Vom Jenseits: Jüdisches Denken in der europäischen Geistesgeschichte 9783050070896, 9783050027197


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German Pages 249 [252] Year 1997

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Table of contents :
Inhalt
Einführung
Philons spiritualisierende Eschatologie und ihre Nachwirkung bei den Kirchenvätern
Jüdischer Jenseitsglaube als „Bricolage“: Seine Entstehung und seine frühen Formen
Das Jenseits – zwischen Geschichte und Ontologie
Jenseits und Zukunft
Diesseits und Jenseits
Die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele in der Religionsphilosophie der Aufklärung
Transzendenz und Utopie in Blochs Atheismus im Christentum
Patriotismus und ethischer Unsterblichkeitsglaube: Hermann Cohen
Ewigkeit und Wahrheit
Transzendenz und Verantwortung
Jenseits von Heilig und Profan
Freud und das Jenseits
Die Juden und das Geheimnis: Das Über-Leben des jüdischen Volkes
Personenregister
Über die Autoren
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Vom Jenseits: Jüdisches Denken in der europäischen Geistesgeschichte
 9783050070896, 9783050027197

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Vom Jenseits

Vom Jenseits Jüdisches Denken in der europäischen Geistesgeschichte Herausgegeben von Eveline Goodman-Thau

Akademie Verlag

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Vom Jenseits : jüdisches Denken in der europäischen Geistesgeschichte / hrsg. von Eveline Goodman-Thau. Berlin : Akad. Verl., 1997

-

ISBN 3-05-002719-3 NE: Goodman-Thau, Eveline [Hrsg.]

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 1997 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der VCH-Verlagsgruppe. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Das eingesetzte Papier entspricht der amerikanischen Norm ANSI Z.39.48 - 1984 bzw. der europäischen Norm ISO TC 46. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. All rights reserved (including those of translation into other languages). No part of this book may be reproduced in any form - by photoprinting, microfilm, or any other means - nor transmitted or translated into a machine language without written permission from the publishers. Satz: Frank Hermenau/Siggi Rasenberger, Kassel Druck: G A M Media GmbH, Berlin Bindung: Verlagsbuchbinderei Mikolai GmbH, Berlin Printed in the Federal Republic of Germany

Inhalt

Einführung

9

Dieter Zeller Philons spiritualisierende Eschatologie und ihre Nachwirkung bei den Kirchenvätern

19

Bernhard Lang Jüdischer Jenseitsglaube als „Bricolage": Seine Entstehung und seine frühen Formen

37

Karl E. Grözinger Das Jenseits - zwischen Geschichte und Ontologie

47

Friedrich Niewöhner Jenseits und Zukunft. Über eine Differenz im 12. Jahrhundert

61

Wolf gang Neuser Diesseits und Jenseits. Vorstellungen von der Seele in der Renaissance

71

Daniel Krochmalnik Die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele in der Religionsphilosophie der Aufklärung

79

Horst Folkers Transzendenz und Utopie in Blochs Atheismus im Christentum

109

Micha Brumlik Patriotismus und ethischer Unsterblichkeitsglaube: Hermann Cohen

129

Yehoyada Amir Ewigkeit und Wahrheit. Die Messianische Erkenntnistheorie Rosenzweigs . . . .

143

Ingeborg Nordmann Transzendenz und Verantwortung. Margarete Susman im Dialog mit Nietzsche und der Tora

169

Eveline Goodman-Thau Jenseits von Heilig und Profan. Die Verfügbarkeit von Himmel und Erde in der Lehre des Rav Kook

179

Rudolf Heinz Freud und das Jenseits

215

Manfred Voigts Die Juden und das Geheimnis: Das Über-Leben des jüdischen Volkes

225

Personenregister

239

Über die Autoren

246

„Diesen Kosmos hier vor uns, derselbe für Alles und Alle, hat weder einer der Götter erschaffen, noch der Mensch. Er war schon immer, er ist und er wird sein." Heraklit

Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde" Genesis

Nur ein rissiger Geist hat Öffnungen zum Jenseits" E. M. Cioran

„Man muß sich an jedem Tag erneuern, um sich zu vollenden" Rabbi Nachman von Bratslav

Einführung

Die Frage nach dem Sinn der Welt ist so alt wie die Welt selbst und die Antworten so zahlreich wie die Sterne am Himmel und der Sand des Meeres. Die Lebenswelt der Menschheit ist von ihren frühen Anfängen an geprägt von den Vorstellungen, die man sich von Himmel und Erde gemacht hat als Ort und Quelle der Sinngebung. Im Abendland läßt sich der Weg dieser Suche nach Sinn verfolgen vom göttlichen Kosmos der Griechen über den Gott der Bibel bis zur Lehre des Menschen im Diesseits. Von Rabbi Bunam von Przysucha stammt die berühmte Aussage, daß er ein Buch verfassen wollte, das „Adam" heißen und den ganzen Menschen enthalten sollte. „Dann aber habe ich beschlossen, dieses Buch nicht zu schreiben." Und wenn Theodor W. Adorno sagt, daß das Ganze das Unwahre ist, so weigert er sich, diese Welt, so wie sie ist, als das letzte Wort anzuerkennen. Die Besinnung entweder auf die Welt oder auf Gott oder auch auf den Menschen als Ganzheit erweist sich als unzureichend, und es stellt sich die Frage, ob auch im Diskurs der Gegenwart, in einer Welt, in der verschiedene Deutungsmuster der Wirklichkeit nebeneinander existieren, die Frage nach der Verbindung dieser drei Ganzheiten befriedigend ist. Die klassische Orientierung des Menschen am Ganzen bricht zusammen, wo Gott als der Schöpfer des Himmel und der Erde, als Schöpfer von getrennten Orten des Daseins von Mensch und Gott, als der Schöpfer eines Diesseits und eines Jenseits gesehen wird. Zugleich wird mit dieser Trennung der Bezug jedoch ermöglicht: Der Himmel ist eben nicht auf Erden, Gott ist nicht Mensch geworden, sondern der Mensch Gottes Ebenbild, ein Bild, das sich im Menschenbild, dem Bild, das der Mensch von sich hat, erkennen läßt. Das Bilderverbot im jüdischen Monotheismus hat hier seinen Ursprung und seine Bedeutung. Sich ein Bild von Gott zu machen hieße, die Voraussetzung der MenschGott-Beziehung zunichte zu machen, eine Beziehung, die das Unvollendete, Unerwartete und Unerdachte einschließt. Das moderne Streben nach Freiheit und Selbstbestimmung ist eng verbunden zwar nicht mit einer Jenseitserwartung, doch mit einer Sehnsucht nach einem verlorenen Himmel, der als Ausweg aus einer festgelegten Ordnung der Natur das Selbst vor seinen eigenen Vorstellungen retten könnte. Die Selbstverständlichkeit von Mensch und Welt hängt somit eng zusammen mit einer zentralen Frage, nämlich der, wie sich ein religiös geprägtes Denken mit einem aufgeklärten verbinden läßt. Der Zusammenhang zwischen Diesseits- und Jenseitsentwürfen wird zur Chiffre der Problematik einer unversöhnten Moderne, in der Versöhnung in einer unerlösten Welt nur durch eine verbindliche Trennung aufhebbar scheint. Das Leben in einer vollständig historisierten Welt, in der die Überzeugung herrscht, daß die Menschenwelt die einzige

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Einführung

ist, die wir in Wahrheit verstehen können, da wir sie selber geschaffen haben, öffnet jedoch möglicherweise einen Horizont des Denkens, wo die Menschenwelt als Welt für und um des Menschen willen geschaffene oder vorhandene Welt eine neue Bedeutung gewinnen kann. Die Welt ist dann nicht entweder eine von Natur aus bestehende oder eine nach einem vorherbestimmten Zeitplan verlaufende, sondern hat aus menschlicher Sicht einen Anfang: An jedem Tag muß sich, an einem jeden einzelnen Menschen die Welt erneuern um Menschenwelt zu werden. Das Verhältnis des Menschen zu Gott gewinnt so seinen Sinn im Verhältnis des Menschen zur Welt, in dem der Wille zur Schöpfung der Welt sinnvoll bewahrt bleibt. Der seiner Freiheit überlassene Mensch ist das Staunen und das Entsetzen über diese Einsicht, die Brücke zwischen Schöpfung und Selbstschöpfung. Dort, auf dieser schmalen Brücke, aufgespannt zwischen Himmel und Erde, bekommt die Suche nach Sein und Sinn einen Ort, wo die Endlichkeit der menschlichen Existenz der Unendlichkeit des Kosmos begegnet, jenseits der vorweggenommenen Antworten auf die ersten Fragen nach den letzten Dingen. Dort begegnen und befragen sich die Antworten auf die Fragen „Was kann ich wissen?" und „Was kann ich tun?" im historischen Bereich und die Fragen „Was kann ich hoffen?" und „Was ist der Mensch?" im meta-historischen. In diesem Frage-und-Antwort-Spiel, das ein Spiel auf Leben und Tod ist, wie uns aus der Paradiesgeschichte bekannt, wächst der einsame Mensch in Hoffnung und Verzweiflung, in Skepsis und Vertrauen. Der Verzicht auf diesen Ort würde das Ende bedeuten, ein Ende, das auch den Anfang mit sich reißen würde in einen Abgrund, in dem Leben und Tod jeglichen Sinn verloren haben, wie uns aus der Geschichte der Henker in Auschwitz bekannt ist. Das Wissen um das Tun bewahrt die Hoffnung und den Menschen in einer Welt nach der Aufklärung, die als Einheit auseinandergebrochen ist. Für den modernen Menschen ist die Einsicht, daß wir in mehr als einer Welt leben, daß die Wirtschaft und die Politik, die Wissenschaft und die Künste, die Bildungssysteme und die Glaubensinstitutionen, die Technik und der Mensch, verschiedene Bereiche der Wirklichkeit darstellen, nicht genügend als Ausgangspunkt für die Frage nach dem Sinn der Dinge. Die Erkenntnis der Trennung dieser Bereiche zeigt die wachsenden Schwierigkeiten und die Ohnmacht des Menschen, seine eigene Existenz als Brücke zu benutzen, als Ort der Begegnung mit seiner Lebenswelt, es zeigt sich die Unfähigkeit des Menschen, die Sonderposition zu erkennen, die er als historisches Wesen im Ganzen einnimmt. Die menschliche Einbildungskraft, Lösungen für diese grundsätzliche Problematik zu finden, reicht über seine Kräfte hinaus und verweist auf seinen état d'ame in der die Armseligkeit ohne Echo zum Himmel schreit. In einer Welt, in der durch Arbeit an der Interdisziplinarität jegliches Bedürfnis nach einem Jenseits der Disziplinen ausgeblendet wird durch einen Diskurs, der von vornherein eine Trennung macht zwischen einer Außen- und einer Innenperspektive, verschwindet auch jegliches Gefühl für diesen Austausch. Unterschieden zwischen Oben und Unten, Außen und Innen, Himmel und Erde, Glauben und Wissen kann man wissenschaftlich und menschlich - da es ja um beides geht, wenn man das Versprechen eines wissenschaftlichen Diskurses über die Grundfragen der Menschheit einlösen will - nur gerecht werden, wenn auch eine Innenperspektive der Fragestellung möglich ist. Dies hieße, nicht in ein dogmatisches Denken

Einführung

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zu verfallen, sondern gerade ein kritisches Befragen unserer aufgeklärten Kategorien und Begriffe, die das erlösende Wort als Antwort auf Fragen sucht, die sich nicht aus den allgemeinen Begriffen nähren, sondern neben der Einmaligkeit des Einzelnen auch die Einmaligkeit der Welt will, nicht als religiös bedingtes Konstrukt, sondern als menschlich zugängliches. Hinter dieser Suche nach der Besonderheit der Dinge verbirgt sich die Antwort auf die Frage nach der Sonderposition des Menschen in der Welt, die Rettung aus der Gefahr der menschlichen Hybris, die Welt in den Griff zu bekommen, der zu einem Würgegriff zu werden droht. Zu leben in der Ungewißheit ist in sich eine Überwindung des Todes. Die Frage nach dem Jenseits wirft somit die Frage des Sowohl - Als auch gegenüber einem Entweder - Oder auf, aber mehr noch die Frage nach der Sphäre des Zwischen, das weder die Wirklichkeit in der Innerlichkeit des Einzelnen noch in einer allumfassenden, bestimmten Allgemeinwelt sucht; ein Zwischen, das seine Existenz immer wieder der Wirklichkeit abringen muß. In einem Fragment aus dem Jahre 1928 reflektiert Martin Buber über zwei jüdische Denker, Philon von Alexandrien und Hermann Cohen, die beide zwiefältig gebunden waren sowohl an die biblische Überlieferung als auch an das System eines philosophischen Genius und die beide bemüht waren, das eine mit dem anderen, Piaton mit der Schrift und Kant mit der Schrift, zu versöhnen. Buber stellt sich die Frage, ob dies überhaupt möglich ist: „Die Schrift, jenes sogenannte Alte Testament, ist im Schrifttum aller Völker die einzige Urkunde eines konkreten Handelns zwischen Gott und den Geschlechtern der Menschen, in der Form des Berichts an den Ursprung, in der Form der Verheißung an das Ziel dieses Handelns rührend. Dieses konkrete Handeln, von Gott auf die Menschen, von den Menschen auf Gott zu, beides in und an dieser unsern sinnenfälligen Welt, dieses handelnde Zwiegespräch ist, von der Schrift aus betrachtet, eben das, was wir Weltgeschichte nennen.'"

Obwohl Piaton wie auch Kant von „Gott" reden, ist dies bei Piaton bloß eine geschaute „Idee", bei Kant eine postulierte. Die Idee, Gott Teilnahme an einem konkreten Handeln oder gar an einem Zwiegespräch der Weltgeschichte zuzuschreiben, wäre sowohl Piaton als auch Kant, dem griechischen wie auch dem deutschen Denker, wider den Sinn gegangen, meint Buber. Den jüdischen Philosophen, die Piaton und Kant ins Zentrum ihres Denkens aufnahmen, bedeutete das konkrete Handeln Gottes das ganze Leben. „Es will mir fast scheinen, es sei jener Grieche von keinem Griechen, jener Deutschen von keinem Deutschen so leibhaft ernst genommen worden, wie hier von dem ,intellektualen' Juden, der sich, dem sich die Aufgabe stellte, die Wahrheit Piatons, die Wahrheit Kants in der Bibel wiederzufinden." 2

Wir spüren hier die tiefe Enttäuschung Bubers, daß nicht mehr Juden so wie er selbst in der Bibel nicht nur die Grundlage ihres Glaubens, sondern auch die Quelle ihrer 1

Martin Buber, „Philon und Cohen. Ein Fragment" [1928], Jüdische Rundschau 17, VIII; aufgenommen in „Kampf um Israel", zit. nach Martin Buber, Der Jude und sein Judentum. Gesammelte Aufsätze und Reden, 2. Aufl., Göttingen 1993, 794.

2

Ebd., 795.

Einführung

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Weltanschauung gefunden haben, daß so viele das „Griechische" oder das „Deutsche" mehr geschätzt haben als die eigene Tradition. Die Bibel ist, so Buber, von einem Dialog zwischen Himmel und Erde erfüllt, in dem erzählt wird, wie Gott immer wieder den Menschen anspricht und von ihm angesprochen wird. Dies ist für ihn die wirkliche Geschichte der Menschheit - als Urkunde überliefert, in der der Mensch aus seinem Leben, aus seiner Wahrheit sein Leben und das Leben seines Menschengeschlechtes deutet. So ist es, nach Buber, ein vergebliches Bemühen, durch ein Denksystem ein Realverhältnis zur Wahrheit bekommen zu wollen. „Unser kann nur unser Realverhältnis zur Wahrheit werden, vielfältig gemäß der Vielfältigkeit des Menschengeschlechtes." Hier sieht Buber eine der großen Leistungen der Bibel im Vergleich zur Philosophie: dieses Buch erlaubt es dem Menschen, nicht nur seine Wahrheit zu relativieren im Verhältnis zur Wahrheit eines anderen Menschen oder eines anderen Systems. Es gibt ja keine zwei Wahrheiten, sondern nur eine: „[...] die lebendige Wirklichkeit, in der wir stehen, nie als Wahrheit erfaßbar, aber uns lebend und von uns gelebt, auf uns wirkend und durch uns gewirkt. Von ihr aus, wie kein anderes Buch, redet die Bibel, auf sehr menschliche Weise, nicht in reinem, einigem, streng gegliedertem Laut wie die Systeme, vielmehr stammelnd, brüchig und ungefüge, aber von der Wirklichkeit aus." 3

Aus dieser Sicht kann die Bibel vielleicht nicht das Buch der Wahrhheit der Philosophen, aber das Buch der Wirklichkeit des Menschen sein, wo Diesseits und Jenseits sich im Menschen begegnen. Es ist möglicherweise auch der Ort, wo Athen und Jerusalem über den Abgrund der Geschichte hinweg heimkehren. Der vorliegende Band ist das Ergebnis eines Kolloquiums zum Thema „Jenseits" im Rahmen des Projektes „Jüdisches Denken in der Europäischen Geistesgeschichte", das vom 5.-7. März 1995 in Oldenburg stattfand. Danken möchte ich den Karl-Jaspers-Vorlesungen zu Fragen der Zeit und der Universität Oldenburg für die finanzielle Unterstützung bei der Durchführung dieses Kolloquiums und insbesondere Dr. Rüdiger Schmidt für die Vorbereitung und Betreuung. In der Diskussion wurde deutlich, wie gerade dieses Thema unmittelbar verbunden ist mit der Frage nach der Einbettung des jüdischen Denkens in der europäischen Geistesgeschichte und sogar als Ausgangspunkt einer Reflexion über den Ort dieses Denkens im Abendland dienen kann. Im Gegensatz zu den ersten zwei Kolloquien des Projektes „Jüdisches Denken in der Europäischen Geistesgeschichte", die den Themen „Messianismus zwischen Mythos und Macht" (Berlin 1994) und „Bruch und Kontinuität" (Berlin 1995) gewidmet waren, haben wir es hier vorgezogen, historisch vorzugehen, ohne jedoch damit zu beanspruchen, in diesem Rahmen ein vollständiges Bild der Jenseitsentwürfe im Judentum in der Begegnung mit anderen Kulturen zu zeigen. Aus der Verschiedenheit der Ansätze manche Beiträge geben einen historischen Überblick und andere sind Fallstudien - lassen sich die Ursprünge, die Zusammenhänge und die Entwicklungsgeschichte ablesen, die das jüdische Denken durch ein ständiges Zurückgreifen und die Wiederaufnahme älterer Traditionen in seinem Kern geprägt haben, wodurch das Alte mit neuem Inhalt gefüllt 3

Martin Buber, „Philon und Cohen", 795.

Einführung

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wurde, ohne seine spezifischen Züge zu verlieren. Hiermit kündigt sich auch die Fortsetzung des Projektes an, das sich in einem weiteren Kolloquium im nächsten Jahr mit der Frage nach der Verbindung von Kanon und Kultur beschäftigen wird. So hoffen wir, allmählich eine kontinuierliche und systematische Basis zu schaffen für eine akademische Erforschung der Ideengeschichte des Judentums und des Abendlandes, die ihre Kräfte aus verschiedenen geisteswissenschaftlichen Disziplinen und Denktraditionen schöpft. Die ersten Beiträge dieses Bandes beschäftigen sich mit den Ursprüngen der Jenseitsvorstellungen im antiken Judentum in der Begegnung mit der griechischen, der römischen und der christlichen Welt. Fragen nach der Unsterblichkeit der Seele und der Auferstehung wie auch zur Bedeutung der Vorsehung Gottes in bezug auf die Geschichte haben hier ihre Wurzeln, nicht nur aufgrund des allmählich festgelegten Kanons der Heiligen Schriften, sondern durch die Rezeption einer breiten Auswahl pseudo-epigraphischer Quellen, die von der Vielfalt des religiösen Weltbildes der Antike zeugen. Die eschatologischen, apokalyptischen und prophetischen Vorstellungen vom Jenseits des nach-biblischen jüdischen wie auch des christlichen Schrifttums bis hin zum Mittelalter haben hier ihre Wurzeln. So wird auch das Leib-Seele-Problem, die Schriftauslegung und die Frage der Geschichtsschreibung behandelt, die alle unmittelbar mit der Verbindung zwischen Diesseits und Jenseits zusammenhängen. In den folgenden Beiträgen steht das Mittelalter und die Renaissance im Mittelpunkt. Hier wird deutlich, wie die jüdischen Jenseitsvorstellungen von der Bibel über die talmudische Antike bis zur mittelalterlichen Philosophie und der Kabbala und schließlich im ost-europäischen Chassidismus sich allesamt als Funktionen der Diesseitserwartungen und des Menschenbildes erweisen. Sind letztere personhaft, räumlich und geschichtlich, so sind es auch die Jenseitsvorstellungen. Ist die Anthropologie dichotomisch, der Mensch als leib-seelische Dualität, wie in der antiken rabbinischen Literatur, oder ist sie spiritualisiert, der Mensch als psychisch-intellektuelles Wesen, wie in der mittelalterlichen Philosophie - stets sind die Jenseitsvorstellungen das entsprechende, ergänzende und sinnstiftende Pendant, bei letzteren in unhistorischen räum- und zeitlosen jenseitigen Welten. Das Jenseits wird durch die Philosophie, die Kabbala und im Chassidismus schließlich zu der alle Gegenwart ermöglichenden, erzeugenden und erhaltenden göttlichen Realität. Das Jenseits wird zum Fundament des Diesseits. Das Bild im Mittelalter wird ergänzt durch eine Kontroverse zwischen Maimonides und Al-Ghazali aus dem 12. Jahrhundert über die Funktion von Paradies und Hölle als Orte der Belohnung oder der Strafe im Judentum und Islam vor dem Hintergrund des Christentums. In der Renaissance verbindet sich die Frage der Vorstellung vom Jenseits mit der Vorstellung von der Seele im Diesseits: nur eine unsterbliche Seele schafft die Verbindung zwischen dem Diesseits und dem Jenseits. Vier Modelle werden untersucht, wobei sich ergibt, daß Ficino, Ebreo und Giordano Bruno der Meinung sind, daß die Seele unsterblich ist, und Pomponazzis die Position vertritt, die Seele sei sterblich. Auch hier wird deutlich, daß in der Frage nach dem Jenseits in der Renaissance die Form, in der die Präsenz der Seele im Diesseits gedacht wird, entscheidend ist, wobei sich weniger eine jüdisch-christliche Abgrenzung als vielmehr eine platonisch-aristotelische zeigt.

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Einführung

In der Aufklärung wird die Frage nach der Bedeutung der Geschichte wichtig, und es entwickeln sich die jüdischen Gedanken zum Jenseits in der Diskussion mit dem Christentum. Aus der Sicht des Deismus ist das Jenseits im Judentum eine contradictio in adjecto, da das Judentum gerade seine Diesseitigkeit betont. Die Prinzipien des Vaters des Deismus, Herbert Baron von Cherbury, werden zum Axiom der natürlichen Religion, und so wird für die Religion des 18. Jahrhunderts das Jenseits vor allem ein Jenseits vom Judentum. Ein ausführlicher Bogen führt über Reimarus, Uriel da Costa, Spinoza und Lessing zu Moses Mendelssohn und dessen Auseinandersetzung mit Johann Caspar Lavater, Johan Joachim Spalding und Thomas Abbt zur Frage der Unsterblichkeit. Die Annahme der aufklärerischen Eschatologie von diesseitsorientiertem Judentum und jenseitsorientiertem Christentum wird anhand der Untersuchung einiger Quellen in Frage gestellt. Der nächste Beitrag schließt thematisch an diese Diskussion an. Ernst Bloch, religiöser Denker und Marxist, versucht in seinem Buch Atheismus und Christentum die Transzendenz zu bewahren, ohne auf die wesentlichen Züge der Aufklärung und die Stellung, die die Aufklärung der Vernunft zuweist, zu verzichten. Für Bloch ist jedoch der Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis von zentraler Bedeutung, und so hängen absolute Prinzipien für ihn noch immer mit ihrer „Bewährung" zusammen. Seine Frage bleibt im Sinne Kants nach wie vor, ob die Philosophie und die Praxis des in der Welt latenten „Tendenz-Inhaltes" klein genug ist, um keine „Selbstentfremdung" zu enthalten, und groß genug, um der „Utopie die Möglichkeit" eines realen Sinns zu geben. Das Problem einer Philosophie und Weltordnung basiert auf einem universal geltenden Vernunftprinzip, das im Zusammenhang mit dem Marxismus und seinen Folgen in einer post-christlichen Welt an aktueller Bedeutung gewinnt. Der letzte aufgeklärte jüdische Denker, der in diesem Rahmen besprochen wird, ist Hermann Cohen, der fast bis zum Ende seines Lebens die Hoffnung auf die völlige Einbettung des jüdischen Denkens in das Abendland nicht aufgegeben hat. Deutschtum und Judentum, Patriotismus und ethischer Messianismus gehen für ihn Hand in Hand. Cohen versucht von Anfang an, das Projekt der Geschichtsphilosophie wiederzubeleben, und fragt, ob die Vernunft in der Geschichte zur Wirklichkeit geworden ist: Für ihn besteht eine innere Wahlverwandtschaft zwischen Kants praktischer Philosophie und der prophetischen Sittenlehre, die zwar historisch unvermittelt sind, jedoch durch die Vermittlung, die Korrelation zwischen Mensch und Gott, hergestellt werden. Hermann Cohen kommt so zu dem Schluß, „daß der Religionsinhalt des israelitischen Monotheismus mit dem in geschichtlichem Geiste gedachten Christentum vereinbar und zur Volksgemeinschaft zureichend sei". Später revidiert er seine Position in seinem Buch Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums, bleibt aber dem Kantischen System treu, indem er den Begriff der Unsterblichkeit der Seele an die Seele des Einzelnen, den Begriff der Auferstehung an den Gedanken der Auferstehung des Volkes bindet. So wird Cohens Lehre des Messianismus abgehoben von jeder Eschatologie und gewinnt eine Bedeutung im Immanenten als ein Bemühen und als Aufgabe des Menschen zur Besserung des Menschengeschlechts. Das jüdische Volk ist so, nach der jüdischen Unsterblichkeitslehre der geschichtliche Vertreter des messianischen Menschengeschlechts. In

Einführung

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dieser Weise gelingt es Hermann Cohen, seine jüdische Existenz im deutsch-protestantischem Staatswesen einen guten, geschichtsphilosophisch begründeten Sinn zu geben. Diese Symbiose bricht für Franz Rosenzweig zusammen. Die messianische Erkenntnistheorie stellt die Frage nach der Verbindung zwischen Wahrheit und Ewigkeit, die nur in der Offenbarung ihren wirklichen Ort hat. Die Philosophie kann sich nicht auf die Geschichte verlassen und muß sich daher auf das unmittelbare Erlebnis von Schöpfung, Offenbarung und Erlösung einstellen. Rosenzweigs Begriff der Wahrheit erwächst aus der Zusammenarbeit von Philosophie und Theologie, und das Ziel des menschlichen Wissens - die Wahrheit - stellt sich als der Inhalt der unmittelbaren Erfahrung der Offenbarung heraus. Da das Wesen Gottes als Wahrheit seine Vorsehung ist, seine Tat an der Welt und an den Menschen, ist der Begriff der Wahrheit nur vom Standpunkt der Ewigkeit zu erfassen, in der alle Erscheinungen der „Überwelt" und die der wirklichen Welt sich einen: nur so ist die Welt als Wahrheit zu erkennen. Im messianischen Sinn blickt das Judentum über die Welt und die Geschichte hinweg auf den Tag der Ewigkeit, wobei das Christentum in der Geschichte wirken muß. Rosenzweig schreibt dem Judentum und dem Christentum gleichberechtigte Wege zu, die beide zur Erlösung führen. Irdische Wahrheit bleibt für Rosenzweig gespalten, der Christ erlebt sie auf dem „ewigen Weg", der Jude als das „ewige Leben". Margarete Susman ist diese Lösung zu billig. Sie erblickt die Bodenlosigkeit der Moderne und fühlt sich Nietzsche näher als Rosenzweig. Hinter der Zeitdiagnose „Gott ist tot" ist nicht zurückzugehen, und so plädiert Susman für eine Umkehr zum Wirklichen und konfrontiert die christliche Metanoia, die innere Umkehr, mit der jüdischen Teschuva, einer ursprünglich daseienden Wirklichkeit, weil die messianische Hoffnung für sie zu einer grundlosen Hoffnung geworden ist. An dem Bilderverbot liest sie die Bedeutung der Bilder und baut so in der Paradoxie ihre Argumentation als Reaktion auf den Verlust der Transzendenz, der zur Chiffre der Moderne geworden ist. Margarete Susman hat keinen Himmel, keine Ewigkeit, in den sie flüchten oder hinter dem sie sich verstecken kann. Sie wendet sich gegen Rosenzweig, der die jüdische Existenz als ein Dasein außerhalb der Geschichte sieht, und verläßt den festen Boden der Philosophie zugunsten von Nietzsches radikaler Kulturkritik, die mit allen Konventionen der großen metaphysischen Systeme bricht. Der Philosoph wird zum Dichter, der Gedankenexperimente macht, in denen Gegensätze nicht aufgehoben werden. Aber auch über Nietzsche geht Susman hinweg, um aus der Lehre Spinozas einen Begriff der Unendlichkeit zu gewinnen, in der Beziehung zwischen Mensch und Gott, das „fast außermenschliche Weltbild des reinen Schauens", das unmittelbar umschlagen kann „in lebendiges Tun" für sie bewahrt bleibt. Nach dem Zusammenbruch des europäischen Judentums bleibt für Margarete Susman in ihrem 1945 geschriebenen ///'¿»¿»-Buch die „Frage nach dem Sinn des jüdischen Daseins offen", da sie Politik und Religion wissendes Handeln und Glauben nicht trennen wollte, um der menschlichen Verantwortung willen. Im ausgehenden 19. und im 20. Jahrhundert findet innerhalb der jüdischen Orthodoxie eine lebendige religionsphilosophische Diskussion statt, nicht nur über Fragen der religiösen Praxis, sondern auch über solche im politischen Bereich, insbesondere über den Zionismus. Ein einmaliger Versuch, Tradition und Aufklärung theologisch zu verbinden, finden wir bei Rav Avraham Isaak HaCohen Kook (1865-1935). In seinem

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Einführung

Werk verschmelzen Ideen der modernen europäischen Philosophie und der gesamten rabbinischen Traditionsliteratur wie auch Elemente der lurianischen Kabbala und dem Zionismus. Rav Kook nimmt eine einzigartige, aber höchst einflußreiche Stellung innerhalb der jüdischen Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts ein. Er war einerseits orthodoxer Erbe von verschiedenen, sogar gegensätzlichen religiösen Traditionen; andererseits war er religiöser Zionist, der bis heute in Israel mit Auswirkungen bis in die Tagespolitik gleichermaßen von einem religiösen wie von einem säkularen Publikum ernstgenommen wird. Einzigartig war Rav Kooks Sicheinlassen auf die Aktualität des Handelns: ein Mann, der hautnah am Heiligen wie auch am Profanen rührt und beides zu vereinen versucht, halachisches Wissen mit dem Mut für weitgehende Entscheidungen im religiösen Bereich mit einer mystischen Frömmigkeit verband. Seine Torat Eretz Israel (Tora für das Land Israel), für diese Gegenwart, in der das Volk in seine Heimat zurückgekehrt ist, als Zeichen einer erneuerten Prophetie und Heiligung der ganzen Welt steht im Mittelpunkt seines Denkens, welches als ein mystischer Panentheismus bezeichnet werden kann, eine Lehre, die besagt, daß alle Wirklichkeit in Gott ist, doch nicht, daß Gott die Summe aller Wirklichkeit ist. So ergibt sich für Rav Kook, jenseits von Heilig und Profan, die Verfügbarkeit von Himmel und Erde. In den letzten beiden Beiträgen dieses Bandes wird deutlich, wie Diesseits und Jenseits beide das jüdische Denken befruchten. Die Frage des Überlebens des jüdischen Volkes hängt unmittelbar mit dem Geheimnis zusammen, welches jede Generation der Wirklichkeit abzwingen muß. Nicht Geschichtsschreibung, sondern Geschichtsdeutung wird zum Merkmal des Judentums, das seine Existenz nicht als eine Selbstverständlichkeit oder als einen vorgegebenen Teil der Welt als eine natürliche Gabe betrachtet. Das Geheimnis wird jedoch auch dem Judentum zum Verhängnis, zum Gespenst, das vom materialistischen Gesichtspunkt aus gesehen sich jeglicher Erklärung entzieht. Die Erwählung Israels bekommt so für die Außenwelt eine übernatürliche Dimension, die sich über Zeit und Raum erhebt und Garantie für das Weiterbestehen der Welt wird. Der ewige Jude, der nicht sterben kann, schleppt so sein Schicksal wandernd und als Mahnung für die Völker durch die Welt, eine Haltung, die sich der Ordnung der Aufklärung widersetzt. Es gibt aber auch immer wieder Versuche, sogar innerhalb des orthodoxen Judentums, diese „widernatürliche" Existenz zu überwinden, durch neue Entwürfe über die Verbindung zwischen Zeit und Ewigkeit, Diesseits und Jenseits. So stellt das Geheimnis der Juden, das Geheimnis ihres Überlebens, Fragen an die Rationalität, an das abendländische Geschichtsverständnis und an das Überleben der Menschheit. Auch der Beitrag über Freud schließt an diese Fragestellung an, der hier im Lichte von Adornos kritischer Theorie auf das Unbewußte befragt wird. Die Psychoanalyse kann die Restauration des Mythos nicht herbeiführen und auch den Sündenfall der bürgerlichen Gesellschaft nicht heilen. Der Todestrieb, als letzte Station der wissenschaftlichen Metaphysik Psychoanalyse, vermag der Psychoanalyse zum Jenseits verhelfen, jedoch nicht den Menschen vor dem Tod zu bewahren. So bleibt am Ende im Zeitalter der Medien nur noch das Projekt einer „Psychoanalyse der Dinge", die durch ihre Selbst-stiftende und Selbst-perpetuierende Inflation ihr eigenes Jenseits stiften, jenseits des Jenseits. Zu untersuchen wäre dann der Stand der Dinge, der Evolutions-

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Einführung

stand der Technik als Zukunftsvision, der die Menschheit aber sicherlich überleben wird. Nach diesem Durchgang der Jenseitsentwürfe tun wir gut daran, uns an Nietzsche zu erinnern, der in Jenseits von Gut und Böse folgendermaßen über Europa und die Juden schreibt und uns über Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben belehrt: „Was Europa den Juden verdankt? - Vielerlei, Gutes und Schlimmes, und vor allem Eins, das vom Besten und Schlimmsten zugleich ist: den grossen Stil in der Moral, die Furchtbarkeit und Majestät unendlicher Forderungen, unendlicher Bedeutungen, die ganze Romantik und Erhabenheit der moralischen Fragwürdigkeiten - und folglich gerade den anziehendsten, verfänglichsten und ausgesuchtesten Theil jener Farbenspiele und Verführungen zum Leben, in deren Nachtschimmer heute der Himmel unsrer europäischen Kultur, ihr Abend-Himmel glüht, - vielleicht verglüht. Wir Artisten unter den Zuschauern und Philosophen sind dafür den Juden - dankbar.

Die Frage bleibt, ob man auf der Bühne der Weltgeschichte wählt, Spieler oder Zuschauer zu sein: im Hinblick auf das Jenseits macht das möglicherweise keinen Unterschied. Danken möchte ich an dieser Stelle der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg für die finanzielle Unterstützung bei der Drucklegung dieses Bandes. Für einen Zuschuß danke ich außerdem dem Präsidenten der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Herrn Frank Hermenau danke ich für die sorgfältige redaktionelle Durchsicht der Manuskripte und Frau Siggi Rasenberger für die Erstellung der Druckvorlage. Berlin, im Juli 1996

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Eveline Goodman-Tau

Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philosophie Ausgabe, München 1925, 206 f.

der Zukunft, Mussarion-

Dieter Zeller

Philons spiritualisierende Eschatologie und ihre Nachwirkung bei den Kirchenvätern

Ich brauche Philon in diesem Kreis nicht eigens vorzustellen. Sie kennen den Diasporajuden aus Alexandria, der sich in der 1. Hälfte des 1. Jh. n. Chr. bemüht, die ihm vertraute, durch Mose mitgeteilte Offenbarung Gottes im Einklang mit seiner umfassenden hellenistischen Bildung auszulegen. Dabei übt er in einer Gruppe seiner Bücher eine mehr wörtliche Auslegung, in einer anderen eine vor allem auf die Seele hin allegorisierende; in manchen, besonders in den quaestiones et solutiones, stehen beide Methoden nebeneinander. Wenn wir ihn deshalb auf so etwas wie „Jenseits", d.h. einen Ort des Menschen über den Tod hinaus, befragen, werden wir je nach Art der Quellen unterschiedliche Antworten erhalten.1

1. Unsterblichkeit als Überhöhung biblischer Verheißungen Wo Philon in der expositio legis die Verheißungen der Bibel für die Täter des Gesetzes (Lev 26; Dtn 28) verdolmetscht, aber auch in seinen apologetischen Schriften, ist sein Blick meist - wie bei der Tora auch - zunächst auf dieses Leben bzw. die Geschichte des Volkes Israel2 gerichtet. Da wird dem Gesetzestreuen ein langes Leben, frei von Krankheit, zugesagt (Praem. 110,119-122). Den Frevler dagegen ereilt ein unnatürlicher Tod, z.B. die Rotte Korachs (Mos 2,282-287, wonach Praem. 74-78 zu ergänzen ist), oder, wenn sie physisch am Leben bleiben, wenigstens ein fortgesetztes Sterben unter Trauer und Furcht wie im Falle Kains (Praem. 68-73).3 Das nicht zu verdrängende

1

Die Abkürzungen für die Werke Philons und ihre Ausgaben entnehme ich dem Studio Arnual, eine übersichtliche Liste befindet sich am Ende des Beitrages, auf Seite 35.

Philonica

2

Ulrich Fischer, Eschatologie und Jenseitserwartung im hellenistischen Diasporajudentum (Beihefte zur Zeitschrift für neutestamentliche Wissenschaft 44), Berlin/New York 1978, geht bei Philon nur auf die nationale Eschatologie ein. Sie sei aber wegen Philons ungeschichtlichem Denken nicht recht entwikkelt. Vgl. meine Stellungnahme in: Charis bei Philon und Paulus (Stuttgarter Bibelstudien 142), Stuttgart 1990, 170 f., mit Anm. 101. In der wohl frühen philosophischen Schrift Prov. faßt Philon sogar ein Weltgericht ins Auge, bei dem die Sünder in den kosmischen Untergang einbezogen werden (1, 35 f.).

3

Vgl. die Parallelen in meinem Aufsatz „The Life and Death of the Soul in Philo of Alexandria", The Studia Philonica Arnual 7 (1995), 19-55, 2a IV.

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Dieter Zeller

Problem des frühen Todes des Frommen, aber auch des fröhlichen Weiterexistierens der Bösen zwingt zu einer qualitativen Auffassung von Leben und Tod. Ein gut vollbrachter Tag des Weisen ist bei Mose gleichwertig mit einem ganzen Leben des Schlechten (Praem. 112).4 Es zwingt aber auch schon in nicht-allegorischen Schriften dazu, den Blick über den Tod hinauszuwerfen. Der Gerechte wird schließlich zu der Altersstufe gelangen, „die dem Tod oder vielmehr der Unsterblichkeit benachbart ist" (Praem. 110). Ja, beim Gebot der Elternehrung wird die verheißene Langlebigkeit gedeutet als „Unsterblichkeit auf dem Weg einer langen Lebenszeit und eines immerwährenden Lebens". Bezeichnend ist aber die Hinwendung zur Gegenwart: Dieses offenbar des Leibes ledige Leben kann man schon im leiblichen Dasein „nähren", wenn man mit einer durch vollkommene Reinigung gereinigten Seele lebt (Spec. 2,262). Daß die Frage nach der gerechten Vergeltung die Jenseitsentwürfe Philons umtreibt, kann man an der Erläuterung sehen, die er zum Paradox „Tod des gerechten Abel Schonung des Mörders Kain" gibt: „Von Anfang an möchte [die Schrift] ein Dekret bezüglich der Unvergänglichkeit der Seele einführen und jene einer falschen Meinung überführen, die dieses Leben im Fleisch allein für glücklich halten [Epikureer und dergleichen]. Sieh in der Tat: einer der beiden ist der schlimmsten Verbrechen schuldig, der Gottlosigkeit und des Brudermordes; doch er lebt weiter, er zeugt Kinder, er baut Städte. Aber der, welcher ein Zeugnis seiner Frömmigkeit erhalten hatte, wird gemeuchelt, während die göttliche Stimme deutlich verkündet, daß nicht nur dieses sinnenhafte Leben nicht gut ist noch der Tod ein Übel, sondern auch, daß dieselbe Art des Lebens im Fleisch nicht das Leben ist [sondern ,Tod mit Bewußtsein', s. den Anfang des Paragraphen], Vielmehr gibt es ein anderes, das kein Alter kennt, vollkommen unsterblich, das die unkörperlichen Seelen als Anteil empfangen haben." (QG 1,76) 3

Das Zeugnis der Schrift für die Unsterblichkeit der Seele des Gerechten sieht Philon wohl in Gen 4,10: Gott erhört die Stimme des toten Abel, die zu ihm schreit. Das wäre unmöglich, wenn er nicht ein unkörperliches Leben leben würde (QG 1,70). Bekanntlich ist das „ewige Leben" (erstmals Dan 12,2) ein Ziel, das sich das an innerweltlichen Lösungen verzweifelnde Judentum seit dem 2. Jh. v. Chr. sowohl auf heimatlichem Boden wie in der Diaspora entwirft. Während es dort normalerweise durch Auferstehung des Leibes erreicht wird, ist die „Unsterblichkeit" bzw. „Unvergänglichkeit" des hellenistischen Judentums manchmal als Weiterleben der Seele gedacht.6 So auf jeden Fall bei Philon. Er läßt Josef sagen:

4

Vgl. dazu mit Parallelen Dieter Zeller, „The Life and Death", 2c I.

5

Nach der frz. Übers, in: Les œuvres de Philon d'Alexandrie,

6

Vgl. Rudolf Bultmann, Art. „fäoj KTX", Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament II (1935), 856-862. Neuere Lit. bei Hans C. C. Cavallin, „Leben nach dem Tode im Spätjudentum und im frühen Christentum. I. Spätjudentum", Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt II, 19,1 (1979), 240-345, zu Philon 288-293. Weish 1-5 liegt nicht so klar, weil auf die Bergung der Seele im Tod noch ein irdisch manifestes Gericht folgt. Das scheint eine Auferstehung vorauszusetzen, die allerdings nicht genannt wird, weil ohnehin das Leben den Gerechten, der Tod den Sündern (aber 18,20?) reserviert ist.

Paris 1961 ff.

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„Nach meinem Urteil ist kein tugendhafter Mann tot; ein solcher wird vielmehr leben in ewige Zeit, alterslos aufgrund seiner unsterblichen Natur, mit einer Seele, die nicht mehr an die Zwänge des Körpers gefesselt ist." (los. 264)

Und Cher. 114 f. heißt es: „Nach dem Tod? da werden wir nicht mehr mit dem Leib zusammen Eigenschaften haben, sondern zur Wiedergeburt werden wir stürmen ohne Beschaffenheit, nicht zusammengesetzt, in Gemeinschaft mit den Körperlosen."

2. Die anthropologische Grundlage Damit ist auch die anthropologische Grundlage dieser Unsterblichkeitshoffnung ausgesprochen, die im palästinischen Judentum nicht selbstverständlich, sondern platonisches Erbe ist: Es gibt im Menschen ein unvergängliches Element, bei Philon die von Gott eingehauchte Vernunftseele, die allein Ebenbild Gottes ist. „Denn was er einblies, war nichts anderes als ein göttlicher Hauch, der von der glücklichen und seligen Natur in die hiesige Fremde gesandt wurde zum Nutzen unseres Geschlechts, damit es, wenn auch sterblich nach dem sichtbaren Anteil, wenigstens nach seinem unsichtbaren Teil unsterblich gemacht werde. Deswegen kann man auch mit Recht sagen, daß der Mensch ein Grenzgänger zwischen der sterblichen und der unsterblichen Natur ist, indem er an jeder, soweit notwendig, teilhat und daß er zugleich sterblich und unsterblich geschaffen ist, sterblich in bezug auf den Leib, in bezug auf die Vernunft aber unsterblich." (Opif. 135; vgl. Spec. 4,14)

Damit ist freilich nicht dem Menschen schlechthin Unsterblichkeit garantiert. Es gilt vielmehr, in einem tugendhaften Leben diesen vernünftigen Teil so dominieren zu lassen, daß aus der Unsterblichkeit in gewisser Hinsicht eine des ganzen Menschen wird, faktisch jedoch so, daß der ganz Seele und Geist Gewordene, vom Leib gelöst, zu seinem Ursprung zurückkehrt. So erklärt Philon das Wort Gottes an Abraham „Du wirst zu deinen Vätern gehen in Frieden" (Gen 15,15): „[Mose] deutet klar die Unvergänglichkeit der Seele an, die vom sterblichen Leib umsiedelt , 7 Denn dem sterbenden [Abraham] zu sagen: ,Du wirst weg zu deinen Vätern gehen' [...] was anderes gewährt er als das andere Leben ohne Leib, gemäß dem die Seele [des Weisen] allein leben kann." (QG 3,11)

Näherhin kennt Philon eine physische Auslegung der „Väter" auf die Gestirne (Her. 288) und auf die Elemente (QG 3,11; Her. 281 ff.), der er aber nur zustimmt, wenn man darunter das reinste, der Seele verwandte Element, nämlich den Äther, versteht. Traditionell ist auch die Deutung auf die Ideen (Her. 289). Philon bevorzugt sie in QG 3,11, wo er die unkörperlichen Logoi als Engel faßt. So interpretiert er auch das 7

Das spitz Eingeklammerte fehlt im griechischen Fragment. Der Gedanke vom Himmel als irarpiq der Seelen ist aber auch sonst genügend belegt: vgl. Conf. 78; Her. 274; Somn. 1,181 spricht von der

firiTpÖTroXlt;.

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Volk Gottes (Gen 25,8 nach Philons Lesart), dem Abraham scheidend zugesellt wird (Sacr. 5); in der allegorischen Erklärung QG 4,153 ist dieses das Vernünftig-Himmlische (nach Her. 283 zu ergänzen: Geschlecht der Seele). Ohne Allegorie schreibt Abr. 258 dem Patriarchen die Überzeugung zu, „der Tod sei nicht als ein Auslöschen der Seele zu betrachten, sondern als eine Loslösung und Trennung vom Körper, da sie dahin geht, woher sie gekommen ist; gekommen ist sie aber [...] [Rückverweis auf die Auslegung von Gen 2,7 in Opif. 135] von Gott".

3. Aktualisierung und religiöse Definition des Lebens Philon präzisiert deshalb fiir namhafte Gerechte wie Abraham, Henoch und Mose die Vokabel ßävaToq („Tod") bzw. äirodvqoKeiv („Sterben"). Die Frommen „scheinen" nur zu sterben (Det. 49.70.78; Spec. 4,14; vgl. Weish 3,2). Die Schrift spricht nicht zufällig von „Abscheiden" (äirepxeodai Gen 15,15; vgl. Her. 275 f.), „Verlassen", nämlich dieses sterblichen Daseins (Gen 25,8; vgl. QG 4,152, verallgemeinert QG 4,169; Virt. 77: e£o8oc; - so auch Weish 3,2b: 6nroiiäct; Mos 2,288 von Mose), im Fall des Henoch gar von Entrückung durch Gott (Gen 5,24; vgl. QG 1,86). Und so umschreibt Philon das Sterben dieser Gestalten als Hinüberwandern und Übersiedeln (allgemein Gig. 61; Spec. 3,207: fieTaviaraadoa, fieToiKi^eadai; vgl. von Mose Sacr. 8, Virt. 76 /¿eTaraffTacric; von Nadab und Abiud Fug. 59), nämlich ins unvergängliche Leben, als „Umschlag" (^eraßciWeiv Virt. 67.76), „Hinauffuhren" oder „Aufnehmen" in den Himmel (Sacr. 8; Mos 2,291). Die Worte „Leben" und „Tod" werden in den allegorischen Kommentaren (sonst nur noch Spec. 1,345; Praem. 159) von ihrem „natürlichen" Haftpunkt gelöst und auf seelische Sachverhalte übertragen, zu denen sie nach Ansicht Philons „eigentlich" gehören.8 Er möchte dadurch dartun, daß das Leben nach der Vernunft bzw. der Tugend das wahre Leben ist, die vom Logos verlassene, von Leidenschaften und Sinnlichkeit überwältigte Seele dagegen stirbt und ihre Funktionen für den Leib nicht mehr erfüllen kann. Vorausgesetzt ist eine anthropologische Trichotomie9 von Vernunft - Seele Leib, deren Teile in eine Verhältnisgleichheit zueinander gesetzt werden: Vernunft : Seele = Seele : Leib (vgl. QG 2,11). Diese Konzeption, die sich in der metaphorischen Verwendung von „Leben" und „Tod" bezogen auf die Seele ausdrückt, läßt sich nach meinen Untersuchungen erstmals bei Philon festmachen. Die Allegorese soll zur Schau der eigentlichen Werte durchstoßen. 8

Diese Metaphorik und ihre traditionsgeschichtlichen Ansätze habe ich in dem in Anm. 2 genannten Aufsatz ausführlich beschrieben. Dabei konnte ich kritisch aufbauen auf Jaap Mansfeld, „Empedocles, and Others in a Middle Piatonist cento in Philo of Alexandria", Vigiliae Christianae 39 (1985), 131-156.

9

Vgl. André Jean Festugière, „La Trichotomie de I Thess., V,28 et la Philosophie Grecque", Recherches de science religieuse 20 (1930), 385-415; Marie Simon, „Entstehung und Inhalt der spätantiken trichotomischen Anthropologie", Kairos 23 (1981), 43-50.

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Dabei steht oft wieder das Theodizeeproblem im Hintergrund. So in der berühmten Passage Leg. 1,105-108. Sie möchte klären, weshalb die ersten Menschen trotz der Drohung Gen 2,17b nach dem Sündenfall nicht gleich gestorben sind. Aus der verdoppelnden Formulierung „ihr werdet des Todes sterben" folgert Philon, daß nicht der gewöhnliche (KOLVÓQ) Tod gemeint ist, der Trennung der Seele vom Leib bringt, sondern der der Seele eigene Tod Kar' k^oxf\v. Dabei geht die Tugend zugrunde, das Laster wird angenommen, die Seele aber wird begraben in Leidenschaften und allen möglichen Schlechtigkeiten. Dieser spezifische Tod der Seele jedoch stellt die eigentliche Strafe dar, während der des Leibes neutral, für den Frommen sogar der Durchgang zum Leben ist. So auch die Parallelstelle QG 1,16: „Der Tod des verdienten Menschen ist der Beginn eines anderen Lebens. Denn das Leben ist zweifach: das eine mit dem Leib ist vergänglich, das andere ohne den Leib ist unvergänglich. Deshalb stirbt nur der Frevler ,des Todes'. Selbst als er noch am Leben war, war er schon im voraus begraben, denn er bewahrte in sich nicht den kleinsten Funken des wahren Lebens, das vollkommene Rechtschaffenheit ist. Der verdiente und würdige Mensch aber stirbt nicht ,des Todes', vielmehr versetzt ihn der Tod nach einem langen Leben in die Ewigkeit."

Philon spricht zwar vom ewigen Leben in einer leiblosen Jenseitigkeit, aber nie von einer Bestrafung der sündigen Seele nach dem Tod. Der „ewige Tod" der Gesinnungsgenossen Kains, der in Post. 39 im Gegensatz zum unsterblichen Leben der im Kreis der Frommen Gestorbenen steht, meint m. E. den endlosen Tod im Diesseits, wie ihn ihr Inspirator Kain selbst erleidet. Daß er nach dem physischen Tod eintritt, ist nicht gesagt. Noch weniger malt Philon Höllenszenen wie Piaton in seinen Mythen des Gorgias (523-526) und des Staates (614b-616a). Hier hat er von der Kritik der Epikureer und Stoiker gelernt. Vielmehr herrscht die Tendenz, die Sünde selber schon als Strafe zu betrachten. Die Sünder haben ihren Hades schon jetzt in ihrer körperlichen Existenz, die den Leidenschaften versklavt ist (vgl. Her. 45.78; Somn. 1,151; Post. 31; QG 4,234). Im Unterschied zum Hades des Mythos ist „der wahre Hades das schuldhafte, blutbefleckte und mit allen Flüchen beladene Leben des Frevlers" (Congr. 57). Umgekehrt stellt Philon öfter die Tugend als ihre eigene Belohnung heraus. 10 Dem entspricht seine Auslegung von Dtn 30,15, wo es heißt: „Siehe ich habe heute" vor dein Angesicht das Leben und den Tod gegeben, das Gute und das Böse." Also sind Tugend und Leben, Laster und Tod identisch (vgl. Fug. 58). Zugleich gibt Philon dem Begriff „Leben" eine religiöse Bestimmung. An das Zitat von Dtn 30,15 schließt das von Dtn 30,20a/b an: „Dies ist dein Leben und die Länge der Tage: den Herrn, deinen Gott zu lieben." „Die schönste Definition des unsterblichen Lebens ist: von unfleischlicher, unkörperlicher Liebe und Freundschaft zu Gott besessen zu sein." (Fug. 58; vgl. Post. 12.69) Dasselbe leistet die Schriftstelle Dtn 4,4. Sie sagt zu: „Ihr alle, die ihr Gott dem Herrn anhangt, lebt am heutigen Tag." Philon wertet

10 Vgl. Dieter Zeller, Charis bei Philon und Paulus, 108 f. 11 Das oimtpov wird allerdings an den drei philonischen Stellen nie mitzitiert, wohl weil es für Philon eine eigene Bedeutung hat (s.u. zu Dtn 4,4), die hier nicht recht paßt.

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auch das „heute" aus; es besagt die grenzenlose, unfaßbare Ewigkeit (vgl. Fug. 56 f.). So endet das 1. Buch von Spec. mit der Ermunterung: „Wir Anhänger und Vertrauten des Propheten Moses wollen aber nicht davon ablassen, den Seienden zu suchen, in der Überzeugung, daß seine Erkenntnis den Gipfel der Glückseligkeit und langwährendes Leben bedeutet, wie es ja auch das Gesetz (Dtn 4,4) ausspricht, daß ,die welche Gott anhangen, alle leben', womit es eine wichtige und weise Lehre kündet; denn eigentlich sind die Gottlosen seelisch tot, während diejenigen, die sich eingereiht haben in die Schlachtordnung des allein wirklichen Gottes, ein unsterbliches Leben leben." (Spec. 1,345; vgl. schon 1,31)

Die Aktualisierung, die das Leben in Tugend, Gottesliebe und Gotteserkenntnis festmacht, geht also nie so weit, die jenseitige Dimension des Lebens zu kappen. Im Gegenteil, das Leben der Seele, in dem sich der Mensch jetzt schon über seine leibliche Beschränktheit erhebt, kommt im leiblosen Sein nach dem Tod erst richtig zum Tragen. Nur so wird auch die quälende Frage nach dem Tod des Unschuldigen zureichend beantwortet. Auch die religiöse Bestimmtheit von Leben fördert diese Kontinuität: Die Verbindung, die der Fromme jetzt schon zu Gott knüpft, reißt im Tod nicht ab.

4. Aufnahme philonischer Gedanken bei Klemens von Alexandrien Wenn wir nun dem Einfluß Philons auf die Schriftauslegung der Väter 12 nachgehen, so bietet ein diffuser Piatonismus keine verläßliche Spur. Versuche, die platonische Unsterblichkeit der Seele mit der christlichen Auferstehungslehre zu vermitteln, sind zu weit verbreitet. 13 Wir halten uns lieber an spezifische Exegesen, in denen eine ähnliche Aktualisierung von „Leben" und „Tod" wie bei Philon zu beobachten ist. In der Katechetischen Schule, die wir am Ende des 2. Jh. n. Chr. in Alexandria durch die Schriften des Klemens greifen können, hatte man Zugang zu den Werken Philons. Obwohl Klemens ihn nur viermal ausdrücklich nennt, ist er ihm vor allem in den Stromateis stark verpflichtet. 14 So m. E. auch an einer Stelle, die im Register von Otto Stählin15 und demzufolge auch bei van den Hoek gar nicht auftaucht: Stromateis, V 96,5 f. Dort wird zum Beweis dafür, daß auch die „barbarische", sprich: die jüdische 12 Vgl. thematisch geordnet: Paul Heinisch, Der Einfluß Philos auf die älteste christliche Exegese (Alttestamentliche Abhandlungen 1/2), Münster 1908 (nur bis Klemens von Alexandrien). David T. Runia, Philo in Early Christian Literature (Compendia Rerum Judaicarum ad Novum Testamentum II/3), Assen/Minneapolis 1993, hat jetzt hierfür das maßgebende Handbuch geschrieben. Vgl. dazu die Diskussion in The Studia Philonica Annual 6 (1994). 13 Vgl. den Überblick bei Josef Anton Fischer, Studien zum Todesgedanken in der alten Kirche, München 1954. Leider erschien nur der 1. Band, der sich mit der Beurteilung des „natürlichen Todes" beschäftigt. 14 Vgl. Annelies van den Hoek, Clement of Alexandria lements to Vigiliae Christianae 3), Leiden 1988.

and his use of Philo in the Stromateis (Supp-

15 Otto Stählin, Clemens Alexandrinus, in: Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten Jahrhunderte [Berlin 1897 ff.], Bd. IV/1, hg. v. U. Treu, 2. Aufl., Berlin 1980, Register.

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„Philosophie" wie die Stoa das sittlich Gute als einziges Gut kannte, Dtn 30,15 „Siehe, ich habe vor deine Augen gegeben das Gute und das Böse, das Leben und den Tod" zitiert, vermehrt um den Aufruf aus Vers 19: „Wähle das Leben." Diese Fortsetzung findet sich auch bei Philon, Deus. 50, wo er die menschliche Willensfreiheit biblisch untermauern will. 16 In Fug. 58 jedoch folgt die kommentierende Gleichsetzung des Guten mit dem Leben, des Bösen mit dem Tod fast mit den gleichen Worten wie bei Klemens, Stromateis, V 96,6: „Das Gute aber nennt er Leben und schön dessen Wahl, das Schlechte aber die Wahl des Gegenteils."

Vor allem wird wie in Fug. 58 mit Dtn 30,20 die Gottesliebe als „das Ziel des Guten und des Lebens" bestimmt (bei Philon öpoq, hier reXoQ). Da Klemens Vers 20 sonst nie mehr einzeln anfuhrt, scheint mir die Kombination von Philon angeregt. Wo er Dtn 30,15-20 noch einmal ausführlich zitiert (Stromateis, V 72,5), tut er es in einem Block, der in eine deutlich philonische Exegese eingeschaltet ist.17 Die Einschaltung (Stromateis, 72,1 ff.) geht von Spr 24,25 f. aus und findet die (ppovqou; deia im „Holz des Lebens", wie Klemens den Paradiesbaum nennt. Ähnliche Deutungen bietet auch Philon.18 Klemens eigentümlich ist dagegen die Assoziation mit dem inkarnierten Logos und dem Kreuz, an dem „unser Leben zu unserem Glauben aufgehängt ist" (Stromateis, 72,3 f. noch mit Spr 3,18). Damit spielt er auf eine weitere Dtn-Stelle an, die eigentlich in der Aufzählung der Flüche Dtn 28 steht: „Und es wird dein Leben aufgehängt sein vor deinen Augen." (Vers 66)19 Das Leben in Dtn 30,15-20 erscheint so unter christologischen Vorzeichen.

16 Wie Klemens in seinen Anspielungen Stromateis, II 12,1; VII 10,1 und im Zitat VI 48,7 (mit Infinitiv angehängt). Vgl. noch im Zusammenhang der Entscheidung zwischen Götzendienst und Gott Protreptikos, 95,1 f. Zum Ganzen vgl. Antonio Orbe, „El dilema entra la vida y la muerte. Exegesis prenicena de Deut. 30,15.19", Gregorianum 51 (1970), 305-365, 509-536, der aber bei Stromateis, V 96,5 f. den Einfluß Philons nicht erwähnt. 17 Siehe Annelies van den Hoek, Clement of Alexandria, 168-176. 18 Vgl. QG 1,6.56; Leg. 1,43; 3,52: Weisheit als der Baum des Lebens. Plant. 45 legt das Paradies ausnahmsweise auf die Welt aus wie Klemens ebd., 72,2. Das hat Heinisch (Der Einfluß Philos, 170) übersehen. Auch seine Paraphrase des Klemens - „Das Festhalten an dieser (der göttlichen Weisheit) hätte den ersten Menschen das geistige Leben verliehen; indem sie sich aber von ihr abwandten, sündigten sie und starben den geistigen Tod" - hat leider keinen Anhalt am Text. Vgl. zur Stelle Jean Daniélou, „Typologie et Allégorie chez Clément d'Alexandrie", Studia Patristica 4 (1961), 50-57, näherhin 50-54. 19 Entsprechend von Philon Praem. 151 ausgewertet und Post. 24-27 zusammen mit Dtn 21,23 allegorisch auf das unstete Leben der Gier gedeutet. Klemens läßt beide Bibelworte weg, wo er Post, in Stromateis, II 51 f. benutzt, weil sie für ihn in Christus einen positiven Sinn gewonnen haben; vgl. Annelies van den Hoek, Clement of Alexandria, 163. Origenes, In Mt XII 33 (vgl. XV 23) berücksichtigt dagegen den Fluchkontext von Dtn 28,66. Zur Verwendung des testimonium bei den Kirchenvätern vgl. Jean Daniélou, „Das Leben, das am Holze hängt", in: Johannes Betz u. Heinrich Fries (Hg.), Kirche und Überlieferung (FS Josef Rupert Geiselmann), Freiburg 1960, 22-34.

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Über das ganze Werk des Klemens hin begegnen definitorische Sätze, die die Leidenschaften als Krankheiten der Seele, die Sünde als ewigen Tod bezeichnen20 bzw. der Lust tödliche Wirkung zuschreiben.21 Die Sünder werden Tote genannt.22 Das könnte so alles bei Philon stehen, wenn nicht manchmal neutestamentliche Belege (Eph 2,5; Mt 8,22) gebracht würden. Aber nur einmal ist diese Abhängigkeit von Philon durch eine sehr eigenwillige Exegese auch nachzuweisen: Paidagogos, I 5,1. Dort liest Klemens aus dem „plötzlichen Tod" Num 6,9a die „unfreiwillige Sünde" heraus. Das geht nur, wenn man den, der unversehens in der Umgebung des Nasiräers stirbt, mit dessen Seele gleichsetzt. Das tut aber Philon.23 Dieser Tod bedeutet eine Befleckung der Seele; darin stimmt Klemens mit Philon, Fug. 115 überein. Ähnlich wie Philon erklärt Klemens diese Metaphorik vom Tod der Seele durch Sünde durch das tertium comparationis „Ablösung".24 Als wahre Übel müsse man die Laster fliehen, an deren Ende der Tod steht, „nicht der die Seele vom Leib löst, sondern der die Seele von der Wahrheit ablöst". Er verfällt aber auch umgekehrt auf die Idee, daß der Tod eine „Gemeinschaft (KOIVUVIO.-, vgl. Phaidon 76a: KOIVUVÜV) der sündigen Seele mit dem Leib" sei (Stromateis, IV 12,1). Das erinnert an Philon, Leg. 1,106, wo der geistige Tod paradox als Zusammenkommen {avvoboq) von Leib und Seele beschrieben wird, d.h. die Seele geht in leiblichen Gelüsten unter. Diese Charakteristik bildet bei Klemens den Gegensatz zur Trennung von der Sünde, in der das Leben gewonnen wird (Stromateis, 12,1). Was Anhalt an den zuvor zitierten Versen aus Rom 6 hat, wird jedoch 12,5 platonisch als Trennung der Seele vom Körper, als lebenslängliche \ie\err\ ßavÜTov des Philosophen entfaltet (vgl. auch V 67,1 f.). VII 71,3 nennt Klemens diese Art von Tod \oyiKoq ßävaToq. Der Sache nach haben wir diese Rezeption von Phaidon 67d auch bei Philon (vor allem Gig. 14). Wegen der abweichenden Terminologie meine ich jedoch, daß Klemens hier direkt auf den Phaidon zurückgegriffen hat.

5. Einordnung ins christliche System bei Origenes Der geistige Erbe des Klemens, Origenes, brachte, als er 233 nach Caesarea übersiedelte, wohl den kompletten Philon mit in die dortige Bibliothek und sicherte so de facto sein Überleben für die Nachwelt. Für seine platonisierende Auslegung der Schrift war

20 Protreptikos, 115,2; Stromateis, III 63,3. Entstehen der Laster ist Verderben der Seele; 64,1: Tod der Seele heißt die Sünde; Quis dives salvetur, 15,6/16,1; 39,2. 21 Protreptikos, 118,3; vgl. Paidagogos, salvetur, 18,6 f.

II 98,2 Ehebruch als gesuchter Tod, vgl. 100,1; Quis dives

22 Protreptikos, 4,4; 27,2; 45,5; Paidagogos, II 27,4 f.; Stromateis, III 25,3 f. (zu Mt 8,22); IV 155,1; Quis dives salvetur, 42,9; lebendig begraben: Protreptikos, 7,4 f. mit Aristoteles fr. 60 Rose; Paidagogos, III 81,1. 23 Vgl. Deus. 89; Agr. 175 f.; kurz zuvor klang in 4,3 Agr. 178 an. Klemens verändert allerdings das Bild, indem er das Scheren im Gegensatz zu Deus. 88 f. als Chance versteht. 24 Stromateis, II 24,2: Sictkvmt; mit Piaton (Gorgias 524b), dagegen Philon, Leg. 1,105: x^pt-opöt; wie Piaton (Phaidon 67D), so dann Klemens, Stromateis, VII 71,3.

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Philon eine wichtige Fundgrube. Er nennt ihn zwar nur zweimal mit Namen, aber apostrophiert ihn indirekt unter den „Vorgängern". Unter dem Dutzend derartiger Texte, die Runia25 zusammengetragen hat, ist auch einer, der unsere Thematik betrifft: Horn, in Num 9,5. Wenn die Schrift (Num 17,13) sagt, daß Aaron zwischen den Toten und den Lebenden stand, so ist das nicht wörtlich zu nehmen: „Ich erinnere daran, daß einige von denen, die diese Passage vor uns ausgelegt haben, sagten, daß man unter den Toten solche verstehen muß, die durch die allzugroße Bosheit in ihren Sünden starben, während die Lebenden diejenigen sind, die in den Werken des Lebens bleiben."

Tatsächlich gibt Philon an zwei Stellen eine solche spiritualisierende Deutung. 26 Unter weiteren biblischen Lebens- bzw. Todesaussagen, die beide Exegeten allegorisch auslegen, 27 ist vor allem Gen 2,17 zu nennen. Von Klemens ist dazu keine explizite Interpretation erhalten. Vielleicht stand sie in den verlorenen Hypotyposeis. Origenes stellt wie Philon fest, daß die Stammeltern im Moment des Sündigens starben (Horn, in Gen XV 2; Comm. in Joh XX 22). Hierin bewahrheitet sich für ihn Joh 8,44, daß nämlich der Teufel ein „Menschenmörder von Anfang an" war. 28 Dennoch braucht er bezüglich der Metapher selber nicht unbedingt von Philon abhängig zu sein. Das sieht man schon daran, daß er für den Tod der Seele andere Schriftbelege heranzieht, sowohl aus dem Alten Testament (bes. Ez 18,4.20: „die Seele, die sündigt, wird sterben")29 wie aus dem Neuen (vor allem Mt 8,22; 10,28). Die Intention ist allerdings dieselbe wie bei Philon: Der leibliche Tod ist keine Strafe, sondern eher Befreiung; dagegen ist die Entfernung und Entfremdung von Gott, der das wahre Leben ist, als Tod der Seele zu erachten. Er bedeutet allerdings nicht - so Origenes mit anderen Neuplatonikern - einen interitus substantiae (Horn, in Lev IX 11).

25 David T. Runia, Philo in Earty Christian Literature, 161 ff. 26 Her. 201, hier allerdings vom Logos, der zwischen heiligen und unheiligen Gedanken trennt; an seine Stelle konnte bei Origenes leicht Christus als Hohepriester treten. Dagegen wird Somn. 2,234 f. Aaron so als Fortschreitender gezeichnet. 27 Daß Joseph in Ägypten lebt (Gen 45,26), ist nicht vom gewöhnlichen Leben gesagt, sondern bedeutet, daß er nicht sündigte: Horn, in Gen XV 2. Vgl. damit Philons Auslegung des Lebens Josephs in Migr. 21 (zu Gen 45,28) und Mut. 215 (zu Gen 46,30). - Die Etymologie von Metuschelach als „Wegsendung des Todes" (Comm. in Rom V 1, vgl. Philon, Post. 44 f.) kann Origenes aus seinem Onomastikon haben; der Midrasch, der die Umkehr in die Geburt des Metuschelach verlegt, findet sich nicht bei Philon. - Zu Dtn 30,15 s. Antonio Orbe, „El dilema entra la vida y la muerte", 345-361 und Gerhard Gruber, ZQH. Wesen, Stufen und Mitteilung des wahren Lebens bei Origenes (Münchner Theologische Studien 11/23), München 1962, 14, 156 f., 203, Anm. 13. Origines folgt Klemens in der Verknüpfung der Dtn-Stelle mit Jes 1,19 f. und dem christologisch verstandenen Vers Dtn 28,66, in dem er allerdings den Unglauben, nicht den Glauben, mit dem Gekreuzigten konfrontiert sieht. Vgl. noch Contra Celsum, II 75. 28 Auch Irenaus, Adversus Haereses, V 23,1 f. löst das Dilemma von Gen 2,17, indem er schon den Ungehorsam als Tod begreift; am Ende zitiert er Joh 8,44, er referiert noch andere Lösungen. Vgl. Monique Alexandre, Le commencement du livre Genèse I-V (Christianisme antique 3), Paris 1988, 272 ff. 29 Vgl. schon Klemens, Paidagogos, I 8,95; Stromateis, II 135,1 f., freilich ohne das 4/vxv auszuschlachten.

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Dieter Zeller

Origenes, der ohnehin bei vieldeutigen biblischen Wörtern genau differenziert, stellt nun an verschiedenen Orten die vielfachen Bedeutungen von „Tod" und „Leben" zusammen.30 Zu den zwei Arten von Tod, die schon Philon (Leg. 1,105) unterschieden hatte, tritt noch als dritte der asketische Auszug aus dem Körper, die /^eXerrj t W a T O V , wie wir sie von Klemens her kennen. Z.B. Comm. in Rom 6,6 (zu Rom 6,23), wo noch zwei weitere Verwendungen (Teufel, Hades - hier weggelassen) hinzukommen: ,„Tod' ist in der Heiligen Schrift ein einziges Wort, das aber vieles bezeichnet. So heißt zum Beispiel die Trennung des Körpers von der Seele Tod. Doch dieser Tod ist weder als schlecht noch als gut zu bezeichnen, er ist nämlich in der Mitte davon und heißt neutral.31 Weiter wird die Trennung der Seele von Gott, die durch die Sünde kommt, Tod genannt. Diese ist offensichtlich schlecht [...]. Es ist aber auch von jenem Tod die Rede, den man preisen kann; durch ihn stirbt man für die Sünde und wird mit Christus begraben; durch ihn wird die Seele gebessert und ewiges Leben erworben."

Origenes bemüht sich ausdrücklich, diese Lehre vom dreifachen Tod „nicht nach den Griechen, sondern nach der Schrift" zu belegen (Dialogus cum Heraclide 25). Das verrät jedoch, daß sie auch in philosophischen Zirkeln geläufig war. In der Tat zählen nach Macrobius, Comm. in Somnium Scipionis, I 10,17 die Pythagoreer und Platoniker zwei Tode, neben dem „animalischen" einen der Seele bei ihrem Eintauchen in die Unter-Welt des Körpers; in 113,5 wird der animalische noch einmal unterschieden: die Seele kann ihn vorwegnehmen, indem sie das Körperliche verachtet und ablegt. Neupiatoniker wie Plotin und Porphyrios kennen auch eine mehr moralische Bedeutung vom Tod der Seele,32 obwohl sie sie nur mit Vorbehalt verwenden, um die Unsterblichkeit der Seele nicht zu gefährden. Was bei Philon bildkräftige Allegorese ist, wird in der Schule, sei es der philosophischen, sei es der exegetischen des Origenes, systematisiert. Mit dem Aufgebot an neutestamentlichen Belegstellen wird der Gedanke aber auch christianisiert, ansatzweise schon bei Klemens, umfassend bei Origenes. Das ist an folgenden Punkten zu bemerken: 1. Das ewige Leben wird mit Joh 17,3 als Erkenntnis Gottes und Christi gefaßt.33 Christus ist nach Joh 11,25; 14,6 das Leben und die Auferstehung in Person. „Leben" ist zwar nicht der ursprüngliche Beiname (eirivoia) des Logos, aber seine erste Mitteilung an die Schöpfung (vgl. Joh 1,3 f.). Schon bei Philon macht die Anwesenheit des Logos, des Urbilds des Menschen, das Leben der Seele aus. Der vovq, das Abbild des 30 Vgl. Henri Crouzel, Mort et immortalité selon Origène [1987], abgedruckt in: Les fins dernières Origène, Aldershot/Brookfield 1990, 20-25.

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31 Mit ¡itaoç und àôiâ