen ungerechte, geistliche Herren akzeptabel,'aber

Bei der Darstellung der Reaktion der Regensburger Bürgerschaft auf den Mordanschlag verwendet Proben eine Litotes, was bei ihm ein untrügliches Zeichen für schärfste Kritik ist: Ab solcher mörderischen sach hellen die von Regenspurg nil vil gefallens [...] (I,132,5f ). 308 ] 132^ 12-21 : ledoch haben die gaistlichen vätter mit diser praltik nil ufliören künden, sonder sich dermaßen geüebet, hindangesetzt irer ehr und aiden, das sie doch zu letzsten disen künig Conraden, auch seinen son, künig Conradinum, den letzsten des geschlechts der herzogen von Schwaben, gar hingericht und damit das reich und die ganz deutsche nation in die eußerst not gebracht, welche hiedurch umb Italiam, Siciliam und andere künigreich und lender kommen, auch seither in vorigen stand nie hat kommen künden. Diese Einsicht kommt am Ende dieses Nachtrags zum Ausdruck, wenn Proben konstatiert, im Konflikt zwischen Bürger und Bischof habe doch letstlich die oberkait die Oberhand a , 1 2 6 , 4 2 f ) behalten. Ein weiteres Beispiel bildet Nachtrag Nr. 407, in dem es aber der weltliche Herrscher ist, welcher Unrecht getan hat (1,133, 14-135,22). Die genannte Quelle dieser Chronik ist die 'Königsfeldener Chronik' (in: MARTIN GERBERT, De translatis Habsburgo-Austiacorum principum eorum coniugum cadaveribus, St. Blasien 1772, S. 87-113, hier S. 96; zum Namen ERICH KLEINSCHMIDT, Art. 'Königsfeldener Chronik', in: =VL 5 [1985], Sp. 106f). Proben erweitert

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genauso erzäMt er den Sieg der kirchlichen Obrigkeit (I,126,42f.) mit Genugtumg. Die antiklerikalen Invektiven werden relativiert mittels einer Geschichte über rechtschaffene Geistliche, die selbst zum Opfer von Verrat geworden sind. Der Grund für diese partielle Relativierung des bisherigen Plots liegt einmal im Kontext. So thematisiert das 25. Kapitel die Rebellion der Untertanen gegen die eigene Herrschaft und in diesem Zusammenhang sieht Proben die Kritik an der Kirche auch unter dem Aspekt der Bedrohung gerechter Herrschaft. Deswegen ftihrt er mit dem Nachtrag 318 den Aspekt der ethisch-moralischen Qualität von Herrschaft in die Bewertung der Kirche ein und relativiert damit seine generelle Ablehnung kirchlicher Machtpolitik. Der hermeneutische Appell liegt für den Rezipienten in der Parallelität der Handlungsstruktur von Haupttext und Nachträgen, die überraschende Wendung in der personalen Besetzung der Plotstruktur kann mit WHITE als ein Ansatz zu einem "reemplot" verstanden werden, mit dem das alte Schwarz-Weiß-Schema der Kirchenkritik aufgegeben wird.'" Auch das dritte reichsgeschichtliche Thema (Kap. 16-19), die Kreuzzugsbewegung, wird nicht als religiöses Thema geschildert, sondern als Konflikt zwischen Kirche und Reich bzw. den europäischen Mächten. Proben liefert hier eine Geschichtskonstruktion, in der kirchen-, reichs-, regional- und familiengeschichtliche Themen eng miteinander verknüpft sind. Schon der erste Kreuzzug wird als Teil des Machtkampfes zwischen Kaiser und Papst eingeordnet,"^ Gottftied von Bouillon zum treuen Vasallen Heinrichs IV. Bei der Belagerung und Eroberung Roms soll Gottftied - durch übermenschliche Anstrengung erschöpft - auf den Tod erkrankt sein und för den Fall der Heilung einen Kreuzzug gelobt haben. Mit dieser an topische Muster angelehnten Szene erfährt die marginale Rolle der weltlichen Fürsten eine erhebliche Aufwertung: Die Initiative für den Kreuzzug geht eindeutig vom Adel, nicht von der Kirche aus, Gottfiieds Heilung ist Zeichen der göttlichen Zustimmung. Und schließlich deutet Proben sogar den Kreuzzug zu einem Protest des Adels gegen die päpstliche Machtpolitik um.''' Neben der Papstschelte verfolgt Proben mit der Darstellung der Ursprünge des ersten Kreuzzugs noch ein weiteres Ziel. Über die Anbindung des Grafen von Bouillon an das deutsche Kaiserhaus soll suggeriert werden, die Deutschen seien die eigentlichen Träger des Zuges gewesen und das deutsche Reich hätte einen Suprematieansprach auf das Königtum Jerusalem. Freilich kommt Pro-

bier seine Vorlage, indem er nach psychologischen Motiven der Handlung fragt, deren religiöse Konsequenzen bedenkt und kritisch über den Wahrscheinlichkeitsgehalt reflektiert (1,135,15-22). WfflTE, Klio, S. 108. Zu den hier vom Chronisten verwendeten Quellen siehe HAGENMEYER, Étude, S. 36-42. 1,87,12-15: Zu solchem ward in auch nit wenig verursachen das gros blutvergießen und die stetige krieg, so zwischen dem kaiser und denen teutschen fürsten durch anschiften der bäpst erregt wurden.

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ben nicht an der Tatsache vorbei, daß nach den Quellen der erste Kreuzzug ohne wesentliche Beteiligung deutscher Adliger vonstatten gegangen ist.^'" Frohen bedient sich für den Nachweis des Gegenteils einer quellenkritischen Methode und fragt zunächst nach der Herkunft der Historiographen des ersten Kreuzzugs."' Weil es sich dabei um Franzosen handelt, vermutet er Neid und Mißgunst als Handlungsmotive gegenüber den Deutschen und folgert daraus, die Namen der deutschen Teilnehmer seien eliminiert worden. Was für Frobens eigenes Vorgehen bezeichnend ist, untersteUt er anderen Geschichtsschreibern, nach seiner Ansicht bestimmen Intention und Funktion einer historischen Quelle deren Inhalt. Da die Franzosen die deutschen Namen aus Mißgmst verschwiegen hätten, sieht sich Froben berechtigt, dies zu korrigieren. Die Quelle wird also nicht gefälscht, sondern eine aus niederen Beweggründen verfälschte Quelle in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt. Quellenkritik wird hier zur Legitimation einer historischen Konstruktion. Froben verfahrt dabei mit Bedacht. Zuerst fugt er eine (fmgierte) Liste deutscher Adelsgeschlechter,"' die am Kreuzzug beteiligt waren, in seinen Bericht ein, dann begründet er, weshalb die deutschen Adligen nicht in den Quellen über den Kreuzzug erscheinen: Zwar hätten sie auch ein großes Kontingent gebildet, aber als tapfere Krieger seien die meisten unterwegs gefallen."' Den Scheinbeleg liefert ein Ereignis aus dem zweiten Kreuzzug, das er in seinen Bericht über den ersten einbaut, die vernichtende Niederlage der Deutschen bei Dorylaeum (Oktober 1147)."' Damit ist zwar das Fehlen der Deutschen bei der Eroberung des heiligen Landes erklärt, allerdings stehen jetzt die Deutschen tendenziell als Versager da. Dieser Widerspruch verlangt nach einer Erklärung, und der Chronist findet sie in den literarischen Plots 'gegnerische Heimtücke' und 'Tapferkeitsbeweis durch hohe Verluste': [...] und wiewol von Deutschen, insonderhait dem adi, gar ernstlich ward gestritten, die auch vor andern nationen eerlicher und ritterlicher thaten sich zu befleißen begerten, waren inen doch die Türken so gar mit irer unzelichen menig überlegen, die auch so fast mit den vergiften geschossen auf sie trangen,

Froben behauptet ausdrücklich das Gegenteil, wenn er die Deutschen bei den Nationenaufzählungen immer an den Anfang stellt. Vgl. z. В.: Es waren darbet gar treffenliche vil fürsten, gaistlichs und weltlichs stands, auch graven, freien herrn, ritter und edelknecht, von hochen undnidem teutschen landen, aus Gallia, Italia [...] (1,85,21-24). Froben gibt diese Quellen selbst in seinem Text an: Es sind: Guido Remensis (zur Identität mit Gui Bazoches vgl. HAGENMEYER, Étude, S. 39f ), Robertus Monachus (zu Werk und Person des Robert von Reims vgl. LThK 8, Sp. 1342) und Wilhelm von Tyrus (I,85,30ff.). In der zimmerischen Bibliothek ist sowohl Robert Monachus' 'Bellum Christianorum' verzeichnet (Wien, ÖNB, Cod. 12595, f 18*) wie auch die von Johannes Herold herausgegebene Chronik (Belli Sacri Historia [...], Basel о. J.) des Wilhelm von Tyrus (f 9'^. Vgl. dazu die Teilnehmerliste Frobens (1,87,21-41). " ' Froben hat die Namen seiner Teilnehmerliste im wesentlichen aus der Bistumschronik seines Onkels Wilhelm Wemer übernommen. Vgl. JENNY, Froben, S. 146 und 229f MAYER, Geschichte, S. 94.

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zu dem das die rettung der anderen Christen zu langsam kam, das iren zu leisten der mererthail ward erschlagen. ( 1 , 9 1 , 3 4 - 4 1 ) Die iCreuzzugsgeschichte in der 'Zimmerischen Chronik' erfüllt demnach eine dreifache Funktion: Die eigene Dynastie wird in das weltpolitisch bedeutende Ereignis des einzig erfolgreichen Kreuzzugs eingebunden, zum zweiten wird über die fmgierte Teilnehmeriiste auch der gesamte südwestdeutsche Adel einbezogen. Auf eine Stärkung des nationalen Selbstbewußtseins ausgerichtet ist schließlich die deutliche Abwertung der Franzosen, denen als zentrales Motiv Neid gegen die Deutschen unterstellt wird. Die bCreuzzugsgeschichten haben aber nicht allein die Funktion, die eigene Dynastie mit zentralen Ereignissen der deutschen Geschichte in Verbindung zu bringen. Die syntagmatische Verteilung weit auseinander liegender Ereignisse soll den Leser auf einen Sinn aufinerksam machen, der hinter der Ereignisoberfläche steckt. Für Proben ist dies die Frage nach den Konstituenten der Macht, sei es hn Konflikt zwischen Adel imd Kirche, Zentral- und Partikulargewalten. Er entdeckt als Gründe für die Machtkonflikte psychologische Faktoren, insbesondere Neid, Habgier und Herrschsucht. Diese Vorstellung prägt seine Wahrnehmung der Welt, und er findet sie bestätigt durch seine Analyse der Weltgeschichte. Aufgebrochen wird diese Struktur graduell in den Nachträgen, wo der Chronist ansatzweise diese Überdetermination der Vergangenheit durch Perspektivierungen unterläuft. 5.4.3. Die Bewahrung der memoria. Klostergründungen und Grablegen Um die ewige Erinnerung an das eigene Geschlecht zu garantieren, errichtet der Adel geistliche Stiftungen, bestimmt Klöster als Grablegen imd läßt die Familiennamen in den Pfarrbüchem verzeichnen. Genau an dieses Alltagswissen schließt der Chronist an, wenn er im 10. Kapitel beginnt, eine fiktionale Genealogie mittels kirchlicher Traditionen abzusichern. Er beginnt mit dem Hinweis auf einen Kuno von Zimmern, der zur Zeit Konrad II. gelebt habe. Von ihm sei zu Rotweil in dem Johannser haus (1,62,31) die Heirat überliefert und ein legatum, welches er der St. Pelagius Kirche in Rottweil gestiftet haben soll. Froben übergeht den für das Geschlecht ungewöhnlichen Namen mit Schweigen und leitet sofort zu dessen angeblichen Sohn Werner (I.) über, von dem er später berichtet, er habe am Böhmenkrieg Heinrichs III. teilgenommen und am Ende seines Lebens das Kloster St. Georgen zu seiner Grablege bestimmt.'" Froben kann diese Informationen nur mittels eines zwischenzeitlich verbrannten Bilderteppichs in Ettenheimmünster 'belegen', und so stützen sich auch in diesem Fall nebulose Quellenbelege gegenseitig. Untermauert wird die These von der zimmerischen Erbgrablege in St. Georgen dadurch, daß auch im nächsten Kapitel Stiftungen der Söhne Werners an St. Georgen erwähnt werden

Ziu Geschichte des Klosters St. Georgen vgl. WOLLASCH, Anfänge; zur Beziehung zwischen Zimmern und St. Georgen vgl. GÜNTHER, Herren, S. 46f.

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(1,68,18-40). Insgesamt erfüllt das 10. Kapitel"" primär die Funktion einer genealogischen Absicherung der Existenz Werners (I.) durch seinen Vater Kuno, was mittels eines Verfahrens, welches mit dem eigenen Diktum des Chronisten von der 'Notwendigkeit, dem Kind einen Vater zu verschaffen', am besten umschrieben ist. Die zugleich vorgestellte Stiftertradition der Zimmern dient der Flankierung dieser Konstruktion, die auf genealogische Kontinuität und einen gewissen Reichtum schließen läßt. Allerdings können die Zimmern keine Klosterstiftimg für sich in Anspruch nehmen, St. Georgen ist - wie Froben einräumt - von einem anderen Geschlecht gegründet worden."' Doch der Chronist findet einen anderen Weg, lun die eigene Dynastie zumindest indirekt an die Gründung von St. Georgen anzuschließen: er wählt dazu die traditionelle Form einer Stiftersage und das bekaimte Motiv der wundersamen Rettung aus höchster Not. Im Mittelpunkt steht jener Werner von Zimmern, der im Jahre 1040 am Böhmenfeldzug Heinrichs III. teihiahm und nach einer verlorenen Schlacht in Gefangenschaft gerät. Hinsichtlich des iCriegsverlaufs folgt Froben den überlieferten Quellen, weicht aber entscheidend ab, wenn er eine große Zahl deutscher Ritter in die Hände der Böhmen fallen läßt.'" Wieder bestätigt eine pseudogenaue Liste schwäbischer Rittemamen die Glaubwürdigkeit der nun folgenden Geschichte. Zwei Jahre lang seien die deutschen Ritter von denen barbarischen, viehischen leuten (I,64,3f ) in Ketten gelegt worden. Schließlich ereignet sich doch das Wunder: Als die Gefangenen eine Wallfahrt zur St.-Leonhard-Kirche beim Юо81ег Ettenheimmünster geloben, erkennt Gott iren großen rewen und vesten glauben " " Auch im 10. Kapitel ist die narrative Struktur sinntragend. Der Chronist strebt eine Einheit der Aussage an, die sich nur aus der Komposition, der Verbindung aus Legende und historischem Bericht (Grabiege) ergibt. Sein Ziel ist, einen weiteren Beweis für die adlige Dignität des Hauses anzutreten. Angesichts der Disparatheit der Quellen kann der Chronist diese Einheit nur mit literarischen Mitteln gestalten, d. h. mit der Verbindung zweier eigentlich völlig selbständiger Geschichten, die im Erzählverlauf so verwoben sind, daß sie sich in der Rezeption zu einer Einheit Aigen. Neben der dynastischen Beweisführung dient das 10. Kapitel noch einem zweiten Zweck: Hatte der Autor in den beiden vorangegangenen Kapiteln die herausragenden Erfolge der Zimmern im Dienste der Herrscher verdeutlicht, so ist es nun die Erfahrung von Mißerfolg und Leid, ta der Situation der Gefangenschaft, in der das Leben Werners unmittelbar bedroht ist, verweigert der Kaiser Beistand, und allein die göttliche Gnade bringt Rettung, tasofem liest sich die Erzählung des 10. Kapitels als Ergänzung und entscheidende Relativierung des im vorangegangenen Kapitel behaupteten Nutzens des Königsdienstes. Die Dialektik von Erfolg und Mißerfolg, Ehre und Leid ist der elementare Eckpfeiler für Frobens Haltung zum Herrscherdienst. Die Gegensatzpaare werden bereits in den ersten Chronikkapiteln hart miteinander kontrastiert und schlagen thematisch Leitmotive an, die sich durch die gesamte Chronik ziehen. Dazu gehört der religiöse Diskurs, denn flir Froben steht eine didaktischreligiöse Funktion immer auch im Kontext seiner Wahrheitsüberlegung. Ganz gezielt wird hier Geschichte konstruiert, und es zeigt sich hier zum ersten Mal in aller Deutlichkeit, daß es für den Chronisten nur eine kontextabhängige Wahrheit gibt. Vgl. dazu WoLLASCH, Anfänge, S. 9-19. Zu den Einzelheiten des Böhmenkriegs Heinrichs Ш. (1040/41) vgl. GOTTHARD LANG, Gunter der Eremit in Geschichte, Sage und Kult. Stud. u. Mitt. z. Geschichte d. Benediktiner Ordens 59 (1941/42), S. 3-85, hier S. 49-54.

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(1,64,30) an und läßt, während sie scЫafen, wunderbarlich alle ire eisen und bandi (1,64,35) zerspringen. Auch die Flucht aus dem Gefängnis glückt, und trotz einer gefahrlichen Reise erreichen die Überlebenden imbeschadet die Heimat. Diese Geschichte erinnert an jenes mit der St.-Leonhards-Legende verbundene Motiv des kettensprengenden Gebets, welches in zahlreichen Kirchen bildlich dargestellt ist und daher die ehemalige Existenz eines zimmerischen Bilderteppichs glaubwürdig macht. Aber da die Geschichte eine so große genealogische Bedeutung hat, sichert Proben sie noch weiter ab. Er paßt dazu seine Argumentation in ein genau strukturiertes Schema ein: Die Geschichte des Werner von Zimmern ist positioniert zwischen dem Hinweis auf den verbrannten Wandteppich imd ein alte[s] bermentin buch (1,63,7), das die gleiche Geschichte überliefert. Um diesen Beweiskem ist ein Kranz von indirekten Nachweisen gelegt. Werners Vater Kuno ist Wohltäter der St.-Pelagius-Kirche xmd später haben die Zimmern eine Grablege in St. Georgen. Das Ziel, welches Proben verfolgt, ist ein zweifaches: Mit der Wahrheit der Erzählung soll zugleich die dignitas des Geschlechts, sein imbezweifelbarer Adelsstatus, erwiesen und seine durch die kirchlichen Grabmonumente und die Seelenmessen der Mönche gesicherte Kontinuität als sinnlich wahrnehmbares Paktum vorgestellt werden. Auch dieser Abschnitt zeigt exemplarisch Probens Verfahren der Konstruktion historischer Wahrheit. Der Chronist verläßt sich nicht auf einen 'Beweis', sondern stützt seine Piktion gleich von mehreren Seiten. Hier sind es vier 'Belege', die anonyme Überlieferung der Kuno-Stiftung, das anonyme Buch, der zerstörte Bilderteppich sowie die zimmerische Grablege. Die Einzelbeweise sind dabei so angeordnet, daß sie nicht nur organisch auf den Höhepunkt, die Möglichkeit einer visuellen Übeφrüfbarkeit, zulaufen und konsequent in diesen Beweis münden, sondern sich auch wechselseitig stützen: Das Pergamentbuch erzählt in kurzen, ainfeltigen warten (1,63,8) - diese Charakterisierung des Chronisten soll offenkundig das hohe Alter dieser Handschrift beweisen eine Geschichte, deren Themen auch im Bilderteppich dargestellt wurden. Der entscheidende Schritt freilich bleibt ausgespart, nämlich die inhaltliche Verbindung zwischen der Grablege in St. Georgen, der böhmischen Gefangenschaft und der Wallfahrt nach Ettenheimmünster. Die Erklärung fìir diese Konstruktion ist einfach. Votivgaben und -bilder sind weit verbreitet, und insofern bestätigt der Bilderteppich glaubhaft die wundersame Errettung Werners. Diese aber macht wiederum seinen Юostereintritt plausibel. Auf der anderen Seite verschweigt zwar Proben die Gründung St. Georgens (1,65,27-66,41) durch einen Hesso und Athila oder Etzel genannt nicht,'" aber bezeichnenderweise fehlt die sonst obligatorische Gründungslegende: Sie ist quasi in der wundersamen

Proben ordnet die beiden Gründer Hezelo und Hesso fälschlicherweise den freiherrn von Degernow (1,65,31) zu. Vgl. dazu WOLLASCH, Anfänge, S. 20.

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Errettung Werners aus der Gefangenschaft enthalten. So entsteht indh-ekt der Eindruck eines kausalen Verhältnisses zwischen Befreiung, Klostergründung und Grablege - und die Zimmern sind erfolgreich an eine fremde Stiftung angesippt. Wie wichtig Proben der Nachweis eigener Vorfahren in den Klosterbüchem war, belegt das 12. Kapitel, in dem er einen 'Quellenfimd'"" im Stiftungsbuch des Reichenbacher Klosters,"^ wo zwei Brüder, Alberich und Hartprecht von Zimmern, als Stifter verzeichnet seien, erwähnt. Ein solches Buch hat sich bis in die Gegenwart erhalten,"' die beiden Zimmern sind dort jedoch nicht zu fmden. Die einzige Reichenbacher Überlieferung der zimmerischen Namen fmdet sich hingegen in einem Schriftstück,"' das jedoch - wie JENNY gegen EIMER glaubhaft macht"' - eine Abschrift aus der 'Zimmerischen Chronik' darstellt. Auffallend aber ist eine andere Übereinstimmung. So fmden sich im 'Codex Hirsaugiensis',"' in einer sich auf einen Ort Zimmern beziehenden Traditionsnotiz,"" die beiden Namen Hartwig und Egilolf Vermutlich hat Proben beide Namen dem Codex entnommen, sie in verfremdeter Porm in die Reichenbacher Gründungsgeschichte eingepaßt und dieses Konstrukt dann in seine Chronik übertragen."' Nach demselben Muster wie die Erzählung von der St.-Georgen-Stiftung sippt sich der Chronist hier ebenfalls an eine Stifterlegende an: В е т о von Siegburg - reich aber kinderlos - gibt seinem Bruder Arnold die Ernte zur Aufljewahrung, der ihn jedoch bestiehlt. Als В е т о ihm auf die Schliche kommt, beschließt er, niemandts anders, dann Got allain, zu ainem erben seiner zeitlichen güeter zu machen (1,72,25f). So geschieht es dann auch: В е т о übergibt noch vor seinem Tod den Ort Reichenbach an den Abt Wilhelm von Hirsau mit der Bitte, dort ein Kloster zu errichten. Wilhelm entspricht dem Wunsch - nach feudalem Brauch mit rat und gehelle iezernembts herr Alberichs von Zimbern, seines schurmbherrens und castenvogts (1,73,8ff.). Bruderzwist und Verrat an der Familiensolidarität sind Anlaß einer

" " Proben gibt keinerlei Auskunft darüber, wie er in den Besitz der entsprechenden Nachrichten gelangt ist. Möglicherweise bezieht er sich hier auf eine - verschollene Ausgabe - des Stifterbuchs von Reichenbach, die Caspar Brusch im Jahrer 1449 zu Basel herausgab. Dieses Werk ('De Reichenbachensis Monastery ñmdation et Abbatiay Epigrammata quondam Casparis Bruschy') befand sich in der zimmerischen Bibliothek (Wien, ÖNB, Cod. 12595, f 49"). Der moderne Name ist Klosterreichenbach (an der Murg). Aus stilistischen Gründen belasse ich es beim mittelalterlichen Namen, Zur Geschichte Reichenbachs vgl. EIMER, Studien. Vgl. dazu KUEN, Collectio, S. 55-71. Die Traditionen des Klosters Reichenbach verzeichnet wenn auch mit fehlerhaften Datierungen - EIMER, Studien, S. 63Í KUEN, Collecio, Nachtrag, S. 14ff. JENNY, Proben, S. 21f ; EIMER, Studien, S. 63. Vgl. dazu das Literaturverzeichnis der 'Zimmerischen Chronik', wo monumenta Hirsaugice erwähnt sind (IV,337). Diese dürften identisch sein mit der in l,102,5f erwähnten Stiftung und dotation des closters Hirsaw. Codex Hirsaugiensis, S. 59. Diese Methode findet sich bei Proben öfters, auch die Namen Adelwerl und Eberwin hat er dem 'Hirsauer Codex' entnommen (Codex Hirsaugiensis, S. 3 6 , 4 6 sowie 1,102,1-4).

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kircMichen Stiftung, und ganz subtil klingt die maßgebende Rolle Alberichs bei der Klostergründung an."^ Mit der Erfindung des Klostervogts"' gelingt es Proben, sein Geschlecht, dem eine eigene Klostergründung fehlt, indirekt mit dem Юoster Reichenbach in Verbindung zu bringen."" 5.4.4. Die Absicherung der Zukunft: Prinzipien richtiger Adelspolitik und das Beispiel der Anderen Im Gegensatz zu anderen Hauschroniken des südwestdeutschen Adels beschränkt sich Proben nicht auf die Geschichte des eigenen Geschlechts, sondern verarbeitet auch das Schicksal anderer Dynastien."' Dies läßt sich aus der Notwendigkeit erklären, die politischen und genealogischen Beziehungen der Zimmern umfassend zu beschreiben bzw. die eigene Machtstellimg m Relation zu den benachbarten Territorien zu defmieren. Allerdings ist dies nicht die einzige Funktion. Proben exemplifiziert hier auch die Prinzipien richtiger oder falscher Dynastiepolitik. Eine besondere Faszination hat für ihn dabei der Niedergang eines Geschlechts, entsprechende Ereignisse werden geradezu in Form einer Tragödie gestaltet, wobei auch wieder in der Überdeterminierung der kausalen Zwangsläufigkeit der Ereignisse die Traumata des Chronisten kenntlich werden. Als Beispiel sei hier auf die Geschichte der pfälzischen Grafen von Lützelstein verwiesen, der Proben einen umfangreichen Nachtrag (Nr. 454; 1,45,34-50,26), der selber Nachtrag (Nr. 26; 1,44,21-45,26) zum Untergang der Grafen von Veringen ist,"' widmet. In allen Einzelheiten und mit pointierten Urteilen und Kommentaren erzählt Proben die Fehde zwischen den beiden Grafen Jakob und Wilhelm von Lützelstein und dem Pfalzgrafen Friedrich I., die Belagerung und Eirmahme des Schlosses Lützelstein, die Eφressung der Grafen und der vergeblichen Versuche der Lützelsteiner, ihren Besitz zurückzubekommen. Am wichtigsten sind für den zimmerischen Chronisten die Nach JENNY (Proben, S. 127) hat der Chronist den 'Codex tradtitionum St. Georgi' benutzt. Schirmherr waren nicht die Zimmern, sondern die Grafen von Calw (vgl. dazu STÀLIN, Geschichte Π, S. 696). "" Ähnlich verfährt Proben beim Kloster Alpirsbach, das Gottfried von Zimmern wegen seiner guten Beziehungen zum Gtímáei Albrecht von Zollem (I,106,16f; richtig: Adelbert) zu seiner Grablege bestimmt (1,106,21f). Ь der angeblichen Stiftungsurkunde des KJosters sind zwei Zimmern als Zeugen verzeichnet (WUBI, S. 316). Dazu gehören die Geschichte der Grafen von Veringen (1,44,21-45,33; 50,27-35), von Lützelstein (1,45,34-50,26) und der Herren von Bodman (1,56,19-62,24). " ' Der Chronist zeichnet dabei sehr eigenwillige Verbindungslinien. So behauptet er im Nachtrag 26 (1,44,21-45,26), daß Herzog Burkhart von Schwaben seim herkomens ain graf von Veringen gewesen sei. Dies ist jedoch eine entscheidende Verkürzung historischer Pakten: Die Grafen von Veringen gelangten 1170 im Zuge eines Erbgangs in den Besitz der Grafschaft Nellenburg, nach welcher sie sich daraufhin auch nannten, und jene Grafen von Nellenburg wiederum waren mit dem schwäbischen Herzogsgeschlecht der Burchardinger bzw. Hunfridinger verwandt. Zu den Grafen von Veringen vgl. HEBERHOLD, Grafschaften, zur Bedeutung Veringens für die Zimmern unten S. 276ff.; zur Landgrafschaft Nellenburg HERBERT BERNER, Die Landgrafschaft Nellenburg und die Reichsritterschaft des Kantons Hegau-Bodensee, Hegau 19 (1965), S. 57-86; hier: S. 66ff. und KREZDORN, Grafen.

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Gründe fur ihren tiefen Fall. Wiederum konstruiert Proben ein differenziertes Begründungsgeflecht, aus dem sich die Ursachen des Niedergangs der Lützelsteiner von selbst ergeben. Ihre Feinde sind - wie die aller deutschen Kleinadligen - der Papst und die Fürsten. Im Fall der Lützelsteiner ist der erste Grund eine Intrige des Papstes bezüglich der Besetzung des Mainzer Bistums."' Einen direkten Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen, die schon chronologisch weit auseinander liegen, kann Froben allerdings nicht angeben und übergeht diesen Aspekt auch in seiner Erzählung. Der zweite von Froben angeführte Grund für den Niedergang der Lützelsteiner, das Bündnis der bayerischen und burgundischen Herzöge mit dem Markgraf von Baden gegen den Pfalzgrafen Friedrich (1,46,17-34), ist zwar historisch plausibel, aber in diesem Kontext bricht denn doch ein gewisses Obrigkeitsdenken Frobens durch und er hält den Lützelsteinem ihren eigenen Ehrgeiz vor: hetten sie sich wesenlich undfridlich gehalten, so weren sie gewisslichen nit vetriben worden (1,46,37fF.). Schließlich nennt Froben noch einen weiteren Grund für den Untergang der Lützelsteiner."' Er bedient sich dabei einer seiner seltenen Ich-Aussagen: Diser grafen vorelter sein vor jaren gar vermögenlich und vemampt gewesen, aber die Stiftungen in clöster, spittelen und anderswa haben sie auch verderpt, wie dann ander vil guten, erlichen geschlechter mer begegnet, die das ir haben den pfaffen, nonnen und manchen angehenh, so überßissig, das sie hernach nit allain zu armout kamen, sondern auch die geschlechter gar in abgang sein geraten. Ich sag nit darumb, das es unrecht sei, Stiftungen thon und den gottsdienst uffhen, aber ein iede sach soll ain maß und ain zi haben, dann sonst ußer der liberalitet ain prodigalitet und verschwench wurt; zu dem offenbar, wie schandtlich und ellendclich solche herliche gotzgaben und Stiftungen zu Zeiten, ja vilmals missbraucht werden und wider der Stifter erlichs gemüt und willen gehandlet wurt. So nemens die weltlichen iezund gar hinweg, thun den gotzdienst ab, machens also, das der Türk erger nit wol thun könnte. (1,49,31-

50,7) Diese Argumentation knüpft wieder an das Thema der fehlenden zimmerischen Klostergründung an, diesmal zeigt Froben jedoch die Dialektik solcher Stiftungen. Was Froben hier an Überlegimgen in die Geschichte der Lützelsteiner einlagert, spiegelt das Dilemma zwischen der religiösen und dynastischen Pflicht der Kirchenstiftungen und den Erfordernissen einer frühneuzeitlichen Ökonomie. Einen Ausgleich zwischen diesen widerstreitenden Interessen ver" ' 1,46,4-8: Und ist aller unfal disen grafen und ander leuten anfengclichs von dem babst zu Rom herkommen, welcher ain solUchs würgen und blutvergießen hin und wider in deutschen landen angericht hat mit zwaien bischoffen von Menz. Vgl. dazu auch LUDWIG HAUSSER, Geschichte der rheinischen Pfalz, 3 Bde., Heidelberg 1845-1972, Bd. 1 (1845), S. 320f., 332, 339ff. Froben kann eine solche corruptio aber auch nicht allein mit Mißwirtschaft erklären, der Untergang einer Dynastie ist für ihn stets Strafe für moralische Schuld, im Falle der Lützelsteiner ist es ihre Grausamkeit gegenüber Gefangenen. Vgl. dazu auch die Begründung des Untergangs der Häuser Klingenberg und Bainburg (1,50,27-35).

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mag Proben jenseits seiner äquilibristischen Alltagspliilosophie nicht zu geben, und diese Unfähigkeit kompensiert er durch sprachliche Varianz und Intensität. Mit dem emotionalen Kommentar wird endgültig klar, daß der Nachtrag über das ferne Geschlecht der Lützelsteiner geradezu eine Allegorie auf die Geschichte der Zimmern ist und der Chronist in der Konstruktion dieses Niedergangs nach den Strategien zu seiner Vermeidung sucht. Allerdings fmdet er keinen rechten Maßstab für eine erfolgreiche Dynastiepolitik, allenfalls beruft er sich auf eine vage Gewissensethik, die nicht objektiv begründbar ist. Letztlich fmden jede noch so rationale Dynastiepolitik oder individuelle Leistungsbereitschaft ihre Grenze in der Unberechenbarkeit der Fortuna, und deswegen zieht er sich im Ergebnis auf ein Sprichwort zurück - eine Strategie, die bei ihm immer auf das Fehlen konkreter Lösungsmöglichkeiten schließen läßt: Also ist das glück wandelbar, und, wie man sagt, in hundert jaren hiertenkünder künigskünder und künigskünder werden auch wieder hiertenkünder (1,50, 32-35). Nur auf den ersten Blick will der Chronist mit diesen Nachträgen lediglich die historische Grundlage seines Werks verbreitem, vielmehr leitet ihn bei der Abfassung der Nachträge das Thema 'Untergang' einer Dynastie. Er fügt die Geschichten der fremden Dynastien deswegen in den frühen Abschnitt der Chronik ein, um so die thematische Gewichtung in der 'endgültigen' Fassung seines Werks gleichmäßiger zu verteilen. Bereits hier soll nicht mehr die Geschichte und adlige Legitimation des eigenen Geschlechts allein dominieren, sondern der Blick des Rezipienten auf die politischen, ökonomischen und ethischen Voraussetzungen für den Erhalt eines Geschlechts gerichtet werden. In diesem Stadium seiner Chronikarbeit hat sich Froben von einer didaktischen Aufbereitung seiner Dynastiegeschichte weitgehend entfernt, an deren Stelle tritt der Versuch einer Erkenntnis der geschichtlichen Gesetzmäßigkeiten."' 5.4.5. Funktionen der Literarisierung. Die Geschichte des Kreuzfahrers Friedrich von Zimmern Trotz einzehier Ansätze hat der Chronist bis jetzt noch keine eigene umfassende Familienlegende geboten. Eine solche entwirft er im Kontext des ersten Kreuzzugs, mit ihr werden die bislang geführten Diskurse um Herkunft, Namen und Stand der Zimmern mit ethischen Handltmgsanweisungen fiir die Nachkommen verbunden. Die Geschichte ist nach Struktur und Inhalt an literarischen Mustern orientiert und erstreckt sich über mehrere Kapitel."" Der Protagonist, Friedrich von Zünmem, durchläuft quasi einen 'Doppelweg"·": Nach dem Auszug des Helden folgt eine erste Bewährung, nach der Rückkehr kommt

Vgl. dazu unten S. 422fr. Kap. 16-18 und 23. Zur Funktion der Kreuzzugsbewegung innerhalb der reichsgeschichtlichen Thematik vgl. oben S. 203. Der deutsche Prosaroman hat mit dem zweimaligen Auszug des Helden Elemente des Doppelwegs im höfischen Epos übernommen (vgl. etwa THOMAS, Handlungsstruktur, S. 93fr.).

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es zu einer Krise und einem zweiten Auszug, an dessen Ende eine innere Läuterung steht. Die Erzählung beginnt im 16. Kapitel - nach einer noch eher dem historiographischen Diskurs veφflichteten Quellenberuftmg und -kritik (1,85, 16-86,24) - mit einer topischen Erklärung (Dank für die Errettung aus Todesnot) ffir den Kreuzzugsplan Gottfrieds von Bouillon. Von den Zimmern wollen sich die beiden Brüder Friedrich und Konrad daran beteiligen. Beide befinden sich aber im Königsdienst und erbitten erst, dem Prinzip absoluter Reichstreue der Zimmern entsprechend, formvollendet ihren Abschied vom Hof (I,88,lff.). Das gleiche Ritual wiederholt sich dann bei ihrem Vater Gottfried. Die Begründung der beiden Söhne zur Kreuznahme fällt so emphatisch aus, daß sich ihr Bruder Albrecht dem Kreuzug anschließt und der Vater ihnen eine allerdings bescheidene Ausrüstung gibt. Letzteres ist kein Topos, sondern ein Leitmotiv, das einen über die folgenden acht Kapitel reichenden Handlungsbogen bestimmt und mit dem in letzter Konsequenz die Gründung des Klosters Frauenzimmern begründet wird. Denn Friedrich, der bereits am kaiserlichen Hof einen Hang zur Prachtentfaltung an den Tag gelegt hat, genügt seine Ausstattung nicht, um sie zu verbessern, presst er seinem Dorf Rulinghofen hohe Geldzahlungen ab. Aus dieser Handlung soll ihm - so kündigt der Chronist erzählerische Spannung erzeugend an - später großes Leid erwachsen (1,89, Iff.)."^ Im folgenden 17. Kapitel retardiert die Handlung, berichtet wird zunächst von dem vergeblichen Versuch des vierten Bruders, Georg, die drei Kreuzfahrer noch persönlich zu verabschieden und damit sein Einverständnis mit ihrer Entscheidung zu bekunden. Dieser Georg stirbt dann, nachdem seine geplante Heirat mit Adelgund von Hohenklingen"' drei Jahre lang hinausgezögert vsoirde, in einer Epidemie, der auch ein weiterer Bruder, Kuno, zum Opfer fallt. Was sich hier innerhalb der Kreuzzugserzählung als lediglich chronikalischer Genauigkeit verpflichteter Einschub darsteUt, erschließt sich als Teil eines aktuellen Diskurses über den Fortbestand des Geschlechts angesichts fehlender männlicher Nachkommenschaft."" Mit sechs Brüdern schien die Zukunft des Geschlechts gesichert, mit dem Hinweis auf die Epidemie führt Froben jedoch 1,88,28-89,1: Darauf, so fiirderUch er möchte, [fertiget] er sie ansehenlich ab mit harnasch, Pferden und anderm, zu aim solchem weiten zug dienstlich. Aber nachdem herr Friedenreich von Zimbern ihe und allwegen ain prachtlicher her gewesen, Weichs er also von jugendt auf an dem kaiserlichen hof, auch in kriegen gewont het, ließ er sich an der zerung, die im und baiden seinen brüdern, herrn Conradten und herrn Albrechten, von irem herrn vatter verordnet, nit begnügen, sonder, an wissen und hinder gedachtem seinem herrn vatter, auch aller seiner brüeder, schetzet und nötet er etliche underthannen, in der herschaft gesessen, insonderhait in dem dorf Rulinghoven [...]; derhalben nach seinem abschid große dag von dem gemainen man erwuchs, er auch dessen hernach, wie volgen wurt, in großen unfal kam. Das Geschlecht der Hohenklingen genießt bei Froben hohes Ansehen, was auch daran zu erkennen ist, daß er einen Adam von Hohenklingen (1,44,10) für würdig befindet, mit Friedrich von Zimmern die Hauptmannschaft über die Obotriten zu teilen. Zu der Geschichte um Adelgund vgl. oben S. 188.

" " Siehe unten S. 399ff.

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drastisch vor Augen, wie rasch sich dies ändern kann. Selbst eine so religiös fundierte Entscheidung wie die Kreuznahme greift in das dynastische Interesse ein, und deswegen ist die offizielle Verabschiedung der Brüder Beweis für die Familiensolidarität. Transparenz und öfifentlich dokumentierte Übereinstimmung bei jeder familiären Entscheidimg ist der Idealzustand, an dem sich künftiges Handehi orientieren soll. Dies ist jedoch nicht die einzige Funktion der Figur Georgs: Sein Schicksal gestaltet Proben als Exempel eines Familienmusters der Zmmiern, die durch langes Zuwarten ihre Chancen verspielen. Gerade m solchen randständigen Details wird immer wieder die Absicht des Autors offenbar, in seine genealogischen Konstruktionen alle möglichen hypothetischen Ereignisse einzufügen, um so dem Rezipienten anhand der Familiengeschichte Gefahren und Chancen vorzuführen."' Im 18. und 19. Kapitel wendet sich der Chronist wieder den drei Zimmern zu, die mit dem Kreuzfahrerheer ins Heilige Land gezogen sind. Konrad und Albrecht fallen in der Schlacht von Dorylaeum''^ und so bleibt nur noch Friedrich als 'literarischer' Protagonist, dessen weiteren Lebenslauf Proben im Fortgang episch breit ausmalt. Friedrich kehrt nach der Eroberung Jerusalems zunächst in die Heimat zurück, vermag sich jedoch auf dem väteriichen Besitz nicht mehr einzugewöhnen. Bei der Erklärung dieses Problems argumentiert der Chronist psychologisch, wobei er zugleich seine Einstellung zu Fragen der Vererbung und des Einflusses von Erziehung offenbart. Friedrich, an Hofleben und Krieg seit fi^hester Jugend gewöhnt, ist aus seinem Lebensrhythmus geworfen. Mangels unrhue oder arbait aber wird er schwermüetig (1,93,16ff.)."' Die aus aufgezwungenem Nichtstun resultierende Krise wird verstärkt durch einen schmerzlichen Vergleich seiner Stellung in Deutschland mit den Möglichkeiten, die sich ihm im Heiligen Land geboten hätten: Dort genoß er beim König besonderes Ansehen, hier ist er zur Untätigkeit verurteilt. Dort erwarteten ihn im Heidenkampf die höchsten Ehren, im Falle des Todes das himmlische Heil, hier ist er völlig auf die Gnade seines Vaters angewiesen. Nachdem er mit den häuslichen Verhältnissen nicht mehr zurechtkommt, faßt er den Entschluß, nach Palästina zurückzukehren. In einer signifikanten Verdoppelung der Modalitäten des ersten Auszugs setzt Friedrich seinen Plan heimtückisch und auf Kosten seiner Untertanen um. Zunächst verlangt er unter dem Vorwand, sich unverheiratet zur Ruhe setzen zu wollen, die Auszahlung semes Erbteils (1,94,6flf.). Die Forderung wird ihm in der Hofl&iung erfüUt, nach seinem Tod werde mangels anderer Nachkommen

Der Tod seiner beiden Söhne bricht den Lebenswillen des Vaters, der die Herrschaft an einen dritten Sohn übergibt und sich nach St. Georgen zurückzieht, hnplizit steckt in dieser familienpolitisch klugen Handlung eine Kritik Frobens an seinem eigenen Vater, der ihn bis zuletzt von der Regentschaft femhielt. Siehe oben S. 204. Zu Bedeutung und Bekämpftmg der Melancholie im 16. Jahrhundert vgl. OBERMOLLER, Melancholie, S. 14-41; SCHMITZ, Physiologie, S. 116-183.

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die ihm übergebene Herrschaft Rosenfeld im Besitz der Zimmern verbleiben. Friedrich jedoch hat einzig im Sinn, einen möglichst hohen Gewiim aus dieser Herrschaft zu erzielen, die Sachwerte in Kapital umzuwandeln und damit seine zweite Fahrt ins Heilige Land zu finanzieren. Dementsprechend beginnt er, die armen ¡eut [...] hertigdich zu schetzen (1,94,19), und als dies nicht ausreicht, versetzt er Rosenfeld an die Herzöge von Teck und verkauft seinen sonstigen Besitz. Aus der Verpfändung von Rosenfeld, so kommentiert der Chronist, seien eine Reihe von Konflikten zwischen Pfandnehmern und -gebem entstanden, wodurch schließlich, nach einem Schiedsspruch des St. Gallener Abtes, die Herrschaft für immer in die Hände der Herzöge von Teck fallt."' Interessant ist hier nicht allein die Beantwortung der Frage, weshalb die Geschichte um einen fiktiven Kreuzfahrer Friedrich, der mit dem Familienbesitz so nachlässig umgeht, konstruiert wird, sondern, warum dies ausgerechnet anhand der Herrschaft Rosenfeld geschieht. Die historische Besitzentwicklung wird dabei nämlich umgedreht: Nicht die Zimmern dehnen ihren Besitz auf Kosten der Nachbarn aus, sondern diese sind es, die zimmerischen Besitz in ihre Gewalt gebracht haben. Das ursprüngliche Gebiet der Zimmern erscheint so in der geschichtlichen Fiktion wesentlich größer, wobei Froben jedoch vermeidet, juristische Besitzansprüche anzimelden: Vielmehr bestätigt er, daß Rosenfeld aufgrund des kirchlichen Schiedsspruches nach Recht und Gesetz verloren ist. Die Figur des Kreuzfahrers Friedrich bietet somit ein zentrales Beispiel für die angebliche Gewohnheit der Zimmern, ihren Besitz zu verschleudern. Darin sieht Froben einen Hauptgrund fiir den späteren Niedergang im 15. Jahrhundert. Er selbst nimmt nicht explizit zum Verhalten Friedrichs Stellung, der mit dem aus Erpressung und Verkauf gezogenen Gewiim eine ansehnliche Kriegerschar ausrüstet - ein gravierendes Indiz für den hohen Wert Rosenfelds - und mit einer genuesischen Flotte vor Akkon gelangt. Bei der Belagerung der Stadt wiederholt sich fast spiegelbildlich Friedrichs Schicksal, welches ihn schon auf dem ersten Kreuzzug ereilt hatte. Erneut kommen alle seme Begleiter in der Schlacht um, nur mit Mühe kann er seine nackte Haut retten. Ist schon dieser zweimalige Verlust, der angesichts der gewonnenen Schlacht unmotiviert wirkt, ein deutlicher Hinweis auf die Bewertung seines Vorhabens, so arrangiert der Erzähler nun als nächste Station eine 'Einsiedlereinkehr'"', in der explizit die Deutung von Friedrichs Lebenslauf erfolgt. Ein Priester, dem Friedrich sein Leid klagt, erkennt rasch die Gründe des mehrfachen Verlusts: Auspressung der armen leute und Verpfändung des väterlichen Erbes zum Nachteil des eigenen Hauses. Die Pointe dieser Geschichte liegt jedoch nicht in der VeräußerungsDie Gründer der Stadt Rosenfeld sind ungewiß, im 11. Jahrhundert gehörte die Herrschaft den Herzögen von Teck, die sie 1317 an die Württemberger verkaufen mußten (PAUL ЗСНМШ, Beiträge zur Geschichte der Stadt Rosenfeld, Balingen 1926, S. 5f). Den Zimmern dürfte Rosenfeld zu keiner Zelt gehört haben. Zum Motiv der 'Einsiedlereinkehr' im Prosaroman vgl. THOMAS, Handlungsstruktur, S. 84.

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Problematik, sondern im Konflikt zwischen Dynastieinteresse, zu dem auch der Wohlstand der eigenen Untertanen gerechnet wird, und der Verteidigmg des christlichen Glaubens. Die Entscheidung des Chronisten fällt eindeutig zugunsten des Erhalts der eigenen Macht: Deim auch wenn Friedrich Ausbeutung und Besitzveräußerung allein um des christlichen Glaubens willen betrieben hat, wird er dafür im Fegefeuer büßen (1,96,35-97,3). Wie wichtig Froben diese Quintessenz seiner Erzählung ist, ergibt sich daraus, daß die Geschichte des Kreuzfahrers Friedrich mit der 'Einsiedlereinkehr' noch nicht zu Ende ist, obwohl Friedrich bald darauf in Syrien stirbt. Die Fortsetzung folgt vier Kapitel später: Friedrichs Nefle, Albrecht von Zimmern, nimmt im Gefolge des Herzogs Friedrich von Schwaben an einer Hirschjagd in den Wäldern des Strombergs teil. bi dem unwegsamen Gebiet wird seit langem vergeblich Jagd auf einen Hirsch gemacht, dem Albrecht begegnet, als er sich von den anderen entfernt hat. Albrecht verfolgt ihn immer tiefer in den Wald hinein, bis er schließlich jede Orientierung vertiert. Da begegnet ihm unvermutet ain mann gar in ernstlicher und forchtlicher gestalt (I,110,31f). Dieser befiehlt ihm mitzukommen und verspricht, er werde im abentheur zaigen, dergleichen er vormals nie mer gesehen (I,lll,7ff.) hat. Der Geist fuhrt Albrecht zu einem locus amoenus, auf dem sich ain schloß mit vilen thürnen und großer costlichkait (1,111,16) erhebt. Im Schloß bietet sich Albrecht der seltsame Anblick einer ritterlichen Tafelrunde, die in höfischer Pracht, aber in völliger Schweigsamkeit beisammen sitzt. Nachdem er das Schloß wieder verlassen hat, erklärt ihm sein Begleher die bedeutnus (1,112,13) des Gesehenen: Die schweigenden Ritter waren sein Onkel Friedrich und dessen Gefolgsleute, welche hier für das Unrecht, das sie zu Lebzeiten an den armen leut begangen haben, büßen. Dann fordert er Albrecht auf, sich umzudrehen, und nun wird Ausmaß und Art der Strafe deutlich. Das vermaint schlos und alle vorige schönhait sinkt in eitl feir mit stinkendem schwebe! und bech zusammen. Man hört nur noch das aller kläglichst geschrai und wainen, darab [Albrecht] ain solchen schrecken empfieng, der mit warten nie gesagt werden mag (I,112,34ff.).^^ Die Wirkung dieses Erlebnisses spiegelt sich in seinem schlagartig veränderten Äußeren. Die Jagdgesellschaft erkennt ihn fast nicht wieder, so grau sind ihm Haar und Bart geworden. Angesichts seines Blicks ins Fegefeuer zieht er persönliche Konsequenzen und beschließt, zur Sühne der Vergehen seiner Vorfahren ein Kloster zu gründen. Da der Ort der Erscheinung auf dem Gebiet des Grafen Erkinger von Magenheim liegt, muß er diesen um eine Baugenehmigung bitten. Albrecht erhält sie nicht nur, sondern Erkinger leistet

Die persönliche Schlußfolgerung, die aus dieser Vision zu ziehen ist, die aber in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem geschauten Bild mehr steht, teilt Albrechts Führer zum Abschied mit; Dises alles hastu umb Gott verdienet, dir zu wissen gethon werden, dich vor diser, auch andern Sünden zu huelen und dein Leben zu pessern (1,112,27ff.).

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selbst einen erheblichen finanziellen Beitrag zur Gründung des Юosters Frauenzimmern."' Damit ist die Erzählung von dem zimmerischen Kreuzfahrer an ihr eigentliches Ziel gelangt, sie offenbart sich als zimmerische Familienlegende, mit der das Kloster Frauenzimmern auf dem Stromberg effektvoll mit dem eigenen Geschlecht in Verbindung gebracht wird."^ Derm gerade der Name war für Frobens toponomastische Theorie"' eine Herausforderung. Der Stromberg liegt weit abseits des zimmerischen Herrschaftsgebiets, und nie standen die Zimmern in einer urkundlich belegten Beziehung zum Kloster Frauenzimmern."" Andererseits eröffiiet die konstruierte Verknüpfung von Dynastie und Kloster die Möglichkeit, den Familienmythos zu vervollständigen. Proben wußte natürlich genau, daß die Herren von Magenheim die eigentlichen Gründer des Stiftes in Frauenzimmern w a r e n . A n g e s i c h t s dieser Konstellation ist die Konstruktionstechnik des Chronisten so bemerkenswert wie charakteristisch: Froben verschweigt zwar nicht die Rolle der Magenheimer, aber bei ihm sind sie nur Mitgründer, wogegen Albrecht zum eigentlichen Initiator aufsteigt. Erreicht wird dies durch die Legende, die den Klosterbau als einen zimmerischen Sühneakt bestätigen soll. Da bereits zuvor die Notwendigkeit der Buße für die Vergehen Friedrichs von Zimmern so ausführlich geschildert worden ist, erscheint die Logik der Zuschreibung konsequent. Angesichts der Grundhypothese von der Zusammengehörigkeit von zimmerischem Geschlecht und Ortsnamen ist dies ein eleganter Ausweg aus einem historiographischen Dilemma: Die Magenheimer waren zwar schon Ende des 14. Jahrhunderts in die Bedeutungslosigkeit herabgesunken,"' aber gleichwohl konnte sie Froben nicht einfach übergehen und schlicht einen zimmerischen Gründungsakt postulieren. Den notwendigen 'Beweis' für seine Theorie tritt Froben mit seiner Kreuzfahrererzählung an, in der die Stifterrolle zwar indirekt auf die Zimmern übertragen wird,"' die Magenheimer-Tradition jedoch nicht widerlegt, sondern in die zimmerische 'Gründung' eingelagert wird. " ' Angeblich veranlaßt Albrechts Erlebnis Graf Berthold von Eberstein gleichfalls ein Frauenkloster, Frauenalb, zu errichten. Zum historischen Gehalt dieser Gründungssage vgl, GMELIN, Urkunden I, S, 284ff., bes. S. 284, Anm. 1. Die Vorlage dazu findet sich bereits im lateinischen 'Liber' (f Vgl. obenS. 166. HINK, Zisterzienserinnenkloster, S. 13. Zur Gründungsgeschichte vgl. ebd., S. 15-19; 30ff. Nach STALIN, Geschichte Π, S. 536 ist das Geschlecht im 15. Jahrhunderts erloschen. Allerdings ist es schon im 14. Jahrhundert de facto unbedeutend geworden. Siehe KLUNZINGER, Geschichte I, S. 29-42. " ' Allerdings ist für Froben der Wahrheitsgehalt der Stromberg-Geschichte noch nicht ausreichend abgesichert, wenn er im Nachtrag 287 (1,114,9-20) eine weitere, obskure Quelle als Beleg anführt. Deren Autor, Gregor von Lustnau, habe nicht nur politische Geschichte geschrieben, sondern auch was seltzams oder ungewonlichs bei denselben Zeiten fürgangen [...] eingemischt (I,114,14f), womit Froben auch genau sein eigenes historiographisches Verfahren beschreibt.

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Den Wahrheitsanspruch der Erzählung sichern ihre literarischen Muster Der Anfang der Geschichte entspricht dem Beginn des Minneromans 'Friedrich von Schwaben'."' Hier wie dort verirrt sich der Held auf einer Hirschjagd und gelangt zu einem geheimnisvollen Schloß. Dessen Darstellung und Situierung in einer allerschönesten wisen und lustigeste gegne (I,lll,19£) erinnert an Elemente von Parzivals erster Einkehr auf der Gralsburg: so die Einmaligkeit und Unvergleichbarkeit der mit vielen Türmen"' bewehrten Burg und der unberührte Rasen im Hof Während jedoch in der Gralsburg das gepflegte Grün den Verlust höfischer Fest- und Tumierfi-eude signalisiert,bleibt dies in der Chronik eine fimktionslose Illustration des Topos. Das gleiche gilt fur den 'Kommunikationskontrakt', den Albrecht akzeptieren muß. Von der Erzähllogik her gesehen ist das Schweigegebot nicht erforderlich,"^ und es sind keine Sanktionen mit seiner Verletzung verbunden. Deshalb wirkt das Gebot hier geradezu wie eine 'Parzival'-Reminiszenz."' Froben deutet in der StrombergEpisode die literarische Vorlage des 'Parzival' aus: Die Kombination von Reichtum und Leid spiegelt Friedrichs Sünde wider, eine Analogie zum erlösungsbedürftigen Anfortas ist unübersehbar. Der Luxus, in dem Friedrich residiert, weist auf sein früheres Leben als ein prachtlicher her (1,88,3 I f ) , seine Stummheit'" ist die Strafe für seine Verstöße gegen das achte Gebot. Diese Sünde hatte Friedrich begangen, als er sich unter einem falschen Vorwand das väterliche Erbe auszahlen ließ. Der Untergang des Schlosses schließlich ist in offensichtlicher Anlehnung an die Zerstörung Sodoms und Gomorrha (Gn 19,4-9) in einem Feuer- und Schwefelregen gestaltet. Die Legende um die Gründung des Hausklosters"' Frauenzimmern illustriert die Konsequenzen, die sich aus dem Widerspruch zwischen Überlieferung und 'Hausideologie' ergeben. Daraus entwickelt sich eine eigene Logik, die zur Literarisierung fuhrt: Da im Falle Frauenzimmems die Magenheimer

Friedrich von Schwaben v. 61-85. Daß die Jagd in der 'Zimmerischen Chronik' von einem Friedrich von Schwaben veranstaltet wird, läßt ebenfalls auf die Herkunft des Jagdmotivs schließen. " ' Wolfram von Eschenbach, Parzival, 226,18 f Ebd., 227,10. " ' Ebd., 227,16. Ein Schweigegebot kennt auch der in der zimmerischen Bibliothek vorhandene Artusroman 'Gauriel von Muntabel' (Konrad von Stoffel, v. 57-172). Vgl. dazu auch die 'Literaturstelle' in Π, 194,Iff. Allerdings ist die Kenntnis des 'Parzival' nicht direkt daraus nachweisbar. Jedoch befanden sich mehrere Handschriften des 'Parzival' in der zimmerischen Bibliothek. Vgl. MODERN, Handschriften, S. 143f; Wien, ÖNB, Cod. 12595, f 53'; Donaueschingen, FFA, Catalogus, N6. Zur Stummheit als Strafe fiir einen Tabubruch vgl. Type 710. Zur Funktion eines Hausklosters im Mittelalter vgl. PATZE, Adel, S. 8-31 und oben S. 68, Anm. 101.

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die eigentlichen Gründer sind,^" und ein Hauskloster auf fremden Besitz nicht der Fiktion einer machtvollen Vergangenheit entspricht, muß dieses Manko beseitigt werden. Diese Funktion erfüllt das 25. Kapitel. Froben erzählt hier die Geschichte einer historisch nicht verbürgten Fehde zwischen Erkinger von Magenheim und der Stadt Bönnigheim (Bunika),^" ausgelöst durch Streitigkeiten über von Erkinger geforderte Frondienste. Diese werden mit der Begründung verweigert, der Graf habe die Stadt nur als Lehen des Erzbistums Mainz inne. Im Verlauf der Fehde locken die Bürger den Grafen in eine Falle, nehmen ihn gefangen und verlangen als Lösegeld die Übergabe des Schlosses Obermagenheim. Als Erkinger den Handel ablehnt, bestürmen sie das Tor des Schlosses mit Rammböcken. Zu ihrem Schutz halten sie den gefesselten Erkinger über ihre Köpfe. Kein Wunder, daß mit Hilfe dieser find das Schloß rasch übergeben wird. Zwar erhält Graf Erkinger seine Freiheit wieder, aber Obermagenheim wird zerstört. Froben verwendet auf diese Szene große darstellerische Sorgfalt. Dank der präzisen Konkretisierung äußerer und innerer Vorgänge werden beim Rezipienten Stimmungen erzeugt: Zu niemandt args sich versehent (I,121,7f ), gerät der Graf auf einen Spazierritt in die Hände der Feinde und fatalerweise ermöglicht er selbst die Eroberung seines Schlosses. Die Dramatik der bildhaften Szene wird mit dem Hinweis auf die Stimmungslage bei den Verteidigern des Schlosses noch intensiviert: Was komer sein gemahel, fraw Maria, die pfalzgrävin von Tübingen, und sein tochter, fröle Anna genannt, dessgleichen alles sein hofgesind empfienge, ist leichtlich zu gedenken (1,121,25-28). Der Leser soll hier offenbar zum Mitleid bewegt werden. Der rhetorisch-poetische Aufwand dient dem Ziel,'" die vollkommen desolate Stimmung Erkingers zu erklären. Denn angesichts des sonst herrschenden Vergeltungsprinzips erscheint es ungewöhnlich - und wird deswegen vom Chronisten auch besonders betont - , daß Erkinger auf jeden Akt der Rache verzichtet, sich vielmehr mit einer 'Entschädigungsleistung' der Bönnigheimer begnügt, die an der Stelle des zerstörten Schlosses eine Kirche errichten imd dort ain eewigen jartag (I,122,6f) für die Grafen von Magenheim stiften. Ganz ohne Sühne geht es nach dem Verständnis des Chronisten also doch nicht. Die ausführlich dargestellte Resignation des Grafen erklärt seinen nächsten Schritt: Er entsagt aller Macht und beschließt, die überigen tag seines lebens allain zu Frawenzimbern, das er selbst hett helfen [!] außawen, zu verzeren (I,123,9ff.). Dort stirbt er dann kurze Zeit

^^ An die historischen Fakten konnte sich Froben nicht halten, denn die Verlegung (1443) des 'zimmerischen' Klosters nach Kirbach durch Erkinger von Magenheim hätte die Konstruktion erheblich gestört. Vgl. dazu HINK, Zisterzienserirmenkloster. Zur Frühgeschichte Bönnigheims vgl. KLUNZINGER, Geschichte 1, S. 78-84. Das Fiktive wird also hier zur Übersetzung der Realität funktionalisiert. Darin manifestiert sich eine Tendenz des zimmerischen Chronisten, nicht nur die Wek zum Horizont der Fiktion zu machen, sondern auch umgekehrt die Fiktion zum Horizont der Welt (vgl. STFFIRLE, Rezeption, S. 378).

Konstruierte Vergangenheit. Die Geschichte des Geschlechts im Mittelaher

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später. Proben kommentiert den Tod mit den Worten: Man achtet, das er vor rechtem komer, der schmach und des schadens halber, so im von denen von Bunika widerfaren, gestorben seie (I,124,16ff.). Erstmals wird hier in der Chronik ein Todesfall psychosomatisch begründet, imd diese mgewöhnliche Deutung dient dazu, das Beispiel der Selbstaufgabe eines Geschlechts drastisch vor Augen zu fuhren. Deswegen erscheint es nur konsequent, wenn Erkinger allen Standesstolz aufgibt und seine einzige Tochter mit dem Sohn Albrechts von Zimmern verheiratet, den er als seinen gehaimesten, getrewesten und liebsten freund (1,123,20f) schätzt, imd seinem Schwiegersohn alles, was er nach sinem absterben verließe (1,123,34), testamentarisch vermacht. Damit erreicht Proben gleich drei Ziele: Die Grafen von Magenheim sind aus der Geschichte verschwunden, die Zhnmem ihre rechtmäßigen Erben und Prauenzimmem ist von mm an das alleinige Hauskloster des Geschlechts. Je realitätsfemer eine historische Konstruktion ist, desto ausführlicher, plastischer, dramatischer und emotionaler eingeiarbt wird Frobens Erzählung. Die literarisch ausgefeilteste Passage seiner Argumentation ist dementsprechend die Begründung fur die Übergabe von Tochter und Land an die Zimmern. Proben lenkt sofort das Interesse des Lesers auf die Geschichte der Ehe zwischen Johaim von Zimmern und Anna von Magenheim (Kap. 26). Die wenigen Angaben, die Proben zu diesem Paar macht, dienen dem Zweck, eine Reihe den zimmerischen Anspruch stützender Informationen einzuflechten, etwa, daß die Magenheimer bislang ihre begreptnus zu Hailprunnen gehapt (1,136,7) haben, womit ihre Verbundenheit zu Prauenzimmem gelockert und ihre historischen Beziehungen zum Kloster Heilbronn manifestiert werden. Ebenso verhält es sich mit der Nachricht von der Auflösimg Prauenzimmems, die es glaubhaft macht, daß keine Unterlagen mehr über diese Zeit vorhanden sind. Preilich ergibt diese Konstruktion einen neuen Begründungszwang. Wenn die Magenheimer als Mitbesitzer Prauenzimmers ausscheiden, muß die Aufgabe des Klosters anders begründet werden. Proben findet hier wieder zur Geschichte, indem er von der Verlagerung des Klosters Prauenzimmem nach Kirbach berichtet, aber dies einer Intrige des Beichtvaters (des roten münch[s]; 1,136,18) der Witwe Anna von Zimmern zuschreibt. Damit ist dann die Unschuld der Zinmiem an der Aufgabe des 'Hausklosters' hinreichend bewiesen. Zusammenfassend läßt sich der Standesdiskurs als den zentralen Paktor für diesen 2. Chronikabschnitt bestimmen. Proben hat diesen Diskurs bereits im 1. Abschnitt eingeführt,"'jetzt erhält er eine prominente Position im Werk. Insgesamt entsteht so ein Argumentationsgewebe, "" auf das er daim bei der ErheDazu gehört die Geschichte Georgs (siehe oben S. 188) ebenso wie die des angeblichen Grafen Albrechts von Zimmem im Kapitel 27 (1,139,10-142,20). Vgl. dazu unten S. 425. " " Wie sich in der Einzelargumentation die Gesamtstruktur widerspiegelt, sei auch an einer weniger zentralen Stelle der Chronik demonstriert. Bereits am Ende des dritten AlpirsbachExkurses bezieht sich Proben relativ unvermitteh auf einen Aspekt der Geschichte, welcher neu ist: Und sonder zweifei ist diser herr Goltfrid von Zimbern bei seinem leben in aim

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bung der Zimmern in den Grafenstand 2airückgreifen kann."' Ohne dies explizit hervorzuheben, bestätigt Proben mit der angebhchen Heirat Johanns von Zimmern mit Anna von Magenheim und der dadurch erfolgten erbweisen Inbesitznahme der 'Grafschaft' Magenheim dem eigenen Geschlecht gräfliche Ebenbürtigkeit. Allerdings kann Proben den Grafenstand der Magenheimer nicht nachweisen, als Allodbesitz führt er nur Brackenheim"^ und Güglingen (1,120,28) an. Aber der Chronist hat gar nicht die Absicherung einer gräflichen Herkunft der Magenheimer im Auge, vielmehr will er an den Rändern der zimmerischen Geschlechtsgeschichte die Aura einer gräflichen Ebenbürtigkeit entstehen lassen. Sein Motiv fiir diese Konstruktion ist also finaler Natur: Hier wird die erzählerische Basis dafiir gelegt, von der aus er dann später die Erhebung der Zimmern in den Grafenstand als Wiederherstellung eines alten Rechts erläutern karm (111,206,19ff.). Eine solche Konstruktion ist notwendig, denn im kaiserlichen Privileg (24. März 1538) ist von dem ehemaligen Grafenstand der Zimmern keine Rede, sondern die Erhebung wird mit dem besonderen Verdienst des Geschlechtes begründet. Insofern soll die Beziehimg zu den 'gräflichen' Magenheimem den Mangel der freiherrlichen Herkimft wenigstens ansatzweise ausgleichen. Das narrative Element ist in diesem Abschnitt notwendig, damit der Leser die Erkermtnis der gräflichen Ebenbürtigkeit der Zimmern selbst vollzieht. Das Pehlen zuverlässiger und akzeptierter Quellen und die Ungewdßheit über die eigene Vergangenheit stehen auf der emen Seite - auf der anderen das klar umrissene Ziel, in der Vergangenheit des Geschlechts die Voraussetzung für die spätere Verleihung des Grafentitels anzulegen. Dies erfordert eine Konstruktion, die für Proben die Literarisierung von Geschichte bedeutet. Nur so lassen sich historische Pakten und standespolitische Ziele problemlos miteinander verbinden. Eingearbeitete spannende Einzelepisoden wie die StrombergGeschichte verleihen der Erzählung eine Aura des Außergewöhnlichen,"' die detailreiche Darstellung vermittelt den Eindruck der Authentizität, die noch erhöht wird durch die wissenschaftliche Seriosität suggerierende Quellenkritik. Die Literarisierung der Erzählung, die Darstellung der eigenen Geschichte in

höchern stand, dann aim freiherrn, gewesen, seitmals man in oftgemelten gewurkten luch seinen namen allwegen, 'Gottifredus dm de Zimbris' geschriben flndt (1,106,40-107,4). Nachdem also die Zuverlässigkeit der geschichtlichen Daten sukzessive aufgebaut worden ist, kommt der Chronist zum eigentlichen Motiv seiner Geschichtskonstruktion, der Behauptung, daß sein Geschlecht schon im 12. Jahrhundert den Grafentitel getragen hat. Proben verwendet auch hier seine Methode des schrittweisen Aufbaus eines Beweiszusammenhanges. Die Information wird nicht weiter ausgeführt und begründet, sondern ist zunächst singulär und ohne Hinweis auf die damit verbundenen Implikationen. Vgl. unten S. 379-383. Zur Geschichte Brackenheims vgl. KLUNZINGER, Geschichte Π, S. 7-87. Wichtig für die toponomastischen Überlegungen des Chronisten ist auch, daß in der Nähe von Brackenheim ein Ort namens Dürrenzimmern (ebd., Π, S. 92-103) lag. Zur Funktion des Außergewöhnlichen im Spätmittelalter vgl. MÜLLER, Melusine, S. 65f

Aufstieg und Niedergang. Projektion eines geschichtlichen Gesetzes

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immer neuen Konfigurationen dient dem Zweck, die Geschichte für den Rezipienten erfahrbar zu machen; nur so gelingt es - wie in der 'Melusine'"'' 'admirative Bewunderung' auszulösen und den affektiven Mitvollzug des Erzählten zu erreichen.

5.5. Aufstieg und Niedergang. Projektion eines geschichtlichen Gesetzes"' Die ersten beiden Abschnitte der 'Zimmerischen Chronik' haben gezeigt, daß nicht die Chronologie der Ereignisse die Erzählung bestimmt, sondern em spezifisches Verlaufsprinzip der Hausgeschichte, in das sich das Verhalten jeder Generation einordnen läßt und das auch Frobens eigene Stellung in der Geschichte präfiguriert. Zentraler Inhalt dieses Geschichtsmusters, das einem säkularen Heilsplan nahe kommt, ist die Vorstellung von eindeutigen Zäsuren, in denen die Zimmern zwar an den Rand des Untergangs geraten, aber nach heftigem Kampf ihre alte Stellung zurückerobern. Von dieser übergeordneten Struktur erfahren die gesamte Dynastiegeschichte, aber auch die verschiedenen oftmals unbedeutenden Details ihren Sinn."' Die Bewegung von Aufstieg und Niedergang wird um so deutlicher sichtbar, je weiter die Chronik voranschreitet. Gegenüber der Vergangenheit grenzt sich der 3. Abschnitt dadurch ab, daß jetzt die wichtigsten Konstituenten einer adligen Herrschaft - Hauskloster, Grablege, Familienlegende, Territorium - abgehandelt, die Fragen zur Abstammung und Verwandtschaft der Zimmern weitgehend erledigt sind. Der Chronist läßt jetzt seine früheren wissenschaftlichen Skrupel fallen, die zuvor aufgestellten Hypothesen gehen als gesicherte Fakten in die Darstellung ein. Bestimmend ist nun die Geschichte des Geschlechts, Ereignisse hn Reich und Land werden ihr zugeordnet. Formal schlägt sich die neue thematische Dominanz darin nieder, daß ab dem 28. Kapitel in den Überschriften der Name eines zimmerischen Dynasten als Leitname fimgiert, anhand dessen man die Generationenfolge erkennen kann."' Mit diesen Leitnamen werden einzelne Kapitel auch äußerlich zu geschlossenen Dynastenbiographien zusammengefaßt. Die Zahl der Kapitel pro Biographie ist dabei sehr unterschiedlich. Während Proben ftir die ersten vier Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts mit 18 Kapiteln auskommt, benötigt er für die Geschichte seines Urgroßvaters Werner d. J. (ca. 1423-1483) 14 Kapitel. Mangels Quellen zur Geschlechtsgeschichte des Spät" " Ebd., S. 47-53. Allerdings entlehnt die 'Zimmerische Chronik' nicht direkt "Argumente für die Genealogie der Freiherrn von Zimmern" (ebd., S. 55). Denn im Zusammenhang mit einer möglichen ehelichen Verbindung der Zimmern mit Meerfeen wird die 'Melusine' gar nicht genannt. 3. Chronikabschnitt (Kap. 28-60); zur Gliederung vgl. oben S. 148f Vgl. zu dieser Technik LuGOWSKi, Form, S. 135f; THOMAS, Handlungsstruktur, S. 255ff.; VELTEN, Leben, S. 277-285. Zum urkundlich erschlossenen Stammbaum der Zimmern siehe SCHWENNICKE, Stammtafeln, Nr. 83f

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mittelalters bietet Proben am Anfang eine 'Faktographie': EhescMießungen, Kindsgeburten, Beerdigimgen, Güterkäufe werden mit einer Pseudogenauigkeit genannt, die das weitgehende РеЫеп von aussagekräftigen Belegen aus der Pamiliengeschichte verscMeiert."' Da jedoch einige von Probens Quellen erhalten sind, lassen sich seine Methoden der Quellenverarbeitung exemplarisch erschließen und somit die für seme Darstellung konstitutiven, hypothetischen Vorstellungen, ohne die es "keine Geschichte gäbe","' analysieren. Von besonderer Bedeutung ist dabei die "gedankengeleitete Anordnung des Materials",''" aus welcher die Evidenz seiner Annahmen hervorleuchten soll. Da mit fortschreitender Zeit die Zahl der Quellen wächst, muß Proben immer mehr historische Angaben mit seinen Konstruktionen 'vertexten', d. h. die disparaten Pakten sind so zu präsentieren, daß sie zu historisch-glaubwürdigen, die Dynastiekonstruktion bestätigenden 'Pakten' werden. 5.5.1. Die widerspenstigen Quellen - Die Biographien Werners (IV.) imd Konrads (II.) Die erste Biographie (Kap. 28) umfaßt nur wenige Zeilen (1,142,21-143,2) und ist einem sonst nicht bezeugten Werner (IV.),'" angeblich dem ähesten Sohn Johanns von Zimmern und der Gräfin von Magenheim,''^ gewidmet. Dieser Werner füllt eine Lücke, die zwischen der urkundlichen Nachricht des 'Rotulus Sanpetrinus"" von 1113 und der Erwähnung eines Heinrich von Zimmern als Teibehmer des Wormser Turniers von 1209 bei Rüxner l i e g t . D a s 'Tumierbuch' ist an dieser Stelle eine zweischneidige Quelle, da der Name Heinrich bei den Zimmern ungebräuchlich ist. Gleichwohl will sich Proben die Bestätigungschance nicht entgehen lassen,'®' seine Konstruktion aber auch nicht einer naheliegenden Kritik aussetzen. Die Lösung des Dilemmas besteht darin, Heinrich zum kinderlosen Bruder eines Zimmern zu machen, der zwar nirgends belegt ist, dessen Name jedoch einwandfrei geschlechtstypisch ist. Dieser Überlegung verdankt Werner (IV.) seine Existenz. Auch der Hemrich des 'Tumierbuchs' benötigt zumindest eine Kurzbiographie, um so die Qualität der (fiktiven) Hausquellen zu bestätigen und insofern wirkt an dieser Stelle der postulierte Wahrheitscharakter des 'Tumierbuchs' auf den Chronikautor zurück, als dieser nun selbst zu weiteren Konstruktionen gezwungen ist. Proben

Vgl. dazu etwa; 1,142,25-143,10; 149,5-150,10. RUSCH, Erkenntnis, S. 440f. HARTH, G e s c h i c h t e , S. 4 7 4 .

BARACK hat Namen und Nummerierung der Dynasten den Angaben der 'Zimmerischen Chronik' entnommen. Ich behalte die - auch im Register seiner Ausgabe verwendete - Nummerierung bei, um die schnelle Auffindbarkeit der betreffenden Personen zu gewährleisten. Siehe oben S. 215ff. Vgl. dazu oben S. 195. Rüxner, Tumierbuch, f. 196". Dies gilt um so mehr, als Rüxner dann für das Jahr 1235 tatsächlich einen Werner von Zimmern als Teilnehmer eines Turniers in Würzburg erwähnt (f. 80").

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erfindet dazu noch einen weiteren Bruder namens Friedrich und gestaltet beider Karrieren nach gängigen Mustern des 16. Jahrhunderts:'** Heinrich wird von jugendt auf an der försten hof erzogen (I,144,12f.) und bleibt dort bis ins hohe Alter. Das Motiv des Fürstendienstes, bereits als zimmemtypisch bekannt, wird so erneut bestätigt. Friedrich schlägt die geistliche Laufbahn ein, wird Domherr zu Straßburg und begründet damit eine weitere, für die Zhnmem bis in die Gegenwart des Chronisten lebendige Beziehung. Die rudimentären Angaben über Werner (IV.)"' generieren ein Muster familientypischen Handelns: In der Hoffiiung den heimatlichen Verhältnissen zu entfliehen, verschafft er sich Zugang zum bayerischen Hof und erreicht über die Heirat mit Adelheid von Abensberg (I,142,33f.) die Verbindung mit einem Reichsgrafengeschlecht. Diese Form einer höfischen Karriere projiziert eine spätere Situation in die Vergangenheit: Der im 15. Jahrhundert aus seiner Heimat vertriebene Johann Werner d. Ä. findet ebenfalls am Münchner Hof Aufnahme und Unterstützung."' Historiographisch stützt diese Beziehung die Konstruktion der Geschichte im hohen Mittelalter, denn der spätere Kontakt mit den bayerischen Herzögen macht glaubhaft, daß die - nach der ersten urkundlichen Erwähnung"' zu urteilen - im 13. Jahrhundert auf der Stufe unbedeutender schwäbischer Kleinadliger stehenden Zimmern den Reichsgrafen von Abensberg als ebenbürtig erschienen sind. Der kurze Abschnitt über die Generation Werners (IV.) enthäh die historiographische Methode des Chronisten in nuce. Um eine durchgehende Genealogie zu erreichen, erfmdet Proben Angehörige seines Geschlechts, denen er traditionelle Leitnamen gibt. Als historiographisches Unterfutter fur die Existenz dieser Vorfahren beruft er sich auf abgelegene Quellen, die nur schwer überprüfbar sind. Die Konstruktionen dienen neben der Aufrechterhaltung der genealogischen Sukzession auch der Legitimation des besonderen Rangs der Zmmiem sowie der Begründung von Zukunftschancen für spätere Geschlechter, wobei die erhoffte Zukunft nur als Wiederau&ahme der Tradition erscheint. Eine solche Konstruktion ist prekär, sie verlangt ständig den Nachweis der Glaubwürdigkeit des Chronisten. Diese Anforderung erfüllt

Hier findet sich eine der relativ seltenen Stellen, an denen der Chronist selbst mit seiner genealogischen Konstruktion durcheinandergekommen ist: Heinrich von Zimmern ist nicht, wie in 1,144,11 behauptet, der Sohn Friedrichs, sondern Johanns. In den Ausgaben BARACKS und DECKER-HAUFFS ist der Fehler nicht vermerkt. Die 'Informationen' über diesen Werner waren Froben übrigens selbst zu sparsam, der freie Platz in der Hs. В zeigt, daß er die Biographie Werners gerne noch erweitert hätte. Vgl. 1,143,2. Vgl. dazu HEGI, Räte, S. 428FF., 465F Zur politischen Situation im deutschen Südwesten vgl. PRESS, Schwaben. Vgl. oben S. 195 und JENNY, Froben, S. I52f Nach dem 'Rotulus Sanpetrinus' (FLEIG, Studien, S. 1 0 3 f ) rangiert der erste urkundlich faßbare Vertreter des Geschlechts auf dem achten Platz der Zeugenliste und damit nicht unter dem Hochadel. Vgl. zum politischen und ständischen Rang der Zimmern auch BADER, Hausgeschichte, S. 120f

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Proben nebenbei, indem er bei Lappalien die Möglichkeit von Irrtümern einräumt.''" Die Glaubwürdigkeit des ErzäMten wird zudem gesichert durch die Übernahme traditioneller Erzählmuster. Bei Werners Werbung um Adelheid bedient sich Proben einer Reminiszenz aus der hochmittelalterlichen Literatur, wenn er schreibt: durch [Adelheids] willen [hat] sich herr Wörnher mit rennen, stechen und allem ritterspil [geübt] über das, das er sie für andere erwarb (1,142, 34ff.)."' Werners Minnedienst bleibt an dieser Stelle vollkommen isoliert, weder dient er einer genaueren Darstellung einer vergangenen Zeit noch zur Charakterisierung Werners. Der Chronist rekurriert auf das literarische Muster nur deswegen, weil er einen von ihm fingierten Sachverhalt mit zeittypischem Kolorit illustrieren will. Die Klosterlaufbahn von Werners und Adelheids Sohn Konrad (IL) wird mit dem Motiv 'Gelübde in Geburtsnöten' erklärt: Alle Anwesenden rechnen bereits mit Pehlgeburt und Tod der Mutter; da fleht Werner Gott um Hilfe an und gelobt, das Kind gaistlich [m] machen, es wer ain son oder ain tochter (1,144,35). Prompt kommt ein gesundes Kind auf die Weh. Als dieser seinen kindtlichen jaren (I,144,39f.) entwachsen ist, schickt ihn Werner zu seinem vettern, herrn Fridenreichen freiherren von Tengen (I,145,2f.), in das Юо81ег auf der Insel Reichenau. Dort, auferzogen in der leer und allen andern guten sitten und Übungen (I,145,5f), erklimmt er rasch die Stufen der geistlichen Karriereleiter, wird zunächst Schulherr {scolaster 1,145,10), danach Propst und schließlich Abt der Reichenau. Anhand der Biographie dieses Konrads läßt sich sehr gut Probens Verfahren der Quellenverarbeitung beobachten. Proben ist auf einen Konrad von Zimmern in der 'Reichenauer Chronik' des Gallus Oehem gestoßen,"^ und auch werm der Name nicht geschlechtstypisch ist, kam er an diesem Pund nicht vorbei."' Da man die Verwendung weiterer Quellen ausschließen kann,"" läßt ' Allerdings konnten Fehler dennoch nicht ausbleiben. So handelt es sich bei der Gattin Herzog Ottos 1. nicht um eine Gräfin von Scheym, sondern um Agnes von Loon. Vgl. HANS PORNBACHER, Veldeke. Von Veldeke bis Albertinus. Beispiele sprachlicher und literarischer Wirkung der Niederlande auf Bayern, Nimwegen 1968, S. 5f. Zur mäzenatischen Tätigkeit der Grafen von Loon vgl. BUMKE, Mäzene, S. 116f Diese literarische Fiktion des ritterlichen Erwerbs einer Frau, die Proben den höfischen Epen entnommen hat, war offenbar für eine Ergänzung vorgesehen, da der nächste Satz völlig abrupt endet (1,143,2). ' Der Chronist verweist als Quelle nur vage auf ein vast alten permentin catalogo, darin di tumbherrn [...], verzaichnet (I,149,14f). - Die in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts entstandene Chronik war weit verbreitet Oehems (Oehem, Chronik, S. XVni), eine Abschrift (Hs. D; Stuttgart, WLB, Cod. Don. 622) stammt aus der Feder von Frobens Onkel Wilhehn Werner (vgl. Oehem, Chronik, S. XXnif ). Daß Froben die Bestände dieser Bibliothek herangezogen hat, ist durch seinen eigenen Hinweis (1,162,26) im 29. Kapitel gesichert. - Neben der Chronik Oehems besaß Froben die 'Reichenauer Chronik' des Hermann Contractus und deren von Berthold von Reichenau verfaßte Fortsetzung (vgl. oben Anm. 4). ' Um dieses Manko auszugleichen, erfindet Froben als Konrads Brüder einen Werner (V.), Albrecht (1,146,15-147,17) und Rudolf (1,149,9-150,10). Zur Geschichte Rudolfs gehört auch der Nachtrag 12 (1,150,11 -27).

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sich anhand der 'Biographie' Konrads (II. [tl255]) zeigen, wie der Chronist seine Quelle zum Sprechen bringt"' und welche ahistorische 'Wirklichkeit' er als Geschichte 'erdeutet'.'" Das Vorgehen des Chronisten hat schon JENNY zutreffend beschrieben:"' Proben errechnet aus Oehems Chronik Konrads Amtszeit (1235-1253)"" und übernimmt sowohl die Zuschreibung des lateinischen Geschichtsgedicht 'Planctus Augiae' an Konrad wie auch eine Interpolation Oehems,"' nach der Konrad bereits 1181 (!) als schulhe/°° gewirkt habe. Auch die Zimmern im Lehensverzeichnis der Reichenau""' verwertet der Chronist. Aus der Verbindung der einzehen Funktionen Konrads als Schulherr, Autor des lateinischen Geschichtsgedichtes und Abt entsteht das "Bild des hochgelehrten und tüchtigen" Zimmern, und dies Verfahren bezeichnet JENNY zu Recht als em "beredtes Zeugnis fur Frobens Meisterschaft in der chronikalischen Geschichtsrekonstruktion.Die Phantasie des Chronisten tritt um so deutlicher ans Licht, als Froben zwischen der Schulherren- und der Abtswürde als mittlere Stufe noch das Propstamt Konrads hinzu erfindet und darüber hinaus ein "anekdotische[s]" - wie man hinzufügen kann: bürgerlich-harmonisierendes - "Rankenwerk" um Konrads Eltern produziert, die einen beschaulichen Lebensabend bei ihrem Sohn auf der Reichenau verbracht hätten.""' Für Frobens genealogische Konstruktion war die bloße Erwähnung eines Konrads von Zimmern bei Oehem unbefiiedigend. Dementsprechend mußte er auch hier eine Geschichte dazuerfinden, die jedoch nicht in Widerspruch zu Oehem geraten durfte. Froben setzt am Beginn von Konrads geistlicher Laufbahn an, über die Oehem schweigt, und erwähnt den bereits genannten Vetter, "" Auch im 'Liber' (f. 7*) wird keine Quelle erwähnt, sondern nur die Abtswürde dieses Conradtm zusammen mit seinem Weihedatum verzeichnet. KOSELLECK (Standoitbindung, S. 45f.) verweist mit Recht darauf, daß eine Geschichte nie allein aus den Quellen ableitbar ist, sondern es immer einer Theorie bedarf, um diese zum Sprechen zu bringen. BAUMGARTNER, Thesen, S. 277. " ' JENNY, Froben, S. 163ff. Nach SCHWENNICKE (Stammtafeln, Nr. 83) wird Konrad 1211 Mönch und 1234 Abt. JENNY, Proben, S. 164. Vgl. Oehem, Chronik, S. 110, Anm. 29. Oehem, Chronik, S. 110,31. Vgl. l,145,8ff.: Da fliße [Konrad] sich noch mer ains erbern

Wandels, dann vor; darzu het er wol studiert, derhalben er auch zu aim scolaster ward geordnet. Vgl. dazu Oehem, Chronik, S. 146, Nr. 189. JENNY, Froben, S. 164. Der Begriff der Geschichtsrekonstruktion wäre allerdings durch den der Geschichtskonstruktion zu ersetzen. Froben, JENNY, S. 164. Als zutreffend erweist sich auch JENNYS Beobachtung, daß Froben unmißverständliche Hinweise Oehems über den Niedergang der Reichenau zu Lebzeiten Konrads umdeutet in Belege für dessen Tüchtigkeit. Konsequenterweise erscheint bei Froben der Verfall der Reichenau, der auch im 'Planctus' beklagt wird, als ein lang vergangenes Ereignis. JENNYS Behauptung freilich, wonach Froben klösterliche Mißstände aus Rücksicht auf den höheren Ruhm Konrads (Π.) verschweigt, läßt sich einzig durch den Haupttext stützen, nicht jedoch durch die Nachträge (Nr. 3 8 0 f ) , wo Froben die Kritik an den inneren Zuständen des Klosters um so bissiger nachliefert (Nr. 380: 1,161,3-27; Nr. 381: 1,162,36-163,32; vgl. dazu auch unten S. 229).

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Friedrich von Tengen,""^ ein conventer in der Reichenaw als seinen Förderer. Wie kommt Proben ausgerechnet auf diesen Namen? Er hatte offenbar den Namen Friedrich von Tengen, der auf den beiden dem Bericht über Konrad von Zimmern folgenden Seiten steht, aus der Chronik entnommen und kurzerhand in die frühere Zeit versetzt. Freilich verzeichnet Oehem dort noch weitere Adelsgeschlechter, neben Friedrich von Tengen etwa den Dekan Konrad von Gundelfingen, Konrad von Feldbach oder Arnold von Langenstein, und deshalb stellt sich die Frage, weshalb Froben ausgerechnet Friedrich zum Förderer Konrads macht. Froben berücksichtigt hierarchische und dynastische Gegebenheiten: Friedrich von Tengen erscheint in den Urkunden als Propst, d. h. als der nach dem Abt oberste Würdenträger des Klosters. Insofern scheiden Konrad von Feldbach und Arnold von Langenstein, die nur als reichenauische Ritter firmieren, aus. Mit den Gundelfingen! sind die Zimmern durch Heirat verbunden gewesen, die Beziehungen zu diesem Geschlecht sind mithin bereits gesichert, wogegen die Freiherren von Tengen, die 1422 in den Grafenstand aufstiegen, noch nicht zur Verwandtschaft der Zimmern gehören.'"'^ Damit liegen die Motive der Namenswahl offen: Froben bedient sich auch an der Peripherie seiner Erzählung solcher Geschlechtsnamen, mit denen er ständisch renommieren kann. Zugleich entwirft er ein dynastisches Beziehungsgefiige, welches möglichst viele adlige Geschlechter des deutschen Südwestens umfaßt und demonstriert so einmal mehr den dynastischen Stellenwert des eigenen Geschlechts in der Vergangenheit."'^ Der Vergleich zwischen Oehem und Froben ertaubt auch einen BUck auf das poetologische Bewußtsein des zimmerischen Chronisten. Offenbar dient ihm die 'Reichenauer Chronik' als Exempel für die Bewältigmg struktureller Widersprüche. So war Froben bei seinen Forschungen auf einen Rudolf von

Siehe oben S. 224. Die Grafen von Tengen haben für die Ziimnem deswegen unmittelbare Bedeutung, weil Gottfried Werner der Vormund der minderjährigen Kinder des Grafen Christoph von Tengen wird und dabei in Auseinandersetzungen mit den Zollem gerät (vgl. dazu 111,81,18-88,35). Froben zieht die Chronik Oehems auch filr den Kirchendiskurs heran. Im Nachtrag Nr. 191 (1,165,38-167,16) befaßt er sich mit der Übergabe der hisel Mainau durch Arnold von Langenstein an den Deutschen Orden. Die Herkunft dieser Mitteilung ist gesichert durch einen Lesefehler Frobens: Oehem bietet in diesem Abschnitt der Chronik aneinandergereihte Urkundenregesten, und Froben hat das Jahr 1282, in dem die vorangegangene Urkunde ausgestellt worden war, fälschlicherweise auf die folgende Mainau-Urkunde bezogen und anstelle der korrekten Angabe 1293 in seinen Text übernommen (vgl. Oehem, S. 116 und 1,165,32). Dies nimmt Froben zum Anlaß, heftige Kritik an dem Reichtum der Kirche und den Seelgeräten zu üben (kainer vermainet hat, seilig kinden werden, er geh dann das sein den pfaffen und den orden 1,165,39-166,2). Frobens Ansatzpunkt ist die zeitgenössische Kontroverse um das Vermögen des todten pfening (1,167,8f). Wenn diese Thematik jetzt in das 13. Jahrhundert verlegt wird, entsteht eine Analogie zwischen den politisch-sozialen Problemen der Gegenwart und der Vergangenheit, und dies macht die Chronik für die Rezipienten attraktiv, weil sie Beweise für die Schädlichkeit und Dauer historischer Prozesse finden.

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Zimmern gestoßen."'" Wie 'Konrad' ist dies kein zimmerischer Leitname, aber gemäß seiner Hypothese von der Unteilbarkeit der zimmerischen Dynastie muß er auch diesen Rudolf in seiner Genealogie unterbringen, was er erreicht, indem er Rudolf zu einem Bruder Konrads macht. Aber wie kann er Rudolfs fehlenden Adelstitel und seine Erwähnimg als einfacher Pfarrer erklären? Proben findet die Lösung bei Oehem, der gerade in jenem Abtkapitel, in dem der Name des 'Konventherm' Konrad von Zimmern erscheint, eine lange Eloge auf die Bescheidenheit des Abtes Diethelm von Krenkingen hält imd von diesem berichtet, er habe sich nur der Owischen kirchen demütiger diener^ genannt. Genau diesen Bescheidenheitstopos übernimmt Proben als Begründung für den fehlenden Adelstitel bei Rudolf von Zimmern: dann die alten ganz schlecht, haben kains prachts nit geachtet (I,149,23f Angesichts der häufigen Verwendung der 'Reichenauer Chronik' durch Proben stellt sich die Präge, warum er deren Benutzung nur an wenigen Stellen und darm eher beiläufig erwähnt.·"" Auf der einen Seite verschleiert Proben seine Quelle ganz bewußt, denn zu leicht wären seine korrigierenden Eingriffe anhand des Originals nachweisbar gewesen, auf der anderen Seite aber nutzt er die Akzeptanz des Werks, um seinem Gespinst von unklaren Quellenangaben die Aura der Glaubwürdigkeit zu verleihen. Die Quellenverschleierung kann dabei als Indiz dafür angesehen werden, daß Proben seine Quelle ganz gezielt nach eigenem Gutdünken 'ergänzte' und eine Widerlegung seiner Darstellung anhand der Oehemschen Chronik vermeiden wollte. Warum aber erwähnt Proben dann Oehem überhaupt, weswegen oszilliert seine Darstellung zwischen Verhüllung imd konkreter Quellenangabe? Proben möchte widersprüchlichen Anforderungen genügen, er muß seine Geschichtskonstruktion durch Quellenbelege absichern, aber gleichzeitig die Widersprüche zwischen beiden verbergen. Deswegen verweist er explizit auf Oehem nur dann, wenn seine Argumentation durch die 'Reichenauer Chronik' abgesichert ist. Informationen, die er zwar indirekt aus Oehem bezieht, aber durch dessen Chronik nicht eindeutig abgesichert sind, erzählt Proben hingegen so, als wären sie ihm aus anderen Quellen zugeflossen. Bei einer Überprüfung hätte die 'Reichenauer Chronik' die Existenz des Abtes Konrad und zugleich die Richtigkeit der anonymen 'Quellen' Probens bestätigt."" Das bedeutet, daß gerade die Quellenverschweigung als Bestätigung der eigenen Piktion dienen kann, wenn für den gelehrten Frohen erwähnt in einem Nachtrag (1,150,11 -17) die Chronik des Johannes Stumpf, in der sich ein solcher Rudolf findet (vgl. Stumpf, Chronick VI/167). Dieser Rudolf taucht auch als Pfarrer von Waldmössingen auf (1,149,9-150,10). Zum Historiographen Stumpf vgl. BONOMO, Stumpf; zu seinem Weltbild MÜLLER, Geschichtsschreiber, Oehem, Chronik, S. 108,21-109,13. Vgl. hierzu auch den Nachtrag Nr. 441, in welchem Proben eine identische Formulierung zur Bestätigung der Bescheidenheit der Vorfahren gebraucht (I,147,21ff.). Vgl. I,162,26ff. und 1,70,6. " " Frobens Verfahren ist so suggestiv, daß sich noch JENNY (Froben, S. 163f ) auf die Suche nach einer zweiten Quelle begeben hat - fireilich ohne Erfolg.

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Die 'Zimmerische Chronik'

Benutzer eine Spur gelegt ist - und nichts anderes als das Aufzeigen einer bestimmten Fährte hat der Hinweis auf Oehem am Ende des 29. Kapitels zu bedeuten. Dieses Verfahren setzt ein hohes Maß an konstruktivem Bewußtsein und subtile Kenntnisse über Rezeptionsprozesse voraus. Auf der Basis dieser Beobachtung kann nun auch das strukturelle Verfahren Frobens im 28. und 29. Kapitel genauer beschrieben werden. Da die Information Oehems über die Zimmern als reichenauische Lehnsleute weder in die Biographie Konrads noch in die seiner Brüder passen will, erscheint sie als bloßer Nachtrag zur Geschichte der Reichenau ohne jeden konkreten namentlichen Bezug. Aber trotz ihrer Beiläufigkeit ist diese Mitteilung geeignet, die latente Frage nach einer nachprüfbaren Quelle für die Angaben über Konrad von Zimmern zu beantworten. Der Blick auf Frobens Verwendung der in der 'Reichenauer Chronik' auftauchenden Namen zeigt aber noch mehr: Froben bedient sich derselben Methode der Interpolation, die auch Oehem anwendet: Namen aus den vorliegenden Quellen werden durch die geschlechtsspezifischen Leitnamen ergänzt und so Karrieren"'^ imd Traditionen innerhalb des Klosters erst begründet. Die entscheidende historiographische Weiterentwicklung Frobens gegenüber der 'Trachsessenchronik', der 'Reichenauer Chronik' oder den entsprechenden Arbeiten Wilhelm Werners von Zimmem"'^ besteht in der thematischen Vernetzung der eigenen Dynastiegeschichte mit wichtigen Institutionen, Geschlechtem und Ereignissen, wobei die dabei entfalteten Themen neben der Genealogie ein Eigengewicht erhalten. So werden die Schilderung der ständischen Stellung des Geschlechts, seines Ansehens und seiner dynastischen Interessen verknüpft mit komplexen Diskursen über Heiratspolitik und geistliche Karrieren. Erzählerisch bietet Froben eine Verlebendigung der Geschichte, eine zunehmende Eigenständigkeit sonst rein topischer Charakterisierungselemente sowie eine Emotionalisierung von Handlungsmotivationen, wie dies etwa in der Dedikation Konrads (II.) zum Geistlichen nach einer schweren Geburt und in der sich daraus ergebenden lebenslangen engen Mutter-Sohn-Beziehung zu beobachten ist. Diese narrativen Elemente gewährleisten eine bessere Übersichtlichkeit des Textes und sie erlauben die exkursartige Einfügung von, die genealogische Linie stützenden 'Sekundärbiographien'. Freilich stehen genealogische und narrativ-thematisch orientierte Diskurse in einem spannungsvollen Gegensatz. Das wird nirgends deutlicher als bei der Konrad-Biographie selbst. Denn in der Absicht, Konrad ad maiorem gloriam zum erfolgreichen Abt'"'' zu stilisieren, schönt Froben die gesamte Geschichte

Oehem, Chronik, S. 11 l,5f. Auch Abt Hermann war zunächst Propst. Vgl. oben Anm. 30. Anders hingegen JENNY (Froben, S. 162), der Frobens Charakterisierungen als ebenso topisch ansieht wie die der Bischöfe in Wilhelm Werners Bistumschronik. '"'' So schreibt Froben, Konrad habe das gotzhaus löblich und wo! regiert, und bestätigt dies mit Hilfe einer ит1тефге11ег1еп Bulle Innozenz IV. Vgl. hierzu auch JENNY, Froben, S. 162f

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der Reichenau und fuhrt ihren Verfall auf äußere Ursachen zuriick.·"' Damit begibt er sich aber der sonst gern genutzten Chance, den Niedergang der Geistlichkeit zu demonstrieren. Dies holt er um so gründlicher im Nachtrag Nr. 381, (1,162,36-163,32) nach, wo nun die Mönche selbst wegen ihrer Gier nach Luxus zu Schuldigen werden: Es haben nit allain die großen krieg und vechden die Reichenaw in solch verderben gepracht, sonder auch das merclich übelhausen und der groß, überschwenglich bracht, so bei den epten, auch gemainlich bei den münchen allen gewest; damit sein die herrlichen güeter und königcliche gotzgaben üppigclich und one not verschwendt und verthon worden, auch das fiirnem gotzhaus in grund gericht. (1,162,36-163,2)

Als Beispiel für den Luxus fuhrt er die 'Froschlehen""' der Mönche an - Lehen, deren Inhaber die Frösche in der Nacht am retschen hindern sollten, damit der Schlaf der Mönche nicht gestört würde. Der Nachtrag ist wegen seiner narrativen Struktur em Musterbeispiel für Frobens Instrumentalisierung der Ironie. Zuerst kritisiert er die Mönche und Äbte allgemein, indem er - seine klassisch-humanistische Bildung unter Beweis stellend - ihre Prunksucht mit der eines Xerxes und Lukuli vergleicht. Dannach lenkt er die Aufinerksamkeit des Lesers sofort von diesem Thema und den damit verbundenen kirchenkritischen Implikationen mit der rhetorischen Frage ab: Mögt aber ainer sagen, wie kan man den fröschen das retschen verbieten, oder wie mag doch ein sollichs abgestellt werden! (I,163,9ff.). Die Antwort, es künd ain thor ein so ungeruempte fragen thon, das zehen weisen im die nit verantworten wissen (1,163, 12ff.), ist keine, und auch der Hinweis auf die von Vespasian erhobene Steuer für das brüntz wasser (1,163,16)'"' wirkt genauso grotesk wie die 'Froschlehen'. Eine weitere absurde Bestimmung, wonach das Gefolge der Reichenauer

Die thematische Struktur der Argumentation überdeckt die chronologische, denn bereits im 14. Kapitel wurde der Investiturstreit sowie der Krieg mit dem St. Gallener Abt ausgiebig beschrieben. Proben greift jetzt so weit zurück, um einleuchtende Gründe für den Niedergang der Reichenau zu finden, er 'überliest' gewissermaßen dabei die viel näherliegende Geschichte, wonach die Reichenau unter dem Abt Diethelm mit zahlreichen neuen Pfründen ausgestattet worden ist. Für den Argumentationszusammenhang zieht Proben aber gerade diese Stelle nicht heran, obwohl er sie kurz zuvor noch selbst verwendet hat. " " Nach BADER (Chronik, S. 30f ) handelt es sich bei den 'Proschlehen' um ein "Rechtsinstitut", das in der Literatur anderer europäischer Länder belegt sei. Im Gegensatz dazu und trotz des von BADER genannten Beispiels (ebd., S. 31) wird man jedoch eher von einer literarischen Wandererzählung ausgehen müssen. Eine ganze Reihe von Beispielen, die allerdings letztlich auf mündlicher Überlieferung beruhen, bietet unter der Rubrik operae luxioiosae, voluptuariae GRMM, Rechtsaltertümmer I, S. 491 ff. Vgl. auch BIRLINGER, Volksthümliches I, S. 116f (Nr. 173) und S. 117, Anm. 1. Proben berichtet hier die bekannte Geschichte vom Kaiser Vespasian, der ain zol uf das brüntz wasser ordnet[e] (1,163,15f). Vgl. Sueton, De Vita Caesarum 23. Sueton wird zwar von Proben in seinem Literaturverzeichnis nicht als Quelle angegeben, aber da die 'Vitae Caesarum' 1550 in zwei Ausgaben vorlagen (vgl. WORSTBROCK, Antikerezeption, S. 146f), karm davon ausgegangen werden, daß sie ihm bekannt waren.

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Die 'Zimmerische Chronik'

Dienstleute aus maximal 30 Reitern bestehen darf (Ain solliche ansehenliche tax geh aim mechtigen curfürsten oder bischof zu schaffen·, I,163,24f.), unterstreicht den satirischen Charakter der Stelle. Proben spielt im Nachtrag 381 offenbar auch mit dem Wahrheitsgehalt seiner Beispiele, (vgl. I,163,12ff.; 17f.). Solche Relativierungen lassen sich aber nicht nur auf derartige obskure Beispiele beziehen, sondern sie dekonstruieren indirekt auch die genealogische Fiktion des Haupttextes: Proben überantwortet mit der Geschichte von den Froschlehen zwanghafte Ordnungsvorstellungen dem Lachen, denen er mit seinem Versuch, eine lückenlose Geschichte in eine quellenlose Vorzeit vorzuverlegen, offenbar selbst verfallen ist. Indirekt reagiert er damit subtil-ironisch auf mögliche Kritik am Realitätsgehalt seiner genealogischen Konstruktion. Das Besondere dieses Verfahrens besteht darin, daß die Geschichte der Zimmern im Haupttext keineswegs dementiert wird, sondern der Autor nur seine kritische Distanz gegen diese verbreitete Art der Hauschronik durchscheinen läßt.·"' Die rhetorische Frage des Narren könnte sich also auch auf die Widersprüche der Geschichtsfiktion um den Abt Konrad beziehen. Frobens Dialogisierung seiner im Haupttext entworfenen Geschichte läßt vermuten, daß in seinem Text unterhalb der Ebene der Familienhistoriographie eine zweite gibt, die mit der vom Dynastieinteresse vorgegebenen Ideologie im Widerstreit liegt. 5.5.2. Strukturmuster einer idealisierten Dynastiegeschichte: Hauspolitik im Spannungsfeld zwischen Reichs- und Fürstendienst - Die 'Biographie' Werners d. Ä. (Kap. 30-36) Mit sieben Kapiteln auf 17 Folioseiten ist die Biographie von Werners (IV.) Urenkel, Werner d. Ä. (VII.) die bislang umfangreichste. Dieser Werner (12891384) war zweimal verheiratet, in erster Ehe mit Anna von Rohrdorf, in zweiter mit Brigitte von Gundelfingen."" Aufgrund seiner langen Lebenszeit und Einen Einblick in das eigene Selbstverständnis und eine Rechtfertigung der Vorbilderkonstruktionen bietet der Nachtrag Nr. 491, der zwar von den Brüdern Konrads handelt, aber eigentlich über die aktuellen Versuche eines Konrad von Ramingen berichtet, die Würde seines Geschlechts zu erneuern. Proben bezeichnet hier die historien explizit als Maßstab für das Handeln späterer Generationen: Zu unser zelten understeet er, seinen adel widerum, wie Ы1lich, zu erholen, auch seinen nachkommen ursach zu geben, in irer altvordern fitßstap/en zu dreien, darunder doch vil ritter und knecht, die in historien hin und wider nit wenig sein vernampt und berüempt gewest, auch vil guter thaten haben gethon (1,158,25-30). Proben wertet das ihm zugängliche Material allerdings kaum aus. Schon im 'Liber' (f 80 wird nur der unvermeidliche Rüxner als Quelle erwähnt. Bei ihm ist für das Jahr 1311 ein gewisser Heinrich von Zimmern als Teilnehmer an einem Turnier in Ravensburg verzeichnet. Da aber 'Heinrich' kein Leitname der Zimmerischen Familie gewesen ist, entsteht ein Glaubwürdigkeitsproblem, dem Proben entgeht, indem er Heinrich kurzerhand in Werner umbenennt (I,185,16ff.). Aber dennoch bleibt eine chronologische Unstimmigkeit: Da Proben als Sterbejahr dieses Werners 1384 ausgemacht hat, ein Tumierteilnehmer des Jahres 1311 aber kaum später als zu Beginn der 90er Jahre des 13. Jahrhundert geboren sein kann, ist es gänzlich unwahrscheinlich, daß der 1384 gestorbene Werner identisch ist mit jenem Werner, der als Sohn des 1288 gestorbenen Albrechts und im gleichen Jahr als Ehegatte Annas von Falkenstein er-

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der nun reicMicher fließenden Urkunden ändert der Chronist die Darstellungsweise. Dabei entstehen Konflikte zwischen der thematischen Struktur, der Behandlung der übergeordneten Gesichtspunkte, die nun insbesondere die Beziehung der Zinmem zu Reich und Land betreifen, und einer auf Linearität und Kausallogik gerichteten Biographie. Es wird demnach zu fragen sein, welches Gewicht der dargestellte Charakter Werners gegenüber der strukturellthematischen Ebene hat."" Die beiden einleitenden Kapitel (30f.) werden dominiert von dem Diskurs über das richtige Verhältnis von Fürstendienst und Hausinteresse. Erneut ist damit ein Leitmotiv der gesamten Chronik aufgerufen. Die Konstellation, die Proben für den Ausgang des 13. Jahrhunderts entwirft, ist prekär und typisch zugleich. Wegen des frühzeitigen Todes Werners (VL) imd der Regierungsunfähigkeit seines nachgeborenen Sohnes Werners (VIL) hängt das Schicksal der Zimmern zunächst allein von Konrad (IIL), dem Bruder Werners (VL), ab. Konrad bestellt zwar für den unmündigen Neffen Vormünder, kümmert sich auch um die Verwaltung des zimmerischen Besitzes, bleibt aber selbst am Hof Eberhards von Württemberg, dessen enger Vertrauter er geworden ist. Bereits einleitend konkurrieren also die Werte Fürstendienst und Dynastieinteressen. Der Chronist macht seinen eigenen Standpimkt klar, wenn er über Konrads Treue gegenüber Eberhard urteilt.· dardurch er die freiherrschaft Zimbern in großen abgang und verderblichen schaden gebracht (I,169,10ff.). Proben liefert in der Gestaltung dieser Passage ein Paradebeispiel historischer Geschichtskonstruktion mit didaktischem Ziel: Anhand einer Beratungsszene zwischen Konrad und seinen Freunden illustriert Proben die Gefahren ffir die Zimmern, werm Konrad in den Diensten Eberhards, der ein Feind des Reichs und der Habsburger ist,"^' bleibt. Die Freunde definieren die absolute Priorität, die für jedes Adelsgeschlecht gilt: Vordringlich muß der Bestand der eigenen Dynastie gesichert werden, erst dann kommt das Land, und da Konrad noch

scheint. Proben greift hier zum Nächstliegenden und kreiert einen Vater und Sohn mit gleichem Namen (Werner VI. und Vn.), Der Vater, Bruder des Abts Konrad, rangiert allerdings nur als Nebenfigur, die der Chronist nach Genuß eines kalten Trunkes (Ι,167,26ίϊ.) rasch sterben läßt. Er hinterläßt eine schwangere Gemahlin, die kurz danach seinen Sohn, Werner Vn., zur Welt bringt (Liber, f S'-Ç*). Die Einfügung jenes Werners VI. macht zwar die Genealogie plausibler, aber damit noch nicht das hohe Alter Werners VU. wahrscheinlicher. Diesem Problem kommt Proben jedoch mit Hilfe eines in den Nachtrag aufgenommenen Parallelfalls bei: Ein Alter von fast 100 Jahren ist zwar außergewöhnlich, aber möglich (1,212,18-26). Aus der Einfügung einer Zwischengeneration zieht Proben sogar noch den Vorteil, diesem Werner VI. noch einen Bruder verschaffen zu können, den Proben in Anlehnung an den Reichenauer Abt ebenfalls Konrad nennt. Dieser Konrad wird in der folgenden Biographie Werners Vn. als Musterbeispiel für falsches Verhalten dienen. ' Die Behauptung JENNYS (Proben, S. 164), wonach der Chronist aus den Angaben seiner Quellen "ein wildes Gewirr von Wahrheit, Verfälschung, Interpolation und die Fakten beliebig interpretierender Motivierung" erzeugt habe, ist damit widerlegt. Diese Fehlbewertung beruht auf der Anlage der von JENNY benutzten BARACKschen Ausgabe. Vgl. auch Küng, Chronik, S. 65.

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ledig ist, soll er sich verheuraten und in den ehlichen stand zu heuslichen sorgen schicken (I,171,6f.). Konrad jedoch läßt sich nicht beirren xmd stellt genealogischem Sicherheitsdenken Vasallentreue entgegen. Letztlich entscheidet bei ihm nicht Rationalität, sondern Moral. Konrad furchtet, seine Abkehr von Graf Eberhard könnte für verzagkait gehahen werden (1,171,27). Es kommt freilich so, wie es nach dem vom Chronisten bislang Dargebotenen zwangsläufig kommen muß: Das Kriegsglück wendet sich gegen Eberhard von Württemberg und er gerät zusammen mit seinen Vertrauten in die Reichsacht. Konrad verliert seinen Sitz, die Burg Hohenstein, und sogar die Oberburg in Herrenzimmern wird zerstört."^^ Wegen des Fürstendienstes sind die Zimmern an einem ΤΐεφυηΐΛ ihrer Geschichte angelangt. Abgesehen von der Unterburg in Herrenzimmern, die ein einzelner Mann (!) gegen die Feinde gehalten hat, besitzen sie nichts mehr. Dies nimmt der Chronist zum Anlaß, Konrad, der aus Gram über seine Fehlentscheidung depressiv geworden ist, auf dem Sterbebett doch noch zur Einsicht gelangen zu lassen, es sei unfirbeträchtiglich von ihm (I,185,23f) gewesen, daß er den Rat seiner Freunde veracht und nit gevolgt sei (I185,23f.). Das 30. Kapitel ist durch insgesamt neun Nachträge erweitert, ein Indiz für die besondere Relevanz, die das hier angesprochene Thema hat. Allein drei dieser Nachträge (Nr. 265, 176, 504)"" bestätigen nochmals die persönliche Schuld Konrads an dem Desaster. Konrad ist Prototyp desjenigen, der aus der Geschichte nichts lernt imd nach dem Motto 'mehr desgleichen' verfährt: So hält ihn die Niederlage gegen den deutschen König, die er im Gefolge Eberhards erlitten hat, nicht davon ab, auch an der nächsten Empörung teilzunehmen. Im Nachtrag Nr. 265 findet der Chronist mit der Geschichte des Markgrafen von Baden ein weiteres triftiges Argument gegen den Fürstendienst: Die notorische Unzuverlässigkeit der Fürsten gegenüber ihren Freunden. So nimmt Eberhard dem Markgrafen, der ihm einst auf der Flucht vor dem König Rudolf in Schutz nahm, zu dankbarer erkanntnus das Schloß Reichenberg (1,174,11). Die Situation der Dynastie unter Konrad bringt der Chronist auf den Begriff des unfaal (1,185,13) und dieses Wort hat in der Chronik leitmotivischen Cha-

In den historischen Quellen über den Reichskrieg findet sich kein Hinweis auf eine Beteiligung der Zimmern am Krieg gegen den König. Die Quellen betonen vielmehr die fast völlige Isolierung Eberhards von Württemberg. Vgl. STÄLIN, Geschichte Ш, S. 128ff. Die Nachträge 14, 247, 265 dienen dem Zweck, die im Kapitel geschilderten Niederlagen des Hauses Zimmern zu belegen: So etwa behauptet Proben (14), den Brunnen, an dem Werner VI. jenen tödlichen Trunk nahm, würde es heute noch geben; nur habe sich im Lauf der Zeit der Name von Wemhers Bronn zu Bernlins bronn (I,168,31f) geändert. Diese Erklärung ist jedoch unzutreffend, denn wegen des inlautenden Liquids 1 kann Wemhers bronn nicht der Ursprung von Bernlins bronn gewesen sein. Fraglich ist, ob Proben die Bilabialität des b im Bairischen und im Schwäbischen (hier nur inlautend) bewußt war (vgl. PRFFIDRICH KAUFFMANN, Geschichte der schwäbischen Mundart, Straßburg 1890, § 144,2).

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rakter:··" In einer fast identischen Konstellation wird der Begriff erneut erscheinen; wieder hat dort Fürstendienst Vorrang vor der Verteidigimg dynastischer Interessen und noch einmal stürzt das Geschlecht deshalb in den Abgrund. Die Kontingenz des Schicksals wird dabei nicht bestritten, aber sie bietet keine Entschuldigung für falsche Hauspolitik, weil die Wechselhaftigkeit des Glücks, das seinwel und selten lang an aim stand beleibt (I,164,15f.) immer zu bedenken ist.·*" Zum Motiv des unfaals gehört jedoch auch das der Rettung aus höchster Gefahr. Wo die Not am größten ist, d. h. das haus Zimber in höchstem verderben (I,186,38f.), da ist - so lautet ein 'Glaubenssatz' des Chronisten - Hilfe am nächsten. Diese Situation wiederholt sich in der Chronik so häufig, daß man mit Blick auf den höfischen Roman fast von einem 'epischen Doppelpunkt' sprechen könnte. In diesem Fall bedenkt ein Verwandter, ain weiser, vernunftiger herr in vil weg (I,188,12f.), die prekäre Situation des jungen Werners (VII.) und empfiehlt als Ausweg aus der Misere ain nutzlichen heurat (I,188,16f.). Die geeignete Braut ist Anna Truchsessin von Rohrdorf (f 1350), die zwar nur aus ritterlichem Geschlechf^' stammt, ihrem Gatten jedoch die Hälfte der Herrschaft Meßkh-ch einbringen wird. Damit ist der Chronist beim zweiten Kemthema dieses Abschnittes angelangt, dem schrittweisen Erwerb der Herrschaft Meßkirch aus den Händen der Truchsessen von Waldburg.··" Eingelagert ist dieses Thema in die Kapitel 33-36 und dort Teil des politischen Aufstiegs Werners. Dieser erreicht zuerst von Kaiser Karl IV. den ausschließlichen Gerichtsstand vor dem Hofgericht zu Rottweil (1353),"^' dann die Blutgerichtsbarkeit, die Hälfte des Großen Zehnten (Getreide, Garten- und Baumfiüchte) von Meßkirch sowie die Hälfte des gesamten Zehnten in den anderen Gemeinden des Meßkircher Sprengeis, dazu vom Kloster Reichenau das Eigentum an dessen Meßkircher Leibeigenen. Daneben erwirbt er zahlreiche weitere Güter und verdient sich auf diese Weise das höchste Lob des Chronisten: Herr Wörnher hat treffenlich wol haus gehalten, auch seine herschaften wol pessert (1,202,3f). Die Folie, vor der all dies entwickelt wird, ist stets der von Konrad verschuldete Niedergang des Geschlechts. Werner wird als dessen Auch in den Nachträgen zu diesem Abschnitt wird immer wieder der fast vollständige Untergang des Hauses Zimmern beschworen: Dieweil eben selbiger zeit das haus Zimber in höchstem verderben, die herrn verjagt, die landtschaft verbrennt und lauter armut do war [...] (1,186,38-187,2). Über die Bedeutung des Glücks vgl. unten S. 353f Im Falle von Niederlagen erinnert der Chronist mit Vorliebe an dessen Unverfügbarkeit: Aber das wandelbar glück, das heut ain erhöcht und morgen widerumb ernidert (I,167,26f); und aber zu letzt das glück umbschlug 0,172,2). Im 31. Kapitel findet sich eine feine Spitze gegen die Proben aus der 'Truchsessenchronik' bekannten Ambitionen der Truchsessen, sich dem Freihermstand zuzurechnen. Proben tituliert den Truchseß Berchthold zweimal explizit als Berchthold, ritter. (1,188,18 und 27). " " Vgl. hierai TC l,60f Vgl. zur Rechtsstellung des Rottweiler Hofgerichts im 14. Jahrhundert GRUBE, Verfassung, S. 14-26.

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Die 'Zimmerische Chronik'

Gegenpol charakterisiert, er hat mit seiner Heirat nicht ständischem Denken, sondern finanziellen Erwägungen den Vorrang gegeben, und mit dieser Projektion idealen Handelns in die Vergangenheit signalisiert der Chronist, wie das Interesse des Hauses in der Gegenwart am besten zu vertreten ist. Proben läßt Werner den Part des harmoniebedürftigen Adligen spielen, der auf friedlichen Ausgleich mit dem Standesgenossen bedacht ist·" und niemanden durch demonstrative Prachtentfaltung irritiert. Weitere Kriterien für Frobens Bild des idealen Zimmern sind Solidität im Haus und Solidarität gegenüber den Verwandten. Aus dem verwandtschaftlichen Zusammenhalt erwächst direkt materieller Gewinn, und Werner erscheint auch in dieser Hinsicht als das genaue Gegenteil seines Onkels Konrad: Demnach aber herr Wömher von Zimbern sich so tugenlich und wol hielt gegen seinem gemahel, auch seinem schweher und gegen menigclichem, ward er von iederman lieb und werd gehabt, desshalben sein schweher verursacht, herrn Wörnhern zu guotem, die herrschafi und seine güeter zu bössern. (1,189, 16-21) Eme solche quietistische Politik versagt jedoch in den Konflikten, aus den man sich nicht heraushalten kann. Als Verhaltensmaxime für derartige Fälle präsentiert Proben im 35. Kapitel eine Erzählung über die Auseinandersetzung zwischen der Reichsstadt Pfiillendorf und Württemberg im Jahre 1360.·"° Der Chronist verzichtet auf jede Ergebnisspannung - die Rettung von Pfiillendorf durch Werner wird schon in der Kapitelüberschrift mitgeteilt - , sondern richtet die Erwartung des Lesers auf das 'Wie'. Vielleicht aus Rücksicht gegenüber den Württemberger Landesherren ändert Proben die geschichtliche Konstellation, nicht Württemberg ist der Gegner Pfiallendorfs, sondern anonyme Adlige. Diese planen einen Überfall auf die Reichsstadt, ihre Kriegslist besteht darin, am Morgen die Viehherde der Städter wegzutreiben, um dann, wenn die Bürger mit einer ungestümme und one alle Ordnung, ir vihe zu retten, aus der statt fallen (I,207,30f.), mit ihrer im Hinterhalt verborgenen Streitmacht die unbewehrte Stadt anzugreifen und einzunehmen. Werner erfahrt von diesem Plan und gerät dadurch in eine Zwickmühle. Verrät er das Vorhaben an die Pfiillendorfer, verletzt er das Vertrauen seiner Standesgenossen und verstößt gegen den adligen Treuekodex, verschweigt er den Plan, zerstört er das Vertrauensverhältnis zu den Pfiillendorfem. Da diese Werner iederzeit vil dienst, liebs und

So unterwirft sich Werner bei einem Erbstreit mit den Truchsessen von Waldburg dem Spruch eines adligen Schiedsgerichts (1,193,17-194,19). Vergleicht man die Aussagen der 'Zimmerischen Chronik' mit denen der 'Truchsessenchronik' über den hier verhandelten Besitzwechsel Meßkirchs, dann wird besonders die Fiktionalität des Motivs 'Rettung durch Heirat' deutlich, denn - dies räumt selbst Proben indirekt ein (1,193,35-194,1) - die Zimmern haben die Rechte an Meßkirch nicht geschenkt bekommen, sondern den Truchsessen abgekauft. Die Kaufsumme von 700 Pfund Heller hätte jedoch dem Bild zimmerischer Verarmung, das Proben für die unmittelbar davorliegende Zeit gezeichnet hat, widersprochen. " " Zum landesgeschichtlichen Hintergrund vgl. STALIN, Geschichte Ш, S. 259-282.

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guts bewisen heften (I,207,40f.), wäre dies mehr als nur eine Verletzung einer Dankespflicht: Dienstleistung und friedliches Miteinander stiften nach der Vorstellung des Autors immer auch eine vertragsgleiche Beziehung. Die Lösung erzählt der Chronist im Modus der Anekdote. Nachdem Werner jedem im Haus hat merken lassen, daß ihn unmuot und kimbernus (I,208,2f.) quält, sich über den Grund aber beharrlich ausschweigt, fordert er eines Tages seine Gattin auf, ihn allein zu lassen, damit er Gott seine Not im Gebet klagen könne. Diese ungewöhnliche Bitte weckt erwartungsgemäß die Neugierde seiner Frau, die ihn heimlich belauscht. Dabei erfahrt sie den Anlaß von Werners Sorgen, der auch nicht vergißt, in seinem Gebet alle Einzelheiten des geplanten Überfalls aufzunehmen. Seine Frau schreibt das Gehörte heimlich in einem Brief nieder und läßt diesen in einem frisch gebackenen Brot dem Pfiillendorfer Bürgermeister überbringen. Der trifft entsprechende Vorkehrungen, so daß der Anschlag der Adligen scheitert. Da die Pñillendorfer in Erfahrung bringen, wem sie ihre Rettung verdanken, sind sie den Zimmern von nun an noch tiefer verbunden und stiften zu eewiger gedechtnus der sach (1,209,33) em alljährliches hochmal fiir ihre Nothelfer. Wie in der vorangegangenen Konrad-Biographie sind auch für diese Anekdote die sich teilweise widersprechenden Abhängigkeiten der Zimmern das zentrale Thema. Konrad hatte sich in einer vergleichbaren Situation eindeutig für seine Treueverpflichtung gegenüber Eberhard von Württemberg und damit gegen die Interessen seines eigenen Geschlechts entschieden."'' Die Erzählung über die Adelsverschwörung gegen Pftillendorf kehrt nun nicht einfach das Ergebnis um, indem sie die uneingeschränkte Dominanz dynastischer Interessen über alle anderen steht. Das Beispiel akzentuiert vielmehr unter dem Aspekt der list, wie zu verfahren ist, wenn man sich konkurrierenden Verpflichtungen gegenüber sieht. Was in der Öffentlichkeit nicht zu bewältigen ist, gelingt Werner mit Hilfe von list, er verrät die Standesgenossen nicht und sichert sich die Dankbarkeit der Reichsstadt."" Poetologisch ist die Erzählung vom absichtlich belauschten Gebet, die aus der Schwankliteratur entstammen könnte, ein indirekter Hinweis auf die intendierte Rezeption der Chronik selbst. Im Medium einer literarischen Fiktion werden Lösungswege für aporetische Situationen gezeigt, anstelle einer Entscheidung für die eine oder andere Seite eröflbiet sich ein dritter Weg. Der Autor will also nicht Handlungsaltemativen absfrakt behandeln, sondern die

" " V ^ . obenS. 231f. " " Dies belegt die Geschichte der Werdenberger-Zimmem-Händeln (Kap. 78ff.), in denen die Reichsstadt Pfullendorf zu den wenigen Verbündeten gehörte, die den Zimmern geblieben waren. Diese Treue ist erzählstrategisch bereits durch die zimmerischen 'Vorleistungen' im 39. Kapitel präfiguriert, und insofern kann diese Konstellation als ein weiteres Indiz für die durchdachte Struktur der Chronik gelten. Die Aufnahme der Anekdote dient natürlich auch dem Ziel, im Sinne eines 'kalten' Gedächtnisses (ASSMANN, Gedächtnis, S. 68ff.) eine gemeinsame Verpflichtungserinnerung zwischen Pftillendorf und Zimmern zu stiften.

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Die 'Zimmerische Chronik'

literarische ErzäMung über das Verhalten Werners imd seiner Gattin sollen den Rezipienten zum Mitvollzug des Geschehens, zur doppelbödigen Aktivität bzw. zur hermeneutischen Haltung gegenüber der 'Realität' animieren. Der Öflfentlichkeitscharakter von politischen Handlungen wird durch die geschilderte Situation, in der ein offenes Wort nur Schaden anrichtet, perspektiviert. Die sich auf der pragmatischen Ebene ergebende Lösung des indirekten Sprechens verlangt fur die Chronik die Wahl eines analogen Modus. Für den Rezipienten bedeutet dies die implizite Aufforderung, das im Chroniktext 'Verhüllte' aufzudecken. Im Vorgang der dabei einsetzenden Deutung des Geschehens wird der Leser m die Lage versetzt, abstrakte Erkenntnisse zu gewinnen. Diese befähigen ihn dann, konkrete Probleme seiner eigenen Gegenwart neu zu betrachten."" Die Figur Werner d. Ä. bleibt trotz der Pfullendorf-Anekdote ohne eine individuelle oder psychologische Kontur, sie ist Demonstrationsfigur für den idealen zimmerischen Dynasten. Im weiteren Verlauf seiner Chronikarbeit ist Froben mit solchen rein funktionalen Idealisierungen nicht mehr zufrieden, spätestens bei der Behandlung der Eiterageneration fragt er intensiv nach den psychologischen Ursachen für menschliches Handeln. Die sich daraus ergebende neue Perspektive strahlt zurück auf die früheren 'Biographien', zu denen Froben entsprechende Nachträge verfaßt. Dazu gehört auch die Biographie Wemers d. Ä. Während Froben nämlich im ursprünglichen Text den Tod Werners (36. Kap.) nur als boßes Faktum mitteilt und lediglich vier nüchterne Sätze über sein Alter, seine Stiftungen und Grablege sowie seinen Todestag benötigt, schreibt er in einem Nachtrag"^'' eine schimpfliche historia über Wemers Charakter:"" Nachdem Werner von einer Wallfahrt nach Jerusalem nicht rechtzeitig zurückgekommen ist, glauben alle an seinen Tod: derhalben dan die amptleut in iren sack, wie bei der weilen beschicht, gehauset (I,212,37fiF.). Als Werner dann doch wiederkehrt imd von seinem Vogt Rechenschaft verlangt, legt dieser

Das die Biographie Wemers d. Ä. abschheßende 36. Kapitel bietet ein weiteres Beispiel für die hterarische Inszenierung historischer Geschehnisse. Da in diesem Fall die dem Chronikbericht zugrundeliegenden Daten und Fakten im zinunerischen Archiv erhalten sind, kann somit zwischen Quelle und Überrest verglichen werden (vgl. hierzu Donaueschingen, FFA, Kopialbuch 1,131f.; 11,46-52). Soweit man die Ereignisse anhand der Urkunden des Kopialbuches um den Streit zwischen Zimmern und der Bürgerschaft von Meßkirch rekonstruieren kann, handelt es sich bei dem beschriebenen Konflikt zwischen den Zimmern und ihrer Neuerwerbung Meßkirch um eine der bei Besitzwechsel häufig auftretenden Streitigkeiten um Abgaben und Frondienste. Froben gestaltet diese Geschichte in Anlehnung an ein bekanntes antikes Vorbild: Als die Bürger keine Einigung mit Werner erzielen können, veranstalten sie einen Auszug aus Meßkirch, der an die Auswanderungen der römischen Plebs während der Ständekämpfe erinnert. Im Hinblick auf die Entstehung der Chronik kann man hier von einem der ersten Nachträge sprechen, da diese Erzählung erst nach Abfassung der Hs. A von anderer Hand an den Rand geschrieben worden ist. " " Dies entspricht den späteren 'Nachrufen' in der Chronik, in denen die charakterliche Disposition des Verstorbenen mittels charakteristischer Schwankhandlungen vorgeführt wird.

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eine Bilanz vor, in der Hühner und Eier fehlen. Auf die Frage nach deren Verbleib, reagiert der Vogt mit einer im Wortsinn 'faulen' Ausrede, wonach die hüner und air [...] faul und schmeckendt geworden sind und deswegen zum Fenster hinaus geflogen seien (I,213,17f). Werner weiß, daß seine Amtsleute in die eigene Tasche gewirtschaftet haben, aber da es keine Möglichkeit mehr gibt, das Verlorene zurückzubekommen, lacht er und läßt die Sache auf sich beruhen. Kommentar des Erzählers: Und ist ain beispil, das die alten kaltsinnig und ganz bedechtlichen gehandlet haben (I,213,21f ). Wiederum wh-d eine Dimension der Chronik, die erst zum Ende hin für Proben relevant geworden ist, in die Vergangenheit projiziert: Da kühle Rationalität für Froben zu einer Lebensstrategie geworden war, wird sie nun auch dem fernen Ideal auf den Leib geschrieben. Dies geschieht im Modus der schwankhaften Anekdote, weil der Chronist - abgesehen von ihrer besonderen memorialen Qualität - ein Verhalten spielerisch umschreiben kann, das seinem zuvor gezeigten Bild von der ökonomischen Rationalität und dem wirtschaftlichen Erfolg der Vorfahren eigentlich widerspricht. Schwank oder Anekdote bilden demnach einen spielerischen Freiraum, der von den Lehrabsichten der biographischen Passagen entlastet ist. Solche psychologischen Erklärungsansätze lassen sich zu Beginn der Chronik nicht finden, erst im Fortgang der Chronikabfassung treten sie häufiger auf. Es ist nicht zu übersehen, daß dieser Umschlag ins Emotionale einer Logik folgt: Wenn die Darstellung programmatisch-politischen Handelns die Ursachen für historische Entwicklungen nicht mehr ausreichend beschreiben kann, wendet sich der Blick auf die Innenseite der Personen."" 5.5.3. Literarische Muster, geschichtliche 'Fakten' und der richtige Umgang mit dem Erfolg - Die 'Biographie' Johanns d. Ä. (Kap. 37-45) Die 'Zimmerische Chronik' zeichnet Johann d. Ä. (1354-1441), als einen Dynasten, der zahlreiche Einkünfte, Dörfer, Lehen Rechte und Pfänder erworben hat. Dieser Macht- und Besitzausbau beherrscht die Mehrzahl der Kapitel der Johaim-Biographie, in denen eine umfassende Faktographie immer mehr mit Anekdoten vermischt wird. Spezifisch literarische Inszenierungsstrategien finden sich neben der Charakterisierung Johanns an jenen Stellen, in denen es um die richtige Verarbeitung von Besitzzuwachs und sozialem Aufstieg geht. Hier werden Anekdoten eingefügt, Ereignisse eingehend kausal motiviert, eine Wie-Spaimung··" erzeugt und Handlungsmuster verwendet, die im Kontext mit ÖOheren oder späteren Ereignissen ein zeitloses Strukturmuster für den Verlauf der zimmerischen Geschichte ergeben."" Froben zeichnet in Johann das Vorbild eines rational handelnden und politisch erfolgreichen Adligen. Sein Aufstieg basiert in erster Linie auf seiner Fähigkeit, Neid der Konkurrenten zu " " Bei der Qualität der kaltsinnigkeit dürfte es sich um eine Eigenschaft handeln, die entweder Frobens Selbsteinschätzung entsprach oder seine Leitvorstellung war. " " LUGOWSKI, Form, S. 40ff. " " Vgl. dazu unten S. 424-429.

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vermeiden und sich die Solidarität seiner Untertanen zu sichern. Bereits am Beginn der Johann-Biographie im 37. Kapitel"' wird dies durch eine 'Leitanekdote' präsentiert, in der Proben eine Lösung fur die Aufhebung der Gegensätze zwischen gesellschaftlichen Normen und individuellem Erfolgsstreben bietet: Johann brmgt seine mergliche barschaft (1,218,2) nach Rottweil imd verwahrt das Geld in einer Truhe, auf der er das Konterfei eines Juden anbringen läßt. So kann er immer behaupten, sein Geld sei jüdisches Darlehen, ein Argument, mit dem er sich vor fremder Begehrlichkeit schützt.""" Zum erfolgreichen Machtausbau gehört eine kluge politische Strategie. Diese ist Gegenstand einer weiteren Anekdote (1,218,16-220,6). Zur Illustration bedient sich Proben hier eines im 16. Jahrhundert verbreiteten Stoffes.""' Er berichtet von dem Grafen Mangold von Rohrdorf, der seine Stammburg auf dem Benzenberg unbefestigt läßt. Als sich Gäste über die Sorglosigkeit des Grafen wundem, verspricht er, ihnen am nächsten Tag seine gute maurn und bollwerk (1,219,1 Of) vorzuführen: Bei Sonnenaufgang haben seine Untertanen in einem dichten Kordon die Burg umstellt und Mangold erklärt: Dies seien seine pesten mauren und wörinen, die er hab, welche er inen auf ir begem nit pergen wellen, achte auch seine underthonen, one rhom zu reden, dermaßen regiert zu haben, das er sich denselben vertrawen dörfe, one zweifei, das sie ire güeter, leib und leben unverdrüsenlich zu im setzen wurden (1,219, 26-31).

Proben unterstreicht den vorbildhaften Charakter dieser Geschichte,""^ indem er die goldenen Zeiten unter Mangold""' ausdrücklich lobt, weil sie geprägt gewesen seien von einem allgemeinen Prieden, der auf dem Vertrauen zwischen Herr und Untertan basierte. Damit hat Proben bereits zu Beginn der JohaimBiographie die Bedingungen genaimt, unter denen sich Besitz entwickeln kann. Allerdings umgeht er alle normativen Aussagen, und so tritt anstelle einer Didaxe die Erzählung, in die wegen ihrer Offenheit der Zwang zur Reflexion eingeschrieben ist. Mit den beiden Anekdoten bewältigt der Autor vielleicht auch seine eigene Unsicherheit, angesichts der Komplexität des Lebens - hier am Beispiel der Dialektik des Einmauems demonstriert - die Normen richtiger Politik festzulegen. " " 1,216,4-19 (Charakteristik Johanns); 216,19-217,6 (Heirat mit Anna); 217,7-218,15 (Der Schatzfiind in Meßkirch); 218,16-220,6 (Exempel vorbildlicher Herrschaft). Die Geschichte hat eine eigene Tradition, sie liest sich wie eine Reminiszenz zur Gefahr, in die Fortunatus in der Waldgrafenepisode gerät (Fortunatus, S. 50-53). Auch im Jahr 1999 wurden in Hessen illegale Parteispenden als jüdische Vermächtinisse deklariert. ""' Vgl. zu den fniheren Fassungen dieses Stoffes LHOTSKY, Apis, S. 182f Nach LHOTSKY fand diese Erzählung ihre erste Ausprägung bei Matthias von Neuenburg. Twinger von Königshofen hat sie dann in seine Chronik übernommen. ""^ Die in dieser Geschichte enthaltenen Denkmuster finden sich auch bei Montaigne wieder. Vgl. dazu MATHIAS GREFFRATH, Vom Schaukeln der Dinge. Montaignes Versuche, Berlin 1985. I,219,37ff.: Bei obgedachts grave Mangolts zeilen [seien] die hinderseßen in der herschaß Meskirch ganz wolhäbig und reich leut gewesen.

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Bei der Darstellung der Gründe fiir den weiteren Besitzzuwachs Johanns läßt sich allerdings sehen, wie schnell faktographische, rational-ökonomische und literarische Argimientationsstrategien in Konkurrenz zueinander geraten köimen. So wird Johanns bedeutendster Erfolg, der Erwerb der Burg Wildenstem·"" von König Rupprecht von der Pfalz, sowohl als Ergebnis seiner klugen Wirtschaftspolitik wie auch als Akt herrscherlicher milte präsentiert: So wäre die Burg an die Zimmern gefallen, weil gedachter herr Johanns von Zimbern in besondern gnaden bei der Pfalz vil jar gewest (1,239,2f). Das steht jedoch im Widerspruch zu der folgenden Mitteilmg über die eigentliche Besitzübertragung des Wildensteins. Berg und Burg gehören den Pfalzgrafen nur zur Hälfte, die andere muß Johann erst mit 660 Goldgulden von den Erben Hans Konrads von Bodmann ablösen. Der hochherzige Schenkungsakt des Königs erweist sich so als literarisierte Kaschienmg einer komplizierten Besitzübertragung und darüber hinaus als Mittel, die wirklichen Lehensverhältnisse zu verschleiern.·"' Möglicherweise verhüllt Proben damit auch das Profitdenken seines Vorfahren, das er zwar grundsätzlich für legitim hält,'·'" aber das ihm, wie die Verwendung traditionell literarischer Argumentationsstrukturen zeigt, Darstellungsprobleme bereitet. Ökonomischer Fortschritt ist fiir Proben nur dann gerechtfertigt, wenn er gebunden bleibt an die Grundlagen adliger Solidarität. Johanns standespolitische Grundprinzipien lesen sich denn auch wie ein adliger Tugendspiegel: Friedlicher Ausgleich im Konfliktfall, politische und finanzielle Solidarität mit benachbarten und befreundeten Adelshäusem sowie ein neutrales Verhältnis zu den Fürstenhäusern. Aber das positive Vorbild Johanns ist auch deswegen in einer solchen Idealität entwickelt, damit der Chronist in einer dialektischen Gegenbewegung die negativen Konsequenzen vorführen kann. Zugleich wh-d damit das Leitmotiv des Werdenberg-Zimmem-Kampfes aufgerufen. Die Zimmern leihen den befreundeten Werdenbergem Geld, das diesen dazu verhilft, eer und ein großen thail irer güeter zu erwerben (1,252,19f) und in Fürstengeschlechter einzuheiraten. Proben schließt diesen Abschnitt mit der düsteren Voraussage ab, die Werdenberger hätten später mit zimbrischem gelt und gut das zimbrisch geschlecht [...] wunderberlichen an*** Zur Geschichte der Burg Wildensteins vgl. MÜLLER, Burg-Feste; BADER, Burg, Zu den Freskenbemalungen und dem Wappenprogramm in der Burg: CURSCHMANN, Zyklus; CURSCHMANN/WACHINGER, Berner; TRUGENBERGER, Wappen. Sojedenfalls karm man den Hinweis Frobens inteφretieren, wonach die Zimmern den Wildenstein nach 1400 nicht mehr als Lehen empfangen haben. Vgl. dazu seinen Hinweis auf die 'Anlagepolitik' Johanns: Demnach [Johann] aber ain grose barschaft im Benzenberg gefunden, one das er jerlichs darzue erhauset, welches er alles auf den Capellenthum zu Rotweil hinter ain rat erlegt, bedacht er als ain weiser und erfamer herr, nit nuzUch zu sein, solch geh onangelegt zu lassen, sonder seim son, herrn Johannsen dem jungern, zu gutem baide herschaften damit zu pessern (1,224,27-33). Im Umgang mit Geld zeigt Johann bereits fhlhkapitalistisches Denken. Er profitierte von dem gestiegenen Geldbedarf der Landesfilrsten, die in einer Zeit des Vordringens der Geldwirtschaft zunehmend auf liquide Mittel angewiesen sind und damit den Ausbau des Territorialstaates und ihre höfische Repräsentation finanzieren.

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gefochten, befecht, gekriegt, endtlichen des landts vertriben und verjagt, auch mit listen und gwalt, wie sie gemocht, zu vertilken und in grundt zu richten sich understanden (1,252,18-23). Im vorliegenden Zusammenhang geht es Proben aber noch nicht um eine detaillierte Darstellung der für den Abstieg verantwortlichen Ursachen, sondern mhaltlich um die Illustrierung der aus adliger Solidarität entstehenden Problematik, erzählerisch um die Einfügung spannungsstiftender Elemente.""" Der eigentliche Ort für literarische Inszenienmgstechniken sind die Abschnitte, die sich mit dem Charakter Johanns befassen. Proben entwickelt die Individualität des Vorfahrens anhand von Mustern, die literarisch vorgeprägt sind: Er verwendet dazu ein Ritterbild, das sich zum einen weitgehend an die 'Ritterromantik"''" anlehnt, zum andern auf eine Illustration von Johanns idiosynkratischen Verhaltensweisen und seiner Vorliebe für Esoterik ausgerichtet ist. Das für den Chronisten wichtigste Charakteristikum, seine politische Umsicht, unterstreicht er, indem er mit der Biographie Priedrichs von Zollern einen unmittelbaren Gegenpol dazu bildet. Die Verbindung von gewünschter Exemplarität und Geschichte strebt Proben bei der Charakterisierung von Johann als 'wahrem' Ritter an. Dies erreicht er, indem er das literarische Motiv des Ritterschlags, der im 16. Jahrhundert nur noch formales Ritual und keine wirkliche Auszeichnung mehr ist, gegen die Realität ins Peld führt: Als Johann nach einem unbedeutenden Scharmützel von Kaiser Karl IV. sofort zum Ritter geschlagen wird, macht er von dem Titel keinen Gebrauch. Erst als er sich Jahre später dann in der Schlacht von Brescia·"" tatsächlich durch ritterliche Leistungen auszeichnet und den Ritterschlag zum zweiten Mal erhält, verwendet er den Titel. Der Ritterschlag hat keine Auswirkung auf Johanns politischen oder ökonomischen Erfolg, die adlige Norm der 'Ritterlichkeit' wird aus dem politischen Alltag herausgenommen und als ethischer Wert, der seine Basis in der Literatur hat, definiert. Die Johann-Biographie enthäU erstmals in einem eigenständigen Kapitel (44) eine psychologische Charakteristik eines Vorfahrens, seiner seltzame[n] aigenschaften und gewonnhaiten (1,319,7). Proben umschreibt damit Johanns Vergnügen an schwankhaftem Handeln imd seine esoterischen Neigungen. Auf dieses Thema ist der Leser bereits zum Schluß des vorhergehenden Kapitels mittels einer Gespenstergeschichte eingestimmt worden (1,268,27-269,18):"'° Ein Zecher stiehlt nachts auf dem Meßkircher Priedhof einen Totenkopf, läßt ihn jedoch entsetzt fallen, als der Kopf den Dieb mit ainer rauhen, unmentschlichen stim (1,269,7) auffordert, ihn liegen zu lassen. Trotzdem sind die In den Nachträgen wird von Proben die von adliger 'Untreue' ausgehende Gefahr mit der vergleichbaren Undankbarkeit der Grafen von Zollern nochmals bestätigt und verstärkt a287,32ff,). Zum Begriff vgl. MÜLLER, Gedechtnus, S. 1 Iff., 225-228. Im Text heißt es fälschlicherweise Brixen (1,242.4 und 21). Zu dieser Thematik vgl. LECOUTEUX, Geschichte, S. 160-170.

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Folgen für den nächtlichen Störer fatal - nach drei Tagen ist er tot. Auch wenn in dieser Geschichte Johann gar nicht auftritt, so signalisiert der Chronist doch den Horizont, in dem er Johanns Aberglauben gedeutet sehen will: Die Gespenstergeschichte behauptet die Existenz einer Zwischenwelt und ihre implizite Deutungsanweisung besteht darin, daß Johann, der seinen Erlebnissen stets eine transzendente Bedeutung beimißt, keinen Anlaß zum Spott bietet. Mit der konimentarlosen Wiedergabe der Gespenstergeschichte weicht der Chronist freilich auch einer expliziten Stellungnahme zum Verhältnis von Übernatürlichem und Wirklichkeit aus. Wie sehr das Thema fasziniert, zeigen drei Nachträge zum 43. Kapitel (Nr. 160, 437, 25), wo sich weitere, teils in der Literatur tradierte Beispiele·"' für den Einfluß des Überwirklichen auf das menschliche Leben finden. Zwar meidet Proben auch hier jede eigene Bewertimg, aber aus der neutralen Präsentation der Gespenstergeschichten kaim man schließen, daß er von der Zeichenhaftigkeh allen Irdischen ausgeht.··" Dementsprechend begreift er Literatur als Widerspiegelung allgemeiner Weltgesetze, schafft für ihn der Glauben an die übersinnliche Welt die Voraussetzung dafür, die Welt in den literarischen Geschichten und Modellen erkennen zu können. Proben illustriert das Wesen Johanns, indem er diesen seltzsamefnj, abenteürige[n] herr[n] (1,315,15) als Protagonist einer Schwankreihe um die Bauern von Wittershausen aufh-eten läßt. Die Inhahe beruhen naturgemäß nicht auf authentischen Begebenheiten, sondern smd der literarischen Tradition entnommen,"" nämlich Burkhard Waldis' 4. Band der Äsopschen Pabeln."" Die einzehien Schwanke sind als List-Gegenlist-Kette miteinander verbunden, ein literarisches Modell, das Proben aus dem 'Schwankroman' vom Pfaffen von Kahlenberg"" her vertraut ist. In der ersten Episode wendet Johann den Versuch der Wittershausener Bauern, ihn zu foppen, ins Gegenteil, im zweiten übervorteilt er sie. Daraufhin ersinnen die Bauern eine List, die genau auf derselben Ebene funktioniert wie die Johanns. An dieser Stelle, bei der erfolgrei-

" " Dazu gehört auch das aus dem 14, Jahrhundert stammende und bis ins 16. Jahrhundert produktiv rezipierte Erzähllied vom 'edlen Moringer', das Proben hier in seinen Text (1.300,1304,22) einfügt. Vgl. dazu FRFFIDER SCHANZE, Art. Moringer ('Der edle Moringer'), in: ^VL 6 (1987), Sp. 688-692. " " Vgl. dazu bes. 1,298,18-23. Vgl. dazu auch LFFIBRECHT Π, S. 390. Während bei Waldis jedoch die Geschichte in einem fiktiven Ort mit dem sprechenden Namen Dölpelbach spielt, verlegt sie Proben in den realen Ort Wittershausen bei Obemdorf am Neckar. Der erinnert freilich lautíich an einen anderen Ort aus den Pabeln Waldis', an Witzenhausen. Die' 'Äsopschen Fabeln' Waldis' erscheinen wie die meisten deutschsprachigen Druckwerke nicht in Frobens Literaturliste. Die Bauern von Wittershausen erwähnt auch Hermann von Sachsenheim in seiner 'Mörin' (v. 1346, 3951). Gedruckt zu Prankfurt am Main 1548. Die Erzählung von den Bauern von Wittershausen ist auch im Kap. 29 des 'Lalebuchs' enthalten. Ein Hinweis auf den Kahlenberger (l,319,6ff.) findet sich in einem Nachtrag (Nr. 148) zum 44. Kapitel.

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chen Rache der Bauern, wechselt die Erzählung unvermutet auf die Ebene realhistorischer Faktizität: Aus Angst vor der Gegenrache Johanns treten die Bauern prophylaktisch das ius patronale in ihrem Dorf Wittershausen an die Zimmern ab. Wittershausen aber, so schließt Proben, ist noch dtser zit der herschaft Zimbern zustendig (1,317,26f.). Dies entbehrt jeder Logik, denn warum sollten die Bauern, die ja zuerst von Johann geschädigt worden sind, ihm Schadensersatz bezahlen."" Dem Chronisten geht es denn auch eher um die Bestätigung des bereits an früherer Stelle entwickelten Persönlichkeitsbildes, welches Johann als intellektuell überlegenen, 'bauemschlauen' Dynasten zeichnet imd deutlich exemplarischen Charakter trägt: Johann ist ain weiser, ernsthafter herr gewesen, auch von menigclichen darfür gehalten worden; hat doch darneben alle eerliche kurzweil und gut schwenk leiden mögen, und so im etwas schimpflichs begegnet, hat ers wol zu gut aufgenommen (1,314,42315,4). Die Fähigkeit, sowohl in schimpf und ernst adäquat zu handeln, ist ein positiver Wert für sich, der Autor der Chronik charakterisiert damit stets denjenigen, der über eme hohe Ambiguitätstoleranz verfugt. Inhaltlich setzt diese Kompetenz das Vermögen voraus, unabhängig von festgefugten Schablonen unerwartet eingetretene Situationen richtig interpretieren und bewältigen zu können. Anhand Johanns d. Ä. hat Froben sein eigenes Idealbild eines zimmerischen Dynasten entwickelt. Es setzt sich zusammen aus adligem Standesbewoißtsein, ökonomischem Denken, Herrschaftsfähigkeit und Deutungskompetenz. Dieses Bild wird nicht abstrakt entwickelt und auch nicht normativ vermittelt, sondern entsteht aus verschiedenen Erzählungen, in die Situationen von exemplarischer Gültigkeit eingelagert sind. Der Unterschied zum mittelalterlichen Fürstenspiegel besteht dabei darin, daß in Frobens Darstellungsmodus die impliziten Widersprüche in ihrer geschichtlichen Gestalt nicht aufgelöst werden. Da Froben auf kein umfassendes ethisches Normensystem vertraut - wie etwa seine Ambivalenz gegenüber dem hohen Adel zeigt - , können die einzelne Beispiele nicht mehr feststehenden Sollwerten zugeordnet werden, sondern ihren exemplarischen Wert nur aus sich selbst gewinnen. Konsequent verzichtet er bei der Schilderung dieser Beispiele weitgehend auf kausale Schuldzuweisungen, denn es geht ihm nicht um die Formulierung verbindlicher Regeln, sondern um die Berücksichtigung der vielfaltigen und unübersichtlichen Beziehungen, denen der einzelne Adlige unterliegt. Die Erkenntnis, daß die Befolgung einer ethischen Norm wirtschaftlich-politische Nachteile mit sich bringen kann, verbietet einfache Normsetzungen. Der Adlige muß vielmehr das Beziehungs- und Anforderungsgeflecht erkennen und innerhalb der sich widerstreitenden Ansprüche die für ihn angemessene Verhaltensnorm selbständig entwickeln. Dies Die Begründung, welche Froben hier liefert, ist ihm selbst wohl etwas unzureichend vorgekommen, deswegen auch die Überdeterminierung (vgl. 1,317,15-27). Die 'realistische' Begründung für die Übertragung des Kirchensatzes setzt genau an der Stelle ein, an welcher die Schwankkette aufgebrochen wird.

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verlangt einen differenzierten Blick auf das vielschichtige Nebeneinander der gesellschaftlichen Rollen, in denen er sich bewegt, und nicht die bloße Einhaltung eindimensionaler Normen, die sich je nach den Umständen als vollkommen falsch erweisen können. Da jedoch dergleichen flexibles Verhalten vor allem auf das Erkennen der eigenen Situation zielt, bedarf es hier der biterpretationskompetenz. Dazu leiten die vom Autor kommentarlos erzählten Schwanke des 44. Kapitels an, die in einem so engen Bezug zur 'Biographie' Johanns stehen, daß sich die Analogien geradezu aufdrängen. Die Instrumentalisierung der Anekdoten und Schwänke läßt auch Rückschlüsse auf das Gattungsverständnis des Chronisten zu. Die Schwänke werden begriffen als Beschreibung psychischer Vorgänge und damit erfassen sie die wirklichen Ursachen fìir Handlungen ebenso wie die Persönlichkeit eines Protagonisten. Die schwankhafte Literatur wird demnach verstanden imd genutzt als Reservoir von Lösungsmodellen fiir Situationen, in denen direkte Gewalt keinen Erfolg bringt, sondern eine elegantere Durchsetzung von Interessen erforderlich ist. Da der Chronist mit Vorliebe dialektisch verfährt, benötigt er zur Idealgestalt Johann einen Gegenpol, an dem er falsches adliges Handeta exemplifizieren kann. Dies ist die YwkAon graf Friderichen[s] von Zollern (Eitel Friedrich I., der Öttinger, t 1439),"" dessen 'Biographie' im 43. Kapitel steht. Im Haupttext, m dem Proben die erfolglosen Kriege Friedrichs gegen die Reichsstädte und Württemberg mit der klugen Politik Johanns konfrontiert, bleibt die Schilderung neutral-unkommentiert, ist die Aufiiahme noch allein einem memorialen Interesse geschuldet.·*" Aber in den Nachträgen"^' wird im Zuge des Vordringens des Kausalitätsparadigmas das Thema erneut aufgegriffen:

Neben der unrüebigkeit wird das groß eifern (1,288,33) der Zollern als Grund fur ihren Niedergang dargesteUt. Auch die Auswirkung der Eifersucht wird anhand sekundärer Beispiele illustriert. Hier dient als exemplum die Geschichte eines Ulrichs von Sax, der ain ehrlicher freiherr und ain berüempter kriegsman (1,290,3), aber gleichfalls mit dem lasier des eiferns [...] beladen (I,290,5f) war. Freilich werden die Einzelelemente einer solchen Charakterbeschreibung nicht zu einem Gesamtbild verflochten, und so bleiben die Widersprüche zwischen psychologisch orientierten Passagen und topischer Bekräftigung adliger Herrschaftsfähigkeit unvermittelt nebeneinander stehen. "" 1,265,13-17: Dise historias graf Friderichs von Zollern hab ich kains wegs, seitmals derselbig ainer herschaft Zimbern mit sip und frindschaft venvant, mit stillschweigen umbgeen wellen, sonder die im zu em und ainer gedechtnus in schrift gefasst, damit die bei den nachkommen in kain vergess gestelt wurde. "" Es sind insgesamt 13 Nachträge. Neben einigen historiographischen Randnotizen oder Ergänzungen (Nr. 162, 372, 298, 24, 476) beschäftigen sich zwei selbständige Kapitel mit der Geschichte der Grafen von Zollem (Nachtrag 218 = Kap. 43a [Geschichte des Grafen Eitel Friedrichs I, des öttingers]; Nachtrag 160 = Kap. 43b [Geschichte der Zollern]. Zu diesen beiden Nachtragskapiteln kommen wieder neue Nachträge [Nr. 218, 511 und 436 zu Kap. 43a; Nr 437 und 25 zu Kap. 43b.}).

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Seitmals aber wir von dem unrüebigen grafen von Zollern,^ dem Öttinger, hievor sovil geschriben, erfordert die notturß, die Ursachen anzuzaigen, warumb er vertriben und die grafschaft Zoilem von seinetwegen verderpt, das Schloß seines namens in grundt zerstört seie worden, auch wie das nachgends widerumb erbawen. (1,270,6-11)

Die Gründe für die politischen РеЫег der Zoilem sucht Proben in ihrem Familiencharakter, den er mit unrüebigkeit, d. h. politischer Rastlosigkeit, umschreibt. Dieser neuen Irmenperspektive entsprechend ändert sich die Erzählweise. Proben kehrt sich ab von einer neutralen historiographischen Darstellung der Vergangenheit und bewertet das Verhalten der Beteiligten jetzt dezidiert: Er war ain böser kindsvatter, dann bei seinen zeiten und von seiner unruw wegen ist die grafschaft Zollern in verderblichen schaden kamen, das sich seine nachkommen in vil jaren nit wider haben megen erholen (1,287,24-27). Die unruw beschreibt lediglich die psychologische Ursache des Niedergangs. Genauso wichtig ist Proben aber der pragmatische Verlauf, und hier hebt er ein Element heraus, das wiederum fur die Zimmemgeschichte von Belang ist: Die unruw des Geschlechts manifestiert sich in der unainigkait zwischen den brüedern (1,270,13f.) Eitel Friedrich I., und Friedrich XII.'^' Die Disharmonie hat exemplarischen Charakter, weil sie ain groß verderben uf im tregt, wie sich dann das bei vil geschlechtern beschainet (1,270,14f.). Proben beschreibt ausfuhrlich die Polgen des Bruderzwistes: Als es zum Krieg zwischen dem Öttinger und den Reichsstädten kommt,"'^ schlägt sich Friedrich auf die Seite der Feinde und thet allen hilf und rath darzu, das der brueder überzogen wurde (I,271,15f). Wie bereits erwähnt, ist der Bruderzwist fur Proben aufgrund seiner eigenen Erfahrung ein Traiuna, das hier allerdings nur funktionale Bedeutung hat. Illustriert werden soll die empfindlichste Stelle fur die memoria. Schlimmer als alle materiellen iCriegsschäden ist der Urkundenschwund. So habe Friedrich die bösten zollrischen brief und die ehesten, auch was er sonst liebs und guets gehapt, mit sich genomen (I,272,7ff.) und namentlich in Lothringen und Burgtmd bei Freunden als Pfand fur kriegsbedingte Hilfeleistungen hinterlegt. Alle diese Urkunden sind für das Geschlecht verloren, da man iren nit achtet und sie den grafen ger[n] geb uf ein schlechte bekanntnus, dann sie des orts nichts nutzen, und niemands der ende ainich interesse suchen oder haben kan (1,272,33-36).·^' Implizit definiert Proben hier eine Dynastie als eine "Erinnerungsgemeinschaft",'"'' die ihre Identität nur durch eine ständige Rekonstrution ihrer eigenen Vergangenheit bewahren kann. Diese Tätigkeit allein

Namen und Zählung der Zoilemgrafen folgen ISENBURG (Stammtafeln, Nr. 152ff.), Zur Geschichte des Öttingers in der 'Zollemchronik' vgl. unten S. 455. Proben bringt hier die Namen der Zoilemgrafen durcheinander. Der Öttinger und nicht sein Bruder war mit der freiin und erbdochter von Ratzüns vermehlt (1,270,17ff.). " " Vgl. dazu STALIN, Geschichte Ш, S. 421-426. Vgl. zu diesem Thema auch unten S. 338ff., 422f Begriff nach ASSMANN, Gedächtnis, S. 202.

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kann vor der latenten Gefahr des Verschwindens von Erinnerung bewahren. Der Chronist verleiht damit seiner eigenen Arbeit eine besondere Aura: Wenn nur die Urkimden die Existenz des Geschlechts über sein Erlöschen hinaus gewährleisten, dann ist es letztlich immer der Chronist mit seiner Archivforschung, der diese memoria am Leben erhäU. Wie wichtig Proben dieser Aspekt ist, belegt der Nachtrag Nr. 511. In einer der wenigen appellativen Passagen fordert Proben im Anschluß an seine Klage über den ungeklärten Verbleib der zollerischen Urkunden die Rezipienten dazu auf, die in ihrem Besitz befmdlichen, für andere Geschlechter relevanten Urkunden herauszugeben.·^' Er untermauert dies sogar theologisch, indem er seine Porderung als Gebot der christlichen Nächstenliebe definiert. Nicht nur em Geschlecht, sondern der ganze Adel wird hier als Erinnerungsgemeinschaft begriffen, der nur als solche Bestand haben kann. Proben ist sich freilich der Ambivalenz seines Verlangens bewußt, denn aus Urkunden können Ansprüche gegen das eigene Geschlecht abgeleitet werden."" Pür dieses Dilemma kennt er keine abstrakte Lösung und erzählt deswegen eine schwankhafte Anekdote, die das Problem spiegeh. Sie handeh vom Grafen Philipp von Hanau, der auf die Frage nach Besitzurkunden in seinem Archiv mit einer Anekdote antwortet: Ein Niederländer beobachtet während der Messe, wie die Hostie durch einen Wmdstoß unter emen Leuchter geweht wird. Als nun der Priester verzweifelt die verschwundene Hostie für die Konsekration sucht, fragt ihn der Niederländer: 'Lief herr, wat en sucht ihe? ' Do het der priester geantwurt: 'Ich such unsern lieben Hergott.' Darauf het der Niderlender wider gesprochen: 'Lif herr, ick wet wol, wo he ist, mer ick soll in nit, wie Judas, verraten.' (1,273,1216). Die Pointe liegt in der Verwischung der Grenze zwischen Symbol und Bedeutung, indem der Pfarrer nicht nach dem Symbol, sondern nach dem Symbolisierten sucht, provoziert er die heilsgeschichtlich korrekte Reaktion des Niederländers. Graf Philipp von Hanau und mit ihm Proben geben damit zu verstehen, daß die direkte Suche nur Widerstand provoziert und man mit dem Symbol auch noch nicht das Bezeichnete besitzt. Gleichzeitig gibt die Anekdote Aufschluß über die handlungspragmatische Punktion dieser Gattung. Graf Philipp verwendet sie als Mittel der Verhüllung seiner ablehnenden Antwort, und Proben zeigt damit, daß der Übergang auf die mehrdeutige, metaphorische Ebene der Literatur prekäre Situationen insofern entschärfen kann, als das Gegenüber nicht vor den Kopf gestoßen wird, sondern zu einer Deutungsleistung veranlaßt wird, die die Komplexität der Situation mit einbezieht.

Freilich spricht hier aus Proben auch der Geschichtsschreiber, der den Schriftverlust bedauert, weil vil schener und herlicher antiquiteten darauß zu ziehen gewesen wären (I,272,38f.). 1,272,39ff. : Aber welcher darf dem andern in diser bösen, ungetrewen und verkerten weit reht vertrawen?

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5.5.4. Die literarische Bewältigung des Widerspruchs - Die Geschichte Werners d. J., des Urgroßvaters des Chronisten (Kap. 46-59) Bezieht man die bisherigen Biographien auf den Antagonismus zwischen Geschichte und Exempel, dann läßt sich die Intention des Chronisten weder auf eine kausallogische Konstruktion von Geschichtsabläufen noch auf eine Aneinanderkettung exemplarischer Handlungen, die einem didaktischen Ziel folgen, reduzieren. Beides soll die Chronik leisten. Gleichzeitig aber ist die Beschäftigimg mit der Familiengeschichte und die Anfertigung der Chronik selbst für Proben ein Prozeß zur Erkenntnis des Strukturgesetzes der zünmerischen Familiengeschichte, in der auch die Biographien der einzelnen Dynasten mit ihrer je eigenen politischen und psychologischen Disposition einen Platz zugewiesen bekommen. Den Schematismus vergleichbarer Werke, die manichäische Aufteilung der Welt in Gut und Böse, vermeidet Proben durch die Diskursivierung der Handlungen seiner Vorfahren, das poetologische Verfahren hierzu entnimmt er den literarischen Kleinformen mit ihrer Dialogisierung von Verhalten und Einstellungen. An diesem Verfahren ändert sich zwar in der Biographie von Frobens Urgroßvater, Werners d. J. (ca. 1423-1483), grundsätzlich nichts, aber dessen Biographie fügt sich nicht in das Bisherige. Denn Werner d. J. entspricht so gar nicht dem in der vorangegangenen Biographie aufgestellten Ideal kaltblütiger Rationalität. Er läßt sich auch nicht ohne weiteres für dessen Ablehnung der Fürsten vereinnahmen, denn der Verbindung zum Fürstenhof verdankt er seinen ökonomischen Aufstieg. Die Figur Werners, der Widerspruch zwischen dessen politischem Erfolg und Frobens Glaubenssätzen, ist demnach eme besondere darstellerische Herausforderung. Da der Urgroßvater eine zu wichtige Figur in der Geschlechtsgeschichte gewesen ist, kann er auch nicht als genealogischer Irrläufer behandelt werden, sondern mußte in das Familienmuster eingepaßt werden. Es versteht sich von selbst, daß angesichts dieses Spannungsfeldes 'individuelle' Züge Werners bestenfalls subversiv im Exemplarischen oder Familientypischen enthalten sind."" Frobens Lösungsstrategie spiegeh sich schon in der äußeren Gliederung des Abschnitts (46-59). Er trennt zwischen biographischen Schwerpunktkapiteln, die Werner in der literarischen Rolle eines 'letzten Ritters' vorfuhren (46£) oder seinen Charakter thematisieren (59), und den thematischen Kapitehi, die Werners Herrschaftsausbau im Kontext des Hofdienstes (50, 52, 55), mit dem Erwerb Oberndorfs (50) im Zentrum, sowie die Fehden mit den adligen Konkurrenten (48f., 51, 53, 57f.) beschreiben."'' "" Vgl. dazu VELTEN, Leben, S. 315-323. Exkurse zur Biographie von Werners Bruder, Gottfried, bieten die Kapitel 56 und 60. Letzteres ist bereits deutlich als Übergang zur Biographie Johann Werners d. Ä., der nächsten dynastischen 'Leitfigur'konzipiett. Die Geschichte des kinderlos gestorbenen Gottfrieds ist für den Chronisten nur im Hinblick auf das Thema 'Bastardkinder' (vgl. dazu unten S. 391ff.) interessant.

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U m die politischen Rahmenbedingmgen, in denen sich die zimmerische Hauspolitik bewähren mußte, verstehen zu können, ist vorab ein Blick auf die geographische Lage der zimmerischen Territorien notwendig. Mitte des 15. Jahrhunderts"^' verfugten die Zimmern über zwei auseinanderliegende Herrschaftsgebiete,"™ das Territorium 'Zimmern vor Wald' mit den Mittelpunkten Herrenzimmern, S e e d o r f " und (seit 1462) O b e m d o r f " sowie die Herrschaft Meßkirch südlich der Donau."^' Eine solche Aufsplitterung des Besitzes, zu der noch die Lage einiger Exklaven und verstreuter Lehen und Gewahrsame beitrug, brachte prinzipiell Probleme mit sich: So war jede Fehdefìihnmg dadurch behindert, daß man sich der Neutralität einer ganzen Reihe von benachbarten Adligen versichern mußte, um so wenigstens den ungehinderten Truppenzuzug sicherstellen zu können. Aber selbst in friedlichen Zeiten behinderte die territoriale Zersplitterung Handel und Verwaltung erheblich. Für die Zimmern kam erschwerend hinzu, daß sie mit den meisten benachbarten Grafengeschlechtem in Konkurrenz standen,"' und ihr Besitz in einer Schütterzone zwischen zwei Regionabnächten lag, dem Herzogtum Württemberg und dem schwäbischen Besitz der Habsburger.·"' Letztere kontrollierten auch die direkte Verbindung zwischen den beiden zimmerischen Teilterritorien. Die geographischen Bedingungen präjudizierten die politischen Möglichkeiten: Einen dauernden Konflikt konnte sich das Geschlecht weder mit den aufstrebenden württembergischen Grafen noch mit den österreichischen Herzögen leisten. Umgekehrt lag jedoch in der meist nur latenten, aber gelegentlich auch offenen Rivalität zwischen Württemberg und Österreich die Chance einer eigenständigen Schaukelpolitik. Die Möglichkeit von den politischen Spannungen der Nachbarn zu profitieren, war freilich nicht allzu groß, denn die Abhängigkeit von Österreich setzte deutliche Grenzen."' 5.5.4.1. Die Ambivalenz des Hofdienstes und die Folgen der list Die Jugendgeschichte Werners hat im Gegensatz zu den vorangegangenen Biographien fìir den Chronisten offenbar deswegen eine besondere Bedeutung,

"" Begründet wurde diese Besitzausdehnung durch die Heirat Werners d. Ä. (1289-1384) mit Anna von Rohrdorf. Vgl, dazu oben S. 230. Vgl. Hecht, Weh, S. 15f "" SINGER, Herren. Vgl. SINGER, Einnahme; WEBER, Studien, S. 28-31 ; DANNER, Studien. Vgl. hierzu BÛHLER, Wappen, S. 31-37; BADER, Hausgeschichte, S. 120-123. Deswegen gab Werner die Herrschaft Dießenhofen am Rhein (1,385,20-34) auf "" BADER, Hausgeschichte, S. 120Í "Die Herrschaft Meßkirch lag überwiegend innerhalb der Grafschaft Sigmaringen, einer österreichischen Lehensherrschaft. Im Südwesten grenzten die österreichische Landgrafschaft Neuenbürg, die obere Grafschaft Hohenberg, ein österreichisches Lehen sowie Herrschaftsgebiete der Abtei Petershausen (Sentenhard, Herdwangen) an den Meßkircher Herrschaftsbereich." (HEIDENREICH, Schloß, S. 127). Siehe zu der Entwicklung der hochadligen Territorien im deutschen Südwesten zusammenfass e n d BADER, S ü d w e s t e n , S. 8 8 - 1 3 8 u n d PRESS, Vorderösterreich, bes. S. 1 4 - 2 4 .

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weil er aus dieser das 'Skandalon' des Hofdienstes seines Urgroßvaters erklären und legitimieren will. Das dient för Proben der Selbstvergewissenmg, denn letztlich kommt auch er nicht daran vorbei, daß der Fürstendienst außergewöhnliche Aufstiegschancen bietet, auch wenn damit eine Vernachlässigung des Stammbesitzes verbunden ist. Auf der Suche nach einem Muster, das diese Problematik literarisch faßt, scheint Proben auf die 'Biographie' des Artusritters gestoßen zu sein: Werner wächst in seiner Jugend am Hof Graf Uhichs von Württemberg auf, nimmt an großen Turnieren teil und kehrt erst nach dem Tod seines Großvaters (1441) nach Meßkirch zurück, um die Regentschaft zu übernehmen. Dort aber nimmt er seine Pflichten nicht emst, sondern bemüht sich, ähnlich wie Iwein aus Angst vor dem verligen, um das Ansehen der höfischen Gesellschaft: Als er mit haushaltung sich anhaimsch geen Mösskirch verfiiegt, ist er ganz ain frölicher, junger engender herr gewest und der sich der haushaltung, auch herrschaft gescheflen und obligen wenig angenomen, sonder sollichs alles denen ambleuten vertrawt und an die sich gelassen, daraus ervolgt, das das Schloß Mösskirch schier gar in ain abgang kamen. Es ist auch wenig hausraths mer verbanden gewesen, welcher mererthails aller verzuckt, zu dem er nit in wenig schulden sich geworfen, welches alles daher geflossen, das er des regiments so wenig geachtet, allain den fürstenhöven ritterspills halb nachgevolgt ist. [...] Nun Wardt sein gemiiet gar nit, dahaim zu beleiben oder zu verligen. (1,332,28-333,3)

Mit dem Motiv des verligen™, das hier die Absonderung von der Adelsgesellschaft meint, gewinnt die weitere Erzählung thematische Homogenität und Werners Handeln kausallogische Schlüssigkeit. Darüber hinaus scheint auch die Struktur des Artusromans aufgenommen zu werden. In der WernerBiographie tritt an die Stelle der Werteinstanz Artushof der Innsbrucker Hof der Habsburger. Dort wird Werner entsprechend der literarischen Topik als vorbildlicher Held geschildert: Seine auffallende Schönheit und seine ungewöhnlichen Kräfte - ein unentschiedener Ringkampf mit Erzherzog Sigmund suggeriert Gleichrangigkeit - sind die äußeren Attribute einer ethischen Vollkommenheit, er ist quasi der 'letzte Ritter' der Zimmern: Bei disem fiirsten was er ain lange zeit zu hof und fliße sich alles, das ain gepornen mann zieren und ehren mocht, nemlich getrewer und unverdrossner dienst bei seinem herrn, freuntlichs erpietens gegen dem hofgesünde, güetiger

"" Das Wort verligen ist im 16. Jahrhundert auch in seiner hochmittelaheriichen Bedeutung zwar noch gebräuchlich (vgl. DWB XXV, Sp. 79Iff.), aber seine Verwendung im Zusammenhang mit ritterlichem Handeln läßt auf Frobens Kenntnis der höfischen Romane schließen - zumindest Wolframs 'Parzival' (434,9) und Konrads von Stoffeln 'Gauriel von Muntabel' (v. 32633310) befanden sich in der zimmerischen Bibliothek.; vgl. dazu MODERN, Handschriften, S. 144 und Konrad von Stoffeln, S. 35-38). Die 'Parzival'-Handschrift stammt aus dem Besitz von Frobens Bruder Christoph. Der Meßkircher Katalog (Donaueschingen, FFA, Catalogus, N6) verzeichnet ebenfalls einen Parceval in Reimen.

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geperde und senftmüetig gegen menigclichem. Durch sollichs erlangt er für andere ain besondere gnad bei gedachtem fiirsten, seinem herrn; dessgleichen ward er von andern graven und herrn, auch der gemainen ritterschaft und allem hofgesünd geehrt, werd und lieb gehalten. (1,333,20-29)

Die literarische Inszenienmg von Werners Hofleben findet ihren dramaturgischen Höhe- und Wendepunkt auf dem Hochzeitsfest anläßHch der Heirat von A m a von ICirchberg und Graf Johann von Fürstenberg. Auf dieser Hochzeit stechen Werner^" und Anna als die schönsten hervor und scheinen den Minneregeln gemäß füreinander bestimmt zu sein. Und tatsächlich erfiilh sich das Muster über einen Umweg auch hier: Auf dem Hochzeitstumier tötet Werner (durch Unfall und Sterke herrn Wörnhers) den Bräutigam und heiratet - auch dies fast eine Iwein-Reminiszenz - Anna. Nach dem Gewinn von Dame und Land kann Werner ein Leben als feudaler Landesherr fuhren, aber dies wird bald durch eine Krise abrupt unterbrochen: Ein Blitzschlag zerstört das Familienschloß Achahn und verletzt den Stammhalter Johann Werner schwer - ein Ereignis, das Froben spannungserzeugend inteφretiert als Vorbote späteren Unglücks. Das zerstörte Schloß wiederum wird eine leichte Beute für Eberhard V. von W ü r t t e m b e r g , d e r die zimmerische Konkurrenz ausschalten möchte erneut muß Werner in fremde Dienste treten. An dieser Stelle gibt Froben die Orientierung an dem narrativen Strukturmodell des höfischen Roman auf und wechselt zu einer anderen Gattung. Werner befindet sich als Verwalter der habsburgischen Vogtei Bregenz in einem Dilemma. Einerseits muß er loyal gegenüber seinem Herrn, Erzherzog Sigmund, sein, andererseits gerät er damit in Gegensatz zu dessen Rivalen Eberhard V , auf dessen Wohlwollen Werner als schwäbischer Territorialherr nach wie vor angewiesen ist.·"' Die literarische Inszenierung orientiert sich jetzt an einem Schwankroman mit seinen Überbietungsabenteuem. Wie der Pfaffe Amis des Strickers·"^ will Werner den unterschiedlichen Ansprüchen genügen, gerät damit permanent in Not und kann sich nur mit Hilfe emer List daraus befreien. Die Handlungskette begirmt mit Eberhards halblegaler Besetzung des Schlosses Achalm, sie setzt sich fort mit dem darauf folgenden Übertritt Wer-

I,338,lff.: Derselbig herr Wörnher wardt von menigclichem als der gredest, lidmeßigest herr under allen denen, so auf die hochzeit kamen waren [...]. Zur Biographie Eberhards V. im Bart (Herzog Eberhard 1.) ist immer noch grandlegend ERNST, Eberhard; zu seiner Politik als württembergischer Landesherr vgl. PRESS, Eberhard. Das Verhältnis zwischen Eberhard V. und den Zimmern (ebd., S. 21) war ambivalent, immerhin widmete Johann Werner ihm das Märe 'Der enttäuschte Liebhaber'. Vgl. dazu unten S. 286-293. Ein eigenes Kapitel (57) widmet Froben dem Thema des Treuevorbehalts, welches dann virulent wird, wenn die verschiedenen Lehensgeber gegeneinander Krieg führen. Vgl. hierzu MITTEIS, Lehnrecht, S. 556f ; KIENAST, Untertaneneid, S. 93-130. Der 'Pfaffe Amis' könnte dem Chronisten bekannt gewesen sein, auch wenn das Werk nicht in den zimmerischen Bibliothekskatalogen auftaucht: Das Werk ist bereits Ende des 15. Jahrhunderts in einem Straßburger Drack erschienen. Zur Arbeit des Onkels Wilhelm Werner an der Stricker Hs. С vgl. unten Anm. 955.

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ners zu Erzherzog Sigmund und die dadurch entstehende Konfrontation mit Württemberg. An dieser Stelle wird die politische und literarische Dimension miteinander vermischt, Proben behandeU den Konflikt zwischen Eberhard und Werner im Modus des Schwankes. Zuerst tritt Eberhard in die Rolle eines Schwankhelden auf und 'bestraft' Werner mit einem schmerzhaften Streich (1,362,25-363,7), auf den dieser adäquat mit einer subtilen öffentlichen Schmähung Eberhards reagiert. Höhepunkt und Abschluß der Reihe ist dann eine Fehde, die wegen dieses Vorfalls sieben Jahre später (!) Eberhard gegen Werner anstiftet. Mit literarischen Mitteln imd einer Handlungskette, die einem Schwankroman entlehnt sein könnte, illustriert der Chronist sehr drastisch den schnellen Wandel von Gunst und Ungunst der Fürsten, bzw. wie dort jede Aktion sofort eine Gegenreaktion auslöst. Die mit langem erzählerischen Atem präsentierte Geschichte der Händel zwischen Werner und Eberhard wird vom Chronisten an dieser Stelle einzig deswegen positioniert, um ein erzählerisches Gegengewicht zu dem im direkten Anschluß berichteten wichtigsten Erfolg Werners, dem Erwerb der österreichischen Pfandherrschaft Obemdorf (Kap. 50)"" im Jahr 1462, zu erhalten: Derm dieser Erfolg, den Werner seinem guten Verhältnis zu den Habsburgem verdankt, widerspricht der Warnung vor dem Hofdienst. Polglich minimiert Proben die positive Wirkung des Hofdienstes und suggeriert einen anderen Grund fiir den Erfolg - wobei er jedoch im Rahmen der geschichtlichen Überlieferung bleiben muß."'·· Dazu vollzieht er zunächst einen argumentativen 'Bühnenwechsel' und schiebt das Sachthema Hofdienst genauso beiseite wie die politischen Motive Werners ftir den Besitzausbau.·*" Dann personalisiert er das Geschehen und konzentriert sich ganz auf die Leistung Werners: Ausschlaggebend für dessen Erfolg ist jetzt eine Strategie, die der einer Schwankfigur entspricht: Proben übertölpelt Eberhard bei der Übertragung der Pfandschaft Obemdorf (Kap. 50). Nach vier Bränden in Obemdorf habe Werner - so erzählt der Chronist - dem Inhaber, Eberhard, erfolgreich eingeredet, der Ort sei aim eilenden verbrunnenen dorf gleich (1,384,20). Daraufhin hätte Eberhard Obemdorf gegen die Stadt Dießenhofen, die weit jenseits des zimmerischen Territoriums am Rhein liegt, eingetauscht und so Wemer in diesen für den Aufbau eines zimmerischen Territoriums äußerst wertvollen Besitz gebracht. Mit einem plastischen Bild wird das Verhandlungsgeschick Wemers literarisch in Szene Zur Geschichte Obemdorfs unter den Zimmern vgl. KÖHLER, Obemdorf, S. 155-164; DANNER, Studien, S. 24-28; WEBER, Studien, S. 27-41. ^^ Die Besitzübertragung (1460-64) fällt in eine Zeit, als Werner Landhofineister Herzog Eberhards war und er sich obendrein der Gunst des Pfandherm, Sigmunds von Tirol, des potentiellen Gegners Württembergs, erfreute. Anders, nämlich zwischen 1463 und Sommer 1467, datiert ERNST (Eberhard, S. 140f ) den Vorgang. Die politischen Motive der Zimmern für die Besitzausdehnung im Raum um Obemdorf liegen auf der Hand: Die Stadt Obemdorf mitsamt den Dörfem Waldmössingen, Beffendorf, Böchingen und Altobemdorf grenzt im Norden an das zinunerische Herrschaftsgebiet um Herrenzimmem und Seedorf, von hier aus konnten die Zimmern das Neckartal beherrschen.

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gesetzt. Als Eberhard nach dem Verkauf nach Obemdorf kommt und eine blühende Stadt vorfindet, reagiert er auf Werners List mit den Worten: Wörnher, Wörnher, du hast mir vil von aim alten schafstal gesagt, ich befind aber, das solchs ain anderer schafstal, dann davon du mir gesagt, dann so ich deren vil in meinem lande, möcht ich mich deren nit wenig getrösten (1,386,18-22). Anhand von 'oppositiven Details'"" schimmern aber doch immer wieder jene Fakten durch, die hier die Literarisierung eines gewöhnlichen Rechtsgeschäftes belegen: Wenn Proben an anderer Stelle die Zerstörungen der Jahre 1441 und 1445 als Grund für die Aufgabe der Pfandschaft durch Eberhard hn Jahre 1462 angibt, daim würde dies voraussetzen, daß Obemdorf 17 Jahre lang verwüstet lag und die Berater des 1462 siebzehnjährigen Eberhards nichts von dem tatsächlichen Zustand des Ortes wußten. Aber die ganze Pragmatik des Rechtsgeschäfts wird durch die Literarisierung des Geschehens verborgen, weil Proben anhand seines Urgroßvaters ein exemplum für fci-Handeln beim Territorialausbau vermitteln möchte.·"' Diese spezifische Handlungskompetenz unterstreicht der zweite Teil des 50. Kapitels (1,386,28-393,23), in dem Werner erneut m der Rolle eines Schwankhelden vier Obemdorf umgebende Dörfer - Waldmössingen, Beffendorf, Altobemdorf, Böchingen - in seinen Besitz bringt. In diesem Pali überdeckt die Schwankhandlung eine unklare Rechtslage. Sigmund von Tirol hatte zwar die vier Dörfer an Werner verpfändet, aber der bisherige Pfandinhaber, Abt Bemhard von Hirsau, verweigerte die Herausgabe. Proben fuhrt nun anhand der Pigur Werners vor, wie man mit List selbst gegen die sakrosankte Geistlichkeit, bei der ein gewaltsames Vorgehen kirchliche Strafen heraufbeschwören konnte, ankommt: Als nu herr Wörnher Obemdorf die stat, wie gehört, eingenomen, hat er die losung der vilbemelten vier dörfer apt Bernharten von Hirsaw zu wissen thon, welcher dero ganz übel zufriden gewest; hat die etliche zeit nie zulassen wellen, derhalben herr Wörnher, als ain vernunftiger, weiser herr, solchs mit kaim gewalt, demnach er dann der sach wol gesessen und die dörfer einzuenemen vermugt het etc., ausrichten, sonder hat die mit listen und pessern fuogen bekommen wellen und hierumb ain sollichen schick an die handt genomen. (1,391,7-16) Die literarische Inszenierung des Besitzübergangs m Form des Schwanks eignet sich deswegen sehr gut, weil es zum Gattungsinventar gehört, daß der zu überiistende Gegner an einem Punkt getroffen wird, an dem seine Vergeltungsmöglichkeiten eingeschränkt sind. Mit diesem Muster operiert auch ProVgl. JAUSS, G e b r a u c h , S. 4 4 6 .

Unstimmig ist an der Darstellung Frobens, daß er j a selbst zunächst von einer fast verödeten Stadt spricht. Auch die Mitteilung, wonach Werner in dieser Angelegenheit haimlichen mit Sigmund von Tirol verhandelte, ist nicht aus dem Geschehen begründet. Warum sollte etwas verheimlicht werden, das ohne die Zustimmung Eberhards von Württemberg ohnehin nicht gelungen wäre?

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ben in seiner ErzäMung. Die Hirsauer Mönchen nutzen trotz des Besitzwechsels den Weiher zu Waldmössingen weiterhin als Fischgrund (1,392,1-3). Sie sind sich ihrer kirchlichen Immunität derart sicher, daß sie Werner provozieren"" und dort sommerliche Lustpartien, bei denen sie ain unnutzlichen schandtlichen bracht (I,391,24f.) treiben, abhalten. Werner setzt mit seiner Revanchehandlung bei dieser Perversion des geistlichen Standes und der Selbstsicherheit der Mönche an."" Er gewinnt in seinem Freund Hans von Rechberg einen Helfer, und als die Mönche wieder eine Kahnpartie abhalten, begibt sich der mit einigen Söldnern zum Weiher. Unbemerkt pirschen sie sich an die gaistlichen vätter (1,392,21) heran: Die überfiel er ganz unversehenlichen, dann die fiiosknecht kamen in weier, kerten die schifflin umb, darin die münch sampt irem frawenzimmer im saus saßen, warfen dieselben mit den köpfen, doch zuvor mit guten straichen wol erpert, in weier (1,392,22-26). Der Kontrast zwischen kirchlichem Anspruch und dessen Pervertierung durch die Mönche wird schon durch die sprachlich-rhetorische Gestaltung der Szene bestätigt. Bereits einleitend werden die Mönche durch Verkommenheits-Attribute wie mestschwein, bauchvetter*^ unnutze[] leüt und haillosenvetter moralisch disqualifiziert. Ihre geistliche Würde wird mit Hinweis auf ihre Unkeuschheit in Zweifel gezogen und mit der komisch-drastischen Darstellung ihres unfreiwilligen Bades das Gelächter des Publikums provoziert. Die intendierte Rezeption der Geschichte wird maßgeblich bewirkt durch das Mittel der Ironie,"" wenn etwa zuerst das unmoralische Verhalten der Mönche mit ihren Mätressen beschrieben wird, sie im Anschluß daran aber als gaistliche [...] vatter tituliert werden, oder wenn Froben abschließend meint, die Mönche hätten auf die Dörfer verzichtet, weil sie einsahen, daß ihnen der luft vor Wald nit wol bekommen (I,392,36f.) ist. Werner dagegen hat die Moral auf seiner Seite, er handelt nicht aus juristischen oder gar ökonomischer Interessen heraus, sondern als ein ernsthafter, gotsferchtiger her, der zu Recht sonders misfallen über das epikureische und ungeistliche Benehmen der Mönche empfindet (1,391,25-28). Die Frage der Rechtmäßigkeit von Werners gewaltsamem Vorgehen ist damit zwar nicht juristisch, aber doch moralisch entschieden. Der Leser ergreift in der moralischen Ablehnung eindeutig Partei auch gegen die rechtlichen Ansprüche des Юosters Hirsau auf die vier Dörfer: Der Schwank ersetzt so auch eine differenzierte

488 ¡ 391 40-392,6: Nu warn aber die münch hochstreus und wollen von solcher spenn wegen iren burgerlust, nämlich das vischen zu Waltmessingen, nit underlassen, sonder sie hetten sich gerüst, demnach sie wüsten, das herr Wörnher die losung zu solchen weiern und den vier dörfern beim haws Österreich ausbracht, im zu trutz vili hoffart und übermuots zu treiben. " " Werners Vorgehen gegen die Hirsauer Mönche erinnert an die Methode des Kahlenberger Pfarrers, der mit seinen Rachehandlungen an Überheblichkeit und Verblendung des hohen Klerus ansetzt. Vgl. dazu RÖCKE, Freude, S. 179fr. Vgl. DWB I, Sp. 1169 {bauchvater). " " Zum Mittel der Ironie vgl. JAPP, Ironie, S. 39f., 46; WHITE, Klio, S. 12ίΓ.

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juristische Auseinandersetzung des Chronisten und verbrämt einen letztlich doch gewaltsamen Akt. Auch in diesem zweiten Beispiel begründet, illustriert und legitimiert die Literarisierung die 'eigentlichen' Gründe für das Einlenken der Hirsauer. Damit verschafft Proben einem an sich profanen Rechtsgeschäft die Qualität eines identitätsstiftenden Akts. Indem Proben seinen Urgroßvater sich durch Intelligenz gegen die Kirche durchsetzen läßt, stellt er für seine Rezipienten Leitbild und Strategie gleichermaßen zur Verfügung. Mit der faktographischen Dhnension der Chronik verträgt sich dies nur bedingt, denn die Ablösung des Pfandes gegen eme Zahlung von 3000 Gulden, die Proben im Anschluß an die burleske Prügelszene berichtet, steUt sich dann als ein normales Geschäft dar (1,393,12). Die Präge, ob der Überfall auf die Mönche - so er nicht reine Erfindung ist tatsächlich eine Auswirkung auf die Verhandlungen gehabt hat, wird dabei von Proben imbeantwortet gelassen, weil er weder die Lehre semes Exempels relativieren noch gegen die Urkundenlage argiunentieren will."'^ 5.5.4.2. Der Umgang mit der adligen Konkurrenz Die Kehrseite des Hofdienstes und der damit verbundenen Aufstiegsmöglichkeiten ist für Werner die Verwicklung in die Pehden Sigmunds"" und eine wachsende Distanz zu den Standesgenossen. Deswegen hat das Pehdethema innerhalb der Wemer-Biographie ein hohes erzählerisches Gewicht, es erfüllt zudem eine strukturierende Punktion, da es als Präludium für die Geschichte des Kampfes der Zimmern gegen die Werdenberger um die Vorherrschaft im Gebiet zwischen Donau und Ablach dient. Um dieses Ziel zu erreichen, entwirft Proben ausführliche historiographische Konstruktionen, die er mit vertrauten literarischen Mustern unterfüttert. Werner von Zimmern war nicht der einzige, der südlich der oberen Donau eine geschlossene Territorialherrschaft für sein Geschlecht errichten wollte.·""

Die Einfügung der ausführlichen Geschichte um den Besitzwechsel der vier Dörfer hat für den Chronisten aktuelle Gründe, denn deren Bewohner behaupten, sie besäßen dieselben Stadtprivilegien wie Oberndorf (1,386,32-387,1). Dies war jedoch nicht im Interesse der Zimmern, und daraus erklärt sich derm auch Frobens Aufteilung der Pfandübertragung von Oberndorf und den vier Dörfern in zwei getrennte Akte. Damit entkräftet Proben implizit die Forderungen der Bauern nach Rechtsgleichheit mit Oberndorf (Vgl. dazu: Donaueschingen, FFA, ZA, Kopialbuch Π, S. 181-198). Da nach der Rechtslage (vgl. KÜHLER, Obemdorf, S. 154f) die Dörfer tatsächlich zur württembergischen Herrschaft Obemdorf gehörten und auch bis zu dieser Stelle der Chronik noch von keiner Hirsauer Pfandschaft die Rede war, liegt die Vermutung nahe, die schwankhafte Literarisierung des Besitzübergangs soll den Rezipienten über eine unklare Rechtssituation hinwegtäuschen und die Forderungen der vier Dörfer als rechtlich unbegründet erscheinen lassen. Dazu gehört zunächst der Krieg gegen die Eidgenossen 1440-1443, wobei jedoch Proben den schmählichen Ausgang verschweigt - umb geliebter kürze willen. Vgl. dazu BOHNENBLUST, Geschichte, S. 138-147. Das Gebiet an der oberen Donau und am oberen Neckar war seit jeher zwischen den dort ansässigen Adligen umstritten (vgl. dazu den Überblick bei BUMILLER, Studien, S. 18-21).

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So waren die Grafen von Werdenberg"'^ schon zu Beginn des 14. Jahrhunderts durch die Heirat Heinrichs von Werdenberg mit Agnes von Württemberg in den Besitz der Herrschaft Trochtelfingen gekommen, die sie zielstrebig zu einem größeren Herrschaftsterritorium ausbauten. Eberhard von Werdenberg verhalf dieser Besitz 1349 dazu, eine eigene Linie Werdenberg-Trochtelfmgen zu begründen."" Die künftige Stoßrichtung der werdenbergischen Expansion zielte nach Süden, 1399 erwarben sie die Grafschaften Veringen und Sigmaringen. "" Damit wurden sie direkte Nachbarn der Zimmern, die einige Jahre zuvor Meßkirch und Rohrdorf erworben hatten. Es ließ sich nun absehen, daß beide Geschlechter über kurz oder lang in Konflikt miteinander geraten mußten. Dieser Gefahr wollte man offenbar durch eine gezielte Heiratspolitik entgegenwirken: So vermählten sich Johann d. Ä. im Jahr 1428 mit Kunigunde von Werdenberg(-Sargans), und deren gemeinsame Tochter Anna heiratete Eberhard von Werdenbergi-Trochtelfingen)."'' Bereits anläßlich dieser Heirat hatte Proben im 42. Kapitel, künftiges Unglück andeutend, darauf verwiesen, daß die Werdenberger die zimmerische Mitgift später zum Kampf gegen sein Geschlecht verwendet hätten. Wenn nun im 51. Kapitel die Werdenberger erstmals selbst zu Hauptpersonen der Handlung werden, dann ergibt sich der Anlaß hierfür nicht organisch aus der Geschichte Werners, sondern muß erst inszeniert werden. Dazu läßt der Chronist einen weiteren Akteur auf seiner 'Bühne' auftreten, den 'Raubritter' Hans von Rechberg, der in den Jahren 1452-1464 die schwäbischen Reichsstädte und einige Adelsgeschlechter in eine Kette von Fehden verwickelte. Über den politischen Hintergrund dieser Fehden mit dem schwäbischen Adel berichtet Froben nichts,"" sondern fokussiert seine Darstellung auf einen Zweikampf zwischen Hans von Rechberg und den Werdenbergem. Als dessen banalen Anlaß gibt Froben an, die Werdenberger hätten einem Reisigen des Rechbergers namens Huttelin etwas schmach oder widerdrieß (I,394,33f ) zugefugt. Diese Fehde wäre für die Werdenberger existenzbedrohend geworden, wenn sie Werner nicht gerettet hätte. Die ganze Kon-

" " Zur Literatur über die Werdenberger siehe VANOTTI, Geschichte, S. 664-684; MAYER, Grafschaft (zum Konflikt Werdenberg-Zimmem S. 205-210); KRÜGER, Grafen; HEBERHOLD, Grafschaften. VANOTTI, Geschichte, S. 233-240, " " Ebd., S. 240-251. " " Zum Verhältnis zwischen dem schwäbischen und dem schweizerischen Zweig der Familie Werdenberg vgl. VANOTTI, Geschichte, S. 29 If " " Das MißVerhältnis zwischen marginalem Anlaß und fatalen Folgen erschien auch der Geschichtsforschung als fragwürdig. Allerdings ist man über das resignierende Urteil ERNSTS, wonach die Entstehung der Fehde im Dunkeln liege, kaum hinausgekommen (ERNST, Eberhard, S. 144f ; vgl. dazu auch STALIN, Geschichte Ш, S. 559ff.; anders VOLKER HIMMELEIN, Eberhard, der mit dem Barte. Bilder und Stationen aus seinem Leben, Tübingen 1977, S. 31f ). Die Argumentation der 'Zimmerischen Chronik', auf die die Forschung deswegen stillschweigend zurückgreift, enthält unaufgelöste Widersprüche. Denn warum sollten sich Hans von Rechberg und seine Helfer wegen unbewiesener Verdächtigungen eines Reisigen auf einen Kampf mit den wesentlich mächtigeren Werdenbergem einlassen?

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struktion beruht auf literarischen Mustern: Die Konzentration des komplexen Geschehens auf einen Kampf zwischen zwei Gegnern gehört genauso dazu wie die Motivation der Fehde aus verletzter Ehre. Der Erregungspunkt der Handlung wird in die Innenwelt der Figuren verlegt, sie wird damit zum "Präzedenzfall für eine Grunderscheinung des Lebens.'""® Und noch an einem zweiten Muster orientiert sich Froben: Kleine, scheinbar unbedeutende Ereignisse ziehen unabsehbare Folgen nach sich.™' Froben erzählt die Ereignisse der Fehde nicht chronologisch, seine Ordnung der Dinge besteht viehnehr darin, mittels einzelner prägnanter Szenen zu belegen, daß Hans von Rechberg'"^ die Absicht und Möglichkeit gehabt hätte, das Haus Werdenberg völlig zugrunde zu richten: In ainer solchen rustung zu wsz und zu fuß war dozumal Hans von Rechberg, das er im endlichen förname [...] bemelte graven [von Werdenberg] gar zu vertreiben (1,401,27-33). Dementsprechend ist der Auftritt eines Retters um so überzeugender, und dieser Vorgang ist vom Chronisten nach dem literarischen Motiv gestaltet, daß dort, wo die Not am größten, auch die Hilfe nahe ist. Auf dem Höhepunkt der Spannung erscheint Werner und überredet die Grafen von Württemberg zugunsten der Werdenberger in die Fehde einzugreifen. Seine Intervention hat Erfolg, die Württemberger erobern die rechbergische Schalksburg und belagern Hans, der dabei ums Leben kommt; seine Mitstreiter müssen sich einem von Erzherzog Sigmund vermittelten Frieden unterwerfen. Froben beendet die Erzählung der Rechberg-Fehde damit, daß er nochmals resümierend auf die kriegsentscheidende Hilfe seines Vorfahren verweist: [...] also hat die vecht mit Hansen von Rechberg ain ende genomen, und sein durch obgehörts stratagema, das baide von Würtenberg durch sonderliche haimliche underhandlung herrn Wörnhers von Zimbern sich in ain rustung begeben, die von Werdenberg bei iren güetern unverderbt und unvertriben beliben.

(1,405,2-8)

Daß die historischen Quellen von einer derartigen Rolle Werners nichts erwähnen, verwundert nicht, denn bereits der Chronikbericht ist so angelegt, daß sich das Handeta Werners im Verborgenen abspielt. Werner tritt auf der Seite der Werdenberger niemals öffentlich in Erscheinung, umgekehrt läßt aber Froben

^

LÂMMERT, Bauformen, S. 149. Die Bedeutung dieses Musters wird durch Parallelgeschichten unterstrichen. Im Nachtrag 23, einer Ergänzung zur Rechberg-Werdenberg-Fehde 0,405,41-406,31), erzählt Froben den Fall des Grafen Johann von Öttingen, der einem Knecht seinen Lohn verweigert, worauf sich dieser von etlichen fränkischen schnaphannen (1,406,4) Hilfe erbat. Die griffen den Grafen unversehens an und verwundeten ihn tödlich. Auch in diesem Fall verweist der Chronist auf das Mitverschulden des Öttinger Grafen: Kam im alles von seinem ungelrewen diener, den er veracht und mit unlieb von ime ließe abscheiden (I,406,13f). Zu Hans von Rechberg vgl. die in ihren Wertungen anachronistische Arbeit von KANTER, Rechberg, hier bes. S. 69-90.

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keine Gelegenheit aus, entweder die verhängnisvolle Lage der Werdenberger^"' oder die überraschende, fast vernunftwidrige Handlungsweise Werners zu betonen. Aber welche Motive gibt Proben für Werners 'Rettung' der Werdenberger an? Naheliegend wäre zunächst das Motiv der verwandtschaftlichen Bindung. Dies schließt Proben jedoch ausdrücklich aus und zwar mit Recht, da Werner mit dem Rechberger noch näher verwandt war. Das wahre Motiv Werners steht indessen höher als die Bande der Blutsverwandtschaft: die Preundschaft."" Diese Verpflichtung scheint sogar über den Interessen des eigenen Hauses zu stehen, denn Proben artikuliert hier, daß die Zimmern sich mit dieser Unterstützung selbst Schaden zugeffigt hätten. Die Selbstlosigkeit Werners ist somit in der Darstellung Probens auf die Spitze getrieben, und mit dieser Haltung hat Werner die moralische Höhenlage erreicht, von der aus sich das spätere Verhalten der Werdenberger gegenüber den Zimmern um so negativer beurteilen läßt. Probens historiographische Strategie in der Rechberg-Pehde besteht in einer Ausdiflerenzierung des politischen Kontextes und einer 'Privatisierung' des Konflikts'"^ - mit beiden gehen Retuschen an der Chronologie einher. Der Hintergrund der Rechberg-Pehde war der Konflikt zwischen dem Kleinadel sowie dem mittleren und hohen Adel, der sich in dem Bündnis zum Georgenschild^"' mit dem Ziel vereinigt hatte, den Landfrieden zu sichern und die Expansionspolitik einzelner zu unterbinden.'"^ Der Rechberger war der Wortführer schwäbischer Kleinadliger, er wollte mit seinem Angriff auf die Werdenberger einen der Anführer des Adelsbundes zum Georgenschild treffen. Aufschlußreich ist nun, wie Proben mit diesen historischen Pakten verfahrt. Als Motiv für den Konflikt zwischen Rechberg und Werdenberg wird die verletzte Ehre eines rechbergischen Reiters erwähnt, vor allem aber verändert Proben die Chronologie des Geschehens: Nach seiner Chronologie bedrängte der

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In 1,401,38-402,4 betont Proben, wie groß die Furcht aller potentiellen Helfer der Werdenberger angesichts der Macht des Rechbergers gewesen ist. 1 , 4 0 2 , 8 - 1 3 : So hat doch ßrnemlich bemelter herr Wörnher in diser ernstlichen und gefärlichen handlung nit allein als ain vetter, sonder als ain getrewer fieundt, der dann pillich in angstlichen beschwerden und nöten ieder zeit mag erkennt werden, gegen denen von Werdenberg sich bewisen. Zum historischen Hintergrund der Fehde gehört auch die innere Situation im deutschen Südwesten, die nach der Landesteilung von 1442 gekennzeichnet war von einem Prozeß der Machtaufsplitterung und von innerdynastischen Streitigkeiten im Hause Württemberg (STALIN, Geschichte Ш, S. 451-495; PRESS, Welt, S. 20f.). Letzteres rührte daher, daß nach der Mömpelgarder Hochzeit Eberhards IV. die Württemberger Grafen in Konflikte weit abseits ihres geschlossenen Herrschaftsgebiets verwickelt wurden. Dies war die Stunde des Kleinadels, der sich von dieser Schwächung territorialen Zugewinn erhoffte oder einfach ungestört Straßenraub betreiben wollte. Zu den Adelsvereinigungen vgl. immer noch: EBERBACH, Reichsritterschaft; OBENAUS Recht, bes. S. 13-16, 204-216. Vgl. zum Zusammenhang zwischen den politischen Einigungen und d e n T u m i e r g e s e l l s c h a f t e n WENZEL, G e s c h i c h t e , S. 2 8 0 - 2 8 5 s o w i e d e n v o n FLECKENSTEIN

herausgegebenen Sammelband (Turnier). Vgl. dazu grundsätzlich OBENAUS, Recht, S. 204-210.

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Rechberger bis Mitte Oktober 1464 die Werdenberger so heftig (1,400,34), daß deren Untergang unmittelbar bevorzustehen schien, dann tritt Werner auf dem Höhepunkt der Not als deus ex machina auf und überredet die Württemberger zu ihrem kriegsentscheidenden Eintritt, nur wenige Tage später läßt Uhich von Württemberg zwei rechbergische Burgen angreifen.Nach den überlieferten Quellen waren die Württemberger jedoch schon vor dem Angriff des Rechbergers auf Hans von Werdenberg im September 1464 in die Koalition gegen den Rechberger eingetreten.'"' Hätte Proben das im Sommer geschlossene Bündnis zwischen dem Georgenschild und Württemberg erwähnt, dann wäre die Konstruktion der Rolle Werners als entscheidender Retter der Werdenberger unglaubhaft gewesen. Freilich kommt der Chronist um das historische Faktum, wonach die Württemberger auf Bitten des Georgenschilds in die Koalition eingetreten sind, nicht herum, aber die Doppelbegründung dekuvriert seine Absicht erst recht: Dann demnach [Werner von Zimmem] bei grave Eberharten von Würtenberg landthofmaister, dameben in besonderm hohen ansehen bei grave Ulrichen von Wirtenberg, hat er förderlich zu denen baiden graven sich verföegt und die, unangesehen das sie von Hannsen von Rechberg nit angriffen, noch beschediget, derhalben auch sie, die von Wirtenberg, solche vecht nit berüert, in gehaim förnemlichen dahin bewegt und vermögt, das sie baide auf anruefen der gesellschaft sant Jergen schilts im Hegaw und grave Hannsen von Werdenberg inen unverzugenliche hilf und reitung versprochen. (1,402,13-23)

Anhand dieser Formulierung wird deutlich, daß Froben die richtige Chronologie der Ereignisse genau karmte imd wußte, daß der Vertrag zwischen Württemberg und dem Georgenschild schon im August 1464 geschlossen worden war. Froben hat demnach die Chronologie seiner Erzählung verändert, um seinen Urgroßvater in der Retterrolle auftreten zu lassen. Auch die Inhalte des Geschehens sind verändert: Schon die bedrohliche Lage der Werdenberger kann nicht historischer Realität entsprechen, da der vergleichsweise schwache Rechberger und seine Verbündeten die Werdenberger nicht besiegen koimten. Dieser Schlußfolgerung entgeht Froben, indem er die wahren Macht- und Kräfteverhältnisse der Fehdegegner vertuscht bzw. ins genaue Gegenteil verkehrt. Froben scheint der Widerspruch zu den historischen Fakten bewußt gewesen zu sein, da er die angebliche Drohung des Rechbergers, die Werdenberger Grafen ganz zu vertreiben, mit einem etc. abschließt, einer Abkürzung, die Froben als Signal für einen erklärungsbedürftigen Gedanken dient. Im Haupttext verwendet Froben auf die Glaubwürdigkeit seiner Theorie noch keine sonderliche Mühe, ihm genügt es, Werners Eintreten zugunsten der Werdenberger mit einem Geheimgespräch zwischen dem Zimmem und den Nach KANTER, Rechberg, S. 103 begann die Belagerung des rechbergischen Schrambergs am 9.10.1464. KANTER, Rechberg, S. lOOff.; ERNST, Eberhard, S. 144.

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beiden Württemberger Grafen, Eberhard und Ulrich, zu begründen (1,402,1326). In einem Nachtrag (Nr. 66) zum 51. Kapitel nimmt er jedoch dieses Thema wieder auf, indem er auf der literarischen Ebene seine These von der Opakheit der Politik illustriert. Protagonist der Schwankhandlung ist Hans von Rechberg selbst. Dieser nimmt in Ebingen an emer großen Adelsversammlung im Rathaus teil. Während einer Pause geht Hans auf den Marktplatz und vereinbart mit zwei Töpferinnen, sie sollten auf sein geheimes Zeichen hin ihre gesamten Auslagen zertrümmern. Zur Versammlung zurückgekehrt, erklärt Hans, er könte ain kunst und darmit zuwegen bringen, das die weiter uf dem markt alle ire hefen und krüege müesten zerschlagen (1,407,14-16). Nachdem Ludwig I. von Württemberg auf den Erfolg dieser kunst mit dem Rechberger um einen schönen hengst (1,407,20) gewettet hat, tritt Hans ans Fenster und macht seine bossen, wie abgeredt, gegen die hafnerin, die stettigs achtung darauf gaben (1,407,22-24) und jetzt wie die Furien ihre Waren zerschlagen."" Ludwig will nun unbedingt das Geheunnis solcher telepathischen Künste wissen. Der Rechberger verrät es ihm allerdings erst, nachdem ihm Ludwig einen zweiten Hengst versprochen hat. Welche Quelle Froben für diesen Nachtrag auswertete, ob schriftliche oder mündliche Überlieferung vorliegt,"' läßt sich nicht definitiv sagen; es steht jedoch zu vermuten, daß Froben einen der zahlreichen Drucke des 'Ulenspiegels'"^ verarbeitet hat, denn dort erzählt die 87. Historie den gleichen Stoff, inklusive des zweifachen Gewinns. Angesichts der Situierung der Schwankhandlung im Rahmen der Rechberg-Fehde stellt sich fi'eilich die Frage nach deren struktureller Fimktion. Das naheliegende Motiv einer Charakterisierung des Rechbergers wäre blind, da dieser im Haupttext nur in seiner Funktion als Gegner der Werdenberger ohne jedes persönliche ProfiP" und schon gleich gar nicht als 'Schwankheld' in Erscheinung tritt."" Angesichts der Literarizität des Motivs ist es auch unwahrscheinlich, daß sich der Nachtrag namensassoziativ ergab."' Froben könnte sich jedoch bei der Be-

Derselbe Stoff hegt auch einer Erzählung des Kapitels 79 zugrunde (Π,32,30-33,18), in der der Protagonist Peter Schneider heißt. Auch dies ist ein Beleg dafür, daß der Chronist die Schwanke als herrenloses Erzählgut betrachtete und behandelte. Einen guten Einblick in die mündliche Überlieferung Schwabens bietet die Sammlung BIRLINGERS (Volksthümliches). Die ersten beiden Drucke des 'Ulenspiegels' stammen aus dem nahen Straßburg. Nur einmal - im Angesicht seines Todes - vermerkt die Chronik eine spezifische Eigenheit Hans von Rechbergs: seinen Lieblingsausruf hostha madostha (1,404,8). "•* Wegen seiner kriegerischen Taten galt Hans von Rechberg als Prototyp eines Raubritters. Dies entspricht übrigens nicht der Einschätzung durch Froben, der Hans von Rechberg eine weitgehende neutrale Beurteilung zuteil werden läßt. Gegen das Bild vom Raubritter wendet sich auch KANTER, Rechberg, S. 115-118. So sieht JENNY (vgl. Froben, S. 43) in der Mehrzahl aller Fälle den Zusammenhang zwischen Haupttext und schwankhaften Nachträgen.

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arbeitmg seiner Chronik'" entschlossen haben, die eigentliche Bedeutung von Werners Geheimverhandlung durch eine Parallelgeschichte zu vermitteln. Mit dem an der Figur des Hans von Rechberg angelagerten Schwank zeigt Proben dem Leser, daß die wahren Gründe für das an der Oberfläche Sichtbare tiefer verborgen liegen. Der inhahliche Kem der Geschichte um Ulenspiegel bzw. Hans von Rechberg ist das fei-Handeln des Protagonisten, welches darauf beruht, daß dieser hinter dem Rücken der anderen Beteiligten - im Falle der Rechberg-Fehde war dies der mit den Zimmern verwandte Hans - eine geheime Abrede trifft. Mit dem Töpferinnenschwank stelh Proben implizit eine Analogie zwischen dem Grafen Ludwig und einem Rezipienten her, der geschichtliche Begebenheiten nicht als Aufforderung zu hermeneutischen Anstrengungen versteht. Beide erkennen nicht die wahren Hintergründe des Geschehens, weil sie nur die Oberfläche sehen, nicht aber die dahinterliegenden Ursachen. In der Rechberg-Fehde bliebe für den Betrachter die Intervention der Württemberger Grafen zugunsten der Werdenberger unverständlich, wenn nicht mit den Verhandlungen Werners der entscheidende Hinweis gegeben würde. Der Schwank läßt sich so als Handlungsaufifordenmg an den Leser verstehen, historische Ereignisse nach ihren anthropologischen Bedingungen zu befragen und für die Antwort die Strukturmuster der Literatur heranzuziehen. Damit eröflbiet sich eine Analyse von Handlungen, die ansonsten im Arkanbereich der Macht verborgen sind. Der Schwank bietet andererseits auch die Legitimation für die Herstellung einer Arkansphäre: Hans von Rechbergs Trick auf dem Marktplatz kann пш gelingen, weil er ihn unter strenger Geheimhaltung inszeniert. Dasselbe gilt für Werners Politik: Hätte er seine Verhandlungen mit Württemberg öffentlich werden lassen, dann wäre ihm die Feindschaft des Rechbergers sicher gewesen. Wie der Schwankheld zieht auch Werner hieraus doppelten Gewinn: Zum einen bleibt er neutral und bringt sich selbst nicht in Gefahr, zum anderen aber kann er sich durch die Aufdeckung seiner diplomatischen Aktion gegenüber den Werdenbergem in ein vorteilhaftes Licht rücken. Proben spiegelt auf der Ebene der Erzählung auch sein eigenes Verhalten als Chronikschreiber, denn den wirklichen 'Gewinn' verbucht er selbst, wenn er die noble Handlungsweise seines Vorfahrens einsetzt, um die werdenbergische Konkurrenz zu diskreditieren. Insofern bewegt sich die Funktion des Schwanks auf zwei Ebenen: Poetologisch ist er Beispiel dafür, wie die Inszenierung einer Geschichte die Voraussetzung für deren Rezeption liefert. Innerhalb des Politik-Diskurses wird belegt, wie durch heimliches feZ-Handeln Vorteile zu erlangen sind, wie durch die strategisch geplante Vorspiegelung falscher Tatsachen (niemand ahnt, warum die neutralen Württemberger nun plötzlich entgegen aller Erwartung in den sie nicht berührenden Kampf eingrei-

Dafür spricht die Beobachtung, daß sich im Wemer-Abschnitt eine ganze Reihe zusammenhängender Nachträge finden. So sind die ins Schwankhafte tendierenden Nachträge 60-63, 65f vielleicht auch zusammen verfaßt worden.

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fen) konkreter Nutzen zu erzielen ist. Daß auf beiden Ebenen dafür reicMich Kompetenz erforderlich ist, demonstrierte der Chronist mit einem Nachtragsschwank (Nr. 23),'" in welchem er mit dem bekannten 'Wanderwitz' vom gestohlenen Fisch imd dem zu kurzen Mantel'" nochmals - fast echohaft - versinnbildlicht, wie wichtig die vollständige Verhüllung für das Gelingen einer List ist. Das Thema des listigen Handelns verselbständigt sich m analogen Erzählungen des Nachtrags 23 (1,408-411,35), in denen sich der Chronist mit den daraus entstehenden Problemen befaßt. Die Stärke der Gehehnpolitik, so Frobens These, ist zugleich ihre Schwäche: Denn dort, wo keine Öffentlichkeit gegeben ist, besteht naturgemäß auch die Möglichkeit des Betrugs. Froben bietet denn auch einige Beispiele, in denen die Opfer auf die Vorspiegelung falscher Tatsachen hereinfallen bzw. ihren eigenen Fiktionen aufsitzen. So übergibt z. B. ein Adliger vor einem Gasthaus einem Mann, der sich als der Herr des Hauses ausgibt, seine gut gefüllten Satteltaschen. Der Mann ist jedoch nicht der, für den ihn der Adlige hält, und macht sich mit den Satteltaschen aus dem Staub. Der Bezug zu dem im Haupttext gegebenen Bericht von der diplomatischen Aktion Werners ist nun nicht mehr ein direkter Kommentar, sondern der Versuch, das einmal angeschlagene Thema des arkanen Handebis in seinen verschiedenen Verästelungen zu verfolgen. Dabei sind die Grenzen zwischen Klugheit und Betrug fließend, Froben vermeidet eine klare Bewertung der einzelnen Handlungen.'" Wenn Froben solche Erzählungen nun ausgerechnet einer Passage seiner Chronik zuordnet, in der er sich auf das diplomatische Handehi seines Vorfahrens konzentriert, daim bestätigt diese Organisation des Materials die These, daß Froben in den Nachträgen generell die Ambivalenzen menschlichen Handehis kenntlich macht. Eine solche Erweiterung auf eine anthropologische Perspektive ist innerhalb der Chronik eine Innovation, die aus dem Kontakt mit der Schwankliteratur resultiert. Insgesamt gesehen ist Frobens Geschichte von der Rechberg-Fehde eine literarische Konstruktion, die auf der Ebene der historischen Fakten aus einer Mischung von überprüfbaren, den Objektivitätsanspruch"" scheinbar sichernden Informationen und interessegeleiteten Erfindungen besteht. Das dynastomythische Ziel, dem die Uminterpretation der Rechberg-Fehde zu einem Die Abfolge dieser Nachträge kann als weiterer Beleg für die These gelten, daß die Nachträge nicht in der Reihenfolge ihrer Entstehung an den Haupttext angefügt worden sind. Dieser Witz findet sich in der Sammlung 'Jüdische Witze', hg. von SALCIA LANDMANN, München 1962, S. 156: "Der Fischhändler zu einem Juden, der weggehen will, ohne etwas gekauft zu haben. 'Reb Jude, so geht das nicht! Entweder Ihr zieht Euch einen längeren Kaftan an - oder Ihr ganwet (stehlt) einen kürzeren Fisch. "' Vgl. hierzu die zwei Beispiele von den besonders ausgekochten Dieben in Frankreich (1,410,16-411,35). Zwar erfüllt dergleichen auch eine ganz pragmatische Funktion der Warnung vor ähnlichen Überraschimgen, jedoch hält sich der Chronist mit eindeutigen Verurteilungen auch hier merklich zurück. Vgl. dazu unten S. 408f

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Kampf Rechberg contra Werdenberg m d die Einbindung Werners in das Geschehen dient, ist im Sinne eines einleitenden Resümees über das Verhältnis zwischen Werdenberg imd Zimmern bereits am Beginn des Kapitels über die Rechberg-Fehde formuliert: Es haben die graven von Werdenberg und die freihern von Zimbern ain wunderberliche aigenschaß zusamen gehabt, dann zu gleicher weis wie die von ¡Verdenberg denen von Zimber das ir aintweders mit list und betrug oder gewaltigclichen zu entziehen gesint und genaigt gewesen, daraus dann letstlichs ervolgt, das sie nit allain die lang begerten zimbrischen herschaften und güeter mertails nach irem willen und gefallen erlangt und etliche jar ingehapt, sonder auch beinahe den zimbrischen namen ausgetilkt, herwiderumb so befind ich, das die freiherm von Zimbern denen von Werdenberg in iren nöten gelihen und furgesetzt, bürgen für sie worden, auch sie bei iren güetem, sovil sie könnt, erhalten und darob auch ire freundt und verwandten begeben, in somma leib und gut freiwilligclichen von irer wolfart wegen dargestreckt und in ein offenliche gefar sich begeben haben. (1,394,15-30)

Mit dieser langen Satzperiode ist der Auftakt für die Thematik, die die folgenden 35 Kapitel bestimmen wird, gegeben: der Kampf zwischen Werdenberg und Zimmern. Proben bindet also bereits weit vor dem Beginn des eigentlichen Konflikts die geschichtliche 'Bewegung' der beiden Geschlechter eng aneinander. Ihr Geschick ist quasi durch zwei kommunizierende Röhren miteinander verbunden: der Aufstieg des einen bedingt den Niedergang des anderen. Der gesamte Konflikt erscheint als ein unausweichliches, gleichsam naturgesetzliches Geschehen, in welches beide Geschlechter aufgrund einer gemeinsamen wunderberliche[n] aigenschaft unlösbar verstrickt sind. Proben läßt für einen Moment durchblicken, wie er menschliches Handeln deutet: Betrüger und Betrogener sind nur die zwei Seiten der gleichen Medaille, der eine ermöglicht erst die Existenz des anderen. Mit dieser Peststellung distanziert sich der Chronist auch von semem Berichtsgegenstand, er vermitteh damit gleich zu Beginn der zentralen Werdenberg-Zimmem-Thematik den Eindruck eigener Objektivität und sichert damit auch den exemplarischen Charakter seiner Erzählung. 5.5.4.3. Persönlichkeit und Charakter Werners Mit der Biographie Werners ist in der Chronik endgültig die Entwicklung zu einer stärkeren kausallogischen und psychologischen Motivation der geschichtlichen Ereignisse vollzogen. Daraus ergeben sich Widersprüche zwischen der exemplarischen Punktion der Wemer-Pigur^^' und einer 'individuelIn einem eigenen Nachnifkapitel (59) überliefert der Chronist als Testament Werners einen Regentenspiegel (1,463,14-464,32) für den idealen zimmerischen Dynasten. Der Katalog besteht aus 12 geistlichen, 5 moralisch-ethischen und 21 pragmatischen Regeln. Besonderes Gewicht hat die Warnung vor Ungerechtigkeit und vor dem leichtsinnigen Beginn eines Krieges. Die Relevanz dieser Thematik unterstreicht der Chronist mit einer seiner höchst seltenen Rezeptionsanweisungen: Und hiemit sete vilbemelts herrn Wömhers leben und Handlungen ain beschlus gemacht; der allmechtig welle in in jener weit trösten, dann er seim stamen und na-

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len' Charakterdarstellung, die freilich auch wieder auf literarische Stereotypen zurückgreift.'" Kompliziert wird die Darstellung für den Chronisten auch dadurch, daß er der Politik seines Urgroßvaters ambivalent gegenübersteht: Er verkennt zwar nicht den Erfolg von dessen ökonomisch-rationaler Politik, aber dennoch beruht der zimmerische Besitzzuwachs auf der Gunst eines Fürstenhofes, und einer solchen Abhängigkeit mißtraut er zutiefst. Die so entstandene Komplexität der Wemer-Biographie versucht der Chronist ebenfalls mittels literarischer Anekdoten in Szene zu setzen und zu bewältigen."' Dies sei am Aufbau des 53. Kapitels kurz demonstriert. Bevor sich Proben einigen kleineren Streitigkeiten Werners mit benachbarten Adligen zuwendet, erzählt er zwei Hofanekdoten. Die erste spielt im Rat Ludwigs I. von Württemberg. Als Ludwig wegen der Wilderei eines ihrer Bürger gleich die Stadt Weil angreifen will, nimmt Werner eine brermende Kerze und läuft damit im Raum umher. Auf die verwunderte Frage gibt er die leicht zu deutende Antwort, er such ain kaltsinnigen Herren, den er doch nit finden kinde (I,416,25f). Proben, der hier die bekaimte Erzählung von Diogenes auf dem Athener Markt verwendet,"" deutet - anders als sonst - die Punktion dieser Handlung: Werner hat darauf das frech fiirnemen dergestalt widerraten, das grqf Ludwig von seinem unbedächtlichen fürnemen gestanden (I,416,26ff.). Genau entgegengesetzt verhält sich Werner in der zweiten Episode: Als ihn Graf Ludwig wegen Unstimmigkeiten von seinem Türhüter abweisen läßt, wirft Werner diesen kurzerhand die Treppe hinab - worauf ihn Ludwig prompt anhört. Beide Geschichten sind deutlich als Gegensatzpaar konstruiert, sie belegen, wie völlig verschiedene Verhaltensweimen vil eer und guots bewisen und den höchlichen gepessert und in ain aufgang gebracht, denen nachkommen zu ainem exempel in solchem nachzufolgen (1,485,38-486,2). So kommt in der Vorstellung von der außergewöhnlichen Kraft Werners (1,466,33-476,23) etwas von der alten heroischen Gleichsetzung von persönlicher Körperstärke und politischer Macht zum Ausdruck. Im Kontext dieser Beschreibung stehen mehrere Nachträge, die ebenfalls literarische Motive verarbeiten. Im Nachtrag 114 spieh Proben auf den 'Lanzelot'-Stoff an, den er wahrscheinlich in der Füerterschen Fassung, die in der Bibliothek Wilhelm Werners vorhanden gewesen sein dürfte (vgl. Donaueschingen, FFA, Catalogus, N3), kaimte. Froben zitiert hier als Beispiel für außergewöhnliche Stärke: Gemanet mich vast an die histori künigs Arturi von Britanien, der kurz vor seim ende seiner liebsten diener und ritter ainen, sein schenken, den Lucas, ußer groser liebe erdruckt hat (1,468,14-17). Für den Nachtrag 326 (1,468,42-470,4) könnte der 'Ulenspiegel' oder dessen Vorlage Pate gestanden haben. Im Anklang an das 65. Kapitel des 'Ulenspiegels' berichtet Froben, wie der Lichtenberger durch einen Zaubertrick die Gäste aus einer Wirtsstube (1,474,6-27), in der er schlafen will, vertreibt. Angesichts einer ähnlichen leidvollen Situation, in welcher sich Froben auf seiner Reise nach St. Omer befand (IV,271,17-272,11; vgl. unten S. 372ff.), beruht diese Erzählung wohl auf dem Wunschdenken eines Adligen, der unterwegs oft gezwungen war, mit dem einfachen Volk in einem Raum zu schlafen. Legt man die persönliche Erfahrung des Chronisten bei dieser Erzählung zugrunde, dann wäre dies ein weiterer Hinweis darauf, wie ihm Literatur als Medium der Lebensbewältigung und -deutung dient. Zum Rückgriff auf typisierte Schablonen bei der Beschreibung des eigenen Charakters in den A u t o b i o g r a p h i e n vgl. VELTEN, L e b e n , S. 330FF.

Diogenes Laertius, De vitis, VI,41. Das Werk war in einer lateinischen Version 1533 zu Basel gedruckt worden und könnte Froben bzw. einem seiner Beiträger bekannt gewesen sein.

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sen den gewünschten Erfolg haben können. Diese Anekdoten sind kein Teil einer Charakterstudie,sondern Exempel für erfolgreiche Verhaltensweisen und deren Situationsabhängigkeit. Gemeinsam ist ihnen das Überraschungsmoment, wobei im ersten Fall Erkenntnis initiiert wird, im zweiten jedoch ein solches Handeln mangels KommunikationsmögHchkeit keine Chance hat. Hier hat Werner nur Erfolg, weil er sich nicht auf symbolisches Handeln verläßt, sondern unmittelbar körperlich agiert. Das Nebeneinander der beiden Exempel dialogisiert das Thema des richtigen Umgangs mit demjenigen, der in einer idée fixe gefangen ist und 'überzeugt' werden muß. Genau das aber ist auch die Konstellation der dann im Fortgang des Kapitels erzählten Fehden, und mit dieser Exempeleinleitung deckt Froben deren psychologische Grundlage auf imd weist auf die Möglichkeiten von Handlungsvariationen hin. Poetologisch bedeutet dies, daß er auf die appellative Funktion solcher Erzählungen vertraut und sie einer normativen Verhaltenslehre vorzieht. Nur an einer Stelle wird der Charakter Werners direkt zur Handlungsbegründimg eingesetzt: bei dem Zerwürfiiis mit seinem Sohn Johaim Werner. Als beide miteinander in Streit geraten, zückt der Sohn ain langen sticher und kann erst hn letzten Moment daran gehindert werden, auf seinen Vater einzustechen (1,460,20-461,10). Aber damit ist die Situation nicht bereinigt, und das Interesse des Rezipienten wird jetzt auf die Frage nach dem Fortgang des Vater-SohnKonflikts gelenkt. Äußerlich hat sich der Streit an der unterschiedlichen Einstellung gegenüber der Besitzverwaltung entzündet, seine psychologische Erklärung aber findet er in der ungleichhait ires wesens (1,460,23), denn während Werner auf ordentliche Geschäftsführung Wert legt, neigt sein Sohn dem waidtwerk, auch was zu andern fröden und kurzweil dienen mögte (I,460,26f ) zu. Die psychologische Fundierung des Konflikts ist Argument in Frobens Plädoyer für eine Trennung von Vater und Sohn - ebenso die spektakuläre und literarisch abgesicherte Begründung für die Reaktion des Sohns: Um dem Zorn seines Vaters zu entgehen, begibt sich Johann Werner ins Heilige Land."' Damit hat die erste, auch literarisch gut belegte Pilgerfahrt eines Zimmern ins Heilige Land einen ihrer Bedeutung angemessen Anlaß geñmden."' Der Grund für die Beschäftigung mit dem 'Wesen' des Menschen könnte Frobens subjektive Erfahrung mit seinem eigenen Vater gewesen sein, von dem er sich strikt abgrenzte. Damit wäre dann im psychischen Affekt der Anlaß dafür zu suchen.

Mittelalterliche Hausbücher und Autobiographien sagen über den Charakter der einzelnen Protagonisten eines Geschlechts in der Regel wenig aus. Vgl. MEYER, Hausbücher, S. 750758; ZAHND, Aufzeichnungen, S. 265f ; WENZEL, Geschichte, S. 258f 1,461,3-9: Derhalben, als herr Johanns Wörnher besorgt, das villeichl ain Weiterung hierauß ervolgen, soll er gesagt haben, er sehe wol, das zwischen seinem herr valter und im kain guter beiz mer werde, derhalh er dem hern vatter ain zeit lang aus den äugen entwichen, ob villeicht dadurch der Zorn und unwill möchte gemiltert werden. Die Geschichte dieser Pilgerfahrt erzählt Froben in den Kapiteln 61f im Rahmen der JohannWemer-Biographie. An dieser Reise nahm auch der Ulmer Dominikanermönch Felix Fabri teil, der darüber in seinem 'Evagatorium' berichtet (vgl. dazu jetzt HEINZER, Anmerkungen).

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warum der Chronist die Schablonen adliger Persönlichkeitsbeschreibimgen durchbricht und diese nicht gerade der memoria des Hauses dienende Begebenheit in sein Werk aufiiimmt. Zugleich aber beweist die erzählerische Distanz, die Proben gleichermaßen gegen Wemer wie auch seinen Sohn wahrt, daß der Chronist anhand der Wemer-Biographie den Diskurs über die Ambivalenz der Rationalität fuhrt. Proben wendet sich damit indirekt gegen ein Menschenbild, das die Emotionalität völlig den Prämissen einer rationalen Lebensführung unterordnet. 5.5.4.4. Sexualitätsdiskurs und Rottenburger Musenhof^' Im Nachrufkapitel 59"' und in zahlreichen Nachträgen zur Biographie Werners betont Proben dessen tiefe Religiosität"" (1,476,36-481,23) und konservativaltfränkische Einstellimg (1,481,24-482,16)."' Insofern irritiert es, wenn er im Nachtrag 27 eine Anekdote über Wemer einfügt, die so gar nicht zu dem zuvor gezeichneten Bild des sittenstrengen Urgroßvaters paßt. Proben behauptet: Herr Wernher freiherr zu Zimbern ist nach absterben der grevin von Kirchberg in grosem verdacht gewesen mit der Herzogin von Österreich, [welche] zu Rotenburg am Necker iren widdumsitz und hoßaltung gehabt (1,453,27-30). Der Chronist will angeblich eigene Nachforschungen angestellt haben, um der Wahrheit dieser Behauptung auf den Grund zu gehen und kommt befriedigt zu dem Ergebnis, daß nach Aussagen der alten, die deren sachen wol gedenken mögen, mich desshalben vil begfragt und erkundiget, aber im grundt nie befunden mügen, das er sich über gepüre mit disem überflaischgirigen weib hab wellen einlassen, gleichwol er oft beschriben, auch erschinen ist und mit andern graven und herren, auch denen vom adel vil dasselbst gerennt und gestochen, zu Zeiten auch in denen gesellenstechen aida gewesen ist Es sein der andern, so an dem ort den karren ziehen müeßen, so vil gewesen, das ich acht, er hab vor inen nit künden hiezu komen. (1,453,31-40)

Es gibt gute Gründe dafür anzunehmen, Proben habe nur einen Vonvand gesucht, um die Geschichte Mechthilds in seine Chronik zu integrieren: Der Verdacht, m dem Wemer angeblich steht, wird sofort widerlegt, angesichts der Vgl. zur Thematik generell STROHSCHNEmER, Versepik, S. 26-50; BAUM, Beziehungen. Vgl. oben Anm. 521. Proben erweitert seine Darstellung durch einen Nachtragskomplex (1,477,4-481,23), in dem Werners strenge Aufsicht über die Geistlichkeit mit seiner Religiosität begründet wird (1,477,32). Zur Kritik an der Meßkircher Geistlichkeit bedient sich Proben des Stilmittels der Ironie, werm er etwa zunächst das Beispiel eines auswärtigen Pfarrers nennt, der aufgrund seiner tiefgründigen Bibeluntersuchungen schwermütig wird und Selbstmord begeht, um daim den süffisanten Hinweis anzuschließen: Aber der allmechtig hat iezmals unsere priesler zu Mösskirch also begnadiget, daz sie in der hailigen geschrifl sich so hoch und dief nit verwicklen, das sollich inconveniens bei inen zu besorgen seie (1,479,30-33). Das Thema Religiosität ist auch in der Autobiographie Ludwigs von Diesbach ein wichtiger Bestandteil (ZAHND, Aufzeichnungen, S. 255-258). I,481,24ff.; In somma [...] ist herr Wörnher der rechten, theuren, alten Schwaben ainer gewest, der sich in allem seinem thun und lassen der alten manier beflissen.

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folgenden Bewertungen wäre eine Teilnahme Werners an den Rottenburger 'Turnieren' nicht gerade eine Schande, und es leuchtet kaum ein, warum der Chronist den moralischen Ruf semes vor 80 Jahren gestorbenen Urgroßvaters habe retten müssen - ganz abgesehen davon, daß es dazu kaum der ausführlichen Schilderung der sexuellen Eskapaden Mechthilds und emer geistesverwandten Herzogin von Rochlitz bedurft hätte. Zu emfach wäre es auch, diese Nachträge mit einer Unterhaltungsabsicht des Chronisten zu erklären oder die Gründe in seiner Psyche zu suchen. Adäquater erscheint mir der Ansatz bei der Literarizität des Gegenstandes, denn Frobens Erwähnung des Musenhofs Mechthilds und der 'Mörin' Hermanns von Sachsenheim, die er als dazugehörigen Schlüsselroman interpretiert, weist auch auf die ästhetische Funktion dieses Nachtrags. Proben schreibt über Mechthild und die 'Mörin': Ir Wesen und hqfhalten ist aller frewden und wollusts, so man erdenken und gehaben mögt, überflissig vol gewesen; hett auch fraw Venusperg [künden] genennt werden, darin man sprücht sovil frewden sein, daher auch der alt ritter, herr Herman von Sachsenhaim, ein schön gedieht von ir gemacht, genannt die Mörin, wie sollichs von bemeltem ritter in reimenweis geschriben und auch in druck ist außgangen, ganz lustig zu lesen. (1,454,6-13)"^ Neben den obszönen Anspielungen in den Werken Hermanns von Sachsenheim, Püterichs von Reichertshausen und Niklas' von Wyle'" hat gerade diese Bemerkung Mechthild den Ruf einer sexuell sehr freizügig lebenden Witwe eingetragen. Außer acht blieb in der Diskussion der Kontext der zitierten Chronikpassage,"'' Frobens Behauptung wurde gleichsam ihres literarischen Charakters entkleidet und als 'historisches Material' bewertet."' Dieses aber spricht nicht für sich selbst, sondern erschließt sich nur durch Deutung. Auch für Proben könnte - wie für seine modernen Interpreten - gelten, daß die Lektüre der 'Mörin' erst den Verständnisrahmen geschaffen hat, auf den hin dann

Zur Interpretation dieser Stelle vergleiche WELZ, Bemerkungen, S. 225FF.; STROHSCHNEROER, Versepik, S. 22ff. RISCHER, Rezeption, S. 74. So auch noch in der neuesten Arbeit von STROHSCHNEmER, Versepik, S. 87: "Die Zimmerische Chronik etwa faßt [den Ruf von Mechthilds Rottenburger Hof] in der Bemerkung zusammen, man könne diese Hofhaltung mit Fug einen rechten Venusberg nennen, und auch Hermann von Sachsenheim kommt [...] so häufig und in einer Weise auf erotische Beziehungen zu sprechen, daß man kaum glauben kann, er habe nicht ganz konkrete Verhältnisse im Blick gehabt." So oft diese Passage auch in der Literaturwissenschaft zitiert wird, die darin enthaltene Unstimmigkeit blieb unberücksichtigt. Die Gattin Werners, die Gräfin von Kirchberg, starb im Jahre 1478, zu diesem Zeitpunkt ist Werner 55, Mechthild 60 Jahre alt. Werner steht demnach in einem Alter, in welchem man im allgemeinen nicht mehr aktiv an Turnieren teilnimmt. Natürlich könnte prinzipiell auch hier das Turnier metaphorisch gemeint sein. Dann jedoch wäre dies bereits der Beweis für den zuvor zurückgewiesenen Verdacht. Vgl. MARTIN, Erzherzogin, S. 179f und STRAUCH, Pfalzgräfin, S. 27f

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der Text Hermanns zirkulär gedeutet wird."' Die Unterscheidung zwischen 'ReaUtät' und 'Fiktionalität' greift also gerade bei diesem Sujet ins Leere.'" Übersehen wurde bisher auch das Spiel mit der sprachlichen Doppeldeutigkeit der verwendeten Begriffe, denn bei dem Hinweis auf die Turniere"' werden auch sexuelle Assoziationen aufgerufen. Demnach wird bereits in der Einleitung des Nachtrags ein Spiel mit literarischen Metaphern angekündigt. Die Beziehungen zwischen Mechthild und Werner sind nicht aus der Luft gegriffen, zwischen Werner und dem Rottenburger Hof bestand ein literarischer Kontakt. So läßt sich aufgrund der zimmerischen Bibliotheksbestände mit einiger Wahrscheinlichkeit vermuten, daß Werner aus dem Besitz Mechthilds ein Exemplar von Hermanns 'Goldenem Tempel' und der 'Mörin' besaß."' Aus Rottenburg hatte Werner vielleicht auch die von Johannes Hartlieb im Auftrag Albrechts VI. angefertigte Übersetzung des 'Tractatus amoris et de amoris remedio' von Andreas Capellanus erhalten.'"® Proben wußte zumindest aus den Besitzeinträgen in den Büchern Werners von dessen Kontakten zum Rottenburger 'Literaturzirkel', die Einfügung einer schwankhaften Handlung um Mechthild in die Chronik ist Zeugnis seiner 'Mörin'-Rezeption und semer eigenen nachträglichen Beteiligung an diesem exklusiven Spiel.'"' Proben hätte demnach die 'Mörin' als Schlüsselroman verstanden und diese Technik -der Allegorisierung politischer und gesellschaftlicher Vorgänge, vornehmlich in den Anekdoten und Schwänken, als poetologische Konzeption begriffen xmd auf sein Werk übertragen. Der Unterschied zur 'Mörin' bestünde daim darin. So etwa STROHSCHNEROER (Versepik, S. 24), der sich ebenfalls der Deutung Frobens anschließt, wenn er meint, "die Obszönitäten gegenüber Venus und Mörin [können] kaum anders denn als Anspielungen auf recht konkrete Vorkommnisse in einer Hofgesellschaft gelesen werden". Vgl. hierzu auch die Auseinandersetzung STROHSCHNEroERs (Versepik, S. 57) mit der Kritik v o n WELZ' an der ' M ö r i n ' - E d i t i o n SCHLOSSERS.

Die Turniere am Rottenburger Hof von Mechthilds Gemahl Albrecht IV. waren berühmt. Vgl. dazu auch die Biographie Georgs von Ehingen, der die ritterlichen Turniere am Rottenburger Hof erwähnt (STROHSCHNEIDER, Versepik, S. 49). MODERN, Handschriften, S. 165f Werner tritt auch selbst als Auftraggeber einer Weltchronik in Erscheinung, die er von dem Pftillendorfer Schreiber Gabriel Lindenast anfertigen ließ (ebd., S. 144f). Zu Lindenast als Abschreiber mittelalterlicher Texte vgl. MODERN, Handschriften, S. 126, 13 Iff. und Konrad von Stoffeln, S. 96-104. Ebd., S. 135. - Der Nachtrag 178 (= Kap. 47b; 1,355,1-362,21) bietet eine Geschichte, deren Motiv ebenfalls aus der im Umkreis des Rottenburger Hofs entstandenen deutschen Übersetzung des 'Pantschatantra' entnommen sein könnte: Ein eifersüchtiger Ehemann läßt den vermeintlichen Liebhaber seiner Frau köpfen und diese muß das Haupt an einer Halskette tragen (1,355,3-359,26). Vgl. hierzu LFFIBRECHT Π, S. 391. Das Motiv findet man auch in Johannes Paulis, Schimpf und Ernst, Kap. 223. RISCHER (Gebrauchssituation, S. 31f, 4 2 f ) verweist zu Recht darauf, daß die Verwendung eines derb-obszönen Sprachgestus nichts über konkrete Zustände aussagen muß, weil auch ein Literaturkreis sich mit der Freizügigkeit in der Sprache seiner sozialen Exklusivität versichern kann. Dagegen verweist STROHSCHNEIDER (Versepik, S. 104f) auf den Abbildcharakter der Stelle. Zur Thematik des obszönen Sprechens vgl. WACHINGER, Liebe, S. 402f ; STEMPEL, Obszönität S. 190fr.

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daß in ihr der historiographische Prätext nicht enthalten ist. In der 'Zimmerischen Chronik' wären diese Prätexte die chronikalischen Passagen, auf die sich die narrativen beziehen. Damit wäre diese Passage der 'Zimmerischen Chronik' nicht ein Beleg für die Verhältnisse am Rottenburger Hof,'"^ sondern ein Zeugnis der Adaptation literarischer Techniken. Stützen läßt sich die These durch eine 'Interpretationsanleitung' Frobens für die 'Mörin' selbst. Im 137. Kapitel schreibt er über dieses Werk und seinen Autor: Und nit allain ist das Schloß Sachsenhaim [...] verbrunnen, als ain warhaftigs präsagium und ain vorbott künftigs Übels, sonder auch das uralt geschlecht ist in wenig jaren abgestorben, welches doch bei unsern vorfarn in hochem ansehen gewesen, und hat ßimem leut in der ritterschaft und allen adellichen sachen gehapt. Das gibt neben anderm wol zu erkennen das höflich gedickt herr Hermans von Sachsenhaims, ritter, das er von der Mörin gemacht, darauß von ainem verstendigen wol etwas mag von hoffsitten und den gemeinen weltgepreuchen gelernt werden, dann in solchem kain vergebens wort, das nit ain besondern verstand. Was dann die historia an im selbs vermegen·^*^ so darin mit verborgnen Worten begrifen, das will von wegen der hochen leut zu endecken bedenklich sein. (111,8,16-31)

Die Entschlüsselung des verhüllten Sinns^"" bedarf einer vertieften und interpretierenden Lektüre des Textes, die allgemein gültigen weltgepreuch^*^ lassen sich nur fur denjenigen entziffern, der zu den 'Verständigen' gehört. Wenn der Chronist selbst 100 Jahre nach der Entstehung der 'Mörin' diesen eigentlichen Smn nicht preisgibt, dann geschieht dies, weil er so auf der Metaebene sein eigenes Darstellungsproblem thematisieren kann: Einerseits haben die Taten der Mächtigen exemplarische Qualität, andererseits drohen von ihnen auch Sanktionen. Mit dieser Aussage bezieht sich Proben aber kaum mehr auf den in der 'Mörin' angesprochenen Personenkreis, denn die Pfalzgräfin Mechthild imd die anderen erwähnten Personen sind lange tot. Was aber noch immer als potentielle Gefährdung gesehen wird, ist die Solidarität des hohen Adels gegenüber allen Kritikern der hoffsitten und der Vorfahren. Trotzdem ist Frobens Warnung vor Sanktionen der hochen leut im Falle der Entschlüsselung des Textes kein Hinweis darauf, daß nur ein "ständisch exklusiver Rezipienten-

Von dieser Seite her bestätigt sich die These RISCHERS (Gebrauchssituation, S. 62), wonach die 'Mörin' keine "Schlüsselerzählung" im Sinne einer Identifikation von literarischen und historischen Rollen ist. Vgl. DWB XXV, Sp. 884: vermegen = 'Bedeutung haben'. Möglicherweise ist Proben durch eine Bemerkung des Herausgebers des ersten 'Mörin'Druckes (Grüninger 1512), Johann Adelphus Muling, auf die verhüllte Redeweise Hermanns aufmerksam geworden: wan so vil der wort seind, so vil ist auch der verborgen heimlichen sinn und begriff {Ίλ\. η. Hermann von Sachsenheim [Bibl. d. lit. Vereins 137], hg. von ERNST MARTIN, Tübingen 1878, S. 5).

DWB IV, Sp. 1823: weltgebreuch. Vgl. dazu das Kompositum weltbuch DWB XXVin, Sp. 1512; vgl. dazu auch unten S. 387ff.,415ff., 423f

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kreis" die 'Mörin' ganz verstehe,"' sondern viel eher bestätigt dies den Rang des Werks als Musterbeispiel verhüllten Sprechens, der auch für entsprechende literarische Passagen der 'Zimmerischen Chronik' in Anspruch genommen wird: Wie in der 'Mörin' soll auch in seinem Werk jedes Wort einen besondern verstand haben. Proben selbst bewegt sich auf dem schmalen Grat zwischen Verhüllung und enthüllender, exemplarischer Verwendimg der Geschichte, an der einen Stelle (111,8,31) behauptet er, die Wahrheit der 'Mörin' nicht offenbaren zu dürfen, an anderer desavouiert er Mechthild als überflaischgirigefs] weib. Erklären läßt sich diese widersprüchliche Darstellung aus den unterschiedlichen Bezugspunkten beider Stellen. Während Proben in seinem Sachsenheim-Resümee das allgememe Hierarchie-Prinzip vor Augen hat, ist es in der Rottenburg-Passage Mechthild, die zu einer literarischen Pigur geworden und als Negativexempel zur Verwendung freigegeben ist. Demnach wäre der Widerspruch in der Chronik damit zu erklären, daß Proben zwar Piguren wie Mechthild zur Exemplifizierung heranziehen kann, aber dort, wo er - wie in der 'Mörin' - Kritik an politisch-sozialen Mustern vermutet, einer Konkretisierung ausweicht. Demnach ist denn Probens Bestimmung des 'allegorischen' Gehalts der 'Mörin' auch eine poetologische Reflexion über sein eigenes methodisches Vorgehen in der Chronik. Angesichts der poetologischen Dimension der ganzen Passage ist wohl eher von der Teilnahme des Chronisten an einem literarischen Spiel mit intextuellen Bezügen auszugehen, als von einer historiographischen Intention. Wenn Proben etwa auf jene schon von Püterich erwähnte Liasion zwischen Mechthild und ihrem Ofenheizer hinweist,"" dann demonstriert er mit dem obszönen Gebrauch der Sprache die Möglichkeiten metonymischen Sprechens und zeigt implizit seine eigene Strategie der Verhüllung historischer Vorgänge. Man wird darüber hinaus auch bedenken müssen, daß in der zeitgenössischen Literatur die sexuelle Lust der Witwen ein beliebtes Schwankthema ist."" Auch deshalb ist die Präge nach der Wahrheit solcher Geschichten zweitrangig, weit wichtiger ist die hier vorgenommene Diskursivierung der Erzählung anhand des Themas der Witwensexualität."" Ein solches Thema fuhrt in der literarischen

STROHSCHNEROER, Versepik, S. 13. 1,455,1 Off.: Ich hob wo! von den alten gehört, das sie ain offenhaiser hab gehabt, genannt der Halberdrein, der ist ir ganz haimlich gewesen. Damit ist freilich nicht ein Beleg für die Anspielung Püterichs gegeben, denn es ist gut möglich, daß Püterich selbst indirekt die Quelle für Frohen ist. Das Motiv des Ofenheizers als Liebhaber der adligen Gattin findet sich auch in 10,77,26, wo Proben über die Beischlafpraktiken des übergewichtigen Grafen Christoph von Tengen berichtet. Zur literarischen Bearbeitung dieser Thematik siehe etwa Berthold von Regensburg 11,188 oder das Fastnachtspiel 'Der Witwen und Tochter Vasnacht' (Fastnachtspiele, S. 746-750). Vgl. zur Thematik auch WOLF, Spiel, S. 502. Proben erwähnt explizit, daß Mechthild erst nach absterben herzog Albrechten von Österreich so mangierig (1,454,15f ) geworden sei.

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Bearbeitung zu dem komplementären Thema der männlichen Impotenz"" - die unerschöpfliche Lust der Frau und die Versagensangst des Mannes sind eng miteinander verflochten."' Proben exemplifiziert dies wieder mit einer Reihe schwankhafter Anekdoten, die sich literarischer Motive bedienen. Dazu gehören die Parade der Geschlechtsorgane und 'Ausmusterung' der Versager vor der Zulassung zum 'Turnier'- eine Szene, die Proben in Beziehung zu einer Lukianstelle setzt der beiläufige Geschlechtsverkehr der Gräfin, während sie am Penster einem Turnier zusieht,"^ und ein obszönes Ratespiel (1,455,1424). Demnach ist neben der historiographischen und poetologischen Dimension noch eine dritte fiir die Gestah des Mechthild-Kapitels maßgebend gewesen: Proben schließt hier direkt an den literarischen Diskurs der Sexualität an, wie er in den zeitgenössischen Schwänken gefuhrt wird. Pür diese Armahme spricht auch die Portfuhrung der Motive Witwengier und bnpotenz im zweiten Teil des Nachtrags 27, in dessen Mittelpunkt Elisabeth von Rochlitz, die Schwester Philipps von Hessen, steht, und die Proben gleich einleitend mit Mechthild auf eine Stufe stellt: Bei unsern zeiten haben wir vast ain gleichförmige fürstin gehabt an der herzogin [Elisabeth] von Rochlitz (I,455,25f ). Auch Elisabeth verkörpert den Typus der unersättlichen Witwe, die sich wie Mechthild verschiedener Männer zur Befriedigung ihrer Lust bedient."" Bei ihr ist es der Hofineister, der ir ordinarie das hemmet fegen [muß], waverr nit frembde hat verbanden (L458,3f.). Als sie sich einmal emen fremden abenteurer, dessen ungeföegs schermesser (I,458,5f.) weithin bekannt ist, aufs Liebeslager holt, geht der mit ihr so 'grob' um, daß sie vor großen frewden vermaint ain kleins ßrzlin zu thuon. Do hoffiert sie gar ins bet. (L458,10ff.). Dieses Zeichen höchster Lust wird für ihren Hofineister zum Mittel der Demütigung. Elisabeth zeigt ihm das verschmutzte Bett als 'Beleg' für den neuen Maßstab für männliche Potenz. Um ihn zu besseren Leistungen anzustacheln, griff sie in rogen und strich im ain bißle ins maul, mit vermanung, er sollte auch solche leckersche bössle lernen machen (I,458,15flf.). Die männliche Angst vor der nicht zu befriedigenden Lust der Prau ist hier auf die Spitze getrieben, und im Hofineister verbirgt sich die bekannte Pigur des Min-

Vgl. dazu auch die italienische Tradition, z. B. Poggio, Facetiae, S. 483 [Nr. 243]; Boccaccio, Decamerone П/Ю, III/4. Siehe zu dem Thema auch BEUTIN, Sexualität, S. 292f. Dieses Phänomen ist nicht beschränkt auf die 'Zimmerische Chronik'. Vergleicht man den Text mit der 'Mörin', so wird man sich davor hüten müssen - wie dies JENNY untersteht - , auf eine allgemeine Schüchternheit Frobens zu schließen. I,454,22i: Abi, in simiam es conversus. Vgl. dazu Lukian, Lucius Epit. 56,8. Zur Erotik im 'Eselsroman· vgl. Тншь, Eselsroman 1, S. 203f Das Motiv könnte die Reminiszenz einer Fazetie Poggios sein, in der die sexuelle Potenz des Mannes am Fenster ostentativ zur Schau gestellt wird (Poggio, Facetiae, S. 483, Nr. 242). Dieser Schwank ist wegen seines skatologischen und erotisch-obszönen Inhalts bislang von der Forschung 'übersehen' worden, selbst von den Forschern, welche im Zusammenhang mit den Erzählungen um Mechthild die blinden Flecken früherer Forscher milde ironisieren. Vgl. STROHSCHNEROER, Versepik, S. 22.

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nenarren, der in einer weiteren BeispielerzäЫung (Nachtrag 450) mit dem verwandten Motiv des alten Mannes, der eine junge Frau heiratet, herbeizitiert wird (1,457,17-36). Die explizite Nennung des Namens der Elisabeth von Rochlitz läßt sich möglicherweise auch als subtile Rache des Chronisten erklären. Elisabeth stammt aus einem Geschlecht, mit dem die Zimmern verfeindet waren. Ihr Bruder, Philipp von Hessen, war in den 'Bickenbachschen Händel' der erfolgreichere Widerpart der Zimmern (vgl. 11,226,2-19). Dort erscheint Philipp als ein Landesiurst, der bestrebt ist, den kleineren Adel zu mediatisieren und finanziell zu ruinieren. Angesichts seines Eingriffs in die zimmerischen Ambitionen versteht es sich, daß der Chronist ihn wegen seiner Doppelehe und zahlreichen Fehden als devastar Germaniae brandmarkt."' Vielleicht will Proben mit den obszönen Anekdoten um Elisabeth die ganze Dynastie in einem Akt der Sippenhaftung moralisch diskreditieren. Die drei Gründe für die Einbeziehung Mechthilds 'Venushof in die Biographie Werners - Perspektivierung von Werners altfränkischem Wesen, Fortfühnmg des Sexualitätsdiskurses, Verwendung der 'Mörin' als poetologischen Vorbildtext - beantwortet noch nicht die Frage nach der Funktion des Sexualitätsdiskurses im Kontext von Werners Expansionspolitik. Angesichts der Forschungsdiskussion über die rezeptionsästiietische Funktion der Sexualität'^ ist dabei zumindest nach der literarischen Funktion dieses Themas, das eingebettet ist in die literarische Tradition der Mären, Schwänke und Fasnachtspiele, zu fragen. In diesen Texten sind die beiden Motive, unersättliche Frau und impotenter Mann, bereits vorgeprägt; nach HANNS FISCHER haben sie einen rein unterhaltenden oder komischen Effekt."' Dies behauptet auch der Chronist, der vorgibt, damit nur sein Publikum bei Laune halten zu wollen. Aber lösen die Geschichten um Mechthild und Elisabeth trotz aller relativierend-ironischen Aperçus"' nicht eher Abwehr als Vergnügen aus?"' Die Unersättlichkeit der Frauen und das komplementäre, biologische Handicap der Männer werden weniger nach einem Prinzip der Verkehrung mit dem Ziel der spielerischen Befreiung und sozialen Entlastung behandelt, sondern die Richtung weist eher ins Gegenteil: Die drei Exempel des Nachtrags 27 sind so angelegt, daß die Gefährdimg der Männer sich ständig steigert: Mechthild läßt Männer mit un-

Vgl. Ш,544,23-25 und 545,34-36. Auf seine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Charakter Philipps weist Proben bereits im Zusammenhang mit den Bickenbachschen Händehi hin, wo Proben schreibt: Wie der [Landgraf Philipp] hernach gerattert, auch ganz Germania vergweltigt und gar nahe in eußerste verderpnus gebracht, das will ich an seinem ort mit kurzen melden (II,213,26ff.). Auch dies kann als Hinweis auf die planmäßige Anlage der Chronik gelten. Vgl. hierzu n,544,22ff. " ' BEUTIN, Sexualität, S. 9-20, 39-44. PISCHER, S t u d i e n , S. 1 0 4 ; vgl. ROCKE, P r e u d e , S. 2 8 4 .

So erwähnt Proben ja auch, daß sein Vorfahr Werner deswegen am Rottenburger Hof nicht mehr zugelassen war, weil es dort potentere Herren als ihn gegeben habe. " ' V g l . PREUD, W i t z ; SCHRÖTER, I n t i m i s i e r u n g , S. 4 0 9 .

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tauglichem Werkzeug nur des Hauses verweisen, während Elisabeth ihren Geliebten bereits ganz handfest demütigt.'^ In der dritten Erzählung schließlich läßt eine ungenannte französische Königin ihre imnütz gewordenen Liebhaber in der Seine ertrinken.'" Viel eher wird also hier vor der weiblichen Prädominanz in den Geschlechterbeziehungen gewarnt'" und gezeigt, wie die Logik des sexuellen Begehrens die Strukturen männlicher Macht unterläuft. Damit entsteht ein Gegenbild zur Aussage des Haupttextes, in dem als Voraussetzung idealer Herrschaft rationale (kaltsinnige) Machtausübung propagiert wird. Die animalisch-anarchischen Triebe, verkörpert durch die Sexualität, laufen dem zuwider, sie sind eine potentielle Geiahrdung ftir rationale Machtausübung im Stil Werners. Deren immanente Problematik thematisiert Proben bereits im Vater-Sohn-Konflikt, und es scheint, als ob der Diskurs über die Grenzen der Macht in der Geschlechterbeziehung ihn direkt zur Sexualität und dem Gebrauch der Lüste führte. Zusammengenommen belegen die Exempel auch die Ambivalenz der Sexualität im sozialen Kontext; sie steht nicht nur der Reglementierung der Körper entgegen, sondern wird zum Medium der Macht. Dies wiederum kann direkt an die Geschichte des machtbewußten Werner angebunden werden: Dessen Politik wird mit der Einfügung des Sexualitätsdiskurses zwar nicht kritisiert, aber Proben dialogisiert den Faktor Macht, wenn er deren anthropologische Restriktionen vorfiihrt.'"

^^ Zugleich wird mit dieser Geste Elisabeths auf subtile Weise die Funktion des Analbereichs für die Sexualität unterstrichen. Zur kirchlichen Bewertung dieser Sexualpraktiken vgl. JEROUSCHEK, D i a b o l u s , S. 2 9 1 .

Diese Geschichte bildet den Abschluß der Trias. Zu den literarischen Quellen dieser Erzählung vgl. LffiBRECHT Π, S. 3 9 1 .

^^ Wenn Proben Gottfried von Zimmern mit der Behauptung zitiert, waverr es an ime stüende, •weit er ir [Elisabeth von Rochlitz] ain stampf hiein ritten, damit doch die müle nimmer leer wurde (I,458,25f ), dann zeigt dies eine apotropäische Reaktion des Chronisten. ^^ Einen anderen Aspekt der Begrenzungen menschlichen Handelns zeigen die fünf Nachträge, die um die Berührung des Menschen mit der Transzendenz kreisen. So will ein zollerischer Reitknecht (Nr. 409) durch den Schuß auf ein Kruzifix zum unfehlbaren Schützen werden (1,450,14-452,3). Den Stoff, der zur Zeit des Schwabenkrieges im Südwesten verbreitet war, wird der Chronist aus der mündlichen Überlieferung oder der zeitgenössischen dämonologischen Literatur entnommen haben. Das Motiv findet sich auch in dem Proben bekarmten 'Malleus maleficarum' (2,1,16; vgl. Donaueschingen, PPA, Catalogus, M28). Zum Motiv vgl. EM 5, S. 246-251, zur Schändung von Kruzifixen BRÜCKNER, Volkserzählung, S. 236. Auch die anderen Nachträge dieser Gruppe (vgl. Nr. 114, 428) demonstrieren das Scheitern aller Versuche, sich die Mächte der Finsternis gefügig zu machen. Wie das Thema Sexualität so wird auch das Unheimliche differenziert betrachtet. Auf der einen Seite wird die kritische Reaktion des Autors gegenüber dem Versuch eines völligen Kontrollgewinns über das Leben sichtbar, dialogisieren diese Geschichten das Thema einer Machtausübung durch rational begründete Politik und Ökonomie. Gleichzeitig aber hat das Unheimliche für Proben eine solche Attraktivität, daß er in einem Nachtrag (114) dann doch Vorteile aufzähh, die eine Beherrschung und wissenschaftliche Domestizierung der schwarzen Kunst bieten (1,472-475,14). Die Biographie des Urgroßvaters repräsentiert deutlich Probens Distanz gegenüber der frühneuzeitlichen Rationalisierung des Lebens, der perfekten Organisation der Macht und der Reglementierung des Körpers. Die Sexualität und das Unheimliche sind eine Bedrohung der Macht,

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5.5.4.5. Zur Stellung der Biographie Werners d. Ä. innerhalb der Chronik Im Hinblick auf die Themen Macht und adlige Souveränität bietet der Abschnitt über Werner d. Ä. die bislang gründlichste Auseinandersetzung. Dies erklärt sich aus der Unsicherheit des Chronisten, ob und inwieweit eine enge Verbindung mit dem Fürsten für die eigene Dynastie sinnvoll ist. Um hierüber ein Urteil zu gewinnen, verbreitert er die Materialebene seiner Chronik und beleuchtet die verschiedenen Facetten des Themas. Froben erzählt dazu nicht eine Geschichte, sondern viele Geschichten, literarische Strukturen haben dabei einen hohen Stellenwert, da sie ihm Medium komplexer Weltaneignung sind. Eine homogene Geschichte kann es für ihn deswegen nicht geben, weil geschichtliche Abläufe zu sehr von Zufälligkeiten geprägt sind. Folglich ist die Linearität von historischen Ereignissen für ihn zweitrangig, an erster Steile steht ein Denken in Konstellationen. Zusammengehalten wird die Geschichte von der Grundüberzeugung des Chronisten, daß kein Ereignis ohne Folgen bleibt, sich aus den Ereignissen eine eigene Logik entwickelt. Insofern ist seine Geschichte auch eine Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Eine konkrete Didaxe leitet Froben nicht daraus ab, ihm fehlt jede Selbstgewißheit über den richtigen Umgang mit Macht. Er versucht stattdessen, eine solche Vielfalt von Konstellationen und Varianten zu bieten, daß die Komplexität der Thematik faßbar wird. Dahinter steht die Suche nach den 'Dispositiven' der Macht, deren Kermtnis ihm möglicherweise eine Voraussetzung für den Fortbestand der eigenen Dynastie ist. Anhand der Analyse der Kapitel 28-45 lassen sich die fur diese dritte Phase der zimmerischen Geschichte maßgeblichen Darstellungsprinzipien und Schweφunkte zusammenfassend beschreiben. Froben verbindet eine chronologische Ordnung der Ereignisse mit einer systematischen Diskussion übergreifender Sachthemen. Er verfährt chronologisch weitgehend linear, den Eindruck emer schlichten Perlenkette von Einzelepisoden, wie dies LUGOWSKI für Prosaroman und Autobiographie des 16. Jahrhunderts ausgemacht hat,'" umgeht er durch den Einschub systematischer Passagen. Der narrative Zusammenhang zwischen Ereignisgeschichte und Sachthemen wird hergestellt durch kommentierende Schwänke und Anekdoten. Dadurch entsteht Spannung, wenn etwa die spätere Wiederaufiiahme eines Themas angekündigt oder in Andeutungen auf die negativen Konsequenzen eines Ereignisses für die Zukunft hingewiesen wird. Vor allem wird mit dieser Darstellungsmethode ein enges Beziehimgsgeflecht zwischen auseinanderliegenden Ereignissen erreicht, die Faktoren Zeit und Raum verlieren an Gewicht, weil es immer und überall, synchron und diachron, Wechselwirkungen gibt. Auch werm der Raum noch begrenzt ist, scheint der Chronist seine Welt als ein 'vemetztes System' zu begreifen. Dar-

aber entgegen der eingestandenen Lächerlichkeit des absoluten Kontrollwahns ist doch auch der Wunsch des Chronisten zu konstatieren, Macht über das Unverfiiigbare zu gewinnen. LUGOWSKI, Form, S. 142-178, bes. S. 152ff,

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aus entsteht für die Darstellung von Geschichte eine eigene Dynamik, der Chronist muß die Motivationen für Handlungen erschließen, wenn er UrsacheWirkung-Relationen zwischen den Ereignissen herstellen will. Da dies für chronikalische Texte atypisch ist - ein Befimd, den die Untersuchung der anderen Hauschroniken bestätigt - , kann man davon ausgehen, daß der Chronist hier strukturelle Anleihen bei literarischen Texten genommen hat.'*^ Die zeitgenössische Theoriediskussion, in der die Glaubwürdigkeit jeder geschichtlichen Überlieferung bezweifelt wurde, hat einer solchen Verwischung der Gattungsgrenzen Vorschub geleistet. Egoistisches Handeln und die Konkurrenz zweier Parteien sind eine bekannte Konstellation in der Schwank-Gattung. Derartige Wettbewerbssituationen haben eine affine Beziehung zu zwei zentralen Themen der 'Zimmerischen Chronik', zur inneradligen Konkurrenz und zur Abwehr der Mediatisierungsbestrebungen der Landesherrschaft. Die Form des Schwanke belegt dabei nicht nur die Wirkungen kausaler Logik, sie bietet mit ihrer typischen "Ausgerichtetheit auf die 'Pointe'"^ die Bewältigung aporetischer Situationen durch einen für die Gegenpartei unerwarteten Perspektivenwechsel. Das schwankhafte Handeln der Figuren steüt also keineswegs Herrschaft prinzipiell in Frage, vielmehr werden jenseits einer ethisch-moralischen Ebene handlungspragmatische Strategien vorgestellt. Wer in einer dilemmatischen Entscheidungssituation einen dritten Weg findet, gewinnt in jedem Fall. Damit läßt sich auch eine Aussage zur zeitgenössischen Wirkungsästhetik des Schwanks treffen: Seine Form wird verstanden als Antwort auf die Auflösung verbindlicher Normen in Religion und Gesellschaft, auf die zunehmende Komplexität und Unübersichtlichkeit gesellschaftlicher Strukturen. Für eine literarische Verarbeitung einer solchen Situation war der Schwank mit seinen einzelnen Typen"' besser geeignet als der Prosaroman mit seiner Episodenstruktur, die die prinzipielle Abschließbarkeit eines Ereignisses suggeriert. Schwank, Fazetie und Anekdote sind Formen, die Weltbilder dialogisieren, die die verschiedenen Perspektiven der Gesellschaft aufiiehmen und zueinander in Bezug setzen. Für den Chronisten stellen sie literarische Muster bereit, mit denen er die Geschichte seines Geschlechts mit den systematischen Fragen, die er behandehi will, sinnvoll verknüpfen kann, indem er auf der literarischen Ebene Lösungen anbietet, die in der konkreten historischen Situation nicht möglich waren.

HEITMANN, Verhältnis, S. 2 7 5 .

^

STRASSNER, Schwank, S. 6. Vgl. ebd., S. 7f.

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5.6. Katastrophe und Rettung. Die Werdenberg-Zimmem-Händel568 Der Machtkampf mit den Werdenbergem ist fur den Chronisten das Trauma der Dynastiegeschichte schlechthin. In seinem Verlauf geriet das Geschlecht an den Rand des Untergangs, und dementsprechend prägt Proben dafür den Leitbegriff des unfaal. Neben der Verleihung des Grafentitels ist der Konflikt der wichtigste Fluchtpunkt der verschiedenen Diskurse in der Chronik. Die Ursachen dieser Katastrophe zu erkennen, sie sinnvoll in die Dynastiegeschichte zu integrieren und daraus die notwendigen Lehren fur die Zukunft zu ziehen, ist das Ziel des Chronisten, das ihn jedoch in darstellerische Aponen fuhrt: Die Chronologie der Handlung, der Anspruch auf historiographische Objektivität steht im Widerspruch zu den exemplarischen und moralischen Intentionen; die Frontstellung gegen den äußeren Feind, der Zwang zur Legitimation der Dynastiepolitik gerät m Konflikt mit der Absicht, das Verhalten einzelner Familienmitglieder kritisch zu beleuchten. Deshalb müssen jetzt nicht nur komplexe Zusammenhänge beschrieben, sondern auch bewertet werden, wenn die Katastrophe als sinnhafter Teil der Dynastiegeschichte erfahrbar gemacht werden soll. Und nicht zuletzt will Proben den Kampf mit den Werdenbergem auch ästhetisch anspruchsvoll erzählen. Diese unterschiedlichen Vorgaben stehen einer einheitlichen, das Geschehen ordnenden Perspektive entgegen, und es wird zu zeigen sein, wie sich der Chronist bei den einzelnen Diskursen verschiedener narrativer Strategien bedient. Die sorgfältige Planung dieses Abschnitts belegt die vergleichsweise geringe Zahl an Nachträgen und der weitgehende Verzicht auf eingeschobene Exkurse. Eine bezeichnende Ausnahme ist nur das Schwankkapitel 79.'" Den erzählerischen Kem bilden die 'Haupt- imd Staatsaktionen', die militärischen Ereignisse und Verhandlungen zwischen den Parteien. Narrative Sparmung erzeugen zahlreiche Vorausdeutungen, die sich jedoch nicht auf den bekannten Ausgang des Geschehens beziehen, sondern auf Einzelphasen, geheime Motive und politische Hintergründe. Da der Konflikt mit den Werdenbergem alles andere dominiert, wäre es sinnlos, die 'Wahrheit' des Chronikberichts zu prüfen."" Historische Gegebenheiten, quasi wertneutral und interpretationsfi-ei aus dem Dunkel der Geschichte zu erheben, wäre nur möglich, wenn man die aporetische Situation verdrängt, wonach bereits der Gebrauch der Sprache Signifikate und schon die Kombination zweier Fakten Sinn erzeugt. Zudem ist das Verhältnis zwischen Chroniktext und den historischen Quellen zum Thema ' Werdenberg-Händel ' extrem disproportional und die parteiische Haltung der 'Zimmerischen Chro4, Chronikabschnitt (Kap. 61-85); vgl. zur Gliederung oben S. 149. Siehe unten S. 300ff. Zu welchen Konsequenzen ein solches Vorgehen führen kann, belegt auch die Arbeit KARL BITTMANNS (Ludwig XI.), der die Memoiren Commynes Punkt für Punkt mit der historischen 'Wirklichkeit' verglichen hat.

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nik' hat die Sekundärliteratur überformt."' Selbst der Chronist der Werdenberger, JOHANN NEPOMUK VANOTTI verteidigt das Geschlecht implizit gegen den Chronikbericht, wenn er objektive, aus der politischen Situation resultierende Gründe für das Vorgehen des zimmerischen Gegenspielers, Hugo von Werdenberg, geltend macht.'" Die folgende Chronologie des Werdenberg-ZimmemKonflikts dient demnach nicht als Folie für die Textanalyse, sondern verzeichnet nur die wichtigsten Daten."^ Im Alter von ca. 30 Jahren war 1484 Johann Werner d. Ä. (t 1495), der einzige Sohn Werners,"* in die Dienste des Erzherzog Sigmund von Tirol getreten;'" er schlug damit den gleichen Karriereweg ein, auf dem bereits sein Vater reüssiert hatte. Die Logik dieser Entscheidung ergibt sich aus der politischen Konstellation, in der sich die Zimmern im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts befanden. Aufgrund ihrer Besitzausdehnung unter Werner waren sie zu einer direkten Konkurrenz für die benachbarten Werdenberger geworden. Da diese eng mit dem Kaiserhaus verbunden waren,"' die Zimmern jedoch Pfander von den Tiroler Habsburgem angenommen hatten, hing der Frieden zwischen Werdenberg und Zimmern davon ab, daß sich die beiden Habsburger Linien nicht in die Haare gerieten. Genau dieser Fall trat jedoch ein, als 1486 die latenten Spannungen zwischen Kaiser Friedrich ΙΠ. und Sigmund von Tirol in einen offenen Konflikt mündeten. Äußerer Anlaß dafür war eine von Sigmimd vermittelte Heh-atsabrede zwischen der Kaisertochter Kunigunde und Herzog Albrecht IV. von Bayern. Friedrich hatte zwar der Heirat angeblich zunächst zugestimmt, es sich daim jedoch anders überlegt, weil er befürchtete, nach seinem Tod würde der Bayemherzog an der Seite von Sigmund Ansprüche auf die habsburgischen Länder erheben."' Freilich kamen diese Bedenken zu spät, denn zuvor hatte bereits ein Bote am Innsbrucker Hof das Emverständnis Friedrichs mit der Heirat überbracht. Dieser Bote war der mittlerweile

" ' Vgl. dazu JENNY (Proben, S. 52), der jede historische Reflexion über den Anteil der Zimmern an ihrem Niedergang im Konflikt mit den Werdenbergern vermeidet. Vielmehr stellt er den ganzen Vorgang als eine schicksalhafte Begebenheit vor: "Schlagartig war über das Haus Zimmern das Unheil hereingebrochen" (ebd.). Zum historischen Phänomen und literarischen Motiv 'Niedergang' vgl. die Beiträge des Sammelbands von KOSELLECK/WmMER (Niedergang). VANOTTI, Geschichte, S. 438. An anderer Stelle beschreibt VANOTTI die Konkurrenz zutreffend mit den Worten: "Beide Häuser wollten sich vergrößern und emporbringen, besonders die Werdenberger, aber auch ein ähnlicher Ehrgeiz beseelte Johann Werner Freih. von Zimmern" (S. 436). Den 16 Jahre dauernden Konflikt beschreibt VANOTTI, Geschichte, S. 436-447; vgl. dazu auch MAYER, G r a f s c h a f t , S. 2 0 5 - 2 1 0 .

Johann Werner war verheiratet mit Margarethe von öttingen. Aus dieser Ehe gingen vier Söhne hervor: Veit Werner (1479-1499), Johann Werner d. J. (1480-1548), Gottfried Werner (1484-1554) und Wilhelm Werner (1485-1575). Vgl. SCHWENNICKE, Stammtafeln, Nr. 83f Über die Beziehung zwischen Sigmund und Johann Werner vgl. WELTI , Spuren. " ' VANOTn, Geschichte, S. 352. " ' Ebd., S. 352; HEGI, Räte, S. 45-57.

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zum herzoglichen Rat, Marschall und engen Vertrauten Sigmunds avancierte Johann Werner. Neben seiner steilen Karriere im Herzogsdienst hatte er zahlreiche Besitzungen, Ämter und Rechte, insbesondere die Pfandschaft der Grafschaft Veringen, erworben und wurde nun um so heftiger in den Strudel der Ereignisse hinemgerissen. Da der Kaiser die mittlerweile vollzogene Eheschließung zwischen Kunigunde und dem Bayemherzog nicht mehr rückgängig machen konnte, verlangte Friedrich III. von Erzherzog Sigmund (1487), seine Länder schon zu Lebzeiten an ihn und seinen Sohn Maximilian abzutreten. Als Sigmund ablehnte, gmg Friedrich gegen dessen Räte vor, über die er - rasch hatte man einen ganzen Anklagekatalog zusammengestellt"' - die Reichsacht wegen Felonie verhängen ließ (18.1.1488). Getroffen hatte es die Räte, gemeint aber war der Tiroler Herzog. Dies erheüt die Tatsache, daß die etwa ein Jahr später erfolgte Versöhnung zwischen Friedrich und Sigmund (1489) auch die geächteten Räte miteinbegriff. Zwei blieben allerdings vom Frieden ausgeschlossen: Der Graf Georg von Werdenberg-Sargans, der sich in der Zwischenzeit mit den schweizerischen Reichsfeinden zusammengetan hatte"' und Johann Werner d. Ä. Welche Gründe Friedrich und später seinen Sohn Maximilian I. davon abhielten, die Acht zu Lebzeiten Joharm Werners zu lösen, bleibt ungewiß. Vermutungen gehen dahin, daß Johann Werner tatsächlich als 'Haupträdelsföhrer' der politisch bedenklichen Heirat galt oder die Werdenberger - wie die 'Zimmerische Chronik' glauben macht - jede Aussöhnung zwischen Kaiserhaus und Zimmern hintertrieben. Die Werdenberger hatten für ihre unversöhnliche Haltung politische Gründe, waren sie doch als Verwalter der Besitztümer des Geächteten eingesetzt worden.''" Am 18.5.1488 erreichte Haag (DC.) von Werdenberg'" sogar, daß ihm der Kaiser den gesamten Besitz Johann Werners als Eigentum übertrug.'" Allerdings wurde dies niemals durch entsprechende öffentliche Rechtsakte bestätigt. Im Jahre 1491 eroberten die Werdenberger schließlich sogar das zimmerische Obemdorf, obwohl dieses von Graf Eberhard von Württemberg verwaltet wurde. Abgesehen von der im Eigentum Gottfrieds von Zimmern (f 1508), Johaim Werners Onkel, befindlichen 'Herrschaft vor Wald' war jetzt der gesamte zimmerische Territorialbesitz

ЫЕС1, Räte, S. 45ff. Neben der unerwünschten Heirat beschuldigte der Kaiser Johann Werner auch, eine kaiserliche Gesandtschaft zurückgewiesen und den Verkauf der zum habsburgischen Besitz gehörenden Grafschaft Pfirt an Bayern eingefädelt zu haben. Vgl. dazu auch PRESS, Schwaben, S. 17ff. VANOTTI, Geschichte, S. 354f Ebd., S. 441. Haug war in diesem Konflikt der eigentliche Gegenspieler der Zimmern. Wie eng die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Zimmern und den Werdenbergem waren, erheUt sich aus dem Umstand, daß Haugs Großmutter eine geborene von Zimmern war. Vgl. VANOTTI, Geschichte, Stammtafel V (nach S. 687). Da auf diese Urkunde nirgends Bezug genommen wurde, kann es sich hier aber auch um eine Fälschung handeln (vgl. VANOTTI, Geschichte, S. 439).

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in den Händen der Werdenberger. Es sah nicht so aus, als ob sich die Zimmern nochmals von diesem Schlag erholen würden. Mit der Einverleibung des zimmerischen Territoriums waren die Werdenberger jedoch so mächtig geworden, daß sich Gegenkräfte formierten, auf die nun Johann Werner d. Ä. und seine Kinder ihre Hoffiiungen setzten.^" So unterstützten die bayerischen Herzöge, der Pfalzgraf Philipp, später auch Eberhard von Württemberg und außerdem verschiedene kleinadlige Geschlechter die Rekuperationsversuche der Zimmern. Johann Werner starb zwar bereits 1495 im bayerischen Exil, aber nach dem Tod Kaiser Friedrichs III. ging dessen Sohn Maximilian auf vorsichtige Distanz zu den Werdenbergem. Gleichzeitig verstärkte sich der regionale Widerstand gegen Haugs Expansionsbestrebungen, so daß dieser sich zu Verhandlungen mit den Zimmern bereit fand. Bevor es jedoch hier zu einer Einigung kam, nützte der älteste Sohn Johann Werners, Veit Werner (1479-1499), die neue SiUiation und eroberte 1497 mit württembergischen und pfälzischen Söldnern die Stadt Obemdorf zurück.''" Zwar erlitt die zimmerische Sache nochmals einen Rückschlag, als sich Veit Werner durch einen Überfall auf den Bruder Haugs von Werdenberg ins Unrecht setzte und an Unterstützung verlor, aber nachdem durch seinen Tod 1499 auch dieses psychologische Hemmnis beseitigt war, gelang es 1500 Veit Werners Bruder, Johann Werner d. J. (1480-1548), mit tatkräftiger Unterstützung des württembergischen Adels Meßkirch zurückzuerobern. Nachdem so ein fait accompli geschaffen war, und Maximilian auf einen Vergleich drängte, wurde schließlich auf dem Reichstag zu Augsburg 1504 der ganze Konflikt vertraglich beigelegt, und die Zimmern nach dem Reichsrecht in ihren fieberen Besitzstand wiedereingesetzt. Lediglich die Grafschaft Veringen blieb in den Händen der Werdenberger, und so bedeutete der Augsburger Vertrag auch eine Rückkehr zum Status quo des Jahres 1486. 5.6.1. Der unfaal des Geschlechts und die Geschichte Johann Werners d. Ä. Werdenberg-Zimmem-Händel I (Kap. 61-72) 5.6.1.1. Der moralische Diskurs I: Die 'Schuld' der Werdenberger Wenn der Chronist über 60 Jahre nach der Beilegung dieses Konfliktes zurückblickt, daim kann er dies im Bewußtsein des Siegers über die werdenbergische Konkurrenz tun. Während das eigene Geschlecht in voller Blüte steht, war schon der damalige Gegenspieler Haug ohne männlichen Erben geblieben, und mit dem Tod seines Neffen Christoph (1534) erlosch das Geschlecht im Mannesstamm. Proben braucht demnach keine Rücksichten mehr auf diese Dynastie zu nehmen.'" Da er außerdem im guten Einvernehmen mit den Habsburgem steht und Kaiser Maximilian I. lebhaft bewundert, liegt es auf der Hand, die Zur Genealogie vgl. SCHWENNICKE, Stammtafeln, Nr. 83f. VANOrn, Geschichte, S. 442f. Zum Motiv des Verschweigens aus Rücksicht auf die Nachkommen vgl. n,148,34ff.

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gesamte Schuld den Werdenbergem anzulasten. Eben auf diese Erkenntnis ist der Werdenberg-Abschnitt angelegt, und es ist signifikant fur das Verfahren des Chronisten, die Chronologie der Ereignisse so zu präsentieren, daß schon allein dadurch die Leitidee sichtbar wird. Die Kette der Ereignisse wird so gefugt, daß die Einzelereignisse in ein aussagekräftiges Beziehungssystem zueinander treten, die Erzählung dadurch Tiefe gewinnt.^'' Die Handlung setzt ein im 64. Kapitel'" mit dem Höhepunkt der zimmerischen Machtentfaltung, der Inbesitznahme der Grafschaft Veringen, wobei der Chronist bemüht ist, die Initiative allein dem Pfandherm Sigmund zuzuschreiben. Johann Werner tritt in der Rolle des gehorsamen Dieners auf, der die Grafschaft als Lohn fur seine Treue empfängt. Im Gegensatz dazu stehen die Werdenberger auf der Seite des Unrechts: nach der Übergabe von Veringen an Johaim Werner intrigieren sie gegen Zimmern. Das im folgenden immer wieder aufgegriffene Leitmotiv fur den gesamten Werdenberg-Konflikt faßt Frohen am Ende des 64. Kapitels in einem Resümee, dessen Unanfechtbarkeit ein Sprichwort bestätigt, zusammen: Fürwar dise handlungen haben den alten haß zwischen Zimbern und Werdenberg widerumb ernewert und die von Werdenberg geursacht, miti und wege zu suchen, herrn Johannsen Wörnhern nach seinen eheren, leib und leben, ich geschweig seinen herrschaften und güetern, mit unwarhaßigen und erdichten prattiken zu stellen, welches inen alles nach irem willen ain zeitlang ergangen, doch letstlich in aigne gruben, die sie gemacht, gefallen und also ain lone, den sie hierumb verdient, bekommen. (1,511,36-512,5)

Von destruktiver Emotionalität, Haß und Neid sind entgegen dem neutralen Satzanfang nur die Werdenberger erfüllt, auf der zimmerischen Gegenseite ist Treue gegenüber Erzherzog Sigmimd das Handlimgsmotiv. Der Konflikt - so suggeriert der Chronist - entsteht demnach aus einem Mißverständnis, die Zimmern folgen weder emotionalen Gefühlen noch politischen Intentionen, sondern ihrer Treueverpflichtung gegenüber dem Landesherm. Proben bestätigt dies mit einem Beispiel, wonach Johann Werner sogar Befehle gegen seinen Willen hat ausführen müssen (vgl. 1,550,5-553,22). Indem Proben die Intentionen der Werdenberger a priori festgelegt hat, kann er dann im folgenden Kapitel die Acht als Polge einer werdenbergischen Intrige darstellen. Die zahlreichen Hypotaxen des Satzes gewährleisten, daß die Verantwortung für den zu Beginn genannten Graf Haug von Werdenberg hnmer präsent bleibt: Zu dem allem ist [Johann Wemer] von seinen missgönnern, under denen dann sonderlichen grave Haugo von Werdenberg und ain ritter, Dieterich von Har-

Gegen LUGOWSKI, Form, S. 21f. Vgl. auch VELTEN, Leben, S. 262ff. Die Kapitel 61-63 sind Teil der Johann-Werner-Biographie und berichten von seinem Leben vor 1487.

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rar"' genannt, die ßrnembsten gewest, mit eniichten warten, die hernach offenbarlich als unwarhafl an tag kommen, in die kaiserlichen Majestat getragen worden, als ob er sampt andern herzog Sigmunden eingebildet, weichermaßen die kaiserlich Majestat herzog Sigmunden mit gift vom leben zum tod zu bringen sich understanden, dardurch dann herzog Sigmundt verursacht, der kaiserlichen, auch königclichen Majestäten des haws Österreichs gemaine und ungethailte lender, so er, herzog Sigmundt, als regierender fürst ingehapt und regiert, zu entziehen, dieselbigen volgendts auf Bayrn zu verwenden im ßrgenomen; damit hab herr Johanns Wörnher seiner Majestat seel, ehr, leib und gut angetast und das laster der verletzten, belaidigten Majestat höchlichest commitiert und begangen, derhalben er dan sein leib, eer und gut verfallen etc. (1,518,7-24)

Dieser Satz liefert die Deutungsanweisung für die folgende Inserierung der Achterklärung, die ja von den Werdenbergem nichts erwähnt. Proben versucht damit auch, über die aus der Urkunde zu entnehmenden Tatsache hinwegzuführen, daß ja Johann Werner nur einer unter zwölf Verschwörern war und die Werdenberger kaum wegen des einen alle anderen verleumden konnten. Diesen Widerspruch hat Proben erkannt, er entkräftet ihn am Ende des Kapitels mit dem Hinweis darauf, daß die Mitverschwörer bald begnadigt worden seien."' Proben verdrängt dabei das mit Johann Werner vergleichbare Schicksal des Verschwörers Graf von Werdenberg-Sargans,"" weil dies nicht zu seiner Personalisierung des politischen Konflikts und der alleinigen Urheberschaft der Werdenberger paßt. Nachdem die Voraussetzungen für die moralische Bewertung des Polgenden geschaffen sind, breitet Proben im 67. Kapitel in scheinbarer Objektivität die Vorgänge bei der Eirmahme des zimmerischen Besitzes aus: Gottfried, der nicht in der Acht steht und als Vormund von Joharm Werners Kindern die Möglichkeit des Einspruchs hat, wird arglistig getäuscht, die Gattin Johann Werners, Margarete, überfallen und aus Meßkirch vertrieben. Dies alles smd bekannte Stereotypen aus dem literarischen Motivhaushalt der 'Verfolgung von Witwen und Waisen', und gehört ebenso dem topischen Bereich an wie die Dieser Dietrich von Harras taucht in der Chronik nur noch einmal auf, wenn Johann Werner ihm einen Brief wegen seiner Verleumdungen schreibt (Π,553,25ί ). 1,521,19-35: Und ob gleichwol vilbemelter herr Johanns Wörnher sampt den obgenannten graven und vom adel, dero sachen sie beschuldigt, rechtlichen überwisen, nochdann het sich dem rechten und aller pillichhait nach gepürt, in ainer gleichen verschuldten handlung auch ain gleichhait in der straf zu halten, welches aber nil beschehen; dann den obbemelten graven aus solcher declaration anders nichts, dann daz sie ain claine zeit in Ungnaden bei dem kaiser gewest, ervolgt, denen auch ire graveschaften und güetere von niemants nie eingenommen noch entwert, sonder in wenig Zeiten nach ausgangner declaration iren deren mererthails widerumb zu gnaden aufgenommen sein worden, Alain ob Herrn Johanns Wömhern ist die execution, auch das unbegrindt, neidig angeben seiner missgönner über alles sein verantwurten und rechtlichs erpieten zum emstlichisten in das werk gepracht und volnzogen worden etc. Darauf kommt er erst im Zusammenhang mit der zimmerischen Dynastiegeschichte im 70. Kapitel kurz zu sprechen. Vgl. 1,560,25-561,25.

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Betonung der Treue der Stadt Meßkirch zu ihrer alten Herrschaft oder die den Gegner bestätigende 'Verwandtenkritik', die um der besseren Überzeugungskraft willen Haugs Bruder Georg in den Mimd gelegt wird (1,546,24-547,12). Das Ende dieses Argumentationsstrangs setzt das 68. Kapitel mit der großen Rechtfertigungsschrift Johann Werners gegen die kaiserliche Achtdeklaration. Inhaltlich werden noch einmal sämtliche Argimiente wiederholt, die der Chronist bereits kurz im 65. Kapitel erwähnt hat, und die m dem alles entschuldigenden Gehorsam Johann Werners gegenüber Erzherzog Sigmund münden. Strukturell ist diese Rechtfertigungsschrift dem Bericht über die Einnahme Meßkirchs durch die Werdenberger nach- und der Besetzung Obemdorfs (1492) vorgeordnet, wodurch bereits formal eine Deutung beider Handlungen, deren Unrechtscharakter die Parallelsetzung bewußt unterstreicht, nahegelegt wird. Mit dem Verlust Obemdorfs ist zugleich der erste Tiefpunkt der Handlimg erreicht; die nächsten Kapitel (70f.) stehen unter dem Motiv der Verzweiflung und berichten von den vergeblichen Versuchen Joharm Werners durch Fürsprache Dritter bei Papst imd bayerischem Herzog die Lösung von der Acht zu erwirken. Einzelne Anekdoten und Episoden nehmen wichtige, in den vorangegangenen Kapiteln entwickelten Motive erneut auf Ein Beispiel: Als Haug von Werdenberg Johann Werners Gattin Margarete aus Meßkirch vertreibt, kommt es zu einem Zwischenfall. Der Vater Johann Werners hatte emen dorechten, kindischen armen mentschen aufgezogen, der, als er sähe, das grave Haugo vilbemelte fraw Margrethen, die er nit änderst dann sein muter sein vermainte, mit gwalt aus dem schlos fiiern wölte, empfieng er darab ain solchen verdruß, das er eilendts ain axt zu sich genommen und in ain winkt, da er vermainte, grave Haugo anhin geen wurde, sich verborgen, und so bald grave Haugo fiir in anhin gangen, ist er herfür gesprungen und gesagt: 'Du böswicht, weitest mir mein liebe muoter mit gwalt hinweg firn, du must sterben! ' und hiemit die axt zuckt, des Vorhabens, im damit das him einzuschlahen. Aber fraw Margreth hat dem thoren gewert und domáis grave Haugen sein leben, welches er doch umb sie oder ire kinder nihe

verdienet, егАаЛеи.(1,544,15-27) Auch hier klingen die Leitmotive der Untertanentreue und der zimmerischen Selbstlosigkeit ebenso an wie das des werdenbergischen Undanks. Die ständig eingestreuten Hinweise auf die Intrigen der Werdenberger haben den Effekt, daß dort, wo die Werdenberger gar nicht ausdrücklich genannt sind, eine Andeutung auf die neidigen missgönner (1,553,6f.) genügt, damit der Leser weiß, wer gemeint ist. Selbst die Schilderung von Johann Werners Tod folgt diesem Muster. Der aus seinen Besitzungen Vertriebene unternimmt nach dem Scheitern aller eigenen Bemühungen eine Reise nach Rom, um dort den Papst zu

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bewegen, den Prozeß an die Kurie zu ziehen.'" О Ь \ у о Ы ein nach kanonischem Recht gefálhes Urteil gegenüber den weltlichen Herrschern nur schwer durchsetzbar ist,"^ schildert Proben diesen Versuch als äußerst erfolgversprechend, um auch hier wieder die nötige Fallhöhe zu erreichen. Zunächst entwickelt sich alles bestens. Johann Werner erhält nicht nur beim Papst Audienz, sondern dieser verspricht sogar die Übernahme des Verfahrens. Aber gerade auf diesen hoflSiungsvollen Auftakt folgt die Peripetie: es sein aber die fata und haimliche Ordnungen Gates dermaßen wider in gewest, das im alle seine fiimemen hinder sich gangen; dann als er in medio cursu seiner angefengten procès, ist im zu Rom vergeben worden, also das er beschwerlich und nit one mhüe und arbait der arzet mit dem leben darvon kommen. Es hat im das gift mit seiner scherpfe den leib und alle glider dermaßen durchtrungen, das im alles haar an seim ganzen leib ausgefallen und hernach, dieweil er gelept, zu rechter gesundthait nie widerumb kommen mögen. Von wem aber solch welsch menester zugericht, kan man gründtlichen nit wissen; doch, wie Marcus Cicero von ainem römischen richter, Lucio Cassio, spricht, das in ainer ieden conjecturali causa, wem der nutz zukomen, in anfang der handlung befragt, also möcht auch allhie gesagt und aim ieden verstendigen ain argkwon oder nachgedenken bringen. (1,569,31-570,5)

Proben hat den Leser bis jetzt so intensiv in die Methode der Frage nach dem cui bono eingeführt, daß nur noch die Werdenberger als Urheber des Giftanschlages in Frage kommen. Daß diese Unterstellung sich im übrigen mit der im folgenden Kapitel erwähnten natürlichen Todesursache Johann Werners nicht verträgt, irritiert den Chronisten nicht. Sein Ziel, den Werdenbergem auch die Schuld am Tod Johann Werners anzulasten, bleibt von impliziten Widersprüchen unberührt. 5.6.1.2. Der moralische Diskurs II: Der unfaal und die Magie Der moralische Diskurs bleibt nicht auf das Verhalten der Werdenberger beschränkt, die Perspektivierung der Handlungen erstreckt sich auch auf das Verhalten Johann Werners. Allerdings ist der Rahmen, in dem sich eine Beurteilung abspielen kann, durch den historischen Diskurs eingeschränkt: Da Proben seinen Großvater als Opfer einer werdenbergischen Intrige vorgesteüt hat, kann er den zimmerischen unfaal nicht mit dessen politischen Fehlem begründen. Dies wäre nicht nur in sich widersprüchlich, sondern würde die ganze bisherige Geschichtskonstruktion unterlaufen. Da aber Johaim Werner das Exempel für einen gescheiterten Vorfahren abgibt, nützt Proben die Gelegenheit, an dieser Figur eine Thematik zu diskutieren, die ihm und seiner Zeit besonders am Herzen liegt: die Verbindung von intellektuellem Erkenntnisdrang und der Abkehr von den durch die Religion gesetzten Grenzen. Literari-

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Zum Anspruch des Papstes auf eine letztinstanzliche Entscheidung bei Lehensstreitigkeiten vgl. K R f f i G E R , Lehnshoheit, S. 506f. Ebd., S. 507f.

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sehen NiederscMag findet diese Diskussion über die Rechtfertigung der menschlichen Wissensbegierde in den zeitgenössischen Erzählungen über Teufelspakte und Magie - paradigmatisch dafür steht in der Mitte des 16. Jahrhunderts das im Druck weit verbreitete Faustbuch, aber auch der 'Peter von Staufenberg' oder die Sage vom Venusberg."^ In diese Tradition reiht der Chronist semen Großvater ein, indem er ihn als weit berühmten Schwarzkünstler ausgibt. Als Beleg für diese Leidenschaft berichtet Proben von einem großen Autodafé, in dem der Großvater - vor seinem Tod noch rechtzeitig bekehrt - seine nigromantischen Bücher''"' hat vernichten lassen. Den Zusammenhang mit der Katastrophe des Werdenberg-Konflikts stellt der Chronist explizit her, Johann Werner habe erkannt, daß im von der prattik bemelter kunst nit wenig unfals erwachsen (1,577,16f.) sei. Proben charakterisiert seinen Großvater, als hätte ihm die Pigur des Paust als Vorlage gedient: Demnach er nu ain berömbter nigromanta, hat er sich durch verborgne künsten, ob er diser krankhait sterben solle oder nit, zu erfam understanden. Do haben in die spiritus, er werde über vil jar nachdem er seine handlungen zu glicklicher endtschaft gebracht, erst sterben, vertröst. Demnach aber die krankhait an im zugenommen, hat im der barmherzig, eewig Got den verstandt geöffnet und ain solche erkanntnus eingeben, das er den betrug und die list des bösen feindts aller mentschen, welcher als ain vatter aller luginen in seiner eewigen wolfart dergestalt zu verkürzen vorgehapt, gemerkt und verstanden; derhalben er ime den maisten und pesten thail seiner büecher und tractet, welche er mit großem vleis und costen zu Venedig und andern orten überkomen und dannzumal bei sich gehapt, seine diener bringen haißen und dieselbigen, damit nach seinem absterben niemants sich dero zu ergernus oder übls anzustiften weiter sich gebrauchen, in seinem beiwesen verprennen lassen; darneben seine diener [...] umb Gottes willen gepetten, seine söne, damit sie nit auch auf dise kunst gerieten, getrewlichen darvorzu warnen. (1,576,33-577,12)

Auf der Ebene des historischen Diskurses'" war von einer nigromantischen Leidenschaft Johann Werners nicht die Rede, sehr wohl aber in der Biographie des Urgroßvaters Werner. Da Proben das Thema innerhalb seiner Autobiographie ebenfalls an prominenter Stelle wieder aufgreifen wird,"* liegt es nahe, hierin die Konstruktion eines zimmerischen Pamilienmusters zu sehen. Innerhalb der Logik der Werdenberg-Händel hat Proben mit dem 'Teufelspakt' Johann Werners einen moralischen Grund für dessen als Strafe Gottes gedeutete Siehe oben S. 174 und unten S. 302f. In den Marginalien seiner Neuausgabe der 'Zimmerischen Chronik' setzt DECKER-HAUFF Nigromantie und Alchimie gleich (Chronik der Grafen von Zimmern 1,282 und Ш,159). Indessen trennt Proben zwischen beidem sehr wohl. So berichtet er im 70. Kapitel von alchimistischen Versuchen seines Großvaters, im schweizerischen Exil Gold herzustellen. Aber dieses Experiment scheitert, Johann Werner ist auf einen Betrüger hereingefallen. Dies versteht sich nicht von selbst, da es in der Zeit durchaus einen Zusammenhang zwischen Alchimie und Politik gegeben hat. Vgl. GANZENMÜLLER, Alchemie, S. 105-113. Siehe unten S. 370f

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Niederlage gefunden. Dementsprechend kann auch aus dem unfaal Johann Werners eine Lehre ex negativo gezogen werden, sein Leben dient den Nachkommen als Warnung vor der schwarzen Kunst. Durch die conversio auf dem Sterbebett - sie ist wegen der Bewahrung der dynastischen memoria unerläßlich - aber wird deren Verurteilung abgemildert. Um wiederum den Eindruck der Nebensächlichkeit zu vermeiden, fügt Proben im Nachtrag 137 (1,577,18578,38) aber vier Beispiele an, in denen der Teufelsbund dann doch zum beschworenen schrecklichen Ende fuhrt. Wegen des 'Teufelspakts' ist die Germanistik schon früh auf die 'Zimmerische Chronik' aufinerksam geworden, denn vermeintlich wird hier Auskunft über Lebensdaten des historischen Fausts gegeben. Als Beweis fur die Verwerflichkeit der Nigromantie fuhrt Proben nämlich an: Das aber die pratik solcher kunst nit allain gottlos, sonder zum höchsten sorgclich, das ist unlaugenbar, dann sich das in der erfarnus beweist, und [w/ zu] wissen, wie es dem weitberüempten Schwarzkünstler, dem Fausto, ergangen. Derselbig ist nach vilen wunderbarlichen sachen, die er bei seinem leben geiebt, darvon auch ain besonderer tractat wer zu machen, letzstlich in der herrschaft Staufen im Preisgew in großem alter vom bösen gaist umbgebracht

worden. (1,577,18-25) Als historische Angabe konnte dies nur mißverstanden werden,"' wenn gleichzeitig der Kontext der zimmerischen Dynastiegeschichte übersehen wurde.'" Die Faust-Pigur ist nämlich zunächst nur Beleg für Frobens These von der Gefährlichkeit der Nigromantie und als solche karm sie nach dem Verständnis des Chronisten nur dann als authentisch gelten, wenn sie mit konkreten Fakten verbunden ist. Deswegen verlegt Proben den Sterbeort in die Herrschaft Staufen im Breisgau,'" und untermauert diese Angabe mit der nigromantischen Bibliothek dieses Geschlechts. Eine Konstruktion stützt hier die andere, denn im vorhinein erhält damit auch die später erwähnte nigromantische Bibliothek der Herren von Staufen einen Authentizitätsnachweis (III,530,10f). Dies entspricht der schon öfters beobachteten Methode Frobens, um einen kuriosen Gegenstand'"" einen Kranz von (Schein-)Belegen zu flechten, um so insgesamt die Seriosität der Erzählung zu erhöhen und die exemplarische Verwertbarkeit innerhalb seiner eigenen Geschichtskonstruktion zu sichern. Selbst in jüngster Zeit wird dieser Faust der 'Zimmerischen Chronilc' noch als eine historische Person gewertet. Vgl. HORST HARTMANN, Faustgestalt. Faustsage. Faustdichtung, Berlin '1985, S. 17 und BARON, Faustus. Vgl. dazu Frobens Warnung an seine Nachkommen, durch alchimistische Versuche finanzielle Verluste wettmachen zu wollen. Auch hier ist sein Großvater das warnende Beispiel, der sich dadurch in noch größere Schulden gebracht habe (1,566,9-34). Vgl. hierzu BARON, Faustus, S. 187, 192ίΤ. Auch bei der zweiten Erwähnung von Fausts Tod wird die Herrschaft Staufen als Sterbeort genannt (Ш,529,38-550,22). BLUME (Quelle, S. 34ff) meint, Proben hätte die Sage aufgrund der engen verwandschaftlichen Beziehungen der Zimmern zu den Herren von Staufen erfahren. ^ Vgl. MOLLER, Curiositas, bes. S. 263ff.

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Einen Anhaltspunkt für die geographische Fixierung könnte Frohen in der von Johannes Manlius überlieferten Anekdote Melanchthons gefunden haben, nach der Faust in einem Dorff im Wirtemberger land gestorben sei.'"' Zwar liegt Staufen nicht in Württemberg und die Herren von Staufen waren keine württembergischen Lehnsleute, aber Froben könnte sich analog zu seiner auch ansonsten relativ 'unbefangenen' Verfahrensweise über diesen Unterschied hinweggesetzt haben. Eine weitere auffallende Parallele zwischen Manlius und dem Chroniktext enthält die Fortsetzung des Nachtrags 137: In der zweiten Episode berichtet der Chronist von einem anonymen doctor ...zu MarggrafenBaden (1,577,26), der ebenfalls mit dem bösen gaist paktiert, von diesem in die höche gefüert und dann fallengelassen worden sei. Dieses Experiment, das der Arzt mit dem Verlust seines Verstandes bezahlt, ist als Allegorie auf den intellektuellen Erkenntnisprozeß gestaltet: Zunächst fuhrt sie in rauschhafte Höhen, dann endet sie in Form einer spiegelnden Strafe mit dem Verlust jener Fähigkeit, die die Voraussetzung für Erkeimtnis ist. Die Herkunft jenes anonymen Doktors ist geradezu eine Umschreibung der Angabe Manlius' über den Geburtsort Fausts, der mit Kundling (Knittlingen)"*^ angegeben wird. íínittlingen gehört nicht zur Markgrafschaft Baden, aber deren Grenze lag in unmittelbarer Nachbarschaft, und so wäre diese Fehlidentifizierung Frobens durchaus erklärlich. Eine inhaltliche Analogie kommt hinzu: Wie jener anonyme Doktor wird auch der Faust im Text Manlius' in die Höhe gefuhrt und auf die Erde geworfen, wo er vor todt dar lag / Doch ist er das mal nicht gestorben.^^ In der dritten Geschichte schließlich berichtet Froben von einem Kölner Schwarzkünstler, der seiner Frau den Teufelspakt beichtet, bevor er sich im Keller auf seine letzte Stunde vorbereitet. Als in der Nacht ain ungestimmes wesen (I,578,7f ) im Haus losbricht, sieht man im Keller nach: do fand man in todt uf der erden ligen und Wardt im der köpf umbgetrait, das im das angesicht hünder sich sähe (1,578,lOff.). Auch diese Beschreibung entspricht dem Bericht des Manlius von Fausts Ende. Hier ist um Mittemacht im haus ein grosses getümmel worden. Als man die Kammer öffiiet, fmdet man Faust in bezeichnender Stellung: da ist er neben dem bette tod gelegen gefunden / vnd hatte jm der Teuffei das angesicht auff den rucken gedrehet.^ Das Motiv des auf den Rücken gedrehten Gesichtes ist nicht signifikant für die anderen Nachrichten über Fausts Tod."^ Es liegen demnach sichere Indizien dafür vor, daß Froben den Manlius-Text gekannt und danach den Faust-Nachtrag zur Geschichte Johann Werners gestaltet hat. Die einzehien Motive des Manlius-Textes sind auf drei verschiedene

Zit. nach: Historia von D. Johann Fausten, S. 272. Der heutige Ortsname ist Knitthngen. Zur Geschichte des Ortsnamens vgl. KARL WEISERT, Knittlingen. Geschichte einer Stadt, Stuttgart 1968, S. 35. ^^ Zit. nach: Historia von D. Johann Fausten, S. 272. Vgl. dazu auch BARON, Faustus, S. 188. Zum Motiv des Länderfluges vgl. auch MOLLER, Curiositas, S. 263. ^ Historia von D. Johann Fausten, S. 272. Ebd., S. 122f., 275.

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Geschichten'"* mit jeweils verschiedenen Protagonisten verteilt worden. Eine eigenständige, autochthone Tradition der Faustsage bietet die 'Zimmerische Chronik' also nicht. Der Bericht über Johann Werners nigromantische Unternehmungen und die Beispiele des Nachtrags 137 sind auf den ersten Blick als moralische Erklärung fiir die Katastrophe der zimmerischen Geschichte konzipiert. In dieser Funktion allein gehen sie nicht auf, sie sind auch Teil des Magie-Diskurses in der 'Zimmerischen Chronik'. Dessen historische Grundlage ist - wie bereits erwähnt - der Wunsch, die Natur und ihre Gesetze durch Beobachtung, Empirie imd Experiment zu erschließen. Dem steht eine Theologie entgegen, die dies als Sünde der curiositas perhorresziert. Zwischen beiden Polen bewegt sich Proben hin und her. Der Niedergang des Geschlechts ist ihm nur verständlich als göttliche Strafe, aber andererseits läßt ihn die Faszination des Unzugänglichen und Unbekannten nicht los, vor allem dann nicht, wenn - wie im alchimistischen Experiment - damit die Aussicht auf Reichtum gekoppeU ist. Dieses Dilemma führt zu emer ambivalenten Behandlung des Magiethemas. Denn so sehr sich Froben hier gegen Magie und Zauberei verwahrt, bereits im 79. Kapitel wird diese Kritik entschärft durch Verschwankung - auch dies eine Kombination, wie sie das Faustbuch bietet - , und am Ende der Chronik wird dann der alte Traum, man körme mit einer für das Seelenheil imgefahrlichen 'weißen Magie' Kontrolle über die geheimen Mächte bekommen, neu geträumt.'"' Froben zeigt eine prinzipielle Unentschiedenheit gegenüber der Idee der Beherrschung der Natur. Einerseits reizt es ihn, durch die Erkenntnis des Übersinnlichen die Herrschaft über die Dinge zu erlangen, andererseits erkennt er bereits, daß dann diese anstatt Gott die Gewalt über die Menschen haben werden.^®' Folgt man der Chronik, so ist die Auseinandersetzung mit der Magie ein Teil der Familientradition. Auch weim es letztlich offen bleiben muß, ob dies ein rein literarischer Diskurs ist, legen autobiographische Hinweise die Vermutung nahe, Froben sei von diesem Thema unmittelbar persönlich betroffen gewesen. Der Chronist berichtet aus seiner Jugend von gescheiterten alchimistischen Versuchen, ftir die er mit einer schweren Krankheit gestraft worden sei.®®' Eine Strategie psychologischer Verarbeitung des Scheiterns ist es, sich

Die vierte Geschichte berichtet von einem wunderkumtreichen seidensticker, der morgens tot in seinem Bett gefìmden wurde, wobei man große kretz und griff [. ..] am hals gefunden habe

a,578,21f.). Vgl. dazu unten S.412ff, Froben thematisiert diese Frage anhand eines magischen Steins, der Johann Werners unfaal bewirkt haben soll. Froben weist diese Vermutung mit dem Argument zurück, daß man allein Gott die er, die macht und der gewalt hierin und in allen dingen, und nil dem geslain, pillichen sollzugemessen werden (I,581,21ff.). " " Allerdings ruft Froben keine Geister herbei, die ihm die Zukunft vorhersagen sollen, sondern er beschäftigt sich nur mit der Alchimie. Vgl. unten S. 370f. Auch bei der Beschreibung einer schweren Krankheit kehrt Froben den lehrhaften Aspekt hervor: [...] kann ich nil underlasen.

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mit dem Strafenden, in dem Fall Gott, zu identifizieren und parallele Muster und Ereignisse in der eigenen Familiengeschichte zu entdecken."" Damit erhält nicht nur die eigene Krankheit ihren Sinn, sondern im irmeren Monolog wird auch das Faszinosum Magie mit dem Hinweis auf den beinahe vollständigen Untergang des eigenen Geschlechts apotropäisch abgewehrt. 5.6.1.3. Die poetologische Funktion des Märes 'Der enttäuschte Liebhaber' in der Joharm-Wemer-Biographie Die Magie-Thematik ist nur eine Facette der Johann-Wemer-Biographie, sie ist im Kontext der Werdenberg-Händel fimktionalisiert als Warnung vor der schwarzen Kunst, dient also nicht vorrangig der Charakterisierung des Großvaters. Eine solche findet man auch nicht - wie in den späteren Biographien als 'Nachruf, sondern sie steht überraschenderweise bereits am Anfang der Johann-Wemer-Biographie im 54. Kapitel und ist erzählerisch begründet als Darstellimg seiner Jugendzeit.'" Sie ist geschrieben in der Form eines Adelsspiegel, dessen Vorgaben der Großvater in jeder Hinsicht entspricht. Dieser Adelsspiegel ist noch einer von der 'Disziplina clericalis' des Petrus Alfonsi begründeten Tradition veφflichtet: An der Spitze stehen die mores, die ethischmoralischen Anstandsregeln (bei Alfonsi: septem industriae), am Schluß die ritterlich-höfischen Kompetenzen {septem probitates), zu denen neben dem Reiterhandwerk auch künstlerische Fähigkeiten gehören. Als weiteres Element erscheint bei Froben die gelehrte Bildung. Darin hebt sich Johann Werners Werdegang deutlich von dem seines Vaters Werner ab, der ausschließlich am feudalen Hof erzogen worden ist. Der Bildungsgang Johann Werners hat zugleich den Charakter einer Norm, die der Chronist mit seinen eigenen Studienjahren erfüllen und bestätigen wird. Wenn Froben die Ernsthaftigkeit der von Johann Werner betriebenen Studien der septem artes liberales betont, dann grenzt er sich dezidiert von der zeitgenössischen studentischen Kavalierstour^'^ ab: Nach dem Besuch der Universitäten in Freiburg, Wien und Bologna'" be-

solches denen nachkommen in diesem geschlecht zu einem beispil! und Warnung hierein zu verleiben (Ш,250,39-256,22). So begründet Froben seine eigene Aufgabe der Alchimie mit dem Schicksal seines Großvaters: Aber das mag ich mit der warhait sagen, das der grave, wie jung gleich er der zeit noch gewest, sich dahin entlichen entschlossen und im selbs, wie man sprücht, in ain aidt geben, sich solcher verbottner, unchristenlicher und gotloser künsten hinfüro die zeit seines lebens zu enthalten; dann wie es seim anherren darob ergangen, das ist vorlengst in dieser historia gehört worden (Ш,256,17-24). Der Titel des Kapitels kündigt an: Wie herr Johanns Wörnher freiherr von Zimbem auferzogen, auch was er für handlungen in seiner jugendt gehabt etc. (1,422,16ff.), Vgl. dazu: HILDE DE RTODER-SYMOENS: D i e Kavalierstour im 16. u n d 17. Jahrhundert, in:

PETER J. BRENNER, Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur, Frankftirt a. M. 1989, S. 197-223. Das Matrikelverzeichnis der Universität Bologna weist keinen Zimmern als Studenten dort auf. Vgl. dazu GUSTAV C. KNOD, Deutsche Studenten in Bologna 1289-1562. Biographischer

Index zu den Acta nationis Germanicae universitatis Bononiensis, Aalen 1970. KNOD ver-

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herrscht Johann Werner nicht nur die welsch sprach, die beiden Rechte sowie Anatomie, Geometrie und Mathematik. Diese akademischen Qualitäten versetzen Johann Werner später in die Lage, auf Berater und Kanzlisten verzichten zu können."" Hier taucht bei Proben bereits das Bild des allseits gebildeten Regenten auf, der in jeder Hinsicht in Politik, Verwaltung und Gesellschaft zu brillieren weiß."' Dazu gehören für Proben offenbar auch künstlerische Pähigkeiten, und so stilisiert er Johann Werner dezidiert als Sammler und Literaten, der die poeten und alten historien kennt, sammelt und abschreiben läßt, lateinische Autoren übersetzt (1,423,20-23),"' musiziert und sogar selbst Gedichte (1,423,8; 586,36-608,24) und Reimbriefe (1,461,11-14) verfaßt."' Die Pigur des Großvaters bestätigt den intellektuellen und künstlerischen Rang und Anspruch der Pamilie. Da aber die Präge nach dem Nutzen solcher Kompetenzen schon Teil des zeitgenössischen Wissenschafts- und Kunstdiskurs ist,"' beweist Proben, daß Johann Werner kein weltfremder Buchgelehrter ist, sondern dessen literarische Interessen einen handlungspragmatischen Aspekt besitzen: Proben läßt seinen Großvater selbst als Schwankheld auftreten, der es versteht, durch schimpfliche bossen einer mißlichen Situation eine komische Seite abzugewinnen, sie also so umzuformen, daß Prustration und Wut humorvoll abgeleitet werden.

zeichnet auf S. 653 einen "Eberhard Zimmern" aus Aschaffenburg, der freihch nichts mit dem schwäbischen Geschlecht zu tun hat. 1,422,32-423,5: Baider rechten ist er genugsam erfaren gewesen, die poeten und alten historien hat er gewist, derselben etliche im zu ainer kurzweil zu gelegner zeit verdeutschet, in suma zu allen haimlichen, verborgnen künsten hat er ain besondere naigung und begirde getragen, also das er nit allein dieselbigen zum thail erfaren, sonder ohn nachlassen derselben zu ainer endtschaft kamen. Aus solchem fleißigen studio gefolgt, das er hernach mit reden und schreiben fürtreffenlich gewesen, seine handlungen selbs berathschlagt, formbclich in schrifi verfasset, auch mundtlich fürtragen künden hat. Zu diesem Bild des neuen 'Fürsten' vgl. unten S. 433. In einem Nachtrag zum 54. Kapitel wird Johann Werner zum Begründer der zimmerischen Sammlung 'schöner' Literatur des Mittelalters erhoben: Herr Johanns Wernher freiherr zu Zimbern der elter hat zu schönen büechern ain großen lust gehabt und vil gelesen, dieweil aber zu seinen Zeiten der druck erstlichs ufkommen und domáis als ein new inventum ain schlechten fortgang, ließ er im ain Schreiber, genannt Gabriel Lindenast, war burger und seßhaft zu Pfullendorf vil und mancherlai büecher schreiben und zurusten, also das er letzstlich ehe und zuvor er in sein unfal kam, ein zimliche liberei zu wegen pracht. Etliche autores und historíeos hat er selbs außer latein ins deutsch transferiert, wie dann die selbige büecher sambt den rittern- und taffelrundtbüecher, die er gehabt, noch mehrtails verbanden (1,423,12-23). Zu Bedeutung und Aufgabe des Briefwechsels in der Renaissance vgl. HARTH, Poggio, bes. S. 82, 85ff·. " ' Wie prekär die falsche Ostentation von Gelehrsamkeit ist, belegt eine Geschichte aus der Speyrer Zeit Wilhehn Werners, als ein Gelehrter in einer geselligen Runde über Livius und Thukydides sprechen will und dabei völlig blamiert wird (Ш, 114,17-115,11). Proben zieht daraus die Lehre: So get es denen zu zeiten, die für und für nur zu ernsthaftig und nur wellen zu witzig sein, es reimt sich oder nit, dann kain gröser Vernunft und geschicklichhait ist, dann sich zu Zeiten und da es fueghat, närrisch oderfrölich mit andern zu erzaigen (Jñ,\l5,6-\\). 614

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Wie erklärt sich die Femstellimg dieser idealtypischen Charakterisierung eines zimmerischen Dynasten von seiner eigentlichen Lebensgeschichte? Zunächst ist sie Teil einer durchdachten Konzeption der gesamten Chronikanlage, denn nur so wird das Ideal nicht durch die Realität beschädigt. Aber trotz aller Enkomiastik deuten die Vorzüge Johann Werners auch auf seinen späteren unfaal hin, und der weitere Verlauf seiner Lebensgeschichte ist auf die Erkenntnis der Dialektik der Tugenden ausgerichtet. 'Dialogisiert' werden mit der Gegenüberstellung von Ideal und Realität zentrale gesellschaftliche Werte: Die vorbildliche Repräsentation des eigenen Standes fuhrt zur Verschwendung, Gelehrsamkeit und Wissensdurst fordern das Interesse zu allen haimlichen, verborgnen künsten (I,422,35f.). Die Beschäftigung mit der Literatur führt zur Weltfi-emdheit und die politisch-juristischen Kompetenzen machen so überheblich, daß Rat verzichtbar erscheint. Das abschließende Charakterurteil legt Proben einem neutralen Dritten in den Mund: Derhalben grave Eitelfriderrich von Zollern [...] zu mermaln gesagt, im seie bei seinen Zeiten kain geschickterer adenlicher herr, dann diser herr Johanns Wörnher, nie zukamen, und in dem er kain mangel oder etwas befunden, darin er fiimemlich, dann allain umb sein saumnus und liederligkait in aignen sachen, zu strafen gewesen. (1,423,27-33)

Proben belegt die mtellektuellen Qualitäten Johann Werner damit, daß er ihm eine längere Reimpaardichtung'" zuschreibt - ein Verfahren, mit dem er auch 619

Nachtrag Nr. 309. Proben behauptet, Johann Werner habe diesen spruch Herzog Eberhard I. von Württemberg gewidmet (vgl. dazu MERTENS, Eberhard). Der Text wird allerdings kaum vom Großvater Frobens selbst verfaßt worden sein, wie der erhebliche Qualitätsunterschied zu seinen authentischen Reimbriefen belegt. Die Zuordnungsanweisung des Chronisten lautet: Ein sonders capitel, in herr Johannsen Wemhers freiherren zu Zimbern des eitern sachen einzumischen, da es sich hinfliegt (Ι,583,14ίΓ.). BARACKS und DECKER-HAUFFS Lösung, es als selbständiges Kapitel (72a) dem Nachruf auf Johann Werner nachzuordnen, überzeugt insofern nicht, als es eher zu der Erwähnung seiner schriftstellerischen Leistung im 54. Kapitel paßt. Johaim Werners spruch geht im Nachtrag 309 ein geruempte[r] brief eines ungenannten Autors voraus, den Proben under den alten geschriften in der registratur (I,583,31f) gefunden hat. Proben paraphrasiert zunächst den Inhalt des aus 120 drei- und vierhebigen Paarreimen bestehenden Text (1,583,29-37) und weiß auch die ungewöhnliche Abfassungszeit des Briefes - 1 Uhr nachts - , mit der Sitte des Nachttrunks zu erklären. Unregelmäßiges Metrum und zahlreiche unreine Reime verleihen dem Gedicht den Charakter einer Gelegenheitsschrift. Ь diesem Sinn begründet auch Proben die Entstehung des Gedichts: Johann Werner sei einem höfischen Pest in Nürtingen unentschuldigt ferngeblieben, worauf seine enttäuschten Gesellen ad hoc dieses Gedicht geschrieben hätten (1,584,31-41). Jeder der Adligen erhebt in einigen Verspaaren Tadel oder Drohung gegen Johann Werner, wobei vieles redundant ist: Ich nenne einige Beispiele: So sagt Balthuser von Bühel / Das du sist ain rechter nihel / Mit deinem ußbeleiben (I,585,6ff.); Johanns, ain freie von Steffeln, / Der maint dich auch zu göffeln / An schener frawen huid (I,584,47ff.); Dessgleichen der junge Itelfritz / Helt es auch für ainen schwitz (I,584,51f ). Eine Dialogisierung und damit eine lebhafte Vorstellung der Entstehungssituation wird insofern erreicht, als sich auch ein Verteidiger Johann Werners zu Wort meldet (1,585,32fr.). Das Gedicht endet mit der Aufforderung an Johann Werner, den Klägern abtrag zu leisten.

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die literarische Kompetenz seiner beiden Onkel beglaubigen wird. Da Proben die literarische Überlieferung wie herrenloses Strandgut behandelt, ist zu überlegen, warum ihm ausgerechnet das Märe vom 'Enttäuschten Liebhaber' für die Charakterisierung der literarischen Kompetenz seines Großvaters geeignet erschien. Da die inserierten Anekdoten und literarischen Geschichten mitunter strukturelle Analogien zu den sie umgebenden historischen Passagen auiweisen, bietet es sich an, das Märe auf seine poetologische Funktion im historiographischen Kontext hin zu analysieren. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf das Verhältnis der verschiedenen Handlungsebenen zu richten sein. Ich skizziere zunächst den Inhalt dieses deutschen spruchfsj gemacht von ainer abenteuerlichen handlung (I,586,21f):"° Der Ich-Erzähler begegnet auf einem abendlichen Spaziergang einer jungen Frau und beginnt sofort, heftig um deren Liebe zu werben, wird jedoch mit höhnischen Worten abgewiesen. Trotzdem folgt der Mann von Sehnsucht erffillt seiner Angebeteten und wird Zeuge, wie sie einen jungen Mönch küßt, dabei von ihrem wesentlich älteren Ehemann überrascht und nach Hause geführt wird. Der Ich-Erzähler folgt den beiden und entdeckt, daß seine Herberge und das Haus des Ehepaars aneinandergebaut sind. Durch einen Spalt in der Wand"' kann er von seinem Zimmer aus das nun folgende Gespräch zwischen dem Ehepaar belauschen. Der Mann wirft seiner Frau das erneute Treffen mit dem Mönch vor, nachdem er die beiden erst vor vier Tagen in flagranti erwischt hat (1,592,1 I f ) . Die Reaktion der Frau erfolgt in Form einer 'paradoxen Intervention', sie bezichtigt ihren Mann der Lüge: Du hast mich gelogen an; / Wiltu die rechten warhait jehen, / So hast mich uf dem münch gesehen / Und nit den münch uf mir (1,592,21-24). Mit dieser witzigen Bemerkung wird der Ehebruch im Grunde bestätigt, aber er ist für die Frau zweitrangig, sie legt vielmehr Wert darauf, daß ihr Gatte ihre 'Machtstellung' selbst beim Ehebruch erkennt. Der Mann besitzt aber keine Interpretationskompetenz und ist durch die Worte der Frau nur verwirrt (1,594,1-15). Er findet zu keiner aktiven Gegenwehr, weil ihn die widerstreitenden Gefühle gegenüber seiner Frau paralysieren. Die Frau nutzt diese Schwäche des Mannes und geht ihrerseits zum Angriff über, indem sie ihrem Mann Trunksucht und - mit Recht - Realitätsveriust vorwirft. Als sie schließlich mit Erfolg einen Ohnmachtsanfall vortäuscht, lenkt ihr Mann ein; es kommt zur Versöhnung und er gesteht ihr für die Zukunft alle Freiheiten zu. Obwohl die Frau jetzt ihren Willen durchgesetzt hat, will sie ihren Mann im

" " Den Spruch soll Johann Werner aufgrund eines eigenen Erlebnisses in den Niederlanden angefertigt haben. Hinsichtlich des biographischen Charakters hat Proben freilich die gattungstypische Ich-Form der Minnerede sowie die geographische Konkretisierung - in der Nähe von Aachen - als Abbildung von Realität mißverstanden. Genau dies gehört jedoch zur Gattungstypik der Minnerede. Dieses Motiv entstammt möglicherweise der Minnerede 'Der Spalt in der Wand' (BRANDIS, Minnereden, Nr. 352).

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Glauben an die Richtigkeit seiner nachgiebigen Haltung bestärken und erzählt ihm die bekannte Geschichte von Philippa und Rinaldo aus dem 'Decamerone'.'" Am Ende der Erzählung schaltet sich überraschenderweise ein auktoria1er Erzähler ein und dreht die Logik von Boccaccios Erzählung um, indem er die Zustimmung des Maimes zum Verhalten Philippas als nicht-ordogemäße Überordnung der Frau über den Mann deutet: Das bedunkt das metzlin recht, / Damit ward der herr zum knecht. / Also nach alten essein geschehen soll, / Das ist gar billich und wol (1,602,45-48). Der heimliche Lauscher hat aus dem Gehörten nichts gelernt, sondern unternimmt am nächsten Morgen einen neuen Versuch, die Gunst der jimgen Frau zu gewinnen. Diesmal wird er mit einer doppeldeutigen Rede, die sich der termini technici der Feldarbeit zur metaphorischen Umschreibimg der Liebesvereinigung bedient,'" verspottet. In seiner Liebesblindheit übersieht er den Spott imd glaubt den Versprechimgen der Frau, die ihm ein nächtliches Stelldichem in Aussicht stellt (1,604,9-22). Sie verlangt dabei von ihm, daß er in der Wand zwischen beiden Häusern, hinder dem kemmin (1,604,17), auf sie warten solle. Nachdem der Ich-Erzähler bis zur Nacht im quälenden Rauch ausgeharrt hat - Und hett ich Nerons sündt gethan, /Ich möcht sie da gebüßet han (1,604,3If.) - , kommt die Frau zwar tatsächlich und schwört ihm ewige Treue, vertröstet ihn aber auf einen anderen Termin, den ihm ihre Magd noch mitteilen wird. Die jedoch erscheint bald darauf mit der Nachricht, der Ehemann sei zurückgekommen und ein Treffen jetzt unmöglich. Als der Erzähler wieder seinen Beobachtungsposten an der Wand einnimmt, sieht er statt des Ehepaares die Frau mit dem Mönch im Bett. Der enttäuschte Liebhaber berichtet dies seinen Gesellen, die ihn wegen semer VerUebtheit verlachen und ihn davor warnen, in die gleiche Situation wie der gehörnte Ehemann zu geraten: Es begegnet dir morgen, Das du auch wurdest gesehen, Als dem alten ist geschehen; Dann dir iezo gebrist. Das du betöret bist; Dann die lieb on mangel Dich gefasst hat an angel. Die du zu dem dirnlin hast. Das du nit weist, wamitu umb gast. Und werest auch dess vergessen. Wie du hint bist gesessen Hinderm kemin am rauch. (1,607,5-16)

Boccaccio, Decamerone VI,7. Vgl. LIEBRECHT Π, S. 392.

Vgl. zu dieser Terminologie RICHARD BRINKMANN, Die deutschsprachige Pastourellendichtung. 13. bis 16. Jahrhundert, Diss, masch. Bonn 1976, S. 248.

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Diese Argumentation leuchtet dem Ich-ErzäMer zu guter Letzt dann doch ein,'" und er geht nach Hause. In der bislang ausführlichsten Interpretation dieses Märe hat HANSJOACHIM ZFFIGELER den 'Enttäuschten Liebhaber' dem Erzähltyp "Ich-Erzähler als Betrogener" zugeordnet*^' und die topischen Versatzstücke des Märe als 'ΈnthШlung des Gegenteils von dem, was zuvor gesagt worden ist" bzw. als "enttäuschende Überraschimg" beschrieben.'^' Wichtiger jedoch als die spezifisch "ironisch inszenierte Blamage des Ich-Erzählers" erscheint mir die 'sprechende' Anlage dieses bemerkenswert konsequent gestalteten Märe. Eigentlich handelt es sich hier um drei ineinander geschachtelte Erzählungen, von denen die von ZFFIGELER interpretierte nur den äußeren Rahmen bildet. In diesen eingelagert ist der Ehestreit und darin wiederum die Boccaccio-Novelle. Die erste Binnenerzählung folgt dem von FISCHER als "Eheliche Kraft- und Treueprobe" bezeichneten Themenkreis:'" Der alte Mann ist der Liebe zu seiner jungen Frau so verfallen, daß ihn weder der von ihm selbst entdeckte Ehebruch, noch ihr ebenfalls durchschautes intellektuelles Verwirrspiel von ihrer Untreue überzeugen können. Daß der Mann sich jedoch gerade nicht, wie es der Gattung entsprechen würde, von seiner Frau an der Nase herumfuhren läßt, sondern von blinder Liebe zu seiner Frau paralysiert ist, stellt einen eigenständigen Beitrag innerhalb dieses literarischen Diskurses dar, auf welchen auch die Rahmenhandlung bezogen ist. Der Ich-Erzähler befindet sich zunächst in derselben Lage wie der Ehemann, er ist auch in die Frau verliebt und sieht ihre Untreue mit eigenen Augen. Er gerät hinter dem Kamin selbst in eine demütigende und qualvolle Situation, kann sich aber trotzdem nicht vom Bann der Minne lösen. Dies gelingt ihm erst, als er seine Freunde über seinen Zustand unterrichtet, und diese ihm in einer typischen 'Ratsituation' die Parallele zwischen seinem Verhalten und dem des Ehemanns eröfbien. Dieses Gespräch bringt die Wende, und in der öffentlichen Diskussion seines Verhaltens liegt für ihn die Chance zur Erkenntnis seiner selbst. Daran schließt sich auch die explizite Lehre an - der Ich-Erzähler sieht das Märe als Test für alle in Liebe Entbrannten: Ob ich nur vast erzellen ihet, Wie unmut mich besessen hett Und wie mir am herzen wer, Das doch dir ain schimpflich mär, Ob ich das tet ußkünden; Es wer gegen frembden oder fründen, Die Freunde pointieren nochmals die dem Erzähler drohende Gefahr mit den Worten: Mach dich uf zum essen, / Das wir uf die Straßen / Nit ainandern kommen! / Das bringt dir me frommen, / Dann das du legest hie / Und teglich sehest, Wie / Das dümlin und der münch teten / Und dichför ain narren hetten (1,607,38-45). ZIEGELER, Erzählen, S. 82,84f., 328f.; vgl. auch FISCHER, Studien, S. 188f. ZIEGELER, Erzählen, S. 85. FISCHER, Studien, S. 96.

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Die 'Zimmerische Chronik' So wer es mir selbs schmach gethon. Darumb so will ichs bleiben Ion Und aim ieden zu messen geben, Dem ihe bei allen seim leben Ist sein herz embrannt Und der liebe worden bekannt. (1,608,1-12)

Auf der Handlimgsebene weist das Märe einen Ausweg aus heilloser Liebesverstrickung. Die Lösung liegt in der durch Deutung gewormenen Erkenntnis der eigenen Lage und in der Fähigkeit, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Dieses Ziel ist jedoch - wie das Gegenbeispiel des alten Marmes beweist - im inneren Monolog nicht zu erreichen, weil hier die Stimme des Intellekts von der Leidenschaft übertönt wird. Allein das Bekenntnis gegenüber den Freunden und die Befolgung ihres Rates hilft, und insofern stehen die vom Ich-Erzähler und dem alten Marm gezogenen Konsequenzen aus ihrer Minneblindheit konträr zueinander. Inhaltlich kann jedoch die Aussage nur als Warnung vor der Umkehrung der traditionellen Rollenverteilung in den Geschlechterbeziehungen verstanden werden. Um dies besonders einprägsam zu vermitteln, ist die zweite Binnenerzählung, eine Geschichte in der Geschichte, emgefügt. Denn die eigentlich diesem Ergebnis widersprechende Erzählung aus dem 'Decamerone' wird hier vom auktorialen Erzähler ins Gegenteil verkehrt; nicht eine selbstbewußte Entscheidung der Frau offenbart sich hier, sondern ein solches Verhalten wird als Bedrohung der männlichen Vorherrschaft perhorresziert. Welche Funktion hat nun diese Erzählung in Hinblick auf die Biographie Johaim Werners? Betrachten wir zunächst die Motiv-Konvergenzen. Geht man davon aus, daß das Märe in der Rahmenhandlung den Konflikt zwischen rationaler Erkenntnis und Triebverfallenheit thematisiert, dann sind die Parallelen zu einem Grundproblem von Johann Werners Charakter offensichtlich. Auch ihn haben weder Verstand noch Intelligenz vor dem Untergang bewahrt. Insbesondere gegenüber den Werdenbergem und ihren Verbündeten verhält sich Johann Werner wie der enttäuschte Liebhaber, der zwar ständig düpiert wird, aber immer weiter auf Gunstbeweise hofft. Man kann sogar, eine moderne Deutung des Minnesangs aufgreifend, die unerreichbare Dame mit dem kaiserlichen Hof, um dessen Gnade sich Johann Werner vergeblich bemüht hat, gleichsetzen. Dies wäre darm ein Beleg dafür, daß selbst im 16. Jahrhundert gesellschaftliche Konflikte im Medium von Minnebeziehung dargestellt werden können - wenn auch nur im Modus der Wertverkehrung."' Auch auf der poetologischen Ebene läßt sich eine Erklärung dafür formulieren, warum Froben ausgerechnet dieses Märe so faszinierte, daß er es als Beleg für die literarische Kompetenz seines Großvaters in sein Werk aufiiahm. Der

RAGOTZKY (Gattungsemeuerang, S. 10-38, hier S. 37f.) hat anhand der 'Frauenehre' des Strickers demonstriert, daß im 13. Jahrhundert die werterzeugende Leistung des Miimedienstes neu zur Geltung gebracht wird. Zum СОФИЗ des Strickers (Hs. C) im Besitz der Zimmern vgl. unten Anm. 955.

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Grund hierfür liegt in der Kombination von Rahmenhandlimg und einer darauf kommentierend bezogenen Binnenhandlung. Diese Deutung funktioniert auf zwei Ebenen. Auf der Ebene der Handlung setzt die Dame die Boccaccio-Novelle"' ein, um ihren Mann zur Einsicht eigenen Fehlverhaltens zu bringen, und das 'Ich' dreht diese Deutung auf der Handlungsebene um. Sinnbezüge bestehen demnach zwischen den Handlungen auf den verschiedenen Ebenen, sie werden durch die jeweiligen Kontexte, in die sie der Autor stellt, konkretisiert. Dies ist genau das von Proben selbst angewandte Verfahren, wenn er Inhalte und Struktur literarischer Erzählungen an die historischen Gegebenheiten seiner Zeit und Region anpaßt und sie mit einem handlungspragmatischen Sinngehah auflädt. Insofern wäre das Märe des Großvaters eine literarische Rezeptionsanweisung. Demgemäß könnte die Funktion der Biimenerzählung in dem Märe Aufschluß über Frobens eigene Intentionen bei seinen Gattungsvermischungen in der Chronik geben: Die untreue Ehefrau 'zitiert' das 'Decamerone' mit dem Zweck, ihrem Mann das 'Unrecht' semer Eifersucht zu vermittehi. Dies geschieht jedoch nicht in Form einer expliziten Lehre, sondern im Modus einer von dem Angesprochenen erst zu deutenden Erzählung. Der Erfolg gibt der Frau recht, der Mann versteht den Sinn und läßt seiner Frau die versprochene Freiheit (1,602,32-44). Obwohl sich der Ich-Erzähler von dieser Rollenverkehrung distanziert,"" wendet er das poetologische Verfahren selbst an, wenn er am Ende des Märe dessen Funktion im Sinne Horaz' als Heilmittel für alle Verliebten defmiert (1,608,9-12). Dieselbe Methode benutzt der Chronist, wenn er in der Einleitung die Leser auffordert, das Märe mit der Gegenwart in Bezug zu setzen (1,586,28f). Die Parallelen gehen noch weiter: Wie der Ich-Erzähler verfügt jeder Mensch hinsichtlich seiner historischen Situation nur über eine begrenzte Wahrnehmung, er nimmt die Welt gewissermaßen nur in einem spalthaften Ausschnitt wahr. Eine Änderung ist nur durch eine Deutung des Geschehens möglich, die jedoch nicht - wie bei dem Ich-Erzähler durch Leidenschaft - verstellt sein darf Aus einer solchen begrenzten Wahrnehmungsperspektive rettet der Rat der Freunde oder eben die Kenntnis literarischer Geschichten, die diesem entspricht. Demgemäß ist nicht nur die Geschichte magistra vitae, sondern dasselbe leisten die literarischen Geschichten. Deren Deutung ergibt sich aus dem übergeordneten Kontext, in den sie gestellt werden. Kontext und Text ergänzen sich demnach wechselseitig. Das gleiche Verfahren hat der auktoriale Erzähler im Märe praktiziert, indem er die Boccaccio-Novelle als Warnung an die Männer deutet.

Boccaccio war für Proben kein Unbekannter. Der Katalog des Jakob Ramingen von 1575 verzeichnet die Augsburger Ausgaben von 'De casibus virorum illustrium' und 'De Claris viris et mulieribus' von 1544 (Wien, ÖNB, Cod. 12595, f. 14770 und 17787). " " 1,602,46-48: Damit ward der herr zum knecht. /Also nach alten essein geschehen soll, / Das ist gar billich und wol [...].

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5.6.1.4. Kommentierte Geschichte - Zur Funktion der Nachtragskapitel in der Johann-Werner-Biographie Anhand der vorangegangenen Abschnitte habe ich die These aufgestellt, daß die nachgetragenen Schwänke und Anekdoten teilweise als impliziter Kommentar des Chronisten zur Dynastiegeschichte und dem Verhalten der Vorfahren zu lesen sind. Maßgebend war dafür die Verwendung identischer Motive und Handlungsmuster auf der historiographischen wie der literarischen Ebene. Dies ist nun anhand der Nachträge des Johann-Wemer-Abschnitts zu überprüfen. Ich konzentriere mich dabei auf jene schwankhaften Nachträge, die in einem deutìichen stilistischen Kontrast zum Haupttext stehen. Die 'Gegenstimme' der Schwänke ist nicht erst beim Niedergang des Geschlechts zu hören, sondern bereits auf dem Höhepunkt von Johann Werners Hoikarriere (Kap. 64), als er, eine Schwäche der Werdenberger nutzend, die Pfandschaft über die Grafschaft Veringen an sich reißt. Im Nachtrag 99"' bietet Proben zwei schwankhafte Erzählungen, die sich mit den Themen 'Statusanmaßung' sowie 'Arroganz als Folge von Unsicherheit' befassen. Protagonist der ersten Handlung ist ein Schuhmachersohn, der sich auf Gesellenwalz begibt, aber über Ulm nicht hinauskommt und schon nach zwei Monaten wieder in seine Heimatstadt Rottenburg zurückkehrt. Da er weiß, daß sein Vater mit der frühen Rückkehr nicht einverstanden sein wird, benimmt er sich so, als ob er nach jahrelanger Wanderschaft zurückkäme und inzwischen ein so angesehener Herr geworden sei, daß er jetzt mit seinem Vater auf gleicher Stufe stünde. Als äußeres Zeichen dieses neuen Status kehrt er nicht ins Haus der Familie zurück, sondern bestellt seinen Vater ins Wirtshaus und redet dort bairisch mit ihm. Mit aller Gewalt versucht der Sohn die Realität in seinem Sinne umzudefmieren. Der Vater reagiert darauf aber sofort, er verprügeh seinen Sohn und treibt ihn nach Hause. Die Parallele zwischen Schuhmachersohn und Johann Werner ist offenkundig, beide glauben sich nach ihrem Aufenthalt in der Fremde zu Hause als große Herren aufspielen zu können. Da der Schuhmachersohn dabei aber immer Angst vor der drohenden Strafe in der Heimat hat, ist damit indirekt eine Aussage über den Kontext von Johann Werners expansiver Besitzpolitik getroffen: Seine Neubestimmung der machtpolitischen Realitäten ist erfolglos, im Konflikt mit den Werdenbergem wird er sehr rasch und nachdrücklich über die wahren Machtverhältnisse zu Hause aufgeklärt. Der Nachtrag 99 karm so als verhüllte Kritik an der Politik des Großvaters gelesen werden: Da dieser nicht bedachte, wie schwach die heimatliche Basis seiner Macht tatsächlich war, brach sie rasch in sich zusammen, als es galt, sie gegenüber einem Mächtigeren zu behaupten. Dieser Logik zufolge wäre die eigentümliche Verwen-

Nr. 99 = 1,508,3-509,28. Der zweite Nachtrag (84) enthat nur eine kurze Reminiszenz an die rhetorischen Fähigkeiten Johann Werners.

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dung der bayerischen Sprache durch den Schuhmachersohn als eine Kritik Frobens an Johann Werners Verbindung mit Bayern zu verstehen."^ In einer weiteren Nachtrageanelcdote'" gibt sich ein von den Zimmern bevorzugter Diener, namens Gumprian, als Frauenheld aus, obwohl er hnpotent ist. Proben bezieht die Geschichte hier explizit auf ein allgemein menschliches Verhaltensmuster, wonach die am wenigisten künden oder vermögen, [die] sich doch am meisten rümen (1,512,42f.). Ostentative Machtdemonstration wäre demnach ein Indiz fur fehlende Substanz. Die Analogie dieser Handlungskonstellationen zur Politik Johann Werners in der Phase seiner größten Erfolge hegt nahe.'" Auch sein Aufstieg beruhte lediglich auf seiner Verbindung mit einem Mächtigeren. Aber mit der großen Machtausdehnung, die die Einnahme der Grafschaft Veringen gegen den Widerstand ihrer werdenbergischen Besitzer und die Übernahme der Amtmannschaft Hohenberg bedeutete, war der Bogen übersparmt.'" Diejenigen, die - wie hn Schwank die Kontrahenten Gumprians - diese Diskrepanz erkennen und erfolgreich ausnützen, sind die unmittelbar und empfindlich von Johann Werners Aktion betroffenen Werdenberger. Das teilweise unvorsichtige Vorgehen Johann Werners beim Machtausbau gerät so unter einen neuen Blickwinkel, der Chronist beginnt im Medium des Schwanks die Aktivitäten seines Großvaters zu perspektivieren und zu dekonstruieren."' Der Zielpunkt des Chronisten ist dabei Johann Werners Verhalten selbst: Während er im Haupttext alle Schuld an der zimmerischen Misere den Werdenbergem zuschreibt, fuhrt er nun indirekt auch Johann Werners eigenen Anteil vor. Die Kritik- und Kommentarfunktion der Schwänke ist zugleich ein Indiz für die fortgesetzte, ständige Dialogisierung der Geschichte. Das im Haupttext vorgegebene Deutungsschema wird nicht bloß dekonstruiert, sondern der Blick auf eine komplexere historische Wirklichkeit eröflSiet. Dahinter verbirgt sich vielleicht die Einsicht, daß aus der Vergangenheit nur der lernen kann, der sich auf eine differenziertere Ursachenforschung einläßt, als dies im Haupttext bisher geleistet worden ist. Ist dort neben den exogenen Faktoren nur der Hofdienst als Ursache des Untergangs benannt worden, so wird jetzt auch das spezifische Verhahen Johann Werners verantwortlich gemacht, der - ebensowenig wie der Narr Gumprian - merkt, daß sich seine Prahlereien bei näherem Hinsehen rasch als hohle Phrasen entpuppen. Die

Vgl. auch WOLF, Alhie, S. 179f. Nr. 119 = 1,512,6-514,2. In der Überschrift {In caput von der Werdenbergischen Handlung und dem Unfall, Hs. B, S. 1279) weist Proben explizit auf den Zusammenhang mit dem Unglück Johann Werners hin. Die Zuordnung zum 64. Kapitel ist von daher zwar nicht zwingend, jedoch die interpretative Funktion hinsichtlich Johann Werners Untergang. " " Zu den Einzelheiten sei wieder verwiesen auf WOLF, Alhie, S. 183ff. Zur Geschichte Hohenbergs im Kontext der habsburgischen Expansionspolitik in Vorderösterreich vgl. HANS EMCH FEINE, Die Territorialbildung der Habsburger im deutschen Südwesten, vornehmlich im späten Mittelalter, Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 67 (1950), S. 176-308, hier: S. 254 und 284f ' ' ' Vgl. LFFIBERTZ-GRÜN, Spiel, S. 220ff.

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Kommentierung eines Geschehens mittels einer sekundären Geschichte ist nicht neu, die enge Analogie zu der Belehrung des alten Ehemanns durch die Boccaccio-Erzählung drängt sich geradezu auf. Die Perspektivierung des Haupttextes ist demzufolge die zentrale Funktion der schwankhaften Anekdoten der Nachträge. Sie stehen an der Stelle abstraktnormativer Beurteilungen, die der Chronist vermeidet. Die Gründe hierfür können - wie im Fall Joharm Werners - in widerstreitenden Aussageintentionen liegen: Der Loyalität gegenüber der eigenen Dynastie steht der Wunsch nach emer ICritik an der falschen Politik des Großvaters gegenüber. Außerdem eignet sich diese Form für eine Perspektivierung des Verhaltens derjenigen historischen Akteure, die nach Meinung des Chronisten einen Anteil an der zimmerischen Katastrophe haben, auf die er aber, wie im Fall des Kaiserhauses, politische Rücksichten zu nehmen hat und die er nicht explizit kritisieren will. Ein unmittelbares Beispiel hierfür bieten die Nachträge zum 65. Kapitel, in dem die Verhängung der Acht über Johann Werner berichtet wird. In den Nachträgen dieses Kapitels 'kommentiert' Froben die Achterklärung, indem er indirekt jenen kaiserlichen Vorwurf zu entkräften sucht, Johann Werner habe eine politisch ungelegene Heirat vermittelt. Froben erzählt zwei kurze Geschichten (Nachtrag Nr. 25 und 97), denen das Motiv der Verwechslung zugrunde liegt. Die erste Erzählung (1,527,28-530,21) handelt von Herzog Friedrich von Tirol,"' der auf einem Hofbankett zu Ehren Kaiser Sigmunds inkognito eine Bürgerstochter vergewaltigt und - seine Ähnlichkeit mit dem Kaiser nutzend - ihm dieses Verbrechen in die Schuhe schieben will. Nur durch eine Gegenüberstellung kann der Kaiser, dem Gott in dieser gefahrlichen Situation verstandt und gnad verleiht, sich von diesem Verdacht reinigen. Warum wählt Froben ausgerechnet diese Geschichte als Beispiel für die seltzamen, ungetrewen und wunderbarlichen Handlungen Friedrichs? Die Verwechslungsgeschichte hat eine thematische Parallele zur Verurteilung Johann Werners wegen seiner angeblichen 'Hofmtrige' gegen Kaiser Friedrich III. Wie Johann Werner so ist auch Kaiser Sigmund zum Opfer einer Verleumdung geworden, wie der Kaiser - so kann man weiter schließen - ist Johann Werner mit den wahren Übeltätern verwechselt worden. Gestützt wird diese Interpretation des Nachtrags als Kommentar durch einen Hinweis, den Froben an dessen Anfang stellt. Es ist jene Stelle, an der der Chronist es als das gesetz der historien definiert, die geheimen Ursachen der Ereignisse offenbar zu machen, und dies sogar gegen das christliche Verbot des Urteilens rechtfertigt."' Die sich daran

Dieser Herzog Friedrich IV. ist der Vater Sigmunds. An seinem moralisch verwerflichen Handeln zeigt es sich, daß Gott ein Geschlecht in mehreren Gliedern straft (1,526,20fr.). 1,526,11-17; Und unangesehen das von niemandts in disem zeit soll leuchtlichen geurthailt werden, geschweigen das von solchen hachen leuten die warhait zu schreiben oder sagen nit wol gepürt oder zum wenigisten nit als sicher, iedoch ain, der historias beschreiben will, soll sich wol erinnern,

da er die warhait

und die sachen,

sich verioffen,

an tag gibt, das er

die gesetz der historien nit Übergang. Vgl. dazu auch unten S. 422ff.

hiemit

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anscMießende Aufforderung an den verstendigen leser, sich anhand der kurzen Andeutungen eine eigene Meinung zu bilden, kann sich freilich nicht mehr allein auf die Vergewaltigung beziehen, denn dort stellt Proben Herzog Friedrich vollkommen bloß, sondern dies ist eme Rezeptionsanweisung für die Chronik. Indirekt verlangt Proben die verborgenen Gesetze des Lebens anhand seiner Erzählungen selbst zu analysieren. Dazu aber gehört hier die Erkenntnis aller Ursachen,"' die den unfaal bewirkten. Das Versagen des Großvaters wäre darin zu sehen, daß er es im Unterschied zu Kaiser Sigmund nicht verstanden hat, der Intrige durch sofortiges Öffentlichmachen zu begegnen. 5.6.2. Die Geschichte Veit Werners - Werdenberg-Zimmem-Händel II (Kap. 73-79) Der Tod Johann Werners d. Ä. markiert einen ersten Wendepunkt im Konflikt zwischen Werdenberg und Zimmern. Die jetzt vom Chronisten verwendete narrative Organisation der Geschichte könnte man mit den von WfflTE verwendeten Kategorien narrativer Modellierung"" als die eines 'romantischen Erlösungsdramas' kennzeichnen. Nachdem die Dynastie im ersten Teil an den Rand des Untergangs geraten war, tritt jetzt in der Gestalt Veit Werners der Erlöser auf, der den Sieg des Guten über das Böse herbeiführen wird. Der Konflikt wird als Zweikampf in Szene gesetzt und psychologisch motiviert: Auf der einen Seite steht Haug von Werdenberg, der auf dem Höhepunkt seiner Macht ist und folglich hypertrophe Pläne entwickelt. Er will ein Pürstentum errichten und dazu die Zimmern endgültig vernichten. Sein Gegenspieler Veit Werner trägt Züge eines Epenhelden, der mit einem mutigen Gewaltakt das besetzte Oberadorf zurückerobert. Zwar kann Proben den historischen Kontext, die gewandelte politische Konstellation, die Unterstützung der Zimmern durch Reich und Adel, die Verhandlungsbereitschaft der Werdenberger, nicht verschweigen, aber er erwähnt diese nur, um entweder die Strategie Veit Werners positiv hervorzuheben oder einen weiteren Beweis für die werdenbergischen Intrigen vorzulegen.'^' Veit Werners Politik wird als deutlicher Kontrast zu der Johann Werners d. Ä. in Szene gesetzt. Wie sein Vater gerät auch Veit Wemer nach der Eroberung Obemdorfs in die Reichsacht (1497) - was nach Ansicht Probens nur aufgrund einer Intrige der Werdenberger"^ geschehen konnte - , aber Veit Wemer agiert Die Suche nach den Gründen für die geschichtliche Entwicklung ist ein Hauptmotiv für Frobens Arbeit. Indem er diese einzelnen Geschichten erzählt, versucht er auch, selbst den Voraussetzungen auf die Spur zu kommen, unter welchen Gott ein Geschlecht straft. Die "Weltbreite" (LÀMMERT, Bauformen, S. 64) eines Werkes wird gerade dadurch erreicht, daß in der Chronik versucht wird, die lex totius der Welt zu erfassen. Vgl. dazu unten S. 387. HAYDEN WFFLTE, Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa, Frankfim a. M. 1994, S. 22. Vgl. etwan,12,26. 11,1,7-15: In wenig Zeiten nach obgeschribnen sachen hai grave Haugo von Werdenberg herm Wörnhern freiherrn zu Zimbern, die statt Rottweil und in somma alle die, so bei einne-

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SO klug in der Öffentlichkeit,"' daß Maximilian noch im gleichen Jahr nicht nur die Acht löst, sondern den Werdenbergem die Herrschaft Meßkirch entzieht und sie der Sequestration durch die Grafen von Zollem unterstellt. Was hat den Umschwung bei Maximilian bewirkt? Um dies zu erklären, greift Proben auf literarische Motive zurück. In diesem Fall ist es eine Motivkombination, die aus der höfischen Literatur des Mittelalters bekannt ist: Ein unbekannter Ritter - es ist Veit Werner - erscheint am Hof, erregt durch Schönheit, Fähigkeiten und Tugend allgemeines Aufsehen""* und der König verspricht ihm die Erfiillung eines Wimsches."' Nachdem Maximilian das 'blinde Versprechen' abgegeben hat, bittet der Fürsprecher der Zimmern, Kurfürst Friedrich der Weise, fiir den Unbekannten um Gnade. Damit scheint nach der Logik des literarischen 'Zitats' die Sache entschieden zu sein, denn Maximilian bleibt jetzt im Grunde nichts anderes übrig, als Veit Werner zu verzeihen. Tatsächlich reagiert der güetig könig entsprechend, er sagt dem Kurfürsten zu, deren von Zimbern gnedigester könig zu sein, auch in denen sachen handien zu lassen, damit sie spüren, solchs fürbitts genossen zu haben, mit anzaigung, er mechte leiden, das gedachte von Zimbern ire güeter widerumb wie von alter hero inhetten (11,9,17-21). Wenn dann trotzdem der Konflikt bis 1503 fortdauert, dann beweist dies, daß das literarische Motiv des 'blinden Versprechens' für den historischen Diskurs keine Relevanz besitzt. Denn Maximilian hat in der Folgezeit eben keineswegs die Sequestration der zimmerischen Güter aufgehoben. Maximilians Gnadenakt erfüllt eher die Funktion einer Entlastung des Königs von der direkten Mitschxild an der Fortdauer des zimmerischen unfaals. Maximilian repräsentiert für den Chronisten den Typ des idealen Herrschers - und dies bedeutet hier die Ausrichtung an den von der Literatur tradierten Normen. Dementsprechend kann er nicht als Gegner der Zimmern eingeführt werden, und deswegen mündet der historische Diskurs wieder in das bereits etablierte Motiv ein, wonach für die Verzögerung der Versöhnung zwischen Kaiser und Zimmern allein Haug verantwortlich ist."' mung der stat Oberndorf gewesl, bei könig Maximilian dermaßen verunglimpft, das Ir Majestät dadurch dieselben als offne, gemaine landtfridens verprecher in die acht zu declarieren verursacht worden, welches heschehen zu Lindow im vierzehenhundert sibenundneunzigisten jar. Insofern verhält sich Veit Werner ähnlich wie in jener nachgetragenen Vergewaltigungsgeschichte der Kaiser Sigmund, der auf die Verdächtigungen hin aktiv und öffentlich seine Rechtfertigung betreibt. Die bekannteste Stelle ist Tristans Ankunft am Markehof (Gottfried von Straßburg, Tristan, v. 3332-3378). Vgl. zum Motiv des 'blinden Versprechens' Mot. M 223; Hartmann von Aue, Iwein, v. 45274582. Das Motiv der werdenbergischen Unnachgiebigkeit dominiert auch in den Kapiteln 77 und 78, in denen der Chronist die langwierigen Verhandlungen der Jahre 1497-99 zusammenfaßt. Zwar finden eine Reihe von Gesprächen statt, auch erhalten die Zimmern von den Reichsständen politische Unterstützimg, aber es kommt zu keinem Ergebnis, da - wie Proben unterstellt -

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Trotz des militärischen m d politischen Erfolgs ist das Urteil Frobens über seinen Onkel Veit Werner ambivalent, und er benützt dessen Biographie, Gnmdsätze politischen Handebis zu thematisieren. Auch dies spiegelt bereits die narrative Organisation von Veit Werners Biographie: Seine Ritterlichkeit, die er in der Eroberung Obemdorfs unter Beweis gesteUt hat, wird konterkariert durch emen unüberlegten Angriff auf den Grafen Christoph von Werdenberg, sein früher Tod (1499) wird einem werdenbergischen Giftanschlag zugeschrieben und damit als indirekte Folge seiner militärischen Unternehmungen gekennzeichnet. Proben führt hier implizit den Diskurs über das richtige politische Handeki weiter und deckt dabei als anthropologisches Prinzip das Gesetz von Aktion und Reaktion auf."' Während sich Proben im Haupttext noch mit Kritik an Veit Wemher zurückhält, ihm ain tapfer, trutzlich gemüet (11,14,5) bescheinigt und seinen Überfall auf Graf Christoph mit den werdenbergischen Intrigen rechtfertigt, distanziert er sich in einem Nachtrag (Nr. 65) allmählich von ihm. Er bedient sich dazu einer Geschichte, die auf emem literarischen Motiv aus dem Stoffkreis der 'Gäste vom Galgen'®^' basiert. Als Protagonisten setzt Proben einen anonymen Vetter des zimmerischen Hauptmanns Wildhans Spät ein. Warum nur solch ein indirekter Zusammenhang mit emem zimmerischen Offizier hergestellt wird, läßt sich leicht erklären. Da es zur Typik dieses StofEkreises gehört, daß sich ein Lebender gegenüber den Toten unangemessen benimmt,'^' kann Spät, der den militärischen Oberbefehl bei der Eroberung Obemdorfs hatte und ansonsten als enger Freund der Zimmern auftritt, nur die Authentizität der Geschichte 'bezeugen'. Dieser Vetter reitet in Begleitung Späts an einem Hochgericht vorbei und lädt höhnisch die dort aufgehängten drei übelthetter zum Nachtmahl ein. Als dann in der Nacht tatsächlich die drei dürren brüeder Einlaß ins Spätsche Haus begehren, ist das Entsetzen groß: Allererst ward disem kecken kerle sein freche und gespöttige red zufallen, die in iezundt übel gerawen het, aber zu spat (I,627,7ff.). Obwohl sich der Vetter zunächst weigert, dem Wunsch zu entsprechen, gibt er schließlich auf eine

die Werdenberger nun den Plan verfolgen, das herr Wernher und seine brüeder aus armuet nit sollten vermegen, der Handlung ain endtschaft zu gewarten, sonder das sie es [...] müesten ansteen und ersitzen lassen, oder die Herrschaft Mösskirch verkaufen (11,20,16-20). Der Chronist verschweigt an dieser Stelle freilich, daß auch Veit Werner an einer schiedsrichterlichen Entscheidung nicht wirklich interessiert ist, weil er die Restitution des gesamten ehemaligen zimmerischen Besitzes erreichen will. Diese Einschätzung läßt Proben jedenfalls zu Begiim des 77. Kapitels durchblicken, wenn er als Grund für das abwartende Verhalten Veit Werners dessen Befürchtung anfuhrt, der römisch könig, dieweil der zu weit mit reden, auch brief und siglen gegen denen von Werdenberg sich eingelassen, wurde im, auch seinen geschwistergiten ain partheiischen vertrag aufrichten (11,15,18-21). Dieses Prinzip liegt auch einem Schwank im gleichen Abschnitt zugrunde (Kap. 74 [Einnahme von Obemdorf], Nachtrag 108,1,617,12-618,27), in dem explizit die Aufdeckung solcher Gesetze als Aufgabe des Historikers bezeichnet wird. Vgl. dazu unten S. 422ff. LIEBRECHT Π, S. 393. Vgl. auch Mot. E 238. LFFIBRECHTN,S. 393.

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dunkle Drohung der drei Wiedergänger nach und läßt sie ein. Die Gäste verschwinden zwar nach einiger Zeit wieder, ohne irgendeinen Schaden angerichtet zu haben, aber ihr Auftritt hat seine Wirkung nicht verfehlt: Bemelter Speet, noch auch sein veiter, der Wildthanns, haben hernach keinsen solchen mehr gespott oder zur malzeit geladen, sein auch baide, so lang sie gelebt, für das hochgericht nit mehr geritten (1,627,41-628,2). Die Zuordnung dieser Geschichte zur 'Zimmerischen Chronik' ist rein äußerlich-formal,"" aber eine inhaltliche Analogie ergibt sich doch über die Eroberung Obemdorfs durch Veit Werner. Denn diese Handlung war im Hinblick auf die möglichen Konsequenzen ebenso unüberlegt wie die Einladung der drei Gehenkten durch den Vetter Späts. Der Nachtrag ist demnach eine deutliche Warmmg vor unbedachten Handlungen. Für dieses Ziel ist eine solche Gespenstergeschichte ideal: Die Argumentation des Haupttextes wird mit diesem narrativen Einschub nicht explizit aufgehoben, und zugleich kann sich der Chronist an dieser für eine politische Nutzanwendung so entscheidenden Stelle von jeder Form draufgängerischen Verhaltens distanzieren. Dabei muß der Leser den Nachtrag nicht einmal als kritischen Kommentar zum Überfall auf Obemdorf lesen; es wird ihm aber sehr anschaulich vorgeführt, wie riskant solche unbedachten Aktionen sind. Der Tod Veit Werners bildet innerhalb des Werdenberg-Konflikts eine weitere Zäsur, von nun an wird es keine Rückschläge auf dem Weg zur Rückgewinnung des eigenen Territoriums geben. Froben markiert diesen Umschwung mit einem eigenen Kapitel (79), das sieben schwankhafte Erzählungen um einen Meßkircher Bürger namens Peter Schneider enthält."' Das 79. Kapitel ist nur in В enthalten,"^ und Froben hat es - wie sein kurzes Vorwort belegt - mit Absicht an diese Stelle gesetzt: Wir haben ain zeitlang einher etliche trawrige capitel gehabt, dann der unfahl uf das zimbrisch geschlecht so hauffecht gerathen, das kain beharrliche bösserung noch zu diser zeit zu verhoffen gewesen, derhalben ain capitel von etlichen gueten schwenken einzmischen nit underlassen wellen (11,30,10-14).'" Nach dem Kapitelinhah zu schließen, ist damit freilich nicht die Entspannung eines vom vergangenen Schicksal der Zimmern betroffenen Lesers gemeint, sondern eine mit Sprach- und Gedan-

" " Anders hingegen der 3. Nachtrag dieses Kapitels, in dem die Biographie des Spät weiter ausgeführt wird. Der ehemals enge Zusammenhang zwischen den Kapiteln 78 und 80 in der Hs. А spiegeh sich in den Anfangsworten des letzteren wider: Demnach nu herr Wörnherr freiherr zu Zimbem mit tod abgangen (11,40,2 I f ) . - Strukturell besetzt das 79. Kapitel jenen Ort, der in den Biographien der übrigen Dynastiemitglieder der Nachruf einnimmt. Daraus läßt sich schließen, daß der Chronist erst nachdem er bei der Abschrift von А an dieser Stelle angelangt war, seine Nachträge separat ablegte. Froben möchte demnach den Leser durch seine Kurzgeschichten gezielt erheitern, und damit grenzt er sich ab gegenüber dem traditionellen Topos, wonach die Kurzerzählungen in den Geschichtswerken ein fastidium oder taedium vermeiden sollen (vgl. dazu SPRANDEL, Kurzweil, S. 355).

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kenwitz gestaltete Verarbeitung des Geschehens. Der Erfolg dieser literarischen Strategie hängt davon ab, daß zwischen historischer und literarischer Ebene ein tertium comparationis existiert. Das 79. Kapitel greift Diskurse, literarische Muster und Motive, die in den vorangegangenen Kapitehi an verschiedenen Stellen eingestreut waren, wieder auf, und aus der 'Verdichtung' der Geschichten entsteht die Biographie des Schwankhelden Peter Schneider. Diese Figur ist ein Konglomerat verschiedener literarischer Vorbilder und changiert zwischen Faust und Ulenspiegel. Die Handlungen sind weitgehend der Literatur entnommen und mit südwestdeutschem Lokalkolorit versehen. Für die einleitende Vorstellung des Schwankhelden bedient sich Froben der 'Tannhäuser-Ballade'"" und präsentiert Peter Schneider als fahrende[n] schuoler, [der] mermáis in fraw Venus berg gewesen [war] (11,30,18f.). Relativ überraschend wird jetzt das zuvor perhorreszierte Magie-Thema unter der Perspektive des Schwankes neu beleuchtet. Die einzelnen Schwankgeschichten wirken dabei wie eine aufklärerisch-karnevaleske Dekonstruktion von schwarzer Magie, denn regelmäßig werden die angeblichen magischen Praktiken als geschicktes Täuschungsmanöver entlarvt. Wie erklärt sich diese angesichts der vorangegangenen Warnungen überraschende Banalisierung dieser Thematik? Frobens Haltung zur Magie ist ambivalent. Einerseits ist er nicht frei von Aberglauben, andererseits kann er als humanistischer Wissenschaftler Magie nicht als em unbestrittenes Phänomen beschreiben. Deswegen fiihrt er im 79. Kapitel den Magie-Diskurs fort und fragt nach realen Ursachen magischer Praktiken.'" Die angeblichen magischen Künste Peter Schneiders in den folgenden Erzählungen sind demnach nichts anderes als geschickte Betrügereien,"' deren Erfolg stets darauf beruht, daß in der Phantasie der Opfer eine Fiktion erzeugt wird, die gespeist ist von ihrer Neugierde, ihren Ängsten und ihrem Geiz.'" Am deutlichsten wird dies in der Geschichte vom behexten Hafiier, der im Anschluß an eine magische Beschwörung scheinbar den Verstand verliert und seine gesamten Waren zerschlägt. Dieses Motiv aus dem 'Ulenspiegel' hat Froben bereits an früherer Stelle bei Vgl. dazu BURGHART WACHINGER, Art. Tannhäuser-Ballade, in: ^VL 9 (1995), Sp. 611-616. Allerdings relativiert Froben in einem Nachtrag auch dies wieder, wenn er erneut vor den Gefahren des Venusberges warnt. Die Dialogisierung der Gegenstände ruft demnach stets die Gegenstimme auf den Plan. Die Themen der Einzelerzählungen nach den Marginalien DECKER-HAtffFs (Chronik der Grafen 1, S. 316-319): 1. Peter Schneiders Ritt zum Venusberg (Π,30,15-31,13). 2. Er behauptet, eine Schar von etlich hundert hüner durch Überlingen zu treiben. Die neugierigen Bürger warten jedoch am Stadttor vergebens auf das Spektakel (31,32-32,29). 3. Er täuscht magische Fähigkeiten vor (32,30-33,18). 4. Er suggeriert, einen Schnarcher aus dem Fenster geworfen zu haben, es war jedoch nur ein Wasserschlauch (33,30-34,19). 5. Er behauptet, er habe ein Wildschwein in der Krone einer Baumes gefimden. Der Baum lag aber am Boden (34,20-35,2). 6. Die Meßkircher Frauen werden von Peter mit falschen Versprechungen, die aber ihrem Geiz entgegenkommen, getäuscht (35,3-35,13). 7. Er reitet zum Spott der Schnitterinnen zweimal über einen Hanfacker (35,14-34). ' " Ausnahmen sind lediglich die erste und die siebte Geschichte.

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einem Schwank um Hans von Rechberg verwendet."' Jetzt dient dieses Motiv dazu, das Interesse des Lesers ganz allgemein auf die hinter dem bloßen Augenschein verborgenen Wahrheiten zu richten. Proben fuhrt in der PeterSchneider-Biographie den Leser aufs Glatteis. Während es in den ersten Geschichten noch scheint, als ob der Chronist den Venusberg selbst für Realität halte, macht er sich in der Geschichte vom kappassomen (11,35,3-13) über jene lustig, die an solche Geschichten glauben."' Das nachträglich emgefiigte 79. Kapitel dient demnach nur vordergründig der Unterhaltung, Proben fuhrt hier vielmehr den Magie-Diskurs fort und rationalisiert jetzt die entsprechenden Phänomene. Offenbar wollte er mit diesem Kapitel ein Gegengewicht zu seinen vorangegangen Ausflügen ins Irrationale setzen."" 5.6.3. Die Rettung des Geschlechts - Werdenberg-Zimmem-Händel III (Kap. 80-85) Die Kapitel 80-85 bilden Höhepunkt und Abschluß der Werdenberg-ZimmemHändel, sie sind vom Autor als geschlossene Einheit konzipiert, vornehmlich chronologisch gestaltet und haben in der Mitte (Kap. 82) einen thematischen Schwerpunkt, die Eroberung der Stadt Meßkirch (1503). Darum gruppieren sich zwei bzw. drei 'Verhandlungskapitel', die auf den Entscheidungskampf hinfiihren bzw. den juristischen Ausgang des Konflikts erzählen. Vom vorangehenden Abschnitt sind die Kapitel 80-85 durch das Schwankkapitel 79 abgegrenzt, im Kapitel 86 wendet sich der Chronist wieder der Dynastiegeschichte in ihrer ganzen Breite. In den Kapitel 80-85 dominiert der historisch-juristische Diskurs, die anekdotischen Einschübe sind auf wenige, wenngleich pointierte Pälle beschränkt, thematische Abschweifungen fehlen genauso wie Bezüge des Autors zu seiner Gegenwart. Der ganze Abschnitt zeugt von einem literarischen Gestaltungswillen, eine Klimax steht am Anfang, darm folgt die Peripetie und schließlich ein Happy-End."' Vor allem der historische Bericht über die

Proben ist hier ein Fehler unterlaufen, weil er ansonsten darauf achtet, Motive nicht zweimal zu verwerten. Vgl. zur Funktion dieses Schwankes (Nachtrag 66; 1,407,14ff.) in der RechbergGeschichte oben S. 258. In einem eigenen Nachtrag (Nr. 92) zum Nachtragskapitel 79 berichtet Proben über den Mord an einem Geschäftspartner des Peter Schneider, namens Auberlin. Diesmal nimmt der Chronist explizit Stellung zur Präge der Aufnahme dieses Themas: Und wiewol solcher excursus in dise materia nit gehörig, er, Auberlin, auch kein zimbrischer underthon gewesen, sonder zu Winterling under Wurtemberg gesessen, nochdann, dieweil es ain grausame that, auch die der gedechtnus wert, kan oder soll ich dieselben alhie auch mit einzumischen nit umbgehn [...] (11,37,10-15). Proben definiert damit, daß der Nachtrag entweder von einem Einwohner des zimmerischen Territoriums handeln oder zur materia des Haupttextes passen muß. Diese materia des 79. Kapitels ist jedoch charakterisiert durch die schwankhaften Erzählungen um das Thema List und Täuschung. Insofern kann diese Vorrede des 92. Nachtrags als weiteres Indiz für die Orientierung des Autors an übergeordneten Diskursen angesehen werden. Die Ambivalenz gegenüber dem Unerklärlichen bleibt freilich bis zum Chronikende bestehen. Vgl. dazu unten S. 410-415. Zu der heiteren Abschlußanekdote (Π,60,31-61,5) vgl. unten S. 306.

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Eroberung Meßkirchs ist als kleines literarisches Meisterstück gestaltet, es bleibt lange offen, wie die Geschichte ausgeht. Proben bedient sich hier einer organizistischen E r k l ä r u n g s f o r m , i n der sich im historischen Detail die Struktur des Kampfes um Meßkirch und daim wiederum der ganze Verlauf der Werdenberg-Händel widerspiegeh. Im Gegensatz zu dem raschen Erzählfluß des Meßkirch-Kapitels sind die beiden vorangegangenen Kapitel (80f.) langatmig und voll juristischer Details. In der eingefiigten 'Korrespondenz"'' zwischen Maximilian I. und den Fürsprechern der Zimmern spiegelt die Sprache den beträchtlichen zeitlichen Aufwand sowie die Mischung aus Konzilianz imd Drohungen der Gegenseite wider. In diesen Kapiteln wird der Satzfluß immer wieder von hypo- und parataktischen Einschüben durchbrochen. Die komplexe Syntaxstruktur^ ist dadurch bedingt, daß der Chronist stets auf zwei Ebenen agiert: einmal versucht er, den juristischen Diskurs wiederzugeben und gleichzeitig immer wieder die Auseinandersetzung mit den Werdenbergem einzuspielen. Als Beispiel sei hier angeführt, wie Proben die kaiserUche Antwort auf die Pürbitte des Erzbischofs Berthold von Mainz wiedergibt: Auf solch ßrpit [...] schrib die künigclich Majestat erzbischof Berchtoldten von Menz von Sterzingen aits, mit bevelch, er wölte denen von Zimbern die artikl des Vertrags, so er inen vormals auch fiirgehalten, wie auch hievor nach der lenge gemelt, und die dozumal anzunemen abgeschlagen, abermals zu überflüssiger gnad fiirhalten, mit dem anhang, soverr sie, die von Zimbern, solche mittel annemen, were Ir Majestat inen zu gnaden, den vertrag zwischen inen und denen von Werdenberg aufzurichten, genaigt, so sie aber solchs nochmals nit annemmen, seie Ir Majestat ihe des Vorhabens, die von Werdenberg bei der herrschaft Messkirch zu handthaben, auch Oberndorf und alles, des inen durch Zimbern entwert, widerumb einzusetzen. (11,41,7-20)

Einen Eindruck der Hofbiungslosigkeit ruft auch die monotone Darstellung des vergeblichen Antichambrierens Johann Werners an verschiedenen Fürstenhöfen (Kap. 80f ) hervor. Der Leser nimmt teil am steten Wechsel von Hoflbiung und Enttäuschung, dem die Zimmern ausgesetzt sind. Vergleicht man den sprachlichen Duktus dieser erzählenden Passagen mit den im 80. Kapitel aufgenommenen juristischen 'Dokumenten' aus dem zünmerischen Archiv,"^ darm zeigt sich, wie kontextabhängig Frobens Stil ist: Wie in der Kanzleisprache'^ üblich werden die entscheidenden Formulierungen mehrmals wiederholt. So ruft Proben das Kemargument der königlichen Kanzlei mithilfe des immergleichen

^^^ Vgl. dazu WHrrE, Klio, S. 87ff. Vgl. Π,44,24-38; Π,45,20-46,19; Π,46,22-35. 664 Zur Syntax in der 'Zimmerischen Chronik' vgl. ALEFELD, Beiträge, S. 29-54 und ROCKWELL, Wortstellung. Allg. zur Syntax des Frühneuhochdeutschen PENZL, Frühneuhochdeutsch, S. 118-130, bes. S. 128ff. Zu der Sprache der zimmerischen Kanzlei vgl. etwa Karlsruhe, GLA, 82a/284; 98/935. Zur frühneuhochdeutschen Kanzleisprache PENZL, Frühneuhochdeutsch, S. 162,173f.

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Die 'Zimmerische Chronik'

Topos ins Gedächtnis: Nit aus gerechtigkait, sonder eitln gnaden (II,46,28f.) würde sich MaximiUan überhaupt in Verhandlungen mit den Zimmern einlassen."'' Auch den internen Grund fiir das dilatorische Verhalten Maximilians, seine Versprechungen gegenüber den Werdenbergem, wiederhoh Proben zweimal mit fast identischer Wendung:"' Nur wegen seiner ehedem engen Beziehungen zu den Werdenbergem könne sich der König nicht auf die Seite der Zimmern stellen. Refrainartig wird auch die Vergeblichkeit der Bemühungen Johann Werners durch stereotype Sprachzeichen und Wendungen wie - Nu ist die sach [...] also entsitzen beliben (II,48,8ff.)"' - wiederhoh. Die Gesamtanlage der Erzählung ist auf die Erkermtnis hin ausgerichtet, daß in der zimmerischen Geschichte ein TieQDunkt erreicht ist: Proben entwirft das Bild totaler Hofbiungslosigkeit. Die suggerierte Fatalität der Situation dient dem darstellerischen Zweck um so wirkungsvoller, weil es entgegen der erzeugten Erwartung nun zur Perepetie kommt. Deren ganzes Gewicht macht Proben kenntlich durch eine bedeutungsschwere Formulierung, die sprachlich an den Beginn der Weihnachtsgeschichte (Luk. 2,1) erinnert: Es hat sich aber begeben [...] (II,49,39f.). Berichtet wird dann tatsächlich über ein Ereignis, das angesichts der hofSiungslosen Situation für die Zimmern Erlösungscharakter hat: Pfalzgraf Philipp erklärt sich zum Verbündeten der Zünmem und verspricht, sie bei der Rückeroberung Meßkirchs zu unterstützen. Mit der Erzählung über die Eroberung Meßkirchs läßt sich Proben jedoch Zeit, ausfuhrlich rekapituliert er nochmals den Stand des Konflikts. Dies findet seine rezeptionsästhetische Erklärung darin, daß Proben mit einer selektiven, kapitelweisen Lektüre der Chronik rechnet. Proben verfährt dabei so umsichtig, daß im Text nur wenig Redundanz entsteht, und der eingeschobene gebündelte Rückblick auch bei fortlaufender Lektüre nicht störend, bestenfalls wie eine spaimungssteigemde Retardation wirkt. Das 82. Kapitel ist ein Musterbeispiel dafür, wie der Chronist unterschiedliche Diskurse miteinander verbindet: Politisch und juristisch gih es, den Überfall auf Meßkirch zu legitimieren, dynastiegeschichtlich die Taten seines Vaters, Johann Werner, als Vorbild erscheinen zu lassen und gleichzeitig auf der literarischen Ebene das Geschehen so in Szene zu setzen, daß trotz des bekannten Ausgangs Spannung und Neugierde entsteht. Die Rechtfertigung des Überfalls steht am Beginn des Kapitels: Als nu herr Johanns Wörnher durch kain mittel zu seinem vetterlichen erb kamen, welches dann die grafen von Zollern und Fürstenberg nu mer bis in das

Vgl. ebenso 1,41,13. Π,49,5-9: [...] hat Ir Majestat gesagt, sie kinde denen von Zimbern Messkirch mit kainen fugen wider geben, darneben sich sovil merken lassen. Ir Majestat hab sich in dieser Handlung mit denen von Werdenberg soweit eingelassen, das Ir Majestat anders zu handien nit gepUren welle [...]. n,15,18ff.: der römisch könig, dieweil der zu weit mit reden, auch brief und sigten gegen denen von Werdenberg sich eingelassen

Vgl. ebenso П,42,ЗШ. und П,49,38.

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sechst jar, nemlich ab anno domini vierzehenhundert siben und nemzige an zu rechnen, als séquestres ingehabt, hat er bedacht sein, auch siner geschwistergit armut, das sie iezundt in dem fönfzehenden jar von iren übergebnen und anererpten herrschaßen und güetern wider pillickait vertriben und verjagt, auch von chur- und fiirsten umb Gottes willen auferzogen, dessgleichen das die handlung in ain Verzug gespilt. (11,51,11-20)

Mit der armut des GescMechts, der Vertreibimg, dem 15 Jahre dauernden Exil und der völligen Perspektivlosigkeit wird die Basis zur Rechtfertigung der Gewalt gelegt. Eine zweite, unmittelbar sich anschließende Legitimation wird aus einem Schreiben des Kaisers an Kurfürst Philipp abgeleitet, welches als kaiserliche Neutralitätserklärung inteφretiert wird. Proben stellt hier die Deutung des inserierten Briefes voran, denn dieses Schreiben ist so verschwommen gehalten, daß er die hermeneutische Arbeit nicht dem Leser überlassen will."" Nachdem mit dem erlittenen Unrecht und der Neutralität des Kaisers die juristische Begründung gegeben ist, folgt auf der Handlungsebene das eigentliche Vorspiel: die Geheimabsprache der Zimmern mit dem Kurfürsten in Heidelberg und die Werbung der benötigten Truppen. Letzteres nimmt breiten Raum ein, wobei der Chronist analog zu den Aufzählungen der Helden in den mittelalterlichen Epen'" alle wichtigen Verbündeten in einer imposanten Namensliste aufiffihrt (11,54,10-38). Dann beginnt die Erzählung von der Eroberung Meßkirchs. Die Dramatik der Situation läßt der Chronist spürbar werden, indem er zwei gegensätzliche Bilder miteinander konfrontiert: auf der emen Seite das in der Dunkelheit anrückende Heer, auf der anderen Seite das friedlich schlafende Meßkirch. Die detaillierte, realitätsgesättigte Beschreibung läßt den Leser den nächtlichen Vormarsch gleichsam miterleben. Proben erhöht die Spannung, indem er jetzt seinen Pokus auf die werdenbergische Gegenseite richtet und so den chronologischen Portgang unterbricht. Die Werdenberger hatten - so erfährt man jetzt - bereits ungefähre Kenntnis von der Verschwörung und die

Π,51,21-52,12: Hierumb in bedenkung der antwurt, so die künigclich Majeslat pfalzgraven Philipsen von Darmstadt aus zugeschriben, darin sich Ir Majestat der Herrschaft Messkirch entschlegt und gnedigist anzeicht. Ir Majestat hab denen von Zimbern alles das, so Ir Majestat darin zugestanden, aus gnaden nachgelassen, berüere auch Ir Majestat nit weiter, sonder allain die von Werdenberg, vermag der missiva also lutende: 'Hochgebomer, lieber ohaim und churfiirst [...]. Darauf ßegen wir deiner Liebe zu vernemen, das die sach uns nit antrifft, sonder die graven von Werdenberg berüerl, dann wir inen alles das, so uns zugestanden ist, aus gnaden nachgelassen haben; und auch, dieweil die graven von Werdenberg solchen vertrag nit für kreftig erkennen wellen, auch wir darvon bishero kainen glaublichen schein, darinnen sich die graven von Werdenberg gnugsam verwiligt haben, gesehen, dardurch wir die von Zimbern bei solchem vertrag nit handthaben mögen; aber wo die von Zimbern bemelten vertrag vor unserm regiment mit dem rechten zu kreften bringen, alsdann wellen wir sie bei demselben vertrag gnedigclich handthaben, alsdann wir ze thun genaigt sein, wollten wir deiner Liebe nit verhalten. Vgl. etwa die Beschreibung der Teilnehmer am Hochzeitsfest von Erec und Enite (Hartmann von Aue, Erec, v. 1902-2017 bzw. die Aufzählung der Mitglieder der Tafelrunde im selben Werk(v. 1630-1697).

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Stadt mit den Bauern der umliegenden Dörfer bemannt. So trifft das anrückende Heer am nächsten Tag umb sechs ur vor mittag auf verscMossene Tore. Es wird verhandelt, aber für Joharm Werner kommt nur eine bedingungslose Übergabe in Betracht. Dies lehnen jedoch die werdenbergischen Amtsmänner strikt ab. Genau in diesem Moment, wo sich der weitere Fortgang der Handlung entscheiden wird, steigert der Chronist erneut die Spannung und fügt einen Einschub über die zu spät eingetroffene Warnung eines werdenbergischen Boten ein. Den erzählerischen Höhepunkt setzt Proben, indem er die eigentliche Entscheidung des Kampfes um Meßkirch als Sieg des Intellekts über die Macht inszeniert. Unvermutet erscheint eine zahlenmäßig überlegene werdenbergische Entsatztruppe. Da man aber die zimmerischen Truppen weit verteilt aufgestellt hat, um den Eindruck einer großen Schar zu erwecken, ziehen die Werdenberger unverrichteter Dinge wieder ab. Diesen bekannten Topos aus der iCriegsgeschichtsschreibung setzt der Chronist nicht nur ein, um die Intelligenz der eigenen Heerführer zu beweisen, sondern er ruft nochmals das für den ganzen Werdenberg-Abschnitt kennzeichnende Bild vom Kampf Davids gegen Goliath auf. Auch die Eiimahme der Stadt selbst wird als Ergebnis einer Kriegslist inszeniert: Als in Meßkirch die Partei der Werdenberger weiterhin die Oberhand behält,'" droht Johann Werner den in der Stadt befmdlichen Bauern, ihre Dörfer anzuzünden. Daraufhin erzwingen die Bauern die Öffiiung der Tore, und Meßkirch ist wieder im Besitz der Zimmern. Die Erbhuldigimg Meßkirchs und die konkreten Polgen der Eroberung werden juristisch-knapp erzählt, aber den Abschluß der Erzählung bildet dann wieder eine Anekdote, mit der Proben unvermutet den historisch-juristischen Diskurs verläßt und die Handlung ins Komisch-Erotische wendet: Die Sieger feiern hn öffentlichen Bad und haben dazu auch einen alten Verwandten, Gottfried von Zimmern, eingeladen. Dem Anlaß gemäß unterhält man sich dabei in lockerer Weise über bulschaften"^ wobei auch Gottfried das Seine dazu beisteuert. Als man sich dessen an ine von wegen seins alters verwundert, hat er gesprochen, so er in nit künde hinein bringen, so henke er ine doch darfiir (11,61,1-4). Dieser plötzliche Wechsel der Sprach- und Stilebene setzt nicht einfach einen beliebigen erheiternden Endpunkt des Geschehens, mit dem der Autor etwa seine eigene freudige Genugtuung über den glücklichen Ausgang auf den Leser übertragen will, sondern die Anekdote nimmt Bezug auf die Art und Weise des Erfolgs. Gottfrieds erotische Aufschneiderei, die Vorspiegelung falscher Tatsachen und seine intelligente Schlagfertigkeit bringt ihm Respekt und Ansehen ein. Genauso ist Johann Werner bei der Eroberung Meßkirchs verfahren: Er hat die eigene militärische Schwäche geschickt überspielt, und das selbstbewußte Auftreten gegenüber den Bauern führt zum Erfolg - wie Dies steht in einem gewissen Widerspruch zu der zuvor von Proben behaupteten Tatsache, daß sich die Meßkircher nur widerwillig in die Gewalt der Werdenberger begeben haben. Zum Bad als Ort, an dem die Konventionen öffentlicher Rede nicht gelten, vgl. ROSSIAUD, Dame, S. 13f., 44f. und pass.

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Gottfried hat er im Modus des Als-Ob gehandelt. Freilich fálk mit dieser Anekdote auch ein Schatten auf einen Sieg, dem die politische Basis fehlt, aber eine solche Perspektivierung und Relativierung eines Triumphes ist die geschichtliche Erkenntnis, die Proben mit seinem Text anstrebt. Der ständige Wechsel zwischen politisch-juristischem Diskurs und schwankhaften, kommentierenden Anekdoten setzt sich auch in den Kapiteln 83-85 fort. Das diplomatische Tauziehen um die juristische Anerkermung des Gewahstreichs, das Taktieren der Werdenberger und Zimmern am kaiserlichen Hof wird im historiographischen Modus erzählt. Proben bemüht sich um eine möglichst neutrale Gegenüberstellung der gegenseitigen Ansprüche, er erreicht dies durch die Inserierung von Briefen und 'Erklärungen' der Parteien, die den Eindruck der Authentizität vermittehi, selbst wenn sie nicht immer als Abschriften originaler Urkunden kenntlich sind. 'Wort zu Wort' inseriert werden die beiden wichtigsten Urkunden: der Augsburger Priedensvertrag zwischen Zimmern und Werdenberg vom 9.3.1504 und die Rehabilitierung Johaim Werners d. Ä. durch Maximilian. Proben stellt beides als hervorragenden juristischen Erfolg der Dynastiepolitik dar, aber wiederum fiigen die zwei letzten Kapitel (84f.) jeweils an den Rechtsdiskurs eine Anekdote an, die in einem Spaimungsverhältnis zum historischen Ereignis steht. So berichtet Proben am Ende des 84. Kapitels von einem Diebstahl, der sich kurz nach der Einnahme von Meßkirch ereignet hat. Der AnwaU des Diebes bestreitet wegen der Achterklärung von 1493 den Zimmern das Recht zur Ausübung des Blutbanns."·· Johann Werner kann nun gar nicht mehr anders, als den Dieb hinrichten zu lassen, denn im andern Pali hätte er sowohl die Rechtmäßigkeit der Acht gegen das gesamte Geschlecht wie auch die Illegalität der Eroberung Meßkirchs bestätigt. Der Lehrsatz, den Proben abschließend formuliert, relativiert die Wirkung intellektueller Kompetenz und aktualisiert nochmals die Gefahr, in der die Zimmern während der langen Verhandlungszeit gewesen waren. Den Angeklagten hat sein aigner fürsprech [...] mit seiner ungereimpten, unbedechtlichen exception umb sein leben bracht und deswegen gilt: Also ist zuvil witz nit allwegguet, sonderlichen in rechtshandlungen (11,83,3-10). Ebenfalls mit einer Anekdote wird das folgende 85. Kapitel abgeschlossen. Am Samstag vor Ostern findet in Meßkirch der jährliche Umzug statt, bei dem die sechs vornehmsten Ratsmitglieder einen geschnitzten Palmesel durch die Stadt ziehen. Als einer der Honoratioren seinem Genossen vorwirft, sich nur

" " Zur zimmerischen Blutgerichtsbarkeit vgl. KRFFIOER, Lehenshoheit, S. SOOff. Diese Erzählung ist nicht in der Hs. A enthalten und stellt so im Grunde einen Nachtrag dar. Illustriert wird mit dieser Geschichte zweierlei: Zum einen das beengte Rechtsdenken des Vaters und zum anderen die Durchsetzbarkeit des zimmerischen Rechtsanspruchs. Damit aber erweist sich die Geschichte als exemplum, das sich in die kritische Würdigung des Vaters einfügt und zugleich eine deutliche Warnung an andere ist, die Gerichtsbarkeit der Zimmern als Grundlage ihrer Territorialherrschaft (BRUNNER, Land, S. 231-239) in Zweifel zu ziehen. Mit dieser Funktionalität der Erzählung wird freilich auch ihre Authentizität fragwürdig.

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scheinbar anzustrengen, gibt der ihm mit den Worten Bescheid: Ich zeuch den teufel, was treibst du doch (11,97,1 f.). Die Komik beruht auf der Diskrepanz zwischen emsthaftem Anlaß und unangemessenem Verhalten, auf der unfreiwilligen Analogie zwischen Christus imd dem Teufel.'" Die unmittelbare Anfügung dieser Anekdote an den Friedensschluß und der Rehabilitierung Johann Werners d. Ä. befremdet, und auch Proben hat darin ein Problem gesehen, denn er leitet diesen Abschluß der Erzählung mit den Worten ein: Alhie megte sich ainer nit unbillich verwundern, das ich solch klainfüeg und gering sachen ufzaichnet und bei der langwirigen gedechtnus zu erhalten mich underfieng. Da aber der oder dieselbigen mein bedenken, wie das in der vorredt dises Werks vermeldet, wol erwegen, werden sie mir das keinswegs leuchtlichen verkeren. (Π,96,15-20)

Da die Vorrede'·" nicht überliefert ist, wissen wir nicht, wie Proben diesen Darstellungsbruch legitimiert, aber um so wichtiger erscheint es, den Grund zu erfragen, warum Proben ausgerechnet diese Anekdote hier einfügt. Will der Chronist den Leser in die Preude über die Rehabilitierung des Vaters mit einbeziehen? Strukturell gesehen hat die facetia sicher den Charakter eines Abschlusses der Geschichte; mit dem gemeinsamen Lachen von Autor und Rezipient gewinnt das Geschehen seine vollständige Gestalt. Das Ende der Werdenberg-Zimmem-Händel, die endgültige, auch juristische Einigung über die strittigen Prägen - Jagd-, Besitz- oder Hochgerichtsbarkeitsrechte - sowie die kaiserliche Bestätigung der alten zimmerischen Preiheiten,'" die weitgehende Restaurierung des zimmerischen Besitzstandes vor 1488'^' - all diese Erfolge werden im Ton tiefer Genugtuung erzählt. Aber dies ist nur ein Aspekt der Schlußanekdote zu den Werdenberg-Zimmem-Händel. Ein zweiter ergibt sich aus ihrer diesmal oflfengelegten Literarizität. Denn an dieser Stelle erlaubt der Chronist einen kurzen Blick auf seine sonst weitgehend verdeckte Methode der Literaturadaptation. Im Anschluß an die Anekdote schreibt er: Dergleichen fa-

Die Analogie zwischen dem Heiligen und dem Teuflischen ist aus der Schwankliteratur bekannt. Vgl. dazu etwa Bebel, Facetien Ш, Nr. 163 und 181. Die ersten Seiten in der Hs. A. der 'Zimmerischen Chronik' wurden herausgerissen. Es ist daher gut möglich, daß auf ihnen eine Vorrede gestanden hat. Allerdings enthält die Hs. B. keine Vorrede. Eine angekündigte, aber nicht ausgeführte Vorred findet sich auch vor dem siebten Buch von Stumpfs Chronik (Stumpf, Schweizer- und Reformationschronik, S. 1). Vorreden zu seinen Bistumschroniken verfaßte Wilhelm Werner (Eichstätter [S. 19-25] und Würzburger [S. 28-31] Bischofschronik), allerdings enthalten diese keine historiographische Theorie. 11,97,34-38; [...] dann Ir Majestat Herren Johannsen Wemher und seinen gebrüedem und dero aller ehlichen leibserben alle regalia sambt dem pann übers pluel und kochen gerichten, auch alle andre zimbrische fi-eihaiten allergnedigest widerumb renoviert und confirmiert VANOTTI (Geschichte, S. 447) bemerkt mit Recht, daß die Dauer des Konflikts in keinem Verhältnis zu seinem Ergebnis stand. Im wesentlichen wurde lediglich der Status quo des Jahres 1488 restituiert.

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cetia hab ich in den schwenken Bebeiii gefunden (11,97,11 f.).'" Eine Parallele gibt es in der Sammlung Bebels tatsäclilich, es sind die TfaSenschwänke"'" vom Ende des 3. Buches/" Wahrscheinlich hat ihn also Bebel zu dieser Erzählung inspiriert, aber dies ist dann kein Zufall, sondern Ergebnis der Suche nach klainfiieg und geringen sachen, mit denen das Große konterkariert werden kann. Fragt man nach der komischen Wirkung der PalmsonntagsAnekdote, darm liegt die Antwort eindeutig in dem Aufeinandertreffen von erhabenem Akt und der lächerlichen Reaktion eines Menschen, der die Zeichenhaftigkeit der Prozession nicht erkennt, sondern die Vorgänge direkt auf seine Alltagssituation bezieht und spontan aus seiner aktuellen Bedürfiiislage heraus agiert. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint der offizielle und feierliche Friedensakt in einem differenzierten Licht, man könnte im Anschluß an die facetia überlegen, ob damit nicht indirekt der Nutzen dieser Verträge, die eigentlich nur die durch den Kriegszug erreichten Gegebenheiten sanktionierten, im Hinblick auf zukünftige Stabilität relativiert wird. Demnach hat ein sakraler oder weltlicher Akt bestenfalls repräsentativen Zeichencharakter und bietet keine Gewähr fiir dauernde Sicherheit angesichts einer menschlichen Natur, die sehr stark momentanen Emotionen unterworfen ist. Die Irrationalität jenes fluchenden Ratsherrn bricht sich Bahn gegenüber einer Rationalität, wie sie die Akteure des Friedensschlusses an den Tag legen. Damit aber offenbart die facetia die Irrationalität der Verhältnisse, sie leistet demnach eine Perspektivierung von Geschichte, indem sie die Fragwürdigkeit aller erreichten Ergebnisse angesichts der Kontingenz der Welt anspricht. Im Modus der Ironie wird die auf der historiographischen Ebene erzeugte Vorstellung vom friedlichen Interessenausgleich bzw. vom Sieg des Guten über das Böse unterlaufen. Froben hat die Geschichte des Werdenberg-Zimmem-Konflikts als geschlossene Einheit angelegt, an dessen Schluß er nun mit der Restitution der zimmerischen Herrschaft angekommen ist. Mit dem Anekdotenschluß beweist er indirekt, daß die menschliche Natur einen solchen Endpunkt der Geschichte nicht kennt, das Ritual des Friedensschlusses und die Verträge nur relativen Wert besitzen. Die aus der Anekdote zu gewinnende Erkenntnis hat genauso mit dem Anliegen Vgl. dazu auch den von KARL AMRAIN herausgegebenen Sammelband 'Heinrich Bebels Facetien". Der dem Neudruck vorangestellte Titel 'Heinrich Bebels Schwanke aus der Zimmerischen Chronik', ist freilich irreführend, da der Herausgeber nur peripher auf Abhängigkeit zwischen beiden Autoren eingeht. Außer bei Bebel hat sich Froben bei Martin Montanus, Johannes Pauli, Hans Wilhehn Kirchhof, Michael Lindener u. a. bedient. Der Nachweis der jeweiligen Quelle ist nur selten eindeutig, weil Froben meistens auf Quellenangaben verzichtet. Zur Identifikation einiger bei Kirchhof zu findender Motive vgl. JENNY, Froben, S. 242f, Anm. 3). Eine genaue Belegsammlung ist nicht Gegenstand dieser Arbeit, da Frobens Kenntnis der einschlägigen Werke ohnehin gesichert ist. " " Diese 'Pfaffenschwänke' sind durch eine Überschrift als zusammengehörend gekennzeichnet: Sequuntur nunc facetiae de ineptiis et ignorantia sacerdotum (Bebel, Facetien, S. 166). Bebel, Facetien Ш, Nr. 168-183. Vgl. hier bes. Nr. 181, mit einer direkten Analogie. Hier herrscht ein Meßner die jungen Burschen, die das Kreuz aufheben und tragen sollen, mit den Worten an: Elevate eum (intelligens Salvatorem) in nomine omnium diabolorum!

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Frobens, die GescMchte des GescMechts zu erzäMen, zu tun, wie der Bericht über die Verträge: Denn in den gering sachen werden jene anthropologischen Bedingungen thematisiert, unter denen auch jede Dynastiepolitik steht.

5.7. Literarisierte Geschichte. Gattimgsvermischimg als Medium der Epistemologie'" Das Ende des Berichts über den Werdenberg-Konflikt stellt in der 'Zimmerischen Chronik' einen wichtigen Einschnitt dar. Der Wandel der geschichtlichen Situation geht dabei einher mit einem Perspektivwechsel, der sich auch auf die narrative Form auswirkt. Bislang hatte Froben die eigene Familienidentität maßgeblich extrinsisch deñniert: Die Werdenberger waren der Gegner, an dem sich die zimmerische Vitalität und Überlebenskraft beweisen kormte. Diese dynastische 'Zähigkeit' hatte Froben seit der Kimbemgeschichte als Signum der Geschlechtsgeschichte und als Eigenschaft der Zimmern in die Chronik implementiert. Nach dem Ausscheiden der Werdenberger aus der Geschichte hätten sich zwar andere Gegner - wie die Zollem'" oder die Württemberger finden lassen, aber davon macht der Chronist nur in Ausnahmefallen Gebrauch.'" Viehnehr nimmt er das 'Fremde' in die eigene Dynastie hinein, die Position des Anderen, von dem er sich abgrenzt,'" wird vorrangig mit der Vaterfigur (Kap. 102-112), aber auch mit der des Onkels, Gottfiied Werner (Kap. 113-130), bei dem Froben nach dem Zerwürfiiis mit seinem Vater untergekommen war, besetzt. Die Rolle einer familiären Helferfigur spielt Frobens zweiter Onkel, Wilhehn Werner, dem er allerdings nur eine sehr kurze Biographie (Kap. 131-134) widmet. Positiv besetzt ist auch die mütterliche Linie, deren Geschichte er hier nachholt (Kap. 95-99).'" Schon allein aufgrund der heterogenen Einstellung gegenüber den einzelnen Familienmitgliedern stellt sich fiir den Chronisten die Aufgabe, eine erzählerische Form zu fmden, in der trotz aller Kritik die positive Identität der eigenen Dynastie nicht in Frage gestellt wird. 5.7.1. Die Diversifizierung der Diskurse und die allmähliche Verschwankung der Chronik - Die 'Übergangskapitel' 86-101 Der Übergang von der Außen- zur Innenperspektive innerhalb der Geschlechtsgeschichte geschieht nicht abrupt, der Wandel des Vaterbildes vom Retter zum devastar wird viehnehr sorgfältig inszeniert und vollzieht sich nur 5. Chronikabschnitt (Kap. 86-145); zur Gliederung vgl. oben S. 150f. Wie die erhaltenen Urkunden (vgl. Karlsruhe, GLA, Nr. 109,39) zeigen, gab es besonders mit den Zollem eine ganze Reihe von Auseinandersetzungen Uber einzelne Ländereien. Froben bedient sich dieses alten Modells der Identitätsgewinnung etwa noch beim Streit um die Ortschaft Krauchenwies. Vgl. unten Anm. 981. Zur Identitätsgewinnung qua Abgrenzung vgl. VELTEN, Leben, S. 308-311. Daneben sind noch Kapitel über wichtige regionalpolitische Ereignisse (lOOf., 139ff.) und über das Schicksal zimmerischer Nebenlinien eingestreut.

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langsam. Dennoch läßt sich ein Initialereignis аштасЬеп, in dem sich Fragen der sozialen Identität der Dynastie und der privaten Identität des Chronisten miteinander verbinden, die Kritik am Vater einsetzt und die Geschlechtsgeschichte einem neuerlichen Т1ефип1й zugeführt wird. Von ihm aus wird dann der Chronist sein eigenes 'Rettungswerk' beginnen. Es überkreuzen sich demnach hier biographische, geschichtliche, psychologische, dynastische, soziokulturelle und ethisch-moralische Diskurse und angesichts dessen ist die Frage von Interesse, m welcher narrativen Form die divergierenden Intentionen dargestellt werden und wie der Chronist seine eigene Identität gegenüber der des Vaters abgrenzen kann, ohne die memoria des Hauses zu beschädigen oder die Exemplarität des Berichteten zu unterlaufen. Der Anlaß für eine Neubewertung des väterlichen Verhaltens ist dessen Versuch, die aufgrund des Werdenberg-Konflikts entstandene finanzielle Notlage durch die Heirat mit Sophia Böcklin, einer reichen Patrizierin, Witwe des Grafen Konrad von Tübingen, zu beheben (Kap. 86). Sophia verlangt allerdings, daß Johaim Werner den zimmerischen Namen aufgibt und sich fortan nach den untergegangenen Grafen von Rohrdorf nennt. Johann Werner erklärt sich damit einverstanden, und nur die Mahnung des Trierer Erzbischofs vermag ihn umzustimmen. In dessen Ratschlag hat Froben alles das hineinformuliert, was ihm selbst als Leitlinie dynastiebewußten Handelns erscheint. Ein zimmerischer Dynast soll sich erinnern seines herkommens, auch wie seine vorfarn ie weiten here sich so ehrlich verheirat, die allain freundschaften und ehr angesehen, derhalben zu den ßirnembsten geschlechtern sich verheirat und von kains gelts oder guets wegen gehandelt (11,100,40-101,2). An kaum einer anderen Stelle formuliert Froben so klar die Bedingungen derjenigen Erinnerungskultur, die er für die eigene Dynastie mit seiner Chronik begründen will:'" Im Namen Zimmern, m der Erinnerung an die Kimbern, ihre Niederlagen und ihren Wiederaufstieg, liegt der Mythos von der Unvergänglichkeit, der Unüberwindbarkeit imd der Auserwähltheit der Dynastie begründet. Im Namen wird der Mythos der Zimmern Realität, ein Mythos, der nachhaltig zur Orientierung in der Welt befähigt."' Eine Heirat von gelts oder guets wegen widerspricht einer solchen Prämisse, und demgemäß ist die Fordenmg Sophias, den Namen 'Zimmern' abzulegen, nur konsequent. Aus dieser Episode erklärt sich denn auch, warum sich Froben so ausführlich an fi^herer Stelle mit den Grafen von Rohrdorf befaßt und deren Inferiorität gegenüber den Zimmern dargelegt hat:'" Der zimmerische Freihermstand ist aufgrund der Tradition des Geschlechts höher zu bewerten als der der Grafen von Rohrdorf Allein auf die Kraft der dynastischen Argumentation mag Froben freilich nicht vertrauen, er will selbst an der Erinnerungskultur mitwirken und den

Zum Begriff Eriimeningskultur vgl. ASSMANN, Gedächtnis, S. 30. Vgl. ebd., S. 76. 689 Vgl. dazu oben S. 233.

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zimmerischen Mythos durch Geschichten befestigen. Im konkreten Fall ist dies die Bestätigung seiner These, wonach der Vorrang des Blutes vor dem Geld unabdingbar zur sozialen Identität gehört. Den 'Beweis' hierfür tritt Proben mit einem Märe an,"° dessen Frauenrolle er eben mit jener Sophia Böcklin besetzt: Nachdem Johann Werner seinen Heiratsplan aufgegeben hat, findet sie in Graf Ludwig von Löwenstein einen anderen Adligen, der sie wegen ihres Geldes heh-at. Doch die Mesalliance erzeugt beim Ehemarm eine latente Aversion gegen seine Frau. Aus diesem Gemütszustand heraus bittet Ludwig seine Freunde, ihn mit ainer mumerei bei seinem gemahel im bet aufzuheben (II,102,12f.) und fulh ihr, da er weiß, daß sie sich für einen solchen Anlaß besonders hübsch herrichten und parfümieren wird, heimlich Tinte in ihre Parfümflasche. Der Plan glückt: In der nacht, als die herrn kommen und mit ainer musica und vil wintlichtern graf Ludwigen uflieben wellen, ist ain groß gelechter under inen worden, als sie das alt weit, so schön geziert, wie ain moren im bet neben graff Ludwigen gesehen, derhalben mit großem gespött und gelechter widerumb ir Straß gan-

gen. (Π,102,25-30) Die Frau, welcher der Name Zimmern nicht gut genug war, liegt als Mohr im Bett, wird zum Gespött aller Leute und rächt sich an ihrem Mann, indem sie ihn enterbt - eleganter als mit diesem Märe, in dem psychologisch subtil die nicht unterdrückbare Wut des Ehemanns über seine Mesalliance der Anlaß seines fmanziellen Desasters wird, konnte Proben die nur finanziell motivierten Heiratspläne seines Vaters nicht attackieren. Gleichzeitig legitimiert Proben damit auch seine eigene Eheentscheidung, die in materieller Hinsicht kein Erfolg gewesen ist.'" Die ständerechtlich adäquate und politisch kluge Heirat vollzieht Johann Werner dann mit Katharina von Erbach (Kap. 92). Katharina ist eine Nichte der Grafen Hans Christoph und Felix von Werdenberg und die von den Werdenbergem betriebene Heirat ein Versuch, nach dem Scheitern ihrer militärischen Einkreisungspolitik die Zimmern durch eine Heirat ins regionale Machtspiel zu integrieren. Der Chronist ist also mütterlicherseits mit den ehemaligen Feinden verwandt, und auch dies dürfte trotz aller noch vorhandenen Ressentiments für seine relativ neutrale Darstellung der Werdenberger mitverantwortlich gewesen sein."^ Die Heirat Johann Werners ist für Proben Anlaß für eine sich über fünf Kapitel (95-99) erstreckenden Behandlung der Geschichte der Erbacher. Von der Dieses Motiv hat bereits Tünger in dem Märe 'Die Tinte' verarbeitet (FM 105i). Vgl. auch AATH 1441A; Rotunda X 524*. Vgl. unten S. 384. Allerdings schwingt bei der Erwähnung der Heiratsabrede immer noch die Aversion gegen die Werdenberger mit, wenn Proben daran erinnert, daß diese immer ganz lüstigclich mit Zimbern gehandlt

(11,145,19) haben u n d der H e i r a t s v e m i t t l e r bösser werdenbergisch,

gewest (n,146,4f.).

dann

zimbrisch

Literarísieite Geschichte. Gattungsvemiischwg als Medium der Epistemologie

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laufenden Chronologie der Zimmemgeschichte abgetrennt, stellt die Geschichte der Erbacher eine Chronik in nuce dar. Bei der Darstellimg des mütterlichen Herkommens faßt er sich kurz und beschränkt sich auf eine Gründimgssage, die angebliche Ehe zwischen Imma, einer Tochter Karls d. Gr., und dem Geschichtsschreiber Einhard.'" Auch sonst beläßt er es bei einigen wenigen Daten aus der Geschichte der Erbacher und fiinktionalisiert diese schließlich um zu einem weiteren Lehrstück für die zimmemtypische Unfähigkeit, Rechts- und Besitzansprüche durchzusetzen. Thema sind die bickenbachischen handlungen (Kap. 95)."^ Auf die nahe Darmstadt gelegene Herrschaft Bickenbach hat Johann Werner durch seine Heirat mit Katharina Ansprüche erworben,'" gerät dabei jedoch in einen Konflikt mit dem sich etablierenden hessischen Fürstentum. Nach langwierigen Verhandlungen muß er Bickenbach an Hessen verkaufen. Bereits hier übt Proben zum ersten Mal explizite Kritik an seinem Vater, der durch seine dilatorische und undiplomatische Politik diesen ökonomischen Mißerfolg heraufbeschworen habe. In die Geschichte von der Bickenbachschen Herrschaft fügt der Chronist drei Schwänke ein, deren inhaltlicher Berührungspunkt oberflächlich das Thema der verbotenen Liebe ist und die sich damit an die Mesalliance zwischen Einhard und Imma anschließen, deren Bezüge aber noch wesentlich vielschichtiger sind. Die erste Erzählung (11,192,24-193,31) hat Proben wahrscheinlich Boccaccios 'Decamerone"" entnommen und die handehiden Personen aus dem Umfeld der Erbacher eingesetzt. Die Vorlage bildet die neunte Erzählung vom dritten Tag, in der die Dame Giletta von Narbonne ihren in eine andere Prau verliebten Gemahl von den Vorzügen ihres Körpers mittels einer Substitutionslist überzeugt. Genauso verfahrt auch die Gemahlin Konrads von Bickenbach, des letzten seines Hauses: Sie legt sich nachts anstelle der Kammerjungfrau, um die ihr Maim wirbt, ins Bett und wird von diesem nicht erkannt. Schemagemäß beendet die Gattin die comedia, als der Gatte dem vermeinflichen erenwadel gesteht: er hab sein hausfraw noch der holseligkait niht

Proben berichtet hier die im Mittelalter weitverbreitete Sage von Einhard und Imma, die sich ineinander verlieben, aber dies vor dem Hof verheimlichen müssen. Als es bei einem nächtlichen Stelldichein im Zimmer Immas draußen schneit, trägt sie ihren Geliebten am Morgen durch den Schnee, damit man keine männlichen Fußspuren findet. Kaiser Karl überrascht das Paar, aber verzeiht Einhard. Vgl. Einhard, Vita, S. 91f. - Proben legt mit der Pigur des Geschichtsschreibers Einhard auch für die mütterliche Linie eine intellektuelle Tradition fest, als deren Höhepunkt er sich offenbar selbst stilisiert. - Die Erzählung war Proben durch seinen Onkel Wilhehn Werner bekannt, der sie vermutlich aus dem Lorscher Codex karmte (HEINZER, Handschrift). n,182,28fif : Von dem ursprmg des geschlechts deren schenken und herren von Erpach und etlichen bickenbachischen handlungen. Vgl. dazu im einzelnen auch Π,214,4-226,19. Mot. К. 1843.2. Vgl. auch die literarische Bearbeitung des Stoffs bei Poggio (Pacetiae, S. 481f [Nr. 238] ) und dem Stricker (PM 127i). Zur Hs. С der Stricker-Überlieferung vgl. unten Anm. 955.

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befunden. Aber sie tut dies in einer Weise, die zur dauerhaften Mißstimmung zwischen den Ehegatten fuhrt: Wiewol nun sein gemahl sich biß anher mit reden und allen sachen anders nit gehalten, dann das sie unerkant von im hat wellen abscheiden, vielleucht der mainung, in oftermals also anzulassen und zu laichen, so hat sie doch zu solcher iezgehörter seiner rede nit schweigen oder sich enthalten kinden, sonder mit etwas ungestimme und ainer harten, rauchen rede ime alle veloffiie sachen ufgehept und in dahin gebracht, das er etliche zeit von haus gewest, und, wie man sagt, so ist es darnach nit ein guete ehe gewest. (11,193,16-25)'"

Das zentrale Stichwort fiir die Schwankreihe wirft die zweite Erzählung aus: Ein Ehemann hat eine fromme gaistliche frawen, die ihn meistens mit den Worten abweist: 'Ayes paciens!', er soll gedult tragen (11,196,35). Daraufhin benennt er für sich seine Kammerzofe in Paciens um und befolgt immer dann, wenn seine Frau ihn auffordert. Ayes paciens, ihren Befehl wortwörtlich. Dies währt solange, bis die Ehefrau Verdacht schöpft und die beiden eines Tages im Weinkeller in flagranti erwischt. Doch der Herr verhält sich genau umgekehrt wie die Frau in der ersten Erzählung."' Obwohl er sein Verhältnis unfürsichtigclichen practiciert hat, kann er die Situation retten: ledoch hat der herr ain herz gefast und auser der fürfallenden not ain tugendt gemacht, damit den spieß auser der Patienten gezogen, die fraw mit ungestimme erwischt, an das vorig vaß gelaint und kegklichen in sie gestochen (11,197,17-20). Der Erfolg bleibt nicht aus, zwischen dem Ehepaar herrscht hinfort Harmonie. In Struktur und Ausgang korrespondieren beide Erzählungen miteinander, zeigen sie jeweils die gescheiterte und geglückte Bewältigung einer heiklen Situation. Die besondere Leistung des Ehemannes in der zweiten Erzählung liegt in seiner Geistesgegenwart,'" die ihm erlaubt, aus der fürfallenden not ain tugendt zu machen, und in der absoluten Situationssouveränität seines Handelns, mit dem er den 'Regelverstoß' seiner Ehefrau spiegelt. Damit wird die Gleichwertigkeit zwischen dem Ehepaar wiederhergestelh, und anders als in der ersten Erzählung verliert keiner sein Gesicht.

Frobens Kritik richtet sich nicht gegen den Ehemann, sondern gegen den indiskreten erenwadel [...] der billich weiser und sicherlicher handien künden und zu ainer solchen Zerrüttung nit ursach geben. (Π,193,26ί.). Inhalthch gehört die Erzählung zu dem von Proben besonders geschätzten Themenkreis 'Geistesgegenwärtiges Handeln'. Sie paßt - wenn auch mit einem bezeichnenden Rollentausch zu dem von FISCHER (Studien, S. 95f.) beschriebenen Themenkreis 'Schlaue Rettung aus drohender Gefahr'. Ein weiteres Musterbeispiel für dieses geistesgegenwärtige Verhalten enthält der Nachtrag 274, in dem der Chronist von dem Hofharren Maximilians, Conz von Rosen, berichtet (0,217,36-218,16). Conz hatte in einem Kartenspiel mit Maximilian und einigen Fürsten nur drei Könige im Blatt, sein Gegenspieler jedoch drei Asse. Als der andere seine Karten aufdeckte, ergriff Conz schnell die Hand des Königs, legte sein Blatt mit den Worten auf: Das sein drei könig und das ist der viert.

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Auch die dritte ErzäHung (11,197,28-198,25) behandelt den Aspekt der Umsicht, aber sie enthält zusätzlich eine Perspektivierung dieses Motivs im Hinblick auf die Heiratspolitik adliger Geschlechter und auf die Rolle der Sexualität. Protagonist der Handlung ist ein Ritter namens Jakob von Landau, der an einer adligen Heiratsversammlung teilnimmt."" Dort verliebt er sich in eine Zofe und verabredet sich mit ihr in einer finsteren Kammer, wo er sie an die Wand lehnt und anfängt, mit ihr im prêt zu spilen. Die vermeintliche Wand ist jedoch eine Tür, und als die gueten biderleut in aller arbait gewesen, öfibiet sich das Schloß imd beide fallen in die dahinterliegende Stube, wo gerade eine Heirat abgesprochen wird. Dieses Geschehen hat fast symbolischen Charakter fflr das Verhältnis zwischen adliger Heiratsplanung und Sexualität. Letztere ist nicht in die sorgfaltig austarierten dynastischen Planungen integrierbar, sie bleibt stets ein störendes Element. Proben übt dabei keine Kritik im Sinne bürgerlicher Moralvorstellungen, er zeigt nur die Begrenzungen solch rationaler Überlegungen auf, und dies bedeutet für die elterliche Ehe, die, wie der Leser später erfahrt, unglücklich verlaufen ist, einen fichen Hinweis auf die eigentlichen Gründe für deren Scheitern. Sexualität und Erotik stellen sich hier demnach als ein unverfügbares vitales Moment dar. Daß dieses Moment Eingang in die Chronik findet, ist nicht das Vergnügen des Autors an witzigen Erzählungen zuzuschreiben, viehnehr wird Sexualität hier als ein Medium der Erkenntnis begriffen, in der dem Menschen blitzartig die Kontigenz des Lebens vor Augen geführt wird. Im Hinblick auf die weitere Geschichte der Zhnmem sind die drei Schwänke ein präfigurierendes Vorspiel, mit welchem der Leser zu einer vom Autor gewünschten Deutung des Folgenden angeleitet wird. Nach Meinung Frobens sind die Zimmern im Kampf um das Bickenbachsche Erbe und andere Besitzrechte strategisch unklug verfahren, es ist ihnen nie gelxmgen, das Gesetz des Handebis durch entschlossene Reaktion - wie dies in der Geschichte von der Paciens praktiziert wird - an sich zu ziehen. Neben dem Wameflfekt (11,197, 30f ) ist auch die Vision eines klügeren und engagierteren Verhaltens in dieser Erzählung in Szene gesetzt. Der direkte Bezug zwischen literarischem Stoff und einer historisch-pragmatischen Ebene, wie er fur die Chronik typisch ist, wird innerhalb des Erbach-Abschnitts vom Autor als Mittel seines hermeneutischen Zugangs zur Literatur benannt. Die entsprechende Schlüsselstelle findet sich in einem Nachtrag zum 95. Kapitel, der bereits von der Forschung gewürdigt worden ist.™' Es ist jener Nachtrag Nr. 384 (11,193,32-194,16), in welchem Proben eine von ihm benutzte Liederhandschrift erwähnt. Unter den von Proben einzehi aufgezählten Autoren befindet sich ein Konrad von Bickenbach mit Die Heiratsabsprachen und die Rolle der Ehevermittler sind noch relativ wenig erforscht. Die Historiker ziehen dazu mit Vorliebe die 'Zimmerische Chronik' heran, die als eine der wenigen gedruckten Quellen Aufschluß über die Usancen von Heiratsverhandlungen gibt (vgl. SPffiß, Familie, S. 82-113; bes. S. 82fr. " " Vgl. dazu SCHANZE, Liederhandschrift.

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einem Miimelied, das Proben als einziges aus dieser Handschrift wiedergibt. Die Motive des Lieds sind konventionell, der Minnende beschreibt den Bann, den die Geliebte auf ihn ausübt, klagt über die Nichterhönmg. Dies interpretiert Proben als literarische Verarbeitung der Minne Konrads von Bickenbach zu der Kammerjxmgfrau seiner Gattin: Ich hab von disem herr Conradten von Bickenbach in ainem gar alten geschribnen buch ain lied gefunden, das im würt nämlichen zugeschriben [...] und dem verborgnen sinn nach zu rechnen, so mag das lied uf die obgeherte historia gedeutet werden (11,193,32-39). Literatur enthält demnach einen verborgnen sinn, der sich auf eine historische Realität beziehen läßt. Wenn aber der Autor selbst Literatur als Mittel der Verhüllung an den Stellen begreift, wo gesellschaftliche Konventionen tangiert sind, dann liegt es auf der Hand, daß er sich desselben Mittels bedient, um eine Bewertung oder Kommentierung von Handlungen dem Leser zu überlassen. Aber nicht nur eine epistemologische Absicht ist hier ausschlaggebend: ''Poetice, poetico more sprechen bedeutet" - so hat MÜLLER zu Recht konstatiert "Aussage in verhüllter Gestalt."™^ Eben dies ist auch die poetologische Absicht Frobens, der deswegen die poeten über die ohrenschmeichlerischen historici (in,261,3-6) setzt und dies in einem zweiten Nachtrag (Nr. 402; Π,194,22195,7) mittels eines Lobpreises für die Poeten Wolfi-am von Eschenbach und Hadamar von Laber bestätigt. Probens Blick auf diese Werke bleibt zwar der des Humanisten, für den die Verhüllung die Voraussetzung der Poesie und deswegen ihr eigentliches Ziel ist, wenn man jedoch bedenkt, daß der 'Poet' Proben ein Minnelied Konrads von Bickenbach als Reaktion auf ein Liebesabenteuer deutet, das er - auf der Grundlage einer Geschichte Boccaccios selbst konstruiert hat, dann wird die Poetisierung der historia das Mittel, um sich selbst mit den Vorbildern des Mittelalters auf eine Stufe zu stellen. Die Aktualität des Werkes Wolframs besteht auch darin, daß man unserer altforder hojfsprach und ander ornatus der zungen, wie das alles zu derselbigen zeit sein hat kinden (II,194,29f) erfährt. Eine solche Vermittlung der höfischen sozialen Kommunikationsregeln, und damit der Gesetze der (adligen) Welt, ist auch Probens Ziel. Deren Pormen und Methoden haben sich zwar seit den Zeiten der Vorfahren geändert, aber selbst noch in den grotesken Schwänken kommt das Bedürfiiis zum Vorschein, alle Kommunikationsformen zu beherrschen, um so Handlungssouveränität zu gewinnen. Dabei ist das Medium der Sexualität - wie in den Ehebruch-Schwänken überhaupt - vielleicht deswegen ausgewählt, weil sich hier die radikalste Porm des Selbstbetrugs zeigt. Paradigmatisch wird dies vorgeführt in der Figur Konrads von Bickenbach, der im Bett nicht zwischen seiner Prau und ihrer Kammerjungfrau unterscheiden kann, so sehr ist er von seinen eigenen Bildern sexueller Befiiedigung beherrscht. Die Verbesserung der eigenen Lage durch eine Veränderung des Situationsrahmens ist eine zentrale thematische Leitlinie für die Schwankhandlungen in MOLLER, Gedechtnus, S. 185.

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diesem Chronikabschnitt. Sie ist auch die Grundlage eines Nachtrags (Nr. 223), in dem Johann Werner eine Beleidigung in einen Vorteil ummünzt: Die Beleidigerin, die verwitwete Schwägerin Johann Werners, Anna von Stoffel, wird schachmatt gesetzt, ohne daß sie die Möglichkeit einer Gegenwehr hat. Es war dise wittfraw von Stoffel bei irer fraw muetter, der grefin von Werdenberg, zu Mespelbronn gewest und bei irem stieffatter, dem eltem Philips Echter; do hett man ir ain schöne wagendecke geschenkt von rotem duch, das sich schier eim schlechten iezigen Scharlach mögte vergleichen. Damit kam sie geen Seedorf zu irer schwester und irem Schwager, herr Johannsen Wernhem. Als sie aber ain kurze zeit aida gewest, beredt sie die schlechten hosen der diener und das er die so übel beklaidet. Also über etlich tag, niemands an den wagen und die rotte decke gedacht, liefs herr Johanns Wernher zu ingang des sommers die wagendecke herabnehmen und seinen dienern capen und hosen daraufs machen. An ainem feirtagfrie standen baide schwestem uf, sahen zum fenster auss, dieweil es ain sollicher schöner tag war; so ersieht die witfraw von Stöfeln die knecht in den hüpschen hosen, verwundert sich ires schwagers miltigkait, weist das irer schwester. Es war inen gleich seltzam. Aber über etlich tag kam ain magt und sprach: sie were in der scheur gewest und die wagendeckin were darvon. Die witfraw befaret sich der bosshait, und da sie den grundt erfitre, da markt sie wol, das an irem schwager nichts zu gewinen, dann er het ir ain schwarze wagendeckin lassen zurichten; damit muest sie von ires gespais wegen verguet haben. (11,223,34-224,15)

Was hier demonstriert wird, ist die Wirkung des Handelns in verborgener weis, es ist die pragmatische Variante des poetischen Verfahrens. Schwankhaftes Handehi dient dazu, den anderen zur Erkenntnis seines Status zu bringen, er wirkt viel tiefer als eine bloß verbale Erklärung. Die Probe darauf bildet der Nachtrag 274, in dem der Kaiser Maximilian genau auf demselben Weg einen unerwünschten Bittsteller desavouiert (11,215,13-217,7). Proben lobt den Kaiser als lüstig und geschwündt (11,216,40) und damit genau mit den Kriterien, die auf Johann Werners Verhalten im Erbschaftsstreit nicht zutreffen, aber für Proben Leitbildqualität haben. Demnach hat der poetologische Diskurs über die Wirkung von Schwankerzählungen eine pragmatische Komponente, wird auf diesem Weg doch ständig eine Form des ornatus der zungen präsentiert, die eine spielerische, aber um so wirkungsvollere Bewältigung unklarer Situationen beinhaltet. Betrachtet man die Kapitel 86-101 im Überblick, so läßt sich die Präge nach den inhaltlichen Schwerpunkten und der narrativen Strategie des Autors beantworten: Proben integriert hier ein mehrstimmiges Diskursmaterial, neben der 'Chronik' der Erbacher, die die Dignität des zimmerischen Status bestätigen soll, steht erstmals die implizite Kritik an der Politik des Vaters und an seiner Einstellung gegenüber der Ehe. Daraus entstehen Ambivalenzen, die Proben nicht durch eindeutige Kommentierungen auflöst, weil er damit gegen eine Maxime der von ihm inserierten Schwänke verstoßen würde, nämlich innerdynastische Konflikte nicht nach außen zu tragen. Die Lösung dieses

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narrativen Dilemmas bieten die SchwankerzäMungen, die sich nicht einer einlinigen Deutung öflbien, sondern vom Leser eine Inteφretation verlangen. Diese wird aber so präfiguriert, daß sich als Idealvorstellung ein Verhalten herausschält, das listig und geschwind ist. Dies zeichnet in den Ehebruchsgeschichten die erfolgreichen Protagonisten aus, die eine verfahrene Situation durch rasches, intelligentes Handeln zu ihrem Vorteil wenden. Genau hier liegt auch die Verbindung zwischen den separaten Diskursen; Denn Johann Werner vermag weder in seiner Ehe noch in der Politik derart zu agieren. Hätte Proben dies abstrakt formuliert, dann hätte in der Angelegenheit des Bickenbachschen Erbes die Schuld jedoch eindeutig beim Vater gelegen und der hessische Landgraf wäre exkulpiert gewesen - was Proben vermeiden wollte. Die Schwankgeschichten lösen den Rezipienten von einer solchen unmittelbaren historischpragmatischen Ebene, sie zwingen ihn als nicht unmittelbar dekodierbare Zeichen zur hermeneutischen Arbeit. Sie belassen es auch nicht bei der Kritik, sondern illustrieren eine Positivmaxime für die Rettung aus drohender Gefahr durch flexibel-intelligentes Reagieren. Damit entspricht Proben seiner am Anfang formulierten Absicht für den Erbach-Abschnitt, wonach er mit seiner Geschichte dem Leser die Chance bieten will, darauß alleviai zu erlernen, sich in gleichen feilen wissen zu berichten (II,183,5f). 5.7.2. Die Abrechnung mit dem Vater. Zur Punktion der Narrenschwänke in der Biographie Joharm Werners (Kap. 102-112) Obwohl das Verhältnis zwischen Proben und seinem Vater, vor allem wegen dessen außerehelichen Verhältnissen sehr gesparmt gewesen sein muß, wird über weite Strecken in der Chronik dies nur angedeutet.™^ Proben bemüht sich vordergründig um eine neutrale Darstellung und bewertet die väterliche Politik nach denselben Kriterien wie die der anderen Vorfahren. Vor diesem Parameter aber versagt Johann Werner, weder gelingt ihm die Ausdehnung des zimmerischen Besitzes noch erfölh er das ICriterium der Bewahrung der zimmerischen Einigkeit. Zwar trifft diese Kritik auch die beiden Brüder Gottfiied Werner und Wilhelm Werner, aber da sich Joharm Werner von seinen Emotionen leiten läßt, trägt er in den Augen des Chronisten die Hauptverantwortung. Proben stellt das zimmerische Verhängnis als Kettenreaktion dar: Am Anfang steht Johann Werners sorgloser Umgang mit dem zimmerischen Besitz, daraus folgen innerfamiliäre Streitigkeiten und politischer Ansehensverlust. Im Verlauf des Konflikts gewinnt ihm sein Bruder Gottfiied Werner mit List {abgeschwetzt) umfangreiche Teile seines Besitzes ab. Im Gegenzug versucht Johann Werner sich

™ Oft kann man dies nur indirekt dem Text entnehmen, wie z. B. durch den äußerst lapidaren Nachruf auf Johann Werner (Ш,615,15-619,1).

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seinerseits, am anderen Bruder, Wilhelm Werner, schadlos zu halten. Als dieser sich jedoch weigert, ihm das Schloß zu verkaufen,'"^ empfieng herr Johanns Wernher ain solchen verdruß [...], das er iezgehörtem seinem fronten brueder zu nachteil und widerdrieß die drei dörfer Antian- oder Herrenzimbem, Villingen und Dalhausen, so aller nechst bei und umb das Schloß gelegen und zum theil daselbst gesehen megen werden, in ainer gehe und urenbunst der stat Rotweil zu kaufen gab [...]. (11,278,5-12)

Die Bedeutung, die dieser Verkauf fur den Chronisten hatte, kann kaum überschätzt werden, gleich dreimal hintereinander erwähnt er diesen Verstoß gegen die Familiensolidarität, im Kapiteltitel (11,276,10-14), im Vorspann (11,276,1519) und dann in der zitierten Passage. Proben verzeichnet präzis die einzelnen Gründe dafiir, warum Johann Werner vollkommen versagt hat: Der Verkauf erfolgte unnötig (ohne alle vorgehende nott), für einen unangemessenen Preis {weit under dem dimidio jitstipretii), und vor allem liegt nach dem Verkauf das Gebiet der potentiell feindlichen Reichsstadt Rottweil im Sichtkreis des zimmerischen Schlosses. Der Bruder Gottfried Werner trägt daran allerdings eine Mitschuld, denn er hätte Johann Werner an den Verkäufen hindern können, unterläßt es aber aus Neid und Mißtrauen.™' Proben rechnet seinem Vater genau nach, bei welchen Gelegenheiten er zu wenig verlangt hat, seine Kritik gipfelt darin, daß sich Johaim Werner sogar seines ökonomisch-politischen Versagens bewußt gewesen sei, wenn er die entsprechenden Akten verschwinden ließ (11,280,19-24). Die Aufzählung der ökonomischen Pehler (11,290,18292,13) des Vaters wird immer wieder garniert mit kritischen Kommentaren,'"' und selbst ökonomische Pehler bei anderen Adelsgeschlechtem (Zollem, Sonnenberg, Haag, Pürstenberg, Löwenstein)"" sollen nicht - wie der Chronist ausdrücklich betont - Johann Werner in irgendeiner Weise rechtfertigen: Sollichs alles enschuldiget herrn Johanns Wernhern nicht, vil weniger megen wir Dieses Schloß hatte Wilhelm Werner von einem Bastardsohn seines Onkels Gottfried erworben (11,180,13-16). In einer Erklärung zu diesem Kauf hatten Gottfried Werner und Johann Werner diesem Kauf zugestimmt (11,276,23-33). ™ n,278,38-279,7: Herr Gottfridt Wemher [...] hett solchen verkauf wol verhündern künden, der were auch in allen rechten und vor aller erbarkait nichtig und uncreftig gewest, in ansehen das sich die gebrüeder vorhin gegen ainandem verschriben gehapt, das keiner von ligenden güetem nichs verkaufen oder verpfenden solte, er hett dann das vorhin seinen andern gebriiedem angebotten, aber es was dozumal der neid und dann das misstrawen under denen baiden gebrüedern [.,.]. ™ Vgl. etwa 11,280,6-11: Es hat [...] Niclaus Ul herr Johanns Wemhem dieses nachtailigen Verkaufs halben vilmals angeredt, mit bericht, was unwiderbringlichen nachtails und ewigen spotts ime selbs und auch seinen künden [...] herauß ervolgen [...]. Vgl. auch 11,292,2-7: Aber woî sollten die [= Brüder Zimmern] von ligenden Güetem erkaufen oder von newen dingen zu irem geschlecht herzubringen, die ire altvätterliche und erbgüetere nit behalten kunten, sonder die ohne alle Ursachen oder vorgehende not verkauften und hingaben? Also do herr Johanns Wemher so liederlichen zun sachen thette [...]. " " Es entspricht der dialektischen Struktur der Chronik, wenn Proben an dieser Stelle als Kontrastbeispiel die Harmonie der Brüder von Geroldseck einarbeitet (11,289,17-30).

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darauß ainigen glimpf schepfen (II,284,3flf.). Diese Bemerkung ist auch von zentraler Bedeutung für die poetologische Intention des Chronisten: Proben geht offenbar davon aus, daß der Leser implizit zwischen dem Erzählten m d der Geschichte der Zimmern emen Bezug hersteUt und die 'fremde' Geschichte als Kommentar zur eigenen Familiengeschichte versteht. Allerdings bringt Proben trotz seiner Aversion gegen den Vater auch ein entlastendes Moment ins Spiel. Da er Johann Werner nicht explizit entschuldigen will, bringt er die Vorsehung ins Spiel, deren Urgrund ungenannt bleibt. Das Verhängnis, das auf dessem Leben lastet, sei bereits durch ein väterliches vaticinium angekündigt worden: Und befindt sich mit sollichen nachthailigen sachen, die auch, wie zu besorgen, nimmermehr megen widerpracht werden, das des alten, frommen herm Wemhers prognosticon, das er von diesem herr Johannsen Wemhem in seiner küntheit gehapt, laider zu vil war worden; dann so nun ain ainziger ungeratner mentsch in ain geschlecht kompt, kan er seinen nachkamen mehr schaden und nachthail mit seiner verkerten und ungetrewen weis zufiiegen, dann etlich gleich wolgerathne, verstendigen wider ufrichten und zue guetem bringen künden. (Π,279,39-280,6)

Proben formuliert hier implizit seine Vorstellimg von einer 'Wellenbewegung' der zimmerischen Geschichte und definiert damit seine eigene Position: Wenn sein Vater den Part des Versagers™' besetzt, dann kann sich der Chronist innerhalb dieser Konstruktion als Erneuerer des Geschlechts präsentieren. Providentielles Denken und narrative Strategie stützen sich damit gegenseitig. Proben kommt bei der Beurteilung seines Vaters immer wieder auf die Präge der Zurechenbarkeit einer persönlichen Schuld zurück. Fast kann man einen Automatismus konstatieren: Wenn Proben - wie in den letzten Kapiteln des Abschnitts - besonders massive Kritik an der Verschwendungssucht imd der unbedachten Politik seines Vaters übt, dann fmdet sich auch wieder der Hinweis auf die Unverfügbarkeit des Schicksals. So lautet sein Urteil über den Vater im Nachtrag Nr. 333 zum 110. Kapitel:™' Es ist domáis kain glück oder kain fai mer bei herr Johannsen Wernher gewesi,"" und das hat sich also warhaftigclichen biß in sein dodt, der erst über vil jar hernach, anno 1548, gestorben, befanden. Was er mer angefangen, ist zu-

708 n,279,37ff.:

Aber es ist zu glauben, das dieser herr Johanns Wernher nichs behalten hab sollen, sete ime villeucht also uferlegt worden. Im einzelnen geht es hier um einen schwierigen Vergleich mit den Truchsessen, bei dem Johann Werner zwar eine З ш п т е von 3120 Goldgulden samt etlichem Silbergeschirr erhält, aber das Geld wird in Utopia angelegt und bei einer Umarbeitung veruntreuen die Goldschmiede einen Großteil des Silbergeschirrs. Bei dieser Wendung handelt es sich um eine fast wörtliche Wiederholung der Anfangspassage des 102. Kapitels: Dann nachdem graf Endres von Sonnenberg [...] umbgebracht, ist in vil jharen, ja biß in sein todt hernach wenig glucks oder fais mehr bei Johannsen Wernhem [...]

gewei/(n,270,12-16).

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ruck oder doch unglicidichen gangen, und wie karg er gewest, hat er doch fiirschlag gehapt, ist im alles wie der schnee verschmolzen. (11,356,29-35)

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kain

Anlaß für die Bemerkung ist ein fast banaler Vorfall: Johann Werner hatte ußer großem streit (11,357,11)·"' Fische zu lange im Teich gelassen, so daß sie überständig werden und sterben. Wie in einem Prisma wird hier die Problematik Johann Werners gebündeh: Seine Unentschiedenheit und 'Narrheit' bedmgen seine finanziellen Verluste. Bei der Ursachenforschung für falsches Handehi wird zwar auch hier im abstrakt-definitorischen Bereich die Verantwortung des Schicksals mit einbezogen, dies ändert aber nichts daran, daß Proben das Fehlverhalten seines Vaters auch als solches benennt. Den zwischen beiden Argumentationslinien bestehenden Widerspruch lotet der Chronist dabei nicht aus, viehnehr exkulpiert er sich mit solchen allgemeinen Dikta lediglich gegenüber der religiösen Norm, wonach der Mensch dem göttlichen Urteil nicht vorgreifen darf In diesem Zusammenhang sind die Schwänke, die Proben in die Biographie seines Vaters einbaut, für die Interpretation von besonderer Bedeutung. Der Chronist hat sogar zwei eigene Schwankkapitel (105f.) in die Mitte der Vaterbiographie gesetzt, sie fügen sich unmittelbar an eme detaillierte Darstellung von Johann Werners verunglückter Wirtschaftspolitik an. Das Kapitel 105'" enthält insgesamt 17 Schwänke, von denen in 13 Gabriel Magenbuch,"·* der

DWB X K , Sp. 1334: ifre;/= 'Eigensinn'. Vgl. dazu besonders IV,57,17fr. Bereits das 104. Kapitel enthält eine ganze Schwankbiographie, so daß es zumindest als Präludium der folgenden Schwankkapitel angesehen werden kann. Schwankheld ist hier ein Meßkircher Bürger namens Paul Meyer, welcher ähnlich wie Johann Werner sein Hab und Gut verschleudert. Der Grund hierfür ist zwar anders als bei Johann Werner seine Trunksucht, aber gemeinsam ist beiden die Gleichgültigkeit gegenüber ihren eigenen Angelegenheiten. Auch diesen Zyklus, in dem vom tragischen Ruin Meyers berichtet wird, schließt der Chronist wieder mit einer Anekdote ab, die das Lachen des Lesers durch eine 'Freudsche' Fehlleistung evoziert. In diesem Fall verrät Paul Meyer durch einen unbeabsichtigten Versprecher, wie es in Wirklichkeit um den Lebenswandel seiner Tochter, die mit dem Jungfemkranz auf dem Kopf einhergeht, besteUt ist. Die Anekdote ist besonders raffiniert gestaltet, weil neben dem unfreiwilligen Versprechen auch die metaphorische Bedeutung des Wortes pletzen ('nähen', DWB ХШ, 1933f ) auf den wahren Zustand der 'Jungfrau' hindeutet: Uf ain zeit war aber ain guete gesellschafl bei im [= Paul Meyer]; indess dritt die dochter zu inen hinein und hat ain hipsch krenzle uf. Dess konte Paule sein schimpfen nit lassen, sprücht: „och, pfuch! secht, mein Elsa tregt das krenzle und ist ain junkfraw, wie Costenzer freilag, sie pletzt gem und fragt mich nil darumb. ' Er wait aber sagen, 'wie Costenzer kirchweihe ain feirtag', dann die selbig kirchweihe würt järlichs gehalten uf freitag unser lieben Frawen gepurttag im herbst. Es muest ain ganze gesellschafl seiner schimpßossen lachen" (11,295,24-33). Da die Konstanzer Kirchweih immer als Feiertag begangen wird, dementiert sich Paul Meyer hier selbst. Zur besseren Orientierung seien hier die Themen dieser 13 Schwänke nach den Marginalien DECKER-HAUFFS (Chronik der Grafen Π, S. 120-128) vermerkt: 1. Gabriel auf dem Wespennest; 2. Die Frauen von Gutenstein; 3. Gabriel trachiert genagelte Hühner; 4. Er widerspricht in der Predigt; 5. Er kritisiert den Pfarrer Dornvogel; 6. Gabriel als Lebemann; 7. Der falsche Junker Eberiin; 8. Gabriel hilft Recht sprechen; 9. Gabriels Feindschaft mit dem Parrer

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'Hofiiarr' Johann Werners, als Protagonist auftritt. Die einzelnen Schwänke sind nicht rein seriell aneinandergereiht, sondern nach inhaltlichen Kriterien gruppiert: Die ersten drei Schwankhandlungen sind von anekdotischer Kürze. Gabriel Magenbuch erscheint hier als Opfer einer gezielten Boshaftigkeit Johann Werners, wobei er sich nicht nur der Lächerlichkeit preisgibt, sondern auch кофегИсЬ verletzt wird. Ganz im Gegensatz zu seiner dabei bewiesenen Dummheit wird Gabriel in den Schwänken 4f. und Vfif. als der weise Narr vorgeführt, der überhebliche Geistliche in die Schranken weist, ihren unchristlichen Lebenswandel kritisiert imd ihre Verstöße gegen die Normen des Priesterstandes oflfenlegt (7if.). Die letzten drei Schwänke schließlich zeigen Gabriel als Opfer seiner eigenen Possen.·"^ Damit hat der Autor ein Spektrum entfaltet, welches sich von dem des Schwankromans in zwei zentralen Punkten unterscheidet. Denn weder der Ulenspiegel noch der Pfañe von Kahlenberg und schon gleich gar nicht der Pfaffe Amis werden in solch einen konkreten historischen Kontext hineingestellt, noch werden sie selbst in dem Maß wie Gabriel Magenbuch zum Opfer ihrer eigenen /«/-Handlungen. Dies könnte nun allerdings tatsächlich dezidiert gegen einen literarischen Gestaltungswillen und für eine mündliche Tradierung 'realer' Geschichten in den Schwänken 1-4, 7f. und llflf. sprechen,'" allerdings nicht für jene längeren Schwankhandlungen, in denen die Handlung mit Bedacht aufgebaut, die Komik sorgfaltig inszeniert ist. Diese Schwänke (5f., 9 f ) orientieren sich in ihrer narrativen Inszenierung deutlich an literarischen Mustern, die aus dem Schwankroman bekannt sind. Gabriel Magenbuch handelt nicht mehr als pathologischer Sonderling, sondern setzt wie Ulenspiegel eine Schwankhandlung souverän in Szene. So erzählt der Chronist im fünften Schwank, wie Gabriel dem hochmütigen und geizigen Pfarrer Adrian Domvogel vor der Predigt ein altes Pferdegeschirr auf die Kanzel legt und es mit einem weißen Tuch verdeckt. Als der Pfarrer die Kanzel besteigt, das Tuch lüftet und das Geschirr erblickt, begreift er sogleich die

Käuflin; 10. Er nennt den Amtmann einen Lügner; 11. Der gestohlene Brotlaib; 12. Gabriel in Stuttgart; 13. Gabriels Aufschneidereien (0,295,34-310,13). Auch der sechste Schwank (11,299,3-24) katm noch zu dieser Gruppe gerechnet werden: Als Gabriel wegen seiner Impotenz erneut bei einer Frau versagt, traktiert er sein Glied mit Faustschlägen. Die fallen allerdings so kräftig aus, daß ihn der Arzt nur mit großer müeh und beschwerlichen mit dem leben darvon helfen kunt Cn,299,23f ). Nach DAXELMÜLLER (Auctoritas, S. 83-87) hängt die utilitas eines exemplums von seinem Inhalt und der Wahrhaftigkeit der ereigneten und sich ereignenden Geschichte (S. 83) ab. Wenn man nun - mit DAXELMÜLLER - davon ausgeht, daß im mittelalterlichen Geschichtsverständnis die "konkret sich ereignende Wirklichkeit als Reflex supranaturaler Kausalitäten" (S. 83) verstanden wurde, dann wird sichtbar, warum die Frage nach der Authentizität von exemplarischen Geschichten im Gnmde anachronistisch ist: Für Publikum und Autor des Mittelalters ist die Frage nach der Realität eines exemplums irrelevant. In diesem Zusammenhang ist auch DAXELMOLLERS Beobachtung von zentraler Bedeutung, daß erst das "autoritative, geschriebene Wort [...] das individuelle Erleben ermöglicht und zugleich bestätigt" (S. 87): Indem ein exemplum wiedergegeben wird, dient es dem Rezipienten zur Überprüfung seiner eigenen subjektiven Erfahrungen.

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tiefere Bedeutung: Ό wee, о у/ее mir armen pfarrer, soll ich das gotzwort verkünden und ain Prediger [sein] und würd zu aim kommat vergleicht! sollt ich das an hals henken? ' (II,298,37ff.)· Schon die Inszenierung äußerlicher Details, mit denen die intendierte Aussage verstärkt wird, läßt den Kunstcharakter dieser Erzählung deutlich werden. So findet der Gottesdienst am Tag des St. Martin statt, einem Heiligen, der nach der Legende besonders durch seine schlichte Lebensführung und Demut ausgezeichnet ist, also genau die dem Pfarrer Domvogel fehlenden Qualitäten repräsentiert. Selbst das für die Pointe wichtige Detail, daß der Mesner während der Vorbereitungen zum Hochamt nicht auf den Gedanken kommt, unter das Tuch auf der Kanzel zu sehen, wird von Proben berücksichtigt.'" Solche Einzelheiten sind für das Gelingen des Schwankes unerläßlich und werden auch von den Autoren anderer Schwankgeschichten des 15. und 16. Jahrhunderts beachtet.'" Als Indiz für die literarische Intention des Autors ist auch die rasche und zutreffende Interpretation des Pferdegeschirrs durch Pfarrer Domvogel zu werten: Das Pferdegeschirr symbolisiert etvk^ Einengendes, Belastendes - und wie ein Kummet liegt auch der Pfarrer am Hals seiner Gemeinde, zwingt sie mit dem Wort Gottes zur Fron. Damit läßt sich erneut eme Analogie zwischen erzählter Geschichte und Rezeptionsintention des Autors herstellen, denn im Schwank wird ein besonderer Modus demonstriert, wie Fehlverhalten effektiv kritisiert werden kann. Der Betreflende wird in der Öffentlichkeit völlig überraschend mit einem Geschehen konfrontiert, das für ihn auf den ersten Blick unverständlich erscheint und ihn gerade deshalb zur Interpretation zwingt. Was hier in nuce anhand des Schwankes dargestellt wird, entspricht auch einer Voraussetzung für das Verständnis der Mischung aus Chronik und Historiographie in der 'Zimmerischen Chronik' selbst. Wie im Schwank bleibt nämlich die Position, an der man eine Erklärung des Geschehens erwarten körmte, leer, und der Leser muß die Deutung des Geschehens selbst leisten. Die scheinbar planlose Mischung aus Emst und Komik schafft die zur Deutung inspirierende Irritation. Da Proben bereits aber an einzehien Schlüsselstellen die Notwendigkeit der Interpretation im berichteten Geschehen verdeutlicht, kann er damit rechnen, daß dies als ein allgemein gültiges Prinzip der 'lecture' seiner Chronik begriffen wird. In diesem Sinne beruht das Lachen der Gemeinde, welches das Handehi Gabriels provoziert, auf einer Deutungsleistung, mit der die verschlüsselte Symbolik des Pferdegeschirrs als subtile Demütigung des Pfarrers erkannt wird. Auch in den Schwänken 7, 9 und 10 ist es die typische Rolle Gabriels, Lügen, Standesanmaßung und -mißbrauch zu dekuvrieren und die Unrechtssituation, in der einzelne Mitglieder der Gesellschaft leben, offenkundig zu machen. In der Regel sind die Schwänke um Gabriel Magenbuch so angelegt, daß sich ' " Der Mesner, der das zugedeckte Kummet vor dem Gottesdienst auf der Kanzel liegen sah, hält es für ein Buch. Zur damit in Beziehung stehenden Frage der Realität der Schwänke vgl. FISCHER, Studien, S. 128-137; RÖCKE, Freude, S. 25f. und ZffiGELER, Erzählen, S. 186f., 243.

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das Opfer darin selbst blamiert (7, 10). Der Anlaß dafür ist die starre Haltung der einzelnen Schwankopfer, wenn es шп die Einsicht ihrer eigenen Schwäche geht. Der Einschätzung durch ihre Umwelt haben sie sich bereits so weit entfremdet, daß sie durch diesen Realitätsverlust zum Opfer der Selbsttäuschung werden körmen. Das Gelächter der Anwesenden signalisiert, daß die Erkeimtnis des Unrechts erfolgt und der rechtmäßige Zustand wiederhergestellt ist. Dieses Prinzip der Aufdeckung von Lüge und Betrug manifestiert sich jedoch auch anhand der Figur des Gabriel selbst. Denn anders als etwa der Pfaffe Amis, der planvoll betrügt und stets obsiegt, unterliegt Gabriel denselben Fehleinschätzungen, welche er bei anderen aufdeckt. So prahlt er in den Schwänken 12 xmd 13 mit Leistungen und Kenntnissen, die er nie vollbracht bzw. erworben hat (11,308,30-309,35) und wird - nachdem seine Angeberei entlarvt worden ist - selbst verspottet. Der literarische Charakter Gabriels ist demnach fungibel. Nicht um die Darstellung eines Individuums geht es Proben hier, sondern um die Vorstellung verschiedener Diskurse, die er beliebig an die historische Person eines gesellschaftlichen Außenseiters anlagert. Proben behält dabei stets seine eigenen ständischen Interessen im Blick. So betont der Chronist entgegen der Tendenz der von ihm präsentierten Geschichten'" die Unverrückbarkeit der Standesschranken, und selbst Intelligenz kann den Vorrang des Blutes nicht außer Kraft setzen. Dies signalisieren schon die drei ersten Schwänke des 105. Kapitels, in denen Gabriel Magenbuch von vornherein zum Opfer adliger Macht wird imd so der Hierarchieimterschied gleich am Anfang festgelegt ist. Erst unter dieser Prämisse kann der Chronist dann über List, Betrug, Jähzorn, Standesanmaßung etc. sprechen und einen indirekten Bezug zu den dynastiegeschichtlichen Passagen des Johaim-Wemer-Abschnitts herstellen. Die thematischen Verbindungsglieder zwischen Schwänken und Biographie sind Überheblichkeit, Angeberei - kurz: ein Verhalten, dem jede Selbsteinsicht fehlt - sowie cholerische Reaktionen. Dazu ein Beispiel: Im sechsten Schwank berichtet Proben, wie Gabriel versucht, mit einem Mädchen zu schlafen, dabei jedoch scheitert und darüber so erbost wird, das er den penitenzer uf ainen block legt und den in ainer ungedult mit feunsten schlecht (11,299,15ff.). Die gesundheitlichen Folgen sind gravierend, nur mit Mühe überlebt er. Die Analogie zum Handeln Johann Werners ist unübersehbar: Der hatte angeblich aus Verärgerung über die Weigerung seines Bruders, ihm das Schloß Herrenzimmern zu verkaufen, wichtige Güter in ainer gehe und urenbunst (11,278,11)''° an Rottweil verschleudert und sein Geschlecht damit politisch und fmanziell 'entmannt'. Proben operiert an dieser Stelle ganz gezielt mit der Homonymie des Wortes 'Geschlecht', und er wiederholt die Analogie zwischen Impotenz und wirtschaftlich-politischem Unvermögen im Kontext der Erzählung von Johann Werners Niedergang noch ein zweites Mal. So berichtet er mi Nachtrag 199

' " Vgl. hierzu auch den achten Schwank dieser Reihe (11,301,36-302,27). Vgl. obenS. 319.

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des 103. Kapitels von einer Frau, die sich mit ihrem Mann zerstreitet und daraufhin versucht, ihn zu kastrieren. Eingeleitet wird dieser Nachtrag mit einem Satz, der einen Vergleich mit dem Geschick der Zimmern geradezu aufdrängt: Man sagt gemainlich und ist auch war, wann ain gestüd zergeen will, so beist es ime selbs den schwänz ab. Also ist in disent geschlecht auch beschehen (11,286,8fF.). Die Folgerung: Auch die drei Brüder Zimmern, insbesondere Johann Werner, bedenken bei ihrer Uneinigkeit nicht, daß sie damit ihr eigenes gestüd zugrunde richten."' Diese Konsequenz tritt zwar bei den Zimmern dank der Verdienste des Chronisten'" dann doch nicht ein, aber Froben verwendet das drastische Beispiel der Entmannung als Warnung an seine Familie. Wenn er Uneinigkeit und Besitzverschleuderung mit Kastration gleichsetzt, dann belegt dies erneut, daß für ihn Sexualität ein Medium der Erkenntnis ist. Auch wenn er das Verhalten seines Vaters teilweise ironisch beleuchtet, relativiert dies kaum die Kritik,'" schafft jedoch Entlastung für den Autor selbst, der im Akt des Schreibens die Niederlage seines Vaters bewältigt und sich gegen dessen Unvernunft abgrenzt. Im Medium der Literatur gelingt ihm so die Entwicklung einer eigenen 'Identität'. In den Schwankgeschichten des 106. Kapitels geht der Autor zu einer weiteren Facette der Narrenthematik über und lotet deren pathologische Dimension aus. Eindeutig werden diese Schwankhelden jetzt als Verrückte {hündische mentschen) charakterisiert. Der Diskurs verlagert sich zunehmend auf die Grenzbereiche menschlicher Existenz und die Frage nach dem rechten Umgang damit. Dementsprechend tritt in diesem Kapitel auch die Komik hinter dem Grauen und der Bösartigkeit zurück. Die Erzählungen um zwei 'Hofriarren', von denen der eine, Auberle Hessel, am Hof der Werdenberger zu Sigmaringen, der andere, Peter Letzkopf, am Hof Johann Werners lebt, heben die pathologische Geistesverfassung der Protagonisten (2, 3), ihren Hang zum Schadentrachten (5, 7, 9flf.) hervor. Peter Letzkopf etwa schreckt auch vor dem Mord an einem Blinden nicht zurück. Nim köimte man einen literarischen Vorläufer etwa in den Schadenshandlimgen eines Pfañen Amis oder des Ulenspiegels erblicken. Jedoch unterscheiden sich die hier aufgeführten Erzählungen von jenen signifikant: Während selbst grausame Handlungen der Schwank-

Proben vergißt nicht zu erwähnen, welche Strafe er für solch ein Handeln als angemessen erachtet; es ist eine spiegelnde Strafe, weil der Frau die Mittel genommen werden sollen, mit denen sie versucht hat, ihren Mann zu kastrieren: Aim solchen verkerten weib sollt man die zen haben ußbrochen (Π,286,23ί ). Übertragen auf Johann Werner wäre dies als ein Plädoyer für seine Entmündigung zu verstehen. Die Chronik bricht zu dem Zeitpunkt ab, an dem die ökonomische Blüte des Hauses einsetzt. Immerhin berichtet aber Froben im letzten Kapitel der Chronik noch vom Beginn des Schloßbaus in Meßkirch. Vgl. dazu auch BADER, Hausgeschichte, S. 124f und HEIDENREICH, Schloß. S. 24ff. und 136-145. Vgl. zum Gebrauch des Witzes als Kampfinittel BEST, Witz, S. 106F ; zur negativen Lehre vgl. auch JAPP, Theorie, bes. S. 94f

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beiden"'' auf planvollem Handeln basieren, reagieren die Narren des 106. Kapitels ausscbließlich spontan und irrational. Angesichts dieser Gestaltung des 106. Kapitels liegt die Vermutung nahe, daß es dem Chronisten weder wie im vorangegangenen um eine Kommentierung der geschichtlichen Handlung noch um die Erheiterung des Lesers gebt. Und in der Tat formuliert denn auch der Chronist ein ganz anderes Motiv als Quintessenz für die Einfügung dieser zwölf Kurzerzählungen am Ende des 106. Kapitels: In somma, das ich diß capitel beschließ, kein schedlicher ding ist, als da ain herrschaft einen solchen lust mit narren hat; dann was wolt im regiment mit dergleichen leute ußgericht werden? Gleichwol die armen leut auch umb Gottes willen, wie billich, erzogen sollen werden (11,318,35-40). Diese Scblußfolgerung, die den Adligen eine ganz praktische Sorgfaltspflicbt für dorechte menschen auferlegt, sie aber zugleich vor ihnen warnt, ist ein vveiteres Indiz für die These, wonach rezeptionsästhetische und pragmatische Motive in den Schwankhandlmgen ständig nebeneinander präsent sind. So findet sich hier auch ein 'philosophischer' Diskurs über die Narrheit und die damit verbundene Weisheit. Peter Letzkopf, der als em bosshaftig narr mit einem bösen, ungesempten maul charakterisiert wird, kann auch die lauter warheit sagen und ist sogar m der Lage, die Relativität von Narrheit in Abhängigkeit vom jeweiligen Standpunkt sowie die Unmöglichkeit ihrer definitiven Bestimmbarkeit zu erkennen.'" Im Gegensatz zum vorherigen Kapitel umkreist Proben hn 106. Kapitel also auch das Wesen der Narrheit selbst, die Gratwanderung zwischen pathologischem Wahnsinn und sozialer Intelligenz,"' zwischen Boshaftigkeit und Wahrheitsliebe.'" Zu einer eindeutigen Differenzierung zwischen Klugheit und Narrheit karm sich Proben fi-eilich nicht verstehen, er überträgt es wiederum dem Leser, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Eine präzise Begriflfsklärung ist schon deshalb nicht möglich, weil selbst narrehte urthl bei näherem Hinsehen weise sein können.'^' Damit läßt sich die Multiperspektivität des Narrenthemas, die im 106. Kapitel vorgeführt wird, zusammenfassend präzisieren: 1. Narrheit im Sinne psychischer Krankheit kann zwar bedrohlich sein, aber diese Gefahr entläßt den einzehien Herren nicht aus seiner christlichen Verantwortung, fiir Erziehung und Unterhalt dieser armen leut zu sorgen. Gerade deswegen hat der Narr keine Narrenfreiheit und darf keinesfalls die Herrschaft hn Haus übernehmen. 2. Narrheit kann als taktisches Handehi bewußt eingesetzt werden. In diesem

Zum Thema der Brutalität in den Schwankromanen vgl. Röcke, Freude, S. SOff. n,316,32ff.: Es hat mich, sprach er, alle weit für ain narren, was thuo aber ich? Ich hab die weit fiir ain narren. Vgl. hierzu das Beispiel des (geisteskranken?) Grafen Wolfgang von Hohenlohe (11,312,3-24). So resümiert Frohen über Peter Letzkopf, der auch von seiner Vergewaltigung durch etliche [...] Walhen erzählt: Also wunderbarliche und seltzame ding, so ime begegnet, hat er nit verschweigen, wenig bedenkendt, ob im was nachthails hierauß ervolgen megte (11,315,9-12). Vgl. dazu die Schwanke 9-11. Zum Motiv des weisen Narren vgl. K ö n n e k e r , Wesen.

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Sinn entspricht Narrheit der list. Man bedient sich ihrer,'" um seinerseits dem Narren zu begegnen bzw. um sich unter dem Vorwand der Dummheit aus einer Zwickmühle zu befreien. Die beiden Schwankkapitel 105 und 106 mit ihren Narrengeschichten in die Familienchronik einzufügen, war für Proben nicht selbstverständlich, sondern bedurfte einer Rechtfertigung, die zugleich das poetologische Reflexionsniveau des Autors wie auch seinen literarischen Gestaltungswillen belegen. Zu Beginn des 106. Kapitels erläutert Frohen dem Leser, warum er Chronik und schwankhafte Anekdoten an dieser Stelle miteinander vermischt: Wir haben in nechst vorgehendem capiteP" etlich guete schwenk, [...] begeben, erzeilet, und wiewol villeucht ain emhafter leser ganz superstitios vermainen mechte, schimpflich oder verkerlich zu sein, die lecherlichen bossen von abgehörten dorechten oder unbesinnten mentschen in ain solliche historiam einzumischen, iedoch das alles wol erwegen und diese gedanken bedechtlich hündangesetzt, so werden die sachen, wie die ergangen, auch was sich in unser landtsart bei den zimbrischen underthonnen, zugehörigen und vemachpurten zu Zeiten begeben, angezeicht und mueß der leser also nach erkündigung sovil trauriger und nachteiliger handlungen mit diesen dorechten oder kurzweiligen sachen widerumb recreirt und ufgehalten werden, welcher sich dann vil nach dem ervolgten vertrag mit den grafen von Werdenberg begeben. (11,310,17-31)

Proben schließt hier an die Argumentation zu Beginn des 79. Kapitels an,"' wo er die Einarbeitung der Schwänke mit dem Kontext der Geschlechtsgeschichte begründet: Angesichts des zimmerischen unfaals soll der Leser nicht in Melancholie verfallen, sondern durch die Schwänke Distanz zum Geschehen gewinnen.'" Wenn Proben jedoch im 106. Kapitel dieses Argument wiederholt und erneut indirekt auf den Werdenberg-Konflikt verweist, dann geht dies an der Sache vorbei, denn es ist ja sein Vater, den er für den neuerlichen Niedergang verantwortlich macht. Weim Proben jetzt mit Humor und Komik'" auñvartet,

Vgl. hierzu die Erzählung von der entflogenen Meise (11,315,12-315,28), in welcher Johann Werner sich selbst vorgetäuschter Narrheit bedient, um Peter Letzkopf zu überlisten. Damit ist das Kapitel 105, das erste der beiden aufeinanderfolgenden Schwankkapitel, gemeint. ™ Siehe oben S. 300fr. Auch Kirchhof (Wendunmuth I, S. 4) rechtfertigt seine Schwanksammlung in der Vorrede zuerst mit dem Argument, daß er damit die melancholia, als besondere Gefährdung des Menschen, vertreiben wolle. Diese befällt offenbar besonders leicht diejenigen, die mit vielen geschefien [...] beladen sind (ebd., S. 5). Des weiteren sind die Schwänke für Kirchhof Medium der Welt- und Selbsterkenntnis und für den adligen Weltmann das Repertoire, mit dem sich am Hof eine intelligente Unterhaltung bestreiten läßt (vgl. unten S. 433 und Anm. 1065). Vgl. zur Heilwirkung dei Ars iocandi gegen die Melancholie SCHMITZ, Physiologie, S. 116-183. ' " Proben hat bei seiner Argumentation auch die Renaissancepoetiken vor Augen, in denen die Komik als relaxatio animi anerkannt wurde. Auf diese Deutung greifen im übrigen auch FREUD (Witz, S. 131-135; vgl. auch BEST, Witz, S. 1 1 9 f ) und JOLLES (Formen, S. 2 4 7 - 2 6 1 )

zurück, hl den Renaissancepoetiken ist die Geschichte als menschliche Praxis der Geschichte als Wissenschaft überlegen (KESSLER, Theoretiker, S. 44).

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dann unterläuft er indirekt den kritischen Effekt in der Weise, daß die Analogie zwischen den Protagonisten der Schwänke und dem Protagonisten des Chroniktextes, Johann Werner, nicht eindeutig ist. Zwischen beiden Diskursen besteht eine "diffizile 'Komplementarität',""'' die dem Leser eine eigene Stellungnahme abverlangt. Er kann Johann Werner mit den Narren identifizieren und die Schwänke als weitere Zuspitzung der Kritik an ihm verstehen oder auch als Entlastung interpretieren, da die Narrengeschichten auf die allgemeine Unzulänglichkeit der Menschen hinweisen. Joharm Werner macht sich in seiner Irrationalität wie die Narren zum Gespött seiner Umweh, aber der Chronist fuhrt den Blick des Lesers über die Analogie mit den Narren zu den allgemeinen Widersprüchen menschlichen Handebs und den Absurditäten des Lebens. Die Funktion der Schwankreihe besteht dann weder in bloßer Komik und auch nicht in der Vermittlung einer versteckten utilitas, einer Lehre ex negativo, sondern in einer erkenntnistheoretischen Absicht: Der Schaden, welchen Johann Werner durch seine Mißwirtschaft der Dynastie zugefügt hat, wird durch den Schaden, den die Narren anrichten, hineingenommen in eine Anthropologie, die das Böse nicht beschönigt,'" aber es so in das Leben miteinbezieht, "daß es applikabel wird"."' Die Narrengeschichten ermöglichen denmach die Erkenntnis der conditio humana. Der Vorteil dieser Geschichten liegt in ihrer Mehrdimensionalität: Johann Werners Versagen wird nicht entschuldigt,'" aber sie wird gleichzeitig in den übergeordneten Bezugsrahmen der Widersprüche menschlicher Existenz aufgehoben und damit auch eine selbstgerechte Perhorreszierung des Anderen in Frage gestellt. 5.7.3. Literarische Strategien zur Bewältigung von Widersprüchen. Die Biographie Gottfried Werners (Kap. 113-130) Die Biographie Gottfried Werners (1484-1554), des Onkels des Chronisten, umfaßt 18 Kapitel und reicht von dessen Kindheit bis zum Beginn von Frobens Dienstzeit bei ihm. Danach wird sie Teil der Autobiographie Frobens. Gottfried Werners Lebensgeschichte ist, wie auch die anschließende Biographie des zweiten Onkels Wilhelm Werner, als geschlossener Abschnitt konzipiert."' Einem chronologischen Aufbau im engeren Sinne folgen jedoch nur die ersten vier Kapitel (113-116), die Gottfried Werners Leben bis zur Verheiratung

KUHN, T y p o l o g i e , S. 2 5 .

Vgl. dazu die Erzählung über einen Mord an einem Blinden (11,314,28-315,12). RÖCKE, Freude, S. 158. RÖCKE (S. 154f.) wendet sich strikt gegen die These, wonach sich in der Komik des Schwankromans die versöhnenden 'Kräfte des Gemüts' entfalten würden. Zur Befürchtung des Chronisten, man könne sein dialektisches Verfahren als Entschuldigung für Johann Werner mißverstehen, vgl. n,284,3ff. 11,373,27-33; Herr Johanns Wernher freiherr von Zimbem der elter hat von seiner gemahl, der grefln von Ötingen, noch zwen söne gehapt, nämlichen herrn Gotlfridlen Wernhern und herr Wilhalmen Wernhern. Von denen ist biß anhere wenig meidung beschehen, derhalben die notturft erfordert, von inen, wo sie in ir jugendl uferzogen und was sie nachgends, als sie erwachsen, gehandelt, auch etwas zu schreiben.

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(1519) mit der Gräfin Apollonia von Henneberg (Kap. 116) verzeichnen. Danach wird die Chronologie nur grob gewahrt, es dominiert ein themenzentrierter Aufbau. So befaßt sich Proben etwa im Kapitel 117 im Anschluß an den Bericht von der Geburt der ersten Tochter Gottfried Werners mit der Geschichte des Geschlechts ihres späteren Bräutigams, Jos Niklas von Zollem, die Kapitel 118f. bieten Schwankhaftes aus dem geistlichen Bereich sowie die Geschichte der Wallfahrt zu Engelwies.^" Im Hinblick auf die Bewertung Gottfried Werners als zimmerischen Territorialherr haben die Kapitel 120-123 das größte Gewicht, in ihnen behandelt Proben Gottfried Werners Besitzpolitik. Das 130. Kapitel bietet eine Art Resümee zu den ökonomischen Aktivitäten. Die restlichen Kapitel thematisieren sein Verhalten als adliger Peudalherr, seine Einstellung gegenüber der Kirche (Kap. 127, 129), seine Reaktion auf Notzeiten, wie Pest (Kap. 124) und Bauernkrieg (Kap. 126).''° Die Gottfried-Wemer-Biographie stellte Proben vor besondere Entscheidungsprobleme. Während er seinem Vater negativ gegenüber steht, sein zweiter Onkel, Wilhelm Werner, Vorbildfimktion hat, ist seine Einstellung gegenüber Gottfried Werner ambivalent: Einerseits litt er während seines zwöl^ ährigen Dienstes am Hofe des Onkels unter dessen Strenge und Launenhaftigkeit, war mit dessen ökonomischen Entscheidungen nicht einverstanden und empörte sich über die Vernachlässigung des Archivs, aber andererseits kommt er jetzt nicht umhin, die anfangs sehr erfolgreiche Politik des Onkels zu würdigen. Ganz offensichtlich bemüht sich Proben, den komplexen und widersprüchlichen Charakters seines Onkels zu erfassen. Dabei tritt mehr und mehr die ursprüngliche Absicht der Bewahrung der dynastischen memoria zurück zugunsten einer (psycho-)logischen Erklärung des Wesens und Handebs Gottfried Werners, über die der Chronist dann Schritt für Schritt auch zu einer Suche nach den allgemeinen Gesetzen menschlichen Handelns gelangt. Proben verfährt in seiner 'Archäologie"·" nicht systematisch, vielmehr werden die psychologischen, historiographischen, repräsentativen und ästhetischen Diskurse so miteinander verbunden, daß die Muster transparent werden. Es wird anhand von Gottfried Werners Jugend und Erziehung, seiner Heirat und Besitzpolitik

Proben erzählt hier u. a. die Geschichte des Pfarrers, dem seine Saufkumpane die Reliquien aus dem Felleisen nehmen und stattdessen Heu hinein legen. Als der Pfaner am nächsten Tag die Reliquien dem Volk zeigen will, aber nur Stroh fmdet, behauptet er, es seie das hew, das unsers Hergots esse! u/dem palmtag gessen hab (11,452,8f.). LŒBRECHT (П, S. 396) weist zu Recht darauf hin, daß einer der Pfaffenschwänke (11,451,35-452,15) einem Motiv des 'Decamerone' (VI/10) nachgebildet ist. Ein ähnliches Motiv fmdet sich bei Kirchhof, Wendunmuth I, S. 539f. (Nr. 76f ). Familiäre Nachrichten im größeren Umfang enthalten nur noch die Kapitel 125 (Blindheit der Tochter Gottfried Werners) und 128 (Tod von Gottfried Werners Mutter). ' ' ' In Anlehnung an FOUCAULT könnte man Frobens Methode als eine Ethnologie der eigenen Kultur definieren. Auch für Froben sind die Diskurse unmittelbar mit den nicht-diskursiven Praktiken verbunden (vgl. FOUCAULT, Archäologie, S. 100, 234), und seine 'Archäologie' ist keine Wissenschaft (ebd., S. 294).

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ZU zeigen sein, welcher literarischer Strategien sich Proben bedient, um die Komplexität von Gottfried Werners Handehi, die Vor- und Nachteile seines Handelns in Szene zu setzen. Proben beginnt bei der Suche nach den Gründen für Gottfried Werners Unberechenbarkeit bei seiner Jugend (Kap. 113-115), die er unter das Motiv der 'familiären Verwahrlosung' stellt (11,373,26-374,9). Weitgehend sich selbst überlassen,'"^ wird Gottfried Werner zu einem unriiebigefnj junge[n] Maim (11,388,12). Er reißt mit acht Jahren von zu Hause aus, um sich Kriegsknechten (11,374,28-375,6) anzuschließen und wagt m Verkleidung einen leichtsinnigen Ritt durch das von den Werdenbergem besetzte Meßkirch (11,388,18-35). Trotz seiner Skepsis gegenüber den großen Pürstenhöfen kommt Proben hier nicht an der Tatsache vorbei, daß nur so Gottfried Werner in der adligen Gesellschaft Fuß fassen koimte. Proben schildert es als ausgesprochenes Glück, daß Gottfried Werner schließlich am bayerischen Hof landet und Ebran von Wildenberg als Erzieher bekommt.'·" Aber der Chronist hält sich nicht mit der Darstellung der konkreten erzieherischen Leistung Ebrans auf. An der Stelle, wo eigentlich ein pädagogischer Diskurs zu erwarten wäre, bricht die Argumentation ab und Proben bietet eine Darstellung von Gottfried Werners ritterlichen Pähigkeiten. Proben erkennt zwar den Wert der Erziehung, aber ein pädagogischer Diskurs hat keinen Platz in seinem Werk, statt dessen orientiert er sich an der Personenbeschreibung der höfischen Epen. Besonders hervorgehoben werden dabei Gottfried Werners makellose Gestah und seine Tumiererfolge.'·" Seine Vorbildqualität beruht also nicht auf seiner Erziehung, sondern auf seiner zimmerischen Abstammung! Ein weiterer Widerspruch besteht darin, daß nach Probens entwicklungspsychologischem Denken die frtihkindliche Verwahrlosung Gottfried Werners entscheidend für seine spätere Sprunghaftigkeit"" und seinen Starrsinn'·" sein soll und demnach die so gelobte Erziehung Ebrans eigentlich nichts bewirkte. Auch dieser Widersprach bleibt ungelöst, Proben will die Idealität der richtigen Erziehung anhand Gottfried Werners Jugend demonstrieMit Johann Werner d. Ä., der im Zuge der Werdenberg-Zimmem-Händel aus seinen Besitzungen vertrieben worden war, floh auch seine Famihe in die Schweiz, wo seine Kinder bei Freunden und Verwandten aufwuchsen. Vgl. 1,559,10-27. Der Verfasser der 'Chronik von den Fürsten aus Bayern' war in den 60er Jahren als Hofmeister der Herzogin Amelie nach Burghausen gekommen. Seine Chronik findet sich nicht in Frobens Literaturliste. Zu Ebran von Wildenberg vgl. PETER JOHANEK, Art. Ebran von Wildenberg, in: ^VL 2 (1980), Sp. 307-312. Hervorgehoben werden folgende Qualitäten: Gottfried Werners Mut und Tapferkeit im Kampf (n,402,16f), seine Tumiererfolge (Π,392,30-38; 393,25-36), sein Aussehen (Π,402,17-20) und schließlich seine 'künstlerischen Fähigkeiten' (11,403,24-27). Vgl. dazu die 'Charakterisierung' Tristans (Gottfiried von Straßburg, Tristan, v. 2091-2128). Die jugendlichen Exzesse, die Froben am Anfang der Biographie Gottfried Werners berichtet, bestätigt er in Form eines Sprichworts: woi in der jugendl gewanel, das behangt und bleibt merthails im alter (n,378,21f ). n,459,37fF.: Aber der verkert, aigemvillig sinn hat ine, herr Gotfriden Wernhern, darumb bracht, im hat sein aigne weis am basten gefallen.

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ren und bedient sich dafür literarischer Topoi, die nach wie vor die kulturellen Muster repräsentieren, mit denen die Gesellschaft ihre Erfahrungen deutet. Nicht zuletzt will Proben den Diskurs über die Ambivalenz des Hofdienstes, den er bereits in der Wemer-Biographie'''''' entfaltet hatte, weiterführen. Ihm gelingt dies mit einer Anekdote, die er aus Kirchhofs 'Wendunmuth"·" entnommen haben dürfte und die gleich in zweifacher Weise an die Biographie Gottfiied Werners anschließt. Zum einen kommentiert er damit nochmals kritisch den gefahrlichen Ritt durch Meßkirch, zum anderen zeigt er, wie prekär die scheinbar belanglosen mommereien an einem Fürstenhof sind, weil selbst im Spiel ständig über die Machthierarchie entschieden wird. Hier ist es em Philipp von Hirschom, dessen Gesicht bei einem Maskenfest auf Betreiben der jungen Pürsten mit durchsichtiger Parbe bemalt wird, so daß er von allen erkannt und dann später von der ganzen Hofgesellschaft veriacht wird (11,390,38-391-33). Proben weist damit kritisch auf die Gefahren hin, in deijenige gerät, der sich wie Gottfried Werner - auf seine Verkleidung verläßt oder sich zu nahe am Zentrum der Macht bewegt. Exkurs: Der Geldemkrieg in der Zimmerischen Chronik (11,382,34-385,16) Da Gottfried Werner in seiner Jugend an vielen Höfen herumgereicht worden ist, ist seine Biographie nicht nur der angemessene Ort für den Hofdiskurs, sondem auch für die Inszenierung von dem Chronisten als berichtenswert erscheinenden Ereignissen. Dazu ist der Geldemkrieg (1505-08)"" zu rechnen, dessen Schilderung aber weder aus historiographischen - das Ereignis ist relativ unbedeutend - oder biographischen Gründen - Gottfried Werners Teihiahme ist von marginaler Bedeutung - Eingang gefunden hat, sondem weil sich hier situationsgerechtes Handehi im Verhältnis zur Reichsgewalt bzw. gegenüber den adligen Konkurrenten demonstrieren läßt. Karl von Geldem - und bereits hier wird die implizite Analogie zu den Werdenberg-Zimmem-Händeln offenkundig - muß sich der Expansion Maximilians I. erwehren, und dies gelingt ihm mittels ainefrj wunderbarlichen list (Π,383,9).''° Frohen bedient sich zur Illustration einer fingierten Situation: Nachdem Karl von Geldem vom Heranzug des Reichsheeres erfahren hat, begibt er sich nach Brüssel und hofft auf eine günstige Gelegenheit für eine Unterwerfung. Die bietet sich ihm, als Maximilian gerade in einem lustgarten die Geburt eines Enkelkindes erwartet und deswegen etwas aufgeregt ist. Karl falh Maximilian zu Füßen tmd bittet um Gnade. Auf die Aufforderung Maximilians hin, aufzustehen, weigerte sich Karl zimächst mit der Begründung, er wolle nur dann aufstehen, er hab dann ain gnedigen Herren und kaiser und daz im verzigen sei (II,383,32f.). Maximilian gewährt denn auch dem in Proskinese verharrenden Grafen Verzeihung, aber Karl hat sich nur scheinbar unterworfen, nach Abzug des königlichen Heeres erobert er das Verlorengegangene wieder zurück. Proben kann damit ein weiteres Thema des Herrschaflsdiskurses anschneiden: Die Bewahrung von Herrschaft mit listen und [...] gewalt (n,385,lf.). Kein Anflug einer Kritik fäUt hier auf das Verhalten Karls von Geldem. Vgl. oben S. 247-253. Kirchhof, Wendunmuth I, S. 169ff. Vgl. WffiSFLECKER, Maximilian Ш, S. 280-288. ™ Ebd., S. 285fr.

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Vielmehr begnügt sich Proben damit, Ereignisse so darzustellen, daß sie der Leser richtig deuten kann. Warum aber hält sich der Chronist bei einem solch offensichtlichen Wortbruch mit einem eigenen Urteil zurück - um so mehr als hier der von ihm verehrte Maximilian'^' der Betrogene ist? Als Ursache dafür das Argument von der 'Neutralität' des Historikers zu bemühen, greift zu kurz, denn auch sie hat meist eine tiefere Begründimg."^ Wenn sich Proben nach außen so neutral gibt und auf jede Stellungnahme verzichtet, dann mag er sich darüber im klaren gewesen sein, daß die Bewertung menschlicher Verhaltensweisen ihr didaktisches Ziel verfehlen kann, sobald man die Perspektive wechselt: das Verhalten des Grafen erscheint aus der Perspektive des Königs völlig anders als aus der des kleinen Adels.'" Allerdings kaim der Chronist das Thema der freiwilligen Unterwerfung auch nicht so ohne jedes erzählerische Gegengevñcht im Raum stehen lassen, und so bringt er in einem Nachtrag (Nr. 189) das kontrastierende, gleichwohl eng verknüpfte Pendant ein. Hier ist es em böser paur, der im Bauernkrieg in vorderster Front zunächst gegen seinen bischöflichen Grundherrn agiert, nach der Niederschlagung des Aufstandes aber auf die Vergebung seines Herrn spekuliert und sich ihm zu Füßen wirft. Zwar hat auch dieser Bauer Erfolg, und Proben lobt den Bischof am Ende dieses Kapitels auch für seine Nachsicht, dennoch bleibt die Pragwürdigkeit einer solchen Unterwerfimgsgeste, die nicht aus dem Herzen kommt, sondern reines Kalkül ist, unübersehbar. Die dramatisch ausgestaltete Konfrontation zwischen Reichsgewah und Rebell, die in eine 'erzwungene Vergebung' mündet, folgt literarischen Mustern, wie sie aus dem Vgl. JENNY, Frohen, S. 198. Vgl. zu dieser Thematik grundlegend JAUSS, Gebrauch, S. 421-427; RusCH, Erkenntnis, S. 290-302. Anhand des Geldemzuges läßt sich auch ein guter Blick auf die Verarbeitung historischer Daten und Fakten durch den Chronisten werfen. Den Einstieg hierfür bietet ein 'Fehler' des Chronisten: So gibt Frohen in der Überschrift des Kapitels 114 als dessen Inhalt die in den Zeitraum 1496-lSOl fallenden Aufenthalte Gottfried Werners am ansbachischen, hessischen und limburgischen Hof an (11,380,16-20). Von letzterem wird jedoch erst im nächsten Kapitel berichtet, wo Frohen dann auch wieder zur richtigen Chronologie zurückfmdet (1500/1). Anstelle des Berichts über Limburg steht Gottfried Wemers Teitaahme am Geldemzug im Jahr 1505! Der chronologische Sprung wird dabei vertuscht, vielmehr entsteht der Eindruck, als ob der Geldemzug bereits im Jahr 1500 stattgefunden habe. Warum weicht Froben von der richtigen Chronologie der Ereignisse in der Überschrift ab und verlegt den Geldemzug, der nach der Chronologie an das Ende des 115. Kapitels gehören würde, nach vorne? Als nächstliegende Antwort käme eine Erinnerungslücke Frobens in Frage, wofür auch die Auslassung der Minderzahlen bei den einschlägigen Jahreszahlen spräche (Anno domini 15.. n,383,2f ; vgl. auch n,384,37f ). Danach wäre die Einfügung des Geldemzuges im 114. Kapitel ein ad-hoc-Versehen Frobens, der den Kriegszug zwar chronologisch nicht richtig einordnen kann, aber ihn erwähnen wollte. Dagegen spricht jedoch die Art der Inszenierung des Geldemzuges. Dieser wird gar nicht als regekechter Krieg geschildert, sondern Froben behauptet, ein solcher sei schon im Entstehen durch Karls von Geldern kluges Handeln abgebogen worden. Der Geldemkrieg ist demnach in der Chronik ein Beispiel für die Verhinderung von Krieg durch intelligentes politisches Handeln, Angesichts dieser Funktion künmiert sich Froben nicht um die geschichtlichen Fakten. - Auch andere im Umfeld des Kriegszuges mitgeteilte Ereignisse stellen sehr eigenwillige Umgestaltungen der historischen Geschehnisse dar: So versöhnte sich Maximilian nicht mit Karl, und dessen Fußfall fand nicht vor dem König, sondern vor dessen Sohn Philipp statt. Mit den geschichtlichen Zeugnissen stimmt dann wieder überein, daß Karls Unterwerfung nur dem Zeitgewinn diente und er nach der Abreise Philipps seine verlorengegangenen Städte wieder zurückeroberte. (Vgl. WFFISFLECKER, Maximilian Ш, S. 280-288).

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'Herzog Emst' bekannt gewesen sein konnten.''" Das gleiche gilt für das to-Handeln Karls, der genau überlegt, wie er in einer schwierigen Situation die äußeren Gegebenheiten zu seinen Gunsten nutzen kann und dabei auch das groß und herlich gemüet des kaisers (11,383,34) mit in seinen Plan einbezieht. Konsequenterweise hat der Chronist für diese Szene auch alle äußeren Anlässe des Konfliktes genauso weggelassen wie die für Karl nicht schmerzlosen Bedingungen, der einen beträchtlichen Verlust an Land und Leuten, den Proben en passant erst später erwähnt, hinnehmen muß. Angesichts dieser fulminanten Inszenierung - die Vergebungsszene ist ein darstellerischer Höhepunkt in diesem Abschnitt - ist nach Methode und Motiv dieser Literarisierung zu fragen. Erreicht wird sie durch eine konsequente Verkürzung der historischen Problematik auf einen, gegenüber der historischen Glaubwürdigkeit indifferenten Bericht und die Ausrichtung des Geschehens auf ein literarisches Muster. Eine solche Reduzierung, die Frobens Chronik auch kategorial von reflektierender Geschichtsliteratur unterscheidet, hebt die einzelnen Handlungsmotive der Protagonisten besonders hervor. Hier ist es das /M/-Handeln, welches vom Autor keineswegs moralisch abqualifiziert wird, sondem fast beispielhaften Charakter trägt: Karl nämlich hat es verstanden, sich aus einer schier ausweglosen Lage mit Hilfe einer List durch eine vorgetäuschte Unterwerfung zu befreien. Wenn Proben dies Verhalten offenbar billigt, dann drängt sich der Verdacht auf, der Chronist gestalte hier ein Geschehen als kontrastive Vergangenheit zu den wenige Kapitel zuvor beschriebenen Werdenberg-Zimmem-Händeln. Anhand von Karl wird nämlich ein Verhalten demonstriert, welches in der damaligen Situation auch den Zimmem aus ihrer Notlage hätte helfen können."' Das Beispiel Karls von Geldem demonstriert, daß selbst in einer hof&iungslos erscheinenden Lage /('si-Handehi die Rettung bringen kann. Implizit spiegelt sich auch die Souveränität wider, mit der Proben das historische Geschehen seinen literarischen Ambitionen anpaßt. Detm in der detaillierten Darstellung der Unterwerfung Karls reduziert Proben nicht nur ein langjähriges Kriegsgeschehen auf emen einzigen Punkt, sondem die Szene bleibt so eindrücklich haften, daß sie als eine mögliche Handlungsalternative fur künftige Generationen, die ebenfalls von der Reichsgewalt bedrängt werden, zur Verfugung steht.

Auch in der Biographie Gottfried Werners hat der Bericht über seine Heirat mit Apollonia von Henneberg große Bedeutung. Widersprüche in der Darstellung entstehen aus dem Nebeneinander eines politisch-ökonomischen und literarischen Diskurses. Proben schildert einerseits die rationalen Überlegungen, die zu dieser Heirat führten imd entwickeh parallel dazu eine regekechte höfische Minnehandlimg zwischen dem 'Minneritter' Gottfried Werner und seiner Minnedame Apollonia. Von hier aus gesehen erscheint bereits die vorhergehende Charakterisierung des Onkels als waghalsiger Ritter ebenfalls der literarischen Rolle verpflichtet gewesen zu sein. Wenn zudem Gottfried Werner seine Braut Vgl. Herzog Emst, v. 5924ff. Das Spielmannsepos kömite dem Chronisten aus einem der zahlreichen Drucke bekannt gewesen sein, die seit 1476 entstanden sind. Eine direkte Abhängigkeit von dieser Quelle kann natürlich nicht behauptet werden. Zum Motiv der 'erzwungenen Vergebung' vgl. Hartmann von Aue, Iwein, v. 4544FF.; und dazu RAGOTZKY, Gattungserneuerung, S. S8f. Dieser Funktion des Berichts entspricht auch, daß der Autor den ganzen Abnutzungskrieg des Reiches gegen Geldem einfach negiert. Vgl. WIESFLECKER, Maximilian Ш, S. 286fî.

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gegen den Widerstand ihrer Eltern erringen muß, dann greift Proben damit auf ein literarisches Motiv zurück, das er bereits in der Verbindung zwischen Einhard und Imma, den sagenhaften Gründern der mütterlichen Linie des Chronisten, verwendet hat.''" Die Einfügung literarischer Motive und Muster aus der Artustradition in eine 'Ritterbiographie' ist um 1500 zwar nichts Besonderes,"' allerdings ist dabei die Frage der Instrumentalisierung dieser Muster jeweils neu zu stellen. WENZEL denkt bei der Biographie des Wilwolt von Schaiunburg an eme vornehmlich didaktische Funktion. Diese scheitere freilich, weil "eine Aktualisierung traditioneller Leitbilder im Rahmen der konkreten Lebenswirklichkeit eines Zeitgenossen [nicht] zu erreichen""' ist. Eine solche Aktualisierung findet sich bei Froben nicht, bei ihm stehen der historiographische imd der literarische Diskurs unverbunden nebeneinander: Auf der einen Ebene rühmt der Chronist die ökonomische Kompetenz Gottfiied Werners,"' dem die Väter deswegen gleich reihenweise ihre Töchter anbieten, auf der anderen agiert Gottfiied Werner als Miimeritter, der von der außergewöhnlichen Schönheit Apollonias und ihrer vorbildlichen Erziehung angezogen wird und durch iren willen mit rennen, stechen und allem ritterspill sich also herfür thette, das sie nit weniger liebe und willen zu ime überkam (II,403,12fif.). Der höfische 'Ritter', Gottfiied Werner, handeU mit seinen Aventiuren nicht mehr in einem märchenhaften Raum, sondern im Kontext ritterlicher Festlichkeit. Wie verbindlich die Muster des höfischen Romans noch sind, zeichnet sich deutlich in einer Szene ab, die auch in einem Artusroman stehen könnte. Hier treffen Gottfiied Werner und sein Freund Dietrich Späth am wasser zusammen und kämpfen nach dem höfischen Vorbild als Lanzelot und Gawein miteinander (11,403, 35flf.)."® Nach der ritteriichen Bewährung erfolgt die heimliche Veriobung zwischen Gottfiied Werner und Apollonia während eines dramatischen Nachtgewitters. Aus all dem wird sichtbar, wie sich das literarische Minnemotiv an die Stelle der sonst in den Chroniken üblichen Berichte über die juristischökonomischen Implikationen von Heiraten schiebt und die Form der emotio-

Vgl. dazu n,183,13-188,16. Zu Einhard und hnma vgl. oben Anm. 693. Vgl. etwa die 'Biographie' des Wilwolt von Schaumburg und dazu WENZEL, Geschichte, S. 296ff. WENZEL, Geschichte, S. 299. n,402,23ff.: Derhalben, als er sich dermaßen so heuslich und wol angelassen, seien ime vil trefflicher und gelegner Heirat zugestanden [...]. Einen ähnlichen Vergleich verwendet der Chronist auch bei der Erwähnung des Turniers auf dem Augsburger Reichstag von 1518. Hier wird der offenbar völlig überraschende Sieg Jakobs von Landau über Georg von Ehlingen mit den Worten quitiert: Das ward für ain großes gehalten und nit weniger, als so herr Kaii het Herrn Lanzeloten herab gestochen (Π,259,29ί ). Daran wird sichtbar, daß sich der Chronist über Bedeutung und Funktion der Keie-Figur innerhalb des Artusromans im klaren war. In der zimmerischen Bibliothek ist der 'Lanzelot' Ulrich Füetrers ebenso erwähnt (Donaueschingen, FFA, Catalogus, N3) wie der französische Druck der 'L'histoire de Lancelot du lac' (Ml 8).

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nalen Beziehung zwischen Gottfried Werner und Apollonia repräsentiert.''' Welchen gesellschaftlichen Stellenwert Proben seiner eigenen literarischen Kompetenz mit der Verwendung des Minnemotivs zumißt, wird daran sichtbar, daß er seinen Onkel auch in den Künsten reüssieren läßt:'" Sein gesellschaftliches Ansehen ist deswegen so groß, weil er es versteht, der Hofgesellschaft vil kurzweil mit seinen historien und gueten Sprüchen (II,403,24f.) zu machen.

Diese Kompetenz kommt nicht von ungefähr, Proben erwähnt an einer späteren Stelle, daß die Rezeption mittelalterUcher Literatur für Gottfried Werner auch ein Teil seiner Preizeitgestaltung'" war und er ähnlich wie Maximilian im 'Theuerdank' Heldenbücher produktiv nachdichtete. Auch fur die Schilderung der Heimfuhrung Apollonias bedient sich Proben eines literarischen Motivs. Nach der Verlobung vereinbaren beide, eine Wartefrist von zwei Jahren einzuhalten, in der sie ihre Liebe geheim halten wollen. Nach Ablauf der Prist berät sich Gottfried Werner mit seinem Lehnsherrn und seinen Preunden und schickt Dietrich Späth an den Nürtinger Herzogshof zu Herzogin Elisabeth, in deren Prauenzimmer Apollonia lebt. Der Bote bittet um das Einverständnis zur Heirat und um Pürsprache bei Apollonias Vater, Hermann. Die Herzogin stimmt zu und tritt auch als Pürsprecherin auf, aber Apollonias Vater schickt anstelle der erhofften Zusage zwei Adlige mit dem Befehl, seine Tochter sofort nach Hause zurückzubringen. Da Gottfried Werner nun furchten muß, die hennebergischen Gesandten würden Apollonia verschleppen, läßt er von angeworbenen Reitern die Straßen überwachen und erreicht so, daß die Gesandten ohne Apollonia wieder abziehen müssen. Aber damit ist die Braut noch nicht gewonnen, Gottfried Werner muß sie kurze Zeit später selber entfuhren. Die drohende Entfuhrung der Braut durch die Boten ist ein iimerhalb der Spiehnannsepik gattungskonstitutives Motiv. Ob sich Proben an dieser Gattung Offenbar rechtfertigt sich Proben immer wieder gegen die Vorwürfe nicht-standesgemäßer Heiraten bei den Zimmern. So schreibt er über genealogische Recherchen seines Onkels: Wie [Wilhelm Werner] den allen herr Wilhelm von Rapolstain umb seiner vordem heirat ansprechen ließ, do nam derselbig zu einer solichen mühe uf, das er kein andere antwurt gab, was er seinen anichen und heiraten nachfragte, ließe er sich doch nil bekümmern oder anfechten, wer die zimbrischen anichen oder heirat weren! Und ich glaub, es sei dem selbigen alten herren von Rapolstain allain etlicher rapolsteinischer heirat halben zu thuen gewesen, die er gern verhelinget, dann ich habs in einem tractat gefimden, den maister Felix Hemmerlin geschrben, daz etlich von Rapolstain ire megt, die inen gefallen, geehlichet und die von schlossern und herrschaften lassen nennen, wie dann die Ottomanni bißhieher gethon, das sie vermaint, ire weiber sollen von inen iren adel empfahen; ab er ich laß dise materiam fallen (111,448,39-449,11). Zmn Werk Felix Hemmerlins in der zimmerischen Bibliothek vgl, Wien, ÖNB, cod. 12595, f 22'. So wird Gottfried Werner eine Minnerede zugeschrieben (vgl. dazu Оьшк, Artes, S. 338f). Proben erwähnt, daß Gottfried Werner des öfteren nach dem Essen den Schreiber bestellt hat, mit dem zecht er, und under der zech macht er reimen von dem Berner und dem risen, wie dann solich buch, damit er vil mühe und arbait gehapt, noch zu Wildenstain vorhanden (1V,64,8-11). Vgl. zu den Spekulationen über den Inhalt CURSCHMANN/WACHINGER, Berner, S. 362.

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orientierte,'®^ läßt sich nicht mit Sicherheit entscheiden, Indizien bietet aber die innere Logik der Geschichte. Die Vorstellung, daß die beiden fränkischen Gesandten Apollonia mit Gewah vom Württemberger Hof entfuhren hätten können, scheidet aus, da sie mit ihrem cammerwagen leicht einzuholen gewesen wären. Außerdem hätte der Graf von Henneberg mit einer gewaltsamen 'Entfuhrung' Herzog Ulrich von Württemberg, der auf der Seite Gottfried Werners stand, offen brüskiert. Insofern erscheint die Geschichte um den angeblichen Entfuhrungsplan eher unwahrscheinlich, und das literarische Muster ist demnach hier nur eingesetzt, um Gottfried Werners Brautwerbung eine Spannung der Art zu verleihen, daß der Leser nach den genauen Umständen fragt und sich fiir die Art der listen (11,404,34) interessiert, mit denen die Boten Apollonia in ihre Gewalt bringen wollen. Zudem fallt auf, daß die gesamte Brautwerbungsgeschichte die nähere Beschreibung der Hochzeit selbst ersetzt, die nur m einem unscheinbaren Nebensatz erwähnt wird.'" Dies bestätigt den Eindruck, daß literarische Muster Leerstellen ausfüllen. Überspielt wird hier die Tatsache, daß unter ökonomischen und machtpolitischen Aspekten - für Proben ansonsten die primäre Ehelegitimation - die Verbindung ein Fehlgriff ist. Die Mitgift, die Hermann von Heimeberg erst zehn Jahre nach der Hochzeit herausgibt, beträgt die geringe Summe von 4000 Goldgulden (II,409,40f ). Denmach liefert die 'Minnerzählung' auch die Rechtfertigimg für eine unter dynastischen Gesichtspunkten falsche Heiratsentscheidung Gottfried Werners. Diese wird als Ausdruck individueller Neigung erklärt, und da für deren Darstellung der Chronist nicht über ein eigenes semantisches Instrumentarium verfügt, bedient er sich eines literarischen Musters. Werbung und Heirat sind in der Gottfried-Wemer-Biographie Höhepunkt und Umschwung zugleich. So positiv die literarischen Muster auch besetzt gewesen sein mögen, die Proben bislang verwandte, jetzt verschwinden sie aus der Chronik, an ihre Stelle tritt der ökonomische Diskurs und in dessen Logik schlägt eine Heirat, die nur 4000 Gulden einbringt, negativ zu Buche. Aber dies ist nur ein Symptom von Gottfried Werners politisch-ökonomischer Inkompetenz. Genauso gravierend sind seine Investitionen in den Burgenbau: Nachdem Gottfried Werner das Schloß Wildenstein von semem Bruder Johann Werner eingetauscht hat, muß er den Bau mit 40 ООО Gulden sanieren. Proben wägt sehr genau ab, ob solches Geld nützlich angelegt ist (11,410,3-411,26). Dies geschieht jedoch nicht so sehr aufgrund einer fmanziellen Überlegung, sondern im Hinblick darauf, ob ain vest und werlichs haus eim geschlecht

In den Bücherverzeichnissen des Hauses Zimmern (vgl. Anm. 4) sind keine Spietaiannsepen nachweisbar. Dies besagt jedoch nicht viel, da - abgesehen von der 'Melusine' - keine Druckausgaben volkssprachiger Romane in den Verzeichnissen aufgeführt sind. - Der 'Salman und Markolf ist 1499 in Straßburg gedruckt worden, und angesichts der engen Beziehung Frobens zu dieser Stadt - sein Bruder war dort Domherr - ist es denkbar, daß er den Text kannte. n,406,23f.: [...] so ist es zu eim kleinen, eingezognen wesen ein holsellige undfröliche Hochzeit gewesen.

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nutzlich oder guet sei. Proben fuhrt Pro und Contra auf und nennt Adlige wie Friedrich von Sachsen oder Truchseß Jörg von Waldburg, die auf den Burgenbau verzichten, bleibt aber in der Sache selbst unentschieden. Er bezieht in seine Argumentation dabei schon das psychologische Moment mit ein, daß Befestigungen den Neid der Nachbarn erregen und damit den Krieg, den sie eigentlich verhindern sollen, erst provozieren. Aber trotz seiner zeitgemäßen Skepsis gegenüber den Burgen kann Proben nicht darüber hinweg gehen, daß Gottfried Werner mit dem Erwerb der Burg Palkenstein und der umliegenden Dörfer eine beachtliche Besitzausdehnung geglückt ist. Wie rettet der Chronist trotz des Erfolgs seine kritische Haltung gegenüber dem Onkel? Zunächst bedient sich Proben eines Perspektivenwechsels und berichtet den Verkauf aus der Sicht der Vorbesitzer, der Herren von Bubenhofen, die wegen verschwenderischer Prachtentfaltung ihr ganzes Vermögen verloren hatten. Proben münzt so den Erfolg des Onkels zu einer Warnung vor Besitzverlust durch Mißwirtschaft um und kommentiert dies mit deutlich erkennbarem Blick auf die Geschichte des eigenen Geschlechts: Ist ain groß exempel mentschlichs glucks und Unfalls und das ain ieder in seiner Haushaltung wolßr sich sehen sollte, damit er nit zu zeitlichem verderben sich

ursachte (11,454,25-28).'" Diese Erkenntnis der Verantwortlichkeit des einzelnen für sein Leben steht allerdings erneut im Widerspruch zur parallel dazu ausgebreiteten Vorstellung von einer schicksalhaften Bestimmung des Lebens (11,467,17-20),''" und auch hier bleibt der Widerspruch ebenso ungelöst wie die damit korrelierende Präge, inwieweit das individuelle Handeln überhaupt den Lauf der Geschehnisse zu beeinflussen vermag. Die Schilderung des zwangsweisen Verkaufs von Falkenstein durch Wolf von Bubenhofen ist eine Warnung des Chronisten und zugleich Präfiguration des Folgenden - die Burg selbst wird zum Symbol fur die Gefahrdung eines Geschlechts durch unüberlegte Verkäufe. Den Beweis tritt Proben sofort an, wenn er berichtet, daß Gottfried Werner einen kleinen Teil seines Erwerbs, die Mühle von Neidimgen, wieder veräußert. Während aber zuvor der Kauf Palkensteins nur lapidar erwähnt wurde, werden nun Gott, die Dynastie und die ökonomische Vernunft als Zeugen für die Verwerflichkeit dieses Verkaufs angeführt: Und wiewol der allmechtig das geschlecht Zimbem umb sovil begnadiget het, das herr Gotfridt Wernhem nach sovil gelegnen verkauften güetern was von andern ligenden güetern widerumb zu banden gestoßen und darneben eins bösen nachpaum sich entlediget,''^* nochdann konte er das auch nit gar behalten. Diese Warnung wird im Nachtrag 64 noch damit unterstrichen, daß kein unfahl allain kommt (11,454,29), sondern sich auch noch auf die Kinder erstreckt. Vgl. auch im selben Tenor n,465,12-21; 467,17-20 und Π,469,7. Siehe dazu oben S. 320f. Mit dem feindlichen Nachbarn ist Wolf von Bubenhofen gemeint. Vgl. dazu auch die Übersetzung BOHLERS (Wappen, S. 243f ).

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er gabs, wie iez gehört, seinem brueder. Das wer gleichwol hingangen, aber die mülle zu Neidingen, die er mit seinen aignen underthonnen zu Hainstetten, dem Weiler und dem Hardt wol erhalten het künden, sampt dem zugehörigen vischwasser und denen wissen, hat er ohne alle vorgehende not oder ainigs erheblichs bedenken Sixten von Hausen umb ain ringßegs und, wie man sagt, umb 400 guldin zu kaufen geben, unangesehen das solche güetere nit bösser heften kinden gelegen sein. Aber der verkert, aigenwillig sinn hat ine, herr Gotfriden Wemhem, darumb bracht, im hat sein aigne weis am basten gefallen. (Π,459,24-39)

Von der gesamten Kaufsumme, die die Zimmern für den Erlös des Bubenhofer Besitzes entrichtet haben, macht der Preis für die Mühle gerade 8% aus. Deshalb wirken das Gewicht, das Proben dem Wiederverkauf der Mühle beimißt und die Kritik, die er an seinem Onkel deswegen übt, völlig überzogen. Im Grunde dreht Proben die Darstellungsperspektive um: aus emem relativ kleinen Besitzzuwachs, der vorher eher beiläufig zur Kenntnis genommen wurde, wird durch die Veräußerung plötzlich ein enormer Verlust. Und dem entspricht auch die charakteristische Verteilung von Lob und Kritik: Gelingt ein Kauf, lobt der Chronist Gott, verkauft Gottfried Werner zimmerischen Besitz ist er ein Versager. Ganz offenbar will Proben trotz des Erwerbs von Palkenstein den Eindruck erzeugen, sein Onkel habe eine dem Geschlecht äußerst nachteilige Besitzpolitik getrieben. Auf der gleichen Ebene wie die Verkäufe steht die Mißachtung der alten Urkunden durch Gottfried Werner. Der Onkel verstößt nach der Darstellung des Chronisten gegen das Gebot der memoria, und deswegen benutzt er auch ein kontrastrreiches und plastisches Bild, um Gottfried Werners Handeln zu diskreditieren. Zuerst schildert er, wie die Geroldsecker mit ihren alten brieflin ein Vermögen machen und dann, wie sich sein Onkel von einem Züricher Pfarrer bereden läßt, aus den alten Urkunden Leim zu sieden: Herr Gotfndt Wemher ließ sich das fantestle bereden, sucht die alten brief herfiir, und [...] so gieng uf das mal das böst von überigen briefen auch darvon, damit doch dem stammen und namen nachtails genug beschehe und in solchem fahl nichs underlassen würde. Ain arme sach ist es, das herr Gottfridt Wernher also die alten brief hat hinweg gethon und leim lassen darauß sieden. (11,499, 38-500,7)

Kritik am Onkel und Selbstlegitimation bedingen sich hier gegenseitig. Denn werm Proben selbst in seinem Werk allen möglichen Rechtsansprüchen des eigenen Geschlechts nachforscht, dann eignet sich das kontrastive Handebi des Onkels sehr gut dazu, die Relevanz des eigenen Tuns und die intendierte Rezeption der Chronik hervorzuheben. Und was im Haupttext nur impliziert ist, fmdet sich explizit in einem Nachtrag (Nr. 215) zu dieser Passage, in welchem der Chronist eine Urkundenvemichtung durch Graf Jos Niklas von Zollern schildert und dabei eine eindeutige Bewertung solchen Handelns nachreicht:

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Gleicher gestalt hat über etliche jar hemach Graf Jos Nielas von Zollem auch gehandlet. Es hetten im seine vordem ein ansehenliche canzlei verlassen, ain anzall vaß und truchen mit triefen, darin wunder zu finden und vil ußzuklauben gewest, daz iezundt verloren und nimmer an tag kompt, insonderhait von rathschlegen und andern haimlichen, borgnen sachen, die kaiser Maximiiianus mit dem alten graf Itelfriderrichen, seinem großhofmaister, zu verrichten gehapt. [...] Aber es müeßen die brief die historice und alte verzaichnusen ire feindt und widersächer gleich so wol haben, als ander geschepf zu dem solche sachen ergere feindt nit haben künden, dann eben die, so uf historias sich zum wenigisten versteen und sich als idioten und ungelerten leut deren zum wenigisten wissen zu geprauchen. (11,500,35-501,14)™'

Daraus spricht das pragmatische Denken eines humanistisch gebildeten Territorialherren, den die alten Schriften nicht nur als Antiquitäten interessieren, sondern der sich darin konkrete Ratschläge für politisches Handehi und die Erhellung geheimer Vorgänge erhofft. Kann das Motiv des Rates, mit dem sich gegenwärtige und zukünftige Probleme lösen lassen, noch unmittelbar aus den Erfordernissen der Tagespolitik erklärt werden, so bezieht sich die vergeblich erhoffte Enthüllung des arcanum™ auf ein politisch-kulturelles 'Kollektivgedächtnis',"' das die geheimen Strukturen der Macht in ihrer Totalität umfaßt/" Um deren Erkenntnis kämpft der Chronist im Prozeß des Schreibens, den indirekten Zugang bietet ihm die Geschichte, die jedoch nur denjenigen verständlich ist, die sich uf historias [...] versteen. Dies setzt keine Gelehrsamkeit im modernen Sinne voraus, sondern eme Erfahrung im pragmatischen Umgang mit der Geschichte und meint die Fähigkeit, das vergangene Geschehen im Hinblick auf die Gegenwart zu deuten. Geschichtliche Wahrheit und die Lehre der Geschichte werden demnach auch als integumentum™ begriffen, das notwendigerweise der eigenständigen Inteφretation bedarf Dies wiederum steht in enger Korrespondenz zum Verfahren des Chronisten, der sich ebenfalls eines verhüllenden Schreibmodus bedient, um eine Deutungsleistung anzuregen. Das erklärt auch, warum der Chronist so viele Geschichten in seine Chronik ein-

In einem weiteren Nachtrag (Nr. 422) zu dieser Passage wird als weiteres Beispiel für unverstendig, oder doch so neudig ¡eut (n,501,27f.) der württembergische Kanzler Joseph Minzinger genarmt, der 1534 Akten verbrannte, damit sie nicht dem Feind in die Hände fallen. Dieser Nachtrag gehört nach einer Anweisung des Chronisten vom Ende des Nachtrags 491 (1,159,3fr.) nicht an die von BARACK gewählte Stelle, sondern zu Kap. 124 (Π,501,9-14), ™ Proben bezieht sich dabei allein auf weltliche Dinge, während er die Erforschung des göttlichen Willens ablehnt. So schreibt er im Zusammenhang über das Schicksal einer Ehebrecherin im Jenseits: Der allmechtig waist, wie oder wohin [sie gekommen ist] ; in seine haimliche und verborgne urthl soll man nit reden oder die curiose inquiriren (n,464,12ff.). Zum spannungsvollen Verhältnis zwischen dem Kollektivgedächmis und der Macht vgl. Assmann, Gedächtnis, bes. S. 30-42, S. 70-78 und passim. Zum hochmittelalterlichen Versuch eine lex totius in der Geschichte ausfindig zu machen, vgl. Oexle, Teil, S. 353f und unten S. 387ff., 403-409, 422-424. Vgl. zur Bedeutung des Verhüllens als Ausweis besonderer Gelehrsamkeit Müller, Gedechtnus, S. 246f

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baut, deren Sinn sich nicht auf den ersten Blick erschließen: Denn das Verständnis der conditio humana öffiiet sich nicht anhand konkreter Lehre oder dogmatischer Aussagen, sondern erst der eigene Denkprozeß kann den Leser einer Erkenntnis entgegenbringen. Proben geht offenbar nicht davon aus, daß daraus bei unterschiedlichen Rezipienten ein einheitliches Ergebnis entsteht und deswegen darf ein Chronikwerk nicht in abstrakter Weise Regeln der Geschichte formulieren, sondern muß versuchen, diese conditio in einer erkenntnisleitenden Darstellung der Ereignisse erschließbar zu machen. Als Medium dazu dient neben der Geschichte auch die Literatur, an ihr karm man die kollektiven Muster, in denen sich das Leben abspielt, genauso ablesen wie an den Urkunden oder aus der mündlichen Tradition. Proben leistet eine 'dichte' Verbindung zwischen Dynastiepolitik, Ökonomie und literarischer Kultur. Er betrachtet die historischen Ereignisse und die literarischen Muster als Teil der conditio humana und fühlt sich berechtigt, den Zusammenhang zu konstruieren. Hinter diesem Aspekt einer Pokussierung auf Detailverbindungen, die freilich repräsentativ für das Allgemeine sind, tritt die Notwendigkeit, eine linear verlaufende Geschichte zu konstruieren, zurück, wenngleich sie auch nicht ganz verschwindet. Im Zusammenhang mit dem Erwerb der Burg Falkenstein durch Gottfried Werner bedient sich Proben noch einer weiteren Methode, um die Bedingungen für erfolgreiche Besitzpolitik zu demonstrieren. Auf der Grundlage einer Verbindung von Ökonomie- und Ehediskurs schreibt er eine kleine (fiktive) Geschichte des Palkensteins (11,452,30-467,20) und heftet dabei der Burg das Stigma an, daß sich ihre Besitzer aufgrund ehelicher Verfehlungen ruinieren. Pormuliert wird dies von Proben mit deutlicher Anspielung auf den späteren Verlauf der Ehe Gottfried Werners™ und gleichzeitig in der Absicht, Strategien für den Umgang mit gescheiterten Ehen zu entwerfen. Den Stoff fur diesen Diskurs stammt möglicherweise aus den 'Cent nouvelles nouvelles'."' In Probens Version (11,461,1-462,18) - er kündigt sie als seltzame, wunderbarliche geschieht an - buhlt ein Herr von Lenzenberg, dessen Burg gegenüber der des Palkensteiners liegt, um dessen Prau. Als diese eine Nacht beim Lenzenberger verbracht hat, kommt am Morgen ihr Ehemann auf die Burg und der Lenzenberger prahlt beim Prühstück über die Schönheit seiner Geliebten. Daraufhin möchte der Besucher die Dame sehen, der Lenzenberger führt ihn ins Schlafgemach, zeigt ihm aber verständlicherweise nur das Bein seiner Geliebten. Obwohl dem Ehemann dies irgendwie bekannt vorkommt, bleibt er ahnungslos. Hier weicht Proben von seiner Vorlage ab und gibt der Erzählung eine neue Wendung. Der Palkensteiner hat nämlich doch etwas gemerkt, er steUt dem Liebespaar eine Palle und erwischt sie in flagranti. Zwar entkommt die Prau, aber der Lenzenberger wird getötet, seine Burg niedergebrannt. Als 'Autopsie-

" " Vgl. unten S. 391. ™ Les cent nouvelles nouvelles 1.

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beweis' für die Wahrheit der Geschichte erwähnt Proben die Ruinen auf dem Lenzenberg. Die folgenden Ehebruchsgeschichten (11,463,4-465,11), die Proben mit dem Palkenstein verbindet, sind nicht bloß weitere Belege für das Stigma der Amoralität, die der Burg anhaftet, sondern sie führen die Diskussion einen Schritt weiter und reflektieren über das richtige Verhalten bei Ehebruch. Denn so zufrieden sich Proben auch über die Bestrafung des Lenzenbergers und seiner Geliebten äußert (II,462,12£; 15-19), die fatalen Konsequenzen für eine Dynastie übersieht er dabei nicht. In der ersten Geschichte (11,463,4-39), die m der Struktur genau der Lenzenberger-Geschichte entspricht, jedoch zu einem anderen Ergebnis führt, tritt ein Wolf von Bubenhofen, Besitzer des Falkensteins, in der Rolle des Ehebrechers auf. Diesmal versucht der gehörnte Ehemann, die Angelegenheit unauffällig zu regebi, damit hiervon kain geschrei entstüende (II,463,29f ) und wischt lediglich einen reimen, den Wolf in der Frauenstube an die Wand geschrieben hat, ab. Die Konsquenzen dieser nachsichtigen bzw. vernünftigen Handlung sind unerwartet dramatisch, die Frau weigert sich in Zukunft zu sprechen und bricht auch sonst jeden Kontakt mit ihrem Mann ab. Im Kontext der Ehebruchsgeschichte wirkt diese Reaktion völlig irritierend, sie könnte von Proben als Beweis für die Wirkung der minne und im Anklang an das etwa von Konrad von Würzburg verwendete Motiv des Todes der Geliebten bei der Zerstörung der symbolischen Erinnerung gestaltet worden sein."' Freilich applaudiert der Chronist einem solchen Verhalten nicht, sondern er setzt das Motiv offenbar ein, um die Frau, die mit ihrer Verweigerungshaltimg den Bestand des Hauses gefährdet, zu kritisieren. Dementsprechend versagt er auch ihrem Namen die memoriale Aufbewahrung: Einer sollichen keinnutzigen, einßeren bestia namen soll nit genempt, sonder der ewigen vergesenhait bevolchen werden (11,464,26fiF.).'" In der dritten Geschichte (11,464,30-465,11) schließlich ist Wolf von Bubenhofen Teil einer ménage à quatre, in der die beiden Ehepartner sich großzügig außereheliche Beziehungen zugestehen. Betrachtet man die drei Geschichten im Ganzen, dann wird deutlich, daß Proben hier um eine Antwort auf die Frage ringt, ob der Bestand eines Hauses, die Aufrechterhaltung des äußeren Scheins Vorrang hat vor der Einhaltung der moralischen Normen. Er lehnt die aus Ovids 'Amores' (111,4) bekannte Diskussion um die kontraproduktive Überwachung der Ehefrauen ab™ und flüchtet ausweichend in einen Appell an die Vernunft der Ehemänner: Zu dem so kann ain geschickter, verstendiger mann auch ain fromen frawen wol haben und

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Vgl. Konrad von Würzburg, Herzmare, v. 477-521. Vgl. dazu oben Anm. 770. ™ Ш,465,4-9: Man sprücht, es dürf bei den weitem keim genawen ufsehens, oder es helf nil, das laß ich ain rede der alten sein, die villeuchl bei der alten, fromen weit statt gehapt, aber zu unsern Zeiten ist es vil ain anders und erfindt sich das widerspill in der praktik und deglicher erfarung. Der Hinweis auf die rede der alten könnte auch Frucht von Frobens Beschäftigung mit der Liederhandschrift X sein. Zu X vgl. SCHANZE, Liederhandschrift.

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Die 'Zinunerische Chronik'

behalten (II,465,9ff.). Das moralische Niveau in einer Dynastie bleibt für Proben ein untrügliches Zeichen für seine Zukunft. So sind die erotischen Ausschweifungen der Bubenhofener ein Hinweis auf ihr bevorstehendes Ende: wa dann solche oder dergleichen ungereimpte sachen in aim geschlechtförfallen, ist es ain gewiss zaichen, das ain geschlecht zu grundt geet oder doch am nechsten darbei, dann es sein die vorbotten (11,467,17-20). Obwohl Proben um die Begrenztheit aller menschlicher Bindungen weiß und dies immer wieder betont und exemplifiziert, bleibt er im Zusammenhang mit der Biographie seines Onkels rigoros, da er dessen Libertinage als Ursache für seine Mißwirtschaft erklären will. Frobens Verknüpfung der Diskurse kann auch verstanden werden als eine Reaktion auf zunehmende moralische Anforderungen, wie sie die Reformation an den Adel stellt. Proben akzeptiert diese Anforderungen, bindet sie in seine Hofkritik mit ein (11,465,18-21) und instrumentalisiert sie als Kritik an seinem Onkel, auch weim er, wie das Beispiel der LenzenbergerGeschichte belegt, den Bestand des Hauses immer noch über die Moral stellt. 5.7.4. Die Aporien der Gelehrsamkeit - Die Biographie Wilhelm Werners (Kap. 131-134) Obwohl die Biographie Wilhelm Werners nur drei Kapitel umfaßt, entspricht ihre Struktur der der beiden vorangegangenen. Proben schildert zunächst kurz die Jugend Wilhehn Werners - sie steht wie bei Gottfried Werner unter dem Motiv des Unbehütetseins - , daim folgen ausführlichere Berichte über seine Erziehung und Heirat; den Abschluß bildet ein Kapitel über den Bauernkrieg.·"' Der Wilhehn-Wemer-Abschnitt ist sehr konzentriert gestaltet, es gibt zwar auch hier schwankhafte Erzählungen, aber keine selbständigen Schwank- oder andere Exkurskapitel. Die erzählerischen Schwerpunkte werden anders gesetzt als in der vorangegangenen Biographie. Während in Gottfiied Werners Jugend die literarischen Motive 'Minnedienst' und 'Rittertum' dominieren und die Erziehung durch Johannes Ebran nur rudimentär behandelt wird, verhäh es sich bei Wilhelm Werner umgekehrt: Von seiner Ausbildxmg im adligen Kriegshandwerk berichtet Proben überhaupt nichts, seine Schul- und spätere Universitätsausbildung hingegen ffillt fast ein ganzes Kapitel. Daß Proben auf den geistigen Erziehimgsprozeß Gottfiied Werners nicht eingeht, den Bildungsgang Wilhelm Werners aber in aller Ausführlichkeit schildert, ist als ein indicium ex eventu zu verstehen: Gottfiied Werner führt bis zu seinem Tod das Leben eines adUgen Territorialherren, während Wilhelm Werner nach Beendigung seiner Ausbildung Mitglied des Reichskammergerichts wird. bi beiden Lebensläirfen werden Informationen, die nicht den späteren Lebensformen zuzuordnen smd, negiert, wodurch der Eindruck einer sehr konsequenten, vom Anfang her angelegten Persönlichkeitsentwicklung entsteht. Proben zeichnet also kein individuelles Charakterprofil, sondern sucht den konventionellen Beschreibungsmustem

™ Siehe dazu unten S. 351.

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gerecht zu werden. Wenn Proben Wilhelm Werner im Gegensatz zu seinen Brüdern als Prototyp des 'gelehrten Adligen' vorführt, dann greift er auf ein Modell zurück, das seit den humanistischen Panegyriken auf Maximilian präsent ist/®' Proben begnügt sich damit, die Gelehrsamkeit Wilhelm Werners abstrakt zu beschreiben, er macht keine differenzierten Angaben über den Bildungsgang und über Details seines Studiums,"" wie wir dies etwa aus den Schriften zu Maximilians Biographie kennen/" Wilhehn Werners Studium wird vielmehr summarisch-tabellarisch abgehandeU: Als er nun ain wenig erwachsen, ist er geen Tübingen, hernach geen Freiburg ins Preisgew uf die hochen schuelen gethon worden, anno 1504. Alda er etlich jar in studio juris und artium biß uf das jar 1509 gewesen und sich also geiebt, das er dessen hoch gelobt worden (11,579,36-40). Wichtiger als die Erwähnung der gelehrten Disziplinen ist die repräsentative Bedeutung dieses Ereignisses. Nur einmal geht Proben auf die intellektuellen Pähigkeiten Wilhelm Werners im Detail ein, weim er dessen rhetorische Kompetenz hervorhebt,'" die sich bei einem aus ständischer Sicht höchst bedeutsamen Ereignis, seiner Wahl zum Rektor der Preiburger Universität bewährt: Derhalben auch, als er zu Freiburg in rectorem erwellt, hat er seine lateinische orationes suo Marte selbs ußer aignem verstandt schreiben und auch reden künden, dardurch er dann nit wenig lobs erlangt (11,579,40-380,4)· Die übrigen Erzählungen aus Wilhehn Werners Studienjahren zielen ebenfalls nicht auf Details der Gelehrsamkeit des Zimmern, sondern auf die Bestätigung seines Standes. Das humanistische Bildungsideal ist für Proben irrelevant. Die representatio kommt nicht in Bildern zum Ausdruck, die auf antiker oder humanistischer Tradition beruhen, sondern durch die Integration semer Biographie in handlungspragmatische Modelle. Hierzu zählt etwa die Episode um die Befl-eiung eines jugendlichen Diebes, der vom Preiburger Rat zum Tode verurteilt worden war. Proben schildert, wie Wilhelm Werner und andere Studenten den Verurteilten vom Strick des Henkers schneiden imd in die Preiung des Spitals retten.™ Proben hatte bereits eine ähnliche Geschichte in die Bio-

Vgl. zur humanistischen Biographie grundsätzlich DSEWUN, Biographie, bes. S. 8ff. Auch über dessen spätere historiographische Tätigkeit schweigt Proben, obwohl Wilhelm Werner sein wichtigster Mitarbeiter an der Chronik gewesen ist und Gelehrte wie Johannes Herold nach Herrenzimmern zog (vgl. BURCKHART, Herold, S. 248-253). Zur literarischen und reproduktiven Tätigkeit Wilhem Werners vgl. unten Anm. 961. MÜLLER, Gedechtnus, S. 238ff. Die rhetorische Kompetenz seiner Vorfahren ist für den Chronisten besonders wichtig. So verweist er in einem Nachtrag (Nr. 84) zum 64. Kapitel darauf, daß Johann Werner d. Ä. bei der Übernahme der Herrschaft Hohenberg die dabei übliche Rede selbs gelhon und ganz herrlich gerredt, darumb seie im auch von menigclichem vil Lobs zugemessen worden (1,509, 33f). Zum Begnadigungsrecht vgl. MNREIS/LFFIBRECHT, Rechtsgeschichte, S. 279. Zum 'Losschneiden vom Strick des Henkers' und zur ständisch priviligierten Bedeutung des Begnadigungsakts vgl. H. KRAUSE, Art. Gnade, in: HRG 1 (1971), Sp. 1717.

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graphie Gottfried Werners eingebaut,·"' und in beiden Fällen ist die politische Aussage primär und nicht der historische Wahrheitsgehalt: Das Begnadigungsprivileg ist dem hohen Adel vorbehalten und hat so ständisch-qualifizierenden Charakter."' Als sich die Freiburger Bürger nicht mit der Befreiung des Diebes abfinden wollen, drohen die Studenten mit einer Appellation an den Kaiser, waver sich die statt weiter desshalben inlassen und die Herren als illustres und in sollichen feilen vilbefreite personnas bei irem herkommen und geprauch nit bleiben lassen wellten (11,583,25-28). Besonders wichtig ist der Zeitpunkt des Geschehens: Noch sind die Zimmern politisch unbedeutend und nur Freiherren. Wenn sie jedoch von einem solch vornehmen Recht Gebrauch machen, dann läßt sich daraus auch auf ihre Zugehörigkeit zu den illustribus und auf grafengleichen Status schließen. Die Frage nach dem Grund für die Einfügung des ständischen Diskurses an dieser Stelle fuhrt zum Grundproblem innerhalb der Wilhelm-WemerBiographie. Eigentlich will Froben mit der Karriere seines Onkels den Primat des Geistes vor der Herkunft nachweisen, aber er kommt damit in einen Gegensatz zum zentralen Standesdiskurs in seiner Chronik. Deswegen betont die Befreiungsanekdote die Bedeutung des Adelsstandes und schafft so ein erzählerisches Gegengewicht zur adligen Ignoranz gegenüber der Bildung. Auch diese Erkenntnis vermittelt Froben in einer Anekdote über das Freiburger Universitätsrektorat. Der Graf Felix von Zollem, der ebenfalls zum Rektor der Universität gewählt worden war, zieht die rectorkappen nachts [...] im kat uf der gassen herum (11,585,38f), worauf hinfort nur noch Gelehrte zu Rektoren gewählt werden. Die Wertparameter - so belegt diese Anekdote - sind demnach bei Froben nicht einheitlich. Zwar hält er an dem Vorrang des Adels fest, aber gleichzeitig grenzt er sich durch die Betonung der intellektuellen Überlegenheit des Gelehrten wieder davon ab. Wie sehr Froben auch innerhalb der Biographie des 'Intellektuellen' Wilhelm Werner an der Weiterführung des Standesdiskurses gelegen ist, zeigt das folgende 132. Kapitel. Nach Abschluß der Studien will Wilhelm Werner in das Konstanzer Domkapitel eintreten.'" Dies scheitert angeblich jedoch daran, daß mit Wilhelm Werner ein Angehöriger des Hochadels in das Kapitel aufgenommen werden würde imd dieser Stand damit ein Übergewicht über den niederen Adel und die Nicht-Adligen erhielte.™' Die Ablehnung Wilhelm Werners durch die Konstanzer wird so zu einem Beleg für die Zugehörigkeit der Zimmern zum Grafenstand umfunktioniert. Wilhelm Werner übernimmt daraufliin das

Auch Gottfried Werner schneidet einen Verurteilten vom Strick des Henkers, was dort allerdings im Einverständnis mit dem Gericht geschieht (1,374,10-22). Zum Asylrecht in Zürich vgl. auch BINDSCHEDLER, Asylrecht, S. 77-81. ™ Vgl. dazu auch SCHMELZEISEN, Asyl, S. 298-301. Zur nobilitierenden Funktion einer Domherrenpfründe vgl. TRE 9, S. 138. Diese feine Differenzierung zwischen den Ständen (11,596,21-597,12) hat im Text sonst keine Parallele.

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Amt eines Richters am Rottweiler Hofgericht,"' und auch diesen Karriereschritt benutzt Proben, um einen weiteren Beweis ffir seine am Anfang der Chronik"" entwickelte 'Grafschaftstheorie' zu erbringen. Er leitet die Gleichheit von Grafen und Freiherren aus einem Passus der Hofgerichtsordnung ab, der besagt, das solch kaiserlich hovegricht iederzeit mit aim hoferichter soll versehen werden, welcher ain graf, id est ain amptman des reichs seie, oder durch ainen, der im an der gepurt gleich seie. Darauß zu erweisen, das die grafen und freiherren vor vil jaren ainandem an der gepurt gleich und mehrtails grafengeschlechter nit uf ire grafschaften perpetuirt, sonder allain der römischen kaiser amptleut und Verweser gewesen [...]. (11,598,5-12)"'

Proben ruft dem Leser hier das Kemargument ins Gedächtnis, wonach die Zimmern auch deswegen als Grafen einzustufen sind, weil es hn Hochmittelalter keinen Unterschied zwischen beiden Ständen gab. Die Argumentationstechnik Probens läßt auf seine rhetorische Kompetenz schließen. Denn in dieser condusio werden die einzelnen Gedankenelemente, die zuvor unverbunden in den Text eingestreut waren, nun in einem emzigen Satz gebündelt und kreisförmig zu dem gewünschten Endergebnis gefìihrt."^ Was vielleicht zuvor dem Leser noch unklar geblieben ist, wird jetzt in der Verbindung der Glieder suggestiv zu einem unumstößlichen Beweis. Den Standesdiskurs innerhalb der Wilhebn-Wemer-Biographie schließt Proben mit einer Anekdote ab. bn Gegensatz zu seinem sonst üblichen Verfahren steUt Proben diesmal jedoch den inteφretatorischen Bezug zur chronikalischen Ebene expressis verbis her,"' obwohl die Anekdote weder zeitlich - in der Chronologie der Ereignisse überspringt der Chronist sieben Jahre"" - noch inhaltlich in Beziehung zum Rottweiler Richteramt Wilhelm Werners steht. Proben 'kommentiert' hier indirekt die zuvor berichteten Rang- und Statusstreitigkeiten: Bei einem Treffen zwischen Wilhehn Werner, seiner Schwägerin, der Gräfin von Henneberg, und dem Prior des Klosters Wald kommt es zu einer

Zur Geschichte des Rottweiler Hofgerichts, dessen Bedeutung im 16. Jahrhundert allerdings im Schwinden begriffen war, vgl. GRUBE, Verfassung, S. 34-49; zu Wilhelm Werner, der das Amt eines Statthalters am Rottweiler Hofgericht ausübte, siehe ebd., S. 218 (mit Lit. in Aimi. 20). Zur Geschichte des Gerichts vgl. femer SCHEYHING, Landgericht. ™ Vgl. oben S. 182f " ' In der Hofgerichtsordnung lautet die entsprechende Bestimmung (§1, Abs. 1): Zum ersten ain römisch kaiser oder künig seczt ainen hofrichter des hofgerichtz zu Rotwil: der sol ain grauf oder ain frier herr und an dem adel höher und nit nidrer sin. Und derselb hofrichter mag, ob er will, ainen under hofrichter setzen, der sin genoss, auch ain graf oder ain frier herr sige (GLITSCH/MOLLER, Ordnung, S. 36). Vgl. dazu auch LAUSBERG, Handbuch, §

923ff.

n,600,9ff.: Ich kann des orts nit unterlassen zu vermelden ain lecherlichen schwank, so sich der zeit zu Waldt im dosier begeben. "•· Wilhelm Werner tritt das Amt um das Jahr 1510 an, der Schwank spielt 1517. Vgl. JENNY, Frohen, S. 57.

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Die 'Zimmerische Chronik'

komischen Situation: Wilhelm Werner und die Gräfin wollen jeweils dem anderen den Vorrang beim Handschlag mit dem Prior lassen und daraus entsteht ain sollichs unversehens und geschwinds handtabwechslen, hin- und widerbieten, als ob das ain sonders fassnachtspill oder kurzweil het sein sollen (11,600,3033). Im Medium dieser komischen Anekdote distanziert sich Proben von den Statusproblemen, die zuvor eine so prominente Rolle gespielt haben. Eine solche Zurückhaltung kommt nicht von ungefähr, denn der Chronist weiß sehr wohl, daß der pracht und die hoffart, das ain ieder über den ander sein will, die verderpts alles und macht, das vil guter geschlechter zu armut kommen und in große not gepracht werden (11,631,38-632,2). Wie in den Biographien der Brüder werden auch im Fall Wilhelm Werners seine adligen Herrscherfähigkeiten anhand seines Umgangs mit der Kirche und den Bauern thematisiert, und in diesem Kontext bietet er zwei Erzählungen, mit der er das Verhalten Wilhehn Werners vorsichtig zu kritisieren scheint. Proben schildert zunächst den Versuch seines Onkels, einen Streit zwischen den beiden Oberndorfer Pfarrern zu schlichten (11,605,1-606,17). Dabei kommt es zu einer Auseinandersetzung zwischen Wilhelm Werner und dem Pfarrer Lorenz Gressle."' Ganz gegen seine sonst so zurückhaltende Art will Wilhehn Werner dem Pfarrer drohen und macht eine Bewegung, als wolle er sein Schwert ziehen, obwohl er keines trägt. Ein Dritter, der den 'Schwerthieb' verhindern möchte, fäUt ihm in den Arm und stößt ihn so heftig zur Seite, daß er sich verrenkt und eine chronische Gelenkerkrankung davonträgt. Wilhelm Werners Manko ist demnach die Verleugnung seines eigenen Wesens. Als Intellektueller vermag er nicht wie ein Territorialherr zu agieren, seinem 'tatkräftigen' Handeln haftet etwas Scheinhaftes an. Bezeichnenderweise erleidet Wilhehn Werner seine Verletzung bei einem Schlichtungsversuch, und mit diesem Harmoniebedürfiüs des Onkels setzt sich Proben auch in der zweiten Erzählung auseinander. Dies Geschehen war dem Chronisten so wichtig, daß er ein selbständiges Nachtragskapitel (Nr. 177; 11,590,1-596,2) darüber verfaßt hat.'" Der Protagonist dieses Nachtrags, ein Bauer namens Ludwig Schefifer, hetzt zum 'Dank' dafür, daß Wilhelm Werner ihm gegenüber der Reichsstadt Rottweil geholfen hat, zuerst die Rottweiler, später dann benachbarte Adlige und schließlich die Bauern gegen Wilhehn Werner auf Dieser bleibt indessen gelassen imd belegt damit erneut, daß er allwegen ain schidlicher und geschickter herr (II,605,30f ) ist. Er unternimmt nichts gegen Ludwig Scheñler,

Diesen Pfarrer fllhrt Frohen schon gebührend in die Chronik ein: In einer Predigt verwendet er den unpassenden Vergleich: Christus wer so stieß und so miilt, wie ain geschwatzter zübel in ainer Wassersuppen (11,603,38fr.). Neben seiner Genußsucht wirft Proben ihm auch Sodomie und Homosexualität vor (Π,606,27-35). ™ Die Überschrift dieses Nachtragskapitels lautet: Ain sonders capitel, nechst vor dem, als herr Wilhalm Wemher die landlgrevin von Leichtenberg vermehelt (11,590,Iff.). Dieser Nachtrag müßte demnach am Ende des 132. Kapitels eingeordnet werden, BARACK und in seiner Nachfolge DECKER-HAUFF haben es jedoch ans Ende des 131. Kapitels gestellt.

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läßt seine Aktionen ins Leere laxifen, bis er von selbst aufgibt. Aber ist diese Passivität des Onkels fiir den Chronisten tatsäcMich vorbildhaft? Auch hier findet er keine explizite Antwort, sondern wägt nur das Für und Wider ab: Und wiewol sollichen losen leuten ir bucherei, hochmut und drutz nit wol nachzugeben, so ist an inen doch auch nit vil zu erholen oder zu erjagen, sonder vil mehr unruhe und allerlai gefar, dieweil sie nichs zu verlieren, zu gewarten (11,595,33-37). Überblickt man den Wilhehn-Wemer-Abschnitt insgesamt, datm dominiert sowohl in den chronikalischen Passagen wie auch in den Schwankgeschichten neben den rein biographischen Fakten der Rechtsdiskurs.'" Der Grund fiir diese Anhäufimg rechtlicher Thematiken liegt nicht in biographischen Bedingungen, da in diesen Passagen Wilhelm Werner keine Hauptrolle spieh, vielmehr bezeichnet der Chronist mit der Rechtsmaterie das Feld, auf dem sich das weitere Leben Wilhehn Werners abspielen wird. Die Besonderheit dieser Akzentuierung liegt vor allem in der Abgrenzung zu der Biographie Gottfiied Werners, dessen Jugend unter die (literarischen) Motive von Aventiure und Minne gerückt ist. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß der Chronist die Gelehrsamkeit ebenso wie die juristische Kompetenz Wilhehn Werners dialogisiert imd ansatzweise in ihrer Wirksamkeit relativiert. Anders als etwa in der Biographie Maximilians vergrößert das rechtliche Wissen nicht den Ruhm, sondern erschwert den Alltag. Aus den einzehen Episoden läßt sich unschwer entnehmen, daß weder juristische™ Kenntnisse noch Gelehrsamkeit'" helfen, wenn es um die Bewältigung konkreter Lebensprobleme geht. Implizit ist damit die Erkenntnis verbunden, daß auch die größte Kompetenz nichts nützt, weil man letztlich damit eine Realität konstruiert, welche nicht a priori vom Gegenüber geteilt wird. Oft entscheidet sich dann auf der Machtebene, wessen Realitätsaufifassimg zutrifft - und hier liegen deim auch die Grenzen von Gelehrsamkeit und juristischem Wissen. Damit aber wird auch eine Didaxe fragwürdig, denn wenn der Welt schon nicht mit monokausalen Erklärungen beizukommen ist, dann ist auch jede explizite Lehre fragwürdig. 5.7.5. Der Bauernkrieg in der 'Zimmerischen Chronik' In die Zeit der Eltemgeneration fälh auch der Bauernkrieg. Er ist das einzige reichsgeschichtliche Ereignis, das relativ ausfuhrlich behandelt wird, und steht Dazu gehören die Rettung des zum Tode verurteilten Diebes sowie die daraus entstehenden Konflikte (Kap. 131; Π,581,34-584,7), der Streit der Kaplane in Obemdorf (132; Π,605,1607,27), die Verurteilung des 'Rutschers', sein Selbstmord sowie die spektakuläre Flucht des Diebes (133; 11,618,40-621,3) und der Rechtsstreit des Ludwig Scheffer (132a [BARACK: 131a]; Π,590,1-596,2). Proben umschreibt seine Ansicht, daß die juristischen Mittel nur begrenzt wirken, mit einer griffigen Formulierung: [...] war ist, das kriegen user der canzlei und huelen uß der apoleka selten mit fruchten beschehe (IV,261,32fr,). Vgl. dazu die Erkenntnis des Chronisten, wonach sich zuvil witz in Rechtsangelegenheiten leicht rächen kann (n,83,9f.; vgl. auch ffl,18,28f.).

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damit im Gegensatz zur Reformation, die von Proben in ihrer Bedeutung gar nicht wahrgenommen wird. Schwaben war ein Zentrum des Bauernaufstandes,"*' zahlreiche Burgen wurden zerstört,'"' viele Adlige mußten in den Schutz der Städte fliehen und mit diesen ungewohnte Koalitionen e i n g e h e n , u n d auch das zimmerische Territorium blieb nicht verschont. Demgemäß wird daim der Bauernkrieg in den Biographien aller drei Brüder berücksichtigt, allerdings überrascht die Art und Weise der Behandlung. Selbst in der Johann-WernerBiographie, in der laut Überschrift ein ganzes Kapitel (III) dieser Thematik gewidmet sein soll, fällt die Schilderung des historischen Rahmens denkbar knapp aus, und nicht einmal die wichtigsten Ereignisse werden überliefert, geschweige denn eine historische Analyse geboten. Selbst die Überfalle der Bauern auf die Adelssitze bleiben weitgehend unerwähnt, obwohl sich doch hier aus Sicht des Adels ein trefflicher Anlaß für Bauemschelte geboten hätte. Seine Kritik an den Aufständischen und ihrer Verletzung der gottgewollten Ständeordnung faßt der Chronist in einem lakonischen Satz zusammen: [...] es flengen die ufrüerischen bauren vorm Schwarzwaldt und am Necker allenthalben, wo sie honten [an], andere arme und unverstendige leut wider ire obrigkaiten und Herrschaften ufzuwiglen (11,358,24-27). Aber bereits hierin ist zugleich eine halbe Entschuldigung der (eigenen) Bauern enthalten, weim die Verantwortung anonym bleibenden Agitatoren zugeschrieben wird. Die Unannehmlichkeiten, die Johann Werner, der sich nach Rottweil flüchten mußte, erleidet, werden demgegenüber mit großer Gelassenheit berichtet, die Auswirkungen des Bauernkrieges haben kein anderes historisches Gewicht als die einer beliebigen Adelsfehde. Auch in anderen Passagen bleibt Proben gegenüber den Handlimgen der Bauern relativ neutral, er scheint sich sogar teilweise mit ihnen zu solidarisieren. Deren Klagen über die Feudalgewalt nimmt Proben immerhin so ernst, daß er im 110. Kapitel exemplarisch eme vor dem Bauernaufstand stattgefimdene Auseinandersetzung zwischen seinem Vater und den Dörfern Winzeln und Hochmössingen wiedergibt. Proben wählt dafür die Form eines Rechtsgutachtens, mdem er die neun schriftlichen Klagen und Johann Werners Entgegnung darauf Punkt für Punkt aufzählt. Dies erzeugt den Eindruck von in den Text inserierten Urkunden. Die Klagen entsprechen weitgehend denjenigen, wie sie auch aus anderen Quellen zum Bauernkrieg bekannt sind: Ausweitung der Frondienste und der Abgabenpflicht, Eingriffe in die dörfliche Verwaltungs- und Gerichtshoheit etc. Auch dieser gütlich beigelegte Streit enthält keine Reflexion über die historische Situation. Das Ziel Probens

Zum Bauernkrieg im deutschen Südwesten vgl. FRANZ, Bauernkrieg, S. 58f., 81, 117 (Meßkirch),221. Vgl. dazu auch die Schilderung der 'Truchsessenchronik' (1,174). In einem Einblattdruck von 1S2S sind die zerstörten Schlösser und Klöster im deutschen Südwesten aufgelistet (Abb. in: ADOLF LAUBE, MAX STEINMETZ und GÜNTER VOGLER, Illustrierte Geschichte der fhihbürgerlichen Revolution, Berlin ^1982, S. 236). Vgl. dazu STALIN, Geschichte IV, S. 268f.

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liegt vielmehr darin, die Hauspolitik seines Vaters und sein Verhalten gegenüber den Untertanen kritisch zu beleuchten. Denn im Gegensatz zu seinem Sohn, der sich selbst im 109. Kapitel als bedächtiger und wohlwollender Anwalt der bäuerlichen Anliegen gibt, geht Johann Werner völlig inadäquat mit der Angelegenheit um. Er erregt sich so über die unbillichen clagen seiner Bauern, daß er überstürzt die beiden Dörfer Winzeln und Hochmössingen umb ain schlechts, liederlichs gelt an seinen Bruder Gottfried Werner verkauft imd so erneut einen schweren Besitzverlust erleidet. Diese Quintessenz wiederholt sich auch im eigentlichen 'Bauemkriegskapitel' (III), wo Proben das dynastiepolitische Ergebnis des Bauernkrieges formuliert: Aufgrund seines tiefen Mißtrauens gegenüber den Bauern sieht sich Johann Werner veranlaßt, zu seinem Schutz die Burg Falkenstein von seinem Bruder zu erwerben, einen Besitz, den er zu teuer bezahlt und der nur Quelle weiterer Veriuste ist. Der Bauernkrieg bietet mithin fur den Chronisten lediglich einen weiteren Beleg fiir seine Behauptung, Johann Werner habe als adliger Territorialherr versagt. Der dynastische Blick verstellt demnach den Blick auf Reichs- und Sozialgeschichte, und auch in seinen narrativen Passagen befaßt sich das Kapitel nur indirekt mit dem Krieg, im Zentrum stehen schwankhafte Erzählungen über jene Exzesse, mit denen sich die nach Rottweil geflüchteten Adligen dort die Zeit vertrieben.'"' In der Biographie Gottfried Werners ist die Funktion des Bauernkriegs auf die Exemplifizierung des Sprichwortes reduziert, wonach kleine Ursachen große Wirkungen haben können. Hier behauptet Proben, weil die Grafen von Lupfen ihren Bauern befahlen, schneckenheusle in fron [zu] lesen, hätte durch solcher cleinfiieger ursach willen ein unseglichs würgen und brennen durch ganz Germanien sich erhept (11,523,9-12). Der Vorrang der Vermittlung einer allgemeinen Lebensweisheit hat Konsequenzen für das Gewicht des historischen Geschehens, das im Hinblick auf die Verantwortung des Onkels heruntergespielt wird. Da Froben zudem Gottfried Werner als bauemfreimdlichen Territorialherm zeichnet, scheint es keinen Grund für einen Aufiiihr zu geben. Alle Schuld an der (implizit doch eingestandenen) Unruhe unter den Bauern wird auf Außenstehende, den Bauernjörg und einen Pfarrer, projiziert. Letzterer ist der Sündenbock, er war es, der die an sich zimmemtreuen Bauern verführt hat (Π,527,2-10). Mit seiner Bestrafung ist das Einvernehmen zwischen Gottfried Werner und den Bauern wiederhergestellt. In der gesamten Handlung präsentiert Froben seinen Onkel in einer Weise, aus der sich entnehmen läßt, daß ihm an einer individuellen Charakterisierung wenig liegt. Hier wird nicht ein Mensch in seinen Widersprüchen gezeichnet, sondern als Repräsentant verAuf die insgesamt geringe Relevanz des Bauernkriegs für den Chronisten weist schon die Überschrift des I I I . Kapitels hin: Wie Herr Johannsen Wernhernfreiherren zu Zimbern noch ain sone und ain dochter geboren worden, auch von dem hauernkrieg und was sich derzeit zue Rotweil verloffen (11,357,16-19). Eine ähnlich lapidare Behandlung des Ereignisses findet man jedoch auch in anderen Lebenszeugnissen der Zeit (vgl. etwa Schertlin, Leben, S. 9ff.).

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schiedener psychologischer Rollen. Während der Onkel sonst als launen- und sprunghaft vorgestellt wurde, läßt ihn Proben hier die Rolle des großzügigen und rationalen Politiker spielen. Er verfolgt damit das Ziel, beim Rezipienten den Eindruck einer allgemeinen Harmonie zwischen Herr und Untertan auf dem zimmerischen Territorium zu vermitteln. Ganz offenbar dominieren die jeweiligen Diskurse also auch die Charakterisierung der Figuren. Die Beschäftigung mit dem Bauernkrieg hat den Chronisten zu der Frage geführt, wie die Untertanen in der richtigen Weise Kritik an der Obrigkeit formulieren können."^ Das Ergebnis seiner Überlegungen ist der Nachtrag 391, in dem er sich vor dem Hintergrund des Bauernkriegs mit der Biographie des Weingartner Abtes Gerwig Blarer befaßt. Dieser hatte sich aufgrund seiner wenig geistlichen Lebensführung bei seinen Untertanen verhaßt gemacht und war von den evangelischen Ständen als ain guts vorbilde eins gaistlichen vatters [...] herför gezogen und ußgericht (II,535,19f). Proben exemplifiziert zunächst sein normverletzendes Verhalten, seine ständischen und moralischen Verfehlimgen anhand zweier Situationen,'"^ um im Anschluß daran jeweils die Strafen zu schildern, die in ausgleichender Gerechtigkeit Gott über den Pfarrer verhängt.*^ Wie aber sollen diejenigen dem unwürdigen Abt begegnen, die von ihm abhängen? Proben wählt hierfür fünf Beispiele, in denen die warhait (11,537,7-32) jeweils in einer verhüllten Weise vermittelt wird und sich der Kritisierte dafür nicht rächen kann. Am deutlichsten zeigt dies ein Exempel, in welchem der Landgraf Philipp von Hessen Kaiser Karl IV. kritisiert und daraufliin der Bischof von Speyer die Geschichte des Gegenkönigs Rudolf von Rheinfelden erzählt, der als Zeichen semer Felonie im Kampf gegen Heinrich IV. seine Schwurhand verliert. Der Kommentar des Chronisten: Der landgraff [Philipp] verstand das überig wol, darft kainer application. Der Vorteil des verhüllten Sprechens wird kaxmi zufallig an dieser Stelle m die Chronik eingefügt, denn angesichts der Schwierigkeiten, die der Chronist mit der Bewertung umstrittener Vorkommnisse hat, wird hier gezeigt, wie man in einer solchen Situation reagieren kann.""' Auch die Nähe zur Beschreibung des BauemkrieDiese Form der 'vernünftigen' Kritik wird allein von Proben akzeptiert. Trotz allem Verständnis für die Klagen der Bauern ist er in seiner Rolle als zimmerischer Territorialherr naturgemäß gegen jeden Aufstand der Untertanen und warnt vor den Folgen jeder meuteret. So beendet er eine Erzählung über das Scheitern einer Bauemempörung in Balingen mit den Worten: Das soll billich allen underthonen ain witzigung sein, das sie sich nit leichtlichen in ein solliche entperung begeben wider ir oberkait, dann es gehet darnach gemainlichen über dieselbigen ußetc. (Π,457,31-34). ^^ 1. Seine ungebührliche Rede auf dem Reichstag (11,533,17-32), 2. Versuchte Vergewaltigung eines Mädchens (Π,535,20-536,9). " " 1. Der Abt trinkt nachts einen süßen Saft, wird dabei von einer Hornisse gestochen (11,533,32534-29) und durch einen Arzt, der die richtige Medizin - warme Geißmilch - kennt, gerettet. 2. Der Pfalzgraf bringt dem Abt nachts eine Katzenmusik dar und zwingt ihn dazu, mit ihm zu tanzen (Π,534,29-535,20). Die Hispanophobie Frobens, die sein ganzes Werk durchzieht, entspricht einer tief verwurzelten Abneigung des deutschen Kleinadels gegenüber den Spaniern, was jedoch nicht mit einer

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ges ist nicht zufallig, da Proben anhand dieser Exempel demonstriert, wie ständisch Inferiore ihre biritik artikulieren können, ohne die Standesnormen zu verletzen. Indirekt gibt Proben damit über den Modus seines Schreibens Auskunft bzw. wie seine Chronik in den Passagen über die geistlichen und weltlichen Machthaber zu lesen ist. In Wilhehn Werners Biographie schließlich instrumentalisiert Proben den Bauernkrieg zur Kritik an dem sonst so wegen seiner intellektuellen Kompetenz verehrten Onkel. Der hat sich gegen die Übergrifle der Bauern nicht gewehrt und verzichtet am Ende auf ihre Bestrafimg. Die Ursache dafiir ist sein vom Chronisten skeptisch betrachtetes - Vertrauen auf das Recht und sein übergroßes Harmoniebedürfiüs. Dies scheint das Machtgefuhl des Chronisten empfindlich zu stören (11,629,9-12). Allerdings kann er sich nicht zu einer dezidierten Kritik an Wilhehn Werner durchringen, und so hat es fast den Anschein, als würde er seine Prustration mit einem knappen Exkurs abbauen, den er uimiittelbar an die Erzählung von dem fiir die Anfuhrer glimpflich abgegangenen Bauernaufstand in Obemdorf anfügt. In dem Exkurs berichtet er vom Ende der Rebellion in Schwaben und Pranken und von der grausamen Bestrafung der Bauern.'"' Daraus läßt sich schließen, daß die Reichsgeschichte nur dann Eingang in die Chronik findet, wenn sie die positive Polie abgibt, von der sich die allzu große Schonung der aufständischen Bauern durch Wilhehn Werner abheben läßt. 5.7.6. Der Rhythmus der zimmerischen Geschichte, Ereigniskommentar und Poetologie. Der Übergangsabschnitt Kap. 135-145 Mit dem 134. Kapitel enden die eigenständigen Biographien der Vatergeneration. Bevor sich der Chronist dann mit dem 146. Kapitel der Geschichte semer eigenen Generation zuwendet, folgen elf Kapitel, die weder dem einen noch dem anderen Bereich zuzuordnen sind. In diesem Abschnitt finden sich Nachträge und Portsetzungen zu den vorangegangenen Biographien,'"' die Geschichte anderer Geschlechter"" und drei Schwankkapitel.'" Strukturell gesehen dient der Abschnitt dazu, in die Biographien chronologisch nicht einzuordxenophobischen Haltung des Chronisten allein zu erklären ist. Trotz der gemeinsamen Konfession und dem Interesse, die protestantischen Stände niederzuringen, stand der katholische Kleinadlige den fhihabsolutistischen Bestrebungen des spanischen Königtums mit Skepsis gegenüber. ' " ' Freilich bleibt auch dies fragmentarisch. Eine vollständigere Geschichte wird als hierher nit dienlich (N,630,17f) bezeichnet. Kap. 135,144 (Gottfried Werner); Kap. 145 (Wilhelm Werner); Kap. 138 (Johann Werner). Kap. 139-141 (Grafen von Werdenberg); Kap. 142, 2. Teil (Grafen von Tengen; zu deren Ges c h i c h t e vgl. KREZDORN, G r a f e n , bes. S. 2 3 - 3 1 ) .

' " Kap. 136, 142 (1. Teil), 145. h n Kapitel 136 steht die genrehafte hnmoralität der Pfarrer und Nonnen im Mittelpunkt der schwankhaft gestalteten Erzählungen, hn Kapitel 137 setzt sich Proben mit übernatürlichen Erscheinungen, Gespenstern und Teufelsbündnem auseinander, wobei er hier anhand dieser Erzählungen einen Diskurs über das Verhältnis von natürlicher und übernatürlicher Weh flüut.

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nendes Material separat abzuhandeln und die folgende Autobiographie Frobens vorzubereiten. 5.7.6.1. Die dynastische Dimension. Der erneute Niedergang der Zimmern Das Ziel der die Geschichte der Zimmern behandehiden Kapitel ist die Thematisierung einer erneuten und weitgehenden Besitz- und Rechtsverschleuderung der Vatergeneration in den 30er und 40er Jahren (Kap. 135, 138, 143f.)."^ Obwohl die betreffenden Vorgänge zeitlich schon zum nächsten Chronikabschnitt, zur Autobiographie Frobens, gehören, wird das Thema vorweg erledigt. Proben vermittelt dem Leser jetzt, es habe sich nach dem glücklichen Ausgang des Werdenberg-Konflikts ein neuerlicher unfaal ereignet, der diesmal durch die politischen und ökonomischen Fehler der drei Brüder verursacht worden sei. Selbst der scheinbar autonome, drei Kapitel (139-141) umfassende Exkurs zur Geschichte des Hauses Werdenberg dient letztlich dem Beweis von Gottfried Werners Versagen. Der versäumt es nach dem Tode des letzten Werdenbergers, Graf Christoph, sich aus der werdenbergischen Kanzlei diejenigen Akten zu besorgen, die die Rechtsverhältnisse zwischen Werdenberg und Zimmern betreffen. Diese Urkunden gelangen in die Hände des Grafen Karl von Zollem, der der neue Konkurrent der Zimmern wird. Ironisches Resümee Frobens: Der hat volgender zeiten [...] dieselbigen wider Zimbern wol prauchen künden (III,52,2flf.).'" Aber nicht nur die Herausgabe der Akten, die der werdenbergische Erbverwalter auf Wunsch ihm bereitwiUig überlassen hätte (111,52,6-15), verschläft Gottfried Werner, sondern er verzichtet auch darauf, günstig gelegene Teile des Erbes anzukaufen: Domais hat auch bemelter grafe Friderrich von Fürstenberg das dorf Vilslingen sampt Dietfurt herr Gottfriden Wernhem von Zimbern umb ain landtleufigen kaufschilling zu geben angebotten, aber er gieng so liederlich und langsam damit umb, das sich graf Friderrich wider erholet und ußer den schulden kam, und do herr Gotfridt Wemher mit dem kauf gern jurgefaren, do warden im die feigen gebotten. Hat hernach stammen und nammen Zimbern, wie an seinem ort gesagt wurt, zu großem nachteil und spott geraicht. Aber so ain geschlecht gestraft und geblagt soll werden, mues es seine mitel haben und durch einfüere, neidige oder unnutze, verthone leut beschehen, wie wir das nit allain in disem zimbrischem geschlecht augenscheinlichen brüfen künden, sonder auch bei andern alten geschlechten vilfeltigclichen ist beschehen und zu se-

hen. (Ш,53,7-22)

Das Kapitel 145 nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als hier der Chronist innerhalb eines Schwankkapitels und im Gegensatz zu seinem negativen Bild von den ökonomischen Fähigkeiten der Vatergeneration ein positives Beispiel fìir erfolgreiche Besitzstandsmehrung bietet: den Erwerb des Burgstalls Urslingen durch Wilhelm Werner. Zur familiären Beziehung zwischen Zimmern und Urslingen im 14. Jahrhundert vgl. SCHUBRINQ, Herzoge, S. 84f. Zur Verteilung des werdenbergischen Erbes vgl. VANOTTI, Geschichte, S. 465f

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In dieser Argumentation begegnet wiederum der bekannte Gegensatz von göttlicher Providenz und individueller Verantwortung. Aber trotz seines Glaubens an die Vorsehung will Proben seinen Onkel nicht von jeder Verantwortung freisprechen. Daraus entstehen die Widersprüche in der Bewertung des Onkels, der einerseits Werkzeug Gottes ist, aber dennoch mit einer ganzen Reihe diskreditierender Attribute bedacht wird. Probens Argumentationsmuster ist bereits bekannt: Er bietet eine beachtliche Reihe von zimmerischen Besitzveräußerungen,"'' um so den Eindruck emer völligen Aufgabe des zimmerischen Hausbesitzes zu erzeugen, dann wirft er seinem Vater (Kap. 138) und Gottfried Werner (Kap. 143f.) Verkäufe weit unter Wert vor. Der angebliche ökonomische Niedergang wird von Proben dadurch literarisch in Szene gesetzt, daß er ständig suggeriert, die Zimmern seien jeweils nur einen Schritt weit vom Glück entfernt und würden ihre Chance veφassen. Proben nimmt hier sein Leitmotiv auf, wonach Gott dem Menschen das Glück hnmer wieder sehen läßt, aber es an diesem liegt, es zu ergreifen."' Die entscheidende Präge freilich, wieweit der einzehie selbst fur sein Glück verantwortlich ist, bleibt unbeantwortet. Eine (Pseudo-)Lösung dieses Konflikts fmdet Proben darin, daß Gott dem Menschen einen gewissen Spielraum emräumt und ihm immer wieder Zeichen gibt, wie er sein Schicksal verbessern könnte. Diese aber muß man allerdings zu deuten wissen, d. h. von Gott mit dem nötigen verstandt begabt worden sein. In klarer Abgrenzung zu Gottfried Werner, dem alle diese göttlichen Zeichen verschlossen bleiben, bittet Proben, daß den Nachkommen diese Gabe zuteil werden möge: Der allmechtig verleiche hinfü-

' Vgl. Kap. 138 (Ш,14,31-23,38). So sollen die wichtigen Rechte an der Höri oder ertragreiche Hausgüter wie Staufen und Hilzingen an Fremde veräußert werden. ' Vgl. dazu auch 111,96,6-9: Aber was nit sein soll, das schickt sich nit, und hiemit hat Got dem zimbrischen geschlecht abermals ain glück zaigt und das sehen lassen bzw. 11,564,16-19: Und ob uns gleichwol das glück selbs betrachtet und mermáis für die thür kamen, haben wir doch das nit annemen, vil weniger behalten künden oder wellen. Die daraus ableitbare Vorstellung von der Rechtfertigung eines unbedingten Glücksstreben findet sich öfters in zeitgenössischen Texten, etwa in der 5. Historie des 'Ulenspiegels' oder in der Sprichwortauslegung Egenolphs (Sprichwörter, Bl. 6' : Warzu einer lust hat / des beschert jm Gott genug. Trinck wein / so beschert dir Gott wein. Wer auff die banck trachtet / der kompt darauff / wer under die banck will /den stoßt man bald darunder. Ad summa nitendum & nihil humile, sed omnia sublimia cogitanda. Das ist: Man sol nichts rings / aber nur über sich trachten. Anders als RÖCKE (Freude, S. 224) sehe ich in solchen Gedanken keinen "Anschluß an die Bergpredigt", sondern die Erkenntnis, wonach der Glauben die Realität bestimmt. - Die Frage, inwieweit man das eigene Glück bestimmen kann, hängt unmittelbar auch mit dem Thema Standeserhöhung zusaimnen, und Froben greift das oben erwähnte Sprichwort in einem Nachtrag zum 152. Kapitel, in dem es um die Gründe für die zimmerische Standeserhöhung geht, wieder auf Dort setzt er es ein, um die Rechtfertigung der Standesverbesserung zu belegen: [...] und were ain gemain Sprichwort, gedecht ainer under den bank, so blib er darunder. So were auch niemands verbotten, vil weniger von den verstendigen zu verargen, da ainer sein stand one ander leut schaden und nachtail verbesseret [...] (111,215,24-28).

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го sein gnad, damit die nachkommen kein solchen reprobum sensum, das ist ain solchen verkerten sinn und verstandt überkommen (111,107,9-12)."' Im Unterscheid zur Gottfiried-Wemer-Biographie wird dessen Versagen nicht für sich betrachtet,"' sondern sofort in den Familienkontext gestelU imd seinen Brüdern eine Mitschuld gegeben: [...] aber es war sovil ainigkait oder trewe domáis nit under dem zimbrischen geschlecht, und het ain ieder sein aigen republicam (111,52, nfif.)."" Damit gerät selbst Wilhelm Werner in den Bannkreis der Frobenschen Kritik. Aber im Gegensatz zu seiner Argumentation gegenüber Gottfried Werner und Johann Werner neigt Proben bei Wilhehn Werners Güterverkäufen (11,630,19-28) eher dazu, diese zu entschuldigen, sei es mit der fehlenden Solidarität der Brüder, sei es mit enttäuschten Erwartungen (II,630,31ff.) oder mit einem mißgünstigen Geschick, eben jenes unfaals, der m disefn] jaren laider noch ob dem zimbrischen geschlecht (II,630,29f.) gewesen sei. Den Grund für diesen Perspektivwechsel sehe ich darin, daß Proben in diesem Übergangsabschnitt seine künftige Eriöser-Rolle vorbereitet und deswegen einen wirtschaftlichen Niedergang aufgrund brüderlicher Uneinigkeit in Szene setzt. Ein Indiz dafür bietet auch eine Chronikstelle, an der sich Proben, der zu dieser Zeit erst 16 Jahre alt ist, selbst als Retter des zimmerischen Besitzes aufspielt und behauptet, Vater und Onkel den Verkauf von Hilzingen ausgeredet zu haben (111,21,20-22,7). 5.7.6.2. Die Ebene des Kommentars. Zur Funktion des Schwankkapitels 136 Zu dem Übergangsabschnitt gehört auch ein selbständiges Schwankkapitel (11,636,3-651,33), das sich an den Bericht (Kap. 135) über einen nachteiligen Vertrag Gottfried Werners mit der Stadt Rottweil wegen der Hochgerichtsbarkeit anschließt. Die zehn Erzählungen des Schwankkapitels thematisieren fast alle die Sexualmoral der Geistlichkeit.'" Entsprechend den gängigen literarischen Mustern werden die Geistlichen als unermüdliche Liebhaber und potentielle Ehebrecher vorgeführt, die Prauenklöster als Stätte ausschweifender Or-

Aus dieser Haltung heraus erklärt sich dann auch, warum Proben die Menschen in der Weise charakterisiert, daß sie zuweilen mit aller Macht nach einer 'gefiederten Nanenkappe' streben würden. Vgl. oben S. 337f. Allerdings wird Gottfried Werner damit keineswegs exkulpiert. Im Kap. 136 wird geschildert, wie er das Territorium 'Zimmern vor Wald' (HECHT, Welt, S. 15f.) ungeeigneten Helfern übergibt und deswegen beträchtlichen Schaden erleidet (11,639,22-38). Ein besonders drastisches Beispiel für die Uneinigkeit der Brüder hat Proben schon im Kapitel 132 anhand des Pfarrers Lorenz Gressle geboten (siehe oben S. 346). Als dieser von Wilhehn Werner entlassen wird, nimmt ihn erst Gottfried Werner und dann Johann Wemer auf, um damit den jeweiligen Bruder zu kränken. Zum Motiv der Besitzentäußerang als Polge innerfamiliären Streites vgl. auch oben S. 324f Erzählungen über dieses Thema gehören zum festen Bestandteil von Schwanksammlungen, bei Bebel (Facetien Ш, Nr. 168-183) sind sie sogar - ähnlich wie hier in der 'Zimmerischen Chronik' - als thematische Einheit (ßequuntur nunc facetiae de ineptiis et ignorantia sacerdotum, Bebel, Pacetien, S. 166) gekennzeichnet.

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gien."° Proben schöpft hier aus dem Fundus seiner literarischen Kenntnisse, wie der in diesem Zusammenhang auftauchende Begriff vom warmen almuosen belegt.'^' Allerdings pointiert Proben in diesen Schwänken den Aspekt der Bestrafimg der unkeuschen Geistlichen.'" So wird - in Porm einer spiegelnden Strafe - ein Domherr, der seine Konkubinen öffentlich verkuppelt, dadurch zum Gespött der Leute, daß er beim Wetterläuten unfreiwillig das geschier und die schellen vor seiner Gemeinde präsentiert.'" Ein Mönch und Nonne, die sich in einem Faß miteinander vergnügen, rollen einen Berg hinunter®" und bestrafen sich damit selbst.'" Proben vermittelt dem Leser gerade in diesen letzten Schwänken der Reihe seine Ansicht, daß die göttliche Gerechtigkeit die Sünden der Geistlichen nicht hinnehmen wird. Aber welche Beziehung besteht zwischen der Unkeuschheit der Geistlichen und Gottfiied Werners Versagen als Territorialherr? In diesem Pali benennt Proben sogar selbst die Brücke zwischen beiden Themen, indem er m das Schwankkapitel einen kurzen, scheinbar völlig impassenden Hinweis auf ein weiteres Detail der Mißwirtschaft Gottfried Werners einfiigt (11,639,22-640,8). Der Chronist schiebt hier die Mitschuld einem Pfarrer namens Peter Keuflin zu; an ihn und den Schultheiß Stoffel Vogel habe Gottfried Werner de facto seine Herrschaft abgefreten. Beide beschreibt Proben als geschickt und feine leut, die es vortrefflich verstanden haben, aim herren wol zu halten, und sich selbst dabei bereicherten.'^' Der unvorsichtige Gottfried Werner habe ihnen schließlich wider jede Vemimft das Regiment übergeben und sei dabei allein In diesem Zusammenhang fälh eine für Frobens Einschätzung des Verhältnisses von Dichtung und subjektiver Erfahrung wichtige Randbemerkung (111,647,5f.): Der Chronist stelk die These auf, daß nur derjenige kompetent über Charakter - und intime Verhältnisse - eines anderen schreiben kann, der diesem wesensverwandt ist. Vgl. dazu das Märe vom 'Warmen Almosen' (FM 3). Mit einer gewissen Häme hat Froben schon von jenem Kardinal von Trient berichtet, welcher zehnmal in der Nacht eine Frau eriiebiget habe. Allerdings glaubte der nur, er läge bei einer jungen Frau, in Wirklichkeit lag im ain alte Schachtel am arm. Zu dem Motiv der 'vertauschten Bettgenossin' vgl. Mot. К. 1223. Vgl. dazu die achte Erzählung 'Die Blamage des lasterhaften Domherrn Balthasar von Hertenstein' (11,648,37-650,5). Auch hier findet sich ein detaillierter Hinweis auf die planvolle Anlage der Chronik, wenn Froben ansonsten nichts weiter über diesen Domherren - ain sehzamer, abenteurlicher compani (11,650, If.) - erzählt, sondern dies für einen andern ort, da sich das fiiegt (11,650,5) aufspart. Froben will hier gerade nicht durch beliebige Assoziationen den Argumentationszusammenhang seiner konstruierten Textstruktur zerstören. Vgl. die zehnte Erzählung 'Mönch und Nonne im leeren Faß' (11,650,36-651,7). Die Geschichte von dem in einem Faß gefangenen Liebespaar kennt auch Michael Lindener (Rastbüchlein, cap. 48; vgl. auch cap. 9 und 14). Zum Thema der Bestrafimg der Unkeuschheit der Geistlichen gehört auch das Motiv des Todes während des Koitus, das ebenfalls in das 136. Kapitel eingearbeitet ist (11,641,13641,39). Vgl. dazu auch BRCTCKNER, Volkserzählung, S. 211. Neben dem unmoralischen Lebenswandel der Pfarrer kritisiert Froben auch deren Unwissenheit und Besitzgier. Beides sind Topoi, die in der Schwankliteratur des 16. Jahrhunderts weit verbreitet sind. Froben hat die Formulierung guidin priester (11,561,29) vermutlich von Heinrich Bebel (Facetien 111,177) übernommen.

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von Pfarrer Peter Keuflin umb 2500 gulden gesattlt (II,639,33f.) worden.»" Der 'Hausherr' als Opfer betrügerischer Helfer, die unter dem Schein der Seriosität ihres Amtes den nichtsahnenden Herrn betrügen - genau diesem Muster entsprechen die beiden unmittelbar vorausgehenden Schwänke, die zu dem Themenkreis 'Der Pfarrer als Ehebrecher' gehören: Im ersten dieser beiden Schwänke hat ein Pfarrer zwar Erfolg, wird dabei jedoch immer unvorsichtiger, so daß ihn schließlich der Ehemann m flagranti ertappt und an einem langen Stock wie eine Kirchenfahne zum Fenster hinaushängt. Im zweiten Schwank versucht ein Barfüßer-Mönch - des ordern de observantia nulla, wie Proben bissig anmerkt - , die Gattin eines Herren von Quadt zu verfuhren, wobei er ihr mit der Bemerkung schmeichelt, wann sie im die handt putte oder anrürte, so wer ime, wie ainer katzen; so man die selb über den rugken streicht so heb sie den schwänz auf (II,637,36ff.). Als der Ehemarm davon erfahrt, zwingt er den Mönch zu einem Bad im eiskalten Wasser, und fragt ihn in Anspielung an dessen eigene Worte, ob er jetzt immer noch den schwänz [...] uflieben (II,638,17f ) wolle. Die thematische Berührung mit Gottfried Werners politischem Versagen liegt in dem geplanten bzw. ausgeführten Betrug, der nur unter der Maske der Seriosität der Geistlichen zustande gekommen ist. An die Stelle des den Betrug aufdeckenden und bestrafenden Ehemanns setzt sich in der Chronik Proben selbst, der den Diebstahl am zimmerischen Gut namhaft macht. Insofern begleiten die beiden Schwänke das Verhalten des Onkels ironisch kommentierend, und zugleich demonstriert Proben anhand der bestraften Geistlichen, wie er sich eine angemessene Reaktion seines Onkels vorgestelh hätte."» In den Schwankhandlungen ist demnach sowohl eine nachdrückliche Warnung vor dem herrschaftsschädigenden Verhalten der Pfarrer enthalten wie eine Maxime für das richtige Verhalten des Adels ihnen gegenüber.»^' Wenn Proben aber hier Geschichten erzählt, in denen sich die betrügerischen Geistlichen selbst bestrafen, dann entspricht dies dem auch innerhalb des dynastischen und historischen Diskurses zu findenden Die daraus resuhierende Erkenntnis formuHert Proben exphzit: Es gehört aim herren zu, nit iederzeit seinen amptleuten oder Verwaltern zu volgen [..,] (Π,639,34ί). Der Illustrierung falschen politischen und ökonomischen Handelns dürften auch jene Nonnenschwänke des 136. Kapitels dienen, in denen der Chronist die allgemeine Unmoral der Nonnen veranschaulicht. Die Verspottung der Nonnen richtet sich indirekt gegen Gottfried Werners und Johann Werners schludrige Amtsführung und ihre Besitzveräußerungen an das Oberndorfer Frauenkloster, das Proben als des adels hurenhaus gilt. Pars pro toto ist damit aber auch der Versuch unternommen, die Pragwürdigkeit aller geistlichen Stiftungen vor Augen zu stellen. Zum Verhältnis der Zimmern zum Oberndorfer Prauenkloster vgl, WEBER, Studien, S. 2741. Vgl. zu dem ersten Schwank insbesondere Mot. К. 1218.1.6. Die kalte Rache des Herrn von Quadt gehört zu den in den deutschen Schwanksammlungen nur wenig belegten Geschichten um die Bestrafung des unerwünschten Liebhabers durch den von seiner Prau informierten Ehemann (vgl. Mot. К 1281.1. und PM 51). Wie in PM 51 ist der unerwünschte Liebhaber ein Freund des Hauses und erhält einen kalten Wasserguß. Im wesentlichen beruht diese Erzählung auf der witzigen Analogie zwischen dem membrum virile und dem Katzenschwanz.

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Glauben an das Walten einer ausgleichenden Gerechtigiieit auf allen Ebenen menscillichen Lebens. 5.7.6.3. Die poetologische Dimension: Den sachen ein ansehen machen Wie bereits erwähnt, bilden drei Kapitel (139-141) über die Geschichte der Werdenberger und ihr Erbe einen eigenen Komplex innerhalb dieses Abschnitts. Angesichts des zuvor geschilderten jahrelangen Kampfes zwischen Zimmern imd Werdenberg ist dies nicht selbstverständlich, und der Chronist muß seinen Schritt vor sich und dem Leser begründen. Das zwingt ihn zu einer seiner seltenen theoretischen Reflexionen und erlaubt damit einen Blick auf eine zentrale Intention seines Werks: Seitmals aber diser graven von Werdenberg in unsem historia soviì gedacht wurt, sie auch die ergeste» feindt und Verfolger gewest, so das zimbrisch geschlecht ie gehapt, gleichwol es hernach, wie sie das haus Zimbern mehr dann umb ain hundert tausendt guldin zu schaden gepracht, zu beharrlicher frintschafi geraicht, so kan ich nit wol umbgeen, von irem herkommen, glück und Unglück etwas zu vermelden, dann bei irem u/gang und abnemen der will und gewalt des allmechtigen reuchlichen zu speuren; und wann ain geschlecht am höchsten an ehren und vermüglichisten an leib und an zeitlichen güetern, aldann ist der abgang oder abfahl manichmal am nechsten zu ßirchten und vor der thür. (Ш,24,10-22)

Es ist für die Struktur von Frobens historiographischen Verfahren charakteristisch, daß wichtige Ereignise eine polyvalente Funktion haben. Zunächst erklärt sich die Aufiiahme der Werdenberg-Geschichte durch die historische Bedeutung dieses Geschlechts für die Zimmern: Das Haus Werdenberg war der härteste Gegner, verursachte den größten Schaden, aber trotzdem kam es zu einer Versöhnung. Froben sieht mithin in dieser Beziehung zu den Werdenbergem ein Paradigma für die absolute Gefahr, in die ein Geschlecht geraten kann, wie für die erfolgreiche Bewältigung einer solchen Herausforderung. Des weiteren ist Frobens Argumentation ein Beleg dafür, daß er kernen ausschließlich auf die eigene Dynastie zentrierten Blick hat. Auch an dem Schicksal der Werdenberger, selbst an ihrem glück, d. h. an ihren Erfolgen gegen die Zimmern kann die göttliche Providenz abgelesen werden."" Da

Neben diesem Argumentationshorizont steht als zweiter die bereits in der Geschichte Gottfried Werners behandelte Aporie zwischen Determinismus und Synergismus. Exemplarisch wird dies etwa im 140. Kapitel entwickelt, wo es um die verzweifelten Bemühungen des Grafen Felix von Werdenberg geht, seinem Geschlecht eine Nachkommenschaft zu sichern. Da er selbst keinen Sohn hat, überredet er seinen Bruder zur Heirat mit Johanna von Börsein, der Witwe Eitelfriedrichs von Zollem (vgl. dazu VANOTTI, Geschichte, S. 465, der jedoch nichts über eine Einflußnahme Felix' schreibt). Aber auch diese Ehe bleibt kinderios, denn do -ward kein glück oder fahl mehr und das zu achten, der allmechtig hab des geblüets nit mehr uf erden fllleücht haben wellen (ffl,47,23ff.). Einen Kommentar vermeidet Froben, denn er ist sich des Dilemmas bewußt, wenn er den Abstieg eines Geschlechts als Gottes Willen ausgibt: Dies

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Proben überall nach Zeichen der Vorsehung sucht - in säkularer Form ist es das Gesetz der Geschichte"' - hat das Schicksal der Werdenberger für ihn exemplarische Bedeutung: Es illustriert das Gesetz des Wechsels von Aufstieg und Niedergang und verweist auf den verderblichen Keim des Untergangs, der in jedem Sieg angelegt ist. Proben denkt dabei ersichtlich an seine eigene Familie, denn wie bei den Werdenbergem besteht zur Abfassungszeit der Chronik, als das zimmerische Territorium seine größte Ausdehnung erreicht hat, die Gefahr des Aussterbens im Mannesstamm. Die Erkeimtnis des göttlichen Willens hat für Proben nicht allein geschichtstheoretische Relevanz, sie beeinflußt wesentlich die Narrativität der Chronik. Unmittelbar im Anschluß seiner Rechtfertigung des WerdenbergThemas defmiert Proben in Abgrenzung von Lirers 'Schwäbischer Chronik' die Voraussetzungen einer richtigen Geschichtsschreibung. In derart expliziter Porm hat es das bislang in seinem Werk noch nicht gegeben und insofern ist dies ein Beleg dafür, daß Proben hn Prozeß des Schreibens ein neues Theorieniveau erreicht hat. Die betreffenden zwei Sätze bilden den 'Prolog' zum werdenbergischen Herkommen: Es schreibt der Thoman Lirer von Rankweii in seiner erdichten schwebischen cronica vom anfang und ursprung der graven vom Fanen^^^ und will sie von aim vertribnen kaiser Curione"^ uß Rom her pringen, fabuliert derhalben wunderbarlich und ohne alle Ordnung, iez von dem, dann von aim andern geschlecht, gleichwol ohne allen grundt, das ain ieder, dem die alten geschichten bewisst, greifen müesen, das er nur von hörensagen und wie von aim träum geschriben hat; und wiewol er am ende selbiger cronica schöne historias vermeldet von den grafen von Montfort und auch den grafen von Werdenberg, so wurt es doch so einfeltigclich, als ob es ain gedieht und ain lauters mörlin were, beschriben. Welcher nur von so gar alten sachen deutscher nation schreiben will, insonderhait von geschlechtem, were not, das er wol gefast mit historien, oder aber, das er der sachen ein ansehen machen und glaublichen darvon re-

den könt. (Ш,24,22-38)

Noch ganz konventionell ist die Forderung nach Quellenarbeit und -kritik, ungewöhnlicher, daß Proben in der Kritik an Lirer neben der historischen Wahrheit gleichberechtigt eine ästhetische Kategorie einfuhrt. Eine Chronik muß demnach nicht nur eine verläßliche Quellenbasis haben,"" sondern ihre läuft seiner Absicht zuwider, Erhalt und Ausbau einer Herrschaft dem persönlichen Verdienst zuzuschreiben. Vgl. unten S. 422-424. Für Lirer sind die Grafen von der weißen und der roten Fahne die Vorläufer der Werdenberger. Vgl. hierzu VANOTTI (Geschichte, S. 10-28; zur Farbe der Fahnen S. 26ff.) und unten Anm. 840. Hier liegt vielleicht eine Verwechslung mit Scribonius Curio, einem erbitterten Gegner Caesars, vor. "" Der Schlüsselbegriff bei Proben ist grundt, womit die hinreichend grtlndliche Erfassung des Gegenstandes gemeint ist. Ähnlich verwendet Tschudi den Begriff, wenn er schreibt: und laszt

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Gegenstände in einer sacMogischen Anordnung präsentieren.'" Das Ziel, die memoria zu überliefern, kann also nur mit der Beachtung ästhetischer Grundsätze erreicht werden. Das Qualitätskriterium der 'Schönheit' bezieht sich nicht allein auf den Akt des Erzählens, sondern auch auf die Vermittlung der verborgenen Einsichten, die Geschichte darf nicht einfeltigclich sein, viehnehr soll der Rezipient tiefgreifende Erkenntnisse über Vergangenheit und Gegenwart gewinnen. Daraus ergibt sich folgende Idealstruktur einer Hauschronik: Die Ereignisse sind so anzuordnen, daß sich daraus ein Sinn ergibt, den der Leser entschlüsseln imd nachvollziehen kann. Indirekt ist daraus auch das Wahrheitsverständnis Frobens ableitbar. Er ist keineswegs einer an 'Tatsachen' orientierten, positivistischen Norm verpflichtet, sondern verlangt, daß sich Erkenntnis und Ästhetik ergänzen.'" Der letzte Satz des Zitats belegt, daß die Verwendung von historien, also die Berufimg auf die Quellen, nur die eine Möglichkeit der Geschichtsschreibung ist. Eine zweite, gleichberechtigte besteht darin, daß es der Autor selbst durch die Glaubwürdigkeit seiner Erzählung versteht, der sachen - d. h. der Geschichte - die nötige Autorität {ansehen) zu verieihen. An dieser Stelle blitzt etwas von dem Selbstbewußtsein eines Chronikautors auf, der im Zuge seiner Arbeit erkaimt hat, daß sich historische Wahrheit nicht rekonstruieren läßt und es viel mehr darauf ankommt, dem Leser den Eindruck einer wahren Geschichte zu suggerieren: Wahr ist demnach das, woran die meisten glauben. Daraus spricht kein Fälschungsbewaißtsein, sondern lediglich die Erkenntnis, daß die meisten Arbeiten über weit zurückliegende Begebenheiten Konstruktionen sind, die dann vom Leser akzeptiert werden, werm es der Autor versteht glaublichen darvon zu schreiben. Auf der Basis dieser Argumentation kann Proben die Lirersche Ableitung der Werdenberg-Herkimft verwerfen. Denn sie ist weder durch eine chronologisch richtige imd anhand von historischen Quellen gesicherte Ableitung belegt noch als schöne historia gestaltet und erfüllt damit keines der Kriterien Frobens für ein angemessenes Herkommen. Wenn Froben gleichwohl nicht in die Detailkritik an Lirer eintritt, dann geschieht dies aus Vorsicht: Froben wollte nicht seine eigene Herkommenskonstruktion bloßlegen. Aber auch ein inhaltlicher Grund liegt in der Ablehnung der von Lirer behaupteten römischen Abstammung der Werdenberger, deim angesichts der verwandtschaftlichen Beziehung mütterlicherseits'" muß für die Werdenberger dasselbe gelten wie fiir die Zimmern: Auch sie sind altgermanischen Ursprungs,"' tragen also em 'nationales' Adelsprädikat"" und sich doch sin werck ansehen, als ob er der alten geschichten wenig grund gehapt (zit. nach DWB K , Sp. 715). Zu wunderbarlich im Sinne von 'unverständlich' vgl. DWB XXX, Sp. 1854ff., hier Sp. 1856. Vgl. dazu KESSLER, Theoretiker, S. 31-36. ' " Frobens Mutter, Katharina von Erbach, ist eine Nichte Graf Haugs von Werdenberg, des alten Gegners der Zimmern (vgl. VANOTTI, Geschichte, Stammtafel V). Die Heirat zwischen ihr und Johann Werner sollte den Frieden zwischen beiden Geschlechtem besiegeln. 111,24,38-25,5: An dem ist kein zweifei, die grafen von Werdenberg und die andern grafen von Fanen [...] sein gar alte und vernampte deutsche geschlechter, die ire grafschaften bei den

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nehmen deswegen einen angeseheneren Platz ein als die sich auf eine römische Herkunft berufenden Geschlechter. So jedenfalls konstruiert es Proben bei dem Herkommen seiner eigenen Familie, und dieser Norm -will er auch bei der Geschichte der Werdenberger entsprechen.'"" Was Proben unter schönen historias versteht, wird anhand der WerdenbergGeschichte gleichfalls transparent. Eine solche Geschichte ist die am Ende der Lirerschen Chronik stehende 'Elisa-Novelle', die er selbst für sein Werk umarbeitet und damit auch indirekt seine ICriterien dafür offenlegt, wann Geschichte glaubhaft, lehrhaft und ästhetisch anspruchsvoll ist. Von seiner Vorlage grenzt er sich kritisch ab, sein ästhetischer Hauptvorwurf richtet sich gegen die fehlende Systematik des Lirerschen Textes. Ähnlich wie dies WfflTE anhand der 'Cronica' des Dino Compagni aus dem 14. Jahrhundert konstatiert,*"' verbirgt sich hinter Probens Forderung nach einer Ordnung, daß in emer Chronik Narrativität und Geschichtlichkeit gleichermaßen gewährleistet sind."^ Ohne eine solche Ordnung, die die Ereignisse in einen deutbaren Zusammenhang steUt, wird der historischen Realität kein Sinn abgewonnen, der geeignet ist, etwas über die göttliche Providenz oder das Wesen der Dinge zu erkennen. Mit seinen poetologischen Überlegungen hat Proben die Normen formuliert, an denen er auch sein Werk ausrichten will. Sie zeugen von einem hohen Selbstbewußtsein des Autors, für den nicht nur allein die memoria, die er durch seinen Text bewahrt, ein Wert an sich ist, sondern auch seine spezifische Art, die Geschichte in einer narrativen Geschlossenheit darzubieten. Seine eigene Verarbeitung der 'Elisa-Novelle' kann dabei als Probe aufs Exempel genommen werden, wie man Geschichten gleichzeitig glaubhaft, erkenntnisfordemd und ästhetisch anspruchsvoll erzählen soll. Seine Kritik an Lirer besteht ja gerade darin, daß dieser dem Anspruch nicht gerecht wird, weil er die Autorität und damit den repräsentativen Wert dieser Erzählungen durch eine mangelhafte literarische Porm zerstört. Eben diesen Fehler will er in seiner Bearbeitung beheben. Bevor jedoch die Bearbeitungsstrategie Probens untersucht wird, soll ersten erlangt, nachdem die Rhetten durch die allemannischen künig eingenomen und die Römer darauß vertriben worden. Vgl. zu diesem schwäbischen Landesdiskurs GRAF, Geschichten, S. 31,122f. Akzeptiert wird von Proben hingegen Lirers genealogische Herleitung der Werdenberger von den Grafen vom Fanen (vgl. GRAF, Geschichten, S. 57ff.) und die daraus hervorgehende enge Verwandtschaftsbeziehung zu den Grafen von Montfort, Feldkirch, Tübingen und Werdenberg. Vor einem Dileiimia steht Proben jedoch bei der ständischen Zuordnung der fnihen Werdenberger. Da sie den Grafentitel tragen, könnten sie als das ständisch höherstehende Geschlecht erscheinen. Proben löst dies Problem mit der Konstruktion, wonach die Werdenberger ihren Grafentitel von den alemannischen Königen verliehen bekommen hätten und somit deren Lehensleute gewesen seien. Demgegenüber sind die Zimmern die Herten einer autochthonen Herrschaft. 841 842

Vgl. WHTIE, Bedeutung, S. 35FF. hn Gegensatz zu Dino verzichtet Proben allerdings darauf, seine Chronik in die Nähe einer moralischen Allegorie (WraTE, Bedeutung, S. 37) zu nicken, da für ihn kein soziales System existiert, auf das er eine moralische Lehre beziehen könnte.

Literarisierte Geschichte. Gattungsvennischung als МеШшп der Epistemologie

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kurz der Inhalt der Lirerschen 'Elisa-Novelle', die in der 'Schwäbischen Chronik' ein Viertel des Textes ausmacht, vorgesteUt werden. Exkurs: Die 'Elisa-Novelle' in der 'Schwäbischen Chronik' Die 'Elisa-Novelle' schließt sich relativ unorganisch an den Bericht über einen Rangstreit zwischen dem bayrischen und dem schwäbischen Herzog, der nur ein Graf von Rotenfahn (Montfort) ist, an. Noch bevor der Streit entschieden ist, wird von Kaiser und Reichsfursten beschlossen, daß für alle Zukunft der Herzogstitel in Schwaben erledigt sei."' Damit ist ein für den Landesdiskurs der 'Schwäbischen Chronik' wichtiges Ergebnis erreicht, das Fehlen emer Herzogsgewalt in Schwaben begründet und implizit jeder Anspruch auf Herrschafts- und Standesrechte, der aus einer herzoglichen Tradition abgeleitet wird, zurückgewiesen. Den unentschiedenen Rangstreit zwischen dem bayerischen und dem schwäbischen Herzog nutzt Lirer, um eine Geschichte, eben die 'Elisa-Novelle', hier anzulagern und den Grund für den offenen Ausgang des Streits zu erzählen. Er berichtet, der Rangstreit habe sich deswegen eriedigt, weil der Vogt des schwäbischen Herzogs, Walther von Wolfeck, seinen Herrn wegen Verführung der Schwester erschlagen habe. Walther muß wegen des Totschlags Schwaben verlassen, er geht in Begleitung seines Neffen Arbogast nach Portugal, wo er bald im Heidenkampf fällt. Hier ist ein Bemühen des Autors zu erkennen, den Totschläger Walther möglichst rasch aus der Stammessage verschwinden zu lassen. Nach dem Ende dieser Vorgeschichte wird Arbogast zum Protagonisten des ersten Teils der Erzählung. Er wächst am Hof des portugiesischen Königs auf und wird von dessen Vertrauten, Oswald von Hatstat, erzogen. Als Arbogast eines Tages mit der Tochter des Königs, Elisa, ins Gespräch kommt, bittet er sie, ihn in ihren Dienst zu nehmen. Elisa erkennt zwar Юugheit und Tugend Arbogasts, lehnt seine Bitte mit dem Hinweis auf sein kindliches Alter ab und meint, es wäre angemessener, ihn mit ruthen zu straffen (S. 40). Der enttäuschte Arbogast berichtet davon Oswald, der daraufhin für ihn und sich ein Kleid aus Ruten nähen läßt. Solcherart belehrt, nimmt Elisa Arbogasts Dienst an und erteilt ihm den Auftrag, Portugal gegen die Heiden zu verteidigen. Als er sich hier überzeugend bewährt, gewinnt ihn Elisa vast lieb^ und verspricht, sich ihm gegenüber künftig wie eine Mutter zu verhalten. Wenngleich Lirer im folgenden auch schreibt, daß die beiden sich veriieben, so ist damit allenfalls der Frauendienst Arbogasts, nicht aber ein Minneverhältnis zwischen beiden gemeint. Im Grunde beläßt es Lirer bei einer Mutter-Sohn-Beziehung. In der nächsten Schlacht wird Arbogast von den Heiden gefangengenommen. Das Schiflf, welches ihn in die Gefangenschaft bringen soll, wird jedoch auf der Heimfahrt von Johannitern aufgebracht. Diese halten Arbogast, der lediglich seine deutsche Herkunft, nicht aber seinen Namen preisgibt,"' für einen Verbündeten der Heiden und Lirer, Chronik, S. 38. Ebd., S. 41. Zum Motiv des Minneerfolgs aufgrund ritterlicher Bewährung vgl. auch die Erzählung Frobens über die Annäherung Gottfried Werners an seine spätere Gattin (siehe oben S. 333). Dieses Motiv bereitet die Befreiung Arbogasts vor, denn auf diesem Weg kann sich das Gerücht von einem unbekarmten deutschen Gefangenen auf Rhodos verbreiten. Das Gerücht steuert dann seinerseits die Suche nach dem geheimnisvollen Gefangenen. Auch dies ist ein Beleg dafür, wie sorgfältig Lirer trotz der logischen Brüche die Geschichte inszeniert hat. Zum Motiv des verschwiegenen Namens im Prosaroman vgl. THOMAS, Handlungsstruktur, S. 74-82.

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bringen ihn als Gefangenen auf das Schloß Schönhab, das auf oder in der Nähe der Insel Rhodos liegt. An dieser Stelle blendet der Erzähler zurück nach Portugal, es beginnt der zweite Teil der 'Elisa-Novelle'. Der portugiesische König schickt seinen Diener nach Deutschland, um Unterstützung im Heidenkampf zu erbitten. Die Botschaft gelangt auch nach Feldkirch zu den Werdenbergem ('weiße Fahne'), bei denen gerade zwischen den beiden Brüdem Heinrich und Albrecht ein heftiger Streit um die Herrschaft entbrannt ist. Anlaß war, daß ihr Vater entgegen der Primogenitur die Grafschaft dem jüngeren Bruder Albrecht übergeben hatte, wogegen sich der erstgeborene Heinrich, auf Anraten eines Bastardsohnes, nun zur Wehr setzt. Der Streit wird durch das Urteil eines adligen Schiedsgerichts beigelegt. Albrecht behält zwar die Herrschaft, muß jedoch für vier Jahre außer Landes und die Herrschaft einem Verwalter Ubergeben. In dieser Situation eneicht ihn der Aufruf zum Heidenkampf, und er reist sofort nach Portugal. Dort lernt er Elisa, die um den verlorenen 'Sohn' Arbogast trauert, kennen. Als Albrecht den Grund ihrer Trauer erfährt, macht er sich sogleich heimlich auf die Suche nach dem Verschollenen und gelangt dabei nach Rhodos. Wie es der Zufall der 'Historie' will, ist Arbogast Gefangener eines Freundes Albrechts. Dieser läßt ein Porträt Arbogasts anfertigen und überbringt es Elisa, die sofort ihren 'Sohn' wiedererkermt und ihn befreien will. Albrecht verspricht ihr seine Hilfe, heimlich bricht man gemeinsam nach Rhodos auf. Dort gibt Arbogast den Namen seines Geschlechts preis, nachdem sich Albrecht als Graf von Werdenberg, und damit als Lehenshen Walthers von Wolfeck, zu erkennen gegeben hat. Einer Heirat zwischen Arbogast und Elisa steht nun nichts mehr im Wege, doch jetzt kommt die eigentliche Überraschung der Erzählung: Arbogast lehnt Elisas Heiratswusch mit der Begründung ab: deß wöll got nimermer das ich euwern gnaden saliche vner erzaigt, aber dieser ist ain wolgeborner graf von Werdenberg den soll ir nemen}*^ So geschieht es auch, und nachdem man noch gemeinsam dem Pilgergelübde Genüge getan hat, kehrt man nach Schwaben zurück, wo prächtig Hochzeit gefeiert wird. Nach zehn Jahren wird der inzwischen geborene Sohn zum portugiesischen König geschickt, und der versöhnt sich daraufhin mit dem EntfMirer seiner Tochter. Es ist in den Analysen der 'Elisa-Novelle' immer wieder versucht worden, sie auf das Brautwerbungsschema des Spielmannsepos zu beziehen.'·" Allerdings ist die Heirat des Brautwerbers mit der Königstochter ein Schemabruch, und auch das Motiv des Frauendienstes findet hier eine atypische Ausformung, da ja Arbogasts Verhältnis zu Elisa explizit nicht als Minnegemeinschaft gestaltet ist. Besonderes Interesse verdient das eigenartige Motiv der Gefangenschaft Arbogasts. Denn einen logischen Grund für das Schweigen Arbogasts gegenüber dem Schloßherm von Schönhab gibt es nicht. Beide sprechen die gleiche Sprache und sind Christen. Dasselbe gilt für die komplizierte Anagnorisis zwischen Arbogast und Elisa, für die G R A F ZU Recht festgestelh hat. Lirer habe hier versucht, "seiner Geschichte die Brautwerbungserzählungen eigene Medererkennungs-Motivik aufzupfropfen.""" Alle Erzählfehler und Unstimmigkeiten scheinen für Lirer jedoch bedeutungslos gewesen zu sein, alles - und insonderheit die m der Anagnorisis-Szene urplötzlich entfaltete Minne zwischen Arbogast und Elisa Lirer, Chronik, S. 49. Vgl. GRAF, Geschichten, S. 143. Ebd., S. 147. GRAF widerspricht hier der Bewertung JENNYS, der meint, Lirer gebe "in der allmählichen Herbeiführung des Wiedererkennens sein Bestes" (Proben, S. 159).

Literarisierte Geschichte. Gatomgsvermischung als Medium der Epistemologie

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dient nur der Explikation der Standesnorm. Gerade durch den Schemabruch wird deutlich, daß es eine Mesalliance zwischen der hochadligen Königstochter und dem Niederadligen nicht geben darf."' Der Verzicht Arbogasts, der ja von einer solchen Heirat ständisch enorm profitieren würde, erfolgt gegen den ausdrücklichen Wunsch der Königstochter, und damit wird mit dem Verzicht die Verbindlichkeit der allgemeinen Standesnorm besonders wirkungsvoll bestätigt. Was dem Niederadligen nicht geziemt, ist fur den Werdenberger sehr wohl angemessen, denn er ist ein ständisch adäquater Partner für eine Königstochter."® Wie wichtig diese königliche Abstammung der Werdenberger ist, zeigt sich auch daran, daß Lirer selbst iur die Glaubwürdigkeit der Geschichte bürgt: Er sei als Diener Albrechts nach Portugal gefahren und habe den merem tail selbst erlebt. Genealogisch verortet ist die Erzählung durch die ätiologische Ableitung eines Bestandteils (goldener Ring mit Saphir) des werdenbergischen Familienwappens;''' eine inhaltliche Verbindung zwischen Insignien und Erzählung gelingt Lirer allerdings nicht.

Vergleicht man die Vorlage mit der Rezeption der 'Elisa-Novelle' in der 'Zimmerischen Chronik' (111,26,7-37,1), dann zeigt sich, daß Proben zwar kürzt und den Text seinem eigenen Stil anpaßt, aber den Inhalt weitgehend übernommen hat. Die Einfügung des ersten Teils von Lirers Erzählung in den zweiten deutet JENNY mit der Absicht des Chronisten, den "Werdenberger, welcher ja den Anknüpfimgspunkt bildete, von Anfang an gegenüber der Lirerschen Hauptperson, Arbogast von Andlau, in den Vordergrund [zu rücken].'"" Nach JENNY sei es Proben darum gegangen, die 'Elisa-Novelle' "mit eisernen Zwingen dem Rahmen seiner Chronik" einzufügen, so daß "sie nicht mehr als Fremdkörper" erkennbar war. Insgesamt würdigt JENNY zwar die konsequente Umgestaltung der 'Liebesnovelle' zu einem historischen Tatsachenbericht, bemängeh jedoch, daß damit der hohe poetische Reiz und die "menschliche[] Wärme der Novelle" verlorengehe. JENNY hat die formalen Prinzipien von Probens Bearbeitungstechnik zutreffend erkannt, die Erzählung mußte so umorganisiert werden, daß sie in sich stimmig ist. Dazu gehört auf der einen Seite eine gesteigerte Anschaulichkeit der Handlung, auf der anderen ein Verzicht auf überschüssige Information und Nebenhandlungen.'" Wichtig ist Proben die Gestalt der Erzählung, Anfang und Ende müssen klar erkennbar sein - wohl deswegen gibt er die Zweiteilung der Handlung bei Lirer a u f ' ' Außerdem erhalten die auftretenden Figuren eine eigene Biographie und ihre Lebensschicksale erzählerisches Gewicht. Im GeVgl, GRAF, Geschichten, S. 152. Damit ergibt sich freilich ein Widerspruch zu der von Proben zuvor behaupteten Überlegenheit der Zimmem über die Werdenberger; aber dies irritiert den Chronisten nicht. Lirer, Chronik, S. 51. Vgl. dazu GRAF, Geschichten, S. 140. Ähnlich verfährt Proben in Ш,37,16АГ. JENNY, Proben, S. 159. So wird die Reise des portugiesischen Boten nach Deutschland gar nicht erwähnt. Vgl. Lirer, Chronik, S. 42. Vgl. OTTO, Wahrheit, S. 149-153.

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Die 'Zimmerische Chronilc'

gensatz zu Lirer sind für Proben aber die Handlungsmotivationen der Personen entscheidend. Wo in der Vorlage Unklarheiten und Widersprüche auftreten, unterdrückt Proben die entsprechenden Informationen, soweit dies möglich ist. Insofern versucht auch er, die innere Logik der Handlung zu gewährleisten, eine Bemühung, die in den zahlreichen konditionalen Nebensätzen des Textes ihren Niederschlag fmdet. Hierzu gehört auch eme auffallende Konzentration auf bestimmte formale Details der Handlung. Bei der Entdeckung der Flucht Elisas und Arbogasts durcheiU die Nachricht die ganze Hierarchie am portugiesischen Königshof, die Plucht und ihre Vorbereitung werden genau ausgemalt. Wenn Proben Albrecht vor dem Aufbruch ordnungsgemäß sem Dienstverhältnis aufkündigen läßt (111,32,20-24), dann spricht hier kein Autor, der dramatisieren will, sondern der Jurist, der an seinen Protagonisten keinen rechtlichen Makel haften lassen will. Erst wenn solche 'Pormalien' beachtet sind, ist für Proben auch der Wahrheitsaspekt gesichert. Demgegenüber tritt die bei Lirer vorrangige Mesalliance-Thematik in der 'Zimmerischen Chronik' zurück.'" So kommentiert Proben im Gegensatz zu Lirer mit keinem Wort den Verzicht Arbogasts auf Elisa. Die exemplarische oder anagogische Punktion, die Lirers Text noch hat, ist wegen des Vorrangs der historiographischen Zurichtung des Textes völlig entschärft worden. Denn die Erzählung soll das ehrwürdige Herkommen der Werdenberger belegen, und deswegen maß der Chronist hier eine Genauigkeit suggerieren, von welcher er - nimmt man seine Lirer-Kritik ernst - allerdings selbst nicht überzeugt ist. Proben demonstriert hier, wie man den sachen ein ansehen macht: Anhand einer literarischen Quelle und deren Bearbeitung zu emer kurzen Herkommenssage hat Proben den Werdenbergem eine Herkunft 'verschaffi'. Die Glaubwürdigkeit der ihr zugrunde liegenden 'Elisa-Novelle' ist gesichert durch einen kausallogischen Aufbau, eine einheitlich erzählte Handlung, die die Motive der handelnden Personen darlegt und die Integration von Details, die an den Erfahrungshorizont der Rezipienten anknüpfen. Damit aber erhält der Inhah auctoritas - und diese fallt auf den Geschichtsschreiber und sein Werk zurück.

5.8. Autobiographie im Horizont des 'Weltbuchs'»'* Mit dem 146. Kapitel hat Proben die Zeit erreicht, in der seine eigene Generation aktiv in die Familiengeschichte emtritt. Ab jetzt strukturiert er sein Werk endgültig nicht mehr mittels in sich geschlossener Biographien einzelner Familienmitglieder, sondern orientiert sich jetzt vornehmlich an der Chronologie,

Dieses Motiv wird - wie die gesamte Anagnorisis-Szene - von Proben höchst lapidar geschildert: Do fiiert graf Albrecht den Arbogast zu der künigin. Die hett in gern zur stund zu der ehe genommen, aber er sprach: 'Nain, das will Got nit, das ich Ewern künigclichen würden ein soliche Unehre erzaigte; aber diser mein herr, grafe Albrecht, ist ein edler graf von Werdenberg,

den sollt ir nemmen!'

(Ш,33,20-25).

6. Chronikabschnitt (Kap. 146-209); zur Gliederung der Chronik vgl. oben S. 151f.

Autobiographie im Horizont des 'Weltbuchs'

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wobei er auch hin und wieder systematische Kapitel einfügt. In diesen werden bisher bereits behandelte, übergreifende Themen, die jetzt allerdings nicht mehr unbedingt an die Familiengeschichte angebunden sein müssen, weitergeführt. Auffallend in diesem 6. Chroiükabschnitt ist femer, daß - insbesondere zwischen den Kapiteln 168 und 185 - fast regelmäßig zwischen einem 'ernst-' und einem 'schwankhaften' Kapitel gewechselt wird. Ich konzentriere mich im Folgenden auf zentrale Diskurse dieses Abschnitts, die Autobiographie,"' die Dynastiegeschichte,'" die Reichs- und Landesgeschichte"' sowie die Magie.*^ Entsprechend meiner bisherigen Interpretation behandele ich die zahkeichen Schwankkapitel nicht als eigenständig, sondern beziehe sie auf ihren jeweiligen Kontext. 5.8.1. Die 'Zimmerische Chronik' als Form autobiographischen Schreibens? Angesichts der thematischen Vielfalt in der 'Zimmerischen Chronik' erscheint es problematisch, hier überhaupt den Terminus 'Autobiographie' zu verwenden, aber - wie bereits erwähnt"' - schemt dies auch im Hinblick auf die jüngste Gattungsdiskussion gerechtfertigt. So erfüllt der Text wesentliche Kriterien einer Autobiographie, wie sie etwa VELTEN zusammengestellt hat.®*^ Der Lebensverlauf des Autors wird aus einer Retrospektive dargesteUt und narrativ organisiert, und sogar die Geschichte des ganzen Geschlechts scheint von diesem rückblickenden Lebensentwurf aus strukturiert worden zu sein. Auch die Trennlinie zwischen adliger Hauschronik und Autobiographie ist für diesen

^

Kap.; 147f., 154f., 161, 163, 167, 170, 172, 176, 178, 185, 190, 202-205, 207-209. Frobens Autobiographie beginnt mit einem aus vier Kapitehi (146-149) bestehenden Abschnitt, in welchem seine eigene Jugendgeschichte (147f.) von der seiner beiden Brüder, Johann Christoph (146) und Gottfried Christoph (149) umrahmt wird. Der zweite Abschnitt (150-164) bringt Fortsetzung und Beendigung der Studien Frobens in Frankreich (154ff.) und Speyer (161f.). Die Kapitel 150-164 sind erkennbar als Einheit gegliedert, weil am Anfang und am Ende jeweils ein Schwankkapitel die Übergänge vom ersten bzw. zum dritten markiert. Im dritten Abschnitt (165-176) bezieht Proben den weiteren Lebensweg seiner beiden Brüder mit ein (166, 174,176). Den Kem dieses Abschnitts bilden die Kapitel 170-173, in denen Froben von seiner Hochzeit mit der Gräfin von Eberstein berichtet, wodurch ein eigenes Kapitel über das Ebersteinsche Herkommen erforderlich wird. Geschichte des Vaters (Kap. 186), Gottfried Werners (158,160,168, 187, 191,196,199-201), 203f und Wilhelm Werners (150, 153, 164,181, 183f, 192, 195, 205). Dazu gehören: Die Geschichte der Stadt Rottweil (Kap. 157), Der französische Hof (156), Die Geschichte der Fürstenberger (163). Zu den Exkurskapiteln, die sich mit der Geschichte anderer Dynastien beschäftigen, zählt das Kapitel 162 über Graf Wilhelm von Fürstenberg (Ш,337,22-350,8). Dieses Kapitel ist mit seiner Kritik an den Franzosen auch Teil des 'Frankreich-Diskurses' und thematisiert darüber hinaus politische Maximen fiir den Umgang der schwäbischen Adligen mit dieser benachbarten Macht. Das Kapitel 169 befaßt sich mit der Geschichte des Konstanzer Domkapitels. Erstmals nimmt hier der Chronist näheren Bezug auf reichspolitisch bedeutsamen Ereignissen, wie den Schmalkaldischen Krieg oder den Augsburger Reichstag von 1547/48 (179-183). Kap. 194, 196ff., 205. Vgl. oben S. 6,15ff., 29«. Vgl. VELTEN, Üben, S. 21.

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Die 'Zimmerische Chronik'

letzten Abschnitt der 'Zimmerischen Chronik' nicht scharf ausgebildet. Zwar bleibt die Familie nach wie vor der vorgeordnete Bezugspunkt, aber die Lebensgeschichte Frobens bietet weit mehr als "ein Reservoir von Daten, Fakten, Beispielen und Handlungen, die eventuell fur die Nachkommen informative und pädagogische Bedeutung besitzen.""' Deim sehr wohl findet man hier die autobiographischen Formen individueller Zwecksetzung, Selbstbeobachtungen und die Trennung von Selbst und Weh, auch wenn - und dies ist fraglos der gravierende Unterschied zu den zeitgenössischen Autobiographien - die Figur des Autors nicht im Mittelpunkt der Darstellung steht. Anhand der fließenden Übergänge, gerade im Bereich der chronikalischen bzw. autobiographischen Literatur, ist eine Gattungsdiskussion zwar ohnehin rem akademischer Natur,*^ aber sie ist forschungsgeschichtlich insofern von Interesse, als sich an ihr in den letzten Jahren eine lebhafte Diskussion über die Genese eines fiiihbürgerlichen, neuzeitlichen Individuums entzündet hat.'" Nach gängiger Forschimgsmeinxmg ist der 'mittelalterliche Mensch' bestimmt durch übergreifende Ordnungsvorstellungen und Rollenbilder, aus denen heraus er seine eigene Existenz begreift und gegebenenfalls darstellt. Entsprechend bleibt auch der beschriebene Lebensweg stets auf diesen vorgegebenen Deutungsrahmen bezogen. Dessen letztlich religiöse Basis läßt selbst extreme Erfahrungen wie Freude und Trauer als Teil der göttlichen Ordnung begreifbar werden. Der Sinnzusammenhang des Lebens ergibt sich aus der Einbettung in die vorgegebenen Muster, jede Existenz ist Abbild der geordneten Schöpftmg - und versteht sich deshalb gleichsam von selbst. Vor diesem Horizont erscheint es auch wenig relevant, nach dem Sinn eines einzelnen Lebens zu fragen bzw. den einzelnen Stationen - Geburt, Heirat, Geburten der Kinder, Tod - eine besondere Sinnhaftigkeit zuzusprechen. Ein kausallogischer oder gar psychologisch motivierter Zusammenhang zwischen einzelnen Ereignissen bzw. zwischen einem bedeutsamen Vorgang m d einer 'charakterlichen' Disposition können unberücksichtigt bleiben, entsprechend selten stößt man auf subjektive Reflexionen persönlichen Erlebens. Diese Tradition, die auch im 15./16. Jahrhundert - etwa in der Autobiographie Burkhard Zinks®" - noch fortwirkt, steht eine zweite gegenüber, die man auf die mittelalterliche Mystik und die Selbstzeugnisse Hildegards von Bingen zurückgeführt hat:'" Bei ihr - und später in den Toten-

Ebd., S. 50. Dies belegt letztlich auch die Arbeit von VELTEN, der die Hauschronik zwar von der Autobiographie unterschieden wissen will, sie dann aber doch wieder als "die gängigste Form autobiographischen Schreibens im 16. Jahrhundert" definiert (Leben, S. 48). Grundsätzlich dazu SOEFFNER, Typus, S. 16, 20; vgl. auch LUCKMANN, Identität. V g l , d a z u ZAHND, A u f z e i c h n u n g e n , S. 3 4 5 - 3 5 6 .

In der Mystik tritt insofern das Individuum ins Blickfeld, als der Durchbruch ins Absolute immer als ein individueller angesehen wird. Vgl. dazu KURT FLASCH, Das philosophische Denken im Mittelalter, Stuttgart 1986, S. 320ff.

Autobiographie im Horizont des 'Weltbuchs'

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klagen des 'Ackermanns"" oder Ludwig von Diesbachs - scheinen unmittelbare affektive Erlebnisse verarbeitet worden zu sein, und damit tritt jenseits einer sozialen Identität, die sich immer noch an den übergeordneten Rollenbildera orientiere, eine ungebundene Subjektivität und in der authentischen Wiedergabe der Realität zugleich der Kem neuzeitlicher Individualität hervor.'" Dennoch darf man diese Faktoren nicht absolut nehmen, denn auch hier ist zu beachten, daß fìir die Literarisierung bestimmter Erlebnisse, seien sie nun durch extreme Leiderfahrungen, wie etwa den Tod der Gattin, oder die Erfahrung fremder Welten initiiert,"" bereits literarisch-rhetorische Formen vorhanden sind, auf die zurückgegriffen werden kann. Kein Text, der nicht in einem Kontext steht. Gerade dies aber macht es so problematisch, geistesgeschichtliche Entwicklungen, wie etwa die im gleichen Zusammenhang von Hegel reklamierte Trennung zwischen Subjekt und Objekt, anhand literarischer Texte zeitlich zu verorten.'" Naturgemäß waren die Autobiographien des Renaissancehumanismus der Kardinalbeweis fur die Entstehung einer modernen Individualität in der Frühen Neuzeit : BuCK hat diesen Befund paradigmatisch formuliert: "Man entdeckte in der Renaissance nicht nur den Menschen in der Geschichte und den Menschen in der Gegenwart, sondern man sah auch das eigene Ich in einem veränderten Licht, maß dem eigenen Erleben eine besondere Bedeutung bei, die es der Aufzeichnung wert erscheinen ließ. Aus dieser psychologischen Haltung erwuchs das Bedürfiiis nach Selbstdarstellung, entstand die Autobiographie.'"" Demgegenüber weist Z A H N D zu Recht darauf hin, daß "die Vielfalt der deutschsprachigen autobiographischen Aufzeichnungen aus dem 14. und 16. Jahrhundert durch ein paar wenige Grundkategorien kaum zu erfassen ist.""^ Z A H N D S Skepsis hinsichtlich abstrakter Gattungs- und Epochenvorstellungen gründet vor allem auf der Erkenntnis, daß "selbst in humanistisch gebildeten Florentiner Kreisen um 1400 die alten [i. e. mittelalterlichen] Stilisierungsten-

Johannes von Tepl, Der Ackermann, hg. von WILLY KROGMANN (Deutsche Klassiker des Mittelalters NF 1), Wiesbaden 1954, S. 101-105. Besonders pointiert hat diesen Zusammenhang etwa MISCH (Geschichte, S. 587) formuliert, der fllr die frühneuzeitliche Autobiographie zu dem Ergebnis kommt: "Noch hält die Persönlichkeit das Leben nicht zusammen, sondern die Wirklichkeit breitet sich aus in mannigfachen neben- und ineinandergeschobenen Einzeltatsachen, die sich gleichförmig ablösen gemäß einer Lebensauffassung, die in den Tagen die Einheiten besitzt, aus denen das Dasein sich zusammensetzt." Zur Defmition der Begriffe Identität und hidividualität im Kontext autobiographischen Schreibens vgl. jetzt VELTEN, Leben, S. 303-351. VELTEN versteht unter der Identität einer Person deren "Sich-Gleichbleiben", unter Individualität deren "Unverwechselbarkeit". Eine Antwort auf die Frage, worin letztere bestehe, muß er freilich schuldig bleiben. Vgl. dazu WOLF, Reiseberichte, S. 82-86. Dies schlägt sich auch nieder in der Arbeit von RÖCKE (Freude, S. 267). Das grundsätzliche Problem des Wesens der bdividualität muß im vorliegenden Zusammenhang ausgespart bleiben. Vgl. dazu grundsätzlich LUCKMANN, Identität; BAACKE, Texte; WATTS, Illusion, S. 119FF. Vgl. BUCK, Biographie, S. VN. ' " ZAHND, Aufzeichnungen, S. 343.

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Die 'Zimmerische Chronik'

denzen keineswegs vergessen waren", und - was die Gattungsfragen anbelangt - sind in der Tat "die Grenzen zwischen Kaufinannsmemorial, grundherrlichem Hausbuch, Familien- und Kinderbuch und Autobiographie fließend.""'' MÜLLER definiert die Autobiographie als - durchaus konstruierten - Versuch, das erlebte Geschehen aus eigener Perspektive "zu einem verstehbaren Gesamtzusammenhang" zu ordnen, der entscheidend von den eigenen Handlungen bestimmt wird.'" Eine weitere Prämisse, die MÜLLER bei den Autobiographien als gegeben voraussetzt, ist die Orientierung an übergreifenden Ordnungen (politische Zielvorstellungen, "Einsichten in die Regelmäßigkeit politischer Abläufe", "ethische Leitbilder", ein "raumzeitliches Koordinatensystem"), wodurch auch die Exemplarität der dargestellten Geschichte hervorgehoben werden kann. Ausgehend von dieser Gattungsnorm kann MÜLLER die 'Lateinische Autobiographie' Maximilians I. mit ihrer assoziativen Aneinanderreihung verschiedenster Ereignisse als Ergebnis "spontanen Erirmems" deuten, "nicht [als] bewußt gehandhabtes Darstellungsprinzip." Damit legt er einen Beurteilungsmaßstab (Orientierung, darstellerische Ordnung, Exemplarität) zugrunde, der dem fitihneuzeitlichen Roman, einer modernen biographischen Ordnung und Stilisierung des eigenen Lebens bzw. den Ansprüchen der modernen Wissenschaft entspricht. Indessen ist eine Differenzierung zwischen bewußtem imd unbewußtem Darstellen bei weitem nicht so leicht möglich, wie MÜLLER meint, denn das Assoziationsprinzip - von ihm als Mangel an gestaUerischer Kraft gedeutet - ist geradezu konstitutives Merkmal der fiiihneuzeitlichen Selbstbiographien. Man sollte sich davor hüten, dieses Darstellungsprinzip als Zeugnis fehlender Gestaltungskompetenz zu entwerten, da sich ja gerade in der Kontingenz des Dargestellten ein Lebensgefiihl offenbart, das jenseits pragmatischdidaktischer Intentionen liegt."' Gerade mit der Hinwendung zur Kontingenz gerät nämlich die Totalität des menschlichen Lebens in den Blick. Ob dies in voller Absicht geschieht, mag dahm gesteUt bleiben, es wäre jedoch verkürzt, die scheinbar blinden Assoziationen, denen sich der Autor so bereitwillig hingibt, einer darstellerischen Unfähigkeit zuzuschreiben, deim im zirkulären Ebd., S. 344. MOLLER, Gedechtnus, S. 99. An sich verbietet es sich auch, von den Autobiographien ein solches Slrukturschema zu erwarten, wie es etwa beim höfischen Roman zugrunde liegt. Allerdings ist auffällig, daß gerade in der 'Zimmerischen Chronik' nicht der Fluß des Lebens ohne Ziel und Ende beschrieben wird, sondern daß es gerade epische Muster sind, in die der Chronist sein eigenes Leben zu fassen sucht. - Bei seiner Untersuchung des Stellenwerts der persönlichen Aussagen Frobens in seiner Chronik konrnit JENNY (Froben, S. 192FF.) zu einem zweideutigen Ergebnis. Zwar gesteht er zu, daß die Chronik kein "unmittelbares Selbstzeugnis" ihres Verfassers sei, aber er versucht dann doch, hinter den Schilderungen Frobens dessen Charakter zu erkennen. "Die auffallendsten Merkmale" von Frobens Wesen seien "Schüchternheit, übertriebene Ängstlichkeit, eine gewisse Hinterhältigkeit und die Unfähigkeit, sich in kurz entschlossenem, kühnen Handeln durchzusetzen" (ebd., S. 193). WEHRLI (Geschichte, S. 1044) erschließt aus der Chronik, daß ihr Autor ein "scheuer, rankünöser, in der Verfolgung seiner Ziele hartnäckiger Charakter" gewesen sei.

Autobiographie im Horizont des 'Weltbuchs'

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Abtasten der Erinnerung und der Gegenwart wird auch ein Versuch erkeimbar, die Bedingungen des eigenen Seins in ihrer Unverfügbarkeit zu erfassen. Aber auch wenn man mittlerweile das Entstehen der modernen Individualität als einen seit der Aufklärung wirksamen Mythos zu beginnen begreift, und die Ausrichtung des Individuums an kollektiven Bildern wieder stärker berücksichtigt wird, so ist es doch jenseits aller geistesgeschichtlichen Fragen für die Bestimmung der Eigenart der 'Zimmerischen Chronik' von Belang, die neuen Formen der Beschäftigung mit dem eigenen Selbst in der Autobiographie des Chronisten zu analysieren. 5.8.2. Individualität und Identität in der literarischen Darstellung 5.8.2.1. Die Sorge um den eigenen Körper Ein wesentliches Element der These, wonach sich in der Renaissance das Bewußtsein einer unverwechselbaren Individualität entfaltet, war die Wiederentdeckung des eigenen Körpers"' in der Literatur. Der 'Triumph des Körpers' m der Frühen Neuzeit findet auch in Frobens Autobiographie seinen Niederschlag, nämlich in den detaillierten Angaben über seine Befindlichkeiten und besonders über seine Krankheiten. Nach seinen Angaben war der Chronist immer peinlich bemüht, seine körperlichen Beschwerden vor der Öffentlichkeit zu verbergen, aber um so detaillierter beschreibt er sie jetzt in seiner Chronik eine Dialektik, die auf die vielfach beschriebene Entstehung einer Privatsphäre im 16. Jahrhundert verweist."' Die Beschäftigung mit dem Körper dient auch dem Zweck aus seiner Geschichte Prognosen fiir die eigene Zukunft zu stellen, der Köφer-Diskuгs ist deswegen - wie im Folgenden zu zeigen sein wird - eng verknüpft mit dem Esoterik-Diskurs."' Proben wird, nachdem er zunächst am Hof seiner Großeltem in Mespelbrunn und Aschaffenburg aufgewachsen war, mit zwölf Jahren auf die Tübinger Universität geschickt. Über eine Zwischenstation in Straßburg gelangt er dann an die Universität von Bourges. Die weiteren Stationen seiner bis 1541 dauernden Studienzeit sind Köln, Löwen, Paris, Angers und Tours (Kap. 147, 148, 154ff.). Aber eine klassische Humanistenvita mit ihren zentralen Bildungserlebnissen ist für Proben kein Darstellungsmuster, denn über die Ausbildungsinhalte vermerkt er fast nichts, im Mittelpunkt seiner Reflexionen stehen neben der Sorge um sich die Suche nach der eigenen Identität, seiner dynastischen Aufgabe sowie transzendentale Fragen. In der Beschreibung seiner Jugendjahre spielt nun die Beschreibung seiner Krankheiten eine herausragende Rolle, das Leben wird quasi durch die Krankheiten strukturiert. Am Anfang seiner 'Krankheitskarriere' steht ein Leistenbruch, der durch ein magi-

Zur Geschichte der Beschäftigung mit dem eigenen Körper in der Antike vgl. FOUCAULT, Sorge, bes. S. 133-147. Vgl. dazu die Einleitung von ARIÈS in: ders./CHARTFFIR, Geschichte, bes. 7-20. SieheuntenS. 410-415.

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sches Ritual geheilt wird (11,338,10-339,12). Mit sechs Jahren übersteht er nur knapp ein Tertianfieber (111,137,1-7), wobei der Chronist hier besonders die Ursache - ein im überhitzten Zustand genossener kalter Trunk - betont. Auch jedes noch so kleine Mißgeschick wird genau festgehalten und dramatisiert: beim Ritt durch ein Bachbett strauchelt das Pferd - fast wäre Proben ertrunken; in Bourges erkrankt er erneut (111,145,9-25), ständig muß er auf seine labile Gesimdheit achten. In diesen Situationen unmittelbarem Getroffenseins scheint sich seine Einstellung zu Leben, Tod und zur Bestimmung des Menschen am deutlichsten zu zeigen. Allerdmgs wird man auch hier vermuten dürfen, daß nicht mehr die Intensität des damals Erlebten maßgebend für den zurückblickenden Chronisten ist, sondern aktuelle Erfahrungen die darstellerische Organisation des entsprechenden Motivstranges steuern. Tatsächlich sind die Krankheitsgeschichten nur das Vorspiel zum Bericht des 155. Kapitels über die Pockenerkrankung Frobens in Tours (1541/42). In der Hs. В macht die Schilderung dieses Krankheitsfalles vier Folioseiten aus,'*" weil der Chronist die Gründe der Erkrankung detailliert erläutert. Damit verfolgt er - wie er explizit formuliert - einen pragmatischen Zweck, der für die Entfaltung der Implikationen seiner ganzen Krankheitskarriere maßgebend ist: Gleich nach weinechten in anno 1541 do fiel der grave in ein tödenliche krankhait. User was ursach aber solchs beschehen und wie das zugangen, kan ich nit underlasen, solches denen nachkommen in diesem geschlecht zu einem beispill und Warnung hier-

ein zu verleiben (111,250,39-251,1). Damit meint er jedoch nicht - wie bei den früheren Erkrankungen - lebenspraktische oder medizinische Ratschläge. Die Krankheit wird vielmehr als eine Strafe Gottes gedeutet, sie wird damit zum Medium der Vermittlung einer moralisch-religiösen Lehre. Deren Bedeutung erklärt die sorgfaltige Inszenierung der gesamten Episode. Proben verschweigt den Namen der Krankheit zunächst,'" betont nur geheimnisvoll deren lebensbedrohlichen Charakter und beginnt dann unvermutet mit einer umfangreichen Darstellung seiner alchimistischen Studien in der Bibliothek des Hieronymus Laurin in Angers. Die gewonnenen Kenntnisse setzt Proben im benachbarten Tours, wo er den Winter 1541/42 im Haus des Domherren Hans Schabart verbringt, in die Tat um. Welche Versuche er hier konkret veranstaltet hat, verschweigt Proben, denn er will niemanden zur Nachahmung verfuhren."^ Den engen Zusammenhang zwischen Experiment, göttlichem Eingreifen und Krankheit verdeutlicht die konzentrierte sprachliche Gestaltung dieses Ereignisses: Und Wardt für das erst ein experiment user dem Herimete in der zweiten stunde des tags förgenommen, mit gebreuchlichen und darzu dienstlichen instru-

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Stuttgart, WLB, Cod. Don. 580, S. 767-770. Vgl. zum Schweigen über den Namen der Krankheit A m e s / C h a r t t e r , Geschichte, S. 356. Zur Kritik an der Alchimie, wie sie sich besonders im ausgehenden 14. und beginnenden 15. Jahrhundert erhob, vgl. G a n z e n m ü l l e r , Alchimie, bes. S. 90-96.

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menten, auch quaiificierten materialien und allen andern ceremonien und Observationen, nach Inhalt der kunst und des experiments. Und ist kein zweifei an dem, waver dem graven sein mainung und willen solt gerathen sein, das er dessen in leiden und nott, auch euserste gefahr sich begeben, geschweig, das alle conjurationen mit dem reuten und anderm nun fortissima, wie die wort lauten, intentione beschachen, welches dann ohne alle mittel ein ware, eitele, gotlose idolatria und abgötterei ist, dardurch der grave ohnzweifenlich Got höchlich erzürnt, wie dann iederzeit kein sünde höcher ie ist gestrafft worden, dann die. Das beschaint sich wol an dem. Wie er den driten tag in allem fiimemen und pratik, do stieße ine ain scharpf lendenwehe an, das er von allem lassen muest. (Ш,252,29-253,6)

In dieser 'Anamnese' fließen die ambivalenten Wertvorstellimgen Frobens zusammen: Er will gleichermaßen kompetent sein im naturwissenschaftlichen Experimentieren wie im Faszinationsbereich der Magie und verbindet dies mit den altadligen Werten der Furchtlosigkeit in Todesgefahr. Zwischen rationaler und religiöser Weltsicht entscheidet er sich letztlich für die private Heilsgeschichte und findet den Sinn der Krankheit im Zorn Gottes. In Widerspruch zu einer transzendentalen Sinngebung steht die sich direkt anschließende medizinische Erklärung fur Ursache und Heilung der Krankheit: Froben ist an den urslechten, die sich einer lepra heften verglichen erkrankt (111,254,6). Detailliert berichtet er von seinem Leidenslager, insbesondere dem groß gestank, den Verunstaltungen seines Gesichts und den angewandten Heilmittehi. Für seine überraschende Genesung hat er zwei Erklärungen: die Kraft semer Jugend und Gottes Ratschluß. Obwohl einander widersprechend, gelingt es ihm, beides logisch zu verbmden, wenn er schreibt: ledoch, als er bei zwaien tagen also in höchster schwachait gelegen und sich niemands des ufkommens versähe, do thett doch der allmechtig sovil gnad, das die natur und die jugendt überwände, und demnach sie mit den arzneien und dann der lesse so vilfeltiglichen geraizt und erzürnt, stieße sie auch also dester greusenlicher und mer auß. (111,253,40-254,6)

Es ist also nicht Gottes Handehi, welches die Heilung bewirkt, sondern ein biologischer Schutzmechanismus, der durch die ärztliche Kunst nur unterstützt wird. Eine noch genauere Auseinandersetzung mit den Ursachen der Krankheit - wie sie in den Krankheitslehren der Renaissance zu fmden ist"' - hätte jedoch den Schuld-Sühne-Zusammenhang unteriaufen, welcher vor allem hn Hinblick auf die intendierte Warnung vor alchimistischen Versuchen besonders relevant ist. Unterstrichen wird diese Warnung durch die Einordnung der individuellen Erfahrung in die Familientradition, die gekennzeichnet ist von der Fazination der Magie und den entsprechenden göttlichen Strafen.'" Mit diesem Vgl. dazu WOLFGANG PAGEL, Das medizinische Weltbild des Paracelsus, Wiesbaden 1962. Ш,256,17-24: Aber das mag ich mit der warhait sagen, das der grave, wie jung gleich er der zeit noch gewest, sich dahin entlichen entschlossen und im selbs, wie man sprücht, in ain aidt geben, sich solcher verbottner, unchristenlicher und gotloser künsten hinfüro die zeit seines

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Familienmythos will Proben brechen, und auch deswegen schildert er die Lebensbedrohung durch die Pockenerkrankung in so eindringlicher Weise. Darüber hinaus läßt sich aber noch ein anderer unmittelbarer Grund dafür nermen. Proben litt während der Abfassung dieser Passagen an einer Krankheit, über die er jedoch keine näheren Auskünfte gibt. Mit der Erinnerung an seine eigenen Krankheiten und deren Überwindung will er in einer Form der Selbstsuggestion offenbar die Kräfte reaktivieren, die ihm fi^here Krisen überwinden halfen. Demnach ergibt sich im Hinblick auf die Bedeutung des Körperdiskurses bei Proben ein heterogenes Bild. Die genaue Beobachtung des eigenen Körpers, die Sorge um sich, ist für Proben auf der einen Seite ein Mittel zur Selbsterkermtnis bzw. zur Erkenntnis der eigenen Bestimmung, auf der anderen Seite wird sie auch als rein medizinische Erscheimmg, an die sich entsprechende Ratschläge anknüpfen lassen, behandelt. Deswegen kann Proben einer Krankheit lebensgeschichtliche Bedeutung zuweisen und sie in sein religiöses Glaubenssystem einpassen, er kann aber dieselbe Krankheit rein medizinisch behandeln. Entscheidend für die jeweilige Darstellung ist die Instrumentalisierbarkeit der Krankheit für übergeordnete Aussagen, wie etwa Frobens Abkehr von der Familientradition der Alchimie anhand der Pockenerkrankung. Die Krankheit - und dies zeigte bereits die wundersame Heilung des Leistenbruchs - vollzieht die Abgrenzung von den gesellschaftlichen und ärztlichen Praktiken und die Etablierung einer Individualität, die für Gesellschaft und Dynastie Vorbildcharakter haben soll.''^ Exkurs: Ein Reisebericht als Krankheitsgeschichte Wie schon Frobens Bericht über seine Pockenerkrankung in Frankreich gezeigt hat, ruft die Erfahrung der Fremde eine besonders intensive Beschäftigung mit dem eigenen Кофег hervor. Dies bestätigt ein Reisebericht (Kap. 207f.), in dem der Chronist seine Fahrt zur Hochzeit Philipps von Eberstein nach St. Omer erzählt. Ob und wieweit sich Froben bei der Abfassung dieses Reiseberichts an ähnlichen Werken orientiert hat, muß dahingestellt bleiben. Sicher ist hingegen, daß Froben mit den wichtigsten Reisebeschreibungen seiner Zeit vertraut war: So kannte er u. a. Felix Fabris 'Evagatorium', das noch nicht im Druck erschienen war,"® Bernhard Breidenbachs 'Fart über mer',''^

lebens zu enthalten: dann wie es seim anherren darob ergangen, das ist vorlengst in diser historia gehört worden. In diesem Zusammenhang steht an dieser Stelle auch die Erzählung vom Schwarzkünstler Faust. Vgl. oben S. 283ίΤ. Froben behauptet, daß nach seiner Heilung von dem Leistenbruch über 500 andere Patienten auf die gleiche Weise geheilt worden sind (11,338,28-31). Allerdings mischt sich an diese Stelle auch Frobens eigene Skepsis gegenüber solchen Methoden ein, wenn er deren Wirkung mit dem des delphischen Orakels vergleicht und zu dem Schiaß kommt, es sei allein der Glaube, der das prognostizierte Ergebnis eintreten lasse (11,339,8-12). Froben schreibt über die Erlebnisse der Pilger auf dem Weg zum Jordan und zum Roten Meer: Was sie rju auf derselben fart gesehen und inen begegnet, were lang zu schreiben, zudem sollichs in herr Breitenbachs iterinario tmd dann obgenannts Felicis Fabri evagatorio zu befin-

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den Bericht des Hans Schiltberger über seine Erlebnisse im Osmanischen Reich"' und das berühmte Werk Johannes Mandevilles,''' das er in der Übersetzung des Otto von Diemeringen in einer handschriftlichen Fassung besaß."" Es scheint, als ob Proben Methode, inhaltliche Struktur und Stil der Reisebücher eines Fabri oder Breidenbachs übernommen hat. Detm genau wie diese verzeichnet er ganz präzise die täglich zurückgelegte Wegstrecke, die Begebenheiten auf den Rastplätzen, und auch in seinem Reisebericht ist eine Stilisierung am Werk, die auf das sichtbare Walten Gottes abzielt. Besonders die unterwegs überstandenen 'Gefahren' - und sind sie so unbedeutend wie die Überquerung der Kinzing oder ein nächtlicher Ritt durch einen Wald - werden zu entscheidenden Stationen hochstilisiert, an denen sich der Heilsplan Gottes offenbart.'" Die von außen drohenden Gefahren spielen aber eine untergeordnete Rolle im Vergleich zu den Bedrohungen seiner Gesundheit; die Sorge um das Erreichen der heiligen Stätten und den Empfang des Sündenablasses, die in den Aufzeichnungen der Pilgerreisenden präsent sind, wird bei Proben ersetzt durch die Sorge um sich selbst."^ Das zentrale Thema der Kapitel 207 und 208 ist denn auch eher eine 'Krankheitsgeschichte', wenn Proben fortwährend Situationen beschreibt, in denen er physische und psychische Qualen erleidet. Den äußeren Grund für diese Art der Inszenierung eines Reiseberichts nennt Proben im Schlußsatz des 208. Kapitels, wo er trotz der vorbereitenden Andeutungen relativ abrupt auf die Polgen der Reise zu sprechen kommt: Aber graff Fröbin Cristof ließe sich dessen nichts irren oder ufhalten, sonder one allen Verzug machte er sich von Speur wider uf di rais und kam in wenig dagen darnach von den gnaden des allmechtigen glücklichen und wol wider gen Messkürch, aida er menigclichen in guter gesundthait und glücklichem zustande fände. Aber es stände über ain vierteil eins jars nit an, es fieng sich mit seinem langwirigen wethum an der brüst zu erzaigen, darvon hernah seltzame sachen zuer gedechtnus verzeichnet werden. (IV,297,32-41) Diese Krankheit, die ihn seit 1556 quält, scheint dieselbe gewesen zu sein, an der er zehn Jahre später noch leidet. Daß er sich diese im Ausland zugezogen hat, scheint einem 'Glaubenssatz' zu entsprechen, wonach für ihn Reisen in die Premde generell mit Krankheit verbunden ist. Angesichts dessen erscheint die genaue Beschreibung seines Gesundheitszustandes während der Reise einleuchtend motiviert, obwohl er nirgends explizit einen Zusammenhang zwischen seinem wethum und diesen Ereignissen konstatiert. Aber Probens Blick während der Reise gilt vomehmlich dem eigenen Körper, selbst kleinere Unpäßlichkeiten werden dramatisiert. Bei einem Gastmahl befällt Proben ein Bauchgrimmen, den (1,498,24-28). Vgl. dazu auch JENNY, Proben S. 137; WOLF, Reiseberichte, S. 92-96 und

jetzt neuerdings HEINZER, Anmerkungen. Die zimmerische Bibliothek enthielt die lateinische Ausgabe der 'Peregrinatio Bemhardi de Braitenbach' (Speyer 1490); vgl. Wien, ÖNB, Cod. 12595, f 227115. Von diesem Werk lag auch eine deutsche Fassung vor: 'Part über mer zu de heiligen Grab vnsers herren ihesu cristi gen Jerusalem [...]', Mainz 1486 (GW 5077). V^. dazu Wien, ÖNB, Cod. 12595, f 38 . Dieses Werk ist ebenfalls in der Zimmerischen Bibliothek verzeichnet (Wien, ÖNB, Cod. 12595, f 52 MODERN, Handschriften, S. 135, Nr. 11.

Vgl. etwaIV,269,38-41 und IV,272,30-36. Vgl. zur antiken Tradition dieses Gedankens FOUCAULT, Sorge, S. 60-93.

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da er jedoch an der Wand sitzt und zwischen seinen Nachbarn eingezwängt ist, kann er sich nicht diskret Erleichterung verschaffen.'" Bei der Darstellung der für ihn so heiklen Situation erreicht Proben eine Unmittelbarkeit imd Plastizität, die in der Chronik selten ist. Details des äußeren Verhaltens werden unmittelbar verbunden mit psychischen Dispositionen: [...] derhalben dorfi er sich nit bewegen oder regen. Ängsten halb, wie billich, gieng im der schweis auß, also das im die hellen tropfen an der stürnen und im ganzen angesicht lagen und menigdichen wol sähe, das im was angelegen; aber niemandts wust, was. Es solts auch damals niemandts wissen [!] (ГУ,273,34-39). Proben lähmt die Angst, er könne die Kontrolle über seinen Schließmuskel verlieren und zum Gespött der ganzen Tischgesellschaft werden: Nun wardt im aber so bald er hünder den disch und in ein solchen pferich kommen, im leib etwas unrecht, also das er wol vermarkt, wover er sich vil ob disch ieben oder bewegen, das im sollichs zu grasen unstaten, ja auch zu grasen schänden und spat würde geraichen (IV,273,25-30). Die Dramatik, mit welcher Proben seine Situation schildert - er spricht von höchster not wird nur dann verständlich, wenn man das labile Selbstwertgefühl des Chronisten, das sich gerade auch in hierarchisch strukturierten Beziehungen manifestiert und einen Ausgangspunkt in der Kujonierung durch den Vater und den Onkel Gottfried Wemer hatte, einbezieht."·* Das bestätigt der Bericht über ein weiteres Reiseereignis. Proben erzähh in seinem Bericht von einer Begebenheit, die sich in der Nacht zuvor in einem Wirtshaus zu Schweighausen (Schweighous-s-Moder) bei Hagenau im Elsaß zugetragen hat. Hier war Proben vom Doyen der Gesellschaft, Wilhelm von Eberstein, aufgefordert worden, sich in der Nacht neben ihn zu legen. Diese Ehre jedoch kann Proben nicht annehmen, wieder plagt ihn die Angst vor aufgezwungener Reglosigkeit: Dann [Proben] bedacht, so er sich zum alten herren legen und im stro nit regen dörfle, das ine solchs beschwerlich würde ankommen, auch sich desen nit wol würde kinden enthalten (1^271,310·.). Zwar sucht sich Proben einen anderen Platz, wo er sich rühren kann, aber dort ist er der kalten Zugluft ausgesetzt. Zudem beeinträchtigt Proben in der Nacht noch ein Bauer, dem stank der huef so stark, das einer vermaint salte haben, das im der athem würt vergangen sein (IV,272,2ff.). Warum aber nimmt Proben, der solche Angst vor einer Bloßstellung hatte, dies alles in die Chronik auf, wo die Möglichkeit besteht, daß der Leser in eben jenes Lachen ausbrechen könnte, das in der konkreten Situation um jeden Preis verhindert werden soll? Offenbar ist der Bericht auch ein Stück Reflexion über eine vergangene Lebensphase, somit kann er in der Retrospektive mit Humor Distanz zu seinen damaligen Ängsten gewirmen. In dieser Passage - ähnlich wie bei der oben erwähnten Selbstkritik - übernimmt die Chronik für Proben eine andere Punktion. Indem er sein eigenes Leid und seine eigenen Pehler darstellt, wirkt das Schreiben kathartisch, kaim er sich seine noch immer vorhandene Prustration über das krankmachende Mißgeschick dieser Reise von der Seele schreiben."' 893

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In dieser schwankhaften Handlung beschreibt Proben sehr plastisch, was einer Frau in einer ähnlichen Situation widerfahren ist. Als sie schließlich in Panik über den Tisch springt, läßt sie ein michels kegele d a r a u f f a l l e n ( 1 1 , 1 3 2 , 2 1 - 1 3 3 , 7 ) . Vgl. dazu auch ЬшвкЕСНТ Π, S. 3 9 4 , der dies als einen "tragischen Vorfall" bezeichnet. Siehe dazu auch J E N N Y , Proben, S. 9 6 - 1 0 2 . Die anderen Beobachtwgen und Erlebnisse, die Frohen unterwegs macht, sind nur dann vermittelnswert, wenn sie an Ereignisse in der Heimat angebunden werden oder an andere Diskurse angelagert sind. So werden etwa die besuchten Sehenswürdigkeiten in Trier und Brüssel nur kurz erwähnt, und selbst die Hochzeit, das eigentliche Ziel der Reise, wird nur am Rande geschildert A V , 2 9 4 , 3 5 ) .

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5.8.2.2. Der Wert änigmatischen Sprechens - Frobens Konflikt mit dem Vater Zentrales Medium zur Konstituierung einer eigenen Individualität ist die Abgrenzung und Selbstbehauptung gegenüber dem Vater. Proben hat seinen Vater offenbar gehaßt, aber meistens verbirgt er seine Aggressionen und vermeidet offene Invektiven. Allerdings ist seine Kritik deswegen nicht weniger wirkungsvoll, sie ist jedoch kunstvoll integriert in andere Diskurse - in den dynastiegeschichtlichen, den ökonomischen, ja selbst den ästhetischen - imd ergibt sich implizit aus den in diesen Diskursen gehenden Werten. Dementsprechend kann Proben den Vater dort positiv würdigen, wo er sich in der Rolle des Territorialherm um die Dynastie verdient gemacht hat. Seine persönliche Beziehung zu ihm beschreibt Proben freilich als ein einziges Desaster. Entsprechend seiner Vorstellung von der anhaltenden Wirkung vorgegebener Verhaltensmuster wird das Zerwürfiiis bereits in die erste Begegnmg mit dem Vater verlegt: Als Proben mit neun Jahren zum ersten Mal nach Hause kommt, wird er vom Vater wegen einer Lappalie zu Boden geschlagen (111,138,2-14). Dies kritisiert der Chronist freilich nicht selbst, sondern rekurriert auf die damaligen Begleiter, die für den Knaben verantwortlich sind und deswegen nit wol zu friden (III,138,15f.). Dieses Ereignis stilisiert Proben nun zur Ursache dafiü·, daß Vater und Sohn in Zukunft meglen zu balden tailen wol ohne einandern sein (III,138,26f ). Neben dem Jähzorn verwendet Proben als weiteres Leitmotiv für die Abwertung des Vaters dessen Verschwendungssucht und Geiz gegenüber den Kindern: [...] was man hat sollen uf die studia verwendten, das ist alles zuvil gewest, sonst darneben ist verthon worden, schier was da ist (111,139, 26ff.)."* Diesen Widersprach erwähnt Proben des öfteren so ostentativ, daß der Leser geradezu auf die verborgenen Hintergründe neugierig wird. Obwohl Proben immer wieder die finanzielle Notlage schildert, in die der knauserige Vater seinen Sohn bringt,'" so verrät er nirgends, wohm das Geld aus den Besitzverkäufen und den Abgaben fließt. Dies eröf&iet der Chronist erst mittels zweier Erzählungen, die kommentierend aufeinander bezogen sind. Im 154. Kapitel berichtet er, wie er zum großen Verdruß des Vaters unangemeldet zu Hause erscheint und den Pamiliensitz gleich wieder verläßt. Den Grund verschweigt Proben, er erwähnt lediglich, daß er zum Abschied einen Bibelspmch als Menetekel an die Wand geschrieben habe: Der stain, den die werkmaister verworfen, ist zu eim schloßstain gemacht worden. Proben erläutert auch hier nicht, was dieses Menetekel bedeuten soll, aber er gibt mit Hilfe einer historischen Anekdote einen Hinweis auf den Kontext, in dem sein Handeln gedeutet werden kann:

Im Anschluß an diesen Satz erweitert Proben seine Kritik am Vater, indem er ihn noch der Ignoranz bezichtigt: Es ist auch der zeit ein solicher haß oder Verachtung über die studia gewesen, dessen sich zu verwundem, gleichwol, wie man sagt, die künsten nit grösere widersecher haben, dann die unwissenden und die sie nit könden (111,139,28-32). Vgl. Ш,154,21-155,17; 231,8-11.

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Es war aber diß schreiben nit allain an sollichem Unwillen ein ursach, sonder es steckt noch etwas weiters darhünder, dann es het domáis ain seltzame haushaltung in Falkenstain, welches dem jungen Herren wee thett. Und wiewol es weislicher gewest, stil geschwigen und temporesiert, auch der zeit erwartet, die doch letstlich kam, als der allmechtig ain benüegen hat an der langwirigen miseria und unfahl des zimbrischen geschlechts, da kont der jung nit Inhalten. Er ließ sich ujreden, das er sagt, so im weger gewest geschwigen, sonderlichen mit der historia, die sich einest bei zeiten und regierung könig Caries von Frankreich, des sibenden dises namens, zu Turs begeben. (111,232,16-27)

Diese historia handelt also vom Zerwürfiüs zwischen Karl VII. und seinem Sohn (111,232,27-233,28): Der König hatte sich von seiner Gemahlin ab- und einer Mätresse zugewandt. Als sich die Mutter bei ihrem Sohn bitter darüber beklagt, schwört der Sohn Rache - wenig bedenkent, was hieraus ervolgen mecht. Er paßt die Mätresse behn Krchgang ab, zieht sie vom Pferd und schlägt ihr Gesicht und Mund blutig. Nur mit Mühe und Not kann sich der Dauphin vor der Rache des Vaters ins Exil nach Burgund retten. Proben setzt seinen Auftritt in der Chronik gezieh in Szene - er erzählt die historiam [...] mit etwas affect, als die jugendt thuet - und bewirkt damit den grasen Unwillen und dass missvertrawen, das hernach des alten herren lebenlang für und für geweret und nie nachgelassen hat (111,233,28-33). Was er damit bezweckte, erläutert Proben nicht, aber fìir den Leser lassen sich die ausgelegten Päden zu einem sinnvollen Ganzen verknüpfen: Proben spielt auf ein Konkubinat {seltzame haushaltung) seines Vaters an,"' und damit erklärt sich auch der kausale Zusammenhang zwischen Geiz gegenüber dem Sohn, der Vernachlässigung dynastischer Pflichten und der Verschwendungssucht. Aus dieser Perspektive läßt sich auch ein Indiz fur die Punktion des Sexualitätsdiskurses in der Chronik gewinnen. Probens Interesse an der Wirkung der Sexualität wird offenbar von einer persönlichen Erfahrung gespeist, in der er die Vermischung von Begierde und dynastischen Interessen als extreme Bedrohung erlebt hat. Sein (indirekter) Vorwurf ist jedoch nicht moralischer Natur, er betrifft jene Naht zwischen Pamilieninteresse imd sexueller Begierde, die aus dem privaten Akt einen öffentlichen macht. Genau an diesem Übergang zwischen den Diskursen sind eine Vielzahl der in diesem Abschnitt enthaltenen Geschichten aus dem Bereich der Sexualität'" angesiedelt, sie versuchen in

' Proben lehnt das Konkubinat nicht aus moralischen Gründen ab, sondern "wegen der güterrechtlichen Erfahrungen, die das Haus Zimmern mit Bastarden seiner männlichen Mitglieder gemacht hat" (BADER, Chronik, S. 27). ' Dazu gehört etwa das Thema 'Gelehrsamkeit und Sexualität', welches Proben anhand eines bedeutenden Gelehrten jener Zeit, des Rhetorikprofessors und Humanisten Melchior Volmar aus Rottweil, vorführt. Er würdigt zwar Vohnars großes Wissen, seine Sprachkenntnisse m d Preigebigkeit, aber eigentlich erwähnt er ihn wegen einer Anekdote, die einen folgenreichen Seitensprung seiner Frau zum Gegenstand hat: Volmars Prau bekommt ein Kind von ihrem Geliebten. Als es kurze Zeit nach der Geburt stirbt, trauert Volmar um 'sein' Kind, was etlic spaikatzen fast vor lachen zerbrechen ließ, da jeder weiß, daß Volmar nicht der wahre Vater

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letzter Konsequenz, die Trennimg von Öffentlich und Privat als Strategie der Vermeidung derartiger Konflikte zu postulieren. Die Geschichte von Frobens Zerwürfiiis mit dem Vater leistet einen wichtigen Beitrag für die Analyse von Frobens Poetik. Zunächst überrascht es nicht, wenn er weder den Aniaß für das Zerwürfiiis mit seinem Vater noch die Namen der Beteiligten nennt. Dies entspricht seinem Grundsatz, wonach man die Fehler der Herrschenden nur indirekt anzeigen darf. Aber auch wenn sich Proben dieser Norm weiterhin verpflichtet fühlt, so sucht er doch nach Möglichkeiten zu kritisieren, ohne die Hierarchie in Frage zu stellen. Dies führt zu der Erzählung über die fi-anzösischen Zustände, welche - deutliche Züge einer Literarisierung tragend - die besondere Leistung indirekten Sprechens'"" als eines Zwischenwegs zwischen Schweigen und offener Anklage belegt. Wie wichtig das periphrastice umbreden (111,256,lOf) fìir Proben ist, beweist ein Nachtrag zu dieser Stelle (Nr. 395; 111,233,34-234,20), der noch einmal die Brisanz, die sich hinter dieser Thematik verbirgt, illustriert. Anhand einer Parallelsituation demonstriert Proben, was geschieht, wenn ein solcher Konflikt offen ausgetragen wird. Die von Proben wahrscheinlich fi-ei erfundene Geschichte ist selbst wieder ein Beleg für indirekte Lehre, weil sie nirgends auf die zimmerische Situation Bezug nimmt, sondern eher beiläufig erzählt wird. AngesiedeU ist sie in der Familie der Lichtenberger,'"' wo sich ein Herr Haneman von seiner Ehefi-au trennt und einer Konkubine namens fraw Lisa zuwendet. Die Konkubine erreicht, daß ihre gemeinsamen Kinder erbberechtigt werden. Als der eheliche Sohn Hermann dagegen aufbegehrt, enterbt ihn sein Vater kurzerhand. Dies ist für den Sohn der casus belli·. Er setzt den Vater gefangen, tötet dessen Geliebte und entläßt ihn erst, nachdem er sein Testament widerrufen hat. Wenn Proben dem Mord an der Geliebten und der Gefangennahme des Vaters applaudiert, darm mögen hier noch seine jugendlichen Rachephantasien nachhallen, aber zugleich entlastet er sich mit dieser Geschichte von der Frage, warum er nicht selbst offen gegen seinen Vater aufbegehrt hat. Dem jungen Lichtenberger gelang die Empörung nur, weil er mit Zustimmung seiner ganzen Verwandtschaft handeln konnte (111,234,15-20). Diese aber - so deutet Proben mit der ist. Eine gewisse Weltfremdheit bleibt - wie auch ein kürzeres zweites Beispiel über den 'Eunuchen' Carinus (111,164,19-23) zeigt - die von Proben bevorzugte Art, Intellektuelle zu charakterisieren. In Form der Anekdote greift Proben Themen auf, die ihre Basis in der Sexualität des Betreffenden haben. Die Verspottung Vohnars resultiert nicht - wie JENNY (Proben, S. 73) vermutet - aus Frobens Aversion gegenüber Volmars lutherischer Einstellung, von der die 'Zimmerische Chronik' kein Wort berichtet, sondern rührt aus dem Versuch, bekannte und berühmte Menschen jenseits ihrer intellektuellen Fähigkeiten in ihrer Leiblichkeit zu zeigen. Anhand des Volmar-Beispiels will Proben zeigen, daß auch die Gelehrsamkeit kein hinreichendes Mittel zur Bewältigung elementarer Lebensprobleme ist, und sich in Lebenskrisen auch der Gelehrte wie ein Narr verhält. Vgl. hierzu auch IN,238,5FF. Hier lobt der Chronist einen rechten predicanten, der eint grasen potentaten het seine mengel mit verdeckten und höflichen warten dörfen anzeigen. Vgl. unten S. 4 2 8 .

Vgl. dazu HESS, Beiträge, S. 47-77, bes. S. 58f und 73.

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Analogie an - hätte er gegen seinen Vater nicht bekommen.'"^ Insofern steht das verhülhe Sprechen anstelle der Tat und ist als pragmatische Handlungsanweisimg an den Rezipienten zu verstehen, mit derartigen indirekt kommentierenden Geschichten in prekären Situationen die eigene Haltung der Öffentlichkeit zu vermitteln und zugleich einen offenen Konflikt zu vermeiden.'"' Auch ist nicht zu übersehen, daß Frohen, der mittlerweile selbst Regent imd Vater geworden war, keineswegs einer offenen Rebellion gegen die väterliche Autorität das Wort reden will. Der Wert änigmatischen Sprechens liegt auch darin, daß durch die Verhüllung des Gegenstandes eine eindeutige Stellungnahme, die angesichts der Komplexität der Problematik gar nicht in hinreichender Weise gegeben werden karm, vermieden wird. Mit dem gewählten Modus verlangt der Chronist dem Leser eme Deutungsleistung ab, die ihn die möglichen Konsequenzen einer bestimmten (familiären) Konstellation selbständig erkermen lassen. Dieses Verfahren bleibt in der Chronik auf Passagen beschränkt, die ganz offensichtlich nach literarischen Mustern gestaltet sind, oder deren Literarizität durch das periphrastice-^^Kchsa begründet wird. Der scheinbare Widerspruch zwischen verhülltem und offenem Sprechen über dasselbe Thema ist demnach nicht Folge einer unsystematischen oder unkonzentrierten Argumentation, sondern eines spezifischen poetologischen Verfahrens, das sich so zusammenfassend beschreiben läßt: Das Erzählen mit verdeckten warten ist in hierarchisch geprägten Situationen allein angemessen, da es die Grenze zwischen öffentlichem und privaten Raum emhält,®^ es hat in der geselligen Kommunikation den höheren intellektuellen und ästhetischen Wert imd aktiviert das Deutungspotential des Rezipienten, der die verschlüsselte Erzählung auch auf sich selbst beziehen karm. Erneut kommt damit der epistemologische Grundsatz des Autors zum Vorschein, wonach Erkenntnis auf Denken in Analogien beruht. In Wirklichkeit befürchtete Proben stets eine Enterbung durch seinen Vater, wie dieser offenbar ständige Furcht vor einer Entmündigung durch den Sohn hatte. Denn zu Beginn des 161. Kapitels, als Proben nochmals seine unerlaubte Rückkehr aus Frankreich erwähnt, gibt er selbst eine Deutung für die Wut des Vaters darüber, daß der Sohn ohne seine Zustimmung nach Hause zurückgekommen wäre: [...] im grundt [!] aber het es ain andere mainung; dann er besorgt, es würde ain pratik wider ine gemacht oder das durch underhandlung der freundtschaft dem jungen herren ein grösere compotenz und underhaltung megte geschepft werden [...] (Ш,327,37-328,4). Es überrascht nur auf den ersten Blick, daß Proben anläßlich des Todes seines Vaters den Namen der Geliebten dann doch nennt, offen über die Art der Beziehung spricht und sie verurteih (Ш,620,8-621,1). Eine Erklärung dafür findet sich einerseits in der selektiven Darstellungsmethode des Chronisten, der an unterschiedlichen Stellen verschiedene epistemologische Ziele verfolgt: Anläßlich des Todes seines Vaters muß er dessen testamentarische Verfügungen erwähnen und deswegen auch auf die abzufmdenden Bastardkinder Johann Werners zu sprechen kommen. Andererseits signalisiert Proben damit auch, wann der Zeitpunkt für die Offenbarung gekommen ist. Der gesamte Bericht Probens über Sterben und Tod des Vaters fällt äußerst distanziert und kurz aus (Ш,616,22-617,41). Vgl. zur Überzeugung der Gelehrten der Renaissancezeit, wonach die Wahrheit vor dem Zugriff der Menge zu schützen ist, MÜLLER, Gedechtnus, S. 185ff.

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5.8.2.3. Soziale Identität - Die Verleihung des Grafentitels Auch wenn Proben in der Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper und in der Abgrenzung vom Vater ansatzweise Individualität entwickeh, so ist in der Chronik sein zentraler Fokus nach wie vor auf die Stellung der eigenen Dynastie innerhalb des südwestdeutschen Adels gerichtet. Insofern sollte man erwarten, daß Proben die Erhebung des Geschlechts in den Grafenstand im Jahr 1538 vorbehaltlos begrüßt.'®' Hier jedoch zeigt sich, wie diese Thematik, die ja der Anlaß fur die Aufiiahme der Arbeit an der Familienchronik gewesen war,'"' bereits ihre Eigendynamik entwickeh hat. Das logische Dilemma bestand für Proben darin, daß er die Zugehörigkeit der Zimmern zum hohen Adel für die Prühzeit des Geschlechts bzw. die Standesgleichheit von Grafen und Freiherren bereits 'nachgewiesen' hat. Insofern hätte es eigentlich keiner Erhebung der Dynastie m den Grafenstand mehr bedurft. Im übrigen hatte Proben den Wert einer Standeserhöhung mit semen Berichten über fragwürdige 'Standesproben' gründlich relativiert,'"' und angesichts seiner allgemeinen Dialogisierung politischen Handehis lag für ihn die Einsicht nahe, daß die Erhebung in den Grafenstand keineswegs den Fortbestand des Geschlechts sichern würde, sondern angesichts zunehmender inneradliger Konkurrenz - auch kontraproduktiv sein konnte. Aus dieser Logik erklärt sich denn auch die Vermischung von chronikalischer imd schwankhafter Rede selbst in diesem für die Zimmemgeschichte so zentralen Abschnitt. Der Darstellung des eigentlichen Rechtsakts geht als reichlich irritierende Exposition ein Kapitel (151) voran, in dem die bekaimte Geschichte des Rattenfängers von Hameln,'"' die Proben nach Meßkirch verlegt, erzählt wird. Zentral ist in Frobens Adaptation allerdings weder das Verfuhrungs- noch das Untreuemotiv, sondern die verheerende Wirkung des Gei-

^

Die reichsunmittelbaren Freiherren von Ziimnem waren seit 1521 in der Reichsmatrikel aufgeführt und saßen auf der Grafenbank. "Die Erhebung [...] in den Grafenstand (Titulargrafen) änderte an ihrem Rechtsstatus nichts" (HEŒ)ENREICH, Schloß, S. 127). Die historische Forschung sieht die 'Zimmerische Chronik' zu Recht als Teil eines allgemeinen Versuchs, den Aufstieg in den Grafenstand zu überspielen. Vgl. dazu jetzt zusammenfassend TRUGENBERGER (Wappen, 340ff.). - Die Ausmalung eines repräsentativen Raums im Schloß Wildensetin mit den Motiven des 'Jüngeren Sigenots' ließe sich mit der gerade überstandenen Werdenberg-Fehde erklären: Auch Dietrich und Hildebrand sind, nachdem sie vom Riesen Sigenot gefangen worden waren, nur mit knapper Not dem Tod entkommen. Vielleicht sah Gottfried Werner in dieser Geschichte eine Allegorie auf den jüngst glücklich überstandenen Konflikt, und insofern wäre der Freskenzyklus alles andere als ein "'Abmalen' ohne gesellschaftlich-repräsentative Stellungnahme" (CURSCHMANNAVACHINGER, Berner, S. 389). Zu den Fresken und ihre Datierung vgl. ebd., S. 385 und CURSCHMANN, Zyklus.

'*" Vgl. dazu die widersprüchlichen Geschichten, die Proben anläßlich des Eintritts seines älteren Bruders, Johann Christoph, (1519-1556/7) in das Straßburger Domkapitel erzählt (Kap. 146). Da von den Bewerbern ein lückenloser Ahnermachweis bis ins 11. Jahrhundert erwartet wurde, kam es dabei fast zwangsläufig zu Fälschungen und phantastischen Entwürfen, die Froben auch mit gebührender Ironie bedenkt. " " Diese Geschichte ist bereits in Jobus Fincels 'Wunderzeichen' (ed. prin. 1556-62) enthalten. Vgl. dazu BRÜCKNER, Volkserzählung, S. 437.

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zes. Die Quintessenz, die Proben aus der Geschichte zieht, lautet nämlich, daß die schlauen Bürger der Stadt irer aignen dorhait und karkhait vìi mehr, dann dem unfahl, die schuldt geben müesen (III,199,34f.). Der Begriff des unfaal hat in der 'Zimmerischen Chronik' bekanntermaßen Signalcharakter,'"' er wird von Proben zur Kennzeichnung für die langjährige Phase des Niedergangs seines Hauses verwendet. Die Parallele zwischen beiden Ereignissen liegt auf der Hand: Die Bürger von Meßkirch/Hameln haben sich durch die 'kostenlose' Vertreibung der Ratten einen kurzfristigen Vorteil verschafft, indem sie jedoch die Konsequenzen ihrer Zahlungsverweigerung nicht bedenken, fügen sie sich einen weit größeren Verlust zu. Dasselbe geschieht nun den Zimmern nach ihrer Erhebung in den Grafenstand. Da ihnen dieser in den Augen ihrer adligen Nachbarn nicht zusteht, geraten sie dadurch selbst mit ihren engsten Preunden in Konflikt. Man wird freilich daraus nicht unbedingt auf eine prinzipielle Kritik des Autors an der Standeserhöhung schließen dürfen."" Dem widerspricht schon die nachhaltige Betonung der früheren Standesgleichheit von Preiherren und Grafen sowie die konkret benannte Purcht, der Kleinadel könne angesichts der Verleihung des Adelsstandes an kaufleut und ganz geringe leut ires herkommens erheblich an Ansehen verlieren. Wenn freilich Proben schon im Vorfeld der Standeserhöhung eine literarische Geschichte erzählt, die die verborgenen Kosten schnellen Gewinns thematisiert, dann deutet dies auf einen Versuch des Autors, divergierende Aussagen miteinander zu verbinden: Durch die Warnung vor dem hohen 'Preis' werden andere Preihermgeschlechter zur Überprüfung eigener ständischer Ambitionen bewegt, ohne daß damit gleich von vornherein die eigene Standeserhöhung diskreditiert wird. Probens ambivalente Haltung gegenüber der Standeserhöhung wird auch in dem eigentlichen 'Grafungskapitel' (Kap. 152) sichtbar. Zunächst wird nochmals die zentrale These wiederhoh, wonach es früher keinen gravierenden Standesimterschied zwischen Preiherren und Grafen gegeben habe und die Zimmern einst die Grafschaft Magenheim besessen hätten," ' dann folgt die Abschrift des kaiserlichen Privilegs vom 24.5.1538. Dieses bietet eine Überraschung, denn das eigentliche Argument für die Berechtigung, den Grafentitel zu ftihren, die angebliche Magenheim-Herrschaft, wird in dem Privileg gar nicht erwähnt. Die oflßzielle Begründung der kaiserlichen Kanzlei fallt in wesentlichen Teilen ohnehin ganz anders aus als Proben in seiner Chronik vermittehi möchte, und dies wirft die Präge auf, warum er den Widerspruch so unvermittelt nebeneinander stehen läßt. Während er die Verleihung des Grafentitels aus der geburtsmäßig begründeten Tradition ableitet und als wi' " ' Vgl. zu diesem Zentralbegriff der 'Zimmerischen Chronik' oben S. 2 3 3 f , 274f Auch im Spätmittelalter war die Erhebung in den Grafenstand für Freiherren noch attraktiv (vgl. KiUEGER, Lehenshoheit, S. 269 mit Beispielen in Anm. 159). " ' Kernpunkt von Frobens Argumentation ist seine geschichtliche Konstruktion, nach der die Zimmern nie auf Lehen gesessen hätten. Vgl. dazu SCHEYHINO, Eide, S. 2 8 9 Í und KRIEGER, Lehenshoheit, S. 300. Vgl. dazu auch oben S. 164f, 180f

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deramemung des graventitels (111,211,1 Of.) definiert, legt das Privileg Karls V. das argumentative Gewicht auf den 'Dienst- und Tugendadel' der Zimmern."^ Mit dem Hinweis auf den geleisteten Reichsdienst benennt das Privileg also genau jenes Kriterium, welches Proben kurz zuvor anhand der Nobilitierung bürgerlicher Familien imd Personen so entscheidend als Grund fiir eine Standeserhebung verwarf. Proben war sich des Widerspruchs bewußt, denn nicht umsonst verschweigt er, daß die Standeserhebung der Zimmern den sozialen und politischen Aktivitäten Wilhelm Werners zuzuschreiben ist und nicht einem ständischen Gerechtigkeitsempfmden des Herrschers. Gewollt hat Proben dieses implizite Eingeständnis der Brüchigkeit seiner 'Grafschaftstheorie' wohl kaum, aber er konnte das kaiserliche Privileg nicht übergehen, und so bricht sich die Konstruktion des Chronisten an den mitgeteilten 'Pakten' und enthüllt sich dadurch als Piktion. Seine Haltung gegenüber der Standeserhebung"' veranschaulicht Proben anhand eines eigenen Erzählkomplexes, in dem er die Würde des neuen Standes mit den kleinlichen Streitereien zwischen den frisch gegraften Brüdern bzw. mit der eigenen Ängstlichkeit konfrontiert. Johann Werner hält die Standeserhöhung für unsinnig und gerät mit seinen beiden Brüdern über die Kosten in Streit, ihnen zu widerdrieß nennt er sich graf Micheln von Klainen-Egipten,

Ш,208,23-27: [...] darumb zu etwas ergetzlichkait solcher irer und irer voreitern angenem und getrewen diensten, andern zu beispill und anraizung zu gueten, adellichen lugenden, uns und dem reiche zu dienen [...]. Eine ähnliche Argumentationsstruktur findet sich in der Bestätigung der Adelszugehörigkeit der Kröll von Grimmenstein durch Maximilian (vgl. LUDWIG, Kröll, S. 35ff. Seine Prophezeiung der negativen Konsequenzen löst Proben ein mit dem Bericht über die zwei Jahre später liegende Landenberger Fehde (Kap. 157-159). In der Kapitelfolge ist dieser Komplex zwar nicht unmittelbar an das Grafenstandskapitel angeschlossen, aber dazwischen liegt lediglich der autobiographische Abschnitt zu Frobens Studium in Frankreich (1539/40), der aus chronologisch-inhaltlichen Gründen an keiner andern Stelle stehen kann, denn die Landenberger Fehde ist der Anlaß für die Rückkehr des Studenten nach Hause. Die drei Kapitel über die Landenberger-Fehde gegen die Reichsstadt Rottweil und die beiden Grafen Johann Werner und Gottfried Werner sind deutlich als selbständige Einheit geschaffen, in welcher der Chronist angesichts eines relativ 'harmlosen' Ablaufs der Ereignisse - der Landenberger unternimmt einige Streifzüge gegen Rottweil und Zinraiem und zerstört zwei Dörfer - vornehmlich eine Reihe anderer Informationen und Wertungen unterbringt: die Vergangenheit der Reichsstadt Rottweil (Kap. 157), den Kampf um die 'freie Pirsch", die Geschichte der Landenberger und vor allem eine eingehende moralische Würdigung des Verhaltens der Fehdeführenden. Und hier schüttet Froben gleichermaßen seinen Zorn und Spott über die Feigheit der Stadt Rottweil und ihrer 'Hasenräte' wie über die Vatergeneration aus. Mit sichtlichem Genuß läßt Froben dabei anonyme Dritte zu Wort kommen, die graf Gotfridt Wernhers große Forchi und entSitzen verspotten. Der Grund fllr dessen Ängstlichkeit ist nun genau jene Standeserhöhung, die die psychologische Folge hat, daß Gottfried Wemer überall Haß und Neid vermutet und sogar die eigene Verwandtschaft als Anstifter des Landenbergers sieht. Froben selbst nennt die Namen der verschworenen haimliche[n] jünger nicht, obwohl er es durchaus vorhatte, denn in der Handschrift blieben acht Zeilen für den späteren Nachtrag leer (Stuttgart, WLB, Cod. Don. 580, S. 789).

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einem Zigeuner nach, der also vor jaren wolt gehaisen sein (111,211,13^)."" Frobens Resümee mündet wiedenm in einer charakteristischen, unaufgelösten Ambivalenz und der vagen Hof&iung, daß mit der Zeit der neue Stand allgemein akzeptiert wird: Het gleichwol des gespöts [Johann Werners], das er hiemit trib, nichs hedurfi, dann andere missgönstige dessen nur zu vil triben, wie es dann pfligt zu geen und andern hievor in solchem fahl auch begegnet ist, die sich gleichergestalt wol leiden müesen. Und ist nit weniger, es gibt ain solche newerung ain haß zu allen theilen, insonderhait bei den herren, die hassen solche als desertores ordinis, die graven aber walten sie gern münder achten, dann die herren, uf mainung, als ob sie des stands nit genoß oder würdig weren. Und mueß man die leut reden lasen, die gens köndens nit; in zehen oder zwainzig jaren verjäret es und ist den leuten nit mehr so seltzam. (Ш,211,16- 27)

Wie gering der unmittelbare Nutzen des neuen Standes im Alltag ist, verdeutlicht Frohen mit einer autobiographischen Anekdote: Als er zusammen mit einem Diener das Diplom in Augsburg abholt, bekommt er in einer Gastwirtschaft am Samstagabend kramatsvögel vorgesetzt. In der Furcht, der Diener würde ihn des flaischessens halb uf verbottene zeit dahaim verrathen läßt er die Delikatesse unangetastet, so daß sie der Wirt witzigem leuten vorsetzt. Der frisch gekürte Graf in Angst vor dem Diener und dem Vater - besser hätte Frohen den normativen Druck seitens der Familie und die Belanglosigkeit des ständischen Erfolgs für das eigene Lebensgefühl nicht charakterisieren können. Frobens Distanz gegenüber der Standesverbesserung schlägt sich im ironischen Stil nieder, der im 152. Kapitel dominiert. Dieser Modus des uneigentlichen Sprechens erscheint Frohen besonders geeignet zu sein, mit der externen wie der hausintemen Kritik umzugehen, d. h. sie sich partiell zu eigen zu machen. Ein besonders aussagekräftiges Beispiel ist die Darstellimg des neuen gräflichen Wappens der Zimmern, dessen 'Quartierung' zum Symbol fiir die Zwietracht im Hause wird. Der Autor versteckt sich hinter dem Ausspruch eines anonymen höflich manfs], der das neue Wappen auslegt: Wie aber ein so grose menig der geschlechter zu grundt gangen, do haben die quartirten wappen ein anfang genommen, das doch vor alten Zeiten gar nit gebreuchlich, sonder zum höchsten ist verachtet worden [...], insonderhait aber, seitmals das [zimmerische] wappen ie hab sollen quartiert sein, so were doch zuversichtlich glücklicher gewesen, die lewen hetten ainandem nachgesehen, dann das sie also wider einandem kratzen und krimmen. Derhalben uf ain zeit ain höflich man gesagt, die alten herren haben bedeutlichen diese quartirung bedacht und ire aigne handlungen artlicher nit künden an tag geben, dann ire wappen ire aigne zwitracht furzumaln, das die lewen also wider ainandern, derhalben hernach der zimbrisch leo herum sehend, ime auch baide äugen gemalt worden, damit den nachkommen zu bedeuten, das der leo nit allain für Ganz anders verhält sich dagegen Gottfried Werner, der sich jetzt als Graf und Herr anreden läßt (vgl. Nachtrag Nr. 317 = Ш,211,28-39).

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sich, sonder auch beseits und hünder sich, war künftig, bedenken soll. Der allmechtig verleihe doch einmal sein götliche gnad, das der zimbrisch leo mit baiden äugen wider gesehe. (Ш,216,28-217,7)

Proben gibt mit dieser emblematischen Deutung zugleich auch einen wesentlichen Grund für seine eigene Arbeit preis. Er hat die Augenstellung des zimmerischen Wappentiers richtig interpretiert und deswegen sein Werk so angelegt, daß dem Leser als Handlimgsmaxime nahegelegt wird, bei Entscheidimgen die Interessen aller Betroffenen in die Überlegungen einzubeziehen. Der Modus, in dem er dies vorträgt, ist erneut der des perípArosí/ce-Sprechens, und dazu gehört neben der Deutung der in der invocatio enthaltenen Gleichsetzung von Wappentier und Familie auch seine Reaktion auf die Idee Johann Werners, sich ein neues Wappen mit einem grünen Vogel malen und in die Fenster eingravieren zu lassen: Nach dem Tod Johann Werners sind diese, von Proben verachteten Wappenvögel zun fenstern hinauß geflogen (111,217,26f).'" Insgesamt betrachtet leistet die Verbindung von Chronikbericht, Anekdoten und der ironische Erzählstil eine deutliche Perspektivierung der Standeserhöhung. Auf diesem Weg gelingt es dem Chronisten, die divergenten Aspekte dieses zentralen Ereignisses der Dynastiegeschichte immer gleichzeitig präsent zu halten und damit die diesem Akt immanenten Gefahren dem Rezipienten nachdrücklich bewußt zu machen. 5.8.2.4. Status - Ehe - Sexualität und das weltbuech Für seine Heirat mit Kunigunde Gräfm von Eberstein hat Proben einen eigenen Abschnitt von drei Kapiteln (ITOflF.) angelegt. Der Umfang ist vor dem Hintergrund zeitgenössischer Autobiographien atypisch. Ludwig von Diesbach etwa widmet der eigenen Heirat nur wenige Zeilen; neben den allemötigsten Fakten erscheint ihm lediglich die Tatsache mitteilungswürdig, daß seine Hochzeit an jenem Tag stattfand, an welchem die Nachricht vom Tod Herzog Karls von Burgund nach Bern gelangte, was allgemein für ein besonders gutes Omen gehalten wurde.'" Proben dagegen erzählt nicht nur detailliert die geschichtlichen 'Pakten' - die vorangegangenen, geplanten xmd gescheiterten Heiratsabreden, Heiratsprophezeiungen, die Hochzeit selbst (170), das Herkommen der Ebersteiner (171), die Heimfuhrung der Braut nach Meßkirch, die Geburt der ersten Tochter (172) etc. - , sondern er vermischt dies mit einer Vielzahl von schwankhaften Kurzerzählungen, in denen die Gattung der obszönen Erzählung dominiert. In gewisser Weise faßt Proben jetzt all das zusammen, was er sich TRUGENBERGER (Wappen, bes. S. 345-353) hat überzeugend dargelegt, wie Gottfried Werner auf seiner Burg Wildenstein ein zimmerisches "Wappenprogramm" realisiert hat. Der Hinweis Frobens läßt darauf schließen, daß sich auch Johann Werner auf Falkenstein eine ähnliche bildhafte Manifestation des gräflichen Status erstellen ließ. Ludwig berichtet, die Bemer Bürger hätten den Zeitpunkt seiner Hochzeit mit den Worten kommentiert: 'Der jung halt eynss gelûckhaffttygen ttagss erwarttett ' (ZAHND, Aufzeichnungen, S. 68).

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bislang an relevanten Themen über Heirats- und Standesfragen erarbeitet hat, die drei Heiratskapitel repräsentieren mithin auch seine aktuelle Vorstellung davon, welche Erkenntnisse eine Hauschronik leisten muß. So stellt sich ihm bei der Heirat nicht nur die Frage nach den Motiven - finanzieller Nutzen, Statusverbesserung, Liebe - für die Eheverbindung, sondern er berührt genauso die Frage der Jungfräulichkeit der Braut und der Sexualität als zentralen Inhalt der künftigen Ehe. Es wäre für Froben ein Leichtes gewesen, diese Themen normativ m d separat abzuhandeln, aber sein Ziel besteht gerade darin, sie in ihrem Zusammenhang zu präsentieren. Dieser Aufgabe werden die eingefügten Anekdoten gerecht. Überblickt man die Geschichte von Frobens Brautwerbung, dann folgt sie einem klassischen Muster: Nach einigen Bewerberinnen, die zwar reich aber ständisch nicht adäquat sind und denen der Protagonist erfolgreich widersteht, ist schließlich die Gräfm von Eberstein die richtige. Nun hätte sich Froben ähnlich wie bei der Ehe zwischen Gottfried Werner und Apollonia von Henneberg - des Modells einer Minnebeziehung bedienen können, aber stattdessen bedient er sich des religiösen Paradigmas und nennt die Vorsehung als Grund für die Heirat.'" Gott und nicht die Liebe ist demnach das beste Argument gegen die Forderungen der Verwandtschaft. Froben sollte nämlich mit einer reichen Heirat die ([...] als es dozumal in allen zimbrischen sachen schregs stuende und dermasen, wie umb ain alts, bawfelligs haus, das augenblüchlingen den fahl trawet [...]; III,431,20flf.) nach dem unfaal marode Finanzlage der Dynastie sanieren. Doch Reichtum impliziert für ihn moralische Indifferenz. So äußert er sich über die vorhergegangene Ablehnung Annas von Zollem mit den Worten: Dieweil man aber ie ein narren haben muest, do sucht man den zu Mösskirch und zitiert Terenz' 'Andria': Quia obtrudi nemini potest, itur ad /ие.'" Über eine andere von ihm abgelehnte Heiratskandidatin, eine Freiin von Meersburg, schreibt er, bei dieser Familie sei alles uf hqfrecht^^^ und nur uf die monstranz zugegangen.

Froben behauptet, seine spätere Frau sei ihm im Traum erschienen. Um die Glaubwürdigkeit dieser Erzählung zu sichern, fugt Froben einen ganzen Diskurs über das Traumthema an dieser Stelle an. So wird auch das heikle Problem erörtert, was passiert, wenn die Frau den ihr im Traum erschienenen Mann nicht heiraten mag. Terenz, Andria, 1,5,16f. Die 'Andria' erscheint um 1470 in einem Straßburger Druck der Komödien des Terenz; 1499 auch in deutscher Übersetzung. 'Hofrecht' meint an dieser Stelle ein 'Recht', welches vom Herrn des Hofes selbst begründet worden ist, nur dort Gühigkeit hat und Handlungen erlaubt, die sonst eigentlich verboten sind (vgl. DWB X, Sp. 1696). - Als Beleg für dieses angebliche Recht eines Regenten bedient sich Froben wiederum der höfischen Literatur (vgl. zu dieser Methode auch oben Anm. 760). So charakterisiert er mißbilligend die (ausbleibenden) Folgen der lockeren Sitten am Hof des Grafen Wolf von Solms, indem er sie mit Markes Hochzeitsnacht in Bezug setzt: Wie man vermaint, ist es fasi könig Marxen von Comvellia, der schenen Isolden und dann der getrewen Brangien cortensia gewest (ffl,160,3ff.). Eine ähnliche Situation an einem anonym bleibenden Hof wird durch die angebliche Situation am Hof des König Artus illustriert (ffl,476,39ff.).

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Die Heirat mit Kunigunde erfordert die Abfassung eines Herkommens der Ebersteiner. Da Proben bislang auf Alter und Dignität eines Gesclüechts so großen Wert gelegt hatte, überrascht die Kürze, mit der er dieses Thema abhandeh. Zwar legt er dieselbe Struktur (Ursprungssage, frühes Heldentum, Wappensage) zugrunde wie bei früheren Herkommen, aber er skizziert nur noch. Maßgebend hierfür ist die Kluft zwischen genealogischem Anspruch und Realität. Obwohl einst reich begütert, haben die Ebersteiner im Lauf der Zeit ein feder nach der anderen verloren und sind nun politisch unbedeutend imd verarmt.'^" Proben macht sich gar nicht mehr die Mühe, einen Abstammungsmythos repräsentativ auszugestalten, er beläßt es bei vagen Vermutungen über ein hochadliges Herkommen und einen ehrenvollen Kampf gegen Otto I.'^' Aber auch dieses Verfahren zwingt ihn zu einer theoretischen Reflexion, er macht jetzt die Ambivalenz genealogischer Forschungen offenbar, denn das Ergebnis kann sich auch gegen die ursprüngliche Intention wenden, weil die Geschichte emes Geschlechts auch ein Abstieg sein kann: Darumb ist nit allwegen guet, von den geschlechtern und irem herkommen, auch von iren heiraten zu causiern; man verdient sich oft übel, so man zu nahe fragen will, sonderlichen da es die schaw nit wol mag erleiden [...] (111,448,34-38). Es bleibt offen, ob Proben hier elegant über die Problematik des Ebersteiner-Herkommens hinweggeht - sicher wollte er nicht seine eigene Eheentscheidung durch die Schilderung des alhnählichen Ruins der Ebersteiner diskreditieren oder ob er nach 25 Jahren genealogischer Forschungen generelle Zweifel an diesem Genre bekommen hat. Zwei Anekdoten, die dem EbersteinerHerkommen vorangehen, unterstreichen die Gefahren, die sich aus einem Widerspruch zwischen sozialem Anspruch und der Realität ergeben und thematisieren damit indirekt das Problem jeder Genealogie. Im ersten Beispiel (111,447,35-448,34) behauptet auf einem Reichstag ein Italiener seine Abstammimg von den deutschen Rheingrafen. Als der Rheingraf Jakob zu ihm sagt, eine itaUenische Linie könnte bestenfalls auf einen Bastard des Geschlechts zurückgehen, kommt es fast zu Handgreiflichkeiten. Noch deutlicher relativiert die zweite Anekdote (111,450,22-452,3) soziale Ansprüche anhand von Genealogien. Dort ist es ein Straßburger Gelehrter namens Peter Villenbach, der sich nach außen mit dem Adel auf die gleiche Stufe stellen möchte und dessen französische Schuhe mit langen Spitzen trägt. Dieser Verstoß gegen die Юе1derordnung bleibt nicht ohne Polgen, heimlich schneiden ihm Adlige die Spitzen seiner Schuhe ab. Eine vergleichbare Provokation - so suggeriert diese Anekdote im Vorfeld des Ebersteiner-Herkommens - vermeidet Proben, wenn er die fmanziell und politisch brisante Lage des Geschlechts nicht durch ein glänzendes Herkommen der Ebersteiner verbrämen will.

Der Gnmd für den Niedergang der Ebersteiner liegt in der Württembergisch-Ebersteinischen Fehde und deren Folgen. Vgl. dazu HOFMANN, Adel, S. 16-29. Vgl. zum Inhalt dieser SageFÖUEGVON HOCHFELDEN, Eberstein, S. 9f.

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Zwar liegt es thematisch nahe, in ein Heiratskapitel auch den Sexualitätsdiskurs einzubeziehen, aber überraschend ist doch die prominente Stellung, die das Thema der Jungfräulichkeit erhält. Direkt im Anschluß an den Bericht über die Hochzeit folgt ein Kapitel (173), das die Überschrift trägt: ff^as seltzamer handel ainer hebamma von der Scheer begegnet und von andern sachen, wie manchem gueten gesellen auch ein überbain in seinem heiraten Überbunden (III,465,28ff.). Der ungewöhnliche handel bezeichnet eine Geschichte mit dem Motiv der heimlichen Geburt, die Proben aus anderen Quellen entnommen hat,'" und die er über die Person der Amme von Frobens erster Tochter in die Geschichte der zimmerischen Dynastie integriert. Die Geschichte dient als abschreckendes Beispiel für die möglichen Folgen vor- bzw. außerehelichen Geschlechtsverkehrs, und Proben fügt noch eine ganze Reihe ähnlicher Betrugsgeschichten an. Mit heiterer Ironie erzählt er u. a. die Geschichte, wie die Schwiegermutter dem Bräutigam eingeredet wird, seine Frau habe ihr Hymen durch das instrument eines Arztes verloren hätte: Aber wie man sagt, kommentiert Proben, so ist es kein eisern instrument, sondern der rechten lebendigen pessaria eins gewesen, welches derselbigen zeit auch so vil gewürkt, das was lebendigs darauß worden (111,474,19-23). Das Thema wird so überlegen distanziert behandelt, als sei der Verlust der Jungfräulichkeit eine quantité négligeable - eine Haltung, die wenig zur rigorosen moralischen Kritik am vorehelichen Verkehr in anderen Partien der Chronik paßt. Wie ist dieser Widerspruch zu erklären? Zunächst belegt er die These, wonach sich in der Chronik die Diskurse verselbständigen. Auch köimte man die zahlreichen Beispiele für die vorehelichen Sexualkontakte, über die Proben so gelassenverständnisvoll berichtet, seiner eigenen Eheerfahrung zurechnen und darin den Versuch sehen, diese literarisch zu verarbeiten. Aber dies ist nur Spekulation, da Proben höchstens eine vage Andeutung über die Jungfräulichkeit seiner Frau macht.'" Vielleicht verbirgt sich hinter diesem Thema auch eine Resignation vor der 'Macht des Paktischen', der man nur mit Ironie und Dialogisierung begegnen kann. Und dementsprechend distanziert er sich auch nicht von seinem Ideal der vorehelichen Keuschheit, sondern kommt in einer letzten, die vorhergehenden relativierenden Anekdoten wiederum relativierenden Geschichte dann doch noch auf die Risiken außerehelicher Verhältnisse zu sprechen (111,475,27-476,25). Der Kem dieser Geschichte erinnert an ein Motiv, welches sich in anderer Variante auch in der 'Ringparabel' findet:'" Eine verwitwete Fürstin erzählt kurz vor ihrem Tod ihren drei Söhnen, daß einer von ihnen unehelich geboren sei. Die Söhne verzichten daraufhin zu erfahren, wer

Zur literarischen Tradition dieses Motivs vgl. ЬШВКЕСНТ Π, S. 395f. Der Chronist scheint vergessen zu haben, daß er die Geschichte bereits früher erzählt (n,423,38ff.) und dort sogar die Namen genannt hat. Einen Hinweis, wonach Proben persönlich von der Angelegenheit betroffen ist, bildet das auch in der Überschrift des 173. Kapitels. Siehe unten Anhang 2. Vgl. dazu Boccaccio, Decamerone 1,3.

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von ihnen der Bastard ist, weil keiner seiner Herkunft gewiß ist. Aber für Proben manifestiert sich wahrer Adel nach außen, letztlich sind es die person, die mores, die mechanischen künsten und exercitia und das ingenium (111,476,

22f.), die den offensichtlichen Beweis erbringen. Mit dem Hinweis auf das ingenium wird auch die intellektuelle Begabung und Kommunikationsfähigkeit auf hohem Niveau zum Kennzeichen wahren Adels'" - eine Eigenschaft, die Proben selbst fur sich reklamiert und mit diesen Schwankreihen unter Beweis steüt. Die Dialogisierung des Problems der Jungfräulichkeit bzw. der sexuellen Treue fiihrt Proben zu einer prinzipiellen Überlegung hinsichtlich der Präge nach den Grenzen menschlicher Erkenntnis. In diesem Kontext faUt dann auch der Begriff des weltbuechs, dessen Erkenntnis dem Menschen letztlich verschlossen bleibt: Undßirwar, es ist ein hele hab umb diese kaufmanschaft und geet seltzam zu under allen Stenden. Wer ist aber der, so das weltbuech in den oder auch in andern sachen hab ußgelernt (111,474,3-6). Mit dem Begriff des

weltbuchs wird direkt an die biblische Vorstellung vom Buch des Lebens angeknüpft, in dem alle Gesetze und alle vergangenen und zukünftigen Ereignisse verzeichnet sind. Diese Vorstellung fmdet sich schon in der Chronik Ottos von Preising, der von der Überlegung ausging, die Weltgeschichte vollziehe sich secundum legem tocius.^^ Die Erkenntnis des Ganzen ist Ziel seiner Chronik, sie erst ermöglicht die Erkenntnis der einzelnen Teile des göttlichen Weltplans. Eng verknüpft mit dieser Vorstellung von einer lex totius ist Ottos typologisches und figúrales Denken, innerhalb dessen "ein historisches Ereignis als Pigur oder Präfiguration oder Typus eines anderen Ereignisses (Antitypus) erkannt und damit gedeutet [wird], eine geschichtliche Denkform, die auf 'produktiver Einbildungskraft' beruht [und] und weit in die Neuzeit hinein wirksam" ist.'" Bei Proben sehen wir geradezu die säkularisierte Variante dieses Vorgangs: Er schließt von den Teilen auf das Ganze und muß dementsprechend möglichst viele Pacetten des menschlichen Lebens wahrnehmen. Das erklärt, warum Proben so viele Anekdoten und Schwänke aufiiimmt, und warum diese fiir ihn emen solchen Verbindlichkeitscharakter annehmen können, daß sie seine Weltsicht relativieren. Den Begriff des weltbuechs hat Proben möglicherweise vom 'Weltbuch' des Sebastian Pranck (Tübingen 1534) übernommen,'^' auch wenn dieses Buch eine Kosmosgraphie ist. Inhaltlich schließt sich der Begriff viel eher an ein anderes Werk Prancks, seine 'Geschichtsbibel'

Vgl, dazu unten S. 433. Otto von Freising, Chronica, S. 5,20. Die Chronik in der Straßburger Ausgabe von 1515 und die Geschichte Friedrichs 1. befanden sich in der zimmerischen Bibliothek (Wien, ÖNB, Cod. 12595, f. 160, auch im Literaturverzeichnis erwähnt Froben Otto. Zur Rezeption Ottos im 16. Jahrhundert vgl. SCHORMANN, Rezeption, S. 82ff. OEXLE, Teil, S. 353f Das 'Weltbuch' war "ursprünglich als vierter Teil der 'Geschichtsbibel' geplant, erschien aber schließlich in selbständiger Form" (Rupprich, Geschichte Π, S. 424).

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(Straßburg 1531) an. In den Vorreden zu den einzelnen Büchern dieser Kompilation erhebt Franck den Ansprach, mit seinem Werk den Weltplan Gottes zu erschließen. Für Franck sind die "Weh und alle Geschöpfe [...] eine lebendige Bibel. Was die Schrift gebietet, lehrt oder verbietet, das lebt die Historie oder Chronik imd stellt es exempelhaft vor Augen.'"" Aber noch unter einem weiteren Aspekt ist die Erwähnung des weltbuechs bedeutsam für die Analyse von Frobens Epistemologie. Geht man davon aus, daß der Wunsch nach der Erkenntnis der lex totius die Erkenntnis des eigenen Selbst impliziert, dann steUt sich die Frage, warum dies ausgerechnet mit dem Wissen um Sexualpraktiken verknüpft wird. FOUCAULT hat in seiner 'Geschichte der Sexualität' deutlich gemacht, daß mit der Renaissance der Sex Gegenstand der Suche nach einer in ihm verborgenen Wahrheit geworden ist: "Jeder Mensch soll nämlich durch den vom Sexualitätsdispositiv fixierten imaginären Punkt Zugang zu seiner Selbsterkennung haben (weil er zugleich das verborgene Element und das sinnproduzierende Prinzip ist), zur Totalität seines Körpers (weil er ein wirklicher und bedrohter Teil davon ist und überdies sein Ganzes symbolisch darstellt), zu seiner Identität (weil er an die Kraft eines Triebes die Einzigkeit einer Geschichte knüpft).'"'" Diese Wahrheit sucht Proben im Mythos der Jungfräulichkeit, der einerseits ñmdamental für das adlige Selbstverständnis und die aristokratische Blutideologie, aber andererseits nicht stark genug ist, seiner andauernden Dekonstruktion durch die 'natürliche' Begierden zu widerstehen. Dieser Gegensatz von Kultur und Natur ist ftir Proben rational nicht faßbar, und deswegen sucht er nach der im Sex verborgenen Wahrheit. Nicht zufällig umschreibt er die Jungfräulichkeit mit Termini aus der Ökonomie, als Handelsgut {kaufmanschaft), das schnell verdirbt {hele hab). In dieser Begrifflichkeit manifestiert sich Frobens vergeblicher Wunsch, den Sex rationalisierbar zu domestizieren, und ihn damit wieder den adligen Machtkalkülen verffigbar zu machen. Aber genau diese Hoffoung dekonstraiert Proben selbst, wenn er eine Anekdote erzählt, in der die Unterwerfung der Fürsten und Könige imter die Macht des Sexes erst recht bestätigt wird."' Mit FOUCAULT kann man dies als Erkenntnis Probens sehen, daß die Macht des Adels an der Macht des Sexualitätsdispositivs ihre Grenze fmdet. Proben wäre jedoch nicht der dialektische Denker, der er ist, wenn er nicht auch aus dieser neuen Machtstruktur positive Konsequenzen ziehen würde: Anhand des Sexualitätsdispositivs lassen sich Strategien für dynastiepolitisches Handeln entwickeln. Diskutiert wird dies in drei schwankhaften Kurzerzählungen des 165. Kapitels, denen das in der deutschen Mären- und Schwank-

Ebd. " " FOUCAULT, Wille, S. 185. In dieser Anekdote belehrt ein Adliger einen Bauern, der seine Frau wegen Ehebruchs verstoßen hat, mit den Worten: 'Was treibst doch, du eilender paur? Woltesttu so semperfrei und solcher sachen überhept sein, das doch mechtig könig und fürsten leiden müessen, durch alle stendi nit mag vermitten bleiben? ' (Ш,473,39-474,2).

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literatur selten anzutreffende Motiv'" des nachsichtigen Ehemanns zugrunde liegt (111,379,10-381,22). In allen drei Stücken ertappt der Ehemann seine Gattin jeweils in flagranti: In keinem Fall kommt es zu einem Konflikt zwischen Ehemann und Nebenbuhler. In der ersten Erzählung läßt sich der Mann von dem Gesehenen nicht weiter berühren und verläßt das Haus, um seinen corrivalen nicht zu stören, im zweiten wird er von seiner Frau mit Hinweis auf einen fetten Braten, den ihr Liebhaber als Minnelohn mitgebracht hat, beruhigt und im dritten überdenkt der Gehörnte die unangenehmen Konsequenzen und unternimmt gleichfalls nichts. Frobens Kommentar zu dieser Geschichte enthält keine Verurteilung, eher schon ein Lob der Nonchalance und strategischen Weitsicht der betrogenen Ehemänner, die - so kann man im Hinblick auf die Gesetze des weltbuechs ergänzen - zur Einsicht in die Macht des Sexualitätsdispositivs gekommen sind: Fürwar es gehören leut darzu, die kaltsinnig sein und guete, dewige mögen haben, dann es wer sonst unmüglich oder doch unnatürlich, sollichs wissentlich und sichtbarlichen zu gedulden (111,381,19-22). Ein umfassendes anthropologisches Wissen und strategisches Denken ist für Froben ein zentraler Bestandteil semer Idealitätsvorstellung. Dies belegt der unmittelbare Kontext der drei Erzählungen. Froben berichtet darin von seinem Dienst am Hof des Onkels, unter dessen Irrationalität, Unberechenbarkeit imd Arroganz er litt. Unter diesem Aspekt lesen sich die drei Anekdoten wie indirekte Werturteile über sein damaliges Verhalten. Froben war nach dem Brach mit dem Vater auf seinen Onkel angewiesen, und außerdem wollte er ihn beerben. Die Demütigungen seines Onkels konnte er nur mit kaltsinnigkeit ertragen, und dies war eine psychische wie strategische Meisterleistung. Bezogen auf den Sexualitätsdiskurs künden die drei Kurzgeschichten un Kontext des entbehrungsreichen Dienstes beim Onkel davon, daß Froben das Sexualitätsdispositiv instrumentalisiert, um seine eigene Unterwerfung unter die Macht zu rechtfertigen. Das wäre dann ein weiterer Beleg fur die These FOUCAULTS, wonach der Sex "das innerlichste Element in einem Sexualitätsdispositiv [ist], das die Macht in ihren Zugriffen auf die Körper, ihre Materialität, ihre Kräfte, ihre Energien, ihre Empfindungen, ihre Lüste organisiert.'"" 5.8.3. Aporien der memoria - Der Nachraf auf die Vatergeneration Die 'Zimmerische Chronik' stellt in der Regel keine einheitlichen Identitäten vor, da die Beschreibung einer Person meist den jeweils dominanten Diskursen unterworfen ist. Eine gewisse Ausnahme bilden jedoch einige Familienkapitel, da hier der Chronist nach einer persönlichen Identität des Vorfahren sucht. Es Bei den Mären wäre allenfalls Claus Spauns 'Fünzig Gulden Minnelohn' dazuzurechnen, ein Märe, welches von der Forschung (ZŒGELER, Erzählen, S. 306-310) der Kategorie 'Ausgleichstyp-Revanche' zugeordnet wird. Es vermag jedoch nicht einzuleuchten, worin hier eigentlich die Bestrafung besteht: Der Student wird j a im Gegenteil noch 'belohnt', wenn er das als Minnelohn ausgegebene Geld fast gänzlich zurückerhält. FOUCAULT, Wille, S. 185.

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Überrascht nicht, daß Proben angesichts seines Zerwürfiiisses mit dem Vater über diesen eine damnatio memoriae verhängt und sich im Bericht über dessen Ende (Kap. 186) auf eine detailliert-neutrale Beschreibung seines qualvollen Todes beschränkt. An die Stelle des Nachrufs tritt ein Bericht über Bemühungen Frobens, die angesichts der väterlichen Verschwendungssucht geringe Erbschaft zu sichern - bereits die strukturelle Position dieses Berichts sagt etwas über Frobens Emstellung gegenüber dem Vater aus, auch wenn er sich peinlich genau jeder expliziten Wertung enthält. Regehechte Gesamtwürdigungen in der Form selbständiger Kapitel erhalten hingegen die beiden Onkel Gottfried Werner (200f)'" und Wilhelm Werner (195), obwohl letzterer zur Zeit der Abfassung der Chronik noch am Leben war. Im 16. Jahrhundert dienen die adligen Bemühungen um die memoria vorrangig der literarischen Sicherung der Unsterblichkeit eines Geschlechts. Zugleich zielt die memoria auf eine "admirative Identifikation",'" die dem gesamten Adel seine Machtposition bewahrt."' Funktionieren kann dies allerdings nur dann, wenn in der Erinnerung die virtus des Vorfahren in entsprechender Überhöhung unter Beweis gesteUt wird. Allerdings steht einer exzessiven Ausgestaltung der Ehre des Vorfahrens ein pragmatischer Aspekt entgegen. Die 'Zimmerische Chronik' soll den Nachkommen Strategien fur den Machterhah und -ausbau vermittehi, und dies erfordert den Blick auf die Gefahren der Politik - und wo ließe sich dies besser zeigen als anhand der Fehler der eigenen Vorfahren? Nach dieser Logik erfordert memoria geradezu die Erwähnung von mengel und gebrechen (IV,192,3f ), wobei es jedoch nicht bei einer bloßen Archivierung derselben sein Bewenden haben kann, viehnehr einerseits der deutende Zusammenhang zwischen Ursachen und Wkkungen zu leisten ist, andererseits die Fehler auch vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Kontextes gewertet werden müssen. Die dynastiegeschichtliche und fiinktionalisti-

Einen Nachtrag zum Nachruf auf Gottfried Werner steUt das 204. Kapitel dar. Wie sein Bruder (vgl. unten S. 397) wird auch er zum Literaten stilisiert, der weltliche und geistliche Gedichte verfaßt hat. Der geistliche spruch wird von Proben in die Chronik eingeordnet, um den nachkommen des zimbrischen geschlechts (IV,213,15-20) eine 1er und underweisung zu geben. Der aus 99 vier- und fünfhebigen Reimpaarversen bestehende Spruch enthält eine Aneinanderreihung religiöser, moralischer und pragmatischer Maximen, wobei offen bleibt, welche unmittelbare Vorlage Proben hier benutzt hat. Anders hingegen verhält es sich mit dem folgenden weltlichen spruch, einer Minnerede, welcher die 'Grasmetze' als Modell diente und die auch in einer Handschrift des Martin Ebenreuthers erhalten ist (Berlin, Staatsbibliothek, Mfg 488. Ein Textvergleich zwischen der Handschrift Ebenreuthers und der 'Zimmerischen Chronik' findet sich bei BRAUNS, Sachsenheim, S. 43-60). Vgl. dazu BRANDIS Nr. 241; GLffiR, Artes, S. 338f ; ZFFIGELER, Erzählen, S. 73, Anm. 39. Der Chronist erwähnt auch, daß Gottfried Werner ein Heldengedicht über Dietrich von Bern und die Riesen verfaßt hat (IV,64,9ff.). Vgl. zu letzterem HEINZLE, Dietrichepik, S. 94, Anm. 122 und CURCHMANNAVACHINGER, Bemer. Zur Definition des Begriffs siehe HANS ROBERT JAUSS, Negativität und Identifikation, in: Positionen der Negativität, hg. von HARALD WEINRICH O'oetik und Hermeneutik VI), München 1975, S. 321-325. Vgl. dazu MOLLER, Gedechtaus, S. 89-94.

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sehe Analyse wird ständig von normativen und politischen Erwägungen überlagert. Die so entstehende Komplexität von gar nicht mehr durchschaubaren Zusammenhängen und ungewissen Wertsetzungen bewältigt der Chronist nicht abstrakt-reflexiv, sondern durch Flucht in die Reihen von Anekdoten und Kurzerzählungen, die Zusammenhänge erahnen lassen, und in ihren Widersprüchen jeden Gedanken an eine Moral oder Ordnung unterlaufen. Dabei bleibt zu beachten, daß Proben auch seine Kurzerzählungsreihen so anlegt, daß es vor allem die divergierenden Beispiele sind, die jede klare Wertung des mit ihnen kommentierten Chronikereignisses verhindern, oder - dann wenn sie Eindeutigkeit vorgeben - als Kontrastpunkt zur Chronikhandlung erscheinen. Dabei verliert der Chronist sein eigentliches Ziel gelegentlich aus dem Auge; indem er sich auf einen Diskurs einläßt, gewinnt dieser Macht über die chronikalische Darstellung. Dies sei anhand des 160. Kapitels, das sich am Beispiel der Ehe Gottfried Werners mit dem Zusammenhang von Sexualität und Dynastiepolitik befaßt, demonstriert. Abgesehen vom Nachruf auf den Onkel (Kap. 200£) ist dieses Kapitel das einzige, das kaum Besitzgeschichte bietet, sondern sich mit Familienintema und den Fehlem Gottfried Werners, zu denen der Chronist in erster Linie das Zerwürfiiis mit der Gattin Apollonia zählt, befaßt. Aber schon bei der Angabe des Anlasses - Gottfried Werner hatte eine Geliebte, die sog. Faulhensin - kommt der Chronist in Schwierigkeiten. Denn trotz seiner Kritik an der Mätressenwirtschaft, die ja auch zum Streit mit seinem Vater Johann Werner gefuhrt hat, entlastet er den Onkel gleich zu Beginn des Kapitels mit dem Hinweis auf die Unfruchtbarkeit seiner Ehe. Dann aber schildert er dessen Strategie in allen belastenden Details. Gottfried Werner entledigt sich zuerst des Ehegattens seiner Geliebten, indem er das Gerücht aufbringt, dieser habe sich in crimine bestialitatis

mit einer reche übersehen (III,308,26f), dann

treibt er sein Unwesen (111,312,5) so öffentlich, daß sich die Verwandten Apollonias einmischen und sie 1539 wieder nach Franken zurückholen. Erst zwei Jahre später kommt es zur Aussöhnung zwischen den Eheleuten, wobei jedoch Gottfiied Werner in einem Vertrag seiner Gattin finanziellen Schadensersatz leisten und die Faulhensin verbannen muß. Proben steht in diesem Kapitel vor dem Problem einer umfassenden Bewertung seines Onkels. Ein schnelles moralisches Urteil scheidet aus, weil die tieferen Ursachen für Gottfiied Werners Verhalten noch nicht erfaßt sind und damit dem gesetz der historien nicht entsprochen ist. Um diesen Prämissen zu genügen, verlegt sich Proben auf den Sexualitätsdiskurs. Diesen behandeU er unter den zwei Aspekten 'weibliche Verfiihrungskunst' und 'adlige Ehepraxis'. Die Gefährdimg der männlichen Standhaftigkeit sieht Proben in seiner kleinen 'Archäologie der Sexualität' in der Verbalisierung des Aktes selbst. Wenn die Faulhensin von der unkeuschait und desselbigen

werk maisterlichen

reden

(111,310,8f) konnte, daim signalisiert sie damit eine Appetenz, die die Männer zum Handehi herausfordert. Proben deutet mithin obszöne Redensarten als kaum verhohlenen Triebwunsch. Die sexuelle Gier der Frauen wird so in ganz

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traditioneller Weise vom Chronisten als Argument eingesetzt, um den Onkel zu entlasten. Das zweite Argument basiert auf dem adligen 'Gewohnheitsrecht' des Konkubinats. Proben fuhrt eine Reihe von Beispielfällen vor, um zu belegen, daß nicht allein Gottfried Werner eine Nebenfrau hatte. Der Diskurs gewinnt seine Eigendynamik, denn in der Beispielreihe sind auch Fälle vertreten, in denen sich die Ehepartner arrangieren, imd schließlich merkt Proben dann auch, daß er dabei ist, sogar die Zeugung von Bastardkindem - fiir den Erhalt einer Herrschaft eine latente Gefahr - zu rechtfertigen. Deswegen endet er hier mit einem Kommentar, der seine Unfähigkeit, einen moralischen Standpunkt zu finden, belegt: [...] nit das ich sag, das es recht seie oder wol gehandlet, aber dem ainen ist es deglich, dem andern gar tödtlich,^^^ an dem will iederman ritter werden und mag nit ufkommen. Also gat es in der weit zu (111,318,31-

35)."« Sein Hinweis auf den normativen Charakter des Faktischen ist allerdings nicht das letzte Wort bei der Beurteilung Gottfried Werners. Vielmehr gelangt er noch zu zwei weiteren zentralen Aspekten, die dessen Verhalten rechtfertigen oder zumindest erklären können. Der erste Gesichtspunkt wird in Form einer Anekdote entfaltet, die sich am Ende des 160. Kapitels unmittelbar an den Hinweis anschließt, daß der Onkel und seine Gattin hinfort eine Josephsehe fuhren. In einem ähnlichen Fall fmdet sich die Ehefrau des Landgrafen Philipps von Hessen nicht damit ab, daß ihr der Gatte das eheliche Beilager verweigert und klagt bei Kaiser Maximilian auf Vollzug der Ehe. Der Kaiser will vermittehi, schickt einen Gesandten zum Landgrafen, aber der antwortet ihm, dies seie ain sach, die in seinem willen und vermegen nit stände, sonder man müeß eim andern mandiern und bevelchen; der sei an solchem allem

schuldig (111,325,22-25). Der Kaiser begreift den Inhalt dieser Rede sofort und beendet die Sache mit den Worten: Nun, nun ich kan sein schwänz nit mandiern, so es die ursach hat, ich weit sonst an mir selbs anfahen, und würd im reich allenthalben vil mandierens gebrauchen, ich hette der Schreiber hierzu

nit genug (111,326,2-6). Damit hat der Landgraf erreicht, das man ine der zeit bei seiner weis und manier bleiben (III,326,7f ) ließ. Die Anekdote demonstriert die Unverfügbarkeit des Sexes durch die Macht, und man könnte sie mit FOUCAULT als frühes Beispiel fur die Tendenz des Staates verstehen, den Sex seiner 'kargen Alleinherrschaft' zu unterwerfen.'" Allerdings ist zu berücksichtigen, daß in der Biographie des Onkels das Sexualitätsdispositiv erst dort seine prominente Stellung gewinnt, wo das Adelsdispositiv ausfäUt. Derm Proben führt letztlich die ganzen außerehelichen Eskapaden Gottfried Werners auf

Die gleiche Formulierung gebraucht Proben bei einem ähnlichen Sachverhalt (Ш,315,7). Eindeutig verurteilt Proben nur die Paulhensin, weil sie einer morganatischen Ehe zugestimmt hat. Diese Kritik an der Frau wird zudem erzählerisch 'garniert' durch einen obszönen Schwank im Nachtrag Nr. 150 (111,310,13-311,27), in dessen Mittelpunkt eine Schwester der Faulhensin steht. Vgl. FOUCUALT, Wille, S. 139-153 und passim.

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das Ausbleiben von Nachwuchs zurück. Und hier findet sich denn auch der zweite Fixpunkt, in dem fur Proben alle irrationalen Handlungen des Onkels, sein Jähzorn, seine seltzame weis, zusammenlaufen: Das Ziel Gottfried Werners ist die Sicherung seiner Unsterblichkeit - und diese ist eine soziale Beziehung.'·" Auch Gottfried Werner ist nach der Ansicht semes Neffen von dem Wunsch besessen, daß seine eigenen Objekte' dauerhaft sind, da aber seine Töchter in einer patrilinearen Gesellschaft keine Chance haben, den Herrschaftsanspruch seiner Linie zu bewahren und damit seine Unsterblichkeit für die Zukunft zu bmden,'·" lösen sich die adligen Werte und Normen für ihn auf Proben bringt diesen Zusammenhang im Nachruf (Kap. 201) auf Gottfned Werner präzis zum Ausdruck: dann user allerhandt vermuetungen und Handlungen abzunemmen, das sein mainung gewest, das sein geschlecht solt erhalten werden, aber dieweil das durch sein linia oder leibserben nit beschehen und sein kunt, do mogte er den andern agnaten sovil vermegens nit gönnen. War gleichwol sein mainung, das inen selten die güeter bleiben, iedoch die flügel so wohl beschnitten, das sie nit Sölten hoch flüegen künden. Damit so wer sein memmoria und gedechtnus erhalten, das er sovil schlöser, heuser, kirchen und anders bei seinen lebzeiten het erbawen, die seine nachkomen nit wol würden in bewlichen eren kinden erhalten, wie er dann mermáis pflag zu sagen und damit seine thatten und wie er so wol gehauset und seine güeter het gebessert, zu rümen, welches in doch alles nit fiirtragen megen, dann der allmechtig hernach seinen erben sovil glucks und gnad verlihen, das sie ime seine gebew, als mit einem zaun, in wenig jaren mit newen gebewen haben umbgeben, wider menigclichs Zuversicht, in masen, da ers in jener weit solt wissen, das er sich dessen verwundern, wie es in so kurzen jaren meglich gewest, ohne minderung und nachtail des hauptguets, neben sovil Hochzeiten, raisen und andern notwendigen uszgaben und keufen.

(14191,8-29) Der Wille zur Unsterblichkeit des Namens ist hier zum Zwang zur gedechtnus geworden, die sich - mangels männlicher Nachkommen - in den steinernen Monumenten niederschlägt. Gedechtnus ist hier freilich nicht wirklich als Versuch zu verstehen, den dynastischen Interessen zu dienen. Denn der Onkel - so behauptet Proben - wollte mit seiner ausufernden Bautätigkeit seine Erben in ihren fmanziellen Möglichkeiten beschneiden und sie zu Sklaven seines memorialen Gedenkens machen. Die Unsterblichkeit wird demnach nicht nur durch die eigenen Taten gesichert, sondern indem man ähnliche Ambitionen seitens der Nachkommen prophylaktisch unterbindet. Die Konkurrenz um das beste Ansehen ist demnach in die Dynastie hineinverlagert worden, und dementsprechend treten an die Stelle dynastischer Wertmaßstäbe die des Individuums. Proben hat diese Kriterien fm· sich völlig übernommen, der Nachruf auf den Onkel ist im Gefühl des Sieges im Kampf der Generationen geschrieben. Sein BAUMANN, Tod, S. 87.

Ebd., S. 92.

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Erfolg Strahlt um so heller, als er ihn gegen den expliziten Willen des Onkels durchgesetzt hat. Der Höhepunkt seines Triumphes aber ist die Chronik selbst, denn mit ihr ordnet Proben die Taten der Vergangenheit nach seinen Wünschen ein. So dürfte die gesamte Charakterisierung Gottfried Werners unter dem Vorzeichen verfaßt worden sein, anhand von dessen politischen und ökonomischen РеМет'··^ die 'Erlöserfimktion' Frobens hervortreten zu lassen.'" Es ist kein Widerspruch, wenn Probens Endurteil über Gottfried Werner dermoch positiv ausfällt, imd die mangelhafte Ausnutzung seines Potentials mit der fehlenden Ausrichtung seines Lebens am Dynastieinteresse entschuldigt wird: Im seie aber, wie im weil, so man alles gegen ainandem erwigt, dieses grafen lügenden und mengel, so befindt sich, daz es ein fiirtreffenlicher man gewest, welches gleichen, da er seinen hochen verstandt zu nutz und wolfart seins stammen und namens gebrauchen wellen, das zimbrisch geschlecht, sovil man waist, niegehapt und in vil Zeiten nitwurt überkommen. (IV,191,37-192,2) Besonders kritisiert Proben Gottfried Werners Verwahrlosung des Erbes seiner Frau (Kap. 187). Auch dieses Thema bearbeitet er literarisch, indem er vier Einzelschwänke in das Kapitel einfugt, die allesamt mit dem Thema 'überraschendes Ereignis und seine Bewältigung' zu tun haben. Im ersten Schwank, der aus den 'Cent nouvelles nouvelles' (Nr. 12; vgl. ЬшвкЕСНт Π, S. 400) entlehnt sein dürfte, nimmt der Chronist eine Geschichte zum Vorbild, in welcher ein Bauemknabe, der seine Kühe verloren hat, sich aus Scham in einer dunklen Badestube verbirgt. Ohne ihn zu bemerken, vergnügt sich dort ein Mönch mit seiner Geliebten. Als der Mönch in höchster Ekstase ruft: Hie sihe ich die ganzen weit und νναί darin ist (IV,8,21), bittet ihn der Knabe, doch auch nach den vermißten Kühen zu suchen. Auch die drei anderen Schwanke (IV,9,8-13,14) haben als Ergebnis einer solchen Überraschung Flucht bzw. todesnahe Ohnmacht zur Folge. Immer sind die Überraschten auch die Geschädigten, weil sie nicht in der Lage sind, die Situation richtig zu deuten und gelassen zu reagieren. Eine Tendenz zu Fehldeutungen der Realität kennzeichnet auch das Verhalten Gottfried Werners, der in seinem Geiz und seiner Verschwendungssucht die Möglichkeiten, die für sein Geschlecht bestehen, übersieht. Allerdings relativiert Froben diese Rolle auch wieder, so berichtet er nicht nur von seinen erfolgreichen Maßnahmen gegen die Überschuldung (IV, 199,23-40), sondern auch von dem gescheiterten Versuch, das Schloß Falkenstein an Jos Niklas von Zollern zu verkaufen. Singular in der Chronik ist die sich hier anschließende Bewertung der eigenen Handlung, die in unverhohlene Selbstkritik mündet: Und in disent jar do ließ grave Jos durch mittelpersonnen abermals anhalten. Also kamen die herrn zu Falkenstain zusammen, aber sie zerschluegen, es wolts graf Jos in masen, wie oblaut, umb 4000 gulden nit annemmen, so wolt im graf Frobin kain weitere zugehördt, wie die Zoller begert, geben, und gerieth gleichwol, das der kauf hünder sich gieng; dann nach gestalt aller sachen het Zimbern des forsts und ander nachpurschafl halb kein gröser unruhe künden zusten, und kunt desshalber nit wol sagen, welcher tail dorechter gehandlet, Zimbern, das er ein so gelegen guet umb ein spot wolt hingeben eim solichen verwandten und in ein solichs geschlecht, das hernach graf Frobin und allen seinen nachkommen in ein unwiderbringlichs präJudicium het megen, wie augenscheinlich, gerathen, oder ob Zollern unbedechtlich gehandlet, das er ein sollichs guets und wol erbawens haus, das im umb nichs wer zugestanden, von handen ließ, welches im hernach guete ursach und gelegenhait gegeben, wie der kreps umb sich zu fressen und ein merers an sich zu ziehen (1V,206,1-19). Froben kann demnach innerhalb eines Diskurses, der von solcher Relevanz ist wie der über den Besitz, durchaus von sich selbst abstrahieren. Die Lehre, wonach die Bewahr u n g des erhaltenen Besitzes wichtiger sei als alles andere, hat V o r r a n g vor der G l o r i f i z i e r u n g

der eigenen Person.

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Mit dieser abgewogenen Einschätzung wird dem gesetz der historien entsprochen und den mengel und gebrechen (IV,192,3f.) auf angemessene Weise Rechnung getragen. Eine bloße Kritik dagegen würde ihren lehrhaften Zweck verfehlen, wie Proben am Beispiel Gottfried Werners selbst vorfuhrt, den er als Protagonisten 'positiven Denkens' darstellt: So habe dieser als Patronatsherr von semen Predigern verlangt, alles schelten und holipen im Gottesdienst zu unterlassen, dann er vermaint, wie auch die warhait, das solchs mit dienstlich wer zu erbawung der zuhörer, sonder brechte vil mehr ein ergernus und würde der gegenthail dennost nit darvon gebessert (IV, 177,23-27). Richtige Lehre muß dagegen didactice, damit die einfältigen underthonnen ordenlich underwiesen, geprediegt und gelert (IV,177,22f.) werden, erfolgen. Proben selbst wendet sich zwar an ein anderes Publikum, aber seine Intention ist dieselbe. Die Rezipienten sollen zur Erkenntnis der Welt angeleitet und damit zur richtigen Handlungsentscheidung gebracht werden. Biographie und Nachruf sind selbst Exempel für diese Methode, Proben fángt das Leben seines Onkels in dem Geflecht der Widersprüche und Paradoxien ein, ohne diese zu beurteilen. Auf diese Weise erreicht Proben zweierlei: Einerseits wird konsequent dem bonum ein malum entgegengesetzt, d. h. die Gegensätze in Gottfried Werners Person werden weder harmonisiert noch aufgehoben, andererseits ein Idealbild für richtiges dynastisches Verhalten angedeutet. Dessen Definition fmdet sich allerdings nirgends, denn Proben hat zu diesem Zeitpunkt seine normativen Versuche weitgehend eingestellt''·'' und schon lange den Weg in die Literarisierung der Moralthematik mittels erotisch-obszöner Anekdoten angetreten. Die Anekdoten, die völlig gegensätzliche Positionen abstützen können, belegen auch, daß Norm und Realität nie kongruent sind.'"" Polgt man GREENBLATTS Meinung, wonach im 16. Jahrhundert im Gefolge der sozialen und religiösen Umwälzungen "die literarische, soziale und religiöse Welt im Begriff war, ihre Haltung in bezug auf Ordnung, Disziplin und Anstand zu verhärten",''·* dann wäre Frobens amoralisches Adelsbild'"' eine deutliche Gegenreaktion. An der eigenen Pamilie demonstriert er, wie wenig die gerade von evangelischer Seite eingeforderte moralische Begründung des Ehelebens der Natur des Menschen entspricht. Literarisch gesehen geschieht dies in einem Prozeß der Metonymisierung, in dem die Parallelen zwischen den Einzelgeschichten beim Leser

Eindeutige Aussagen bieten nur die positiven Bemerkungen zu Gottfried Werners Wahrhaftigkeit (IV,177,35-178,3), zu seiner bescheidenen Lebensführung (IV, 186,8-16), seiner Ablehnung der kurzweil mit Narren (IV, 187,26-32) und die Kritik an seiner Vemachläsigung der memorias und gedechtnusen (IV, 1 8 9 , 2 4 ) und an seiner Verschwendungssucht. Bei diesen Themen kann der Chronist eindeutig urteilen, weil hier für ihn selbst kein Zweifel über die richtige Norm besteht. Die einzelnen Anekdoten verfügen genau über jenes drastisch-obszöne Potential, das die "Autorisierung qua Performance" (FLUCK, Amerikanisierung, S. 242) sichert. GREENBLATT, Riten, S. 4 1 . V g l . dazu Ш , 2 1 4 , 8 - 2 1 6 , 1 2 .

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Analogien zu seiner eigenen Situation hervorrufen und die Sexualität als Grundbedingung einer gelingenden Ehebeziehungen erkennbar wird. Kurioserweise schreibt Proben im 195. Kapitel auch den Nachruf auf den noch lebenden Wilhelm Werner. Er behandeh hier Themen, die im Kontext der bisherigen Biographien weitgehend ausgespart geblieben sind, aber fur Wilhelm Werner signifikant sind: Das Verhältnis zur Religion und die Bedeutung der Gelehrsamkeit. Wilhelm Werner ist für Proben dabei das Positivbeispiel einer Religiosität, die jenseits der kirchlichen Heilsvermittlung steht. Trotz Distanz zur Geistlichkeit, erfreut er sich der göttlichen Gnade: In somma, es hat in der allmechtig seiner fromkait und gotzforcht halb nit allain mit solcher beharrlicher gesundthait und rüebigem alter biß an sein ende gnedigclichen begabt und erhalten, sonder auch, wiewol er vil jar zu Zimbern im Schloß gebawen und das under Schloß nie beschliesen künden, zu dem das haus in der einöde gelegen und alle gelegenhait, das es wol ufsehens bedürfte, iedoch hat der allmechtig ine, das haus und die seinen wunderbarlichen behüet und bewart und ime in sonderhait die gnad bewisen, daz er mit wenigen leuten und gelt ein grasen baw hat künden verbringen. (IV,100,36-101,4)""

Wilhelm Werners Gottvertrauen ist fur Proben auch die Erklärung für sein geringes Risikobewußtsein. So überquert er zu Pferd einsturzgefährdete Brükken,"" läßt trotz der gefährlichen Zeiten seine Burg unverschlossen"" und reitet stets unbewafi&iet. Neben der religiösen Begründung bedarf ein solches Verhalten auch einer weltlichen Erklärung, Proben fmdet sie in der zweiten Vorbildqualität des Onkels, in seiner Buchgelehrsamkeit. Sofern er nicht mit seinem Kammerrichteramt oder dem Ausbau des zimmerischen Schlosses beschäftigt ist, befaßt er sich mit den Wissenschaften: WM zeit im aber über den baw und das gebett bevor, das hat er von jugendt uf alles den studiis und historien zugeaignet, darin er sich in lesen und erfarnus allerhandt antiquiteten also geipt, das im kainer seines standts oder herkomens gemeß bei seinen zeiten gleich sein mögen. (IV,105,15-20)

Diese Worte sind keine Schmeichelei gegenüber dem noch lebenden Onkel, denn dieser ist derjenige des Geschlechts, auf den letztlich der außergewöhnliche Umfang der Meßkircher Bibliothek zurückgeht."' Als eigene historiographische Leistung des Onkels nennt Proben seine Adelsgenealogien'" und die Vgl. dazu auch den Hinweis auf seine Gebetspraxis: Solche gebett alle hat er von jugendt uf deglichs gebetet biß an sein ende und onzweifelich dardurch erlangt, das er ein beharrliche gesundthait biß an sein ende gehapt (IV, 100,15-17). Hinter dieser Formulierung verbirgt sich die feste Überzeugung des Chronisten, es werde sich an den Lebensumständen seines Onkels bis zu dessen Tod nichts mehr ändern. Vgl. auch lV,104,31f IV,101,24f; [...] all gesagt, Gott füre sein ross bei der handt hinüber. "" IV,101,31£: [...] daz kain wunder, da er schon mermáis darin ermördt worden. Vgl. oben Anm. 4. Von Wilhelm Werner stammen eine Genealogie der Heiligenberger (Donaueschingen, FFA, Catalogus, N25) und der Grafen von Kirchberg (Stuttgart, WLB, Cod. Don. 593a; vgl. Felix

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'Chronik von dem Erzbistum Mainz und seiner zwölf Suffraganbistümer' (IV,105,20-25).'" Unerwähnt bleiben die teilweise illustrierten Handschriften,"^ die Wilhelm Werner anlegen ließ, oder auch seine beachtliche Sammlimg deutscher Handschriften des Mittelalters.'" Seine literarische Kompetenz jedoch belegt Proben in Analogie zur Biographie Gottfried Werners"^ damit, daß er ihm einen geistlichen Spruch'" und eine Miimerede ('Das weltliche Klösterlein')"' in der Sachsenheim-Tradition zuschreibt. Beide Gedichte fügt er als Nachtrag zur Wilhem-Wemer-Biographie in die Chronik ein (Kap. 205)."' Das Bild allseitiger psychischer Ausgeglichenheit, welches Proben von seinem Onkel entwirft, ist indessen keine Charakterstudie, sondern hier wird ein Ideal entworfen, das auf den Elementen Wissenschaft, Kunst und Glaube ba-

HEINZER, Wilhelm Werner von Zimmern, Genealogie der Grafen von Kirchberg, in: ders., [Hg.], Zinsen, S. 144f.) und ein Stammbaum der Rechberger (Stuttgart, WLB, Cod. fol. 30; HEYD, Handschriften I, Nr. 30, S. 16). Vgl. dazu Zimmern, Eichstätter Bistumschronik, S. 6 und FELIX HBINZER, Wilhelm Werner von Zimmern: Chronik der Bistümer Worms, Würzburg und Eichstädt, in: ders. (Hg.), Zinsen, S. 150f HEINZER (ebd., S. 150) weist darauf hin, daß aufgrund der "schematischen, katalogartigen Darbietung des Materials [...] das Werk eigentlich richtiger als Bischofschronik anzusprechen [ist], die in ihrer Bezogenheit auf die jeweils regierenden Personen im Grunde wie eine kirchgeschichtliche Variante der genealogisch strukturierten Hauschroniken der Zeit [...] armiutet." Dazu zählt eine Abschrift der 'Reichenauer Chronik' des Gallus Oehem (Stuttgart, WLB, Cod. Don. 622), ein geistliches Handbuch (vgl. Zimmern, Eichstätter Bistumschronik, S. 6) und der prächtig illustrierte 'Zimmerische Totentanz' (Stuttgart, WLB, Cod. Don. A Ш 54; Cod. 123; vgl. FELIX HEINZER, Zimmemscher Totentanz, in: HEINZER [Hg.], Zinsen, S. 152-155). Überliefert sind auch die 319 Blätter umfassenden Wilhelm Werners Historische Kollektaneen (Stuttgart, WLB, Cod. Don. 704; vgl. KLEINSCHMIDT, Dominikaner-Geschichtsschreibung, S. 388-395; FELIX HEINZER, Wilhelm Werner von Zimmern - Historische Kollektaneen, in: HEINZER [Hg.], Zinsen, S. 146f ; JENNY, Proben, S. 56-63). Die meisten der bei MODERN (Handschriften) erwähnten mhd. Texte gehen auf die Sammlung Wilhelm Werners zurück. Der Umfang von Wilhehn Werners Sammler- und Reproduktionstätigkeit ist noch lange nicht vollständig erfaßt. So konnte erst in jüngster Zeit nachgewiesen werden, daß die Hs. С der Stricker-Oberlieferung eigenhändig von ihm aus der Hs. W abgeschrieben worden ist (FRANZ-JOSEF HOLZNAGEL, Autorschaft und Überiieferung am Beispiel kleinerer Reimpaartexte des Strickers, in: Autor und Autorschaft im Mittelalter. Kolloquium M e i ß e n 1995, hg. v o n ELIZABETH ANDERSEN u. a., T ü b i n g e n 1988, S. 163-184, hier S. 168).

Siehe oben Anm. 934. Der Spruch ist gleichfalls überliefert in der von Wilhelm Werner zusammengestellten Handschrift Stuttgart, WLB, Cod. Don. 123. BRANDIS, Minnereden, Nr. 440 (abgedruckt bei MATTHAEI, Klösteriein, S. 75-81); vgl. dazu auch GLIER, Artes, S. 338ff.; zum Vermittlungsweg BRAUNS, Sachsenheim, S. 59f - Der Text des 'WelÜichen Klösteriein' wurde bereits 1535 gedruckt. So schreibt Proben im Vorspann des geistlichen Spruchs: Und wiewol solch gegenwärtig capitel lengest hiervor sollt eingepracht sein worden, so ist es aber übersehen, iedoch darum nit zu underlassen, sonder zu langkwüriger gedechtnus hierin zu vermelden (IV,234,7-11). Die Minnerede stammt nicht von Wilhelm Werner, sondern ist die geringfügige Bearbeitung eines aimoymen Textes. Es war das Ziel des Bearbeiters die Entstehungszeit der Minnerede näher an die Jugendzeit Wilhelm Werners heranzufuhren. Der Vergleich zwischen den beiden Fassungen fmdet sich bei MATTHAEI, Юösterlein, S. 64-68).

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Die 'Zimmerische Chronik'

siert. Wilhelm Werners charakterliche Eigenschaften werden von Proben ausgespart. Eine umfassende Auseinandersetzung mit seinem Wesen vermeidet er ebenso wie eine explizite Würdigung seines Verhaltens. Zwar zeichnet er seinen Onkel nicht dezidiert als weltfremd - er lobt sogar seine kluge Finanzverwaltung - , aber er markiert ihm gegenüber doch den selbstbewußten Feudalherrn, der sich in der praktischen Politik bewährt. Eingefugt in das Wilhelm-Wemer-Kapitel sind zwei Passagen, in denen der Chronist den Charakter seines Onkels in einem Vergleich mit Gestalten der römischen Antike zu fassen versucht. So stellt Froben in dem einzigen Satz, den er den mores und sitien seines Onkels widmet, fest, dieser sei ganz freintlich und also gewesen, daz er mer dem Pomponio Attico, dann einichem andern under den alten het mögen verglichen werden (IV, 104,23-26). Der Name des Pomponius Atticus ist Froben von seiner Cicero-Lektüre bekannt (IV,337), er dürfte - wie aus seinem Hinweis auf die Oratio pro Milone' (I,570,lff.) zu schließen ist - Ausgaben der Werke Ciceros besessen haben.*^ Der Vergleich selbst ist durchaus ambivalent. Atticus galt zwar einerseits als souveräner Gelehrter, der um seiner wissenschaftlichen Neigungen willen eine öffentliche Karriere ausschlug, aber gleichzeitig als politischer Opportunist, der es in den Bürgerkriegswirren verstand, immer auf Seiten der Sieger zu stehen. Es wäre gut denkbar, daß sich hinter Frobens Bemerkung eine subtile Kritik an seinem Onkel verbirgt. Auch fíir eine zweite Charakterisierung bedient er sich eines Vergleichs. Im Anschluß an die Aufzählung der wichtigsten von Wilhelm Werner verfaßten Werke"' fugt er an: In dem sein genus dicendi ganz freuntlichen und mehr dem Terentio, dann andern, gleich (IV,105,25flF.). Obwohl sich dieser Satz auch auf das genus dicendi als Kommunikationsform beziehen könnte, ist sein Kontext Beleg dafür, daß Froben sich hier auf den Stil bezieht, in dem sein Onkel seine Werke verfaßt hat. Die Anspielung auf Terenz kann sich sowohl auf die Zurückhaltung des römischen Autors gegenüber eindeutigen Bewertungen menschlichen Handebis beziehen, wie auf den relativ hohen Abstraktionsgrad seiner Gedankenführung, seiner tragischen Lebenseinstellung und einer gewissen Steifheit seiner Sprache. Daraus entsteht fast zwangsläufig jener neutrale Stil, den Froben zwar theoretisch für Geschichtswerke angemessenen hält, von dem er sich selbst aber mit seinem eigenen Werk absetzt.'®^ Bemerkenswert ist der Terenz-Vergleich noch aus einem anderen Grund: Froben kannte dessen Komödien, und möglicherweise hatte das von Terenz prakti" " Die Briefe Ciceros an Pomponius Atticus waren bereits 1470 in einer Erstausgabe (Rom) veröffentlicht worden. Gesamtausgaben der Werke Ciceros lagen seit 1498 (Mailand) und 1511 (Paris) vor. Vgl. oben S. 396 sowie Anm. 953. Zu Wilhelm Werners literarischem Stil vgl. etwa die Charakterisierung Bischofs Alberts П. von Eichstätt (Zimmern, Eichstätter Bischofschronik, S. 75f). Der entscheidende systematische Unterschied zwischen der 'Zimmerischen Chronik' und der Bischofschronik besteht darin, daß Wilhelm Werner sein Werk anhand der einzelnen Bischofsviten biographisch strukturiert.

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zierte Verfahren, verschiedene Vorlagen in einem einzigen Stück zu verbinden, die verwendeten Quellen jedoch zu verschweigen, für ihn ebenfalls Vorbildfunktion. 5.8.4. Die Wahrheit des Historikers 5.8.4.1. Gottes Wh-ken in der Geschichte - Die Geburt des Stammhahers Das 190. Kapitel nimmt innerhalb von Frobens Autobiographie eine Schlüsselstellung ein. Im Rahmen der Dynastiegeschichte enthält es mit dem Bericht über die Geburt des Stammhalters ein zentrales familiäres Ereignis, das den Chronisten zu religiös-philosophischen Überlegungen sowie zu einer seiner wenigen poetologischen Aussagen über den Wahrheitsansprach der Historiker imd zu Reflexionen über den Lehrcharakter der Geschichte führt. Die Gründe für die herausragende Stellung dieses Kapitels liegen auf der Hand, wenn man sich die Situation vor der Geburt seines Sohnes Wilhelm vor Augen häh. Frobens Gattin hatte in fünf Ehejahren drei Töchter auf die Weh gebracht, aber der Fortbestand des Geschlechts hing allem von der Geburt eines männlichen Nachkommen ab, und so warteten neben Froben auch dessen Vater und Onkel auf den Stammhalter. Für Froben kam zum psychischen noch ein finanzieller Druck, denn Gottfried Werner begründete seine Verschwendungssucht damit, keim künftigen dochterman sparen zu wollen (IV,43,34f.). Bereits die Gliederung des Kapitels dokumentiert die Sorgfalt der literarischen Inszenierung. In einem ersten Teil ruft Froben die Gefahren ins Bewußtsein, die sich behn Ausbleiben eines männlichen Nachwuchses für ein Geschlecht ergeben. Sie liegen - wie bei Gottfried Werner - in einer zunehmenden Gleichgültigkeit gegenüber den Interessen des Hauses oder - wie am französischen Hof - in der Versuchung, der Kinderlosigkeit mit künstlichen Mitteln beizukommen. Letzteres ist für Froben von solchem Gewicht, daß sich daran seine grundsätzlichen Überlegungen zur Wahrheitspflicht des Historikers entzünden (IV,46,14-25). Nach dem Bericht über Wilhehns Geburt (IV,48,2750,12) und seine ersten Lebensjahre (IV,51,5-52,2) folgt die Geschichte von einem wahnsinnigen Schneider {ain erschröckenliche und der gedechtnus würdige sach), der bei einem Brand in Meßkirch ums Leben kommt (IV,53,457,5). Wie hängen diese drei Themenkomplexe zusammen? Die Geburt seines Sohnes am 17.6.1549 war für Froben eine Erlösung, und entsprechend gestaltet er auch den Augenblick der Nachricht in Anlehnung an die Verkündigung der Heilsbotschaft erzählerisch aus. Als er von einer Gesandtschaftsreise nach Hause zurückkehrt, sind es auf der Höhe oberhalb von Meßkirch ausgerechnet Hirten, die ihm die frohe Botschaft überbringen, was entsprechend von den verstendigen fiir ein besonders glücklichs omen vermerkt wird (IV,49,26f ). Ansonsten ist das weitere Geschick Wilhelms für den Vater nicht chronikrelevant, viehnehr handelt er die ersten fünfzehn Lebensjahre seines Sohnes in aller Kürze ab, wobei er diesen biographischen Abschnitt in

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jene familientypische Tradition der höchsten Gefährdung im Kindesalter einreiht, die auch den Bericht von seiner eigenen Kindheit dominierte.'*' Aber mit einem StammhaUer allein ist der Erhah der Dynastie nicht auf Dauer gesichert, und deswegen lotet Proben im ersten Teil des Kapitels (IV,43,23-48,26) die Möglichkeiten aus, die bei Ausbleiben des Nachwuchses gegeben sind. Der Metatext dieser Diskussion kreist letztlich um die Anwesenheit Gottes in der Dynastiegeschichte, um die Werkgerechtigkeit als Realisationsmöglichkeit von Heil und um das Verhältnis von Religion imd Naturwissenschaft, das schon den Alchimiediskurs bestimmt hat.*^ Konkret fragt Proben, inwiefern die Medizin bei Unfruchtbarkeit helfen kann, wo doch dies als göttlicher Wille zu akzeptieren ist, imd wieweit männliche Nachkonamenschaft durch ein gottgefälliges Leben zu erlangen ist. Proben nimmt das Thema zunächst einleitend von der heiteren Seite, wenn er eine Anekdote um den vergeblich auf Nachwuchs hoffenden König Ferdinand erzählt, dem sein Hofiiarr riet: Ewer Majestat besteig mein gnedigeste frawen, die künigin, alle nächt fünf oder sechs mal, so zweifelt mir nit, es werde doch etwan ein mal gerathen; da es aber die ein nacht nicht, so gerath es doch die andern (IV,44,18-22). Emster Natur ist daim das zweite Exempel, die lange Jahre kinderlose Ehe zwischen dem französischen Thronfolger Heinrich II. imd Katharina von Medici.''' Hier triumphiert die Medizin über die Natur, aber die durch die ärztliche Kunst besiegte göttliche Providentia ist - ähnlich wie bei Melusines Kindern noch in Rudimenten präsent: den uß der apoteka (IV,261,33) gezeugten Kindern sieht man dies auch an.'^ Kinderlosigkeit ist in Probens christlichem Rechtfertigungsdenken Konsequenz sündhaften Lebens, im Palle Heinrichs die Polge seiner langjährigen Promiskuität (IV,46,7f ), der sich auch dessen Vater, Franz I., 'schuldig' gemacht habe. Die hieran anschließende Passage ist entscheidend für das Wahrheitsverständnis Frobens und seiner Rechtfertigung als kritischer Chronist. Das Wirken Gottes in der Geschichte berechtigt den Historiographen, nach den Gründen zu forschen, die für den Niedergang einer Nation oder eines Geschlechts ausschlaggebend sind. Daraus wiederum ergibt sich die Lizenz zur Kritik selbst an Königs- imd Fürstenhäusern: Denn weil es für den Adel keine Trennung zwischen Öffentlich und Privat geben kann, wird das Intime zum Gegenstand allgemeiner Beurteilung. Daraus läßt sich freilich

Vgl. dazu Frobens Darstellung von seiner Jugend im Kapitel 147 (Ш,136,12-155,35). Vgl. oben S. 281-286. Die Heirat zwischen Heinrich und Katharina ist - nach Meinung Frobens - anfangs nit von liebe oder freuntschaß geschehen, sondern allein deswegen, um dem französischen König ein anhang beim bapst und in Italia zu verschaffen (IV,44,40-45,1). Zunächst will Heinrichs Vater, Franz I., seinen Sohn dazu bewegen, sich scheiden zu lassen. Als dieser sich weigert, kommen arzneien oder was dann die chura gewest (IV,47,8f) bei Katharina zum Einsatz. Am Ergebnis - so erklärt der Chronist und bestätigt damit sein Weltbild (vgl. IV,261,33) - könne man sehen, daß sie kimtellierte kinder und natürlichen nit erzeugt sein (IV,48,13f ). Folgerichtig leitet sich daraus auch der Ratschlag ab, wonach sich solcher arzneien und künsten wol ist zu enthalten (IV,48,15f ).

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nicht das Recht auf bloße Kritik ableiten, es ist viehnehr die Aufgabe des Historiographen, sowohl das unlöblich wie das löblich zu beschreiben. Proben definiert also nicht eine Wahrheit 'erster Ordnung',"' nicht bloße Fakten als Ziel der Geschichtsschreibung, sondern die Historiographie erfШlt ihren Zweck erst dann, wenn der Rezipient geschichtliche Personen und Ereignisse selbst bewerten kann. Historische Faktentreue vereinigt sich hier mit einer literarisch gesetzten sinnhaften Wahrheit. Zu dieser gehört die Erkenntnis der Ambivalenz menschlichen Lebens und Handelns. Nur wenn die Geschichtsschreibung diesen Schritt vollzieht, leistet sie einen Beitrag zur Annäherung an die göttliche Wahrheit, kann sie überhaupt erst als magistra vitae wirken."' Davon grenzt Froben eine Historiographie ab, die sich nur an einer äußeren Wirkung orientiert, und damit immer dem Interesse der Herrschenden dient. Solche Historien sind für ihn panegyrici,^ deren rhetorisch artifizielle Schreibweise Indiz für die Verfälschung der Wahrheit ist. Wenn er den französischen Historikern vorhält, sie würden iren luginen maisterlichen ein art und ein ansehen geben künden (IV,45,llf.), dann schwingt hier noch etwas mit von der mittelalteriichen Dichotomie von lügenhafter Poesie und 'wahrer' Prosa. Anhand dieser Negativfolie der französischen Geschichtsschreibung entwickelt Froben nun seine Maxime einer wahrhaftigen Geschichtsschreibung: Aber die historici die übergeen [das Ungebürliche] und will niemands der grasen Herren privatleben anrüren oder der katzen die schellen anhenken, sonder schreiben mertails von ires bauchs und von gewins wegen, daran sie doch höchlich unrecht thuen und billicher weren schmaichler und orenmelker, dann historici zu nennen; dann nit allain das löblich und so das Hecht erleiden mag, zu beschreiben, sonder vil mehr das unlöblich und ungepürlich, damit sich die nachkommen dess erinnern und zu vermerken, warumb etwann Gott ein ganz künigreich sinken last und erschröckenlichen strafet. (IV,46,16-25)

Der hier aufgestellte Kausalzusammenhang zwischen eigenem Handehi imd der göttlichen Antwort steht nicht zufallig im Zusammenhang mit der Geburt des ersten Sohnes. Wie schon die Heirat ist die Geburt eines Nachkommen letztlich als Fügung Gottes zu verstehen. An diesem Punkt nämlich erweist sich alles Taktieren und Berechnen, und auch das 'Kinderzeugen aus der Apotheke', als nutzlos. Von hier aus wird verständlich, warum der Chronist seine Heirat mit Kunigunde anhand eines nächtlichen Traumgesichts gerechtfertigt hat: Wenn die Gräfin von Eberstein schon keinen namhaften Besitz in die Ehe eingebracht hat, dann ist sie doch diejenige, die den Bestand des Geschlechts sichert. In der Logik der obigen Definition der Geschichtsschreibung ist der Historiker elementarer Teil der Heilsgeschichte, er erforscht mit seiner Arbeit Gottes Willen in der Geschichte und bewertet das menschliche Handehi nach dem

WATZLAWICK,

Bausteine, S. 218fr.

V g l . MELVILLE, G e s c h i c h t e , S. 1 4 5 f .

Vgl. unten S. 408.

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Die 'Zünmerische Chronik'

Maß der Übereinstimmimg mit den göttlichen Geboten. Aus dieser ganz von dem Gedanken der Werkgerechtigkeit erffilUen Vorstellung heraus kann Proben seine eigene Aufgabe präzisieren: Als Historiker muß er die Wahrheit der Geschichte an den Tag bringen, weil er nur so Gottes Wirken sichtbar machen kann. Mit dieser moralischen Legitimation versehen, bootet Proben die bisherige Beratungsinstanz, die gelthungerigen und schmaichlerischen theologis (IV,45,33), aus, da diese wegen ihrer Habgier und ihres Machthungers den göttlichen Willen mißachten.'™ Probens Berufimg auf die göttliche Instanz bleibt stereotyp und wird nicht inhaltlich erläutert, hinter Gottes Willen beginnt vielmehr fur ihn schon ein säkulares Gesetz der Geschichte zu wirken. Pur Proben bedeutet diese Erkenntnis eine Dialogisierung und Kontextualisierung aller Ereignisse, denn nur so kann ein fi-eudiges Ereignis wie die Geburt des Stammhalters 'ausbalanciert' werden und auch im Glück die ständige Gefährdung des Menschen durch seine eigene Beschränktheit sowie die Angst vor der göttlichen Strafe wachgehalten werden. Diese Funktion erfüllt der dritte Teil des Geburtskapitels, das eine Epidemie in Rohrdorf behandeh (IV,43,20). Die enge literarische Verzahnung dieses Themas mit der Geburt Wilhelms ist chronologisch nicht schlüssig, weil beide Ereignisse über zwei Jahre auseinander liegen. Dabei ist die Nachricht über die Epidemie selbst nicht mehr als ein aimalistischer Eintrag von nur wenigen Zeilen,'·" während die Vorgeschichte dazu fast ein Drittel des 190. Kapitels umfaßt. Diese Geschichte, die sich acht Monate vor dem Ausbruch der Epidemie um Weihnachten 1550 ereignet hat, handeh von einem Rohrdorfer Schneider, der Symptome emer Geisteskrankheit zeigt und wegen Gemeingefährlichkeit im Meßnerhaus eingesperrt wird. Dort wirft er in der Nacht eine Kerze um, worauf das Haus in Plammen aufgeht. Obwohl man den an eine Kette gefesselten Schneider noch hätten retten können, läßt man ihn verbrermen, teils aus Wut darüber, daß er den Brand verursacht hat, teils weil man froh ist, keinen Unterhalt mehr für ihn zahlen zu müssen. Ein solches Handehi ist Mord, der - als ihn die weltliche Gerichtsbarkeit nicht sühnt - von Gott gerächt wird: Kurze Zeit später kam der sterbendt uf den herbst geen Rordorf, anno 1551; der weret gar nahe ein ganzes jar [...] Es hets menigclich für ain wunderwerk und sondere straf von Gott, das derselbig die ungetrewen und unmentschlichen leut allain, als die, so die straf verdienet, weite haimsuchen; iren durch die ordenlichen obrigkait were verschonet und überhept worden. (IV,56,23-33) 970

Proben war der Vorwurf an die Historiographen, sie würden ihre Arbeiten nicht im Interesse der Wahrheit, sondern in dem ihrer Auftraggeber verfassen, bestens bekannt. Einer seiner wichtigsten Beiträger, Johannes Herold (vgl. zu ihm unten S. 435-438), lieferte sich mit Aventin einen heftigen Streit über die wahre Herkunft der beiden konkurrierenden Häuser Bayerns und der Pfalz. Herold mußte sich des Vorwurfs erwehren, es letztlich beiden Parteien recht machen zu wollen (BURCKHART, Herold, S. 189-192). IV,56,22-26: Es standi aber hernach über acht monaten nit an, do kam der sterbendt uf den herbst geen Rordorf, anno 1552; der -weret gar nahe ein ganzes jar. Es stürben ob den hundert personen, denen man nit gehelfen mocht.

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Die ausgleichende Gerechtigkeit Gottes wirkt demnach dort, wo menschliche Ordnung versagt. Mit dieser Kausalität leistet der Chronist semen Beitrag zur Theodizee und ein weiteres Mal zur Erkenntnis der lex totius:^^ In diesem Fall wird die Ansicht vermittelt, daß jedes begangene Unrecht unabhängig vom Stand des Täters gerächt wird; insofern ist die Rohrdorfer Epidemie vom Chroiüsten als unmittelbarer Analogiefall zu der Mißachtung Gottes am französischen Hof gestaltet. Neben dem poetologischen Aspekt, der dialektischen Vermischung von Freude und Trauer, bezieht sich die Geschichte der Epidemie kommentierend auf konkrete politische Verhaltensweisen. Wenn die Rohrdorfer ihres finanziellen Vorteils wegen einen Menschen verbrennen lassen, dann handehi sie nicht anders als jene Adligen, die nur an die Befriedigung ihrer eigenen Bedürfriisse denken, denen aber der Bestand des Gemeinwesens gleichgültig ist. Das entspricht genau jenem Verhalten, welches Froben seinem Vater und partiell seinem Onkel Gottfried Werner vorwirft. Da Froben mit der Rohrdorfer Epidemie an das Wirken einer göttlichen Gerechtigkeit erinnert, verleiht er seinen Warnungen vor 'sündhaften' und nachteiligen Handlungen zusätzliches Gewicht, das drohende Verlöschen des eigenen Hauses entspricht dabei dem Schicksal Rohrdorfs, das durch die Epidemie fast entvölkert wird.'" Froben versucht demnach indirekt, das lange Warten auf einen männlichen Nachkommen und die damit einhergehende Gefährdung der Dynastie als göttliche Strafe für die Vergehen seiner Vorfahren zu erklären. In einem ftir ihn typischen Analogieverfahren verbindet er ein (frühmodemes) logisches Kausalitätsdenken mit einer christlichen Schuld-Sühne-Vorstellung. Das der Erzählung von der Rohrdorfer Epidemie zugrunde gelegte Modell emes Automatismus zwischen ungebüßtem Vergehen imd göttlicher Strafe macht sich Froben in einer weiteren Beispielerzählung, mit der er Herrschaft und juristische Strafgewalt rechtfertigt, zu nutze. Wie in dem Fall des Rohrdorfer Schneiders läßt Froben anstelle des zuständigen weltlichen Richters,"" Gottfried Werner, Gott als strafende Instanz auf den Plan treten: Die Bauern von Krennheinstetten besuchen in betrunkenem Zustand die Messe, werden dafür aber vom Patronatsherm Gottfried Werner nicht angemessen bestraft, sondern nur mit aim fiichsschwanz geschlagen. Daraufhin schickt ihnen Gott im nächsten Jahr ein verheerendes Unwetter (IV,57,20-23). Eine weltliche Strafe hätte also ebenfalls die viel gravierendere göttliche Ahndung des Vergehens Vgl. zur Vorstellung einer lex totius oben S. 387. Damit steht die Geschichte vom Rohrdorfer Schneider unmittelbar neben den Erzählungen über die Ereignisse am französischen Hof, wo ebenfalls Gott als der Rächer auftritt. Gottfl-ied Werner versäumt es, die Schuldigen zu bestrafen: Wie nun das feur widerumb gestillt [...], ließ der alt herr vil kuntschaft darauf machen, wer doch an der unmentschlichen that schuldig, das man den armen, unsinnigen man also ellendigclichen het verderben lasen, dem man doch anfangs so wol het künden darvon helfen. Aber es warde vertuschet und wolt niemands dessen schuldt haben. Also blib es ersitzen und wardt niemands darumb gestrafft aV,56,14-22).

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verhindert, und damit legitimiert Proben sein eigenes strenges Regiment. Allerdings ist sich er bewußt, daß eine solche kausale Verbindung auseinanderliegender Ereignisse problematisch ist - das Unwetter geht ja gleichermaßen über Gerechte und Ungerechte nieder'" - , und er in einen Widerspruch zu einer Maxime seiner Chronik gerät: Deim er maßt sich mit der Zuordnung des Unwetters zu dem Kirchenfrevel ein Wissen an, das nach seiner Überzeugung dem Menschen eigentlich verborgen ist. Doch hier ist Proben die didaktische Dimension der Erzählung so wichtig, daß diese Einschränkung nur noch als letztlich bedeutungsloser Konzessivsatz vorgeschaltet wird: Wiewol man niemands urthailn oder von den gehaimen Gottes reden soll, ¡doch ist disen bauren und eim ganzen dorf ein schwere straf hernach gevolgt [...] (IV,57,17-20). Betrachtet man die Erzählung über die Rohrdorfer Epidemie im Kontext der poetologischen Überlegungen Probens, dann wird die Thematisierung der geheimen Beweggründe für menschliches Handehi, mit der Proben seinen Blick auf den Arkanbereich begründet, erneut legitimiert: Jede öffentliche Benennung sündhaften und fehlerhaften Verhaltens ist eine Chance für die Nachwelt, daraus zu lernen und der göttlichen Strafe zu entgehen. 5.8.4.2. Die 'große' Politik und das Recht des Historikers Probens Lebenszeit ist geprägt von tiefgreifenden politischen und sozialen Umwälzungen. Neben der Erhebung der Reichsritter (1522/23), dem Bauernkrieg (1524/25) sowie der Reformation und ihrer Polgen ist es der Kampf zwischen Karl V. und Pranz I. von Prankreich um die Vormacht in Europa, der die Humanisten beschäftigt. Hier wäre eigentlich zu erwarten gewesen, daß auch Proben diese reichsgeschichtlichen Ereignisse in seiner Chronik berücksichtigt, aber sieht man von den Ausnahmen, dem Schmalkaldischen Krieg von 1546/47 (Kap. 179) und dem 'gehamischten Reichstag' 1547/48 in Augsburg (Kap. 180f ) ab, darm übergeht Proben weitgehend die innen- und außenpolitischen Ereignisse seiner Zeit. Seinen Verzicht begründet er immer mit dem lapidaren Argument, daß derartige Pakten für seine Zwecke nit dienstlich (III,559,28f.) seien.'" Denjenigen Leser, den die äußeren Ereignisse interessieren, verweist er am Beginn des 179. Kapitels auf die Schriften seines mitschuelgesellfs] Johannes Sleidanus,'" auf die Werke des Johaimes von Avila'" und des Paulus

' ' ' Proben behilft sich hier mit der probaten Lösung, anstelle von Reflexionen ein Sprichwort zu setzen: Und ob gleichwol die pauren nit alle bei diser unfure gewesen, so gel doch кие und kalb, wie man sprücht, mit ainandern, sein dessen schier in das eußerest verderben kommen (IV,57,23-26). Ähnlich äußert er sich über den von Karl V. nach Ulm einberufenen Bundestag, auf dem eine Reichsliga gegründet werden sollte. Auch hier schreibt er, er wolle die Verhandlungen nicht wiedergeben, weil derartiges in dise zimbrische historiam nit dienstlich [sei], sonder wart attain der ursach halb vermeldet, das sich ain lecherlicher handel dozumal in Ulm begab, welcher der gedechtnus würdig (111,560,30-33). Z u Sleidans B e z i e h u n g zu Frankreich vgl. FRIEDENSBURG, Sleidanus, S. 10-18. Sleidans

Werke befanden sich auch in der zimmerischen Bibliothek. Unter anderem besaßen die Zim-

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Jovius."' Proben will sich denmach auf der Ebene der Reichspolitik mit den reinen Fakten, quasi den Tatsachen erster Ordnung, nicht aufhalten, för ihn ist die große Politik nur als Stoff von Belang, der es ihm erlaubt, politischen Ereignissen einen eigenen Sinn zuzuschreiben."® Die Reichspolitik erfìillt hier den gleichen Nutzen wie ein Bericht über innerfamiliäre Streitigkeiten - und seien diese noch so banal. Deswegen sind auch seine Überlegungen zur großen Politik von denselben Absichten geleitet wie seine Darstellung der Dynastieund Regionalgeschichte: 1. Das gesetz der historien gih auch hier. 2. Politische Ereignisse haben geheime Hmtergründe. 3. Mit Intelligenz und strategischer Planung kaim man sich gewaltlos gegen Unrecht wehren. Werm in der Chronik tatsächlich - wie im Fall des Schmalkaldischen Kriegs (Kap. 179; III, 534,14-557,31) - auf die große Politik eingegangen wird, dann gilt das Interesse nicht dem Kriegsverlauf, der nur kurz behandelt wird (111,537,29-539,13), sondern dem Geschehen hinter den Kulissen und der Bewertung der handelnden Personen. Der dynastiepolitische Anlaß für die Aufnahme des Schmalkaldischen Kriegs ergibt sich erst aus dem 181. Kapitel über den Augsburger Reichstag (111,565,8-578,2). Ihn nimmt der Chronist zum Anlaß, das Verhältnis zwischen den Zimmern und ihren Widersachern auf ein festes Muster zu beziehen. Die Rolle des Gegners, die früher die Werdenberger spielten, wird jetzt von den Zollem übernommen."' Graf Niklas von Zollem hatte im Schmalkaldischen Krieg die protestantischen Stände unterstützt und sollte nach deren Niederlage dafür bestraft werden. Auf dem Augsburger Reichstag gelingt es Wilhelm Werner jedoch, Niklas vor allzu großen Nachteilen zu bewahren. So zumindest stellt es der Chronist dar, um damit die Zollem gleich ins rechte Licht zu rücken: Graf Niklas war bis zu seinem Zerwürfiiis mit dem König ein hochmüetiger graf, der vil uf seinefj sachen und fürnemmen (111,565,16f) achtete und Wilhehn Werner oft verspottete. Als er sich von ihm Fürsprache erhofft, geriert er sich als inniger Freund der Zimmern (111,567,290:). Kaum ist die Gefahr jedoch überstanden, kennt Niklas Wilhelm

mem Sleidans Übersetzung von Commynes Memoiren (vgl. Wien, ÖNB, Cod. 12595, f. 4279). Vgl. zu Übersetzung und lnteφretation dieses Werkes durch Sleidan FRFFIDENSBURG, Sleidanus, S. 33f. Die Vorstellung ist ansprechend, daß Proben von seinem mitschuelgesell[en] auf Commynes aufmerksam geworden ist und ihn die Deutung Sleidans veranlaßte, selbst ein ähnliches Werk in Angriff zu nehmen. Johaimes von Avila, Commentariorum de bello Germanico, a Carolo V. Cssare Maximo gesto, 2 Bde., о. О. 1550. Paulus Jovius, Historiarum sui temporis, 2 Bde., Paris 1553-1554. "" Dies ist für die Geschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts nichts Ungewöhnliches, hier schreiben nicht "Staatsmänner für Staatsmänner" (KRAUS, Welt, S. 56). - Nach KRAUS ist für Aventin und die humanistischen Geschichtsschreiber des 16. Jahrhunderts die Politik deswegen "kein literarisches Thema", weil sie "nicht Politiker, sondern Moralisten" sind. Die 'Zimmerische Chronik' mit ihrem 'ganzheitlichen' Denken, zeigt indessen, dafl sich beides nicht trennen läßt und der Geschichtsschreiber durch eine reine moralisatio nichts bewirkt. Vgl. dazu das Kapitel 178 (Ш,514,15-534,13), in dem der Streit mit den Homburgem um Krauchenwies geschildert wird und die Zollem als die Intriganten im Hintergrund stehen.

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Werner kaum mehr (111,571,5-9). Selbstverständlich verzichtet der Chronist auf eine genaue Beschreibung der zwischen Zollem und Habsburg ausgehandelten Vereinbarung {das prechte ain verlengerung, ist auch alher nit dienstlichen 111,569,15f.) und der politischen Implikationen. Die gesamte Reichsgeschichte ist für ihn nur insofern von Bedeutung, als er damit ein neuerliches Exempel des historischen Gesetzes - Undank ist der Welt bzw. der Zimmern Lohn - für sein Werk gewinnt. Auch das 156. Kapitel, in dessen Überschrift der Chronist vorgibt, sich mit der französischen Politik zu befassen (111,260,13ff.), dient im Kem nur dem Ziel, die Gültigkeit der lex totius für den politischen Makrokosmos nachzuweisen. In diesem Kapitel befaßt sich Proben überraschend konkret und ausfuhrlich mit den Verhältnissen am französischen Hof (111,263,12-265,26; 267,4270,34) und dem Konflikt zwischen Franz I. und Karl von Bourbon (111,261,6262,33). Letzteres wird von Proben in den Kontext der auch im deutschen Reich virulenten Problematik einer Mediatisierung des Adels durch den König gestellt (111,261,6-11): Pranz I. versucht, seine Mutter mit Karl von Bourbon zu verheiraten, weil er von einer solchen Ehe keine Nachkommen erwartet und damit nach dem Tod Karls dessen Reich vereinnahmen kann. Als Karl diese Idee mit deutlichen Worten ablehnt, verabreicht Pranz I. ihm eine Ohrfeige für Proben Ausgangspunkt für die Darstellung eines anthropologischen Gesetzes: Eine kleine Unüberlegtheit, begangen in großem zorn, hat weitreichende Folgen. Wegen der soufleten wechselt Karl auf die Seite Karls V. und hat maßgeblichen Anteil an der Gefangennahme des französischen Königs bei Pavia. Über das Motiv der Emotionalität als anthropologische 'Hypothek' kann Proben die Brücke schlagen zu allen anderen Ständen und zur Aufgabe des Historikers. Denn das Beispiel des königlichen Pehlverhaltens belegt, daß eine Geschichte, die nach den Ereignisursachen fragt, allgemein gültige Handlungsgesetze zum Vorschein bringt: [...] die kochen potentaten übersehen zu zeiten ire sachen gleich so grob, als die gemainen leut, wie man sprücht, das kein weiser kein kleine dorheit begang [...] (111,262,21-24). Auch die Könige unterliegen den allgemein gültigen Gesetzen menschlichen Handelns, und diese sind wiederum Teil der götlich warhait (111,261,5), deren Erkenntnis Proben ansfrebt. Die Berufimg auf die Wahrheit dient als Preibrief dafür, die tieferen Gründe fflr politische Mißstände in der mangelnden Moral der Herrschenden zu suchen. Pür das Kardinalbeispiel Prankreich bedeutet dies, daß die Niederiagen Pranz' I. den lockeren Sitten an dessen Hof zu verdanken sind. Mit einer Pülle von 'skandalösen' Anekdoten''^ belegt er die allgemeine Promiskuität um Pranz I., wobei er mit dem Sprichwort wann der apt die würfel leg[t], [megen] Vgl. z. B. die schwankhafte Anekdote um die vermeintlich unerfahrene Braut des Herren von Laval (111,269,27-270,22). Diese Geschichte ist literarischen Vorbildern nachgeahmt, sie gehört zu den Erzählungen aus der Hochzeitsnacht, in welcher sich die Jungfräulichkeit der Braut erweist. Vgl. zum Motiv der Unerfahrenheit eines Ehegatten Mot. J. 1744, 1744.1, Cent Nouvelles Nouvelles 89; Poggio, Facetiae, S. 461 [Nr. 150].

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die münch im covent wol spilen (111,263,18f.), die Verantwortung dafür dem König zuschiebt.'" Die Gescliichten um Franz I. sind kaum weniger obszön als diejenigen, die Proben von den Habsburgem erzäMt"" - auch wenn er im nationalen Vergleich"' die moralische Integrität und sexuelle Unerfahrenheit der Deutschen hervorkehrt (111,270,38-271,12) - , und deswegen liegt ihre Funktion darin, jede Herrschaft für die Aufrechterhaltung der Moral in die Pflicht zu nehmen: Derm [...] wie künden die mores und Sitten an höfen und auch in lendern anders sein, dann nachdem die herren und potentaten gesünt oder geartet? (111,263,13fl·.). Mit dieser Argumentation ist für Froben aber auch die Aufgabe des Historiographen umschrieben, der zum moralischen Richter über den Herrscher wird. Damit hat er seme ursprüngliche Position, wonach ihm als einfachem Adligen kein Urteil über König und Fürsten zusteht, verlassen und einen Standpunkt gefunden, der ihm Hofkritik ermöglicht. Diese Neuorientierung erscheint ihm so bedeutsam, daß er dem 156. Kapitel eine seiner seltenen poetologischen Überiegungen vorausschickt: Wiewol dieses capitel zu dieser zimbrischen historia nit sonders dienstlich, noch auch zu der materia sich ruempt, iedoch, seitmals zum tail dardurch wargenommen werden mag, was der zeit die verderbten sitten und gebreuch am französischen hof, auch handlungen, die sonst von keinem beschriben werden, dann niemands sein mundt in himel legen will, darin vermeldet, so acht ich einem, der historias schreiben welle, zugehören, libere und frei, was er von glaubwürdigen leuten gehört und selbs gesehen und erfrtren, ohne alles schewen oder ainig entsitzen in geschriften zu bringen und damit der gedechtnus zu bevelchen; dann wie wolten wir sonst von den alten kaisem, königen und andern hochen potentatten irer loblichen taten, auch dameben irer tyrannischen und grausamen lästern zu unsern Zeiten ein Wissens haben? Und demnach das königreich der Franzosen etliche fiirneme könig gehapt, so ist doch der könig Franciscus, der erst dises namens, bei den fiimembsten zu achten, man well es gleich rechnen oder uf was weg bedeuten; der auch sein künigreich also hoch erhept, gebesseret und in etlichen stucken widerumb hat Fast mit Genugtuung berichtet Froben von der Syphilis, die sich Franz I. zugezogen habe. Wenn er dessen Hof als Veneris berg charakterisiert (Ш,263,31), dann schwingt hier etwas von der Doppeldeutigkeit des Begriffs mit. Vgl. die Erzählung von der Vergewaltigung einer Bürgerstochter durch Herzog Friedrich. Siehe oben S. 296. Gegen JENNY, der hier einen Antagonismus von deutscher Treue und welscher Sittenlosigkeit sieht, ist einzuwenden, daß es Froben versteht, sich auch über die deutsche Einfältigkeit in copulativis anhand einer Scherzrede lustig zu machen (Kap. 156): In Ulm müßten angeblich die Brautleute vor der Hochzeitsnacht erst aufgeklärt werden, da sie sonst nicht wissen, was sie miteinander anfangen sollen (111,270,38-271,12). Froben spielt hier mit dem Gegensatz von kirchlicher Sexuahnoral und dem Ehesakrament, wenn er die Passage mit folgener Geschichte beendet: Es sprach Jörg Will von Rotweil, die söne het man underricht, das sie zu niesung dises hailigen sacraments die bruch über den sünder abziehen müesten, dergleichen hetten die scwiger iren döchtern drei mderweisungen fürgehalten, nemlich das sie sollten sein schemig, demietig und streitig. Wie er aber das u/ein gaistlichen verstandt ußlegt, das laß ich iezmals bleiben.

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Die 'Zimmerische Chronik' vernachtailt, und erinnert, was er bei seinen Zeiten zu der cron gebracht, das haben iren vil geschriben, was er aber dargegen für lender verloren oder das an ime nit hoch ist zu loben gewest, welcher thuet dessen mit dem wenigisten ain meidung? Sollichs sein nit historice, sonder panegyrici, die nun melden, was man gem höret, das bitter überhupfen sie, seitmals die götlich warhait niemands, er sei gleich hoches oder niders stands, erleiden mag. (Ш,260,17-

261,6) Die Legitimation des Historikers zur völligen Offenheit liegt in seinem Zwang zur Objektivität, im Aufdecken der geheimsten Ursachen und in einer fast religiösen 'Verkündigung' der göttlichen Wahrheit. Da Gott als Herr der Geschichte nichts ohne Ursache tut, kann nur so der Untergang emes Reiches oder einer Dynastie erklärt und verhindert werden. Frohen definiert hier erneut die Funktion der Historiographie als Medium der Erkenntnis: Da die götlich warheit ewig existiert imd unveränderlich ist, hat sie für alle Menschen eine tiefe Bedeutung, da sie sich in der Geschichte widerspiegelt, kann man sie entdekken, wenn man die historischen Strukturmuster mit ihrem überzeitlichen Charakter herausarbeitet. Die Erkenntnis derartiger Muster ist die wirkliche Aufgabe des Historiographen, der deswegen die ganze 'Geschichte' wiedergeben muß imd das Negative - wie die Ereignisse in Frankreich - nicht ausklammem darf. Wie verhält sich diese Einsicht zu Frobens Theorie des 'indirekten Redens' als der einzig richtigen Form der Kritik? Froben hat den immanenten Widerspruch gesehen und präsentiert ihn ständig. So wird zwar - analog zu Franz I. Unglück und aller Unfall (111,544,9) des württembergischen Herzogs Ulrich im Schmalkaldischen Krieg damit erklärt, daß er in seiner Jugend die Gattin eines Adligen beschlaffen habe,"' und auch die Bigamie des Landgrafen Philipp von Hessen ist der Anlaß für den Niedergang seines Landes (III,545,37f). Aber andererseits redet Froben einer solchen deutlichen Offenbarung von Fehlem nicht das Wort. Er weiß um die negativen Auswirkungen unverblümter Kritik und gibt deswegen einer eleganten Konversation, in der im Einklang mit den Vorstellungen einer Urbanen Lebenshaltung die menschlichen Schwächen durch Witz und Humor gemildert werden, den Vorzug. Letzteres ist das Ergebnis der Berichte und Anekdoten"' vom Augsburger Reichstag, die eben nicht - wie JENNY meint - bloße "Assoziationsketten" sind und auf eine "gänzlich unsystematische imd manische Art [schließen lassen], mit der Froben nach Erkenntnis - des Menschen und der Natur - ringt.'"" Froben sieht den Menschen im Als weitere Beispiele für diese moralische Erklärung des Krieges folgen zwei Parallelbeispiele über Herzog Heinrich von Braunschweig und den Landgrafen Philipp von Hessen. Auch bei dem ersten Beispiel erscheint wieder das Motiv der dem Chronisten auferlegten Zurückhaltung: [Herzog Heinrich] hat sich auch mit [einer Frau] übergriffen, das ine seither wenig glück angangen, wie ich dann hievon, so mir das gepürn weite, wol gründtlicher und deutlicher anzaigung thuen kündte (111,544,19-22). Vgl. etwa Ш,560,33-565,7; 571,20-574,21. JENNY, Froben, S. 192.

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Zwiespalt zwischen gesellschaftlicher Norm und göttlicher Wahrheit, er will diese Normen nicht verletzen, aber dennoch die lex totius zur Geltung bringen. Kommunikative Kompetenz besteht darin, die Wahrheit in verdeckter Form zu verkünden, und deswegen zeigt er mit besonderer Vorliebe Szenen, in denen die gesellschaftliche Norm bewahrt wird imd dennoch durch schlagfertiges, schwankhaft-ironisches Reagieren die 'wahren' Verhältnisse öffentlich werden. Dazu ein Beispiel: Auf dem Augsburger Reichstag verspottet Philipp von Hessen den Abt von Fulda damit, daß er ime seine bulschaft oder liebhaberin het gebult (111,545,16f.). Der Abt revanchiert sich mit einer Anspielung auf ein Gerücht über ein Verhältnis zwischen ihm und Philipps Mutter: Herr von Hessen! Ewer Lieb haben mir ein schlechten schaden hiemit bewisen, ich hab aber wol manichem sein muetter gebulet (damit braucht er eben den terminum, wie der Jung landtgrafhet gethan) und habs im dennost nit gesagt (111,545,18-22). Die Forderung des Chronisten, stets situationsadäquat zu handehi, ist hier erfüllt, denn der Landgraf wird zwar gedemütigt, aber die soziale Rangordnung nicht gestört. Der Modus, welcher dies gewährleistet, ist der des verhüllten Sprechens. Im Grund ist damit auch die Funktion beschrieben, die Froben seinen widerständigen Anekdoten iimerhalb der Chronik zuschreibt. Er ftihrt vor, wie hochgradig ritualisierte, höfische Kommimikationsformen durch nuancierte Umdeutungen gefahrlos dekonstruiert werden können. Gleichzeitig dienen solche Anekdoten dazu, traditionelle historiographische Darstellungsformen zu unterlaufen und den Blick auf die tieferliegenden, anthropologischen Implikationen von Entscheidungen zu öflSien. Sein Vorbild für eine solche Kultur der gesellschaftlichen Konversation könnte sehr wohl Baidassare Castigliones Ί1 libro del Cortegiano' - ein Werk, welches Froben besaß"' - gewesen sein, weil auch hier bereits die Verbindung von Erkenntnis und Ästhetik bei gleichzeitigem Verzicht auf ein starres Normensystem dominiert. Zu dieser Form der Kommunikation gehört für Froben ganz wesentlich eine geradezu ästhetische Freude am Verschlüsseln und Entschlüsseln. Deswegen beschränkt sich seine offene Kritik an deutschen Höfen auf relativ wenige Sonderfälle, er errichtet vielmehr selbst Verständnisbarrieren, aber nur, um den Rezipienten zu eigener Deutungsleistung zu zwingen. Seine Rechtfertigung hierför ist die prinzipielle Unbegreifbarkeit der göttlichen Schöpfimg - ein Umstand, aus dem er den unabschließbaren Auftrag für den Historiographen ableitet, die geheimen Zeichen Gottes in der Geschichte zu finden. Den Schlüssel zum Verständnis der Geschichte, den Froben selbst in ihr sucht, kann er zwar dem Rezipienten nicht geben, aber dieser soll die Chronik als einen wichtigen Baustein zur Entschlüsselung des Sinns der Geschichte betrachten. Welchen großen Nutzen eine solche Suche haben kann, zeigt Froben in einer seiner wenigen Bemerkungen zu den Reformationskriegen. Diese 'zwangsläufige'

Wien, ÖNB, Cod. 12595, f. 63".

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Strafe'^ fur mangelhafte Moralobservanz sei den Deutschen in einem Palindrom'" angekündigt worden, dessen haimliche und verborgne bedeutnus jedoch niemand erkannt habe (III,534,28f.). In dieser Bemerkung bricht sich nicht allein die ontologische Sichtweise des Chronisten Bahn, wonach sich unter der Oberfläche der Schrift immer eine tiefere Bedeutung verbirgt,"^ sondern Proben bezeichnet damit gleichermaßen seine eigene Einstellung gegenüber der Geschichtsschreibung wie seine eigene literarische Methode. 5.8.4.3. Der Historiker und das Unheimliche Nachdem Proben am Ende der Chronik die Entschlüsselung der göttlichen Wahrheit als zentrale Aufgabe des Historikers benannt und das Wirken Gottes in jeder Alltagsbegebenheit kenntlich gemacht hatte, war es naheliegend, daß er sich auch mit jenen übernatürlichen Erscheinungen auseinandersetzte, die er in den früheren Chronikabschnitten schon punktuell angesprochen hatte. Proben widmet dieser Thematik drei Kapitel (196ff.),"' die mit ihren 17 Polioseiten Umfang mehr Platz einnehmen als etwa die Behandlung des Augsburger Reichstags. In diesem Zusammenhang ist nun weniger Probens eigener Aberglauben"·* von Bedeutung, sondern der Grund für die Einfügung derartiger Gespenstergeschichten in eine adlige Hauschronik, die sich einer historischen Wahrheit verpflichtet sieht. JENNY hat aus den zahlreichen Gespenstergeschichten m der Chronik ein 'Verfallensein' des Autors "an dieses unheimliche Zwischenreich" geschlossen und noch weitergehende Folgerungen für Probens Gottesbild gezogen: So sei Probens Gott ein "Deus absconditus", der nur durch "'mitel' wirkt [...] und der dem 'bösen Geist' und seinem 'Gugelspiel' freies

Proben deutet den Krieg als göttliche Prüfung fiilr den Menschen und steht damit der Einstellung Sebastian Francks nahe (vgl. HAGENLOCHER, Kriegbüchlin, S. 90f.). Auch Sebastian Küng geht in seiner Chronik an der Frage der Zweckmäßigkeit eines Krieges nicht vorüber. Vgl. dazu oben S. 112 und 121. ffl,535,lf.: Signa te signa, temere me tangis me tangís et angis, / Roma tibi subito motibus ibit amor. Vgl. dazu auch in,317,29f. Eine Stellensammlung zu den Gespenster- und Geistergeschichten bietet JOHNE, Leben, S. 328-339. - Wie KLEINSCHMTOT (Rudolf von Schlettstadt, Historie, S. 33ff.) gezeigt hat, benutzt Froben bei derartigen Geschichten die Sammlung Rudolfs von Schlettstadt, die ihm in einer Abschrift Wilhehn Wemers (Stuttgart, WLB, Cod. Don. 704; vgl. dazu KLEINSCHMTOT, Dominikaner-Geschichtsschreibung, S. 388-395) voriag. Eine Kurzerzahlung bietet einen Hinweis darauf, daß Froben in Gerichtsfällen sehr unentschieden und vorsichtig war. Er begründet die Begnadigung eines jugendlichen Pferdediebs damit, daß er Angst vor einer Rache aus dem Jenseits hatte. Seine Begründung faßt er in Form einer Geschichte, in der ein gehenkter Pferdedieb seinem Richter als Geist erscheint und dieser vor Schrecken krank wird. In der Aneinanderreihung beider Geschichten ist unmittelbar die Unsicherheit Frobens bei Todesurteilen abzulesen, die er in dem Resümee zusammenfaßt: In somma, es ist ganz müßlich und gefärlich mit den malefizsachen (IV,202,20f ). Die sich daran anschließende Geschichte über einen Pfarrer, der in Frauenkleidern bei einer verheirateten Frau aufgegriffen wird, läßt wegen einer Parallele zu Montanus (Gartengesellschaft Π, Cap. 87) darauf schließen, daß Froben auch dieses Werk auswertete.

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Feld läßt." Frobens Weltbild sei "vom bösen Geist beherrscht", m d daraus erkläre sich "sein fatalistischer Unterton, sein Relativismus allen ethischen Bemühungen gegenüber, seine Ergebenheit ins Fatum, seine Vergänglichkeitsstimmung Proben indessen huldigt keineswegs esoterischen Lehren, noch fühlt er sich einer Zwischenweh ausgeliefert, vielmehr betrachtet er solche Erscheinungen als Herausforderung für die Sinndeutungskompetenz des Historiographen. Damit verlangt er sich zweierlei ab: Zum einen muß er die historische Glaubwürdigkeit des Erzählten absichern, zum anderen auch eine konkrete, nachvollziehbare Funktion der unerklärlichen Erscheinungen nennen. Ersteres leistet Froben eher indirekt, indem er die Existenz einer Zwischenwelt stillschweigend voraussetzt."* Die Erscheinungen selbst haben eine Wamfiinktion oder klären über verborgene Hintergründe auf: Werm der Koch der Ebersteiner einen Totentanz'" noch lebender Menschen beobachtet und sich selbst unter den Tanzenden sieht, dann weiß er, daß alle Teilnehmer im gleichen Jahr sterben werden (IV,119,38-40)."' Einem Basler Domherrn sagt ein Totentanz nicht nur sein eigenes Ende voraus, sondern er erkennt, daß alle Revenants ains Unrechten und unnatürlichen

tods gestorben

oder umbgebracht

worden

(IV,120,24f.) sind.'" Auch das wuteshere (IV, 122,26),"*» das 1550 durch Meßkirch geritten sein soll, warnt allgemein vor Tod und Unglück. Indem Froben solche Erscheinungen als Warnung ftmktionalisiert, gibt er dem Rezipienten die Möglichkeit, sie nicht als sorglich zu begreifen, sondern als Chance für rechtzeitige Buße auf Erden. Denn begriffen als Teil einer transzendenten Weh können die Wiedergänger dem Lebenden wichtige Einsichten über sein weiteres Schicksal vermitteln. Voraussetzung ist jedoch die Kompetenz, das Gesehene richtig zu deuten und sich entsprechend zu verhalten."*"

JENNY, Proben, S. 197. Als Beleg führt JENNY eine Stelle (IV, 1,22) an, in der Froben lediglich daraufhinweist, daß niemand gegen Gottes Willen sein Leben verlängern kann. LECOUTEUX, G e s c h i c h t e , S. 1 7 3 f .

Für die große Bedeutung dieses Themas bei den Zimmern spricht auch die prachtvoll illustrierte Handschrift mit dem 'Zimmerischen Totentanz' (Stuttgart, WLB, Cod. Don. A ΠΙ 54). " ' Diese Geschichte hat Froben den 'Historiae Memorabiles' entnommen (vgl. Rudolf von Schlettstadt, Historiae, Nr. 20). " ' Vgl. dazu auch die Einleitung des Nachtrags IV,121,22-122,24: Das aber durch solche gespens die ¡eut zu zeiten gewamet, dess haben wir vil beispill, die sich bei unser Zeiten und auch hiervor begeben. '"""Zur neueren volkskundlich-psychologischen Deutung der Wilden Jagd vgl. RÓHEIM, Jagd, S. 465-477; JUNG, Mythus. - Zur Absicherung der Geschichten um das wuteshere bedient sich Froben auch der 'Historiae Memorabiles' (Rudolf von Schlettstadt, Historiae, Nr. 34). Die weite Verbreitung dieses Motivs in der mündlichen Überlieferung Schwabens belegt ВкLINGER, Volksthümliches I, S. 533 (Register). ""'Diese pragmatische Absicht formuliert Froben mit den Worten: Wie man dann sagt, das niemands vom wueteshere was nachtails begegne, so man user dem weg thue weichen aV,125,34ff.).

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Die 'Zimmerische Chronik'

Ähnlich verfährt Proben auch bei der Behandlung der erdenmendlin,^°°^ im Wald lebende Erdgeister, die quasi Vorläufer der Heinzelmäimchen sind. Schon im 196. Kapitel erwähnt er ihren nächtlichen Gottesdienst (IV, 115,2) in der Kapelle der Erbacher, dann widmet er ihnen fast das gesamte 198. Kapitel. Hier kommt er nach Prüfimg christlicher, heidnischer und kabbalistischer Quellen zu dem Ergebnis, daß es sich bei ihnen um verfluchte Menschen handelt, die sich von ihrer Hilfsbereitschaft gegenüber den Lebenden Erlösung erhoffen, oder - so seine zweite These - um verstoßenfej engel. Der explizite Grund dafür, warum er die diese Geistergeschichten in seine Chronik aufnimmt, ist jedoch kein theologischer, sondern ein literarisch-antiquarischer: Von [den Erdgeistem] hab ich ainest bei meinen kindtlichen jaren und bei meinem leisten gedenken von den alten vil Wunders und seltzame sachen hören sagen, deren ainstails der gedechtnus wol würdig und schad were, das solche, seitmals die in der warhait also beschaffen und von ehrlichen leuten erkundiget, in vergess kommen solten, derhalben mir auch fiirgenommen, die zu verzaichnen und in gegenwärtige histori zu verleiben. (IV,131,15-22)

Proben legt die beiden Theorien - verfluchte Menschen oder gefallene Engel so aus, daß sie in ein gemeinsames Ergebnis münden. In beiden Pällen haben die Erdgeister die Aufgabe, den frommen, erbarn mentschen (IV,132,18; 131,28) dienstbar zu sein. Zu belegen sei diese Funktion auch aus den deutschen und französischen historias (IV,131,29f), die Wahrheit solcher Erscheinungen bezeugen: Und fürwar, so wir die alten deutschen und französischen oder gallischen historias für die handt nemmen und die fleißig ersehen, so befinden wir, das dieselbigen alle merertails dahin deuten, darauß dann sovil kurzweiliger und lieblicher merlen und sagen erwachsen, wie das in den tafelrundt- und andern ritterbüecherzu finden. (IV,131,29-35)'°°^

Nachdem solcherart die vormalige Existenz der Erdgeister gesichert ist, kann der Chronist zu dem zweiten Erkenntnisschritt kommen, mit welchem er ihr VerschAvinden in der Gegenwart für eine vituperatio temporis praesentis fimktionalisiert: Zu unsern Zeiten höret oder sichet man deren kains, das macht, das alle gotzforcht hin ist, dargegen aber die groß üppigkait der weit überhandt genommen, zu dem alle hauptlaster und untrewen sampt der überschwengklichen gotzlesterung so gar im schwank, das wenig besserung bei uns zu verhoffen. (IV,

132,31-36)

'""^Zu den Erdgeistem und Heinzelmännchen vgl. ERIKA LINDIG, Art. Hausgeister, in: EM б (1990), Sp. 610-617; MARIANNE RUMPF: Wie war zu Cölln es doch vordem / mit Heinzelmännchen so bequem, Fabula 17 (1976), S. 45-74. '""^Froben bezieht sich hier offenbar auf die späteren Werke der Artusliteratur mit ihrem zwergenhaften Personal oder auf die Dietrichsepik (vgl. HEINZLE, Dietrichepik, S. 19-38).

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Mit dieser zirkulären Argumentation versucht Proben, alle Bedenken hinsichtlich des Wahrheitsgehalts dieser Geschichten auszuräumen. Gegen rationale ííritik nimmt Proben die Erdgeister in Schutz, wenn er sie in den Rahmen der göttlichen Ordnung stellt: Aber es hat alles sein Ordnung und seine mütel

(IV,140,29f.). In einer teleologisch ausgerichteten Welt lebend, kann Proben keme Erscheinung leichthin übergehen, nur weil sie die Menschen nicht verstehen. Er begreift sich selbst als einen, der finis und würkung (IV, 140,37) der Erdgeister kennt und sich damit von der Masse der Unverständigen absetzt: Aber die mentschen, deren verstandt zuvil erdisch und gegen denen unsterblichen cörpern Wissens halb nit zu vergleichen, lassem alles hingeen, der weniger tail kam in sein verstandt bringen. (IV, 140,40-141,1). Hinter dieser Por-

mulierung verbirgt sich Probens Weltsicht. Zwar ist der Verstand allein in der Lage, das Gesetz der Welt zu begreifen, aber dort, wo eine Erklärung versagt, ist deswegen nicht auf ein Chaos als letzten Urgrund des Seins zu schließen, sondern auf die Begrenztheit menschlicher Erkenntnis. Iimerhalb einer immer mehr auf die konkrete Erfassung des Lebens sich hin bewegenden Wissenschaftlichkeit ist Probens Ausgriff ins Irrationale auch als wichtiges Indiz iur einen Versuch zu werten, den gesamten Kosmos des menschlichen Lebens, der maßgeblich vom Unerklärbaren bestimmt wird, zu begreifen. Deswegen spricht Proben sein Verdikt - ein schlechte solutio ists (IV, 140,24) - über alle Erklärungen, die eben nicht auch jene, den menschlichen Verstand überschreitenden Phänomene miteinbeziehen. Gleichzeitig manifestiert sich hier am deutlichsten Probens Grundannahme, daß nichts im Leben ohne Bedeutung ist (IV, 140,3440). Die Vorstellung einer prinzipiellen Erkennbarkeit der göttlichen Geheimnisse aufgrund ihrer Ordnung enthäh gnostisches Gedankengut; ihr liegt auch implizit die Meinung des Chronisten zugrunde, wonach das Leben in seiner Gesamtheit dieser höheren Ordnung unterworfen ist, deren Gesetze nur der Eingeweihte erschließen kann, und zu dieser Gruppe zählt sich Proben selbst. Wiedergänger imd Geister sind demnach für Proben nichts Bedrohliches, im Gegenteil: Pür den Historiker, der nicht nach Pakten, sondern nach Bedeutung und Sinn der Geschichte sucht, sind solche Geschehnisse genauso wichtig wie 'reale' Ereignisse. Deswegen lobt Proben den Chronisten Besenfelder, weil dieser derartige Geschichten aufgezeichnet (IV, 143,42-144,2) und damit die Punktion des Unerklärbaren als Botschaft aus dem Jenseits bestätigt habe.""·* Probens Ziel ist es, den Willen Gottes in der Geschichte zu identifizieren. Dementsprechend sind auch derartige Geistergeschichten ein Beleg dafür, daß Gott eben kein deus absconditus ist, er vielmehr durch eine Zwischenweh den Menschen Botschaften zukommen läßt. Die Gespenstergeschichten belegen, daß Gott sich den Menschen über Zeichen mitteilt, und die Aufgabe des Historikers deren Entschlüsselung ist. Abgesehen von den eher banalen Wamftmk-

""''Vgl. dazu auch die Geschichte vom Meister Epp und seinen beiden Hunden Will und Wall

αν, 141,10-143,42).

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tionen der Erscheinungen diskutiert Proben deren wirkliche Bedeutung nicht, ihm genügt es, aus ihnen eine Deutungs- und Sinnotwendigkeit abzuleiten, und damit seine spezifische siimdeutende Interpretation zu legitimieren. Allerdings muß sich Proben auch mit der Kritik an der Glaubwürdigkeit dieser Geschichten auseinandersetzen, und deswegen erwähnt er in einem Nachtrag zum 198. Kapitel erneut die 'Melusine'."*" Diese Geschichte ist ein nicht zu übergehendes Paradebeispiel für die Existenz einer Zwischenwek, in der es jene verfluchten leut, die leben und nit sterben künden [...] biß an den jüngsten tag (IV, 146,1 Of.) gibt. Aber wenn Proben schreibt, daß dergleichen insbesondere bei den newgleubigen Christen ain schlechts ansehen (IV, 146, 12f.) habe, dann nimmt er diese Kritik ernst, auch wenn sie von den Protestanten kommt. Um sie zu entschärfen, bedient er sich eines argumentativen Tricks. Proben behauptet, die Erzählung von der Melusine sei in ihrem Kem wahr, aber dann später von den verlognen Franzosen dermaßen gebessert und mit unwarhqften zusetzen gemert worden, das ez iezo bei unser zeiten alles für eitel und ain lauters fabelwerk geschetzt wurt (IV, 146,17-20). Wer п ш erwartet, Proben würde zwischen wahrem InhaU imd falschen Zusätzen differenzieren, wird enttäuscht. Zwar zählt er zunächst die einzelnen 'Pakten' - Herkunft der Melusine aus dem Poitou, ihre Rolle als Urbarmacherin und Erbauerin des Schlosses Lusignon sowie als Stammutter bedeutender Geschlechter - auf, nennt auch eine Quelle, Wilhelm von Tyrus, aber dann folgt der gesamte Melusinenmythos mit der jährlichen Rückkehr der Melusine am Karfi-eitag, ihrem Leben unter ander verfluchten menschen [...] in ainem holen berg (IV,147,5f.) und ihrer Hofbiung auf Erlösimg. Die folgenden schwankhaften Geschichten, die eme besondere Aflfmität zwischen dem Poitou und merkwürdigen Praktiken (IV, 147,16-148,4)"^ belegen sollen und in denen der Chronist als Beleg ein weiteres literarisches Werk - 'Le livre du Chevalier de La Tour Landry' - (IV, 147,31) zitiert, lenken erst recht von seiner ursprünglichen Absicht ab und belegen den Versuch des Chronisten, eine Grenzziehung zwischen Historiographie und Literatur zu vermeiden. Der Transzendenz-Diskurs der Kapitel 196-198 zeigt deutlich Probens Bestreben, auch diesen bislang nur peripher behandelten Teil des weltbuechs zu mtegrieren. Aber die Kontamination zwischen Rationalität, Aberglauben und Religion gelingt nicht. Past könnte man für Proben emen 'Riß in der Wirklichkeit' konstatieren, und seine eigenen alchimistischen und naturwissenschaftlichen Versuche verweisen darauf, daß fìir ihn die Grenze zwischen Realität und Übernatürlichem fließend ist.'""' Probens Einstellung zur Esoterik und Transzendenz ist aber auch ein Beispiel für die Aporien rationalen Denkens und für oben S. 174-177. '"""Um ein besonders kurioses Beispiel bemüht, nennt Proben als Sitte im Poitou, einem Gast die eigene Ehefrau in der Nacht zu überlassen (IV, 147,16-29). Wenn derartiges möglich ist, dann scheint ihm die Existenz einer Zwischenweh nicht weniger glaubwürdig zu sein, hierzu IV, 141,3-9.

Die Dynamik der Diskurse: Ideologie, Erkenntnis und Ästhetik

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die Restriktionen, denen jede Ursachenforschimg unterliegt. Wo sich Proben wie etwa in der chaotischen Handlungsweise seines Onkels - keine vernünftige Erklärung bietet, vermutet er übernatürliche Mächte am Werk. Da er erkannt hat, daß sich das weltbuech in seiner Totalität dem menschlichen Verstand verschließt, wird für ihn alles Unerklärbare zu einem bedeutungsvollen Zeichen.

5.9. Die Dynamik der Diskurse: Ideologie, Erkenntnis und Ästhetik Die 'Zimmerische Chronik' ist ein Werk, das sich in seinem Entstehungsprozeß von einem adligen Herkommen über eine Dynastiegeschichte zu einem weltbuech gewandelt hat. Diese Entwicklung war vorgezeichnet, sie resultiert aus der Suche des Autors nach den Gründen und Ursachen für die historischen Ereignisse. Dazu taucht der Chronist in das ihm in der zimmerischen Bibliothek zugängliche archivalische, historiographische und literarische Material ein. Das Überiieferte repräsentiert für ihn keine ferne Vergangenheit, sondern er sucht darin die strukturelle Parallelität zu seiner alltagsweltlichen Erfahrung, die er immer öfters vergleichend heranzieht. Die Vergangenheit gewinnt dabei eine metaphorische Qualität, mit der die Gegenwart erfaßt und beschrieben werden kann. Um seiner eigenen Geschichtskonstruktion eine überzeugende Form zu verleihen, bedient er sich Plotstrukturen, die er aus der Geschichte, aber auch aus der Literatur entnimmt. Dies hat zwei Konsequenzen: Zum einen entsteht em ständiger 'Dialog' zwischen historischen Ereignissen und literarischen Geschichten, die Historie spiegelt sich im literarischen Plot und umgekehrt, zum anderen gewinnen neben den üblichen Themen der Dynastiegeschichte und Hausgeschichtsschreibung auch übergreifende systematische Diskurse an Gewicht und Eigendynamik: Anthropologie, Ökonomie, Kulturgeschichte, Recht und Gerechtigkeit, Religions- und Kirchenpolitik gehören dazu genauso wie Gewalt und Herrschaft, Sexualität, Magie, Komik und Humor. Die anfänglichen Versuche, die Vielfalt der Themen noch an einem historischen, dynastischen, didaktischen oder ethischen Fixpunkt zu orientieren, werden Schritt für Schritt aufgegeben. Selbst so einschneidende Ereignisse wie Reformation und Bauernkrieg sind nur insoweit der Erwähnung wert, als sie sich in die dominanten Diskurse einfügen lassen. Daraus erklärt sich etwa die marginale Stellung der Reichsgeschichte in der Chronik oder die Deutung des Bauernaufstands als Folge privater Rachegelüste. Den an solchen Fakten interessierten Leser verweist der Chronist auf die gängigen Geschichtswerke, fur seine Arbeit würden sie nur eine imerwünschte verlengerung bedeuten. Auf die politischen Ereignisse blickt er aus der Vogelperspektive eines Adligen des 16. Jahrhunderts, für den eine Änderung der gottgewollten Gesellschaftsstruktur letztlich undenkbar ist. Viel wichtiger als die faktische Dimension der Geschehnisse smd ihm die psychologischen und anthropologischen Dispositionen,

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Die 'Zinmierische Chronik'

die ihnen zugrunde liegen. Sie sind für ihn der Schlüssel zum weltbuech,^°°^ dem 'Buch des Lebens', in dem alle Weltgesetze {lex totius) enthalten sind. Dieser Wunsch, das Ganze zu überschauen, ist ein Leitmotiv für Frobens Arbeit an der Chronik. Auf der Suche nach kollektiven Mustern findet er eine Fülle von Strukturanalogien ün menschlichen Handeln. Da sich Strukturen aber nur als Modelle beschreiben lassen, werden schrittweise alle Diskurse miteinander verknüpft: Sexualität mit Ökonomie, Religion mit Macht oder das Numinose mit dem Alltag. Die Frage nach dem Urgrund für menschliche Handlungen bleibt un Dickicht der Diskurse freilich unbeantwortet. Deswegen verharrt die Argumentation in einer unaufgelösten Dialektik, die Dialogisierung der Welt und ihrer Nonnen und Werte geht ins Unendliche. Da die großen Zusammenhänge zudem nicht verifizierbar sind, reduzieren sich didaktische Anweisimgen auf sehr wenige konkrete Situationen. Bei der Suche nach dem Inhalt des weltbuechs konzentriert sich der Chronist mehr und mehr auf Handlungskonstellationen, und auch deswegen wechselt er ständig assoziativ zwischen unterschiedlichen Lebensbereichen hin und her. Berichtenswert sind deshalb selbst kleinste Details, scheinbar unbedeutende Anekdoten oder Sprichwörter, weil sich auch an ihnen als verdichteter Kem menschlicher Erfahrung die Grundkonstituenten menschlichen Handelns ablesen lassen. Dabei wird der Chronist zum Opfer der Vielfah und Widersprüchlichkeit der einzehien Diskurse, im Prozeß des Schreibens kommt ihm der autoritative Gestus zunehmend abhanden, gelangt er zu emem relativierend-resignativen Urteil oder gar zur Ironisierung jeder einsinnigen Weltsicht. Gerade diese Distanz gegenüber einer linearen, durchkonstruierten und auf klare Ergebnisse oder didaktische Aussagen reduzierten Dynastiegeschichte verleiht der Chronik die Form einer 'dichten Beschreibung', und im FouCAULTschen Sinn beinhaltet sie ein 'Archiv' ihrer Zeit. Die 'Zimmerische Chronik' bietet deshalb alles andere als eine wilde Anhäuftmg und Vermischung der geschichtlichen und literarischen Überlieferung, viehnehr steht der Text synekdochisch für die historische Realität, wie sie sich dem Chronisten darsteUt. Die deutenden Beziehungen zwischen den einzelnen Abteilungen des 'Archivs' herzustellen, ist Aufgabe des Lesers und zugleich Auftrag an die nachkommen, die die Nachträge in den Haupttext einbauen und so die Beschreibung noch weiter 'verdichten' s o l l e n . D i e Vorgaben einer solchen dann entstehenden wesenlichen historiam (IV,323) sind in Frobens Werk schon impUzit enthalten, sie sollen abschließend in ihren ideolo-

"*"Zum Begriff vgl. oben S. 387. """Frobens Kapitelzuweisungen in den Nachtragsüberschriften, die oft nur einzelne Namen oder gar nur Themen benennen, verlangen von den als Chronikfortsetzer vorgesehenen Nachkommen eine genaue Kenntnis des Werks. Außerdem legt sich Proben bei der Zuordnung nicht immer eindeutig fest. So fügt er bei einer Nachtragsüberschrift etwa den Zusatz an, es solle eingefügt werden, do es sich hin ziempl (Hs. B, S. 1229, vgl. auch S. 1230).

Die Dynamik der Diskurse: Ideologie, Erkenntnis und Ästhetik

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gischen, epistemologischen und ästhetischen Bedingungen zusammengefaßt werden."»» 5.9.1. Aufbewahrung der memoria versus Repräsentation. Der ideologische Diskurs der Chronik Anlaß fur die Erstellung des zimmerischen Herkommens war die Erhebung des Geschlechts in den Grafenstand. Wie die lateinische Vorstufe der Chronik, der vermutlich von Wilhehn Werner angeregte 'Liber' belegt, sollte dem Geschlecht eine ständisch und rechtliche makellose Vergangenheit verschafft werden. Aber dieses Ziel gah nur für den 'Liber', fur die Chronik selbst muß die ideologische Absicht viel weiter gefaßt werden. Aus dem 'Liber' übernommen und wiederhoh postuliert,'"" wird die Herleitung der Zimmern von den Anführern der ICimmerier und Kimbern, aber zusätzlich konstruiert der Chronist eine enge dynastische Verbindung seines Geschlechts mit dem südwestdeutschen Adel in der Vergangenheit. Die Dynastie erscheint so von alters her als Teil des autochthonen Grafenadels, die Standeserhöhung lediglich als formale Wiederherstellung des früheren Zustandes. Die literarische Qualität von Frobens Verfahren besteht darin, den vergangenen Herrschaftsstatus der Zimmern nicht einfach zu prätendieren, sondern ein aus Geschichte und Geschichten bestehendes Beleggeflecht aufzubauen, aus dem sich hn Rezeptionsprozeß das Bild der ruhmreichen Vergangenheit der Zimmern wie von selbst aufdrängt.""' Der Griff nach dem Grafentitel war ein politischer Balanceakt. Er beschwor den Neid und die Feindschaft der Altgrafen herauf und war selbst im eigenen Geschlecht umstritten,'"" weil ständische Mobilität die gesellschaftliche Stabi"""Vgl. dazu WfflTE, a i o , S. 92. ""'Dekonstruktive Details finden sich im Herkommensabschnitt nur ansatzweise, etwa wenn der Chronist die Herkunft der Zimmem von einer Meerfee als alte sag (vgl. oben S. 173-177) zurückweist. Proben ist inhaltlich noch weit von jener Einschätzung entfernt, die sich in der Hauschronik Reinhardts von Gemmingen widerspiegelt. Dort heißt es mit Blick auf die Herkunftsdiskussionen beim Adel des 16. Jahrhunderts: Ich mache zwar kein Unterschiedt, ob ein Geschlecht von den alten Teutschen, ersten Innwohnern deß Landts, oder von den Veteranis Romanis, so von den Römischen Kaysem in diese Landt gesetzt worden, oder von den Frankhen herkommen, dann ich halte eines so gut alß das ander, inquiriré auch darumb nit auff den ursprung des gemmingischen Geschlechts, alß wann der römische Ursprung dem Geschlecht etwas geben oder nemen könnte, sonder nur aus Liebe der Antiquitaet setze ich hierher meine conjecturas, andern Anlaß zu geben zu fernerem nachdenckhen, jedem sein iudicium freylassendt [...] (zit. nach SEIGEL, Geschichtsschreibung, S. 105f, Anm. 59). '°''A1S Beispiel sei hier nur auf die Geschichte von der Verleihung der zimmerischen Helmzier hingewiesen (1,118,12-31 ). Vgl. dazu allg. auch Graus (Funktionen, S. 32); zum Grad der Differenzierungen bei einem Zugriff auf die genealogische Vergangenheit MELVILLE, Vorfahren, bes. S. 289ff. ""'Vgl. oben S. 380-383. Nach der Grafimg mußten sich die Zimmern dem Angriff der Landenberger erwehren. In der Chronik hat Proben in dem betreffenden Kapitel acht Zeilen ausgelassen - offenbar, weil er noch überlegte, ob er die altgräflichen Anstifter dieses Überfalls nennen sollte (vgl. Chronik der Grafen von Zimmern Ш, 189,11-14).

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lität insgesamt zu gefährden drohte. Auch der Chronist befindet sich in einem Dilemma. Einerseits fühlt er sich der traditionellen Ständegesellschaft verpflichtet, andererseits ist er durchdrungen von der Idee des sozialen Aufstiegs und ökonomischen Fortschritts. Beide Ideologeme widersprechen sich, Frohen kann sich letztlich nicht zwischen Traditionalismus und Leistungsdenken entscheiden. So gerät das Thema in die allgemeine Diaiogisierung der Normen hinein, Proben läßt Gegner wie Befürworter der Standeserhöhung zu Wort kommen, ohne die Gegensätze explizit aufzulösen: In einer Dialogszene (111,214,8-111,216,12) lehnt ein konservativer große[r] Federhanmen gegenüber einem aufstiegsorientierten jungen Adligen jede Standeserhöhung rigoros als Verstoß gegen die göttliche Ordnung ab und droht subtil mit göttlicher Strafe. Sein Widerpart verteidigt Standeserhöhungen mit einem Argument, welches bereits die neuzeitlich-indifferente Beurteilung der Herkunft erkennen läßt: Sofern ainer sein stand one ander leut schaden und nachtail verbessert (111,215,26ff.), spräche nichts dagegen. Das letzte Wort in der Diskussion behält der Befürworter, und zwar formuliert er seine Meinung bezeichnenderweise mit einem Sprichwort, einer Gattung, der Froben einen besonders hohen Weisheitsgehalt zuschreibt: gedeckt ainer under den bank, so blib er darunter (111,215,25f.). Die Welt erscheint hier ansatzweise bereits als 'Wille und Vorstellung'. In solchen Geschichten wird Frobens Werk zur geistigen Waffe gegen jede Form der Resignation und Gleichgültigkeit. Dies fürchtet der Chronist im selben Maße wie das Erlöschen des Geschlechts, und deswegen fügt er häufig Beispiele vom Niedergang einer Adelsfamilie aufgrund politischer und ökonomischer Fehlentscheidungen ein. Die ständische Legitimation des Geschlechts qua Vergangenheit gehört noch zur älteren Schicht der Chronik, im Verlauf der Arbeit wird zunehmend die Stellimg der Zimmern durch politische Klugheit, Wohlstand, Gelehrsamkeit und Ästhetik begründet. Die Chronik ist selbst Medium dieses Prozesses, diu-ch die aufwendige künsterlische Gestaltung der beiden Handschriften A und В wird der Glanz des Geschlechts bestätigt. Wappen imd Federzeichnungen""" sichern dem Werk den Rang einer antiquitas. Insofern paßt das Werk zu Kunstbewußtsein und Sammelleidenschaft der Zimmern, die vor allem in der zimmerischen Bibliothek, der 'Wunderkammer' Wilhelm Werners""' und dem '"'"Den Zusammenhang zwischen dem Wappenprogramm auf Wildenstein und den Illustrationen der 'Zimmerischen Chronik' diskutiert TRUGENBERGER, bei ihm findet sich auch ein Verzeichnis der Wappenzeichnungen in der Chronik (TRUGENBERGER, Wappen, S. 341, Airni. 9). ""'Was sich in der 'Wunderkammer' des Onkels befand, beschreibt der Chronist in seiner Gesamtwürdigung Wilhelm Werners: Sein wunderkammer zu Zimbern, darin er von jugendt uf mancherlai seltzame gebain, stain, horn und anders, das die natur wunderbarlichen gewürkl und seltzam mag genennt werden, auch von fremden nationen zusammengebracht, ist wol zu sehen und auch zu verwundern (IV, 105,27-31). Die 'Wunderkammer' war für Wilhelm Werner so wichtig, daß er sie auch während seiner Speyrer Kammerrichtertätigkeit bei sich hatte. НЕШЕМКЕЮН (Schloß, S. 142, Anm. 106) weist mit Recht darauf hin, daß die Wunderkammem keine "Vorläufer des modernen Museums [sind]. Sie repräsentieren vielmehr den univer-

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Freskenzyklus auf Wildenstein""' ihren Ausdruck finden. Die ostentative Teilnahme an der adligen Kultur hat im 16. Jahrhundert eine handfeste politische Funktion. Das Raritätenkabinett (111,350,34) Wilhehn Werners erregt sogar das Interesse des Königs: Als sich Ferdinand I. in Speyer aufhält, empfängt er Wilhelm Werner in Privataudienz zu einem Gespräch über dessen historien und antiquiteten. Schließlich erweist er ihm sogar die Ehre eines Besuchs der zimmerischen 'Wunderkammer', um die seltsame[n], abenteuerliche[n] antiquitates zu besichtigen.Die Sicherung und beliebig zu wiederholende Präsentation solcher Kuriositäten weist ihren Besitzer als Gelehrten und als Garanten für Erkenntnisse über das Wesen der Welt aus. Froben beschreibt die deutsche und lateinische Bibliothek des Grafen Wilhehn Werner (IV, 105,36) zwar nicht als Bestandteil der 'Wunderkammer', für die sich der König interessiert hat, aber er ordnet sie ihr doch eng zu. Das tertium comparationis ist die spezifische Form des Umgangs mit den dinglichen und literalen Gegenständen: Zum einen erfordert beides den Prozeß des Sammeins, zum anderen enthüllen die Werke ihr Geheimnis lucht durch den reinen Augenschein, sondern nur durch erfarnus. Die Präsentation beider Gegenstandsbereiche, unabhängig ob Schrift oder Raritäten, zielt darauf ab, dem Besitzer bei den Standesgenossen eine besondere Aura zu verleihen (vgl. IV,105,31-35), und im Kreise seiner gelehrten Freunde hat Froben mit seiner Hauschronik sichergesteUt, daß Melanchthons Diktum, wonach ein an der Geschichte desinteressierter Mensch eine grobe Sau sei,""' auf die Zimmern nicht zutrifft. Neben einer nach außen gerichteten repräsentativen Intention bietet eine Hauschronik den Raum für eine pädagogische Unterweisung der Nachkommen. Eine darstellerische Möglichkeit hierfür liegt in der exemplarischen Ausgestaltung der Biographie eines Vorfahren oder der eigenen Autobiographie. Aber der selbstgesetzte wissenschaftliche Objektivitätsanspruch läßt für Froben eine direkte Didaxe nur in Einzelfällen zu.""' Es ist nicht nur die angestrebte Objektivität und die Ablehmmg jeder Panegyrik, die den Chronisten abhält, sich oder andere explizit als Vorbild für die Nachkommen zu präsentieren, salen Zusammenhang aller Dinge und waren somit als Spiegel des Universums konzipiert." Zur Funktion der Wunderkammer in der Frühen Neuzeit vgl. HOLLÄNDER, Kunst- und Wunderkammern, bes. S. 138FF. ""*Im Gegensatz zu CURSCHMANN/WACHINGER (Berner, S. 389) bin ich nicht der Ansicht, daß Gottfried Werner den 'Sigenot' nur für einen privaten Gebrauch abmalen ließ. Vgl. dazu oben Anm. 906. ""^In diesem Zusammenhang ist die bislang viel zu wenig beachtete Sammeltätigkeit als Teil fürstlicher Repräsentation besonders zu betonen - gerade auch im Hinblick auf das Verhältnis Wilhehn Werners zum Haus Habsburg. So war Werner Wilhehn für König Ferdinand ein so vertrauter und vertrauenswerter Historiker, daß er ihm die Überreste der Maximilianischen Wunderkammer in Straßburg anvertraute (vgl. JENNY, Froben, S. 61). Damit im engen Zusammenhang steht freilich auch der gelungene Versuch der Habsburger nach Wilhem Werners Tod, die zimmerische Wunderkammer nach Ambras zu überführen. "»»Vgl. oben S. 40. ""'Ein Beispiel wäre etwa die Biographie des Urgroßvaters. Vgl. oben S. 246ff.

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sondern er ist hinsichtlich der Wirkung von Exempel Pessimist. Auch der ungelöste Widerspruch zwischen Determinismus und Synergismus dürfte für den Verzicht auf eine Exemplifizierung der Vergangenheit maßgebend gewesen sein. Proben ist trotz seines hohen theoretischen Reflexionsniveaus bei der Geschichte seines Geschlechts einem mittelalterlichen Modell verhaftet, das noch - ganz dem Bild vom Rad der Fortuna entsprechend - auf einem ständigen Wechsel zwischen Aufstieg und Niedergang b e r u h t . D e s h a l b ist ihm aber der Gedanke an einen ökonomischen Fortschritt nicht fi'emd. In ihm liegt sogar eine Wurzel für die (verschlüsselte) Kritik an seinen eigenen Vorfahren. Froben versteht sich als derjenige Dynast, der nach dem lang andauernden unfaal das Geschlecht wieder zu neuem Glanz ftihrt. Deswegen baut er in Meßkirch ein Schloß, welches einem wenig begüterten Grafengeschlecht eine enorme ökonomische Leistung abverlangt, und deutet seinen für das Geschlecht ungewöhnlichen Namen als Überwindung der unseligen Vergangenheit und Beginn einer neuen Ära.'"^' Trotz aller Skepsis'"" gegenüber Pädagogik und Anagogik ist der Chronist nicht indifferent: Seine Ideale sind ökonomische und politische Rationalität, Gerechtigkeit, Юugheit, Mut, Gelehrsamkeit und eine auf Witz und Ironie beruhende gesellschaftliche Souveränität. Dies belegen vereinzelte konkrete Handlungsanweisungen an die Nachkommen: So etwa begründet er die Aufnahme der Geschichte des Grafen Wilhelm von Fürstenberg (Kap. 162) mit der abschreckenden Funktion, die dessen Verschwendungssucht für den Leser haben kann'°" oder warnt - vielleicht mit Blick auf den Bauernkrieg - vor einer zu harten Bestrafimg der Untertanen (1,267,31). Vor allem Unglücksoder Krankheitsfälle sind ihm Anlaß didaktischer Unterweisungen. Über die Umstände seiner schweren Erkrankung in Tours 1541 berichtet er deswegen so genau, weil er es nit underlassen [kaim], solchs denen nachkommen in diesem geschlecht zu einem beispill und Warnung hierein zu verleiben (111,250,39-

256,22). Aber dies sind Ausnahmen, denn die in zahllosen Anekdoten und Kommentaren zu historischen Ereignissen niedergelegte Grundeinstellung '"^"Diese Geschichtsvorstellung wendet Froben natürlich nicht nur auf seine Dynastie an, sondern sie gilt generell. So schreibt er über die ständischen Ambitionen des Markgrafen von Baden: Aber die titl und predicata steigen mit dem pracht, biß es letzst uß aller hechst kommen wurt und brechen muß (ΤΠ,73,8ί ). '"^'^ЛЭЭДЭ-ЗЗ: Und dieweil anefangs seins [Frobens] namens halb vil red gewesen, das der in Schwabenland gar ungewon, auch ein newerung in dem geschlecht bedeut, das hat er zu kainer mühe oder beschwerdt angenommen, sonder uf sein vorthail ußgelegt, sprechende, ein neweuerung seie in dem geschlecht hoch von netten, dess welle er sich uf die vergangnen unselligen handlungen ziehen. '"^^Diese Skepsis verbindet sich mit der Kritik an der Hoferziehung. So erklärt er die unmentschliche rede eines Grafen: Aber die großen höf und da die jungen zue früe zu herren werden und sich dann frei regen dürfen, die bringen solliche fruchten. Der allmechtig doch dem grausamen laster zuwider ain mittel [schaf\ (Ш,89,31-33). I023jjj

Düfch was mite! aber das zugegangen,

in gleichen feilen darnach zu richten, nit verhalten.

will ich von der nachkommen

wegen,

sich

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Frobens ist eher fatalistisch: Der Mensch lernt nichts aus seiner Erfahrung und der G e s c h i c h t e . A m ehesten noch vertraut Proben der Wirkung seiner Anekdoten und Schwanke. In ihrer ästhetischen Form, die nur vordergründig der kurtzwile d i e n t , v e r b i r g t sich handlungspragmatische Relevanz. So zeigen die Anekdoten etwa unmittelbar, wie sich der einzebe aus dilemmatischen Situationen befreien kann. An einer Stelle wird dies explizit, wo Proben die Aufiiahme einer Anekdote um einen Grafen, der es mit fadenscheinigen Argumenten versteht, einer für ihn peinlichen Situation am Hof zu entgehen, mit den Worten rechtfertigt: Eins kann ich nit underlassen zu vermelden, damit die nachkommen ain geschwindts stückle wissen (111,370, l l f ). Den Hauptzweck seiner Chronik sieht Proben in der Bewahrung der gedechtnus, ähnlich wie im 'Weißkunig' ist sie das primäre Ziel und nicht die ethische oder politische B e l e h r u n g . D i e Aufzeichnung der Taten und der Geschichte eines Geschlechts sichert allein die Bewahrung des Namens, wenn eine Dynastie ausstirbt. Proben betreibt diese Sicherung der gedechtnus dabei nicht nur mit Blick auf die eigene Familie, deren Erlöschen er mangels männlichem Nachwuchs befiirchten mußte. Indem er die Geschichte des südwestdeutschen Adels in die Chronik aufiiimmt, wird die gedechtnus des eigenen Geschlechts zum untrennbaren Bestandteil des gesamten regionalen Adels. Mit dessen Einbeziehung in die Chronik sichert Proben auch seinem Geschlecht das memoriale Überleben. Er geht dabei davon aus, daß der Erhalt der Erirmerung entscheidend für die Bewahrung von Macht und Ansehen des Adels ist. Deswegen bleibt Proben in seiner Kritik selbst an gegnerischen Geschlechtem so zurückhaltend. Trotz aller internen Spannungen soll sich der Adel seiner engen Verbindungen und semer geschichtlichen Größe bewußt bleiben, um so den Erhah der gedechtnus aller Geschlechter zu bewahren. Nach Frobens Verständnis kann diese Aufgabe aber nur von emer sich an gelehrten Idealen orientierten Adelsgesellschaft geleistet werden. Daß er die Bewahrung des Namens vor dem Vergessen als höchsten Wert versteht und deswegen die Aufnahme in die Chronik als besondere Auszeichnung versteht, offenbart er mit der Begründung fur die Einfügung der Geschichte Friedrichs von Zollem: Diese, so schreibt er, hab ich kains wegs, seitmals derselbig ainer herschaft Zimbern mit sip und frindschaft verwant, mit stillschweigen umbgeen wellen, sonder die im zu ern und ainer gedechtnus in schrift gefasst, damit die bei den nachkommen in kain vergess gestelt wurde (1,265,13-17).'°"

'"^"Besonders drastisch illustriert dies Proben am Beispiel eines Bauern, dessen Kumpan wegen Krebswilderei gehenkt worden ist, der aber gleichwohl das gefährliche Geschäft weiter betreibt. (Ш,356,36-357,15). Ich glaub, so schließt Proben die Geschichte, er hab von seinem krepstellen nit gelassen und seie zu letzt auch gehenkt worden. '°"Zur Punktion der Anekdoten vgl. unten S. 432. '"^'Vgl. MOLLER, Gedechtnus, S. 91. '""Ähnlich begründet Proben die Aufnahme des Nachtrags 174 (1,56,19-62,24); Ist dem geschlecht Bodma zu ehren zu inserirn (Hs. B, S. 1324).

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5.9.2. Die Wahrheit des Historikers - Das gesetz der historien und die lex totius

Proben verlangt an einer zentralen methodologischen Stelle seiner Chronik: Der, der historias beschreiben will, soll sich wol erinnern, da er die Wahrheit und die sachen, sich verlojfen, an tag gibt, das er hiemit die gesetz der histori-

en nit Übergang (1,526,11-17). Hinter dieser Norm, die den Historiker zur Objektivität zwingt imd ihn gleichermaßen von der Rücksichtnahme auf die Mächtigen befreit, steht die von der antiken Historiographieübernommene Vorstellimg, wonach der Geschichtsschreiber die genauen Umstände, Ursachen eines Ereignisses sowie die Motive der handehiden Personen zu berichten habe. Und an diese Norm hält sich Proben auch über weite Strecken der Chronik, das Thema der Erkenntnis der verborgenen Ursachen ist für ihn immer wieder der Anstoß für weitergehende Reflexionen xmd die Aufforderung an den Leser, eigene Nachforschungen anzustellen. Hieraus speist sich sein Interesse für die Archivalien und Urkunden, weil er glaubt, aus ihnen die Strukturen und Gesetze politischen Handelns ablesen zu können. Jedoch ist die Herstellung kausallogischer Geschichtsmodelle nicht Probens alleinige Intention. Schon die Fülle der Materialien aus allen Bereichen menschlichen Lebens und insbesondere die literarischen Quellen, die Proben in seine Chronik aufiiimmt, machen es unmöglich, die eine 'gültige' Geschichte zu schreiben, und genauso ist es ausgeschlossen, eindeutige Kausalbeziehungen zwischen den Ereignissen herzustellen. Mitentscheidend für Probens Abwendimg von der traditionellen mittelalterlichen Historiographie und von mechanistischen Welterklärungen ist seine Rezeption der humanistischen Literatur mit ihrer Verbindung von Ästhetik und Gelehrsamkeit und ihrem Interesse für die überlieferten (antiken) Mythen. Proben kannte Boccaccios 'Genealogie deorum gentilium','°'° in der aus der Beschäftigung mit dem Mythos ein Weg zur Erkenntnis der Welt abgeleitet wird. Dieses Verfahren adaptiert Proben, bei ihm ist es freilich nicht mehr die antike Mythologie, aus der er anthropologische Konstituenten ableitet, sondern er setzt an deren Stelle die zahllosen Anekdoten und Schwänke seiner Zeit. Insbesondere die Schwankhandlxmgen verweigern sich genauso wie die Geschichte monokausalen Deutungen und damit einem mechanistischen Weltbild. Um dies sichtbar zu machen, bedient sich Proben in der Chronik je länger je öfter eines phänomenologisch-kontextualistischen Verfahrens. Er berichtet über '"^'Aulus Gellius, Noctes V,18. Proben beklagt den Verlust einiger Büchertruhen aus der zollerischen Bibliothek deswegen, weil darin wunder zu finden und vil ausszuklauben gewest, das iezundt verloren und nimmer an lag kompl, insonderhait von rathschlegen und andern haimlichen borgnen sachen, die kaiser Maximiiianus mit dem alten graf Itelfriderrichen, seinem großhqfmaister, zu verrichten gehapt(n,500,ii-5Q\,\). """Dieses Werk ist in der zimmerischen Bibliothek nachgewiesen (Wien, ÖNB, Cod. 12595, f. 130.

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die einzelnen Ereignisse, mal als Chronist, mal als Schwankautor, imd je näher er der eigenen Gegenwart kommt, desto seltener werden einsiniüge Deutungen der Geschichte. Den Interpretationsauftrag überträgt er an den Rezipienten, der aber soll sich nicht nur ein Urteil über die Vergangenheit bilden, sondern die Beziehung zu seiner eigenen Gegenwart herstellen: So begründet Proben seinen Bericht über die sagenhaften clientes des Römischen Reiches mit der Aufforderung: Zaig ich allain derhalben an, damit die nachkommen in solichem und anderm hernach suchen und sich befleisen, die Zeiten und auch die histo-

rias zusamen zu vergleichen (1,222,13£f.).'°'' Eine so verstandene Geschichte ist wesentlich mehr als bloßes Anschauungsmaterial fur die Kausalität politischer Abläufe'"" in der Vergangenheit. Vielmehr erkennt der Rezipient in seiner diachronen Lektüre die Strukturen der Geschichte und kann damit seine eigene historische Situation bestimmen. Dem 'Vergleich der Zeiten' liegt also kein didaktisches, sondern ein epistemologisches Interesse zugrunde. Frobens kontextualistisches Verfahren zwingt den Rezipienten selbst in den Dialog mit der Geschichte. Der Leser muß sich ein eigenes Urteil bilden und vor allem die Vergangenheit als Erkenntnisfolie für die Gegenwart begreifen und nutzen. Denselben Zweck erfüllen die scheinbar belanglosen Alltagsereignisse, die Proben erzählt. Sie sind meist so strukturiert, daß sie allgemeine Handlungsmuster und deren immanente Begrenzungen thematisieren und zu deren Überwindung Alternativen offenbaren. Den Zugang erhält der Rezipient nur, wenn er den 'Vorwurf von Frobens Materialarrangement als Anreiz nimmt, sein eigenes Deutungs- und Erkenntnispotential zu aktivieren. Bei Proben findet sich die Vorstellung, die Strukturen, in denen sich menschliche Existenz bewegt, seien a priori festgelegt. Das Buch, welches darüber Auskunft gibt, ist nicht die Bibel, sondern das weltbuech.^°" Dessen Erkenntnis ist für Proben ein aktiver Prozeß, dem sich jeder Historiograph unterziehen muß. Von seiner oft vergeblichen Suche nach den Ursachen der Dinge her weiß Proben natürlich, daß dieses weltbuech angesichts der Unübersehbarkeit der empirischen Welt nicht geschrieben werden kann; das Ganze der Welt läßt sich eben nicht als Geschichte begreifen und darstellen.Daraus resultiert bei Proben ein Fortschreiten des Denkens ins Unbegrenzte sowie die Erkenntnis, daß Geschichte letztlich eine menschliche Konstruktion ist. Diese '""proben nennt als Quelle die Karlschronik des Gottfridus Marsilius, der Kanzler Ludwigs des Frommen gewesen sein soll. Dahinter verbirgt sich aber der Kemptner Schulmeister Johann Birk, der die Chronik 1492 verfaßt hat (vgl. WATTENBACH, Geschichtsquellen, S. 493). In einem Nachtrag geht Froben auf deutliche Distanz zu Gottfridus (1,222,1). In seiner Quellenliste fahrt er ihn nicht auf '""MÜLLER, Gedechtnus, S. 90. '""Dieses weltbuech - an anderer Stelle spricht er von der ewigefn] Weisheit (1,101,20) - beinhaltet alle Wesensmerkmale menschlicher Existenz: Dazu gehören Gewinn und Verlust, Erfolg und Versagen, Freude und Leid und auf diese Dialektik des Lebens muß nach Frobens Verständnis jede historia bezogen sein. - Zur Geschichte des Begriffs weltbuech vgl. oben S. 387. '""Vgl. OEXLE, Teil, S. 383.

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Erkenntnis wird von Proben zwar nirgends theoretisch formxiliert, aber sie ergibt sich immer wieder aus seinen Schwierigkeiten bei der richtigen Darstellung von Ursachen und semer Abstinenz gegenüber didaktischer Normvermittlung.'®" Frobens Darstellungsschwierigkeiten sind denn auch letztlich Schwierigkeiten der Erkenntnis. Er nimmt gar keine höhere Wahrheit mehr für sich in Anspruch, sondern vermittelt 'mögliche' Wahrheiten. Darstellbar ist dies nur auf die Weise, daß das berichtete Geschehen unter verschiedenen Aspekten betrachtet wird. Die Perspektivienmg von Vergangenheit und Gegenwart aber ist der entscheidende Unterschied der 'Zimmerischen Chronik' gegenüber den anderen Hauschroniken, und Proben ist letztlich in seinem Versuch, ein 'Weltbuch' zu schreiben, der lex totius so nahe wie eben möglich gekommen. 5.9.3. Der ästhetische Diskurs 5.9.3.1. Die Ordnung der sachen

Die vorrangige Aufgabe für den Historiographen besteht nach Meinung Probens darin, die Flut der geschichtlichen Überlieferung in eine Ordnung zu bringen (vgl. I,351,9fif.). Mit dieser Forderung ist eine poetologische Vorentscheidung getroffen. Unter Ordnung versteht der Chronist mehr als eine chronologisch-analytische Reihxmg von Geschichtsdaten, sein Ziel ist die Strukturierung der Geschichte nach emem narrativen Muster. Proben verlangt auf der Darstellungsebene eine Linearität der Erzählung (continuation), inhaltlich die Konzentration auf das jeweilige Thema, bzw. den betreffenden Zeitabschnitt. Am sichtbarsten wird diese Form in den Anfangskapiteln der Chronik, wo Proben die Biographie eines Vorfahrens linear erzählt. Nur eine solche Form der Historiographie - so stellt sich dies dem Chronisten zu Beginn seiner Arbeit an der Chronik dar - gewährleistet eine historia, die für den Rezipienten sinnhaft und erkenntnisleitend ist. Proben faßt diese Prämisse im 21. Kapitel anläßlich einer Begründung für die Ausgliederung nicht direkt zum Hauptthema gehörender geschichtlicher Vorgänge in den Worten zusammen: Derhalben [...] hab ich in diß capitel zusamen setzen wellen, damit ich in nachvolgenden, sovil zu ainer ordenlichen und unverlengerten continuation dienstlich mit merer richtigkeit desto statlicher mög nachkomen und fürfarn (1,105,14-20).

Dieser Satz ist innerhalb der Chronik der erste Hinweis darauf, daß Proben '"'^Frobens Glauben, wonach sich das weltbuech in seiner Gesamtheit der menschlichen Erkenntnis entzieht, stellt die Wirksamkeit jeder Didaxe in Frage, und auch wenn die Chronik für präsumptive Benutzer praktische Handlungsanweisungen - von Regimina (KELLERAVORSTBROCK, Träger, S. 405) bis zu Ehelehren - bereit hält, so sind unmittelbare Handlungsaufforderungen insgesamt selten, belehrt Froben eher indirekt im Gewand von Erzählungen. Es ist bereits des öfteren dargestellt worden (z, B. GRAUS, Funktionen, bes. S. 54; MELVILLE, Geschichte), daß spätmittelalterliche Geschichtsschreibung ganz allgemein, und eine vom Zuschnitt des Frobenschen Werkes im besonderen, mit der historiographisch-repräsentativen Dimension allein nicht mehr hinreichend erklärbar ist.

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ganz gezielt eine Konstruktion seiner Geschichtsdarstellung plante, eine Konstruktion, die von Anfang dem Ziel unterworfen war, seinem Werk bei den Rezipienten ein ansehen zu verschaffen. Dies verlangt Konzentration auf das Wesentliche und innere Schlüssigkeit, beides wird erreicht, indem man sich narrativer Muster bedient, die dem Rezipienten vertraut sind. Narrativität ist demnach die Voraussetzung für die Akzeptanz der erzählten Vergangenheit als Realität. Was WfflTE im Kontext der 'Histoire de France' des Richerus von Rehns beobachtet hat, trifft auch fur die 'Zünmerische Chronik' zu: "Die Autorität der historischen Erzählung ist die Autorität des Wirklichen selbst; die historische Darstellung gibt dieser Wirklichkeit eine Form und macht sie zum Objekt des Begehrens, indem sie ihren Prozessen eine formale Kohärenz einpflanzt, die sonst nur Geschichten besitzen.'""' Indem Froben sich ebenfalls einer solchen narrativen Struktur bedient, ermöglicht er es dem Leser die historischen Erzählungen als "Zeichen des Realen'""" zu lesen und damit dessen "imaginative Identifikation"""' anzuregen. Dazu dient auch die bereits in den Anfangskapiteln zu beobachtende Strategie des Chronisten, durch kurze, scheinbar nebensächliche Bemerkungen beim Rezipienten eine vage Vorstellung zu implementieren, die er dann an späterer Stelle konkretisiert. Ein Beispiel für dieses Verfahren bietet das 27. Kapitel (1,139,10-142,20), in dem Froben historiographische, ständische, dynastische und wissenschaftliche Diskurse miteinander verknüpft. Hier berichtet Froben von emer Inschrift in Krautheim, auf der an einen Albertus comes de Zimbern erinnert wird, der comendator des Johanniter oder Rhodier ordens zu Jerusalem gewesen und im Jahr 1200 gestorben sei. Nun liegen Krautheim wie das ca. 16 km entfernte Herrenzimmern (Main-Tauber-Kreis) weit abseits der zimmerischen Stammländer, und ganz offensichtlich sind die schwäbischen und fränkischen Zimmern nicht miteinander v e r w a n d t . U m seine gesamte Herkimftsableitung nicht zu gefährden, muß Froben diese Ministerialen von Herrenzimmern mit seiner eigenen Dynastie in Verbmdung bringen. Dafflr hat er in den vorangegangenen Kapiteln mehrfach Vorsorge getroffen. Der Name Albrecht, obwohl kein zimmerischer Leitname, ist von ihm bereits eingeführt worden, und ebenso hat er durch die Kreuzfahrererzählungen eine enge Beziehung zwischen Zimmern und dem Heiligen Land hergestelh."^" In diesem Kontext erscheint Albrecht als enger Verwandter, sein Grafentitel ist em weiterer Beleg für den früheren Rang des Geschlechts. Gleichzeitig aber dient Froben der Albrecht-Hmweis dazu, seine wissenschaftliche Seriosität und seine

' " " W H I T E , B e d e u t u n g , S. 3 3 .

'""Ebd. '""Ebd., S. 34. '""Zur Frühgeschichte Krautheims vgl. SCHÖNHUTH, Crautheim, S. 5-31. Zur Geschichte des von 1219 bis Anfang des 15. Jahrhunderts nachweisbaren Ministerialengeschlecht vgl. oben Anm. 173.

" ^ S i e h e o b e n S . 211ff.

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Die 'Zimmerische Chronik'

ständische Bescheidenheit unter Beweis zu stellen. Da die genauen Beziehungen zwischen den thüringischen, fränkischen und schwäbischen Zimmern nicht ganz eindeutig seien, man nicht einmal sicher sagen könne, welche Lmie die Hauptlinie war (1,140,3) sollen die nachkommen [...] den iezigen bericht zu steur und zu ainer anlaitung nemmen (I,139,32ff.) die näheren Umstände zu erkunden, und deswegen verzichtet er darauf, diese Zimmern, die sich grafen geschähen, auch als solche zu titulieren. Wenn Proben im Fortgang der Chronik zunehmend die lineare Erzählform aufgibt, dann hängt dies unmittelbar zusammen mit der Ausweitung seines Erkenntnisinteresses auf anthropologische Fragen. Damit ist der Weg frei für die literarischen Formen, besonders für Anekdote und Schwank. Die 'Hauptund Staatsaktionen' werden in diesem Prozeß zu Marginalien, das geschichtlich Periphere wird zum Hauptereignis. Die einzehien Diskurse begiimen ein Eigenleben, was sich formal in regefrechten Assoziationsketten, die in ganzen Nachtragsreihen ihre Fortsetzung fmden, niederschlägt. Auf diese Weise wird die ursprüngliche Ordnung dekonstruiert. Fast völlig vergessen ist die ehemalige Maxime Frobens, man müsse Informationen aus den Quellen entnehmen und in eine Ordnung bringen (1,351,12). Je weiter der Chronist in seinem zentripetalen Erzählen fortschreitet, desto mehr dominiert die Polyphonie, anstelle einer homogenen Geschichte des Geschlechts, wie es die ersten Abschnitte der Chronik bieten, tritt jetzt das Widersprüchliche in den Vordergrund. Insofern entspricht Frobens Verfahren der Methode des New Historicism, der auf der Darstellungsebene "die Ergebnisse intensiver Archivarbeit mit einer bewußt anekdotischen, subjektiven Präsentation, in der das Nicht-Systematische, Widersprüchliche, Kontingente, ja Zufällige betont wird, [verbindet]. Statt Vereinheitlichung gelten Pluralität und Heterogenität [...], statt linearer Erzählung '"^'Das Verhältnis zu den fränkischen Zimmern war Proben offenbar besonders wichtig, weil er seinen Freund Georg von Tengen mit Nachforschungen über dieses Geschlecht beauftragte. Der Chronikbericht über das Ergebnis dieser Recherche bezeugt die Grenzen von Frobens Quellenkritik. Völlig neutral und unkommentiert gibt er die Behauptung Georgs wieder, er habe zwar Schriftstücke über die fränkischen Zimmern gefunden, diese seien ihm jedoch von einem secretano veruntreut worden. Den reichlich abenteuerlichen Inhalt dieser Akten referriert dann Georg aus dem 'Gedächtnis' (1,140,13-141,19). Gegenüber derartigen Phantastereien ist Froben sonst wesentlich kritischer, aber da Georgs 'Grafentheorie' und eine genealogische Verbindung zu den Herzögen von Mantua den Glanz des eigenen Hauses vergrößern, verzichtet er auf jeden Kommentar. Dynatische Repräsentation hat zu Beginn der Chronikarbeit noch Vorrang vor wissenschaftlicher Seriosität und erkenntnistheoretischen Zweifeln. '"^^Froben ist sich des Mißverhältnisses zwischen den Gegenständen der humanistischen Geschichtsschreibung und seiner Chronik bewußt. So begründet er seine Auswahl damit, für das 'Archiv' der zittunerischen Geschichte zu schreiben: Als ich mir fiirgenomen, die zimbrischen historien und was sich in sollichem geschlechts abenteurlichs, guets und bös, iederzeit begeben, nachlengs zu schreiben, kann ich nit erachten, auch die handlmgen, so in schimpf und zu frölichen Zeiten fiirgangen, mit stillschweigen zu umbgeen seien, dann, da ich gern vil höcher res gestas anziehen wölt, mueß ich doch bei denen sachen bleiben, die bei gegenwärtigen jaren fürgefallen (Ш,69,6-13). Das Argument hat freilich eher salvatorischen Charakter, weil ihn die große Politik kaum interessiert hat.

Die Dynamik der Diskurse: Ideologie, Erkenntnis m d Ästhetik

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assoziative Montage, statt der Suche nach einem festen Bedeutungskem ein Spiel mit dem historisch wie linguistisch bedingten Bedeutungsüberschuß symbolischer Sprache.""^' Gegen eine solche (postmoderne) Deutung von Frobens historiographischer Methode ließe sich einwenden, daß der Chronist selbst in seiner zentralen Lirer-Kritik"^ einen ständigen Wechsel der geschichtlichen Bezüge {ohne alle Ordnung, iez von dem, dann von aim andern geschlecht; 111,24,26f.) moniert.

Bemängelt also Proben bei anderen ein Verfahren, das er selber anwendet? Die Antwort liegt in dem unterschiedlich intensiven Bezug der Teile zum Ganzen. Während Lirer oder Rüxner aus ökonomischen und politischen Gründen möglichst viele Dynastien in ihren Werken unterbringen wollen, stehen bei Proben die Geschichte anderer Geschlechter in einem dialogischen Verhältnis zu der seines eigenen Geschlechts: Sie perspektivieren die Geschichte und diskutieren alternative Handlimgsmöglichkeiten. 5.9.3.2. Mit verdeckten warten

In seinen theoretischen Überlegungen zur Aufgabe des Historikers betont Proben immer wieder dessen Verpflichtung zur Objektivität und vorbehaltlosen Eröfl&iung der warheit, worunter er die Angabe aller Motive und Ursachen, es treffan gleich publica

oder private

negotia versteht.'"^ Im Geiste Lukians,

dessen 'Charon' er gekannt haben dürfte,""^ macht sein Spott vor nichts halt, tendiert er dazu, die menschlichen Unzulänglichkeiten ins Lächeriiche zu drehen, zweifelt er an einer dem Menschen zugänglichen letzten Wahrheit. Die Welt, die er beschreibt, wird für ihn zusehends zum Theater, an dem er selber nur noch dort teilnimmt, wo es um die Wahrheit der Historiographie geht. Im Stil der humanistischen Hofkritik""' warnt er dann vor den orenmelkerfnj und schmaichlerfnj,

die merteils von ihres bauchs und von gewins wegen schrei-

ben.""' Wer sich von dieser Gruppe eindeutig abheben will, der ist zur Kritik

""'FLUCK, Amerikanisierung, S. 263.

""'Ш,24,22-34. Vgl, dazu oben S. 357f. ""'Vgl. WfflTE, Bedeutung, S. 33. Nach WraTE müssen "Ereignisse, die als historische Ereignisse verstanden werden wollen, [...] mindestens 2wei Erzählungen ihres Ablaufs zulassen". ""*I,314,37ff.: [...] der historias schreiben und alte geschickten verzaichnen, der soll nichts verschweigen, die warhait, sovil bewisst, anzaigen und hierin niemands verschonen. Welcher historias und die warhait beschreiben, derselbig soll nit außlassen, das im gefellig, oder außer affect zu lieb oder laid zu schreiben, sonder vielmehr, wie es die gelegenhait gibt, soll er one alles schewen, es treff an gleich publica oder privata negotia, eröffnen (1,617,12-16). ""'Proben zitiert Lukian dreimal. Der 'Charon' befand sich in der zimmerischen Bibliothek (Donaueschingen, FFA, Catalogus, f 53^· ' 3. Textausgaben: Die Chronik der Grafen von Zimmern. DEUFERT, WILFRIED: Nan, Moral und Gesellschaft, Frankftirt a. M. 1975. Deutsches Wörterbuch von JACOB und WILHELM GRIMM, 32 Bde., Leipzig 1854-1961, Neudr. München 1987. DRESSEL, MARTIN: Graf Eitelfriedrich Π. von Zollern (1452-1512). Kaiserlicher Rat Maximilians I. und erster Richter am Reichskammergericht, Wetzlar 1995. DROYSEN, JOHANN GUSTAV: Historik, historisch-kritische Ausgabe, Bd. 1: Rekonstruktion der ersten vollständigen Fassung der Vorlesungen (1857). Grundriß der Historik in der ersten handschriftlichen (1857/1858) und in der letzten gedruckten Fassung (1882), Stuttgart/Bad Cannstatt 1977. DUBY, GEORGES (Hg.): Geschichte des privaten Lebens, Bd. 2: Vom Feudalzeitalter zur Renaissance, Frankftut a. M. 1990. DOLMEN, RICHARD VAN: Entstehung des frühneuzeitlichen Europa 1550-1648 (FWG 24), Frankfurt a M. 1982. DONNINGER, JOSEF: St. Erhard und die Dollingersage. Zum Problem der geschichtlichen Sage, Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 1953, S. 9-15. EBERBACH, OTTO: Die deutsche Reichsritterschaft in ihrer staatsrechtlich-politischen Entwicklung von den Anfängen bis 1495, Leipzig 1913. EGETMEYER, KARL: Die Verfasserschaft an der Zimmerischen Chronik, Manuskr. o. J. (Donaueschingen, FFA). EHLERS, JOACHIM: Historiographische Literatur, in: Europäisches Hochmittelalter, hg. von HENNING KRAUSS (Neues Handbuch der Literaturwissenschaft 7), München 1981, S. 425460. EIMER, MANFRED: Studien zur Geschichte des Klosters Reichenbach, Württembergische Vierteljahrshefte filr Landesgeschichte NF 36 (1930), S. 52-86. EISELE, KARL-FRIEDRICH: Studien zur Geschichte der Grafschaft Zollern und ihrer Nachbarn (Arbeiten zum Historischen Atlas von Südwestdeutschland П/З), Stuttgart 1956.

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Anhang

1. Inhalt der Württemberger Chronik des Sebastian Küng' A.

Vorred an den guthertzigen Leser

23

B.

Vom urspnmg der freihem zu Beutelsbach und graven zu Wirtemberg

25

C.

Woher sovil grafTund herschafften in dieser landtsart erwaxsen

29

D,

Von dem namen Wirtemberg

30

E.

Emich graf von Groningen

31

[Exkurs 1]: Sunderliche geschichten, die sich von anno 920 bis 1048 in diser landtsartt verloffen haben F.

Linea der freihem zu Beutelspach [Exkurs 2]: Sunderliche geschichten, die sich von anno 1048 bis 1100 in diser landtsart verloffen haben

32 32 34

[Exkurs I]: Graven von Calw

36

[Exkurs n];Von der grafschaft Achelnn

40

[Exkurs 3]: Sunderliche geschichten, die sich von anno 1100 bis 1119 in diser landtsart verloffen haben

47

[Exkurs 4]: Sunderliche geschichten, die sich von anno 1119 bis 1235 in diser lantsart zugetragen

49

[Exkurs Ш]: Von den graven zu Tübingen

51

[Exkurs 5]: Sunderliche geschichten, so sich von anno 1235 bis 1265 im landt Wirtemberg verloffen

62

[Exkurs 6]: Sunderliche geschichten, so sich von anno 1265 bis 1325 in diser landtsart verloffen haben

66

[Exkurs rV]: Hertzogthum Schwaben [Exkurs 7]: Sunderliche geschichten, so sich von anno 1325 bis 1394 in diser landtsart begeben haben

66 81

[Exkurs V]: Von der graffschaffit Herrenberg

81

[Exkurs VI]: Von der graffschaffit Mumpelgartt

86

' Zur Gliederung der Chronik vgl. oben S. 88f.

Anhang

497

[Exkurs 8]: Sunderliche geschichten, so sich anno 1393 bis 1419 in dieser landtsart begeben

86

G. Weiter von der graffschafft Wirtemberg

89

[Exkurs νΠ] : Von dem hertzogthum Theck

98

H. Lini der graven zu Wirtemberg

101

[Exkurs 9]: Sunderliche geschichten, so sich anno 1419 bis 1480 in dieser landtsart begeben

I.

110

[Exkurs νΠ] : Von erweiterung der stat Stütgarten

111

Linea der graven von Wutemberg

112

[Exkurs geschichten, so sich anno 1480 bis 10]: 1S61Sunderliche in dieser landtsartt begeben

144

2.

Inhaltsverzeichnis der 'Zimmerischen Chronik'^

1.

Wo die Cimbri erstlich gewonet und was lender sie eingenomen, auch wie sie die Römer angriffen, die mermáis geschlagen, doch letstlich von inen überwunden worden

1,31

(1,1 )

Wie nach der letzsten schlacht, so die Cimbri verloren, etliche von inen wider in das Teutschland komen, die sich vor dem Schwarzwald an dem Negker nidergelassen, dieselbig art erbawen und bewonet haben; von denen die graven und freiherm zu Zimbern abkomen und entsprungen

1,35

(1,8)

Widerumb ain kurze erholung der Cimberer mit weiterem bericht, daraus gruntlich verstanden werden mag, das die alten freiherm zu Zimbem von iez vilgemelten Cimbris abkomen und iren ursprung genomen haben

1,40

(1,21)

Aus was Ursachen die alten freiherm von Zimbem verursacht worden, ains höhems Ursprungs, auch größem standts, dann freiherm, sich zu rümen

1,43

(1,24)

Wie die Schwaben mit großer macht dem künig Ariovisto aus hochteütschen landen zu hilf wider den Cesar von Rom zuzogen und bis an Rhein komen, deren obriste ainer von Nassaw und ainer von Zimbem gewest

1,45

(1,32)

Wie heiT Waldmar freiherr zu Zimbem von künig Karlen dem großen sambt andern graven zu aim hauptman über Marspurg gesetzt worden, und hemach, als durch die Sachsen in abwesen künig Karoli die stat gesturmbt, ist in ainer schlacht von gemelten Sachsen erschlagen worden

1,47

0,36)

2.

3.

4.

5.

6.

Bis Kapitel 178 folgt der Text den ersten drei Bänden der Ausgabe DECKER/HAUFFS, danach der BARACKschen. Die zuerst genannten Band- und Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe DECKER/HAUFF, die zweiten auf die Ausgabe BARACKS.

498 7.

8.

9.

Anhang \We der römisch kaiser Carle der gros etliche mechtige Herren von Rom in teutsche land verschicket, aus denen der merertail sich auf und an dem Schwarzwaldt nidergelassen und von inen vil geschlechter abkomen sein, doch der alten freiherschaft Zimbem onabbrüchlich und an iren alten herkomen onnachtailig etc. 1,50

(1,40)

Wie her Albrich freiherr von Zimbern vier sön verlassen, under denen herr Friderich bei kaiser Hainrich, dem ersten des namens, in ainer Schlacht wider könig Ruodolphen von Burgundi und herzog Burkharten von Schwaben beistendig gewest

1,52

(1,43)

Wie kaiser Hainrich denen Obotriten und Wenden vier obriste hauptleüt gesetzt, under denen herr Friderrich freiher von Zimbem ainer gewest; auch wie her Georg, her Gottfrid imd her Sigfrid, seine gebrüeder, in den tumieren zu Maidenburg imd Rotenburg, an der Tauber gelegen, eingeritten

1,54

(1,52)

9a.

Vom geschlecht der heiren von Bodma

10.

Wie kaiser Hainrich der dritt ain Schlacht mit herzog Vratislaen von Behem gethon, in welcher her Wemher freiher von Zimbem sambt grave Amolten von Dierstain, hem Cuno von Altenclingen und andern gefangen, die aber volgendts von Got wunderbarlich wiederum erlediget wurden

1,57

(1,62)

Von herr Mangwaiden und herr Gottfriden, gebrüedem, freiherm zu Zimbem, zu was geschlechten sich dieselben verheurat und wie vil ire gemahel inen künder gebom, mit weitem bericht

1,61

(1,67)

Von herr Alberichen und herm Hartbrechten, gebrüedem, freiherm zu Zimbem, auch von der fundation des closters Richenbach, auf dem Schwarzwaldt gelegen, welches von herm В е т о freiherm von Sigburg geschehen

1,63

(1,71)

Anzaig eins gar alten zimbrischen heurats, den nachkomen zu ainem angedenken, weiter nachftag zu haben etc.

1,67

(1,74)

Wie herzog Berchtold von Zeringen apt Huldreichen von Sant Gallen überzogen und dameben die fireiherschaft Zimbem beraubt, verbrent undjemerlichen verderbt hat

1,68

(1,75)

Wie bischof Gebhart des bistumbs Constanz vertriben und an sein stat grave Amoldt vom Hailigenberg gesetzet worden, darbei und darmit herr Jörg freiherr von Zimbem gewesen, welcher sich dozumal mit herm Hartmanns freiherm von Hohenclingen dochter, frôle Adelgunden, ehelichen verheürat hat

1,71

(1,82)

In disem capitel wurdt anzaigt, wann sich erstlichs der rhumreich zug wider die ungleübigen under kaiser Hainrichen dem dritten angefangen, auch warauO die volgenden capitel gezogen werden

1,74

(1,85)

Wie herr Jörg, freiherr von Zimbem, ehe dann der beischlaf zwischen im und frölein Adelgunden, freiin von Hohenclingen beschehen, sambt seiner fraw muter und seim hem bruoder Cuno in ainem gemainen landtsterben mit tod vergangen und zu Sant Jergen vergraben worden 1,77

(1,89)

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

(1,56)

Anhang

18.

499

Wie die Hochteütschen ain große niderlag bei Nicea erliten, darin her Conradt und herr Albrecht freiherren von Zimbem erschlagen w d her Fridenreich, ir broder, auf den tod verwundt darvon komen, der sich volgendts wider in teütsche land verfliegt hat, aber nit lang dorin beliben

1,78

(1,90)

Wie her Friderich freihen von Zimbem widerum zu könig Balduine in Syriam zogen, aber davor die herschaft Rosenfeldt sampt irer zugehörde mit großem nachtail seiner brüder veφfendt hat

1,80

(1,93)

Ain erholung der zehen gebrüeder freiherren zu Zimbem, auch was von denen vieren, nämlich hem Wilhelmen, herm Eberharten, herm Wömhem und herm Johannsen geflmden würt, under denen herr Johanns sich in Frankreich vermeheh und kinder bekomen

1,85

(1,97)

Dises capitel sagt von herm Adelberten freiherren von Zimbem, der ain conventual zu Hirsaw gewest, dessgleichen von herm Eberwin, hem Hartwigen, herren Luitfriden und herm Hainrichen friherren von Zimbem

1,87

0,102)

Wie herm Gotfridts freiherren zu Zimbem zwen eheste sön bei denen herzogen von Schwaben erzogen, und der jungst, herr Waldtbrecht, zu Sant Gallen ain conventual worden, mit bericht, wie herr Albrecht von Zimbem verheirat und kinder bekomen

1;89

ö, 105)

23.

Wie herm Albrechten freiherm von Zimbem ain wunderbarliche geschieht mit aim gespenst auf dem Stromberg im Zabergew widerfaren, auch wie im grave Erchinger von Monhaim ain closter auf gedachtem Stromberg zu bawen vergonet hat

1,91

(1,109)

24.

Wie herr Wilhelm freiherr von Zimbem dötlich verwundt, auch kaiser Conradt die freiherschañ Zimbem mit der rotten hirßprost auf den heim begabt. Item wie das closter Frawenzimbem besetzt, und fröle Beatrix von Zimbem darin den orden angelegt hat

1,94

(1,116)

Wie grave Erchinger von Monhaim von seinen underthonen zu Bunika gefangen und genöt worden, des Schloß Monhaim sich zu verzeihen, welches darauf ausgebrennt, auch wie er hemach sein dochter her Johansen freiherren von Zimbem vermehelet 1,97

G, 120)

Wie das closter Frawenzimbem abgangen, mit bericht, das vor jaren ain besondere linia der freiherren von Zimbem im landt zu Franken oder uf dem Kreichgewseßhaft gewesen seihe

1,100

(1,135)

Von ainer andem linia des zimbrischen geschlecht, die sich graven geschriben, und von grave Albrechten von Zimbem, der ein comendator zu Krauten

1,102

(1,139)

Wie herr Wömher freiherr von Zimbem bei herzog Otten von Bayem erzogen worden, in welches hof er sich mit fröle Adelhaiten freiin von Abensperg vermehelt, auch von seinen brüedem und andem heuraten

1,105

(1,142)

19.

20.

21.

22.

25.

26.

27.

28.

28a.

Von herr Wemher freiherr zu Zimbem, dessen broder, hen Albrecht, ein margrefm von Hochberg vermeheh

(1,150)

500 29.

30.

30a.

31.

32.

32a. 33.

34.

35. 36.

37.

38.

39.

40.

Anhang Wie her Wömher freiheir von Zimbem herni Albrechten, seinem son, die freiherrschaft übergeben und sambt seinem gemahel in die Reichenaw gezogen, aida sie baid ir leben verzert und begraben; auch wie herr Conradt von Zimbem abt in der Reichenaw worden

1,108

(1,159)

Wie herr Albrecht fteiherr von Zimbem seinem son, herm Wömhem, frölin Anna freiin von Falkenstain vermehelt, von welcher er nit mer dann ain ainigen son, auch Wömher genannt, verlassen, bei desselbigen Zeiten die herrschaft Zimbem übel verbrennt und verderbt worden

1,110

(1,164)

Von großser untrew zwaier margrafen von Baden, und welcher gestalt die grafen von Eberstain umb ir halbe grafschañ kommen. Item von göttlicher straf über die marggrafen und von erlöschung des hollstainschleswigischen fürstlichen hauses.

(1.175)

Wie herr Wömher freiherr von Zimbem mit ftaw Anna trucheßin von Rordorf sich vermehelt, dadurch er die edel herrschaft Mösskirch überkommen 1,114

(1,185)

Wie herr Wömher von Zimbem nach absterben seines schwehers mit andern truchseßen der verlassenen erbschaft halben sich vertragen imd ftöle Brigita von Gundelfmgen zu ainem ehlichen gemahel genomen

(1,193)

1,119

Von den graven von Freiburg oder Fürstenberg und der stat Freiburg im Breisgew etc.

(1,198)

Wie herr Wömher freiherr von Zimbem etliche freihait von kaiser Karle dem vierten, auch dem königclichen gotzhaws Reichenaw erlangt, darzu etliche dörfer und zehenden an sich erkoft

1,121

(1,201 )

Von etlichen spennen und irthumben, so sich zwischen herm Wömhem freiherren von Zimbem an aim und herzog Simon und Conradten, gebrüedem von Tegk, auch Albrechten von Magenbuoch anderstails gehalten und zuletst vertragen worden

1,123

(1,204)

Wie herr Wömher freiherr von Zimbem die statt Pfiillendorf mit listen vor überfaal irer feindt errett und bei dem reich behalten

1,125

(1,206)

Wie herr Wömher freiherr von Zimbem spenn mit Mösskirch der stat gehabt, auch wie er volgendts in guotem alter zu Messkirch gestorben und aida begraben worden

1,128

(1,210)

Wie her Joharms freiherr von Zimbem mit fröle Kunigunden grävin von Salgans sich verheurat, auch wie er ain schätz im Benzenberg gefimden

1,131

0,216)

Wie kaiser Karl der vier herm Johannsen freihem von Zimbem zu ritter geschlagen, auch wie bemelter herr Johatuis den Mätperg, Duttlingen, Schihach und Obemdorf, sambt deren iedes zugehörden, überkommen 1,136

(1,222)

Wie herr Johaims von Zimbem etliche fiioder weins jerlicher gülten aus dem zehenden zu Überlingen an sich gebracht, darzu ain thail an Brunnen dem schlos bekomen

1,140

G.234)

Wie herr Johanns freiherr von Zimbem Wildenstain von künig Ruprechten bekommen, doch sich zuvor mit etlichen, so ansprach daran zu haben vermaint, vertragen müeßen

1,143

(1,238)

Anhang 41.

42.

501

Wie hem Johannsen fteiheixen von Zimbem dem jungem ain grevin von Sonnenberg vemieheh, und wie vil ime die kinder geboren, auch wie er hemach von Behemen tödlichen venvundt worden und gestorben

1,146

α,245)

\Me ain merklicher span zwischen herm Johansen freiherm von Zimbem und grave Eberharten von Werdenberg von baiderseits freilndtschaft vertragen worden, auch wie im sein gemahl gestorben, und die dochter sein Schloß Sehedorf geplünderet

1,150

(1,250)

42a

Ain sonders capitel in den Zeiten, als kaiser Sigmundt regiert.

43.

Von graf Friderichen von Zollem, dem Ötinger, auch wie herr Johanns freiherr von Zimbem die statt Messkirch von irer ungehorsame wegen gewaltigclichen eingenomen und zue gehorsam gepracht

(1,257)

1,156

(1,261 )

43a.

Mer vom graven von Zollem, genaimt der öttinger

(1,269)

43b.

Ein besonders capitel, als graf Friderich von Zollem, der Ötinger, zu Montpelgart wider ledig worden

(1,286)

Wie herr Johanns von Zimbem vili schimpfs mit der gemain zu Wittershausen triben, die im den kirchensatz in irem dorf freiledig geschenkt und übergeben, auch was herr Johanns sonst für seltzame gewonnhaiten an im gehabt 1,160

(1,313)

Wie hen Joharms von Zimbem seine enkl auferzogen, auch wie er auf dem Hewberg von ainem filhe verletzt worden, dessen er unlangs hernach sterben müeßen, doch zuvor seine herschaften seinen enklin vorm hovegericht zu Rottweil vermacht 1,163

(1,319)

Wie heiT Wömher und herr Got&id fteiherm zu Zimbem, gebrüedere, ire herrschañen abgethailt und volgends ire schwestem, fröle Anna und fröle Verena, verheirat haben; auch wie marggraf Wilhelm von Hochberg sambt andern in die acht des hovegerichts gebracht 1,166

(1,329)

Wie herm Wömhem freiherm zu Zimbem fraw Arma grevin von Kirchberg vermehelt worden, auch hemach er die hauptmanschaft Erenberg, Achalm und Bregenz amptsweis bekomen

(1,337)

44.

45.

46.

47.

47a.

1,170

Von den grafen von Kirchberg und von fraw Ita von Dockenburg, gepom gräfm von Kirchberg

(1,346)

47b.

Ain sonder capitel, in caput von fraw Ita von Dockenburg anzuhenken

(1,355)

48.

Wie etlich edlleut, zu Entringen seflhaft, hem Wömhem freiherm von Zimbem und seinem bruder abgesagt, und wie solche vehet gericht und vertragen

1,176

(1,362)

Wie fraw Anna, gebom frein von Zimbem, wittib, von herm Diepolten von Geroltzegk geblündert und sie auf Schenkenzell verwart worden, derhalben sie zuletst mit Jacoben von Bem sich vermehelt

1,177

(1,365)

Weichermaßen Obemdorf die statt, an Negker gelegen, sampt den vier Dörfern vor Wald an die freiherrschaft Zimbem kommen

1,182

(1,383)

49.

50.

502 51.

52.

53.

54.

55.

56.

57.

58.

59.

60.

61.

62.

63.

64.

Anhang

Wie Hanns von Rechberg mit etlichen reichsstetten, auch den graven von Werdenberg und andern ain vecht fiiirgenommen, und was hierinnen sich verloffen. Dessglichen wie herr Wömher freiherr zu Zimbem die von Werdenberg bei dem Hailigenberg und andern iren güetem behalten etc.

1,188

(1,394)

Wie herr Wömher freiher von Zimbem den drittail an Stoufen und Bilzingen sampt den vogteien, dessgleichen Guttenstain, Schloß und dorf, sambt Ablach, Geggingen, Althain, higelswis, Crauchenwis und vogtrecht zu Sauldorf überkommen

1,197

(1,412)

Von etlichen handlungen, so herr Wömher freiherr von Zimbem mit Österreich, Würtenperg, Pettershausen, Lupfen und andem gehapt

1,200

(1,415)

Wie herr Johanns Wömher freiherr von Zimbem auferzogen, auch was er für handlungen in seiner jugendt gehabt etc.

1,204

(1,422)

Wie herr Wömher freiherr von Zimbem die regalia und andere fireihaiten bei kaiser Friderrichen dem driten widerumb emewert, auch von etlichen andem handlungen

1,207

(1,427)

Dis capitel sagt von herm Gottfriden freiherren zu Zimbem, was derselb für ain haushaltung und wesen gehabt, auch wie er in ain rechtvertigung mit Hainrichen von Clingenberg kommen

1,209

(1,433)

Weichermaßen die edlleut von Fridingen ab Kreehen und andere auf herm Wömhem freiherm von Zimbem, sein bruoder, herr Gotfnden, und ire underthonen geraubt und angriffen, auch wie solchs widerumb sein endtschaft erraicht

1,211

(1,436)

Wie herr Wömher freiherr von Zimbem mit Werdenberg des Jagens halb vertragen worden, auch von hem Johannsen Wömhem und seinen kinden, deßgleichen wie herr Wömhers gemahel gestorben

1,214

(1,439)

Wie herr Wömher freiherr zu Zimbem die herrschaft seinem son, hem Johaimsen Wömhem, übergeben und hemach gestorben, auch wie sein son in Siriam zum hailigen grab gezogen und warumb das beschehen 1,221

(1,459)

Wie herr Gotfridt freiherr zu Zimbem sambt seinen underthonen zu Winzlaw von Conradten Glücken zu Westphaln vorrm haimlichen gericht ist filrgenomen und beclagt, und wie solche handlung durch ain apt von Alpersbach vertragen worden

1,227

(1,486)

Wie her Johaims Wömher freiherr zue Zimbem mit herr Hainrichen freiherr von Stöffehi und andem zu dem hailigen landt zogen und was im auf derselben fart begegnet

1,231

(1,491)

Wie herr Johanns Wömher freiherr von Zimbem bei dem hailigen grab zu Jemsalem ritter ist geschlagen worden und volgendts glücklichen wider heim komen

1,235

a,497)

Wie herr Joharms Wömher freiherr zu Zimbem in ain haushaltung sich geschickt, auch wie er von kaiser Friderrichen zwo freihalten erlangt

1,237

(1,500)

Wie sich spenn zwischen Zimbem und Werdenberg der hohen gericht halben zugetragen, auch wie herr Johanns Wömher freiherr von Zimbem die hauptmanschañ der herschañ Hohenberg bekomen und die graveschaA Veringen verpfendet

1,240

(I,S05)

Anhang 65.

66.

67.

68.

69.

70.

71.

72.

72a. 73.

74.

75.

76.

503

Wie her Johanns Wemher freiher zu Zimbem dmch unwahrhaftige, erdichte anbringen seiner mißgonner bei kaiser Friderichen verunglimpft, das er sampt andern grafen in die kaiserlichen acht declariit worden 1,243

(1,514)

Wie herr Johanns Wömher freiherr zu Zimbem seine herschaften und güeter seinen kinden vor hovegericht zu Rottweil vermacht und übergäben, auch wie sich die von Werdenberg gegen der statt Mößkirch gehalten

1,249

a,S33)

Wie grave Haugo von Werdenberg die statt und herschaft Mößkirch erbUchen eingenomen und wie unadenlichen er gegen ftaw Margrethen grevin von öttingen, hem Johann Wömhers gemahel, sich gehalten 1,257

(1,542)

Wie herr Johanns Wömher fi-eiherr zu Zimbem bei der kaiserlichen Majestat und menigclichem sich entschuldiget, rechtens begert, ime aber nit widerfaren wellen

1,261

(1,547)

Wie grave Haugo von Werdenberg die pfandtschaft Obemdorf auch an sich gezogen und herr Johanns Wömher fur den bapst Innocentium gen Rom appelliert, auch seine söne ainstails zu pfalzgrave Philipsen geflöhenet

1,267

(1,555)

Wie herr Johans Wömher freiherr zu Zimbem sich etliche zeit in das Schwizerland geen Wesen mit haus begeben und wie er Wildenstain grave Enderessen von Sonnenberg verkauft

1,270

(1,559)

Wie herr Johanns Wömher freiherr zue Zimbem geen Rom zogen, daselbs im vergeben, deßhalben ongeschafft widerumb in deutsche landt geen München an hove kommen

1,276

(1,566)

Wie die kaiserlich Maiestat herm Johannsen Wömhem die acht auf recht aufgebebt und herr Johanns Wömher volgendts zu München im großen landsterbendt gestorben und auf Andechs begraben worden

1,279

(1,571 )

Ein sonders capitel, in herr Johannsen Wemhers freiherm zu Zimbem des eltem sachen einzumischen, da es sich hinfuegt

(1,583)

Wie herm Johannsen Wömhers freiherm zu Zimbem nachgelassne wittib und kinder in burgrecht zu Rottweil kommen, auch was der römisch künig Maximilian zwischen Zimbem imd Werdenberg handien lassen

1,286

(1,608)

Wie herr Wömher und her Johanns Wömher, gebrüeder, freiherren zu Zimbem, am churfürstlichen hove zu Haidelberg erzogen, denen der alt herr Gotfridt von Zimbem die herschaft vor Waldt vor hovegericht vermacht, und wie herr Wömher Obemdorf mit der zugehörde widerum eingenomen

1,289

(1,616)

Wie herr Wömher freiherr zue Zimbem des einnemens halb Obem dorf gegen der künigclichen Majestat sich entschuldiget, auch grave Eitelfritz von Zollem und grave Wolf von Fürstenberg ain vertrag zwischen Zimbem und Werdenberg abgeredt und die herschaft Mösskirch iezemempten graven sequestirt worden

1,296

(Π, 1 )

Wie grave Christof von Werdenberg unferr von Sigmeringen von herm Wemhem freiherren zu Zimbem dermaßen angriffen, das er, grave Christof, mit ohne sonder gelück, flüchtig geen Hedingen entmnnen

1,305

(Π, 12)

504 77.

78.

79.

80.

81.

82.

83.

84.

85.

86.

87.

88.

89.

Anhang Wie der könig Maximilian mit herm Wemhem freiherm von Zimbem zu Ulm und volgends zu Freiburg durch die stende des reichs handien lassen, und herr Wemher letzstlichen ohne ainichen beschaid wider verreiten mießen

1,307

(Π,14)

In diesem capitel wurdet angezaigt, was der churfiirst von Menz herm Wömhem fteiherm von Zimbem fiiirgehalten, auch wie bemeltem herm Wömhem vergeben, dessen er sterben müeßen und zu Obemdorf begraben worden 1,312

(Π,24)

In disem capitel werden etliche schimpfliche abenteuren vermeldet, die der zeit zu Mösskirch und sonst von aim burger zu Mösskirch, genannt Petter Schneider, fürgangen und gehandeh worden

1,316

(Π,ΒΟ)

Wie eizbischof Berchtoldt von Menz, churflirst, in denen zimbrischen sachen gehandlet, dergleichen was auf dem reichstag zu Augspurg und sonst hierinnen weiter fllrgenomen

1,320

(11,80)

Was herr Johannsen Wömhem freiherren zue Zimbem vom regiment zu Nürnberg begegnet, auch wie er ain Wissens von der künigclichen Majestat, das dieselb die zimbrischen sachen nichts mere berüm, geschriftlichen zuwege gebracht

1,325

(11,47)

Wie herr Johaims Wömher freiherr zue Zimbem zu ross und zu fiiß sich beworben und Messkirch die statt und herschaft unversehenlichen überfallen und die in vollem zug glicklichen eingenommen

1,328

(11,51)

Weichermaßen herr Johanns Wömher freiherr zu Zimbem sich nach glücklicher eroberung seins vätterlichen erbs gegen der künigclichen Majestat, dem könig von Hispania und andem desshalben verantwurt

1,335

(11,69)

Was herr Johanns Wömher freiherr zu Zimbem nach eroberung der herrschaft Messkirch zu Meskirch fürgenomen, und wie sein vetter herr Gotfridt der alt, Wildenstain das schlos wider zu seinen handen gezogen und auch behalten etc.

1,340

(11,76)

Wie die stende hes hailigen reichs aus bevelch der königclichen Majestat herm Johannsen Wömhem geen Augspurg beschriben und daselbst Zimbem und Werdenberg gegen ainandem verhört und vertragen

1,344

(Π,84)

Wie herr Joharms Wemher bestettigung deren alten zimbrischen freihalten vom künig Maximiliano erlangt, auch wie im graf Conradts von Tübingen nachgelassne witib vermehelt sollt worden sein

1,354

(11,97)

Dis capitel sagt, wie herr Johanns Wemher ain spann mit den jungen Schillingen von Wildegk gehapt und wie der vertragen, auch von ainer erschröcklichen geschieht, so ainem burger zu Mösskirch derzeit begegnet

1,361

(Π,103)

Hierinnen wurt angezaigt von fröle Anna freiin von Zimbem, auch wie ir schwester, fröle Catharina, abtissin zum Frawenmünster zu Zirrich worden 1,364

(Π,106)

Wie herm Johannsen Wemhers freiherren zu Zimbem schwestem, die aine zu herm Wolfen von AfFenstein, ritter, und die ander zu Hanns Wilhelmen von Weitingen sich verheirat

(Π, 110)

11,21

Anhang 90.

505

Diz capitel sagt von herm Gottfriden freiherm zu Zimbem, wann derselbig gestorben, auch von Hainrich Zimberem, dessgleichen von grave Hugon von Werdenberg, der auch desselben jars mit todt vergangen 11,24

(Π, 117)

91.

In disem capitel werden erzeUt etliche guete schwenk, so umb dise zeit zu Marggraven-Baden, auch zu Mösskirch sich verloffen

11,32

(Π, 135)

92.

Wie herr Johanns Wemher freiheu zu Zimbem und seine brüeder mit ainandem gethailt und sich herr Johanns Wemher mit fröle Catharina schenkin von Erbach vermeheU

Π,36

(Π, 142)

In disem capitel werden vermeldet etliche seltzame handlungen, die der gedechtnus wol würdig, so in anno 1508 zu und bei Mösskirch sich begeben haben

Π.43

(Π,150)

Diß capitel sagt von Hainrich Zimberem, weilunt herren Gotfridts freiherm von Zimbem ledigen bastardtsone, wie er seine güeter verthon und in großer amiut gestorben

11,47

(Π, 179)

95.

Von dem ursprung des geschlechts deren schenken und herren von Erpach und etlichen bickenbachischen handlungen

11,50

(Π, 182)

96.

Wie schenk Erasmus von ЕфасЬ mit frölen Eisbethen grevin von Werdenberg sich vermehelt und nur zwo döchtem verlassen. Sein gemahl, die witib, hat zue Philipsen Echtem geheurat, aber ire zwo unmündige döchtem sein in schenk Eberharts von Erbach gewalt kommen

П,58

(Π, 198)

Wie schenk Eberhart die zwai fröle von Erpach der fraw mueter wider zuestellen müeßen, auch Hanns Gans von Neuses das Schloß und herrschafr Bickenbach landtgraf Wilhehnen von Hessen ufgeben, darauß vil unruhe erwachsen

11,64

(Π,206)

Wie grave Christof von Werdenberg und herr Johanns Wemher freiherr von Zimbem die herrschafr Bickenbach dem landtgraven von Hessen verkaufen müeßen und zu völliger bezallung letzstlich beschwerlichen komen mögen 11,71

01,214)

In disem capitel werden erzeilt die erpachischen spenn mit schenk Eberharten und wie die erst nach langem uf dem reichstag zu Wormbs in der güete sein hingelegt und vertragen worden

11,78

(Π,226)

Das nachvolgendt capitel thuet meidung von den sonnenbergischen handlungen, auch wie grave Endres von Sonnenberg von grave Felixen von Werdenberg in freiem veldt angriffen und entleibt worden 11,85

(Π,235)

In disem capitel beschicht bericht, was unraths auser grave Felixen von Werdenberg tätlichen handlung erfolgt und wie es ime letzstlich darob ergangen; auch von etlichen andem sachen, dem herren von Guetenstain begegnet

Π,90

(11,247)

Wie herr Johanns Wemher und herr Gotfndt Wemher, gebrüeder, freiherren von Zimbem die Herrschaften mit ainandem aingewechslet und herr Gotfridt Wemher das schloß Wildenstain listigclichen ingenomen

n,103

(Π,270)

93.

94.

97.

98.

99.

100.

101.

102.

506 103.

104.

105.

106.

107.

108.

109.

110.

111.

112.

113.

114.

115.

116.

Anhang

Wie herr Johanns Wemher frçiherr zue Zimbem das stethn Antianzimbem, sampt den dörfem Villingen und Dalhausen, auch ander güeter der stat Rotweil zue großem nachteil seiner nachkommen hingeben und verkauft hat

n,107

(Π,276)

Wie herr Johanns Wemher fieiherr von Zimbem die stat Obemdorf sampt ir zugehördt der statt Rotweil zu kaufen gab, söllichs aber das haus Österreich nit zugeben wolt, darum er das alles, sampt andem güetem seinem brueder, herr Wilhehn Wemhem, zusteen liß

Π, 116

(Π,290)

Von etlichen lecherlichen schimpfl)ossen, die sich mit dem alten Gabriel Magenbuech zu Obemdorf und anderswa begeben haben

Π, 120

(Π,295)

Diß capitel sagt von etlichen schalksnarren und andem dorechten mentschen, was sie zu disen Zeiten für gueter schwenk getriben haben

Π,129

(Π,310)

Von herm Schweikarten von Gundelfmgen und maister Ulrichen Groppen, auch wie herr Joharms Wemher von Zimber zu s. Jacob geraist imd ime darzwischen ein son gestorben und ain anderer geporen worden

Π, 137

(Π,319)

Diß nachvolgendt capitel thuet meidung etlicher spennigen leben, denen Gremlichen zugehörig, auch von Hanns Jacoben Gremlichen zu Hasenweiler, was er für guete hendel gehapt

Π, 144

(Π,328)

Vom landtsterbendt in Schwaben, auch von den Echtem und wie herr Johannsen Wemhem fteihem zu Zimbem abermals ain son ist geboren worden

Π,147

(Π,332)

Wie die irrungen zwischen herr Wilhelm truchseßen von Waltpurg und dann herr Johanns Wemhem vertragen worden, und vom vermainten sündflus und andem sachen vorm Schwarzwaldt

Π,157

(Π,351)

Wie herr Johannsen Wemhem freiherren zu Zimbem noch ain sone und ain dochter geboren worden, auch von dem baurenkrieg und was sich derzeit zue Rotweil verloffen n,161

(Π.357)

Von etlichen gueten schwenken, die sich zu Rotweil zutragen, auch von etlichen graven und herm Π, 166

(Π,365)

Wie herr Gotfridt Wemher freiherr von Zimbem ein zeitlang von seinem alten vettem, auch zue Zürich und bei graflf Erhardten von Thengen erzogen worden und nachgends geen Burkhausen gen hoff kommen Π, 171

(Π.373)

Wie herr Gotfridt Wemher freiherr zue Zimbem von Burkhausen zu marggrave Jörgen von Brandenburg und zu landtgrave Wilhelmen von Hessen an hoff komen und sich ain zeitlang bei schenk Albrechten von Limpurg enthalten 11,178

(Π.380)

Wie herr Gotfridt Wemher freiherr von Zimbem zu marggraf Christoffen von Baden und nachgends zu herzog Uhichen von Würtemberg an hofe kommen und bei denen etliche jar zue hoff bliben

n,181

(Π,387)

Wie herr Gotfridt Wemher freiherr zue Zimbem mit fröle Appollonia grevin von Hennenberg sich vermeheh und zue Mösskirch hochzeit gehapt, sampt etwas bericht von den graven von Hennenberg etc.

Π, 189

(11,402)

Anhang 117.

507

Wie herr Gotfridt Wemhem freiherr zue Zimbem sein dochter, fröle Anna, grave Jos Niclausen von Zollem vermehelt, auch von den zollrischen sachen und wie grave Jos die grafschañ Zollern überkommen

n,196

(11,411)

Von etlichen seltzamen handlungen, die sich bei Zeiten herm Gotfridt Wemhers fteiherm von Zimbem zue Mösskirch und in der herrschañ zue Guetenstain begeben haben

Π,210

(11,428)

119.

M e die walfart zu Ingelswis angefangen, die kirchen daselbs sampt dem dorf widerumb erbawen worden, auch sonst von mancherlei handlungen, zue Mösskirch und anderswa fÜrgangen

Π,213

(11,439)

120.

In disem capitel wurt gemeldt, wie herr Gotfridt Wemher freiherr zu Zimbem das Schloß Falkenstain an der Tonow sampt etlichen dörfem und güetem von Wolfen von Buebenhoffen erkauft hat

11,224

(11,452)

Wie sich allerlei sachen zue Hainstetten, Guetenstain und an andern orten in der herrschañ Mösskirch begeben, sampt etlichen lecherlichen pfafifenhandlungen Π,232

(11,467)

Wie herr Gotfridt Wemher freiherr zue Zimbem das vogtrecht zu Sauldorf, Rod und Alberweiler von abt Hannsen von Petershusen erkauft, imd von andern sachen

11,239

(11,477)

Wie herr Gotfridt Wemher freiherr zu Zimbem etliche vischwasser kirchensätz und gülten vom stammen Zimbem verkauft, auch von herr Harmsen Hemlem und andem sachen

Π,247

(Π,488)

Wie sich herr Gotfridt Wemher freiherr zu Zimbem in sterbendsleufen zu Wildenstain gehalten, auch von andem sachen, die umb die zeit verlofifen

Π,254

(Π,498)

Wie herr Gotfridt Wemhem freiherren zu Zimbem ain dochter, frölin Barbelin, gepom, das ist blindt worden und geen Inzkofifen gethon worden, auch von andem handlungen, die graven von Hennenberg und Sulz belangen

Π,261

(Π,511)

126.

Was herren Gotfriden Wemhem freiherren zue Zimbem in der beurischen empörung begegnet, auch wie sich die von Mösskirch mit ime irer handlungen halb vertragen

Π,268

(Π,522)

127.

Wie herr Gotfridt Wemher freiherr zu Zimbem die alt kirchen zu S. Martin abbrechen und von newem widerumb erbawen lassen, auch von etlichen sachen, derzeit zu Mösskirch verlofFen

Π,275

(Π,539)

Dises capitel sagt von dem absterben der grevin von Ötingen, deren dreien herren gebrtieder freihem zu Zimbem fraw mueter, auch von etlichen abenteurlichen hendeln, zu Mösskirch verloffen

Π,279

(Π,546)

Wie ain große immg zwischen der Reichenow und Herr Gotfridt Wemhem freiherren zu Zimbem von wegen der collator der pfarr Gegginen enthalten und letzstlich vertragen worden, auch von andem sachen

Π,285

(Π,558)

118.

121.

122.

123.

124.

125.

128.

129.

508 130.

131.

Anhang

Wie graff Felix von Werdenberg den engen Kraisz herr Gottfridt Wemhem freihenen zu Zimbem widerumb zuzustellen begert, ist aber verliderlichet worden, auch von Martin Spanier und dem alten Dürren von Gutenstain

n,290

(Π,563)

In disem capitel wurt vermeldet, wo herr Wilhahn Wemher freiherr zu Zimbem etc. in seiner jugendt erzogen, auch was sich nach seinem rectorat zu Freiburg begeben

Π,296

(Π,570)

131a. Ain sonders capitel, nechst vor dem, als herr Wilhahn Wemher die landtgrevin von Leichtenberg vermeheh 132.

133.

134.

135.

136.

137.

138.

139. 140.

141.

142.

143.

(Π,590)

Wie herr Wilhelm Wemher freiherr zu Zimbem sich mit ainem frölin von Lupfen vermehelt, und von etlichen sachen, die zu Obemdorf der Zeit furgangen

Π,306

(Π,596)

Diß capitel sagt von etlichen sachen, die zu Obemdorf sich verloffen, auch wie herr Wilhehn Wemher freiherr zu Zimbem ain landtgrefm von Leuchtenberg vermehelt

Π,315

(Π,607)

Wie herr Wilhalm Wemher freiherr zu Zimbem sein haimfierung mit der landtgrevin von Leuchtenberg zu Obemdorf gehapt, auch was ime im paurenkrieg begegnet, und hernach ans cammergericht kommen etc. 11,321

(11,621 )

Wie herr Gotfndt Wemher freiherr zu Zimbem dem malefiz halben ain nachtailigen vertrag mit der stat Rotweil angenomen, auch wie der herzog von Würtenberg wider ins landt eingesetzt worden

11,327

(Π,633)

Von allerhandt sachen, die sich zu Obemdorf verloffen, auch von etlichen closterhandlungen

11,329

(11,636)

hl disem capitel wurdt vermeldet vom teufel von Schiltach, auch ander dergleichen gespensten, und von einer wunderbarlichen sach, zu Speir ergangen

Π,340

(Ш,1)

Wie herr Joharms Wemher die vogteien, in der Höre gelegen, dem bisthum Costanz verkauft, auch von allerhandt sachen, Staufen und Hülzingen belangend!

П,349 (Ш,14))

In disem capitel wurt vermeldet das herkomen der graven von Werdenberg und in wie vil linias sich dieselben vertaiU haben

11,356

(Ш,24)

Wie den graven von Werdenberg die grafschaft Hailigenberg, auch, Sigmaringen, Trochtelfmgen und andere gueter zugestanden, auch was inen filmemlich biß zu irem entlichen abgang begegnet

11,366

(111,37)

Von der rechtfertigung, die sich nach graf Christofs von Werdenberg absterben der erbschañ halben erhaben, und wie die ersessen, auch von den schenken und herren von Limpurg

Ш, 1

(Ш,50)

Dis capitel sagt von etlichen lecherlichen handlungen zwischen herr Hannsen Weingebem und Schotten von Ebingen, auch wie herr Gotfridt Wemher freiherr zue Zimbem der jungen graven von Tengen formünder worden, und darbei vom geschlecht Thengen

Ш,31

(Ш,69)

In disem capitel wurt vermeldet, was sich in den vorstspennen und auch andem sachen zwischen der herrschañ Zimbem und dann denen Enzbergern begeben hat

Ш,46

(Ш,90)

Anhang 144.

509

Wie heir Gotfridt Wernher freiherr zu Zimbem der stat Rotweil zwai schöne dörfer vor Waldt verkauft hat, nemlich \Wndzagel und Homesingen, auch sonst von seinem übelhausen und von andern sachen

Ш,52

(Ш,103)

Wie herr Wilhalm Wernher das Schloß Urslingen und den Ramstain an sich erkauft hat, auch von mancherlai handlungen, die im derzeit zu Speir am cammergericht sein begegnet

Ш,5б

(Ш,109)

Diß capitel sagt von herr Johannsen Christoff'en fi-eiherren zu Zimbem, wo der in seiner jugendt erzogen und hemach zwai domherrencanonicata uf den hochen gestiften zu Straßburg und Cöllen hab erlangt Ш,71

(Ш,127)

Wie herr Johanns Christof und herr Proben Christof freiherren zu Zimbem, gebrüeder, etliche jar in Frankreich in studio gewest, auch was inen daselbst begegnet, auch damach glücklichen widerum in deutsche lande kommen

Ш,76

(Ш,136)

Wie herr Proben Christof freiherre zu Zimbem zu Cöln ain zeit lang und hemach bei zwaien jaren zu Leven in studio sich erhalten, auch was der zeit für abenteurige hendel fürgangen

Ш,91

(Ш,156)

149.

Wo herr Gotfridt Christof freiherr zu Zimbem in seiner jugendt erzogen worden, auch was im zu Freiburg und in Frankreich begegnet

Ш,105 (111,175)

150.

Von etlichen gueten schwenken und schimpfbossen, die herr Wilhelmen Wemhem freiherren zu Zimbem zu Speir begegnet

Ш,112 (Ш,185)

151.

Diß capitel sagt, wie die ratzen zu Mösskirch vertriben worden, auch von etlichen andem ungewönlichen sachen, die sich begeben

Ш,122 (Ш,19б)

152.

Ußer was Ursachen die drei gebrüeder, freiherren zu Zimbem, den grafenstand,wie den ire voreltem gehapt, widertmib angenomen, iedoch ires alten titels unbegeben

Ш,126 (Ш,205)

In diesem capitel werden vermeldet die Ursachen des Unwillens zwischen graf Hannsen von Montfort und grave Wilhehn Wemhem zu Zimbem, auch von andem sachen, die sich zu Speier derzeit begeben

Ш,134

Wie grave Proben Christof von Zimbem widerumb user deutschen landen ins Niderlandt und von daimen in Frankreich verraist, und was im hin und wider uf der rais begegnet

Ш,145 (Ш,230)

Wie grave Proben Christof und grave Gotfridt Christof von Zimbem, gebrüeder, gen Angiers geraist und was inen daselbst und anderswa begegnet, auch sich graf Proben Christof volgends wider in Deutschland begeben

Ш,153 (Ш,242)

In disem capitel wurt allain vermeldet, was umb die zeit die leuf in Prankreich und am hof gewesen, auch von etlichen sachen des königs Prancisci des ersten

Ш,166 (Ш,260)

Von ankunft, ufkommen und regiment der stat Rotweil, auch wie sie Hannsen von Landenberg zum Schramberg der freien gepirs halb gefangen, doch zu letst alles durch die Aidgnosen vertragen worden

Ш,176

Wie Christof von Landenberg grave Gotfriden Wemhem von Zimbem und der stat Rotweil abgesagt, auch etliche dörfer verbrennt, und wie die vecht hemach vertragen

Ш,184 (Ш,284)

145.

146.

147.

148.

153.

154.

155.

156.

157.

158.

Р,219)

(Ш,271)

510 159.

Anhang Dieß capitel vermeldet, wie Christof von Landenberg ritter worden und bald darauf ellengclichen verdorben und gestorben, auch wie die von Rotweil zwen hassen unferr vom Schramberg gefangen

Ш,198

(Ш,301)

Ußer was Ursachen grave Gotfndt Wemhers zu Zimbem gemahl zue iren gebrüedem ins Frankenlandt gafaren und letsthch aller unwill vertragen, auch sie widerumb herauß kotiunen

Ш,203

(Ш,308)

Wie grave Fröben Christof von Zimbem sich ain zeitlang zu Speir enthalten, auch von der rechtvertigung zwischen grave Wilhehn von Fürstenberg und dem Sebastion Vogelsperger etc.

Ш,215

(Ш,327)

162.

Dis capitel sagt von grave Wilhelmen von Fürstenberg und etlichen seinen handlimgen, auch von den deutschen Franzosen ingemain

Ш,224

(Ш,337)

163.

Was seltzamer handlungen grave Proben Christoffen von Zimbem zu Speir und sonst begegnet, auch von dem reichstag daselbs

Ш,232

(Ш,350)

164.

Wie grave Wilhelm Wemher von Zimbem sein assessorstandt am cammergericht ufgesagt, auch sich widerum heim mit aller haushaltung begeben

Ш,243

(Ш,372)

165.

Von etlichen lecherlichen sachen und gueten schwankbossen, die sich umb dise zeit zu Mösskirch begeben

Ш,247

(Ш,379)

166.

Wie grave Johann Christof von Zimbem nach absterben grave Friderichs von Beuchlingen zu aim domdechant zu Straßburg einhelligclichen erwelet worden

Ш,256

(Ш,388)

Wie grave Joharm Wemher von Zimbem Oberadorf widerumb bekommen, auch von seinen spennigen sachen zu Obemdorf, und wie es der tmchseßin von Walpurg, witib, ergangen etc.

Ш,258

(Ш,391)

Wie grave Ootfndt Wemher von Zimbem am gesicht mangelhaft worden, und von etlichen seinen handlungen, auch wie herr Ot truchseß von Walpurg das bisthim zu Augspurg erlangt

Ш,269

(Ш,408)

Wie ain zank zwischen bischove Johannsen von Costanz und seim domcapitel entstanden, auch von etlichen gueten schwenken, und letstlich von graf Christoffen von Lupfen, wie und user was ursach der gestorben

Ш,280

(Ш,420)

Was für heirat grave Frobenio Christoffen zugestanden und er durch underhandlung grave Josen Nielasen von Zollem mit dem frölin von Eberstain verheirat, und von der hochzeit

Ш,285

СШ,430)

171.

Von doctor Petter Villenbachen von Straßburg, auch von andem sachen imd insonderhait von dem herkomen der graven von Eberstain

Ш,296

(Ш,446)

172.

Wie die eberstainische haimfierung zue Mösskirch ergangen und von andem sachen, die sich darbei begeben haben

Ш,305

(Ш,456)

173.

Was seltzamer handel ainer hebamma von der Scheer begegnet und von andem sachen, wie manchem gueten gesellen auch ein überbain in seinem heiraten überbunden

Ш,312

(Ш,465)

Wie grave Gotfriden Christoffen von Zimbem ein große geferde in der III zu Erstain begegnet, darvon er glücklichen erlediget, und von andem sachen, den alten Reingraven betrefendt

Ш,321

(Ш,479)

160.

161.

167.

168.

169.

170.

174.

Anhang

511

175.

Von etlichen lecherlichen und gueten schwenken, die sich in werendem sinodo zu Zabem am hoff begeben, auch von dem probst Schmidheuser von Straßburg und seinem alten knecht Gallen Ш,334 (Ш,494)

176.

\We grave Johann Christof von Zimbem, domdechant, und sein brueder, graf Gotfridt Christof, die oblegia und gaistliche güeter zu Strasburg von grave Bemhatten von Eberstain überkommen

111,339 (Ш,502)

Von Hannsen von Sürgenstains wunderbarlichen hendeln, auch wie er zu Waldt im closter von ainem raisigen knecht ist entleibt worden etc.

111,344 (111,508)

\Vie nach absterben Hannsen von Sürgenstain ain groser zank umb CruchenwiB entstanden, auch zu letst solch dorf so wol, als andere güetere von Zimbem verwarloset worden

111,348 (Ш,514)

177. 178.

179.

180. 181.

182. 183.

184.

185.

186.

187. 188.

189.

sich die graven von Zimbem im schmalkaldischen krieg neutral erzaigt, auch allerhandt bericht von desselben ungehorsamen fursten und Stenden

(Ш,534)

Von etlichen gueten schwenken, die aim burgermaister und dann aim zunftmaister von Leutkirch zu Ulm begegnet

(Ш, 5 5 7)

Wie grave Wilhehn Wemher von Zimbemseinen schwager, grave Josen Nielasen von Zollem, bei dem römischen könig ußsawt, auch von andern sachen, die dozumal in Augspurg filrgiengen

(111,565)

Diß capitel sagt von des bischofs von Bremen narrechten handlungen, auch von künig Philipsen von Hispania

(Ш,578)

Wie kaiser Carl grave Wilhelmen Wemhem von Zimbem zu einem cammerrichter im haihgen reich verordnet, auch wie ermelter graff seinem geschlecht den titel wolgebom erlangt.

(Ш,585)

Von etlichen sachen, so grave Wilhelmen Wemhem von Zimbem, mitlerweil und er cammerrichter gewest, zu Speir und an andem orten begegnet.

(Ш,591)

Wie grave Josen Nielasen von Zollem gemahel nach langem iren verzig gethon, und wie grave Proben Christoffen von Zimbem allerhand fUrmundtschañen angehenkt worden.

(111,605)

Wie grave Johann Wemher von Zimbem ain sorgclichen zufall bekommen, dessen er gstorben, und was sich sonst nach seinem absterben weiter zwischen seinen verlassnen sönen und anderm begeben.

(Ш,615)

Wie grave Gotfridt Wemhers von Zimbem gemahl mit todt abgangen, auch von graven von Hennenberg und andem sachen.

(1V,1)

Wie grave Johann Wemhers selligen gemahl von der wasersucht curirt, auch grave Wilhelm Wemher, der cammerrichter, seine jungen vettem der erbschaften halben verainiget und vertragen.

(1 V,21 )

Wie grave Johann Wemhers gemahel zu Seedorf mit todt abgangen und zu Obemdorf begraben worden; auch von andem sachen, zu Mösskirch und sonst verloffen.

0431 )

512 190.

191.

192.

193.

194.

195.

196.

197.

198.

199.

200.

201.

202.

203.

204.

205.

Anhang Wie der jung grave Wilhelm von Zimbem gebom, auch von dem sterbendt zu Rordorf und von andern sachen, in der herrschañ Mösskirch und sonst verloffen.

(TV,43)

Wie grave Gotfndt Wemher im furstenkrieg geen Wildenstain gewichen, was aida fiiirgangen, und baide frölin Kinigunt und Cathrina von Zimbem gebom.

(IV, 5 7)

Wie grave Wilhelm Wemher im ftirstenkrieg zu Speir weichen müesen und sich ain zeit lang gen Zimbem gethon; auch von marggraf Albrechts von Brandenburg und andem handlungen

(TV,67)

Wie grave Gotfridt Christof von Zimbem ain canonicat uf dem gestift zue Costanz erlangt, auch von doctor Petter Villenbachen.

(IV,73)

Wie grave Gotfriden Christoffen von Zimbem mit seinem gaist zue Costanz begegnet, auch von andem ungeheuren sachen, die sich hin und wider verloffen.

(IV,83)

Wie grave Wilhehn Wemher von Zimbem den camerrichterstandt ufgesagt, sich widerumb gen Zimbem begeben, und was hinfUro im die überig zeit begegnet.

(IV,94)

Von dem Butschen und des alten hetien seltzamen weis, auch von etlichen ungeheuren sachen, die sich zue Eberstein, Mösskirch und an mehr orten begeben haben.

(IV, 108)

In disem capitel werden vermeldet allerhandt sachen von dem wuteshere und andem handlimgen, zue Mösskirch und sonst verloffen.

(IV, 122)

Dieses capitel sagt allain von den erdenmendlin, auch von maister Eppen und seinen jaghündlin Willen und Wallen.

(IV,131)

hl disem capitel wurt vermeldet, was grave Gotfrid Wemher in dem schloßs zue Mösskirch hat gebawen.

(IV, 148)

Wie grave Gottfnd Wemher uf ein großs alter kommen, zu Mösskirch gestorben, iedoch zuvor sein vetter, grave Proben Christofifen, zue eim erben emempt.

(TV, 152)

Dies capitel thuet meidung von grave Göttfriden Wemhers aigenschaften und gebreuchen in gemain.

(IV, 174)

hl disem capitel werden vermeldt allerhand ansprachen, die graf Frobenio von Zimbem nach seines vettem absterben begegnet, auch wie frölin Leonora und frölin Maria geboren worden.

(IV, 194)

Wie sich langwirige imingen und spenn zwischen grave Carln von Zollem und grave Gotfridt Wemhem von Zimbem von wegen irer baider herrschañen enthalten.

(rv,208)

In disem capitel werden vermeldet zwen sprüch, in reimen verfasst, die grave Gottfridt Wemher in seinr jugendt am würtenbergischen hofif gemacht hat.

(1V,213)

Von zwaien Sprüchen, ain gaistlichen und ain weltlichen, die graffWilhalm Wemher von Zimbem einest gemacht.

(IV,233)

Anhang 206.

513

Von herr Hanns Jacoben von Landow, ritter, auch von allerhandt sachen, die sich bei kaiser Maximilians Zeiten m d hemach begeben.

av,247)

grave Philips von Eberstain sich mit einer witfrawen von Balieul zu Sant Omar verheirat und graf Proben Christof mit andern graven uf die hochzeit geraist.

aV.265)

Was graff Fröben Cristoffen von Zimbem, auch den andern graffen uf der rais und zu Sant Omer begegnet, auch wie sie hemach mit aller wolfart wider haimkommen.

av,281)

209. User was Ursachen grave Fröben Cristof bewegt, das schloßs zu Messkürch von newem zu erbawen.

(IV,298)

207.

208.

Von BARACK nicht eingeordnete Nachträge In caput, wie grave Hainrichs von Lupfen concubina von ainem gespenst beschlaffen.

(IV,306)

In das zollerisch capiti, als vom Jerg Schreiber vermeldet.

av,309)

In das zollerisch capitel von dem Jergen Schreibern.

(IV,311)

In caput von dem ritter von Frawenburg, der zu Pariss bei dem lewen die kappen holet.

(IV,312)

In caput von dem hungerbronnen zu Connstatt bei Stutgarten

(IV,314)

Stammtafel der Freiheiren (seit 1538 Grafen) von Zimmern, Herren von Meßkirch Werner d.A. 1 2 9 0 - 1384 с I Anna Truchsessin ν. Rohrdorf « 11 Brigiiu V. Gundeirmgen

Johann d.A. Π 5 4 - 1430 Kunigunde V. WerdenbergSargans

Johann d.J. 1 3 9 6 - 1430 ' Verena v. Sonnenberg

Konrad stirtil jung

Werner d.J 1 4 2 3 - 1483 ' Anna V. Kirchberg

Jörg stirtf jung

rd.Ä. 1454 - 1495/96 > Margarete v. Otlingen

Veit Werner 1479- 1499

Johann Werner d.J. 1 4 8 0 - 1548 oo Katharina v. Erbach

I Christoph Werner 1514-1517

Proben Christoph 1 5 1 9 - 1567 « Gräfin Kunigunde V. Bberstein

I Anna 1545 - ? • Grdf Joachim v. FUrslenberg

Appoltonia 1 5 4 7 - 1604 "> Gnif Georg V. Helfenstein

Aiuia 00 Huldreich V. Schwarzenberg

Anna um 1 4 0 0 - 1445 » Graf Eberhard V. Werdenberg-Sigmaringen

Gottfried 1425-1508

Kunigunde stirbt jung

1

1 Wilhelm Werner 1485- 1570 °° Katharina V. Lupfen

1 Verena » Ulrich V. Brandis

I Anna =» 1 Johann V. Geroldseck «> 11 Jacob V. S e m

2 Gottfried Werner 1484-1554 3 Apollonia V. Henneberg 1 Johann Christoph 1516-? Domherr in Straßburg

1 Johanna 1 5 4 8 - 1613 ° Truchsess Jakob V. Waldburg

I

1 Anna 1 4 7 5 - 1517

Verena 1477 stirbt jung

Kunigunde 1476 stirbt jung

Katbarina 1 4 7 8 - 154?

I

I

Margarete 1481 - ? oo Wolfgang V. Affenstein

Barbara Lazarus V. Schwendt

1 Maria 1555-? " Graf Georg V. Thum

1 Sibilla 1558-? « Graf Eitelfriedrich v. HohenzollernHechingen

1 Ursula 1564-? * Graf Bernhard v. Orlenburg

Register Das Register beschränkt sich auf signifikante Namen, Werke und Sachen. Wegen der Häufigkeit ihrer Erwähnung wurde auf die Erfassung der Angaben zu den Geschlechtem Waldburg, Werdenberg, Württemberg, Zimmern und Zollem verzichtet. Den Wegweiser zu den wichtigsten Mitgliedern dieser Familien bietet das Inhaltsverzeichnis.

Aeneas Silvio 61, 120 Alchimie 282, 285f., 370-372, 400 Allod 102, 103, 164,180f Annales 7f., 24f., 29, 67,152, 445 arcanum 259,339,404 Armer Konrad 82, 124,126 Amfiied von Marsburg 171f., 178 Artesliteratur 6 Aventin 1£,5, 15,37,43f., 61, 73, 75,128,182,402, 405,431, 460 aventiure 15, 73f. Avila, Johannes von 404f. Ayrer, Johann Christoph 140 Baidung, Caspar 155-157,166 Bauernkrieg 57-59, 72, 82ff., 136, 329, 332, 342, 347-351,404, 415, 420,458 Bebel, Heinrich 41,308f., 354f. Berthold von Zähringen, Herzog 198-200 Bickenbach, Herrschaft 313,315f. Blondus, Flavius 98,437 Boccaccio, Giovanni 29, 269, 290£,293, 296,313,316, 386, 422

'Decamerone' 269, 290-293, 313,329,386 Bönnigheim 218 Bouillon, Grafen von 170, 203, 212 Brautwerbungsschema 74, 110, 362 Breidenbach, Bernhard 372f Brennwald 27 Bubenhofen, Herren von 337,341 Burchard, Propst von Ursperg 60, 68 Burgkmair d. Ä., Hans 50,57, 60f., 439 Caesar 4,99-101,155,177,358 Calw, Grafen von 85, 89,107, 109,209 Capellanus, Andreas 266 Castiglione, Baidassare 409 Celtis 36 'Cent nouvelles nouvelles' 340, 394 'Chronik des Erzbistums Mainz' 132 Cicero, M. Tullius 37,281,398 Closener, Fritsche 25,27 'Codex Hirsaugiensis' 208 Colonna, Grafen von 183, 436, 443,447f.,451£,456, 460

516 Commynes, Philippe de 15, 39, 274,405,463 conditio humana 328, 340,464 Cuspinian, Johannes 16,25,29, 36, 429 Ebran von Wildenberg 330 'Elisa-Novelle' 360-364 Einhard 177,313,334 Erbach, Grafen von 151, 312f., 317,412 Katharina 150,312,359 Erinnenmgskultur 155,311 Etterlin, Petermann 27 Fabri, Felix 77, 263, 372, 373 'Faustbuch' 282-285 Ferdinand L, Kaiser 32, 400,419 Ferdinand II. von Tirol, Erzherzog 38,130 Flodoardus 445f. Flores temporum 24 Florus 161 f. Franck, Sebastian 44, 93f., 387f., 410 Frank, Sebastian 51,93 Franz I., König von Frankreich 400,404-408 Friedrich III., Kaiser 49, 77, 91, 275f., 296,435,441, 444f., 448, 455 'Friedrich von Schwaben' 217 Froissart, Jean 15,39,463 Froschlehen 229f. Füetrer, UMch 2, 44,130 Fürstenberg, Grafen und Fürsten von 132,249,304,319,352, 365,420 Gabelkover, Oswald 32 gedechtnus 31, 37,40,90,134, 235,243, 302, 308, 373, 393, 397-399,404, 407,412,421, 428, 463

Georgenschild 256f. Geroldseck, Freiherm von 183, 319 Geroltseck, Herren von 32, 85 Goethe, Joharm Wolfgang von 1, 12 Hartmann von Aue 'Erec' 305 'Iwein' 92,188,248f., 298, 333 Hauskloster 67, 165,218-221 Heinrich I., König 66, 106f, 140, 191-193,197 Heinrich IL, König von Frankreich 400 Heinrich III., Kaiser 66,187, 205f., 447 Hekataios von Milet 34 Helfenstein, Grafen von 32, 43, 85, 131f Henneberg, Grafen von 151,329, 333, 336, 345, 384 Apollonia 131, 151, 329, 333336,384, 391 Hermann Contractus 64,130, 224, 450 Hermann von Sachsenheim 'Goldener Tempel' 266 'Mörin' 131,241,265-270,428 Herodot 156,158-160,463 Herold, Johannes Basilius 32, 39, 43, 53,135, 204, 343, 402, 434450,455-460, 462-464 Herrenzimmern 135, 164-167, 232,247,250, 324, 343,425 Hirsau, Kloster 68, 97,107, 208, 251-253,444-446 Hirsauer Chronik 97,107, 444446 Hochgerichtsbarkeit 164,173, 233, 307, 354 Hohenberg, Grafen von 168,181, 247,295,343, 435 Horaz 143,293,431

517 Hunibald 178,446 Investiturstreit 105, 187-188, 196f., 200f., 229 Jovius, Paulus 405 Karl d. Gr. 66,140,170,178f., 183,186,313,441 Karl IV., Kaiser 233,240, 350 Karl v., Kaiser 50, 78, 256,404 Karl VII., König von Frankreich 376 Kimbern 101, 140,148, 155-160, 162-169,172f., 185,310f.,417 Kimmerier 153, 156-160,173, 183,417,460 Königsegg, Grafen von 132 Konkubinat 252, 376,391 f. Konrad von Stoffeln 136,151, 257, 276 Konradin 69-74,112-114 Krankheit 120,201,285,326, 370-373 Krautheim 166,425 Kreuzzüge 148,173,196,203205,211,214 Lazius, Wolfgang 32,437 lex totius 297, 339, 387f, 403, 406,409,416,422,465,468 'Uber' 21,140f, 148,167,176, 197,216,225, 230,417 'Liebhaber, Der enttäuschte' 249, 286 Limnaeus, Johannes 140,155, 167 Lindenast, Gabriel (Sattler) 145, 266,287 Lirer, Thomas 15,18f, 28,32, 35f., 36,44, 50, 60, 64, 87,97, 110, 145,179, 180ff., 358-364, 427,435-437, 449,462-464

Literarizität 4,15,19ff, 23,258, 265, 308, 378 longue durée 7,185 Lukian 144,269,427,429,431, 463 Lusburg 167, 168 Lützelstein, Grafen von 209 Magenbuch, Gabriel 321-324 Magenheim, Grafen von 215-219, 220-222,380 Magie 281f.,285f,301,365,371, 415,431 magistra vitae 8,10, 37, 42, 293, 401,465£ Mahrtenehe 175f 'Malleus maleficarum' 271 Manlius, Johannes 73,284 Marius, Gaius 101,155f, 161f, Marschalkzimmem 164f Martin von Troppau 24 Matthäus von Pappenheim 18, 3033, 36, 50-58, 60f, 63f., 69, 8385,459,462-464 Matthias von Neuenburg 25f, 238, 429, 463 Maximilian I., Kaiser 16f., 29, 33, 36-40, 50,61,81f, 120,123125,183,186,192,276f., 298, 303f.,307,314,317, 331-335, 343,347, 368,381,392,428, 439,455 'Theuerdank' 50,335,462 'Weißkunig' 50,61f.,421,462 Mechthild von der Pfalz 264-270, 428 Meisterlin, Sigismund 44, 51, 431,453 Melanchthon, Philipp 40, 284, 419,429 'Melusine' 7,131,153f, 174-177, 221,336,414 memoria 14, 22, 37, 45, 55, 61, 92, 97, 205,244, 245, 264, 283,

518 311,329, 338,359f.,389f.,417, 457,463 Mennel (Manlius), Jakob 29, 36, 97, 437 Meßkirch 130f.,233ff.,236,238, 247f., 254, 277, 279, 280, 298, 302-305, 307, 325, 330, 348, 379,383,399,411,420 minne 15, 73f., 131,188,291, 316,341,347, 362 Montfort, Grafen von 32, 72, 358, 360f. Müller, Johannes 134,138 Münster, Sebastian 447, 456 Narrativität 8, 358-360,425 Naucler, Johannes 61, 68, 97, 120, 127,156,180 New Historicism 11,13,426 Obemdorf 167,241,247,250253, 276f., 297, 298-300, 303, 347,351 Obotriten 197,212 Oehem, Gallus 130,189,199f., 224-228, 397, 450 Ökonomie 25, 84,210, 271, 340, 388,415 Orosim 155, 161f. Otto I. 66,224,385 Panegyrik 17,56,94,96,184, 419,463f. Pantaleon, Heinrich 131,447,456 Patrizi, Francesco 45 periphrastìce 377, 378, 383 'Peter von Staufenberg' 174-176, 282 'Petershausener Chronik' 164 Peutinger, Konrad 51,144 Pfälzerkrieg 120,121 Pilgerfahrt 77, 263 Piaton 41

Plot 9f, 196,200-204,415,455, 466 Plutarch 29f, 156f, 161f, 430, 463 Poseidonius 156, 158 Quellenkritik 1,30,41-45,96, 154,171, 190,204, 220,464 Ramingen, Jakob von 32,130f, 230,293 Rechberg, Herren von 183,255, 256, 257, 258, 259, 260, 261, 302 Hans von 252, 254-259, 302, 397 Reformation 13, 25, 28,180, 196, 342, 348,404,415,467 Reichenau 130, 199, 224f, 228f, 233, 435, 449f., 456 Reichskammergericht 136, 151, 156 Renaissance 13, 15, 29, 38, 45, 159, 287, 367, 369, 371,388 Robert Monachus 204 Rochlitz, Elisabeth von 265, 269271 Rohrdorf 71, 230, 233,238, 247, 254,311,402 Rosenfeld 214 Rottweil 119,152,164f, 167, 205, 233,238, 297,319, 324, 346-348, 354, 365, 376, 381 'Rotulus Sanpetrinus' 194f, 222f. Rudolf von Habsburg, König 435f,444f, 448 Rüttel, Andreas 140,155 Rüxner, Georg 35, 44, 60, 66, 106-109,189-194,222,230, 427,437, 447,449,460,462, 464 Sabellicus 61,98 Sarwerden, Grafen von 175-177

519 Schaumburg, Wilwolt von 334 Schedel, Hermann 51 Schertlin von Burtenbach, Sebastian 349,436 Schwäbischer Bund 47, 49, 82, 124,125, 126 Seedorf 247,250, 317 Sempach 72, 73 Sexualitätsdiskurs 20,145, 176, 264,269-271, 315f., 325, 376f., 383-386, 388-392, 396,415f., 'Sigenot' 146,419 Sigmund, Kaiser 296, 297, 298 Erzhog von Tirol 79,170, 248250, 255,275-278, 280 Sleidan, Johannes 404,405 Sleidanus, Johannes 404 'Spalt in der Wand, Der' 289 St. Gallen 148, 198f. St. Georgen 205-207, 213 Städtekrieg Ulf., 115f, 120f Stainhöwel, Heinrich 24 Staufenberg, Schenken von 168, 177 Strabon 101,156if., 160f., 169 Straßburg 25f., 161, 223, 232, 258,298, 330, 336,369, 388, 419 Stricker, Der 131,249,292,313, 397 'Pfaffe Amis' 249,322,324f Stromberg 140,215-217,220 Stumpf, Johannes 90,169, 198, 227, 308,463, 468 Tacitus 41, 101, 152,163,169, 179 Tengen, Grafen von 224, 226, 268, 351,426 Terenz (P. Terentius Afer) 384, 398 Thukydides 41,90,433

Trithemius, Johannes 29, 36, 43, 45, 178, 182,437,441-447,464 Tschudi, Gilg (Aegidius) l , 2 7 f , 73, 358,463 Twinger von Königshofen, Jakob 25, 26, 39, 238,463 'Ulenspiegel' 258f, 262, 301, 322, 353 Vadian, Joachim 16,29,46,428 Valerius Maximus 161 Valla, Lorenzo 28, 156 Veringen, Grafen von 85,209, 254,276-278, 294,295 verligen 248 Vorrede 25, 27,44, 62, 88-90, 93, 98, 113, 117, 123, 125, 133, 141,153, 164, 302, 308,327, 432, 440, 441 Waldburg, Truchsessen von cf Inhaltsverzeichnis Waldis, Burkhard 241 weltbuech 383,387,415,423,424 Werdenberg, Grafen von cf Inhaltsverzeichnis Wittich, Ivo 157 Wolfram von Eschenbach 'Parzival' 135f, 225, 257, 468f Württemberg, Grafen und Herzöge von cf. Inhaltsverzeichnis Zink, Burkhard 51,366 Zimmern, Freiherren und Grafen von cf Inhaltsverzeichnis Zollem, Grafen von cf Inhaltsverzeichnis Zürich 25, 66, 109,169, 191, 198, 344

Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte

Burkhard Moennighoff

Friedemann Spicker

Der Aphorismus

Begriff und Gattung von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis 1912 1997. XIII, 484 Seiten. Gebunden. ISBN 3-11-015137-5 (Band 11 [245])

Goethes Gedichttitel 2000. VI, 207 Seiten. Gebunden. ISBN 3-11-016758-1 (Band 16 [250])

Julia Cloot

Geheime Texte Jean Paul und die Musik

Jörg Paulus

Der Enthusiast und sein Schatten Literarische Schwärmerund Philisterkritik im Roman um 1800 1998. X, 382 Seiten. Gebunden. ISBN 3-11-015908-2 (Band 13 [247]) Steffen Martus

Friedrich von Hagedorn Konstellationen der Aufklärung

2001. XII, 346 Seiten. Gebunden. ISBN 3-11-016895-2 (Band 17 [251])

Ansgar M. Cordie

Raum und Zeit des Vaganten

Formen der Weltaneignung im deutschen Schelmenroman des 17. Jahrhunderts 2001. XII, 632 Seiten. Mit 44 Abbildungen. Gebunden. ISBN 3-11-017011-6 (Band 19 [253])

1999. VIII, 582 Seiten. Gebunden. ISBN 3-11-016623-2 (Band 15 [249])

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Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte

Klaus Ridder Mittelhochdeutsche Minne- und Aventiureromane Fiktion, Geschichte und literarische Tradition im späthöfischen Roman:, Reinfried von Braunschweig', ,Wilhelm von Österreich',,Friedrich von Schwaben' 1998. XII, 462 Seiten. Gebunden. ISBN 3-11-015414-5 (Band 12 [246]) Gegenstand der Untersuchung sind

schichte

übergreifende Entwicklungstendenzen

Erzählens

des Erzählens im späthöfischen Minne-

Romane des 14. Jahrhunderts stehen

und Aventiureroman: die Tendenz zur

im

Auseinandersetzung mit unterschied-

Braunschweig',

lichen

Österreich' des Johann von Würzburg

literarischen

Modellen

und

Traditionen, zur Historisierung der

sowie zur und

Zentrum:

Reflexion

der Sprache. der

des Drei

,Reinfried

von

,Wilhelm

von

der

und der .Friedrich von Schwaben'.

Fiktion, zur Fiktionalisierung der Ge-

Uta Störmer-Caysa Gewissen und Buch im Mittelalter Über den Weg eines Begriffs in die deutsche Literatur 1998. X, 438 Seiten. Gebunden. ISBN 3-11-016206-7 (Band 14 [248]) Im lateinischen Mittelalter gab es nicht einen Begriff vom Gewissen, sondern zwei. Angekommen ist in der deutschen Literatur nur einer. Uta StörmerCaysa fragt erstmals, wie und warum.

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