Jenseits vom »Kampf der Kulturen«: Imaginative Geographien des Eigenen und des Anderen in arabischen Printmedien [1. Aufl.] 9783839416464

Während die Rezeption des »Kampfes der Kulturen« in 'westlichen' Medien gut erforscht ist, nimmt dieses Buch e

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German Pages 330 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
Anmerkung zur Transkription
Vorwort
1 Einleitung: Imaginative Geographien in arabischen Printmedien
2 Imaginative Geographien
2.1 Diskurstheoretische Grundlagen
2.1.1 Poststrukturalistische Grundannahmen
2.1.2 Diskurstheoretische Konzeptionen nach Foucault
2.1.3 Diskurstheoretische Konzeptionen nach Laclau und Mouffe
2.2 Imaginative Geographien als diskursive Konstruktionen
2.2.1 Saids imaginative Geographien aus poststrukturalistischdiskurstheoretischem Blickwinkel
2.2.2 Diskursive Strategien zur räumlichen Verortung von Eigenem und Anderem
2.2.3 Imaginative Geographien von Kolonialismus, antikolonialem Widerstand und die Hegemonie von Denkstrukturen der Moderne
2.2.4 Die dichotomen Konstruktionen von Orient und Okzident, von islamischer Welt und Westen
2.3 Imaginative Geographien in Massenmedien
2.3.1 Imaginative Geographien massenmedialer Diskurse und ihre gesellschaftlichen Funktionen
2.3.2 Zur Wahrheitsproduktion, Zensur und Selbstzensur in Massenmedien
2.3.3 Imaginative Geographien und die Erfordernisse von Nachrichten in massenmedialen Diskursen
2.3.4 Zum Wandel imaginativer Geographien durch Medienereignisse
2.4 Konkretisierungen der Fragestellung und abschließende Anmerkungen zur Reflexion des Theoriegerüsts
3 Methodische Umsetzung
3.1 Zur Herausforderung einer diskursanalytischen Untersuchung von Texten in arabischer Sprache
3.2 Die Datenkorpora: Texte und Karikaturen transnationaler arabischer Printmedien
3.2.1 Al-Hayat, Asharq Alawsat, al-Quds al-Arabi und ihre Rolle als Medien gesellschaftlicher Eliten
3.2.2 Zusammenstellung der Untersuchungskorpora
3.3 Operationalisierung
3.3.1 Analyse Identität konstituierender Textelemente im Titelkorpus der Zeitung al-Hayat
3.3.2 Feinanalyse imaginativer Geographien mithilfe des Konzepts der ›semantischen Strickleiter‹
3.3.3 Ergänzende Analyse von Karikaturen
3.4 Zum methodischen Schritt der Übersetzung vom Arabischen ins Deutsche
3.4.1 Vom Über- zum Dazwischen-Setzen
3.4.2 Die Macht der Übersetzung
3.4.3 Die Übersetzungsstrategie
3.5 Reflexion des Forschungsdesigns in der Denkfigur der Übersetzung
4 Imaginative Geographien in den arabischen Printmedien al-Hayat, al-Quds al-Arabi und Asharq Alawsat
4.1 Die Hauptmedienereignisse in den Datenkorpora
4.2 Orient und Okzident, islamische Welt und Westen sowie die Rolle vom ›Kampf der Kulturen‹
4.2.1 ›Der Westen‹ als ›islamo- und arabophob‹
4.2.2 ›Der Westen‹ als ›(neo)koloniale Macht‹
4.2.3 ›Der Westen‹ als ›vorbildhaft‹
4.2.4 Der ›Kampf der Kulturen‹ in ›anderer‹ Deutung
4.2.5 Zwischenfazit I: Wo liegen die ›großen Demarkationslinien‹?
4.3 Hegemoniale imaginative Geographien: ›die USA‹
4.3.1 ›Die USA‹ als ›einzige Weltmacht‹
4.3.2 ›Die US-amerikanische Politik‹ als ›(neo)imperialistisch‹
4.3.3 ›Die US-amerikanische Politik‹ als ›barbarisch und illegitim‹
4.3.4 ›Die USA‹ und ›Terrorismus‹: vom Antagonismus zur Äquivalenzrelation
4.3.5 ›Die USA‹ als ›für Israel Partei ergreifend‹
4.3.6 ›Die USA‹ als ›Weltmacht im Niedergang‹
4.3.7 Marginale Diskurse
4.3.8 Zwischenfazit II: Die einzige Weltmacht zwischen etablierter Ordnung, (Neo)Imperialismus, (Neo)Kolonialismus und Niedergang
4.4 Hegemoniale imaginative Geographien: ›die arabische Welt‹
4.4.1 ›Die arabische Welt‹ als ›eine Welt in der Krise‹
4.4.2 ›Die arabische Welt‹ als ›Objekt‹ von ›(Neo)Kolonialismus‹, ›(Neo)Imperialismus‹ und/oder ›Intervention‹
4.4.3 ›Die arabische Welt‹ als ›zersplittert‹, ›uneinig‹ und ›unvereint‹
4.4.4 ›Arabische Staaten‹ als ›Schweigende‹ und/oder als ›Verräter‹
4.4.5 ›Die arabischen Regime‹ als ›totalitär‹, ›unterdrückend‹ und ›rückständig‹
4.4.6 ›Die Araber und Muslime‹ als ›Opfer von ›Terrorismus‹ sowie von ›Islamo- und Arabophobie‹
4.4.7 Marginale Diskurse
4.4.8 Zwischenfazit III: Untergrabene Grenzziehungen und die arabische Welt in (post)kolonialen Krisen
4.5 Diskursive Verortungsstrategien von Ei(ge)nem und Anderem
4.5.1 Verortung von Ei(ge)nem und Anderem in modernen, antiund postkolonialen Ordnungskategorien
4.5.2 Anti(post)koloniale Verortung
4.5.3 Subjektivierung des Anderen, Viktimisierung und Objektivierung des Ei(ge)nen
4.5.4 Idealisierung des Anderen und Abwertung des Ei(ge)nen
4.5.5 Verortung des Terrorismus beim Gegner
4.5.6 Zwischenfazit IV: Ausweglose (Post)Kolonialität
5 Schlussbetrachtung: Jenseits vom ›Kampf der Kulturen‹
6 Literaturverzeichnis
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Jenseits vom »Kampf der Kulturen«: Imaginative Geographien des Eigenen und des Anderen in arabischen Printmedien [1. Aufl.]
 9783839416464

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Shadia Husseini de Araújo Jenseits vom »Kampf der Kulturen«

POSTCOLONIAL STUDIES | Band 9

Shadia Husseini de Araújo (Dr. phil.) arbeitet als Akademische Rätin am Institut für Geographie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Shadia Husseini de Araújo

Jenseits vom »Kampf der Kulturen« Imaginative Geographien des Eigenen und des Anderen in arabischen Printmedien

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2011 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Al-Hayat, Seite 9 der Ausgabe vom 13. Januar 2003 Lektorat & Satz: Shadia Husseini de Araújo Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1646-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Anmerkung zur Transkription | 9 Vorwort | 11 1

Einleitung: Imaginative Geographien in arabischen Printmedien | 13

2

Imaginative Geographien | 27

2.1 Diskurstheoretische Grundlagen | 31 2.1.1 Poststrukturalistische Grundannahmen | 32 2.1.2 Diskurstheoretische Konzeptionen nach Foucault | 35 2.1.3 Diskurstheoretische Konzeptionen nach Laclau und Mouffe | 46 2.2 Imaginative Geographien als diskursive Konstruktionen | 56 2.2.1 Saids imaginative Geographien aus poststrukturalistischdiskurstheoretischem Blickwinkel | 57 2.2.2 Diskursive Strategien zur räumlichen Verortung von Eigenem und Anderem | 62 2.2.3 Imaginative Geographien von Kolonialismus, antikolonialem Widerstand und die Hegemonie von Denkstrukturen der Moderne | 64 2.2.4 Die dichotomen Konstruktionen von Orient und Okzident, von islamischer Welt und Westen | 71 2.3 Imaginative Geographien in Massenmedien | 76 2.3.1 Imaginative Geographien massenmedialer Diskurse und ihre gesellschaftlichen Funktionen | 78 2.3.2 Zur Wahrheitsproduktion, Zensur und Selbstzensur in Massenmedien | 80 2.3.3 Imaginative Geographien und die Erfordernisse von Nachrichten in massenmedialen Diskursen | 81 2.3.4 Zum Wandel imaginativer Geographien durch Medienereignisse | 85 2.4 Konkretisierungen der Fragestellung und abschließende Anmerkungen zur Reflexion des Theoriegerüsts | 87

3

Methodische Umsetzung | 93

4

Imaginative Geographien in den arabischen Printmedien

3.1 Zur Herausforderung einer diskursanalytischen Untersuchung von Texten in arabischer Sprache | 94 3.2 Die Datenkorpora: Texte und Karikaturen transnationaler arabischer Printmedien | 98 3.2.1 Al-Hayat, Asharq Alawsat, al-Quds al-Arabi und ihre Rolle als Medien gesellschaftlicher Eliten | 99 3.2.2 Zusammenstellung der Untersuchungskorpora | 104 3.3 Operationalisierung | 107 3.3.1 Analyse Identität konstituierender Textelemente im Titelkorpus der Zeitung al-Hayat | 107 3.3.2 Feinanalyse imaginativer Geographien mithilfe des Konzepts der ›semantischen Strickleiter‹ | 111 3.3.3 Ergänzende Analyse von Karikaturen | 115 3.4 Zum methodischen Schritt der Übersetzung vom Arabischen ins Deutsche | 116 3.4.1 Vom Über- zum Dazwischen-Setzen | 118 3.4.2 Die Macht der Übersetzung | 121 3.4.3 Die Übersetzungsstrategie | 129 3.5 Reflexion des Forschungsdesigns in der Denkfigur der Übersetzung | 133

al-Hayat, al-Quds al-Arabi und Asharq Alawsat | 137

4.1 Die Hauptmedienereignisse in den Datenkorpora | 139 4.2 Orient und Okzident, islamische Welt und Westen sowie die Rolle vom ›Kampf der Kulturen‹ | 142 4.2.1 ›Der Westen‹ als ›islamo- und arabophob‹ | 146 4.2.2 ›Der Westen‹ als ›(neo)koloniale Macht‹ | 154 4.2.3 ›Der Westen‹ als ›vorbildhaft‹ | 160 4.2.4 Der ›Kampf der Kulturen‹ in ›anderer‹ Deutung | 166 4.2.5 Zwischenfazit I: Wo liegen die ›großen Demarkationslinien‹? | 169 4.3 Hegemoniale imaginative Geographien: ›die USA‹ | 172 4.3.1 ›Die USA‹ als ›einzige Weltmacht‹ | 178 4.3.2 ›Die US-amerikanische Politik‹ als ›(neo)imperialistisch‹ | 184 4.3.3 ›Die US-amerikanische Politik‹ als ›barbarisch und illegitim‹ | 192

4.3.4 ›Die USA‹ und ›Terrorismus‹: vom Antagonismus zur Äquivalenzrelation | 203 4.3.5 ›Die USA‹ als ›für Israel Partei ergreifend‹ | 210 4.3.6 ›Die USA‹ als ›Weltmacht im Niedergang‹ | 215 4.3.7 Marginale Diskurse | 221 4.3.8 Zwischenfazit II: Die einzige Weltmacht zwischen etablierter Ordnung, (Neo)Imperialismus, (Neo)Kolonialismus und Niedergang | 222 4.4 Hegemoniale imaginative Geographien: ›die arabische Welt‹ | 224 4.4.1 ›Die arabische Welt‹ als ›eine Welt in der Krise‹ | 228 4.4.2 ›Die arabische Welt‹ als ›Objekt‹ von ›(Neo)Kolonialismus‹, ›(Neo)Imperialismus‹ und/oder ›Intervention‹ | 230 4.4.3 ›Die arabische Welt‹ als ›zersplittert‹, ›uneinig‹ und ›unvereint‹ | 239 4.4.4 ›Arabische Staaten‹ als ›Schweigende‹ und/oder als ›Verräter‹ | 245 4.4.5 ›Die arabischen Regime‹ als ›totalitär‹, ›unterdrückend‹ und ›rückständig‹ | 254 4.4.6 ›Die Araber und Muslime‹ als ›Opfer von ›Terrorismus‹ sowie von ›Islamo- und Arabophobie‹ | 262 4.4.7 Marginale Diskurse | 268 4.4.8 Zwischenfazit III: Untergrabene Grenzziehungen und die arabische Welt in (post)kolonialen Krisen | 269 4.5 Diskursive Verortungsstrategien von Ei(ge)nem und Anderem | 272 4.5.1 Verortung von Ei(ge)nem und Anderem in modernen, antiund postkolonialen Ordnungskategorien | 274 4.5.2 Anti(post)koloniale Verortung | 276 4.5.3 Subjektivierung des Anderen, Viktimisierung und Objektivierung des Ei(ge)nen | 279 4.5.4 Idealisierung des Anderen und Abwertung des Ei(ge)nen | 282 4.5.5 Verortung des Terrorismus beim Gegner | 284 4.5.6 Zwischenfazit IV: Ausweglose (Post)Kolonialität | 286

5

Schlussbetrachtung: Jenseits vom ›Kampf der Kulturen‹ | 291

6

Literaturverzeichnis | 309

Anmerkung zur Transkription

Die Transkription des Arabischen erfolgt in diesem Buch nach den Regeln der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Die Konsonanten, die Vokale, die Diphthonge sowie ihre entsprechende Transliteration in lateinischer Schrift werden in der folgenden Tabelle aufgeführt.

‫ ا‬a

‫ ر‬r

‫ غ‬È

‫ ي‬y, i

‫ ب‬b

‫ ز‬z

‫ ف‬f

‫ ة‬t

‫ ت‬t

‫ س‬s

‫ ق‬q

‫ ء‬Þ

‫× ث‬

‫ ش‬š

‫ ك‬k

‫ َا‬Á

‫ ج‬Ê

‫ ص‬Ò

‫ ل‬l

‫ ى‬Á

‫ ح‬Î

‫ ض‬Ã

‫ م‬m

‫ ُو‬Ù

‫ خ‬Ì

‫ ط‬Ô

‫ ن‬n

‫ ِي‬Ð

‫ د‬d

‫ ظ‬Û

h

‫ َو‬aw

‫ ذ‬Æ

‫ ع‬Ý

‫ و‬w, u

‫ َي‬ay

Da im Wesentlichen einzelne Begriffe transkribiert werden, erfolgt die Umschrift in der Pausalform und nicht konsequent phonetisch. Zur

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DER

K ULTUREN‹

flüssigeren Lesbarkeit wird im Falle eines Artikels der Konsonant bei nachfolgendem Îarf šamsÐ assimiliert und der Hilfsvolkal nach vorangegangenem Langvokal oder Diphthong ausgelassen. Das tÁÞ-marbÙÔa wird nur im status constructus transkribiert. Nach diesem System werden auch die Namen von Autorinnen und Autoren der Primärquellen umgeschrieben, da mir größtenteils nicht bekannt ist, welche Schreibweisen sie selbst in lateinischer Schrift verwenden. Dagegen werden die Namen der untersuchten Printmedien so transkribiert, wie die jeweiligen Herausgeber festgelegt haben (vgl. zur Transkription weiterhin Kapitel 3.4.3).

Vorwort

Seit den Anschlägen des 11. Septembers 2001 ist das Weltbild vom ›Kampf der Kulturen‹ in aller Munde. Insbesondere in ›westlichen‹ Medien wurde es vielfach als Erklärungsmuster herangezogen, sei es für die Terroranschläge in New York und Washington, für den so genannten ›Kampf gegen den Terrorismus‹ mit seinen Kriegen in Afghanistan und dem Irak oder sei es für den Karikaturenstreit zu Beginn des Jahres 2006. Mit der Analyse imaginativer Geographien in arabischen Medien möchte ich eine ›alternative‹ Perspektive auf diese Medienereignisse eröffnen, die an den Fundamenten ›unserer‹ Weltbilder und Territorialisierungen von Eigenem und Anderem rüttelt und zum Überdenken auffordert. Bei dieser Studie handelt es sich um meine Dissertation, mit der ich im Juli 2010 an der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster im Fachbereich Geographie promoviert wurde. Mein herzlicher Dank gilt all denjenigen, die zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. Angeregt und betreut wurde sie von Professor Paul Reuber (Institut für Geographie der WWU Münster). Professor Georg Glasze (Institut für Geographie der FAU Erlangen-Nürnberg) erstellte das Zweitgutachten. Beiden Professoren danke ich für die konstruktiven Diskussionen, die vielen Denkanstöße und die Vorschläge, die ich von ihnen erhalten habe. Gefördert wurde diese Arbeit durch das Graduiertenkolleg des Projektes »Humanismus in der Epoche der Globalisierung. Ein interkultureller Dialog über Menschheit, Kultur und Werte« (Kulturwissenschaftliches Institut Essen). Namentlich und stellvertretend für alle Kolleginnen und Kollegen des Humanismus-Projektes danke ich dem Leiter Professor Jörn Rüsen für den wissenschaftlichen Austausch, die vielen Seminare, Kolloquien und schönen Semestertreffen. Darüber hinaus gilt mein Dank der Mercator-Stiftung, die mich mit einem

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Promotionsstipendium im Rahmen des Graduiertenkollegs unterstützt hat, sowie der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für die Gewährung einer Publikationsbeihilfe. Für eine kritische Lektüre meiner Texte, konstruktive Vorschläge und moralische Unterstützung möchte ich mich ganz herzlich bei Iris Dzudzek, Jörg Mose, Florian Weber, Catharina Yacoub, Yvonne Klöpper, Sandra Hamer, Leila Mousa und Martina Park bedanken. Mein großer Dank gilt außerdem meinem Cousin Salah Eddin Maraqa, der mir bei den vielen Übersetzungsarbeiten aus dem Arabischen mit Rat und Tat zur Seite stand. Ganz besonders danke ich auch meinen Eltern Johanna und Musa Kazem Husseini, die mich immer unterstützt und mir mein Studium erst ermöglicht haben. Das größte Dankeschön verdient mein lieber Mann André Gustavo de Melo Araújo. Er hat mir mit anregenden Diskussionen, Ratschlägen und seiner Geduld unendlich viel geholfen und mich unermüdlich durch alle Hochs und Tiefs dieser Arbeit begleitet.

Im November 2010

Shadia Husseini de Araújo

1

Einleitung: Imaginative Geographien in arabischen Printmedien

Die Welt liegt im Bett und schläft. Sie scheint nicht bemerkt zu haben, dass die Zündschnur der Bombe des Terrorismus bereits brennt. Es ist nicht das kleine Monster, das unter dem Bett lauert, sondern eine viel größere Gefahr, die die Welt in Kürze zu vernichten droht (vgl. Abbildung 1). Ein solches Szenario ist uns aus den Medien spätestens seit den Anschlägen des 11. Septembers bekannt.

Abbildung 1: Die globale Bedrohung durch den Terrorismus

Quelle: al-Hayat, 10.10.02, S. 9; Künstler: ÍabÐb ÍaddÁd

Diese Karikatur stammt jedoch nicht etwa aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Süddeutschen Zeitung oder der New York Times, sondern aus der arabischen Tageszeitung al-Hayat. Vielleicht mag dies zunächst verwundern, denn zahlreiche Forschungsarbeiten belegen,

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dass der Terrorismus in vielen ›westlichen‹ Medien speziell ›der arabischen‹ und ›der islamischen Welt‹ zugeschrieben wird (vgl. Reuber und Strüver 2009; Hafez und Richter 2008; Jackson 2005; Schiffer 2005; Gregory 2004 u.a.). Umgekehrt, so die Ergebnisse einer Reihe an Studien aus der Orientalistik und den Politikwissenschaften, würde ›der Westen‹ in ›arabischen‹ Medien zum Hauptfeind deklariert (vgl. Allam 2004; Forstner 2001; Abdelnasser 2000; Rotter 1996 u.a.). Wie lässt sich diese Karikatur der Zeitung al-Hayat nun deuten? Wer wird hier für den Terrorismus verantwortlich gemacht? Untersuchungen haben gezeigt, dass die Idee von einem räumlich kaum definierbaren internationalen terroristischen Netzwerk unmittelbar nach den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 in zahlreichen ›westlichen‹ Medien nach und nach in eine altbekannte geopolitische Ordnung eingepasst wurde (vgl. Reuber und Strüver 2009, S. 329; Gregory 2004, S. 17ff.). Aus dem unverortbaren Feind ›Terrorismus‹ konnten so territorial definierbare, angreifbare ›Schurkenstaaten‹ werden, die den islamistisch motivierten Terrorismus unterstützten – etwa Afghanistan, der Irak, der Iran, Syrien, der Sudan und Somalia (vgl. Reuber und Strüver 2009, S. 316ff.; Gregory 2004, S. 49ff.). Eine zentrale Rolle bei dieser Verräumlichungsstrategie des Terrorismus schien und scheint Samuel Huntingtons Theorie vom ›Kampf der Kulturen‹ zu spielen, denn in vielen Medien avancierte sie zum wichtigsten Erklärungsmuster für die Terroranschläge in New York und Washington (Reuber und Strüver 2009, S. 328; vgl. auch Reuber und Wolkersdorfer 2004, S. 367ff.; Reuber und Wolkersdorfer 2002, S. 24).1 Sie beruht auf der Idee, dass die Konflikte und die Kriege der Zukunft zwischen Kulturen ausgetragen würden und definiert eine der entscheidenden Konfliktlinien zwischen dem Westen und der islami-

1

Samuel Huntington (1927-2008) war Professor für Politikwissenschaft und Leiter des John M. Olin Institute for Strategic Studies an der Universität Harvard. Darüber hinaus war er als Berater des amerikanischen Außenministeriums tätig. Seine Theorie vom »Kampf der Kulturen« veröffentlichte er bereits im Jahre 1993 in der Zeitschrift Foreign Affairs und legte sie wenige Jahre später als Buch vor (Huntington 1996). Ihren Aufschwung erfuhr die Theorie jedoch erst nach den Terrorattentaten des 11. Septembers. Sowohl in den USA als auch in Deutschland war sein Buch in den ersten Wochen nach den Anschlägen vollständig vergriffen (vgl. Reuber und Wolkersdorfer 2002, S. 24).

E INLEITUNG : I MAGINATIVE G EOGRAPHIEN

IN ARABISCHEN

P RINTMEDIEN | 15

schen Welt. Diese geopolitische Schablone half und hilft, den Terrorismus im ›islamischen Kulturkreis‹ zu verorten2 – eine Vorstellung, die in der Öffentlichkeit durch die Massenmedien unterstützt und mitgetragen wurde und letztendlich zur Kriegslegitimation beitrug (vgl. z.B. Reuber und Strüver 2009, S. 315, S. 328; Jackson 2005, S. 9ff.; Gregory 2004, S. 50ff.). Vor dem Hintergrund einer solchen Verräumlichungsstrategie in ›westlichen‹ Medien stellt sich die Frage, welche Weltordnungsvorstellungen in den Medien verhandelt werden, die im Huntington’schen Schema zu ›den Anderen‹ gehören. Auf welche Weise werden 9/11 und die Ereignisse im Kontext ›des Kampfes gegen den Terrorismus‹ in arabischsprachigen Medien gerahmt und erklärt? Zeigen sich ähnliche hegemoniale Deutungsmuster wie in ›westlichen‹ Medien mit umgekehrten Vorzeichen von Gut und Böse oder sind sie grundverschieden? Welche Denkstrukturen unterliegen ihnen? Welche gesellschaftlichen Orientierungsangebote machen sie und zu welchem Handeln leiten sie an? Diese Fragen bilden den Ausgangspunkt der vorliegenden Studie. Dabei werden Weltbilder und Weltordnungsvorstellungen nicht als realitätsnahe Abbildungen der Welt verstanden, sondern als »imaginative Geographien« (Said 1981 [1978]): als kraftvolle diskursive Verflechtungen von Macht, Wissen und Geographie, die gesellschaftliche Ordnungen herstellen, soziale und politische Praktiken legitimieren, etablieren, verfestigen und verändern. Mit einem solchen Verständnis lässt sich diese Arbeit in den Bereich einer durch Poststrukturalismus und postkoloniale Theorie informierten Geographie einordnen, die darum bemüht ist, die gesellschaftliche Wirkmächtigkeit solcher Konstruktionen mit in den Blick zu bekommen. Das Konzept der imaginativen Geographien geht auf den Literaturwissenschaftler Edward W. Said und sein Werk »Orientalismus« (1981 [1978]) zurück. Darin legt er dar, wie der Orientalismus als Diskurs der modernen europäischen Gesellschaft in der Lage war, den Orient als imaginative Geographien zu produzieren und immer wieder neu zu erfinden – als rückständigen Raum, der eine westliche Regierung braucht, um im Zeitalter der Moderne überleben zu können, oder auch als bedrohlichen Gegner, der am Ölhahn sitzt und dessen Macht und Möglichkeiten eingeschränkt werden müssen. Said zeigt, wie der

2

Zur Definition von ›Kulturkreis‹ vgl. Huntington 1996, S. 50ff.

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K ULTUREN‹

Orient auf diese Weise systematisch eingenommen werden konnte und veranschaulicht dies u.a. am Beispiel der britischen Herrschaft über Ägypten (ebd., S. 40ff.) sowie an den vermehrten internationalen Interventionen im Nahen Osten seit den 1970er Jahren (ebd., S. 322). Im Anschluss an dieses Werk untersucht der Geograph Derek Gregory die imaginativen Geographien der europäischen Moderne hinsichtlich ihrer Bedeutung und ihrer Funktion im Rahmen des Kolonialismus (Gregory 1998) und demonstriert in »The Colonial Present«, wie sie noch heute unsere koloniale Gegenwart prägen (Gregory 2004). Aus einer solchen Perspektive heraus lassen sich auch die Leitbilder vom ›Kampf der Kulturen‹ und vom ›Kampf gegen den Terrorismus‹ als imaginative Geographien lesen, mit denen die Kriege gegen Afghanistan, gegen den Irak und deren anschließende Besetzung als Ausdruck der kolonialen Gegenwart einhergingen.3 Die entscheidenden Instanzen für die Verbreitung und Verfestigung von imaginativen Geographien in der Öffentlichkeit sind die Massenmedien. Alles, was wir über die Welt, über unsere und andere Gesellschaften wissen, wird uns zu großen Teilen durch die Massenmedien vermittelt. Imaginative Geographien erfüllen hier im Wesentli-

3

Den Begriff »colonial« (Gregory 2004) beschränkt der Autor nicht auf das Zeitalter des modernen europäischen Kolonialismus, oder besser: der modernen europäischen Kolonialismen (vgl. Osterhammel 2009, S. 8ff.), deren Beginn im 15. Jahrhundert und deren Ende nach Abschluss der Dekolonisationsprozesse und formalen Unabhängigkeit der Kolonialgebiete gesehen wird (Gregory 2004). Kolonialismus als »[t]he establishment and maintenance of rule, for an extended period of time, by a sovereign power over a subordinate and alien people that is separate from the ruling power« (Gregory 2000, S. 93) zeige sich auch in der Gegenwart (Gregory 2004). Andere Vertreter der postkolonialen Theorie würden hier eher von einer postkolonialen oder neokolonialen Gegenwart sprechen, um zu verdeutlichen, dass es sich um koloniale Situationen nach den formalen De-

kolonisationsprozessen handelt (vgl. dazu Hall 2002, S. 220ff.; Castro Varela und Dhawan 2005, S. 23ff.). Insgesamt werden die Begriffe ›Kolonialismus‹ und ›kolonial‹ sowie in Kombination mit den Präfixen ›neo‹ und ›post‹ im Wissenschaftsfeld der postkolonialen Theorie sehr vielfältig verwendet und kontrovers diskutiert. Einen kurzen Abriss über die Begriffsdiskussionen liefert der Aufsatz »Wann gab es das ›Postkoloniale‹? Denken an der Grenze« von Stuart Hall (2002).

E INLEITUNG : I MAGINATIVE G EOGRAPHIEN

IN ARABISCHEN

P RINTMEDIEN | 17

chen die Funktion, als einfach gebaute Weltbilder Erklärungs- und Deutungsrahmen für Nachrichten und Medienereignisse zu liefern, die Orientierung für das Publikum schaffen und sagen, was zu tun ist. Dabei werden sie im Zuge des Erklärens und Deutens immer wieder aufs Neue reproduziert. Sie stricken auf diese Weise maßgeblich an den sozialen Wirklichkeiten mit, die uns umgeben und die wir als Realität wahrnehmen. Genau dies macht imaginative Geographien in Massenmedien zu gesellschaftspolitisch bedeutsamen Untersuchungsgegenständen. Wie eingangs erwähnt, liegen im Bereich der Politischen Geographie einige Untersuchungen vor, die imaginative Geographien – je nach analytischem Fokus und Forschungsschwerpunkt auch als geopolitische Weltbilder, geopolitische Leitbilder oder popular geopolitics bezeichnet – in europäischen und amerikanischen Medien im Kontext des ›Kampfes gegen den Terrorismus‹ analysieren (vgl. z.B. Reuber und Strüver 2009; Dodds 2007; Jackson 2005; Mamadouh 2003; Taylor und Jasparo 2003; Dalby 2003a, 2003b). Geographische Untersuchungen, die sich mit imaginativen Geographien in arabischen Medien oder in öffentlichen Foren islamischer Organisationen beschäftigen, sind hingegen kaum auszumachen.4 Eine in diesem Themenfeld gelagerte politisch-geographische Arbeit liegt mit der Untersuchung von Falah, Flint und Mamadouh (2006) vor. Darin wird der Frage nachgegangen, wie der Irak-Krieg in arabischen, vornehmlich staatlichen Printmedien diskutiert wurde. Darüber hinaus ist im interdisziplinären Kontext insbesondere seit dem 11. September eine Reihe von Studien entstanden, die sich mit dem Bild des Westens in arabischen und islamischen Quellen beschäftigen. 5 Darunter findet sich beispielsweise

4

Die Skizze des im Folgenden beschriebenen Forschungsstandes bezieht sich vornehmlich auf den deutsch- und englischsprachigen Wissenschaftskontext und erhebt nicht zuletzt deshalb keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

5

Die Fokussierung auf den Westen als ›das Andere‹ der arabischislamischen Welt ist in erster Linie für die Forschungsarbeiten charakteristisch, die sich im Wesentlichen modernen Quellen bzw. Quellen der Gegenwart widmen, wie sie auch hier von Interesse sind. Ferner besteht eine Reihe an Arbeiten, die andere Identitätskonstruktionen als ›das Andere‹ oder ›das Fremde‹ ›der Araber‹ und ›der Muslime‹ in den Blick nehmen, wie beispielsweise ›der Perser‹, ›der Neger‹ oder ›der Beduine‹ als

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auch eine Medienanalyse, die die Repräsentationen des Westens in englischsprachigen Zeitungen nahöstlicher Staaten analysiert (vgl. Geiger 2008).6 Bei den meisten Studien handelt es sich um Arbeiten aus medienwissenschaftlichen, politikwissenschaftlichen, islamwissenschaftlichen oder, in einem etwas geringeren Maße, aus literaturwissenschaftlichen Kontexten: •

Ein Großteil der vorliegenden Untersuchungen legt den Fokus auf Medien, Foren und Vertreter des politischen Islam, teilweise auch auf extremistische Strömungen, und arbeitet ein Bild des Westens heraus, das mit Begriffen wie Unglaube und Amoral belegt ist.7 Die in diesen Studien analysierten Argumentationsmuster beschreiben das westliche Denken mit einem Hang zum Materialismus, einem westlichen Überlegenheitsgefühl und einer Abkehr von Religion und Gotteserkenntnis. Kampf und Gewalt gehörten demnach zum Leitmotiv der westlichen Gesellschaft (vgl. z.B. Dorpmüller 2004; Forstner 2001; Abdelnasser 2000; Sadiki 1998; Hafez 1997; Rotter 1996). Der Westen stelle somit eine politische, ökonomische und kulturelle Bedrohung für die islamische Welt dar. Zahlreiche Autoren bestätigen ein ›Kulturkampfszenario‹, welches in islamistischen Kreisen gezeichnet würde (vgl. Lübben 2004; Allam 2004; Forstner 2001; Rotter 1996): »Es werden und wurden Thesen vertreten, die Samuel Huntington mit seinem Clash of Civilizations verspätet erscheinen lassen« (Forstner 2001, S. 77). Die Zweiteilung der Welt in dÁr al-islÁm und dÁr

›innerer Fremder‹. Diese untersuchen jedoch in erster Linie vormoderne Quellen, v.a. Quellen des klassisch Arabischen (vgl. z.B. Bauer 2005, 2001; Rosenthal 1997; Schoeler 1996; Rotter 1967). 6

Im Falle der genannten Arbeit stellt sich allerdings die Frage, welche gesellschaftspolitische Bedeutung den untersuchten Medien zukommt, denn »Blätter in englischer oder französischer Sprache […] wenden sich in erster Linie an die im Nahen Osten lebenden ›internationalen Minderheiten‹« (Freund 1992, S. 324).

7

Politischer Islam, häufig auch als Islamismus bezeichnet, lässt sich in einer weit gefassten Definition verstehen als »[a] political ideology, and more specifically one, that articulates its analysis of power and its political plan of action through the religious terms and concepts found in Islam« (Holt 2004, S. 63).

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al-Îarb lebe in solchen Argumentationsmustern auf (vgl. Lübben





8

2004, S. 198f.). 8 Andere Untersuchungen verstehen den politischen Islam als Diskurs, welcher den Eurozentrismus in starkem Maße herausfordern würde (vgl. Sayyid 2007; Holt 2004). Neben ›dem Westen‹ als Feindbild islamistischer Strömungen untersuchen einige Arbeiten auch ›den Westen‹ als ausbeutende Kolonialmacht und stützen ihre Analysen im Wesentlichen auf Quellen arabischer Historiker und Intellektueller des 18. und 19. Jahrhunderts (vgl. z.B. Sharabi 1970; Hourani 1962). Eng damit verknüpft sind Studien über ›den Westens‹ als Vorbild – eine Vorstellung die sich mit der Moderne herauszukristallisieren begann. In diesem Kontext wird die Vorbildhaftigkeit häufig auf die Bereiche von Wissenschaft und Fortschritt bezogen (vgl. Sharabi 1970; Hourani 1962). Jüngere Arbeiten beschäftigen sich mit dem Westen als »Land der Möglichkeiten« (Thörner 1993, S. 255; vgl. auch Dorpmüller 2004; Kermani 2003) oder als Vorbild im Hinblick auf politische Systeme und Werte wie Demokratie und Menschenrechte (vgl. Husseini 2009b; Dorpmüller 2004; Vogt 2004; Faath und Mattes 2003; Brunold 2003; Hamzawy 2003a, 2003b). Teilweise wird auch ›der westliche Lebensstil‹ im Zusammenhang mit ›der westlichen Vorbildhaftigkeit‹ genannt (vgl. z.B. Faath und Mattes 2003). Aus politikwissenschaftlicher Perspektive liegen zudem einige Analysen zum ›Antiamerikanismus‹ in ›der arabisch-islamischen Welt‹ vor. Ziel dieser Arbeiten ist insbesondere, dessen Ursachen zu beleuchten. Genannt werden in diesem Zusammenhang zumeist die interventionalistische US-Außenpolitik, das pro-israelische Verhalten der USA im Nahostkonflikt, der ohne UNO-

DÁr al-islÁm bezeichnet in der islamischen Theologie üblicherweise das Gebiet, in dem eine islamische Gesellschaftsordnung vorherrscht und wo das islamische Gesetz ausschlaggebend ist. DÁr al-Îarb, wörtlich übersetzt: das Gebiet des Krieges, umfasst demgegenüber die Gebiete, in denen das islamische Gesetz nicht als rechtskräftig gilt und Muslime keine Möglichkeit haben, ihren Glauben zu bezeugen und ihre Gesetze zu befolgen. Zu Friedenszeiten wird das nicht-islamische Gebiet als dÁr aÒ-ÒulÎ bezeichnet – wörtlich übersetzt: Gebiet des Friedensschlusses –, wobei die Friedensbedingungen vertraglich geregelt werden (vgl. Abel 1965, S. 126; Macdonald 1965, S. 131).

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Mandat geführte Krieg gegen den Irak, die Unterstützung arabischer Autokratien und islamistischer Gruppierungen bei gleichzeitiger Propagierung von Demokratie und Menschenrechten (vgl. Abdallah 2004, 2003; Mattes 2004, S. 365ff.; Faath und Mattes 2003, S. 334). Ferner bestehen einige Versuche, dem »Orientalismus« Edwards Saids (1981 [1978]) eine Abhandlung des »Okzidentalismus« gegenüber zu stellen, wobei die Projekte, welche sich hinter diesem Schlagwort verbergen, äußerst verschieden sind. 9 Darunter fällt beispielsweise das viel und kontrovers diskutierte Werk von Buruma und Margalit (2004). Darin definieren sie »Okzidentalismus« als blinden Hass gegenüber ›dem Westen‹ und untersuchen diesen in unterschiedlichen regionalen, kulturellen und historischen Kontexten, u.a. ›dem arabischen Islamismus‹. Darüber hinaus liegen Werke mit dem Titel »Occidentalism« vor, die ihren Fokus eher auf chinesische, japanische oder indische Quellen legen (vgl. Carrier 2003; Chen 2002). Einige wenige literaturwissenschaftliche Arbeiten beschäftigen sich mit dem Okzidentalismus aus der Perspektive postkolonialer Theorien und beleuchten Prozesse der Identitätsbildung im Licht von Transkulturalität, Transnationalität und Hybridität (vgl. Casini 2008; El-Enany 2006).

Das hier skizzierte Forschungsfeld gestaltet sich bezogen auf Fragestellungen, konzeptionelle Herangehensweisen, Zielsetzungen und Anliegen sehr bunt und vielfältig. Entsprechend kann mit dieser Untersuchung auf unterschiedliche Arten an die vorliegenden Arbeiten angeknüpft werden. Zugleich offenbaren sich jedoch auch einige Lücken. Verwunderlich ist zunächst, dass kaum Untersuchungen aus einer geographischen Perspektive vorliegen, geht es doch um die Konstruktion von Raum, den zentralen Forschungsgegenstand der Geographie. Abgesehen vom spezifischen Blickwinkel der Disziplin ist auffällig, dass

9

Am Rande soll auch das Werk des ägyptischen Philosophen Íasan ÍanafÐ erwähnt sein, welches ein Pendant zur Orientalistik als wissenschaftliche Disziplin zu begründen versucht. Mit »Muqaddima fÐ Ýilm al-istiÈrÁb« (dt.: Eine Einführung in die Wissenschaft der Okzidentalistik) entwirft er ein Programm für eine Okzidentalistik, die sich zum Ziel macht, ›den Westen‹ zu erforschen (ÍanafÐ 1991).

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das Augenmerk der meisten hier zitierten Studien auf ›dem Westen‹ als das Andere liegt. Konstruktionen ›anderer‹ Anderer werden weniger untersucht. Dies erscheint jedoch wichtig, um überhaupt die Rolle und die Bedeutung ›des Westens‹ als Anderer einschätzen zu können. Ist sie so zentral, wie fast alle der vorliegenden Studien nahelegen? Wird von vornherein ein Fokus auf den Westen gelegt, so wird ihm durch die Forschung automatisch eine hohe Bedeutung zugeschrieben, die durch die Forschungsarbeiten selbst reproduziert wird. Andere Identitätskonstruktionen, die für das Verständnis politischer und gesellschaftlicher Prozesse von Bedeutung sein könnten, geraten damit aus dem Blick. Viele der vorliegenden Untersuchungen wählen zudem das Feindbild Westen, die Anti-Haltung und islamistische Entwürfe als zentrale Untersuchungsgegenstände aus, hauptsächlich aus medienund politikwissenschaftlicher Perspektive. Doch die Gefahr ist, durch einen solchen Fokus den Raum und die Bedeutung islamistischer und anti-westlicher Weltvorstellungen in öffentlichen Diskursen überzubewerten, alternativen Entwürfen die Stimme zu nehmen und damit letztlich der Idee vom ›Kampf der Kulturen‹ in die Hände zu spielen. Nur wenige Arbeiten (wie z.B. Dorpmüller 2004) versuchen, die Vielschichtigkeit, die Heterogenität und die Brüchigkeit von Konstruktionen wie ›dem Westen‹ mit zu berücksichtigen. Vor einem poststrukturalistischen Hintergrund sind diese jedoch besonders relevant, da sie die Potenziale für Veränderung und Wandel in sich tragen und aus ihnen heraus die Dynamik und Historizität von Konstruktionen erklärt werden kann (vgl. Sarasin 2003, S. 41f.). Schließlich ist anzumerken, dass das Gros der hier aufgeführten Arbeiten in erster Linie nach dem Inhalt von Konstruktionen oder Bildern fragt. Im Hinblick auf ihre Wirkmächtigkeit ist allerdings gerade auch die Frage relevant, wie sie konstruiert werden, denn durch die Untersuchung der Regelmäßigkeiten und Regeln des Konstruierens können Strukturen gesellschaftlichen Denkens und Handelns ans Licht gebracht sowie Erkenntnisse über die gesellschaftlichen Grundlagen politischer Entscheidungen und Legitimationen gewonnen werden. Ein solches Wissen hilft schließlich auch, Rückschlüsse über ›unsere‹ (!) Gesellschaft zu ziehen und somit ›unsere eigenen‹ Konstruktionen um den Status ihrer vermeintlichen Realität zu berauben. Aus der Zusammenführung der eingangs aufgeworfenen Fragestellung mit dem hier skizzierten Forschungsstand lassen sich nun die

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folgenden Kernfragen herleiten, denen in dieser Untersuchung nachgegangen werden soll: •







Welche Rolle spielt ›der Kampf der Kulturen‹ in Diskursen arabischer Öffentlichkeiten? Lassen sich ähnliche Entwürfe ausmachen, die ›den Westen‹ herausfordern? Wie bedeutsam ist die ihnen zugrunde liegende Dichotomisierung von Westen und Islam, die ›im Westen‹ eine so große Rolle zu spielen scheint? Inwieweit wird sie bestätigt, inwieweit nicht? Welche alternativen imaginativen Geographien werden verhandelt und nehmen eine hegemoniale Stellung in den Diskursen ein? An welchen Stellen offenbaren sich Brüche dieser Konstruktionen, durch die jeweils andere Entwürfe hindurch sprechen, die hegemonialen bedrohen und für Veränderungen sorgen (können)? Welche Denkstrukturen und welche Strategien der Verortung von Eigenem und Anderem unterliegen den herausgearbeiteten Konstruktionen? Welche gesellschaftlichen Verhältnisse (re)produzieren sie? Zu welchen Praktiken und Handlungsweisen leiten sie an? Inwieweit können die hier ausgemachten imaginativen Geographien Huntingtons Weltbild vom ›Kampf der Kulturen‹ herausfordern?

Da bereits zahlreiche Arbeiten über politisch-islamische Quellen vorliegen (s.o.), soll mit dieser Untersuchung dezidiert kein Fokus auf eine bestimmte ideologische, politische und/oder religiöse Strömung gelegt werden. Dementsprechend wird die Analyse am Beispiel der transnationalen arabischen Printmedien al-Hayat, Asharq Alawsat und al-Quds al-Arabi durchgeführt, denn sie lassen in ihren meinungsbetonten Rubriken Vertreter eines breiten Spektrums an Strömungen zu Wort kommen: Linke, Liberale, Konservative, arabische Nationalisten, Islamisten etc. (vgl. Rogler 2004, S. 435). In dieser Hinsicht zählen sie zu den offensten Foren für gesellschaftspolitische Diskussion in den arabischen Medien (ebd.). Ein solch breites Meinungsspektrum ist ihnen möglich, weil sie als transnationale Medien staatliche Pressezensur zumindest teilweise umgehen können. Da insbesondere al-Hayat als offen gilt und sie im Vergleich zu den anderen beiden Zeitungen den größten Raum für Meinung zum politischen Geschehen und für Diskussion gesellschaftsrelevanter Themen bietet, liegt der Schwerpunkt der hier durchgeführten Medienanalyse auf dieser Zeitung.

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Die ausgewählten Printmedien repräsentieren selbstverständlich

nicht ›die arabisch-islamische Welt‹. Sie sind vielmehr als Teil eines heute relativ vielfältigen Mediensystems in arabischer Sprache zu verstehen. Sowohl ihre Autoren- als auch ihre Leserschaft lassen sich den intellektuellen, politischen und wirtschaftlichen arabischsprachigen Eliten zuordnen, sodass ihnen eine gesellschaftlich hohe Relevanz zugeschrieben werden kann. Zwar sind ihre täglichen Auflagen vergleichsweise gering, doch ihre Position innerhalb des Mediensystems ist relativ hoch, da sie als Qualitäts- und Prestigemedien Einfluss auf andere Medien ausüben können. Die hier diskutierten Ideen und Ansätze diffundieren beispielsweise durch Presseschauen oder Auftritte von Redakteuren, Journalisten und Kolumnisten im Fernsehen in andere, auch nationale und regionale Medien. Darüber hinaus sind alle drei Zeitungen mit ihren täglichen Inhalten auch im Internet präsent (vgl. Rogler 2004, S. 446). Im Rahmen dieser Arbeit werden ausschließlich meinungsbetonte Texte analysiert, denn gerade hier wird die (Re)Produktion von imaginativen Geographien und Identitäten im Zuge der Kontextualisierung, Erklärung und Bewertung von Nachrichten deutlich sichtbar. Ergänzend zur Textanalyse werden auch die Karikaturen, welche auf den Seiten »Meinung (raÞy)« erscheinen, mit in die Untersuchung einbezogen. Der Analysezeitraum wird gemäß der Fragestellung in die Ära ›des Kampfes gegen den Terrorismus‹ gelegt, die mit dem 11. September 2001 begann.10 Neben den großen Medienereignissen, welche den ›Kampf gegen den Terrorismus‹ markieren – beispielsweise die Kriege gegen Afghanistan und den Irak oder die Folterskandale von Guantánamo und Abu Ghraib – sollen auch die Nachrichten über den Karikaturenstreit zu Beginn des Jahres 2006 berücksichtigt werden. Mit ihm lebten die öffentlichen Diskussionen um ›den Kampf der Kulturen‹ in zahlreichen ›westlichen‹ Medien noch einmal auf (vgl. Reuber und Strüver 2009, S. 328). Daher wird die Medienanalyse für den Zeitraum von September 2001 bis einschließlich März 2006 durchgeführt.

10 Der Ausdruck ›Kampf gegen den Terrorismus‹ bzw. ›war on terror‹ oder

›war on terrorism‹ wurde in der internationalen Politik bereits in verschiedenen Zusammenhängen verwendet (z.B. im Kontext des Nahostkonflikts); hier ist dezidiert die Wiederbelebung des Schlagwortes durch die US-amerikanische Regierung unter Präsident George W. Bush (reg. 20012009) nach 9/11 gemeint.

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Mit diesem hier skizzierten Programm möchte die vorliegende Studie Raum für das Sprechen und Konstruieren aus ›anderen‹ Perspektiven als die ›westlicher‹ Medien schaffen und sich damit im Forschungsschnittfeld von Geographie, Postcolonial Studies und Poststrukturalismus positionieren. Was in diesem Zusammenhang das Vorgehen der Untersuchung sowie die Einordnung der Forschungsergebnisse betrifft, sollen bereits an dieser Stelle zwei wichtige Aspekte kurz angesprochen sein, die in entsprechenden Kapiteln zur Reflexion des Forschungsdesigns ausführlicher dargelegt werden: Zum einen kann das Vorhaben, Raum für ›andere‹ Perspektiven zu schaffen, nur durch Übersetzung gelingen. Die Originalstimmen der transnationalen arabischen Printmedien können hier nicht zu Wort kommen, denn es ist lediglich meine Stimme, die hier zu sprechen vermag und aus der heraus ›andere‹ übersetzt werden. Damit gehen unvermeidlich Bedeutungsverschiebungen einher, weshalb die Forschungsergebnisse dieser Studie dezidiert als Übersetzungen verstanden werden sollen. Nichtsdestoweniger bieten sie die Möglichkeit, sich ›anderen‹ imaginativen Geographien zu nähern und damit die ›eigenen‹ zu hinterfragen (vgl. Husseini 2009a). Der zweite Aspekt betrifft die Dichotomien von ›Westen‹ und ›islamischer Welt‹, von ›Orient‹ und ›Okzident‹. Vor dem Hintergrund der hier eingenommenen erkenntnistheoretischen Perspektive handelt es sich um binäre Konstruktionen, die gemäß den zentralen Forderungen der postkolonialen Theorie denaturalisiert und überwunden werden müssen (vgl. Castro Varela und Dhawan 2005; Conrad und Randeria 2002 u.a.). Auf der anderen Seite verstecken sich diese Binaritäten genau in der Vorgehensweise der vorliegenden Studie. Indem gefragt wird, welche imaginativen Geographien in ›arabischsprachigen‹ Medien verhandelt und diese in Relation zu den hegemonialen Deutungsmustern ›westlicher‹ Medien betrachtet werden, wird ausgerechnet die Dichotomie vorausgesetzt und (re)produziert, die als Konstruktion verstanden werden will. Wie viele Untersuchungen der Postcolonial Studies – insbesondere diejenigen, die empirisch arbeiten – ist auch die vorliegende auf die Verwendung von Konstruktionen und Kategorien angewiesen, die sie selbst dekonstruieren will. Um dafür eine Lösung anzubieten, haben Theoretikerinnen und Theoretiker der Postcolonial Studies verschiedene Denkfiguren entwickelt. Hier ist beispielsweise Gayatri C. Spivak mit ihrem Konzept des »strategischen Essentialismus« (Spivak 1987) zu nennen oder auch Stuart Hall, der

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sich auf die Derrida’sche Idee der »doppelten Einschreibung« (vgl. Derrida 1986) bezieht. Beide Ansätze laufen darauf hinaus, Schließungen nur vorläufig vorzunehmen, den Konstruktionscharakter von vermeintlich realen Identitäten mitzudenken und offenzulegen. »Alle ›postkolonialen‹ Schlüsselbegriffe […] wurden einer tiefen und gründlichen Kritik unterzogen, die ihre angeblich vorgängigen und fundierten Annahmen als eine Reihe diskursiver Effekte dekuvrierte. Doch schafft diese Dekonstruktion die Begriffe nicht ab wie im Vorgang der ›Aufhebung‹, sie beläßt sie als die einzigen begrifflichen Instrumente und Werkzeuge, mit denen die Gegenwart reflektiert werden kann« (Hall 2002, S. 239).

In diesem Sinne wird auch hier mit strategischen Essentialismen operiert. Schließungen werden bewusst vorgenommen, wobei sie immer als vorläufig verstanden und im Zuge der Untersuchung selbst hinterfragt werden.11 Die theoretischen Grundlagen, die hier bereits an einigen Stellen Erwähnung fanden, werden im folgenden Kapitel genauer ausgeführt. Der Zugang erfolgt über einen diskurstheoretischen Ansatz, mit dem die imaginative Geographien sowie ihre gesellschaftliche Wirkmächtigkeit in Medien konzeptionell gefasst werden können (Kapitel 2). Daran anschließend werden die methodologischen Ansätze und methodischen Schritte zur Operationalisierung dargelegt, die hier zur diskursanalytischen Untersuchung arabischsprachiger Texte entwickelt wurden (Kapitel 3).

11 Um die Absicht von vorläufigen Schließungen zu kennzeichnen, werden in vielen Arbeiten mit poststrukturalistischem Anspruch zentrale Begrifflichkeiten in Anführungsstriche gesetzt oder andere Formen der Kennzeichnung gewählt. Im Falle dieser Arbeit würden jedoch v.a. im Teil der Ergebnisdarstellung so viele Schlüsselbegriffe symbolisch gekennzeichnet werden müssen, sodass eine flüssige Lesbarkeit nicht mehr gewährleistet werden könnte. Aus diesem Grund werden zentrale Begriffe nur dann in Anführungszeichen gesetzt, wenn der Konstruktionscharakter dezidiert hervorgehoben werden soll oder wenn aus entsprechenden Textstellen nicht explizit hervorgeht, dass die Schlüsselbegriffe in ihrer dekonstruierten Form (Hall 2002, S. 239) verstanden werden. Zur Kennzeichnung dieser Begriffe werden einfache Anführungsstriche gewählt, um sie von Zitaten zu unterscheiden.

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Der Aufbau des empirischen Teils der Arbeit (Kapitel 4) folgt im Wesentlichen den Leitfragen, die in der Einleitung formuliert wurden. So wird nach einem kurzen Abriss über die Hauptmedienereignisse, die sich im Material manifestieren (Kapitel 4.1), zunächst erörtert, welche Rolle ›der Kampf gegen den Terrorismus‹ und ›der Kampf der Kulturen‹ sowie die damit zusammenhängenden dichotomen Konstruktionen von Orient und Okzident, von islamischer Welt und Westen in den hier untersuchten Medien spielen (Kapitel 4.2). Da sich diese Konstruktionen nur in eingeschränktem Maße als gewichtig erweisen, werden im folgenden Abschnitt die alternativen imaginativen Geographien beleuchtet, die hier als hegemoniale Deutungsmuster von Nachrichten und Medienereignissen in der Ära ›des Kampfes gegen den Terrorismus‹ ausgemacht werden können (Kapitel 4.3 und 4.4). Nachdem sich die ersten Unterkapitel eher mit der Rekonstruktion und der Erklärungskraft der imaginativen Geographien beschäftigt haben, geht es im Anschluss (Kapitel 4.5) um die Herausarbeitung der Regelmäßigkeiten, die sich als diskursive Verortungsstrategien von Eigenem und Anderem in den hegemonialen Konstruktionen zeigen. Aus diesen werden Rückschlüsse auf gesellschaftliche Verhältnisse sowie auf die Legitimation, die Etablierung und die Verfestigung bestimmter Praktiken und Handlungsweisen gezogen. In diesem Zusammenhang wird ferner diskutiert, inwieweit die imaginativen Geographien und ihre Verortungsstrategien von Eigenem und Anderem in den hier untersuchten Medien die Weltbilder herausfordern können, die nach Derek Gregory (2004) Ausdruck der kolonialen Gegenwart sind. Die Studie schließt mit einer Zusammenfassung sowie einem Ausblick für die Forschung, die imaginative Geographien jenseits ›unserer‹ altbekannten Vorstellungen und Deutungsmuster vom ›Westen‹ und ›der islamischen Welt‹ in den Blick bekommen will (Kapitel 5).

2

Imaginative Geographien

»Ich begann mit der Annahme, daß der Orient keine unveränderliche Tatsache der Natur ist. Er ist nicht einfach da, genauso, wie der Okzident nicht einfach

da ist. Wir müssen Vicos große Beobachtung ernst nehmen, daß Menschen ihre eigene Geschichte machen, daß das, was sie wissen können, das ist, was sie geschaffen haben, und dies auf die Geografie beziehen: als sowohl geografische wie kulturelle Einheiten – um nicht die historischen Einheiten zu erwähnen – sind solche Orte, Regionen, geografische Sektoren wie ›Orient‹ und ›Okzident‹ vom Menschen geschaffen. Deshalb ist der Orient sowie der Westen selbst eine Idee, die eine Geschichte besitzt und eine Tradition als Denkweise, Bildwelt sowie Vokabular und für die es eine Realität und Präsenz im und für den Westen gegeben hat« (Said 1981 [1978], S. 12; Herv. i.O.).

Aus seiner Annahme heraus, Räume wie Orient und Okzident seien vom Menschen geschaffen, entwickelt der Literaturwissenschaftler Edward W. Said das Konzept der imaginativen Geographie. Es handelt sich hierbei nicht um eine reine Vorstellungswelt, um eine bloße Imagination: Imaginative Geographien sind als vermeintlich reale Räume zu verstehen, als soziale Wirklichkeiten, die Ausdruck gesellschaftlichen Denkens, Sprechens und Handelns sind und diese wiederum strukturieren, anleiten und legitimieren. Das »vom Menschen geschaffen[e]« (ebd.) bezieht sich damit nicht auf das Individuum oder den handelnden Akteur. Im Vordergrund steht das gesellschaftliche Schaffen und die dem zugrunde liegenden, kollektiv geteilten Denkstrukturen. Um dies konzeptionell fassen zu können, greift Said auf die Diskurstheorien des Philosophen Michel Foucault zurück und versteht imaginative Geographien als diskursive Konstruktionen von Räumen. Wie in der Einleitung der vorliegenden Studie bereits dargelegt, untersucht Said mit dem hier kurz skizzierten Ansatz den Orientalis-

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mus als Diskurs einer westlich modernen Gesellschaft. Er zeigt anhand zahlreicher Beispiele, wie der Orientalismus den Orient als imaginative Geographie geschaffen und zur Aneignung des Orients durch den Westen beigetragen hat. Was Said mit diesem Ansatz beleuchtet, ist die gesellschaftliche Bedeutung und Macht solcher Konstruktionen sowie die ihnen eingeschriebenen »Kräfteverhältnisse« (ebd., S. 13). Daher stellt seine Denkfigur der imaginativen Geographie auch für die vorliegende Arbeit ein hilfreiches Instrument dar. Hier geht es darum, in transnationalen arabischen Printmedien verhandelte Weltbilder, geopolitische Konstruktionen von Eigenem und Anderem sowie die ihnen unterliegenden Denkstrukturen zu untersuchen, die als Deutungs- und Erklärungsrahmen von Nachrichten fungieren und im Zuge der Erklärungen (re)produziert werden. Diese Konstruktionen lassen sich als imaginative Geographien öffentlicher Diskurse verstehen, die Orientierung für die Öffentlichkeit liefern, politisches Handeln legitimieren und anleiten und damit von hoher gesellschaftspolitischer Relevanz sind. Gefragt wird hier, welche hegemonialen imaginativen Geographien und Verortungsstrategien von Eigenem und Anderem sich in der Ära ›des Kampfes gegen den Terrorismus‹ in den Medien ausmachen lassen, welche Orientierung sie liefern, zu welchem Handeln sie anleiten und welche gesellschaftlichen Verhältnisse sie (re)produzieren, derer sie letztlich auch Ausdruck sind. Während Said bei seiner Untersuchung den Fokus auf »die innere Konsistenz des Orientalismus« (Said 1981 [1978], S. 12) legt, soll im Rahmen dieser Studie auch die Heterogenität, die Brüchigkeit, die Widersprüchlichkeit und die Wandelbarkeit von imaginativen Geographien mit berücksichtigt werden. Zum einen sind gerade Mediendiskurse vielfältig und dynamisch; obwohl ihnen äußerst persistente Denkstrukturen zugrunde liegen können, ist ihnen gleichzeitig ein gewisses Maß an Offenheit für Veränderung eingeschrieben, da sie kontinuierlich Neues berichten und neue Nachrichten erklären und kommentieren müssen. Dadurch unterliegen ihre Deutungs- und Erklärungsrahmen ständig Anpassungen, Verschiebungen und Wandelungen. Zum anderen bietet auch das Mitdenken von Brüchen und Widersprüchlichkeiten Anhaltspunkte, um Momente zu erkennen, in denen Potenzial für Veränderungen liegt. Aus diesem Grund soll hier die Analyse der imaginativen Geographien aus einer poststrukturalistischen Perspektive heraus erfolgen, die diskursive Strukturen als offen, heterogen und veränderbar zu konzeptionalisieren vermag.

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Mit diesem Ansatz lässt sich die vorliegende Arbeit den Postcolonial Studies und den Critical Geopolitics zuordnen. Es handelt sich um zwei intellektuelle Strömungen, die nicht nur im Vergleich miteinander relativ große Unterschiede aufweisen, sondern auch in sich sehr heterogen sind.1 Allerdings verbergen sich hinter ihnen ähnliche Zugänge zur sozialen Wirklichkeit, nicht zuletzt weil die Critical Geopolitics in starkem Maße durch die Postcolonial Studies geprägt wurden. Beide Strömungen gehen davon aus, dass unsere sozialen Wirklichkeiten kontingente, machtvolle, gesellschaftlich produzierte Konstruktionen sind. Ihr Arbeitsprogramm besteht vereinfacht zusammengefasst darin, diese Konstruktionen und die ihnen unterliegenden gesellschaftlichen Machtverhältnisse unter die Lupe zu nehmen, sie aus einer kritischen Perspektive heraus zu denaturalisieren und auf diese Weise Platz für Alternativen zu schaffen. Zu den Leitanliegen der Postcolonial Studies gehören »eine kritisch theoretische Auseinandersetzung mit dem Weiterwirken der durch die koloniale Herrschaft geprägten Denkschemata, Wissenskategorien und (Selbst-)Repräsentationen« (Castro Varela, Dhawan und Randeria 2009, S. 308) und die damit zusammenhängende Überwindung euro- und westzentristischer Binaritäten (ebd., unter Bezugnahme auf Homi Bhabha 2007 [1994]; Gayatri C. Spivak 1988; Edward W. Said 1981 [1978]).2 Für eine durch postkoloniale Theorie inspirierte Geographie rücken dabei insbesondere die Fragen um Raum und Räumlichkeit sowie um die Geographie als politisches Wissenssystem in den Vordergrund (vgl. Gregory 1998).3 An

1

Bereits »das Dreigestirn« (Bachmann-Medick 2006, S. 189) der postkolonialen Theorie von Said, Spivak und Bhabha unterscheidet sich hinsichtlich Ansatz, Anspruch und Zielsetzung in erheblichem Maße (ebd.). Auch die Critical Geopolitics werden als vielfältig und vielschichtig beschrieben, »impossible to reduce to any core set of ideas« (Taylor 2000, S. 125).

2

Gleiche bzw. ähnliche Anliegen und Zielsetzungen formulieren u.a. auch Young (2007), Castro Varela und Dhawan (2005), Hall (2002), Conrad und Randeria (2002).

3

Im anglo-amerikanischen Wissenschaftskontext ist die Zahl an Beiträgen und Arbeiten im Feld der postkolonialen Geographie schier unübersichtlich geworden. Neben Derek Gregory als einem der wichtigsten Vertreter dieser Strömung liegen zahlreiche weitere wichtige Arbeiten vor. Sidaway (2000) beispielsweise liefert einen Überblick über die »postcolonial geographies« (ebd. 2000, S. 591), an Sammelwerken mit Arbeiten promi-

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diesen Punkt knüpfen die Critical Geopolitics mit einer ihrer zentralen Annahmen an: »First, there is a politics to all geographical knowledge. Second, there is a geography to all political practice. Third, the first two ideas can only be uncovered by challenging the taken-for-granted« (Taylor 2000, S. 126).4 Die hiermit umrissenen Strömungen liefern zentrale Gedanken für die konzeptionellen Grundlagen dieser Studie, die zur Bearbeitung der in der Einleitung aufgeworfenen Fragestellung nun entwickelt werden. Zunächst werden die diskurstheoretischen Ansätze und ihre jeweiligen strukturalistischen und poststrukturalistischen Annahmen dargelegt, die den imaginativen Geographien als diskursive Konstruktionen von Räumen zugrunde liegen (Kapitel 2.1). Im zweiten Schritt werden dann die Kategorien von Diskurs und Raum zusammengebracht und damit die imaginativen Geographien selbst in den Vordergrund gerückt. Aus den zuvor dargelegten Diskurstheorien heraus wird hierbei

nenter Vertreterinnen und Vertreter in diesem Bereich sind beispielsweise Blunt und McEwan (2002) sowie Blunt und Rose (1994) zu nennen. Im deutschsprachigen Kontext ist es speziell die Arbeit von Julia Lossau (2002), die mit ihrem Entwurf einer ANDEREN Geographie einen ersten konzeptionellen Beitrag im Rahmen der deutschsprachigen Debatte um postkoloniale Theorie in der Geographie leistete. 4

Zur Entstehung und den Anliegen der Critical Geopolitics vgl. Dodds und Sidaway (1994). Zu ihren wichtigsten Vertretern gehört Gearóid Ó Tuathail, der mit »Critical Geopolitics – the politics of writing global space« (1996) ein konzeptionelles Programm ausgearbeitet und an den Beispielen des britischen Geopolitikers Mackinder und dem Britischen Empire, der Geopolitik des Dritten Reiches im Diskurs der US-amerikanischen Politik sowie Bosnien in der »U.S. Geo-Political Imagination« (ebd., S. 148) umgesetzt hat. Auch John Agnew lässt sich zu ihren Hauptvertretern zählen, zu dessen bekanntesten Werken »Geopolitics – re-visioning world politics« (2003) gehört. Im deutschsprachigen Wissenschaftskontext gelten v.a. die Arbeiten von Lossau (2002, 2000), Reuber und Wolkersdorfer (2002, 2001) sowie Wolkersdorfer (2001) als die ersten konzeptionellen Studien in diesem Bereich. Mittlerweile ist das Feld der

Critical Geopolitics nicht nur auf thematischer Ebene weit ausdifferenziert, sondern wurde auch in theoretischer Hinsicht an vielen Stellen weiter entwickelt, vgl. z.B. Müller und Reuber (2008), Müller (2008) und Redepenning (2006).

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Saids Konzept der imaginativen Geographien einem poststrukturalistisch-diskurstheoretischen Verständnisses entsprechend reformuliert, sodass es die konkreten Untersuchungsfragen dieser Arbeit angemessen rahmen kann. Darüber hinaus wird in Anlehnung an Forschungsarbeiten aus den Bereichen der politischen Geographie und der postkolonialen Theorie gezeigt, inwieweit die imaginativen Geographien der kolonialen Moderne und des antikolonialen Widerstandes miteinander verwoben sind und auch heute in den öffentlichen Diskursen, v.a. im Zusammenhang mit den Konstruktionen von Orient und Okzident, islamischer Welt und Westen, eine hegemoniale Rolle spielen. Dies ist besonders für die Diskussion der Ergebnisse dieser Studie im Sinne der hier eingenommen, von postkolonialer Theorie informierten Perspektive zentral (Kapitel 2.2). Im dritten Schritt der theoretischen Ausführungen werden Diskurs und Raum um den Aspekt der Medien erweitert, denn imaginative Geographien erfüllen in Massenmedien bestimmte, gesellschaftliche Funktionen und unterliegen zugleich den Produktionsregeln massenmedialer Diskurse, die berücksichtigt werden müssen. Die Betrachtung der Medien und ihrer gesellschaftlichen Rolle erfolgt aus den dargelegten diskurstheoretischen Ansätzen heraus sowie im Rückgriff auf weitere medientheoretische Ansätze (Kapitel 2.3). Im letzten Schritt wird die in der Einleitung aufgeworfene Fragestellung vor dem Hintergrund des theoretischen Grundgerüsts, das in diesem Kapitel entwickelt wird, konkretisiert und die theoretische Herangehensweise kritisch reflektiert (Kapitel 2.4).

2.1 D ISKURSTHEORETISCHE G RUNDLAGEN Diskurstheoretische Ansätze helfen, gesellschaftliches Denken, Sprechen und Handeln für empirische Studien konzeptionell greifbar zu machen. Daher werden sie auch hier als Grundlage zur Erklärung von gesellschaftlichen Produktions- und Funktionsweisen imaginativer Geographien herangezogen. Diskurstheorien sind in den Kulturwissenschaften insbesondere mit dem linguistic turn prominent geworden. Ausgangspunkt ist der Gedanke, dass unser Zugang zur sozialen Wirklichkeit immer nur durch Sprache erfolgen kann. Damit verbunden stehen Diskurstheorien in der Tradition von Strukturalismus und Poststrukturalismus, auf deren Grundannahmen sie aufbauen. Diese Annahmen sollen im Folgenden kurz skizziert werden (Kapitel 2.1.1), um

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das notwendige Verständnis für die daraufhin dargelegten diskurstheoretischen Ansätze zu gewährleisten. Hierbei werden lediglich die Ansätze aufgegriffen, die für die Fragestellung dieser Arbeit von Bedeutung sind – d.h. mithilfe derer erklärt werden kann, wie imaginative Geographien als diskursive Konstruktionen hergestellt werden und welche Rolle ihnen im Zusammenhang mit Gesellschaft und Massenmedien zukommt. Die wichtigsten Ansätze hierfür liefert Foucault. Entsprechend wird im Rückgriff auf seine Theorien im zweiten Schritt (Kapitel 2.1.2) geklärt, welcher Diskursbegriff hier verwendet wird, wie demnach Gesellschaft und Diskurs miteinander zusammenhängen und wie der Komplex von Wissen, Wahrheit und Macht darin aufgeht. Für die Fragestellung dieser Arbeit ist weiterhin von Belang, auf welche Weise Identitätsbildung im Rahmen eines diskurstheoretischen Ansatzes konzeptionalisiert werden kann, denn Eigenes und Anderes sind den imaginativen Geographien stets auf bestimmte Weisen eingeschrieben. Ferner ist eine diskurstheoretische Konzeptionalisierung von Hegemonie wichtig, da im Rahmen dieser Studie nach den hegemonialen imaginativen Geographien in den zu untersuchenden Medien gefragt wird. Für beide Aspekte liefern Ernesto Laclau und Chantal Mouffe geeignete diskurstheoretische Konzeptionalisierungen, auf die hier in Ergänzung zu den Foucault’schen Ansätzen zurückgegriffen wird (Kapitel 2.1.3). 2.1.1 Poststrukturalistische Grundannahmen Nur durch Sprache, so der strukturalistische und poststrukturalistische Kerngedanke, finden wir unseren Zugang zur sozialen Welt. Bedeutungen und soziale Wirklichkeiten existieren demnach nicht per se, sondern werden erst durch Sprache geschaffen. Dies heißt jedoch nicht, dass mit einem solchen Ansatz grundsätzlich die Existenz von Realität in Frage gestellt wird. Vielmehr wird die Annahme vertreten, dass nichts außerhalb von Sprache und Diskurs eine Bedeutung für uns haben kann und somit die uns umgebenden sozialen Wirklichkeiten stets sprachlich bzw. diskursiv konstituiert sind. Diese Idee geht im Wesentlichen auf den Linguisten Ferdinand de Saussure zurück. Seine Konzeption von Sprache lässt sich als geregeltes Zeichensystem verstehen, welches dem Sprechen zu Grunde liegt. Es setzt sich zusammen aus Signifikant (signifiant) und Signifikat (signifié), wobei das

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Verhältnis zwischen beiden als arbiträr und konventionell gedacht wird. Die Bedeutungen eines Zeichens werden demnach nicht durch das Bezeichnete konstituiert, sondern immer nur durch seine Beziehungen zu anderen Zeichen (vgl. Saussure 2001 [1916], zusammenfassend Jørgensen und Phillips 2006, S. 9ff.). So erhält beispielsweise ›der Orient‹ erst in Abgrenzung zum ›Okzident‹, und umgekehrt, eine Bedeutung; den Orient als solchen gibt es damit genauso wenig wie den Okzident als solchen.5 Das Netz aus Beziehungen, innerhalb dessen Zeichen ihre Bedeutungen erlangen, stellt in diesem Konzept als fixes und unveränderliches System die Struktur der Sprache (langue) dar. Demgegenüber unterscheidet Saussure den Gebrauch der Sprache (parole), der sich immer auf die Struktur beziehen muss. Der theoretische Fokus liegt somit auf der Struktur der Sprache. Im Rahmen derer konzipiert Saussure das Verhältnis zwischen Signifikant und Signifikat zwar als arbiträr. Aufgrund der Unveränderlichkeit der sprachlichen Struktur denkt er das Verhältnis jedoch zugleich als eindeutig, denn »[d]ie Ordnung der Signifikanten und die Ordnung der Signifikate decken sich nach Saussure […] vollständig« (Glasze 2008, S. 51).6 Genau an diesem Punkt setzt die Kritik des Poststrukturalismus an. Genauso wie in der strukturalistischen Konzeption wird am Differenzsystem von Zeichen und an der Idee festgehalten, dass Zeichen ihre Bedeutungen als Effekt ihrer Relation zu anderen Zeichen erhalten. Abgelehnt wird jedoch die Geschlossenheit der Struktur, die eindeutige Verkopplung der Verbindung zwischen Signifikant und Signifikat sowie die Unterscheidung zwischen langue und parole (vgl. Jørgensen und Phillips 2006, S. 11; Münker und Roesler 2000, S. 21ff.). Dem Gebrauch von Sprache (parole) wird nach diesem Verständnis eine zentrale Stellung eingeräumt und angenommen, dass erst durch den konkreten Sprachgebrauch Strukturen geschaffen, verändert oder reproduziert werden (vgl. Jørgensen und Phillips 2006, S. 11).

5

Eine Zusammenfassung des Saussure’schen Ansatzes, veranschaulicht mit Beispielen aus der Geographie, findet sich u.a. auch in Glasze 2008, S. 51ff. und Strüver 2003, S. 116-121.

6

Die einflussreichste Ausweitung dieses Konzeptes im Bereich des Sozialen lieferte der Anthropologe Claude Lévi Strauss (2008 [1967]) auf dessen Ansatz an späterer Stelle noch einmal eingegangen wird (vgl. Kapitel 2.2.2).

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Die Referenzsysteme von Signifikanten sind daher temporär, veränderlich, heterogen und plural, und so verschieben und verändern sich die Bedeutungen der Signifikanten je nach Kontext, je nach aktuellem Referenzsystem (ebd.). Durch die Annahme einer solchen ontologischen Offenheit, Heterogenität und Veränderlichkeit muss in der Konsequenz auch die Auffassung aufgegeben werden, dass Zeichen auf eindeutige Weise an vorgängige Signifikate gekoppelt sind. In der Weiterentwicklung des Saussure’schen Modells konzipiert der französische Philosoph Jacques Derrida die Entstehung der Bedeutung von Zeichen ausschließlich durch ihren Differenzierungsprozess zu anderen Zeichen (vgl. Derrida 2004, S. 137). Innerhalb dieses Referenzsystems gibt es keinen Fixpunkt, sondern nur das »Spiel aufeinander verweisender Signifikanten« (Derrida 2004, S. 17). Entsprechend der Annahme einer permanenten Bewegung dieses Spiels ist, mit Derrida gesprochen, auch keine Wiederholung eines Signifikanten möglich, mit der sich nicht auch seine Bedeutungen verschieben würden. Die Idee, dass mit jeder Wiederholung auch eine Bedeutungsverschiebung einhergeht, fasst Derrida mit dem Begriff der »Iteration« (Derrida 1999, S. 333f.). Das Ergebnis ist eine Überdeterminierung von Signifikanten, die die eindeutige Bestimmung ihrer Bedeutungen nicht mehr möglich macht. Aus einer diskurstheoretischen Perspektive wird das Signifikat durch das Spiel der Signifikanten jedoch nicht etwa irrelevant. Es ist dem Signifikant nur nicht mehr vorgängig, vielmehr wird es erst im Vorgang der Bezeichnung durch den Signifikanten geschaffen. Es handelt sich also um einen »konstitutiven diskursiven Schöpfungsvorgang« (Bublitz 2001, S. 231). Auf diese Art und Weise lässt sich nicht nur die diskursive Herstellung von Bedeutung, sondern auch von sozialen Wirklichkeiten begreifen: »Diskurse sind insofern […] ›Zeichen(ordnungen)‹, als sie das, was sie mit Worten und Begriffen ›bezeichnen‹, zugleich im Akt der Benennung als materiale und soziale Gegenstände hervorbringen, also ihnen zugleich Realitätscharakter verleihen« (ebd., S. 231). Mit einem solchen Verständnis lässt sich beinahe nahtlos an Foucault anknüpfen. Er behandelt »die Diskurse als Praktiken […], die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen« (Foucault 2005 [1969], S. 74). Demnach wird mit jedem Sprechen in irgendeiner Form soziale Realität geschaffen. Während aus einer strukturalistischen Perspektive argumentiert würde, dass für die Verfestigung das ständige Wiederholen entscheidend ist, muss aus

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einer poststrukturalistischen Perspektive eingeschränkt werden, dass eine Verfestigung nie vollständig gelingen kann, da durch die Wiederholung immer – wenn auch nur geringe – Bedeutungsverschiebungen stattfinden. Soziale Wirklichkeiten als Ergebnis konstruktiver, diskursiver Prozesse sind damit immer vielfältig, heterogen, brüchig und Veränderungen unterworfen. 2.1.2 Diskurstheoretische Konzeptionen nach Foucault Foucaults Diskursbegriff zu definieren, ist kein einfaches Unterfangen. Er arbeitete mit einer »offenen Begrifflichkeit« (Landwehr 2004, S. 76), die er seinen Forschungsgegenständen stets anpasste. Dementsprechend hat er selbst den Begriff Diskurs nie klar definiert. »Schließlich glaube ich«, so Foucault, »daß ich, statt allmählich die so schwimmende Bedeutung von Diskurs verengt zu haben, seine Bedeutung vervielfacht habe […], je nachdem wie ich meine Analyse oder ihren Anwendungspunkt verlagerte […]« (Foucault 2005 [1969], S. 116). Mit den folgenden Ausführungen soll nicht versucht werden, all die Dimensionen des Foucault’schen Diskursbegriffes vollständig zu erfassen. Es werden lediglich die Konzepte herausgegriffen, die für die Fragestellung der vorliegenden Studie und damit für die Frage nach der Konstitution und Funktion imaginativer Geographien relevant sind. Entsprechend erfolgen auch Darlegung und Diskussion der Konzepte mit Blick auf die Erkenntnisinteressen dieser Untersuchung. Im Vordergrund stehen erstens, der Diskurs als diskursive Formation, zweitens, das Verhältnis von Diskurs und Gesellschaft sowie drittens, der Komplex von Wahrheit, Wissen und Macht. Diskurs Die Funktion des Diskurses liegt in der Konstitution von Bedeutung und sozialer Wirklichkeit durch Sprache. Wie diese letztendlich aussieht bzw. aussehen kann, hängt von den Regeln ab, nach denen das Sprechen erfolgt, denn: »Nicht alles was sich sagen ließe, wird gesagt; und nicht überall kann alles gesagt werden« (Keller 2004, S. 45). Um die Regelhaftigkeiten des Sprechens und damit die Bedingungen des Sagbaren theoretisch zu greifen, entwirft Foucault in der »Archäologie des Wissens« (2005 [1969]) die Denkfigur der diskursiven Formation. Ihre elementaren Bestandteile stellen Aussagen dar, wobei Aussage als »letztes, unzerlegbares Element […] des Diskurses« (Foucault 2005

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[1969], S. 116) zu verstehen ist. Aussagen zeichnen sich ihm zufolge einerseits durch ein regelmäßiges und wiederholtes Auftauchen im Diskurs auf, andererseits jedoch auch dadurch, dass sie nicht als Einheiten verstanden werden können (ebd., S. 126f.). Die Aussage ist vielmehr eine »[…] Existenzfunktion […], von der ausgehend man durch die Analyse oder die Anschauung entscheiden kann, ob sie ›einen Sinn ergeben‹ oder nicht, gemäß welcher Regel sie aufeinanderfolgen und nebeneinanderstehen, wovon sie ein Zeichen sind und welche Art von Akt sich durch ihre (mündliche und schriftliche) Formulierung bewirkt findet« (ebd., S. 126).

Gleich, um welche Art von Aussage es sich handelt, der hier entscheidende Punkt ist die Existenzfunktion: eine Aussage muss von anderen abgrenzbar sein und mit ihnen in bestimmten Beziehungen stehen (ebd.). Lässt sich im Auftreten einer bestimmten Anzahl von Aussagen eine gewisse Regelhaftigkeit erkennen, so liegt Foucault folgend eine diskursive Formation vor: »In dem Fall, wo man in einer bestimmten Zahl von Aussagen ein ähnliches System der Streuung beschreiben könnte, in dem Fall, in dem man bei den Objekten, den Typen der Äußerung, den Begriffen, den thematischen Entscheidungen eine Regelmäßigkeit (eine Ordnung, Korrelationen, Positionen und Abläufe, Transformationen) definieren könnte, wird man übereinstimmend sagen, daß man es hier mit einer diskursiven Formation zu tun hat. […] Man wird Formationsregeln die Bedingungen nennen, denen die Elemente dieser Verteilung unterworfen sind« (Foucault 2005 [1969], S. 58; Herv. i.O.).

Diskurse lassen sich demnach als »Menge von Aussagen, die dem gleichen Formationssystem zugehören« (ebd., S. 156) begreifen. Die entsprechenden Formationsregeln sind folglich die Bedingungen, die das Auftreten und die Anordnung von Aussagen im Diskurs ermöglichen und steuern,7 und die anhand der Regelmäßigkeiten von (aufge-

7

Die Formationsregeln umfassen Foucaults Ausführungen in der »Archäologie des Wissens« (2005 [1969]) zufolge vier Komplexe: die Formation der Gegenstände, die Formation der Aussagen, die Formation der Begriffe und die Formation der Strategien. Diese sind für die Erarbeitung einer Diskursanalyse im Sinne der Archäologie zentral. Da eine solche Diskurs-

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tretenen) Aussagen in Teilen sichtbar werden. Veranschaulichen lässt sich eine solche Formationsregel am Beispiel der Zensur in syrischen Medien. Auf der Diskursoberfläche (Zeitungstexte, Sendungen im Fernsehen etc.) lassen sich ausschließlich positive und ›neutral‹ wirkenden Aussagen über die syrische Regierung und speziell über den Präsidenten auffinden. Dieser Regelmäßigkeit unterliegt das Verbot (= die Regel), die syrische Regierung öffentlich zu kritisieren, zu beleidigen oder lächerlich zu machen. Entsprechend dieser Konzeptionalisierung von Diskurs zielt eine Diskursanalyse darauf ab, die Regeln und Regelhaftigkeiten aus dem Untersuchungsmaterial herauszuarbeiten, denen die sich dort manifestierenden Diskurse folgen. Dabei erweist sich speziell in empirischen Arbeiten die Offenheit des Foucault’schen Regelbegriffs häufig als problematisch: »[H]e never provides a satisfactory definition of this notion, and its difference from concepts such as ›system‹, ›practice‹, ›law‹, ›structure‹ and ›regularity‹ which he also deploys« (Howarth 2002, S. 127). Bei den Formationsregeln handelt es sich demnach um Regeln, die auf verschiedenen Ebenen liegen und auf verschiedene Arten und Weisen wirken. Auf das Beispiel der syrischen Medien zurückkommend ließen sich auch Regelmäßigkeiten auf der Diskursoberfläche herausarbeiten, die etwa zeigen, dass Nachrichtensprecherinnen stets unverschleiert sind, dass in den nationalen Radiosendern jeden Mittag die Nationalhymne gespielt wird, dass Zeitungen ein bestimmtes Layout haben. Neben den unterschiedlichen Ebenen an Regeln und Regelmäßigkeiten, die hier ineinandergreifen, zeigt sich noch ein weiteres Problem: Nicht aus jeder Regelmäßigkeit lässt ohne Weiteres eine bestimmte Regel und v.a. auch nicht deren gesellschaftliche Reichweite ableiten. Was bedeutet es beispielsweise, wenn immer zehn Männer und nur eine Frau die Meinungsartikel einer Zeitung schreiben? Für empirische Fallstudien bleibt daher nicht aus, zu klären, auf welche Art von Regeln bei der Untersuchung bzw. Herausarbeitung abgezielt wird, auf welche Weise sie im untersuchten Material erkannt werden und wie daraus auf welche Formationsregeln geschlossen wird. Im Falle dieser Studie richtet sich das Augenmerk der eigentlichen Analy-

analyse im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht durchgeführt wird, sollen die vier Komplexe lediglich Erwähnung finden und nicht weiter ausgeführt werden.

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se eher auf die semantische Ebene der Regelhaftigkeiten, die im Text zutage treten. Dabei hebt die Analyse insbesondere auf der Frage ab, welche Regelmäßigkeiten sich in den Verortungen von Eigenem und Anderem durch die in den Medien verhandelten imaginativen Geographien zeigen (vgl. Kapitel 2.2.2). Die Regeln und routinierten Praktiken auf Ebene der Medienorganisationen spielen jedoch insofern eine Rolle, da sie die zu untersuchenden diskursiven Konstruktionen in entscheidendem Maße mit formen, sodass diese sowohl bei der Entwicklung eines Methodensets als auch bei der Diskussion des Ergebnisses berücksichtigt werden müssen (vgl. Kapitel 2.3 und 3.3). Ein weiteres Problem betrifft die Sichtbarkeit von Regelmäßigkeiten an der Diskursoberfläche, denn nicht alle Aussagen sind gleichermaßen sichtbar bzw. ausgesprochen, obwohl sie gesellschaftlich gesagt sind. Darauf weist Foucault selbst hin: »In allen Gesellschaften lässt sich eine Art Gefälle zwischen den Diskursen vermuten: zwischen den Diskursen, die im Auf und Ab des Alltags geäußert werden und mit dem Akt ihres Ausgesprochenwerdens vergehen, und den Diskursen, die am Ursprung anderer Sprechakte stehen, die sie wieder aufnehmen, transformieren oder besprechen – also jenen Diskursen, die über ihr Ausgesprochenwerden hinaus gesagt sind, gesagt bleiben und noch zu sagen sind […]« (Foucault 2003 [1972]), S. 18, Herv. i.O.).

Das im Ungesagten Gesagte kann allein durch die Beschreibung von sichtbaren Regelmäßigkeiten an der Diskursoberfläche nicht erfasst werden. Doch gerade weil diese unausgesprochenen Aussagen trotzdem gesagt sind und gesagt bleiben, gehören sie mit zu den wirkmächtigsten Diskursen. Dieser Aspekt stellt sich in besonderem Maße für die Massenmedien und hier noch einmal mehr für den Bereich der Nachrichten und Berichte, da diese in starkem Maße Wissen voraussetzen, an vorausgesetztes Wissen anknüpfen sowie auf Neuigkeit und Aktualität abheben und weniger auf die Dinge, die ohnehin gesagt sind (vgl. Kapitel 2.3.3). Folglich gilt es auch diesen Aspekt zu berücksichtigen und abzuwägen, welche Art von diskursiven Regelhaftigkeiten auf welche Weisen herausgearbeitet werden können (vgl. Kapitel 2.2.2). Neben den Fragen nach der inneren Struktur von Diskursen ist ferner die Frage nach ihrer Wandelbarkeit relevant, denn diese betrifft eines der poststrukturalistischen Kernargumente gegenüber dem Struk-

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turalismus. Somit dürfen die Formationsregeln Foucault entsprechend »nicht für unbewegliche Blöcke, für statische Formen gehalten werden, die sich von außen dem Diskurs auferlegen und ein für allemal seine Merkmale und Möglichkeiten definieren würden« (Foucault 2005 [1969], S. 108). Sie sind vielmehr als beweglich, veränderbar und brüchig zu begreifen. Sie erhalten damit eine Historizität, »und zwar eine spezifische […], die den Diskurs nicht auf die Gesetze eines unbekannten Werdens zurückführen lässt« (ebd., S. 185). Brüche und Veränderungen, so Foucault an verschiedenen Stellen seiner Werke, werden dadurch hervorgerufen, dass manches Wissen und manche Wahrheiten fragwürdig werden oder auch bedeutende Ereignisse eintreten, durch die Brüche entstehen, neue Diskurse produziert und andere verdrängt werden (vgl. zusammenfassend Bublitz 2003, S. 39). Doch ab wann man es konkret mit einem Ereignis zu tun hat, lässt sich nicht ohne Weiteres klären. In der »Archäologie des Wissens« (2005 [1969]) denkt Foucault bereits das Erscheinen einer einzelnen Aussage als Ereignis, mit der zwangsweise Verschiebungen innerhalb der diskursiven Formation einhergehen, sodass die exakte Wiederholung einer Aussage unmöglich wird und Aussagen nie identisch sein können (Foucault 2005 [1969], S. 187) – ein Gedanke, der sich mit dem Derrida’schen Konzept der »Iteration« vergleichen lässt (1999, vgl. Kapitel 2.1.1). Doch offen bleibt hier, wie sich Diskurse dann einschreiben, wie sie sedimentieren, und so kommt Foucault zu dem Schluss, dass »die Aussage als Eigenheit [hat], wiederholt werden zu können« (Foucault 2005 [1969], S. 153, Herv. i.O.). Den Ausweg aus diesem Widerspruch findet Foucault in der Vorstellung, dass zwei Aussagen, die in einer Perspektive identisch erscheinen, »auf einer feineren Ebene« (ebd., S. 152) als verschieden gelten können. Doch es lässt sich auch immer eine feinere Ebene zwischen Aussagen finden, auf der sich eine Differenz zwischen Aussagen einschreibt, die vorher als identisch angesehen wurden (vgl. dazu Hanke 1999, S. 115). Daher muss die Identifizierung einer Veränderung oder einer Reproduktion von Aussagen bzw. diskursiven Formationen letztendlich immer von der Perspektive des Betrachters und seinem analytischen Blick abhängen. Der Diskurs bewegt sich also »›irgendwo‹ zwischen geregelter Ordnung und ungeregelter Ereignishaftigkeit« (Bublitz 2003, S. 49). In der »Ordnung des Diskurses« (Foucault 2003 [1972]) wird die Ereignishaftigkeit als Eigenschaft des Diskurses weiter ausgearbeitet. Bevor dies jedoch ausgeführt wird, soll hier abschließend auf die Rolle des

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Subjekts im Zusammenhang mit dem bisher dargelegten Verständnis von Diskurs eingegangen werden. Im Kontext dieser Studie ist die Subjektkonzeption Foucaults insbesondere für die Frage nach Prozessen der diskursiven Identitätsbildung zentral. In seinen Werken taucht das Subjekt auf zweifache Art und Weise auf. Zum einen (re)produzieren Diskurse Subjekte, wie z.B. den Wahnsinnigen oder den Kriminellen (Foucault 2003 [1972]). Sie klassifizieren Subjekte und ordnen damit die Gesellschaft entlang von dynamischen Grenzen zwischen Norm und Abweichung, Gesundheit und Krankheit, Eigenem und Anderem etc. In den Medien zeigt sich dies beispielweise durch die Differenzierung von Muslimen und NichtMuslimen, von Zivilisierten und Nicht-Zivilisierten, von Terroristen und Nicht-Terroristen sowie anhand ihrer jeweiligen Merkmalszuschreibungen. Zum anderen erscheinen Subjekte auf den Diskursoberflächen im Rahmen von Subjektpositionen, von denen aus das Subjekt spricht (vgl. Foucault 2005 [1969], S. 23ff., sowie 2003 [1972], S. 26ff.). Dabei ist das Subjekt nicht Schöpfer eines Textes, denn die Möglichkeit, dass eine sprechende Person etwas äußert, meint oder meinen kann, wird schon vor der Ebene der Äußerung gesteuert: »So gesehen ›spricht‹ aus einem Text oder Textbestandteil […] eine Tradition des Denkens, ›Fühlens‹, Meinens oder Redens, in welcher das einzelne Subjekt nur die konkret-verwirklichende Instanz […] ist, welche historisch gesehen vielmals vorformuliert, vorgedacht und ›vorgefühlt‹ ist« (Busse 1997, S. 18). Die vielfältigen Diskurse schaffen damit ein »heterogenes Ensemble von Orten, die als Positionen regulierter Redeweisen den Subjekten erst ermöglichen zu sprechen« (Stäheli 2000, S. 48). Ein Beispiel für eine Subjektposition ist eine Journalistin der Zeitung al-Hayat. Doch das Subjekt lässt sich nicht nur auf die eine Position reduzieren, denn die Journalistin kann zugleich auch Mutter, Freundin, Französin mit einem libanesischen Migrationshintergrund und bekennende Muslima sein. Aus dieser Heterogenität und Vielfältigkeit an unterschiedlichen Subjektpositionen sowie der Vorherrschaft des Diskursiven gegenüber dem Subjekt resultiert schließlich eine Dezentrierung, mit der die Annahme eines autonom handelnden und selbstidentischen Subjekts aufgegeben wird (ebd.). Diese beiden Denkfiguren, das diskursiv produzierte Subjekt sowie die Subjektposition, bilden die Grundlage für die Konzeptionalisierung von Identitätsbildung im Rahmen der Diskurstheorien. Offen

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bleibt hier allerdings noch, wie beide Denkfiguren miteinander zusammenhängen. Subjekt und Subjektposition lassen sich keinesfalls gleichsetzen, denn ein Subjekt verfügt nicht automatisch über eine Position von der aus es zu sprechen in der Lage ist, wie z.B. der Wahnsinnige im Diskurs des Vernünftigen. Offen bleibt darüber hinaus, wie der diskursive Prozess zur Herausbildung von Eigenem und Anderem und damit von den imaginativen Geographien des Eigenen und des Anderen gedacht werden kann. Hilfreiche Weiterentwicklungen für diese Fragen liefern die diskurstheoretischen Ansätze von Laclau und Mouffe, die dann im Anschluss an die diskurstheoretischen Ansätze Foucaults aufgegriffen werden (vgl. Kapitel 2.1.3). Diskurs und Gesellschaft Gegenüber dem Diskurskonzept, das Foucault in der »Archäologie des Wissens« (2005 [1969]) entwickelt hat, tritt in seinem etwas später erschienenen Werk »Die Ordnung des Diskurses« (2003 [1972]) eine neue Größe hinzu. Es handelt sich um eine Macht in Form von gesellschaftlichen Systemen, die den Diskurs begrenzen. Foucault legt hier dar, wie der Diskurs durch gesellschaftliche Machtverhältnisse in seiner spezifischen Form ins Leben gerufen, gesteuert und kontrolliert wird. Somit wird das Verhältnis von Diskurs und Gesellschaft reziprok: der Diskurs, der Gesellschaftsverhältnisse (re)produziert, wurde und wird selbst durch Gesellschaftsverhältnisse hervorgebracht (vgl. dazu ausführlicher Seier 1999, S. 75). Ausgangspunkt dieser Überlegung ist die Eigenschaft der Ereignishaftigkeit und des daraus folgenden endlosen Wucherns des Diskurses. Dies stellt Foucault zufolge fortwährend eine Gefahr dar und erzeugt »eine Angst vor jener Masse von gesagten Dingen, vor dem Auftauchen all jener Aussagen, […] vor jenem großen, unaufhörlichen und ordnungslosen Rauschen des Diskurses« (Foucault 2003 [1972], S. 33). Um all die Dinge, die potenziell gesagt werden können zu beschränken, um diese »Unordnung zu organisieren«, das »unberechenbar Ereignishafte zu bannen« und das »Unkontrollierbarste zu vermeiden« geht Foucault davon aus, »daß in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird – und zwar durch gewisse Prozeduren […]« (ebd., S. 11). Hierbei identifiziert er sowohl innere Kontrollmechanismen des Diskurses als auch äußere Ausschließungs- und Verknappungssysteme:

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Unter die Ausschließungssysteme fasst Foucault das verbotene Wort, die Grenzziehung zwischen Wahnsinn und Vernunft, sowie die Grenzziehung zwischen wahr und falsch. Übertragen auf die Fragestellung der vorliegenden Studie ist die Wirksamkeit dieser Ausschließungssysteme auch für die Diskurse der Printmedien nachvollziehbar, insbesondere was die Bereiche Nachrichten und Berichte betrifft, denn es kommt nur zur Sprache, was erlaubt ist und was als wahr und vernünftig gilt. Das Verbotene, das Wahnsinnige und das Falsche werden diskursiv ausgeschlossen (vgl. Kapitel 2.3.2). Neben den Ausschließungssystemen macht Foucault auch interne Prozeduren der Kontrolle und Einschränkung aus, »mit denen Diskurse ihre eigene Kontrolle selbst ausüben« (ebd., S. 17). Sie umfassen den Kommentar (er unterwirft den Zufall des Diskurses durch unendliche Wiederholung), das Prinzip des Autors (der Diskurs wird der Identität eines Schöpfersubjektes unterworfen) und die Disziplinen (sie zwängen den Diskurs in eine Vielfalt von Regelsystemen). Während der Kommentar einen bekannten Text wiederholt und der Autor einen Text bezeugt, zeichnet die Disziplin sich durch ihre Zukunftsorientierung aus (Ruoff 2007, S. 222f.), denn in der Disziplin wird das vorausgesetzt, »was für die Konstruktion neuer Aussagen erforderlich ist. Zur Disziplin gehört die Möglichkeit, endlos neue Sätze zu formulieren« (Foucault 2003 [1972], S. 22). Ihre Verknappungsfunktion liegt dabei in der Vielfalt von Regelsystemen, durch die sie die Produktion des Diskurses kontrolliert (ebd., S. 25). Foucault erläutert dies am Beispiel der Medizin und der Botanik (ebd. 25ff.), doch es lässt sich zumindest in Ansätzen auch auf die Massenmedien übertragen, denn auch diese unterliegen dem Gebot Neues zu produzieren und werden von vielfältigen Regelsystemen gesteuert (vgl. Kapitel 2.3.3). Bei der dritten Gruppe der Prozeduren, die die Kontrolle des Diskurses ermöglichen, handelt es sich um die Verknappung der sprechenden Subjekte (ebd., S. 26). Nicht alle Diskurse bzw. Regionen der Diskurse sind für jedes Subjekt zugänglich. Manche sind stark abgeschirmt, wie z.B. Diskurse, die in den Wissenschaften produziert werden. So können Subjekte nur an diesen teilnehmen, sofern sie dazu qualifiziert sind. Wissen wird also in Institutionen nach bestimmten Regeln erworben und verwaltet, wodurch

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die Produktion der Diskurse gesteuert wird (ebd.). Für die Massenmedien gilt, dass die Öffentlichkeit prinzipiell Zugang zu ihren Informationen hat, doch sprechen können durch sie nur bestimmte Subjekte; dies ist insbesondere im Pressewesen der Fall (vgl. Kapitel 3.2.1). Die hier beschriebenen Prozeduren der Einschränkung und der Kontrolle des Diskurses lassen sich auf verschiedene Arten und Weisen auch in den Printmedien al-Hayat, Asharq Alawsat und al-Quds al-Arabi wiederfinden, die im Rahmen dieser Studie untersucht werden. Dementsprechend formen sie die in diesen Zeitungen konstruierten imaginativen Geographien auf entscheidende Weisen mit. Da die Ergebnisse der Medienanalyse auch auf ihre gesellschaftlichen Bedeutungen hin diskutiert werden sollen, erscheint es unerlässlich, die relevanten Prozeduren herauszuarbeiten und zu prüfen, auf welche Weise sie in den untersuchten Medien wirken. Wie machen sich in al-Hayat, in Asharq Alawsat und in al-Quds al-Arabi beispielshalber das verbotene Wort sowie die Grenzziehung zwischen wahr und falsch bemerkbar? Oder: Nach welchen Regeln wird hier überhaupt etwas zur Nachricht und zur Meinung? Die theoretischen Vorüberlegungen erfolgen in Kapitel 2.3 aus medientheoretischen Ansätzen heraus, die dann in Verbindung mit der Zusammenstellung der Datenkorpora sowie mit der Entwicklung eines Methodensets noch einmal genauer beleuchtet werden (vgl. Kapitel 3.3). Doch zuvor sollen die weiteren diskurstheoretischen Grundlagen geklärt werden. Hierzu gehört ein »Kernbegriff« des Foucault’schen Werkes (Ruoff 2007, S. 146), von dem in den bisherigen Ausführungen bereits an vielen Stellen die Rede war. Es handelt sich um ›die Macht‹, die im Rahmen dieser Untersuchung v.a. im Zusammenhang mit der (Re)Produktion von Wissen und Wahrheit eine Rolle spielt. Wissen, Wahrheit und Macht Foucault ging es in seinen Arbeiten stets darum, vermeintliche Wahrheiten und Objektivitäten zu hinterfragen und zu untersuchen, wie durch das Wahrsprechen dominierende Wirklichkeitsvorstellungen diskursiv produziert werden und wie diese das Denken, Sprechen und Handeln von Subjekten konstituieren (ebd., S. 146ff.). Macht manifestiert sich dabei auf verschiedene Arten und Weisen.

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Insofern Diskurse Träger von Wissen sind, zeigt sich Macht bereits darin, dass etwas überhaupt erst zum Gegenstand des Wissens wird (vgl. Bublitz 2001, S. 230). Und insofern Diskurse Praktiken sind, »die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen« (Foucault 2005 [1969], S. 74), stellen die auf diese Weise gebildeten Gegenstände – und damit soziale Wirklichkeiten – nichts anderes als einen Effekt von Macht dar. Die Funktion des Wissens liegt aus dieser Perspektive darin, Wahrheiten zu garantieren. Der Wahrheitsbegriff erhebt hier keinen erkenntnistheoretischen Anspruch, sondern bezieht sich auf das Wahrsprechen unter ganz bestimmten Regeln und so ist Wahrheit nichts anderes, als ein Produkt des Diskurses (vgl. zusammenfassend Ruoff 2007, S. 233). Für die Verfestigung produzierter Wahrheiten ist eine sich ständig wiederholende 8 und zitierende Praxis maßgeblich, denn auf diese Weise werden sie »diskursiv eingeschrieben« (Bublitz 2003, S. 62). Die Macht des Wahrsprechens ist Foucault folgend einem jeden Denksystem immanent, das sich von Epoche zu Epoche und Gesellschaft zu Gesellschaft unterscheidet. Jede Gesellschaft hat demzufolge ihre eigene Ordnung der Wahrheit: »Sie akzeptiert bestimmte Diskurse, die sie als wahr funktionieren läßt; es gibt Mechanismen und Instanzen, die eine Unterscheidung von wahren und falschen Aussagen ermöglichen und den Modus festlegen, in dem die einen oder anderen sanktioniert werden; es gibt einen Status für jene, die darüber zu befinden haben, was wahr ist und was nicht« (Foucault 1978, S. 51).

Man befindet sich also nur im Wahren, wenn man den Regeln des Diskurses gehorcht (ebd., S. 25). Produzierte Wahrheiten sind im poststrukturalistischen Sinne jedoch nicht statisch, sie können fragwürdig werden und verändern sich. Überdies wird nicht nur die eine, in sich konsistente Wahrheit produziert. Aufgrund der Vielzahl und der Heterogenität der Diskurse wird eine Vielzahl konkurrierender Wahrheiten

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Wiederholung ist im Anschluss an das Konzept der »Iteration« nach Derrida (vgl. Kapitel 2.1.1) sowie des »Aussageereignisses« nach Foucault (vgl. Kapitel 2.1.2) nun nicht mehr als eine Eins-zu-Eins-Wiederholung zu verstehen, sondern stets als eine Wiederholung mit der, wenn auch nur ganz geringfügige, Verschiebungen im Diskurs einhergehen.

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hervorgebracht, einige erlangen einen hegemonialen Status, andere werden marginalisiert. Das Verhältnis von Macht und Wahrheit nach Foucault kann als ein »fundamentales Willensprinzip« (Fink-Eitel 2002, S. 7) charakterisiert werden, welches er in der »Ordnung des Diskurses« (2003 [1972]) als eine den Diskurs bezwingende Prozedur beschreibt (s.o.). Der Wille zur Wahrheit ist ein Wille zur Macht, denn »[…] was ist […] im Willen zur Wahrheit, im Willen den wahren Diskurs zu sagen, am Werk – wenn nicht das Begehren und die Macht?« (Foucault 2003 [1972], S. 17). Der wahre Diskurs ist demzufolge dasjenige, »worum und womit man kämpft; er ist die Macht, derer man sich zu bemächtigen sucht« (ebd., S. 11). Der Diskurstheorie Foucaults nach ist Macht keine einer Einzelperson oder einer regierenden Gruppe zuschreibbare Eigenschaft. »Diese Macht ist nicht so sehr etwas, was jemand besitzt, sondern vielmehr etwas, was sich entfaltet […]« (Foucault 1992, S. 38). In seinen Arbeiten, die nach »der Archäologie des Wissens« (2005 [1969]) und »der Ordnung des Diskurses« (2003 [1972]) folgten, hat er noch weitere Konzepte von Macht ausgearbeitet (vgl. dazu Ruoff 2007, S. 146ff.) und insbesondere in späteren Werken ihre produktive Seite hervorgehoben: »Wenn […] [die Macht] nur repressiv wäre, wenn sie niemals etwas anderes tun würde als nein sagen, ja glauben Sie dann wirklich, daß man ihr gehorchen würde? Der Grund dafür, daß Macht herrscht, daß man sie akzeptiert, liegt einfach darin, daß sie nicht nur als neinsagende Gewalt auf uns lastet, sondern in Wirklichkeit die Körper durchdringt, Dinge produziert, Lust verursacht, Wissen hervorbringt, Diskurse produziert; man muß sie als produktives Netz auffassen, das den ganzen sozialen Körper überzieht und nicht so sehr als negative Instanz, deren Funktion in der Unterdrückung besteht« (Foucault 1978, S. 35).

Nach einem solchen Verständnis ist auch die Macht in den Massenmedien omnipräsent, denn es sind zu großen Teilen die Massenmedien, die unsere Vorstellungen von der Welt produzieren und auf diese Weise unsere Gesellschaft mit formen. Dies lässt sich vielleicht nicht zwingend für jede Gesellschaft behaupten. Auch für diese Studie stellt sich die Frage, welche gesellschaftliche Rolle den hier untersuchten Zeitungen überhaupt zukommt und welche Macht ihnen inhärent ist. Entsprechende Vorüberlegungen erfolgen in Kapitel 2.3.

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2.1.3 Diskurstheoretische Konzeptionen nach Laclau und Mouffe Wie Michel Foucault gehen auch Ernesto Laclau und Chantal Mouffe von der Überlegung aus, dass was immer wir sagen, denken und tun, durch Diskurse bedingt wird, die sich wiederum beständig durch das verändern, was wir sagen, denken und tun (vgl. Torfing 2005, S. 14). Ihre Diskurstheorie entwerfen sie in ihrem Werk »Hegemonie und radikale Demokratie« (Laclau und Mouffe 2006 [1985]) als eine politische Theorie der Hegemonie, in der sie Ansätze des Strukturalismus, Poststrukturalismus und Marxismus zusammenführen. Dabei greifen sie u.a. auf die Arbeiten Foucaults zurück und entwickeln seine diskurstheoretischen Ansätze im Rahmen ihres Projektes weiter. Für die vorliegende Studie sind unter ihren Weiterentwicklungen besonders zwei Aspekte relevant: Es handelt sich zum einen um ihre Konzeptionalisierung von Identität, mit deren Hilfe der diskursive Prozess zur Herausbildung von imaginativen Geographien des Eigenen und Anderen konkreter gefasst werden kann. Zum anderen handelt es sich um ihr Verständnis von Hegemonie. Dies ist hier in erster Linie für die Fragen nützlich, welche imaginativen Geographien in den untersuchten Medien einen hegemonialen Status einnehmen und welche marginalen durch die hegemonialen hindurch sprechen, sie herausfordern und Potenzial für Veränderungen in sich bergen. In ihren Ausführungen knüpfen Laclau und Mouffe an Foucaults Konzept der diskursiven Formation sowie an die Idee der untrennbaren Verflechtung von Macht und Diskurs an. Dabei zeigen sich in ihren Ansätzen einige Unterschiede zu denjenigen Foucaults. Darüber hinaus verwenden sie in überwiegendem Maße auch andere Begrifflichkeiten, sodass im Folgenden kurz ihr Verständnis von Diskurs skizziert werden muss, bevor die hier zentralen Aspekte von Hegemonie sowie Identitätsbildung dargelegt werden können. Im Zuge dessen werden auch hier Fragen und Probleme aufgezeigt, um die Weiterentwicklung des theoretischen Grundgerüsts zu ermöglichen. Diskurs Laclau und Mouffe greifen die strukturalistische Idee des Zeichensystems auf (vgl. Kapitel 2.1.1), innerhalb dessen alle Zeichen ihre Bedeutung durch ihre Beziehungen zu anderen Zeichen erhalten. Sie folgen ebenfalls der poststrukturalistischen Kritik, die an der Abgeschlos-

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senheit und Eindeutigkeit dieses Differenzsystems ansetzt, sodass in der Konsequenz Zeichen als überdeterminiert verstanden werden müssen, deren Bedeutung sich nicht eindeutig fixieren lässt. Daran knüpfen Laclau und Mouffe mit der Überlegung an, dass »[d]ie Unmöglichkeit einer endgültigen Fixiertheit impliziert, daß es partielle Fixierungen geben muß« (Laclau und Mouffe 2006 [1985], S. 150, Herv. S.H.d.A.). Denn ohne eine partielle Fixierung von Bedeutung wäre kaum ein Sprechen und Denken möglich, aus diskurstheoretischer Perspektive gäbe es damit für uns weder eine Gesellschaft, noch eine soziale Wirklichkeit. Um diese partiellen Fixierungen konzeptionell zu fassen, verwenden Laclau und Mouffe den Diskursbegriff. Ihrem Verständnis nach obliegt es dem Diskurs, dem unaufhörlichen Gleiten der Signifikanten Einhalt zu gebieten. »Jedweder Diskus konstituiert sich als Versuch, […] das Fließen der Differenzen aufzuhalten […]« (ebd.). Doch da keine vollständigen Fixierungen möglich sind, sondern nur partielle und temporäre, muss der Diskurs in seinem Versuch der vollständigen Fixierung zwangsweise immer wieder scheitern. Das unaufhörliche Fließen der Differenzen nach Laclau und Mouffe lässt sich in gewisser Hinsicht mit der Foucault’schen Idee vom unaufhörlichen Wuchern der Diskurse parallelisieren, das in seine Schranken gewiesen werden muss, um gesellschaftliches Denken und Sprechen überhaupt zu ermöglichen. In beiden Konzeptionen muss Ordnung geschaffen werden, doch diese Ordnung wird zugleich durch das bedroht und unterminiert, was sie auszuschließen bzw. in den Griff zu bekommen sucht: die Vielzahl der anderen möglichen Bedeutungen nach Laclau und Mouffe, die Eigenschaft der Ereignishaftigkeit des Diskurses nach Foucault. Die Folge ist ein Machtkampf zwischen Diskursen, um bestimmte Bedeutungen zu fixieren, bzw. ein Machtkampf um das Wahrsprechen (vgl. Kapitel 2.1.2). Wie der Versuch, Bedeutung zu fixieren, vonstattengeht, fassen Laclau und Mouffe wie folgt zusammen: »[…] [Wir] bezeichnen […] als Artikulation eine jede Praxis, die eine Beziehung zwischen Elementen so etabliert, daß ihre Identität als Resultat einer artikulatorischen Praxis modifiziert wird. Die aus der artikulatorischen Praxis hervorgehende strukturierte Totalität nennen wir Diskurs. Die differentiellen Positionen, insofern sie innerhalb eines Diskurses artikuliert erscheinen, nennen wir

Momente. Demgegenüber bezeichnen wir jede Differenz, die nicht diskursiv

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artikuliert ist, als Element« (Laclau und Mouffe 2006 [1985], S. 141, Herv. i.O.)

Wie aus diesem Zitat hervorgeht, unterscheiden Laclau und Mouffe analytisch zwischen Momenten und Elementen, wobei Momente alle differentiellen Positionen 9 darstellen, deren Bedeutungen in einem spezifischen Diskurs partiell fixiert wurden. Alle differentiellen Positionen in einem Diskurs sind also Momente. Elemente hingegen umfassen die Bedeutungen, die durch den spezifischen Diskurs im Zuge der partiellen Fixierung ausgeschlossen wurden. Um die Momente in ihrer Anordnung und in ihren Relationen zueinander zu beschreiben, greifen sie auf das Konzept der diskursiven Formation von Foucault zurück und verstehen diese – in ihren Entwurf übersetzt – »als Ensemble differentieller Positionen« (Laclau und Mouffe 2006 [1985], S. 142). »Der Typus von Kohärenz, den wir einer diskursiven Formation zuschreiben, ist […] die Regelmäßigkeit in der Verstreuung [differentieller Positionen]« (ebd.). Die Etablierung einer diskursiven Formation geschieht, indem bestimmte Bedeutungen partiell fixiert und dadurch alle anderen potenziell möglichen Bedeutungen ausgeschlossen werden (vgl. zusammenfassend Jørgensen und Phillips 2006, S. 26). Diese ausgeschlossenen Bedeutungen bezeichnen Laclau und Mouffe in ihrer Gesamtheit als »Feld der Diskursivität« (Laclau und Mouffe 2006 [1985], S. 149); es verkörpert das konstitutive Außen der spezifischen diskursiven Formation. Da eine vollständige Fixierung von Bedeutung nicht möglich ist, handelt es sich bei der Unterscheidung zwischen fixierten und ausgeschlossenen Bedeutungen, zwischen Elementen und Momenten lediglich um eine analytische Trennung: »Der Übergang von Elementen zu Momenten ist niemals gänzlich vollzogen« (Laclau und Mouffe 2006 [1985], S. 148, Herv. S.H.d.A.). Die »relationale Logik« innerhalb der diskursiven Formation wird daher »unvollständig und von Kontingenz durchdrungen« (ebd.). Es öffnet sich damit ein Raum, der die diskursive Formation permanent gefährdet: »[…] its unity is in danger of

9

Während im Derrida’schen Konzept (vgl. Kapitel 2.1.1) von Zeichen gesprochen wird, wird hier der Begriff der differentiellen Position verwendet, da es eben nicht nur das Sprachliche, sondern auch das Soziale ist, auf das Laclau und Mouffe ihre Theorie beziehen.

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being disrupted by other ways of fixing the meaning […]« (Jørgensen und Phillips 2006, S. 28). In empirischen Arbeiten erweist sich die Unterscheidung von Elementen und Momenten v.a. dann als schwierig, wenn sich in ihren Untersuchungsgegenständen mehrere, heterogene Diskurse und damit auch eine Heterogenität an Momenten manifestieren, sodass in den Signifikanten Elemente und Momente zusammenfließen (vgl. dazu auch Laclau 2007, S. 131ff.).10 Ein Text, beispielsweise ein Ausschnitt eines Zeitungsartikels, ist stets polysem. Dieses Problem vervielfältigt sich noch einmal durch die zahlreichen Übersetzungsprozesse,11 die in empirischen Arbeiten getätigt werden, denn mit jeder Übersetzung finden Bedeutungsverschiebungen statt (vgl. Kapitel 3.4.1). Im Zusammenhang mit der Operationalisierung der Theorie sowie der Entwicklung eines Analyseverfahrens wird dieser Aspekt noch einmal thematisiert (vgl. Kapitel 3.3), bis dahin wird mit den Begriffen Element und Moment dezidiert als analytische Kategorien gearbeitet. Diskurse bzw. diskursive Formationen sind Laclau und Mouffe zufolge das Resultat einer artikulatorischen Praxis. Mit dem Begriff »Artikulation« bezeichnen sie die Praktik, die eine Beziehung zwischen Elementen herstellt, so dass ihre Bedeutungen verändert werden und sie im Übergang zum Status des Moments neue Bedeutungen partiell fixieren. Spezifische Artikulationen (re)produzieren den Diskurs oder fordern ihn heraus, wobei jedoch auch hier das Prinzip der »Iteration« (Derrida, 1999, vgl. Kapitel 2.1.1) gilt. Damit ist jede Artikulation immer auch eine Innovation, denn die Wiederholung einer Artikulation ist ohne jegliche Verschiebung von Bedeutung vor einem poststrukturalistischen Hintergrund nicht möglich. Nach diesem Verständnis interveniert eine Artikulation stets auf eine spezifische Weise in die partiell fixierten Bedeutungsstrukturen, allerdings kann dieses Intervenieren – ähnlich wie die (un)mögliche Wiederholung einer Aussage im Foucault’schen Sinne – als Reproduktion bestehender Strukturen auf-

10 Diesen Aspekt hat Laclau in seinem späteren Werk »On populist reason« mit dem Konzept des »flottierenden Signifikanten« (Laclau 2007, S. 131) aufgegriffen. 11 Hierbei handelt es sich nicht nur um Übersetzungen im linguistischen Paradigma, sondern auch um Übersetzungen aus und in unterschiedliche Theorien, aus der Theorie in die Methodik und umgekehrt, aus Kontexten der Massenmedien in diejenigen der Wissenschaft u.ä. (vgl. Kapitel 3.5).

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gefasst werden, wenn sie der oder dem Forschenden in ihren oder seinen analytischen Kategorien als Wiederholung erscheint (vgl. Kapitel 2.1.2). Hegemonie Nachdem nun die Konzeptionalisierung von Diskurs nach Laclau und Mouffe skizziert wurde, lässt sich daran mit ihrer Theoretisierung von Hegemonie anschließen, die im Hinblick auf die Frage nach der Dominanz und Marginalität imaginativer Geographien von zentraler Bedeutung ist. Laclau und Mouffe haben ihre Hegemonietheorie aus der Lektüre marxistischer Theorie, insbesondere der Hegemonietheorie des Philosophen Antonio Gramsci, heraus entwickelt und in ihre Diskurstheorie integriert. An ihr oben dargelegtes Verständnis von Diskurs anknüpfend lässt sich Hegemonie als »hegemoniale Formation« (Laclau und Mouffe 2006 [1985], S. 184) und in diesem Sinne als die Vorherrschaft einer diskursiven Formation begreifen. Alternative Formationen werden so weit unterdrückt, dass spezifische soziale Wirklichkeiten, welche durch die hegemonialen diskursiven Formationen bestimmt werden, als wahr und natürlich gegeben erscheinen (ebd., S. 175ff.; zusammenfassend Jørgensen und Phillips 2006, S. 47ff.). Letztendlich muss jedoch jeder Versuch, eine permanente soziale Wirklichkeit zu etablieren, und damit jede hegemoniale diskursive Formation zwangsweise scheitern, da Bedeutung nicht vollständig fixiert werden kann. Sie wird stets durch Alternativen bedroht, die mehr oder minder erfolgreich sein können, sodass sie fortwährend – wenn auch nur geringfügigen – Veränderungen unterliegen. Veränderungen und Umstürze von hegemonialen Formationen können jedoch auch durch spezifische Ereignisse erfolgen. Ähnlich wie Foucault von Diskontinuitäten und Brüchen spricht (2007, S. 34ff.), arbeitet Laclau in späteren Werken die Idee der Dislokation aus. Sie entsteht durch ein Ereignis, welches plötzlich auftritt, die Ordnung des Diskurses (nach Foucault) bzw. die hegemoniale Formation (nach Laclau und Mouffe) ver- oder zerstört, da es sich weder aus ihr heraus erklären lässt, noch in sie integriert werden kann. Die hegemoniale Formation wird disloziert, wenn sie mit neuen Ereignissen konfrontiert wird, die sie nicht im Stande ist, zu greifen (vgl. Laclau 1990, S. 39ff.). Relevant ist diese Idee für die vorliegende Untersuchung insofern, als dass eine Dislokation der diskursiven Formationen in den Medien auch einen Bruch, eine Verschiebung oder eine Zerstö-

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rung der hier verhandelten imaginativen Geographien zur Folge hätte. Als Paradebeispiel für ein solches Ereignis wird in kultur- und kommunikationswissenschaftlichen Arbeiten häufig 9/11 genannt (vgl. Poppe, Schüller und Seiler 2009; Weichert 2006). Der französische Medientheoretiker Jean Baudrillard spricht auch von 9/11 als »Mutter aller Ereignisse« (2002, S. 11), denn es verstörte die Mediendiskurse so weit, dass sämtliche Programmabläufe unterbrochen wurden, Unfähigkeit zur Erklärung herrschte und weltweit häufig kommentarlos immer wieder dieselben Bilder abgespielt wurden (vgl. Gregory 2004, S. 25). In »öffentlichen Diskursen der westlichen Welt« (Schüller 2009, S. 21) war in zunehmendem Maße von einer »Zäsur« (ebd.; vgl. Beiträge in Poppe, Schüller und Seiler 2009) oder einer neuen Weltordnung die Rede (vgl. Hetzel 2004). Eine Dislokation stellt einerseits eine Krise dar, auf der anderen Seite bietet sie jedoch auch die Chance für Neues, da sich mit ihr das Feld für einen diskursiven Machtkampf um die Fixierung von Bedeutung wieder öffnet. Die Entscheidungen, die im Zuge der partiellen Bedeutungsfixierungen getroffen werden, können nicht rationaler Art sein, da sie nicht auf die etablierten Sinngefüge zurückgreifen können; sie müssen deshalb stets kreativ und innovativ sein. Es handelt sich um eine »paradoxe[-] Ausgangslage«, da »das Unentscheidbare« entschieden werden muss (Stäheli 1999, S. 152). Genau darin zeigt sich auch das Politische: Es entspricht dem Ensemble jener Entscheidungen, die auf einem unentscheidbaren Terrain getroffen worden sind (ebd.). Welche diskursive Formation sich letztlich als eine neue hegemoniale Struktur etablieren kann, hängt Laclau folgend von ihrer Verfügbarkeit und ihrer Glaubwürdigkeit ab (Laclau 1990, S. 39ff.). Die Artikulationen, die die neue hegemoniale diskursive Formation konstituieren und damit die diskursiven Auseinandersetzungen vorläufig überlagern, werden als hegemoniale Interventionen bezeichnet: »Articulations that manage to provide a credible principle upon which to read past, present and future events, and capture people’s hearts and minds become hegemonic« (Torfing 2005, S. 15). Wenn im Rahmen der vorliegenden Studie nun von hegemonialen imaginativen Geographien gesprochen wird, dann sind damit im Anschluss an das hier dargelegte Verständnis von Hegemonie räumliche Identitätskonstruktionen gemeint, die einen Status einnehmen, der sie als natürlich, als so und nicht anders gegeben erscheinen lässt (vgl. dazu ausführlicher Kapitel 2.3.4). Diese können damit als Bestandteile

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vorherrschender diskursiver Formationen aufgefasst werden, sodass genau wie sie auch die imaginativen Geographien stets von alternativen Formen der Bedeutungsfixierung bedroht und untergraben bzw. durch spezifische Ereignisse über den Haufen geworfen werden können. Übertragen von Theorie auf Empirie muss jedoch hervorgehoben werden, dass es zuweilen gar nicht so unproblematisch ist, Dislokationen, Hegemonialität und Marginalität festzustellen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich im Datenkorpus eine Vielzahl an unterschiedlichen Diskursen niederschlägt, wie es beispielsweise in den Massenmedien der Fall ist. Ähnlich wie die Definition eines Ereignisses nach Foucault (vgl. Kapitel 2.1.2) hängt das Erkennen einer Dislokation oder einer hegemonialen Formation dann zumeist vom analytischen Blick der oder des Forschenden ab. Identität Die diskurstheoretischen Grundlagen abschließend wird nun das Konzept der Identitätsbildung nach Laclau und Mouffe dargelegt, welches im Rahmen dieser Arbeit angewendet wird. Ausgangspunkt dafür ist das Subjekt, welches Laclau und Mouffe in »Hegemonie und radikale Demokratie« (2006 [1985]), zunächst an Foucault angelehnt, mit der Idee der Subjektposition fassen: »Wann immer wir in diesem Text die Kategorie des ›Subjekts‹ verwenden, werden wir dies im Sinne von Subjektpositionen innerhalb einer diskursiven Struktur tun. […] Da jede Subjektposition eine diskursive Position ist, hat sie an dem offenen Charakter eines jeden Diskurses teil; infolgedessen können die vielfältigen Positionen nicht gänzlich in einem geschlossenen System von Differenzen fixiert werden« (Laclau und Mouffe 2006 [1985], S. 153).

Entsprechend des Diskursverständnisses von Laclau und Mouffe lässt sich nicht nur ein Zeichen aufgrund der Vielzahl an möglichen Bedeutungen, die es in sich tragen kann, als überdeterminiert begreifen, sondern auch das Subjekt: »Die Subjektkategorie wird von demselben vieldeutigen, unvollständigen und polysemischen Charakter durchdrungen, den die Überdeterminierung jeder diskursiven Identität zuschreibt« (ebd., S. 161). Die Konsequenz daraus ist, dass ebenso wie der Diskurs, der nach einer vollständigen Fixierung von Bedeutung strebt und in seinem Fixierungsversuch zwangsweise scheitern muss, auch das Subjekt in seinem Bestreben nach Ganzheit scheitert. Laclau

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und Mouffe sprechen in diesem Zusammenhang vom »Begehren nach einer Fülle, die permanent aufgeschoben bleibt« (ebd.). Diese Konzeptionalisierung von Subjekt hat Laclau in späteren Werken weiter ausgearbeitet (vgl. Laclau 1990, 1994, 2002b). Anknüpfend an den Philosophen und Kulturkritiker Slavoj ±iµek sowie an den Psychoanalytiker Jacques Lacan präzisiert er hier das Zusammenspiel von Subjekt und Diskurs und definiert es im Sinne eines konstitutiven Mangels. Demnach empfinden Subjekte die Unabgeschlossenheit und das ständige Gleiten von Bedeutung und Identität als einen Mangel, den es zu überwinden gilt, um zu einer vollständigen, d.h. abgeschlossenen Identität zu gelangen. Da dies jedoch nicht gelingen kann, treibt der Mangel das Subjekt auf unaufhörliche Weise an, sich mit verschiedenen Subjektpositionen zu identifizieren (vgl. zusammenfassend Jørgensen und Phillips 2006, S. 42f.). Mit dieser Konzeption wird auch der politische Spielraum des Subjektes weiter geöffnet. Während in »Hegemonie und radikale Demokratie« (Laclau und Mouffe 2006 [1985]) das Subjekt im Wesentlichen als Moment der diskursiven Struktur gedacht wird, ist es nun das Subjekt, welches sich mit Subjektpositionen identifiziert, d.h. ihm wird eine aktive Rolle zugeschrieben. Allerdings handelt es sich nicht um die aktive Rolle eines sich zwischen mehreren Optionen rational entscheidenden Subjektes. Im Gegenteil, der Moment des Subjekts entsteht, wenn sich durch Dislokationen und Brüche Unentscheidbarkeiten auftun und es diese durch seine Entscheidung – die nicht aus etablierten Sinngefügen abgeleitet werden kann – aufzulösen hat (vgl. zusammenfassend Stäheli 1999, S. 155), d.h.: »Das Subjekt kommt […] im Zuge der Identifikation mit einem bestimmten Inhalt, der die unentscheidbare Situation auflösen soll, zustande« (ebd.). Aufgrund der Unentscheidbarkeit muss die Entscheidung für Identifikationsangebote letztendlich kontingent und ein Ergebnis hegemonialer Operation sein. Dementsprechend wird Identität immer durch die Identifikation mit diskursiv konstituierten Subjektpositionen gebildet, wobei eine vollständige Identifikation niemals gelingen kann. Eine solche Subjektposition wird in Anlehnung an Lacan durch points de capiton bestimmt, in der deutschen Übersetzung: Stepp-Punkte. Diese Punkte lassen sich mit dem parallelisieren, was Laclau und Mouffe in »Hegemonie und radikale Demokratie« (2006 [1985]) als »privilegierte Punkte« (ebd., S. 150) bezeichnen. Es handelt sich um Signifikanten, um die sich Diskurse herum formieren, d.h. Momente beziehen ihre

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Bedeutung – im Falle von Subjektpositionen: ihre Identität – aus der Relation zu eben diesen Punkten. Für die Identitätsbildung ist dabei das Wechselspiel zweier Logiken entscheidend. Es handelt sich zum Ersten um die Logik der Differenz, die es ermöglicht, verschiedene, zu Momenten fixierte Bedeutungen und Identitäten einer diskursiven Formation zu unterscheiden. Zum Zweiten handelt es sich um die Logik der Äquivalenz, die die verschiedenen Bedeutungen und Identitäten äquivalent setzt. Letzteres geschieht durch den privilegierten Signifikanten. So wird beispielsweise im Diskurs des Orientalismus nach Edward W. Said (1981 [1978]) der privilegierte Signifikant ›Westen‹ mit ›Stärke‹, ›Vernunft‹, ›Wissen‹ und ›Rationalität‹ äquivalent gesetzt. Allerdings lässt sich die Äquivalentsetzung nur unter der Ausbildung eines Antagonismus durchführen, der alle internen Differenzen absorbiert: »Das Problem ist, den Inhalt dieses ›identischen Etwas‹ zu bestimmen, das in den verschiedenen Gliedern der Äquivalenz anwesend ist. Wenn durch die Äquivalenzkette alle differentiellen objektiven Bestimmungen ihrer Glieder verloren wurden, dann kann Identität entweder durch eine ihnen allen zugrundeliegende positive Bestimmung oder durch ihre gemeinsame Referenz auf etwas Äußeres gegeben werden. Die erste Möglichkeit ist ausgeschlossen, da eine gemeinsame positive Bestimmung ja auf direktem Wege ausgedrückt wird, ohne daß eine Äquivalenzbeziehung gebraucht wird. Die gemeinsame äußerliche Referenz kann jedoch nicht aus etwas Positivem bestehen, denn in diesem Fall könnte das Verhältnis zwischen den beiden Polen ebenso auf direkte und positive Weise konstruiert werden, was die vollständige Aufhebung der Differenzen, die ein Verhältnis totaler Äquivalenz mit sich bringt, unmöglich machen würde. […] Dies kann nur bedeuten, daß die Äquivalenz durch etwas ausgedrückt wird, was der Gegenstand nicht ist. […] Mit anderen Worten: die Identität ist rein negativ geworden. Betonen wir noch einmal nachdrücklich: etwas zu sein, heißt immer, etwas anderes nicht zu sein« (Laclau und Mouffe 2006 [1985], S. 168f.).

Der Prozess der Identitätsbildung erfordert damit einerseits den Bezug auf einen privilegierten Signifikanten, andererseits jedoch auch immer eine Abgrenzung nach außen, also eine Definition des Anderen, welcher das Eigene nicht ist. Das Außen bzw. der Andere stellt das dar, was die eigene Identität bedroht und folglich aus ihr ausgeschlossen werden muss. Gleichzeitig ist der Andere jedoch auch ihre Existenz-

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bedingung. Diesem Ansatz nach erfolgen die Identitätsbildung von einzelnen Subjekten, kollektiven Identitäten sowie die Formierung sozialer Gruppen nach denselben Prinzipien. Es gelten stets die Logiken der Differenz, der Äquivalenz und des Antagonismus. Im Diskurs des Orientalismus ist das antagonistische Außen ›des Westens‹ ›der Orient‹, der, im Gegensatz zur Äquivalenzkette des Signifikanten ›Westen‹, mit ›Schwäche‹, ›Unvernunft‹, ›Unwissen‹ und ›Irrationalität‹ äquivalent gesetzt wird (vgl. Said 1981 [1978], S. 40ff.). Eine solche antagonistische Zweiteilung kann immer nur aus einer bzw. aus der eigenen Perspektive heraus erfolgen (vgl. Glasze 2008, S. 66; Nonhoff 2006, S. 221ff.). So wurde in Anlehnung an Said (1981 [1978]) durch den Orientalismus als westlichem Diskurs ein Antagonismus zwischen Westen und Orient etabliert. Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass ein orientalischer Diskurs des Okzidentalismus eben diese Grenzziehung auf die gleiche Weise herstellt. Der privilegierte Signifikant muss, um zwischen differentiellen Positionen eine Äquivalenzkette herstellen und diese repräsentieren zu können, selbst von spezifischer Bedeutung entleert sein – was heißt denn schon ›der Westen‹? »Leere Signifikanten« (Laclau 2002a, S. 65ff.) sind jedoch nicht als vollkommen ›leer‹ zu verstehen, sondern als Signifikanten, deren Bedeutungsspielraum so groß ist, dass sie als Gemeinsamkeit vieler verschiedener differentieller Positionen fungieren können. Der Signifikant ›Demokratie‹ beispielsweise ist in der Lage, sowohl verschiedene Staaten, unterschiedliche Regierungssysteme als auch Nicht-Regierungs-Organisationen unter diesem Banner zu vereinen (Laclau 2002a, S. 72f.). Je stärker ein Signifikant von seiner spezifischen Bedeutung entleert werden kann, umso besser eignet er sich dafür, die Äquivalenz der unterschiedlichen differentiellen Positionen zu symbolisieren. Welche Signifikanten es nun sind, die einen solchen Status einnehmen, ist stets eine Frage hegemonialer Auseinandersetzungen (vgl. zusammenfassend Stäheli 1999, S. 150; Nonhoff 2006, S. 124ff.). Der leere Signifikant, der die Äquivalenzkette sowie den Antagonismus repräsentiert, stellt nach Laclau und Mouffe einen positiv besetzten Punkt dar. Im Falle des Orientalismus ist es der Signifikant ›Westen‹. Demgegenüber definiert Sarasin in seiner Lesart auch negativ besetzte privilegierte Punkte und verdeutlicht dies am Beispiel der »schwarzen Haut«:

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»Während die Fahne als positiv besetzter, ansonsten aber vollständig leerer Signifikant für die Nation steht und sie so symbolisch zusammenhält, war und ist ›schwarze Haut‹ im europäischen und amerikanischen Westen immer wieder ein negativ besetzter leerer Signifikant, der gleichsam all das in sich aufsaugt, was unbewusst als Mangel an vollem Sein und Ganzheit einer weißen, westlichen Identität empfunden wurde – und der auf diese Weise eine prekäre Identität stiftet« (Sarasin 2003, S. 50).

Übertragen auf das Beispiel des Orientalismus wäre hier der negativ besetzte leere Signifikant ›der Orient‹. Er repräsentiert genau die Äquivalenzketten, die der positiv besetzte Signifikant ›Westen‹ ausschließt. Da Identität lediglich zu einem Anderen, d.h. negativ, gebildet werden kann, ist stets ein Mangel an Positivität in sie eingeschrieben. Dies führt zu einem Wunsch nach Ganzheit und damit zum Verlangen, den Gegner zu überwinden, um auf diese Weise eine vollständige Identität zu erlangen (vgl. zusammenfassend Stäheli 1999, S. 51ff.; Glasze 2008, S. 65). Doch ist der Gegner überwunden, so zerfällt auch die Identität, und andere Andere müssen gefunden werden, um wieder eine Identität – temporär und unvollständig – zu erlangen (vgl. Stäheli 1999, S. 51ff.).

2.2 I MAGINATIVE G EOGRAPHIEN ALS DISKURSIVE K ONSTRUKTIONEN Nachdem die diskurstheoretischen Grundlagen dargelegt wurden, soll nun die diskursive Produktion von Räumen des Eigenen und Anderen genauer unter die Lupe genommen werden. Zurückgegriffen wird dabei auf die Idee der imaginativen Geographien von Edward W. Said. Diese wird im Folgenden skizziert und zugleich einer Kritik aus poststrukturalistisch-diskurstheoretischer Perspektive unterzogen. Daraus wird ein Konzept hergeleitet, welches der Medienanalyse dieser Studie zugrunde gelegt wird (Kapitel 2.2.1). Daraufhin erfolgen Überlegungen zur Art und Weise, wie imaginative Geographien als diskursive Identitätskonstruktionen produziert werden und wie die ihnen zugrunde liegenden Mechanismen als diskursive Strategien zur Verortung von Eigenem und Anderem gedacht werden können (Kapitel 2.2.2).

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Anschließend wird im Rückgriff auf Forschungsarbeiten aus den Bereichen der politischen Geographie und der Postcolonial Studies gezeigt, inwieweit die Verortungsstrategien von imaginativen Geographien der kolonialen Moderne diejenigen des antikolonialen Widerstands mit formten und jeweils auch noch heute zu den hegemonialen gehören (Kapitel 2.2.3). Vor diesem Hintergrund werden dann die Konstruktionen von Orient und Okzident sowie von islamischer Welt und Westen genauer beleuchtet (Kapitel 2.2.4). Während es also in den ersten beiden Abschnitten um die Entwicklung einer konzeptionellen Herangehensweise für die Medienanalyse dieser Arbeit geht, dienen die Ausführungen der folgenden Abschnitte der Diskussion und der historischen Einordnung der Analyseergebnisse. 2.2.1 Saids imaginative Geographien aus poststrukturalistisch-diskurstheoretischem Blickwinkel Die Denkfigur der imaginativen Geographien, die hier bereits an einigen Stellen Erwähnung fand, hat Edward W. Said in seinem Werk »Orientalismus« (1981 [1978]) entwickelt. Er konzeptionalisiert damit das Zusammenwirken von Macht, Wissen und Geographie, welches einer jeden diskursiven Konstruktion von Raum immanent ist. Unter Geographie ist in diesem Kontext nicht die wissenschaftliche Disziplin im engeren Sinne zu verstehen, sondern die Geo-Graphie als Welt(Be)Schreibung im allgemeineren Sinne; durch das Beschreiben der Welt, so der Gedanke, wird die Welt erst geschrieben (Gregory 1998, S. 40). Um die mögliche Stärke und Beständigkeit zu erklären, die imaginative Geographien aufweisen können, verbindet Said die Diskurstheorie Foucaults mit der Hegemonietheorie Gramscis. Mithilfe dieser Ansätze analysiert er den Diskurs des »Orientalismus« und zeigt damit »wie die europäische Kultur fähig war, den Orient politisch, soziologisch, militärisch, ideologisch, wissenschaftlich und imaginativ […] zu produzieren« (Said 1981 [1978], S. 10). Ihm zufolge ließen die imaginativen Geographien des Orients sowohl den Orient als auch den Westen als vermeintlich reale Räume erscheinen, denen bestimmte Merkmale zugewiesen und die als natürlicherweise so und nicht anders verhandelt wurden. Diese Konstruktionen und ihre Veränderungen zeichnet Said von der Kolonialzeit bis in die 1970er Jahre nach. In seiner Untersuchung macht er deutlich, dass im Kontext des Kolonialis-

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mus der Orient häufig mit »Irrationalität«, »Unfähigkeit« und »Stillstand« oder ähnlichen Eigenschaften beschrieben wurde. Europa präsentierte sich dagegen als »rational«, »kompetent« und »fortschrittlich«. Aus solchen Entwürfen heraus war es ein Leichtes, so argumentiert er, das Verlangen nach einer europäischen Vorherrschaft im Orient abzuleiten, denn wie sonst sollte er im Zeitalter der Moderne überleben können? (Said 1981 [1978], S. 40ff.). Diese Logik veranschaulicht er anhand von zahlreichen Beispielen aus Politik, Wissenschaft und Kunst. So analysiert Said etwa, um nur eines der Beispiele anzuführen, die Rede des britischen Außenministers Balfour im Jahre 1913 vor dem britischen Unterhaus zur Rechtfertigung der britischen Vorherrschaft in Ägypten; hier ein Textausschnitt aus dieser Rede: »Wir kennen die ägyptische Zivilisation besser als die Zivilisation jeden anderen Landes. Wir kennen mehr von ihrer Vergangenheit; wir kennen sie und

wissen mehr. Sie reicht weit hinter die Geschichtsspanne unserer eigenen Rasse zurück […]. Schauen wir uns zunächst die Fakten dieses Falles an. Westliche Nationen zeigen, sobald sie sich in die Geschichte geben, jene Fähigkeiten, sich selbst zu regieren […] haben eigene Verdienste […]. Man kann die Geschichte der Orientalen im, wie es im allgemeinen genannt wird, Osten nehmen, und man wird niemals Spuren dieser Selbstverwaltung finden. […] Ist es eine gute Sache für diese großen Nationen […], daß diese Regierung von uns ausgeübt wird? Ich denke, es ist eine gute Sache. Ich denke, daß die Erfahrung zeigt, daß sie dabei eine viel bessere Regierung bekommen haben als jede, die sie im Verlauf der Weltgeschichte hatten, und dies ist nicht nur ein Vorteil für sie, sondern zweifellos auch einer für den ganzen zivilisierten Westen« (Balfour 1913 zitiert nach Said 1981 [1978], S. 40f., Herv. S.H.d.A.).

Said macht deutlich, inwieweit das Wissen über den Anderen denselben unterwerfen kann und auf diese Weise eine Grundlage für Kolonialismus und Imperialismus geschaffen hat. 12 Die Wirkmächtigkeit

12 Die Begriffe von Kolonialismus und Imperialismus werden in der Wissenschaft auf sehr unterschiedliche Weisen definiert und verwendet. Damit verschwimmen häufig auch die Grenzen zwischen Kolonialismus und Imperialismus. »Es erscheint unmöglich, die miteinander verquickten Phänomene in einer allseits zufrieden stellenden Darstellung zusammenzubringen« (Castro Varela und Dhawan 2005, S. 14). Zur Diskussion der

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imaginativer Geographien zeigt sich hiermit auch in der Aneignung anderer Räume, d.h. darin, andere Räume als die eigenen zu beanspruchen (vgl. Said 1981 [1978], 1984). Nach Said diente das Wissen dem europäischen Kolonialismus der Moderne dazu, »to administer, study, and reconstruct – then subsequently to occupy, rule and exploit – almost the whole of the non-European world« (Said 1984, S. 222). In seinen Ausführungen macht er an vielen Stellen Ereignisse aus, die zu einem Wandel der imaginativen Geographien vom Orient geführt haben. Ihre Funktion in der Legitimierung politischer Intervention ist hingegen erhalten geblieben. Darunter beispielsweise der 6Tage-Krieg 1967; mit diesem Krieg entwickelte sich Said zufolge das Bild des Orientalen »aus seinem schwach umrissenen Stereotyp als kamelreitender Nomade […] zu einer akzeptierten Karikatur, zur Verkörperung von Inkompetenz und Niederlage« (Said 1981 [1978], S. 321). Seit dem Jom-Kippur-Krieg 1973 jedoch wurde er in zunehmendem Maße als Bedrohung wahrgenommen, als Antizionist, als Störer Israels, als Islamist, als derjenige, der über den Zugang zum Erdöl verfügt (ebd., S. 323). Ein solches Bedrohungsszenario, so Said, festigte die imperiale Rolle der Vereinigten Staaten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges (ebd., S. 332ff.). Anhand dieser wenigen Beispiele lässt sich das Ausmaß des Machtpotenzials von imaginativen Geographien hegemonialer Diskurse nachvollziehen, das Said in ihnen sieht. Die Macht zeigt sich im hegemonialen geographischen Wissen über den Anderen, welches zur Unterwerfung und Ausbeutung desselben führt. Ferner macht Said mit seinem Werk deutlich, dass und auf welche Weise die Konstruktionen der kolonialen Vergangenheit bis in die Gegenwart hineinreichen. Damit wurde »Orientalismus« (1981 [1978]) zu einem der Grundlagenwerke sowohl für die Postcolonial Studies als auch für die Critical Geopolitics. In ihren Kontexten hat es jedoch auch in vieler Hinsicht an Kritik erfahren. Es wird ihm vorgeworfen, den Orientalismus zwar als einen sich verändernden, dennoch als zu einheitlichen Diskurs zu lesen. Nicht zuletzt dadurch wird ihm eine zu pauschalisierende Argumentation angelastet (vgl. McLeod 2000, S. 47f.). Said behandelt den Orientalismus nicht als ein widersprüchliches Terrain, sondern eher als Dis-

Begriffsdefinitionen von Kolonialismus und Imperialismus vgl. Castro Varela und Dhawan 2005, S. 11-16.

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kurs, der konsensualen diskursiven Strategien folgt, obwohl er zugleich Entwürfe des Orients verschiedener Autoren anbietet, die nicht homogen sind: »Flaubert ist nicht Nerval, Massignon nicht Renan, Lawrence nicht Burton« (Gregory 1995, S. 380). Aus einer poststrukturalistischen Perspektive kann es bei der Analyse nicht darum gehen, eine oder mehrere real vorhandene diskursive Formation möglichst unverzerrt aus dem Datenmaterial herauszuarbeiten – denn dies ist aus einer solchen Perspektive ohnehin nicht möglich. Es geht vielmehr darum, alternative Lesarten anzubieten, um die hegemonialen zu denaturalisieren. Der Blick für Widersprüche, Brüchigkeiten und marginale Diskurse, die durch die hegemonialen hindurch sprechen, ist deshalb wichtig, da sich genau an diesen Stellen Potenzial für Veränderung zeigt. Hilfreich ist dafür der diskurstheoretische Ansatz von Laclau und Mouffe (vgl. Kapitel 2.1.3). Demzufolge können ›Orient‹, ›Okzident‹, ›Islam‹ und ›Westen‹ als leere Signifikanten verstanden werden, deren Inhalte – sprich: die Äquivalenzketten an Momenten, deren Bedeutungen partiell fixiert wurden – Gegenstand von Auseinandersetzungen verschiedener diskursiver Formationen des Orientalismus sind. In diesem Sinne sollen imaginative Geographien hier als machtvolle diskursive Konstruktionen von Räumen verstanden werden, die in sich heterogen, widersprüchlich und veränderbar sind, denn auch die privilegierten Signifikanten, die sie konstituieren, sind tendenziell leer und immer wieder Gegenstand diskursiver Auseinandersetzung. Ein zweiter Kritikpunkt an Saids »Orientalismus« (1981 [1978]) hängt unmittelbar mit dem ersten zusammen, wonach ihm vorgeworfen wird, die gleichen binären Kategorien von Orient und Okzident, von Westen und Islam, die er mit seiner Analyse dekonstruieren will, zu reproduzieren und damit weiter festzuschreiben. Diese hätte er zuteilen aufbrechen können, wenn er sowohl Widerstände der Kolonialisierten als auch Widerstände im Westen mit in seine Analyse einbezogen hätte (vgl. McLeod 2000, S. 48; ausführlich auch Ahmad 2000, S. 172ff.). Ferner wird ihm aus verschiedenen Perspektiven heraus eine wissenschaftstheoretische Inkonsitenz angelastet. Ein Bruch zeigt sich beispielsweise insbesondere darin, wenn es um das Subjekt geht. »Im Unterschied zu Foucault […]«, so Said, »glaube ich an den determinierenden Aufdruck individueller Autoren auf den sonst anonymen Körper von Texten […] Foucault glaubt, daß im allgemeinen der individu-

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elle Text oder Autor empirisch sehr wenig zählt. Im Fall des Orientalismus (und vielleicht nirgends sonst) finde ich, daß dies nicht der Fall ist« (Said 1981 [1978], S. 33). Und so gesteht er den Autoren, deren Werke er untersucht – beispielsweise Edward William Lane, Silvestre de Sacy oder Ernest Renan – ein hohes Maß an Autonomie, Handlungsspielraum und Macht zu, was strukturalistische und poststrukturalistische Ansätze ablehnen würden. In dieser Hinsicht sehen Kritiker »eine konzeptuelle Inkohärenz – bestenfalls eine Unschlüssigkeit – im Zentrum von Orientalismus« (Gregory 1995, S. 381, Herv. i.O.). Obwohl Said auf seine Konzeption von Subjekt Wert legt, lassen sich imaginative Geographien jedoch auch auf poststrukturalistische Art lesen, die nicht auf ein autonomes, selbstidentisches Subjekt angewiesen sind. Autoren, wie beispielsweise Journalisten der transnationalen arabischen Zeitungen, können in Anlehnung an Foucault, Laclau und Mouffe auch als Subjektpositionen und als Subjekte mit einem Mangel an voller Identität und dem Wunsch nach Ganzheit gedacht werden (vgl. Kapitel 2.1.3). Neben seiner Subjektkonzeption werden Said noch verschiedene weitere theoretische Inkonsistenzen nachgewiesen, die jedoch hier von keiner Relevanz mehr sind.13 Wichtig bleibt festzuhalten, dass der vorliegenden Studie also ein Konzept zugrunde gelegt wird, das auf Saids Denkfigur der imaginativen Geographien als diskursive Konstruktionen von Räumen und als Resultat der Verflechtung von Macht, Wissen und Geographie aufbaut. Doch entgegen Saids Konzeptionalisierung sollen diese nicht im Sinne konsistenter Diskurse gedacht werden und auf dem Verständnis eines selbstidentischen Subjektes beruhen. Sie werden vielmehr als heterogen, widersprüchlich und veränderbar verstanden, denn die Signifikanten, die sie ausmachen und mit denen sich dezentrierte Subjekte identifizieren, sind tendenziell leer und stets aufs Neue Gegenstand diskursiver Auseinandersetzung.

13 Ein Überblick über die Kritikpunkte an »Orientalismus« liefert beispielsweise McLeod 2000, S. 46-50, oder Kennedy 2001 mit ihrer kritischen Einführung in Edward W. Saids Werk.

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2.2.2 Diskursive Strategien zur räumlichen Verortung von Eigenem und Anderem Nachdem das Verständnis von imaginativen Geographien aus poststrukturalistisch-diskurstheoretischer Perspektive im vorangegangenen Abschnitt dargelegt wurde, soll nun beleuchtet werden, wie diese (re)produziert und im Zuge dessen Eigenes und Anderes verortet werden. In seiner Beschreibung zur Herstellung imaginativer Geographien schließt Edward W. Said an die Ausführungen des strukturalistischen Anthropologen Claude Lévi-Strauss an. Mit seiner »Wissenschaft des Konkreten« geht dieser von der Existenz eines allgemein verbreiteten Verlangens aus, das Universum zu ordnen und eine ganz bestimmte Ordnung der Dinge zu entwickeln. »Ein primitiver Stamm z.B. deutet jeder Blattart in seiner unmittelbaren Umgebung einen bestimmten Platz, eine Funktion und eine Bedeutung zu. Viele dieser Gräser und Blumen haben keine praktische Verwendung, aber LéviStrauss will damit zeigen, daß der Geist Ordnung verlangt und Ordnung dadurch erreicht wird, daß unterschieden wird und jenseits allen praktischen Nutzens alles so platziert wird, um den Verstand auf einen sicheren, wiederauffindbaren Platz hinzuweisen […]« (Said 1981 [1978], S. 65).

Eine räumliche Ordnung von Dingen lässt sich, ähnlich wie die Fixierung von Bedeutung, als eine Notwendigkeit begreifen, denn ohne diese würde es keine Orientierung geben, keine soziale Wirklichkeit, in der wir uns zurechtfänden. Als Vertreter des Strukturalismus vertritt Lévi-Strauss die These, dass eine Ordnung zu schaffen, willkürlich und kulturell unterschiedlich stattfindet, dass dies jedoch stets mit größter Sorgfalt betrieben und alles an Ort und Stelle gebracht wird (vgl. Lévi-Strauss 2008 [1967]). Diesen Ansatz aus einer poststrukturalistischen Perspektive heraus betrachtet, kann jedoch nur partiell und vorläufig an Ort und Stelle gebracht werden, die Ordnungen müssen immer als offen und veränderbar verstanden werden. Was zur Ordnung wird und wie dementsprechend Objekte und Identitäten verortet werden, ist nichts anderes als ein Ergebnis hegemonialer Diskurse, die jederzeit untergraben werden können. Für die Verortung von Dingen und Identitäten sind sowohl in der Auffassung von Lévi-Strauss als auch im poststrukturalistischen Sinne ihre Relationen untereinander entscheidend. Hegemoniale Beziehungs-

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muster verleihen solchen Ordnungen dann einen scheinbar objektiven Sinn, als hätte man es mit einem objektiv wahrnehmbaren Raum zu tun. Verortung bedeutet daher nicht, dass bestimmte Identitäten einem bestimmten, real vorhandenen Territorium zugeschrieben werden, sondern, dass Identitäten als abgrenzbarer Raum und als definierbares Territorium diskursiv hervorgebracht werden – abgrenzbar im Sinne ihrer Relation zu anderen, als Raum hervorgebrachten Identitäten. Dementsprechend kommt es bei der Analyse imaginativer Geographien darauf an, wie Signifikanten mit Raumbezug – beispielsweise ›Orient‹ und ›Okzident‹ oder ›Westen‹ und ›islamische Welt‹ – miteinander in Beziehung gesetzt werden. Der Prozess der Identitätsbildung von Eigenem und Anderen als imaginative Geographien lässt sich dabei auf die gleiche Weise verstehen, wie Laclau und Mouffe sie in ihrem diskurstheoretischen Ansatz erklären, nur dass Identität hier als Raum konstruiert wird (vgl. Kapitel 2.1.3). Subjekte oder soziale Gruppen identifizieren sich mit bestimmten privilegierten Signifikanten, die tendenziell leer sind, als ›das Eigene‹ definiert werden und durch ihre partiell fixierten Bedeutungen Raum und Räumlichkeit herstellen können, wie beispielsweise ›der Westen‹. Diese leeren Signifikanten sind in der Lage, Äquivalenzketten von bestimmten differentiellen Positionen zu etablieren und eine antagonistische Grenze zum Anderen zu ziehen, wie z.B. ›die islamische Welt‹. Mit der Frage des In-Beziehung-Setzens hängen zwei weitere unmittelbar zusammen, die für die Analyse imaginativer Geographien relevant sind: Erstens handelt es sich um die Frage, in welchen Ordnungskategorien Eigenes und Anderes beschrieben werden, d.h. welche Kategorien als Instrumente dienen, mittels derer Grenzziehungen und Differenzierungen von Eigenem und Anderem erfolgen, wie etwa Kultur, Staat, Nation, Ethnie oder Religion. Zum Zweiten stellt sich die Frage, in welche spezifischen Beziehungsmuster die miteinander verkoppelten imaginativen Geographien von Eigenem und Anderem angeordnet werden. Gemäß Laclau und Mouffe handelt es sich zwar stets um antagonistische Grenzziehungen, doch bringen diese häufig mehr als nur eine »Gegnerschaft« zum Ausdruck. So lassen sich solche Verhältnisse im Anschluss an Said als kolonial, als Bedrohungsverhältnisse, als Überlegenheitsverhältnisse o.ä. fassen (Said 1981 [1978], z.B. S. 40ff.). Entsprechend dieser Überlegungen zur Art und Weise, wie imaginative Geographien als diskursive Identitätskonstruktionen produziert

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werden, soll das In-Beziehung-Setzen differentieller Positionen entlang spezifischer Ordnungskategorien und -verhältnisse als diskursive Strategie verstanden werden, und zwar, da es um die Herstellung von Räumen und Identität geht, als eine diskursive Strategie zur räumlichen Verortung von Eigenem und Anderem. Der Begriff der Strategie muss in dieser Verwendung dezidiert von der Idee eines autonom planenden, strategisch denkenden Subjektes unterschieden werden. Ähnlich wie der Diskursforscher Martin Nonhoff in seinen Arbeiten den Begriff der Strategie (2007, S. 185ff.; 2006, S. 207ff.) definiert, geht es hier um das Anordnen von differentiellen Positionen im Rahmen von Artikulationen (vgl. Kapitel 2.1.3). Es geht um das Arrangieren in bestimmten Ordnungsmustern und das daraus resultierende Arrangement, welches als durch verschiedene Grenzziehungen strukturierter Raum erscheint.14 Sofern sich solche Verortungsstrategien als Regelmäßigkeiten im untersuchten Material niederschlagen, lassen sich diese dann als Formationsregeln im Sinne Foucaults untersuchen (vgl. Kapitel 2.1.2). 2.2.3 Imaginative Geographien von Kolonialismus, antikolonialem Widerstand und die Hegemonie von Denkstrukturen der Moderne Edward W. Saids Triangulation von Macht, Wissen und Geographie hat besonders durch Derek Gregory Einzug in die Geographie erhalten (z.B. Gregory 2004, 1998, 1995, 1994). Auf diesem Konzept aufbauend untersucht er, wie geographisches Wissen in den eurozentristischen Denkstrukturen der Moderne eine diskursive Vorstellungswelt erzeugt hat, die als Grundlage des europäischen Kolonialismus fungierte und Europa die Aneignung des Anderen erlaubte. Darüber hinaus haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Bereich der Postcolonial Studies gezeigt, dass diese Denkstrukturen nicht nur die imaginativen Geographien des Kolonialismus formten, sondern auch diejenigen antikolonialer Widerstandsbewegungen, und dass sie auch heute noch eine Rolle spielen. Diese Erkenntnisse sind für die Einordnung und Diskussion der Ergebnisse der vorliegenden Studie

14 Der Begriff »Strategie« wird in Arbeiten mit einem diskurstheoretischen Ansatz häufig und verschiedentlich verwendet, oftmals jedoch, ohne genau definiert zu werden (vgl. z.B. Gregory 1998 oder Lossau 2002).

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von zentraler Bedeutung, denn sie werfen die Fragen auf, ob und wie sich modernes und koloniales Denken auch in den hier zu untersuchenden arabischen Medien zeigt. In welchem Maße kann demgegenüber auch widerständisches, herausforderndes Denken ausgemacht werden, das ganz andere imaginative Geographien hervorbringt? Oder wird aus den gleichen Kategorien und Ordnungsmustern gesprochen? Um diese Fragen diskutieren zu können, sollen im Folgenden kurz die diesbezüglichen Argumentationsgänge Gregorys und anderer Vertreter der postkolonialen Theorie nachgezeichnet werden. Unter den Begriff ›Moderne‹ fasst Gregory »a particular constellation of power, knowledge and social practices whose emergence is usually traced back in the sixteenth and seventeenth centuries. Those early forms and structures changed over time and extended themselves over space until, by the middle of the twentieth century, modernity was widely supposed to constitute the dominant social order on the planet. The terms ›modern‹ and ›modernity‹ occupy a central position within the discourse of eurocentrism, which represents Europe as the central axis around which the rest of the world is supposed to revolve« (Gregory 2000, S. 512).

In seiner Analyse der eurozentristischen imaginativen Geographien der Moderne macht der Autor vier »geo-graphs« (Gregory 1998, S. 14) aus, d.h. vier diskursive Stränge, welche als Welt-(Be)schreibungen zur Herausbildung einer kolonialen Ordnung führten: • • • •

»absolutizing time and space«, d.h. die Verabsolutierung von Zeit und Raum (ebd., S. 15-22), »exhibiting the world«, d.h. die Zur-Schau-Stellung der Welt (ebd., S. 22-28), »normalizing the subject«, d.h. die Normierung des Subjekts (ebd., S. 28-34), »abstracting culture and nature«, d.h. die Differenzierung zwischen Kultur und Natur (ebd., S. 34-39).

Mit dem Ausdruck der Verabsolutierung von Zeit und Raum beschreibt Gregory ihre jeweilige Hierarchisierung durch den eurozentristischen Blick. Die Kategorie Raum wird dabei mit dem europäischen Fortschrittsgedanken verknüpft, sodass die Welt aus einer eurozentristischen Perspektive in Räume verschiedener Entwicklungsstu-

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fen geteilt werden kann. Da Europa sich diesem Modell entsprechend in der höchsten Entwicklungsstufe befindet, kann es sich selbst als souveränes Subjekt legitimieren (vgl. Gregory 1998, S. 14 ff.; zusammenfassend Wolkersdorfer 2001, S. 39-41). Im Laufe des 20. Jahrhunderts hat sich nach Gregory diese eurozentristische Ordnung insofern verschoben, als es nun nicht mehr »Europa«, sondern »der Westen« ist, der im Zentrum steht, mit »the emergence of ›America‹ as the dominant habitus of ›the West‹ […]« (Gregory 1998, S. 22). Eng verflochten mit dem ersten geo-graph ist der zweite, den Gregory als Zur-Schau-Stellung der Welt beschreibt. Damit fasst er die Art und Weise der Repräsentation der Welt, insbesondere der kolonialisierten Welt und veranschaulicht dies am Beispiel von Weltausstellungen. Die Welt wird als transparentes und gezähmtes Objekt präsentiert (ebd., S. 24f.), welches durch Wissen und fortschrittlicher Technik beherrschbar geworden ist. Letzteres mit der eigenen Zivilisation verknüpft, steht dem Wilden, dem Primitiven und dem Rückständigen der kolonialisierten Welt als das Andere gegenüber. Damit einher geht die Normierung des Subjekts, die Gregory im Rückgriff auf Foucault als Resultat von gesellschaftlichen Differenzierungsprozessen versteht. Im Kolonialismus führte diese zur Beschreibung des Eigenen als »normal«, sodass das Eigene zum Maßstab der Bewertung anderer Bevölkerungen wurde. Die kolonialisierte Bevölkerung erschien dagegen als unnormal, als unzivilisiert, als unvernünftig etc. Dabei – und dies ist der vierte geo-graph – wird eine Trennung von Kultur und Natur vollzogen, wobei das Eigene als zivilisiert und mit Kultur, die kolonialisierte Bevölkerung als unzivilisiert und daher mit Natur äquivalent gesetzt wird. Bei diesen geo-graphs handelt es sich um holzschnittartige Entwürfe, die den vielen unterschiedlichen Ausprägungen der Moderne nicht gerecht werden können. Doch Gregory geht es nicht darum, diese in ihrer Vielfalt darzustellen. Sein Anliegen ist vielmehr die vier geographs als Regelhaftigkeiten hegemonialer diskursiver Formationen ans Licht zu bringen. Einem poststrukturalistischen Verständnis nach, haben auch immer marginalisierte Formationen durch die hegemonialen hindurch gesprochen. Demgemäß macht Gregory in seinen Ausführungen häufig Einschränkungen und zeigt Widersprüche und Gegenbeispiele auf. Doch diesen schreibt er letztendlich einen weniger großen Erfolg zu als den besagten vier. »[These] four geo-graphs […] entered into the formation of the intrinsically colonial modernity«

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(ebd., S. 14). Heute leben sie – so seine These – in veränderter Form weiter und prägen unsere koloniale Gegenwart (Gregory 2004; 1998, S. 22 und S. 39f.). Übertragen auf das in Anlehnung an Said entwickelte Konzept der imaginativen Geographien und ihren zugrunde liegenden Verortungsstrategien lässt sich festhalten, dass sich die entscheidenden imaginativen Geographien der vier geo-graphs um die entleerten Signifikanten von ›Europa‹ (später ›Westen‹) als das Eigene und ›dem Rest der Welt‹ als antagonistisches Außen Europas formieren. Europa, mit der eigenen Zivilisation verknüpft und als Kultur beschrieben, wird dem Wilden, dem Primitiven und dem Rückständigen der kolonialisierten Welt als Natur gegenüber gestellt (Gregory 1998, S. 22; vgl. auch Hall 1994a, 2004). Neben den Demarkationslinien zwischen Europa und der kolonialisierten Welt bzw. dem Westen und dem Rest lassen sich als typische Weltordnungskategorien des modernen Denkens Rasse, Ethnie, Zivilisation, Kultur, Nation und schließlich der Nationalstaat fassen, dessen Grenzen eindeutiger als bei irgendeiner der anderen Kategorien territorial verortet sind (vgl. Wolkersdorfer 2001, S. 61). Indem diese mit Entwicklungsstufen verknüpft werden, gehen mit den Raumkonstruktionen stets Auf- und Abwertungen einher und schaffen aus der eurozentristischen Perspektive ein Überlegenheitsverhältnis, das es ›Europa‹ bzw. ›dem Westen‹ ermöglichte, seine kolonialen Praktiken mit all ihren Unterwerfungs- und Ausbeutungsstrategien zu rechtfertigen (vgl. auch Hall 1994a; Gregory 1998; Wolkersdorfer 2001, S. 57ff.). Ebenso skizzenhaft, wie die imaginativen Geographien des modernen Denkens und ihre Verortungsstrategien von Eigenem und Anderem aus eurozentristischer Perspektive gezeichnet werden können, lässt sich dies auch für antikoloniale Widerstandsbewegungen durchführen. Im Anschluss an Vertreter der postkolonialen Theorie (vgl. zusammenfassend Castro Varela und Dhawan 2005, S. 16-21) formieren sich die imaginativen Geographien antikolonialer Widerstandsbewegungen um ›Europa‹ und ›dem Westen‹ als negativ besetzte, leere Signifikanten. Sie werden jeweils als unterdrückende und ausbeutende Hegemonialmacht beschrieben, wobei sich das Eigene demgegenüber als das Opfer darstellt, das sich aus diesem Unterdrückungsverhältnis heraus zu befreien hat. Das Interessante ist, dass die Artikulation des Widerstandskampfes und der eigenen Identität oftmals aus Ordnungskategorien eben des modernen Denkens heraus erfolgte. Vom Natio-

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nalstaat und vom Nationalismus, so der Historiker Dipesh Chakrabarty, schien die größte Anziehungskraft als Form politischer Gemeinschaft im antikolonialen Widerstand auszugehen (Chakrabarty 1992, S. 19; vgl. auch Anderson 2006 [1983]; Loomba 2005 [1998]; Chatterjee 1993). Die Erklärung dafür ist folgende: »Weil […] im Prozess der Kolonialisierung nicht nur Territorien besetzt und Reichtümer der Kolonialländer geplündert wurden, sondern auch die Kolonisierten, in dem Versuch, sie aus dem Projekt der Moderne auszuschließen, gewaltsam zu Anderen gemacht wurden, suchte der antikoloniale Kampf verständlicherweise nach neuen, machtvollen Identitäten, die den westlichen Repräsentationen der Anderen begegnen konnten. Das Projekt des Nationalismus geriet dabei, durch die Konzentration auf einen gemeinsamen Feind, zu einer planvollen systematischen Mobilisierung für den Widerstandskampf, dessen Ziel die Befreiung aus kolonialer Beherrschung war« (Castro Varela und Dhawan 2005, S. 17).

Antikoloniale Nationalismen dürfen allerdings nicht als bloße Kopie ›westlicher‹ Nationalismen gedacht werden, denn die europäische Vorstellung von der Nation wurde von der »autochthonen Intelligenzija« (ebd., S. 18) mit geschmiedet, in zahlreiche unterschiedliche Kontexte übersetzt und vervielfältigt (ebd.). Darüber hinaus wurde und wird die nationale Identität auch immer wieder in Frage gestellt, nicht zuletzt, weil oftmals nur eine kleinere Elite davon profitierte und die Staatenbildung zudem in vielen Fällen unter europäischer Ägide erfolgte, was zu aufoktroyierten Gebilden und in der Konsequenz häufig zu Konflikten führte (ebd., S. 19.f.). Nicht alle antikolonialen Strategien sind auf die Nation beschränkt. Auch pan-nationalistische Strömungen wie der Panarabismus, »der Latinoamericanismo«, »der Pan-Afrikanismus« sowie »die Négritude« mit Bezugnahme auf »französisch-sprachige, schwarze Intellektuelle«, machen sich zum Ziel, »die weiße westliche Vorherrschaft ideologisch und epistemologisch herauszufordern« (ebd., S. 20). Dabei artikulieren sich die pan-nationalistischen Strömungen zumeist durch Kategorien wie Rasse, Klasse oder Kultur (ebd., S. 21), die nicht minder modern sind, als die Kategorien von Nation und Nationalstaat. Obwohl ›Europa‹ bzw. ›der Westen‹ als das antagonistische Außen fungiert, als Gegner, den es zu überwinden gilt, wird es auch als modern und in dieser Hinsicht als vorbildhaft beschrieben. In den Vor-

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stellungen vieler antikolonialer Widerstandsbewegungen galt Chakrabarty zufolge gerade die Modernität als ein Erfordernis, um sich ›Europa‹ stellen zu können. Der »Wunsch, ›modern‹ zu sein« (Chakrabarty 2002, S. 291) durchdrang dabei insbesondere die nationalistischen Strömungen. Unter Bezugnahme auf Indien legt Chakrabarty dar, wie sich indische Denker des antikolonialen Widerstands dezidiert von ›Europa‹ abkehrten, gleichzeitig jedoch »europäische« Konzepte und Werte wie »Fortschritt«, »Freiheit«, »Gleichheit«, »Individualismus« und »Disziplin« (ebd., S. 293) als erstrebenswert galten und immer noch gelten. Dabei blieb die Vorstellung von »›Europa‹ als die Urheimat ›des Modernen‹« oftmals bestehen (ebd., S. 304). Übertragen auf das Konzept der diskursiven Identitätsbildung nach Laclau und Mouffe liegt der antagonistische Gegner damit einerseits in Europa, zum anderen befindet er sich jedoch auch im Eigenen insofern die eigene Rückständigkeit und Schwäche überwunden werden muss. Was hier offenbar wird, ist eine janusköpfige Konstruktion von Eigenem und Anderem, denn das Andere soll als antagonistischer Gegner überwunden werden, zur gleichen Zeit dient es jedoch als Vorbild des Eigenen, als etwas, mit dem sich das Eigene in Teilen identifiziert. Selbstverständlich ist auch diese Darstellung sehr stark vereinfacht und lässt sich nicht auf sämtliche Bewegungen des antikolonialen Widerstands übertragen. Es kann jedoch festgehalten werden, dass speziell »der antikoloniale Nationalismus […] [und die pan-nationalistischen Strömungen] in komplexe Prozesse verwoben [sind], die kolonialistischen Argumentationen sowohl widerstehen als sie auch bestätigen« (Castro Varela und Dhawan 2005, S. 19). Was die imaginativen Geographien antikolonialer Widerstandsbewegungen betrifft, so (re)produzierten sie häufig ähnliche Weltordnungskategorien und verknüpften diese auf ähnliche Weise mit einem Fortschrittsgedanken, wie die des eurozentristischen modernen Denkens – allerdings aus einer anderen Perspektive heraus. Es stellt sich nun die Frage, inwieweit die imaginativen Geographien des modernen Denkens im 21. Jahrhundert immer noch von Bedeutung für die (Be)Schreibung der Welt sind. Im Zuge von Globalisierungsprozessen, Migration und dem Erstarken der postkolonialen Kritik erweisen sie sich in zunehmendem Maße problematisch, sodass anderen Entwürfen des Weltordnens Platz gemacht wird und Konzepte von Fragmentierung, Hybridität, Transkulturalität und Transnationalität auch außerhalb der Wissenschaft beständig an Relevanz gewinnen

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(vgl. zusammenfassend Bachmann-Medick 2006, S. 184-283). Territoriale Einheiten werden darin aufgebrochen und auch zuteilen aufgelöst, wie z.B. in der Idee der Netzwerkgesellschaften, im Rahmen derer die Welt in Netzwerken als spaces of flows (Castells 2004) gedacht wird. Allerdings sind viele Konzepte des modernen und kolonialen Denkens auch nicht tot, im Gegenteil. Manche zeigen sich als äußerst persistent und bestimmen die imaginativen Geographien in vielen Bereichen mit, sei es in den Medien zur Rahmung von Nachrichten, in der internationalen Politik oder auch in Schulbüchern. Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks geisterten neben nationalstaatlichen Weltordnungsvorstellungen v.a. zwei Weltbilder durch die Diskurse der ›westlichen‹ Öffentlichkeit, die sich beide als zutiefst moderne Entwürfe verstehen lassen: Sie folgen modernen Ordnungskategorien (Staat, Nation, Kultur etc.), definieren ›den Westen‹ als höchste Stufe zivilisatorischer Entwicklung, machen ihn zum Maß aller Bewertung seiner Anderen und versuchen, seine Überlegenheit festzuschreiben (vgl. Reuber und Wolkersdorfer 2002, S. 26; Gebhardt und Kiesel 2004, S. 22ff.). Es handelt sich zum einen um ein universalistisches Weltbild des Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama, welches das weltweite Erreichen des westlichen Zivilisationsniveaus im positiven Sinne als »Ende der Geschichte« (1992) definiert. Aufgrund der zahlreichen Kriege und Konflikte der vergangenen Jahrzehnte sowie den Terroranschlägen des 11. Septembers konnte sich gegenüber Fukuyamas Idee das Weltbild vom Kampf der Kulturen nach Samuel Huntington jedoch in weiten Teilen durchsetzen, insbesondere in den Massenmedien (Reuber und Strüver 2009; Reuber, Strüver und Wolkersdorfer 2005). Mit der These, dass die Kriege und Konflikte der Zukunft zwischen den Kulturen ausgetragen werden, trifft Huntingtons Szenario zwar vollkommen andere Prognosen als die Theorie vom Ende der Geschichte, reproduziert jedoch ebenso die Denkstrukturen der Moderne. Indem es die Welt in homogene Kulturkreise einteilt, territorial eindeutig definiert und als realistisches Abbild der Welt verkauft, folgt es den zentralen Verortungsstrategien des modernen Denkens. Auch hier werden dem Westen, wie bei Fukuyama, bestimmte Merkmale und Werte im höchsten Stadium der zivilisatorischen Entwicklung zugeschrieben, doch wohingegen Fukuyama davon ausgeht, dass sich diese sukzessive in der Welt durchsetzen würden, müssen sie dem Huntington’schen Verständnis nach verteidigt werden.

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Imaginative Geographien von Eigenem und Anderem, die den Kategorien des modernen Denkens folgen, zeigen sich jedoch nicht nur in ›westlichen‹ Diskursen. Stuart Hall beispielsweise beschreibt in seinem Aufsatz »Die Frage der kulturellen Identität«, dass sich weltweit als Antwort auf Globalisierungsprozesse und »im Angesicht von Hybridität und der Verschiedenheit […] machtvolle Versuche […] [erkennen lassen], reine Identitäten wiederzuerschaffen und Kohärenz, ›Schließung‹ und Tradition wiederherzustellen« (Hall 1994b, S. 219). Er spricht vom »Wiederaufleben des ethnischen Nationalismus« (ebd.) und nennt Osteuropa und »die Nationalkultur in den Unabhängigkeitsbewegungen Indiens, Afrikas und Asiens« (ebd., S. 220) als Beispiele. Daneben erkennt er auch zunehmende Tendenzen religiöser Fundamentalismen, teilweise nationalstaatlich verfasst, und verweist dabei auf den Iran und andere »islamische[-] Staaten des Mittleren Ostens« (ebd.). Im Anschluss an diese Ausführungen muss hier gefragt werden, ob und wie sich in den hier zu untersuchenden Medien auch Strukturen des modernen und kolonialen bzw. antikolonialen Denkens zeigen. Lassen sich auch religiös definierte Kategorien ausmachen? Und welche Rolle spielt dabei ›der Islam‹ in den imaginativen Geographien der transnationalen arabischen Printmedien? 2.2.4 Die dichotomen Konstruktionen von Orient und Okzident, von islamischer Welt und Westen Die soeben aufgeworfenen Fragen stellen sich noch einmal mehr im Zusammenhang mit den Demarkationslinien zwischen ›Orient‹ und ›Okzident‹, zwischen ›der islamischen Welt‹ und ›dem Westen‹ – galt (und gilt?) doch der Orient, das Morgenland stets als das Andere des Okzidents, des Abendlandes (vgl. Said 1981 [1978]; Gregory 1998, S. 19; Miller 1985, S. 15). Diese Grenzziehungen bilden nicht unbedingt Alternativen zu den oben dargelegten von Westen und Rest oder Europa und kolonialisierter Welt. Sie ergänzen sich vielmehr, denn Gregory zufolge ist der Orient in den Ordnungsmustern der kolonialen Moderne immer Teil des Rests gewesen, doch hat er in der Hierarchie stets eine andere Stellung inne gehabt als beispielsweise Afrika (Gregory 1998, S. 19). Der Orient wird durch die Diskurse des modernen Denkens als Negativ zum Okzident entworfen, als dessen antagonistisches Außen, »conforming to the profile of what Europe thinks Europe is not; the opposition therefore is diametrical, producing a single

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symmetrical Other. That Other always has a separate identity of its own, an ›inferior‹ culture but a culture nonetheless, namely Islam« (Miller 1985, S. 15). Während dem Orient also eine Kultur als negative Kultur der eigenen zugeschrieben wird, gilt Afrika hingegen als »unhistorical continent with no movement or development of its own« (Gregory 1998, S. 19). In politischen Diskursen der ›westlichen‹ Öffentlichkeit spielte der Antagonismus von Orient und Okzident stets eine wichtige Rolle, obwohl gleichzeitig auch andere Antagonismen die imaginativen Geographien mitbestimmten (Gebhardt und Kiesel 2004, S. 26).15 Insbesondere in der Zeit zwischen dem formalen Ende des Kolonialismus bis hin zum Zusammenbruch des Ostblocks ist der Antagonismus von Orient und Okzident stärker in den Hintergrund getreten (ebd.) und hat dem Kalten Krieg mit seinem Antagonismus von Kapitalismus und Kommunismus, von »West« und »Ost«, das Feld überlassen (Reuber und Wolkersdorfer 2004, S. 367). Der Antagonismus von Orient und Okzident hat jedoch durch die in den 1970er Jahren auflebenden Diskussionen um den Islamismus sowie im Zusammenhang mit dem Zerfall Jugoslawiens wieder an Bedeutung gewonnen und dementsprechend die »alten« Argumentationsmuster wiederbelebt (vgl. Gebhardt und Kiesel 2003, S. 26). Allerdings verschob er sich in den öffentlichen Diskursen hin zu einem Antagonismus zwischen Westen und islamischer Welt, denn zu dieser Zeit wurde der Islam mehr und mehr als Bedrohung des Westens gezeichnet (Said 1981 [1978], S. 332). Somit verfestigte sich in geopolitischen Kontexten in zunehmendem Maße die Zweiteilung von Westen und islamischer Welt gegenüber derjenigen von Orient und Okzident. Samuel Huntingtons Vorstellung vom Kampf der Kulturen, die eine Hauptkonfliktlinie zwischen Islam und westlicher Welt postuliert und nach den Anschlägen des 11. Septembers auflebte, zeigt dies nur allzu deutlich (vgl. Huntington 1996; vgl. auch Reuber und Strüver 2009).

15 Wie sehr die Grenzziehung von Orient und Okzident auch im westlichen Wissenschaftskontext sedimentiert ist, zeigen nicht zuletzt die universitären Disziplinen der Orientalistik, Arabistik und Islamwissenschaft in Europa und den USA, welche über eine lange Tradition verfügen. Umgekehrt gibt es im ›Orient‹ keine Disziplin und kein Studienfach der Okzidentalistik.

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Edward W. Saids These, dass der Orient eine europäische Erfindung sei, wird nicht zuletzt dadurch bestätigt, dass die Konstruktion ›Orient‹ aus ›orientalischer‹ Perspektive heraus kaum (re)produziert wird (Escher 2005, S. 4). Anders verhält es bei den Konstruktionen von ›arabischer Welt‹ und ›islamischer Welt‹. Islamischen Geschichtsschreibungen entsprechend lässt sich ›der Islam‹ spätestens mit der Begründung der islamischen umma im Jahre 622 n.Chr.16 als ein leerer Signifikant im Sinne Laclau und Mouffes verstehen, über den sich soziale Gruppen identifizieren konnten (vgl. Holt 2004, S. 65 in Anlehnung an Sayyid 2003). Als leerer Signifikant ist ›der Islam‹ in der Lage, verschiedene und auch sich widersprechende islamische Strömungen mit ihren jeweils unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen zu vereinen (vgl. Holt 2004, S. 65). ›Arabisch‹ gilt dabei als ›Sprache des Islam‹ und allein daher sind die Signifikanten ›Islam‹ und ›Arabisch‹ eng miteinander verknüpft. Die antagonistischen Gegner, welche diesen Signifikanten inhärent sind, nahmen über ihre Geschichte hinweg andere Formen an – wie etwa ›die mekkanischen Polytheisten‹ (vgl. Halm 2002, S. 8), ›die Perser‹, ›die Neger‹ (vgl. Bauer 2005, 2001; Rosenthal 1997) oder auch ›die Kreuzfahrer‹ (vgl. Jaspert 2003) – und somit verschoben sich kontinuierlich auch die Bedeutungen dieser Signifikanten. Mit dem Kolonialismus wurden sie insbesondere gegenüber ›Europa‹ und ›Westen‹ neu definiert und spielten für die Identitätsstiftung in den antikolonialer Widerstandsbewegungen die entscheidende Rolle. Wie nach Chakrabarty (2002, S. 304) für viele Bewegungen des antikolonialen Widerstandes charakteristisch ist, zeigten sich auch hier die Konstruktionen von Europa und Westen in einer janusköpfigen Gestalt: auf der einen Seite als antagonistischer Gegner, als ausbeutende Kolonialmacht, die es zu überwinden galt, auf der anderen Seite als

16 Der Begriff umma bezeichnet eine Form der Gemeinschaft, die im Kontext der Entstehung des Islams »nicht mehr durch tribale Loyalität – die Einbettung des Individuums in seinen Stamm oder Clan – gekennzeichnet ist, sondern durch das neue religiöse Bekenntnis« (Halm 2002, S. 21). Danach wurden die politischen Grundlagen dieses Gemeinwesens durch den Propheten Mohammed und seiner Anhängerschaft nach der hiÊra, ihrer Auswanderung aus Mekka nach Medina 622 n.Chr., geschaffen und verfestigt (ebd., S. 20). Der Begriff umma wird im Arabischen der Gegenwart jedoch auch im Sinne von ›Nation‹ gebraucht (ebd.).

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Vorbild hinsichtlich seines technischen Fortschritts, seiner politischen Systeme, seiner Einheit und seiner Stärke (vgl. Hourani 1962, S. 197). Letztere Aspekte wurden in überwiegendem Maße als notwendig erachtet, um Europa bzw. dem Westen begegnen und zurückweisen zu können (Sharabi 1970, S. 44). Dieses Argumentationsmuster offenbart sich zunächst in panislamischen Strömungen im Sinne eines reformerischen Islam, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts aufkeimten. Zu ihren berühmtesten Vertretern gehörten der islamische Philosoph ÉamÁl ad-DÐn al-AfÈÁnÐ (183997) und sein Schüler MuÎammad ÝAbduh (1849-1905), die beide an der al-Azhar Universität in Kairo wirkten und zeitweilig in Paris studierten. Den Hauptargumentationssträngen dieser Strömungen nach müssten Uneinigkeit und Rückschrittlichkeit der Muslime durch die Akzeptanz und Integration der Früchte der europäischen Moderne in die islamische Gesellschaftsordnung überwunden werden – so wie auch Europa von den Früchten der islamischen Kultur profitierte – um sich Europa entgegenstellen zu können (vgl. Hourani 1962, S. 115; zusammenfassen Kassab 2009, S. 26f.; siehe auch Fabig 1996, S. 101). Ähnlich wird im Kontext nationalistischer und panarabistischer Strömungen argumentiert. Diese blühten in den Phasen der Dekolonisationsprozesse auf und richteten sich sowohl gegen die europäische Fremdherrschaft als auch gegen das Osmanische Reich. Dabei wurde Europa einerseits als Quelle der Modernisierung und als Vorbild erachtet, galt jedoch v.a. als ausbeutende Hegemonialmacht, von der man sich befreien müsse (vgl. Mejcher 2001, S. 435; Hourani 1992, S. 343ff.; Sharabi 1970, S. 97). Historikern und Politikwissenschaftlern zufolge verfestigten sich die nationalistischen und panarabistischen Tendenzen v.a. in Ägypten unter Präsident Gamal Abdel Nasser (reg. 1954-1970) sowie im Norden der Arabischen Halbinsel und im Fruchtbaren Halbmond mit der Gründung der Baath-Partei, eine sozialistische, dem Panarabismus verpflichtete Bewegung (vgl. Faath und Mattes 2003, S. 332). In Anlehnung an den Arabisten und Islamwissenschaftler Issa J. Boullata (1990) ließen jedoch wirtschaftliche Krisen, zunehmende Armut, Konflikte mit Israel, insbesondere die Niederlage der arabischen Staaten im 6-Tage-Krieg im Jahr 1967, unterschiedliche Interessen der arabischen Staaten, die wirtschaftliche Abhängigkeit von den USA und Europa sowie die zunehmenden Interventionen der USA die panarabistischen Bewegungen abflauen. Aus den Ausführungen dieses

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Autoren könnte sogar eine Dislokation im Laclau und Mouffe’schen Sinne herausgelesen werden, denn »[t]he times were increasingly ripe for another ideology to articulate the needs and interests of the new rising social forces in the Arab society, an ideology which would appeal to ›the people‹, bring meaning to their lives and give them hope in improvement« (Boullata 1990, S. 153). Diese Situation begünstigte den Aufschwung islamistischer Bewegungen, die sich ihrerseits wiederum in ihren Ideologien, Zielen und Praktiken stark voneinander unterschieden. Ihre Gemeinsamkeit sehen Politik- und Islamwissenschaftler v.a. in ihrem Konfrontationskurs gegenüber ›dem Westen‹ (vgl. z.B. Fabig 1996, S. 113f.). Der Arabist Martin Forstner geht sogar so weit zu behaupten, »daß es sich auf islamischer Seite auch um ein kulturelles Programm der Entwestlichung des Wissens und der Wissenschaften handelt, um ein Projekt gegen die okzidentale Rationalität« (Forstner 2001, S. 87). In diesem Kontext wäre bereits ein Kampf der Kulturen von Muslimen postuliert worden, sodass Huntington mit seiner Idee verspätet erscheine (ebd.).17 Die Frage ist nun, inwieweit sich dieses Weltbild auch heute noch ausmachen lässt. Wie zeigt es sich in den hier zu untersuchenden Medien? Inwieweit lassen sich Alternativen ausmachen und inwieweit

17 Wie im Falle des vorhergehenden Abschnitts kann dieser hier im Rückgriff auf Forschungsarbeiten aus den Bereichen der politischen Geographie, der postkolonialen Theorie sowie der Arabistik und Islamwissenschaft dargelegte Überblick weder der Vielfalt und Heterogenität an diskursiven Konstruktionen von Orient und Okzident bzw. islamischer und arabischer Welt gegenüber dem Westen noch der Vielfalt der Forschungsarbeiten selbst gerecht werden. Der kurze Überblick ist eine Konstruktion, die auch hätte anders erzählt werden können. Doch auch hier ist nicht das Ziel gewesen, die verschiedenen Konstruktionen in ihrer Vielfalt darzulegen, sondern zu zeigen, dass sie über lange Geschichten verfügen, dass die imaginativen Geographien der kolonialen Moderne diejenigen der antikolonialen Widerstandsbewegungen in starkem Maße mit formten und sowohl Panislamismus als auch Panarabismus einerseits die modernen eurozentrischen und kolonialen Argumentationsweisen herausforderten, andererseits in weiten Teilen auch bestätigten. Sie können im Anschluss an die hier aufgeführten Forschungsarbeiten als Teile großer Erzählungen (Foucault 2003 [1972], S. 18) gefasst werden, denen bis heute eine äußerst machtvolle Rolle zuzukommen scheint.

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werden die räumlichen Ordnungskategorien der Moderne, des antikolonialen Widerstandes und damit zusammenhängend des Panarabismus und des Panislamismus sichtbar? Lassen sich demgegenüber auch Weltbilder ausmachen, die Ausdruck von Prozessen kultureller Fragmentierung, Hybridität, Transkulturalität und Transnationalität sind? Um diese Fragen angehen zu können, müssen nun noch die imaginativen Geographien als diskursive Konstruktionen in Massenmedien theoretisch beleuchtet werden, denn dort erfüllen sie bestimmte Funktionen und unterliegen bestimmten (Re)Produktionsregeln, die es sowohl für die Medienanalyse selbst als auch für die Diskussion der Ergebnisse dieser Studie zu berücksichtigen gilt.

2.3 I MAGINATIVE G EOGRAPHIEN M ASSENMEDIEN

IN

Unser Wissen über die Welt erlangen wir zu großen Teilen durch die Massenmedien. Damit informieren sie nicht etwa nur die Gesellschaft, sondern formen gleichermaßen die Welt und die Gesellschaft durch ihre Wissensproduktion und ihre imaginativen Geographien mit. An diese These anschließend werden im Folgenden zunächst Überlegungen aus den oben dargelegten diskurstheoretischen Ansätzen zur gesellschaftlichen Funktion imaginativer Geographien in Massenmedien formuliert (Kapitel 2.3.1). Die imaginativen Geographien weisen dort wiederum bestimmte Formen, Merkmale und Funktionen auf, die aus den kontingenten und kontextabhängigen Formationsregeln der massenmedialen Diskurse resultieren; denn was auf welche Weise zum Gegenstand des Wissens und zur Nachricht wird, was vergessen und was auf welche Weise in Erinnerung bleiben soll und wie dementsprechend unsere imaginativen Geographien von der Welt aussehen, hängt letztendlich von eben diesen Regeln ab. Um dies in den Blick zu bekommen, wird im nächsten Schritt auf die bereits dargelegte Konzeptionalisierung der Prozeduren zurückgegriffen, die nach Foucault den Diskurs begrenzen und kontrollieren (vgl. dazu Kapitel 2.1.2). Hierbei wird erörtert, auf welche Weise die Ausschlusssysteme des verbotenen Wortes, der Grenzziehung zwischen wahr und falsch sowie der Grenzziehung zwischen Wahnsinn und Vernunft in den Bereichen von Nachrichten, Berichte und Meinungsbeiträge wirken (Kapitel 2.3.2). Foucault macht neben den Ausschließungssystemen auch diskursinter-

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ne Prozeduren der Kontrolle und Einschränkung aus, einschließlich einer Vielzahl an Regelsystemen, sowie Prozeduren zur Verknappung des Subjektes (vgl. Kapitel 2.1.2). In Anlehnung an diese Ideen werden Überlegungen angestellt, nach welchen Regeln etwas zur Nachricht wird. Dies ist hier insofern von Bedeutung, als dass die imaginativen Geographien der Massenmedien durch Nachrichten konstituiert werden. Sie liefern für Nachrichten eine Erklärung und einen Deutungsrahmen, wobei sie im Zuge des Erklärens (re)produziert werden. Darauf wird in Kapitel 2.3.3 eingegangen. Anschließend wird beleuchtet, was die Diskurse der Massenmedien antreibt und wie sich dementsprechend imaginative Geographien verändern und verschieben (Kapitel 2.3.4). Bevor dies jedoch erfolgt, muss vorab noch eine Anmerkung gemacht werden. Die theoretischen Vorüberlegungen basieren hier im Wesentlichen auf den vorgestellten diskurstheoretischen Ansätzen sowie auf einige medientheoretische Konzepte, die in die Diskurstheorie übersetzt werden. In Kapitel 2.3.3 wird dabei insbesondere auf »Die Realität der Massenmedien« von Niklas Luhmann (2004 [1995]) zurückgegriffen. Sein systemtheoretischer Ansatz lässt sich nicht ohne Weiteres mit einer poststrukturalistisch-diskurstheoretischen Konzeption zusammendenken, da sie jeweils unterschiedliche Erkenntnisinteressen verfolgen und dementsprechend auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen. »[W]as [im Poststrukturalismus] Sprache oder ›symbolische Ordnung‹ heißt und rekonstruktiv analysiert wird, [wird] hier als ›System‹ gefasst und konstruktiv entwickelt« (Mersch 2006, S. 208). Während in poststrukturalistischen Untersuchungen vornehmlich die kritische Hinterfragung und Denaturalisierung von Konstruktionen gesellschaftlichen Sprechens, Denkens und Handelns in den Vordergrund rückt, geht es Luhmann im Wesentlichen um die Beschreibung sozialer Ordnungen. Aus diesem Grund soll hier dezidiert nicht der Versuch unternommen werden, den Luhmann’schen Ansatz mit dem hier bisher dargelegten theoretischen Grundgerüst zu verschmelzen. Es sollen vielmehr einige Ideen aus seinem Ansatz herausgegriffen und in die Diskurstheorie übersetzt werden, da sie hilfreich für das Verständnis der Funktion sowie der (Re)Produktion von imaginativen Geographien in Massenmedien sind. Eine solche Übersetzung erscheint hier unproblematisch, denn »[d]er [Luhmann’sche] Ansatz konvergiert ersichtlich mit dem Theorem des Strukturalismus und Poststrukturalismus – […] darauf hat Luhmann selbst mehrfach hingewiesen« (Mersch 2006,

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S. 208). Die Gemeinsamkeiten liegen u.a. in ihrem jeweils konstruktivistischen Zugang zur sozialen Wirklichkeit. Außerdem handelt es sich in beiden Fällen um differenztheoretische Ansätze und schließlich kommt auch die Systemtheorie ohne ein autonomes und selbstidentisches Subjekt aus (vgl. Mersch 2006, S. 208).18 In seinem Werk »Die Realität der Massenmedien« (2004 [1995]) analysiert Luhmann die Funktionsweise des massenmedialen Systems und beleuchtet die Realitäten, welche durch dieses System konstruiert werden. Was er hier als Erfordernisse, wie eine Nachricht auszusehen hat, und als Routinen der Nachrichtenproduktion beschreibt, sollen in die Diskurstheorie übersetzt als kontingente und kontextabhängige Formationsregeln massenmedialer Diskurse verstanden werden. 2.3.1 Imaginative Geographien massenmedialer Diskurse und ihre gesellschaftlichen Funktionen Indem die Massenmedien unsere sozialen Wirklichkeiten zu großen Teilen mitformen, spielen unterschiedlichen Formen von Macht zusammen, die bereits an diversen Stellen angesprochen wurden. Sie zeigen sich in verschiedenen Machteffekten, z.B. darin, wann und wie etwas zum Gegenstand der Medien und zur Nachricht wird, dass und wie die Diskurse der Medien unsere Welten und Realitäten hervorbringen, dass und wie sie unser Denken, Sprechen und Handeln anleiten, dass und wie durch Medien über Andere etwas gewusst wird. Den Massenmedien ist darüber hinaus eine Form von Macht inhärent, die sich als »eine Anreizungsmacht« (Dorer 2006, S. 358) verstehen lässt. Hierbei handelt es sich im Sinne Foucaults um eine produktive Form von Macht, die auf bestimmte Arten und Weisen den Bedarf nach Information, nach Wissen und Wahrheit beständig aufrechterhält, sodass »ein kontinuierlicher Fluss« (ebd.) eines Mehr an Bildern und Texten entsteht. Mit Foucault lässt sich die Aufrechterhaltung dieses Flusses durch den Willen zu Wissen und Wahrheit (vgl. Kapitel 2.1.2) erklären, mit Laclau und Mouffe durch den Mangel, welcher dem Subjekt eingeschrieben ist (vgl. Kapitel 2.1.3). Auch wenn der Antrieb auf unterschiedliche Weisen erklärt wird, so liegt aus beiden Perspektiven

18 Für weitere Arbeiten aus dem Bereich der Diskursforschung, in denen systemtheoretische mit diskurstheoretischen Herangehensweisen kombiniert werden, vgl. z.B. Åkerstrøm und Asmund 2007; Åkerstrøm 2008.

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die entscheidende Funktion der Medien für die Gesellschaft nicht in der Bereitstellung eines Mehr an Wissen, sondern in der mit dem Wissensfluss einhergehenden Fest- und Weiterschreibung von Normen, Weltbildern, Identitäten etc. Die Medien liefern damit Orientierung und geben vor, was zu denken, zu sprechen und zu tun ist. Auf diese Weise (re)produzieren sie gesellschaftliche Verhältnisse. Dabei sind die Medien nichts, was über oder außerhalb der Gesellschaft stehen würde, denn diese werden wiederum mit all ihren Organisationen, Regelungen, Routinen und mit all ihrem Sprechen durch gesellschaftliche Verhältnisse diskursiv hervorgebracht, stabilisiert und verändert. Insofern lässt sich davon ausgehen, dass durch die Medienanalysen Rückschlüsse auf gesellschaftliche Verhältnisse gezogen werden können. Die in den Medien (re)produzierten imaginativen Geographien verschaffen insbesondere eine räumliche Orientierung und verorten Identitäten von Eigenem und Anderem, von Freunden und Feinden – ›wir‹ im ›Westen‹, ›die Anderen‹ im ›Orient‹, die ›gemäßigten arabischen Staaten‹ und ›die Schurkenstaaten‹, um nur einige Beispiele zu nennen. Dabei werden Texte und Bilder der Medien, v.a. in den Bereichen Nachrichten, Berichterstattung, Meinungsbeiträge und Kommentare, häufig aus einer Erzählerperspektive (re)produziert, als würden Berichterstatter oder Kommentator über den Dingen schweben. Aus diesem Grund wird häufig nicht durch ein explizites ‚wir‘ oder ‚uns‘ zum Ausdruck gebracht, was als das Eigene gedacht wird. Grenzziehungen werden eher zwischen Einem und Anderem gezogen. Doch in den meisten Fällen offenbart sich implizit, mit wem man sich identifiziert und wem die Solidarität gilt. Aus diesem Grund soll im Folgenden der Ausdruck ›das Ei(ge)ne‹ verwendet werden. Er bezieht sich sowohl auf das Eigene als auch auf das Eine, mit dem sich das Eigene solidarisiert. Imaginative Geographien liefern über eine gesellschaftliche Orientierung hinaus auch einen Deutungs- und Erklärungsrahmen für berichtetes Geschehen. Beispielsweise würden Nachrichten über großflächigen Drogenanbau automatisch eine ganz andere Erklärungsgeschichte mitliefern, wenn er in Afghanistan verortet würde, als wenn es sich um Deutschland handele, und zwar ohne diese explizieren zu müssen. Im Zuge des Erklärens und Rahmens werden imaginative Geographien in den Medien immer wieder aufs Neue (re)produziert und weiter erzählt, weiter eingeschrieben oder abgewandelt und neuen

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Informationen angepasst. Wie beständig sie sich zeigen, hängt jeweils von ihren Erklärungsgehalten ab. 2.3.2 Zur Wahrheitsproduktion, Zensur und Selbstzensur in Massenmedien Die Grenzziehung zwischen wahr und falsch, welche nach Foucault (2003 [1972], S. 13ff.; vgl. Kapitel 2.1.2) als ein entscheidendes Ausschließungssystem zur Verknappung des Diskurses fungiert, kommt auch in den Massenmedien voll zum Tragen, vorzugsweise im Bereich der Nachrichten, der Berichterstattung, der Kommentierung von und den Meinungsbeiträgen zu berichtetem Geschehen. Mit Luhmann muss allerdings die Produktion von Wahrheiten durch die Medien deutlich von denjenigen der Wissenschaft differenziert werden: »Wahres interessiert die Massenmedien nur unter stark limitierenden Bedingungen. […] Anders als in der Wissenschaft wird die Information nicht derart durchreflektiert, daß auf wahre Weise festgestellt werden muß, daß Unwahrheit ausgeschlossen werden kann, bevor Wahrheit behauptet wird« (Luhmann 2004 [1995], S. 56 und S. 74). Nicht zuletzt »wissen wir so viel über die Massenmedien, dass wir ihnen nicht trauen können« (ebd., S. 9). In Analogie zu diesem Verständnis von Medienwahrheit muss auch ihre Qualität des Festschreibens und der Naturalisierung eine andere sein, als die der Wissenschaft. Sie muss offener für Veränderungen, brüchiger, instabiler und im gesamten Mediensystem heterogener sein als die wissenschaftlich produzierte Wahrheit. In der Konsequenz können auch die imaginativen Geographien der Medien leichter veränderbare und insgesamt heterogenere Formen annehmen, als diejenigen der Wissenschaft. Gleichwohl sind sie nicht weniger wirkmächtig: Obwohl wir »alles Wissen mit dem Vorzeichen des Bezweifelbaren versehen« (ebd., S. 10), müssen wir darauf aufbauen und daran anschließen (ebd.). Neben der Grenzziehung von wahr und falsch nennt Foucault die Grenzziehung zwischen Wahnsinn und Vernunft sowie das verbotene Wort als weitere diskursive Ausschlusssysteme (vgl. Kapitel 2.1.2). Auch diese greifen hier, denn v.a. in den Bereichen Nachrichten, Berichterstattung, Kommentar und Meinung wird weder das Wort desjenigen erlaubt, der als wahnsinnig gilt, noch wird das ausgesprochen, was verboten ist. Während dem Wahnsinnigen erst gar kein Zugang zu entsprechenden Sprecherpositionen gewährt wird, wirkt das Aus-

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schlusssystem des verbotenen Wortes durch Zensur und Selbstzensur. In Handbüchern des Journalismus wird in diesem Zusammenhang häufig vom Pressekodex und vom Normenkontext gesprochen (vgl. z.B. Weischenberg 1998, S. 69), wobei letzterer auch »die weniger formalisierten professionellen und ethischen Standards für journalistische Berufstätigkeit« (ebd. S. 69) umfasst. Wird das verbotene Wort ausgesprochen, so muss mit Sanktionen gerechnet werden. In arabischen Medien zeigt sich Zensur noch einmal auf ganz andere Weisen als beispielsweise in deutschen. Darauf und auf entsprechende Konsequenzen für die dort (re)produzierten imaginativen Geographien wird im Zuge der Zusammenstellung des Datenkorpus noch genauer eingegangenen werden (vgl. Kapitel 3.2). Seitdem z.B. in der Zeitung al-Hayat ein Text veröffentlicht wurde, der das saudi-arabische Rechtssystem aufgrund der Bestrafung von Diebstahl durch das Abhacken der Hand kritisiert, taucht der entsprechende Autorenname, ÝAfÐf al-AÌÃar, nicht mehr unter einem der Artikel dieser Zeitung auf (vgl. CLIME 2007). 2.3.3 Imaginative Geographien und die Erfordernisse von Nachrichten in massenmedialen Diskursen Für die Bereiche Nachrichten, Berichte und Meinung in Printmedien sind Medieninstitutionen verantwortlich, die ihrerseits diskursiv hervorgebracht und damit Resultat gesellschaftlicher Machtverhältnisse ökonomischer, politischer, organisatorischer und technologischer Art sind (vgl. Weischenberg 1998, S. 69). Ihre Aufgabe besteht darin, Wissen zu erwerben, zu verwalten und es nach bestimmten Regeln an die Öffentlichkeit weiter zu geben. Auf diese Weise steuern sie wiederum die Produktion bestimmter Diskurse. Durch etablierte Praktiken, Strukturen und Programme der Medienorganisationen wird die Arbeit routinisiert, es werden Zuständigkeiten geregelt und Produktionsprozesse stabilisiert oder verändert. In diesen Zusammenhängen findet auch die Verknappung der sprechenden Subjekte statt, beispielsweise durch die Ausbildung und Professionalisierung von Journalisten, die von bestimmten Sprecherpositionen im Mediendiskurs sprechen können, zu denen andere Subjekte wiederum keinen Zugang haben. Auf diese Weise werden Wissen und Informationen in bestimmte Muster und Schablonen eingepasst. Diese manifestieren sich

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wiederum in Texten und Bildern und damit auch in den imaginativen Geographien. Für die Analyse imaginativer Geographien in Printmedien ist zunächst wichtig, nach welchen entscheidenden Regeln außerhalb der Mediendiskurse stehendes Wissen überhaupt zur Nachricht wird.19 Die Nachricht lässt sich dabei im Sinne von Foucault als spezifische Aussage(n), im Sinne von Laclau und Mouffe als spezifische Artikulation(en) verstehen, die bestimmte Erfordernisse zu erfüllen hat. Im Anschluss an Luhmann sind hier zunächst die Erfordernisse der Aktualität und Rekursivität zu nennen (Luhmann 2004 [1995], S. 57ff.). Das Erfordernis der Aktualität meint, dass eine Information neu sein muss, um zur Nachricht zu werden. Sie überrascht idealerweise durch markante Diskontinuität und bricht bestehende Erwartungen. Um diese allerdings verstehen zu können, gilt das Erfordernis der Rekursivität, d.h. die Neuheiten müssen innerhalb vertrauter Kontexte erscheinen. An Beispielen lassen sich Kriege und Konflikte, Unfälle, Gipfeltreffen und Reformen erdenken, zu denen es jeden Tag etwas Neues zu berichten gibt. Die vertrauten Kontexte werden beispielsweise durch das Anknüpfen an alte Meldungen hergestellt, aber auch durch die imaginativen Geographien, welche im Zuge des Meldens, Berichtens und Kommentierens (re)produziert werden. In ihrer Funktion als vertrauter Kontext, Erklärungs- und Deutungsrahmen müssen sie einerseits bekannt sein, denn sonst könnten sie keine vertrauten Kontexte herstellen. Auf der anderen Seite müssen sie jedoch aufgrund des Gebots der Aktualität und Neuheit auch besonders offen für Verschiebungen und Veränderungen sein. Ihre Verhandlung erfordert Flexibilität, denn die imaginative Geographie muss je nach Meldung einen passenden Erklärungs- und Deutungskontext liefern. Die Erfordernisse von Aktualität und Rekursivität legen jedoch nicht nur nahe, dass die imaginativen Geographien mit jeder neuen Nachricht – wenn auch nur leichten – Veränderungen unterliegen, sondern auch, dass ein Repertoire an unterschiedlichen imaginativen Geographien vorhanden sein muss, auf das zurückgegriffen werden kann. Veranschaulichen lässt sich dies etwa an der Berichterstattung über die Eskalation des Süd-Ossetien-Konfliktes im Jahr 2008. So schnell wie sie gemeldet wurde, so schnell war auch das tot gesagte

19 Weitere Regeln, die für diese Studie von Relevanz sind, werden in Kapitel 3.3 thematisiert.

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Weltbild vom Kalten Krieg mit seinen ideologischen Blöcken von Ost und West wieder in den Medien präsent (Reuber 2009). Das Gebot der schnellen Abrufbarkeit von imaginativen Geographien bedingt wiederum, dass sie einfach gestrickt sein müssen. Sie dürfen nicht zu kompliziert und nicht zu spezifisch sein, denn sonst könnten neue Meldungen nicht in der erfolrderlichen Geschwindigkeit durch sie gerahmt werden. Im Anschluss an den Soziologen Stuart Hall führt solch eine notwendige Simplifizierung häufig zur Stereotypisierung, und damit zu einer »einseitige[n] Beschreibung, die aus dem Zusammenfallen komplexer Differenzen in einen einfachen ›Holzschnitt‹ resultiert. Verschiedene Charakteristika werden zusammengezogen oder in eine einzige Eigenschaft verschmolzen« (Hall 1994a, S. 166). Durch die Stereotypisierung wird im Rahmen der Verortung von Ei(ge)nem und Anderem »reduziert, essentialisiert, naturalisiert […]. Sie vereinfacht […] das ›Zusammenbinden‹ oder ›Zusammenschweißen‹ zu einer ›imaginierten Gemeinschaft‹; und schickt alle ›Anderen‹ […] in ein symbolisches Exil« (Hall 2004, S. 144). Unter dem Stichwort der »Anreizungsmacht« (s.o.) wurde bereits erörtert, was im Anschluss an die Diskursverständnisse von Foucault sowie von Laclau und Mouffe die Mediendiskurse antreibt: Es handelt sich um den Willen zum Wissen nach Foucault (vgl. Kapitel 2.1.2) sowie um den Mangel des Subjekts nach Laclau und Mouffe (vgl. Kapitel 2.1.3). Im Rückgriff auf Luhmann wird der Bedarf nach Information jedoch auch durch die spezifische Art und Weise in Gang gehalten, wie Nachrichten und Berichte hervorgebracht werden. Indem Geschichten erzählt, nicht abgeschlossen und immer wieder aufgegriffen werden, wird auch der Bedarf nach neuen Informationen über diese Geschichten beständig aufrechterhalten. Dieses Geschichtenerzählen lässt sich übersetzt in das Diskursverständnis nach Foucault als bestimmte Formen der Verknüpfungen von Aussagen verstehen, nach Laclau und Mouffe als spezifische, mit einander verknüpfte Artikulationen, die eine Geschichte erzählen. Diese Geschichten sind damit Bestandteile der diskursiven Formationen, die ihrerseits entscheidend zur Strukturierung von Diskursen beitragen und insofern auch als wichtige Regelsysteme innerhalb der diskursiven Formationen verstanden werden können (vgl. Viehöfer 2001, S. 178). Nach Luhmann werden Geschichten, die sich um Konflikte drehen, bevorzugt erzählt, denn »sie haben […] den Vorteil, auf eine selbsterzeugte Ungewißheit anzuspielen. Sie vertragen die erlösende

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Information über Gewinner und Verlierer mit dem Hinweis auf die Zukunft. Das erzeugt Spannung […]« (ebd., S. 59). Spannung und interessante Darstellungsformen gehören nach den meisten Handbüchern der Journalistik zu den wichtigsten Voraussetzungen, um Informationen verkaufen zu können (vgl. z.B. Wolff 2006; Lorenz 2002; Schlapp 2001).20 Dementsprechend lautet eine der bekanntesten Journalistenweisheiten: Only bad news are good news! (vgl. Heimeier und GrafSzczuka 2006, S. 145). Die Folge für die imaginativen Geographien der Nachrichten und Berichte ist häufig eine Zuspitzung auf Freundund Feindbilder, Differenzierungen zwischen Ei(ge)nem und Anderem werden konfliktträchtig, die politisches Handeln geradezu verlangen. Neben dem Fokus auf Konflikte lässt sich mit Luhmann auch der Fokus auf Normverstöße als eine beobachtbare Regelmäßigkeit in Diskursen der Massenmedien ausmachen. Es handelt sich um Rechtsverstöße, Moralverstöße, Skandale und Verstöße gegen die political correctness, die ihrerseits auch nicht per se existieren, sondern ebenso diskursiv hergestellt werden. »Die Massenmedien können durch solche Meldungen von Normverstößen, von Skandalen mehr als auf andere Weise ein Gefühl der gemeinsamen Betroffenheit und Entrüstung erzeugen« (Luhmann 2004 [1995], S. 62). Aus diesem Grund sind zumeist auch die imaginativen Geographien der Medien in starkem Maße mit Normen und Werten besetzt und somit werden Normen und Werte mit ihnen (re)produziert. Eine weitere, hier relevante, Regel der Mediendiskurse ist im Anschluss an Luhmann die Personifizierung. »Personen dienen der Gesellschaft als greifbare Symbole« (ebd., S. 67). Dies zeigt sich in imaginativen Geographien wenn diskursiv produzierte Räume, wie z.B. Staaten, durch Personen, beispielsweise Staatspräsidenten, repräsentiert werden. Insbesondere gilt dies für Karikaturen.21 Im Rahmen der vorliegenden Studie werden die soeben beschrieben Regeln der Mediendiskurse sowie ihre Folgen für die imaginativen Geographien, die sie produzieren, zunächst als Anhaltspunkte für die

20 Was als spannend und interessant gilt, wird aus diskurstheoretischer Perspektive auch diskursiv hergestellt und ist damit immer kontingent. 21 Die weiteren Regelhaftigkeiten, die Luhmann thematisiert – z.B. der Gebrauch von Quantitäten oder die Herstellung eines lokalen Bezugs –, sollen hier nicht mehr ausgeführt werden, da sie für die Analyse dieser Untersuchung weniger relevant sind.

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zu untersuchenden Zeitungen genommen. Inwieweit sie sich bestätigen – und inwieweit auch nicht – wird an entsprechenden Stellen thematisiert. So bleibt zunächst festzuhalten, dass die in den Bereichen von Nachrichten und Berichten verhandelten imaginativen Geographien der Massenmedien aufgrund der Erfordernisse von Aktualität und Rekursivität sowie aufgrund der bevorzugen Themen von Konflikten und Normverstößen als einfach gestrickte Entwürfe schnell abrufbar in einem heterogenen Repertoire zur Verfügung stehen. Sie simplifizieren, stereotypisieren, essentialisieren und naturalisieren, wobei ihnen häufig verdichtete Freund-Feind-Schemata immanent sind. Auf welche Weise sich die imaginativen Geographien in den Massenmedien verändern, aufgebrochen und durch andere verdrängt werden, wird im folgenden Abschnitt thematisiert. 2.3.4 Zum Wandel imaginativer Geographien durch Medienereignisse Die Diskurse der Medien und damit auch ihre imaginativen Geographien befinden sich stets und ständig in Bewegung und unterliegen fortwährend – wenn auch nur geringfügigen – Veränderungen. Eine entscheidende Rolle spielt dabei das Ereignis, denn nach Foucault sowie nach Laclau und Mouffe unterbricht es die bestehende Ordnung, ist nicht aus ihr ableitbar und kann lediglich als Effekt und niemals als es selbst wahrgenommen werden (vgl. Kapitel 2.1.2 und 2.1.3). Wie bereits in den obigen Ausführungen dargelegt, hängt jedoch die Feststellung, ob man es mit einem Ereignis zu tun hat, oder nicht, letztendlich von der Perspektive des Betrachters ab, denn bereits eine Aussage im Sinne Foucaults bzw. die Artikulation als In-Beziehung-Setzen zweier Elemente nach Laclau und Mouffe kann bereits als ein Ereignis gewertet werden. Wird nun diese Konzeptionalisierung von Ereignis auf die Medien übertragen, ist ein Medienereignis also nicht mehr als etwas zu verstehen, das auf einer objektiv wahrnehmbaren Ebene passiert und über das in den Medien berichtet wird. Es handelt sich vielmehr um etwas, das sich als Effekt zeigt und durch das Auftreten neuer Aussagen bzw. neuer Artikulation in den Diskursen der Medien als Nachrichten von aktuellem, politischen Geschehen sichtbar wird. Diese Nachrichten beziehen sich wiederum auf andere Diskurse, Artikulationen bzw. Aussagen.

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Im Anschluss an Foucault sowie Laclau und Mouffe lassen sich auch hier verschiedene Ereignistypen ausmachen – vom Aussageereignis bzw. von der Artikulation, mittels derer diskursive Formationen scheinbar (re)produziert werden, bis hin zu solchen, die Brüche, Diskontinuitäten bzw. Dislokationen hervorrufen.22 Im Falle eines Bruchs bzw. einer Dislokation wären die Diskurse der Medien mit medienexternen Aussagen bzw. Artikulationen konfrontiert, die sie nicht greifen können. Im Extremfall wäre dies ein »katastrophischer Einbruch in die scheinbar gesicherte Normalität«, der »alle Programmplanungen, alle Strukturerwartungen, alle Regeln zunächst außer Kraft setzt« (Hickethier 2006, S. 14). Damit hängen Medien einerseits von Ereignissen ab, andererseits können sie durch diese jedoch auch in starkem Maße herausgefordert werden, denn es ist ihre Aufgabe, dem Aufbrechen ihrer eigenen diskursiven Ordnungen und dem Rauschen neu auftretender Aussagen bzw. Artikulationen Einhalt zu gebieten, diese in Strukturen zu fassen, in einen narrativen Kontext einzubetten und ihnen Sinn und Bedeutung zuzuweisen. Ebenso, wie nach Luhmann Konflikte bevorzugt behandelt werden, sind es v.a. die Medienereignisse des Typs Krisen und Konflikte, welche die Medien herausfordern (vgl. Weichert 2006, S. 225). Denn diese bewirken nicht nur einen Bruch im regulären Programmablauf der Medien, sondern auch Brüche auf Ebene des sozialen Lebens der Zuschauer. Sie evozieren »Augenblicke der Trennung und Wiedervereinigung und rufen beim Zuschauer Erlebnisse mit antistrukturellen (nichts ist mehr so, wie es war), gemeinschaftlichen (wir stehen zusammen), konjunktivistischen (was könnte danach sein?) Dimensionen hervor« (ebd., S. 223, Herv. i.O.). In dieser Hinsicht ist es die Aufgabe der Medien ihren Zuschauern Sicherheit, Werte, Sinn und Orientierung zu vermitteln (ebd., S. 135f.). Die Medien sind also gezwungen, auf bekannte Muster, Ein- und Ausschlusssysteme zurückzugreifen und diese in starkem Maße zu reproduzieren, um den diskursiven Bruch zu bändigen. Erscheinen durch das Ereignis die Ordnung und die Werte

22 In der medienwissenschaftlichen Literatur sind eine Reihe an unterschiedlichen Konzeptionalisierungen und Typisierungen von Medienereignissen zu finden (vgl. zusammenfassend Hepp 2006, S. 233; Weichert 2006, S. 205). Hier stützen sich die Überlegungen im Wesentlichen auf ein diskurstheoretisches Verständnis von Ereignis, welches in den Kapitel 2.1.2 und 2.3.4 dargelegt wurde.

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einer Gesellschaft bedroht, besonders, »wenn die eigene Nation, die eigene Gesellschaft oder Kultur von der Krise betroffen sind« (ebd.), werden im Zuge der narrativen Rahmungen und Kommentierungen umso »stärkere Gemeinschaftsgefühle erzeugt und ›Freund-FeindSchemata‹ dramatisch verdichtet« (ebd.). So wurde im Kontext des Medienereignisses vom 11. September beispielsweise schnell von zivilisierter und nicht zivilisierter Welt gesprochen, von eigenen Werten, wie Demokratie, Freiheit und Menschenrechte, die es gegenüber dem Terrorismus zu verteidigen gelte, von der westlichen Welt, die durch die islamische bedroht würde. Imaginative Geographien liefern demnach nicht nur einen Bedeutungs- und Erklärungsrahmen für Medienereignisse, sie werden durch Medienereignisse reproduziert, verschoben, verändert oder auch völlig aufgebrochen. Ihre Hegemonialität oder Marginalität hängt somit nicht nur vom Umfang der Häufigkeit ab, in der sie zur Erklärung und Rahmung von Nachrichten und Medienereignissen herangezogen werden, sondern auch vom Umfang ihrer Erklärungsgehalte. Es werden diejenigen imaginativen Geographien hegemonial, die verfügbar sind und glaubwürdige Erklärungen für einen großen Teil der Nachrichten liefern, über die in den Medien berichtet wird.

2.4 K ONKRETISIERUNGEN

DER F RAGESTELLUNG UND ABSCHLIESSENDE ANMERKUNGEN ZUR R EFLEXION DES T HEORIEGERÜSTS

In den vorangegangenen Ausführungen dieses Kapitel wurden die theoretischen Grundlagen dargelegt und imaginative Geographien in Massenmedien aus einem poststrukturalistisch-diskurstheoretischen Blickwinkel heraus schrittweise konzeptionalisiert. Dementsprechend kann nun die in der Einleitung aufgeworfene Fragestellung der vorliegenden Arbeit konkretisiert werden. Bevor dies geschieht, soll das hier zugrunde gelegte Verständnis noch einmal kurz zusammengefasst werden. Dieses Kapitel abschließend erfolgen einige kritisch reflektierende Anmerkungen zum theoretischen Grundgerüst. Imaginative Geographien lassen sich als gesellschaftlich machtvolle, diskursive Konstruktionen von Räumen des Eigenen und Anderen begreifen, die soziale Ordnungen herstellen und politische Praktiken legitimieren, etablieren und verfestigen. Aus einer poststruktura-

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listischen Perspektive heraus sind sie heterogen und veränderbar, denn die Signifikanten, um die sie sich formieren, sind tendenziell leer und stets aufs Neue Gegenstand diskursiver Auseinandersetzung. Die (Re)Produktion der imaginativen Geographien unterliegt bestimmten, diskursiven Verortungsstrategien von Eigenem und Anderem, die sich auf der Diskursoberfläche in den räumlichen Ordnungskategorien sowie in den Ordnungsverhältnissen niederschlagen, entlang derer Ei(ge)nes und Anderes regelmäßig voneinander abgegrenzt und zueinander positioniert werden. Indem diese Verortungsstrategien ans Licht gebracht werden, lässt sich nachvollziehen, auf welche Weisen die imaginativen Geographien bestimmte gesellschaftliche Ordnungen herstellen und soziale und politische Praktiken legitimieren. In den Medien haben sie v.a. die Funktion, Nachrichten und Medienereignisse zu rahmen, zu erklären, Orientierungsangebote für die Öffentlichkeit zu liefern und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. An diese Konzeptionalisierung anlehnend lassen sich nun die Leitfragen dieser Studie folgendermaßen zuschärfen: •







Hauptmedienereignisse: Welches sind die Hauptmedienereignisse, um deren Nachrichten sich die hier zu untersuchenden imaginativen Geographien als Erklärungs- und Deutungsrahmen aufspannen? Orient, Okzident, islamische Welt und Westen: In welche Differenz-, Äquivalenz- und antagonistische Beziehungen ist der Signifikant ›Westen‹ bzw. ›Okzident‹ verknüpft? Auf welche Weisen wird er mit Ei(ge)nem und Anderem verbunden? Welche Ordnungskategorien und -verhältnisse bestimmen die imaginativen Geographien des Westens? Auf welche Weise taucht das Weltbild vom ›der Kampf der Kulturen‹ auf? Alternative hegemoniale Konstruktionen: Welche leeren Signifikanten, über die räumliche und territoriale Identität hergestellt wird, nehmen im Datenkorpus eine dominierende Rolle ein? Welche Differenz-, Äquivalenz- und antagonistischen Beziehungen werden über sie hergestellt? Welche Veränderungen der imaginativen Geographien kann festgestellt werden, welche Dislokationen lassen sich ausmachen? Verortungsstrategien von Ei(ge)nem und Anderem: Durch welche Relationen von Ei(ge)nem und Anderem sowie Ordnungskategorien und -verhältnisse werden die imaginativen Geographien re-

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gelmäßig beschrieben? Zu welchem Denken und Handeln leiten sie an? Welche sind auch hier hegemonial und welche marginal? Welche gesellschaftlichen Verhältnisse werden dadurch (re)produziert? Herausforderung des ›Kampfes des Kulturen‹: Inwieweit können die hier ausgemachten imaginativen Geographien das Weltbild vom ›Kampf der Kulturen‹ herausfordern?

Bevor nun entlang dieser Fragen das theoretische Grundgerüst operationalisiert und daraus methodische Verfahrensschritte zur Umsetzung der Analyse abgeleitet werden, sollen abschließend einige Anmerkungen zu den Ausführungen des Theoriekapitels erfolgen. Was hier entwickelt wurde, ist eine theoretische Brille, mit der auf die Untersuchungsgegenstände dieser Arbeit geschaut wird. Wie jede andere theoretische Brille ist diese in spezifische Kontexte verstrickt und hat ihre eigene Geschichte, denn solche Brillen tauchen auf, werden weitergereicht, werden identifizierten Problemen entsprechend weiterentwickelt und in andere Konzepte und Kontexte übersetzt. Diesen Charakterzug hat Edward W. Said einst mit dem Begriff der traveling theory bzw. in der deutschen Übersetzung mit »Theorien auf Wanderschaft« (Said 1997, S. 263) beschrieben: »Wie Menschen und wie Schulen der Kritik umherwandern, so wandern auch Ideen und Vorstellungen – von Mensch zu Mensch, von Situation zu Situation, von einer Epoche zur anderen« (ebd.). Was er damit zu verdeutlichen vermag, ist der situierte und voraussetzungsreiche Charakter einer jeden Theorie; somit kann eine Theorie niemals allgemeine Gültigkeit erlangen, sie muss immer vor dem spezifischen Hintergrund ihres Kontextes begriffen werden, den sie selbst nie vollständig zu erfassen in der Lage ist (vgl. dazu auch Said, Bayoumi und Rubin 2000, S 195ff.; van der Poel 1999, S. 11ff.; Lossau 2002, S. 20). Dies gilt natürlich auch für diskurstheoretische Ansätze. Diese werden gerne als nicht-essentialisierende Ansätze charakterisiert, als solche, die Essentialisierungen zu enttarnen vermögen und ihren konstruierten Charakter ebenso wie ihre Kontingenz offenlegen, wie z.B. Raum- und Identitätskonstruktionen. Doch natürlich kommen diese Ansätze selbst nicht ohne bestimmte Essentialisierungen und Annahmen aus, so z.B. das Postulat von Differenz und von Vielheit, das Postulat der Ereignishaftigkeit eines Diskurses nach Foucault oder das Postulat des Mangels nach Laclau und Mouffe (vgl. Kapitel 2.1). Ins-

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besondere Laclau und Mouffe wird vorgeworfen, dies nicht zu reflektieren (Stäheli 1999, S. 160) und ihre Postulate selbst als ahistorisch und nicht als kontingent zu verstehen. Essentialisierungen sind unvermeidbar, doch gerade im Rahmen poststrukturalistischer Arbeiten sollten die eigenen offengelegt werden, denn sonst würde ein poststrukturalistischer Ansatz seinem Anliegen selbst nicht gerecht werden. Zur Reflektion der eigenen Essentialisierungen lässt sich auf Spivaks Konzept des Strategischen Essentialismus zurückgreifen, welches in der Einleitung dieser Studie bereits angesprochen wurde. Sie lassen sich jedoch auch im Rahmen des Laclau und Mouffe’schen Verständnisses von Diskurs selbst denken. Es würde sich dann um partielle Essentialisierungen handeln, die so etwas wie Gefühl oder Instinkt als körperliche Erfahrung der oder des Einzelnen aus ihrem wissenschaftstheoretischen Blickfeld ausschließen – aber durchaus durch bestimmte wissenschaftliche und damit auch gesellschaftliche Fragestellungen und Probleme im Feld der Diskursivität wieder unterwandert werden können. Ein zweiter Aspekt, der bereits in der Einleitung angesprochen und hier noch einmal aufgegriffen werden soll, betrifft in erster Linie empirische Arbeiten, die einem poststrukturalistischen Paradigma folgen, denn ihnen obliegt genau das, was eigentlich vermieden werden will: Komplexität und Vielfalt zu reduzieren, Raum für Brüche und Verschiebungen zu schließen, Strukturen zu finden, Grenzen zu definieren und festzusetzen, auf Begriffe und Konzepte, die dekonstruiert wurden, selbst zurückgreifen zu müssen u.ä. (vgl. dazu auch Lossau 2002, S. 24). Darüber hinaus wird fortwährend Wahrheit als diskursiv hergestellt und als kontingent postuliert, doch zugleich legen die diskursiven Regelsysteme der Wissenschaft den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf, Wahrheiten zu produzieren, Unwahrheit auszuschließen (auch wenn es lediglich im Ungesagten gesagt wird), plausibel, überprüfbar und rational zu argumentieren und damit fast nichts anderes, als dem Subjekt der Moderne zu entsprechen. Auch in diesem Zusammenhang würde eine durch Poststrukturalismus informierte Studie ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht, wenn die Situiertheit der Subjektpositionen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nicht als solche verstanden werden, wenn Plausibilität nicht auch als kontingent und diskursiv hergestellt begriffen und wenn nicht auf den Konstruktionscharakter wissenschaftlicher Erkenntnisse verwiesen wird. Ein Relativismus im Sinne eines anything goes geht da-

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mit nicht einher, gerade weil wir in Diskurse verstrickt sind, die uns mit Wertesystemen, Standards und Kriterien für die Beurteilung von richtig und falsch, gut und schlecht etc. ausstatten (vgl. dazu Torfing 2005, S. 19). 23 In dieser Hinsicht können Arbeiten im Rahmen von Diskurstheorie, Poststrukturalismus und postkolonialer Theorie als Versuche verstanden werden, in den diskursiven Kämpfen um das Wahrsprechen bzw. um die Fixierung von Bedeutung mitzumischen, mit dem Ziel, insbesondere dominierenden Formen des Wahrsprechens den Boden unter den Füßen weg zu ziehen und auf diese Weise Raum für alternative Lesarten zu schaffen. Die Annahmen der Diskurstheorie werden hier genauso wie die eigenen Essentialisierungen im Sinne strategischer oder partieller Essentialismen in Kauf genommen, um überhaupt fähig zum Sprechen zu sein. Dies, genauso wie die eigene Verortung, wird im Rahmen einer Reflexion des Forschungsdesigns dieser Studie (vgl. Kapitel 3.5) noch genauer ausgeführt werden. Doch zunächst soll es um die Operationalisierung des theoretischen Grundgerüsts gehen.

23 Zur Diskussion des Relativismusvorwurfs siehe Torfing 2005, S. 18f.

3

Methodische Umsetzung

Wie lassen sich Differenz- und Äquivalenzbeziehungen, leere Signifikanten und Antagonismen, über die räumliche Identitäten hergestellt werden, aus den hier zu untersuchenden Medien herausarbeiten? Wie lassen sich Regelmäßigkeiten in den Ordnungsmustern, -kategorien und -verhältnissen von Aussagen bzw. Artikulationen erkennen, um daraus auf diskursive Verortungsstrategien der imaginativen Geographien zu schließen? Auf diese Fragen liefern weder Michel Foucault noch Ernesto Laclau und Chantal Mouffe konkrete Antworten. Zwar hat Foucault mit der »Archäologie des Wissens« (2005 [1969]) ein konzeptionelles Gerüst zur Umsetzung von Diskursanalysen entworfen, doch handelt es sich hierbei eher um einen Torso, denn »wer fragt, wie Foucault vorgegangen ist, woher er wusste, wonach er suchen muss, wie er die Auswahl seiner Texte durchgeführt hat, wie sich Hypothesen konstruiert haben […], wird die Antwort nicht ohne Weiteres finden« (Diaz-Bone 1999, S. 120). Einen Versuch, eine empirienahe, diskursanalytische Methodik zu entwickeln, hat er nie unternommen (ebd.). Auch Laclau und Mouffe haben sich kaum mit empirischen Analysen beschäftigt – ihre Konzepte empirisch umzusetzen, »takes a little imagination« (Jørgensen und Philipps 2006, S. 49). Es müssen also Anleihen aus quantitativer und qualitativer Text-, Bild- und Sozialforschung gemacht und in ein diskursanalytisch umsetzbares methodisches Konzept transferiert werden. Hierzu liefern bereits vorliegende empirische Arbeiten der Diskursforschung zahlreiche Anregungen (vgl. z.B. die Beiträge zur Empirie und Forschungspraxis in Glasze und Mattissek 2009; Keller et al. 2003). Doch die textanalytischen Instrumentarien, die zur Operationalisierung der Diskurstheorien entwickelt wurden, beziehen sich im Wesentlichen auf lateinische Schriftsprachen und sind auf arabisch-sprachige Texte nur

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bedingt anwendbar. Aus diesem Grund werden zunächst die Herausforderungen und Möglichkeiten einer diskursanalytischen Untersuchung von Texten in arabischer Sprache ausgelotet. Sowohl die Zusammenstellung des Korpus als auch die Entwicklung von Analyseinstrumenten werden maßgeblich dadurch geprägt, dass es sich um arabische Texte handelt (vgl. Kapitel 3.1). Die Korpusbildung ist Gegenstand des darauffolgenden Unterkapitels. Hier wird zudem erörtert, welche Rolle den ausgewählten Zeitungen im arabischen Mediensystem zukommt und welche gesellschaftliche Bedeutung sich ihnen zuschreiben lässt (Kapitel 3.2). Aus den Anforderungen der arabischen Sprache, dem Korpus sowie den theoretischen Konzepten und Fragestellungen, die dieser Arbeit zugrunde liegen, werden dann im Rückgriff auf methodische Konzepte und Verfahrensweisen der qualitativen Sozialforschung und Linguistik konkrete Analyseschritte entwickelt, mit denen das Datenkorpus bearbeitet werden kann (Kapitel 3.3). Im Anschluss an die Darlegung der konzeptionellen Forschungsstrategien wird der methodische Schritt beleuchtet, der in geographischen Arbeiten häufig stillschweigend und selbstverständlich vorgenommen wird: Es handelt sich um das Übersetzen, hier im Wesentlichen um die Übersetzungsprozesse vom Arabischen ins Deutsche. Es wird gezeigt, dass die Praktik des Übersetzens ebenso wie jeder andere Forschungsschritt nicht neutral und unpolitisch ist, sodass – genauso wie das Forschungsdesign auch – die Übersetzungsstrategie offengelegt werden muss (Kapitel 3.4). Übersetzung lässt sich jedoch nicht nur als eine Praktik im linguistischen Sinne verstehen, sondern auch als Metapher für jegliche Praktiken, die in der Begegnung mit Anderem und Andersartigkeit entstehen. Daher ist letztlich auch jede geographische Forschungsarbeit ein Resultat vielfältiger Übersetzungsprozesse. Diese Denkfigur wird genutzt, um abschließend das entwickelte Forschungsdesign zu reflektieren (Kapitel 3.5).

3.1 Z UR H ERAUSFORDERUNG EINER DISKURSANALYTISCHEN U NTERSUCHUNG VON T EXTEN IN ARABISCHER S PRACHE In der Diskursforschung wurden bislang eine Reihe von unterschiedlichen Methoden und Verfahrensweisen entwickelt, die sich ihren jewei-

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ligen Untersuchungsgegenständen anpassen – einen Königsweg oder etwa eine standardisierte Form der Diskursanalyse gibt es nicht (vgl. folgende Handbücher: Glasze und Mattissek 2009; Eder 2006; Landwehr 2004; Keller et al. 2003, 2001). Für poststrukturalistische Untersuchungen stellt sich die Schwierigkeit, »dass weder unmittelbar auf die Verfahren der verstehenden, qualitativen Sozialforschung noch auf szientistische Ansätze zurückgegriffen werden« (Mattissek und Glasze 2009, S. 32) kann, da diese vor anderen erkenntnistheoretischen Hintergründen entwickelt wurden. Zwar lassen sich Konzepte aus der quantitativen und qualitativen Sozialforschung, aus inhaltsanalytischen Verfahren der Linguistik sowie aus den Bildwissenschaften übernehmen, doch müssen diese in einen poststrukturalistischen Rahmen übersetzt und sowohl die erkenntnistheoretische Perspektive der Methode als auch die Lesart des Ergebnisses reformuliert werden. Bei textbasierten Methoden diskursanalytischer Untersuchungen werden im Wesentlichen zwei Formen unterschieden: »zum einen Verfahren, die auf der Makroebene der großflächigen sprachlichen Strukturen ansetzen […]; zum anderen Ansätze, die auf der Mikroebene einzelner Aussagen und Textpassagen ansetzen […]« (Mattissek 2007, S. 47). Ein großer Teil empirischer Studien greift dabei auf beide Formen zurück. Auf der Makroebene gewinnen insbesondere computergestützte, lexikometrische Methoden als Mittel zur Untersuchung großer Datenmengen zunehmend an Prominenz (vgl. Brailich et al. 2010; Dzudzek et al. 2009; Glasze 2008; Mattissek 2008). Wenn solche Verfahren zunächst auch für die Fragestellung dieser Untersuchung interessant erscheinen, so erweisen sich allerdings gerade computergestützte Verfahren in der Anwendung auf Texte in arabischer Sprache als äußerst problematisch. Analyseverfahren auf der Mikroebene, die auf die Herausarbeitung von Differenzstrukturen abzielen, lassen sich hingegen zielgerecht anwenden. Der Grund für beide Aspekte liegt darin, dass der arabischen Schriftsprache eine Konsonantenschrift zugrunde liegt. 1 Mehrdeutigkeiten finden sich zwar in jeder Sprache, doch durch das Fehlen von Kurzvokalen ist den einzelnen Worten im Schriftsystem des Arabi-

1

Während der Begriff Konsonantenschrift suggeriert, dass grundsätzlich keine Vokale verfügbar sind, handelt es sich beim Arabischen lediglich um die Kurzvokale, die in der Schriftsprache nicht abgebildet werden (Ausnahmen sind vokalisierte Texte, wie z.B. der Koran).

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schen eine weitere Ebene inhärent, die den Raum für Mehrdeutigkeit öffnet (vgl. Bauer 1996, S. 563). Durch ein einfaches Beispiel lässt sich dies verdeutlichen. Die drei Konsonanten ‫( ق‬qÁf), ‫( ب‬bÁÞ) und ‫ل‬ (lÁm) bilden zusammen einen Signifikanten, der zahlreiche unterschiedliche Bedeutungen in sich tragen kann. So kann es sich um ein Verb, ein Substantiv im Singular oder Plural, eine Präposition, eine Konjunktion oder auch um ein Adverb handeln. Beispielsweise kann es, um nur einige Bedeutungen herauszugreifen, übersetzt werden mit »empfangen«, »zulassen«, »gehorchen«, »küssen«, »nach Süden gehen«, »vorher, früher«, »in Gegenwart von«, »Vorderteil« »Macht«, »Vermögen« und »Küsse«. Im Schriftbild sieht es allerdings immer gleich aus (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2: Zum Bedeutungsspielraum der arabischen Schriftsprache

Quelle: eigene Darstellung nach Wehr 1976, S. 660ff.

Darüber hinaus lassen sich auch Worte ausmachen, die vollkommen entgegengesetzte Bedeutungen in sich tragen – al-aÃdÁd,2 wie sie im

2

Arabische Lexikographen haben für das klassisch Arabische eine Reihe an Abhandlungen über sie verfasst, die kutub al-aÃdÁd, zu deren bedeutends-

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Arabischen bezeichnet werden. Éawn kann etwa sowohl schwarz als auch weiß, aÛ-Ûann sowohl Zweifel als auch Gewissheit bedeuten. Dies zeigt, dass das Spiel der Signifikanten, von dem Jacques Derrida spricht, hier noch einmal eine ganz andere Dimension erhält als im Referenzsystem der lateinischen Schriftsprache (vgl. Kapitel 2.1.1). Die Eingrenzung des Bedeutungsspielraumes eines einzelnen Wortes gelingen Leserin und Leser somit erst durch die Betrachtung seines weiteren Kontextes.3 Für eine diskursanalytische Untersuchung arabischer Texte bedeutet dies, dass mit lexikometrischen Methoden, wie z.B. Frequenzanalysen oder Analysen von Kookkurrenzen, kaum Ergebnisse erzielt werden können, mit denen sich zweckmäßig weiter arbeiten ließe. Bereits die digitale Suche nach Stichworten kann sich schwierig gestalten. Gut anwendbar hingegen erscheinen Analysemethoden, die auf die Herausarbeitung von semantischen Differenzstrukturen abzielen, denn in den Zeitungstexten, v.a. in den Meinungsartikeln, Kommentaren und Glossen werden sehr häufig Synonyme und Antonyme verwendet. Eine Geschichte wird oft mehrfach, aber in anderen Worten erzählt. Auf diese Weise wird verdeutlicht, auf welche Bedeutungen einzelner Worte und Wortfolgen abgehoben wird. Insbesondere durch die häufig gebrauchten Synonyme und Antonyme konkretisieren sich auf semantischer Ebene Grenzziehungen – und schärfen somit letztlich auch die Konstruktionen von Ei(ge)nem und Anderem zu.

ten das KitÁb al-aÃdÁd von AbÙ Bakr b. al-AnbÁrÐ (st. 940 n.Chr.) gehört. Eine Auflistung der kutub al-aÃdÁd findet sich in Redslob (1873, S. 8f.). 3

Selbstverständlich muss auch im Rahmen lexikometrischer Analysen von Texten in lateinischer Schrift der Kontext beachtet werden. So sagt das einzelne Wort ›Hund‹, welches im Rahmen einer Frequenzanalyse überproportional häufig vorkommt, nicht, um welche Art von Hund es sich handelt. Es kann sich beispielsweise um das Tier handeln oder auch um das Schimpfwort für eine Person. Um dies herauszufinden, lassen sich Konkordanzanalysen durchführen, d.h. entsprechende Programme (z.B. Lexico3 oder Wordsmith4) zeigen die jeweils vor und hinter einem Schlüsselwort stehenden Zeichenfolgen an. Diese Wortfolgen reichen als Kontext für eine Analyse von Texten in arabischer Sprache jedoch in überwiegendem Maße nicht aus, als dass gehaltvolle Ergebnisse erzielt werden könnten.

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Für die Entwicklung eines Methodensets zur Analyse der Texte stellt sich nun die Frage, mit Hilfe welcher Instrumente sich die Differenzstrukturen herausarbeiten lassen und wie, obwohl keine lexikometrischen Analyseschritte erfolgen können, trotzdem ein Überblick über dominierende imaginative Geographien geschaffen werden kann. Dazu ist es notwendig, zunächst die Datenkorpora genauer zu charakterisieren.

3.2 D IE D ATENKORPORA : T EXTE UND K ARIKATUREN TRANSNATIONALER ARABISCHER P RINTMEDIEN Die Ausgangsfragen dieser Studie sind, welche imaginativen Geographien von Ei(ge)nem und Anderem in der Ära ›des Kampfes gegen den Terrorismus‹ in ›arabischen‹ Öffentlichkeitsdiskursen verhandelt werden, zu welchem gesellschaftlichen Denken, Sprechen und Handeln sie anleiten und welche gesellschaftlichen Verhältnisse sie (re)produzieren. Als Untersuchungsgegenstände kommen hierfür insbesondere die Massenmedien in Frage, denn »die Bürger informieren sich […], beobachten das Geschehen in der Gesellschaft […] und entwickeln ihre Deutungen der Welt […] v.a. über die Medien« (Gerhards 2003, S. 300). Dabei sollen dezidiert nicht ausschließlich islamistische Konstruktionen untersucht werden, die ein Kulturkampfszenario à la Huntington mit umgekehrten Vorzeichen von Gut und Böse prognostizieren. Es geht vielmehr darum, den Blick auch für andere Entwürfe zu öffnen. Wie bereits in der Einleitung dargelegt, fällt die Auswahl der Untersuchungsgegenstände auf die transnationalen arabischen Printmedien al-Hayat, Asharq Alawsat und al-Quds al-Arabi. Bevor im Folgenden ausgeführt wird, wie die Untersuchungskorpora genau zusammengestellt werden, erfolgt zunächst eine Begründung für die Auswahl dieser Zeitungen sowie eine Erörterung ihrer gesellschaftlichen Bedeutung und ihrer Rolle im arabischen Mediensystem.

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3.2.1 Al-Hayat, Asharq Alawsat, al-Quds al-Arabi und ihre Rolle als Medien gesellschaftlicher Eliten Die Medienlandschaft erfuhr im arabischen Sprachraum seit den 1990er Jahren einen gravierenden Wandel. Die Entwicklung neuer Technologien – Satellitenfernsehen, satellitengestützte Übermittlung von Zeitungen an mehrere Druckorte sowie in immer stärkerem Maße das Internet – ermöglichte die Etablierung transnationaler arabischer Medien, deren Relevanz im gesamten arabischen Mediensystem kontinuierlich zunahm. Ihre Bedeutung im Rahmen dieser Studie liegt v.a. darin, dass sie – zumindest in weiten Teilen – staatliche Medienzensur umgehen und dadurch ein sehr viel größeres Spektrum an Meinungen zulassen können. Insbesondere die transnationalen arabischen Nachrichtensender und Printmedien verfolgen die Politik, Vertreter eines breiten Spektrums an politischen, ideologischen und religiösen Strömungen zu Wort kommen zu lassen: Linke, Liberale, Konservative, Nationalisten oder auch Vertreter politisch-islamischer Strömungen (vgl. Rogler 2004, S. 435). Die Untersuchung wird hier am Beispiel der transnationalen arabischen Printmedien al-Hayat, Asharq Alawsat und al-Quds al-Arabi durchgeführt, da diese mit zu den offensten Foren für gesellschaftspolitische Diskussion im arabischen Mediensystem zählen; dies gilt v.a. für die Zeitung al-Hayat. Ihre Leserschaften werden vornehmlich der arabischen und arabischsprachigen Elite zugeordnet, sowohl auf politischer und wirtschaftlicher als auch auf intellektueller Ebene (vgl. Rogler 2004, S. 425). Damit ist ihre Leserschaft zwar vergleichsweise gering, nach Islamwissenschaftler Lutz Rogler (2004, S. 446; vgl. auch Ghareeb 2000, S. 413 und Alterman 1998, S. 10ff.) verleihen ihnen jedoch hohe Qualitätsstandards, breite Meinungsspektren und ihr guter Ruf einen sehr hohen Einfluss innerhalb des Mediensystems, sodass die von ihnen aufgegriffenen Themen und Denkansätze auch in andere Medien und Gesellschaftsbereiche diffundieren. Diese drei Zeitungen haben ein solches Gewicht, »das sie bis zu einem gewissen Grade eine Orientierungsfunktion für die nationalen Tageszeiten und Öffentlichkeiten erfüllen läßt. In den Presseschauen diverser nahöstlicher Printmedien und TV-Stationen sind al-Hayat, al-Sharq al-awsat und alQuds al-arabi ein ›Muß‹« (Rogler 2004, S. 446f.). Aber auch durch ihre Zugehörigkeit zu verschiedenen Mediengruppen oder durch Auftritte von Redakteuren und Kolumnisten in Diskussionssendungen von

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Fernsehsendern werden Inhalte und Denktraditionen dieser Zeitungen in andere Bereiche der Mediendiskurse transportiert. Nicht zuletzt deshalb werden sie als Untersuchungsgegenstände für diese Arbeit ausgewählt: Sie gelten »in der gesamtarabischen Medienlandschaft [als] etablierte Größen und [...] wichtige Referenz« (ebd., S. 447). Der Fokus dieser drei Zeitungen liegt zum einen auf Nachrichten und Hintergrundberichten aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft, Sport und einem geringen Anteil an Unterhaltung. Zum anderen beinhalten sie Analysen, Kommentare sowie Seiten mit Meinungsbeiträgen und kurzen Essays zu aktuellen gesellschaftspolitischen, kulturellen und religiösen Themen. Insbesondere mit diesen Seiten bieten sie Foren, in denen gesellschaftspolitische Themen aus unterschiedlichen Perspektiven heraus diskutiert werden können (ebd., S. 426). Die Autoren dieser Seiten gehören teilweise zum festen Stamm der Kommentatoren und Kolumnisten aus den jeweils eigenen Häusern, es sind daneben aber auch freie Mitarbeiter und externe Autoren, die hier zu Wort kommen. Letztere sind unterschiedlicher nationaler Herkunft, häufig arabische Akademiker und Politiker, teilweise auch arabische Migranten, die in Europa oder den USA leben. Um nur einige Eckdaten der ausgewählten Zeitungen zu nennen:4 •

Al-Hayat: Die transnationale arabische Tagespresse entwickelte sich vornehmlich im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts. Dies wurde durch technologischen Fortschritt ermöglicht, durch Expansionsstrategien finanzkräftiger saudischer Autoren und durch qualifizierte libanesische Journalisten, die nach der Einstellung ihrer Blätter während des Bürgerkrieges Arbeitsmöglichkeiten in Europa und den Golfstaaten suchten (ebd., S. 425). Die Geschichte der Zeitung al-Hayat beginnt mit ihrem ersten Erscheinen in Beirut im Jahr 1946. Begründet wurde sie von Kamil Muruwa, einem libanesischen, nationalistisch orientierten Journalisten. Als Muruwa 1966 ermordet wurde, blieb die Zeitung nach seinem Tod

4

Der folgende Abriss über die Zeitungen liefert für die vorliegende Studie hilfreiche Informationen zur Einordnung des Datenkorpus und stützt sich v.a. auf Rogler 2004, Ghareeb 2000, Alterman 1998 sowie auf die Angaben der Zeitungen selbst. Doch er der Abriss als eine Geschichte verstanden werden, die auch hätte anders erzählt und an anderen Eckdaten festgemacht werden können.

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im Besitz seiner Familie, ihr Erscheinen musste allerdings infolge des libanesischen Bürgerkrieges 1976 eingestellt werden. 1988 wurde die Zeitung in London neu begründet. Sie wurde zunächst durch einen Sohn Muruwas herausgegeben und von Jihad Khasin als erstem Chefredakteur unterstützt. Zudem beteiligte sich der saudiarabische Prinz Khalid Ibn Sultan Abd al-Aziz finanziell an dem Blatt. Nach kurzer Zeit erwarb sich die Zeitung wieder einen Ruf als seriöse und relativ unabhängige Zeitung (ebd., S. 429; vgl. auch Ghareeb 2000, S. 413; Alterman 1998, S. 10). Im Jahr 1999 ging sie gänzlich in den Besitz von Prinz Khalid Ibn Sultan Abd al-Aziz über, der damit auch die formale Herausgeberschaft von al-Hayat übernahm. Gedruckt wird die Zeitung in den meisten Hauptstädten der arabischen Länder sowie in Europa (London, Marseille) und den USA (New York). Ihre durchschnittliche Auflage beträgt nach eigenen Angaben 361.000 Exemplare. Vertrieben wird sie überwiegend in Saudi-Arabien sowie in den anderen Staaten der arabischen Halbinsel, zu geringeren Anteilen in Ägypten und Marokko, außerdem in Westeuropa und den USA. Über die Herkunft und den Umfang der Leserschaft lässt sich aus diesen Angaben jedoch kaum ein Rückschluss ziehen, da die Zeitung auch mit ihren täglichen Inhalten im Internet präsent ist und deren Seiten mehrere Millionen Mal pro Tag besucht werden.5 Auf der Website werden außerdem einige Übersetzungen von Berichten und Beiträgen auf Englisch zu Verfügung gestellt. Seit Dezember 2002 ist al-Hayat auch im Fernsehen präsent. Auf der Grundlage eines Joint Venture mit dem libanesischem Satelliten-TV-Sender LBC International übernahm al-Hayat seit dem 14. Dezember 2002 die redaktionelle Gestaltung von dessen Nachrichtensendungen (vgl. Rogler 2004, S. 430). Seit 2005 gibt es zusätzlich eine saudi-arabische Edition der Zeitung. Asharq Alawsat: Die erste Ausgabe von Asharq Alawsat erschien am 4. Juli 1978. Sie wurde von den saudischen Brüdern Hisham und Muhammad Ali Hafez gegründet, die 1972 das Presseunternehmen Saudi Research and Publishing Company schufen (ebd., S. 427). Der Druck der Zeitungen erfolgt ebenso wie bei al-Hayat in den meisten Großstädten der arabischen Staaten sowie in einigen europäischen Städten und New York mit einer Auflage von

Vgl. http://international.daralhayat.com (abgerufen am 17.12.10).

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ca. 250.000 Druckexemplaren pro Tag (nach eigenen Angaben des Blattes), wobei der größte Teil in Saudi-Arabien vertrieben wird. Darüber hinaus verfügt Asharq Alawsat über eine arabischsprachige und eine englischsprachige Website, auf der ein Teil ihrer Beiträge in Englisch zur Verfügung steht.6 Ihr Hauptsitz befindet sich in London, größere Redaktionsbüros sind in Riad und Beirut vertreten. Des Weiteren finden sich Korrespondenzbüros in der Mehrzahl der arabischen Länder sowie in Deutschland, Russland, Belgien und den USA. Die Journalisten stammen zum überwiegenden Teil aus Saudi-Arabien, dem Libanon, dem Irak, den palästinensischen Autonomiegebieten, Ägypten und dem Sudan. Die Berichterstattung umfasst neben internationalen Angelegenheiten in Großem Maße Saudi-Arabien und seine Politik betreffende Nachrichten und Berichte. Al-Quds al-Arabi: Diese Zeitung wurde 1989 in London begründet, hat dort bis heute ihren Hauptsitz und wird in London, New York und Frankfurt am Main gedruckt. Korrespondenzbüros befinden sich in Kairo, Rabat, Amman und Paris. Darüber hinaus verfügt sie in den meisten arabischen Hauptstädten, einigen Städten Europas und den USA über Korrespondenten. Ihr Chefredakteur Abd al-Bari Atwan ist ein palästinensischer Journalist, der von 1984 bis 1988 bei Asharq Alawsat tätig war. Im Vergleich zu den obigen Blättern ist ihre Berichterstattung aus den palästinensischen Gebieten umfangreicher und enthält zudem Übersetzungen aus der israelischen Presse. Sie gehört nicht wie die beiden anderen Zeitungen einer Mediengruppe an. Über ihre Finanzierung gibt es laut Rogler (ebd., S. 431) keine zuverlässigen Angaben, wobei diese dem Orientalisten Edmund Ghareeb (2000, S. 414) zufolge jedoch nicht aus saudi-arabischen Quellen stammt. Er vermutet primär Sponsoren aus anderen Golfstaaten und private palästinensische Geldgeber (ebd.). Ihre tägliche Auflage erreicht ca. 50.000 Exemplare und auch al-Quds al-Arabi verfügt über eine Website, allerdings nur in arabischer Sprache.7

Vgl. http://www.asharqalawsat.com/; Englisch: http://www.asharq-e.com (abgerufen am 17.12.10).

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Vgl. http://www.alquds.co.uk (abgerufen am 17.12.10).

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Während Rogler eine Funktion der Medien darin sieht, beständig »einen gesamtarabischen Kommunikationszusammenhang« zu reproduzieren, der »in gewisser Weise einen gesamtarabischen ›Zeitgeist‹ […] widerspiegelt« (Rogler 2004, S. 435), will hier jedoch davor gewarnt sein, diese Medien als Plattform eines »gesamtarabischen Zeitgeistes« zu verstehen, denn sie repräsentieren nicht ›die arabische Welt‹. Sie sind aus einer poststrukturalistisch-diskurstheoretischen Perspektive vielmehr als Teil eines relativ vielfältigen Mediensystems in arabischer Sprache zu verstehen. Durch den politischen, ideologischen, religiösen, kulturellen und nationalen Pluralismus, den die Zeitungen – zumindest ihren eigenen Angaben nach – verfolgen, sprechen hier Subjekte unterschiedlichster Diskurse, sodass sich in ihnen eine gesellschaftliche Hybridität widerspiegelt. Sie bewegt sich jedoch auf einer gesellschaftlich eher elitären Ebene, sodass die Bedeutung dieser Zeitungen weniger in der Masse an Lesern als vielmehr in ihren einflussreichen Positionen innerhalb des Mediensystems zu sehen ist. Ihre gesellschaftliche Leit- und Orientierungsfunktion kann damit als gewichtig gelten. Bezüglich der diskursiven Mechanismen, wie etwas zur Nachricht wird, sowie der Rolle von Medienereignissen wird entsprechend ihrer Konzeptionalisierung in Kapitel 2.3 zunächst davon ausgegangen, dass sie in den hier zu untersuchenden Printmedien auf ähnliche Weise greifen wie beispielsweise in deutschen Qualitätszeitungen. Zensur und Selbstzensur – nach Michel Foucault das verbotene Wort als diskursives Ausschlusssystem (vgl. Kapitel 2.1.2 und 2.3.2) – scheinen jedoch auf andere Art und Weise zu wirken. So gilt Medienzensur auf nationalstaatlichen Ebenen vieler arabischer Staaten als gang und gäbe. Dementsprechend unterliegen die Zeitungen al-Hayat, Asharq Alawsat und al-Quds al-Arabi selbstverständlich den gleichen politischen Rahmenbedingungen wie die nationalen Blätter, sodass etwa als zu kritisch wahrgenommene Stimmen einem Staat oder einer Regierung gegenüber zum Verbot der Zeitung im entsprechenden Staat führen. Aus diesem Grund erachten die Herausgeber dieser Zeitungen ein gewisses Maß an Selbstzensur als notwendig. Dies betrifft aufgrund ihrer Finanzierung besonders al-Hayat und Asharq Alawsat hinsichtlich ihrer Berichterstattung in und über Saudi-Arabien (vgl. Ghareeb 2000, S. 413). Eine Folge dieser Selbstzensur ist eine Abstrahierung, die im Zusammenhang mit der Kritik an (bestimmten) arabischen Regimen Anwendung findet. So werden beispielsweise arabische Regime nicht

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konkret benannt, sondern lediglich als ›die arabischen Regime (alanÛima al-Ýarabiyya)‹ kritisiert. Darüber hinaus wird Zensur mit Formulierungen wie ›die Herrscher (al-ÎukkÁm)‹ oder ›in der Region (fÐ lmanÔiqa)‹ vorgebeugt (vgl. dazu Rogler 2004, S. 237). Gegenüber den Zeitungen in saudi-arabischem Besitz hebt sich al-Quds al-Arabi insofern etwas ab, als dass »Kritik hier zuweilen deutlich offener und ›radikaler‹ geübt wird« (ebd., S. 435). Ein gelegentliches und temporäres Verbot der Zeitungen in einigen arabischen Staaten soll jedoch von den Herausgebern auch als positiv erachtet werden, da so die staatliche Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit der Zeitungen und ihrer Prinzipen unterstrichen würden (Alterman 1998, S. 11). Wenn sie in einem Staat für einen gewissen Zeitraum verboten werden, in anderen jedoch nicht und auch im Internet zu Verfügung stehen, würde dies für die Zeitungen nicht negativ ins Gewicht fallen (ebd.). 3.2.2 Zusammenstellung der Untersuchungskorpora Aufbauend auf der Begründung der Auswahl von transnationalen arabischen Printmedien als Untersuchungsgegenstände und der Erörterung ihrer gesellschaftlichen Rolle als elitäre Printmedien, wird nun dargelegt, wie die zu analysierenden Datenkorpora zusammengestellt werden. Mit der Fragestellung dieser Studie wurde bereits der zeitliche Fokus auf die Ära ›des Kampfes gegen den Terrorismus‹ gelegt. Daher wird mit der Analyse bei den Anschlägen des 11. Septembers angesetzt, denn diese können als Geburtsstunde dieser Ära begriffen werden (vgl. Kapitel 1). An Medienereignissen, die ›den Kampf gegen den Terrorismus‹ markieren, sollen darüber hinaus die Kriege gegen Afghanistan im Jahr 2001 und den Irak 2003, die Folterskandale von Guantánamo und Abu Ghraib sowie der Karikaturenstreit Anfang des Jahres 2006 mit einbezogen werden. Mit letzterem kochten die öffentlichen Diskussionen um ›den Kampf der Kulturen‹ noch einmal hoch – eine Szenario, das das Leitbild vom ›Kampf gegen den Terrorismus‹ stets in enger Verflechtung begleitete und begleitet (vgl. Reuber und Strüver 2009, S. 329). Dementsprechend umspannt die Analyse die Periode von September 2001 bis März 2006. Aus der Fülle an Material innerhalb dieses Zeitfensters muss für die Korpuszusammenstellung jedoch unweigerlich eine weitere Verengung vorgenommen werden. Dabei soll der Fokus nicht von vornherein auf bestimmte Konstruktionen von räumlichen Entwürfen des Ei(ge)nen und Anderen gelegt

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werden. Entsprechend der Fragestellung gilt es vielmehr herauszufinden, welche Konstruktionen überhaupt eine wichtige Rolle spielen und welche eine eher marginale Position einnehmen. Daher wird der Korpus zunächst nach formalen Kriterien eingegrenzt, und zwar durch die Schwerpunktsetzung auf eine Zeitung und eine Beschränkung auf bestimmte Rubriken. Die Tageszeitung, die hier schwerpunktmäßig untersucht werden soll, ist al-Hayat, da diese im Vergleich zu den anderen beiden Zeitungen als besonders offen gilt und auf ihren Seiten gerade im Hinblick auf die Diskussion gesellschaftspolitischer Debatten deutlich mehr Raum schafft als die anderen beiden (vgl. Altermann 1998, S. xi; Rogler 2004, S. 434). Die Rubriken, in denen diese Diskussionen geführt werden, umfassen in erster Linie meinungsbetonte Texte, die darauf abzielen, Denkanstöße zu liefern, Meinungsbildung zu unterstützen und insbesondere auch Orientierung zu bieten (vgl. Schlapp 2001, S. 156; Lorenz 2002, S. 131; Wolff 2006, S. 126). Imaginative Geographien treten v.a. hier deutlich sichtbar zutage, sodass vornehmlich solche Texte zur Analyse ausgewählt werden sollen. Mit Blick auf die Zeitung al-Hayat sind primär die Rubriken »Meinung (raÞy)«, »Ideen (afkÁr)« und »Strömungen (tiyÁrÁt)« wichtig. Die Rubrik »Meinung« enthält in erster Linie Artikel zum aktuellen politischen Geschehen, ebenso die Rubrik »Ideen«. Jedoch werden hier auch allgemeinere gesellschaftspolitische Themen und Theorien behandelt. Die Artikel der sonntags erscheinenden Seiten »Strömungen«, welche zum Supplement gehören, beinhalten eine Reihe an Kolumnen sowie regelmäßige Buchvorstellungen. Auch hier werden sowohl das politische Geschehen als auch gesellschaftspolitische Aspekte thematisiert. Von Asharq Alawsat und al-Quds al-Arabi wird jeweils die Rubrik »Meinung (raÞy)« untersucht. Darüber hinaus sollen die Textanalyse ergänzend auch die Karikaturen, die auf den Meinungsseiten erscheinen, mit in die Medienanalyse einbezogen werden. Als gezeichneter Kommentar zum politischen Geschehen (Päge 2007, S. 88) spiegeln sich auch in ihnen imaginative Geographien, zumeist in zugespitzter Form, wider. Da die Untersuchung darauf abzielt, sich als Regelmäßigkeiten manifestierende imaginative Geographien und ihre diskursiven Verortungsstrategien von Ei(ge)nem und Anderem aus dem Untersuchungsmaterial herauszuarbeiten, erscheint es selbstverständlich, mit umfangreichen Korpora zu arbeiten. Gleichzeitig lassen sich jedoch

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keine computergestützten, quantitativen Analyseverfahren sinnvoll und zielgerecht einsetzen, sodass das Korpus an Texten und Karikaturen von seinem Umfang her immer noch ›lesbar‹ bleiben muss. Ein Ausweg wird hier in einem methodischen Zweischritt gefunden: Um einen Überblick darüber zu erhalten, welche Konstruktionen überhaupt und in welchem Ausmaß verhandelt werden, wird in einem ersten Schritt eine Überschriftenanalyse durchgeführt. Da Überschriften im Idealfall die Hauptaussagen eines Artikels wiedergeben (vgl. Wolff 2006, S. 271; vgl. auch Heimeier und Graf-Szczuka 2006, S. 145; Schlapp 2001, S. 73),8 wird zunächst davon ausgegangen, dass ein solcher Überblick mit der Überschriftenanalyse herausgearbeitet werden kann. Diese wird lediglich für die Zeitung al-Hayat vorgenommen, denn Sichtungen, Querschnittslektüren und stichprobenartiges Lesen aller drei Zeitungen zeigen, dass sich Themen und Kernaussagen der Überschriften insgesamt in diesen drei Medien jeweils nicht wesentlich voneinander unterscheiden, 9 sodass der Mehraufwand bei einer Überschriftenanalyse aller drei Zeitungen in keinem Verhältnis zum zusätzlichen Erkenntnisgewinn steht. Insgesamt beläuft sich die Anzahl der zu untersuchenden Titel in den ausgewählten Rubriken von alHayat im eingangs festgelegten Untersuchungszeitraum auf 13 748 Titel. Im zweiten Schritt wird aufbauend auf den Ergebnissen der Überschriftenanalyse für eine Feinanalyse mit einem offenen und sich erweiternden Korpus gearbeitet. Aus dem Anspruch, unterschiedliche imaginative Geographien zu erfassen, erklärt sich die Vorgehensweise nach dem Prinzip der maximalen Kontrastierung (vgl. dazu Keller 2004, S. 88): »Man beginnt zunächst mit einem ›bedeutsam‹ erscheinenden Dokument und sucht dann innerhalb des Datenkorpus nach einem stark dazu unterschiedlichen […] Aussageereignis« (ebd.) und setzt diesen Prozess fort. Dabei werden neben den bereits untersuchten Texten immer auch die Ergebnisse der Überschriftenanalyse zu Hilfe genommen, um den Korpus um weitere Texte zu vergrößern. Auf diese Weise werden nicht nur die Artikel der Zeitung al-Hayat für die

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»Überschriften sind der Kern des Inhalts« (Wolff 2006, S. 271). Zu Ausführungen über die weiteren Funktion von Überschriften in Printmedien vgl. Kapitel 3.3.1.

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Auf Unterschiede, die sich ggf. in den Texten der drei Zeitungen zeigen, wird an den entsprechenden Stellen hingewiesen.

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Feinanalyse zusammengestellt, sondern auch die Artikel der Zeitungen Asharq Alawsat und al-Quds al-Arabi. Die Auswahl erfolgt hier ebenfalls entlang der Kategorien, die für die Überschriftenanalyse der Zeitung al-Hayat herausgearbeitet wurden. Unterschiede, die sich ggf. in den Printmedien zeigen, werden im Zuge der Ergebnisdarstellung explizit dargelegt. Bei den ergänzend einbezogenen Karikaturen wird ebenfalls nach dem Prinzip der maximalen Kontrastierung vorgegangen.

3.3 O PERATIONALISIERUNG Wie im vorhergehenden Abschnitt über die Zusammenstellung der Korpora bereits angedeutet, erfolgt die Analyse der Zeitungsartikel in einem methodischen Zweischritt und wird durch ausgewählte Karikaturen ergänzt, die auf den Meinungsseiten der Zeitungen erscheinen. Die einzelnen methodischen Ansätze und Instrumente, auf die zur Entwicklung eines Methodensets zurückgegriffen wird, sowie die vorzunehmenden Verfahrensschritte werden im Folgenden dargelegt. 3.3.1 Analyse Identität konstituierender Textelemente im Titelkorpus der Zeitung al-Hayat Ziel der Titelanalyse ist es, einen groben Überblick darüber zu verschaffen, welche imaginativen Geographien im Datenkorpus verhandelt werden und welche von diesen einen hegemonialen Status einnehmen. Damit werden insbesondere die ersten beiden Komplexe der Fragestellungen dieser Studie angesprochen, die in der Einleitung formuliert und im Anschluss an die Entwicklung eines theoretischen Grundgerüsts konkretisiert wurden (vgl. Kapitel 1 und 2.4). Hier geht es also im Wesentlichen darum, herauszufinden, wie bedeutsam die dichotomen Konstruktionen von Orient und Okzident, und islamischer Welt und Westen in den untersuchten Materialien sind und welche alternativen Konstruktionen zur Rahmung und Erklärung von Medienereignissen in der Ära ›des Kampfes gegen den Terrorismus‹ in dominierendem Maße (re)produziert werden. Bevor die Konstruktionen expliziter in den Blick gerückt werden können, müssen zunächst die Hauptmedienereignisse aus dem Material herausgefiltert werden, um die herum sich die imaginativen Geogra-

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phien aufspannen. Hierbei handelt es sich um die Nachrichten, die nach ihrem Erstauftreten immer wieder erzählt werden und an die mit stets neuen Nachrichten angeknüpft wird. Ein solcher Überblick ist notwendig, um Anhaltspunkte über die Hegemonialität von imaginativen Geographien zu gewinnen, denn diese hängt letztlich auch von ihren Erklärungs- und Deutungsgehalten für Nachrichten und Medienereignisse ab. Hierauf aufbauend wird ein Überblick über die dominierenden Signifikanten geliefert, über die in den Titeln der Zeitungsartikel räumliche Identität hergestellt wird. Daraus lassen sich bereits erste Hinweise ableiten, welche Rolle den großen Demarkationslinien zwischen Orient und Okzident sowie islamischer Welt und Westen zukommt. Zudem wird auf diese Weise ein Überblick über die Verknüpfungen geschaffen, in denen diese Signifikanten vorkommen. Entsprechend können hier erste Rückschlüsse auf die unterschiedlichen imaginativen Geographien sowie ihre Hegemonialität oder Marginalität gezogen werden, die sich um die Signifikanten herum formieren. Im Rahmen der empirischen Umsetzung des Konzeptes von Laclau und Mouffe erscheint dabei ihre konzeptionelle Zweiteilung von Element und Moment nicht mehr hilfreich zu sein (vgl. dazu ausführlich Kapitel 2.1.3). Vielmehr soll das, was hier herausgearbeitet wird, als Verknüpfung von Textelementen verstanden werden, die zum einen die Signifikanten umfassen, über die Identität hergestellt wird (z.B. ›der Westen‹) und zum anderen solche, die als Merkmalszuschreibungen dieser Signifikanten fungieren (›stark‹, ›rational‹, ›weiß‹ etc.). Dabei lassen sich die Textelemente im Laclau und Mouff’schen Diskursverständnis als differentielle Positionen verstehen, die ihre Bedeutungen nur durch ihre Beziehungen zu anderen erhalten (vgl. Kapitel 2.3.1). Um die Ziele der Überschriftenanalyse umzusetzen, wird zunächst auf das Verfahren der induktiven Kodierung zurückgegriffen (vgl. Mayring 2008, S. 74ff.). Kodierende Verfahren, darauf soll an dieser Stelle hingewiesen sein, wurden innerhalb der Sozialwissenschaften vor dem Hintergrund interpretativ-hermeneutischer Erkenntnistheorien entwickelt, etwa im Rahmen von qualitativen Inhaltsanalysen (vgl. Lamnek 2005, S. 220ff. und Mayring 2008, S. 74) und Ansätzen der Grounded Theory (Glaser und Strauss 1998; Strauss und Corbin 1996). Innerhalb dieser Ansätze dient das Kodieren im Wesentlichen dazu, Textstellen zu klassifizieren und zu bündeln. Die dabei entwickelten Kodes werden als Indikatoren für einen bestimmten Inhalt interpre-

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tiert. In diskurstheoretisch orientierten Forschungsprojekten werden Textelemente und deren Verknüpfungen hingegen kodiert, um auf Strukturierungen der untersuchten Diskurse und auf sich darin manifestierende Regelmäßigkeiten und Brüche zu schließen (vgl. Glasze et al. 2009, S. 294f.). Während der Ablauf der Kodierung in diskurstheoretisch ausgerichteten Analysen also vielfach ähnlich verläuft wie in interpretativ-hermeneutisch orientierten Untersuchungen (Reuber und Pfaffenbach 2005, S. 162; Mayring 2008, S. 65ff.), ist jedoch der analytische Fokus des Kodierens, genauso wie die erkenntnistheoretische Perspektive und entsprechend die Lesart von empirischen Ergebnissen, ein anderer (vgl. Glasze et al. 2009, S. 295; Diaz-Bone und Schneider 2003, S. 457ff. sowie Kapitel 2.4 und 3.5). Im ersten Schritt der Titelanalyse werden zunächst alle Textstellen kodiert, die auf Medienereignisse verweisen, deren Nachrichten einen dominierenden Raum einnehmen. Hierbei geht es darum, Anhaltspunkte zur Frage der Hegemonialität von imaginativen Geographien zu gewinnen, sodass eine Quantifizierung der Kodes und eine anschließende Häufigkeitsanalyse nicht notwendig sind. Im zweiten Schritt werden alle Signifikanten kodiert, über die räumliche Identitäten hergestellt werden. Hier werden an die Kodierung anschließend Häufigkeitszählungen durchgeführt. Aus diesen Ergebnissen heraus lassen sich bereits einige Rückschlüsse auf die Hegemonialität und Marginalität bestimmter Identitätskonstruktionen mit Raumbezug ziehen. Darauf aufbauend werden der Fragestellung dieser Studie entsprechend in einem dritten Kodierungsschritt zum einen die Signifikanten ›Westen‹ bzw. ›Okzident‹ als mögliche negativ besetzte Signifikanten des Anderen untersucht. Zum anderen wird mit den Identität konstitutierenden Signifikanten weiter gearbeitet, die aufgrund ihrer Häufigkeit eine dominierende Alternative zum ›Westen‹ bzw. ›Okzident‹ darstellen. Es geht nun darum, ihre jeweiligen Verknüpfungen mit anderen Textelementen – anderen Identität konstituierenden Signifikanten oder Merkmalszuschreibungen – herauszuarbeiten. Für spezifische Verknüpfungen werden bestimmte Kodes definiert, sodass mit Hilfe des sukzessiv entstehenden Kodebuchs das gesamte Korpus an Überschriften im Anschluss an die Kodebildung noch einmal durchgearbeitet werden kann. Die Kodes sind dann nicht etwa als Verknüpfungen von Signifikanten, so wie sie im Text auftauchen, zu verstehen, sondern als Kategorien von Verknüpfungen, die Resultat des Kodierungsprozesses sind. Wenn ein Kode beispielsweise durch

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›USA‹ definiert wird, so kann er auch Textstellen mit ›Amerika‹, ›die Vereinigten Staaten‹ oder ›Uncle Sam‹ umfassen. Um Rückschlüsse auf die Dominanz oder Marginalität bestimmter explizierter Verknüpfungen von Textelementen zu ziehen, werden nach dem Kodierschritt Häufigkeitsanalysen vorgenommen.10 Abgesehen davon, dass das Kodieren vor einem anderen erkenntnistheoretischen Hintergrund entwickelt wurde, muss auch auf seine »blinden Flecken« verwiesen werden, denn die Entwicklung des Kodebuches sowie die Zuordnung von Textstellen des Materials zu bestimmten Kodes sind Prozesse, die von außen kaum einsehbar sind (vgl. Reuber und Pfaffenbach 2005, S. 115).11 Eng hiermit verknüpft ist der (unvermeidlich) selektive Blick der Forschenden, da die Umsetzung der einzelnen Schritte im Zuge des Kodierens und dementsprechend auch die Ergebnisse stets von ihrem Vorwissen und Vorverständnis abhängen (vgl. Bublitz 2001, S. 237). Ferner gehen beim Kodieren viele Feinheiten und Bedeutungsspielräume verloren, sodass neben der Situiertheit von Forschung immer auch der Konstruktionscharakter der Ergebnisse im Blick behalten und vor dem Hintergrund operiert werden muss, dass sie immer auch hätten anders ausfallen können (vgl. Lossau 2002, S. 64). Neben dieser eher allgemeinen Reflexion über das Kodieren als Analyseverfahren, soll abschließend noch einmal kurz über den Charakter der Überschriften von Zeitungsartikeln reflektiert werden, denn dies ist insbesondere für die Interpretation des Ergebnisses der Überschriftenanalyse nicht unwichtig. So unterliegt im Anschluss an die Ausführungen über die Diskurstheorie und die Diskurse in Medien (vgl. Kapitel 2.1 und 2.3) auch die Produktion von Überschriften einer Vielzahl an Regelsystemen, die ihnen neben bestimmten Inhalten auch

10 Zur Kodierung der Überschriften sowie zur Durchführung von Häufigkeitsabfragen wird eine Access-Datenbank eingerichtet. 11 Hinter diesem Argument versteckt sich die Forderung nach einer intersubjektiven Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit empirischer Ergebnisse, welche aus poststrukturalistischer Perspektive ohnehin als unmöglich deklariert und abgelehnt werden. Jedoch darf diese Ablehnung nicht »als ein Freibrief für eine naive Alltagshermeneutik verstanden werden« (Reuber 1999, S. 170), denn will die Arbeit zum Wissenschaftsdiskurs gehören, muss sie zumindest versuchen ihren Forschungsprozess nachvollziehbar und überprüfbar zu gestalten.

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bestimmte Formen geben. Zentral ist hierbei, dass der Leser durch einen Blick auf die Überschrift entscheidet, ob der Artikel gelesen wird oder nicht, und sogar, ob die Zeitung gekauft wird, oder nicht (vgl. Wolff 2006, S. 271; Schlapp 2001, S. 74f.). Der damit in Zusammenhang stehende Anspruch an die Überschrift ist die Evozierung des Leseanreizes. Sie soll den Artikel möglichst »attraktiv verpacken«, damit er gelesen und verkauft wird (Wolff 2006, S. 271). Auch dass die Überschrift den Inhalt des Zeitungsartikels knackig zusammenfassen soll, hängt mit diesem Anspruch zusammen, denn Überschriften mit wenig Informationsgehalt würden den Leser nicht reizen (Heimeier und Graf-Szczuka 2006, S. 145). Es lässt sich daher annehmen, dass die Regeln printmedialer Diskurse wie sie im Rückgriff auf Niklas Luhmann (2004 [1995]) in Kapitel 2.3 hergeleitet wurden – v.a. die Erfordernisse von Aktualität und Rekursivität sowie die bevorzugte Fokussierung auf Konflikte und Normverstöße – für die Titel von Zeitungsartikeln in verdichteter Form gelten. Die Folge ist daher unter Umständen ›ein Hang zum Reißerischen‹, der auch in den entwickelten Kodes der Überschriftenanalyse, v.a. in den kodierten Merkmalszuschreibungen, zum Ausdruck kommen kann. Wenn also das Ziel der Überschriftenanalyse ist, einen groben Überblick darüber zu erlangen, welche unterschiedlichen Konstruktionen im Datenkorpus überhaupt verhandelt werden, dann darf dabei insbesondere ›das Reißerische‹ nicht automatisch auf den gesamten Korpus von Zeitungsartikeln übertragen werden. 3.3.2 Feinanalyse imaginativer Geographien mithilfe des Konzepts der ›semantischen Strickleiter‹ Mit der Feinanalyse wird zum einen den eher holzschnittartigen imaginativen Geographien nachgegangen, die mit der Überschriftenanalyse herausgearbeitet wurden. Zum anderen wird untersucht, wie diese sich in den Texten der analysierten Zeitungsrubriken entfalten und welche Verortungsstrategien von Ei(ge)nem und Anderem ihnen zugrunde liegen. Dabei wird mit einem offenen Korpus gearbeitet, der auf den Ergebnissen der Überschriftenanalyse aufbauend sowie nach dem Prinzip der maximalen Kontrastierung zusammengestellt wird (vgl. Kapitel 3.2.2). Wie in der Überschriftenanalyse wird auch in der Feinanalyse zunächst auf das Verfahren des Kodierens zurückgegriffen, hier jedoch

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in Form eines deduktiven Vorgehens. Mithilfe des Programmes Atlas.ti werden die Textstellen kodiert, in denen die mit der Überschriftenanalyse herausgearbeiteten Verknüpfungen von Textelementen verwoben sind.12 Aus diesen Textstellen gilt es im Anschluss an das Kodieren herauszuarbeiten, in welchen Differenz-, Äquivalenz- und antagonistischen Beziehungen die Textelemente erscheinen und auf welche Weise sie dabei mit Ei(ge)nem und Anderem verbunden werden. Dabei soll ferner berücksichtigt werden, für welche Nachrichten diese Konstruktionen über welche Erklärungsgehalte verfügen. Hierfür wird auf das Konzept der »semantischen Strickleiter« zurückgegriffen, das der Diskursforscher Thomas Höhne (2003) zur Analyse von Migrationsdiskursen in Schulbüchern ausgearbeitet hat. Es handelt sich entsprechend um ein Konzept, anhand dessen Verknüpfungen von Identität konstituierenden Textelementen innerhalb eines Zeitungsartikels (bzw. einer thematischen Einheit eines Zeitungsartikels) offengelegt werden können. Dies greift wiederum auf zwei Instrumente zurück: erstens, auf die Greimas’sche Isotopientheorie (1971 [1966]) und zweitens auf das Toulmin-Schema (1996 [1958]). Mit Hilfe der Isotopientheorie (Greimas 1971 [1966]) lassen sich Verknüpfungen von Textelementen unter semantischen Gesichtspunkten offenlegen (vgl. zusammenfassend Gansel und Jürgens 2007, S. 40). Der Terminus ›Isotopie‹ bezieht sich dabei auf die Bedeutungsbeziehungen zwischen lexikalischen Einheiten eines Textes (hier: den Textelementen). Diese lassen sich eingebettet in das Diskurskonzept von Laclau und Mouffe (vgl. Kapitel 2.1.3) als Differenz- und Äquivalenzbeziehungen von differentiellen Positionen verstehen. In dieser Form müssen die Isotopien auch als kontingent begriffen werden, die lediglich partielle Fixierungen von Bedeutungen miteinander verbinden. Die in einem Text zusammen wirkenden semantischen Differenzen und Äquivalenzen können virtuell als »semantische[…] Achse[n] « (Greimas 1971 [1966], S. 15) gedacht und in einer Art Strickleitersystem herausgearbeitet werden (Höhne 2003, S. 417). Treten beispielsweise in einem Textabschnitt Orient und Okzident als dialogische Opposition auf und werden jeweils durch spezifische semantische Merkmale beschrieben, so lassen sich diese ihrer semantischen Diffe-

12 Zur kritischen Reflexion der Verwendung von kodierenden Verfahren in diskursanalytischen Untersuchungen vgl. Kapitel 3.3.1 sowie Glasze et al. 2009, S. 299.

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renz- und Äquivalenzbeziehung entsprechend auf der Strickleiter horizontal bzw. vertikal eintragen. Insbesondere dieses Konzept lässt sich gewinnbringend auf die arabischen Zeitungstexte anwenden, da semantische Differenzstrukturen dort durch die häufige Verwendung von Synonymen und Antonymen (vgl. Kapitel 3.1) klar zutage treten. Um jedoch auch implizit Gesagtes mit berücksichtigen zu können, das nicht durch einen einfachen Umkehrschluss expliziter Aussagen und Artikulationen von Textelementen an die Oberfläche geholt werden kann, wird das Toulmin-Schema als ergänzendes Analyseinstrument herangezogen. Nach Toulmin (1996 [1958]) begründet der Sprecher eine These, die Konklusion, mit Argumenten, wobei die Verknüpfung beider Teile durch die Schlussregel erfolgt. Anhand derer wird vom Argument auf die Konklusion geschlossen. Während Argument und Konklusion expliziert werden, wird die Schlussregel zumeist nicht ausgedrückt (vgl. Brinker 2005, S. 81), denn sie beinhaltet »vorausgesetzte[s], konsensuelle[s] Wissen« (Höhne 2003, S. 401). So kann sie als Prämisse fungieren, mittels derer vom Argument auf die These geschlossen wird. Die Schlussregel wiederum stützt sich auf Hintergrundwissen (Stützung), welches die unausgeprochenen Voraussetzungen für die Schlussregel und damit für das gesamte Argument darstellt – es handelt sich in Luhmanns Terminologie also um als bekannt vorausgesetztes Wissen (vgl. Luhmann 2004 [1995], S. 29; vgl. Kapitel 2.3). Dieses implizit Gesagte, Mitbehauptete kann nun mithilfe des ToulminSchemas sichtbar gemacht werden (vgl. zusammenfassend Felgenhauer 2009, S. 220ff.; Brinker 2005, S. 81). Anhand des Beispiels aus »Orientalismus« (Said 1981 [1978], S. 40ff.), welches in Kapitel 2.2.1 aufgeführt wurde, lässt sich dies veranschaulichen. Es handelt sich um den Textausschnitt der Rede des britischen Außenministers Arthur James Balfour im Jahre 1913 vor dem britischen Unterhaus, um die britische Vorherrschaft in Ägypten rechtzufertigen: »Westliche Nationen zeigen, sobald sie sich in die Geschichte geben, jene Fähigkeiten, sich selbst zu regieren […]. Man kann die Geschichte der Orientalen im, wie es im allgemeinen genannt wird, Osten nehmen, und man wird niemals Spuren dieser Selbstverwaltung finden. […] Ist es eine gute Sache für diese großen Nationen […], daß diese Regierung von uns ausgeübt wird? Ich denke, es ist eine gute Sache« (Balfour 1913, in: Said 1981 [1978], S. 40f.).

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In diesem Textausschnitt finden sich gleich mehrere Argumente und Konklusionen, sodass sich auch mehrere Schlussregeln erkennen lassen. »Westliche Nationen zeigen […] jene Fähigkeit, sich selbst zu regieren« kann als ein Argument verstanden werden, welches mit der Konklusion »es [ist] eine gute Sache […], daß diese Regierung von uns ausgeführt wird« verbunden wird. Die Schlussregel und das vorausgesetzte Wissen sind, dass »Wir« zu den »westlichen Nationen« gehören. Hinter dem Argument »Man kann die Geschichte der Orientalen im, wie es im allgemeinen genannt wird, Osten nehmen, und man wird niemals Spuren dieser Selbstverwaltung finden«, welches mit der Konklusion »es [ist] eine gute Sache […], daß diese Regierung von uns ausgeführt wird« (ebd.) verbunden wird, versteckt sich mitbehauptet, dass sich Ägypter nicht selbst regieren können, weil sie Orientalen sind. Weiteres Hintergrundwissen ist, dass Ägypten im Orient liegt. Das Toulmin-Schema ist als argumentationstheoretischer Ansatz in den Bereich der Sprachpragmatik einzuordnen (vgl. Felgenhauer 2009, S. 229). Es folgt damit Annahmen, die aus einer poststrukturalistisch-diskurstheoretischen Perspektive zunächst abgelehnt werden müssen, da v.a. das rational argumentierende Subjekt einer diskurstheoretischen Konzeption Schwierigkeiten bereitet. Dennoch zeigt sich auch das Toulmin-Schema in den hier zu untersuchenden, meinungsbetonten Zeitungsartikeln als zielgerecht einsetzbar, denn die Regeln von Mediendiskursen schreiben speziell meinungsbetonten Artikeln in Printmedien eine argumentierende Struktur vor (vgl. z.B. Wolff 2006, S. 134; Lorenz 2002, S. 146). So werden die Funktionen meinungsbetonter Zeitungsartikel vornehmlich in der Meinungsbildung und Orientierung gesehen (Wolff 2006, S. 134), die nur durch eine »saubere Argumentation« erreicht werden können, sodass der Leser vom dargelegten Deutungsangebot überzeugt wird (ebd.). Ein Ausweg findet sich entsprechend nur darin, das Argumentieren als diskursiven Effekt zu betrachten. Es sind demnach Diskurse, die dem sprechenden Subjekt ermöglichen, logisch zu argumentieren, wobei die Logik selbst als diskursiv hergestellt und kontingent verstanden werden muss. Um das Toulmin-Schema im Rahmen diskursanalytischer Untersuchungen anzuwenden, muss es also in ein solches Verständnis übersetzt gedacht werden. Ferner soll an dieser Stelle auch noch einmal betont werden, dass die Argumentationslogik, die von Forschenden in Texten erkannt wird, stets abhängig von ihrer eigenen Position und Verstrickung in unterschiedliche Diskurse ist. Dies gilt besonders auch für die vorlie-

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gende Studie, denn gerade mitbehauptetes und vorausgesetztes Wissen sowie Argumentationslogiken gelten als kultur- und kontextspezifisch (vgl. Felgenhauer 2009, S. 222), sodass Forschende nie einen vollständigen Zugang dazu bekommen können (vgl. auch Kapitel 2.4 und 3.5). Nachdem die semantischen Strickleitern aus dem untersuchten Material herausgearbeitet wurden, werden sie miteinander verglichen, um Regelmäßigkeiten in der Anordnung bestimmter Textelemente in ihren spezifischen Differenz- bzw. Äquivalenzbeziehungen zu finden. Neben den Relationen geht es ferner auch um die regelmäßig wiederkehrenden Ordnungskategorien und -verhältnisse, die die Identitäten definieren, sodass auf diese Weise die diskursiven Verortungsstrategien von Ei(ge)nem und Anderem, die den imaginativen Geographien unterliegen, offengelegt werden können. Aufbauend auf diesen Ergebnissen wird anschließend diskutiert, welche gesellschaftlichen Verhältnisse durch die hier herausgearbeiteten imaginativen Geographien und ihren Verortungsstrategien von Ei(ge)nem und Anderem (re)produziert werden. 3.3.3 Ergänzende Analyse von Karikaturen Die Feinanalyse ergänzend werden auch die Karikaturen, die auf den Meinungsseiten der Zeitungen erscheinen, mit berücksichtigt, da sich in ihnen die imaginativen Geographien der Texte häufig auf eine polemisch zugespitze Art und Weise manifestieren. Die Karikaturen lassen sich als gezeichnete Meinungsbeiträge verstehen (vgl. Päge 2007, S. 88), deren Funktion aus medienwissenschaftlicher Perspektive in erster Linie darin besteht, »gesellschaftliche Missstände« in humorvoller und oder ironischer Form anzuprangern (vgl. z.B. Knieper 2002, S. 29).13 Aus diskurstheoretischer Perspektive unterliegt ihnen zudem die Funktion, dass sie gleichsam wie Text unsere Realitäten mit produzieren und reproduzieren (vgl. Rose 2006; zum Fokus Diskursanalyse vgl. Miggelbrink und Schlottmann 2009; Maasen, Mayerhauser und Renggli 2006). Demnach fragt eine diskursanalytische Untersuchung

13 Vgl. ferner Grünewald 2002. Für einen Überblick über die Diskussion zur Funktion von politischen Karikaturen in Zeitungen vgl. Päge 2007, S. 123-130. Neben ihrem politischen Anspruch werden u.a. auch ganz andere Funktionen angeführt, wie z.B. ihre Funktion als Gestaltungselemente oder ihre unterhaltende Funktion (ebd., S. 125).

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von Karikaturen bzw. Bildern im Allgemeinen, auf welche Weisen sie Bedeutungen und soziale Wirklichkeiten herstellen (Miggelbrink und Schlottmann 2009, S. 148; Glasze 2008, S. 92). Entsprechend gehört auch hier die Suche nach diskursiven Regelmäßigkeiten, Brüchen und Verschiebungen zu einem ihrer Hauptanliegen (ebd.; Mose und Strüver 2009, S. 318). Solche Arbeiten liegen bisher nur in sehr begrenztem Maße vor (für einen Überblick vgl. Miggelbrink und Schlottmann 2009, S. 182-187), gewinnen jedoch mit der zunehmenden Aufmerksamkeit gegenüber Visualität und Bildlichkeit (vgl. z.B. Mitchell 2008) an wachsender Bedeutung. Da Bilder anders als Texte funktionieren, müssen auch andere Methoden und Verfahrensschritte im Rahmen der Diskursanalyse entwickelt werden. »Im Gegensatz zu Texten sind Bilder nicht aus lexikalischen Elementen aufgebaut, die im Rahmen der Syntax linear verbunden werden. Vielmehr wird in Bildern simultan und räumlich eine Vielzahl äußerst heterogener Elemente in Beziehung gesetzt« (Glasze 2008, S. 92). Doch im Unterschied zu vielen anderen Formen von Bildlichkeit zeichnen sich politische Karikaturen in Printmedien dadurch aus, dass oftmals gleiche oder ähnliche Symbole verwendet werden – insbesondere, wenn es sich um wenige Künstler handelt, die für entsprechende Zeitungen arbeiten. Somit lassen sich auch hier, zumindest bis zu einem gewissen Grad, Regelmäßigkeiten und Verknüpfungen bestimmter Symboliken herausarbeiten. Dies geschieht, wie bereits erwähnt, in Ergänzung zur Textanalyse.

3.4 Z UM

METHODISCHEN S CHRITT DER Ü BER SETZUNG VOM ARABISCHEN INS D EUTSCHE

Neben den oben dargelegten Instrumenten und Verfahrensschritten zur Analyse der transnationalen arabischen Printmedien kommt noch einem weiteren Schritt eine große Bedeutung zu, der ebenso unter die methodische Umsetzung dieser Studie zu fassen ist: die Übersetzung von Texten in arabischer Sprache in das Deutsche. Übersetzungen von und zwischen Sprachen gehören zur geographischen Forschung häufig selbstverständlich dazu, werden jedoch aufgrund dieser Selbstverständlichkeit nur selten hinterfragt und erscheinen oftmals ›neutral‹ und ›unschuldig‹ (im Gegensatz zu vielen Arbeiten selbst, die gerade in Kontexten der Postcolonial Studies, Critical Geopolitics oder auch

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der Gender Studies einen dezidiert politischen Anspruch formulieren). Doch in der empirischen Praxis zeigt sich, dass die Übersetzungspraktiken nicht so ›neutral‹ und ›eindeutig‹ sind, wie sie oft erscheinen. Daher ist es für Studien, die Texte und Sprache als Konstruktionsmedium ihrer Untersuchungsgegenstände verstehen, umso wichtiger, sich mit den sprachlichen Übersetzungsprozessen auseinanderzusetzen, in die sie selbst verstrickt sind. So ist im Grunde das Ergebnis einer solchen Forschungsarbeit immer auch abhängig von ihren sprachlichen Übersetzungen, sodass eine Mitreflexion wichtig ist.14 Konkret bedeutet dies, dass – genauso wie die theoretischen und methodischen Ansätze einer Studie als Analysestrategie offenzulegen sind – auch die sprachlichen Übersetzungsstrategien dargelegt werden müssen. Um dem nachzukommen, wird nun zunächst das hier zugrunde gelegte Verständnis von Übersetzung kurz erläutert (vgl. Kapitel 3.4.1). Hieran anknüpfend wird verdeutlicht, welches Machtpotenzial Übersetzungsprozessen inhärent ist und auf welche Weisen es sich zeigt bzw. versteckt (vgl. Kapitel 3.4.2). Anschließend wird in Anlehnung an die vorangestellte Konzeptionalisierung von Übersetzung die hier angewandte Übersetzungsstrategie in ihren wesentlichen Zügen dargelegt (vgl. Kapitel 3.4.3). Dabei, dies soll hier noch erwähnt sein, sind Sprachen als Laut- und Zeichensysteme von Sprachgemeinschaften nicht als trennscharf nebeneinander stehend zu begreifen. Aus diskurstheoretischer Perspektive müssen auch sie als heterogen, veränderbar und kontingent verstanden werden. In der Praxis zeigen sich fließende Übergänge und somit finden Übersetzungsprozesse stets auch innerhalb ›einer‹ Sprachgemeinschaft statt. Wenn hier von der ›einen‹ und der ›anderen‹ Sprache die Rede ist, dann handelt es sich im Wesentlichen um analytische Trennungen.

14 Die folgenden Ausführungen beziehen sich im Wesentlichen auf die Übersetzungsprozesse vom Arabischen ins Deutsche, da es sich bei den empirischen Untersuchungsgegenständen um arabische Texte handelt. Durch die Verwendung von Sekundärliteratur in anderen Sprachen als der Deutschen finden natürlich ebenfalls Übersetzungsprozesse zwischen verschiedenen Sprachen statt. Diese werden hier jedoch nicht explizit behandelt, da sie nicht im Fokus stehen. Gleichwohl werden sie bei der Reflexion mitgedacht (vgl. Kapitel 3.5).

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3.4.1 Vom Über- zum Dazwischen-Setzen Zu Beginn dieses Kapitels wurde bereits gezeigt, dass einzelne Worte und Wortfolgen in der arabischen Schriftsprache durch die Konsonantenschrift über einen vergleichsweise hohen Bedeutungsspielraum verfügen und es allein dadurch kaum die eine richtige Übersetzung geben kann (vgl. Kapitel 3.1). Eine besondere Herausforderung stellt dabei die Übersetzung von tendenziell leeren Signifikanten dar, die eine Vielzahl an unterschiedlichen Konzepten umfassen – ganz davon abgesehen, dass sie sich nicht ohne Weiteres in Wörterbüchern nachschlagen lassen und ein hohes Maß an Hintergrundwissen von Übersetzerinnen und Übersetzern erfordern. Dies lässt sich beispielhaft am Begriff des ÊihÁd veranschaulichen. In einem der zu untersuchenden Zeitungsartikel fragt ein Autor: »Und wo befinden wir Araber uns, v.a. im Hinblick auf die ›Auslegung der Religion‹? Gewiss, der ÉihÁdismus von al-Qaida ist kein islamischer ÊihÁd« (SaÝÐd, al-Hayat, 25.10.01, S. 16). 15 Was hier mit ÉihÁdismus und ÊihÁd ›eigentlich‹ gemeint ist, wird nicht weiter erläutert. Im Wörterbuch von Hans Wehr – einem der renommiertesten Wörterbucher für die arabische Schriftsprache der Gegenwart – findet sich unter dem Eintrag ÊihÁd lediglich die Übersetzung »Kampf, Heiliger Krieg (gegen die Ungläubigen als religiöse Pflicht)« (Wehr 1976, S. 129). Von seiner Wurzel her abgeleitet lässt sich dieses Wort jedoch auch mit »Bemühen«, »Anstrengung« oder »Einsatz« übersetzen. Demgegenüber schreibt der Islamwissenschaftler Heinz Halm in seiner »Einführung in den Islam« (2002, S. 88): »Im modernen Sprachgebrauch wird es oft wie unser Wort Kampagne gebraucht […]: ÊihÁd gegen die Armut, gegen die Krankheit, gegen das Analphabetentum«. Daneben wird im islamischtheologischen Kontext zwischen kleinem und großem ÊihÁd unterschieden, wobei der kleine den militärischen Einsatz für den Islam und der große – der eigentlich verdienstvolle – als Kampf gegen die eigene Triebseele zu verstehen ist (ebd.).

15 Die Quellenbelege für die Artikel der Zeitung al-Hayat sowie für die Artikel der Zeitung al-Quds al-Arabi umfassen den Nach- bzw. den letzten Namen des Autors, das Erscheinungsdatum der jeweiligen Ausgaben sowie die entsprechenden Seitenangaben. Für die Quellenbelege der Zeitung Asharq Alawsat erfolgt keine Seitenangabe, da die Artikel aus dem Online-Archiv bezogen wurden. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 3, Anm. 18.

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Als wäre diese Vielfalt von Konzepten noch nicht genug, so muss schließlich noch berücksichtigt werden, dass der Begriff ›Dschihad‹ mittlerweile auch als Lehnwort in die deutsche Sprache Eingang erhalten hat und hier überwiegend als Bezeichnung für ›den Heiligen Krieg der Muslime‹ Verwendung findet. Abgesehen davon, dass diese Bedeutung der Konzeptvielfalt im Arabischen in keiner Weise gerecht wird, erscheint offensichtlich, dass dies im oben angeführten Beispiel aus den Zeitungsartikeln ›nicht gemeint‹ ist. Nun muss aus Übersetzerperspektive allerdings kritisch in Frage gestellt werden, ob das, ›was eigentlich gemeint ist‹, überhaupt erfassbar ist, denn trotz dieser Unsicherheit legen Übersetzende letztlich ›das Gemeinte‹ mit ihren Übersetzungen fest. Ein weiteres Problem, das hier angesprochen werden soll, hängt eng mit der Konzeptvielfalt von Signifikanten zusammen und betrifft die Frage, wie aus Diskursen zu übersetzen ist, denen ein ›anderes‹ semantisches Referenzsystem zugrunde liegt. Am Beispiel des politischen Islam16 kann dies verdeutlicht werden. Mit Laclau und Mouffe lässt sich Islamismus als Diskurs denken, der sich um den privilegierten Signifikanten ›Islam‹ formiert. Dieser stellt auf sozialer Ebene eine gesellschaftliche Ordnung her (vgl. Kapitel 2.1.3). »Islam, as a master signifier for Muslim communities, comes to unify and to re-present what may otherwise appear fragmented and perplexing« (Holt 2004, S. 65).17 Eine ›islamische Gesellschaftsordnung‹ – so unterschiedlich ihre Konzepte auch ausfallen – stellt im Rahmen dieses Diskurses ›das Gute‹ und ›das Erstrebenswerte‹ schlechthin dar. Entsprechend würde die Aussage »die Regierung ist islamisch« im Kontext dieses Diskurses gleichzeitig auch bedeuten »die Regierung ist gut und rechtschaffen«. Die Frage, die sich nun stellt, ist, wie man dies in ein anderes Referenzsystem übersetzen könnte, wo ›Islam‹ nun nicht als positiv besetzter, privilegierter Signifikant fungiert und Gesellschaften identifiziert. Würde die Aussage »die Regierung ist islamisch« im Kontext eines westlich-säkularen Diskurses auftauchen, dann wäre damit nicht automatisch »die Regierung ist gut und rechtschaffen« mit gemeint.

16 Zur Definition vgl. Kapitel 1, Anm. 7. 17 Master signifier, hier als englische Übersetzung des Begriffes von »point de capiton« nach Lacan, entspricht in der deutschen Übersetzung der Laclau und Mouff’schen Terminologie den privilegierten Punkten bzw. den privilegierten Signifikanten (vgl. Kapitel 2.1.3).

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Dieses Beispiel zeigt nicht nur, dass eine Eins-zu-EinsÜbertragung von Bedeutung unmöglich ist und eine Bedeutungsverschiebung im Zuge einer Übersetzung unvermeidlich erfolgt. Sie zeigen ebenso, wie groß die Bedeutungsverschiebung sein kann, deren Spielraum sich auf der Ebene der Übersetzung von einzelnen Worten in bzw. aus einer ›anderen‹ Sprache heraus oder auch durch die Übertragung in ein ›anderes‹ diskurssemantisches Referenzsystem entfaltet. In welche Richtung Bedeutungen verschoben werden, ist in Anlehnung an den Literaturwissenschaftler Gideon Toury (1982) stets abhängig vom Kontext. In den Translation Studies war dies einer der zentralen Gedanken im Rahmen ihrer Theoriediskussionen. Die entscheidenden Größen des Kontextes einer Übersetzung werden neben den grammatikalischen und lexikalischen Zwängen von Sprachen insbesondere in Kultur und Ideologie gesehen, in die Übersetzer, Original und übersetzter Text eingebunden sind (vgl. Mazid 2007, S. 64). Damit stehen Zweck, Ziel und Strategie der Übersetzung in einem engen Zusammenhang, wobei diese dem Übersetzer nicht unbedingt klar und im Vorhinein konkret formuliert sein müssen. Zu den weiteren Faktoren zählen Verständnis, Wissen, Ansprüche und Fähigkeiten des Übersetzers sowie Traditionen der Übersetzungskultur in der Zielsprache (ebd.). Aus diskurstheoretischer Perspektive sind diese Größen als diskursiv produziert und geregelt zu verstehen, sodass der Übersetzer eine »Sprecherposition« darstellt, die in eine Vielzahl unterschiedlicher Diskurse verstrickt ist. Vor diesem Hintergrund sind es die Regeln der unterschiedlichen Diskurse, durch die Bedeutungsverschiebungen erfolgen. Der diskursive Kontext darf dabei jedoch auf keiner Ebene als starr verstanden werden, sondern ist stets veränderbar. So zeigt der Literaturtheoretiker Wolfgang Iser (1994), dass sich der Übersetzungsrahmen bei jedem Schritt der Übersetzung ändern kann, denn »[i]t is subjected to alterations in order to accommodate what does not fit« (ebd.). Die Idee der Kontextualisierung hat zur Folge, dass der Blick auf ›den Anderen‹ und ›die andere Sprache‹ ausschließlich aus dieser kontextualisierten Perspektive heraus erfolgt und damit ›die andere‹ Sprache immer aus der Logik ›der eigenen‹ Sprache und des ›eigenen‹ diskursiven Kontextes heraus verstanden werden muss (vgl. Frow 1995). Aus diesem Grund ist auch ein ›Über‹-Setzen in die eine und aus der anderen Sprache nicht möglich. In den Translation Studies wird Übersetzen in zunehmendem Maße als Praktik ›auf der Grenze‹ konzipiert

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(vgl. zusammenfassend Ribeiro 2004; vgl. weiterhin Bhabha 1990). In Anlehnung an den postkolonialen Theoretiker Homi Bhabha (1990) gilt die Übersetzung dann als getting in-between, also zwischen Eigenes und Anderes. Und diese Position des Dazwischen, welche er mit dem Begriff des third space greift, eröffnet ihm zufolge einen neuen Verhandlungsspielraum von Repräsentation und Bedeutung, sodass mit der Übersetzung immer auch Neues entsteht. Und genauso wie die Position des Dazwischens Hybridität verkörpert, muss auch der übersetzte Text als hybrid verstanden werden. Hybridität und third space dürfen dabei allerdings nicht als Schnittmenge zweier homogener Sprachen verstanden werden. Vielmehr müssen deren Texte jeweils auch bereits als hybrid angesehen werden, denn dass es keine reinen Sprachen gibt, machen bereits Lehnworte, Fremdworte, Dialekte, Mischsprachen und die ständigen sprachlichen Veränderungen deutlich. Eine solche Betrachtungsweise verweist auf den Konstruktionscharakter von Übersetzung und erlaubt Variation, Heterogenität und öffnet den Weg für vielfältige Sicht- und Übersetzungsweisen (vgl. Ribeiro 2004). 3.4.2 Die Macht der Übersetzung Der dritte Raum, der sich auf der Grenze zwischen Sprachen im Zuge des Übersetzungsprozesses öffnet, entfaltet zugleich ein Terrain für Macht, wobei letztere auf vielfältige Weisen wirkt. Am deutlichsten tritt sie bei den Entscheidungen zutage, was zur Übersetzung ausgewählt und wie übersetzt wird. Dabei muss die diesen Auswahlprozessen zugrundeliegende Übersetzungsstrategie nicht im Vorhinein formuliert und eindeutig sein. Sie kann auch vollkommen unklar oder in Teilen unkonkret bleiben. Die Folgen dieser Entscheidungen manifestieren sich als Effekte von Macht im übersetzten Text, der schließlich auch zur Formung von kulturellen Identitäten und kulturräumlichen Ordnungen beitragen kann. Das Paradoxe dabei ist, dass sich die Machtverhältnisse umso stärker entfalten könnten, je weniger sichtbar sie sind (vgl. Venuti 2008, 2003). Eine Übersetzung wird von Verlegern, Herausgebern und Lesern v.a. dann als gut bewertet, wenn sie flüssig und gut lesbar ist. Doch je flüssiger die Übersetzung zu lesen ist, umso weniger erscheint sie als solche und umso mehr kann sie als Original daherkommen. Das Gleiche gilt auch für den Übersetzer: »The more fluent the translation, the

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more invisible the translator, and, presumably, the more visible the writer or meaning of the foreign text« (Venuti 2008, S. 1f.). Veranschaulichen lässt sich dies anhand eines kurzen Beispiels aus dem Korpus der zu untersuchenden Zeitungsartikel. Der Autor ÝÀÞià alQarnÐ schreibt in der Zeitung Asharq Alawsat Folgendes: #" ‫«ا إ أن ا   م ا ا و م ا ا"ي‬ 12‫وري &ا‬0 ‫ ا أ‬/‫ ا‬. ‫آا أن ا‬- ،‫را‬% + ‫ن وا(ا'ن‬$%& ‫ا‬ . »… ‫ ا&د‬%  ; 1$ %$: 8&9 ‫ ام‬1 + ‫ أن‬16%7 15 ‫ات ا‬4&‫ا‬ Das Sprachtool von Google beispielsweise übersetzt den Text wie folgt: »Berater zu einige Leute verwechseln das Konzept der islamischen Erneuerung und das Konzept der Regeneration, die sowohl weltliche und Alhaddatheon Slogan, sagen, dass Innovation im islamischen Denken ist notwendig, um Entwicklungen v.a. in der modernen Gesetz des Islam sind nicht so flexibel zum Stillstand gekommen, […]« (al-QarnÐ, Asharq Alawsat, 01.04.05; 18 übers. Google 2008).

Dass es sich hierbei um einen Übersetzungsversuch handelt, ist offensichtlich, ja sogar dass die Übersetzung computergeneriert ist, kann herausgelesen werden und somit ist der Computer als Übersetzer deutlich sichtbar. Dagegen könnte eine erste Version von mir, die wörtlich und ›so nahe wie möglich am Text‹ übersetzt, folgendermaßen lauten:

18 Alle untersuchten Artikel von Asharq Alawsat sind in der Rubrik »Meinung (raÞy)« erschienen. In der Regel handelt es sich hierbei um die Seite 15 der Zeitung, wobei Ausnahmen nicht ausgeschlossen werden können. Die untersuchten Artikel wurden hier über das Online-Archiv von Asharq Alawsat bezogen: http://www.aawsat.com/advsearch.asp (zuletzt abgerufen am 08.03.10), in dem die Artikel nach Rubrik, Datum und Autor sortiert sind. Seitenangaben werden im Online-Archiv nicht gemacht, sodass auch hier auf die Angabe der Seitenzahl verzichtet wird und ausschließlich Autorenname sowie das Erscheinungsdatum des Artikels zitiert werden. Dadurch, dass es sich stets um die Rubrik »Meinung (raÞy)« handelt, ist eine eindeutige Zuordnung von Quellenbeleg und Quelle gewährleistet.

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»Hinweisend darauf, dass Einige zwischen dem Verständnis der islamischen Erneuerung und dem Verständnis der Erneuerung, das Säkularisten und Modernisten als einen Slogan erachten, vermischen, betonend, dass die Erneuerung im islamischen Denken eine notwendige Angelegenheit für die Begegnung der gegenwärtigen Entwicklungen ist, speziell dass die šarÐÝa des Islam dadurch charakterisiert ist, dass sie flexibel ist, wobei die Starrheit sie nicht überfällt, […]« (al-QarnÐ, Asharq Alawsat, 01.04.05; übers. S.H.d.A.).

Aus diesem Text kann bereits ein Sinn herausgelesen werden. Dass es sich um einen Übersetzungsversuch handelt, bleibt jedoch auch hier ersichtlich, denn der Text ist schlecht zu lesen und die hier vorgenommene Satzkonstruktion ist im Deutschen eher unüblich. Lesbarer wird die Übersetzung erst in einer überarbeiteten Version: »Ich weise darauf hin, dass Einige das eigentliche Verständnis von der Reformierung des Islam mit demjenigen verwechseln, das sich Säkularisten und Modernisten auf die Fahne schreiben. Und ich betone die Notwendigkeit der Reformierung, um den gegenwärtigen Entwicklungen begegnen zu können. Dies erachte ich als möglich, insbesondere weil die Gesamtheit der gesetzlichen Regelungen im Islam flexibel und nicht starr ist« (al-QarnÐ, Asharq Alawsat, 01.04.05; übers. S.H.d.A., überarb.).

Je flüssiger und besser diese Übersetzung zu lesen ist, umso mehr tritt ÝÀÞià al-QarnÐ als Autor in Erscheinung und umso mehr verschwinde ich als Übersetzerin – und das, obwohl ich mich in der ersten Version ›näher am Text‹ befand als in der überarbeiteten Fassung. Dem Autor, der nun stärker in Erscheinung tritt, wird seine ursprüngliche Stimme genommen und eine neue gegeben. Und wenn man sich nun noch einmal vergegenwärtigt, wie groß der Spielraum bei der Übersetzung vom Arabischen ins Deutsche zuweilen ist, wird deutlich, wie neu diese neue Stimme sein kann. Die Unsichtbarkeit des Übersetzers geht mit der Unsichtbarkeit der Machtverhältnisse einher, die sich im Übersetzungsprozess stellen. Die Macht zeigt sich lediglich als Effekt, wenn ihr die Originalversion oder andere Versionen an Übersetzungsversuchen gegenübergestellt werden. Dabei darf nicht davon ausgegangen werden, dass es eine ›richtige‹ Übersetzung des Originals gäbe. Was als Referenz dienen kann, sind lediglich ›andere‹ Übersetzungen, die sich in einem ›anderen‹ Kontext verorten lassen.

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Die Effekte von Macht, die sich durch und im übersetzten Text zeigen können, sind zahlreich. Auf die Translationswissenschaftler Lawrence Venuti (2003) und Bahaa-Eddin M. Mazid (2007) zurückgreifend soll hier beispielhaft auf die Effekte von Naturalisierung, Domestizierung, Exotisierung und X-phemismus eingegangen werden. Die Naturalisierung steht im engen Zusammenhang mit dem Entzug der Stimme des Originalautors. Er bezieht sich auf die Bedeutungsschließungen und -festschreibungen, die in der Übersetzung vorgenommen und zu einem Text zusammengefügt werden, der dann als ›wahre‹ Stimme des Autors in Erscheinung tritt und als ›so und nicht anders‹ erscheint. Ein weiterer Effekt von Macht ist das, was Venuti (2003) mit dem Begriff der »Domestizierung« bezeichnet. Damit ist die Einschreibung des Quellentextes in den eigenen Diskurs gemeint, in das eigene kulturelle Referenzsystem und in den eigenen Normen- und Werte-Kontext. Verdeutlicht werden kann dies bereits anhand der Frage »Wie geht es?«. In den meisten arabischen Ländern wird üblicherweise mit »AlÎamdu li-LlÁh« geantwortet. Die Übersetzung hat einen domestizierenden Effekt, wenn die Antwort so übersetzt wird, wie es im Deutschen üblich ist, beispielsweise mit »Danke, gut«. Einen exotisierenden Effekt hingegen hat die Übersetzung dann, wenn wörtlich übersetzt wird, nämlich mit »Gepriesen sei Gott«. Auf diese Weise zu antworten ist in Deutschland eher unüblich und damit hebt eine solche Antwort die Andersartigkeit des Anderen noch einmal stärker hervor. Einen noch stärkeren Exotisierungseffekt hat die Übersetzung »Gepriesen sei Allah«. Obwohl »Gott« das deutsche Wort für »AllÁh« ist und »AllÁh« dementsprechend auch von beispielsweise arabischsprachigen Christen gebraucht wird, wird in deutschen Übersetzungen aus dem Arabischen anstelle von »Gott« dennoch gern »Allah« verwendet und dabei zumeist ausschließlich auf den Islam bezogen. Damit hat diese Übersetzung einen zusätzlichen Verfremdungseffekt und untermauert die (konstruierte) Grenze zwischen Eigenem und Anderem bzw. hier: ›Westen‹ und ›islamischer Welt‹. Der Ausdruck X-phemismus (vgl. Mazid 2007, S. 39ff.) fasst alle weiteren Effekte zusammen. Während Mazid dabei im Wesentlichen auf Euphemismus und Dysphemismus der Bedeutungen des Textes durch Übersetzung eingeht (ebd.), sind noch andere Möglichkeiten vorstellbar, wie beispielsweise Verweichlichung, Verhärtung, Verkomplizierung, Vereinfachung, Verschönerung, Verhässlichung u.ä.

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Dabei kann die Referenz – dies soll hier noch einmal betont werden – nicht die eine ,richtige‹ Übersetzung sein, sondern immer nur andere Übersetzungen aus anderen Kontexten sowie die Betrachtung des Originals in seinem spezifischen Kontext. Was sich in all diesen Effekten manifestiert, ist nach Venuti (2008, 2003) und Mazid (2007) letztendlich nicht nur Macht, sondern auch Kultur und Ideologie bzw. aus diskurstheoretischer Perspektive: diskursive Formationen und entsprechende Formationsregeln. Denn durch Übersetzung können eigene Normen und Werte unterstrichen werden – beispielsweise durch die domestizierende Übersetzung eines Ausdrucks mit religiöser Konnotation, der diese durch Übersetzung verliert und somit in einen säkularen Kontext eingebettet werden kann. Dagegen lassen sich durch exotisierende Übersetzungen beispielsweise Freund-Feind-Schemata untermauern. Meistens lassen sich in übersetzten Texten jedoch Elemente von allen herausarbeiten; vermeidbar sind sie nicht, denn genauso wenig, wie es die richtige Übersetzung geben kann, gibt es die neutrale oder gar die objektive Übersetzung. Die zentrale Frage ist daher nicht, wie solche Effekte zu vermeiden sind, sondern vielmehr, wie mit ihnen umgegangen wird und wie sie sichtbar gemacht werden können. In den Untersuchungen von Venuti (2008, 2003) und Mazid (2007) werden sie im Wesentlichen auf die Art und Weise des Übersetzens und auf den übersetzten Text selbst bezogen. Allerdings lassen sie sich auch auf die Auswahl dessen beziehen, was zur Übersetzung herangezogen wird, denn bereits dieser Schritt trägt in bedeutendem Maße zur Produktion und Formung kultureller Identitäten bei, die im Zuge dessen naturalisiert, domestiziert, exotisiert oder x-phemisiert werden. Den Aspekt der Formung kultureller Identitäten und kulturräumlicher Ordnungen durch Übersetzung haben sich neben den Translation auch die Postcolonial Studies zum Forschungsgegenstand gemacht und so zeigt auch Edward W. Said in seinem Werk »Orientalismus« (1981 [1978]), wie die Übersetzungspraxis dazu beigetragen hat, ›den Orient‹ Europa zu unterwerfen. Die Verbindung zwischen Kolonialismus und Übersetzung lässt sich wie folgt zusammenfassen: »Als eine Strategie der Verfestigung fremder Kulturbilder stand die Übersetzungspraxis weitgehend im Dienst einer europäischen Repräsentationspraxis. Und diese trug durch Filterung, Bemächtigung und Fixierung in ihren Kulturbeschreibungen dazu bei, nichteuropäische Gesellschaften aus der Dynamik

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des geschichtlichen Handelns herauszuhalten. Die Übersetzungsgeschichte ist damit als Teil der Kolonialgeschichte aufzufassen und die koloniale Geschichte als eine kulturpolitische Übersetzungsgeschichte in einer ungleichen Machtsituation zu begreifen« (Bachmann-Medick 2006, S. 244; im Rückgriff auf Bhatti 1997).

Es können jedoch nicht nur in der kolonialen Vergangenheit Beispiele für die Verbindung und den Einfluss von Übersetzung, Produktion und Formung kultureller Identität und Politik gefunden werden, sondern auch in der Gegenwart. Insbesondere Übersetzungen aus dem (pseudo)wissenschaftlichen Kontext – und das ist das Problematische an ihnen – können hierbei als Legitimationsinstrumente für Politik dienen. Sehr eindrücklich zeigt sich dies am Beispiel des »Middle East Media Research Institute«, welches hier im Folgenden als Exkurs aufgeführt wird. Exkurs: Das Middle East Research Institut Das »Middle East Media Research Institute« (MEMRI) präsentiert sich als Forschungsinstitut, welches »den Nahen Osten anhand regionaler Medien erforscht« (MEMRI 2008b) und bietet »zeitgemäße Übersetzungen arabischer, iranischer, türkischer, Urdu und Paschtu Medien, sowie eigene Analysen der politischen, ideologischen, intellektuellen, sozialen, kulturellen und religiösen Trends des Nahen Ostens an« (ebd.). Es wurde 1998 von Yigal Carmon19 , dem heutigen Präsidenten, begründet und hat Sitze in Washington, London, Rom, Tokio, Bagdad und Jerusalem. Finanziert wird es hauptsächlich durch Spendengelder. Die Arbeit von MEMRI wird in die Sprachen Englisch, Deutsch, Hebräisch, Italienisch, Französisch, Spanisch, Türkisch, Russisch, Chinesisch und Japanisch übersetzt. Darüber hinaus wird sie im Internet zur Verfügung gestellt und ist abonnierbar. Nach Aussage des MEMRI profitieren von der Arbeit des Instituts primär die US-Streitkräfte, die Regierungsstellen, die Verteidigungsministerien, die Auswärtigen Ämter, die Justizministerien, die Handelsminis19 Yigal Carmon, ein gelernter Arabist, diente von 1977 bis 1982 in der Führung der israelischen Besatzungsverwaltung der Westbank und arbeitete mehrere Jahre im israelischen Militärgeheimdienst als einer der führenden Offiziere. Das Institut gründete er nach seiner Pensionierung (vgl. Kirchner 2002, S. 46).

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terien, weitere staatliche und lokale Behörden in Angelegenheiten der nationalen Sicherheit, mehr als 500 akademische Institutionen weltweit und schließlich die Öffentlichkeit. Hauptzielgruppe des Instituts ist ein »westliches« und vornehmlich »amerikanisches« Publikum (ebd.). Diesem Institut kann laut der Islamwissenschaftlerin Shirin Fathi (2005, S. 44) ein »extremer Erfolg« zugeschrieben werden. Auf seiner deutschsprachigen Website beschreibt das Institut seine Arbeit unter der Rubrik »Über uns« folgendermaßen: »MEMRI schafft es […] die Sprachenkluft, die sich zwischen dem Westen und dem Nahen Osten auftut, zu überbrücken« (MEMRI 2008b). Sich selbst sieht es als »eine unabhängige, unparteiische und gemeinnützige Organisation« (ebd.), deren Grundsatz ist: »Übersetzen, nicht bewerten!« (Berliner Zeitung vom 02.10.02). Angaben zur Art und Weise der Übersetzung sowie zur Auswahl der übersetzten Beiträge werden nicht gemacht. Übersetzung wird hier als Brücke und unpolitische Praxis vermarktet und sich damit jeglicher Verantwortung entzogen. Von Kritikern des Instituts ist es allerdings genau die Übersetzungsstrategie – sprich: die Auswahl der zu übersetzenden Beiträge und die Art und Weise der Übersetzung – die angeprangert wird. »Sie [die Mitarbeiter des MEMRI] sind in hohem Maße selektiv in der Auswahl dessen, was übersetzt wird, und sie reißen Dinge aus dem Originalkontext«, so der britische Journalist Brian Whitaker (2002). Ein Blick auf die Homepage zeigt deutlich, was gemeint ist. Die latest news auf der Eingangsseite der englischen Website verzeichnen 10 Beiträge, deren Titel hier aufgelistet werden (MEMRI 2008a): •

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»Oct 29 SD# 2097 - Saudi Cleric Who Taught in U. S. On AlMajd TV: ›Allah Be Praised, America Is Collapsing‹; ›Will The West Acknowledge the Collapse of Capitalism [?]... They Have Begun to Adopt the Principles of Islamic Economy‹; ›Either They [The U. S.] Were Accomplices In 9/11, Or Else They Carried It Out‹« »Oct 29 IA# 470 - Islamists Attempt to Impose Their Agenda on Kuwaiti Society; Reformists Fight Back« »Oct 28 SD# 2096 - Muhammad ‘Ali Ibrahim, Egyptian MP and Editor of Government Newspaper: Syria is a Vassal of Iran and Qatar«

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»Oct 28 SD# 2087 - Hamas Cleric Muhsen Abu ‘Ita: ›The Annihilation of the Jews in Palestine is One of The Most Splendid Blessings for Palestine‹« »Oct 27 SD# 2095 - Iranian News Channel IRINN Reports on Newly Published Iranian Book On ›The Great Distortion Of The Historical Event Called The Holocaust, Using The Art Of Satire‹« »Oct 27 SD# 2094 - In Communiqué, Taliban Responds to U. S. Attempts to Form Anti-Taliban Tribal Alliances« »Oct 24 SD# 2093 – Clerics’ Conference In Lahore Issues Prohibition Against Suicide Attacks Inside Pakistan« »Oct 23 SD# 2092 - Prominent Egyptian Cleric Zaghloul AlNaggar: Global Economic Crisis is ›War Waged By Allah‹; Economy Should Be Based ›On Healthy Islamic Principles‹; U. S. Will Be ›Totally Annihilated‹« »Oct 22 SD# 2091 - Arab Columnists: The Economic Crisis – A Conspiracy by U. S. Government, American Jews« »Oct 21 SD# 2090 - The Shame of Mosul‹«

Die latest news des MEMRI – ohne sie einer umfassenden Analyse zu unterziehen – vermitteln ein Bild des Orients und des Orientalen, was zu großen Teilen von altbekannten, negativen, exotisierenden und feindbildartigen Vorstellungen bestimmt ist (vgl. z.B. auch die Übersetzung von AllÁh mit »Allah« und nicht »Gott«). An dieser Stelle kann an einen Beitrag der Islamwissenschaftlerin Schirin Fathi (2005) angeschlossen werden, die die Arbeiten des MEMRI untersucht hat und zu dem Ergebnis kommt, dass Elemente wie »der radikale Jihadist, der Terrorist, der korrupte, stagnierende, irrationale und antisemitische Orient« (Fathi 2005, S. 50) das Bild vom Orient bestimmen und immer wieder reproduziert werden. Zusätzlich werden auf der anderen Seite pro-westliche, säkulare arabische oder iranische Vertreter zitiert, die das negative Bild des Orients bestätigen. »Die Mitte«, die in den nahöstlichen Medien nach Fathi den weitaus größten Teil einnehmen würde, ist jedoch schlicht nicht repräsentiert (ebd., vgl. auch Hayes 2002, S. 50). »Das Kuriose [dabei] ist« so Whitaker (2007), »dass MEMRIs Übersetzungen normalerweise korrekt sind […]« (ebd.). Dies macht einmal mehr deutlich, welch entscheidende Rolle dabei der gewählten Übersetzungsstrategie zukommt. Das Beispiel MEMRI zeigt nicht nur, wie durch Übersetzung kulturelle Identitäten und kulturräumliche Ordnungen produziert und ge-

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formt werden. Mit Blick auf die Stellung des Instituts – welches sich als »neutrales« Forschungsinstitut ausgibt, von Kritikern jedoch eher als PR-, Lobby- und Politikberatungsagentur mit höchstem professionellen Standard (Fathi 2005, S. 50) angesehen wird – wird auch deutlich, dass solche imaginativen Geographien eine entscheidende Rolle für die Politik spielen und schlimmstenfalls als Legitimationsinstrumente für militärisches Vorgehen dienen können. 3.4.3 Die Übersetzungsstrategie Die vorangegangenen Ausführungen über die Verbindung von Übersetzung und Macht sowie die aufgeführten Beispiele haben v.a. auf die Gefahren hingewiesen, die mit der Übersetzungsstrategie und der damit einhergehenden Verschiebung und Festschreibung von Bedeutung sowie der Formung kultureller Identitäten und imaginativer Geographien im Zuge von Übersetzungsprozessen erfolgen. Übersetzung – dies soll zusammenfassend noch einmal betont werden – ist und bleibt eine notwendige, aber ambivalente Praktik. Daher ist die zentrale Frage immer, wie übersetzt wird. Der Bedarf nach Übersetzung und das Bewusstsein über ihre Gefahren machen einen umsichtigeren und kritischeren Umgang mit Übersetzung notwendig und möglich. So lässt sich aus den obigen Überlegungen zunächst ableiten, dass die Idee vom Über- zum Dazwischen-Setzen für die Umsetzung erfordert, den Konstruktionscharakter von Übersetzung deutlich zu machen und Übersetzung entsprechend als etwas Neues zu artikulieren, das auch hätte anders (allerdings nicht beliebig) ausfallen können. Die damit zusammenhängenden Fragen nach den politischen Momenten und Machtverhältnissen im Übersetzungsprozess müssen dabei in das Blickfeld gerückt werden. Dies beinhaltet, die Politik der Übersetzung sichtbar zu machen und die eigenen Übersetzungsstrategien aufzudecken. Dementsprechend werden hier folgende Strategien verfolgt: •

Der Konstruktionscharakter von den im Rahmen der Ergebnisdarstellungen durchgeführten Übersetzungen, die als Zitate aus Zeitungsartikeln gekennzeichnet werden, wird neben der Angabe von Übersetzungsalternativen und Verweisen auf die Konzeptvielfalt zentraler Signifikanten insbesondere durch die Verwendung von

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transkribierten Formen und holus-bolus translations 20 kenntlich gemacht. Dadurch soll nicht nur gezeigt werden, dass der Text eine Übersetzung (und damit nicht die Stimme des Originalautors) ist, es sollen auf diese Weise auch Festschreibungen auf vermeintliche Äquivalenzen bis zu einem gewissen Grad unterbunden werden. Außerdem unterbrechen und stören sie die ›sprachliche Homogenität‹ des Textes und den Lesefluss, sodass durch sie die naturalisierenden Effekte von Übersetzung in Ansätzen gestört und aufgebrochen werden können (vgl. dazu Müller 2007, S. 210). Bedeutungsverschiebungen, -schließungen und -festschreibungen sind so zwar letzten Endes auch nicht vermeidbar, dennoch kann auf diese Weise auf sie aufmerksam gemacht und der Text denaturalisiert werden. Die Transkription erfolgt für übersetzte Signifikanten, denen in der Konstitution imaginativer Geographien eine zentrale Rolle zukommt, d.h. Signifikanten, über die Identitäten hergestellt werden, und Signifikanten, die als Merkmalszuschreibungen von Identitäten fungieren. Hierfür werden die Transkriptionen aus den Originaltexten unmittelbar nach den entsprechenden übersetzten Signifikanten in Klammern angegeben. Alternativ bestünde die Möglichkeit, anstelle der Transkription die Zeichen in arabischer Schrift zu belassen, denn mit der Transkription in die lateinische Schrift wird der Text bereits domestiziert. Der Vorteil der Transkription liegt allerdings darin, dass deutlich gemacht werden kann, welche Morpheme aus den Zeichen der arabischen Schrift herausgelesen wurden, beispielsweise Èarb (Westen) und nicht Èaraba (weggehen, untergehen), die beide im Signifikanten ‫ب‬ enthalten sind. Aus diesem Grund werden auch holus-bolus translations in der transkribierten Form aufgeführt. Die Transkription erfolgt nach den Regeln der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (vgl. dazu S. 10). Mit der Übersetzung wird hier weniger ein ästhetischer Anspruch, als vielmehr eine möglichst griffige Beschreibung von Kategorien und Mustern verfolgt, in denen imaginative Geographien entworfen werden. Die Konsequenz sind möglicherweise verhässlichen-

20 Der Begriff der holus-bolus translation bezeichnet die Übersetzungstechnik, einen Begriff in einem übersetzten Text in der Originalsprache zu belassen.

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de Effekte, sodass der Übersetzung im neuen diskursiven Referenzsystem nicht das gleiche Maß an Ästhetik zugeschrieben werden kann, wie es dem Original in anderen Referenzsystemen zukommen würde. Wenn Wörterbücher zur Übersetzungshilfe herangezogen werden, dann handelt es sich im Wesentlichen um das »Arabische[-] Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart« von Hans Wehr (1976) und dem Langenscheidt Handwörterbuch Arabisch-Deutsch (Kropfitsch 2008). Die Textbeispiele sowie die Karikaturen, die ausgewählt werden, sind solche, die zur Veranschaulichung der Analyseergebnisse als besonders geeignet erachtet werden. Ein weiterer wichtiger, hier zu erwähnender Aspekt ist, dass die leeren Signifikanten, Differenz-, Äquivalenz- und antagonistische Beziehungen in der Ergebnisdarstellung durch die Übersetzung nun nicht mehr die gleichen sind wie diejenigen, die aus den Originaltexten herausgearbeitet wurden. Gleichzeitig erfolgt die empirische Analyse nahe an der in Kapitel 2 entwickelten Theorie, sodass auch angestrebt wird, dies in der Ergebnisdarstellung den Leserinnen und Lesern transparent zu machen. Aus diesem Grund sollen auch entsprechende Begrifflichkeiten der Theorie verwendet werden. So wird im Folgenden beispielsweise die Rede davon sein, dass und wie der Signifikant ›Westen‹ im untersuchten Material auftaucht. Aber eigentlich handelt es sich nicht um den Signifikanten ›Westen‹, sondern um den Signifikanten ‫( ب‬transliteriert in lateinische Schrift: È-r-b), und zwar auch lediglich dann, wenn er im Sinne von Èarb (Westen) verstanden wird, und nicht etwa im Sinne von Èaraba (weggehen, untergehen). Es müsste also vielmehr von einem übersetzten Wort, das im Schriftbild des untersuchten Materials als Signifikant ‫ ب‬erscheint, gesprochen werden. Allerdings würde dies zu einer Verkomplizierung führen, die Leserin und Leser dieser Arbeit nicht zugemutet werden soll. Alternativ ließe sich anstelle vom Signifikant ein anderer Begriff verwenden, doch damit würde die Verbindung zu den theoretischen Ausführungen unter Umständen nicht mehr ersichtlich sein. Aus diesem Grund soll hier der Begriff Signifikant beibehalten werden, obwohl es sich nicht um die Signifikanten der Originaltexte handelt. Zu Beginn eines neues Unterkapitels wird allerdings jeweils noch einmal darauf hingewiesen und an den Übersetzungscharakter sowie an die hybriden und im Zuge der Überset-

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zungsprozesse verschobenen Bedeutungen von Signifikanten erinnert. Was nun die Übersetzungsarbeiten in diesem Kapitel (3.4) betreffen, so muss dem eigenen Plädoyer folgend abschließend eingestanden werden, dass hier bei den meisten Übersetzungen in starkem Maße auf Andersartigkeit und auf Differenzen zwischen Diskursen der arabischen und den Diskursen ›unserer‹ Sprache abgehoben wurde. Das hierdurch produzierte, vielleicht auch etwas polarisierende Bild ist natürlich auch eine Konstruktion. Die Begründung für die Betonung der Differenz liegt nicht nur darin, die eher technischen Übersetzungsschwierigkeiten im Kontext des Forschungsprojektes darzulegen. Entscheidend ist, dass die Betonung der Andersartigkeit zwischen den Sprachen hilft, das politische Moment der Übersetzung deutlich hervorzuheben und zu beleuchten. Dabei ist die Art und Weise der Hervorhebung selbstverständlich ebenso politisch. Dies betrifft v.a. auch die Auswahl der Beispiele, die zur Veranschaulichung angeführt wurden. Sie kreisen um Themen, die spätestens seit den Anschlägen des 11. Septembers bei uns in den Massenmedien omnipräsent sind: ÊihÁd und Islam, beides häufig in Verknüpfung mit Terrorismus, Kopftuch, Unterdrückung von Frauen u.ä. (vgl. u.a. Hafez und Richter 2008; Schiffer 2005). Mit der Auswahl dieser Beispiele wurde daher auch auf das Islambild unserer Medien verwiesen und implizit Kritik an ihrer Exotisierung geübt. ÉihÁd heißt dort v.a. ›Heiliger Krieg‹ (vgl. Schiffer 2005). Damit können nicht nur Bedrohungsszenarien unterstützt, sondern in der Konsequenz auch Rassismus gefördert werden. Gleiches gilt für den Exkurs zum Beispiel MEMRI. Die Funktion des Instituts und seine Zusammenarbeit mit den US-Streitkräften, dem amerikanischen und anderen Verteidigungsministerien lässt die Problematik noch einmal verschärft erscheinen, denn mit seinen scheinbar unschuldigen Übersetzungen liefert es Vorlagen für außenpolitisches, im schlimmsten Falle für militärisches Handeln. Mit dieser Übersetzungsstrategie will die Studie weder ›arabische und islamische Kulturen‹ viktimisieren, noch bestreiten, dass nicht auch umgekehrt mit der Übersetzung vom Deutschen oder einer anderen Sprache in das Arabische Gefahren einhergehen. Es soll vielmehr die Macht von Übersetzung thematisiert sein und für all die Übersetzungen sensibilisiert werden, die uns umgeben und die wir selbst anfertigen.

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3.5 R EFLEXION DES F ORSCHUNGSDESIGNS IN DER D ENKFIGUR DER Ü BERSETZUNG Die Idee von Übersetzung als eine Praktik auf der Grenze, als eine Praktik des Dazwischen-Setzen, so wie sie im vorangehenden Kapitel definiert wurde, lässt sich auch außerhalb des linguistischen Paradigmas denken. Im Zusammenhang mit den cultural turns (vgl. Bachmann-Medick 2006) – allen voran dem linguistic und dem postcolonial turn – wurde Übersetzung mehr und mehr aus dem linguistischen Paradigma herausgelöst und allgemeiner als eine kulturelle Praktik verstanden, die in der Begegnung mit Alterität entsteht. Als Methode lässt sie sich in Anlehnung an die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Doris Bachmann-Medick mit Schlagworten wie Deplatzierung, Verfremdung, Differenzbildung und Vermittlung greifen (vgl. BachmannMedick 2006, S. 245). Durch diese entsteht, mit Homi Bhabha (1990) gesprochen, ein third space: ein neuer Verhandlungsraum für Repräsentation und Bedeutung, dessen Charakter hybrid und damit heterogen und widersprüchlich ist. Die Begriffe Hybridität und third space bezeichnen keine Schnittmenge zweier Entitäten, sondern einen Raum, der auf einer Grenze zwischen Immer-Schon-Übersetztem entsteht. Insbesondere im Zeitalter von Globalisierung und zunehmender Mobilität ergibt sich ein Zustand des Immer-Schon-Übersetztseins, des Immer-Wieder-Neu-Übersetzens und des Übersetzt-Werdens. Übersetzung kann damit auch als Motor sozialen Wandels verstanden werden (vgl. Ribeiro 2004), eine Idee, die sich auch in die Diskurstheorie gut integrieren lässt. Im Foucault’schen Verständnis von Diskurs (vgl. Kapitel 2.1.2) lässt sich Übersetzung als Ereignis denken, dass die Ordnung des Diskurses verschiebt, sodass ein Subjekt – im weiterführenden Diskursverständnis nach Laclau und Mouffe (vgl. Kapitel 2.1.3) – auf diese Weise stets neuen Identifikationsmöglichkeiten gegenüber steht. Mit Blick auf die Praktik des Übersetzens lässt sich Übersetzung auch als Metapher für geographische Forschung verstehen und damit als Denkfigur für den Forschungsprozess der vorliegenden Studie. All die Übersetzungsarbeiten im Rahmen dieser Untersuchung erfolgen aus diskurstheoretischer Perspektive von Subjektpositionen aus, die sich im deutschsprachigen Wissenschaftsdiskurs in den Feldern von Neuer Kulturgeographie, Politischer Geographie, der postkolonialen Theorie, den Critical Geopolitics und sogar der Orientalistik verorten

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lassen. Aus dem gleichen Subjekt (ich), welches von diesen Positionen aus spricht, sprechen jedoch auch in übersetzter Form die Diskurse des empirisch Vorgefundenen sowie all die anderen Diskurse, in die das sprechende Subjekt (ich) verstrickt ist (bin). Was gesprochen wird, hat hybriden Charakter: es handelt sich um Übersetzungen und Konstruktionen, die aus diesem spezifischen, diskursiven Kontext heraus nach bestimmten, sich verändernden Regeln erfolgen. Die Kernaufgabe der vorliegenden Arbeit ist, empirisch Vorgefundenes nach bestimmten Regeln in das wissenschaftliche Referenzsystem der Geographie zu übersetzen. Dabei wird sich zeigen, dass das empirisch Vorgefundene bereits auch schon immer Übersetztes ist, und manche imaginative Geographien in starkem Maße dem ähneln, was wir als modernisierungstheoretische oder antikoloniale Entwürfe aus anderen Kontexten kennen. Dies deutet einmal mehr darauf hin, dass die Grenze zwischen ›Orient‹ und ›Okzident‹, zwischen ›islamischer Welt‹ und ›Westen‹ nicht nur ein Konstrukt ist, sondern auch durch vielfältige Übersetzungsprozesse unterwandert wurde und wird. Übersetzungsprozesse finden auch innerhalb des konzeptionellen Teils dieser Arbeit statt, z.B. wenn es darum geht, das entwickelte theoretische Grundgerüst zu operationalisieren, sodass es eine konkrete und empirische Anwendung finden kann. Wie bereits in vorhergehenden Kapiteln aufgezeigt, liegt die Schwierigkeit der methodischen und empirischen Umsetzung darin, den Geboten des Poststrukturalismus gerecht zu werden (etwa Vielfalt, Vielheit, Widersprüchlichkeit etc.; vgl. Lossau 2002, S. 23f.), sofern die Arbeit immer noch als wissenschaftlich gelten will und somit den Regeln der Wissenschaftsdiskurse gehorchen muss. Auf den Punkt bringen, Komplexität zu reduzieren, plausibel zu argumentieren, zu kategorisieren etc. gehört fast unweigerlich zum empirischen, wenn nicht gar allgemein zum wissenschaftlichen Arbeiten dazu. Die Auswege, die gefunden werden – sei es der strategische Essentialismus, die doppelte Einschreibung oder das partielle Essentialisieren (vgl. Kapitel 1 und 2.4) – können als Ergebnis der Übersetzung eines poststrukturalistisch theoretischen Ansatzes in die Methodologie und Methodik von eher ›modern‹ anmutenden Wissenschaftsverständnissen begriffen werden. Die poststrukturalistischen Postulate, so ließe sich vielleicht in Venutis (2003) Worten sagen, werden auf diese Weise domestiziert. Gleichzeitig verschieben sich damit auch die Ordnungen von Wissenschaftsdiskursen und öffnen auf

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ihren Grenzen zwischen unterschiedlichen Erkenntnistheorien, Methodologien und methodischen Ansätzen dritte Räume für Neues. Genauso wie Theorie in Methode übersetzt wird, wird auch Methode in Theorie übersetzt. Dies betrifft hier die kodierenden Verfahren sowie das Toulmin-Schema und die Greimas’sche Isotopientheorie, die in einen diskurstheoretischen Rahmen übertragen werden. Überdies wird hier auch innerhalb der Theorie ein Ansatz in den anderen übersetzt, seien es Ideen Niklas Luhmanns (2004 [1995]), die in die Diskurstheorie integriert werden (vgl. Kapitel 2.3), oder auch die oben dargelegten übersetzungstheoretischen Überlegungen, die aus einer diskurstheoretischen Perspektive heraus formuliert werden. Hier zeigt sich ein Graubereich insbesondere darin, dass das Verstehen, das Lernen sowie die Übersetzungskompetenz zu wichtigen Aspekten der Übersetzung gehören. Doch hierfür erlaubt die Diskurstheorie mit ihrem Subjektkonzept nur wenig Spielraum, sodass sich Lern- und Verstehensprozesse immer nur vage damit erklären lassen, dass das Subjekt in bestimmte Diskurse verstrickt ist, die ihm ermöglichen, zu lernen und zu verstehen. Während manch einer durch die hier vorgenommenen Übersetzungen bereits einzelne Ansätze als »verstümmelt« ansehen mag (Bernhard 1986, S. 563), lassen sie sich auf der anderen Seite auch im Sinne der traveling theory und des dritten Raums als fruchtbare Verbindungen betrachten, die erlauben, neue Fragen zu stellen (vgl. Said 1997; Gregory 1995; Bhabha 1990), zumal die Ansätze und Theorien, mit denen gearbeitet wird, aus übersetzungstheoretischer Perspektive selbst auch schon immer ein Produkt von Übersetzungsprozessen sind. Wie im Falle des Übersetzens im linguistischen Sinne lässt sich folgern, dass Übersetzungen auch in diesem Kontext hilfreich, fruchtbar und zu großen Teilen ohnehin unvermeidbar sind. Doch auch hier kommt es immer darauf an, wie übersetzt wird und dass Übersetzungsstrategien, Brüche und Widersprüchlichkeiten offengelegt werden – was hier mit diesen Ausführungen geschehen sollte.

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Imaginative Geographien in den arabischen Printmedien al-Hayat, al-Quds al-Arabi und Asharq Alawsat

Spätestens seit den Anschlägen des 11. Septembers im Jahr 2001 erscheint der internationale Terrorismus als eine globale Bedrohung. In ›westlichen‹ Medien wurde und wird er in überwiegendem Maße in ›der islamischen Welt‹ verortet (vgl. Reuber und Strüver 2009; Hafez und Richter 2008; Schiffer 2005). Selbstverständlich lassen sich immer Ausnahmen und Gegenstimmen ausmachen. Doch nicht zuletzt vermochte das bekannte Weltbild vom »Kampf der Kulturen« (Huntington 1996) ein überzeugendes Rahmungs- und Erklärungsmuster für das Phänomen des Terrorismus zu liefern, sodass sich die Verräumlichung des Terrorismus in der islamischen Welt als hegemoniale imaginative Geographie in den Diskursen der ›westlichen‹ Öffentlichkeit festschreiben konnte (vgl. Reuber und Strüver 2009; Reuber und Wolkersdorfer 2002). Aber welche imaginativen Geographien werden in arabischen Medien entworfen, um die Medienereignisse in der Ära ›des Kampfes gegen den Terrorismus‹ zu rahmen? Welche gesellschaftliche Orientierung liefern sie und zu welchem Handeln leiten sie an? Diese Fragen wurden in der Einleitung der vorliegenden Studie als Ausgangspunkt aufgeworfen und werden nun in den Vordergrund gerückt. Hier werden die Ergebnisse der Analyse imaginativer Geographien in den Printmedien al-Hayat, al-Quds al-Arabi und Asharq Alawsat dargelegt, die entsprechend der in Kapitel 2 und 3 entwickelten Theorie und Methodik durchgeführt wurde.

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Den Leitfragen dieser Studie (vgl. Kapitel 2.4) folgend werden zunächst die Hauptmedienereignisse betrachtet. Auf der diskursiven Oberfläche zeigen sie sich als Effekte, als neue Nachrichten, die nach ihrem Erstauftreten immer wieder aufgegriffen werden. Diese sollen kurz skizziert werden, da sie für die imaginativen Geographien größtenteils konstitutiv sind und wichtige Anhaltspunkte für deren Erklärungs- und Deutungsgehalte und damit für deren Hegemonialität oder Marginalität liefern (Kapitel 4.1). Anschließend geht es um die dichotomen Konstruktionen von Orient und Okzident, von islamischer Welt und Westen, die in ›westlichen‹ Medien eine so zentrale Rolle zu spielen scheinen (Kapitel 4.2). Welche Rolle spielen sie hier und welche Rolle kommt der Theorie vom ›Kampf der Kulturen‹ zu, die auf diesen Konstruktionen aufbaut? Im Rahmen der Ergebnisdarstellung werden im ersten Abschnitt (Kapitel 4.2.1) die einzelnen Analyse- und Interpretationsschritte etwas ausführlicher dargelegt, um die Vorgehensweise zu verdeutlichen. Darauf wird in den weiteren Ausführungen verzichtet, sodass Redundanzen vermieden werden. Kapitel 4.3 und 4.4 beleuchten die alternativen imaginativen Geographien, die einen hegemonialen Charakter in den Untersuchungskorpora einnehmen. Hierbei wird zunächst erörtert, um welche raumbezogenen Signifikanten sie sich formieren. Daraufhin wird aufgezeigt, in welche Äquivalenz-, Differenz- und antagonistischen Beziehungen diese Signifikanten verwoben sind, sodass die hegemonialen imaginativen Geographien in ihrer Vielschichtigkeit sukzessive ans Licht gebracht werden können. Hier soll jedoch angemerkt sein, dass sich selbstverständlich nicht alle der herausgearbeiteten Entwürfe im Einzelnen erschöpfend und im Detail auf ihre Unterschiede hin behandeln lassen. Die imaginativen Geographien werden vielmehr an Textbeispielen und Karikaturen veranschaulicht, die als charakteristisch für bestimmte, in einer größeren Anzahl an Texten auftauchende Entwürfe gelten können. Darüber hinaus können nicht alle der herausgearbeiteten semantischen Strickleitern (vgl. Kapitel 3.3.2) abgebildet werden, denn dies würde die Ergebnisdarstellung unnötig in die Länge strecken und zu Wiederholungen führen. Daher werden lediglich diejenigen aufgeführt, die zu den Hauptbeispielen aus den Zeitungstexten gehören. Im Anschluss an die Rekonstruktion der hegemonialen imaginativen Geographien werden die ihnen unterliegenden Verortungsstrategien von Ei(ge)nem und Anderem untersucht (Kapitel 4.5). Dabei

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werden die bisherigen Ergebnisse unter der Fragestellung zusammengeführt, in welchen Ordnungskategorien Ei(ge)nes und Anderes regelmäßig beschrieben, voneinander abgegrenzt und in welchen Ordnungsverhältnissen sie regelmäßig zueinander angeordnet werden. Vor diesem Hintergrund wird erörtert welche gesellschaftlichen Verhältnisse durch diese Verortungsstrategien (re)produziert werden, zu welchem Denken und Handeln sie anleiten und inwieweit sie diejenigen herauszufordern im Stande sind, die nach Derek Gregory (2004) die koloniale Gegenwart schreiben.

4.1 D IE H AUPTMEDIENEREIGNISSE IN DEN D ATENKORPORA Medienereignisse werden auf der Oberfläche von Mediendiskursen als Effekte sichtbar, denn sie bringen neue Nachrichten hervor und schreiben auf diese Weise das politische Geschehen weiter – und damit schreiben sie gleichzeitig auch die imaginativen Geographien von Ei(ge)nem und Anderem mit, welche die Medienereignisse rahmen (vgl. Kapitel 2.3.4). Die Erklärungs- und Deutungsgehalte für Medienereignisse liefern wiederum wichtige Anhaltspunkte für die Frage nach der Hegemonialität und der Marginalität bestimmter imaginativer Geographien. Aus diesem Grund soll zu Beginn der Ergebnisdarstellung ein kurzer Überblick über die sich im untersuchten Material manifestierenden Hauptmedienereignisse geschaffen werden. Damit sind die Medienereignisse gemeint, deren Nachrichten den Tenor angeben, an die fortwährend angeknüpft und auf die auf verschiedene Weisen Bezug genommen wird. Sie wurden im Rahmen der Überschriftenanalyse von der Zeitung al-Hayat sowie durch Querschnittslektüren und Sichtungen von Artikeln und Karikaturen der drei untersuchten Zeitungen herausgefiltert (vgl. Kapitel 3.3.1) und werden im Folgenden zusammenfassend dargelegt:1

1

Auf eine quantifizierende Analyse der Medienereignisse wurde verzichtet, da es lediglich um einen skizzenhaften Überblick geht. Im Fokus der Analyse stehen die imaginativen Geographien und ihre Verortungsstrategien, nicht die Medienereignisse.

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Unter die Hauptmedienereignisse lassen sich zunächst die Nachrichten über Terroranschläge fassen, allen voran die Terroranschläge des 11. Septembers, die sich als Initialzündung des ›Kampfes gegen den Terrorismus‹ erwiesen haben. Insbesondere in den letzten drei Monaten des Jahres 2001 wird in den untersuchten Zeitungsartikeln beständig an sie angeknüpft und auf sie Bezug genommen. Doch auch in den darauffolgenden Jahren spielen sie immer wieder eine zentrale Rolle, v.a. in Zusammenhang mit anderen bedeutsamen Medienereignissen der Ära ›des Kampfes gegen den Terrorismus‹, wie beispielsweise der Afghanistanund der Irak-Krieg. Nicht zuletzt wird an sie auch an ihren Jahrestagen stets auf spezifische Weisen erinnert. Weitere Medienereignisse, die sich als Nachrichten über Terroranschläge zusammenfassen lassen, jedoch über eine etwas weniger umfangreiche Rekursivität verfügen, sind die Terroranschläge in Madrid im Jahr 2004 und in London 2005, etwas weniger häufig treten die Anschläge von Bali im Jahr 2002 in Erscheinung. Auch Anschläge in arabischen Staaten tauchen relativ häufig als Thema von Nachrichten auf (z.B. in Tunesien 2002, in Saudi-Arabien 2003, in Ägypten 2005, in Jordanien 2005). Zu den weiteren Hauptmedienereignissen gehören die Nachrichten über den Irak-Krieg und die Besetzung des Iraks seit 2003 sowie die in zyklischen Schüben auftretenden Nachrichten über den Nahostkonflikt, die in den transnationalen arabischen Zeitungen einen großen Raum einnehmen. Weiterhin werden die Nachrichten über den Afghanistan-Krieg, den Tschetschenien-Konflikt, den Darfour-Konflikt, über die Konfliktlage im Jemen, die SyrienLibanon-Krise des Jahres 2005 und die Krise um das iranische Atomprogramm rezipiert – jedoch in geringem Umfang als diejenigen über den Irak-Krieg. Solche Nachrichten gehören im Anschluss an Luhmanns Kategorisierung genauso wie diejenigen über Terroranschläge zu den Medienereignissen vom Typ Krisen und Konflikte (2004 [1995], S. 59; vgl. Kapitel 2.3.3) und stellen für die Medien nahezu idealen Stoff dar: Als bad news erfüllen sie die Erfordernisse von Aktualität, Rekursivität und Spannung zu einem hohen Grade. Sie berichten immer etwas Neues und können stets mit anderen Nachrichten hoher Reichweite in Verbindung gesetzt werden (z.B. über die Terroranschläge des 11. Septembers).

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Immer wieder aufgegriffen, weiter- und neu-erzählt werden Nachrichten über Präsident George W. Bushs Äußerung zur ›Achse des Bösen (miÎwar aš-šarr)‹, die Folterskandale in den Gefangenenlagern von Abu Ghraib und Guantánamo sowie das Projekt The Greater Middle East Initiative2 (mašrÙÝ aš-šarq al-awsaÔ al-kabÐr). Auch sie erfüllen das Erfordernis der Rekursivität, da nach ihrem Erstauftreten immer wieder an sie angeknüpft werden kann. In anderen Nachrichtenkontexten finden sie häufig Erwähnung. Sie lassen sich im Rückgriff auf Luhmann (2004 [1995], S. 61f.; vgl. Kapitel 2.3.3) als Nachrichten vom Typus Normverstöße und Skandale fassen, die in den hier untersuchten Medien einen entscheidenden Anteil an den Erzählungen vom ›Kampf gegen den Terrorismus‹ einnehmen. Weitere Nachrichten dieses Typs sind das Kopftuchverbot in französischen Schulen seit dem Jahr 2004 sowie die Mohammed Karikaturen der dänischen Zeitung Jyllands-Posten, die besonders Anfang des Jahres 2006 die Schlagzeilen dominieren. Zyklisch wiederkehrende Nachrichten, die zeitweise im Zentrum der untersuchten Artikel stehen, sind Gipfeltreffen, wobei das größte Interesse auf denjenigen der Arabischen Liga liegt, denn diese nehmen im Vergleich zu den Nachrichten anderer Medienereignisse über Gipfeltreffen den größten Raum ein. Dabei stehen sie zum einen mit den Nachrichten über Terroranschläge sowie den Kriegen und den Konflikten in Afghanistan, dem Irak und Israel/Palästina in sehr engem Zusammenhang. Zum anderen wer-

Hierbei handelt es sich um ein Projekt, das die amerikanische Regierung unter George W. Bush im Juni 2004 auf der G8-Konferenz in Sea Island in Gang gebracht hat. Dies sieht eine Demokratisierung und politische Umstrukturierung in der gesamten Region ›des Nahen und Mittleren Ostens‹ vor. Die Initiative hat verschiedene internationale Vorläufer und ist letztendlich ein Konsens der G8-Staaten, die sich über Form und Inhalt einigen konnten. Dennoch wird sie häufig und v.a. in den arabischen Staaten als ein US-amerikanisches Konzept verstanden, nicht zuletzt da es in Washington initiiert wurde. In den arabischen Medien erlebte sie einen sehr starken und kritischen Widerhall. Inzwischen wurde diese Initiative in The Middle East Partnership Initiative umbenannt. Das Projekt ist mit folgender Website im Internet vertreten: http://mepi.state.gov/ (abgerufen am 10.03.10).

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den sie beständig mit Themen wie Reform (iÒlÁÎ) und Demokratie (dimuqrÁÔiyya) 3 verknüpft. Diese tauchen ebenfalls im Kontext der Nachrichten über Neuerscheinungen des Arab Human Development Reports auf. •

Schließlich sind noch Wahlen und Regierungsbildungen zu nennen, die ebenfalls regelmäßig auf der Nachrichtenagenda stehen. In den hier untersuchten Artikeln sind es insbesondere die Wahlen in den USA im Jahr 2004, die Wahlen im Iran und im Irak im Jahr 2005 sowie die Wahlen 2006 in den palästinensischen Autonomiegebieten, die immer wieder Erwähnung finden.

Neben diesen hier skizzierten Medienereignissen treten im Untersuchungsmaterial eine Reihe an weiteren Nachrichten auf, wie beispielsweise Nachrichten über die Vogelgrippe oder über den Tsunami am Ende des Jahres 2004. Diese sollen jedoch nicht mehr aufgeführt werden, da es hier lediglich einem Eindruck über die am häufigsten aufgegriffenen, neu- und wiedererzählten Nachrichten geht. Auf weitere Medienereignisse wird in den folgenden Ausführungen allerdings auch Bezug genommen.

4.2 O RIENT UND O KZIDENT , ISLAMISCHE W ELT UND W ESTEN SOWIE DIE R OLLE VOM ›K AMPF DER K ULTUREN ‹ Die dichotomen Weltbilder von Orient und Okzident, islamischer Welt und Westen, welche Entwürfen wie ›dem Kampf der Kulturen‹ zugrunde liegen, spielen in vielen ›westlichen‹ Medien zur Erklärung der Nachrichten im Kontext ›des Kampfes gegen den Terrorismus‹ eine große Rolle. Sie sind als Konstruktionen moderner Wissensproduktion bis heute relativ fest in gesellschaftliche Strukturen des Denkens und Sprechens verankert und können daher häufig unhinterfragt als plausibler Deutungsrahmen von Nachrichten über politisches Geschehen fungieren (vgl. Kapitel 1 und 2.2.4). Die Frage, welche Rolle sie in den hier untersuchten Printmedien al-Hayat, Asharq Alawsat und al-Quds al-Arabi spielen, gehört zu den Ausgangsfragestellungen dieser Studie und soll nun behandelt werden.

3

Zuweilen auch dÐmuqrÁÔiyya, dimÙqrÁÔiyya oder dÐmÙqrÁÔiyya.

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Ein erster Blick auf die Ergebnisse der Titelanalyse von al-Hayat lässt zunächst eine untergeordnete Rolle dieser Konstruktionen vermuten, denn es können insgesamt nur relativ wenige Überschriften ausgemacht werden, in denen sich Signifikanten entsprechender Kategorien finden.

Kategorien von Signifikanten, die räumliche Identität konstituieren

Abbildung 3: ›Westen‹, ›islamische Welt‹ und ›Orient‹ – Kategorien von Identität konstituierenden Signifikanten mit Raumbezug und die Anteile an Titeln des Gesamtkorpus al-Hayat, in denen Signifikanten der jeweiligen Kategorien auftreten4 12,6%

›USA, US-amerikanisch‹

i

›arabische Welt, arabisch‹

b

›Irak, irakisch‹

j

10,7% 10,4%

5,6% ›Palästina, palästinensisch‹

k

4,4%

l

›Israel, israelisch‹

3,8%

m

›Libanon, libanesisch‹

3,1%

a

›Welt‹

2,8%

c

n

o

h

›islamische Welt, islamisch‹

2,0%

›Iran, iranisch‹

1,9%

›Syrien, syrisch‹

1,8%

›Europa, europäisch‹ ›Ägypten, ägyptisch‹

1,8%

p

›Frankreich, französisch‹

1,6%

q

d

g

e

1,3%

›Naher und Mittlerer Osten‹

1,2%

›Westen, westlich‹

1,2%

›Die Region‹ ›Türkei, türkisch‹

1,0%

r

›Afghanistan, afghanisch‹

0,7%

s

›Orient, orientalisch‹

0,4%

f

0%

2%

4%

6%

8%

10%

12%

14%

Anteile der Titel an allen Titeln des Gesamtkorpus al-Hayat n = 13 748

Quelle: eigene Darstellung

Die Analyse zeigt, dass Signifikanten der Kategorie ›Westen, westlich‹5 in insgesamt 1,2 % der Titel des gesamten Titelkorpus der Zeitung al-Hayat auftreten (n = 13 748) und damit einen vergleichsweise geringen Anteil einnehmen. Auch die Titelanteile der Kategorien ›is-

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Die Untergrenze des Titelanteils wurde für die abgebildeten Kategorien mit dem Wert von 0,4 % festgelegt, um die Kategorie ›Orient, orientalisch‹ mit in die Abbildung aufnehmen zu können.

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Kodierte Signifikanten dieser Kategorie: ‫ب‬$% bzw. Èarb (Westen, Okzident), &'($% ,)($% bzw. ÈarbÐ, Èarbiyya (westlich, okzidentalisch).

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lamische Welt, islamisch‹6 sind mit 2,8 %, und ›Orient, orientalisch‹7 mit 0,4 % relativ klein (vgl. Abbildung 3). Aus diesen Anteilen ließe sich schließen, dass die imaginativen Geographien von Orient und Okzident bzw. Westen und islamischer Welt in den Meinungsforen der transnationalen arabischen Zeitungen gar nicht so gewichtig sind. Nichtsdestotrotz sollen sie im Folgenden näher untersucht werden, denn wie in Kapitel 1 und 2.2.4 ausgeführt wurde, scheinen sie in den Diskursen der ›westlichen‹ Öffentlichkeit zu den hegemonialen Konstruktionen zu gehören. Mit Foucault ist zudem denkbar, dass solche Konstruktionen derart verfestigt sind, dass sie nicht mehr ausgesprochen werden müssen, um gesagt zu sein (vgl. Foucault 2003 [1972], S. 18). Sie bleiben damit implizit, also im Ungesagten, gesagt. Dem soll nun auf den Grund gegangen werden. Dabei setzt die Untersuchung hier am Signifikanten ›Westen (Èarb)‹ an, denn dieser entspräche der Theorie nach Laclau und Mouffe dem antagonistischen Gegner, nach Sarasin, dem negativ besetzten, leeren Signifikanten über den die Identität des Eigenen hergestellt wird (vgl. Kapitel 2.1.3). Die Frage ist zunächst, mit welchen Äquivalenz-, Differenz- und antagonistischen Beziehungen von Textelementen der Signifikant ›Westen‹ verknüpft ist, die die imaginativen Geographien ›des Westens‹ konstituieren. Aus dem Teilkorpus ›Westen‹ – alle Titel des Gesamtkorpus al-Hayat, in denen ein Signifikant der Kategorie ›Westen, westlich‹ auftritt (n = 169), vgl. Abbildung 3 – lassen sich im Wesentlichen drei Verknüpfungsmuster von Textelementen herausarbeiten. Diese beschreiben ›den Westen‹ zum Ersten als ›islamo- und arabophob‹8, zum Zweiten als ›(neo)koloniale Macht‹9 und zum Dritten

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Kodierte Signifikanten dieser Kategorie: ‫*م‬+‫ ا‬bzw. islÁm (Islam), &',*+‫ا‬ ,),*+‫ ا‬bzw. islÁmÐ, islÁmiyya (islamisch) in Verbindung mit einem Textelement, das eine räumliche Ordnungskategorie bildet, wie z.B. -./0 bzw.

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ÝÁlam (Welt), ‫ دول‬,&.‫ دو‬bzw. dawla, duwal (Staat, Staaten) u.ä. Kodierte Signifikanten dieser Kategorie: ‫ق‬$1 bzw. šarq (Osten, Orient), &'2$1 ,)2$1 bzw. šarqÐ, šarqiyya (östlich, orientalisch). Ausgenommen wurde hier 3+‫و‬4‫ق ا‬$5.‫ ا‬bzw. aš-šarq al-awsaÔ (der Nahe Osten bzw. der Mittlere Osten), da für diesen Signifikanten eine gesonderte Kategorie gebildet wurde.

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Titel, die dieser Kategorie zugeordnet wurden, enthalten die Signifikanten

&'($% ,)($% ,‫ب‬$% bzw. Èarb, ÈarbÐ, Èarbiyya (Westen, westlich) in Ver-

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als ›Vorbild‹10. Entlang dieser drei Kategorien sollen die imaginativen Geographien ›des Westens‹ nun rekonstruiert werden (Kapitel 4.2.1 bis 4.2.3). Die hier zur Feinanalyse herangezogen Zeitungsartikel und Karikaturen wurden nach dem Prinzip der maximalen Kontrastierung (vgl. Kapitel 3.2.2) ausgewählt, wobei die im Folgenden aufgeführten Beispiele als charakteristisch für die Texte und die Karikaturen der jeweiligen Verknüpfungskategorien 11 verstanden werden können. Im Anschluss an die Rekonstruktion der imaginativen Geographien wird beleuchtet, welche Rolle sich nun das Weltbild vom ›Kampf der Kulturen‹ und dem damit verwobenen Leitbild vom ›Kampf gegen den Terrorismus‹ zuschreiben lässt (Kapitel 4.2.4). Die Ergebnisse werden dann in einem ersten Zwischenfazit unter der Frage zusammengeführt, welche ›großen Demarkationslinien‹ zur Rahmung und Erklärung von Nachrichten und Medienereignissen in der Ära ›des Kampfes gegen den Terrorismus‹ die entscheidende Rolle in den transnationalen arabischen Printmedien spielen (vgl. Kapitel 4.2.5).

knüpfung mit Signifikanten wie /'(676(‫ ارا‬,/'(676($0 ,/'(676,*+‫ ا‬bzw. is-

lÁmÙfÙbiyÁ, ÝarabÙfÙbiyÁ, arÁbÙfÙbiyÁ (zur Kategorienbildung vgl. Kapitel 3.3.1). 9

In einem Großteil der Titel dieser Kategorie werden die Signifikanten

&'($% ,)($% ,‫ب‬$% bzw. Èarb, ÈarbÐ, Èarbiyya (Westen, westlich) mit Signifikanten wie &'./'86.6‫ آ‬,&:‫ر‬/;ة‬M‫;'& و‬./0 ‫ة‬62 bzw. quwwa ÝÁlamiyya waÎÐda (einzige Weltmacht) tauchen in den Titeln dieser Kategorie v.a. auch die Signifikanten ‫ة‬62

N;O0 bzw. quwwa ÝuÛmÁ (Weltmacht, größte Macht) und >M‫ أو‬PB2 bzw. quÔb awÎad (einziger Pol) in einer Äquivalenzrelation mit Signifikanten der Kategorie ›USA, US-amerikanisch‹ auf. 43 In den Titeln dieser Kategorie werden Signifikanten der Kategorie ›USA, US-amerikanisch‹ mit Signifikanten wie beispielsweise &';./0 ‫ة‬62 bzw.

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ÝirÁq)‹ 44 . Außerdem werden sie in einigen Titeln mit Merkmalszuschreibungen wie ›für Israel Partei ergreifend (z.B. inÎiyÁz li-isrÁÞÐl)‹45 sowie ›von Terrorismus profitierend‹ oder ›Terrorismus produzierend‹ beschrieben, zuweilen wird die US-amerikanische Politik auch mit ›Terrorismus (irhÁb)‹46 gleich gesetzt (vgl. Abbildung 10). Auf den Ergebnissen der Titelanalyse aufbauend werden die Texte für die Feinanalyse nach dem Prinzip der maximalen Kontrastierung zusammengestellt (vgl. Kapitel 3.2.2 und 3.3.2), sodass mehrere Artikel aus jeder der oben aufgeführten Kategorien an spezifischen Verknüpfungen von USA mit anderen Identität konstituierenden Signifikanten und Merkmalszuschreibungen (vgl. Abbildung 10) untersucht werden. Im Folgenden werden zunächst die Konstruktionen beleuch-

quwwa ÝÁlamiyya (Weltmacht), N;O0 ‫ة‬62 bzw. quwwa ÝuÛmÁ (Weltmacht, größte Macht), &'./:$L,‫ة ا‬62 bzw. quwwa imbiriyÁliyya (Imperialmacht), &:‫ر‬6R‫ا‬$L,‫ ا‬bzw. imbarÁÔÙriyya (Imperium) und Signifikanten wie beispielsweise F57 bzw. fašal (Versagen, Misserfolg, Scheitern), &;:S‫ ه‬bzw. hazÐma (Niederlage), ‫ر‬6‫>ه‬U bzw. tadahwur (Niedergang, Verfall, Verschlechterung), ‫د‬/I7 bzw. fasÁd (Verdorbensein, Fäulnis, Verwesung, Korruption, Schlechtigkeit, Unmoral, Zerrüttung) beschrieben. 44 In den Titeln dieser Kategorie kommt entweder der Signifikant ‫=*ل‬M‫ا‬ ‫اق‬$ 3 % ausmacht.

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denn offen blieb bisher, inwieweit von einer ›großen Demarkationslinie‹ zwischen ›USA‹ und ›arabischer Welt‹ gesprochen werden kann, die sich als verschobene Grenzachse der dichotomen Konstruktion von ›Westen‹ einerseits und ›islamischer‹ bzw. ›arabischer Welt‹ andererseits denken ließe (vgl. Kapitel 4.2.5 und 4.3.8). Im Rahmen der Überschriftenanalyse wurde hier der Teilkorpus ›arabische Welt‹ analysiert, welcher alle Titel des gesamten Untersuchungskorpus der Zeitung alHayat beinhaltet, in denen ein Signifikant der Kategorie ›arabische Welt, arabisch‹ auftritt (n = 1 426). Die Verknüpfungen, in denen diese Signifikanten in den Überschriften mit anderen Textelementen auftreten, wurden wiederum kodiert, zu weiteren Kategorien zusammengefasst und quantifiziert. Ein Titel kann dabei auch immer mehreren Kategorien zugeordnet werden (vgl. Abbildung 27 und Kapitel 3.3.1). ›Der Krise‹ kommt in den imaginativen Geographien der arabischen Welt eine Schlüsselrolle zu; dies zeigen bereits die Ergebnisse der Titelanalyse sehr deutlich.91 Daher wird ›die Krise‹ in den folgenden Ausführungen zunächst in den Fokus gerückt (vgl. Kapitel 4.4.1). Anschließend werden alle weiteren Konstruktionskategorien behandelt, die aus dem Teilkorpus ›arabische Welt‹ herausgearbeiteten wurden (vgl. Abbildung 27). Einige der Verknüpfungen dieser Kategorien wurden in den vorhergehenden Kapiteln 4.2 und 4.3 bereits angesprochen, wie z.B. ›die arabische Welt‹ als ›Objekt von (Neo)Imperialismus, (Neo)Kolonialismus, Intervention‹.92 Diese Kategorie nimmt mit

91 Ein großer Teil der Titel dieser Kategorie enthält neben Signifikanten der Kategorie ›arabische Welt, arabisch‹ den Signifikanten &,‫ أز‬bzw. azma (Krise), zudem wurde ihr auch ein großer Teil an Titeln zugeordnet, die einen Krisenzustand der arabischen Welt implizit und durch andere Signifikanten (re)produziert, wie z.B. &J\ة‬:>? &'./:$L,‫ ا‬,&'./:$L,‫ ا‬bzw. imbiriyÁliyya, imbiriyÁliyya ÊadÐda, nÐÙimbiriyÁliyya (Imperialismus, Neoimperialismus); &'./'86.6‫آ‬6'8 ,‫>ة‬:>? &:‫ر‬/;E=, $'% bzw. Èayr muttaÎid (unvereint), bJ=c, bzw. muÌta-

lif (uneinig) äquivalent gesetzt. 94 Dieser Kategorie wurden alle Titel zugeordnet, die &'($ول ا‬.‫ ا‬bzw. ad-

duwal al-Ýarabiyya (die arabischen Staaten) oder &'($