Viktor und Claudine: Teil 3 [Reprint 2021 ed.] 9783112427507, 9783112427491


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Viktor und Claudine: Teil 3 [Reprint 2021 ed.]
 9783112427507, 9783112427491

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Viktor und Claudine

Ein Roman v-»

Miltzelm Martell.

Dritter Theil.

Berlin, bei

G.

Reimer. 1826.

Erstes Kapitel.

Dm Wiederausbruch der Feindseligkeiten

eröffnete ein Angriff des sranzistschen Kaie ftrS -egen das schlesische Heer. Gern hätte dessen unsterblicher Führer, der HelVengreiS Blücher, seine wüthigen Truppen sogleich zur Schlacht geführt, allein dies war dem allgemeinen Führungsplane des Feldzuges entgegen. Es war vielmehr beschlossen wor, den, daß da« schlesische Heer- sobald die feinde liche Hauptmacht ihm gegenüber erscheint, dem Kampfe ausweichen solle , um Äapoe leoy immer mehr von Sachsen abzuztehen,

4 wo die große, in Böhmen versammelte Truppcnmacht angriff-weise verfahren sollte. Da­ her war da« schlesische Heer langsam vor

dem drängenden Feinde zurückgewichen und nur noch wenige Meilen von dem Gute des

BaronS entfernt.

Wem jener Plan unbekannt war, in dem konnten freilich ängstliche Besorgnisse auf­ steigen.

Es geschieht mir ganz Recht,?Bruder«

sagte die Präsidentin, wenn ich^jeht Zeugin dieser unglücklichen Ereignisse seyn muß;

weshalb bin ich nicht abgrreist? Noch sind die Feinde nicht hier, entgeg­

nete der niuthige Major, und cs wird noch

hinreichende Zeit übrig bleiben. Dich von

hier zu retten, wenn die Gefahr drohender «erden sollte.

Allein all« Sorgen sollten glänzend ver­

scheucht «erden.

ü Kaum hatt« man mit Bestimmtheit er, fahren, daß der französische Kaiser mit den

Leibwachen nach Dresden zurückgekehrt sey,

«1s auch der alte Blücher seine Kriegsschaar reu wieder vorwärts führte, worauf zwei

unerwartet aufeinanderstoßenbe Heere sich

die denkwürdige Schlacht an der Katzbach

lieferten. Schon seit der Mittagsstunde hatte man

auf dem Schlosse Geschühfeuer vernommen;

von drei Uhr Nachmittag- an aber brüllte der ununterbrochene Kanonendonner der Schlacht. Die Erde bebte, dir Fenster des Schlos­

ses klirrten, und mit jedem Augenblicke schien das furchtbare Getöse an Starke zu wachsen.

Armes Preußen! seufzte die Präsiden

titi, dich rettet kein Gott! — Vernimmst Du es wohl, Bruder, wie dieses schreckliche

Feuer allaugenblicklich sich verstärkt? — Es

6 rückt >mS näher, unser Heer weicht, bald werden wir die Sieger hier etnziehen sehen. Gefangen, hoff'ich, Schwester! erwie, derte der Major. Neue Geschütze rücken in die Schlachtlinie und der Abendwind macht sich auf, daher klingt eS, als ob das Feuer stch

nähere. Eng einander umfaßt haltend, standen Claudine und Babel am Fenster de« Eßsaa,

leS und blickten hinaus auf die düstere Land/

schäft. — Seit zwei Tagen schon ergoß stch

der Regen in Strömen, und auch jetzt war Alles verhüllt.

Gott! in diesem fürchterlichen Wetter,

unter diesem strömenden, kalten Regen, in

diesem aufgeweichten Boden kämpfen unsere Freunde, kämpft das Heer für die Freiheit! sagte Claudine.

Dabet, hier reicht nur

männlich« Begeisterung aus!

Kann das

Vaterland jemals seinen Helden vergelten?—

7 Ja, Kinder, siel brt Major Bin,,Za« Wetter macht -er liebe Bott, den Kriegder

Mensch. .Da kann's nicht anders seyn.

Wer wei- jedoch, ob wir heut so sanft schla, ftn werben, wie die dort auf stuchtkk Erde, mit dem beseligenden Gefühl de» SiegeS

in ihrer Brust?

Schlafe«? wiederholte Claubine leise und bebte zusammen über den schrecklichen Dope

pelsinn dieses Wortes; dann verhüllte sie die Augen.

Die Pfarrerin trat an'» Fenster. Der,

trauen auf Gott! meine liebe Elaudine, -sagte sie, beide« Mädchen liebkosend; auch

meine Söhne sind unter den Kämpfenden. TT- Söhne, sage ich; hat doch Hugo »ine andere Mutter nie gekannt.

Aber ich bin

.getrost; Er lenkt Alles zum Gute«. Sein

Wille geschehe!: Wäre der Regen nicht zu gewaltig, be.

8 gann der rintretettbr Pfarrer, so müßte man

den Pulverdampf sehe«.

Ich komme eben

vorn Thurme. Eine schwarze Wolke ruht über dem Schlachtfelde, aber da- Auge un­

terscheidet nicht, oh es Dampf oder Re­ gen sey. Und glaubst Du, daß die Schlacht noch

diesseits der Kahbach ist? sagte der Baron. Das läßt sich unmöglich bestimmen, er,

«lederte Jener; aber das Feuern reicht ohne Frage über Jaucr hinaus, in der Richtung auf Liegnitz und Goldberg.

Wehe dann dem Heere, sagte der Ma,

jvr, das, ohne nähere Kenntniß unsere- Lan, des, nun über diese angeschwoklenen Gebirgs­

bäche zurück muß! — Diesmal ist Gott mit

von der Alliance, Claudine! und dieser Re­ gen, den Du noch eben so gescholten, kostet

unsern Feinden vielleicht ein Heer!

Ueber die Derblendetrn '. sagte die Prä»

9 Dentin halb laut, indem sie sich kummervoll in die Ecke des Sophas brückte.

Ls War jetzt fünf Uhr Nachmittags, und

schon nahm baS Feuer ab. Was meinst Du? fragte der Pfarrer. Das Hauptquartier ist -estem, wie wir

gewiß wissen, in Drechtelshof gewesen, ent/ gegnete der Daran. Er kann fast nicht an/ Vers seyn, es ist an der Katzbach geschlagen

morden, die Franzosen find von dem Pia/

teau

hinnntergeworfen

und

da- Wasser

hemmt die Verfolgung. Da beide Männer das ihnen so nahe

liegende Gelände sehr genau kannten, so

entwarfen sie mit Hülft 'einer Karte ein Bild von dem mnthmaßlichrn Gange der

Schlacht. Immer schwächer ward da- Feuer; bald

fielen nur noch einzelne Schüsse, bis endlich

mit dem sinkenden Abend tiefe Stille rintrat.

10 Nun, Schwester, sagte der Mäjor, wir

find im Reinen, und der alte Blücher ist's auch.

Für diesmal ciitschlage Dich aller

Sorge; bald werden meine ausgeschickten

Boten Nachricht bringen. Gebe Gott, erwiederte sie, daß Deine

Zuversicht nicht schrecklich gelauscht werde!

Nach und «ach kehrten die zu verschie, denen Zeiten ausgcsandtcn Kundschafter, let doch mit unbestimmte» Nachrichten, zurück, weil Keiner von ihnen wert genug vorgee

wesen war.

Nur des Barons Reitknecht

sagte aus, daß bei Weinberg und Kroitsch

gefochten worden,

wie flüchtende Weiber

ihm berichtet hatten.

Morgen sind wir im Klaren, wenn nicht

schon in der Nacht Couriere hier durcheilen; deshalb fleißig aufgepaßt!

Wir aber, denk'

ich, bleiben bis dahin beisammen.

11 Bald nach Mitternacht sprengte ein Reir

ter in den Hof. Alles sprang auf, der Baron flog die

Treppe hinab. Alsbald hörte man seinen Zür belruf: Viktoria! Viktoria! indem er zur gleich mit einem Briefe in's Zimmer tret. Ein junger Bursche folgte ihm auf dem

Fuße. Von Viktor, meine Freunde; es ist seine

Hand!

Er riß eine Karte aus ihrer Umhüllung, welche folgende mit Bleistift geschriebene

Zeilen enthielt: „Gott hat uns den herrlichsten Sieg »fit# liehen. In wilder Auflösung flicht der Feind.

Tausende liegen im kalten Bette der Kahr bach.

Dreißig Geschütze find unser, York

und Sacken die Helden des Tages.

Hngo

ist gesund, eben hab' ich ihn gesprochen.

12 Auf dem Schlachtfeld« an

der

Kahbach,

Viktor."

acht Uhr Abend».

Der Major fiel ans seine Kniee und hob dankend im stillen Gebete die Arme zu Ihm empor, der diese Segensfülle von Seine» niederrhauen ließ.

Himmeln

Kein

Auge

blieb trocken. Arme schlangen flch um Arme, Herzen sanken an Herzen. In'»

Dorf mit

Glocken geläutet? rief der Major.

der

Nachricht l

Die

Die Schläfer geweckt? Orffnet Speicher und Kel­

ler, erquickt die Bedürftigen; allgemein soll die Freude seyn?

Und nun komm her. Du tapferer Bursche, führ er fort, sich gegen den Boten «endend, und nimm hier die» für Deine« tüchtigen

Ritt.. Dring'» Deinem Vater, wenn Du einen hast?

Er drückte ihm die voll» Börse

in die Hand.

Der Vater ist mit in der Schlacht ge-

13 tvesen,. ane zwei Brüder; mich wollten sie

nicht nehmen, weil ich noch zu jung sey, sagte der Knabe, verlegen über das reiche

Geschenk. Auch wäre ich gar nicht wegge,

ritten, hätte mir der Herr Offizier nicht ein Beutepserd geschenkt, da» hat denn tüchtig,

heran gemußt. Nun trockne Dich, Bursche! Iß, trink,'

schlaf uiw dann suche Dir den Dater und die Brüder!

Mein lieber Junge, sagte Claudine —

der Offizier, der Dir de«-Brief gegeben — erzähle mir von ihm, wie sah er aus?

Naß, naß, wie die ganze Armee! sagte der Knabe.

Der Major schlug ein lautes Gelächter

auf. Schick' ihm doch trockne Wäsche, Clan, dine ! rief er, indem er sich beide Seite»

hielt.

14 Von jetzt an waren die Waffen [bet Ver­

bündeten fast immer vom Siege gekrönt.

Metz« intiü metzr durften die deutschen Her­ zen einem glücklichen Ausgange dieses Na­

tionalkampfes entgegensetzen, bis endlich, nach manchem mühevollen Tage, durch die drei, tägige Riesenschlacht von Leipzig Deutsch-

lrmd -für immer von einem Joche befreit wurde, welches es so lange schmachvoll ge­

tragen hatte.

Nicht lange darauf begrüßter» die Sieger

die grünen Wellen des Rheins, und in der

Neujahrsnacht wurden durch den Uebergang bet Kaub die letzten Fessel» gesprengt, welche eine drückende Knechtschaft diesem herrlich­ sten aller deutschen Ströme aufcrlegt harre.

Drei mächtige, siegreiche Heere betraten mm endlich eine» Boden, der zahllose Gri-

j-eln über Europa ausgesendet, aber selbst seit zwanzig Jahren keinen Feind gesehen

15 halte.

Aber so wollte es die allwalkende

Gerechtigkeit. Sinken sollte Vic stolze Dai bel, welche soviel Unheil über die Welt %ts

bracht, vor einem Feinde sich trugen, dessen Ohnmacht sie in stolzer Vermessenheit so lange verspottet hatte.

Der Himmel hatte gnädig bisher unsere

jungen Freunde beschützt; ihre fröhlichen Zü> schriften aus Frankreich bereiteten reichen Genuß.

Die Präsidentin glaubte Wunder jju tb leben; sie vermochte kaum das Unerwartete

zu glauben, welches sich so großartig und überraschend entwickelte.

Die Entfernung

der Gefahr durch die erste siegreiche Schlacht hatte bereits zugleich den Hauptgrund fäü

ihre Reise beseitigt und den Entschluß er­ zeugt, bis zum Eintritte des FriebmS in

Lindenan zu bleiben. Aber, was sie von Tag zu Tage verscho,

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6en hatte, eine Eröffnung gegen Elaubinen, glaubte flr nicht länger vorenthalten ju dürfen. Wie schmerzlich et ihr auch war, daß gerade ihr auftrlegt seyn mußte, den Frie­

den ihrer Nichte zu stiren undi ihr Herz zu bekümmern, dennoch, da Alle« ring« um sie

in unglaublicher Verblendung schwieg um»

ein holde« Geschöpf an dem Rande eine« Abgrunde« unrettbar schwebe» ließ, glaubte

sie sich zum Handel» berufe». Noch einen Versuch wollte sie machen,

di« itfung der schweren Aufgabe einem An­ dern aufzubürden, dann aber war sie fest

entschlossen, zu handel», und hatte dazu ei­ ne» Zeitpunkt abgewartkt, wo der Trcnnungtsihmerz überstanden war und der glück­

liche Gang der Weltbegebenheitrn Claudinen« Herz stärker und gefaßter anzutreffen hoffen ließ.

17

Noch einmal komme ich Dir, Dru, der. Dir das Glück Deiner Tochter an'S Herz zu legen, sagte dir Präsidentin, in das Zimmer des Barons tretend. Hast Du mich Aleich einmal schon abgewiesen, dennoch for­ dert die Pflicht von mir, noch einmal zu Dir zu reden. Zu dringend ist die Gefahr, als daß ich länger schweigende Zuschauerin bleiben dürfte.

Du erschreckst mich, Schwester! sagte der Major lächelnd; was hast Du den«» Wieder einmal auSgekundschaftet? Vieles, Bruder! doch davon nachher. Jetzt frage ich Dich nur: Was soll aus der Liebe Viktors und ClaudinenS werden, ei­ ner Liebe, die so leidenschaftlich ist, daß sie schon längst nicht mehr sich zu verbergen vermocht hat?

Laß sie sich lieben, Kind! was geht das III.

2

18

«ns an? Sie werten besser wissen, Wa­ ste wollen, ais wir es ihnen sagen binnen. Gut, so will ich Dir sagen, was sie wünschen, was sie hoffen: eheliche Verbin­ dung ! Der Tausend! rief der Major, sollten sie wirklich so kühne Pläne haben? Erlaube wir, zu zweifeln. Viktor- Beschei­ denheit und sein Stolz, neben ClaudinenDemuth — Bruder, Du kennst die Liebe nicht! Glaube mir, sie lieben sich mit schwärmeri­ scher Gewalt. Nun, etwas Schlimmere- kann doch nicht daraus entstehen, Schwester, als eine fröhliche Hochzeit? Hochzeit? wiederholte die Präsidentin bekümmert. Hast Du mir nicht selbst er­ öffnet, daß Deiner Tochter Hand versagt sey? DaS hab' ich allerdings; aber wie, wenn

19 ich nun gerade Viktor» gemeint hätte? — Er sah die Präsidentin mit einem schlauen

Lächeln an. Bruder, rief die.Präsidentin eifrig, Du

spielst ein falsches Spiel. Glaube mir, ich durchschaue cs ganz.

Wisse denn, Claudine

kann nimmer Viktors Gattin werden! Der Baron blickte seine Schwester trnst an. Und warum nicht? fragte er.

Erspare mir die Antwort! Du kennst

besser als ich dieses unnatürlichen Verhalte nisses Zusammenhang.

-enden Bitten.

Erhdre meine drin,

Lüste den Schleier, , der so

vstle bittere Täuschungen verdeckt ; bedenke

das Glück Deiner Tochter, sage ihr selbst, daß sie nicht länger einem Wahne folgen

soll, der sie rettungslos bechörtl

Bei Gott, ich verstehe Dich nicht! fiel

der Major ihr in die Rede. nicht länger in Räthseln!

So sprich

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ES sey! sagte die Präsidentin nach einer Pause gefaßter. Viktor kann deshalb nie Dein Schwiegersohn werden, weil er Dein Sohn, weil er Claudinens Bruder ist! Hugo ist das Kind des Pfarrers! Der Major erblaßte und sprang erschrocken vom Stuhle auf. Um des Himmels willen, Schwester! rief er, wie erfuhrst Du dies? Du hast Dich oft genug verrathen, er# Wit bette die Präsidentin, und lange schon ahnete ich dies Geheimniß, bis endlich eine aufgefundene alte Correspondenz mir um zweifelhaften Aufschluß gab. Erinnerst Du Dich eines Briefes von Holm vom ersten December siebzehnhundert ein und neunzig? Der Major ging mit verschlungenen Ar­ men unschlüssig im Zimmer umher. Er ging zum Fenster, trommelte an den Schei, den und irat dann plötzlich vor seine Schwe­ ster hin.

21

Versprich mir, dieses Geheimniß, dessen Du gegen meinen Willen Dich bemächtigt hast, in Dir zu verschließen. Gern, lieber Bruder, sagte die PrLstdentin, vor der ganzen Welt, auch vor der Hand noch vor Hugo und Dabet, aber nim­ mer vor Claudinen. Keine Macht der Welt soll mich abhalten, ihr zu offenbaren, daß fle ihren Bruder liebt. Und welche Entschädigung willst Du ihr rem verwaisten Herzen bieten, Schwester? Keine andere, als den Bruder, und mit ihm den seltensten Schah, in dem treff­ lichsten Manne. Kann Geschwisterlieve ihr den Verlust ersehen, Schwester? Sagst Du nicht selbst, ihre Neigung sey die innigste, leidenschaft­ lichste? Die Leidenschaft muß schweigen, sobald die Natur ihr Befriedigung versagt. Ein

22

jäher Schmerz, einige Tage der Trauer und sie hat überstanden, um eines viel reinern Glücks zu genießen.

Es geht nicht, Schwester, Du sollst. Du darfst ihr nichts sagen. — Ich bitte Dich, setzte er sanfter hinzu, wenigstens bis zum hergestellten Frieden gieb Anstand. Keine Stunde länger, ich kann'S nicht verantworten!

Es ist meine Tochter, Schwester! be­ gann der Major nach kurzem Schweigen, und der Vater sollte sich wohl berechtiget glauben, das Geschick seines Kindes allein leiten zu dürfen. Aber nichts vermag Dei­ nen Vorsatz zu hindern, sobald Du ernstlich entschlossen bist. So laß mich denn wenig­ stens erst mit Holm zu Rathe gehen, dem einzigen Manne, der um die- Geheimniß weiß.

23

Der Baron klingelte, um seinen Freund zu beschicken. Meine Unvorsichtigkeit hat unS verrathen, alter Freund! sagte der Major, als der Pfar­ rer in's Zimmer trat; unser Geheimniß ist entdeckt und damit guter Rath theuer. Claudine wird Alles erfahren, ehe unsere Pläne reif sind! Er zog den Pfarrer in das Fenster und die Präsidentin verließ das Zimmer. Nach einer langen Unterredung kehrte der Pfarrer in seine Wohnung zurück. Der Baron rief seine Schwester. Noch einmal erschöpfte er seine Bered­ samkeit an ihr. Er verhieß, bis zum Frie­ den Alles aufzuklären und zu vermitteln, Claudinen langsam vorzubcreiten und ihrer Neigung wo möglich eine veränderte Rich­ tung zu geben. Aber Jene erschien um so gereizter, je

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länger der Gegenstand besprochen ward, und um so! heiliger erschien ihr die obliegende Pflicht; hatte doch der Pfarrer durch sein stummes Entweichen selbst seine und seineFreundes Sache aufzugeben geschienen. Ihr Vorsatz blieb unerschütterlich. So schieden die Geschwister in Unfrieden.

War es wirklich des Barons Absicht gee wesen, ein so wichtiges Familiengeheimniß streng zu bewahren, so hatte er die nbthige Vorsicht verletzt. Seine vorwaltende Zärtlichkeit für Vi'k/ torn, sein schwach verhehltes Bestreben, ihn mit Claudinen in nahe Beziehungen zu bringen, endlich das erste Gespräch mit der Präsidentin, in welchem er so offen auf ein geschwisterliches Verhältniß der jungen Leute angespielt hatte, gaben einer so weltklugen

25 unb aufmerksamen Beobachterin hinreichende

Veranlassung zum Verdacht, dessen Spuren

sie eifrig verfolgte. Oester hatte ihr Bruder seitdem Diktom und Elaudinen mit dem Geschwisternamen geneckt; ganz verblendet schien er gegen ihre

von Tag zu Tage wachsende Neigung; im# niet leidenschaftlicher hatte er Viktor» ge#

rühmt, mit Vaterzärtlichkeit ihn bewillkomm^

net, oftmals ihn Sohn genannt; ja, die Präsidentin

hatte selbst aus abgerissenen

Aeußerungen in Gesprächen ihres Bruders

mit dem Pfarrer die Bestätigung ihres Der#

dachts entnommen. Glaubte sie nun gleich ihrer Sache ge#

wiß zu seyn, so blieb doch Irrthum mdg# lich, und sie besaß zu viel Ueberlegung, um schon jetzt mit ihrer Entdeckung hcrvorzu# treten.

Ihre verdoppelte Aufmerksamkeit begüu#

26 fügte der Zufall.

An dem Morgen der

Reise nach dem Gebirge hatte die Präsiden,

tin, da ihr Bruder, wie wir wissen, sehr zeitig mit. Hugo und Diktorn in's -Feld ritt,

dessen Zimmer reinigen lassen.

Bei dieser

Gelegenheit war sein Schrcibpult von der Wand abgerückt worden, indem eben zufäl,

lig die Präsidentin in's Zimmer und bald darauf absichtslos an die hintere Wand des Schrankes trat, wo sie ein beschriebenes

Blatt bemerkte, welches durch eine Spalte im Holze hervorragte und dem Herausfallen

Nahe war.

Sie zog es hervor, doch blieb ein Theil desselben, von der Spalte eingeklemmt, ab,

gerissen stecken.

Ein flüchtiger Blick auf

die ersten Zeilen überraschte sie, dann las

sie erstaunt den ganzen Inhalt. Es war ein Brief des Pfarrers an dtn Baron, folgenden Inhalts:

27 „ Lindenau, den i. December 1791." „Du übst wenig Schonung, mein theu«

rer Waldau, allen meinen Einwendungen

nur mein Wort entgegenzusetzen, dar ich in einem heiligen Moment der Freundschaft,

in schwärmerischer Aufwallung der Gefühle Dir gab, zur Ausführung Deines abenteuer« lichen Planes mitzuwirken.

In dem befer

ligenben Gefühle, einen solchen Freund zu

besitzen, würde ich Alles gewährt haben, j« des Opfer hätte mir zu gering gebäucht.

Und so denke ich noch."

„Doch mehr und mehr hat seit Deiner Abreise der besonnene Verstand seine Rechte

gefordert.

Je länger ich nachdachte, um so

mehr Schwierigkeiten erhoben sich mit allen

möglichen Folgen des gefahrvollen Spieles vor meinem Blick." „Zweimal hab' ich Dir meine Besorg«

uisse, ja selbst meine Abneigung zu erkennen

28 gegeben, ohne Dich dadurch zur Entsagung

einer Idee bewegen zu können, die einer

romantischen Stimmung ihr Daseyn ver/

dankt und von deren Ausführung Du Dir eine Fülle

anziehender Verhältnisse

ver«

sprichst."

„So hab' ich denn, treu meinem über/ eilt gegebenen Worte, auf Dein dringendeBegehren Deinen Willen erfüllt.

Gestern

sind die Wärterinnen, reich beschenkt, ent/

lassen worden, die Kinder haben die Woh/

nungeii gewechselt."

„Nur in einem Punkte habe ich Deine Vorschrift überschritten. Es war mir un/ möglich, Deine Gattin zu täuschen. Ihr mußte ich Alles sagen." „Du kennst ihre leicht widerstrebende

Natur.

Sie verläugnete sich auch diesmal

nicht, und wahrlich, wer sonnt* es ihr bei solchem Anlaß verdenken? Es kam zu leb/

29 haften Erörterungen.

Ich legte ihr nun

Deine Briefe, den letzten unwandelbaren, an mich gerichteten Auftrag vor.

Sie erbat

sich Bedenkzeit und verlangte nach meiner Frau.

Nach einer langen Unterredung wil­

ligte sie nicht nur ein, sondern ein schwär­ merischer Wetteifer scheint Beide ergriffen

zu haben, wer das fremde Kind am liebe­

vollsten warten werde." „Ohne die liebende Hinneigung beider Frauen zu einander wäre ich wohl nimmer

zum Ziele gelangt." „Uebrigens ist jeder möglichen ernstli­ chen Verwechselung vorgebeugr.

Eigenhän­

dig habe ich durch Angaben über jenes Diaal, welches------- " (An dieser Stelle war jenes Stück des

Briefes abgerissen.)

„die Identität sichcrgestcllt."

„So haben denn seit wenig Stunden

30

Misere Söhne Stand und Namen gewechftlk. Mögen wir niemals Ursache haben, diesen gewagten Schritt zu bereuen. Dein Holm." So war denn für immer jeder Zweifel gelöst und alle ihre Ahnungen durch diesen Brief bestätigt. Daß eine jugendlich-schwärmerische Freund/ schäft solcher Entschließungen fähig sey, de/ griff die Prästdentin wohl, allein die Ver/ langrrung dieser Täuschung bis zum reifen Jünglingsalter schien ihr tadelnswerth, und unverantwortlich derLeichtstnn, mit welchem ihr Bruder und das Holm'sche Ehepaar Claudincns unschuldiges Herz einer so ge­ fährlichen Probe unterwerfen konnten. Zwar zweifelte fie nicht, daß Claudinens Leidenschaft schnell verlöschen werde, sobald fle erführe, daß Viktor ihr Bruder sey; aber dennoch war eS nicht zn entschuldigen, daß man die

31

Liebenden in ihrer Unschuld so weit hotte ge­ hen lassen. Der erste Gedanke der Präsidentin ging dahin, ihrer Nichte das Verständniß zu er­ öffnen und so mit einem Schlage den Trug zu vernichten; aber in Erwägung der seligen Gefühle, welche ClaudinenS Herz er­ füllten, schien es ihr zu grausam, gerade jetzt ihr Glück zu stören. — Ohnedies war Viktors Anwesenheit nach Tagen zu berech­ nen, und seine Abreise entfernte ja die wach­ sende Gefahr des Augenblicks. Sie beschloß daher, beide Paare genau zu beobachten, sie auch zu warnen, für nä­ here Eröffnungen aber eine ruhigere Zeil abzuwarten. Fast aber wäre sie diesem Ent­ schluß untreu geworden, als die im Un­ willen und Verdruß beschlossene Abreise sie zu rascherer Ausführung ihres Vorsatzes anzutreiben schien.

32 Aus diesem Zusammenhänge der Sache

wird auch da- ganze, oft räthselhafte Be­

nehmen der Präsidentin erklärbar.

Ihre

Bdrliebe für ihren Neffen Viktor, wie ihre

entschiedene Abneigung gegen Hugo, den Pfarrer-sohn, die Mißbilligung von BabetS

Neigung für dieseli, ihre Kälte, ihr vorneh­ mes Betragen gegen die Pfarrerin, endlich

ihre Geneigtheit, Viktor- Regiments-Com­ mandeur in seinen Bewerbungen um Clau-

dinen zu unterstühen. Unerträglich ward ihr daher das heftige,

rücksichtslose Betragen Hugos, der sie auf der ganzen Reise absichtlich vernachlässigte

und sich mit stets wachsender Zärtlichkeit um ihre Tochter bemühte und, wie von ei­

nem geheimen Zuge der Natur geleitet, sich

und Babet dem Schutze der Pfarrerin ver­

trante. Nachdem sie in zorniger Aufwallung an

33

jenem Ballabende die Liebenden durch vor, gebliche Krankheit getrennt hatte, ließ sie durch einen Vertrauten jene Zeilen schreiben, welche unsere jungen Freunde so lebhaft be, schästigten. Und wahrlich war cs ihr bei ihrem Charakter in dieser Stimmung hoch anzurechncn, baß sie überall der Wahrheit getreu blieb und sogar den Ausgang von Hugos Liebe nur als großen Schwierigkei, ten unterworfen schilderte. Als aber nun dieser Pfarrerssohn am nächsten Morgen sich geradezu unartig er, wies, durch Spott und Hohn sie kränkte, als ihr Bruder und seine Eltern ihn darin gewähren ließen, da mußte eine Umgebung ihr völlig verhaßt werden, in der sie sich niemals ganz heimisch gefühlt hatte. Nach der letzten Unterredung mit ihrem Bruder kam nun Alles darauf an, bei der betrübenden Mittheilung ihre Nichte mög, in.

3

34 liehst zu schonen und diese allmählig auf die

Eröffnung vorzudereiten, welche am Abend erfolgen sollte. Sorglos, keines andern Kummers sich

bewußt, als der Trennung von dem Geliebt ten, hüpfte Claudine durch das Zimmer. Die Präffdentin stützte ihr Hckupt in die

Hand und blickte ihre Nichte nachdenklich. Mit sorgenvoller Miene an. Du bist doch nicht unwohl, liebe Tante?

fragte Claudine theilnehmend. Ich war mit Deiner Zukunft beschäftig get, theures Kind! erwiederte die Präsiden­

tin, und da überkamen mich recht trübe

Gedanken. Himmel, was ist vorgefallen? rief Claudine erblassend. Hast Du Nachrichten vom

Bruder, von Viktor? Keine anderen, als Du, die besten. Von

dort her droht Dir kein Kummer, liebe

35 Claudine; aber laß Dich darauf aufmerksam

machen, daß unter den mannichfaltigen Täu­

schungen des Lebens dem Menschen die Wahr­ heit allezeit willkommen seyn muß, auch wenn

sie schöne Träume zerstörte. — Auch Du hast lange geträumt, geliebte Claudine, be­ reite Dich daraus vor, zu erwachen. Aber

in dem Verluste, der Dir droht, bereitet sich Dir ein reicher, herrlicher Ersatz vor. WaS

Dir theuer war, wird es auch künftig blei­

ben, nur die Form deS Verhältnisses erlei­ det eine Veränderung.

Es bedarf einer

ruhigen, ungestörten Stunde, mein Kind; heut Abend sag' ich Dir Alles. Sie umarmte darauf mit Zärtlichkeit ihre bebende Nichte und verließ das Zim­

mer. — Das schöne Haupt gesenkt, den

trostlosen Blick an den Boden geheftet, mit herabgesunkenen Armen und gefalteten Hän­ den blieb die arme Claudine zurück. Große

3*

36

Thränen entfielen ihren Augen. Langsam hob sie den nassen Blick zum Himmel an; por und mit einem schmerzlichen Seufzer sagte sie: 0 meine Ahnung! ES ist vorbei mit meiner Liebe, mit allen reichen Hoffnungen dieses jugendlichen Daseyns!

DaS Abendessen war still und einsylbig vorübergegangen. Der Major war ernst und in tiefes Nachdenken versunken. Er tti hob sich zeitiger wie gewöhnlich und ver­ schloß sich in sein Zimmer, um Briefe zu schreiben.

Willst Du mich auf mein Zimmer be­ gleiten, liebe Claudine? sagte die Präsiden­ tin, indem sie aufstand. — Kalter Schauer ergriff das holde Geschöpf bei diesen Wor-

37 ten.

Sie erhob sich, keiner Antwort fähig,

und reichte der Tante die zitternde, kalte

Hand. Beide hatten auf dem Kanapee Platz

genommen.

Mache es kurz, liebe Tante! sagte Clandine mit leidender Stimme.

Enthülle das

unabwendbare Geschick Deiner unglücklichen Nichte; nicht länger ertrage ich diese fol­

ternde Ungewißheit.

Ich ahne schon, wo­

hin der drohende Schlag gerichtet ist, der mein Glück vernichten soll.

Wie gern hätte ich Dir diesen Schmerz erspart, mein holdes Kind, begann hierauf

die Präsidentin; aber da Alles um Dich

verstummt, da Dein eigner Vater in heil­

loser Bethbrung schweigt, traurige Amt

übernehmen.

muß ich dies

Sey

offen,

meine liebe Claudine, und vertrauensvoll.

Nicht wahr. Du liebst Viktvrn?

38 0, quäle mich nicht länger! rief Clau-

dlne; sprich es endlich aus, daß ich ihn verloren habe!

Ja, Du wirst ihn verlieren, mein ar­

mes, gutes Kind, um ihn für ein anderes,

reineres und wandclloscres Verhältniß wie­ der zu gewinnen.

Fassung denn, Claudine;

Viktor ist Dein Bruder! Mit einem dumpfen Schrei deS Ent-

sehens sank Claudine auf ihre Kniee und . I

verbarg das Haupt in das Gewand ihrer

Tante.

Die Prästdentin ließ ihrer unglücklichen

Nichte Zeit,

sich zu erholen; sie schwieg

und ließ nur liebevoll ihre Hand unter sanf­

tem Druck auf Claudinens Scheitel ruhen.

Lange verweilte diese

schmerzvernichtet

der demüthigen Lage.

Dann, bleich, zit­

in

ternd, die schincn Züge von der heftigen Erschütterung ganz verwandelt, sprang sie

39 auf, und mit verstörten Blicken die Tante

anschauend, sagte sie: Ich lebe noch, diese

störrischen Fiebern meines Herzens sind nicht

einmal gerissen unter dem ungeheuren Weh.

So laß mich denn Alles erfahren, vielleicht erfüllt sich die schwache Hoffnung in mir,

daß Deine Erzählung mich tödten könne! Claubine! rief die Präsidentin erschrokr

ken, diese starre Verzweiflung hab' ich nicht befürchtet. Ist das Dein demüthigesDer,

trauen auf Gott? Er weiß nichts von mir in dieser Stunde,

er hat mich verlassen. Was diese Minute mir raubt, kann seine reichste Gnade mir

ewig nicht ersetzen. Frevlerin! rief die Präsidentin, Du

sprichst im Wahnsinn!

O ihr himmlischen Mächte, die ihr oben in kalter Höhe die Welt regieret, rief Claur

dine, indem sie auf ihre Kniee stürzte und

40 die Hände betend erhob, ich habe nur einen

Wunsch, nur ein Gebet.

Schenket mir,

ist mir der Tod versagt, den schmerzenstil, lenden Wahnsinn, verwirrt dies Gehirn und begrabt mein Gedächtniß in ewige Nacht! Claudine, höre mich! rief die Tante, au, ßer Fassung aufspringend, und sey empfäng,

lich für ein Wort des Trostes.

Claudine sank in tiefer Ohnmacht, blaß wie der Tod, auf den Teppich hin.

Jetzt steigerte der Präsidentin Sorge

sich bis zur Ängst, und doch wagte sie nicht. Hülfe zu rufen. Mit der Kraft der Der, zweiflung hob sie ihre Nichte auf, legte sie

auf das Kanapee und bestpich mit geistigen

Mitteln ihre Schläfe. Endlich öffnete Claudine die Augen wie,

der, und ihr scheuer Blick traf ihre besorgte Pflegerin.

Ist es keine Täuschung, Tante,

41 ist er mein Bruder? fragte sie mit klagen, der Stimme.

Fasse Dich, geliebtes, theures Kind! er,

wilderte diese unter zärtlichen Liebkosungen; welchen tätlichen Schreck hast Du mir ge,

macht!

Nach kurzem Nachsinnen fuhr Claudine

heftig zusammen und sagte dann mit von

Fieberfrost bebenden Lippen: Dring' mich

zu Bett, ich bin recht krank, wolle Gott, zum Sterben krank!

Zu Bett! zu Bett,

Tante! und bann sag' dem Vater, wie

elend seine Claudine ist. Sie erhob sich und wollte fort, allein

die Füße versagten ihr den Dienst. stützte sich auf die Tante.

Sie

Es wird schon

gehen, sagte sie, unterstütze mich! Qualen der Verzweiflung im Herzen,

ihren übereilten Schkitt tausendmal verwün,

schend, geleitete die Präsidentin ihre Nichte

42 auf ihr Zimmer, sandte eilig nach dem Arzte und flog dann zu ihrem Bruder hinüber. — Noch war, seine Thür verschlossen.

Der

Major öffnete und erblickte mit Befremde«

seine Schwester, auf deren Gesicht die deute

lichsten Spuren einer inneren Zerrüttung lagen.

O, hätte ich nimmer dieses Haus betreu ten! sagte die Präsidentin, in dem ich nur

Schmerzen erfahren und bereiten soll.

Un­

ter meinen Mittheilungen ist Claudine ohn­

mächtig dahingesunkcn und liegt nun krank in ihrem Zimmer.

Fluchwürdige Vordringlichkeit der Wei­

ber! rief der Major aus; wo es nur Unheil anzustiften giebt, ist ihre Hand gewiß im

Spiele! Er wandte sich von ihr und ver­ ließ eilig bas Zimmer.

Guter Vater, sagte Claudine, dem Ba­

ron, der an ihr Bette trat, die Hand rei-

43 chend, ich habe Dir unnöthigen Schresk ge, macht, sey mir nicht bös.

Es hat mich

hart angegriffen, ich glaubte es nicht ju

tragen; doch nun sendet Gott Mir Thränen,

und ich fühle mich erleichtert. — Ihr hättet

mir's wohl etwas früher sagen können, fuhr

sie wehmüthig fort, doch Ihr wußtet f« nicht, wie sehr ich ihn liebte. — Claudine, sagte ihr Vater, ich hatte schöne Pläne mit Dir, und gegen meinen Willen

hat dieser Schmerz Dich getroffen, welchen Du dem unzeiligen Eifer Deiner Tante

verdankst. Freilich, erwiederte Claudine, hätte mit dieser Gram erspart werden können, e-

wäre wohl schön gewesen.

Ach, mir sind

für immer wohl alle Freuden gestorben.

Doch zürne der Tante nicht, sie hat es gut gemeint, und endlich mußte ich es ja doch erfahren.

44 Bei diesen Worten trat die Präsidentin

in's Zimmer.

Claudine streckte ihr die

Hand entgegen. Vergieb mir, Tante, sagte

sie mit rührender Ergebung, daß ich Dich so geängstiget habe.

Waren doch alle meine

Sinne verwirrt. Zn heißem Gebete habe ich mich zu Gott gewandt, er hat gnädig

meinem Wahnsinn verz'rhen. Holder Engel, sagte die Präsidentin, ich

klage Niemand an, als mich selbst. Nicht lange darauf kam Silvius. Clan-

dine richtete sich auf und ein matter Schim-

mer von Freude überzog ihre bleichen Wan-

gen.

Laßt mich mit ihm allein, bat sie

dringend, ich kann es vor Zeugen nicht aus­ sprechen, was ich leide.

Der Baron winkte seiner Schwester. Beide verließen das Zimmer.

Die Zeit ist eilig gekommen, hob Clau-

dine an, daß ich Ihrer Hülfe bedarf. Meine

45 Seele ist von Schreck und Gram zu heftig angegriffen worden, darüber bin ich erkrankt.

Ach, Silvius, Sie wollten der Beschützer meiner Liebe seyn, und nun sind Sie zu ihrem Grabe geladen!

Was ist hier vorgegangen? sagte der Alte, der Claudinens Hand ergriffen und ihren Puls untersucht hatte. Ein einziges Wort, Silvius, hat ein

laUges Glück für immer vernichtet.

Ach,

ich vermag ja nicht, es auszusprcchen. Heiße Thränen strömten über ihre Wanr

gen, und angstvoll barg sie das schmerzmüde

Haupt in die Kiffen. Doch bald sich aufr

richtend und die Hände trostlos ringend,

flüsterte sie leise:

Er, der mein Geliebr

ter war, er ist mein Bruder! Selbst der unerschütterliche Alte erbebte

bei diesen Worten.

Und wie hängt bas zur

sammen? fragte er zürnend.

46 Ach, ich habe den Zusammenhang noch

nicht erforscht, entgegnete Claudine. Don wem kommt die Nachricht, Fräulein?

Von der Tante, sagte Claudine; aber

der Vater selbst kann ihr die Bestätigung nicht versagen. ES gehen wunderliche Dinge im Leben

vor, hob Silvius an, je unglaublicher, aber um so wahrer.

Doch sprechen Sie mit der

Tante, ich gehe, einen beruhigenden Trank

zu bereiten. Ein Glück, daß hier eine kräfr

tige, frische Natur den Stoß erlitt.

Man/

ches Theegestcht läge schon im Nexvenficber. — In einer Stunde bin ich wieder hier.

Er beruhigte im Weggehen die Präsidentin.

Claudine blieb mit der Tante allein. Ich bin jetzt stark genug, hob sie an. Dich ganz zu hören. Der Umfang meines

Verlustes ist einmal enthüllt, kein Gott vermag das Unvermeidliche zu ändern; so

47

laß mich denn das dunkelste Blatt meineLebens ganz lesen. Mit der möglichsten Schonung entwikteile nun die Präsidentin Elaudinen den Gang ihrer Entdeckungen und schloß, indem sie ihr jenes Schreiben deö Pfarrers vorlas. Schon während dieser Erzählung, welche alle Schmerzen der Kranken neu erwecken mußte, hatte die Präsidentin öfter des Glük kes erwähnt, das der Besitz eines solchen Bruders gewähren müsse, und endigte nun mit den Worten: Jede Liebe, Claudine, bringt Schmerze«, nur nicht Derwandtenliebe. Unwirksam geht die Zeit an ihr vorüber, sie vermag ihr nichts von dem heitern Glanze zu nehmen, der uns dauernd auch noch in Jahren bee glückt, wo auch die leidenschaftlichste Neie gung längst erstorben ist. So freue Dich denn dieses herrlichen Bruders, der Dir so

48

unerwartet zugeführt wird und vertraue darauf, daß die Leidenschaft, welche Dich jetzt entflammt, sich in eine mildere, be, glückender« Liebe umgcwandelt haben wird, ehe Du es denkst.

Allein diese wohlmeinenden Worte ver, mochten Claudinen nicht aufzurichten. Zu hohe Seligkeit hat der Schöpfer in die Liebe des Mannes zum Weibe gelegt, nm solches Glück durch die arme Neigung unter Ge, schwistern aufzuwiegen. Zu viel Unwahres

enthielten überdies die Gründe der Tröste, rin, um Eingang zu gewinnen. Mit wel,

chcn leuchtenden Farben Jene auch den Werth der Gcschwisterlicbe schilderte, ihr

eignes Verhältniß zu dem Bruder wider, sprach ihrem Bilde. Wie sehr das eheliche

Verhältniß aber noch in späten Jahren be, glücke, davon gab das Holm'sche Paar ei,

nett nahen, schönen Beweis. Und bei dem

49

brüderlichen Verhältniß vergaß die Prüf,

dentin gänzlich, daß Claudine nur gewann, nm zu verlieren, ihren Hugo nämlich. Aber es gewährte ihr keinen Trost, ihrer Tante

dies entgegenzusetzcn. Ich danke Dir, Tante, sagte ste; Du

meinst es gut.

Mag dieses kranke Herz

auch immerhin längerer Zeit bedürfen zu seiner Genesung, als Du ihm zugestehst, Gott wird sein Kind nicht verlassen und eS

aiifzurichten wissen in schwachen Stunden. —

Sie legte den verhängnißvollcn Dries zu,

stimmen und verbarg ihn an ihrem Dusen. Wie geht eS Dir, mein theures Kind? fragte der Baron, der jetzt in'« Zimmer zu,

rückkehrte.

Ich bin gefaßt, Vater, antwortete Clau, Line; bin ich doch Deine Tochter.

Der

erste Augenblick kann mich wohl niederwer, fen, doch eS ist auch etwa- von Deinem

III.

4

so starken Muthe auf Dein Kind übergegan«

gen.

Ich habe nur noch eine Frage und

eine Bitte, setzte sie hinzu.

Weiß er's

schon, Vater? Nein, mein Kind.

Nun, dann laß meine Hand die Trauer«

botschaft schreiben.

Er wird sehr unglücklich

seyn, der arme Viktor! sagte sie und von

Neuem brach sic in bittere Thränen aus;

aber vermag irgend etwas auf dieser Welt ihn aufzurichlen, so wird es die Liebe seiner

Claudine seyn. — Wenige Tage, so hoffe ich, werde» mir die Kraft verleihen, die dieser Schritt erfordert.

Alles geschehe nach Deinen Wünschen,

mein theures Kind, sagte der Major gerührt. Und nun noch Verzeihung, mein geliebt

ter Vater, begann Claudine, daß wir Dir diese Liebe nicht längst gestanden. Er wünschte

es nicht.

Erst wollte er sich eine Stellung

51 in der Welt erstreben, um ohne Erröthen

um mich werben zu dürfen.

So bescheiden

war Viktor und von so edlem Stolze tr,

füllt. — 0 wäre ich meinem Gefühle ge, folgt und hätte mich Dir früher entdeckt,

ehe diese Liebe zu solcher Riesengröße ange, wachsen war, vielleicht wären unsere Herzen

noch zu heilen gewesen. Ich allein bin anzuklagen, meine Doch, ter, erwiederte der Major, doch auch zu

entschuldigen,

wie Du zugestehen wirst,

wenn ich Dir einst in einer glücklicheren

Gründe enthülle, auf welchem Wege ich

die Gefahr zu beschwören gedachte. Aber wo bleibt denn meine lieb« Dabet?

Habt Ihr sie zurückgehalten? fragte Clan, dine.

0 laßt sie zu mir, unsere Herzen

werden sich ganz verstehen.

Ach, auch sie

hat ja einen Verlust zu tragen! Ich habe Babct absichtlich entfernt ge,

4*

52 hglten, sagte die Präsidentin ; nur mit Dir

zu reden hatte ich mir gelobt.

Doch ist eS

gnt, dass auch ste unterrichtet werde.

Aber auch sie n»r allein, fiel der Bae

ran ein; die nöthigen Eröffnungen für Hugo übernehme ich selbst, und was die Welt

davon zu wissen braucht, soll ste erst nach­ dem Frieden erfahren.

Dies ist der feste,

unveränderliche Wille meines Freundes, wie der meinige. Sie haben Dich zurückgchalten. Dabet, redete Claudlne ihre Cousine an, als Beide allein waren, ach, und doch vermag Dein

Herz nur, weil eS selber liebt, meinen

Schmerz zu fassen.

Nimm und lies dieses

Schreiben. Furchtbares Geschick! schrie Babet auf,

als sie den Brief gelesen hatte, der ihrer

zitternden Hand entfiel; laut weinend sank

sie in die Arme ihrer Freundin.

_53—

Das also war eS, sagte sie.jammernd,

was die Mutter meinte, als sie vok lange« Zeit schon Eurer Liebe zu mir gedachte»?

Dies war da- Glück, welches sie Viktor» beim Abschied verhieß?

0 arme, arme

Claudine! Was kann ich thun für Dich?

Giebt es denn nicht Wege und Mittel, um

dieses Geschick abzuwenden? Jede Freude meines Lebens, selbst Hugos Liebe würde ich opfern für Dein Glück. Nein, eS ist

zu entsetzlich! Und der Pfarrer, Dein Va­ ter: wie war es ihnen möglich? Was sagt

denn der Oheim zu dieser furchtbaren Am klage, die sich gegen ihn erhebt?

Er hat die Macht der Liebe wohl nie gekannt, mein herrlicher Vater, darum ist ihm auch die meinige ungefährlich erschiene».

Entschliche Grausamkeit! rief Babet anS, indem sie, ihrer Empfindungen nicht mehr

mächtig, aufsprang.

Sie legt« die Hand

54 an die Stirn. Ja, es soll, eS muß seyn! sagte sie.

Claudine, wenigstens sollst Du

nicht allein

Schmerzen

tragen!

Jedes

Glück ist mir' verhaßt, seit daS Deinige da/

Hin ist.

Ich sollte lächeln können, wo Du

weiust? — Fahre hin denn, Liebe, die du dies unruhige Herz kaum zu beseligen an­

gefangen, auf immer vertilgt aus meinem

Gedächtniß; niemals empfange Hugo diese

Handl Soll ich noch unglücklicher werden, als ich ßchon bm? hob Claudine klagend an; will

auch die einzige Freundin mich betrüben? Wie edel Deine Aufwallung auch ist. Da­

bet, diese Großmulh ist nicht an ihrer Stelle.

Was sprichst Du von Großmulh, Clau, dine? Ist eS doch nur Pflicht, nur Ge­ rechtigkeit, die mich treibt. Hugo hat mich

nie geliebt, sein Mitleid erlog seine Nei­

gung. Dich, Dich hat et geliebt, obgleich

55 Du seine Schwester schienst.

0 ich habe

Alles wohl bemerkt. — Jahre werden ver­ gehen, die barmherzige Zeit wird Deinem Herzen den tödtlichcn Stachel entreißen und

alle Wunden heilen, die jetzt in ihm bluten,

dann wird Hugo freundlich zu Dir treten und sprechen:

„Llaudine, noch lebt die

alte Liebe in meiner Brust und verzehrt mich zum Tode, willst Du mich auch dies­

mal verschmähen?" Und dann, fuhr Da­

bet mit bebender Stimme fort, und dann — Sie vermochte nicht zu vollenden, fuhr mit

der Hand nach dem Herzen und sank laut weinend auf Claudincns Lager hin.

Ungestümes, großmüthiges Herz! sagte Claudine, indem sie die Freundin in ihre

Arme schloß, hast Du nun Dein Beginnen erkannt? Nein, Babel, nur ein Glück zeigt der Himmel mir noch, der mir, ach!

Alles, Alles geraubt. Dir den dornigen

56

Pfad Seiner Liebe zu ebnen. Eine von «ns soll wenigstens glücklich werden. Was stnd meine Entschlüsse, was ist mein Much? rief Babel aus. Strohfeuer! Rasch lodern die Flammen auf, um eben so rasch zu versinken. Du aber, auf den Trümmern Deines Glückes, mit gebrochen nem Herzen, denkst »och fremden Glückes und sinnest. Andern Freude zu bereiten, — Sie wurden durch Silviu- Eintritt um »erbrochen. Unter Bezeugung der lebhaftesten Theilnahme reichte er Claudinen selbst den Trank, den er mitgebracht hatte, und setzte sich dann au das Lager der Kranken. Diese schöne Natur hilft sich selbst, sagte er, und wird des Arztes kaum bedürft». Einige Stunden Schlaf werden Alles in Ordnung br»ngen> — Doch da! da! könnte ich dort nur helfen! er zeigte auf Claudü ncns Herz — dann dürfte ich stolz seyn auf

57 meine Kunst! — Haben Sie mit der Präsir dcntin gesprochen? Mit ihr und mit dem Vater, erwiederte

Claudine, und kenne nun ganz die Unglücke

liche Quelle so vieler Leiden.

Hier, dieser

Dries enthüllt das traurige Räthsel.

Kleine Schrift, und doch so giftig? sagte

der Regimenter.

Ich will den Unhold zu

Hause vernehmen.

Er steckte das Schreie

den ein. Doch vor allem Ruhe, mein theur

res Fräulein!

Sie sind sehr angegriffen.

Gebe der Himmel Ihnen Schlaf!

Im Herangehen stieß er auf den Mar jor, der ihn begleitete. In dem Augenblick war des Rcgimenters weiche Stimmung

gänzlich entwichen. Komödienspiel! —

Narrenspoffen 1 —

sagte er ärgerlich; sie konnte den Tod har

den, das Cugelskind! Oder glaubt Ihr, daß ich hexen kann?

Schon Manche hat

58 sich so abgegrämt, und kein Doktor konnte helft».

Ich bin unschuldig, entgegnete der Da/

ron; aber Weiberjungen richten alles Utv heil an.

Zum Hause hinaus mit ihnen! Mir lassen sie Ruhe, fuhr Silvius auf.

Es ist die Schwester, Alter! Und wenn's die Mutter wäre! Ueber

Bord mit ihr! Aber Ihr habt doch Augen? Die Welt spricht ja von dieser Liebe!

Ich läugne es auch nicht, Silvius, aber, unserm Plane zu Folge, hatt' es noch lange

Zeit. Schöne Pläne,

erwiederte der Alte,

Bruder und Schwester sich verlieben zu

lassen — sie nimmt Gift, er läßt sich in Stücke hauen — das Trauerspiel ist fertig. Ihr habt Recht, Silvius, scheltet nur,

ich hqb's verdient. Das Spiel war zu ge/

59

wagt, doch die Absicht gut. — Wie findet Ihr Claudinen? Ein Lamm ifi's, ein Engel, Baron, «nd eine Natur dabei von Stahl und Eisen. Sie arbeitet sich durch. Doch daß sie muß, ist eben der Jammer. Und das sag' ich Euch, Viktor wird rasen. Das wird er nicht, Silvius, ich kenne ihn besser. Er vermag's nicht, Claudinen «ine trübe Stunde zu bereiten. Er ist ein Mann. Gott geb's, sagte der Alte, obwohl ich nicht in Eurer Haut stecken möchte, Baron, trotz Eurer Pläne. Gute Nacht!

Zweites Kapitel. Die Schlacht von Drienne war geschlagen, Napoleon im Rückzüge und in seinem Heere

59

wagt, doch die Absicht gut. — Wie findet Ihr Claudinen? Ein Lamm ifi's, ein Engel, Baron, «nd eine Natur dabei von Stahl und Eisen. Sie arbeitet sich durch. Doch daß sie muß, ist eben der Jammer. Und das sag' ich Euch, Viktor wird rasen. Das wird er nicht, Silvius, ich kenne ihn besser. Er vermag's nicht, Claudinen «ine trübe Stunde zu bereiten. Er ist ein Mann. Gott geb's, sagte der Alte, obwohl ich nicht in Eurer Haut stecken möchte, Baron, trotz Eurer Pläne. Gute Nacht!

Zweites Kapitel. Die Schlacht von Drienne war geschlagen, Napoleon im Rückzüge und in seinem Heere

60

fast jede Hoffnung erstorben.

Doch noch

einmal sollten seine verzweifelten Angelegenr

heilen eine günstige Wendung gewinnen, noch einmal sollte sein altes Glück auftour chcn und mit ihm die Möglichkeit, einen

vortheilhaften Frieden zu erlangen.

Mit

der ganzen Kraft seines ausgezeichneten Tor lentes wußte er den Moment -und mit ihm den Sieg zu ergreifen; doch mit dem Siege bemächtigte sich zugleich die alte Derblenr

düng seiner und hinderte ihn, einen Friede)»

zu schließen, der wenige Tage später um

keinen Preis mehr zu erlangen war. Der Mangel an Unterhalt hatte nämlich die Verbündeten genöthigt, beim weiteren Vorrücken sich mehr auszudehnen, und es wurde daher beschlossen, daß das Haupthecr längs der Seine, das schlesische Heer aber,

dem Laufe der Marne folgend, auf Paris Vordringen solle. — In der Absicht nut),

_ 61 die Macdonald'fche Hceresabtheilung, welche

sich von Chalons nach Paris zurückzog, von der Vereinigung mit dem Kaiser abzuhalten,

ja, unter Begünstigung des Glücks, sie gar

abzuschneiden, ließ der Feldmarschall seine Heereshaufen

rasch

die Marne abwärts

eilen.

Es war hierbei keine Gefahr, da man mit Sicherheit voraussehen durfte,

dqfi

das Hauptheer der Verbündeten Napoleon auf dem Fuße folgen werde.

aber nicht.

Pies geschah

Statt vorwärts zu dringen und

zu schlagen, wurde manbvrirt; man verlor das französische Heer während zweier ganzer

Tage aus den Augen und dadurch gewann Napoleon Zeit, einen furchtbaren Schlag

gegen das getrennte schlesische Heer zu voll-

führen.

Auf den schwierigsten Seitenwegen plöhr lich von der Seine gegen die Marne sich

62 wendend, schlug cr während weniger Tage

in den glänzenden Gefechten von Cham/

peaubrrt, Montmirail, Chateau Thierry,

Janvillicrs und Etoges die einzelnen Theile des schlesischen Heeres.

Dem letzten dieser Gefechte wohnte un/ ser Viktor bei.

Der unerschütterliche Held,

der alte

Marschall Vorwärts, hatte noch keine Nach/ richt von dem Ausgange der Gefechte seiner Unterfcldherren York und Sacken, dennoch

beschloß er, mit den schwachen Heeresab/

theilungen der Generale Kleist und Kapcze/

wicz zum Angriffe gegen Montmirail vor/

zugehen, um ihnen Luft zu machen.

Doch

bei dem Dorfe V a u ch a m p traf er auf die

ganze französische Macht, und das Gefecht nahm bald eine sehr ungünstige Wendung.

Sobald die Gefahr erkannt war, ward der Rückzug, nicht ohne bedeutende Verluste,

63

angetreten, betten ein so schwacher Heereshausen, von der Uebermacht gedrängt und von einer zahlreichen Reiterei umschwärmt, nicht auszuweichen vermochte. Doch der Kaiser, von diesem Erfolge wenig befriedigt, beabsichtigte die Gefangennehmung der ganzen Abtheilung. Sechs­ tausend französische Reiter hatten sich um das kleine Häufchen preußischer und russi­ scher Krieger herumziehen müssen, um den Rückweg durch den Wald von Etoges völlig zu sperren. Nicht leicht haben jemals Krieger sich­ ln einer gefährlicheren Lage befunden. Her­ einbrechendes Abenddunkel, ein ganz aufge­ weichter Boden, heftiges Drängen in der Stirn, lebhafte Seitenangriffe, der einzige Weg der Rettung vom Feinde schon besetzt, der sieggewohnte Feldherr und sein ganzes Heer von allen Seiten umzingelt.

64 Doch feine G.fahr vermochte die töpfe­

ren Krieger zu erschüttern.

Heut wird

sich's ja zeigen, sagte ein Generakstaabs.Offi, zier, ob der König wirklich ein tapferes

Fußvolk besiht-

Vorwärts! auf den Feind!

Von allen Seiten angefallen, schließen

Nüssen und Preußen sich eng aneinander;

alle Trommeln wirbeln, und so, mit gefall, »ein Dajonet, stürzen diese Tapfern sich mitten in die zahllose feindliche Reiterei,

durchbrechen sie und gewinnen den Eingang

des Waldes. — Da nun unaufhaltsam die Nacht hereinbricht, so hofft ein Jeder einen sichern Rückzug gewonnen zu haben, doch noch einmal soll ihre Standhaftigkeit die Probe bestehen.

Einige feindliche Bataillone, genau fet Wege kundig, hatten, vermittelst eines Fuß,

steigS, früher den Ausgang des Waldes dicht vor Etoges zu erreichen gewußt und brechen

65 hier, von der Seite her, noch einmal her, vor.

Anhaltendes -Gefecht und' di« daraus

entspringende Ermüdung , so wie die Dun­

kelheit der Nacht Haden die Ordnung gelöst; Russen und-Preußen ziehen, bunt unter

einander gemischt, ihre mühevdlle Straße, indem dieser -Angriff erfolgt.

Zur Altake, Gewehr rechts? ruft Vik­ tor, der an der Spitze einer gedrängte»

Haufens Infanterie rettet, welcher keinen Befehlshaber mehr hat.

Fällt 's Gewehr?

Er sprengt gegen die Feinde an, doch von

mehreren Kugeln getroffen, sinkt er vom Pferde und bleibt auf der Wahlstatt liegen, wahrend die Gefährten seines Unglücks un­

ter den letzten Anstrengungen und erneueren

Verlusten das Dorf erreichen. Die unglücklichen Ereignisse dieses Ta­

ges, die drängende Eil, welche allein Ret-

tung'verhieße hatless vie Rücksicht auf Wer,

in.

5

66

wundete heute unmöglich gemacht, die um f» weniger unserm Heiden }u, Theil werden

konnte, als nächtliches Dunkel seinen Fall umfing- So verlassen- in seinen Wunden

am kalten Boden, sand ihn die rettende Hand des treuen Freundes.

Wir haben den trefflichen Heinrich in

dem Augenblicke verlassen, als er zum Ne, gimrnte znrückkehrte, «m seine Wiebexver, eiiiigung mit einem Freunde - zu betreiben,

dem et mit ganzer Seele anhing. — Der Befehlshaber des Regiments hatte seinen dringenden Bitten nicht zu widerstehen »er, möcht und es bald veranlaßt, daß dieser zu, verlässige, umsichtig« Krieger als Ordon­ nanzoffizier vom Regimente in'S Haupt, quartier befehligt wurde.

Da bin ich wieder bei Dir, sagte Hein, »ich, Viktor» freudig die Hand reichend,

um jedes Schicksal mit Dir zu theilen, in

67 der Zuversicht, baß ich dazu berufen bitt,

Dir einmal recht nützlich zu werden. Von diesem Augenblick an übte er sein

altes Recht, immer um Viktorn zu seyn und jede Gefahr von seinem Lieblinge zu

entfernen. Ward Viktor zum Gefechte bc, ordert, so hatte Heinrich gewiß bald Gelee geNheit gefunden, ihm zu folgen, und eigene

Aufträge führte er im Fluge aus, um schnell

wieder bei dem Freunde zu seyn.

Erst beim Einbrüche der Nacht hatte er heute Viktorn aus den Augen verloren. In

banger Dcsorgniß hielt er hinter Etozcs, um seineii Freund zu erwarten, den er bis/ her vergeblich gesucht halte. Da flog uilweit

von ihm Viktors Schimmel über das Feld,

wieherte laut und hielt dann, den befreunbeten Skallgcnoffen witternd, neben Hein­

richs Rappen. — Das reiterlose Pferd be­ zeichnete zu deutlich den Unfall seines Herrn. 5*

68 Augenblicklich kehrte Heinrich mit einiger

Mannschaft

zurück,

seinen

unglücklichen

Freund zu suchen.

Ihn kümmerte eS nicht, daß der Feind noch immer nicht im Rückzüge war, ihn schreckten nicht die häufigen Schüsse, welche

in dunkler Nacht fielen.

Sorge und Angst

trieben ihn unaufhaltsam vorwärts.

Und

welche Wonne beseligte ihn, als er auf dem Punkt des letzten Angriffs, nach langem

Umhertappen, seinen heißgeliebte» Freund

noch lebend fand. Still! sagte Heinrich, noch schwärmt,

überall der Feind umher und hat bas Dorf besetzt, aber Du bist gerettet!

Leise ward

Viktor aufgehoben und zur Seite des Dor/

fes vorbeigetragen, wo es dem unermüdlie chen Freunde gelang, ihn dahin M bringen, wo keine Gefahr mehr drohte. Ich bin nicht gefährlich verwundet, .sagte.

69 Viktor, und werde reiten könrten.

Man

-hob ihn 'aufs Pferd. Bald waren die prem siischen Vorposten, endlich auch da« Lager

bei Borgeres glücklich erreicht: Viktor wurde verbunden. -Es zeigten sich mehrere ungefähr/

liche Streifwunden, aber die Erhaltung sei­ nes Lebens sollte er der Geliebten banken. Eine wirten auf die Brust'einsthlagendc Ku­

gel- hatte die goldene Kapsel mit ClaNdinrnS Bilde

zertrümmert und eine

bcdeukeükr

Quetschung zurückgelassen. Liebliches Bild, sagte Viktor, so hat der

Feind dich! nicht verschont und keine Spur

deines holden Daseysis übrig gelassen? Die

himmlischen Züge, die mich so oft anlächcltat, sind auf immer verschwunden, das liebste Befihlhlttn ist mir geraubt.

Soll ich an

Ahnungen glauben, zum erstenmale in mei­

nem Lebe«? — Aber wie undankbar ist der Mensch, fuhr er gegen Heinrich sott, et

70

trauert, wo er nur freudige Dankbarkeit empfinden sollte. Haben denn nicht Liebe und Freundschaft allein mir dies Leben riv halten? Welche Vereinigung seltener Um/ stände mußte für diesen Zweck zusammen .wirken. Claudine mußte mir ihre Neigung schenken, damit Bertram ihr Bildniß für mich malen konnte, und Du, treuester aller Freunde, mußtest mich unablässig wie eine Hülfebringende Gottheit umschweben, damit ich gerettet wurde. 0 tt ist doch schön, so geliebt zu seyn! Noch in der Nacht brach man wieder auf nach Chalons, woselbst, im Laufe dreier Tage, alle getrennten Abtheilungen deS schlesischen Heeres sich vereinigten, um mit Blitzesschnelle neuen Thaten entgegen zu eilen. Erst jetzt ließen sich 6k Verluste der letzten Tage übersehen. Mancher tapfere

71 Krieger war den Heldentod gestorben, man» cher mit Wunden bedeckt kn Gefangenschaft

gerathen.

Aber auch unter den ungünstig»

sten Verhältnissen hatten Russen und Preu»

sie» in einer Tapferkeit gewetteifert, die ek» ncs glücklichen Erfolgs würdig gewesen

wäre. Unter unsern Freunden war Heinrich das begünstigste Loos gefallen; Bertram war

bei Chateau Thierry gefangen und Hugo dort verwundet worden. Das Schicksal ist uns zu lange freund»

lich Mvesen, sagte Viktor in diesen Tagen,

an Hugos Bette sitzend, um uns nicht eüd» lich einmal auch seine Ungunst empfinden zu

lassen.

Doch was sind unsere kleinen Lek»

den, setzte er hinzu, gegen den traurigen

Gang der großen Ereignisse?

Wer hätte

vor vierzehn Tagen gefürchtet, daß wir heute

72 weiter von unserm Ziele dntftvnt seyn wür­

den, als damals? Es ist schwer, die Meinung zu unten drücken, erwiederte Hugo, baß man uns ab.sichtlich im Stiche gelassen habe. Scheint

es doch, als ob die Friedensmäuner an der Seine uns gern so weit hertintergebracht

sahen. Laß wir nicht mehr mitsprechen fön/ tun, damit sie ungestört einen schmählichen

Frieden schließen dürfen. Ist dieses Mißtrauen auch viekkeicht zu

stark, Hugo, so ist wohl nicht zu läugnen,

daß Napoleon noch immer seine Freunde hat- Ich hoffe nur, es wird den Verzagten nichts helfen,, unser herrlicher Alter wird

schon ein Mittel finden, sie in Zug zu deine

gen# M doch darüber nur eine Stimme, daß der Kaiser Alexander, wie unser König, mit klaren Blicken und entschlossen ihren Plan verfolgen.

73 Ich begreife nur nicht, nahm Heinrich das Wort, wie der Feldherr d» drüben den

Krieg auf eine so wunderliche Weise führen

kann.

Hat er doch fast nichts gethan, seit

wir auf französischem Grund und Bode»

stehen-

Marfthiren und Rccognosciren, zn

etwas mehr bringt er's nicht.

Es bleibt nichts übrig, erwiederte Vik­ tor, als.'eben anzuüchmm, daß auch ihm

die Hände gebunden sind, und daß cs nicht mehr ein Feldherr ist, der den Krieg

führt, sondern ein Cab in et, sonst müßte man an seiner Fähigkeit wahrlich ganz ver­

zweifel».

Wir wollen jedoch den Faden des Ger spräches, welcher sich unter den Freunden weiter fortspann, fallen lassen, da die Ger-

schichte des Feldzugs von 1814 jetzt kein Räthsel mehr darbietet. Schon am. fünften Tage nach dem Qkf

74

fechte von Etogcs setzte sich bas schsesische Herr in Bewegung, um auf ein Rendezvous an die Aube zu eilen, wohin es zur,Schlacht bestellt worden war. Aber auch diesmal noch wurden alle Hoffnungen getäuscht. Statt einen mnthigen Kampf einzugeheu, trat das Haupkhccr den Rückzug an; und nur der kühnen Entschlossenheit des preußischen Feld­ herrn und der edlen Bereitwilligkeit, mit welcher Alexander und Friedrich Wilhelm die Ausführung seines Planes genehmigten, hat die Welt den glücklichen Ausgang dieses Kampfes zu banken. Zum zweiwnmale stürzte der alte Blücher auf Paris los, um gewaltsam den gefährlichen Gegner auf sich zu ziehen und das andere Heer zu Thaten anzuspornen. — Das schlesische Heer hatte ChalonS verlassen. Viktor wußte, daß am Abende vorher die Feldposten cingctroffen waren. Da er lange schon keine Briefe

75 empfangen hatte, so rechnete er heute zu,

»ersichtlich auf briefliche Mittheilungen, und fand um so schmerzlicher sein Erwarten ge­

täuscht.

In trüber Verstimmung ging er

ZU seinem Freunde und fand diesen in einer

Bewegung, welche er vergeblich zu verber­ gen strebte. Du hast Briefe, -Hugo?

mich so verstört an?

Du blickst

Ein Unglück ist ger

schehen; sprich, sprich und ende diese bange

Ungewißheit! Zuvörderst, mein theurer Freund, nahm Hugo das Wort, Ne Versicherung, daß un­

sere Lieben in der Heimath gesund sind;

Alle, Allel Doch was bedeutet diese Verwirrung, in

der Du Dich befindest? Viktor, sagte sein Freund, es hat sich etwas zugelragen, das uns ein herbes Lei­

den bereitet, Dir wie mir, doch trifft es

76 Dich besonders schmerzlich.

Wirst Du F*s-

sung haben, es zu ertragen? Lebt Clandine, Hugo? rief Viktor erschütte«; nur hierauf wahrhafte Antwort!

Sie lebt, sie ist gesund, bei meiner Ehre

versichere ich's. Dann wird ja auch das Schwerste zu trag'en seyn.

Sprich es aus, geliebter

Bruder! Dieser Brief Claubi'nenS, der Schwe­

ster, wird Dir das furchtbare Geheimniß

enthüllen, sagte Hugo, indem er seinem

Freunde mit dem Ausdruck tiesverhaltrnsn

Schmerzes ein verschlossenes Schreiben hin­ reichte. Mktor trat voll Bangen erfüllt an's Fenster, öffnete eilig den Brief und ver­

schlang den Inhalt in ängstlicher Hast. Don jähem Schmerz ergriffen, fuhr er dann zusammen; Todrenblässe trat in seine

77 Züge« die Lippe« bebte», alle Muskeln zuck»

ten und große Thränen rollten über seine

Wangen herab.

Schrecklich, schrecklich! stöhnte er und warf sich erschöpft in einen Sessel.

Armer, armer Bruder! stöhnte Hugo leise hinüber. Ja wohl, arm, ganz arm. Die Blüthe ist aus meinem Leben hinweggenommen und

aller Reiz ihm entwichen. 0 warum mußte diese Kugel ein Herz verfehlen, das kein

freudiger Pulsschlag mehr bewegen wird? — Aber Himmel! rief Viktor, wild aufsprin­ gend, wer verbürgt denn den Inhalt dieser

Schreckensbotschaft? Ich glaube sie nicht,

ich will.ihr nicht glauben.

Kann dieser

Brief als Zeuge gelten, da, wo jedes Ge­

fühl in mir Nein ruft? Noch darf ich zweifeln, und, bei Gott, ich will's, bis je­

der Sinn in mir überzeugt ist. — Schreib-

78 zeug, Hugo! ich will die Frage meinem Bi»«

ter vorlegen, dem Pfarrer; er ist ein rcdli/ cher Mann und versteht nicht, zu lügen,

und meine liebe, theure Mutter! o könnte

ich von ihre»» Herzen Aufschluss fordern!

Glaub' mir's, Hugo, sie, ja nur fle ist meine Mutter, und alles Andere ist nur ein trüber Wahn!

Mit nassen Blicken reichte Hugo dem Freunde das Schreiben des Barons, web ches die traurige Wahrheit unzweifelhaft

bestätigte. So ist's denn wirklich aus! sagte Viktor

leise, nachdem er gelesen, und ließ ermattet

die Hand sinken, welche die inhaltschweren

Zeilen hielt. So ist's denn aus! Und nichts bleibt übrig, als den Wahnsinn zu verwünr

schen, welcher dies Unheil schuf, und dann in den Tod zu gehen. — Noch wenige Tage und ich kaun wieder zu Pferde. Ich will

79 versuchen, unter den Bajonetten der Feinde

zu sterben, wenn ihre Kugeln nicht tidten. Und Claudine? fragt« Hugo in rühren­ dem Tone. 0 sie wird mir bald folgen, rftf Viktor

heftig; sie wird's nicht überleben! Deinen Tod?

nein, den überlebt sie

nicht, Viktor! Und die Schuldlose fort also

mit hinab in die kalte Gruft? fort aus ei­ nem Leben, dem reiche Genüsse sich noch bereiten? Sie betet ihn an, diesen Bruder,

aber er, der sie so unaussprechlich zu lieben vorgiebt, will nur ihren Tod. — Gieb mir ihren Brief, Viktor!

0, dieser Engel! sagte Viktor.

Wie

herrlich trägt sie ihren Schmerz, mit wie

süßen Trostesworten ist sie bemüht, mich aafzurichten! Nein, Claudine, ich will kein

Ungeheuer seyn, ich wenigstens werde dir

80 keinen Schmerz erregen, ich will für dich

leben!

Nun erst erkenne ich meinen edlen Freund, sagte Hugo. Ich wußte wohl, daß Du Dich fassen würdest. Armer Frennd, hob Viktor nach einer

Pause an, auch mit Dir treibt dar Schick­ sal sein grausames Spiel! Aus dem Schooße

des Ueberflusses, aus dem stolzen Schlosse verweiset es Dich in die bescheidene Hütte und raubt Dir Vater und Schwester.

Sprich nicht davon', sagte Hugo.

Ich

finde einen herrlichen Vater wieder und eine zärtliche Mutter! O, meine Mutter! rief Viktor.

Könnt'

ich d i ch nur wenigstens retten aus dem un­

geheuren Brande, der alle meine Habe ver­ zehrt.

Nein, Hugo, ewig werd' ich's nicht

begreifen, wie die Natur so lügen' kann.

81 Wenn das nicht Mutterliebe war, so ist sie nirgends in der Welt z» finden.

Bis spar in die Nacht saßen die Freunde

in stillem, gramvollem Gespräche beisammen. Wie ausgestorben ist doch auf einmal

die Welt, sagte Viktor, wie einsam und verr lassen stehe ich in ihr!

Mir graut vor der

Oede meines Zimmers.

Laß mich bei Dir

bleiben, daß mein Auge wenigstens einen Menschen erblickt,

der

mich noch liebt.

Schlummre Du, mein wunder Freund,

wenn Du es vermagst, ich will schreiben. Nicht heute, Viktor, nicht morgen ! Ger

währe meine Bitte und laß erst wenige Tage vergehen.

Es wird mir schwer, Unglücksbruder, doch Dein Wille soll geschehen!

III.

6

82 Bittor an den Baron von Waldau. ChalonS für Mar«e,

am 24. Fcbr. 1814.

Mein theurer Vater! Ich banke es nur der Besonnenheit meü

«Ls ^Hugo, der als letzte Gunst des Hime mels mir zur Seite blieb, wenn ich nicht

vor mehreren Tagen schon, überwältigt von wahnstnvigtm Schmerze, Dir in einem Tone schrieb, wie er einem Sohne gegen den Vater nimmermehr geziemte.

Vater,

das Glück meines Lebens ist grausam ver/ nichtct! und nimmer werd' ich es fassen, wie die herrlichsten Männer, die ich kenne,

D» und mein lieber, theurer Pflegevater, eine Gefahr unerwogen lasse« konnten, die sich ihnen klar gegenüber stellte.

Meine geliebte,

über

Alles

geliebte

Schwester darf ich lange nicht sehen. Dies

83 Entsagen fordert meine Ruhe gebieterisch

von mir.

Vergönne mir denn, einem Lebensplane zu folgen, den ich Dir mit größter Aufrich, tigkeit vorlege. Dieser Krieg wird, wie ich hoffe, bald

beendet seyn; gestatte mir dann, an einem entfernten, stillen Fleck der Erde zu weiten, bis ich die nöthige Ruhe werde gewonnen haben, eine Heimat wieder zu sehen, die

leider bas Grab meines Glücke- geworden. Ich will einige Jahre ganz meiner Kunst

Xt&t», und. ihr Heilung abjugewtnnen fux chen für mein krankes Herz. Verzeihe mir, wenn ich diesen Anstatt

Haltsort verschweige; ich bedarf ungestörter

Ruhe.

Jede Erinnerung an die Heimat

würd» Meine Wunden von Neuem blÄteit

nmchrn. Auch Kann Dich'- wohl picht verletzen,



84

wenn ich bringend die Erlaubniß erbitte, vorerst einen Namen fortführen zu dürfen,

den ich drei und zwanzig Jahre trug; sey es auch nur, um meinem edlen Pstegevater

einen stillen Dank dadurch zu bekunden. — Ach! am liebsten entsagte ich ihm niemals und verzichtete gern auf alle werthkosen Vor/

theile veränderter Lebcnöverhaltnisse. Doch werde ich Deinen Wünschen und Geboten stets gehorsam mich erweisen.

Gern schrieb ich auch heute meinen Pfle/ geeltcrn, aber dies Herz möchte der über/

großen Rührung erliegen.

Tausend heiße

Grüße, Thränen und Küsse diesen vortreff­ lichen Eltern l Hugo liegt verwundet in der Stadt, doch

gefahrlos. Seine Hand vermag , indeß die

Feder noch nicht zu führen. Auch ich bin müd' und matt, und mit zerrissenem Herzen sage ich Dir Lebewohl.

Wiktor.

85 Viktor an Claudinen. Da Du meine Liebe gekannt hast, Clandine, kennst Du auch meinen Gram. Um

so eher darf ich ihn verbergen, und der schmerzliche Ausdruck desselben soll nicht

Deine Leiden verdoppeln. Nur von der Zukunft darf ich reden,

die mich anweht, kalt, wie das Grab. Sie

steht bildlos vor dem Gedankenlosen, dessen Gehirn wie vertrocknet ist.

Schwester soll ich Dich nennen? Ich

vermag'S nicht.

Meine ganze Natur em«

pbrt sich dem Namen.

Hat der Himmel

mir zwanzig Jahre die Schwester versagt, so hab' ich jetzt kein Herz mehr für sie.

Sich', ich muß nur daran denken, wie

unsere Liebe wohl geendet hätte, wäre ich

der arme Pfarrerssohn geblieben und Dein Kater hätte Dich mir versagt.

Nicht wahr, Claudine, auch in hvffvungSr

86 loser Liebe hätten wir einander doch ewig

geliebt? So laß uns denn denken, es wäre noch

eben so und wir liebten uns, wie in den ersten Tagen unseres Glücks, das Schicksal

aber versagte nur den letzten Besitz. Und ist es denn anders, Claudinc? Kann das Wesen unserer Liebe sich ändern, weil die

Welt uns Geschwister nennt? 0 so laß »nS denn. Du Heißgeliebte! das Vorhandcnseyn dieses unseligen Verhält­ nisses verträumen, wofür wir kein Herz

und keine Gedanken haben.

Ich spreche zu Dir von meiner Liebe, Du zu mir von der Deinigen; wenn ich

dann bitter klage, daß ich so ewig fern von Dir leben muß, ohne Hoffnung des Wie­

dersehens, so stärkest Du mich mit Engels­ troste, und ich gewinne dadurch Kraft, Dich wieder zu trösten. Endlich, nach langen.

87 langen Jahren, wenn Vieles um uns ver/ gangen ist, nur nicht unsere ewige Liebe, bleiben plötzlich Deine Briefe aus und Da/ bet schreibt:

„Nun kann sie nicht mehr mit Dir reden, denn heut ist der Engel hin/ übergeschlummert."

Ich wußt' es wohl, sage ich still, 'trockne

die Thränen von meinem Auge und bin in

wenig kurzen Tagen bei Dir, dort, wo es nur ein gleichartiges Gefühl der Liebe giebt,

das alle seligen Geister theilen. Dort sink'

auch ich selig in Deine Arme und wir feiern

ein ewiges Wiedersehen. Oder weißt Du bessern Rath, Claudine?

Rebe! Ich folge Deinen Winken.

Nur

von der Zeit hoffe nichts, sie hat keine Macht über meine ewige Liebe. Glaubst Du aber, ein Verhältniß, wie

jenes geschilderte, nicht tragen zu können.

88 tuinn laß uns für immer von einander 2(6;

schied nehmen, wie Sterbende scheiden, um ans ewig zu verstummen. Claudine, ich habe geschworen. Dich nie

zu verlasse» g vertrauendem Schwur!

Dir

zu Liebe will ich auch ein Leben lieben,

schützen und wahren, das ohne Dich mir eine drückende Bürde seyn würde.

Claudine, womit doch haben wir diese» Gram verschuldet?

Drittes Kapitel.

An dem Abende des Tage-, an welchem

bei Chateau Thierry gefochten wurde, hat; ten die Vork'sche» und Sacken'schen Heeres;

abtheilungen sich über die Marne zurückge;

zogen, und diesen Rückzug seit mehreren

88 tuinn laß uns für immer von einander 2(6;

schied nehmen, wie Sterbende scheiden, um ans ewig zu verstummen. Claudine, ich habe geschworen. Dich nie

zu verlasse» g vertrauendem Schwur!

Dir

zu Liebe will ich auch ein Leben lieben,

schützen und wahren, das ohne Dich mir eine drückende Bürde seyn würde.

Claudine, womit doch haben wir diese» Gram verschuldet?

Drittes Kapitel.

An dem Abende des Tage-, an welchem

bei Chateau Thierry gefochten wurde, hat; ten die Vork'sche» und Sacken'schen Heeres;

abtheilungen sich über die Marne zurückge;

zogen, und diesen Rückzug seit mehreren

_89__

Stunden beendigt. Die Brücke war abge­ brochen.

Die Vorstadt am diesseitigen Ufer

war von Franzosen, die jenseits gelegene Stadt von Kosackcn besetzt. In dem Dorfe Nesle übernachteten Napoleon und seine

Garden.

Zahllose Feirer der Bivouaks los

decken auf dem weiten Plateau empor.

In einem einsamen Weiler, dem Dorfe Essommes gegenüber, hcfanden sich um diese Zeit eine Anzahl Verwundeter der verbünr

beten Heeres als Gefangene. Diese warm eben verbunden worden, als ein französischer

Offizier in'S Zimmer trat, um die Namen einiger Offiziere unter den Gefangenen auf-

zuzeichnen.

Ein junger preußischer Husm

renoffizier mit verbundenem Kopfe saß in

trübes Nachdenken versunken, das Haupt in die Hand gestützt, an dem einzigen klcinsst Tische im Zimmer.

Er schien wenig von

dem zu bemerken, was um ihn her vorgmH,

90 LiS ihn die Frage um feinen Namen plitz«

lich feinen Träumereien entriß.

Mit sicht«

barer Ueberrafchung blickte er den fragenden

feindlichen Offizier an und gab dann die geforderte Antwort. Der junge Franzos betrachtete aufmerk-

fam die Uniform beS Verwundeten. Don dem * * fchen Hufarenregimente? fragte er. Jener bejahte. So sieht auch der Lieutenant Holm aus Lindenau in Schlesien bei Ihrem Regt-

mente.

War er beim heutigen Gefechte?

Seit längerer Zeit, Rittmeister Düval,

ist mein Freund im Hauptquartier angcstellt und hat unser heutiges Mißgeschick glückli­

cherweise nicht getheilt. Sie kennen mich? fragte der Rittmei­ ster befremdet.

Ich war einmal so glücklich, rerotebrrte

Bertram, einen Vortheil über eins« la-

91 pfern Gegner, der uns an der Spitze einer

Schwadron gar hart zusetzte, mit erringen

zu helfen.

Sie werden sich eines Ge­

fechtes unweit einer Mühle erinnern, wel­

ches vor dem Waffenstillstände vorfiel. Es hat sich Vieles seit jenem Tage ver­

ändert, sagte Duval, und obgleich damals gefangen, hätte ich dennoch nimmer ge­ glaubt, Sie in Frankreich wiedcrzusehen.

Aber der alte Glücksstern leuchtet uns wie­

der und bald wird mein Vatcrlanh von die­ sen Fremden für immer befreit seyn.

Nach einer kurzen Pause begann Düval wieder: Ihr Freund hat stet- edel an mir

gehandelt.

Ich habe sprechende Beweise

davon, daß ich ihm allein meine Auswechse­ lung verdanke, die er mir damals persönlich

anziikündigcn

gütig genug

war.

Gern

Möchte ich ihm einen Theil meiner schuld

92 abtragen.

Sie sind sein Freund.

Kann

ich etwas für Sie thun? Da an eine Auswechselung jetzt nicht zu

denken ist, sagte Bertram, und Sie außer­

dem die Freiheit mir nicht verschaffen kön­ nen, so ist mir nicht zu helfen.

Düval ging unruhig im Zimmer umher. Kennen Sie meinen General? zurückkehrend Bertram leise.

fragte er

Er hat ein­

mal als Kranker im Schlosse des Barons mehrere Tage zugebracht. Ich kenne den edlen Mann nur aus

Mittheilungen meines Freundes, war Ber­

trams Antwort.

Leben Sie wohl! sagte Düval rasch in

gewohnter Heiterkeit. Hcffnung für Sie.

Ich bin nicht ohne

Im schlimmsten Falle

sprechen wir uns noch, — Hierauf entfernte er sich. Wunderbares Zusammentreffen:,

sagte

93 Bertram zu seinen Gefährten; schon zum zwcitenmale finde ich einen alten Bekannten

in diesem Feldzuge wieder. Es wat tief in der Nacht.

In unrur

higcm Schlummer lagen Bertrams .Kampf« grtwssen am Boden; mer

er selbst saß noch im­

auf der alten Stelle,

seine traurige

Lage und die Worte Düvals erwägend, als bix Thüre leise geöffnet ward, in welcher Däval erschien und de» Maler still zu sich

winkte.

Nachdem die Thüre eben so geräuschlos geschlossen war, nahm Düval unsern FrcuNd Unter den Arm

und

führte ihn an

der

Schikbwacht vorüber zum Hause hinaus. Als sic Ziemlich weit unter dem Schutze

der Nacht vorwärts geschritten waren, blieb Düval stehen. — Ich glaube, sagte er scher,

zend- es wird dem Gange dieses Krieges keine andere Richtung geben,

wenn auch

94 ein Offizier weniger in der Gefangenschaft schmachtet; übrigens seyn Sie meinetwegen

unbesorgt, ich wage nichts, indem ich Sie über die Marne schaffe.

Verstehen Sie

einen Nachen zu regieren?

Vollkommen! erwiederte Bertram, der Düvals Hand ergriff und dankbar drückte. Desto besser! sagte Düval.

Doch nun

habe ich zugleich eine Bitte an Sie. In

jener Stadt wohnen einige mir sehr theure Personen,

worunter

meine Mutter und

Schwester, in deren Hände ich um jeden Preis einige Zeilen zu bringen wünschte, deren- Beantwortung mich ganz glücklich

machen würde. .Mir ist dies aber unmSgr lich, da wir mit dem nächsten Morgen von

hier aufbrrchen.

Wollen Sie der stleberr

bringer dieser Zeilen seyn? Verkeimen Sic mich nicht, großmüthiger

Mann, entgegnete Bertram, wenn der Krier

95

ger ablehncn muß, was der Mensch gern

Vollführte. Dürfte ich es Ihne« verargen, wenn Sic die Gelegenheit benutzten, Nach­ richten von militärischer Wichtigkeit durch mich mitzutheilen oder einzuziehcn?

Welches militärische Interesse könnte

wohl in diesem Augenblicke die Verbindung

mit dem jenseiligen Flußufer gewähren? er/ wiederte Düval lebhaft.

Ist doch, außer

der Besatzung von Soissons, von unsern Truppen nicht- auf dem rechten Ufer; auch ist diese Verbindung wirklich schon gcwom

nen- durch die heute erfolgte Besetzung von La Fert« sous Jouarre.

Was können wir

Ihrem Heere anhaben, welches die Nacht benutzt haben wird, seine Verbindung mit

Chalons wieder zu gewinnen? wie daran denken, es einzuholen, da wir vielmehr nach den Vortheilen dieser Tage eilen werden, die S;ine wieder zu gewinnen?

Doch,

96 sagte er, was bedarf es dessen? Ich habe

ja kein Geheimniß zu verberge».

Hier,

hängen Sie meinen Mantel um, setzen Tie meinen Hut auf und treten an jcntS Wachte

feuer, wo Sie diese Zeilen lesen kinnen. Bei diesen Worten entsiegelte er eine» Dries und reichte ihn Bertram hin.

Roch einmal, Rittmeister, erwiederte

Bertram, verkennen Sie mich nicht.

Dox,

sicht wird hier Pflicht, und niiNmer werde ich Ihr Vertrauen mißbrauchen.

Indem

umhüllte Bertram sich mit der Kleidung seines Begleiters und that, wie ihm gehei­ ßen war.

Die meisten der hier versammelten Krie­ ger lagen "im Schlafe, doch giebt es überall

alte krieggewohnie Soldaten, deren eisen­ feste RatUr des Schlafes zu spotten scheint: Während die Kameraden rings UM -sie der Ruhe pflegen, findet man sie die halbe

97 Nacht um das Feuer beschäftiget, Speisen,

zu kochen, zu rauchen oder zu plaudern. Guten Abend, Kapital» k redete ein ale

ter, bärtiger Grenadier, der ihn für einen französischen Offizier hielt,

Bertram an,

welcher dreist an das Feuer trat.

Der

Tausend, habt Ihr auch Eins weggrkriegt

an diesem schönen Tage? Es verlohnt nicht der Mühe, davon zu reden, mein Freund, war Bertrams Ante

«ort; nichts, wie ein Streifschuß. Nehmt Platz, Kapitain; die Nacht ist

rauh und mein Feuer in schöner Ordnung,

Ich will nur diesen Brief lesen. Freund, der Dienstsachen enthalt.

Wartet, sagte der Soldat, indem er eie nen Spahn anzündete und Bertram leuch­

tete, Ihr könnt so besser sehen.

In wenig Augenblickeir war unser Freund

III.

7

98

ü-erzeugt, daß Düvals Schreiben ganz um schuldigen Inhalts sey.

Der Sohn unterrichtete die Mutter, daß das Glück sich dem Kaiser wieder zugewandt

habe, daß man hoffen dürfe, in Kurzem aller Gefahr ledig zu seyn.

Dennoch m

suchte er die Mutter dringend, nebst der

Schwester und Lucien nach Paris zu gehen, indem Kriegsunruhen leicht diese Gegend

treffen könnten.

Verstcherungen der Liebe

und Anhänglichkeit schlossen den Brief. Nun, sagte der Grenadier, werden wir

zeitig aufbrechen? Ich denke, unser kleiner

Korporal ist ganz der Alte und wird diese vermaledeiten Preußen und Russen nicht

zu Athem kommen lassen.

Er hat ihnen

gut aufgespielt, Kapitain, in diesen drei Tagen.

Es ist noch nicht Zeit, davon zu sprechen,

erwiederte Bertram, aber verlaßt Euch bare

6S

auf, noch ehe es tagt, marschiren wir. Ihr

werdet kaum rin Paar Stündchen zur Er, holung übrig haben. Adieu, Grenadier!

Adieu, Kapital»! Ich bin beruhiget und ganz zu Ihrem

Befehl, sagte Bertram, als er zu Düval znrückkehrte. Vortrefflich; rasch denn ohne Zögern.

Er schlug sofort eine Richtung links über

Feld ein, um so das User des Flusses zu gewinnen.

Wir Müssen die eignen Vorposten um/ gehen, sagte Düval, wenn das Unternehmen

glücken soll; bald werden wir ein Gebüsch erreicht haben, welches gerade auf die Marn«

führt. Aber nun muß ich Sie unterrich/ ten, wo meine Mutter wohnt. Sie wer/ den bei einer Gasse an'S Land treten, welche

zwischen einigen Gärten sortläust, bis zue

Straße hin, wo meiner Mutter Haus steht.

7*

100 Da man Ihnen jedoch auf der Frontseite

des Hauses den Eingang versagen dürste, so ersuche ich Sie, genau dem Wege zü folgen, den ich Ihnen bezeichnen werde. Einige hundert Schritte den Gartenmauern Vorüber finden Sie zur linken Hand, eine kleine, enge Gasse, welche Sie einschlagen

müssen.

Dan» bitte ich Sie, die Pforten

zur rechten Hand der Gartenmauer zu zäh,

len.

An der vierten findet fich ein Glok-

kenzug, welchen Sie dreimal leise anziehen. Dies verabredete Zeichen wird Ihnen un­ bedingt Eingang verschaffen.

Auch' ist ge­

wiß Alles im Hause wach, nach einem so stürmischen Tage.

Sollten Sie indeß Mcht

gehört werden, so ersuche ich Sie, über die Mauer zu steigen und gerade auf das Haus

loszugchen.

In dem letzten Zimmer, zur

rechten Hand schläft die Bedienung, die Ihnen unfehlbar Eingang verschafft.

101 Ich gebe Ihnen mein Wort, sagte. Derr

tram, Ihren Auftrag zu erfüllen und Ihr

nen aus demselben Wege Antwort zu bringen. Das Ufer der Marne war erreicht. Dür

val halte einen Nachen, der im Gesträuch

verborgen lag, losgemacht, reichte Bertram das Ruder und sagte: Wie gern begleitete ich Sie, wenn meiner Freiheit nicht Gefahr

drahte. — Glückliche Fahrt! Ich erwarte Sie hier. Bertram stieß den Kahn ab und fuhr

mit leisen Ruderschlägen über den Fluß.

Ex traf den beschriebenen Landungspunkt,

befestigte den Nachen und trat die Wander

rung an. Bei der großen Dunkelheit der Nacht ging er behutsam vorwärts.

Bald zeigte

sich links die dunkle Ocffnung zwischen den weißen Mauern,

er folgte dem Gange,

zählte aufmerksam die Thüren und fand an

102 der »irrten den bezeichneten Glockenzug,

welchen er -leise dreimal anzogt

Durch die

Stille der Nacht »ernahm er deutlich da­ ferne Tönen der Glocke. Alles still.

Dennoch Blieb

Bertram wiederholte da- Zri/

chen. Endlich vernahm er ein vorsichtigr-

Hcranschletchen, und ei« leises: Wer da? tönte ihm entgegen. Ein Bote von» Sohn d-L HauftS, vom

Rittmeister Düval, mit Briefe» ain Ne

Mutter, die Schwester und Fräulein futie! Gleich! antwortete die Stimme.

Ein

Schlüssel drehte sich im Schloß, die Thür ward geöffnet.

Sind fle noch auf? fragte Bertram ein/ tretend den alten Diener, weicher eine kleine

Laterne unter dem Mantel hervorzog und neugierig den späten Gast beleuchtete. Wer kann ruhen, nach solchen Schreck/

Nissen? sagte der Alte; kommt, Ihr -trefft

103 sie Alle versammelt. — Er verschloß die

Thür und führte Bertram in'S Haus. Meldrt mich erst an, sagte Bertram. Ich bin ein Freund Eures jungen Herrn, der gute Nachrichten überbringt.

Der Alle setzte die Laterne in den Vorsaa! nieder und verschwand durch eine Thür.

Bald darauf ward dieselbe Thür wieder

geöffnet, und cs erschien eine ältere Dame, nebst zwei jungen Mädchen, welche unge-

duldig dem leuchtenden Diener vorangeeilt waren, jetzt aber auf der Schwelle stehen

blieben, die fremde, vom Mantel umhüllte Gestalt, mit der weißen Binde um das

Haupt, ängstlich betrachtend.

Fürchten Sie nichts! sagte Dcrlrajn lä­ chelnd; hier ist meine Beglaubigung. Er über­ gab bei diesen Worten DüvalS Mutter das

Schreiben.

Diese, hatte kaum die Schriftzüge des

104 geliebten Sohnes erkannt, als sie Bertram höflich in's Zimmer zu treten bat.

Er lebt? er ist gesund? riefen die jun/ gen Damen, indem sie gespannt in den

Brief der Mutter blickten. Er ist's, versicherte Bertram, und be­

findet sich ganz in der Nähe.

Ja, wer den

Muth hätte, über die Marne zu schiffen,

könnte ihn in wenig Augenblicken sprechen.

Nur die Besorgniß, der feindlichen Besahung in die Hände zu fallen, hat ihn

selbst abgehaltcn, sich herüber zu wagen.

Doch mit anbrechendem Tage muß er der

Vaterstadt Lebewohl sagen. Die Damen schienen verwundert. Er wagt es nicht, sagte eins der junge»

Mädchen, welche Bertram für Lucien hielt, und doch sendet er den Freund, den ver­

wundeten Freund in die Gefahr?

105 Da- hat seine eigene Dewandtniß; ich wage nichts dabei.

Mit wachsendem Bestemden blickten die Frauen auf den seltsamen Gast.

Mein Gott! rief Lucie erschrocken, in­

dem sie einen Schritt zurücktrat. — Wir sind verrathen, Tante;

er ist von den

Feinden! Obgleich Bertram die fremde militärische

Tracht im Mantel zu verbergen gesucht

hatte, so «ar durch ei» zufälliges Zurück­

schlagen desselben doch der Orden auf seiner Brust sichtbar geworden. Und wenn es auch so wäre? erwiederte

Bertram, heute bin ich als Freund hier; und Damen gegenüber darf man nicht daran

denken, daß es Krieg in der Welt giebt. — Ich danke Düval mehr, als ich sagen darf,

für sein Vertrauen; daß ich ihn aber lange

106 und genau kenne, davon werde ich Sie leicht

überzeugen können. Er berührte nun in Kurzem die Haupt-

Momente aus Düvals Leben, von dem Au,

genblicke an, wo er Schloß, Linden«» betre­ ten hatte, bis zu seiner erfolgten Auswechse­

lung. — Wir Beide, schloß er lächelnd, ha­ ben Frieden mit einander gemacht, und ich wage es, eine freundliche Antwort für ihn

zu erbitten, um mein ihm verpfändetes Wort zu lösen. Das wohlwollende, offene Wesen Ber­

trams, seine genaue Bekanntschaft mit Dü-

valS Schicksalen, so wie die Unwahrschein­ lichkeit einer absichtlichen Täuschung entfern­

ten jeden Verdacht.

Während auf einen Wink der Hausfrau rin Diener Erfrischunge» herbciholte, ent­

quollen dreien Feder» liebevolle Worte für den Abwesenden.

107 Bertram mochte nicht müßig bleiben.

Er bar um rin Blatt Papier und hatt«,

indem Jene ihre Briefe schloffen, auch ein Abbild Düvals in sprechender Aehnlichkeit

vollendet.

„Bertram delineavit" schrieb

er darunter.

Dies, mein Fräulein, zur

freundlichen Erinnerung an einyt preußi­ schen Offizier, sagte er, daS Bild höflich

Lurien überreichend. Erröthend sagte sie: Wie kann ich so

viel Artigkeit erwiedern?

Dadurch, daß Sie, nebst Mutter und Schwester, mir bis an den Fluß folgen. Gleich an den Gärten steht der Kahn, ich hole Düval herüber.

Es sey gewagt! sagte die Mutter. Der Preis ist zu lockend.

Sie wagen nichts, auf mein Wort! Aber lasse» Sie uns eilen!

108 Die Damen hüllten sich in ihre MLne

tel und der Zug begann in stiller Eile. Die Laterne fort, ehrlicher Alter, sagte

Bertram, sie kinnte uns verrathen! Bald war das Ziel erreicht. Hier weie

len Sie, bat Bertram, nur wenige Minuten, bi- zu unserer Rückkehr.

Diese Weiden

«erden Sie verbergen.

Pfeilschnell flog er über den Fluß. Hier

sind die Briefe, Duval, flüsterte. Bertram,

aber ich bringe noch mehr: Die Mutter, die Schwester und Lucjen habe ich mit an'S

Ufer gebracht; rasch in den Kahn! Ich bürge für jede Gefahr! In großer Bewegung sprang Düval in

den Nachen und sank drüben in die Arme

feiner lang entbehrten Lieben. Laßt Euch durch nichts stören, sagte Bertram; ich halte Wache.

Er

entfernte sich

freudigen Herzens,

109

lehnte ruhig an der Ecke einer Gartenmauer und lauschte aufmerksam, ob irgend ein Ger räusch, von der Hauptstraße her, Gefahr drohe. Die unter der langsam dahinschleie chenden Zeit wachsenden Schmerzen seiner Kopfwunde konnten das säße Bewußtseyn nlcht trüben, seinem edlen Retter vergolten zu haben. Endlich kam Düval. ES ist Zeit, zu scheiden, sagte er, und wahrlich, es ist ein schönes Gefühl, daß wir als Freunde scheu den. Nicht wahr, wir haben im Kriege Frieden geschlossen?

So sey's, erwiederte. Bertram, und w» wir uns im Gefechte begegnen, da jagen wir grüßend einander vorüber, um einen andern Gegner zu suchen. Sie umarmten sich.

Wer mir das vorhergesagt-hätte, sagte

110

Düval lächelnd, daß ich noch einmal an der

Brust eines Preußen liegen würde! Er sprang in den Nachen, stieß vom Lande und rief noch einmal ein leises Lebe«

wohl vom jenseitige» Ufer. Welch' eine frohe Ueberraschung haben Sie uns bereitet, mein Herr, sagte die Mutter. Wie sollen wir unsern Dank aus«

sprechen? Befehlen Sie über mein Haus,

zu allen Zeiten. Es war nur eine schwache Erwiederung

der Verbindlichkeiten, welche ich Ihrem

Sohne schuldig bin, entgegnete Bertram. Und nun leben Sie wohl! Die Pflicht ruft mich zu den Meinigen.

Ich hoffe. Sie werden uns nicht ganz vergessen, fuhr die Mutter fort.

Endlich

wird doch der Friede dies Land beglücken. Kommen Sie dann jemals nach Frankreich

111

zurück, so werbe ich Sie stet- wie einen Sohu empfangen.

Wer weiß, wie noch Alles endet, und

ob ich nicht früher Ihre Güte in Anspruch nehmen muß, als Sie jetzt denken? sagte

Bertram, indem die Damen von ihm

schieden. Er blieb so lange stehen, bis diese zwi/ schen den Gärten verschwunden waren, und

eilte dann im seligen Freiheitsgefühle der Hauptstraße zu.

Bald ward er von einerKosackenpatrouille

angcrufen. — Preußischer Offizier! antwor/

tete Bertram.

Man brachte ihn zu dem

kommandircndcn Offizier.

Er gchLrte zu

der Kosackcnabthcilung des Generals Kare pow des zweiten, welchem die Beobachtung

des Flusses übertragen war. Bertram er/

zählte, daß er verwundet liegen geblieben

und daß es ihin in der Dunkelheit gelun/

112

gen sey/ sich an die Marne zu schleichen, wo er, mit Hülfe eines Fischernachens, sich herüber gerettet habe. Er erfuhr dagegen, baß das Heer bereits einen tüchtigen Vorsprung gewonnen habe und daß RheimS von einer preußischen Reiterabtheilung beseht sey. Da nun ein Kosackentrupp mit anbrechenbem Tage dahin aufbrcchen sollte, so schloß Bertram sich diesem an. Die Nacht war schon hereingebrochen, als man RheimS erreichte. Allein der Zu­ stand seiner Wunde hatte sich so verschlim­ mert, daß er gezwungen war, in dieser Stadt zu bleiben. Viertes Kapitel.

Vkktbr war von seinen Wunden zwar «Sch nicht völlig hergestellt, aber er der-

112

gen sey/ sich an die Marne zu schleichen, wo er, mit Hülfe eines Fischernachens, sich herüber gerettet habe. Er erfuhr dagegen, baß das Heer bereits einen tüchtigen Vorsprung gewonnen habe und daß RheimS von einer preußischen Reiterabtheilung beseht sey. Da nun ein Kosackentrupp mit anbrechenbem Tage dahin aufbrcchen sollte, so schloß Bertram sich diesem an. Die Nacht war schon hereingebrochen, als man RheimS erreichte. Allein der Zu­ stand seiner Wunde hatte sich so verschlim­ mert, daß er gezwungen war, in dieser Stadt zu bleiben. Viertes Kapitel.

Vkktbr war von seinen Wunden zwar «Sch nicht völlig hergestellt, aber er der-

113 mochte nicht länger zu weilen, da er fühlte, daß er mehr wie je eines thätigen Lebens bedürfe, um nicht dem Schmerze zu unter/

liegen. Auch Hugo war noch nicht genesen, als

er aber den Freund sich rüsten sah, wollte er um keinen Preis zurückbleiben; da nur

der Arm gelitten hatte, so hoffte er zum Dienste wieder tüchtig zu seyn. Die Absichten des Feldmarschalls, indem er zum zweitenmale auf Paris vordrang, waren vollkommen erreicht worden.

Napo­

leon hatte die Verfolgung des Haupthceres

aufgegeben, um seiner bedrohten Hauptstadt

zu Hülfe zu eilen. Er war über die Marne gegangen und Blücher zog sich auf Soisi-

sons zurück.

Diese Bewegungen waren

eben in Chalons bekannt geworden, als Vik­ tor und Hugo abreistcn.

Sie nahmen 6m

nächsten Weg über Rheims. III.

8

114 Schon lag diese Stadt weit hinter ihnen, al« sie einen Retter gewahrten, der desselben Wege« zog.

Es ist ein Preuße, sagte Viktor, und wüßte ich nicht, daß unser armer Bertram in der Gefangenschaft schmachtet, so würde

ich, seiner Haltung nach, glauben, er sey'S. Sir ritten schärfer; der Offizier sah sich um, wandte sein Pferd und sprengte mit

lautem Kreudengeschrei seine« theuren Freun/ den entgegen. Es war Bertram.

Inhaltsreiche Mittheilungen verkürzten die Reise.

Mit Freuden vernahmen Hugo

und Viktor Bertram- Befreiung durch Dü/ val; mit wehmüthiger Theilnahme erfuhr der Maler Viktor« Leiden.

Es ist überwunden, sagte Viktor, soweit ein solcher unvergänglicher Schmerz über/

wunden «erden kann; laßt «ns

davon

schweigen und lieber Bertram« Abenteuer

115 qäher erwägen.

Nach meiner Anficht bn u

feil wir dieses Glück einzig dem Edelmuthe

des feindlichen Generals.

Ich will di« Mitwirkung deS Generals Nicht in Abrede stellen, erwiederte Bertram,

da Düvai auf eigne Gefahr wohl so viel nicht wagen durste.

Allein ficherlich ist der

Gedanke meiner Befreiung von ihm ausge, gangen. Wenigsten-, fiel Hugo ein, lag ihm dies

sehr nahe, da er außerdem seiner Familie

keine Nachricht von sich zu

heben im

Stande wär.

Ihr scheint mir Beide, entgegnete De» tram, doch etwas zu ungünstig von unserm alten Widersacher zu denken. Ich bin dar

gegen ganz mit ihm versöhnt, er wax s» herzlich, so bieder, daß ich seine aufrichtig gen Gesinnungen

nicht

bezweifeln 8*

darf.

116 Hat er sich gleich früher rauh und stürmisch

bezeigt, so ist dennoch sein Herz gut. Merkst DMS denn nicht, Hugo, sagte Viktor, daß unser Bertram seine Freiheit

nur erlangt hat, um gleich wieder in neue Gefangenschaft zu gerathen, und abermals

in französische? Umsonst entwirft er wohl nicht so beredt das Bild der schönen Rosalie

mit mehr als Künstlerenthusiasmus.

Ach,

Bertram! rief er plötzlich mit ganz veräne

dertem Tone aus, muß mich denn Alles

nur an meinen Verlust mahnen?

Zwinge

ich mich gleich, zu vergessen, was einst daS

Licht meines Lebens war, dennoch führt Ale

les mich darauf zurück, selbst der Scherz, worin ich mich versuche, wird zur Klage.

Nun begreifst Du, wie ich überwunden habe.

Unter diesen Worten sprengte er stürz

misch voraus. Bald jedoch sahen die Freunde

117 ihn halten, absteigen, die Karte herausnehmen «nd die Gegend durch sein Fernglas

beobachten. Wollen wir nicht die Richtung verän-

dcrn? fragte Hugo, als sie Viktor» erreicht hatten.

Den ganzen Tag wahrt schon das

Schießen zu unsrer Linken; ich dächte, wir

hielten gerade darauf los. Ein Blick auf die Karte wird Dich be­

lehren , Hugo, daß wir diesseits der AiSne das Heer nicht mehr erreichen können.

In

dieser Richtung liegt Fismes an der Desle;

das Feuer ist aber weit übe« Fismes hin­ aus, viel westlicher.

Ein Beweis also, daß

der Feldmarschall die Aisne erst nach dem Zusammenflüsse mit der Beste passiren will.

Darum laß uns nur getrost auf Bery au Bae gehen, eS bleibt keine andere Wahl. Morgen haben wir unser Ziel erreicht.

118 Was hast Du durch bas Eias entdeckt?

fragte Bertram. Einen starken Wagenzug bet FiSmes,

wahrscheinlich unser Gepäck, war ViktorAntwort.

Ich gestehe, sagte Hugo, es gehirt ein eignes Talent dazu, sich leicht zu orientiren;

wie viel länger ich auch Soldat bin, als Du, Viktor, eS wird mir nicht halb so

leicht, wie Dir. Im Terrain selbst bin ich bald zu Hause, aber es verwirrt mich stets,

wenn ich eine Karte mit der entsprechenden Gegend selbst vergleiche.

Da geht'- Dir wie unserm herrlichen Blücher, erwiederte Viktor.

Der hält auch

nicht virl von Karten, aber draußen ist er

desto leichter »rientirt.

119 Der nächtliche Angriff bei Laon hatte die

herrlichsten Resultate gebracht. Die schwachen preußischen Heeresabtheilungrn, welche ihn unternahmen, hatten den ganzen rechten

Flügel des Feinde- auSeinandergcsprengt und dessen sämmtliche- Geschütz erobert. Die Entmuthigung, welche diese Nieder­ lage in dem französischen Heer erzeugte, war zugleich so groß, daß sie Napoleon ein

neue- System der Kriegführung zu ergrei­

fen zwang, und da er seinen Feinden nicht mehr im offnen Kampfe entgegen zu treten

wagte, so wollte er durch Kriegslisten seine

Zwecke zu erreichen versuchen. Daher führte er sein Heer die Marne aufwärts in den

Rücken de- Hauptheeres, um dieses dadurch

zu einem Rückzüge gegen den Rhein hin zu bewegen, und durch die Annäherung an seine eigenen Festungen den Nationalkrieg, der sich in jenen Gegenden zu entwickeln

120 begann, mehr zu beleben und Hjm freien

Spielraum zu geben. Doch er stand am Wendepunkte seines Glückes.

Während er sich von der Haupt

stabt entfernte, vereinigten sich die verbänbeten Heere, eilten rasch nach Paris, er-

kämpften siegreichen Einzug und stürzten eine Herrschaft, unter deren Druck Europa

lange geseufzt hatte. Fast ganz Frankreich theilte die gerechte

Abneigung gegen einen Mann, dessen rast­ lose Ehrsucht den Beseligungen des Friedens wehrte.

Zugleich waren vielseitige erfreu­

liche Erinnerungen an das unglückliche, ver­ stoßene Königshaus erwacht, und tausend

Stimmen verlangten den König zurück. Die Verbündeten ivurden als Befreier von der begeisterten Hauptstadt empfangen, ihr

Einzug ward zum Triumphgepränge. Viktor, der das Ziel erreicht sah, für

12s welches er die Waffen ergriffen hatte, bat um seine Entlassung. Da sein persönlicher

Muth, seine Umsicht und Brauchbarkeit viele fällig erprobt waren, so war er schon in

Deutschland mit dem eisernen Krcuje erster Klasse beliehen und noch im Laufe des Wine terfeldzuges zum Rittmeister ernannt worden.

Den erbetenen Abschied erhielt er daher

in den ehrenvollsten Ausdrücken.

Einige Tage vor Viktors Abreise von Paris trat Bertram in sein Zimmer.

Da Du einmal nicht ISnger zu halten bist, redete er ihn an, da Paris mit seinen

tausend Sehenswürdigkeiten Dich nicht fes­

seln kann, so sostst Du mir wenigstens noch an einen Ort folgen, wo es traulich und

hübsch ist, und wo man Dich mit eben so

sehnlichem Verlangen als Zuversicht erwartet.

122 Von wem sprichst Du? fragte Viktor;

wer kann mich erwarten? Grüble nicht und komm!

Wir sind zur Stelle, sagte Bertram, im

dem er mit seinem Freunde vor einem Hause Halt machte, welches unweit der Boule«

vards, in der nie de la paix stand.

Du

flehst, daß die- eine der hübschesten breiten Straßen von Parts ist und daß Alles hier, sogar der Name, freundlich ist.

Ich hoffe.

Du sollst e- drinnen nicht weniger anmu«

thig finden. Sie gingen in's Hau-, wurden gerne!/ dct und traten in ein freundliches Zimmer,

wo sich drei Damen befanden, welche die Emtretenden freundlich begrüßten. Hier bring' ich Ihnen, meine Damm, hob Bertram an, den versprochenen Besuch.

Hab' ich auch meinem Freunde nicht ent«

123 deckt, wohin ich ihn führe, so wir- er doch kaum darüber in Zweifel' seyn. Ich irre stcher nicht, sagte Viktor, wenn ich glaube, vor der Mutter eine- tapfern

jungen Mannes zu stehen, dem ein feltsa» mes Geschick mich zweimal feindlich gegen»

über gestellt hat, dem ich zugleich unendlich verbunden bin für die Großmuth, die er

hier meinem Freund erwie». Mein Sohn war wohl in einem hohen

Grad Ihr Schuldner, versetzte Frau von Düval, und H konnte ihm nur Freude ma»

chen, Gelegenheit zu finden, um einen Theil dieser Schuld avzutragen. — Gott sey Dankl

fuhr sie fort, die Zeit der Stürme ist vor» über und eine neue, glücklichere Zeit brr ginnt, in der sich alle Menschen verständk»

gen müssen, auch solche, die früher in feind» licher Berührung standen.

Wahrlich, ich bin zu jedem Frieden gr,

124 neigt, sagte Viktor mit freundlicher Verbru-

gung z und habe längst schon mit meinem raschen vormaligen Gegner Friede, gemacht.

Mein Sohn, redete die Mutter Düval an, der eben in's Zimmer, trat, Du kommst

zur rechten Stunde, die »ins den- erfreuliche ste» Besuch zugcführt hat. Zwar habe ich niemals, erwartet, erwie­

derte Düval, meine alten Bekannten unter solchen Umständen in unserer Wohnung zu begrüßen, doch wer mags andern. — Mein

Glaube steht uncrschüttcrt und ich kann daher nicht das Zubelgeschrei der Menge thei­ len, noch weniger einen Feldherrn vergessen,

dessen Größe die späteste Nachwelt anstautun wird; doch kann ich allein nicht gegen den Strom sthwimmen.

Muß ich witklich

ein neues Leben beginnen, so hab' ich we­

nigstens den Vortheil, noch jung zu seyn— Sie aber, fuhr er zu Viktor gewandt fort.

125 kann ich nur bitten, das Vergangene zu vergessen. Sagen Sie Ihrer Familie, wie

aufrichtig ich es bereue, durch meine tadelns, werthe Heftigkeit ihr Kummer bereiter j«

haben.

Diese Vorgänge möge Vergessenheit bedeke

ken, sagte Viktor.

Ihre edlen Gesinnungen

hat seitdem die That hinreichend bewährt.

Hier ist meine Hand, Düvak!

Lassen Sie

uns Freunde seyn, und mögen unsere Na,

tioncn sich eben so aufrichtig versöhnen, wie wir in dieser Stunde! Die jungen Männer umarmten sich.

Dieser Aussöhnung folgte ein freunbli, ches Zuvorkommen aller Anwesenden gegen

Viktor».

Bertram schien ohnedies in der

Familie ganz heimisch, und da Beide ge, flissentlich Alles vermieden, was den jungen

eifrigen Buonapartisten verletzen konnte, ft entfaltete sich das natürliche Talent der

12K Franzosen für gesellige Freude« la aller, Lier

benSwürdigkeit, und Viktor verlebte einen Abend, der ihn höchst wohlthuend zerstreute. Er schied dankbar mit dem Versprechen, vor

seiner Abreise seinen Besuch zu erneuen. Ich danke Dir, sagte Viktor, da er mit Bertram das Haus verließ, daß Du mich

hierher geführt.

Diese Versöhnung hat

wohlthurnd auf mich gewirkt. — Ich ber dauere nur, nicht auch Duvals General ger

sprachen zu haben, der, wie ich höre, in seine Heimat zurückgekehrt ist.

Einer ber nächstfolgenden schönen Früh,

lingstage fand unsere Freunde in Bondy beim Abschiedsmahle. Jede Trennung trägt sich leicht, welche Wiedersehen und Erneuerung

des alten,

theuren Verhältnisses hoffen läßt; schwer

127

dagegen, wenn ein Verein von Freunden mnthmaßlich sich für immer löst. Das Band, welches der Krieg so amuu, thig um »ier gleichgestimmte Herjen trän, lich geschlungen hatte, zerriß nun der Feie, de, indem er die Freunde, die sich aus fernen Gegenden für einen Zweck zusanu mengesunden, nach Erreichung des Zieles wieder über die weite Erde zerstreute. Viktor, die Seelik dieses Bunde-, sollte zuerst scheiden, und in wenig Tagen muß, ten die Andern gleiche- Loos theilen. Verzeiht, meine Freunde, begann Viktor, wenn ich, allzu sehr mit Mir selber befchäs, tiget, nicht einmal erfragt habe, wo Euch künftig meine Briefe finden werden. Du, Hugo, willst fvrtdiknen, nicht wahr? Dich hab' ich also in der Garnison Deines Regi, ment« zu suchen? Der Friedensdienst hat wenig Erfreust,

128 ches, erwiederte Hugo, besonders nach einem

solchen Kriege.

Vielleicht folge ich Deinem

Beispiele und entsage den Waffen für im,

wer. Doch, hange ich nicht ganj von mir ab, wie Du weißt, und muß erwarten, was

die Zukunft über mich verfügen wird. Und Du, Heinrich? fragte Viktor. Ich kehre in die Mack, meine Heimat, zurück, sagte Heinrich, »nb ergreife wieder den Pflug.

Ich bin nicht ganz ohne Mit,

tel und darf daneben auf bereitwillige Un, terstützung rechnen.'

Da beabsichtige ich

denn, mir ein mäßiges Gut zu kaufen und

dort still mir selbst zu leben. Ich bleibe vor der Hand in Paris, meine

Freunde, nahm Bertram das Wort.

Nicht

leicht finde ich an einem andern Orte so

reiche Kunstsammlungen und selbst so tüch, tige Meister, und darf daher nur Nuhen von einem verlängerten Aufenthalte hoffen.

129 Nach einiger Zeit denke ich dann die Hei/ mat wieder zu besuchen und späterhin wie/

der nach der heiligen Roma zu wandern. Wohl verstanden, sagte Heinrich, wenn

nicht schöne Augen 'ihn hier fesseln sollten.

Allerdings- mein Freund, erwiederte der

Maler, ist Rosalie ein holdes Wesen, dem

ich herzlich gut bin.

Doch denke ich wahr/

lich nicht daran, mich zu verheirathen. Mir sagt «in freies, fcsselivseS Wanderleben zuDer Künstler hat genüg mit der Anbetung

der Musen zu schaffen und darf de« gefähr/ liehe« Schritt nicht wagen, noch andere

Götter in seine Hütte zu führen.

So werden wir den« bald in alle Winde zerstreut seyn, sagte Diktor, und möglicher/

weise für iimuer getrennt.

Laßt uns des«

halb festhalten an der Erinnerung einer ge/ meinsam verlebten, herrlichen Zeit.

ES ist

Seines unter, uns, der den Andern nicht

m.

9

ISO ttidft Liebe gezeigt hätte.

Die Gefahren

des Krieges haben unsern junge« Bund er/

probt und gestählt, deshalb wird er beste« hen, wenn seine Glieder auch gelbst werden.

Auf die Fortdauer -unserer

Freundschaft

dennl rlef Viktor, indem er mit den Freun«

den zum Abschied anstieß. Die Pferde waren bestiegen.

Viktor

reichte zum lehtenmalr feinen theuren Ge« nossen di« Hand.

kleines Packet.

Bertram gab ihm ein Ein Angedenken' Deiner

Freundet sagte er;-ffne es- wenn Du allein

seyet' wirst.' Und nun leb' wohl! Hierauf wandten Jene die Rosse und waren bald

hinter dem Dorfe verschwunden. Langsam und traurig verfolgte Viktor seine einsame Straße. Als er in den Wald

von Bondy gekommen, öffnete er das Pa« pier.

Eine goldene Kapsel leuchtete ihm

entgegen, auf welcher die Namen ftiner

131

Freunde eingegraben waren.

Treuer, lieber

Mensch, sagte Viktor, ich verstehe dich! Er

öffnete den Deckel.

Noch einmal strahlte

das holde Bild ClaubinenS ihm entgegen. Sie war in ein blaue» Gewand gekleidet,

die rechte Hand schlug einen weißen Schleier

zurück, ein holdes Lächeln verklärte ihre Züge.

Unten standen mit feiner Schrift

die Worte: Post nublla Phoebus.

Phoebus? sagte Viktor leise, indem er den naMn Blick unwillkürlich erhob, das Sonnenbild zu suchen.

Eben trat

Wolke hervor.

eS glänzend hinter

einer

Viktor schüttelte trauernd

das Haupt und ritt in tiefem Rachsinnen weiter.

132—

Fünftes Kapitel. SilviuS hatte richtig prophezeiht. Wenn gleich Claudine am Morgen

nach jener

Schreckensnacht noch matt und angegriffen war, so vermochte sie doch das Bett zu ver­

lassen.

Ihre kräftige Natur hatte glücklich

den heftigen Stasi überwunden. Lange saß sie tn stiller Wchmuch vor dem Bilde ihres Bruders, dessen lheure

Züge betrachtend, dann erhob sie sich. Gott wird mir Stärke verleihen, sagte

sie; ich will ihm schreiben. Sie öffnete das Schreibpult und ergriff

die Feder; aber die zitternde Hand versagte

den Dienst; ihre Gedanken verwirkten sich; Claudine fühlte, daß sie die schmerzliche Er­ öffnung noch verschieben müsse.

133 Plötzlich entsann sie sich jene» versiegel­ ten Briefes, den der Vater ihr als schützen­ den Talisman gfcgen hoffnungslosen Schmerz

an ihrem Geburtstage übergeben hatte. Eine dunkle Nöthe überflog ihre bleichen Wau­ den, hastig entriß sie das Papier dem ge­ heimen Fache, welches es bewahrte, um ei­

lig das Siegel zu öffnen, aber zögernd ließ sie die Hand sinken. Sie sann den Worten ihres Vaters nach. Mancher herbe Schmerz, hatte er gesagt, trifft unser Leben, der geduldig getragen seyn will; nur wenn sich einst der ganze Himmel Deines Glückes verhüllen, ein un­ heilbarer Gram an Deinem Leben nagen sollte, bann erst erlaube ich Dir, dieses Pa­

pier zu öffnen. Wahrlich, ich darf nicht! sagte Clau­ dius. Hat gleich dieser Schmerz mich tief

ergriffen, dennoch fühle ich, daß er mein

134 Leben nicht zerstören wirb.

Was kann es

auch helfen? setzte sie hinzu, was können

diese Zeilen für ein Heil enthalten, daS der Vater, der mein Leiden steht, nicht längst mir freiwillig

erschlossen haben

würde?

Dulde und trage denn, unglückliches Mäd, chcn! sagte sie, indem sie das Papier wie,

der an seinen Ort legte.

Wer Claudinen, einer geknickten Lilie

gleich, gebeugt, schwermüthig wandeln sah, mußte das tiefste Milleiden empfinden. — Bis in'S Innerste ergriffen war der Baron.

Zärtlicher war er nie gegen die geliebte Tochter gewesen.

Er nahm sie auf de»

Schooß, liebkoste ihr und suchte uncrmüb,

lich durch den liebevollsten Zuspruch sie anst zurichten.

Muth, Muth, Claudine! sagte er; über, winde nur den ersten Schnterz, und glaube

135

mir, daß noch die Zelt kommen wird, wo dieser Mund wieder lächelt. In solchen Augenblicken verschloß Clgu/ bitte ihre Lippen jeder Klage. Habe nur. Geduld, Vater, sagte sie dann, es wird ja mit jedem Tage besser. Gleich zarte und liebevolle Theilnahme bezeigten ihr der Pfarrer und seine Gattin., Eigene Eltern hätten nicht mehr besorgt seyn können, Claudinens Schmerz zu besetz tigen, als diese wahrhaftem Freunde. Beide vermieden jedoch, gleich dem Da/ rott, jede Erörterung der Gründe jener lange bewahrten absichtlichen Täuschung, und Claudinens Zartgefühl vergönnte ihr keine Frage hierüber. Insbesondere zeigte sich die Pfarrerin liebreich. Sie konnte Claudinen ohne Rüh/ rung nicht anblicken und überhäufte sie mit zärtlichen Liebkosungen. Einmal, da Clan/

136

dine wieder in heißen Thränen an ihrem Dusen lag, schien die Pfarrerin sich nicht länger bezwingen zu sinnen. 0 diese har­ ten Männer! sagte sie; welch' ein Unglück haben sie angerichtet! Claudine, ich bin unschuldig an Ihren Leiden. Die Zeit wirb Ihnen dies beweisen. Jetzt darf ich nicht reden. So giebt es doch noch ein Geheimniß? fragte Claudine, und jener Brief Ihres Gatten enthüllt nicht Alles? Still, mein süßes Kind! war der Pfar­ rerin Antwort; das zweite Geheimniß-ist wenigstens minder trüber Natur, als jenes erste.

Wir verließen die Präsidentin bestürzt über die traurigen Folgen ihrer unberufenen Mittheilungeni Je mehr Fassung jedoch

137 ihre Nichte gewann und je weniger Neue

die Geheimnißträgcr blicken ließen, um so

mehr gewann sie ihre Haltung wieder, und der Schritt, den sie gethan, erschien ihr von neuem als Pflichtgebot.

Desto strenger

klagte sie aber ihren Bruder und das mitt verfchworne Holm'sche Ehepaar an, denen

ihr gespanntes, abgemessenes Betragen ihre

Gefühle hinlänglich verrieth.

Dabet theilte diese mit der größeren Heftigkeit ihrer Jugend und ihres raschen,

vorschnellen Temperamentes.

Aller War­

nungen und Winke ihrer Mütter ungeach­

tet, vermochte sie nicht, ihre Empfindungen

zu verbergen, und ihr Unwille traf vorzugs­ weise den Pfarrer und dessen Frau.

An dem alten Silvius erlebte die Welt rin Wunder.

Der Mann, welcher Jahre

lang wie ein Einsiedler gehaust hatte, dessen Abneigung, außerm Hause zu seyn, so groß

138 war, daß man, wie der Anfang dieser Ge, schichte zeigte- es nicht wagte, ihn zu dem kranken Obersten zu rufen, war mit einen»

male ganz verändert.

Er kam nicht nur

täglich auf's Schloß, sondern besuchte sogar den Pfarrer und unterhielt sich, wenn er

ihn nicht zu Haus traf, oft halbe Stunden lang mit der Pfarrerin.

Der Mensch, dessen Unglück zweifellos entschicden ist, versucht dennoch, nach Hoffe

nung zu ringen, die er selbst auf den Glane

den an Wunder zu erbauen geneigt ist. Auch Claudine forschte ängstlich nach fei»

»em HoffnungSschetn, und eine leise Stimme flüsterte ihr zu, Silvius werde ihr als rett tender Engel erscheinen, wie unmöglich die-

ihr auch bei näherer Erwägung erschien. Nach Verlauf mehrerer Tage winkte

Silviu-Heim Weggehen Claudinen, ihm zu folgen, was diese möglichst unbefangen that.

139 Draüßen übergab er ihr den Brief des

Pfarrers und sagte heftig: Es ist richtig^ die Jungen sind vertauscht!

Man kann

nicht länger zweifeln; das Dümmste von

der Welt ist wirklich geschehen. — Aber sonst ist noch Vieles dunkel.

Verdammt, daß ich

bei dem besten Willen nicht helfen kann.

Ach, ich wußte es nur zu gut, sagte Claudine, daß es keine Hülfe geben kann.

Sie kehrte mit dem schmerzlichen Ger

fühle der vernichteten letzten, wenn gleich

schwachen Hoffnung traurig in's Zimmer zurück.

Nun glaubte sie auch nicht länger mehr zögern zu dürfen mit Lösung der schwersten

Aufgabe. — Unter taufend neu erwachenden Qualen, unter Schmerzen der Verzweiflung, und doch mit wie rührender Ergebung ent­

warf sie jenen Scheidebrief vom Glücke^

dessen traurige Wirkungen wir oben geschkk

140 bett haben.

Sie hatte den Brief des, Pfar­

rers eingelegt und Alles dem Vater «zur Besorgung übergeben. Der Major hatte zugleich an Hugo ge­ schrieben und den Brief an ihn adresflrt,

damit Viktor die unglückliche Nachricht nicht ganz unvorbereitet erhalten möge.

Welche Schmerzen Claudinen auch Vik­ tors Antwort nothwendig bereiten mußte,

dennoch sah sie ihr mit Sehnsucht entgegen. Aber vergeblich! indem kurz vor der glor­

reichen Entscheidung der Aufstand des fran­ zösischen Volkes an der Maas und Mosel

die Verbindungen unterbrochen und den Postenlauf gehemmt hatte.

Tage und Wochen vergingen daher ohne

alle Nachricht. Nur der Umstand, daß Nie­

mand Briefe hatte, daß ein dichter Schleier

alle Ereignisse -ei dem Heere zu verhüllen

141 schien, entfernte die Sorge ClaudinenS um Viktors Leben.

Silvius kam täglich aufs Schloß und

auf die Pfarre.

Er war zwar ganz der

Alte und gab nur eine auffallende, ungee

wohnte Unruhe

und Hast

zu erkennen.

Häufig ging er im Zimmer umher und stieß einzelne, abgebrochene, zum Theil unvere

ständliche Worte hervor. Laßt ihn, sagte der Baron, und vere

scheucht ihn nicht durch Fragen. Eine- Abends, als Claudine am Fenster

stand und gedankenvoll in de« gestirnte» Himmel blickte, trat Silvius zu ihr. — Meine Geduld ist zu Ende! sagte er; noch

drei Tage, dann brech' ich den Schrank auf« Der Dietrich ist schon geschmiedet! — Dar mit drehte er sich kurz auf dem Absatz« herum, ohne ihr weiter Rede zu stehen.

Welchen Sinn sollte Claudine in diesen

142 Worten finden?

Irgend eine wunderliche

Grille mußte einmal wieder in Silviu-

Kopfe spuken; aber welche? Wie räthselhast das Benehmen des Al,

ten ihr auch erschien, dennoch erwartete sie ungeduldig den Ablai'f der von ihm gesetz­

ten Feist. — Der Abend des dritten Tages war gekommen und sand Silvius wie ge­

wöhnlich zugegen. auf eine Erklärung.

Sie hoffte vergebens Der Alte schien sie

gar nicht zu bemerken und hielt sich mehr wie je zum Baron und zum Pfarrer. Mit,

ten im Gespräch ergriff er plötzlich den Hut

und Aach auf. — Ein schwerer Patient

wartet auf mich, entweder kurir' ich ihn diese Nacht, oder ihm ist nicht zu helfen! Damit fuhr er zum Zimmer hinaus.

Ein höchst wunderlicher Mensch! sagte

der Pfarrer, aber von seltener Herzens güte, trotz des rauhen Aeußern.

143 Wer beschreibt Claudinens Verwunde­

rung, als sie, spät mit Dabct in ihr Zim­ mer tretend, den Regimenter dort fand.

Still! still! winkte der Alte.

Dann

leise auf die Mädchen zutretend, sagte er-:

Ich habe mit Claudinchcn zu reden! Die Cousine laßt uns wohl ein wenig allein.

Aber erst schickt die Jungfer fort, ich muß ungestört seyn. Sie störte mich schon ein­ mal, wie ich hier im Finstern saß.

Zeh besorge Alles, sagte Badet, und bin

nachher im Schlafzimmer zu finden, wenn Du meiner bedarfst.

Die Thüren zu! Niemand darf wissen,

daß ich hier, bin! Elaudme folgte in ängstlicher Spannung

dieser Aufforderung und verriegelte die Thür-

So, nun setzen Sie sich, liebes Kind ; ich habe etwas für Sie, hob der Alte an, als er Claudinen gegenüber Platz gcnom-

144 men hatte.

Immer hat mir die Geschichte

mit Viktor» im Kopfe gelegen. — Er hielt

inne. — Wunderliche Gedanken, sag' ich,

Kind, find mir gekommen; fast kLnnte man e- Zweifel nennen. Zweifel? wiederholte Claudkne und sprang erblassend auf, .Zweifel, daß er mein Brue

der ist? Still, liebe- Kind! sagte der Alte. Sie

werden das Haus in Bewegung bringen.

Wenn Sie nicht fromm und ruhig find, f» ist alles vergebens. Ich will ja fromm seyn, sagte Claudine, indem sie des Alten Hände ergriff und sie

fest zwischen die ihrigen drückte.

Nun denn, fuhr Silvius fort, mein Zweifel kann mich täuschen, darum will ich

Ihre Meinung hören. — DeS Pfarrers Brief hat ihn zuerst erregt — der Passus

nemlich von dem Maale, wo Holm sagt, er

145 habe dafür gesorgt, b.iy man die Wechsel/

bälger — denn den Namen führen sie doch

mit der That — zur rechten Zeit wieder her, ausfinden sönne.

Erinnern

Sie sich s,

Fräulein? Jedes Wort weiß ich, SilviuS — die abgerissene Driefstelle — Nur weiter!

Einer hat also ein Maal, da- wissen

wir; aber welcher von Beiden? das hat

der Pfarrer durch eine eigenhändige Notiz

bemerkt, so stehts in dem Briefe.

Nun

hab' ich herausgebracht, daß des Pfarrer-

Sohn derjenige ist, der das Maal mit auf dir Welt gebracht hat.

Daß die erwähnte

Notiz im Kirchenbuche stehen würde, dacht' ich mit wohl; aber es wollte nicht glücken,

da- Buch zu erwischen, da hab' ich ihm hent den Schrank ausgemacht. — Kannen wir nun noch herausbringen, Kind, wer

W unsern leibhaftigen Freunden da- Maal

III.

10

146 trägt, so wissen wir auch, welcher von Bei« de» Ihr Bruder ist.

Und Sie wissen'-, Silvius? rief Claue dki«; lassen Sie mich nicht länger auf die/

scr Folter! ' Liebes, heftiges Fräulein, ich weiß gar

nichts, und wollte nur HSren, ob Sie nicht vielleicht Kunde davon hätten.

Del Gott, nicht die mindeste, sagte Ctau«

dine erröthend; woher sollt' ich sie auch haben?

Hm, brummte der Alte, da ist's ,freilich nichts!

Aber Sie sprachen ja von Zweifel»,

Silvius, und müssen daher Vermuthungen haben?

So weit sinh wir noch nicht, Fräulein;

es ist nur eine ganz schwache, dunkle Enn« nerung, der nicht zu traue» ist.

Viktor

fiel nämlich einnral als Knabe (n’< Wasser-

147 ich rettete iHv und lehrte ihn 'S Schwim, men, damit er künftig vor dem Ersaufe« gesichert rodte. — Nun, ein Maal kann Man's freilich nicht nennen, aber etwas Rothe S denk' ich auf dem Arme gesehen zu haben. — Je mehr ich darüber sinne, je weniger zweifle ich daran, dasi es drei ro­ the Punkte toavett. Um Gotteswillen! SilviuS, liebster, theuerster Freund! tief Tlaudine außer sich, indem sie vor ihm auf die Kniee sand Sprecht es aus, das Wort, welches mir das Leben wiedergiebt! Fürchtet nicht, die Freude werbe mich Übten; sprecht, redet, erbarmt Euch eines armen, verzweifelnden Mädchens! Man darf Ihnen wahrlich nicht zu viel trauen, schönes Kind, sagte Silvius, indem er Elaudinen aufhdb. Ich würde es ja, sa­ gen, wenn ich Gewißheit hätte; es ist aber 10*

148 nur Vermuthung, nur Möglichkeit, baß un­ ter den drei Punkten jenes Maat gemeint

sey« könne. Aber steht denn keine nähere Beschrei­

bung dieses Zeichens im Kirchenbuches fragte Claudine in drängender Hast. Eine Art Beschreibung allerdings; zur Noth könnte es passen.

Drei rothe Flecke«

heißt's da.

Ich bin gefaßt, ich bin es wahrlich, Silvius.

Lassen Sie mich Alles wissen!

sagte Claudine mit rinnenden Thränen. Nun denn, der Mensch kann sich irren, Fräulein! rief der Alte aus, indem er Claue

dinen« Hände ergriff und sie fest drückte; aber nach meiner Ueberzeugung ist die Zeit gekommen, wo's nichts mehr zu weine»

giebt, als Thränen der Freude.

Denn

wahrlich, Ihr Viktor ist des Pfarrers Sohn

und nicht Ihr Bruder!

14'.)

Utberwältigt vom Ucbermaaße der Se»

ligkeit sank Claudine weinend in SilviuArme-

91», so war's denn glücklich heran« und überstanden, sagte Silviu-. Freude kann so

gut den Faden zerreißen, wie Schmerz, Kind; daraus mußte der Doktor Rücksicht nehmen. 0 Sie treuer, herrlicher Freund meines

Viklors! Arzt meiner kranken Seele l rief Claudine, indem sie da« schöne Haupt von Silviu« Schulter erhob und den trefflichen

Greis mit seligen Blicken anschaute; außer

der überschwenglichen Liebe einer Tochter

besitzt Vie« Herz nicht«, womit e« seinen Dank zu sagen wüßtet Gute« Kind, sagte der Alte, Sie glück« lich zu wissen und meinen Viktor, ist i« Lohn« genug für mich!

Und darf ich denn auch wirklich ganz

150 dem hohen Glüeke vertraue», theurer Sil-

vius, und keinen Rückfall fürchten? Stein! sagte Silvius.

Ich ging vorher

nur absichtlich auf Socken, jcht tret' ich ftstcr auf.

Hier ist die Abschrift der Stelle

im Kirchenbuche, an des Pfarrers eigenem Schreibtische gemacht. So lautet die Rand/ bemerkung:

„ Mein Sohn Viktor trägt

feit der Stunde seiner Geburt ein Mgal.

Es sind drei ftuerrothe Punkte, die in senk­ rechter Linie sich an seinem rechten Ober­ arme befinden." — Seit lange kenne ich

dieses Maal, fuhr ^er Alle fort, und mehr

wie einmal habe ich es beim Verbände wie« dergesehcn.

Darum stellte ich dem K>rchcn«

buche so emsig nach.

Doch vor Allem,

Kind, Verschwiegenheit! Die alten Herren könnten'S doch übel nehmen, daß wir ihnen

in die Karte sehen.

151 Zwei Personen ausgenommen, Silvius;

Viktor und Badet. — Nicht?

Viktor? sagte Silvius; daS versteht sich, der muß es wissen; aber wird solch eine Evastochter, wie Dabet, schweigen können?

Gewiß; ich stehe für sie ein. Sey'S, doch verrathet den Alten nichts'.

Mein Schränkchen hab' ich säuberlich wie, der verschlossen; ich hoffe, sie sollen nicht« merken. — Und nmv gute Nacht, schönes,

glückliches Kindl

Laßt mich nach Haus!

Vorsichtig lauschend ging Claudine voran. Still führte sie den Alten die Scitentreppd

hinunter, drückte noch einmal seine Hand

an ihr Herz und schloß leise hinter ihm die Thür. Wie aber das glückliche Mädchen dann

die Stufen wieder hknaufflog kn die Arme ihrer Babet, wie die Sprache ihr versagte,

das Uebermaiiß ihrer Seligkeit auszuspre,

152 chen, rote sie lachte und weinte, bis es end/ lich der bebenden Lippe gelang, die cnlschcir Lenden Worte zu stammeln, wer vermöchte

eS wohl, diese Wonncsrene zn schildern?

Clandine, sagte Babet, nachdem Beide ruhiger geworden, begreifst Du den Oheim?

Er muß selbst getäuscht seyn, wie hätte er

sonst diesen Jammer ruhig mit ansehcn können? Ach, Babet, ich -kann Dir nicht antwort

tcn, denn ich vermag ja nichts in diesem

wirren Kopfe zu denken und zu fassen, als mein Glück.

Sechstes' Kapitel.

Noch ehe am folgende» Morgen Clauj

Line beim Frühstück erschien, hörte man sie

mit Heller Stimme ein Lied singen.

152 chen, rote sie lachte und weinte, bis es end/ lich der bebenden Lippe gelang, die cnlschcir Lenden Worte zu stammeln, wer vermöchte

eS wohl, diese Wonncsrene zn schildern?

Clandine, sagte Babet, nachdem Beide ruhiger geworden, begreifst Du den Oheim?

Er muß selbst getäuscht seyn, wie hätte er

sonst diesen Jammer ruhig mit ansehcn können? Ach, Babet, ich -kann Dir nicht antwort

tcn, denn ich vermag ja nichts in diesem

wirren Kopfe zu denken und zu fassen, als mein Glück.

Sechstes' Kapitel.

Noch ehe am folgende» Morgen Clauj

Line beim Frühstück erschien, hörte man sie

mit Heller Stimme ein Lied singen.

153 Sie hat lange gemausert, sagte der Da«

ron; Gott sey Dank, daß sie nun wieder

schlägt. Frisch und blühend trat seht die Tochter mit Dabet in's Zimmer.

Vater, sagte sie,

auf denMajor zufliegcnb, kann dieser Brief wohl heute noch fort?

An Viktor?

Citissime! dreimal unter­

strichen? Hat's denn so große Eil? Die allcrgrLßcste, Vater! Der Baron sah seine Tochter aufmerk­

sam an.

Claudine, sagte er, hast Du viel­

leicht van dem Mittel gegen Herzweh Ge­ brauch gemacht?

Nein, Vater, »»eröffnet ruht der Brief

in meinem Schranke. Und dennoch ist hier etwas vorgegangen; trittst Du doch wie eine Siegerin einher.

Das wliß näher geprüft werden.

Auf ejn

154 Wort, Claudine!

Er nahm sie bei der

Hand und führte sie in sein Zimmer. Tochter, hob der Baron an, als Beide

allein waren, willst Du mir eine Ditte ge­

währen, deren Erfüllung Dir nur schwer werden kann, wenn Du mir nicht gänzlich vertrauest?

Was befiehlst Du, mein theurer Vater? fragte Claudine sorglich. Ich befehle nichts, Claudine; ich bitte Dich nur, diesen Brief an Viktor» nicht

abzusenden. Ich weiß nicht, was er ent­ hält, aber ich habe eine Ahnung, daß es besser wäre, ihn zurückjuhalten. Ihr Mäd­

chen gebt sa sonst viel auf Ahnungen, setzte er lächelnd hinzu.

Ich will aufrichtig seyn, Vater, und

Dir sagen, was dieser Brief enthält.

Warum, liebe Tochter? Laß mich ein­ mal ganz meinen Ahnungen und Träumen

155 folgen. Diese sagen mit nun sehr bestimmt: Viktors Glück fordere, daß man ihn einig«

Zeit ruhig sich selbst überlasse, und jede Ein­ wirkung auf ihn vermeide.

Du weißt es,

liebe Tochter, wie wenig ich jemals Deinen

Driaswcchsel beschränkte; Tim so eher darf ich Dich daher jeht bitten, entweder Dei­

nem Bruder gar nicht LU schreiben, oder

ihm wenigstens Alles zu verhehle», was in gend eine Veränderung seiner Ansichten und

Gefühle hervorbringen könnte.

Du kannst

nicht zweifeln, daß ich nur das Glück mei­ ner Kinder beabsichtige.

Welche HoffinMe

gen aber Drin junges Herz auch nähren

mag, vertraue mir darin-, daß Voreiligkeit hier Vieles verderben würde.

Wohlan, er­

kläre Dich; was willst Du thun? Was einer gehorsamen Tochter gebührt.

Ich verspreche, durch keinen Dritten an

Viktor schreiben zu lassen und meine eige-

156

neu Briefe Dir von nun an offen zu übergeben. Ich nehme es an, sagte der Baron, und freue mich, daß ich Dich finde, wie ich ge­ hofft habe. Zn diesem Augenblicke trat der Zöger mit einer Anzahl von Briesen herein, die jetzt, nach wiederhergestellter Communieation, ein Courier überbracht hatte. Setze Dich bm hin, liebe Tochter, und lies. Er übergab Claudinen die an sie ge­ richteten Briefe, während «r die eignen zu öffnen begann, die er dann nach dem Datum ordnete, um fie nach der Zeitfolge zu lesen. In den ersten Briefen Hugos und Viktors schien er nichts besonders Anziehen­ des zu finde», er legte sie daher bei Seite. Jetzt kamen Briefe aus Chalons an die Reihe. Er las sie mit gespannter Aufmerk­ samkeit, Ein wohlgefälliges Nicken des

157

Kopfes verrieth, daß er mit Hugos Aeuße, rangen besonders zufrieden sey.

Viktors

Mittheilungen wurden von einem feinen

Lächeln begleitet. Er nahm die letztem Papiere zur Hand. Was? Paris? — Der Kaiser entsagt?

Friede? so rief der Major mit der lautesten Freude aus, indem er aufsprang und stürmisch die Tochter umarmte.

Hast Du'S

denn auch schon, Claudine? Friede! Friede! Die Welt ist frei und unsere Söhne kehr

reu zukück! Elaudine hatte aber nichts gelesen, als

den ei ne «.Brief Viktors, den der Zufall ihr zuerst in die Hand führte. Trotz dem freudigen Bewußtseyn, daß seitdem das Wetter vorübergezogen sey und

der Himmel jetzt wieder heiter lache, er­

griff dennoch die Trauer, welche aus dem

Briefe des Geliebten sprach, schmerzlich ihr

158

Herz. Während er trostlos «nd einsam mit

feinem vernichtenden Schmerze die Welt durchzog, durste sie sich im vollen Sonne»,

scheine des Glückes wärmen, und zwar jetzt, wo es ein Wesen gab, das mit einem Worte den bösen Zauber zu vernichten »er,

mochte, der die frühere Seligkeit verhüllte — jetzt hatte sie selbst dem Vater gelobt,, dieser

beglückenden Mittheilung zu entsagen. Was hast du versprochen? sagte sie sich. Wird er's ertragen? — Doch gedachte sie

alsbald der Liebe des trefflichsten Vaters.

War er nicht berechtiget, von der Tochter

Gehorsam zu fordern, auch wenn dieser Ge, horsam Opfer verlangte? Doch den einzige» Trost, dachte sie, den

ich zu geben vermag, soll er in reichlichem

Maaße empfangen. Eingehen will ich auf stine Idee, ewig seine Geliebte zu bleiben.

Die glühendste Liebe dieses Huzeo- fall er

159 in ihrem vollen Umfange erkennen.

Dieft

Briefe kann der Vater doch nicht verdame men, da ich meine Liebe wenigstens nicht

mehr zu verbergen brauche, wenn ich ihm auch noch jetzt als Schwester erscheinen muß.

Diese Betrachtungen, worin Claudine sich vertiefte, unterbrach jener Ausruf und

die stürmische Freude des Vaters. Sie würde den Vater vielleicht kaum

verstanden haben, hätte nicht der süße Ton des Wortes Friede augenblicklich den Weg

zu ihrem Herzen gefunden.

Friede, Vater? Sie kehren zurück? 0 welche himmlische Nachricht!

Ja,

dann

hat jede Sorge ein Ende und rin nemch

fröhlicheres Daseyn beginnt für uns. Jede Sorge, Claudine? sagte der Ma, jor. Ach, das Menschenherz ist nur ZU

selten genügsam;

mit der Erfüllung des

160 Langersehnten erwachen immer neue Wän-

sche in ihm. — Ehe ich aber Holm die herrlichen Nachrichten übcrhringe, will ich

wenigstens meine Briefe beendigen.

Da

haben wir's, hob er bald darauf an; er ist in die weite Welt gezogen, um ein Must,

kuS zu werden.

Dem steckt also immer

noch der Mozart im Kopfe.

Er will erst

von sich hören lassen, schreibt er, wenn er

was Tüchtiges geworden.

Nun, willst du

von der Baronie nichts wissen, setzte er

lächelnd hinzu, ich kann dich nicht zwingen, Viktor.

Auch mir meldet er diesen Entschluß, fagte Claudine; doch will er mir seinen Auf-

enthaltsort erst nennen, wenn er ein heimi­ sches Plätzchen gefunden haben wird. Du siehst, Claudine, es ist ein unruhi­

ger Mensch, dieser Viktor. Lassen wir ihn

den« «andern und musirire«. Wenn das

161 Geld verthan ist, wird er wohl von selbst

nach Haus kommen. Der Baron packte alsbald seine Briefe zusammen und ging zu seinem Freunde.

Mehrere Monate waren seitdem in eie nem stillen, einförmigen Leben vergangen, ohne daß Viktor in einer Zeile Nachricht von seinem Daseyn gegeben hätte. Nur von Hugo kamen Briefe an den Baron.

Claudine hatte sehnlich gehofft, der Vater «erde sie ihr mittheilen, in der Erwartung, daß Hugo seines liebsten Freundes werde gedacht haben. Zögernd bat sie endlich ml»

diese Briefe; aber der Baron wich stetS der Gewährung ihrer Bitte geflissentlich aus.

Er schien überhaupt in dieser Zeit manniche fach zerstreut und mit besonderen Dingen bee

schäftiget.

III.

Er war wenig zu Haus, ohne

11

162 daß man recht erfuhr, «»hin dir Ausflüge gingen, die er häufig zu Pferde »der zu

Wagen unternahm.

Endlich klärte sich da- Geheimniß auf. Unsere Nachbarschaft, sagte er eine» Ta,

geS, wird einen angenehmen Zuwachs er,

halten-

Der ehemalige Regimentrkommam

deur Viktors, der jetzt als Oberst eine Brie gäbe führt, wird sich in unserer Nähe ane

siedeln; gestern habe ich für ihn den Kauf

v»n Rosenthal abgeschlossen. ES ist ein liebenswürdiger Mann, nahm

die Präsidentin das Wo«, auf den ich mich recht freue.

Wirb er bald seine Besitzung

antreten?

Ich hoffe in Kurzem, erwiderte der Major; sobald er nur weiß, daß der Kauf

in Richtigkeit ist.

Ich gestehe, fuhr er sott,

daß ich mir viel Freude von dem Umgänge

163

mit dtechm ftthitchen, bieder» Manne vrr,

spreche.

Er stammt nicht aus hiesiger Gegend? ftegte die Präsidentin.

Nein, erwiederte der Baron, er «st eia

Brandenburger; aber es zieht ihn eine gang besondere Neigung «ach unserm liebe» Schier sien, wie er mir wiederholt geschrieben hat.

Er hat das Zand früher gar nicht gekannt,

bis der Krieg ihn hierher geführt hat. Und kommt er allein, oder darf man

auch auf Frauenumgang rechnen?

Er besitzt weder Mutter, noch Schwee ster, so vlel ich weiß, aber er hofft in dem freundlichen Lande auch wohl ein freunde llches Mädchen zu finden, da- ihn Mit

ihrer Hand beglückt. Nun, sagte die PräfldeNtin, bei seknea

treffliche« Eigenschaften wird er nicht leicht eine abschlägige Antwort zu besorgen habe«. 11*

164 SBa4 meint Ihr, Mädchen? fragte der Daran, sich zu Claubinen und Dabet wen# dend; Ihr kennt ihn ja Deide.

Ich bezweifle seine Vortrefflichkeiten nicht

und wünsche ihm alles erdenkliche Glück,

sagte Dabet, wenn ich nur nicht die Glück#

licht seyn soll, der er seine Hand bietet. Du sprichst sehr unüberlegt. Dabet, fiel

die Präfidenrin ein; wollte der Himmel, die Wahl des würdigen Mannes fiele auf

Dich; einen besser» Eidam wüßte ich nicht

zu finden. Liebe laßt sich nicht erzwingen, erwie#

berte Dabet; mir würde er niemals Nei# gung einflößen, und ich hoffe, meine Mut#

ter wird mich nicht wider meine Neigung verheipathen wollen.

Es führt zu nichts, diesen Streit zu

schlichten, sagte die Präsidentin, um so wer

165 Niger, da ich vermuthe, er habe sich schon anderweitig entschieden.

Und Deine Meinung, Claudine? fragte

der Major. Ich halte ihn, nach Allem, waS ich von

ihm weiß, für einen sehr achtungSwrrthen Mann, war ClaudinenS Antwort.

Nun, das ist eben nicht wenig, Töchter/

chen! denn so viel ich mich erinnere, hat er sich auf der Gebirgsreise recht angelegentlich

um Dich bemüht.

Was würdest Du ant/

Worten, wenn er Dich um Deine Hand bäte?

Daß dieses Herz zu innig geliebt hat, um jemals einer andern Neigung zugäng/

llch zu seyn. Ich will nicht fürchten, sagte der Baron, daß Du Deine romantische Liebe für Dik/

torn meinst? Das sind Thorheiten! Den Bruder kannst Du doch nicht heirathen!

166 Ich verfange je nichts, Datee, jagte Claudlne mit rührendem Ton«, als die Er,

innettmg an ein schöne-, «ntergegangeneS Glück und die Freiheit dieser Hand. Das ist mehr, als ein Nate» der Töch­

ter für- die Dauer zuzugestehen geneigt sey» möchte. Daker! rief Ciaudine au-, indem sie auf­

sprang und ihn mit ihre» Arme« umschlang, wie vermagst Du es, Deine Tochter so hart zu quälen? Hat' ich denn Deine Liede so

ganz verloren, daß ich nicht einmal mehr Dein Mitleid verdiene? Närrchen, erwiederte der Baron, Muße Du Alle- denn gleich so tragisch nehmend

Eine Reeognoseirung wird doch erlaubt seyn? Wenn aber diese schon so gewaltsam ist,

Vater, was muß ich erst von dem Angriffe

selber fürchten? Nun, wer so zurückgewieseU worden ist,

167 Wie ich, der kommt wenigstens so vald nicht wieder. Beruhige Dich daher, mein Kind.

Den Kummer, den diese Unterredung

Claudius« erregte, linderte noch an demsel­ ben Tage ein Brief ihres Geliebten. Sie war mit Babet in'S Dorf gegan­

gen, und hier begegnete« sie dem Postboten mit der langersehnten, freundlichen Gabe-

Endlich, nach so langer, qualvoller Entbehr rung, durste ihr Auge wieder auf de» lie­

ben, bekannten Schriftzügen ruhen, endlich sollte sie erfahren, wo er lebte und wie er

sein Unglück trug. Doller Erstaune« fand sie Viktors Brief mit Klagen angefüllt.

Viermal hatte er ihr

schon geschrieben, ohne Antwort zu erhalten. Er mast ihr keine Schuld bei, fürchtete

aber, die theure Schwester sinnt erkrankt seyn.

Bleibt auch dieser Brief ohne Erwiede-

168 rung, schrie- er, so fliege ich selbst nach Lindenau, diesen tidtlichen Besorgnissen ein Ende zu machen.

Zom erstenmale also, sagte Ciaudine, ist

mein Vater nicht offen gegen mich; der kindliche Gehorsam, den ich ihm bewiesen, hat solche« Mißtrauen nicht verdient.

Wie

ganz verändert ist doch dieser sonst so lieber

volle Vater.

Ich weiß die Stunde anzur

geben. Badet, die sein Betragen gegen mich

umgewandelt hat: seit jenem Morgen, an

dem ich ihm in der Fülle meiner Seligkeit den Brief für Viktor» brachte, von dem ich hoffte, daß er alle Schmerzen unserer Liebe

für immer heilen werde.

Wir leben in einer unheimlichen Zeit, erwiederte Babet, in der alle freundliche» Verhältnisse zerrissen sind.

Keine Zeile

kommt von Hugo; um uns, die eignen Herr zen ausgenommen, giebt's kein drittes mehr.

169 dem man sich freundlich anschließen könnte.

Ringsum Verstimmung, getrübte Verhält/

Nisse und unter leisem Geflüster drohende Geheimnisse; ich fühle-mich so ganz dqrnie/

dergebeugt, und nur Du allein hinderst mich, meine Mutter flehentlich zu bitten,

mit mir einen freundlichern Aufenthalt z« suchen. Nein, verlasse mich nicht, meine einzige

Freundin! rief Claudine au«, indem ste

Babet fest umschlang; halte bei mir aus tn treuer Liebe, damit ich nicht ganz verarme! Auf dem Schlosse trafen sie den Baron

in Papieren vergraben an. Die Präsiden/

tin äußerte, er habe unangenehme Nachrich/

een erhalten und spreche von einem ihm

drohenden Prozesse, der eine Reise nach Berlin nöthig machen werde. Claudine wagte nicht, de» Vater zu

stören.

170 Endlich erschien der Major, wider Er­ warten heiter unb guter Dinge.

Manche

Sorg«, sagte er, hat mir die Zeit her das

Herz beschwert. Ihr habt wohl »ft darun­ ter gelitten, Kinder?

Es soll anders wer­

de«. Ich reise nach Berlin, um an Ort und Stelle da- Uebel bei der Wurzel zu

erfassen.

So weit, lieber Vater? sagte Ciaudine,

erquickt durch die ersten heitern, g»nz im alten Tone der Liebe gesprochenen Worte

Es ist das erstemal, daß wir

des Vaters.

Dich so lange entbehren.

Mußt Du denn

selbst reisen? ES geht nicht anders, Kind!

Und wann dürfen wir Dich wieder er­ warten ?

Wartet einmal! Der Baron überrech­ nete die Zeit.

ausreichen.

Wahrlich, ich werde kaum

Doch hier mein Wort, Clau-

17t bitte, zu Deinem Geburtstage bin ich zurück. 0 wie herrlich war's vor einem Jahre

an dem Tage, wie Vieles hat sich seitdem geändert!

Za, Kinde«, wer kann die Schicksale der

Menschen ergründen? Wider Willen treibt uns ein blindes Berhängniß und wir müssen

uns im Unglück tristen, wenn nicht eigene Schuld «S herauf beschwor.

Vieles, Clane

dine, ist jedoch herrlich in Erfüllung getre­ ten seit einem Jahre, weit über das Ziel

unserer kühnsten Hoffnungen hinaus.

Darf

denn das Menschenherz ängstlich zagen, weil

nicht alle Dlüthenträume reiften? — Nehmt nur das Leben nicht zu schwer, Kinder, et­

was Leichtsinn ist oft nicht zu verachten. Macht's wie ich, der ich die letzte Zeit über

auch nicht auf Rose» gebettet war; reißt Euch heraus, tanzt zur Veränderung, daß

172 bas träge Blut in Bewegung komme, fahrt,

reitet, fingt, spielt, kurz, macht was Ihr wollt, mit seyd vernünftig.

Llaudine und Dabet sahen einander vere wundert an, über die plötzlich veränderte

Stimmung des Vaters, der ganz wieder der Akte erschien.

WaS Hat Sie da in der Hand, Junge

fer? fragte er lustig seine Tochter. Ein Dries von Viktorn ist'-, und denke

Dir, Vater, seine früheren Briefe hab« ich nicht erhalten!

Ganz natürlich, Töchterchen, denn sie

liegen all« ganz ruhig drin in meinem Schreibtische. Er eilte.itt sein Zimmer und kehrte gleich

wieder zurück.

Da, Kind, sind sie alle vier! ein IU# be-, schönes Trauergcspann. Verbrauche sie mit Gesundheit und vergieb, daß ich einen

173

ganz kleinen Arrest über sie verhängt habe, in der Besorgniß, Dein Herzchen könnte dadurch zu sehr allarmirt werden. Dock­ halt, Schelm, da fallt mir noch etwas rin. Führe mich gleich auf Dein Zimmer! Ctaudine folgte ihm lächelnd. Nun gieb mir das Papier wieder, sagte der Baron, das ich Dir vor'm Jahre ver, traute, den Talisman wider das Herzwrh; Du weißt schon. Claudine gab dem Vater den Brief. So, Kind; es geschieht blos, um ein Unglück zu verhüten. Nun komm! Mit derselben Eile kehrte der Baron mit ihr in's Wohnzimmer zurück. In diesem Augenblicke fuhr der Reisewagen vor. Hier, Kinder, steht der Kommandant des Schlosses für die Dauer meiner Abwee senheit, sagte der Major, auf die Präsiden, tin zeigend; seyd hübsch folgsam. Du -bet.

174 Schwester, kennst meinen Willen «ad wiest mich ganz verstanden habe».

Vollkommen, lieber Bruder, erwiederte die Präsidentin mit einem feine« Lächeln.

So lebt den» wohl!

Er umarmte hier,

auf die Damen zärtlich und eilte rasch die

Treppe herab; der Wagen rollte zum Thore

hinan-.

Siebentes Kapital.

E- war in den ersten Tagen de« Mai,

monds, als bei sinkender Sonne Viktor

durch ein Gebirgsthal des südlichen Deutsch,

lands ritt. Jenseit- der Berge lag, wie er mußte, «in kleines Städtchen, wo er zu

übernachten gedachte.

Er beschleunigte den

Gang seine- Pferde-.

Bald hatte er »en

Ausgang des Thales erreicht und vor ihm

174 Schwester, kennst meinen Willen «ad wiest mich ganz verstanden habe».

Vollkommen, lieber Bruder, erwiederte die Präsidentin mit einem feine« Lächeln.

So lebt den» wohl!

Er umarmte hier,

auf die Damen zärtlich und eilte rasch die

Treppe herab; der Wagen rollte zum Thore

hinan-.

Siebentes Kapital.

E- war in den ersten Tagen de« Mai,

monds, als bei sinkender Sonne Viktor

durch ein Gebirgsthal des südlichen Deutsch,

lands ritt. Jenseit- der Berge lag, wie er mußte, «in kleines Städtchen, wo er zu

übernachten gedachte.

Er beschleunigte den

Gang seine- Pferde-.

Bald hatte er »en

Ausgang des Thales erreicht und vor ihm

175

-reitete sich «ine reiche Ebene aus. Von der Abendsonne heil beschienen, tag da« Städtchen in mäßiger Entfernung vor ihm, ganz von blühenden Gärten umkränzt. Dön einem Hügel, jenseit« des Orte«, blickte ein stattliches Schloß hernieder, zu welchem rin terrassenförmig anfsteigender Garten führte. In anmuthigen Krümmungen eilte der Fluß jenem Städtchen zu. Zur rechten Hand zogen grün« Hügelketten fort, die in weiter Ferne, wieder zu blauen Bergen aufwuchsen; zur Linken schweifte der Blick über ein wei­ te«, fruchtbare« Land. Seit mehreren Tagen war Viktor ein «infame« Gebirge durchzogen; nm so freund­ licher lachte die Ebene ihn an. Auch unter Schmerzen bleibt der Mensch ein gesellige« Wesen, sagte et, die Stadt mit erheiterte« Blicke betrachtend. Wie traulich liegen jene hellen Wohnungen neben einander; Giebel

176 lehnen sich an Giebel, und Alles umschließt «in blühender Kranz von Gürten. Ist eS nicht, als ob zahlreiche Stimme» riefen:

Tritt herein zu uns, der du müde vom

Wandern bist, und nimm Theil an unser,» Spielen und Freuden und vergiß deines Grames!

Noch leuchteten die Fenster des Schlosses

im Abendgolde, als Viktor in die dämmernde

Stadt eknritt.

Knaben spielten auf den

Gassen und liefen lärmend neben dem Pferde

her; blühende Mädchen mit Kannen und

Krügen schäkerten am plätschernden Springe

quell, und aus mancher grünen Laube schaute neugierig ein Köpfchen nach dem spät eine ziehenden Reisenden.

Wo die letzten Häuser standen, am Fuße des Schloßberges, fand Viktor den reinlle

chen Gasthof.

Aus der blähende« Gelse

blattlaube tret dem Reißenden die Tochrer

177 be- Wirthes entgegen; auf ihren Ruf er,

schien der Vater, nahm Viktor«, das Pferd ab und hieß ihn mit deutschem Handschlag

Willkommen. Gieb mir ein Zimmer, liebeS Kind,

sagte Viktor, mit der Aussicht auf den Fluß,

wenn es zu haben ist.

Freilich, dort hinaus ist rS gar schön, erwiederte das Mädchen; der Herr wird zufrieden seyn. Sie nöthigte Viktor» in'S Hays, flog die Treppe hinauf und ließ ihn in ein Zimmer treten, welcher, an der Ecke des Hauses gelegen, aus zweien seiner Fen,

ster das Schloß erblicken ließ, au» den zwei andern aber die reizende Aussicht über den Fluß und die Ebene gewährte.

Viktor blickte mit Vergnügen in die

mondbeleuchtete Landschaft, als eine schöne Musik von Blasinstrumenten begann, und III. 12

178 in melodischen Wellen aus dem Schloßgar« ten herüberquoll. WaS ist das? fragte Viktor.

Die gewöhnliche Abendmusik, -versetzte Käthchen; es ist die Kapelle des Fürsten. Welches Fürsten, mein Kind?

Ei, erwiederte das Mädchen, ist der Herr so fremd in der Gegend, daß er mir fern lieben Fürsten nicht kennt?

Ist das

Ländchen gleich nur klein, so ist es doch gar

hübsch bei uns.'

Viktor schalt seine Zerstreuung. Er hätte eS auch ohne Frage wissen können, daß er

sich in dem Ländchen des Fürsten von * * * befand, und daß das Residenzschloß vor ihm lag.

Ich war in Gedanken, liebes Kind, sagte unser Reisender, und weiß jetzt Alles. Aber

eine Kapelle unterhält Euer Fürst? Ja wohl, und eine recht schöne, denn

179

unser Herr fielt We Musik gar sehr, un> es fehlt droben selbst nicht an Opern und Konzerten. Die Prinzessin hat eine wum derschbne Stimme, und wenn dann Fremde auf dem Schlosse sind , läßt der Herr auf dem Theater spielen. Das ganze Städte chen ist darauf eingerichtet, denn bei uns singt und spielt Alles. Das ist ja herrlich! sagte Viktor; so sinnt» ich denn auch wohl leichtlich einen Flügel für den Fall bekommen, daß ich hier länger zu verweilen wünschte? ® warum denn nicht? wir besitzen selbst einen ; er steht zu Ihrem Befehl, «ar Käthe chens Antwort. Wenn es gleich Viktors Vorsatz gewesen «ar, seinen Aufenthalt in einer bedeuten« der» Stadt zu nehmen, so boten doch die reizende Lage des Ortes, seine freundliche Wohnung, vor Allem aber die ungeahnete 12*

180

Nähe eines In »Meßende« Fürstm und eb nes Orchesters, zu viel Einladendes bar, und er fand stch dadurch leicht bewogen, hier zu verweilen. Der nächste Morgen fand ihir völlig eingerichtet und beschäftigt, Claudinen und Silvius zu schreiben. Den Lehren bat er, ihm die Partitur seiner Oper zu schikr ken, seinen Aufenthaltsort jedoch geheim zu halten. Mit einer Liebe aber, welche die lange Entbehrung bis zur Leidenschaft gesteigert hatte, ging er nun an die Fortsehung seines Werkes. Die aufgehende Sonne fand ihn schor» bei der Arbeit, und nur des Abend­ ritt er zur Erholung in die umliegende Ge­ gend. Die Erscheinung eines jungen Mannes, welcher so eingezvgcn lebte, den Tag über nur tnit Musik beschäftigt war und jeden Abend auf einem Pferde von seltener Schbni-

18 t Heil ausritt, mußte die Aufmerksamkeit des Städtchens gar mannichfach erregen. Man

blieb stehen, dem Reiter nachzublicken, -man

grüßte ihn mit herzlicher Zuvorkommenheit;

doch Viktor erwiederte still den Gruß und

vermied jede Gelegenheit, eine Bekannte schäft anzuknüpfen. Eines Abends jedoch ward Viktor auf

dem Heimwege von einem Reiter eingeholt.

Der tönend« Hufschlag des galoppirenden Pferdes machte Viktors Schimmel unruhig;

er that einige murhigr Sprünge.

Ruhig,

Tartar! sagte sein Herr, indem er sanft des

Thieres Hals klopfte.

Der Fremde, ein schöner, großer Mann

von höchstens fünfzig Jahren, hielt sein Pferd an und grüßte Viktor» artig. Welch

ausgezeichnet edles Pferd reiten Sie, be, gann Jener das Gespräch, von einer Race,

182

die matt hier zn Lande selten sieht; Kopf .und Hals sind ganz arabisch. So edler Abkunft, verseht« Viktor, darf der Schimmel sich zwar nicht rühmen, doch mag Asien wohl sein Vaterland seyn. Sicherlich! sagte der Fremde, mit Kem neraugen den leichten, stolzen Gang bei Pferdes beachtend. Entschuldigen Sie die Frage. Ist'Jhnen das Thier seil? Nein, entgegnete Viktor. Wäre eS auch nicht das Geschenk eines theuren Freundes, so hat mir das edle Thier doch so manchen Dienst geleistet, daß eS undankbar seyn würde, mich von ihm zu trennen. Der Fremde betrachtete aufmerksam sei/ nen Begleiter. Sie haben gedient? fragte er. Viktor war zwar entschlossen, sein Zm eognito zu bewahren; doch wollte er keine Unwahrheit sagen. Er bejahte daher die Frage.

_183 Entschuldigen Sie, hob der Fremde an, diese meine Zudringlichkeit.

Ich bin der

Fürst von * * *, «in leidenschaftlicher Freund

der Mustk, und habe mit Interesse vernom/ men, daß Sie diese Neigung theilen.

Viktor war überrascht. Er fühlte, daß eS unschicklich seyn würde, sich länger zu

verbergen.

Er nannte dem Fürsten seinen

Namen und gestand ihm, daß äußere Um/ stände, wie eigne Neigung den Entschluß in ihm erzeugt hätten, sich ganz der Musik

zu widmen. Die reizende Stille des OrtA,

fuhr er fort, und, um aufrichtig zu seyn, auch die Nähe »ine- kunstliebenden Fürsten

haben mich bestimmt, einige Monate wenig/ stens in Euer Durchlaucht Residenz zu ver/

weilen. Wie erfreulich, aber auch wie unfreund/

lich, sagte der Fürst, bqß Sie mir nicht gleich Ihren Besuch schenkten!

184

Wie viel Aufforderung hierzu, erwiederte Viktor ehrerbitig, auch die gleich in den

ersten Stunden meines Aufenthalts erlangte

Kunde von Ew. Durchlaucht Herablassung enthielt, so hatte ich doch zu viele Ursache,

die Einsamkeit zu suchen. — Ei» leiser Aus, druck,von Trauer überflog bei diesen Wor­ ten Viktors Züge.

Wahrlich, sagte der Fürst, es ist keine

Welt mit ihren rauschenden Vergnügungen, in welche ich Sie rinlade. Auch ich lebe

die größte Hälfte des Jahres still genug. Aber Sie finden täglich bei mir Mlsfik,

und wie ich denke, gute Muflk; wenn Sie

daher nicht eine unüberwindliche Abneigung

gegen die Gesellschaft fühlen, wird es mich immer freuen, Sie bei mir zu sehen.

Sie hielten am Schloßberge.

Viktor

sprach seinen Dank lebhaft aus und ward

185 vom Fürsten für den folgenden Mittag zur Tafel geladen. Als Viktor sich im Schlosse einfand,

führte ein Lakai ihn in den Park.

Hier

fand er de« Fürsten im Gespräche mit dem

Gehcimenrathe und dem Kapellmeister, in dem schattigen Lindcngange wandelnd, wel­

cher vom Schlosse mitten durch den Park bis zum'Abhange des Berges führte. In,

dem man den Baumgang verfolgte, blieben dir Terrassen dem Blick verborgen, welche

zur Stadt hinunterführten.

Einen um so

«mmuthigern Anblick gewährte es, aus du grünen Nacht des Waldes auf die sonnige

Ebene und das Gebirge zu schauen.

Ein

freundliches Dörfchen, hinter ihm eine ma­ lerische Berggruppe, erschienen am Ende der Allee wie ein reizendes Miniaturbildchen, von grünen Laubzweigen eingefaßt.

Der Fürst hatte im Hinunterwandeln

186

daS Ende der Allee erreicht. Er wendete um und kam auf Viktor» zu, eben, als ans einem Seitengange zwei Damen dem Für/ fielt entgegentraten. Viktor fuhr überrascht zusammen und blieb, wie von einer mtu derbaren Erscheinung gefesselt, mehrere Au­ genblicke stehen. In ein lichtblaues Gewand gekleidet, den weißen Schleier zurückgeschlagen, glich eine der Damen in Wuchs und Gang, ja in den Zügen stlbst, so weit die Entfernung diese zu erkennen erlaubte, so auffallend Claudinen, baß Viktor in der ersten Ueber, raschung die Geliebte selbst zu erblicken wähnte. Die Worte seines Begleiters: Eö ist die Prinzessin Helene, gaben ihm seine Be­ sonnenheit wieder. Er trat der Gesellschaft entgegen. Der Nkttmcister von Holm, ein eben so

187 braver Musiker, al- Krieger, sagte der Fürst,

mit einem Dlick auf die Ehrenzeichen an seiner Brust, indem er den Fremden vor­

stellte. Auch in dieser Nähe zeigte sich eine fast schwesterliche Achnlichkeit.

Unruhig klopfte

Viktors Herz und trieb alle- Blut in seine Wangen bei der Anrede der Prinzessin, da

er zugleich hoffte und fürchtete, auch Clan,

bittend Stimme zu vernehmen.

Aber es

war ein schönes, doch fremdes Organ, mit einem leichten Anfluge südlichen Dialektes. Schon beim Frieden nahm ich Abschied,

erwiederte Viktor auf ihre Frage, und die,

ser reizende Ort hat mich gleich Anfangs festgehalten, ehe ich noch den ganzen Um, fang seiner Anmuth erkannt hatte.

Gewiß, sagte die Prinzessin, eS ist ein

liebes, freundliches Fleckchen der Erde, wel,

cheS wir bewohney, und ich erwarte stets

188 mit Ungeduld detrFrühling, der uns wieder

hierher führt. Die Gesellschaft war unterdessen an dm

Abhang deS Berges getreten.

Das Helle,

freundliche Städtchen lag zu ihren Füßen; durch blumige Wiesen schlairgclte sich der Fluß; blühende Dörfer lagen wie glückliche

Inseln in dem Meere smaragdgrüner Saar ten; das nahe Gebirge stand im Schmucke

des jungen Lqubes; ferne, hohe Dergspihen strebten kühn in die Wolken; am Rande

der Ebene, die sich rechts unermeßlich ausdehnte, schimmerten die Thürme einer gro­

ße», volkreichen Stadt.

Ich denke eben daran, sagte die Prin­ zessin, wie schwer es doch ist, die Schön­ heit einer Gegend zu beschreiben.

Wiesen,

Felder und Wald, Stabte und Dörfer? Ge­

birge und Flüsse, tausendmal finden wir diese reizende Zufamckenstellung, und immer ist

189

der Charakter des Bildes ein anderer. Nur

in kleinen Rahmen vermögen wir die Eigenthümlichkcit einer Gegend aufzufassen; sobald das Bild zu reich wird, versagen die

Mittel. So ist die Aussicht vom Gebirge

her nuf Stadt und Schloß nicht minder schön, aber enger; der Hintergrund liegt nah, dort mag es gelingen, durch die Be-

schrcibung ein treues Bild zu entwerfen,

wahrend auf diesem Punkte das Auge der Schönheiten zu viele trifft, um sie zu fassen.

Sollte aber nicht, erwiederte Viktor, die Fantasie dem Menschen zu Hülfe kommen,

um diese Lücken zu füllen? Derjenige, weit eher die Schönheit einer Landschaft in Wor­

ten auszudrücken unternimmt, wird doch immer die Hauptzüge des Gemälde- anzu­ geben wissen.

Mehr bedarf es aber nicht,

um die Einbildungskraft des Zuhörers aufzuregcn, die sich bald das ganze anmuthige

190 Bildchen auSzumalen wissen wird.

Mag

Jeder so auch ein verschiedenes erhalten, der Haupteindrnck wird doch stets der näm­

liche seyn.

Der Geheimerath, unterbrach der Fürst

das Gespräch, macht mich eben darauf auf­ merksam, lieber Rittmeister, daß nicht allzu­ fern von hier eine Familie wohnt, welche

auS-dem Preußischen stammt; vielleicht fin­ den Sie hier unerwartet Verwandte.

Ich glaube kaum, Ew. Durchlaucht, er,

wiederte Viktor ohne Verlegenheit.

Von

meiner Familie weiß ich nicht viel mehr zu

sagen, als daß mein Großvater Geistlicher «ar; mein Vater ist es noch, und mich selbst hat nur der Krieg, so wie meine Nei­

gung zur Musik, diesem Stande entfremdet.

Und es hat Ihnen keine Ueberwindung gekostet, eine Laufbahn wieder zu verlassen,

191

welche Sie so schön besonnen haben? fragte der Fürst.

Nicht die mindeste, Ew. Durchlaucht. Dem Rufe unsers König- mit Begeisterung folgend, hat die Jugend aller Stände die Waffen ergriffen. Das Ziel ist erreicht, und gern kehren Alle in die alten Verhält« nisse zurück. Diese Erhebung Ihres Volkes, sagte der Fürst, wird ewig ein glänzender Punkt in dessen Geschichte bleiben. Jetzt ward gemeldet, daß aufgetragen sey. Die Gesellschaft trat in ein Zelt, wel« ches unweit der Stelle, auf welcher sie bis, her gestanden, aufgeschlagen war. ES führte die Farben des Hauses, himmelblau und weiß, und war ein um so freundlicherer Aufenthaltsort, als die zurückgeschlagenen Seitenwände den freien Blick in die schöne

192

Gegend, wie in die dunkeln Gänge des

herrlichen ParkS gewährten. Zu nah lagen die großen Begebenheiten der lehtvergangenen Zeit, und zu günstig bot sich die Gelegenheit bar, einen Augen/ zeugen darüber zu vernehmen, um sie nicht zu ergreifen; je schwerer cs überdem auch

dem Aufmerksamsten geworden war, an dem Faden der öffentlichen Nachrichten den krie/

gerischen Ereignissen zu folgen, mit desto größerem Interesse suchte der Fürst aus Viktors Erzählungen das mangelhafte Bild zu ergänzen. Er fand unfern Freund gut

unterrichtet und hörte ihm mit um so grö/ ßerm Wohlgefallen zu, als der junge Kriee ger weder die Thaten feines Volkes unger bührlich erhob, noch mit hochfahrendem Tae del freigebig war, vielmehr überall eine

schöne Milde des Urtheils bekundete. Er gewann dadurch je länger je mehr

193

die volle Achtung des Fürsten, die sich in

seinem Benehmen unzweideutig aussprach. Vertrauen Sie mir, sagte der Fürst, nach aufgehobener Tafel unsern Freund in den Park führend; ich intcressire mich sehr für Sie. Noch liegt ein Schleier über Ihren Schicksalen; Sie scheinen nicht glück­ lich zu seyn. Lassen Sie mich ohne allen

Rückhalt erfahren, auf welchem Wege meine bereitwillige Hülfe Ihnen zu Theil werden kann. Meine äußern Verhältnisse, erwiederte Viktor, würden glücklich zu nennen seyn,

wäre mein Herz nicht unheilbar erkrankt. Daher, mein Fürst, setzte er bewegt hinzu, bin ich verurtheilt, die theure Heimath zu meiden und ein unstateS Wanderleben zu führen.

Und giebt es in der That keine Hülfe? III.

13

194 fragte der Fürst, indem er theilnihmenb Viktor« Hand ergriff. Nein, mein Fürst; doch Em. Durchs

jaucht Güte verbietet jede weitere Zurück, Haltung.

Wenig Worte enthüllen mein

trauriges Geschick. Ich liebte ein edles Mäd,

chen, und sie war — meine Schwester! Der Fürst erbebte und drückte still de«

Unglücklichen Hand.

Vergeben Sie der gut

ten Absicht, sagte er nach einer Pause, in welcher ich so unberufen da« Heiligthum

Ihre« Schmerzes berührt habr.

Nur zu

oft besingt uns Fürsten der thörigte Wahn, wir vermöchten mehr, als andere Sterbliche; hastig greifen wir zu, unbekümmert um Zeit

und Verhältniffe, bis ein höheres Schicksal

uns nur zu schmerzlich unsere Ohnmacht

empfinden läßt. Bereuen Sie e« nicht, mein Fürst, er, «lederte Viktor gerührt, einem Unglücklichen

195

einen Blick in Ihr edles Herz verstattet zu haben, der den ganzen Werth dieser groß/ wüthigen Theilnahme zu schätzen weiß und seit dieser Stunde Ihnen mit der innigsten Verehrung angehört. Ist eS doch gut, dann und wann dem Unglück fest in'S Auge zu blicken, wäre es auch nur, um sich seine Pflichten von Neuem in'S Gedächtniß zu rufen. Edler Mann, sagte der Fürst bewegt, wie dankbar ich Ihnen auch für diese Ge­ fühle bin, ich empfinde nur mein Unrecht. Ich habe vermuthlich Ihnen einen ruhigen, mir gewiß einen schönen Abend verdorben. Ich darf Sie heute nicht länger hier zu ver­ weilen bitten, hoffe aber, daß Sie mein Haus nicht werden entgelten lassen, was ich verschuldete. Zu allen Stunden werden Sie herzlich willkommen seyn. Vikwr beurlaubte sich.

196 Aon diesem Tage an gestaltete sich um ferm Freunde mehr und mehr ein sehr

glückliches Verhältniß, welches, wenn cs auch seinen Schmerz nicht zu heilen vcr/

mochte, doch wohlthätig ihn zu zerstreuen wirkte. Je näher der Fürst Viktor» kennen

lernte, je mehr gewann dieser seine Zunei/

gung, und bald schien ihm etwas zu fehlen, wenn sein junger Freund nicht bei ihm war. Wo aber hätte sich auch Viktor wohlcr

befinden können, als auf dem Schlosse, wo er den edelsten Umgang fand, wo ein herz/

liches Vertrauen ihm entgcgenkam und wo

ein weibliches Wesen wohnte, dessen wum derbare Achnlichkeit mit Claudinen mit be/

sänftigendcm Zauber auf sein Herz wirkte? Es war ja nicht blos die äußere Ucbercim stimmung, die anmuthigc Wiederholung einer

über Alles geliebten Gestalt, was er hier wicderfand, sonder« auch den überraschend/

197 sten Gleichklang der Seelen.

Tausendmal

mußte Viktor es sich sagen: so würde Claue dine gedacht und empfunden, gerade so sich

ausgcdrückt, so dieses Lied gesungen haben.

Daß der Fürst mit seiner Tochter über

Viktors Verhältnisse gesprochen hatte, wurde mehr als wahrscheinlich durch das sanfte,

milde Benehmen der Prinzessin gegen ihn.

Ihr verkrauenvolles Hinneigen zu ihm, die zarte Schonung, welche sie ihm bewies,

konnten allein der Theilnahme ihren Ur/ sprung verdanken, die ein edles Herz so

gern dem Unglücklichen bezeigt. Nur eins entbehrte Viktor schmerzlich

— nicht von Claudinen mit der Prinzessin

reden zu dürfen. Doch der Himmel, der das neue Verhältniß wohlwollend zu be­ schützen schien, versagte auch diesen letzten

Wunsch nicht.

Die Prinzessin erzog rin kleines, früh

198 verwaistes Mädchen.

Das Kind wat fast

immer in der Gesellschaft, wo es durch die

Anmuth seiner Forme«, wie durch feine große Lebendigkeit ergötzte.

Eines Abends nun hatte Viktor die Prin, zessin auf einem Spaziergänge durch den Park begleitet und dann mit ihr vor jenem

Zelte Platz genommen, um den Untergang der Sonne zu erwarten.

Die kleine Ma,

thilde saß auf Viktors Schooße und spielte mit seinen Orden.

Während eines anzle,

henden Gesprächs mit der Prinzcsfin blieb das Spiel der Kleinen unbeachtet, welche

während dessen eine feine, goldene Kette gewahrte, die unter Viktors Kleidung her,

vorblinkte.

Muthwillig riß sie die Kette

heraus, welche zersprang und das Medaillon in den Schooß der Prinzessin fallen ließ.

Die Kapsel sprang auf und enthüllte Hele,

199 MN ein Dildniß, in welchem sie ihr eigne» zu erkennen glaubte.

Das bist Du! rief die Kleine, von Dik/ torS Schovße herabspringend und nach dem

Bilde greifend. Die bestürzte Prinzessin schien mit Em/ pfindungen zu kämpfen, für welche sie »er/

gcblich den schicklichen Ausdruck suchte. Es ist das Bild einer nur zu geliebten Schwester, gnädigste Prinzessin! sagte Dik/

tor, gleich betroffen über den Zufall, indem et das Bild ans de« Kinde« Hand nahm; ich beschwöre Sie, mir dies zu glauben und

Mich jeder frevelhaften Vermessenheit fite

unfähig zu halten, deren diese wunderbato Aehnlichkeit mich beschuldigen könnte.

Jener Schwester? — fragte Helene mit dem alten Tone de« Vertrauens und mit aller wiederkehrenden Huld ihrer Mienen. —

Mein Vater, fttzte sie zögernd hinzu, glaubte

200 mir Ihr Geheimniß vertrauen zu müssen,

um Sie vor jeder möglichen Verletzung Ihr res Gemüths sicher zu stellen.

Ja, es ist jene unglückliche Schwester,

sagte Viktor, mit der ich einen seligern Bund für dieses Leben zu schließen mir

schmeichelte. — ES ist Claudine! Armer Freund, tief die Prinzessin ans, indem sie Viktor» die Hand reichte, die die«

ser ehrerbietig an seine Lippen drückte-, so mußte denn die Tochter Ihnen in gleicher Art wehe thun, wie der Vater! Segnen will ich diesen Zufall, Prinzeft

sin, sagte Viktor, wenn Ihre Herablassung mir vergönnt, nur dann und wann Ihnen

ein Wörtchen von dieser geliebten Schwe­ ster sagen zu dürfen; zu lange schon ent­ behrt mein Herz des beseligenden Genusses

der Mittheilung. Mit eben der Freude, erwiederte Helene,

201

würde ich die Erneuerung Ihres Glückes erfahren/ als ich jetzt bereit bin, Ihre Mitt Heilungen j« empfangen. — Ein letztes mattes Abendroth fiel auf Viktors erblaßte Wangen, als er seine Ett

Zahlung beendigt hatte. Schwermülhig tönte Hörnerklang voM Schlosse herüber. Die

Prinzessin erhob sich. Schrecklich, schreck/ lich! sagte sie leise, die Augen verhüllend. Himmel! woher nehmen Sie den Muth,

dieses Geschick zu ertragen?

Viktor zeigte schweigend mit erhobener Hand nach oben, Da wandte sich plötzlich Helene zu ihm, und von fremdem und eignem Schmerze

ergriffen, faßte sie des Jünglings Hand und sagte traurig: Viktor, auch ich bin nicht glücklich, KhÖ

ich zittere meinem Geschicke entgegen, seit

202 ich weiß, wie sehr ich Ihrer Llaudine

gleiche.

Schweigend gingen sie nach dem Schlosse.

Der Weg zu einem gegenseitigen Ver#

trauen war gebahnt.

In verschwiegener

Stunde legte Helene ihr Geheimniß in

Viktors Busen nieder.

Nur zwei Menschen kennen es außer

mir, sagte sie, bevor sie die Mittheilung 6t# gann, aber ich widerstehe dem Drange nicht, mich Ihnen ju eröffnen, mir ein mitfühlen#

des Herz zu gewinnen und das Urtheil ei# neö Freundes zu vernehmen.

Vor vielen Jahren schon erlosch der

männliche Stamm eines deutschen Fürsten# Hauses, dessen Land unter mehrere Seiten# verwandte getheilt wurde.

Von

dieser

Erbschaft war auch dem Großvater Hele#

203

nenS ein nicht unbeträchtlicher Theil zuger fallen. Zwei große Aemter jedoch, welche er da,

mals mit in Besitz genommen hatte, wären von einem miterbenben Fürstenhause in Am spruch genommen worden. Seit geraumer Zeit hatte deswegen ein Rechtsstreit ge, schwebt, in welchem Urtheile ergangen wa, ren, ohne die Sache zu schlichten. Der Prozeß hatte nur dazu gedient, eine Hülle von Unannehmlichkeiten zu entwickeln und

Familien zu trennen, welche bisher in den freundlichsten Beziehungen zu einander ge, standen hatten. Endlich war es Helenens Vater geglückt,

nach der Geburt dieser Tochter einen-Der, gleich zu Stande zu bringen. Helene sollte

mit dem Erbprinzen Ernst vermählt wer, den und das eine jener streitigen Aemter

ihrem Gemahle als Aussteuer zubringen,

-204-

das andere dagegen dem diesseitigen Für/

stcnhause verbleiben, und so der lange Streit für ewige Zeiten bcigclegt werden. Dieser Vertrag, welcher die Zurücknahme der Klage zur unmittelbaren Folge gehabt

hatte, war unter Beistimmung aller Agna/ te» abgeschlossen worden und Prinz Ernst

seitdem

jur. Regierung

gelangt.

Seine

Kränklichkeit war atteiu Ursache, daß Ver/

lobung und Vermählung verschoben worden Waren.

Fürst Ernst war ein unfreundlicher Mann,

den dauernde Kränklichkeit noch unliebens/ würdiger gemacht hatte, in dessen Besitz

daher kein Glück zu hoffen war.

Das vollkommene Gegenbild dieses Für/ sten war sein jüngerer Bruder Adolph. Die

herrlichen Anlagen, welche die Natur ihm

verliehen,

hatte eine treffliche

Erziehung

auf's Vollkommenste entwickelt. So erschien

205

er der Prinzessin Helene, geistreich, gut, ein blühender Mann.

Lange hatten Beide mit einer Neigung gekämpft, welche dem Interesse ihrer Hau/

ser widerstritt, bis endlich ein leidenschastli/ chcr Moment ihren Lippen das Eeständniß der Liebe entrissen hatte. — Das tiefste Ge/

heimniß ruhte über diesem Bunde, nur He/

lcnens Bruder wußte darum.

Dennoch

schien Fürst Ernst eine Ahnung dieser Liebe

zu haben, denn er hatte, wenn gleich in

-rätselhaften Worten,

unmuthig zürnend

auf dieses Verhältniß angespielt.

Um so

weniger wagte cs Prinz Karl, HelenenS Bruder, diese Liebe zu begünstigen, da zu befürchten stand, daß bei der ersten Vera»/

lassung, wo sich das Geheimniß verriethe, der Bräutigam seine Vermählung beeilen werde, um sich von einem so gefährlichen

Nebenbuhler zu befreien.

206 So schien denn diese Liebe völlig hoff-

nungslos.

Zur bittersten Entsagung verur­

teilt und entschlossen, fand die Prinzessin

nur Trost in dem schwärmerischen Gedan­ ken, daß sie auch in der verhaßtesten Ehe dem Geliebten die Treue zu bewahren wis­ sen werde.

Durch den Krieg sah Helene der einzi­ gen Vertrauten ihrer Leiden sich beraubt.

Der Bruder, wie der Geliebte, standen bei der tstrrretchischen Südarmee in Frankreich, und vergeblich hoffte sie von Tag zu Tage

ihrer Wiederkehr. Diese Trennung aber verhinderte auch

jede trauliche Mittheilung; denn bet der Wichtigkeit des zu bewahrenden Geheim­

nisses war es verabredet worden, ihren

Briefen nicht- anzuvertrauen , indem schon der erste Versuch dieser Art beinahe die un­

glücklichsten Folgen gehabt hätte.

207

Eine Art von Entschädigung für so horte

Entbehrungen hatte bisher die gleichzeitige Abwesenheit des Fürsten Ernst gewährt, welcher den Winker in Montpellier verlebt

hatte, dessen baldige Rückkehr aber bereit« angemeldet war. Von jedem Uebel genesen, hoffte er auf eine nicht mehr ferne freuden/

reiche Zukunft— Furchtbar nahe stand He, lenen der Tag, der für immer das Glück ihres Lebens vernichten sollte. Jede Stunde konnte den Fürsten zurückführen, und jeder

rollende Wagen Schrecken.

versetzte

sie

daher in

So war der Prinzessin Lage, als Nike tot auf dem Schlosse erschien. Sein Ernst,

seine Trauer, die Offenheit seines Charak, ters gewannen ihm ihr volles Vertrauen,

und nur der Gedanke, daß ihr Geheimniß

nicht ihr alleiniges Eigenthum sey, hatte die Mittheilung desselben bisher verhindert.

208

Aber nach jenem Ereignisse mit dem Bilde, welches Viktors ganzes Herz ihr enthüllte, schwanden auch die letzten Bedenken. — Das lastende Gewicht ihrer Sorge erzeugte das dringende Bedürfniß, ihre Schmerzen einem verwandten Gemüthe zu vertrauen, wie wenig ihr dieser Schritt auch geeignet scheinen mußte, ihre Herzensangelegenheit dem erwünschten Ziele näher zu bringen. Sie hatte jetzt dem neuen Freunde Alles vertraut. Viktor, in Nachdenken versunken, erkannte Lie Lage der Prinzesfin fast als

rettungslos. Das einzige Mittel, der un­ glückseligen, Verbindung zu entgehen — die Flucht, durfte er nicht anralhen; eine Einwirkung auf Helenens Vater schien ihm endlich noch das Gerathenste. Wenn ich, gnädigste Prinzessin, unter­

brach Viktor das Stillschweigen, meinen ehrerbietigen Dank für dieses seltene Vcr-

209

trauen nicht unverzüglich zu erkennen gab, so geschah es, weil ich ein Mittel auszur

spähen bemüht war, um jenem drohenden Unheile auszuweichen.

ES ist schwierig

hier Rath zn ertheile», wo gewiß jede Möge

lichkeit mit höherem Geist und näherer Kenntniß aller Verhältnisse bereits erwogen

worden, und dennoch erfüllt mich das glü­

hende Verlangen, Ihnen nützlich zu werden. Wohin ich die Gedanken auch richte, ich finde keine Reifung, als in einer Eröffnung

gegen den Fürsten, Ihren Herrn Vater. Oftmals, erwiederte die Prinzessin, ist

dieser Vorschlag unter unS besprochen wor­

den; aber immer schien eS uns, daß er nicht

zum Ziele führen werde» Aber warum nicht. Gnädigste?

Sollte

die Darlegung des Ihnen drohenden lln

glück- den Fürsten nicht bewegen, einem Vertrage die Erfüllung zu verweigern, wel

III.

14

210

chem Ihr Leiden «kein feine Entstehung

verdankt? Mein Vater, sagte Helene, würde viel« leicht ans Liebe zu mir keine Opfer scheuen,

wenn ihn sei» Watt nicht gebunden hielte. Niemals würde er es sich verzeihen, einen Vertrag gebrochen zu haben, welcher auf ftinr Veranlassung, unter dem Beitritte al«

ler Verwandten, geschloffen wurde. Es ist

das heilige, weder Deutung noch Zweifel unterliegende Fürstenwort, war ihn bindet.

So lange blos von einer Gebietsabtrer

tUng 6k Rebe war, erwiederte Viktor, Mochte dieser Vertrag immer bestehen, jetzt

aber, da ein« Tochter gevpftrt «erben soll, kann der todte Buchstabe des Gesetzes nicht

enrstheiden, welcher die heiligsten Rechte der Rikkur verletzt.

Es war ein JrrrhNM Ihr

tet Herrn Vaters, da er flch berechtigt

glaubte, so übet ein geliebtes Kind ju ver,

211

fügen, dessen Unglück er sicherlich nicht gr,

wollt hat.

Er braucht nur zu erfahren, in

welchem Grade Sie leiden, und ich bin Überzeugt, seine Liebe und Weisheit werde«

das schickliche Mittel finden, die geliebte Tochter zu retten; ja, ich halte es selbst für

di« heiligste Pflicht, dem Fürsten Alles zu eröffnen, damit er nicht einstmals seine eie gcnen Kinder anklage, daß sie durch Man­

gel an Vertrauen ihn gehindert hätten, die­

sem Unglücke vorzubcugen.

Helene errölhete, eine leise aufdämmernde Hoffnung verklärte ihre Züge. Dann sagte sie bewegt: Aus dem Gesichtspunkte der Pflicht haben wir die Sache nie betrachtet. Himmel, wenn Sie Recht hätten, wenn

dieser Weg zur Rettung führen sollte, würde

ich Ihnen dann jemals genug danken könne«? O, warum sind mir diejenigen gerade jetzt so fern, fuhr sie fort, mtf denen «8rin ich

14*

212 mich berathen kann, ohne deren EiMvilljr

gung

ich niemals

diesen

entscheidenden

Schritt wagen darf!

Ich darf nicht entscheiden, begann Dikr tot, wie viel eine Prinzessin wagen darf,

da die Verhältnisse eine- Fürstenhauses mir

unbekannt sind und ich diese nur nach den Gefühlen meines Herjens beurtheilen kann. Bleibt der Fürst doch ewig zugleich Vater, wie die Prinzessin Tochter, schlingt die Rar

tue doch um Beide dieselben ewigen Bande der Liebe, wie um andere Menschenhrrzen.

Verzeihung daher, meine Fürstin, wenn ich, jeden Aufschub verwerfend, Ihnen nur rar

thcn kann, sich noch heute in die Arme Ihr

res Vater- zu werfen und ihm Alle- zu

gestehen. Unmtglichl rief Helene au»; ich wage

es nicht, diese Verantwortlichkeit aus mich

213 zu nehmen. Nein, sie müssen darum wissen, Adolph und Karl! Wohlan denn, Prinzessin, ich bin zu

Ihrem Dienste bereit. Vertrauen Sie mir die theuren Zeilen für die Prinzen an, und

noch in dieser Stunde reise ich ab.

Helene blickte Viktor» überrascht an. Ihr Ange glänzte in sanfter Rührung. Ja,

mein edler Freund, sagte sie in großer Der

wegung, ich will es annehme», dies schöne Opfer einer uneigennützigen Freundschaft, und in einer Stunde soll der treueste Ger sandte, den jemals ein armes, liebendes

Mädchen gefunden hat, meine Briefe emr pfangen. Viktor eilte in seine Wohnung, meldete

Claudinen seine Abwesenheit für mehrere Wochm und traf die nöthigen Vorbereitun­

gen zur Reise.

Dann empfing er im- Ger

Heimen die Briefe der Prinzessin und Auer

214

tunst über den vermuthlichen Aufenthalt der Empfänger. Ich femme, mich bei E«. Durchlaucht aas wenige Tage zu beurlauben , sagte er dem Fürsten; die theuersten Familienver, hältniffe fordern meine schleunige Abreise. Was ist vorgefallen, lieber Holm? fragte der Fürst; Ihr Auge leuchtet, Sie sind in ungewöhnlicher Bewegung! Ew. Durchlaucht erfahren Alles, sobald ich zurück bin; das Geheimniß betrifft nicht mich allein. Wenig Minuten später verließ Viktor mit Eourierpferden die Stadt.

Achtes Kapitel, Es mochten seit Viktors Abreise einige Tage verstrichen seyn, als in der Abend/

214

tunst über den vermuthlichen Aufenthalt der Empfänger. Ich femme, mich bei E«. Durchlaucht aas wenige Tage zu beurlauben , sagte er dem Fürsten; die theuersten Familienver, hältniffe fordern meine schleunige Abreise. Was ist vorgefallen, lieber Holm? fragte der Fürst; Ihr Auge leuchtet, Sie sind in ungewöhnlicher Bewegung! Ew. Durchlaucht erfahren Alles, sobald ich zurück bin; das Geheimniß betrifft nicht mich allein. Wenig Minuten später verließ Viktor mit Eourierpferden die Stadt.

Achtes Kapitel, Es mochten seit Viktors Abreise einige Tage verstrichen seyn, als in der Abend/

215

dämmerung zwei junge östcrrcichische.StaabSoffiziere in einem Zimmer des ersten Gast-

Hofes in Lyon, in halblautem Gespräche ver-

tieft, auf und ab gingen. Da öffnete sich die Thär und unangemeldet trat ein Frem-

der mit Briefen von einer geliebten und

bekannten Hand zu den Ucberraschten ein» Durch eine glückliche Verkettung von Umstanden, begann Viktor, bin ich mit dem Vertrauen der Prinzessin Helene beehrt

worden. Sie erwartet mit Sehnsucht Ant« wort auf diese Schreibe». Ich werde da«

her so frei seyn, mir diese in einigen Stun­

den zu erbitten, da es Ihr Wille seyn dürfte,

daß ich noch in dieser Nacht die Rückreise antrete. Er verbeugte sich und verließ eilig

das Zimmer. Als er nach Verlauf einiger Stunden

die, Prinzen wieder aufsuchte, ward er von ihnen mit offenen Armen empfangen.

216 Jetzt erst, sagten ste, kenne» wir Jhrv Fart« Aufopferung für -ein uns so theures Interesse. Und in verhängnisvoller Stunde sind Sie erschienen, sehte Prinz Adolph

hinzu. Mein Bruder hat die Rückreise be­

reits angetrcten. Niemals war die Gefahr dringender; er ist völlig hcrgestcllt und denkt nur an seine Vermahlung; ich weiß es aus

sicherer Quelle, wie wenig geneigt er auch scheint, mich vor der Zelt von seinen Plä­ nen zu unterrichten.

Wenn wir nicht früher gewagt haben, das Schicksal der Liebenden in des Vaters

Hand zu legen, nahm Prinz Karl das

Wort, so verhinderte dies nur die Erwä­ gung der Heiligkeit geschlossener Verträge

und die Dcsorgniß, durch die Mitwisscn-

schaft des Fürsten die Zahl der Trauernden nur zu vermehren.

Zu lange hatten wir

uns gewöhnt, die arme Schwester als ein

217

trauriges Opfer der Lonvenieuz und" die

mögliche Aenderung 'ihres Schicksals atleht

von dem Hinscheiden desjenigen abhängig zu betrachten, den der Himmel nur für ein kurzes, freudenloses Daseyn bestimmt zu hae

bcn schien. . Jetzt muß das letzte Mittel ge, wagt werden, anf welches Ihr richtiges und zartes Gefühl uns hingewtesen hat, daß es

nämlich die Pflicht der Tochter sey, ihr

Herz dem Vater zu eröffnen. Bei Mm Charakter des Fürsten , voll seltener Treue und Festigkeit, dürfen wir zwar wenig Host

feil, aber dennoch muß der entscheidende

Schritt gewagt werden. Es ist gut, daß

meine Schwester dem Vater die ersten Ere »ffnungen macht; ich selbst werde in wen»

gen Tagen meine Bitten mit den ihrigen vereinigen. Wäre es nicht möglich, sagte Viktor,

daß Ew. Durchlaucht mich begleiteten?

218

Es würbe sehr schwierig seyn, erwiederte

der. Prinz, wegen meiner militairischen Stellung hier, und es möchte, wie ich den Fürsten kenne, von ihm nicht einmal gut

geheißen werben. Verlassen Sie sich bare auf, daß ich nicht lange zögern werde.

Sie sehen mich fragend an, begann Prinz Adolph, zu Viktor» gewandt. Sie können

die grausamen Qualen nicht bezweifeln, die

mich verzehre«. 0 wie gern flöge ich hin,

meiner angebcteten Helene zum Beistände! Unter heißen Bitten wollte ich des Fürsten Knieen umfassen, die eigne Liebe ihm zum

Opfer bieten, könnte dies sie von einer Ver/

bindung befreien, die ihr den Tod bringen wird. Aber so unselig sind diese Verhält/

Nisse, daß ich in keiner Gestalt dort zu er/ scheinen wagen darf, ohne meinen Bruder

zu schonungslosen Maßregeln zu veranlassen.

Und wen auf der Welt hab' ich sonst zu

219

schonen, außer derjenigen, für die allein das Leben nur Werth hat?

Schilbern Sie der

Prinzessin diese Qualen

der Entsagung,

Freund, de« die Gunst des Himmels mir

so wunderbar zngcführt hat, und sagen Sie ihr, daß ich unfehlbar binnen drei Tage«

«ach meinem kleinen Besitzthum abgehea und dort mit Sehnsucht ihre Mittheilungen

erwarten werde. Viktor widerstand den dringenden Bit­

ten der Prinzen, sich wenigstens diese Nacht

Ruhe zu ginnen, und blieb entschlossen, auf

der Stelle abzureisen.

Wir müssen dem

Zufall keinen Vortheil über uns rinräume», sagte er; wer mag wissen, welches Mißge­

schick in der versäumten Stunde herrinbre, chen kann?

Unter heißem Dank

für

feine auf­

opfernde Theilnahme mußten sie ihm bei­

pflichten.

220

Als der Morgen tagte, hatte der Rei-

seüde schon eine große Slrecke Weges yu

rückgclegt.

Ein ihm selbst unerklärliches,

'ängstliches Gefühl trieb ihir unaufhaltsam vorwärts; kein Mittel blieb unversucht, nm die eilenden Stunden zu überflügeln.

ES

gelang ihm, fast einen vollen Tag einzudringen-

Bei nächtlicher Weile erreichte er die RePdenj des Fürsten.

Wefl?n ist der Reiser

Magen? fragte Viktor ien Aufwärtcr, der ihn in seine Wohnung ließ.

Er gehört dem Hofmarschall des Fürsten Ernst von * * *, war die Antwort, der

kaum vor einer Stur,de angelangt ist und sich eben niedcrgclegt hat.

Die Ahnung

einer

unheilbringenden

Sendung erwachte in Viktorn; er flog nach­ dem Schlosse

meister.

und

weckte den Haushof­

221

Ich habe der Prinzess!« wichtige Nach­

richten zu überbringen, sagte er dem stau­ nenden Alten; sorgen Sie, daß ich sie un­ verzüglich sprechen kann, es gilt das Glück ihres Lebens!

Ich will den Fürsten wecken lassen, er­ wiederte der Alte, aber die Prinzessin — aufrichtig gesagt, das wage ich nicht.

Sie haben ehrenvoll als Soldat gedient, rief Viktor aus, nun denn, bei dem Ehren­ worte eines Soldaten, das Glück der theu­ ren Prinzessin hängt an dieser Stunde.

Ihr ganzes verweintes Leben genügt nicht, um diese versäumte Stunde zurückzukaufen.

Bei Allem, was dem Menschen theuer ist,

beschwöre ich Sie, meine Bitte zu erfüllen! Der treue Diener ward erschüttert. Ich

weiß es, wie sehr der Fürst Sie schätzt, sagte er; Sie können nur Gutes beabsichti­

gen. Ich gehe, die Kammerfrau zu wrckrn.

222 Nach einer kleinen Viertelstunde ward

Viktor vorgclaffen.

In heftiger Bewegung

warf er sich der Prinzessin zu Füßen.

Hier, meine Fürstin, bringe ich die Ein» willigung der Prinzen; doch nun ist keine

Stunde mehr zu verlieren, Ihr Glück hangt

an wenigen Minuten.

Eine tödtliche, nur

allzu begründeteAngst hat mich hergetrie-

ben.

Fürst Ernst ist auf der Rückreise,

und schon ist sein Abgesandter eingetroffen,

unfehlbar in der Absicht, morgen um Ihre

Hand zu werben; nur diese Nacht gehört noch Ihrem Glücke!

Helene vernahm diese fast in Verzweif­ lung ausgestvßenen Worte, sah die verstör­ ten, bleichen Züge des Jünglings und ein Thrünenstrom entstürzte ihren Augen. Viktor, sagte sie in tiefer Rührung, ist

möglich, daß die aufopfernde Liebe für

223 eine Fremde Sie dahin bringen konnte? Sie erliegen ja der Last dieser Anstrengung! Nein, meine angebetete Fürstin, ich

«erde nicht erliegen!

Zn wenig Augen­

blicken wird die Freude diese nur von Sor­

gen gebleichte Wangen wieder röchen. Aber

ich beschwöre Sie, sprechen Sie ungesäumt

mit Ihrem Vater!

Noch in dieser Stunde, sagte Helene;

bleiben Sie in der Nähe, mein Freund. Als Viktor den Corridor hinunterflog, öff­ nete sich eine Thür; der Fürst trat auf die

Schwelle, einen Armleuchter in der Hand.

Ist es möglich?

Sie,

Rittmeister

Holm? — Ist etwas vorgesallen? einem

Bon

ungewöhnlichen Geräusch erweckt,

vernehme ich auf dem Gange eilige Schritte,

Thürefl wdrdeN geöffnet; ist ein Unglück geschehen? Nein, mein gnädigster Fürst.' aber bkeft

224

Stunde entfernt vielleicht ein schwer dro­

hendes auf immer von einem theuren Haupte.

In wenig Augenblicken wird eine heiße Bitte an Ihr Herz gelegt werden. 0, seyn

Sie gnädig, mein Fürst, und der Himmel

gieße alle seine Milde über die kommende

Stunde. Bei diesen Worten erschien der Fürstin

Kammerdiener. Der Abgesandte der Prinzessin, sagte

Viktor, verneigte sich tief vor dem Fürsten und entfernte sich. Erschöpft sank er auf des Haushofmei­ sters Zimmer in einen Sessel. Sie bedür­

fen der Stärkung, sagte theilnehmend der Alte, indem er eine Flasche Wei» vor Vik­

tor» hinstcllte und ihm etnschenkte. Mir werden hoffentlich die nächsten Mi­

nuten Stärkung bringen, erwiederte Viktor; möge Gott Astes zum Guten wenden!

225 Eine Stunde mochte vergangen seyn, als Viktor zum Fürsten gerufen wurde. Ein

Sturm wechselnder Empfindungen durchbebte

ihn auf diesem Gange.

Als er in das Zimmer des Fürsten trat, ruhte Helene in des Vaters Armen und

verhüllte die weinenden Augen.

Helene, sagte der Fürst, Dein Freund steht vor Dir! Richte Dich auf und last

ihm erkennen, daß es Freudenlhranen sind, die Du weinst. Alsbald entriß sich die Prinzessin den

Armen des Vaters, und durch ihre Thränen selig lächelnd, flog sie auf Viktor» zu, rre

griff seine Rechte, die sie mit Innigkeit an ihr Herz drückte, und rief aus: 0 mein treuer Freund, mein Erretter, Engel mLgen Ihnen meinen Dank sagen, ich vermag es

ja nicht! III.

15

226

So ist es Wirklichkeit? rief Viktor; und

alle Ihre Wünsche sind erfüllt? Alle! sagte die Prinzessin, durch ihn,

durch ihn! Sie warf sich von Neuem in die Arme ihres Vaters.

Noch erbebe ich, sagte der Fürst, bei dem

Gedanken an die drohende Gefahr. Wie standen unbesorgt, ahnungslos an dem Rande

eines Abgrundes.

Wunderbare Verkettung

menschlicher Schicksale! fuhr er fest. Er

Mußte unglücklich werden, um hier glücklich zu machen! Er schloß den Jüngling bewegt in seine

Arme. Beseligend ist, sagte er untre der Umarmung leise, das Gefühl, solchen Freund zu besitzen! — Und nun, meine Kinder,

laßt uns ruhen. Vieles muß geschehen in

de» nächsten Tagen.

Schlummer sanft,

meine Tochter, und von schönen Träumen eingewiegt. Auch Sie, mein Freund, teew

227

den sanft ruhen bei dem triftenden tottouyt, seyn, eine edle Thätigkeit von solchem Ere folge gekrönt zu wissen.

Neuntes Kapitel. Als Viktor erwachte, dämmerte der Abend. Dieses langen Schlafes hatte die erschöpfte Natur bedurft, flch neu zu kräftigen. Er ging auf'S Schloß; der Dürft war seit dem frühen Morgen verreift. Im vollen Glanze der Freude trat ihm die Prinzrsftn entgee gen. Mehr wie jemals glich sie ClaudintN. Da faßte ihn der alte Schmerz, und müh, sam nur hielt er sich aufrecht. Helene sah, was in ihm vorging, und verbarg sorgsam des eigenen Glückes Hochgefühl, um den Freund zu schonen.

227

den sanft ruhen bei dem triftenden tottouyt, seyn, eine edle Thätigkeit von solchem Ere folge gekrönt zu wissen.

Neuntes Kapitel. Als Viktor erwachte, dämmerte der Abend. Dieses langen Schlafes hatte die erschöpfte Natur bedurft, flch neu zu kräftigen. Er ging auf'S Schloß; der Dürft war seit dem frühen Morgen verreift. Im vollen Glanze der Freude trat ihm die Prinzrsftn entgee gen. Mehr wie jemals glich sie ClaudintN. Da faßte ihn der alte Schmerz, und müh, sam nur hielt er sich aufrecht. Helene sah, was in ihm vorging, und verbarg sorgsam des eigenen Glückes Hochgefühl, um den Freund zu schonen.

228

ES ist schon überwunden, sagte Viktor schmerzlich lächelnd; wie kräftig man auch zu seyn glaubt, doch zeigen sich Rückfälle, web ehe wie letzter Fieberfrost die genesende Nae tur anfalle». Verbergen Sie mir nicht Ihr volles Glück, Prinzessin! Diese wundere bare Aehnlichkeit ergriff nur deshalb mich heute lebendiger wie je, weil ich aller Nach« richt von ihr gänzlich entbehre. Helene bemühte sich liebevoll, mit zarter Theilnahme seine Besorgnisse zu zerstreuen, als da« Eintreten des Kapellmeisters sie unterbrach. Was macht die Oper? fragte er im Laufe des Gesprächs. 5« wenigen Tagen, sagte Viktor, werbe ich damit fertig seyn, eS fehlt nur noch die Ouvertüre. Herrlich! erwiederte Jener; dann soll eS gleich an bas Ausschreiben der Stimme»

229 gehen, denn der Fürst verlangt bte Auf­

führung. Die Singstkmmen- -«merkte Viktors sind schon ausgeschrieben; biet habe ich während

meiner Abreise besorgen lassen. Vortrefflich! fiel die Prinzessin «im; da könnten wir ja wohl heute schon eine kleine

Probe halten?

Viktor holte die Partitur.; Die Gesellschaft begab sich in den Gar,

tensaal; man vertheilte die Partien.

Die

Prinzessin übernahm die Rolle der Cian, dine, ihr Gesellschaftsfräulein Julie die der

Lucinde, der Geheimerath den Alonz», der Kapellmeister den Rugantino, Viktor den Don Pedro; die Rolle des Basko sollte

abwechselnd von einem der Männer auSgt,

füllt werden, d^r grade in seiner Partie unbeschäftigt war.

Flügel.

Viktor begleitete am

230

Die ganze erste Feststem war sehr heiter

gehalten. Nur in den gefühlvollen Versen

ClaudivenS und Don Pedro's wehte eine leise Sentimentalität; die Melodien waren neu und gefällig.

Das muthwillige Liedchen LueindenS:

„Hin und wieder fliegen Pfeile," war recht artig, und die leichte, scherzende Bee glcitung besonders zu loben. Mit welcher Liebe die Partie der Clane

dine geschrieben war, bewies gleich die erste Arie:

Alle Freuden, all« Gaben, Die mir dort gehuldigt haben, Sind nicht diese Blumen werth. Hier sprach die vollste Liebe, die innigste Zärtlichkeit.

Sie fand den allgemeinsten

BeifallFür das Meisterstück des ersten Aktes

231

wurde jedoch einstimmig Don Pedro'ö Arie

gehalten: Es erhebt sich eine Stimme; Hoch und höher schallen Chöre; Ja es ist der Ruf der Ehre, Und die Ehre rufet laut: Säume nicht, du frische Jugend! Auf die Höhe, wo die Lugend Mit der Ehrs Sich den Tempel aufgebaut! Eine kräftige, schöne Melodie, kühnes Leben und Begeisterung bezeichneten den ersten Satz. Mit völliger Veränderung des Cha­

rakters trat nun eine weiche, liebeathmende Weise zu den Worten ein: Aber aus dem stillen Walde, Aus den Büschen Mit den Düften, Mit den frischen, Kühlen Lüften Führet Amor, Bringet Hymen Mir die Liebste, mir die Braut.

232

Vortrefflich drückte die Musik Pedro»»

Schwanken, den Kampf seines Entschlusses

in den Worten aus: Jenes Rufen, dieses Lispeln! Soll ich folgen? soll ich's hören? Soll ich bleiben? soll ich gch'n? Viktor sang diese Stelle mit halber Stimme,

wie hingehaucht, und fiel dann in ein Herr« liches Allegro: Ach, wenn Götter uns bethörcn. Können Menschen widersteh'» ?

Bravissimo! rief der Kapellmeister; und

wie gesungen!

Die Scene mit den Vagabunden, wie das Finale waren kräftig, doch wäre hier vielleicht noch mehr Originalität zu wün-

schen gewesen. Der erste Akt war zu Ende. Soll die Kritik beginnen? fragte Albert, der Kapell­

meister; ich habe Manches auf dem Herzen.

233

Wenn ich wünschen darf, sagte Viktor, halb fragend, halb bittend, höflich zu Hele­

nen gewandt, so vollenden wir, dann wird

mir auch das strengste Urtheil willkommen seyn. Der zweite Akt begann. Lebet wohl, geliebte Baume,

Wachset in die Himmelßlust. Tausend liebevolle Träume

Schlingen sich durch euren Duft,

sang Viktor zu einer süßen Melodie, die

aber fast zu viel Trauer athmete: Sehr gelungen war der Satz, den Claur bitte zuerst sang, der dann von Ruganlino und Luclnde» wiederholt wird und zuletzt

als Terzett eintrilt: Sn dem stillen Mondcnscheine Wandl' ich schmachtend und alleine,

und der Zwischensatz Rugantino's: Cupido, loser, eigensinniger Knabe tt.,

der dreimal in andern Worten wiedcrkehrt.

234

war htchst originell utW vielleicht nur ohne Noth ju unheimlich. Die nun folgende GefechtSscene mit dem Quintett und Chor war wild und kühn. Hier war ein Reichthum harmonischer Gänge, rascher Wechsel, frappante Modulationen.

ES schien jedoch, der Componist habe während der Arbeit eine Art Widerwillen gegen Rugantino gefaßt, denn Alles, was er fang, war herb, fast schneidend; selbst in dem Liedchen, Liebliches Kind, Staunst du mir sagen,

hatte er ihm Anmuth versagt, dagegen alle Schauer der Unheimlichkcit in die Romanze gelegt: Ee war ein Buhle frech genug.

Freche Verwegenheit sprach ans dem Rhyth­ mus und dem raschen Tempo, die-Melodie

235

«ar düster mit grellen Lichtpunkten, die

gleitung originell. Auch das unendlich reiche Finale zeigte vielleicht zu dunkle Farben.

Rur Claudke

nen» Gesang schwebte mild, wie eine weiße Taube, über den Schrecken.

Der dritte Akt beginnt mit dem Ge« sänge Don Pedro's: Langsam weichen mir di« Stern«, Langsam naht die Morgenstunde;

Blicke mit dem Rosenmund«

Mich, Aurora, freundlich an.

Die Stelle «ar schön, aber unleugbar von

zu

trübem Charakter.

Dagegen waren

Angst und Sorge in ClaudinenS Arie: Zch habe kucinden, Die Freundin, verloren,

trefflich wiedergegeben; hier fand sich nichts Geiles. Für ganz ausgezeichnet, für die Ktone

236 der Oper ward das Duett Pedro'S und

ClaudinenS erklärt: Mich umfängt rin bangpr Schauer.

Wie klagend düster e§ auch auhob, gleich

dem Sonnenscheine erhellt« Pedro'S tninn# licher Zuspruch die Nacht ihrer Trauer, bis

auch Claudine sich ausrichtet und mit dem Geliebten sich einer seligen Heiterkeit ere giebt. Ließ sich auch hin und wieder ein

leiser Anklang Mozartischer Tine vernehe men, so wohnte hier zugleich auch Mozart-

Geist. DaS Duett, welches die Prinzessin und

Mktor unübertrefflich schön gesungen hatten,

mußte wiederholt werden. Dem nun folgenden Finale, welches

recht tüchtig gearbeitet war, fehlte eS an Heiterkeit, und dem Schlußchor an Pracht und Fülle, die hier so ganz an ihrer Stelle

gewesen wären.

23 7

Ein rauschendes Beifallklatschen erschall, als Viktor die letzten Akkorde angeschlagen hatte. Zum erstenmale, sagte Viktor, vom Fiügel ausstehend und sich freundlich gegen die Gesellschaft verneigend, höre ich heute mein Werk zusammenklingen. Manches hat mich Wenig befriedigt. Ist es nun mir schon so ergangen, dem befangenen Schöpfer die­ ser ersten jugendlichen Arbeit, nm wie viel schärfer werden Unbefangene die Mängel herauSgehört haben, und ich bitte daher nun qm strenge Kritik. Die soll Ihnen werden, junger Freund, sagte Albert, unparteiisch und genau prü­ fend. Aber er kam nicht zu Worte, Weil Jeder lebhaft auf Viktorn «insprach. Gnädigste Prinzessin, rief Viktor heiter, wollen Sie nicht huldreichst die Kritik zur Ordnung rufen? Wie demüthig ich auch

238 jeder Zurechtweisung mich unterwerfen werde,

auf diese Art kann doch das Urtheil meiner hohen Richter nicht von mir erkannt wer/ den. — Man lachte.

Wohlan, sagte Helene, ich übertrage dem Kapellmeister

den Vorsitz.

Albert,

schaffen Sie Ordnung! So befehle ich denn, hob Albert mit feierlicher Stimme an, daß wir ehrwürdi/ gen Richter zuvbrderst um diesen runde«

Tisch Platz nehmen, und daß dem, man/ cher Sünden anzuklagenben Freunde aus

christlicher Milbe erlaubt «erde, sich zu uns

zu sehen. Der Anordnung war Folge geleistet. Da nach altem, guten Brauche die jüng/ sten Richter zuerst stimmen, fuhr Albert

fort, so würde auch die Prinzessin zuerst

ihr Urtheil auszusprechen haben. Ich verstehe wohl allzu wenig von Mu/

239

fit, begann Helene, um überhaupt ein U«

theil zu habe»; koch will ich es aussprechen,

damit es nicht den Schein gewinne, ich

härte etwas zu verschweigen. So verheilte

ich es denn nicht, daß unsers jungen Freun« des Werk mir einen seltenen Genuß ver­

schafft hat. Ucberall tritt uns eine reichtschöpferische Fantaste entgegen; es ist nicht

ein oft schon Gehörtes, rvaS wir nur unter veränderter Gestalt vernahmen; die Mufik

ist nett Und eigenthümlich. Vorzüglich ge,

Kitgen scheinen wir die zarten Partien» Man hört es jedem Tone an, daß die Nol­

len Claudinens und Don Pedro'- mit wahker Liebe behandelt sind. Wo ste auftrttti»,

klingt eine Innigkeit, eine Zartheit beS Ge­ fühles, und in den süßen Melodien wohnt ein Zander, der unwiderstehlich hinreißt.

Fast zu viel des Schönen, gnädigste Prinzessin, sagte Albert; wo bleibt der Ta-

240

M? Soll ec denn ganz ungescholten davon

kommen?

Ich will zwar zugestehen, erwiederte Her

lene, daß mir Rugantino fast zu düster er­

scheint, allein dies ist auch Alles, was ich gegen die treffliche Composttion zu erinnern

habe. Ich theile ganz die Ansicht meiner Für­ st!«, begann das Fräulein.

Ueber die Fi­

nale muß ich mein Urtheil zurückhalten, weil ich sie nicht vollkommen gefaßt habe.

Ich konnte der großen Anhäufung von Dissonanzen, den raschen, kühnen, Mydulalionen nicht folgen- Hier ist mir Vieles

dunkel geblieben, was nur durch eine nähere

Bekanntschaft mit dem interessanten Werke mir klar werden dürfte.

Ich finde, begann der Geheimerath, ein Räthsel in der Musik unsers Freundes, das

Ich vergeblich zu lösen bemüht bin.

Der

24 t

Charakter der Musik des ersten Aktes ist von der der beiden folgenden so durchaus

verschieden, daß, wenn ich nicht das Kegen« theil wüßte, ich glauben würde, die Oper

rühre von zwei Tonschcrn her.

Die Mu«

sik des ersten Aktes athmet nur Fröhlichkeit

und Heiterkeit. Es weht eine rechte Lebens« frische in ihr. Die Liebe Claudinens und

Don Pcdro's spricht innig zu uns, aber ohne Pathos. Nirgends ist etwas Gesuch«

tes, Gekünsteltes; Alles ist aus einem Guß.

Vielleicht könnte man dem Finale noch mehr

Originalität wünschen, doch ist der ganze

Akt lieblich und spricht ungemein an.

Mit

dem zweiten Akte ist Alles verändert. Wir-

treffen hier, wie im dritten Akte, auf eine

Düsterheit, die der Dichtung nicht entspricht. Herzzerreißende Akkorde, grelle Ucbergänge

sprechen Unruhe und Schmerz aus. Es ist, als wäre des Tonseherö Empfinden, wie in.

16

242

sein reiches, schönes Talent, durch irgend eine unheimliche Macht plötzlich gestört, als vermöge er nicht mehr den einfachen, na­

türlichen Weg zu wandeln.

Vieles erscheint

jetzt gesucht, und hier und da streift die

Musik selbst an'S Bizarre. Nur für zwei Personen, fuhr der Ge-

Heimerath fort, lebt noch die alte Liebe in

der Brust unsers Componisten.

Noch jetzt

klingt die gewohnte Anmuth, dieselbe zarte Innigkeit aus Claudinens und ihres Geliebten

Gesängen; aber doch ist auch ihnen eine tk# gische Trauer bcigemischt, selbst da, wo der

Text dies nicht fordert. So müssen auch sie, gleich den Uebrigen, die verlorne Heiterkeit

des Schöpfers mit entgelten. — In dem herrlichen, seclcnvollen Duette allein hat er die geistigen Fesseln abgcstreist und bewegt sich wieder in alter liebenswürdiger Freiheit.

Aber auch nur in diesem Musikstücke; das

24S Finale Ist wieder zu düster, und selbst Itf

dem freudigen Schlußchor erschaut die Freude gedämpft. Sie. haben Wahrheit verlangt, sagte btt Geheimerath, indem er Viktor» freundlich die Hand reichte, und dürfen daher meiner

Freimüthigkeit nicht zürnen. Ich kann nur die Schärfe Ihrer' Deo-/ eichtung, wie dir Richtigkeit Ihre- MthellevewundekN, erwiederte Viktor. Sie haben das Räthsel selbst schavfstNnkg gelöst! - At-

ich den ersten Akt in SDttifit sehte, lachte »stich da- Leben' Mir taüsend schönen Hoff/ nungen an; al- ich Mein Werk weiter fort/ zNführen unternahm, waren diese üntetge,

gangen. So entstand diese wunderliche Mu/ stk und ist der Spiegel eines zerrissenen Herzens geworden. Ich fühle ganz ihre

Werthlosigkeit, zugleich aber aüch, baßJahre 16*

244

vergehen müssen, ehe ich etwas Besseres zu schaffen vermag. Halt! rief der Kapellmeister; verschüttet mir das Kind nicht mit dem Bade! Auch in ihrer jehigen Gestalt bleibt diese Oper nicht blos eine interessante, sondern auch

eine willkommene Erscheinung; sie ist das Erzeugniß einer reichen, schöpferischen Fan­ tasie, und in vielen Partiten wohnt der wahrhaftige Genius der Tonkunst. Und eben darum wird sie zuverlässig aufgcführt werden hier auf dem Schloss«, und wir wollen unsere rechte Freude haben an dem liehen melancholische» Kinde. Jede Aende­ rung muß ich daher für jetzt zugleich ver­ bitten und verbieten, bis auf einige Klei­

nigkeiten in der Jnstrumentirung.

Wie

waeker auch unser Orchester ist, setzte Albert

lächelnd hinzu, hier und da muthet unser Freund ihm doch das Unmögliche zu; die

245 Trompetenbegleitung zu Don Pedro'- Arie

möchte wohl kaum zu blasen seyn, wie sie

in der Partitur steht, und auch den SBfoll/

nen ist an mancher Stelle eine herkulische Ar/

beit auferlegt. Aber das soll in wenig Stun/ den aufgeräumt seyn.

Das Endurtheil die/

fes würdigen Richterkreises wird nun wohl dahin lauten müssen: Dank für die treff/

liche Gabe und neuen, frischen Leben-inurh unserm Freunde! Dann stehen wir mit un/

serer Ehre dafür ein, daß er noch einmal alt heüleuchtender Stern in der musikalischen

Welt glänzen wird.

Zehntes Kapitel. Seit mehreren Tagen war bereit- eine zahlreiche Gesellschaft auf dem fürstlichen

Schlosse versammelt. Unter ihr befand sich

245 Trompetenbegleitung zu Don Pedro'- Arie

möchte wohl kaum zu blasen seyn, wie sie

in der Partitur steht, und auch den SBfoll/

nen ist an mancher Stelle eine herkulische Ar/

beit auferlegt. Aber das soll in wenig Stun/ den aufgeräumt seyn.

Das Endurtheil die/

fes würdigen Richterkreises wird nun wohl dahin lauten müssen: Dank für die treff/

liche Gabe und neuen, frischen Leben-inurh unserm Freunde! Dann stehen wir mit un/

serer Ehre dafür ein, daß er noch einmal alt heüleuchtender Stern in der musikalischen

Welt glänzen wird.

Zehntes Kapitel. Seit mehreren Tagen war bereit- eine zahlreiche Gesellschaft auf dem fürstlichen

Schlosse versammelt. Unter ihr befand sich

246 der glückliche Prinz Adolph.

Durfte er

gleich noch nicht öffentlich als Bewerber um die schöne Geliebte auftreten, si> gestatteten die

veränderten Verhältnisse ihm doch den Auf,

enthalt an einem Orte, der sein Theuerstes umschloß.

Nach den vertraulichen Aeußerungen des Fürsten schien der Erfolg seiner Reise nicht

mehr zweifelhaft.

Ex glaubte, daß Fürst

Ernst vielleicht selbst den Gebauten hege,

unerwartet einmal als der Stifter eines

neuen, schöyeo Verhältnisses aufzutretey, und nur den Anschein fremder Einwirkung

vermeiden wolle. So durfte man sich denn den schönsten

Hoffnungen und ungestört den heitern Ger Nüssen der Freude hingeben.

Viktor kam aus der Generalprobe.

«ar sehr befriedigt.

Er

Das fröhliche Leben

tim ihn hatte wohlthätig auf seine Stirne

rmrng gewirkt und ihm den Much verlier hen, noch in den letzten Tagen einige Aen, derungen in seiner Oper vorzunehmen, und

die Probe hatte eben bewiesen, daß eS ihm

damit gelungen war.

Er durste sich daher

von der Aufführung am heutige» Abend einen reichen Genuß verspreche».

Am nächsten Morgen wollte er dann die Reitz in die Hcimath antreten, die geliebte

Schwester endlich Wiedersehen und dann, vielleicht für immer, nach einem Orte zue

rückkehren, wo die großmüthige Dankbarkeit

der fürstliche« Familie die edelste Bereite Willigkeit zeigte, ihm eine neue Heimat

zu gründen. Da öffnete sich die Thür, und der Bae von trat zu dem Ueberraschten in's Zimmer.

Welche Gefühle auch bei diesem Anblicke Viktor» bestürmen mochten, die alte Liebe

zu dem verehrten Manne, mit dem er jetzt

248

durch die heiligsten Bande verknüpft war, riß ihn in seine Umarmung.

Viktor- erste sorgenvolle Frage betraf die

Schwester. Wohl auf ist sie, lieber Sohn, und ganz

unschuldig an dem langen Stillschweigen, war des Barons Antwort, indem er Vik­ tor» die Gründe seines Verfahrens entwik-

kelte. — Doch nun sey Du auch vernünftig,

fuhr er fort, gieb dies einstedlerische Leben auf und bringe uns die Freude in Dir wie, der, die uns mit Dir verließ; wir fühlen, daß wir nicht länger ohne Dich leben ken­

nen.

Sieh', Dein alter Vater kommt selbst.

Dich zu holen; wirst Du noch widerstreben können?

Nein, ich widerstehe nicht mehr dieser

Liebe/ noch der eignen Sehnsucht, mein theu­

rer Vater! Ja, ich will die Heimat Wie­

dersehen und es wenigstens versuchen, ob

249 mein Herz die ersehnte, aber gefährliche Nahe Claudia cns erträgt.

Recht, Duktor, das ist gesprochen, wie

ein Mann, und wahrlich. Du wirst dek Entschluß nicht bereuen, denn eine Ueberrae

schung steht Dir bevor, auf die Du in Deir nem Schmerze wohl nicht gerechnet hast. Eine Ucbcrraschung? fragte Viktor.

Ich darf nicht plaudern, lieber Sohn, aber traue meinem Worte, sie wird Dich beglücken. Und null'! — Wann können wir

reisen? Morgen, mein Vater; heute dirigire ich

noch meine Oper. Deine Oper?

Ei, Ihr lebt hier wohl

in Saus und Braus? Frisch, erzähle! Wie

bist Dn hierher gerathen, wie ist Dirs

ergangen? Viktor hatte seine Erzählung beendigt.

Dn bist ein braver Junge, sagte der

250 Bqron, aber das Glück ist Dir auch hold in Allem, was Du beginnst.

Ich erleb's

»Sch, daß Du mir selbst einmal so eine Prine -esstn als Schwiegertochter in'S Haus bringst.

Und so ähnlich ist sie Claudinen? Davon muß ich mich doch selbst überzeugen.

So

stelle mich denn Deinem Fürsten vor, Du

großer Günstling und zweiter Mozart.

Noch eine Frage, hob der Baron an, als Beide

den Schloßberg hinanstiegen.

Unter welchem Namen bist Du denn hier bekannt?

Unter dem nämlichen, den ich von Jur gend auf geführt habe.

Recht, mein Sohn; was braucht der Fürst es auch zu wissen, wie nahe wir uns

stehen.

Ich bin der Baron Waldau, Dein

und Deines Vaters alter Freund.

Der Major ward mit derjenigen Güte

251

lufgenommett, welche diesem liebenckwürdi/

gen Fürstenhause eigen war. Bei Tische entfaltete der jovial« Major seine ganze Liebenswürdigkeit, die ihm bald Aller Herzen gewonnen hatte. Mit der ihm eigenen heitern Gewandtheit sah man ihn

später, als die Gesellschaft sich erhoben hatt« und in den schattigen Laubengängen des Schloßgartens lustwandelte, vorzugsweise die Prinzessin unterhalten, die von diesem Au/ genblick an hem Gaste eine noch größere

Auszeichnung erwies. Es war nun Abend geworden, und die

spielende« Personen entfernten sich, Um sich zur Oper anzukleiden.

Die Damenrolle«

waren vertheilt wie in der ersten Probe, eben so die des Alonzo; dagegen hatte Prinz

Adolph den Don Pedro, Prinz Karl den

Rugantino und Albert den Basko übernom/

men.

I» dem hochgewölbten, mit Laub

252

und Blumengewinden festlich ausgeschmückten Gartensaale war die Bühne aufgeschla­ gen. Das 'Schloß enthielt zwar ein eignes freundliches Theater, aber der Fürst ließ

gern diejenigen Vorstellungen, zu welchen seine Familie vor einem gewählten Publi­ kum mitwirkte. In dem kleinern Lokale auf­ führen.

Die Gesellschaft hatte in dem heitern, glänzend erleuchteten Saale Platz genom­ men. Viktor gab das Zeichen. Die Ouver­ türe begann und ließ bald erkennen, daß die

Kritik der Freunde nicht erfolglos geblieben, feie enthielt nur so viel Ernstes, als gerade nothwendig war, um den Inhalt der Oper

anzudeuten; übrigens stürmte sie keck und fröhlich daher. Sie fand den erwünschtesten Beifall. Jedes Publikum eines Liebhabertheaters

bringt den besten Willen mit, Alles schön

253

und anmuthig zu finden, indem der Versuch lieber Freunde, in einer fremden Sphäre Unterhaltung zu bereiten, die dankbarste Anerkennung verdient, die zum Entzücken gesteigert wird, wenn fich hervorragende Talente kund geben. Dies Glück ward Vik-

torS Oper zu Theil. Personen vom höch­ sten Range mußten sich mit Anmuth und

Leichtigkeit in einem Stücke bewegen, wel­ ches eben bas Leben der höheren Stände abspiegelte. Der Wohllaut der zum Theil selten schönen Stimmen, so wie die eigne Freude an der Darstellung des neuen und

interessanten Werks eines allgemein gelieb­ ten Freundes mußten vereinigt die höchste Befriedigung und den seltensten Genuß er­ zeugen.

Wenn gleich die Veränderungen, welche Viktor vorgenommen hatte, nicht alles Wilde

und Unheimliche verwischt hatten, so -ra-

254

chen aus der trüben Nacht um so freunMfc

cher die Hellen Lichter hervor, welche die Partieen Claudinens und Don Pedros über­

glänzten und um so leuchtender und herzer­ greifender, je inniger und wahrhafter die

gegenseitige Liebe der Darstellenden war.

Unter diesen begünstigenden Umständen mußte dem Ganzen Wohlwollen und Liebe, die dankbarste Anerkennung aber den viel­

fachen ausgezeichneten Stellen zu Theil

werden, und die Begeisterung immer frische Nahrung finden, bis nach dem Duette der Liebenden im dritten Akte das Entzücken

alles Maaß überschritt

Das Publikum, welches sein Recht, da Capo zu rufen, häufig benutzt hatte,

setzte es in begeistertem Trohe durch, daß ihm dies Lieblingsstück zweimal wiederholt

werden mußte, und diese belohnende Theil­ nahme wirkte mit magischer Gewalt auf

255 die Spielenden, dergestalt, daß sie sich selbst

übertrafen und bei jeder Wiederholung das Vollendetere leisteten. Als nun endlich mit den letzten Klänge»

des ganz geänderten, fröhlichen Schlußchors der Vorhang fiel, brach unaufhaltsam stürz mender Beifall anS. Das ganze Personak mußte erscheinen, um vereint mit dem Componisten dm Dank

der Gesellschaft zu empfangen. Als nun der Vorhang zum zwekenmale

sank, ließ sich eine einzelne Stimme vom Theater mit dem Rufe: „Der Componist!" vernehmen, und das ganze spielende Persoe

nal stimmt« lebhaft ein. Der Vorhang flog auf; Albert trat in's Orchester und führte Dcktorn auf die Bühne,

wo die Spielenden sich anmuthtg gruppirt hatten.

Die Prinzessin, einen Kranz in der

Hand haltend, trat einige Schritte vor.

256 Auf ein Zeichen , welches bet Kapellmeister hierauf gab, begann bas Orchester eine lieb/ liche Melodie, zu welcher Helene folgende Worte sang:

Noch tonen diese Klänge In der bewegten Brust, Ein wogendes Gedränge Von Schmerzen und von Lust.

Ihm hat ein Gott gegeben Den liedersüßen Mund; Ein reiches, tiefes Leben . Ward heut uns Allen kund. Doch nicht allein in Tönen Wohnt seines Zaubers Macht, Der in dem Reich des Schönen Gar holde Wunder schafft. Gar manchen Schmer- zu heilen Versteht sein kluges Wort, Und sollt' er rettend eilen .Auch zu dem fernsten Ort;

257 Er führt dem wilden Streite Den trauten Frieden zu. Versenkt des Grames Beute In himmlisch süße Ruh'; Aus düstern Nachtgebieten Quillt Licht, auf sein Geheiß; Er locket Frühlingsblüthen Hervor aus dürrem Öteifc

Auch meinen Wintergarten Hat er mir grün belaubt, Wo Lodesfröste starrten Schmückt Lebensglanz das Haupt. So zögr' ich denn nicht länger, Da wir noch froh vereint, Und kränze Euch den Sänger Und mir den edlen Freund.

Viktor ließ sich beschämt und doch in Seligkeit versunken vor der Prinzessin auf ein Knie nieder, welche unter dem Deifalle rufen der ganzen Versammlung ihm de» UL (7

_258_

Kranz auf die Stirn drückte, worauf der Schlußchor der Oper noch einmal einfiel und das schöne Fest beschloß.

Al§ einige Stunden später unser Freund sich beim Fürsten beurlaubte, war dieser auf#

fallend bewegt. Wie ungern wir Sie lassen, sagte er, wie schwer es mir wird. Sie schein

den zu sehen, brauche ich Ihnen nicht zu

versichern, Ihr Herz muß es Ihnen sagen, wie werth Sie uns sind.

Daß Sie zu

uns zurückkehren werden, darf ich nicht

hoffen; was die Heimat Theures hat, kann Ihnen hier nicht erseht werden. Aber daß Sie uns niemals vergessen werben, dessen

getröst' ich mich.

Geben Sie uns oft Nach#

richten von sich, die stets thcilnehmende Freunde finden werden. Ihr Andenken, Ihr

seltener Edelmuch werden uns ewig

um

vergeßlich bleiben.

Ich lass« Sie aber nicht abrcisrn, sagte

259 Helene, ohne das Versprechen darauf, wiedcrzukommen, wenn es Ihr Geschick auch

nichl erlaubt, für immer unter uns zu rvellen.

Ich

muß doch endlich einmal mein

Ebenbild kennen lernen, schte sie leiser hinzu.

Mlr'schwereim Herzen entriß Viktor sich den Armen der Prinzen und ging mit dem

Vater in seine Wohnung zurück.

Höre,

mein Sohn,

nahm der Baron

das Wort, wenn Du uns um dieser herr­

lichen Menschen willen ungetreu geworden Wirrst; wer wollte mit Dir darüber rechten? Wahrlich, solche KränZe hat das beschrankte Leben unseres einsamen Dörfchens Dir nicht zu bieten.

Wie Vieles wirst Du vermissen,

Du lieber, herziger Musikus!

Als sie Viktors Zimmer betraten, stand ein zierliches Kästchen von rothem Maroquin auf dem Tische.

Der Schlüssel steckte darzn.

Da Viktor eS öffnete, fand er unter einigen

17*

260

liebevollen Zeilen von der Hand des Fürsten

vier sehr ähnliche Mi iaturbilder des Für­ sten, seiner Kinder und drS Prinzen Adolph.

Ein kleineres versiegeltes Kästchen führte die Ausichrift:

„Meiner lieben NamenSr.ujch Here zenS-Schwester Claudine."

Kater, rief Viktor au-, welche Mensche« sind dies! Kann ich es denn dem Himmel

jemals genug danken, daß er mich hierher

geführt? —

Ich hab' es ja immer gesagt, erwiederte

der Baron, auch das Leiden führt zum

Glücke.

Eilftes Kapitel. Am nächsten Morgen saßen Kater und Sohn im Reisewagen, der Jägep aber ritt

260

liebevollen Zeilen von der Hand des Fürsten

vier sehr ähnliche Mi iaturbilder des Für­ sten, seiner Kinder und drS Prinzen Adolph.

Ein kleineres versiegeltes Kästchen führte die Ausichrift:

„Meiner lieben NamenSr.ujch Here zenS-Schwester Claudine."

Kater, rief Viktor au-, welche Mensche« sind dies! Kann ich es denn dem Himmel

jemals genug danken, daß er mich hierher

geführt? —

Ich hab' es ja immer gesagt, erwiederte

der Baron, auch das Leiden führt zum

Glücke.

Eilftes Kapitel. Am nächsten Morgen saßen Kater und Sohn im Reisewagen, der Jägep aber ritt

26 t

Viktor- Tartar, ter in lustigen Sprüngen

neben dem Wagen hertanzte. Je näher die Reisenden der Heimat kae men, desto heiterer ward der Baron, desto

stilker und trüber ward Viktor.

Sohn, sagte ba* Major, verdirb mir die Freude des Wiedersehens nicht!

Denke,

wie Claudine nach Dir verlangt, wie ihr ganzes Herz dem langcntbehrten Bruder Zeige ihr Deine Liebe,

entgegenschijgt.

Deine Hinneigung, aber sey ein Mann und

erwäge, daß Deiner eine seltne Entschädi«

giing wartet.

Wahrlich, hätt' ich's nicht

so heilig versprochen, ich sagte Dir Alles,

uqi nur einmal wieder Dein alles heitreGesicht zu sehen.

Vater, entgegnete Viktor, was aus der Welt, soll mich entschädigen für meinen Ver­ lust? Ich kenne kein anderes Glück, als

262 Claiidinen; nur in ihr lebe ich, nur für 'sie athme ich!

So athme doch in Gottes Namen für

sie. Junge! aber singe nicht ewig das alte Lied von Gram und Tod, War nicht auch

Hugo Feuer und Flamme für diese Claudine,

und in Ach und Weh versenkt, weil sie seine

Schwester war? Er wurde,doch ruhig, und jetzt, da sie nicht mehr seine Schwester ist,

glaubst Du etwa, daß die alte Liebe erwacht

sey? Nichts weniger, als das. Wie geht es meinem theuren Hugo? fragte Viktor nach einer Pause, während

welcher er in Gedanken verloren gesessen hatte.

Er hat sich gut in das Unvermeidliche

gefunden, wie seine Briefe bezeugen. So ist auch er noch nicht htimgekchrt?

Wenigstens war er's bei meiner Abvetft »och nicht.

263 Und Babel? fragte Viktor.

Aus der ist wohl noch Niemand klug

geworden.

Ob sie Hugo liebt, ob sie ihn

aufgegeben? ich wüßte es nicht zu sagen.

Äiktor seufzte tief und versank wieder in Gedanken.

Weißt Du denn wohl, fragte der Mar jvr am letzten Tage der Reise, welch' ei» Fest morgen ist? Könnte ich jemals diese» Tag vergessen,

sagte Viktor, so wäre ich ewig ihrer Liebe

unwerth.

0, wie hetrlich, wie himmlisch

schön war Alles vor einem Jahre!

Das Äte Lied klingt schon wieder, mur­ melte der Baron. Laß mich immer jetzt noch klagen, Vater; ihr gegenüber verberge ich wahrhaftig mei­

nen Schmerz.

264 Ich glaub' es selbst, Viktor, denn Du bist in Deinen» Wesen zugleich sehr weich

und sehr fest.

Gerade wie ich, mein Sohn.

Das hast Du von mir.

Meinst Du nicht?

Ach, ich wollte nur, ich besäße Dein unerreichbares Talent, Du theurer Vater, bas Leben leicht zu nehmen, und heiler zu

tragen, was nicht zu ändern ist. Das kommt mit den Jahren, Viktor, glaub' mir; in meiner Jugend war ich wie

Du, leicht erregt, schwärmerisch; wenn ich

Dich so vor mir sehe, glaube ich immer

mein eignes Selbst zu erblicken. Wenige Meilen nur trennten die Rest senden noch von der Heimat, als in dem

setzten Städtchen der Kutscher meldete-, daß der Spannnagel gebrochen sey.

Wie ist das möglich, sagte Viktor, da

wir doch nichts wahrgenommen haben? Er hatte sich gebogen, Herr Rittmeister,

265 und als ich ihn geradebiegen wollte, zerbrach er; hier sind die Stücke.

Nun rasch denn in die Schmiede! Der Schaden wird bald ju ersetzen seyn.

Nach geraumer Zeit brachte Johann die

Nachricht, daß bet Schmidt im Felde sey

bei der Erndte. Wir werden hier doch nicht langer bleie

ben sollend ries Viktor. Ich will selbst hink Halt einmal, Viktor, nahm der Daron

das Wort; was meinst Du?

Sieh', es ist

schon spat, vor Nacht kommen wir doch nicht nach Haus.

War'S nicht besser, wir

blieben hier und führen morgen recht zeitig zum Geburt-tage hinein? Um Gottes willen, Vater, thu' mir daS

nicht zu Leidet Ich ertrage die Zögerung wahrlich nicht; ich muß heute noch zu ihr!

Es sind auch noch andere Gründe, Vike

266 tot, fuhr der Major sott; ich habe mich in

der Zeit verrechnet, und wir kommen zu früh, da wir erst morgen erwartet werden.

Müde bin ich dazu; halte daher, mir und meinen Wünschen zu Liebe, immer noch diese Nacht aus.

Nur mit schwerem Herzen weiß ich mich

zu fügen, sagte Viktor.

Nun ich mich die/

ser geliebten Schwester so nahe weiß, bin ich meiner nicht mehr mächtig.

Mit jedem

Opfer möcht' ich mir die Erlaubniß erkau/ fen: diese drei Meilen noch zu Fuß zurück/ legen zu dürfen.

Wie das braust, wie das stürmt! lachte

der Baron; aber wahrlich, so war ich auch,

gerade so! Die bange Nacht war endlich verstrichen. Viktor betrieb die Abreise schon in der Däm/

merung des Morgens; aber nun waren die Pferde noch nicht gefüttrrt.

Er bat, er

267

schalt; doch der Kutscher war nicht aus sei, ner Nnhe zu dringen. Unmuthig kehrte Viktor zum Vater zurück, der noch in rie, fern Schlafe lag. Es schlug fünf.

Nein, ich muß ihn

wecken, rief Viktor, wenn wir nicht ewig hier bleiben sollen. So spat ist's schon, Viktor? Ei, wie begegnet mir das, solch ein Langschläfer z« seyn?

Der Mqjor erhob sich und schien in großer Geschäftigkeit, die verlorne Zeit wie, der einbringen zu wollen ; aber überall gab es noch Aufschub. Ehe das Frühstück kam

Md der Wagen gepackt wurde, war die sechste Stunde längst verstrichen. Endlich.saßen sie im. Wagen. Welch' ein herrlicher Morgen! begann der Paron; Johann, Du brauchst nicht so z« eilen.

Die Braunen haben doch was

268

weggckriegt auf der Reise; troll' sachte weg, die Stunde eine Meile, wir kommen-zeitig

genug. Viktor wußte seine Ungeduld f.mm zu zügeln. — Endlich erblickten sie den weißen

Kirchthurm, nebst dem alten, prächtigen Schlosse.

Tausend süße und schmerzliche

Empfindungen überströmten Dikrorn.

In

Nachdenken versunken, stossen Bilder und

Gedanken der Vergangenheit nebelhaft in

seinem Innern zusammen, und kaum ver­ mochte ex den Entschluß zu erringen, männ­ lich vor Claudinen seinen Schmerz zu tragen.

Der Major sah nach der Uhr. -Was, schon halb neun?

Johann?

Du schläfst wohl ein,

Laß auftrettn, frisch weg i und

dahin flogen die muthigen Pferde mit dem

rollenden Wagen. Immer näher kamen sie dem Dorfe, immer stiller ward Viktor; ängstlich pochte

269 sein Herz.

Er erblaßte, als der Wagen

auf den Schloßhof fuhr.

Es ist schon Alles in der Kirche, sagte

ein Bedienter, an den Schlag tretend. Das ist freilich gegen die Abrede und

-los Johanns Schuld. War machen wir, Wiktor?

Hinein! sagte Viktor aufglühend und doch mit bebender Stimme, indem er auf die Kirche zeigte, aus welcher so eben die Orgel, vom Gesänge der Gemeinde begleitet,

mächtig herüber tönte.

Wirst Du, fragte der Major, Wiktor»

bei Seite führend, auch Fassung haben, sie

dort wicderzusehen? Gerade dort am ersten, Vater, sagte

Wiktor mst feuchten Augen. So komm, lieber Sohn. Sie traten in die Kirche. Wie an lenem Tage, wo Wiktor die

270 Kirche zum erstenmale in verjüngter Schön«

heit erblickt hatte, war diese auch heut Herr, lich geschmückt. Farbiger Glanz von Laub und Blumen umspielte die schlanken Pfeiler,

Helle Lichtstretfen flogen durch die magische Dämmerung, welche der in tausend Farben

glühende Altar verbreitete;

Lindenzweige

wiegten fich draußen im Morgenwinde und warfen zierliche, bewegliche Schatten hinein,

«mb die heiligen Hallen durchbrauste mach,

ttg der Orgelton. Viktor zitterte und lehnte sich an den

Eingang.

Tritt einige Schritte weiter vor, flüsterte der Major, damit sie uns sehen und die

Ueberraschung ihre erste Gewalt verliert.

Viktor folgte mechanisch und blieb an

der ersten Säule stehen. Äs ward unruhig ist dem vergitterten

271 Nun Muth, mein theurer

Kirchenstuhle.

Sohn! sagte der Major.

Komm!

Er ergriff Viktors Hand und führte ihn vorwärts.

Sie traten hinein.

Viktors irrender

Blick suchte Claudinen, deren bebender Lippe

ein leises Ach des Entzücken« entfloh; ihre Hand ergriff ihn und zog ihn sanft neben sich nieder.

Er beugte sich tief herab und

preßte die theure Hand an seine Lippen. Heiße Thränen stürzten über seine Wangen.

Liebend blickte re sie an und versank in ih< rem Anblicke.

Hab' ich Dich endlich wieder, mein Nike tor? lispelte sie; o, nun soll keine Macht

der Erde uns wieder trennen! Niemals, Claudine, niemals!

Meine Kinder, sagte der Major, leise herantretend, seyd Ihr denn nun glücklich? Unaussprechlich, Vater! flüsterte Viktor;

272

o,

wie hab' ich sie so lange entbehren

können! Der Daran trat lächelnd zurück und

beutete mit der Hand auf die übrigen Am wesenden, deren theilnehmcnde Blicke dem

Sohne und Freunde begegneten. Jeht erst

erkannte Viktor die liebreiche Mutter, Hugo und Badet und die Präsidentin. Still kniete er vor diejenige, hin, für

welche ewig ein kindliches Herz in seiner Brust schlug; segnend legte die Mutter ihre Hände auf sein Haupt.

Dann« erhob er

sich, reichte Allen die Hand und wandte sich dann wieder zu Claudinen. iNun ist Alles gut! sagte er; ja, ich bin in der Hei­

mat, von Allen umgeben, die ich so unaus­

sprechlich liebe!

Als der beruhigende und erhebende Kirr chengesang diesen tiefbewegten Menschenher,

zen Ruhe und Fassung wirdrrgegeien hatte.

273

schob der Major leise die Gitterfenster zu« rück. Piktor's Vater hatte die Kanzel 6t#

treten. Lange ruhten des Pfarrer- Blicke

auf dem geliebten Sohne, und oft wandten sie sich ihm wieder zu unter der Predigt.

In einer feurigen Rede entwarf er ein Bild von dem ^Wechsel menschlicher Schicksale, unter welchem in wunderbarer Verkettuyg Leiden und Freuden den Menschen begleite#

ten, und zeigte, wie er den Schmerz tragen

solle und da« Glück. Mit inniger Rührung Hirte Viktor ihm

zu, indem der Gram seine« Herzen« immer

tiefer versank, und er immer freudiger sich

de« reichen Besitze« bewußt wurde, der ihn ewig Zu beglücke» geeignet war.

Sein«

Hand hielt die Hand Claudinen« umschlossen,

ruhig und fest blickte er oft die theure Schwester an, bi« diese ihn sanft anlächekte; dann richtete er vertrauensvoll die Blicke

in.

18

274 ivkder auf ihn, der so lange ihm ei» lieber Vater, ein treuer Führer seiner Jugend ge­ wesen war, und nun wieder mit stegendrm Troste ihm zusprach. Jetzt, nachdem dir

Predigt beendigt war, »ahm der Pfarrer ein Blatt jur Hand und begann mit einer vor

innerer Bewegung zitternden Stimme:

O, verleihe auch ihnen. Allmächtiger, Kraft, das Glück dieser Stunde zu tragen,

ihnen, für die a«r bewegtem Vaterherzt» heiße Gebete zu dir emporsteigen.

Segne

in deiner unendliche» Gnade die theuren, lieben Kinder, die das heilige Dündniß der

Ehe schließe« wollen, und jum erstenmale hiermit aufgeboten werben: meinenSohn, denRittmeister Viktor Holm, «Nb meines theuren Freundes einjige Toche

ter, Fräulein Claudine von Waldau; seinen Sohn, de» Hauptmann Hugo von Waldau, und Fräuleis Elisabeth von Auersperg!

275 Aber weifte vernahmen bi« Glücklichen

nichts, zwei selige Paare waren erschüttert sich in die Arme geflogen und hielten sich

weinend umschlungen. Dann sanken sie auf ihre Knien und empfingen den Segen bet

Herrn.

Aber dieses unerwartet beglückende Ereige

niß hatt« auch draußen die regste Theilnahme

gefunden. Die Kirche wollte nicht leer «er» den; gar viele vor Freude leuchtende Augen waren auf den herrschaftlichen Kirchenstuhl

gerichtet.

Vorwärts, Kinder! rief der Major und barg die rinnenden Thränen nicht; kommt! die guten Leute wollen auch die Brautpaare

sehn. Sie traten heraus in den Krei- der

theilnehmend Mitfühlenden,

aus wtlchem 18*

276 manch ehrlicher Aller hervortrat und in

biedern Worten und deutschem Handschlag seinen Glückwunsch aussprach.

Aber war es den überschwenglich See ligen denn wohl möglich, irgend etwas wahr/ zunehmen von dem, was um sie her vorging?

Lange schon lag Viktor an feines VaterS

Brust, ohne es zu wissen. Mit denen ist in der ersten Stunde nichts

anzufangen, rief der Baron aus.

Fort,

Kinder! Eilt i»S Feld, in den Wald, sucht

Euch ein stilles, einsames Plätzchen, weinet Euch aus, lachet Euch satt, und dann kommt wieder!

Bei diesen Worten führte er die

Schwester, seinen Freund und dessen Gat,

tin fort, und ließ die Liebenden unter den

wehenden Linden allein. Da flog Viktor an Hugo's Brust, Dar bet in die Arme Claubinens,

dann riefen

sie sich ein heiteres Lebewohl-zu. Und hier.

hin wendete sich Viktor mit Claudine«, bork hin Hugo mit Pabet. Von wallenden Aehren überbaut, im

Schatten eines wilden Birnbäume-, ruhte Viktor neben der holden Gefährtin.

Ich weiß, daß ich wache, sagte Viktor,

der Druck Deiner Hand, da» Lächeln Deines Mundes,

Dein klopfendes Herz bezeugen

mir mein Glück; aber wie soll ich begreifen,

was um mich vorgcht? meine Schwester?

Du bist nicht

0 wiederhole mir'», daß

Du e» nicht bist.

0, dieser liebreiche und doch so harte Vater! rief Claudine aus.

Wie hat er es

doch nur vermocht. Dich so lange diesem

Schmerze zu überlassen? Allzu grausam sind sie mit Dir umgegangen, mein Viktor!

Grausam, Claudine?

Wie weit über,

wiegt diese Seligkeit allen Schmerz! —

Doch löse mir endlich dieses Räthsel! Der

278

Brief meines Vater- konnte doch Nicht auf Täuschung beruhen?

Ach! erwarte keinen Aufschluß von mir, mein Geliebter! Ich weiß nur, daß fie eS mir unmöglich gemacht hatten. Dich von Del/

nem traurigen Wahn zu befreien. Nur der Baier allein kann Aufschluß geben.

Dem

treuen Silvius aber hat es Deine Claudine

zu danken, wenn sie früher wie Du dem unglückseligen Irrthume entrissen ward. 0

laß uns zu ihm eilen! fuhr sie fort, nach« dem sie Viktor erzählt hatte, waS der Alte

in treuer Liebe für sie gethan. Claudine'! sagte Viktor, indem er die

geliebte Braut sanft von dem Rasenhügel erhob, wenn auch jetzt die Sprache mir den Ausdruck für mein Entzücken versagt, so

soll «in ganzes, nur Dir geweihtes Leben es

bezeugen, daß, wenn ich auch unwerth bin,

ein "solches Kleinod zu erringen, ich doch

279 seinen unermeßlichen Werth

zu

schätzen

weiß.

In.traulichem Gespräche erreichten sie Silvius Wohniing. allein.

Der Alte war nicht

Sie fanden ihn, vor seinem Haust

mit einem Maurermeister unter lebhaftem

Gespräche umhergehend.

Morgen fangen

wir an, sagte er, aber bringt lieber ein

Schock Arbeiter, baß es rasch von der Hand geht. Ganz wohl, Herr Regimenter! rrwiee

bene der Meister, indem er grüßend Abe schied nahm.

Willkommen, Patron«», Grundherr und

seliger Viktor! rief Silvius dem Derlobtm

entgegen; ich weiß Alles! Heute hat. der Baron seine Mine springen lassen.

Gott

sey Dank, daß Ihr in den Himmel geflogen seyd ! Nun hat die unruhige Zeit ein Lude.

Silvius! hob Viktor an, wie gut bist

280 Du gewesen, wie treu hast Du Dich mei­ ner Claudine angenommen! Ein Wort ein Mann! erwiederte, der

Alte. Sprecht nicht davon! Ich habe wichtigere Dinge im Kopfe. Morgen brech' ich

mein Haus ab, und «andre. Du willst uns verlassen? fragte Viktor

betroffen. Im Gegentheil! Ich ziehe zu Euch,

und bin künftig auf dem Schwedenhügel

unter den alten Eichen anzutreffen. Das ist ja Rosenchalischer Grund und Boden!

Eben darum ! Ich will nirgend- anders wohnen, als bei Euch.

Ich verstehe Dich nichr, Silvius ! Ah»! rief der 2Ute, sie machen noch ein Geheimniß daraus. Es thut nichts.

Hat

Dein Vater doch längst schon da-. Gut für

Dich erkauft.

281 Mein Vater? Rosenthal? fragte Diktov

überrascht.

Was ist da zu verwundern? Er braucht

den Baron nicht, seinen Sohn einzurichten^

Weißt Du etwas davon, Claudine? Es ist eine neue Schelmerei des Vaters,

erwiederte das holde Mädchen; «ns sagte er, das Gut sey für Deinen Kommandeur

gekauft. O, wenn es wirklich so ist, rief Viktor in freudiger Bewegung aus, wie himmlisch

schön wird dann unser Leben'seyn!

Claiu

dine! kannst Du's Dir denn selig genug denken, wenn wir Abends aus unserm Gar, ten treten, durch das blühende Feld schien,

dem, und in einer Viertelstunde bei Deinem Vater sind? den andern Tag gehen wir zu meinen Eltern, den dritten kommen unsre Freunde zu uns.

Verzeih'! sagte Claudine, zwei Famir

282 lien wohnen fortan im Schlosse, U wird

gehörig unterschieden; einmal besuchen wir

den Baker, dann sind wir Babel's Gäste. Wie reizend, wenn wir unerwartet ankomr

men und nun ein Streit entsteht,

wem

unser Besuch gelten soll.

Hübsch auLgcdachl!

fiel Silvius ein,

aber an bet» Alten denkt Niemand, der mag allein seyn.

Willst Du denn ordentlich ein Mensch

werden, rief Viktor aus, der zu seinen Freunden kommt? Und warum denn etwa habe lange genug gehockt,

über die Schnur hauen.

nicht? Ich nun darf ich

Oho! ich werde

noch ein windiger Geselle, der heut' zum

Beispiel, nicht nur zur Verlobung eiliger

laden ist, sondern wirklich kommt, dm

Morgen sogar in der Kirche war, und nur weglics, der dmntnen Thränen wegen.

283

Wir erleben ein Wunder, sagte tzlaur bitte, aber dieser Tag soll uns ja auch mit Segen überschütten.

Nun ja, ich denke selbst es sog hübsch werden, rief Silvius, indem er sich fröh, sich die Hände rieb.

Doch nun muß ich

Euch verlassen, um einzupacken.

Iwan ist

schon in voller Arbeit. — Die Liebenden

wandten sich nach dem Schlosse. Laß uns durch's Dorf gehn, bat die

Braut,

ich sehe allerlei Blumengewinde

von dem Altane flattern, wir wollen nicht stören. Nicht leicht konnte ein Weg anmuchiger

für ein junge- Brautpaar seyn, durch das heimatliche Dorf,

als der

dessen treue

herzige Bewohner kaum selbst zu sagen wußten, wen sie mehr liebten, den milden

Gutsherrn, oder ihren würdigen Geistlichen.

Run sollten die Kinder dieser verehrttm

284 Freunde vereinigt werden, und Jeder mochte heute nur von dieser Verbindung reden.

Welche Freude erregte daher die Erschein nung des jungen Paars unter ihnen,

das

bald hier bald dort verweilte und unter freundlichen Worten, mehr wie einer gut­ herzigen Einladung folgend, m die häuSll, chen Kreise trat. — Sie sind ganz wie

ihre Vater; rS ist ein englisches Paar! so tönte es hinter den Liebenden her.

Das lasse ich mir gefallen,

rief der

Major ihnen jetzt von der Schloßbrücke

entgegen.

Das königliche Paar nimmt

gnädig die Cour an und vergißt Vater und

Mutter.

Herein, Ihr Hcrumschwärmer!

Wollt Ihr denn immer die Letzten seyn? Sie flogen ihm entgegen und hingen sich in seinen Arm.

So führte er sie der

Dienerschaft des Schlosses entgegen, die

lange auf ihre Lieblinge schon wartete, mit

285 dem aus vollem Herzen sich

drängenden

Glückwunsch.

Nun, Kinberl

sagte der Baron, als

er das gerührte Paar in den Park geführt

hatte,

fagt's nur ehrlich, seyd Ihr denn

auch wirklich glücklich? so, was man um

menschlich glücklich nennt? Unaussprechlich!

riefen Beide, indem

sie den liebevollen Vater umarmten und dann selig einander in die Arme flogen.

Schon gut, schon gut!

rief der Dar

ter, ich glaube Euch ja, drücket einander

nur nicht todt in der geschwisterlichen Um# armung! — Nun, Viktor, wie steht'S mit der Ueberraschung, die ich Dir versprochen,

mit ber Revange, die ich Euch in Warmbruni» zugesagt? Hab' ich mein Wort gehalten? —

Aber, Claudine! rief plötzlich Viktor, birz ich denn ganz verwirrt worden durch mein

Glück, daß ich Deines Geburtstages vergeft

286 sen kannte's — Hab' ich auch wahrlich heute

keine Gabe für dich, als dieses Herz, d»S Dir so lange schon gehört, doch bring' ich

ein Geschenk für Dich von lieber Hand. Er wollte ins Schloß eilen. Halt!

fiel der Major ein, zerreißt

mir die Gesellschaft nicht wieder l Mn ich doch froh- sie endlich beisammen zu ha­ ben. —

Glücklich eingefaagen, rief

et,

indem er das liebende Paar den Man

heraufführte, wo die übrigen Mitglieder des Hanfes schon versammelt waren. Hier

bring' ich

die seligen Schwärmer,

kann'« bezeugen, Silvius!

und

der Raptus ist

vorüber; man kann mit ihnen ziemlich »er/

nünftig reden. — Hier laßt nun gleich sehen, fuhr er lustig fort, daß ich wahr

geredet habe.

Stellt Euch einmal auf die Seite dort, wo Ihr heute vor einem Jahre standet und

287 Euch mit Decken verschlänget,

aber der

blöde Liebhaber dennoch keine Courage zum

So! und 'nun seht mir

Einhauen hatte.

ganz so schmachtend, vergehend aus, wie da,

malS.

Claudine!

ernsthaft! treibe keine

Possen. Jst's so recht, Vater? fragte da» lieb,

liche Mädchen, indem sie einen sehnsüchti,

gen Blick auf Viktor warf, und dann seuf,

zend die Augen niederschlug. Prächtig, Mädchen! prächtig! I», so

schüchtern stand sie vor ihm iN jenem A«,

genblicke, und Abends, nach dem verfäng, lichen Duette —

Sttll, Vater! davon spricht man nicht! rief Claudine,

indem sie dem Vater den

Mund zuhielt und dann erröthend das schöne

Haupt an der Brust deS Geliebten barg. Wieste mit mir umgeht! Wahrlich, M wenigen Stunden ist sie meiner Zucht ganz

288

entwachsen, Wie, Babel, rebele er diese

an, Thonen in Deinen Augen?

Mein

lustiges Töchterchen kann weinen?

Nicht

Loch, gleich fangt mir einen tüchtigen Zank an, sonst muß ich ja fück-ten, du seyst mir

krank geworden.

Lächelnd flog Dabet an die Brust ihres Oheims. Ich kenne Deine» Geschmack, Tochter!

begann der Daran, nachdem man sich nieder« gelaßen hatte. Du liebst nicht geräuschvolle Feste, sondern, vielmehr ein stilles tete-A-tSte.

Darum wollen wir ein dreifaches Fest feiern im Genuß jener Traulichkeit, die uns ein,

mal — Ihr wißt wohl, wo — so unjeitig versagt wurde. Ich denke, die Kränze und

Blumengewinde, welche die Freundlichkeit unsrer Leute Euch gewunden, und die dort

lustig im Winde schaukeln, soll dieser Trau,

289

lichkeit ferne» Eintrag thun.

Hab' ich»

Tuch recht gemacht? Di« jungen Paare bejahten dies mit

fröhlichen Herzen. Die Freudigkeit diese- Mahle- zu 8e#

schreiben, wagt der Verfasser nicht.

Wer

jemals geliebt , hat, wird des glücklichen Ta­

ges gedenken, als er zum erstenmale mit

der geliebten und liebenden Braut tm theu­

ren Familirnkrc ist erschien. Du aber, freundlicher Leser, und Du, jugendliche Leserin,

denen brr schönste Tag deS Leben- noch be­ vorsteht, Ihr «erdet in Vorahnung dessel­ ben Sie Gefühle unsrer glücklichen Freunde

in den glänzendsteir-'Farben Euch auszumalen vermögen. Mit unverwandten Blicken schien Hugo

sein schönes Desttzthum zu hüten. Nur für

Dabet schien er da zu seyn. In ihren Zü­ gen lag dagegen mehr als gewöhnlicher

DI.

19

290 Ernst. Sey es wegen des überraschend titü

getretenen Verhältnisses dcS Dramstandes,

oder in Folge der heutigen Erklärung zwü schen ihr und dem Geliebten.

In jtdtm

Falle war diese Liebe noch zu >Wg.

Sie

hatte vielleicht ihre Stadien noch zu durch/ lausen, ehe sie zu ter himmlischen Ruh«

und Freudigkeit gelangen konnte, welche

Claudinc und Viktor beseligte. Eine freudige Heiterkeit zeigte Viktors

Vater.

Das Ziel war erreicht, welches so

viele Jahre in weiter Entfernung vor chm gelegen, und

die Sorgen der letzten Zeit

waren überwunden.

Sein theurer Sohn

ruhte in den Armen der Liebe, seine Zur

ku st schien sür immer gesichert. Dorothea schwamm in einem Meere von Glück.

Endlich war der Tag gekommen,

an dem sie sich entschädigen durfte für dm

langen Zwang, die ängstliche Zurückhaltung,

29t die qualvollen Sorgen, welche die Verhält­ nisse ihr auferlegt hatten. Sie that es mit

der ganzen Liebenswürdigkeit ihres Wesen-und e< kleidete sie ein leichter Mulhwille

dabei um so anmuthiger, je mehr er gegen

den gewohnten Ernst ihres Wesens abstach. Die Präsidentin mußte am verlegensten erscheinen.

Erfreute

sie

sich gleich de-

Glückes ihrer Tochter, so sah sie sich doch zu sehr getäuscht in allen ihren Ucberzeu, gungen und darauf ruhenden Berechnungen

und erkannte mit Schmerz, daß sie, durch

die gröbsten Irrthümer verleitet, ohne Noth die unglückseligsten Mißverständnisse veran«

laßt «nd alle Personen falsch behandelt hatte.

Wenn- gleich ihr Bruder schon vor

längerer Zeit sie über Alle- aufgeklärt hatteso bedurfte sie doch der Zeit, um sich za

sammeln und ein ruhiges Verhältniß wie,

derher-NstrlltN.

Vorzugsweise bemühte sie

19*

292 sich/ zunächst Hugo füt' das lange Berken)

tten durch verdoppelte Zärtlichkeit zu ent/ schädigen und dadurch' Viktor erkennen zu lassen, däsi er nicht mehr der alleinige Lieb/

ling ihres Herzens sey. Silvius hatte nur Sinn für die Uebrii

gen,

insoweit sie mit seinem Viktor und

dessen reizender Braut in Beziehung trar len.

Da sie glücklich waren, war er es

auch. Eine hsitre Gesprächigkeit war Zeuge

ft-ineS Wohlbehagens.

Nach aufgehobener Tafel hatte die Ger sellschaft sich anfänglich in dem Gärten zew

streu k, jetzt aber wieder um den Theetssch versammelt, und genoß dort der freundlichen

Aussicht auf einen freien Rasenplatz,

dessen Mitte

ein

Blumen plätscherte.

in

Springbrunnen unter In reichem Wechsel

von Laub/ und Nadelholz, war der gunz«

NaNM von hohen Bäumen, heimlich um/

293 schlossen; in der Ferne erblickte man das

SchloßEs mag wohl bie- schicklickste Zeit seyn, hob der Baron jeht an, Euch die Aufschlüsse

zu

schmachtet.

ertheilen,

nach denen Ihr

Wohlan denn!

Es wird mit

wenig Worten gethan seyn. Daß Du, Vik­

tor, und Deine Geliebte von mir tüchtig

und methodisch gequäkt worden, will ich im

Voraus bekennen, aber Dein eignes Ver­ halte», lieber Sohn, und der Zufall haben

gegen qlle Berechnung dabei mitgewirkt. Wenn Du aber, liebes Täubchen, in Dei­

ner Unschuld mit leiden mußtest, so magst Du Dich damit trösten, daß dies Deinem

Geliebten eine Genossin seines Leidens ver­ schafft hat. Beginne Du, Holm! Von da an, wo

ich das Scepter in die Hand genommen, will ich selbst das Wort führen.

294 Vor vielen, vielen Zähren, begann dev Pfarrer lächelnd, war ich ein junger, rascher

Musenfohn, mein aller Freund dort aber ein eben so jimger, etwas wilder Offizier.

Unser erstes Begegnen war ein feindliche-.

Nach geendetem Streit aber versöhnten wir

uns und wurden Freunde im ganzen Sinne des Wortes." Halt! rief der Darvn, Du bist gewaltig

eilig.

Will ich Euch gleich nicht mit Bet

kenntnisserf ans der Schattenseite meines Lebens behelligen, so muß doch dies hier gesagt werden:

Wir trafen uns mit g«

waffnerer Hand; ich für eine schlechte Sache kämpfend, er für das Recht und die Tur gend.

Ich unterlag, wie es die Gcrrchtige

kcit forderte. Mancher Andere würde nun, im Gefühl des Siegs, sich «»eiter nicht um den Mstegte» bekümmert haben;

nicht st»

that Dein Vater, Viktor! Er saß an meir

295

«em Wundlager und lehrte mich Geduld und Tugend. Und als ich genesen war, hatte er großmüthig alle Folgen meiner Unbesonnenheit auf eine Weise beseitigt, daß die ganze Stadt meines Lobes voll war, und was mehr sagen will, mein Ger wissen beruhigt seyn durfte. So handelte mein Holm, und erzwang sich dadurch meine Freundschaft. Wozu aber das? sagte der Pfarrer, es gehörte nicht zu dieser Erzählung. — Unsre junge Freundschaft, fuhr er fort, wuchs kräftig groß; wir vermochten bald nicht mehr ohne einander zu leben. Bald bil­ dete sich auch ein Kreis trefflicher Menschen aus allen Ständen um uns. Beide durch ein größeres oder geringeres Vermögen über die Sorgen des Lebens hinweggehobm, leb, ten wir eine ewig unvergeßliche Zeit b«s

296

edelsten Genusses für unsre Ausbildung,

wie für unsre Freundschaft. Unter den Familien der Stadt war die des Präsidenten des dortigen Landes Collegiums

vor vielen ausgezeichnet. Waldau und ich waren beide in dieses Haus eingeführt, wo

wir auch die Bekanntschaft meiner lieben

Dorothee machten, welche Erzieherin der jünger» Kinder des Hauses war. Du darfst es ohne Erröthen anhbren, geliebte Frau,

wenn ich hier sage,

daß äußerer Reiz

nicht minder Dich anszeichnete, als seltene Anmuth und Bildung des Geistes. Seir längerer Zeit liebten wir, einer

dem andern unbewußt, Dich beide, bis wir

in derselben Minute die gleiche Leidenschaft

einander gestanden.

Den Wettstreit der

Großmmh, welcher hieraus entstand, em dere mein edler Freund dadurch, daß er

eine dringende Reise vorschützte, die Stadt

297 verließ und' einen» Mädchen,

welches er

kaum kannte, seine Hand bot, bald darauf

aber mit der jungen Gemahlin zu uns zue rückkchrte.

Wie sehr mich

auch dieser

Schritt rührte und zugleich als ein Zeichen

der aufopferndsten Freundschaft überraschte,

so verschaffte er doch der Neigung meines Herzens Raum.

Ich benutzte die Groß/

muth Waldau's, warb- um Dörothcen unb

erhielt das Jawort. An meinem Hochzeits/

tage überreichte der zärtlichste aller Freunde mir die Dokation zu der hiesigen Pfarre. Rach -Verlauf -eines Jahres erwarteten

uns Beide Vatcrfreubcn; da brachte mein

theurer Waldau seine Gattin hiehcr. Bald nach ihrer Ankunft wardst Du, mein lieber

Hugo, zwei Tage später ward Viktor ge/ baren.

Der gegen Frankreich auebrechcnde

Krieg rief meinen Waldau jedoch zu seinem

Regimente, der Tau frag war der letzte- den

298

er bei uns verweilen durste. An dem Abende diese- Tage- nun eröffnete mir mein »hem

rer Freund seinen- Plan, den schwärmerische

Freundschaft und die nicht ganz unterdrückte Neigung für Dorotheen ihm .eingegeben

hatten. Gönne mir das Glück, fifcad) ec in leidenschaftlicher Bewegung, Dein Kind, ihr Kind zu erziehen, und das meinige in

Euren Hände- zu wissen! Ist es doch datheuerste Pfand, welches eine Freundschaft wie die unsrige. sich wechselseitig zu bieten

hat!

Ich war es gern zufrieden; als er

jedoch der Welt aus diesem Tausche ein Geheimniß machen wollte, und deshalb darauf bestand, daß die Kinder auch Stand

und Namen wechsel« sollten; da widere sprach ich zum erstenmale in meinem Leben.

— Aber gerade dieser Punkt schien ihm die Hauptsache, indem er sich davon eine Fülle höchst anmmhiger Verhältnisse, und eine

299

überraschende, romanhafte Entwickelung vrH sprach. Vergeblich kämpfte ich dagkgcn,mih

gab endlich widerstrebend seinen» ungestü, men Andringen nach.

Aber als ich Nütz

wirklich zur Ausführung schreiten sollte; da

erschienen mit die Schwierigkeiten und dir Erwägung

brr möglichen

Folgen

dieses

Schrittes zu abschreckend. Zweimal gab ich

schriftlich meine

Besorgnisse yi erkennen

«nd sah mich nur um so dringender -w

schworen, meine Zusage zu erfüllen, so daß ich nicht länger zu widerstehen vermochte.

Dorotheen hatte ich längst von Allem untew

richtet und sie hatte endlich nach heftige«

Sträuben in die Ausführung des Plans nicht nur gewilligt, sondern sich auch erboten, die Daronesse dafür zu stimmen, und es gelang

ihr, Hugo's Mutter zur Einwilligung jN bewegen.

Nachdem ich nun, nach meiner Pflicht

300 Alkes gethan zu haben glaubte-

um die

Identität der Kinder festzustcllen, zu dieftm Behufe 'bei den Ortsgerichren eine ver­ schlossene Erklärung niedergelegt, auch eigen­ händig in dem Kirchenbuche jenes Maas

Viktors beschrieben hatte, wurden die Wär­

terinnen verabschiedet und die zarten Kin­

der ausgewechselt. So, lieben Kinder,

fuhr Holm fort,

waren drei Jahre vergangen.

Ts ward

Triebe, Waldau nahm seinen Abschied und

kehrte für immer zu uns zurück. Ein Jahr

später ward Claudine geboren.

Mit dem

Erscheinen dieses holden Wesens entstand

ein neuer Plan in dem Kopfe meines Freun­ des.

Viktor und Claudine sollten ein Paar

werden

und durch ihre Vereinigung die

Liehe der Väter verewigen-

Allein der

Ausführung dieses Plans trat nun die Ver­ tauschung der Söhne in den WeL,

indem

301

fie die künftige Entwickelung einer Neigung^

welche wir so sehnlichst wünschten, verhindert mußte, wenn nämlich Heide Geschwister neben einander aufwüchsen.

Wix hofften jetzt unfern Frauen eine

rechte Freude zu bereiten, indem wir ihnen die Vernichtung des ersten Planes ankün/ digten, mußten aber mit dem HLchsten Er/

staunen vernehmen, daß dieser Tausch nie/

mals ausgeführt worden sey. Beide Mütter,

fest entschlossen, um keinen Preis ihre Kim der von sich zu geben, hatten für diesen Zweck mich selbst getäuscht.

Die Knaben

waren zwar in meiner Gegenwart wirklich

vertauscht worden, allein nub für eine

Nacht; und am folgenden Tage hatte jede Mutter das eigne geliebte Kind wieder zu/ rückgenoMmen,

Ein allgemeiner FreudcMUf begleitete

diese Worte, beide jungen Paare überhäuf-

302 ten die Pfarrerin mir den Ausbrüchen deS innigsten DankeS.

Wie manchmal, sagte Viktors Mutter,

hab' ich mit der' Daronin unsern Streich vtlacht, wenn wir selig bei einander saßen

und die eignen Knaben herzten und küßten.

Zur Ehre der harten Männer sey's aber ge,

sagt: ste lobten unsre That, doch vielleicht

nur deshalb, weil diese ihren jetzigen Absich, tkn entsprach.

Wie kannst Du nur so reden, Dorothee?

fiel ihr der Pfarrer ins Wort; Du weißt jq, mit wie schwerem Herzen ich meine Einwilligung gegeben hatte. Aber Du gabst ste doch! und was gar

den Baren angeht, der dürfte unter andern Verhältnissen schwerlich so leicht zufrieden

zu stellen gewesen seyn. Gewiß Nicht! sagte der Masst, den«

303

Frauei», merkt's Euch, Ihr jungen Damen ! sollen fein gehorsam seyn. Nach

manchen

hierauf gewechselten

Scherzreden fuhr der Pfarrer in seiner Er/

zählung also fort:

Ich wollte Anfangs Zweifeln Raum ge»

den, ja ich kam wirklich auf den überklagen Gedanken, sie hätten die vertauschten Kin­

der so lieb gewonnen, baß sie nicht mehr von ihnen lassen wollten.

Allein Dorothee

entkleidete alsbald den Knaben, der bei uns

erzogen worden, und das Maal auf der Schulter ward sichtbar.

Von jeht an waren wir nun bemüht, unsere Söhne zu Freunden, und Claudinen und Viktor für einander zu erziehen, und

der Himmel hat uns mit dem schönsten

Gelingen gelohnt. Bald darauf ward die Baronin etn

Raub des Todes.

Unter dem tiefsten

304 Schmerze über diesen Verlust drängte sich zugleich die Sorge Hervor für Elaudincns Zukunft,

Das Natürlichst« wäre gewesen,

sie meiner Frau zu übergeben;

allein wir

fürchteten, das stete Beisammxnftyn der Kim

Ler michte die Entwickelung gegenseitiger Neigung unterdrücken.

Da erbot sich die

Krau Präsidentin, der Kleinen Mutter zu

seyn.

Wir brachten Claudinen zu ihr, und

trefflichern Händen konnte sie nimmer am

vertraut werden.

Meine liebe, liebe Tante! rief Claudine, indem sie sich der Präsidentin in die Arme

warf wie gut, wie liebevoll bist Du immer zu mir gewesen, wie viel verdanke ich Dir! Theures Kind! erwiederte die Präsie

dentin mit Zärtlichkeit, Du warst so weich,

so gut, daß Deine Erziehung eine sehr leichte Aufgabe wurde.

Doch vernehme ich es

gern, wenn D« -er Zeit mit Liebe gedenkst,

305 die Du in meinem Hause zugebracht hast. Sie reichte bei diesen Worten Viktor, der sich ihr gerührt genähert hatte, freundlich

die Hand.

Nun begann, hob der Pfarrer wieder an, ein langer Streit über Viktors künftige

Bestimmung.

Walbau verlangte, er solle

Soldat werden, wie Hugo. Allein ich be, stand darauf, daß mein Sohn Theologie

studieren und mir in meinem Amte folgen

solle.

ES war die- ein kritischer Punkt,

da mein Herzensfreund, wenn gleich frei von jedem Vorurtheile, dennoch den geist/ lichen Stand am wenigsten liebte, obgleich

sein bester Freund selbst Pfarrer war.

Er

wünschte mindestens, daß Viktor Arzt oder

Recht-gelehrter würde; allein ich konnte es nicht über mich gewinnen, seinen Wünsche»

nachzugebc«. Sey's darum! sagte endlich Waldau,

III.

20

306 mache aus ihm, was Du willst; aber dann

muß auch alles Uebrtge von mir allein

ausgehen.

Wie ich das Verhältniß der

jungen Leute zu einander gestalte,

welchen

Weg ich fie führe, welchen Prüfungen ich sie unterwerfe. Du willigest im Voraus in Alles.

Willst Du?

Wie hätte ich mich dieser Forderung des

trefflichsten Freundes entziehen dürfen, der mein eignes Glück mit dem großmüthigsten

Opfer erkauft hatte und von dessen Her/ zen ich überzeugt seyn mußte, daß er Alles

zum schönsten Ziele führen werde?

Mit

Wort und Hand sagte ich ihm Alles zu.

Und hiermit, fuhr der Pfarrer lächelnd fort, will ich mich denn auch ein/ für allemal von der Theilnahme an allen Neckereien und Qualen losgesagt haben, die er Euch

bereitet hat.

Nicht mehr wie billig, sagte der Major

307

lachend, die kommen auf meine alleinige

Rechnung, und ich werde sie weder verläuge neu noch bereuen. So verging manches Jahr, fuhr Holm

fort, Hugo ward Offizier, Viktor bezog die

Akademie.

Als Du nun heimkehren solltest,

mein Sohn, da schien eS dem Baron Zeit, sie auftreten zu lassen, der die Hauptrolle

in einem Spiele zugedacht war, welches er sich recht con amore aufführen wollte. Die

theure Ciaudine kehrte in das väterliche Haus zurück;

und wenige Wochen später

trafst auch Du, Viktor, hier ein. Don diee

fern Augenblicke an bin ich jedoch wenig mehr, als Zuschauer gewesen.

Ihr standet

unter dem liebevollen, aber etwas wundere lichen Einflüsse jenes Planeten dort; ich

ziehe mich zurück und gebe den Verfolg der

Erzählung in seine würdigen Hände." So mag denn jetzt, hol? der Major an,

20*

308

die erschreckliche Leidensgeschichte eines jun­

gen Paares folgen, welches zur Zeit mit krampfhaft verschlungenen Händen und den Mienen der Verzweiflung da vor uns sitzt.

Ich hatte, begann der Baron seine Er­ zählung, anfangs wohl nichts zu thun, als Euch zu beobachten. Ich mußte doch erst sehen, welche Anziehung Ihr aus einander üben würdet, ehe ich es wagen durfte, selbst­ thätig aufjutrcten. Aber, lieber Himmel! ich mag mich wohl im Leben nur schlecht auf Herzenskunde verstanden haben! Daß ich jedoch am zweiten Tage mit Viktor schon im Reinen seyn würde, das kam mir

nicht im Traume ein. Und doch war's so. Trotz seiner Nüchternheit besaß er schon am ersten Tage den Muth, sich in ein Spie­ gelbild zu verlieben, und den zweiten brannte

er lichterloh. Da regnete eS Kanarienvögel, Veilchen und Verse, es konnte nicht anmu-

309 thiger und süßer seyn.

Nur die Baro,

nesse machte ihm Scrupel:

denn von

einem sehr unschuldigen Gespräche über Miß,

hcirathen angeregt, — es war die erste Sonde, welche ich an seine Wünde legte,—

vermaß er sich hoch und theuer: niemals

«in adeliges Fräulein zu nehmen, und wenn sie knieend Liebe von ihm forderte. Armer Viktor! sagte Claudtne, wie geht der Vater mit Dir um!

Ich bin im Hafen, Claudine! und horche

lächelnd der Erzählung meiner Irrfahrten. Ich nahm mir vor, fuhr der Major

fort, die kühne Vermessenheit unsers jungen Enthusiasten zu strafen und seine Festigkeit den gefährlichsten Proben zu unterwerfen,

sobald ich nur der Neigung Claudincns sicher

seyn würde.

Daß sie sich für den Poeten

und Musikus interessirte, war bald zu be­

merken,

aber sie nahm sich tüchtig jusam-

310 men.

Auch Viktor bekämpft« seine Liebe.

Da hatte ich denn vor der Hand nichts

weiter zu thun, als ein wenig die Flammen

anzuschüren."

Erlaube inir eine Frage, Vater! unter­ brach Claudine die Erzählung.

Du hattest

an dem Abende in der Pfarre ein heimli­ ches Gespräch mit Deinem Freunde. Wel­

chen Gegenstand betraf diese Unterredung? Viktor, erwiederte der Daron, hatte sei­

nem Vater erklärt, daß er unmbglich seine geistliche Laufbahn verfolgen könne,

sobald

er einmal die kriegerische betreten hätte,

und daß er um so mehr hoffe,

sich dann

ganz der Musik widmen zu dürfen.

Ich

gab D'.ktor Recht und Holm stimmte bei.

Darauf bezogen sich also die Worte: desto besser! chest? gemacht.

die Du damahls ausspra­

Sie haben mir viel Kopfbrechens

311 Gott bewahre, welch ein Gedächtniß! rief der Major aus; Kopfbrechen?

Wahr­

lich, sie ist auch schon verliebt gewesen! —

Doch hört weiter! Der Zweikampf mit Düval war vor­ über, Viktor im Schlosse, Claudine außer sich.

In der Nacht hört sie Viktors Fan,

tasiren, mißversteht Silvius Ausspruch und sinket

ohnmächtig

an der Schwelle des

Krankenzimmers zusammen.

ich ja,

Nun wußte

woran ich mit dem schüchterne»

Täubchen war, und die Zeit war gekommen, den Vermessenen bei'm Worte zu nehmen.

Non diesem Tage an mußte mir Claudine

die Pflege des Geliebten übernehmen, und

ich that ehrlich, was ich nur konnte, um das

Feuer, welches in ihren Herzen glühte, zum Ausbruch zu bringen.

Doch mit seltenem

Muthe widerstand Viktor und suchte sich der Gefahr durch die Rückkehr in da«

312

elterliche Haus zu entziehen. Als er aber dar/ auf zum zweitenmale erkrankte, hielt Claudine

sich nicht mehr,

sie wirst sich zu meinen

Füßen und will mir ihre Liebe gestehen.

Da aber die- Geständniß wenig zu meinen Planen paßte, so ward Claudine streng zu« rückgewiesen. Unterdessen hatte mich die liebe Schwe/ ster ins Verhör genommen. Sie lieben sich,

sie lieben sich!

Trennung,

sonst giebt'-

keine Hülfe', so deklamirte sie mir vor. Da ich aber gar keine Lust hatte, Mir

in die Karten blicken zn lassen, so wurde die Gute mit der Versicherung zur Ruhr gewiesen, daß Claudinens Hand versagt sey.

So kam der Abschicdstag heran. Viktor sollte jedoch nicht ausziehen, ohne sein heiß/ geliebtes Mädchen ungestört gesprochen zu

haben. Deshalb mußte er in der Nacht das

Schreiben abholen',

der Tochter gab ich

313

gelegentlich zu verstehen, daß er noch einmal

komme. Ich wußte, daß dies hinreichend war.

Es soll eine sehr schöne Abschiedsscene gewesen seyn, fuhr der Baron muthwillig fort, würdig, in einem Zarten LiebeSroe mane zu glänzen! Nous ne nous fleti.'rons jamais! — Adieu Princesse, adieu plaisir! —

Es will sogar verlauten, daß die hochherzige Freundin nicht unzufrieden gewesen seyn möchte, wenn der edle Freund den platanie schen Bund feuriger besiegelt hätte, als mit

stummen Thränen. Aber eine ehrliche deute

sche Eiche fällt nicht auf den ersten Schlag. Wie tief die Axt auch eingedrungen war,

und wie fest verschlungen daS Seil um seine Krone, er hielt sich aufrecht. Vielleicht macht

die Korrespondenz ihn dreister, dacht' ich, und gab uneingeschränkte Preß/Freiheit.

Mein Sieg sollte jedoch noch nicht so nahe seyn.

314 Stand das Leden unsers theuren Vik­

tors auch allein in Gottes Hand,

begann

der Major von Neuem nach einigen scherz­

haften Zwischenreden, so konnte es doch auch

»icht schaden, dem Neulinge in der kriege­ rischen Sphäre einen bewährten Feeund zu­ zugesellen,

und der gute Heinrich, mein

alter Bekannter, war eben so geeignet, als

bereit dazu; wie treue Hülfe aber dieser geleistet, weiß Viktor am besten. 0, meine Ahnung!

rief Viktor auS.

Wie oft erschien mir dieses abstchtlich« An­

schließen verdächtig! O du lieber, herrlicher Vater, sagte Viktor aufspringend und den Baron umarmend, wie soll ich Dir diese

Liebe vergelten? Dadurch, daß Du mir Die da so glück­

lich machst, als sie es verdient.

Und nie­

mand vermag eS, als Du allein, mein gelieb­ ter Sohn!

315 Und wie war cs mit Bertram?

fragte

Viktor.

Eine gutmüthige Schelmerei war auch hier im Spiele, entgegnete der Major. Ich hatte den jungen Maler drei Jahre zu­

vor in Breslau kennen gelernt, al« er eben nach Rom pilgerte.

Auf seiner Heimkehr

zum Heere ziehend, besuchte er mich, wäh­

rend Du noch krank in Deine« Vater«

Wohnung lagst. Ich ließ ihm merken, daß

Dir meine Tochter nicht gleichgültig sey«nd fügte hinzu, daß Du in wenig Wochen auch aufbrechen würdest. Leicht war er zu

bewegen, sich Dir anzuschlicßen. weilte nun in

Er ver­

der Nachbarschaft,

bi«

ich ihm den Tag Deiner Abreise melden

konnte, wo er Deiner auf der Landstraße

wartete. Die Zeichnung Claudinens, welche nachher eine so bedeutende Rolle spielte.

316 hatte er hier entworfen, ohne daß Claudine darum wußte. Ja, sagte Viktor bewegt,

da die Liebe

überall so steundlich vorbereitend für mich gesorgt hat, so ist es wohl kein Wunder mehr, daß ich zu dem seligsten Besitze gelangte. Der herrliche Freiheitskampf war nun

begonnen, fuhr der Baron fort, und mit Entzücken erfüllte uns der Ruf Eurer Tapferkeit. Nach geschlossenem Waffenstillstände

traf Hugo ein, um sich anfänglich heftig doch stüchtig tn seine Schwester zu verlieben,

dann aber "bie Fahnen vor einem andern Heiligenbilde zu senken.

Doch Dabct that

zuerst gar jüngfcrlich spröde und die Schwe­ ster Präsidentin, die wunderliche Dinge in

den Sternen gelesen zu haben glaubte, ver­

kannte den eignen Neffen, und sah unwil­ lig den vermeinten Pfarrcrssohn sich um

ihre Tochter bewerben.

317

Heut' vor einem Jahre kamst endlich auch Du, mein theurer Viktor, zu Claudie

nens Geburlsfeste, und ich war selig in dem Glücke, meine beiden Söhne hier zu der

sitzen. — Doch nun merkt auf! denn jetzt kommen meine Schwächen. Ich fand mich

plötzlich so weich gestimmt, daß ich alle alten Pläne aufzugeben und auf der Stelle zwei liebende Paare zu vereinigen beabsichtigte. Holm widersetzte sich mit Gründen, die er in dem Gespräche entwickelte, bas wir, durch Garren und Feld wandelnd, führten. Zuerst führte er an, daß Hugo's Verhältniß zu der neckischen Dabet noch gar nicht im Reinen sey und Uebereilung hier Alles verderben

könne.

Dann aber sollte auch Viktor die

Sache nicht so leicht gemacht werden. Err

hält Gottihm das Leben, sagte er, so mag er erst in der Welt versuchen, wie weit er mit seiner Musik kommt, und ob er sich

318 Selbstständigkeit zu erringen vermag. Holm

hatte Recht und ich gab nach.

Aber während der Vater so wohlüberlegt sprach, waren dem Söhnchen Muth und Herz gebrochen und

Stolz war erschöpft.

der

männliche

Er sang ein Duett,

das ich besonders auSgcwahlt hatte, unter allen Quälen und Seligkeiten der Liebe,

stürzte fort, suchte, fand, gestand und lag endlich an dem Herzen der Geliebten, die

nur bedauerte, daß er nicht einige Monate früher so klug und vernünftig zu ihr gespro­ chen hatte.

Diese große Scene offenbarte sich mir gleich am andern Morgen in der allgemei­

nen Bewegung.

Vor Tage schon sang hier

Einer, krähte dort der Andere. Aber dann

kam der Hauptmoment.

Was weiß der

Alte doch von Poesie, dachte Claudinchen,

vor dem brauchst du keine Furcht zu haben.

319 So seht sie sich denn ganz sicher an den

Flügel, tippt etwas daraus herum, und singt dann schmelzend wie eine Nachtigasit Da fing mein Leben an, als ich dich — Nun, soviel war mir aber doch auS mtU

nem Göthe bekannt, um das süße Wörtchen „liebte", welches sie weislich ausließ, selbst

hinzufügen zu können. Sachen?

So also standen die

Endlich hatte der stolze Kandi/

dat sich doch mit der Baronesse ausgesöhnt i Seht, Kinder! der Mensch ist ein wund«/

lichcs Geschöpf.

Erst hatte ich diese Ekklä/

rung gewünscht, ja sie selbst herbeizusühren gesucht, und nun war ich unzufrieden; nun

»erlangte ich, er hätte länger, er hätte immer schweigen und mir eine Ucberraschung

nicht verderben sollen, die ich mir selbst vor/

behalten hatte. Ich grollte, und nahm mir vor, dem armen Viktor neue Qualen zu

bereiten.

Daher zog ich seine» Komm»«/

320

deur in's Geheimniß und stiftete ihn an, Claudmcn den Hof zu machen. Er ging zwar in den Scherz ein, war aber zu gut# müthig, um der Bewerbung den rechten Anstrich von Ernst zu geben, und so ging ein großer Theil der beabsichtigten Wir# kung verloren. Nun wurde aber Holm mit einemmale butterweich; er fand diese Quälerei zwecklos und maulte, ließ sich aber endlich versöhnen. — Wir kamen in Warmbrunn an. Die Präsidentin hatte wieder in den Sternen gelesen und träumte nur von Gräueln der Verwüstung. Sie trieb uns nach Haus und zerfiel mit uns Allen. — Ich übergehe Eure Abreise in's Feld, bis dahin, wo die Schwester mich zum zweitenmale zur Rede stellte. Anfangs wußt' ich selbst nicht, worauf sie hinaus wollte, bis endlich die zentnerschweren Worte hervorbrachen;

321 Viktor sann deshalb nie Dein Eidam wer/ den, weil er Dein Sohn ist; Hugo aber ist

das Kind des Pfarrers.

Ich erschrak iin ersten Augenblicke selbst über ihre Entdeckung, die, wenn sie gleich

olle Bedeutung verloren hatte, doch nicht

laut «erden durfte. Aber alsbald leuchtete mir ein,

wie trefflich dieser Irrthum zu

benutzen, und daß die romanhafteste Ver­

wickelung, die ich so sehnlich gewünscht hatte,

nun gefunden sey.

Sofort ward mit der guten Schwester die Kombdie begonnen.

zu schweigen,

Ich beschwor sie,

in der Ueberzeugung, damit

das Gegentheil zu erreichen. Ich ließ Holm rufen, um Erklärungen zwischen ihm und der

Präsidentin zu verhindern. Nu» gilt's, Aft ter! sagt' ich, als wir allein waren.

Die

köstlichste Verwickelung ist da, und Du hast

mir Dein Wort gegeben, sie nicht zu stiren,

in.

21

322 Himmel und Erde suchte nun der ehrliche

Freund in Bewegung zu setzen, aber ich wies

ihn unbarmherzig an sein Versprechen und suchte ihn auch anderweitig zu beruhigen. Sa ließ ich denn die Trauer Eure Here

zen in Nacht versenken,

um sie dereinst

dem schönsten Sonnenlicht entgegen zu führ

rrn. — Mir Dir, mein lieber Viktor, war ich unzufrieden, daß Du den Lockungen

nicht besser widerstanden hattest, und ginnte Dir dafür eine kleine Züchtigung. war dafür gesorgt,

Doch

daß jugendliche Leiden,

fthaftlichkeit nicht ein Unglück herbeiführe.

Elaubine hatte gebeten,

Dir selbst

die

Trauer.'Nachrichtmittheilen zu dürfen, aber

ihren Brief, schickte ich nicht Dir, sondern Hugo, dem ich zugleich den wahren Zusan»

menhang meldete.

Er sollte Dich vorberek

ten. Dir dann ClaUdinenS Brief geben, und

wenn Du «och zweifeln würdest, einen

323

zweiten von mir, den ich bloß in dieser Abe sicht geschrieben hatte.

Dann sollte Hugo

Dich zu trösten, aufzurichte« und Dir da-

Versprechen abzugrwlnnen versuchen, daß Du für Claudtnen leben wollest.

Falls er

Dich aber fassungslos fände und er Gefahr für Dein Leben fürchtete, dann sollte er den

Schleier zerreißen und Dir die Wahrheit enthüllen. Din ich hart gewesen, mein theurer

Sohn, sagte der Major, Viktor die Hand

reichend, so vergtebl

Ruht doch in jeder

Menschenbrust die verborgene Lust, dle Rolle

des Schicksals zu spielen. Wenigsten- habe ich verstanden, gut zu mache«, was ich viele

leicht verschuldet. Wie hätte ich wohl ein Recht, zu tVu

gen, mein theurer Vater? erwiederte Nike

tor. Nein; wie trüb' auch jene Zeit an mir vorübergegangen ist, ich kann e- nicht %t< 21*

324 reuen, sie verlebt zu haben. Sie hat mich gestärkt und Weichlichkeit und Verwöhnung in mir niedergekämpft.

Gewiß, Viktor, fielj der Pfarrer ein, das

war auch unsre Absicht.

Nur eine Klage darf ich nicht vvrentr halten, sagte Viktor, daß nämlich ihr, die/

sem unschuldigen Engel, jener Schmerz nicht erspart wurde. Halt, halt! mein Sohn! rief der Mar

jor, nicht gar zu mitleidig. Du weißt wohl, es heißt:

mit gefangen, mit gehangen!

Doch ernstlich', für sie war gesorgt; allein

sie bediente sich des Mittels nicht, welche» ich in allzuweicher Stimmung gegen solche-

Herzweh ihr im Voraus verschrieben hatte. Nicht wahr, Vater, rief Claudine aus, das war der Talisman?

Ich mußte ihn Dir später abfordern, um mir die letzte Ueberraschung nicht zu verr

325

derben. Hier ist das Papier.

Heute vor

einem Jahre übergab ich es Deinen Häm den.

Claudine öffnete eS und las: Meinen besten Segen, Claudine, zu Del/ ner Verbindung mit dem edlen Viktor l

0 weh, sagte Claudine, weich eine Thö­

rin bin ich gewesen l Wie manche qualvolle Stunde hätte ich uns ersparen können! Und doch freut michs,

daß Du es nicht gethan.

meine Tochter, Du bist stärker

gewesen im Unglück, als Viktor im Glück.

Aber laßt mich zum Schluß kommen.

Claudinens Trauer dauerte nur wenige Tage, nach deren Verlauf das Mädchen wie umgewandelt war.

Singend und springend

überbringt sie mir einen Brief für Viktor

mit einem großen, dreimal unterstrichenen Citissime. Halt! denke ich, hier hat Einer

geplaudert, halte den Brief zurück und suche

dem Verräther nachzuspüren. Vergeben Sie

326 mir'«, Dorothee, sagte er lächelnd zur Pfar,

rcrin gewandt, daß mein erster Verdacht Sie traf.

Der Himmel weiß es, erwiederte sie, ob ich Recht »hat, zu schweigen. Da« Herz

wollte mir ost brechen , wenn ich die arme Claudine sah, nun sie den Schmerz mit soll cher Ergebung trug. — Im entgegengesetzten Falle würden, rief

der Major,

zwei Worte:

Brauche den

Talisman! sie bald geheilt haben, theure Freundin l Holm aber, fuhr der Baron fort, hegte

eine» ganz andern Verdacht. Diebe! Diebe!

rief er, Nachschlüssel!

Es war klar,

Kirchenbücher! —

nur Silvius hatte dem ar.'

men Mädchen geholfen.

Nun waren mit

einemmale seine Geselligkeit und die häufir gen Besticht in der Pfarre erklärt.

Silviu«! ich wollte mich ausschütten vor

327 Lachen! Diesen Streich werd' ich Euch nie/

rnalS vergessen! Es war Recht, daß ich's that, sagte der

Alte.

Ihr habt ein tolles Komödienspirl

getrieben und mögt Gott danken, daß Alles glücklich geendet hat. Das thun wir auch, Silviu», und freuen

uns über Eure Mitwirkung, und ergötzen

Uns, daß Ihr uns so hinter'- Licht geführt habt. — Unterdessen war der Friede &tf schloffen und Viktor in die weite Welt ge/

zogen.

Wie fein

erster Brief einging,

brauchte ich das Postrecht und öffnete ihn; ich mußte doch wijstn, wo er war. Es war

unmöglich, Claudinen den Brief zu geben; diesen Ausdruck des Schmerzes Hoffnung-/

loser Liebe hätte sie nicht ertragen; ste wäre

uns über Nacht desertirt, um Dir selbst zu sagen, daß Du ja nicht ihr Bruder sey'-;

Nun hätte ich zwar den Flüchtling gleich

328

einfange« können, aber Holm war dagegen und es gab überdies Manche- zu thun.

Ein Güt, Viktor, mußte gekauft werden für

Deinen Kommandeur. — Doch wozu noch länger hinter dem Berge hallen?

Ob am

Hochzeittage oder bei der Verlobung, ist's nicht dasselbe, alter Holm ? Als», Ihr migt's immer heute schon wissen, daß mein lieber Freund da, ein allerliebstes Nestchen erstatt, den hatte für das junge Paar.

den« viel einzurichten,

Da gab'-

zu reiten und zu

fahren; ich war wenig daheim.

Dann

hatte "Hugo seinen Abschied noch nicht, war

Noch beim Regiment« und Niemand wußte eigentlich, wie es sich mit ihm und seiner

Geliebten verhielt.

Endlich hatte ich Cian,

dinens Geburtstag zur Lösung des großen Räthsels bestimmt.

Da dieser Tag aber

noch fern war, so konnte ich unsern Mo­ zart ruhig

draußen

eomponiren

lassen.

329 während ich ihn in seiner Residenz beobach­

ten ließ. Aber er jagte mir noch vor Thor­

schluß eine» tüchtigen Schreck ein, indem man mir Plötzlich meldete,

Viktor sey mit

Kourierpferden bei Nacht und Nebel i» der

Richtung nach der Schweiz abgereist. Mir

ward fast unheimlich zu Muthe, Ihr wer­

det mir's angemerkt haben. Endlich traf er wieder ein, zu meiner Freude, und nun

ging's auch im Fluge fort. Eine Stunde vor der Abreise hatte ich denn noch eine

tistliche Scene mit der Sternseherin- da,

der Präsidentin, deren Einwilligung zu dem Glücke meines Hugo ich bedurfte, und

sie daher in's Geheimniß ziehen mußte. Die

Augen,

welche

die

Gute machte,

werde ich niemals vergessen! — Und nun, Viktor! habe ich Dir nur »och

zu beichten, daß id> dem Fürsten und der Prinzessin Alles entdeckte und diese daher

330 darauf verzichtet haben, Dich für immer dort zu sehen, in der Meinung, Du werdest

hier vielleicht Hoch Eins oder das Andere

finden, was Dir die Heimat werth machen ttnnte. Hiemit, Kinder! endet meine Geschichte

und wie Augustus rufe ich au«: Habe ich meine Rolle gut gespielt, so klatschet in dir

Hände!

Unter Beifalls-? und DankeS/Ruf um/ fingen ihn viele Arme und legten selige Herzen

an

das

Herz des liebevollsten

Dakers. Auch Du, Brutus? sagte Viktor, indem

er seinen Hugo küßte. Post nubila Phoebus! mehr durste ich ja

nicht thun, war Hugv'S Antwort.

Aber nun mußt Du uns noch Vieles von Dir und Dabet erzählen!

Nichts, nichts! rief Dabei, dazwischen

331 tretent>, inbeth sie zärtlich sich an den Ger

liebten schmiegte, Du hast mir's versprochen, Hugo! Sehen sie doch, daß wir glücklich sind. Komm, komm!

Muthwillig entfloh

sie mit dem Geliebten. — Die Gesellschaft zerstreute sich lustwandelnd im Garten. —

Als man wieder beisammen war, brachte Viktor die schönen Bildnisse der fürstlichen

Familie, und übergab Claudinen das für sie bestimmte Papier. Es enthielt Io einen» geschmackvollen Kästchen, von den freundlich«

(len Zeile« HelenlnS begleitet, einen Per« lenschmuck und zwei zierliche Trauringe mit den Namenszügen Viktors und Claudinens.

Letztes Kapitel. Der nächste Morgen sah die glücklichen Familien in Rosenthal.

Silviu» stand auf

331 tretent>, inbeth sie zärtlich sich an den Ger

liebten schmiegte, Du hast mir's versprochen, Hugo! Sehen sie doch, daß wir glücklich sind. Komm, komm!

Muthwillig entfloh

sie mit dem Geliebten. — Die Gesellschaft zerstreute sich lustwandelnd im Garten. —

Als man wieder beisammen war, brachte Viktor die schönen Bildnisse der fürstlichen

Familie, und übergab Claudinen das für sie bestimmte Papier. Es enthielt Io einen» geschmackvollen Kästchen, von den freundlich«

(len Zeile« HelenlnS begleitet, einen Per« lenschmuck und zwei zierliche Trauringe mit den Namenszügen Viktors und Claudinens.

Letztes Kapitel. Der nächste Morgen sah die glücklichen Familien in Rosenthal.

Silviu» stand auf

332 dem Schwedenhügel und grüßte- die Bor­ überfahrenden mit wehendem Tuche. Claur

dine fand eine völlig eingerichtete Wirth­

schaft. Viktors Mutter hatte Alles anfäng, lich heimlich allein besorgt, späterhin unter

Beihülfe der Präsidentin.

Wir wollten

Dich am Hochzeittage überraschen,

lieber

Sohn! sagte der Pfarrer, aber die Freude hat uns übereilt.

Wie alt indeß der Plan

sey, diese- Gut zu erwerben, magst Du

daraus entnehmen,

daß der Baron Dich

absichtlich an dem Tage hergeführt hatte,

an welchem die Marschordre eintraf, um Deine Meinung darüber zu erforschen, nach­

dem Du in der wirkhschaftlichen Prüfung

so gut bestanden warst. Habe

ich

auch längst einen falschen

Stolz abgelegt, mein theurer Vater, erwie,

derte Viktor,

dennoch verzieh die Frage:

Hast wirklich D u mir dies schöne Gut gekauft?

333

Ja, mein Sohn! ich bin nicht ganz mit? telloS. Was Waldau beigetragen, ist eilt Theil von Elaudinens Aussteuer. Wer jemals an der Hand einer geliebte« Draut die Wohnung betreten hat, welche die Zeugin künftiger Wonnen, die Wiege eines neu ausblühenden Geschlechtes werde« soll, der theilt in Gedanken Viktors Ente zücken. Was gab es hier nicht' Alles z« betrachten, zu besprechen, über wie Vieles sich zu freuen? Bald zog Claudine dem 'Geliebten zu- einem Schranke, bet ihre Schätze verschloß, bald zeigte er ihr die schwer beladenen Eendtewagen, die mit dem Segen des Feldes einfuhren. Dies Alles ist unser, Geliebte l sagte er. Nach wenigen Tagen werden wir hier heimisch sey« und des Lebens höchstes Glück genießen. Clandine, als ich an jenem Weihnacht-, Abende dem heimathlichen Dorfe zneiite.

334 hatte ich keine Ahnung von dieser beseligen-

den Zukuyft! AlS ich Dich dann zuerst er­

blickte

und gleich

unaussprechlich liebte-

durft« ich da wohl hoffen. Dich jemals so an

mein« Brust drücken zu dürfen? Viktor! sagte Claudine, wir sind immer frgmm und gut gewesen, darum liebt uns

Kott- Darum hat er Dich beschützt in tau­ fend Gefahren und führt uns so selig zu, summen. Laß uns immer gut und in un­ getrennter Liebe treu bei einander bleiben. Dacht' ich's doch, rief der Major, di« find wahrlich noch ganz unpraktisch.

Da

suche» sie draußen den jungen Herrn, um

zu erfahren, wohin der Waizen gebracht werden soll, denn die Scheune ist voll, aber der hört und sieht nicht.

Das wird ihm hoffentlich noch lange so gehn, Vater, sagte Claudine; die Liebe verfangt ihre Rechte.

335 Aber der AHage» auch, Töchterchen! Und

da es hier verdammt windig mit dem Mite

tagsmahl aussehen möchte, s» habe ich an,

spannen lasse«.

Die seligen Tage eines kurzen Dränte stände- waren vorübergerauscht. Am Hoch, zeitmorgen, da Viktor kaum erwacht war, überraschten ihn Bertram und Heinrich. Ich wagte es nicht zu hoffen, rief Mktor ihnen entgegen, und nun kommt Ihr Loch

zu meinem schönsten Festei Weiß es Mein Schwiegervater schon? Freilich! versetzten

die Freunde, er selbst hak uns längst schon elngeladen.

Bald verkündeten die rollenden Wagen

die Ankunft der Gäste, die der Baron in

dem festlich geschmückten Park empfing. Dlumenpyramiden in reichem Farbenschmelze stiegen hier unmuthig in die Höhe; Laub,

336 UnS Blumengewinde hiilten die alten Daum.-

stimme umschlungen, ketteten sich von Wipfel zu Wipfel und wiegt«» sich in der sanft See wegtenLuft: Springbrunnen warfen die zit-

ternden Strahlen der Sonne entgegen und zerr

sprühten in Regenbogen ; kleine, zarte Wölk­

chen schwammen still am blauen Himmel hin. Viktor ging jetzt, um die Braut zur Gesell­ schaft zu führen. We reizend erschien ihm

die Geliebte!

Blendender Atlas umschloß

den schlanken Leib, und fiel in weichen Fal« te» herab, dessen Glanz das zarte, luf­

tige Gewebe des Ueberkleides brach und milderte.

Reiche Spitzen verhüllten den

jugendlichen Dusen, und den schneeigen

Hals umspielten Helenens Perlen. Vor der

Brust trug sie ein Sträußchen immer blü­ hender, bescheidener Veilchen.

So, den

Myrthenkranz in den dunkeln Locken, stand sie lächelnd vor ihm in siegprangender Schönheit.

337

Soll ich nkbetftnfrn, Claudine? fragte Viktor in seligen» Anschauen. Wie schön Du bist! Din ich'S für Dich, so bin ich'S genug! lispelte sie.

Hugo an Dabet's Hand' trat jetzt j» ihnen. Diese war ganz wie Ciaudine grklei, det, und so glichen sie zwei verschwisterten Rosen. Gemeinschaftlich begaben sich beide Paare zur Gesellschaft.

DaS Geläute der Glocken war verhallt; der Zug setzte sich nach der Kirche in Der wegiing. Das herrliche Gebäude faßte kaum die Zahl der Theilnehmenden, welche daS schöne Fest herbeigelockt hatte. Tiefe Stille herrschte ringsum, wie di« Brautpaare vor den.Altar traten. Die beglückenden Gefühl« des Vaters und Freunde-, dem die Wonne zu Theil III. 22

338 ward«

ben einzigen Sohn und die geliebten

Kinder seines Jugendfreundes an heiliger Stätte ewig zu verbinden, sprach der Pfar/

rer hier in einfach rührenden Worten aus. Thränen glänzten in seinem Auge, als er

nun die theuren Kinder fragte: ob cs ihr

Wille sey, in Liebe und Treue einander ewig anzugehiren? Leise bebte das beglückende Ja

über die L'ppen der Bräute, fest und ent/ schlossen sprachen es Hugo und Viktor aus. — Als darauf die Ringe gewechselt waren

und der Bund ihrer Herzen geweiht und

gesegnet, sanken die Glücklichen in die Arme

der Eltern.

Nun, meine lieben Freunde und Nach/

barn!

sagte der fröhliche Major, als die

Gesellschaft sich in den Park zurückbegeben

hatte, erzeigt mir auch die Liebe, Euch zu

339 erinnern, daß Ihr zu einem Hochzeit­

feste geladen seyd. Das schönste Fest im

Leben soll aber nicht still und träumerisch entweichen, sondern jubelnd gefeiert werden. Wer also heut' der Lustigste ist, der soll mir der Liebste seyn;

ich selbst werde Euch mit

gutem Beispiele vorangehn,

fröhlich ein!

stimmt nur

Du da, alter ehrlicher Ober­

förster, und Du, mein trefflichster Landrath, u»d wer sonst noch zu den alten Cumpanen

des lustigen Majors gehört, laßt mich heute nicht im Stich!

Da wir alle Landleute

sind,

meine

Freunde! fuhr der Major fort, so soll der Tisch nicht lange auf sich warten lassen,

wie wir's Alle gewohnt sind! Desto eher kommt mir das junge Volk zum Tanze.

Unter fröhlicher Zustimmung vernahm di« Gesellschaft diese Anrede.

Was sprichst Du da mit dem Jäger, 22«

340 ObcrfLrster? rief der Major llustig; ich merke

schon. Du hast Durst. Durste, mein Freund,

damit Du mir desto besser bei Tische trintest!

Im Vertrauen gesagt, Alterchen!

bei dem heutigen Feste kommen ganz ehre würdige, bemooste Flaschen an die Reihe. Du sollst Deine Freude daran haben.

So setzte der Wirth Alles in heitre

Bewegung, bis man zur Tafel ging. In einer prächtigen breiten Duchenallee,

unter dem erquickenden Schatten ihrer ver­

schlungenen Wipfel stand die reich besetzte Tafel,

an welcher die Gäste jetzt Platz

nahmen. Der Tausend! rief der Major, wie

habt Ihr den Tisch aufgepuht! Kan« man doch vor dem Dlumenwalde und den mäch­

tigen Baumkuchen kaum einandkt anblicken. Ich dächte, Kinder, wir entfernten das Zeug.

341

Sey nicht böse, Schwester» wir haben ja Alles gehörig bewundert.

Allons, Jäger,

rührt Euch! Unter lautem Lachen wurden die Hindernisse weggeräumt. Freundlich grüßten sich die Neuvermählten, und nick ten die Gäste einander zu, nachdem die verschanzenden Blumenkörbe Hinweggenome men waren. Die Bahn war gebrochen und Alles

stimmte in den fröhlichen Ton ein. Als nun überdies den alten Kuffenweine» bas Siegel des Mundes gelis't ward, und sie gar anmuthige Reden mit den Gästen führ/ ten, der funkelnde Rheinwein aus grünen Römern sein ehrliches, deutsches Wort mit/ sprach, endlich aber der geschwätzige Cham/

pagner brausend dazwischen fuhr, da hatte

der Wirth seinen Willen erreicht, und die ganze Gesellschaft umwogte «in Meer von

Frohsinn und Lust.

342 Kinder! rief der Major, was ist daS

Leben, was ist die Freude ohne Gesang?

Viktor', stimme an! DaS Rheinweinlied! Jst'S doch eine Lust, daß wir Deutsche es wieder in Ehren singen dürfen.

Viktor winkte Dabet und Hugo zu; sie begannen das treffliche Lied vierstimmig. Alles ward still bei dem Gesänge der vier

herrlichen Stimmen,

die wohl in langer

Zeit nicht so fröhlich, aus so freien, seligen Herzen erklungen waren.

Da war kein

Zagen, kein Dangen mehr; Claudinens le/

bensfroher Gesang riß Alles unwiderstehlich hin.

Chorus! rief der Major, und daS

Tutti fiel jubelnd ein. Schön! sagte Silvius; aber nun soll die

Jugend von den Alten lernen.

Vivat aca-

demia, Holm! Ein Diirschenlied, commilitones!

Optime!

rief der Baron mit leuchten/

343 den Augen. Hab' ich doch mehr wie ein Tricn-

niarn mit den lustigen Burschen verjubelt:

Wem hohen Olymp herab ward un< die Freud«, Ward uns der Zeigend Traum bcschcert. So stimmte er an, und de- alten Silviu-

Kontrabaß murmelte in den tiefsten Tiefe»,

während sein Ohr mit Behagen den zarten Tönen Claudinen-, seine- Lieblinges, lauschte.

Schwester!

sagte der Major, als das

Licd beendigt war, solch eine Hochzeit hast Du wohl noch nicht erlebt? Aber nicht

wahr, es ist hübsch?

Ich bin sehr glücklich, lieber Bruder!

erwiederte die Präsidentin. Sie sagte kein« Unwahrheit: denn zu dem Glücke derToch,

ter trat noch die liebende Aufmerksamkeit, welche die Holmsche Familie, vor Allen aber Viktor, ihr bezeigte. Sie lohnte ihm dafür,

daß sie ihn heut nie anders, al- ihren liebe»

Reffen nannte.

344

Der letzte Ton der Trompeten, welche

auf das Wohl der Neuvermählten geschmete tert hatten, war verklungen.

Wenn ich nicht irre, sagte der Major,

so wirft dort der Mond schon sein freunde liches Licht durch die Blätter.

Auf denn,

Ihr junges Volk, zum Tanze! Und wer von Euch Alten mich ein wenig lieb hat, der tanzt die Polonaise^ mit.

Aufgespielt,

Ihr Herren Musikanten! Da entstand ein fröhlicher Tumult. Komm, Oberförster! ES ist und keine Dame geblieben,

so wollen

wir denn vortanzen! Er setzte sich mit dem

Freunde an die Spitze des Zuges und führte sehr zierlich den Reihen an, indem er die

Gesellschaft durch manche Irrwege des Gare tens, endlich zu einem luftigen Gebäude

führte, welches besonders für das heutige Fest errichtet war.

Auf einem freien Platze befand sich der

345 Tanzsaas.

Zwei Reihen Säulen, reich mit

Blumenfestons umwunden, trugen ein leicht tes Dach, welches von innen mit Kränze»

und Laubgewinden überhangen, außen aber

in dem farbigen Feuer unzähliger Lampen prangte.

Der Boden war gedielt, und da

keine Seitenwände vorhanden waren, so

hatte man nach allen Seiten die freie Aussicht auf den Park und das Schloß, welche in

dem Lichte farbigschimmernder Lampen er,

glänzten.

Auf dem Rasenplätze vor dem

Schlosse war die ganze Dorfschaft versam,

melt, und es begannen, dort wie hier, jetzt fröhliche Tänze.

Basta, schöne Dame! sagte der Major zu dem springenden Freunde, nun laß «ns

ruhe« und die Jugend mag nun verkehren

in ihrer Lust. Einen fröhlicheren Abend mochten die

ehrwürdigen Bäume des Parks wohl nicht

346 erlebt haben.

Durch die erleuchteten, in

durchsichtigem Grün schimmernden Baum.' ginge wogte eine freudig aufgeregte Menge.

Hier saß eine Gruppe und'stieß jubelnd die

Gläser zusammen, dort drehten sich Kinder

im Tanze zu der fernen Musik.

Viktor und Claudine wandelten unter den Fröhlichen; wo sie erschienen, steigerte

sich die Lust.

Ein einsamer Daumgang

empfing sie mitunter zu traulichem Zwiee

sprach.

Als sie zum Tanzsaale zurückkchr,

ten, stand der Mond hoch am Himmel. Der Major trat den Kommenden entgegen.

Der Wagen ist vorgefahren!

flüsterte er

Viktor leise zu, dann küßte er zärtlich die Tochter.

Viktor führte die Geliebte zu sei,

ne» Eltern, trat dann zu seinen Freunden

und sagte ihnen leise: Lebt wohl! Als er mit der holden Braut darauf durch dunkle Sei-

tengänge das Schloß erreicht, hatte , und sie

347

ihn fragt«: wohin er sie führe? da flüsterte er, sie zärtlich umfassend: Nach Haus! D« hast schon Abschied genommen! Er hüllte die reizende Gestalt in einen Mantel und hob sie in den Wagen, der pfeilschnell die Seligen entführte.

Ob sie, die wir in diesem Buche auf

jugendlichem Lebenspfade begleitet haben, glücklich geworden? fragt wohl keine freund«

liche Leserin. Zu viel Elemente des Glückes gewährte ihnen die Außenwelt, die h-ch/ sten wohnten aber in ihrer eignen Brust. Noch immer besteht der in Liebe »er/

einte Kreis, nur noch durch blühende Kin/

der vermehrt, welche des Himmels Gunst beiden Ehen gewährt hat. Sollte der lu« stige Major das Heranwachsen seiner Enkel

erleben, so wäre es leicht möglich, daß ähu/

348 liche neue Pläne in ihm erwachten, wie Wik sie ihn hier ausführen sahen.

Dabets heiter begonnene Ehe entging den Stürmen des Lebens nicht ganz.

Die

Junge Frau begann an Eifersucht zu kram

ken. Aber Hugo's

Liebe

und Festigkeit

wußten das Ungewitter zu beschwören und

der heitere Frieden scheint für immer zur rüekgckehrt zu seyn.

Die Präsidentin bringt ihre Winter in Wien zu. Wenn jedoch der Prater anfängt

leer zu werden, der Adel auf seine Güter reist, dann eilt auch sie dem freundlichen

Aufenthalte bei ihrer Tochter zu. Silvius braut Tränke, wie zuvor, und ist der Wundermann der ganzen Gegend. Er ist täglich bei Viktor.

Wird einmal ein

Kind der Gegend vermißt, so darf man es

nur beim Regimenter suchen,

der

die

349 Knaben wie ein Magnet an sich zu jle, hcn weiß. Heinrich ist unverheirathet geblieben, sonst

aber unter hem Einflüsse des Barons in einer glücklichen Lage. Bertram lebt in Rom und unterhält

freundlichen Briefwechsel mit seinem Freunde. Mit dem edlen Fürstenhause steht Vit/

tor nicht blos in Briefwechsel.

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