Die nukleare Nacht: Die langfristigen klimatischen und biologischen Auswirkungen von Atomkriegen [Einzige vollst. dt. Ausg. ed.] 9783462016741, 3462016741


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German Pages [306] Year 1985

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Table of contents :
Umkehr zu einer Politik des Lebens! Franz Alt.. 9
Die beteiligten Wissenschaftler . . . . . . . . 1 5
Die Konferenz .. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . .. . . . . 19
Vorwort Lewis Thomas .......... ..
Einleitung Donald Kennedy ..... .
Die atmosphärischen und klimatischen Auswirkungen eines Atomkrieges Carl Sagan . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . 51
Die biologischen Auswirkungen eines Atomkrieges Paul R. Ehrlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ro 1
Diskussionsrunde über die atmosphärischen und klimatischen Auswirkungen ............. .
Diskussionsrunde über die biologischen Folgen
Die Konferenzschaltung nach Moskau . . . . . . . . . .
Anhang:
Atomwinter. Weltweite Folgen atomarer Mehrfachexplosionen, R. P. Turco, 0. B. Toon, T. P. Ackerman, J. B. Pollack und Carl
Sagan(aus:Science,Bd.222,23. 12. 1983) ................ 237
Langfristige biologische Folgen eines Atomkrieges, Paul R. Ehrlich, John Harte, u. a.
(aus: Science, Bd. 222, 23.12.1983) ....... .
Anmerkungen
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Die nukleare Nacht: Die langfristigen klimatischen und biologischen Auswirkungen von Atomkriegen [Einzige vollst. dt. Ausg. ed.]
 9783462016741, 3462016741

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Paul R. Ehrlich/ Carl Sagan

Die nukleare Nacht Die langfristigen klimatischen und biologischen Auswirkungen von Atomkriegen Mit einem Vorwort zur deutschen Ausgabe von Franz Alt Aus dem Englischen von Hainer Kober

Kiepenheuer & Witsch

© 1983 Norton, N. Y. Titel der englischen Originalausgabe The Cold and the Dark Aus dem Englischen von Hainer Kober © 198 5 by Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln Umschlag Hannes Jähn, Köln Gesamtherstellung Clausen & Bosse, Leck ISBN 3 462 01674 l

Inhalt Umkehr zu einer Politik des Lebens! Franz Alt.. 9 Die beteiligten Wissenschaftler .. . . . . . . 15 Die Konferenz .. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . .. . . . . 19 Vorwort Lewis Thomas .......... .. 3l Einleitung Donald Kennedy ..... . 37 Die atmosphärischen und klimatischen Auswirkungen eines Atomkrieges Carl Sagan . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . 51 Die biologischen Auswirkungen eines Atomkrieges Paul R. Ehrlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ro 1 Diskussionsrunde über die atmosphärischen und klimatischen Auswirkungen ............. . 1 37 Diskussionsrunde über die biologischen Folgen 18 l Die Konferenzschaltung nach Moskau . . . . . . . . . . Anhang: Atomwinter. Weltweite Folgen atomarer Mehrfachexplosionen R. P. Turco, 0. B. Toon, T. P. Ackerman, J. B. Pollack und Carl Sagan(aus:Science,Bd.222,23. 12. 1983) ................ 237 Langfristige biologische Folgen eines Atomkrieges Paul R. Ehrlich, John Harte, u. a. (aus: Science, Bd. 222, 23.12.1983)

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Anmerkungen .. . . . . . . .. . . . . ..

Franz Alt Umkehr zu einer Politik des Lebens! Dies ist ein Buch des Grauens und ein Buch der Hoffnung. Hier wird kühl und sachlich die jederzeit mögliche große Katastrophe der Menschheitsgeschichte geschildert. Was Sie hier lesen, kann uns alle in wenigen Minuten treffen: Der Anfang vom Ende allen Lebens. Nach diesem Buch kann niemand mehr sagen, er oder sie habe nichts gewußt. Wer wissen will, kann wissen. Aber das ist exakt unser Problem: Viele, Wähler und Gewählte, wollen gar nichts wissen. Sie rüsten sich ständig mit Argumenten gegen das eigentliche Wissen. Nicht einmal einen Hauch von Verunsicherung lassen viele an sich heran. Viele Politiker und viele Journalisten helfen bei der großen Manipulation mit. Dabei leben wir nur noch, weil wir in der bisherigen Geschichte des Atomzeitalters schon einigemal lediglich Glück gehabt haben. Kein verantwortlicher Politiker in Moskau oder Washington will den Atomkrieg. Nur: Sie bereiten ihn vor. Und: Kriege, die vorbereitet worden sind, wurden fast immer auch geführt. Wer dieses Buch mit offenen Sinnen und lernwillig liest, ist danach ein anderer Mensch. Er kann nur einen schwachen Trost darin finden, daß bis jetzt, 40 Jahre nach Hiroshima, nichts passierte. Der Atomkrieg ist eine Frage der Zeit. Es wird ein Krieg aus Versehen, aus Angst oder ein Krieg ausgelöst durch einen Computerfehler sein, wenn alles so weitergeht wie bisher. Die Ergebnisse eines solchen Krieges, die Folgen eines auch »nur« begrenzten Atomkrieges, sind in diesem Buch be9

schrieben. Naturwissenschaftler aus Ost und West stimmen in ihren 1\nalysen überein. Eine in den USA und in der Sowjetunion ausgestrahlte Fernsehsendung mit den Autoren dieses Buches wurde zurecht als politische Sensation empfunden. Aber: Haben auch Politiker die Sendung gesehen? Und welche Schlüsse haben sie gezogen? Werden sie wenigstens aus diesem Buch Schlüsse ziehen für ihre Politik? Ist die heutige Politik überhaupt nocht zur Umkehr fähig? Präsident Eisenhower hat am Schluß seiner Amtszeit gesagt: »Wir Politiker werden solange weiterrüsten bis uns die Völker daran hindern!« Wenn heute die Zeit des Widerstands nicht gekommen ist, wann hat es dann in unserer Geschichte je einen berechtigten Widerstand gegeben? Ein Buch der Hoffnung: Es wird der Friedensbewegung Auftrieb geben. Es wird bewirken helfen, was Ende 1983 der Papst einigen Tausend Wissenschaftlern zurief: »Verlaßt die Fabriken des Todes und wendet Euch der Rüstung für das Leben zu.« Die Friedensbewegung hat weltweit Zukunft, wenn sie eine Bewegung für das Leben wird. Um zu überleben, brauchen wir weltweit eine Bekehrung zum Leben. Wir müssen erstmals einen Krieg bereuen, bevor wir ihn führen. Danach gäbe es niemanden mehr, der bereuen könnte. Wirkliche Reue heißt Umkehr in der Sprache der Bibel. In wahrhaftiger Reue liegt die Kraft der Umkehr auf dem bisherigen Weg in den Abgrund. Vor jeder Umkehr muß man stoppen. Rüstungsstop: Das ist jetzt und heute unsere Aufgabe, der erste Schritt. Ohne Druck der Wähler schaffen das die Gewählten nicht. Gleichgültigkeit in dieser Frage auf Leben und Tod ist eine besonders brutale Form von Gewalt. Die Friedensbewegung ist der Vortrupp des Lebens im Todesmief dieser Welt, Salz der Erde, Licht der Welt. Zur Zeit arbeiten weltweit ca. 300 000 Wissenschaftler an der Produktion von Massenvernichtungswaffen, die meisten von ihnen sind Christen. Die Sünde unserer Zeit: Wir rüsten auf und lassen verhungern. Der Papst hat viel Grund zur Mahnung. Aber bis jetzt schienen auch seine Aufrufe vergeblich. 10

Wo immer der Papst auftritt, bekommt er höflichen Beifall von Politikern (fast) aller Lager und anschließend nimmt die Politik ihren Gang wie vorher. Die Umkehr muß aus der Wissenschaft selbst erfolgen. Nach dem Tode Hitlers hatte der Bau der Atombombe in den USA jeglichen politischen und militärischen Sinn verloren. Aber kein einziger prominenter Wissenschaftler stieg aus. Sie alle sind an Hiroshima und Nagasaki mitschuldig geworden. Ihre Begründung, später auch von einigen zu Protokoll gegeben: Wenn soviel Milliarden Dollar investiert worden sind, kann man ein Projekt nicht mehr abbrechen. Was heißt das für unsere heutige Situation, wo jährlich weltweit etwa 2000 Milliarden Mark für Rüstung ausgegeben werden? Kein Politiker der Welt kann solche Summen »umsonst« investieren. Wir können nur ernten, was wir säen. Wo bleibt die Verantwortung hunderttausender Wissenschaftler? Die geistige Blindheit vieler Naturwissenschaftler ist Voraussetzung für eine atomare Katastrophe. »Wer nur Chemie und Physik versteht, versteht auch diese nicht«, sagt der Physiker Georg Christoph Lichtenberg. Die Größe eines Wissenschaftlers besteht in dem, was von ihm bleibt, wenn man seine Wissenschaft von ihm abzieht. Ein Mensch ist ein Mensch, solange er staunen kann wie ein Kind und solange er in Freiheit Verantwortung übernimmt. Der verantwortungslose Hochmut der heutigen Wissenschaftsgläubigen kann nur mit Mut überwunden werden: Mit dem Mut zur Demut und dem Mut zur Verantwortung. Ohne Demut sind wir bloß Wissende, aber noch lange keine Menschen, die sich um die Menschwerdung des Menschen bemühen. Nicht nur Politiker sind verantwortlich für die Politik, sondern auch die Wissenschaftler für das, was Politiker mit den Ergebnissen der Wissenschaft machen. Menschwerdung des Menschen kann uns nur gelingen, wenn wir die Urrealität Gott, die Urrealität eines Schöpfers, die U rrealität Gottes in uns, nämlich unsere Seele, wieder wahrnehmen und an innerer Reife arbeiten. Es gibt keine wissen-

schaftliche Freiheit, die diesen Namen verdient, ohne Verantwortung. Unser Weltbild entspricht nur dann der Wirklichkeit, wenn auch das Unwahrscheinliche darin seinen Platz hat. Vielen scheint der atomare Holocaust unwahrscheinlich, also undenkbar. Folglich wird seine Möglichkeit und seine »Wahrscheinlichkeit« (Carl Friedrich von Weizsäcker) verdrängt. Das Buch von Ehrlich, Sagan, Kennedy und Roberts stellt die dringlichste Frage unserer Zeit in bisher nur geahnter Dringlichkeit: Wie lange noch kann man den Atomkrieg verhindern, wenn man ihn immer perfekter vorbereitet? Niemand kann sich aus dem Kampf gegen atomaren Rüstungswahn heraushalten. Wer dies versucht, hat sich und die Zukunft seiner Kinder schon aufgegeben. Der Atomtod - so belegt dieses Buch- läßt keinen Winkel der Erde aus. Die uns schützende Ozonschicht wird zerstört, der Himmel wird von Staub und Qualm verdunkelt. Wir sind ohne Sonne und ohne Wasser: atomarer Winter und atomare Dunkelheit. Die Erde wird wieder öd und leer sein, wenn der von Atombomben besessene Mensch sich an die Stelle des Schöpfers gesetzt haben wird. Aber: Atomkrieg ist doch lediglich eine Möglichkeit und keine Gewißheit, wird immer wieder behauptet. Richtig. Aber wer nach diesem Buch wirklich begriffen hat, daß der Atomkrieg zum Ende der Menschheitsgeschichte führen könnte, hat moralisch kein Recht mehr, sich an diesem Spiel zu beteiligen. »Heute steht der ganze Planet auf dem Spiel« Gohannes Paul II. in Hiroshima). Diese Erde hat keinen Notausgang. Wir haben nur diesen Planeten als Heimat. Die atomare Gefahr ist spätestens jetzt - bei Vorwarnzeiten von wenigen Minuten - total. Voraussetzung für naturwissenschaftlichen Fortschritt war schon immer der Zweifel. Doch auch der Naturwissenschaftler besteht nur zur Hälfte aus Naturwissenschaft. Die Grundlage der Humanwissenschaft ist das Vertrauen. Zweifel und Vertrauen machen erst den ganzen Menschen, den ganzen Wissenschaftler aus. In der Geschichte der Naturwissen12

schaft, auch der Atomphysik ragen viele Wissenschaftler heraus, die spätestens in ihrer zweiten Lebenshälfte das Vertrauen entdeckt haben und zu Pazifisten wurden. Der Zweifel ist die Grundlage zur Erforschung der äußeren Welt, das Vertrauen die Grundlage zur Erforschung der inneren Welt. Der ganzheitliche Mensch lebt spätestens in seiner zweiten Lebenshälfte in einer inneren Ausgewogenheit zwischen Zweifel und Vertrauen. Wahre Wissenschaftler vertrauen, weil sie den Zweifel kennengelernt haben. Wenn wir überleben wollen, muß etwas geschehen, was noch niemals geschehen ist: Wir müssen Waffen, die wir mit viel Intelligenz und noch mehr Geld geschaffen haben, souverän wieder abschaffen. Atomwaffen sind die Ergebnisse unseres Zweifels und Mißtrauens, ihre Abschaffung wäre das Ergebnis von Vertrauen. Unser altes Mißtrauen ist das eigentliche Gift unserer Zeit, neues Vertrauen wäre ihr Heilmittel. Die heute noch herrschende atomare Abschreckung ist die größte kollektive Verantwortungslosigkeit in der menschlichen Geschichte. Die Forderung nach einseitiger Abrüstung ist selbst in dieser Wahnsinnssituation politisch wirkungslos. Noch immer sind unsere Feindbilder schlimmer als unsere Feinde. Politisch machbar wäre jedoch ein einseitiger atomarer Rüstungsstop. Erst danach könnte konventionell umgerüstet und danach beidseitig abgerüstet werden. Alles andere ist so illusionär wie die Vorstellung, daß immer mehr Waffen mehr Sicherheit bringen. Die entscheidende Frage ist: Hat einer den Mut, als erster konsequent aufzuhören? Wer ist der Klügere? »Die nukleare Nacht« ist ein überlebenswichtiges Aufklärungsbuch - nicht nur für Wissenschaftler. Herbst 1984

Die beteiligten Wissenschaftler WLADIMIR ALEXANDROW Leiter der Abteilung Klimaforschung am Rechenzentrum der sowjetischen Akademie der Wissenschaften. ALEXANDER BAJEW Sekretär des Fachbereichs für Biochemie, Biophysik und chemische Physiologie der sowjetischen Akademie der Wissenschaften. JOSEPH A. BERRY Mitglied des Fachbereichs für Pflanzenkunde der Carnegiestiftung Washington an der Stanford University in Kalifornien, der er seit 1972 angehört. NIKOLAI BoTSCHKOW Mitglied der Akademie der Medizinischen Wissenschaften und Direktor des Instituts für Genetik an der sowjetischen Akademie der Wissenschaften. PAUL J. CRUTZEN Geschäftsführender Direktor des MaxPlanck-Instituts für Chemie in Mainz und seit 1980 Direktor der Abteilung »Chemie der Atmosphäre« am gleichen Institut. Außerordentlicher Professor an der Colorado State University, Fort Collins, USA. PAUL R. EHRLICH Professor für Biologie und Bevölkerungsstudien an der Stanford University, an der er seit 1959 tätig ist. Er gehört zahlreichen wissenschaftlichen Vereinigungen und Gesellschaften an. THOMAS ErsNER Professor für Biologie an der Cornell University, an der er seit 1957 tätig ist. Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Vereinigungen und Gesellschaften. GEORGI S. GoLITSIN Korrespondierendes Mitglied der 15

sowjetischen Akademie der Wissenschaften und Labordirektor am Institut für atmosphärische Physik dieser Akademie.

JOHN HARTE Professor für Energie und Ressourcen an der U niversity of California in Berkeley, wo er seit 1973 tätig ist. MARK A. HARWELL Außerordentlicher Direktor des Forschungszentrums für Ökosysteme und außerordentlicher Professor am Fachbereich natürliche Ressourcen der Cornell University. JOHN P. HOLD REN Professor für Energie und Ressourcen und Vorsitzender der gleichnamigen Forschungsgruppe an der University of California in Berkeley. Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Vereinigungen und Gesellschaften. JuRI ISRAEL Korrespondierendes Mitglied der sowjetischen Akademie der Wissenschaften und Leiter des Komitees für Hydrometeorologie und Umweltkontrolle. DONALD KENNEDY Präsident der Stanford University, an der er seit 1960 im Bereich der Humanbiologie tätig ist. KIRIL KoNDRATJEW Korrespondierendes Mitglied der sowjetischen Akademie der Wissenschaften. ALEXANDER KusIN Korrespondierendes Mitglied der sowjetischen Akademie der Wissenschaften. THOMAS F. MALONE (Vorsitzender der Arbeitsgruppe Atmosphärische und klimatische Auswirkungen) Emeritierter Direktor des Holocomb Forschungsinstituts an der Butler University. NIKITA MOISEJEW Korrespondierendes Mitglied der sowjetischen Akademie der Wissenschaften und stellvertretender Leiter des Rechenzentrums der Akademie. WALERI PRACHOMENKO Mitarbeiter am Rechenzentrum der sowjetischen Akademie der Wissenschaften. WALTER ÜRR ROBERTS Professor für Astrogeophysik an der University of Colorado seit 1956, Ex-Präsident der American Association for the Advancement of Science. CARL SAGAN Professor für Astronomie und Weltraum16

kunde, Direktor des Laboratoriums für planetarische Studien an der Cornell University. Pulitzer-Preis-Träger. RoALD SAGDEJEW Direktor des Instituts für kosmische Forschung an der sowjetischen Akademie der Wissenschaften. STEPHEN H. SCHNEIDER Stellvertretender Direktor des Advanced Study Program am National Center for Atmospheric Research; Herausgeber der Zeitschrift Climatic Change. GEORGI SKRJABIN Wissenschaftlicher Hauptsekretär der sowjetischen Akademie der Wissenschaften. GEORGI STENTSCHIKOW Mitarbeiter am Rechenzentrum der sowjetischen Akademie der Wissenschaften. LEWIS THOMAS Kanzler des Memorial Sloan-Kettering Cancer Center und Professor an der State University of New York in Stony Brook. RICHARD P. TuRco Wissenschaftlicher Mitarbeiter eines privaten Forschungsinstituts in Kalifornien (R&D Associates). Zahlreiche Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der atmosphärischen Chemie. JEWGENI WELICHOW Vizepräsident der sowjetischen Akademie der Wissenschaften. GEORGE M. WoODWELL (Vorsitzender der Konferenz und Vorsitzender der Arbeitsgruppe zu den biologischen Auswirkungen) Direktor des Forschungszentrums für Ökosysteme am Laboratorium für Meeresbiologie in Woods Hole in Massachusetts; Vorsitzender der amerikanischen Sektion des World Wildlife Funds und Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Vereinigungen und Gesellschaften.

Die Konferenz Im Juni 1982 kamen zwei Stiftungspräsidenten, Robert W. Scrivner vom Rockefeller Family Fund und Robert L. Allen von der Henry P. Kendall Foundation, mit Russell W. Peterson, dem Präsidenten der National Audubon Society, zusammen, um eine Frage zu erörtern, die ihnen zunehmend Sorge bereitete: Wurden in der öffentlichen Diskussion des Atomkriegs und seiner unmittelbaren Auswirkungen auf Menschen und Städte durch Druck und Strahlung die längerfristigen biologischen Folgen genügend berücksichtigt? Welche Auswirkungen hätte ein Atomkrieg für die Luft, das Wasser, den Boden - die natürlichen Systeme, von denen alles Leben abhängt? Keine Umweltorganisation, von Friends of the Earth abgesehen, hatte sich bislang sonderlich um die möglichen Umweltfolgen eines Atomkriegs gekümmert. Erst wenige Wochen zuvor hatten sich Vertreter der Umweltbewegung aus aller Welt in Nairobi getroffen, um zu prüfen, welche Fortschritte seit der UN- Konferenz über die menschliche Umwelt 1972 in Stockholm erzielt worden waren. Obwohl ein Atomkrieg diese Umwelt restlos zerstören könnte, stand das Thema noch nicht einmal auf der Tagesordnung. Allen, Peterson und Scrivner waren sich darüber einig, daß man die Umweltbewegung für diese Frage interessieren müsse, und beschlossen zunächst festzustellen, welche neuen Daten die Wissenschaft anzubieten hatte. Sie kannten den 19

1975 veröffentlichten Bericht der amerikanischen Akademie der Wissenschaften »Lang-Term Worldwide Effects of Multiple N uclear Weapons Detonations« und den Bericht » The Effects of Nuclear War«, den das U. S. Congressional Office of Technology Assessment 1979 herausgegeben hatte, desweiteren die Sondernummer der Zeitschrift Ambio (Bd. XI, Nr. 2-3, 1982), des Organs der schwedischen Akademie der Wissenschaften. Dieses Heft war gerade erschienen und repräsentierte den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu den biologischen Auswirkungen eines Atomkriegs. Scrivner, Allen und Peterson luden einige Wissenschaftler und Vertreter der Umweltbewegung ein, um mit ihnen die Voraussetzungen für eine öffentliche Konferenz über die langfristigen Auswirkungen eines Atomkriegs zu erörtern. Zu diesem Kreis gehörte auch Carl Sagan, Professor für Astronomie und Weltraumwissenschaft sowie Direktor des Laboratoriums für planetarische Studien an der Cornell University. Er berichtete, daß eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern gerade an einer möglicherweise wichtigen Studie über die Klimafolgen eines Atomkriegs arbeite. Die Studie » The Lang-Term Atmospheric and Climatic Consequences of a Nuclear Exchange« von Richard P. Turco, Owen B. Toon, Thomas P. Ackerman, James B. Pollack und C. Sagan erhielt später nach den Anfangsbuchstaben der Autoren die Bezeichnung TT APS-Studie. Nachdem sich die TTAPS-Gruppe zunächst nur mit der Veränderung der Atmosphäre durch große Mengen Staub beschäftigt hatte, berücksichtigte sie in ihrer Studie später auch die Wirkung von Rauch und Ruß aus großflächigen Bränden, nachdem Paul]. Crutzen vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz und John W. Birks von der U niversity of Colorado dazu in Ambio Daten veröffentlicht hatten(» The Atmosphere after a Nuclear War: Twilight at Noon« ). Der entscheidende neue Faktor in dieser Studie und in der nachfolgenden TT APS-Studie war die Wirkung der riesigen Mengen von Rauch und Ruß, die sich durch Brände im An-

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schluß an die Atomexplosionen bilden würden. Die emporgewirbelten Wolken aus Staub und Rauch würden die Atmosphäre nachhaltig beeinflussen und das Klima noch in großer Entfernung von den Explosionsgebieten verändern. Mit Hilfe mathematischer Modelle konnte quantitativ bestimmt werden, in welchem Maße die atomisierte Materie das Sonnenlicht daran hindern würde, die Erde zu erreichen. Man legte unterschiedliche Szenarien mit verschiedenen Megatonnagen und Explosionshöhen (Luft- oder Bodenexplosionen) zugrunde. Die Ergebnisse ließen auf atmosphärische, klimatische und radiologische Konsequenzen von katastrophalem Ausmaß schließen. Es würde zu einem fatalen Temperatursturz kommen - auch im Sommer weit unter dem Gefrierpunkt - und das Sonnenlicht würde größtenteils weggefiltert werden. Diese Verhältnisse könnten einige Monate andauern und weit über die Zielgebiete hinausreichen, unter Umständen bis auf die südliche Erdhalbkugel. Allen, Scrivner und Peterson fühlten sich in ihrem Vorhaben bestärkt, als sie erfuhren, daß sich auch andere Wissenschaftler mit dem Thema beschäftigten. Die Nationale Akademie der Wissenschaften hatte bereits eine neue Studie in Arbeit gegeben. Und das Scientific Committee on Problems of the Environment (SCOPE) des International Council of Scientific Unions plante eine Untersuchung mit dem Titel »Environmental Consequences of Nuclear War«. Die informelle Gruppe formierte sich zu einem Planungsausschuß mit der Aufgabe, eine öffentliche Konferenz vorzubereiten, auf der die TTAPS-Studie und die biologischen Erkenntnisse über die Folgen eines Atomkriegs einem größeren Kreis von Erziehern, Wissenschaftlern, Geschäftsleuten, Politikern des In- und Auslandes sowie Vertretern der Ökologiebewegung vorgestellt werden sollten. Eine Reihe hervorragender Wissenschaftler erklärte sich bereit, im Planungsausschuß mitzuwirken: P. Ehrlich, Professor für Biologie und Bevölkerungsstudien an der Stanford University; Peter H. Raven, Direktor des Botanischen Gartens von Missouri in 21

Saint Louis; Walter Orr Roberts, Ex-Präsident der University Corporation for Atmospheric Research, Carl Sagan und George Woodwell, Direktor des Ecosystems Center am Marine Biological Center in Woods Hole, Massachusetts. Woodwell wurde zum Vorsitzenden der Konferenz ernannt. Auf Vorschlag von Carl Sagan beschloß man, den TT APSBericht von einer größeren Gruppe qualifizierter Physiker prüfen zu lassen. Auch wollte man die Daten Biologen und Medizinern vorlegen, um eine Einschätzung der langfristigen, globalen Auswirkungen auf die Menschheit und die lebenserhaltenden Systeme des Planeten zu erhalten. Man vereinbarte, die vorgesehene öffentliche Konferenz nur dann durchzuführen, wenn die Daten einer wissenschaftlichen Prüfung standhalten sollten. Ein wissenschaftlicher Beirat, dem einundsechzig Wissenschaftler aus den Vereinigten Staaten und acht weiteren Ländern angehörten, wurde einberufen, um bei der Vorbereitung der Konferenz zu helfen und nachher für die Verbreitung der Erkenntnisse zu sorgen. Bei der Ausarbeitung des Konferenzprogramms entschied der Planungsausschuß, politische Themen wie Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie wirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte, die normalerweise Gegenstand einer Konferenz über die Wirkung eines Atomkriegs wären, nicht in die Tagesordnung aufzunehmen. Das Programm dieser wissenschaftlichen Konferenz sollte nur die physikalischen, atmosphärischen und biologischen Folgen eines Atomkriegs berücksichtigen. Der Ausschuß war der Meinung, die Berücksichtigung anderer Themen - etwa der Nuklearstrategie oder der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Folgen eines solchen Krieges - würde die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nur von dem zentralen wissenschaftlichen Aspekt ablenken. Ende April 1983 trafen sich ungefähr hundert Wissenschaftler aus dem In- und Ausland in der amerikanischen Akademie der Künste und Wissenschaften in Cambridge, Massachu-

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setts, um die gewünschte fachkundige Prüfung vorzunehmen. Die eingeladenen Wissenschaftler gehörten den verschiedensten Fachgebieten an. Beim ersten, von Carl Sagan organisierten und geleiteten Treffen prüften und beurteilten etwa vierzig Experten der Atmosphärphysik und -chemie und zehn Biologen eine vorläufige Fassung der TTAPS-Studie. Die Schlußfolgerungen des Berichtes über die weitgehende Absorption des Sonnenlichtes und die schwerwiegenden klimatologischen Veränderungen wurden von der Gruppe - von einigen kleineren Abänderungsvorschlägen abgesehen - in allen Punkten bestätigt. Abgesehen von den klimatologischen Veränderungen, die durch den Temperatursturz und die fast vollständige Finsternis hervorgerufen würden, diskutierten die Atmosphärenforscher noch eine Reihe anderer wahrscheinlicher Umweltbelastungen: radioaktive Strahlung und Fallout, erhöhte ultraviolette Strahlungsanteile im Sonnenlicht durch Verminderung der Ozonschicht und mögliche Folgen von Giftgasen, die durch die Verbrennung synthetischer Stoffe freigesetzt würden. Nach Abschluß dieses Treffens kam Dr. Raven mit einer Gruppe von Biologen und zehn Teilnehmern des ersten Treffens zusammen, um mit ihnen zu prüfen, welche Folgen die Verhältnisse nach einem Atomkrieg auf die lebenserhaltenden Systeme der Erde haben könnten. Sie beurteilten Dunkelheit und Klimaveränderungen in ihrer Wirkung auf Phyto- und Zooplankton, auf die Tier- und Pflanzenwelt und auf die Landwirtschaft. Sie versuchten sich auch darüber klar zu werden, wie sich die Gesamtheit der Verhältnisse nach einem Atomkrieg auf die verschiedenen Elemente der Ökosysteme, des Meeres, des Süßwassers und des Landes auswirken würden. Auch die Ergebnisse langfristiger Einwirkung radioaktiver Strahlung und ultravioletten Lichtes auf das pflanzliche und tierische Leben wurden erörtert. Andere Gespräche beschäftigten sich mit tiefgreifenden Störungen in den normalen Funktionen der natürlichen Ökosysteme, die unentbehrlich für die Erhaltung des menschlichen Lebens und gesellschaftli-

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eher Strukturen sind, unter anderem mit der Nahrungserzeugung für Menschen, Haustiere und wildlebende Tiere, mit Klima und Wetter, Abfallbeseitigung und Nährstoffkreislauf, Bodenerhaltung und Bekämpfung von Pflanzenschädlingen. Am Ende der Cambridger Treffen waren sich die Biologen weitgehend einig, daß ein Atomkrieg in der Biosphäre Schäden von bisher nicht vermutetem Ausmaß anrichten könnte, die möglicherweise zum Aussterben der Menschheit und der meisten wildlebenden Tierarten des Planeten führen würden. Nach der Bestätigung der vorliegenden Daten durch die versammelten Wissenschaftler beschloß der Planungsausschuß, mit der konkreten Vorbereitung der Konferenz zu beginnen. Einunddreißig Organisationen und Institutionen aus dem Inund Ausland, die sich mit wissenschaftlichen, ökologischen und Bevölkerungsfragen befassen, erklärten sich zur Finanzierung bereit: American Institute of Biological Sciences American Society for Microbiology Canadian Nature Federation Common Cause Ecological Society of America Environmental Liaison Centre Environmental Defense Fund Environmental Policy Institute Federation of American Scientists Friends of the Earth Global Tomorrow Coalition International Federation of Institutes for Advanced Study International Union for Conservation of Nature and Natural Resources International Union of Biological Sciences National Audubon Society National Science Teachers Association

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National Wildlife Federation National Resources Defense Council Open Space Institute Planned Parenthood Federation of America Sierra Club Smithonian Institution The Institute of Ecology (TIE) Trust for Public Land Union of Concerned Scientists United Nations Association of the United States of America United Nations Environment Programme United Nations University Wilderness Society World Resources Institute Zero Populations Growth Im Sommer 1983 wurden die Auswirkungen von Klimaveränderungen auf die Biosphäre von einer Arbeitsgruppe aus zwanzig Biologen unter Leitung von Paul R. Ehrlich noch eingehender untersucht. Gleichzeitig überarbeitete die TT APS-Gruppe ihre Daten und bereiteten sie für die wissenschaftliche Veröffentlichung vor. In der Zwischenzeit verifizierte Wladimir Alexandrow vom Rechenzentrum für Klimamodellierung an der sowjetischen Akademie der Wissenschaften in Moskau (einer der Wissenschaftler, die an dem Treffen in Cambridge teilgenommen hatten) die wichtigsten TTAPS-Prognosen anhand eigener Computer-Modelle. Ungefähr sechs Wochen vor der Konferenz schlug das Mitglied des Planungsausschusses Allen in Absprache mit Kirn Spencer und Evelyn Messinger von lnternews vor, der Konferenz dadurch eine neue Dimension zu eröffnen, daß man unter Nutzung der vorhandenen technischen Möglichkeiten eine in beiden Richtungen zu verwendende Satellitenverbindung zu sowjetischen Wissenschaftlern in Moskau herstellte. 25

Allen, Spencer und Messinger bereiteten ein neunzigminütiges Programm vor, das namhaften Wissenschaftlern aus den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion ermöglichen sollte, die Ergebnisse der Konferenz über die klimatischen Folgen und biologischen Auswirkungen des Atomkriegs zu erörtern. Obwohl die Zeit knapp und eine Reihe möglicherweise schwieriger politischer, technischer und finanzieller Hindernisse zu überwinden war, beschloß man, das Projekt in die Wege zu leiten und taufte es auf den Namen Moscow Link (Die Konferenzschaltung mit Moskau). Spencer verhandelte mit Gostele-Radio, der einzigen sowjetischen Fernsehanstalt, und Allen sorgte für mehrere persönliche Gespräche zwischen führenden Wissenschaftlern aus den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, um die Teilnahme von Fachleuten der sowjetischen Akademie der Wissenschaften sicherzustellen. In der letzten Oktoberwoche, unmittelbar vor der Konferenz, waren alle technischen und finanziellen Fragen zufriedenstellend geregelt, und Allen brachte die Mittel zusammen, die für die Satellitenzeit und das Programm erforderlich waren. Als am 31. Oktober die Konferenz über die langfristigen und weltweiten biologischen Folgen des Atomkriegs im Sheraton-Hotel in Washington eröffnet wurde, waren mehr als fünfhundert Teilnehmer und etwa hundert Journalisten anwesend. Zu den Teilnehmern gehörten Wissenschaftler, Botschafter und andere offizielle Repräsentanten aus mehr als zwanzig Ländern, dazu Politiker, Erzieher, Studenten, Mitglieder der Umweltbewegung, Vertreter der Kirche, der Städte, wirtschaftlicher und karitativer Verbände sowie Experten für Außenpolitik und Rüstungskontrolle aus allen Teilen der Vereinigten Staaten. Obwohl die Konferenz offiziell mit einer Rede von Walter Orr Roberts endete, gab es kaum jemanden, der die Konferenzräume schon zu diesem Zeitpunkt verließ. Denn jetzt versammelten sich die Teilnehmer jenes historischen Ereignisses, das in den letzten Oktoberwochen auf so wunder-

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bare Weise Gestalt angenommen hatte: das Moscow Link. Zum erstenmal benutzte man die Satellitentechnik dazu, um zwischen einer Gruppe von Wissenschaftlern in Moskau und einer Gruppe von Wissenschaftlern in den Vereinigten Staaten ein Livegespräch zustande zu bringen, das dem unzensierten Austausch wissenschaftlicher Erkenntnisse diente. Am 1. November um sechzehn Uhr Moskauer Zeit (acht Uhr in Washington) wurden der Moskauer Gruppe Sagans und Ehrlichs Einführungsvorträge überspielt. Anschließend hatten die Experten in Moskau genügend Zeit, ihre Stellungnahme zu diskutieren. Um zweiundzwanzig Uhr Moskauer Zeit wurden die sowjetischen Gesprächsteilnehmer in einem Moskauer Fernsehstudio mit vier amerikanischen Wissenschaftlern in einem Washingtoner Konferenzraum mittels des Moscow Links zusammengeschaltet. Zur amerikanischen Gesprächsrunde gehörten Thomas Malone, emeritierter Direktor des Holocomb Research Instituts der Butler University, Paul Ehrlich, Walter Orr Roberts und Carl Sagan. Die wichtigsten Diskussionsteilnehmer in Moskau waren Jewgeni Welichow, Vizepräsident der sowjetischen Akademie der Wissenschaften, J uri Israel, Mitglied der sowjetischen Akademie der Wissenschaften und Leiter des Komitees für Hydrometeorologie und Umweltkontrolle, Alexander Bajew, Spezialist für Biologie und Molekulargenetik und Sekretär der Sektion für Biochemie, Biophysik sowie chemische Physiologie der sowjetischen Akademie der Wissenschaften und Nikolai Botschkow, Mitglied der Akademie der Medizinischen Wissenschaften und Direktor des Instituts für Genetik an der sowjetischen Akademie der Wissenschaften. Während der anderthalbstündigen Satellitenverbindung tauschten die sowjetischen und amerikanischen Wissenschaftler Fragen aus und nahmen Stellung zu laufenden Forschungsarbeiten. Einige Erkenntnisse, die die sowjetischen Wissenschaftler über die möglichen Folgen eines Atomkriegs 27

gewonnen hatten, ergänzten und unterstrichen die in der Konferenz vorgelegten Daten. Georgi Skrjabin, wissenschaftlicher Hauptsekretär der sowjetischen Akademie der Wissenschaften, bezeichnete seine Empfindungen als »ambivalent«. »Einerseits«, sagte er, »bin ich natürlich sehr besorgt über die Gefahr, die uns allen droht - Kindern, Frauen, alten Menschen und allem Leben auf der Erde. Andererseits stimmt die Tatsache hoffnungsvoll, daß die versammelten Wissenschaftler dieser Konferenz - die amerikanischen Kollegen und die russischen Wissenschaftler - Übereinstimmung erzielt haben. Sie sind sich einig in der Auffassung, daß es keinen Atomkrieg geben darf, daß er eine verheerende Katastrophe wäre und das Ende der Menschheit bedeuten würde. Das macht mir Hoffnung und tröstet mich, weil in unserer Zeit das Wort von Wissenschaftlern großes Gewicht hat. Deshalb sollten wir alle unseren Einfluß geltend machen, um den Rüstungswettlauf zu beenden und den Atomkrieg zu verhindern.« Alexander Kusin, korrespondierendes Mitglied der sowjetischen Akademie der Wissenschaften, erklärte: »Deshalb ist es die Pflicht der Wissenschaftler in der Sowjetunion und in den Vereinigten Staaten, allen Menschen klarzumachen, welche ungeheuren Gefahren durch jenen atomaren Konflikt heraufbeschworen würden, damit jede Möglichkeit eines Atomkriegs ausgeschlossen wird, der mit Sicherheit nicht nur unsere gegenwärtige Zivilisation vernichten würde, sondern auch alles Leben auf diesem uns so teuren Planeten.« Als sich das Moscow Link seinem Ende näherte, meinte Malone, der Meinungsaustausch auf der Konferenz »könnte einmal in den kommenden Jahren - völlig zu Recht- als Wendepunkt in der menschlichen Geschichte angesehen werden ... , weil es entscheidend dazu beigetragen hat, den verantwortlichen Politikern die Augen zu öffnen«. Im Anschluß an die Konferenz wurde das Center on the Consequences of Nuclear War in Washington mit dem Ziel eingerichtet, die wissenschaftlichen Erkenntnisse einer noch grö- . 28

ßeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Über das Center sind audio-visuelle und gedruckte Unterlagen über die klimatischen und biologischen Folgen eines Atomkriegs zu beziehen. Die Anschrift lautet: 3244 Prospect Street, NW, Washington, D.C., 20007.

Lewis Thomas Vorwort

Wenn es unserer Welt vergönnt sein sollte, ihre Geschichte fortzusetzen, könnten sich die in diesem Buch dargelegten wissenschaftlichen Entdeckungen eines Tages als die wichtigsten Forschungsergebnisse erweisen, die in der langen Geschichte der Wissenschaft jemals gefunden wurden. Die erste Entdeckung der sogenannten TT APS-Gruppe ist mittlerweile schon weltweit Klimatologen, Geophysikern und Biologen bekannt und wurde auch von sowjetischen Wissenschaftlern in allen Punkten bestätigt. Computermodelle zeigen, daß ein Atomkrieg, in dem nur ein Bruchteil der amerikanischen und sowjetischen Kernwaffen gezündet würde, das Klima der gesamten nördlichen Hemisphäre verändern könnte, wobei sich der gegenwärtige, dem Wechsel der Jahreszeiten unterworfene Zustand in eine lange, finstere, eisige Nacht verwandeln würde. Wenn nach einigen Monaten der Ruß und Staub wieder aus der Atmosphäre verschwunden ist, würde ein neues, bösartiges Sonnenlicht die Erde erreichen, das reich an ultravioletter Strahlung ist und die meisten Tiere auf der Erde erblinden lassen würde. Das Ozon in der Atmosphäre, das die Erde normalerweise gegen gefährliche ultraviolette Strahlung schützt, würde nämlich durch einen Atomkrieg weitgehend abgetragen werden. In derselben Forschungsarbeit ergaben neue Berechnungen über Reichweite und Intensität des radioaktiven Niederschlags, daß große Gebiete weit heftigerer Strahlung ausgesetzt wären, als bislang angenommen. 31

Die zweite Arbeit, durchgeführt von Paul R. Ehrlich und neunzehn weiteren namhaften Biologen, zeigt, daß die Vorhersagen der TTAPS-Studie wohl die Vernichtung eines Großteils der irdischen Biosphäre bedeuten würden, und zwar sowohl auf der südlichen wie auf der nördlichen Hemisphäre. Zusammengenommen lassen diese beiden Entdeckungen die Aussichten eines thermonuklearen Krieges in einem ganz neuen Licht erscheinen. Inzwischen wurden die Ergebnisse im In- und Ausland von Vertretern der betroffenen Disziplinen einer eingehenden und kritischen Prüfung unterzogen. Entsprechende und ergänzende Untersuchungen wurden durchgeführt, und die Resultate lassen ein höchst ungewöhnliches Maß an Übereinstimmung sowohl hinsichtlich der technischen Einzelheiten als auch der Schlußfolgerungen erkennen. Nach Auffassung mancher Experten könnte der TTAPS-Bericht die durch seine Daten nahegelegten Klimabeeinträchtigungen sogar noch unterschätzen. Der von Professor Ehrlich zusammmengefaßte Bericht der zwanzig Biologen nennt die Punkte, über die vierzig Biologen bei einem Treffen im Frühling 1983 in Cambridge, Massachusetts, Einigung erzielten. Es ist ein Blick in eine neue Welt, die nach einer neuen Art von Diplomatie und einer neuen Art von Denken verlangt. Bislang hat die internationale Gemeinschaft der Politiker, Diplomaten und Strategietheoretiker den Atomkrieg für ein Problem gehalten, das nur die Staaten betreffe, die über Kernwaffen verfügen. Rüstungskontrolle und die endlosen Verhandlungen über den Abbau von Kernwaffen galten als die Pflicht, ja das Vorrecht der wenigen Staaten, denen eine nukleare Konfrontation drohte. Jetzt stellt sich die Situation ganz anders dar. Keine Nation der Erde darf sich vor der Gefahr der Vernichtung sicher wähnen, wenn irgendwo zwei Staaten oder Staatenblöcke einen nuklearen Schlagabtausch entfesseln. Wenn die Sowjetunion, die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten im Warschauer Pakt beziehungsweise 32

der Nato ihre Raketen über ein noch unbestimmtes und möglicherweise gar nicht festzulegendes Maß hinaus abschießen würden, wären neutrale Staaten wie die Schweiz oder Schweden den gleichen langfristigen Folgen, dem gleichen schleichenden Tod ausgeliefert wie die kriegführenden Nationen. Für den Fall eines atomaren Schlagabtauschs auf der nördlichen Erdhalbkugel hätten Australien und Neuseeland, Brasilien und Südafrika nicht weniger Anlaß zur Sorge als die Bundesrepublik. Bislang neigten wir dazu, uns jeden Konflikt mit Kernwaffen als eine Auseinandersetzung zwischen gleichwertigen Gegnern vorzustellen, in der territoriale oder ideologische Streitfragen zu entscheiden sind. Die neuen Erkenntnisse machen deutlich, daß nach einem solchen Krieg nichts als unfruchtbares Ödland überbliebe und daß jede Ideologie mit der irdischen Zivilisation zugrunde gehen wird, unwiderruflichem Vergessen preisgegeben wie die ganze menschliche Kultur. Bislang pflegte man die Risiken eines solchen Krieges abzuschätzen, indem man errechnete, wie viele Tote - SoldateJ.1 und Zivilisten zusammengenommen - es am Ende d~r Kampfhandlungen geben würde. Da wurden Millionen menschlicher Todesfälle als »akzeptabel« und ein paar Millionen mehr als »nichtakzeptabel« eingestuft und auf dieser Grundlage neue und genauere Waffensysteme als zwingend notwendig nachgewiesen. Von jetzt an liegen die Dinge anders. Sehen wir einmal davon ab, daß nach allgemein akzeptierter Schätzung bei einem atomaren Konflikt, in dem fünftausend Megatonnen zum Einsatz kommen, etwa eine Milliarde Menschen durch Hitze- und Druckwellen und durch radioaktive Strahlung auf der Stelle getötet würden. Lassen wir auch beiseite, daß der radioaktive Niederschlag und die langfristigen Auswirkungen auf lebenserhaltende Systeme eine weitere Milliarde Menschenleben kosten würden. Es würde nämlich noch etwas anderes geschehen, was die Menschen nicht weniger ängstigen sollte als der unmittelbare Verlust des Lebens. Das komplexe, ineinandergreifende,

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wunderbar geordnete Ökosystem der Erde-von manchen als Biosphäre, von anderen als Natur bezeichnet - hätte einen tödlichen oder doch beinahe tödlichen Schlag erlitten. Einige Teilbereiche würden weiterexistieren, dessen bin ich ziemlich sicher, so daß das Leben auf dem Planeten zwar nicht zu Ende wäre, sich aber fortan auf einer Ebene bewegen würde wie vor ungefähr einer Milliarde von Jahren, als die Prokaryonten (Lebewesen, zu denen die heutigen Bakterien zählen) sich zu symbiotischen Verbänden zusammenschlossen und die mit einem Kern ausgestatteten Zellen entwickelten, deren direkte Nachkommen wir ganz zweifellos sind. Die letzte große Vernichtung irdischen Lebens fand vor ungefähr fünfundsechzig Millionen Jahren statt, als mit einem Schlage die Dinosaurier und zahllose andere auf dem Land und im Meer lebende Tierarten ausstarben. Man nimmt allgemein an, die Ursache sei der Aufschlag eines Planetoiden auf der Erdoberfläche gewesen, wodurch eine riesige Staubwolke emporgewirbelt worden sei, die das Sonnenlicht so lange ferngehalten habe, daß die Photosynthese zum Stillstand gekommen sei. Auf ein ganz ähnliches Ereignis deuten die Modelle der vorgelegten Studien hin. Die Existenz und die fortgesetzte Vermehrung der Kernwaffen, die beabsichtigte Weitergabe solcher Waffen an Staaten, die sie bislang noch nicht besitzen, und die halbherzigen, immer wieder vertagten und vergeblichen Versuche, diese Gefahr für das meiste irdische Leben - auch unser eigenes - aus der Welt zu schaffen - all diese Probleme scheinen mir jetzt einer ganz anderen Kategorie anzugehören als noch vor kurzer Zeit. Sie sind keine politischen Fragen mehr, die der Klugheit und Umsicht von ein paar Politikern und Militärs in ein paar Staaten überlassen bleiben könnten, sondern sie bedeuten ein weltweites Dilemma, das die ganze Menschheit betrifft. Ich kann nur hoffen, daß die internationale Gemeinschaft der Wissenschaftler in allen Ländern der Erde die bislang erzielten Daten und Schlußfolgerungen einer eingehenden Prüfung 34

unterziehen, die Studien nach vielen Richtungen hin ergänzen und auf ihre jeweiligen Regierungen nachdrücklich einwirken wird. Und ich hoffe, daß Journalisten in aller Welt Mittel und Wege finden werden, den Bewohnern dieser Erde immer wieder eindringlich vor Augen zu führen, in welcher Gefahr sie schweben. Wir haben keine Wahl mehr und können uns nicht mehr, wie noch vor einigen Monaten, über die verschiedenen Alternativen streiten. Wir müssen unverzüglich handeln und diese Waffen aus der Welt schaffen, die in Wahrheit gar keine Waffen, sondern reine Werkzeuge des Bösen sind. Wir laufen Gefahr, der ganzen, wunderbaren Schöpfung unwiderruflichen Schaden zuzufügen. Die schönste Fotografie, die ich je gesehen habe, zeigt den Planeten Erde vom Mond aus gesehen, wie er atmend und lebend im Raum schwebt. Obgleich er auf den ersten Blick von unzähligen unabhängigen Arten von Lebewesen bevölkert scheint, erweist sich bei näherer Betrachtung, daß sie alle - wir eingeschlossen - nur Teile sind, unauflöslich verknüpft mit allen anderen Teilen. Es ist das einzige wirklich geschlossene Ökosystem, das der Wissenschaft heute bekannt ist. Man könnte auch sagen, das Leben auf der Erde ist ein einziger Organismus. Er erblickte das Licht der Welt vermutlich vor 3,8 Milliarden Jahren, und ich wünsche ihm noch ein langes und glückliches Leben, im Interesse unserer Kinder, unserer Kindeskinder und deren Kindeskinder. Bedenkt man, seit welch kurzer Zeit unsere Spezies erst der Biosphäre angehört, so verdient sie unsere Hochachtung. Nach entwicklungsgeschichtlichem Zeitmaß gibt es uns erst seit ein paar Augenblicken, und wir haben noch ein gerüttelt Maß an Entwicklungsarbeit vor uns. Wenn es uns gelingen sollte, könnten wir unseren Planeten mit einer Art Kollektivbewußtsein ausstatten, könnten wir das Denken der Erde werden. Gegenwärtig sind wir trotz unserer artgeschichtlichen Jugendlichkeit sicherlich der klügste und »gehirnlastigste« Teil der irdischen Biosphäre. Ich bin davon überzeugt, 35

daß wir alle den Wunsch haben, den Fortbestand des Lebens auf unserem Planeten zu sichern. Deshalb sind diese Berichte für mich nicht nur Warnrufe, sondern, wenn sie rechtzeitig bekannt und anerkannt werden, auch Vorläufer einer frohen Botschaft. Ich bin fest davon überzeugt, daß die Menschheit in ihrer Gesamtheit, sobald sie mit den Tatsachen dieser Untersuchungen vertraut ist, erkennen wird, was mit den Kernwaffen zu geschehen hat. Doch wenn diese Tatsachen verborgen bleiben oder fälschlicherweise für esoterische, theoretische Gedankenspiele gehalten werden, die man getrost außer acht lassen kann, dann bleibt keine Hoffnung für uns.

Donald Kennedy Einleitung

Wir haben uns hier mit einem Thema zu beschäftigen, das alles andere als fröhlich stimmt: Zunächst einmal sind die Folgen eines Atomkriegs wahrhaft entsetzlich, und es ist nicht sehr angenehm, den Menschen mitteilen zu müssen, daß sie noch entsetzlicher sind, als man bisher geglaubt hat. Zum anderen gibt es leider keinen einfachen Ausweg aus den Problemen, vor die uns die Kernwaffen stellen - wenn auch manche das Gegenteil behaupten. Statt dessen müssen wir ständig mit der drohenden Gefahr leben und uns mit einer nationalen Sicherheitspolitik auseinandersetzen, die sich jedem Versuch logischer Planung zu widersetzen scheint. Vor diesem deprimierenden Hintergrund sind die langfristigen biologischen Folgen des Atomkriegs zu erörtern. Bevor ich anfange, will ich Ihnen nicht verhehlen, daß mir einige wichtige Voraussetzungen fehlen, um eine solche Einleitung zu liefern, und ich möchte Sie mit einigen meiner Grundüberzeugungen vertraut machen. Ich bin kein altgedienter Kämpfer in den Reihen der Atomwaffengegner, genausowenig wie ich als Fachmann auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle und der Abrüstung zu bezeichnen wäre. Ich gebe auch gerne zu, daß sich andere weit besser auf die wenig exakte Wissenschaft der Nuklearstrategie verstehen - die technologische und spieltheoretische Grundlage der Entspannungspolitik. Was meine Überzeugungen anbetrifft, so muß ich Ihnen mitteilen, daß ich dem altmodischen Glauben 37

anhänge, der da sagt, wir seien in diesem Lande auch weiterhin auf eine bestimmte Verteidigungskapazität angewiesen, die Sicherheitsstrategie in diesem und in anderen Ländern werde, ob es uns paßt oder nicht, auch weiterhin auf Kernwaffen nicht verzichten können, und es müßten alle Anstrengungen unternommen werden, um die Wirkungsweise dieser Waffen zu verstehen, wenn wir sie eines schönen Tages unserer Kontrolle unterwerfen und vernünftig miteinander umgehen wollen. Mit diesen Bekenntnissen möchte ich Ihnen klarmachen, daß ich mich weder als Delegationsleiter für eine Abrüstungskonferenz noch als Einpeitscher für eine Friedensdemonstration eigne. Das vorgelegte Buch dient keinem dieser Zwecke, sondern ist ein ernstzunehmender wissenschaftlicher Bericht über die Folgen eines Atomkrieges. Um ein solches Thema einzuleiten, bin ich nach meiner Überzeugung weit besser geeignet. Als ich in Regierungsdiensten stand, war ich Leiter einer Aufsichtsbehörde, die sich mit den Auswirkungen giftiger Chemikalien und ganz allgemein mit den Folgen voreiliger Einführung neuer Technologien zu beschäftigen hatte. In diesen Jahren - und in der Zeit unmittelbar davor und danach - hatte ich mich intensiv mit der Einschätzung und Bewertung von Risikofaktoren zu beschäftigen: Prognosen über die Folgen bei der Verwendung landwirtschaftlicher Chemikalien, Festsetzung von Toleranzgrenzen für industrielle Umweltbelastung, Bewertung der Auswirkungen von Nahrungsmittelzusätzen und so fort. In dieser Funktion habe ich mich eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, wie sich Risiken einschätzen lassen, auch wenn die verfügbaren Daten notwendigerweise unvollständig sind. Ich glaube drei Dinge, die mich diese Erfahrung gelehrt hat, lassen sich auf das hier zur Diskussion stehende Thema übertragen. Erstens, eine der großen politischen Herausforderungen bei der Risikoeinschätzung besteht darin, angesichts einer Fülle von Ungewißheiten eine Entscheidung zu treffen, die so begründet wie möglich ist. Dazu ist unumgänglich, daß

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man sich nicht nur dessen bewußt ist, was man weiß, sondern auch dessen, was man nicht weiß. Diese Schwierigkeit wird erheblich verschärft durch die öffentliche Einstellung zum Risiko. Das ist das Zweite, was ich lernte: Der Mensch verhält sich Gefahrensituationen gegenüber höchst unlogisch. Wenn es gilt, ein bestimmtes Leben zu retten, sind wir zu großen persönlichen und gesellschaftlichen Opfern bereit, aber wir zeigen weit weniger Bereitschaft, Menschen, von denen wir uns keine klare Vorstellung machen können, einen angemessenen Schutz zuteil werden zu lassen. Begeistert verabschieden wir Gesetze, die geringfügige, unserer willentlichen Einflußnahme entzogene Gefahren bannen, dagegen finden keine Gesetze vor unseren Augen Gnade, die unsere persönlichen Freiheiten beschneiden. Kurzum, wir scheuen keine Mühe, um die kleine Susanne aus dem Brunnen zu retten, in den sie gefallen ist, aber es widerstrebt uns, ein Tempolimit festzusetzen, oder sogar krebserregende Substanzen zu verbieten, wenn die Menschen Gefallen an ihnen finden. Diese Ambivalenz tritt noch deutlicher zutage, wenn die Wahrscheinlichkeit und die Größe einer Gefahr unabhängig voneinander betrachtet werden. Die Menschen reagieren unterschiedlich auf begrenzte, weit verbreitete statistische Gefahren - etwa die Krebssterblichkeit infolge eines Umweltgiftes - und auf wenig wahrscheinliche Gefahren mit allumfassenden katastrophalen Folgen wie einen atomaren Schlagabtausch. Obwohl die wissenschaftliche Erforschung der Risikobereitschaft und -abgeneigtheit noch in den Kinderschuhen steckt, 1 lassen die bisher erzielten Ergebnisse darauf schließen, daß die Menschen auf wenig wahrscheinliche Ereignisse mit außerordentlich negativen Folgen ganz anders reagieren, als nach den Theorien vom »erwarteten Nutzen« anzunehmen wäre. Diese Forschungsarbeiten werden uns eines Tages vielleicht sehr nützliche Erkenntnisse über die öffentlichen Einstellungen zum Atomkrieg vermitteln können. Möglicherweise noch wichtiger könnten Ergebnisse sein, die 39

darauf schließen lassen, zu welchen Entscheidungen die Verantwortlichen in diesen schrecklichen letzten Augenblicken gelangen könnten. Der dritte und letzte Punkt, den ich vom konventionelleren Gebiet der Risikoeinschätzung übernehmen möchte, betrifft die zeitliche Größenordnung, in der wir Folgen erkennen. Hier läßt sich eine außerordentlich exakte Analogie zur Welt der giftigen Substanzen herstellen. Als sich im Gefolge der Revolution, die die industrielle Chemie in der Nachkriegszeit erlebte, die ersten Besorgnisse über die giftigen Substanzen regten, galten sie fast ausschließlich den unmittelbaren oder »akuten« Auswirkungen. Die ersten toxikologischen Testprogramme zur Bewertung dieser Gefahren waren die sogenannten LD 50 -Tests, in denen gemessen wurde, welche Menge einer giftigen Verbindung eine letale Dosis für fünfzig Prozent der in dem Test verwendeten Organismen darstellt. Später erkannte man allmählich, daß die langfristigen »chronischen« Auswirkungen - die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit von Krebsleiden, Herzkrankheiten, Schlaganfällen und Mißbildungen bei Neugeborenen -erheblich wichtiger waren, sich aber der Erfassung durch die herkömmlichen Kurzzeit-Tests entzogen. Unsere Erfahrungen in der Folgezeit haben bestätigt, daß diese chronischen Risiken weit mehr Anlaß zur Sorge geben, und heute würde es uns nicht in den Sinn kommen, die Sicherheit eines neuen Präparats zu bewerten, ohne untersucht zu haben, ob es karzinogen wirkt, die Entwicklung des ungeborenen Lebens beeinträchtigt und so fort. Das ist genau der Punkt, an dem wir bei der Einschätzung des Atomkriegs stehen: Wir beginnen seine langfristigen Auswirkungen gerade erst zu verstehen - die Umweltschäden, die mit dem Krebs, der Herzkrankheit und dem Schlaganfall des Menschen zu vergleichen sind. Ich möchte mich jetzt mit einem zentralen Aspekt unserer Erkenntnisse über die chronischen Folgen des Atomkriegs beschäftigen: ihrer ziellosen und zufälligen Natur. Was wir

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heute wissen - und das ist gewiß weit weniger, als wir gerne wissen möchten - ist weitgehend das Ergebnis von Zufallsentdeckungen, nicht systematischer Untersuchungen. Als Ende des Zweiten Weltkrieges die ersten Bomben über den beiden japanischen Großstädten explodierten, gelangten wir zur gräßlichen Erkenntnis ihrer akuten Auswirkungen - der Verheerung, die die Druckwelle und die Kernstrahlung unter den Menschen anrichtete. Doch erst bei den Testexplosionen über dem Bikiniatoll im Jahre 1954 erfuhren wir, daß auch fernliegende Gebiete durch den radioaktiven Niederschlag verseucht werden können. Sogar heute noch-fast drei Jahrzehnte danach- setzt uns die Wirkung und Reichweite dieser Erscheinung in Erstaunen. Beispielsweise betrug der Strahlungsaustritt am beschädigten Kernkraftwerk in Harrisburgein Zwischenfall, der in der Öffentlichkeit Panik auslöste und Hunderte von Seiten mit Zeugenaussagen eines Kongreßhearings füllte -weniger als ein Zehntel der Strahlungsmenge, die in derselben Region Pennsylvanias von dem Niederschlageiner Wolke abgestrahlt wurde, welche von einer zwei Jahre zuvor in China durchgeführten Testexplosion stammte. 2 Andere verzögerte und zufällige Entdeckungen sind die Auswirkungen auf den Van-Allen-Gürtel, der elektromagnetische Puls (EMP) und sein negativer Einfluß auf die elektronischen Kommunikationssysteme sowie in jüngerer Zeit die Abtragung der Ozonschicht durch NOx (Stickoxide). Angesichts dieser Situation meint ein Beobachter: »Eine der sichersten Erkenntnisse ist unsere Unsicherheit ... , wie der Zufallscharakter und die U nvorhersagbarkeit vieler unserer Entdeckungen deutlich machen.« 3 Diese Worte stammen nicht von einem akademischen Kritiker der Regierungspolitik, sondern von einem amtierenden Staatssekretär im Verteidigungsministerium der Reaganadministration. Die Schlußfolgerung liegt auf der Hand, und sie ist nicht sehr tröstlich. Diese Konferenz macht uns mit einer Reihe neuer Entdeckungen hinsichtlich der chronischen Gefahren bekannt, die ein Atomkrieg heraufbeschwören würde. In ge41

wisser Hinsicht hat diese Konferenz ihren Ursprung in der außergewöhnlichen Arbeit der Organisation Physicians for Social Responsibility. Dort wurde der erste Versuch gemacht, den Bedarf an medizinischer Versorgung nach einem atomaren Schlagabtausch festzustellen, und sie wies nach, daß die medizinischen Einrichtungen, Programme und Pläne für einen solchen Fall niemals ausreichen könnten. Ihre Darlegungen warfen ein schlechtes Licht auf den Zustand der Zivilverteidigung und ließen berechtigte Zweifel aufkommen an der Behauptung der Verantwortlichen, die Folgen eines Atomangriffs ließen sich in wenigen Jahren beseitigen. Die in dieser Konferenz dargelegten Forschungsergebnisse fassen gründlichere wissenschaftliche Analysen der langfristigen ökologischen und klimatischen Folgen eines atomaren Schlagabtausches zusammen. Vor allem den ökologischen Gefahren zollte man in der Anfangszeit der Nuklearstrategie kaum Aufmerksamkeit. Die ersten Studien, die im Auftrag des Verteidigungsministeriums durchgeführt wurden, enthielten (wie beispielsweise die von Mitchell 4) kaum mehr als Analogien mit Naturkatastrophen. Das Fazit von Mitchells Studie mag als Illustration dienen: »Die verheerenden Folgen von Feuersbrünsten, Trockenperioden, Überschwemmungen und ähnlichen Katastrophen haben die Welt schon oft vor die Aufgabe gestellt, ganze Lebensgemeinschaften wiederherzustellen, also vor ganz ähnliche Probleme, wie sie sich in einer von einem Atomschlag heimgesuchten Umwelt stellen würden.« Inwieweit diese Analogie einer realistischen Einschätzung der Gefahren dient, mag der Leser selbst beurteilen. Natürlich kann man sich leicht über diese frühen Untersuchungen lustig machen. Unsere Einschätzung der Dinge ist aus einer Reihe von Gründen zugleich genauer und pessimistischer geworden. Erstens, einige Entdeckungen aus jüngerer Zeit (zum Beispiel die Anfälligkeit einiger natürlicher Ökosysteme für sauren Regen und vor allem die Empfindlichkeit von Pflanzen gegenüber Radioaktivität und Tempe-

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raturschwankungen) lassen uns heute die Lage negativer beurteilen. Zweitens, wir haben in den letzten beiden Jahrzehnten ganz neue Erkenntnisse über die Komplexität und Anfälligkeit ökologischer Systeme gewonnen. Erst heute wissen wir, wie verwundbar sie wirklich sind. Drittens und letztens, die Zahl und Treffsicherheit unserer Waffensysteme hat in einer Weise zugenommen, die die Zerstörungsgewalt eines solchen Schlagabtauchs ins Unermeßliche steigern würde. So ist es eigentlich ungeheuerlich, wenn wir noch heute mit Hochrechnungen beruhigt werden, die auf sehr viel früheren Untersuchungen basieren. Eine Broschüre, die noch immer von offiziellen Stellen vertrieben wird, wurde 1979 von der amerikanischen Zivilschutzbehörde herausgegeben. Praktisch unverändert taucht dort die Behauptung aus dem Bericht von 1963 auf: »Kein Atomangriff könnte das Gleichgewicht der Natur auch nur annähernd so tiefgreifend verändern, wie es die menschliche Zivilisation bereits getan hat.« An anderer Stelle beruft sich dieselbe Broschüre auf eine Untersuchung der Nationalen Akademie der Wissenschaften aus dem Jahre 1963 und kann dem Leser die beruhigende Neuigkeit vermelden, daß »Störungen des ökologischen Gleichgewichtes, welche ein normales Leben unmöglich machen würden, nicht zu erwarten sind«. Kein Wort von einer weit jüngeren Untersuchung der gleichen Institution über die langfristigen weltweiten Auswirkungen eines atomaren Schlagabtauschs. Dieser Bericht erschien 1975, also immerhin noch fünf Jahre bevor die Zivilschutzbroschüre herauskam. Dort kam man zu weit bedenklicheren Schlußfolgerungen: Man hatte die Auswirkung der Stickoxide auf die Ozonschicht erkannt und die Möglichkeit klimatischer Veränderungen ernsthaft in Betracht gezogen. Bei der Information der Bürger überging die Regierung die neueren Daten, um die Menschen mit Hilfe einer veralteten Quelle in falscher Sicherheit zu wiegen. Wachsamkeit ist geboten, wenn offizielle Stellen versuchen, mit obsoleten Daten politische Entscheidungen zu beeinflussen. 43

Die jüngeren ökologischen Schätzungen geben weit mehr Anlaß zur Sorge. Doch ich glaube, man darf sagen, daß die Daten, die auf dieser Konferenz vorgelegt werden, noch wichtiger sind, wobei die Aussicht auf tiefgreifende klimatische Veränderungen wohl am beunruhigendsten ist. Diese Konsequenzen könnten alle anderen langfristigen Auswirkungen in den Schatten stellen. Zum Teil erklären sich die veränderten Auffassungen daher, daß sich die wissenschaftlichen Vorstellungen über die Prozesse, die die Geschichte und heutige Gestalt der Erde geprägt haben, an einem neuen Paradigma orientieren. Im 18. und zu Anfang des 19.Jahrhunderts glaubte man, die großen Landmassen verdankten ihre Gestalt katastrophalen Ereignissen, die ein zorniger Schöpfer der Erde und ihren Bewohnern als Strafe geschickt hätte. Diese Auffassung erfuhr eine tiefgreifende Umgestaltung, als der englische Geologe Charles Lyell die Bedeutung solcher allmählichen Prozesse wie Erosion, Sedimentation und Riffbildung erkannte und die Katastrophentheorie durch den Uniformitarismus ersetzte. Heute erleben die Geowissenschaften eine zweite Revolution, ausgelöst durch die bemerkenswerten Entdeckungen der Plattentektonik, in der dramatische Ereignisse wieder eine größere Rolle spielen. Immer stärker setzt sich die Erkenntnis durch, daß plötzlich auftretende Geschehnisse wie Vulkanausbrüche und Planetoidenaufschläge die Geschichte der Erde und des Lebens auf ihr tiefgehend beeinflußt haben. Heute geht man allgemein davon aus, daß sogar in geschichtlichen Zeiten ähnliche Prozesse durch Vulkanausbrüche ausgelöst worden sind. »Jahre ohne Sommer«, von denen in alten Chroniken berichtet wird, erkennt man an schwefelsauren Staubschichten im Gletschereis und jüngste, weltweite Wetterkapriolen bringt man mit dem Ausbruch des EI Chichon in Mexiko vor zwei Jahren in Zusammenhang. Forschungsergebnisse wie diese haben ein ganz neues Bewußtsein für die Anfälligkeit des Weltklimas gegenüber

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plötzlichen Störungen geschaffen. Man weiß schon seit geraumer Zeit, daß Atomexplosionen Staub und feinere Aerosolteilchen in die langsame Zirkulation der oberen Atmosphäre schleudern können. Neuere Berechnungen zeigen, daß Großbrände riesige Mengen an Rauch und Ruß erzeugen würden, die durch Konvektion verstärkt in die obere Atmosphäre transportiert werden. Aufgrund dieser neuen Erkenntnisse begriff man erstmals, daß ein größerer atomarer Schlagabtausch zu monatelangen Temperatur- und Lichtveränderungen, vor allem in der Nordhemisphäre, führen könnten. Die Folgen dieses Effekts sind unabsehbar. Insgesamt genommen sind diese Informationen Anlaß genug, daß wir als Bürger die Gefahr, die uns droht, neu überdenken und auch unsere Strategietheoretiker eine neue Position zu ihr beziehen. Es ist nicht mehr zulässig, die Folgezeit eines Atomkriegs nach Minuten, Tagen oder auch Monaten zu bemessen. Genausogut könnte man die Wirkung einer giftigen Chemikalie danach beurteilen, was sie in einem Zeitraum von fünf Minuten anrichtet. Die neuesten Erkenntnisse der Biologen und Atmosphärologen lehren uns, daß wir in Zeiträumen von Jahren zu rechnen haben und daß die Prozesse, die zu erwarten sind, weder in ihrer Art noch in ihrer Größenordnung mit irgendwelchen bekannten Katastrophen zu vergleichen sind. Die Risikoschätzungen, von denen unsere Strategietheoretiker bislang ausgegangen sind und die der Öffentlichkeit mitgeteilt wurden, waren viel zu optimistisch. Bevor ich zum Schluß komme, möchte ich mich noch einem anderen Aspekt der Risikoanalyse zuwenden. Ich habe ihn schon kurz erwähnt: Es geht um die »Rationalität« der Entscheidungsträger, wenn sie sich mit Fragen der Wahrscheinlichkeit und des Ausmaßes von Gefahren auseinandersetzen. Es ist nicht nur zu bezweifeln, daß sich Entscheidungsträger, die sich Gefahren von großem Ausmaß und geringer Wahrscheinlichkeit gegenübersehen, an rationalen, dem Nützlichkeitsprinzip unterworfenen Entscheidungsmodellen orientieren, es gibt auch genügend historische Beispiele dafür, daß

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sie sich lieber an politische - und menschliche - Gesichtspunkte halten als an das Modell des »rational Handelnden«. In seinem brillanten Buch The Essence of Decision 6 betrachtet Graham Allison das Vorgehen der amerikanischen Regierung in der Kubakrise von 1962 unter dem Blickwinkel verschiedener Verhaltensmodelle. Niemand kann sich beim Lesen dieser Seiten dem Eindruck entziehen, daß kein Staatschef, kein Regierungsmitglied, kein Militär dem Ideal des »rational Handelnden« gerecht wird, wenn er in einem Augenblick, da das Schicksal der Erde auf dem Spiel steht, seine Entscheidungen trifft. Eine viel wichtigere Rolle spielen bürokratische Strukturen, politische Verpflichtung und Herkunft - dazu all die anderen Verhaltensimponderabilien, die wir gerade erst zu erforschen beginnen. Und doch ist die Struktur der militärischen Vorkehrungen und des militärischen Gleichgewichts an die Erwartung rationaler Reaktionen und Gegenreaktionen geknüpft. Vor allem in den ersten Phasen eines atomaren Konflikts, in denen Ungewißheit herrscht und rasche Entscheidungen getroffen werden müssen, wird sich Rationalität nur sehr schwer bewahren lassen. Aus diesem Grunde halten es militärische Führer und andere Experten für äußerst unwahrscheinlich, daß sich ein Atomkrieg begrenzen läßt. Risikobeurteilung muß in jedem Falle von der Annahme des schlimmsten Falles ausgehen. Deshalb setzen die Szenarien dieser Konferenz wie die meisten anderen voraus, daß ein Großteil der in den Arsenalen gehorteten Kernwaffen zum Einsatz kommt. Doch dafür gibt es noch einen weiteren Grund: Unter den konkreten Entscheidungsbedingungen eines Atomkrieges wäre jede Begrenzung von Vergeltungsschlägen wahrscheinlich so schwierig, daß ein Konflikt ohne Einschränkungen zu erwarten wäre. Zum Schluß möchte ich noch kurz darlegen, was dieses Buch an Neuem enthält und was man vergebens darin suchen wird. Von großer Bedeutung ist, daß sich eine große Zahl namhafter Biologen über die ökologischen Konsequenzen eines Atomkrieges einig sind. (Vielleicht wissen Sie nicht, wie

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schwer sich Biologen über irgend etwas einig werden, vor allem wenn sie namhaft sind.) Die Arbeitsgruppe, die sich mit den atmosphärischen und klimatischen Auswirkungen beschäftigt hat, nennt in ihrem abschließenden Bericht einige denkbare Folgen einer atomaren Auseinandersetzung, die neu und außerordentlich schwerwiegend sind. Doch wie ich darzulegen trachtete, sind diese Erkenntnisse das Ergebniseines systematischen Entwicklungsprozesses des wissenschaftlichen Denkens, in dessen Verlauf sich unsere Aufmerksamkeit allmählich von den unmittelbaren und offensichtlichen Folgeerscheinungen den langfristigen und komplexen Auswirkungen zuwandte. Damit gelangen wir in einen Bereich, in dem die Auswirkungen einerseits an möglicher Bedeutung gewinnen, andererseits aber auch schwerer vorhersagbar sind. In der Tat sollten die verantwortlichen Politiker aus der Entwicklung unseres einschlägigen Wissens und der Komplexität vieler der langfristigen Effekte die Lehre ziehen, daß die Ungewißheit ein zentraler Aspekt des gesamten Themenkomplexes ist. Doch selbst die vorsichtigste Prognose läßt darauf schließen, daß ein größerer atomarer Schlagabtausch neben vielen anderen wahrscheinlichen Auswirkungen zu den größten biologischen und physikalischen Umwälzungen führen würde, die dieser Planet in den letzten fünfundsechzig Millionen] ahren erlebt hat- in einem Zeitraum also, der dreißigtausendmal länger ist als die Zeitspanne, die seit Christi Geburt verstrichen ist, und mehr als hundertmal so lang wie das ganze bisherige Leben unserer Art. Diese Größenordnung der zu erwartenden Gefahren muß jedem zu denken geben, der hier und andernorts die Verantwortung für nationale Sicherheitsentscheidungen trägt. Genauso wie eine deutliche Kontinuität zwischen den heutigen Erkenntnissen und den Ergebnissen früherer wissenschaftlicher Arbeiten zu erkennen ist, gibt es eine unzweifelhafte Kontinuität zwischen den Auffassungen der hier vertretenen Wissenschaftler und den Auffassungen vieler ihrer namhaften Kollegen, die in diesem Buche nicht zu Worte

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kommen. Mit diesem letzten Punkt möchte ich schließen, denn sehr leicht kann man schlechte Nachrichten dadurch verdrängen, daß man ihrem Überbringer mit Mißtrauen begegnet. Frühere Prognosen über die langfristigen Auswirkungen eines Atomkriegs auf der Basis der damals vorliegenden Erkenntnisse wurden 1975 von der Nationalen Akademie der Wissenschaften und dem Office of Technology Assessment des amerikanischen Kongresses ausgearbeitet. Der Akademie, die von Abraham Lincoln ins Leben gerufen wurde, um die amerikanische Regierung in wissenschaftlichen Fragen zu beraten, gehören fast dreizehnhundert der namhaftesten amerikanischen Wissenschaftler an. Zusätzlich zu der allgemeinen Untersuchung über die langfristigen Auswirkungen ist sie jetzt mit einer Analyse der atmosphärischen und klimatischen Konsequenzen befaßt, die hoffentlich die auf dieser Konferenz von Carl Sag an vorgetragenen Probleme verdeutlichen und dadurch noch mehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rücken werden. Infolge dieser Arbeiten verabschiedeten die Mitglieder der Akademie im April des letzten Jahres eine Resolution, die in ihrer langen Geschichte ohne Beispiel ist - ohne Beispiel, weil sich die Akademie damit über ihre notorische Zurückhaltung hinwegsetzte, die sie sich sonst in politisch kontroversen Fragen auferlegt. Obwohl es im vorliegenden Buch um wissenschaftliche Erkenntnisse und nicht um politische Empfehlungen geht, möchte ich Ihnen nicht vorenthalten, zu welchem Urteil meine Kollegen in dieser Frage gelangt sind. Deshalb zitiere ich hier am Schluß die Resolution über Atomkrieg und Rüstungskontrolle der nationalen Akademie der Wissenschaften:

Da der Atomkrieg eine nie dagewesene Bedrohung für die Menschheit darstelltDa ein globaler Atomkrieg viele Hundert Millionen Menschen töten und die Zivilisation in der uns bekannten Form vernichten würde 48

Da sich jeder Einsatz von Kernwaffen, auch in einem sogenannten »begrenzten Krieg«, aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem globalen Krieg ausweiten würde Da die Wissenschaft kein Mittel kennt, sich ausreichend gegen einen Atomkrieg und die gegenseitige Vernichtung zu schützen Da die Weitergabe von Kernwaffen an Staaten mit gefährdeten Regierungen in Spannungsgebieten die Gefahr eines Atomkriegs erheblich vergrößern würde Da seit mehr als zwei Jahren weder durch Ratifizierung des SALT-II-Abkommens noch durch Wiederaufnahme der Verhandlungen über strategische Kernwaffen irgendwelche Begrenzungen oder Verringerungen dieser Waffengattung erzielt worden sind wird beschlossen, daß die nationale Akademie der Wissenschaften den Präsidenten und den Kongreß der Vereinigten Staaten sowie die Verantwortlichen in der Sowjetunion und in anderen Staaten, die ein gleiches Interesse an dieser lebensentscheidenden Frage haben, dazu aufruft: Ohne Vorbedingungen und im Bewußtsein, daß kein weiterer Aufschub zulässig ist, alle Anstrengungen zu unternehmen, ein gerechtes und kontrollierbares Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion sowie anderen Ländern, die ein gleiches Interesse an dieser lebensentscheidenden Frage haben, zu erzielen Alle praktischen Maßnahmen zu ergreifen, die die Gefahr eines Atomkriegs durch Zufall oder Fehlkalkulation vermindern können Alle praktischen Maßnahmen zu ergreifen, die die Weitergabe von Kernwaffen an andere Länder verhindern können -

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Sich an alle bestehenden Rüstungskontrollabkommen, auch SALT II, zu halten Und alle Militärdoktrinen zu verwerfen, die Kernwaffen als normale Kriegswaffen einplanen.

Carl Sagan Die atmosphärischen und klimatischen Auswirkungen eines Atomkrieges

Wir schreiben den 31. Oktober des Jahres 1983, »den Tag des Halloween-Festes«, und wenn ich für das kommende Jahr einen Wunsch hege, so den, daß das, was ich Ihnen mitzuteilen habe, eine Geistergeschichte wäre, zu dem einzigen Zweck erfunden, Kindern das Gruseln zu lehren. Doch leider ist es nicht nur eine erfundene Geschichte. Unsere jüngsten Forschungsarbeiten 1• 2 haben die überraschende Tatsache ans Licht gebracht, daß ein Atomkrieg eine Klimakatastrophe den sogenannten »Atomwinter« -heraufbeschwören könnte, wie sie die Erde noch nicht erlebt hat, seit Menschen auf ihr weilen. Wir sind auf diese Ergebnisse durch Zufall gestoßen, auf Umwegen, durch einen jener in der Wissenschaft gar nicht so seltenen Umstände, bei denen man etwas aus rein intellektuellem Interesse untersucht und auf Schlußfolgerungen von überraschend praktischem Nutzen stößt. Für mich begann das ganze 1971 mit der Exploration des Planeten Mars durch Mariner 9. Mariner 9 war die erste Raumsonde, die um einen anderen Planeten kreiste. Die Ingenieure hatten erklärt, sie würde nur drei Monate nach Erreichen der Umlaufbahnarbeiten. Als die Raumsonde den Mars erreichte, war der Planet vollständig in einen gewaltigen Staubsturm gehüllt. Nachdem wir einen Monat lang eine fast völlig konturlose Scheibe fotografiert hatten, begannen wir uns ernsthafte Sorgen zu machen, daß die Raumsonde zu dem Zeitpunkt, da sich der

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Staub endlich wieder gelegt hätte, ihre Arbeit möglicherweise schon eingestellt hätte. Tatsächlich hielt der Staubsturm drei Monate an, aber die Raumsonde übertraf die Voraussagen der Ingenieure - und im Laufe des ganzen nächsten Jahres konnten wir den Planeten von einem Pol zum anderen untersuchen. Es war das erste Mal, daß ein anderer Planet von einer ihn umkreisenden Raumsonde erkundet wurde. Während der ersten drei Monate gab es wenig zu sehen außer dem Staub in der Atmosphäre. An Bord der Raumsonde befand sich ein sogenanntes Infrarot-Interferometer, das die Atmosphäre auf verschiedenen Wellenlängen untersuchen und deshalb in verschiedene ihrer Tiefenschichten vordringen konnte - angefangen in großen Höhen bis hinab zur Oberfläche des Planeten. Wir konnten verfolgen, wie sich die Temperaturen der Atmosphäre und der Oberfläche im Laufe der Zeit veränderten. Die Ergebnisse zeigten, daß die Atmosphäre erheblich wärmer und die Oberfläche erheblich kälter war, als es auf dem Mars normalerweise der Fall ist. Als sich der Staub absetzte, wurde die Atmosphäre kühler und die Oberfläche wärmer - beide Temperaturen näherten sich wieder ihren Normalwerten. Die Gründe dafür lagen auf der Hand. Die Stürme hatten einen Großteil des Staubs der Marswüsten in die Atmosphäre emporgewirbelt. Das Sonnenlicht war von den in großen Höhen schwebenden Staubteilchen absorbiert worden, wodurch sich die Atmosphäre erwärmt hatte. Zugleich aber wurde das Sonnenlicht dadurch daran gehindert, die Planetenoberfläche zu erreichen, wodurch sich die Oberfläche abkühlte. Ein Beobachter auf dem Mars hätte nach Beginn des Staubsturms festgestellt, daß sich Kälte und Dunkelheit auf dem Planeten ausbreiteten. Nach vielen Monaten (der Staubsturm hatte einige Monate vor dem Eintreffen von Mariner 9 begonnen) hatte sich der Staub wieder weitgehend gelegt und die Verhältnisse hatten sich normalisiert. Solche Staubstürme sind auf dem Mars keine Seltenheit und den Astronomen auf der Erde seit mehr als einem Jahrhun52

dert bekannt. Gewöhnlich entstehen sie in ganz bestimmten Gebieten des Mars, folgen in ihrer Ausbreitung zunächst den Längengraden, dann den Breitengraden, um in der Regel nach ein paar Wochen über den Marsäquator hinweg auf die andere Hemisphäre überzugreifen. Der atmosphärische Druck auf den Mars entspricht in etwa dem in der Stratosphäre der Erde. Der Mars beschreibt wie die Erde alle vierundzwanzig Stunden eine Drehung um sich selbst, und seine Drehachse ist gegenüber seiner Bahnebene fast um genau denselben Winkel geneigt wie die der Erde. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen Mars und Erde- auf dem Mars gibt es z.B. keine Ozeane und die Sonne ist sehr viel weiter entfernt, aber uns schien doch, daß sich diese Beobachtungen vom Mars auf die Erde übertragen ließen. Da wir in den ersten drei Monaten nach Eintritt der Raumsonde in die Marsumlaufbahn kaum mehr zu sehen bekamen als den Staubsturm, begannen einige von uns auszurechnen, um wieviel Grad sich bei einer bestimmten Menge von Staub in der Atmosphäre die Oberfläche abkühlen und die Atmosphäre erwärmen würde. Eine grobe Berechnung war nicht weiter schwierig, so daß die verschiedenen Arbeitsgruppen die Temperaturveränderungen, die der Staubsturm auf dem Mars vorübergehend bewirkt hatte, nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ verstehen konnten. Meine Kollegen (und früheren Studenten) James B. Pollack und 0. Brian Toon, die heute beide am NASA Ames Research Center sind, machten sich daran, dieses Computerinstrumentarium auf irdische Probleme anzuwenden. Wir versuchten herauszufinden, was geschehen würde, wenn bei einem großen Vulkanausbruch weltweit stratosphärische Aerosole verbreitet würden. In einigen Fällen wissen wir, wieviel Staub in die obere Atmosphäre aufgewirbelt wird, wie groß die Staubpartikel sind (im allgemeinen kleiner als ein Mikrometer [ein Zehntausendstel Zentimeter]) und wie die Partikel zusammengesetzt sind (im allgemeinen aus Schwefelsäure und Silikaten). Da die Stratosphäre sehr trocken ist, werden diese Aerosolteilchen

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nur sehr langsam ausgewaschen und da die Konvektion, die vertikale Bewegung, in der Stratosphäre sehr schwach ist, werden die Teilchen in der Regel auch nicht sehr effektiv durch die Zirkulation aus der Atmosphäre entfernt. Aus diesem Grunde sinken sie nur sehr langsam durch das eigene sehr geringe - Gewicht nach unten, so daß es mehr als einJ ahr dauert, bis die Stratosphäre wieder klar ist. Außerdem hat man bei zahlreichen Vulkanausbrüchen beobachtet, daß es weltweit zu geringen, aber deutlich erkennbaren Temperaturrückgängen kam - bei den stärksten Vulkanausbrüchen der letzten Jahrhunderte dürfte eine Abkühlung von etwas weniger als einem Grad aufgetreten sein. Wir haben festgestellt,3 daß wir in der Lage sind, diese Temperaturrückgänge ziemlich genau zu berechnen. Die für den Mars entwickelten und inzwischen erheblich verfeinerten Methoden ließen sich sehr gut auf die Erde anwenden. Danach entwickelten Alvarez und Mitarbeiter 4 die Hypothese, das Aussterben der Dinosaurier und vieler anderer Arten vor fünfundsechzig Millionen Jahren beim Übergang von der Kreidezeit zum Tertiär sei durch den Aufschlag eines Planetoiden von zehn Kilometer Durchmesser auf die Erdoberfläche und das Aufwirbeln riesiger Staubmassen in die Atmosphäre verursacht worden. In Zusammenarbeit mit Richard Turco haben Pollack und Toon errechnet, daß sich im Gefolge eines solchen Planetoidenaufschlags eine erhebliche Abkühlung und Verdunkelung auf der Erdoberfläche eingestellt hätte. Ich möchte jedoch betonen, daß unsere Schlußfolgerungen hinsichtlich der klimatischen Konsequenzen eines Atomkriegs nicht von der Richtigkeit dieser Hypothese über das große Aussterben in der Kreidezeit und im Tertiär abhängen. Die Gültigkeit unserer Schlußfolgerungen wäre nicht im mindesten in Frage gestellt, würde sich herausstellen, daß die Dinosaurier in Wirklichkeit einer Grippeepid~mie zum Opfer gefallen sind. Natürlich wußten wir, daß Atomexplosionen große Mengen Staub in die Atmosphäre befördern, und wir überlegten jah54

relang, wie sich die klimatischen Auswirkungen dieses Staubs wohl berechnen ließen. 1981, bei einer Tagung am Ames Research Center (die teilweise der Frage nach dem Ursprung des Lebens gewidmet war), beschlossen wir endlich, mit den Berechnungen zu beginnen. Weitere Anregung erhielt unsere Arbeit durch eine sehr interessante Untersuchung von Paul Crutzen, Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, und John Birks, University of Colorado. Crutzen und Birks hatten in einer vorläufigen Schätzung die Menge des Rauchs bestimmt, der bei einem Atomkrieg aus den brennenden Wäldern und Städten in die Atmosphäre aufsteigen könnte. Dieses kann offensichtlich eine weitere wichtige Quelle für Partikel, die das Sonnenlicht mindern, sein. Damit wende ich mich jetzt der Frage nach den Auswirkungen eines Atomkriegs zu. Die unmittelbaren Folgen der Explosion einer einzelnen thermonuklearen Bombe sind hinreichend bekannt und belegt 6 - Hitzewelle, Neutronen- und Gammastrahlung, Druckwelle und Folgebrände. Die Hiroshimabombe, der zwischen 100 000 und 200 000 Menschen zum Opfer fielen, war eine Spaltbombe mit einer Sprengkraft von zwölf Kilotonnen (dem Äquivalent von 12000t TNT). In einem modernen thermonuklearen Sprengkopf dient eine Vorrichtung, die der Hiroshimabombe entspricht, lediglich als Auslöser - als »Streichholz«, das die Fusionsreaktion entzündet. Im Durchschnitt dürften die amerikanischen thermonuklearen Waffen eine Sprengkraft von ungefähr 500 Kilotonnen besitzen (also 0,5 Megatonnen, wobei eine Megatonne der Sprengkraft von einer Millionen Tonnen TNT entspricht). In den strategischen Arsenalen der USA und der UdSSR befinden sich heute viele Waffen, deren Sprengkraft im Bereich zwischen neun und zwanzig Megatonnen liegt. Die größte Bombe, die je zur Explosion gebracht wurde, hatte eine Sprengkraft von achtundfünfzig Megatonnen. 7 Als »strategisch« bezeichnet man Kernwaffen dann, wenn sie durch land- oder seegestützte Raketen oder durch Bomber Ziele im Land des Gegners treffen können. Viele Waffen mit 55

etwa der gleichen Sprengkraft wie die Hiroshimabombe gelten heute als »taktische« Waffen, als »nukleare Gefechtsfeldwaffen « oder gar als »Munition«. Damit bestückt man BodenLuft- und Luft-Luft-Raketen, Torpedos, Wasserbomben und Artilleriegeschosse. Nicht immer verfügen strategische Waffen über eine größere Sprengkraft als die taktischen Waffen. 8 Die modernen taktischen Waffen und Mittelstrecken»Theater«-Raketen (z.B. Pershing-2, SS-20) und die entsprechenden Kampfflugzeuge (z.B. F-15, MIG-23) besitzen Reichweiten, die die Unterscheidung zwischen »strategischen« Waffen und »Gefechtsfeldwaffen« reichlich künstlich erscheinen läßt. Nach herkömmlicher Zählart gibt es in den Arsenalen der Amerikaner und Sowjets ungefähr 18 000 thermonukleare Waffen, die der strategischen Gattung und den Gefechtsfeldwaffen angehören und dazu eine entsprechende Anzahl von Spaltzündern. Die Gesamtsprengkraft dieser Waffen wird auf 10 000 Megatonnen geschätzt. Die Gesamtzahl der Kernwaffen (die strategischen Waffen plus der Gefechtsfeldwaffen plus der taktischen Waffen) beläuft sich in den Arsenalen beider Staaten auf fast fünfzigtausend mit einer Gesamtsprengkraft von nahezu 15 000 Megatonnen. Aus Gründen der Einfachheit lasse ich hier die Unterscheidung zwischen Mittelstreckenwaffen und strategischen Waffen fallen und fasse sie in der Kategorie »strategisch« zusammen, die über eine Gesamtsprengkraft von 13 000 Megatonnen verfügt. Die Kernwaffen der übrigen Welt - vor allem Englands, Frankreichs und Chinas umfassen viele Hundert Sprengköpfe mit einer Sprengkraft von ein paar Hundert Megatonnen. Natürlich weiß niemand, wie viele Sprengköpfe mit welcher Gesamtsprengkraft in einem Atomkrieg explodieren würden. Infolge von Angriffen auf strategische Bomber und Raketen und infolge technischen Versagens würde mit Sicherheit nicht der gesamte Weltvorrat an Kernwaffen explodieren. Andererseits herrscht sogar unter militärischen Planern Einigkeit darüber, daß sich selbst ein »kleiner« Atomkrieg kaum begren- 56

zen ließe, so daß ein Großteil aller auf der Welt vorhandenen Kernwaffen in ihn einbezogen würde. 9 (Dazu würden Faktoren beitragen wie mangelhafte Befehls- und Kontrollfunktionen, die Notwendigkeit augenblicklicher Entscheidungen über das Schicksal von Millionen von Menschen, Angst, Panik und andere Aspekte eines von wirklichen Menschen geführten wirklichen Atomkriegs.) Schon aus diesem Grunde muß jeder ernsthafte Versuch, die möglichen Konsequenzen eines Atomkriegs zu beurteilen, von einem unbegrenzten Schlagabtausch im Bereich zwischen 5000 und 7000 Megatonnen - also einer Beteiligung von einem Drittel bis der Hälfte der Weltkapazität- ausgehen, was auch in vielen Untersuchungen geschehen ist. 10 Viele der unten beschriebenen Auswirkungen können jedoch schon durch weitaus kleinere Kriege heraufbeschworen werden. Wahrscheinliche Ziele einer bestimmten Nuklearstrategie ( » Counterforce attack«) sind des Gegners strategische Luftbasen, Raketensilos, Kriegshäfen, seine im Einsatz befindlichen U-Boote, die Waffenfabriken und Waffenlager, seine Sicherheits- und Frühwarnsysteme. Zwar wird immer wieder beteuert, 11 daß keine Städte »an sich« als Ziele auserkoren sind, doch viele der obengenannten Ziele sind dicht bei oder in Städten gelegen. Außerdem sieht eine andere Nuklearstrategie den Angriff auf Industriezentren vor (»Countervalue attack« ). Die moderne Strategietheorie verlangt, daß alle »kriegswichtigen« Einrichtungen angegriffen werden müßten. Viele dieser Einrichtungen sind naturgemäß industrieller Natur und beschäftigen Belegschaften von beträchtlicher Größe. Fast immer liegen sie in der Nähe von Knotenpunkten des Beförderungssystems, damit die Rohstoffe und Fertigprodukte rasch in andere Industriezweige oder zu den Einsatztruppen gelangen können. Deshalb sind solche Einrichtungen fast definitionsgemäß in der Nähe von oder in Städten gelegen. Andere »kriegswichtige« Ziele könnten das Beförderungssystem selbst (Straßen, Kanäle, Flüsse, Eisenbahnen, zivile Flughäfen usw.), Ölraffinerien, Öllager und Pipelines, 57

Wasser- und Kernkraftwerke, Radio- und Fernsehstationen sowie ähnliche Einrichtungen sein. Ein solcher Schlagabtausch, in dem es um die Zerstörung der industriellen Strukturen geht, könnte fast alle Großstädte der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion erfassen, möglicherweise sogar die meisten Großstädte der nördlichen Erdhalbkugel. 12 Es gibt auf der ganzen Erde nur knapp 2500 Städte mit mehr als 100000 Einwohnern, so daß die Vernichtung aller dieser Städte mit den vorhandenen Kernwaffen durchaus zu bewerkstelligen wäre. Jüngste Schätzungen der unmittelbaren Todesfälle durch Druckwellen, Kernstrahlung der Anfangsphase und Feuersbrünste bei einem größeren Schlagabtausch unter Einbeziehung von Städten liegen zwischen einigen Hundert Millionen 12 und mehr als einer Milliarde Menschen - so in einer ganz neuen Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation, in der man das Zielgebiet nicht auf die Länder der Nato und des Warschauer Paktes eingrenzte. 13 Schwere Verletzungen, die sofortiger medizinischer Versorgung bedürften (ohne sie in den meisten Fällen bekommen zu können), würde etwa die gleiche Zahl von Menschen erleiden. 14 Möglicherweise würde also etwa die Hälfte der Menschheit von den unmittelbaren Auswirkungen eines Atomkriegs unmittelbar getötet oder schwer verletzt werden. Die Zerschlagung aller sozialen Strukturen, der Zusammenbruch von Elektrizitäts-, Brennstoff- und Nahrungsversorgung, von Transport- und Kommunikationssystemen und anderen Dienstleistungsbereichen, das Fehlen medizinischer Versorgung, denkbar ungünstige hygienische Bedingungen, die Ausbreitung von Krankheiten und schweren psychischen Störungen - all das würde zweifellos eine beträchtliche Zahl weiterer Opfer fordern. Doch eine Reihe zusätzlicher Effekte- einige unerwartet, einige in früheren Untersuchungen nicht ausreichend berücksichtigt, einige von uns erst kürzlich entdeckt - lassen das Bild noch weit trostloser erscheinen. Zur Zerstörung von Raketensilos, von Befehls- und Kon58

trollzentren sowie anderen »harten« Zielen müssen - infolge der begrenzten Zielgenauigkeit heutiger Raketen - Kernwaffen von ziemlich großer Sprengkraft am Boden oder in geringer Höhe gezündet werden. Bodenexplosionen von Waffen großer Sprengkraft würden die Oberfläche des Zielgebietes verdampfen, einschmelzen und pulverisieren, so daß große Mengen kondensierten und feinen Staubs in die obere Troposphäre und die Stratosphäre gewirbelt würden. Größtenteils würden die Partikel von dem aufsteigenden Feuerball nach oben transportiert. Einige würden auch im Stiel des Atompilzes nach oben wandern. Die meisten militärischen Ziele sind jedoch nicht sehr »hart«. Die Zerstörung von Städten läßt sich, wie Hiroshima und Nagasaki beweisen, mit Bomben geringer Sprengkraft herbeiführen, die knapp einen Kilometer über der Oberfläche zur Explosion gebracht werden. Luftexplosionen geringer Sprengkraft über Städten oder in der Nähe von Wäldern würden wahrscheinlich Großbrände auslösen, die in einigen Fällen Gebiete von 100 000 Quadratkilometern und mehr erfassen könnten. Stadtbrände würden Riesenmengen schwarzen Rauchs erzeugen, die mindestens bis in die untere Atmosphäre, die Troposphäre, aufsteigen würden (Abb. lA). Wenn Feuerstürme aufträten, würde die Rauchsäule, wie die Zugluft in einem Kamin, gewaltigen Auftrieb erhalten und könnte (die Frage ist noch nicht entschieden) einen Teil des Rußes in den unteren Teil der oberen Atmosphäre, die Stratosphäre, befördern. Der Rauch der brennenden Wälder und Wiesen würde zunächst auf die untere Troposphäre beschränkt bleiben. Die Spaltung des (im allgemeinen aus Plutonium bestehenden) Zünders, den alle thermonuklearen Waffen besitzen, und die Reaktionen des (meist aus Uran 238 bestehenden) Mantels, der die größten Anteile der Explosionsund Strahlungsenergie liefert, würden ein Hexengebräu aus radioaktiven Produkten erzeugen, die gleichfalls von der Wolke mitgerissen würden. Jedes dieser Produkte oder Radioisotope besitzt eine charakteristische Halbwertzeit (defi59

0 DAYS 30 -

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T (°C)-+

niert als die Zeit, in der die ursprünglich vorhandenen Isotope durch Zerfall auf die Hälfte der ursprünglichen Radioaktivität zurückgehen). Die meisten der Radioisotope haben sehr kurze Halbwertzeiten und zerfallen in einem Zeitraum von Stunden und Tagen. Partikel, die, meist durch Bomben gro-

60

Abbildung lA. Eine angenäherte Darstellung der normalen Temperaturverhältnisse in der Erdatmosphäre mittlerer nördlicher (oder südlicher) Breite. Die von der Sonne erwärmte Erdoberfläche hat eine durchschnittliche Jahrestemperatur von 13 °C. Bis zur Tropopause, die im Mittel in 10 km Höhe liegt, sinkt die Temperatur mit zunehmender Höhe. Die mittlere Tropopausen-Temperatur beträgt -55 °C. Die untere Region der Erdatmosphäre, Troposphäre genannt, ist heftigen Bewegungen durch Winde und Turbulenzen ausgesetzt. Außerdem kommt es in diesem Bereich zu Niederschlägen. Von dort würden sich feine Partikel also infolge von Luftbewegungen oder Regen relativ rasch absetzen. Über der Troposphäre liegt die Stratosphäre. Dort sind die Temperaturen unabhängig von der Höhe nahezu konstant, die vertikalen Winde und Turbulenzen sind schwach. Niederschlag gibt es nicht, so daß die kleinen Schwebeteilchen nur langsam aus diesem Bereich wieder nach unten in die Troposphäre herabsinken. Der Rauch der Großbrände bliebe weitgehend auf die Troposphäre beschränkt, so daß der Ruß relativ rasch auf die Erde zurückkehren würde. Der Staub von Bodenexplosionen großer Sprengkraft - an Raketensilos und anderen »harten« Zielen - würde zu großen Teilen in die Stratosphäre gelangen und infolgedessen relativ langsam absinken. Wie gezeigt, ist mindestens eine Sprengkraft von 100 Kilotonnen erforderlich, um Explosionsmaterial in die Stratosphäre aufzuwirbeln. Der Feuerball einer Explosion von 1 Megatonne (MT) würde fast vollständig in die Stratosphäre aufsteigen.

DAYS - TAGE; Stratosphere - Stratosphäre; Tropopause - Tropopause; Troposphere-Troposphäre; h (km)-H (km); T (°C)- T (°C); KT -KT; MT-MT.

ßer Sprengkraft, in die Stratosphäre auf gewirbelt würden (Abb. 1 A), würden sich sehr langsam niederschlagen - in der Regel nach etwa einem Jahr, so daß die meisten Spaltprodukte, selbst wenn sie in hoher Konzentration vorgelegen hätten, durch Zerfall sehr viel unschädlicher geworden wä61

ren. Partikel, die durch Bomben geringer Sprengkraft und Großbrände in die Troposphäre gelangt wären (Abb. 1 A), würden sich - durch Zusammenlagerung, Schwerkraft, Regen, Konvektion und andere Prozesse - so rasch niederschlagen, daß die Radioaktivität noch nicht auf ein einigermaßen ungefährliches Niveau abgesunken wäre. Der rasche Niederschlag radioaktiver Partikel aus der Troposphäre würde also in der Regel höhere Dosen ionisierender Strahlen abgeben als der langsamere Niederschlag radioaktiver Teilchen aus der Stratosphäre. Kernexplosionen von mehr als einer Megatonne Sprengkraft würden in der Regel einen strahlenden Feuerball erzeugen, der durch die Troposphäre ganz in die Stratosphäre aufsteigen würde (Abb. 1 A). Die Feuerbälle von Waffen mit einer Sprengkraft zwischen 100 und 1000 Kilotonnen (1000 Kilotonnen = 1 Megatonne) würden teilweise in die Stratosphäre hineinreichen. Die hohen Temperaturen im Inneren des Feuerballs würden zur chemischen Verbrennung eines Teils des Luftstickstoffs führen, wodurch Stickoxide entstehen würden, die ihrerseits das Ozongas in der mittleren Stratopshäre chemisch angreifen und abbauen würden. Dieses Ozon absorbiert nun aber die biologisch gefährlichen ultravioletten Strahlen der Sonne. Durch den partiellen Abbau der stratosphärischen Ozonschicht (»Ozonosphäre«) infolge von Kernexplosionen mit hoher Sprengkraft würde (nachdem sich Ruß und Staub niedergeschlagen hätten) die ultraviolette Strahlung der Sonne auf der Erdoberfläche zunehmen. Nach einem Atomkrieg, in dem Tausende von Kernwaffen mit hoher Sprengkraft explodiert wären, könnte die Zunahme des biologisch gefährlichen ultravioletten Lichtes mehrere Hundert Prozent betragen. 1• 2 • 10 Nukleinsäuren und Proteine, die fundamentalen Bausteine des Lebens auf der Erde, sind besonders anfällig für ultraviolette Strahlung. Deshalb könnte eine erhöhte ultraviolette Sonneneinstrahlung auf der Erdoberfläche dem Fortbestand des Lebens gefährlich werden. Diese vier Faktoren - verdunkelnder Rauch in der Tropo62

sphäre, verdunkelnder Staub in der Stratosphäre, der Niederschlag radioaktiver Partikel und die partielle Zerstörung der Ozonschicht - sind die vier schlimmsten, bislang bekannten Umweltkonsequenzen, mit denen wir zu rechnen hätten, wenn ein Atomkrieg »vorbei« wäre. Es mag noch andere Auswirkungen geben, von denen wir nichts wissen. Der Staub und vor allem der dunkle Ruß würden das gewöhnlich sichtbare Sonnenlicht absorbieren, die Atmosphäre erhitzen (Abb. 1 B und 1 C) und die Erdoberfläche abkühlen. Alle vier Auswirkungen haben wir in unserer unlängst veröffentlichten Studie 1 untersucht, die nach den Anfangsbuchstaben ihrer Autoren TTAPS genannt wird. Zum ersten Male wird dort nachgewiesen, daß auf einen Atomkrieg ein schwerwiegender und anhaltender Temperaturabfall, der »Atomwinter«, folgen würde. (In der Studie wird auch erklärt, warum solche klimatischen Effekte nicht zu beobachten waren, als die USA und die UdSSR vor Abschluß des Atomteststopabkommens noch in der Atmosphäre Kernwaffenversuche mit einer Sprengkraft von mehreren Hundert Megatonnen durchführten: Die Explosionen verteilten sich über viele Jahre, fanden praktisch nie gleichzeitig statt und verursachten, da sie über Buschwüsten, Korallenatollen, Tundren und Ödland gezündet wurden, keine größeren Brände.) Die neuen Ergebnisse sind eingehender Prüfung unterzogen und durch viele Berechnungen, davon zumindest zwei in der Sowjetunion, erhärtet worden. Im Unterschied zu vielen anderen Studien hat diese Untersuchung erbracht, daß sich die Auswirkungen nicht auf die nördlichen Breiten beschränken würden, in denen der atomare Schlagabtausch weitgehend stattfinden würde. Es gibt heute eindeutige Belege dafür, daß die Erwärmung des Rußes und des Staubes in der Atmosphäre über den nördlich gelegenen Zielen die globalen Luftströmungen tiefgreifend verändern würden(vgl. den TextzuAbb.1 Bund 1 C). Feine Partikel würden, wie in der Marsatmosphäre, nach einigen Wochen über den Äquator wandern und auch der südlichen Erd63

30 Days after War 30

25

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T (°C)-

halbkugel die Kälte und die Dunkelheit bringen. (Ferner geht man in einigen Studien 14 davon aus, daß mehr als 100 Megatonnen Zielen am Äquator und auf der südlichen Hemisphäre gelten würden, so daß also auch dort solche Partikel gebildet würden.) Zwar wäre es auf der Oberfläche der südlichen Erd64

Abbildungen 1B und 1 C. Wenn die oberen Luftschichten erwärmt werden (weil die im Verlaufe des Atomkriegs emporgewirbelten feinen Partikel das Sonnenlicht absorbieren), kühlt sich die Erdoberfläche ab, denn dieselben Partikel hindern das Sonnenlicht daran, die Erdoberfläche zu erreichen. In Abbildung 1 B werden, aus den TTAPS-Ergebnissen errechnet, die Temperaturverhältnisse der Atmosphäre in mittleren Breiten der nördlichen Erdhalbkugel 30 Tage nach einem größeren Atomkrieg wiedergegeben (Tabelle 1, Fall 1). Wie in Abbildung 1 A gibt die senkrechte Achse die Höhe (h) wieder, die waagerechte Achse die Temperatur in Celsius. Abbildung 1 C zeigt die veränderten Temperaturverhältnisse nach 120 Tagen. In beiden Fällen ist die normale Temperaturstruktur nicht mehr zu erkennen, weil sich bis in 15-20 km Höhe eine neue Temperaturinversion gebildet hat. Diese Schicht wird durch das Sonnenlicht erwärmt, das durch den Ruß und Staub absorbiert wird. Genau wie bei den Temperaturin~ersionen, die sich über Städten wie Los Angeles bilden, ist die veränderte Temperaturstruktur sehr stabil, denn Partikel, die solche Höhen erreicht haben, sinken sehr viel langsamer als normalerweise ab. Da der Einfluß dieser Temperaturinversion den TTAPS-Berechnungen noch nicht zugrunde liegt (die Berechnungen berücksichtigen noch nicht alle Wechselwirkun-

30 Days after War - 30 Tage nach dem Krieg;

halbkugel weniger kalt und weniger dunkel als im Norden, doch könnten auch dort massive klimatische und ökologische Umwälzungen ausgelöst werden. Unseren Studien wurden zahlreiche verschiedene Szenarien zugrunde gelegt, damit sie möglichst viele denkbare Kriegs65

120 Days after War 30

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30 40

T (°C)-

verläufe berücksichtigten, und die Unsicherheit eines jeden Schlüsselparameters wurde in Betracht gezogen (z.B. bei der Annahme, welche Partikelmenge in die Atmosphäre aufgewirbelt würde). Fünf repräsentative Fälle werden in Tabelle 1 aufgeführt. Sie reichen von einem kleinen Angriff mit gerin-

66

gen), ist die Zeit, die für die Wiederherstellung normaler Verhältnisse angesetzt wird (Abb. 2), möglicherweise erheblich unterschätzt. Im 30-Tage-Fall hat die Region, in der sich die Temperatur kaum noch mit der Höhe ändert, die Oberfläche erreicht, der Atomkrieg bringt also die Stratosphäre gewissermaßen bis zur Erdoberfläche herunter. Vergleiche beider Abbildungen deuten auch an, warum die Partikel nach einer gewissen Zeit dazu tendieren, über den Äquator hinweg in die südliche Erdhalbkugel zu strömen. Betrachten wir zum Beispiel die Situation in einer Höhe von zehn Kilometern über der nördlichen Hemisphäre. Ein paar Wochen nach dem Krieg betragen die Temperaturen dort etwa O Grad Celsius (Abb. 1 B). In der bislang ruß- und staubfreien südlichen Hemisphäre aber sind die Temperaturen in der gleichen Höhe um 50 Grad niedriger (Abb. 1 A). Ganze Luftmassen mitsamt der in ihnen enthaltenen Partikel werden »bergab« strömen, aus wärmeren Regionen in kältere. Die Physik lehrt, daß solche Flüsse Gradienten folgen. Die großen Temperaturunterschiede werden in der nördlichen Hemisphäre zu aufsteigenden Südströmungen und in der südlichen Hemisphäre zu absinkenden Nordströmungen führen. Der Endeffekt könnte sein, daß sich die staubgeladene Luft über den ganzen Globus verteilt und dabei noch höher steigt.

120 Days after War- 120 Tage nach dem Krieg.

ger Sprengkraft (0,8 Prozent der gesamten Weltkapazität), der ausschließlich Städten gilt, bis zu einem globalen Schlagabtausch, in dem 75 Prozent aller vorhandenen Kernwaffen zum Einsatz kommen. »Nominal-Fälle« (= Fälle unter der Annahme von durchschnittlichen Bedingungen) gehen von

67

den wahrscheinlichsten Parametern, »schwere« Fälle von den ungünstigsten, aber immer noch denkbaren Parametern aus. Nach einem Atomkrieg würden sich die vorhergesagten Temperaturen auf der nördlichen Hemisphäre entsprechend der Kurven von Abbildung 2 verändern. Die hohe Wärmekapazität des Wassers würde dafür sorgen, daß die Meerestemperaturen höchstens um ein paar Grad fallen würden. Durch den Temperaturausgleich mit den nahegelegenen Meeren würden die Temperaturen in Küstenregionen weniger extrem sein als im Inneren der Kontinente. Doch der krasse Temperaturunterschied zwischen den gefrorenen Kontinenten und den nur geringfügig abgekühlten Meeren würde in den Küstengebieten Stürme von nie dagewesener Heftigkeit hervorrufen. Dabei würde vor allem dort die Radioaktivität ausregnen, so daß weder das Innere der Kontinente noch die Küstengebiete verschont blieben. Die in Abbildung2 angegebenen Temperaturen sind Durchschnittswerte für die Landgebiete der nördlichen Hemisphäre, wobei zunächst weder der Einfluß der Weltmeere noch die räumliche und zeitliche Unregelmäßigkeit der Rauchwolkenbedeckung berücksichtigt sind. Man weiß, daß selbst sehr viel geringere Temperaturrückgänge schwerwiegende Folgen haben können. Als 1815 der Tamboravulkan in Indonesien ausbrach, kam es dadurch wahrscheinlich zu einem weltweiten Temperaturrückgang von knapp einem Grad Celsius, infolge des feinen Staubes, der in die Stratosphäre aufgewirbelt worden war und das Sonnenlicht reduzierte. Im folgenden Jahr war es oft so kalt, daß man das Jahr 1816 in Europa und Amerika als »das Jahr ohne Sommer« und »Achtzehnhundert-frier-dich-tot« in Erinnerung behielt. Eine Abkühlung um ein Grad Celsius würde fast den gesamten Weizenanbau in Kanada unmöglich machen. 15 Geringfügige weltweite Veränderungen ziehen in der Regel erheblich größere regionale Veränderungen nach sich. In den letzten tausend Jahren haben die größten Temperaturabweichungen vom langfristigen Mittelwert auf dem gesamten 68

Tabelle 1

Szenarien für einen atomaren Schlagabtausch Gesamtsprengkraft (MT)

Fall

Bodenexplosionen, Prozent der Sprengkraft

städtische oder industrielle Ziele, Prozent der Sprengkraft

Sprengkraft der einzelnen Sprengköpfe (MT)

Gesamtzahl der Explosionen

1. Basisfall, städt. und industr. Ziele und milit. Ziele•

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100

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63

15

0,1-10

16160

11 . 3000 Megatonnen nominal *, nur milit. Ziele b, c

14. 100 Megatonnen nominal, nur städt. und industr. Zieled

16. 5000 Megatonnen schwer**, nur milit. Ziele b, •

17. 10000 Megatonnen schwer, städt. und industr. Ziele und milit. Zieled,e

.

(unter Annahme von durchschnittlichen Bedingungen) •• (unter Annahme schwerwiegender Bedingungen) • Im Basisfall verbrennen 12000 Quadratkilometer Innenstadtbereich; auf jedem Quadratzentimeter gehen durchschnittlich 10 Gramm brennbarer Stoffe in Flammen auf, wobei 1,1 Prozent des verbrannten Materials als Rauch aufsteigen. Außerdem verbrennen 230000 Quadratkilometer Vorstadtgebiet, wobei 1,5 Gramm pro Quadratzentimeter verbrennen und 3,6 Prozent als Rauch aufsteigen. b Nach dieser außerordentlich vorsichtigen Schätzung findet keinerlei Rauchemission statt, verbrennt kein einziger Grashalm. c Pro explodierte Megatonne werden nur 25000 Tonnen feinen Staubs in die obere Atmosphäre aufgewirbelt. d Im Gegensatz zum Basisfall brennen nur Innenstädte, wobei 10 Gramm pro Quadratzentimeter in Flammen aufgehen und 3,3 Prozent als Rauch in die obere Troposhäre aufsteigen. • Hier beträgt die Menge feinen Staubs (kleiner als 1 µm) 150 000 Tonnen pro explodierter Megatonne.

Case 11: 3,000 MT nominal, counterforce only

70

Case 14: 100 MT nominal. cities only ___________ AMBIENT TEMPERATURE

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lime Post-Detonations (days) Surface Land Temperature- Kontinentale Oberflächentemperaturen; Time Post-Detonations (days)-Zeit nach den Explosionen (in Tagen); Case 11 : 3,000 MT nominal*, counterforce only- Fall 11 : 3000 MT nominal, nur Counterforce*; Case 14: 100 MT nominal, cities only- Fall 14: 100MT nominal, nur Städte; AMBIENTTEMPERATURE-DURCHSCHNITTLICHE NORMALTEMPERATUR; FREEZING POINT OF PURE WATER - GEFRIERPUNKT VON REINEM WASSER; Case 1 (baseline): 5000 MT nominal, cities and counterforce - Fall 1 (Basisfall): 5000 MT nominal*, Städte und Counterforce*; Case 16 :5000 MT »schwer«, counterforce only- Fall 16 :5000 MT »schwer«*, nur Counterforce*; Case 17:10000 MT »schwer«*, cities and counterforce Fall 17: 10000 MT »schwer«•. Städte und Counterforce. • Begriffe siehe Tabelle 1

Globus und auf der nördlichen Erdhalbkugel höchstens einen Grad Celsius betragen. Während einer Eiszeit gehen die Normaltemperaturen weltweit und langfristig um ungefähr 10 Grad Celsius zurück. Selbst im günstigsten der in Abbildung2 dargestellten Fälle kommt es zu Temperaturrückgän70

Abbildung2 In dieser Abbildung wird die durchschnittliche Temperatur in den (küstenfernen) Kontinentalgebieten der nördlichen Hemisphäre abhängig von der nach einem Atomkrieg verstrichenen Zeit dargestellt. Auf der senkrechten Achse wird die Temperatur in Grad Celsius abgebildet. Diese Durchschnittstemperaturen sind über alle Breitengrade und Jahreszeiten gemittelt. Entsprechend würden die Wintertemperaturen nördlicher Breitengrade niedriger und die normalen Tropentemperaturen höher liegen als abgebildet. Die obere gestrichelte Linie gibt die normale Durchschnittstemperatur der Erde an (13 °C), die untere gestrichelte Linie den Gefrierpunkt von reinem Wasser (0 °C). Auf der waagerechten Achse läßt sich die Zeit in Tagen ablesen, die seit Beginn des atomaren Schlagabtausches verstrichen ist - vom Anfang bis zu fast einem Jahr danach.Jede Kurve entspricht einem anderen atomaren Szenario - von einem Gesamteinsatz von 100 Megatonnen (MT) bis zu 10000 MT. Der mildernde Einfluß der Weltmeere (der den Temperaturrückgang auf etwa 70 Prozent der hier abgebildeten Werte beschränken würde) wird im Text erörtert, hier aber nicht berücksichtigt. Die hier aufgeführten Fälle, eine Auswahl aus einer sehr viel umfangreicheren Zusammenstellung in den TTAPS-Untersuchungen, werden eingehender in Tabelle 1 besprochen. Sie enthalten eine Mischung von Angriffen auf Industriezentren und Städte (»Countervalue attacks«), bei dem vor allem der Rauch der Großbrände in die Troposphäre transportiert würde, und Angriffen auf Raketensilos (»Counterforce attacks«), bei denen (in sehr vorsichtiger Schätzung) angenommen wird, daß kein Rauch entsteht, sondern nur große Mengen Staub in die Atmosphäre aufgewirbelt werden. Als »nominal« bezeichnete Fälle gehen von den wahrscheinlichsten Werten jener Parameter aus, die (wie die Größe von Staubpartikeln und die Häufigkeit von Feuerstürmen) nicht genau bekannt sind. Fälle, die

gen dieser Größenordnung. Im Basisfall sieht es sehr viel schlimmer aus. Anders als bei einer Eiszeit würden jedoch nach einem Atomkrieg die weltweiten Temperaturen rasch wieder steigen und zu ihrer Normalisierung nicht Jahrtausende benötigen, sondern wahrscheinlich nur Monate oder 71

als »schwer« bezeichnet werden, setzen ungünstige, aber nicht unwahrscheinliche Werte für diese Parameter an. In Fall 14 endet die Kurve, sobald sich die Temperaturen der Normaltemperatur auf einen Grad genähert haben. In den vier anderen Fällen enden die Kurven nach 300 Tagen. Der Grund liegt einfach darin, daß die Berechnungen nicht weitergeführt wurden. In diesen vier Fällen würden sich die Kurven in der angezeigten Richtung fortsetzen. Ganz grob gesehen, ist Fall 1 die Summe der Fälle 11 und 14. Fall 16 geht von einem Schlagabtausch aus, in dem durch Bodenexplosionen ziemlich hoher Sprengkraft ausschließlich Raketensilos zerstört werden sollen, wodurch ein hoher Prozentsatz feinen Staubs erzeugt würde. Im folgenden werden die fünf Fälle eingehender beschrieben. Fall 1 ist der Basisfall, die Grundannahme, der TTAPS-Studie. Dabei sind 4000 Megatonnen für Counterforce-Angriffe beider Seiten und 1000 Megatonnen zur Zerstörung von Innenstadt- und Vorstadtgebieten bestimmt. Die Hauptwirkung ruft der Ruß aus Stadtbränden hervor. Die Minimaltemperatur von -23 °C wird ein paar Wochen nach den Kampfhandlungen erreicht. Nach ungefähr drei Monaten erreichen die Temperaturen wieder den Gefrierpunkt. Infolge der langsamen Absetzbewegungen des stratosphärischen Staubs läßt die Normalisierung der Temperaturverhältnisse mehr als ein Jahr auf sich warten. Fall 11: Hier bringen die USA und/ oder die UdSSR eine Gesamtsprengkraft von 3000 Megatonnen an Raketensilos und anderen Zielen weitab von Städten und Wäldern zur Explosion. Die Feuer werden (was unrealistisch ist) als vernachlässigenswert behandelt. Da feine Staubpartikel in die Stratosphäre emporgewirbelt werden, fallen die Landtemperaturen über einen Zeitraum von drei Monaten. Dieser Staub sinkt nur sehr langsam aus der Stratosphäre ab, so daß

ein paar Jahre. Durch den Atomwinter würde wohl keine neue Eiszeit eingeleitet werden, zumindest soweit es unsere vorläufigen Untersuchungen erkennen lassen. Die Dämpfung des Sonnenlichts könnte zu ständigem Zwielicht oder noch größerer Dunkelheit führen. Mehr als eine

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es mehr als ein Jahr dauert, bis die Temperaturen wieder ihre Normalwerte annehmen. Fall 14: Hier bleibt der Konflikt auf 100 Megatonnen beschränkt, die ausschließlich in Luftexplosionen von geringer Sprengkraft über Städten zum Einsatz gebracht werden. Bei diesen Berechnungen wird keine Staubproduktion angenommen - nur der Rauch der brennenden Städte, der kaum in die Stratosphäre gelangt. Die Minimaltemperatur von-23 °C wird nach wenigen Wochen erreicht, und die Normaltemperaturen sind nach ungefähr hundert Tagen wiederhergestellt. Wenn sich der Ruß absetzt, beginnt das Sonnenlicht wieder auf die Erdoberfläche zu dringen. Einhundert Megatonnen entsprechen ungefähr 0,8 Prozent der amerikanischen und sowjetischen strategischen Kapazität. Fall 16 ist ein 5000-Megatonnen-Abtausch, bei dem vor allem Raketensilos angegriffen werden und bei dem mehr feiner Staub pro Megatonne Sprengkraft aufgewirbelt wird als in dem - von vorsichtigen Schätzungen ausgehenden - Fall 11, wobei die Stadtbrände vernachlässigenswert sind. Hier werden die Minimaltemperaturen erst nach vier Monaten erreicht: -25 °C. Da große Mengen Staub in der Stratosphäre kreisen und sich nur sehr langsam absetzen, braucht die Kontinentaltemperatur mehr als ein Jahr, um sich wieder dem Gefrierpunkt zu nähern. Fall 17: In diesem Falle kommen ungefähr drei Viertel der strategischen Kapazität der USA und der UdSSR in Angriffen zum Ein~ satz, die sowohl Raketensilos als auch Städten gelten. Nach mehr als zwei Monaten werden die Minimaltemperaturen von -47 °C erreicht Temperaturen, wie man sie normalerweise auf der Marsoberfläche vorfindet. Der Ruß fällt relativ rasch aus, das heißt, die lange Normalisierungsphase ist auf den stratosphärischen Staub zurückzuführen. Erst nach ungefähr einem Jahr haben die Temperaturen wieder den Gefrierpunkt erreicht.

Woche lang würde man im Zielgebiet der nördlichen Hemisphäre auch mittags nicht die Hand vor Augen sehen können. In den Fällen 1 und 14 (Tabelle 1) fallen die durchschnittlichen Lichtstärken in der nördlichen Hemisphäre auf einige wenige Prozent der Normalwerte ab, so wie es etwa bei sehr 73

dichter Bewölkung der Fall ist. Bei solchen Lichtverhältnissen befinden sich viele Pflanzen in der Nähe dessen, was man ihren Kompensationspunkt nennt, die Lichtstärke, bei der die Photosynthese kaum noch mit dem Pflanzenstoffwechsel Schritt halten kann. In Fall 17 geht die Lichtstärke - durchschnittlich auf der ganzen nördlichen Erdhalbkugel- am Tage auf ungefähr 0,1 Prozent des Normalwertes zurück. Bei diesen Lichtverhältnissen würden die meisten Pflanzen die Photosynthese ganz einstellen. In Fall 1 und vor allem Fall 17 würde die Rückkehr zu normalem Tageslicht mehr als ein Jahr dauern (Abb. 2). Wenn sich die feinen Partikel aus der Atmosphäre absetzen, wobei sie auf der Erdoberfläche Radioaktivität freigeben, nimmt die Lichtstärke zu und erwärmt sich die Oberfläche. Die abgetragene Ozonschicht läßt jetzt größere Mengen ultravioletten Sonnenlichts auf die Erdoberfläche gelangen. Für den 5000-Megatonnen-Basisfall läßt sich errechnen, daß der unmittelbare Fallout, die Wolken von Radioaktivität, die von den Zielgebieten aus mit dem Winde ziehen, in 30 Prozent der Landgebiete mittlerer Breite auf der nördlichen Hemisphäre eine Strahlendosis von 250 rad abgeben würde. Außerdem ist auf der ganzen nördlichen Hemisphäre mit einer mehr oder weniger einheitlichen Strahlendosis von 100 rad zu rechnen. Sie ergibt sich aus einer Mischung von äußeren Strahlungsquellen und radioaktivem Material, das mit der Nahrung aufgenommen wird. Nach herrschender Lehrmeinung beträgt die tödliche Dosis ionisierender Strahlung für den gesamten Körperbereich des gesunden Erwachsenen zwischen 400 und 500 rad. Dies gilt nur für den Fall, daß eine umfassende medizinische Versorgung gewährleistet ist. Bei Kindern, älteren Personen, Kranken und Personen, die unter anderen Beeinträchtigungen durch die von einem Atomkrieg verwüstete Umwelt leiden, ist die mittlere tödliche Dosis, vor allem wenn eine wirksame medizinische Versorgung nicht mehr möglich ist, erheblich niedriger: vielleicht 350 rad oder noch weniger. Deshalb würde der radioaktive Fallout - besonders 74

in den Gebieten mittlerer nördlicher Breiten, die die höchste Bevölkerungsdichte aufweisen - nach einem Atomkrieg einen extrem hohen Risikofaktor darstellen. Die zeitliche Abfolge der Vielzahl von gefährlichen Konsequenzen eines Atomkriegs wird in Tabelle 2 dargestellt. Das vielleicht wichtigste und am wenigsten erwartete Ergebnis unserer Studie war die Erkenntnis, daß sogar ein relativ kleiner Atomkrieg verheerende klimatische Folgen haben kann, vorausgesetzt, er hat Städte zum Ziel (vgl. Fall 14 in Abbildung 2; hier brennen die Zentren von einhundert größeren Städten im Bereich der Nato und des Warschauer Pakts). Relativ genau scheint sich ein Schwellenwert für die Auslösung schwerwiegender klimatischer Konsequenzen errechnen zu lassen: Ungefähr hundert Kernexplosionen über Städten - mit Rauchentwicklung - oder ungefähr 2000 bis 3000 Explosionen großer Sprengkraft am Boden oder in geringer Höhe, beispielsweise zur Zerstörung von Raketensilos - mit Stauberzeugung und Folgefeuern. Bis diese Schwellenwerte erreicht sind, können feine Staubpartikel in die Atmosphäre aufgewirbelt werden, ohne daß größere Auswirkungen zu befürchten sind. Danach wächst die Wirkung der Effekte rasch an. 16 Allerdings läßt sich der Schwellenwert bislang nur sehr grob schätzen. Wie bei allen Berechnungen von solcher Komplexität gibt es Ungewißheiten. Einige Faktoren scheinen auf schwerwiegende oder länger anhaltende Auswirkungen hinzuweisen; andere dürften die Effekte eher abschwächen. 17 Die detaillierten TTAPS-Berechnungen, die hier beschrieben werden, sind eindimensional, das heißt, sie gehen davon aus, daß sich die Partikel nach den Gesetzen der Physik in senkrechter Richtung bewegen, lassen aber alle Bewegungen entlang der Breiten- und Längengrade außer acht. Wenn der Ruß oder Staub vom angenommenen Standort forttreibt, dann verbessert sich dort die Situation und verschlechtert sich anderswo. Außerdem können diese kleinen Partikel von Wettersystemen an andere Standorte transportiert werden, wo sie rascher auf die 75

Erdoberfläche befördert werden könnten. Dies würde die Dunkelheit nicht nur lokal, sondern auch global aufhellen. Durch eine solche Verlagerung von den mittleren Breiten der nördlichen Hemisphäre würden die Äquatorzone und die südliche Erdhalbkugel in die Auswirkungen eines Atomkriegs einbezogen werden. Es wäre sehr nützlich, eine genaue dreidimensionale Berechnung der allgemeinen atmosphärischen Zirkulationsbewegungen nach einem Atomkrieg durchzuführen. Erste Schätzungen 17 lassen darauf schließen, daß die allgemeine Zirkulation die extremen Niedrigtemperaturen unserer Berechnungen in den Kontinentalgebieten um etwa 30 Prozent abmildern könnten. Dadurch würden die Effekte etwas abgeschwächt, ohne indessen ihr katastrophales Ausmaß einzubüßen (d. h. der Temperatursturz würde 30° C, statt 40° C betragen). Um einen gewissen Sicherheitsspielraum zu besitzen, vernachlässigen wir diesen Umstand in der folgenden Erörterung. Ferner würde die Rauchwolkendecke Löcher aufweisen. Im Atlantik und im Pazifik gibt es wenig lohnende Ziele. Wenn diese umherziehenden rauchfreien Felder (ein »Atlantikloch« und ein »Pazifikloch«) in regelmäßigen Abständen über den meisten Gebieten der nördlichen Hemisphäre auftauchen würden, würden die Auswirkungen der Kälte und der Dunkelheit etwas abgeschwächt. Doch die Feuer, die sich beispielsweise im Westen Nordamerikas oder in den eurasischen Taigas gebildet hätten, würden weiterbrennen, zum Teil noch wochenlang, und neue Brände würden gelegt: verspätete Angriffe könnten gegen Ziele geführt werden, die vorübergehend im Einzugsbereich eines Wolkenloches liegen, um die Zielzerstörung per Satellit kontrollieren zu können. Hinzu kommt, daß unterschiedliche Höhen unterschiedliche Windgeschwindigkeiten aufweisen, und daß ein Loch in einer bestimmten Höhe über oder unter einer dicken Wolkenschicht einer anderen Höhe liegen könnte. Der Staub, der am 4. April 1982 beim Ausbruch des mexikanischen Vulkans El Chichon in die Stratosphäre geschleudert wurde, brauchte zehn Tage,

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um Asien zu erreichen, zwei Wochen, um Afrika zu erreichen, und drei Wochen, um die Erdkugel zu umkreisen, wobei sich ein dünnes, 10 Breitengrade weites Band von Partikeln bildete. (Im Laufe weniger Monate hatten zehn bis zwanzig Prozent der stratosphärischen Staubteilchen die südliche Hemisphäre erreicht.) Wenn anstatt einer viele Quellen Teilchen in die Atmosphäre emittieren, werden sich die Löcher noch rascher schließen. Aus diesen Gründen erscheint es unwahrscheinlich, daß die ihren Ort verändernden Löcher in der Rauchbedeckung mehr als ein oder zwei Wochen offenbleiben würden, beziehungsweise daß die rauchfreien Felder größeren Maßstabs die klimatischen Effekte entscheidend abschwächen könnten. Es bleiben noch viele andere Aspekte des Problems zu untersuchen: zum Beispiel, ob kleinere Wolkenlöcher entstehen können, ob plötzliche Frosteinbrüche möglich sind (wie Covey u. a. annehmen: vgl. Stephen Schneiders Äußerungen in diesem Band, S. 155-168), wie rasch sich einzelne Rauchwolken ausbreiten (die Partikel in dichten Wolken flocken rascher aus und setzen sich leichter ab als in diffusen Wolken), welche lokale Atmosphärenzirkulation in Küstengebieten zu erwarten wäre und welche Bedeutung das für das Abregnen von Partikeln hätte (vgl. Georgi S. Golitsins Äußerungen in diesem Band, S. 152), welche täglichen Temperaturschwankungen stattfinden würden und welche Bewegungen in anfänglichen Rußwolken hervorgerufen würden. Einige dieser Effekte könnten die Situation etwas verbessern, andere würden zu ihrer Verschlechterung beitragen. Es gibt auch Effekte, die die Ergebnisse erheblich verschlimmern könnten. So sind wir in unseren Berechnungen davon ausgegangen, daß die feinen Partikel in der gesamten Troposphäre ausregnen würden. Unter realistischen Umständen würde jedoch zumindest die obere Troposphäre sehr trocken sein, so daß sich der dorthin aufgewirbelte Staub und Ruß erheblich länger als angenommen halten könnte, bevor er ausregnen würde. Sehr bedeutsam könnte sich auch die tief77

Tabelle 2

Schematische Zusammenfassung der biologischen Auswirkungen des Basisszenarios (5000 Mna USA/ UdSSR Bevölkerungsrisiko

NH Bevölkerungsrisiko

SH Bevölkerungsrisiko

Verlustrate unter den Gefährdeten

Weltweite potentielle Todesfälle

H

M

N

H

M-H

-~

M

M

N

M

M-H

- ......

N

N

N

H

N-M

Feuer

M

M

N

M

M

Giftgase

H

M

N

N

N

Dunkelheit

H

H

M

N

N

Kälte

H

H

H

H

M H

Zugefrorene Binnengewässer

H

H

M

M

M

Ionisierende Strahlung aus dem Fallout

H

H

N M

M

M N

Auswirkung

Zeit nach dem Atomkrieg

1. 1 1 1 3 1 6 Std. Tag Wo Mo Mo Mo Ja 1

1

Druckwelle Wärmestrahlung Ionisierende Strahlung der Anfangsphase

1

1

1

1

1

2 Ja

5 Ja

10 Ja

1

1

1

Lebensmittelknappheit

H

H

H

H

H

Zusammenbruch des medizinischen Versorgungssystems

H

H

M

M

M

Ansteckende Krankheiten

M

M

N

H

M

Epidemien und Pandemien

H

H

M

M

M

Psychische Störungen

H

H

N

N

N M

Verstärkte ultraviolette Strahlung an der Oberfläche

H

H

M

N

N

?

?

?

?

?

Synergien

?

• Eine schematische Darstellung der zeitlichen Größenordnung für viele Auswirkungen. Die Auswirkungen sind am stärksten, wenn der waagerechte Balken am dicksten ist. »Synergien« bilden eine potentiell wichtige Kategorie, in der das Gesamtergebnis größer ist als die Summe der Teileffekte. Die meisten Synergien sind völlig unbekannt. Auf der rechten Seite ist angegeben, wie groß die Gefahr durch die verschiedenen aufgeführten Auswirkungen für die Bevölkerung der USA und der UdSSR, der Nördlichen Hemisphäre, der Südlichen Hemisphäre und der gesamten Erdkugel ist. H, M und N steht für hoch, mittel und niedrig. Nur in der letzten Spalte bedeutet N null bis eine Million Todesfälle, M eine Million bis einige Hundert Millionen Todesfälle und H mehr als ein paar Hundert Millionen Todesfälle (Tabelle von Mark Harwell und dem Autor zusammengestellt).

greifende Veränderung der Atmosphärenstruktur auswirken, die durch die Erwärmung der Rauchwolken und die Abkühlung der Erdobenfläche herbeigeführt würde. Dadurch würde in der unteren Atmosphäre eine Region entstehen, in der die Temperatur fast unabhängig von der Höhe wäre und eine massive Terrip~raturinversion vorläge (Abb. 1 B und 1 C). Unter diesen Umständen würden sich Auf- und Abbewegungen der Partikel überall in der Atmosphäre nur sehr langsam vollziehen - wie es gegenwärtig in der Stratosphäre geschieht. Dies ist ein zweiter Grund, der dafür spricht, daß die Lebenszeit der Ruß- und Staubwolken sehr viel länger sein könnte, als wir errechnet haben. Wenn das so wäre, könnte der Höhepunkt der Kälte und der Dunkelheit sich um einen erheblichen Zeitraum verlängern, möglicherweise um mehr als ein Jahr. In der folgenden Erörterung vernachlässigen wir diesen Effekt, wie viele andere auch - zum Beispiel das Phänomen von Vielfachdetonationen, bei dem eine erste Kernexplosion die Reichweite der Brände und die Höhe des Rußtransports einer zweiten Kernexplosion verstärken kann. Es sind auch weit schlimmere Atomkriegszenarien als die hier zugrundegelegten denkbar. Wenn beispielsweise die Befehlsund Kontrollfunktionen zu einem frühen Zeitpunkt des Krieges verlorengehen- etwa durch »Enthauptung« (einen frühen Überraschungsangriff auf zivile und militärische Zentralen und Nachrichteneinrichtungen) -, dann könnte sich der Krieg wochenlang hinziehen, da örtliche Befehlshaber isolierte und nichtkoordinierte Entscheidungen treffen müßten. Zumindest könnten mit vereinzelten Raketenangriffen Vergeltungsschläge gegen bislang verschonte Städte des Gegners geführt werden. Die Entstehung weiterer Rauchwolken in einem Zeitraum von Wochen nach Ausbruch des Krieges würde die Größenordnung und vor allem die Dauer der Klimafolgen steigern. Durchaus denkbar ist auch, daß mehr Städte und Wälder als angenommen in Brand geraten würden, daß die Rauchemissionen größer wären oder daß ein größerer Prozentsatz der Weltarsenale (sowohl der taktischen

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wie der strategischen Waffen) zum Einsatz käme. Natürlich sind auch weniger schwere Fälle denkbar. Alle Konsequenzen eines Atomkrieges erfassen diese Berechnungen deshalb nicht - und können es auch nicht. Sie lassen sich noch in vielerlei Hinsicht verfeinern, was inzwischen auch schon geschieht. Doch allgemeine Übereinstimmung scheint hinsichtlich der grundlegenden Schlußfolgerungen zu bestehen: In der Folgezeit eines Atomkrieges würde es wahrscheinlich einen Zeitraum von mindestens einigen Monaten Dauer geben, während dessen die Erde von radioaktiver Strahlung, Finsternis und extremer Kälte heimgesucht würde, daran anschließend - nachdem sich Ruß und Staub abgesetzt hätten - einen längeren Zeitraum, in dem abnorm hohe Mengen ultravioletten Lichts die Oberfläche erreichen würden. 18 Es gibt eine durchgehende Tendenz, die Wirkung der Kernwaffen und eines Atomkrieges zu unterschätzen. Die Sprengkraft der ersten Kernexplosion bei Alamogordo in New Mexico am 16. Juli 1945 wurde von fast allen Personen unterschätzt, die an der Entwicklung und am Bau der Bombe beteiligt waren. Unterschätzt wurde die Reichweite des radioaktiven Niederschlags bei den ersten thermonuklearen Atomtests, man war überrascht von der Beschädigung und Zerstörung der Satelliten durch Kernexplosionen im Weltraum, hatte nicht vermutet, daß Kernexplosionen hoher Sprengkraft die Ozonschicht angreifen könnten, und die Aussicht des Atomwinters löste bei vielen - uns eingeschlossen - großes Erstaunen aus. Was haben wir noch übersehen? Eine weitere, möglicherweise sehr ernste Wirkung könnte die Entstehung von Giftgasen durch Stadtbrände sein. Es ist eine bekannte Tatsache, daß beim Brand moderner Hochhäuser mehr Menschen durch Giftgase umkommen als durch Feuer. Die Verbrennung der vielen Baumaterialien, Isolierstoffe und Textilien erzeugt große Mengen solcher Pyrotoxine - unter anderem Kohlenmonoxid, Cyanide, Vinylchlorid, Stickoxide, Ozon, Dioxine und Furan. Da die Verwendung von Kunststoffen regional unterschiedlich ist, würden die Stadt81

brände in Nordamerika und Westeuropa wahrscheinlich mehr Pyrotoxine erzeugen als die brennenden Städte in der Sowjetunion, Städte mit mehr neuer Bausubstanz größere Mengen als Städte mit vorwiegend alter Bausubstanz. Bei einem atomaren Szenario, in dem viele Großstädte in Brand geraten, müßte man davon ausgehen, daß sich monatelang ein dichter Pyrotoxinsmog halten würde. Das Ausmaß dieser Gefahr ist unbekannt. Eine andere, wahrscheinlich sehr schwerwiegende, aber fast überhaupt noch nicht abzuschätzende Folge eines Atomkriegs ist eine Erscheinung, die wir Synergie nennen. Ein sehr einfaches Beispiel ist die Reaktion des menschlichen Immunsystems auf die Kernstrahlung der Anfangsphase und die ionisierende Strahlung des Fallouts einerseits und die vermehrte ultraviolette Einstrahlung nach dem Atomwinter andererseits. Zu einem Zeitpunkt, da die Überlebenden sehr viel krankheitsanfälliger sind, wäre das gesamte medizinische Versorgungssystem zusammengebrochen; die Insektenfresser, wie zum Beispiel die Vögel, wären zum größten Teil der Kälte, der Dunkelheit und der Strahlung zum Opfer gefallen. Dadurch hätten sich die Insekten außerordentlich vermehrt, weil sie in einer solchen Umwelt weit besser überleben könnten und weil die Reihen ihrer natürlichen Feinde stark gelichtet wären. Die Strahlung könnte besonders virulente Formen von Mikroorganismen hervorbringen, die von den Insekten übertragen würden, und viele Millionen oder Milliarden von Leichnamen würden auftauen. Es gibt viele andere Fälle, wo die Wechselwirkung der in Tabelle 2 aufgelisteten Umweltbeeinträchtigungen zu weit nachteiligeren Folgen führen kann, als sie sich aus dem einfachen Zusammenzählen der Teileffekte ergeben. Die Größenordnung fast aller Synergien ist unbekannt, doch würden sie fast alle zu einer Verschlechterung der Situation beitragen. In welcher Richtung geht eine vorsichtige Einschätzung der Situation an der Wahrheit vorbei, wenn die historischen Tatsachen und alle denkbaren Synergien dafür sprechen, daß die

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Folgen eines Atomkrieges noch schwerwiegender wären, als die vorgelegte Analyse des Atomkriegs erkennen läßt? Empfiehlt es sich, angesichts all dessen, was bei diesem Urteil auf dem Spiel steht, davon auszugehen, daß die Wirkungen eines Atomkriegs harmloser wären, als man gegenwärtig annimmt, oder daß sie schlimmer wären? Niemand kann mehr meinen, daß die schwerwiegenden Auswirkungen eines Atomkriegs auf die kriegführenden Staaten beschränkt blieben. Die Biologie der Äquatorialbreiten ist beispielsweise selbst für geringfügige Temperaturrückgänge weit anfälliger als die in nördlicheren oder südlicheren Breiten. Die Landwirtschaft würde - zumindest auf der nördlichen Hemisphäre, wo die Masse des Weltexportgetreides produziert wird- auch von einem »kleinen« Atomkrieg verwüstet werden. Die sich über die ganze Erde ausbreitenden ökologischen Folgen wären wahrscheinlich sehr einschneidend, und wenn, wie unsere und viele andere Untersuchungen heute zeigen, die Kälte und die Dunkelheit auf die südliche Halbkugel übergreifen würden, so würde ein Atomkrieg eine beispiellose weltweite Katastrophe einleiten. Damit muß man sich von der Vorstellung verabschieden, daß die Staaten fern vom Kriegsschauplatz den Krieg in Ruhe abwarten könnten, um sich danach einer Welt erfreuen zu können, die von allen lästigen Folgen der Großmachtpolitik befreit wäre. Vielmehr erscheint es wahrscheinlich, daß es nirgendwo auf der Erde eine Nische gäbe, die von einem solchen Krieg verschont bliebe. Dies ist eine der Konsequenzen, die die neuen Untersuchungen der Strategietheorie, der Politik und den internationalen Beziehungen bescheren. Eine Erörterung dieser Themen ist in der Tagesordnung dieser Konferenz nicht vorgesehen, doch habe ich mich andernorts 19 , wenn auch nicht erschöpfend, mit diesen Konsequenzen auseinandergesetzt. Wenn Städte als Ziele gewählt werden, ist zu erkennen (Abb. 2), daß schon ein Krieg, in dem nur 100 Megatonnen zum Einsatz kommen (je 100 Kilotonnen über 1000 Städten), den Atomwinter auslösen könnte. Doch 100 Megatonnen sind

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weniger als ein Prozent der weltweiten strategischen Kapazität. Abbildung 3 zeigt die Zunahme der Zahl der strategischen Waffen in den amerikanischen und sowjetischen Arsenalen in Abhängigkeit von der Zeit. Das schraffierte Feld gibt, sehr grob, den Schwellenbereich an, in dem - nach heutigem Erkenntnisstand - der Atomwinter ausgelöst werden könnte. Unterhalb der Schwelle könnte keine Kombination aus gestörter Nachrichtenübermittlung, Computerfehlern, Fehlkalkulationen, psychopathischen Politikern oder anderen Fehlentwicklungen die Klimakatastrophe bewirken. Die Vereinigten Staaten überschritten diese Schwelle - natürlich ohne es zu wissen - Anfang der fünfziger Jahre. Bei der Sowjetunion war dies - wiederum ohne daß sie es wußte - Mitte der sechziger Jahre der Fall. In all diesen Jahren haben die politischen Führer der Vereinigten Staaten, der Sowjetunion und anderer Länder grundlegende Entscheidungen über Tod und Leben eines jeden Bewohners dieses Planeten gefällt, ohne zu wissen, welche Folgen ein Atomkrieg haben würde, und in der Annahme, diese Folgen wären sehr viel erträglicher, als es nach jetztiger Erkenntnis der Fall ist. Und weltweit wachsen die Arsenale, die jetzt schon um das Zwanzigfache über der Atomwinterschwelle liegen, munter an. England, Frankreich und China verfügen über Arsenale, die der Schwelle zumindest nahekommen. Auch andere Länder horten Kernwaffen oder sind im Besitz der zu ihrem Bau erforderlichen Technologie. Die Kurven der Abbildung 3 werden immer steiler. Und so kehren wir zu dem heutigen Tag zurück. Unsere Konferenz über die »Welt nach dem Atomkrieg« findet am heutigen Tage unter anderem deshalb statt, weil die Washingtoner Hotels am 31. Oktober besonders leicht zu mieten sind. Dieser Abend vor Allerheiligen wird bei uns in Amerika als Halloween gefeiert, als ein Fest der Geister, Kobolde und anderer Wesen, von denen wir wissen, daß es sie nicht wirklich gibt. Die Schrecken des Atomkriegs dagegen sind keine Phantasmagorien, keine Projektionen unseres Unbewußten, sondern Wirklichkeiten, mit denen wir uns in der Welt der

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privaten Gefühle und der praktischen Politikauseinandersetzen müssen. Der Atomkrieg ist ein Ereignis, um das wir uns ständig Sorgen machen sollten und nicht nur am 31. Oktober. Doch wenn man diese Tagung auf ein Datum mit symbolischer Bedeutung hätte legen wollen, wäre Halloween keine schlechte Wahl gewesen. In vorchristlicher Zeit war es nämlich ein keltisches Fest, das man Samhain nannte und mit dem man den Winteranfang beging. Man entzündete große Freudenfeuer und weihte es dem Gott des Todes, nach dem es auch benannt war. Das ursprüngliche Halloween vereinigt die drei wesentlichen Elemente des TTAPS-Szenarios: Feuer, Winter und Tod. Kernwaffen sind von Menschen gemacht. Die weltweite strategische Konfrontation der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion wurde von Menschen entworfen und in die Tat umgesetzt. Das muß nicht so sein. Wenn wir es wirklich wollen, können wir die menschliche Spezis aus der Falle befreien, in der wir uns törichterweise selbst gefangen haben. Doch uns bleibt nur noch sehr wenig Zeit.

Fragen

Vikas Saini (Physicians for Social Responsibility, Sektion Baltimore): Ich hätte zwei Fragen zu den Voraussetzungen des Modells. Die erste betrifft die Auswirkungen auf die südliche Hemisphäre: Sind das, strenggenommen, Übertragungseffekte der Explosionen auf der nördlichen Hemisphäre, oder sind Sie auch von Zielen auf der südlichen Hemisphäre ausgegangen? Carl Sagan: Nein, wir haben nicht angenommen, daß größere Zielgebiete auf der südlichen Hemisphäre lägen. ImAmbio-Szenario kommen ungefähr 100 Megatonnen auf der südlichen Hemisphäre und in tropischen Breiten zum Einsatz. Der Staub und Rauch solcher Ziele würde rascher in den Sü85

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aus diesen bislang vernachlässigten mittelfristigen Kategorien, und diese Dosis trägt in ziemlich übler Weise zu der Gesamtstrahlungsmenge bei, der die Überlebenden der Druckwelle und Hitzestrahlung ausgesetzt wären. In den mittleren Breiten der nördlichen Hemisphäre wäre der lokale, mittelfristige Fallout infolge der Ballung der Kernwaffenexplosionen in dieser Region sehr viel dichter. Die TTAPS-Gruppe hat geschätzt, daß die von außen auf den gesamten Körper einwirkende Dosis in diesen Breiten zwischen 40 und 60 rem läge. Als sie alles einbezog, nicht nur die von außen auf den gesamten Körper einwirkende Gammadosis, sondern auch die Möglichkeit innerer Strahlungszufuhr durch strahlungsverseuchte Nahrung und radioaktives Wasser, lag die durchschnittliche Gesamtdosis für die Menschen mittlerer Breiten im Bereich von 100 rem. 142

Betrachten wir zum Vergleich eine Studie, die Joe Knox unlängst am Lawrence Livermore National Laboratory durchgeführt hat. Dort ergab ein 5300-Megatonnen-Szenario für die mittleren Breiten der nördlichen Hemisphäre eine Gammastrahlendosis von 20 rem, die der von der TTAPS-Gruppe für die mittleren Breiten der nördlichen Hemisphäre errechneten Gammadosis von 40 bis 60 rem entspricht. Das ist eine ziemlich weitgehende Übereinstimmung, bedenkt man, wie unterschiedlich sich in diesen Szenarien die Explosionen verteilen lassen. Solche veränderlichen Faktoren sind zum Beispiel die Zahl der Bodenexplosionen, der Explosionen in geringer Höhe, in großer Höhe, die Größenverteilung der Bomben und so fort. Ich finde dieses Maß an Übereinstimmung recht beeindrukkend. Als die Knoxgruppe die engeren Zielgebiete in ihre Berechnungen einschloß, ergaben sich Werte im Bereich von 40 bis 100 rem. In einer privaten Mitteilung haben Knox und seine Mitarbeiter vom Livermore Laboratorium überdies die Vermutung geäußert, der Beitrag der inneren Dosis könnte etwas höher liegen als von der TTAPS-Gruppe angesetzt. Dies würde den ursprünglichen Unterschied zwischen den TT APS- und LLNL-Werten für die Gammadosis mittlerer Breiten der nördlichen Hemisphäre fast halbieren. Schließlich möchte ich auch die Zahlen, die Paul Ehrlich gestern aus der Biologiestudie zitiert hat, in diesen Zusammenhang stellen. Erinnern Sie sich bitte, daß die Biologen ein 10 000-Megatonnen-Szenario zugrunde gelegt haben, und daß der höhere Wert - 500 rem für 30 Prozent der Landgebiete auf der nördlichen Hemisphäre - den kurzfristigen Fallout aus den Wolken der Einzelexplosionen einbezog. In einem 10 000-Megatonnen-Szenario gibt es natürlich eine Vielzahl solcher Explosionen. Diese Zahlen entsprechen methodisch und in jeder anderen Hinsicht den Werten, die hier erörtert wurden. Um es noch einmal zu betonen: Sowohl die Werte der TTAPS-Gruppe wie die der Knox-Gruppe stehen für den 143

Versuch, nicht den kurzfristigen Fallout aus den einzelnen Wolken der vielen Tausend Kernwaffenexplosionen zu errechnen, sondern den mittelfristigen Fallout, der in einem Zeitraum von ein paar Tagen bis einem Monat anfällt. Diese Falloutkategorie ist in früheren Berechnungen sträflich vernachlässigt worden. Der mittelfristig anfallende Fallout trägt erheblich zur Gesamtdosis bei. Knox und seine Mitarbeiter errechneten einen ziemlich schrecklichen Wert, der in der TTAPS-Studie nicht berücksichtigt wurde: das Ergebnis gezielter Angriffe auf die Kernkrafteinrichtungen der nördlichen Hemisphäre - Reaktoren, Wiederaufbereitungsanlagen und Lagerstätten - mit Waffen, die groß genug sind, um all diese Einrichtungen zu pulverisieren. Dadurch ergibt sich für die mittleren Breiten eine zusätzliche von außen auf den Körper einwirkende Gammadosis im Bereich von 200 bis 300 rem, was den Gesamtwert in sehr beunruhigender Weise erhöht. Richard P. Turco: Ich möchte in großen Zügen einige der Aspekte erörtern, die sich aus den Bränden eines Atomkrieges ergeben. Eine der auffälligsten Wirkungen einer Kernwaffenexplosion ist ihre Fähigkeit, ein großes Gebiet niederzubrennen und zu verkohlen. Ungefähr ein Drittel der gesamten Explosionsenergie einer in geringer Höhe gezündeten Kernwaffe wird von einem Feuerball als »Bombenlicht« abgestrahlt. Dieses Licht besitzt ein sehr ähnliches Spektrum wie das Sonnenlicht, nur mit weit höherer Intensität. Beispielsweise würde in einer Entfernung von zehn Kilometern der Feuerball einer in geringer Höhe gezündeten 1-Megatonnen-Explosion nach ein bis zwei Sekunden tausendmal heller sein als die Sonne, dann aber rasch erlöschen. Innerhalb dieses kurzen Zeitraums würden jedoch Kleider, Papier und andere Materialien im Bereich des Bombenlichtes in Rauch und Flammen aufgehen. Alle diesem Licht ausgesetzten Hautpartien würden Verbrennungen dritten Grades erleiden. Im Krieg sind Kernwaffen nur zweimal eingesetzt worden, und zwar im August 1945 gegen die japanischen Städte Hiro144

shima und Nagasaki. Dort wurden zwei relativ kleine Bomben - mit einer Sprengkraft zwischen 10 und 20 Kilotonnen in geringer Höhe über den Stadtzentren zur Explosion gebracht. Die Fotos, die von Hiroshima gemacht wurden, zeigen auf grauenhafte Weise, wie gefährlich dieser Lichtblitz von Kernwaffen ist. Auf einem sind, auf eine Häuserwand eingezeichnet wie auf ein fotografisches Negativ, die Objekte zu erkennen, die sich dort im Moment der Explosion befanden - eine Leiter, ein Werkzeug mit langem Stiel und ein Mensch. Jeder, der dieser Lichtintensität ausgesetzt wäre, würde ihr sofort zum Opfer fallen. Was können wir aufgrund der japanischen Erfahrungen über die Wirkung atomarer Feuer in Großstädten aussagen? Erstens, die verbrannten Gebiete waren sehr groß: ungefähr 13 Quadratkilometer in Hiroshima und ungefähr 7 Quadratkilometer in Nagasaki. Innerhalb der Feuerzonen wurden die meisten brennbaren Materialien ein Raub der Flammen. Riesige Rauchwolken stiegen über den Feuern auf, und in Windrichtung ging öliger schwarzer Regen nieder. In einem Augenzeugenbericht aus Hiroshima heißt es: »Inmitten der dichten Regenfälle sank die Temperatur so rasch, daß die Menschen trotz des Hochsommers vor Kälte zitterten.« Das läßt darauf schließen, daß gleich zu Anfang Licht und Wärme stark beeinträchtigt werden und daß es unterhalb der Rauchwolken zu einem erheblichen Temperaturrückgang kommt. Die Sprengkraft der Hiroshimabombe zeigen die Gebäudeschäden. Nur Stahlbetonbauten blieben stehen. Fotografien der Stadt lassen erkennen, daß schon eine 12-KilotonnenBombe ein riesiges Gebiet in Schutt und Asche legen kann. In Hiroshima und Nagasaki trugen eine Vielzahl atomarer Effekte zur Heftigkeit der Feuer bei. Der thermische Lichtimpuls -das Bombenlicht- entzündete auf einer Riesenfläche eine Vielzahl von Materialien, wodurch es zu zahlreichen kleineren offenen Feuern und Schwelbränden kam. Die Druckwelle blies einige dieser Primärbrände aus, sorgte dafür aber für Sekundärbrände, indem sie die Brände ausbreitete, 145

Brennstoffe freisetzte und einen Funkenregen erzeugte. Die Feuer im Gefolge von Erdbeben haben sehr ähnliche Ursachen wie die Sekundärfeuer von Kernwaffenexplosionen. Durch den Druck wurden außerdem Bauwerke aufgerissen, brennbare Stoffe ausgestreut und wirksame Löscharbeiten behindert, weil die Feuerwehrleute großenteils ausgefallen, die Ausrüstung beschädigt, die Wasserrohre zerstört und die Straßen blockiert waren. Der aufsteigende atomare Feuerball scheint in seinem Sog Rauch und Feuer emporgezogen zu haben, wodurch die Kreisbewegung eines »Feuersturms« einsetzte. Es ist jedoch noch umstritten, ob die Brände in Hiroshima einen Feuersturm entwickelt haben. Die inJ apan beobachteten Auswirkungen der Atomexplosionen und -feuer bestätigen unsere Auffassungen von den Folgen eines massiven Atomschlags. Man kann durchaus die aus Hiroshima und Nagasaki berichtete Zerstörung auf die Größenverhältnisse übertragen, die bei der Zerstörung einer sehr viel größeren modernen Stadt im Falle eines Atomangriffs zu erwarten wären. Eine solche Extrapolation wird auch durch eine eingehende theoretische Studie gerechtfertigt, die sich durchgeführt von Behörden der amerikanischen Regierung mit den Auswirkungen einer Kernwaffenexplosion auf das Zentrum einer Großstadt beschäftigt. Dabei ist darauf hinzuweisen, daß im Zweiten Weltkrieg die Feuerstürme in Hamburg, Dresden und anderen deutschen Städten eine Ahnung davon vermitteln, mit welcher Heftigkeit die Atomfeuer in modernen Großstädten toben würden. Allerdings würden die Feuer, auf die man sich in einem künftigen Atomkrieg gefaßt machen müßte, mit ihrer beispiellosen Ausdehnung und Heftigkeit die Brände des Zweiten Weltkriegs weit in den Schatten stellen. Die Entwicklung eines städtischen Atomfeuers durchläuft fünf Phasen. Die erste ist geprägt vom Lichtblitz, der auf einer großen Fläche alle brennbaren Materialien verdampft und entflammt. In der zweiten Phase erfaßt die Druckwelle der 146

Explosion die Stadt, zerstört Gebäude, legt Sekundärbrände und erschwert die Löscharbeiten. Zu diesem Zeitpunkt beginnt auch der Feuerball seinen Aufstieg und löst eine starke konvektive Zirkulation über der Stadt aus. Zur dritten Phase des Feuers kommt es im Anschluß an die Explosion. Im Schutt der zerstörten Stadt gewinnen viele der kleinen Brände an Kraft und erzeugen dichte schwarze Rauchwolken. Über den Verlauf dieser Phase herrscht keine völlige Klarheit. Möglicherweise würden die Brände in den meisten Fällen tagelang an Ausdehnung und Heftigkeit zunehmen. Diese verheerenden Feuer würden den größten Teil der Stadt niederbrennen. Unter besonders »günstigen« Umständen könnte es zur schlimmsten, der vierten Phase kommen, dem »Feuersturm«. Dabei wachsen viele unabhängige Großfeuer zu einem einzigen gewaltigen Brand zusammen, der den ganzen Stadtkern einhüllt. In einem Feuersturm kommt es zu einer raschen Freisetzung von Wärmeenergie und dem Aufstieg heißer Luft über dem Brand, wobei am Erdboden die Luftmassen mit Orkanstärke nach innen strömen. Feuerstürme würden steil emporsteigende Kumuluswolken über dem brennenden Gebiet erzeugen, und in Windrichtung hinter dem Brandgebiet könnte ein dichter schwarzer Regen fallen. In der fünften und letzten Phase eines Atomkriegs wäre von der Stadt nur ein schwelender Schutthaufen übrig, eingehüllt in einer Wolke beißenden Rauches. Das ist nur eine knappe Auswahl dessen, was nach einem Atomkrieg passieren könnte. Zwar gibt es schon eine Reihe von Studien, die sich mit den Auswirkungen von Atomfeuern beschäftigen -etwa von Paul Crutzen undJ ohn Birks oder von der TT APS-Gruppe -, doch bleibt noch sehr viel Arbeit zu tun, um unser Verständnis zu vertiefen. Trotzdem lassen alle Erkenntnisse, die heute zur Sprache gekommen sind, darauf schließen, daß die unvorstellbare Zerstörung, die ein Atomangriff sofort anrichten würde, für die überlebenden nur ein Vorspiel für noch katastrophalere langfristige Folgen wäre.

147

Paul J. Crutzen ,:-_. Ich habe mich mit der Frage der atmosphärischen Folgen eines Atomkriegs zum erstenmal vor ungefähr drei Jahren beschäftigt, als ich aufgefordert wurde, für Ambio, die internationale Umweltzeitschrift der königlichschwedischen Akademie der Wissenschaften einen Beitrag zu schreiben. Ich muß gestehen, daß es mir, als ich die Einladung erhielt, zunächst widerstrebte, über ein solches Thema nachzudenken. Ich habe sogar versucht, die Aufgabe auf andere abzuwälzen. Aber der Chefredakteur J eannie Peterson bestand so hartnäckig auf meinem Beitrag, daß ich schließlich kapitulierte und gemeinsam mit John Birks die Untersuchung begann. Zunächst wandten wir uns dem Problem der Ozonschäden zu. Aus der Studie der amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaften aus dem Jahr 1975 ist bekannt, daß die Ozonschicht abgetragen würde, wenn das durch Kernwaffenexplosionen erzeugte Stickstoffoxid in die Stratosphäre gelangen würde. Doch inzwischen haben wir herausgefunden, daß die Stickstoffoxide zwar das Ozon in der Stratosphäre abbauen, in der Troposphäre dagegen umgekehrt wirken, das heißt, Ozon erzeugen. Unter Einwirkung von NO und N0 2 ergibt sich z.B. aus der Oxidation von Kohlenstoffmonoxid mit zwei Sauerstoffmolekülen C0 2 und Ozon. Damit hatte sich unser Erkenntnisstand gegenüber dem Akademiebericht von 1975 erheblich verändert. Auf dieser veränderten Grundlage errechneten wir die Ozonbildung in der Troposphäre infolge der Smogreaktionen, über die auf dieser Konferenz bereits berichtet wurde. Im Fortgang unserer Arbeit beschäftigten wir uns auch mit der Absorption des Sonnenlichtes durch das Stickstoffdioxid, einer an sich bekannten Erscheinung. Die Ergebnisse waren nicht unbeträchtlich. Bei der Arbeit an dieser Frage ging uns ,:- Änderungen gegenüber der amerikanischen Originalausgabe stammen von Paul J. Crutzen selbst.

148

jedoch plötzlich auf, daß zahllose Brände ausbrechen würden, wenn in einem Atomkrieg Städte zum Ziel gewählt würden, wie es dasAmbio-Szenario vorsah. Der Rauch würde natürlich in die Atmosphäre aufsteigen. Deshalb begannen wir darüber nachzudenken, inwieweit das Sonnenlicht durch die schwarzen Rußpartikel im Rauch absorbiert werden würde. Auf dieses Problem stießen wir erst drei Monate vor der Abgabefrist für den Ambio-Artikel. Da uns nur sehr wenig Daten vorlagen, verbrachten wir zwei Monate mit der Suche nach Studien, die sich möglicherweise schon mit dieser wichtigen Frage beschäftigt hatten. Wir konnten keine entdecken. (Heute wissen wir, daß es tatsächlich keine gab.) Zunächst machte uns das sehr nervös. Wir nahmen an, daß man sich beim Militär mit dieser Frage bereits beschäftigt hätte, daß uns diese Daten jedoch nicht zugänglich sein würden. Wir sind keine Experten für Aerosolphysik und Strahlungstransport. Trotzdem beschlossen wir, dieses Thema in unserer Untersuchung aufzunehmen. Im ersten Teil unserer Analyse widmeten wir uns vor allem einem Phänomen, über das ich einige Kenntnisse besaß: den Waldbränden. Mit einigen Kollegen hatte ich die atmosphärischen Auswirkungen von Waldbränden in den Tropengebieten Brasiliens auf die globale Luftchemie und das Klima untersucht. Wir schätzten, wieviel Ruß in einem Atomkrieg erzeugt würde. Zu unserer großen Überraschung stellten wir fest, daß der Rauch und Ruß der Brände einen erheblichen Teil des Sonnenlichtes, das sonst die Erdoberfläche erreichen würde, verschlucken würde. Im folgenden möchte ich Ihnen von einigen Ergebnissen aus einer neueren Studie berichten, die ich zusammen mit Ian Galbally von der CSIRO in Australien durchgeführt habe. Wir haben dort versucht, die Rauchmenge zu berechnen, die durch Stadt- und Industriebrände erzeugt würde. Obgleich ihnen schon in dem ersten Crutzen-Birks-Artikel außerordentliche Bedeutung eingeräumt wurde, waren diese neuen Ergebnisse dort noch nicht berücksichtigt. 149

In der neuen Untersuchung beschäftigten Ian Galbally und ich uns mit der Koagulation, d. h. der Zusammenlagerung, sowie mit den optischen Eigenschaften der Aerosolpartikel. Die pulverisierte Materie, die uns interessierte, bewegt sich vor allem in einer Größenordnung zwischen einem Zehntel und einem Mikrometer. Die meisten Partikel aus einem Waldbrand besitzen anfangs einen Durchmesser von einem Zehntel Mikrometer. Durch Zusammenlagerung nimmt ihre Größe zu. Solange sie nicht mehr als einen Mikrometer groß sind, absorbieren sie das Sonnenlicht sehr effektiv. Partikel in dieser Größenordnung haben die größte Verweilzeit in der Atmosphäre. Bei der Berechnung der optischen Eigenschaften spielt die Partikelgröße eine wichtige Rolle, oder genauer: das Verhältnis zwischen Partikelgröße und Wellenlänge. Wir hielten uns dabei an die gemessenen Wirkungsfaktoren für Lichtabsorption und Lichtstreuung für Rauch- und Rußteilchen. Außerdem berücksichtigten wir die Zusammenlagerung der Partikel, weil dadurch pro Gramm Material die Fähigkeit zur Lichtabsorption und -streuung zurückgeht. Bei der Berechnung der Materialmenge, die im Falle von Stadtbränden verbrannt werden würde, gingen wir davon aus, daß eine Wärmewirkung von 20 Kalorien pro Quadratzentimeter ausreichen würde, um großflächige Brände entstehen zu lassen. Das dürfte eine recht vorsichtige Schätzung sein. Sie entspricht den Erfahrungen aus Nagasaki, doch in Hiroshima genügte eine Wärmewirkung von nur 7 Kalorien pro Quadratzentimeter, um Großfeuer auszulösen. Wir gingen in unseren Berechnungen vom Ambio-Szenario für einen Atomkrieg aus und kamen zu dem Ergebnis, daß ungefähr eine halbe Million Quadratkilometer Stadtgebiet in Brand geraten würden. Wir schätzten, daß in Städten pro Quadratmeter etwa 40 Kilogramm brennbare Materialien vorhanden sind. In vielen Stadtkernen - zumindest im Osten der Vereinigten Staaten-können pro Quadratmeter mehr als 200 kg brennbare Materialien versammelt sein. Wir gingen auch davon aus, daß nur die Hälfte des Materials 150

Tabelle 1 Potentielle Verdunkelung: erfaßtes Gebiet: 6X 1013 Quadratmeter 8 Verbranntes Material (Gramm)

Erzeugtes Aerosol (Gramm)

Erzeugter elementarer Kohlenstoff (Gramm)

Städte, Industrie, Wald

1,0 X 1016

1,0 X 1014

2,0 X 1013

6,6

2,0

8,6

Asphalt, 01, Polymere

1,5 X 1015

0,8 X 1014

5,6x 1013

5,4

5,6

11,0

Waldbrände (10 6 km 2 )

4,0 X 1015

1,6x1014

1,3

16

14

Kategorie

Insgesamt

1,5x 10

3,4

X

10

ds

da

dext

1013

10,7

1,3

12,0

8,9 X 1013

22,7

8,9

31,6

X

• Zusammenstellung der optischen Dichten für 60 Prozent des Gürtels zwischen 30 und 60 Grad nördlicher Breite unmittelbar nach einem Atomkrieg, dem das Ambio-Szenario zugrunde liegt. Die Größen d., da und d0 "' sind die geschätzten optischen Dichten für Streuung, Absorption und Exinktion, d. h. der Summe von Streuung und Absorption, berechnet für Bedingungen, bei denen die Sonne im Zenit steht.

verbrennen würde, da die Druckwellen Feuer auslöschen würden. Da die Druckwellen andererseits auch Feuer entfachen können, bewegen wir uns hier auf unsicherem Boden. Angesichts dieser Unklarheit legten wir unseren Berechnungen die niedrigeren Werte zugrunde. Darin drückt sich eine bewußte Entscheidung aus, die für die ganze Untersuchung galt. Selbst unsere vorsichtigen Schätzungen ergeben so eindeutige Ergebnisse, daß es überhaupt keinen Grund gibt zu übertreiben, vor allem da es sich um eine Untersuchung von so weitreichender Bedeutung handelt. Wir wollten uns nicht dem Vorwurf aussetzen, bei unseren Schätzungen mit zu hohen Werten zu operieren. Insgesamt ergab unsere Analyse eine Erzeugung von 300 bis 400 Millionen Tonnen Rauch, davon 30 Prozent stark lichtabsorbierender elementarer Kohlenstoff (Tabelle 1). Aus unserer Untersuchung geht hervor, daß in dem Gebiet zwischen dem dreißigsten und dem sechzigsten Breitengrad 151

auf der nördlichen Erdhalbkugel, wo die Brände zunächst wüten würden (auf einem Gesamtgebiet von ungefähr 6 X 10 13 Quadratmetern), kaum irgendwelches Sonnenlicht die Erdoberfläche erreichen würde. Das Sonnenlicht am Erd- boden würde weniger als ein Millionstel der Normalstärke ausmachen. Der Rauch würde sich über weite Bereiche der Troposphäre ausbreiten und nach einem Monat den größten Teil der nördlichen Hemisphäre bedecken. Wenn die Partikel in die Atmosphäre gelangen, haben sie eine Verweildauer von zehn bis dreißig Tagen, wenn sie in die Stratosphäre aufsteigen, ist diese Verweildauer noch länger, woraus sich unterschiedliche Werte für die Lichtdurchlässigkeit ergeben. Wenn man von einer dreißigtägigen Verweildauer der Partikel in der Atmosphäre ausgeht und auch die Verklebung berücksichtigt, so ergeben unsere Berechnungen, daß nach einem Monat nur ungefähr zehn Prozent des Sonnenlichtes die Erdoberfläche erreichen würden. Bei kürzerer Verweildauer der Partikel wäre die Lichtdurchlässigkeit natürlich höher. Doch selbst in diesen Fällen würden noch zehn bis zwanzig Prozent des Sonnenlichtes absorbiert werden. Würden die Partikel hingegen länger in der Atmosphäre bleiben, wäre die Situation weitaus schlimmer. An diesem Punkt möchte ich schließen, da alle weiteren Berechnungen von der TT APS-Gruppe geleistet worden sind. Sie hat ihre eindrucksvollen Ergebnisse vorgelegt, und ich wüßte nicht, was an ihrer Arbeit zu kritisieren wäre. Ihr gehören einige der besten Klimaforscher an und ihr stehen hervorragende Strahlungsmodelle zur Verfügung. Deshalb müssen ihre Ergebnisse sehr ernst genommen werden. Georgi S. Golitsin: Vor ungefähr einem halben Jahr wurde ich aufgefordert, mir über die atmosphärischen und klimatischen Konsequenzen eines Atomkrieges Gedanken zu machen. Inzwischen haben wir ein sehr einfaches Energiehaushalts-Modell entwickelt, welches den Strahlungshaushalt ganz oben in der Atmosphäre und an der Erdoberfläche berücksichtigt. 152

Unser Modell führt im wesentlichen zu den gleichen Ergebnissen wie das TTAPS-Modell. Ich möchte etwas näher auf die Ähnlichkeiten zwischen den Staubstürmen auf dem Mars und den Folgen eines weltweiten Nuklearkonfliktes eingehen. Viele Jahre war ich mit planetarischen Studien befaßt und habe an den sowjetischen Raumprogrammen mitgearbeitet, die der Erforschung von Mars und Venus galten. Ungefähr anderthalb Jahre habe ich mich mit den Staubstürmen beschäftigt. Die Staubstürme auf dem Mars entstehen in einem ziemlich schmalen Gürtel gemäßigter Breiten auf der südlichen Hemisphäre des Planeten. In ein paar Wochen breitet sich ein Staubsturm über den ganzen Planeten aus. Dieser Ausbreitungseffekt kommt vor allem durch starke, nichtlineare Rückwirkungen zustande. Das Sonnenlicht wird von den Staubwolken absorbiert und erhitzt die Atmosphäre in ihrem Inneren, während die Temperatur in angrenzenden, klaren Atmosphärenbereichen kühl bleibt. Infolgedessen entsteht eine lokale mesoskalige Zirkulation, die sehr rasch für die Ausbreitung einer solchen Wolke über den gesamten Planeten sorgt. Der Kollege, der anschließend sprechen wird, wird zeigen, wie die allgemeinen Zirkulationsmodelle arbeiten. Doch die Modelle müssen verifiziert werden, und ich denke, am Beispiel des Mars lassen sich unsere Vorhersagen sehr gut überprüfen. Beim ersten Blick auf die Ergebnisse der Marsstudie ergab sich die Frage: Welche Bedeutung haben sie für die Menschheit? Heute erkennen wir, daß es überhaupt keine wichtigeren Ergebnisse geben kann. Sie zeigen, was nach einem Atomkrieg geschehen könnte und betreffen damit die Frage unseres Überlebens. Während eines Staubsturms geht die Temperatur erheblich zurück. Das wurde über mehrere Jahre durch »Viking«Landungen auf der Marsoberfläche gemessen. Mit dem Auf153

treten von Staubstürmen sinkt die Temperatur um 10 bis 15°C. Unser einfaches Modell zeigt diesen Temperaturrückgang sehr deutlich. Nach dem Einsetzen von Staubstürmen wurde der senkrechte Temperaturgradient der Marsatmosphäre sehr stabil. Die Atmosphäre wird nahezu isotherm und hat einen weitreichenden Einfluß auf die Struktur der allgemeinen Zirkulation. Mit zunehmender statischer Stabilität wird die sogenannte barokline Instabilität der Atmosphäre vermindert, die verantwortlich für die Erzeugung von Tiefdruckgebieten ist. In der klaren Marsatmosphäre sind die Tiefs sehr regelmäßig, sehr viel regelmäßiger als hier auf der Erde. Wenn aber der Staub aufkommt, verschwinden die Tiefs, wie die Theorie es erwarten läßt. Mit dem gleichen Phänomen müßte man auf der Erde rechnen, wenn die Wolke aus Rauch und Staub unseren Planeten einhüllen würde. Wie Carl Sagan bereits erwähnt hat, habe ich mir überlegt, wie und warum eine solche Wolke den Wasserkreislauf beeinflussen würde. Dieser Kreislauf ist sehr wichtig - nicht nur für uns Menschen-, weil er ständig die Wasserversorgung der Erde erneuert. Außerdem werden Staub, Ruß und andere Aerosole vor allem durch Niederschläge aus der Atmosphäre herausgewaschen. Was würde nach der Bildung einer atomaren Wolke aus Rauch und Staub mit dem Wasserkreislauf geschehen? Es würde eine sehr viel größere statische Stabilität entstehen ein fast isothermer Gradient-, und sogar Inversionen würden sich einstellen. Dadurch könnte der wärmebedingte Wasseraustausch zwischen Oberfläche und Atmosphäre schwer beeinträchtigt werden. Darüber gibt es keinen Zweifel, denn über die Mikrometeorologie der Grenzschicht liegen genaue Erkenntnisse vor. Ich möchte Ihnen noch von einer anderen wichtigen Beobachtung berichten, auf die ich stieß, als ich vor zehn oder zwölf Jahren die Staubstürme untersuchte. Wenn die Atmosphäre mit schweren Partikeln wie Staub beladen ist, gewinnt 154

sie zusätzliche Stabilität, weil der Staub durch die Turbulenz in der Atmosphäre gehalten wird. Dadurch wird die Stabilität der Atmosphäre erhöht und der Wärme- und Wasseraustausch mit der Planetenoberfläche erheblich verringert. Aus diesem einfachen Grunde wird es weniger absolute Feuchtigkeit, das heißt weniger Wasserdampf in der Atmosphäre geben. Die Atmosphäre wird erwärmt werden, wie Carl Sagan nachgewiesen hat und wie auch unser Modell zeigt. Die relative Luftfeuchtigkeit wird beträchtlich zurückgehen, und die für die Kondensation von Wassertropfen erforderlichen Bedingungen wären praktisch nicht vorhanden. Die Kondensationsbedingungen wären noch ungünstiger in einer stark mit Aerosolpartikeln durchsetzten Atmosphäre. Der Wettbewerb zwischen den Kondensationskernen würde, wenn die ersten beiden Effekte wirksam wären, die Wassertröpfchen nicht auf die Größe von Regentropfen anwachsen lassen. Ein anderer möglicher Klimaeffekt, auf den ich stieß, hat mit dem Temperaturunterschied zwischen den Meeren und den Kontinenten zu tun. Die Meere würden sich nicht soweit abkühlen wie die Kontinente und deshalb wärmer sein als diese. Das könnte durchaus zu einer monsunartigen Zirkulation führen, und zwar vom Typus des Wintermonsuns. Ich bin mit all denen einer Meinung, die hier erklärt haben, daß wir noch mit vielen anderen bisher unentdeckten negativen Konsequenzen rechnen müssen. Stephen H. Schneider: Ich möchte mit Ihnen über die »Gültigkeit« sprechen. Sie haben dieses Wort schon oft im Verlaufe der Konferenz gehört, vor allem im Frage-und-Antwort-Teil. Es betrifft die Frage, inwieweit die Berechnungen der Kritik standhalten. Sie haben auch gehört, daß Paul Crutzen, Carl Sagan und andere von großen Ungewißheiten in den Teilelementen berichtet haben, was zwar zu Unstimmigkeit in den Details geführt habe, doch nichts an der Übereinstimmung in den 155

Grundsätzen ändere. »Wie ist das möglich?« hörte ich viele Zuhörer murmeln. Diese Frage möchte ich aufnehmen. Ich will Ihnen auch zeigen, von welchen Voraussetzungen wir bei der Entwicklung eines dreidimensionalen Rechenmodells ausgegangen sind. Wir fingen mit unserem allgemeinen Zirkulationsmodell an und gaben Rauchaerosole ein. Wir gingen von 200 Millionen Tonnen aus, gleichmäßig verteilt über das Gebiet zwischen 30 und 70 Grad nördlicher Breite. Diese Zahl stützt sich auf den »Basisfall« der Studie, die kürzlich von der Nationalen Akademie der Wissenschaften unter Vorsitz von George Carrier durchgeführt wurde. Die Rauchmenge führt zu einer optischen Absorptionstiefe von 3. Die Größe der optischen Dichte ist bestimmt durch die Menge der Teilchen in der Atmosphäre, die einen direkt herabfallenden Lichtstrahl unterbrechen würden. Unsere optische Absorptionstiefe galt für den Streifen zwischen dem dreißigsten und siebzigsten Breitengrad auf der nördlichen Hemisphäre. Wenn die Rauchwolke sich über die gesamte Hemisphäre ausbreiten sollte, würde die optische Dichte ungefähr 1,5 betragen. Und wenn bestimmte Prozesse, auf die ich noch zu sprechen kommen werde, für eine weltweite Ausbreitung des Rauches sorgen würden, ohne daß sich seine Gesamtmenge verringerte, läge die optische Dichte bei 0,7. Da werden einige von Ihnen vielleicht sagen: »Was heißt denn da gültig? Der Wert scheint doch sehr rasch abzunehmen?« Doch betrachten wir die Lichtmenge, die hindurch kommen würde. Diese Eigenschaft wird als Durchlässigkeit bezeichnet. Da die Sonnenstrahlen schräg einfallen, verlängert der Sonnenwinkel im Normalfall den Weg der Strahlen um einen Faktor von zwei. Bei einer optischen Absorptionstiefe von 3 zwischen dem 30. und 70. Grad nördlicher Breite würden deshalb nur 0,2 Prozent des Sonnenlichts durch die Rauchwolke dringen, was mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Dunkelheit und Kälte jener Ausmaße führen würde, die in anderen Beiträgen bereits erörtert wurden. Bei einer Ausbreitung über die ganze Hemisphäre wür156

den ungefähr fünf Prozent des Sonnenlichtes die Erdoberfläche erreichen, weil 95 Prozent des Sonnenlichtes von der Rauchwolke über der nördlichen Hemisphäre absorbiert würde. Das steht weitgehend in Einklang mit dem TT APSBasisszenario. Bei weltweiter Verbreitung der 200 Millionen Tonnen Rauch würde die Durchlässigkeit ungefähr bei 25 Prozent liegen, also 75 Prozent des Sonnenlichtes würden über der Oberfläche der Erde absorbiert. Auch das ist noch eine schwerwiegende Klimastörung. Die Ergebnisse sind gültig, weil die 200 Millionen Tonnen, mit denen die Gesamtmenge des Rauchs beziffert wurde, kaum dem schlimmsten Fall entsprechen dürften. Im schlimmsten Falle würde die mehrfache Menge von Staub und Rauch in die Atmosphäre befördert werden. Nun wird eingewandt, daß die Werte durch Abbauprozesse und andere Einflüsse abgesenkt werden könnten. Doch da die optische Dichte eine Exponentialgröße ist, ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß das meiste Sonnenlicht in den ersten Wochen nach den Bränden - zumindest in weiten Gebieten der nördlichen Hemisphäre -über und nicht an der Erdoberfläche absorbiert wird. Welche Bedeutung haben solche optischen Absorptionsdichten für ein klimatisches Rechenmodell? Es gibt Unterschiede zwischen ein-, zwei- und dreidimensionalen Klimamodellen. Aus Zeitgründen kann ich nicht auf mehr als ein oder zwei Einzelheiten dieser Unterschiede eingehen. Das eindimensionale Modell, das in den TTAPS-Berichten verwendet wurde, geht davon aus, daß die Atmosphäre passiv ist, daß sie im Grunde genommen nur da ist und Energie nach oben und nach unten ausstrahlt. Man nimmt den Rauch oder den Staub hinzu und errechnet die Temperaturen anhand des Austausches von Strahlungsenergie. In der wirklichen Welt würde es natürlich anders aussehen: Rauch und Staub würden die Sonnenenergie streuen und absorbieren: dadurch würden die Atmosphärentemperaturen verändert: das wiederum würde 157

eine Störung in den Bewegungen der Atmosphäre bewirken, so daß schließlich der Rauch verteilt würde. Das kann die lokalen Klimaeffekte verstärken oder abschwächen, das heißt, es kann eine negative oder positive Rückwirkung auf die Ergebnisse des Klimamodells haben. Doch auch mit unserem dreidimensionalen Modell erfassen wir lediglich die Hälfte der Wirklichkeit. Im Prinzip könnten wir Rauch in das Modell hineingeben, der dann die normal auftretenden Bewegungen stören würde. Wir könnten dann beobachten, wie die Bewegungen gestört und die Temperaturen beeinflußt werden, und wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, daß der Rauch aus der Kriegszone heraustransportiert wird. Leider konnte bisher weder das National Center for Atmospheric Research noch irgend jemand anders den Transport des Rauches in realistischer Weise simulieren - ein Effekt, der, wie ich bereits gesagt habe, die Situation verbessern oder verschlechtern könnte. Ich möchte jetzt einige Modellergebnisse referieren, die eine ungefähre quantitative Vorstellung von dieser Wirkung vermitteln. Mit Hilfe eines dreidimensionalen Modells untersuchten meine Kollegen Curt Covey, Starley Thompson und ich zunächst einen Julikrieg, durch den 200 Millionen Tonnen Rauch gleichmäßig über das Gebiet zwischen 30 und 70 Grad nördlicher Breite verteilt werden sollten. Wir kamen zu dem Ergebnis, daß es dadurch zu empfindlichen Temperaturstörungen der Atmosphäre kommen würde. Man würde in der oberen Schicht der Rauchwolke sehr hohe Temperaturen antreffen, und eine erhebliche Abkühlung unterhalb der Wolke in Bodennähe über Kontinenten feststellen. Die Temperatur in der Wolke würde um ungefähr 80 Grad Celsius erwärmt werden, während die Luft unterhalb der Wolke abkühlen würde. In diesem Falle läge die höchste Temperatur in der oberen Atmosphäre bei 26,8 Grad Celsius (zwischen dem 50. und 70. Breitengrad in acht Kilometer Höhe). Auch das entspricht den TTAPS-Ergebnissen, obgleich die Werte unterschiedlich sind, weil wir ein jahreszeitliches, dreidimen158

sionales Modell benutzt haben, das die Wirkung der Winde einbezieht, während das eindimensionale Modell der TT APS-Gruppe auf den Jahresdurchschnitt bezogen ist und jegliche Windeinwirkung außer acht läßt. Betrachten wir jetzt die Oberflächentemperatur, abermals für den Fall eines Julikrieges. Ihnen liegen drei Illustrationen vor (Abb. 1). Die erste (t = 0) ist der Kontrollfall, der die typische Normaltemperatur eines Julitags zeigt. Alle schraffierten Felder sind kälter als minus drei Grad Celsius. Die zweite Abbildung zeigt, was nach der Bildung einer Rauchwolke zwischen dem 30. und 70. Grad nördlicher Breite geschieht. Im ganzen Nordwesten der Vereinigten Staaten liegen die Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Frostgebiete treten vereinzelt in Mitteleuropa auf, auf dem gesamten Hochland von Tibet und in Teilen der UdSSR. Ursache ist natürlich die Absorption des Sonnenlichtes, wodurch die Julitemperaturen in einem Zeitraum von nur zwei Tagen unter den Gefrierpunkt fallen. Zunächst überraschten uns diese Ergebnisse, bis uns einfiel, daß der Temperaturunterschied zwischen Tag und Nacht in der Größenordnung von fünf bis zwanzig Grad Celsius liegt. Zwei Tage, in denen fast kein Licht die Erdoberfläche erreicht, entsprechen in etwa vier Nächten hintereinander. Das erklärt, warum die Temperaturen so schnell fallen können. Die dritte Abbildung zeigt die Situation zehn Tage, nachdem der Rauch in die Atmosphäre unseres Modells eingebracht wurde. Mittlerweile hat sich die Abkühlung ausgebreitet und die Temperaturen sind in weiten Teilen Nordamerikas und Eurasiens deutlich unter den Gefrierpunkt abgesunken. Europa ist weniger kalt als am Tag2, was zum Teil daran liegt, daß die Störung zu stärkeren auflandigen Winden geführt hat, die den Kühleffekt mindern. Auch die Windveränderungen haben wir mit Hilfe des Modells untersucht. Nehmen wir beispielsweise den Monat April (Abb.2). Normalerweise steigt die Luft am Äquator und in den Tropen auf, neigt sich und sinkt in den Subtropen 159

t =0

= 2 doys

beider Hemisphären nieder. Das ist der Normalfall, der unter der Bezeichnung tropische Hadley-Zirkulation bekannt ist. Doch sechzehn bis zwanzig Tage nach Auftreten des Rauchs hätten sich die Windverhältnisse erheblich verändert. WLADIMIR ALEXANDROW wird Ihnen nachher eine 160

t • 10 doys

Abbildung 1 Oberflächentemperatur nach der Julisimulation im rauchgestörten NCAR-Modell zu drei ausgewählten Zeitpunkten. t = 0 Tage ist der Zeitpunkt, unmittelbar bevor der Rauch der Atmosphäre zugeführt wird. Die Temperaturumrisse entsprechen jeweils zehn Grad Kelvin. Gebiete mit Temperaturen unter 270° K (d. h. deutlich unterhalb des Gefrierpunktes) sind schraffiert. Der höchste Umrißwert in den Tropen liegt bei 300 °K (27 °C). (Quelle: C. Covey, S. H. Schneider und S. L. Thompson, »Global Atmospheric Effects of Massive Smoke Injections from a Nuclear War: Results from General Circulation Model Simulations«, Nature, Volumen 308, S. 21-25, 1~84

t-t; 2 days- 2 Tage; 10 days-10 Tage.

russische Simulation zeigen, die dem NCAR-Modell sehr ähnlich ist. Statt der normalen Hadley-Zirkulation zeigen die gestörten Windverhältnisse des Julis oder Aprils ein Erscheinungsbild, wie wir es von einigen anderen Planeten her kennen. 161

APRIL C0NTR0L (Days 16-20) 30

25 0

20

0

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15

:c

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3 10 5

100

L.....J._J_-'-....L.-'--L.....J._J_-'-....L.-'--L.....L-L-'--'--..1.....J

0

APfllL PERTURBED (Days 16-20) 30

25 0

a.

5

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10

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10

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-30 -50 -70

-98

LATITUDE (deg)

Durch die Veränderungen in der Atmosphärenzirkulation würde der Rauch wahrscheinlich in den mittleren Breiten emporgehoben werden und in die südliche Hemisphäre transportiert werden. Das ist zweifellos ein quantitativer Beleg für einige Spekulationen, die im letzten Jahr vorge162

Abbildung2 Atmosphärische Zirkulation im NCAR-Modell für die Aprilsimulation. Die Pfeile geben die Richtung der meridionalen und senkrechten Bewegung an. Der zeitliche Durchschnitt ist für die Tage 16 bis 20 errechnet. Der Bereich der Rauchbelastung ist durch den gestrichelten Kasten bezeichnet. Abgebildet sind der Kontrollfall (Simulation ohne Rauch) und der Störfall - (Rauchexperiment). Die normale meridionale Zirkulation wird im Störfall durch eine einzige große Zirkulationszelle ersetzt. (Quelle: S. L. Thompson, W. W. Alexandrow, G. L. Stentschikow, S. H. Schneider, C. Covey und R. M. Chervin, »Global Climatic Consequences of Nuclear War: Simulations with Three-Dimensional Models«, in Vorbereitung.)

APRIL CONTROL - APRIL, UNGESTÖRTE ATMOSPHÄRE; Days 1620 - Tage 16-20; PRESSURE (kPa)- DRUCK (kPa); HEIGHT (km) HÖHE (km); APRIL PERTURBED - APRIL, GESTÖRT; LATITUDE (deg)- BREITENGRAD

bracht wurden und die besagten, daß Rauch oder Staub in die Stratosphäre aufsteigen und sich über den Äquator auf die südliche Hemisphäre ausbreiten würde. Leider ist im NCAR-Modell die Wechselwirkung zwischen Rauch und Winden nicht berücksichtigt, so daß sich schwer sagen läßt, 163

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ob sich die Wolke rascher oder langsamer ausbreiten würde, als unsere Windstörungskarte erkennen läßt. Auch ist unser Modell nicht differenziert genug, um die Wirkung der sogenannten »mesoskaligen Mischung« realistisch zu simulieren, durch die wir eine andere Geschwindigkeit für 164

Abbildung3 Breitenabhängigkeit der Bodentemperaturänderungen (in Grad Celsius) von Nord- bis Südpol 40,243 und 378 Tage nach Ausbruch des Atomkrieges.

Day- Tage; Latitude - Breitengrad

Abbildung4 Die atmosphärische Zirkulation kurz vor Anfang des Atomkrieges (a) und 297 Tage nachher (b)

N = Nord; S = Süd

den Abbau und die Ausbreitung des Rauchs erhalten könnten, als wir erwarten. Unsere Untersuchungen zeigen außerdem, daß Veränderungen der Zirkulation stark von den Jahreszeiten abhängig sind. Sie sind im Juli sehr viel stärker und im Januar schwächer, 165

1801

180.1

obwohl wir der Meinung sind, daß in jeder Jahreszeit ein Teil des Rauches aus den mittleren Breiten der nördlichen Hemisphäre in andere Gebiete der Erde transportiert werden könnte. Nur mit den Ergebnissen aus dreidimensionalen Modellen, in denen die Wechselwirkung von Strahlungs-, Ab166

Abbildungs Änderung der Bodentemperaturen 40 Tage nach Ausbruch des Atomkrieges. Durchgezogene Linien: Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Jede Linie ist fünf Grad wärmer oder kälter als die benachbarte Linie.

Abbildung6 Änderung der Bodentemperaturen 243 Tage nach Ausbruch des Atomkrieges. Die durchgezogenen Linien bezeichnen Temperaturen unter, die gestrichelten Linien Temperaturen über dem Gefrierpunkt.

bau- und Transportprozessen berücksichtigt ist, läßt sich ein vernünftiges Maß an quantitativer Zuverlässigkeit erreichen. Auch wenn Einzelheiten der verschiedenen Studien über die atmosphärischen Konsequenzen eines Atomkriegs voneinander abweichen, läßt alles, was wir bisher gesehen haben, dar167

auf schließen, daß die Grundzüge des entstehenden Bildes Anlaß zu tiefer Sorge geben. Wir werden unsere Arbeit fortsetzen, um am Ende genauer entscheiden zu können, welche Geltung die Ergebnisse tatsächlich beanspruchen können. Wladimir Alexandrow: Ich möchte Ihnen über einige Ergebnisse berichten, die wir unter Verwendung eines hydrodynamischen, dreidimensionalen Klimamodells im Rechenzentrum der sowjetischen Akademie der Wissenschaften erzielt haben. Wir haben ein Klimamodell verwendet, das einige Jahre zuvor entstanden war. Die Arbeit, über die ich referieren werde, wurde im April 1983 durch meine Teilnahme an einem Treffen in Cambridge angeregt, das von der Konferenz über die Welt nach einem Atomkrieg durchgeführt wurde. Vom TTAPS-Szenario ausgehend, verteilten wir die Luftverunreinigungen - Ruß und Staub - zum Zeitpunkt Null, das heißt, unmittelbar nach einem Atomkrieg, gleichmäßig über die nördliche Hemisphäre. Der Ruß und der Staub in der Atmosphäre absorbieren Energie, so daß sich die Schmutzwolke erhitzt. Doch unten, in der Nähe der Erdoberfläche, wäre ein Temperaturrückgang zu verzeichnen. Vierzig Tage nach dem Auftreten von Ruß und Staub (Abb. 3), wäre die Temperatur auf der nördlichen Hemisphäre um 20°C gefallen. Und im achten Monat, 243 Tage nach dem Tag Null, würde der Temperaturrückgang immer noch ungefähr zehn Grad Celsius betragen. Das Temperaturgefälle, der senkrechte Gradient der Lufttemperatur, zeigt, wie sich die Atmosphärentemperatur mit der Höhe verändert. Unser Modell beweist, daß es nach einem Atomkrieg starke Abweichungen vom normalen Temperaturgefälle geben würde. Das könnte die allgemeine Zirkulation verändern und die vertikalen Strömungen und den Luftaustausch in der Atmosphäre weitgehend unterdrücken. Der Wasserkreislauf würde unterbrochen, so daß die natürliche Reinigung der Atmosphäre vom Staub und Ruß durch Niederschlag nicht mehr möglich wäre. Wir haben auch die Strömungsverhältnisse untersucht. Ste168

phen Schneider hat gezeigt, daß die NCAR-Studie zu ähnlichen Ergebnissen geführt hat. Wir haben festgestellt, daß sich die allgemeine Zirkulation der Atmosphäre tiefgreifend verändern würde: Sogar 297 Tage nach der Zuführung von Ruß und Staub (Abb.4 b) wären die natürlichen Zirkulationsstrukturen noch so verändert, daß der Ruß und Staub aus der nördlichen in die südliche Hemisphäre transportiert würde. Damit wäre die Situation auf der südlichen Hemisphäre, einschließlich der Tropengebiete, ebenso schlimm wie auf der nördlichen Hemisphäre. Binnen vierzig Tagen nach dem Tag Null (Abb.5) würde die Oberflächentemperatur im westlichen Teil der Vereinigten Staaten um 30 Grad Celsius fallen, im Osten der Vereinigten Staaten um 40 Grad Celsius, in Europa um 50 Grad Celsius, im Gebiet um den Persischen Golf um 50 Grad Celsius und über der Arktis um 15 Grad Celsius. Acht Monate (243 Tage) nach dem Eindringen von Staub und Rauch in die Atmosphäre würde die Temperatur in den USA und in der UdSSR immer noch 30°C unter den Normalwerten liegen, in Saudi-Arabien 20° C unter normal und in Afrika 10°C unter normal (Abb. 6). Bei diesen Berechnungen haben wir den Transport von Ruß und Staub aus der nördlichen in die südliche Hemisphäre nicht berücksichtigt (was eigentlich hätte geschehen müssen). Wäre dieser Effekt Bestandteil unserer Berechnungen gewesen, wäre die Situation auf der südlichen Hemisphäre gravierender als in den Abbildungen wiedergegeben. Ich möchte jedoch auf die Bedeutung eines bestimmten Effektes hinweisen, den wir bei unserer Arbeit an dieser Simulation entdeckt haben. Acht Monate nach dem ersten Auftreten von Ruß und Staub wird der obere Bereich der Troposphäre sehr heiß, während es in geringeren Höhen zu starker Abkühlung kommt. Infolgedessen wären die höhergelegenen Gebirgssysteme starker Erwärmung ausgesetzt: Die Luft auf der tibetanischen Hochebene wäre 20°C wärmer als normal, und über den Rocky Mountains wäre es 7°C wärmer als ge169

wöhnlich. Das würde die Schnee- und Gletschermassen auf den Gebirgen zum Schmelzen bringen und wahrscheinlich zu Überschwemmungen von kontinentalen Ausmaßen führen ich betone, von kontinentalen Ausmaßen. Wenden wir jetzt unsere Aufmerksamkeit der Strömungsfunktion der allgemeinen Zirkulation zu. Infolge der durch den Staub und den Ruß hervorgerufenen Störungen würde der südliche Arm der Hadley-Zelle an Stärke gewinnen und innerhalb von fünfunddreißig Tagen nach Tag Null nach Süden ziehen. Infolgedessen würden auch die Staub- und Rußmassen in Richtung der südlichen Hemisphäre wandern. Gleichzeitig würde sich im nördlichen Arm der Hadley-Zelle der allgemeinen Zirkulation die Intensität um einen Faktor von 10 verringern. Diese Tendenz würde sich bis zum 70. Tag fortsetzen. Am 105. Tag hätte sich die Struktur der normalen Strömungsfunktion völlig verändert. Ich möchte darauf hinweisen, daß unsere Experimente extrem einfach waren. Die von uns untersuchte Umwelt, die Luft, ist gasförmig. Deshalb versuchten wir zu berechnen, wie dieses Gas auf die durch einen Atomkrieg hervorgerufene Veränderung der optischen Dichte reagieren würde. Ich habe auf dieser Konferenz vorhin zum erstenmal die Illustrationen von Stephen Schneider gesehen, die aus der Untersuchung am National Center for Atmospheric Research stammen, und war sehr erfreut festzustellen, daß sich die wesentlichen Ergebnisse decken, obwohl sich die Experimente dieser Gruppe von den unseren völlig unterschieden - die Modelle waren anders und die Computer waren anders.

Fragen

Thomas Malone: Diese Diskussion hat gezeigt, daß Carl Sagans Darlegungen breite und vielfältige wissenschaftliche Zustimmung finden. George W Woodwell: Wir sind alle beeindruckt von der Un170

strittigkeit dieser Entdeckungen. Und gerade deshalb würde mich interessieren, warum das noch nicht vorher erkannt wurde. Eine solche Einhelligkeit innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft ist ungewöhnlich, so daß sich der Eindruck aufdrängt, wir hätten es hier mit relativ trivialen Sachverhalten zu tun. Warum also hat es achtunddreißig Jahre gedauert, bis sich diese so überaus kluge und fähige wissenschaftliche Gemeinschaft über einen so wichtigen und folgenreichen Tatbestand einig wurde? Thomas Malone: Wir haben auf den entscheidenden Gedanken von Paul Crutzen gewartet. John Steinback: Wenn die Temperatur der Atmosphäre plötzlich nach oben schnellt und den Wasserkreislauf unterbricht, würde sich dann nicht der entstehende Wasserdampf in der Atmosphäre sammeln? Und würde es nicht nach einer gewissen Zeit, wenn die Staubteilchen sich lange nach dem Holocaust abzusenken begännen, zu heftigen Regenfällen kommen, die die Vegetation völlig bloßlegen würden? Stephen Schneider: Um Ihre Frage teilweise zu beantworten: Ich habe wenig Vertrauen zu unseren Modellvorhersagen, wenn sie einen Zeitraum von mehr als ein oder zwei Wochen erfassen, aus dem einfachen Grunde, weil sie die Wechselwirkungen nicht genügend berücksichtigen: Sie verteilen den Rauch nicht. Deshalb würde alles, was ich sagen könnte, reine, intuitive Spekulation sein. Und die intuitive Antwort, die ich geben würde, lautet: »Es kommt drauf an.« Die Meerestemperaturen werden sich nicht wesentlich verändern. Die Wasserdampfbildung könnte zunehmen. Unsere Modelle lassen darauf schließen, daß in den tiefsten Schichten der Atmosphäre eine höhere relative Luftfeuchtigkeit, aber eine geringere absolute Luftfeuchtigkeit und in den oberen Schichten eine sehr niedrige Luftfeuchtigkeit ohne Wolkenbildung anzutreffen wäre. Was für Regenfälle zu erwarten wären, läßt sich sehr schwer abschätzen, obwohl fast alles möglich ist, wenn Veränderungen solcher Größenordnung eintreten. Alan Robock (University of Mary land): Kürzlich haben Cliff 171

Mass und ich uns mit einem Problem beschäftigt, daß wahrscheinlich eine sehr gute Analogie zu den Auswirkungen der Staubwolke bietet. Wir haben die Oberflächentemperaturen nach dem Vulkanausbruch des Mount Saint Helens beobachtet, als die Atmosphäre einige Tage lang voller Staub war. Wir haben festgestellt, daß die Oberflächentemperaturen nicht zurückgingen, sondern relativ konstant blieben. Nachts war es wärmer, als es ohne den Staub gewesen wäre, und tagsüber war es kälter als erwartet. Nach unserer Auffassung hat sich ein Gleichgewicht zwischen der Oberfläche und der staubgefüllten Atmosphäre hergestellt. Die Oberfläche, die sonst vollständig in den umgebenden Weltraum abstrahlt, kühlte sich nicht ab, weil sie durch die infrarote Strahlung erwärmt wird, die der Staub abgibt. Deshalb meine Frage an die Wissenschaftler, die für das Modell verantwortlich sind: Haben Sie in Ihren Berechnungen die Langwellenstrahlung berücksichtigt? Denn wenn Sie die Kurzwellenstrahlung herausnehmen, muß es natürlich zu einem Kühleffekt kommen. Doch die warme Staubschicht in der Atmosphäre müßte die Erdoberfläche erwärmen. Stephen Schneider: Lassen Sie mich darauf antworten. Die Situation nach einem Atomkrieg wäre vermutlich nicht mit dem Ausbruch des Mount Saint Helens zu vergleichen. Soweit wir wissen, ist die Infrarotdurchlässigkeit dieser durch Kernexplosionen erzeugten Aerosole größer als ihre Durchlässigkeit für sichtbares Licht. Bei einer optischen Dichte von ungefähr drei bis fünf im sichtbaren Spektrum beträgt die infrarote optische Dichte weniger als 1. Das Sonnenlicht wird also in großen Höhen abgefangen, während die Erdoberfläche abkühlt, weil sie weithin infrarote Energie durch die Rauchschicht in den Weltraum abstrahlt. Das führt zu einer fortschreitenden Inversion und ist der Grund für die Abkühlung der Oberfläche. Wenn hingegen zehnmal soviel Rauch vorhanden wäre, könnte ein größerer Temperaturrückgang an der Oberfläche verhindert werden, weil die Atmosphäre, wenn ihre Infrarot172

undurchlässigkeit groß genug ist, fast isotherm wird, wie es bei der Aschewolke über dem Mount Saint Helens der Fall war. Die Ironie der Situation liegt darin, daß bei sehr großen Mengen Rauch der Abkühleffekt der Erdoberfläche ausbleiben könnte. (Wenn sich später ein Teil des Rauchs niederschlagen würde, käme es doch zur Abkühlung.) Nur wenn die optische Dichte des Rauchs im sichtbaren Spektrum zwischen eins und zehn liegt, ist die Infrarotundurchlässigkeit so niedrig, daß sie nicht ins Gewicht fällt. Zumindest ist das die Aussage unseres eindimensionalen Strahlungs-KonvektionsModells. Peter Schar/man (Office of Technology Assessment, amerikanischer Kongreß): Ich zerbreche mir noch immer über Dr. Sagans Darlegungen den Kopf. Mich verwirrt die Vielzahl von Faktoren, die über die Rußmenge in der Atmosphäre bestimmen: Zahl der Waffen; Gesamtmegatonnage; Prozentsatz von Explosionen über Stadtgebieten, Wäldern oder Raketensilos; Bodenexplosionen an Raketensilos. Könnte sich jemand aus der Diskussionsrunde dazu äußern, wie sich diese Dinge schätzen lassen? Richard Turco: Die Zahlen für die Rußmenge werden von der Gesamtsprengkraft der Luftexplosionen über Stadtgebieten oder Wäldern beeinflußt, und dieser Wert hängt natürlich vom jeweiligen Szenario ab. In der TTAPS-Studie berücksichtigen wir eine Vielzahl von Szenarien und ein breites Spektrum möglicher Annahmen über die Bombardierung voa Städten und stadtnaher Ziele. Die Rußemissionen werden in besonderem Maße durch die Zahl der Explosionen über Stadtgebieten bestimmt, weil sie die höchste Konzentration jener Brennmaterialien aufweisen, die den schwärzesten Rauch erzeugen. Trotzdem können Explosionen über Wäldern und Weiden erheblich zur gesamten Rauchmenge beitragen. Weitere wichtige Faktoren sind die Mengen von Brennmaterialien und die Brandwahrscheinlichkeit, über die nur wenig Daten vorliegen. Alan Kest (Queens University, Ontario, Kanada): Könnte 173

Dr. Schneider oder Dr. Alexandrow den Mechanismus etwas genauer erläutern, durch den dieses Material aus der nördlichen in die südliche Hemisphäre transportiert wird? Laut Dr. Alexandrow würde ein Transport in größerem Umfang nach ungefähr fünfunddreißig Tagen einsetzen. Dr. Sagan hat, wenn ich ihn richtig verstanden habe, ein Temperaturgefälle erwähnt, das entscheidend für diese Bewegung verantwortlich sei. Nach dem vorliegenden Szenario entwickelt sich die Rußdecke zunächst in der nördlichen Hemisphäre, um sich dann rasch nach Süden zu bewegen. Was für ein Mechanismus ist für diese Bewegung verantwortlich? Und würde der Ruß nicht eher in einzelnen Wolken als in einem geschlossenen Verband ziehen? Wladimir Alexandrow: Unsere ersten Ansätze zur Lösung des Problems zeigten, daß der Transport von Rauch im Modellierungsverfahren berücksichtigt werden muß. Obwohl die Ergebnisse immer einen gewissen Spielraum haben, müßten sie in diesem Falle deutlich von den dargestellten Verhältnissen abweichen, weil der Transport der Ruß- und Staubwolke in die südliche Hemisphäre zu Effekten führen würde, die mit der von Stephen Schneider und mir geschilderten Situation nicht zu vergleichen wären. Deshalb muß der Transfer in die südliche Hemisphäre in den folgenden Untersuchungen unbedingt berücksichtigt werden. Stephen Schneider: Der Kollege von der Queens University hat völlig recht. Der von uns entdeckte Transportmechanismus ist keine langsame, mittlere, meridionale Bewegung. Sie müssen auch bedenken, daß unser Modell die vielen Wechselwirkungen, die vom Rauch hervorgerufen werden, nicht berücksichtigt. Wir haben festgestellt, daß die mittlere südliche Bewegung im oberen Arm der verzerrten Hadley-Zelle im April und Juli ungefähr drei bis fünf Meter pro Sekunde beträgt, so daß es drei Wochen dauern würde, bis der Rauch aus den Mittelbreiten in die Tropen befördert worden wäre wenn das tatsächlich der Transportmechanismus wäre. Die mittlere Bewegung errechnet sich aus vielen kleinen Strö174

mungen, die Geschwindigkeiten zwischen zwanzig und fünfzig Metern pro Sekunde aufweisen. Einzelne Streifen oder Fetzen der Rußwolke könnten also ziemlich rasch aus der USA oder aus Sibirien in die Tropen befördert werden. Wir haben die Stromlinien bei 500 und 200 Millibar (in ungefähr fünfzehn beziehungsweise zwölf Kilometer Höhe) betrachtet. In einem der untersuchten Fälle hätte eine vereinzelte Rauchwolke Australien schon nach ungefähr drei Tagen erreichen können. Das würde nicht unbedingt ausreichen, um die gesamte südliche Hemisphäre in Rauch zu hüllen, doch wenn umfangreiche Rußwolken über Tausende von Kilometern transportiert und sich auch nur ein paar Tage halten würden, könnte es zu raschen Frosteinbrüchen von mehreren Tagen Dauer kommen. Zunächst würde ein sehr fleckiges Bild entstehen. Es würde zahlreiche Rauchfahnen geben, die sich allmählich gleichmäßig verteilen würden. Paul Crutzen: Anfangs wäre in den Rauchwolken, besonders in ihren oberen Schichten, die Erwärmung durch Sonnenb~strahlung so stark, daß heftige örtliche Zirkulationssysteme in Gang gesetzt würden. Ich habe ausgerechnet, daß es ganz oben in diesen Wolken zu einer Erwärmungsrate von vierzig Grad pro Stunde kommen würde. Sie können sich ausmalen, was geschehen würde: der Rauch würde rasch in die obere Atmosphäre aufsteigen. Wladimir Alexandrow: Je nach dem Breitengrad könnte die Wolke aus Staub und Ruß außerordentlich scharfe Temperaturgradienten ausbilden. In dem von Stephen Schneider geschilderten Fall wäre das Bild absolut dreidimensional, und nur mit dreidimensionalen Modellen lassen sich diese Fragen beantworten. Joseph Rotblat (University of London): Von welchen Voraussetzungen ging man hinsichtlich der Dauer des zugrunde gelegten Nuklearkonflikts aus? Wäre er in einer Stunde vorbei, in ein paar Tagen oder erst nach Wochen? Und welche Auswirkungen hätte die Dauer des Schlagabtauschs auf die Ergebnisse Ihres Modells? 175

Richard Turco: Wir sind davon ausgegangen, daß ein Atomkrieg nur kurze Zeit dauern würde, ein paar Tage. Obwohl es andere Szenarien gibt, nach denen ein Atomkrieg sich über Monate hinziehen würde, hielten wir es für realistischer, davon auszugehen, daß die atomaren Kampfhandlungen relativ rasch vorbei wären. Die Wirkung eines längeren Krieges würde von der absoluten Dauer abhängen. Wenn der Schlagabtausch eine Woche dauern würde, könnten die optischen und klimatischen Folgen noch schlimmer sein, weil das Material infolge der verlängerten Explosionszeit und der wechselnden Winde weiter gestreut werden könnte. Würde sich der Konflikt monate- oder gar jahrelang hinziehen - vorausgesetzt, ein solches atomares Kriegskonzept wäre überhaupt ernsthaft in Betracht zu ziehen-, so könnten die Auswirkungen des Atomwinters abgeschwächt werden, weil die einzelnen Rauch- und Staubwolken durch natürliche Prozesse abgebaut werden könnten, bevor neue aufgewirbelt würden, so daß es nicht zu dieser Häufung von Staub- und Rußteilchen kommen würde. Joseph Rotblat: Ich frage, weil nach Ihrem Szenario 43 Prozent der Explosionen in der Atmosphäre gezündet werden. Wenn der Krieg mit anderen Waffen beginnt, die für eine gewisse Teilchenbelastung-vor allem in der Atmosphäre- sorgen, dann würden die Produkte von Luftexplosionen in der Troposphäre verbleiben und könnten schließlich als atmosphärischer Fallout größeren Ausmaßes niedergehen. In diesen Zusammenhang gehören auch die Erkenntnisse, die Dr. Golitsin dargelegt hat und die diesen Effekt abschwächen könnten. Die hier vorgelegten Berechnungen weisen eine Grundstrahlung von ungefähr 50 rad aus. Diese 50 rad würden, als äußere Gammastrahlung, über einen längeren Zeitraum abgegeben werden. Deshalb würden sie keine ernstlichen Symptome hervorrufen. Der Zerfall der Blutkörperchen erfolgt rascher als die Strahlungsaufnahme. Deshalb meine ich, wir sollten diesen Effekt nicht den unmittelbaren Umweltbelastungen 176

zurechnen. Warum? Weil es gravierende langfristige Auswirkungen gibt - karzinogener und möglicherweise auch genetischer Art. Ich habe den Eindruck, daß die hier geschilderten Auswirkungen bereits so schwerwiegend sind, daß die Einbeziehung der Strahlungseffekte die Ergebnisse nicht wesentlich verschlimmern würde. Richard Turco: Die Wirkung des radioaktiven Niederschlages ist richtig dargestellt worden. Wir sind auf die langfristigen Strahlungswerte auch nur deshalb eingegangen, weil sie weit höher liegen, als früheren Schätzungen zu entnehmen war. Das unterstreicht, wie wichtig es ist, die geschätzten Folgen eines Atomkriegs ständig zu überprüfen und zu überarbeiten. John A. Harris (Club of Rome): In seinen Darlegungen hat Carl Sagan erklärt, daß A, wenn er B angreift und zerstört, an den Folgen der eigenen Tat zugrunde gehen würde. Ich würde gerne wissen, was die Diskussionsrunde dazu meint, denn das ist, wie Ihnen sicherlich klar ist, eine Frage von ungeheurer politischer Bedeutung. Mich würde auch interessieren, ob die sowjetischen Gesprächspartner diese Einschätzung der Situation teilen. Thomas Malone: Gibt es jemanden in der Diskussionsrunde, der Carl Sagan widersprechen würde, wenn er behauptet, daß ein Erstschlag Selbstmord wäre? Haben Sie das nicht gesagt, Carl? Carl Sag an: Es sind Erstschläge denkbar, die nicht unbedingt Selbstmord bedeuten würden, Erstschläge, die unterhalb des Schwellenwertes bleiben würden. Doch ist ein entscheidendes Merkmal der meisten Erstschlagszenarien, wenn ich sie richtig verstehe, daß sie in einem Präventivangriff einen Großteil der gegnerischen Vergeltungskapazität ausschalten sollen. Dazu ist ein erhebliches Maß an Sprengkraft erforderlich, das über dem Schwellenwert liegt. Vorhin hat George Woodwell eine sehr wichtige Frage gestellt, denn, soweit ich weiß, reichte das Grundlagenwissen der Physik und Chemie schon vor zehn oder zwanzig Jahren aus, um diesen Sachverhalt zu entdecken. Schließlich gibt es in den Vereinigten Staa177

ten und der Sowjetunion Verteidigungsexperten, denen Jahr für Jahr Gelder in Höhe von vielen Hundert Millionen Dollar zur Verfügung stehen und die die Aufgabe haben, sich Klarheit über die Folgen eines Atomkriegs zu verschaffen. Außerdem sollen sie den Präsidenten der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion darüber informieren, was im Falle bestimmter politischer und militärischer Entscheidungen geschehen könnte. Deshalb halte ich das für eine ausgezeichnete Frage, die ich noch durch die folgende ergänzen möchte: Warum gehörten alle diese Dinge nicht schon vor zwanzig Jahren zum Allgemeinwissen der Verteidigungsexperten? Stephen Schneider: Ich möchte auf die Frage antworten, ob die Teilnehmer der Diskussionsrunde der Behauptung zustimmen, daß ein Erstschlag selbstmörderisch wäre. Ich habe diese Frage mit einigen meiner jungen wissenschaftlichen Mitarbeiter erörtert. Wir nannten es das »Erstschlag-Rückwirkungs-Szenario«, nach dem dem Sieger zwei Wochen bleiben, bevor die Wolke aus atomarem Rauch und Staub das eigene Land überzieht. Die Behauptung ist aber natürlich nur dann richtig, wenn der Schwellenwert überschritten wird, der hier erörtert wurde. Wir sollten das Wort »Schwellenwert« nicht zu wörtlich nehmen, denn es gibt natürlich keine magische Grenze, die plötzlich überquert wird, wenn mehr als 100 Megatonnen zum Einsatz kommen. Aber, wie schon gestern betont wurde, beruhen die Zahlen für Klimaauswirkungen, die die Temperaturen unter den Gefrierpunkt drükken würden, auf einer Reihe von Annahmen, und wenn die Annahmen zu optimistisch sein sollten, könnte der »Schwellenwert« für ernstliche klimatische Auswirkungen auch unter 100 Megatonnen liegen. Sobald jedoch die Gesamtmegatonnage um den sogenannten Schwellenwert oder darüber liegt und viele Städte angegriffen werden, besteht kein Anlaß zu der Erwartung, daß der Angreifer nicht unter den gleichen Umweltauswirkungen zu leiden hat wie der Angegriffene. 178

Karl Morgan (Appalachian State University): Bei der Strahlung scheint man sich vor allem mit der Ganzkörperdosis beschäftigt zu haben, die möglicherweise in unmittelbarem Zusammenhang mit der Leukämie steht. Man sollte jedoch bösartigen Erkrankungen bestimmter Organe wie der Lunge, des Darms und der Schilddrüse viel mehr Aufmerksamkeit schenken. Ich möchte noch auf einen anderen Punkt der Strahlenwirkung zu sprechen kommen. Wir haben wiederholt gehört, daß die Dosis, die für fünfzig Prozent der betroffenen Personen tödlich wäre (LD 50 ), bei 400 bis 450 rem liegen könnte. Doch bei Schädigung des Immunsystems oder Lymphgefäßsystems besteht berechtigter Anlaß zu der Annahme, daß die LD 50 bei SO oder 100 rem liegen könnte. Bislang liegen kaum Daten für Menschen vor. Es gibt nur zehn belegte Todesfälle durch das Strahlungssyndrom - in einem davon beläuft sich die glaubhafteste Schätzung der Strahlendosis auf weniger als 200 rem. John Holdren: Ich möchte betonen, daß das Hauptziel der hier vorgelegten Untersuchungen nicht die relativ kurzfristigen Folgen hoher Strahlendosen waren. Diese Frage gehört zu den Aspekten des Atomkriegs, die schon in der Vergangenheit eingehender untersucht worden sind. Die neuen Strahlungswerte ergaben sich als ein mehr oder minder überraschendes Resultat aus der Beschäftigung mit den längerfristigen Wirkungen. Vor allem die Berechnung des mittelfristigen Fallouts sorgte für höhere Gesamtdosen, als ursprünglich angenommen. Um festzustellen, inwieweit die eingehend untersuchten Auswirkungen des kurzfristigen Fallouts durch den anfallenden mittelfristigen Fallout verstärkt werden, bedarf es umfänglicher Forschungsarbeiten. Ich stimme mit Ihnen überein, daß man die genannten Punkte beachten müßte. Ich kann hinzufügen, daß die Strahlendosen in dieser Untersuchung eine große Rolle gespielt haben, nicht nur wegen ihrer direkten Wirkung auf Menschen - Krebserkrankungen, genetische Auswirkungen und so fort -, son179

dern auch wegen ihrer Bedeutung für die Ökologen, wegen der Folgen, die massive, flächendeckende Strahlendosen im Bereich von zehn bis hundert rem für ökologische Systeme haben. Es gibt viele Fragen zu Einzelaspekten, die noch untersucht werden müssen. Es hätte jedoch den Rahmen dieser ersten Untersuchungen gesprengt, wäre man auf die Einzelheiten dieses Problems eingegangen. Myrtle Jones (Audubon Society, Mobile Bay): Ich freue mich, daß die sowjetischen Wissenschaftler gekommen sind und an dieser Veranstaltung teilnehmen. Meine Frage lautet: Könnte man eine Konferenz dieser Art in Rußland durchführen, bei der Menschen aus allen Lebensbereichen das Problem erörtern? Und gibt es eine Möglichkeit, daß sich Ihr Staatschef und unser Staatschef und die Staatschefs von China und England an einen Tisch setzen, sich gründlich informieren und zu vernünftigen Lösungen kommen? Georgi Golitsin: Im letzten Mai fand eine ähnliche Konferenz in Moskau statt, auf der viele der Folgen - biologischer, klimatischer und sozialpsychologischer Art - erörtert wurden.

Diskussionsrunde über die biologischen Folgen George M. Woodwell (Vorsitzender der Diskussionsrunde biologische Auswirkungen): Bei den komplizierten Fragen, die die ganze Erdkugel betreffen, sind Experimente und selbst einfachste Datensammlungen schwierig, so daß sich auch unter Einsatz qualifizierter Forschungsteams und hochentwickelter Geräte nur kleine Fortschritte erzielen lassen. In einer immer komplizierteren, immer strapazierteren Welt ist es sehr wichtig, daß sich viele solcher Teams mit ähnlichen oder gleichen Forschungsarbeiten beschäftigen. Die verstärkte Nutzung der Biosphäre zwingt uns dazu, durch ständige Forschung und Überprüfung für die grundlegende Information, die Ideen, den Fluß der Fragen und Antworten zu sorgen, damit uns Überraschungen erspart bleiben wie die, mit der wir uns im Augenblick beschäftigen. Das hier besprochene Thema ist für die Biologen ebenso neu wie für die Meteorologen. Die wissenschaftliche Gemeinschaft hat eine neue große Aufgabe. Wir haben eine Gruppe namhafter Wissenschaftler zusammengerufen, um mit der Arbeit an diesem Problem zu beginnen. John Harte: Wir alle sind auf die Ökosysteme um uns herum angewiesen wie ein Patient auf der Intensivstation auf die Tropfinfusionen und die lebenserhaltenden medizinischen Apparate. Einen Atomkrieg zu entfesseln, wäre so, als würfe man eine Stange Dynamit in eine Intensivstation hinein, so 181

daß alle Verbindungen zerrissen würden, die für das Überleben des Patienten sorgen. Zu den lebenswichtigen Funktionen einer normalen, gesunden, natürlichen Umwelt gehört die Regulierung des Wasserkreislaufs, das heißt die weitgehende Einschränkung extremer Trockenheiten und Überschwemmungen, wie das Beispiel bewachsener Berghänge zeigt, wo die Vegetation den Wasserablauf bremst und den Flußlauf reguliert. Eine andere Funktion ist der Abbau von Luft- und Wasserverschmutzung sowie die Behandlung fester Abfallstoffe durch atmosphärische und mikrobielle Prozesse. Eine dritte ist die Mäßigung unseres Klimas, abermals am Beispiel großer Vegetationsbestände ablesbar, die ein für sie selbst lebenswichtiges Mikroklima erzeugen können. In den ersten drei bis sechs Monaten nach einem Atomkrieg würden diese und andere ökologischen Funktionen praktisch ausfallen. Daß der Landwirtschaft eine Jahresernte verloren gehen würde, haben bereits andere Referenten berichtet. Ich möchte einige Fragen des Wasserhaushaltes erörtern und kurz darauf eingehen, welche Aussicht auf langfristige Erholung der gestörten ökologischen Funktionen bestünde. Als ich letztes Jahr der TT APS-Studie entnahm, wie tief die Oberflächentemperaturen absinken würden, war mir klar, daß der Wasservorrat von Haustieren und Menschen heftigen Frösten ausgesetzt sein würde. Meine Berechnungen ergaben, daß sich an der Oberfläche der Binnengewässer eine Eisdecke von ungefähr einem Meter Stärke bilden würde. Ohne Brennstoff oder Elektrizität, um die Eisschicht zu schmelzen oder Brunnenwasser an die Oberfläche zu pumpen, würden viele Menschen und Nutztiere verdursten. Der erwartete Rückgang der Niederschlagsmengen würde das Problem verschärfen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die Synergien für uns zu arbeiten scheinen, wenn gesunde und normale Bedingungen herrschen, daß sie sich aber gegen uns wenden, wenn wir und die Natur nicht im Vollbesitz unserer Kräfte sind. Ein anderes Beispiel dafür: Die gefrorenen Gewässer würden die Abfallstoffe nicht mehr fortschaffen 182

und dadurch das Problem epidemischer Infektionskrankheiten noch verschlimmern, das durch die strahlungsbedingt verringerten Abwehrkräfte unseres Körpers ohnehin schon groß genug wäre. Wie sich eine längere Dunkelheit auf Wasserorganismen auswirken würde, ist in meinem Labor experimentell untersucht und in einem mathematischen Modell von Chris McKay und Dave Milne simuliert worden. Beide Forschungsansätze führten zu ähnlichen Ergebnissen. Die Nahrungsketten aus Phytoplankton, Zooplankton und Fischen würden unter der Lichtextinktion leiden. Schon wenige Tage nach Beginn der Dunkelheit würde das Phytoplankton - der Grundstein der Nahrungskette - absterben oder in einen Ruhezustand verfallen. Im Spätfrühling oder Sommer würden sich nach ungefähr zwei Monaten in der gemäßigten Zone - im Winter nach drei bis sechs Monaten - bei den Wassertieren erhebliche Populationsrückgänge bemerkbar machen, die für einige Arten unwiderruflich sein könnten. Diese (auf der Lichtreduktion beruhenden) Schätzungen sind angesichts der Unterwasserverhältnisse nach einem Atomkrieg wahrscheinlich noch zu niedrig angesetzt, weil sie weder die Temperaturverhältnisse noch die verstärkte Wassertrübung durch Küstenerosion und durch Ruß- beziehungsweise Staubablagerung berücksichtigen. Wahrscheinlich wird die Meereswelt in den Tropen noch empfindlicher auf eine längere Dunkelheit reagieren als in der gemäßigten Zone, weil in den Tropen die Nahrungsreserven geringer und die Stoffwechselbedürfnisse größer sind. In den Polargebieten, wo die Anpassung an die dunklen Winter eine Lebensnotwendigkeit ist, wäre die Empfindlichkeit geringer. Sobald sich der Staub absetzen und die Temperatur wieder steigen würde, wäre in den Süßwasserseen starker Sauerstoffmangel zu verzeichnen. Große Mengen organischer Abfallstoffe, darunter auftauende Leichname, würden für eine tödliche Vergiftung des Wassers sorgen. Es ist kaum damit zu rechnen, daß die wichtigsten Formen des Wasserlebens, die uns gegenwärtig als Nahrungsquellen dienen, einen Atom183

krieg im Frühling oder Sommer soweit überleben würden, daß sie den Menschen - zumindest in den ersten Nachkriegsjahren - von großem Nutzen sein könnten. Noch Jahre nach dem Krieg wäre die lebenserhaltende Kraft der irdischen Umwelt erheblich reduziert, auch wenn sich die Licht- und Temperaturverhältnisse inzwischen wieder dem Vorkriegsstand genähert hätten. Die Zuträglichkeit des lokalen Klimas, die Kulturfähigkeit des Bodens, die Beständigkeit und Qualität der Wasserversorgung und die Verfügbarkeit der Genvorräte - ihnen allen wäre in den Monaten extremer Verhältnisse nach dem Krieg schwerer Schaden zugefügt worden. Die massive Vernichtung von Vegetation durch Feuer oder Dunkelheit würde örtlich zu veränderten Klimaund Bodenverhältnissen führen, die nach aller Wahrscheinlichkeit sehr ungünstige Bedingungen für Neupflanzungen bieten würden. Pflanzenschädlinge, deren natürliche Feinde ausgerottet wären, und die Erosion des bloßliegenden, ungeschützten Erdreichs würden alle Anbauversuche zum Scheitern verurteilen. Ultraviolett-Strahlung wäre eine Umweltbelastung, die wahrscheinlich weit über das erste Jahr hinaus Bestand hätte. Würden die wenigen Überlebenden in der Lage sein, die unentbehrlichen Verbindungen zu den lebenserhaltenden Ökosystemen wiederherzustellen, ohne die kein überleben möglich wäre? Eine Wiederherstellung dieser Verbindungen wäre erst möglich, nachdem sich die Ökosysteme erholt und die übriggebliebenen Menschen die erforderlichen sozialen und technologischen Voraussetzungen geschaffen hätten, um sich die wiederhergestellten Ökosysteme nutzbar zu machen. Wie lange die Menschen dazu brauchen würden, läßt sich schwer abschätzen. Jedenfalls mindestens so lange, wie die Ökosysteme für ihre Erholung brauchen würden, da keine hochentwickelte technologische Gesellschaft ohne Ökosysteme möglich ist, die für die Grundbedürfnisse der Menschen sorgen. Die Erholung der verwüsteten Ökosysteme würde wahrscheinlich mindestens ein Jahrzehnt dauern - eine Schätzung, 184

die auf historischen Daten über stark beeinträchtigte Ökosysteme beruht. Infolge dieser langen Erholungszeit würde die überlebende menschliche Bevölkerung wahrscheinlich noch weiter schrumpfen, die Gefahr ihres vollständigen Aussterbens wachsen. Owen Chamberlain: Wissen Sie, ob geplant ist, die Empfinlichkeit des Phytoplanktons auf Temperaturveränderungen zu untersuchen? John Harte: Meines Wissens ist für die nächste Zukunft nur geplant, die Wirkung einer längeren Dunkelheit ins Auge zu fassen. Die Auswirkungen von Temperaturveränderungen auf die Meereswelt sind wohl weniger interessant, weil die Wärmeaufnahmefähigkeit des Meeres größere Temperaturschwankungen des Wassers verhindern wird. Unbekannter Frager: Haben Sie sich mit der Möglichkeit befaßt, daß sich Bakterien, Pilze, niedere Organismen und Insekten stark vermehren? John Harte: Das muß noch geschehen. Zahlreiche Ökologen beabsichtigen, diese Frage experimentell zu untersuchen. Zumindest bei kleinen Organismen wie Plankton und Pilzen kann man mit diesen Forschungsarbeiten im Labor beginnen. Ich hoffe, daß es in Zukunft geschehen wird, kann Ihnen aber heute leider noch nicht mit irgendwelchen Ergebnissen dienen, die die Wirkung längerer Dunkelheit auf Bodenorganismen betreffen. David McGrath (Global Tomorrow Coalition, Washington): Niemand hat bisher ausdrücklich die Frage angesprochen, ob ein längerer Ausfall der Photosynthese den Sauerstoffgehalt der Atmosphäre stark verringern könnte und welche Auswirkungen das haben könnte. John Harte: Das ist kein Punkt, der uns besondere Sorgen bereitet. Die Zahlen lassen darauf schließen, daß weder die Sauerstoff- noch die Kohlendioxidveränderungen alarmierend sein werden. Es sind Wirkungen von tertiärer oder noch geringerer Bedeutung, deshalb haben wir ihnen nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt. 185

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lntercepted light (W m-2) George Woodwell: Ich würde sie in den Rang sekundärer Bedeutung erheben. Joseph A. Berry: Ich soll hier untersuchen, welche wissenschaftliche Grundlage die Voraussage besitzt, daß die Photosynthese durch die atmosphärischen Nachkriegsverhältnisse weltweit stark eingeschränkt würde. Und ich möchte Sie daran erinnern, daß die Photosynthese - wie in den Beiträgen dieser Konferenz wieder und wieder betont - die wichtigste chemische Energiequelle für die Biosphäre und die wichtigste Antriebskraft für das funktionieren natürlicher und landwirtschaftlicher Ökosysteme darstellt. Grundsätzlich ist die Photosynthese auf zwei Voraussetzungen angewiesen. Erstens, das Licht muß die Stelle der Erdoberfläche erreichen, an der sich die Pflanzen befinden. Zweitens, das Licht muß von den photosynthetischen Pigmentsystemen dieser Pflanzen unter günstigen Bedingungen absorbiert werden. Die Frage lautet: Wie könnte eine Redu186

Abbildungl Bruttophotosynthese nach Abzug der Atmung einer Baumwollpflanze und mehrerer Baumwollpflanzen, abhängig vom Licht, das vom gesamten Himmelsgewölbe aufgefangen wird. Die Photosynthese wird ausgedrückt durch den Heizwert der erzeugten Produkte, das Licht durch den Heizwert des aufgefangenen Lichts. Die Energiespeicherung durch Photosynthese steigt linear bis zu den höchsten Bestrahlungsintensitäten, die an besonders klaren Tagen erreicht werden. Der allgemeine Wirkungsgrad (ungefähr 3,3 Prozent) entspicht in etwa dem eines einzelnen Blattes. (Aus: Baker u. a., Crop Science, 12 [1972], S. 431)

Gross photosynthesis - Bruttophotosynthese; Energy stored (W m-2) - gespeicherte Energie (W / m-2 ); lntercepted light (W m-2 ) - aufgefangenes Licht (W /m-2 ).

zierung des die Atmosphäre durchdringenden Lichts die Photosynthese beeinträchtigen? Viele Experimente haben gezeigt, daß die Bruttophotosynthese von Wäldern und Feldfrüchten zu der empfangenen Lichtstärke proportional ist (Abb. 1). Selbst an normalen Tagen richtet sich die Photosynthese nach dem Licht: Bei klarem Himmel erreicht sie ihr Maximum am Mittag und nimmt bei Wolkenbildung, am Morgen oder am Abend ab. Der Gesamtbetrag der Photosynthese innerhalb eines bestimmten Zeitraums ist zu dem Gesamtbetrag des aufgenommenen Lichts proportional. Daraus folgt, daß jede Lichtreduzierung zu einem entsprechenden Rückgang der Bruttophotosynthese führen würde. In dieser Beziehung ist noch nicht berücksichtigt, daß die Pflanzen sich selbst am Leben erhalten und deshalb einen Überschuß erzeugen müssen, um Feldfrüchte oder Wälder zu erzeugen, die Tieren als Nahrung dienen können. Im allgemeinen sind mindestens 15 bis 20 Prozent der tägli187

chen Photosynthese erforderlich, um für die Atmung der Pflanze zu sorgen. In sehr komplexen Ökosystemen mit großer pflanzlicher Biomasse, die viele Pflanzenfresser beherbergt - etwa im tropischen Regenwald - ist dieser Anteil so groß, daß er fast die gesamte Photosynthese beansprucht. Da die Bruttophotosynthese dem Licht proportional ist, würde die Nettoproduktivität zum Stillstand kommen, sobald sich die Lichtstärke auf 15 bis 20 Prozent des Normalwertes verringern würde. In den Regenwäldern wäre das schon lange vorher der Fall. Das würde natürlich bedeuten, daß keine neuen Sprosse, Früchte und Samen ausgebildet würden, die die nahrhaftesten und genießbarsten Pflanzenteile sind. Fortgesetzter Pflanzenverzehr würde nach einem längeren Zeitraum reduzierter Lichtstärke zu einem Rückgang der Pflanzenbiomasse führen. Nach einer Normalisierung der Lichtverhältnisse wäre weniger Biomasse vorhanden, die das Licht absorbieren könnte, so daß die Photosynthese reduziert wäre, bis das Ausmaß des alten Pflanzenbewuchses wieder erreicht wäre. Ein weiterer Faktor, der die Dichte der Pflanzenbiomasse beeinflussen würde, wäre die vorhergesagte Kälte nach einem atomaren Schlagabtausch, da die Niedrigtemperaturen die Pflanzen beschädigen oder gar töten können (Tabelle 1). Auf der Erde gibt es sehr unterschiedliche Wärmezonen, und entsprechend unterschiedlich reagieren die Pflanzen in diesen Zonen auf Niedrigtemperaturen. Tropische Pflanzen leben beispielsweise in Gebieten, wo Frost nur selten, wenn überhaupt, vorkommt, und könnten an Temperaturen unter dem Gefrierpunkt zugrunde gehen. In Gebieten mit strengen Wintern ertragen die ruhenden Pflanzenkeime, wenn sie entsprechend darauf vorbereitet sind, Temperaturen bis zu achtzig Grad minus. Die Temperaturtoleranz der Pflanzen eines jeden Habitats entspricht ungefähr den niedrigsten Temperaturen, die in diesem Habitat normalerweise auftreten (vgl. Abb.2). Sehr wahrscheinlich würden die Niedrigtemperaturen in der Nachkriegsumwelt weit unter diesen normalen Ex188

Tabelle 1 Niedrigste Temperaturen {°C), die Pflanzen verschiedener Regionen ertragen können, ohne lethale Schäden zu erleiden a

Pflanzengruppe

Aktive Blätter

Ruhende Keime

Tropisch Subtropisch Meerestemperatur Strenge Winter Getreidepflanzen Tropische Nutzpflanzen

+

4 bis -5 1 bis -5 5 -10 - 2 bis -5 +15 bis -5

keine - 6 bis -12 - 8 bis -25 -30 bis -80 -20 bis -30 keine

-

• Aus: Larcher und Bauer, Encyclopedia of Plant Physics, Bd. 12A, s. 413-17 (1981).

tremwerten liegen. Man kann davon ausgehen, daß Pflanzen diesen Niedrigtemperaturen zum Opfer fallen könnten, vor allem in Gebieten, wo die Kälte nicht zu den normalen Umweltfaktoren gehört. In kälteren Habitaten würde die Wirkung der Niedrigtemperaturen davon abhängen, ob sich die Pflanzen im ruhenden Winterzustand oder im aktiven Sommerzustand befänden. Die aktiven Blätter von Pflanzen aller Regionen sind relativ empfindlich für Niedrigtemperaturen. Schon Temperaturen von vier bis fünf Grad können die Leistung tropischer Pflanzen stark beeinträchtigen. Nadelbaumarten aus Hochgebirgszonen können im Sommer, wenn sie aktiv wachsen, schon bei Temperaturen von minus zehn Grad Celsius Schaden erleiden. In einem Sommerkrieg, der zu einem sehr raschen Temperaturabfall führen würde, würden die Blätter dieser Arten aller Wahrscheinlichkeit nach Schaden erleiden, so daß nach Normalisierung der Lichtverhältnisse weniger Biomasse übrig wäre, um die Photosynthese wieder aufzunehmen. Was würde, weltweit betrachtet, in den Jahren nach einem Atomkrieg aus der Photosynthese werden? Die photosynthetische Produktivität auf der Erde ist wahrscheinlich seit geologischen Zeiten sehr konstant- plus/ minus fünf Prozent des 189

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Hundertprozentwertes. Im ersten Jahr ist infolge der erheblich verringerten Lichtmenge, die auf die Erdoberfläche gelangt, zu erwarten, daß die photosynthetische Produktion auf zehn bis zwanzig Prozent ihres Normalwertes fallen würde. Höchstwahrscheinlich würde diese Produktion in den Tropen stattfinden. Im zweiten Jahr würde zwar das Licht, die wichtigste Energiequelle der Photosynthese, wieder einfallen, doch die Biomasse - die Pflanzenblätter, die Algen im Meer - wäre weniger dicht, könnte weniger Licht absorbieren und deshalb nur ein geringeres Maß an Photosynthese leisten. Infolgedessen würde ich annehmen, daß sich die Photosynthese nicht so schnell erholen würde wie das Licht. Anhaltende Niedrigtemperaturen und verstärkte Ultraviolett-Strahlung würden die Entwicklung von Blättern und Algen zusätzlich einschränken. Meiner Meinung nach würde es ein bis mehrere Jahrzehnte dauern, bis Pflanzendecke und Photosynthese wieder den normalen Vorkriegsstand erreicht 190

Abbildung2 Die Verteilung von Temperaturen unter dem Gefrierpunkt auf der Erde. (Aus: W. Larcher, Physiological Plant Ecology, 2. Aufl., Springer Verlag, Berlin 1980, S. 82.)

Frost-free- Frostfrei; Episodic or periodic frost to-10 °C- kurzfristiger oder periodischer Frost bis-1 0 0 c; Frost to-20 °C possible- Frost bis-20 °c möglich; Winter minimal lower than -20 °C possible- Winterminimalwerte unter-20 °c möglich; Fewer than 3 months frostfree - Weniger als drei Monate frostfrei.

hätten. Es läßt sich sehr schwer vorhersagen, welche Gestalt die Ökosysteme, die die Biomasse enthalten, schließlich annehmen würden. Thomas C. Hutchinson (University ofToronto): Sind Sie von der Voraussetzung ausgegangen, daß noch alle gegenwärtig vorhandenen Pflanzen da wären, um sich zu erholen? Joseph Berry: Die Annahme lag nicht zugrunde. Wenn alle Pflanzen noch vorhanden wären und sich erholen könnten, dann könnte man natürlich erwarten, daß die Photosynthese sehr rasch wieder ihren Normalstand erreicht hätte, da man davon ausgeht, daß sich die Lichtverhältnisse im zweiten Jahr ziemlich rasch normalisieren. Deshalb glaube ich, daß das Haupthindernis für die Erholung des Photosynthese-Potentials die verzögerte Regeneration der Pflanzendecke auf der Erdoberfläche ist. Mark A. Harwell 1 : Diese Konferenz hat sich vor allem mit den mittelfristigen und langfristigen Folgen eines Atomkriegs 191

beschäftigt, wobei das Interesse in erster Linie den neuen und verblüffenden Klimaveränderungen galt, die man für den Fall eines unbeschränkten Atomkriegs erwartet, und den unvermeidlichen biologischen Katastrophen, die so schwerwiegende Eingriffe in die globale Biosphäre nach sich ziehen würden. Als man sich über Art und Größenordnung der atmosphärischen Konsequenzen klar wurde, war sich die große Gruppe von Ökologen und Biologen, die im April 1983 in Cambridge zu einer ersten Diskussion dieser Fragen zusammengekommen war, sofort über die zu erwartenden biologischen Begleiterscheinungen einig. Diese Erscheinungen sind hier von Paul Ehrlich 2 erläutert und eingehend in einem Artikel dargelegt worden, den ein biologisches Komitee 3 ausgearbeitet hat und in dem es vor allem um die langfristigen und indirekten Folgen ging. Ich möchte hier nicht diese Berichte wiederholen, sondern mich auf einige Punkte beschränken, die die Rückwirkungen zwischen Mensch und Ökosystemen betreffen, und einen kurzen Überblick über die Gesamtwirkungen auf Menschen geben, angefangen mit den unmittelbaren Folgen von Kernwaffenexplosionen, bis hin zu einer längeren Zeitspanne nach einem Atomkrieg, wobei ich mich auf eine Reihe von Untersuchungen stützen werde, die ich in den letzten Monaten durchgeführt habe. 4 Zunächst möchte ich auf die enge Verbindung zwischen Menschen und Umwelt hinweisen. Praktisch alles Leben auf der Erde hängt letztlich vom Sonnenlicht ab, denn dieses Licht liefert die Energie, die durch die ökologischen Systeme wandert und die vielen für die Erhaltung der Lebenssysteme notwendigen Materialkreisläufe in Gang hält. Pflanzen und Tiere - auch der Homo sapiens, die Spezies, die uns am meisten interessiert - sind im wesentlichen Sonnenenergiemaschinen. Die Menschen sind in den meisten ihrer lebenswichtigen Funktionen auf ökologische Systeme angewiesen. Vor allem natürlich auf Nahrung und genießbares Wasser. Wichtig sind auch Schutz, Energie, Klimaverbesserung, Luftreinigung, 192

Schädlings- und Krankheitsbekämpfung und eine Vielzahl anderer Umweltfunktionen. Lassen Sie mich zwischen zwei Arten von Ökosystemen unterscheiden - den natürlichen und den bewirtschafteten. Bei letzteren handelt es sich in erster Linie um landwirtschaftliche Systeme, aber auch Systeme zur Nutzung natürlicher Ressourcen - zum Beispiel Wälder und Mineralvorkommen gehören dazu. Grundsätzlich läßt sich diese Klasse wohl definieren als Systeme auf biologischer Grundlage, die der unmittelbaren Kontrolle von Menschen und Gesellschaftssystemen unterworfen sind. Ich nehme diese Unterscheidung aus folgendem Grund vor: Augenblicklich leben mehr als 4,5 Milliarden Menschen auf der Erde. Zwar können Ökologen und andere Experten möglicherweise keine Einigung darüber erzielen, wieviel die bewirtschafteten und die natürlichen Ökosysteme der Erde am Leben erhalten können, doch eines ist ganz klar: von den natürlichen Ökosystemen allein kann die gegenwärtige Weltbevölkerung auf keinen Fall leben. Mit anderen Worten, die natürlichen Ökosysteme könnten nicht viereinhalb Milliarden Jäger und Sammler ernähren. Für so viele Menschen gibt es einfach nicht genügend zu jagen und zu sammeln - selbst bei intakten Ökosystemen. Die bewirtschafteten biologischen Systeme, die die Menschen am Leben erhalten, sind wiederum für den eigenen Fortbestand und Erhalt entscheidend auf organisierte menschliche Gesellschaften angewiesen. Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Feldfruchtsysteme werfen keine Nahrung ab, wenn es nicht Menschen gibt, die für Saat, Pflügen, Nährstoffe, häufig auch Wasser und viele andere Dinge sorgen, ohne die kein Ökosystem produktiv bleibt. Hinzu kommt, daß selbst bei hinreichenden Ernteerträgen die Menschen nicht ohne ein weitgespanntes Netz von Transport- und Verteilungssystemen am Leben bleiben würden. Nun könnten aber nach einem Atomkrieg von den hier erörterten Ausmaßen die bewirtschafteten Systeme nicht mehr hinreichend durch Menschen versorgt werden. 193

Nach einem Atomkrieg würden die Menschen also die Unterstützung durch bewirtschaftete Systeme verlieren, auch wenn es zu keiner der klimatischen oder anderen Umweltbelastungen kommen würde, die hier erörtert wurden. Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da die natürlichen Systeme nie dagewesenen Störungen unterworfen wären, müßten die überlebenden Menschen von dieser natürlichen Umwelt in einem Maße versorgt werden, zu dem sie auch in intaktem Zustand nicht fähig wäre. Kurzum, selbst heute könnten die natürlichen Systeme nur einen kleinen Bruchteil der Weltbevölkerung am Leben erhalten. Nach einem Atomkrieg hingegen wären diese Systeme in weit schlechterer Verfassung, so daß ihre Fähigkeit, die Menschen mit allem Nötigen zu versorgen, noch viel weiter eingeschränkt wäre. In einem engen Zusammenhang damit steht die Frage, wie es mit diesen Verbindungen zwischen dem Menschen und der Umwelt bestellt sein wird, sobald das Schlimmste vorüber ist, das heißt in den Jahren nach dem hier erörterten Atomwinter. Je nach dem Bevölkerungsrückgang und dem Schrumpfungsprozeß der ökologischen Systeme würden sich die Bevölkerungszahlen der Menschheit wahrscheinlich nicht rascher erholen als die natürlichen Systeme. Überdies könnte das erhöhte Angewiesensein der Menschen auf diese natürlichen Systeme das Bevölkerungswachstum bremsen. Betrachten wir nur ein einziges Beispiel: Eine hungernde Gruppe von Überlebenden könnte den ökologischen Systemen die mühsam produzierte Überschußenergie fortnehmen, die diese für Wachstum, Reproduktion, Nahrungsreserven usw. brauchen, und dadurch die natürlichen Prozesse hinausschieben, die für die Erholung der Ökosysteme erforderlich wären. dben war von den Problemen die Rede, auf die überlebende bei dem Versuch stoßen könnten, sich an Ökosysteme in Küstennähe zu halten. Es wurde darauf hingewiesen, daß Küstengebiete infolge des ausgeprägten Temperaturgefälles zwischen kontinentalen und maritimen Luftmassen unter 194

sehr heftigen Stürmen leiden würden. Außerdem wären dort der Anteil an Radionukliden und der Umfang der Wohnraumzerstörung überproportional hoch, und zwar unter anderem aus folgenden Gründen: Stadtgebiete liegen vor allem in Küstenregionen, die U-Jagd-Waffen (ASW) würden schwere Zerstörungen anrichten und die Meeresbuchten und Flußmündungen ?incl flußabwärts der meisten Systeme gelegen, so daß sie einen überproportionalen Anteil ihrer Abflüsse empfangen. Ferner sind die Ökosysteme des Meeres besonders anfällig sowohl für eine Verringerung der Lichtstärke als auch für eine Zunahme der Ultraviolett-Strahlung, was verheerende Folgen für die auf dem Phytoplankton beruhende Nahrungsbasis haben könnte. Wir sind zu dem Schluß gekommen, daß solche Störungen in Verbindung mit einem empfindlichen Mangel an Energie und Küstenschiffen den Menschen kaum eine Überlebenschance lassen würden. Nun stellt sich aber heraus, daß es auch um die im Landesinneren gelegenen Ökosysteme kaum besser bestellt wäre. Beispielsweise würden fast alle Süßwassersysteme in den nördlichen Kontinentalgebieten bis zu einer Tiefe von 1 bis 1,5 Metern völlig zufrieren. 4 Die Eisdecken wären mit radioaktivem Niederschlag, Ruß und giftigen Chemikalien bedeckt, so daß unverseuchtes Trinkwasser für Menschen und andere Lebewesen knapp würde. Überdies würde es mit Einsetzen des Tauwetters zu beträchtlichen Überschwemmungen kommen, möglicherweise verstärkt durch die erhöhten Temperaturen, die mittelfristig in Gebirgsregionen zu erwarten wären, wie der sowjetische Kollege Alexandrow auf dieser Konferenz vorhergesagt hat. Ein anderer Faktor ist die überdurchschnittliche Beeinträchtigung der eßbaren Teile von Landpflanzen. Der gefrorene Boden würde beispielsweise Knollen und Wurzeln unerreichbar machen. Früchte, Beeren und neue Triebe würden bei den schlechten Licht- und Temperaturverhältnissen nicht wachsen. So würde sich praktisch die gesamte pflanzliche Biomasse der Ökosysteme auf dem Lande aus Zellulosebestand195

1 teilen zusammensetzen. Leider können Menschen Baumstämme weder essen noch verdauen. Wie unter den Menschen würde auch unter den meisten anderen Wirbeltieren auf dem Land eine Massensterblichkeit um sich greifen. Wenn sich die Tierpopulationen erholen würden, würden sie wahrscheinlich ebenso rasch erlegt werden, wie sie sich vermehren könnten, weil die Menschen all ihre Energie auf die Fleischbeschaffung verwenden müßten. Nur Arten mit großer Reproduktionsrate würden ihre Populationen wieder auffüllen. Doch sie gehören zu den Schädlingen, die keinen Beitrag zum Nettoenergieertrag liefern, sondern eher Schaden anrichten würden, nicht zuletzt als Krankheitsüberträger. Außerdem würde die Erholung der Ökosysteme, auch ohne menschliches Eingreifen, länger dauern, als es auf den ersten Blick aussieht. Der Verlust von Boden und Nährstoffen, die Vernichtung von Samenvorräten, die ständige Einwirkung verstärkter Ultraviolettstrahlung, die Temperaturrückgänge, möglicherweise auch geringere Niederschlagsmengen, fortgesetzte Ozoneinwirkung, Radionuklide und andere Belastungen würden alle diese Erholungsprozesse bremsen. Langfristige Reaktionen auf Temperatur- und Lichtbeeinträchtigungen von ein paar Jahren Dauer könnten über Jahrzehnte die Produktivität der Wälder einschränken und das Artenspektrum verändern. 4 Kurzum die Ökosysteme auf dem Lande würden den Überlebenden kein leichtes Auskommen gewähren. Wenden wir uns jetzt der ungefähren Zahl menschlicher Todesfälle infolge der direkten und indirekten Auswirkungen eines Atomkriegs zu. Nach einer Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation würden durch die Druckwirkung und andere unmittelbare Effekte weltweit mit 1, 1 Milliarden Toten und 1,1 Milliarden Verletzten zu rechnen sein. 5 In der AmbioStudie ging man von insgesamt 750 Millionen Todesfällen au~. 6 Meine Kollegen und ich haben uns eingehender mit den Folgen für die Bevölkerung der Vereinigten Staaten beschäftigt. 4 Ich ging von einem sehr ähnlichen Szenario aus, wie es in 196

Ambio 6 für einen großflächigen Atomkrieg vorgeschlagen wurde, und nahm eine Gesamtsprengkraft von 5700 Megatonnen an. Dabei berücksichtigte ich die Auswirkungen eines Counterforce- (d. h. gegen militärische Ziele gerichteten) und Countervalue- (gegen zivile und industrielle Ziele gerichteten) Angriffs auf die Vereinigten Staaten, bei dem alle Städte über 100 000 Einwohner und der größte Teil der militärischen und bedeutenderen industriellen Anlagen getroffen werden würden. Eine Zusammenfassung der Auswirkungen ist in Tabelle 2 von Carl Sagans Beitrag wiedergegeben (S. 78-79). Der Druckwirkung könnten 50 bis 80 Millionen der 110 Millionen gefährdeten (d. h. in den städtischen Zielgebieten lebenden) Amerikaner zum Opfer fallen. Hinzu kämen weitere 30 Millionen Schwerverletzte. Die unmittelbare Einwirkung der intensiven Hitze und die daraus resultierenden Verbrennungen könnten eine bis fünfzehn Millionen unserer Landsleute töten. Eine bis sieben Millionen könnten in den Bränden und Feuerstürmen der Stadtgebiete umkommen. Die ionisierende Strahlung der Anfangsphase würde keine zusätzlichen Menschenleben kosten, weil bei den in diesem Szenario zugrundegelegten Waffen (jede zwischen 100 Kilotonnen und einer Megatonne) die tödliche Reichweite der Druckwirkung und Hitzestrahlung weit über die Zonen hinausreicht, in denen die schnellen Neutronen- und Gammastrahlen der Kernwaffenexplosionen tödlich wären. Wer von der akuten Anfangsstrahlung ereilt würde, wäre bereits tot. Doch der lokale Fallout könnte annähernd 12 bis 18 Millionen Menschen töten, die während der ersten Tage, und weitere 40 bis 50 Millionen, die in den folgenden Tagen und Wochen tödlichen Falloutmengen ausgesetzt wären. Insgesamt würden nach unserem Basisszenario den unmittelbaren, direkten Auswirkungen der Kernwaffenexplosionen ungefähr 150 bis 170 Millionen Amerikaner zum Opfer fallen und weitere 30 bis 50 Millionen so schwer verletzt werden, daß sie ärztlicher Hilfe bedürften. Also würden 10 bis 75 Millionen Amerikaner und 2 bis 3 Milliarden der Weltbevölke197

1 rung die Schwierigkeiten des Atomwinters und der Folgezeit ertragen müssen. Die meisten anderen Auswirkungen, die in der erwähnten Tabelle 2 zu finden sind (d. h. die langfristigen und durch indirekte Mechanismen bewirkten Effekte) sind bereits auf dieser Konferenz erörtert worden 2• 3 und sollen hier nicht wiederholt werden. Ich möchte nur noch auf einige zusätzliche Punkte hinweisen. Die Luftverschmutzung könnte weitreichende Auswirkungen haben. So hat zum Beispiel die TT APS-Gruppe 7 für die Mittelbreiten eine durchschnittliche Ozonkonzentration von 150 pro einer Milliarde Raumteile vorhergesagt, womit ein Niveau erreicht würde, das für die meisten Pflanzenarten schon bei zweistündiger Einwirkung erhebliche Schäden bedeuten würde. Nahrungsmangel infolge des unvermeidlichen Zusammenbruchs der landwirtschaftlichen Systeme und des Ausfalls der Transport- und Verteilungssysteme könnte viele Millionen oder Milliarden Menschen auf der ganzen Erde zum Hungertod verurteilen. Davon wären nicht nur die direkt an dem Atomkrieg beteiligten Länder betroffen, sondern auch Staaten, die weit von den atomaren Schlachtfeldern entfernt liegen, aber in hohem Maße von den Nahrungsexporten Nordamerikas abhängig sind. Verzögerungen bei der Wiederherstellung der landwirtschaftlichen Ökosysteme infolge physischer oder gesellschaftlicher Schäden würden noch über viele Jahre hin die Erholungsrate menschlicher Populationen bestimmen. Auch die medizinischen Versorgungssysteme wären zerschlagen, wie die ,Physicians for Social Responsibility< dargelegt haben, so daß die Millionen Verletzter wenig oder keine effektive medizinische Pflege zu erwarten hätten. Das massive Auftreten von ansteckenden Krankheiten würde, vor allem in der ersten Zeit nach dem Atomkrieg, Millionen dahinraffen. Die Menschen würden sich in einem Zeitraum, in dem es praktisch keine sanitären Einrichtungen und kein unver198

seuchtes Wasser mehr gäbe, in engen Schutzräumen zusammendrängen, um Zuflucht vor Wetter, Strahlung und Banden zu finden. Infolgedessen würden vor allem Darmkrankheiten auftreten. Später würden sich durch Tiere übertragene Krankheiten wie Tollwut und Pest in Epidemien und Pandemien ausbreiten. Schließlich wäre ein wichtiger Faktor für menschliches Überleben die ungeheure psychologische Belastung, unter der die ganze Erdbevölkerung zu leiden hätte. Hinzu käme der generelle Zusammenbruch der Gesellschaftssysteme, da es keine menschliche Zivilisation mehr gäbe und da die Menschen, reduziert auf ein Dasein als Einzelwesen oder Kleingruppen, in einen beispiellosen Verteilungskampf um dramatisch verknappte Ressourcen verstrickt wären. Es ist höchst ungewiß, welche Entwicklung die Gesellschaftssysteme nehmen würden, sicher ist jedoch, daß der verzweifelte Wettbewerb um begrenzte Ressourcen weitere Menschenleben fordern würde. Aus allen diesen Überlegungen geht hervor, daß die Welt nach einem Atomkrieg für die meisten oder für alle Menschen auf der Erde höchst unwirtlich wäre. Jeder Atomkrieg, der nicht von äußerst eingeschränkter Art wäre, wäre nicht nur ein Krieg unter den beteiligten Parteien, er würde auch die Biosphäre und alle ihre menschlichen Bewohner aufs Spiel setzen. Das Opfer an Menschenleben würde sich kaum auf die Todesfälle und Verletzungen im unmittelbaren Umkreis der Kernwaffenexplosionen beschränken, sondern ein Atomkrieg würde alle existierenden Menschen und auf absehbare Zeit alle kommenden Generationen in Mitleidenschaft ziehen - wenn er den Homo sapiens nicht gar zum Aussterben verurteilen würde. George Woodwell: Die Auswirkungen, die uns hier als unvermeidliche Folgen fast jeder kriegerischen Verwendung von Kernwaffen vor Augen geführt wurden, bedeuten nicht nur eine grundlegende Veränderung für das Habitat des Menschen, sondern für das Habitat aller irdischen Organismen,

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eine tiefgreifende, unwiederrufliche Veränderung der Biosphäre. Soweit wir wissen, gibt es Leben an keinem anderen Ort - nicht auf der Venus, nicht auf dem Mars, dem Jupiter, dem Mond, nirgendwo. Keiner dieser nächsten Erdnachbarn hat die materiellen Voraussetzung für die Erhaltung von Leben - jeder aus anderen Gründen. Heute wissen wir, wie leicht es wäre, genügend Energie in der Biosphäre freizusetzen, um die Erde von Grund auf zu verändern und große Teile der Flora und Fauna stark einzuschränken, vielleicht auch auszurotten. Was für Veränderungen würden zuerst eintreten? Was würde überleben? Was würde zuerst verschwinden? Wir glauben, der Mensch hätte eine beherrschende Stellung in der Biosphäre. Doch seine Landwirtschaft bedeckt nur zehn Prozent der Landfläche. Der Rest der Erde gehört natürlichen Lebensgemeinschaften, die vom Menschen in Mitleidenschaft gezogen, aber nicht bewirtschaftet werden. Beispielsweise wurde und wird der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre vom Stoffwechsel der Wälder reguliert, vielleicht sogar- zumindest innerhalb gewisser Grenzen - bestimmt. Ganz gleich, wie man die Funktionsweise der Biosphäre berechnet, fast immer kommt den Wäldern ein entscheidender Stellenwert zu. Sie sind die Hauptvegetation der meisten vom Menschen bewohnten Erdgebiete, sie enthalten zwei- bis dreimal mehr Kohlenstoff als die Atmosphäre und sie sind weltweit die wichtigste Vorratskammer für biotische Vielfalt. Insofern läßt sich an ihnen besonders gut zeigen, wie ein Atomkrieg die Lebensformen auf der Erde verändern würde. Wie würden die Veränderungen aussehen? Was würden sie für den Menschen bedeuten, wenn es ihn dann noch geben sollte? Mangels direkter Erfahrung sind wir auf Vermutungen und Rückschlüsse angewiesen. Paul Ehrlich meint, daß sehr viele Arten aussterben würden. Aussterben bedeutet, daß ein Genpool vernichtet wird. Der Prozeß des Aussterbens ist unwiderruflich. Gewöhnlich findet er statt, wenn ein Habitat tiefgreifend verändert wird. Unsere Erfahrung ist, zumindest

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in diesem Zusammenhang begrenzt. Welche Arten sind anfällig? Welche widerstandsfähig? In was für einer Welt würde der Mensch leben, wenn er noch leben würde? Es gibt verschiedene Beispiele, die uns als Ausgangspunkt für unsere Schlußfolgerungen dienen können. Dazu gehört unter anderem die verheerende Landschaftszerstörung durch die Verhüttung von Kupfer und anderen Erzen in Copperhill, Tennessee, Palmerton, Pennsylvania, und Sudbury, Ontario. Doch eine der aufschlußreichsten Untersuchungen ist auf Long Island in New York durchgeführt worden, wo man über fünfzehn Jahre die Veränderungen beobachtete, die die chronische Einwirkung ionisierender Strahlen auf einen Eichen-Kiefern-Mischwald hervorrief. Die Strahlenmenge reichte von einigen Tausend Röntgen pro Tag bis zur natürlichen Grundstrahlung, die in der normalen Umwelt weniger als 1/10 Röntgen pro Jahr beträgt. Strahlenmengen von mehr als ein paar Röntgen pro Tag bewirkten tiefgreifende Veränderungen. Wenn die Veränderungen hier auch durch ionisierende Strahlung, einen im größten Teil der Biosphäre ungewöhnlichen Streßfaktor, bewirkt wurden, so waren sie doch mit den Veränderungen vergleichbar, die andernorts durch extreme Klimaschwankungen hervorgerufen werden, etwa an der Übergangsstelle zwischen Wald und Tundra, oder durch Umweltverschmutzung wie in Sudbury und anderen Orten. Man weiß heute, daß solche und ähnliche Veränderungen durch eine Vielzahl von Störungen verursacht werden können. Sie bilden jene Kategorie von Veränderungen, die wir als biotische Verarmung bezeichnen. Die allgemeinen Grundsätze der biotischen Verarmung, wie sie durch diese Experimente geklärt worden sind, würden auf unserer Hemisphäre und vielleicht auch weltweit nach praktisch jedem kriegerischen Einsatz von Kernwaffen zum Tragen kommen. Bei der besagten Long-Island-Studie, durchgeführt am Brookhaven National Laboratory, wurde eine große Gammastrahlungsquelle - Gammastrahlen sind den Röntgen201

strahlen ähnlich - im Mittelpunkt eines sorgfältig ausgewählten Waldstücks installiert. Schon nach einem Jahr hatten sich die Grundzüge der Veränderung im Umkreis der Quelle eingestellt. In den folgenden Jahren nahmen lediglich Ausprägungsgrad und Reichweite der Schäden zu. Grundsätzlich waren die Bäume am anfälligsten. Von allen vertretenen Arten waren die Kiefern, Pinus rigida, am empfindlichsten. Doch es gingen alle Bäume, die Kiefern und die Eichen, ohne Ausnahme ein, so daß eine ansonsten intakte Lebensgemeinschaft von Sträuchern, Gräsern, Kräutern, Mosen und Flechten übrigblieb. Bei höheren Strahlendosen wurden die hölzernen Sträucher vernichtet, bei noch höheren Dosen die Kräuter und Gräser und bei extremen Dosen überlebten nur bestimmte Moose und Flechten. Und auch innerhalb dieser Gruppen gab es eine Selektion: die niedriger wachsenden, weniger voluminösen Formen erwiesen sich als besonders widerstandsfähig. Krustenflechten hatten bessere Überlebenschancen als die höher wachsenden Laub- und Strauchflechten. Die allgemeinen Grundsätze der biotischen Verarmung, die sich aus diesen und anderen Erfahrungen folgern lassen, sind einfach, aber wichtig. In einem Habitat sind im allgemeinen die Arten mit großen Körpern und langen Reproduktionszyklen am anfälligsten für jede Art chronischer oder schwerwiegender akuter Veränderung. Am widerstandsfähigsten sind die Arten mit kleinen Körpern und hoher Reproduktionsfähigkeit. Zur letzteren Gruppe gehören Arten, die sich in einem heftigen Verdrängungswettbewerb mit dem Menschen befinden und als »Schädlinge« bezeichnet werden. Zu ihnen gehören die Unkräuter und Insekten im Garten sowie die Arten, die man am Straßenrand und an anderen chronisch gestörten Standorten findet. Jede chronisch oder tiefgreifend gestörte Umwelt ist diesem Veränderungsmuster unterworfen - und unsere Welt enthält heute viele solcher Standorte. Das geübte Auge entdeckt, wie dieses Kontinuum des Wandels um uns herum unaufhaltsam um sich greift.

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Doch ein Atomkrieg würde ein Maß von Veränderungen heraufbeschwören, das unsere Vorstellungskraft fast übersteigt. In der Nachkriegswelt würden sich die Arten mit kleinen Körpern und rascher Reproduktionsrate in einem entscheidenden Vorteil befinden, während die Arten mit voluminösem Körperbau aussterben würden. Der Mensch wäre durch solche Veränderungen höchst gefährdet, und mit ihm die meisten Säugetiere, Bäume, viele Sträucher und viele höhere Pflanzen. Niedrigere Formen sind widerstandsfähiger: Bakterien, Pilze, bestimmte Moose, Flechten, Algen und Einzeller. Wälder wären eine Seltenheit in dieser neuen Welt, anfangs auf großen Flächen durch Druckwelle, Feuer und Radioaktivität zerstört, später in kontinentalem Ausmaß von der Dunkelheit und anhaltender Kälte vernichtet. Man scheint das Ausmaß der Katastrophe kaum übertreiben zu können, doch würden wahrscheinlich in geschützter Lage kleine Waldflekken erhalten bleiben und Individuen verschiedener Arten überleben können - Flüchtlinge vielleicht. Unser Forschungsgegenstand ist umfangreich, von grundsätzlicher Bedeutung und dringlich. Doch auf den ersten Blick gehen die möglichen Auswirkungen weit über die Grenzen der objektiven Untersuchungen heutiger Ökologie hinaus. Sie reichen in einen ganz neuen Bereich der Ungewißheit hinein, so daß fraglich ist, ob nicht im Zuge dieser gewaltigen biotischen Verarmung auch der Homo sapiens zum Aussterben verurteilt ist. Thomas Eisner: Zuerst einmal möchte ich Stellung beziehen zu der Frage, wie man sich die Größenordnung der geschilderten Ereignisse vorstellen kann. Wie groß sind die Atomarsenale der Welt, so wird man in diesen Tagen oft gefragt, und wie kann man ein »Empfinden« für ihre Größenordnung bekommen? Betrachten wir es so: Die Hiroshimabombe hatte eine Explosionsenergie (TNT-Äquivalent) von 13000 Tonnen. Wir wissen, was die Bombe angerichtet hat, denn wir haben die Fotografien gesehen. Der Weltvorrat an strategi203

sehen Kernwaffen hat hingegen eine Explosionskraft von 13 000 Megatonnen, d. h. eine Million mal so große Menge. · Der zweite Punkt betrifft das Maß an Übereinstimmung, das wir, die Biologen, die an dieser Konferenz teilgenommen haben, in den wichtigsten Schlußfolgerungen erzielt haben. Im Laufe dieser Gespräche bin ich wiederholt gefragt worden, ob wir den Prognosen der Atmosphärenforscher zustimmen würden und ob wir uns über alle biologischen Folgen dieser Vorhersage völlig einig seien. Zunächst einmal gibt es überhaupt keinen Zweifel daran, daß den unmittelbaren Auswirkungen eines atomaren Schlagabtauschs in der Größenordnung von 5000 bis 10 000 Megatonnen - also dem Druck, der Hitze und der Kernstrahlung - mehr als eine Milliarde Menschen zum Opfer fallen und ebenso viele schwer verletzt würden. Zweitens, wir sind alle davon überzeugt, daß mit großer Wahrscheinlichkeit auf einen Atomkrieg ein »Atomwinter« mit allen seinen katastrophalen biologischen Folgeerscheinungen folgen würde. Während wir uns in diesen zentralen Punkten einig wissen, gibt es einige unter uns, die sich fragen, ob wir die biologischen Auswirkungen nicht noch unterschätzen. Häufig führen Umweltstörungen zu synergetischen und kumulierenden Effekten, die sich in der Regel nicht vorhersagen lassen und erst im nachhinein erkennbar werden. Was sich an biologischen Folgen für einen Atomkrieg vorhersagen läßt, ist schon schlimm genug, aber könnten die tatsächlichen Folgen nicht noch schlimmer sein? Vier Jahrzehnte wußten wir nichts von der Möglichkeit eines Atomwinters. Was mögen wir noch übersehen haben? Wird sich das Aussterben der Menschheit vielleicht eines Tages als unvermeidliche Konsequenz eines Atomkriegs herausstellen? Und werden wir dann durch eine noch weitergehende Eskalation des Rüstungswettlaufs dem Abgrund noch näher gerückt sein? Das Plädoyer, das ich vorbringen möchte, ist einfach. Seit Jahren beschäftige ich mich in Gedanken mit dem Atomkrieg, aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, daß ich durch 204

diese Fragen in meiner Eigenschaft als Biologe aufgerufen wäre. Mir ging es um die Erhaltung der Natur. Als Ökologe und leidenschaftlicher Naturforscher habe ich mich der Lehre und dem Naturschutz verschrieben. Heute ist mir klar, daß die nukleare Frage von allumfassender Bedeutung ist und auch den Biologen betrifft. Daher mein Plädoyer, das ich all denen widmen möchte, die mich vor einigen Jahren zum Vorsitzenden der biologischen Sektion der amerikanischen Akademie der Künste und Wissenschaften wählten, und darüber hinaus allen Biologen in der Welt. Ich glaube, kein Biologe kann heute noch das Problem des Atomkriegs von sich schieben. Ganz gleich welches Spezialgebiet oder Lehrfach er hat, er muß Farbe bekennen, weil jedes Spezialgebiet und jedes Lehrfach zwangsläufig in der einen oder anderen Weise mit den biologischen Konsequenzen eines Atomkriegs zu tun hat. Die Biologen müssen sich in ihren Lehren und Schriften zu Wort melden. Was wir über den Atomkrieg in Erfahrung gebracht haben, muß an die Öffentlichkeit gebracht werden, und die Sorge, die auf dieser Konferenz zum Ausdruck gebracht wurde, muß weltweit Gehör finden. Nur durch Aufklärung kann die atomare »Finsternis« verhindert werden. Es geht nicht um politische Gegnerschaft, sondern um biologisches Überleben. Der Feind ist nicht die Sowjetunion, sind nicht die Vereinigten Staaten, sondern die Kernwaffen selbst.

Die Konferenzschaltung nach Moskau

Tomas F. Malone (Vorsitzender): Die Konferenz über die Welt nach einem Atomkrieg ist eine wissenschaftliche Veranstaltung, die bekannte und neue Erkenntnisse über die langfristigen, weltweiten Atmosphären- und Klimaauswirkungen eines Atomkriegs und ihre Konsequenzen für das Leben auf unserem Planeten zusammenfassen soll. Die Veranstalter dieser Konferenz haben es strikt vermieden, aus ihren Erkenntnissen irgendwelche politischen Schlußfolgerungen zu ziehen. Wir wollen Probleme klären, keine Standpunkte propagieren. Alle Teilnehmer haben sich verpflichtet, diese Konferenz nicht als Diskussionsforum für politische Fragen zu benutzen. Die gleichen Grundsätze gelten für diesen Meinungsaustausch zwischen Wissenschaftlern, die sich in Washington und Moskau versammelt haben. Neben mir auf dem Podium sitzen Carl Sagan, ein Astronom und Weltraumforscher von der Cornell University, Paul Ehrlich, ein namhafter Biologe der Stanford University, und Walter Orr Roberts, Astronom, Meteorologe und ehemaliger Präsident der American Association for the Advancement of Science. Daß die Wissenschaftler der verschiedensten Fachgebiete und daß die wissenschaftliche Gemeinschaft und die Öffentlichkeit von ein und derselben Sorge bewegt werden, ist Teil eines Prozesses, der vor über einem Jahr in Rom begann, als führende Wissenschaftler aus aller Welt einstimmig erklärten 207

ich zitiere: »Seit 1945 haben sich die Voraussetzungen des Krieges so tiefgehend verändert, daß die Zukunft der Menschheit, der noch ungeborenen Generationen auf dem Spiel steht.« Die Erörterung aller zur Sache gehörigen Probleme wird bald unter der Schirmherrschaft des Internationalen Rates wissenschaftlicher Vereinigungen (ICSU) in Stockholm fortgesetzt werden. Nun habe ich das Vergnügen, Sie mit meinem alten Freund Jewgeni Welichow, dem Vizepräsidenten der sowjetischen Akademie der Wissenschaften, bekannt zu machen. Jewgeni Welichow: Bei mir befindet sich heute Juri Israel, ein korrespondierendes Mitglied der sowjetischen Akademie der Wissenschaften und Leiter des Komitees für Hydrometeorologie und Umweltfragen. Außerdem möchte ich Ihnen Alexander Bajew vorstellen, einen Biologen mit dem Spezialgebiet Molekulargenetik und Sekretär der Sektion Biochemie, Biophysik und chemische Physiologie an der sowjetischen Akademie der Wissenschaften, sowie Nikolai Botschkow, Mitglied der Akademie der Medizinischen Wissenschaften und Direktor des Instituts für Genetik an der sowjetischen Akademie der Wissenschaften. Ich möchte das Wort nun Carl Sagan auf der anderen Seite des Atlantiks überlassen. Carl Sagan: Ich bin gebeten worden, die wichtigsten physikalischen und klimatischen Ergebnisse jener Studie zusammenzufassen, über die auf dieser Konferenz schon berichtet wurde. Die Studie habe ich mit meinen Kollegen Turco, Toon, Ackerman und Pollack durchgeführt. Sie wird nach den Anfangsbuchstaben der Autoren TTAPS genannt. Wir sind von verschiedenen möglichen Atomkriegszenarien ausgegangen und haben versucht, verschiedene ihrer Konsequenzen zu berechnen. Betrachten wir z.B. die Stratosphäre und Troposphäre (vgl. Abb. 1 A, S. 60). Das durch eine Kernwaffenexplosion in die Stratosphäre aufgewirbelte Material fällt nur sehr langsam aus, während das Material in der Troposhäre rascher ausfällt. Kernwaffenexplosionen mit großer Sprengkraft transportie208

ren den Staub im Feuerball und Rauchpilz empor und heben ihn in die Stratosphäre, von wo aus er nur sehr langsam ausfällt, während Kernwaffen mit geringer Sprengkraft den Staub in die Troposphäre tragen, von wo aus er relativ rasch ausfällt. Wenn in einem Atomkrieg Städte und Wälder in Brand gesetzt werden, gelangen kleine Teilchen - sehr dunkle Rußteilchen - in die untere Atmosphäre. Diese Verbindung aus dem Staub von Kernwaffenexplosionen mit hoher Sprengkraft und dem Ruß von Städten und Wäldern, die durch Luftexplosionen beliebiger Sprengkraft in Brand gesetzt würden, würde nach unseren Berechnungen eine strahlenabsorbierende Wolkendecke schaffen, die zu einer erheblichen Verdunkelung und Abkühlung der Erde führen könnte. Die Struktur der unteren Atmosphäre würde tiefgreifend verändert werden. Die Troposphäre würde nicht mehr existieren. Zu den von uns untersuchten Szenarien gehörte der Basisfall eines 5000-Megatonnen-Kriegs, der nach den ersten Wochen einen Temperatursturz bis weit unter den Nullpunkt bewirken würde, so daß erst nach Monaten wieder normale Temperaturverhältnisse herrschen würden (vgl. Tabelle 1, S. 69). Eines der anderen Szenarien ging von einem 3000-Megatonnen-Counterforce-Angriff aus, bei dem keine Städte in Brand geraten würden. An der modernen Strategietheorie gemessen, handelt es sich dabei um einen relativ bescheidenen Angriff. Bei diesem Szenario fallen die Temperaturen um ungefähr sieben oder acht Grad und brauchen zu ihrer Normalisierung ungefähr ein Jahr. Schon ein Rückgang der Globaltemperatur um sieben oder acht Grad genügt, um Weizen- und Maisanbau in den Vereinigten Staaten, Kanada und der Sowjetunion unmöglich zu machen. Er würde auch sonst eine außerordentlich gefährliche Belastung für die Umwelt unseres Planeten darstellen. Wir haben uns auch mit einer Reihe von sehr viel schlimmeren Fällen beschäftigt. Das vielleicht interessanteste Ergebnis ist, daß ein 100-Megatonnen-Angriff mit Sprengköpfen von

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je 100 Kilotonnen, die über Städten zur Explosion gebracht werden, genügend Rauch erzeugen kann, um schwerwiegende Klimakatastrophen von vielen Monaten Dauer hervorzurufen. Außer der Dunkelheit und den Frosttemperaturen würde ein Atomkrieg noch andere Auswirkungen haben. Die Stadtbrände würden Giftgase freisetzen. Die Radioaktivität würde in weiten Teilen der nördlichen Hemisphäre einige Hundert Grad erreichen - eine Intensität, die für Menschen gefährlich ist. Nachdem der Rauch und Staub aus der Atmosphäre ausgefallen wäre, würde die Ultraviolettstrahlung im UV-BBereich, je nach der Sprengkraft der Explosionen, um das Zwei- bis Vierfache zunehmen. Da berechtigter Anlaß zu der Annahme besteht, daß auch die südliche Hemisphäre in Mitleidenschaft gezogen wird, können wir daraus schließen, daß selbst ein Atomkrieg von begrenztem Ausmaß die Biosphäre gleichzeitig einer Reihe von Belastungen beispielloser Größenordnung aussetzen würde (vgl. Tabelle 2, S. 78-79). Der Schwellenwert für die Auslösung dieser Klimaeffekte liegt ungefähr bei tausend Kernwaffenexplosionen. Wir wissen, daß die strategischen Arsenale der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion ein Vielfaches - ungefähr das Siebzehnfache - dieses Schwellenwertes enthalten. Heute wird erkennbar, daß die Politiker beider Länder seit Anfang der fünfziger Jahre weltpolitische Entscheidungen getroffen haben, ohne etwas von den möglicherweise fürchterlichen Klimafolgen eines Einsatzes von Kernwaffen zu ahnen. Zum erstenmal begreifen wir auch, daß die Folgen eines Atomkriegs auch Länder verwüsten könnten, die weit von den atomaren Schlachtfeldern entfernt liegen. Lassen Sie mich schließlich noch darauf hinweisen, daß diese Schlußfolgerungen durch eine Vielzahl sowohl amerikanischer als auch sowjetischer Untersuchungen bestätigt wurden. Paul Ehrlich: Ich habe die traurige Pflicht, von einem Umstand zu berichten, der, wie ich annehme, für die sowjeti210

sehen Kollegen keine Überraschung sein wird, von dem Umstand nämlich, daß eine große Gruppe namhafter Biologen in den Vereinigten Staaten angesichts der Szenarien, die eben von Carl Sagan geschildert wurden, zu der einhelligen Auffassung gelangten, daß ein Atomkrieg schwerste Auswirkungen auf die biologischen Systeme hätte. Eine solche Einhelligkeit ist sehr ungewöhnlich für die Wissenschaftler in unserem Wissenschaftszweig, und sicherlich auch für die Ihren. Wir wollen hier über die Ereignisse nach einem Atomkrieg sprechen, über das, was geschieht, wenn die Bomben explodiert sind und möglicherweise eine Milliarde sofortiger Todesfälle verursacht haben. Die Überlebenden - die überlebenden Menschen ebenso wie die überlebenden Pflanzen und Tiere des Planeten - sind gleichzeitig einer Reihe nie dagewesener Umweltbelastungen ausgesetzt. Die Temperaturen sinken auch im Sommer weit unter den Gefrierpunkt. Wenn der Krieg im Winter stattfindet, dauern die Niedrigtemperaturen bis in den Frühling an. Gleichzeitig wird das Sonnenlicht abgefangen, so daß die Photosynthese reduziert oder unterdrückt wird. Die Strahlungsintensität liegt so hoch, daß die Nadelbäume auf großen Flächen abgetötet werden - möglicherweise auf bis zu zwei Prozent des Landgebietes der nördlichen Hemisphäre. Dann breitet sich toxischer Smog - eine giftige Luftschichtüber die gesamte nördliche Hemisphäre aus. Wenn sich die Atmosphäre reinigt, wenn der Prozeß des Rußabbaus beginnt, wird die Erde von ultravioletten Strahlen im UV-BGebiet überschwemmt. So wäre die Produktivität des Planeten, zumindest auf der nördlichen Hemisphäre, durch eine Reihe von Umweltbelastungen stark beeinträchtigt, von denen jede für sich schon großen Schaden anrichten würde. Beispielsweise hegt niemand von uns den geringsten Zweifel daran, daß durch jeden größeren Atomkrieg die landwirtschaftliche Produktion für mindestens ein Jahr, wahrscheinlich sogar viel länger, zum Erliegen kommen würde. Ferner 211

würde ein Großteil der vorhandenen Nahrungsvorräte vernichtet werden. In vielen Gebieten wäre die Wasserversorgung äußerst schwierig, weil alle Gewässer im Inneren der Kontinente bis zu einer Tiefe von vielleicht zwei oder drei Metern zugefroren wären. Grundsätzlich läßt sich, zumindest für die gemäßigten Zonen der nördlichen Hemisphäre, ein Zusammenbruch der lebenserhaltenden Systeme vorhersagen, so daß in diesem Gebiet eine Situation entstehen würde, in der das überleben der Zivilisation außerordentlich schwierig oder gar unmöglich wäre. Weniger gewiß ist, ob diese Auswirkungen auf die südliche Hemisphäre übergreifen würden. So gut wie sicher ist allerdings, daß sich die Rauch- und Rußwolke über große Gebiete der Tropen auf der südlichen Hemisphäre ausbreiten würde, was allein schon sehr ernst wäre, weil diese Gebiete einen großen Vorrat der organischen Vielfalt unseres Planeten enthalten. Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen sind eine unschätzbare Sammlung genetischen Materials, aus der wir die wichtigsten Grundlagen unserer Zivilisation bezogen haben. Diese Sammlung wäre durch eine Ausbreitung der Effekte nach Süden gefährdet oder der Vernichtung preisgegeben. Und sollten sich die Auswirkungen über die ganze südliche Hemisphäre ausbreiten, dann würden nach unserer Auffassung zwar einige Menschengruppen überleben - in Küstenbereichen etwa oder auf Inseln -, sie würden sich aber einer ökologischen und sozialen Situation gegenübersehen, wie es sie in dieser Lebens- und Menschenfeindlichkeit noch nie gegeben hätte. Wir sahen uns außerstande, die Möglichkeit auszuschließen, daß die Menschheit in der Folgezeit eines solchen Ereignisses allmählich aussterben würde. Wir waren der Meinung, die Ergebnisse seien eindeutig und hätten für alle zugrundegelegten Szenarien Geltung, vom 100-Megatonnen-Angriff gegen Städte, über verschiedene Counterforce- und Countervalue-Szenarien bis hin zum atomaren Schlagabtausch von 10000 Megatonnen. 212

Sehr beeindruckt hat uns eine naheliegende Schlußfolgerung: Es ist theoretisch möglich, daß die Sowjetunion oder die Vereinigten Staaten einen Erstschlag gegen die Raketensilos des anderen Landes führen, sie mit 3000 Megatonnen belegen und zerstören, ohne - zumindest theoretisch - einem einzigen Bewohner des angegriffenen Landes auch nur ein Haar zu krümmen, und doch beide Nationen auslöschen, weil nämlich durch den Temperaturabfall die Landwirtschaften beider Länder vernichtet würden. Ich brauche Sie wohl kaum daran zu erinnern, daß die Vorratskammer der Erde die Getreideproduktion der nördlichen Hemisphäre, vor allem der zentralen Ebenen der Vereinigten Staaten und Kanadas, ist und daß ihr Ausfall auch nur für die Dauer eines Jahres eine Katastrophe wäre, wie sie die Menschheit noch nicht erlebt hat. Aus den Ergebnissen der Atmosphärenphysiker und Klimatologen können die Biologen eindeutig schließen, daß ein Atomkrieg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine größere Gefahr darstellt, als die Zahlen für die erwarteten unmittelbaren Todesfälle und direkten Folgen erkennen lassen. Juri Israel: Die intensive Nutzung der natürlichen Ressourcen und die im Zeichen des Rüstungswettlaufs vielerorts beschleunigte industrielle Entwicklung hat bereits weltweit zu zahlreichen Umweltproblemen geführt. Zweifellos wird im Falle eines Atomkriegs die Belastung der Biosphäre um ein Vielfaches größer sein, was für die Menschheit und die Biosphäre insgesamt katastrophale Folgen haben muß. Überall in der Welt setzt man sich gegenwärtig intensiv mit den möglichen Folgen eines Atomkriegs auseinander. Dabei geht man von einer Gesamtsprengkraft zwischen 6000 und 15 000 Megatonnen aus. Ich möchte in meinem Bericht kurz auf verschiedene geophysikalische und geologische Konsequenzen eingehen. Erstens, eine große Menge radioaktiver Produkte würde in die Atmosphäre gelangen. Die radioaktiven Produkte würden Strahlenschäden in den ökologischen Systemen, Verän213

derungen in den elektrischen Eigenschaften der Atmosphäre und Umwandlungen in der Ionosphäre bewirken. Dies wiederum hätte verschiedene biologische Auswirkungen. Zweitens, die Atmosphäre würde durch eine enorme Menge von Aerosolteilchen verunreinigt - das Ergebnis von Kernwaffenexplosionen mit hoher Sprengkraft, die entweder Staub aufwirbeln oder Großbrände legen, durch die Ruß freigesetzt wird. Die Aerosolteilchen werden die Eigenschaften der Atmosphäre verändern und ihre Durchlässigkeit für Sonnenstrahlen verringern. Dadurch werden die Funktionen der Ökosysteme eingeschränkt und Wetter- und Klimaveränderungen eingeleitet. Drittens, auch die gasförmigen Produkte der Brände - Methan, troposphärisches Ozon und andere -werden die Atmosphäre verunreinigen. Diese Verunreinigung wird die Absorptionseigenschaften der Atmosphäre und dadurch das Klima verändern. Im Feuerball der Explosionen werden sich Oxide bilden, die einen Großteil der Ozonschicht abbauen werden. Dadurch wird es zu einer verstärkten UltraviolettStrahlung mit höchst nachteiligen biologischen Auswirkungen und Klimaveränderungen kommen. Viertens, die Albedo - das Verhältnis von reflektierter zu einfallender Energie - der Erdoberfläche wird sich verändern und gleichfalls klimatische Veränderungen bewirken. Um eine der wichtigsten Wirkungen von Aerosolteilchen vorhersagen zu können, muß man abschätzen, wie viele dieser Schwebeteilchen längere Zeit in der Atmosphäre bleiben. Die Aerosole in der Troposphäre sind kurzlebig - sie bleiben ungefähr bis zu zwei Wochen dort. Deshalb muß errechnet werden, welcher Anteil dieser feinsten Schwebeteilchen in die Stratosphäre gelangt. Nach unserer Schätzung wird es ungefähr ein Prozent sein. Das entspricht den Aerosolen, die bei heftigen Vulkanausbrüchen in die Stratosphäre gelangen. Zweifellos werden die troposphärischen Aerosole in den ersten Wochen nach den Kernwaffenexplosionen zu einem Temperaturrückgang an der Erdoberfläche führen. Das wie214

derum wird katastrophale Folgen für die Ökosysteme und Ernteerträge haben. Noch folgenreicher wäre nach unserer Auffassung ein möglicher Temperaturanstieg der Troposphäre durch Absorption von Langwellenstrahlung nach Ausfall der Aerosole (vgl. Tabelle 1, S. 110). Ursache dafür ist das Auftreten von gasförmigen Bestandteilen in der Atmosphäre, zum Beispiel von troposphärischem Ozon, Äthan, Methan und anderen. Die Verdoppelung des C0 2 wird die Temperatur um drei bis vier Grad Celsius ansteigen lassen. Die Verdoppelung des Ozons in der Troposphäre bringt einen Temperaturanstieg von fast einem Grad Celsius. Gegenwärtig beträgt die Ozonkonzentration in der Troposphäre ungefähr dreißig Ozonmoleküle für jede Milliarde Luftmoleküle. Im Verlaufe eines Atomkriegs würde die Konzentration des troposphärischen Ozons um das Drei- bis Vierfache zunehmen. Es wird die mehrfache Menge von Methan geben, und die Äthankonzentration wird dreißig- bis vierzigmal größer sein. Die erhöhte Konzentration dieser gasförmigen Bestandteile wird einen Temperaturanstieg von drei oder vier Grad Celsius bewirken. Es wird zu einem Treibhauseffekt kommen, der zu sehr gefährlichen langfristigen Klimaveränderungen und zum Ende der landwirtschaftlichen Produktion in der menschlichen Gesellschaft führen kann. Das Auftreten dieser gasförmigen Beimischungen in der Atmosphäre wird auch Auswirkungen auf die südliche Hemisphäre haben. Erstens, die Temperatur wird zunächst absinken und später allmählich ansteigen, was langfristige Folgen für die Umwelt haben wird. Im ersten Stadium, dem der Niedrigtemperaturen, wird Vegetation zerstört. Dann wird die Temperatur ansteigen und langfristige Klimaveränderungen verursachen, so daß die Möglichkeit einer biologischen Erneuerung ausgeschlossen wird. Ich möchte noch einmal daran erinnern, daß die elektrischen Eigenschaften der Atmosphäre, vor allem in der ersten Zeit nach den Kernwaffenexplosionen, durch die Radioaktivität 215

erheblich verändert werden. Eine Konzentration radioaktiver Produkte in der Atmosphäre von einem Nanocurie pro Kubikmeter wird die Leitfähigkeit der Atmosphäre um ungefähr zehn Prozent verändern und schwerwiegende Folgen haben. Wie erwähnt, wird es zu Umweltschäden kommen, weil der Rauch die Atmosphäre trübt und das Sonnenlicht verschluckt. Außerdem wird die Ozonschicht in der Stratosphäre abgebaut werden. Wir wissen, daß bei einem Schlagabtausch von 10 000 Megatonnen pro Megatonne 1032 Moleküle Stickstoffoxide erzeugt werden. Je nachdem, wie hoch die Wolke im Verlaufe der Explosionen stiege, käme es über Monate oder Jahre nach dem Krieg zu einer bleibenden Zerstörung von ungefähr 7 Prozent des Ozons. Eine einzige Kernwaffenexplosion fügt der Ozonschicht Schäden zu, die allerdings schon nach wenigen Tagen behoben sind. Bei vielen Explosionen gibt es keine Diffusion und deshalb auch keine Regeneration des Ozons. Diese Veränderung der Ozonkonzentration wird bleiben. Wenn die Stickstoffoxide eine Höhe von 25 bis 30 Kilometern erreichen, wird ungefähr 60 Prozent des Ozons zerstört. Dabei ist zu bedenken, daß dieser Effekt sehr rasch auf die südliche Hemisphäre übergreifen würde, auch wenn die Explosionen auf die nördliche Hemisphäre beschränkt blieben. Aus alledem dürfte ersichtlich sein, daß Kernwaffenexplosionen, vor allem bei massiertem Einsatz der Waffen, nicht nur lokal begrenzte Verwüstungen anrichten werden, sondern weltweite Zerstörung und Veränderung heraufbeschwören werden. Sie werden das Klima unwiderruflich verändern, einen Großteil der Ozonschicht des Planeten abtragen und die Ökosysteme der Erde gefährden. Überdies werden die Effekte synergetisch sein. Im Endeffekt können die Umwelteffekte mehr Opfer fordern als die direkten, unmittelbaren Auswirkungen, und dies gilt sowohl für die direkt betroffenen Staaten als auch für die Länder, die nur indirekt in Mitleidenschaft gezogen werden - und sei es nur durch einen sogenannten begrenzten Atomkrieg. Das unterstreicht noch ein216

mal, daß es in einem Atomkrieg keine Sieger und Besiegten geben kann. Letztlich sind alle Beteiligten zum Untergang verurteilt, wie Dr. Sagan schon deutlich gemacht hat. Mit anderen Worten, es geht um den Fortbestand des Lebens auf der Erde. Alexander Bajew: Die Meinung von Biologen und Medizinern zum Atomkrieg ist unmißverständlich: Der Atomkrieg ist unmoralisch und unter keinen Umständen vertretbar, weil er ein ungeheures Opfer an Menschenleben fordern würde. Er ist nicht vertretbar, weil er die Frage aufwirft, ob die Menschheit oder vielleicht sogar das Leben in der Form, wie wir es kennen, vernichtet würde. Ich möchte ein paar Worte zu den Todesfällen, dem Verlust an Menschenleben sagen. Die Schätzungen unserer Wissenschaftler für den Fall eines Atomkriegs decken sich im wesentlichen mit den Schätzungen unserer amerikanischen Kollegen. Die sofortigen Verluste in der Bevölkerung durch die direkte Einwirkung der Atomschläge läßt sich anhand der traurigen Erfahrungen in Hiroshima und Nagasaki sowie der bislang durchgeführten Kernwaffentests recht genau berechnen. Unter Berücksichtigung aller empirischen und theoretischen Voraussetzungen kann man davon ausgehen, daß ungefähr ein Viertel der in den Zielgebieten lebenden Menschen dem Holocaust zum Opfer fallen würden. Besonders traurig wird natürlich das Schicksal der Menschen sein, die Verwundungen, Verbrennungen oder Strahlenschäden erlitten haben. Die meisten von ihnen werden nicht überleben, einfach weil es an der erforderlichen medizinischen Versorgung fehlt. Die Menschen werden auf alle gewohnten Annehmlichkeiten verzichten müssen, die Nahrungs- und Wasserversorgung wird höchst unzulänglich sein, und ständig werden äußerst schädliche Umweltfaktoren wie Strahlung und Wetterumschläge wirksam sein. Diese Verhältnisse werden ein weiteres Viertel der Bevölkerung dahinraffen. Das heißt, ungefähr die Hälfte der Menschen im Zielgebiet würde einem Atomangriff fast auf der Stelle zum Opfer fallen. 217

Nach allem, was wir von unseren amerikanischen Kollegen gehört und was wir selbst herausgefunden haben, wäre das Dasein der Überlebenden schwierig und problematisch, so daß die meisten von ihnen in der Folgezeit ebenfalls zugrunde gehen würden. Es würde Hungersnöte geben, Wetterumschwünge und tiefe Einbrüche in der gesamten Sozialstruktur. Die Folgen wären schrecklich. Wir glauben deshalb, daß von den Menschen im Zielgebiet eines Atomangriffs bestenfalls kleine Bevölkerungsinseln inmitten einer leblosen und feindseligen Umwelt übrigblieben. Es muß betont werden, daß sich alle diese Veränderungen synergistisch addieren. Die überlebenden wären gleichzeitig vielen nachteiligen und gefährlichen Faktoren ausgesetzt. Nikolai Botschkow: Wenn wir über die ökologischen und biologischen Folgen eines Atomkriegs sprechen, geht es uns natürlich in erster Linie um die Menschheit. Wenn wir also die Chancen unserer Spezies erwägen, eine nukleare Katastrophe zu überleben, dürfen wir uns auch nicht scheuen, auszusprechen, daß die nach einem solchen Ereignis herrschenden Verhältnisse ein Überleben unserer Art unwahrscheinlich erscheinen lassen. Wir müssen von der Voraussetzung ausgehen, daß sich der Mensch in einem langen entwicklungsgeschichtlichen Prozeß an seine Umwelt angepaßt hat und daß diese natürliche Selektion ihren Preis gekostet hat. Seit ein paar Tausend Jahren hat er dann seine Umwelt seinen Bedürfnissen angepaßt und sich sozusagen eine künstliche Umwelt geschaffen, die ihm Nahrung, Schutz und andere notwendige Dinge gewährt. Ohne sie kann der moderne Mensch nicht überleben. Verglichen mit den tiefgreifenden Fortschritten in der technologischen Umwelt hat sich die biologische in der jüngeren Vergangenheit nicht verändert. Aus den Darlegungen von Paul Ehrlich und Alexander Bajewwissen wir, durch wie viele Faktoren menschliches überleben nach einer atomaren Katastrophe gefährdet wäre. Da wir in diesem Zusammenhang auch die weitere Zukunft berücksichtigen müssen, möchte ich darauf hinweisen, daß die meisten 218

langfristigen Auswirkungen eines Atomkriegs genetischer Art sein werden. Wenn kleine Bevölkerungsinseln - oder, wie Paul Ehrlich gesagt hat, vereinzelte Menschengruppen auf irgendwelchen Inseln im Ozean - überleben würden, mit welchen genetischen Folgen hätten sie zu rechnen? Bei einem jähen Bevölkerungsrückgang stellt sich die Frage, wo die kritische Bevölkerungszahl für die Reproduktionsfähigkeit liegt. Einerseits werden nur wenige Menschen übrigbleiben, andererseits wird es infolge der kleinen Zahlen zu Isolierung kommen. Die unvermeidliche Folge wird Inzucht sein. Dieser Umstand wird in Verbindung mit der Einwirkung von Strahlung und Fallout im Mutterleib und gleich nach der Geburt zu letalen Mutationen führen. Neue Mutationen werden entstehen; die Strahlung wird Gene und Chromosomen schädigen, so daß sich eine zusätzliche genetische Belastung ergibt. Hinzu kommen natürliche Abweichungen und Totgeburten, so daß die Erbkrankheiten nur Teil einer weit größeren Belastung sein werden. All das wird zweifellos zum Aussterben der Menschheit beitragen, da sie nicht mehr in der Lage sein wird, sich als Art zu reproduzieren. Ich möchte darauf hinweisen, daß sich die Synergien hinsichtlich der menschlichen Reproduktionsfähigkeit besonders schlimm auswirken werden, weil die Inzucht, die daraus resultierenden Mutationen und die außerordentlichen, schwierigen Lebensbedingungen gemeinsam eine Situation schaffen, die die Überlebenschancen des Menschen stark beeinträchtigen. Um die Aussichten der Menschheit für die Folgezeit eines Atomkriegs richtig zu beurteilen, dürfen wir nicht vergessen, daß die Ökosysteme und ökologischen Ressourcen unseres Planeten gestört oder vernichtet wären. Die biologischen und gesellschaftlichen Bedingungen würden der Menschheit kaum die Möglichkeit bieten, sich als Art zu erhalten. Thomas Malone: Einer der sowjetischen Wissenschaftler, die heute bei uns in Washington sind, ist Nikita Moisejew, korrespondierendes Mitglied der sowjetischen Akademie der Wis219

senschaften und stellvertretender Leiter des Rechenzentrums der Akademie. Ich möchte Dr. Moisejew bitten, über einige der wichtigsten Ergebnisse zu berichten, die bei der Computer-Studie der sowjetischen Akademie herausgekommen sind, Ergebnisse, die nach unserer Meinung die Resultate unseres eigenen meteorologischen Modells bestätigen. N ikita M oisejew: Zunächst einmal möchte ich den amerikanischen Kollegen dafür danken, daß sie mir die Gelegenheit gegeben haben, an dieser großartigen Konferenz hier in Washington teilzunehmen. Wir teilen die Sorgen der amerikanischen Kollegen und glauben, daß die möglichen Konsequenzen eines atomaren Konfliktes eines der wichtigsten Forschungsgebiete für alle Wissenschaftler der Welt sind. Auch in unserem Land sind verschiedene Untersuchungen und Studien zu diesem Thema durchgeführt worden. Im Rechenzentrum der Akademie der Wissenschaften, das ich vertrete, haben wir vor allem drei Bereiche untersucht. Erstens, wir haben die möglichen Folgen eines Atomkrieges für das Klima untersucht. Zweitens, wir haben uns mit den biologischen Prozessen und den Veränderungen in der Produktivität der Fauna und Flora beschäftigt. Schließlich ist da ein dritter Punkt, ein drittes Problem. Ganz allgemein sind wir Optimisten und hoffen, daß die Menschheit sich eines Tages besinnen und ein für allemal jeden Gedanken an den Einsatz von Kernwaffen fallenlassen wird. Doch wenn das geschehen würde, hätten wir mit neuen Problemen und Fragen zu tun: Wie sollte die Menschheit dann ihre neue Macht und ihren neuen Reichtum nutzen? Wir sollten uns mit diesem Problem beschäftigen, wenn wir optimistisch sind. Unsere Untersuchungen lassen darauf schließen, daß eine weltweite atomare Katastrophe zu einem scharfen Rückgang der Durchschnittstemperatur der Erde führen würde. Schon nach ungefähr fünf oder sechs Monaten würde die Temperatur überall auf der Erde zurückgehen. Örtlich wären die Temperaturveränderungen jedoch noch viel ausgeprägter. Sogar noch 240 Tage (acht Monate) nach einem Atomkrieg werden 220

die Temperaturen in vielen Gebieten viel niedriger liegen als vor dem Krieg. Sie können sich vorstellen, was für ökologische Folgen sich aus einer solchen Situation ergeben. Wir haben auch die Störungen der atmosphärischen Zirkulation untersucht, die sich aus einem unbeschränkten Nuklearkonflikt ergeben würden, und kamen zu dem Ergebnis, daß sich das gesamte Zirkulationsbild verändern würde. Statt der klassischen Zirkulation wäre nur noch eine einzige Zelle anzutreffen, und alle Verunreinigungen - alle Schadstoffe in der Atmosphäre des Nordens - würden in die südliche Hemisphäre wandern. Wir sind uns sicher, daß es keinen Ort auf dem Globus gäbe, der nicht unter den Folgen eines solchen Atomkriegs zu leiden hätte. Thomas Malone: Ich möchte den Kollegen in Moskau mitteilen, daß unsere Überlegungen durch die Beiträge von Nikita Moisejew, Georgi Golitsin und Wladimir Alexandrow entscheidend vorangebracht worden sind. Professor Moisejew hat ein interessantes Problem angesprochen, als er die dramatische Veränderung jener Erscheinung erörterte, die wir Meteorologen allgemeine Zirkulation nennen. Einige von uns sind der Meinung, daß vieles für intensive Austauschprozesse zwischen den Hemisphären spricht. Dieses Thema ist auf der Konferenz gebührend zur Sprache gekommen. Mich würde interessieren, wie Juri Israel, einer der führenden Meteorologen der Welt, und seine Kollegen die Aussicht beurteilen, daß die Auswirkungen der Katastrophe von der nördlichen auf die südliche Hemisphäre übergreifen. Wir würden uns freuen, Ihre Meinung dazu zu hören, auch wenn sie nur vorläufigen Charakter hat, denn sicherlich bleiben noch viele Dinge zu klären. juri Israel: In der Tat würden sich nach einem Atomschlag die Temperaturen verändern. Unmittelbar nach den Kernwaffenexplosionen würden sie zunächst sinken, um später möglicherweise infolge des Treibhauseffekts anzusteigen. Diese Vorgänge würden sich zweifellos auf die Zirkulation der Atmosphäre auswirken. Aber ich bin wie Sie, Dr. Malone, der 221

Meinung, daß wir auf weitere Untersuchungen und Berechnungen angewiesen sind. Zur Frage des Austausches von Luftmassen und infolgedessen auch des Austausches von Verunreinigungen und gasförmigen Fremdbestandteilen zwischen der nördlichen und der südlichen Hemisphäre: Untersuchungen der Luftradioaktivität nach früheren Kernwaffentests haben gezeigt, daß ein solcher Luftmassenaustausch zwischen den beiden Hemisphären stattfindet. Er braucht Monate und manchmal Jahre, aber er findet statt, und ich habe keinen Zweifel daran, daß die Veränderungen, die im Anschluß an eine atomare Katastrophe in der nördlichen Hemisphäre eintreten, letztlich auch auf die südliche Hemisphäre übergreifen werden. Kiril Kondratjew (Korrespondierendes Mitglied der sowjetischen Akademie der Wissenschaften): Ich möchte diese hochinteressanten Ergebnisse der Untersuchungen über die langfristigen Auswirkungen von Kernwaffenexplosionen auf das Klima durch einige Beobachtungen zur Sonnenstrahlung ergänzen. Als wir die Sonnenstrahlung mit Ballons in Höhen bis zu 30 Kilometern maßen und die Daten analysierten, stellten wir fest, daß ein wichtiger Faktor für die Schwächung der Sonnenstrahlung das N0 2 war, das sich nach den heftigen Kernwaffentestexplosionen in den Jahren 1962 und 1963 in der Atmosphäre bildete. Daraus folgte, daß das N0 2 die Sonnenstrahlung entscheidend daran hindert, auf die Erdoberfläche zu gelangen. Wir versuchten, die Abkühlung nach den Tests dieser beiden Jahre zu schätzen, und kamen zu dem Ergebnis, daß das N0 2 für eine Abkühlung von einem halben Grad verantwortlich gewesen sein könnte. Daraufhin legten wir das 1982 in Ambio veröffentlichte Szenario zugrunde und extrapolierten unsere Daten, um festzustellen, was im Falle eines Atomkriegs geschehen würde. Die Ergebnisse zeigten eine weltweite Abkühlung von 9,5 Grad Celsius, was natürlich an sich schon ein bedeutsamer Tatbestand ist. Doch nach meiner Auffassung noch bedeutsamer ist der Umstand, daß N0 2 ein Gas ist und daß wir über die Stratosphäre sprechen. 222

Wir haben es also mit einem langfristigen Phänomen zu tun, einem sehr viel langfristigeren Phänomen als die Rauch- oder Verunreinigungsteilchen in der Troposphäre. Das übergreifen dieses Effektes auf die südliche Hemisphäre ist ein sehr ernster Tatbestand, der bedeuten könnte, daß die langfristigen Folgen für die südliche Hemisphäre ebenso unheilvoll wären wie für die nördliche Hemisphäre. Wir stießen auf den NOrEffekt bei der Beobachtung der Sonnenstrahlung im Jahre 1963 und konnten ihn noch 1964 und 1965 eindeutig registrieren. Und das geschah bei einem normalen Zirkulationsbild der Atmosphäre. Nun haben unsere Kollegen aber gezeigt, daß bei einer äquatorübergreifenden Zirkulation dieser Effekt noch ausgeprägter wäre. Thomas Malone: Offensichtlich sind wir auf ein Forschungsgebiet vorgedrungen, auf dem sich mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden die bösen Ahnungen bestätigen lassen, die viele von uns schon seit einer Reihe von Jahren bedrücken. So gibt uns jetzt dieser Meinungsaustausch Gelegenheit, uns darüber klarzuwerden, in welcher Richtung die Ansätze weiterzuverfolgen sind, die wir dieser Konferenz verdanken. Ich hoffe, daß wir uns jetzt darüber unterhalten können. Paul Ehrlich: Ich möchte Dr. Kondratjew bitten, einen Biologen über einen Punkt der atmosphärischen Physik aufzuklären. Habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie gesagt haben, die NOrAuswirkung auf die Ozonschicht würde zu einer Oberflächenabkühlung von acht oder neun Grad Celsius führen? Kiril Kondratjew: Nein, das habe ich nicht gemeint. Ich sprach davon, daß NO 2 eine sehr intensive Absorptionsbande bei ungefähr einem halben Mikrometer hat. Also wird das Sonnenlicht vom atmosphärischen NO 2 selbst absorbiert, ganz besonders intensiv in der NOrAbsorptionsbande. Genau dort liegt das Maximum im Spektrum der Sonnenstrahlung. Dieser Fall hat also nichts mit dem Ozon zu tun. Das ist ein anderer Aspekt der Wirkung von Stickstoffoxid in der Atmosphäre.

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Carl Sagan: Vielleicht kann ich eine allgemeine Frage ansprechen. Erstens, es ist sehr befriedigend festzustellen, daß die mehr oder weniger unabhängigen Forschungsarbeiten in den Vereinigten Staaten und in der Sowjetunion in einer Frage, die so wichtig und weitreichend ist wie die langfristigen Folgen eines Atomkriegs, zu so ähnlichen Schlußfolgerungen gelangen. Diese Studien enthalten eine Vielzahl von Ungewißheiten: die Auswahl der Szenarien, die Frage, wieviel Ruß aus den Bränden und wieviel Staub aus den Bodenexplosionen in die Atmosphäre gelangt, die Ansammlung der Teilchen in der Atmosphäre und ihre Verweildauer dort, die Frage der atmosphärischen Zirkulation und die der sofortigen, mittelfristigen und langfristigen Strahlendosis. Alle diese Fragen hängen von den Berechnungen ab, teilweise aber auch vom Dateninput. Beispielsweise hängen sie von der Größenverteilung der Staubteilchen nach Bränden oder Kernwaffenexplosionen sowie dem Absorptionskoeffizienten und dem komplexen Brechungsindex solcher Teilchen ab. Halten die sowjetischen Kollegen es für möglich, uns Daten über die Teilchengrößenverteilung des Bodenstaubs von sowjetischen Kernwaffentests vor dem Atomteststopabkommen von 1963 zu liefern und uns die Teilchengrößen und Absorptionskoeffizienten von Großbränden in der Sowjetunion zu nennen? Würden sie uns auch eine Zusammenstellung der Atomkriegszenarien geben, die sie für wahrscheinlich halten? Juri Israel: Ich finde, unser Dialog über diese brennende Frage sollte fortgesetzt werden, vielleicht auf speziellen wissenschaftlichen Tagungen. Ich habe meinerseits viele Fragen an die amerikanischen Kollegen hinsichtlich der Daten, von denen sie bei der Konstruktion ihrer Modelle ausgegangen sind. Vor allem interessiert mich die Größenverteilung und die Menge der Aerosolteilchen, die nach ihrer Annahme in die Atmosphäre gelangen würden. Beispielsweise haben wir berechnet, daß etwa ein Prozent oder noch etwas weniger der Aerosolteilchen von feinster Größe sind - kleiner als ein Mikrometer. Diese Zahl entspricht wohl weitgehend dem Wert, 224

den Sie in Ihrem Beitrag zitiert haben, Dr. Sagan - ich glaube, Sie sprachen von 0,5 Prozent solcher Aerosole. Das sind spezielle wissenschaftliche Aspekte, über die ich mich bei künftigen Gelegenheiten gerne eingehender mit Ihnen unterhalten würde. Ich bin auch wie Dr. Sagan der Meinung, daß es höchst interessant ist, welches Maß an Übereinstimmung unsere beidseitigen, weitgehend unabhängigen Berechnungen der ökologischen, geophysikalischen und biologischen Folgen eines Atomkrieges gebracht haben. Roald Sagdejew (Direktor des Instituts für kosmische Studien, sowjetische Akademie der Wissenschaften): Ich möchte feststellen, daß die Szenarien für die Evolution der Biosphäre und Atmosphäre nach einem Atomkrieg, die in den letzten zwanzig Jahren entwickelt wurden, nun endlich zu einem ernstzunehmenden Modell geführt haben, über dessen Ergebnisse hier von zwei unabhängigen Gruppen berichtet wurde, die Gruppe, die von Dr. Sagan vertreten wird, und die Gruppe, die aus unseren Wissenschaftlern besteht. Die Überzeugungskraft dieser Modelle bezeugt, daß wir gelernt haben, bei ihrer Entwicklung von einem planetarischen Ansatz auszugehen, der notwendigerweise interdisziplinär sein muß. Ich denke, wir sollten uns bei der Weiterentwicklung dieser Modelle auf eine enge Zusammenarbeit einigen. Vielleicht lassen sich die Daten, die wir im letzten Jahrzehnt bei Kernwaffentests gesammelt haben - zum Beispiel über Dispersion und Zusammensetzung der Aerosole - für diese Untersuchungen verwenden. Heute steht uns die Raumfahrttechnik zur Verfügung. Außerdem kennen wir zahlreiche Naturerscheinungen, die sich - mögen sie sich auch in kleinem Maßstab abspielen - dennoch für die Modellierung der Folgen einer atomaren Katastrophe als nützlich erweisen könnten. Wir verfügen nicht nur über Beobachtungen von Vulkanaktivitäten, sondern auch von Sonneneruptionen, die Veränderungen in der Stratosphäre bewirken - etwa indem sie Stickstoffoxide erzeugen. Ich glaube, es wäre höchst nützlich, wenn wir alle unsere Anstrengungen koordinieren und

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neue planetarische Methoden, vor allem die der Raumfahrttechnik verwenden würden. Thomas Malone: Es wird künftige Gelegenheiten geben, um Daten auszutauschen und Szenarien zu entwickeln, von denen man dann in vielen Ländern bei der Untersuchung der Folgen eines Atomkriegs ausgehen kann. Carl Sagan: Mit großem Vergnügen habe ich die Ausführungen von Roald Sagdejew vernommen. Sagdejew ist Mitglied der sowjetischen Akademie der Wissenschaften und Direktor des Instituts für kosmische Forschung an dieser Akademie. Er ist verantwortlich für die unbemannten Raumflüge der Sowjetunion. Ich denke, es ist hochinteressant, daß ein Gebiet, das scheinbar überhaupt nichts mit den Fragen des Lebens und Überlebens zu tun hat, am Anfang dieser Studien eine so entscheidende Rolle gespielt hat. Sowohl unsere Arbeit, die mit der Beobachtung des Staubsturms auf dem Mars im Jahre 1971 durch Mariner 9 begann, wie auch einige Untersuchungen, von denen Dr. Golitsin hier berichtet hat, sind durch unbemannte Raumflüge angeregt worden, so daß sich damit die Frage nach dem praktischen Wert der Weltraumforschung hoffentlich ein für allemal erledigt hat. Paul Ehrlich: Ich möchte Nikolai Botschkow dafür danken, daß er die genetischen Probleme angesprochen hat, auf die wir nicht weiter eingegangen sind, teilweise weil die unmittelbaren, sofortigen und kurzfristigen biologischen Auswirkungen (in einem Zeitraum von Monaten oder Jahren) zumindest für die Überlebenden auf der nördlichen Hemisphäre so überwältigend sind, daß im Vergleich dazu die erheblich erhöhte Gefahr von Krebserkrankungen und genetischen Schäden für künftige Generationen eine untergeordnete Rolle zu spielen scheint. Aber ich glaube, er hat auf einen Punkt hingewiesen, den wir auch für sehr wichtig halten: Die verstreuten überlebenden könnten schwerwiegenden lnzuchtfolgen unterworfen sein und in großer Zahl an Krebs erkranken. Ein weiterer wichti-

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ger Faktor könnten genetische Veränderungen in den Ökosystemen selbst sein. Wir sind uns nicht darüber schlüssig geworden, was für einen Zustand sie nach einem Atomkrieg annehmen würden. Die Populationen dieser Ökosysteme wären ganz neuen Selektionsmechanismen unterworfen, so daß sich die kleinen Gruppen überlebender Menschen einer völlig neuen Umwelt gegenübersähen, der sie sich möglicherweise nicht anpassen könnten, weil es ihnen an den erforderlichen kulturellen Voraussetzungen fehlen würde. Ihre Situation wäre ganz anders als die der frühen Jäger- und Sammlerkulturen, die eingehende Kenntnisse von ihrer Umwelt besaßen und sich mühelos alles Lebensnotwendige aus ihr zu beschaffen wußten. Bei den Überlebenden wird es sich zumeist um Menschen handeln, die an ein »zivilisiertes« Dasein gewohnt sind und die nun versuchen müßten, ihren Lebensunterhalt von einer völlig neuen Art Ökosystem zu beziehen. Das würde ihre Probleme wirtschaftlich und psychologisch außerordentlich schwierig machen. Nikolai Botschkow: Ich möchte die Ausführungen von Dr. Ehrlich ergänzen. Irgendeine Erneuerung der Menschheit, eine neue Evolutionsspirale zu erwarten, wäre naiv, weil der Mensch in das neue Zeitalter mit seinen alten Eigenschaften und neuen Defiziten eintreten würde. Die Menschen nach dem Atomkrieg würden unter körperlichen und seelischen Defiziten leiden, und die Umwelt, der sie sich anzupassen hätten, wäre sehr viel unwirtlicher als zu irgendeiner Zeit vorher. Georgi Skrjabin (Wissenschaftlicher Hauptsekretär der sowjetischen Akademie der Wissenschaften): Diese Konferenz löst etwas ambivalente Gefühle in mir aus. Auf der einen Seite ist da die große Sorge über die Tragödie, die uns möglicherweise bevorsteht, die uns alle bedroht- Kinder, Frauen, alte Menschen und alles Leben auf der Erde. Das ist ein entsetzlicher Gedanke, der jeden normal empfindenden Menschen in Angst und Schrecken versetzen muß. Auf der anderen Seite hat diese Konferenz auch einen sehr

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erfreulichen Aspekt, den nämlich, daß die Wissenschaftler von Rang und Namen, die hier sitzen - unsere amerikanischen Kollegen und die russischen Wissenschaftler - Übereinstimmung erzielt haben. Sie sind sich einig in der Auffassung, daß es keinen Atomkrieg geben darf, daß er eine Katastrophe wäre und das Ende der Menschheit bedeuten würde. Mir persönlich gibt das Freude und Trost, weil Wissenschaftler in unserer Zeit großes Ansehen genießen. Deshalb sollten wir alle unseren Einfluß geltend machen, um das Wettrüsten zu beenden und den Atomkrieg zu verhindern. ]ewgeni Welichow: Vielleicht möchte einer unserer amerikanischen Kollegen dazu noch etwas sagen. Paul Ehrlich: Was könnten wir anderes sagen, als daß wir alle diesem Wunsch aus tiefstem Herzen zustimmen. Wir hoffen, alle Menschen und alle Politiker auf der Erde werden sich klar machen, daß die Ost-West-Konfrontation nicht nur die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten und alle ihre direkten Verbündeten bedroht, sondern jeden Menschen auf dem Planeten - nicht nur mit schweren Beeinträchtigungen, sondern wahrscheinlich auch in fast allen Fällen mit dem Tod. Das müssen die Politiker dieser Welt meiner Meinung nach wissen, wenn sie ihre Entscheidungen treffen. Thomas Malone: Mir scheint, diese Konferenz und dieselt Meinungsaustausch könnte eines Tages - zu Recht - als ein Wendepunkt im Schicksal der Menschheit betrachtet werden. Ich bin an das Jahr 1954 erinnert, als die Asche eines Wasserstoffbombentests auf den Glücklichen Drachen, ein japanisches Fischerboot, niederregnete. Damals ging eine Welle tiefer Besorgnis um die Welt, weil diese Tests die Atmosphäre, den gemeinsamen Besitz aller Erdbewohner, aufs Spiel setzten. Kurz darauf wurden politische Schritte in die Wege geleitet, um die Kernwaffentests einer strengeren Kontrolle zu unterwerfen. Deshalb hoffe ich, daß diese Konferenz, die der Klärung dieser Fragen und einem friedlichen Meinungsaustausch unter 228

Kollegen dienen soll, den Politikern ein neues Bewußtsein für den Ernst der Lage vermitteln und jenen Wendepunkt markieren kann, den wir uns alle so sehnlich erhoffen. Alexander Kusin (Korrespondierendes Mitglied der sowjetischen Akademie der Wissenschaften): Als Radiobiologe möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf ein anderes Problemlenken. Nach einer atomaren Katastrophe wird es natürlich weltweit zu einem massiven Ausfall von Radionukliden und einer schwerwiegenden Zunahme der Strahlenbelastung kommen. Als Radiobiologe weiß ich, wie unterschiedlich verschiedene Arten auf Strahlung reagieren. Der Mensch gehört zu den strahlungsempfindlichsten Arten. Erhöhte Strahlungsdosen werden zu vielen Veränderungen führen. Das Immunsystem des Menschen wird zerstört werden. Gleichzeitig sind pathogene Mikroorganismen, die wir gewöhnlich als Schädlinge ansehen, sehr widerstandsfähig gegen diese Art von Radioaktivität. Dadurch wird ein weiteres ökologisches Ungleichgewicht entstehen und zum Aussterben jener kleinen menschlichen Bevölkerungsreste beitragen, die die unmittelbaren Folgen der Atomkatastrophe überlebt haben werden. Deshalb ist es die besondere Pflicht der Wissenschaftler in der Sowjetunion und in den Vereinigten Staaten, allen Menschen klarzumachen, welche ungeheuren Gefahren jede Art von atomarem Konflikt birgt. Es gilt den Atomkrieg um jeden Preis zu vermeiden, weil er nicht nur unsere heutige Zivilisation vernichten, sondern alles Leben auf diesem Planeten bedrohen würde. Paul Ehrlich: Lassen Sie mich noch etwas hinzufügen. Falls die Auswirkungen auf die südliche Hemisphäre übergreifen, falls wir nur in kleinen Gruppen überleben und falls es diesen Gruppen gelingt, alle hier erörterten Folgen - auch die, die der Kollege Kusin hier genannt hat - langfristig zu überleben, müssen wir bedenken - und müssen es unseren politischen Führern sagen-, daß die technologische Zivilisation, wenn sie erst einmal verlorengegangen ist, aller Wahrscheinlichkeit nach für immer vom Erdboden getilgt sein wird.

229

Als die Menschheit ihre Zivilisation schuf, als sie die ersten Schritte in Richtung Industrialisierung tat, lagen viele kostbare Bodenschätze nahe der Oberfläche. Es gab Zeiten, da brauchte man praktisch nur mit einem spitzen Stock im Boden zu stochern und schon hatte man eine sprudelnde Ölquelle. Heute sind die Menschen gezwungen, Erze mit sehr niedrigem Metallgehalt zu verhütten und kilometertief zu bohren, um die verbliebenen Erdölvorkommen abzubauen. Wenn in der Folgezeit eines Atomkriegs die technische Zivilisation verlorengeht und wenn der Vorrat an Eisen und anderen wichtigen Rohstoffen verrostet oder verschüttet ist, dann ist es höchst unwahrscheinlich, daß eine Gruppe von Jägern und Sammlern oder von Subsistenzbauern je wieder die ganze Entwicklung bis zur technischen Zivilisation zurücklegen könnte. Jewgeni Welichow: Ich glaube, alle Beteiligten sind sich darüber einig, daß diese Konferenz einen sehr wichtigen Schritt darstellt. Vielleicht wird sie den atomaren Abrüstungsverhandlungen tatsächlich einen neuen Anstoß geben können. Sie hat uns allen neue wissenschaftliche Resultate, Daten und Erkenntnisse gebracht. Heute müßte jeder aus diesen Er-: kenntnissen seine praktischen Schlüsse ziehen können. ' Ich persönlich glaube, einer der wichtigsten Schlüsse unserer Konferenz lautet, daß schon der Einsatz eines kleinen Teils der atomaren Arsenale katastrophale Auswirkungen hätte, da er nicht nur den Tod vieler unschuldiger Menschen bringen, sondern auch einschneidende Veränderungen in der Umwelt und im Klima bewirken würde, was unabsehbare Folgen haben könnte. Ganz allgemein gesehen, lebt die Menschheit schon heute in einem sehr instabilen ökologischen System, so daß jede Abweichung darin ihren Fortbestand gefährdet. Deshalb entbehren alle politischen Konzepte vom lokalen oder »begrenzten« Krieg, Counterforce-Angriff, »kontrollierten« Krieg, der flexiblen Reaktion oder dem länger andauernden Krieg im Lichte unserer heutigen Kenntnisse jeder Grundlage. Sie alle würden die katastrophalen und schreck230

liehen Resultate heraufbeschwören, von denen wir eben gehört haben. Kein militärisches oder psychologisches Argument - und es gibt ihrer viele - kann diese Resultate aus der Welt schaffen. Ich denke, der einzig mögliche Schluß lautet, daß unsere Kernwaffen nicht als Werkzeuge des Krieges und auch nicht als Werkzeuge der Politik benutzt werden können. Sie sind lediglich Werkzeuge des Selbstmords. Ich muß darauf hinweisen, daß wir bei unserer Untersuchung noch nicht einmal vom schlimmstmöglichen Fall ausgegangen sind, weil wir einige Faktoren außer acht gelassen haben, die in einem Nuklearkonflikt durchaus eine Rolle spielen könnten. Beispielsweise haben wir nicht die riesigen Vorräte an giftigen Abfällen berücksichtigt, haben nicht ausgerechnet, was geschehen würde, wenn man sie zum Ziel wählen würde. In unseren Ergebnissen ist nicht der Beschuß von Kernkraftwerken enthalten. Das könnte natürlich alle Ergebnisse, vor allem langfristig, verschlimmern. Daraus folgt, daß sogar das Konzept der atomaren Überlegenheit illusionär ist, da zum gegenwärtigen Zeitpunkt schon viel zu viele Kernwaffen angehäuft worden sind. Heute wissen wir, daß die Kernwaffen nicht die Muskeln des modernen Staates sind. Vielmehr sind sie ein Krebsgeschwür, das alles Leben auf diesem Planeten bedroht. Ebenso wenig wie der Krebspatient große Chancen auf ein langes und glückliches Leben hat, hat die Menschheit große Aussichten auf eine ewige Koexistenz mit der Bombe. Entweder wir vernichten das Krebsgeschwür, oder das Krebsgeschwür wird uns vernichten. Dies ist eine Grundsatzentscheidung. Alle Zwischenlösungen müssen Stückwerk bleiben. Ich glaube, das ist das wichtigste und grundsätzlichste Ergebnis der Konferenz. Walter Orr Roberts: Während unserer Konferenz über die Welt nach einem Atomkrieg machte Dr. Ehrlich gegenüber unserer Gruppe hier in Washington eine äußerst interessante Bemerkung: daß sich nämlich nach einem Atomkrieg weitere gefährliche Folgen einstellen könnten, die wir heute über231

haupt nicht voraussehen. So fand ich es hochinteressant, von Dr. Israel zu hören, daß es im Anschluß an die Abkühlung zu einer Erwärmung kommen könnte. Mir scheint, dies könnte einer dieser bisher nicht vorausgesehenen Effekte sein. Paul Ehrlich hat gefragt: »Was mögen wir bei dem Gedanken an einen künftigen Atomkrieg noch alles übersehen haben?« Doch selbst wenn wir noch einige Folgen übersehen haben mögen, so scheint mir doch außer Frage zu stehen, daß die Menschheit angesichts der überwältigenden Fülle der Beweise die moralische Verpflichtung hat, einen Atomkrieg unter allen Umständen zu verhindern. Ich glaube, daß die vorbehaltlose und offene Diskussion sowohl hier in Washington auf der Konferenz über die Welt nach einem Atomkrieg wie auch in dem höchst wichtigen Meinungsaustausch mit unseren sowjetischen Kollegen sehr aufschlußreich und nützlich gewesen ist. Wir alle sind uns darüber klar, daß viele der wissenschaftlichen Fragen noch nicht ganz geklärt sind. Ich hoffe zuversichtlich, daß wir einige dieser Fragen in enger Zusammenarbeit lösen können, um die Ungewißheit zu verringern und sicherzustellen, daß nicht noch irgendeine schreckliche Erkenntnis auf uns wartet - schrecklich vielleicht sogar gemessen an den Dimensionen dessen, was wir schon wissen. Doch dieses Wissen ist beileibe Grund genug, um im Namen aller Menschen die Suche nach Sicherheit in der Politik wie in den Wissenschaften mit verstärkten Kräften fortzusetzen. Als Bürger unserer Nationalstaaten und als Insassen dieses zerbrechlichen Raumschiffs Erde müssen wir neue politische Wege entdecken und beschreiten, die die Zukunft des Planeten und seiner Menschen hinreichend sichern. Wir danken unseren sowjetischen Kollegen dafür, daß sie sich an dieser Diskussion beteiligt haben. Thomas Malone: Vielen Dank. - Noch ein Gedanke zum Abschluß: Wir müssen unsere Vernunft beweisen. Vor zweihundert Jahren sagte Immanuel Kant, die menschliche Vernunft

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kreise um drei Fragen. »Was kann ich wissen?« (oder: was ist mir möglich zu wissen?); »Was soll ich tun?« (oder: welches sind die moralischen Imperative?) und schließlich: »Was darf ich hoffen?« In unserem Meinungsaustausch sehe ich einen Anlaß zur Hoffnung. Nehmen wir alle diese Gedanken mit nach Hause, vor allem den, daß dieser Meinungsaustausch hoffen läßt.

Atomwinter: Weltweite Folgen atomarer Mehrfachexplosionen,:.

R. P. Turco · 0. B. Toon · T. P. Ackermann· J. B. Pollack und Carl Sagan Man hat sich besorgt geäußert über die kurz- und langfristigen Folgen von Staub, Rauch, Radioaktivität und Giftdämpfen, die zu den Folgen eines Atomkrieges gehören würden. 1- 7 Die Entdeckung, daß eine dichte Wolke von Mineralstaubteilchen entscheidend zum Aussterben vieler Arten in der Erdgeschichte beigetragen haben könnte, S-to hat zu einem neuen Ansatz in der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen eines Atomkrieges geführt. Außerdem haben Crutzen und Birks 7 darauf hingewiesen, daß Großbrände im Anschluß an Kernwaffenexplosionen große Mengen rußhaltigen Rauches erzeugen könnten, die das Sonnenlicht dämpfen und Klimastörungen hervorrufen würden. Dadurch sahen wir uns veranlaßt, unter Verwendung neuer Daten und verbesserter Modelle die möglichen weltweiten Umwelteffekte der Staub- und Rauchwolken eines Atomkrieges (im folgenden als Atomstaub und Atomrauch bezeichnet) zu berechnen. 11 Dabei vernachlässigen wir die kurzfristigen Auswirkungen von Druckwelle, Feuer und Strahlung. 12- 14 Der größte Teil der Weltbevölkerung würde wahrscheinlich den atomaren Schlagabtausch ,,. Aus Science, Bd.222, 23. Dezember 1983, S. 1283-1292. Copyright 1983: AAAS.

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überleben und sähe sich der Nachkriegsumwelt ausgesetzt. Deshalb könnten sich die längerfristigen und weltweiten Folgeerscheinungen des Atomkrieges als ebenso wichtig erweisen wie die unmittelbaren Kriegsauswirkungen. Zur Untersuchungdieser Phänomene verwendeten wir eine Reihe physikalischer Modelle: ein Modell des Atomkriegszenarios, ein mikrophysikalisches Teilchenmodell und ein StrahlungsKonvektions-Modell. Das Modell des Atomkriegszenarios legt die höhenabhängige Zufuhr an Staub, Rauch, Radioaktivität und NOx für jede Explosion eines atomaren Schlagabtauschs fest (wobei man eine bestimmte Größe, Zahl und Art der Explosionen annimmt, wozu Explosionshöhe, geographische Lage und Spaltausbeute gehören). Die Parametrisierung des Basismodells wird unten erörtert und ist eingehender in einem anderen Bericht dargelegt worden. 15 Das eindimensionale mikrophysikalische Modell lS-ll sagt die zeitliche Entwicklung der Staub- und Rauchwolken voraus, von denen angenommen wird, daß sie sich rasch und gleichförmig ausbreiten. Das eindimensionale Strahlungs-Konvektions-Modell (1-D-RCM) legt die errechnete Größenverteilung der Staub- und Rauchteilchen, die optischen Konstanten und die Miesche Streuungstheorie zugrunde, um abhängig von Zeit und Höhe die sichtbaren und infraroten optischen Eigenschaften, die Lichtströme und die Lufttemperaturen zu berechnen. Da die berechneten Lufttemperaturen von den Wärmekapazitäten der Erdoberfläche beeinflußt werden, wurden gesonderte Simulationen für Land- und Meeresoberflächen vorgenommen, um mögliche Temperaturgegensätze zu bestimmen. Die Methoden, die unseren 1-D-RCM-Berechnungen zugrunde liegen, sind eingehend dokumentiert worden. 15 • 18 Obwohl die verwendeten Modelle eine grobe Schätzung der durchschnittlichen Auswirkungen weit ausgedehnter Staubund Rauchwolken gestatten, können sie keine präzise Vorhersage der kurzfristigen oder örtlichen Effekte leisten. Die Anwendbarkeit unserer Ergebnisse hängt davon ab, wie schnell und wie weit sich die Explosions- und Rauchwolken

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ausbreiten. Schon bald nach einem großen atomaren Schlagabtausch würden sich Tausende vereinzelter Staub- und Rauchwolken über die nördlichen mittleren Breiten bis zu einer Höhe von 30 Kilometern ausbreiten. Horizontale turbulente Diffusion, vertikale Windscherung und fortgesetzte Rauchemission könnten die Wolke aus atomarem Staub über die gesamte Zone verteilen und nach ein bis zwei Wochen schließlich alle Wolkenlöcher füllen. Räumlich gemittelte Simulationen dieser Anfangsphase der Wolkenausbreitung sind mit Vorsicht zu behandeln. Die Auswirkungen würden an manchen Orten kleiner und an anderen größer sein, und allerorts wären sie großen zeitlichen Schwankungen unterworfen. Die vorliegenden Ergebnisse berücksichtigen auch nicht die enge Verbindung zwischen Atmosphärenbewegungen jeder Größenordnung und den mittels des 1-D-RCM errechneten veränderten Erwärmungs- und Abkühlungsraten im Sichtbaren und im Infraroten. Das globale Zirkulations bild würde fast mit Sicherheit infolge der hier errechneten tiefgreifenden Stö- · rungen der Antriebskräfte verändert werden. 19 Obwohl das 1-D-RCM nur horizontale, tägliche und jahreszeitliche Durchschnittsbedingungen vorhersagen kann, kann es eine erste Schätzung der Veränderungen in der Atmosphäre leisten, womit die Absicht unserer Untersuchung erfüllt ist. Szenarien Faßt man die Kernwaffenarsenale der Erde zusammen, 2a-24 so belaufen sich die primär strategischen Waffen und die atomaren Gefechtsfeldwaffen auf insgesamt ::::: 12 000 Megatonnen (MT) Sprengkraft, verteilt auf::::: 17000 Sprengköpfe. Diese Arsenale entsprechen in etwa der Explosionsenergie von einer Millionen Hiroshima-Bomben. Obgleich die Gesamtzahl von Sprengköpfen mit hoher Sprengkraft im Laufe der Zeit zurückgegangen ist, fallen noch ungefähr 7000 MT auf Sprengköpfe von > 1 MT. Außerdem gibt es noch ::::: 30000 taktische Sprengköpfe und Granaten von geringerer 239

Sprengkraft, die in der vorliegenden Analyse nicht berücksichtigt sind. Szenarien für den möglichen Einsatz von Kernwaffen sind kompliziert und kontrovers. In der Vergangenheit haben sich Untersuchungen über die langfristigen Auswirkungen eines Atomkriegs vor allem mit einem unbegrenzten Schlagabtausch in der Größenordnung zwischen 5000 und 10 000 MT beschäftigt. 2• 12 • 20 Solche Fälle sind durchaus möglich, bedenkt man, wie umfangreich die gegenwärtigen Arsenale sind und wie unberechenbar der Krieg ist, vor allem der Atomkrieg, in dem jeder Konflikt rasch zu einem massiven Schlagabtausch auswachsen könnte. 25 Eine Kurzdarstellung der hier zugrundegelegten Szenarien ist in Tabelle 1 wiedergegeben. Unser Basisszenario geht von einem Schlagabtausch mit 5000 MT aus. Die anderen Fälle legen eine Gesamtsprengkraft zwischen 100 und 25 000 MT zugrunde. Viele wichtige militärische und industrielle Anlagen sind in der Nähe oder innerhalb von Stadtgebieten gelegen. 26 Folglich ist ein gewisser Anteil (15 bis 30 Prozent) der Gesamtsprengkraft für städtische oder industrielle Ziele bestimmt. Infolge der großen Sprengkraft strategischer Sprengköpfe (im allgemeinen 2: 100 Kilotonnen [KT]) sind »saubere« Angriffe gegen Einzelziele nur schwer möglich. Beispielsweise kann eine Luftexplosion von 100 KT ein Gebiet von= 50 km 2 einebnen und niederbrennen und eine Luftexplosion von 1 MT ein Gebiet von= fünffacher Größe, 27 • 28 wodurch bei jedem Countervalue- oder Counterforce-Angriff zwangsläufig umfangreiche zusätzliche Schäden auftreten müssen. Die Eigenschaften des Atomstaubs und -rauchs sind von entscheidender Bedeutung für die vorliegende Analyse. Die grundlegenden Parametrisierungen werden in Tabelle 2 beziehungsweise Tabelle 3 beschrieben. Einzelheiten sind Literaturhinweis 15 zu entnehmen. Um optische und klimatische Vorhersagen treffen zu können, muß für jedes Explosionsszenario die Gesamtmenge an atmosphärischer Zufuhr von feinem Staub (mit :5 l0µm Teilchen-Durchmesser) und Ruß bekannt sein. 240

Tabelle 1 Atomkriegsszenarien Fall*

Gesamtsprengkraft(MT)

1. Basisfall 5000 2. Explosionen geringer Sprengkraft in geringer 5000 Höhe 9.MT:j:10000Maximalfall 10. 3000-MTAbtausch 3000 11. 3000-MT3000 Counterforce 12. 1000-MT1000 Abtausch§ 13. 300-MT-Süd300 Hemisphäre 1 14. 100-MT-Angriff 100 auf Städte II 16. »Schwerwiegender« Angriff auf Siloscfo 5000 18. 25000-MT:j:»Krieg der Zukunft« 25000 *

Prozent der Sprengkraft SprengkopfExploStädtische größen (MT pro sionen oder am Erdindustrielle Kopf) baden Ziele

Gesamtzahl der Explosionen

57

20

0,1 bis 10

10400

10

33

0,1 bis 1

22500+

63

15

0,1 bis 10

16160

50

25

0,3 bis5

5433

70

0

1 bis 10

2150

50

25

0,2bis 1

2250

0

50

0

100

100

0

72

10

300 0,1

5bis 10

0,1 bis 10

1000

700

28300+

Fallnummern richten sich nach der vollständigen Liste in (15). Das detallierte Verzeichnis der Explosionen ist hier nicht wiedergegeben. Wenn nicht ausdrücklich anders vermerkt, beschränken sich die Angriffe auf die NH. Die Staub- und Rauchparameter für den Basisfall werden in Tabelle 2 und 3 beschrieben. + Geht davon aus, daß die vorhandenen Raketen mit einer größeren Zahl von Mehrfachsprengköpfen ausgerüstet und möglicherweise neue Mittel- und Langstrekkenraketen stationiert werden (20-23). :j: Obwohl diese höheren Werte für die Gesamtsprengkraft bedeuten könnten, daß der gesamte Erdball vom Krieg in Mitleidenschaft gezogen wird, werden zum besseren Vergleich auch hier hemisphärisch gemittelte Ergebnisse betrachtet. § Gesamtwaldbrandfläche von 5 x 105 auf 5 x 104 km 2 herabgesetzt. 1 Gesamtwaldbrandfläche von 5 x 105 auf 5 x 103 km 2 herabgesetzt. I Das Brennstoffaufkommen in Stadtzentren beträgt 20 g/qm2 (doppelt so viel wie im Basisfall), und die Nettorauchemission beläuft sich auf 0,026 g pro Gramm verbranntes Material. Der Beitrag von Waldbränden und Staub zur Verdunklung ist vernachlässigbar. Versechsfachung der Menge feinen Staubes, die pro Megatonne Sprengkraft aufgewirbelt wird.

*

Kernwaffenexplosionen am oder in der Nähe des Bodens können feine Teilchen durch eine Reihe von Mechanismen erzeugen 27 : (1) durch Aufwirbeln und Pulverisierung von Erdteilchen, 29 (II) Verdampfen und Teilchenbildung von Erde und Stein,30 (III) Aufwirbeln von Oberflächenstaub und Rauch. 31 Die Analyse von Kernwaffentestdaten zeigt, daß ungefähr 1 X 105 bis6 X 105 TonnenStaubproMegatonneSprengkraftin den stabilisierten Wolken von Bodenexplosionen auf dem Lande enthalten sind. 32 Ferner ergibt die Untersuchung von Staubstichproben aus Atomwolken, daß ein erheblicher Anteil der Staubteilchen kleiner als ein Mikrometer ist. 33 Oberflächenexplosionen von Kernwaffen können weit mehr feinen Staub erzeugen als Vulkanausbrüche, 15 • 34 die man in der Vergangenheit fälschlicherweise zugrunde gelegt hat, um die Auswirkungen eines Atomkrieges zu schätzen. 2 Das intensive Licht, das von einem atomaren Feuerball ausgesandt wird, kann die brennbaren Materialien eines großen Gebietes entzünden. 27 Die Explosionen über Hiroshima und Nagasaki haben zu Großbränden geführt. 35 In beiden Städten wurden die durch die Druckwelle schwerbeschädigten Bereiche auch vom Feuer heimgesucht. 36 Beobachtungen aus den letzten beiden Jahrzehnten lassen mit großer Wahrscheinlichkeit darauf schließen, daß nach den meisten Kernwaffenexplosionen über Wäldern und Städten große Flächenbrände auftreten würden. 37- 44 Die Waldgebiete der nördlichen Hemisphäre umfassen= 4 X 10 7 km2, mit einem Vorrat an Brennmaterial von durchschnittlich= 2,2 g/ cm2 • 7 Weltweit umfassen die städtischen und vorstädtischen Gebiete eine Fläche von = 1,5 X 10 4 km 2 • 15 Stadtzentren, die ungefähr 5 bis 10 Prozent der gesamten Stadtfläche ausmachen, enthalten= 10 bis 40 g/ cm2 an Brennmaterial, während der Wert in Wohngebieten bei = 5 g/ cm 2 liegt. 41 • 42 • 44 • 45 Die Rauchemissionen von Waldbränden und städtischen Großbränden bewegen sich wahrscheinlich im Bereich von zwei bis acht Prozent der Masse des verbrannten Materials. 46 Der Anteil des stark absorbierenden Rußes (vor allem Graphitkohlenstoff) kann bis 242

Tabelle 2

Staubparametrisierung für den Basisfall

Art der Explosion Landoberfläche nahe der Landoberfläche

Materialien in den stabilisierten Nuklearexplosionswolken• Staubmasse Größenverteilung H20 (Tonnen/MT) des Staubst (Tonnen/MT) (rm [µm] / o / a): 3,3 x 105

0,25/2,0/ 4,0

1,0x105

1,0 x 105

0,25 / 2,0 / 4,0

1,0 X 105

Staubzusammensetzung: Siliziumminerale und Gläser Brechungsindex im sichtbaren Spektralbereich :j:: n = 1,50 - 0,001 i Oberer und unterer Rand stabilisierter Atomwolken, z0 und Zu für Explosionen am Erdboden und in geringer Höhe §: z0 = 21 · Y0 ·2 ; Zu= 13 • Y0 ·2 ; wobei Y = Sprengkraft in Megatonnen. Überlagerung der Wirkungen bei Mehrfachexplosionen wurde nicht berücksichtigt.

Staubinjektion im Basisfall Gesamtstaub= 9,6 x 108 Tonnen; 80 Prozent in der Stratosphäre; 8,4 Prozent < 1 µm Radius. Die Injektion von Staubteilchen im Submikrometer-Bereich in die Atmosphäre beträgt - 25 Tonnen/KT bei Explosionen am Erdboden, was - 0,5 Prozent des gesamtem Ausstoßes entspricht. Gesamte Fläche stabilisierter Feuerbälle in der Anfangsphase= 2,0 x 106 km 2 • Es wird davon ausgegangen, daß das Material gleichmäßig in den Wolken verteilt ist. t Die Teilchengrößenverteilungen (Anzahl/cm3 als Funktion des Radius, µm) sind Lognormalverteilungen mit einem exponentiellen Abfall zu großen Teilchen hin. Die Parameter rm und a, bezeichnen die Variationsbreite von Teilchenradius und Größe in der lognormalen Darstellung der Größenverteilung, a ist der Exponent der r- 0 -Verteilung bei größeren Teilchenradien. Die Lognormal- und die Exponentialverteilungen sind bei einem Radius von= 1µm miteinander verknüpft (15). :j: Die Brechungsindizes des Staubes im infraroten Spektralbereich werden in (10) erörtert. § Es wurde das Modell von Foley und Ruderman 87 übernommen, aber mit um ca. 0,5 km verringerten Wolkenhöhen. Die Originalwolkenhöhen beruhen auf amerikanischen Kemwaffentestdaten aus dem Pazifik und überschätzen die Höhen in mittleren Breiten möglicherweise um einige Kilometer.

Tabelle 3: Feuer- und Rauchparametrisierung für den Basisfall Brandfläche und Emissionen Fläche für das Aufflammen von Bränden in Stadtgebieten definiert durch die 20-cal/cm 2-Grenzlinie für Hitzeeinwirkung (= 0.34 at-Grenzlinie für Überdruckspitzen) bei einer durchschnittlichen atmosphärischen Übertragungsrate von 50 Prozent: A (km 2)=250 Y, wobei Y= über Stadtgebieten eingesetzte Sprengkraft in Megatonnen; Überschneidungen von Brandgebieten werden nicht berücksichtigt. Aufkommen brennbarer Stoffe in Vorstadtgebieten durchschnittlich 3 g/cm 2 und in Stadtzentren 10 g/cm 2 (5 Prozent des gesamtem Stadtgebietes) Der durchschnittliche Abbrand von Entflammbarem in Stadtgebieten beträgt 1,9 g/cm2 Der durchschnittliche Faktor für die Netto-Rauchemission liegt bei 0,027 g pro Gramm verbrannten Materials (in Stadtzentren nur bei 0,011 g/g). Die Gesamtfläche der Wald-, Busch- und Wiesenbrände beträgt 5 x 105 km 2 mit 0,5 g/cm 2 verbrannten Materials und einem Rauchemissionsfaktor von 0,032 g/g. Länger andauernde Brände verzehren 3 x 1014 g Brennstoffe mit einem Emissionsfaktor von 0,05 g/g.

Rauchwolkenhöhen bei Bränden (oberer und unterer Rand) Brände in Städten: 1 bis 7 km Feuerstürme (5 Prozent der Stadtbrände): Zu :S 5 km; z0 ~19 km Wald-, Busch und Wiesenbrände: 1 bis 5 km lang andauernde Brände: 0 bis 2 km

Branddauer Brände in Städten: 1 Tag; Wald-, Busch- und Wiesenbrände: 10 Tage; langandauernde Brände: 30 Tage.

Raucheigenschaften Dichte: 1,0 g/cm3 ; komplexer Brechungsindex: 1,75-0,30 i; Größenverteilung: Lognormalverteilung mit rm [µm]) /a = 0, 1/2,0 für die Brände in Städten und 0,05/2,0 für Wald-, Busch- und Wiesenbrände sowie für lang andauernde Brände.

Rauch-Injektionen in die Atmosphäre, Basisfall Gesamte Rauchemission 2,25 x 108 Tonnen, 5 Prozent in die Stratosphäre. Brände in Stadt- und Vorstadtgebieten sind verantwortlich für 52 Prozent der Emissionen, Feuerstürme für 7 Prozent, Wald-, Busch- und Wiesenbrände für 34 Prozent und lang andauernde Brände für 7 Prozent. Die Gesamtfläche der Brände in Stadt- und Vorstadtgebieten beträgt 2,3 x 105 km 2 , von Feuerstürmen 1,2 x 104 km 2 , von Wald-, Busch- und Wiesenbränden 5,0 x 105 km 2.

zu 50 Prozent der insgesamt emittierten Masse betragen. 47• 48 Bei Waldbränden - und wahrscheinlich auch bei Stadtbränden - bestehen ::::< 90 Prozent der Rauchmasse aus Teilchen von< 1 µmim Halbmesser. 49 Für Berechnungen im sichtbaren Wellenlängenbereich wird den Rauchteilchen ein Imaginärteil des Brechungsindexes von 0,3 zugeschrieben. 50 Modellberechnungen Die hier erörterten Modellvorhersagen geben im allgemeinen Auswirkungen wieder, die für die nördliche Hemisphäre (NH) gemitte!t wurden. Die ursprünglichen Kernwaffenexplosionen und Brände würden sich weitgehend auf die nördlichen mittleren Breiten (30° bis 60°N) beschränken. Folglich könnte die vorhergesagte Lichtundurchlässigkeit infolge von Staub und Rauch in den mittleren Breiten um das Zwei- bis Dreifache ansteigen, jedoch andernorts kleiner sein. Die hemisphärisch gemittelten optischen Dichten im sichtbaren Spektralbereich 52 für Mischwolken aus Staub und Rauch sind entsprechend den Szenarien der Tabelle 1 in Abbildung 1 wiedergegeben. Die senkrechte optische Dichte ist ein geeignetes Maß zur Feststellung der Eigenschaften von Atomwolken und zur ungefähren Bemessung der atmosphärischen Lichtstärken und Temperaturen bei Zugrundelegung der verschiedenen Szenarien. Im Basisszenario (Fall 1, 5000 MT) beträgt die anfängliche optische Dichte in der Nordhemisphäre (NH) ::::< 4, wobei::::< 1

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1 month

4 montha

1 year

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8asellne, 5000 MT Low-yield alrbursts, 5000 MT 10,000-MT full exchange 3,000-MT exchange 3,000 MT counterforce 1,000-MT exchange 300-MT SH 100-MT city attack

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105

10 7 Time alter detonatlon (sec)

auf stratosphärischen Staub und = 3 auf troposphärischen Rauch zurückzuführen sind. Noch nach einem Monat liegt die optische Dichte bei= 2. Nach zwei bis drei Monaten sind die optischen Effekte weitgehend auf den Staub zurückzuführen, da der Ruß durch Niederschlag und andere Abbau246

Abbildungl Senkrechte optische Dichten (Streuung plus Absorption) - zeitabhängig und hemisphärisch gemittelt - der atomaren Staub- und Rauchwolken bei einer Wellenlänge von 550 nm. Optische Dichten :::,; 0, 1 sind vernachlässigenswert, - 1 signifikant, und optische Dichten > 2 lassen auf tiefgreifende Konsequenzen schließen. Die Transmission des Sonnenlichts wird bei optischen Dichten > 1 hochgradig nichtlinear. Es werden die Ergebnisse für einige der Fälle in Tabelle 1 wiedergegeben. Zum Vergleich werden auch die errechneten optischen Dichten für die in Ausdehnung begriffene Wolke des EI Chich6n-Ausbruchs abgebildet.

Vertical optical depth - Senkrechte optische Dichte; 1 week - 1 Woche; 1 month-1 Monat; 4 months-4 Monate; 1 year-1 Jahr; casesFälle; 1. Baseline, 5 000 MT - 1. Basisfall, 5000 MT; 2. Lowyield airbursts, 5000 MT - 2. Luftexplosionen geringer Sprengkraft, 5000 MT; 9. 10000-MT full exchange - 9. unbeschränkter Schlagabtausch, 10000 MT; 10. 3000-MTexchange-10. 3000-MT-Schlagabtausch; 11. 3,000 MT counterforce- 11. 3000 MT, counterforce; 12. 1000-MT exchange - 12. 1000-MT-Schlagabtausch; 13. 300-MT SH - 13. 300 MT, SH; 14. 100-MT city attack-14. 100 MT, Angriff gegen Städte; EI Chich6n simulation- EI-Chich6n-Simulation; Time after detonation (sec) - Zeit nach der Explosion (Sek)

prozesse weitgehend ausgefallen ist. 54 Im Basisfall gehen ungefähr 240000 km2 Stadtgebiet teilweise (zu 50 Prozent) infolge der Explosion von== 1000 MT (nur 20 Prozent der Gesamtsprengkraft) in Flammen auf. Das entspricht in etwa einem Sechstel aller Stadtgebiete der Erde, einem Viertel der 247

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Baseline. 5000 MT Low-yield airburst, 5000 MT

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Time after detonation (days)

Surface land temperature (K)-Oberflächentemperaturen für Landgebiete (Kelvin); Surface land temperature (°C)- Oberflächentemperaturen für Landgebiete (Celsius); Ambient temperature- mittlere Luft-

entwickelten Gebiete auf der NH und der Hälfte von Städten mit mehr als 100000 Einwohnern in den Ländern der NATO und des Warschauer Pakts. Die durchschnittliche Menge an Brennstoffen auf der verbrannten Fläche ist == 1,9 / cm 2 • Von den verbleibenden 4000 MT Sprengkraft werden Wälder, Buschland und Wiesen auf einer Fläche von 500000 km 2 entzündet,7·39·55 wobei == 0,5 g/ cm 2 Brennstoff von den Flammen verzehrt werden. 7 Die gesamte Rauchemission im Basisfall beträgt == 225 Millionen Tonnen (freigesetzt im Laufe mehrerer Tage). Im Vergleich dazu wird die jährliche Rauchemission weltweit auf == 200 Millionen Tonnen geschätzt, 15 die aber auf die Atmosphäre wahrscheinlich< 1 Prozent der Wirkung von in einem Atomkrieg entwickelten Rauch hat. 56 Die Simulationen der optischen Dichte für die Fälle 1, 2, 9 und 10 in Abbildung 1 zeigen, daß Atomkriege im Bereich zwischen 300 und 10000 MT ähnliche Wirkungen hervorru-

248

Abbildung2 Schwankungen hemisphärisch gemittelter Oberflächentemperaturen nach einem atomaren Schlagabtausch. Für mehrere Fälle sind die Szenarien in Tabelle 1 wiedergegeben. (Zu beachten ist der lineare zeitliche Verlauf im Unterschied zu Abbildung 1). Die Temperaturen gelten im allgemeinen für das Innere der kontinentalen Landmassen. Nur in den Fällen 4 und 11 wurden die Auswirkungen der Brände vernachlässigt.

temperatur; Freezing point of pure water - Gefrierpunkt reinen Wassers; Cases - Fälle; 1. Baseline, 5000 MT - 1. Basisfall, 5000 MT; 2. Low-yield airburst, 5 000 MT - 2. Luftexplosionen geringer Sprengkraft, 5000 MT; 4. Baseline, dust only - 4. Basisfall, nur Staub; 9. 10,000-MT exchange - 9. unbeschränkter Schlagabtausch, 10000 MT; 10. 3,000-MT exchange-10. 3000-MT-Schlagabtausch; 11. 3,000MT counterforce-11. 3000 MT, Counterforce; 12. 1,000-MT exchange -12. 1000-MT-Schlagabtausch; 13. 300-MT SH-13. 300 MT, SH; 14. 100-MT city attack- 14. 100 MT, Angriff gegen Städte; Time after detonation (days)-Zeit nach der Explosion (Tage).

fen könnten. Sogar die Fälle 11, 12 und 13 führen- obwohl in ihrer absoluten Wirkung weniger schwerwiegend - zu optischen Dichten, die denen eines großen Vulkanausbruchs vergleichbar oder überlegen sind. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, daß Ausbrüche wie der des Tambora im Jahre 1815, möglicherweise erhebliche Klimastörungen bewirkt haben - selbst bei einem durchschnittlichen Rückgang der Oberflächentemperatur von weniger als l°K. 57- 60 Bei Fall 14 handelt es sich um einen 100-MT-Angriff auf Städte mit 1000 Sprengköpfen a 100 KT. Bei dem Angriff gehen 25 000 km 2 bebauten Stadtgebietes in Flammen auf (ein solches Gebiet entspricht 100 Großstädten). Die Rauchemission wird mit Brandparametern berechnet, die sich von denen des Basisfalls unterscheiden. Die Durchschnittsmenge von Brennstoffen in Stadtzentren beträgt 20 g/ cm2 (gegenüber 10 g/cm 2 in Fall 1) und der durchschnittliche Rauchemissionsfaktor ist 0,026 Gramm Rauch pro Gramm ver-

=

249

brannten Materials (gegenüber der vorsichtigen Schätzung von 0,011 g/ g, die im Basisfall für Brände in Stadtzentren zugrunde gelegt wurde). In jedem Fall werden der Troposphäre ungefähr 130 Millionen Tonnen Stadtrauch zugeführt (während in Fall 14 keiner in die Stratosphäre gelangt). Im Basisfall ergeben sich nur ungefähr 10 Prozent des Stadtrauchs aus Bränden in Stadtzentren (Tabelle 3). Der Schwellenwert für größere optische Störungen hemisphärischen Ausmaßes scheint bei einer Rauchzuführung von = 1 X 108 Tonnen zu liegen. Fall 14 läßt auf eine Rauchemission von = 1 X 106 Tonnen Rauch aus jeder der 100 Großstadtbrände schließen, wobei pro Stadt = 4 X 107 Tonnen Brennstoffe von den Flammen verzehrt werden. Solche Brände könnten durch Kernwaffenexplosionen mit einer Gesamtwirkung entsprechend 100 MT ausgelöst werden. So kommen wir zu dem unerwarteten Ergebnis, daß weniger als ein Prozent der vorhandenen strategischen Arsenale - gegen städtische Ziele eingesetzt - optische (und klimatische) Störungen von weit größerem Ausmaß hervorrufen könnten, als man sie bisher einem massiven atomaren Schlagabtausch von = 10000 MT zugeschrieben hat. 2 Abbildung 2 zeigt die Störung der Oberflächentemperatur für die kontinentalen Landgebiete der NH, errechnet aus den staub- und rauchbedingten optischen Dichten bei verschiedenen Szenarien. Vor allem überraschen die außerordentlich niedrigen Temperaturen drei bis vier Wochen nach einem größeren Schlagabtausch. In dem Basisfall von 5000 MT wird für drei Wochen nach dem Krieg eine minimale Landtemperatur von= 250°K (-23°C) vorhergesagt. Mehrere Monate lang herrschen Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Für die dargestellten Fälle liegen die geringsten Temperaturrückgänge in Landgebieten immer noch zwischen = 5° bis 10°C (Fall 4, 11 und 12)- groß genug, um aus Sommer Winter werden zu lassen. So sind in jedem dieser Fälle schwerwiegende Klimafolgen zu erwarten. Das 100-MT-Szenario mit Explosionen über Stadtgebieten (Fall 14) führt auf den Konti250

nenten zu einer zweimonatigen Frostperiode, wiederum mit Tiefsttemperaturen nahe 250°K. In diesem Falle normalisiert sich die Temperatur rascher durch die Absorption von Sonnenlicht in den optisch dünnen Überresten der Rußwolken (siehe S. 246). Vergleichbare Szenarien mit und ohne Rauchemission (zum Beispiel die Fälle 10 und 11) zeigen, daß die troposphärischen Rußschichten eine plötzliche Oberflächenabkühlung von kurzer Dauer verursachen, während feiner Staub in der Stratosphäre für eine längere Abkühlung verantwortlich ist, die ein Jahr oder länger andauern kann. (Für das Klima ist schon eine langfristige Abkühlung von nur 1° C von Bedeutung. 40 ) In allen Fällen bewirkt der in einem Atomkrieg aufgewirbelte Staub eine Abkühlung der Erdoberfläche. Auch Ruß hat diese Wirkung, es sei denn, die Rußwolke ist sowohl optisch dünn als auch nahe der Erdoberfläche (ein Fall ohne Bedeutung, weil es dadurch nur zu relativ geringfügigen und kurzlebigen Erwärmungen von:::::: 2°K kommen kann). 61 Die in Verbindung mit Veränderungen des atmosphärischen Strahlungstransports vorhergesagten Lufttemperaturveränderungen über den Weltmeeren sind stets klein (Abkühlungen von :5 3° K), da das Meer einen hohen Wärmegehalt besitzt und das Oberflächenwasser sich rasch durchmischt. Variationen der zonalen Zirkulationsabläufe in der Atmosphäre (siehe S. 248) könnten jedoch Meeresströmungen und die Intensität des Auftriebs von Tiefenwasser erheblich verändern, wie es in kleinerem Maßstab unlängst im Pazifik geschah (EI Nino). 62 Das Wärmereservoir der Weltmeere würde auch die für Landgebiete vorhergesagten Temperaturrückgänge, vor allem in Küstennähe, mäßigen. 10 Der Effekt läßt sich schwer vorhersagen, weil es wahrscheinlich zu Störungen der atmosphärischen Zirkulation kommt. Die tatsächlichen Temperaturrückgänge im Inneren der Landgebiete könnten ungefähr 30 Prozent kleiner sein, als hier vorhergesagt, in Küstenbereichen sogar 70 Prozent geringer. 10 Im Basisfall können die Temperaturen über den Kontinenten also auf:::::: 260° K fallen, bevor sie wieder zu normalen Werten zurückkehren. 251

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Time alter detonatlon (daya)

Die für den Basisfall eines atomaren Schlagabtauschs zu erwartenden Veränderungen des senkrechten Temperaturprofils sind in Abbildung 3 in Abhängigkeit von der Zeit dargestellt. Beherrschendes Merkmal der Temperaturstörung ist eine starke Erwärmung (bis zu 80° K) der unteren Stratosphäre und der oberen Troposphäre sowie eine beträchtliche Abkühlung (bis zu 40° K) der Erdoberfläche und der unteren Troposphäre. Die Erwärmung wird durch Absorption der Sonnenstrahlung in den oberen Schichten der Staub- und Rauchwolken verursacht. Sie bleibt durch die lange Verweildauer der Teilchen in großen Höhen über einen längeren Zeitraum erhalten. Das Ausmaß der Erwärmung ist eine Folge der geringen Wärmekapazität der oberen Atmosphäre, ihres niedrigen Emissionsvermögens im Infraroten und der ursprünglich niedrigen Temperaturen in großen Höhen. Die Abkühlung an der Erdoberfläche ergibt sich aus der Verminderung der eingestrahlten Sonnenenergie durch die Wolken

252

Abbildung3 Temperaturstörungen in der Troposphäre und Stratosphäre der Nördlichen Hemisphäre (in Kelvin oder Celsius) nach einem atomaren Schlagabtausch gemäß Basisfall (Fall 1). Das schraffierte Feld gibt Abkühlung an. Außerdem werden die Werte des Umgebungsluftdrucks in Millibar angegeben.

Altitude (km)- Höhe; Temperature change (K)- Temperaturveränderung (K); Pressure (mbar) - Druck (mbar); Time after detonation (days)-Zeit nach der Explosion (Tage).

von Aerosolteilchen (vgl. Abb. 4) während des ersten Monats der Simulation. Der Treibhauseffekt tritt in unseren Berechnungen nicht mehr auf, weil die Sonnenenergie oberhalb der Höhe festgehalten wird, von der aus die Infrarotenergie in den Weltraum abgestrahlt wird. Die Verminderung der eindringenden Sonnenstrahlung ist für verschiedene Atomkriegszenarien in Abbildung 4 dargestellt. Beim Basisfall sind im Hemisphärendurchschnitt am Erdboden Sonnenergieflüsse zu erwarten, die einige Wochen lang :510 Prozent der Normalwerte betragen (abgesehen von Unregelmäßigkeiten in der Bedeckung durch Rauch- und Staubwolken). Neben den erwähnten Temperaturrückgängen könnte die reduzierte Einstrahlung von Sonnenlicht auch das Pflanzenwachstum und die Nahrungsketten im Meer, 63 an der Küste und auf dem Lande beeinträchtigen. Im »schweren« Fall von 10 000 MT insgesamt eingesetzter Sprengkraft liegen die

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Time alter detonation (days)

durchschnittlichen Lichtstärken in weiten Teilen der nördlichen Hemisphäre ungefähr 40 Tage lang unter dem für die Photosynthese erforderlichen Minimalwert. In zahlreichen anderen Fällen kann die Einstrahlung von Sonnenlicht länger als zwei Wochen unter den Kompensationspunkt absinken, d. h. unter den Wert, bei dem die Photosynthese gerade noch zur Aufrechterhaltung des Pflanzenstoffwechsels ausreicht. Da in einem Zeitraum von ein bis zwei Wochen nach dem Krieg die Atomwolken wahrscheinlich noch keine geschlossene Wolkendecke gebildet haben, könnte das durch die Wolkenlöcher einfallende Sonnenlicht die Wachstums254

Abbildung4 Sonneneinstrahlung am Boden der nördlichen Hemisphäre in der Folgezeit eines atomaren Schlagabtauschs. Es werden die Ergebnisse für einige der Fälle in Tabelle 1 wiedergegeben. (zu beachten der lineare Zeitverlauf.) In den Fällen 4 und 16 werden die Brände vernachlässigt. Angegeben wird auch der ungefähre Energieflußwert, bei dem die Photosynthese mit der Pflanzenatmung nicht mehr Schritt halten kann (Kompensationspunkt) und bei dem die Photosynthese ganz aufhört. Die Grenze fällt für verschiedene Arten unterschiedlich aus.

Solar energy flux at the ground (W/m 2)-Sonnenstrahlung am Boden (W/m 2); Cases- Fälle; 1. Baseline, 5000 MT-1. Basisfall, 5000 MT; 4. Baseline, dust only- 4. Basisfall, nur Staub; 9. 10,000-MT exchange9. 10000-MT-Schlagabtausch; 14. 100-MT city attack - 14. 100 MT, Angriff gegen Städte; 16. 5,000-MT silo »severe« case -16.5000 MT, Angriff gegen Silos, »schwerer« Fall; 17. 10,000-MT »severe« case 17. 10000 MT, »schwerer« Fall; Unperturbed global average net insolation - Ungestörte Nettosonnenbestrahlung im Erddurchschnitt; Heavy Overcast- starke Bewölkung; Compensation point for photosynthesis- Kompensationspunkt für die Photosynthese; Limit of photosynthesis-Grenze der Photosynthese; Time after detonation (days) - Zeit nach der Explosion (Tage).

aktivität der Pflanzen in höherem Maße aufrechterhalten, als man für durchschnittliche Bedeckungswerte erwarten würde. Doch bald darauf würden sich die Löcher wahrscheinlich schließen. Sensitivitätstest

Im Rahmen dieser Untersuchung wurde eine große Zahl von Sensitivitätsberechnungen durchgeführt: 15 Die Ergebnisse können wie folgt zusammengefaßt werden: Die Variationen der Atomstaubparameter, mit denen man im Basisszenario 255

1 week

1 month

4 montha

1 year

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10 8

Time alter detonatlon (sec)

rechnen muß, führen anfangs zu hemisphärischen Durchschnittswerten für die optische Dichte des Staubes zwischen 0,2 und 3,0. Folglich könnte schon der Atomstaub allein schwerwiegende Auswirkungen auf das Klima haben. Im Basisfall ist die Lichtundurchlässigkeit des Staubes erheblich 256

Abbildungs Zeitabhängige senkrechte optische Dichten (Absorption plus Streuung bei 550 nm) der Staub- und Rauchwolken in einer Empfindlichkeitsanalyse. Die optischen Dichten sind Durchschnittswerte für die nördliche Hemisphäre. Alle berücksichtigten Fälle entsprechen den Parametervariationen des Basismodells (Fall 1) und enthalten die entsprechenden Staubmengen: Fall 3, keine Feuerstürme; Fall 4, keine Brände; Fall 22, Rauchniederschlagsrate durch Regen um einen Faktor von 3 vermindert; Fall 25, Rauch ursprünglich beschränkt auf die unteren 3 km der Atmosphäre; Fall 26, Rauch von Anfang an zwischen 13 und 19 km Höhe über den ganzen Globus verteilt; Fall 27, Imaginärteil des Brechungsindexes des Rauches von 0,3 auf 0,1 reduziert. Zum Vergleich: In Fall 4 wird nur der Staub aus dem Basisfall berücksichtigt (die Brände werden nicht in Betracht gezogen).

1 week-1 Woche; 1 month-1 Monat; 4 months-4 Monate; 1 year-1 Jahr; Vertical optical depth - senkrechte optische Dichte; Gases Fälle; 1. Baseline, 5,000 MT-1. Basisfall, 5000 MT; 3.No fire storms3. Keine Feuerstürme; 4. No fires-4. Keine Brände; 22. Slow rainout22. langsames Ausregnen; 25. Low-level soot, no dust - 25. Ruß in geringer Höhe, kein Staub; 26. Global high-altitude soot and dust-26. Weltweit Ruß und Staub in großer Höhe; 27. Soot imaginary index = 0, 1 -27. lmaginärindex des Rußes= 0,1; Time after detonation (sec)Zeit nach der Explosion (Sek).

größer als die Lichtundurchlässigkeit der Gesamtheit aller Aerosolteilchen, die bei den Ausbrüchen des El Chich6n und des Agung in die Atmosphäre emittiert wurden. 59 • 64 Selbst wenn man für die Staubparameter innerhalb des Wahrscheinlichkeitsspielraums am wenigsten schädliche Werte annimmt, 257

sind ihre Auswirkungen mit denen großer Vulkanausbrüche vergleichbar. Abbildung 5 zeigt die optischen Dichten der Atomwolken für unterschiedliche Annahmen über die Rauchparameter (einschließlich des Staubes) im Basismodell. Im Basisfall wird angenommen, daß die Feuerstürme nur einen kleinen Bruchteil ("" 5 Prozent) der gesamten Rauchemission in die Stratosphäre injizieren. 65 Deshalb sind die Fälle 1 und 3 (keine Feuerstürme) sehr ähnlich. Als Extremfall gelangt (Fall 26) der gesamte Atomrauch in die Stratosphäre und verteilt sich rasch um den Erdball. In diesem Falle können sich große optische Dichten ein Jahr lang halten (Abb. 5). Zu einer zeitlichen Verlängerung der optischen Effekte kommt es auch in Fall 22, wo die troposphärische Auswaschzeit der Teilchen in Bodennähe von 10 auf 30 Tage erhöht wurde. Wenn dagegen angenommen wird, daß der Atomrauch zunächst in Bodennähe bleibt und daß die dynamischen und hydrologischen Reinigungsprozesse ungestört verlaufen, erfolgt die Rauchausscheidung wesentlich rascher (Fall 25). Doch sogar in diesem Fall gelangt ein Teil des Rauchs in die obere Troposphäre und bleibt einige Monate lang dort. 66 In einer Reihe optischer Berechnungen wurde der imaginäre Brechungsindex des Rauches in einem Bereich zwischen 0,3 und 0,01 variiert. Die optischen Dichten, die sich für Indizes zwischen 0,1 und 0,3 ergaben, zeigten praktisch keine Unterschiede (Fall 1 und 27 in Abb. 5). Bei einem Index von 0,05 wird die optische Dichte für Absorption 52 nur um :::: 50 Prozent vermindert und bei 0,01 um:::: 85 Prozent. Ferner nimmt die gesamte Lichtundurchlässigkeit (Absorption plus Streuung) um "" 5 Prozent zu. Diese Ergebnisse belegen, daß in atomaren Rauchwolken die Lichtabsorption und Erwärmung so lange hoch bleiben, bis der Anteil des Graphitkohlenstoffs auf weniger als einige Prozent abgesunken ist. Ein Sensitivitätstest (Fall 29, nicht dargestellt) berücksichtigt die optischen Auswirkungen in der Süd-Hemisphäre (SH) von Staub- und Rußmassen, die aus der NB-Stratosphäre 258

dorthin transportiert werden. Bei dieser Berechnung wird der Rauch des 300-MT-SH-Falls 13 mit der Hälfte des stratosphärischen Staubes und Rauches aus dem Basisfall kombiniert (um näherungsweise der raschen globalen Verteilung in der Stratosphäre Rechnung zu tragen). Ursprünglich ist die optische Dichte über der SH == 1 und fällt dann im Laufe der nächsten drei Monate auf ungefähr 0,3. Die vorausberechneten durchschnittlichen Temperaturen an der Landoberfläche in der SH fallen innerhalb von einigen Wochen um 8° K und bleiben fast acht Monate um mindestens 4°K unter normal. Dabei muß allerdings die Jahreszeit berücksichtigt werden. Beispielsweise könnten sich die schlimmsten Folgen für die NH aus einem Frühlings- oder Sommerkrieg ergeben, wenn die Nutzpflanzen am anfälligsten und die Brandgefahren am größten sind. Da die SH sich dann im Herbst oder Winter befindet, wird sie zu diesem Zeitpunkt für die Abkühlung und Verdunkelung am unempfindlichsten sein. Nichtsdestoweniger scheinen die Auswirkungen dieses Szenarios für die Tropengebiete beider Hemisphären schwerwiegend zu sein und sollten daher eingehender untersucht werden.Jahreszeitliche Faktoren können auch die atmosphärischen Reaktionen auf die Störung des Systems durch Rauch und Staub beeinflussen. Auch das sollte berücksichtigt werden. Eine Anzahl von Sensitivitätstests wurde für schwerwiegendere Fälle, d. h. unter Annahme von kritischeren, aber nicht unplausiblen Rauch- und Staubparametern, bei nuklearen Schlagabtauschen zwischen 1000 und 10 000 MT Gesamtsprengkraft durchgeführt. Die vorausberechneten Auswirkungen sind erheblich schlimmer (siehe unten). Gegen die geringere Wahrscheinlichkeit dieser schwerwiegenderen Fälle stehen die katastrophalen Folgen, die sie nach sich ziehen. Vernünftig wäre es, die Bedeutung dieser Szenarien nach dem Produkt aus der Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens und den Kosten ihrer Auswirkungen zu bemessen. Leider sind wir nicht in der Lage, einen genauen quantitativen Schätzwert für die betreffenden Wahrscheinlichkeiten anzugeben. Naturge259

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108 10 7 Time alter detonation (sec)

10•

mäß müßte man jedoch bei der Einsatzplanung für Kernwaffen vor allem die Möglichkeit des Eintretens »schwerwiegender« Fälle berücksichtigen. Mit diesen Vorbehalten geben wir in Abbildung 6 die optischen Dichten, die für einige der schwerwiegenden Fälle er-

260

Abbildung6 Zeitabhängige senkrechte optische Dichten (Apsorption plus Streuung bei 550 nm) für besonders schwere Fälle hinsichtlich der Sprengkraft oder der Rauch- und Stauberzeugung. Die Bedingungen werden an anderer Stelle genauer erläutert. 15 ) Die Verteilung der Explosionsenergie auf die verschiedenen Waffen gleicht der der nominellen Fälle gleicher Gesamtsprengkraft, wie in Tabelle 1 beschrieben (hier werden auch die Fälle 16 und 18 aufgeführt). Die »schweren« Fälle zeichnen sich in der Regel durch eine sechsfache Zunahme der Zufuhr von feinem Staub und eine Verdoppelung der Rauchemission aus. In den Fällen 15, 17 und 18 verursacht der Rauch den größten Teil der Lichtundurchlässigkeit im ersten oder den ersten beiden Monaten. In den Fällen 17 und 18 trägt der Staub erheblich zu den optischen Effekten nach den ersten beiden Monaten bei. In Fall 16 werden die Brände vernachlässigt, so daß der Staub der Bodenexplosionen für die gesamte Lichtundurchlässigkeit verantwortlich ist.

1 week-1 Woche; 1 month-1 Monat; 4 months-4 Monate; 1 year-1 Jahr; Gases - Fälle; 1. Baseline, 5,000 MT - 1. Basisfall, 5000 MT; 15. 1,000-MT »severe« case - 15. 1000 MT, »schwerer« Fall; 16. Silos 5,000 MT »severe« case - 16. 5000 MT, Angriff gegen Silos, »schwerer« Fall; 17. 10,000-MT »severe« case -10,000 MT, »schwerer« Fall; 18. 25,000-MT nominal case-18. 25000 MT, nomineller Fall; Vertical optical depth - Senkrechte optische Dichte; Time after detonation (sec)- Zeit nach der Explosion (Sek)

rechnet wurden, wieder. Hohe Lichtundurchlässigkeiten können ein Jahr lang bestehen bleiben, und die Oberflächentemperaturen auf dem Land können auf 230° bis 240° K fallen, was ungefähr 50° K unter den Normalwerten liegt. In Verbindung mit geringen Helligkeiten (Abb. 4) lassen diese 261

»schwerwiegenden« Szenarien katastrophale ökologische Konsequenzen in weiten Gebieten möglich erscheinen. Zwei Sensitivitätstests dienten dazu, die Veränderung der optischen Eigenschaften der Aerosolteilchen bei Agglomeration (Aneinanderklebung von Teilchen) zu einem frühen Zeitpunkt in den sich ausdehnenden Wolken zu bestimmen. (Die laufende Agglomeration von Teilchen in den ausgebreiteten Wolken wird von den Simulationen bereits berücksichtigt.) Wir gingen davon aus, daß die zunächst gebildeten und stabilisierten Staub- und Rauchwolken sich sehr langsam ausbreiten und fast acht Monate brauchen würden, um die NH zu bedekken. Nach drei Monaten ergab die Agglomeration der Teilchen eine Verminderung der durchschnittlichen Lichtundurchlässigkeit um ungefähr 40 Prozent. Für Maximalwerte des Haftvermögens der aufeinandertreffenden Teilchen ergab sich nach drei Monaten eine Reduzierung der durchschnittlichen Lichtundurchlässigkeit von = 75 Prozent. Im wahrscheinlichsten Falle dürften rasche Agglomeration und Verklebung von Aerosolteilchen die optischen Dichten der Wolken im Hemisphärendurchschnitt um 20 bis 50 Prozent reduzieren.

Andere Auswirkungen Wir haben auch, wenn auch weniger eingehend, die langfristigen Auswirkungen von radioaktivem Niederschlag, von NOx aus den Feuerbällen und toxischen Brandgasen untersucht.15 Die Physik des radioaktiven Niederschlags ist weitgehend bekannt. 2 • 5· 12 • 27 • 67 Unsere Berechnungen gelten in erster Linie der großflächigen mittelfristigen Anhäufung von radioaktivem Staub infolge von Ausregnen und trockenem Ausfall von fein verteiltem Atomstaub. 68 Zur Schätzung möglicher Strahlenbelastungen gehen wir für alle Waffen von einem Spaltausbeutefaktor von 0,5 aus. Betrachtet man nur die Gammastrahlung des radioaktiven Staubs, der im Basisszenario (5000 MT) nach zwei Tagen auszufallen beginnt, dann könnte die Dosis, die Menschen im Hemisphären262

durchschnitt in einem Zeitraum von mehreren Monaten erhalten,= 20rad betragen. Dabei wurde angenommen, daß es keinen Schutz gibt und daß der Staub nicht verwittert. In dieser Zeit bliebe der Niederschlag weitgehend auf die nördlichen mittleren Breiten beschränkt. Deshalb könnte die Dosis dort = zwei- bis dreimal stärker sein. 69 • 70 Berücksichtigt man die Aufnahme biologisch aktiver Radionuklide 27 • 71 mit der Nahrung und die Wirkung einer gelegentlichen Berührung mit radioaktivem Niederschlag, könnte im Basisfall die durchschnittliche chronische Gesamtdosis an radioaktiver Strahlung in mittleren Breiten ~ 50 rad (die von außen auf den Körper einwirkende Gamma-Strahlung) betragen, zuzüglich ~ 50 rad für einzelne Körperorgane durch vom Körper aufgenommene Beta- und Gamma-Strahler. 71 • 72 ) Bei sonst gleichen Voraussetzungen würden sich diese mittleren Dosen bei einem 10 000-MT-Krieg verdoppeln. Solche Dosen sind etwa eine Größenordnung höher als bei früheren Schätzungen angenommen, die das mittelfristige Auswaschen und Ausfallen von troposphärischem nuklearem Staub aus Explosionen geringerer Sprengkraft (< 1 MT) vernachlässigt haben. Das Problem des NOx aus den Feuerbällen von Explosionen mit großer Sprengkraft und der daraus resultierende Abbau des stratosphärischen Ozons ist in zahlreichen Studien behandelt worden. 2-4, 7• 73 In unserem Basisfall ergibt sich im Hemisphärendurchschnitt für den Ozonabbau ein Höchstwert von = 30 Prozent. Er wäre erheblich kleiner, wenn die Sprengkraft eines jeden Sprengkopfes unter 1 MT liegen würde. Berücksichtigt man die Beziehung zwischen der Zunahme der Intensität der Sonnenstrahlung im UV-B-Gebiet und dem Ozonabbau, 74 so ist für das erste Jahr nach dem Basisfall (sobald sich Staub und Ruß abgesetzt haben) etwa die doppelte Menge der normalen UV-B-Dosis zu erwarten. Erhebliche UV-B-Effekte könnten sich nach dem Einsatz von Sprengköpfen mit größerer Sprengkraft (oder nach massierten Mehrfachexplosionen) einstellen. Die durch die Explosionen ausgelösten Brände könnten eine 263

Vielzahl von Giftgasen (Pyrotoxinen), unter anderem CO und HCN, in großen Mengen produzieren. Nach Crutzen und Birks 7 könnte eine dichte Schmutzwolke mit erhöhten Ozonkonzentrationen die NH mehrere Monate lang einhüllen. Sorge bereiten uns auch Dioxine und Furane, die außerordentlich beständig sind, sowie giftige Verbindungen, die beim Verbrennen häufig gebrauchter organischer Chemikalien freiwerden. 75 Bei einem atomaren Schlagabtausch können viele Hundert Tonnen von Dioxinen und Furanen erzeugt werden. 76 Die langfristigen ökologischen Folgen von solchen bei einem Atomkrieg erzeugten Pyrotoxinen scheinen näherer Betrachtung wert. Wetterstörungen

Horizontale Schwankungen des Grades der Sonnenlichtabsorption in der Atmosphäre und an der Erdoberfläche sind die elementaren Antriebskräfte der atmosphärischen Zirkulation. In vielen der hier betrachteten Fälle sind greifbare Veränderungen der Antriebskräfte zu erwarten. Beispielsweise können Temperaturunterschiede von mehr als 10° K zwischen den Landgebieten der NH und den angrenzenden Meeren eine starke Monsunzirkulation hervorrufen, die in gewisser Weise der Wintersituation in der Nähe des indischen Subkontinentes ähnelt. Entsprechend wird der Temperaturunterschied zwischen staubbelasteten Atmosphärenregionen und angrenzenden Regionen, die noch nicht mit Rauch und Staub erfüllt sind, neue Zirkulationsbilder hervorrufen. So können dicke Wolken von Atomstaub und -rauch erhebliche Wetterstörungen und verwandte Wirkungen durch eine Vielzahl von Mechanismen hervorrufen: Rückstrahlung des Sonnenlichts in den Weltraum und Absorption von Sonnenlicht in der oberen Atmosphäre, wodurch es zu einer allgemeinen Abkühlung der Erdoberfläche kommt; Veränderung der Absorptions- und Aufheizungscharakteristika, die die Antriebskräfte der atmosphärischen Zirkulation kleinen 77 264

und großen Maßstabs 78 sind; Zufuhr extremer Mengen von Wasserdampf und Kondensationskernen, die Wolkenbildung und Niederschläge beeinflussen; 79 Veränderung der Oberflächenalbedo durch Feuer und Ruß. 80 Alle diese Effekte müssen berücksichtigt werden, um die Gesamtreaktion der Atmosphäre auf einen Atomkrieg zu bestimmen. 81 Noch läßt sich nicht im Einzelnen vorhersagen, wie groß die Veränderungen bei den miteinander gekoppelten atmosphärischen Zirkulations- und Strahlungsfeldern, beim Wetter und beim Mikroklima sind, die die hier behandelte massive Staub- und Rauchinjektion in die Atmosphäre begleiten würden. Deshalb muß die Spekulation auf sehr allgemeine Betrachtungen beschränkt bleiben. Die Verdunstung von Meerwasser ist eine ständige Feuchtigkeitsquelle für die maritime Grenzschicht. Eine schwere mehr oder weniger permanente Nebel- oder Dunstschicht könnte große Wasserflächen bedecken. Welche Folgen das für die Niederschlagsbildung über dem Meer hätte, ist nicht ganz klar, vor allem. wenn die normalen Windverhältnisse durch die gestörte Antriebswirkung der Sonne entscheidend verändert sind. Einige Kontinentalgebiete können mehrere Monate lang ständigen Schneefällen ausgesetzt sein. 10 Niederschläge können Ruß auswaschen, obwohl sich dieser Prozeß bei Atomwolken als ziemlich unwirksam erweisen kann. 77• 79 Wahrscheinlich wären die Niederschlagsraten im Durchschnitt niedriger als normalerweise; denn als wesentliche Energiequelle für die Bildung von Stürmen bleibt nur die latente Wärme aus der Verdunstung von Meerwasser, die obere Atmosphäre ist wärmer als die untere, wodurch Konvektion und Regen unterdrückt werden. Trotz möglicher schwerer Schneefälle ist es unwahrscheinlich, daß durch einen Atomkrieg eine Eiszeit ausgelöst würde. Der Abkühlungszeitraum (:5 lJahr) ist wahrscheinlich zu kurz, um die erhebliche Trägheit des Klimasystems der Erde zu überwinden. Das Wärmereservoir der Weltmeere würde das Klima in den Jahren nach einem Krieg wahrschein-

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lieh wieder in normale Bahnen lenken. Die COrZufuhr durch bei einem Atomkrieg ausgelöste Brände dürfte klimatisch keine Rolle spielen. 7

Transport zwischen den Hemisphären

Bei früheren Untersuchungen ging man davon aus, daß der Transport von in einem Atomkrieg erzeugten Staubteilchen und Radioaktivität zwischen den Hemisphären erst nach einem Jahr oder mehr bedeutsam wird. 2 Dabei ging man von dem Transport unter Normalbedingungen aus, unter anderem von der Ausbreitung von Staubwolken nach einzelnen Kernwaffentests in der Atmosphäre. Doch angesichts der dichten Rauch- und Staubwolken, die durch Tausende von nahezu gleichzeitigen Explosionen entstehen würden, wären nach einem Atomkrieg große dynamische Veränderungen zu erwarten. Eine ungefähre Analogie läßt sich zur Entwicklung der globalen Staubstürme auf dem Mars herstellen. Der untere Teil der Marsatmosphäre ähnelt in seiner Dichte der irdischen Stratosphäre, und die Umdrehungszeit des Mars ist fast identisch mit der der Erde (obwohl die Sonnenbestrahlung nur die Hälfte des irdischen Wertes erreicht). Staubstürme, die auf einer Hemisphäre entstehen, nehmen häufig rasch an Heftigkeit zu und breiten sich über den ganzen Planeten aus, wobei sie den Äquator im Durchschnitt in::::: 10Tagen überqueren.15· 82 • 83 Die Erklärung liegt offensichtlich in der Erwärmung höherer Staubschichten, die die hauptsächliche Wärmequelle darstellt und die Zirkulation bestimmt. Haberle u. a. 82 verwendeten ein zweidimensionales Modell, um die Entwicklung der Staubstürme auf dem Mars zu simulieren, und stellten fest, daß der Staub in niedrigen Breiten, im Kern der Hadley-Zirkulation, entscheidend für die Veränderung der Winde ist. In einem Atomkrieg würde die stärkste Staub- und Rauchinjektion in mittleren Breiten stattfinden. Doch Haberle u. a. 82 konnten keine Wellen von planetari-

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sehen Ausmaßen in ihren Berechnungen berücksichtigen. Störungen der Amplituden von planetarischen Wellen können den Transport von Staubteilchen eines Atomkriegs zwischen mittleren und niedrigen Breiten entscheidend beeinflussen. Erhebliche atmosphärische Effekte in der SH können verursacht werden (I) durch Staub- und Rauchinjektion aus Explosionen in SH-Zielgebieten, (II) über Transport von NHStaubteilchen durch monsunartige Winde über den meteorologischen Äquator, 34 und (III) durch interhemisphärischen Transport in der oberen Troposphäre und Stratosphäre infolge von Erwärmung der Atomstaub- und Rauchwolken durch Sonnenwärme. Photometrische Beobachtungen der vulkanischen Eruptionswolke des EI Chich6n (Ursprung 14 ° N), vorgenommen vom Satelliten »Solar Mesosphere Explorer«, zeigten, daß 10 bis 20 Prozent der stratosphärischen Aerosolteilchen nach :::e 7 Wochen in die SH transportiert worden waren. 85

Diskussion der Ergebnisse und Zusammenfassung Die hier beschriebenen Untersuchungen lassen darauf schließen, daß ein atomarer Schlagabtausch von 5000 MT langfristige Klimaeffekte hervorrufen würde. Trotz Ungewißheiten hinsichtlich der Mengen und Eigenschaften des Staubes und Rauches, die durch die Kernwaffenexplosionen erzeugt würden, und trotz der Grenzen der zur Verfügung stehenden Modelle lassen sich die folgenden vorläufigen Schlußfolgerungen ziehen. (1) Anders als die meisten früheren Studien (zum Beispiel Lit. 2), sind wir zu dem Ergebnis gekommen, daß ein globaler Atomkrieg wesentliche Auswirkungen auf das Klima haben würde - durch eine erhebliche wochenlange Verdunkelung der Erdoberfläche, mehrere Monate anhaltende Landtemperaturen unter dem Gefrierpunkt, weitreichende Störungen in 267

den globalen Zirkulationsabläufen und dramatische Veränderungen der örtlichen Wetter- und Niederschlagsverhältnisse. Das alles würde unabhängig von der Jahreszeit einen strengen »Atomwinter« hereinbrechen lassen. Es könnte auch zu einem erheblich beschleunigten interhemisphärischen Transport von Atomstaubteilchen in der Stratosphäre kommen, obwohl die zur Quantifizierung dieses Effektes erforderlichen Modellrechnungen noch ausstehen. Durch die rasche interhemisphärische Mischung könnte die SH bald nach einem Krieg auf der nördlichen Hemisphäre eine erhebliche Zufuhr von Atomstaubteilchen erleben. Früher hat man angenommen, die Auswirkungen auf die SH wären geringfügig. Obwohl erwartet werden kann, daß die Klimastörungen länger als ein Jahr andauern, erscheint nicht wahrscheinlich, daß eine größere längerfristige Klimaveränderung wie zum Beispiel eine Eiszeit ausgelöst würde. (2) Schon aus verhältnismäßig kleinen Kernwaffenkonflikten (100 bis 1000 MT) könnten sich relativ schwerwiegende Klimaeffekte ergeben, wenn man in erster Linie Stadtgebiete zum Ziel wählen würde, weil bereits 100 MT ausreichen, um einige Hundert der größten Städte zu verwüsten und zu verbrennen. Ein derart niedriger Schwellenwert für die zum Einsatz kommende Sprengkraft läßt- auch wenn er an bestimmte Szenarien gebunden ist - darauf schließen, daß schon begrenzte Atomkriege schwerwiegende Nachwirkungen auslösen könnten. (3) Die klimatische Auswirkung von Rauch und Ruß aus Bränden, die durch Kernwaffenexplosionen in geringer Höhe hervorgerufen worden sind, ist wahrscheinlich schwerwiegender als der durch Explosionen am Erdboden aufgewirbelte Staub (in Fällen, in denen es zu beiden Effekten kommt). Rauch besitzt eine große Absorptionsfähigkeit für Sonnenlicht, während Mineralstaub vom Erdboden in der Regel nicht absorbiert. Rauchteilchen sind extrem klein (in der Regel< 1 µmim Radius), wodurch sich ihre atmosphärische Verweildauer verlängert. Mit großer Wahrscheinlichkeit

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werden die Kernwaffenexplosionen über Städten, Wäldern und Wiesen großflächige Brände entzünden, auch wenn die Angriffe auf Raketensilos und andere militärisch-strategische Ziele beschränkt werden. (4) Dafür, daß Brände in Stadtgebieten klimatisch bedeutsamer sein dürften als gleichzeitige Waldbrände, sprechen mindestens zwei Gründe: (1) In einem unbegrenzten Schlagabtausch würden Großstädte, die einen erheblichen Vorrat an brennbaren Stoffen aufweisen, wahrscheinlich direkt angegriffen werden, und (II) könnten heftige Feuerstürme den Rauch in die Stratosphäre emportragen, wo die Verweildauer ein Jahr oder mehr beträgt. (5) Auch der Atomstaub kann zu den klimatischen Auswirkungen eines Atomkriegs beitragen. Der Staub- Klimaeffekt hängt in starkem Maße davon ab, wie der Krieg geführt wird. Ein geringerer Effekt ist zu erwarten, wenn Waffen mit kleiner Sprengkraft eingesetzt werden und wenn mehr Explosionen in der Luft als am Erdboden stattfinden. Mehrfachexplosionsphänomene könnten die klimatischen Effekte des Atomstaubes verstärken, doch liegen nicht genügend Daten vor, um diese Fragen zu klären. (6) Die Strahlen-Belastung durch radioaktiven Niederschlag kann stärker und weiterreichender sein, als durch empirische Belastungsmodelle vorausberechnet, weil bisher der mittelfristige Niederschlag vernachlässigt wurde, der in einem Zeitraum von vielen Tagen und Wochen niedergehen kann, vor allem wenn nie dagewesene Mengen von Spaltprodukten durch Explosionen von Waffen unterhalb der Megatonnengrenze plötzlich in die Troposphäre gelangen. In den mittleren Breiten der nördlichen Hemisphäre würde nach einem 5000-MT-Krieg die vom ganzen Körper aufgenommene Gammastrahlendosis möglicherweise bis zu 50 rad betragen. Größere Dosen würden in den Falloutgebieten von radioaktivem Staub auftreten, die sich über Hunderte von Kilometern leewärts von den Zielgebieten ausbreiten könnten. In diesen Schätzungen ist die wahrscheinlich nicht unerhebliche Strah-

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lendosis noch nicht berücksichtigt, die von in den Körper aufgenommenen biologisch aktiven Radionukliden herrührt. (7) Synergistische Effekte zwischen den langfristigen Umweltbelastungen infolge eines Atomkriegs - zum Beispiel zwischen reduzierten Helligkeiten, Temperaturen unter dem Gefrierpunkt, Belastung durch mittelfristigen radioaktiven Niederschlag, schwere Luftverschmutzung durch Brandgase und Intensivierung der Sonnenstrahlung im UV-B-Bereichverstärkt durch den Zusammenbruch der medizinischen Versorgung, der Versorgung mit Nahrungsmitteln und des öffentlichen Dienstleistungssystems, könnten eine große Zahl weiterer Todesopfer fordern und das weltweite Ökosystem einer schweren Belastungsprobe aussetzen. Welche langfristigen biologischen Folgen sich aus den hier quantifizierten Effekten eines Atomkriegs ergeben könnten, wird von Ehrlich u.a. untersucht. 86 Unsere Abschätzungen über die physikalischen und chemischen Auswirkungen eines Atomkriegs enthalten notwendigerweise einige Unsicherheitsfaktoren, weil wir eindimensionale Modelle verwendet haben, weil die Datenbasis unvollständig ist und weil sich das Problem nicht experimentell untersuchen läßt. Auch sehen wir uns außerstande, Einzelheiten der Veränderungen in der atmosphärischen Dynamik und Meteorologie, die durch unsere Atomkriegsszenarien nahegelegt werden, vorherzusagen oder anzugeben, wie sich diese Veränderungen auf die Bewegung der ursprünglichen Staubund Rauchwolken auswirken werden. Nichtsdestoweniger handelt es sich hierbei um Auswirkungen von so schwerwiegender und weitreichender Bedeutung, daß wir hoffen, einen Anstoß zur gründlichen und kritischen Untersuchung dieser wissenschaftlichen Fragen gegeben zu haben.

Literatur und Anmerkungen 1 J. Hampson, Nature (London), 250 (1974), S.189. 2 National Academy of Science, Long-Term Worldwide Effects of Multiple Nuclear Weapon Detonations, Washington, 1975. 3 R. C. Whitten, W.J. Borucki, R. P. Turco, Nature (London), 257 (1975), s. 38. 4 M. C. MacCracken und J. S. Chang (Hg.), Lawrence Livermore Lab. Rep. UCRL-51653 (1975). 5 J. C. Mark, Annu. Rev. Nucl. Sei., 26 (1976), S. 51. 6 K. N. Lewis, Sei. Am., 241 Quli 1979), S. 35. 7 P.J. Crutzen und]. W. Birks, Ambio 11 (1982), S.114. 8 L. W. Alvarez, W. Alvarez, F. Asaro, H. V. Michel, Science 208 (1980), S. 1095; W. Alvarez, F. Asaro, H. V. Michel, L. W. Alvarez, ebend. 216 (1982), S.886; W.Alvarez, L.W. Alvarez, F. Asaro, H. V. Michel, Geol. Soc. Am. Spec. Pap. 190 (1982), S.305. 9 R. Ganapathy, Science, 216 (1982), S. 885. 10 O.B. Toon u.a., Geol. Soc. Am., Sondernummer190 (1982), S.187; J. B. Pollack, 0. B. Toon, T. P. Ackerman, C. P. McKay, R. P. Turco, Science, 219 (1983, S.287). 11 Im Auftrag der Defense Nuclear Agency hat auch das National Reserarch Council (NRC) der Nationalen Akademie der Wissenschaften eine umfassende Untersuchung der möglichen Folgen eines Atomkriegs vorgenommen. Die vorliegende Analyse wurde teilweise angeregt durch das frühere Interesse des NRC an einer vorläufigen Abschätzung der Klima-Effekte von Atomstaub. 12 Office of Technology Assessment, The Effects of Nuclear War, OTA-NS-89, Washington 1979. 13 J. E. Coggle und P.J. Lindop, Ambio, 11 (1982), S.106. 14 S. Bergstrom u. a., »Effects of nuclear war on health and health services«, WHO Pub!. A36.12, 1983. 15 R.P. Turco, O.B.Toon, T.P. Ackerman, J.B. Pollack, C. Sagan, in Vorbereitung. 16 R.P. Turco, P. Hamill, O.B. Toon, R.C. Whitten, C.S. Kiang, ]. Atmos. Sei., 36 (1979), S. 699; NASA Tech. Pap. 1362, 1979; R.P. Turco, O.B. Toon, P. Hamill, R.C. Whitten, Rev. Geophys. Space Phys., 20 (1982), S.233; R.P. Turco, O.B. Toon, 271

R.C. Whitten, P. Hamill, R.G. Keesee, J. Geophys. Res., 88 (1983), S.5299. 17 O.B. Toon, R.P. Turco, P. Hamill, C.S. Kiang, R.C. Whitten, ]. Atmos. Sei., 36(1979), S.718;NASA Tech. Pap. 1363, 1979. 18 0. B. Toon und T. P. Ackerman, Appl. Opt., 20 (1981), S.3657; T.P. Ackerman und O.B. Toon, ebend., S.3661; J.N. Cuzzi, T.P. Ackerman, L. C. Helme,]. Atmos. Sei., 39 (1982), S. 917. 19 Die Vorhersage von Zirkulationsanomalien und daraus resultierenden Veränderungen der lokalen Wetterverhältnisse setzt ein entsprechendes dreidimensionales allgemeines Zirkulationsmodell voraus, das zumindest die folgenden Eigenschaften aufweisen muß: eine Horizontalauflösung von 10° oder mehr, eine hohe Vertikalauflösung in der Troposphäre und Stratosphäre, Wolken- und Niederschlagsparametrisierungen, die große Abweichungen von unseren gegenwärtigen Verhältnissen erlauben, die Möglichkeiten zum Transport von Staub- und Rauchteilchen, ein alle Wechselwirkungen berücksichtigendes Strahlungstransport-Schema, um die Auswirkungen von Staub und Rauch auf Lichtflüsse und Erwärmungsraten berechnen zu können, Spielraum für Veränderungen der Teilchengröße mit der Zeit und für trockene und nasse Niederschläge, und möglicherweise eine rechnerische Behandlung der Koppelung von Oberflächenwinden einerseits und Meeresströmungen und -temperaturen andererseits. Selbst wenn heute ein solches Modell gäbe, wäre es nicht in der Lage, die Fragen der Unregelmäßigkeiten bei der Wolkenbedeckung mit einer horizontalen Auflösung von weniger als ein paar Hundert Kilometern, der örtlichen Störungen der Dynamik der planetaren Grenzschicht oder der mesoskaligen Ausbreitung und Rückbildung der Staub- und Rauchwolken, zu lösen. 20 Advisors, Ambio, 11 (1982), S. 94. 21 R.T. Pretty (Hg.),Jane's Weapon Systems, 1982-1983, London, Jane's, 1982. 22 The Military Balance, 1982-1983, London, International Institute for Strategie Studies, 1982. 23 World Armaments and Disarmament, Stockholm International Peace Research Institute Yearbook 1982, London, Taylor& Francis, 1982. 24 R. Forsbcrg, Sei. Am., 247 (November 1982), S. 52.

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25 Die ungeheuren Schwierigkeiten, einen begrenzten Atomkrieg unter Kontrolle zu halten, werden beispielsweise erörtert in: P. Bracken und M. Shubik, Technol. Soc., 4 (1982), S.155; und D. Ball, Adelphi Paper 169, International Institute for Strategie Studies, London 1981. 26 G. Kemp, Adelphi Paper 106, International Institute for Strategie Studies, London 1974. 27 S. Glasstone und P.J. Dolan (Hg.), The Effects of Nuclear Weapons, Verteidigungsministerium, Washington 1977. 28 Die genannten Gebiete sind Überdruck-Spitzen von 2:: 0,34 atm. ausgesetzt. 29 Eine Explosion in der Stärke von einer Megatonne an der Erdoberfläche wirbelt - 5 X 106 Tonnen Staubteilchen auf, wobei ein großer Krater entsteht 27 • In der Regel bestehen -== 5 bis 25 Gewichtsprozent des Bodens aus Körnern mit :5 1 µm, Radius [G.A. D'Almeida und L. Schütz,]. Climate Appl. Meteorol., 22 (1983), S.233; G. Rawson, persönliche Mitteilung]. Doch beträgt die Zerteilung des Bodens in die Kornausgangsgrößen wahrscheinlich :5 10 Prozent [R. G. Pinnick, G. Fernandez, B.D. Hinds, Appl. Opt., 22 (1983), S.95] und würde teilweise von der Bodenfeuchte und -dichte abhängen. 30 Eine 1-MT-Oberflächenexplosion verdampft -== 2 X 104 bis 4 X 104 Tonnen Boden 27 , die von dem Feuerball geschluckt werden. Einige Silikate und andere widerstandsfähige Stoffe bilden später feinste Glaskugeln [M. W. Nathans, R. Thews, I.J. Russe!, Adv. Chem. Ser., 93 (1970), S. 360]. 31 Eine 1-MT-Oberflächenexplosion wirbelt erhebliche Staubmengen in einem Gebiet von 2:: 100 km2 auf, und zwar durch »popcorning«, d. h. Zerplatzen vom Bodenmaterial infolge der Hitzestrahlung und durch Abrieb infolge der Druckwinde und Turbulenzen 27 • Ein Großteil des Staubs wird von Luftströmungen, die dem aufsteigenden Feuerball folgen, aufgesaugt und nach oben transportiert. Dabei dürfte eine Trennung nach Korngrößen in der Weise erfolgen, daß die feinsten Teilchen am weitesten nach oben gewirbelt werden. Wieviel Boden aufgewirbelt wird, hängt ab von der Bodenart, Feuchtigkeit, Festigkeit, Pflanzendecke und von dem Gelände. Auf diese Weise könnten wahrscheinlich > 1 X 10 5 Tonnen Staub pro Megatonne in die stabilisierten Wolken gelangen.

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32 R.G. Gutmacher, G.H. Higgins, H.A. Tewes, Lawrence Livermore Lab. Rep. UCRL-14397(1983);]. Carpenter, persönliche Mitteilung. 33 M. W. Nathans, R. Thews, I.J. Russell [in 30 J. Diese Daten legen Größenverteilungen nahe, die für geringe Teilchen-Größen (:S: 3 µm) eine Lognormalverteilung und für größere Teilchen eine Exponentialverteilung (r-•) zeigen. Bei Zugrundelegung der Daten aus einer Reihe von Kernwaffentests nahmen wir für die Lognormalverteilung einen mitteren Radius von 0,25 µm, ein o = 2,0 und ein d = 4 an 15 • Wenn alle Teilchen in den stabilisierten Wolken Radien im Bereich von 0,01 bis 1000 µm besitzen, fallen bei der angenommenen Größenverteilung-== 8 Prozent der Gesamtmasse bei Teilchen mit Radien von :S: 1 µman; dieser Teil der stabilisierten Wolkenmasse entspricht :S: 0,5 Prozent der von einer Explosion am Erdboden emporgeschleuderten Gesamtstaubmasse und beläuft sich auf -== 25 Tonnen pro Kilotonne Sprengkraft. 34 Aus vulkanischen Eruptionen stammender atmosphärischer Staub unterscheidet sich in einigen wichtigen Punkten von dem Staub, der von Kernwaffenexplosionen herrührt. Ein Vulkanausbruch ist eine lokale Staubquelle, während in einem Atomkrieg Tausende weit verstreuter Quellen entstehen würden. Die Konzentration der Staubmasse in den stabilisierten Wolken von Kernwaffenexplosionen ist gering (:S: 1 g/m 3), während die Staubsäulen von Vulkanausbrüchen so dicht sind, daß sie gewöhnlich unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen [G. P. L. Walker,]. Volcanol, Geotherm. Res., 11 (1981), S. 81 ]. Die dichte Zusammenballung der Teilchen in Vulkanwolken kann, vor allem unter dem Einfluß elektrischer Ladung, zu einem beschleunigten Ausfall durch Sedimentation führen [S. N. Carey und H. Sigurdsson,]. Geophys. Res. 87 (1982), S. 7061; S. Braszier u. a. Nature (London), 301 (1983), S.115]. Ferner ist die Größenverteilung der vulkanischen Ascheteilchen ganz anders als die im Atomstaub [W. I. Rose u. a., Am.]. Sei., 280 (1980), S.671], weil die Teilchen so verschiedenen Ursprungs sind. Der Anteil des nuklearen Staubs, der durch Kernwaffenexplosionen im Megatonnenbereich in die Stratosphäre geschleudert wird, beträgt fast hundert Prozent des insgesamt aufgewirbelten Staubes, während nur ein geringer Teil des Vulkanstaubs so hoch

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transportiert wird 15 • Aus diesen und anderen Gründen können die Klimaeffekte, die bei großen Vulkanausbrüchen in der Vergangenheit beobachtet wurden, nicht, wie in 2, dazu benutzt werden, die möglichen Auswirkungen des Atomstaubs auf das Klima durch bloßes Vergleichen entsprechender Energiemengen oder Bodenvolumina abzuschätzen. Doch in Fällen, in denen die Gesamtmenge des in der Stratosphäre verbliebenen submikrometrischen Vulkanmaterials bestimmt werden konnte, sind Klimamodelle angewendet und überprüft worden U.B. Pollack u.a.]. Geophys. Res., 81 (1976), S.1071). Ein solches Modell haben wir in dieser Studie eingesetzt, um die Auswirkungen bestimmter Atomstaub-Injektionen in die Atmosphäre vorauszuberechnen. E. Ishikawa und D. L. Swain (Übersetzer), Hiroshima and Nagasaki: The Physical, Medical and Social Effects of the Atomic Bombings, New York, Basic Books, 1981. In Hiroshima setzte eine Waffe von ungefähr 13 KT eine Fläche von mehr als c:e 13 km 2 in Brand. In Nagasaki, wo ein unregelmäßiges Gelände das Entstehen großflächiger Brände verhinderte, verursachte eine Waffe von ungefähr 22 KT Brände auf einer Fläche von über c:e 7km 2 • Diese beiden Fälle lassen darauf schließen, daß Kernwaffenexplosionen von geringer Sprengkraft (:51 MT) mühelos Brände auf einer Fläche von c:e 0,3 bis l,0km 2 /KT auslösen können - etwa die Fläche, die von den 2 c:e 10 cal / cm - bzw. c:e 0, 14 atm. Überdruck-Grenzlinien umrissen wird (in einer Darstellung der Hitze- und DruckwellenEinwirkung um das Zentrum oder Epizentrum einer Kernexplosion herum) 27 • A. Broido, Bull. At. Sei., 16 (1960), S. 409. C.F. Miller, »Preliminary evaluation of fire hazards form nuclear detonations«, SRI (Stanford Res. Inst.) Memo. Rep. Project IMU-4021-302, 1962. R. U. Ayers, Environmental Effects of Nuclear Weapons, HI518-RR, Bd.1, New York, Hudson Institute, 1965. S. B. Martin, » The role of fire in nuclear warfare«, United Research Services Rep. URS-764 (DNA 2692F), 1974. DCPA Attack Environment Manual, Washington, Verteidigungsministerium, 1973, Kapitel 3. FEMA Attack Environment Manual, CPG 2-1A3, Washing-

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ton, Federal Emergency Management Agency, 1982, Kapitel3. 43 H. L. Brode, »Large-scale urban fires«, Pacific Res. Corp. Note 348, 1980. 44 D.A. Larson und R.D. Small, »Analysis of the large urban fire environment«, Pacific Sierra Res. Corp. Rep. 1210 (1982). 45 Stadt- und Vorstadtgebiete von Großstädten mit über 100000 Einwohnern (weltweit ungefähr 2300) werden in 15 untersucht. Erörtert wird auch der Weltvorrat an entflammbaren Stoffen, der, wie sich zeigt, in etwa den bekannten Produktionsund Vorratsmengen an brennbaren Materialien entspricht. P.J. Crutzen und I. E. Galbally (in Vorbereitung) kommen zu ähnlichen Schlüssen hinsichtlich des Weltvorrats an Brennstoffen. 46 Eine Übersicht über die verfügbaren Rauchemissionsdaten für Waldbrände wurde publiziert von D. V. Sandberg, J. M. Pierovich, D.G. Fox und E.W. Ross, »Effects of fire on air«, U.S. Forest Serv. Tech. Rep. WO- 9, 1979. Die größten Emissionsfaktoren treten bei heftigen Flächenbränden auf, in denen Schwelbrände und offene Flammen gleichzeitig vorkommen und wo für Teile des Brandgebietes die Sauerstoffzufuhr begrenzt ist. Die Rauchemission industriell erzeugter Verbindungen dürfte im allgemeinen die von Waldbränden übertreffen [C.P. Bankston, B.T. Zinn, R.F. Browner, E.A. Powell, Combust. Flame, 41 (1981), S.273]. 47 Rußhaltiger Rauch ist eine komplexe Mischung aus Ölen, Teeren und Graphit (oder reinem Kohlenstoff). Der benzollösliche Anteil der Rauchpartikel von Wald- und Wiesenbränden liegt, wie Messungen ergeben haben, zwischen c:= 40 und 75 Gewichtsprozent [D. V. Sandberg u. a. in 46 ]. Der Rückstand ist größtenteils braun oder schwarz (die Farbe des Rauches reicht von Weiß, wenn große Mengen Wasserdampf vorhanden sind, über Gelb oder Braun, wenn Öle vorherrschen, bis zu Grau oder Schwarz, wenn reiner Kohlenstoff ein Hauptbestandteil ist). 48 M. Lewin, S.M. Atlas, E.M. Pierce (Hg.), Flame Retardant Polymerie Material, Beitrag von A. Tewarson, New York, Plenum, 1982, Bd.3, S.97-153. Beim Verbrennen kleiner Mengen verschiedener organischer Verbindungen im Labor bewegte sich die Emission »fester« Stoffe (d. h. des Materials, das auf den Sammelfiltern verblieb, nachdem man die Filter 24 Stunden auf

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100°C erhitzt hatte) zwischen c::c 1 bis 15 Prozent der Gewichtsmenge des verbrannten Kohlenstoffs; bei wenig flüchtigen Flüssigkeiten lag die Emission »fester Stoffe« bei c::c 2 bis 35 Prozent, bei sehr flüchtigen Flüssigkeiten zwischen c::c 1 und 40 Prozent. Die optische Extinktion (Lichtlöschung) des Rauches zahlreicher Stichproben reichte von c::c 0, 1 bis 1,5 m 2 pro Gramm verbrannten Materials. 49 In Wald-und Wiesenbränden liegt der wahrscheinlichste Wert für den Teilchenradius in der Regel ungefähr bei 0,05 µm [D. V. Sandberg u. a. in 46 ]. Beim Verbrennen von Kunststoffen kann dieser Wert erheblich höher liegen, doch ein vernünftiger Durchschnittswert ist 0, 1 µm [C. P. Bankston u. a. in 46 ]. Häufig werden größere Trümmerstücke und brennendes Material von den starken Feuerwinden nach oben gerissen, doch sie haben nur eine kurze Verweildauer in der Atmosphäre und werden deshalb nicht in den vorliegenden Schätzungen berücksichtigt (C. K. McMahon und P. W. Ryan, Referat auf der 69.Jahrestagung der Air Pollution Control Association in Portland vom 27.Juni bis 2.Juli 1976). Da bei großflächigen Bränden jedoch Windgeschwindigkeiten von über 100 Stundenkilometer auftreten können, ist denkbar, daß beträchtliche Mengen von nichtbrennbarem Staub vom Erdboden und von Materialien (wie zum Beispiel pulverisierter Gips), die bei der Explosion zertrümmert worden sind, zusätzlich zu den Rauchteilchen emporgewirbe!t werden. 50 Hier wird für einen imaginären Brechungsindex von reinem Kohlenstoff von 0,6 bis 1,0 ein durchschnittlicher Anteil von 30 bis 50 Gewichtsprozent von graphitischem Kohlenstoff angenommen. U. T. Twitty und J.A. Weinman,]. Appl. Meteorol., 10 (1971 ), S. 725; S. Chippett und W. A. Gray, Combust. Flame, 31 (1978), S. 149]. Der Realteil des Brechungsindexes von reinem Kohlenstoff beträgt 1,75, und für viele Öle liegt er zwischen 1,5 und 1,6. Für die Rauchteilchen wurde eine durchschnittliche Dichte von 1 g/ cm 3 angesetzt (C. K. McMahon, Referat auf der 76.Jahrestagung der Air Pollution Control Association, in Atlanta vom 19. bis 24.Juni 1983). Fester Graphit hat eine Dichte von c::c 2,5 g/ cm3, die meisten Öle :51 g/ cm 3 • 51 Auch in den Tropen nördlicher Breite und auf der SH liegen zahlreiche Ziele mit militärischer, wirtschaftlicher und politischer Bedeutung 2°.

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52 Die Dämpfung des direkten Sonnenlichts durch Staub- und Rauchteilchen folgt der Beziehung 1/ 10 = exp. (-,: / µ0), wobei T die optische Dichte für totale Extinktion infolge von Photonenstreuung und -absorption durch die Teilchen bedeutet und µ0 der Kosinus des Sonnenzenithwinkels ist. Die optische Dichte hängt ab von der Wellenlänge des Lichts, der Größenverteilung und der Zusammensetzung der Teilchen, und wird im allgemeinen nach der Mieschen Theorie berechnet (wobei man äquivalente sphärische Teilchen voraussetzt). Die gesamte Lichtintensität am Boden setzt sich zusammen aus einer direkten Komponente und einer diffusen oder gestreuten Komponente, die gewöhnlich anhand eines Strahlungstransport-Modells errechnet wird. Die optische Dichte für Extinktion läßt sich schreiben als ,: = XML, wobei X der spezifische Querschnitt ist (m 2 / g Teilchen), M die Massenkonzentration der Teilchen im luftgetragenen Zustand (g/m 3) und L die Weglänge (m). Sie ist die Summe der optischen Dichten für Streuung und für Absorption (i: = •x + Ta)- Feine Staub- und Rauchpartikel haben Streukoeffizienten von Xx -:= 3 bis 5 m 2 / g im sichtbaren Spektralbereich. Bei den Absorptionskoeffizienten Xa spielt der Imaginärteil des Brechungsindex eine große Rolle. Bei typischen Bodenteilchen ist Xa ::5 0, 1 m 3 / g. Bei Rauch kann sich Xa von ~0,1 bis 10m3 / g bewegen-weitgehend dem Volumenanteil des graphitischen Kohlenstoffs entsprechend, den die Teilchen aufweisen. Gelegentlich wird der spezifische Extinktionskoeffizient für Rauch bezogen auf die Masse des verbrannten Materials angegeben. Dann ist in X implizit ein multiplikativer Emissionsfaktor enthalten (pro Gramm verbrannten Materials erzeugte Gramm Rauch). 53 R.P. Turco, O.B. Toon, R.C. Whitten, P. Hamill, Eos, 63 (1982), s. 901. 54 G. T. Wolff und R. L. Klimisch (Hg.), Particulate Carbon: Atmospheric Life Cycle, New York, Plenum, 1982, Beitrag von J.A. Ogren, S.379-391. 55 Zur Abschätzung der Fläche der Wald- und Wiesenbrände gingen wir davon aus, daß 25 Prozent der gesamten nicht für Städte eingesetzten Sprengkraft (1000 MT) pro MT Brände auf einer Fläche von 500 km 2 auslösen, was etwa der Zone entspricht, die mit 10 ca!/ cm2 bestrahlt wird, und daß die Flammen dieses Gebiet nicht überschreiten 39 • R. E. Huschke (Rand. Corp. Rep. RM-

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5073-TAB, 1966) untersuchte die gleichzeitige Entflammbarkeit der brennbaren Stoffe in amerikanischen Wald- und Wiesengebieten und kam zu dem Schluß, daß in den Sommermonaten ungefähr 50 Prozent aller brennbaren Stoffe zumindest mäßig entflammbar sind. Da :::c 50 Prozent der Landgebiete jener Länder, die in einen Atomkrieg verwickelt werden dürften, mit Wald und Unterholz bedeckt sind, die ungefähr 50 Prozent der Zeit entflamm bar sind, ergibt sich die Zündwirkung der 1000 MT nach den Gesetzen der Statistik. Der größte Teil der gewöhnlichen Rauchinjektion in die Atmosphäre erfolgt in den untersten ein bis zwei Kilometern, wo dem Rauch eine kurze Verweilzeit beschieden ist und er durchschnittlich S 10 Prozent graphitischen Kohlenstoff enthält [R. P. Turco, O.B. Toon, R.C. Whitten, J.B. Pollack, P. Hamill, in: H.R. Pruppacher, R.G. Semonin, W.G.N. Slinn (Hg.), Precipitation Scavenging, Dry Deposition and Resuspension, New York, Elsevier, 1983, S. 1337]. Deshalb beträgt die durchschnittliche optische Dichte des gewöhnlichen atmosphärischen Rauches nur S 1 Prozent der optischen Dichte, die die Atomrauchwolke anfangs im Basisfall aufweisen würde. H.E. Landsberg und J.M. Albert, Weatherwise, 27 (1974), S.63. J. Stommel und E. Stommel, Sei. Am., 240 Quni 1979), S.176. O.B. Toon und J.B. Pollack, Nat. Hist., 86 Qanuar 1977), S.8. H. H. Lamb, Climate Present, Past and Future, London, Methuen, 1977, Bd. 1 und 2. Unbeschadet möglicher Veränderungen der Oberflächenalbedo infolge der Brände und des Rußniederschlags 15 • 80 • S.G.H. Philander, Nature (London), 302 (1983), S.295; B.C. Weare, Science, 221 (1983), S. 947. D.H. Milne und C.P. McKay, Geol. Soc. Am. Spec. Pap. 190, 1982, S. 297. O.B. Toon, Eos, 63 (1982), S. 901. Die Stratosphäre wird normalerweise als die Schicht definiert, in der die Temperatur mit zunehmender Höhe gleich bleibt oder zunimmt und die unmittelbar über der Troposphäre liegt. Die Verweilzeit feiner Teilchen in der Stratosphäre ist erheblich größer als in der oberen Troposphäre, weil die stratosphärischen

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Luftschichten stabiler sind und es keinen Niederschlag in der Stratosphäre gibt. Bei einer starken Rauchzufuhr würde das vertikale Temperaturprofil jedoch erheblich verzerrt werden (vgl. zum Beispiel Abb.3), und es könnte sich in der Nachbarschaft der Rauchwolke eine »Stratosphäre« bilden, die die Verweilzeit der Rauchteilchen in allen Höhenschichten verlängern würde 15 • Aus diesem Grunde könnten die Dämpfung des Sonnenlichts und die Temperaturstörungen in den Abbildungen 1 bis 6 erheblich unterschätzt worden sein. Der Transport des Rußes von der planetaren Grenzschicht in die darüberliegende freie Troposphäre kann bewirkt werden durch die tägliche Ausdehnung und Kontraktion der Grenzschicht, durch großräumige Advektion und durch starke lokale Konvektion. F. Barnaby undJ. Rotblat, Ambio, 11 (1982), S. 84. Die Bezeichnung »mittelfristiger« Fallout soll den radioaktiven Niederschlag, der sich in dem Zeitraum zwischen ein paar Tagen und - 1 Monat nach einem atomaren Schlagabtausch absetzt, von dem »sofortigen« Fallout(::=; 1 Tag) und dem »späten« Fallout (Monate oder Jahre) unterscheiden. Für den mittelfristigen Fallout ist eine zumindest hemisphärische Verbreitung zu erwarten und er kann noch eine beträchtliche chronische GanzkörperGammadosis abstrahlen. Auch zur inneren Strahlen-Dosis kann er nicht unwesentlich beitragen, etwa durch 131 1. In gewisser Weise gibt die mittelfristige Gammastrahlendosis das Mindestmaß für die durchschnittliche Strahlenbelastung weit entfernt von den Zielgebieten und den Gebieten sofortigen Fallouts an. Die geographische Verteilung des mittelfristigen Fallouts dürfte indessen großen Schwankungen unterworfen sein, so daß die Abschätzung der Durchschnittsdosis mittels eines eindimensionalen Modells stark idealisiert ist. Die vorliegenden Berechnungen wurden am bei Kernwaffentests beobachteten sofortigen Fallout ausgerichtet 15 . Es besteht auch Grund zu der Annahme, daß die Spaltausbeute von Kernwaffen mit abnehmender Sprengkraft pro Sprengkopf und verbesserten Uranverarbeitungstechniken zunimmt. Wenn die Spaltausbeute gleich eins wäre, müßten unsere Schätzwerte für Strahlendosis verdoppelt werden. Vernachlässigt haben wir auch weitere mögliche Quellen für radioaktiven Fallout durch

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»extra-schmutzige« Waffen oder durch Explosionen über Kernreaktoren und Wiederaufbereitungsanlagen. 70 J. Knox (Lawrence Livermore Lab. Rep. UCRL-89907, in Vorbereitung) berichtet von Falloutberechnungen, die explizit die horizontale Ausbreitung und den Transport von nuklearen Staubwolken berücksichtigen. Für einen strategischen Schlagabtausch mit 5300 MT kommt Knox auf durchschnittliche Ganzkörper-Gammastrahlendosen von 20 rad zwischen 40° und 60° N, wobei die Durchschnittsdosen in anderen Gebieten niedriger liegen. Für den mittelfristigen Fallout werden außerdem hochbelastete Zonen mit bis zu 200 rad auf Flächen von -10 4 km2 vorhergesagt. Diese Berechnungen decken sich mit unseren Schätzungen. 71 H. Lee und W. E. Strope (Stanford Res. Inst. Rep. ECU 2981, 1974) untersuchten, welcher Strahlenbelastung die USA durch den über das Meer kommenden Fallout ausgesetzt wären, den ein sowjetisch-chinesischer Atomkrieg verursachen würde. Wenn man davon ausgeht, daß Verwitterungsprozesse stattfinden und daß die Bevölkerung Schutz in Strahlungsbunkern findet und erst nach einer Fünftagefrist in Kontakt mit strahlendem Material kommt, ergeben sich mögliche Ganzkörper-Gammadosen von '510 rad und inneren Strahlendosen von ~ 10 bis 100 rad, wobei vor allem Schilddrüse und Darm betroffen wären. 72 Bei diesen Schätzungen wird angenommen, daß normale Niederschlagsmengen und -verteilungen den mittelfristigen radioaktiven Fallout bestimmen. Bei tiefgreifenden Störungen kann es jedoch geschehen, daß durch den Erwärmungsprozeß die Ausbreitung der radioaktiven Teilchen in der Luft zwar beschleunigt wird, der mittelfristige Niederschlag aber unterdrückt wird, weil der Regen über Landgebieten ausbleibt. 73 H.Johnston, G. Whitten,J. Birks,J. Geophys. Res., 78 (1973), S. 6107; H. S. Johnston, ebend., 82 (1977), S.3119. 74 S.A.W. Gerstl., A. Zardecki, H.L. Wiser, Nature (London), 294 (1981), S.352. 75 M.P. Esposito, T.O. Tierman, F.E. Dryden, U.S. EPA-600/ 280-197, 1980. 76 J. Josephson, Environ. Sei. Techno!., 17 (1983), S.124A. Durch Verbrennen von PCB können beispielsweise giftige organische

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Verbindungen in Mengen bis zu 0,1 Prozent des Gesamtgewichts freigesetzt werden. In den Vereinigten Staaten werden gegenwärtig mehr als 300 000 Tonnen PCB in elektrischen Systemen verwendet [S. Miller, Environ. Sei. Techno!., 17 (1983), S.11 A]. C.-S. Chen und H.D. Orville 1/. Appl. Meteorol., 16 (1977), S. 401] modellieren die Auswirkung feinen graphitischen Staubes auf Konvektionsvorgänge im Maßstab von Kumuluswolken. Die Autoren zeigen, daß sich in unbewegter Luft innerhalb von zehn Minuten nach Zufuhr einer Wolke in Kilometergröße von submikrometrischen schwarzen Kohlestoffteilchen (bei Mischungsverhältnissen von :5 50 Gewichtsteilen auf eine Milliarde Teile) starke Konvektionsbewegungen einstellen können. Wenn die Forscher in ihrem Modell einen Überschuß an Feuchtigkeit eingeben, um Regen auszulösen, wird die Konvektion noch stärker. Der Kohlenstoffstaub wird noch höher transportiert und breitet sich horizontal noch weiter aus, während nur :5 20 Prozent vom Regen ausgewaschen werden: W. M. Gray, W. M. Frank, M.L. Corrin und C.A. Stokes U- Appl. Meteorol., 15 (1976), S. 355] erörtern mögliche mesoskalige (;?: 100 km) Wetterveränderungen infolge umfangreicher Kohlenstoffstaub-Injektionen. C. Covey, S. Schneider und S. Thompson (in Vorbereitung) berichten von GCM-Simulationen (GCM = globales Klima-Modell), in denen ähnliche Rußbelastungen wie in unserem Basisfall vorkommen. Eine Woche nach der Ruß-Injektion stellen sie tiefgreifende Störungen der globalen Zirkulation fest, die mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, daß ein Teil der Atomstaubteilchen von den mittleren nördlichen Breiten nach oben und in Richtung Äquator transportiert würden. R.C. Eagan, R.V. Hobbs, L.F. Radke,J. Appl. Meteorol., 13 (1974), S.553. C. Sagan, O.B. Toon und J.B. Pollack [Science, 206 (1979), S.1363] beschäftigten sich mit der Wirkung anthropogener Albedoveränderungen auf das Weltklima. Ein Atomkrieg könnte durch das Abrennen großer Wald- und Wiesenflächen die Albedo verändern, aber auch durch die Erzeugung großer Rußmengen, die sich auf Pflanzen, Schneefeldern und Meeresoberflächen absetzen könnten, und durch die Modifikation der

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Struktur und Ausdehnung von Wasserdampfwolken. Die Brände vernichten im Basisfall eine Fläche von -:::: 7,5 X 10 5 km 2, was nicht mehr als -:::: 0,5 Prozent der gesamten Landfläche unseres Planeten entspricht. Es ist zu bezweifeln, daß Albedoveränderungen in einem so begrenzten Gebiet größere Bedeutung haben. Würde man allen im Basisfall anfallenden Ruß gleichmäßig über die Erde ausbreiten, würde er eine Schicht von - 0,5 µm Dicke bilden. Selbst wenn sich der Ruß auf der gesamten Oberfläche gleichmäßig absetzen würde, würde ihn der erste Regenfall in den Boden und die natürlichen Wasserläufe spülen. Die Frage, wie sich der Ruß auf Schnee und Eis auswirkt, wird gegenwärtig erörtert O. Birks, persönliche Mitteilung). Im allgemeinen beschleunigen Ruß und Sand die Schmelze von Schnee und Eis. Ruß, der sich im Meer absetzt, wird von nichtselektivem, nahrungsfilterndem Plankton abgebaut, sofern dieses die anfängliche Dunkelheit und ionisierende Strahlung überlebt. 81 In den vorliegenden Berechnungen verursachen die chemischen Veränderungen der stratosphärischen Or und NOrKonzentrationen nur eine geringe Störung der Durchschnittstemperaturen, vergleicht man sie mit denen, die der Atomstaub und -rauch hervorrufen. Chemisch bewirkte Klimastörungen dürften bei einem Atomkrieg keine größere Rolle spielen. Die verdreifachte troposphärische Ozonkonzentration 7 würde zu einer geringfügigen Erwärmung der Oberfläche durch den Treibhauseffekt führen [W. C. Wang, Y. L. Yung, A. A. Lacis, T. Mo, J. E. Hansen, Science, 194 (1976), S.685]. Dadurch könnte sich die Normalisierung der Oberflächentemperatur beschleunigen. Die Zunahme des troposphärischen 0 3 ist jedoch nur vorübergehend (- 3 Monate) und wahrscheinlich auch nur von zweitrangiger Bedeutung, verglichen mit den gleichzeitig auftretenden Störungen durch Rauch und Staub. 82 R.M. Haberle, C.B. Leovy, J.B. Pollack, lcarus, 50 (1983), S.322. 83 1971 / 72 wurde während der Staubstürme auf dem Mars von Mariner 9 beobachtet, daß schwebende Teilchen die Atmosphäre erwärmten und einen senkrechten Temperaturgradienten hervorbrachten, welcher stark subadiabatisch war [R.B. Hanel u.a., lcarus, 17 (1972), S.423;].B. Pollack u.a.,J. Geophys. 84 (1979), S. 2929].

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84 W. W. Alexandrow, persönliche Mitteilung; S.H. Schneider, persönliche Mitteilung. 85 G.E. Thomas, B.M. Jakosky, R.A. West, R. W. Sanders, Geophys. Res. Lett., 10 (1983), S. 997;J.B. Pollack u.a., S. 989; B.M. Hakosky, persönliche Mitteilung. 86 P. Ehrlich u.a., Science, 222 (1983), S.1293. 87 H.M. Foley und M.A. Ruderman,j. Geophys. Res., 78 (1973), S.4441. 88 Dankbar gedenken wir an dieser Stelle unseren anregenden Diskussionen mit J. Berry, H.A. Bethe, C. Billings, J. Birks, H. Brode, R. Cicerone, L. Colin, P. Crutzen, R. Decker, P.J. Dolan, P. Dyal, F.J. Dyson, P. Ehrlich, B.T. Feld, R.L. Garwin, F. Gilmore, L. Grinspoon, M. Grover, J. Knox, A. Kuh!, C. Leovy, M. MacCracken, J. Mahlman, J. Marcum, P. Morrison, E. Patterson, R. Perret, G. Rawson, J. Rotblat, E. E. Salpeter, S. Soter, R. Speed, E. Teller und R. Whitten zu den verschiedensten Aspekten dieser Arbeit. S. H. Schneider, C. Covey und S. Thompson von National Center for Atmospheric Research überließen uns in großzügigster Weise erste GCM-Berechnungen weltweiter Wettereffekte, die sich aus unseren Rauchemissionswerten ergaben. Wir danken auch den fast hundert Teilnehmern des fünftägigen Symposions, die vom 22. bis 26. April in Cambridge, Mass., unsere Ergebnisse einer kritischen Prüfung unterzogen. Dieses Symposion wurde mit einem Zuschuß der W. Alton Jones Foundation von der Konferenz über die langfristigen weltweiten biologischen Folgen eines Atomkriegs durchgeführt. Unser besonderer Dank giltJanet M. Tollas, die die Daten über die Stadtgebiete der Erde zusammentrug, May Liu für die Hilfe bei den Computerprogrammen und Mary Maki für die Sorgfalt, mit der sie das Manuskript fertiggestellt hat.

Langfristige biologische Folgen eines Atomkrieges·~

Paul R. Ehrlich· John Harte· Mark A. Harwell · Peter H. Raven · Carl Sagan · George M. Woodwell · Joseph Berry · Edward S. Ayensu · Anne H. Ehrlich· Thomas Eisner · Stephen J. Gould · Herbert D. Grover · Rafael Herrera · Robert M. May · Ernst Mayr · Christopher P. McKay · Harold A. Mooney · Norman Myers · David Pimente!· John M. Teal In neueren Untersuchungen über die Auswirkungen eines Atomkriegs im großen Maßstab (5000 bis 10000 MT Sprengkraft) hat man geschätzt, daß die Druckwelle allein auf der Stelle 750 Millionen Todesopfer verursachen würde; 1 die kombinierte Wirkung von Druckwelle, Hitze und Strahlung wird auf 1,1 Milliarden Todesfälle beziffert;2 außerdem rechnet man mit weiteren 1,1 Milliarden Verletzten, die ärztlicher Hilfe bedürfen. 1• 2 So könnten also 30 bis 50 Prozent der Weltbevölkerung einem Atomkrieg auf der Stelle zum Opfer fallen. Die überwältigende Mehrheit dieser Opfer wären auf der nördlichen Hemisphäre zu finden, vor allem in den Vereinigten Staaten, der UdSSR, Europa und Japan. In der Regel '' Dieser Artikel entstand nach einer Biologen-Tagung über die langfristigen weltweiten biologischen Folgen eines Atomkriegs (Cambridge, Mass., 25. und 26. April 1983). Im folgenden wird die übereinstimmende Meinung aller 40 Wissenschaftler wiedergegeben. Die in diesem Artikel wiedergegebenen Ergebnisse wurden auf der Konferenz über die Welt nach einem Atomkrieg am 31. Oktober und 1. November 1983 in Washington vorgelegt.

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wäre anhand dieser gewaltigen Zahlen das ganze Ausmaß einer solchen atomaren Katastrophe zu beschreiben. Die hier vorgelegten neuen Forschungserkenntnisse lassen jedoch darauf schließen, daß die längerfristigen biologischen Auswirkungen infolge zu erwartender Klimaveränderungen mindestens genauso schwerwiegend sein können wie die unmittelbaren Folgen. Wir wollen uns in diesem Artikel mit den zwei bis drei Milliarden Menschen beschäftigen, die nicht sofort getötet werden, darunter auch mit den Angehörigen jener Nationen, die weit von den nuklearen Schlachtfeldern entfernt leben. Dabei gilt unser Interesse in erster Linie den Folgen eines Atomkriegs, bei dem genügend Staub und Ruß in die Atmosphäre aufgewirbelt werden, um den größten Teil der einfallenden Sonnenstrahlung abzufangen, eine Möglichkeit, die erstmals von Ehrlich u. a. 3 in Vorschlag gebracht wurde, während Crutzen und Birks sie das erste Mal quantitativ nachgewiesen und einer breiteren Öffentlichkeit bewußt gemacht haben. 1 Nachdem wir ein breites Spektrum atomarer Szenarien in einer Größenordnung zwischen 100 MT und 10 000 MT untersucht haben, wissen wir jetzt, daß genügend Sonnenlicht absorbiert und gestreut werden könnte, um weitverbreitete Kälte und Dunkelheit zu verursachen 4• 5 (diese Untersuchungen werden allgemein unter der Bezeichnung TTAPS-Studie zusammengefaßt). In allen Fällen lassen unsere Berechnungen auf sehr schwerwiegende biologische Folgen schließen, wobei sich alle Szenarien eindeutig innerhalb der Grenzen der gegenwärtigen Möglichkeiten bewegen und auch strategisch durchaus nicht unwahrscheinlich erscheinen.1 ·2· 4-6 Darüber hinaus wird die Wahrscheinlichkeit von Atomkriegen mit Einsatz sehr hoher Sprengkraft möglicherweise unterschätzt. 7 Außerdem untersuchen wir die Folgen einer Ausbreitung der atmosphärischen Effekte von der nördlichen in die südliche Hemisphäre. 4 • 5 Zu Vergleichszwecken betrachten wir Fall 17 der in der TI APS-Studie untersuchten Atomszenarien. Es handelt sich

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um einen 10 000-MT-Krieg, in dem den Parametern, die die Eigenschaften der Staub- und Rußteilchen beschreiben, kritische, aber nicht unwahrscheinliche Werte zugewiesen und in dem 30 Prozent der Rußteilchen von Feuerstürmen in die Stratosphäre transportiert werden. Die resultierenden Umweltbelastungen werden mit ihren Schwankungsbreiten für die nördliche und die südliche Hemisphäre in den Tabellen 1 A und 1 B angegeben. Unabhängig von der Jahreszeit würden die berechneten Flüsse sichtbaren Lichts im nordhemisphärischen Durchschnitt auf annähernd 1 Prozent ihrer Normalwerte reduziert werden, während die Oberflächentemperaturen in den Landgebieten auf fast-40° C fallen könnten. Die Licht- und Temperaturverhältnisse würden mindestens ein Jahr brauchen, um sich wieder zu normalisieren. In den Zielgebieten würde man anfangs selbst am Mittag die Hand nicht vor Augen sehen. Nach unserer Schätzung wären die Landgebiete mittlerer nördlicher Breiten unmittelbar nach den Explosionen einer Strahlenbelastung von 2:: 500 R ausgesetzt. Diese von außen kommende und von Gammaquellen im radioaktiven Niederschlag herrührende Dosis würde etwa gleich dem Mittelwert für die akute lethale Dosis (LD 50 ) für gesunde Erwachsene sein oder diesen sogar übersteigen. 8 In den folgenden Tagen und Wochen würde der Niederschlag mehr als 50 Prozent der mittleren nördlichen Breiten mit einer zusätzlichen Dosis von 2:: 100 R belasten. Für weitere 2:: 100 R würden innere Strahlenquellen sorgen, konzentriert in bestimmten Körpersystemen wie der Schilddrüse, den Knochen, dem Magen-Darm-Trakt und der Milch stillender Mütter. 9 Nachdem sich Staub und Rauch gelegt hätten, würde an der Erdoberfläche der Fluß der Sonnenstrahlung im nahen Ultraviolett (UV-B, 320 bis 290 nm) einige Jahre lang das Mehrfache des Normalwerts betragen, weil das NOx aus den Feuerbällen die Ozonschicht abtragen würde. Zu den Auswirkungen auf der südlichen Hemisphäre würden minimale Lichtstärken von < 10 Prozent der Normalwerte, Tiefsttemperaturen an

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Tabelle 1 langfristige Belastungen der Biosphäre in (A) der nördlichen Hemisphäre und (B) der südlichen Hemisphäre nach einem »schweren« 10000-MT-Schlagabtausch in der nördlichen Hemisphäre. 4 • 5 Die Umweltbelastungen treten gleichzeitig auf. Ihr Grad und ihre geographische Ausdehnung dürften von vielen Faktoren abhängen, unter anderem von der Zahl, Verteilung und Sprengkraft der eingesetzten Waffen, von der Explosionshöhe und der Ausdehnung der in der Folge auftretenden Brände, von dem Transport des atmosphärischen Staubs und Rußes (vor allem aus der nördlichen in die südliche Hemisphäre) und von der Niederschlagsrate von Staub und Rauch, die über ihre Verweilzeit in der Atmosphäre entscheidet. Die Belastungen in (B) sind Schätzwerte für die Auswirkungen von insgesamt 100 MT, die auf der südlichen Hemisphäre explodieren, plus der Teilchen, die vor allem in der Stratosphäre aus der nördlichen Hemisphäre dorthin transportiert werden. Die Werte stammen aus dem »5000-MT-Basisfall« und der» 100-MT-Attacke auf Städte«. 4 · 5 Die Auswirkungen auf die südliche Hemisphäre könnten schwerer ausfallen, wenn es zu einer starken Rußbeladung der Stratosphäre käme. Physikalischer Parameter

Wert unter gestörten Verhältnissen•

Dauer

betroffenes Gebiet +

möglicher Bereich

x0,01 x0,05 x0,25 x0,50 -43°C -23°C - 3°c X4 x3 >SOOR >100R > 10 R 131 1, 4 + 105 MC 106 Ru, 1 x 104 MC 90 Sr, 400 MC 137 Cs, 650MC

1,5 Monate 3 Monate 5 Monate 8 Monate 4 Monate 9 Monate 1 Jahr 1 Jahr 3 Jahre 1 Stunde bis 1 Tag 1 Tag bis 1 Monat >1 Monat 8Tage-=/= 1 Jahr 30 Jahre 30Jahre

NMB NMB NH NH NMLLand NH Land NH Land NH NH 30 Prozent MBB Land 50 Prozent NMB 50 Prozent NH NMB NH NH NH

x0,003 bis 0,03 x0,01 bis0,15 x0,1 bis0,7 x0,3 bis 1,0 -53° bis -23°C -33° bis - 3°C -13° bis+ 7°C x2 bis 8 x1 bis 5

A. nördliche Hemisphäre

Intensität des Sonnenlichtes

Temperatur an der LandOberfläche :j: UV-B-Strahlung § Strahlendosen durch radioaktiven Falloutll Fallout-Belastungen§, II

Faktor von 3

Physikalischer Parameter

Wert unter gestörten Verhältnissen•

Dauer

betroffenes Gebiet +

möglicher Bereich

x0,1 x0,5 x0,8 -18°C - 3°c + 1°c x1,5 X1,2 500 R 10 bis 100 R 90 Sr, 300 MC 137 Cs, 330 MC

1 Monat 2 Monate 4 Monate 1 Monat 2 Monate 10 Monate 1 Jahr 3 Jahre 1 Stunde bis 1 Tag 1 Tag bis 1 Monat 30Jahre 30 Jahre

SH Tropen SH Tropen und SMB SH SMB Land SMB Land SMB Land SH SH in Explosionsnähe SH Land SH SH

0,03 bis0,3 0,1 bis0,9 0,3 bis 1,0 -33° bis - 3°C -23° bis + ?°C -13° bis +13°C x1,2 bis 2,0 x1 ,o bis 1,5

B. südliche Hemisphäre Intensität des Sonnenlichtes Temperatur an der LandOberfläche :j: UV-8-Strahlung § Strahlendosen durch radioaktiven Falloutll Fallout-Belastungen§, II

=

Faktor von 3

Es gelten folgende Definitionen: x, multiplikativer Faktor; R, rad rem; MC, Megacurie. Abkürzungen: NH, nördliche Hemisphäre; NMB, mittlere nördliche Breiten; SH, südliche Hemisphäre; SMB, mittlere südliche Breiten. Die durchschnittlichen Oberflächentemperaturen müssen zum normalen Umgebungswert von 13°C in Beziehung gesetzt werden. § Aus den Literaturangaben 4, 5, 22. 1 Diese Zahlen sind grobe Schätzungen der Ganzkörper-Gammastrahlendosen und gelten nur für ungeschützte Organismen, vor allem in der Nähe oder in Lee der 104 Explosionsorte. Die Belastung stammt aus dem »sofortigen« und »mittelfristigen« radioaktiven Fallout; die Aufnahme biologisch aktiver Radionuklide ist nicht berücksichtigt, könnte aber die Dosis in Körperorganen verdoppeln, in denen sich diese Radionuklide gerne akkumulieren (wie beispielsweise das 131 1in der Schilddrüse). Die Dosen liegen höher als in einigen der herkömmlichen Modelle, die sich auf Kernwaffentests mit hoher Sprengkraft in der Atmosphäre beziehen; diese Modelle gehen in viel zu hohem Maße davon aus, daß große Teile der Radioaktivität in die Stratosphäre transportiert werden und dort zerfallen, bevor sie wieder die Erdoberfläche erreichen; diese Voraussetzung trifft für einen Krieg mit Waffen höchst unterschiedlicher Sprengkraft nicht zu .4 · 540 Der Fallout gelangt vor allem durch Ausfall und Abregnen auf die Oberfläche. Nach Explosionen in der Luft setzen sich die Radionuklide langsam über einen Zeitraum von Jahren ab. Nach Explosionen am Erdboden fallen = 60 Prozent sofort aus, = 40 Prozent nach ein bis zwei Jahren. Bei Explosionen unter der Wasseroberfläche werden ~ 100 Prozent unter Wasser abgesetzt. Während der Kernwaffentests in der Atmosphäre in den fünfziger und sechziger Jahren produzierten ~ 200 MT Spaltausbeute einen durchschnittlichen 90Sr-Ausfall von ~ 50 Millicurie pro Quadratkilometer. Dies sind im wesentlichen die Lebenszeiten der Radionuklide. Andere Radionuklide tragen vor allem zur Strahlenbelastung durch den sofortigen Fallout bei.

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Tabelle2 Mögliche Auswirkungen der durch einen größeren Atomkrieg verursachten Klimaveränderungen auf Menschen und Ökosysteme zu verschiedenen Zeiten des Krieges In den ersten Monaten

Zum Ende des ersten Jahres

Im nächsten Jahrzehnt

Viele widerstandsfähige mehrjährige Pflanzen und die meisten Samen der Pflanzen aus gemäßigten Zonen würden überleben, aber die Pflanzenaktivität wäre auch weiterhin erheblich eingeschränkt. Mit dem Aufklaren der Atmosphäre würde die verstärkte Sonnenbestrahlung im UV-B-Gebiet die Pflanzen schädigen und die Sehsysteme vieler Tierarten beeinträchtigen. Die eingeschränkte Primärproduktion (von Biomasse) würde unter den Tieren zu einem heftigen Verteilungskampf um die verbliebenen Nahrungsquellen führen. Viele tropische Arten würden infolge der Temperaturbelastungen auch weiterhin absterben oder unter verminderter Produktivität leiden. Viele Wirbeltiere würden aussterben.

Die Grundvoraussetzungen für die Primär- und Sekundärproduktion (von Biomasse) der Pflanzen würden sich allmählich wieder einstellen. Doch die Okosysteme hätten umfangreiche, irreparable Schäden erlitten. Die Struktur der Okosysteme und die Prozesse in den Systemen würden auch weiterhin höchst empfindlich auf Störungen reagieren, so daß ein längerer Zeitraum vergehen würde, bevor funktionale Redundanzen die Homöostasis der Okosysteme wiederherstellen könnten. Starker Artenverlust, vor allem in Tropengebieten, würde die genetische und Artenvielfalt einschränken.

Natürliche Okosysteme: auf dem lande Extreme Kälte würde sich unabhängig von der Jahreszeit weit über die Erde ausbreiten und den Pflanzen schwere Schäden zufügen, vor allem in der nördlichen Hemisphäre und in den Tropen. Die Absorption des Sonnenlichts durch luftgetragene Teilchen würde die Photosynthese erheblich einschränken und dadurch die Pflanzenproduktivität im wesenlichen zum Erliegen bringen. Die extreme Kälte, der Mangel an Frischwasser und die fast vollständige Dunkelheit würde die meisten Tiere einer schweren Belastungsprobe aussetzen und für eine hohe Sterblichkeit sorgen. Stürme von nie dagewesener Heftigkeit würden die Okosysteme vor allem in Küstengebieten verwüsten.

In den ersten Monaten

Zum Ende des ersten Jahres

Im nächsten Jahrzehnt

Der frühzeitige Phytoplanktonverlust würde sich weiter durch empfindliche Populationsrückgänge bei vielen pflanzen- und fleischfressenden Arten in den maritimen Okosystemen bemerkbar machen. Die Systeme des Meeresbodens würden weniger Schaden erleiden. Die Okosysteme der Binnengewässer würden allmählich auftauen, doch viele Arten wären vernichtet. Organismen in gemäßigten Meeres- und Süßwassersystemen, die an jahreszeitliche Temperaturschwankungen gewöhnt sind, könnten sich rascher und weitgehender erholen als in Tropengebieten.

Die Regeneration würde rascher vonstatten gehen als in den Okosystemen auf dem lande. Der Artenverlust wäre in den Tropengebieten größer. In den maritimen Okoystemen in Küstennähe würden sich wieder nutzbare Nahrungsquellen auftun, obwohl die Verseuchung noch anhalten könnte.

Natürliche Okosysteme: im Wasser Die Extremtemperaturen würden auf den meisten Binnengewässern vor allem der nördlichen Hemisphäre und der Kontinentalgebiete in den Mittelbreiten dicke Eisdecken entstehen lassen. Die maritimen Okosysteme wären größtenteils vor den extremen Temperaturen geschützt, so daß die Auswirkungen auf Küstengewässer und flache Meeresgebiete in den Tropen beschränkt blieben. Die Lichtdämpfung würde die Produktivität des Phytoplanktons praktisch zum Erliegen bringen, womit vielen Tieren im Meer und im Süßwasser die Lebensgrundlage entzogen wäre. Stürme in Küstengebieten würden die Okosysteme in flachen Gewässern in Mitleidenschaft ziehen und zur Sedimentablagerung beitragen. Potentielle Nahrungsquellen wären für Menschen unzugänglich und durch Radionuklide und Giftstoffe verseucht.

In den ersten Monaten

Zum Ende des ersten Jahres

Im nächsten Jahrzehnt

Die Anbaumöglichkeiten blieben eingeschränkt, weil immer noch niedrige, wenn auch nicht mehr so extrem niedrige Temperaturen zu verzeichnen wären. Das Sonnenlicht würde ungehindert auf die Erdoberfläche gelangen, hätte aber im UV-8-Gebiet eine höhere Intensität. Verringerte Niederschlagsmengen und Verluste von Ackerboden durch Stürme würden die potentielle Produktivität verringern, Landwirtschaft in organisierter Form würde es wahrscheinlich nicht geben, und moderne Hilfsmittel wie Energie, Dünger, Pestizide und ähnliches stünden nicht zur Verfügung. Die Nahrungsvorräte wären weitgehend erschöpft. Potentielle Zugtiere wären entweder den schwierigen Verhältnissen zum Opfer gefallen oder von Menschen geschlachtet worden.

Das biotische Potential für die Ernteproduktion hätte sich weitgehend regeneriert. Die Erholung der Landwirtschaft hinge ab von der Wiederherstellung der Wasserversorgung, der Produktion von Düngemitteln, Pestizide und so weiter.

landwirtschaftliche Ökosysteme Die extremen Temperaturen und reduzierten Lichtstärken könnten praktisch die Nettoproduktivität von Nutzpflanzen überall auf der Erde gänzlich zum Erliegen bringen. Die Nahrungsvorräte in den Zielgebieten wären vernichtet, verseucht, unzugänglich oder rasch erschöpft. Außerhalb der Zielgebiete liegende Importländer würden die Unterstützung aus Nordamerika und anderen Exportländern verlieren.

In den ersten Monaten

Zum Ende des ersten Jahrzehnts

Im nächsten Jahrzehnt

Die Klimaauswirkungen hätten sich erheblich reduziert, aber die Strahlenbelastung wäre noch eine ernste Gefahr für die Menschen. Ihre Gesundheit würde erheblich unter den Ausfällen der landwirtschaftlichen Produktion leiden. Die sozialen Strukturen wären noch immer funktionsunfähig und würden den überlebenden keine Hilfe bieten. Mit der Rückkehr des Sonnenlichts und der UV-BStrahlung könnte es zu verbreiteten Augenschäden kommen. Psychologische Belastungen, Strahlung und viele synergistische Faktoren würden den Menschen weiterhin das Leben sehr schwer machen. Es würden wahrscheinlich Epidemien und Pandemien (Global-Epidemien) auftreten.

Die Regeneration der menschlichen Systeme würde nicht mehr in erster Linie durch die klimatischen Umweltbelastungen gebremst. Vielmehr wäre das Wachstum der menschlichen Bevölkerung abhängig vom Wiederaufbau der gesellschaftlichen Strukturen und der Versorgungssysteme. Die menschliche Bevölkerungsdichte würde noch lange Zeit weit hinter den Vorkriegsbedingungen zurückbleiben - und das ist noch der günstigste Fall.

Gesellschaftliche Systeme Etwa 50 bis 75 Prozent der Erdbevölkerung würde die unmittelbaren Auswirkungen (Druckwelle, Hitze und ionisierende Strahlung der Anfangsphase) überleben. Extremtemperaturen, fast völlige Finsternis, heftige Stürme und der Verlust von Schutzräumen und Brennstoffvorräten würde zu einer Vielzahl von Todesfällen führen, verursacht durch Wetterunbilden, Hunger, Mangel an Trinkwasser und Zusammenwirken dieser Faktoren mit anderen Auswirkungen wie Strahlenbelastungen, Unterernährung, fehlender ärztlicher Versorgung und psychologischer Belastung. Gesellschaftliche Strukturen, die für Nahrung, Transport, medizinische Versorgung, Kommunikation und ähnliches sorgen, wären nicht mehr funktionsfähig.

der Landoberfläche von