Volksreligion und Weltreligion: Fünf Hibbert-Vorlesungen [Vom Verf. autoris. und durchges. dt. Ausg. Reprint 2018 ed.] 9783111494586, 9783111128320


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German Pages 355 [360] Year 1883

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
I. Einleitung. — Der Islàm
II. Die israelitische Volksreligion. — Priester und Propheten Jahwe's
III. Der Universalismus der Propheten. — Die Grundlegung des Judaismus
IV. Judaismus und Christentum
V. Der Buddhismus. Rückblick und Schluss
Erläuterungen
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Volksreligion und Weltreligion: Fünf Hibbert-Vorlesungen [Vom Verf. autoris. und durchges. dt. Ausg. Reprint 2018 ed.]
 9783111494586, 9783111128320

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Verlag von

G. Reimer in Berlin,

zu beziehen durch jede Buchhandlung.

Einleitung

H e i l i g e

in die

S c h r i f t

Friedrich Bleek. Einleitung

Einleitung

in das

in das

Alte

Neue

Testament.

Testament.

Dritte Auflage

Vierte Auflage nach der von A. K a m p h a u s e n besorgten dritten bearbeitet von

J. Wellhausen,

besorgt von

Dr. Wilhelm Mangold,

Prof. der Theol.

Professor der Theologie an der Universität Bonn.

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Geschichte der

christlichen von

Ethik

Dr. W. Gass. Erster Band. Bis z u r R e f o r m a t i o n . Preis : 7 Mark.

Volksreligion und Weltreligion.

Volksreligion und Weltreligion. Fünf Hibbert-Vorlesungen von

A. Knenen, Professor in Leiden.

Vom Verfasser autorisirte und durchgesehene Deutsche Ausgabe.

B e r l i n . Druck und Verlag von 6 . R e i m e r .

1883.

V o r w o r t . Was die Hibbert-Stiftung und ihre Vorlesungen bedeuten, ist im Vaterlande des Stifters bekannt genug. Jenseits seiner Grenzen werden einige Mitteilungen darüber Vielen nicht unwillkommen sein. Ich erlaube mir deshalb, den betreffenden Teil aus dem Vorworte der niederländischen Ausgäbe dieses Buches auch dem deutschen Leser vorzulegen. Durch Willenserklärung vom 19. Juli 1847 bestimmte Mr. R o b e r t H i b b e r t , dass ein Teil seines Vermögens von nun an selbständig verwaltet und nach seinem und seiner Gattin Tode zu einem von ihm näher bezeichneten Zwecke sollte verwendet werden. Nicht lange darnach starb seine Gattin, er selbst im Jahre 1849: von dem Jahre an besteht also die H i b b e r t - S t i f t u n g . Die Verwalter derselben — nach der ausdrücklichen Be-

VI

Vorwort.

Stimmung des Stifters sämmtlich Laien, im Jahre 1879 achtzehn an der Zahl — verwenden, laut der Stiftungsurkunde, die jährlichen Einkünfte des Capitata zur Beförderung „der Verbreitung des Christentums

in seiner einfachsten

und

fasslichsten

Gestalt" und „ der unbehinderten Ausübung des eigenen Urteils in Religionssachen."

Welcher Mittel

sie sich zu diesem Zwecke bedienen wollen, ist ganz ihrem eigenen Ermessen überlassen.

Die Winke,

die der Stifter darüber giebt, brauchen von ihnen nicht

als

werden.

bindende

Vorschriften

behandelt

zu

Sie sind im Gegenteil verpflichtet, ihre

Statuten von Zeit zu Zeit, mindestens einmal in 25 Jahren, „durchzusehen und erneuter gründlicher Prüfung zu unterziehen", dabei von allem Gebrauch zu machen, was die Erfahrung sie gelehrt hat, auf die veränderten Bedürfnisse der fortgeschrittenen Zeit acht zu geben und den Wünschen Gehör zu schenken, die das Publikum, von ihnen selbst dazu eingeladen, ihnen etwa zu erkennen giebt. In verschiedener Weise übte die Hibbert-Stiftung von 1849 an einen sehr wohltätigen Einfluss aus: durch Zulagen zum Gehalte freisinniger und schmal besoldeter Geistlicher, durch Erteilung von Stipendien für das Studium der Theologie im In-

Vorwort.

vn

und Auslande, durch Herausgabe einzelner Schriften, durch ßüchergeschenke an ihre ehemaligen „scholars" u. s. w. Im December 1875 erhielten die „Trustees"die Anregung, ausserdem noch auf anderem Wege die Absicht des Stifters zu verwirklichen. Zu jener Zeit nämlich empfingen sie ein „Memorial", von achtzehn namhaften Männern unterzeichnet, so von J a m e s M a r t i n e a u , Dean S t a n l e y , Dr. W. B. C a r p e n t e r , Prof. F. Max M ü l l e r , Dr. J o h n M u i r , Principal T u Hoch und anderen mehr. In diesem Schriftstück') wurde ihnen anheimgegeben, etwa alle zwei oder drei Jahre, in London oder in anderen bedeutenden Städten Englands, eine Reihe von Vorlesungen über Gegenstände aus dem Gebiete der Philosophie, der biblischen Kritik und der vergleichenden Religionswissenschaft halten zu lassen, und diese Vorlesungen später dem Druck zu übergeben. Das würde, so meinten die Unterzeichner, für den Zweck der Stiftung in jedem Sinne förderlich sein. Die Ergebnisse unabhängiger Forschung, von berufenen Vertretern der Wissenschaft zusammengefasst, dem gebildeten englischen Publikum vor') Im ganzen Umfange abgedruckt vor den Hibbert-Lectures von M a x M ü l l e r , S. IX f.

vm

Vorwort.

zulegen — das schien ihnen, auch in Anbetracht der Art und Weise, wie in England die religiösen Fragen gefasst und besprochen zu werden pflegen, eine Forderung der Zeit und das geeignete Mittel, um zugleich Freiheit eignen Urteils und Ehrfurcht vor der Religion zu fördern und zu verbreiten. Die „Hibbert Trustees" veröffentlichten das ihnen überreichte Schriftstück und erklärten gleichzeitig, dass sie nach reiflicher Erwägung den darin ausgesprochenen Ideen ihre Zustimmung gegeben hätten, vorbehaltlich einiger Aenderungen, welche nicht die Hauptsache, sondern die Ausführung betrafen. Im Jahre 1878 wurden die H i b b e r t V o r l e s u n g e n zuerst gehalten. Auf Prof. F. Max M ü l l e r , der der erste Redner war, folgte 1879 Mr. P. Le P a g e R e n o u f , 1880 E r n e s t R e n a n , 1881 Mr. R h y s D a v i d s , 1882 der Unterzeichnete. Im letztgenannten Jahre wurden die Vorlesungen nicht nur in London vorgetragen, sondern auch in Oxford im Auditorium des Universitäts-Museums, das dem Orts - Comité zu diesem Zwecke bereitwilligst zur Verfügung gestellt wurde. Der vorliegenden

Ausgabe meiner Hibbert-

Vorlesungen brauche ich keine lange Einleitung

Vorwort.

IX

vorauszuschicken. Als mir von sehr berufener Seite die Versicherung gegeben wurde, dass eine deutsche Uebersetzung erwünscht sei, habe ich nicht gezaudert, die Genehmigung der Hibbert Trustees dafür nachzusuchen, und dem Uebersetzer gerne meine Mitwirkung zugesagt. Jene Genehmigung wurde bereitwillig erteilt, und die Durchsicht der Arbeit des Uebersetzers, mit ihm gemeinschaftlich vollzogen, war mir ein angenehmes und lehrreiches Geschäft. Dass die Uebersetzung das Werk einer kundigen und geübten Hand ist, wird der Leser selbst merken; für ihre Treue darf ich einstehen. So liegt mir denn nur das eine noch ob, diese Schrift der wohlwollenden Prüfung der deutschen Lesewelt zu empfehlen. Meine Leser mögen bedenken, dass ich insbesondere in der 2ten, 3ten und 4ten Vorlesung nicht beabsichtigt habe, die wissenschaftliche Forschung weiterzuführen, sondern vielmehr die Ergebnisse, welche dieselbe bereits zu Tage gefördert hatte, in ihrem wechselseitigen Zusammenhang den Gebildeten zugänglich zu machen. Die Fachgenossen, denen mein Werk D e G o d s d i e n s t van I s r a ë l (1869—70) zu Gesicht gekommen ist, werden nicht übersehen, dass die dort vorgetragene Anschauung hier in manchen

X

Vorwort.

Einzelheiten geändert und, wie ich hoffe, verbessert ist. Das Ganze möge man als einen Beitrag zur A p o l o g i e d e s C h r i s t e n t u m s betrachten, der seinen Wert, wenn man ihm solchen zuerkennt, dadurch erhält, dass das apologetische Ergebniss von dem Verfasser nicht gesucht ist, sondern sich ihm aufgedrängt hat. Mein Plan war kein anderer als der: die drei Weltreligionen hinsichtlich ihrer Entstehung miteinander zu vergleichen. Dass dabei die Gesetzmässigkeit in Vorbereitung und Ursprung des Christentums und sein dadurch bedingter Universalismus in helles Licht traten, lag nicht in meiner Absicht, sondern war in der Sache selbst begründet. Leiden, December 1882. A. K u e n e n .

I n h a l t E n t e Verlesung.

Einleitung.

Der Islam.

Volksreligionen und Weltreligionen Verteilung der Religionen unter diese zwei Gruppen Gehört der Islam zu den Weltreligionen? Der Zusammenhang zwischen den Welt- und Volksreligionen als Erklärung und Mass ihres Universalismus . D e r Islà'm. Die Quellen unsres Wissens von dem Islam . . . Das Zeugniss des Qoràn über das Verhältniss des Islam zu „der Religion Abraham'«" Kritik dieses Zeugnisses Die Vorläufer Mohammed's; die Hanifeji Dor geschichtliche Ursprung des Islam: Mohammed's Person . . Der Einfluss des Judaismns Dieser Einfluss erkennbar in der Vorstellung von dem Qoràn als dem Buche Allah's und von der Bestimmung des Islam für alle Völker . . . . Dieser Bestimmung entspricht der Isiàm nicht Die Verbreitung des Islam als Beweis seines Universalismus . . Das Zeugniss der Geschichte über diesen Punkt a. Verhältniss des Isiàm zum früheren Glauben seiner Bekenner b. Die Verehrung Mohammed's und der Heiligen c. Der Qufismus d. Die moslemische Theologie; die Mo'taziliten e. Der Wahhàbismus Ergebniss hinsichtlich des Isiàm

1 3 5 8 10 12 14 18 21 24 25 27 30 33 35 37 40 45 46 49 52

XII

Inhalt.

Zweite Verleaang.

Die israelitische Volksreligion. Priester und Propheten Jahwe's. Das Christentum und die religiöse Entwickelung Israel's . . . War der Jahwismus die nationale Religion Israel's? Der Jahwismus nicht von auswärts in Israel eingeführt . . . . Die Verehrung Jahwe's im Volke Israel Die übrigen Beweise für die Geltung Jahwe's als Gott Israel's . Das abweichende Urteil der geschichtlichen Bücher des A. Testaments über das Verhältniss zwischen Israel und Jahwe dargelegt und erklärt D i e P r i e s t e r J a h w e ' s : wer waren sie und woher stammten sie? Beschreibung ihrer Tätigkeit: der Cultus Die Befragung Jahwe's durch den Priester Die Rechtsprechung der Priester Ihre grosse Bedeutung, auch nach Ualeachi und Hosea . . . . Jahwe's ethischer Charakter, wie er aus jener Rechtsprechung hervorgeht D i e P r o p h e t e n J a h w e ' s : Bestimmung des Problems . . . Die Propheten allgemein als Organe Jahwe's a n e r k a n n t . . . . Ihr Verhältniss zu den Priestern Jahwe's Ihr Auftreten mit den Ansichten und Empfindungen des Volkes im Einklang Ausgezeichnete Persönlichkeiten unter den Propheten; ihr Eifer für Recht und Gerechtigkeit Der Ursprung der schriftlichen Prophetieen Grundgedanke der Predigt der kanonischen Propheten . . . . Auch die kanonischen Propheten vertreten die nationale Religion Israel's

55 57 58 61 65

69 77 80 81 82 86 89 91 94 96 98 100 103 104 109

Dritte Verlesung.

Der Universalismus der Propheten. Judaismus.

Die Grundlegung des

Der Streit der Propheten mit ihrem Volke, zu erklären aus dem streng-sittlichen Charakter ihrer Predigt

111

Inhalt. Die Anerkennung des sittlichen Charakters Jahwe's und ihre Folgen Der Monotheismus der Propheten eine Frucht dieser Auffassung . Die Volksreligion und der Prophetismus unter dem Einfluss der Ereignisse des 8ten Jahrhunderts v. Chr Der ethische Monotheismus Die Erwartungen der Propheten hinsichtlich der Zukunft des Jahwismus Der Universalismus des zweiten Jesaja Seine Aussprüche über Cyrus stehen mit diesem Universalismus in Verbindung Der prophetische Jahwismus und die israelitische Nationalität Ihr Verhältniss zu einander bei Arnos bei Jesaja bei Jereraia bei dem zweiten Jesaja Die G r u n d l e g u n g d e s J u d a i s m u s . Der prophetische Jahwismus wird bei seinem ersten Auftreten nicht in das Volksbewusstsein aufgenommen Die Einführung des Deuteronomium Sein Zweck nicht erreicht, warum dies Die priesterliche Gesetzgebung, durch Esra und Nehemia eingeführt Der Judaismus wird Volksreligion Sein Verhältniss zur prophetischen Predigt: die Gottesidee . . Die sittliche Auffassung der Jahweverehrung Heiligkeit die Forderung Jahwe's Der gemeinschaftliche Gottesdienst, von Jahwe angeordnet. . . Das jüdische Volk mit seiner Religion eins geworden . . . . Der prophetische Universalismus scheint in den Judaismus nicht übergegangen zu sein

XIII 114 118 120 125 125 128 131 136 138 141 143 146

147 148 152 155 156 157 158 160 161 163 165

Vierte V t r l e i u t .

Judaismus und Christentum. Die Die Die Der

Religion bei den Juden eine selbständige Macht . . . . Juden in der Zerstreuung prophetischen Erwartungen leben im Judaismus fort . . . Rahmen des priesterlichen Gesetzes universalistisch . . .

168 170 173 176

XIV

Inhalt.

Die Antinomie zwischen dem strengen Monotheismus und der Beschränkung der wahren Religion auf e i n Volk Universalistische Bestimmungen aber die „Qerim"; ihr Ursprung Es ist nachzuweisen, wie sich aus den vorhandenen universalistischen Keimen das Christentum entwickelt hat . . . Verhältniss dieser Untersuchung zu der Person Jesu und der Anerkennung der Bedeutung seiner Person Die Behauptung, das Christentum sei nicht aus dem Judaismus hervorgegangen, abgewiesen Im palästinensischen Judentum, nicht im Hellenismus, sind seine Keime aufzusuchen Die Weltreligion nicht erst von Paulus gestiftet Die Ableitung des Christentums aus dem Essenismus beurteilt . Die Bedeutung des Essenismus für die Schätzung des Judentums Die Pharisäer gekennzeichnet Innere Widersprüche in der Schriftgelehrsamkeit Unvermögen der Schriftgelehrsamkeit ihr Ideal zu verwirklichen . Die Befriedigung der religiösen Bedürfnisse auf Nebenwegen gesucht und zuweilen auch gefunden Die messianische Erwartung, ihr Hervortreten im Zelotismus und ihre Einwirkung auf das Gemütsleben Der Proselytismus; sein Umfang und die Hindernisse, die er zu überwinden hatte Rückblick und Ergebniss

179 181 185 186 189 190 194 197 204 206 209 213 216 219 224 227

F t t a f t o Verlesung.

Der Buddhismus.

Rückblick und Schluss.

Das Christentum in seinem Entstehen unabhängig vom Buddhismus Angabe des Gesichtspunktes, unter dem der Buddhismus betrachtet werden soll, und der Grenzen, die dabei zu beobachten sind Der Gegensatz des Brahmanismus und des Buddhismus . . . . Widerlegung dieses Gegensatzes : der Buddhismus hebt die Kasten nicht auf Die buddhistische Metaphysik dem Brahmanismus entlehnt, . . so auch die Organisation des buddhistischen Mönchsordens . Die behauptete Abhängigkeit der Buddhisten von den Djaina's .

231 236 237 239 245 246 251

Inhalt. Die innige Verwandtschaft zwischen Brahm&nismus und Buddhismus heute allgemein anerkannt und zum Ueberfluss durch die Djätaka's bewiesen Wie denn der Buddhismus entstanden ist: Stand der Frage hinsichtlich der Person des Stifters Folgerungen für den ferneren Gang der Untersuchung . . . . Der Buddhismus ursprünglich ein Mönchsorden Seine Erweiterung zur Kirche: wie zu erklären? Die Analogie der christlichen Bettelorden Die Persönlichkeit des Stifters ein unentbehrlicher Faktor . . . Die Askese in Indien vor dem Buddhismus und die Reform, die Buddha herbeiführte Die Buddha-Legende und ihr sittlicher Einfluss Der Ursprung des Buddhismus zugleich die Erklärung seines Charakters B u d d h i s m u s u n d C h r i s t e n t u m : die Punkte, in denen sie zusammentreffen Der principielle Unterschied zwischen den beiden Religionen hängt mit ihrem Ursprung zusammen R ü c k b l i c k u n d Schluss. Die drei Weltreligionen hinsichtlich des Universalismus verglichen Die Veränderlichkeit des Christentums sein Vorzug Die Zukunft des Christentums

XV

253 256 261 262 266 268 271 274 276 277 '282 284 289 290 293

Erläuterungen. I. »Die Rollen Abraham's und Mosis" und „die Erzählungen der Alten" im Qorän 297 II. Die Hanifen 301 III. Hat Mohammed den Hadsch unter die Pflichten der Mosleme aufgenommen ? 304 IV. Die Aussprache des Gottesnamens „Jahwe" 307 V. Erklärung von Hosea IX: 3—5 310 VI. Die ägyptische Herkunft Levi's 312 VII. Das Alter des israelitischen Monotheismus 316 VIII. Die Folgerungen aus der Cyrus-Inschrift 319

XVI IX. X. XI. XII. XIII. XIV.

Inhalt. Esra und die Einfährung des Judaismus Erklärung von Lev. XXII: 25 Bruno Bauer und Ernest Havet Zur Erklärung von Matth. XXIII: 15 Die Buddha-Legende und die Evangelien Der Stifter des Djainismus in der Buddha-Legende .

Druckfehler. S. 32 Z. 6 v. u. Anlange 1. A n l a g e . S. 50 Annim. Z. 9 v. u. 326 f. 1. 326 A n m . S. 74 Z. 7 v. u. alle 1. a l l e s . S. 110 Anm. XL 1. LX. S. 157 Z. 11 v. u. Sie 1. sie. S. 216 Z. 9 hätten 1. h ä t t e . S. 235 Anmm. Z. 2 saga 1. s a g e . S. 239 Z. 13 Cäkia 1. (Jäkia. S. 246 Z. 12 v. u. den 1. d e m . S. 301 Z. 5 v. o. desvon 1. d e s von. S. 302 Anmm. Z. 3 v. u. ') 1. *). S. 304 Z. 4 v. o. machen. „Oben 1. m a c h e n . "

Oben.

.

.

222 206 229 382 344 337

Einleitung. — Der Isiàm. Eine der augenfälligsten Eigentümlichkeiten der H i b b e r t Vorlesungen ist ihr internationaler Charakter. Es wird gewiss niemanden unter Ihnen befremden, dass gerade dieser Zug mir jetzt besonders lebhaft vor Augen steht. Danke ich doch ihm die Ehre, dass ich in dieser Stunde vor Sie hintreten darf, eine Ehre, der ich den höchsten Wert beimesse und für welche ich das Bedürfhiss fühle, d e n H i b b e r t T r u s t e e s vorab meinen aufrichtigen Dank auszusprechen. Freilich bringt es jener Charakter zugleich mit sich, dass diesmal jemand zu Ihnen redet, der Ihrer Sprache nicht völlig mächtig ist und dem Sie nur allzu deutlich anhören werden, dass er, als Ausländer, in seiner Jugend des Vorzuges entbehrt hat, der ihm später zu Teil wurde: das ßeheimniss Ihrer Aussprache aus Ihrem eigenen Munde aufzufangen und abzulauschen. Warum es verhehlen, dass dieses Bedenken mir während der Vorbereitung auf diese Aufgabe mehr als einmal als Schreckbild vor die Seele trat und dass es mich jetzt in nicht geringem Masse beengt? Doch es nützt nichts, dabei sich aufzuhalten. Der Würfel ist gefallen. Die Schwierigkeit, Kuenen,

Volk*- und Weltreliylou.

1

2

Einleitung.

mit welcher ich zu ringen habe, haben die Meisten von Ihnen wohl einmal empfunden, und dessen eingedenk werden Sie dem Sprecher dieser Stunde mit Ihrer wohlwollenden Nachsicht gerne zu Hülfe kommen. Vertrauensvoll überlasse ich mich deshalb Ihrer Güte, welche — halten Sic sich dessen versichert — bei mir keine Anmassung grossziehen, sondern nur das Gefühl meiner Verbindlichkeit gegen Sie verstärken wird. Von den Hibbert-Vorlesungen zu ihrem Gegenstand ist der Uebergang leicht gemacht, und so auch von dem gegenwärtigen Hibbert-Redner und der Schwierigkeit, die auf ihm lastet, zu dem Stoff, den er sich zur Behandlung ausgesucht hat. Gibt es keine W e l t s p r a c h e , so gibt es doch Weltr e l i g i o n e n . Dass sie in hohem Masse, ebensosehr wie die Volksreligionen, wenn nicht noch mehr als diese, unser Interesse verdienen, braucht gewiss nicht erst versichert zu werden. Abgesehen von dem persönlichen Anteil, den wir an einer dieser Religionen nehmen: die Tatsache schon, dass sie die Grenzen der Nationalität überschritten haben, ist bemerkenswert und an sich ein interessantes Problem. Warum diese Religionsformen und andere nicht? Sind sie denn von besonderer Art, dass sie ihre Flügel soviel weiter entfalten? Aber sie hängen doch mit den Volksreligionen zusammen und sind auf deren Grund und Boden entstanden. Mich dünkt, jeder Versuch, unsere Vorstellungen über diese Fragen zu klären, so unvollständig und mangelhaft er ausfalle, darf, der Wichtigkeit der Sache wegen, auf wohlwollende Aufnahme und nachsichtige Beurteilung rechnen. Daraus schöpfe ich denn auch den Mut, Ihnen heute und in den

3

Einteilung der Religionen.

folgenden Zusammenkünften einige Betrachtangen über Volksr e l i g i o n und W e l t r e l i g i o n vorzutragen. Doch werden Sie sich sogleich sagen, dass dies mehr eine vorläufige Ueberschrift ist als die eigentliche Bezeichnung eines Gegenstandes, der sich in einigen flüchtigen Stunden vollständig behandeln Hesse. Soll der Reichtum des Stoffes uns nicht überwältigen, so müssen wir einen einzigen Gesichtspunkt wählen und uns aus diesem nicht herausdrängen lassen. Zur Rechtfertigung der Wahl, die ich getroffen habe, muss ich mir erlauben einige Augenblicke mit Ihnen in der Vorhalle der Religionswissenschaft zu verweilen. In jedem Fache menschlicher Wissenschaft pflegt man die Erscheinungen zu classificiren. In gewissem Sinne ist das der Anfang der Arbeit; beim Studium ist solch eine Einteilung als Leitfaden unentbehrlich. Aber davon abgesehen ist die richtige Classificirung das Endergebniss der ganzen Untersuchung, denn sie setzt alles voraus, was uns das Studium bezüglich der Gegenstände, ihrer Eigenart und ihrer wechselseitigen Beziehung gelehrt hat. So angesehen, als Zusammenfassung der Ergebnisse des Studiums, hat sie unverkennbar grosse Bedeutung. Können nun auch wir, im Zeitalter Darwin's, in den Grenzlinien zwischen den Arten und Gattungen keine unübersteigbaren Scheidewände sehen; entdecken wir auch überall Uebergänge und nirgends Sprünge — so suchen wir doch nach Ordnung und ruhen nicht, ehe wir die gefunden haben. Wie die Chronik der Geschichte, so muss auch die blosse Aufzählung der Erscheinungen der Classificirung weichen. 1*

4

Einleitung.

Ist dies im allgemeinen wahr, so gilt es auch im besonderen von einer der jüngsten in der Reihe der Wissenschaften, der Religionswissenschaft. Als Hülfsmittel kann sie die Classificirung am allerwenigsten entbehren: ihr Feld ist beinahe unabsehbar und die Verschiedenheit der Erscheinungen gross genug, um ihren Jünger anfänglich in Verwirrung zu bringen. Aber auch als Endergebniss ihrer historischen und psychologischen Forschungen ist ihr die richtige Gruppirung und Unterordnung der Erscheinungen von dem höchsten Werte. Man könnte dieselbe wohl die Brücke nennen, welche ihren beschreibenden Teil mit dem philosophischen verbindet. In Uebereinstimmung damit sehen wir denn auch unsere Vorgänger auf diesem Gebiete der Classificirung grosse Sorgfalt zuwenden. Doch es ist nicht meine Absicht, Ihnen die Versuche, die bereits geliefert sind, vorzulegen und darüber ein Urteil auszusprechen. Noch ist keine Einstimmigkeit erreicht, und niemand hätte auch ein Recht, dieselbe jetzt schon zu erwarten. Einem meiner Nachfolger an dieser Stelle bleibt die gewichtige und in mancher Hinsicht verlockende Aufgabe vorbehalten, mit Ihnen das weit ausgedehnte Gebiet seiner Wissenschaft zu durchschweifen und, vorher beleuchtet durch ihre Geschichte, die Erscheinungen zu ordnen. Ich beschränke mich jetzt auf einen einzelnen Punkt. Ziemlich allgemein vereinigt man zu einer Gruppe d i e W e l t r e l i g i o n e n und stellt ihnen gegenüber die n a t i o n a l e n oder V o l k s r e l i g i o n e n . Nichts ist natürlicher. Der Unterschied, worauf man diese Einteilung baut, fallt sogleich in's Auge und scheint fast das Wesen der Religion zu treffen. Man

Die Zahl der Weltreligionen.

Ö

kann, wie sich von selbst versteht, bei dieser einen Scheidung nicht stehen bleiben. Die nationalen Religionen sind zu verschieden von 'einander, als dass sie zusammen eine Gruppe bilden könnten. Man denke nur an den Unterschied zwischen den Religionsformen, welche gleichsam mit dem Volke aufkommen, wachsen und auch wieder vergehen, und den anderen, welche man persönliche oder auch historische Religionen nennt, die ihren besonderen Stifter oder doch eine heilige Literatur haben. Aber von wie grossem Belang dieser Unterschied sein möge, geschlossen stehen doch die nationalen Religionen, auf ein einzelnes Volk oder eise Gruppe von nahe verwandten Völkern beschränkt, den Weltreligionen gegenüber, die solch- eine Grenze nicht zu kennen scheinen. Nun zeigt sich dennoch neben der Einstimmigkeit, was diese zwei Gruppen betrifft, eine Abweichung, auf welche wir schwerlich vorbereitet waren. Sie betrifft die Frage, welches denn die Weltreligionen sind? Manche rechnen dazu allein den Buddhismus und das Christentum'), andere fügen den beiden den Islam hinzu'). Wie ist, angesichts einer solchen Frage, Meinungsverschiedenheit möglich? Eine Frage der Millionen soll es doch wohl nicht sein! Allerdings hat der Islam die geringste Zahl von Bekennern, nach einer der jüngsten Schätzungen1) 175 Millionen, gegen ') U. A. 0 . P f l e i d e r e r , Religionsphilosophie auf geschichtlicher Grundlage, S. 725 ff. *) U. A. C. P. T i e l e , Qeschiedenis van den godsdienst tot aan de heerschappij der wereldgodsdiensten, S. XI, 98 ff. *) W. S c a w e n B l u n t in The fortnightly review, 1881, II, S. 208, wieder abgedruckt in The future of Islam, London 1882 S.9ff.

6

Einleitung.

die 400 des Christentums und die 450 oder mehr des Buddhismus. Aber wer sollte auf Grund dessen den Islam auszuschliessen wagen? Man braucht nicht einmal daran zu erinnern, dass die Zählung vor allem der Buddhisten unsicher ist und dass der Isiàm noch immer fortfahrt sich auszubreiten, stärker als der Buddhismus sowohl wie das Christentum. Denn wie kann jemals eine wissenschaftliche Classificirung bloss auf Ziffern aufgebaut werden? Die Ursache dieser Meinungsverschiedenheit liegt anderwärts und tiefer. Man gebraucht die Benennung „Weltreligion" in zweierlei Sinn, zur Bezeichnung entweder einer Tatsache oder einer Beschaffenheit. Die Tatsache ist die Ausbreitung solch einer Religion ausserhalb des Gebietes eines einzelnen Volkes, ja zu vielen und verschiedenen Nationen hin. Nun wohl: in diesem Sinne ist der Isiàm gewiss eine universale oder — wenn Sie die bescheidenere Benennung vorziehen, die sich noch näher an die Wirklichkeit hält — eine internationale Religion. Semiten, Arier, Tartaren, Malayen und Neger beugen sich vor Allah und erkennen Mohammed als seinen Gesandten an. „Noch hält — wie einer seiner talentvollsten Verteidiger sich ausdrückt') —- der Isiàm zwei Weltteile stetig fest und behauptet sich, wenn auch nicht ohne Mühe und Gefahr, in einem dritten. Von Marocco bis zur malayischen Halbinsel, von Zanzibar bis zur Kirgisensteppe streckt er sich aus . . Doch genug; solange wir den Massstab der Tatsachen anwenden, kann die Frage, ob dem

') R. B o s w o r t h S m i t h , U . A . , Mohammed and Mohammedanism, 2d ed., p. 27.

Zweierlei UniverMlismns.

7

Isiàm neben den zwei anderen Weltreligionen eine Stelle zukommt, nicht einmal aufgeworfen werden. Dennoch wird diese Frage, wie ich bereits sagte, von Einigen verneinend beantwortet. Sie sagen — und wer will ihnen widersprechen — dass es nicht angeht, den Charakter dieser oder irgend einer anderen Religion und die Stelle, die ihr zukommt, einzig und allein zu bestimmen nach dem Erfolg, den sie in der Welt gehabt hat. Den Ursachen der Eroberungen des Islam muss man nachgehen, wie jedem einleuchtet! Und da ist es durchaus nicht sicher, dass sie im Isiàm selbst liegen, weil er etwa seiner Art nach für sehr verschiedene Völker und Stämme geeignet wäre, mit einem Worte: in seiner universalen Natur. Es könnte sein, dass er sich ausgebreitet hätte, nicht kraft, sondern trotz seines eigentlichen Charakters; dass der Mangel oder doch die Schwachheit der wahrhaft universalen Elemente wäre aufgewogen oder gutgemacht worden durch allerlei Umstände, die bei der Feststellung seines Signalements nicht in Betracht kommen. Ich spreche, wie Sie bemerken, hypothetisch: wir dürfen dem nicht vorgreifen, was uns nähere Untersuchung in dieser Hinsicht lehren wird. Aber grundsätzlich scheint mir das Recht, auch diesen anderen Massstab anzulegen, unbestreitbar. In der Naturwissenschaft können wir es bei der Feststellung der Erscheinungen und der Bestimmung ihres Zusammenhangs bewenden lassen: wo wir es mit dem Menschen und den Erzeugnissen seiner selbstbewussten Tätigkeit zu tuen haben, da dürfen, ja müssen wir es ausserdem zu einem U r t e i l ü b e r den W e r t der verschiedenen Erscheinungen bringen, das gewiss mit billiger

8

Einleitung.

Besonnenheit, doch auch mit Bestimmtheit auszusprechen ist. Nirgends ist das mehr am Platze, als in der Wissenschaft von den Religionen und ihrer Geschichte. Wer aus ihr das „höher" und „tiefer" verbannt, setzt sie herab zu einem Mittel für die Befriedigung der Neugierde und macht sie unbrauchbar für den erhabenen Beruf, den sie in unserer heutigen Gesellschaft auszufüllen hat. Doch wir finden später Gelegenheit, hierauf zurückzukommen. Lassen Sie mich jetzt darauf aufmerksam machcn, das», was ich soeben das echt-universale nannte, wie es mir scheinen will, nichts Zufälliges ist, sondern unmittelbar zusammenhängt mit dem Ursprung der Religionen, in welchen wir es wahrnehmen, mit der Art ihrer Beziehung zu den Volksreligionen, aus welchen oder auf deren Boden sie sich entwickelt haben. Schwerlich wird Sie dieser Satz befremden. Was iahig sein soll, jede Nationalität zu durchdringen und zu beseelen, das muss nicht im Studirzimmer ausgebrütet, sondern in dem Leben eines Volkes bewährt und gereift sein. Aber auch umgekehrt: was sich jeder Nationalität und ihren eigenartigen Bedürfnissen anschliessen soll, das darf nicht unlöslich an ein Volk gebunden sein. Aus der Nation geboren und über sie sich erhebend: sollt« das nicht die Formel sein für das allen Nationen Bestimmte? Ich bin übrigens der Erste zuzugestehen, dass Erwägungen wie diese wenig oder nichts beweisen. Die Geschichte muss hier ihren Spruch fällen. Aber sollte es nicht die Mühe lohnen, sie in Bezug auf diesen Funkt ausdrücklich zu befragen? Ich glaube, wir dürfen diese Frage getrost bejahen. Den Gegenstand, den ich Ihnen zu Anfang nannte, umschreibe

9

Begrenzung des Thema's.

ich deshalb jetzt näher so: der Z u s a m m e n h a n g z w i s c h e n d e n u n i v e r s a l e n und d e n n a t i o n a l e n R e l i g i o n e n a l s E r k l ä r u n g und M a s s i h r e s U n i v e r s a l i s m u s . Noch bin ich mit meinen einleitenden Bemerkungen nicht ganz zu Ende.

Die vollständige Behandlung meines

Gegenstandes würde viel mehr Zeit verlangen als wir aufzuwenden haben, und übersteigt obendrein bei weitem meine Kräfte.

Jeder Arbeiter auf dem Gebiete der Religionsge-

schichte wird durch die Eigenart seiner Wissenschaft gezwungen, sich dann und wann auf ein Gebiet zu wagen, das er sein eigen nicht nennen darf.

Aber es ist selbstverständlich,

dass er dies so selten wie möglich tut und sich beeilt zu seinen Penaten zurückzukehren.

Sie werden mir gewiss er-

lauben, dieser Regel, mit der zudem meine persönlichen Neigungen harmoniren, nicht ungetreu zu werden.

So soll denn

der Zusammenhang zwischen Christentum und Israelitismus mein Hauptgegenstand sein werden.

und vollständig klar gestellt

Bei dem Buddhismus und dem Islam verweilen

wir viel kürzere Zeit, indem wir hauptsächlich auf dasjenige acht geben, was entweder durch seine Uebereinstimmung oder als Contrast mit dem Werden des Christentums zur Beleuchtung desselben dienen kann.

So entgehe ich zugleich

der doppelten Gefahr: zu wiederholen, was bereits in vorzüglicher Weise von dieser Stelle aus über den Buddhismus vorgetragen ist'), oder der späteren Behandlung Mohammed's und seiner Religion vorzugreifen. ') Lectures on the origin and growth of religion as illustrated by some points in the history of Indian Buddhism, by T . W . R h y s D a v i d s . (The Hibbert-Lectures, 1881).

10

Einleitung. — Der Islam.

Die Anordnung, die ich befolge, ist die umgekehrt-chronologischc. Sonach hat der Islam, über dessen Ursprung wir am besten unterrichtet sind, den Vortritt, und kann unsre Betrachtung desselben in dieser Stunde sich unmittelbar an die Bemerkungen anschliessen, zu denen die Meinungsverschiedenheit bezüglich der Stelle, die ihm angewiesen werden muss, mir Veranlassung gab.

Wie oft ist schon der Wunsch geäussert worden, dass uns über die Entstehung des Buddhismus und des Christentums ebenso sichere und genaue Berichte möchten erhalten sein, wie über Mohammed und das Werden des Islam! Renan's Wort über „das seltsame Schauspiel einer Religion, die bei hellichtem Tage geboren wird')", ist in Aller Munde. Und, indertat, wir haben Ursache, dankbar zu sein. Die Echtheit des Qorän ist, abgesehen von einzelnen Kleinigkeiten, über jeden Zweifel erhaben. Neben der Predigt Mohammed's, die darin enthalten ist, steht die Tradition über seine Person, welche bis zu seiner nächsten Umgebung hinaufsteigt und z u g l e i c h m i t den Zeugnissen, auf denen sie beruht, auf uns gebracht ist. Die Lebensbeschreibung des Propheten ist jünger, aber doch immer verhältnissmässig alt, noch älteren Mitteilungen entlehnt und lässt sich überdies an den authentischen Urkunden prüfen. Was können wir billigerweise mehr verlangen? Der Durst nach s i c h e r e r Erkenntniss ist nun einmal nicht leicht zu löschen. Wir wissen viel, aber wir möchten ') Etudes d'histoire religieuse, p. 230.

11

Entstehung des Isiàm.

gar gerne noch mehr wissen.

Ja, es will uns scheinen,

als wenn wir gerade betreffs des Allerwichtigsten oft bloss mangelhaft unterrichtet wären.

Die Tradition ist in ihrer

Gesammtheit durch die dogmatische Ueberzeugung der ältesten Gläubigen gefärbt und nicht selten von sehr verdächtigem Metall.

Und der Qorän? Sprenger hat ihn „ein Buch mit

sieben Siegeln" genannt').

Betrachtet man ihn als Urkunde

dessen, was der Islam ist, so mag er an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen, und selbst an Uebervollständigkeit leiden; wenn wir uns bemühen Mohammed in seiner Entwickelung nachzugehen, so lässt die unordentliche Masse von Offenbarungen uns manchmal in der Verlegenheit. Dieser und jener Ausspruch sollte uns Licht geben. ihn nur richtig unterbringen könnten!

Wenn wir

Hier und da steckt

sichtlich etwas Wichtiges dahinter, aber — wer wird es uns enthüllen? Es ist uns jetzt darum zu tuen, das Verhältniss von Mohammed's Predigt zu der Religion der Araber zu bestimmen.

Ist das mit ausreichender Sicherheit möglich?

Mo-

hammed verkündigte den e i n e n Allah und lehnte sich damit auf gegen das Vielgöttertum der grossen Mehrheit seines Volkes.

Hierüber sind wir naturlich einig.

Doch sobald

wir über diesen.Gemeinplatz hinaus sind, beginnt auch die Unsicherheit und stossen wir denn auch bei denen, die Mohammed's Geschichte schreiben, auf grosse Meinungsverschiedenheit. Hören wir zuerst den Propheten selbst! Mehr als einmal erklärt er nichts anderes zu erstreben als die Wieder') Das Leben und die Lehre des Mohammed, Band I, S. XV.

12

Der Isiàm.

herstellung der „Religion Abraham's", des Vaters von Ismael und dadurch Stammvater der Araber. „Gläubige! beuget Euch nieder und werfet Euch zur Erde, und dienet Eurem Herrn und übet Gerechtigkeit, auf dass es Euch wohlgehe. Und seid tapfer in Allah's Sache, gleichwie es Euch geziemet vor Ihm. Er hat Euch erwählet und Euch im Gottesdienste keine Last aufgelegt, den Gottesdienst Eures Vaters Abraham. Er hat Euch die Mosleme genannt, vorzeiten und nun, damit der Gesandte (Allah's) ein Zeuge gegen Euch sei und Ihr Zeugen seiet gegen die übrigen Menschen 1 )". Mit Ismael hat Abraham das Haus Allah's, die Ka'ba, gebaut und damals schon von seinem Herrn solch einen Propheten erbeten, wie er später in Mohammed erschienen ist: „0 Herr, nimm (diesen Tempel) von uns an, denn Du bist es, der höret und weiss! 0 Herr, mache uns zu Moslemen (Hingegebenen) an Dich und aus unseren Nachkommen ein moslemsches Volk; und lehre uns unsre heiligen Gebräuche und lasse Dich zu uns herab, denn Du bist der Herablassende, der Barmherzige! 0 Herr, erwecke unter ihnen einen Gesandten aus ihrer Mitte, der ihnen Deine Zeichen vorlese und sie unterrichte in dem Buche und in der Weisheit, und sie reinige: fürwahr, Du bist der Mächtige, der Weise 2 )!" So tritt denn Mohammed auf als der Vertreter der uralten Ueberlieferung. Arabien ist davon abgewichen; Juden und Christen haben sie nicht lauter bewahrt; ihn hat Allah gesaudt, um sie wiederherzustellen in ') Sure X X I I : 7 6 — 7 8 . vgl. II: 124, 1*29; III: 8 9 ; IV: 124; VI: 162; X I V : 40, 4 1 ; X V I : 124. 2

) Sure II: 121 — 123.

13

Dia Religion Abraham's im QoriLn. ihrer ursprünglichen Reinheit und Alle zu Moslemen

zu

machen, wie Abraham es war. Ohne diese Theorie des Qoräo's in ihrem ganzen Umfang anzunehmen,

ist man doch im allgemeinen

geneigt,

darin ein gutes Teil Wahrheit zu finden. Die Anerkennung des Allah taala,

des einen hocherhabenen Gottes, ist, wie

man meint, die alte Grundlage des arabischen Polytheismus. In dem, was Mohammed über Abraham, den Freund Allah's'), den Vater auch der Araber und den Stifter des Heiligtums der Qoraischiten, sagt, gibt er die Ueberzeugung seiner Zeitgenossen wieder.

Unter diesen gab es denn auch solche,

die bereits vor ihm, sich abwendend von der Abgötterei der grossen Mehrheit und nicht befriedigt durch Judentum und Christentum, eine bessere Religion suchten und diese in der „Milla Ibrahim's" glaubten gefunden zu haben.

Bekannt ist

die Erzählung von Mohammed's ältestem Biographen,

Ibn

Ischäq, wie einst, noch in den Tagen der Unwissenheit, vier von den Qoraischiten sich der Feier eines Festes zu Ehren der Abgötter entzogen und untereinander verabredeten, dass sie sich aufmachen wollten, den wahren Glauben zu suchen. Einer von ihnen, Waraqa, meinte ihn im Christentum gefunden zu haben; ein anderer, Zaid ibn Amr, kannte und predigte schon v o r Mohammed die Religion Abraham's 1 ). Das klingt, wie man leicht einsieht, allzu romantisch um rein historisch zu sein.

Aber Wahrheit ist es,

vor dem Auftreten

des Propheten Hanifen

dass es schon gab,

welches

Wort der Qorän selbst gerne gebraucht um Abraham zu ') Sure IV: 124. a

) Ibn Ischäq ed. W ü s t e n f e l d p . 1 4 3 ; S p r e n g e r a . a . O . B. I : 81 ff.

14

Der Isiàm.

kennzeichnen, und welches Mohammed dementsprechend auch von sich selbst gebraucht 1 ).

So wird seine Religion

das

natürliche Produkt der damaligen Entwickelung des arabischen Volkes, der geheime Gedanke und der Wunsch der Vorzüglichsten unter seinen Zeitgenossen, dem er Laut und Stimme zu geben wusste.

Die sittlichen Verkehrtheiten, die er im

Namen Allah's streng verbot, waren so auch schon vor ihm von Anderen bestritten: die Trunksucht, die Misshandlung des Weibes, das Tödten der Kinder weiblichen Geschlechts. Der Islam war also ebensowohl eine sittliche als eine religiöse Reform und offenbart auch hierin seinen Zusammenhang mit dem nationalen Leben der Araber 2 ). Darf man sich dieser Auffassung anschliessen? Ueber ihre innere Wahrscheinlichkeit kann man streiten.

Aber es gibt

e i n e Tatsache, die uns unbedingt verbietet, sie anzunehmen. Wenn es wahr ist, dass Abraham, der Monotheist, der Vater Ismael's und Stifter der Ka'ba, den Arabern zu Beginn des siebenten Jahrhunderts bekannt war, so muss Mohammed diese Auffassung von Anfang an verkündigt haben, so kann er ihr wenigstens nicht widersprochen haben. steht es damit?

Aber wie

Aus dem Qorän selbst können wir nach-

weisen, dass die Vorstellungen des Propheten über Abraham sich im Laufe der Jahre merklich geändert haben und dass seine Theorie von der „Milla Ibrahim's" von sehr jungem Datum ist. aus

Lassen Sie mich Ihnon einige Stellen vorlegen,

denen sich

dies deutlich ergibt!

Ismael, der älteste

') Sure I I I : 8 9 ; I V : 124; VI: 1G2; V I I : 79 u. s. f. S . 19f. ») B o s w o r t h S m i t h a . a . O . S. 109, vgl. 3ff.

Vgl. unten

Ismael in den älteren Qoràn-Suren.

15

Sohn Abraham's, ist ein unentbehrlicher Bestandteil dieser Theorie. Nun kommt der Name Ismael bereits in den älteren Suren vor. Aber Mohammed weiss anfangs noch nicht, dass er ein Sohn Abraham's ist Er nennt ihn nach Moses und vor Idris (d. i. Henoch), als „einen Propheten, getreu seinem Gelöbniss, der das Gebet und das Almosengeben seinem Volke gebot und seinem Herren wohlgefällig war 1 )". Anderwärts heisst er, neben Hiob, Idris und Dhu'lKefl — eine unbekannte Grösse — ein Muster der Geduld oder der Standhaftigkeit'). An einer anderen Stelle werden vorweg Abraham, Isaak und Jakob in einem Atem genannt, und erst darnach Ismael, mit Elisa und wiederum Dhu'lKefl'). Noch stärker: Isaak und Jacob sind dem Abraham gegeben; nun folgt eine ganze Reihe von Gottesgesandten und unter ihnen, neben Elisa und Jona, auch Ismael4). Wird dieser nun trotzdem auch als der ältere Bruder Isaak's erwähnt'), so kann dies nichts anderes sein als eine später bei Mohammed aufgekommene Vorstellung. Was wir hieraus schon entnehmen können, wird in der Tat durch die Texte bestätigt: auch in Bezug auf Abraham bleibt der Prophet sich nicht gleich. Man kann zweifeln, ob er wohl von Anfang an wusste, dass Isaak sein Sohn war'), und als er das später erfahren, sah er ganz gewiss

') ') *) *) 5 ) 6 )

Sure X I X : 55. 56. Sure X X I : 85. Sure XXXVIII: 45, 48. Sure VI: 84, 86. Sure II: 127; XIV: 40, 41. Sure LI: 24 ff.; XV:51ff. vgl. mit XXXVII: l l f f . S . C . S n o u c k

Der Isiàm.

16

eine Zeitlang in Jakob einen Bruder IsaakV). Damals schon stand Abraham sehr hoch bei ihm angeschrieben. Es ist ungewiss, was er wohl meint mit den „Rollen Abraham's und Mosis" oder „Mosis und Abraham's", die je einmal von ihm erwähnt werden'). Sprenger's Vermutungen darüber sind höchst gewagt und zum Teil sicher falsch'). Es wird wol nichts mehr darin liegen, als dass ihm etwas zu Ohren gekommen war von Abraham's Predigt an seine Verwandten und von dem mosaischen Gesetz, und dass er sich jene, nach Analogie des letzteren, als schriftlich überliefert vorstellte. Das steht fest, dass er in Abraham einen treuen Diener Allah's sah, welcher den Seinigen gegenüber trotz der Gefahr, der ihn dies aussetzte, Zeugniss von seinem Glauben ablegte, und welchem zur Belohnung herrliche Verheissungen zu Teil wurden 4 ). Doch mit wie grosser Wärme Mohammed auch hiervon reden mag, er denkt noch nicht daran, Abraham eine besondere Stelle anzuweisen und ihn in eine ganz einzigartige Beziehung, sei es zu den Arabern, sei es zu ihm, dem Prediger selbst, zu bringen. Abraham ist einer der vielen Gottgesandton, einer der vornehmsten unter ihnen, aber auch nichts mehr als das. So wenig gilt er ihm noch als der Stifter des Islam, den er selbst verkündigt, dass er ihn einmal einen der Jünger Noah's

H u r g r o n j e , Het Mekkaansche feest, S. 31. sch Messt sich die meinige an. ') *) 3 ) 4 )

Sure Sure Vgl. Vgl.

An seine Untersuchung

VI: 74 ff.; X I : 72 ff.; X I X : 4 2 f f . ; X X I : 5 2 f f . ; XXIX:l. r >ff. LXXXVII: 19; LIII: 37. Erläuterung I am Schlüsse dieses Buches. die angeführten Stellen.

17

Abraham und die „Milla Ibrahim's".

nennt'). So wenig hält er ihn noch für den Prediger des Monotheismus an seine Nachkommen in der Wiiste, dass er mehr als einmal erklärt, er (Mohammed) sfei der erste Gesandte Allah's an die Araber s ). Ja, seiner Versicherung: „Wir haben ihnen keine Bücher gegeben, sich darein zu vertiefen; auch haben wir niemand vor Dir mit Ermahnungen zu ihnen gesandt," geht folgendes Wort vorher: „Wenn unsere deutlichen Zeichen — die Verse des Qorän — ihnen vorgetragen werden, so sagen sie: er (Mohammed) ist nur ein Mensch, der euch gerne abspenstig machen möchte von dem Glauben eurer Väter')." „Eure Väter": und Mohammed kam gerade, um wieder aufzubauen, wozu Abraham und Ismael den Grund gelegt hatten? Ganz gewiss, so stellt er es später dar. Aber von dieser Auffassung haben diejenigen, die er hier redend einführt, noch keine Ahnung, was darauf hinauskommt, dass auch er selbst davon noch nichts weiss4). Aber woher dann die „Milla Ibrahlm's" ? Wir brauchen die Textesstellen, worin sie vorkommt, bloss aufmerksam zu lesen, um die Antwort auf diese Frage zu finden. Es ist bekannt, dass Mohammed stets sein Augenmerk auf die Christen und vor allem auf die zahlreichen Juden in seinem Vaterlande gerichtet hatte. Eine Zeitlang hat er gehofft, dass sie, vor allem die Juden, ihn anerkennen würden. Indessen in dieser Erwartung sah er sich endlich getäuscht. ') Sure XXXVII: 81: „aus seiner (Nuh's) schi'a war Ibrahim 1 '. ") Sure X X X I I : 2; XXXIV: 43; XXXVI: 5 ; vgl. S n o u c k H u r g r o n j e , a. a. 0 . S. 33. 3 ) Sure XXXIV: 42, vgl. I I : 165. 4 ) Man achte auch auf den a b s o l u t e n Gegensatz zwischen Mohammed's Religion und derjenigen der „Ungläubigen" in Sure CIX. K u e n e n , Volks- und Weltreligion.

2

Der Islftm.

18

Dennoch konnte er sich auch nicht völlig von ihnen losmachen. Dass Allah sich, durch Moses und andere Propheten, auch ihnen geoffenbart hatte, konnte und wollte er nicht leugnen.

So macht sich bei ihm das Bedürfniss nach einer

Formel geltend, welche zugleich ausdrückt, was er mit ihnen gemein hat, und was ihn von jenen unterscheidet.

Diese

Formel ist die „Milla lbrahim's" — des grossen Gottgegesandten, dem auch seine Widersacher huldigten, und der doch keiner der Ihrigen war, vielmehr — wie er immer wieder hervorhebt') — „weder Jude noch Christ."

Als

Prediger dieser „Milla" kann er den göttlichen Ursprung der heiligen Bücher der Juden und der Christen fernerhin anerkennen, während er sich gleichzeitig das Recht erwirkt, zu verwerfen, was ihm in diesen Büchern 3 ) — oder, wie er es gerne darstellt, in der jüdischen oder christlichen Textgestalt oder Erklärung dieser Bücher — nicht ansteht

Sie

entspricht demnach so ganz dem Bedürfniss der Zeit und den Forderungen der Polemik, dass wir sie daraus ohne Bedenken ableiten und nicht die mindeste Veranlassung haben, sie für der historischen Wirklichkeit oder der arabischen Auffassung derselben entnommen zu halten.

Die Tatsache,

dass wiederum erst in den späteren Suren Ismael als der Stammvater der Araber und Mitstifter der Ka'ba auftritt, kann uns natürlich in diesem Urteil nur bestärken. Die Ansicht, dass Mohammed auftrat, um wieder zum ') Sure II: 134; I I I : f>0 und anderwurts. ^ Vgl. W. M u i r , The Coriin, its composition and teaching and the testimony it bears to the holy scriptures, S. 229 ff., und die dort angezogenen Textstellen.

19

Die If.inîfen in Qoràn u n d T r a d i t i o n .

Leben zu bringen und herzustellen,

was, sei es auch als

dunkle Erinnerung an längst Vergangenes, in seinem Volke sich vorfand, findet also im Qoran, beim Lichte der Kritik gelesen, keine Stütze.

Aber etwas anderes ist die Meinung,

dass sich unabhängig von, weil ja v o r ihm, unter den Arabern ein Kreis von Frommen gebildet hatte, deren Ideen er sich aneignete, und, unterstützt durch seine prophetische Autorität, bei seinen Zeitgenossen

zur Geltung zu bringen

wusste.

Wer sind doch die „Ilanifen", die man als seine Lehrer und Wegbereiter anzusehen dies Rätsel aufzulösen.

pflegt?

Ich vermesse

mich

nicht

Aber d a s wage ich auszusprechen,

dass die augenblicklich geläufigste Antwort darauf mit dem Gebrauche des Wortes „Ilanif" im Qorän sehr schwer, ja, überhaupt

nicht in Einklang zu

bringen

ist.

Da

heisst

Abraham ein „Ilanif" '), und so auch, wie wir danach erwarten konnten — Mohammed selbst, zu welchem Allah spricht:, „richte Du denn, als ein Hanif, Dein Angesicht nach dem Glauben, den Allah gemacht und für den er die Menschen gemacht

hat 2 )."

Einen Sectennamen,

wofür man

„Hanif" gewöhnlich hält, konnte der Prophet sich seihst zur Not gefallen lassen, aber dass er den auch auf Abraham sollte übertragen haben, ist sehr wenig wahrscheinlich.

Die

Unwalirscheinlichkeit wird noch grösser, wenn „Hanif", wie man meint, ursprünglich ein Schimpfname war, soviel wie „Abtrünniger" oder „Gottloser", der später — wie so mancher andere — von denjenigen, gegen welche er gerichtet war, als Ehrentitel wäre übernommen worden.

Wie ist es

') Sure II: 129; Ilf: ie israelitische Volksreligion.

schichtsschreiber nicht von dem Endergebniss abbringen lassen, zu dem die Untersuchung uns geführt hatte. Soweit ihr Urteil auf Tatsachen beruht, hat es allen Anspruch, wohl beachtet zu werden.

Aber darum können wir noch nicht in

das Verwerfungsurteil einstimmen, welches sie über die vorexili.sche Volksreligion aussprechen.

Natürlich

handelt

es

sicli nicht darum, ob wir an den Gebräuchen jenes populären Jahwismus unser Wohlgefallen haben können.

Er wird ver-

mutlich Sic sowenig wie mich besonders anziehen. der J a h w e ' s ,

Die Bil-

welche die meisten Bamoth so gut wie die

Tempel zu Dan und Beth-el schmückten,

machen

auf Sie

den Eindruck, dass die Vorstellung, die man sich von seinem Wesen bildete, wenig entwickelt und noch sehr sinnlich war. Von. den gottesdienstlichen Handlungen wissen

wir wenig,

aber immer genug, um feststellen zu dürfen, dass sie von einer

nichts

weniger

als

geistigen

Auffassung

Ueppige Ausgelassenheit und zitternde Furcht,

zeugten.

welche die

Gottheit durch Menschenopfer zu versöhnen versuchte, waren die beiden Extreme, in welche die Jahweverehrer nicht nur ausnahmsweise,

wie es scheint,

verfielen.

Niemand wird

alles dies in Schutz nehmen wollen, und zwar umsoweniger, als auch schon im alten Israel etwas Anderes und Höheres dem gegenüberstand, wurde.

Aber

das

wodurch ihm sein Urteil gesprochen

giebt uns noch nicht das Recht,

der

israelitischen Volksreligion allen Wert abzusprechen und der grossen Menge die Teilnahme daran als Greuel und Sünde anzurechnen.

„Das

auserwählte

Volk"

darf

auf

dieselbe

Billigkeit und unbefangene Weitherzigkeit des Urteils Anspruch erheben, die wir anderen Nationen gegenüber anzu-

Schlussurteil über die israelitische Volksreligion.

77

wenden pflegen. Alle aufrichtige Religion ist wahre Religion und kann ihre segensreiche Wirkung nicht verfehlen. Auch abgesehen von den höheren Elementen in der Gottesverehrung, die, wie wir sogleich sehen werden, keineswegs fehlen — abgesehen davon muss von dem alten Israel bezeugt werden, dass es ohne seine Volksreligion ärmer gewesen wäre: ärmer an Erhebung, an Trost, an Kraft.

Nicht vergeblich hat es

für den Segen der Ernte Jahwe seinen Dank dargebracht, mit dem Blick auf ihn sein Werk verrichtet, in Kreuz und Leid auf seine Hülfe vertraut, in Gefahren von ihm die Rettung erwartet. In meiner Beschreibung von Israel's Volksreligion wurden hier und da die P r i e s t e r J a h w e ' s erwähnt.

Aber

es dürfte keinen unter Ihnen befremden, dass es dabei nicht bleibt.

Für die richtige Auffassung des Jahwismus ist das

nähere Studium der Tätigkeit der Priester durchaus unentbehrlich.

Es stand in dieser Hinsicht in Israel ebenso wie

fast bei allen Völkern des Altertums: beim Cultus und draussen, auf dem Gebiete des Volkslebens, hatte der Priester eine ihm zugewiesene Berufspflicht zu erfüllen, die von keinem Anderen versehen werden konnte.

Wurde auch in

den ersten Jahrhunderten nach der Ansiedhing in Kanaan die Berechtigung, Jahwe Opfer darzubringen, allen Israeliten zugestanden, und von dieser Berechtigung auch später noch, wenigstens von Seiten der Könige, wahrscheinlich auch der Stammes- und Geschlechts-Häupter, Gebrauch gemacht, so hindert das nicht, dass Jahwe von Anfang an seine Priester hatte und dass kein Heiligtum von irgend welcher Bedeutung

78

Die Priester Jahwe's.

eines Priesters entraten konnte. Denn schon beim Opfern und bei der Regelung der gottesdienstlichen Handlungen überhaupt legte man auf seine Belehrung stets und immer höheren Wert, und überdies war er beim „Suchen", d. i. Befragen „Jahwe's" der unentbehrliche Mittelsmann. Doch ehe wir der Frage nachgehen, wie er sich dieser Aufgabe und seiner ferneren Verpflichtungen entledigte, haben wir auf seine Person unsere Aufmerksamkeit zu richten. Wer waren die Priester Jahwe's? Sie Alle wissen, dass auf diese scheinbar so einfache Frage weit auseinander laufende Antworten gegeben werden. Die Abkömmlinge Aaron's, so lautet die bekannteste. Nein, meint ein Anderer, diese Einschränkung ist jüngeren Datums: vor der babylonischen Gefangenschaft waren alle Leviten befugt, ein priesterliches Amt zu bekleiden. Nach einem Dritten gilt dies bloss für die allerletzten Jahre des Königreiches Juda; dem ging ein Zeitraum voraus, in dem die Leviten mit Personen aus anderen Stämmen die priesterlichen Aemter teilten und, wenn sie auch vielleicht auf die ausschliessliche Befugniss Anspruch machten, sie doch nicht tatsächlich besassen. Endlich behaupten Einige, dass man sich, wenn man die Frage in dieser Form stellt, damit ihre Lösung unmöglich macht. „Leviten oder nicht?" — so darf die Frage nicht lauten, denn mit diesem Namen wurden anfangs alle Diener der Heiligtümer Jahwe's bezeichnet; erst späterhin kam die Vorstellung auf, dass sie miteinander verwandt wären, und wurden sie dementsprechend von demselben Stammvater, Levi ben Jakob, abgeleitet. Sie dürfen annehmen, dass ich mir in dieser Beziehung eine eigene Ansicht gebildet habe und im Stande zu sein glaube,

Herkunft der Priester Jahwe's.

79

dieselbe zu verteidigen'). An dieser Stelle kann ich gleichwohl davon absehen eine Wahl zu treffen.

Nur die Ab-

stammung der Priester von Aaron muss ich abweisen, weil sie einzig und allein auf dem Zeugniss des priesterlichen Gesetzes beruht und so die Anerkennung von dessen vorexilischem Ursprung in sich schliessen würde, welche meines Erachtens jede rationelle Auffassung der religiösen Entwickelung Israels unmöglich macht. Im übrigen aber können wir nach meiner Ueberzeugung über die Tätigkeit der Priester und ihr Verhältniss zu der Volksreligion uns Gewissheit verschaffen, ohne irgend etwas ihre Abkunft angehend festzusetzen.

Die Propheten, nach deren Winken wir uns vor

allem richten werden, machen zwischen levitischen und nichtlevitischen Priestern keinen Unterschied: die meisten von ihnen nennen Levi nicht einmal. Etwas anders würde sich uns die Sache darstellen, wenn man Gründe hätte, dem Stamme Levi einen ausländischen, speciell ägyptischen Ursprung zuzuschreiben.

Sein Anteil

an der Leitung des Gottesdienstes würde dann keine gleiche gültige Sache mehr sein, vielmehr, in veränderter Form, die Frage nach dem auswärtigen Ursprung des Jahwismus wieder auftauchen lassen, die wir schon meinten hinter uns zu haben').

Aber was man zu Gunsten der ägyptischen Ab-

stammung anführen kann, ist, alles zusammengenommen, sehr unbedeutend und schwach.

Einige Eigennamen, denen

') Vgl. mein Buch Godsdienst van Israel, II: 206—209, und Theol. Tijdschrift VI: 628—670. W e l l h a u s e n Gesch. Israels I: 145 ff. hat mich von der Richtigkeit seiner etwas abweichenden Ansicht nicht überzeugt. *) S. oben S. 58 ff.

80

Die Priester Jabwe's.

andere von unzweifelhaft hebräischem Ursprung gegenüberstehen, reichen doch wahrlich nicht aus, eine These wie diese es ist zu begründen. Und stände es auch anders, so müssten wir immer noch wohl unterscheiden zwischen ägyptischer Herkunft und ägyptischen Anschauungen.

Wenn die histo-

rische Kritik e i n e s bewiesen hat, so ist es dies, dass das israelitische Volk der Königszeit durch Verschmelzung sehr ungleichartiger Bestandteile entstanden war 1 ).

Ausser den

früheren Bewohnern Kanaan's hatten dazu die benachbarten Stämme ihre Beiträge geliefert. Auch die Aufnahme einiger rein- oder halbägyptischen Familien ist durchaus nicht unwahrscheinlich.

Aber was dem Ganzen, das so zu Stande

kam, nicht nur den Namen, sondern auch den Charakter gab, das war das israelitische Element, und d a v o n , nicht von den überwundenen oder assimilirten Völkern, ging insbesondere auf religiösem Gebiete die Kraft und die Leitung aus 2 ). So hindert uns denn nichts, sofort die Priester Jahwe's in ihrer Tätigkeit zu beobachten.

Ueber ihre Bemühungen

um das Ritual nur ein Wort! Mussten wir bereits hinsichtlich der Jahweverehrung im allgemeinen unsere Unwissenheit bekennen, so kennen wir noch viel weniger die Einzelheiten ihrer Organisation.

Aber das steht fest, dass auch

auf den Bamoth feste Regeln befolgt wurden.

Als — so

5

lesen wir im zweiten Buche der Könige ) — die assyrischen ') S. mein Buch Godsdienst van Israel I: 139—142, 151 f., 177 — 182. a ) Vgl. weiter Erläut. VI. ') c. XVII: 25—28.

Das „Recht des Landesgottes."

Priesterorakel.

81

Colonisten von Löwen geplagt wurden, sahen sie darin einen Beweis der Unzufriedenheit des Landesgottes, d. i. Jahwe's, dessen Anrecht auf diesen Namen also nicht in Zweifel gezogen wurde. Der König von Assyrien, davon in Kenntniss gesetzt, sandte ihnen einen der Priester, die als Gefangene weggeführt waren, „auf dass der sie lehre das Recht („mischpät") des Gottes des Landes", mit anderen Worten: die Art und Weise, auf die er verehrt sein wollte. „Da kam der Priester einer, die von Samaria weggeführt waren, und liess sich nieder zu Beth-el und lehrete sie, wie sie Jahwe fürchten sollten." Man hat, seltsam genug, in den Kinderjahren der Pentateuch-Kritik diesem Priester eine wichtige Rolle bei der Redaktion der Bücher Mosis zugeschrieben '). Der einzige Bericht, den wir über ihn besitzen, giebt dazu gewiss nicht die mindeste Veranlassung. „Das Recht des Gottes des Landes", das er lehrt, ist deutlich genug kein geschriebenes und hatte vermutlich mit den Verordnungen über den Gottesdienst, die uns in den Büchern Exodus—Numeri vorliegen, wenig Aehnlichkeit. Aber — es gab solch ein „Recht", der Priester war der Träger desselben, und es war sein Beruf es „zu lehren". Nicht minder wichtig — ja, in den Augen der Menge noch viel wichtiger — war die Verkündigung von Jahwe's Willen durch den Priester. Schon der Name, den er trägt, „Kohên", kennzeichnet ihn als jemand, der über das Verborgene Aufschlüsse giebt, als einen Wahrsager oder Zeichen') (J. C l e r i c u s ) Sentiments de quelques théologiens de Hollande sur l'histoire critique du Père R. S i m o n (Amst.. 1685, S. 129f.); vgl. Défense des Sentiments etc. (ibid. 1686) S. 167 ff. Kuenen.

Volks- unil W e l t r e l i s i o n .

6

Die Priester Jahwe1».

82

deuter, und in den alten Erzählungen tritt er auch immer wieder in dieser Rolle auf. schön überzeugt 1 ).

Wir haben uns davon vorhin

Der Häufigkeit solcher Berichte haben

wir es zu verdanken, dass wir die Art, wie er dabei zu Werke ging, wenigstens einigermassen kennen. Das E p h o d ist beim Befragen Jahwe's unentbehrlich; nicht selten verbinden sich damit die T e r a p h i m ;

durch das Loos tut

Jahwe seinen Beschluss kund, oder — denn auch das kommt vor — erklärt er, dass er keine Antwort geben will 2 ).

Was

wir unter diesem „ E p h o d " zu verstehen haben, ist noch nicht völlig ausgemacht.

Der spätere Sprachgebrauch könnte

darauf führen, darunter ein Schulterkleid zu verstehen, das der Priester anzog, wenn er sich der Gottheit nahte, um ihren Willen zu erfahren.

Aber jene älteren Berichte selbst

machen es wahrscheinlich, dass das Ephod ein — mit Gold oder Silber überzogenes — J a h w e b i l d ist, vielleicht so eingerichtet, dass die Loose darin konnten aufbewahrt werden'). Doch wie dem auch sei, d e r P r i e s t e r war es, der das Ephod zu seinem Zwecke gebrauchte und, sei es von Anfang an, sei es allgemach ausschliesslich für befugt gehalten wurde, sich desselben zu

bedienen.

Dem verdankte

sein Amt

eine Bedeutung für das nationale Leben, die wir uns nicht leicht zu gross vorstellen können. Was ich Ihnen bisher über die Priester und ihre Tätig') S. oben S. C>5 ff. 2 3

) Vgl. meine A n m e r k u n g in l)e g o d s d i e n s t v a n Israel I : 9 9 — 1 0 2 .

) A. a. 0 . wird diese A n s i c h t verworfen. A b e r ich k a n n nicht i n A b r e d e stellen, dass sie durch Rieht. VIII: 2 7 ; X V I l f . ; 1. S a m . X I V : 3, 18 gestützt wird u n d 1. S a m . X X I : 9 ; X X I I I : 6, 9 ; X X X : 7 i h r nicht widersprechen. Vgl. W e l l h a u s e n , Gesch. Israels I : 133, A n m . 1.

83

Inhalt der Thora der Priester.

keit mitteilte, fuhrt uns nicht aus dem Gebiete der Volksreligion heraus, denn es erhebt sie in keiner Weise über dieselbe.

Wüssten wir von ihnen weiter nichts, so miissten

wir annehmen, dass sie mit der grossen Menge auf e i n e m Standpunkte standen und ihr mehr folgten als den Weg zeigten. Aber ihr Beruf und ihr Einfluss auf das Volksleben reichten indertat weiter.

Von dem Priester, der sich unter

der assyrischen Colonie zu Beth-el niederliess, wird uns gemeldet, dass er sie „lehrte" oder „unterwies". Das hebräische Tatwort, das wir so übersetzen, wird, mit den davon abgeleiteten Nennwörtern, immer wieder mit Beziehung auf den Priester gebraucht.

Er ist der Lehrer, der Moreh, seines

Volkes; Anweisung oder Unterricht, Thora, zu geben gehört zu seinen stehenden Attributen. Was er als solche vorträgt, ist nicht seine persönliche Meinung, sondern Offenbarung von Jahwe's Willen.

Um so bedeutsamer wird nun die Frage,

welche Gegenstände „die Thora Jahwe's", welche der Priester verkündigte, mag umfasst haben?

Zunächst, das hörten wir

schon, „wie sie Jahwe fürchten sollten" — welchen Anforderungen z. B. das Opfertier entsprechen musste, und wie es Jahwe musste dargebracht werden.

Nach der jüngeren

priesterlichen Gesetzgebung muss darauf unmittelbar folgen: die Unterscheidung von „rein" und „unrein", denn gerade mit Beziehung darauf redet sie wiederholt von der Thora der Priester 1 ).

Auch leidet es keinen Zweifel, dass sie sich

hierin an die Wirklichkeit anschliesst: bereits vor der Gefangenschaft wurde

diese Unterscheidung

gemacht11) und

') Deut. XXIV: 8; Lcv. XIV: 54—,r>7 u. s. w. ") 1. Sam. XX: 26; XXI: 6 u. s. w. 6*

84

Die Priester Jahwe's.

sicher auch in einigen Fällen das Gutachten und, zur Aufhebung der Unreinheit, der Beistand des Priesters angerufen. Aber

wenn wir die älteren Documente zu Rate

ziehen,

müssen wir doch noch mehr Gewicht einem anderen Teile seiner Berufstätigkeit zuerkennen, den ich nun an dritter Stelle erwähne: das ist d i e R e c h t s p r e c h u n g .

Ich möchte

sie das geistige, das ideale Element seiner Tätigkeit nennen, und darum gerade verdient sie in diesem Zusammenhang unsre volle Aufmerksamkeit. An der Tatsache, dass der Priester Jahwe's Recht sprach, lässt sich nicht zweifeln. Der Verfasser des Deuteromonium versichert uns ausdrücklich, dass „Jahwe die Priester, die Söhne Levi's, auserwählt hatte ihm zu dienen und zu segnen in seinem Namen" und

dass „ n a c h i h r e m

bei jedem

Streite

werden" ').

Will das sagen, dass sie die einzigen Richter

waren?

und j e d e m

Ausspruch

F r e v e l soll

Die gebrauchten Ausdrücke lauten

verfahren

allgemein und

scheinen demnach diese Auffassung nahe zu legen. leicht hat denn auch Ezechiel es so gewünscht, schreibt von den Priestern: stehen,

Viel-

denn er

„über Streitigkeiten sollen sie

um zu richten: nach Jahwe's Rechten sollen sie

solche entscheiden"'). nicht soweit.

Aber der Deuteronomiker geht doch

Er redet selbst von Richtern, die wahrschein-

lich zu „den Aeltesten der Stadt" gehören und zum mindesten keine Priester sind').

Mit seinem „jeder Streit und

') Deut. X X I : 5. ») Ezech. X L I V : 24 a. 3

) Deut. X V I : 1 8 — 2 0 ; X I X : 12; X X I : 2 f f . , ISIf.: X X I I : 1.1 ff.;

X X V : 7 ff.

Die priesterliche Rechtsprechung..

85

jeder Frevel" wird er somit zu allererst meinen, dass in wichtigen Angelegenheiten die endgültige Entscheidung von den Priestern abhing. Er kennt nämlich zu Jerusalem einen hohen Gerichtshof, welcher aus Priestern und Laien zusammengesetzt war und, je nach Beschaffenheit der Sachen, die behandelt wurden, unter dem Vorsitze des Priesters oder „des Richters" — eines hochgestellten bürgerlichen Beamten — tagte').

Dergleichen kann auch im nördlichen Reiche,

zu Samaria oder bei einem der Reichstempel, zu Dan oder zu Beth-el, bestanden haben.

Aber nicht bloss als Mit-

glieder dieses Appelhofes „lehrten" die Priester „Jacob die Rechtc Jahwc's" a). Es gab Sachen, die schon in der ersten Instanz vor sie gebracht werden mussten. Welcher Art die waren, lässt sich aus dem Bundesbuche (Ex. XXI—XXIII) ersehen, das zwar den Priester nirgends nennt, aber doch seine Existenz und seinen Einfluss überall voraussetzt.

Wenn

der hebräische Sklave nach sechsjährigem Dienste die Freilassung nicht wünscht, sondern sich ein- für allemal seinem Herrn zu eigen geben will, so gehen sie zusammen zur „Gottheit", d. i. nach der nächstgelegenen Bama Jahwe's und besiegeln da ihre Uebereinkunft durch eine sinnbildliche Handlung') — natürlich unter Autorität des Priesters, der, als Vertreter Jahwe's, sich zu überzeugen hat, dass der Sklave indertat freiwillig der ihm zustehenden Freiheit sich begiebt. Wenn anvertrautes Gut entfremdet worden und der Dieb nicht zu finden ist, dann muss der Depositär „der •) l)cut. X V I I : 8 - 1 3 ; X I X : 17, 18 vgl. 2. Chron. X I X : 8 — 1 1 . O Deut. X X X I I I : 10a (vermutlich aus dem 8ten Jahrb. y. Chr.). 3

) Ex. X X I : 5, fi.

86

Die Priester Jahwe's.

Gottheit nahen" und auf seinen Eid erklären, „dass er die Hand nicht an das Gut seines Nächsten gelegt hat" '). Wird jemand beschuldigt, sich auf unrechtmässige Weise in den Besitz des Eigentums eines Anderen gesetzt zu haben, so erscheint er ebenfalls mit seinem Ankläger „vor der Gottheit" und erstattet, wenn ihm Unrecht gegeben wird, zwiefaltige Vergütung2). Auch in diesen beiden Fällen ist die Mitwirkung des Priesters unerlässlich. Nicht minder, wie es scheint, bei der Anwendung der Bestimmungen desselben Bundesbuches über die Freistätten. Für den unfreiwilligen Todtschläger wird Jahwe einen Ort anweisen, wohin er flüchten kann s ). Aber „wo jemand an seinem Nächsten mit Vorsatz handelt, ihn todtzuschlagen mit List, von meinem Altare sollst Du ihn nehmen, auf dass er sterbe" 4 ). Wie konnten diese Vorschriften befolgt werden, wenn nicht der Priester Ausspruch tat über die Schuld dessen, der als Flehender dem von ihm verwalteten Altare nahte? Vielleicht gab es noch m e h r Fälle, in welchen der Priester der zuständige Richter war, und konnten überdies die streitenden Parteien sich freiwillig seiner Entscheidung unterwerfen. Doch verhielte sich das auch nicht so, so bliebe die Rechtsprechung doch ein sehr wichtiger Teil seiner Berufstätigkeit. Könnten wir daran noch zweifeln, so würden die Klagen der Propheten über die Pflichtversäumnisse der Priester ') Ex. XXII: 7 (8). ••0 Ex. XXII: 8 (9). Vgl. auch v. 9, 10 (10, 11) („der Eid Jahwe's") — und Dill m a n n ' s Bemerkung zu dieser Stelle. 3 ) Ex. X X I : 12, 13. 4 ) Ex. XXI: 14.

Maleachi und Hosea aber die Priester.

87

in der Wahrnehmang ihres Richteramtes aller Ungewissheit ein Ende machen. Wenn Micha ihnen vorwirft, dass sie „Thora für Geld geben" '); Zephanja, dass sie „das Heilige besudeln, die Thora zum Unrecht machen" 2 ); wenn Jeremia sie gemeiner Gewinnsucht und Unwahrhaftigkeit bezichtigt') — so kann dies nichts anderes im Auge haben als die Missbräuche, welche sich in ihrer Rechtsprechung herausstellten. Jesaja klagt ausdrücklich, dass sie in „der Entscheidung", d. i. bei der Wahrnehmung ihrer richterlichen Pflichten, sich der Unmässigkeit schuldig machten 4 ). Aber viel deutlicher noch als in diesen Winken tritt die grosse Bedeutimg der Thora der Priester an das Licht in den zwei strengsten an sie gerichteten Strafreden, die uns im Alten Testament bewahrt geblieben sind, denen von Hosea*) und Maleachi6). Wohl gehört die letztere nicht in die vorexilische Zeit, mit der wir jetzt noch beschäftigt sind, aber der Prophet zeugt doch von ihr, wenn er dem Priester seiner Tage die ideale Auffassung seines Amtes vorhält, wie sie bereits vor der Gefangenschaft entworfen war 7 ). „Eine wahrhaftige Thora war in seinem Munde, und ward keine Uebertretung auf seinen Lippen gefunden; in Friede und Rechtschaffenheit wandelte er mit Jahwe und bekehrete Viele von der Sünde. Denn des Priesters Lippen bewahrten das Wissen, und Thora suchte man ') Micha III: 11 b. ) Zeph. III: 4b. l ) Jer. VI: 13; VIII: 10. *) Jes. XXVIII: 7. 5 ) Hos. IV: 1—9. 6 ) Mal. II: 1—9. 7 ) Vgl. Deut. XXXIII: 8-11. J

88

Die Priester Jahwe's.

aus seinem Munde, denn er ist ja der Bote von Jahwe Zebaoth."

„Ihr aber — so fahrt der Prophet fort — seid von

dem Wege abgewichen, habt Viele durch die Thora zu Falle gebracht, und habt den Bund mit Levi gebrochen, spricht Jahwe Zebaoth. Darum mache auch ich euch verachtet und unwert bei dem ganzen Volke, weil ihr auf meine Wege nicht achtgebt und sehet die Person an in der Thora."

Er-

habener kann die sittliche Aufgabe des Jahwepriesters wohl nicht aufgefasst werden.

Aber solange noch Maleachi allein

als Zeuge dafür auftritt, können wir im Zweifel bleiben, ob das Ideal, obschon vorexilisch, mit der Wirklichkeit von damals etwas gemein hat.

Desto höheren Wert muss deshalb

Hosca's Aussprüchen über die Priester Jahwe's im ephraimitischen Königreich der ersten Hälfte des 8ten Jahrhunderts zuerkannt werden.

Es ist fürwahr ein düsteres Bild ihrer

Wirksamkeit, oder vielmehr ihrer Verirrungen, das er vor uns aufrollt. Aber er hätte sie nicht zu einem grossen Teile verantwortlich machen können für die vielen Verkehrtheiten, die er überall bemerkte, wenn nicht ihr Amt sie mit dem Einlluss bekleidet hätte, von dem er klagt, dass sie ihn nicht

geltend machten.

Aber hören wir den Propheten

selbst! Jahwe hat einen Streit mit den Bewohnern des Landes, denn es ist keine Treue und keine Frömmigkeit und keine Gotteserkenntniss im Lande'). Meineid, Mord, Diebstahl und Betrug sind an der Tagesordnung *).

Darum siccht das

Land und trauert alles, was darin wohnet, selbst das unver') Hos. IV: 1.

•') v. 2.

89

Jahwe der Verteidiger des Rechtes.

nünftige Vieh 1 ).

Doch — so fallt Hosea sich selber in die

Rede — eigentlich müsste man nicht mit dem Volke hadern und nicht dieses bestrafen, denn mit seinen Priestern ist es ebenso traurig bestellt wie mit jenem Volke selbst 1 ).

Sie

werden denn auch zu Falle kommen, und die Propheten mit ihnen 3 ).

„Mein Volk gehet zu Grunde, weil ihm die Er-

kenn tniss fehlt, denn Du — die Priesterschaft — hast die Erkenntniss verworfen; so werde ich Dich auch verwerfen, dass Du nicht mein Priester sein sollst; Du hast die Thora Deines Gottes vergessen, so werde ich auch Deine Söhne vergessen 4 ).

Je mehr ihrer wurden, je mehr haben sie gegen

mich gesündigt; ihren Ruhm — Jahwe — haben sie eingetauscht für die Schande — für die Abgötter 1 ) —; sie mästen sich von der Sünde meines Volkes, und nach seiner Uebertretung trachtet ihre Begierde').

Darum soll es dem Prie-

ster wie dem Volke gehen, und ich werde seine Handlungen an ihm heimsuchen und ihm seine Tateu vergelten" T ). — Den Mann, der so spricht, wird nicht leicht jemand der parteilichen Voreingenommenheit für die Priester verdächtigen. Aber um so schwerer wiegt sein Urteil über dasjenige, was sie kraft ihres Amtes

hätten

sein können und müssen.

Israel geht sittlich zu Grunde, „der Erkenntnisse Gottes" be')

') Israels *) *) 5 ) 6 ) ')

V . 3. v. 4 , nach der Textverbesserung W e l l h a u s e n ' s 1: 141, Anm. v. 5. v. 6. v. 7, nach der verbesserten Lesart („hemirü u ). v. 8. v. 9.

Gesch.

90

Die Priester Jabwe's.

raubt, welche der Priester Jahwe's besitzt, aber, auf eigenen Vorteil und Genuss bedacht, seinem Volke nicht mitteilt. Unmissverständlicher kann es nicht ausgesprochen werden, dass er, als Vertreter Jahwe's, der Träger und verordnete Verwalter des R e c h t e s ist. Ach! er bleibt weit zurück hinter der Erfüllung dieses schönen Berufes. Er geht selbst auf in den mechanischen Verpflichtungen seines Amtes und bestärkt das Volk in seiner Neigung, in Opfern und Festen seinen Eifer für Jahwe an den Tag zu legen. Aerger noch als das: er erniedrigt sich zum Diener des Unrechts und lässt sich erkaufen von den Vornehmen, die die Schwachen und Wehrlosen unterdrücken. Nichtsdestoweniger bleibt das Ideal seines Berufs bestehen, das ihm Hosca strafend vorhält, aber damit auch d e r s i t t l i c h e C h a r a k t e r J a h w e ' s , wovon es Zeugniss ablegt. Ich spreche noch nicht von dem Jahwe, dessen Wort die Propheten verkündigen, sondern von dem Gotte Israel's, den das Volk bekennt und dem es dient. Denn ihm gehören auch die Priester an, welche von der Menge um Rat gefragt werden und bei Opfern und Festen an seiner Spitze stehen: Hosea schliesst sie zusammen, und wir dürfen sie nicht von einander scheiden. Wie gross darum auch äusserlich die Aehnlichkeit gewesen sein mag zwischen diesem Jahwe des Volkes und den Göttern, die neben ihm oder von Israel's Nachbaren verehrt wurden, ihres gleichen ist er doch nicht. Wenn der Prophet in seiner Strafpredigt der Wirklichkeit nicht ganz untreu geworden ist, unterscheidet er sich von ihnen und steht über ihnen als der Gott, in dessen Namen Recht getan wird, und von dem man sagen muss, dass er nicht erkannt wurde, wo die

Die kanonischen Propheten.

91

Gesetze der Ehrlichkeit und der Wahrhaftigkeit verletzt wurden. Mit diesem Zuge haben wir darum unsre Vorstellung von dem israelitischen Volksglauben zu bereichern. Alles Uebrige bleibt bestehen, aber dies eine kommt hinzu: der s i t t l i c h e C h a r a k t e r J a h w e ' s . Und diesem einen gehört die Zukunft. Was ich bis jetzt vorgetragen, wird kaum einem Widerspruch begegnen. Die israelitische Volksreligion, mit Inbegriff der Rolle, welche die Priester Jahwe's darin bekleideten, wird ziemlich allgemein als national anerkannt. Hat man Bedenken, so gelten dieselben meiner Beschreibung dieser Religion, nicht aber dem Charakter, den ich ihr zuerkannt habe. Aber jetzt schallt uns ein: „Bis hierher und nicht weiter!" entgegen. Die Religion, zu welcher sich d i e Prop h e t e n bekannten und welche sie predigten, kann nicht mehr als nationale Religion angesehen werden. Indem man so spricht, hat man natürlich die Männer im Auge, deren Schriften uns im Alten Testament erhalten geblieben sind, die wir daher mit dem Namen „die kanonischen Propheten" bezeichnen wollen. Ihren Büchern sind denn auch die Beweise, womit man seine Behauptung zu stützen pflegt, entnommen. Es ist doch wohl nichts klarer, so sagt man, als dass sie, weit entfernt, im Geiste des Volkes zu reden, vielmehr mit aller ihrer Macht dagegen protestiren! Ihr Urteil über die Nation, dor sie entstammen, lautet darum auch höchst ungünstig. Es beruht auf religiösen Beweggründen und trifft speciell die Art und Weise, wie ihre -Zeitgenossen und — was sie nicht selten hinzusetzen — die früheren Ge-

92

Die Propheten Jahwe's.

schlechter Jahwe verehrten. Es scheint fast ein diametraler Gegensatz zu sein: was das Volk für pflichtmässig hält, nennen sie sündlich und verderblich, während umgekehrt, was sie predigen und befördern, vom Volke abgewiesen wird.

Dies Verhalten ist so unverkennbar und so unwider-

sprechlich, dass es als Tatsache anerkannt werden müsste, wenn wir auch durchaus keine Rechenschaft davon geben könnten.

Aber das ist nicht der Fall.

Es erklärt sich so-

fort aus dem, was die Propheten, nicht dann und wann sondern durchgehends, über d e n U r s p r u n g derjenigen Ueberzeugungen

aussagen,

welche

predigen und verteidigen.

sie dem

Volke

gegenüber

Jahwe selbst spricht durch

s i e : sie geben nur wieder, was er ihnen gezeigt und sie hat hören lassen.

Darf man sich daher wundern, dass sie

sich weit über die Volksauffassung erheben?

Aber ebenso

deutlich ist es zugleich, dass ihre Religion, von wie grossem Werte sie auch für Israel und die ganze Menschheit sein mag, keineswegs national heissen kann: sie ist viel mehr als das, nicht aus Israel, sondern a u s G o t t ! Vielleicht steigt, während ich so rede, die Furcht bei Ihnen auf, dass wir nun doch das Gebiet der theologischen Zänkereien zu betreten im Begriff sind, auf welches wir den Fuss nicht setzen wollten.

Sie mögen ruhig sein!

Zwar

durfte ich nicht unterlassen, Ihnen die Stelle zu zeigen, die der Glaube an die göttliche Eingebung der Propheten in der Vorstellung einnimmt, welche man sich von dem religiösen Streite im alten Israel bildet.

Aber zur Beurteilung dieses

Glaubens brauchen wir nicht überzugehen.

In e i n e m be-

stimmten Fall würde das unvermeidlich sein: wenn die

93

Unbefangenes Studium des Propbetismus.

kanonischen Propheten die einzigen wären, welche ihr Wort unmittelbar auf Jahwe zurückführten.

Denn dann würde

der Anspruch auf göttlichen Ursprung das ausschliessliche Merkmal ihrer Predigt werden, und dies die erste und grosse Frage sein, die uns vorgelegt würde: erkennt Ihr diesen Anspruch an oder nicht? durchaus nicht vor.

Aber der e i n e Fall liegt

Auch der Priester Jahwe's trat in

Israel auf als der Dolmetscher des Gottes, den er verehrte. Ebenso die Propheten im allgemeinen, auch diejenigen unter ihnen, gegen welche die Strafpredigten der kanonischen Propheten sich

richten.

Wenn wir deshalb das prophetische

Selbstbewusstsein der letzteren gelten lassen und das aller Uebrigen nicht, so kann das verständigerweise bloss a posteriori geschehen, d. i. auf Grund dessen, was das Studium ihrer Schriften uns über ihre Denkweise und ihren Charakter lehrt.

Dies Studium selbst darf sich darum nicht Fesseln

anlegen lassen, am allerwenigsten durch das Zeugniss der Propheten

über

den

Ursprung

ihrer Einsichten,

dessen

Wert es ja gerade bestimmen muss. So dürfen wir denn, durch nichts behindert, unsere historische Untersuchung fortsetzen.

Denn

dass wir

zu

dieser Untersuchung alle Veranlassung haben, mit anderen Worten, dass wir uns nicht bei dem scharfen Gegensatz zwischen

den Propheten Jahwe's und dem israelitischen

Volke einfach beruhigen können — d a v o n haben wir uns überzeugt, sobald wir ihn aussprechen hörten.

Allerdings

besteht ein Unterschied zwischen ihnen, ja ein tiefgreifender Antagonismus. sehen!

Aber

daran

dürfen wir uns nicht blind

Wie manche Antithese, die anfangs absolut, und

94

Die Propheten Jahwe'!

unversöhnlich.zu sein scheint, verliert diesen Charakter, sobald wir nicht ausschliesslich auf den e i n e n in die Augen springenden Contrast, sondern auf das Ganze unsere Aufmerksamkeit richten und eingedenk des bekannten Wortes von Renan, die Nuancen, in welchen die Wahrheit liegt, nicht ausser Acht lassen.

Wohl scheint es höchst einfach,

zuerst die kanonischen Propheten von ihrer geschichtlichen Umgebung loszulösen und darnach noch ausschliesslich ihre Opposition gegen die Volksreligion ins Auge zu fassen, aber — zu einer richtigen Einsicht in den wirklichen Zustand und zu einem billigen Urteil über das Ganze ihrer religiösen Ueberzeugung führt uns diese Methode nicht. Wohlan denn! versuchen wir zu ergänzen, was der gewöhnlichen Vorstellung abgeht!

Es sind wohlbekannte Tatsachen, die ich

ins Gediichtniss zurückrufen muss und darum auch mehr andeute als auseinandersetze. Achten wir vor allen Dingen darauf, dass „die Propheten Jahwe's" viele Jahrhunderte nacheinander in Israel einen besonderen und anerkannten socialen Stand ausmachten. Es gab „Priester", es gab auch „Propheten Jahwe's."

Wie

Josia, im 18ten Jahre seiner Regierung, das von Hilkia aufgefundene Gesetzbuch einführen will, da versammelt er im Tempel u. a. auch „die Propheten"').

Sein Zeitgenosse

Jeremia bedient sich dieser Bezeichnung z. B. in der Ueberschrift des Briefes, den er an die Verbannten in Babel richtet').

Jesaja 3 ) und Micha 4 ) folgen demselben Sprachge-

') 2. Kün. X X I I I :

2.

2

) Jer. X X I X :

3

) Jes. XXVIII: 7; X X X :

1.

') Mich. I I I : .r), 7 .

10; III:

I, 2 .

Die Entstehung des Propbetenstandes.

brauch.

95

Zwei Jahrhunderte v o r ihnen gehen Achab und

Josaphat, kurz bevor sie den Krieg gegen die Syrer beginnen, mit „den Propheten Jahwe's" zu Rate 1 ).

Ganz in Ueber-

einstimmung hiermit wird der Prophetismus als ein nationales Institut angeführt in dem Sprichwort,

das Jeremia') und

Ezechiel') uns bewahrt haben und das wir etwa so wiedergeben können: „Dem Priester wird es nie an Thora, noch dem Weisen an Rat, noch dem Propheten an einem Worte (einer Offenbarung Jahwe's) fehlen." Indessen, so war es nicht immer gewesen. D e r N a m e „nabi" ist in Israel erst in späterer Zeit in den gewöhnlichen Sprachgebrauch aufgenommen worden: zu Samuel's Zeiten sagte man noch: „lasst uns zu dem Seher gehen!" — denn „die man später „Propheten" hiess, die hiess man damals „Seher"".

Das wissen wir aus einer Bemerkung im ersten

Buche Samuelis 4 ), deren Richtigkeit sich nicht bezweifeln lässt.

Aber auch die P e r s o n e n , welche später als „die

Nebiim" bekannt waren, treten erst in den Erzählungen über das Ende der Richterperiode auf, doch wohl darum, weil sie v o r dieser Zeit nicht existirten.

Von welchem Werte

würde es sein, wenn man ihr Aufkommen in der Geschichte verfolgen und erklären könnte!

Doch die Regel, dass „alle

Anfange unsicher sind", bestätigt sich auch hier.

Es ist

deshalb bloss eine Vermutung, aber eine solche, die die grosseste Wahrscheinlichkeit •) 1. K o n . X X I I : ß ff. •) Jer. X V I I I :

18.

3

) Kzech. V I I : 2 6 .

4

) c. I X :

0.

für sich hat,

dass die Er-

Die Propheten Jahwe's.

96

scheinungen der Begeisterung und Verzückung, welche seit lange bei den Verehrern der kanaanitischen Götter zu Hause gewesen waren, damals auch auf die Diener Jahwe's übergesprungen sind. Die solchergestalt in die Erscheinung getretenen „Propheten Jahwe's" schlössen sich aneinander an und bildeten Vereine und Colonieen'), welche, unter der Leitung Samuel's, allmählich eine feste Gestalt annahmen, und deren Fortbestehen auch dadurch gesichert wurde. Muss ich noch hinzusetzen, dass die Propheten anfangs mit den Priestern Jahwe's in allernächster Beziehung standen? So war es bei den Kanaanitern. Die Propheten Baal's bringen ihm auf dem Karmel Opfer dar 2 ) und werden bei einer anderen Gelegenheit neben „den Priestern Baal's" erwähnt *), ebenso wie bei den Philistern „die Priester und die Wahrsager" 4). In gleicher Weise vereinigt Samuel in seiner Person das priesterliche und das prophetische Amt 5 ). An diese Erscheinungen hat man die Annahme geknüpft, dass die Propheten ursprünglich Priester waren und sich erst nach und nach von diesen letzteren losgelöst haben und mehr selbständig geworden sind 6 ). Aber dafür lässt sich doch kein Grund anführen. Nirgends im Alten Testament ist eine Spur von irgend welchem Zusammenhang der Pro>) 1. Sam. X : 5, 10—12; XIX: 18 ff. u. s. w. ) 1. Kön. XVIII: 19 ff. 3 ) 2. Kön. X : 19. «) 1. Sam. VI: 2. ») 1. Sam. VII: 9, 17; XIII: 8 f f . ; XV: 33; XVI: 2. c ) Vgl. W e l l h a u s e n , a. a. 0 . I: 412; S. M a y b a u m , die Entwickelung des altisrael. Priesterthums, S. 12. Anders E. v o n H a r t m a n n , das relig. Bewusstsein der Menschheit im Stufengang seiner Ent.wickelung, S. 389 f. 2

Verhältnis» der Propheten zu den Priestern.

97

pheten mit den Altären oder Tempeln Jahwe's zu finden. Und das würden wir doch erwarten, wenn sie anfangs mit zu den Dienern des Heiligtums gehört hätten: dieser Zusammenhang würde dann, wenn auch nicht als Regel, so doch hier und da als Ausnahme in Kraft geblieben sein. Ebensowenig ist jemals, soweit wir es verfolgen können, das prophetische Amt als erblich angesehen worden, während von den frühesten Zeiten an die Söhne von Priestern auch Priester waren 1 ); ein Unterschied, der in der Natur der beiden Aemter begründet ist, der aber auch, je tiefer er eingreift, um so mehr uns warnen muss, sie in ihrem Ursprung enger mit einander zu verbinden, als die Berichte es erfordern. Immerhin bleiben noch Berührungspunkte zwischen den Propheten und den Priestern bestehen. Beide galten in den Augen des Volkes als Vertraute und Vertreter der Gottheit. Aber während der Priester das ist kraft seines Amtes und als Träger der geheiligten Ueberlieferung, und darum auch in den täglichen Angelegenheiten des Lebens, z. B. über Rechtsfragen, um Rat angegangen wird, ist die Gabe des Propheten eine mehr persönliche und, wenn ich mich so ausdrücken darf, momentane und intermittirende: er ist das Organ Jahwe's für aussergewöhnliche Fälle und darum auch der natürliche Berater in den Verlegenheiten, welche die Veränderlichkeit des Schicksals und die Ungewissheit der Zukunft dem Israeliten bereiten. Der Gegensatz ist natürlich kein unbedingter. Es gab ohne Zweifel auch Fälle, in welchen man sowohl den Propheten als den Priester zu Rate ziehen konnte. ') Rieht. XVIII: 30; 1. Sam. I ff. Kaenen,

Volks- und Weltrellgiun.

7

98

Die Propheten Jahwe's.

Die Verschiedenheit der Umstände wird bisweilen die Wahl entschieden haben.

Zuweilen kam es nicht einmal zu einer

W a h l , wenn nämlich, nicht der Priester, das

viel weniger erwarten,

sondern

von dem

der Prophet

wir

unge-

r u f e n auftrat, um „das Wort Jahwe's" zu Gehör zu bringen, oder — denn auch dies kam sicher vor — u m ,

an der

Spitze eines „Haufens von Propheten"'), wohl nicht immer nur durch sittliche Mittel, eine Entscheidung nach seinem Sinne herbeizuführen. Doch das wird genügen, uns eine Vorstellung von dem zu geben, was der Prophetismus als sociales Institut und „die Propheten Jahwe's", im Ganzen betrachtet und beurteilt, in Israel gewesen sind.

Bis hieher fand sich nichts, was

uns veranlassen könnte, ihnen ausserhalb des Kreises der nationalen

Gottesverehrung

ihre Stelle

anzuweisen.

Das

haben die Israeliten selbst nicht getan, das dürfen wir auch nicht.

Wie immer der Prophetismus mag entsprungen, wie

befremdlich auch der Eindruck mag gewesen sein, den er anfangs auf die früheren Nomaden machte: allmählich schwand das Erstaunen und betrachteten sie ihn als ein Stück ihres nationalen

Lebens und als

ihres nationalen Gottes.

einen von den Gunstbeweisen

An Tatsachen, welche sie in dieser

Auffassung bestärkten, wird es gewiss nicht gefehlt haben. Als die vierhundert Jahwepropheten vor Achab und Josaphat wie e i n Mann für den Feldzug gegen die Syrer aufs eifrigste eintraten und den beiden Königen durch die Aussicht auf einen gewissen Sieg Mut einflössten 2 ), wie wird da das Herz ') 1. Sam. X: 5, 10. 1. Kern. X X I I : 5 ff.

99

Popularität der Propheten Jabwe's.

der echten Patrioten von stolzer Sympathie mit ihnen höher geschlagen haben! Sollte man nicht annehmen dürfen, dass nicht minder Viele in jener Zeit, sei es auch nur im Stillen, dem Prophetensohne Beifall gaben, der es wagte, der Grossmut Achab's gegen den Erbfeind Israel's mit lautem Proteste entgegenzutreten? Sie erinnern sich der Erzählung'). Der König von Israel hat sich bewegen lassen, Benhadad von Damaskus, dessen Leben in seiner Hand war, zu schonen und ihm, dem Ueberwundenen, sehr günstige Friedensbedingungen zugestanden. Auf dem Wege in die Heimat wird er angerufen und aufgehalten von einem Unbekannten, der ihm mitteilt, er sei im Kampfgetümmel von einem seiner Freunde mit der Bewachung eines Gefangenen beauftragt worden und habe mit seinem Leben für dessen Bleiben Bürgschaft geleistet. Dennoch habe er ihn entkommen lassen . . . . Achab fallt ihm in die Rede und hält alle fernere Auseinandersetzung für überflüssig: er hat sich seinem Freunde gegenüber verpflichtet und muss ihn nun schadlos halten oder ihm als Sklave dienen. Sofort macht der Prophet die Nutzanwendung: „so spricht Jahwe: darum dass Du den Mann, den ich gebannet hatte, hast von Dir gelassen, wird Deine Seele für seine Seele sein und Dein Volk für sein Volk." Wir haben wenig Sympathie mit der Blut- und Eisen-Politik, die dieser Prophet vertritt. Aber dass er sich durch patriotische Beweggründe leiten Hess und mit dem Stande, zu dem er gehörte, auf die Zustimmung der eifrigsten Jahwediener rechnen konnte, wenn er mit ihnen für solche Grundsätze eintrat, das wird niemand unter uns bezweifeln wollen. ') 1. Kön. X X : 35—43. 7*

100

Die Propheten Jahwe'».

Sein Beispiel vor Augen verstehen wir es, wie die israelitische Nation sich in dunklen Tagen tröstete und stärkte mit dem Gedanken, dass „das Wort Jahwe's von dem Propheten nicht weichen solle." Und nun nehmen Sie für einen Augenblick an, dass wir von den Propheten Jahwe's nichts weiter wüssten als diese allgemeinen Züge und uns daraus eine Vorstellung bilden müssten von dem Standpunkte, den sie einnahmen und von dem Grade ihrer geistigen Entwickelung!

Wollten wir nach

Analogieen schliessen, so würden wir dann als wahrscheinlich annehmen, dass der Pegel ihrer durchschnittlichen Entwickelung nicht eben hoch stand, aber zugleich würden wir voraussetzen, dass es nicht an solchen gefehlt hat, die sich darüber erhoben.

Ueber das Erste brauche ich mich nicht des län-

geren auszulassen. Das Bewusstsein, mit einer höheren Welt in Beziehung zu stehen, von Gottes Geist beseelt und getrieben zu werden, ist an sich herrlich und erhebend.

Trotz

der Irrtümer, denen es seinen Besitzer aussetzt, und Missbräuche,

wozu es nur zu leicht verleitet,

der

wagen wir

doch zu sagen: es geht von diesem Bewusstsein eine Kraft aus — eine Kraft zur Reinigung des inwendigen Menschen, zur

Erweckung der Selbsthingabe und

des

Heldenmutes.

Und dennoch: wird es künstlich geweckt und gepflegt, steht, so zu sagen, eine Prämie auf dem Zustande der Verzückung und bringt das Ausbleiben

derselben Unfähigkeit für den

erwählten Lebensberuf mit sich, so nimmt die Sache eine ganz

andere Gestalt an.

Corruptio

optimi

pessima.

W a s giebt es traurigeres als vorgebliche Begeisterung und geheuchelte göttliche Inspiration?

Die Anwendung auf den

Ideal und Wirklichkeit im Prophetismus.

101

israelitischen Prophetenstand braucht kaum erst gemacht zu werden: in seiner Gesammtheit stand er schwerlich viel höher als die Wahrsager und Zeichendeuter bei anderen Völkern des Altertums.

-Aber — und damit wende ich

mich zu dem zweiten Punkte — ist es nicht trotzdem a p r i o r i zu erwarten, dass aus diesem Stande, oder doch durch sein Vorbild erweckt und angefeuert, einige hervorragende Individuen werden erstanden sein, in welchen die Idee des Prophetismus Leben und Wesen annahm? Der Ged a n k e eines innigen und vertrauten Verkehrs mit Israel's mächtigem Gott und Beschützer, der in dem Prophetismus gleichsam verkörperlicht ist, musste ja religiös gestimmte Gemüter anziehen und den Wunsch, sich d e r S a c h e zu bemächtigen, in ihnen wachrufen oder verstärken!

Und darf

man annehmen, dass dieses Sehnen, einmal wach geworden, niemals sein Ziel erreicht hätte? Ich brauche Ihnen nicht erst zu sagen, dass ich nur scheinbar aus der Natur der Sache folgere. In Wirklichkeit beruht, was ich daraus ableitete, auf geschichtlichen Zeugnissen. Was den niedrigen Standpunkt der Prophetengilde im ganzen und grossen und die Entartung des Prophetismus in einigen seiner Mitglieder angeht, springt dies sofort ins Auge.

Aber

auch die hervorragenden Individuen, von welchen ich sprach, kennen wir aus der Geschichte. Ich brauche Ihnen nur die Namen Samuel, Nathan, Elia und Elisa zu nennen.

Dass

sie alle aus den Prophetenvereinen hervorgegangen seien, ist keineswegs gewiss; Gegenteil').

von Elia wissen wir

Eine abgeschlossene Kaste

') 1. Kon. XIX: 18—21.

haben

sogar das die Pro-

102

Die Propheten Jahwe's.

pheten niemals gebildet. liches Merkmal

Die Begeisterung, die ihr eigent-

war und

blieb,

konnte auch

ausserhalb

ihres Kreises vorkommen, und wer von ihr ergriffen wurde, fand den Zutritt zu ihren Vereinen offen oder konnte, auch ohne sich einem derselben einverleiben zu lassen, als Prophet auftreten.

Auch im letzteren Falle wurde die Form

seiner Tätigkeit, gleichsam seine äussere Erscheinung, durch das Prophetentum seiner Tage bestimmt.

Die Herkunft der

eben genannten Männer tut deshalb nichts zur Sache: zum Prophetenstande überhaupt stehen sie in dem Verhältniss, welches ich bereits gezeichnet habe.

Aber was ist es denn,

was sie so hoch über ihre Genossen erhebt?

Was unter-

scheidet sie von dem grossen Haufen, dass sie ihn so weit hinter sich lassen?

Ich wiederhole die Frage, weil sie mir

ebenso schwierig als wichtig scheint.

Ach, könnte ich Ihnen

etwas geben, was einer Charakterskizze z. B. Samuel's oder Elia's gliche!

Aber es ist Ihnen nicht unbekannt, warum

niemand , das vermag.

Die Berichte über sie sind dürftig,

aus später Zeit, nicht selten miteinander im Streit und demzufolge von ungewissem Werte.

Jede Folgerung, welche man

daraus ableitet, bleibt deshalb in höherem oder geringerem Grade Bedenken unterworfen.

Von den Einzelheiten, auch

denjenigen,

grösste

würden,

welche

uns

das

Interesse

einflössen

wissen wir nichts und werden wir auch niemals

vollständige Kenntniss erlangen.

Dennoch durften wir es

nicht unterlassen die Frage aufzuwerfen und brauchen wir auch die Antwort nicht ganz schuldig zu bleiben.

In den

Erzählungen, die uns vorliegen, kehrt e i n Zug immer aufs neue wieder — ein Zug, der zu ungesucht ist, als dass wir

Der sittliche Faktor im Propbetismus.

103

an irgend eine Absicht der Schriftsteller denken könnten, and doch so regelmässig, dass der Zufall ausgeschlossen ist. Die Propheten, deren Namen ich nannte, zeichnen sich aus durch sittlichen Ernst und Mut. Samuel — Saul; Nathan — David; Elia — Achab und Achasja: ich brauche bloss diese Namen neben einander zu stellen, um Ihnen klar zu machen, was ich meine. Sollte das zufällig oder gleichgültig sein? Ich kann das nicht glauben. Wenn ich mich' nicht betrüge, stossen wir hier auf den Faktor, welcher, wie er diese Männer über ihre Standesgenossen erhob, so auch dem Prophetismus selbst zu höherer "Entwickelung den ..Weg zeigen muss. Das ist der sittliche Bestandteil der Jahweidee, auf welchen wir schon vorhin unsere Aufmerksamkeit richteten 1 ). In den Propheten, welche davon den tiefsten Eindruck empfangen haben und von der Strenge und Unantastbarkeit der sittlichen Forderungen Jahwe's am meisten durchdrungen sind, in ihnen, den Predigern der Gerechtigkeit, erreicht der Prophetismus seine volle Grösse und trägt er seine reife Frucht. Doch lassen Sie uns weiter gehen und auch den Verlauf der Geschichte befragen! Die älteren Propheten haben Einfluss ausgeübt durch ihr Wort, das oft unmittelbar, sei es von einem Teile des Volkes, sei es von einzelnen Individuen, in Taten umgesetzt wurde. Im 8. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung beginnt der Prophet a u c h durch die schriftliche Aufzeichnung des vorher gesprochenen Wortes zu wirken. Warum erst damals? Die Zeiten hatten sich geändert und mit den Zeiten auch der Prophetismus. Die ') S. 89 ff.

104

Die Propheten Jahwe's.

israelitische Literatur datirt aus jenem Jahrhundert oder ist wenigstens nicht viel älter. Die Lieder, die anfangs nur mündlich vorgetragen waren, wurden nun niedergeschrieben, gesammelt und mit geschichtlichen Erläuterungen versehen. Aus solchen Anfangen entwickelte sich bald die Geschichtsschreibung selbst. Die Erfahrung muss gelehrt haben, dass diese Schriften hier und dort günstig aufgenommen wurden und ihre Wirkung nicht verfehlten. Bewies sich so der Schreibgriffcl als eine mächtige Waffe, was war natürlicher, als dass die Führer des Volkes ihn zur Hand nahmen? So entstanden, vermutlich in priesterlichen Kreisen, die ältesten Sammlungen von Rechts-Vorschriften und sittlichen Ermahnungen '), wovon wir in dem Bundesbuche (Ei. XXI So kamen auch die ersten — XXIII) eine besitzen. schriftlichen Prophetieen, die von Arnos und seinen nächsten Nachfolgern zur Welt. Zu ihrem Entstehen kann zudem das neue Verhältniss mancher Propheten zu der grossen Mehrheit des Volkes mitgewirkt haben. Die Beschwerden, welche sie gegen ihre Zeitgenossen zu erheben hatten, waren nicht derart, dass sie auf einmal, in einem Ausbruch des Enthusiasmus, sich hinwegräumen liessen. Arnos und seine Geistesverwandten wandten sich gerne auch an die, welche ihr Wort nicht zu erreichen vermochte, und konnten nur dabei gewinnen, wenn einem weiten Kreise die Möglichkeit geboten wurde, ihrer Predigt nachzudenken. Doch wie dem auch sei, durch das Auftreten des Propheten als Schriftsteller ändert sich sein Charakter nicht. ') Hos. VIII: 12. Für r i b b o liest G r a e t z , Gesch. der Juden, II: I, S. 4G9 f., d i b r e : wahrscheinlich richtig.

Die kanonischen Propheten und die Volksreligion.

105

Die kanonischen Propheten des 8. und der folgenden Jahrhunderte trennt keine scharfe Grenzlinie von ihren Vorgängern; sie sind, indem sie in den Formen und nach Massgabe der Bedürfnisse ihrer Zeit wirken, die legitimen Nachfolger von Elia und Elisa. Muss man die letzteren als Organe des nationalen Gottes Israel's betrachten, so gilt das von ihnen nicht minder.

Oder sollte, wenn auch, die

Continuität nicht unterbrochen zu sein scheint, doch d e r I n h a l t ihrer Predigten uns verbieten, sie in jene Beziehung zu ihrem Volke und seiner Religion zu setzen?

Nicht ein

einziger wesentlicher Bestandteil derselben darf unserer Aufmerksamkeit entgehen.

Alles was dazu dienen kann die

Meinungsverschiedenheit und den Streit zwischen ihnen und dem Volke kennen und verstehen zu lehren, hoffe ich Ihnen, nach bestem Wissen und Gewissen, treu und vollständig vorzulegen.

Vor allem aber muss betont werden, dass wir

mit ihnen selbst in Widerspruch geraten würden, wenn wir gleich im Anfang das Band zwischen ihnen und der israelitischen Nation lösen wollten. Ihr eigenes Zeugniss wird darin doch wohl zu allererst gehört werden müssen, um nicht zu sagen,

dass es, als alles abtuend, einfach angenommen

werden muss. Noch in dieser Stunde wollen wir uns damit bekannt machcn und so den Grund legen, auf welchem unsere fernere Untersuchung aufgebaut werden kann. Jahwe Jahwe's.

der Gott Israel's

und Israel

das

Volk

Es bedarf gewiss keines Beweises, dass auch

die kanonischen Propheten diesen Grundgedanken der Volksreligion unterschreiben und dass keiner unter ihnen daran denkt, ihn zu verleugnen.

Ihre ganze Predigt geht davon

106

Die Propheten Jahwe's.

aus und kehrt dazu zurück. den

grossesten Nachdruck

unsere Propheten Worauf

sich

legen.

dunkle Zeiten

diese

Erwartung

auf sich beruhen lassen. des

Auf dies letztere möchte ich

israelitischen

Es ist für ihr

stützt,

bekannt, Volk

können

dass

erwarten* wir

hier

Genug, dass sie der Aufhebung

Volkstums

und der Wegführung

einem fremden Lande entgegensehen. der Endpunkt ihrer Erwartungen.

nach

Indessen ist das nicht „Siehe, die Augen des

Herrn Jahwe sehen auf ein sündiges Königreich (Ephraim), dass

er

es

vom

Erdboden

vertilge;

wiewohl

H a u s J a c o b ' s nicht gar vertilgen wird" ')•

er

Auf die Wog-

führung folgt, nach kurzer oder langer Zwischenzeit, Wiederbringung.

das die

Aber diese ist, der Natur der Sache nach,

oin neuer Anfang, der Beginn eines anderen Zeitabschnittes. Wenn

daher das Verhältniss

zwischen Jahwe und Israel,

an dem die Propheten Anteil hatten,

in ihrer Schätzung

nur zeitweilig und vorübergehend gewesen wäre, so würden sie sich die Wiederanknüpfung desselben zugleich als eine durchgreifende Aenderung vorgestellt haben.

Und indertat,

die Zeit, die dann anbricht, wird in mancher Hinsicht eine andere sein.

Israel, durch die Züchtigung gedemütigt, be-

kehrt sich zu Jahwe mit seinem ganzen Herzen und macht einen neuen Anfang. Neuschöpfuug. Jeremia sich

Es ist nicht weniger als eine völlige

Jahwe schliesst einen neuen Bund, so lässt vernehmen:

Herzen; alle kennen

ihn,

er schreibt seine Thora in die beide

klein und gross *).

Das

steinerne Ilcrz wird weggenommen und durch ein fleischernes ') Arnos IX: 8. ') Jer. X X X I : 32—34.

Der Gott Israel's in der prophetischen Predigt.

107

Herz ersetzt — so drückt Ezechiel seine Erwartung aus'). Aber wie gross auch die Verwandlung sein mag; mag der Wolf bei dem Lamme wohnen und der Säugling an der Höhle der Otter spielen®); j a , kommt auch ein neuer Himmel und eine neue Erde 3 ) — das Verhältniss zwischen Jahwe und Israel bleibt stets dasselbe. Die Weissagungen über die Heiden, worüber später mehr, tun dem keinen Abbruch. Befragen Sie alle Propheten, vom ersten bis zum letzten: Sie werden finden, dass sie in diesem Punkte dieselbe Sprache fuhren. Arnos hält sein Auge gerichtet auf die Wiederherstellung der geeinten israelitischen Nation unter dem angestammten davidischen Hause, das wieder aufgerichtet werden soll, „wie es vor Zeiten gewesen ist", auf dass Israel unter seiner Anführung „die Uebrigen aus Edom beerbe und alle Völker, über welche der Name Jahwe's — als ihres Ueberwinders — ausgerufen ist". „Und — so schliesst er — »ich, Jahwe, will sie in ihr Land pflanzen, dass sie nicht mehr aus ihrem Lande gestossen werden, das ich ihnen gegeben habe, spricht Jahwe, ihr Gott" 4). Hosea hat in seiner Schilderung der Zukunft nur für Israel Raum. „Ich will ihre Abkehr heilen; gerne will ich sie lieben; denn mein Zorn hat sich von ihnen gewendet. Ich will Israel wie ein Tau sein, dass es soll blühen wie eine Lilie, und seine Wurzeln soll ausbreiten wie der Libanon" 4 ); mit diesen Worten beschreibt Jahwe ') ) 3 ) *) 5 ) J

Ez. X I : 19, 20. Jes. X I : 6, 8. Jes. L X V : 17; LXVI: 22. Arnos IX: 11 f., 15. Hos. XIV: 5, 6.

108

Die Propheten Jabwe's.

das innige Verhältnis, das dann zwischen ihm und seinem Volke bestehen soll. Auch bei Jesaja streckt Jahwe seine Hand aus, um aus allen Orten ihrer Gefangenschaft die Uebriggebliebenen seines Volkes an sich zu nehmen. Die Verbannten Israel's und die Zerstreuten aus Juda führet er zuhauf. Der Neid zwischen Juda und Ephraim hat aufgehört. Einträchtig wenden sie sich gegen die Philister, plündern die Söhne des Ostens und unterwerfen sich Edom, Moab und Ammou 1 ). Ein Jahrhundert später spricht Jeremía im wesentlichen dieselben Gedanken aus. Der neue Bund, von dem wir ihn reden hören, wird geschlossen mit „dem Hause Israel und dem Hause Juda" *). Unter seinen übrigen Beschreibungen der Zukunft giebt es nicht eine, worin wir nicht in dieser uder jener Form auf dieselbe Vorstellung stiessen 3 ). „Ich will ihnen zum Gott sein, und sie sollen mir zu einem Volke sein", so heisst es auch von den Tagen, die da kommen sollen, zum Beweise dessen, dass, was sich auch möge geändert haben, das Band zwischen Jahwe und Israel doch nicht zerrissen, noch loser geworden ist. Wie durch und durch national die Erwartungen Ezechiel's sind, brauche ich wohl nicht nachzuweisen. Wer entsinnt sich nicht des von ihm entworfenen Bildes von dem wiederhergestellten Israel, in Kanaan wieder angesiedelt, geschaart um den Tempel und seine Diener, oder vielmehr: rings um Jahwe her, der „sein Heiligtum in ihre Mitte gesetzt, und dessen Wohnung sie überschatten >) Jes. X I : 11 — 14. '•O Jer. X X X I : 31. 3

) Jer. III: 14ff.; XIII: 1 3 - 1 7 ; X X X : 18

2 2 ; X X X I : 1 ff. u. s. w.

Der nationale Bestandteil der Prophetie.

109

soll: er wird ihnen zum Gott sein und sie sollen ihm zu einem Volke sein, dass die Völker sollen erfahren, dass er, Jahwe, Israel heiligt — zu seinem Dienste aussondert — da ja sein Heiligtum ewiglich in ihrer Mitte ist"'). Ueber den Sinn dieser Aussprüche kann umsoweniger ein Zweifel sich erheben, als Ezechiel nirgends, w e d e r Jahwe noch auch Israel zu den Heiden anders in nähere Beziehung setzt, als in feindlichem Sinne. Doch auch der zweite Jesaja noch, sonst in so mancher Hinsicht der Gegensatz zu Ezechiel, steht mit beiden Füssen auf dem nationalen Boden. Israel und Jahwe lassen sich nicht von einander scheiden. Selbst dann, wenn der Prophet seinen Blick auf die Heidenwelt richtet und sich die als empfänglich vorstellt für den Eindruck von Jahwe's Macht und Majestät, verbindet er ihn doch auf das engste mit seinem Volke und spricht die Erwartung aus, dass aus den Völkern „Dieser sagen wird: ich bin Jahwe's, Und jener benennen wird mit dem Namen Jacob; Ein anderer Jahwe sich wird zn eigen geben Und den Namen Israel zum Beinamen wählen." *)

Doch es ist nicht nötig, die Anführungen zu vervielfachen.

Nur e i n e Bemerkung noch!

Bei alledem kostet

es uns einige Mühe, keinen Anstoss zu nehmen an den Schilderungen von Israel's zukünftiger Herrlichkeit, die der zweite Jesaja mit sichtbarer Liebe bis ins Einzelne durchführt.

Wo will der hinaus? — so sind wir zu fragen ge-

neigt, wenn wir ihn prophezeien hören, dass Fremde die ') Ezech. XXXVII: 2 6 b - 2 8 . ) Jes. XL1V: 5.

2

110

Die Propheten Jahwe's.

Mauern Jerusalem's bauen und Könige seinem Volke dienen sollen 1 ).

Dennoch lässt sich dies alles erklären und recht-

fertigen, wenn Israel und Jahwe waren.

in seinem Geiste

Aber — nehmen Sie diesen Gedanken

eins

fort, und

Sie können sich nur ärgern an so zügellosem nationalem Hochmut.

Iu der Tat, man erweist den Propheten Jahwe's

einen schlechten Dienst,

wenn man den

ihrer ganzen Predigt verdeckt. gilt noch das: Rationalisten

Grundgedanken

In dieser Hinsicht galt und

„lliacos intra muros pcccatur et

haben

als

„Partikularismus"

extra".

gebrandmarkt,

Supranaturalisten soviel wie möglich weg erklärt oder verflüchtigt, der

was indertat nichts anders ist als d a s

israelitischen

Religion,

dem auch die

Wesen grössten

Propheten nicht untreu werden konnten, ohne die Religion selbst preiszugeben. Aber worin besteht denn d e r U n t e r s c h i e d

zwischen

den Propheten und ihrem Volke? Woher der Antagonismus, der ebensowenig wegzuleugnen ist wie die Verwandtschaft? Gestatten Sie mir, die Antwort auf diese Fragen unserer nächsten Zusammenkunft vorzubehalten! ') .les. XL: 10.

m .

Der Umversalismus der Propheten. — Die Grundlegung des Judaismus. Wenn die kanonischen Propheten auf dem Boden des Israelitismus stehen und mit ihm den Grundgedanken gemein

haben, woher die Uneinigkeit zwischen ihnen und

ihrem Volke, welche sich oft bis zu Feindschaft und Streit steigert?

Warum

klagen

sie Israel an und weigert sich

ihrerseits die Mehrheit Israel'» sie

als ihre Vertreter an-

zuerkennen? Die Propheten selbst müssen uns diese Fragen beantworten, und sie lassen uns auch nicht in der Verlegenheit, wenn wir ihnen dieselben vorlegen.

Nicht überall offenbart

sich der erwähnte Antagonismus oder er drängt sich wenigstens nicht

in den Vordergrund.

Ueberhaupt nicht oder

doch nur undeutlich bei denjenigen Propheten, welche, wie Nahum und Obadja, sich gegen e i n e n einzelnen Feind ihres Volkes wenden und ihm mit dem Untergang drohen, oder denjenigen, welche, wie der zweite Jesaja, ganz unter dem Eindruck der nationalen Erniedrigung Israel's, als Tröster

112

Der Universalismus der Propheten.

und Verkündiger der frohen Botschaft von der Erlösung und Wiederbringung sich vernehmen lassen. Aber das sind Ausnahmen von der Regel.

Und diese Regel selbst drückt

Jeremia folgendermassen aus: „Die Propheten, die vor mir gewesen sind, von Alters her, die haben wider viele Länder und grosse Königreiche geweissaget, von Krieg, von Unglück und von Pestilenz; so aber ein Prophet von Frieden weissaget: wenn sein Wort erfüllet wird, d a n n (erst dann oder nur dann) wird man erkennen, dass ihn der Herr wahrhaftig gesandt hat"').

Ihm zufolge besteht also das Merk-

mal des Gesandten Jahwe's darin, dass er ein Unglücksprophet ist.

Warum?

Weil er ein Bussprediger ist, der

Verkündiger der strengen sittlichen Forderungen Jahwe's unter einem Volke, welches denselben nur allzu schlecht nachkommt.

D a f ü r tritt der wahre Prophet ein; d a s ist

es, was er verteidigt.

Der Gott, in dessen Namen er

spricht, ist d e r H e i l i g e — wenn ich das Wort in der ausschliesslich-ethischen Bedeutung gebrauchen darf, die es bei uns hat, in dem Sprachgebrauche der Propheten dagegen noch nicht hatte.

Man muss die prophetischen Schriften

selbst durchlesen, um vollkommen zu verstehen, wie sehr dies unantastbare und unerbittliche Sittengesetz sie gleichsam beherrscht und ihr Urteil über alles, was sie wahrnehmen, bestimmt. Arnos hebt z. B. ein Klagelied an über sein Volk: „Die Jungfrau Israel ist gefallen — stehet nicht mehr auf; Verlassen liegt sie am Boden in ihrem Lande — niemand hilft ihr auf." *) ') Jer. X X V I I I : 8, 9. Arnos V: 1, 2.

113

Die Propheten als Bussprediger.

Die Bevölkerung ihrer Städte soll dorch Häufung von Unglücksschlägen decimirt werden'). Denn Jahwe hat zu dem Hause Israel's gesprochen: Suchet mich, so werdet ihr leben! Gehet nicht nach Beth-el, Gilgal oder Berseba; suchet vielmehr Jahwe, so sollt ihr leben! Sehet zu, dass er nicht wie ein Feuer das Haus Joseph's überfalle, das, unverlöschbar, Beth-el verzehre3). Noch sind die Personen nicht genannt, die zu dieser Strafverkündigung Veranlassung gegeben haben. Aber nun heisst es: „Ihr, die ihr das Recht in Wermut verkehret und die Gerechtigkeit zu Boden stosset!" s ). Von ihnen, den Angesehenen und Richtern, wird bezeugt, dass sie dem gram sind, der sie im Tore straft, und verabscheuen, der aufrichtig spricht4). „Darum" — so schliesst der Prophet seine Rede — „weil ihr den Dürftigen niedertretet und eine Abschätzung an Korn von ihm nehmt, habt ihr wohl Häuser von Werkstücken gebauet, aber ihr sollt nicht darinnen wohnen, ihr habt liebliche Weinstöcke gepflanzet, aber ihr sollt den Wein davon nicht trinken. Denn ich weiss es: eure Sünden sind viel und eure Uebertretungen gewaltig, da ihr Blutgeld annelimet und den Armen im Tore verunglimpft"5). — „Wehe denen" — ruft Micha aus — „wehe denen, die auf Unrecht denken und (in Gedanken) Böses tun auf ihrem Lager und es früh, ') V. 3. ») v. 4—6. ») v. 7. 4 ) v. 10. Die zwei vorhergehenden Verse stören den Gang der Rede und sind wahrscheinlich unecht. Vgl. H. O o r t , Theol. Tijdschrift XIV: 118.

5

) v. 11, 12.

Kucncn,

Volks- und Weltreligion.

8

114

Der Univere&lismiis der Propheten.

wenn es licht wird, vollbringen, weil ihre Macht ihr Gott ist; die Aecker begehren und sie an sich reissen, Häuser, und sie wegnehmen,

die den Eigentümer und sein Haus,

den Mann und sein

Erbteil

brauche

nicht fortzufahren.

immer wieder.

vergewaltigen"'). Denn wie

In den Schilderungen

Doch ich

hier, so lautet es des Gerichtes über

Israel bildet fast stets das Gemälde der Volkssünden den dunklen Hintergrund, denn die sind es, die Jahwe strafen wird und, vermöge seines sittlichen Charakters, n i c h t k a n n ungestraft lassen.

„ W e r " — so führt Jesaja die Sünder in

Zion redend ein — „ W e r von u n s k a n n wohnen bei einem verzehrenden W e r von uns k a n n wohnen bei einem stets glühenden

Feuer? Heerde?'

Und die Antwort lautet, dass nur die sicher und glücklich sein werden,

die in Gerechtigkeit

wandeln und Wahrheit

reden und weder durch Furcht noch durch Habsucht sich dazu verleiten lassen,

sich an Leben und Eigentum

des

Nächsten zu vergreifen"). Diese durch und durch ethische Auffassung von Jahwe's Wesen musste wohl die Propheten mit der religiösen Ueberzeugung ihres Volkes in Conflict bringen.

In dem Bewusst-

sein des Volkes sind Jahwe und Israel auf das innigste und untrennbar miteinander verbunden. rung unzugänglich und stets wechselseitige Beziehung nicht.

Allerdings, für jede Stö-

sich gleich bleibend ist ihre Ist und bleibt Jahwe auch

der Gott, das will sagen: der natürliche Verteidiger, Helfer und Retter des Volkes, so darf dies doch nicht aufgefasst Mich. I I : 1, -2. !

) Jes. X X X I I I :

14-16.

Die ethische Auflassung von Jahwe'« Wesen.

werden,

115

als ob er immer und immer gleicherweise bereit

wäre, die Wünsche des Volkes sich zu Herzen zu nehmen. Von Zeit zu Zeit verbirgt er sein Angesicht.

Das Unglück,

das Israel begegnet, ist der sprechende Beweis dafür.

Aber

das sind doch nur zeitweilige und vorübergehende Störungen. Sie führen dazu, Jahwe mit doppeltem Eifer anzurufen und ihm

zahlreichere und kostbarere Opfer

zuvor.

darzubringen,

als

Die Not vervielfacht die Gelübde, die ihm, wenn

sein Zorn sich gelegt oder seine Untätigkeit ein Ende genommen hat, bezahlt werden sollen.

Niemand glaubt, dass

das Band, welches ihn mit seinem Volke verbindet, dadurch zerrissen sei.

Man kann

solch

ein Missverständniss

ver-

gleichen mit einer Störung des Friedens zwischen Eheleuten, die keine Ehescheidung kennen, oder wenigstens daran nicht denken: sie kann höchst peinlich sein, aber — sie wird doch früher oder später wieder geheilt. wenn,

wie

bei

Aber anders steht es,

den kanonischen Propheten,

eigenen sittlichen C h a r a k t e r bekommt.

Jahwe einen

Absichtlich drücke

ich mich so aus.

Sittliche E i g e n s c h a f t e n erkennt auch

das Volk ihm zu.

Davon haben wir uns früher überzeugt,

als wir von der priesterlichen Thora handelten.

W i r rufen

uns dies jetzt aufs neue ins Gedächtniss zurück, wäre es auch nur, damit wir uns den Abstand zwischen den Propheten und dem Volke nicht grösser vorstellen, als er wirklich war. Diese Eigenschaften aber waren bloss einzelne aus vielen. Sie wurden nicht als die alles beherrschenden angesehen.

Obgleich

untergeordnet, wenden.

der Beziehung

Hessen

Erinnern Sie

sie

sich

zu Israel doch

nicht geradezu

danach

drehen

und

sich nur, wie sehr hier und da in 8*

Der Umyersalisnras der Propheten.

116

den historischen Büchern des Alten Testaments — deren Verfasser hierin doch gewiss einen höheren Standpunkt einnahmen, als die grosse Menge — der Gedanke iu den Vordergrund tritt, dass Jahwe seine Ehre aufrecht erhalten muss und darum n i c h t ablassen d a r f , s e i n V o l k zu beschirmen und zu segnen! 1 )

So wird vielfach in der Vorstellung des

Volkes die Macht Jahwe's, oder, wenn Sie so wollen, seine Pflicht sie zu offenbaren den Unwillen über die Fehltritte Israel's und die Forderungen der Gerechtigkeit überstimmt haben.

Für die Propheten aber war dergleichen zur Un-

möglichkeit geworden.

Sobald man Jahwe einen sittlichen

C h a r a k t e r zuschrieb, m u s s t e er auch dementsprechend handeln.

Der Heilige und Gerechte konnte wohl sein Volk,

nicht aber sich selbst verleugnen. Und nun, was ergab sich daraus mit Notwendigkeit für das Verhalten der Propheten zu der grossen Mehrzahl ihrer Zeitgenossen?

War ein Feind abzuwehren oder, im wohl-

verstandenen Interesse des Volkes, benachbarten die Führer Gottes.

Stamm

zu

des Volkes

unternehmen dabei fest auf

„Ist nicht Jahwe unter uns?

über uns kommen!" s ).

ein Angriff auf einen —

so

die

rechneten

Hülfe

ihres

Es kann kein Unfall

Diese Zuversicht konnte ihrer Mei-

nung nach nur bei denjenigen auf Widerspruch stossen, die an Jahwe's Macht zweifelten oder die Macht der Götter der Feinde noch höher stellten als die seinige.

Nun aber sehen

sie in Arnos und seinen Nachfolgern Leute sich gegenüber') Exod. X X X I I : 11, 12; Num. X I V : 1 3 — 1 9 ; Deut. X X X I I : Jos. VII: 9. ') Hieb. III: 11.

27;

Der Patriotismus und der Glaube an den Heiligen.

117

stehen, die, weit entfernt an Jahwe zn zweifeln, ihm vielmehr grössere Gewalt nnd ein umfassenderes Gebiet zuerkennen als sie selbst, aber trotzdem ihr Vertrauen auf Jahwe's Beistand eitel und sündlich nennen. Nach jenen Männern ist es nicht ungereimt, dass Jahwe für Israel's Feinde gegen Israel Partei ergreift. Ja, sie gehen noch weiter und sprechen es aus, dass Jahwe selbst über sein Volk verhängt, was dies Volk am meisten scheut und wogegen ea bei seinem Gotte Schutz sucht! „Ich erwecke gegen Euch, ihr vom Hause Israel, spricht Jahwe, der Gott der Heerschaaren, ein Volk, das soll euch ängsten von Hamath an bis an den Bach in der Wüste" — so lässt Arnos sich vernehmen1). Die Assyrer die Rute des Zornes Jahwe's*), Nebucadrezar Jahwe's Knecht') — so Jesaja und ein Jahrhundert nach ihm Jeremia. Indertat, wir können uns nicht wundern, dass dergleichen Aussagen der Menge wie Gotteslästerung in die Ohren tönten. Ihr Patriotismus geriet dagegen in Aufruhr, zugleich aber auch ihr religiöses Bewusstsein, das damals noch damit zusammenfiel. Sind denn die Propheten schlechte Patrioten, gleichgültig gegen Bestand und Glück Israel's? Wir haben uns bereits vom Gegenteil überzeugt und werden uns bald darin noch bestärkt linden. Aber es lässt sich wohl begreifen, dass das Volk und seine Führer das nicht einsahen. Um es zu verstehen, müssten sie selbst auch die Majestät des Heiligen aus Erfahrung gekannt haben — wie ein Arnos sie erfahren hatte und sich davor gebeugt hatte: >) Arnos VI: 14. ) Jes. X: 5.

5 3

) Jer. X X V : 9 ; X X V I I : 6 ; X L I I I : 10.

Der Universalismus der Propheten.

118

„Der Löwe hat gebrüllt, wer sollte sich nicht fürchten? Der Herr Jahwe hat geredet, wer sollte nicht weissagen?" '). Die Lösung der Bande, die Jahwismus und Patriotismus miteinander verknüpften, ist eine Tatsache von der aliergrössesten Bedeutung, womit wir noch lange nicht abgerechnet haben. Doch ehe ich sie näher beleuchte und ihren wichtigen Consequenzen mit Ihnen nachgehe, müssen wir uns bekannt machen mit dem unmittelbaren Einfluss, den die Erkenntnis von Jahwe's sittlichem Charakter auf die religiöse Ueberzcugung der Propheten selbst ausübte. In der Schätzung Aller, die ihn verehren, ist Jahwe ein grosser und mächtiger Gott, mächtiger als die Götter der anderen Nationen. In diesem Glauben liegt nichts Aussergewöhnliches. Dasselbe glaubte der Moabiter von Kamosch, der Ammoniter von Malkäm. Auch das ist ganz natürlich, dass diese Anerkennung von Jahwe's Grösse und Suprematie durch die politischen Ereignisse befördert und unterstützt wurde. David hat Jahwe in der Schätzung des israelitischen Volkes höher gerückt, als er mit fester Hand seine d. i. „Jahwe's Kriege" a ) führte, und Siege über Siege seine Waffen krönten. Salomo's Glanz warf seine Strahlen auf die Gottheit, welcher er den Tempel in seiner Hauptstadt geweiht hatte. Aber es liegt in der Natur der Sache, dass ein Glaube, der sich auf solchen Grundlagen erhebt, allerlei Erschütterungen ausgesetzt bleibt und unter gewissen Umständen leicht zusammenbricht. Geboren aus dem nationalen Selbstgefühl, zugleich mit ihm aufgewachsen und stark ge') Arnos III: 8. s

) 1. Sam. XVIII: 17; X X V : 28.

Die Entstehung des ethischen Monotheismus.

119

worden, musste er auch unter den Schlägen leiden, die ihm zugefügt wurden, ja, siechen und endlich dahinsterben, wenn mit der Selbständigkeit der Nation auch ihr Selbstbewusstsein unterging. In jedem Falle blieb Jahwe, auf diesem Wege gross geworden, vergleichbar allen anderen Göttern, mit ihnen — wenn ich mich so ausdrücken darf — e i n e s Geschlechtes und von gleichen Empfindungen '). Die sittlichen Eigenschaften, welche das Volk ihm zuschrieb, änderten daran nichts, denn sie unterschieden ihn, wenn auch einigermaßen, so doch nicht wesentlich von seinen Nebenbuhlern. Aber ganz anders stellte sich die Sache, als im Bewusstsein der Propheten nicht mehr die Macht, sondern die Heiligkeit Jahwe's die centrale Stelle einnahm. Dadurch wurde die Gottesidee in eine andere, höhere Sphäre versetzt. Von dem Augenblick an handelte es sich zwischen Jahwe und den anderen Göttern nicht mehr um ein „mehr" oder „minder", denn jetzt stand er nicht mehr nur über ihnen da, sondern zugleich sehr entschieden im Gegensätze zu ihnen. Wenn Jahwe Gott war, er der Heilige und als der Heilige, so w a r e n sie es n i c h t . Mit einem Worte: aus der ethischen Auffassung von Jahwe's Wesen ist der Glaube an seine Einzigkeit hervorgesprossen. Nicht auf einmal, aber allmählich, ist daraus d e r M o n o t h e i s m u s erwachsen. Gestatten Sie mir, hier als bekannt vorauszusetzen, dass er indertat in den Schriften der Propheten des 8ten Jahrhunderts mit unverkennbarer Deutlichkeit aufzutauchen beginnt und im letzten Viertel des 7ten Jahrhunderts, im Deuteronomium

') Vgl. Ap. Gesch. 14, 15.

120

Der Uiiiversalismus der Propheten.

und bei Jeremia, in unzweideutigen Worten gelehrt wird'). Das Eine nur darf ich nicht unterlassen, zur Erklärung und zugleich zur Bestätigung dieser Tatsache, nämlich Ihre Aufmerksamkeit zu lenken auf den Gegensatz, in welchem sie zu der gleichzeitigen Bewegung auf dem Gebiete der Volksreligion steht. Den Eindruck,

den das Erscheinen

der Assyrer

in

Palästina hervorrief, können wir uns nicht leicht zu gross vorstellen.

Der letzte Einfall eines mächtigen ausländischen

Feindes, der der Aegypter unter Sisak 2 ), gehörte im 8. Jahrhundert schon einer fernen Vergangenheit an.

Seit dieser

Zeit waren

sich selbst

überlassen ihre

die Israeliten und ihre Nachbarn geblieben.

gegenseitigen

Mit abwechselndem

Kriege

geführt, aber

waren sie einer dem andern gewachsen.

Glück im

wurden

allgemeinen

Ueber die nächste

Umgebung reichte ihr Blick nicht hinaus.

Es war daher

indertat ein neues Schauspiel, das die assyrische Monarchie ihnen

bot.

Wohl

traf

es sie nicht ganz

unvorbereitet.

Schon im 9. Jahrhundert war sie im Anzüge gewesen und hatte sie aus der Ferne ihre Uebermacht fühlen lassen 3 ). Aber erst hundert Jahre später erschien sie auf der Bühne selbst, unwiderstehlich, wie sie alles vor sich niederwarf, die Länder in Wüsteneien verwandelte und die Einwohner ') Vgl. meine Abhandlung „Yahveh and the other gods" in Theol. Review,

1876, S. 329—3CG, und über den gegenwärtigen Stand

der

Frage Erläut. VII. •) l . K ö n . XrV: 2 5 — 2 8 ; 2. (,'hton. XII: 1 — 12. Der Einfall Serah's, des Kuschiten, 2. Chron. X I V : 7 — 1 4 (Luther v. 8 — 1 5 ) ist zu unsicher, um hier in Betracht gezogen zu werden. 3

) Vgl. K. S c h r ä d e r ,

die Keilinschriften und das A. T., S. 04ff.

Israel und die Welt.

121

als Gefangene mit sich schleppte. Es ist die lautere Wahrheit: damals zuerst kam Israel mit d e r W e l t in Berührung. Diesem Begriffe gegenüber, den sie bisher noch nicht in ihr Bewusstsein aufgenommen hatten, verloren die kleinen Völker ihren Schwerpunkt und verzweifelten an der bis dahin ruhig anerkannten Macht ihrer Götter'). Auch die Religion Israel's brachte er in Verwirrung. Wie er in Nord-Israel desorganisirend wirkte, können wir, bei dem Mangel an historischen Berichten, nicht mit Sicherheit bestimmen. Aber von seinem Einfluss im Königreich Juda sind noch deutliche Spuren vorhanden. Von Achas wird uns gemeldet, dass er im Tempel zu Jerusalem einen neuen Altar errichten Hess, nach dem Modell, das er bei einem dem assyrischen Könige zu Damaskus abgestatteten Besuche gesehen hatte a ). Eine Kleinigkeit, wenn man so will, aber doch nicht ohne Bedeutung, denn sie beweist, dass er den nationalen Cultus nach „der Mode" einzurichten gewillt war — die sich stets und überall das Ausländische aneignet und darum mit Recht als eine der Formen des Universalismus betrachtet wird 5 ), den sie doch, was sehr zu beklagen ist, durch ihre Uebertreibung oft mehr zum Gespötte macht, als empfiehlt. — Bedeutsamer indessen als diese ziemlich unschuldige Neuerung ist die Tatsache, dass Achas „seinen Sohn (der Gottheit) weihete durch das Feuer" 4 ). Stände diese Tatsache vereinzelt da, so ') J. W e l l h a u s e n , Art. I s r a e l in der neuen Ausgabe der Encyclopaedia Rritannica. Deutsch als Uanuscript gedruckt und auf der Göttinger Bibliothek deponirt. Vgl. dort S. 52 f. >) 2. Kön. XVI: 10—16. 3 ) R. R o t h e , Theol. Ethik, 2te Ausg., II: 468 f. 4 2. Kön. XVI: 3; nach 2. Chron. XXVIII: 3 „seine Söhne".

122

Der Universalismus der Propheten.

dürften wir keinen grossen Wert darauf legen, miissten sie vielmehr nur in die Zeichnung der Persönlichkeit des Achas aufnehmen. Aber allerlei Einzelheiten treffen zusammen und zwingen uns das Kinderopfer als die erste einer ganzen Reihe von Neuerungen anzusehen, die von da an in die Volksreligion Israel's eindrangen. In der Nachbarschaft Jerusalem's wurde, wahrscheinlich bereits durch Achas, das Topheth gebaut') und also der Dienst des Molech von hoher Hand befördert. Manasse folgte dem Beispiel, das sein Grossvater gegeben: auch er „weihete seinen Sohn durch das Feuer" 5 ), und wird kräftig dazu mitgewirkt haben, dass dies von da an durchaus nicht zu den seltenen Ereignissen gehörte. Ueberdies führte er noch eine Anzahl anderer fremder Gebräuche ein. Den jerusalemischen Tempel machte er zu einer Art Pantheon 3 ). Von seiner Zeit datirt die Anbetung „des Heeres des Himmels" 4 ). Die Herkunft aller dieser „Reformen", wie Manasse sie genannt haben wird, lässt sich nicht mit Sicherheit nachweisen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass nicht wenig unmittelbar von den Assyrern angenommen wurde, deren Vasall Manasse wenigstens während der grösseren Hälfte seiner Regierung ge-

') Vgl. Theol. Tijdschrift, II: 562—568, wo, ausser den bekannten Stellen von Jer. und 2. Kon., auch Jes. X X X : 33 behandelt wird. ••) 2. Kön. X X I : 6, vgl. 2. Chron. XXXIII: 6. *) 2. Kön. X X I : 4, 5, 7, vgl. XXIII: 12. 4 ) 2. Kön. X X I : 5 , vgl. XXIII: 4, 5; Jer. VIII: 2; X I X : 13; XXXIII: 22; Zeph. I: 5; D. Jes. XXIV: 21; XXXIV: 4. — Das Zeugniss des letzten Redaktors der Königsbücher (2. Kön. XVII: 16) reicht nicht aus für den Beweis, dass dieselbe Form der Abgötterei schon im Reiche Ephraim vorkam.

Universalismus in d. Volksreligion u. bei d. Propheten.

123

wesen ist 1 ). Doch auch von Egypten scheint er dies und jenes entlehnt zu haben'). Aber das können wir hier auf sich beruhen lassen. Denn die Hauptsache ist die, dass von Achas an, d. i. seit der Berührung mit den Assyrern, die israelitische Volksreligion ihre Selbständigkeit verliert und gleichsam der Spielball der Weltmacht wird, sei es Assyrien's selbst, sei es Aegypten's, das eine Zeitlang mit ihm um den Besitz Palästina's und Syrien's kämpfte. Ist dies nicht im Grunde eine sehr natürliche Erscheinung? Lag es nicht auf der Hand, dass sich der Diener des Volksgottes Jahwe in seiner Ratlosigkeit nach aussergewöhnlicher Hilfe umsah und die da meinte finden zu sollen, wo die Uebermacht ihren Sitz hatte und woher deshalb auch seinem Volke die Gefahr drohte? Einen ganz anderen Eindruck machten die Zeitereignisse auf die Propheten. Ueber ihren ethischen Glauben hatten die Siege Assur's keine Macht. Ihr Jahwe konnte durch Bei oder Merodach nicht des Trones beraubt oder in den Schatten gestellt werden. Im Gegenteil, so sonderbar es lauten mag, er wurde um so grösser, je kräftiger die Weltmacht sich geltend machte. Denn was war diese an-

') Als solcher kommt er in assyrischen Inschriften vor, unter der Regierung Esar-Haddon's und Asur-bani-pal's. Vgl. S c h r ä d e r , a. a. 0 . S. 227ff., 238 ff.; F. Q o m m e l , Abriss der babyl.-assyr. und israel. Geschichte, S. 10. 3 ) S. Ezech. VIII und dazu mein Buch Godsd. van Israel, I: 491 —493. Indessen ist die Folgerung, die dort noch aus Ezech. VIII: 7 —13 hergeleitet wurde, durch die Untersuchung von W. R o b e r t s o n S m i t h in The Journal of Philology, IX: 75—100 (s. besonders S. 97) auch mir zweifelhaft geworden.

124

Der Universalismus der Propheten.

ders, für das Bewusstsein der Propheten, als ein Mittel in Jahwe's Hand, um die Sünden Israel's und die seiner Nachbarn zu strafen? Schon ehe die Assyrer in Palästina erschienen, hatte Arnos, von sittlicher Entrüstung übermannt, sie unter diesem Gesichtspunkte betrachtet und ihr Kommen angekündigt'). Seine Nachfolger dachten und sprachen wie er. Wer erinnert sich nicht, wie hoch z. B. ein Jesaja sich erhebt in der Verherrlichung Jahwe's, wenn er ihn als den Gewaltigen zeichnet, dessen Ratschlüssen über sein Volk Assur und Aegypten dienstbar sind? 2 ) So „nahmen die Propheten" — um noch einmal mit Wellhausen zu reden, den ich eben schon anführte — „den Begriff der W e l t , der die Religionen der Völker zerstörte, in die Religion auf, ehe er noch recht in das profane Bewusstsein eingetreten war. Wo die Anderen den Zusammensturz des Heiligsten erblickten, da sahen sie den Triumph Jahwe's über den Schein und über den Wahnglauben" 3). Was sich auf diese Weise vor den Augen ihres Geistes enthüllte, war nichts geringeres als die Idee einer s i t t l i c h e n W e l t r e g i e r u n g , noch unentwickelt und mit allerlei Irrtümern vermischt, aber doch im Principe rein. In den wechselseitigen Zusammenhang der Naturkräfte und -Wirkungen haben die Propheten keinen Einblick gehabt. An die Möglichkeit, sie auf e i n e Ursache zurückzuführen oder daraus abzuleiten, haben sie

') Arnos VI: 14 (oben S. 117) und andere Stellen, wo die Assyrer zwar nicht einmal angedeutet, aber dennoch vorausgesetzt werden. ') Jes. VIII: 9, 10; 12ff.; X u. s. w. 3 ) S. den oben, S. 121, Anm. 1 angeführten Artikel. Deutscher Abdruck S. 53.

Reinigung der prophetischen Qottesidee.

125

nicht gedacht. Wohl aber sahen sie, so weit ihr Blick reichte, die Verwirklichung e i n e s Planes — alles, nicht allein das Gewühl der Völker, sondern auch die gesammte Natur, der Verwirklichung e i n e s grossen Zieles dienstbar gemacht. Die Bezeichnung „ethischer Monotheismus" kennzeichnet besser als irgend eine andere die Eigenart ihrer Anschauungsweise, weil sie nicht nur den Charakter des einen Gottes, den sie anbeten, ausdrückt, sondern auch die Quello bezeichnet, woraus der Glaube an Ihn entsprungen ist. Die reinere und folglich erhabenere Gottesidee konnte nicht ohne Einfluss auf die Vorstellung von den einstigen Beziehungen zwischen Jahwe und den anderen Völkern bleiben. Schon auf dem Standpunkte der Volksreligion beweist Jahwe seine Macht ausserhalb Israel's und zwingt Israel's Nachbarn sich nach seinem Willen zu fügen. Je grösser der Volksgott in der Schätzung seiner Verehrer wird, desto natürlicher scheint es ihnen, dass seine Macht in weiterem Kreise anerkannt und verehrt wird. Aus einer merkwürdigen Stelle bei Arnos geht hervor, dass das Volk bereits im 8ten Jahrhundert sehnsüchtig nach „dem Tage Jahwe's" ausschaute1). Welche Vorstellung es sich davon machte, erfahren wir nicht. Aber die Erniedrigung der Feinde Israel's und ihre Unterwerfung unter Israel's Gott waren unzweifelhaft darin aufgenommen. Nun kann dieser Volkserwartung vom sittlich-religiösen Standpunkt aus, kein ') Arnos V : 18.

126

Der Univerealiamua der Propheten.

oder

wenigstens

werden.

Was

Kundgebung

nur ein sehr geringer W e r t zugestanden ist sie anders als eine sehr

des

gewöhnliche

nationalen Selbstgefühls, der

alltägliche

Patriotismus in seiner Projection auf die Zukunft?

Insofern

die prophetischen Erwartungen mit diesen Volksvorstellungen übereinstimmen,

können wir ihnen unmöglich eine höhere

Stelle anweisen.

Manche Schilderung von Israel's Wieder-

herstellung und von der Rolle, welche

die Heiden dabei

spielen sollen, hat denn auch bloss vom literarischen

und

aesthetisclien Gesichtspunkte aus Anspruch auf unsere Bewunderung. Natur

Aber,

der Sache,

wie ich sehon sagte,

es liegt in der

dass der ethische Monotheismus,

auch

schon in dem Zeitraum seines Werdens, den Erwartungen hinsichtlich des Verhältnisses der Nationen zu J a h w e eine andere Wendung giebt.

Ohne dass das nationale Fundament

aufgegeben wird — und wir wissen bereits, dass die Propheten darauf stehen bleiben') — kann Jahwe für die Völker etwas mehr und etwas anderes werden als ihr Ueberwinder. Und indertat, schon in einer der ältesten unter den Weissagungen, die sich mit ihrer Zukunft beschäftigen, offenbart sich dieser Einfluss der geläuterten prophetischen lungen.

„Es wird

zur letzten

J e s a j a 2 ) und Micha 3 ) ihrer Vorgänger,

Zeit", — so

einstimmig,

Vorstel-

verkündigen

mit den Worten eines

dessen Namen wir nicht kennen —

„es

wird zur letzten Zeit der Berg, da Jahwe's Haus i s t , aufgerichtet sein auf der Spitze der Berge und über alle Hügel ') S. S. 105 ff. 'O J e s . II: 2 , 3. Micha IV: 1. 2.

Die Völker huldigen Jahwe.

127

erhaben sein, und Völker sollen zu ihm herzuströmen. Und viele Nationen sollen hinströmen und sagen: kommt, lasst uns auf den Berg Jahwe's gehen und zum Hause des Gottes Jacob's, auf dass er uns lehre von seinen Wegen und wir wandeln auf seinen Steigen; denn von Zion geht Thora aus, und das Wort Jahwe's von Jerusalem". Es ist der Gott Israel's, dem die „vielen Nationen" huldigen, der Mittelpunkt der Theokratie, zu dem sie hinaufsteigen. Aber was sie dahin zieht und was sie da suchen, das ist: die Thora Jahwe's, die Erkenntniss seiner Wege, auf welchen sie wandeln wollen. So wird hier, von diesem Unbekannten, der reine, weil echt religiöse Ton angeschlagen, den wir von nun an in der Prophetie stets von neuem wiederklingen hören, nicht unvermischt, weit entfernt davon, aber dennoch unverkennbar. Ob Jesaja selbst, in der zweiten Hälfte von Capitel XIX seiner Gottessprüche, die Ausbreitung des Jahwismus in Aegypten, ja selbst den Zusammenschluss Aegypten's und Assyrien's mit Israel in der Verehrung Jahwe's verkündigt, lasso ich am liebsten unentschieden: die Echtheit dieses Teiles seiner Weissagungen ist zu sehr dem Zweifel unterworfen, als dass wir daraus betreffs der vorexilischen Zeit irgend welche Folgerungen ableiten dürften'). Aber unbestritten ist das herrliche Wort, das Jahwe bei Zephanja spricht: „Alsdann will ich den Völkern andere, reine Lippen geben, dass sie alle sollen Jahwe's Namen anrufen, und ihm dienen einträchtiglich'). Und mit ihm ') Vgl. die Commentare zu Jes. X I X : 17—25 und mein W e r k : De profeten en de profetie onder Israel, I: 288f. -) Zepli. III: 9.

128

Der Univerealismus der Propheten.

stimmt Jeremia im wesentlichen überein. Auch er redet von dem „Zusammenströmen der Nationen nach Jerusalem hin, zu (der Anbetung und Verherrlichung von) dem Namen Jahwe's"'); auch er erwartet, dass einst von den äussereten Enden der Erde Völker kommen werden und zu Jahwe sagen: „Nichts als Lügen haben unsere Väter zum Erbteil erhalten, Nichtigkeit, und unter ihnen — unter den vermeintlichen Göttern — ist keiner, der Hülfe bringet. Wie kann ein Mensch sich Götter machen? Nichtgötter sind sie!" 2 ) Beweist er anderwärts'), dass er die Vorbedingungen kennt, von denen die Verwirklichung dieser Erwartung abhängig bleibt; setzt er demzufolge die Möglichkeit voraus, dass die Heiden, ungeachtet der glänzenden Offenbarung der Macht und Majestät Jahwe's, sich weigern werden die Wege seines Volkes zu lernen und bei seinem Namen zu schwören — so schwächt er die Bedeutung seiner Voraussage nicht ab, es stellt vielmehr ihren sittlichen Charakter nur in noch helleres Licht. Noch habe ich den Propheten nicht genannt, dessen Universalismus den höchsten Flug nimmt. Sie verstehen, dass ich von dem zweiten Jesaja rede. Mit mehr Nachdruck als alle seine Vorgänger verkündigt er die Nichtigkeit der Abgötter und die unbedingte Einzigkeit Jahwe's. Ist es unter diesen Umständen wohl zu verwundern, dass er die ') Jer. III: 17. Jer. X V I : 19—21. Die Vorstellung, dass der Dienst anderer — niedrigerer oder vermeintlicher — Götter den Heiden zugewiesen oder über sie verhängt ist, hat der Prophet mit dem Deuteronomium gemein 'c. X X X I I : 8, 9; IV: 19, 20; X X I X : 25f.). Jer. X I I : 15—17.

129

Der Dniversaliamus des zweiten Jesaja.

Erwartung hegt, diesen e i n e n Gott, den ersten und den letzten, ausser welchem keiner ist, auch von den entlegensten Völkern anerkannt und verehrt zu sehen".

„Wendet

euch zu mir, so werdet ihr behalten, aller Welt Enden, denn ich bin Gott und keiner mehr!

Bei mir selbst habe ich

geschworen, Gerechtigkeit ist aus meinem Mund hervorgegangen und ein Wort, das nicht soll abgewandt werden: Vor mir sollen sich alle Kniee beugen, bei mir jede Zunge schwören!

Nur in Jahwe, so wird man sprechen, haben

wir Heil und Kraft; zu ihm wird man kommen, derweil beschämt dastehen alle, die gegen ihn entbrannt sind" 1 ). Doch es ist nicht überflüssig zu untersuchen, wie das zu verstehen ist.

Werden doch oft genug im zweiten Teile

des Buches Jesaja die Heiden in ein Knechtsverhältniss z u Israel

gesetzt.

Ist hier etwa dasselbe oder wenigstens

etwas dergleichen gemeint? Mit anderen Worten, wird hier Jahwe als dem König und dem Retter seines Volkes gehuldigt und erkennen die Nationen nur wider Willen seine Uebermacht an?

Uns fällt es nicht leicht, diese politische

Voraussicht in Verbindung oder doch in Harmonie zu bringen mit der Erwartung eines wirklich religiösen Verhältnisses zwischen Jahwe und den Heiden.

Aber für das Bewusst-

sein des Propheten geht das eine mit dem anderen recht wohl Hand in Hand. Unzweifelhaft hält er sein Auge stets auf die Erhebung seines eigenen Volkes und auf die Beschämung der anderen Nationen, seiner Widersacher, gerichtet.

Aber ebenso sicher erwartet er, dass die Heiden

ihr Flohen zu Jahwe empor senden werden: „Mein Haus ') Jos. XLV: 22—24. K nerton,

Volks

und

WeUrclIglon.

9

Der Universalismus der Propheten.

130

soll ein Bethaus für alle Nationen heissen"'). denn Jahwe selbst tritt als ihr Lehrer auf:

Kein Wunder, „Merket auf

mich, ihr Völker, und ihr, Nationen, hört mich an!

Denn

Thora gehet von mir aus, und mein Recht werde ich zum Licht der Völker stellen. Nahe ist meine Gerechtigkeit (ihre Offenbarung); mein Heil keimet hervor und meine Arme werden die Völker richten; auf mich werden die Küstenbewohner hoifen und auf meinen Arm warten" 2 ).

Auch die

Frage, wie dies geschehen soll, lässt der Prophet nicht ganz unbeantwortet. gedacht.

Israel wird dabei keineswegs untätig

Ist es auch vor allem die Verherrlichung „des

Knechtes Jahwe's",

d. i.

des Kernes

der durch ihn zu

seinem Dienste ausgesonderten Nation, welche das Staunen der Heiden wachruft und sie zur Unterwerfung unter Jahwe bringt — so ist doch derselbe „Knecht" auch das Organ Jahwe's in der Heidenwelt, seine Predigt das Mittel, die Völker zu Jahwe zu bekehren.

Bloss einige Male und wie

im Vorbeigehen weist der Prophet auf diese Seite der Tätigkeit „des Knechtes Jahwe's" hin.

Wohl mag es ihm selbst

nicht klar gewesen sein, wie er sich dieser Aufgabe entledigen sollte.

Aber die wenigen Aussprüche, die hier in

Betracht kommen, sind doch völlig unzweideutig.

„Siehe"

— so lautet der eine ) — „siehe, das ist mein Knecht, dem 3

ich helfe; mein Auserwählter, an welchem meine Seele Wohlgefallen hat; ich lege meinen Geist auf ihn: R e c h t w i r d er d e n V ö l k e r n v e r k ü n d i g e n . . . ') Jes. LVI: 7. ) Jes. L I : 4, 5. 3 ) Jes. XLI1: 1, 4. 2

Er wird nicht stumpf

Die Predigt des Knechtes Jahwe's an die Völker.

131

noch müde, b i s d a s s er auf E r d e n d a s R e c h t a u f g e richtet

hat,

und

Thora warten".

die

Küstenbewohner

auf

seine

Gleich darauf redet Jahwe ihn also an:

„Ich habe Dich gerufen in Gerechtigkeit und fasse Deine Hand und behüte Dich und setze Dich zu einem Volksbunde, zu e i n e m L i c h t e d e r H e i d e n " ' ) .

Anderwärts wird „der

Knecht" selbst redend eingeführt: „Höret mir zu, ihr Küstenbewohner, und ihr Völker in der Ferne, merket auf!" — und später beschreibt Jahwe die zwiefache Aufgabe, die er ihm gestellt hat, mit folgenden Worten: „Es ist zu gering, dass Du mein Knecht sein sollst, die Stämme Jacob's aufzurichten und die Erlöseten Israel's wiederzubringen; darum habe ich Dich zu e i n e m L i c h t

d e r H e i d e n gesetzt,

dass mein

Heil soll reichen bis an der Welt Ende" '). Alle Erläuterung scheint hier überflüssig. Der zweite Jesaja weiss den Segen der Berufung durch Jahwe zu schätzen, aber er kennt auch die Pflichten, die sie auferlegt.

Es ist eine hoch erhabene

Stellung, die er seinem Volke anweist.

Aber die Verant-

wortlichkeit, welche sie mit sich bringt, entspricht vollauf dieser Höhe.

Israel ist vor den Nationen hoch bevorzugt,

aber darum auch bestimmt, sie zu Teilnehmern zu machen an dem Besten, was es selbst von Jahwe empfangen hat. Hat der Prophet diese Erwartung "von der Zukunft der Religion Israel's nur im allgemeinen gehegt und sprochen?

ausge-

Oder wagte er, sie gleichsam concret zu machen

und auf ein Individuum anzuwenden, natürlich auf eines, das viele andere würde aufgewogen haben, auf Cyrus? ') y. 6. 2

) Jes. XL1X: 1, 6. 9»

Für

132

Der Universalismus der Propheten.

die richtige Beurteilung seines Universalismus ist dies keine gleichgültige Sache, und darum gestatten Sie mir, wenige Augenblicke dabei stehen zu bleiben. Ich tue dies um so lieber, als Entdeckungen aus der jüngsten Zeit hierüber, nach sachverständigem Urteil, neues Licht verbreiten. Die Tatsachen, soweit sie uns im Alten Testament vorliegen, sind bekannt. Der zweite Jesaja spricht mit grosser Wärme nicht allein von der Aufgabe, die Cyrus übernehmen wird, sondern auch von Cyrus selbst. Er nennt ihn „den Gesalbten Jahwe's", „dessen rechte Hand er ergriffen hat;" ') „Jahwe's Hirten," oder, nach einer anderen Lesart, die die Wahrscheinlichkeit für sich hat, „Jahwe's Genossen" oder „Freund, der all' sein Wohlgefallen vollbringen soll." 2) Indessen liegt hierin doch nichts weiter, als dass Cyrus ein auserwähltes Werkzeug in Jahwe's Hand ist. Aber nun spricht Jahwe anderwärts: „Von mir erweckt ist aus dem Norden gekommen, Aus dem Osten einer, der meinen Namen wird anrufen (oder: verkündigen), Und er wird die Fürsten zertreten wie Lehm, Und wie der Töpfer den Ton zerstampft." 3 )

Das hebräische Idiom gestattet auch zu übersetzen, „der meinen Namen anruft" oder „verkündigt", aber was darauf folgt macht es doch wahrscheinlich, dass der Prophet an die Zukunft denkt.

Aber wie kann selbst dann Cyrus den Namen

') c. XLV: 1. ) c. XLIV: 28. Statt r o ' i 1. r c ' i , ebenso Sach. XIII, 7, wo der Parallelismus dieselbe Verbesserung verlangt. Der Vergleich mit einem Hirten passt nicht recht in den Zusammenhang. 3 ) c. X U : 25. In der 3ten Zeile ist die bekannte Toxtverbesserung ( j a b ü s statt j a b ö ) angenommen. 2

Der zweite Jesaja über die Bekehrung des Cyrus.

133

Jahwe's — sei es als Flehender, sei es als Gesandter — in den Mund nehmen. Jetzt ist es sichtlich noch nicht so weit. In der zuerst angefahrten Weissagung verheisst Jahwe ihm die verborgenen Schätze, „auf dass" — wie er zu ihm sagt — „auf dass Da erkennest, dass ich, Jahwe, es bin, der (Dich) ruft bei Deinem Namen, der Gott Israel's. Um Jacob's, meines Knechtes, willen, und um Israel's, meines Auserwählten, willen; habe ich Dich bei Deinem Namen gerufen, gebe Dir Ehrennamen, d e r w e i l D u m i c h n i c h t k e n n e s t . Ich bin Jahwe, und es ist keiner mehr, Ausser mir ist kein Oott. Ich umgärte Dich, d e r w e i l D u m i c h n i c h t k e n n e s t . " 1 )

Augenblicklich also ist Cyrus unbekehrt, ja mit Jahwe völlig unbekannt. Aber warum kann Deutero-Jesaja nicht erwartet haben, dass dies anders werden würde, gerade in Folge des kräftigen Beistandes, den der Gott Israel's dem persischen Eroberer würde zu Teil werden lassen? Ja, er spricht das geradezu aus: Jahwe wird alle Hindernisse vor ihm aus dem Wege räumen und ihn reich machen, d a m i t er e r k e n n e , dass Jahwe, der Gott Israel's, ihn bei seinem Namen ruft. Der Prophet geht also indertat über Jeremia z. B. hinaus, wenn dieser Nebucadrezar „den Knecht Jahwe's" nennt'): dabei verhält sich der babylonische Monarch selbst leidend; Cyrus dagegen, der Freund und Gesalbte Jahwe's,

') c. XLV: 3b—5. Die Erklärung — von C h e y n e und Anderen — „derweil Du mich noch nicht kanntest", d. i. seit der Zeit, da Du noch nicht geboren warst (vgl. c. X L I X : 1), ist m. E. unanrehmbar. Es heisst j e d a ' t a n i , nicht j a d a ' t a . 2 ) Oben S. 117, A. 3.

134

Der Universalismus der Propheten.

wird handelnd auftreten und den Namen Jahwe's nennen. Empfängt nun diese Verschiedenheit' ihre vollkommene Erklärung aus dem feurigeren Idealismus Deutero-Jesaja's und der sehr verschiedenen Aufgabe, die Nebucadrezar und Cyrus in Beziehung auf

Israel zu erfüllen haben?

oder

gab

die

Religion, welche Cyrus schon bekannte, auch ihrerseits Veranlassung zu erwarten, dass er zur Verehrung Jahwe's gelangen würde?

Es kann, wie mir scheint, niemanden be-

fremden, dass diese letzte Frage von Vielen eine bejahende Antwort erhält. Aber lassen Sie uns, che wir selbst eine Entscheidung fällen," zuerst untersuchen,

ob etwa andere Berichte über

Cyrus irgend welche Aufklärung geben?

Sein Erlass für die

Rückkehr der jüdischen Verbannten, der uns im Anfang des Buches Esra mitgeteilt w i r d ' ) , schwerlich: es ist so gut wie unmöglich, dass Cyrus so gedacht und gesprochen hat, wie denn auch wirklich sein Edikt nach einem älteren Berichterstatter, dessen Worte der Verfasser selbst anführt'), anders lautete.

Dagegen kommt hier allerdings in Betracht eine

Inschrift von Cyrus selbst, worin er sich rühmt, dio Götter Babel'8 wieder in ihre Stellen eingesetzt zu haben, und versichert, dass er täglich Bei und Nebo anrufe, damit sie die Länge seiner Tage vermehren und den Ratschluss über sein Schicksal segnen; worin er sich ferner mit Nachdruck „Verehrer Merodach's" nennt 3 ).

Der Name Ahura-Mazda kommt

' ) Esra I : 2—4, vgl. 2. Chron. X X X V I : 22, 23. 2)

Esra V I :

3)

Die Inschrift, 1879 gefunden und von Sir H. R a w l i n s o n

3—5. ver-

öffentlicht, ist seit der Zeit wiederholt behandelt worden. Siehe C h e y n e ' s Prophecies of Isaiah, I : 301—303; I I : 264—270.

Vgl. ferner Erläut. V I I I .

Folgeningen aus der Cynis-Inscbrift.

135

in der ganzen Inschrift nicht vor. Aber darum berechtigt sie auch, so hat man gefolgert, zu sehr ungünstigen Schlüssen, sowohl was des Cyrus sittlichen Charakter angeht, als auch in Hinsicht der Reinheit seiner religiösen Vorstellungen. Entweder er war ein Verehrer Ahura-Mazda's, dann aber so lau und gleichgültig gegen ihn, oder- so bange vor den Babyloniern, dass er den Namen seines Gottes nicht einmal nennt, ja, sich seines Eifers für andere Götter rühmt. Oder a b e r , er weiss nichts von Ahura-Mazda und zeigt sich in der Inschrift einfach als das was er ist, als ein gemeiner Götzendiener. Für diese letztere Ansicht hat man eine Stütze in der Tatsache zu finden gemeint, dass Cyrus sich selbst und seine Vorfahren „Könige von An-za-an", d. i. von Susiana nennt. Dass er Achämenide, also von persischer Herkunft ist, bezeugt er anderwärts selbst'), das lässt sich also nicht leugnen. Aber man kann annehmen, dass der Gründer seiner Dynastie seinen Sitz nach Susiana verlegt und dass seine Nachkommen sich allmählich der Religion dieses Landes gefügt haben. Wie dem sei, weder in dem einen, noch in dem anderen Falle gab die Person des Cyrus den geringsten Grund für die Hoffnung, dass er die Majestät Jahwe's anerkennen und öffentlich dafür eintreten würde: bei der Erklärung der Weissagung Deutero-Jesaja's muss deshalb diese Persönlichkeit aus dem Spiele bleiben. Sollte es indertat so stehen? Es will mir vorkommen, als wenn man sich diesmal gar zu sehr beeilte, und dem einen, neu entdeckten Document — das doch nur bruchstückweise vorhanden und noch lange nicht mit Sicherheit ') F. S p i e g e l , die altpersischen Keilinschriften, S. 2.

Der Universalismus der Propheten.

136

erklärt ist — zu gutwillig allzu schwere Opfer brächte.

Die

Spaltung der Achämeniden in zwei Linien, eine persische, aus der Darius entsprossen

ist,

und eine susianische,

zu

welcher Cyrus gehört, klingt doch gar zu romantisch, ist aber überdies

mit den Inschriften des Darius

ebensowenig

zu vereinigen, wie die Verschiedenheit der Religion zwischen diesen beiden Linien 1 ).

Ich verlange andere Beweise, ehe

ich annehme, dass d a s g e s a m m t e A l t e r t u m irrte, wenn es Cyrus für den Stifter der perso mediischen Monarchie hielt. Wahr bleibt es allerdings, dass Ahura-Mazda in der neuen Inschrift nicht genannt wird.

Aber kann uns das so sehr

befremden, und haben wir ein Recht, daraus so weitgehende Schlüsse zu ziehen? Die Inschrift ist babylonisch in Sprache und Schrift, nicht minder aber nach ihrer Tendenz: es ist dem, der sie entworfen, darum zu tun, die Gunst der Babylonier zu gewinnen, oder, wenn Sie so wollen, sie mit ihrem neuen Herrn auszusöhnen.

Und das sollte bei der Beurteilung des

Inhalts nicht in Anschlag gebracht werden?

Können wir

ein solches Stück als aus Cyrus' Feder geflossen, als ein Bekenntniss seines persönlichen Glaubens ansehen? das mehr als gewagt.

Mir scheint

Ich kann nicht mehr darin sehen, als

ein politisches Manifest und daraus nur entnehmen,

was,

nach der Ansicht des persischen Satrapen, der Bevölkerung von Babylonien angenehm zu hören war. Wir kehren zu Deutero-Jesaja zurück. über

Untersuchungen

die religiöse Ueberzeugung des Cyrus hat er gewiss

nicht angestellt. berichtete.

Er nahm einfach a n , was Fama darüber

Aber nichts hindert uns m. E., auch nach dem

') S . hierüber Näheres in Erläut. VIII.

Der Jahwjsmus der Propheten u. die isr. Nation.

137

Besprochenen vorauszusetzen, dass er, eben auf Grund dieser Aussagen, einen Unterschied machte zwischen ihm und den babylonischen Unterdrückern.

Umso leichter wurde es ihm

deshalb, die ideale Vorstellung von Cyrus' Person und Wirksamkeit festzuhalten, der wir in seinen Weissagungen begegnen.

Der Ursprung dieser Vorstellung ist gleichwohl

nicht in den Berichten über Cyrus zu suchen, die ihm zugetragen wurden, sondern — in ihm s e l b s t ,

in seinem

bedingungslosen Monotheismus und in seinem

unwandel-

baren Glauben.

Er hat den Mut seiner Ueberzeugung und

sieht darum in dem Vollstrecker von Jahwe's Willen auch den Verkündiger von Jahwe's Namen. Der Jahwismus der kanonischen Propheten steht uns nun so deutlich vor Augen, dass wir den Versuch wagen dürfen, sein Verhältniss zu der israelitischen Nationalität festzustellen. Es braucht kaum noch einmal daran erinnert zu werden, dass kein Prophet daran gedacht hat, Jahwe und Israel von einander zu scheiden. Aber es lag in der Sache begründet, dass ihre ethische Auffassung von der Religion die Bande, welche beide, das Volk und seinen Gott, mit einander verbanden, lockerte und dem Jahwismus eine gewisse Selbständigkeit gab, vermöge deren er zwar nicht aufhörte, ein Teil von Israel's nationalem Leben zu sein, aber zugleich auch etwas anderes und etwas höheres wurde als dies. An einen vorher ausgedachten und wohl überlegten Plan darf man dabei durchaus nicht denken. Die Predigt der Propheten hatte die eben beschriebene T e n d e n z , ohne dass sie selbst sich klare Rechenschaft

138

Der Universalismus der Propheten.

davon gaben.

Noch mehr: nicht bei allen tritt diese Ten-

denz gleich stark, bei Einigen kaum oder überhaupt nicht zu Tage, und bei jedem, bei dem wir sie bemerken, offenbart sie sich in eigenartiger Weise.

Aber fassen wir die

Tatsachen selbst ins Auge: es wird sich dann sofort zeigen, welche Bedeutung ihnen beigemessen werden muss. Ist es nicht höchst bemerkenswert, dass unser ältester Zeuge, Arnos, sich in dieser Beziehung so laut und unzweideutig vernehmen lässt?

Das mag wohl mit dem Ernste

und der jugendlichen Frische seines Jahwismus zusammenhängen, welche die Consequenzen, zu denen er führt, scharf hervortreten lassen.

Im Beginn der ersten jener Strafreden,

die er an das Reich Ephraim richtet, finden wir folgende Worte: „Höret das Wort, das Jahwe über euch, ihr Kinder Israel's, geredet hat, über das ganze Geschlecht, das ich aus Aegyptenland geführet habe: Aus allen Geschlechtern auf Erden habe ich allein euch erkannt; darum will ich auch an euch

heimsuchen

alle eure

Missetat"').

Wir

lassen nicht unbemerkt, dass dies „darum" in diametralem Gegensatze steht gegen die Folgerungen, die das Volk zu ziehen pflegte: weil Jahwe zu Israel in so eigenartiger Beziehung stand, darum würde er n i c h t strafen, sondern nachsehen und zum besten kehren, worin Israel sich verging. Aber was uns hier weit näher angeht, ist der Gedanke: Israel e i n e s der vielen Geschlechter auf Erden.

Jahwe ist

es, der sich diese e i n e Nation, im Unterschied von allen übrigen, zu eigen gemacht hat.

Er hätte auch ein anderes

Volk „erkennen" können, wenn ihm dies gut geschienen ') Arnos III: 1, 2.

Jahwe's Verhältniss zu Israel bei Arnos.

139

hätte. Es ist ein grosser, ein anschätzbarer Vorzug, dessen er das eine Israel teilhaftig macht, aber — auch nicht hätte können teilhaftig machen. Glauben Sie nicht, dass wir Arnos zu sehr beim Worte nehmen, wenn wir ihm diesen Gedanken zuschreiben. Er kommt darauf anderwärts in seinen Weissagungen mehr als einmal zurück. Um „die Ruhigen in Zion" und sie, „die sich sicher wähnen auf dem Berge Samariens", wach zu rütteln aus ihrem Schlummer, fordert er sie auf sich nach Kalne zu versetzen und das anzusehen, von dort nach dem grossen Hamath zu ziehen und weiter hinabzusteigen nach dem philistäischen Gath: „seid ihr besser denn jene Königreiche, oder ist euer Gebiet grösser denn ihres?"') Hier befremdet uns sein Stillschweigen über die Bürgschaft gegen dergleichen Unheil, wie es jene Städte getroffen hatte, welche die Israeliten in dem Beistande Jahwe's zu besitzen meinten; für den Propheten ist sie nicht vorhanden; warum sollte das Loos, mit dem jene mächtigen Städte nicht verschont worden sind, nicht auch über Juda und Ephraim kommen können? Auch sonst stellt er absichtlich sein Volk mit den anderen Nationen in eine Linie. Auf die sechs benachbarten Völker, welchen er „um ihrer drei, ja vier Uebertretungen willen" ankündigt, dass sie der angedrohten Strafe nicht entgehen sollen, lässt er, um die Siebenzahl voll zu machen, sogleich das in zwei Reiche gespaltene Israel folgen®). Noch be') Arnos VI: 1, 2. Der wahre Uehersetzung wiedergegeben habe, Urschrift und Uebersetzungen der *) Die sechs Nachbaren, c. 1: 5 und 6—16.

Text dieses Verses, den ich in meiner ist ermittelt worden von A. G e i g e r , Bibel, S. 96 f. 3—II: 3 ; Juda und Israel, c. II: 4,

140

Der Universalismus der Propheten.

schämender für sein Volk ist es, dass er die Bewohner der Paläste zu Asdod zu Zeugen der Schändlichkeiten aufruft, die zu Samaria verübt werden')- Endlich spricht Jahwe es ohne Umschweife aus: „Seid ihr mir nicht gleichwie die Söhne der Kuschiten, ihr Kinder Israel's? Habe ich nicht Israel aus Aegyptenland geführt und (das heisst: ebensogut auch) die Philister aus Kaphthor und die Aramäer aus Kir?" 2) So wird einer der Hauptbeweise für die unlösbare Verbindung zwischen Israel und seinem Gott entkräftet, ja, als wertlos schmählich weggeworfen. Es ist als wenn Jahwe sich aus der natürlichen und angeborenen Beziehung, in welcher er zu Israel steht, herauszöge. Aber dadurch grade erhebt sich der Jahwismus in eine höhere, in die ethische Sphäre und — hört er gleichzeitig auf, ausschliesslich für Israel geeignet und bestimmt zu sein. Es ist gewiss kein Zufall, dass bei diesem selben Propheten der Jahwismus einen allgemein-menschlichen Charakter anzunehmen beginnt. Man könnte wohl sagen, dass er sich in der Richtung auf „die natürliche Religion" und „die bürgerliche Tugend" hin bewegt, wie man sie wohl einmal, mit geringer Sympathie, genannt hat. „Schaffet das Gute!" „Lasset das Recht hervorströmen wie Wasser, und die Gerechtigkeit wie einen stets fliessenden Bach!" In diese und ähnliche Formeln 3 ) fasst Arnos die Forderungen Jahwe's zusammen. Nach diesem Massstabe beurteilt und ') c. III: 9, 10. c. I X : 7. *) Arnos III: 10; V: 14, 15, 24; VI: 12. Vgl. D u h m , Die Theologie der Propheten, S. 113 ff

141

Jabwismus und Jahwe-Diener bei Jesaja.

straft er, ausser Israel, auch Damascus, Gaza und die übrigen Nachbaren').

Der Zusammenhang dieser Erschei-

nung mit der abweichenden Auffassung der Beziehungen zwischen Jahwe und Israel

lässt sich nicht

verkennen.

Der Jahwismus, der, nach Arnos' Ueberzeugung, auch wohl anderwärts als in Israel hätte bestehen können, kann nicht specifisch israelitisch sein. Er muss sich Allen anbieten, in deren Busen ein menschliches Herz s c h l ä g t . . . . Wir werden uns wohl hüten, Arnos einen klaren Einblick in alle die Folgerungen anzudichten, welche sich aus seinem Princip ergeben. Aber wir dürfen doch nicht übersehen, dass seine Predigt mit einer Umwandlung auf religiösem Gebiete schwanger geht, die er zwar nicht selber schauen sollte, der er aber zweifellos den Weg bereitet hat. Man hat von Jesaja nicht mit Unrecht gesagt,

dass

die Unverletzlichkeit Zion's ihm zum Dogma geworden sei. Aber seine unerschütterliche Ueberzeugung galt nicht der Hauptstadt seines Vaterlandes, sondern dem Sitze Jahwe's, des Königs von Israel. Darum konnte er mit diesem felsenfesten Vertrauen eine andere Erwartung verbinden, der er in dem Namen eines seiner Kinder, S c h e ä r - j a s c h ü b , Ausdruck gab').

„Ein Rest bekehrt sich" — das ist ebenso-

wohl eine Bedrohung als eine Hoffnung. Vor allen Dingen eine Bedrohung, die Ankündigung eines schrecklichen Gerichtes, das Jahwe durch Assur, oder durch Aegypten, oder durch den Zusammenstoss beider auf Juda's Boden, an seinem Volke vollziehen wird.

Das Volk wird

') Arnos I : 3 , 6 , 9 , 11, 1 3 ; I I : 1. 2

) J e s . V I I : 3 ; X : 2 0 — 2 3 , vgl. I V : 3, 4 .

beinahe

142

Der Universalismus der Propheten.

ganz

vertilgt werden.

Für das Volk ist denn

auch die

herrliche Zukunft nicht aufgespart, von der Jesaja weissagt. Es entspricht so wenig den strengen Forderungen Jahwe's, dass es vergehen muss, damit Zion werden könne, was es kraft seines göttlichen Berufes, zu sein bestimmt ist.

Aber,

„ein Rest sollte sich bekehren." Diese Hoffnung konnte Jesaja nicht aufgeben und insofern war er ein Israelit so gut wie irgend einer seiner politischen Gegner.

Das empirische Volk

Israel, das er wider seinen Willen preisgeben musste, trug „den heiligen S a m e n " ' ) in sich, woraus das neue Volk, das Volk nach Jahwe's Herzen, emporsprossen sollte. Sie bemerken, dass die Scheidung zwischen Volk und Religion hier auf eine andere Weise als bei Arnos bewerkstelligt wird.

Das Subjekt für den Jahwismus, das Volk,

das Jahwe in Wahrheit dienen wird, soll noch hervorgebracht werden; Israel ist da, das Volk Jahwe's noch nicht. Das Vorspiel der

von Jesaja angekündigten Zukunft zeigt

uns der kleine Kreis, den er um sich versammelt hatte und in den er sich zurückzog, wenn seine Predigt weder bei dem Volke noch bei den politischen Führern Eingang fand.

Ich

denke

und

an

die

„treuen

Zeugen",

Sacharja ben Jeberechja,

welchen

Uria er

den Priester seine

Prophezeiung

über Damascus und Samaria mittheilt 2 ); an die „Schüler Jahwe's", in deren Mitte er „das Zeugniss zusammenschnüren und die Thora versiegeln" soll 3 ).

Wie gern möchten wir

von dieser kleinen Gemeinde und ihren Zusammenkünften ') Jes. VI: 13. ) Jcs. VIII: 1—4.

2

') v. IC,.

143

Der Separatismus Jesaja's.

etwas näheres wissen!

Wir müssen uns leider an den ver-

einzelten Winken, auf welche ich soeben hinwies, genügen lassen.

Aber ist nicht das Eine schon, dass Jesaja sich

selbst und seine Familie und seine Geistesverwandten so absonderte und dem Volke gegenüber stellte, eine Tatsache von der grossesten Bedeutung?

Ich vermute, dass dieser

Kreis auf den ferneren Verlauf der religiösen Entwickelung Israel'* einen bedeutenden Einfluss ausgeübt hat. Ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, das der Priester-Prophet, welchem wir die deuteronomische Gesetzgebung verdanken, Jahwe's

u

dem

Geiste nach

ein Sprössling

der „Schüler

gewesen ist, zu welchen Uria, der Priester, ge-

hörte und an deren Spitze der Prophet Jesaja stand.

Doch

wie dem auch sein möge: der Separatismus Jesaja's — wenn Sie mir gestatten, die Sache mit diesem modernen Namen zu bezeichnen — ist ein merkwürdiges Zeichen für die gewachsene Selbständigkeit des prophetischen Jahwismus, ein Meilenstein auf dem Wege, den er zurücklegen musste, um aus einer nationalen eine universale Religion zu werden. Noch deutlicher spricht die wahrhaft tragische Figur Jeremia's.

Seine Lebensgeschichte — denn wir wissen in-

dertat genug von ihm, um diesen sonst wohl etwas anmassenden Namen gebrauchen zu dürfen — braucht hier nicht erzählt zu werden.

Was ihn hier für uns so bedeut-

sam macht, kann in wenigen Worten dargelegt werden.

Er

stand, wie wir wissen, nahezu allein, mit Raruch, seinem treuen Diener, allein seinem ganzen Volke gegenüber.

Aller-

dings, wenn sein Leben Gefahr lief, dann fanden sich einige Vornehme, die für ihn eintraten.

Aber es war doch mehr

144

Der üniversalismus der Propheten.

die Ehrfurcht vor dem Propheten Jahwe's, die sie zu seinen Beschützern machte, als Sympathie mit seiner Auffassung des Jahwismus. bei.

Wenigstens traten sie ihr nicht öffentlich

Der Einzige, von dem wir lesen, dass „er sprach nach

allen Worten Jeremia's", war Uria aus Kirjath-jearim, und der wurde mit dem Schwerte getödtet und eines ehrlichen Begräbnisses

für unwürdig erklärt 1 ).

Gegner Jeremia's

eine ziemlich

Zwar

bildeten

bunte Gesellschaft.

die Aber

die unter ihnen den Ton angaben und bei mehr als einer Gelegenheit öffentlich gegen ihn auftraten — mit

einem

Selbstvertrauen und einer Kühnheit, denen wir unsere Sympathie nicht ganz vorenthalten können — waren feurige Verehrer Jahwe's.

W a s sie kennzeichnet, ist gerade die innige

Verschmelzung von Patriotismus und Religion, die wir bereits kennen.

Das Auftreten eines Mannes wie Hananja, des

Gibeoniten, eines der Propheten der patriotischen Partei, lässt sich nur daraus erklären.

Ihre Ungeduld unter der baby-

lonischen Oberherrschaft, die wiederholten Versuche zur Befreiung des Vaterlandes, die Ausblicke in die Zukunft, womit sie einander trösteten und anfeuerten, ihr heldenmütiges Ausharren in dem Kampfe gegen den übermächtigen Feind — es steht alles in unlöslichem

Zusammenhang mit

Glauben an J a h w e , den Gott Isracl's.

ihrem

Hatte Jeremia für

das alles keine Empfindung? grämte er sich nicht um die Erniedrigung seines Volkes? und Seele Israelit.

Dafür war er zu sehr mit Leib

Aber kein Wort der Sympathie mit dem

Streben der Freiheitsfreunde kam über seine Lippen.

Mit

Kraft und nicht ohne schweren inneren Kampf unterdrückte ') Jer. XXVt: 2 0 - 2 3 .

Der Individualismos Jeremia's.

145

er jede Aufwallung jenes Patriotismus, von dem alle Uebrigen glühten, um ausschliesslich Zeugniss abzulegen von der JahweVerehrung, wie er sie verstand, die in seinen Augen die allein wahre war und darum auch von Israel nur unter Preisgebung seiner Vorrechte verleugnet werden konnte.

Seine Richtimg

machte auf die Zeitgenossen den Eindruck einer antinationalen; er selbst ist als ein Feind, ja, als ein Verräter seines Vaterlandes in den Kerker geworfen worden und nur durch einen glücklichen Zufall dem Tode entronnen.

Wir kennen

ihn besser und werden uns wohl hüten, jenes Urteil zu unterschreiben.

Dem Manne, der sein Leben lang für das wahr-

hafte Wohl des Volkes gerungen und geeifert hat und endlich die Teilnahme an der Schmach seines Volkes höher schätzte als die Schätze Nebucadrezar's und die Pracht des chaldäischen Hofes — dem Manne werden wir die Liebe zu seinem Volke nicht absprechen.

Aber wahr ist es, dass in

ihm die Religiosität und der nationale Sinn zeitweise einen Gegensatz bildeten, dessen Versöhnung in der Gegenwart unmöglich war und nur von der Zukunft erhofft werden konnte.

Daher seine völlige Isolirung: „das wahre Israel

schrumpfte auf ihn selber zusammen"').

Dennoch ist dieser

Individualismus nur die Offenbarungsform des werdenden Universalismus. gesehen.

Jeremía selbst hat es niemals anders an-

Er gab, wie wir schon wissen 1 ), die Hoffnung

nicht auf, dass einmal wieder Jahwe der Gott Israel's und Israel das Volk Jahwe's sein würde.

Aber — ein neuer

Bund sollte geschlossen werden: die Thora Jahwe's in das W e l l h a u s e n , a. a. O. *) Oben S. 128. Ktienen,

Volks* u n d

Deutscher Abdruck S. 76.

WeUreligion.

10

146

Der Univerealismus der Propheten.

Innerste seiner Diener gelegt und geschrieben in ihr Herz; keine Mittler mehr zwischen ihm und den Seinen, denn „sie sollen ihn alle kennen, beide klein und gross". Freilich, mit „dem Hause Israel und mit dem Hause Juda" soll dieser Bund geschlossen werden. Aber in Wahrheit ist er unabhängig von dem Verhältniss, in dem Jahwe von dem Auszuge aus Aegypten an zu seinem Volke gestanden hat, ein n e u e r Bund und darum nicht beschränkt auf e i n e Nation, sondern geeignet und bestimmt für viele Völker". Am Endpunkte der Reihe, welche wir bis jetzt verfolgt haben, steht der zweite Jesaja, Jeremia's Sohn dem Geiste nach, zugleich der Erbe von dessen Ideen über die Zukunft des Jahwismus. Auf dem Standpunkt, auf welchem wir nun stehen, erkennen wir ohne Mühe in seinen Vorstellungen und Erwartungen die selbständige Reproduction und Ausführung der Winke, welche wir bei Jeremia gefunden haben. Die Unterscheidung des fleischlichen und geistlichen Israel hat in Deutero-Jesaja's „Knecht Jahwe's" ihren klassischen Ausdruck gefunden. Wo derselbe, wie in dem berühmten 53. Capitel, als Individuum gezeichnet wird, hat man — mit Unrecht, aber nicht ohne Anlass — eine Beschreibung von Jeremia's Loos zu lesen geglaubt. Zu der Aufgabe „des Knechtes" gehört, wie wir sahen, die Wiederherstellung Israel's, aber auch die Predigt der wahren Religion — des Rechtes und der Thora Jahwe's — unter den Heiden. Gestohen wir es zu: dieser Gedanke wird keineswegs ausgeführt, nur eben angedeutet. Aber auch schon in seiner embryonischen Form ist er ein bedeutsamer und würdiger Abschluss der denkwürdigen Bewegung, die von den israeli-

Die Erwartung der Propheten und die Wirklichkeit.

147

tischen Propheten ausgegangen ist und fast durch drei Jahrhunderte hindurch von den Hervorragendsten unter ihnen fortgeführt wurde. Kein vorher festgestellter Plan lag ihr zu Grunde und, was wir jetzt hinzusetzen dürfen, kein System kam durch sie zu Stande. Dennoch Hess sich Einheit und Zusammenhang nicht darin vermissen. Das Ganze oder doch die hervorstechendsten Punkte vor unseren Augen, sehen wir leicht ein, dass das Endergebniss bereite in dem ersten Anstosse des Hirten aus Thekoa im Keime vorhanden war. Jahwe, der Heilige Israel's, war vorherbestimmt, der Gott aller Völker zu werden. Der zweite Jesaja hat vielleicht das Jahr 500 vor der christlichen Zeitrechnung nicht erlebt. Mehr als dieser Bemerkung bedarf es nicht, um uns einsehen zu lassen, dass Israel's Predigt an die Heiden Jahrhunderte lang nicht mehr als ein frommer Wunsch gewesen ist. Wie erklärt sich das? Wie kommt es, dass die israelitische Religion, weit entfernt sich auszubreiten, im Gegenteil einen streng abgeschlossenen Charakter annimmt und eine Scheidewand wird zwischen den Juden und „den Völkern" P Wenn wir von der Voraussetzung ausgehen dürfen, dass alles Geschehen der Ausdruck eines Gedankens ist, und dass wir die Wirklichkeit umso besser begreifen, je klarer wir ihre Vernunftmässigkeit einsehen — so können wir antworten: weil diese Ausbreitung, obschon angekündigt, doch noch nicht an der Zeit war; weil Israel für diese Aufgabe noch vorbereitet werden musste; weil, was sich nach aussen hin Geltung verschaffen soll, inwendig geordnet und gesund 10*

148

Die Grundlegung des Judaismus.

sein muss. Mit einem Worte: ehe „der Knecht Jahwe's" ein Licht der Heiden" werden konnte, musste ein Knecht Jahwe's herausgebildet werden. Den Propheten war es nicht gelungen, ihre Auffassung des Jahwismus zum Eigentum des Volkes zu machen. Das soll kein Tadel sein. An dem Wunsche, die Nation in ihrem ganzen Umfange zu reformiren, hatte es bei ihnen nicht gefehlt, und ebensowenig an Eifer und Ausdauer. Aber ihre Anforderungen standen zu hoch, um sofort von der grossen Menge angenommen und befolgt zu werden. Darum arbeiteten sie nicht ohne Frucht: ihr begeistertes Wort wird gewiss nicht leer zu ihnen zurückgekehrt sein, und wer sagt uns, ob nicht sehr viele den Eindruck desselben gespürt und ihn ihr Leben lang bewahrt haben? Aber das war es doch nicht, was sie erstrebten; oder jedenfalls war es davon nur ein kleiner Teil. Ihr Jahwismus musste in das Bewusstsein der Nation aufgenommen werden und in ihrem Leben Gestalt gewinnen. Es galt nicht weniger als eine völlige Neuschöpfung, den Bruch mit den tief eingewurzelten heidnischen Gebräuchen, und den Aufbau eines neuen Volkstums. Brachte es nicht im Grunde die Sache mit sich, dass die fragmentarische und regellose Tätigkeit der Propheten eine solche Reform nicht zu Stande bringen konnte? Dieses relative Unvermögen kann den Propheten selber nicht lange verborgen geblieben sein und musste notwendig die Frage bei ihnen aufkommen lassen, welchen anderen Weg sie wohl einschlagen könnten. Von der Ueberlegung, die darüber angestellt wurde, wissen wir nichts: nur

Die Reform Hiskia's.

149

in seltenen Ausnahmefällen gönnt uns die Geschichte einen Einblick in die Werkstätten, in denen Reformen sich vorbereiten. Aber den Erfolg kennen wir. Waren schon die Massregeln Hiskia's zur Reinigung des Cultus') ein Ausfluss dieser gemeinsamen Ueberlegung und also von Propheten, etwa von Jesaja, dem Könige angeraten? Wir vermuten das, sind aber in Hinsicht der Ziele und des Umfangs dieser Massregeln zu schlecht unterrichtet, als dass wir einen sicheren Ausspruch wagen dürften3). Unsere Unkenntniss ist übrigens in diesem besonderen Falle weniger bedenklich als Sie vielleicht fürchten. Hiskia's Reform hielt nicht Stand, Manasse, sein Nachfolger, beeilte sich den früheren Zustand wiederherzustellen; die Aenderungen, welche sein Vater eingeführt hatte, waren augenscheinlich spurlos vorübergegangen und werden erst viel später in ihrer eigentlichen Bedeutung erkannt und gewürdigt sein, als sie sich als das Vorspiel der ') 2. Kon. XVIII: 4, vgl. 22 (Jes. XXXVI: 7). *) Die ausführlichere Erzählung des Chronisten (2. Chron. XXIX— XXXI) unterliegt sehr gewichtigen Bedenken (vgl. K. E. G r a f , die historischen Bücher des Alten Testaments, S. 168—173) und darf deshalb nicht zur Ergänzung von 2. Kon. XVIII: 4 herangezogen werden. In diesem Berichte unterscheide man d i e e i n e r b e s t i m m t e T a t s a c h e , das Zerschlagen der ehernen Schlange, welche durch Jesaja's Polemik gegen die Bilder der Abgötter und Jahwe's (c. II: 8, 19f.; X X X : 22; XXXI: 7) als historisch bestätigt wird, von den a l l g e m e i n e n F o r m e l n , in welchen der letzte Redactor der Königsbücher die Reform Hiskia's beschreibt und die uns sofort an 2. Kön. XXII f. erinnern. Die Abschaffung der Bilder ist also weit besser verbürgt als die Aufhebung der „Bamoth". Dass übrigens Hiskia in irgend welcher Weise reformatorisch aufgetreten ist, wird durch Jer. XXVI: 18, 19 bestätigt, insofern die dort erwähnte Demütigung Hiskia's und seines Volkes sich in Taten muss umgesetzt haben, um in der Erinnerung seines Volkes fortzuleben.

Die Grundlegung des Judaismus.

150

wichtigen Ereignisse in Josia's 18tem Regierungsjahre offenbarten. In „dem Gesetzbuche Hilkia's", das damals zur Kenntniss des Königs gebracht und, nachdem es durch das prophetische Ansehen der Hulda bestätigt war, von ihm eingeführt wurde'),

hatte der damalige Prophetismus sich voll

und ganz ausgesprochen.

Ein gutes Teil jenes Gesetzbuches,

oder — um den Namen zu gebrauchen, unter dem wir alle es kennen — der deuteronomischen Thora ist prophetische Ermahnung zur Treue gegen Jahwe, prophetische Warnung vor dem Dienste „anderer Götter". Daneben stehen Rechtsordnungen, die der Praxis und älteren Gesetzbüchern entnommen sind, und eine ganze Reihe sittlicher Vorschriften, die gleichzeitig den Geist der Prophetie atmen. betritt

der Deuteronomiker noch ein Gebiet, auf

Aber dazu welchem

sich seine Vorgänger nicht bewegt hatten, das des Cultus. Den Charakter der Opfer und Feste zu Ehren Jahwe's ändert er nicht.

Aber, durchdrungen von der Ueberzeugung, dass

die Vermischung des Jahwismus mit der Verehrung anderer Götter ein Ende nehmen muss, und dass dieses Ziel nicht erreicht werden kann, solange die „Bamoth", die eigentlichen Sitze dieses Synkretismus bestehen bleiben,

beschränkt er

den Cultus Jahwe's auf „den Ort, den er erwählen würde", den Tempel zu Jerusalem 2 ).

Centralisation ist das Mittel,

wodurch er sich vornimmt den Götzendienst zu dämpfen und den Jahwismus, der als Ideal vor seiner Seele steht, zu unbestrittener Herrschaft zu bringen. ') 2. Kön. XXII: 1—XXIII: 25. ») Deut. XII: 5, 11, 14, 18, 2 1 - 2 6 ; XIV: 2 3 - 2 5 u. s. w.

Das deuteronomische Gesetz und seine Einführung.

151

Die Ausführung dieses Programms wurde, wie es schien, unter sehr günstigen Vorzeichen versucht. Der König war ganz dafür gewonnen. Zwar, der Ueberzeugung und den Gewohnheiten der grossen Menge widersprach es sosehr, dass es wohl niemals wäre angenommen worden, hätte nicht hohe Hand es anempfohlen. Hier und da musste sogar bei Aufhebung der uralten und den Bewohnern der Umgegend teuren Heiligtümer Gewalt angewandt werden. Aber andrerseits stand doch das Volk nicht bloss feindlich den Reformplänen Josia's gegenüber und konnte es sich daher auch der Einführung derselben nicht ohne Einschränkung widersetzen. Ehe er zum Handeln überging, rief er die Vertreter der Nation in dem jerusalemischen Tempel zusammen und liess Hilkia's Gesetzbuch von ihnen beschwören'). Zu geordnetem und freiem Gedankenaustauch und zu einem Beschlüsse durch Stimmenmehrheit wird es in dieser Versammlung wohl nicht gekommen sein. Das Endresultat beweist mehr für die Kraft der königlichen Initiative als für das Vorhandensein einer festbegründeten und einträchtigen Volksüberzeugung. Aber ebenso klar ist es doch, dass Josia nicht gewagt haben würde die Zustimmung seiner Untertanen einzuholen, und noch weniger „die Priester und Propheten" durch sein Ungestüm würde hingerissen haben, wenn es nicht zahlreiche Berührungspunkte zwischen dem deuteronomischen Gesetze und der Gesinnung des Volkes gegeben hätte. War auch die Menge den Propheten aus Jesaja's Schule nicht auf dem von ihnen zurückgelegten Wege gefolgt, so konnte sie sich doch dem, was ihr jetzt im Namen Jahwe's, „des Gottes ') 2. Kön. XXIII: 1—3.

152

Die Grundlegung des Judaismus.

Israel'», geboten wurde, nicht ganz fremd gegenüberstellen. Zum mindesten nicht den sittlichen Vorschriften, die der König ihr vorlas: dass Jahwe das Recht schützte und Barmherzigkeit belohnte, das wusste sie längst. Aber auch die Forderung, dass Jahwe a l l e i n , und zwar in dem von ihm auserwählten Heiligtum, gedient werden sollte, konnte von Josia's Zuhörern nicht ohne weiteres abgewiesen werden. Das Ansehen des Tempels war während seines Bestehens durch fast vier Jahrhunderte hin stetig gestiegen, und, nicht am wenigsten durch die Erlösung Jerusalem's aus der Hand der Assyrer und durch Jesaja's Auslegung dieses denkwürdigen Ereignisses, weit mehr als früher ein Artikel der religiösen Volksüberzeugung geworden. So erklären wir es uns, dass die grosse Mehrzahl, in einem Augenblicke der Erhebung und Begeisterung, Josia's Plänen ihre Billigung nicht vorenthielt. Die deuteronomische Thora erhielt, was ihre Vertreter wünschten, die Gelegenheit sich in ihrer Kraft zu offenbaren und unbehindert ihren Einfluss geltend zu machen . . . D e n n o c h ist es i h r f e h l g e s c h l a g e n . Die Billigkeit zwingt uns anzuerkennen, dass die Umstände, anfangs so günstig, sich bald zu ihrem Nachteil veränderten. Dass Josia in der Schlacht bei Megiddo 1 ) fiel, war eine bittere Enttäuschung für die Anhänger der Reform. Ihre Ueberzeugung ist es, die der Verfasser der Königsbücher wiedergiebt in den bekannten Worten: „Seines Gleichen war v o r ihm kein König gewesen, der so von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften sich zu Jahwe wandte ') 2. Kön. X X I I I : 29, 30, vgl. 2. Chron. X X X V : 2 0 - 2 5 .

Erfolg der Einführung des Deuteronomium.

153

nach allem Gesetz Mose's; und n a c h ihm kam seines Gleichen nicht a u f '). Dies letztere ist nur allzu wahr: keiner seiner Nachfolger war seinen Grundsätzen völlig zugetan und Jojakim stand denselben sogar feindlich gegenüber. Wir dürfen ferner nicht vergessen, dass das Reich Juda nach Josia's Tode kaum noch 20 Jahre fortbestand und während dieser Zeit allerlei Störungen und Leiden ausgesetzt war. Aber es ist denn auch sicher, dass von dem, was der Deuteronomiker erstrebt hatte, nur sehr wenig zu Stande kam oder doch nach der Niederlage bei Megiddo bestehen blieb. Dürfen wir Jeremia Glauben schenken, so erfuhr der sittliche Zustand des Volkes keine Besserung. Das würde an sich schon genügen, die bittere Enttäuschung zu erklären, in welche seine anfangliche Sympathie mit Josia's Reform 1 ) endlich auslief. Aber obendrein hörte die Verehrung anderer Götter neben Jahwe nicht auf, j a , sie wurde kurze Zeit danach eifriger als vorher betrieben'). Was wollte es unter solchen Umständen sagen, dass die Liebe für den jerusalemischen Tempel bei Vielen noch stärker wurde? Für den Deuteronomiker war das e i n z i g e Heiligtum nicht mehr als ein Mittel — wir wollen gerne zugeben: ein hochgeschätztes und darum auch mit Wärme angepriesenes Mittel — zur Erreichung seines Zweckes, der Einführung und Erhaltung des reinen Jahwismus; für den grossen Haufen wird der Tempel ein Fetisch und, statt der Sitz eines reinen Monotheismus, wiederum, wenn auch in ') 2. Kön. X X I I I : 25. ') Vgl. Jer. X I . 3

) Vgl. mein Buch Godsd. van Israel I: 4 6 8 — 4 7 1 .

154

Die Grundlegung des Judaismus.

geringerem Masse als vorher, der Schauplatz für allerlei götzendienerische Handlungen.

Jeremia verzweifelte darum

auch, wie wir sahen'), an der Möglichkeit einer allmählichen Reform des Bestehenden. kommen, dem

Hause Israel

Bund ein

schliessen.

sprechender

Glauben!

Sollte etwas Gutes zu Stande

so musste Jahwe und

dem

Gewiss Beweis

von vorne anfangen und mit Hause Juda e i n e n

für Jeremia's

und

unerschütterlichen

Zugleich aber ein Verdammungsurteil über seine

Zeitgenossen und über die Wirkung des Mittels, Josia und seine Geistesverwandten Jahwe

neuen

eine herrliche Erwartung

zu bringen

wodurch

sie auf den Weg zu

und darauf zu erhalten gehofft hatten.

Giebt es von diesem Urteil eine Berufung an eine höhere Instanz?

Müssen

dass auch die

wir es dem

Propheten

deuteronomische

nicht

zugeben,

Thora ihr nächstes

Ziel

verfehlt hat? Wir brauchen mit diesem Zugeständniss umsoweniger zurückzuhalten, als es auf der Hand liegt, dass auch eine zweite Probe

ein unbefriedigendes Resultat lieferte.

Die

J u d e n , die im Jahre 536 v. Chr. aus der Verbannung zurückkehrten

und

sich zu Jerusalem und in der Nachbar-

schaft niederliessen, waren für den Götzendienst unzugänglich geworden.

Insofern standen

Väter: nicht vergeblich

sie

höher da als

ihre

war die Unheilsweissagung Jere-

mia's erfüllt. Im Uebrigen aber können wir nicht behaupten, dass der Jahwismus sich unter ihnen kräftig geltend machte. Mangel an Begeisterung, Mattheit und Lauheit — das sind die augenfälligsten Kennzeichen des Zeitabschnittes, der sich ') Oben S. 128, 145 f.

Die deuteronomische Thora nach der Gefangenschaft.

155

von Serubbabel bis auf Esra erstreckt. Gegen das Ende desselben war es keineswegs nur eine eingebildete Gefahr, dass in Folge der zahlreichen Ehen mit fremden Frauen die Juden allmählich mit ihren Nachbaren verschmelzen und ihre nationale Eigenart, damit auch ihre Religion, verlieren könnten. Wohlan, auch in jenen Jahren lebten sie unter der deuteronomischen Thora. Es war ihr, soweit wir es verfolgen können, auch damals nicht geglückt, die Herzen des Volkes an sich zu fesseln. Ernstlich und eindringlich lautete ihre Ermahnung: „Du, Israel, sollst Jahwe, Deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allem Vermögen!" 1 ) Aber mochte dies Wort auch im Gemüte Einzelner sein Echo finden, ein „Volk des Eigentums, Jahwe geweiht" a ), bildete sich nicht. Inzwischen war die Anbahnung eines neuen Zustandes bereits in vollem Gange. In Judäa selbst hatten die Priester, vom Jahre 536 v. Chr. an, einen grossen Einfluss, der noch stetig im Steigen war. In Babylonien wurde, wenn ich mich so ausdrücken darf, die Theorie ausgebildet, welche zu dieser Praxis passte. Schon in der ersten Hälfte der Gefangenschaft entwarf Ezechiel den Plan eines neuen jüdischen Staates, mit dem Tempel als Mittelpunkt. Von seinen Nachfolgern wurde diese Idee festgehalten und weiter entwickelt. Endlich, es war im Jahre 458 v. Chr., schien sie reif zur Einführung, und der Boden in Judäa zubereitet, worauf das neue Gebäude sich erheben konnte. Esra begiebt sich dahin, an der Spitze einer zweiten Schaar heimkehrender ') Deut. VI: 5. ) Deut. XIV: 2.

2

156

Die Grundlegung des Judaismus.

Verbannter, bekleidet mit königlicher Vollmacht und ausgerüstet mit später,

„dem Gesetze seines Gottes"').

Einige Jahre

als sein Geistesverwandter Nehemia Landvogt

ist,

sieht er den Augenblick anbrechen, in dem er seine Pläne verwirklichen

kann.

Das priesterliche Gesetz

wird vorge-

lesen, von dem ganzen Volke angenommen und feierlich beschworen 2 ). D a s F u n d a m e n t d e s J u d a i s m u s i s t g e l e g t . Was die prophetische Predigt nicht vermocht hatte und was auch das Deuteronomium, die prophetische Thora, nur zu einem Teile hatte bewirken können, das ist durch den Judaismus

zu Stande gebracht: in dieser Gestalt ist der

Judaismus d i e R e l i g i o n d e s j ü d i s c h e n V o l k e s geworden, das sich immer mehr und endlich ganz damit idcntificirte. Mit anderen Worten: die Priester Jahwe's, von Ezechiel bis auf Esra, sahen ihre Unternehmung mit vollkommenem Erfolge gekrönt.

Es wird kaum nötig sein daran zu erinnern,

dass damit für ihren Wert vom religiösen Gesichtspunkte aus

nichts

bewiesen wird.

Vielleicht ist eher ganz im

Gegenteil der günstige Ausgang ihrer Bestrebungen geeignet, Misstrauen gegen die Gesundheit ihrer Sache rege zu machen. Will das etwa sagen, dass die Verfasser der priesterlichen Gesetzgebung durchgehends die Bedürfnisse und die Fassungskraft des Volkes in Betracht gezogen und Forderungen mit gutem Bedacht danach Nein,

sich

in ihren

gerichtet hätten?

zu solcher Auffassung haben wir doch kein Recht.

Ich will nicht in Abrede stellen, dass sie dann und wann ') Esra VII—X. ») Neh. VIII—X. Vgl. mein B. Godsdienst van Israel, II, Cap. VII und VIII und über die jüngsten Einwürfe gegen diese Auffassung von Esra's Person und Werk Erläut. IX.

Die priesterliche Thor» und die prophetischen Ideen.

157

mit vollem Bewusstsein zu dem Standpunkt der Menge sich herabgelassen haben; noch viel weniger, dass ihre Nachfolger, die Schriftgelehrten, den Volksgewohnheiten bedeutende Zugeständnisse gemacht haben. Aber es geht doch nicht an, ihre gesammte Arbeit und die Früchte, die sie davon geerntet haben, auf diese Weise zu erklären. Das System, das in ihrer Gesetzgebung niedergelegt ist, ist der natürliche Ausfluss ihrer eigenartigen Denkweise, und seine Brauchbarkeit für die Praxis konnte ihm in ihren Augen nur zur nebensächlichen Empfehlung dienen. Doch, lassen Sie uns dies System aus grösserer Nähe betrachten! An sich schon ist es unserer Aufmerksamkeit vollauf wert. Aber überdies haben wir hier noch eine besondere Veranlassung, es näher zu untersuchen. Wenn wir dem Entwickelungsgang der prophetischen Ideen nicht ohne irgend welches Interesse gefolgt sind, so wünschen wir nun zu erfahren, was mit der Einführung der Priester-Thora aus diesen Ideen geworden ist? Sollten Sie wirklich von Esra und seinen Mitarbeitern verleugnet worden sein, zur Seite geschoben, um für das Neue, was sie brachten, Raum zu schaffen? Es wird sich sogleich herausstellen, dass ich den Unterschied zwischen der prophetischen und der priesterlichen Auffassung des Jahwismus keineswegs für gering halte. Aber vor allen Dingen muss doch dem gegenseitigen Zusammenhang zwischen beiden sein Recht werden. Esra selbst hat die Propheten als die Knechte Jahwe's anerkannt, die seine Gebote verkündigt hätten 1 ). Er dachte nicht daran, abzu•) Ksra IX: 1 0 - 1 2 .

158

Die Grundlegung des Judaismus.

brechen, was sie aufgebaut hatten. Ist es wahrscheinlich, dass er dies unabsichtlich dennoch sollte getan haben? Die Gottesidee, welche der priesterlichen Gesetzgebung zu Grunde liegt, ist die prophetische, oder vielleicht richtiger: die Frucht ihrer Entwickelung in e i n e r bestimmten Richtung. Jahwe ist für die Urheber dieser Gesetzgebung, schon gleich für Ezechiel, der Einzige, der hoch erhabene und unnahbare Gott, streng in seinen Forderungen und unerbittlich genau in ihrer Handhabung 1 ). Von dem allen sind bei den vorexilischen oder exilischen Propheten die Parallelen oder doch die Keime nachzuweisen 2 ). Aber was sie daneben stellen, Jahwe's Güte und Barmherzigkeit, ist, wiederum schon bei Ezechiel, in den Hintergrund gedrängt. Der Abstand zwischen Jahwe und dem „Menschenkind" ist grösser geworden. Es geht nicht mehr zu, wie in den Tagen des Arnos, wo „der Herr Jahwe kein Ding tat, er offenbarete denn seinen Rat den Propheten, seinen Knechten"'). Dieser vertrauliche Umgang hat der tiefsten Ehrfurcht, wenn nicht gar Furcht und Zittern die Stelle geräumt. Mit e i n e m Worte: bei dem — doch wohl unvermeidlichen — Schaukeln der Gottesidee zwischen Immanenz und Transcendenz neigt nun das Zünglein zur letzteren hinüber. Noch mehr als die priesterliche Gottesidee erregt die priesterliche Auffassung der Gottesverehrung unser Interesse. ') Vgl. u. a. Ezech. I, X und über Jahwe's Gerechtigkeit c. X I V : 12—23; XVIII; X X X I I I : 1 0 - 2 0 . Vgl. R. S m e n d , der Prophet Ezechiel erklärt, S. XVI ff. Vgl. •!.. B. die Skizze der Anschauungsweise der Propheten des 8ten Jahrhunderts v . C h r . in meinem B. Godsdienst van Israel I: 44 ff. 3 ) Arnos III: 7.

Der ethische Charakter der Priesterthora.

159

Die prophetische lernten wir kennen als ethisch in Mark und Bein: kann mit Bezug auf die priesterliche dasselbe ausgesagt werden? Aus dem vorwiegenden Inhalt der Gesetzgebung • Esra's könnte man leicht das Gegenteil ableiten: w i d e r s p r i c h t er nicht Hosea's Wort: „Barmherzigkeit und nicht Opfer?"') Aber das wäre doch kein billiges Urteil. Die priesterlichen Gesetzgeber legen es nicht auf Vollständigkeit an; was in der deuteronomischen Thora bereits geregelt war, nehmen sie nicht zum zweiten Male auf; ihre sittlichen Vorschriften werden von ihnen nicht gering geschätzt, geschweige denn abgeschafft; man setzt sie vielmehr voraus. Zudem mangelt bei ihnen das Sittengesetz nicht völlig. Wir wollen nicht vergessen, dass auch Leviticus c. XIX, eine Umschreibung gleichsam der zehn Gebote, aus der Feder eines Priesters geflossen ist, und dass wir demnach ihm das königliche Wort verdanken: „Du sollst nicht Rache üben noch Zorn halten gegen die Kinder deines Volks, sondern deinen Nächsten lieben wie dich selbst; ich bin J a h w e ! " ' ) Und das andere, dem gleich: „Der Fremdling, der unter euch wohnet, soll euch sein wie ein Einheimischer; du sollst ihn lieb haben wie dich selbst; denn ihr seid Fremdlinge gewesen in Aegyptenland; ich, Jahwe, bin dein Gott!" 3 ) Auch sonst noch schimmert, so zu sagen, das Sittliche durch die rituellen Verordnungen hervor 4 ). Ethisch ist daher a u c h die Religion des priesterlichen Gesetzgebers. Aber doch in ') >) ') ')

Hos. Ley. Lev. Lev.

VI: 6a. XIX: 18. XIX: 34. XXIV: 10—23; XXV: 17 u. s. w. Nuro. XV: 39 u. s. w.

160

Die Grundlegung des Judaismus.

anderer Weise als die Religion der Propheten.

Versuchen

wir, uns von dem Unterschiede Rechenschaft zu geben!

Auf

zwei Hauptpunkte meine ich ihn zurückführen zu können. „Ihr sollt heilig sein, denn ich, Jahwe, bin heilig!" In

diesen Worten

hat die Priesterthora selbst ihre Auf-

fassung der Gottesverehrung zusammengefasst'); mit dieser Forderung tritt sie an das ganze Volk und an den einzelnen Israeliten heran.

Was ist darin enthalten?

„Heilig" ist Be-

zeichnung eines Verhältnisses; so heisst die Person oder d i e Sache,

welche der Gottheit geweiht ist, ihr angehört, zu

ihrem Dienste abgesondert ist. „Jahwe geweiht" zu sein?

Aber was bedeutet es dann

W i e i s t der b e s c h a f f e n , von

dem dies gesagt werden kann, und was unterscheidet ihn von dem Ungeweihten?

Die Antwort auf diese

Fragen,

welche uns den Charakter der priesterlichen Auffassung von den Forderungen Jahwe's enthüllen soll, kann keinen Augenblick zweifelhaft sein.

Heiligkeit ist R e i n h e i t ; diese ist, in

den Augen der Priester, die Haupttugend, das oberste Kennzeichen

des Israeliten.

Die Propheten

würden

das

doch

niemals so ausgedrückt haben, aus dem einfachen Grunde, weil sie es anders ansahen.

„Was fordert Jahwe von dir

anders, als Recht tun und Barmherzigkeit lieb haben, und demütig wandeln vor deinem Gott?"

So hatte Micha sich

ausgelassen ), und so stehen auch bei den übrigen Propheten a

die menschlichen Tugenden, Gerechtigkeit und gegenseitige Liebe,

im Vordergrunde.

Auch

der Priester wird

darauf

') Lev. X I X ; 2 ; X X : 7, 26 vgl. 24; X X I : 8, 15, 2 3 ; X X I I : 9, lf>, 32; X I : 44, 45; Num. X V : 40, 41. >) Mich. VI: 8.

Forderung der Heiligkeit, d. i. Reinheit.

161

dringen und tut das zuweilen, wie wir uns soeben noch erinnerten, in herrlicher Weise.

Aber seine kurze Summa

lautet anders: „Ihr sollt heilig sein, denn ich, Jahwe, bin heilig!"

Der Schwerpunkt liegt bei ihm an einer anderen

Stelle, in des Menschen Verhalten, nicht zu seinen Mitmenschen, sondern zu Gott, nicht in dem socialen, sondern in dem persönlichen Leben.

Ich muss mir erlauben, die

nähere Ausfuhrung dieses Gegensatzes Ihnen selbst zu überlassen.

Sie wissen, wie die Reinheit in den priesterlichen

Gesetzen näher beschrieben wird und u. a. auch die Keuschheit, im weitesten Sinne des Wortes, umfasst 1 ).

Auch was

da über Verunreinigung und Mittel sie aufzuheben, vorkommt, ist Ihnen klar genug erinnerlich.

So kann es Sie

auch nicht befremden, dass man dem priesterlichen Gesetzgeber Versinnlichung des Ethischen zur Last gelegt hat. Doch enthalten wir uns der Beurteilung: bloss auf reinliche Skizzirung des priesterlichen Ideals kommt es hier an. Ein zweites Merkmal desselben liegt in der Aufnahme des Cultus unter die Pflichten des Jahwe geweihten Volkes und jedes Israeliten insbesondere.

Die bis in die Kleinig-

keiten gehende Ausführlichkeit, womit der Tempeldienst geregelt wird, sticht grell ab gegen das Stillschweigen der Propheten, das zwar nicht von völliger Missbilligung, aber ganz gewiss von Gleichgiltigkeit zeugt.

Aber es ist nicht, wie

man leicht annehmen könnte, eine und dieselbe Sache, die h i e r der nur allzu grossen Vorliebe der Israeliten überlassen und d o r t , im Namen Jahwe's, als eine heilige Pflicht ihnen auferlegt wird. Das versteht sich ja von selbst, dass — um ') Lev. XVIII; XX. Kneneo,

Volk*- and Weltreligion.

11

162

Die Grundlegung des Judaismus.

es mit e i n e m Worte zu nennen — die heidnischen Bestandteile der volkstümlichen Jahweverehrung von dem priesterlichen Gesetzgeber, wie schon von dem Deuteronomiker, gemissbilligt und ausgeschlossen werden.

Aber darüber hin-

aus erhält in seiner Neuordnung der Cultus einen ganz anderen Charakter, als er v o r der babylonischen Gefangenschaft getragen hatte.

Es handelt sich um nichts Geringeres,

einen Bruch mit der Vergangenheit.

als

Die Priesterthora be-

trachtet die Verehrung Jahwe's als etwas Selbständiges, als ein Institut, das seine Bedeutung und seinen Wert in sich selbst trägt, abgesehen von der Mitwirkung und Gesinnung derjenigen, in deren Namen In Folge dessen

überlässt

Initiative der Frommen.

sie Jahwe dargebracht wird.

sie so wenig wie möglich der

Täglich, am Sabbat und an den

Festtagen müssen je die festgesetzten und genau beschriebenen Opfer auf den Altar kommen.

Für die Kosten sorgt die Ge-

meinde,

hat

mit allem Anderen

sie nichts zu schaffen.

Freilich giebt es auch freiwillige Opfer, aber die kommen erst an zweiter Stelle in Betracht; ebenso die Gelübde, unter denen sich auch solche befinden, die von dem Gesetze eher beschränkt als empfohlen werden 1 ).

Mit dieser Auffassung

des Cultus als Statut hängt ferner die priesterliche Würdigung der einzelnen Opferarten zusammen.

Im

Deuteronomium,

ebenso wie in dem Volksgottesdienst, nimmt noch das I)aukopfer den breitesten Kaum ein: Jahwe ist gleichsam

der

Gastgeber, „vor dessen Angesicht" seine von ihm beglückten Kinder „fröhlich sind" J ). In der Priester-Thora dagegen stehen ') Vgl. mein R. (iodsdienst van Israel, II: 194—196. ') Deuteronomisclie Formel, welche c. XII: 7, 12, 18: XIV. 2G;

Der Cultns im priesterlichen Gesetz.

163

die Brand- und Sühnopfer 1 ) im Vordergrund. Konnten wir, nach unserer vorherigen Untersuchung, im Grunde etwas anderes erwarten?

Mit dem Charakter Jahwe's, wie er z. B.

von Ezechiel aufgefasst wird, und mit dem Schuldbewusstsein, das durch die tiefe Erniedrigung des Volkes wachgerufen und erstarkt war, stand die vorexilische Praxis nicht im Einklang; sie musste wohl durchgreifende Aenderungen erfahren.

Ueberdies brachten die Bestimmungen über die

Reinheit, oder lieber: ihre unvermeidlichen Uebertretungen notwendig eine Vervielfältigung der Sühnopfer mit sich; an strenge Bestrafung solcher meist unwillkürlicher Fehltritte war nicht zu denken; hier musste immer wieder das Sünd- oder Schuldopfer und einmal des Jahres der Versöhnungstag das gestörte Verhältniss zu Jahwe wiederherstellen. Ist es ein höherer Standpunkt, den der priesterliche Gesetzgeber mit dieser Verordnung einnimmt oder entfernt er sich damit von Natur und Wahrheit?

Ich begnüge mich,

durch Aufwerfen dieser Frage Ihre Aufmerksamkeit darauf zu lenken. erzählen.

Wir haben hier nicht zu urteilen, sondern zu Wohlan denn, zu dieser Erzählung gehört noch,

dass, ebenso wie die Priesterthora überhaupt, auch der nach ihren Vorschriften geordnete Cultus bei dem jüdischen Volke X V I : 11, 14; X X V I : 11; X X V I I : 7 vorkommt und in Lev. X X I I I : 40 wiederholt wird. Vgl. Jes. I X : 2 ; Arnos V : 23. ') Die Sühnopfer werden in der vorexilischen Literatur nur sehr selten erwähnt: 1. Sam. III: 14; 2. Kön. X I I : 17 (Luther v. 16), (wo Geldbusscn, welche die Priester in Empfang genommen haben, gemeint sind); Deut. X X I : 1—9 (völlig abweichendes Ritual). Ueber Hos. IV: 8, welche Stelle nicht hierhin gehört, s. oben S. 89. 11*

164

Die Grundlegung des Judaismus.

Eingang gefunden hat. Dies verdient ausdrückliche Erwähnung, weil es sich nicht in der Weise von selbst versteht, wie uns die Liebe des alten Israel zu seinen Opfern und Festen durchaus keiner Erklärung zu bedürfen scheint. Die grosse Menge blieb nicht gleichgültig für den äusseren Prunk des Tempels und seiner Diener und für den Ernst der cultischen Feierlichkeiten. Aber auch die Gebildeteren gerieten unter die Macht des gottesdienstlichen Aktes. Dabei gegenwärtig sein zu dürfen, war der Meinung der Frommen nach ein unschätzbares Glück. Man kann verschieden denken über das, was sie dort suchten und fanden. Wohl nicht mit Unrecht ist vor kurzem hervorgehoben worden, dass „die tiefe innere Bewegung", mit welcher der Gläubige dem zweiten Tempel sich nahte, mit den dort dargebrachten Opfern wenig zu schaffen hat, sondern weit mehr auf dem Umstände beruhte, dass die ganze wunderbare Geschichte von Israel's gnädiger Führung durch Jahwe ihm lebendig und als persönliche Tatsache vor Augen trat, während er dort stand unter der feiernden Menge an der uralten Stätte von Jahwe's Tron und seine Stimme einmischte in das Loblied, das ihm zu Ehren angestimmt wurde"'). Aber mag man auch der Ansicht sein, dass sich dies nur auf verhältnissmässig Wenige anwenden lässt, so ist die Tatsache in jedem Falle nicht zu leugnen, dass der fromme Jude den levitischen Gottesdienst lieb hatte und sich in dem Tempel Gott nahe fühlte. Die Psalmen legen ') W . R o b e r t s o n S m i t h , M. A . , the Old Testament in the Jewish Church. Twelve Lecturcs on Biblical Criticism, S. 380 vgl. 238 f.

Der Tempel und die religiösen Bedürfnisse.

165

davon ein beredtes Zeogniss ab. „Eines habe ich von Jahwe erbeten, das hätte ich gerne: dass ich im Hause Jahwe's bleiben möge mein Leben lang, za schauen die schönen Gottesdienste Jahwe's und seinen Palast zu betrachten"'). „Jahwe, ich habe lieb die Stätte Deines Hauses und den Ort, da Deine Ehre wohnet1)". „Wie lieblich sind Deine Wohnungen, Jahwe der Heerschaaren! Verlangt, ja geschmachtet hat meine Seele nach den Yorhöfen Jahwe's; mein Leib und meine Seele jauchzen zu dem lebendigen Gott!"') Doch wozu noch mehr? Psalm LXXXIV, dessen Anfang ich anführte; Psalm XLII und XLHI und so viele andere, sind uns von Jugend an vertraut. Der Tempel Serubbabel's und Jesua's ist es, der den Dichtern diese Klänge glühenden Verlangens entlockt hat, der priesterliche Gottesdienst, wonach ihr Herz so schmachtete. Es ist fürwahr keine leichte noch unbedeutende Aufgabe, welche die Priester Jahwe's auf diese Weise gelöst haben. Der Streit zwischen den beiden Auffassungen des Jahwismus ist beigelegt. Standen sie sich noch in den Tagen Jeremia's so scharf gegenüber, dass man sie, ohne alle Uebertreibung, zwei Religionen nennen kann, so sind sie nun versöhnt. Und es ist die Auffassung der kleinen Minderheit, die triumphirt hat. Allerdings ist sie nicht unversehrt aus dem Ringkampfe hervorgegangen; sie hat etwas von ihrem Idealismus eingebüsst und ihre geistigen Gedanken in eine sinnliche Form einkleiden müssen. Der ') Ps. XXVII: 4. ) Ps. X X V I : 8. 3 ) Ps. L X X X I V : 2, 3. 2

166

Die Grundlegung des Judaismus.

Sieg ist teuer erkauft, aber — wer verbürgt uns, dass er auf andere Weise zu erringen war? Wir dürfen uns daher mit dem gewonnenen Resultate zufrieden geben. Nur in e i n e r Hinsicht, wie mir scheinen will, nicht. Die Religion der Propheten stand doch im Begriffe ihre Flügel zu entfalten und sich über die Grenzen der israelitischen Nationalität hinaus auszubreiten. Von diesem Ideal und dem Streben nach seiner Verwirklichung haben wir bisher im Judaismus keine Spur entdeckt. Im Gegenteil, schon bei der Vorbereitung seiner Einführung stösst er die fremden Elemente, nicht ohne Härte, aus 1 ). Es sind „diejenigen, welche sich abgesondert haben von den Völkern des Landes" J), die unter der Leitung Esra's und Nehcmia's die Verpflichtung übernehmen, dem Gesetze Gottes nachzuleben, und das erste, wozu sie sich verbinden, ist, dass sie ihre Töchter nicht den Söhnen des Landes geben, noch deren Töchter sich zur Ehe nehmen wollen 3 ). Absonderung also ist die Losung, unter welcher die Priesterthora eingeführt wird. Das jüdische Volk umschanzt sich gleichsam mit einer Masse von Bestimmungen und Gebräuchen, und nachdem dieser Weg einmal eingeschlagen ist, geht es, unter Führung der Schriftgelehrten, auf ihm immer weiter und weiter fort. Ist dies nicht eine traurige Verleugnung einer schönen Vergangenheit, mindestens die Vereitelung der Verheissung, die sie in sich schloss? Musste der prophetische Jahwismus, der sich schon in solchem ') Esra IX und X. ») Neh. X : 29 (28). 3 ) v. 31 (30).

Der Judaismus als nationale Religionsform.

167

Masse von der Nationalität losgemacht hatte, nun aufs neue angekettet werden an ein einziges Volk, welches — nachdem die zehn Stämme davon abgeschnitten und in die Heiden aufgegangen waren — zu unbedeutend schien, um unter den Nationen mitgezählt zu werden? Es Hess sich nicht vermeiden, dass die Betrachtung der Einführung des Judaismus diesen Eindruck bei uns zurückliess. Wenn wir Augenzeugen davon gewesen wären, wir hätten über die Religion, welche Esra und Nehemia in ihrem Volke zur Herrschaft brachten, kein anderes Urteil fallen noch mehr darin sehen können, als eine im strengsten Sinne des Wortes n a t i o n a l e Institution. Und nichtsdestoweniger ist diese Auffassung lückenhaft und dadurch völlig unrichtig. Im Lichte der Geschichte der folgenden Jahrhunderte überzeugen wir uns ohne Mühe, dass es an internationalen und universalistischen Elementen keineswegs gebricht. Auf der Oberfläche liegen sie nicht. Aber vorhanden sind sie, und wir können nicht einmal sagen, dass sie eingeschlummert seien. Auf diose Innenseite des Judaismus wollen wir in einer späteren Stunde unsere Aufmerksamkeit richten.

IV. Judaismus und Christentum. Wer den Judaismus nach seinem ersten Auftreten beurteilt, muss ihm einen streng-nationalen und exclusivon Charakter zuschreiben. Auch ich habe dies nicht geleugnet, aber zugleich behauptet, dass er doch innerlich dem Universalismus nicht fremd gegenüberstand.

Aber wenn er nun aus

der Hinterlassenschaft der Propheten auch diesen Schatz sich zugeeignet hatte, wo hat er den denn aufgehoben? Wir wollen gleich zu Anfang beachten, dass die jüdische Religion nur für das Auge eine Unterabteilung des jüdischen Volkslebens war. In Wirklichkeit hatte sie eine selbständige Existenz.

Der Judaismus wird inaugurirt mit der Vorlesung

des Gesetzes und zeigt, von Anfang an und stetig zunehmend, einen gesetzlichen Charakter.

Die T h o r a , zuerst nur der

geschriebene Buchstabe, später auch die mündliche Ueberlieferung, gilt als der vollkommene Ausdruck von Jahwe's Willen und wird demzufolge als die höchste Macht anerkannt und verehrt.

Das war von Anfang an etwas anderes als

eine blosse Theorie und wurde je länger je mehr eine handgreifliche Tatsache.

Denn von Esra an hatte das Gesetz in

169

Herrschaft de« Gesetzes im Judaismus.

dem jüdischen Volke seine eigenen Vertreter, d i e S c h r i f t gelehrten.

Dadurch wurde seiner Abhängigkeit von der

Zustimmung der Individuen und von ihren nur zu leicht auseinandergehenden Erklärungen ein Ende gemacht.

Nicht

als ob die Schriftgelehrten zugleich die höchsten Obrigkeitspersonen wären und so die Ausführung ihrer Beschlüsse hätten sichern können; das Gegenteil war der Fall: aber sie bewegten sich darum nur desto freier und konnten sich umso besser ungeteilt ihrer Aufgabe widmen.

Dies geschah

denn auch in solchem Masse, dass die Thora bald ihre einzige Liebe geworden war. Ihr, nicht dem Vaterlande, seiner Grösse oder seiner Freiheit, gehörte ihr Herz.

Sie haben

an dem Aufstand gegen Antiochus Epiphanes teilgenommen, weil er die freie Uebung des Gottesdienstes verhinderte, und solange das Gesetz in Gefahr war. Aber auch keinen Augenblick länger.

Als Alkimus, eine Creatur der Syrier, aber

Abkomme Aaron's,

die hohepriesterliche Würde

annahm,

waren sie sofort bereit ihm zu huldigen'); nicht sie, sondern die Hasmonäer haben dem jüdischen Volke die Freiheit erkämpft.

Ihrer Haltung bei dieser Gelegenheit entspricht ihr

Benehmen unter Alexander Jannäus und bei dem zwischen Aristobulus und Hyrkanus II.*).

Streit

Sollte jemand

glauben, sie wären, indem sie die Neutralität soweit trieben, der Religion, die sie vertraten, untreu geworden und hätten damit ihr Ziel aus dem Auge verloren, so antworte ich, dass das jüdische Volk selbst anders geurteilt hat. Es ging nicht immer mit den Schriftgelehrten, aber — es hörte nicht auf ') l.Makk. VII: 1 2 - 1 5 . ») F l a v i u s J o s e p h u s Ant.XlII: 13, §5—15, § 5 ; XIV: 3, § 2 .

170

Judaismus und Christentum.

ihnen Ehrfurcht zu erweisen als den wahren Vertretern seiner Religion. nicht.

In solchen Dingen irrt sich die öffentliche Meinung

Auf ihre Autorität hin können wir ruhig annehmen,

dass es in den letzten Jahrhunderten vor der christlichen Zeitrechnung möglich war, zugleich ein von Herzen religiöser Mensch und ein schlechter Patriot zu sein, oder, m i t anderen Worten, dass im Judaismus Religion und Nationalität nicht m e h r untrennbar verbunden waren. Einen sprechenden Beweis für die Richtigkeit dieser Beobachtung liefern uns die Juden in der Zerstreuung.

Hier

ist nicht der Ort, diesen wichtigen Gegenstand in seinem ganzen Umfange zu behandeln.

W i r kommen sogleich noch

einmal darauf zurück und dürfen uns hier auf einige Bemerkungen beschränken.

Der Umstand, dass soviele Juden,

fern von der heimischen Erde, Juden blieben, verdient schon an sich unsere ganze Aufmerksamkeit.

Solange dieser Auf-

enthalt in der Fremde noch als vorläufig betrachtet wurde, während der

babylonischen Gefangenschaft also,

war dies

nicht zu verwundern. Aber, wie es später der Fall ist, wirft es ein helles Licht auf die grossen Fortschritte, welche die Befreiung der Religion von den Existenzbedingungen der Nationalität bereits gemacht hatte.

Wie weit haben wir uns

entfernt von der antiken Anschauung, die sich z. B. in dem bekannten Worte David's an Saul ausspricht: „ W e n n Menschen dich gegen mich gereizt haben, verflucht sind sie vor Jahwe, dass sie mich heute Verstössen, dass ich nicht bleibe in Jahwe's Erbteil, und zu mir sprechen:

„Gehe hin, diene

anderen

nicht einmal

Göttern!"')

') 1. Sam. XXVI: 19.

Aber wir

brauchen

so

Die Juden in der Zerstreuung. hoch in das Altertum hinaufzusteigen.

171

Noch im 8ten Jahr-

hundert vor Chr. hatte der Jahwismus des Volkes im Reiche Ephraim so wenig Selbständigkeit, dass er den Stoss der Wegführung nach einem fremden Lande nicht überlebte.

In

Palästina, selbst unter den assyrischen Colonisten, wird Jahwe gedient 1 ); die Verbannten aus den zehn Stämmen verschwinden spurlos, mit ihrer Religion, die allein im Stande gewesen wäre sie vor der Auflösung in die Heidenwelt zu bewahren.

Für die j u d ä i s c h e

Diaspora dagegen war ihr

Judaismus gleichsam eine schirmende Hülle, die ihren Bestand verbürgte. Umgekehrt musste wieder die Religion den Einfluss des Lebens in der Fremde erfahren, fem von dem Tempel und darum von allem Cultus. Alles, was diesen Mangel ersetzen konnte, wurde aufgesucht, festgehalten und entwickelt.

Dem

verdankt vor allem d i e S y n a g o g e ihre Entstehung.

Die

Gewohnheit, am Sabbattage sich zu versammeln und einander durch Vorlesung, Ansprache und Gebet zu erbauen, scheint wohl in Babylonien, sei es schon vor dem Ende der Gefangenschaft, sei es unter den damals Zurückgebliebenen, aufgekommen zu sein.

Ihre Bedeutung kann nicht leicht

zu hoch angeschlagen werden.

Während es sonst scheinen

konnte, als wenn die Anerkennung nur e i n e s Heiligtums den Judaismus von der Stelle, wo dies Heiligtum stand, abhängig machte, bewirkte die Synagoge, die überall ohne Mühe eingerichtet wurde, dass die Juden nirgends des Segens religiöser Gemeinschaft entbehrten, und die geistigen Güter, die sie mit sich führen konnten, höher schätzen ') Oben S. 80 f.

lernten.

172

Judaismus und Christentum.

Sie beförderte also in kräftigster Weise die Selbständigkeit der Religion. Noch ein Moment in der Verbreitung der Juden ausserhalb ihres Vaterlandes muss hier wohl beachtet wurden. Ueberall, wo sie sich ansiedelten, standen sie in anhaltendem und lebendigem Verkehr mit den Bewohnern des Landes, und das musste unter günstigen Umständen den gegenseitigen Austausch ihrer Ideen zur Folge haben. Dies konnte unmöglich ohne Einfluss bleiben auf die religiösen Anschauungen der jüdischen Colonisten. Ein anderes ward das Judentum in der griechischen Welt, z. B. zu Alexandrien, ein anderes das in Babylonien, wiederum ein anderes das zu Rom. Ob alle diese Schattirungen des e i n e n Judaismus Lebensfähigkeit besassen, kann mit Recht in Zweifel gezogen werden. Aber schon ihr Entstehen ist eine höchst beachtenswerte Erscheinung. Es offenbart ein nicht geringes Anpassungsvermögen und musste dasselbe seinerseits kräftig entwickeln. Welch höchst bedeutsame Tatsache ist z. B. die Uebertragung des Gesetzes in die griechische Sprache, mehr noch als Zeugniss für das, was der Judaismus damals schon war, als wegen der Einwirkung, welche sie auf die Heidenwelt ausübte. Der gesammte Hellenismus, voller Beweglichkeit und Verschiedenheit, ist ein sprechender Beweis für die Entwickelungsfähigkeit und demnach zugleich für die selbständige Existenz des Judentums. Und doch — es bleibt einmal beschränkt auf das e i n e Volk der Juden; es zeigt wohl, dass es die Macht, die es in Judäa besitzt, auch draussen auszuüben vermag, aber was ist aus dem Universalismus geworden, den die prophetische

Der UniTersalismns in den Psalmen. Auffassung uns erkennen Hess? dass davon

173

Wir werden jetzt sehen,

viel mehr übrig geblieben war, als man bei

oberflächlicher Betrachtung vermuten sollte. Denken wir zunächst daran, dass die prophetischen Ideen

unter

den Juden nicht in Vergessenheit gerieten.

Von den Schriftgelehrten wissen wir, dass sie dem Gesetze, seiner Redaktion und der Anwendung seiner Vorschriften im Leben ihre besten Kräfte weihten.

Doch haben auch

sie die übrige religiöse Literatur Israel's und insbesondere die prophetischen Schriften nicht unbeachtet gelassen.

Sie

sind es gewesen, die diese kostbaren Ueberbleibsel vor dem Untergange haben.

bewahrt und

durch Abschriften vervielfältigt

Ist es eine gewagte Voraussetzung, dass die Ge-

meinde der Frommen

das durchgeistigte Wort der Ge-

sandten Jahwe's reichlich

so hoch schätzte als die oft

dürren Satzungen der Thora?

In jedem Falle erhielten sie

auch d a v o n Kenntniss und gingen so die Winke über die Bestimmung der Religion Israel's für sie nicht verloren. Wenn wir sehen, welche Ehrfurcht ein Mann wie Jesus ben Sirach — etwa um das Jab* 200 v. Chr. — vor den Propheten hat, und wie er insonderheit die Sehergabe Jesaja's verherrlicht'),

so bedenken

wir uns keinen

Augenblick,

seinem Volke überhaupt mit der Kenntniss von den prophetischen Schriften auch das Festhalten einer der verlockendsten prophetischen Erwartungen zuzuschreiben. Aber mit blosser Wahrscheinlichkeit brauchen wir uns nicht zu begnügen.

An positiven Beweisen für das Fort-

leben der prophetischen Erwartungen fehlt es nicht. In den ') c. XLVIII: 24, 25.

Judaismus und Christentum.

174

Psalmen liegen sie uns vor.

Nachdem der Dichter von

Psalm XXII die Rettung des Gerechten aus seiner tiefen Erniedrigung gezeichnet hat,

fährt er fort: „Aller

Welt

Enden sollen es bedenken und zu Jahwe sich hinwenden; und vor dir sollen niederfallen alle Geschlechter der Heiden. Denn Jahwe gehöret das Reich, und er herrschet unter den Völkern"').

Ein Anderer

schliesst

sein

Siegeslied

mit

folgenden Worten: „Jahwe ist König über die Völker, Jahwe sitzet auf seinem heiligen Tron. Die Fürsten der Nationen sind versammelt zu dem Gotte Abraham's, Denn Jahwe gehören die Schilde der Erde: hoch erhaben ist Er!" 2 )

„Dich loben die Völker, o Jahwe, Dich loben die Völker alle" — so lautet der Kehrvers von Psalm LXVII 3 ), der in seinem ganzen Umfang der Verherrlichung Jahwe's, des Herrschers über die ganze Erde, gewidmet ist und die Hoffnung ausspricht, dass um der Wohltaten willen, die Er Israel erwiesen, „alle Enden der Erde" ihn fürchten werden 4 ).

Die

Schilderung der Führung Israel's durch Jahwe in Psalm LXVIII wird abgeschlossen mit dem Wunsche, dass Könige ihm zu Jerusalem Tribut darbringen, Vornehme aus Aegypten heraufkommen und die Aethiopier ihre Hände nach ihm ausstrecken sollen" 5 ).

„Jerusalem der religiöse Mittelpunkt der

') Ps. X X I I : 28, 29. ) Ps. XLVII: 9, 10. Für „Elohim" habe ich dreimal „Jahwe" eingesetzt, wie der D i c h t e r zweifellos geschrieben hat. In v. 10a ist die Vocalisation der LXX befolgt. 3 ) v. 4, G. 4 ) v. 8. 5 ) Ps. LXVIII: 30, 32 (teilweise Nachahmung von Jes. XVIII: 7). 2

Das Buch Daniel und die Zukunft des Jahwismos.

175

Welt" — das ist das Thema von Psalm LXXXVII.

Doch

genug: man hat die Psalmensammlung überhaupt die Antwort der Gemeinde auf Gottes Offenbarungen genannt; sie ist es auch in der Hinsicht, dass sie die Verheissung der Ausbreitung von Gottes Herrschaft wieder aufnimmt und als frohe Erwartung wiederholt'). Auch das Buch Daniel, so wenig es im Uebrigen den Schriften der Propheten gleichkommt, zeugt laut von dem Einfluss, den sie fortdauernd ausübten.

Die Weissagung,

dass schon nach einer halben Jahrwoche der Tempel, den Antiochus Epiphanes entweiht

hatte,

seiner

Bestimmung

wiedergegeben werden und dann „das Volk der Heiligen des Allerhöchsten" die Weltherrschaft antreten soll 2 ) — sie ist, nach dem eigenen Zeugniss des Verfassers 5 ), die Frucht seines Forschens in „den Büchern", insbesondere den Weissagungen Jeremia's.

Die Verhältnisse brachten es mit sich,

dass die politische Seite dor messianischen Weissagung ihn am meisten anzog. Wer möchte es ihm übel deuten, dass er vor allen Dingen auf die Abwehr des Angriffs der Heiden auf Jahwe bedacht ist und dass er die Demütigung ihres Hochmuts als die dringendste Forderung der Gegenwart ansieht?

Dennoch ist nach seiner Ansicht die Frucht des

nahenden

Strafgerichtes,

Jahwe's huldigen.

dass die Völker der

Allmacht

Nebucadrezar kann sich dem nicht ent-

ziehen und stattet selbst seinen Untertanen einen Bericht ') Diesem A b s c h n i t t l i e f t die ITeberzeugung zu G n i n d e , d a s s die P s a l m e n in ihrer grossen Mehrzahl der nachexilischen Zeit a n g e h ö r e n . Dan. I X : 2 4 — 2 7 ; VII: 2 5 — 2 7 u. s. w. •') Dan. I X : 2.

176

Judaismus und Christentum.

ab über die Strafe, die seine Selbstüberhebung getroffen hatte und allein durch seine Demütigung abgewendet w a r ' ) . Und Darius der Meder fertigt einen Befehl aus, dass man in seinem ganzen Königreiche den Gott Daniel's furchten und scheuen solle, denn er ist der lebendige Gott, der ewiglich bleibet, dessen Königreich unvergänglich ist und dessen Herrschaft währet bis zum Ende" J ). Es ist überflüssig, dieses Verhör fortzusetzen und die Nachwirkung der prophetischen Ideen auch in den jüngeren Apokalypsen nachzuweisen.

Die Gefahr war gering — so

viel ist uns nun schon vollkommen klar — dass etwa die Juden

sich zufrieden gaben mit dem Range e i n e r unter

den vielen Nationen und für ihre Religion nur auf Duldung von Seiten der Heiden Anspruch machten.

Wie sehr auch

ihre Thora dazu bestimmt schien und sich immer mehr geeignet erwies, sie abzusondern und gleichsam einzusperren: sofern sie auf die Stimme ihrer Propheten horchten, konnten sie in dieser Isolirung nicht die vollständige Verwirklichung ihres Berufes sehen. Aber ist es auch wohl im Grunde ganz

richtig,

wenn

man sagt, die Thora habe es ausschliesslich auf die Bildung eines einzigen, Jahwe geweihten Volkes abgesehen?

Soviel

ist gewiss, dass sie in einen Rahmen eingefügt ist, der viel mehr

verspricht.

Ich denke hierbei insbesondere an

die

geschichtliche Einleitung zu den priestcrlichen Gesetzen, die, selbst

noch in ihrer gegenwärtigen Verbindung mit

den

älteren jahwistischcn Erzählungen, das Ganze so zu sagen ') Dan. IV. ') I>an. VI: 27 (L. 2G).

Der geschichtliche Rahmen der Priesterthora.

177

beherrscht, ihm Farbe und Charakter giebt und den Eindruck bestimmt, den der Leser davon empfängt. Der Grundgedanke dieser Einleitung ist indertat grossartig').

Es rst

der einer fortlaufenden Offenbarung Gottes mit der sinaitischen Gesetzgebung als Schlussstein.

E l o h i m erschafft in

sechs Tagen Himmel und Erde und heiligt den siebenten Tag,

an dem er ruhet von seiner Arbeit.

Den Segen,

welchen er über die ersten Menschen ausspricht,

wieder-

holt er später nach der Rettung Noah's und der Seinen aus der Sintflut; zugleich erlässt er seine Gebote an die neue Menschheit und giebt den Regenbogen zum Zeichen des mit ihr geschlossenen neuen Bundes. Abram offenbart er sich als El S c h a d d a j , Gott der Allmächtige; mit ihm und seinen Nachkommen geht er ein engeres Bündniss ein, dessen Siegel die Beschneidung wird.

Dessen eingedenk, erbarmt er sich

über Jacob's Nachkommen in Aegypten, offenbart sich dem Mose als J a h w e , erlöst durch ihn und Aaron das Volk aus der Sklaverei und geleitet es nach dem Sinai, wo Er verkündigt, wie Er angebetet sein will und, nachdem Ihm eine Wohnung gebaut ist, sich inmitten Israel's niederlässt.

„Da-

selbst" — bei dem Altar vor der Stiftshütte — »will ich zusammenkommen mit den Kindern Israel's, und er (der Altar) soll geheiligt werden durch meine Herrlichkeit.

Und

ich will heiligen die Hütte des Stifts und den Altar, und Aaron und seine Söhne mir zu Priestern weihen. Und will unter den Kindern Israel's wohnen, und ihr Gott sein. Und sie sollen wissen, dass ich, Jahwe, ihr Gott bin, der sie aus ') Vgl. mit dem Folgenden mein B. Godsdienst

67-83. Kuenen, Volks- and Weltreligion.

van Israel II:

12

178

Judaismus und Christentum.

Aegyptenland

fiihrete,

dass ich unter ihnen

wohne; ich,

Jahwe, bin ihr G o t t ! " ' ) Es herrscht für unser Gefühl Mangel an Uebereinstimmung zwischen diesem Process, der bei der Weltschöpfung beginnt und

anfangs die ganze Menschheit umfasst,

dem Endergebniss:

und

den bis in die kleinsten Kleinigkeiten

ausgeführten Vorschriften über das Heiligtum, die Priester und die Priesterkleidung, die Opfer, die Reinheit —• Vorschriften, die ihrer Art nach nicht geeignet sind, ausserhalb des engen Gebietes e i n e r kleinen Nation in die Praxis eingeführt zu werden.

Selbst dann, wenn wir für die rituellen

Bestimmungen ihr Ziel einsetzen: die Bildung einer Jahwe geweihten Gemeinde, bestehen.

selbst dann

bleibt die Disharmonie

Zu einem Teile findet sie ihre Erklärung in dem

Entwickelungsgang der religiösen Ideen in Israel.

Der Gott

des e i n e n Volkes ist allgemach in der Vorstellung seiner Verehrer der Einzige geworden

und dadurch indertat zu

gross für die eng begrenzte Aufgabe, die ihm übertragen bleibt.

Bei den Propheten, die wir als die Urheber dieser

Umschöpfung kennen lernten, scheint uns das Ergebniss, aus mehr als einem Grunde, viel weniger anstössig: es kommt in ihnen gleichsam vor unseren Augen zur Reife; ihre Auffassung von dem Jahwedienst ist geistig und ethisch, und wenigstens bei den Meisten von ihnen fehlt die Hoffnung auf Ausbreitung des Jahwismus in weiterem Kreise nicht. In der Priesterthora dagegen macht sich der Contrast zwischen

dem Punkte,

welchem

von dem sie ausgeht,

sie gelangt,

sehr

') Kxod. XXIX: 43-46.

bemerklich:

und dem,

auf dem

zu

breiten

179

Maleachi über die Heiden.

Fundamente einer Himmel und Erde umfassenden Theorie baut sie ein sorgfältig ausgearbeitetes System auf, aber — von sehr kleinen Dimensionen. Doch nicht darauf kommt es an, welchen Eindruck dieser Mangel an Zusammenhang auf uns macht, sondern auf das andere, ob die Verfasser der Priesterthora und die Schriftgelehrten nach ihnen sich dieser Disharmonie bewusst gewesen sind.

Wir können daran nach meiner Ueberzeugung

kaum zweifeln.

In den Tagen Esra's und Nehemia's tritt

Maleachi als Prophet auf.

Jahwe, so verkündigt er, will

die kümmerlichen und verstümmelten Opfertiere, welche die Priester sich nicht entblöden ihm anzubieten, aus ihrer Hand nicht annehmen, „denn" — sagt er — „von dem Aufgang der Sonne bis zum Niedergang ist mein Name gross unter den Heiden, und an allen Orten wird meinem Namen geräuchert und ein reines Speisopfer geopfert, denn mein Näme ist gross unter den Heiden" ').

Und einen Augenblick später:

„Denn ich bin ein grosser König und mein Name ist gefürchtet unter den Heiden" J ).

Mit Unrecht hat man dieses Wort auf

die Juden in der Zerstreuung bezogen; denn — lassen wir auch dahingestellt, dass diese um die Mitte des 5ten Jahrhunderts v. Chr. sich noch nicht „von dem Aufgang der Sonne bis zum Niedergang" in der Heidenwelt verbreitet hatten — von ihnen konnte der Prophet nicht sagen, dass sie „an allen Orten" Jahwe Rauchwerk und Speisopfer darbrachten, was ja in gesetzlicher Weise nur in dem jerusalemischen Tempel

geschehen

konnte.

Ebensowenig

') Mal. I: 11. M a l . 1: 14 b .

12*

lässt

180

Judaismus und Christentum.

sich Maleachi's Ausspruch als Weissagung auffassen: der Grundtext leidet das nicht, uud selbst in der Zukunft kann der Prophet keine andere Opferstätte als Jerusalem kannt haben.

aner-

Nein, es wird hier an die Verehrung gedacht,

welche die Völker jetzt schon Jahwe zollen, dann nämlich, wenn sie mit wahrhaftiger Ehrfurcht und in aufrichtigem Eifer

ihren eigenen

nomium

war

Göttern dienen.

die Anbetung jener

Schon im Deuteroanderen

Götter

die Völker als eine Fügung Jahwe's dargestellt

durch

worden').

Maleachi geht einen Schritt weiter und fasst ihre Gottesverehrung auf als eine Huldigung, die eigentlich Jahwe gilt, ihm, dem Einen wahrhaften Gott.

Der Gegensatz zwischen

Jahwe und den anderen Göttern, später zwischen dem e i n e n Gott und den Wahngöttern, hat hier also der noch höheren Anschauung weichen müssen, dass die Verehrung Jahwe's das eigentliche Wesen und die Wahrheit aller Gottesverehrung ist. Zu welchem Zweck in diesem Zusammenhang die geflissentliche

Erklärung dieses e i n e n prophetischen

Wortes?

Der Mann, der es geschrieben hat, hat an der Wiege des Judaismus gestanden.

Seine Zeitgenossen, die Urheber der

Priesterthora, haben höchst wahrscheinlich seine ideale Ansicht von dem Heidentum nicht geteilt. Monotheismus

und

Und doch war ihr

der ihrer Nachfolger ebenso rein

absolut wie der seinige.

und

Wird es dadurch nicht geradezu

ungereimt anzunehmen, dass sie die wahre Religion

ein-

f ü r a l l e m a l auf das e i n e jüdische Volk sollten beschränkt haben?

Oder, wenn man es für gewagt hält, über sie eine

bestimmte Ansicht auszusprechen, glaubt man, dass Alle, ') S. oben S. 128, Anm. 2.

Ursprung und Bestimmung der Tbora.

181

welche die Thora mit ihren historischen Prämissen annahmen, sich damit zufrieden gegeben haben, dass sie bleibend nur für die Juden allein bestimmt gewesen wäre?

Es lag hier

eine Antinomie vor, die nicht von jedem erkannt zu sein braucht; aber gewiss hat es nicht an solchen gefehlt, denen sie zum Bewusstsein gekommen ist, wenn es ihnen auch vorderhand verborgen blieb, wie sie gelöst werden sollte. An e i n e m Punkte sehen wir die universalistischen Voraussetzungen gleichsam die Schale durchbrechen.

Und

das sind die Bestimmungen der Priesterthora über die g e r i m , die unter Israel angesiedelten Fremden, wohl zu unterscheiden von den Ausländern einerseits und von den herumziehenden Tagelöhnern andrerseits.

„Einerlei Gesetz sei dem

Fremdling und dem Einheimischen": das der Grundsatz, den der Gesetzgeber aufstellt') und auf die besonderen Fälle anwendet. Schon in Genesis c. XVII werden die „gerim" der Beschneidung unterworfen'), in dem sinaitischcn Gesetz den rituellen Vorschriften'), den Bestimmungen über die Reinheit 4) und dem für Alle gültigen Strafgesetz').

Anderer-

seits werden sie auch zugelassen zu dem Passahmahl'). Bezeichnend für den Geist der priesterlichen Gesetzgeber sind diese Verordnungen jedenfalls. Für eine derselben lässt sich dies, durch Vergleich mit den abweichenden älteren Vorschriften, sehr deutlich zeigen.

„Ihr sollt mir heilige Leute

') Exod. XII: 49; Lev. XXIV: 22; Num. I X : 14; X V : 29. Gen. XVII: 12, 13, 23, 27; vgl. Exod. XII: 44. 5 ) Lev. XVII: 8; Num. IX: 14; X V : 29. •) Lev. XVI: 29; XVII: 10, 13, 15, 16. ») Lev. XXIV: 16, 22. «) Exod. XII: 48, vgl. 19; Num. IX: 14.

182

J u d a i s m u s u n d Christenthum.

sein, darum sollt ihr kein Fleisch essen, das auf dem Felde von Tieren zerrissen ist; dem Hunde sollt ihr es vorwerfen": so lautet die Bestimmung des Bundesbuches').

Sie wird

der Deuteronomiker wohl vor Augen gehabt haben, sich folgendermassen aussprach:

als er

„Ihr sollt kein Aas essen;

dem Fremdling in deinen Toren sollst du es geben, dass er es esse; oder verkaufe es dem Ausländer, denn du bist ein Volk, das Jahwe, deinem Gotte, geweiht ist"

Hier

also ein Gegensatz,

was

der auf religiösem Grunde ruht:

dem Israeliten verboten wird, steht dem „ger" in den Toren frei, weil er nicht zu dem von Jahwe auserwählten Volke gehört.

Und nun die Priesterthora:

„Jeder,

der ein Aas

oder was vom Wilde zerrissen ist, isset, er s e i e i n E i n heimischer

oder

Fremdling,

der

soll

seine

Kleider

waschen und sich mit Wasser baden und unrein sein bis auf den Abend.

Und so er (seine Kleider) nicht wäschet

und seinen Leib nicht badet, so soll er seine Sünde tragen", d. i. die Strafe dafür erleiden').

Hier wird kein Unterschied

mehr gemacht; die Verbotsbestimmung ist eine selbständige Grösse geworden;

die Handlung, wogegen sie sich richtet,

darf in keinem Falle getan werden, ebensowenig von einem Fremden, wie von dem Israeliten.

Allerdings wird sogleich

wieder die Vorschrift abgeschwächt durch die Angabe einos Mittels, welches die Strafe abwenden kann: wer die Mühe der Reinigung auf sich nehmen will, darf das Verbot ruhig übertreten.

Aber

soweit

Exod. X X I I : 3 0 ( 3 1 ) . J

) Deut. X I V : Lew X V I I :

21a. 15,

16.

der priesterliche

Gesetzgeber es

Gesetzliche Vorschriften hinsichtlich der Fremden.

183

aufrecht erhält, wendet er es auf Alle an, die za der Gem e i n d e gehören. Dieser Begriff, „Gemeinde", ist aas einem genealogischen ein örtlicher geworden. Ist darin ein Fortschritt zu erkennen? In gewissem Sinne nicht. Der religiöse Grundgedanke, der in dem Bundesbuche klar ausgedrückt und auch von dem Deuteronomiker noch festgehalten wird, ist in der Priesterthora sogut wie völlig verwischt. Dafür überschreitet sie aber die Grenzlinie zwischen Israel und den Völkern, und sie tut dies mit vollem Bewusstsein. Sollten wir nicht zu der Annahme berechtigt sein, dass die E r f a h r u n g ihre Verfasser zu diesem wichtigen Schritt gebracht hatte ? Schon während der babylonischen Gefangenschaft, oder doch in der ersten Zeit nach der Rückkehr, scheint der Anschluss von Fremden an die israelitische Gemeinde nichts Seltenes gewesen zu sein. Für den Verfasser „des Orakels über Babel", das unter die Weissagungen Jesaja's aufgenommen ist, gehört die Vergrösserung des Kreises der Jahweverehrer noch der Zukunft an, doch ist sie im Begriffe, sich zu verwirklichen. Denn in einem Atem verkündigt er, dass „Jahwe sich über Jacob orbarmen und Israel wieder erwählen und sie in ihr Land wieder einsetzen wird," und „dass die Fremdlinge ihnen anhangen und sich zu dem Hause Jacob's tuen werden"'). Der zweite Jesaja — oder, was mir wahrscheinlicher ist, ein noch jüngerer Prophet — kennt diesen Anschluss schon ') Jes. X I V : 1. Mit „anhangen" (sich anschliessen, L. „sich tuen zu J.") übersetze ich hier und in den nächstfolgenden Sätzen das Niph'al des hebräischen „lawah". Vgl. S. H a y b a u m , die Entwickelung des altisraelitischen Priesterthums, S. IV ff.

184

Judaismus und Christentum.

als eine Tatsache;

er fühlt sich gedrungen,

getretenen zu ermutigen. angeschlossen

hat,

„Der Ausländer,

soll nicht

sagen:

Jahwe scheiden von seinem Volke!"') begründet.

die

Hinzu-

der sich Jahwe

gewiss

wird

mich

Diese Furcht ist un-

Vielmehr: „die Ausländer, die Jahwe anhangen,

ihm zu dienen und den Namen Jahwe's zu lieben und seine Knechte zu sein, alle, die sich vor Entheiligung des Sabbats hüten und

meinen Bund festhalten — dieselben

will ich

auf meinen heiligen Berg bringen und will sie erfreuen in meinem Bethause; ihre Brandopfer und Dankopfer sollen mir wohlgefällig sein auf meinem A l t a r ; denn mein Haus soll ein Bethaus gegenüber,

für alle Völker heissen" *). von denen

Den

Zuständen

dieser Ausspruch Zeugniss

ablegt,

musste der Gesetzgeber eine entschiedene Haltung annehmen. Ob er wohl voll und ganz mit dem zweiten Jesaja einverstanden war?

Es steht uns frei, d a r a n z u z w e i f e l n 3 ) .

wahrscheinlich wird er sich mehr

Höchst

nach Esra hin geneigt

haben, von dem wir wissen, mit wie harten Massregeln er seine Tätigkeit in Judäa eröffnete.

Aber in e i n e m Punkte

mildert er doch seine exclusive Haltung. Die „gerim" werden zu Gnaden angenommen und, nicht in Israel, aber doch in die Gemeinde einverleibt.

Wir hätten vielleicht etwas

mehr gewünscht und wohl auch erwartet.

Aber das darf

uns nicht hindern, die grosse Bedeutung schon dieses ersten Schrittes anzuerkennen.

Der Judaismus steckt seine Grenzen

weiter; das Proselytentum nimmt seinen Anfang. ') Jes. LVI: 3. v. 6, 7. J ) Ueber Lev. XXII: 25 s. Erl&ut. X.

Das Wort

Entwickelung des Judaismus zur Weltreligion hin.

185

schon, womit wir diese Erscheinung bezeichnen, ist die griechische Uebersetzung des hebräischen „ger", das allmählich die Benennung für denjenigen wird, der sich an Israel anschliesst, statt den zu bezeichnen, der nicht zu Israel gehört. Wir wollen „die geringen. Tage nicht verachten" '), sondern des Steines gedenken, der, abgerissen nicht durch Menschenhand, zu einem grossen Berge ward und die ganze Welt füllete'). Noch war die Psalmensammlung nicht abgeschlossen, als schon in dem jerusalemischen Tempel, nächst Israel und dem Hause Aaron's, insbesondere „diejenigen, die Jahwe fürchteten", d. i. die Proselyten die Aufforderung des Sängerchores an sich gerichtet hörten: „Danket Jahwe, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich"'). So wird denn klar, dass der Judaismus von Anfang an mehr gewesen ist, als was er zu sein schien: eine unter den vielen Religionsformen, ausschliesslich für ein einziges Volk bestimmt und geeignet.

Es wird daher jetzt meine

Aufgabe sein, nachzuweisen,

wie diese Verheissung von

etwas Weiterem und Höherem sich erfüllt hat, mit anderen Worten, wie sich aus dem Judaismus eine Weltroligion, das Christentum, entwickelt hat. der Geschichte

des Judaismus

und

Die Hauptzüge

der Schicksale

des

jüdischen Volkes werden dabei als bekannt vorausgesetzt. Nur soviel kommt davon zur Sprache, als nötig ist, uns diesen e i n e n denkwürdigen Uebergang, den von der nationalen ') Sach. IV: 10a. *) Dan. II: 34, 35. ') Ps. CXV: 9—11; CXVIII: 2—4; OXXXV: 19, 20.

186

Judaismus und Christentum.

zur universalen Religion, deutlich und verständlich zu machen. Dagegen werde ich keinen Versuch machen, das Licht auszuschliessen, welches von dem Christentum selbst auf die früheren Jahrhunderte zurückstrahlt. Im Gegenteil, ich suche ebensosehr nach seiner Vorgeschichte innerhalb des Judentums, wie ich, umgekehrt, den Fortschritt und die innere Entwickelung des Judentums in der Richtung auf die Weltreligion hin zu beschreiben trachte. Mit klaren Worten muss anerkannt werden, dass die Erscheinungen, die wir jetzt so nennen, uns viel weniger auffallen und nicht so hoch von uns würden angeschlagen werden, wenn wir nicht wüssten, worauf sie hinausliefen. Wozu deshalb den Schein annehmen, als wenn wir die Tatsachen so betrachteten, wie sie der Zeitgenosse gesehen hat, statt vielmehr so, wie erst spätere Geschlechter sie wahrgenommen und gewürdigt haben? Doch indem ich mich anschicke, an die damit näher bezeichnete Aufgabe heranzutreten, werde ich durch einen Einwurf aufgehalten, der, wie er auch sonst zu beurteilen sein mag, jedenfalls das Verdienst hat, ein principieller zu sein. Die „Entwickelung", von der du redest — so ruft man mir zu — ist eine Fiction, und weiter nichts. Ja, der Judaismus hat sich entwickelt, aber — zum Judentum des Talmuds. Das Christentum ist wohl auf dem Boden des Judaismus entstanden, aber es daraus abzuleiten und zu erklären ist ein hoffnungsloses Unterfangen. Denn es ist eine neue Schöpfung und ebensowenig über die Person seines Stifters hinweg zu begreifen, als dieser sich als ein Produkt seines Volkes und seiner Zeit betrachten lässt. Willst du etwa Jesus Christus auf Seite schaffen? Wenn du das

Anschluss auch des Christentums an das Bestehende.

nicht willst, stelle die Frage anders!

187

Formulirst da sie so,

so machst du von vorneherein jede Lösung unmöglich. Meine Antwort kann

kurz und einfach lauten.

Vor

allen Dingen gebe ich die Versicherung, dass ich nicht daran denke,

die Person Jesu zu übersehen oder seine

grosse Bedeutung zu verkennen.

Auch mir wird die Ent-

stehung des Christentums ein unlösbares Rätsel, wenn ich ihn wegdenken soll, der seit achtzehn Jahrhunderten als sein Stifter anerkannt wird.

Ueber seinen Ursprung e n t -

w e d e r aus Israel o d e r aus Gott, wie man die Meinungsverschiedenheit,

meines Erachtens ganz unrichtig, auszu-

drücken pflegt, haben wir uns hier nicht

zu erklären.

Unsere Ansichten darüber laufen vielleicht weit auseinander. Aber ich wage auf Aller Zustimmung zu rechnen,

wenn

ich behaupte, dass wir seine Stiftung nur in sehr uneigentlichem Sinne eine neue S c h ö p f u n g nennen können.

„Wenn

es eine Schöpfung aus nichts giebt, so ist sie die u n v e r ä u s s e r l i c h e Prärogative der Gottheit, die man bei der Untersuchung aller menschlichen Entwickelung ausser Betracht lassen muss" '). In dem Laufe der Geschichte unseres Geschlechtes kommt nichts zu Stande, was sich nicht an das Bestehende anschliesst; was nicht, wie neu und unerhört es auch sein mag, doch die gegebene Wirklichkeit voraussetzt und, davon völlig losgelöst, aufhören würde, denkbar zu sein.

Diesem Gesetze ist, so weit unser Wissen reicht,

auch das Geistesleben der Menschheit und insonderheit ihre Religion unterworfen. ') H o e k s t r a , schiedenis, S. 114.

Sollen wir, was die Entstehung des

de ontwikkeling van de zedelijke idee in de ge-

188

Judaismus und Christentum.

Christentums angeht, eine Ausnahme von dieser Regel annehmen? kann. liche

Gewiss, wenn unser Recht dazu dargetan werden

Aber

daran ist nicht zu denken.

Christentum

„Das ursprüng-

ist nichts anderes als Judaismus":

konnte von dieser selben Stelle aus Ernest Renan

so

sagen'),

und auch diejenigen, die ihm das durchaus nicht zugeben, werden anerkennen müssen, dass der Punkte, wo sich beide berühren und sind.

mit einander übereinstimmen, unzählig viele

In meinem Vaterlande wurde noch kürzlich das Er-

gebniss eines fortlaufenden Vergleichs zwischen dem ersten Capitel der Bergpredigt und dem Talmud von einem jüdischen Gelehrten in dem Satze zusammengefasst, „dass die Sittenlehre des Evangeliums keine andere ist, als die, die sich im Talmud findet; dieselbe, die in den Schulen der Sopherim und der Tanaiten vorgetragen wurde; dieselbe, die bis auf den heutigen Tag von den „Talmudjuden" als Gesetz betrachtet wird" ''). und

Sie finden das viel zu stark ausgedrückt,

ich bin sofort bereit anzuerkennen,

dass dieser Satz

nur unter vielen Vorbehalten gebilligt werden kann 5 ).

Aber

die Uebereinstimmung ist vorhanden und sie zu leugnen ist schlechthin unmöglich.

Wenn das aber so ist, so haben wir

doch auch kein Recht, Christentum und talmudisches Judentum zu einem diametralen G e g e n s a t z zu machen und den Zusammenhang mit dem Judaismus früherer Zeit, den wir hier

annehmen,

dort

zu leugnen.

Das würde ein ganz

') On tlie influence of the institutions, thouglit and culture of Rome on Christianity (The Hibbert Lectures, 1880), S. 16 f. a ) T. T a l , een blik in Talmoed en Evangelie, S. 126. 3 ) Vgl. H. O o r t , Evangelie en Talmud, uit het oogpnnt der zedelijkheid vergeleken, S. 37 ff., 97 8. und sonst.

189

Christentum und talmudisches Judentum.

unhistorisches Verfahren sein. ganz anderer Art.

Unsere Pflicht ist zweifellos

Wir hüten uns ebenso sehr vor vor-

eiliger Identificirung wie vor der Beseitigung

eines Zu-

sammenhanges, den die Tatsachen selber uns predigen.

Bei

der Stiftung des Christentums, soviel ist klar, sind Bausteine verwendet, die dem Judaismus entnommen waren.

Welche

w a r e n d i e s ? Das die Frage, deren Beantwortung wir suchen. So ist zugleich der Charakter unserer Untersuchung noch näher bezeichnet, als dies vorhin möglich war. Es ist nicht die eigentliche Fundamentirung des Christentums, die ich Ihnen zeichnen möchte; nicht die Person und die Wirksamkeit seines Stifters, worauf ich Ihre Aufmerksamkeit lenke. Das überlasse ich einem meiner Nachfolger an dieser Stelle. Ich werde glauben, genug getan zu haben, wenn ich die unentbehrlichen Judentum

Vorbedingungen

seiner Stiftung in

des Anfangs unserer Zeitrechnung

offen gelegt

habe

und

vor

dem Ihnen

Sie in dieser Stiftung die

Er-

füllung der Verheissung habe erkennen lassen, die, wie wir jetzt schon wissen, in dem prophetischen Jahwismus enthalten war. Aber kaum sind wir mit diesem e i n e n Einwurf fertig geworden, so sehen wir uns schön von einem anderen aufgehalten, der nicht weniger principiell ist als der erste. Betraf dieser unser Suchen nach dem Ursprung des Christentums im allgemeinen, so gilt der zweite der Wahl des Gebietes, auf dem wir suchen wollen. Wir setzen voraus, dass die Vorbedingungen des Christentums in d e m J u d a i s m u s zu finden sind.

Auf die Ueberlieferung können wir uns

dabei getrost berufen, aber — die ist doch nichts mehr

190

Judaismus und Christentum.

als ein Jahrhunderte

altes Vorurteil.

„Der Ursprung des

Christenthums aus dem römischen Griechenthum", so lautet der zweite Titel von Bruno Bauer's „Christus und die Caesaren"').

Glauben Sie nicht, dass ich Ihnen im Vorüber-

gehen eine Widerlegung dieses seltsamen Buches zu geben versuchen werde!

Wenn ich Ihnen mitteile, dass Seneca

und Philo von Alexandrien darin als die Stifter des Christentums auftreten, verlangen gewiss wenige von Ihnen noch mehr zu hören.

Dennoch

Greis hier Erwähnung.

aber verdient der excentrische

Einer traditionellen Meinung kann

man sich erst dann ruhig anschliessen, wenn sie die Probe einer durchgreifenden Kritik bestanden hat.

Nun hat Bruno

Bauer durch seine Schriften vor allem e i n e Tatsache unwiderleglich bewiesen, dass die Leugnung des jüdischen Ursprungs des Christentums erst dann — ich sage nicht etwa: annehmbar,

sondern

discussionsfähig werden

kann,

wenn

man das ganze Neue T e s t a m e n t , die bekannten Zeugnisse des Tacitus, Suetonius, Plinius Secundus und — was sonst noch alles, völlig bei Seite schiebt.

Man muss indertat

h i e r in allen Stücken das Unterste zu oberst kehren und d o r t umgekehrt dem Zufalligen oder Unbedeutenden

ent-

scheidende Bedeutung zuschreiben, ehe man auch nur dem Anschein nach ein Recht hat, jene Tatsache zu leugnen. Die Apokalypse a l l e i n ,

als das Werk eines Zeitgenossen

des Galba oder selbst als unter Domitian geschrieben, genügt, um Bauer's Reconstruction der Geschichte über den ' ) 2te (Titel) Aufl. 1879.

Vgl. die n ä h e r e A u s f ü h r u n g einiger E i n -

zelheiten i n : Das Urevangelium u n d die G e g n e r der S c h r i f t : u n d die Cäsaren" (1880).

-Christus

Christentum und „römisch«« Griechentum".

191

Haufen zu werfen. Ein einziger Brief Pauli vernichtet sie. Mit dem Stifter des Christentums muss er sowohl Paulus als Petrus in das Reich der Dichtung verweisen. Das ist, wie es hier ohne irgend welchen Umschweif geschieht, keine Kritik mehr, sondern reinste Willkür. Wahrlich, eine Ueberlieferung, die nur über diese Ruinen hin angetastet werden kann, steht vorderhand noch fest genug. Das römische Griechentum wird sich mit der untergeordneten aber darum keineswegs unwichtigen Rolle zufrieden geben müssen, die ihm seit lange in der Ausbreitung und Entwickelung des ausserhalb seines Kreises gewordenen Christentums zuerkannt wurde'). Mit völliger Ruhe begeben wir uns deshalb an unsere Aufgabe. Aber sogleich stehen wir wieder vor einem Dilemma. Das Judentum, in dem wir das Baumaterial für die Stiftung des Christentums suchen sollten, ist keine einfache Erscheinung. W o müssen wir unsere Nachforschungen anstellen: in dem Hellenismus, in dem palästinensischen Judentum oder vielleicht in beiden? Es wäre keine kleine Vereinfachung unserer Arbeit, wenn wir darüber jetzt schon Gewissheit erlangen könnten. Das scheint nun indertat nicht ausser dem Bereiche des Möglichen zu liegen. Beginnen wir mit einer Umschreibung des fraglichen Punktes! Mit Unrecht würde man glauben, dass die ausländischen oder wenigstens die griechisch redenden Juden, die sogenannten Hellenisten, alle ohne Unterschied einer Richtung angehörten, die von ') Vgl. noch Erläut. X I , auch über das Verhältniss der These B a u e r ' s zu der von E. H a v e t in „Le Christianisme et ses Origines" (tom. I, II l'Hellénisme ; tum. III le Judaïsme).

192

Judaismus und Christentum.

der der Lehrer in Palästina abwiche. selbst zu Alexandrien

Sehr Viele von ihnen,

und umsomehr anderwärts,

Hessen

sich von dem Mutterlande leiten und gaben, natürlich auf ihre Weise, die Farbenabstufungen wieder, beobachten konnte.

die man dort

Mehr als eines unter den griechischen

Apokryphen des Alten Testaments

könnte, was die darin

vorgetragenen Ideen angeht, in Palästina geschrieben sein. Der Verfasser z. B. des zweiten Ruches der Makkabäer ist ein Pharisäer aus den Pharisäern.

Wenn wir also den Helle-

nismus dem palästinensischen Judentum gegenüberstellen, so verstehen wir darunter genauer die eigenartige Verschmelzung des Judaismus mit der griechischen Philosophie, die vornehmlich zu Alexandrien ins Leben trat, von der wir in dem apokryphischen Buche der Weisheit eine Probe besitzen, die aber an Philo ihren eigentlichen Vertreter und Wortführer hat.

Die Frage ist demnach in Wirklichkeit die, ob, wenn

n i c h i Philo selbst, so doch die Richtung, die auf ihn hinauslief, unter die Faktoren des werdenden Christentums zu rechnen ist oder gar der Hauptfaktor darunter war? Versuchung, sie zu bejahen, ist gross. nur

ein wenig anders formulirt wird,

Antwort Jahren

„ja" lauten.

Schon

nach seiner Gründung,

Die

Ja, wenn die Frage so muss sogar die

sehr frühe,

in den

ersten

hat der Hellenismus einen

Einfluss auf die Auffassung und Darstellung des Christentums ausgeübt. den

In der christlichen Religion,

Heiden

ausbreitete,

steckte

ein

wie sie sich unter Stück

Hellenismus.

Paulus hatte seine Macht erfahren; bei seinen Jüngern hörte er nicht auf, sich kräftig geltend zu machen; die Logoslehre des vierten Evangeliums ist im wesentlichen

die Philo's.

193

Christentum und Hellenismus.

Die früheste Entwickelang des Christentums hat deshalb sicher nicht ohne Beteiligung des Hellenismus stattgefunden. Aber damit ist auch gleichzeitig die Grenze bezeichnet, auf deren Umkreis sich sein Einfluss beschränkt. Z u r E n t s t e h u n g oder Grundlegung des Christentums hat der Hellenismus nicht mitgewirkt. In den drei ersten Evangelien entdecken wir keine Spuren von ihm, und dort, wo uns die Lehre des Stifters des Christentums in ihrer ursprünglichsten Gestalt mitgeteilt wird, dürften sie doch nicht fehlen, wenn die Atmosphäre, die er und seine ersten Jünger atmeten, mit hellenistischen Ideen geschwängert gewesen wäre. Hätten wir dieses Ergebniss, zu dem uns das vergleichende Studium der Urkunden des Christentums führt, im Grunde nicht schon zum voraus prophezeien können? Nachdem das Resultat gewonnen ist, fällt es uns wenigstens nicht schwer einzusehen, wie vollkommen es dem ersten Eindruck entspricht, den der Hellenismus und das älteste Christentum, neben einander betrachtet, auf uns machen. Wir werden Philo und der hellenistischen Richtung im allgemeinen den Ehrenplatz nicht bestreiten, den die in der Entwickelungsgeschichte der religiösen und ethischen Ideen einnehmen. Ihr Idealismus, der weitherzige und humane Geist ihrer sittlichen Ermahnungen, ihr Universalismus verdienen indertat hohes Lob. Dennoch aber ist etwas in ihren Schriften, was sich immer wieder störend zwischen sie und uns eindrängt und, wenn wir im Begriffe sind, uns von ihnen mit fortreissen zu lassen, unsere aufsteigende Nachgiebigkeit wieder unterdrückt. Es ist, mit einem Worte, der Mangel an Natürlichkeit, das Künstliche und Gemachte, was diese Kueuea,

Volks-

und

Weltreligion.

13

194

Judaismus und Christentum.

hemmende Wirkung aasübt.

Wir können uns, wenn such

nur mit einiger Anstrengung, vorstellen, wie Philo die Abhängigkeit von der griechischen Philosophie mit der Ehrfurcht vor der göttlichen Autorität des Gesetzes zu vereinigen wusste; wir überreden uns, aber wiederum mit Mühe, dass er an seine eigene Methode, an das gute Recht der allegorischen Schrifterklärung geglaubt hat. Aber etwas, was wie Enthusiasmus anssähe, kann während des Lesens seiner verwickelten Auseinandersetzungen nicht bei uns aufkommen.

Wir sehen in ihm nicht den Adler, der seine

Flügel entfaltet, sondern den Gymnastiker, der halsbrechende Kunststücke ausführt. Wir bewundern ihn freilich, aber wir staunen noch mehr. Und nun frage ich Sie: wo ist hier die Kraft, die zur Erzeugung einer neuen Religionsform gehört? Die christliche T h e o l o g i e

konnte von dem Hellenismus

vielen Nutzen haben und hat denn auch reichlichen — vielleicht allzu reichlichen — Gebrauch davon gemacht. Aber die christliche R e l i g i o n kann aus dieser Quelle nicht entsprungen sein. lich,

Bleibt es demnach auch unwidersprech-

dass Philo und das Evangelium einander an ver-

schiedenen Punkten berühren, häufig dieselbe religiöse Gemütsstimmung ausdrücken und viele Sittenlehren mit einander gemein haben — dennoch unterscheiden sie sich in Wesen und Charakter.

Die Linie, auf welcher sich der

Hellenismus vorwärts bewegt, läuft, so weit man sie auch verlängern mag, nicht in das Christentum aus. Ehe ich diese vorbereitende Betrachtung

abschliesse,

will ich die Annahme, von der ich dabei ausgegangen bin, noch einmal mit runden Worten aussprechen: die inter-

Jesus and Panhu.

195

nationale Religion, welche v i r das Christentum nennen, ist gestiftet, nicht durch den Apostel Paulus, sondern durch Jesus von Nazareth, durch den Jesus, dessen Person und Lehre uns in den synoptischen Evangelien am reinsten gezeichnet wird. Dem bekannten Schriftsteller Eduard v. Hartmann gebührt das Verdienst, die entgegengesetzte Auflassung klar und scharf, wie wir das an ihm gewohnt sind, formulirt zu haben.

In seiner Entwickelungsgeschichte des religiösen

Bewusstseins der Menschheit') tritt Jesus auf als Begründer „des Judenchristentums", einer Sekte, einer Häresie, oder vielmehr eigentlich nur einer Schattirung des Judentums, die an strenger Rechtgläubigkeit und nationaler Engherzigkeit hinter keiner der anderen der damaligen Richtungen zurückbleibt und nur darin von der herrschenden officiellen Anschauung sich unterscheidet, dass sie sich an die Armen und Verwahrlosten wendet und sie durch die Predigt von dem nahenden Gottesreiche zu bekehren und zu der vollkommenen

Gerechtigkeit

nach dem Gesetze

zu

erheben

sucht'). Aus diesem Judenchristentum, das keinen bleibenden Wert und keine Zukunft hatte, hat Paulus eine Weltreligion gemacht, indem er den Versöhnungstod und die Auferstehung :

) Das religiöse Bewusstsein der Menschheit im Stufengang seiner Entwickelung (1882). *) A. a. 0 . S. 5 1 4 — 5 3 2 . S. insbesondere S. 529: „Diese judenchristliche Richtung, die man nicht einmal eine Sekte innerhalb des Judentbums nennen konnte"; S. 530: Das Judenchristenthuio war das für die Armen und Elenden in Judäa mundgerechtgemachte Judenthum; S. 525: „Das Judenchristenthum nichts anderes als nationaljüdische Gesetzesreligion mit verstärkter messianischer Erwartung und mit bestimmter Beziehung dieser messianischen Erwartung auf die Persönlichkeit eines bei Lebzeiten verkannten und getödteten Propheten." 13*

196

Judaismus und Christentum.

des Messias als das Gericht über den gesetzlichen Standpunkt auffasste, also den Schlagbaum zwischen Juden und Heiden zu Boden warf und den jüdischen Monotheismus für Alle annehmbar machte'). Ich sprach soeben von Hartmann's V e r d i e n s t in Beziehung auf das historische Problem, das uns hier beschäftigt: worin — so fragen Sie jetzt — mag das denn wohl bestehen? Darin, wie es mir scheint, dass er, wie beinahe durchgängig in seinem Buche, so besonders hier die Identificirung der Religion mit der Dogmatik auf die Spitze treibt und, als wäre es ihm darum zu tun uns ein- für allemal davon zu heilen, die Einseitigkeit einer solchen Betrachtungsweise so klar wie möglich herausstellt. Es ist indertat gegen seine These wenig vorzubringen, wenn man von Anfang an die Formel des Universalismus für ein- und alles hält, denn diese Formel finden wir in den ältesten Berichten über Jesus lange nicht so klar und unzweideutig als bei dem Apostel der Heiden. Nichtsdestoweniger hat dieser nicht sich selbst gepredigt, sondern „Jesum Christum, und den als den Gekreuzigten" ! ). Sollte er nicht gewusst haben, was er tat, etwa nur durch ein Versehen oder in Folge einer gewissen Ironie des Schicksals die Verkündigung jenes „es ist hier kein Unterschied"') an die Person eines wohlmeinenden, rechtschaffenen und liebereichen Menschen, aber doch eines gesetzlichen und beschränkten Juden angeknüpft haben? 4 ) Das glaube wer kann! Jeder, der es ') ») ») 4 ) geben:

A. a. 0 . S. 546 ff. 1. Cor. I: 23; II: 2. Rom. III: 22 (23); X : 12, vgl. Gal. III: 28. Vgl. v o n H a r t m a n n , a. a. 0. S. 551 f. Dort wird nur zuge„ Andrerseits konnte er (Paulus) nicht daran zweifeln, dass Jesus,

197

Jesus und der Essenismus.

mit mir verwirft, als nicht viel besser als ungereimt, wird auch anerkennen, dass die Weltreligion im Principe bereits vorhanden war, als Paulus anfing, sie in der Heidenwelt zu verbreiten. Wir gehen deshalb guten Mutes weiter auf dem Wege, der vor uns liegt. Vielleicht finden wir da, also in dem Judaismus Palästina^, noch etwas mehr als die Antecedentien des „Judenchristentums" von Hartmann's, und wird so das gute Recht unserer Methode, woran wir jetzt schon nicht zweifeln, zum Schlüsse auch noch durch das Endergebniss bestätigt werden. Auf d a s p a l ä s t i n e n s i s c h e J u d e n t u m

richten

deshalb von jetzt an unsere Aufmerksamkeit.

wir

Und zwar

auf das palästinensische Judentum in s e i n e r G e s a m m t h e i t , nicht insbesondere auf eine einzelne der religiösen Richtungen, die wir darin unterscheiden. Wir haben Veranlassung, dies so nachdrücklich auszusprechen. Unter den Richtungen oder Parteien giebt es e i n e , die man immer wieder aufs neue mit dem Christentum in nähere und unmittelbare Verbindung bringt: den E s s e n i s m u s . einzusehen.

Wie man dazukommt, ist leicht

Wir brauchen nur auf die Form zu achten, in

der diese Ansicht vorgetragen zu werden pflegt.

Sie wird

uns in der Gestalt eines Romanos vorgelegt: fast alle die wenn derselbe das paulinische Evangelium zu lehren für opportun gehalten hätte, es hätte lehren k ö n n e n , da er sonst sein Wissen von demselben nicht auf eine Offenbarung Jesu Christi hätte beziehen können." Das zu untersuchen war gleichwohl überflüssig, denn die Aufhebung des Gesetzes stand ohnehin bereits (logisch) fest. S. über die Sache selbst A. H. B l o m , Paulinische Studien II und VII, in Theol. Tijdschriit 1879, S. 344ff.; 1881, S. 53 ff.

198

Judaismus und Christentum.

sogenannten

„natürlichen" Lebensbeschreibungen Jesu, die

jüngste, die in England das Licht der Welt erblickt hat, nicht ausgenommen 1 ), machen ihn zu einem Essener oder lassen ihn aus den Essenern hervorgehen.

Indertat, diese

Hypothese ist die einzige, bei der die Phantasie ihre Rechnung findet. Philo und Flavius Josephus haben uns von dem Leben der Essener ein anschauliches Bild geliefert'), das allerdings anziehend heissen mag und nur noch ein wenig Aufputz bedarf, um als Hintergrund für eine Geschichte Jesu dienen zu können.

Aber aus noch einem anderen Grunde

ernsterer Natur greift man zur Erklärung der Entstehung des Christentums immer wieder nach dem Essenismus.

Mit Hart-

näckigkeit, möchte ich fast sagen, wird diese Erscheinung aus dem Einflüsse des Auslandes auf das palästinensische Judentum abgeleitet. Josephus hat dazu in gewissem Sinne das Beispiel gegeben, und an Nachfolgern fehlt es ihm auch heute noch nicht.

Der Hellenismus, aus dem die Essener

geradewegs sollen hervorgegangen sein, bietet dann Gelegenheit, sie mit verschiedenen Systemen griechischer Philosophie, mit Zarathustra, ja selbst mit dem Buddhismus in Verbindung zu bringen.

Und wenn nun die Essener ihrerseits zu

der Entstehung des Christentums mitgewirkt haben, so tritt damit auch dieses mit dem Westen oder mit den östlichen Religionen in Beziehung und ist, wie man wenigstens meint, das Rätsel seines Ursprungs der Lösung um einen Schritt näher gebracht. ') Rabbi Jeshua. An eastern Störy (London, 1881). ) P h i l o , quod omnis probus liber § 12 und Apol. pro Judaeis fragm. bei E u s e b i u s in Praep. Evang. VIII: 11; J o s e p h u s Antiqu. X I I I : 5 § 9 ; X V : 10 § 4, 5; XVIII: 1 § 5; Jüdischer Krieg II: 8 § 2—14. 2

Der Essenismns eine jüdische Erscheinung. Aber die Frage,

199

warum man solch eine nähere Ver-

bindung zwischen Christentum und Essenismus gerne voraussetzt und deshalb auch bereitwillig annimmt, muss natürlich der anderen weichen, ob es Gründe giebt, diesen Zusammenhang anzuerkennen.

Wenn

ich mich

nicht

sehr

täusche, so ist die verneinende Antwort auf diese Frage, welche schon an sich die grösste Wahrscheinlichkeit für sich hatte, in der letzten Zeit zu wissenschaftlicher Evidenz gebracht worden, und kann darum auch der Zeitpuiikt nicht mehr fern sein, wo sie von Allen wird angenommen werden. Es steht jetzt zu allererst fest, dass der Essenismus eine j ü d i s c h e Erscheinung ist, und zwar eine Frucht des p a l ä s t i n e n s i s c h e n Judentums.

Wer die Zeit seiner Entstehung,

um die Mitte des 2ten Jahrhunderts v. Chr., unmittelbar nach dem Versuche des Antiochus Epiphanes, das jüdische Volk zu hellenisiren, in Betracht zog, musste das schon a p r i o r i für sehr wahrscheinlich halten.

Nachdem der Nach-

weis geliefert worden '), dass fast jeder Zug des Lebens und der

Anschauungen

der Essener

im

talmudischen

Juden-

tum seine Parallele findet, wuchs die Wahrscheinlichkeit beinahe zur Gewissheit heran.

Aber immer noch hatte die

Annahme fremden Einflusses eine sichere Zuflucht bei den Therapeuten,

der rätselhaften Ansiedlung von Asketen

am See Mareotis in Aegypten, der Philo in seinem Traktat „von dem beschaulichen Leben" eine so laute Lobrede hält. Es herrschte, trotz aller Unterschiede, doch auch wiederum ') Vgl. G r a e t z , Gesch. der Juden III: 657ff. (3te Ausg.) und die dort angeführten Abhandlungen von F r a n k e l ; ferner J. D e r o n b o u r g Hist. de la Palestine d'après les Talmuds etc. S. 166 ff.

2a>

Judaismiis und Christentum.

so grosse Uebereinstimmung zwischen ihnen und den Essenern, dass man sie notgedrungen miteinander in Verbindung bringen

musste.

Und konnten nun die Therapeuten

aus

allerlei Gründen nicht wohl auf die Essener zurückgeführt werden, was blieb dann anderes übrig als diese von jenen abstammen

zu lassen und so, auf einem Umwege,

den

heidnischen, specieller neupythagoräischen Einfluss nach Palästina vordringen zu lassen?

Ich will nicht sagen, dass

diese Auffasssung keinerlei Bedenken unterlag, aber — sie liess sich verteidigen und fand denn auch ansehnliche Vertreter 1 ).

Aber was ist nun geschehen?

Der

philonische

Traktat „von dem beschaulichen Leben" hatte schon längst den Verdacht manches aufmerksamen Lesers rege gemacht und die Vermutung der Unechtheit und jüngeren Ursprungs wachgerufen 2 ). Man konnte gleichwohl nicht sagen, dass die Kritik hinsichtlich dieser Schrift bereits völlig ihre Pflicht getan hatte; die Hypothesen über ihr Alter und ihre Tendenz gingen noch weit auseinander. ausgefüllt.

Jetzt ist diese Lücke

Einem jungen strassburger Gelehrten ist es ge-

lungen, die befriedigende Auflösung des Rätsels zu

finden:

der Traktat ist im 3. oder ganz im Anfang des 4. Jahrhunderts zur Verteidigung und Empfehlung der damaligen Askese vieler Christen, von einem Christen also, geschrieben, aber unter dem Namen Philo's, von dem denn auch mancher Gedanke entlehnt und an dessen echte Schriften er ange') U. A. Z e l l e r . S. 8, Anm.

S. die soglcich anzuführende Schrift von L u c i u s

Vgl. mein Buch Godsdienst van Israel II: 4 4 0 — 4 4 4 und die da angeführten Schriftsteller.

Verhältnis« des Christentums zum Essenismus.

201

schlössen wird 1 ). Dieser Nachweis hat bei den befugtesten Beurteilern Anerkennung gefunden, auch bei denen, die bis dahin einer anderen Ansicht huldigten*). So ist dem ausländischen Ursprung des Essenismus die letzte Stütze genommen und sein rein jüdischer Charakter endgültig festgestellt. Nun aber, zum andern, sein Zusammenhang mit dem Christentum. Man hat ihn mit Beweisen verteidigt, welche die Probe einer ernstlichen Untersuchung auch nicht einen Augenblick vertragen. Wenn z. B. Graetz die Lehre der Essener von dem Messias und dem Königreiche der Himmel mit den christlichen Ideen darüber gleichsetzt®), so fragt man sich verwundert, welche Quellen ihm zu Gebote stehen, woraus diese Lehre erkannt werden sollte? Es giebt auch Argumente, die nicht wie dieses aus der Luft gegriffen sind, denen man aber andere von gleicher Kraft entgegenstellen kann, die daher zu keiner Entscheidung führen. Man weist auf die Uebereinstimmung in einigen sittlichen Vorschriften hin, auf die gemeinsame Verurteilung des Eides, auf die Pflege des Geistes der Brüderlichkeit hier wie dort. Aber dagegen steht doch der Unterschied hinsichtlich der leiblichen Reinheit und des Sabbats, worin die Essener ebenso ') P . E . L u c i u s , die T h e r a p e u t e n u n d ihre S t e l l u n g in der G e s c h . der Askese.

E i n e kritische U n t e r s u c h u n g

templativa

(Strassburg, 1880).

*) U.

A.

von

E.

Schürer

in

Sp. 1 1 1 — 1 1 8 , u n d A . H i l g e n f e l d

der Schrift d e

Theo!.

vita

con-

Literaturzeitung,

1880,

i n Zeitschr. f. w i s s e n s c h .

Theol.

X X I I I (1880) S. 4 2 3 ff. ») a. a. O. S. 2 9 2 , S. 6 6 2 ,

wo

liefert wird.

mit Verweisung

gleichwohl nicht

einmal

auf A n m . 10. I I I , d. i. auf

der Schein eines

Beweises

ge-

202

Judaismus und Christentum.

ängstlich, wie die ältesten Christen weitherzig oder gleichgültig sind. Für mein Gefühl wird bereits durch dieses Abwägen des „Für" und „Gegen" der Streit zu gunsten der Unabhängigkeit des Christentums geschlichtet. Die Uebereinstimmung betrifft Einzelheiten von untergeordneter Bedeutung, der Unterschied gilt dem Princip: - der essenische Separatismus, die Bildung eines kleinen, streng abgeschlossenen Kreises zum Zwecke der Verwirklichung des Reinheitsideals, ist nichts weniger als christlich, und ebensowenig auf der anderen Seite die christliche Propaganda zur Rettung von Sündern essenisch. Man muss intertat, um dennoch die Einheit beider lehren zu können, sich einen Essenismus eigener Erfindung schaffen. Immerhin will ich nicht leugnen, dass diese Erwägungen den Widerspruch noch nicht abschneiden.

Man braucht nur bei

Betrachtung des Essenismus den Accent auf eine andere Stelle zu legen und z. B. die Absonderung von der Gesellschaft nicht als einen Teil des Ideals, sondern bloss als Mittel, das von der Not auferlegt ist, in Anrechnung zu bringen, um hinsichtlich des streitigen Punktes sofort zu einem abweichenden Resultate zu gelangen.

AVenn ich mich

nicht irre, so eröffnet uns eine Hypothese desselben strassburgischen Gelehrten, den ich schon nannte, eine Aussicht, diese, wie es schien, endlose Controverse zu einer befriedigenden Entscheidung zu bringen.

Wir standen, wie wir ge-

sehen haben, bei der Ableitung des Essenismus aus dem palästinensischen Judentum früher schon auf sehr festem Boden. Wir wussten auch schon so gut wie sicher, dass die Essener aus den „chasidim" oder „Frommen" hervorgegangen waren, die in den Berichten von dem Aufstand gegen Antiochus

Entstehung des Ordens der Essener.

203

Epiphanes einigemale erwähnt werden'). Aber anf die Frage mussten wir noch immer die Antwort schuldig bleiben, was denn eigentlich die Essener aus der jüdischen Gesellschaft herausgetrieben und so zum Entstehen des Ordens der Essener die nächste Veranlassung gegeben hat. Wohlan, die unmittelbare Ursache ihrer Secession liegt in der Gegnerschaft gegen die Hohenpriester Jason, Menelaus und Alkimus, die später aufrecht erhalten wurde gegen die Nachfolger dieser Usurpatoren, die Hasmonäer, die, obwohl von ganz anderem Geiste als jene beseelt, doch ebensowenig der Forderung der Gesetzlichkeit völlig entsprachen. Die Stiftung des Onias-Tempels zu Leontopolis in Aegypten und sein Fortbestehen bis zum Jahre 70 n. Chr., und nicht minder, in Palästina selbst, das Verhalten der Schriftgelehrten gegenüber den hasmonäischen Hohenpriestern sind Erscheinungen, die mit jenem Widerstande parallel laufen und seine Bedeutung noch heller beleuchten1). Nun kann man daran wohl zweifeln, ob wirklich, wie Lucius will, die essenischen Gebräuche nahezu alle aus diesem ihrem Verhalten gegen das Tempelpereonal zu erklären sind; ob man z. B. ihre gemeinschaftlichen Mahlzeiten als Nachahmung der Opferfeste betrachten muss, deren sie sich beraubt sahen, und ob die Spendung von Gaben an den jerusalemischen Tempel, wo sie doch selbst nicht erschienen, als stets erneuerter Protest gegen die Tempeldiener ver') l.Makk. II: 42; VII: 12ff., nicht in Einklang zu bringen mit 2. Makk. XIV: 6, wie kürzlich von L u c i u s , in der unten angeführten Abhandlung S. 91 ff., bewiesen ist. J ) P. E. L u c i u s , der Essenismus in seinem Verhältniss zum Judenthum (Strassburg, 1881), besonders S. 75 ff.

204

Judaismus und Christentum.

zeichnet

werden muss.

In jedem

Falle aber,

wenn

der

Bruch mit der jüdischen Gesellschaft diese Ursache hatte, so ist es sehr natürlich, dass das Fernbleiben von dem nationalen Essener

Heiligtum

das

charakteristische

Merkmal

der

blieb: hätten sie das aufgegeben, so würden sie

nach ihrer eigenen Anschauung ihr Existenzrecht verloren haben.

Die Anwendung auf unseren Gegenstand liegt auf

der Hand.

Von Zusammenhang zwischen Essenismus und

Christentum

kann nicht mehr die Rede sein.

Bedenken

gegen die Teilnahme am Tempeldienst, Einwürfe gegen die Legitimität der fungirenden Hohenpriester



dergleichen

dem Stifter des Christentums oder den ältesten nachzusagen,

ist noch niemand

in den Sinn

Dürfen wir dem, was von ihnen berichtet welches Vertrauen schenken,

Christen

gekommen. wird,

irgend

so lagen ihnen solche

Ge-

danken vollkommen fern und stimmte ihr Verhalten gegen das Heiligtum mit dem der Nation in ihrer Gesammtheit überein.

Dann aber sind sie keine Essener gewesen, weder

— wie schon längst feststand — im engeren, noch auch in weiterem Sinne, denn dort gerade, in der persönlichen Teilnahme an dem gemeinsamen Cultus, lief die Grenzlinie zwischen dem Orden und denen, die draussen standen. Will das sagen, dass wir die Essener bei der Untersuchung, die uns beschäftigt, ganz ausser Betracht lassen können?

Keineswegs!

Sie leisten uns bei der Diagnose

des palästinensischen Judentums einen sehr wichtigen Dienst. In einem gegebenen Zeitpunkt hat der Orden sich von dem Mutterstamm losgelöst und hat begonnen, ein Leben für sich zu führen.

Aber was er uns nun auf engem Räume und

Das prophetische Ideal bei den Essenern.

205

darum so deutlich sehen lässt, davon hatte er die ersten Anfange aus seinem früheren, noch unselbständigen Bestehen mitgebracht; das muss also auch im jüdischen Volke lebendig und wirksam gewesen sein.

Lehrt uns schon die Entstehung

des Essenismus, welch eine Macht in jenen Tagen die Religion war, so lässt uns nicht minder die Gestalt, die er bei seiner Gründung annahm oder später herausbildete, die Bestandteile dieser Religion erkennen.

In bunter Mannigfaltigkeit liegen

sie in den Beschreibungen des Lebens der Essener durcheinander gemischt.

Die Sorge für Reinheit tritt darunter

stark in den Vordergrund: mit der grössten Aengstlichkeit wird jede Befleckung vermieden, oder, wenn sie unvermeidlich ist, entfernt. Andere äussere Vorschriften werden ebenso engherzig aufgefasst und

mit kindischer Strenge befolgt.

Aber daneben, welche Wertschätzung des sittlichen Ideals! Wir kennen durch Flavius Josephus') die Formel des Eides, den der Essener bei seiner Aufnahme in den Orden ablegen musste.

Es war dies der einzige Eid, der bei ihnen als er-

laubt galt.

Und wozu verpflichtet er sich, da er nur ganz

ausnahmsweise Gottes heiligen Namen anruft?

Allerdings

auch zum Halten der Ordensregeln und zur Bewahrung seiner Geheimnisse. Aber doch zuerst und vornehmlich zur Rechtschaffenheit, zur Treue und zum Gehorsam, zu Demut, Einfalt und Wahrheitsliebe.

Der Mann, der diesen Eid aufstellte,

war bei Israel'» Propheten Schule gegangen.

und Psalmendichtern

in

die

»Wer wird wohnen in Jahwe's Hütte

und bleiben auf Jahwe's heiligem Berge?" ') Jüdischer Krieg II: 8 § 7.

Diese Frage, so

206

Judaismus und Christentum.

hat man mit Recht bemerkt') — hatte er mit dem Dichter von Psalm XV gestellt und beantwortet. Lassen Sie uns das wohl im Gedächtniss behalten! Es müssen, nicht von einem willkürlich gewählten, sondern von dem israelitischen Standpunkte aus, schwere Bedenken gegen die Essener erhoben werden. Nicht mit Unrecht hat man ihren Separatismus als ein Preisgeben des Ideals des Gesetzes und der Propheten missbilligt'). Aber umsomehr verdient es unsere Aufmerksamkeit, dass in diesem Auswuchs des Judaismus die prophetische Auffassung des Gott wohlgefälligen Lebens sich so kräftig geltend macht. Wir dürfen dies bei unserer ferneren Betrachtung des palästinensischen Judentums — dem sie sich entzogen hatten, aber doch auch entstammt sind, von dem sie deshalb zeugen — nicht aus dem Auge verlieren. Es kostet oft Mühe, die Bestandteile einer zusammengesetzten Erscheinung, von der wir eine Uebersicht geben sollen, in der richtigen Weise zu gruppiren. mit

dieser

Schwierigkeit

nensische Judentum,

von

nichts dem

zu

tun.

religiösen

Wir haben Das

palästi-

Gesichtspunkte

aus betrachtet, hat einen klar gegebenen Mittelpunkt: den Pharisäismus.

In

dem jüdischen S t a a t e

nimmt der

Hohepriester die erste Stelle ein; um ihn scharen sich die vornehmen Geschlechter, Priester und Laien, die mit ihm ') L u c i u s a. a. 0. S. 10G ff. *) „Der Essenismus ist nicht „die Blüte des Judentums", sondern das bewusste Aufgeben der Realisirung derjenigen Idee des Gottesvolks, welche Gesetz und Propheten fordern und verheissen" ( D e m m l e r , in Theol. Studien aus Württemberg I (1880) S. 53).

Die Pharisäer.

207

die Sadducaer aasmachen. Von ihnen mössten wir ausgehen, wenn wir die politische Geschichte der Juden darstellen wollten. Auf religiösem Gebiete dagegen vertreten die Saddacaer kein eigenes Princip. Da sind die Schriftgelehrten die Anführer and Herrscher, und unter ihrer Leitung die Pharisäer, die Praktiker ihrer Theorie. Haben die Schriftgelehrten sich ganz dem Stadium des Gesetzes geweiht, oder noch richtiger der Unterwerfung des Volkslebens in allen seinen Verzweigungen nur unter seine Vorschriften — so gehen die Pharisäer auf in der Befolgung dieses Gesetzes und in der Verwirklichung der Gerechtigkeit, als Conformität mit seinen Geboten aufgefasst. Man braucht heutzutage nicht mehr eine Apologie der Pharisäer zu liefern. Die Bekämpfung ihrer Schäden im Neuen Testamente, insbesondere in den synoptischen Evangelien 1 ), verfolgt keineswegs den Zweck einer vollständigen Beschreibung ihres Strebens und hätte nie so aufgefasst werden sollen. Es gab unter ihnen ganz gewiss falsche Brüder — in welchen religiösen Kreisen findet man die nicht? — aber sie sämmtlich für Heuchler oder Scheinheilige zu halten ist die Unbilligkeit selber und mit dem Neuen Testamente selbst*) ebenso unvereinbar, als mit den Zeugnissen des Flavius Josephus und des Talmud. Nein, der Pharisäismus ist ein sehr ernster und darum höchst achtungswerter Versuch, das eigentliche Princip des Judaismus, den vollkommenen Gehorsam gegen den Willen Gottes, wie die Thora ihn ausdrückt, zur Wirklichkeit zu machen. ') U. a. Luc. XII: I ; Matth. X X I I I : 13ff.; V: 20. ») Ap. Cr. X X V f : 5 ; Phil. III: 5.

208

Judaismus und Christentum.

Die Pharisäer sind, um mit Wellhausen zu sprechen 1 ), die Virtuosen der Religion. Die Tatsache, dass unter den nachexilischen

Juden

solche Männer aufstanden, sich an einander anschlössen und gleichsam anerkannte Vereine oder Corporationen bildeten, ist von hervorragender Bedeutung.

Wir ersehen daraus zu-

nächst wiederum, wie vollkommen es den Schriftgelehrten auf die Dauer gelungen war, die Religion zu einer Volksangelegenheit zu machen, und welche Macht diese Religion geworden war.

Aber damit ist noch nicht Alles gesagt.

Der Pharisäismus war ferner eine Bürgschaft dafür, dass die Religion nicht wieder von der Stelle, die sie nun einmal eingenommen hatte, würde verdrängt werden. In den Schriftgelehrten hatte der Judaismus sozusagen seine officiellen Vertreter und damit eine feste Stütze.

Aber mehr noch als

diese Männer, denen die Predigt der Religion zum Beruf geworden war, galten und vermochten die Freiwilligen, die sich ihrer Leitung anvertraut hatten.

Ihr nichtofficieller

Charakter verlieh ihnen grössere sittliche Autorität.

Nichts

kann uns deshalb weniger befremden, als dass das Volk ihnen die höchste Ehrfurcht entgegenbrachte und, wenn es darauf ankam, stets bereit war ihnen zu folgen und beizustehen. Das Gefühl der Menge pflegt sich in diesen Dingen nicht zu betrügen und war auch diesmal nicht auf einer falschen Spur. Wir unsrerseits können ihr Urteil nur unter') Die Pharisäer und die Sadducäer. Eine Untersuchung zur inneren jüdischen Geschichte (Greifswald, 1874) S. '20. Zugleich sei hier auf seine vorzügliche Beschreibung des Pharisäismus überhaupt (S. 8—2C '¿6—43) verwiesen.

Würdigung des PWisiisnms.

209

schreiben. Wir haben — wie sich sogleich zeigen wird — unsere sehr ernsten Bedenken gegen das gesetzliche Princip der Pharisäer und seine unvermeidlichen Folgen. Indessen vor der Aufrichtigkeit ihrer Ansichten und vor ihrem beharrlichen Streben haben wir die grösste Achtung. Der Pharisäismus ist die Offenbarung einer Energie, die grosse Dinge verheisst. Wohl möglich, dass sie auf der falschen Fährte war, doch — sollte es denn nicht möglich sein, sie auf die rechte Spur zu bringen und so der Förderung und Entwickelung der Religion dienstbar zu machen? Das sind nicht Fragen, mit denen wir jetzt erst, von dem höheren Standpunkte aus, auf den die Jahrhunderte uns erhoben haben, den Pharisäismus gleichsam aus seiner Selbstgenügsamkeit aufstören. Nein, seine Blütezeit selbst predigte auch laut und unzweideutig seine Unzulänglichkeit. In ihm selbst, vor allem aber in seiner Umgebung, in dem jüdischen Volksleben, zeigten sich allerlei Erscheinungen, die für denjenigen, der auf sie achten und sie ergründen wollte, keine andere Erklärung zuliessen. Zunächst also in ihm selbst, oder, was auf dasselbe hinauskommt, in den Schulen der Schriftgelehrsamkeit, von welchen die Lebensordnung ausging, welcher der Pharisäer sich unterwarf. Dort offenbarte sich, nicht bei allen, aber doch bei einigen Lehrern schon deutlich die Neigung, die Gerechtigkeit in etwas anderem noch zu finden als in der Befolgung der zahllosen Vorschriften des Gesetzes — ein Streben nach Vereinfachung, nach tieferer, principieller Auffassung der Religion. Bekannt ist die Antwort, welche Hillel, der Zeitgenosse des Herodes, dem Heiden gab, der Kuencn,

Volks- und Weltreligion.

14

210

Judaismus u n d Christentum.

ihn gebeten hatte, in wenigen Worten die Religion der Jaden zu zeichnen:

„ W a s du n i c h t

wünschest,

das

d i r g e s c h e h e , d a s t u e a u c h A n d e r e n n i c h t : das ist das ganze Gesetz; alles Uebrige ist nur die Erklärung davon; nun gehe hin und lerne das verstehen!" 1 ).

In dem Mischna-

Traktat Pirke Aboth finden wir wenigstens einige verwandte, über den Standpunkt der Gesetzlichkeit sich erhebende Aussprüche, die aus verschiedenen Zeiten stammen.

Antigonus

von Socho pflegte zu sagen: „Seid nicht wie Sklaven, die ihrem Herren dienen, um Lohn zu empfangen; sondern seid wie Sklaven, die ihrem Herren dienen, nicht um Lohn zu empfangen und lasset die Furcht des Himmels (d. i. die Furcht Gottes) über euch sein!"®)

Von Gamaliel, dem

Sohne Rabbi Juda des Heiligen, wird dieses Wort überliefert: „Tue, was sein (Gottes) Wohlgefallen, als wenn es dein Wohlgefallen wäre, damit Er dein Wohlgefallen tue, als ob es sein Wohlgefallen wäre. Vernichte dein Wohlgefallen vor dem seinen, damit er das Wohlgefallen Anderer vor dem deinen vernichte! 1 ")

Einer der Schüler des Jochanan ben

Zaccai, Eleasar ben Arak, antwortete auf die Frage seines Meisters, welches der gute Weg sei, auf dem ein Mensch sich halten müsse: „ein gutes Herz" — und damit gewinnt er vor den anderen Schülern die Billigung Jochanan's').

In

den haggadischen Teilen der Gemara und in den zahlreichen Midraschim, die uns erhalten geblieben, sind dergleichen echt') Talmud babli, Sabbath fol. 3 1 a . s

) Pirke Aboth I: 3 (S. 8 f . der Ausgabe von H. L. S t r a c k , Karls-

ruhe und Leipzig 1882). 3

) Ebendort II: 4 (S. 18 ed. Strack).

4

) Ebendort II: 9 (S. 2 0 f . ed. Strack).

Die Freisinnigen unter den Schriftgelebrtea.

211

religiöse and -sittliche Aussprüche, daneben auch Erzählungen und Gleichnisse mit solcher Tendenz, sehr vielfach zu finden. In der Form, in der wir sie besitzen, datiren sie aus späterer Zeit. Aber es ist so gut wie sicher, dass die Schriftgelehrten von Anfang an solche Lehren vorgetragen haben. Wenn sie in den Synagogen als Prediger auftraten, werden sie gewöhnlich in dieser Weise gesprochen haben, meistens nach Anleitung der Abschnitte aus Gesetz und Propheten, die der Gemeinde vorgelesen waren, zuweilen auch ganz frei, wie ihr Herz und das Bedürfniss des Augenblicks es ihnen eingaben'). Darin liegt im Grunde nichts Befremdliches. Gab es doch natürlich unter den Schriftgelehrten nicht nur Männer von sittlichem Ernst und Gewissen, sondern auch von Herzensfrömmigkeit und warmem Gefühl, Männer auch von Phantasie und Talent, mit einem Wort«, Nachkommen der Propheten, von deren Predigt denn auch gewiss dann und wann ihren Hörern ein Nachklang in die Ohren tönte. Aber was nichtsdestoweniger diese Seite der Tätigkeit der Sopherim als etwas besonderes erscheinen und betonen lässt, das ist der Contrast, oder doch der Mangel an Uebereinstimmung zwischen ihr und der streng gesetzlichen Richtung, die das Wesen und das bleibende Merkmal ihrer Wirksamkeit ist. So oft sie die Gesinnung als das Höchste oder selbst als das allein Nötige anpreisen, oder den Dienst um Lohn bekämpfen, oder sich in dem Gemüte ihrer Zuhörer einen ') Vgl. J. D e r e n b o u r g a.a.O. S. 159 f., 202ff.; J. F r e u d e n t h a l , die Fl. J o s e p h u s beigelegte Schrift U e b e r die H e r r s c h a f t der V e r n u n f t (IV. Uakk.), eine Predigt aus dem ersten nachchristl. Jahrhundert (Breslau, 18G9), besonders S. 4 ff. 14*

212

Judaismus und Christentum.

Bundesgenossen zu sichern trachten, machen sie auf uns denselben Eindruck wie der gefangene Vogel, der an dem Gitter seines Käfigs pickt, oder, wenn Sie so wollen, der sein Lied anhebt als bewegte er sich frei in seinem Elemente. Die Begeisterung, der Geist der Hingabe, die Initiative, die sie auf diese Weise offenbaren, wollen nicht stimmen zu der ängstlichen Sorge um die Befolgung der 613 Gebote der geschriebenen und der viel zahlreicheren Vorschriften der mündlichen Thora. Aber — rufen Sie mir zu — bei den Schriftgelehrten ging doch das eine mit dem anderen Hand in Hand: was soll, dieser Tatsache gegenüber, die behauptete Unmöglichkeit ihrer Vereinigung? Dies nur, dass die geistigen und gemütlichen Elemente der Schriftgelehrsamkeit wenig mehr sind als ein ohnmächtiger Protest gegen ihren eigentlichen Charakter. Gerade weil sie ihren Legalismus nicht preisgeben kann ohne sich selbst aufzuheben, ist sie nicht im Stande dem, was darüber hinausgeht, zu seinem Rechte zu verhelfen. In alle Ewigkeit bleibt es ein Rennen nach einem unerreichbaren Ziel, eine Verheissung, die niemals Erfüllung f i n d e t . . . . Ja, es klingt schön und ist auch ohne Zweifel gut gemeint, was Hillel sagte: „Gehöre zu den Jüngern Aaron's (des Sanftmütigen); habe den Frieden lieb und jage dem Frieden nach; habe die Geschöpfe lieb und führe sie zur Thora!" 1 ) Wie aber, wenn nun die Praxis der Theorie folgen sollte? und wenn es sich dann zeigte, dass diese Thora mit ihrer Umzäunung 3 ), welche die Sopherim ') Pirke Aboth I: 12 (S. 13 ed. Strack). ) Ebend. I : 1 (S. 7f. ed. Strack). Vgl. die A n m e r k u n g Cb. T a y l o r ' s in seinet Ausgabe (Cambridge 1877). J

Unzulänglichkeit der gesetzlichen Richtung.

213

gezogen und nach den sieben Regeln Hillel's selbst 1 ) befestigt und noch höher gemacht hatten, unzugänglich war für „die Geschöpfe", die zu ihr hingeführt werden sollten?

In-

dertat, es ist nur allzu klar, dass die Schriftgelehrsamkeit und der, davon untrennbare, Pharisäismus an einem inneren Widerspruche leiden. Es besteht ein Missverhältniss zwischen den Gesinnungen und Empfindungen, die sie erwecken und auf die sie sich stützen wollen, und dem praktischen Ziele, nach welchem sie streben. Dergleichen Disharmonieen kommen nicht jedem, in dem sie bestehen, zum Bewusstsein: was man glückliche Inconsequenz nennt, ist keineswegs selten in der Welt und war es auch damals nicht.

Dennoch aber

nagen sie an dem Geistesleben derer, bei denen sie sich zeigen.

Früher oder später kommen sie zum Bewusstsein

und — was dann?

Wo ist in solchem Falle — beachten

Sie wohl: auf dem einmal erwählten Wege — eine Aussöhnung zu finden? „Habe die Menschen lieb und führe sie zur Thora!" Dies Wort Hillel's leitet von selbst zu der zweiten Reihe von Erscheinungen hinüber, worin die Unzulänglichkeit des Pharisäismus sich mir zu offenbaren schien.

Zu „den Men-

schen", oder, wie eigentlich dasteht, „den Geschöpfen", von denen Ilillel spricht, gehören doch vor allen anderen die Juden, die in Palästina ansässig waren: wer konnte eher als diese „Kinder des Reiches" auf die Kenntniss der Thora und auf den Segen des Lebens nach ihren Vorschriften Anspruch erheben?

Wir haben nicht das mindeste Recht, die

Schriftgelehrten der Nachlässigkeit in Erfüllung ihrer Pflichten ') S. mein B. Godsdierst van Israel II: 4 6 7 f .

214

Judaismus und Christentum.

gegen ihr Volk zu bezichtigen. konnten.

Sie haben getan, was sie

Ebensowenig darf mau behaupten, dass sie für

irgend welchen Teil des Volkes völlig vergebens gearbeitet hätten.

Ein Teil, und wahrlich ein nicht zu verachtender

Teil des Judaismus ist durch ihre Bemühungen zum Eigentum Aller geworden.

Der Monotheismus war um die Zeit

des Beginnes unserer Zeitrechnung und schon früher in das Volksbewusstsein aufgenommen. Der Vorzug, welchen Israel vor deu Heiden genoss, wurde allgemein anerkannt; die demselben entsprechende Pflicht nach Gottes Geboten zu leben wurde von niemand geleugnet. Wenn wir aber weiter fragen, ob die Schriftgelehrsamkeit ihr Ideal eines dem Heiligen goweiliten Volkes verwirklichte, oder, wenn das zu viel verlangt ist, wenigstens auf dem Wege dazu war, so kommen wir zu einem traurigen Resultat. Ein ansehnlicher Teil der jüdischen Bevölkerung Palästina's entsprach durchaus nicht den Anforderungen, welche die Sopherim stellten und auf ihrem Standpunkte stellen mussten; und dieser Teil war deshalb in ihren Augen unrein, ja verabscheuenswert.

Dazu

gehörten vor allen Dingen jene, die im Neuen Testament „die verlorenen Schafe von dem Hause Israel" heissen'), die Zöllner und die Sünder, die der Talmud mit dem Namen „amme haärez" bezeichnet, soviel wie „(jüdische) Heiden". Aber auch die grosse Zahl derer, welche die älteste christliche Literatur unter dem Namen „die Scharen" zusammenfasst, wenn sie auch nicht so tief standen wie die Erstgenannten, waren doch in der Schätzung der Schriftgelehrten nichts weniger als tadelfrei.

Wenn nicht alle, so traf doch

'1 Matth. X : 16; X V : 24 vpl. Matth. I X : 3 6 ; Marc. V I : 34.

Die Pharisäer und das jüdische Volk.

215

viele von ihnen das Urteil, welches das vierte Evangelium von „den Hohenpriestern und Pharisäern" aussprechen lässt: „diese Scharen, welche das Gesetz nicht kennen, verflucht sind sie" '). Man hat das geleugnet und das jüdische Bürgertum, den eigentlichen Mittelstand, als durchaus den Forderungen der Sopherim entsprechend dargestellt"). Die Entscheidung ist schwierig: wir befinden uns hier auf einem Gebiete, das unter den günstigsten Umständen für die Statistik beinahe unzugänglich bleibt, in diesem besonderen Falle aber umsovielmehr, je kümmerlicher und unvollständiger die Berichte sind, die uns zur Verfügung stehen. Immerhin giebt es eine Tatsache, mit der jene optimistische Betrachtung nicht rechnet und, wenn ich recht sehe, unvereinbar ist. Diese Tatsache ist der Pharisäismus als solcher. Er verliert sein Existenzrecht, wenn man ihn nicht als Protest gegen den — vom gesetzlichen Standpunkte aus — unbefriedigenden Zustand des Volkes überhaupt auffassen darf. Der Pharisäer übernimmt selbst keine einzige Pflicht, der nicht jeder Jude unterworfen wäre. Der Pharisäismus ist einfach der Judaismus selbst, nichts weiter. Dennoch ist er die Praxis nicht der ganzen Nation, sondern einer Sekte — von einigen Tausenden, zu denen das Volk hoch emporsieht, die aber demgemässig auch von dem Volke sich wesentlich unterscheiden. Geiger, dem wir übrigens für die richtige ') Joh. VII: 49. ') G r a e t z , a. a. 0 . S. 305. „Der jüdische Mittelstand, die Bewohner kleinerer und grösserer Stftdte, war grösstenteils derart von Gottergebenheit, Frömmigkeit und leidlicher (!) Sittlichkeit durchdrungen, dass die Aufforderung die Sünden zu bereuen und fahren zu lassen für sie gar keinen Sinn hatte.*

216

Judaismus nnd Christentum.

Ginsicht in das Wesen und das gegenseitige Verhältniss der jüdischen Parteien grossen Dank schulden, irrte darin, dass er die Pharisäer und das jüdische Bürgertum mit einander identificirte '). Aber selbst aus den Irrtümern sachkundiger Leute kann man oft etwas lernen. Wie Geiger es sich vorstellt, hätte es sein s o l l e n ; theoretisch gesprochen gab es durchaus keinen Grund, warum nicht das ganze Volk — die völlig Unentwickelten und auf Abwege Geratenen abgerechnet — den Anforderungen, denen die Pharisäer nachlebten, hätten genügen sollen. Tatsächlich aber geschah das nicht und — es konnte auch nicht geschehen. Die Last der Gebote war zu schwer, ihre Erfüllung zu verwickelt, als dass die ganze Nation sie auf sich nehmen und tragen konnte. Das vermochten nur verhältnissmässig Wenige, die eine Lebensaufgabe daraus machten. Wenn aber nun, was diese Wenigen taten, Pflicht für Alle war — ist dann nicht der Pharisäismus zugleich die lauterste Offenbarung und wiederum das Verdammungsurteil der Religionsgestalt, aus der er sich — nicht willkürlich, sondern mit historischer Notwendigkeit — entwickelt hat? Was pflegt die Folge zu sein, wenn durch die consequente Anwendung eines nur halbwahren Principes eine Verlegenheit entsteht wie die, in welcher wir das jüdische Volk um den Beginn unserer Zeitrechnung finden? Man sucht nach Auswegen, und findet sie auch. Zeigt sich, dass das Ideal un') Urschrift und Uebersetzungen der Bibel, S. 100 ff. (z. B. S. 150: „Die Pharisäer bestanden aus dem national und religiös gesinnten Bürgerthume"); das Judenthum und seine Geschichte I (1865) S. 86 ff. (z. H. S. 89: „die Abgesonderten, das Bürgerthum").

217

Nicht verwirklichte Ideale.

erreichbar ist, so begnügt man sich mit geringerem.

Aber

das ist immer eine traurige Notwendigkeit, bei welcher das Gemüt keine Ruhe findet.

Das nicht verwirklichte Ideal

quält uns fortwährend und reizt uns immer wieder zn erneuter Anspannung der Kräfte, die — immer unter der Voraussetzung, von der wir hier ausgehen — auf neue Enttäuschung hinausläuft. Ein rastloses Suchen und Schmachten also!

Wie bange mag manchem Juden das Herz geklopft

haben bei dem Gedanken an die zahllosen Uebertretungen, vor denen er zurückschreckte, ohne sie doch vermeiden zu können!

Wie oftmals mag er sich geängstigt haben um

die Verletzimg der göttlichen Gebote, an welche sein Gewissen ihn band, während er sie doch kaum kennen, geschweige denn alle erfüllen konnte!

Froilich, endlich setzt

man sich über so peinliche Gedanken hinweg, und schickt sich in das Unvermeidliche.

Aber ist damit die Schwierig-

keit gelöst? Gewiss nicht: ein Seelenfrieden solcher Art ist zu teuer erkauft. Zum Glück gab es noch einen anderen Weg und dürfen wir glauben, dass Einige wenigstens ihn gefunden haben.

Es

gab, wie wir vorhin sahen, in der Schriftgelehrsamkeit einen innerlichen Widerspruch — ein prophetisches Element, das nicht stimmen wollte zu der Hauptrichtung, der ängstlichen Gesetzlichkeit.

Mit dieser anziehendsten Seite der Wirksam-

keit der Sopherim

kam der

gläubige Jude zuerst in der

Synagoge in Berührung, und auch später, wenn er die „Halacha" — die Thora in ihren mannigfachen Anwendungen — kennen gelernt hatte, behielt sie für ihn ihre Anziehungskraft.

Da wurde ein Ton angeschlagen, der in seiner Seele

218

Judaismus und Christentum.

ein Echo fand. zu schenken?

Und warum sollte er zaudern, ihm Gehör Wenn die Schriftgelehrten sich in ihrer Pre-

digt auf sein Gemüt beriefen und in seinem religiösen Sehnen einen Anknüpfungspunkt suchten, was taten sie damit andors,

als die frommen Männer der Vorzeit getan hatten?

War es nicht der Geist der Propheten und Psalmisten, der in ihnen wirkte und aus ihrem Munde ihm entgegentönte? Ihrer Führung konnte er sich gewiss ruhig anvertrauen! In der Ehrfurcht vor dem prophetischen Worte gross gezogen und durch die Schriftgelehrten selbst immer wieder darauf hingewiesen, konnte er sich also zu einer anderen Auffassung des religiös-sittlichen Lebens aufschwingen, als sie von den Schriftgelehrten, kraft ihres Principes, systematisch gepflegt wurde.

Brauche ich Ihnen diese Auffassung näher zu be-

schreiben? Sie erinnern sich ja, wie die Propheten die Gott wohlgefällige Seelenstimmung gezeichnet, welche Gesinnungen sie gefordert, dass sie, mit völliger Uebergehung des Rituals, die rein menschlichen Tugenden als Offenbarung der echten Frömmigkeit empfohlen hatten.

Es kann keinem Zweifel

unterliegen, dass diese Auffassung auch unter der Herrschaft des Judaismus ihre Anhänger hatte').

Doch eigentlich sollte

ich mich nicht so ausdrücken, als handelte es sich hier um ') Unter diesem Gesichtspunkte erwäge man die Betrachtungen des F l & v i u s J o s e p h u s , contra Apionem, II: 16, u. a. folgende Worte: „Gr (Moses) machte die Frömmigkeit nicht zu einem Teile der Tugend, sondern setzte die Tugenden zu Teilen der Frömmigkeit, so die Gerechtigkeit, die Beharrlichkeit, die Massigkeit, die völlige gegenseitige Eintracht der Bürger. Denn alle Handlungen und Taten und alle Worte hängen bei uns ab von der frommen Gesinnung gegen Gott; denn nichts von dem allen hat er (Moses) unbeachtet oder ungeregelt gelassen." Vgl. noch II: 19, über die Aufnahme dieser Ideen in das Volksbewusstsein.

Das stille Wirken des prophetischen Wortes.

219

die Bildung einer anderen Theorie, die später der officiellen in den Weg trat.

Auf dem bezeichneten Wege, durch die

synagogale Predigt und durch das Lesen der heiligen Schriften, wurden die Samenkörner e i n e r R e l i g i o n ausgestreut, die nicht im Halten des mit Gott geschlossenen Vertrages und in der Erwartung des von ihm dafür versprochenen Lohnes bestand.

Und die Aussaat war nicht vergeblich geschehen.

Der Essenismus hat uns schon gelehrt, wie kräftig im Judaismus die rein-ethischen Elemente waren, und wie sehr sie sich neben ihm geltend zu machen wussten. Dasselbe wird sich auch in dem Leben vieler Stillen im Lande, die nach wie vor in der jüdischen Gesellschaft blieben, deutlich gezeigt haben.

Sie hatten darum

das gesetzliche Princip nicht

überwunden: der Pharisäer blieb in ihrer Schätzung das Muster der Frömmigkeit und Gerechtigkeit.

Dadurch stellte

sich ohne Zweifel bei Manchen von ihnen ein gewisser Mangel an Selbstvertrauen ein: waren sie wohl auf dem guten Wege und d u r f t e n sie sich des Friedens freuen, den sie gewonnen hatten?

Ihre Religion war in gewissem Sinne

eine unrechtmässig erworbene, ein durch Raub erlangter Besitz und konnte ihnen deshalb auch wieder genommen werden.

Aber tatsächlich hatten sie, wenn auch nur vorläufig,

einen höheren Standpunkt erreicht als der Pharisäismus — einen Standpunkt, der bald genug auch rechtmässig in Besitz genommen und behauptet werden sollte. Unser Ueberblick über das palästinensische Judentum muss nun weitere Kreise ziehen. Bisher konnte es den Anschein haben, als ob dasselbe gleichsam ein Leben der Ab-

220

Judaismus und Christentum.

sonderung geführt hätte und mit den anderen Religionen und ihren Bekennern gar nicht oder doch kaum in Berührung getreten wäre. Das Gegenteil ist der Fall. In Palästina war der Judaismus von allen Seiten eingeschlossen und niedergedrückt von der übermächtigen Heidenwelt, und draussen hatte er überall seine Verzweigungen. Das konnte nicht ohne Einfluss bleiben auf die Stimmung seiner Bekenner, auf ihre Erwartungen, auf ihr Tun und Lassen. Und indertat war dieser Einfluss ein tief einschneidender. Was sich davon sagen lässt, kann man unter zwei UeberSchriften zusammenfassen: Der M e s s i a n i s m u s u n d d e r Prosei ytismus. „Der Messianismus": soll der reiche Inhalt dieses Gegenstandes uns nicht überwältigen oder wenigstens von unserer Aufgabe entfernen, so muss ich mir erlauben, mit Uebergehung aller Einzelheiten sowie der streitigen Punkte Ihre Aufmerksamkeit nur auf die Hauptsache zu lenken, über welche glücklicherweise keine Meinungsverschiedenheit besteht. Ich setze demnach als bewiesen voraus, dass die messianischen Erwartungen im nach-exilischen Israel nicht ausgestorben sind; dass sie insbesondere gehegt und gepflegt wurden, nicht von der regierenden Aristokratie, sondern von den Schriftgelehrten, den Pharisäern und dem Volke, das unter ihrer Leitung stand; dass der Druck der Fremdherrschaft, sowohl des Herodes als der Römer, sie zu neuem Leben gebracht und verstärkt hat. Eine bestimmte Form hatten diese Erwartungen um den Beginn unserer Zeitrechnung noch nicht angenommen; eine ausgebildete messianische Dogmatik besass der Judaismus nicht. Aber allge-

Die messianiache Erwartung.

221

mein herrschte die Ueberzeugung, dass die Unterwerfung des Volkes Gottes unter die Heiden eine Abnormität sei und darum nicht anf die Dauer bestehen könne. Israel musste frei sein und herrschen, so wahr es aus allen Geschlechtern der Erde von dem Allmächtigen auserwählt war und ihm angehörte, „ein priesterliches Königreich und ein heiliges Volk"'). Bis hieher miteinander einverstanden, spalten sich die Juden weiterhin in zwei Richtungen. Bei den Einen schlägt der Messianismus in Z e l o t i s m u s um. In immer weiteren Kreisen verbreitet sich der Gedanke, dass der Anbruch der besseren Zeit nicht in trägem Nichtstun abgewartet, sondern durch kühnes Handeln beschleunigt werden müsse. Josephus — fast der einzige Zeuge, den wir befragen können — mochte es gerne verdecken und kann es doch nicht verbergen-, dass der Zelotismus stetig an Macht zunimmt, bis endlich, im Jahre 66 n. Chr., das ganze Volk sich von ihm mitreissen lässt. Aber das geschah gegen den Willen seiner geistigen Führer, der Schriftgelehrten und ihrer treuen Knappen, der Pharisäer. Von Anfang an sind sie sich in ihrer abwartenden Haltung treu geblieben und, so lange ihnen das Herz des Volkes gehörte, haben sie es gelehrt zu hoffen, aber zugleich zu dulden. Leiden und Sterben für das Gesetz: es ist wohl zu beachten, wie oft dieser Gedanke dem jüdischen Geschichtsschreiber aus der Feder fliesst, während er bemüht ist, sein Volk und dessen Religion gegen die Angriffe des Apio in das wahre Licht zu stellen. „Allen Juden" — so schreibt er a ) — „ist es ') Ex. XIX: 6a. *) Contra Apionem 1: 8.

222

Jadaismus und Christentum.

von ihrer Geburt an gleichsam ins Herz gepflanzt, die Worte des Gesetzes für Gottes Gebote zu halten, bei ihnen zu bleiben und für sie, wenn es nötig ist, sterben".

mit Freuden zu

Anderwärts rühmt er ihre Tapferkeit angesichts

des Todes um des Gesetzes willen — nicht, setzt er hinzu, jenes leichten Todes, den man kämpfend erleidet, sondern desjenigen, der mit körperlicher Marter verbunden ist und von allen als der schwerste angesehen wird 1 ).

Sie glauben

fest — so versichert er kurz vorher — dass

diejenigen,

welche den Gesetzen nachgelebt und für sie, wenn es nötig war, willig gestorben sind, wieder zum Leben erwachen und ein weit besseres Dasein würde Bedenken tragen nicht Allen

wieder erlangen

werden.

dies niederzuschreiben,

„Ich

wenn es

durch die Tat offenbar geworden wäre,

dass

bei mancher Gelegenheit Viele der Unsrigen lieber kühnen Mutes alles ertragen haben, als ein Wort gegen das Gesetz zu sprechen 4 "). Dingen

Mag Josephus

sonst in noch so

vielen

der Ueberlieferung seines Volkes untreu geworden

sein, hier wenigstens redet der echte Pharisäer. Doch hüten wir uns zu glauben, dass dieser passive Messianismus,

weil er nicht nach aussen hin wirkte,

bei

der Beurteilung des palästinensischen Judentums dürfe ausser Acht gelassen werden! höhere

Mir scheint er umgekehrt eine viel

religiöse Bedeutung zu haben

als der Eifer eines

Judas Gaulonites'), der in den Gewalttätigkeiten selbst, zu ') Contra Apionem I I : 32. Contra Apionem I I : 30. ') J o s e p h u s ,

Altert. X V I I I :

1, § 1 ; Jüdischer Krieg I I : 8, § 1.

Vgl. mein B. Godsdienst Tan Israel I I : 481 f.

Einfluss des passiven Messianismus.

223

denen er aufstachelte, auch schon verdampfte. Es will etwas sagen, in einer Welt zu leben, die das Gegenteil von dem ist, was sie sein sollte; ihr gegenüber zu stehen mit unausgesprochenem, aber darum nur desto ernster gemeintem Protest im Namen des Einen Wahrhaftigen, den die Welt nicht kennt, nnd doch einst wider Willen wird kennen und verehren lernen. Es lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, welche Gemütsstimmung mit dieser Haltung Hand in Hand gehen wird. Vielleicht Hass, grimmigster Hass gegen die übermächtigen Gottlosen; vielleicht auch innerliche Entfremdung gegen die Gott entfremdete Welt und ihre Herrlichkeit, ein Sichzurückziehen auf die geistigen Güter, die sie nicht geben, aber ebensowenig nehmen kann — mit einem Worte, Weltentsagung oder Weltflucht, ein geistiger Essenismus gleichsam, von dem uns indertat in den Berichten über die Heroen der Schriftgelehrsamkeit einige Beispiele erhalten geblieben sind. Wie sich diese und wohl noch andere Bewegungen des Messianiamus unter den Juden verteilten, bleibt — das versteht sich von selbst — ein Mysterium: wer vermag in die Tiefen der Gemütswelt längst vergangener Geschlechter einzudringen? Soviel aber steht fest, dass ihr religiöses Leben überhaupt durch die Zukunft, die sie mit dem geistigen Auge sahen, einen neuen Charakter und eine andere Farbe annahm. Im Uebrigen zeigte der Jude in seiner Person und in seiner Lebensweise nichts Verletzendes oder Herausfordemdes. Allerdings lehnte er es ab, sich in die Gedanken und Gebräuche Anderer zu schicken; er war selbständig und legte Wert darauf es zu bleiben. Aber das kontite als eine Grille angesehen und entschuldigt

224

Judaismus und Christentum.

oder auch mit Spott erwidert werden. Dennoch aber war die Sachlage eine andere geworden, nun er, der Spross einer so unbedeutenden Nation, auftrat oder vielmehr in aller Stille einherging, jene Beschwerden gegen den damaligen Zustand der Welt, jene Hoffnung auf einen Alles umfassenden Umschlag, jene Ansprüche auf Weltherrschaft im Herzen. Hörte man auch diese Gedanken und Erwartungen nicht von den Dächern verkündigen, so konnten sie doch nicht verborgen bleiben, und sie waren indertat, unter den Römern und umsomehr unter den Nachbaren der Juden, ruchbar geworden'). Dürfen wir uns wundern, dass mancher, unzufrieden mit den socialen Verhältnissen, in denen er lebte, und der überlieferten Gottesverehrung entwachsen, fragend den Blick nach jenem Lande des geheimnissvollen Ostens richtete, ob etwa dort das Licht aufgehen möchte? Doch wozu reden, als ob man über diese zweifelnde Frage nicht hinausgekommen wäre? Schon hatten, aller Orten in der damals bekannten Welt, s e h r V i e l e sich den Juden angeschlossen. D e r P r o s e l y t i s m u s hatte allmählich einen staunenerregenden Umfang gewonnen. Auch in dieser Hinsicht kann ich nicht auf die Einzelheiten eingehen; doch ist es im Grunde auch nur die grosse Tatsache selbst, die unser Interesse in Anspruch nimmt, und darüber gehen die Meinungen nicht auseinander. Flavius Josephus verdient gewiss allen Glauben, wenn er von seiner eigenen Zeit ein Zeugniss ablegt, auf das ja jeder seiner Leser an der Wirklichkeit die Probe machen konnte. Und er trägt kein Bedenken zu versichern, dass „Viele aus den Griechen sich ') S u e t o n i u s , Vespas. c. IV; T a c i t u s , Histor. V: 13.

Das jüdische Proselytentnm.

225

den jädischen Gesetzen unterworfen haben,

von

welchen

Etliche dabei geblieben, während Andere, denen das Ausharren zu schwer wurde, wieder davon abgefallen sind"'). Und weiterhin:

„Längst schon hat ein grosser Eifer für

unsere Gottesverehrung sehr Viele ergriffen, und es giebt keine einzige Stadt, so wenig unter den Griechen als unter den Barbaren, noch auch irgend ein Volk, wo die Feier des siebenten Tages als des Ruhetages nicht verbreitet, ist, und das Fasten und das Anzünden von Lichtern und viele unserer Speisegesetze nicht beobachtet werden.

Auch trachten sie

unsere brüderliche Eintracht nachzuahmen und den Eifer in dem Handwerk und die Standhaftigkeit unter den Verfolgungen um des Gesetzes willen . . .

Gleichwie Gott die

ganze Welt durchdringt, so hat sich das Gesetz unter allen Menschen verbreitet. Möge nur ein Jeder auf sein eigenes Vaterland und auf seinen eigenen Wohnort achtgeben, wird er mir den Glauben nicht versagen"').

so

Vornehmlich

war es die jüdische Diaspora, welche die Proselyten an sich zog 9 ).

Aber auch in Palästina und von da aus verbreitete

sich der Judaismus unter den Heiden, sei es von selbst, in Folge ihres Verkehres mit den Juden, sei es durch Sendboten, die zu ihrer Bekehrung ausgezogen waren.

Es ist

durchaus wahrscheinlich, dass in dem ersten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung solche direkte Versuche nichts Ungewöhnliches waren 4 ).

') *) J ) «)

Contra Apionem II: Contra Apionem II: S. die Beweisstellen Vgl. Matth. XXIII:

Kuenen,

Mit einem Worte: dem Judaismus

10. 39. in meinem B. Qodsdienst van Israel II: 503. 1*5 und Erläut. XII.

Volks- nnd Weilreilglon.

15

226

Judaismus und Christentum.

war das Bewusstsein seiner weiteren Bestimmung durchaus nicht fremd, und schon war er an der Arbeit, seine Grenzen hier und da weiter hinauszuschieben. Der kräftigste Beweis für die Bedeutsamkeit dieser Bewegung liegt wohl darin, dass die Frage, unter welchen Bedingungen die Heiden zum Judentum zuzulassen seien, bereits aufgeworfen war und in verschiedenem Sinne beantwortet wurde. Allgemein bekannt ist die Erzählung des Flavius Josephus über das Königshaus von Adiabene und seinen Uebertritt zur jüdischen. Religion1). Noch stärker als durch die Tatsache selbst wird hier unsere Aufmerksamkeit gefesselt durch die Unschlüssigkeit des Izates, ob er sich der Beschneidung unterwerfen soll, und durch die sich widersprechenden Gutachten darüber, die Hananja und Eleazar geben. Der Erstere erklärt sich zufrieden mit der Befolgung des Hauptinhalts des Gesetzes; der Andere meint, dass die Ehrfurcht vor dem Gesetze sich vor allen Dingen in der Unterwerfung unter a l l e seine Vorschriften, somit auch die vorliegende von der Beschneidung zeigen und bewähren müsse. Wenn ich sage, dass diese Mitteilungen des Josephus als Commentar zu dem Briefe Pauli an die Galater dienen könnten, so bedeutet das mit anderen Worten, dass die Frage: nationale oder universale Religion? dort, an den Ufern des Tigris, ich will nicht sagen gelöst, aber doch gestellt ist. Auf dem Standpunkte des Gesetzes hat Eleazar, der kein Titelchen noch Jota fallen lassen will, unwidersprechlich das Recht auf seiner Seite. Aber — folgt ') Altertümer X X : 2—4, zu vergleichen mit den talmudischen Berichten bei Dercnbourg a. a. 0 . S. 222—229.

Rückblick and Ergebniss.

227

man seinem Grundsätze, so bleibt der Judaismas, was er ist, die Religion eines einzigen Volkes, und die Handvoll Bekehrter, die er erwirbt, kann nur dazu dienen, diesen seinen nationalen Charakter noch klarer erkennbar zu machen. Was wird in dem Falle aus seiner viel weiter reichenden Bestimmung, die wir ja in allerlei Erscheinungen sich abspiegeln sahen? Was zunächst aus dem prophetischen Universalismus, dann aber auch aus der Anpassungsfähigkeit, die der Judaismus bereits in der Fremde an den Tag gelegt, und, vor allen Dingen, aus den Schätzen von Frömmigkeit und Sittlichkeit, die er in sich birgt, nach denen schon so Viele begehrend ihre Hände ausstrecken? Sollen alle die Verheissungen einer herrlichen Zukunft seinem streng gesetzlichen Charakter, mit einem Worte dem Pharisäismus, zum Opfer gebracht werden? Und das alles zu einer Zeit, wo diese consequente Anwendung des gesetzlichen Principes auf ihrem eigenen Grund und Boden „schon gerichtet ist"; wo sie in Palästina selbst hinter ihrem nächsten Berufe zurückbleibt und neben ihr, zum Teil schon im Essenismus, vor allem aber bei Vielen unter dem Volke eine andere und bessere Auffassung der Religion zum Vorschein kommt, die sich zwar bis dahin kaum zu zeigen wagt, dennoch aber auf uns den Eindruck macht, dass sie der Aufgabe gewachsen ist, die dem Judaismus noch vorbehalten bleibt? Die Grenze, die ich diesem Teile unserer Untersuchung gezogen hatte, ist erreicht. Später, wenn wir auch die Entstehung des Buddhismus in den Kreis unserer Betrachtung werden aufgenommen haben, komme ich noch einmal auf 15*

228

Judaismos und Christentum.

das Judentum und das Verhältniss, in dem das Christentum zu ihm steht, zurück.

Aber schon jetzt ist die Erhebung

des Judaismus zu einer internationalen Religion in ihrem Verlaufe skizzirt und erkennen wir in der Geburt dieser letzteren eine historische Notwendigkeit.

Immer aber —

möge es noch einmal ausgesprochen sein! — mit e i n e r höchst gewichtigen Einschränkung.

Ich glaube gezeigt zu

haben, dass die B e d i n g u n g e n für diesen Uebergang vorliegen, d a s B a u m a t e r i a l für die Neugründung, sozusagen, zusammengebracht war; oder, wie man es auch ausdrücken kann, dass die F r a g e , und zwar in sehr bestimmter Form, gestellt und der Auflösung so nahe wie möglich gebracht war.

E i n Ding fehlte noch: die Auflösung selbst.

Unge-

ordnet lagen die Elemente durcheinander: das „es werde Licht!" musste noch ausgesprochen werden. Aber ist damit nicht zugestanden, dass unsere ganze Unternehmung missglückt ist?

Das wäre ganz gewiss der Fall, wenn ich ver-

sprochen hätte, Ihnen das Werden des Christentums ohne Rücksicht auf die Person seines Stifters zu erklären.

Doch

Sie werden sich erinnern, dass ich von Anfang an versichert habe, daran nicht zu denken. W o h l aber machte ich mich stark, Ihnen darzutun, dass man Jesus nicht als den d e u s ex m a c h i n a betrachten darf, der in die Verwirrung und das Elend, die die Menschen angerichtet haben, plötzlich und unerwartet Ordnung bringt.

W o h l erklärte ich es für

streng beweisbar, dass er nicht zu dem ganzen jüdischen Volke in allen Schattirungen

seiner

G e g e n s a t z gestellt werden darf. sagen nicht erfüllt?

Gottes Verehrung

in

Wohlan, sind diese Zu-

„Das Christentum" — so las ich vor

Vollendung des Prophetismus in der Person Jesu.

229

kurzem irgendwo 1 ) — „die Person Jesu Christi, ist nicht der letzte Ausläufer des israelitischen Volkstums, sondern die Erfüllung der ihm zu Grunde liegenden Gottesoffenbarong". Den Gegensatz wollen wir auf sich beruhen lassen; er führt uns auf ein Gebiet, das wir jetzt nicht betreten wollen. Aber die Verneinung, die hier ausgesprochen wird, hat für uns ihre Bedeutung verloren. „Das Christentum nicht der letzte Ausläufer" — richtiger: nicht die Frucht — „des israelitischen Volkstums!" Ist es uns doch klar geworden, dass mehr als ein Bestandteil des Judaismus hinwies auf die Dinge, die da kommen sollten, und gleichsam auf die Entwickelung des Keimes drang, den die israelitische Religion seit Jahrhunderten, ja von Anfang in sich trug? Waren wir doch Zeugen der — nicht nur geträumten, sondern wirklichen — Geburtswehen des Messias! Jetzt können wir sogar noch einen Schritt weiter gehen. Bis zu dem Augenblick, wo die Tatsachen selbst die Antwort gaben, blieb es ein Geheimniss, w e l c h e r A r t die Lösung sein würde. Und doch darf man ruhig versichern, dass über ihre F o r m für denjenigen, der den Gang der religiösen Geschichte Israel's kannte, kein Zweifel sein konnte. Als die treibende Kraft dieser Entwickelung haben wir d e n P r o p h e t i s m u s kennen gelernt. Priester und, in einer späteren Zeit, Schriftgelehrte haben eifrig daran gearbeitet und ihrem Volke und damit der Menschheit unschätzbare Dienste geleistet. Aber an den Wendepunkten ') H. S. B e s t m a n n , Geschichte der christlichen Sitte, I. Bd. S. 318. Es ist zu bedauern, dass der Verfasser sich, wenigstens in diesem ersten Bande, seiner schönen Aufgabe so wenig gewachsen zeigt.

230

Judaismus und Christentum.

des durch Jahrhunderte Prophet.

fortgesetzten Processes steht der

Jede geradlinige Annäherung nach dem Endziele

hin ist sein Werk.

In dem Judaismus der Erfüllungszeit

sind die Gedanken, die Gesinnungen und die Stimmungen, welche die werdende neue Stiftung unmittelbar ankündigen, aus seinem Einflüsse zu erklären.

So scheint es denn wohl

in der Natur der Sache zu liegen, dass auch in dem Uebergang vom Nationalen zum Universalen dem Propheten die Hauptrolle vorbehalten ist.

Was Arnos, Jesaja, Jeremia und

„der grosse Unbekannte" begonnen haben, das wird ER vollenden müssen. So schien es sein zu müssen, und so ist es geschehen.

Y.

Der Buddhismus.

Rückblick und Schluss.

„Einfachheit das Siegel der. Wahrheit." Wenn dieser Leibspruch meines grossen Landsmannes unbeschränkte Gültigkeit besässe, so würde meine Auffassung von dem Ursprung des Christentums aus dem palästinensischen Judentum einer weiteren Empfehlung nicht bedürfen. Aber wir haben bereits so oft beobachtet, dass die Wege der Geschichte gewundene Pfade sind, dass vielmehr von selbst der Zweifel bei uns sich erhebt, ob die gerade Linie indertat ihren wirklichen Lauf darstellen kann? In jedem Falle ist die Frage nicht überflüssig, ob zum Werden des Christentums noch andere Faktoren können mitgewirkt haben als die, welche wir bei unsrer letzten Zusammenkunft an der Arbeit gosehen haben. War der Process vielleicht dennoch verwickelter als wir es uns vorstellten? Es fehlt nicht an einer bestimmten Veranlassung, diese Fragen aufzuwerfen. Als das Christentum in Palästina geboren wurde, gab es schon eine Weltreligion. Dürfen wir die ausser Betracht lassen? Soviel steht fest, dass die Be-

232

Der Buddhismus.

rührung mit Fremden nicht ohne Einfluss auf die Religion des nachexilischen Israel geblieben ist: persische Ideen haben sich Eingang verschafft, nicht nur bei Einzelnen, sondern bei dem gesammten Volke. Nun aber hatte um den Beginn unserer Zeitrechnung d e r B u d d h i s m u s bereits seit mehr als zwei Jahrhunderten die Grenzen seines Vaterlandes überschritten. Seiner Ausbreitung setzte die Verschiedenheit der Nationalität keine Schranken. Ist es daher im Grunde nicht sehr natürlich, dass man schon wiederholt versucht hat, diese älteste in der Reihe der Weltreligionen zur Mutter der beiden anderen zu machcn, oder sie wenigstens nebenbei bei der Geburt des Christentums und also, mittelbar, auch bei der des Islam mitwirken zu lassen? Der Kritik dieser Versuche können wir uns nicht ganz entziehen. Lange brauchen wir gleichwohl uns dabei nicht aufzuhalten. Ein einziger Blick genügt, um uns zu lehren, dass die dichtende Phantasie hier die Hauptrolle spielt. Wie sieht es mit dem Beweise aus, den die Vertreter des buddhistischen Einflusses auf die Entstehung des Christentums für ihre Meinung beibringen? Sichere Nachrichten über das Vordringen buddhistischer Ideen nach dem westlichen Asien besitzen wir erst aus viel späterer Zeit. Die indischen „Gymnosophisten", welche Philo einige Male erwähnt '), sind keine Buddhisten und ihm zudem nur gerüchtweise bekannt. Clemens von Alexandrien ist der erste, der den Buddha nennt, und zwar als einen Religionsstifter aus den Menschen, der von seinen Anhängern „um seiner ') Quod omnis probus Uber § 11 (II: 456 Hang.); de Abrahamo § 33 (II: 26 Mang.)-

Buddhistischer Einflnss in Aegypten oder Palästina.

233

besonderen Ehrwürdigkeit willen" als Gott verehrt werde1). Auch seine Mitteilungen machen den Eindruck, dass der Buddhismus in jenen Tagen, um den Beginn des 3ten Jahrhunderts, noch weit entfernt war. Wenn er schon Jahrhunderte vorher in Aegypten oder in Palästina sich geltend gemacht hat, so hatte doch jedenfalls Clemens davon nicht die geringste Ahnung. Werden wir nun, da die Wirklichkeit dieses Einflusses nicht bewiesen ist, auch seine Möglichkeit leugnen? So weit wage ich für meinen Teil nicht zu gehen. War es auch eine weite Strecke, die der Buddhismus zurückzulegen hatte, um Palästina oder Aegypten zu erreichen, so war der Weg doch weder unbekannt noch ungangbar, und wenn wir uns die babylonischen Juden als Vermittler denken, so wird er noch beträchtlich kürzer. Aber der völlige Mangel an historischen Zeugnissen macht uns immerhin bedenklich, solche „actio in distans" anzunehmen und legt uns mindestens die Verpflichtung auf, sehr aufmerksam auf den inneren Gehalt der Beweise zu achten, womit man die Annahme des buddhistischen Einflusses zu stützen sucht. Die bekannte Schrift über „den Engel-Messias der Buddhisten, Essener und Christen"') ist allerdings überreich an Parallelen jeder Art, aber leider! auch ein fortlaufender Commentar zu Scaliger'8 These, dass „die Irrtümer in der Theologie — eigentlich sagt er: die Zwistigkeiten in der Religion — von der Verwahrlosung der Grammatik herrühren"'). Wer es ') Strom. I: 15, § 71 (S. 359 Pott). *) The Angel-Messiah of Buddhists, Essenes and Christians, by E r n e s t de B u n s e n (London, 1880). a ) „Non aliunde dissidia in religione dependent quam ab ignoratione Grammaticae" (Scaligerana ed. T a n . F a b r i S. 86).

234

Der Buddhismus.

über sich gewinnen kann, den Namen „Pharisäer" mit „Persien" in Zusammenhang zu bringen'), hat sein Recht mitzusprechen ein für alle Mal verwirkt: des Buches uns schon vor

Aber im Grunde hätte der Titel allen Illusionen betreffs

seines

Inhaltes warnen können. „Der Engel-Messias" der Buddhisten, die ebensowenig Engel wie einen Messias kennen, und der Essener, die allerdings von den Engeln und ihren Namen viel Wesens machten, von deren messianischen Erwartungen wir aber nichts, gar nichts wissen! 2 ) Mit solchen Vergleichen, zwischen unbekannten oder eingebildeten Grössen, die ohne die geringste Sorgfalt angestellt sind, kann man buchstäblich alles beweisen.

Ganz gewiss gibt es Punkte, in denon die

Evangelien-Berichte, vor allem die des Lucas und Johannes, mit der Buddha-Legende, und so auch die Predigt Jesu mit der seines grossen Vorgängers übereinstimmen.

Sie

voll-

zählig zu sammeln und, zugleich mit den nicht minder bemerkenswerten Differenzpunkten, ans Licht zu stellen scheint mir eine keineswegs überflüssige Aufgabe; und es ist eine erfreuliche Erscheinung, dass eine competente Hand sich ihr wirklich

unterzogen

') A. a. 0 . S . 86.

und die

Ergebnisse

Da beisst es noch:

vor kurzem der

„the Sadducees and

the

Pharisees, the name of the latter having p o s s i b l y been derived from Pharis (Paris),

the Arabian (!) name for the Persian."

S. 92 die alte Ueberlieferung der Pharisäer

Dagegen wird

„with increasing certainty"

in Verbindung gebracht mit „Persia, the Pharis of the Arabians (!), and from which name that of the Pharisees may have been derived." In der Anmerkung zu S . 86 werden wir aufgefordert, auch „Phares and Pharesites or Pherisites (Perizzites)" zu vergleichen. Dass p h e r ü s c h i , P h a r e v , P h e r i z z i unter sich und mit P h a r ä s (dem hebr. Namen für Persien) nichts gemein haben, bedarf keiner Versicherung. a

) S. oben S. 201.

Anklänge an den Buddhismus im Neuen Testament.

235

literarischen Welt vorgelegt hat 1 ). Es würde voreilig sein, jetzt schon ein endgültiges Urteil über das Resultat des so angestellten fortlaufenden Vergleiches fällen zu wollen; inzwischen glaube ich bestimmt behaupten zu können, dass wir davon absehen müssen, dem Buddhismus den geringsten d i r e k t e n Einfluss auf den U r s p r u n g des Christentums zu vindiciren. Höchstens könnten ihm einzelne Züge in der Ueberlieferung der Evangelien entnommen sein. Aber selbst das bleibt zweifelhaft, weil die Aehnlichkeit, worauf man diese Annahme gründet, sich — merkwürdig genug! — a u c h in Erzählungen findet, die von dem Alten Testamente abhängig sind, deren Uebereinstimmung mit Zügen aus dem Leben des Qäkya-Muni deshalb unmöglich mehr als zufällig sein kann'). Kurzum: mag die Hypothese, die Jesus mit den Buddhisten in Verbindung bringt, noch so anziehend und noch so geeignet sein, in ein romantisches Kleid gehüllt zu werden'), sie wird durch nüchterne und strenge historische Untersuchung nicht empfohlen, sondern widerlegt 4 ). ') Prof. Dr. R u d o l f S e y d e l , das Evangelium von Jesu in seinen Verbältnissen zu Buddba-saga und Buddha-lehre mit fortlaufender Rücksicht auf andere Seligionskreise (Leipzig, 1882). *) Vgl. Erläut. XIII. 3 ) So geschehen durch G. B i r n i e , de invloed van de Hindoebeschaving, ook met betrekking op Java (Deventer, 1881) S. 97, wo es nicht für unwahrscheinlich erklärt wird, dass Jesus Alexandrien besucht und dort den Buddhismus kennen gelernt habe. Vorher schon (S. 94 f.) war der Traktat „über das beschauliche Leben" als von Philo stammend und — was mindestens ebenso bedenklich ist — als Zeugniss für die Verbreitung der buddhistischen Askese in Aegypten angeführt. 4 ) Vgl. mit diesem Abschnitte Prof. J. E s t l i n C a r p e n t e r , the obligations of the N. Testament to Buddhism (The Nineteenth Century, Dec. 1880, S. 971—994), in Uebersetzung aufgenommen iu Bibl. van

236

Der Buddhismus.

Aber was wir zur Erklärung des Ursprungs unserer Religion nicht bedürfen, das flösst uns an sich das lebhafteste Interesse ein. Das Studium des Buddhismus, immer im Hinblick auf die Verwandtschaft, in der er zu der nationalen Religion Indien's steht, ist nicht der unwichtigste Teil unserer Aufgabe. Aber um so mehr trete ich mit Furcht und Zittern an ihn heran. Es ist wahrlich keine falsche Bescheidenheit, die mir dieses Geständniss eingiebt. J a , wenn der feurige Wunsch einen Gegenstand zu ergründen ausreichte, jemanden zur Behandlung dieses Gegenstandes zu berechtigen, so dürfte ich gewiss auf Gehör Anspruch machen. Denn ich gestehe, dass es wenige Fragen giebt, die mir mehr Interesse einflössen, als der Charakter des ursprünglichen Buddhismus und die Art seines Entstehens. Aber hier gilt es mehr: Quellenstudium und immer wieder Quellenstudium. Und dazu fehlt mir sogar die nötige Vorbereitung. Dieser Mangel würde nicht völlig ausgeglichen werden, aber doch zu ertragen sein, wenn die Vorgänger auf diesem Gebiete einstimmig dieselben Resultate verträten. Indessen weiss jedermann, wieviel daran trotz aller Fortschritte in den letzten Jahren und zum Teil gerade in Folge derselben, noch fehlt. Wenn ich es dennoch wage, nicht allein dankbaren Gebrauch von den Tatsachen zu machen, die nach der Ansicht Aller feststehen, sondern auch über die noch schwebenden Fragen eine Meinung zu äussern, so tue ich dies in der Hoffnung, dass die Zweifel, mag sein auch die Irrtümer eines, der draussen steht, den Männern Mod. Theol. en Letterkunde, Deel II: 29—58; K h y s D a v i d s , Lectures etc. S. 151 f.

Schwierigkeit der Aufgabe dieses Abschnittes.

237

des Faches zeigen werden, was man von ihnen erwartet, und sie so veranlassen werden, aus ihrer Schatzkammer noch mehr an den Tag zu bringen, als wir bereits empfangen haben. Jeder Gedanke daran, „Ilium's Belagerung nach Homer zu singen" liegt mir dabei fern. Ich weiss zu gut, dass — buddhistisch gesprochen — mein Platz nicht in „der Gemeinde", sondern „unter den Verehrern" ist. Ich erlaube mir nur, als anteilnehmender Zeuge der Forschung der letzten Jahre meine Eindrücke wiederzugeben, diese und jene Wünsche vorzutragen, hie und da eine Vermutung zu äussern. Schon dabei werde ich manchmal die Fachleute selbst für mich sprechen lassen und, soweit möglich, wieder zu ihren Füssen mich niederlassen, eingedenk der Lehre des Dhammapada: „Wenn du jemanden siehest, der dir sagt, wo echte Schätze zu finden sind, der das Verkehrte aufweist und gerechten Tadel erteilt, dem Weisen folge: es wird dem, der sich solch einem anschliesst, nicht schlechter gehen, sondern besser" '). Den engen Zusammenhang zwischen dem Brahmanismus und dem Buddhismus leugnet niemand.

Doch gab es eine

Zeit, wo man ihn als diametralen Gegensatz auifasste. Der Buddhismus die Leugnung und • Verwerfung des Brahmanismus, aus ihm hervorgegangen auf dieselbe Weise wie ') Vers 76 nach der Uebersetzung F. M a i M ü l l e r ' s in The sacred books of the East, Vol. X, Part I, S. 23. Die Uebersetzung von A. W e b e r lautet: „Wen mau sieht als gleichsam Schätze verkündend, als Mängel erschau'nd, Als tadelnd lehrend, einsichtig — solchem Weisen man an sich schliess'. Wer einem solchen sich anschliesst, besser wird's dem nicht schlimmer gehn." (Indische Streifen, I: 130f.).

238

Der Buddhismus.

z. B. die französische Revolution aus dem „ancien regime". Ja, hier und da vernimmt man heute noch das Echo dieser Auffassung. Vor wenigen Jahren (1868) Hess der berühmte Indologe Weber einen Aufsatz wiederabdrucken, worin er den Buddhismus beschrieb als „in seinem Ursprünge eine der grossartigsten, radikalsten Reaktionen zu Gunsten der allgemeinen Menschenrechte des Individuums gegenüber der erdrückenden Tyrannei sogenannter göttlicher Geburts- und Standesrechte. Er ist das Werk eines einzigen Mannes, der sich Anfang des sechsten Jahrhundert vor Christus im östlichen Indien gegen die brahmanische Hierarchie erhob, und durch die Einfachheit und ethische Kraft seiner Lehre einen vollständigen Bruch des indischen Volkes mit seiner Vergangenheit herbeiführte" '). Nicht minder stark drückt sich M. Duncker aus: „In der Lehre Buddha's hatte die Philosophie der Inder den kühnsten Schritt gethan. Sie hatte mit dem Ergebniss der Geschichte der Arier am Indus und Ganges, mit der Entwickelung eines Jahrtausends gebrochen. Sie hatte dem alten Glauben den Vernichtungskrieg erklärt und

') Indische Streifen I: 104. Die Fortsetzung lautet: „Mitten unter die trostlosen Verrenkungen aller menschlichen Gefühle, wie sie das brahmanische Kastenwesen und Staatsthum mit sich führte, unter die lebendige Sehnsucht nach einer Erlösung aus dem irdischen, individuellen Dasein, welches sich für die grossen Massen des Volkes nur in so qualvollen, eingeschnürten Formen zeigte, und aus dem ewig wechselnden Kreislauf der Wiedergeburten . . . . trat jener Mann mit seinem Evangelium von der gleichen Berechtigung aller Menschen ohne Unterschied der Geburt, des Standes oder Ranges, ja des Geschlechtes sogar, und von der durch die richtige Erkenntniss und den richtigen Wandel allein, aber auch von Jedem, früher oder später zu erreichenden Auflösung des individuellen Daseins."

239

Buddhismus und Brahmanismns. stellte

dazu

Frage"'). als

die

geheiligte

Ordnung der

Gesellschaft

in

Ebenso beschreibt Monier Williams den Buddha

„den Befreier seines Volkes,

den mutigen Reformator

und Erneuerer, der zu unternehmen wagte, was zweifellos Andere seit lange schon als notwendig erkannt hatten: das Zerbrechen eines unerträglichen Monopols durch die

Ver-

kündigung eines völlig freien Meinungsaustausches auf dem religiösen

Gebiete und die Abschaffung aller Kasten-Vor-

rechte" '). In dieser Vorstellung liegt etwas Grossartiges und desshalb Anziehendes,

so dass wir uns über ihr Aufkommen

und über die Gunst, die sie hier und da noch immer geniesst, nicht wundern können.

Dieser Cäkya-Muni ist eine

Gestalt, die Sympathie und Ehrfurcht uns abnötigt.

Mag

sein Auftreten Verwunderung erwecken, unerklärlich ist es doch nicht — wenn

nämlich der Zustand,

sich stemmte, wahrheitsgetreu gezeichnet wird. maux les grands remedes". dings von Vielen geleugnet.

gegen den er „Aux grands

Aber das gerade wird neuerDas „unter Priesterherrschaft

und Kastenwesen geknechtete Indien"'), dessen Erlöser er geworden, ist, so sagt man, ein Erzeugniss der westlichen Einbildungskraft. stens nicht zu

In der Legende von Buddha ist es wenigfinden.

Im Grunde aber ist dies nur einer

von den vielen Umständen, die allmählich zu einer wesentlich anderen Auffassung des Verhältnisses zwischen Brahmanismus ') Gesch. des Altertbums, 4t« Aufl. 1 8 7 5 : 3ter Bd. S. 341. *) Indian Wisdom, S. 55. 3

) „The deliverer of a priest-ridden, caste-ridden nation" (Monier

Williams a. a. 0 . ) .

240

Der Buddhismus.

und Buddhismus geführt haben. Lassen Sie mich Ihnen die wichtigsten nennen, nicht in der Reihenfolge, in welcher sie ans Licht getreten oder in die Beurteilung des Buddhismus aufgenommen sind, sondern wie sie mir vor dem Geiste stehen, als in ihrem wechselseitigen Zusammenhang

mit

Notwendigkeit zu einer Milderung des traditionellen Gegensatzes führend. Die Edikte des Königs A^oka liefern noch immer die sicherste Grundlage für die Kenntniss des älteren Buddhismus.

Gleich bei ihrer Entdeckung fiel der Geist der Duld-

samkeit und der unparteiischen Würdigung auf, den diese Stücke atmen.

Afoka erklärt, er wünsche vor allem, „dass

der gute Ruf und der innere Gehalt aller Sekten zunehmen möchten".

„Wer seine eigene Gemeinde preist, tut das viel-

leicht aus Liebe zu seiner Sekte, um sie zu verherrlichen, wird aber nichtsdestoweniger seiner eigenen Sekte schweren Nachteil zufügen.

Darum ist Eintracht das beste, so dass

Jeder die Religion des Anderen kennen und loben lerne. Denn das ist der Wunsch des Königs, dass die Mitglieder aller Gemeinden

wohlunterrichtet seien

des Wohlwollens anhängen"').

und einer Lehre

Ganz in Uebereinstimmung

hiermit stellt er anderwärts „Brahmanen und (buddhistische) Mönche" neben einander und ermahnt seine Untertanen zu aufrichtiger, werktätiger Liebe gegen beide 3 ).

Er selbst übt

diese letztere aus, denn, wie es in einer anderen Inschrift ') Girnar XII. Die Uebersetzung ist die von Kern in seiner Schrift: Over de jaartelling der Zuidelijke Buddhisten en de gedenkstukken van A^oka den Buddhist (Amst. 1873). S. dort S. 70 und vgl. T. W. R h y tD a v i d s , Lectures etc. App. II, S. 230f. ') Girnar IX, XI (Kern, S. 85, 78).

241

Die Edicté König Açoka's.

heisst: „Der König ist, zehn Jahre nach seiner Krönong, zur wahren Einsicht gekomihen. Darum hat er einen Wandel der Gerechtigkeit begonnen, der darin besteht, dass er Brahmanen and Mönche bei sich sieht and beschenkt, Greise bei sich sieht und mit Golde belohnt, Untertanen aus Stadt und Land bei sich empfängt, zu Gerechtigkeit ermahnt und Gerechtigkeit sucht"'). „Mangel an Achtung vor Brahmanen und Mönchen" ist eine der Untugenden, über deren Zunahme er sich beklagt'). Friedlich, wie Sie sehen, stehen hier die Vertreter der zwei feindlichen Religionen nebeneinander, und dieselbe schirmende Hand deckt sich über beide. Aber — sollte es wohl gestattet sein, daraus etwas hinsichtlich ihres wechselseitigen Verhaltens zu folgern? Spricht hier nicht etwa mehr „der humane König" — wie sein Ehrentitel lautet — als der Jünger Buddha's? So hat ja auch anderwärts, früher und später, die bürgerliche Obrigkeit streitenden Parteien im Interesse des Friedens Stillschweigen auferlegt und sie alle gleicherweise unter ihre Hut genommen! Indertat: für die tadellose Rechtgläubigkeit A^oka's wage ich nicht einzustehen, und die Zweifel, die in dieser Beziehung geäussert sind'), kann ich nicht widerlegen. Aber dass er, auch in diesen Ansprachen an sein Volk, als ein überzeugter Buddhist auftritt, wird fast allgemein anerkannt'). Und überdies verleugnet er diesen Charakter nicht, wenn er mit Ehrerbietung und Wohlwollen von den Brahmanen spricht. Das ') ') J ) *)

Girnar VIII ( K e r n , S. 59). Girnar IV ( K e r n , S. 52). S. K e r n a. a. 0. S. 81f., 107. Inschrift von Babhra ( K e r n S. 37).

Kueneu,

Volk»- und Weltrellgioii.

16

242

Der Buddhismus.

tut auch Buddha selbst, ich meine: die heilige Literatur, die ihn redend einfuhrt. Au8 der grossen Reihe von Belegstellen, durch welche diese These bewiesen wird, nenne ich nur einige. Einer der Verse des Dhammapada lautet: „Wer, obwohl in schönes Gewand gekleidet, die Ruhe bewahrt, still, eingezogen, keusch ist und aufgehört hat, sich über alle anderen Wesen zu beklagen, der ist in Wahrheit ein Brahmane, ein Asket, ein Bettelmönch"'). Das letzte Wort: „Bhikshu", ist die gewöhnliche Benennung der Mitglieder des buddhistischen Ordens, die Gleichsetzung dieses mit den Brahinanen daher ebenso bemerkenswert wie unzweideutig. Nicht minder klar spricht das ganze 26. Capitel desselben Werkes, mit dem Refrain: „ihn nenne ich wahrlich einen Brahmanen" — ihn z. B., „der alle Bande abgeschnitten hat, der niemals bebt, unabhängig ist und durch nichts gebunden", oder ihn, „der in dieser Welt, alle Lüste verschmähend, umhergeht ohne ein Haus, und in dem alle Begehrlichkeit erloschen ist"'). „Brahmane" ist hier ohne Zweifel ein Ehrentitel, dem der Verfasser den höchsten Wert zuerkennt. Doch vielleicht ist dies seine persönliche Eigentümlichkeit, eine Ausnahme also von der Regel? Gewiss nicht! Oldenberg nennt es „bemerkenswerth, dass der Sprachgebrauch der buddhistischen Texte in keiner Weise dem Wort „Brahmane" die Bedeu') Vs. 142 (bei M ü l l e r S. 39). Nach W e b e r (a. a. 0 . S. 110): „Selbst reich geschmückt, wenn wer Besänft'gung übet, Ruhig, bezähmt, an sich hält und keusch lebet, Keinem Wesen irgendje Zücht'gung zufügt, D e r „Brahmana" ist, d e r ,Asket", d e r „bhikku"." *) Vs. 383 — 423 (bei M ü l l e r S. 89—95), besonders v. 397, 415 (S. 91, 93).

Die Brahmanen in den buddhistischen Schriften.

243

tung eines Feindes der Sache Buddha's beilegt, wie etwa im Neuen Testament Pharisäer und Schriftgelehrte stehend als Feinde Jesu erscheinen"'). Natürlich ist es unleugbar, dass der Buddhismus an die Brahmanen hohe Anforderungen stellt und denjenigen, welche denselben nicht gentigen, das Recht diesen Ehrennamen zu tragen abspricht. Das Dhammapada sagt: „Ich nenne nicht jemanden „Brahmane" um seiner Abkunft oder um seiner Mutter willen. Solch ein Mann ist anmassend und vermögend; den Armen aber, der an nichts hängt, den nenne ich wahrlich einen Brahmanen"'). Ueberhaupt ist nichts gewöhnlicher als die scharfe Geisselung ihres Hängens an Aeusserlichkeiten, ihres Eigendünkels und Hochmuts'). Aber darin geben die Brahmanen selbst den Buddhisten durchaus nichts nach. Dr. Muir hat dafür eine ganze Reihe von Beweisen gesammelt, die man in diese eine Maxime zusammenfassen kann: „Nicht Studium noch heiliges Wissen noch Geburt machen den Brahmanen: nur der sittliche Wert" 4 ). Und die so reden, bezwecken am allerwenigsten die Aufhebung der Kaste und ihrer Vorrechte. Man dürfte vielmehr behaupten, dass sie die eifrigsten Verteidiger derselben seien. Wer dem Adel seine Pflichten vor Augen hält, der verstärkt das Fundament, auf dem er be') S. 174 >) ») *)

Buddha. Sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde (Berlin, 1881), A. 2. Vs. 396 (bei M ü l l e r S. 91). O l d e n b e r g a. a. 0 . S. 195. „Nor study, sacred lore, nor birth The Brahman makes; 't is only worth." Metrical translations from Sanskrit Writers ( T r ü b n e r ' s Oriental Series VII) n. LXXXVII (S. 70) und überhaupt n. LXXYIIIiT. (S. 65 ff.). 16*

244

Der Buddhismus.

ruht. Der Mann, der den Juden nach dem Aeusseren und die Beschneidung des Fleisches dem Juden, der inwendig verborgen ist und der Beschneidung des Herzens gegenüberstellte, ist derselbe, der die Frage, was denn der Jude vor dem Heiden voraus habe, mit einem ernstgemeinten: „allerwege viel!" beantwortete 1 ). Noch eine Erwägung, die, wie mir scheint, allem Widerspruch ein Ende macht. Hätte die Abschaffung der Kasten in des Buddha's Absicht gelegen, so würden seine Jünger, wo sie die Macht in ihre Hände bekamen, dazu auch übergegangen sein oder doch den Versuch gemacht haben. Aber davon keine Spur. Auf Ceylon, wo der Buddhismus herrscht, bestehen auch die Kasten; ja, es ist sogar die Frage, ob sie dort nicht durch die Buddhisten eingeführt sind 2 ). Meint man, dass die Verhältnisse ihnen auch da zu mächtig möchten gewesen sein, wie erklärt man es denn, dass sie selbst in ihrer Dogmatik der Unterscheidung höherer und tieferer Kasten eine Stelle gegeben haben? Dort wenigstens bewegten sie sich völlig frei. Und doch ist es eine Tatsache, dass die aufeinanderfolgenden Buddha's nach orthodoxer Lehre entweder als Brahmanen oder als Khshatriya's geboren werden *). Lassen Sie mich das Endergebniss mit den Worten Dr. Oldenberg's ausdrücken. „Es ist wohl begreiflich" — schreibt er — „wenn die geschichtliche Betrachtung unserer ') Rom. II: 28f.; I l l : I f . *) The religions of India by A. B a r t b . Authorized by Rev. J . W o o d ( T i u b n e r ' s Oriental Scries), S. 125. *) O l d e n b e r g , a. a. 0 . S. 334.

translation

Der Buddhismus und das Kastenwesen.

245

Zeit, die mit einer gewissen Vorliebe das Verständniss religiöser Bewegungen dadurch zu vertiefen bemüht ist, dass sie die sociale Seite an denselben hervorhebt oder entdeckt, Buddha die Rolle eines socialen Reformators zoerkannt hat, der die Ketten des Eastenzwanges zerbrochen und den Armen und Geringen ihre Stelle in dem göttlichen Reich, welches er begründete, erkämpft haben soll. Wer das Wirken Buddha's zu schildern versucht, muss der Wahrheit zu Liebe mit Entschiedenheit bestreiten, dass der Ruhm einer solchen Tat, wie auch immer man sich dieselbe des Näheren vorstellen mag, ihm gebühre. Spricht man von dem demokratischen Element im Buddhismus, so muss man sich in jedem Fall zunächst dies gegenwärtig halten, dass der Gedanke an irgend eine Reformirung des Staatslebens . . . diesen Kreisen gänzlich fern lag" 1 ). Wird so schon dem Gegensatze, auf den ich Sie zu Anfang hinwies, die Spitze abgebrochen, so giebt es noch andere Umstände, die uns nötigen ihn zu mildern, wenn nicht völlig aufzugeben. Fortgesetzte Forschung stellt nach und nach deutlicher an das Licht, dass Brahmanismus und Buddhismus innerlich aufs engste verwandt sind, oder, um es sogleich bestimmter auszudrücken, dass Lehre und Organisation des Buddhismus grossenteils aus dem Brahmanismus entlehnt sind. Religion nnd Metaphysik verdanken ihre Entstehung demselben Streben des menschlichen Geistes ; mögen sie auch nur zu oft miteinander auf sehr gespanntem Fusse stehen, so sind sie doch im tiefsten Grunde eins. Dcnnoch werden ') a. a. 0. S. 155f.

246

Der Buddhismus.

diejenigen, die diesen Satz unterschreiben, sich im allgemeinen wohl hüten, bei dem Vergleiche zweier Religionen vorzugsweise auf die damit

verbundenen

metaphysischen

Systeme ihre Aufmerksamkeit zu richten: oft ist dieses Band erst später geschlungen und das philosophische System ohne jeden Zusammenhang mit der Religion entstanden, die jetzt unzertrennlich damit verbunden scheint. In dem Buddhismus aber ist das nicht der Fall.

Hier ist die Metaphysik kein

fremder Bestandteil, der von aussen hinzugebracht wäre, sondern allerdings das Fundament, worauf das ganze Gebäude errichtet ist.

Und dieses Fundament war durch den

Brahmanismus gelegt.

Die Speculation war schon vor dem

Aufkommen des Buddhismus angelangt bei dem Gegensatze zwischen dem e i n e n unendlichen und unveränderlichen Sein und der Vielheit der endlichen Wesen, die nur scheinbar existiren; bei dem Gegensatze zwischen der seligen Ruhe des Brahma und den Leiden der Welt.

Auch hatte sie

bereits den Weg gezeigt, auf dem die Erlösung von diesem Leiden zu erlangen sei: Entfernung der Unwissenheit, die den Schein für die Wirklichkeit ansieht, und Aufhebung des Verlangens nach der Fortdauer der individuellen Existenz'). Dies aber sind zu gleicher Zeit die tiefsten Grundgedanken des Buddhismus.

Das „Sein" möge anders aufgefasst, mit

„der Allgemeinen Seele" auch die menschliche Seele geleugnet, etwa auch das praktische Endziel anders gedacht werden — dennoch ist es e i n e und dieselbe Ueberzeugung und ein Weg zur Seligkeit. Auch in der Sittenlehre kommt die innige Verwandt') Vel. u. a. Oldenbcrp, a. a. O. S. 33—55.

Die Asketen im Brahm&nismus und die Bhikshu's.

247

schaft der beiden Religionen deutlich zum Vorschein. Aber, statt mich darüber auszubreiten, will ich Sie sogleich darauf aufmerksam machen — was weit grössere Beweiskraft hat — dass die Lebensweise der buddhistischen Mönche bis in kleine Einzelnheiten eine Copie derjenigen der brahmanischen Asketen ist. Warum denn nicht umgekehrt diese eine Nachahmung des buddhistischen Vorbildes? Ungereimt ist diese Frage nicht, und bei dem völligen Mangel an historischem Sinn, der die Indier kennzeichnet, lässt sie sich leichter aufwerfen als beantworten. Dennoch sollte ich denken, dass die Ursprünglichkeit des Brahmanismus diesmal auf sehr festem Grunde ruht. In „den heiligen Gesetzen der Aryas" von Apastamba und Gautama, die man chronologisch dem Gesetzbuche des Manu vorausgehen lässt, finden wir den Stand der Asketen, neben dem der Schüler, der Hausväter und der Einsiedler, anerkaunt und ihre Lebensweise genau geregelt. In Gautama's „Institutionen" heissen sie gewöhnlich „samnyasin", einige Male „ b h i k s h u ' s " , ebenso wie die buddhistischen Bettelmönche '). Aber das ist nicht das Einzige, was sie mit ihnen gemein haben; vielmehr fragt man sich verwundert, worin sie sich von jenen unterscheiden? Der Asket besitzt keine Vorräte, führt ein Leben der Keuschheit, ändert während der Regenzeit nicht seine Wohnung, betritt kein Dorf ausser um zu betteln, begiebt sich dahin nur e i n m a l des Tages, nachdem die Bewohner ihre Mahlzeit gehalten haben; er tut die Begehrlichkeit von sich, be') The sacred laws of the Aryas, translated by G. B ü h l e r . Parti. Apastamba and Gautama (Sacred Books of the East, Vol. II). Gautama's Institutes, Chapt. III: 2, 11 (S. 190, 191).

248

Der Buddhismus.

zwingt seine Zunge, seine Augen, seine Handlungen; er trägt ein Kleid zur Bedeckung seiner Blosse, nach Einigen alte Lappen, die er erst r e i n i g t ' ) . . . . Aber ich brauche nicht fortzufahren: schon ein geringeres Mass von Uebereinstimmung würde genügen, um den genauen Anschluss der Buddhisten an die brahmanische Praxis klarzustellen, und die Punkte, in denen sie auseinandergehen, können diesen Beweis nicht abschwächen. Dennoch lassen Sie mich — damit sich zeige, wie Gautama mit seinen Regeln nicht allein steht — auch noch die kürzere Redaktion Apastamba's mitteilen. „Er (der Samnyäsin, oder Asket) soll lebeu ohne Feuer, ohne Haus, ohne Vergnügen, ohne Schutz. Schweigend, nur bei dem täglichen Aufsagen des Veda seinen Mund öffnend, nur soviel Nahrung in dem Dorfe erbettelnd als er für seinen Lebensunterhalt bedarf, soll er umher irren ohne sich weder um diese Welt noch um den Himmel zu bekümmern. Es ist verordnet, dass er abgelegte Kleider tragen soll; nach Anderen soll er nackt gehen. Indem er Wahrheit und Unwahrheit, Genuss und Schmerz, die Veda's, diese und die zukünftige Welt dahin fahren lässt, soll er die Allgemeine Seele suchen. Nach Einigen hat er die Erlösung erlangt, wenn er jene kennt, aber das streitet mit den Sastras; denn würde die Erlösung erlangt durch blosse Kenntniss der Allgemeinen Seele, so müsste er bereits in dieser Welt für Schmerz unempfindlich sein. Hiermit ist (die Notwendigkeit) nachgewiesen (von dem), was folgt"') — das ist, wie der Commentator uns belehrt, die Notwendigkeit des Y o g a , des ') a. a. 0 . Cap. III: 11—19 (S. 191 f.). "0 C a p . I I : 9, 21, v. 1 0 - 1 7 ( B ü h l e r a. a. 0 . S. 152f.).

Würdigung der Askese im Brahraanismus.

249

ausgebildeten Systems leiblicher und geistiger Uebungen, welches ebenso von den Buddhisten hinübergenommen ist 1 ). Um allem Missverständniss vorzubeugen füge ich sogleich hinzu, dass die Askese im Brahmanismus eine ganz andere Stelle einnimmt als im Buddhismus. In diesem Punkte sind die beiden Zeugen, die wir hinzuziehen, wenn sie auch in Kleinigkeiten von einander abweichen, wesentlich einer Meinung. Apastamba kennt die Ansicht, dass ein Leben der Enthaltsamkeit und Keuschheit höher stehe und herrlichere Früchte bringe als irgend ein anderes, aber er bekämpft sie ausdrücklich: der Besitz von Nachkommen ist ein grosser Segen und, „mag es wahr sein, dass ein Asket durch einige (seiner früheren) Werke und seine strenge Enthaltsamkeit den Himmel bei Leibes Leben verdienen kann, und dass er durch den blossen Wunsch seine Pläne zur Ausführung bringen kann, so ist dennoch keine Veranlassung da, den e i n e n Stand über den anderen zu stellen" T). Gautama geht noch einen Schritt weiter. Die Aufzählung der Regeln für Asketen und Einsiedler schliesst er mit folgenden Worten ab: „Der (d. i. mein) ehrenwerte Meister macht nur e i n e n Stand zur Vorschrift, denn der Stand des Hausvaters allein ist (in den Veda's) vorgeschrieben." Sein Commentator stimmt ihm bei und führt es noch weiter aus. „Die Pflichten des Hausvaters werden wiederholt vorgeschrieben und gepriesen in allen Veda's und Gesetzbüchern.

') S. den Nachweis K e r n ' s , in Oeschiedenis van bet Buddhisme in Indie, Deel I: 334, 349, 366 ff. Eine deutsche Uebersetzung ist im Erscheinen begriffen. ') Cap. II: 9, 23 v. 3—II: 9, 24 v. 15 ( B f i h l e r S. 156—159).

250

Der Buddhismus.

Aus diesem Grunde ist sein Stand allein als Verpflichtung Allen auferlegt. Die anderen Stände sind nur für diejenigen verordnet, die für den Beruf des Hausvaters nicht geeignet sind. So urteilen viele Lehrer" '). Das klingt nichts weniger als buddhistisch. Aber umso grösser ist unsere Sicherheit, dass wir hier indertat Wortführer des Brahmanismus zu hören bekommen. Umsomehr Bedeutung gewinnt nun auch ein Zug in Apastamba's Beschreibung: der Asket lässt alles fahren, a u c h die V e d a ' s . So steht es allerdings J ). Eigentlich ist dies bereits in seinem Zurücktreten aus der Gesellschaft enthalten, denn damit nimmt er sich selbst die Gelegenheit, die vorgeschriebenen Opfer zu bringen oder dabei zugegen zu sein. Aber ohnedies ist, principiell betrachtet, das Streben nach „der Erkenntniss der Allgemeinen Seele", wie es im Brahmanismus aufgefasst wird, mit der Unterwerfung unter die Autorität der Veda's nicht zu vereinigen. Das will natürlich nicht sagen, dass jeder Asket, der sich diesem Streben weihte, mit dieser Autorität gebrochen hatte oder sie allmählich preisgeben musste. Aber allerdings bedeutet es, dass die Verwerfung der Veda's dem Asketismus verwandt ist und im Zusammenhang damit hervortreten m u s s t e . Wir nehmen deshalb gerne an, was Dr. Oldenberg uns versichert, wenn er auch zugleich erklärt, er sei nicht im Stande es zu beweisen: dass schon vor dem Auftreten Buddha's „zahlreiche oder gar die meisten und

') Cap. III: 36, mit der Anmerkung ( B ü h l e r S. 193f.). *) Vgl. u. a. F. M a x M ü l l e r , Lectures on the origin and growth of religion, as illustrated by the religions of India (The Hibbert Lectures, 1878), S. 340 f.. 349 ff. ; Barth a. a. 0 . S. 81.

Die Buddhisten und die Djaina's.

251

überwiegenden Asketeugemeinschaften sich von der Autorität der Veda's emaneipirt hatten"'). Ich erwähnte die Asketengemeinschaften. Allerdings, auch sie sind vorbuddhistisch. Es war durchaus nichts Seltenes, dass ein Heiliger, der der Welt entflohen war, einen Kreis von Schülern um sich versammelte, und sofern auch ('äkya-Muni dies tat, bot er in seinem Auftreten nichts Neues oder Befremdendes'). Es ist sogar die Frage, ob wir nicht noch weitergehen dürfen zu der Annahme, dass in seiner Zeit, aber doch noch gerade vor ihm, ein AsketenVerein sich gebildet hatte, mit dem der seinige eine sprechende Aehnlichkeit hatte, der der D j a i n a ' s . Die Forschungen über diese interessante Frage sind jetzt gerade in vollem Gange, die Debatten darüber noch keineswegs geschlossen'). In der Buddha-Legende nimmt, wie Sie sich erinnern, sein Kampf mit den sechs Irrlehrern eine nicht unwichtige Stelle ein *). Einer von ihnen, der zweite in der Reihe, ist Djnätiputra, der Nirgrantha. Das aber ist ein Beinamen des Wardhamäna, der auch Mahävira heisst, „der grosse Held", den die Djaina's als ihren Meister, den Stifter ihres Ordens, verehren. Ohne nähere Beleuchtung schon fällt die grosse Bedeutung dieser Gleichsetzung auf. Wird sie als wohlbegründet anerkannt, so ist der noch immer rätselhafte Ursprung des Djainismus aufgeklärt, sein wahres Verhältniss zum Buddhismus bestimmt und — was wir so') a. a. 0 . S. 64. R h y s D a v i d s , Lectures etc. S. 153ff. 3 ) Die Literatur wird angegeben, die Frage selbst noch näher beleuchtet in Erläut. XIV. *) S. u. a. K e r n , a. a. 0 . S. 143—152 vgl. U l f .

252

Der Buddhismus.

gleich noch besser werden würdigen lernen — der historische Charakter der Buddha-Legende, wenigstens in diesem einen Punkte, dargetan.

Aber alle diese Erwartungen — so schön,

dass sie uns fast misstrauisch machen könnten — sind nur dann verwirklicht, wenn wir es hier zu tun haben mit einem ungesuchten Zusammentreffen zweier anfangs von einander unabhängiger Strömungen; wenn es, mit anderen Worten) feststeht, dass Djnätiputra nicht, weil er der Stifter des Djainismus war, unter die besiegten Gegner Buddha's aufgenommen wurde, und dass umgekehrt die Djaina's ihren vermeintlichen Lehrer nicht aus der Legende der Buddhisten entlehnt haben.

Man muss zugestehen, dass weder das eine

noch das andere als wahrscheinlich gelten kann. Wenn die Buddhisten den Rivalen (,'äkya-Muni's erniedrigen wollten, so hätten sie ihn in ihrer Legende mit grossem Nachdruck als Stifter des Djainismus bezeichnet, und das geschieht nicht.

Aber auch umgekehrt: Wären die Djaina's um einen

Namen für ihren „Mahävira" verlegen gewesen, so würden sie ihn wohl nicht unter den Weisen gesucht haben, die von Buddha geschlagen und beschämt werden.

Aber wäh-

rend wir das zugeben, wagen wir doch nicht oder kaum, auf der erwähnten Gleichsetzung weiter zu bauen.

Die

schriftlichen Dokumente, die uns zur Verfügung stehen, liegen zu weit von den Tatsachen ab.

Die zwei Ströme der bud-

dhistischen Ueberlieferung laufen in diesem Falle parallel, sodass wir mit Sicherheit annehmen dürfen, dass der Wettstreit mit den Irrlehrern schon früh Aufnahme darin gefunden hatte.

Aber wenn man behauptet'), dass sie zu den

') So K e r n a. a. 0 .

Unzwrerttasigkeit der Bnddha-Legende.

253

mythischen Bestandteilen der Legende gehören und ursprünglich nichts anderes als die Planeten waren; wenn demzufolge die historischen Namen, die einige von ihnen tragen, aus Missverstand oder absichtlicher Aenderung hergeleitet werden — sind wir dann im Stande diese Behauptung Lügen zu strafen? Ist es mit den buddhistischen Zeugnissen so bestellt, so können wir uns noch viel weniger auf die der Djaina's verlassen.

Die Sachkundigen scheinen darüber einig zu sein,

dass ihre heiligen BQcher nicht älter sind als das 5te oder 6te Jahrhundert unserer Zeitrechnung1).

Das will sagen,

dass zwischen ihnen und den Lebzeiten des Stifters ungefähr tausend Jahre liegen! Aber der Mangel an glaubwürdigen Daten aus der Geschichte Indien's ist so gross, dass man sehr mit Recht mit den wenigen, die etwas geben oder verheissen, äusserst haushälterisch umgeht und sich durchaus nicht beeilt, auch nur ein einziges als ganz unbrauchbar aus der Hand zu legen.

Nichts ist darum berechtigter, als

dass man auch dieses Zusammentreffen in den Berichten der Buddhisten und der Djaina's im Auge behält und die Untersuchung darüber fortführt.

Für jetzt aber scheint es

noch gewagt, aus den uns vorliegenden Tatsachen die bestimmte Folgerung zu ziehen, dass der Begründer des Buddhismus bloss, mehr oder minder modificirt, herüberzunehmen brauchte, was ein Anderer gerade vor ihm ausgedacht hatte. Auf Vollständigkeit war diese Aufführung von Berührungspunkten zwischen Brahmanismus und Buddhismus nicht berechnet und macht also darauf auch nicht den mindesten ') Vgl. B a r t h a. a. 0 . S. 147f. und die dort angeführten Schriftsteller.

254

Der Ruddhismus.

Anspruch. Mein Ziel ist erreicht, wenn ich Ihnen Rechenschaft gegeben habe von dem Eindruck, den die Forschung der letzten Jahre bei mir zurückgelassen: der scharfe Gegensatz, den man früher zu entdecken glaubte, verschwand bei näherem Zusehen, um einer vielfachen, nahen Verwandtschaft Platz zu machen. Wahrlich, es kann uns nicht befremden, dass diese Sachlage — oder, mit anderen Worten, die Abhängigkeit des Buddhismus von dem Brahmanismus — heute von den Indologen um die Wette anerkannt wird. Bei dem Einen heissen die Buddhisten „in vielen Hinsichten nichts als verkappte Brahmanisten"'); ein Anderer nennt den Buddhismus „nach der natürlichen, genetischen Einteilung, eine Varietät des Hinduismus" s ) und spricht ihm sogar alle Urspriinglichkeit ab; ein Dritter protestirt nachdrücklich gegen „die unrichtige, noch immer herrschende Meinung, dass Gautama ein Feind des Hinduismus war und dass er darum vor allem Anspruch auf die Erkenntlichkeit seiner Landsleute habe, weil er ein System der Ungerechtigkeit, der Unterdrückung und des Betruges umgestürzt habe. Das ist nicht der Fall. Gautama wurde geboren und erzogen und lebte und starb als ein Hindu" 3 ). Aber statt diesen „Catalogus testium veritatis" zu vermehren, was nicht schwer wäre 4 ), ') F. Max M ü l l e r , Lectures on the origin and growth of religion etc. S. 137. ') K e r n , a. a. 0 . I : 281 und passim. •) T. W. R h y s D a v i d s , Buddhism, being a sketch of the Life and Teachings of Gautama, the Buddha, S. 83. 4 ) S. u. A. R h y s D a v i d s , in den gleich anzuführenden „BirthStories', I: XXVIIf.; E. v o n H a r t m a n n , a . a . O . S. 318 und anderwärts: B a r t h a. a. 0. S. 115ff.

Brahmanisrnns and Buddhismus nahe verwandt.

255

erwähne ich lieber noch einen Umstand, der ganz für sich schon entscheidend sein würde: die Aufnahme der Djätaka's anter die heiligen Bücher der Buddhisten. Dieser Name bedeutet nach der traditionellen Erklärung „Geburts-geschichten" oder -„Erzählungen". Sie wissen, worauf er sich bezieht. So oft Buddha eine dieser Geschichten erzählt hat, wird am Schlüsse bemerkt, dass er selbst in einer seiner früheren Existenzformen darin eine Rolle gespielt habe; so wird das Ganze in einer langen Reihe von Bildern zur Beschreibung alles dessen, was Buddha in seinen unendlich zahlreichen Gestalten von aller Ewigkeit her erlebt und getan hat. Aber sonnenklar ist es und findet daher auch allgemeine Anerkennung, dass die Erzählungen selbst mit Buddha und seiner Praeexistenz ursprünglich nichts gemein hatten, vielmehr einfach aus dem Munde des Volkes aufgezeichnet sind: die Anwendung ist manchmal sehr gezwungen und sichtlich ein neuer Lappen auf ein altes Kleid. Soweit wenigstens steht kein Bedenken der Meinung im Wege, die Kern unlängst vorgetragen hat, dass „djataka" nichts anderes bezeichne als „Geschichtchen" oder „Stückchen" und erst später mit „Geburt" in Beziehung gebracht sei'). So ergiebt sich nur noch klarer, was wohl unleugbar genannt werden darf, dass die Buddhisten sich ein gut Teil der Volksweisheit und des Volkswitzes der Indier angeeignet, es mit sich geführt und überall verbreitet haben, sodass es nach vielen Irrfahrten auch unseren Weltteil erreichen konnteJ). Gewiss ein Beweis, dass, ') a. a. 0 . I: 256 ff. vgl. 303 A. 2. ) Vgl. hierüber T . W . R h y s D a v i d s , Buddhist Birth-Stories, or .Htaka tales. Translation, Vol. I, S. XXIX ff. !

256

Der Buddhismus.

wie der Stifter „als ein Hindu gelebt hat und gestorben ist", so auch die Religion in ihrem Ursprung mit dem nationalen Leben Indien's aufs genaueste zusammenhing und insbesondere in dem volkstümlichsten und beliebtesten Teile ihrer heiligen Literatur da9 indische Gepräge unverwischbar trägt und zeigt. Nur über die Trümmer des Irrtums hin gelangen wir zur Wahrheit. Die Erwartung "ist deshalb keine unberechtigte, dass wir, indem wir uns von der Unrichtigkeit einer früher herrschenden Meinung überzeugten, zugleich der Beantwortung derjenigen Frage etwas näher gekommen sind, auf die es uns für unsere Zwecke eigentlich ankommt: wie ist der Buddhismus aus dem Brahmanismus, die universale aus der nationalen Religion hervorgegangen? Irre ich mich nicht, so ist uns indertat wenigstens die Richtung gewiesen, in der wir zu suchen haben. Nicht in dem Volksglauben oder in den socialen Nöten und Wünschen, sondern in der philosophischen Speculation und in der Askese hat der Buddhismus seine nächste Vorgeschichte. Aber es versteht sich von selbst, dass ich mich nun darüber näher erklären muss. Indessen hier tritt mir — ich darf wohl sagen: uns — eine grosse Schwierigkeit in den Weg. Um nicht entweder vorzugreifen oder mich weitschweifiger Umschreibungen zu bedienen, habe ich mir bis hieher erlaubt dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zu folgen, indem ich mehrfach von „dem Stifter des Buddhismus" sprach. Sie haben mir das nicht übel gedeutet und vielleicht erwarten Sie sogar, dass er in

257

Der Stifter des Buddhismus.

der Untersuchung, zu der wir nun übergehen, die Hauptfigur bleiben wird. Doch ist Ihnen nicht unbekannt, was mir ein- für allemal verbietet, unbefangen so fortzufahren, wie ich begonnen habe. Die Buddha-Legende ist in keiner der Formen, in denen sie auf uns gekommen ist, reine Geschichte. Aber man hat bisher ziemlich einstimmig geglaubt, Geschichte daraus machen zu können, und zwar durch Anwendung der V e r j ü n g u n g s m e t h o d e , wenn ich sie der Kürze halber so nennen darf. Sie verstehen, worauf ich hinauswill: an die Stelle der Tausender oder in diesem Falle der Millionen treten die Einer; alle handgreifliche Uebertreibung und Ausschmückung — oder was doch so gemeint ist — wird ausgemerzt; das Unmögliche auf die Grenzen des Möglichen zurückgeführt. Was man dann übrig behält, ist, wie man meint, Geschichte. Sie kennen ihn Alle, den talentvollen, mit reichen Vorzügen begabten Königssohn, der, ergriffen von dem Schauspiel des mannigfachen menschlichen Elends, den Palast seines Vaters verlässt und sich aus den Armen seiner geliebten Gattin losreisst, um in der Einsamkeit über den Weg zu der Erlösung zu grübeln. Sie gedenken der Versuchungen und des Kampfes, die er dort zu bestehen hatte; wie er, endlich zur rechten Einsicht erwacht, das Land durchzieht, predigend und bekehrend, einen immer grösseren Kreis von Jüngern um sich versammelt und zuletzt, in hohem Alter, in den Armen seiner Getreuen den Geist aufgibt. Nun wollen wir wohl festhalten, viel bestimmter und ernster als es gewöhnlich geschieht: dieser Buddha, ein Mensch von sehr grossen Dimensionen allerdings, aber doch von gleichen LebensäusseKuenen,

Volk»- u n d

Weltreligion.

17

258

Der Buddhismus.

rangen wie wir, ist ein Geschöpf der europäischen Gelehrten, das „Facit" der eben gezeichneten Methode der Bearbeitung, die unzweifelhaft anderwärts vielfach als zutreffend, aber ebenso vielfach als unzureichend erfunden ist. Dieselbe Kritik, die ihn ins Dasein gerufen hat, kann auch versuchen ihn in das Nichts zurück zu verweisen. Und sie versucht dies indertat. In „La legende du Bouddha" von Senart lieferte sie die erste Probe des Nachweises, dass Buddha nicht ein historisches, sondern ein mythisches Wesen ist: der Sonnenheros in — wir dürfen nicht sagen „menschlicher", aber doch — halb menschlicher Gestalt, ebensowenig unsresgleichen als z. B. der hellenische Herakles. Auf viel breiterer Grundlage und mit noch grösserer Entschiedenheit wird dann der Satz von Kern verteidigt. Sein grosses Werk „Geschichte des Buddhismus in Indien" ist bisher nur zum Teil erschienen. Grand genug, das Urteil über die darin vertretene These vonderhand zu vertagen — was mir ja an sich solchen Männern und dem Widerspruch gegenüber, den sie erfahren haben, allein geziemen würde. Wo die Autoritäten mit einander handgemein sind, da gebührt dem Uneingeweihten nicht die Rolle des Kampfrichters, sondern des anteilnehmenden Zuschauers. Während er sich vorsichtig alles dessen enthält, was die Entscheidung des Streites in diesem oder jenem Sinne zur Voraussetzung hat, darf er sich höchstens erlauben, über den Ausgang eine bescheidene Vermutung auszusprechen. Welches ist denn augenblicklich die Sachlage? Geht es Anderen wie mir, so fehlt ihnen durchaus der Mut, eine Hypothese über den Ursprung des Buddhismus unmittelbar

Die mythische Auffassung des Buddha.

259

auf die Legende und insbesondere die darin geschilderte Persönlichkeit aufzubauen. Man nahm bis jetzt an, dass zu der Entstehung dieser Legende zwei Faktoren zusammengewirkt hätten: die Geschichte und die dichtende Einbildungskraft. Sie erinnern sich noch lebhaft, ein wie helles Licht mein unmittelbarer Vorgänger auf den Anteil des letzteren Faktors geworfen hat, indem er Ihnen die zwei Idealgestalten zeichnete, die den Jüngern Gautama's vor der Seele standen und von ihnen auf ihren Herrn übertragen wurden — das des „Chakka-vatti" oder „Königs der Könige", unter dem Einflüsse der veränderten politischen Verhältnisse Indien's gebildet oder wenigstens umgebildet, und das „des Buddha" oder „Weisen", in den Schulen der Spekulation erzeugt'). Vielleicht ist, während des Anhörens und noch mehr während des Nachdenkens über diese höchst belangreichen Mitteilungen, die Frage schon in Ihnen aufgestiegen, ob diese Momente nicht genügten und mehr als genügten, um die geschichtliche Wirklichkeit zu erdrücken, oder, anders ausgedrückt, wie mächtig und eigenartig diese letztere gewesen sein muss, um einer solchen Zufuhr fremder Vorstellungen, „die eben so gut auf jede andere Person in Indien hätten übertragen werden können" *), Widerstand zu leisten. Dazu aber kommt nun auch noch der Sonnen-Mythos — sofern es dessen noch bedarf, möchte ich fast sagen, denn er ist bereits der feste Kern, wenn nicht ein- und alles, in dem ') R h y s D a v i d s , Lectures etc. S. 130ff., 141 ff. *) a. a. 0 . S. 129. Es folgt unmittelbar: „if he had only excited the same feelings." Natürlich bedurfte es einer Veranlassung für diese Uebcrtragung. Aber die brauchte nicht eben in der Aehnlichkeit der Persen mit den auf sie übertragenen Idealen zu liegen. 17«

260

Der Buddhismus.

„Chakka-vatti"'). Wenn ich ihn als dritten Faktor aufnehme, so werde ich durchaus nicht der Bescheidenheit untreu, die ich mir im voraus zur Pflicht gemacht hatte. Ob Buddha der verwandelte Sonnen-Heros ist, lasse ich dahingestellt. Aber dass in seiner Legende rein-mythische Züge vorkommen, daran kann kein unbefangener Leser der Bücher von Senart und Kern zweifeln. Aus einer Anzahl von Beispielen gestatten Sie mir wenigstens e i n e s zu nennen. Wir hörten vorhin von dem Wettstreit mit den sechs Irrlehrern. Eines der Wunder, durch welche Buddha seine Nebenbuhler beschämte, bestand darin, dass „er an dem Himmelsgewölbe eine unermessliche Bahn machte, die sich von Osten bis zu dem westlichen Horizont erstreckte; während er diese Bahn durchlief, schoss Feuer aus seinem rechten Auge und Wasserstrahlen aus seinem linken; seine Haare leuchteten und aus seinem Leibe flogen Strahlen hervor" '). So erzählen die südlichen Buddhisten. In der Ueberlieferung der nördlichen heisst es, dass, als der Herr sich nach dem für ihn bestimmten Gebäude begeben und seinen Sitz einnehmen sollte, „Strahlen aus seinem Leibe schössen, die über das ganze Gebäude einen Schimmer wie Gold ausbreiteten." Danach verrichtete er so glänzende Mirakel, dass er nach ihrem Ablauf zu den Schülern sagen konnte: „Der Glühwurm leuchtet, so lange die Sonne nicht scheint, aber, sobald das grosse Licht aufgog&ngeD ist, verblasst der Wurm vor den Sonnenstrahlen und leuchtet nicht mehr."

') a. a. 0 . S. 131 ff.; K e r n a. a. 0 . S. 267f. (wo „Cakrawartin" als „Raddreher", „Weltherrscher" erklärt wird). ») K e r n , a. a. 0. I: 145.

Der Sonnen-Mythos in deT Buddha-Legende.

261

„Ebenso hatten diese Irrlehrer das grosse Wort, solange der T&thägata nicht sprach, aber nun der vollkommene Buddha gesprochen hat, weiss der ketzerische Lehrer nichts mehr zu sagen und schweigen seine Anhänger gleich ihm" ').

Jeder Commentar scheint hier überflüssig. Würde Buddha nur mit der Sonne v e r g l i c h e n , wie das in den letzten Worten geschieht, so wäre von mythischer Auffassung keine Rede. Aber was die Sonne tut, das richtet er aus — in dieser e i n e n Erzählung und in so vielen anderen. Dem mythischen Faktor muss darum in dem Entstehungsprocess der Legende ein breiter Raum preisgegeben werden. Jeder fühlt, was das in sich schliesst. Es ist viel leichter, diesen Gast auf der Schwelle abzuweisen als ihn, wenn er einmal zugelassen ist, in seinem Tun und Lassen einzuschränken. Jeden Augenblick stehen wir also vor der Frage, ob der oder jener Zug, der uns den Menschen Gautama zu offenbaren schien, nicht vielmehr die mehr oder minder umgestaltete Beschreibung einer Naturerscheinung ist. Bei diesem Stande der Sache ist doch jede direkte Folgerung aus der Legende, oder, mit anderen Worten, die Erklärung des Buddhismus aus der Person des Stifters, nicht länger zulässig. Vielmehr werden wir uns das Recht, von einem Stifter zu sprechen, erst mit Umgehung der Legende erobern müssen. Ist der Buddhismus „une oeuvre impersonelle", oder ist er es nicht? Das scheint mir jetzt tatsächlich die Hauptfrage zu sein. Erst wenn sie mit guten Gründen verneinend beantwortet ist und demnach die Annahme eines Stifters sich als unentbehrlich erweist, dann ') Ebend. S. 151.

262

Der Buddhismus.

erhalten wir das Recht, ihn in der Legende zu suchen und aus ihren zerstreuten Zügen uns ein Bild von seiner Person zu machen. Man kann diese Methode als übervorsichtig missbilligen, aber wir dürfen uns diesen Tadel viel eher gefallen lassen als die Beschuldigung, dass wir die Schwierigkeiten nicht berücksichtigt, sondern leichtfertig angenommen hätten, was keine Sicherheit bot. Doch ich sollte lieber nicht so roden, als ob ich willens wäre, selbst die Lösung dieser Frage zu versuchen. Nach einer Grabschrift gleich der des Phaeton verlangt mein Ehrgeiz nicht. Treu meinem anfänglichen Vorhaben beschränke ich mich darauf Vermutungen zu bieten, wie sie der gegenwärtige Stand der Forschung mir an die Hand zu geben scheint. „Ich nehme meine Zuflucht zu dem Buddha, der Lehre („dharma") und der Gemeinde („sangha")." So lautet, wie bekannt, die Formel für die Annahme des Buddhismus, die in den heiligen Büchern immer wieder vorkommt 1 ) und zweifellos aus dem Leben stammt. Es ist, soweit mir bekannt, die einstimmige Ansicht aller Ausleger, dass mit „sangha", die Gemeinde, nicht der ganze Kreis der Gläubigen bezeichnet wird, sondern d e r O r d e n der B e t t e l m ö n c h e . Dass dieser also im Buddhismus einen sehr hohen Rang bekleidet, bedarf wahrlich keiner näheren Auseinandersetzung: neben dem Buddha und der „dharma" zu stehen, wenn auch als dritter in der Reihe, ist wohl die höchste Ehre, die ihm ') Auch schon in Afoka's Inschrift zu Babhra ist von „der Dreizahl, die man nennt: Buddha, dbarma, sangha" die Rede. S. K e r n ' s Schrift, S. 37.

Die Sangba und die buddhistische Kirche.

263

erwiesen werden kann. Aber wie hat er es denn soweit gebracht? Zwei Fälle sind möglich. Entweder er hat sich, in kürzerem oder längerem Zeitverlauf, aus dem Ganzen der buddhistischen Kirche so hoch emporgearbeitet; oder er war von Anfang an der dritte im Bunde und geht daher auch chronologisch der Kirche vorauf. Noch kürzer kann das Dilemma so gefasst werden: die „Sangha" entweder die Frucht, oder der Keim des Buddhismus. Nicht überall finde ich den Gegensatz so scharf formulirt. Wo dies aber geschieht, fällt auch die Wahl ausnahmslos zu Gunsten der zweiten Möglichkeit aus: der Mönchsorden das „prius", der eigentliche und ursprüngliche Buddhismus. Nichts kann, wie mir scheint, natürlicher und berechtigter sein als diese Entscheidung. Den „Bhikshu's" oder Bettlern trägt Buddha in den heiligen Büchern seine Lehre vor. Der Unterschied zwischen ihnen und den Uebrigen, den „Verehrern", ist viel mehr als ein blosser Unterschied in der Lebensweise und den damit zusammenhängenden Pflichten, er ist vielmehr zugleich ein Unterschied an Rechten und Privilegien. Um sich davon zu überzeugen, braucht man nur eine der heiligen Schriften aufzuschlagen. Gestatten Sie mir, aus dem S u t t a N i p ä t a , das in Dr. Fausböll's Uebersetzung in „The sacred books of the East" aufgenommen ist, wenigstens einige Beweise zu entnehmen. Das „Ratamasutta" würde genügen, die Frage zu entscheiden'). Es ist der Beschreibung und Verherrlichung der erwähnten Trias geweiht. Von den 17 Versen beziehen sich 8 auf die „Sangha": in ihr, wie in Buddha und der „Dharma", sind die „köstlichen Juwelenw ~~>) Vol. X. Part II. S. 37—40.

264

Der Buddhismus.

zu finden, die der Verfasser preist und die, nach seinem Wunsche, Erlösung bringen sollen.

Zuletzt wendet er sich

an die Geister, die er sich als seine Zuhörer denkt, indem er sie auffordert: „Ihr alle, die ihr hier zusammen gekommen seid, ob ihr zur Erde gehöret oder in der Luft wohnet, lasst uns die vollkommene („tathägata", einer der Titel Buddha's) „Sangha" ehren, der Gott und Menschen Ehrfurcht beweisen:

möge Erlösung

kommen! 1 ")

„Sangha" ist nicht die Blüte oder die Vertreterin

Diese eines

grossen Ganzen, ohne welches sie unvollständig sein würde; sie ist, um es kurz auszudrücken, der Buddhismus selbst. Aber hören wir eine der übrigen Sutta's! Sabhiya, unbefriedigt von den Antworten, welche die sechs Irrlehrer auf seine Fragen gegeben, wendet sich an Bhagavat — den Buddha — und findet bei ihm alles, was er sucht. Er wird daher auch sein Jünger und drückt die Absicht dazu in folgenden Worten aus: „Ich nehme meine Zuflucht zu dem ehrwürdigen Gotama, zu der „Dhamma" und der Gemeinde der Mönche; ich wünsche das Kleid und die Ordination von dem ehrwürdigen Bhagavat zu empfangen."

Erst — so lautet die Antwort — muss er

sich einer Probezeit von vier Monaten unterwerfen, dann „sollen Mönche, die ihre Gedanken stille gemacht haben, ihm das Kleid und die Ordination geben".

Sabhiya unter-

wirft sich diesen Bedingungen, wird zur bestimmten Zeit in den Orden aufgenommen und „erwirbt in kurzer Frist durch eigene Verstandeseinsicht die höchste Vollkommenheit des frommen Lebens, um derentwillen Leute von guter Herkunft mit Recht ihre Häuser verlassen, um ein Wanderleben zu ') Ebend. v. 17 (S. 39 f.).

Das eigentliche Wesen des Buddhismus.

265

fähren. ,Eine neue Gebart (der Keim dazu) war zerstört, ein frommes Leben geführt, was zu tun war getan, es gab nichts mehr (zu tun) für dieses Leben': das erfuhr der ehrwürdige Sabhiya, und er wurde einer der Heiligen" 1 ). Nor auf diesem Wege konnte er das Endziel erreichen. Sind doch — wie es anderwärts heisst — »zwei, deren Lebensweise und Beschäftigungen völlig verschieden sind, nicht gleich: der Hausbesitzer, der eine Frau unterhält, und ein selbstloser, tugendhafter Mann. Ein Hausbesitzer ist darauf aus, andere lebendige Geschöpfe zu vernichten, ohne sich gebunden zu fühlen, ein Muni aber beschirmt stets lebende Wesen, indem er sich gebunden fühlt. Wie der Yogel mit dem Federbusch und dem blauen Halse (der Pfau) niemals die Schnelligkeit des Schwanes erreicht, ebenso kommt ein Hausbesitzer dem Mönche nicht gleich, dem Muni in der Einsamkeit, der im Walde sinnt"'). Wir übersehen natürlich nicht, dass zwischen dem „Bhikshu" und dem „Verehrer" keine unübersteigliche Scheidewand errichtet ist. Der letztere kann Mönch werden, und dieser, nicht durch ein Gelübde für das ganze Leben gebunden, kann aufhören es zu sein ohne damit gleich von Buddha abzufallen. Ebensowenig wollen wir vergessen, dass auch die „Verehrer" ihre Pflichten zu erfüllen haben und dass ihnen grosse Vorteile zugesagt werden. Aber — wie es in der Sutta selbst ausgedrückt wird, die hierauf allen Nachdruck legt 1 ) — „die

') a. zwischen *) a. J ) a.

a. 0 . S. 85—95. Die Worte, die im letzten Teile des Citates Anführungszeichen stehe!), kommen auch S. 105 vor. a. 0 . S. 35 f. (Munisutta v. 14, 15). a. 0 . S. 62—66 (Dhammakisutta v. 18, S. 65).

266

Der Buddhismus

ganze Bhikshu-dharma kann nicht von jemandem gehalten werden, den (weltliche) Geschäfte in Beschlag nehmen." Die Mönche allein wandeln auf „dem edlen Pfade". Für dies alles gibt es indertat nur e i n e befriedigende Erklärung: Die Congregation der Mönche ist in der buddhistischen Kirche nicht nur der höchstgestellte und regierende Körper, sondern auch ihr eigentlicher Kern, mit einem Worte, die G e m e i n d e , deren kolossales Anhängsel die unzähligen Gläubigen ausmachen. E i n M ö n c h s o r d e n m i t s e i n e n A f f i l i i r t e n : das ist der Buddhismus. So wird er uns ja auch in der Legende des Stifters gezeichnet. Die Scharen, die er rings um sich versammelt, könnten uns das vergessen machen. Aber er ist doch selbst Mönch, und die ihn auf seinen Zügen begleiten, die Jünger im vollen Sinne des Wortes, sind Mönche. Was sollte uns hindern, diese Vorstellung ohne weiteres anzunehmen? Wir kennen also jetzt die Form, in welche die Frage nach der Entstehung des Buddhismus gefasst werden muss. Denn eine Frage bleibt es, auch nachdem wir sie so formulirt haben. Nicht der Ausgangspunkt, der Mönchsorden selbst: wir haben schon gesehen, dass der auf ganz natürliche Weise aus dem Brahmanismus hervorging und so auch nicht der einzige war'). Ebensowenig die Emancipation von der Autorität der Veda's, die ihn von Anfang au wird gekennzeichnet haben: auch dafür fehlt es, wie wir schon sahen'), nicht an Analogien. Selbst die Ausbreitung des buddhistischen Ordens bis über die Grenzen von Magadha und sein ') Oben S. 251 ff. ») Oben S. 250 f.

267

Der Mönchsorden wird zur Kirche.

Fortbestehen lange nach der Zeit, in der er sich gebildet hatte, wenn auch sehr bemerkenswert, sind keineswegs unerklärlich.

Warum soll man nicht, nach Anleitung der hei-

ligen Bücher selbst, voraussetzen '), dass im Unterschied von anderen Asketen vereinen, die von ihrem Lehrer und dessen Gegenwart abhängig bleiben, der buddhistische Orden sich ungezwungener ausbreitete und überall, wohin er sich verzweigte, auch neue Mitglieder aufnahm? Aber damit haben wir auch, wenn ich mich nicht täusche, den Punkt erreicht, wo die Analogie uns im Stiche lässt.

Bleibt der Buddhis-

mus doch dabei, nämlich bei der freieren Entfaltung auf breiter Grundlage, nicht stehen.

Ohne dass er aufhörte ein

Mönchsorden zu sein, wird er eine Kirche. Er nimmt zahllose Laien-Brüder und -Schwestern auf. Sofort überschreitet er die Grenzen, nicht seines Vaterlandes im engeren Sinne, sondern auch Indien's. Er siedelt sich auf Ceylon an — und immer weiter, und überall, wohin seine Sendboten vordringen. kommt das? — so fragen wir.

Wie

Wie ist, mit einem Worte,

aus dem Mönchsorden eine Weltreligion entstanden? Wir wollen die Schwierigkeit nicht übertreiben.

Wir

behalten daher im Auge, dass solch eine Ausbreitung bis zu einem gewissen Grade sehr begreiflich ist.

Der Haus-

bewohner sieht zu dem Asketen mit Ehrfurcht und Bewunderung empor, und dieser hängt seinerseits für seinen täglichen Lebensunterhalt von den Laien ab und kommt so von selbst dazu, ihnen mit Wohlwollen zu begegnen und Rede zu stehen, wenn sie mit ihren Fragen und Schwierigkeiten zu ihm kommen. 3

Wenn die Asketen während der Regen-

) Mit Rhys D a v i d s , Lectures etc. S. 156f.

268

Der Buddbismus.

zeit ihr Wanderleben zeitweilig unterbrechen, so bildet sich zwischen ihnen und den Bewohnern der Gegend, in der sie verweilen, ein engeres Verhältniss. Ohne das Gebiet des Wirklichen zu verlassen, können wir uns leicht vorstellen, wie dieses Band unter bestimmten Verhältnissen hier und da noch straffer angezogen wurde. Aber in dem Buddhismus haben wir doch etwas mehr als solch eine ganz freiwillige und ihrem Wesen nach lockere Verbindung zwischen Mönchen und Laien. Hier entziehen sich die „Upäsaka's", die „Verehrer", zwar nicht dem Leben in der Gesellschaft, aber wohl den dort geltenden Gesetzen und Gebräuchen. Hier g e h e n die Mönche a u s auf Predigt und Bekehrung. Können wir auch den Verlauf ihrer Propaganda nicht genau beschreiben: dass sie sich bereits frühzeitig darauf verlegt und sie bald systematisch betrieben haben, kann keinem Zweifel unterliegen. Und für d i e s e Tatsache gerade suchen wir die Erklärung. Müssen wir etwa annehmen, dass d e r S t i f t e r des buddhistischen Mönchsordens mit Bewusstsein die Scheide" wand zwischen ihm und der Welt niedriger gemacht und über diese Scheidewand hinweg den Brüdern und Schwestern drüben die rettende Hand gereicht hat? Wir halten mit der Antwort auf diese Frage noch einen Augenblick zurück. Das Gebiet des Möglichen erstreckt sich ja so weit, und leicht verbirgt sich da irgendwo der Stoff für eine Hypothese, die noch besser unseren Anforderungen entspricht. Mittlerweile sehen wir uns um, ob etwa anderwärts gleichartige Erscheinungen vorkommen, die über unsere Frage Licht verbreiten könnten? Wir brauchen nicht weit zu suchen: die Geschichte des Christentums liefert uns eine

Vergleich mit den christlichen Bettelorden.

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gewiss überraschende Analogie. Mehr als eine, mosste ich eigentlich sagen. Wie die beschauliche Askese in Indien die Verwerfung der Autorität der Veda's vorbereitete, so hat die Kirchenreformation des 16ten Jahrhunderts ihre Vorgeschichte in der mittelalterlichen Mystik und in den Klöstern, in welchen die letztere am eifrigsten gepflegt wurde '). Aber das ist es nicht, worauf ich jetzt hinweisen wollte. Auch die westliche Welt hat ihre Bettelorden. Hier, anders als in Indien, gehören sie einer späteren Entwickelungsstufe an und stellen zugleich eine durchgreifende Aenderung des ursprünglichen Monachismus dar. Der Mönch und der Klausner ziehen sich aus der Gesellschaft zurück, um Gott zu leben und so ihre Seele zu retten; ihr Streben ist, im Principe wenigstens und vorbehaltlich der glücklichen Inconsequenzen der Praxis, ein selbstsüchtiges. Dagegen ist das Auftreten der Bettclorden gleichsam „die tatsächliche Erklärung, dass auch die Mönche die eigentliche Aufgabe ihres Standes erst dann erfüllen, wenn sie, statt sich von der Welt abzuziehen und nur sich selbst zu leben, unter Beibehaltung derselben Grundsätze vielmehr nach acht apostolischer Weise für die Zwecke des Evangeliums in der* Welt zu wirken suchen" *). Das gilt ebensosehr von den Dominicanern wie von den Franciscanern. Doch nicht von beiden in derselben Weise. Die Erstgenannten, auf Bestreitung der Ketzerei ausgehend und bald schon als Glaubensrichter tätig, kennzeichnen sich durch ein ') 0. Pf l e i d e r e r , die Religion, ihr Wesen und ihre Geschichte (Leipzig, 1869) II: 204f. *) F. G. B a u r , die christl. Kirche des Mittelalters in den Hauptmomenten ihrer Entwickelung (Tübingen 1861, 2te Aufl. 1869) S. 467.

270

Der Buddbismus.

aristokratischeres Gepräge. Die Franciscaner dagegen mischen sich unter das Volk und stehen schon nach kurzer Zeit mit ihm in den innigsten Beziehungen. Sofort breiten sie sich noch auf andere Weise aus, als durch den Zufluss neuer Ordensbrüder. Zu dem zweiten Orden, dem der Ciarissen, tritt der „ t e r t i u s ordo de p o e n i t e n t i a " oder der „ f r a t r e s conversi". Baur bezeichnet ihn als „einen Verein, in welchem der Laie, so weit er es als Laie vermochte, sich dem Mönch assimilirte. Wenn auch die Tertiarier durch ein specielleres Band mit dem Orden verknüpft waren, so bildeten sie doch nur eine solche Verbindung, in welcher die Ordensgemeinschaft schon ganz auf dem Uebergang zu den gewöhnlichen Lebensverhältnissen erscheint und die Ordensregel nur in entfernterem Grade einen bestimmenden Einfluss auf sie hatte" 1 ). Sehr gross wurde allmählich die Zahl derjenigen, die sich in diesen dritten Orden aufnehmen Hessen . . . . Was dünkt Ihnen? ist das nicht ein wohl getroffenes Gegenstück zu dem, was Jahrhunderte vorher in Indien geschehen sein muss? Die Ausbreitung der Franciscaner konnte natürlich gewisse Grenzen nicht überschreiten. Sie fand statt in einer wohlorganisirten Kirche unter einer kräftigen centralen Autorität. Schon die Errichtung eines Zwischenstandes wie der der Tertiarier erregte Argwohn und Eifersucht. Hätte der Orden noch weiter gehen wollen, so wäre er zweifellos mit der kirchlichen Obrigkeit in Conflict geraten. Aber — denken Sie die Grenzen weg; setzen Sic an die Stelle des wohl disciplinirten Westens ein Land wie Indien, wo die unbeschränkteste Freiheit und Duldsamkeit ') a. a. 0. S. 487.

Franciscaner and Dominicaner.

271

herrschen: wird sich dann nicht von selbst aus dem christlichen Bettelorden eine Gemeinschaft wie die buddhistische Kirche entwickeln? Doch es ist Ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen, dass ich mich, während ich diese Parallele zog, auf den einen der beiden Bettelorden, den der Franciscaner, habe beschränken müssen. Der Stiftung des heiligen Dominicus war diese expansive Kraft nicht eigen, während doch im übrigen zwischen den beiden Orden so grosse Uebereinstimmung herrscht. Der Contrast in diesem Punkte hängt natürlich zusammen mit dem Unterschiede in der Richtung ihrer Tätigkeit, von dem ich eben schon sprach. Woher aber seinerseits dieser Unterschied? Soviel ist gewiss, dass er dem Unterschiede in der Person der beiden Stifter vollkommen entspricht. Seine naive Einfalt und grenzenlose Barmherzigkeit machen Franciscus von Assisi zu einem Manne des Volkes, während Dominicus durch den strengen Ernst seines Charakters und durch seine hohe Wertschätzung der kirchlichen Wissenschaft zum Gross-Inquisitor vorherbestimmt zu sein schien. Nichts ist natürlicher als die Voraussetzung, dass sie ihrer Stiftung den Stempel ihres Geistes aufgedrückt und damit auch ihre zukünftige Entwickelung gleichsam vorgeschrieben und bestimmt haben. Hase') und Baur') stimmen darin auch überein. Umsomehr aber wiederhole ich jetzt mit erhöhtem Nachdruck die Frage: müssen wir nicht auch für die Erklärung des Buddhismus die Person seines Stifters zu Hülfe rufen? Kann das, was seinen Orden von anderen ') F r a n z v o u A s s i s i . *) a. a. 0 . S . 4 f i 9 f .

Ein Heiligenbild (Leipzig, 1856) S. 69ff.

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Der Buddbismus.

Asketenvereinen charakteristisch unterscheidet, etwas anderes sein als der Abdruck seiner Individualität? Man fühlt sich sehr versucht, noch einen Schritt, weiter zu gehen. Wenn man bedenkt, dass Dante von Franciscus und Dominicus hat sagen dürfen: „von beiden spricht man, wenn man den e i n e n preist, wen man auch wähle" ') — so möchte man es wenigstens wagen dürfen, den Heiligen von Assisi mit dem Buddha der Legende zu vergleichen. Aber die Differenzpunkte sind doch zu zahlreich. Das eine haben sie miteinander gemein: die B a r m h e r z i g k e i t , die Alle umfasst, auch „unsere Brüder, die Vögel" und „unsere Schwestern, die Schwalben", aber vor allem doch die leidenden Menschen. Dies eine indessen, ist es nicht viel, nicht alles? Sie werden meine Absicht bei der Frage, die ich aufzuwerfen wagte, noch besser verstehen, wenn ich einige Sätze des Dr. Oldenberg ihr gegenüber stelle. „Wenn man gewohnt war" — schreibt er') — „Buddha als den religiösen Regenerator xa-c' als den einen grossen Protagonisten in den geistigen Kämpfen jener Zeit vorzustellen, so wird man jetzt, je weiter die Forschung dringt, immer mehr dahin kommen müssen, in ihm nur einen unter vielen gleichzeitigen indischen Asketenführern zu erkennen, von dem keineswegs ausgemacht ist oder ausgemacht werden kann, dass er an Tiefe des Denkens und an Kraft des Wollens seine Rivalen auch nur annähernd so weit überragte, wie er sie an Berühmtheit heutzutage — vielleicht durch nichts ) v. 547 (Sabhiyasutta v. 38; S. 94). •) v. 839 (Mägandiyasutta v. 5 ; S. 160). 4 ) v. 898 (Mahäviyühasutta v. 4 ; S. 171).

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I>er Buddhismus.

wehklagt, er bittet um Reinheit in dieser Welt, wie jemand der sich von seiner Karavane verirrt hat oder fern von seinem Hause in die Irre geht" 1 ). Sie meinen vielleicht, dass solch ein Mensch Lob ernten wird wegen des Ernstes seiner Lebensauffassung? Sie irren sich: er hat, nach dem Urteil des Meisters, den idealen Zustand noch nicht erreicht. Er begehrt noch etwas und fürchtet, wenn es ihm entgeht oder zu entfallen droht. Unendlich viel höher als er steht der Muni, der „seine früheren Leidenschaften hat fahren lassen und keine neuen erzeugt, der nicht in die Irre geht seinen Wünschen nach, der kein Dogmatist, von (philosophischen) Meinungen erlöst und weise ist, der an der Welt nicht hängt und sich s e l b s t n i c h t t a d e l t 1 " ) . Sie haben schon bemerkt, dass philosophische Forschungen und Meinungen hier, um wenig zu sagen, mit sehr geringer Sympathie erwähnt werden. Und wirklich ist mit dem Quietismus, den Buddha empfiehlt, eine kräftige Uebcrzeugung und der daraus erwachsende Eifer sie fortzupflanzen schwer zu vereinigen. Aber es ist dafür gesorgt, dass wir diese Folgerung nicht selbst zu ziehen brauchen. Ein guter Teil des Sutta-Nipäta ist der Bekämpfung des Dogmatismus gewidmet, der aber dort in sehr weitem Sinne gefaast wird und wesentlich nichts anderes ist als das Aufstellen des Einen und Leugnen dessen, was dem entgegengesetzt ist. „Wird der Brahmane" d. h. hier, wie anderwärts, der wahre Jünger Buddha's — „für den die Begriffe „recht" und „unrecht" nicht mehr bestehen, jemals sagen: „dies ist wahr?" ') 899 (ebend. v. 5 ; S. 171 f.). ' ) v. 913 (ebend. v. 19; S. 174).

Der buddhistische Quietismus.

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oder mit wem soll er streiten, indem er sagt: „das ist nicht wahr?" Mit wem wird er sich je in einen Streit einlassen?"') Das ist nicht, wie man etwa glauben könnte, von einem überwältigenden, aber vorübergehenden Widerwillen gegen die endlosen Wortstreitigkeiten eingegeben. Nein, der Buddhismus erhebt die Missbilligung jeder Behauptung zum Range eines Grundsatzes *). Natürlich hat, wie jeder Quietismus, so auch dieser seine Grenzen. Er muss sich gegen jeden wenden, der die Basis, worauf er beruht, zu unterminiren sucht, wie der Skeptiker gegen jeden, der Erkenntniss für erreichbar hält. Er kann nicht aufhören zu behaupten und zu leugnen. Aber dass er dies doch zu tun versucht, darin tritt sein Ursprung klar zu Tage. Es ist der Jugend eigen, kräftig zu behaupten. Lange muss der Streit der Schulen gedauert haben, ehe man die Enthaltung von eigenem Urteil als den Gipfelpunkt der Weisheit anpreisen kann. Des Lebens und des unfruchtbaren Zwistes müde tritt der Buddhismus seinen Weg an und übernimmt so die Aufgabe, die sich abarbeitende Menschheit zu erlösen. Seine Propaganda trägt darum auch, wenn ich recht sehe, einen eigentümlichen Charakter. Es ist ihr nicht zu tun um Ausrottung für verderblich gehaltener Irrtümer oder um die Verkündigung ihr teuerer Wahrheiten, auch nicht in erster Linie um die Bekämpfung des sittlich Schlechten oder um den Aufbau einer Gesellschaft, in der Gerechtigkeit und ') v. 843 (Mägandiyasutta, v. 9; S. 161). *) Vgl., was K e r n — nach dem Vorgange von K o e p p e n und B u r n o u f — hierüber schreibt, Gesch. Tan het Buddbisme in Indie, I: 276f.; auch R h y s D a v i d s , Lectures etc. S. 15ft

282

Röckblick und Schluss.

Friede wohnen. Sie will nicht bekehren, sondern r e t t e n , retten aus dem Selbstbetrug und der Begierde. Das sittliche Leben ist ihr nicht Zweck, sondern Mittel. Die Wirklichkeit ist ihr zum Glück zu mächtig geworden und hat sie wohl genötigt, das als selbständige Grösse zu betrachten und zu würdigen, was sie kraft ihres Systems so hoch nicht stellen durfte. Dennoch rächt sich der Mangel eines positiven Ideals. Was eine Zukunft haben soll, muss auch die Hoffnung auf eine Zukunft selbst hegen und Anderen eröffnen. Nicht die gegenwärtige Untätigkeit des Buddhismus kann uns befremden, sondern viel eher sein früherer bewundernswürdiger Eifer. Mit Dank verzeichnen wir es, wie das Mitleid den Quietismus überstimmt hat. Aber dass zuletzt der Quietismus wiederum das Erbarmen erlahmen macht — wer kann sich darüber wundern?') Es ist Ihnen nicht entgangen, dass mir, während ich so dem Buddhismus seine Grenzen anwies, d a s C h r i s t e n t u m vor der Seele stand. Ich wüsste nicht den geringsten Grund, weshalb ich es nicht nennen sollte. Unser Urteil über beido Religionen kann nur dabei gewinnen, wenn wir sie nebeneinanderstellen und sowohl ihre Verschiedenheit als ihre Uebereinstimmung näher beleuchten. Kein Vergleich liegt näher als dieser. Das wäre nicht möglich, wenn die Lehre von Gott der Kern einer jeden Religion wäre und ihren Charakter bestimmte. Dann hätte das Christentum nichts mit dem Buddhismus gemein; hat man doch nicht ohne Grund von ihm gesagt, dass er überhaupt keine Re') Vpl. E. von Hartmann, a. a. 0. S. 338IT.

Aehnlichkeit zwischen Buddhismus und Christentum.

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ligion oder doch eine Religion ohne Gott sei. Doch aus vielen Gründen kann man jene Ansicht nicht als Regel gelten lassen und insbesondere in diesem Falle nicht zur Anwendung bringen, wenigstens nicht ohne sehr bedeutende Einschränkungen. Ist auch die theologische Ueberzeugung nichts weniger als gleichgültig, so kommt es doch in der Religion noch mehr an auf die Stimmung des Gemüts, auf die Gesinnung, auf die Heiligung des Herzens und Lebens. Dazu kommt, dass die Leugnung der Existenz Gottes in dem ursprünglichen Buddhismus auf rein philosophischem Grunde beruhte und den volkstümlichen Glauben an die Deva's unangetastet liess, während davon in der späteren Entwickelung — ich denke an die Vergötterung Buddha's — kaum mehr etwas übrig geblieben ist. Trotz dieses Unterschiedes behält deshalb die Uebereinstimmung zwischen Buddhismus und Christentum ihre grosse Bedeutung und hohen Wert. Dort sowohl wie hier steht die Erlösung im Mittelpunkt. In beiden Religionen wird das Ideal der Selbstverleugnung, Reinheit und Selbsthingabe von dem Stifter selbst verwirklicht. Ihre sittlichen Anforderungen treffen in manchen Hauptpunkten und in vielen Einzelnheiten zusammen. Und damit ist noch nicht genug gesagt. Neben dem buddhistischen steht das christliche Mönchstum. Wie sprechend die Achnlichkeit zwischen den beiden ist, brauche ich wohl nicht hervorzuheben: die Versuchung die beiden miteinander zu verwechseln ist keineswegs nur eine eingebildete. Aber mehr noch als diese Aehnlichkeit bedeutet für uns die Tatsache, dass ein ganzer Teil der christlichen Kirche das KlostcrJeben als die vollkommene Verwirklichung der Forde-

284

Rückblick und Schluss.

rang des Christentums anerkennt. „Religion" war im Mittelalter Absonderung von der Welt; „Religiöse" heissen bis auf den heutigen Tag die Mitglieder der geistlichen Orden. Mit diesem Sprachgebrauch ist die Lehre der katholischen Kirche, ist u. A. Thomas von Aquino in völligem Einklang'). Wie es in dieser Hinsicht mit dem Buddhismus bestellt ist, haben wir eben gesehen. Können Sie sich eine noch schlagendere Uebereinstimmung denken? Dennoch wird gerade hier der tiefer liegende, ja principielle Unterschied zwischen den beiden Religionen offenbar. In dem Buddhismus ist das Mönchswesen von Anfang an vorhanden; im Christentum kommt es später zum Vorschein und erringt sich erst nach und nach und nicht ohne Widerspruch den Ehrenplatz, den es im Katholicismus einnimmt. Und das ist nicht blos ein chronologischer Unterschied. Kein Buddhismus ohne „Bhikshu's"; ein Christentum aber ohne Mönche giebt es. Mit anderen Worten: was d o r t das eigentliche Wesen der Religion ausmacht und daher auch nicht weggedacht werden kann, ohne dass das System selbst aufgehoben wird, das ist h i e r eine von den vielen Offenbarungsformen der Idee, oder besser noch — wie ich es, ohne Widerspruch Ihrerseits zu befürchten, aussprechen darf — die natürliche, aber einseitige Entwickelung einiger Bestandteile der ursprünglichen Stiftung, gepaart mit schmählicher Verkennung anderer, die gleiche oder noch höhere Rechte geltend machen. Was ist im Grunde natürlicher, als dass uns hier bei ') Vgl. J . J. B a u m a n n , Die klassische Moral des Katholicismus (Philos. Monatshefte, Bd. XV (1879) S. 449-46R).

Israelitische Elemente im Christenttim.

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näherer Betarachtang der Askese, der Stelle, die sie einnimmt, und der Würdigung, die ihr zu Teil wird, über den Charakter der beiden Religionen ein helles Licht aufgeht? Nirgends kommt das Wesen einer Religion deutlicher zum Vorschein als in ihrem Verhalten der Askese gegenüber, in den Gründen, aus denen sie, in höherem oder geringerem Grade, sie empfiehlt oder abweist. Deshalb ist es auch vollkommen gerechtfertigt, dass wir von diesem Punkte aus so hoch wie möglich, d. h. bis zu dem eigentlichen Ursprung der beiden Religionen, hinaufsteigen. Aber ich darf wohl sagen, dass sich in diesem Falle der verschiedene Ursprung als Erklärung des Unterschieds von selbst darbietet, ja aufdrängt. Wie der Buddhismus entstand, steht uns noch lebendig vor Augen. Welch ein Contrast gegen das Werden des Christentums! Es wird geboren aus dem nationalen Leben der Juden; es steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der politischen Not jener Tage, die die Erwartungen wieder lebendig macht und das hohe Streben wieder erweckt, die sich im Laufe der Jahrhunderte aus der nationalen Religion entwickelt hatten. So bleibt es auch anfangs auf das engste mit der jüdischen Nationalität verbunden. Die ältesten Christen denken nicht daran, aus der Gemeinschaft ihres Volkes auszutreten. Als bald nachher ihre Religion den Universalismus, der ihr im Princip von Anfang an eigen ist, auch tatsächlich offenbart, da geschieht, was unter diesen Umständen nicht ausbleiben konnte: ein gutes Teil des Israelitismus begleitet die Weltreligion auf ihrem Zuge durch das römische Reich, kann sie aber selbstverständlich von der Notwendigkeit nicht entbinden, dass

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Röckblick und Schluss.

sie überall, wo sie festen Fuss fasst, den dort herrschenden Bedürfnissen und der dort erreichten Stufe der Bildung ihre Principien anpasst und sich so neue Formen schafft.

Mit

e i n e m Worte: das Christentum ist kraft seines Ursprungs darauf angelegt und sieht sich deshalb auch gedrungen, überall mit dem nationalen Leben seiner Bekenner neue Verbindungen einzugehen. tionalisiren

Es kann nicht umhin sich zu na-

und tut das denn auch im Laufe der Jahr-

hunderte immer wieder.

Seine Geschichte ist die der wech-

selseitigen Einwirkung der in engerem Sinne christlichen Principien und der nationalen Entwicklung der Christenvölker.

Wie sollte nun in d e r Geschichte das Mönchtum —

oder irgend eine andere Einseitigkeit — mehr sein können als einer der vielen Schüsse des weitverzweigten Baumes? Doch nicht

nur die f o r m e l l e Eigentümlichkeit des

Christentums findet in seinem Entstehen ihre Erklärung. Seiner Geburt, nicht aus dieser oder jener, sondern gerade aus der j ü d i s c h e n Nationalität dankt es auch einen wesentlichen Teil seines I n h a l t s , den es unter allem Wechsel, den es erfuhr, niemals verleugnet hat.

Ich rede davon hier

ausschliesslich im Hinblick auf den Buddhismus, dessen Verschiedenheit von dem Christentum, wenn ich mich nicht täusche, gerade mit dem Fehlen dieser specifisch jüdischen Bestandteile genau zusammenhängt.

Ihm fehlt zunächst der

aggressive Charakter, den das Christentum — nach innen und nach aussen, gegen die Ungläubigen wie gegen die Ketzer — an den Tag gelegt hat.

Warum? Wie kommt

es, dass es, im Unterschied von dem Buddhismus, nur zu oft durch Gewalt ausgebreitet worden ist und sich nicht auch

Das christliche Ideal des Reiches Gottes.

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durch unbeschränkte Duldsamkeit ausgezeichnet hat? Weil der Gott der Christen der Jahwe Israel's war — „barmherzig gnädig, geduldig und von grosser Güte und Treue", ja, der Vater im Himmel, aber auch „ein eifriger Gott", der „keine anderen Götter neben sich" duldet, „zu reiner Augen um das Böse zu sehen", und immer noch zu Zeiten „ein verzehrendes Feuer". Die Gewalt, die im Namen und zur Ehre dieses Gottes im Laufe der Jahrhunderte geübt worden ist, nimmt niemand von uns in Schutz: wer sind wir, dass wir uns an die Stelle des Allwissenden und Heiligen setzen und unsere fehlbare Einsicht mit der Wahrheit eins machen sollten? Dennoch können wir andererseits in dem streitbaren Charakter des Christentums nicht eitel Gebrechen und Schaden sehen. Wir wollen es wohl bedenken: der Buddhismus wäre nicht die Duldsamkeit selber, wenn er weniger skeptisch und quietistisch wäre. Die Verfolgung Andersdenkender mag ausgehen von einem nur vermeintlichen Wahrheitsbesitze: sie setzt doch andererseits auch den Glauben an die Wahrheit voraus und verstärkt die Ueberzeugung von ihrem alles andere überwiegenden Werte '). Aber sollte man sich dennoch in der Würdigung dieser Erscheinung nicht einigen können, ') „C'est aux excès du fanatisme religieux que l'on doit l'importance extrême attachée depuis lors à la question de Tenté sur tous les domaines" . . . . „On peut à bon droit se demander si l'amour passionné du vrai en toute chose, qui a fait la science modeme, eût été possible ou du moins fut devenu très commun, si l'Europe n'avait pas traversé des siècles d'intolérance. Le fait est que l'antiquité connut cette noble passion à un bien moindre degré que nous" . . . . „Cest l'intolérance orthodoxe de l'Eglise au moyen-âge qui a imprimé à la société chrétienne cette disposition & chercher à tout prix le vrai, dont l'esprit scientifique moderne n'est que l'application. . . . Comment expliquer

288

Rückblick and Schluss.

hinsichtlich eines anderen Erbstücks aus dem Israelitismus werden wir Âlle einer Meinung sein. Das ist der Glaube an den Triumph Jahwe's über alles, was ihm widersteht, die Erwartung des Kommens des Gottesreiches, das Vertrauen auf die Verwirklichung des sittlichen Ideals. Das ist es, was der Buddhismus nicht besitzt ') und darum auch nicht geben kann. Ein unwiederbringlicher und durch nichts anderes ersetzbarer Mangel! die Idee des Gottesreiches, einer der Hauptfaktoren in dem Werden des Christentums, bleibt für alle Zeiten seine beste Empfehlung und seine grösstc Kraft. Dadurch nimmt es jedes berechtigte Streben der Individuen und der Völker, von denen es bekannt wird, in sich auf; damit greift es in ihre Entwickelung ein und giebt ihr die wahre Richtung, die rechte Durchgeistigung und die höhere Weihe. Auf jedem Gebiete nimmt dies Ideal eine besondere Gestalt an. Unter dem Einfluss des nimmer rastenden Lebens der Menschheit verändert sich allmählich jeder von den Bestandteilen, in die es sich spaltet. Aber in der Idee des Reiches Gottes ist für alles das Raum, und auf alles das übt sie ihren Einfluss aus. Wenn es wahr ist, dass das Christentum diese Idee kraft seines Ursprungs in sich trägt, haben wir dann nicht in diesem Zusammenhang mit der israelitischen Nationalität das Geheimniss seiner Macht und die Bürgschaft seines Fortbestehens zu erblicken? autrement que la grande science ne se soit développée, n'ait été poursuivie avec constance qu'au sein des sociétés chrétiennes?" (A. R é vil l e , Prolégomènes de l'histoire des religions, S. 234, 314). ') Man lese z. B. die überraschend schöne, aber trostlose Méditation über die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens in Sutta-Nipâta y. 574—593 (Sallasutta; S. 106—108 der Uebersetzung Dr. F a u s b ö l I's).

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Isiàm, Buddhismus und Christentum.

Wir stehen am Ende des Weges, den wir mit einander zurücklegen wollten. Lassen Sie mir die Hoffnung, dass es unnötig sein werde, den Satz, den ich zu Anfang aufstellte, jetzt noch zu rechtfertigen. Haben die Tatsachen, die wir beobachtet haben, ihn nicht bewiesen, so würde es ohnehin eitele Mühe sein, nun noch seine Richtigkeit darzutun. Ich m u s s mich deshalb auf einige Winke beschränken und hoffe, dass ich mich auch darauf beschränken darf. Universalismus als Tatsache und als Eigenschaft. Wenn wir jetzt, dieser Unterscheidung eingedenk, die drei Weltreligionen überblicken und nicht ihre Verbreitung und die Zahl ihrer Bekenner, sondern ihren Charakter in Betracht ziehen, so zögern wir keinen Augenblick, das Christentum die universalste Religion zu nennen, und zwar darum, weil es am geeignetsten ist für seine sittliche Aufgabe: die Durchgeistigung und Heiligung des persönlichen und nationalen Lebens. Sowohl der Islam als der Buddhismus entledigen sich dieser ihrer Aufgabe nur bis zu einem gewissen Grade. H i e r ist ihnen eine Grenze gezogen, die sie nicht zu überschreiten vermögen, weil ihr Ursprung ihnen das verbietet. Der Islam, von einer genialen Persönlichkeit aus den von aussen zugeführten Bausteinen erbaut, tritt als ein abgerundetes System in die Welt ein; er bewährt sich anfangs als vollkommen den Bedürfnissen derjenigen entsprechend, auf deren Fassungskraft er berechnet ist; er zeigt sich auch später und heute noch geeignet für Völker und Individuen, die über den Standpunkt der Gesetzlichkeit nicht hinaus Kucnen, Volks- und Weltreligion.

19

290

Rückblick und Schiusa.

sind; aber ihm fehlt die Fähigkeit sich neu zu gestalten nach den Anforderungen einer höheren Begabung, die er so wie er ist nicht befriedigen kann. Von einem bestimmten Zeitpunkt an wird er zu einem Hemmschuh der geistigen Entwickelung, die von ihm erstickt wird, wenn sie nicht mächtig genug ist ihn abzuschütteln. Der Buddhismus scheint auf den ersten Blick gerade umgekehrt ein wunderbar grosses Anpassungsvermögen zu besitzen. Welch ein Unterschied zwischen den nördlichen und südlichen Buddhisten, und innerhalb der Gruppen, welche wir mit diesem Namen bezeichnen! Und dennoch, bei all' dieser Verschiedenheit, überall dieselbe colossale Einseitigkeit, das unverwischbare Mal seines Ursprungs nicht aus dem Leben, sondern aus der Speculation, die sich vom Leben abgewendet hat und seine Bedeutung und seinen Wert verkennt. Es sind wahrlich wirkliche, nicht eingebildete Leiden, denen der Buddhismus entgegenkommt 1 ). Aber für andere, nicht minder der Wirklichkeit angehörende Bedürfnisse bleibt er taub, ihnen steht er ohnmächtig gegenüber. Schon in Indien, seinem Vaterland, werden diese Bedürfnisse zu tief empfunden, als dass er sich dort hätte behaupten können: wieviel mehr muss er anderwärts hinter seiner Aufgabe zurückbleiben! Und nun die dritte Weltreligion. Richard Rothe hat gesagt: „Das Christentum ist das allerveränderlichste; das ist sein besonderer Ruhm"'). Allerseits wird dieser Satz auf Widerspruch stossen. Man wird nicht leugnen, dass ') R h y s D a v i d s , Lectures etc. S. 157ff. *) Stille Stunden. Aphorismen aus R. R.'s handschriftlichem Nachlass (Wittenberg, 1872) S. 357.

Die Verinderliehkeit de« Christentums.

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da« Christentum, leider! za veranstalten und zu verderben ist, aber wohl, dass es selbst veränderlich sein sollte: ist es doch ein- für alle Mal festgestellt — in dem Lebensbilde und der Lehre des Stifters, meint der Eine; im N. Testament, sagt ein Zweiter; in der von Christus gegründeten und von seinem Geiste regierten Kirche, ruft ein Dritter; in den Bekenntnissschriften dieser oder jener protestantischen Gemeinschaft, verbessern Andere. Dennoch hat Rothe Recht. Die geschichtliche Forschung wird sich durch diese „concordia discors" kein Stillschweigen auferlegen lassen, sich im Gegenteil bestärkt fühlen in der Ueberzeugung von ihrem guten Rechte. Sie wird sich nicht weigern, in allen jenen Formen Christentum zu -sehen — mehr oder minder, aber doch Christentum — dagegen wird sie die Gleichsetzung einer derselben mit dem Christentum als unberechtigt abweisen. Sie erkennt — wie wäre es anders möglich? — den grossen Unterschied zwischen* den drei Haupttypen: den ältesten Bekennern des Namens Jesu, dem Eatholicismus und dem Protestantismus; zwischen der Weltflucht der ersten messianischen Gemeinden, der nach Weltherrschaft strebenden Kirche und der von dem Christusgeiste immer mehr durchdrungenen Welt 1 ). Aber in allen diesen Typen und ihren zahllosen Schattirungen sieht sie die, freilich mehr oder minder reine und vollständige, Verwirklichung des christlichen Princips. Was sind sie daher alle zusammen genommen anders als „das Christentum", und wie sollte das nicht „das allerveränderlichste" heissen müssen? Dieser sein Charakter muss anerR. A. L i p s i u s , Lehrb. der evang. prot. Dogmatik, 2te Aufl. (Braunscbweig 1879), S. 123f. 19«

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Rückblick und Schiusa.

könnt, aber er kann auch begriffen und erklärt werden. Denn er hat seinen Grund in demselben engen Zusammenhang zwischen Christentum und Israelitismus, auf den ich hier nicht wieder zurückzukommen brauche. Ihm ist es zu danken, dass das Christentum unausgearbeitet und unabgeschlossen in die Welt trat. Kein Religionsstifter Hess seinen Jüngern mehr zu tun übrig, als Jesus. Für ihn das Aussprechen der grossen Grundsätze und ihre Offenbarung in seinem Leben und Sterben; für sie das Suchen der Formel für das christliche Glaubensleben, das Ausdenken und Ausarbeiten der dazu passenden Theorie, nicht nur die Verwirklichung der Idee, sondern auch das Forschen nach den Wegen, auf denen sie erreicht werden könnte. Dabei wurde, das braucht kaum ausgesprochen zu werden, zu unzähligen Malen fehlgegriffen; vor allen Dingen wurde und wird noch vieles für alleinseligmachend und für alle Zeit gültig angesehen, was indertat nicht mehr als e i n e von vielen Formen ist und nur vorübergehenden Wert besitzt. Dennoch bleibt die Veränderlichkeit des Christentums ein unschätzbarer Segen. Wenn man von der Ueberzeugung ausgeht, dass die Religion die alles beherrschende Macht im Leben der Völker und der Individuen sein muss, könnte man leicht dazu kommen, die vollständigste Religion auch für die beste zu halten. Legt man diesen Massstab an, so steht das Christentum dem Islam nach, der seinem Bekenner ein abgerundetes Gesetz, dem Buddhismus, der ihm ein ausgearbeitetes System der Klosterzucht, der Lebensregeln, der Metaphysik bietet. Aber wir haben indertat keinen Grund, den Moslem um seinen Qorän und seine Sünna, den Buddhisten um seine „drei Körbe"

Die Zukunft des Christentums.

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zu beneiden. Wem die Veränderlichkeit abgeht, das mag weiterbestehen, aber es hat aufgehört zu leben. Und leben muss die Religion, das heisst: neue Verbindungen eingehen und neue Früchte bringen, wenn sie ihrem Berufe entsprechen, nicht in Formeln und Gebräuche aufgehen, sondern als der Sauerteig wirken, trösten, begeistern und stärken soll1). Der Betrachtung der Vergangenheit, nicht der Zukunft der Religionen sind diese Vorlesungen gewidmet. Dennoch wird es mir gestattet sein, von dem Standpunkte aus, den wir jetzt eingenommen haben, zum Schlüsse wenigstens einen Blick in die Ferne zu tun. Solange die Nationen im allgemeinen auf derselben Stufe socialer und geistiger Entwickelung stehen bleiben, ist auch das Fortbestehen ihrer Religionen, wenn nicht gesichert, so doch für wahrscheinlich zu halten. Darum ist die Frage nach der Zukunft des Christentums soviel ernster als die nach dem Islam und Buddhismus. Darum ist sie jetzt besonders so ernst, da soviel veraltet und vergeht, da neue Weltanschauungen in immer weiteren Kreisen um sich greifen und neue sociale Zustände im Werden sind. Was Paulus von sich und seinen Zeitgenossen schreibt'), das könnten wir wohl in etwas verändertem Sinne auf uns übertragen: auch „in uns begegnen sich die Enden der Weltalter", der alten und der neuen Zeit. Was hat das Christentum von dieser Umwälzung zu erwarten? Die Nachfrage nach ihm ist ebenso lebhaft als je zuvor. ') Vgl. mit dem oben Gesagten J. H a p p e l , die Anlage des Menschen zur Religion, vom gegenw. Standpunkte der Völkerkunde aus betrachtet und untersucht (Haarlem, 1877), vor allem S. 219 ff., 373ff. *) I. Cor. X : 11.

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Rückblick und Schluss.

Nicht nach weniger, sondern nach m e h r Christentum verlangt unser Zeitalter. Die Frage ist nur, ob es sich dasselbe aneignen kann, und ob es auch ihm als eine Kraft zum Leben sich offenbaren wird. Für diejenigen, die das Christentum gleichsetzen mit der kirchlichen Form, in der sie es bekennen, besteht diese Frage nicht oder doch kaum; sie erwarten, dass die Welt sich nach ihnen richten wird, sie haben kein Bedürfniss, sich beruhigen oder ermutigen zu lassen. Aber auch die grosse Zahl derer, die dieses Vertrauen verloren haben, dürfen getrost sein. Der Universalismus des Christentums ist der Notanker ihrer Hoffnung. Von diesem Universalismus zeugt laut eine Geschichte von achtzehn Jahrhunderten. Was dies Zeugniss enthält und welch hoher Wert ihm innewohnt, das stellt der Vergleich mit anderen Religionen in das hellste Licht. Darum sind wir gutes Mutes. Noch ist die Lebenskraft nicht erschöpft, die bei der Entstehung der katholischen Kirche und wiederum bei der Kirchenreformation des 16ten Jahrhunderts so herrlich sich offenbart hat. Das bezeugt unsere persönliche Erfahrung; das wird auch die Zukunft lehren!

Erläuterungen.

Erläuterungen. Erläuterung I (8.16 A. 3). „Die Rollen Abraham's und Mosis" und „Die Erzählungen der Alten" im Qoran. S p r e n g e r trägt seine Vermutungen über „die (,'ohoi" oder „Rollen Abraham's und Mosis" nur zögernd vor (das Leben und die Lehre des Mohammad II: 348ff. 363ff. vgl. I : 45ff.). Sie kommen auf folgendes hinaus: Qahtr oder Bahira, auch Nestor genannt, ein Rähib oder Asket, von israelitischer Abkunft und jüdisch-christlichen Anschauungen, befand sich um die Zeit des Auftretens Mohammed's in Mekka und gewann grossen Einfluss auf ihn. Gr selbst hatte ein Buch verfasst, das er für sehr alt ausgab und „die (¡¡ohof Abraham's und Mosis" betitelte, auch war er im Besitze von weiteren apokryphen Schriften (worüber unten mehr). Mohammed nahm die „Qohof" als authentisch an und legte sie seiner Predigt zu Grunde; was sie ungefähr enthielten, lässt sich mit ziemlicher Sicherheit aus Sure LIII: 37—55 entnehmen; zugleich ergiebt sich daraus, dass sie in Wirklichkeit von sehr jungem Datum waren, denn sie verlegten (v. 51—53) den Untergang der Stämme Ad und Thamüd in das graue Altertum, im Widerspruch mit der wohl verbürgten Geschichte ( S p r e n g e r I : 62 ff., 505ff., 518ff.). Es blieb in Mekka nicht unbemerkt, dass Mohammed sich von Bahira unterrichten Hess; auf Beschuldigungen, die um deswillen gegen ihn erhoben wurden, beziehen sich Sure

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Erläuterung I.

XL VI: 9—11; XLIV: 13; XVI: 105, auch und vor allem XI: 20, wo M. seinem „Souffleur" göttliche Erleuchtung oder Inspiration zuschreibt und sich auf sein Zeugnis» zu gunsten des Qoran beruft. Nichtsdestoweniger sah er sich am Ende genötigt anzuerkennen, dass die „(Johof" eine untergeschobene Schrift seien; im Jahre 616, als mit seinen früher geflüchteten Anhängern auch Christen aus Abyssinien nach Uekka kamen, wurde ihm dies unwiderlegbar bewiesen; nach diesem Jahre erwähnt er denn auch die „^ohof" nicht mehr, und zwar, trotzdem er anfangs so fest von ihrer Echtheit überzeugt gewesen war, dass er sich dafür sogar auf Gelehrte der Kinder Israel berufen hatte (Sure XXVI: 197). Aber trotz dieser Verleugnung der „(¡tohof blieb M. von Bahira abhängig und bediente sich insbesondere der von ihm nicht verfassten, wohl aber mitgebrachten apokryphischen Schriften. Diese sind es, worauf die Feinde Mohammed's abzielen, wenn sie ihm, nach dem Qoran selbst, vorwerfen, er trage „asätir al-awwalin", d. h. „Geschichten" oder „Erzählungen der Alten" vor (Sure VI: 25; VIII: 31; XVI: 26; XXIII: 85; XXV: 6; XXVII: 70; XLVI: 16; LXVIII: 15; LXXXIII: 13, vgl. XXVI: 137 „holoq al-awwalin", d. h. „Erdichtungen der Alten"). Welches diese Schriften waren, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Aber S p r e n g e r ist der Annahme nicht abgeneigt, dass sie eins seien mit einem der heiligen Bücher der abrahamitischen Qabier, die auch „Qohof Abraham's" hiessen und nach dem Kitab al Fihrist (ed. F l u e g e l I: 21 f.) von Ahmed b. Abdallah b. Saläm, einem Clienten des Harun ar-Raschid, ins Arabische übersetzt wurden (a. a. 0. II: 390—397). Die Achtung, die wir S p r e n g e r ' s Gelehrsamkeit und Scharfsinn schulden, darf uns nicht verhindern es auszusprechen, dass selten ein willkürlicheres Gewebe ungewisser oder sicher falscher Vermutungen für Geschichte ausgegeben worden ist. Von welcher Seite man es auch anfasst, es fällt sofort zusammen, schon bei der ersten Berührung. Die Anwesenheit Bahtra's zu Mekka beruht auf schwachen Zeugnissen, die durch den Bericht Ibn Ishäq's, des ältesten Biographen Mohammed's, widerlegt werden (vgl. N ö l d e k e in Z. d. d. M. G. XII: 704 ff.), dass Bahira schon vor 616 in Mekka sich aufgehalten hätte, ist nirgends zu lesen. In-

Die „Rollen Abraham's und Mosis" u. s. w.

299

dessen ist d e r N a m e des Mentors verhMtnissmässig gleichgültig — wenn nnr die von ihm gespielte Rolle der Wahrheit gemäss geschildert wird. Aber das ist nicht der Fall. Anf diesen Mentor bezieht S p r e n g e r allerlei Texte, die unmöglich anf dieselbe nnd noch weniger anf solche Person hinzielen können: Sure XLVI: 9 —11 (wo „ein Zeuge aus den Kindern Israel", der für die Uebereinstimmnng zwischen Qorän und Gesetz einsteht, jemand sein mnss, der auch den Gegnern Vertrauen einflössen kann); XVI: 105 (wo die Beschuldigung, dass „ein gewisser Mensch" M. unterrichtete, abgewiesen wird nnter Hinweis darauf, dass die Sprache dieses „Menschen" barbarisch, die des Qor&n Arabisch sei); XXV: 4, 5 (wo M.'s Helfer, in der Mehrzahl, erwähnt werden, die ihm „des Morgens und des Abends" die Dinge vorsagten, die er dann nachher verkündigte). Besonderes Gewicht legt S p r e n g e r auf Sure XI: 20, welchen Vers er (II: 366f.) folgendermassen umschreibt: „Ist nicht Derjenige, welcher im Besitze einer von seinem Herrn ausgehenden Bayyina [Erleuchtung] war und ihn [den Koran] liest, ein Zeuge für dessen Wahrheit? Und vor dem Korfin wurde das Buch des Moses geoffenbart als ein Vorbild und Gnadenausfluss [auch die Uebereinstimmung mit diesem Vorbilde ist ein Zeugniss für die Wahrheit dos Kor&ns]. Diejenigen, für welche das Bnch Mosis geoffenbart ist, glauben an den Korfin u. s. w." Hier soll M. seinem Mentor göttliche Inspiration zuschreiben und andeutungsweise zn erkennen geben, dass er d a d u r c h — nnd nicht durch Studium — den Inhalt der „Qohof" -erfahren habe; so wird der Mentor, wenn er für den Qor&n eintritt, statt eines „Souffleurs" ein gewichtiger Zeuge. Wahrlich, eine feine Wendnng! Aber nun lese man den angeführten Text selbst Vollkommen klar ist er nicht; die traditionelle Erklärung — die V. 20 als Gegensatz zu V. 19 auffasst und im Anfang desselben ergänzt: „können sie (die Ungläubigen) mit denen gleichgesetzt werden, die etc." — scheint willkürlich 1 ). Aber dass S p r e n g e r ' s Erklärung unmöglich ist, ') S. den Commentar von al-Beidhäwi ed. F l e i s c h e r I: 431. Er fasst jjatlnho" auf als „folgt d a r a u f , demnach als Gegensatz zu „min qablihi". Sollte das Suffix in „jatlüho* nicht auf das Subjekt des Satzes, „Hann", zn beziehen sein?

300

Erläuterung I.

wird kein Kundiger leugnen: „wajatlüho" ist nicht die Fortsetzung von „käna"; „shähidon minho" (ein Zeuge von ihm, d. h. von ihm gesandt) bedeutet nicht: „ein Zeuge f ü r i h n " , und die Phrase „käna alä bajjinatin min rabbihi", obwohl auch von Propheten gebraucht, bezeichnet n i c h t geradezu die ihnen zu Teil gewordene „Erleuchtung", sondern, dass sie (und ihre Jünger) sich stützten auf die deutlichen Beweise der Offenbarung Allah's, vgl. Sure VI: 57; XI: 30, 66, 90; XXXV: 38; XLVII: 15, vor allem die beiden letztgenannten Texte. Es lässt sich natürlich nicht in Abrede stellen, dass M. seine Vertrauten hatte, die mit Recht oder mit Unrecht als seine Lehrer angesehen wurden. Aber damit hat die Frage nichts zu tun, ob die „Qohof" und die „asätir al-awwalin u ihm durch diese Leute übermittelt waren. Was 1) die „Qohof" angeht, so können wir, wenn wir die sämmtlichen Texte, worin sie vorkommen (Sure XX: 133; I.III: 37; LXXIV: 52; LXXX: 30; LXXXVII: 18, 19; XCVIII: 2), in Erwägung ziehen, darin unmöglich e i n e bestimmte Schrift sehen, die von M. als authentisch angenommen und benutzt wäre. Sure LIII: 39—55 lässt sich nicht als Inhaltsangabe „der Qohof Mosis und Abraham's" auffassen; der Abschnitt ist eine Zusammenfassung der eigenen Predigt M.'s, für welche er die Uebereinstimmung mit den „Qohof" als Empfehlung anführt. Einen scharf begrenzten Begriff drückt das Wort nicht aus, ebensowenig wie „Zobor" (Sure III: 181; XVI: 46; XXVI: 196; XXXV: 23; LIV: 43, 52). Die behauptete spätere Verleugnung der „^ohof" ist in jedem Falle eine Fiktion. Nach Sure X I : 20, nach Sprenger's Auffassung, wäre sie obendrein überflüssig oder besser noch höchst unverständig gewesen. Aber — so wird man mir einwerfen — aus dem Zeugniss Ahmed ben Abdallah's (oben S. 29rf) geht hervor, dass die (,'abier „(¡)ohof Abraham's besassen. Ich antworte, dass wir den Charakter dieser Schrift durchaus nicht kennen; dass die des Qorän „Qohof Abraham's u n d Mosis" oder „die ältesten" heissen; dass Sprenger selbst jene Qabischen „Qohof" n i c h t mit denen des Qorän gleichsetzt. 2) Dagegen findet er jenes (^abische Produkt in den „asätir al-awwalin" wieder. Aber seine Ansicht hinsichtlich dieser letz-

Erläuterung n . Die Hanifen.

801

teren war schon vor dem Erscheinen von „Das Leben und die Lehre des Mohammad" von Nöldeke (Gesch. des Qorans, 1860, S. 12 f.) mit abtuenden Gründen widerlegt. Sprenger verlangt indertat zu viel, wenn er uns glauben machen will, dass der übrigens sehr geriebene Mohammed selbst den Titel desvon ihm geplünderten Buches 1 ) soll mitgeteilt haben. Aber vollends lese man nun die oben (S. 298) angeführten Stellen! Auch wenn wir von Sure X X V : 5, 6 ausgehen, können wir in „asättr al-awwalin" u n m ö g l i c h den Titel einer Schrift finden. Was sollte dann das Wort der Widersacher: „dies sind n u r „asatir al-aw walin" bedeuten können? Und wie wäre dann Sure X X V I : 137 zu erklären, wo die Aditen zu Hüd sagen: „dies sind nur Erdichtungen („holoq") der Alten" ? Die Formel kann tatsächlich nur mit Nöldeke (S. 13) übersetzt werden mit: „das Geschreibsel" oder „die Fabeln der Alten", „ Ammenmährchen". Wenn einige moslemische Qoränausleger noch etwas mehr darin gefunden haben ( S p r e n g e r II: 393ff.), so ist dies aus ihrem Bestreben zu erklären, die Texte womöglich stets mit bestimmten Personen oder Tatsachen in Verbindung zu bringen.

Erläuterung n (S. 21 A. 1). Die Hanifen. Zu dem, was S. 19—21 über den Gebrauch des Wortes „Hantf* im Qorän bemerkt ist, muss ich noch hinzufügen, dass die Mehrzahl („honaf&o") einmal, Sure X X I I : 32 (medinensisch, wenigstens dieser Vers) mit „lillähi", „im Verhältniss zu Allah", verbunden wird. Auch das spricht für die appellative Bedeutung des Wortes und gegen die Annahme, dass es schon vor Mohammed als Eigenname einer Secte in Gebrauch war. Indertat erklärt sich die Be') „Die heimlich benutzten As&tyr" ( I I : 397). Und nicht weniger als 9 Mal giebt Ii. im Qorän seinen Gegnern das Wort, die das Buch mit Namen nennen!

302

Erläuterung Ii.

deutung der hebr., aram. and arab. Derivate von hnf vollkommen, wenn man mit F l e i s c h e r geht, der (Neuhebr. u. Chald. Wörterbuch von t e v y , II: 207) für die Wurzel die Grundbedeutung „des B e u g e n s " in Ansprach nimmt, „sowohl Z n - als A b b e n g e n s , K r ü m m e n s , wie Dietrich richtig, gegen Gesenius, erkannt hat". Die Meinung G e i g e r ' s (Zeitschrift f. jüd. Wissenschaft und jüd. Leben, I: 185 ff.)1)) dass n re ^ n sein" die nrsprüngliche Bedeutung wäre, entbehrt allen Grundes, denn dass h a f , Hiob XXXIII: 9, aus h a n f entstanden sei, wird nicht leicht annehmen, wer sich des alttestestamentlichen Sprachgebrauchs von hnf erinnert. Geht mau von diesem letzteren aus, so kommt man von selbst dazu, die ungünstige Bedeutung für die ursprüngliche zu halten ( S p r e n g e r I: 67; D o z y , de Israelieten te Uekka S. 206). Aber sollte diese Mohammed unbekannt geblieben sein? Und, wenn er sie kannte, wie erklärt sich dann sein Gebrauch des Wortes im Qoran? Wie in der oben (S. 298) aus al-Fihrist angeführten Stelle 9 ), so ist in der Tradition über die Vorläufer Mohammed's ein „Hanif d u r c h g e h e n d s jemand, der sich zur Religion Abraham's bekennt. Aus dem reichen Material S p r e n g e r ' s (I: 110ff.) wähle ich einige Beispiele. Omajja ben Abi-9-^alt war einer von denen, die von Abraham, Ismael nnd dem Glauben der Hanifen sprachen (S. 111). Zaid ibn 'Amr erklärt Öffentlich, dass er sich zur Religion Abraham^ bekenne (S. 120). Er erhält von einem Rabbinen den Rat „Hanif zu werden. „Aber was bedeutet H a n i f ? fragt Zaid. Der Rabbine antwortet: „Die Religion Abraham's: er war weder Jude noch Christ und betete Allah allein an". Zaid wendet sich nun an einen Christen, erhält von ihm denselben Rat und dieselbe Erklärung des Begriffes „Hanif und ruft aus: „0 Gott, ich nehme Dich zum Zeugen, dass ich die Religion Abraham's annehme" (S. 120). Hier wird, wie man sieht, auch das qoränische „weder Jude noch Christ" einem der Prä-Mohammedaner in den Mund gelegt. In den weiteren Ueberlieferungen von Zaid (S. 121 —123) kehren die') Später von S p r e n g e r angenommen a. a. 0 . III: 8f. ') „Ich habe" — schreibt A h m e d i b n A b d a l l a h — „dieses Buch übersetzt aus dem Buche der Hanifen, d. i. der abrahaioitischen Qäbier, die an Abraham glauben u. s. w."

Die Hanifen.

303

selben Zöge stets wieder und spielt die Religion Abraham's, ebenso wie die Einweihung der Ka'ba durch ihn und Ismael, eine Hauptrolle. S p r e n g e r (I: 122f.; III: 159: A. 1 und anderwärts) ist nicht blind für die Tendenz aller dieser Berichte und erkennt z. B. die darin vorkommenden Prophezeiungen über das Auftreten Mohammed's nicht als geschichtlich an. Aber er missbilligt, dass man jene Berichte „ohne ausreichenden Grund" verwerfe und so die Biographie Mohammed's in Nebel auflöse. „Der Bericht, dass die Lehre des Propheten von Zayd und anderen in ihren wesentlichen Bestandteilen verkündigt wurde, also schon vor ihm vorhanden war, hätte nur von seinen Feinden und nicht von seinen Freunden erdichtet werden können" — und muss deshalb, denn darauf will er hinaus, geschichtlich sein. „Ohne ausreichenden Grund" dürfen wir gewiss nicht urteilen. Indessen S p r e n g e r bedenkt nicht 1), dass M., wenn die Traditionen Wahrheit enthielten, s o f o r t mit der Predigt der Religion Abraham's hätte auftreten müssen, was er n i c h t tut; 2), dass, nachdem M. erst seine Religion mit der Abraham's gleichgesetzt hatte, seine Geistesverwandten gerade d i e s e bekennen und predigen m u s s t e n , eine andere nicht haben k o n n t e n . Wie übrigens ein so kritisch angelegter Mann wie er glauben kann, dass Zaid wirklich alles das gelehrt habe, was die Ueberlieferung ihn verkündigen lässt — darüber kann ich mich mit N ö l d e k e (a. a. 0. S. 14) nur verwundern. „Ueberhaupt" — schreibt dieser — „wäre es höchst wunderbar, wenn nicht allein Mohammed die Reden Zaid's so wörtlich auswendig gelernt hätte, dass er sie nachher in den Qorän hätte hineinsetzen können, sondern auch daneben noch ein Anderer dieselben Reden in ihrer Urgestalt auf die Nachwelt gebracht hätte". Ich wiederhole, was schon auf S. 21 ausgesprochen ist: dass Mohammed Vorläufer gehabt hat, braucht nicht geleugnet zu werden, wohl aber, dass sie in der Tradition richtig gezeichnet und mit Recht Hanifen genannt werden. Mit diesem Namen ist bei Erklärung ihrer Anschauungen nichts anzufangen, wenn nämlich die Gedanken über „die Milla Ibrahim's", die ich nach dem Vorgange Dr. S n o u c k H u r g r o n j e ' s vorgetragen habe, Wahrheit enthalten.

804

Erläuterung III.

Erläuterung III (8. 82 A. 1). Hat Mohammed den Hadsch unter die Pflichten des Moslem aufgenommen ? Einstimmig beantworten die mohammedanischen Theologen diese Frage zustimmend, unter Verweisung auf Sure III: 91b: „Die Menschen sind den Hadsch nach dem Hause Allah schuldig, sofern sie im Stande sind die Reise dahin zu machen. „Oben (S. 32 f.) habe ich ihre Ansicht als in den Islam aufgenommen und als einen Bestandteil desselben, so wie er jetzt seit mehr als 12 Jahrhunderten besteht, einfach angenommen. Inzwischen sind, nicht gegen die Billigung und Empfehlung des Hadsch von Seiten Mohammed's, wohl aber gegen die Behauptung, dass er ihn allen Gläubigen zur Vorschrift gemacht habe, von Dr. S n o u c k Hurgronje (a. a. 0. S. 42ff.) schwere Bedenken geäussert worden, die man, um sie allseitig beurteilen zu können, in seiner Schrift nachlesen muss. Doch will ich die Hauptpunkte hier anführen. Vor der Flucht liess M. sich aus sehr einfachen Gründen über den Hadsch nicht aus: er war damals noch ein ganz heidnisches Fest, das für ihn und seine Anhänger nichts Anziehendes besass, und an Aenderung seines Charakters war vorderhand nicht zu denken. Nach der Schlacht bei Badr (im 2ten Jahre der H., 624 n. Chr.) hielt er sein Auge unverwandt auf Mekka gerichtet und war Rückkehr dahin das Ziel seines Strebens. Nicht sehr lange danach fallt die Offenbarung Sure III: 89—92, worin M. die Ka'ba und die Wallfahrt dahin auf Allah zurückführt und damit gleichsam für den Islam in Beschlag nimmt, worin er ferner die Gläubigen ermahnt, „wenn sie im Stande sein werden die Reise dahin zu machen", sich derselben nicht zu entziehen. Abraham, hier schon mit der Ka'ba in Verbindung gebracht, tritt ganz in den Vordergrund in dem etwas jüngeren Stücke Sure XXII: 25—39. Gegen diejenigen, welche die Mosleme von den heiligen Stätten zurückweisen, wird ein drohender Ton angeschlagen. Abraham hat im Auftrage Gottes den Hadsch angeordnet. Seine Vorschriften

Gehört der Hadsch zu den Pflichten der Mosleme.

305

werden von H. übernommen nnd erläutert, insbesondere die das Opfern der Kamele nnd die Verteilong ihres Fleisches angehenden. Dabei wird vor Abgötterei gewarnt (V. 31 f.) und zum Schlüsse der Grundsatz festgehalten, dass „das Fleisch nnd das Blut der Opfertiere Allah nicht erreiche, wohl aber die Frömmigkeit der Gläubigen" (V. 38). — Vorläufig konnten allerdings diese Lehren nicht in die Praxis eingeführt werden: Mekka blieb für die MosIeme unzugänglich. Vielleicht sind in den Abschnitt Sure II: 186—199 Vorschriften aus dem Jahre 6 der H. (628 n. Chr.) aufgenommen, wo U. sich mit den Seinigen auf den Weg nach Mekka begab, aber zu Hodaibya stehen blieb und dort einen Vertrag einging, kraft dessen die Mosleme im folgenden Jahre die Ea 'ba besuchen durften, wie wirklich geschah („Omra des Abschlusses" Jahr 7 der H., 629 n. Ch.). Aber mit jenen Verordnungen aus dem Jahre 6 sind andere von späterem Datum, und zwar aus dem Jahre des Hadsch Mohammed's (J. 10 d. H.), verbunden. Als nämlich Mekka erobert war (J. 8 d. H., 630 n. Chr.), Hess M. noch ein Jahr vorübergehen, in dem er nicht an der Wallfahrt teilnahm: die Unterwerfung Arabien's und seine Kriegszüge Hessen ihn nicht dazu kommen. In diesem Jahre aber las Ali in seinem Namen den versammelten Pilgern Sure IX: 1 —12 (etwa auch V. 36, 37) vor, worin die Verträge mit den Heiden aufgekündigt werden (J. 9 d. H., 631 n. Chr.). So war alles vorbereitet, um im Jahre darauf den Hadsch völlig in moslemscher Weise zu vollziehen. Das geschah denn auch, und was M. und die Seinigen damals taten, ist, mit den festen Vorschriften in Sure II: 185—199, die Regel geblieben, welche noch heute befolgt wird. Dieser Gang der Ereignisse ist der Ansicht, dass M. Alle ohne Unterschied zur Teilname am Hadsch verpflichtet habe, nicht günstig. Kr wartet besonnen seine Zeit ab und verrät nicht entfernt die Ueberzeugung, dass die Mosleme, die den Hadsch unterliessen, sich der Uebertretung von Allah's Gebot schuldig machten. Dazu kommt nun, dass „weder in den Verträgen, die er mit bekehrten Stämmen schliesst, noch in den zahlreichen Qoränversen, worin die Pflichten der Gläubigen zusammengefasst werden, des Hadsch irgendwie Erwähnung getan wird", (a. a. 0. S. 43). Kuenen, Volki- und Wiltreliglon. '20

306

Erläuterung III.

Es lässt sich, wie mir scheint, nicht leugnen, dass die traditionelle Auffassung von Sure III: 91b durch diese Erwägungen zum Wanken gebracht wird. Andererseits aber machen die Ausspräche des Qoran über den Hadsch, wie sie oben chronologisch geordnet und in ihren geschichtlichen Rahmen gefasst sind, auf mich den Eindruck, dass doch jene Auffassung durchaus nichts Unwahrscheinliches hat. Der engere Sinn, in dem M. Sure III: 91 von „den Menschen" spricht, musste fast in Vergessenheit geraten, nachdem er in Sure XXII: 25—39 den Hadsch als eine Verordnung Allah's, durch Abraham kundgetan, hingestellt hatte. Die Ausdrücke, deren er sich dabei bedient, lauten sehr allgemein. Allah hat „die heilige Stätte der Anbetung eingesetzt (verordnet) für die Menschen, gleicherweise für diejenigen, die dort wohnen, wie für den Fremdling" (V. 25). Abraham soll „unter den Menschen" den Hadsch kundtun; sie „werden zu ihm kommen zu Fuss und auf schnellen Kamelen, aus jeder tiefen Schlucht1* (V. 28). Dem — setzt der Prophet hinzu — der die heiligen Gebote Allah's achtet, soll das zu gute kommen bei seinem Herrn (V. 31); er offenbart darin die Frömmigkeit seines Herzens (V. 33). Für jede Nation — fährt er fort — hat Allah es zu einem heiligen Gebote gemacht, dass sie den Namen Allah's dankbar preise für das Vieh, das er ihr schenkt: dem entspricht das Opfer bei Gelegenheit des Hadsch (V. 35 vgl. 37). Das alles zusammengenommen bringt uns zwar nicht auf den Standpunkt der moslemischen Theologen, aber es erklärt doch, wie sie darauf gekommen sind. Feierlichkeiten, denen der Prophet so grosse Bedeutung und Wert zuschreibt, konnten von ihnen nicht der freien Wahl der Gläubigen überlassen werden, und mit Freuden mnssten sie ein Wort wie Sure III; 91 aufgreifen, das sich ungezwungen als ein an die Individuen gerichtetes Gebot auffassen liess.

Erl. IV. Die Aussprache des Gottesnamens „Jahwe".

307

Erläuterung IT (8. 57 A. 1). Die Ausspreche des Gottesnamens „Jahwe". Indem ich zu dem Namen J a h w e , wo er zuerst vorkommt, bemerkte, dass wir ihn mit gutem Grunde so aussprechen, gab ich zu erkennen, dass die Bedenken, die zuletzt von F r i e d r i c h D e l i t z s c h (Wo lag das Paradies? Eine biblisch-assyriologische Studie, S. 158—166) und von Hartmann (Das relig. Bewusstsein u. s. w. S. 370 f.) gegen diese Aussprache erhoben sind, mich nicht fiberzeugt haben. Warum dies nicht, will ich hier kurz angeben. Die Ableitung und Bedeutung des Namens lasse ich hier ganz auf sich beruhen, um mich ausschliesslich mit der, dem noch vorausgehenden, Frage nach der Aussprache zu beschäftigen. Vor allem muss der fragliche Punkt festgestellt werden. Die vier Buchstabenzeichen J h w h , die in dem hebräischen Texte des A. T. den Gott Israel's bezeichnen, müssen vokalisirt werden J a h w e h (oder J a h a w e h)'). Darüber besteht keine Meinungsverschiedenheit oder sollte doch keine bestehen. Derjenige, der die vier Zeichen niederschrieb, kann keine andere Aussprache gewollt haben. Hütte er bezweckt, dass seine Leser z. B. Jahu oder Jaho sprechen sollten, so hätte er das 4te Zeichen weggelassen'). Um also die Aussprache „Jahwe" missbilligen zu können, muss man auch die S c h r e i b u n g „Jhwh" verwerfen. Indertat tut dies D. und hält auch v. H. es für wahrscheinlich, dass sie eine spätere Erfindung ist, die zum Zwecke hat, den Gottesnamen mit dem Tatwort hwh (hawah), „sein" (vgl. Exod. III: 14) in Verbindung zu bringen. Im Hunde des V o l k e s lautete er J a h , auch J a h o , Jahu undJehu. Die erstgenannte Form kommt, wie ') Dafür schreibe ich durchgehends J a h w e , weil das h am Schlüsse nicht ausgesprochen wird noch werden darf. *) Die Aussprache J a h w a h ist jetzt allgemein aufgegeben; J a h w o h wäre auch noch an sieb denkbar, wird aber, wie leicht begreiflich, von niemandem vertreten und bleibt deshalb ausser Betracht

20*

308

Erläuterung IV.

bekannt, im A. T. noch wiederholt v o r ' ) ; J a h o and J a h n sind ebenfalls sehr gewöhnlich, aber nur in Zusammensetzungen, speciell in Eigennamen, die mit J e h o ( J o ) anfangen, oder auf J a h u ( j a ) ausgehen; J e h u endlich scheint v. H. in dem bekannten Königsnamen zu finden (S. 371), den D. (S. 159f.) vielmehr für ein zusammengesetztes Wort ( J a h - h ü = „Jahwe ist er" oder „es") ansieht, was wenigstens möglich wäre, während dies die Meinung v. H.'s nicht ist. Als Zeugen für die Ursprünglichkeit dieser kürzeren Formen werden angeführt Philo Byblius, Clemens Alexandrinus, Orígenes, die für die Aussprache J e u b , J a o , J a ü (Orígenes auch für J a é ) eintreten; ferner und vor allen Dingen Eigennamen von Nicht-Israeliten, die mit J a h o , J a h u zusammengesetzt sind, woraus hervorgeht, dass auch bei anderen semitischen Völkern, besonders bei den Babyloniern, den Lehrern aller anderen, dieser Gottesname im Gebrauche war. Anfangs hatte Israel also den Gott J a h o oder J a h u mit seinen Stammesverwandten gemein; im Unterschiede von ihnen nannten die höher Entwickelten in Israel den Gott später J a h w e . Bei Beschreibung der Volksreligion (S. 52ff.) hätte ich mich deshalb, nach dieser Auffassung, des Namens J a h o oder J a h u bedienen müssen. Die entgegengesetzte Theorie sieht in J a h w e h die ursprüngliche Form und Aussprache; in J a h , J a h u u. s. w. Verkürzungen derselben. Grammatische Bedenken dagegen giebt es nicht. Es entspricht vielmehr ganz der Analogie, dass von den Verbalformen, die auf - ¿ h ausgehen, der Schlussvokal wegfällt, J a h w e h also zu J a h w wird, welche letztere Form wiederum ganz regelmässig in J a h o (Jo) übergeht. Ebenso natürlich ist der Uebergang in j a h u ( j a h ) , wenn der Gottesname in der Zusammensetzung ans Ende zh stehen kommt. Auch das einsilbige j a h ist als Verkürzung von J a h w e durchaus nicht auffallend; es kommt überall in Poesie vor, beinahe immer in engen Verbindungen des Gottesnamens mit dem Tatwort, die man quasi-Zusammensetzungen nennen könnte. — ') Exod. X V : 2 ; XVII: IC; Jes. X U : 2 ; X X V I : 4 ; XXXVIII: 11; Hobel. VIII: G; 20Mal in den Psalmen und dazu noeli reichlich 20Mal in der Formel „Hallelü-jah".

Die Aussprache des Gottes namens „Jahwe".

309

Woher denn aber die Zeugnisse für die Aussprache J a ö oder J a n ? Orígenes (ed. de la Rae II: 539) kennt, wie ich schon erwähnte, auch J a é (d. i. J a h w e ) , and für diese letztere Aussprache treten ferner Theodoretus, Epiphanias und die samaritanische Tradition ein (vgl. BaudÍ8sin, Stadien zar semit. Religionsgeschichte 1: 183 ff.). Die Autoritäten für die eine und für die andere Ansicht wiegen einander daher fast auf. Steht die Sache so, so kann meines Erachtens die Wahl keinen Augenblick zweifelhaft sein. Die Verkürzung von Eigennamen, insbesondere von in Zusammensetzungen aufgenommenen Gottesnamen, entspricht als natürliche Folge schnellerer Aussprache ganz der Analogie. Dagegen ist mir von solch einer Verlängerung oder Dehnung, wie D. und v. H. sie annehmen, kein zweites Beispiel bekannt. Dennoch würden wir uns dieses einzige gefallen lassen, wenn es sich auf Rechnung der theologisiTenden Schriftgelehrten stellen Hesse. Aber die Schreibung J h w h — also auch die Aussprache J a h w e — kommt bereits ± 9 0 0 v. Chr., auf dem Uesa-Steine (Zeile 18) vor, wo sie doch wohl dem israelitischen Volksgebrauche entlehnt sein muss. Darauf beruht denn auch die Etymologie in Exod. III: 14, die, möge man sie als richtig oder unrichtig betrachten, doch sehr schwer oder überhaupt nicht aufkommen konnte, wenn der Name des Gottes Israel's nicht J a h w e , sondern z. B. JaTio oder J a h n lautete. Mesa und Exod. III: 14 (sicher jünger als 900 v. Chr.!), mit einander in Verbindung gebracht, bringen die Frage zu einer Entscheidung, wogegen es keine Berufung giebt. Sogar nicht auf den Gebrauch von J a h o oder J a h u bei anderen semitischen Völkern. Die Beweise, die dafür angeführt werden, sind einer wie der andere entweder sicher unrichtig oder sehr zweifelhaft. Vgl. B a u d i s s i n a. a. 0. S. 220—227. Was D. (S. 163f.) dagegen vorbringt, kann ich nicht gelten lassen. Dass die philistäischen Königsnamen Mitinti, Zidqä, Padt, mit J a h u zusammengesetzt seien und demnach vollkommen den hebräischen Namen Mattitja, Zidqija, Pedaja entsprächen, leuchtet nicht ein: was diese Namen mehr haben als jene, ist gerade die Silbe, die die Zusammensetzung mit J a h u zur Gewissheit macht. Ferner

310

Erläuterung y .

meint D., anders als in seiner früheren Mitteilung an Baudissin (S. 226 A. 6), dass der einzige Vokal I im Akkadischen „Gott" nnd „den obersten Gott" bedeutete, ebenso wie i l i , i l ä (hebr. e l ) ; dass die Assyrer diesen Vokal I mit Nominativ-Endung i a - u aussprachen ; dass auch das Bnchstabenzeichen für I bei den Assyrern i a - u heisst, und dass es nur als ein Zufall zu betrachten ist, dass bis jetzt J a - u , als Name der Gottheit, in keiner einzigen assyrischen Inschrift gefunden ist. — Ist dies wirklich „ein Zufall", so wird der Name wohl früher oder später entdeckt werden. Aber nach Erwägung der Gegengründe, die T i e l e in Theol. Tijdschrift, Deel XVI (1882) S. 262ff. gegen D. vorbringt, halte ich es für mehr als zweifelhaft, ob diese Entdeckung jemals gemacht werden wird.

Erläuterung V (8. 64 A. 1). E r k l ä r u n g v o n H o s e a IX: 3 — 5 . Man wird bemerkt haben, dass ich mir in der Uebersetzung von Hos. IX: 3, 4 eine Abweichung von dem masor. Texte erlaubt habe, die hier gerechtfertigt werden muss. Israel ist von seinem Gotte abgefallen und hat bei den Erntefesten den anderen Göttern Dank gebracht, als ob diese ihm den Ueberfluss geschenkt hätten (vgl. C. II: 10). Es ist also wahrlich kein Grund, warum das Volk fröhlich sein und wie die Heiden jauchzen sollte (V. 1.)'). Bald soll sich das zeigen: „Tenne und Kelter sollen sie nicht nähren, und der Most soll ihre Hoffnung zu Schanden machen" (V. 2.)'). Denn — so fährt der Prophet fort — „sie sollen nicht ') Man rechtfertigt e l - g i l durch Verweisung auf Hiob III: 22. Es ist indessen sehr erklärlich, dass die alten Uebersetzer al gelesen haben, was aber nur dann gebilligt werden kann, wenn man gil in t a g i l verändert. Ist vielleicht l a g i l die richtige Lesart? *) Für bäh ist bäm oder — mit Aenderung de« Vocales allein — böh zu lesen.

Hosoa IX: 3—5.

311

bleiben im Lande Jahwe's; sondern Ephraim muss nach Aegypten zurück, und in Assyrien müssen sie unreine Speise essen". (V. 3). Das Ausland an sich ist unrein (Am. VII: 17), und so auch die Speise, die dort genossen wird. Von diesem Gedanken giebt nun V. 4 nähere Rechenschaft. "Wie dieser Vers jetzt lautet, steht er mit sich selbst und mit C. III: 4 in Widerspruch. Denn ob man s i b e c h e h e m nach den Accenten mit den darauf folgenden Worten verbindet, oder es — was gewiss besser ist — als Subjekt des Vorhergehenden ( „ w e l o j e ' e r e b ü - l ö " ) auffasst: immer sagt das Wort aus, dass Israel auch im fremden Lande Jahwe Opfer darbringt. Mit den letzten Worten des Verses („es — d. i. ihre Speise — kommt nicht in das Haus Jahwe's") ist dies zur Not in Einklang zu bringen, nicht aber mit dem Anfang: „sie werden Jahwe keinen Wein spenden", denn wenn sie opferten, so konnten sie jedenfalls ihre gewohnten Trankopfer darbringen. Viel weniger noch stimmt das Opfern im Auslande zu C. III: 4, wo das Dasitzen „ohne Opfer" (dasselbe Wort wie in C. IX: 4!) eines der Kennzeichen des Lebens in der Verbannung ist. Durch andere Erklärung des Textes lässt sich dieser Widerspruch nicht entfernen. „Ihre Opfer sind ihm (Jahwe) nicht angenehm" — bedeutet doch jedenfalls, dass Opfer dargebracht werden 1 ). Es giebt nun eine gewiss sehr einfache Rettung: für j e ' e r e b ü lese man j a ' a r e k ü . Das Verbum ' a r a k bedeutet „geordnet hinlegen", „ordnen", „zurichten" und wird Gen. XXII: 9; Lev. I: 7; 1. Kön. XVIII: 33 von dem Legen des Holzes auf den Altar, Lev. I: 8, 12 — ganz wie an unserer Stelle — von dem Hinlegen der Opferstücke auf das Holz, gebraucht. Es findet dann kein Subjektswechsel statt, und der Sinn wird dieser: „sie sollen Jahwe keinen Wein spenden und ihre Opfer vor ihm nicht (auf dem Altar) zurichten". In den alten Uebersetzungen findet diese Vermutung keine Stütze; der Schreibfehler datirt sicher aus alter Zeit und konnte der Aufmerksamkeit ') Die Uebers. W e l l h a u s e n ' s : „Sie spenden Jahwe keinen Wein und keine Opfer, die ihm munden," ist zu frei und verdeckt die Schwierigkeit nur ohne sie zu heben. Uebrigens erkennt W. (Gesch. Israels I: 83 A. 1) an, dass Hos. IX: 4 und III: 4 zusammengehören.

312

Erläuterung VI.

umso eher entgehen, als er V. 4a der Stelle Jer. VI: 20b ähnlich gestaltete. Auch in den unmittelbar darauf folgenden Worten hat sich ein Fehler eingeschlichen: l a h e m muss in l a c h m ä m verändert oder hinter ihm l a c h m ä m eingeschoben werden; die Verwechselung oder Weglassung erklärt sich leicht aus der grossen Aehnlichkeit der beiden Wörter. Der Sinn wird dann: „wie Trauerspeise wird (ihnen) ihre Speise; jeder, der davon isset, verunreinigt sich; denn dort (in dem fremden Lande) dient ihre Speise (nur) zu (Stillung) ihrer Gier (ihres Hungers); sie kommt nicht in das Haus Jahwe's (und bleibt also ungeweiht)"; Ist dies der Fall zu gewöhnlichen Zeiten, wieviel schmerzlicher noch wird sich an Festtagen die Abwesenheit von dem heiligen Lande und der Mangel der, dort allein möglichen, gottesdienstlichen Feierlichkeiten fühlbar machen (V. 6)! Abgesehen von diesen kleinen Abweichungen stimmt meine Auffassung von Hos. IX: 3—5 mit der von W e l l h a u s e n (Gesch. Israels 1 : 2 2 A.) und R o b e r t s o n S m i t h (The 0. T. in the Jewish Church, S. 237) überein.

Erläuterung VI (S. 80 A. 2). Die ägyptische Herkunft Levi's. De L a g a r d e spricht in seiner Abhandlung „Erklärung hebräischer Wörter" (Abhandlungen der kön. Ges. der Wissenschaften zu Göttingen, Band XXVI, und Orientalia Heft II) S. 20f. die Vermutung aus, dass die Leviten die Aegypter seien, die sich — nach Exod: XII: 38; Num.: XI; 4 — den ausziehenden Israeliten angeschlossen haben. „ Levi" ist kein gewöhnliches Nomen proprium und wird daher auch ebenso für „Levit, levitisch" wie zur Bezeichnung des (vorausgesetzten) Stammvaters der Leviten gebraucht. Dass „Levi" kein unpassender Name für die sich anschliessenden Fremden war, geht aus Jes. XIV: 1; LVI: 3 (vgl.

Die ägyptisch« Herkunft Levi's.

313

oben S. 183f.) hervor. Nach Exod. II: 1—10 war Moses von rein israelitischer Herkunft, aber was ist natürlicher, als dass Israel die ägyptische Abstammung seines Befreiers aus dem Diensthause vertuscht und ihn zu einem der Seinigen gemacht hat? „War Moses nicht israelitischer, sondern aegyptischer Herkunft, so erklärte sieb, warnm er in den Leviten, seinen mit ihm gewanderten Stammesgenossen, vorzugsweise seine Stütze suchte nnd fand: es erklärte sich, warum die Leviten die geistige Leitung der israelitischen Nation fibernehmen konnten — sie waren eben als Aegypter im Besitze einer höheren Kultur als diejenigen, mit denen sie ausgezogen waren — : es erklärte sich, warum die Leviten im gelobten Lande nicht als wirklicher Stamm auftraten: es erklärte sich endlich was die aegyptischen Quellen über den Auszug der Israeliten aus Aegypten aussagen" (S. 21). Nachdem Dr. May b ä u m (Die Entwickelung des altisr. Priesterthums, S. III—VI) diese Hypothese bekämpft hatte, erklärte d e L a g a r d e (Gott gel. Anz. 1881 S. 38—40), er habe sie nicht als seine Meinung vertreten, sondern als Hypothese vorgelegt und der Erwägung der Sachkundigen anheimgegeben. "Wir wollen sehen, zu welchem Ergebnis» solche nähere Untersuchung führt. Dürften wir die Berichte des Pentateuchs über Levi (Gen. XXIX: 3 4 ) und seine Nachkommen (Gen. XLVI: 11; Ex. VI: 16—27), oder wenigstens die über Mose und seine Herkunft, als rein geschichtlich betrachten, so gäbe es keine Levi-Frage. Doch es ist bekannt, dass schon die Erzählungen von Mose, und umsomehr die von der Zeit der Erzväter, keine Sicherheit bieten, dass daher eine Vermutung wie die d e L a g a r d e ' s sich nicht mit einfacher Berufung auf die israelitische Uebcrlieferung zurückweisen lässt. Sein Ausgangspunkt ist indessen nicht glücklich gewählt: in dem hebräischen „lawah" (im Niph'al „anhängen, sich anschliessend) liegt nicht einmal eine Andeutung dessen, was er darin findet: des Anschlusses v o n F r e m d e n a n I s r a e l , und ebensowenig lässt sich aus Exod. XII: 38, Num. XI: 4 entnehmen, dass A e g y p t e r sich bei dem Auszuge an die Israeliten angeschlossen haben. Dennoch könnte ja die Beziehung Levi's zu Aegypten durch andere Umstände, die d e L a g a r d e nicht erwähnt, wahr-

314

Erläuterung Vf.

scheinlich gemacht werden. Als solche kommen in Betracht einige levitische Eigennamen. Zunächst P i n e c h a s (der Sohn des Gleasar b. Aaron, und der Sohn Eli'»), der sich aus dem Hebräischen nicht erklären läset, dagegen in ägyptischen Documenten vorkommt und sich auch ans dem Aegyptischen ableiten lässt. Vgl. D i 11 m a n n , Exodus und Leviticus S. 60, der übrigens mit Recht die gewöhnlichste Auffassung — „der Neger" als für den alttestamentlichen Gebrauch nicht passend zurückweist. Auch der mütterliche Grossvater des älteren P i n e c h a s trägt einen ägyptischen Namen, P u ti e 1 (Exod. V I : 25), mit „Potiphar", „Potiphera" verwandt. Der ägyptische Ursprung des Namens M o s e — in Zweifel gezogen von L a n d , Theol. Tijdschr. III: 362 A. — wird von der überwiegenden Mehrheit der Ausleger anerkannt. Vgl. D i l l m a n n a. a. 0 . S. 15f. und Rev. F. C. Cook in The Speaker's Commentary, Vol. I S. 482ff. Für „Aaron" ist bis jetzt keine hebräische Etymologie gefanden (gegen R e d s l o b s. Theol. Tijdschr. V I : 6 4 8 ) ; es wäre durchaus nicht auffallend, wenn die Aegyptologen, die bis jetzt nicht mehr Glück hatten, später damit fertig würden. Dagegen kann ich nicht glauben, dass Rev. Cook (a. a. 0 . S. 4 8 8 ) mit Recht „Gersom" aas dem Aegyptischen herleitet; der Zusammenhang dieses Namens (und des fast identischen „Gerson") mit dem hebräischen g r s c h , „vertreiben" scheint nnverkennbar und wird durch Ex. I I : 22 nicht widerlegt. Wohl aber muss ich hier noch auf 1. Sam. I I : 27 hinweisen, wo von E l i ' s Familie gesagt wird, dass sie „in Aegypten K n e c h t e [aus L X X ] gewesen seien v o n P h a r a o ' s H a u 8 " — ein Ausdruck, der von Israel in seiner Gesammtheit nicht gebraucht wird') und sich auffassen liesse als Erinnerung an die engere Beziehung, in welcher die Familie zum ägyptischen Königshause stand 9 ).

') Einmal, Deut. VI: 21, heissen sie „Knechte Pharao's". *) Die höchst sonderbaren Combinationen von Prof. Lauth in seinen Schriften: „Moses der Ebräer, nach zwei ägyptischen PapyrusUrkunden (1868) und „Moses-Hosarsyphos-Salichus, Levites-Abaron frater etc." (1879), vgl. Z. d. d. M. G. X X V : 139—148, übergehe ich am liebsten mit Stillschweigen.

Die ägyptisch« Herkunft Levi's.

315

Man sieht, d&ss diese Sporen wenig an Zahl und schwach sind und — was vor allem unserer Aufmerksamkeit nicht entgehen darf — ausschliesslich die Familie  m r a m ' s betreffen, wozu auch E l i gehört. Nun haben wir durchaus kein Recht, was von dieser einen Familie gelten mag, auf andere levitische Geschlechter auszudehnen oder daraus hinsichtlich des ganzen Stammes Folgerungen zu ziehen. Die Namen dieser Geschlechter (Gen. XLVI : 11; Exod. V I : 16ff.; Num. III; X X V I ) geben dazu nicht die mindeste Veranlassung, oder weisen selbst bestimmt auf einen andern Ursprung hin ( Q o r a c h , C h e b r o n , J i z h a r u. s. w.). Noch viel weniger darf der Name L e vi selbst mit de L a g a r d e als anspielende Hinweisung auf Aegypten aufgefasst werden. M ü s s t e der Name als Appellativum angesehen werden, so lSge es doch viel näher, ihn mit dem Anschluss an das Heiligtum J a h w e ' s — oder der Abhängigkeit von ihm — in Verbindung zu bringen, als mit der Herkunft aus der Fremde und dem Anschluss an Israel. Aber auch dies letztere ist abzuweisen. Der Stamm L e v i bestand, wie Gen. X L I X : 5 — 7 nnwidersprechlich beweist, schon ehe er sich dem heiligen Dienste geweiht hatte, und kann deshalb nicht ihm seinen Namen verdanken. Nach K o h l e r (Der Segen J a c o b ' s Berlin, 1867, S. 34) ist „ L e v i " = „Wendung", ^Krümmung" (vgl. liwjah und liwjathân), also ursprünglich: die mythische Schlange oder der Drache, der mit der Sonne kämpft; auch andere Stammnamen hängen mit der Mythologie zusammen (Theol. Tijdschrift V : 290ff.), und unwahrscheinlich ist darum diese Erklärung nicht. Doch wie dem auch sei, in keinem Falle können wir uns den Ausführungen anschliessen, mit denen de L a g a r d e die behauptete ägyptische Abstammung stützen möchte. Dass L e v i kein eigenes Stammgebiet erhielt, braucht mit seiner Herkunft durchaus nicht zusammenzuhängen (vgl. Theol. Tijdschr. V I : 653f.). Vielmehr haben wir diesen Umstand mit der anti-kanaanitischen Gesinnung der Leviten in Verbindung zu bringen, von der Gen. X L I X : 5 — 7 ; X X X I V Zeugniss ablegen. Zugleich lehren diese Abschnitte, mit wie wenig Recht de L a g a r d e L e v i in Gegensatz zu Israel stellt: er tritt a. a. 0 . als Ultra-Israelit auf, als Verteidiger quand même des unvermischten israelitischen Volkstums. Dazu kommt

316

Erläuterung VII.

noch, dass es mindestens zu viel gesagt ist. L e v i ,die geistige Leitung der israelitischen Nation" zuzuschreiben.

Erläuterung T U

( 8 . 1 2 0 A . 1).

Das Alter des israelitischen Monotheismus. In meiner oben (S. 120 A. 1) erwähnten Abhandlung wurde dieser Gegenstand behandelt vor allem im Hinblick auf H. S c h u l t z . Alttestamentliche Theologie. Die Offenbarungsreligion auf ihrer vorchristlichen Entwicklungsstufe (1869) 1: 95—123; 259—270; II: 84—88. Zu gleicher Zeit (1876) erschien Graf B a u d i s s i n ' s Abhandlung: Die Anschauung des A. T. von den Göttern des Heidentums (Studien zur semit. Religionsgeschichte I : 47—178). Wir zeigten jeder die Arbeit des anderen an in Theol. Tijdschrift X (1876) S. 631—648 und in S c h ü r e r ' s Theol. Literaturzeitung I (1876) Sp. 661—664. Vgl. auch R ö s c h in Theol. Stud. und Kritiken, 1877, S. 739ff. Die Epikrisis von S c h u l t z ist zu finden in der 2ten Ausg. seiner Alttest. Theologie (1878) S. 440—457. Die Meinungsverschiedenheit zwischen B a u d i s s i n und mir ist zwar nicht ganz ohne Gewicht, aber doch nur von untergeordneter Bedeutung. Darüber sind wir einverstanden, dass die Einzigkeit J a h w e ' s und — was die Kehrseite davon ist — die völlige Nichtigkeit „der anderen Götter" erst in D e u t , und von J e r e m i a ausdrücklich gelehrt wird. Nun meint B., dass dem ein Zeitraum vorausgeht, der von Arnos bis auf J e s a j a , in welchem J a h w e als der Gott Israel's angesehen wird, über sein Verhältniss zu der Heidenwelt nicht nachgedacht und demzufolge auch die Realität „der anderen Götter" f ü r d i e H e i d e n dahingestellt bleibt, nichtsdestoweniger aber J a h w e Prädicate zuerkannt werden, die, wenn die Propheten sich vollkommene Rechenschaft gegeben hätten von dem, was darin enthalten war, zu der Anerkennung J a h w e ' s als des absolut Einzigen und zur Leugnung aller Realität der Heidengötter hätten führen müssen. Dieser Standpunkt ist

DM Alter des israelitischen Monotheismus.

317

ihm eine „Zwischenstufe" zwischen der älteren Monolatrie und dem absoluten und vollkommen bewussten Monotheismus des Deut., anders ausgedrückt „ein Monotheismus, dessen Consequenzen mit Bezug auf die Heidenwelt noch nicht gezogen waren". Dem setze ich folgendes entgegen: Der Umstand an sich, dass die Propheten des 8ten Jahrhunderts diese — übrigens ziemlich einfachen — Folgerungen nicht gemacht haben, liefert den Beweis, dass sie den Standpunkt des eigentlichen Monotheismus noch nicht erreicht hatten. Wenn sie nichtsdestoweniger über J a h w e ' s Allmacht, auch in der Heidenwelt, und über die Qötter der Heiden sich so auslassen, dass diesen die Realität abgesprochen wird und neben J a h w e für andere Götter kein Raum mehr bleibt, so geht daraus hervor, dass sie in das Zeitalter des Uebergangs, des w e r d e n d e n M o n o t h e i s m u s , gehören. Davon sind, in völliger Uebereinstimmung hiermit, selbst im Deut, noch deutliche Spuren aufzuweisen (vgl. Theol. Review a. a. 0. S. 347—351). Was B. „eine Zwischenstufe" nennt, ist keine wirkliche Stufe, sondern vielmehr zu kennzeichnen als das sehr natürliche Ringen zwischen der alten und der neuen, höheren Auffassung, die im Begriffe ist, sich aus ihr zu entwickeln. Die Wahl zwischen diesen zwei, indertat nahe verwandten Anschauungen überlasse ich gerne dem Leser. Von grösserem Gewichte ist der Unterschied zwischen der gegenwärtigen Ansicht von S c h u l t z und meiner eigenen. Er tritt vor allem an den Tag in § 6 (S. 451—463) und 7 (S. 453—455) des oben angeführten Capitels über Gottes Einheit. D o r t lehrt Sch., dass auch die Propheten v o r Jeremia schon den Monotheismus verkündigt haben; h i e r — übrigens unter Anerkennung der Schwierigkeiten, womit jede Entscheidung der Frage verbunden ist — dass dieser Monotheismus nicht neu, sondern seit Moses in Israel zu Hause war. Mit Bezug darauf bemerke ich, 1.) dass, wie ich eben hervorhob, der Monotheismus der Propheten des 8ten Jahrhunderts auch von mir anerkannt wird, nämlich als w e r d e n d e r Monotheismns, als ein wiederholtes Ueberschreiten der Grenze zwischen Monolatrie und der Anerkennung nur e i n e s Gottes. Mehr als das würde auch Sch. den älteren

318

Erläuterung VII.

Propheten nicht zngeschrieben haben, wenn er ihre monotheistischen Aussprüche (unter § 6) in Verbindung mit den von ihm selbst ( § 3 , 8. 444 — 447) mitgeteilten Texten betrachtet hätte, welche die antike Auffassung und nichts mehr als sie enthalten. Er will nichts wissen von der Nichtigkeit der Götter blos in Beziehung auf Israel. „Als ob" — so schreibt er — „die antike polytheistische Denkweise einen Gott, den man nicht verehrte, der aber als wirklicher Gott s e i n e s V o l k e s anerkannt ward, mit solchen Namen (nämlich Nicht-Gott, Nichtigkeit, Lügen, Gräuel), hätte bezeichnen können!" Meines Erachtens ganz richtig, aber was hier bekämpft wird, ist nicht „die Meinung der Gegner". Nicht die B a u d i s s i n ' s , denn $r unterscheidet die Ueberzeugung des A r n o s cum suis sehr bestimmt von „der antiken polytheistischen Denkweise" und nennt sie sogar „Monotheismus". Nicht meine, denn ich sehe in jenen starken Aussprüchen der Propheten w i r k l i c h e n Monotheismus und leugne nur, dass sie ihn bereits als bleibenden Besitz gewonnen hatten: h i e r u n d d a erheben sie sich zar Anerkennung der Einzigkeit J a h w e ' s und der Leugnung „der anderen Götter", aber gewöhnlich halten sie sich noch an die Monolatrie, in der sie, wenigstens die älteren von ihnen, aufgewachsen waren. — Damit ist bereits gegeben, dass 2.) der noch ältere Monotheismus der vor-prophetischen Periode meines Erachtens nicht existirt. Sch. erkennt an, dass d a s V o l k nicht monotheistisch dachte und dass die priesterlichen Erzählungen und Gesetze des Pentateuchs nicht als Zeugnisse von der Zeit vor dem 8ten Jahrh. gelten können (S. 453 f.). Nichtsdestoweniger schreibt er nach wie vor den höher Entwickelten den Monotheismus zu, und zwar auf Grund von Ps. XVIII: 32; 1. Sam. II: 2 ; Ps. VIII, XXIX, und von Aussagen der prophetischen Autoren des Pentateuchs wie Gen. II: 4ff.; IV: 3, 26; XII: 17; XXIV: 31, 50; XXVI: 29; Num. XVI: 22; XXVII: 16; Exod. X V : 2 ; Num. XIV: 21; sowie des Segens über die Erzväter in Gen. XII; XVIII; XXII; XXVI; XXVIII. Unter diesen Texten sind zwei (Num. XVI: 22; XXVII: 16) von der Hand des priesterlichen Verfassers. Alle übrigen habe ich behandelt in Theol. Rev. a. a. 0. S. 352—358, womit man B a u d i s s i n S. 161 ff. vergleichen möge.

Erl. VIII. Die Folgerungen an« der Cyrus-Inscbrift.

319

Ich habe zu dem dort Gesagten nichts hinzuzufügen, es mfisste denn sein, dass ich mich noch stärker hfitte ausdrücken sollen. Die Behauptung von S c h u l t z könnte nur auf Grand zwingender Beweise angenommen werden, denn sie widerspricht dem, was wir z. B. betreib Salomo's — wozu ich für meinen Teil David hinzusetze — bestimmt wissen nnd dem, was sich aus der prophetischen Literatur mit gutem Rechte schliessen lässt. Dieser Anforderung aber entsprechen die Texte, auf die er sich beruft, bei weitem nicht Hit der hier verteidigten Auffassung läuft die D u h m ' s , die Theol. der Propheten (S. 92 ff. und passim) und W e l l h a u s e n ' s (Encycl. Brit. art. Israel und deutscher Abdruck) genau parallel.

E r l ä u t e r u n g T i l l ( 8 . 1 3 4 A . 3 ; 136 A . 1). Die Folgerungen aus der Cyrus-Inschrift. Die Gründe, weshalb ich mich mit einigen Folgerungen, die man aus der Cyrus-Inschrift gezogen hat, nicht einverstanden erklären kann, wurden oben (S. 135 f.) kurz angedeutet. Zur näheren Erklärung diene folgendes. 1) Aus der Inschrift des Darius zu Behistan ergiebt sich meines Erachtens, dass zwischen diesem Könige und der achämenidischen Linie, zu der Cyrus nnd Cambyses gehörten, kein Unterschied der Religion bestand. Nachdem D a r i u s erzählt bat, wie er, mit Ahuramazda's Hülfe, den Magier Gaumat& geschlagen hat, fährt er (Col. I, 14) folgendermassen fort: „Die Herrschaft, die unserem Geschlechte entwendet war, erhielt ich zurück, setzte ich wieder an ihre Stelle, wie in den alten Tagen, so tat ich. Die Tempel, die Gaumatä der Magier zerstört hatte, baute ich wieder auf; die heiligen Lieder und den Gottesdienst richtete ich für den Staat wieder ein und vertraute sie den Familien an, welche G&umatfi der Magier dieser Aemter beraubt hatte" ')• So ') Nach der Uebersetzung Sir H. R a w l i n s o n ' s in Record of tbe P*st, Vol. I, S. 113. Zum Vergleiche gebe ich hier die Uebersetzung

320

Erläuterung VIII.

hätte D a r i a s sich schwerlich ausdrücken können, wenn C y r u s und C a m b y s e s A h u r a m a z d a , dessen Diener er sich nennt, nicht verehrt hätten. 2) Aber auch die Spaltung der Achämeniden in zwei Linien, wie z. B. H a l e v y sie sich denkt'), scheint mir mit der Inschrift von B e h i s t a n schwer zu vereinigen. Natürlich nicht die Spaltung an sich. Der Stammbaum des D a r i n s (Sohn des H y s t a s p e s , des A r i a r a m n e s , des T e l s p e s , des A c h ä m e n e s ; B e h i s t u n Col. 1,2) und der des C y r u s (Sohn des C a m b y s e s , des C y r u s , des T e l s p e s ; B a b y l . Inschrift, Z. 21, 22) harmoniren aufs beste; durch den letztgenannten Namen wird H e r o d o t ' s Angabe (VI: 11) verbessert. Aber wenn nun die zwei Söhne des T e i s p e s ( C y r u s , Grossvater C y r u s des Grossen, und A r i a r a m n e s ) sich von einander getrennt und jeder ein eigenes Reich oder eine eigene Provinz regiert haben, ist es auffallend, dass D a r i u s davon nichts erwähnt, sondern im Gegenteil die Einheit der gesammten Achämeniden in den Vordergrund stellt. „Darum" — so heisst es, Behistan, Col. I, 3, 4 — „werden wir Achämeniden genannt; aus dem Altertum stammen wir ab; von Alters her sind die von unserem Geschlechte Könige gewesen. Acht meines Geschleohtes waren vor mir Könige; ich bin der neunte; von urlängst') sind des medischen Textes von Prof. O p p e r t (a. a. 0 . VII: 91): „The kingdom which had been robbed from our race, I restored it, I put again in its place. As it had been before me, thus 1 did. I restablished the temples of the gods which Gomates the Magian had destroyed, and I reinstituted, in favour of the people, the calendar and the holy language, and I gave back to the families what Gomates the Magian had taken away." ') Cyrus et le retour de l'exil (Revue des Etudes juives I: 9ff., besonders S. 14 if.). a ) Nach Anderen: i n z w e i L i n i e n ; wieder nach Anderen: z w e i M a l e , nämlich zuerst in der Vorzeit, als die Vorfahren bis auf und mit Achämenes unabhängige Könige waren, danach wieder von Cyrus dem Grossen an. Vgl. O p p e r t a. a. 0 . S. 88 A. 1. — M. B ü d i n g e r in den Sitzungsberichten der phil. hist. Classe der Kais. Akad. der Wissensch, zu Wien, Band XOVII S. 713ff., wählt die zuerst erwähnte

321

Die Folgerungen aus der Oyrus-Inschrift.

wir Könige-'. Wenn das Königtum, von dem D a r i u s hier so viel Aufsehens macht, in zwei Reichen oder Provinzen wäre geführt worden: mich dünkt, er hätte das notwendig erwähnen müssen. Sein Schwcigen lässt sich nicht wohl anders auffassen wie als Bestätigung der griechischen Berichte, die, wiesehr sie auch sonst von einander abweichen, darin doch übereinstimmen, dass C a m b y s e s , der Vater des C y r u s , die Herrschaft in P e r s i e n führte. 3) Trotz alledem müssten wir die Herrschaft des C y r u s und seiner Vorfahren in Susiana als Tatsache anerkennen, wenn der babylonische Cylinder davon unzweideutiges Zeugniss ablegte. Aber das ist nicht der Fall. Die Vorfahren heissen auf dem Cylinder (Z. 22) „sar al An-za-an", „König der Stadt An-za-an", und C y r u s selbst in den Annalen des N a b o n e d u s „sar An-za-an", „König von An-za-an1)". Dies „An-za-an" wird nun gleichgesetzt entweder mit dem ersten Worte in der Formel „Anzan Susunqu" auf susianischen Inschriften, oder mit „An-du-an", das, an der einzigen Stelle, wo es vorkommt, mit „Elamtu" (Elam) erklärt wird, [st das nicht gewagt oder mindestens höchst ungewiss? Darum wundert es uns nicht, dass beide Gleichungen von O p p e r t (Gött. gel. Anzeigen 1881, S. 1254 ff.) verworfen werden. Ihm scheint bis jetzt noch unsicher, welche Stadt mit „An-za-an" bezeichnet wird, ja selbst, ob der Name so ausgesprochen werden muss, aber er neigt dazu, darin die Bezeichnung der Residenz der persischen Fürsten — sei es Pasargadae oder Marrhasion oder Persepolis — zu finden. Der Umstand, dass Cyrus in d e m s e l b e n D o c u m e n t zuerst „König von An-za-an", dann aber „König von Persien" heisst, dient sehr zur Empfehlung dieser Auffassung, wenn er nicht sogar als Beweis gelten muss, dass „An-za-an" entweder ein Ideogramm oder ein anderer Name für Persien ist. Doch wie dem sei, die Art und Weise, in der H a l e v v (a. a. 0. S. 14ff.) von dem verAuffassung und verteidigt betreffs der königlichen Vorfahren eine andere Hypothese, die in jeder Beziehung nähere Erwägung verdient. ') Vgl. Th. G. P i n c h e s in Transaetions of the Society of Bibl. Archaeology, VII: 151, 155. Weiter unten (S. 159) heisst Cyrus „sar roat Parsu", König von Persien. Kuenen,

Volk*-

und

Weltreligion.

21

322

Erläuterung IX.

muteten „roi de Susiane" fabulirt und ihm die Berichte der Alten und das Zeugniss des D a r i u s selbst zum Opfer bringt, kann nicht streng genug gemissbilligt werden.

Erläuterung IX (S. 156 A. 2). Esra und die Einführung des Judaismus. Die „Revue de l'histoire des religions" enthält (Tom. IV: 22 —45) eine Abhandlung über „Esdras et le code sacerdotal", die man mit Stillschweigen übergehen könnte, hätte sie nicht einen Gelehrten wie J o s e p h H a l e v y zum Verfasser. Die Auffassung von Esra's Person und Werk, die von E. R e u s s , G r a f , W e j l h a u s e n und Anderen vertreten wird, hat auf H a l e v y keinen günstigen Eindruck gemacht; sie scheint ihm teils zuweit zu gehen, teils völlig unrichtig Dieser Eindruck hätte ihn zum Studium der Frage in ihrem ganzen Umfang veranlassen müssen, wozu u. a. die Kritik der Bücher Esra und Nehemia und die durchgängige Vergleichung des „code sacerdotal" mit den anderen Gesetzesreihen und Ezechiel gehört. Doch scheint es nicht, dass er sich dieser Mühe unterzogen hat. Von Esra und Nehemia kennt er nicht einmal den Inhalt, geschweige denn die Zusammensetzung; hinsichtlich des Alters der priesterlichen Gesetze giebt er nicht mehr als ein paar unzusammenhängende Anmerkungen, die, selbst wenn sie richtig wären, durchaus nicht entscheiden könnten. Durch eine derartige Beweisführung werden die Vertreter der Graf'schen Hypothese sich gewiss nicht bekehren lassen. H a l e v y setzt zunächst (S. 22—37) die Glaubwürdigkeit der Berichte über Esra, insbesondere auch der Capitel Neh. VIII—X, voraus. In diesen Berichten kann er den Esra der neueren Kritik, den Vater des Judaismus, den Verfasser der priesterlichen Gesetze, den Redaktor des Pentateuchs, nicht entdecken. Esra ist ein Mann wie der Dichter \on Ps. LI, abhängig von der Thora und beseelt von dem Eifer, die Befolgung ihrer lange vernachlässigten

Esra und die Einführung des Judaismus.

323

Vorschriften zu befördern. Aus Esra IX, X ergiebt sich, dass es ihm an Energie und vor allem an Initiative gebricht; die Missbräuche, die er in Jerusalem vorfindet, betrüben ihn aufs schmerzlichste; er klagt und weint darüber, muss aber von Anderen erst die Anregung zum Handeln empfangen. Nehemia ist ein ganz anderer Mann; mit ihm verglichen zeigt sich Esra als sehr unbedeutend; die Annahme ( W e l l h a u s e n , Gesch. Israelis I: 423), dass jener sich zur Ausführung der Pläne Esra's hergegeben habe, ist nicht nur unbewiesen, sondern auch höchst unwahrscheinlich. In Neh. VIII—X findet man die Publicirung eines neuen Gesetzes, aber ganz mit Unrecht: der Vergleich mit 2. Kön. XXII, XXIII, auf die man sich beruft, lehrt gerade, dass die zwei Ereignisse durchaus nicht parallel laufen. Auch Neh. VIII: 14—17 beweist nicht, was man daraus folgert; ohne Zweifel geht dieser Bericht auf Lev. XXIII: 40, aber Esr. III: 4 — wo nicht bloss Lev. XXIII: 39—44, sondern auch Num. XXIX: 12—39 vorausgesetzt werden — verbietet uns, ihn so aufzufassen, als ob damals Lev. XXIII: 40 zum ersten Male zur Ausführung gebracht und früher unbekannt gewesen wäre. Aus Esr. VII: 12, 21; 14, 25 zu entnehmen ( W e l l h a u s e n I: 422), dass Esra ein neues Gesetzbuch aus Babylonien mitbrachte, ist ungereimt; abgesehen davon, dass die Verse 14, 25 zu einem unechten Documente gehören, sagen sie nicht mehr aus, als dass Esra die Thora kannte und lieb hatte und sich nach Judäa begab, um die Unterwerfung unter dieselbe zu befördern. Die Schwäche dieser Beweisführung liegt auf der Hand. Die Klagen Esra's in Esr. IX beweisen allerdings, dass es ihm vollkommener Ernst war mit seiner Liebe für die Thora (Deut. XXIII: 2—9) und mit der Angst, die ihre Vernachlässigung durch das Volk ihm einflösste; aber wie man, nachdem man Esr. X gelesen, leugnen kann, dass diese Gesinnungen Hand in Hand gingen mit beharrlicher Kraft und einem vor nichts zurückschreckenden Eifer, ist beinahe unbegreiflich. Auch Nehemia war ganz gewiss ein energischer Mann, aber — wie besonders aus Neh. XIII hervorgeht — ganz in derselben Richtung wie Esra. Gerade daraus und daraus allein erklärt sich der Widerstand, den er sofort bei 21*

324

Erläuterung IX.

dem Wiederaufbau der Mauetn von Jerusalem fand (Neh. III—VI) '). Es liegt deshalb nichts Unwahrscheinliches in der Annahme, dass er mit Esra zusammengewirkt hat. Zu welchem Ziele aber? Neh. VIII—X geben uns die Antwort. Fast sollte man sich fragen, ob H a lé v y diese Capitel, insbesondere C. X, auch wohl gelesen hat? Wie konnte er sonst schreiben (S. 34, 35), „qu'après la lecture aucune mesure n'a été prise pour introduire dans la pratique les prescriptions propres au code sacerdotal, comme par exemple la célébration du jour de pardon que ce code regarde comme le plus saint de l'année*'. Ob Lev. XVI damals schon in das priesterliche Gesetz aufgenommen war, ist allerdings zweifelhaft11). Aber es ist nicht wahr, dass dies Gesetz nicht eingeführt wurde. S. Neh. VIII: 18; X : 33—40 und dazu mein Buch DeGodsdienst van Israël II: 131, 134ff. Das Zeugniss Neh. VIII: 17 mittelst Berufung auf Esr. III: 4 auf die Seite schieben zu wollen, ist sehr oberflächlich: h i e r spricht allerdings der Chronikschreiber, in seinem bekannten Stil, aber Neh. VIII—X sind von ihm anderwärts entnommen und haben viel grösseren geschichtlichen Wert. Vgl. mein B. De Godsdienst v. I. II: 198—201 und W e l l h a u s en in B l e e k ' s Einl. in das A. T. 4te Aufl. S. 268 A. 1. Was endlich die Texte angeht, die Esra und das Gesetz miteinander in so enge Beziehung bringen, so wird sich nach dem Angeführten niemand wundern, dass wir sie sehr bemerkenswert finden: sie geben uns gerade das, was wir zur Erklärung von Neh. VIII—X nötig haben, wenn wir sie nämlich nicht verwässern, sondern daraus eutnehmen. dass Esra aus Babylonien mitnahm, was damals in Judäa noch nicht bekannt, geschweige denn angenommen war. Zum Schlüsse (S. 37, 38) giebt H a l é v y zu erkennen, dass er ernstlich zweifelt an dem Berichte des Chronisten (Esra VII—X), laut dessen Ksra 13 Jahre vor Neheinia in Judäa angekommen ist und da eine Reformation versucht hat. Dem widerspricht Neh. VII: 7, wo Esra — hier Azarja genannt — auf Nehemia folgt — ') G r a e t z , Gescli. der Juden II: 2 S. 139 ff. -) Y'„H. Ile us s in (1er Kinlcitunst z.u seiner l'eliersetzinij,' von „L'histoire sainte et la loi". S. -.»Cl).

Esra und die Einführung des Judaismus.

325

„ce qui fait penser que la tentative de réforme qui fait l'objet des chapitres IX et X du livre d'Esdras est identique à celle qui a été exécutée sous Néhémie." Dazu stimmt es gut, dass Esra erst in viel späterer Zeit als ein grosser Mann betrachtet und verherrlicht wird: Jesus Sirach (C. XLIX: 13) nennt nur Nehemia, und die alte Haggada 2. Makk. I: 10—11: 18 giebt diesem die Ehre, die der Pharisäismus Esra zuerkannte. — Gegen eine so leichtfertige Kritik muss der entschiedenste Protest eingelegt werden. Der Verfasser übersieht, dass Esr. VII —X zum Teil Esra's eigenen Denkschriften entnommen sind. Er achtet nicht auf Neh. XII: 36, wo N e h e m i a s e l b s t mitteilt, dass Esra, der Sophér, schon bei der Einweihung der Mauern von Jerusalem einen der Sängerchöre leitete — doch wohl ein Beweis, dass er damals kein unbedeutender Mann war und sich die Sporen bereits verdient hatte. Die Berufung auf Neh. VII: 7 ist unverzeihlich: Neh. VII ist die Liste der m i t S e r u b b a b e l u n d J e s u a zurückkehrenden Verbannten (V. 5), ein Duplikat von Esr. II; wenn Nehemia und Esra darin vorkämen, wären sie im Jahre 445 v. Chr. ± 120 Jahre alt gewesen! Aber überdies sagtuns Nehemia selbst (C. I), dass er im 20ten Jahre Artaxerxes' I. persischer Hofbeamter war, und (C. VII: 4, 5), dass die betreffende Liste die Namen derjenigen enthält, die „im Anfange" nach Judäa gezogen waren. Was Esra betrifft, so wird er weder Neh. VII: 7 noch Esr. II : 2 genannt — dort vielmehr Asarja, hier Seraja. „Asarja" ist ein sehr häufiger Name, den im A. T. etwa 25 Personen führen. Was sollte uns das Recht geben, ihn in „Esra" umzuändern? Aber die Berufung auf Neh. VII: 7 verdient eigentlich nicht, dass wir so lange dabei stehen bleiben. — Ueber Sirach XLIX: 13 vgl. mein B. De G. v. I. II: 304—306. Der Bericht über Nehemia in 2. Makk. I: 10—II: 18 beweist nichts für oder gegen Esra — es sei denn, dass man es wagte, ihm die Sammlung der „Propheten und Schriften" anzudichten und dann 2. Makk. II : 13 als ein Zeugniss auffasste, dass nicht er, sondern Nehemia dies getan habe. — Der Frage nach dem Alter der priesterlichen Gesetze widmet H a l é v y nur einige Seiten (S. 38—44), oder besser: dem Vergleiche von Lev. XXIII: 40 und Neh. VIII: 15, der den Beweis

326

Erläuternnc X.

liefern soll, dass es bereits eine verallgemeinernde und umbiegende Exegese dieser Vorschrift gab, als Neh. VIII: 15 geschrieben wurde. Ich halte das für sehr fraglich. Aber wenn es so wäre, was dann? Niemand behauptet, dass Neh. VIII: 15 von Esra geschrieben sei. Uebrigens werden die Vertreter des nachexilischen Ursprungs der Priesterthora H a l e v v gerne Rede stehen, wenn er seine Bedenken gegen ihre Anschauung auseinandersetzen will. Aber solange er glaubt, die Frage mit einigen Anführungen ausmachen zu können, hat er keinen Anspruch auf Widerlegung. Mit den wenigen Zeilen über Ezech. XX (S. 39) glaubt er doch wohl nicht R. S m e n d ' s Commentar zu diesem Propheten entkräften zu können. Vgl. übrigens M. V e r n e s in der Revue de l'hist. des rel. t. IV S. 373—377, der mir dem Artikel seines Mitarbeiters zwar grösseren Wert beizumessen scheint, als er hat. aber zugleich mit vollstem Rechte auf die Unterscheidung folgender 2 Fragen dringt: 1) Ist die Priester-Thora jünger als das Deuteronomium, exilisch und nachexilisch ? und 2) welches ist das tatsächliche Verhältniss, in dem Esra zu dieser Thora steht? Darüber kann man verschiedener Ansicht sein, und sind wirklich die „Grafianer" nicht einer Meinung. Aber das ist ein Punkt von untergeordneter Bedeutung, betreffs dessen bei dem sehr erklärlichen Mangel an geschichtlichen Berichten vielleicht niemals Sicherheit erlangt werden wird. Dagegen ist die bejahende Antwort, auf die erste Frage so vollständig- gesichert, als man nur wünschen kann.

Erläuterung X (S. 184 A. 3). Erklärung von Lcv. X X I I : 25. W e l l h a u s e n (Gesch. Israels I : 390) findet in der älteren priesterlichen Gesetzgebung, der Lev. XVIIff. zum grössten Teil entnommen sind, als Consequenz der Forderung der Heiligkeit einen dem Heidentum feindlichen Geist und redet von „der schroffen

Lev. XXII: 25.

327

Ausschliessung h e i d n i s c h e r Ausländer vom Gottesdienst, von denen nach Lev. X X I I : 25 nicht einmal Opfer angenommen werden dürfen." D i l l m a n n (Exod. und Levit. S. 574) liest in Lev. XXII: 25 das Gegenteil von dem, was W e l l h a u s e n den Verf. sagen lässt, denn vorausgesetzt sei, dass auch Fremde dem Jahwe für sich opfern lassen dürfen". Wer von beiden hat Recht? V. 24a enthält das Verbot, verschnittene Tiere J a h w e als Opfer darzubringen. Zur Not konnte der Gesetzgeber es bei diesem blossen Verbote lassen; er brauchte nicht hinzuzusetzen, dass solche Opfertiere J a h w e nicht wohlgefielen, von ihm nicht würden angenommen werden. Dennoch würden wir nach Analogie von V. 19, 20, 21, 23 erwarten, dass der Verfasser — der lieber etwas zu viel als zu wenig sagt — solche nähere Erklärung nicht unterlassen hätte. Bei der Exegese von v. 24b, 25 muss dies nicht aus dem Auge verloren werden. Nach der jüdischen Ueberlieferung enthält V. 24b das Verbot, die Rinder u. s. w. zu verschneiden und muss deshalb übersetzt werden: „und in eurem Lande sollt ihr (sie) nicht machen" (d. i. nicht in den Zustand bringen, der durch die Participia in V. 24a bezeichnet ist). K n o b e l und Dill» mann erheben Bedenken gegen diese Auffassung, die nach ihrer Ansicht dem hebr. Verbum „machen" oder „tun" einen Sinn beilegt, den es nicht ausdrücken kann. Und allerdings, gewöhnlich oder natürlich ist ein derartiger Gebrauch des Verbum nicht. Aber was sonst kann e$ denn hier bedeuten? K n o b e l erklärt: ..und in eurem Lande sollt ihr (solche Opfertiere) nicht bereiten"; was auch die Heiden tun mögen, in eurem Lande soll dergleichen nicht geschehen. D i l l m a n n meint, der Sinn sei: „(nicht nur hier, in der Wüste), auch in eurem Lande sollt ihr das (in v. 24a Verbotene nicht tun". Aber w e d e r der Gegensatz zwischen dem israelitischen und heidnischen Gebrauche, n o c h der zwischen der Wüste und Kanaan ist hier am Platze; der letzte vor allen Dingen nicht, denn die Opfergesetze werden alle für Kanaan gegeben. Heines Erachtens muss V. 24b aufs engste mit V. 25a verbunden werden und drückt mit ihm zusammen den Gedanken aus, dass die Israeliten solche verstümmelte Tiere ebensowenig in ihrem Lande für den Altar bestimmen als „aus der Hand eines Aus-

328

Erläuterung- X.

länders" annehmen oder ankaufen dürfen, um die Opferspeise ihres Gottes aus einem von allen denen (d. i. von allen den Arten verstümmelter Tiere) darzubringen". Durch diesen Zusammenschluss von V. 24b und 25a wird der Ausdruck in V. 24b zwar nicht völlig gerechtfertigt, aber doch erträglich gemacht. Vor allem aber wird er empfohlen durch V. 25b, der nicht nur auf V. 25a. sondern auch auf V. 24a Bezug hat und zu ihm hinzufügt, was wir oben in V. 24 vermissten: „denn ihre Beschädigung, ihr Gebrechen ist an ihnen (d. i. denn sie, die Opfertiere, sind beschädigt und mangelhaft): sie werden für euch nicht wohlgefällig sein (d. i. für euch nicht in Gnaden angenommen werden)". „Für e u c h " : daraus folgt, dass es die Israeliten sind, die sowol in V. 25, als in V. 24, die Opfer darbringen, demnach auch, dass „der Ausländer" hier weder als der Opfernde vorkommt, n o c h als die Person, zu deren Gunsten geopfert wird, sondern ausschliesslich als der Lieferant des verstümmelten Opfertieres. Zur Erklärung des Ausdruckes: „ a u s d e r H a n d eines Ausländers" verweist man auf Num. V : 25; Jes. 1: 12. Aber dort ist es der Priester oder J a h w e s'elbst, der von dem Opfernden annimmt oder fordert; in Lev. XXII: 25 dagegen sind es die Israeliten, die „aus der Hand" eines Dritten das Opfertier empfangen, aber es selbst und für sich selbst opfern. — D i l l m a n n war nahe daran, die hier vertretene Erklärung zu geben, Hess sich aber davon abbringen durch seine Bedenken gegen die traditionelle Auffassung von V. 24b, die meines Erachtens durch die enge Verbindung mit V. 25a grösstenteils wegfallen. Auf die oben gestellte Frage muss deshalb geantwortet werden: das Opfer des Ausländers wird hier ebensowenig verboten wie vorausgesetzt; es wird überhaupt nicht erwähnt. Befremden kann uns das nicht. Der „ben-nekär" steht im priesterliclien Gesetze ebenso bestimmt ausserhalb der Gemeinde (es sei denn, dass er dem Israeliten als Sklave diente [Gen. XVII: 12, 25], was hier natürlich nicht in Betracht kommt) wie der „ger" derselben einverleibt ist (auch zufolge derselben Thora, Lev. XXII: 18). Das Opfer eines b e n - n e k ä r muss deshalb als ausser dem Gesichtskreis des Gesetzgebers liegend betrachtet werden; er brauchte es nicht zu verbieten und konnte es nicht voraussetzen.

Erl. XI.

Bruno Bauer and Einest Ehret.

329

Erläuterung XI (S. 191 A. 1). Bruno B a u e r und Ernest Havet. Die hauptsächlichsten Einwände gegen B. B a u e r s „Christas und die Cäsaren" sind S. 190f. berührt worden. Hier folgen noch einige Hinweise und Bemerkungen, die den Beweis liefern sollen, das» seine Hauptthese— die man über dem Lesen seines Ruches oft ganz ans dem Ange verliert — richtig wiedergegeben ist, und dass die Gründe, die zur Verwerfung derselben führen müssen, noch viel stärkeren Ausdruck vertrügen. Mit der Leugnung des jüdischen Ursprungs des Christentums ist es B. B. vollkommener Ernst. S. S. 300—301. Das Jüdische darin ist nur das Gerippe (S. 3 0 2 ) ; der Inhalt, „das Gemüth", kommt aus Rom, insbesondere ans der dort weiter entwickelten stoischen Philosophie (S. 302—305, vgl. 4 7 — 6 1 über Seneca), und aus Alexandrien, speciell von Philo, dem Schüler des Heraclitus (S. 305—308). Das schliesst natürlich in sich, dass die vermeintlichen Stifter des Christentums keine historischen Personen sind. B. B. nimmt diese Folgerung in ihrem ganzen Umfang an, wie man vor allem aus S. 298ff. (über das schöpferische „Urevangelium", um 115—140 n. Chr.), und aus S. 345ff. (über die Entstehung der neutest. Literatur und die symbolische Bedeutung der Gestalten des Petrus und Paulus) ersehen kann. — Aus dem N. Testament, um das sich der Streit gerade dreht, argumentare ich hier nicht gegen B. B. Dennoch muss ich darauf aufmerksam machen, dass seine Hypothesen von der Entstehung mancher Bücher nicht selten über die Grenzen des Erlaubten hinausschiessen.. Wenn man, wie hier geschieht (S. 171 ff.), die Apokalypse um die Mitte der Regierung des M a r c u s A u r e l i u s (d. i. 170 n. Chr.) entstehen lässt, ohne der äusseren und inneren Bedenken dagegen auch nur Erwähnung "zu tun, so verscherzt man indertat sein Recht, mitzusprechen. Aber auch abgesehen von dem Zeugniss des N. T. wird die These B. B.'s gerichtet

330

Erläuterung XI.

1) durch die geradezu leichtfertige Verkennung des Judaismus, die damit unvermeidlich sich verbindet. Ich sage das nicht nur im Hinblick auf S. 300 f. (über „den angeblichen Hillel"), sondern auch und vor allen Dingen aof S. 293 ff. (über Bar-Kochba, R. Akiba und den sehr späten Ursprung der jüdischen Messiaserwartnng) ; ferner auf die Vernachlässigung des Essenismus, die um so sonderbarer ist, weil die ägyptischen Therapeuten als geschichtlich anerkannt werden (S. 306 — 308) und die Echtheit von Philo's ,.de vita contemplativa" ausdrücklich in Schutz genommen wird; 2) durch die höchst nachlässige Weise, in der die Abhängigkeit des N. T. von Seneca — mit der die ganze These B. B.'s steht und fällt — behandelt wird (S. 47—61). Aus de Provident. Cap. I: 2 führt er (S. 52) folgende Worte an: „Gott hege gegen die Guten einen väterlichen Sinn und übe sie, die er gern kräftig hat, durch Schmerzen und Schaden. Gott prüft (experitur) den Guten, härtet ihn ab nnd bereitet ihn für sich zu". Als parallel und daraus entlehnt werden gleich darauf genannt Rom : IX : 18 ( „ s o beweist Gott denn Barmherzigkeit, wem er will und v e r h ä r t e t , w e n e r w i l l " , nach B. B. aber: „wen Gott lieb hat, härtet er ab"!!) und Hebr. XII: 6, 7 (NB. eine wörtliche Anführung von Spr. III: 11, 12!). Einige Seiten weiter (S. 57) werden die Parallelstellen aus S e n e c a und P a u l u s hinsichtlich der Sclaven angeführt, aber H i o b XXXI: 13—15, womit P a u l u s im wesentlichen übereinstimmt, mit Stillschweigen übergangen. Doch genug. In seiner Schrift „Das Urevangelium u. s. w." (oben S. 190 A. 1) weist B. B. die Beschuldigung, dass er F. C. B a u r ' s klassische Abhandlung über S e n e c a und P a u l u s übersehen habe, mit Entrüstung zurück (S. 39 ff.). Hätte er sie ohne Vorurteil lesen können, sein ganzes Buch wäre in der Feder geblieben. „Le Christianisme et ses origines" voi\ E r n e s t H a v e t ist ein viel tüchtigeres Werk, dessen erster Teil (tom. I, II, l'Hellénisme) auch für diejenigen, welche die Tendenz nicht billigen können, seinen Wert behält. Einige Stellen machen den Eindruck, als wenn B. B. sich auf H a v e t als seinen Vorgänger hätte berufen können. Er erklärt z. B. (1. Préface S. V) dem Christentum nachgehen zu wollen „dans ses sources premières et plus profondes,

Bruno Bauer und Ernest Havet.

331

celle de l'antiqiiité hellénique, dont il est sorti presque tout entier", und meint (ebend. S. XIX), dass die zwei ersten Evangelien noch griechischer seien als die Briefe P a u l i . Indessen liegt doch in dem „presque tout, entier" auch eine Einschränkung. Zwar wird in „l'Hellénisme" alles, was auch nur von ferne dem Christentum ähnelt, sorgfältig zusammengesucht und dabei, ebenso bei dem Ziehen des Resultates ( I I : 311 ff.), die Uebereinstimmung einseitig in den Vordergrund gestellt und die oft ebenso wesentliche Verschiedenheit verschwiegen oder verdeckt. Aber dies alles ist doch nicht als Ausschliessung des Judentums und als Leugnung seines Anteils am Werden des Christentums gemeint. Der letztere wird vielmehr von Anfang an zugestanden (z. B. T. I. Préf. S. XIV u. s. w.) und darum auch in einem zweiten Teile („le Judaïsme") ausdrücklich hervorgehoben. Ueber diesen zweiten Teil will ich hier nicht reden. Schon in der sehr wohlwollenden und meines Erachtens zu viel einräumenden Kritik von M. V e r n e s (Mél a n g e s de critique religieuse S. 181—217) kommt es klar zum Vorschein, dass H a v e t in „le Judaisme" einen Irrweg geht und mit Unrecht geglaubt hat, die Geschichte der alt-testamentlichen Literatur ohne Kenntniss der Sprache, in der sie geschrieben ist, herstellen zu können. Es ergiebt sich also, dass H a v e t von den zwei Faktoren, die für die Erklärung des Ursprunges des Christentums in Betracht kommen, den einen nicht oder wenigstens nur sehr mangelhaft versteht. Das konnte natürlich nicht ohne Einfluss bleiben auf seine Lösung des Problems; dafür ist es keineswegs eine gleichgültige Sache, ob man z. B. dem Prophetismus und dem Deuteronomium die Stelle anweist, die ihnen zukommt, oder sie, wie H a v e t tut, aus der vorexilischen Zeit in die griechische oder sogar die makkabäische Periode versetzt. Doch man würde sich irren, wenn man meinte die Einseitigkeit seiner Lösung bloss aus dieser schiefen Auffassung des Judaismus erklären zu können. Um sich davon zu überzeugen, lese man vor allem T. I I : 319ff.; III: 485ff., wo die These verteidigt wird, dass der Hellenismus schon auf dem besten Wege war, sich selbst in derselben Richtung zu reformiren, in die das Christentum die Welt hat einlenken lassen, und auch ohne das Christentum, vielleicht besser, als es

332

Erläuterung XII.

nun geschehen, das Ziel hätte erreichen können. H a v e t ist sich wohl bewusst, dass er nur die Phantasie spielen lässt, wenn er die Frage aufwirft und zu beantworten sich bemüht, was wohl geschehen wäre, wenn der Anstoss aus Judäa nicht erfolgt wäre (T. II: 321 f.). Aber unwillkürlich lässt er doch diejenige Antwort auf diese Frage, welche ihm als die wahrscheinlichste vorkommt, Einfluss gewinnen auf seine Lösung des geschichtlichen Problems, das ihm vorgelegt war. Der Hellenismus, wie er, sich selbst überlassen, s e i n e r A n s i c h t n a c h sich e n t w i c k e l t h a b e n w ü r d e — im ganzen Umfange von dem polytheistischen, nationalen und ästhetischen Standpunkte zum Monotheismus, Universalismus und einer ethischen Lebensanschauung emporgestiegen — stellt sich gleichsam zwischen sein Auge und den wirklichen Hellenismus und lässt ihn dem letzteren eine Rolle zuweisen, der er nicht gerecht geworden ist. Man mag — sonderbar genug! — den Anstoss von Judäa aus für überflüssig halten und bedauern, es bleibt darum doch eine Tatsache, dass er erfolgt ist und dass ihm die neue Welt ihr Entstehen zu danken hat. Dann aber darf auch nicht geleugnet werden, dass die Bewegung des Hellenismus in der Richtung des Monotheismus, des Universalismus und der Humanität, die H a v e t mit so grossem Talent beschreibt, wie hoch sie auch anzuschlagen ist als Bundesgenosse des Christentums, als eine Hauptursache seines Triumphes, doch nicht als die Quelle an. erkannt werden kann, aus der das Christentum entsprungen ist — weder in seinem ganzen Umfange, noch, wie H a v e t es fasst, beinahe ganz.

Erläuterung XII (8. 225 A. 4). Zur Erklärung von Matth. XXIII: 15. Der Verweis, der Matth. XXIII: 15 den Schriftgelehrten und Pharisäern erteilt wird („Ihr durchreist Land und Meer, um e i n e n Proselyten zu machen, und wenn er es geworden ist, macht ihr ihn zu einem Kinde der Gehenna, zwiefältig mehr, denn ihr seid")

Zur Erklärung von Matth. XXIII: 15.

333

ist sicher einigermassen hyperbolisch gefasst.1) Dennoch bernht er höchst wahrscheinlich auf einer tatsächlichen Grundlage: wie konnte der Evangelist so schreiben, wenn die Schriftgelehrten and Pharisäer hinsichtlich des Hinzutrittes von Proselyten gleichgültig waren oder sich dem widersetzten? Bis jetzt sind wir gleichwohl nicht im Stande zu bestimmen, wie ihr „Umherreisen" zu diesem Zwecke zu verstehen ist, und von wem die Bemühungen Proselyten zu gewinnen eigentlich ausgingen. Freilich besitzen wir aus der folgenden Zeit von jüdischer Seite nicht ein einziges Zeugniss für dergleichen missionirende Tätigkeit. Aber es könnte durchaus nicht auffallen, wenn die Stimmung der jerusalemischen Autoritäten in dieser Hinsicht nach dem Falle des jüdischen Staates im Jahre 70 n. Chr. und vor allem nach den Ereignissen unter T r a j a n u s und H a d r i a n u s eine ähnliche Wandlung durchgemacht hätte, wie das Urteil über die Uebersetzang der Heiligen Schrift in das Griechische, das anfangs sehr günstig lautete, aber gerade nach den letzterwähnten Ereignissen in strenge Missbilligung überging. Vergl. Dr. M. J o e l , Blicke in die Religionsgeschichte zu Anfang des zweiten christl. Jahrh. I: 6 ff. Dass es die Christen gewesen seien, die den Widerruf der Erlaubniss H a d r i a n ' s zupi Wiederaufbau des jerusalemischen Tempels veranlasst hätten, sucht der Verf. an jener Stelle vergeblich zu beweisen. Aber solcher besonderen Veranlassung bedurfte es auch nicht, um die Führer der Juden Heiden und Heiden-Christen gegenüber in gleicher Weise inisstrauisch zu machen und sie auf Massregeln denken zu lassen, um die Versuchung zum Abfall, die ihren Glaubensgenossen drohte, abzuwenden. Vergl. H a u s r a t h , Neutest. Zeitgeschichte IV: 341. Im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung waren sie viel unbefangener und konnten sehr wohl, wenigstens manche unter ihnen, insbesondere „das Haus H i l l e l ' s " , dem Drang nach Ausbreitung ihres Glaubens nachgeben, der mit der Ueberzeugung, dass er die von Gott geoffenbarte Wahrheit sei, füglich ') Die ältere Apologetik piebt das nicht z u , sieht sich aber auch genötigt, die Schwäche ihrer Sache hinter grossen Worten zu verstecken. S. vor allem l > a n z , in Menschen. N . T . ex Talm. illustr. S. (¡49—666.

334

Erläuterung: XIII.

unlöslich verbanden war. Vergi. G e i g e r , das Judenthnm und seine Geschichte I: 88f.; D é r e n h o u r g Hist. de la Palestine d'après les Thalmuds, S. 222—229.

Erläuterung XIII (8. 236 A. 2). Die Buddha-Legende und die Evangelien. Prof. S e v d c l handelt von dem Verkehr zwischen Indien und dem Westen a. a. 0. S. 305 ff.; die „buddhistisch-christliche Evangelienharmonie" findet sich S. 105—293; die daraus abzuleitenden Folgerungen werden S. 294 ff. erörtert. Die vorher aufgewiesenen Parallelen werden hier in drei Klassen eingeteilt. Die erste Klasse umfasst diejenigen, deren Uebereinstimmung nicht derart ist, dass daraus auf historischen Zusammenhang geschlossen werden könnte, zufällige, unwillkürliche Parallelen; zur zweiten Klasse gehören solche, die direkt auf Entlehnung hinweisen, sei es seitens der Buddhisten aus den Evangelien, sei es seitens der Evangelisten aus der Buddha-Legende; die dritte Klasse endlich ist die derjenigen Parallelen, welche sich ausschliesslich aus der Annahme buddhistischen Einflusses auf die Entstehung der Evangelien erklären lassen. Es sind (S. 296f.) fünf an der Zahl, und sie haben nach Ansicht des Verf. um so grössere Beweiskraft, da ihnen keine einzige gegenübersteht, bei welcher die umgekehrte Annahme auch nur die geringste Wahrscheinlichkeit hat. Nachdem nun durch diese Parallelen der dritten Klasse die Einwirkung des Buddhismus b e w i e s e n ist, erhalten die der zweiten Klasse natürlich höheren Wert. S e y d e l teilt diese in zwei Gruppen, von 12 untl 11 Parallelen, wovon die erste ihm noch stärker als die zweite für Bekanntschaft mit der Buddha Sage zu sprechen scheint (S. 298ff.). Auch von den Parallelen der ersten Klasse sind noch einige (15) nicht ohne Bedeutung (S. 300f.). Indem ich das Urteil, das nach sorgfältiger und unparteiischer Erwägung aller Einzelheiten über S e y d e T s Buch gefallt werden wird, abwarte, beschränke ich mich hier auf eine sehr kurze Hecht-

Die Buddha-Legende und die Evangelien.

335

fertigung meiner Prognose auf S. 235. Ich bemerke z u n ä c h s t , dass die Entscheidung über den streitigen Punkt wohl immer einigermassen subjectiv bleiben wird: d i e M ö g l i c h k e i t eines Einflusses der Buddha-Legende muss auf streng-wissenschaftliche Gründe hin anerkannt oder geleugnet werden und ist meines Er achtens von S e y d e l bewiesen; die Anerkennung der T a t s ä c h l i c h k e i t dieses Einflusses hängt stets von dem Eindruck ab, den die Erwägung der Parallelen auf den Beobachter macht, und der kann nicht wohl bei Allen derselbe sein. Z u m a n d e r e n meine ich, dass neben den — oft schlagenden — Berührungspunkten zwischen der Buddha-Legende und den Evangelien auch der durchgängige Unterschied in Auffassung und Charakter in Betracht gozogen werden muss, und zwar mehr als S e y d e l es tut. Mit dem Laiita Vistara verglichen sind die Evangelien, besonders die drei ersten, höchst nüchtern und einfach. Von einem Streben, Christ»^ und Buddha wetteifern zu lassen — an übernatürlicher Macht, im Empfangen der Huldigung der Bewohner des Himmels und der Erde u. s. w. — nirgends nur eine Spur. Dennoch stellen die Evangelisten Christus ohne Zweifel über Buddha, dessen Legende sie oder ihre Vorgänger — ex hypothesi — kennen und zur Ausschmückung brauchen. Hat dies Verhältniss die Wahrscheinlichkeit für sich? Sollten wir nicht vielmehr erwarten, dass sie ihr Vorbild wenigstens dann und wann weit hinter sich gelassen hätten? Z u m D r i t t e n muss ich darauf hinweisen, dass gegenseitige Unabhängigkeit auch bei wirklicher und grosser Uebereinstimmung stets als möglich anerkannt werden muss. Bekannt ist die Parallele zu S a l o m o ' s erstem Urteil (1. Kön. III: 16—28) in den Djätaka's '). Entlehnung, von der einen oder andern Seite, ist hier zwar nicht ganz undenkbar, aber doch im höchsten Grade unwahrscheinlich. Warum sollte nicht die eine Erzählung wie die andere auf Wirklichkeit beruhen können? Im allgemeinen spricht nichts gegen, vielmehr alles für die Annahme, dass mehr als ein übereinstimmender Zug in den Berichten über die beiden Religions») R h y s D a v i d s , XLIV— XLVII.

Buddhist Birth Stories I, S. XIV — X V I

vgl.

336

Erläuterung Xllf.

Stifter aus beiderseits vorhandenen, gleichen Motiven erklärt werden moss. Das darf nicht als Ausflucht betrachtet werden, es hat im Gegenteil ein Recht darauf als ganz naturgemäss mit in Rechnung gezogen zu werden. E n d l i c h und vor allen Dingen muss man stets imAuge behalten, dass die Ableitung dieser oder jener Einzelnheit aus einem fremden Sagenkreis, mit dem die Bekanntschaft nicht bewiesen, sondern erst zu beweisen ist, nur dann gestattet ist, wenn es sich klar zeigt, dass zur Erklärung dieser Einzelnheit der Vorstellungskreis , in dem der Verf. bekanntermassen lebte, nichts oder doch nicht Ausreichendes darbietet. Diese Regel scheint Prof. S e y d e l nicht anzuerkennen oder mindestens nicht überall im Auge zu behalten. Das Fasten Jesu vor der Aufnahme seines Berufes (Matth. IV: 2 ; Luc. IV: 2). gegen seine sonstige Gewohnheit (tgl. Matth. EX: 14 — 17; XI: 7 — 19 und Parallelen), soll nach ihm aus der Buddha-Legende entlehnt sein (S. 154 f.). Musste aber hierbei nicht auf Exod. XXXIV: 28; Deut. IX: 9 geachtet werden? — Die Frage der Apostel wegen des Blindgeborenen: „Wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern (Joh. IX: 2)?" hat, wie er meint, keinen Sinn, es sei denn, dass man dabei an die buddhistische Lehre der Wiedergeburten denkt, nach der jemand in seiner gegenwärtigen Existenz die Strafe erleidet für das, was er in einem frülieren Leben gesündigt hat (S. 232 f.). Man könnte fragen, ob diese Lehre specifisch-buddhistisch ist und ob nicht etwa an eine im Mutterschosse begangene Sünde gedacht werden könne (vgl. M e y e r ' s Commentar)? Aber in jedem Falle liegt für diese Stelle aus dem vierten Evangelium der Vergleich der jüdisch - alexandrinischen Präexistenz-Lehre (z. B. Sap. Sal. VIII: 20) dicht vor der Hand und ist deshalb die buddhistische Parallele völlig überflüssig. — Diese zwei Parallelen gehören zu den fünf, denen S e y d e l die meiste Beweiskraft beimisst; eine dritte (S. 166 ff.), die Präexistenz sowohl Buddha's wie des johanneischen Christus, hält er selbst nicht für abtuend; in den zwei übrigen, die Vorstellung im Tempel (Luc. II: 22 ff., S. 146 f.) und dem Sitzen r unter dem Feigenbaum" (Joh. I: 46 ff.; S. 168 ff.) scheint mir die Abweichung der Uebereinstimmung gegenüber

Erl. XIV. D. Stifter des Djainismus in d. Buddha-Legende.

33?

weit zu überwiegen und sie völlig in den Schatten au stellen. Der einfache Auftritt im jerusalemischen Tempel ist eigentlich mit der Hnldignng vor dem Buddha-Kinde nicht zu vergleichen, nnd in Joh. I ist es Nathanael, nicht Christus, der unter dem Feigenbaum sitzt, wie Buddha unter dem Baume der Grkenntniss. Nach meiner Meinung liefern daher diese Parallelen der dritten Klasse durchaus nicht die feste Unterlage, die wir nötig hatten, um mit gutem Vertrauen weiter zu gehen. Zeigt sich nun, wie indertat der Fall ist, dass auch die Einzelnheiten der zweiten Gruppe, soweit ihre Entstehung der Erklärung bedarf, diese im Alten Testamente finden, so wird mir wenigstens der buddhistische Einfluss sehr fraglich.

E r l ä n t e r n n g X I Y (8. 261 A. 3). Der Stifter des Djainismus in der Buddha-Legende. Dr. B ü h l e r war der erste, der Mah&vira, den Stifter des Djainismus, mit einem der sechs von Baddha besiegten Irrlehrer, Nfitaputta dem Nirgrantha, gleichsetzte (Indian Antiqnary, VII (1878) S. 143). Ihm folgte sofort J a c o b i , der in der Einleitung zu seiner Ausgabe von „The Kalpasutra of Bhadratoähu" (Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes, VII Nr. 1) S. 1 ff. die Identität beider nicht nur aus der (JebereinstimiQung der Namen und einzelner Lebenszüge schloss, sondern auch mit Beweisen aus der Chronologie der Buddhisten nnd der Djaina's darzutun suchte. Ihrer Ansicht schlössen sich an K e r n (s. S. 251 A. 4); Oldehb e r g (Z. d. d. M. G. XXXIV: 748 ff; Buddha, sein Leben u. s. w. S. 67, 78) und Andere. Oldenberg's Bedenken gegen die Vermutungen, durch welche Jacobi die Differenz zwischen den chronologischen Systemen der beiden Sekten zu erklären, sucht (Z. d. d. M. G. a. a. 0.) werden von dem letzteren in ihrem relativen Werte anerkannt, aber doch nicht für unüberwindlich gehalten (ebend. XXXV: 667—674). Noch ist hier hinzuweisen auf eine Abhandlung von J a c o b i Kuenen, Volks- und Weltrellglon. 22

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Erläuterung XIV.

„on Mahävira and his predecessors" (Ind. Antiqu. IX: 158—163). Aasgehend von den buddhistischen Mitteilungen Sber die Ideen der Irrlehrer (ebend. VIII: 311—314), insbesondere über die Nataputta's, weist er die Uebereinstimmung derselben mit der Lehre der Djaina's nach und verstärkt also den früher gelieferten Beweis för den Znsammenhang zwischen Nätaputta und dem Djainismus. Doch zugleich modificirt er seine Ansicht, insofern er j e t z t , nach der Lehre der Djaina's selbst, Mahävira-Nätaputta nicht für den Stifter einer neuen, sondern für den Reformator einer seit lange bestehenden Lehre hält. Ihm gehen nämlich 23 Djina's vorauf. Wie wir im allgemeinen über sie zu urteilen haben, geht sofort daraus hervor, dass der erste, Rishabha, 840000 grosse Jahre lebte and 300 Millionen Oceane von Jahren vor dem Tode Mahävira's starb! Aber der nächste Vorgänger des letzteren, Pärsva, ist nur durch einen Zwischenraum von 250 Jahren von ihm getrennt und könnte deshalb wol eine historische Person sein. Dies versucht J a c o b i im folgenden durch eine Anzahl von Gründen wahrscheinlich zu machen. Er weist u. a. darauf hin, dass die Baddhisten Nätaputta einen Gedanken zuschreiben, den dieser, nach den I>jaina'8 selbst, bekämpft h a t , den aber sein Vorgänger Pärsva wirklich hegte — ein Beweis, dass die Buddhisten, sehr erklärlich, keinen Unterschied zwischen den Nuancen in der Denkweise ihrer Gegner machten. Auch verweist er darauf, dass wohl die Buddhisten von dem Kampfe zwischen Buddha und dem Stifter oder Reformator des Djainismus, dagegen die Djaina's nicht von Buddha zu erzählen wissen. Auch dies scheint ihm sehr natürlich, weil — nach seiner Hypothese — Buddha von einer Jahrhunderte alten Lehre abwich und daher das Bedürfnis» fühlen muaste, sich deswegen zu verantworten, während umgekehrt die Djaina's gleichsam im Besitze waren und es f ü r unter ihrer Würde halten konnten, mit einem Neuigkeitsjäger wie Buddha in Gedankenaustausch zu treten. Für die nähere Ausführung von alle diesem verweise ich auf die Abhandlung selbst (8. 160—163)'). ') Wenn J a c o b i (a. a. 0.) nachweist, dass auch die übrigen fünf

Der Stifter des Djainismus in der Buddha-Legende.

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J a c o b i selbst verhehlt sich das Bedenkliche seiner Hypothese nicht. „All these • arguments are open to one fatal objection, viz. that they are taken from the Jaina literature which was reduced to writing so late as the fifth century A. D." (S. 161). Indertat, dieses Bedenken ist kein kleines. Ein ebenso gewichtiges ist das andere, dass der nächste Vorgänger des Nätaputta, den er als historisch anerkennt, ein Glied einer sehr umgereimten Theorie ausmacht, hinter der man eher alles andere als Geschichte suchen möchte. Es ist meines Erachtens wohl zu begreifen, dass Gelehrte wie B a r t h (a. a. 0. S. 150f.) und R h y s D a v i d s (Lectures etc. S. 27) bisher noch nicht den Mut finden, J a c o b i auf diesem Wege zu folgen. Irrlehrer „in Lehre oder Praxis den Einiluss des Djainismus verraten", so schwächt er damit, ohne es zu «ollen, den Beweis für die Identität von Mahävira und Nätaputta nicht wenig ab. Bei fernerem Gedankenaustausch über die hier besprochene Frage wird, um Hissverständniss und Verwirrung zu verhüten, die Bedeutung des Begriffes „Djainismus" genau zu bestimmen sein.

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