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German Pages 350 [362] Year 1827
Viktor und Claudine
Ein Roman v-»
Miltzelm Martell.
Dritter Theil.
Berlin, bei
G.
Reimer. 1826.
Erstes Kapitel.
Dm Wiederausbruch der Feindseligkeiten
eröffnete ein Angriff des sranzistschen Kaie ftrS -egen das schlesische Heer. Gern hätte dessen unsterblicher Führer, der HelVengreiS Blücher, seine wüthigen Truppen sogleich zur Schlacht geführt, allein dies war dem allgemeinen Führungsplane des Feldzuges entgegen. Es war vielmehr beschlossen wor, den, daß da« schlesische Heer- sobald die feinde liche Hauptmacht ihm gegenüber erscheint, dem Kampfe ausweichen solle , um Äapoe leoy immer mehr von Sachsen abzuztehen,
4 wo die große, in Böhmen versammelte Truppcnmacht angriff-weise verfahren sollte. Da her war da« schlesische Heer langsam vor
dem drängenden Feinde zurückgewichen und nur noch wenige Meilen von dem Gute des
BaronS entfernt.
Wem jener Plan unbekannt war, in dem konnten freilich ängstliche Besorgnisse auf steigen.
Es geschieht mir ganz Recht,?Bruder«
sagte die Präsidentin, wenn ich^jeht Zeugin dieser unglücklichen Ereignisse seyn muß;
weshalb bin ich nicht abgrreist? Noch sind die Feinde nicht hier, entgeg
nete der niuthige Major, und cs wird noch
hinreichende Zeit übrig bleiben. Dich von
hier zu retten, wenn die Gefahr drohender «erden sollte.
Allein all« Sorgen sollten glänzend ver
scheucht «erden.
ü Kaum hatt« man mit Bestimmtheit er, fahren, daß der französische Kaiser mit den
Leibwachen nach Dresden zurückgekehrt sey,
«1s auch der alte Blücher seine Kriegsschaar reu wieder vorwärts führte, worauf zwei
unerwartet aufeinanderstoßenbe Heere sich
die denkwürdige Schlacht an der Katzbach
lieferten. Schon seit der Mittagsstunde hatte man
auf dem Schlosse Geschühfeuer vernommen;
von drei Uhr Nachmittag- an aber brüllte der ununterbrochene Kanonendonner der Schlacht. Die Erde bebte, dir Fenster des Schlos
ses klirrten, und mit jedem Augenblicke schien das furchtbare Getöse an Starke zu wachsen.
Armes Preußen! seufzte die Präsiden
titi, dich rettet kein Gott! — Vernimmst Du es wohl, Bruder, wie dieses schreckliche
Feuer allaugenblicklich sich verstärkt? — Es
6 rückt >mS näher, unser Heer weicht, bald werden wir die Sieger hier etnziehen sehen. Gefangen, hoff'ich, Schwester! erwie, derte der Major. Neue Geschütze rücken in die Schlachtlinie und der Abendwind macht sich auf, daher klingt eS, als ob das Feuer stch
nähere. Eng einander umfaßt haltend, standen Claudine und Babel am Fenster de« Eßsaa,
leS und blickten hinaus auf die düstere Land/
schäft. — Seit zwei Tagen schon ergoß stch
der Regen in Strömen, und auch jetzt war Alles verhüllt.
Gott! in diesem fürchterlichen Wetter,
unter diesem strömenden, kalten Regen, in
diesem aufgeweichten Boden kämpfen unsere Freunde, kämpft das Heer für die Freiheit! sagte Claudine.
Dabet, hier reicht nur
männlich« Begeisterung aus!
Kann das
Vaterland jemals seinen Helden vergelten?—
7 Ja, Kinder, siel brt Major Bin,,Za« Wetter macht -er liebe Bott, den Kriegder
Mensch. .Da kann's nicht anders seyn.
Wer wei- jedoch, ob wir heut so sanft schla, ftn werben, wie die dort auf stuchtkk Erde, mit dem beseligenden Gefühl de» SiegeS
in ihrer Brust?
Schlafe«? wiederholte Claubine leise und bebte zusammen über den schrecklichen Dope
pelsinn dieses Wortes; dann verhüllte sie die Augen.
Die Pfarrerin trat an'» Fenster. Der,
trauen auf Gott! meine liebe Elaudine, -sagte sie, beide« Mädchen liebkosend; auch
meine Söhne sind unter den Kämpfenden. TT- Söhne, sage ich; hat doch Hugo »ine andere Mutter nie gekannt.
Aber ich bin
.getrost; Er lenkt Alles zum Gute«. Sein
Wille geschehe!: Wäre der Regen nicht zu gewaltig, be.
8 gann der rintretettbr Pfarrer, so müßte man
den Pulverdampf sehe«.
Ich komme eben
vorn Thurme. Eine schwarze Wolke ruht über dem Schlachtfelde, aber da- Auge un
terscheidet nicht, oh es Dampf oder Re gen sey. Und glaubst Du, daß die Schlacht noch
diesseits der Kahbach ist? sagte der Baron. Das läßt sich unmöglich bestimmen, er,
«lederte Jener; aber das Feuern reicht ohne Frage über Jaucr hinaus, in der Richtung auf Liegnitz und Goldberg.
Wehe dann dem Heere, sagte der Ma,
jvr, das, ohne nähere Kenntniß unsere- Lan, des, nun über diese angeschwoklenen Gebirgs
bäche zurück muß! — Diesmal ist Gott mit
von der Alliance, Claudine! und dieser Re gen, den Du noch eben so gescholten, kostet
unsern Feinden vielleicht ein Heer!
Ueber die Derblendetrn '. sagte die Prä»
9 Dentin halb laut, indem sie sich kummervoll in die Ecke des Sophas brückte.
Ls War jetzt fünf Uhr Nachmittags, und
schon nahm baS Feuer ab. Was meinst Du? fragte der Pfarrer. Das Hauptquartier ist -estem, wie wir
gewiß wissen, in Drechtelshof gewesen, ent/ gegnete der Daran. Er kann fast nicht an/ Vers seyn, es ist an der Katzbach geschlagen
morden, die Franzosen find von dem Pia/
teau
hinnntergeworfen
und
da- Wasser
hemmt die Verfolgung. Da beide Männer das ihnen so nahe
liegende Gelände sehr genau kannten, so
entwarfen sie mit Hülft 'einer Karte ein Bild von dem mnthmaßlichrn Gange der
Schlacht. Immer schwächer ward da- Feuer; bald
fielen nur noch einzelne Schüsse, bis endlich
mit dem sinkenden Abend tiefe Stille rintrat.
10 Nun, Schwester, sagte der Mäjor, wir
find im Reinen, und der alte Blücher ist's auch.
Für diesmal ciitschlage Dich aller
Sorge; bald werden meine ausgeschickten
Boten Nachricht bringen. Gebe Gott, erwiederte sie, daß Deine
Zuversicht nicht schrecklich gelauscht werde!
Nach und «ach kehrten die zu verschie, denen Zeiten ausgcsandtcn Kundschafter, let doch mit unbestimmte» Nachrichten, zurück, weil Keiner von ihnen wert genug vorgee
wesen war.
Nur des Barons Reitknecht
sagte aus, daß bei Weinberg und Kroitsch
gefochten worden,
wie flüchtende Weiber
ihm berichtet hatten.
Morgen sind wir im Klaren, wenn nicht
schon in der Nacht Couriere hier durcheilen; deshalb fleißig aufgepaßt!
Wir aber, denk'
ich, bleiben bis dahin beisammen.
11 Bald nach Mitternacht sprengte ein Reir
ter in den Hof. Alles sprang auf, der Baron flog die
Treppe hinab. Alsbald hörte man seinen Zür belruf: Viktoria! Viktoria! indem er zur gleich mit einem Briefe in's Zimmer tret. Ein junger Bursche folgte ihm auf dem
Fuße. Von Viktor, meine Freunde; es ist seine
Hand!
Er riß eine Karte aus ihrer Umhüllung, welche folgende mit Bleistift geschriebene
Zeilen enthielt: „Gott hat uns den herrlichsten Sieg »fit# liehen. In wilder Auflösung flicht der Feind.
Tausende liegen im kalten Bette der Kahr bach.
Dreißig Geschütze find unser, York
und Sacken die Helden des Tages.
Hngo
ist gesund, eben hab' ich ihn gesprochen.
12 Auf dem Schlachtfeld« an
der
Kahbach,
Viktor."
acht Uhr Abend».
Der Major fiel ans seine Kniee und hob dankend im stillen Gebete die Arme zu Ihm empor, der diese Segensfülle von Seine» niederrhauen ließ.
Himmeln
Kein
Auge
blieb trocken. Arme schlangen flch um Arme, Herzen sanken an Herzen. In'»
Dorf mit
Glocken geläutet? rief der Major.
der
Nachricht l
Die
Die Schläfer geweckt? Orffnet Speicher und Kel
ler, erquickt die Bedürftigen; allgemein soll die Freude seyn?
Und nun komm her. Du tapferer Bursche, führ er fort, sich gegen den Boten «endend, und nimm hier die» für Deine« tüchtigen
Ritt.. Dring'» Deinem Vater, wenn Du einen hast?
Er drückte ihm die voll» Börse
in die Hand.
Der Vater ist mit in der Schlacht ge-
13 tvesen,. ane zwei Brüder; mich wollten sie
nicht nehmen, weil ich noch zu jung sey, sagte der Knabe, verlegen über das reiche
Geschenk. Auch wäre ich gar nicht wegge,
ritten, hätte mir der Herr Offizier nicht ein Beutepserd geschenkt, da» hat denn tüchtig,
heran gemußt. Nun trockne Dich, Bursche! Iß, trink,'
schlaf uiw dann suche Dir den Dater und die Brüder!
Mein lieber Junge, sagte Claudine —
der Offizier, der Dir de«-Brief gegeben — erzähle mir von ihm, wie sah er aus?
Naß, naß, wie die ganze Armee! sagte der Knabe.
Der Major schlug ein lautes Gelächter
auf. Schick' ihm doch trockne Wäsche, Clan, dine ! rief er, indem er sich beide Seite»
hielt.
14 Von jetzt an waren die Waffen [bet Ver
bündeten fast immer vom Siege gekrönt.
Metz« intiü metzr durften die deutschen Her zen einem glücklichen Ausgange dieses Na
tionalkampfes entgegensetzen, bis endlich, nach manchem mühevollen Tage, durch die drei, tägige Riesenschlacht von Leipzig Deutsch-
lrmd -für immer von einem Joche befreit wurde, welches es so lange schmachvoll ge
tragen hatte.
Nicht lange darauf begrüßter» die Sieger
die grünen Wellen des Rheins, und in der
Neujahrsnacht wurden durch den Uebergang bet Kaub die letzten Fessel» gesprengt, welche eine drückende Knechtschaft diesem herrlich sten aller deutschen Ströme aufcrlegt harre.
Drei mächtige, siegreiche Heere betraten mm endlich eine» Boden, der zahllose Gri-
j-eln über Europa ausgesendet, aber selbst seit zwanzig Jahren keinen Feind gesehen
15 halte.
Aber so wollte es die allwalkende
Gerechtigkeit. Sinken sollte Vic stolze Dai bel, welche soviel Unheil über die Welt %ts
bracht, vor einem Feinde sich trugen, dessen Ohnmacht sie in stolzer Vermessenheit so lange verspottet hatte.
Der Himmel hatte gnädig bisher unsere
jungen Freunde beschützt; ihre fröhlichen Zü> schriften aus Frankreich bereiteten reichen Genuß.
Die Präsidentin glaubte Wunder jju tb leben; sie vermochte kaum das Unerwartete
zu glauben, welches sich so großartig und überraschend entwickelte.
Die Entfernung
der Gefahr durch die erste siegreiche Schlacht hatte bereits zugleich den Hauptgrund fäü
ihre Reise beseitigt und den Entschluß er zeugt, bis zum Eintritte des FriebmS in
Lindenan zu bleiben. Aber, was sie von Tag zu Tage verscho,
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6en hatte, eine Eröffnung gegen Elaubinen, glaubte flr nicht länger vorenthalten ju dürfen. Wie schmerzlich et ihr auch war, daß gerade ihr auftrlegt seyn mußte, den Frie
den ihrer Nichte zu stiren undi ihr Herz zu bekümmern, dennoch, da Alle« ring« um sie
in unglaublicher Verblendung schwieg um»
ein holde« Geschöpf an dem Rande eine« Abgrunde« unrettbar schwebe» ließ, glaubte
sie sich zum Handel» berufe». Noch einen Versuch wollte sie machen,
di« itfung der schweren Aufgabe einem An dern aufzubürden, dann aber war sie fest
entschlossen, zu handel», und hatte dazu ei ne» Zeitpunkt abgewartkt, wo der Trcnnungtsihmerz überstanden war und der glück
liche Gang der Weltbegebenheitrn Claudinen« Herz stärker und gefaßter anzutreffen hoffen ließ.
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Noch einmal komme ich Dir, Dru, der. Dir das Glück Deiner Tochter an'S Herz zu legen, sagte dir Präsidentin, in das Zimmer des Barons tretend. Hast Du mich Aleich einmal schon abgewiesen, dennoch for dert die Pflicht von mir, noch einmal zu Dir zu reden. Zu dringend ist die Gefahr, als daß ich länger schweigende Zuschauerin bleiben dürfte.
Du erschreckst mich, Schwester! sagte der Major lächelnd; was hast Du den«» Wieder einmal auSgekundschaftet? Vieles, Bruder! doch davon nachher. Jetzt frage ich Dich nur: Was soll aus der Liebe Viktors und ClaudinenS werden, ei ner Liebe, die so leidenschaftlich ist, daß sie schon längst nicht mehr sich zu verbergen vermocht hat?
Laß sie sich lieben, Kind! was geht das III.
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«ns an? Sie werten besser wissen, Wa ste wollen, ais wir es ihnen sagen binnen. Gut, so will ich Dir sagen, was sie wünschen, was sie hoffen: eheliche Verbin dung ! Der Tausend! rief der Major, sollten sie wirklich so kühne Pläne haben? Erlaube wir, zu zweifeln. Viktor- Beschei denheit und sein Stolz, neben ClaudinenDemuth — Bruder, Du kennst die Liebe nicht! Glaube mir, sie lieben sich mit schwärmeri scher Gewalt. Nun, etwas Schlimmere- kann doch nicht daraus entstehen, Schwester, als eine fröhliche Hochzeit? Hochzeit? wiederholte die Präsidentin bekümmert. Hast Du mir nicht selbst er öffnet, daß Deiner Tochter Hand versagt sey? DaS hab' ich allerdings; aber wie, wenn
19 ich nun gerade Viktor» gemeint hätte? — Er sah die Präsidentin mit einem schlauen
Lächeln an. Bruder, rief die.Präsidentin eifrig, Du
spielst ein falsches Spiel. Glaube mir, ich durchschaue cs ganz.
Wisse denn, Claudine
kann nimmer Viktors Gattin werden! Der Baron blickte seine Schwester trnst an. Und warum nicht? fragte er.
Erspare mir die Antwort! Du kennst
besser als ich dieses unnatürlichen Verhalte nisses Zusammenhang.
-enden Bitten.
Erhdre meine drin,
Lüste den Schleier, , der so
vstle bittere Täuschungen verdeckt ; bedenke
das Glück Deiner Tochter, sage ihr selbst, daß sie nicht länger einem Wahne folgen
soll, der sie rettungslos bechörtl
Bei Gott, ich verstehe Dich nicht! fiel
der Major ihr in die Rede. nicht länger in Räthseln!
So sprich
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ES sey! sagte die Präsidentin nach einer Pause gefaßter. Viktor kann deshalb nie Dein Schwiegersohn werden, weil er Dein Sohn, weil er Claudinens Bruder ist! Hugo ist das Kind des Pfarrers! Der Major erblaßte und sprang erschrocken vom Stuhle auf. Um des Himmels willen, Schwester! rief er, wie erfuhrst Du dies? Du hast Dich oft genug verrathen, er# Wit bette die Präsidentin, und lange schon ahnete ich dies Geheimniß, bis endlich eine aufgefundene alte Correspondenz mir um zweifelhaften Aufschluß gab. Erinnerst Du Dich eines Briefes von Holm vom ersten December siebzehnhundert ein und neunzig? Der Major ging mit verschlungenen Ar men unschlüssig im Zimmer umher. Er ging zum Fenster, trommelte an den Schei, den und irat dann plötzlich vor seine Schwe ster hin.
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Versprich mir, dieses Geheimniß, dessen Du gegen meinen Willen Dich bemächtigt hast, in Dir zu verschließen. Gern, lieber Bruder, sagte die PrLstdentin, vor der ganzen Welt, auch vor der Hand noch vor Hugo und Dabet, aber nim mer vor Claudinen. Keine Macht der Welt soll mich abhalten, ihr zu offenbaren, daß fle ihren Bruder liebt. Und welche Entschädigung willst Du ihr rem verwaisten Herzen bieten, Schwester? Keine andere, als den Bruder, und mit ihm den seltensten Schah, in dem treff lichsten Manne. Kann Geschwisterlieve ihr den Verlust ersehen, Schwester? Sagst Du nicht selbst, ihre Neigung sey die innigste, leidenschaft lichste? Die Leidenschaft muß schweigen, sobald die Natur ihr Befriedigung versagt. Ein
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jäher Schmerz, einige Tage der Trauer und sie hat überstanden, um eines viel reinern Glücks zu genießen.
Es geht nicht, Schwester, Du sollst. Du darfst ihr nichts sagen. — Ich bitte Dich, setzte er sanfter hinzu, wenigstens bis zum hergestellten Frieden gieb Anstand. Keine Stunde länger, ich kann'S nicht verantworten!
Es ist meine Tochter, Schwester! be gann der Major nach kurzem Schweigen, und der Vater sollte sich wohl berechtiget glauben, das Geschick seines Kindes allein leiten zu dürfen. Aber nichts vermag Dei nen Vorsatz zu hindern, sobald Du ernstlich entschlossen bist. So laß mich denn wenig stens erst mit Holm zu Rathe gehen, dem einzigen Manne, der um die- Geheimniß weiß.
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Der Baron klingelte, um seinen Freund zu beschicken. Meine Unvorsichtigkeit hat unS verrathen, alter Freund! sagte der Major, als der Pfar rer in's Zimmer trat; unser Geheimniß ist entdeckt und damit guter Rath theuer. Claudine wird Alles erfahren, ehe unsere Pläne reif sind! Er zog den Pfarrer in das Fenster und die Präsidentin verließ das Zimmer. Nach einer langen Unterredung kehrte der Pfarrer in seine Wohnung zurück. Der Baron rief seine Schwester. Noch einmal erschöpfte er seine Bered samkeit an ihr. Er verhieß, bis zum Frie den Alles aufzuklären und zu vermitteln, Claudinen langsam vorzubcreiten und ihrer Neigung wo möglich eine veränderte Rich tung zu geben. Aber Jene erschien um so gereizter, je
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länger der Gegenstand besprochen ward, und um so! heiliger erschien ihr die obliegende Pflicht; hatte doch der Pfarrer durch sein stummes Entweichen selbst seine und seineFreundes Sache aufzugeben geschienen. Ihr Vorsatz blieb unerschütterlich. So schieden die Geschwister in Unfrieden.
War es wirklich des Barons Absicht gee wesen, ein so wichtiges Familiengeheimniß streng zu bewahren, so hatte er die nbthige Vorsicht verletzt. Seine vorwaltende Zärtlichkeit für Vi'k/ torn, sein schwach verhehltes Bestreben, ihn mit Claudinen in nahe Beziehungen zu bringen, endlich das erste Gespräch mit der Präsidentin, in welchem er so offen auf ein geschwisterliches Verhältniß der jungen Leute angespielt hatte, gaben einer so weltklugen
25 unb aufmerksamen Beobachterin hinreichende
Veranlassung zum Verdacht, dessen Spuren
sie eifrig verfolgte. Oester hatte ihr Bruder seitdem Diktom und Elaudinen mit dem Geschwisternamen geneckt; ganz verblendet schien er gegen ihre
von Tag zu Tage wachsende Neigung; im# niet leidenschaftlicher hatte er Viktor» ge#
rühmt, mit Vaterzärtlichkeit ihn bewillkomm^
net, oftmals ihn Sohn genannt; ja, die Präsidentin
hatte selbst aus abgerissenen
Aeußerungen in Gesprächen ihres Bruders
mit dem Pfarrer die Bestätigung ihres Der#
dachts entnommen. Glaubte sie nun gleich ihrer Sache ge#
wiß zu seyn, so blieb doch Irrthum mdg# lich, und sie besaß zu viel Ueberlegung, um schon jetzt mit ihrer Entdeckung hcrvorzu# treten.
Ihre verdoppelte Aufmerksamkeit begüu#
26 fügte der Zufall.
An dem Morgen der
Reise nach dem Gebirge hatte die Präsiden,
tin, da ihr Bruder, wie wir wissen, sehr zeitig mit. Hugo und Diktorn in's -Feld ritt,
dessen Zimmer reinigen lassen.
Bei dieser
Gelegenheit war sein Schrcibpult von der Wand abgerückt worden, indem eben zufäl,
lig die Präsidentin in's Zimmer und bald darauf absichtslos an die hintere Wand des Schrankes trat, wo sie ein beschriebenes
Blatt bemerkte, welches durch eine Spalte im Holze hervorragte und dem Herausfallen
Nahe war.
Sie zog es hervor, doch blieb ein Theil desselben, von der Spalte eingeklemmt, ab,
gerissen stecken.
Ein flüchtiger Blick auf
die ersten Zeilen überraschte sie, dann las
sie erstaunt den ganzen Inhalt. Es war ein Brief des Pfarrers an dtn Baron, folgenden Inhalts:
27 „ Lindenau, den i. December 1791." „Du übst wenig Schonung, mein theu«
rer Waldau, allen meinen Einwendungen
nur mein Wort entgegenzusetzen, dar ich in einem heiligen Moment der Freundschaft,
in schwärmerischer Aufwallung der Gefühle Dir gab, zur Ausführung Deines abenteuer« lichen Planes mitzuwirken.
In dem befer
ligenben Gefühle, einen solchen Freund zu
besitzen, würde ich Alles gewährt haben, j« des Opfer hätte mir zu gering gebäucht.
Und so denke ich noch."
„Doch mehr und mehr hat seit Deiner Abreise der besonnene Verstand seine Rechte
gefordert.
Je länger ich nachdachte, um so
mehr Schwierigkeiten erhoben sich mit allen
möglichen Folgen des gefahrvollen Spieles vor meinem Blick." „Zweimal hab' ich Dir meine Besorg«
uisse, ja selbst meine Abneigung zu erkennen
28 gegeben, ohne Dich dadurch zur Entsagung
einer Idee bewegen zu können, die einer
romantischen Stimmung ihr Daseyn ver/
dankt und von deren Ausführung Du Dir eine Fülle
anziehender Verhältnisse
ver«
sprichst."
„So hab' ich denn, treu meinem über/ eilt gegebenen Worte, auf Dein dringendeBegehren Deinen Willen erfüllt.
Gestern
sind die Wärterinnen, reich beschenkt, ent/
lassen worden, die Kinder haben die Woh/
nungeii gewechselt."
„Nur in einem Punkte habe ich Deine Vorschrift überschritten. Es war mir un/ möglich, Deine Gattin zu täuschen. Ihr mußte ich Alles sagen." „Du kennst ihre leicht widerstrebende
Natur.
Sie verläugnete sich auch diesmal
nicht, und wahrlich, wer sonnt* es ihr bei solchem Anlaß verdenken? Es kam zu leb/
29 haften Erörterungen.
Ich legte ihr nun
Deine Briefe, den letzten unwandelbaren, an mich gerichteten Auftrag vor.
Sie erbat
sich Bedenkzeit und verlangte nach meiner Frau.
Nach einer langen Unterredung wil
ligte sie nicht nur ein, sondern ein schwär merischer Wetteifer scheint Beide ergriffen
zu haben, wer das fremde Kind am liebe
vollsten warten werde." „Ohne die liebende Hinneigung beider Frauen zu einander wäre ich wohl nimmer
zum Ziele gelangt." „Uebrigens ist jeder möglichen ernstli chen Verwechselung vorgebeugr.
Eigenhän
dig habe ich durch Angaben über jenes Diaal, welches------- " (An dieser Stelle war jenes Stück des
Briefes abgerissen.)
„die Identität sichcrgestcllt."
„So haben denn seit wenig Stunden
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Misere Söhne Stand und Namen gewechftlk. Mögen wir niemals Ursache haben, diesen gewagten Schritt zu bereuen. Dein Holm." So war denn für immer jeder Zweifel gelöst und alle ihre Ahnungen durch diesen Brief bestätigt. Daß eine jugendlich-schwärmerische Freund/ schäft solcher Entschließungen fähig sey, de/ griff die Prästdentin wohl, allein die Ver/ langrrung dieser Täuschung bis zum reifen Jünglingsalter schien ihr tadelnswerth, und unverantwortlich derLeichtstnn, mit welchem ihr Bruder und das Holm'sche Ehepaar Claudincns unschuldiges Herz einer so ge fährlichen Probe unterwerfen konnten. Zwar zweifelte fie nicht, daß Claudinens Leidenschaft schnell verlöschen werde, sobald fle erführe, daß Viktor ihr Bruder sey; aber dennoch war eS nicht zn entschuldigen, daß man die
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Liebenden in ihrer Unschuld so weit hotte ge hen lassen. Der erste Gedanke der Präsidentin ging dahin, ihrer Nichte das Verständniß zu er öffnen und so mit einem Schlage den Trug zu vernichten; aber in Erwägung der seligen Gefühle, welche ClaudinenS Herz er füllten, schien es ihr zu grausam, gerade jetzt ihr Glück zu stören. — Ohnedies war Viktors Anwesenheit nach Tagen zu berech nen, und seine Abreise entfernte ja die wach sende Gefahr des Augenblicks. Sie beschloß daher, beide Paare genau zu beobachten, sie auch zu warnen, für nä here Eröffnungen aber eine ruhigere Zeil abzuwarten. Fast aber wäre sie diesem Ent schluß untreu geworden, als die im Un willen und Verdruß beschlossene Abreise sie zu rascherer Ausführung ihres Vorsatzes anzutreiben schien.
32 Aus diesem Zusammenhänge der Sache
wird auch da- ganze, oft räthselhafte Be
nehmen der Präsidentin erklärbar.
Ihre
Bdrliebe für ihren Neffen Viktor, wie ihre
entschiedene Abneigung gegen Hugo, den Pfarrer-sohn, die Mißbilligung von BabetS
Neigung für dieseli, ihre Kälte, ihr vorneh mes Betragen gegen die Pfarrerin, endlich
ihre Geneigtheit, Viktor- Regiments-Com mandeur in seinen Bewerbungen um Clau-
dinen zu unterstühen. Unerträglich ward ihr daher das heftige,
rücksichtslose Betragen Hugos, der sie auf der ganzen Reise absichtlich vernachlässigte
und sich mit stets wachsender Zärtlichkeit um ihre Tochter bemühte und, wie von ei
nem geheimen Zuge der Natur geleitet, sich
und Babet dem Schutze der Pfarrerin ver
trante. Nachdem sie in zorniger Aufwallung an
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jenem Ballabende die Liebenden durch vor, gebliche Krankheit getrennt hatte, ließ sie durch einen Vertrauten jene Zeilen schreiben, welche unsere jungen Freunde so lebhaft be, schästigten. Und wahrlich war cs ihr bei ihrem Charakter in dieser Stimmung hoch anzurechncn, baß sie überall der Wahrheit getreu blieb und sogar den Ausgang von Hugos Liebe nur als großen Schwierigkei, ten unterworfen schilderte. Als aber nun dieser Pfarrerssohn am nächsten Morgen sich geradezu unartig er, wies, durch Spott und Hohn sie kränkte, als ihr Bruder und seine Eltern ihn darin gewähren ließen, da mußte eine Umgebung ihr völlig verhaßt werden, in der sie sich niemals ganz heimisch gefühlt hatte. Nach der letzten Unterredung mit ihrem Bruder kam nun Alles darauf an, bei der betrübenden Mittheilung ihre Nichte mög, in.
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34 liehst zu schonen und diese allmählig auf die
Eröffnung vorzudereiten, welche am Abend erfolgen sollte. Sorglos, keines andern Kummers sich
bewußt, als der Trennung von dem Geliebt ten, hüpfte Claudine durch das Zimmer. Die Präffdentin stützte ihr Hckupt in die
Hand und blickte ihre Nichte nachdenklich. Mit sorgenvoller Miene an. Du bist doch nicht unwohl, liebe Tante?
fragte Claudine theilnehmend. Ich war mit Deiner Zukunft beschäftig get, theures Kind! erwiederte die Präsiden
tin, und da überkamen mich recht trübe
Gedanken. Himmel, was ist vorgefallen? rief Claudine erblassend. Hast Du Nachrichten vom
Bruder, von Viktor? Keine anderen, als Du, die besten. Von
dort her droht Dir kein Kummer, liebe
35 Claudine; aber laß Dich darauf aufmerksam
machen, daß unter den mannichfaltigen Täu
schungen des Lebens dem Menschen die Wahr heit allezeit willkommen seyn muß, auch wenn
sie schöne Träume zerstörte. — Auch Du hast lange geträumt, geliebte Claudine, be reite Dich daraus vor, zu erwachen. Aber
in dem Verluste, der Dir droht, bereitet sich Dir ein reicher, herrlicher Ersatz vor. WaS
Dir theuer war, wird es auch künftig blei
ben, nur die Form deS Verhältnisses erlei det eine Veränderung.
Es bedarf einer
ruhigen, ungestörten Stunde, mein Kind; heut Abend sag' ich Dir Alles. Sie umarmte darauf mit Zärtlichkeit ihre bebende Nichte und verließ das Zim
mer. — Das schöne Haupt gesenkt, den
trostlosen Blick an den Boden geheftet, mit herabgesunkenen Armen und gefalteten Hän den blieb die arme Claudine zurück. Große
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Thränen entfielen ihren Augen. Langsam hob sie den nassen Blick zum Himmel an; por und mit einem schmerzlichen Seufzer sagte sie: 0 meine Ahnung! ES ist vorbei mit meiner Liebe, mit allen reichen Hoffnungen dieses jugendlichen Daseyns!
DaS Abendessen war still und einsylbig vorübergegangen. Der Major war ernst und in tiefes Nachdenken versunken. Er tti hob sich zeitiger wie gewöhnlich und ver schloß sich in sein Zimmer, um Briefe zu schreiben.
Willst Du mich auf mein Zimmer be gleiten, liebe Claudine? sagte die Präsiden tin, indem sie aufstand. — Kalter Schauer ergriff das holde Geschöpf bei diesen Wor-
37 ten.
Sie erhob sich, keiner Antwort fähig,
und reichte der Tante die zitternde, kalte
Hand. Beide hatten auf dem Kanapee Platz
genommen.
Mache es kurz, liebe Tante! sagte Clandine mit leidender Stimme.
Enthülle das
unabwendbare Geschick Deiner unglücklichen Nichte; nicht länger ertrage ich diese fol
ternde Ungewißheit.
Ich ahne schon, wo
hin der drohende Schlag gerichtet ist, der mein Glück vernichten soll.
Wie gern hätte ich Dir diesen Schmerz erspart, mein holdes Kind, begann hierauf
die Präsidentin; aber da Alles um Dich
verstummt, da Dein eigner Vater in heil
loser Bethbrung schweigt, traurige Amt
übernehmen.
muß ich dies
Sey
offen,
meine liebe Claudine, und vertrauensvoll.
Nicht wahr. Du liebst Viktvrn?
38 0, quäle mich nicht länger! rief Clau-
dlne; sprich es endlich aus, daß ich ihn verloren habe!
Ja, Du wirst ihn verlieren, mein ar
mes, gutes Kind, um ihn für ein anderes,
reineres und wandclloscres Verhältniß wie der zu gewinnen.
Fassung denn, Claudine;
Viktor ist Dein Bruder! Mit einem dumpfen Schrei deS Ent-
sehens sank Claudine auf ihre Kniee und . I
verbarg das Haupt in das Gewand ihrer
Tante.
Die Prästdentin ließ ihrer unglücklichen
Nichte Zeit,
sich zu erholen; sie schwieg
und ließ nur liebevoll ihre Hand unter sanf
tem Druck auf Claudinens Scheitel ruhen.
Lange verweilte diese
schmerzvernichtet
der demüthigen Lage.
Dann, bleich, zit
in
ternd, die schincn Züge von der heftigen Erschütterung ganz verwandelt, sprang sie
39 auf, und mit verstörten Blicken die Tante
anschauend, sagte sie: Ich lebe noch, diese
störrischen Fiebern meines Herzens sind nicht
einmal gerissen unter dem ungeheuren Weh.
So laß mich denn Alles erfahren, vielleicht erfüllt sich die schwache Hoffnung in mir,
daß Deine Erzählung mich tödten könne! Claubine! rief die Präsidentin erschrokr
ken, diese starre Verzweiflung hab' ich nicht befürchtet. Ist das Dein demüthigesDer,
trauen auf Gott? Er weiß nichts von mir in dieser Stunde,
er hat mich verlassen. Was diese Minute mir raubt, kann seine reichste Gnade mir
ewig nicht ersetzen. Frevlerin! rief die Präsidentin, Du
sprichst im Wahnsinn!
O ihr himmlischen Mächte, die ihr oben in kalter Höhe die Welt regieret, rief Claur
dine, indem sie auf ihre Kniee stürzte und
40 die Hände betend erhob, ich habe nur einen
Wunsch, nur ein Gebet.
Schenket mir,
ist mir der Tod versagt, den schmerzenstil, lenden Wahnsinn, verwirrt dies Gehirn und begrabt mein Gedächtniß in ewige Nacht! Claudine, höre mich! rief die Tante, au, ßer Fassung aufspringend, und sey empfäng,
lich für ein Wort des Trostes.
Claudine sank in tiefer Ohnmacht, blaß wie der Tod, auf den Teppich hin.
Jetzt steigerte der Präsidentin Sorge
sich bis zur Ängst, und doch wagte sie nicht. Hülfe zu rufen. Mit der Kraft der Der, zweiflung hob sie ihre Nichte auf, legte sie
auf das Kanapee und bestpich mit geistigen
Mitteln ihre Schläfe. Endlich öffnete Claudine die Augen wie,
der, und ihr scheuer Blick traf ihre besorgte Pflegerin.
Ist es keine Täuschung, Tante,
41 ist er mein Bruder? fragte sie mit klagen, der Stimme.
Fasse Dich, geliebtes, theures Kind! er,
wilderte diese unter zärtlichen Liebkosungen; welchen tätlichen Schreck hast Du mir ge,
macht!
Nach kurzem Nachsinnen fuhr Claudine
heftig zusammen und sagte dann mit von
Fieberfrost bebenden Lippen: Dring' mich
zu Bett, ich bin recht krank, wolle Gott, zum Sterben krank!
Zu Bett! zu Bett,
Tante! und bann sag' dem Vater, wie
elend seine Claudine ist. Sie erhob sich und wollte fort, allein
die Füße versagten ihr den Dienst. stützte sich auf die Tante.
Sie
Es wird schon
gehen, sagte sie, unterstütze mich! Qualen der Verzweiflung im Herzen,
ihren übereilten Schkitt tausendmal verwün,
schend, geleitete die Präsidentin ihre Nichte
42 auf ihr Zimmer, sandte eilig nach dem Arzte und flog dann zu ihrem Bruder hinüber. — Noch war, seine Thür verschlossen.
Der
Major öffnete und erblickte mit Befremde«
seine Schwester, auf deren Gesicht die deute
lichsten Spuren einer inneren Zerrüttung lagen.
O, hätte ich nimmer dieses Haus betreu ten! sagte die Präsidentin, in dem ich nur
Schmerzen erfahren und bereiten soll.
Un
ter meinen Mittheilungen ist Claudine ohn
mächtig dahingesunkcn und liegt nun krank in ihrem Zimmer.
Fluchwürdige Vordringlichkeit der Wei
ber! rief der Major aus; wo es nur Unheil anzustiften giebt, ist ihre Hand gewiß im
Spiele! Er wandte sich von ihr und ver ließ eilig bas Zimmer.
Guter Vater, sagte Claudine, dem Ba
ron, der an ihr Bette trat, die Hand rei-
43 chend, ich habe Dir unnöthigen Schresk ge, macht, sey mir nicht bös.
Es hat mich
hart angegriffen, ich glaubte es nicht ju
tragen; doch nun sendet Gott Mir Thränen,
und ich fühle mich erleichtert. — Ihr hättet
mir's wohl etwas früher sagen können, fuhr
sie wehmüthig fort, doch Ihr wußtet f« nicht, wie sehr ich ihn liebte. — Claudine, sagte ihr Vater, ich hatte schöne Pläne mit Dir, und gegen meinen Willen
hat dieser Schmerz Dich getroffen, welchen Du dem unzeiligen Eifer Deiner Tante
verdankst. Freilich, erwiederte Claudine, hätte mit dieser Gram erspart werden können, e-
wäre wohl schön gewesen.
Ach, mir sind
für immer wohl alle Freuden gestorben.
Doch zürne der Tante nicht, sie hat es gut gemeint, und endlich mußte ich es ja doch erfahren.
44 Bei diesen Worten trat die Präsidentin
in's Zimmer.
Claudine streckte ihr die
Hand entgegen. Vergieb mir, Tante, sagte
sie mit rührender Ergebung, daß ich Dich so geängstiget habe.
Waren doch alle meine
Sinne verwirrt. Zn heißem Gebete habe ich mich zu Gott gewandt, er hat gnädig
meinem Wahnsinn verz'rhen. Holder Engel, sagte die Präsidentin, ich
klage Niemand an, als mich selbst. Nicht lange darauf kam Silvius. Clan-
dine richtete sich auf und ein matter Schim-
mer von Freude überzog ihre bleichen Wan-
gen.
Laßt mich mit ihm allein, bat sie
dringend, ich kann es vor Zeugen nicht aus sprechen, was ich leide.
Der Baron winkte seiner Schwester. Beide verließen das Zimmer.
Die Zeit ist eilig gekommen, hob Clau-
dine an, daß ich Ihrer Hülfe bedarf. Meine
45 Seele ist von Schreck und Gram zu heftig angegriffen worden, darüber bin ich erkrankt.
Ach, Silvius, Sie wollten der Beschützer meiner Liebe seyn, und nun sind Sie zu ihrem Grabe geladen!
Was ist hier vorgegangen? sagte der Alte, der Claudinens Hand ergriffen und ihren Puls untersucht hatte. Ein einziges Wort, Silvius, hat ein
laUges Glück für immer vernichtet.
Ach,
ich vermag ja nicht, es auszusprcchen. Heiße Thränen strömten über ihre Wanr
gen, und angstvoll barg sie das schmerzmüde
Haupt in die Kiffen. Doch bald sich aufr
richtend und die Hände trostlos ringend,
flüsterte sie leise:
Er, der mein Geliebr
ter war, er ist mein Bruder! Selbst der unerschütterliche Alte erbebte
bei diesen Worten.
Und wie hängt bas zur
sammen? fragte er zürnend.
46 Ach, ich habe den Zusammenhang noch
nicht erforscht, entgegnete Claudine. Don wem kommt die Nachricht, Fräulein?
Von der Tante, sagte Claudine; aber
der Vater selbst kann ihr die Bestätigung nicht versagen. ES gehen wunderliche Dinge im Leben
vor, hob Silvius an, je unglaublicher, aber um so wahrer.
Doch sprechen Sie mit der
Tante, ich gehe, einen beruhigenden Trank
zu bereiten. Ein Glück, daß hier eine kräfr
tige, frische Natur den Stoß erlitt.
Man/
ches Theegestcht läge schon im Nexvenficber. — In einer Stunde bin ich wieder hier.
Er beruhigte im Weggehen die Präsidentin.
Claudine blieb mit der Tante allein. Ich bin jetzt stark genug, hob sie an. Dich ganz zu hören. Der Umfang meines
Verlustes ist einmal enthüllt, kein Gott vermag das Unvermeidliche zu ändern; so
47
laß mich denn das dunkelste Blatt meineLebens ganz lesen. Mit der möglichsten Schonung entwikteile nun die Präsidentin Elaudinen den Gang ihrer Entdeckungen und schloß, indem sie ihr jenes Schreiben deö Pfarrers vorlas. Schon während dieser Erzählung, welche alle Schmerzen der Kranken neu erwecken mußte, hatte die Präsidentin öfter des Glük kes erwähnt, das der Besitz eines solchen Bruders gewähren müsse, und endigte nun mit den Worten: Jede Liebe, Claudine, bringt Schmerze«, nur nicht Derwandtenliebe. Unwirksam geht die Zeit an ihr vorüber, sie vermag ihr nichts von dem heitern Glanze zu nehmen, der uns dauernd auch noch in Jahren bee glückt, wo auch die leidenschaftlichste Neie gung längst erstorben ist. So freue Dich denn dieses herrlichen Bruders, der Dir so
48
unerwartet zugeführt wird und vertraue darauf, daß die Leidenschaft, welche Dich jetzt entflammt, sich in eine mildere, be, glückender« Liebe umgcwandelt haben wird, ehe Du es denkst.
Allein diese wohlmeinenden Worte ver, mochten Claudinen nicht aufzurichten. Zu hohe Seligkeit hat der Schöpfer in die Liebe des Mannes zum Weibe gelegt, nm solches Glück durch die arme Neigung unter Ge, schwistern aufzuwiegen. Zu viel Unwahres
enthielten überdies die Gründe der Tröste, rin, um Eingang zu gewinnen. Mit wel,
chcn leuchtenden Farben Jene auch den Werth der Gcschwisterlicbe schilderte, ihr
eignes Verhältniß zu dem Bruder wider, sprach ihrem Bilde. Wie sehr das eheliche
Verhältniß aber noch in späten Jahren be, glücke, davon gab das Holm'sche Paar ei,
nett nahen, schönen Beweis. Und bei dem
49
brüderlichen Verhältniß vergaß die Prüf,
dentin gänzlich, daß Claudine nur gewann, nm zu verlieren, ihren Hugo nämlich. Aber es gewährte ihr keinen Trost, ihrer Tante
dies entgegenzusetzcn. Ich danke Dir, Tante, sagte ste; Du
meinst es gut.
Mag dieses kranke Herz
auch immerhin längerer Zeit bedürfen zu seiner Genesung, als Du ihm zugestehst, Gott wird sein Kind nicht verlassen und eS
aiifzurichten wissen in schwachen Stunden. —
Sie legte den verhängnißvollcn Dries zu,
stimmen und verbarg ihn an ihrem Dusen. Wie geht eS Dir, mein theures Kind? fragte der Baron, der jetzt in'« Zimmer zu,
rückkehrte.
Ich bin gefaßt, Vater, antwortete Clau, Line; bin ich doch Deine Tochter.
Der
erste Augenblick kann mich wohl niederwer, fen, doch eS ist auch etwa- von Deinem
III.
4
so starken Muthe auf Dein Kind übergegan«
gen.
Ich habe nur noch eine Frage und
eine Bitte, setzte sie hinzu.
Weiß er's
schon, Vater? Nein, mein Kind.
Nun, dann laß meine Hand die Trauer«
botschaft schreiben.
Er wird sehr unglücklich
seyn, der arme Viktor! sagte sie und von
Neuem brach sic in bittere Thränen aus;
aber vermag irgend etwas auf dieser Welt ihn aufzurichlen, so wird es die Liebe seiner
Claudine seyn. — Wenige Tage, so hoffe ich, werde» mir die Kraft verleihen, die dieser Schritt erfordert.
Alles geschehe nach Deinen Wünschen,
mein theures Kind, sagte der Major gerührt. Und nun noch Verzeihung, mein geliebt
ter Vater, begann Claudine, daß wir Dir diese Liebe nicht längst gestanden. Er wünschte
es nicht.
Erst wollte er sich eine Stellung
51 in der Welt erstreben, um ohne Erröthen
um mich werben zu dürfen.
So bescheiden
war Viktor und von so edlem Stolze tr,
füllt. — 0 wäre ich meinem Gefühle ge, folgt und hätte mich Dir früher entdeckt,
ehe diese Liebe zu solcher Riesengröße ange, wachsen war, vielleicht wären unsere Herzen
noch zu heilen gewesen. Ich allein bin anzuklagen, meine Doch, ter, erwiederte der Major, doch auch zu
entschuldigen,
wie Du zugestehen wirst,
wenn ich Dir einst in einer glücklicheren
Gründe enthülle, auf welchem Wege ich
die Gefahr zu beschwören gedachte. Aber wo bleibt denn meine lieb« Dabet?
Habt Ihr sie zurückgehalten? fragte Clan, dine.
0 laßt sie zu mir, unsere Herzen
werden sich ganz verstehen.
Ach, auch sie
hat ja einen Verlust zu tragen! Ich habe Babct absichtlich entfernt ge,
4*
52 hglten, sagte die Präsidentin ; nur mit Dir
zu reden hatte ich mir gelobt.
Doch ist eS
gnt, dass auch ste unterrichtet werde.
Aber auch sie n»r allein, fiel der Bae
ran ein; die nöthigen Eröffnungen für Hugo übernehme ich selbst, und was die Welt
davon zu wissen braucht, soll ste erst nach dem Frieden erfahren.
Dies ist der feste,
unveränderliche Wille meines Freundes, wie der meinige. Sie haben Dich zurückgchalten. Dabet, redete Claudlne ihre Cousine an, als Beide allein waren, ach, und doch vermag Dein
Herz nur, weil eS selber liebt, meinen
Schmerz zu fassen.
Nimm und lies dieses
Schreiben. Furchtbares Geschick! schrie Babet auf,
als sie den Brief gelesen hatte, der ihrer
zitternden Hand entfiel; laut weinend sank
sie in die Arme ihrer Freundin.
_53—
Das also war eS, sagte sie.jammernd,
was die Mutter meinte, als sie vok lange« Zeit schon Eurer Liebe zu mir gedachte»?
Dies war da- Glück, welches sie Viktor» beim Abschied verhieß?
0 arme, arme
Claudine! Was kann ich thun für Dich?
Giebt es denn nicht Wege und Mittel, um
dieses Geschick abzuwenden? Jede Freude meines Lebens, selbst Hugos Liebe würde ich opfern für Dein Glück. Nein, eS ist
zu entsetzlich! Und der Pfarrer, Dein Va ter: wie war es ihnen möglich? Was sagt
denn der Oheim zu dieser furchtbaren Am klage, die sich gegen ihn erhebt?
Er hat die Macht der Liebe wohl nie gekannt, mein herrlicher Vater, darum ist ihm auch die meinige ungefährlich erschiene».
Entschliche Grausamkeit! rief Babet anS, indem sie, ihrer Empfindungen nicht mehr
mächtig, aufsprang.
Sie legt« die Hand
54 an die Stirn. Ja, es soll, eS muß seyn! sagte sie.
Claudine, wenigstens sollst Du
nicht allein
Schmerzen
tragen!
Jedes
Glück ist mir' verhaßt, seit daS Deinige da/
Hin ist.
Ich sollte lächeln können, wo Du
weiust? — Fahre hin denn, Liebe, die du dies unruhige Herz kaum zu beseligen an
gefangen, auf immer vertilgt aus meinem
Gedächtniß; niemals empfange Hugo diese
Handl Soll ich noch unglücklicher werden, als ich ßchon bm? hob Claudine klagend an; will
auch die einzige Freundin mich betrüben? Wie edel Deine Aufwallung auch ist. Da
bet, diese Großmulh ist nicht an ihrer Stelle.
Was sprichst Du von Großmulh, Clau, dine? Ist eS doch nur Pflicht, nur Ge rechtigkeit, die mich treibt. Hugo hat mich
nie geliebt, sein Mitleid erlog seine Nei
gung. Dich, Dich hat et geliebt, obgleich
55 Du seine Schwester schienst.
0 ich habe
Alles wohl bemerkt. — Jahre werden ver gehen, die barmherzige Zeit wird Deinem Herzen den tödtlichcn Stachel entreißen und
alle Wunden heilen, die jetzt in ihm bluten,
dann wird Hugo freundlich zu Dir treten und sprechen:
„Llaudine, noch lebt die
alte Liebe in meiner Brust und verzehrt mich zum Tode, willst Du mich auch dies
mal verschmähen?" Und dann, fuhr Da
bet mit bebender Stimme fort, und dann — Sie vermochte nicht zu vollenden, fuhr mit
der Hand nach dem Herzen und sank laut weinend auf Claudincns Lager hin.
Ungestümes, großmüthiges Herz! sagte Claudine, indem sie die Freundin in ihre
Arme schloß, hast Du nun Dein Beginnen erkannt? Nein, Babel, nur ein Glück zeigt der Himmel mir noch, der mir, ach!
Alles, Alles geraubt. Dir den dornigen
56
Pfad Seiner Liebe zu ebnen. Eine von «ns soll wenigstens glücklich werden. Was stnd meine Entschlüsse, was ist mein Much? rief Babel aus. Strohfeuer! Rasch lodern die Flammen auf, um eben so rasch zu versinken. Du aber, auf den Trümmern Deines Glückes, mit gebrochen nem Herzen, denkst »och fremden Glückes und sinnest. Andern Freude zu bereiten, — Sie wurden durch Silviu- Eintritt um »erbrochen. Unter Bezeugung der lebhaftesten Theilnahme reichte er Claudinen selbst den Trank, den er mitgebracht hatte, und setzte sich dann au das Lager der Kranken. Diese schöne Natur hilft sich selbst, sagte er, und wird des Arztes kaum bedürft». Einige Stunden Schlaf werden Alles in Ordnung br»ngen> — Doch da! da! könnte ich dort nur helfen! er zeigte auf Claudü ncns Herz — dann dürfte ich stolz seyn auf
57 meine Kunst! — Haben Sie mit der Präsir dcntin gesprochen? Mit ihr und mit dem Vater, erwiederte
Claudine, und kenne nun ganz die Unglücke
liche Quelle so vieler Leiden.
Hier, dieser
Dries enthüllt das traurige Räthsel.
Kleine Schrift, und doch so giftig? sagte
der Regimenter.
Ich will den Unhold zu
Hause vernehmen.
Er steckte das Schreie
den ein. Doch vor allem Ruhe, mein theur
res Fräulein!
Sie sind sehr angegriffen.
Gebe der Himmel Ihnen Schlaf!
Im Herangehen stieß er auf den Mar jor, der ihn begleitete. In dem Augenblick war des Rcgimenters weiche Stimmung
gänzlich entwichen. Komödienspiel! —
Narrenspoffen 1 —
sagte er ärgerlich; sie konnte den Tod har
den, das Cugelskind! Oder glaubt Ihr, daß ich hexen kann?
Schon Manche hat
58 sich so abgegrämt, und kein Doktor konnte helft».
Ich bin unschuldig, entgegnete der Da/
ron; aber Weiberjungen richten alles Utv heil an.
Zum Hause hinaus mit ihnen! Mir lassen sie Ruhe, fuhr Silvius auf.
Es ist die Schwester, Alter! Und wenn's die Mutter wäre! Ueber
Bord mit ihr! Aber Ihr habt doch Augen? Die Welt spricht ja von dieser Liebe!
Ich läugne es auch nicht, Silvius, aber, unserm Plane zu Folge, hatt' es noch lange
Zeit. Schöne Pläne,
erwiederte der Alte,
Bruder und Schwester sich verlieben zu
lassen — sie nimmt Gift, er läßt sich in Stücke hauen — das Trauerspiel ist fertig. Ihr habt Recht, Silvius, scheltet nur,
ich hqb's verdient. Das Spiel war zu ge/
59
wagt, doch die Absicht gut. — Wie findet Ihr Claudinen? Ein Lamm ifi's, ein Engel, Baron, «nd eine Natur dabei von Stahl und Eisen. Sie arbeitet sich durch. Doch daß sie muß, ist eben der Jammer. Und das sag' ich Euch, Viktor wird rasen. Das wird er nicht, Silvius, ich kenne ihn besser. Er vermag's nicht, Claudinen «ine trübe Stunde zu bereiten. Er ist ein Mann. Gott geb's, sagte der Alte, obwohl ich nicht in Eurer Haut stecken möchte, Baron, trotz Eurer Pläne. Gute Nacht!
Zweites Kapitel. Die Schlacht von Drienne war geschlagen, Napoleon im Rückzüge und in seinem Heere
59
wagt, doch die Absicht gut. — Wie findet Ihr Claudinen? Ein Lamm ifi's, ein Engel, Baron, «nd eine Natur dabei von Stahl und Eisen. Sie arbeitet sich durch. Doch daß sie muß, ist eben der Jammer. Und das sag' ich Euch, Viktor wird rasen. Das wird er nicht, Silvius, ich kenne ihn besser. Er vermag's nicht, Claudinen «ine trübe Stunde zu bereiten. Er ist ein Mann. Gott geb's, sagte der Alte, obwohl ich nicht in Eurer Haut stecken möchte, Baron, trotz Eurer Pläne. Gute Nacht!
Zweites Kapitel. Die Schlacht von Drienne war geschlagen, Napoleon im Rückzüge und in seinem Heere
60
fast jede Hoffnung erstorben.
Doch noch
einmal sollten seine verzweifelten Angelegenr
heilen eine günstige Wendung gewinnen, noch einmal sollte sein altes Glück auftour chcn und mit ihm die Möglichkeit, einen
vortheilhaften Frieden zu erlangen.
Mit
der ganzen Kraft seines ausgezeichneten Tor lentes wußte er den Moment -und mit ihm den Sieg zu ergreifen; doch mit dem Siege bemächtigte sich zugleich die alte Derblenr
düng seiner und hinderte ihn, einen Friede)»
zu schließen, der wenige Tage später um
keinen Preis mehr zu erlangen war. Der Mangel an Unterhalt hatte nämlich die Verbündeten genöthigt, beim weiteren Vorrücken sich mehr auszudehnen, und es wurde daher beschlossen, daß das Haupthecr längs der Seine, das schlesische Heer aber,
dem Laufe der Marne folgend, auf Paris Vordringen solle. — In der Absicht nut),
_ 61 die Macdonald'fche Hceresabtheilung, welche
sich von Chalons nach Paris zurückzog, von der Vereinigung mit dem Kaiser abzuhalten,
ja, unter Begünstigung des Glücks, sie gar
abzuschneiden, ließ der Feldmarschall seine Heereshaufen
rasch
die Marne abwärts
eilen.
Es war hierbei keine Gefahr, da man mit Sicherheit voraussehen durfte,
dqfi
das Hauptheer der Verbündeten Napoleon auf dem Fuße folgen werde.
aber nicht.
Pies geschah
Statt vorwärts zu dringen und
zu schlagen, wurde manbvrirt; man verlor das französische Heer während zweier ganzer
Tage aus den Augen und dadurch gewann Napoleon Zeit, einen furchtbaren Schlag
gegen das getrennte schlesische Heer zu voll-
führen.
Auf den schwierigsten Seitenwegen plöhr lich von der Seine gegen die Marne sich
62 wendend, schlug cr während weniger Tage
in den glänzenden Gefechten von Cham/
peaubrrt, Montmirail, Chateau Thierry,
Janvillicrs und Etoges die einzelnen Theile des schlesischen Heeres.
Dem letzten dieser Gefechte wohnte un/ ser Viktor bei.
Der unerschütterliche Held,
der alte
Marschall Vorwärts, hatte noch keine Nach/ richt von dem Ausgange der Gefechte seiner Unterfcldherren York und Sacken, dennoch
beschloß er, mit den schwachen Heeresab/
theilungen der Generale Kleist und Kapcze/
wicz zum Angriffe gegen Montmirail vor/
zugehen, um ihnen Luft zu machen.
Doch
bei dem Dorfe V a u ch a m p traf er auf die
ganze französische Macht, und das Gefecht nahm bald eine sehr ungünstige Wendung.
Sobald die Gefahr erkannt war, ward der Rückzug, nicht ohne bedeutende Verluste,
63
angetreten, betten ein so schwacher Heereshausen, von der Uebermacht gedrängt und von einer zahlreichen Reiterei umschwärmt, nicht auszuweichen vermochte. Doch der Kaiser, von diesem Erfolge wenig befriedigt, beabsichtigte die Gefangennehmung der ganzen Abtheilung. Sechs tausend französische Reiter hatten sich um das kleine Häufchen preußischer und russi scher Krieger herumziehen müssen, um den Rückweg durch den Wald von Etoges völlig zu sperren. Nicht leicht haben jemals Krieger sich ln einer gefährlicheren Lage befunden. Her einbrechendes Abenddunkel, ein ganz aufge weichter Boden, heftiges Drängen in der Stirn, lebhafte Seitenangriffe, der einzige Weg der Rettung vom Feinde schon besetzt, der sieggewohnte Feldherr und sein ganzes Heer von allen Seiten umzingelt.
64 Doch feine G.fahr vermochte die töpfe
ren Krieger zu erschüttern.
Heut wird
sich's ja zeigen, sagte ein Generakstaabs.Offi, zier, ob der König wirklich ein tapferes
Fußvolk besiht-
Vorwärts! auf den Feind!
Von allen Seiten angefallen, schließen
Nüssen und Preußen sich eng aneinander;
alle Trommeln wirbeln, und so, mit gefall, »ein Dajonet, stürzen diese Tapfern sich mitten in die zahllose feindliche Reiterei,
durchbrechen sie und gewinnen den Eingang
des Waldes. — Da nun unaufhaltsam die Nacht hereinbricht, so hofft ein Jeder einen sichern Rückzug gewonnen zu haben, doch noch einmal soll ihre Standhaftigkeit die Probe bestehen.
Einige feindliche Bataillone, genau fet Wege kundig, hatten, vermittelst eines Fuß,
steigS, früher den Ausgang des Waldes dicht vor Etoges zu erreichen gewußt und brechen
65 hier, von der Seite her, noch einmal her, vor.
Anhaltendes -Gefecht und' di« daraus
entspringende Ermüdung , so wie die Dun
kelheit der Nacht Haden die Ordnung gelöst; Russen und-Preußen ziehen, bunt unter
einander gemischt, ihre mühevdlle Straße, indem dieser -Angriff erfolgt.
Zur Altake, Gewehr rechts? ruft Vik tor, der an der Spitze einer gedrängte»
Haufens Infanterie rettet, welcher keinen Befehlshaber mehr hat.
Fällt 's Gewehr?
Er sprengt gegen die Feinde an, doch von
mehreren Kugeln getroffen, sinkt er vom Pferde und bleibt auf der Wahlstatt liegen, wahrend die Gefährten seines Unglücks un
ter den letzten Anstrengungen und erneueren
Verlusten das Dorf erreichen. Die unglücklichen Ereignisse dieses Ta
ges, die drängende Eil, welche allein Ret-
tung'verhieße hatless vie Rücksicht auf Wer,
in.
5
66
wundete heute unmöglich gemacht, die um f» weniger unserm Heiden }u, Theil werden
konnte, als nächtliches Dunkel seinen Fall umfing- So verlassen- in seinen Wunden
am kalten Boden, sand ihn die rettende Hand des treuen Freundes.
Wir haben den trefflichen Heinrich in
dem Augenblicke verlassen, als er zum Ne, gimrnte znrückkehrte, «m seine Wiebexver, eiiiigung mit einem Freunde - zu betreiben,
dem et mit ganzer Seele anhing. — Der Befehlshaber des Regiments hatte seinen dringenden Bitten nicht zu widerstehen »er, möcht und es bald veranlaßt, daß dieser zu, verlässige, umsichtig« Krieger als Ordon nanzoffizier vom Regimente in'S Haupt, quartier befehligt wurde.
Da bin ich wieder bei Dir, sagte Hein, »ich, Viktor» freudig die Hand reichend,
um jedes Schicksal mit Dir zu theilen, in
67 der Zuversicht, baß ich dazu berufen bitt,
Dir einmal recht nützlich zu werden. Von diesem Augenblick an übte er sein
altes Recht, immer um Viktorn zu seyn und jede Gefahr von seinem Lieblinge zu
entfernen. Ward Viktor zum Gefechte bc, ordert, so hatte Heinrich gewiß bald Gelee geNheit gefunden, ihm zu folgen, und eigene
Aufträge führte er im Fluge aus, um schnell
wieder bei dem Freunde zu seyn.
Erst beim Einbrüche der Nacht hatte er heute Viktorn aus den Augen verloren. In
banger Dcsorgniß hielt er hinter Etozcs, um seineii Freund zu erwarten, den er bis/ her vergeblich gesucht halte. Da flog uilweit
von ihm Viktors Schimmel über das Feld,
wieherte laut und hielt dann, den befreunbeten Skallgcnoffen witternd, neben Hein
richs Rappen. — Das reiterlose Pferd be zeichnete zu deutlich den Unfall seines Herrn. 5*
68 Augenblicklich kehrte Heinrich mit einiger
Mannschaft
zurück,
seinen
unglücklichen
Freund zu suchen.
Ihn kümmerte eS nicht, daß der Feind noch immer nicht im Rückzüge war, ihn schreckten nicht die häufigen Schüsse, welche
in dunkler Nacht fielen.
Sorge und Angst
trieben ihn unaufhaltsam vorwärts.
Und
welche Wonne beseligte ihn, als er auf dem Punkt des letzten Angriffs, nach langem
Umhertappen, seinen heißgeliebte» Freund
noch lebend fand. Still! sagte Heinrich, noch schwärmt,
überall der Feind umher und hat bas Dorf besetzt, aber Du bist gerettet!
Leise ward
Viktor aufgehoben und zur Seite des Dor/
fes vorbeigetragen, wo es dem unermüdlie chen Freunde gelang, ihn dahin M bringen, wo keine Gefahr mehr drohte. Ich bin nicht gefährlich verwundet, .sagte.
69 Viktor, und werde reiten könrten.
Man
-hob ihn 'aufs Pferd. Bald waren die prem siischen Vorposten, endlich auch da« Lager
bei Borgeres glücklich erreicht: Viktor wurde verbunden. -Es zeigten sich mehrere ungefähr/
liche Streifwunden, aber die Erhaltung sei nes Lebens sollte er der Geliebten banken. Eine wirten auf die Brust'einsthlagendc Ku
gel- hatte die goldene Kapsel mit ClaNdinrnS Bilde
zertrümmert und eine
bcdeukeükr
Quetschung zurückgelassen. Liebliches Bild, sagte Viktor, so hat der
Feind dich! nicht verschont und keine Spur
deines holden Daseysis übrig gelassen? Die
himmlischen Züge, die mich so oft anlächcltat, sind auf immer verschwunden, das liebste Befihlhlttn ist mir geraubt.
Soll ich an
Ahnungen glauben, zum erstenmale in mei
nem Lebe«? — Aber wie undankbar ist der Mensch, fuhr er gegen Heinrich sott, et
70
trauert, wo er nur freudige Dankbarkeit empfinden sollte. Haben denn nicht Liebe und Freundschaft allein mir dies Leben riv halten? Welche Vereinigung seltener Um/ stände mußte für diesen Zweck zusammen .wirken. Claudine mußte mir ihre Neigung schenken, damit Bertram ihr Bildniß für mich malen konnte, und Du, treuester aller Freunde, mußtest mich unablässig wie eine Hülfebringende Gottheit umschweben, damit ich gerettet wurde. 0 tt ist doch schön, so geliebt zu seyn! Noch in der Nacht brach man wieder auf nach Chalons, woselbst, im Laufe dreier Tage, alle getrennten Abtheilungen deS schlesischen Heeres sich vereinigten, um mit Blitzesschnelle neuen Thaten entgegen zu eilen. Erst jetzt ließen sich 6k Verluste der letzten Tage übersehen. Mancher tapfere
71 Krieger war den Heldentod gestorben, man» cher mit Wunden bedeckt kn Gefangenschaft
gerathen.
Aber auch unter den ungünstig»
sten Verhältnissen hatten Russen und Preu»
sie» in einer Tapferkeit gewetteifert, die ek» ncs glücklichen Erfolgs würdig gewesen
wäre. Unter unsern Freunden war Heinrich das begünstigste Loos gefallen; Bertram war
bei Chateau Thierry gefangen und Hugo dort verwundet worden. Das Schicksal ist uns zu lange freund»
lich Mvesen, sagte Viktor in diesen Tagen,
an Hugos Bette sitzend, um uns nicht eüd» lich einmal auch seine Ungunst empfinden zu
lassen.
Doch was sind unsere kleinen Lek»
den, setzte er hinzu, gegen den traurigen
Gang der großen Ereignisse?
Wer hätte
vor vierzehn Tagen gefürchtet, daß wir heute
72 weiter von unserm Ziele dntftvnt seyn wür
den, als damals? Es ist schwer, die Meinung zu unten drücken, erwiederte Hugo, baß man uns ab.sichtlich im Stiche gelassen habe. Scheint
es doch, als ob die Friedensmäuner an der Seine uns gern so weit hertintergebracht
sahen. Laß wir nicht mehr mitsprechen fön/ tun, damit sie ungestört einen schmählichen
Frieden schließen dürfen. Ist dieses Mißtrauen auch viekkeicht zu
stark, Hugo, so ist wohl nicht zu läugnen,
daß Napoleon noch immer seine Freunde hat- Ich hoffe nur, es wird den Verzagten nichts helfen,, unser herrlicher Alter wird
schon ein Mittel finden, sie in Zug zu deine
gen# M doch darüber nur eine Stimme, daß der Kaiser Alexander, wie unser König, mit klaren Blicken und entschlossen ihren Plan verfolgen.
73 Ich begreife nur nicht, nahm Heinrich das Wort, wie der Feldherr d» drüben den
Krieg auf eine so wunderliche Weise führen
kann.
Hat er doch fast nichts gethan, seit
wir auf französischem Grund und Bode»
stehen-
Marfthiren und Rccognosciren, zn
etwas mehr bringt er's nicht.
Es bleibt nichts übrig, erwiederte Vik tor, als.'eben anzuüchmm, daß auch ihm
die Hände gebunden sind, und daß cs nicht mehr ein Feldherr ist, der den Krieg
führt, sondern ein Cab in et, sonst müßte man an seiner Fähigkeit wahrlich ganz ver
zweifel».
Wir wollen jedoch den Faden des Ger spräches, welcher sich unter den Freunden weiter fortspann, fallen lassen, da die Ger-
schichte des Feldzugs von 1814 jetzt kein Räthsel mehr darbietet. Schon am. fünften Tage nach dem Qkf
74
fechte von Etogcs setzte sich bas schsesische Herr in Bewegung, um auf ein Rendezvous an die Aube zu eilen, wohin es zur,Schlacht bestellt worden war. Aber auch diesmal noch wurden alle Hoffnungen getäuscht. Statt einen mnthigen Kampf einzugeheu, trat das Haupkhccr den Rückzug an; und nur der kühnen Entschlossenheit des preußischen Feld herrn und der edlen Bereitwilligkeit, mit welcher Alexander und Friedrich Wilhelm die Ausführung seines Planes genehmigten, hat die Welt den glücklichen Ausgang dieses Kampfes zu banken. Zum zweiwnmale stürzte der alte Blücher auf Paris los, um gewaltsam den gefährlichen Gegner auf sich zu ziehen und das andere Heer zu Thaten anzuspornen. — Das schlesische Heer hatte ChalonS verlassen. Viktor wußte, daß am Abende vorher die Feldposten cingctroffen waren. Da er lange schon keine Briefe
75 empfangen hatte, so rechnete er heute zu,
»ersichtlich auf briefliche Mittheilungen, und fand um so schmerzlicher sein Erwarten ge
täuscht.
In trüber Verstimmung ging er
ZU seinem Freunde und fand diesen in einer
Bewegung, welche er vergeblich zu verber gen strebte. Du hast Briefe, -Hugo?
mich so verstört an?
Du blickst
Ein Unglück ist ger
schehen; sprich, sprich und ende diese bange
Ungewißheit! Zuvörderst, mein theurer Freund, nahm Hugo das Wort, Ne Versicherung, daß un
sere Lieben in der Heimath gesund sind;
Alle, Allel Doch was bedeutet diese Verwirrung, in
der Du Dich befindest? Viktor, sagte sein Freund, es hat sich etwas zugelragen, das uns ein herbes Lei
den bereitet, Dir wie mir, doch trifft es
76 Dich besonders schmerzlich.
Wirst Du F*s-
sung haben, es zu ertragen? Lebt Clandine, Hugo? rief Viktor erschütte«; nur hierauf wahrhafte Antwort!
Sie lebt, sie ist gesund, bei meiner Ehre
versichere ich's. Dann wird ja auch das Schwerste zu trag'en seyn.
Sprich es aus, geliebter
Bruder! Dieser Brief Claubi'nenS, der Schwe
ster, wird Dir das furchtbare Geheimniß
enthüllen, sagte Hugo, indem er seinem
Freunde mit dem Ausdruck tiesverhaltrnsn
Schmerzes ein verschlossenes Schreiben hin reichte. Mktor trat voll Bangen erfüllt an's Fenster, öffnete eilig den Brief und ver
schlang den Inhalt in ängstlicher Hast. Don jähem Schmerz ergriffen, fuhr er dann zusammen; Todrenblässe trat in seine
77 Züge« die Lippe« bebte», alle Muskeln zuck»
ten und große Thränen rollten über seine
Wangen herab.
Schrecklich, schrecklich! stöhnte er und warf sich erschöpft in einen Sessel.
Armer, armer Bruder! stöhnte Hugo leise hinüber. Ja wohl, arm, ganz arm. Die Blüthe ist aus meinem Leben hinweggenommen und
aller Reiz ihm entwichen. 0 warum mußte diese Kugel ein Herz verfehlen, das kein
freudiger Pulsschlag mehr bewegen wird? — Aber Himmel! rief Viktor, wild aufsprin gend, wer verbürgt denn den Inhalt dieser
Schreckensbotschaft? Ich glaube sie nicht,
ich will.ihr nicht glauben.
Kann dieser
Brief als Zeuge gelten, da, wo jedes Ge
fühl in mir Nein ruft? Noch darf ich zweifeln, und, bei Gott, ich will's, bis je
der Sinn in mir überzeugt ist. — Schreib-
78 zeug, Hugo! ich will die Frage meinem Bi»«
ter vorlegen, dem Pfarrer; er ist ein rcdli/ cher Mann und versteht nicht, zu lügen,
und meine liebe, theure Mutter! o könnte
ich von ihre»» Herzen Aufschluss fordern!
Glaub' mir's, Hugo, sie, ja nur fle ist meine Mutter, und alles Andere ist nur ein trüber Wahn!
Mit nassen Blicken reichte Hugo dem Freunde das Schreiben des Barons, web ches die traurige Wahrheit unzweifelhaft
bestätigte. So ist's denn wirklich aus! sagte Viktor
leise, nachdem er gelesen, und ließ ermattet
die Hand sinken, welche die inhaltschweren
Zeilen hielt. So ist's denn aus! Und nichts bleibt übrig, als den Wahnsinn zu verwünr
schen, welcher dies Unheil schuf, und dann in den Tod zu gehen. — Noch wenige Tage und ich kaun wieder zu Pferde. Ich will
79 versuchen, unter den Bajonetten der Feinde
zu sterben, wenn ihre Kugeln nicht tidten. Und Claudine? fragt« Hugo in rühren dem Tone. 0 sie wird mir bald folgen, rftf Viktor
heftig; sie wird's nicht überleben! Deinen Tod?
nein, den überlebt sie
nicht, Viktor! Und die Schuldlose fort also
mit hinab in die kalte Gruft? fort aus ei nem Leben, dem reiche Genüsse sich noch bereiten? Sie betet ihn an, diesen Bruder,
aber er, der sie so unaussprechlich zu lieben vorgiebt, will nur ihren Tod. — Gieb mir ihren Brief, Viktor!
0, dieser Engel! sagte Viktor.
Wie
herrlich trägt sie ihren Schmerz, mit wie
süßen Trostesworten ist sie bemüht, mich aafzurichten! Nein, Claudine, ich will kein
Ungeheuer seyn, ich wenigstens werde dir
80 keinen Schmerz erregen, ich will für dich
leben!
Nun erst erkenne ich meinen edlen Freund, sagte Hugo. Ich wußte wohl, daß Du Dich fassen würdest. Armer Frennd, hob Viktor nach einer
Pause an, auch mit Dir treibt dar Schick sal sein grausames Spiel! Aus dem Schooße
des Ueberflusses, aus dem stolzen Schlosse verweiset es Dich in die bescheidene Hütte und raubt Dir Vater und Schwester.
Sprich nicht davon', sagte Hugo.
Ich
finde einen herrlichen Vater wieder und eine zärtliche Mutter! O, meine Mutter! rief Viktor.
Könnt'
ich d i ch nur wenigstens retten aus dem un
geheuren Brande, der alle meine Habe ver zehrt.
Nein, Hugo, ewig werd' ich's nicht
begreifen, wie die Natur so lügen' kann.
81 Wenn das nicht Mutterliebe war, so ist sie nirgends in der Welt z» finden.
Bis spar in die Nacht saßen die Freunde
in stillem, gramvollem Gespräche beisammen. Wie ausgestorben ist doch auf einmal
die Welt, sagte Viktor, wie einsam und verr lassen stehe ich in ihr!
Mir graut vor der
Oede meines Zimmers.
Laß mich bei Dir
bleiben, daß mein Auge wenigstens einen Menschen erblickt,
der
mich noch liebt.
Schlummre Du, mein wunder Freund,
wenn Du es vermagst, ich will schreiben. Nicht heute, Viktor, nicht morgen ! Ger
währe meine Bitte und laß erst wenige Tage vergehen.
Es wird mir schwer, Unglücksbruder, doch Dein Wille soll geschehen!
III.
6
82 Bittor an den Baron von Waldau. ChalonS für Mar«e,
am 24. Fcbr. 1814.
Mein theurer Vater! Ich banke es nur der Besonnenheit meü
«Ls ^Hugo, der als letzte Gunst des Hime mels mir zur Seite blieb, wenn ich nicht
vor mehreren Tagen schon, überwältigt von wahnstnvigtm Schmerze, Dir in einem Tone schrieb, wie er einem Sohne gegen den Vater nimmermehr geziemte.
Vater,
das Glück meines Lebens ist grausam ver/ nichtct! und nimmer werd' ich es fassen, wie die herrlichsten Männer, die ich kenne,
D» und mein lieber, theurer Pflegevater, eine Gefahr unerwogen lasse« konnten, die sich ihnen klar gegenüber stellte.
Meine geliebte,
über
Alles
geliebte
Schwester darf ich lange nicht sehen. Dies
83 Entsagen fordert meine Ruhe gebieterisch
von mir.
Vergönne mir denn, einem Lebensplane zu folgen, den ich Dir mit größter Aufrich, tigkeit vorlege. Dieser Krieg wird, wie ich hoffe, bald
beendet seyn; gestatte mir dann, an einem entfernten, stillen Fleck der Erde zu weiten, bis ich die nöthige Ruhe werde gewonnen haben, eine Heimat wieder zu sehen, die
leider bas Grab meines Glücke- geworden. Ich will einige Jahre ganz meiner Kunst
Xt&t», und. ihr Heilung abjugewtnnen fux chen für mein krankes Herz. Verzeihe mir, wenn ich diesen Anstatt
Haltsort verschweige; ich bedarf ungestörter
Ruhe.
Jede Erinnerung an die Heimat
würd» Meine Wunden von Neuem blÄteit
nmchrn. Auch Kann Dich'- wohl picht verletzen,
6»
84
wenn ich bringend die Erlaubniß erbitte, vorerst einen Namen fortführen zu dürfen,
den ich drei und zwanzig Jahre trug; sey es auch nur, um meinem edlen Pstegevater
einen stillen Dank dadurch zu bekunden. — Ach! am liebsten entsagte ich ihm niemals und verzichtete gern auf alle werthkosen Vor/
theile veränderter Lebcnöverhaltnisse. Doch werde ich Deinen Wünschen und Geboten stets gehorsam mich erweisen.
Gern schrieb ich auch heute meinen Pfle/ geeltcrn, aber dies Herz möchte der über/
großen Rührung erliegen.
Tausend heiße
Grüße, Thränen und Küsse diesen vortreff lichen Eltern l Hugo liegt verwundet in der Stadt, doch
gefahrlos. Seine Hand vermag , indeß die
Feder noch nicht zu führen. Auch ich bin müd' und matt, und mit zerrissenem Herzen sage ich Dir Lebewohl.
Wiktor.
85 Viktor an Claudinen. Da Du meine Liebe gekannt hast, Clandine, kennst Du auch meinen Gram. Um
so eher darf ich ihn verbergen, und der schmerzliche Ausdruck desselben soll nicht
Deine Leiden verdoppeln. Nur von der Zukunft darf ich reden,
die mich anweht, kalt, wie das Grab. Sie
steht bildlos vor dem Gedankenlosen, dessen Gehirn wie vertrocknet ist.
Schwester soll ich Dich nennen? Ich
vermag'S nicht.
Meine ganze Natur em«
pbrt sich dem Namen.
Hat der Himmel
mir zwanzig Jahre die Schwester versagt, so hab' ich jetzt kein Herz mehr für sie.
Sich', ich muß nur daran denken, wie
unsere Liebe wohl geendet hätte, wäre ich
der arme Pfarrerssohn geblieben und Dein Kater hätte Dich mir versagt.
Nicht wahr, Claudine, auch in hvffvungSr
86 loser Liebe hätten wir einander doch ewig
geliebt? So laß uns denn denken, es wäre noch
eben so und wir liebten uns, wie in den ersten Tagen unseres Glücks, das Schicksal
aber versagte nur den letzten Besitz. Und ist es denn anders, Claudinc? Kann das Wesen unserer Liebe sich ändern, weil die
Welt uns Geschwister nennt? 0 so laß »nS denn. Du Heißgeliebte! das Vorhandcnseyn dieses unseligen Verhält nisses verträumen, wofür wir kein Herz
und keine Gedanken haben.
Ich spreche zu Dir von meiner Liebe, Du zu mir von der Deinigen; wenn ich
dann bitter klage, daß ich so ewig fern von Dir leben muß, ohne Hoffnung des Wie
dersehens, so stärkest Du mich mit Engels troste, und ich gewinne dadurch Kraft, Dich wieder zu trösten. Endlich, nach langen.
87 langen Jahren, wenn Vieles um uns ver/ gangen ist, nur nicht unsere ewige Liebe, bleiben plötzlich Deine Briefe aus und Da/ bet schreibt:
„Nun kann sie nicht mehr mit Dir reden, denn heut ist der Engel hin/ übergeschlummert."
Ich wußt' es wohl, sage ich still, 'trockne
die Thränen von meinem Auge und bin in
wenig kurzen Tagen bei Dir, dort, wo es nur ein gleichartiges Gefühl der Liebe giebt,
das alle seligen Geister theilen. Dort sink'
auch ich selig in Deine Arme und wir feiern
ein ewiges Wiedersehen. Oder weißt Du bessern Rath, Claudine?
Rebe! Ich folge Deinen Winken.
Nur
von der Zeit hoffe nichts, sie hat keine Macht über meine ewige Liebe. Glaubst Du aber, ein Verhältniß, wie
jenes geschilderte, nicht tragen zu können.
88 tuinn laß uns für immer von einander 2(6;
schied nehmen, wie Sterbende scheiden, um ans ewig zu verstummen. Claudine, ich habe geschworen. Dich nie
zu verlasse» g vertrauendem Schwur!
Dir
zu Liebe will ich auch ein Leben lieben,
schützen und wahren, das ohne Dich mir eine drückende Bürde seyn würde.
Claudine, womit doch haben wir diese» Gram verschuldet?
Drittes Kapitel.
An dem Abende des Tage-, an welchem
bei Chateau Thierry gefochten wurde, hat; ten die Vork'sche» und Sacken'schen Heeres;
abtheilungen sich über die Marne zurückge;
zogen, und diesen Rückzug seit mehreren
88 tuinn laß uns für immer von einander 2(6;
schied nehmen, wie Sterbende scheiden, um ans ewig zu verstummen. Claudine, ich habe geschworen. Dich nie
zu verlasse» g vertrauendem Schwur!
Dir
zu Liebe will ich auch ein Leben lieben,
schützen und wahren, das ohne Dich mir eine drückende Bürde seyn würde.
Claudine, womit doch haben wir diese» Gram verschuldet?
Drittes Kapitel.
An dem Abende des Tage-, an welchem
bei Chateau Thierry gefochten wurde, hat; ten die Vork'sche» und Sacken'schen Heeres;
abtheilungen sich über die Marne zurückge;
zogen, und diesen Rückzug seit mehreren
_89__
Stunden beendigt. Die Brücke war abge brochen.
Die Vorstadt am diesseitigen Ufer
war von Franzosen, die jenseits gelegene Stadt von Kosackcn besetzt. In dem Dorfe Nesle übernachteten Napoleon und seine
Garden.
Zahllose Feirer der Bivouaks los
decken auf dem weiten Plateau empor.
In einem einsamen Weiler, dem Dorfe Essommes gegenüber, hcfanden sich um diese Zeit eine Anzahl Verwundeter der verbünr
beten Heeres als Gefangene. Diese warm eben verbunden worden, als ein französischer
Offizier in'S Zimmer trat, um die Namen einiger Offiziere unter den Gefangenen auf-
zuzeichnen.
Ein junger preußischer Husm
renoffizier mit verbundenem Kopfe saß in
trübes Nachdenken versunken, das Haupt in die Hand gestützt, an dem einzigen klcinsst Tische im Zimmer.
Er schien wenig von
dem zu bemerken, was um ihn her vorgmH,
90 LiS ihn die Frage um feinen Namen plitz«
lich feinen Träumereien entriß.
Mit sicht«
barer Ueberrafchung blickte er den fragenden
feindlichen Offizier an und gab dann die geforderte Antwort. Der junge Franzos betrachtete aufmerk-
fam die Uniform beS Verwundeten. Don dem * * fchen Hufarenregimente? fragte er. Jener bejahte. So sieht auch der Lieutenant Holm aus Lindenau in Schlesien bei Ihrem Regt-
mente.
War er beim heutigen Gefechte?
Seit längerer Zeit, Rittmeister Düval,
ist mein Freund im Hauptquartier angcstellt und hat unser heutiges Mißgeschick glückli
cherweise nicht getheilt. Sie kennen mich? fragte der Rittmei ster befremdet.
Ich war einmal so glücklich, rerotebrrte
Bertram, einen Vortheil über eins« la-
91 pfern Gegner, der uns an der Spitze einer
Schwadron gar hart zusetzte, mit erringen
zu helfen.
Sie werden sich eines Ge
fechtes unweit einer Mühle erinnern, wel
ches vor dem Waffenstillstände vorfiel. Es hat sich Vieles seit jenem Tage ver
ändert, sagte Duval, und obgleich damals gefangen, hätte ich dennoch nimmer ge glaubt, Sie in Frankreich wiedcrzusehen.
Aber der alte Glücksstern leuchtet uns wie
der und bald wird mein Vatcrlanh von die sen Fremden für immer befreit seyn.
Nach einer kurzen Pause begann Düval wieder: Ihr Freund hat stet- edel an mir
gehandelt.
Ich habe sprechende Beweise
davon, daß ich ihm allein meine Auswechse lung verdanke, die er mir damals persönlich
anziikündigcn
gütig genug
war.
Gern
Möchte ich ihm einen Theil meiner schuld
92 abtragen.
Sie sind sein Freund.
Kann
ich etwas für Sie thun? Da an eine Auswechselung jetzt nicht zu
denken ist, sagte Bertram, und Sie außer
dem die Freiheit mir nicht verschaffen kön nen, so ist mir nicht zu helfen.
Düval ging unruhig im Zimmer umher. Kennen Sie meinen General? zurückkehrend Bertram leise.
fragte er
Er hat ein
mal als Kranker im Schlosse des Barons mehrere Tage zugebracht. Ich kenne den edlen Mann nur aus
Mittheilungen meines Freundes, war Ber
trams Antwort.
Leben Sie wohl! sagte Düval rasch in
gewohnter Heiterkeit. Hcffnung für Sie.
Ich bin nicht ohne
Im schlimmsten Falle
sprechen wir uns noch, — Hierauf entfernte er sich. Wunderbares Zusammentreffen:,
sagte
93 Bertram zu seinen Gefährten; schon zum zwcitenmale finde ich einen alten Bekannten
in diesem Feldzuge wieder. Es wat tief in der Nacht.
In unrur
higcm Schlummer lagen Bertrams .Kampf« grtwssen am Boden; mer
er selbst saß noch im
auf der alten Stelle,
seine traurige
Lage und die Worte Düvals erwägend, als bix Thüre leise geöffnet ward, in welcher Däval erschien und de» Maler still zu sich
winkte.
Nachdem die Thüre eben so geräuschlos geschlossen war, nahm Düval unsern FrcuNd Unter den Arm
und
führte ihn an
der
Schikbwacht vorüber zum Hause hinaus. Als sic Ziemlich weit unter dem Schutze
der Nacht vorwärts geschritten waren, blieb Düval stehen. — Ich glaube, sagte er scher,
zend- es wird dem Gange dieses Krieges keine andere Richtung geben,
wenn auch
94 ein Offizier weniger in der Gefangenschaft schmachtet; übrigens seyn Sie meinetwegen
unbesorgt, ich wage nichts, indem ich Sie über die Marne schaffe.
Verstehen Sie
einen Nachen zu regieren?
Vollkommen! erwiederte Bertram, der Düvals Hand ergriff und dankbar drückte. Desto besser! sagte Düval.
Doch nun
habe ich zugleich eine Bitte an Sie. In
jener Stadt wohnen einige mir sehr theure Personen,
worunter
meine Mutter und
Schwester, in deren Hände ich um jeden Preis einige Zeilen zu bringen wünschte, deren- Beantwortung mich ganz glücklich
machen würde. .Mir ist dies aber unmSgr lich, da wir mit dem nächsten Morgen von
hier aufbrrchen.
Wollen Sie der stleberr
bringer dieser Zeilen seyn? Verkeimen Sic mich nicht, großmüthiger
Mann, entgegnete Bertram, wenn der Krier
95
ger ablehncn muß, was der Mensch gern
Vollführte. Dürfte ich es Ihne« verargen, wenn Sic die Gelegenheit benutzten, Nach richten von militärischer Wichtigkeit durch mich mitzutheilen oder einzuziehcn?
Welches militärische Interesse könnte
wohl in diesem Augenblicke die Verbindung
mit dem jenseiligen Flußufer gewähren? er/ wiederte Düval lebhaft.
Ist doch, außer
der Besatzung von Soissons, von unsern Truppen nicht- auf dem rechten Ufer; auch ist diese Verbindung wirklich schon gcwom
nen- durch die heute erfolgte Besetzung von La Fert« sous Jouarre.
Was können wir
Ihrem Heere anhaben, welches die Nacht benutzt haben wird, seine Verbindung mit
Chalons wieder zu gewinnen? wie daran denken, es einzuholen, da wir vielmehr nach den Vortheilen dieser Tage eilen werden, die S;ine wieder zu gewinnen?
Doch,
96 sagte er, was bedarf es dessen? Ich habe
ja kein Geheimniß zu verberge».
Hier,
hängen Sie meinen Mantel um, setzen Tie meinen Hut auf und treten an jcntS Wachte
feuer, wo Sie diese Zeilen lesen kinnen. Bei diesen Worten entsiegelte er eine» Dries und reichte ihn Bertram hin.
Roch einmal, Rittmeister, erwiederte
Bertram, verkennen Sie mich nicht.
Dox,
sicht wird hier Pflicht, und niiNmer werde ich Ihr Vertrauen mißbrauchen.
Indem
umhüllte Bertram sich mit der Kleidung seines Begleiters und that, wie ihm gehei ßen war.
Die meisten der hier versammelten Krie ger lagen "im Schlafe, doch giebt es überall
alte krieggewohnie Soldaten, deren eisen feste RatUr des Schlafes zu spotten scheint: Während die Kameraden rings UM -sie der Ruhe pflegen, findet man sie die halbe
97 Nacht um das Feuer beschäftiget, Speisen,
zu kochen, zu rauchen oder zu plaudern. Guten Abend, Kapital» k redete ein ale
ter, bärtiger Grenadier, der ihn für einen französischen Offizier hielt,
Bertram an,
welcher dreist an das Feuer trat.
Der
Tausend, habt Ihr auch Eins weggrkriegt
an diesem schönen Tage? Es verlohnt nicht der Mühe, davon zu reden, mein Freund, war Bertrams Ante
«ort; nichts, wie ein Streifschuß. Nehmt Platz, Kapitain; die Nacht ist
rauh und mein Feuer in schöner Ordnung,
Ich will nur diesen Brief lesen. Freund, der Dienstsachen enthalt.
Wartet, sagte der Soldat, indem er eie nen Spahn anzündete und Bertram leuch
tete, Ihr könnt so besser sehen.
In wenig Augenblickeir war unser Freund
III.
7
98
ü-erzeugt, daß Düvals Schreiben ganz um schuldigen Inhalts sey.
Der Sohn unterrichtete die Mutter, daß das Glück sich dem Kaiser wieder zugewandt
habe, daß man hoffen dürfe, in Kurzem aller Gefahr ledig zu seyn.
Dennoch m
suchte er die Mutter dringend, nebst der
Schwester und Lucien nach Paris zu gehen, indem Kriegsunruhen leicht diese Gegend
treffen könnten.
Verstcherungen der Liebe
und Anhänglichkeit schlossen den Brief. Nun, sagte der Grenadier, werden wir
zeitig aufbrechen? Ich denke, unser kleiner
Korporal ist ganz der Alte und wird diese vermaledeiten Preußen und Russen nicht
zu Athem kommen lassen.
Er hat ihnen
gut aufgespielt, Kapitain, in diesen drei Tagen.
Es ist noch nicht Zeit, davon zu sprechen,
erwiederte Bertram, aber verlaßt Euch bare
6S
auf, noch ehe es tagt, marschiren wir. Ihr
werdet kaum rin Paar Stündchen zur Er, holung übrig haben. Adieu, Grenadier!
Adieu, Kapital»! Ich bin beruhiget und ganz zu Ihrem
Befehl, sagte Bertram, als er zu Düval znrückkehrte. Vortrefflich; rasch denn ohne Zögern.
Er schlug sofort eine Richtung links über
Feld ein, um so das User des Flusses zu gewinnen.
Wir Müssen die eignen Vorposten um/ gehen, sagte Düval, wenn das Unternehmen
glücken soll; bald werden wir ein Gebüsch erreicht haben, welches gerade auf die Marn«
führt. Aber nun muß ich Sie unterrich/ ten, wo meine Mutter wohnt. Sie wer/ den bei einer Gasse an'S Land treten, welche
zwischen einigen Gärten sortläust, bis zue
Straße hin, wo meiner Mutter Haus steht.
7*
100 Da man Ihnen jedoch auf der Frontseite
des Hauses den Eingang versagen dürste, so ersuche ich Sie, genau dem Wege zü folgen, den ich Ihnen bezeichnen werde. Einige hundert Schritte den Gartenmauern Vorüber finden Sie zur linken Hand, eine kleine, enge Gasse, welche Sie einschlagen
müssen.
Dan» bitte ich Sie, die Pforten
zur rechten Hand der Gartenmauer zu zäh,
len.
An der vierten findet fich ein Glok-
kenzug, welchen Sie dreimal leise anziehen. Dies verabredete Zeichen wird Ihnen un bedingt Eingang verschaffen.
Auch' ist ge
wiß Alles im Hause wach, nach einem so stürmischen Tage.
Sollten Sie indeß Mcht
gehört werden, so ersuche ich Sie, über die Mauer zu steigen und gerade auf das Haus
loszugchen.
In dem letzten Zimmer, zur
rechten Hand schläft die Bedienung, die Ihnen unfehlbar Eingang verschafft.
101 Ich gebe Ihnen mein Wort, sagte. Derr
tram, Ihren Auftrag zu erfüllen und Ihr
nen aus demselben Wege Antwort zu bringen. Das Ufer der Marne war erreicht. Dür
val halte einen Nachen, der im Gesträuch
verborgen lag, losgemacht, reichte Bertram das Ruder und sagte: Wie gern begleitete ich Sie, wenn meiner Freiheit nicht Gefahr
drahte. — Glückliche Fahrt! Ich erwarte Sie hier. Bertram stieß den Kahn ab und fuhr
mit leisen Ruderschlägen über den Fluß.
Ex traf den beschriebenen Landungspunkt,
befestigte den Nachen und trat die Wander
rung an. Bei der großen Dunkelheit der Nacht ging er behutsam vorwärts.
Bald zeigte
sich links die dunkle Ocffnung zwischen den weißen Mauern,
er folgte dem Gange,
zählte aufmerksam die Thüren und fand an
102 der »irrten den bezeichneten Glockenzug,
welchen er -leise dreimal anzogt
Durch die
Stille der Nacht »ernahm er deutlich da ferne Tönen der Glocke. Alles still.
Dennoch Blieb
Bertram wiederholte da- Zri/
chen. Endlich vernahm er ein vorsichtigr-
Hcranschletchen, und ei« leises: Wer da? tönte ihm entgegen. Ein Bote von» Sohn d-L HauftS, vom
Rittmeister Düval, mit Briefe» ain Ne
Mutter, die Schwester und Fräulein futie! Gleich! antwortete die Stimme.
Ein
Schlüssel drehte sich im Schloß, die Thür ward geöffnet.
Sind fle noch auf? fragte Bertram ein/ tretend den alten Diener, weicher eine kleine
Laterne unter dem Mantel hervorzog und neugierig den späten Gast beleuchtete. Wer kann ruhen, nach solchen Schreck/
Nissen? sagte der Alte; kommt, Ihr -trefft
103 sie Alle versammelt. — Er verschloß die
Thür und führte Bertram in'S Haus. Meldrt mich erst an, sagte Bertram. Ich bin ein Freund Eures jungen Herrn, der gute Nachrichten überbringt.
Der Alle setzte die Laterne in den Vorsaa! nieder und verschwand durch eine Thür.
Bald darauf ward dieselbe Thür wieder
geöffnet, und cs erschien eine ältere Dame, nebst zwei jungen Mädchen, welche unge-
duldig dem leuchtenden Diener vorangeeilt waren, jetzt aber auf der Schwelle stehen
blieben, die fremde, vom Mantel umhüllte Gestalt, mit der weißen Binde um das
Haupt, ängstlich betrachtend.
Fürchten Sie nichts! sagte Dcrlrajn lä chelnd; hier ist meine Beglaubigung. Er über gab bei diesen Worten DüvalS Mutter das
Schreiben.
Diese, hatte kaum die Schriftzüge des
104 geliebten Sohnes erkannt, als sie Bertram höflich in's Zimmer zu treten bat.
Er lebt? er ist gesund? riefen die jun/ gen Damen, indem sie gespannt in den
Brief der Mutter blickten. Er ist's, versicherte Bertram, und be
findet sich ganz in der Nähe.
Ja, wer den
Muth hätte, über die Marne zu schiffen,
könnte ihn in wenig Augenblicken sprechen.
Nur die Besorgniß, der feindlichen Besahung in die Hände zu fallen, hat ihn
selbst abgehaltcn, sich herüber zu wagen.
Doch mit anbrechendem Tage muß er der
Vaterstadt Lebewohl sagen. Die Damen schienen verwundert. Er wagt es nicht, sagte eins der junge»
Mädchen, welche Bertram für Lucien hielt, und doch sendet er den Freund, den ver
wundeten Freund in die Gefahr?
105 Da- hat seine eigene Dewandtniß; ich wage nichts dabei.
Mit wachsendem Bestemden blickten die Frauen auf den seltsamen Gast.
Mein Gott! rief Lucie erschrocken, in
dem sie einen Schritt zurücktrat. — Wir sind verrathen, Tante;
er ist von den
Feinden! Obgleich Bertram die fremde militärische
Tracht im Mantel zu verbergen gesucht
hatte, so «ar durch ei» zufälliges Zurück
schlagen desselben doch der Orden auf seiner Brust sichtbar geworden. Und wenn es auch so wäre? erwiederte
Bertram, heute bin ich als Freund hier; und Damen gegenüber darf man nicht daran
denken, daß es Krieg in der Welt giebt. — Ich danke Düval mehr, als ich sagen darf,
für sein Vertrauen; daß ich ihn aber lange
106 und genau kenne, davon werde ich Sie leicht
überzeugen können. Er berührte nun in Kurzem die Haupt-
Momente aus Düvals Leben, von dem Au,
genblicke an, wo er Schloß, Linden«» betre ten hatte, bis zu seiner erfolgten Auswechse
lung. — Wir Beide, schloß er lächelnd, ha ben Frieden mit einander gemacht, und ich wage es, eine freundliche Antwort für ihn
zu erbitten, um mein ihm verpfändetes Wort zu lösen. Das wohlwollende, offene Wesen Ber
trams, seine genaue Bekanntschaft mit Dü-
valS Schicksalen, so wie die Unwahrschein lichkeit einer absichtlichen Täuschung entfern
ten jeden Verdacht.
Während auf einen Wink der Hausfrau rin Diener Erfrischunge» herbciholte, ent
quollen dreien Feder» liebevolle Worte für den Abwesenden.
107 Bertram mochte nicht müßig bleiben.
Er bar um rin Blatt Papier und hatt«,
indem Jene ihre Briefe schloffen, auch ein Abbild Düvals in sprechender Aehnlichkeit
vollendet.
„Bertram delineavit" schrieb
er darunter.
Dies, mein Fräulein, zur
freundlichen Erinnerung an einyt preußi schen Offizier, sagte er, daS Bild höflich
Lurien überreichend. Erröthend sagte sie: Wie kann ich so
viel Artigkeit erwiedern?
Dadurch, daß Sie, nebst Mutter und Schwester, mir bis an den Fluß folgen. Gleich an den Gärten steht der Kahn, ich hole Düval herüber.
Es sey gewagt! sagte die Mutter. Der Preis ist zu lockend.
Sie wagen nichts, auf mein Wort! Aber lasse» Sie uns eilen!
108 Die Damen hüllten sich in ihre MLne
tel und der Zug begann in stiller Eile. Die Laterne fort, ehrlicher Alter, sagte
Bertram, sie kinnte uns verrathen! Bald war das Ziel erreicht. Hier weie
len Sie, bat Bertram, nur wenige Minuten, bi- zu unserer Rückkehr.
Diese Weiden
«erden Sie verbergen.
Pfeilschnell flog er über den Fluß. Hier
sind die Briefe, Duval, flüsterte. Bertram,
aber ich bringe noch mehr: Die Mutter, die Schwester und Lucjen habe ich mit an'S
Ufer gebracht; rasch in den Kahn! Ich bürge für jede Gefahr! In großer Bewegung sprang Düval in
den Nachen und sank drüben in die Arme
feiner lang entbehrten Lieben. Laßt Euch durch nichts stören, sagte Bertram; ich halte Wache.
Er
entfernte sich
freudigen Herzens,
109
lehnte ruhig an der Ecke einer Gartenmauer und lauschte aufmerksam, ob irgend ein Ger räusch, von der Hauptstraße her, Gefahr drohe. Die unter der langsam dahinschleie chenden Zeit wachsenden Schmerzen seiner Kopfwunde konnten das säße Bewußtseyn nlcht trüben, seinem edlen Retter vergolten zu haben. Endlich kam Düval. ES ist Zeit, zu scheiden, sagte er, und wahrlich, es ist ein schönes Gefühl, daß wir als Freunde scheu den. Nicht wahr, wir haben im Kriege Frieden geschlossen?
So sey's, erwiederte. Bertram, und w» wir uns im Gefechte begegnen, da jagen wir grüßend einander vorüber, um einen andern Gegner zu suchen. Sie umarmten sich.
Wer mir das vorhergesagt-hätte, sagte
110
Düval lächelnd, daß ich noch einmal an der
Brust eines Preußen liegen würde! Er sprang in den Nachen, stieß vom Lande und rief noch einmal ein leises Lebe«
wohl vom jenseitige» Ufer. Welch' eine frohe Ueberraschung haben Sie uns bereitet, mein Herr, sagte die Mutter. Wie sollen wir unsern Dank aus«
sprechen? Befehlen Sie über mein Haus,
zu allen Zeiten. Es war nur eine schwache Erwiederung
der Verbindlichkeiten, welche ich Ihrem
Sohne schuldig bin, entgegnete Bertram. Und nun leben Sie wohl! Die Pflicht ruft mich zu den Meinigen.
Ich hoffe. Sie werden uns nicht ganz vergessen, fuhr die Mutter fort.
Endlich
wird doch der Friede dies Land beglücken. Kommen Sie dann jemals nach Frankreich
111
zurück, so werbe ich Sie stet- wie einen Sohu empfangen.
Wer weiß, wie noch Alles endet, und
ob ich nicht früher Ihre Güte in Anspruch nehmen muß, als Sie jetzt denken? sagte
Bertram, indem die Damen von ihm
schieden. Er blieb so lange stehen, bis diese zwi/ schen den Gärten verschwunden waren, und
eilte dann im seligen Freiheitsgefühle der Hauptstraße zu.
Bald ward er von einerKosackenpatrouille
angcrufen. — Preußischer Offizier! antwor/
tete Bertram.
Man brachte ihn zu dem
kommandircndcn Offizier.
Er gchLrte zu
der Kosackcnabthcilung des Generals Kare pow des zweiten, welchem die Beobachtung
des Flusses übertragen war. Bertram er/
zählte, daß er verwundet liegen geblieben
und daß es ihin in der Dunkelheit gelun/
112
gen sey/ sich an die Marne zu schleichen, wo er, mit Hülfe eines Fischernachens, sich herüber gerettet habe. Er erfuhr dagegen, baß das Heer bereits einen tüchtigen Vorsprung gewonnen habe und daß RheimS von einer preußischen Reiterabtheilung beseht sey. Da nun ein Kosackentrupp mit anbrechenbem Tage dahin aufbrcchen sollte, so schloß Bertram sich diesem an. Die Nacht war schon hereingebrochen, als man RheimS erreichte. Allein der Zu stand seiner Wunde hatte sich so verschlim mert, daß er gezwungen war, in dieser Stadt zu bleiben. Viertes Kapitel.
Vkktbr war von seinen Wunden zwar «Sch nicht völlig hergestellt, aber er der-
112
gen sey/ sich an die Marne zu schleichen, wo er, mit Hülfe eines Fischernachens, sich herüber gerettet habe. Er erfuhr dagegen, baß das Heer bereits einen tüchtigen Vorsprung gewonnen habe und daß RheimS von einer preußischen Reiterabtheilung beseht sey. Da nun ein Kosackentrupp mit anbrechenbem Tage dahin aufbrcchen sollte, so schloß Bertram sich diesem an. Die Nacht war schon hereingebrochen, als man RheimS erreichte. Allein der Zu stand seiner Wunde hatte sich so verschlim mert, daß er gezwungen war, in dieser Stadt zu bleiben. Viertes Kapitel.
Vkktbr war von seinen Wunden zwar «Sch nicht völlig hergestellt, aber er der-
113 mochte nicht länger zu weilen, da er fühlte, daß er mehr wie je eines thätigen Lebens bedürfe, um nicht dem Schmerze zu unter/
liegen. Auch Hugo war noch nicht genesen, als
er aber den Freund sich rüsten sah, wollte er um keinen Preis zurückbleiben; da nur
der Arm gelitten hatte, so hoffte er zum Dienste wieder tüchtig zu seyn. Die Absichten des Feldmarschalls, indem er zum zweitenmale auf Paris vordrang, waren vollkommen erreicht worden.
Napo
leon hatte die Verfolgung des Haupthceres
aufgegeben, um seiner bedrohten Hauptstadt
zu Hülfe zu eilen. Er war über die Marne gegangen und Blücher zog sich auf Soisi-
sons zurück.
Diese Bewegungen waren
eben in Chalons bekannt geworden, als Vik tor und Hugo abreistcn.
Sie nahmen 6m
nächsten Weg über Rheims. III.
8
114 Schon lag diese Stadt weit hinter ihnen, al« sie einen Retter gewahrten, der desselben Wege« zog.
Es ist ein Preuße, sagte Viktor, und wüßte ich nicht, daß unser armer Bertram in der Gefangenschaft schmachtet, so würde
ich, seiner Haltung nach, glauben, er sey'S. Sir ritten schärfer; der Offizier sah sich um, wandte sein Pferd und sprengte mit
lautem Kreudengeschrei seine« theuren Freun/ den entgegen. Es war Bertram.
Inhaltsreiche Mittheilungen verkürzten die Reise.
Mit Freuden vernahmen Hugo
und Viktor Bertram- Befreiung durch Dü/ val; mit wehmüthiger Theilnahme erfuhr der Maler Viktor« Leiden.
Es ist überwunden, sagte Viktor, soweit ein solcher unvergänglicher Schmerz über/
wunden «erden kann; laßt «ns
davon
schweigen und lieber Bertram« Abenteuer
115 qäher erwägen.
Nach meiner Anficht bn u
feil wir dieses Glück einzig dem Edelmuthe
des feindlichen Generals.
Ich will di« Mitwirkung deS Generals Nicht in Abrede stellen, erwiederte Bertram,
da Düvai auf eigne Gefahr wohl so viel nicht wagen durste.
Allein ficherlich ist der
Gedanke meiner Befreiung von ihm ausge, gangen. Wenigsten-, fiel Hugo ein, lag ihm dies
sehr nahe, da er außerdem seiner Familie
keine Nachricht von sich zu
heben im
Stande wär.
Ihr scheint mir Beide, entgegnete De» tram, doch etwas zu ungünstig von unserm alten Widersacher zu denken. Ich bin dar
gegen ganz mit ihm versöhnt, er wax s» herzlich, so bieder, daß ich seine aufrichtig gen Gesinnungen
nicht
bezweifeln 8*
darf.
116 Hat er sich gleich früher rauh und stürmisch
bezeigt, so ist dennoch sein Herz gut. Merkst DMS denn nicht, Hugo, sagte Viktor, daß unser Bertram seine Freiheit
nur erlangt hat, um gleich wieder in neue Gefangenschaft zu gerathen, und abermals
in französische? Umsonst entwirft er wohl nicht so beredt das Bild der schönen Rosalie
mit mehr als Künstlerenthusiasmus.
Ach,
Bertram! rief er plötzlich mit ganz veräne
dertem Tone aus, muß mich denn Alles
nur an meinen Verlust mahnen?
Zwinge
ich mich gleich, zu vergessen, was einst daS
Licht meines Lebens war, dennoch führt Ale
les mich darauf zurück, selbst der Scherz, worin ich mich versuche, wird zur Klage.
Nun begreifst Du, wie ich überwunden habe.
Unter diesen Worten sprengte er stürz
misch voraus. Bald jedoch sahen die Freunde
117 ihn halten, absteigen, die Karte herausnehmen «nd die Gegend durch sein Fernglas
beobachten. Wollen wir nicht die Richtung verän-
dcrn? fragte Hugo, als sie Viktor» erreicht hatten.
Den ganzen Tag wahrt schon das
Schießen zu unsrer Linken; ich dächte, wir
hielten gerade darauf los. Ein Blick auf die Karte wird Dich be
lehren , Hugo, daß wir diesseits der AiSne das Heer nicht mehr erreichen können.
In
dieser Richtung liegt Fismes an der Desle;
das Feuer ist aber weit übe« Fismes hin aus, viel westlicher.
Ein Beweis also, daß
der Feldmarschall die Aisne erst nach dem Zusammenflüsse mit der Beste passiren will.
Darum laß uns nur getrost auf Bery au Bae gehen, eS bleibt keine andere Wahl. Morgen haben wir unser Ziel erreicht.
118 Was hast Du durch bas Eias entdeckt?
fragte Bertram. Einen starken Wagenzug bet FiSmes,
wahrscheinlich unser Gepäck, war ViktorAntwort.
Ich gestehe, sagte Hugo, es gehirt ein eignes Talent dazu, sich leicht zu orientiren;
wie viel länger ich auch Soldat bin, als Du, Viktor, eS wird mir nicht halb so
leicht, wie Dir. Im Terrain selbst bin ich bald zu Hause, aber es verwirrt mich stets,
wenn ich eine Karte mit der entsprechenden Gegend selbst vergleiche.
Da geht'- Dir wie unserm herrlichen Blücher, erwiederte Viktor.
Der hält auch
nicht virl von Karten, aber draußen ist er
desto leichter »rientirt.
119 Der nächtliche Angriff bei Laon hatte die
herrlichsten Resultate gebracht. Die schwachen preußischen Heeresabtheilungrn, welche ihn unternahmen, hatten den ganzen rechten
Flügel des Feinde- auSeinandergcsprengt und dessen sämmtliche- Geschütz erobert. Die Entmuthigung, welche diese Nieder lage in dem französischen Heer erzeugte, war zugleich so groß, daß sie Napoleon ein
neue- System der Kriegführung zu ergrei
fen zwang, und da er seinen Feinden nicht mehr im offnen Kampfe entgegen zu treten
wagte, so wollte er durch Kriegslisten seine
Zwecke zu erreichen versuchen. Daher führte er sein Heer die Marne aufwärts in den
Rücken de- Hauptheeres, um dieses dadurch
zu einem Rückzüge gegen den Rhein hin zu bewegen, und durch die Annäherung an seine eigenen Festungen den Nationalkrieg, der sich in jenen Gegenden zu entwickeln
120 begann, mehr zu beleben und Hjm freien
Spielraum zu geben. Doch er stand am Wendepunkte seines Glückes.
Während er sich von der Haupt
stabt entfernte, vereinigten sich die verbänbeten Heere, eilten rasch nach Paris, er-
kämpften siegreichen Einzug und stürzten eine Herrschaft, unter deren Druck Europa
lange geseufzt hatte. Fast ganz Frankreich theilte die gerechte
Abneigung gegen einen Mann, dessen rast lose Ehrsucht den Beseligungen des Friedens wehrte.
Zugleich waren vielseitige erfreu
liche Erinnerungen an das unglückliche, ver stoßene Königshaus erwacht, und tausend
Stimmen verlangten den König zurück. Die Verbündeten ivurden als Befreier von der begeisterten Hauptstadt empfangen, ihr
Einzug ward zum Triumphgepränge. Viktor, der das Ziel erreicht sah, für
12s welches er die Waffen ergriffen hatte, bat um seine Entlassung. Da sein persönlicher
Muth, seine Umsicht und Brauchbarkeit viele fällig erprobt waren, so war er schon in
Deutschland mit dem eisernen Krcuje erster Klasse beliehen und noch im Laufe des Wine terfeldzuges zum Rittmeister ernannt worden.
Den erbetenen Abschied erhielt er daher
in den ehrenvollsten Ausdrücken.
Einige Tage vor Viktors Abreise von Paris trat Bertram in sein Zimmer.
Da Du einmal nicht ISnger zu halten bist, redete er ihn an, da Paris mit seinen
tausend Sehenswürdigkeiten Dich nicht fes
seln kann, so sostst Du mir wenigstens noch an einen Ort folgen, wo es traulich und
hübsch ist, und wo man Dich mit eben so
sehnlichem Verlangen als Zuversicht erwartet.
122 Von wem sprichst Du? fragte Viktor;
wer kann mich erwarten? Grüble nicht und komm!
Wir sind zur Stelle, sagte Bertram, im
dem er mit seinem Freunde vor einem Hause Halt machte, welches unweit der Boule«
vards, in der nie de la paix stand.
Du
flehst, daß die- eine der hübschesten breiten Straßen von Parts ist und daß Alles hier, sogar der Name, freundlich ist.
Ich hoffe.
Du sollst e- drinnen nicht weniger anmu«
thig finden. Sie gingen in's Hau-, wurden gerne!/ dct und traten in ein freundliches Zimmer,
wo sich drei Damen befanden, welche die Emtretenden freundlich begrüßten. Hier bring' ich Ihnen, meine Damm, hob Bertram an, den versprochenen Besuch.
Hab' ich auch meinem Freunde nicht ent«
123 deckt, wohin ich ihn führe, so wir- er doch kaum darüber in Zweifel' seyn. Ich irre stcher nicht, sagte Viktor, wenn ich glaube, vor der Mutter eine- tapfern
jungen Mannes zu stehen, dem ein feltsa» mes Geschick mich zweimal feindlich gegen»
über gestellt hat, dem ich zugleich unendlich verbunden bin für die Großmuth, die er
hier meinem Freund erwie». Mein Sohn war wohl in einem hohen
Grad Ihr Schuldner, versetzte Frau von Düval, und H konnte ihm nur Freude ma»
chen, Gelegenheit zu finden, um einen Theil dieser Schuld avzutragen. — Gott sey Dankl
fuhr sie fort, die Zeit der Stürme ist vor» über und eine neue, glücklichere Zeit brr ginnt, in der sich alle Menschen verständk»
gen müssen, auch solche, die früher in feind» licher Berührung standen.
Wahrlich, ich bin zu jedem Frieden gr,
124 neigt, sagte Viktor mit freundlicher Verbru-
gung z und habe längst schon mit meinem raschen vormaligen Gegner Friede, gemacht.
Mein Sohn, redete die Mutter Düval an, der eben in's Zimmer, trat, Du kommst
zur rechten Stunde, die »ins den- erfreuliche ste» Besuch zugcführt hat. Zwar habe ich niemals, erwartet, erwie
derte Düval, meine alten Bekannten unter solchen Umständen in unserer Wohnung zu begrüßen, doch wer mags andern. — Mein
Glaube steht uncrschüttcrt und ich kann daher nicht das Zubelgeschrei der Menge thei len, noch weniger einen Feldherrn vergessen,
dessen Größe die späteste Nachwelt anstautun wird; doch kann ich allein nicht gegen den Strom sthwimmen.
Muß ich witklich
ein neues Leben beginnen, so hab' ich we
nigstens den Vortheil, noch jung zu seyn— Sie aber, fuhr er zu Viktor gewandt fort.
125 kann ich nur bitten, das Vergangene zu vergessen. Sagen Sie Ihrer Familie, wie
aufrichtig ich es bereue, durch meine tadelns, werthe Heftigkeit ihr Kummer bereiter j«
haben.
Diese Vorgänge möge Vergessenheit bedeke
ken, sagte Viktor.
Ihre edlen Gesinnungen
hat seitdem die That hinreichend bewährt.
Hier ist meine Hand, Düvak!
Lassen Sie
uns Freunde seyn, und mögen unsere Na,
tioncn sich eben so aufrichtig versöhnen, wie wir in dieser Stunde! Die jungen Männer umarmten sich.
Dieser Aussöhnung folgte ein freunbli, ches Zuvorkommen aller Anwesenden gegen
Viktor».
Bertram schien ohnedies in der
Familie ganz heimisch, und da Beide ge, flissentlich Alles vermieden, was den jungen
eifrigen Buonapartisten verletzen konnte, ft entfaltete sich das natürliche Talent der
12K Franzosen für gesellige Freude« la aller, Lier
benSwürdigkeit, und Viktor verlebte einen Abend, der ihn höchst wohlthuend zerstreute. Er schied dankbar mit dem Versprechen, vor
seiner Abreise seinen Besuch zu erneuen. Ich danke Dir, sagte Viktor, da er mit Bertram das Haus verließ, daß Du mich
hierher geführt.
Diese Versöhnung hat
wohlthurnd auf mich gewirkt. — Ich ber dauere nur, nicht auch Duvals General ger
sprachen zu haben, der, wie ich höre, in seine Heimat zurückgekehrt ist.
Einer ber nächstfolgenden schönen Früh,
lingstage fand unsere Freunde in Bondy beim Abschiedsmahle. Jede Trennung trägt sich leicht, welche Wiedersehen und Erneuerung
des alten,
theuren Verhältnisses hoffen läßt; schwer
127
dagegen, wenn ein Verein von Freunden mnthmaßlich sich für immer löst. Das Band, welches der Krieg so amuu, thig um »ier gleichgestimmte Herjen trän, lich geschlungen hatte, zerriß nun der Feie, de, indem er die Freunde, die sich aus fernen Gegenden für einen Zweck zusanu mengesunden, nach Erreichung des Zieles wieder über die weite Erde zerstreute. Viktor, die Seelik dieses Bunde-, sollte zuerst scheiden, und in wenig Tagen muß, ten die Andern gleiche- Loos theilen. Verzeiht, meine Freunde, begann Viktor, wenn ich, allzu sehr mit Mir selber befchäs, tiget, nicht einmal erfragt habe, wo Euch künftig meine Briefe finden werden. Du, Hugo, willst fvrtdiknen, nicht wahr? Dich hab' ich also in der Garnison Deines Regi, ment« zu suchen? Der Friedensdienst hat wenig Erfreust,
128 ches, erwiederte Hugo, besonders nach einem
solchen Kriege.
Vielleicht folge ich Deinem
Beispiele und entsage den Waffen für im,
wer. Doch, hange ich nicht ganj von mir ab, wie Du weißt, und muß erwarten, was
die Zukunft über mich verfügen wird. Und Du, Heinrich? fragte Viktor. Ich kehre in die Mack, meine Heimat, zurück, sagte Heinrich, »nb ergreife wieder den Pflug.
Ich bin nicht ganz ohne Mit,
tel und darf daneben auf bereitwillige Un, terstützung rechnen.'
Da beabsichtige ich
denn, mir ein mäßiges Gut zu kaufen und
dort still mir selbst zu leben. Ich bleibe vor der Hand in Paris, meine
Freunde, nahm Bertram das Wort.
Nicht
leicht finde ich an einem andern Orte so
reiche Kunstsammlungen und selbst so tüch, tige Meister, und darf daher nur Nuhen von einem verlängerten Aufenthalte hoffen.
129 Nach einiger Zeit denke ich dann die Hei/ mat wieder zu besuchen und späterhin wie/
der nach der heiligen Roma zu wandern. Wohl verstanden, sagte Heinrich, wenn
nicht schöne Augen 'ihn hier fesseln sollten.
Allerdings- mein Freund, erwiederte der
Maler, ist Rosalie ein holdes Wesen, dem
ich herzlich gut bin.
Doch denke ich wahr/
lich nicht daran, mich zu verheirathen. Mir sagt «in freies, fcsselivseS Wanderleben zuDer Künstler hat genüg mit der Anbetung
der Musen zu schaffen und darf de« gefähr/ liehe« Schritt nicht wagen, noch andere
Götter in seine Hütte zu führen.
So werden wir den« bald in alle Winde zerstreut seyn, sagte Diktor, und möglicher/
weise für iimuer getrennt.
Laßt uns des«
halb festhalten an der Erinnerung einer ge/ meinsam verlebten, herrlichen Zeit.
ES ist
Seines unter, uns, der den Andern nicht
m.
9
ISO ttidft Liebe gezeigt hätte.
Die Gefahren
des Krieges haben unsern junge« Bund er/
probt und gestählt, deshalb wird er beste« hen, wenn seine Glieder auch gelbst werden.
Auf die Fortdauer -unserer
Freundschaft
dennl rlef Viktor, indem er mit den Freun«
den zum Abschied anstieß. Die Pferde waren bestiegen.
Viktor
reichte zum lehtenmalr feinen theuren Ge« nossen di« Hand.
kleines Packet.
Bertram gab ihm ein Ein Angedenken' Deiner
Freundet sagte er;-ffne es- wenn Du allein
seyet' wirst.' Und nun leb' wohl! Hierauf wandten Jene die Rosse und waren bald
hinter dem Dorfe verschwunden. Langsam und traurig verfolgte Viktor seine einsame Straße. Als er in den Wald
von Bondy gekommen, öffnete er das Pa« pier.
Eine goldene Kapsel leuchtete ihm
entgegen, auf welcher die Namen ftiner
131
Freunde eingegraben waren.
Treuer, lieber
Mensch, sagte Viktor, ich verstehe dich! Er
öffnete den Deckel.
Noch einmal strahlte
das holde Bild ClaubinenS ihm entgegen. Sie war in ein blaue» Gewand gekleidet,
die rechte Hand schlug einen weißen Schleier
zurück, ein holdes Lächeln verklärte ihre Züge.
Unten standen mit feiner Schrift
die Worte: Post nublla Phoebus.
Phoebus? sagte Viktor leise, indem er den naMn Blick unwillkürlich erhob, das Sonnenbild zu suchen.
Eben trat
Wolke hervor.
eS glänzend hinter
einer
Viktor schüttelte trauernd
das Haupt und ritt in tiefem Rachsinnen weiter.
132—
Fünftes Kapitel. SilviuS hatte richtig prophezeiht. Wenn gleich Claudine am Morgen
nach jener
Schreckensnacht noch matt und angegriffen war, so vermochte sie doch das Bett zu ver
lassen.
Ihre kräftige Natur hatte glücklich
den heftigen Stasi überwunden. Lange saß sie tn stiller Wchmuch vor dem Bilde ihres Bruders, dessen lheure
Züge betrachtend, dann erhob sie sich. Gott wird mir Stärke verleihen, sagte
sie; ich will ihm schreiben. Sie öffnete das Schreibpult und ergriff
die Feder; aber die zitternde Hand versagte
den Dienst; ihre Gedanken verwirkten sich; Claudine fühlte, daß sie die schmerzliche Er öffnung noch verschieben müsse.
133 Plötzlich entsann sie sich jene» versiegel ten Briefes, den der Vater ihr als schützen den Talisman gfcgen hoffnungslosen Schmerz
an ihrem Geburtstage übergeben hatte. Eine dunkle Nöthe überflog ihre bleichen Wau den, hastig entriß sie das Papier dem ge heimen Fache, welches es bewahrte, um ei
lig das Siegel zu öffnen, aber zögernd ließ sie die Hand sinken. Sie sann den Worten ihres Vaters nach. Mancher herbe Schmerz, hatte er gesagt, trifft unser Leben, der geduldig getragen seyn will; nur wenn sich einst der ganze Himmel Deines Glückes verhüllen, ein un heilbarer Gram an Deinem Leben nagen sollte, bann erst erlaube ich Dir, dieses Pa
pier zu öffnen. Wahrlich, ich darf nicht! sagte Clau dius. Hat gleich dieser Schmerz mich tief
ergriffen, dennoch fühle ich, daß er mein
134 Leben nicht zerstören wirb.
Was kann es
auch helfen? setzte sie hinzu, was können
diese Zeilen für ein Heil enthalten, daS der Vater, der mein Leiden steht, nicht längst mir freiwillig
erschlossen haben
würde?
Dulde und trage denn, unglückliches Mäd, chcn! sagte sie, indem sie das Papier wie,
der an seinen Ort legte.
Wer Claudinen, einer geknickten Lilie
gleich, gebeugt, schwermüthig wandeln sah, mußte das tiefste Milleiden empfinden. — Bis in'S Innerste ergriffen war der Baron.
Zärtlicher war er nie gegen die geliebte Tochter gewesen.
Er nahm sie auf de»
Schooß, liebkoste ihr und suchte uncrmüb,
lich durch den liebevollsten Zuspruch sie anst zurichten.
Muth, Muth, Claudine! sagte er; über, winde nur den ersten Schnterz, und glaube
135
mir, daß noch die Zelt kommen wird, wo dieser Mund wieder lächelt. In solchen Augenblicken verschloß Clgu/ bitte ihre Lippen jeder Klage. Habe nur. Geduld, Vater, sagte sie dann, es wird ja mit jedem Tage besser. Gleich zarte und liebevolle Theilnahme bezeigten ihr der Pfarrer und seine Gattin., Eigene Eltern hätten nicht mehr besorgt seyn können, Claudinens Schmerz zu besetz tigen, als diese wahrhaftem Freunde. Beide vermieden jedoch, gleich dem Da/ rott, jede Erörterung der Gründe jener lange bewahrten absichtlichen Täuschung, und Claudinens Zartgefühl vergönnte ihr keine Frage hierüber. Insbesondere zeigte sich die Pfarrerin liebreich. Sie konnte Claudinen ohne Rüh/ rung nicht anblicken und überhäufte sie mit zärtlichen Liebkosungen. Einmal, da Clan/
136
dine wieder in heißen Thränen an ihrem Dusen lag, schien die Pfarrerin sich nicht länger bezwingen zu sinnen. 0 diese har ten Männer! sagte sie; welch' ein Unglück haben sie angerichtet! Claudine, ich bin unschuldig an Ihren Leiden. Die Zeit wirb Ihnen dies beweisen. Jetzt darf ich nicht reden. So giebt es doch noch ein Geheimniß? fragte Claudine, und jener Brief Ihres Gatten enthüllt nicht Alles? Still, mein süßes Kind! war der Pfar rerin Antwort; das zweite Geheimniß-ist wenigstens minder trüber Natur, als jenes erste.
Wir verließen die Präsidentin bestürzt über die traurigen Folgen ihrer unberufenen Mittheilungeni Je mehr Fassung jedoch
137 ihre Nichte gewann und je weniger Neue
die Geheimnißträgcr blicken ließen, um so
mehr gewann sie ihre Haltung wieder, und der Schritt, den sie gethan, erschien ihr von neuem als Pflichtgebot.
Desto strenger
klagte sie aber ihren Bruder und das mitt verfchworne Holm'sche Ehepaar an, denen
ihr gespanntes, abgemessenes Betragen ihre
Gefühle hinlänglich verrieth.
Dabet theilte diese mit der größeren Heftigkeit ihrer Jugend und ihres raschen,
vorschnellen Temperamentes.
Aller War
nungen und Winke ihrer Mütter ungeach
tet, vermochte sie nicht, ihre Empfindungen
zu verbergen, und ihr Unwille traf vorzugs weise den Pfarrer und dessen Frau.
An dem alten Silvius erlebte die Welt rin Wunder.
Der Mann, welcher Jahre
lang wie ein Einsiedler gehaust hatte, dessen Abneigung, außerm Hause zu seyn, so groß
138 war, daß man, wie der Anfang dieser Ge, schichte zeigte- es nicht wagte, ihn zu dem kranken Obersten zu rufen, war mit einen»
male ganz verändert.
Er kam nicht nur
täglich auf's Schloß, sondern besuchte sogar den Pfarrer und unterhielt sich, wenn er
ihn nicht zu Haus traf, oft halbe Stunden lang mit der Pfarrerin.
Der Mensch, dessen Unglück zweifellos entschicden ist, versucht dennoch, nach Hoffe
nung zu ringen, die er selbst auf den Glane
den an Wunder zu erbauen geneigt ist. Auch Claudine forschte ängstlich nach fei»
»em HoffnungSschetn, und eine leise Stimme flüsterte ihr zu, Silvius werde ihr als rett tender Engel erscheinen, wie unmöglich die-
ihr auch bei näherer Erwägung erschien. Nach Verlauf mehrerer Tage winkte
Silviu-Heim Weggehen Claudinen, ihm zu folgen, was diese möglichst unbefangen that.
139 Draüßen übergab er ihr den Brief des
Pfarrers und sagte heftig: Es ist richtig^ die Jungen sind vertauscht!
Man kann
nicht länger zweifeln; das Dümmste von
der Welt ist wirklich geschehen. — Aber sonst ist noch Vieles dunkel.
Verdammt, daß ich
bei dem besten Willen nicht helfen kann.
Ach, ich wußte es nur zu gut, sagte Claudine, daß es keine Hülfe geben kann.
Sie kehrte mit dem schmerzlichen Ger
fühle der vernichteten letzten, wenn gleich
schwachen Hoffnung traurig in's Zimmer zurück.
Nun glaubte sie auch nicht länger mehr zögern zu dürfen mit Lösung der schwersten
Aufgabe. — Unter taufend neu erwachenden Qualen, unter Schmerzen der Verzweiflung, und doch mit wie rührender Ergebung ent
warf sie jenen Scheidebrief vom Glücke^
dessen traurige Wirkungen wir oben geschkk
140 bett haben.
Sie hatte den Brief des, Pfar
rers eingelegt und Alles dem Vater «zur Besorgung übergeben. Der Major hatte zugleich an Hugo ge schrieben und den Brief an ihn adresflrt,
damit Viktor die unglückliche Nachricht nicht ganz unvorbereitet erhalten möge.
Welche Schmerzen Claudinen auch Vik tors Antwort nothwendig bereiten mußte,
dennoch sah sie ihr mit Sehnsucht entgegen. Aber vergeblich! indem kurz vor der glor
reichen Entscheidung der Aufstand des fran zösischen Volkes an der Maas und Mosel
die Verbindungen unterbrochen und den Postenlauf gehemmt hatte.
Tage und Wochen vergingen daher ohne
alle Nachricht. Nur der Umstand, daß Nie
mand Briefe hatte, daß ein dichter Schleier
alle Ereignisse -ei dem Heere zu verhüllen
141 schien, entfernte die Sorge ClaudinenS um Viktors Leben.
Silvius kam täglich aufs Schloß und
auf die Pfarre.
Er war zwar ganz der
Alte und gab nur eine auffallende, ungee
wohnte Unruhe
und Hast
zu erkennen.
Häufig ging er im Zimmer umher und stieß einzelne, abgebrochene, zum Theil unvere
ständliche Worte hervor. Laßt ihn, sagte der Baron, und vere
scheucht ihn nicht durch Fragen. Eine- Abends, als Claudine am Fenster
stand und gedankenvoll in de« gestirnte» Himmel blickte, trat Silvius zu ihr. — Meine Geduld ist zu Ende! sagte er; noch
drei Tage, dann brech' ich den Schrank auf« Der Dietrich ist schon geschmiedet! — Dar mit drehte er sich kurz auf dem Absatz« herum, ohne ihr weiter Rede zu stehen.
Welchen Sinn sollte Claudine in diesen
142 Worten finden?
Irgend eine wunderliche
Grille mußte einmal wieder in Silviu-
Kopfe spuken; aber welche? Wie räthselhast das Benehmen des Al,
ten ihr auch erschien, dennoch erwartete sie ungeduldig den Ablai'f der von ihm gesetz
ten Feist. — Der Abend des dritten Tages war gekommen und sand Silvius wie ge
wöhnlich zugegen. auf eine Erklärung.
Sie hoffte vergebens Der Alte schien sie
gar nicht zu bemerken und hielt sich mehr wie je zum Baron und zum Pfarrer. Mit,
ten im Gespräch ergriff er plötzlich den Hut
und Aach auf. — Ein schwerer Patient
wartet auf mich, entweder kurir' ich ihn diese Nacht, oder ihm ist nicht zu helfen! Damit fuhr er zum Zimmer hinaus.
Ein höchst wunderlicher Mensch! sagte
der Pfarrer, aber von seltener Herzens güte, trotz des rauhen Aeußern.
143 Wer beschreibt Claudinens Verwunde
rung, als sie, spät mit Dabct in ihr Zim mer tretend, den Regimenter dort fand.
Still! still! winkte der Alte.
Dann
leise auf die Mädchen zutretend, sagte er-:
Ich habe mit Claudinchcn zu reden! Die Cousine laßt uns wohl ein wenig allein.
Aber erst schickt die Jungfer fort, ich muß ungestört seyn. Sie störte mich schon ein mal, wie ich hier im Finstern saß.
Zeh besorge Alles, sagte Badet, und bin
nachher im Schlafzimmer zu finden, wenn Du meiner bedarfst.
Die Thüren zu! Niemand darf wissen,
daß ich hier, bin! Elaudme folgte in ängstlicher Spannung
dieser Aufforderung und verriegelte die Thür-
So, nun setzen Sie sich, liebes Kind ; ich habe etwas für Sie, hob der Alte an, als er Claudinen gegenüber Platz gcnom-
144 men hatte.
Immer hat mir die Geschichte
mit Viktor» im Kopfe gelegen. — Er hielt
inne. — Wunderliche Gedanken, sag' ich,
Kind, find mir gekommen; fast kLnnte man e- Zweifel nennen. Zweifel? wiederholte Claudkne und sprang erblassend auf, .Zweifel, daß er mein Brue
der ist? Still, liebe- Kind! sagte der Alte. Sie
werden das Haus in Bewegung bringen.
Wenn Sie nicht fromm und ruhig find, f» ist alles vergebens. Ich will ja fromm seyn, sagte Claudine, indem sie des Alten Hände ergriff und sie
fest zwischen die ihrigen drückte.
Nun denn, fuhr Silvius fort, mein Zweifel kann mich täuschen, darum will ich
Ihre Meinung hören. — DeS Pfarrers Brief hat ihn zuerst erregt — der Passus
nemlich von dem Maale, wo Holm sagt, er
145 habe dafür gesorgt, b.iy man die Wechsel/
bälger — denn den Namen führen sie doch
mit der That — zur rechten Zeit wieder her, ausfinden sönne.
Erinnern
Sie sich s,
Fräulein? Jedes Wort weiß ich, SilviuS — die abgerissene Driefstelle — Nur weiter!
Einer hat also ein Maal, da- wissen
wir; aber welcher von Beiden? das hat
der Pfarrer durch eine eigenhändige Notiz
bemerkt, so stehts in dem Briefe.
Nun
hab' ich herausgebracht, daß des Pfarrer-
Sohn derjenige ist, der das Maal mit auf dir Welt gebracht hat.
Daß die erwähnte
Notiz im Kirchenbuche stehen würde, dacht' ich mit wohl; aber es wollte nicht glücken,
da- Buch zu erwischen, da hab' ich ihm hent den Schrank ausgemacht. — Kannen wir nun noch herausbringen, Kind, wer
W unsern leibhaftigen Freunden da- Maal
III.
10
146 trägt, so wissen wir auch, welcher von Bei« de» Ihr Bruder ist.
Und Sie wissen'-, Silvius? rief Claue dki«; lassen Sie mich nicht länger auf die/
scr Folter! ' Liebes, heftiges Fräulein, ich weiß gar
nichts, und wollte nur HSren, ob Sie nicht vielleicht Kunde davon hätten.
Del Gott, nicht die mindeste, sagte Ctau«
dine erröthend; woher sollt' ich sie auch haben?
Hm, brummte der Alte, da ist's ,freilich nichts!
Aber Sie sprachen ja von Zweifel»,
Silvius, und müssen daher Vermuthungen haben?
So weit sinh wir noch nicht, Fräulein;
es ist nur eine ganz schwache, dunkle Enn« nerung, der nicht zu traue» ist.
Viktor
fiel nämlich einnral als Knabe (n’< Wasser-
147 ich rettete iHv und lehrte ihn 'S Schwim, men, damit er künftig vor dem Ersaufe« gesichert rodte. — Nun, ein Maal kann Man's freilich nicht nennen, aber etwas Rothe S denk' ich auf dem Arme gesehen zu haben. — Je mehr ich darüber sinne, je weniger zweifle ich daran, dasi es drei ro the Punkte toavett. Um Gotteswillen! SilviuS, liebster, theuerster Freund! tief Tlaudine außer sich, indem sie vor ihm auf die Kniee sand Sprecht es aus, das Wort, welches mir das Leben wiedergiebt! Fürchtet nicht, die Freude werbe mich Übten; sprecht, redet, erbarmt Euch eines armen, verzweifelnden Mädchens! Man darf Ihnen wahrlich nicht zu viel trauen, schönes Kind, sagte Silvius, indem er Elaudinen aufhdb. Ich würde es ja, sa gen, wenn ich Gewißheit hätte; es ist aber 10*
148 nur Vermuthung, nur Möglichkeit, baß un ter den drei Punkten jenes Maat gemeint
sey« könne. Aber steht denn keine nähere Beschrei
bung dieses Zeichens im Kirchenbuches fragte Claudine in drängender Hast. Eine Art Beschreibung allerdings; zur Noth könnte es passen.
Drei rothe Flecke«
heißt's da.
Ich bin gefaßt, ich bin es wahrlich, Silvius.
Lassen Sie mich Alles wissen!
sagte Claudine mit rinnenden Thränen. Nun denn, der Mensch kann sich irren, Fräulein! rief der Alte aus, indem er Claue
dinen« Hände ergriff und sie fest drückte; aber nach meiner Ueberzeugung ist die Zeit gekommen, wo's nichts mehr zu weine»
giebt, als Thränen der Freude.
Denn
wahrlich, Ihr Viktor ist des Pfarrers Sohn
und nicht Ihr Bruder!
14'.)
Utberwältigt vom Ucbermaaße der Se»
ligkeit sank Claudine weinend in SilviuArme-
91», so war's denn glücklich heran« und überstanden, sagte Silviu-. Freude kann so
gut den Faden zerreißen, wie Schmerz, Kind; daraus mußte der Doktor Rücksicht nehmen. 0 Sie treuer, herrlicher Freund meines
Viklors! Arzt meiner kranken Seele l rief Claudine, indem sie da« schöne Haupt von Silviu« Schulter erhob und den trefflichen
Greis mit seligen Blicken anschaute; außer
der überschwenglichen Liebe einer Tochter
besitzt Vie« Herz nicht«, womit e« seinen Dank zu sagen wüßtet Gute« Kind, sagte der Alte, Sie glück« lich zu wissen und meinen Viktor, ist i« Lohn« genug für mich!
Und darf ich denn auch wirklich ganz
150 dem hohen Glüeke vertraue», theurer Sil-
vius, und keinen Rückfall fürchten? Stein! sagte Silvius.
Ich ging vorher
nur absichtlich auf Socken, jcht tret' ich ftstcr auf.
Hier ist die Abschrift der Stelle
im Kirchenbuche, an des Pfarrers eigenem Schreibtische gemacht. So lautet die Rand/ bemerkung:
„ Mein Sohn Viktor trägt
feit der Stunde seiner Geburt ein Mgal.
Es sind drei ftuerrothe Punkte, die in senk rechter Linie sich an seinem rechten Ober arme befinden." — Seit lange kenne ich
dieses Maal, fuhr ^er Alle fort, und mehr
wie einmal habe ich es beim Verbände wie« dergesehcn.
Darum stellte ich dem K>rchcn«
buche so emsig nach.
Doch vor Allem,
Kind, Verschwiegenheit! Die alten Herren könnten'S doch übel nehmen, daß wir ihnen
in die Karte sehen.
151 Zwei Personen ausgenommen, Silvius;
Viktor und Badet. — Nicht?
Viktor? sagte Silvius; daS versteht sich, der muß es wissen; aber wird solch eine Evastochter, wie Dabet, schweigen können?
Gewiß; ich stehe für sie ein. Sey'S, doch verrathet den Alten nichts'.
Mein Schränkchen hab' ich säuberlich wie, der verschlossen; ich hoffe, sie sollen nicht« merken. — Und nmv gute Nacht, schönes,
glückliches Kindl
Laßt mich nach Haus!
Vorsichtig lauschend ging Claudine voran. Still führte sie den Alten die Scitentreppd
hinunter, drückte noch einmal seine Hand
an ihr Herz und schloß leise hinter ihm die Thür. Wie aber das glückliche Mädchen dann
die Stufen wieder hknaufflog kn die Arme ihrer Babet, wie die Sprache ihr versagte,
das Uebermaiiß ihrer Seligkeit auszuspre,
152 chen, rote sie lachte und weinte, bis es end/ lich der bebenden Lippe gelang, die cnlschcir Lenden Worte zu stammeln, wer vermöchte
eS wohl, diese Wonncsrene zn schildern?
Clandine, sagte Babet, nachdem Beide ruhiger geworden, begreifst Du den Oheim?
Er muß selbst getäuscht seyn, wie hätte er
sonst diesen Jammer ruhig mit ansehcn können? Ach, Babet, ich -kann Dir nicht antwort
tcn, denn ich vermag ja nichts in diesem
wirren Kopfe zu denken und zu fassen, als mein Glück.
Sechstes' Kapitel.
Noch ehe am folgende» Morgen Clauj
Line beim Frühstück erschien, hörte man sie
mit Heller Stimme ein Lied singen.
152 chen, rote sie lachte und weinte, bis es end/ lich der bebenden Lippe gelang, die cnlschcir Lenden Worte zu stammeln, wer vermöchte
eS wohl, diese Wonncsrene zn schildern?
Clandine, sagte Babet, nachdem Beide ruhiger geworden, begreifst Du den Oheim?
Er muß selbst getäuscht seyn, wie hätte er
sonst diesen Jammer ruhig mit ansehcn können? Ach, Babet, ich -kann Dir nicht antwort
tcn, denn ich vermag ja nichts in diesem
wirren Kopfe zu denken und zu fassen, als mein Glück.
Sechstes' Kapitel.
Noch ehe am folgende» Morgen Clauj
Line beim Frühstück erschien, hörte man sie
mit Heller Stimme ein Lied singen.
153 Sie hat lange gemausert, sagte der Da«
ron; Gott sey Dank, daß sie nun wieder
schlägt. Frisch und blühend trat seht die Tochter mit Dabet in's Zimmer.
Vater, sagte sie,
auf denMajor zufliegcnb, kann dieser Brief wohl heute noch fort?
An Viktor?
Citissime! dreimal unter
strichen? Hat's denn so große Eil? Die allcrgrLßcste, Vater! Der Baron sah seine Tochter aufmerk
sam an.
Claudine, sagte er, hast Du viel
leicht van dem Mittel gegen Herzweh Ge brauch gemacht?
Nein, Vater, »»eröffnet ruht der Brief
in meinem Schranke. Und dennoch ist hier etwas vorgegangen; trittst Du doch wie eine Siegerin einher.
Das wliß näher geprüft werden.
Auf ejn
154 Wort, Claudine!
Er nahm sie bei der
Hand und führte sie in sein Zimmer. Tochter, hob der Baron an, als Beide
allein waren, willst Du mir eine Ditte ge
währen, deren Erfüllung Dir nur schwer werden kann, wenn Du mir nicht gänzlich vertrauest?
Was befiehlst Du, mein theurer Vater? fragte Claudine sorglich. Ich befehle nichts, Claudine; ich bitte Dich nur, diesen Brief an Viktor» nicht
abzusenden. Ich weiß nicht, was er ent hält, aber ich habe eine Ahnung, daß es besser wäre, ihn zurückjuhalten. Ihr Mäd
chen gebt sa sonst viel auf Ahnungen, setzte er lächelnd hinzu.
Ich will aufrichtig seyn, Vater, und
Dir sagen, was dieser Brief enthält.
Warum, liebe Tochter? Laß mich ein mal ganz meinen Ahnungen und Träumen
155 folgen. Diese sagen mit nun sehr bestimmt: Viktors Glück fordere, daß man ihn einig«
Zeit ruhig sich selbst überlasse, und jede Ein wirkung auf ihn vermeide.
Du weißt es,
liebe Tochter, wie wenig ich jemals Deinen
Driaswcchsel beschränkte; Tim so eher darf ich Dich daher jeht bitten, entweder Dei
nem Bruder gar nicht LU schreiben, oder
ihm wenigstens Alles zu verhehle», was in gend eine Veränderung seiner Ansichten und
Gefühle hervorbringen könnte.
Du kannst
nicht zweifeln, daß ich nur das Glück mei ner Kinder beabsichtige.
Welche HoffinMe
gen aber Drin junges Herz auch nähren
mag, vertraue mir darin-, daß Voreiligkeit hier Vieles verderben würde.
Wohlan, er
kläre Dich; was willst Du thun? Was einer gehorsamen Tochter gebührt.
Ich verspreche, durch keinen Dritten an
Viktor schreiben zu lassen und meine eige-
156
neu Briefe Dir von nun an offen zu übergeben. Ich nehme es an, sagte der Baron, und freue mich, daß ich Dich finde, wie ich ge hofft habe. Zn diesem Augenblicke trat der Zöger mit einer Anzahl von Briesen herein, die jetzt, nach wiederhergestellter Communieation, ein Courier überbracht hatte. Setze Dich bm hin, liebe Tochter, und lies. Er übergab Claudinen die an sie ge richteten Briefe, während «r die eignen zu öffnen begann, die er dann nach dem Datum ordnete, um fie nach der Zeitfolge zu lesen. In den ersten Briefen Hugos und Viktors schien er nichts besonders Anziehen des zu finde», er legte sie daher bei Seite. Jetzt kamen Briefe aus Chalons an die Reihe. Er las sie mit gespannter Aufmerk samkeit, Ein wohlgefälliges Nicken des
157
Kopfes verrieth, daß er mit Hugos Aeuße, rangen besonders zufrieden sey.
Viktors
Mittheilungen wurden von einem feinen
Lächeln begleitet. Er nahm die letztem Papiere zur Hand. Was? Paris? — Der Kaiser entsagt?
Friede? so rief der Major mit der lautesten Freude aus, indem er aufsprang und stürmisch die Tochter umarmte.
Hast Du'S
denn auch schon, Claudine? Friede! Friede! Die Welt ist frei und unsere Söhne kehr
reu zukück! Elaudine hatte aber nichts gelesen, als
den ei ne «.Brief Viktors, den der Zufall ihr zuerst in die Hand führte. Trotz dem freudigen Bewußtseyn, daß seitdem das Wetter vorübergezogen sey und
der Himmel jetzt wieder heiter lache, er
griff dennoch die Trauer, welche aus dem
Briefe des Geliebten sprach, schmerzlich ihr
158
Herz. Während er trostlos «nd einsam mit
feinem vernichtenden Schmerze die Welt durchzog, durste sie sich im vollen Sonne»,
scheine des Glückes wärmen, und zwar jetzt, wo es ein Wesen gab, das mit einem Worte den bösen Zauber zu vernichten »er,
mochte, der die frühere Seligkeit verhüllte — jetzt hatte sie selbst dem Vater gelobt,, dieser
beglückenden Mittheilung zu entsagen. Was hast du versprochen? sagte sie sich. Wird er's ertragen? — Doch gedachte sie
alsbald der Liebe des trefflichsten Vaters.
War er nicht berechtiget, von der Tochter
Gehorsam zu fordern, auch wenn dieser Ge, horsam Opfer verlangte? Doch den einzige» Trost, dachte sie, den
ich zu geben vermag, soll er in reichlichem
Maaße empfangen. Eingehen will ich auf stine Idee, ewig seine Geliebte zu bleiben.
Die glühendste Liebe dieses Huzeo- fall er
159 in ihrem vollen Umfange erkennen.
Dieft
Briefe kann der Vater doch nicht verdame men, da ich meine Liebe wenigstens nicht
mehr zu verbergen brauche, wenn ich ihm auch noch jetzt als Schwester erscheinen muß.
Diese Betrachtungen, worin Claudine sich vertiefte, unterbrach jener Ausruf und
die stürmische Freude des Vaters. Sie würde den Vater vielleicht kaum
verstanden haben, hätte nicht der süße Ton des Wortes Friede augenblicklich den Weg
zu ihrem Herzen gefunden.
Friede, Vater? Sie kehren zurück? 0 welche himmlische Nachricht!
Ja,
dann
hat jede Sorge ein Ende und rin nemch
fröhlicheres Daseyn beginnt für uns. Jede Sorge, Claudine? sagte der Ma, jor. Ach, das Menschenherz ist nur ZU
selten genügsam;
mit der Erfüllung des
160 Langersehnten erwachen immer neue Wän-
sche in ihm. — Ehe ich aber Holm die herrlichen Nachrichten übcrhringe, will ich
wenigstens meine Briefe beendigen.
Da
haben wir's, hob er bald darauf an; er ist in die weite Welt gezogen, um ein Must,
kuS zu werden.
Dem steckt also immer
noch der Mozart im Kopfe.
Er will erst
von sich hören lassen, schreibt er, wenn er
was Tüchtiges geworden.
Nun, willst du
von der Baronie nichts wissen, setzte er
lächelnd hinzu, ich kann dich nicht zwingen, Viktor.
Auch mir meldet er diesen Entschluß, fagte Claudine; doch will er mir seinen Auf-
enthaltsort erst nennen, wenn er ein heimi sches Plätzchen gefunden haben wird. Du siehst, Claudine, es ist ein unruhi
ger Mensch, dieser Viktor. Lassen wir ihn
den« «andern und musirire«. Wenn das
161 Geld verthan ist, wird er wohl von selbst
nach Haus kommen. Der Baron packte alsbald seine Briefe zusammen und ging zu seinem Freunde.
Mehrere Monate waren seitdem in eie nem stillen, einförmigen Leben vergangen, ohne daß Viktor in einer Zeile Nachricht von seinem Daseyn gegeben hätte. Nur von Hugo kamen Briefe an den Baron.
Claudine hatte sehnlich gehofft, der Vater «erde sie ihr mittheilen, in der Erwartung, daß Hugo seines liebsten Freundes werde gedacht haben. Zögernd bat sie endlich ml»
diese Briefe; aber der Baron wich stetS der Gewährung ihrer Bitte geflissentlich aus.
Er schien überhaupt in dieser Zeit manniche fach zerstreut und mit besonderen Dingen bee
schäftiget.
III.
Er war wenig zu Haus, ohne
11
162 daß man recht erfuhr, «»hin dir Ausflüge gingen, die er häufig zu Pferde »der zu
Wagen unternahm.
Endlich klärte sich da- Geheimniß auf. Unsere Nachbarschaft, sagte er eine» Ta,
geS, wird einen angenehmen Zuwachs er,
halten-
Der ehemalige Regimentrkommam
deur Viktors, der jetzt als Oberst eine Brie gäbe führt, wird sich in unserer Nähe ane
siedeln; gestern habe ich für ihn den Kauf
v»n Rosenthal abgeschlossen. ES ist ein liebenswürdiger Mann, nahm
die Präsidentin das Wo«, auf den ich mich recht freue.
Wirb er bald seine Besitzung
antreten?
Ich hoffe in Kurzem, erwiderte der Major; sobald er nur weiß, daß der Kauf
in Richtigkeit ist.
Ich gestehe, fuhr er sott,
daß ich mir viel Freude von dem Umgänge
163
mit dtechm ftthitchen, bieder» Manne vrr,
spreche.
Er stammt nicht aus hiesiger Gegend? ftegte die Präsidentin.
Nein, erwiederte der Baron, er «st eia
Brandenburger; aber es zieht ihn eine gang besondere Neigung «ach unserm liebe» Schier sien, wie er mir wiederholt geschrieben hat.
Er hat das Zand früher gar nicht gekannt,
bis der Krieg ihn hierher geführt hat. Und kommt er allein, oder darf man
auch auf Frauenumgang rechnen?
Er besitzt weder Mutter, noch Schwee ster, so vlel ich weiß, aber er hofft in dem freundlichen Lande auch wohl ein freunde llches Mädchen zu finden, da- ihn Mit
ihrer Hand beglückt. Nun, sagte die PräfldeNtin, bei seknea
treffliche« Eigenschaften wird er nicht leicht eine abschlägige Antwort zu besorgen habe«. 11*
164 SBa4 meint Ihr, Mädchen? fragte der Daran, sich zu Claubinen und Dabet wen# dend; Ihr kennt ihn ja Deide.
Ich bezweifle seine Vortrefflichkeiten nicht
und wünsche ihm alles erdenkliche Glück,
sagte Dabet, wenn ich nur nicht die Glück#
licht seyn soll, der er seine Hand bietet. Du sprichst sehr unüberlegt. Dabet, fiel
die Präfidenrin ein; wollte der Himmel, die Wahl des würdigen Mannes fiele auf
Dich; einen besser» Eidam wüßte ich nicht
zu finden. Liebe laßt sich nicht erzwingen, erwie#
berte Dabet; mir würde er niemals Nei# gung einflößen, und ich hoffe, meine Mut#
ter wird mich nicht wider meine Neigung verheipathen wollen.
Es führt zu nichts, diesen Streit zu
schlichten, sagte die Präsidentin, um so wer
165 Niger, da ich vermuthe, er habe sich schon anderweitig entschieden.
Und Deine Meinung, Claudine? fragte
der Major. Ich halte ihn, nach Allem, waS ich von
ihm weiß, für einen sehr achtungSwrrthen Mann, war ClaudinenS Antwort.
Nun, das ist eben nicht wenig, Töchter/
chen! denn so viel ich mich erinnere, hat er sich auf der Gebirgsreise recht angelegentlich
um Dich bemüht.
Was würdest Du ant/
Worten, wenn er Dich um Deine Hand bäte?
Daß dieses Herz zu innig geliebt hat, um jemals einer andern Neigung zugäng/
llch zu seyn. Ich will nicht fürchten, sagte der Baron, daß Du Deine romantische Liebe für Dik/
torn meinst? Das sind Thorheiten! Den Bruder kannst Du doch nicht heirathen!
166 Ich verfange je nichts, Datee, jagte Claudlne mit rührendem Ton«, als die Er,
innettmg an ein schöne-, «ntergegangeneS Glück und die Freiheit dieser Hand. Das ist mehr, als ein Nate» der Töch
ter für- die Dauer zuzugestehen geneigt sey» möchte. Daker! rief Ciaudine au-, indem sie auf
sprang und ihn mit ihre» Arme« umschlang, wie vermagst Du es, Deine Tochter so hart zu quälen? Hat' ich denn Deine Liede so
ganz verloren, daß ich nicht einmal mehr Dein Mitleid verdiene? Närrchen, erwiederte der Baron, Muße Du Alle- denn gleich so tragisch nehmend
Eine Reeognoseirung wird doch erlaubt seyn? Wenn aber diese schon so gewaltsam ist,
Vater, was muß ich erst von dem Angriffe
selber fürchten? Nun, wer so zurückgewieseU worden ist,
167 Wie ich, der kommt wenigstens so vald nicht wieder. Beruhige Dich daher, mein Kind.
Den Kummer, den diese Unterredung
Claudius« erregte, linderte noch an demsel ben Tage ein Brief ihres Geliebten. Sie war mit Babet in'S Dorf gegan
gen, und hier begegnete« sie dem Postboten mit der langersehnten, freundlichen Gabe-
Endlich, nach so langer, qualvoller Entbehr rung, durste ihr Auge wieder auf de» lie
ben, bekannten Schriftzügen ruhen, endlich sollte sie erfahren, wo er lebte und wie er
sein Unglück trug. Doller Erstaune« fand sie Viktors Brief mit Klagen angefüllt.
Viermal hatte er ihr
schon geschrieben, ohne Antwort zu erhalten. Er mast ihr keine Schuld bei, fürchtete
aber, die theure Schwester sinnt erkrankt seyn.
Bleibt auch dieser Brief ohne Erwiede-
168 rung, schrie- er, so fliege ich selbst nach Lindenau, diesen tidtlichen Besorgnissen ein Ende zu machen.
Zom erstenmale also, sagte Ciaudine, ist
mein Vater nicht offen gegen mich; der kindliche Gehorsam, den ich ihm bewiesen, hat solche« Mißtrauen nicht verdient.
Wie
ganz verändert ist doch dieser sonst so lieber
volle Vater.
Ich weiß die Stunde anzur
geben. Badet, die sein Betragen gegen mich
umgewandelt hat: seit jenem Morgen, an
dem ich ihm in der Fülle meiner Seligkeit den Brief für Viktor» brachte, von dem ich hoffte, daß er alle Schmerzen unserer Liebe
für immer heilen werde.
Wir leben in einer unheimlichen Zeit, erwiederte Babet, in der alle freundliche» Verhältnisse zerrissen sind.
Keine Zeile
kommt von Hugo; um uns, die eignen Herr zen ausgenommen, giebt's kein drittes mehr.
169 dem man sich freundlich anschließen könnte.
Ringsum Verstimmung, getrübte Verhält/
Nisse und unter leisem Geflüster drohende Geheimnisse; ich fühle-mich so ganz dqrnie/
dergebeugt, und nur Du allein hinderst mich, meine Mutter flehentlich zu bitten,
mit mir einen freundlichern Aufenthalt z« suchen. Nein, verlasse mich nicht, meine einzige
Freundin! rief Claudine au«, indem ste
Babet fest umschlang; halte bei mir aus tn treuer Liebe, damit ich nicht ganz verarme! Auf dem Schlosse trafen sie den Baron
in Papieren vergraben an. Die Präsiden/
tin äußerte, er habe unangenehme Nachrich/
een erhalten und spreche von einem ihm
drohenden Prozesse, der eine Reise nach Berlin nöthig machen werde. Claudine wagte nicht, de» Vater zu
stören.
170 Endlich erschien der Major, wider Er warten heiter unb guter Dinge.
Manche
Sorg«, sagte er, hat mir die Zeit her das
Herz beschwert. Ihr habt wohl »ft darun ter gelitten, Kinder?
Es soll anders wer
de«. Ich reise nach Berlin, um an Ort und Stelle da- Uebel bei der Wurzel zu
erfassen.
So weit, lieber Vater? sagte Ciaudine,
erquickt durch die ersten heitern, g»nz im alten Tone der Liebe gesprochenen Worte
Es ist das erstemal, daß wir
des Vaters.
Dich so lange entbehren.
Mußt Du denn
selbst reisen? ES geht nicht anders, Kind!
Und wann dürfen wir Dich wieder er warten ?
Wartet einmal! Der Baron überrech nete die Zeit.
ausreichen.
Wahrlich, ich werde kaum
Doch hier mein Wort, Clau-
17t bitte, zu Deinem Geburtstage bin ich zurück. 0 wie herrlich war's vor einem Jahre
an dem Tage, wie Vieles hat sich seitdem geändert!
Za, Kinde«, wer kann die Schicksale der
Menschen ergründen? Wider Willen treibt uns ein blindes Berhängniß und wir müssen
uns im Unglück tristen, wenn nicht eigene Schuld «S herauf beschwor.
Vieles, Clane
dine, ist jedoch herrlich in Erfüllung getre ten seit einem Jahre, weit über das Ziel
unserer kühnsten Hoffnungen hinaus.
Darf
denn das Menschenherz ängstlich zagen, weil
nicht alle Dlüthenträume reiften? — Nehmt nur das Leben nicht zu schwer, Kinder, et
was Leichtsinn ist oft nicht zu verachten. Macht's wie ich, der ich die letzte Zeit über
auch nicht auf Rose» gebettet war; reißt Euch heraus, tanzt zur Veränderung, daß
172 bas träge Blut in Bewegung komme, fahrt,
reitet, fingt, spielt, kurz, macht was Ihr wollt, mit seyd vernünftig.
Llaudine und Dabet sahen einander vere wundert an, über die plötzlich veränderte
Stimmung des Vaters, der ganz wieder der Akte erschien.
WaS Hat Sie da in der Hand, Junge
fer? fragte er lustig seine Tochter. Ein Dries von Viktorn ist'-, und denke
Dir, Vater, seine früheren Briefe hab« ich nicht erhalten!
Ganz natürlich, Töchterchen, denn sie
liegen all« ganz ruhig drin in meinem Schreibtische. Er eilte.itt sein Zimmer und kehrte gleich
wieder zurück.
Da, Kind, sind sie alle vier! ein IU# be-, schönes Trauergcspann. Verbrauche sie mit Gesundheit und vergieb, daß ich einen
173
ganz kleinen Arrest über sie verhängt habe, in der Besorgniß, Dein Herzchen könnte dadurch zu sehr allarmirt werden. Dock halt, Schelm, da fallt mir noch etwas rin. Führe mich gleich auf Dein Zimmer! Ctaudine folgte ihm lächelnd. Nun gieb mir das Papier wieder, sagte der Baron, das ich Dir vor'm Jahre ver, traute, den Talisman wider das Herzwrh; Du weißt schon. Claudine gab dem Vater den Brief. So, Kind; es geschieht blos, um ein Unglück zu verhüten. Nun komm! Mit derselben Eile kehrte der Baron mit ihr in's Wohnzimmer zurück. In diesem Augenblicke fuhr der Reisewagen vor. Hier, Kinder, steht der Kommandant des Schlosses für die Dauer meiner Abwee senheit, sagte der Major, auf die Präsiden, tin zeigend; seyd hübsch folgsam. Du -bet.
174 Schwester, kennst meinen Willen «ad wiest mich ganz verstanden habe».
Vollkommen, lieber Bruder, erwiederte die Präsidentin mit einem feine« Lächeln.
So lebt den» wohl!
Er umarmte hier,
auf die Damen zärtlich und eilte rasch die
Treppe herab; der Wagen rollte zum Thore
hinan-.
Siebentes Kapital.
E- war in den ersten Tagen de« Mai,
monds, als bei sinkender Sonne Viktor
durch ein Gebirgsthal des südlichen Deutsch,
lands ritt. Jenseit- der Berge lag, wie er mußte, «in kleines Städtchen, wo er zu
übernachten gedachte.
Er beschleunigte den
Gang seine- Pferde-.
Bald hatte er »en
Ausgang des Thales erreicht und vor ihm
174 Schwester, kennst meinen Willen «ad wiest mich ganz verstanden habe».
Vollkommen, lieber Bruder, erwiederte die Präsidentin mit einem feine« Lächeln.
So lebt den» wohl!
Er umarmte hier,
auf die Damen zärtlich und eilte rasch die
Treppe herab; der Wagen rollte zum Thore
hinan-.
Siebentes Kapital.
E- war in den ersten Tagen de« Mai,
monds, als bei sinkender Sonne Viktor
durch ein Gebirgsthal des südlichen Deutsch,
lands ritt. Jenseit- der Berge lag, wie er mußte, «in kleines Städtchen, wo er zu
übernachten gedachte.
Er beschleunigte den
Gang seine- Pferde-.
Bald hatte er »en
Ausgang des Thales erreicht und vor ihm
175
-reitete sich «ine reiche Ebene aus. Von der Abendsonne heil beschienen, tag da« Städtchen in mäßiger Entfernung vor ihm, ganz von blühenden Gärten umkränzt. Dön einem Hügel, jenseit« des Orte«, blickte ein stattliches Schloß hernieder, zu welchem rin terrassenförmig anfsteigender Garten führte. In anmuthigen Krümmungen eilte der Fluß jenem Städtchen zu. Zur rechten Hand zogen grün« Hügelketten fort, die in weiter Ferne, wieder zu blauen Bergen aufwuchsen; zur Linken schweifte der Blick über ein wei te«, fruchtbare« Land. Seit mehreren Tagen war Viktor ein «infame« Gebirge durchzogen; nm so freund licher lachte die Ebene ihn an. Auch unter Schmerzen bleibt der Mensch ein gesellige« Wesen, sagte et, die Stadt mit erheiterte« Blicke betrachtend. Wie traulich liegen jene hellen Wohnungen neben einander; Giebel
176 lehnen sich an Giebel, und Alles umschließt «in blühender Kranz von Gürten. Ist eS nicht, als ob zahlreiche Stimme» riefen:
Tritt herein zu uns, der du müde vom
Wandern bist, und nimm Theil an unser,» Spielen und Freuden und vergiß deines Grames!
Noch leuchteten die Fenster des Schlosses
im Abendgolde, als Viktor in die dämmernde
Stadt eknritt.
Knaben spielten auf den
Gassen und liefen lärmend neben dem Pferde
her; blühende Mädchen mit Kannen und
Krügen schäkerten am plätschernden Springe
quell, und aus mancher grünen Laube schaute neugierig ein Köpfchen nach dem spät eine ziehenden Reisenden.
Wo die letzten Häuser standen, am Fuße des Schloßberges, fand Viktor den reinlle
chen Gasthof.
Aus der blähende« Gelse
blattlaube tret dem Reißenden die Tochrer
177 be- Wirthes entgegen; auf ihren Ruf er,
schien der Vater, nahm Viktor«, das Pferd ab und hieß ihn mit deutschem Handschlag
Willkommen. Gieb mir ein Zimmer, liebeS Kind,
sagte Viktor, mit der Aussicht auf den Fluß,
wenn es zu haben ist.
Freilich, dort hinaus ist rS gar schön, erwiederte das Mädchen; der Herr wird zufrieden seyn. Sie nöthigte Viktor» in'S Hays, flog die Treppe hinauf und ließ ihn in ein Zimmer treten, welcher, an der Ecke des Hauses gelegen, aus zweien seiner Fen,
ster das Schloß erblicken ließ, au» den zwei andern aber die reizende Aussicht über den Fluß und die Ebene gewährte.
Viktor blickte mit Vergnügen in die
mondbeleuchtete Landschaft, als eine schöne Musik von Blasinstrumenten begann, und III. 12
178 in melodischen Wellen aus dem Schloßgar« ten herüberquoll. WaS ist das? fragte Viktor.
Die gewöhnliche Abendmusik, -versetzte Käthchen; es ist die Kapelle des Fürsten. Welches Fürsten, mein Kind?
Ei, erwiederte das Mädchen, ist der Herr so fremd in der Gegend, daß er mir fern lieben Fürsten nicht kennt?
Ist das
Ländchen gleich nur klein, so ist es doch gar
hübsch bei uns.'
Viktor schalt seine Zerstreuung. Er hätte eS auch ohne Frage wissen können, daß er
sich in dem Ländchen des Fürsten von * * * befand, und daß das Residenzschloß vor ihm lag.
Ich war in Gedanken, liebes Kind, sagte unser Reisender, und weiß jetzt Alles. Aber
eine Kapelle unterhält Euer Fürst? Ja wohl, und eine recht schöne, denn
179
unser Herr fielt We Musik gar sehr, un> es fehlt droben selbst nicht an Opern und Konzerten. Die Prinzessin hat eine wum derschbne Stimme, und wenn dann Fremde auf dem Schlosse sind , läßt der Herr auf dem Theater spielen. Das ganze Städte chen ist darauf eingerichtet, denn bei uns singt und spielt Alles. Das ist ja herrlich! sagte Viktor; so sinnt» ich denn auch wohl leichtlich einen Flügel für den Fall bekommen, daß ich hier länger zu verweilen wünschte? ® warum denn nicht? wir besitzen selbst einen ; er steht zu Ihrem Befehl, «ar Käthe chens Antwort. Wenn es gleich Viktors Vorsatz gewesen «ar, seinen Aufenthalt in einer bedeuten« der» Stadt zu nehmen, so boten doch die reizende Lage des Ortes, seine freundliche Wohnung, vor Allem aber die ungeahnete 12*
180
Nähe eines In »Meßende« Fürstm und eb nes Orchesters, zu viel Einladendes bar, und er fand stch dadurch leicht bewogen, hier zu verweilen. Der nächste Morgen fand ihir völlig eingerichtet und beschäftigt, Claudinen und Silvius zu schreiben. Den Lehren bat er, ihm die Partitur seiner Oper zu schikr ken, seinen Aufenthaltsort jedoch geheim zu halten. Mit einer Liebe aber, welche die lange Entbehrung bis zur Leidenschaft gesteigert hatte, ging er nun an die Fortsehung seines Werkes. Die aufgehende Sonne fand ihn schor» bei der Arbeit, und nur des Abend ritt er zur Erholung in die umliegende Ge gend. Die Erscheinung eines jungen Mannes, welcher so eingezvgcn lebte, den Tag über nur tnit Musik beschäftigt war und jeden Abend auf einem Pferde von seltener Schbni-
18 t Heil ausritt, mußte die Aufmerksamkeit des Städtchens gar mannichfach erregen. Man
blieb stehen, dem Reiter nachzublicken, -man
grüßte ihn mit herzlicher Zuvorkommenheit;
doch Viktor erwiederte still den Gruß und
vermied jede Gelegenheit, eine Bekannte schäft anzuknüpfen. Eines Abends jedoch ward Viktor auf
dem Heimwege von einem Reiter eingeholt.
Der tönend« Hufschlag des galoppirenden Pferdes machte Viktors Schimmel unruhig;
er that einige murhigr Sprünge.
Ruhig,
Tartar! sagte sein Herr, indem er sanft des
Thieres Hals klopfte.
Der Fremde, ein schöner, großer Mann
von höchstens fünfzig Jahren, hielt sein Pferd an und grüßte Viktor» artig. Welch
ausgezeichnet edles Pferd reiten Sie, be, gann Jener das Gespräch, von einer Race,
182
die matt hier zn Lande selten sieht; Kopf .und Hals sind ganz arabisch. So edler Abkunft, verseht« Viktor, darf der Schimmel sich zwar nicht rühmen, doch mag Asien wohl sein Vaterland seyn. Sicherlich! sagte der Fremde, mit Kem neraugen den leichten, stolzen Gang bei Pferdes beachtend. Entschuldigen Sie die Frage. Ist'Jhnen das Thier seil? Nein, entgegnete Viktor. Wäre eS auch nicht das Geschenk eines theuren Freundes, so hat mir das edle Thier doch so manchen Dienst geleistet, daß eS undankbar seyn würde, mich von ihm zu trennen. Der Fremde betrachtete aufmerksam sei/ nen Begleiter. Sie haben gedient? fragte er. Viktor war zwar entschlossen, sein Zm eognito zu bewahren; doch wollte er keine Unwahrheit sagen. Er bejahte daher die Frage.
_183 Entschuldigen Sie, hob der Fremde an, diese meine Zudringlichkeit.
Ich bin der
Fürst von * * *, «in leidenschaftlicher Freund
der Mustk, und habe mit Interesse vernom/ men, daß Sie diese Neigung theilen.
Viktor war überrascht. Er fühlte, daß eS unschicklich seyn würde, sich länger zu
verbergen.
Er nannte dem Fürsten seinen
Namen und gestand ihm, daß äußere Um/ stände, wie eigne Neigung den Entschluß in ihm erzeugt hätten, sich ganz der Musik
zu widmen. Die reizende Stille des OrtA,
fuhr er fort, und, um aufrichtig zu seyn, auch die Nähe »ine- kunstliebenden Fürsten
haben mich bestimmt, einige Monate wenig/ stens in Euer Durchlaucht Residenz zu ver/
weilen. Wie erfreulich, aber auch wie unfreund/
lich, sagte der Fürst, bqß Sie mir nicht gleich Ihren Besuch schenkten!
184
Wie viel Aufforderung hierzu, erwiederte Viktor ehrerbitig, auch die gleich in den
ersten Stunden meines Aufenthalts erlangte
Kunde von Ew. Durchlaucht Herablassung enthielt, so hatte ich doch zu viele Ursache,
die Einsamkeit zu suchen. — Ei» leiser Aus, druck,von Trauer überflog bei diesen Wor ten Viktors Züge.
Wahrlich, sagte der Fürst, es ist keine
Welt mit ihren rauschenden Vergnügungen, in welche ich Sie rinlade. Auch ich lebe
die größte Hälfte des Jahres still genug. Aber Sie finden täglich bei mir Mlsfik,
und wie ich denke, gute Muflk; wenn Sie
daher nicht eine unüberwindliche Abneigung
gegen die Gesellschaft fühlen, wird es mich immer freuen, Sie bei mir zu sehen.
Sie hielten am Schloßberge.
Viktor
sprach seinen Dank lebhaft aus und ward
185 vom Fürsten für den folgenden Mittag zur Tafel geladen. Als Viktor sich im Schlosse einfand,
führte ein Lakai ihn in den Park.
Hier
fand er de« Fürsten im Gespräche mit dem
Gehcimenrathe und dem Kapellmeister, in dem schattigen Lindcngange wandelnd, wel
cher vom Schlosse mitten durch den Park bis zum'Abhange des Berges führte. In,
dem man den Baumgang verfolgte, blieben dir Terrassen dem Blick verborgen, welche
zur Stadt hinunterführten.
Einen um so
«mmuthigern Anblick gewährte es, aus du grünen Nacht des Waldes auf die sonnige
Ebene und das Gebirge zu schauen.
Ein
freundliches Dörfchen, hinter ihm eine ma lerische Berggruppe, erschienen am Ende der Allee wie ein reizendes Miniaturbildchen, von grünen Laubzweigen eingefaßt.
Der Fürst hatte im Hinunterwandeln
186
daS Ende der Allee erreicht. Er wendete um und kam auf Viktor» zu, eben, als ans einem Seitengange zwei Damen dem Für/ fielt entgegentraten. Viktor fuhr überrascht zusammen und blieb, wie von einer mtu derbaren Erscheinung gefesselt, mehrere Au genblicke stehen. In ein lichtblaues Gewand gekleidet, den weißen Schleier zurückgeschlagen, glich eine der Damen in Wuchs und Gang, ja in den Zügen stlbst, so weit die Entfernung diese zu erkennen erlaubte, so auffallend Claudinen, baß Viktor in der ersten Ueber, raschung die Geliebte selbst zu erblicken wähnte. Die Worte seines Begleiters: Eö ist die Prinzessin Helene, gaben ihm seine Be sonnenheit wieder. Er trat der Gesellschaft entgegen. Der Nkttmcister von Holm, ein eben so
187 braver Musiker, al- Krieger, sagte der Fürst,
mit einem Dlick auf die Ehrenzeichen an seiner Brust, indem er den Fremden vor
stellte. Auch in dieser Nähe zeigte sich eine fast schwesterliche Achnlichkeit.
Unruhig klopfte
Viktors Herz und trieb alle- Blut in seine Wangen bei der Anrede der Prinzessin, da
er zugleich hoffte und fürchtete, auch Clan,
bittend Stimme zu vernehmen.
Aber es
war ein schönes, doch fremdes Organ, mit einem leichten Anfluge südlichen Dialektes. Schon beim Frieden nahm ich Abschied,
erwiederte Viktor auf ihre Frage, und die,
ser reizende Ort hat mich gleich Anfangs festgehalten, ehe ich noch den ganzen Um, fang seiner Anmuth erkannt hatte.
Gewiß, sagte die Prinzessin, eS ist ein
liebes, freundliches Fleckchen der Erde, wel,
cheS wir bewohney, und ich erwarte stets
188 mit Ungeduld detrFrühling, der uns wieder
hierher führt. Die Gesellschaft war unterdessen an dm
Abhang deS Berges getreten.
Das Helle,
freundliche Städtchen lag zu ihren Füßen; durch blumige Wiesen schlairgclte sich der Fluß; blühende Dörfer lagen wie glückliche
Inseln in dem Meere smaragdgrüner Saar ten; das nahe Gebirge stand im Schmucke
des jungen Lqubes; ferne, hohe Dergspihen strebten kühn in die Wolken; am Rande
der Ebene, die sich rechts unermeßlich ausdehnte, schimmerten die Thürme einer gro
ße», volkreichen Stadt.
Ich denke eben daran, sagte die Prin zessin, wie schwer es doch ist, die Schön heit einer Gegend zu beschreiben.
Wiesen,
Felder und Wald, Stabte und Dörfer? Ge
birge und Flüsse, tausendmal finden wir diese reizende Zufamckenstellung, und immer ist
189
der Charakter des Bildes ein anderer. Nur
in kleinen Rahmen vermögen wir die Eigenthümlichkcit einer Gegend aufzufassen; sobald das Bild zu reich wird, versagen die
Mittel. So ist die Aussicht vom Gebirge
her nuf Stadt und Schloß nicht minder schön, aber enger; der Hintergrund liegt nah, dort mag es gelingen, durch die Be-
schrcibung ein treues Bild zu entwerfen,
wahrend auf diesem Punkte das Auge der Schönheiten zu viele trifft, um sie zu fassen.
Sollte aber nicht, erwiederte Viktor, die Fantasie dem Menschen zu Hülfe kommen,
um diese Lücken zu füllen? Derjenige, weit eher die Schönheit einer Landschaft in Wor
ten auszudrücken unternimmt, wird doch immer die Hauptzüge des Gemälde- anzu geben wissen.
Mehr bedarf es aber nicht,
um die Einbildungskraft des Zuhörers aufzuregcn, die sich bald das ganze anmuthige
190 Bildchen auSzumalen wissen wird.
Mag
Jeder so auch ein verschiedenes erhalten, der Haupteindrnck wird doch stets der näm
liche seyn.
Der Geheimerath, unterbrach der Fürst
das Gespräch, macht mich eben darauf auf merksam, lieber Rittmeister, daß nicht allzu fern von hier eine Familie wohnt, welche
auS-dem Preußischen stammt; vielleicht fin den Sie hier unerwartet Verwandte.
Ich glaube kaum, Ew. Durchlaucht, er,
wiederte Viktor ohne Verlegenheit.
Von
meiner Familie weiß ich nicht viel mehr zu
sagen, als daß mein Großvater Geistlicher «ar; mein Vater ist es noch, und mich selbst hat nur der Krieg, so wie meine Nei
gung zur Musik, diesem Stande entfremdet.
Und es hat Ihnen keine Ueberwindung gekostet, eine Laufbahn wieder zu verlassen,
191
welche Sie so schön besonnen haben? fragte der Fürst.
Nicht die mindeste, Ew. Durchlaucht. Dem Rufe unsers König- mit Begeisterung folgend, hat die Jugend aller Stände die Waffen ergriffen. Das Ziel ist erreicht, und gern kehren Alle in die alten Verhält« nisse zurück. Diese Erhebung Ihres Volkes, sagte der Fürst, wird ewig ein glänzender Punkt in dessen Geschichte bleiben. Jetzt ward gemeldet, daß aufgetragen sey. Die Gesellschaft trat in ein Zelt, wel« ches unweit der Stelle, auf welcher sie bis, her gestanden, aufgeschlagen war. ES führte die Farben des Hauses, himmelblau und weiß, und war ein um so freundlicherer Aufenthaltsort, als die zurückgeschlagenen Seitenwände den freien Blick in die schöne
192
Gegend, wie in die dunkeln Gänge des
herrlichen ParkS gewährten. Zu nah lagen die großen Begebenheiten der lehtvergangenen Zeit, und zu günstig bot sich die Gelegenheit bar, einen Augen/ zeugen darüber zu vernehmen, um sie nicht zu ergreifen; je schwerer cs überdem auch
dem Aufmerksamsten geworden war, an dem Faden der öffentlichen Nachrichten den krie/
gerischen Ereignissen zu folgen, mit desto größerem Interesse suchte der Fürst aus Viktors Erzählungen das mangelhafte Bild zu ergänzen. Er fand unfern Freund gut
unterrichtet und hörte ihm mit um so grö/ ßerm Wohlgefallen zu, als der junge Kriee ger weder die Thaten feines Volkes unger bührlich erhob, noch mit hochfahrendem Tae del freigebig war, vielmehr überall eine
schöne Milde des Urtheils bekundete. Er gewann dadurch je länger je mehr
193
die volle Achtung des Fürsten, die sich in
seinem Benehmen unzweideutig aussprach. Vertrauen Sie mir, sagte der Fürst, nach aufgehobener Tafel unsern Freund in den Park führend; ich intcressire mich sehr für Sie. Noch liegt ein Schleier über Ihren Schicksalen; Sie scheinen nicht glück lich zu seyn. Lassen Sie mich ohne allen
Rückhalt erfahren, auf welchem Wege meine bereitwillige Hülfe Ihnen zu Theil werden kann. Meine äußern Verhältnisse, erwiederte Viktor, würden glücklich zu nennen seyn,
wäre mein Herz nicht unheilbar erkrankt. Daher, mein Fürst, setzte er bewegt hinzu, bin ich verurtheilt, die theure Heimath zu meiden und ein unstateS Wanderleben zu führen.
Und giebt es in der That keine Hülfe? III.
13
194 fragte der Fürst, indem er theilnihmenb Viktor« Hand ergriff. Nein, mein Fürst; doch Em. Durchs
jaucht Güte verbietet jede weitere Zurück, Haltung.
Wenig Worte enthüllen mein
trauriges Geschick. Ich liebte ein edles Mäd,
chen, und sie war — meine Schwester! Der Fürst erbebte und drückte still de«
Unglücklichen Hand.
Vergeben Sie der gut
ten Absicht, sagte er nach einer Pause, in welcher ich so unberufen da« Heiligthum
Ihre« Schmerzes berührt habr.
Nur zu
oft besingt uns Fürsten der thörigte Wahn, wir vermöchten mehr, als andere Sterbliche; hastig greifen wir zu, unbekümmert um Zeit
und Verhältniffe, bis ein höheres Schicksal
uns nur zu schmerzlich unsere Ohnmacht
empfinden läßt. Bereuen Sie e« nicht, mein Fürst, er, «lederte Viktor gerührt, einem Unglücklichen
195
einen Blick in Ihr edles Herz verstattet zu haben, der den ganzen Werth dieser groß/ wüthigen Theilnahme zu schätzen weiß und seit dieser Stunde Ihnen mit der innigsten Verehrung angehört. Ist eS doch gut, dann und wann dem Unglück fest in'S Auge zu blicken, wäre es auch nur, um sich seine Pflichten von Neuem in'S Gedächtniß zu rufen. Edler Mann, sagte der Fürst bewegt, wie dankbar ich Ihnen auch für diese Ge fühle bin, ich empfinde nur mein Unrecht. Ich habe vermuthlich Ihnen einen ruhigen, mir gewiß einen schönen Abend verdorben. Ich darf Sie heute nicht länger hier zu ver weilen bitten, hoffe aber, daß Sie mein Haus nicht werden entgelten lassen, was ich verschuldete. Zu allen Stunden werden Sie herzlich willkommen seyn. Vikwr beurlaubte sich.
196 Aon diesem Tage an gestaltete sich um ferm Freunde mehr und mehr ein sehr
glückliches Verhältniß, welches, wenn cs auch seinen Schmerz nicht zu heilen vcr/
mochte, doch wohlthätig ihn zu zerstreuen wirkte. Je näher der Fürst Viktor» kennen
lernte, je mehr gewann dieser seine Zunei/
gung, und bald schien ihm etwas zu fehlen, wenn sein junger Freund nicht bei ihm war. Wo aber hätte sich auch Viktor wohlcr
befinden können, als auf dem Schlosse, wo er den edelsten Umgang fand, wo ein herz/
liches Vertrauen ihm entgcgenkam und wo
ein weibliches Wesen wohnte, dessen wum derbare Achnlichkeit mit Claudinen mit be/
sänftigendcm Zauber auf sein Herz wirkte? Es war ja nicht blos die äußere Ucbercim stimmung, die anmuthigc Wiederholung einer
über Alles geliebten Gestalt, was er hier wicderfand, sonder« auch den überraschend/
197 sten Gleichklang der Seelen.
Tausendmal
mußte Viktor es sich sagen: so würde Claue dine gedacht und empfunden, gerade so sich
ausgcdrückt, so dieses Lied gesungen haben.
Daß der Fürst mit seiner Tochter über
Viktors Verhältnisse gesprochen hatte, wurde mehr als wahrscheinlich durch das sanfte,
milde Benehmen der Prinzessin gegen ihn.
Ihr verkrauenvolles Hinneigen zu ihm, die zarte Schonung, welche sie ihm bewies,
konnten allein der Theilnahme ihren Ur/ sprung verdanken, die ein edles Herz so
gern dem Unglücklichen bezeigt. Nur eins entbehrte Viktor schmerzlich
— nicht von Claudinen mit der Prinzessin
reden zu dürfen. Doch der Himmel, der das neue Verhältniß wohlwollend zu be schützen schien, versagte auch diesen letzten
Wunsch nicht.
Die Prinzessin erzog rin kleines, früh
198 verwaistes Mädchen.
Das Kind wat fast
immer in der Gesellschaft, wo es durch die
Anmuth seiner Forme«, wie durch feine große Lebendigkeit ergötzte.
Eines Abends nun hatte Viktor die Prin, zessin auf einem Spaziergänge durch den Park begleitet und dann mit ihr vor jenem
Zelte Platz genommen, um den Untergang der Sonne zu erwarten.
Die kleine Ma,
thilde saß auf Viktors Schooße und spielte mit seinen Orden.
Während eines anzle,
henden Gesprächs mit der Prinzcsfin blieb das Spiel der Kleinen unbeachtet, welche
während dessen eine feine, goldene Kette gewahrte, die unter Viktors Kleidung her,
vorblinkte.
Muthwillig riß sie die Kette
heraus, welche zersprang und das Medaillon in den Schooß der Prinzessin fallen ließ.
Die Kapsel sprang auf und enthüllte Hele,
199 MN ein Dildniß, in welchem sie ihr eigne» zu erkennen glaubte.
Das bist Du! rief die Kleine, von Dik/ torS Schovße herabspringend und nach dem
Bilde greifend. Die bestürzte Prinzessin schien mit Em/ pfindungen zu kämpfen, für welche sie »er/
gcblich den schicklichen Ausdruck suchte. Es ist das Bild einer nur zu geliebten Schwester, gnädigste Prinzessin! sagte Dik/
tor, gleich betroffen über den Zufall, indem et das Bild ans de« Kinde« Hand nahm; ich beschwöre Sie, mir dies zu glauben und
Mich jeder frevelhaften Vermessenheit fite
unfähig zu halten, deren diese wunderbato Aehnlichkeit mich beschuldigen könnte.
Jener Schwester? — fragte Helene mit dem alten Tone de« Vertrauens und mit aller wiederkehrenden Huld ihrer Mienen. —
Mein Vater, fttzte sie zögernd hinzu, glaubte
200 mir Ihr Geheimniß vertrauen zu müssen,
um Sie vor jeder möglichen Verletzung Ihr res Gemüths sicher zu stellen.
Ja, es ist jene unglückliche Schwester,
sagte Viktor, mit der ich einen seligern Bund für dieses Leben zu schließen mir
schmeichelte. — ES ist Claudine! Armer Freund, tief die Prinzessin ans, indem sie Viktor» die Hand reichte, die die«
ser ehrerbietig an seine Lippen drückte-, so mußte denn die Tochter Ihnen in gleicher Art wehe thun, wie der Vater! Segnen will ich diesen Zufall, Prinzeft
sin, sagte Viktor, wenn Ihre Herablassung mir vergönnt, nur dann und wann Ihnen
ein Wörtchen von dieser geliebten Schwe ster sagen zu dürfen; zu lange schon ent behrt mein Herz des beseligenden Genusses
der Mittheilung. Mit eben der Freude, erwiederte Helene,
201
würde ich die Erneuerung Ihres Glückes erfahren/ als ich jetzt bereit bin, Ihre Mitt Heilungen j« empfangen. — Ein letztes mattes Abendroth fiel auf Viktors erblaßte Wangen, als er seine Ett
Zahlung beendigt hatte. Schwermülhig tönte Hörnerklang voM Schlosse herüber. Die
Prinzessin erhob sich. Schrecklich, schreck/ lich! sagte sie leise, die Augen verhüllend. Himmel! woher nehmen Sie den Muth,
dieses Geschick zu ertragen?
Viktor zeigte schweigend mit erhobener Hand nach oben, Da wandte sich plötzlich Helene zu ihm, und von fremdem und eignem Schmerze
ergriffen, faßte sie des Jünglings Hand und sagte traurig: Viktor, auch ich bin nicht glücklich, KhÖ
ich zittere meinem Geschicke entgegen, seit
202 ich weiß, wie sehr ich Ihrer Llaudine
gleiche.
Schweigend gingen sie nach dem Schlosse.
Der Weg zu einem gegenseitigen Ver#
trauen war gebahnt.
In verschwiegener
Stunde legte Helene ihr Geheimniß in
Viktors Busen nieder.
Nur zwei Menschen kennen es außer
mir, sagte sie, bevor sie die Mittheilung 6t# gann, aber ich widerstehe dem Drange nicht, mich Ihnen ju eröffnen, mir ein mitfühlen#
des Herz zu gewinnen und das Urtheil ei# neö Freundes zu vernehmen.
Vor vielen Jahren schon erlosch der
männliche Stamm eines deutschen Fürsten# Hauses, dessen Land unter mehrere Seiten# verwandte getheilt wurde.
Von
dieser
Erbschaft war auch dem Großvater Hele#
203
nenS ein nicht unbeträchtlicher Theil zuger fallen. Zwei große Aemter jedoch, welche er da,
mals mit in Besitz genommen hatte, wären von einem miterbenben Fürstenhause in Am spruch genommen worden. Seit geraumer Zeit hatte deswegen ein Rechtsstreit ge, schwebt, in welchem Urtheile ergangen wa, ren, ohne die Sache zu schlichten. Der Prozeß hatte nur dazu gedient, eine Hülle von Unannehmlichkeiten zu entwickeln und
Familien zu trennen, welche bisher in den freundlichsten Beziehungen zu einander ge, standen hatten. Endlich war es Helenens Vater geglückt,
nach der Geburt dieser Tochter einen-Der, gleich zu Stande zu bringen. Helene sollte
mit dem Erbprinzen Ernst vermählt wer, den und das eine jener streitigen Aemter
ihrem Gemahle als Aussteuer zubringen,
-204-
das andere dagegen dem diesseitigen Für/
stcnhause verbleiben, und so der lange Streit für ewige Zeiten bcigclegt werden. Dieser Vertrag, welcher die Zurücknahme der Klage zur unmittelbaren Folge gehabt
hatte, war unter Beistimmung aller Agna/ te» abgeschlossen worden und Prinz Ernst
seitdem
jur. Regierung
gelangt.
Seine
Kränklichkeit war atteiu Ursache, daß Ver/
lobung und Vermählung verschoben worden Waren.
Fürst Ernst war ein unfreundlicher Mann,
den dauernde Kränklichkeit noch unliebens/ würdiger gemacht hatte, in dessen Besitz
daher kein Glück zu hoffen war.
Das vollkommene Gegenbild dieses Für/ sten war sein jüngerer Bruder Adolph. Die
herrlichen Anlagen, welche die Natur ihm
verliehen,
hatte eine treffliche
Erziehung
auf's Vollkommenste entwickelt. So erschien
205
er der Prinzessin Helene, geistreich, gut, ein blühender Mann.
Lange hatten Beide mit einer Neigung gekämpft, welche dem Interesse ihrer Hau/
ser widerstritt, bis endlich ein leidenschastli/ chcr Moment ihren Lippen das Eeständniß der Liebe entrissen hatte. — Das tiefste Ge/
heimniß ruhte über diesem Bunde, nur He/
lcnens Bruder wußte darum.
Dennoch
schien Fürst Ernst eine Ahnung dieser Liebe
zu haben, denn er hatte, wenn gleich in
-rätselhaften Worten,
unmuthig zürnend
auf dieses Verhältniß angespielt.
Um so
weniger wagte cs Prinz Karl, HelenenS Bruder, diese Liebe zu begünstigen, da zu befürchten stand, daß bei der ersten Vera»/
lassung, wo sich das Geheimniß verriethe, der Bräutigam seine Vermählung beeilen werde, um sich von einem so gefährlichen
Nebenbuhler zu befreien.
206 So schien denn diese Liebe völlig hoff-
nungslos.
Zur bittersten Entsagung verur
teilt und entschlossen, fand die Prinzessin
nur Trost in dem schwärmerischen Gedan ken, daß sie auch in der verhaßtesten Ehe dem Geliebten die Treue zu bewahren wis sen werde.
Durch den Krieg sah Helene der einzi gen Vertrauten ihrer Leiden sich beraubt.
Der Bruder, wie der Geliebte, standen bei der tstrrretchischen Südarmee in Frankreich, und vergeblich hoffte sie von Tag zu Tage
ihrer Wiederkehr. Diese Trennung aber verhinderte auch
jede trauliche Mittheilung; denn bet der Wichtigkeit des zu bewahrenden Geheim
nisses war es verabredet worden, ihren
Briefen nicht- anzuvertrauen , indem schon der erste Versuch dieser Art beinahe die un
glücklichsten Folgen gehabt hätte.
207
Eine Art von Entschädigung für so horte
Entbehrungen hatte bisher die gleichzeitige Abwesenheit des Fürsten Ernst gewährt, welcher den Winker in Montpellier verlebt
hatte, dessen baldige Rückkehr aber bereit« angemeldet war. Von jedem Uebel genesen, hoffte er auf eine nicht mehr ferne freuden/
reiche Zukunft— Furchtbar nahe stand He, lenen der Tag, der für immer das Glück ihres Lebens vernichten sollte. Jede Stunde konnte den Fürsten zurückführen, und jeder
rollende Wagen Schrecken.
versetzte
sie
daher in
So war der Prinzessin Lage, als Nike tot auf dem Schlosse erschien. Sein Ernst,
seine Trauer, die Offenheit seines Charak, ters gewannen ihm ihr volles Vertrauen,
und nur der Gedanke, daß ihr Geheimniß
nicht ihr alleiniges Eigenthum sey, hatte die Mittheilung desselben bisher verhindert.
208
Aber nach jenem Ereignisse mit dem Bilde, welches Viktors ganzes Herz ihr enthüllte, schwanden auch die letzten Bedenken. — Das lastende Gewicht ihrer Sorge erzeugte das dringende Bedürfniß, ihre Schmerzen einem verwandten Gemüthe zu vertrauen, wie wenig ihr dieser Schritt auch geeignet scheinen mußte, ihre Herzensangelegenheit dem erwünschten Ziele näher zu bringen. Sie hatte jetzt dem neuen Freunde Alles vertraut. Viktor, in Nachdenken versunken, erkannte Lie Lage der Prinzesfin fast als
rettungslos. Das einzige Mittel, der un glückseligen, Verbindung zu entgehen — die Flucht, durfte er nicht anralhen; eine Einwirkung auf Helenens Vater schien ihm endlich noch das Gerathenste. Wenn ich, gnädigste Prinzessin, unter
brach Viktor das Stillschweigen, meinen ehrerbietigen Dank für dieses seltene Vcr-
209
trauen nicht unverzüglich zu erkennen gab, so geschah es, weil ich ein Mittel auszur
spähen bemüht war, um jenem drohenden Unheile auszuweichen.
ES ist schwierig
hier Rath zn ertheile», wo gewiß jede Möge
lichkeit mit höherem Geist und näherer Kenntniß aller Verhältnisse bereits erwogen
worden, und dennoch erfüllt mich das glü
hende Verlangen, Ihnen nützlich zu werden. Wohin ich die Gedanken auch richte, ich finde keine Reifung, als in einer Eröffnung
gegen den Fürsten, Ihren Herrn Vater. Oftmals, erwiederte die Prinzessin, ist
dieser Vorschlag unter unS besprochen wor
den; aber immer schien eS uns, daß er nicht
zum Ziele führen werde» Aber warum nicht. Gnädigste?
Sollte
die Darlegung des Ihnen drohenden lln
glück- den Fürsten nicht bewegen, einem Vertrage die Erfüllung zu verweigern, wel
III.
14
210
chem Ihr Leiden «kein feine Entstehung
verdankt? Mein Vater, sagte Helene, würde viel« leicht ans Liebe zu mir keine Opfer scheuen,
wenn ihn sei» Watt nicht gebunden hielte. Niemals würde er es sich verzeihen, einen Vertrag gebrochen zu haben, welcher auf ftinr Veranlassung, unter dem Beitritte al«
ler Verwandten, geschloffen wurde. Es ist
das heilige, weder Deutung noch Zweifel unterliegende Fürstenwort, war ihn bindet.
So lange blos von einer Gebietsabtrer
tUng 6k Rebe war, erwiederte Viktor, Mochte dieser Vertrag immer bestehen, jetzt
aber, da ein« Tochter gevpftrt «erben soll, kann der todte Buchstabe des Gesetzes nicht
enrstheiden, welcher die heiligsten Rechte der Rikkur verletzt.
Es war ein JrrrhNM Ihr
tet Herrn Vaters, da er flch berechtigt
glaubte, so übet ein geliebtes Kind ju ver,
211
fügen, dessen Unglück er sicherlich nicht gr,
wollt hat.
Er braucht nur zu erfahren, in
welchem Grade Sie leiden, und ich bin Überzeugt, seine Liebe und Weisheit werde«
das schickliche Mittel finden, die geliebte Tochter zu retten; ja, ich halte es selbst für
di« heiligste Pflicht, dem Fürsten Alles zu eröffnen, damit er nicht einstmals seine eie gcnen Kinder anklage, daß sie durch Man
gel an Vertrauen ihn gehindert hätten, die
sem Unglücke vorzubcugen.
Helene errölhete, eine leise aufdämmernde Hoffnung verklärte ihre Züge. Dann sagte sie bewegt: Aus dem Gesichtspunkte der Pflicht haben wir die Sache nie betrachtet. Himmel, wenn Sie Recht hätten, wenn
dieser Weg zur Rettung führen sollte, würde
ich Ihnen dann jemals genug danken könne«? O, warum sind mir diejenigen gerade jetzt so fern, fuhr sie fort, mtf denen «8rin ich
14*
212 mich berathen kann, ohne deren EiMvilljr
gung
ich niemals
diesen
entscheidenden
Schritt wagen darf!
Ich darf nicht entscheiden, begann Dikr tot, wie viel eine Prinzessin wagen darf,
da die Verhältnisse eine- Fürstenhauses mir
unbekannt sind und ich diese nur nach den Gefühlen meines Herjens beurtheilen kann. Bleibt der Fürst doch ewig zugleich Vater, wie die Prinzessin Tochter, schlingt die Rar
tue doch um Beide dieselben ewigen Bande der Liebe, wie um andere Menschenhrrzen.
Verzeihung daher, meine Fürstin, wenn ich, jeden Aufschub verwerfend, Ihnen nur rar
thcn kann, sich noch heute in die Arme Ihr
res Vater- zu werfen und ihm Alle- zu
gestehen. Unmtglichl rief Helene au»; ich wage
es nicht, diese Verantwortlichkeit aus mich
213 zu nehmen. Nein, sie müssen darum wissen, Adolph und Karl! Wohlan denn, Prinzessin, ich bin zu
Ihrem Dienste bereit. Vertrauen Sie mir die theuren Zeilen für die Prinzen an, und
noch in dieser Stunde reise ich ab.
Helene blickte Viktor» überrascht an. Ihr Ange glänzte in sanfter Rührung. Ja,
mein edler Freund, sagte sie in großer Der
wegung, ich will es annehme», dies schöne Opfer einer uneigennützigen Freundschaft, und in einer Stunde soll der treueste Ger sandte, den jemals ein armes, liebendes
Mädchen gefunden hat, meine Briefe emr pfangen. Viktor eilte in seine Wohnung, meldete
Claudinen seine Abwesenheit für mehrere Wochm und traf die nöthigen Vorbereitun
gen zur Reise.
Dann empfing er im- Ger
Heimen die Briefe der Prinzessin und Auer
214
tunst über den vermuthlichen Aufenthalt der Empfänger. Ich femme, mich bei E«. Durchlaucht aas wenige Tage zu beurlauben , sagte er dem Fürsten; die theuersten Familienver, hältniffe fordern meine schleunige Abreise. Was ist vorgefallen, lieber Holm? fragte der Fürst; Ihr Auge leuchtet, Sie sind in ungewöhnlicher Bewegung! Ew. Durchlaucht erfahren Alles, sobald ich zurück bin; das Geheimniß betrifft nicht mich allein. Wenig Minuten später verließ Viktor mit Eourierpferden die Stadt.
Achtes Kapitel, Es mochten seit Viktors Abreise einige Tage verstrichen seyn, als in der Abend/
214
tunst über den vermuthlichen Aufenthalt der Empfänger. Ich femme, mich bei E«. Durchlaucht aas wenige Tage zu beurlauben , sagte er dem Fürsten; die theuersten Familienver, hältniffe fordern meine schleunige Abreise. Was ist vorgefallen, lieber Holm? fragte der Fürst; Ihr Auge leuchtet, Sie sind in ungewöhnlicher Bewegung! Ew. Durchlaucht erfahren Alles, sobald ich zurück bin; das Geheimniß betrifft nicht mich allein. Wenig Minuten später verließ Viktor mit Eourierpferden die Stadt.
Achtes Kapitel, Es mochten seit Viktors Abreise einige Tage verstrichen seyn, als in der Abend/
215
dämmerung zwei junge östcrrcichische.StaabSoffiziere in einem Zimmer des ersten Gast-
Hofes in Lyon, in halblautem Gespräche ver-
tieft, auf und ab gingen. Da öffnete sich die Thär und unangemeldet trat ein Frem-
der mit Briefen von einer geliebten und
bekannten Hand zu den Ucberraschten ein» Durch eine glückliche Verkettung von Umstanden, begann Viktor, bin ich mit dem Vertrauen der Prinzessin Helene beehrt
worden. Sie erwartet mit Sehnsucht Ant« wort auf diese Schreibe». Ich werde da«
her so frei seyn, mir diese in einigen Stun
den zu erbitten, da es Ihr Wille seyn dürfte,
daß ich noch in dieser Nacht die Rückreise antrete. Er verbeugte sich und verließ eilig
das Zimmer. Als er nach Verlauf einiger Stunden
die, Prinzen wieder aufsuchte, ward er von ihnen mit offenen Armen empfangen.
216 Jetzt erst, sagten ste, kenne» wir Jhrv Fart« Aufopferung für -ein uns so theures Interesse. Und in verhängnisvoller Stunde sind Sie erschienen, sehte Prinz Adolph
hinzu. Mein Bruder hat die Rückreise be
reits angetrcten. Niemals war die Gefahr dringender; er ist völlig hcrgestcllt und denkt nur an seine Vermahlung; ich weiß es aus
sicherer Quelle, wie wenig geneigt er auch scheint, mich vor der Zelt von seinen Plä nen zu unterrichten.
Wenn wir nicht früher gewagt haben, das Schicksal der Liebenden in des Vaters
Hand zu legen, nahm Prinz Karl das
Wort, so verhinderte dies nur die Erwä gung der Heiligkeit geschlossener Verträge
und die Dcsorgniß, durch die Mitwisscn-
schaft des Fürsten die Zahl der Trauernden nur zu vermehren.
Zu lange hatten wir
uns gewöhnt, die arme Schwester als ein
217
trauriges Opfer der Lonvenieuz und" die
mögliche Aenderung 'ihres Schicksals atleht
von dem Hinscheiden desjenigen abhängig zu betrachten, den der Himmel nur für ein kurzes, freudenloses Daseyn bestimmt zu hae
bcn schien. . Jetzt muß das letzte Mittel ge, wagt werden, anf welches Ihr richtiges und zartes Gefühl uns hingewtesen hat, daß es
nämlich die Pflicht der Tochter sey, ihr
Herz dem Vater zu eröffnen. Bei Mm Charakter des Fürsten , voll seltener Treue und Festigkeit, dürfen wir zwar wenig Host
feil, aber dennoch muß der entscheidende
Schritt gewagt werden. Es ist gut, daß
meine Schwester dem Vater die ersten Ere »ffnungen macht; ich selbst werde in wen»
gen Tagen meine Bitten mit den ihrigen vereinigen. Wäre es nicht möglich, sagte Viktor,
daß Ew. Durchlaucht mich begleiteten?
218
Es würbe sehr schwierig seyn, erwiederte
der. Prinz, wegen meiner militairischen Stellung hier, und es möchte, wie ich den Fürsten kenne, von ihm nicht einmal gut
geheißen werben. Verlassen Sie sich bare auf, daß ich nicht lange zögern werde.
Sie sehen mich fragend an, begann Prinz Adolph, zu Viktor» gewandt. Sie können
die grausamen Qualen nicht bezweifeln, die
mich verzehre«. 0 wie gern flöge ich hin,
meiner angebcteten Helene zum Beistände! Unter heißen Bitten wollte ich des Fürsten Knieen umfassen, die eigne Liebe ihm zum
Opfer bieten, könnte dies sie von einer Ver/
bindung befreien, die ihr den Tod bringen wird. Aber so unselig sind diese Verhält/
Nisse, daß ich in keiner Gestalt dort zu er/ scheinen wagen darf, ohne meinen Bruder
zu schonungslosen Maßregeln zu veranlassen.
Und wen auf der Welt hab' ich sonst zu
219
schonen, außer derjenigen, für die allein das Leben nur Werth hat?
Schilbern Sie der
Prinzessin diese Qualen
der Entsagung,
Freund, de« die Gunst des Himmels mir
so wunderbar zngcführt hat, und sagen Sie ihr, daß ich unfehlbar binnen drei Tage«
«ach meinem kleinen Besitzthum abgehea und dort mit Sehnsucht ihre Mittheilungen
erwarten werde. Viktor widerstand den dringenden Bit
ten der Prinzen, sich wenigstens diese Nacht
Ruhe zu ginnen, und blieb entschlossen, auf
der Stelle abzureisen.
Wir müssen dem
Zufall keinen Vortheil über uns rinräume», sagte er; wer mag wissen, welches Mißge
schick in der versäumten Stunde herrinbre, chen kann?
Unter heißem Dank
für
feine auf
opfernde Theilnahme mußten sie ihm bei
pflichten.
220
Als der Morgen tagte, hatte der Rei-
seüde schon eine große Slrecke Weges yu
rückgclegt.
Ein ihm selbst unerklärliches,
'ängstliches Gefühl trieb ihir unaufhaltsam vorwärts; kein Mittel blieb unversucht, nm die eilenden Stunden zu überflügeln.
ES
gelang ihm, fast einen vollen Tag einzudringen-
Bei nächtlicher Weile erreichte er die RePdenj des Fürsten.
Wefl?n ist der Reiser
Magen? fragte Viktor ien Aufwärtcr, der ihn in seine Wohnung ließ.
Er gehört dem Hofmarschall des Fürsten Ernst von * * *, war die Antwort, der
kaum vor einer Stur,de angelangt ist und sich eben niedcrgclegt hat.
Die Ahnung
einer
unheilbringenden
Sendung erwachte in Viktorn; er flog nach dem Schlosse
meister.
und
weckte den Haushof
221
Ich habe der Prinzess!« wichtige Nach
richten zu überbringen, sagte er dem stau nenden Alten; sorgen Sie, daß ich sie un verzüglich sprechen kann, es gilt das Glück ihres Lebens!
Ich will den Fürsten wecken lassen, er wiederte der Alte, aber die Prinzessin — aufrichtig gesagt, das wage ich nicht.
Sie haben ehrenvoll als Soldat gedient, rief Viktor aus, nun denn, bei dem Ehren worte eines Soldaten, das Glück der theu ren Prinzessin hängt an dieser Stunde.
Ihr ganzes verweintes Leben genügt nicht, um diese versäumte Stunde zurückzukaufen.
Bei Allem, was dem Menschen theuer ist,
beschwöre ich Sie, meine Bitte zu erfüllen! Der treue Diener ward erschüttert. Ich
weiß es, wie sehr der Fürst Sie schätzt, sagte er; Sie können nur Gutes beabsichti
gen. Ich gehe, die Kammerfrau zu wrckrn.
222 Nach einer kleinen Viertelstunde ward
Viktor vorgclaffen.
In heftiger Bewegung
warf er sich der Prinzessin zu Füßen.
Hier, meine Fürstin, bringe ich die Ein» willigung der Prinzen; doch nun ist keine
Stunde mehr zu verlieren, Ihr Glück hangt
an wenigen Minuten.
Eine tödtliche, nur
allzu begründeteAngst hat mich hergetrie-
ben.
Fürst Ernst ist auf der Rückreise,
und schon ist sein Abgesandter eingetroffen,
unfehlbar in der Absicht, morgen um Ihre
Hand zu werben; nur diese Nacht gehört noch Ihrem Glücke!
Helene vernahm diese fast in Verzweif lung ausgestvßenen Worte, sah die verstör ten, bleichen Züge des Jünglings und ein Thrünenstrom entstürzte ihren Augen. Viktor, sagte sie in tiefer Rührung, ist
möglich, daß die aufopfernde Liebe für
223 eine Fremde Sie dahin bringen konnte? Sie erliegen ja der Last dieser Anstrengung! Nein, meine angebetete Fürstin, ich
«erde nicht erliegen!
Zn wenig Augen
blicken wird die Freude diese nur von Sor
gen gebleichte Wangen wieder röchen. Aber
ich beschwöre Sie, sprechen Sie ungesäumt
mit Ihrem Vater!
Noch in dieser Stunde, sagte Helene;
bleiben Sie in der Nähe, mein Freund. Als Viktor den Corridor hinunterflog, öff nete sich eine Thür; der Fürst trat auf die
Schwelle, einen Armleuchter in der Hand.
Ist es möglich?
Sie,
Rittmeister
Holm? — Ist etwas vorgesallen? einem
Bon
ungewöhnlichen Geräusch erweckt,
vernehme ich auf dem Gange eilige Schritte,
Thürefl wdrdeN geöffnet; ist ein Unglück geschehen? Nein, mein gnädigster Fürst.' aber bkeft
224
Stunde entfernt vielleicht ein schwer dro
hendes auf immer von einem theuren Haupte.
In wenig Augenblicken wird eine heiße Bitte an Ihr Herz gelegt werden. 0, seyn
Sie gnädig, mein Fürst, und der Himmel
gieße alle seine Milde über die kommende
Stunde. Bei diesen Worten erschien der Fürstin
Kammerdiener. Der Abgesandte der Prinzessin, sagte
Viktor, verneigte sich tief vor dem Fürsten und entfernte sich. Erschöpft sank er auf des Haushofmei sters Zimmer in einen Sessel. Sie bedür
fen der Stärkung, sagte theilnehmend der Alte, indem er eine Flasche Wei» vor Vik
tor» hinstcllte und ihm etnschenkte. Mir werden hoffentlich die nächsten Mi
nuten Stärkung bringen, erwiederte Viktor; möge Gott Astes zum Guten wenden!
225 Eine Stunde mochte vergangen seyn, als Viktor zum Fürsten gerufen wurde. Ein
Sturm wechselnder Empfindungen durchbebte
ihn auf diesem Gange.
Als er in das Zimmer des Fürsten trat, ruhte Helene in des Vaters Armen und
verhüllte die weinenden Augen.
Helene, sagte der Fürst, Dein Freund steht vor Dir! Richte Dich auf und last
ihm erkennen, daß es Freudenlhranen sind, die Du weinst. Alsbald entriß sich die Prinzessin den
Armen des Vaters, und durch ihre Thränen selig lächelnd, flog sie auf Viktor» zu, rre
griff seine Rechte, die sie mit Innigkeit an ihr Herz drückte, und rief aus: 0 mein treuer Freund, mein Erretter, Engel mLgen Ihnen meinen Dank sagen, ich vermag es
ja nicht! III.
15
226
So ist es Wirklichkeit? rief Viktor; und
alle Ihre Wünsche sind erfüllt? Alle! sagte die Prinzessin, durch ihn,
durch ihn! Sie warf sich von Neuem in die Arme ihres Vaters.
Noch erbebe ich, sagte der Fürst, bei dem
Gedanken an die drohende Gefahr. Wie standen unbesorgt, ahnungslos an dem Rande
eines Abgrundes.
Wunderbare Verkettung
menschlicher Schicksale! fuhr er fest. Er
Mußte unglücklich werden, um hier glücklich zu machen! Er schloß den Jüngling bewegt in seine
Arme. Beseligend ist, sagte er untre der Umarmung leise, das Gefühl, solchen Freund zu besitzen! — Und nun, meine Kinder,
laßt uns ruhen. Vieles muß geschehen in
de» nächsten Tagen.
Schlummer sanft,
meine Tochter, und von schönen Träumen eingewiegt. Auch Sie, mein Freund, teew
227
den sanft ruhen bei dem triftenden tottouyt, seyn, eine edle Thätigkeit von solchem Ere folge gekrönt zu wissen.
Neuntes Kapitel. Als Viktor erwachte, dämmerte der Abend. Dieses langen Schlafes hatte die erschöpfte Natur bedurft, flch neu zu kräftigen. Er ging auf'S Schloß; der Dürft war seit dem frühen Morgen verreift. Im vollen Glanze der Freude trat ihm die Prinzrsftn entgee gen. Mehr wie jemals glich sie ClaudintN. Da faßte ihn der alte Schmerz, und müh, sam nur hielt er sich aufrecht. Helene sah, was in ihm vorging, und verbarg sorgsam des eigenen Glückes Hochgefühl, um den Freund zu schonen.
227
den sanft ruhen bei dem triftenden tottouyt, seyn, eine edle Thätigkeit von solchem Ere folge gekrönt zu wissen.
Neuntes Kapitel. Als Viktor erwachte, dämmerte der Abend. Dieses langen Schlafes hatte die erschöpfte Natur bedurft, flch neu zu kräftigen. Er ging auf'S Schloß; der Dürft war seit dem frühen Morgen verreift. Im vollen Glanze der Freude trat ihm die Prinzrsftn entgee gen. Mehr wie jemals glich sie ClaudintN. Da faßte ihn der alte Schmerz, und müh, sam nur hielt er sich aufrecht. Helene sah, was in ihm vorging, und verbarg sorgsam des eigenen Glückes Hochgefühl, um den Freund zu schonen.
228
ES ist schon überwunden, sagte Viktor schmerzlich lächelnd; wie kräftig man auch zu seyn glaubt, doch zeigen sich Rückfälle, web ehe wie letzter Fieberfrost die genesende Nae tur anfalle». Verbergen Sie mir nicht Ihr volles Glück, Prinzessin! Diese wundere bare Aehnlichkeit ergriff nur deshalb mich heute lebendiger wie je, weil ich aller Nach« richt von ihr gänzlich entbehre. Helene bemühte sich liebevoll, mit zarter Theilnahme seine Besorgnisse zu zerstreuen, als da« Eintreten des Kapellmeisters sie unterbrach. Was macht die Oper? fragte er im Laufe des Gesprächs. 5« wenigen Tagen, sagte Viktor, werbe ich damit fertig seyn, eS fehlt nur noch die Ouvertüre. Herrlich! erwiederte Jener; dann soll eS gleich an bas Ausschreiben der Stimme»
229 gehen, denn der Fürst verlangt bte Auf
führung. Die Singstkmmen- -«merkte Viktors sind schon ausgeschrieben; biet habe ich während
meiner Abreise besorgen lassen. Vortrefflich! fiel die Prinzessin «im; da könnten wir ja wohl heute schon eine kleine
Probe halten?
Viktor holte die Partitur.; Die Gesellschaft begab sich in den Gar,
tensaal; man vertheilte die Partien.
Die
Prinzessin übernahm die Rolle der Cian, dine, ihr Gesellschaftsfräulein Julie die der
Lucinde, der Geheimerath den Alonz», der Kapellmeister den Rugantino, Viktor den Don Pedro; die Rolle des Basko sollte
abwechselnd von einem der Männer auSgt,
füllt werden, d^r grade in seiner Partie unbeschäftigt war.
Flügel.
Viktor begleitete am
230
Die ganze erste Feststem war sehr heiter
gehalten. Nur in den gefühlvollen Versen
ClaudivenS und Don Pedro's wehte eine leise Sentimentalität; die Melodien waren neu und gefällig.
Das muthwillige Liedchen LueindenS:
„Hin und wieder fliegen Pfeile," war recht artig, und die leichte, scherzende Bee glcitung besonders zu loben. Mit welcher Liebe die Partie der Clane
dine geschrieben war, bewies gleich die erste Arie:
Alle Freuden, all« Gaben, Die mir dort gehuldigt haben, Sind nicht diese Blumen werth. Hier sprach die vollste Liebe, die innigste Zärtlichkeit.
Sie fand den allgemeinsten
BeifallFür das Meisterstück des ersten Aktes
231
wurde jedoch einstimmig Don Pedro'ö Arie
gehalten: Es erhebt sich eine Stimme; Hoch und höher schallen Chöre; Ja es ist der Ruf der Ehre, Und die Ehre rufet laut: Säume nicht, du frische Jugend! Auf die Höhe, wo die Lugend Mit der Ehrs Sich den Tempel aufgebaut! Eine kräftige, schöne Melodie, kühnes Leben und Begeisterung bezeichneten den ersten Satz. Mit völliger Veränderung des Cha
rakters trat nun eine weiche, liebeathmende Weise zu den Worten ein: Aber aus dem stillen Walde, Aus den Büschen Mit den Düften, Mit den frischen, Kühlen Lüften Führet Amor, Bringet Hymen Mir die Liebste, mir die Braut.
232
Vortrefflich drückte die Musik Pedro»»
Schwanken, den Kampf seines Entschlusses
in den Worten aus: Jenes Rufen, dieses Lispeln! Soll ich folgen? soll ich's hören? Soll ich bleiben? soll ich gch'n? Viktor sang diese Stelle mit halber Stimme,
wie hingehaucht, und fiel dann in ein Herr« liches Allegro: Ach, wenn Götter uns bethörcn. Können Menschen widersteh'» ?
Bravissimo! rief der Kapellmeister; und
wie gesungen!
Die Scene mit den Vagabunden, wie das Finale waren kräftig, doch wäre hier vielleicht noch mehr Originalität zu wün-
schen gewesen. Der erste Akt war zu Ende. Soll die Kritik beginnen? fragte Albert, der Kapell
meister; ich habe Manches auf dem Herzen.
233
Wenn ich wünschen darf, sagte Viktor, halb fragend, halb bittend, höflich zu Hele
nen gewandt, so vollenden wir, dann wird
mir auch das strengste Urtheil willkommen seyn. Der zweite Akt begann. Lebet wohl, geliebte Baume,
Wachset in die Himmelßlust. Tausend liebevolle Träume
Schlingen sich durch euren Duft,
sang Viktor zu einer süßen Melodie, die
aber fast zu viel Trauer athmete: Sehr gelungen war der Satz, den Claur bitte zuerst sang, der dann von Ruganlino und Luclnde» wiederholt wird und zuletzt
als Terzett eintrilt: Sn dem stillen Mondcnscheine Wandl' ich schmachtend und alleine,
und der Zwischensatz Rugantino's: Cupido, loser, eigensinniger Knabe tt.,
der dreimal in andern Worten wiedcrkehrt.
234
war htchst originell utW vielleicht nur ohne Noth ju unheimlich. Die nun folgende GefechtSscene mit dem Quintett und Chor war wild und kühn. Hier war ein Reichthum harmonischer Gänge, rascher Wechsel, frappante Modulationen.
ES schien jedoch, der Componist habe während der Arbeit eine Art Widerwillen gegen Rugantino gefaßt, denn Alles, was er fang, war herb, fast schneidend; selbst in dem Liedchen, Liebliches Kind, Staunst du mir sagen,
hatte er ihm Anmuth versagt, dagegen alle Schauer der Unheimlichkcit in die Romanze gelegt: Ee war ein Buhle frech genug.
Freche Verwegenheit sprach ans dem Rhyth mus und dem raschen Tempo, die-Melodie
235
«ar düster mit grellen Lichtpunkten, die
gleitung originell. Auch das unendlich reiche Finale zeigte vielleicht zu dunkle Farben.
Rur Claudke
nen» Gesang schwebte mild, wie eine weiße Taube, über den Schrecken.
Der dritte Akt beginnt mit dem Ge« sänge Don Pedro's: Langsam weichen mir di« Stern«, Langsam naht die Morgenstunde;
Blicke mit dem Rosenmund«
Mich, Aurora, freundlich an.
Die Stelle «ar schön, aber unleugbar von
zu
trübem Charakter.
Dagegen waren
Angst und Sorge in ClaudinenS Arie: Zch habe kucinden, Die Freundin, verloren,
trefflich wiedergegeben; hier fand sich nichts Geiles. Für ganz ausgezeichnet, für die Ktone
236 der Oper ward das Duett Pedro'S und
ClaudinenS erklärt: Mich umfängt rin bangpr Schauer.
Wie klagend düster e§ auch auhob, gleich
dem Sonnenscheine erhellt« Pedro'S tninn# licher Zuspruch die Nacht ihrer Trauer, bis
auch Claudine sich ausrichtet und mit dem Geliebten sich einer seligen Heiterkeit ere giebt. Ließ sich auch hin und wieder ein
leiser Anklang Mozartischer Tine vernehe men, so wohnte hier zugleich auch Mozart-
Geist. DaS Duett, welches die Prinzessin und
Mktor unübertrefflich schön gesungen hatten,
mußte wiederholt werden. Dem nun folgenden Finale, welches
recht tüchtig gearbeitet war, fehlte eS an Heiterkeit, und dem Schlußchor an Pracht und Fülle, die hier so ganz an ihrer Stelle
gewesen wären.
23 7
Ein rauschendes Beifallklatschen erschall, als Viktor die letzten Akkorde angeschlagen hatte. Zum erstenmale, sagte Viktor, vom Fiügel ausstehend und sich freundlich gegen die Gesellschaft verneigend, höre ich heute mein Werk zusammenklingen. Manches hat mich Wenig befriedigt. Ist es nun mir schon so ergangen, dem befangenen Schöpfer die ser ersten jugendlichen Arbeit, nm wie viel schärfer werden Unbefangene die Mängel herauSgehört haben, und ich bitte daher nun qm strenge Kritik. Die soll Ihnen werden, junger Freund, sagte Albert, unparteiisch und genau prü fend. Aber er kam nicht zu Worte, Weil Jeder lebhaft auf Viktorn «insprach. Gnädigste Prinzessin, rief Viktor heiter, wollen Sie nicht huldreichst die Kritik zur Ordnung rufen? Wie demüthig ich auch
238 jeder Zurechtweisung mich unterwerfen werde,
auf diese Art kann doch das Urtheil meiner hohen Richter nicht von mir erkannt wer/ den. — Man lachte.
Wohlan, sagte Helene, ich übertrage dem Kapellmeister
den Vorsitz.
Albert,
schaffen Sie Ordnung! So befehle ich denn, hob Albert mit feierlicher Stimme an, daß wir ehrwürdi/ gen Richter zuvbrderst um diesen runde«
Tisch Platz nehmen, und daß dem, man/ cher Sünden anzuklagenben Freunde aus
christlicher Milbe erlaubt «erde, sich zu uns
zu sehen. Der Anordnung war Folge geleistet. Da nach altem, guten Brauche die jüng/ sten Richter zuerst stimmen, fuhr Albert
fort, so würde auch die Prinzessin zuerst
ihr Urtheil auszusprechen haben. Ich verstehe wohl allzu wenig von Mu/
239
fit, begann Helene, um überhaupt ein U«
theil zu habe»; koch will ich es aussprechen,
damit es nicht den Schein gewinne, ich
härte etwas zu verschweigen. So verheilte
ich es denn nicht, daß unsers jungen Freun« des Werk mir einen seltenen Genuß ver
schafft hat. Ucberall tritt uns eine reichtschöpferische Fantaste entgegen; es ist nicht
ein oft schon Gehörtes, rvaS wir nur unter veränderter Gestalt vernahmen; die Mufik
ist nett Und eigenthümlich. Vorzüglich ge,
Kitgen scheinen wir die zarten Partien» Man hört es jedem Tone an, daß die Nol
len Claudinens und Don Pedro'- mit wahker Liebe behandelt sind. Wo ste auftrttti»,
klingt eine Innigkeit, eine Zartheit beS Ge fühles, und in den süßen Melodien wohnt ein Zander, der unwiderstehlich hinreißt.
Fast zu viel des Schönen, gnädigste Prinzessin, sagte Albert; wo bleibt der Ta-
240
M? Soll ec denn ganz ungescholten davon
kommen?
Ich will zwar zugestehen, erwiederte Her
lene, daß mir Rugantino fast zu düster er
scheint, allein dies ist auch Alles, was ich gegen die treffliche Composttion zu erinnern
habe. Ich theile ganz die Ansicht meiner Für st!«, begann das Fräulein.
Ueber die Fi
nale muß ich mein Urtheil zurückhalten, weil ich sie nicht vollkommen gefaßt habe.
Ich konnte der großen Anhäufung von Dissonanzen, den raschen, kühnen, Mydulalionen nicht folgen- Hier ist mir Vieles
dunkel geblieben, was nur durch eine nähere
Bekanntschaft mit dem interessanten Werke mir klar werden dürfte.
Ich finde, begann der Geheimerath, ein Räthsel in der Musik unsers Freundes, das
Ich vergeblich zu lösen bemüht bin.
Der
24 t
Charakter der Musik des ersten Aktes ist von der der beiden folgenden so durchaus
verschieden, daß, wenn ich nicht das Kegen« theil wüßte, ich glauben würde, die Oper
rühre von zwei Tonschcrn her.
Die Mu«
sik des ersten Aktes athmet nur Fröhlichkeit
und Heiterkeit. Es weht eine rechte Lebens« frische in ihr. Die Liebe Claudinens und
Don Pcdro's spricht innig zu uns, aber ohne Pathos. Nirgends ist etwas Gesuch«
tes, Gekünsteltes; Alles ist aus einem Guß.
Vielleicht könnte man dem Finale noch mehr
Originalität wünschen, doch ist der ganze
Akt lieblich und spricht ungemein an.
Mit
dem zweiten Akte ist Alles verändert. Wir-
treffen hier, wie im dritten Akte, auf eine
Düsterheit, die der Dichtung nicht entspricht. Herzzerreißende Akkorde, grelle Ucbergänge
sprechen Unruhe und Schmerz aus. Es ist, als wäre des Tonseherö Empfinden, wie in.
16
242
sein reiches, schönes Talent, durch irgend eine unheimliche Macht plötzlich gestört, als vermöge er nicht mehr den einfachen, na
türlichen Weg zu wandeln.
Vieles erscheint
jetzt gesucht, und hier und da streift die
Musik selbst an'S Bizarre. Nur für zwei Personen, fuhr der Ge-
Heimerath fort, lebt noch die alte Liebe in
der Brust unsers Componisten.
Noch jetzt
klingt die gewohnte Anmuth, dieselbe zarte Innigkeit aus Claudinens und ihres Geliebten
Gesängen; aber doch ist auch ihnen eine tk# gische Trauer bcigemischt, selbst da, wo der
Text dies nicht fordert. So müssen auch sie, gleich den Uebrigen, die verlorne Heiterkeit
des Schöpfers mit entgelten. — In dem herrlichen, seclcnvollen Duette allein hat er die geistigen Fesseln abgcstreist und bewegt sich wieder in alter liebenswürdiger Freiheit.
Aber auch nur in diesem Musikstücke; das
24S Finale Ist wieder zu düster, und selbst Itf
dem freudigen Schlußchor erschaut die Freude gedämpft. Sie. haben Wahrheit verlangt, sagte btt Geheimerath, indem er Viktor» freundlich die Hand reichte, und dürfen daher meiner
Freimüthigkeit nicht zürnen. Ich kann nur die Schärfe Ihrer' Deo-/ eichtung, wie dir Richtigkeit Ihre- MthellevewundekN, erwiederte Viktor. Sie haben das Räthsel selbst schavfstNnkg gelöst! - At-
ich den ersten Akt in SDttifit sehte, lachte »stich da- Leben' Mir taüsend schönen Hoff/ nungen an; al- ich Mein Werk weiter fort/ zNführen unternahm, waren diese üntetge,
gangen. So entstand diese wunderliche Mu/ stk und ist der Spiegel eines zerrissenen Herzens geworden. Ich fühle ganz ihre
Werthlosigkeit, zugleich aber aüch, baßJahre 16*
244
vergehen müssen, ehe ich etwas Besseres zu schaffen vermag. Halt! rief der Kapellmeister; verschüttet mir das Kind nicht mit dem Bade! Auch in ihrer jehigen Gestalt bleibt diese Oper nicht blos eine interessante, sondern auch
eine willkommene Erscheinung; sie ist das Erzeugniß einer reichen, schöpferischen Fan tasie, und in vielen Partiten wohnt der wahrhaftige Genius der Tonkunst. Und eben darum wird sie zuverlässig aufgcführt werden hier auf dem Schloss«, und wir wollen unsere rechte Freude haben an dem liehen melancholische» Kinde. Jede Aende rung muß ich daher für jetzt zugleich ver bitten und verbieten, bis auf einige Klei
nigkeiten in der Jnstrumentirung.
Wie
waeker auch unser Orchester ist, setzte Albert
lächelnd hinzu, hier und da muthet unser Freund ihm doch das Unmögliche zu; die
245 Trompetenbegleitung zu Don Pedro'- Arie
möchte wohl kaum zu blasen seyn, wie sie
in der Partitur steht, und auch den SBfoll/
nen ist an mancher Stelle eine herkulische Ar/
beit auferlegt. Aber das soll in wenig Stun/ den aufgeräumt seyn.
Das Endurtheil die/
fes würdigen Richterkreises wird nun wohl dahin lauten müssen: Dank für die treff/
liche Gabe und neuen, frischen Leben-inurh unserm Freunde! Dann stehen wir mit un/
serer Ehre dafür ein, daß er noch einmal alt heüleuchtender Stern in der musikalischen
Welt glänzen wird.
Zehntes Kapitel. Seit mehreren Tagen war bereit- eine zahlreiche Gesellschaft auf dem fürstlichen
Schlosse versammelt. Unter ihr befand sich
245 Trompetenbegleitung zu Don Pedro'- Arie
möchte wohl kaum zu blasen seyn, wie sie
in der Partitur steht, und auch den SBfoll/
nen ist an mancher Stelle eine herkulische Ar/
beit auferlegt. Aber das soll in wenig Stun/ den aufgeräumt seyn.
Das Endurtheil die/
fes würdigen Richterkreises wird nun wohl dahin lauten müssen: Dank für die treff/
liche Gabe und neuen, frischen Leben-inurh unserm Freunde! Dann stehen wir mit un/
serer Ehre dafür ein, daß er noch einmal alt heüleuchtender Stern in der musikalischen
Welt glänzen wird.
Zehntes Kapitel. Seit mehreren Tagen war bereit- eine zahlreiche Gesellschaft auf dem fürstlichen
Schlosse versammelt. Unter ihr befand sich
246 der glückliche Prinz Adolph.
Durfte er
gleich noch nicht öffentlich als Bewerber um die schöne Geliebte auftreten, si> gestatteten die
veränderten Verhältnisse ihm doch den Auf,
enthalt an einem Orte, der sein Theuerstes umschloß.
Nach den vertraulichen Aeußerungen des Fürsten schien der Erfolg seiner Reise nicht
mehr zweifelhaft.
Ex glaubte, daß Fürst
Ernst vielleicht selbst den Gebauten hege,
unerwartet einmal als der Stifter eines
neuen, schöyeo Verhältnisses aufzutretey, und nur den Anschein fremder Einwirkung
vermeiden wolle. So durfte man sich denn den schönsten
Hoffnungen und ungestört den heitern Ger Nüssen der Freude hingeben.
Viktor kam aus der Generalprobe.
«ar sehr befriedigt.
Er
Das fröhliche Leben
tim ihn hatte wohlthätig auf seine Stirne
rmrng gewirkt und ihm den Much verlier hen, noch in den letzten Tagen einige Aen, derungen in seiner Oper vorzunehmen, und
die Probe hatte eben bewiesen, daß eS ihm
damit gelungen war.
Er durste sich daher
von der Aufführung am heutige» Abend einen reichen Genuß verspreche».
Am nächsten Morgen wollte er dann die Reitz in die Hcimath antreten, die geliebte
Schwester endlich Wiedersehen und dann, vielleicht für immer, nach einem Orte zue
rückkehren, wo die großmüthige Dankbarkeit
der fürstliche« Familie die edelste Bereite Willigkeit zeigte, ihm eine neue Heimat
zu gründen. Da öffnete sich die Thür, und der Bae von trat zu dem Ueberraschten in's Zimmer.
Welche Gefühle auch bei diesem Anblicke Viktor» bestürmen mochten, die alte Liebe
zu dem verehrten Manne, mit dem er jetzt
248
durch die heiligsten Bande verknüpft war, riß ihn in seine Umarmung.
Viktor- erste sorgenvolle Frage betraf die
Schwester. Wohl auf ist sie, lieber Sohn, und ganz
unschuldig an dem langen Stillschweigen, war des Barons Antwort, indem er Vik tor» die Gründe seines Verfahrens entwik-
kelte. — Doch nun sey Du auch vernünftig,
fuhr er fort, gieb dies einstedlerische Leben auf und bringe uns die Freude in Dir wie, der, die uns mit Dir verließ; wir fühlen, daß wir nicht länger ohne Dich leben ken
nen.
Sieh', Dein alter Vater kommt selbst.
Dich zu holen; wirst Du noch widerstreben können?
Nein, ich widerstehe nicht mehr dieser
Liebe/ noch der eignen Sehnsucht, mein theu
rer Vater! Ja, ich will die Heimat Wie
dersehen und es wenigstens versuchen, ob
249 mein Herz die ersehnte, aber gefährliche Nahe Claudia cns erträgt.
Recht, Duktor, das ist gesprochen, wie
ein Mann, und wahrlich. Du wirst dek Entschluß nicht bereuen, denn eine Ueberrae
schung steht Dir bevor, auf die Du in Deir nem Schmerze wohl nicht gerechnet hast. Eine Ucbcrraschung? fragte Viktor.
Ich darf nicht plaudern, lieber Sohn, aber traue meinem Worte, sie wird Dich beglücken. Und null'! — Wann können wir
reisen? Morgen, mein Vater; heute dirigire ich
noch meine Oper. Deine Oper?
Ei, Ihr lebt hier wohl
in Saus und Braus? Frisch, erzähle! Wie
bist Dn hierher gerathen, wie ist Dirs
ergangen? Viktor hatte seine Erzählung beendigt.
Dn bist ein braver Junge, sagte der
250 Bqron, aber das Glück ist Dir auch hold in Allem, was Du beginnst.
Ich erleb's
»Sch, daß Du mir selbst einmal so eine Prine -esstn als Schwiegertochter in'S Haus bringst.
Und so ähnlich ist sie Claudinen? Davon muß ich mich doch selbst überzeugen.
So
stelle mich denn Deinem Fürsten vor, Du
großer Günstling und zweiter Mozart.
Noch eine Frage, hob der Baron an, als Beide
den Schloßberg hinanstiegen.
Unter welchem Namen bist Du denn hier bekannt?
Unter dem nämlichen, den ich von Jur gend auf geführt habe.
Recht, mein Sohn; was braucht der Fürst es auch zu wissen, wie nahe wir uns
stehen.
Ich bin der Baron Waldau, Dein
und Deines Vaters alter Freund.
Der Major ward mit derjenigen Güte
251
lufgenommett, welche diesem liebenckwürdi/
gen Fürstenhause eigen war. Bei Tische entfaltete der jovial« Major seine ganze Liebenswürdigkeit, die ihm bald Aller Herzen gewonnen hatte. Mit der ihm eigenen heitern Gewandtheit sah man ihn
später, als die Gesellschaft sich erhoben hatt« und in den schattigen Laubengängen des Schloßgartens lustwandelte, vorzugsweise die Prinzessin unterhalten, die von diesem Au/ genblick an hem Gaste eine noch größere
Auszeichnung erwies. Es war nun Abend geworden, und die
spielende« Personen entfernten sich, Um sich zur Oper anzukleiden.
Die Damenrolle«
waren vertheilt wie in der ersten Probe, eben so die des Alonzo; dagegen hatte Prinz
Adolph den Don Pedro, Prinz Karl den
Rugantino und Albert den Basko übernom/
men.
I» dem hochgewölbten, mit Laub
252
und Blumengewinden festlich ausgeschmückten Gartensaale war die Bühne aufgeschla gen. Das 'Schloß enthielt zwar ein eignes freundliches Theater, aber der Fürst ließ
gern diejenigen Vorstellungen, zu welchen seine Familie vor einem gewählten Publi kum mitwirkte. In dem kleinern Lokale auf führen.
Die Gesellschaft hatte in dem heitern, glänzend erleuchteten Saale Platz genom men. Viktor gab das Zeichen. Die Ouver türe begann und ließ bald erkennen, daß die
Kritik der Freunde nicht erfolglos geblieben, feie enthielt nur so viel Ernstes, als gerade nothwendig war, um den Inhalt der Oper
anzudeuten; übrigens stürmte sie keck und fröhlich daher. Sie fand den erwünschtesten Beifall. Jedes Publikum eines Liebhabertheaters
bringt den besten Willen mit, Alles schön
253
und anmuthig zu finden, indem der Versuch lieber Freunde, in einer fremden Sphäre Unterhaltung zu bereiten, die dankbarste Anerkennung verdient, die zum Entzücken gesteigert wird, wenn fich hervorragende Talente kund geben. Dies Glück ward Vik-
torS Oper zu Theil. Personen vom höch sten Range mußten sich mit Anmuth und
Leichtigkeit in einem Stücke bewegen, wel ches eben bas Leben der höheren Stände abspiegelte. Der Wohllaut der zum Theil selten schönen Stimmen, so wie die eigne Freude an der Darstellung des neuen und
interessanten Werks eines allgemein gelieb ten Freundes mußten vereinigt die höchste Befriedigung und den seltensten Genuß er zeugen.
Wenn gleich die Veränderungen, welche Viktor vorgenommen hatte, nicht alles Wilde
und Unheimliche verwischt hatten, so -ra-
254
chen aus der trüben Nacht um so freunMfc
cher die Hellen Lichter hervor, welche die Partieen Claudinens und Don Pedros über
glänzten und um so leuchtender und herzer greifender, je inniger und wahrhafter die
gegenseitige Liebe der Darstellenden war.
Unter diesen begünstigenden Umständen mußte dem Ganzen Wohlwollen und Liebe, die dankbarste Anerkennung aber den viel
fachen ausgezeichneten Stellen zu Theil
werden, und die Begeisterung immer frische Nahrung finden, bis nach dem Duette der Liebenden im dritten Akte das Entzücken
alles Maaß überschritt
Das Publikum, welches sein Recht, da Capo zu rufen, häufig benutzt hatte,
setzte es in begeistertem Trohe durch, daß ihm dies Lieblingsstück zweimal wiederholt
werden mußte, und diese belohnende Theil nahme wirkte mit magischer Gewalt auf
255 die Spielenden, dergestalt, daß sie sich selbst
übertrafen und bei jeder Wiederholung das Vollendetere leisteten. Als nun endlich mit den letzten Klänge»
des ganz geänderten, fröhlichen Schlußchors der Vorhang fiel, brach unaufhaltsam stürz mender Beifall anS. Das ganze Personak mußte erscheinen, um vereint mit dem Componisten dm Dank
der Gesellschaft zu empfangen. Als nun der Vorhang zum zwekenmale
sank, ließ sich eine einzelne Stimme vom Theater mit dem Rufe: „Der Componist!" vernehmen, und das ganze spielende Persoe
nal stimmt« lebhaft ein. Der Vorhang flog auf; Albert trat in's Orchester und führte Dcktorn auf die Bühne,
wo die Spielenden sich anmuthtg gruppirt hatten.
Die Prinzessin, einen Kranz in der
Hand haltend, trat einige Schritte vor.
256 Auf ein Zeichen , welches bet Kapellmeister hierauf gab, begann bas Orchester eine lieb/ liche Melodie, zu welcher Helene folgende Worte sang:
Noch tonen diese Klänge In der bewegten Brust, Ein wogendes Gedränge Von Schmerzen und von Lust.
Ihm hat ein Gott gegeben Den liedersüßen Mund; Ein reiches, tiefes Leben . Ward heut uns Allen kund. Doch nicht allein in Tönen Wohnt seines Zaubers Macht, Der in dem Reich des Schönen Gar holde Wunder schafft. Gar manchen Schmer- zu heilen Versteht sein kluges Wort, Und sollt' er rettend eilen .Auch zu dem fernsten Ort;
257 Er führt dem wilden Streite Den trauten Frieden zu. Versenkt des Grames Beute In himmlisch süße Ruh'; Aus düstern Nachtgebieten Quillt Licht, auf sein Geheiß; Er locket Frühlingsblüthen Hervor aus dürrem Öteifc
Auch meinen Wintergarten Hat er mir grün belaubt, Wo Lodesfröste starrten Schmückt Lebensglanz das Haupt. So zögr' ich denn nicht länger, Da wir noch froh vereint, Und kränze Euch den Sänger Und mir den edlen Freund.
Viktor ließ sich beschämt und doch in Seligkeit versunken vor der Prinzessin auf ein Knie nieder, welche unter dem Deifalle rufen der ganzen Versammlung ihm de» UL (7
_258_
Kranz auf die Stirn drückte, worauf der Schlußchor der Oper noch einmal einfiel und das schöne Fest beschloß.
Al§ einige Stunden später unser Freund sich beim Fürsten beurlaubte, war dieser auf#
fallend bewegt. Wie ungern wir Sie lassen, sagte er, wie schwer es mir wird. Sie schein
den zu sehen, brauche ich Ihnen nicht zu
versichern, Ihr Herz muß es Ihnen sagen, wie werth Sie uns sind.
Daß Sie zu
uns zurückkehren werden, darf ich nicht
hoffen; was die Heimat Theures hat, kann Ihnen hier nicht erseht werden. Aber daß Sie uns niemals vergessen werben, dessen
getröst' ich mich.
Geben Sie uns oft Nach#
richten von sich, die stets thcilnehmende Freunde finden werden. Ihr Andenken, Ihr
seltener Edelmuch werden uns ewig
um
vergeßlich bleiben.
Ich lass« Sie aber nicht abrcisrn, sagte
259 Helene, ohne das Versprechen darauf, wiedcrzukommen, wenn es Ihr Geschick auch
nichl erlaubt, für immer unter uns zu rvellen.
Ich
muß doch endlich einmal mein
Ebenbild kennen lernen, schte sie leiser hinzu.
Mlr'schwereim Herzen entriß Viktor sich den Armen der Prinzen und ging mit dem
Vater in seine Wohnung zurück.
Höre,
mein Sohn,
nahm der Baron
das Wort, wenn Du uns um dieser herr
lichen Menschen willen ungetreu geworden Wirrst; wer wollte mit Dir darüber rechten? Wahrlich, solche KränZe hat das beschrankte Leben unseres einsamen Dörfchens Dir nicht zu bieten.
Wie Vieles wirst Du vermissen,
Du lieber, herziger Musikus!
Als sie Viktors Zimmer betraten, stand ein zierliches Kästchen von rothem Maroquin auf dem Tische.
Der Schlüssel steckte darzn.
Da Viktor eS öffnete, fand er unter einigen
17*
260
liebevollen Zeilen von der Hand des Fürsten
vier sehr ähnliche Mi iaturbilder des Für sten, seiner Kinder und drS Prinzen Adolph.
Ein kleineres versiegeltes Kästchen führte die Ausichrift:
„Meiner lieben NamenSr.ujch Here zenS-Schwester Claudine."
Kater, rief Viktor au-, welche Mensche« sind dies! Kann ich es denn dem Himmel
jemals genug danken, daß er mich hierher
geführt? —
Ich hab' es ja immer gesagt, erwiederte
der Baron, auch das Leiden führt zum
Glücke.
Eilftes Kapitel. Am nächsten Morgen saßen Kater und Sohn im Reisewagen, der Jägep aber ritt
260
liebevollen Zeilen von der Hand des Fürsten
vier sehr ähnliche Mi iaturbilder des Für sten, seiner Kinder und drS Prinzen Adolph.
Ein kleineres versiegeltes Kästchen führte die Ausichrift:
„Meiner lieben NamenSr.ujch Here zenS-Schwester Claudine."
Kater, rief Viktor au-, welche Mensche« sind dies! Kann ich es denn dem Himmel
jemals genug danken, daß er mich hierher
geführt? —
Ich hab' es ja immer gesagt, erwiederte
der Baron, auch das Leiden führt zum
Glücke.
Eilftes Kapitel. Am nächsten Morgen saßen Kater und Sohn im Reisewagen, der Jägep aber ritt
26 t
Viktor- Tartar, ter in lustigen Sprüngen
neben dem Wagen hertanzte. Je näher die Reisenden der Heimat kae men, desto heiterer ward der Baron, desto
stilker und trüber ward Viktor.
Sohn, sagte ba* Major, verdirb mir die Freude des Wiedersehens nicht!
Denke,
wie Claudine nach Dir verlangt, wie ihr ganzes Herz dem langcntbehrten Bruder Zeige ihr Deine Liebe,
entgegenschijgt.
Deine Hinneigung, aber sey ein Mann und
erwäge, daß Deiner eine seltne Entschädi«
giing wartet.
Wahrlich, hätt' ich's nicht
so heilig versprochen, ich sagte Dir Alles,
uqi nur einmal wieder Dein alles heitreGesicht zu sehen.
Vater, entgegnete Viktor, was aus der Welt, soll mich entschädigen für meinen Ver lust? Ich kenne kein anderes Glück, als
262 Claiidinen; nur in ihr lebe ich, nur für 'sie athme ich!
So athme doch in Gottes Namen für
sie. Junge! aber singe nicht ewig das alte Lied von Gram und Tod, War nicht auch
Hugo Feuer und Flamme für diese Claudine,
und in Ach und Weh versenkt, weil sie seine
Schwester war? Er wurde,doch ruhig, und jetzt, da sie nicht mehr seine Schwester ist,
glaubst Du etwa, daß die alte Liebe erwacht
sey? Nichts weniger, als das. Wie geht es meinem theuren Hugo? fragte Viktor nach einer Pause, während
welcher er in Gedanken verloren gesessen hatte.
Er hat sich gut in das Unvermeidliche
gefunden, wie seine Briefe bezeugen. So ist auch er noch nicht htimgekchrt?
Wenigstens war er's bei meiner Abvetft »och nicht.
263 Und Babel? fragte Viktor.
Aus der ist wohl noch Niemand klug
geworden.
Ob sie Hugo liebt, ob sie ihn
aufgegeben? ich wüßte es nicht zu sagen.
Äiktor seufzte tief und versank wieder in Gedanken.
Weißt Du denn wohl, fragte der Mar jvr am letzten Tage der Reise, welch' ei» Fest morgen ist? Könnte ich jemals diese» Tag vergessen,
sagte Viktor, so wäre ich ewig ihrer Liebe
unwerth.
0, wie hetrlich, wie himmlisch
schön war Alles vor einem Jahre!
Das Äte Lied klingt schon wieder, mur melte der Baron. Laß mich immer jetzt noch klagen, Vater; ihr gegenüber verberge ich wahrhaftig mei
nen Schmerz.
264 Ich glaub' es selbst, Viktor, denn Du bist in Deinen» Wesen zugleich sehr weich
und sehr fest.
Gerade wie ich, mein Sohn.
Das hast Du von mir.
Meinst Du nicht?
Ach, ich wollte nur, ich besäße Dein unerreichbares Talent, Du theurer Vater, bas Leben leicht zu nehmen, und heiler zu
tragen, was nicht zu ändern ist. Das kommt mit den Jahren, Viktor, glaub' mir; in meiner Jugend war ich wie
Du, leicht erregt, schwärmerisch; wenn ich
Dich so vor mir sehe, glaube ich immer
mein eignes Selbst zu erblicken. Wenige Meilen nur trennten die Rest senden noch von der Heimat, als in dem
setzten Städtchen der Kutscher meldete-, daß der Spannnagel gebrochen sey.
Wie ist das möglich, sagte Viktor, da
wir doch nichts wahrgenommen haben? Er hatte sich gebogen, Herr Rittmeister,
265 und als ich ihn geradebiegen wollte, zerbrach er; hier sind die Stücke.
Nun rasch denn in die Schmiede! Der Schaden wird bald ju ersetzen seyn.
Nach geraumer Zeit brachte Johann die
Nachricht, daß bet Schmidt im Felde sey
bei der Erndte. Wir werden hier doch nicht langer bleie
ben sollend ries Viktor. Ich will selbst hink Halt einmal, Viktor, nahm der Daron
das Wort; was meinst Du?
Sieh', es ist
schon spat, vor Nacht kommen wir doch nicht nach Haus.
War'S nicht besser, wir
blieben hier und führen morgen recht zeitig zum Geburt-tage hinein? Um Gottes willen, Vater, thu' mir daS
nicht zu Leidet Ich ertrage die Zögerung wahrlich nicht; ich muß heute noch zu ihr!
Es sind auch noch andere Gründe, Vike
266 tot, fuhr der Major sott; ich habe mich in
der Zeit verrechnet, und wir kommen zu früh, da wir erst morgen erwartet werden.
Müde bin ich dazu; halte daher, mir und meinen Wünschen zu Liebe, immer noch diese Nacht aus.
Nur mit schwerem Herzen weiß ich mich
zu fügen, sagte Viktor.
Nun ich mich die/
ser geliebten Schwester so nahe weiß, bin ich meiner nicht mehr mächtig.
Mit jedem
Opfer möcht' ich mir die Erlaubniß erkau/ fen: diese drei Meilen noch zu Fuß zurück/ legen zu dürfen.
Wie das braust, wie das stürmt! lachte
der Baron; aber wahrlich, so war ich auch,
gerade so! Die bange Nacht war endlich verstrichen. Viktor betrieb die Abreise schon in der Däm/
merung des Morgens; aber nun waren die Pferde noch nicht gefüttrrt.
Er bat, er
267
schalt; doch der Kutscher war nicht aus sei, ner Nnhe zu dringen. Unmuthig kehrte Viktor zum Vater zurück, der noch in rie, fern Schlafe lag. Es schlug fünf.
Nein, ich muß ihn
wecken, rief Viktor, wenn wir nicht ewig hier bleiben sollen. So spat ist's schon, Viktor? Ei, wie begegnet mir das, solch ein Langschläfer z« seyn?
Der Mqjor erhob sich und schien in großer Geschäftigkeit, die verlorne Zeit wie, der einbringen zu wollen ; aber überall gab es noch Aufschub. Ehe das Frühstück kam
Md der Wagen gepackt wurde, war die sechste Stunde längst verstrichen. Endlich.saßen sie im. Wagen. Welch' ein herrlicher Morgen! begann der Paron; Johann, Du brauchst nicht so z« eilen.
Die Braunen haben doch was
268
weggckriegt auf der Reise; troll' sachte weg, die Stunde eine Meile, wir kommen-zeitig
genug. Viktor wußte seine Ungeduld f.mm zu zügeln. — Endlich erblickten sie den weißen
Kirchthurm, nebst dem alten, prächtigen Schlosse.
Tausend süße und schmerzliche
Empfindungen überströmten Dikrorn.
In
Nachdenken versunken, stossen Bilder und
Gedanken der Vergangenheit nebelhaft in
seinem Innern zusammen, und kaum ver mochte ex den Entschluß zu erringen, männ lich vor Claudinen seinen Schmerz zu tragen.
Der Major sah nach der Uhr. -Was, schon halb neun?
Johann?
Du schläfst wohl ein,
Laß auftrettn, frisch weg i und
dahin flogen die muthigen Pferde mit dem
rollenden Wagen. Immer näher kamen sie dem Dorfe, immer stiller ward Viktor; ängstlich pochte
269 sein Herz.
Er erblaßte, als der Wagen
auf den Schloßhof fuhr.
Es ist schon Alles in der Kirche, sagte
ein Bedienter, an den Schlag tretend. Das ist freilich gegen die Abrede und
-los Johanns Schuld. War machen wir, Wiktor?
Hinein! sagte Viktor aufglühend und doch mit bebender Stimme, indem er auf die Kirche zeigte, aus welcher so eben die Orgel, vom Gesänge der Gemeinde begleitet,
mächtig herüber tönte.
Wirst Du, fragte der Major, Wiktor»
bei Seite führend, auch Fassung haben, sie
dort wicderzusehen? Gerade dort am ersten, Vater, sagte
Wiktor mst feuchten Augen. So komm, lieber Sohn. Sie traten in die Kirche. Wie an lenem Tage, wo Wiktor die
270 Kirche zum erstenmale in verjüngter Schön«
heit erblickt hatte, war diese auch heut Herr, lich geschmückt. Farbiger Glanz von Laub und Blumen umspielte die schlanken Pfeiler,
Helle Lichtstretfen flogen durch die magische Dämmerung, welche der in tausend Farben
glühende Altar verbreitete;
Lindenzweige
wiegten fich draußen im Morgenwinde und warfen zierliche, bewegliche Schatten hinein,
«mb die heiligen Hallen durchbrauste mach,
ttg der Orgelton. Viktor zitterte und lehnte sich an den
Eingang.
Tritt einige Schritte weiter vor, flüsterte der Major, damit sie uns sehen und die
Ueberraschung ihre erste Gewalt verliert.
Viktor folgte mechanisch und blieb an
der ersten Säule stehen. Äs ward unruhig ist dem vergitterten
271 Nun Muth, mein theurer
Kirchenstuhle.
Sohn! sagte der Major.
Komm!
Er ergriff Viktors Hand und führte ihn vorwärts.
Sie traten hinein.
Viktors irrender
Blick suchte Claudinen, deren bebender Lippe
ein leises Ach des Entzücken« entfloh; ihre Hand ergriff ihn und zog ihn sanft neben sich nieder.
Er beugte sich tief herab und
preßte die theure Hand an seine Lippen. Heiße Thränen stürzten über seine Wangen.
Liebend blickte re sie an und versank in ih< rem Anblicke.
Hab' ich Dich endlich wieder, mein Nike tor? lispelte sie; o, nun soll keine Macht
der Erde uns wieder trennen! Niemals, Claudine, niemals!
Meine Kinder, sagte der Major, leise herantretend, seyd Ihr denn nun glücklich? Unaussprechlich, Vater! flüsterte Viktor;
272
o,
wie hab' ich sie so lange entbehren
können! Der Daran trat lächelnd zurück und
beutete mit der Hand auf die übrigen Am wesenden, deren theilnehmcnde Blicke dem
Sohne und Freunde begegneten. Jeht erst
erkannte Viktor die liebreiche Mutter, Hugo und Badet und die Präsidentin. Still kniete er vor diejenige, hin, für
welche ewig ein kindliches Herz in seiner Brust schlug; segnend legte die Mutter ihre Hände auf sein Haupt.
Dann« erhob er
sich, reichte Allen die Hand und wandte sich dann wieder zu Claudinen. iNun ist Alles gut! sagte er; ja, ich bin in der Hei
mat, von Allen umgeben, die ich so unaus
sprechlich liebe!
Als der beruhigende und erhebende Kirr chengesang diesen tiefbewegten Menschenher,
zen Ruhe und Fassung wirdrrgegeien hatte.
273
schob der Major leise die Gitterfenster zu« rück. Piktor's Vater hatte die Kanzel 6t#
treten. Lange ruhten des Pfarrer- Blicke
auf dem geliebten Sohne, und oft wandten sie sich ihm wieder zu unter der Predigt.
In einer feurigen Rede entwarf er ein Bild von dem ^Wechsel menschlicher Schicksale, unter welchem in wunderbarer Verkettuyg Leiden und Freuden den Menschen begleite#
ten, und zeigte, wie er den Schmerz tragen
solle und da« Glück. Mit inniger Rührung Hirte Viktor ihm
zu, indem der Gram seine« Herzen« immer
tiefer versank, und er immer freudiger sich
de« reichen Besitze« bewußt wurde, der ihn ewig Zu beglücke» geeignet war.
Sein«
Hand hielt die Hand Claudinen« umschlossen,
ruhig und fest blickte er oft die theure Schwester an, bi« diese ihn sanft anlächekte; dann richtete er vertrauensvoll die Blicke
in.
18
274 ivkder auf ihn, der so lange ihm ei» lieber Vater, ein treuer Führer seiner Jugend ge wesen war, und nun wieder mit stegendrm Troste ihm zusprach. Jetzt, nachdem dir
Predigt beendigt war, »ahm der Pfarrer ein Blatt jur Hand und begann mit einer vor
innerer Bewegung zitternden Stimme:
O, verleihe auch ihnen. Allmächtiger, Kraft, das Glück dieser Stunde zu tragen,
ihnen, für die a«r bewegtem Vaterherzt» heiße Gebete zu dir emporsteigen.
Segne
in deiner unendliche» Gnade die theuren, lieben Kinder, die das heilige Dündniß der
Ehe schließe« wollen, und jum erstenmale hiermit aufgeboten werben: meinenSohn, denRittmeister Viktor Holm, «Nb meines theuren Freundes einjige Toche
ter, Fräulein Claudine von Waldau; seinen Sohn, de» Hauptmann Hugo von Waldau, und Fräuleis Elisabeth von Auersperg!
275 Aber weifte vernahmen bi« Glücklichen
nichts, zwei selige Paare waren erschüttert sich in die Arme geflogen und hielten sich
weinend umschlungen. Dann sanken sie auf ihre Knien und empfingen den Segen bet
Herrn.
Aber dieses unerwartet beglückende Ereige
niß hatt« auch draußen die regste Theilnahme
gefunden. Die Kirche wollte nicht leer «er» den; gar viele vor Freude leuchtende Augen waren auf den herrschaftlichen Kirchenstuhl
gerichtet.
Vorwärts, Kinder! rief der Major und barg die rinnenden Thränen nicht; kommt! die guten Leute wollen auch die Brautpaare
sehn. Sie traten heraus in den Krei- der
theilnehmend Mitfühlenden,
aus wtlchem 18*
276 manch ehrlicher Aller hervortrat und in
biedern Worten und deutschem Handschlag seinen Glückwunsch aussprach.
Aber war es den überschwenglich See ligen denn wohl möglich, irgend etwas wahr/ zunehmen von dem, was um sie her vorging?
Lange schon lag Viktor an feines VaterS
Brust, ohne es zu wissen. Mit denen ist in der ersten Stunde nichts
anzufangen, rief der Baron aus.
Fort,
Kinder! Eilt i»S Feld, in den Wald, sucht
Euch ein stilles, einsames Plätzchen, weinet Euch aus, lachet Euch satt, und dann kommt wieder!
Bei diesen Worten führte er die
Schwester, seinen Freund und dessen Gat,
tin fort, und ließ die Liebenden unter den
wehenden Linden allein. Da flog Viktor an Hugo's Brust, Dar bet in die Arme Claubinens,
dann riefen
sie sich ein heiteres Lebewohl-zu. Und hier.
hin wendete sich Viktor mit Claudine«, bork hin Hugo mit Pabet. Von wallenden Aehren überbaut, im
Schatten eines wilden Birnbäume-, ruhte Viktor neben der holden Gefährtin.
Ich weiß, daß ich wache, sagte Viktor,
der Druck Deiner Hand, da» Lächeln Deines Mundes,
Dein klopfendes Herz bezeugen
mir mein Glück; aber wie soll ich begreifen,
was um mich vorgcht? meine Schwester?
Du bist nicht
0 wiederhole mir'», daß
Du e» nicht bist.
0, dieser liebreiche und doch so harte Vater! rief Claudine aus.
Wie hat er es
doch nur vermocht. Dich so lange diesem
Schmerze zu überlassen? Allzu grausam sind sie mit Dir umgegangen, mein Viktor!
Grausam, Claudine?
Wie weit über,
wiegt diese Seligkeit allen Schmerz! —
Doch löse mir endlich dieses Räthsel! Der
278
Brief meines Vater- konnte doch Nicht auf Täuschung beruhen?
Ach! erwarte keinen Aufschluß von mir, mein Geliebter! Ich weiß nur, daß fie eS mir unmöglich gemacht hatten. Dich von Del/
nem traurigen Wahn zu befreien. Nur der Baier allein kann Aufschluß geben.
Dem
treuen Silvius aber hat es Deine Claudine
zu danken, wenn sie früher wie Du dem unglückseligen Irrthume entrissen ward. 0
laß uns zu ihm eilen! fuhr sie fort, nach« dem sie Viktor erzählt hatte, waS der Alte
in treuer Liebe für sie gethan. Claudine'! sagte Viktor, indem er die
geliebte Braut sanft von dem Rasenhügel erhob, wenn auch jetzt die Sprache mir den Ausdruck für mein Entzücken versagt, so
soll «in ganzes, nur Dir geweihtes Leben es
bezeugen, daß, wenn ich auch unwerth bin,
ein "solches Kleinod zu erringen, ich doch
279 seinen unermeßlichen Werth
zu
schätzen
weiß.
In.traulichem Gespräche erreichten sie Silvius Wohniing. allein.
Der Alte war nicht
Sie fanden ihn, vor seinem Haust
mit einem Maurermeister unter lebhaftem
Gespräche umhergehend.
Morgen fangen
wir an, sagte er, aber bringt lieber ein
Schock Arbeiter, baß es rasch von der Hand geht. Ganz wohl, Herr Regimenter! rrwiee
bene der Meister, indem er grüßend Abe schied nahm.
Willkommen, Patron«», Grundherr und
seliger Viktor! rief Silvius dem Derlobtm
entgegen; ich weiß Alles! Heute hat. der Baron seine Mine springen lassen.
Gott
sey Dank, daß Ihr in den Himmel geflogen seyd ! Nun hat die unruhige Zeit ein Lude.
Silvius! hob Viktor an, wie gut bist
280 Du gewesen, wie treu hast Du Dich mei ner Claudine angenommen! Ein Wort ein Mann! erwiederte, der
Alte. Sprecht nicht davon! Ich habe wichtigere Dinge im Kopfe. Morgen brech' ich
mein Haus ab, und «andre. Du willst uns verlassen? fragte Viktor
betroffen. Im Gegentheil! Ich ziehe zu Euch,
und bin künftig auf dem Schwedenhügel
unter den alten Eichen anzutreffen. Das ist ja Rosenchalischer Grund und Boden!
Eben darum ! Ich will nirgend- anders wohnen, als bei Euch.
Ich verstehe Dich nichr, Silvius ! Ah»! rief der 2Ute, sie machen noch ein Geheimniß daraus. Es thut nichts.
Hat
Dein Vater doch längst schon da-. Gut für
Dich erkauft.
281 Mein Vater? Rosenthal? fragte Diktov
überrascht.
Was ist da zu verwundern? Er braucht
den Baron nicht, seinen Sohn einzurichten^
Weißt Du etwas davon, Claudine? Es ist eine neue Schelmerei des Vaters,
erwiederte das holde Mädchen; «ns sagte er, das Gut sey für Deinen Kommandeur
gekauft. O, wenn es wirklich so ist, rief Viktor in freudiger Bewegung aus, wie himmlisch
schön wird dann unser Leben'seyn!
Claiu
dine! kannst Du's Dir denn selig genug denken, wenn wir Abends aus unserm Gar, ten treten, durch das blühende Feld schien,
dem, und in einer Viertelstunde bei Deinem Vater sind? den andern Tag gehen wir zu meinen Eltern, den dritten kommen unsre Freunde zu uns.
Verzeih'! sagte Claudine, zwei Famir
282 lien wohnen fortan im Schlosse, U wird
gehörig unterschieden; einmal besuchen wir
den Baker, dann sind wir Babel's Gäste. Wie reizend, wenn wir unerwartet ankomr
men und nun ein Streit entsteht,
wem
unser Besuch gelten soll.
Hübsch auLgcdachl!
fiel Silvius ein,
aber an bet» Alten denkt Niemand, der mag allein seyn.
Willst Du denn ordentlich ein Mensch
werden, rief Viktor aus, der zu seinen Freunden kommt? Und warum denn etwa habe lange genug gehockt,
über die Schnur hauen.
nicht? Ich nun darf ich
Oho! ich werde
noch ein windiger Geselle, der heut' zum
Beispiel, nicht nur zur Verlobung eiliger
laden ist, sondern wirklich kommt, dm
Morgen sogar in der Kirche war, und nur weglics, der dmntnen Thränen wegen.
283
Wir erleben ein Wunder, sagte tzlaur bitte, aber dieser Tag soll uns ja auch mit Segen überschütten.
Nun ja, ich denke selbst es sog hübsch werden, rief Silvius, indem er sich fröh, sich die Hände rieb.
Doch nun muß ich
Euch verlassen, um einzupacken.
Iwan ist
schon in voller Arbeit. — Die Liebenden
wandten sich nach dem Schlosse. Laß uns durch's Dorf gehn, bat die
Braut,
ich sehe allerlei Blumengewinde
von dem Altane flattern, wir wollen nicht stören. Nicht leicht konnte ein Weg anmuchiger
für ein junge- Brautpaar seyn, durch das heimatliche Dorf,
als der
dessen treue
herzige Bewohner kaum selbst zu sagen wußten, wen sie mehr liebten, den milden
Gutsherrn, oder ihren würdigen Geistlichen.
Run sollten die Kinder dieser verehrttm
284 Freunde vereinigt werden, und Jeder mochte heute nur von dieser Verbindung reden.
Welche Freude erregte daher die Erschein nung des jungen Paars unter ihnen,
das
bald hier bald dort verweilte und unter freundlichen Worten, mehr wie einer gut herzigen Einladung folgend, m die häuSll, chen Kreise trat. — Sie sind ganz wie
ihre Vater; rS ist ein englisches Paar! so tönte es hinter den Liebenden her.
Das lasse ich mir gefallen,
rief der
Major ihnen jetzt von der Schloßbrücke
entgegen.
Das königliche Paar nimmt
gnädig die Cour an und vergißt Vater und
Mutter.
Herein, Ihr Hcrumschwärmer!
Wollt Ihr denn immer die Letzten seyn? Sie flogen ihm entgegen und hingen sich in seinen Arm.
So führte er sie der
Dienerschaft des Schlosses entgegen, die
lange auf ihre Lieblinge schon wartete, mit
285 dem aus vollem Herzen sich
drängenden
Glückwunsch.
Nun, Kinberl
sagte der Baron, als
er das gerührte Paar in den Park geführt
hatte,
fagt's nur ehrlich, seyd Ihr denn
auch wirklich glücklich? so, was man um
menschlich glücklich nennt? Unaussprechlich!
riefen Beide, indem
sie den liebevollen Vater umarmten und dann selig einander in die Arme flogen.
Schon gut, schon gut!
rief der Dar
ter, ich glaube Euch ja, drücket einander
nur nicht todt in der geschwisterlichen Um# armung! — Nun, Viktor, wie steht'S mit der Ueberraschung, die ich Dir versprochen,
mit ber Revange, die ich Euch in Warmbruni» zugesagt? Hab' ich mein Wort gehalten? —
Aber, Claudine! rief plötzlich Viktor, birz ich denn ganz verwirrt worden durch mein
Glück, daß ich Deines Geburtstages vergeft
286 sen kannte's — Hab' ich auch wahrlich heute
keine Gabe für dich, als dieses Herz, d»S Dir so lange schon gehört, doch bring' ich
ein Geschenk für Dich von lieber Hand. Er wollte ins Schloß eilen. Halt!
fiel der Major ein, zerreißt
mir die Gesellschaft nicht wieder l Mn ich doch froh- sie endlich beisammen zu ha ben. —
Glücklich eingefaagen, rief
et,
indem er das liebende Paar den Man
heraufführte, wo die übrigen Mitglieder des Hanfes schon versammelt waren. Hier
bring' ich
die seligen Schwärmer,
kann'« bezeugen, Silvius!
und
der Raptus ist
vorüber; man kann mit ihnen ziemlich »er/
nünftig reden. — Hier laßt nun gleich sehen, fuhr er lustig fort, daß ich wahr
geredet habe.
Stellt Euch einmal auf die Seite dort, wo Ihr heute vor einem Jahre standet und
287 Euch mit Decken verschlänget,
aber der
blöde Liebhaber dennoch keine Courage zum
So! und 'nun seht mir
Einhauen hatte.
ganz so schmachtend, vergehend aus, wie da,
malS.
Claudine!
ernsthaft! treibe keine
Possen. Jst's so recht, Vater? fragte da» lieb,
liche Mädchen, indem sie einen sehnsüchti,
gen Blick auf Viktor warf, und dann seuf,
zend die Augen niederschlug. Prächtig, Mädchen! prächtig! I», so
schüchtern stand sie vor ihm iN jenem A«,
genblicke, und Abends, nach dem verfäng, lichen Duette —
Sttll, Vater! davon spricht man nicht! rief Claudine,
indem sie dem Vater den
Mund zuhielt und dann erröthend das schöne
Haupt an der Brust deS Geliebten barg. Wieste mit mir umgeht! Wahrlich, M wenigen Stunden ist sie meiner Zucht ganz
288
entwachsen, Wie, Babel, rebele er diese
an, Thonen in Deinen Augen?
Mein
lustiges Töchterchen kann weinen?
Nicht
Loch, gleich fangt mir einen tüchtigen Zank an, sonst muß ich ja fück-ten, du seyst mir
krank geworden.
Lächelnd flog Dabet an die Brust ihres Oheims. Ich kenne Deine» Geschmack, Tochter!
begann der Daran, nachdem man sich nieder« gelaßen hatte. Du liebst nicht geräuschvolle Feste, sondern, vielmehr ein stilles tete-A-tSte.
Darum wollen wir ein dreifaches Fest feiern im Genuß jener Traulichkeit, die uns ein,
mal — Ihr wißt wohl, wo — so unjeitig versagt wurde. Ich denke, die Kränze und
Blumengewinde, welche die Freundlichkeit unsrer Leute Euch gewunden, und die dort
lustig im Winde schaukeln, soll dieser Trau,
289
lichkeit ferne» Eintrag thun.
Hab' ich»
Tuch recht gemacht? Di« jungen Paare bejahten dies mit
fröhlichen Herzen. Die Freudigkeit diese- Mahle- zu 8e#
schreiben, wagt der Verfasser nicht.
Wer
jemals geliebt , hat, wird des glücklichen Ta
ges gedenken, als er zum erstenmale mit
der geliebten und liebenden Braut tm theu
ren Familirnkrc ist erschien. Du aber, freundlicher Leser, und Du, jugendliche Leserin,
denen brr schönste Tag deS Leben- noch be vorsteht, Ihr «erdet in Vorahnung dessel ben Sie Gefühle unsrer glücklichen Freunde
in den glänzendsteir-'Farben Euch auszumalen vermögen. Mit unverwandten Blicken schien Hugo
sein schönes Desttzthum zu hüten. Nur für
Dabet schien er da zu seyn. In ihren Zü gen lag dagegen mehr als gewöhnlicher
DI.
19
290 Ernst. Sey es wegen des überraschend titü
getretenen Verhältnisses dcS Dramstandes,
oder in Folge der heutigen Erklärung zwü schen ihr und dem Geliebten.
In jtdtm
Falle war diese Liebe noch zu >Wg.
Sie
hatte vielleicht ihre Stadien noch zu durch/ lausen, ehe sie zu ter himmlischen Ruh«
und Freudigkeit gelangen konnte, welche
Claudinc und Viktor beseligte. Eine freudige Heiterkeit zeigte Viktors
Vater.
Das Ziel war erreicht, welches so
viele Jahre in weiter Entfernung vor chm gelegen, und
die Sorgen der letzten Zeit
waren überwunden.
Sein theurer Sohn
ruhte in den Armen der Liebe, seine Zur
ku st schien sür immer gesichert. Dorothea schwamm in einem Meere von Glück.
Endlich war der Tag gekommen,
an dem sie sich entschädigen durfte für dm
langen Zwang, die ängstliche Zurückhaltung,
29t die qualvollen Sorgen, welche die Verhält nisse ihr auferlegt hatten. Sie that es mit
der ganzen Liebenswürdigkeit ihres Wesen-und e< kleidete sie ein leichter Mulhwille
dabei um so anmuthiger, je mehr er gegen
den gewohnten Ernst ihres Wesens abstach. Die Präsidentin mußte am verlegensten erscheinen.
Erfreute
sie
sich gleich de-
Glückes ihrer Tochter, so sah sie sich doch zu sehr getäuscht in allen ihren Ucberzeu, gungen und darauf ruhenden Berechnungen
und erkannte mit Schmerz, daß sie, durch
die gröbsten Irrthümer verleitet, ohne Noth die unglückseligsten Mißverständnisse veran«
laßt «nd alle Personen falsch behandelt hatte.
Wenn- gleich ihr Bruder schon vor
längerer Zeit sie über Alle- aufgeklärt hatteso bedurfte sie doch der Zeit, um sich za
sammeln und ein ruhiges Verhältniß wie,
derher-NstrlltN.
Vorzugsweise bemühte sie
19*
292 sich/ zunächst Hugo füt' das lange Berken)
tten durch verdoppelte Zärtlichkeit zu ent/ schädigen und dadurch' Viktor erkennen zu lassen, däsi er nicht mehr der alleinige Lieb/
ling ihres Herzens sey. Silvius hatte nur Sinn für die Uebrii
gen,
insoweit sie mit seinem Viktor und
dessen reizender Braut in Beziehung trar len.
Da sie glücklich waren, war er es
auch. Eine hsitre Gesprächigkeit war Zeuge
ft-ineS Wohlbehagens.
Nach aufgehobener Tafel hatte die Ger sellschaft sich anfänglich in dem Gärten zew
streu k, jetzt aber wieder um den Theetssch versammelt, und genoß dort der freundlichen
Aussicht auf einen freien Rasenplatz,
dessen Mitte
ein
Blumen plätscherte.
in
Springbrunnen unter In reichem Wechsel
von Laub/ und Nadelholz, war der gunz«
NaNM von hohen Bäumen, heimlich um/
293 schlossen; in der Ferne erblickte man das
SchloßEs mag wohl bie- schicklickste Zeit seyn, hob der Baron jeht an, Euch die Aufschlüsse
zu
schmachtet.
ertheilen,
nach denen Ihr
Wohlan denn!
Es wird mit
wenig Worten gethan seyn. Daß Du, Vik
tor, und Deine Geliebte von mir tüchtig
und methodisch gequäkt worden, will ich im
Voraus bekennen, aber Dein eignes Ver halte», lieber Sohn, und der Zufall haben
gegen qlle Berechnung dabei mitgewirkt. Wenn Du aber, liebes Täubchen, in Dei
ner Unschuld mit leiden mußtest, so magst Du Dich damit trösten, daß dies Deinem
Geliebten eine Genossin seines Leidens ver schafft hat. Beginne Du, Holm! Von da an, wo
ich das Scepter in die Hand genommen, will ich selbst das Wort führen.
294 Vor vielen, vielen Zähren, begann dev Pfarrer lächelnd, war ich ein junger, rascher
Musenfohn, mein aller Freund dort aber ein eben so jimger, etwas wilder Offizier.
Unser erstes Begegnen war ein feindliche-.
Nach geendetem Streit aber versöhnten wir
uns und wurden Freunde im ganzen Sinne des Wortes." Halt! rief der Darvn, Du bist gewaltig
eilig.
Will ich Euch gleich nicht mit Bet
kenntnisserf ans der Schattenseite meines Lebens behelligen, so muß doch dies hier gesagt werden:
Wir trafen uns mit g«
waffnerer Hand; ich für eine schlechte Sache kämpfend, er für das Recht und die Tur gend.
Ich unterlag, wie es die Gcrrchtige
kcit forderte. Mancher Andere würde nun, im Gefühl des Siegs, sich «»eiter nicht um den Mstegte» bekümmert haben;
nicht st»
that Dein Vater, Viktor! Er saß an meir
295
«em Wundlager und lehrte mich Geduld und Tugend. Und als ich genesen war, hatte er großmüthig alle Folgen meiner Unbesonnenheit auf eine Weise beseitigt, daß die ganze Stadt meines Lobes voll war, und was mehr sagen will, mein Ger wissen beruhigt seyn durfte. So handelte mein Holm, und erzwang sich dadurch meine Freundschaft. Wozu aber das? sagte der Pfarrer, es gehörte nicht zu dieser Erzählung. — Unsre junge Freundschaft, fuhr er fort, wuchs kräftig groß; wir vermochten bald nicht mehr ohne einander zu leben. Bald bil dete sich auch ein Kreis trefflicher Menschen aus allen Ständen um uns. Beide durch ein größeres oder geringeres Vermögen über die Sorgen des Lebens hinweggehobm, leb, ten wir eine ewig unvergeßliche Zeit b«s
296
edelsten Genusses für unsre Ausbildung,
wie für unsre Freundschaft. Unter den Familien der Stadt war die des Präsidenten des dortigen Landes Collegiums
vor vielen ausgezeichnet. Waldau und ich waren beide in dieses Haus eingeführt, wo
wir auch die Bekanntschaft meiner lieben
Dorothee machten, welche Erzieherin der jünger» Kinder des Hauses war. Du darfst es ohne Erröthen anhbren, geliebte Frau,
wenn ich hier sage,
daß äußerer Reiz
nicht minder Dich anszeichnete, als seltene Anmuth und Bildung des Geistes. Seir längerer Zeit liebten wir, einer
dem andern unbewußt, Dich beide, bis wir
in derselben Minute die gleiche Leidenschaft
einander gestanden.
Den Wettstreit der
Großmmh, welcher hieraus entstand, em dere mein edler Freund dadurch, daß er
eine dringende Reise vorschützte, die Stadt
297 verließ und' einen» Mädchen,
welches er
kaum kannte, seine Hand bot, bald darauf
aber mit der jungen Gemahlin zu uns zue rückkchrte.
Wie sehr mich
auch dieser
Schritt rührte und zugleich als ein Zeichen
der aufopferndsten Freundschaft überraschte,
so verschaffte er doch der Neigung meines Herzens Raum.
Ich benutzte die Groß/
muth Waldau's, warb- um Dörothcen unb
erhielt das Jawort. An meinem Hochzeits/
tage überreichte der zärtlichste aller Freunde mir die Dokation zu der hiesigen Pfarre. Rach -Verlauf -eines Jahres erwarteten
uns Beide Vatcrfreubcn; da brachte mein
theurer Waldau seine Gattin hiehcr. Bald nach ihrer Ankunft wardst Du, mein lieber
Hugo, zwei Tage später ward Viktor ge/ baren.
Der gegen Frankreich auebrechcnde
Krieg rief meinen Waldau jedoch zu seinem
Regimente, der Tau frag war der letzte- den
298
er bei uns verweilen durste. An dem Abende diese- Tage- nun eröffnete mir mein »hem
rer Freund seinen- Plan, den schwärmerische
Freundschaft und die nicht ganz unterdrückte Neigung für Dorotheen ihm .eingegeben
hatten. Gönne mir das Glück, fifcad) ec in leidenschaftlicher Bewegung, Dein Kind, ihr Kind zu erziehen, und das meinige in
Euren Hände- zu wissen! Ist es doch datheuerste Pfand, welches eine Freundschaft wie die unsrige. sich wechselseitig zu bieten
hat!
Ich war es gern zufrieden; als er
jedoch der Welt aus diesem Tausche ein Geheimniß machen wollte, und deshalb darauf bestand, daß die Kinder auch Stand
und Namen wechsel« sollten; da widere sprach ich zum erstenmale in meinem Leben.
— Aber gerade dieser Punkt schien ihm die Hauptsache, indem er sich davon eine Fülle höchst anmmhiger Verhältnisse, und eine
299
überraschende, romanhafte Entwickelung vrH sprach. Vergeblich kämpfte ich dagkgcn,mih
gab endlich widerstrebend seinen» ungestü, men Andringen nach.
Aber als ich Nütz
wirklich zur Ausführung schreiten sollte; da
erschienen mit die Schwierigkeiten und dir Erwägung
brr möglichen
Folgen
dieses
Schrittes zu abschreckend. Zweimal gab ich
schriftlich meine
Besorgnisse yi erkennen
«nd sah mich nur um so dringender -w
schworen, meine Zusage zu erfüllen, so daß ich nicht länger zu widerstehen vermochte.
Dorotheen hatte ich längst von Allem untew
richtet und sie hatte endlich nach heftige«
Sträuben in die Ausführung des Plans nicht nur gewilligt, sondern sich auch erboten, die Daronesse dafür zu stimmen, und es gelang
ihr, Hugo's Mutter zur Einwilligung jN bewegen.
Nachdem ich nun, nach meiner Pflicht
300 Alkes gethan zu haben glaubte-
um die
Identität der Kinder festzustcllen, zu dieftm Behufe 'bei den Ortsgerichren eine ver schlossene Erklärung niedergelegt, auch eigen händig in dem Kirchenbuche jenes Maas
Viktors beschrieben hatte, wurden die Wär
terinnen verabschiedet und die zarten Kin
der ausgewechselt. So, lieben Kinder,
fuhr Holm fort,
waren drei Jahre vergangen.
Ts ward
Triebe, Waldau nahm seinen Abschied und
kehrte für immer zu uns zurück. Ein Jahr
später ward Claudine geboren.
Mit dem
Erscheinen dieses holden Wesens entstand
ein neuer Plan in dem Kopfe meines Freun des.
Viktor und Claudine sollten ein Paar
werden
und durch ihre Vereinigung die
Liehe der Väter verewigen-
Allein der
Ausführung dieses Plans trat nun die Ver tauschung der Söhne in den WeL,
indem
301
fie die künftige Entwickelung einer Neigung^
welche wir so sehnlichst wünschten, verhindert mußte, wenn nämlich Heide Geschwister neben einander aufwüchsen.
Wix hofften jetzt unfern Frauen eine
rechte Freude zu bereiten, indem wir ihnen die Vernichtung des ersten Planes ankün/ digten, mußten aber mit dem HLchsten Er/
staunen vernehmen, daß dieser Tausch nie/
mals ausgeführt worden sey. Beide Mütter,
fest entschlossen, um keinen Preis ihre Kim der von sich zu geben, hatten für diesen Zweck mich selbst getäuscht.
Die Knaben
waren zwar in meiner Gegenwart wirklich
vertauscht worden, allein nub für eine
Nacht; und am folgenden Tage hatte jede Mutter das eigne geliebte Kind wieder zu/ rückgenoMmen,
Ein allgemeiner FreudcMUf begleitete
diese Worte, beide jungen Paare überhäuf-
302 ten die Pfarrerin mir den Ausbrüchen deS innigsten DankeS.
Wie manchmal, sagte Viktors Mutter,
hab' ich mit der' Daronin unsern Streich vtlacht, wenn wir selig bei einander saßen
und die eignen Knaben herzten und küßten.
Zur Ehre der harten Männer sey's aber ge,
sagt: ste lobten unsre That, doch vielleicht
nur deshalb, weil diese ihren jetzigen Absich, tkn entsprach.
Wie kannst Du nur so reden, Dorothee?
fiel ihr der Pfarrer ins Wort; Du weißt jq, mit wie schwerem Herzen ich meine Einwilligung gegeben hatte. Aber Du gabst ste doch! und was gar
den Baren angeht, der dürfte unter andern Verhältnissen schwerlich so leicht zufrieden
zu stellen gewesen seyn. Gewiß Nicht! sagte der Masst, den«
303
Frauei», merkt's Euch, Ihr jungen Damen ! sollen fein gehorsam seyn. Nach
manchen
hierauf gewechselten
Scherzreden fuhr der Pfarrer in seiner Er/
zählung also fort:
Ich wollte Anfangs Zweifeln Raum ge»
den, ja ich kam wirklich auf den überklagen Gedanken, sie hätten die vertauschten Kin
der so lieb gewonnen, baß sie nicht mehr von ihnen lassen wollten.
Allein Dorothee
entkleidete alsbald den Knaben, der bei uns
erzogen worden, und das Maal auf der Schulter ward sichtbar.
Von jeht an waren wir nun bemüht, unsere Söhne zu Freunden, und Claudinen und Viktor für einander zu erziehen, und
der Himmel hat uns mit dem schönsten
Gelingen gelohnt. Bald darauf ward die Baronin etn
Raub des Todes.
Unter dem tiefsten
304 Schmerze über diesen Verlust drängte sich zugleich die Sorge Hervor für Elaudincns Zukunft,
Das Natürlichst« wäre gewesen,
sie meiner Frau zu übergeben;
allein wir
fürchteten, das stete Beisammxnftyn der Kim
Ler michte die Entwickelung gegenseitiger Neigung unterdrücken.
Da erbot sich die
Krau Präsidentin, der Kleinen Mutter zu
seyn.
Wir brachten Claudinen zu ihr, und
trefflichern Händen konnte sie nimmer am
vertraut werden.
Meine liebe, liebe Tante! rief Claudine, indem sie sich der Präsidentin in die Arme
warf wie gut, wie liebevoll bist Du immer zu mir gewesen, wie viel verdanke ich Dir! Theures Kind! erwiederte die Präsie
dentin mit Zärtlichkeit, Du warst so weich,
so gut, daß Deine Erziehung eine sehr leichte Aufgabe wurde.
Doch vernehme ich es
gern, wenn D« -er Zeit mit Liebe gedenkst,
305 die Du in meinem Hause zugebracht hast. Sie reichte bei diesen Worten Viktor, der sich ihr gerührt genähert hatte, freundlich
die Hand.
Nun begann, hob der Pfarrer wieder an, ein langer Streit über Viktors künftige
Bestimmung.
Walbau verlangte, er solle
Soldat werden, wie Hugo. Allein ich be, stand darauf, daß mein Sohn Theologie
studieren und mir in meinem Amte folgen
solle.
ES war die- ein kritischer Punkt,
da mein Herzensfreund, wenn gleich frei von jedem Vorurtheile, dennoch den geist/ lichen Stand am wenigsten liebte, obgleich
sein bester Freund selbst Pfarrer war.
Er
wünschte mindestens, daß Viktor Arzt oder
Recht-gelehrter würde; allein ich konnte es nicht über mich gewinnen, seinen Wünsche»
nachzugebc«. Sey's darum! sagte endlich Waldau,
III.
20
306 mache aus ihm, was Du willst; aber dann
muß auch alles Uebrtge von mir allein
ausgehen.
Wie ich das Verhältniß der
jungen Leute zu einander gestalte,
welchen
Weg ich fie führe, welchen Prüfungen ich sie unterwerfe. Du willigest im Voraus in Alles.
Willst Du?
Wie hätte ich mich dieser Forderung des
trefflichsten Freundes entziehen dürfen, der mein eignes Glück mit dem großmüthigsten
Opfer erkauft hatte und von dessen Her/ zen ich überzeugt seyn mußte, daß er Alles
zum schönsten Ziele führen werde?
Mit
Wort und Hand sagte ich ihm Alles zu.
Und hiermit, fuhr der Pfarrer lächelnd fort, will ich mich denn auch ein/ für allemal von der Theilnahme an allen Neckereien und Qualen losgesagt haben, die er Euch
bereitet hat.
Nicht mehr wie billig, sagte der Major
307
lachend, die kommen auf meine alleinige
Rechnung, und ich werde sie weder verläuge neu noch bereuen. So verging manches Jahr, fuhr Holm
fort, Hugo ward Offizier, Viktor bezog die
Akademie.
Als Du nun heimkehren solltest,
mein Sohn, da schien eS dem Baron Zeit, sie auftreten zu lassen, der die Hauptrolle
in einem Spiele zugedacht war, welches er sich recht con amore aufführen wollte. Die
theure Ciaudine kehrte in das väterliche Haus zurück;
und wenige Wochen später
trafst auch Du, Viktor, hier ein. Don diee
fern Augenblicke an bin ich jedoch wenig mehr, als Zuschauer gewesen.
Ihr standet
unter dem liebevollen, aber etwas wundere lichen Einflüsse jenes Planeten dort; ich
ziehe mich zurück und gebe den Verfolg der
Erzählung in seine würdigen Hände." So mag denn jetzt, hol? der Major an,
20*
308
die erschreckliche Leidensgeschichte eines jun
gen Paares folgen, welches zur Zeit mit krampfhaft verschlungenen Händen und den Mienen der Verzweiflung da vor uns sitzt.
Ich hatte, begann der Baron seine Er zählung, anfangs wohl nichts zu thun, als Euch zu beobachten. Ich mußte doch erst sehen, welche Anziehung Ihr aus einander üben würdet, ehe ich es wagen durfte, selbst thätig aufjutrcten. Aber, lieber Himmel! ich mag mich wohl im Leben nur schlecht auf Herzenskunde verstanden haben! Daß ich jedoch am zweiten Tage mit Viktor schon im Reinen seyn würde, das kam mir
nicht im Traume ein. Und doch war's so. Trotz seiner Nüchternheit besaß er schon am ersten Tage den Muth, sich in ein Spie gelbild zu verlieben, und den zweiten brannte
er lichterloh. Da regnete eS Kanarienvögel, Veilchen und Verse, es konnte nicht anmu-
309 thiger und süßer seyn.
Nur die Baro,
nesse machte ihm Scrupel:
denn von
einem sehr unschuldigen Gespräche über Miß,
hcirathen angeregt, — es war die erste Sonde, welche ich an seine Wünde legte,—
vermaß er sich hoch und theuer: niemals
«in adeliges Fräulein zu nehmen, und wenn sie knieend Liebe von ihm forderte. Armer Viktor! sagte Claudtne, wie geht der Vater mit Dir um!
Ich bin im Hafen, Claudine! und horche
lächelnd der Erzählung meiner Irrfahrten. Ich nahm mir vor, fuhr der Major
fort, die kühne Vermessenheit unsers jungen Enthusiasten zu strafen und seine Festigkeit den gefährlichsten Proben zu unterwerfen,
sobald ich nur der Neigung Claudincns sicher
seyn würde.
Daß sie sich für den Poeten
und Musikus interessirte, war bald zu be
merken,
aber sie nahm sich tüchtig jusam-
310 men.
Auch Viktor bekämpft« seine Liebe.
Da hatte ich denn vor der Hand nichts
weiter zu thun, als ein wenig die Flammen
anzuschüren."
Erlaube inir eine Frage, Vater! unter brach Claudine die Erzählung.
Du hattest
an dem Abende in der Pfarre ein heimli ches Gespräch mit Deinem Freunde. Wel
chen Gegenstand betraf diese Unterredung? Viktor, erwiederte der Daron, hatte sei
nem Vater erklärt, daß er unmbglich seine geistliche Laufbahn verfolgen könne,
sobald
er einmal die kriegerische betreten hätte,
und daß er um so mehr hoffe,
sich dann
ganz der Musik widmen zu dürfen.
Ich
gab D'.ktor Recht und Holm stimmte bei.
Darauf bezogen sich also die Worte: desto besser! chest? gemacht.
die Du damahls ausspra
Sie haben mir viel Kopfbrechens
311 Gott bewahre, welch ein Gedächtniß! rief der Major aus; Kopfbrechen?
Wahr
lich, sie ist auch schon verliebt gewesen! —
Doch hört weiter! Der Zweikampf mit Düval war vor über, Viktor im Schlosse, Claudine außer sich.
In der Nacht hört sie Viktors Fan,
tasiren, mißversteht Silvius Ausspruch und sinket
ohnmächtig
an der Schwelle des
Krankenzimmers zusammen.
ich ja,
Nun wußte
woran ich mit dem schüchterne»
Täubchen war, und die Zeit war gekommen, den Vermessenen bei'm Worte zu nehmen.
Non diesem Tage an mußte mir Claudine
die Pflege des Geliebten übernehmen, und
ich that ehrlich, was ich nur konnte, um das
Feuer, welches in ihren Herzen glühte, zum Ausbruch zu bringen.
Doch mit seltenem
Muthe widerstand Viktor und suchte sich der Gefahr durch die Rückkehr in da«
312
elterliche Haus zu entziehen. Als er aber dar/ auf zum zweitenmale erkrankte, hielt Claudine
sich nicht mehr,
sie wirst sich zu meinen
Füßen und will mir ihre Liebe gestehen.
Da aber die- Geständniß wenig zu meinen Planen paßte, so ward Claudine streng zu« rückgewiesen. Unterdessen hatte mich die liebe Schwe/ ster ins Verhör genommen. Sie lieben sich,
sie lieben sich!
Trennung,
sonst giebt'-
keine Hülfe', so deklamirte sie mir vor. Da ich aber gar keine Lust hatte, Mir
in die Karten blicken zn lassen, so wurde die Gute mit der Versicherung zur Ruhr gewiesen, daß Claudinens Hand versagt sey.
So kam der Abschicdstag heran. Viktor sollte jedoch nicht ausziehen, ohne sein heiß/ geliebtes Mädchen ungestört gesprochen zu
haben. Deshalb mußte er in der Nacht das
Schreiben abholen',
der Tochter gab ich
313
gelegentlich zu verstehen, daß er noch einmal
komme. Ich wußte, daß dies hinreichend war.
Es soll eine sehr schöne Abschiedsscene gewesen seyn, fuhr der Baron muthwillig fort, würdig, in einem Zarten LiebeSroe mane zu glänzen! Nous ne nous fleti.'rons jamais! — Adieu Princesse, adieu plaisir! —
Es will sogar verlauten, daß die hochherzige Freundin nicht unzufrieden gewesen seyn möchte, wenn der edle Freund den platanie schen Bund feuriger besiegelt hätte, als mit
stummen Thränen. Aber eine ehrliche deute
sche Eiche fällt nicht auf den ersten Schlag. Wie tief die Axt auch eingedrungen war,
und wie fest verschlungen daS Seil um seine Krone, er hielt sich aufrecht. Vielleicht macht
die Korrespondenz ihn dreister, dacht' ich, und gab uneingeschränkte Preß/Freiheit.
Mein Sieg sollte jedoch noch nicht so nahe seyn.
314 Stand das Leden unsers theuren Vik
tors auch allein in Gottes Hand,
begann
der Major von Neuem nach einigen scherz
haften Zwischenreden, so konnte es doch auch
»icht schaden, dem Neulinge in der kriege rischen Sphäre einen bewährten Feeund zu zugesellen,
und der gute Heinrich, mein
alter Bekannter, war eben so geeignet, als
bereit dazu; wie treue Hülfe aber dieser geleistet, weiß Viktor am besten. 0, meine Ahnung!
rief Viktor auS.
Wie oft erschien mir dieses abstchtlich« An
schließen verdächtig! O du lieber, herrlicher Vater, sagte Viktor aufspringend und den Baron umarmend, wie soll ich Dir diese
Liebe vergelten? Dadurch, daß Du mir Die da so glück
lich machst, als sie es verdient.
Und nie
mand vermag eS, als Du allein, mein gelieb ter Sohn!
315 Und wie war cs mit Bertram?
fragte
Viktor.
Eine gutmüthige Schelmerei war auch hier im Spiele, entgegnete der Major. Ich hatte den jungen Maler drei Jahre zu
vor in Breslau kennen gelernt, al« er eben nach Rom pilgerte.
Auf seiner Heimkehr
zum Heere ziehend, besuchte er mich, wäh
rend Du noch krank in Deine« Vater«
Wohnung lagst. Ich ließ ihm merken, daß
Dir meine Tochter nicht gleichgültig sey«nd fügte hinzu, daß Du in wenig Wochen auch aufbrechen würdest. Leicht war er zu
bewegen, sich Dir anzuschlicßen. weilte nun in
Er ver
der Nachbarschaft,
bi«
ich ihm den Tag Deiner Abreise melden
konnte, wo er Deiner auf der Landstraße
wartete. Die Zeichnung Claudinens, welche nachher eine so bedeutende Rolle spielte.
316 hatte er hier entworfen, ohne daß Claudine darum wußte. Ja, sagte Viktor bewegt,
da die Liebe
überall so steundlich vorbereitend für mich gesorgt hat, so ist es wohl kein Wunder mehr, daß ich zu dem seligsten Besitze gelangte. Der herrliche Freiheitskampf war nun
begonnen, fuhr der Baron fort, und mit Entzücken erfüllte uns der Ruf Eurer Tapferkeit. Nach geschlossenem Waffenstillstände
traf Hugo ein, um sich anfänglich heftig doch stüchtig tn seine Schwester zu verlieben,
dann aber "bie Fahnen vor einem andern Heiligenbilde zu senken.
Doch Dabct that
zuerst gar jüngfcrlich spröde und die Schwe ster Präsidentin, die wunderliche Dinge in
den Sternen gelesen zu haben glaubte, ver
kannte den eignen Neffen, und sah unwil lig den vermeinten Pfarrcrssohn sich um
ihre Tochter bewerben.
317
Heut' vor einem Jahre kamst endlich auch Du, mein theurer Viktor, zu Claudie
nens Geburlsfeste, und ich war selig in dem Glücke, meine beiden Söhne hier zu der
sitzen. — Doch nun merkt auf! denn jetzt kommen meine Schwächen. Ich fand mich
plötzlich so weich gestimmt, daß ich alle alten Pläne aufzugeben und auf der Stelle zwei liebende Paare zu vereinigen beabsichtigte. Holm widersetzte sich mit Gründen, die er in dem Gespräche entwickelte, bas wir, durch Garren und Feld wandelnd, führten. Zuerst führte er an, daß Hugo's Verhältniß zu der neckischen Dabet noch gar nicht im Reinen sey und Uebereilung hier Alles verderben
könne.
Dann aber sollte auch Viktor die
Sache nicht so leicht gemacht werden. Err
hält Gottihm das Leben, sagte er, so mag er erst in der Welt versuchen, wie weit er mit seiner Musik kommt, und ob er sich
318 Selbstständigkeit zu erringen vermag. Holm
hatte Recht und ich gab nach.
Aber während der Vater so wohlüberlegt sprach, waren dem Söhnchen Muth und Herz gebrochen und
Stolz war erschöpft.
der
männliche
Er sang ein Duett,
das ich besonders auSgcwahlt hatte, unter allen Quälen und Seligkeiten der Liebe,
stürzte fort, suchte, fand, gestand und lag endlich an dem Herzen der Geliebten, die
nur bedauerte, daß er nicht einige Monate früher so klug und vernünftig zu ihr gespro chen hatte.
Diese große Scene offenbarte sich mir gleich am andern Morgen in der allgemei
nen Bewegung.
Vor Tage schon sang hier
Einer, krähte dort der Andere. Aber dann
kam der Hauptmoment.
Was weiß der
Alte doch von Poesie, dachte Claudinchen,
vor dem brauchst du keine Furcht zu haben.
319 So seht sie sich denn ganz sicher an den
Flügel, tippt etwas daraus herum, und singt dann schmelzend wie eine Nachtigasit Da fing mein Leben an, als ich dich — Nun, soviel war mir aber doch auS mtU
nem Göthe bekannt, um das süße Wörtchen „liebte", welches sie weislich ausließ, selbst
hinzufügen zu können. Sachen?
So also standen die
Endlich hatte der stolze Kandi/
dat sich doch mit der Baronesse ausgesöhnt i Seht, Kinder! der Mensch ist ein wund«/
lichcs Geschöpf.
Erst hatte ich diese Ekklä/
rung gewünscht, ja sie selbst herbeizusühren gesucht, und nun war ich unzufrieden; nun
»erlangte ich, er hätte länger, er hätte immer schweigen und mir eine Ucberraschung
nicht verderben sollen, die ich mir selbst vor/
behalten hatte. Ich grollte, und nahm mir vor, dem armen Viktor neue Qualen zu
bereiten.
Daher zog ich seine» Komm»«/
320
deur in's Geheimniß und stiftete ihn an, Claudmcn den Hof zu machen. Er ging zwar in den Scherz ein, war aber zu gut# müthig, um der Bewerbung den rechten Anstrich von Ernst zu geben, und so ging ein großer Theil der beabsichtigten Wir# kung verloren. Nun wurde aber Holm mit einemmale butterweich; er fand diese Quälerei zwecklos und maulte, ließ sich aber endlich versöhnen. — Wir kamen in Warmbrunn an. Die Präsidentin hatte wieder in den Sternen gelesen und träumte nur von Gräueln der Verwüstung. Sie trieb uns nach Haus und zerfiel mit uns Allen. — Ich übergehe Eure Abreise in's Feld, bis dahin, wo die Schwester mich zum zweitenmale zur Rede stellte. Anfangs wußt' ich selbst nicht, worauf sie hinaus wollte, bis endlich die zentnerschweren Worte hervorbrachen;
321 Viktor sann deshalb nie Dein Eidam wer/ den, weil er Dein Sohn ist; Hugo aber ist
das Kind des Pfarrers.
Ich erschrak iin ersten Augenblicke selbst über ihre Entdeckung, die, wenn sie gleich
olle Bedeutung verloren hatte, doch nicht
laut «erden durfte. Aber alsbald leuchtete mir ein,
wie trefflich dieser Irrthum zu
benutzen, und daß die romanhafteste Ver
wickelung, die ich so sehnlich gewünscht hatte,
nun gefunden sey.
Sofort ward mit der guten Schwester die Kombdie begonnen.
zu schweigen,
Ich beschwor sie,
in der Ueberzeugung, damit
das Gegentheil zu erreichen. Ich ließ Holm rufen, um Erklärungen zwischen ihm und der
Präsidentin zu verhindern. Nu» gilt's, Aft ter! sagt' ich, als wir allein waren.
Die
köstlichste Verwickelung ist da, und Du hast
mir Dein Wort gegeben, sie nicht zu stiren,
in.
21
322 Himmel und Erde suchte nun der ehrliche
Freund in Bewegung zu setzen, aber ich wies
ihn unbarmherzig an sein Versprechen und suchte ihn auch anderweitig zu beruhigen. Sa ließ ich denn die Trauer Eure Here
zen in Nacht versenken,
um sie dereinst
dem schönsten Sonnenlicht entgegen zu führ
rrn. — Mir Dir, mein lieber Viktor, war ich unzufrieden, daß Du den Lockungen
nicht besser widerstanden hattest, und ginnte Dir dafür eine kleine Züchtigung. war dafür gesorgt,
Doch
daß jugendliche Leiden,
fthaftlichkeit nicht ein Unglück herbeiführe.
Elaubine hatte gebeten,
Dir selbst
die
Trauer.'Nachrichtmittheilen zu dürfen, aber
ihren Brief, schickte ich nicht Dir, sondern Hugo, dem ich zugleich den wahren Zusan»
menhang meldete.
Er sollte Dich vorberek
ten. Dir dann ClaUdinenS Brief geben, und
wenn Du «och zweifeln würdest, einen
323
zweiten von mir, den ich bloß in dieser Abe sicht geschrieben hatte.
Dann sollte Hugo
Dich zu trösten, aufzurichte« und Dir da-
Versprechen abzugrwlnnen versuchen, daß Du für Claudtnen leben wollest.
Falls er
Dich aber fassungslos fände und er Gefahr für Dein Leben fürchtete, dann sollte er den
Schleier zerreißen und Dir die Wahrheit enthüllen. Din ich hart gewesen, mein theurer
Sohn, sagte der Major, Viktor die Hand
reichend, so vergtebl
Ruht doch in jeder
Menschenbrust die verborgene Lust, dle Rolle
des Schicksals zu spielen. Wenigsten- habe ich verstanden, gut zu mache«, was ich viele
leicht verschuldet. Wie hätte ich wohl ein Recht, zu tVu
gen, mein theurer Vater? erwiederte Nike
tor. Nein; wie trüb' auch jene Zeit an mir vorübergegangen ist, ich kann e- nicht %t< 21*
324 reuen, sie verlebt zu haben. Sie hat mich gestärkt und Weichlichkeit und Verwöhnung in mir niedergekämpft.
Gewiß, Viktor, fielj der Pfarrer ein, das
war auch unsre Absicht.
Nur eine Klage darf ich nicht vvrentr halten, sagte Viktor, daß nämlich ihr, die/
sem unschuldigen Engel, jener Schmerz nicht erspart wurde. Halt, halt! mein Sohn! rief der Mar
jor, nicht gar zu mitleidig. Du weißt wohl, es heißt:
mit gefangen, mit gehangen!
Doch ernstlich', für sie war gesorgt; allein
sie bediente sich des Mittels nicht, welche» ich in allzuweicher Stimmung gegen solche-
Herzweh ihr im Voraus verschrieben hatte. Nicht wahr, Vater, rief Claudine aus, das war der Talisman?
Ich mußte ihn Dir später abfordern, um mir die letzte Ueberraschung nicht zu verr
325
derben. Hier ist das Papier.
Heute vor
einem Jahre übergab ich es Deinen Häm den.
Claudine öffnete eS und las: Meinen besten Segen, Claudine, zu Del/ ner Verbindung mit dem edlen Viktor l
0 weh, sagte Claudine, weich eine Thö
rin bin ich gewesen l Wie manche qualvolle Stunde hätte ich uns ersparen können! Und doch freut michs,
daß Du es nicht gethan.
meine Tochter, Du bist stärker
gewesen im Unglück, als Viktor im Glück.
Aber laßt mich zum Schluß kommen.
Claudinens Trauer dauerte nur wenige Tage, nach deren Verlauf das Mädchen wie umgewandelt war.
Singend und springend
überbringt sie mir einen Brief für Viktor
mit einem großen, dreimal unterstrichenen Citissime. Halt! denke ich, hier hat Einer
geplaudert, halte den Brief zurück und suche
dem Verräther nachzuspüren. Vergeben Sie
326 mir'«, Dorothee, sagte er lächelnd zur Pfar,
rcrin gewandt, daß mein erster Verdacht Sie traf.
Der Himmel weiß es, erwiederte sie, ob ich Recht »hat, zu schweigen. Da« Herz
wollte mir ost brechen , wenn ich die arme Claudine sah, nun sie den Schmerz mit soll cher Ergebung trug. — Im entgegengesetzten Falle würden, rief
der Major,
zwei Worte:
Brauche den
Talisman! sie bald geheilt haben, theure Freundin l Holm aber, fuhr der Baron fort, hegte
eine» ganz andern Verdacht. Diebe! Diebe!
rief er, Nachschlüssel!
Es war klar,
Kirchenbücher! —
nur Silvius hatte dem ar.'
men Mädchen geholfen.
Nun waren mit
einemmale seine Geselligkeit und die häufir gen Besticht in der Pfarre erklärt.
Silviu«! ich wollte mich ausschütten vor
327 Lachen! Diesen Streich werd' ich Euch nie/
rnalS vergessen! Es war Recht, daß ich's that, sagte der
Alte.
Ihr habt ein tolles Komödienspirl
getrieben und mögt Gott danken, daß Alles glücklich geendet hat. Das thun wir auch, Silviu», und freuen
uns über Eure Mitwirkung, und ergötzen
Uns, daß Ihr uns so hinter'- Licht geführt habt. — Unterdessen war der Friede &tf schloffen und Viktor in die weite Welt ge/
zogen.
Wie fein
erster Brief einging,
brauchte ich das Postrecht und öffnete ihn; ich mußte doch wijstn, wo er war. Es war
unmöglich, Claudinen den Brief zu geben; diesen Ausdruck des Schmerzes Hoffnung-/
loser Liebe hätte sie nicht ertragen; ste wäre
uns über Nacht desertirt, um Dir selbst zu sagen, daß Du ja nicht ihr Bruder sey'-;
Nun hätte ich zwar den Flüchtling gleich
328
einfange« können, aber Holm war dagegen und es gab überdies Manche- zu thun.
Ein Güt, Viktor, mußte gekauft werden für
Deinen Kommandeur. — Doch wozu noch länger hinter dem Berge hallen?
Ob am
Hochzeittage oder bei der Verlobung, ist's nicht dasselbe, alter Holm ? Als», Ihr migt's immer heute schon wissen, daß mein lieber Freund da, ein allerliebstes Nestchen erstatt, den hatte für das junge Paar.
den« viel einzurichten,
Da gab'-
zu reiten und zu
fahren; ich war wenig daheim.
Dann
hatte "Hugo seinen Abschied noch nicht, war
Noch beim Regiment« und Niemand wußte eigentlich, wie es sich mit ihm und seiner
Geliebten verhielt.
Endlich hatte ich Cian,
dinens Geburtstag zur Lösung des großen Räthsels bestimmt.
Da dieser Tag aber
noch fern war, so konnte ich unsern Mo zart ruhig
draußen
eomponiren
lassen.
329 während ich ihn in seiner Residenz beobach
ten ließ. Aber er jagte mir noch vor Thor
schluß eine» tüchtigen Schreck ein, indem man mir Plötzlich meldete,
Viktor sey mit
Kourierpferden bei Nacht und Nebel i» der
Richtung nach der Schweiz abgereist. Mir
ward fast unheimlich zu Muthe, Ihr wer
det mir's angemerkt haben. Endlich traf er wieder ein, zu meiner Freude, und nun
ging's auch im Fluge fort. Eine Stunde vor der Abreise hatte ich denn noch eine
tistliche Scene mit der Sternseherin- da,
der Präsidentin, deren Einwilligung zu dem Glücke meines Hugo ich bedurfte, und
sie daher in's Geheimniß ziehen mußte. Die
Augen,
welche
die
Gute machte,
werde ich niemals vergessen! — Und nun, Viktor! habe ich Dir nur »och
zu beichten, daß id> dem Fürsten und der Prinzessin Alles entdeckte und diese daher
330 darauf verzichtet haben, Dich für immer dort zu sehen, in der Meinung, Du werdest
hier vielleicht Hoch Eins oder das Andere
finden, was Dir die Heimat werth machen ttnnte. Hiemit, Kinder! endet meine Geschichte
und wie Augustus rufe ich au«: Habe ich meine Rolle gut gespielt, so klatschet in dir
Hände!
Unter Beifalls-? und DankeS/Ruf um/ fingen ihn viele Arme und legten selige Herzen
an
das
Herz des liebevollsten
Dakers. Auch Du, Brutus? sagte Viktor, indem
er seinen Hugo küßte. Post nubila Phoebus! mehr durste ich ja
nicht thun, war Hugv'S Antwort.
Aber nun mußt Du uns noch Vieles von Dir und Dabet erzählen!
Nichts, nichts! rief Dabei, dazwischen
331 tretent>, inbeth sie zärtlich sich an den Ger
liebten schmiegte, Du hast mir's versprochen, Hugo! Sehen sie doch, daß wir glücklich sind. Komm, komm!
Muthwillig entfloh
sie mit dem Geliebten. — Die Gesellschaft zerstreute sich lustwandelnd im Garten. —
Als man wieder beisammen war, brachte Viktor die schönen Bildnisse der fürstlichen
Familie, und übergab Claudinen das für sie bestimmte Papier. Es enthielt Io einen» geschmackvollen Kästchen, von den freundlich«
(len Zeile« HelenlnS begleitet, einen Per« lenschmuck und zwei zierliche Trauringe mit den Namenszügen Viktors und Claudinens.
Letztes Kapitel. Der nächste Morgen sah die glücklichen Familien in Rosenthal.
Silviu» stand auf
331 tretent>, inbeth sie zärtlich sich an den Ger
liebten schmiegte, Du hast mir's versprochen, Hugo! Sehen sie doch, daß wir glücklich sind. Komm, komm!
Muthwillig entfloh
sie mit dem Geliebten. — Die Gesellschaft zerstreute sich lustwandelnd im Garten. —
Als man wieder beisammen war, brachte Viktor die schönen Bildnisse der fürstlichen
Familie, und übergab Claudinen das für sie bestimmte Papier. Es enthielt Io einen» geschmackvollen Kästchen, von den freundlich«
(len Zeile« HelenlnS begleitet, einen Per« lenschmuck und zwei zierliche Trauringe mit den Namenszügen Viktors und Claudinens.
Letztes Kapitel. Der nächste Morgen sah die glücklichen Familien in Rosenthal.
Silviu» stand auf
332 dem Schwedenhügel und grüßte- die Bor überfahrenden mit wehendem Tuche. Claur
dine fand eine völlig eingerichtete Wirth
schaft. Viktors Mutter hatte Alles anfäng, lich heimlich allein besorgt, späterhin unter
Beihülfe der Präsidentin.
Wir wollten
Dich am Hochzeittage überraschen,
lieber
Sohn! sagte der Pfarrer, aber die Freude hat uns übereilt.
Wie alt indeß der Plan
sey, diese- Gut zu erwerben, magst Du
daraus entnehmen,
daß der Baron Dich
absichtlich an dem Tage hergeführt hatte,
an welchem die Marschordre eintraf, um Deine Meinung darüber zu erforschen, nach
dem Du in der wirkhschaftlichen Prüfung
so gut bestanden warst. Habe
ich
auch längst einen falschen
Stolz abgelegt, mein theurer Vater, erwie,
derte Viktor,
dennoch verzieh die Frage:
Hast wirklich D u mir dies schöne Gut gekauft?
333
Ja, mein Sohn! ich bin nicht ganz mit? telloS. Was Waldau beigetragen, ist eilt Theil von Elaudinens Aussteuer. Wer jemals an der Hand einer geliebte« Draut die Wohnung betreten hat, welche die Zeugin künftiger Wonnen, die Wiege eines neu ausblühenden Geschlechtes werde« soll, der theilt in Gedanken Viktors Ente zücken. Was gab es hier nicht' Alles z« betrachten, zu besprechen, über wie Vieles sich zu freuen? Bald zog Claudine dem 'Geliebten zu- einem Schranke, bet ihre Schätze verschloß, bald zeigte er ihr die schwer beladenen Eendtewagen, die mit dem Segen des Feldes einfuhren. Dies Alles ist unser, Geliebte l sagte er. Nach wenigen Tagen werden wir hier heimisch sey« und des Lebens höchstes Glück genießen. Clandine, als ich an jenem Weihnacht-, Abende dem heimathlichen Dorfe zneiite.
334 hatte ich keine Ahnung von dieser beseligen-
den Zukuyft! AlS ich Dich dann zuerst er
blickte
und gleich
unaussprechlich liebte-
durft« ich da wohl hoffen. Dich jemals so an
mein« Brust drücken zu dürfen? Viktor! sagte Claudine, wir sind immer frgmm und gut gewesen, darum liebt uns
Kott- Darum hat er Dich beschützt in tau fend Gefahren und führt uns so selig zu, summen. Laß uns immer gut und in un getrennter Liebe treu bei einander bleiben. Dacht' ich's doch, rief der Major, di« find wahrlich noch ganz unpraktisch.
Da
suche» sie draußen den jungen Herrn, um
zu erfahren, wohin der Waizen gebracht werden soll, denn die Scheune ist voll, aber der hört und sieht nicht.
Das wird ihm hoffentlich noch lange so gehn, Vater, sagte Claudine; die Liebe verfangt ihre Rechte.
335 Aber der AHage» auch, Töchterchen! Und
da es hier verdammt windig mit dem Mite
tagsmahl aussehen möchte, s» habe ich an,
spannen lasse«.
Die seligen Tage eines kurzen Dränte stände- waren vorübergerauscht. Am Hoch, zeitmorgen, da Viktor kaum erwacht war, überraschten ihn Bertram und Heinrich. Ich wagte es nicht zu hoffen, rief Mktor ihnen entgegen, und nun kommt Ihr Loch
zu meinem schönsten Festei Weiß es Mein Schwiegervater schon? Freilich! versetzten
die Freunde, er selbst hak uns längst schon elngeladen.
Bald verkündeten die rollenden Wagen
die Ankunft der Gäste, die der Baron in
dem festlich geschmückten Park empfing. Dlumenpyramiden in reichem Farbenschmelze stiegen hier unmuthig in die Höhe; Laub,
336 UnS Blumengewinde hiilten die alten Daum.-
stimme umschlungen, ketteten sich von Wipfel zu Wipfel und wiegt«» sich in der sanft See wegtenLuft: Springbrunnen warfen die zit-
ternden Strahlen der Sonne entgegen und zerr
sprühten in Regenbogen ; kleine, zarte Wölk
chen schwammen still am blauen Himmel hin. Viktor ging jetzt, um die Braut zur Gesell schaft zu führen. We reizend erschien ihm
die Geliebte!
Blendender Atlas umschloß
den schlanken Leib, und fiel in weichen Fal« te» herab, dessen Glanz das zarte, luf
tige Gewebe des Ueberkleides brach und milderte.
Reiche Spitzen verhüllten den
jugendlichen Dusen, und den schneeigen
Hals umspielten Helenens Perlen. Vor der
Brust trug sie ein Sträußchen immer blü hender, bescheidener Veilchen.
So, den
Myrthenkranz in den dunkeln Locken, stand sie lächelnd vor ihm in siegprangender Schönheit.
337
Soll ich nkbetftnfrn, Claudine? fragte Viktor in seligen» Anschauen. Wie schön Du bist! Din ich'S für Dich, so bin ich'S genug! lispelte sie.
Hugo an Dabet's Hand' trat jetzt j» ihnen. Diese war ganz wie Ciaudine grklei, det, und so glichen sie zwei verschwisterten Rosen. Gemeinschaftlich begaben sich beide Paare zur Gesellschaft.
DaS Geläute der Glocken war verhallt; der Zug setzte sich nach der Kirche in Der wegiing. Das herrliche Gebäude faßte kaum die Zahl der Theilnehmenden, welche daS schöne Fest herbeigelockt hatte. Tiefe Stille herrschte ringsum, wie di« Brautpaare vor den.Altar traten. Die beglückenden Gefühl« des Vaters und Freunde-, dem die Wonne zu Theil III. 22
338 ward«
ben einzigen Sohn und die geliebten
Kinder seines Jugendfreundes an heiliger Stätte ewig zu verbinden, sprach der Pfar/
rer hier in einfach rührenden Worten aus. Thränen glänzten in seinem Auge, als er
nun die theuren Kinder fragte: ob cs ihr
Wille sey, in Liebe und Treue einander ewig anzugehiren? Leise bebte das beglückende Ja
über die L'ppen der Bräute, fest und ent/ schlossen sprachen es Hugo und Viktor aus. — Als darauf die Ringe gewechselt waren
und der Bund ihrer Herzen geweiht und
gesegnet, sanken die Glücklichen in die Arme
der Eltern.
Nun, meine lieben Freunde und Nach/
barn!
sagte der fröhliche Major, als die
Gesellschaft sich in den Park zurückbegeben
hatte, erzeigt mir auch die Liebe, Euch zu
339 erinnern, daß Ihr zu einem Hochzeit
feste geladen seyd. Das schönste Fest im
Leben soll aber nicht still und träumerisch entweichen, sondern jubelnd gefeiert werden. Wer also heut' der Lustigste ist, der soll mir der Liebste seyn;
ich selbst werde Euch mit
gutem Beispiele vorangehn,
fröhlich ein!
stimmt nur
Du da, alter ehrlicher Ober
förster, und Du, mein trefflichster Landrath, u»d wer sonst noch zu den alten Cumpanen
des lustigen Majors gehört, laßt mich heute nicht im Stich!
Da wir alle Landleute
sind,
meine
Freunde! fuhr der Major fort, so soll der Tisch nicht lange auf sich warten lassen,
wie wir's Alle gewohnt sind! Desto eher kommt mir das junge Volk zum Tanze.
Unter fröhlicher Zustimmung vernahm di« Gesellschaft diese Anrede.
Was sprichst Du da mit dem Jäger, 22«
340 ObcrfLrster? rief der Major llustig; ich merke
schon. Du hast Durst. Durste, mein Freund,
damit Du mir desto besser bei Tische trintest!
Im Vertrauen gesagt, Alterchen!
bei dem heutigen Feste kommen ganz ehre würdige, bemooste Flaschen an die Reihe. Du sollst Deine Freude daran haben.
So setzte der Wirth Alles in heitre
Bewegung, bis man zur Tafel ging. In einer prächtigen breiten Duchenallee,
unter dem erquickenden Schatten ihrer ver
schlungenen Wipfel stand die reich besetzte Tafel,
an welcher die Gäste jetzt Platz
nahmen. Der Tausend! rief der Major, wie
habt Ihr den Tisch aufgepuht! Kan« man doch vor dem Dlumenwalde und den mäch
tigen Baumkuchen kaum einandkt anblicken. Ich dächte, Kinder, wir entfernten das Zeug.
341
Sey nicht böse, Schwester» wir haben ja Alles gehörig bewundert.
Allons, Jäger,
rührt Euch! Unter lautem Lachen wurden die Hindernisse weggeräumt. Freundlich grüßten sich die Neuvermählten, und nick ten die Gäste einander zu, nachdem die verschanzenden Blumenkörbe Hinweggenome men waren. Die Bahn war gebrochen und Alles
stimmte in den fröhlichen Ton ein. Als nun überdies den alten Kuffenweine» bas Siegel des Mundes gelis't ward, und sie gar anmuthige Reden mit den Gästen führ/ ten, der funkelnde Rheinwein aus grünen Römern sein ehrliches, deutsches Wort mit/ sprach, endlich aber der geschwätzige Cham/
pagner brausend dazwischen fuhr, da hatte
der Wirth seinen Willen erreicht, und die ganze Gesellschaft umwogte «in Meer von
Frohsinn und Lust.
342 Kinder! rief der Major, was ist daS
Leben, was ist die Freude ohne Gesang?
Viktor', stimme an! DaS Rheinweinlied! Jst'S doch eine Lust, daß wir Deutsche es wieder in Ehren singen dürfen.
Viktor winkte Dabet und Hugo zu; sie begannen das treffliche Lied vierstimmig. Alles ward still bei dem Gesänge der vier
herrlichen Stimmen,
die wohl in langer
Zeit nicht so fröhlich, aus so freien, seligen Herzen erklungen waren.
Da war kein
Zagen, kein Dangen mehr; Claudinens le/
bensfroher Gesang riß Alles unwiderstehlich hin.
Chorus! rief der Major, und daS
Tutti fiel jubelnd ein. Schön! sagte Silvius; aber nun soll die
Jugend von den Alten lernen.
Vivat aca-
demia, Holm! Ein Diirschenlied, commilitones!
Optime!
rief der Baron mit leuchten/
343 den Augen. Hab' ich doch mehr wie ein Tricn-
niarn mit den lustigen Burschen verjubelt:
Wem hohen Olymp herab ward un< die Freud«, Ward uns der Zeigend Traum bcschcert. So stimmte er an, und de- alten Silviu-
Kontrabaß murmelte in den tiefsten Tiefe»,
während sein Ohr mit Behagen den zarten Tönen Claudinen-, seine- Lieblinges, lauschte.
Schwester!
sagte der Major, als das
Licd beendigt war, solch eine Hochzeit hast Du wohl noch nicht erlebt? Aber nicht
wahr, es ist hübsch?
Ich bin sehr glücklich, lieber Bruder!
erwiederte die Präsidentin. Sie sagte kein« Unwahrheit: denn zu dem Glücke derToch,
ter trat noch die liebende Aufmerksamkeit, welche die Holmsche Familie, vor Allen aber Viktor, ihr bezeigte. Sie lohnte ihm dafür,
daß sie ihn heut nie anders, al- ihren liebe»
Reffen nannte.
344
Der letzte Ton der Trompeten, welche
auf das Wohl der Neuvermählten geschmete tert hatten, war verklungen.
Wenn ich nicht irre, sagte der Major,
so wirft dort der Mond schon sein freunde liches Licht durch die Blätter.
Auf denn,
Ihr junges Volk, zum Tanze! Und wer von Euch Alten mich ein wenig lieb hat, der tanzt die Polonaise^ mit.
Aufgespielt,
Ihr Herren Musikanten! Da entstand ein fröhlicher Tumult. Komm, Oberförster! ES ist und keine Dame geblieben,
so wollen
wir denn vortanzen! Er setzte sich mit dem
Freunde an die Spitze des Zuges und führte sehr zierlich den Reihen an, indem er die
Gesellschaft durch manche Irrwege des Gare tens, endlich zu einem luftigen Gebäude
führte, welches besonders für das heutige Fest errichtet war.
Auf einem freien Platze befand sich der
345 Tanzsaas.
Zwei Reihen Säulen, reich mit
Blumenfestons umwunden, trugen ein leicht tes Dach, welches von innen mit Kränze»
und Laubgewinden überhangen, außen aber
in dem farbigen Feuer unzähliger Lampen prangte.
Der Boden war gedielt, und da
keine Seitenwände vorhanden waren, so
hatte man nach allen Seiten die freie Aussicht auf den Park und das Schloß, welche in
dem Lichte farbigschimmernder Lampen er,
glänzten.
Auf dem Rasenplätze vor dem
Schlosse war die ganze Dorfschaft versam,
melt, und es begannen, dort wie hier, jetzt fröhliche Tänze.
Basta, schöne Dame! sagte der Major zu dem springenden Freunde, nun laß «ns
ruhe« und die Jugend mag nun verkehren
in ihrer Lust. Einen fröhlicheren Abend mochten die
ehrwürdigen Bäume des Parks wohl nicht
346 erlebt haben.
Durch die erleuchteten, in
durchsichtigem Grün schimmernden Baum.' ginge wogte eine freudig aufgeregte Menge.
Hier saß eine Gruppe und'stieß jubelnd die
Gläser zusammen, dort drehten sich Kinder
im Tanze zu der fernen Musik.
Viktor und Claudine wandelten unter den Fröhlichen; wo sie erschienen, steigerte
sich die Lust.
Ein einsamer Daumgang
empfing sie mitunter zu traulichem Zwiee
sprach.
Als sie zum Tanzsaale zurückkchr,
ten, stand der Mond hoch am Himmel. Der Major trat den Kommenden entgegen.
Der Wagen ist vorgefahren!
flüsterte er
Viktor leise zu, dann küßte er zärtlich die Tochter.
Viktor führte die Geliebte zu sei,
ne» Eltern, trat dann zu seinen Freunden
und sagte ihnen leise: Lebt wohl! Als er mit der holden Braut darauf durch dunkle Sei-
tengänge das Schloß erreicht, hatte , und sie
347
ihn fragt«: wohin er sie führe? da flüsterte er, sie zärtlich umfassend: Nach Haus! D« hast schon Abschied genommen! Er hüllte die reizende Gestalt in einen Mantel und hob sie in den Wagen, der pfeilschnell die Seligen entführte.
Ob sie, die wir in diesem Buche auf
jugendlichem Lebenspfade begleitet haben, glücklich geworden? fragt wohl keine freund«
liche Leserin. Zu viel Elemente des Glückes gewährte ihnen die Außenwelt, die h-ch/ sten wohnten aber in ihrer eignen Brust. Noch immer besteht der in Liebe »er/
einte Kreis, nur noch durch blühende Kin/
der vermehrt, welche des Himmels Gunst beiden Ehen gewährt hat. Sollte der lu« stige Major das Heranwachsen seiner Enkel
erleben, so wäre es leicht möglich, daß ähu/
348 liche neue Pläne in ihm erwachten, wie Wik sie ihn hier ausführen sahen.
Dabets heiter begonnene Ehe entging den Stürmen des Lebens nicht ganz.
Die
Junge Frau begann an Eifersucht zu kram
ken. Aber Hugo's
Liebe
und Festigkeit
wußten das Ungewitter zu beschwören und
der heitere Frieden scheint für immer zur rüekgckehrt zu seyn.
Die Präsidentin bringt ihre Winter in Wien zu. Wenn jedoch der Prater anfängt
leer zu werden, der Adel auf seine Güter reist, dann eilt auch sie dem freundlichen
Aufenthalte bei ihrer Tochter zu. Silvius braut Tränke, wie zuvor, und ist der Wundermann der ganzen Gegend. Er ist täglich bei Viktor.
Wird einmal ein
Kind der Gegend vermißt, so darf man es
nur beim Regimenter suchen,
der
die
349 Knaben wie ein Magnet an sich zu jle, hcn weiß. Heinrich ist unverheirathet geblieben, sonst
aber unter hem Einflüsse des Barons in einer glücklichen Lage. Bertram lebt in Rom und unterhält
freundlichen Briefwechsel mit seinem Freunde. Mit dem edlen Fürstenhause steht Vit/
tor nicht blos in Briefwechsel.
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