Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise im deutschen Strafprozess [1 ed.] 9783428519804, 9783428119806


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Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise im deutschen Strafprozess [1 ed.]
 9783428519804, 9783428119806

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F R A N K PETER SCHUSTER

Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise im deutschen Strafprozess

Schriften zum Prozessrecht Band 198

Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise im deutschen Strafprozess

Von Frank Peter Schuster

Duncker & Humblot • Berlin

Der Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz hat diese Arbeit im Sommersemester 2005 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind i m Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 3-428-11980-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 © Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2005 vom Fachbereich Rechts- und Wirschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Dissertation angenommen. Herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Walter Perron, an dessen Lehrstuhl in Mainz ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war. Er gab mir die notwendigen Freiräume und hat mich auch nach seinem Wechsel an die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hervorragend betreut. Ebenfalls besonderen Dank schulde ich Herrn Professor Dr. Volker Erb, der in kürzester Zeit die Mühen des Zweitgutachtens bewältigt hat und an dessen Lehrstuhl in Mainz ich nunmehr tätig bin. Weiterhin danke ich der Lang-Hinrichsen-Stiftung für den großzügigen Druckkostenzuschuss. Schließlich danke ich noch meinen Eltern Hans Karl Schuster, Vorsitzender Richter am Landgericht a.D. und Rechtsanwalt, und Renate Schuster, die mich immer und in jeder Hinsicht unterstützt haben. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet.

Mainz, im August 2005

Frank Peter Schuster

Inhaltsverzeichnis Einleitung

19

I. Teil Grundlagen

24

A. Rahmenbedingungen der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen.... 24 I.

Grundprinzipien und Rechtsquellen der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen

24

1. Das Territorialitätsprinzip

24

2. Einige Grundbegriffe und traditionelle Prinzipien der Rechtshilfe in Strafsachen

26

a) Unterscheidung zwischen Bewilligung und Vornahme

27

b) Gegenseitigkeitsprinzip

27

c) Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit

27

d) Spezialitätsprinzip

28

e) Prinzip locus regit actum

29

3. Inländische Rechtsquellen

29

4. Völkerrechtliche Rechtsquellen

30

a) Vereinbarungen im Rahmen des Europarates

31

b) Vereinbarungen und andere Rechtsquellen im Rahmen der Europäischen Union einschließlich des Schengener Rechtsraumes c) Weitere Vereinbarungen II. Oberstaatliche Netzwerke und Organisationseinheiten der Strafverfolgung.... 1. Globale Ebene / Ebene der Vereinten Nationen a) Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation - Interpol

32 34 35 35 35

Inhaltsverzeichnis

10

b) Internationale Strafgerichtshöfe einschließlich zugehöriger Ermittlungsbehörden

36

aa) Ad /aoc-Tribunale der Vereinten Nationen: Der Jugoslawien-Strafgerichtshof und der Ruanda-Strafgerichtshof bb) Internationaler Strafgerichtshof. 2. Europäische Ebene

39 40

a) OLAF

40

b) Europol

43

c) Eurojust

45

d) Europäisches Justizielles Netz - EJN

46

e) Schengener Informationssystem - SIS

47

III. Ergebnis

49

B. Innerstaatliche strafprozessuale Rahmenbedingungen I.

36

51

Grundprinzipien der Lehre von den Beweisverwertungsverboten

51

1. Selbständige Beweisverwertungsverbote

51

a) Beispiele für gesetzlich normierte selbständige Beweisverwertungsverbote

52

b) Beispiele für aus den Grundrechten folgende selbständige Beweisverwertungsverbote

52

c) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung rechtlicher und tatsächlicher Umstände 2. Unselbständige Beweisverwertungsverbote

55 56

a) Feststellung eines Gesetzesverstoßes bei der Beweiserhebung und für die Beurteilung maßgeblicher Zeitpunkt

57

b) Folgen des festgestellten Gesetzesverstoßes

58

aa) Überblick über Ansätze in der Rechtsprechung

58

bb) Überblick über den Meinungsstand in der Literatur

60

(1) Revisionsrechtliche Ansätze

60

(2) Schutzzwecklehren

62

(3) Informationsrechtliche Ansätze

63

(4) Abwägungslehre

64

Inhaltsverzeichnis cc) Zwischenbewertung

65

dd) Anerkannte und geeignete Kriterien bei Zugrundelegung der Abwägungslehre

67

(1) Schutz der Wahrheitsfindung als nicht geeignetes Kriterium . 68 (2) Disziplinierungserfordernis als nicht geeignetes Kriterium .... 70 (3) Individualrechtsschutz als primäres Kriterium

71

(4) Schwere des vorgeworfenen Delikts als nicht geeignetes Kriterium

72

(5) Hypothetische Überlegungen als geeignetes Kriterium und dessen Grenzen

73

(6) Schwere und Vorwerfbarkeit des Fehlverhaltens als geeignetes Kriterium

75

3. Reichweite von Beweisverwertungsverboten

76

II. Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention und des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte III. Ergebnis

78 82

2. Teil Allgemeiner Teil zur Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise

A. Einleitung

B. Bestehende Ansätze I.

Grundlinien und Entwicklung der Rechtsprechung

83

83

84 84

II. Grundansätze in der Literatur

90

C. Entwicklung des eigenen Ansatzes

95

I.

Fragestellungen und Vorgehensweise

II. Ausgangsbasis

95 96

1. Die strafprozessuale Verwertung als ein dem deutschen Recht unterworfener Akt deutscher Hoheitsgewalt

96

2. Unterscheidung zwischen selbständigen und unselbständigen Beweisverwertungsverboten

97

12

Inhaltsverzeichnis III. Unselbständige Beweisverwertungsverbote bei im Ausland erfolgter Beweisgewinnung 97 1. Frage der Verwirklichung eines Handlungsunrechts durch ausländische Ermittlungsbehörden bei Nichteinhaltung deutscher Vorschriften

99

2. Frage der Verwirklichung eines Handlungsunrechts deutscher StrafVerfolgungsorgane durch bloße Kenntnisnahme unter Nichteinhaltung deutscher Vorschriften gewonnener Beweise

103

3. Zwischenergebnis: Keine Maßgeblichkeit des inländischen Rechts zur Begründung eines Verfahrensverstoßes 4. Folgen eines Verstoßes gegen ausländisches Recht

105 105

a) Keine generelle Unbeachtlichkeit wegen mangelnder Einwirkungsmöglichkeiten

106

b) Keine generelle Unbeachtlichkeit wegen Verweismöglichkeit auf ausländische Rechtsbehelfe

107

c) Keine generelle Unbeachtlichkeit wegen der Rechtslage bei der Auslieferung

109

d) Zwischenergebnis: Grundsätzliche Beachtlichkeit eines Verstoßes gegen ausländisches Recht e) Anwendung allgemeiner Abwägungskriterien

111 111

aa) Verstoß gegen ausländische Normen mit Entsprechung im deutschen Recht

111

bb) Verstoß gegen ausländische Normen ohne Entsprechung im deutschen Recht

112

5. Unbeachtlichkeit von Rechtsverstößen ausländischer Behörden bei der Leistungsbewilligung

115

6. Verstoß gegen Hinwirkungspflichten durch deutsche Strafverfolgungsorgane 7. Zusammenfassung der Ergebnisse

119 121

IV. Erfordernis der Einhaltung grundlegender rechtsstaatlicher Anforderungen und selbständige Beweisverwertungsverbote

122

1. Grundsätzliche Kriterien für ein minimales rechtsstaatliches Anforderungsniveau

122

a) Die EMRK und der IPBPR als überstaatlich gültige Minimalanforderungen bzw. als geltende Bestandteile des deutschen Rechts

123

Inhaltsverzeichnis b) Geltung selbständiger Beweisverwertungsverbote - Garant für rechtsstaatlichen Ausgleich

126

2. Konkretisierung der Anwendung von selbständigen Beweis verwertungsverboten bei Auslandsbeweisen

128

a) Aus den Grundrechten folgende selbständige Beweisverwertungsverbote

128

b) Einfachgesetzliche selbständige Beweisverwertungsverbote und deren Rechtsgedanken

131

3. Zusammenfassung der Ergebnisse

133

D. Völkerrechtliche Beweisverwertungsverbote

135

I.

Vorüberlegungen

135

II. Praktischer Anwendungsbereich - Beispiele für den Spezialitätsvorbehalt bei der sogenannten sonstigen Rechtshilfe

136

III. Spezialität aufgrund ausdrücklicher Geltendmachung

138

IV. Spezialität aufgrund zwischenstaatlicher Vereinbarung

139

V. Zusammenfassung der Ergebnisse

141

3. Teil Untersuchung der Tragfähigkeit des entwickelten Ansatzes anhand von Fallgruppen

A. Verwertung der Ergebnisse im Ausland durchgeführter Vernehmungen von Zeugen, des Beschuldigten und sonstiger Auskunftspersonen I.

Einleitung

142

142 142

II. Praxisrelevante Problemstellungen anhand einzelner Beispiele für ausländische strafprozessuale Regelungen und diesbezüglicher Rechtshilfepraxis .. 143 1. England und Wales

145

a) Rechtsquellen

145

b) Verfahrensgang und Beteiligte

146

c) Vernehmung von Zeugen einschließlich der diesbezüglichen Beteiligtenrechte

148

14

Inhaltsverzeichnis d) Vernehmung des Beschuldigten einschließlich der diesbezüglichen Beteiligtenrechte

150

e) Zwischenbewertung

154

2. Republik Österreich

155

a) Rechtsquellen

155

b) Verfahrensgang und Beteiligte

156

c) Vernehmung von Zeugen einschließlich der diesbezüglichen Beteiligtenrechte

157

d) Vernehmung des Beschuldigten einschließlich der diesbezüglichen Beteiligtenrechte

159

e) Zwischenbewertung

161

3. Zusammenfassung der Ergebnisse III. Verwertung von Zeugenaussagen und Bekundungen von Sachverständigen 1. Einfuhrung in die Hauptverhandlung

161 162 162

2. Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes bei Protokollverlesung oder Vorführung von Bild-Ton-Aufzeichnungen 163 a) Besonderheiten der Verlesungsgründe bzw. Anordnungsgründe aus § 251 Abs. 1 StPO n.F. und §§251 Abs. 2, 223 Abs. 1 StPO n.F. bei Auslandszeugen

164

b) Kriterien für die Einordnung ausländischer Vernehmungen als richterliche i.S.d. §§ 251 Abs. 2, 223 StPO n.F 3. Einzelne Problemkonstellationen unter besonderer Berücksichtigung möglicher Beweisverwertungsverbote

171

180

a) Nichtgewährung nach deutschem Recht bestehender Beteiligungsrechte

180

b) Abweichungen bei Zeugnis- und Aussageverweigerungsrechten

186

c) Abweichungen von § 69 Abs. 1 und 2 StPO

190

d) Anwendung von nach §§69 Abs. 3, 136 a StPO verbotener Vernehmungsmethoden e) Abweichungen bei den Vereidigungsvorschriften f)

192 192

Verwertung persönlicher Eindrücke bei kommissarischen Vernehmungen

196

Inhaltsverzeichnis IV. Verwertung von Geständnissen 1. Einfuhrung in die Hauptverhandlung

198 198

2. Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes bei Protokollverlesung gem. § 254 Abs. 1 StPO - Übertragbarkeit der zu § 251 Abs. 2 StPO n.F. vertretenen Grundsätze

199

3. Einzelne Problemkonstellationen unter besonderer Berücksichtigung möglicher Beweisverwertungsverbote

200

a) Mittelbarer Zwang zur Selbstbezichtigung

201

b) Fehlende Belehrung des Beschuldigten über sein Schweigerecht

204

c) Unzureichende Eröffnung des Tatvorwurfs und fehlende Belehrung über das Beweisantragsrecht d) Wahrheitspflicht und Vereidigung des Beschuldigten

210 212

e) Nichtgewährung der Verteidigerkonsultation oder fehlende diesbezügliche Belehrung f)

214

Nichtgewährung konsularischen Beistands oder fehlende diesbezügliche Belehrung

g) Anwendung nach § 136 a StPO verbotener Vernehmungsmethoden

218 219

h) Bedeutung einer abgegebenen oder angekündigten Schuldanerkennung-Absprachenproblematik

224

B. Verwertung der Ergebnisse im Ausland durchgeführter Telekommunikationsüberwachungen

229

I.

229

Einleitung

II. Praxisrelevante Problemstellungen anhand einzelner Beispiele für ausländische strafprozessuale Regelungen und diesbezüglicher Rechtshilfepraxis

232

1. England und Wales

232

2. Republik Österreich

235

3. Zusammenfassung der Ergebnisse

238

III. Verwertung der erlangten Erkenntnisse

238

1. Grundsätzliches - Insbesondere Frage der Relevanz des Straflatenkatalogs in § 100 a StPO und Maßgeblichkeit des ausländischen Rechts 2. Weitere Einzelprobleme

239 246

16

Inhaltsverzeichnis a) Abweichende Zielsetzung bzw. Zweckbindung im ausländischen Recht

246

b) Abweichende Zuständigkeiten im ausländischen Recht - Frage der Notwendigkeit eines Richtervorbehalts

248

4. Teil Möglichkeiten der Verbesserung des internationalen Beweismitteltransfers insbesondere innerhalb der Europäischen Union

A. Bewertung der bisherigen Ergebnisse

252

252

B. Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union - Prinzip der gegenseitigen Anerkennung

255

I.

255

Einleitung

II. Vorhaben zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union.. 256 1. Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union

256

2. Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft III. Allgemeine Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union

258 260

1. Vorschlag der Kommission für eine Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafverfahren

260

2. Vorschlag der Kommission über bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union

C. Bewertung der EU-Vorhaben und Alternativen I.

261

264

Verordnung der europaweiten Exekutierbarkeit von Beweisanordnungen.... 264

II. Verordnung der gegenseitigen Zulassung von Beweismitteln

267

III. Europäische rechtsstaatliche Minimalanforderungen als Ersatz für einen nationalen ordre public IV. Zwischenergebnis

271 274

Inhaltsverzeichnis V. Weg zum „freizügigen" Beweismittel - Aspekt der Vereinfachung oder Ersetzung der Rechtshilfe

274

VI. Weg zum „freizügigen" Beweismittel - Aspekt der gegenseitigen Zulassung von Beweismitteln VII. Ergänzende Vorschläge 1. Vorrang einer Strafgewalt - Schaffung von Kollisionsnormen

276 277 277

2. Vorrang der Strafgewalt des Tatortstaates - Reduktion der stellvertretenden Strafrechtspflege

278

3. Vorrang der Beweiserhebung in der Hauptverhandlung - Erscheinenspflicht für Auslandszeugen

280

Schlussbetrachtung

282

Literaturverzeichnis

286

Sachverzeichnis

299

Einleitung Das Problem der Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweismittel im deutschen Strafprozess ist älter, als man zunächst annehmen möchte. Bereits im Jahre 1885 musste sich das Reichsgericht mit der Verlesbarkeit des Protokolls einer in Wien vorgenommenen kommissarischen Zeugenvernehmung beschäftigen1. Der dortige Untersuchungsrichter hatte die Vernehmung entgegen der deutschen Strafprozessordnung und der Bitte der Staatsanwaltschaft Hamburg aber entsprechend den damals zwingenden Vorschriften des österreichischen Verfahrensrechts in Abwesenheit anderer Prozessbeteiligter durchgeführt, was nach Ansicht des Reichsgerichts im Ergebnis der Verlesung nicht entgegenstand. Heute gehören Strafverfahren mit Auslandbezug zum Alltagsgeschäft von Polizei und Justiz. Die zunehmende Internationalisierung in allen gesellschaftlichen Bereichen hat dazu geführt, dass Kriminalität längst nicht mehr an den Grenzen der Nationalstaaten halt macht. Insbesondere die Europäische Union muss mittlerweile als einheitlicher kriminalgeographischer Raum bezeichnet werden 2. Die Öffnung der gemeinsamen Grenzen im Schengener Rechtsraum, die Freizügigkeit des Dienstleitungs- und Warenverkehrs und der europäische Binnenmarkt mit seinen Geschäfts- und Wirtschaftsbeziehungen haben auch dazu geführt, dass sich Täter und Tätergruppen diese Freiheiten zu Nutze machen. Auch die allgemeine Globalisierung, die Verdichtung von Wirtschaftbeziehung und die Verbesserung der Verkehrswege bringen eine internationalisierte Kriminalstruktur mit sich. A l l dies zwingt zu einer international arbeitsteiligen Strafverfolgung. Konstellationen, in denen im nationalen Strafverfahren auch Beweismittel Verwendung finden, die außerhalb des Staates der Hauptverhandlung und unter Geltung einer anderen Rechtsordnung gewonnen wurden, sind vielfältig und müssen auch nicht immer mit grenzüberschreitender Kriminalität zusammenhängen. In allen Fällen, in denen gem. §§ 3-7 StGB i.V.m. § 9 StGB die deutsche Strafgewalt greift, selbst bei reinen Inlandstaten, können Auslandsbeweise relevant werden. Das Spektrum reicht von international operierenden Banden, deren Telekommunikation in einem Land abgehört wurde, über den Kriminaltouristen, der nach der Tat in sein Heimatland zurückkehrt, bis zur Schlägerei zwischen deutschen Urlaubern, denen zu Hause ein ju1

R G S t l l , S . 391. Zachert, Organisierte Kriminalität in einem Europa offener Grenzen, bei Sieber (Hrsg.), Europäische Einigung und Europäisches Strafrecht, S. 61 (76). 2

20

Einleitung

ristisches Nachspiel droht 3. Der Grundsatz der Nichtauslieferung deutscher Staatsbürger, der allerdings mit dem Europäischen Haftbefehl teilweise aufgegeben wurde, und die Nichtauslieferung von Ausländern aufgrund rechtsstaatlicher Erwägungen macht in vielen Fällen ein Verfahren in Deutschland selbst dann notwendig, wenn Tatort und alle Beweismittel sich im Ausland befinden 4. In anderen Fällen liegt der Tatort in Deutschland, aber ein Zeuge hält sich außerhalb des Bundesgebietes auf und kann zum Erscheinen in der Hauptverhandlung nicht gezwungen werden oder der Beschuldigte wurde im Ausland gefasst, vor der Auslieferung vernommen und seine dortige Einlassung soll nun Eingang ins deutsche Strafverfahren finden. Auch supranationale Organisationen, wie die Europäische Union, insbesondere als Opfer von Subventionsbetrug und Korruption, bedürfen eines effektiven strafrechtlichen Schutzes. Da auch hier eine Verurteilung letztlich durch nationale Gerichte erfolgt, stellt sich ebenfalls häufig das Problem, wie mit Beweismitteln zu verfahren ist, die nach anderen prozessualen Vorschriften gewonnen wurden. Unter anderen Vorschriften sind hier auch solche zu verstehen, die speziell von überstaatlichen Untersuchungsbehörden angewendet werden. Auslandsbeweise haben schließlich auch bei Taten, die dem Weltrechtsprinzip unterliegen, große Bedeutung, wobei hier durch die Einrichtung von internationalen Straftribunalen teilweise eine vertikale Konkurrenz zur nationalen Strafgerichtsbarkeit entstanden ist. Im Jahre 1885 konnte das Reichsgericht nicht auf allgemeine Grundprinzipien zu Beweisverboten zurückgreifen. Als Geburtsstunde einer Lehre von den Beweisverboten wird die Tübinger Antrittsvorlesung von Beling im Jahre 1902 angesehen5. Die generelle, inlandbezogene Problematik der Beweis verböte befindet sich seitdem in steter Diskussion, auch wenn deren vorläufiger Höhepunkt beim 46. Deutschen Juristentag im Jahre 19666 wiederum schon Jahrzehnte zurückliegt. Insbesondere die Dogmatik der unselbständigen Beweisverwertungsverbote ist weiterhin heillos umstritten. Im Rahmen dieser Arbeit kann es nicht darum gehen, den wohl aussichtslosen Versuch zu unternehmen, die alleinige Richtigkeit eines bestimmten allgemeinen Ansatzes zu beweisen oder einen eigenen generellen Ansatz zu entwerfen. Auch ist es nicht Ziel dieser Untersuchung, die Rechtsprechung zu Beweisverboten bei Sachverhalten ohne Auslandsbezug zu verändern. Dennoch sind die für reine Inlandssachverhalte 3 Vgl. Perron, Auf dem Weg zu einem europäischen Ermittlungsverfahren?, ZStW 112 [2000], S. 202 (204 f.). 4 Vgl. Perron, a.a.O., S. 202 (206). 5 Beling, Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafprozess, Strafrechtliche Abhandlungen, Heft 46, Breslau 1903; allerdings auch schon Bennecke/Beling, Lehrbuch des deutschen Reichs-Strafprozessrechts, Breslau 1900, S. 327 f. 6 Vgl. Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentages, Band II, Teil F, München und Berlin 1967.

Einleitung entwickelten Ansätze aus Rechtsprechung und Schrifttum wichtigster Ausgangspunkt, wenn man sich dem Problem im Ausland gewonnener Beweismittel und deren Verwertung im deutschen Strafprozess widmen möchte. Im ersten Teil dieser Arbeit 7 sollen die notwendigen Grundlagen erarbeitet werden. Zunächst erfolgt eine Darstellung der Rahmenbedingungen der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen. Zwar werden die einzelnen Rechtshilfemechanismen und ihre völkerrechtlichen Grundlagen von der einschlägigen Kommentarliteratur bereits erfasst 8. Dennoch soll dem Leser durch eine verkürzte Darstellung ermöglicht werden, sich über die für diese Arbeit relevanten Aspekte einen Überblick zu verschaffen. Das Gleiche gilt für überstaatliche Netzwerke und Organisationseinheiten der Strafverfolgung. Die innerstaatlichen strafprozessualen Rahmenbedingungen werden im Anschluss behandelt. Hier sollen nun für reine Inlandsachverhalte entwickelte Grundprinzipien der Beweisverwertungsverbote zunächst dargestellt und dann für den späteren Einstieg in die Problematik der Verwertbarkeit von Auslandsbeweisen aufbereitet werden. Dieser Einstieg erfolgt im zweiten Teil der Arbeit 9 . Ziel dieses Teils ist es, allgemeingültige Regeln zur Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise zu entwickeln. Dazu werden zunächst die wichtigsten diesbezüglichen Entscheidungen aus der Rechtsprechung vorgestellt. Bereits dabei werden die wesentlichen Fragestellungen aus der Sicht des deutschen Strafprozessrechts aufgeworfen. Ferner erfolgt eine überblicksartige Darstellung der in der Literatur vertretenen Konzepte, wobei der Verfasser hier auf einige sehr gelungene Monographien zurückgreifen kann, die aber teilweise andere Schwerpunkte gewählt haben und freilich aufgrund der Weite des Problemfeldes - genau wie diese Arbeit - nicht den Anspruch erheben, eine abschließende Klärung herbeigeführt zu haben10. Danach sollen die bestehenden Ansätze bewertet und ein eigener Ansatz entworfen werden. Hierbei wird auf das im ersten Teil gesammelte Material zurückgegriffen. Zur Problematik der Auslandsbeweise werden Idealkonstellationen gebildet, die sich dann auch mit inländischen Parallelfallen 7

Siehe Seiten 24 ff. Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, mit Vogler/ Wilkitzki, Kommentar zum IRG, Loseblatt in fünf Bänden, 2. Aufl., Heidelberg 1995; Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 3. Aufl., München 1998. 9 Siehe Seiten 83 ff. 10 So zum Beispiel: Nagel, Beweisaufnahme im Ausland, Freiburg 1988; Scheller, Ermächtigungsgrundlagen für die internationale Rechts- und Amtshilfe zur Verbrechensbekämpfung, Freiburg 1997; Rose, Der Auslandszeuge im Beweisrecht des deutschen Strafprozesses, Frankfurt 1998; siehe auch den Aufsatz von Böse, Die Verwertung im Ausland gewonnener Beweismittel im deutschen Strafverfahren, ZStW 114 [2002], S. 149. 8

Einleitung

22

vergleichen lassen, was in dieser Form wohl noch nicht geschehen ist. So kann versucht werden, das Problem des Auslandsbeweises systematisch in allgemeine Beweisverbotslehren einzufügen. Der dritte Teil dieser Arbeit 11 widmet sich zwei besonderen Fallgruppen, wobei die im zweiten Teil zu entwickelnden Grundregeln nunmehr Anwendung finden. Um praxisrelevante Konstellationen behandeln zu können, wird jeder Fallgruppe ein geschlossener Exkurs in die spezifischen Regelungen zweier ausländischer Strafrechtssysteme vorangestellt, namentlich derer von England/ Wales und von Österreich. So lassen sich die Probleme anhand konkreter Beispiele diskutieren, wobei später auch - falls notwendig - andere Strafrechtsordnungen Erwähnung finden. Als Fallgruppe wird einmal der Komplex ausländischer Vernehmungen von Zeugen, des Beschuldigten und sonstiger Auskunftspersonen behandelt. Dieser hat wohl die größte praktische Bedeutung im Rahmen von Strafverfahren mit grenzüberschreitendem Charakter. Hier entstehen eine Fülle von Einzelproblemen, die bis jetzt vielfach in Literatur und Rechtsprechung nicht oder nur teilweise diskutiert wurden und zu denen jeweils eine Lösung angeboten werden soll. Ferner wird die Fallgruppe im Ausland erfolgter Telekommunikationsüberwachungen behandelt. Wie die jüngste, von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Untersuchung des Max-Planck-Institutes für ausländisches und internationales Strafrecht über Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwachung der Telekommunikation zeigt, ist die praktische Bedeutung solcher Maßnahmen auch international seit den 90er Jahren enorm angestiegen12. Für Fälle mit grenzüberschreitendem Charakter ist eine entsprechende Entwicklung zu erwarten, so dass eine Klärung der hier noch völlig offenen Fragen dringend notwendig erscheint. Im vierten Teil dieser Arbeit 10 soll ein Blick in die teilweise absehbare Zukunft gewagt werden. Insbesondere innerhalb der Europäischen Union wird ein besonderer Handlungsbedarf hinsichtlich der Verbesserung des internationalen Beweismitteltransfers angemeldet, welche durch organisatorische oder rechtliche Neuregelungen unter grundsätzlicher Geltung einer Maxime der gegenseitigen Anerkennung erreicht werden soll. Die vielfältigen Vorhaben, wie das Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft 14 und der Vorschlag der Kommission für einen Rahmenbeschluss des 11

Siehe Seiten 142 ff. Albrecht/Dorsch/Krüpe, Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwachung der Telekommunikation nach den §§ 100 a, 100 b StPO und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen, S. 27 ff., 59 ff. 13 Siehe Seiten 252 ff. 14 K O M (2001) 715, abrufbar im Internet unter: http://europa.eu.int/eur-lex/de/com/ gpr/2001 /com2001_0715de01 .pdf. 12

Einleitung Rates über eine Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafverfahren 15, die teilweise im Schrifttum auf erhebliche Kritik gestoßen sind, werden vorgestellt und im Anschluss bewertet. Darüber hinaus sollen auch eigene rechtspolitische Vorschläge gemacht werden. Die Arbeit legt damit ihren Schwerpunkt auf das bestehende Recht. Auch wenn mit konkreten Länderbeispielen gearbeitet wird, sollen in erster Linie allgemeine Grundsätze für den deutschen Strafprozess entwickelt werden, die dann hinsichtlich zweier praxisrelevanter Fallgruppen nochmals präzisiert werden. Dies geschieht auch in der Hoffnung, einen Beitrag dazu zu leisten, die Rechtsprechung hinsichtlich im Ausland gewonnener Beweise berechenbarer zu machen und dem Rechtsanwender den Umgang mit solchen Beweismitteln zu erleichtern. Möglichkeiten der Verbesserung des internationalen Beweismitteltransfers sollen erst dann in Anwendung der erlangten Erkenntnisse einer Prüfung unterzogen werden.

15

K O M (2003) 688 endgültig, abrufbar im Internet unter: http://europa.eu.int/eurIex/de/com/pdf/2003/com2003_0688de0 1 .pdf.

L Teil

Grundlagen A. Rahmenbedingungen der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen I. Grundprinzipien und Rechtsquellen der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen Zur Behandlung der Frage, wann deutsche StrafVerfolgungsorgane auf die Heranziehung ausländischer Erkenntnisse angewiesen sind und auf welchem Weg diese an solche gelangen können, ist es notwendig sich zunächst einen kurzen Überblick über einige ausgewählte Grundlagen und die wichtigsten Rechtsquellen der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen zu verschaffen. Der Auslieferungsverkehr, der Durchlieferungsverkehr und die Vollstreckungshilfe können - solange nicht allgemeine Prinzipien betroffen sind - ausgeklammert bleiben, da für diese Arbeit hauptsächlich nur die sogenannte „sonstige" oder „kleine" Rechtshilfe von Relevanz ist. Dabei ist wiederum die Situation von besonderem Interesse, in der das Ersuchen von Deutschland ausgeht. Der Problemkomplex der Bewilligung von Rechtshilfe kann hingegen ebenfalls weitgehend vernachlässigt werden.

1. Das Territorialitätsprinzip Grundlage der Überlegungen ist das Territorialitätsprinzip. Jeder Staat hat in seinem Staatsgebiet die umfassende und ausschließliche Zuständigkeit zur Ausübung von Hoheitsgewalt und einen Anspruch darauf, dass andere Staaten seine Gebietshoheit respektieren 16. Ein Staat darf Hoheitsakte grundsätzlich nur auf eigenem Territorium vornehmen, auf fremdem Territorium darf er nur handeln, wenn der fremde Staat ihm dies vorher gestattet hat 17 . Eine solche Erlaubnis ist

16 17

Nagel, Beweisaufnahme im Ausland, S. 18. Vogel bei Grützner/Pötz, Vor § 1 IRG, Rn. 16; Ipsen, Völkerrecht, § 23 Rn. 69 ff.

A. Rahmenbedingungen der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen

25

im Bereich der Ermittlungshandlungen die große Ausnahme18. Die bloße Teilnahme ausländischer StrafVerfolgungsorgane oder ausländischer Parteien an der Vornahme der Ermittlungshandlung durch inländische Organe wird hingegen häufiger gestattet19, die Maßnahme bleibt dann aber ein inländischer Hoheitsakt. Im Regelfall muss der eine Staat einen anderen Staat also ersuchen, den Hoheitsakt für ihn vorzunehmen. Das Territorialitätsprinzip begründet für den Bereich der Strafverfolgung die Notwendigkeit der internationalen Rechtshilfe. Nicht unumstritten ist allerdings, welche Arten von Ermittlungsmaßnahmen oder andere Maßnahmen der Strafverfolgung unter den Begriff des Hoheitsaktes fallen. Sämtliche Handlungen von Privatpersonen aus privater Veranlassung sind unstreitig keine Hoheitsakte. Der Status des Handelnden ist jedoch für sich allein nicht entscheidend. Um einen Hoheitsakt zu vollziehen, braucht die handelnde Person selbst kein Amtsträger zu sein. Es ist vielmehr entscheidend, dass der Akt in irgendeiner Form kraft Beleihung, Auftrag etc. dem ausländischen Staat als hoheitliches Handeln zuzurechnen ist, was z.B. bei V-Leuten der Fall sein kann 20 . Es findet also eine funktionelle Beurteilung statt. Ob ein solcher Akt, welcher dem ausländischen Staat zuzurechnen ist, auch in die Hoheitsgewalt des anderen Staates eingreift, wird jedoch unterschiedlich beurteilt 21 . Unstreitig ist mit Zwang verbundenes hoheitliches Handeln auf fremdem Staatsgebiet als völkerrechtlicher Eingriff anzusehen (so z.B. eine Durchsuchung oder Beschlagnahme). Nach dem Verständnis des angloamerikanischen Rechtskreises fallen Erkundungshandlungen, die ohne Zwang vorgenommen werden, jedoch nicht darunter. Dies ist begründet in der dortigen Ausgestaltung des Strafprozesses als Parteiverfahren, in dem vom Grundansatz her jede der gleichberechtigten Parteien Ermittlungen durchfuhren kann und auch das Anklageorgan nicht zwangsläufig eine staatliche Stelle sein muss 22 . Nach dem kontinentaleuropäischen Verständnis wird hingegen jede staatliche Ermittlungstätigkeit - also jede Art von Wahrnehmung - oder auch die Zustellung von Schriftstücken als Hoheitsakt angesehen23. Die Sammlung von Beweismaterial wird primär als staatliche Aufgabe begriffen, auch wenn private 18 Solche finden sich z. B. in den Regelungen über die Nacheile in Art. 41 des Schengener Durchführungsübereinkommen. Die Duldung hoheitlicher Tätigkeit ausländischer, zwischen- oder überstaatlicher Stellen wird auch als „passive Rechtshilfe" bezeichnet (Vogel bei Grützner/Pötz, Vor § 1 IRG, Rn 153). 19 Vgl. Art. 4 des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens (1959). 20 Vogel bei Grützner/Pötz, Vor § 1 IRG Rn. 17. 21 Vogel bei Grützner/Pötz, Vor § 1 IRG Rn. 17. 22 So kann z. B. in England grundsätzlich jedermann, nicht nur der Verletzte, Privatklage erheben, so dass Ermittlungstätigkeit auch deshalb nicht zwangläufig hoheitlich sein muss [vgl. Huber bei Perron (Hrsg.), Beweisaufnahme im Ausland, S. 16 (24)]. Näher dazu auch: Nagel, Beweisaufnahme im Ausland, S. 24 ff. 23 Nagel, a.a.O., S. 27; vgl. z. B. für die Zustellung BVerfGE 63, S. 343 (372).

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1. Teil: Grundlagen

Ermittlungen natürlich nicht verboten sind. Dies führt dazu, dass die Staaten des angloamerikanischen Rechtskreises grundsätzlich großzügiger Ermittlungshandlungen ausländischer Strafverfolgungsbehörden gestatten24, allerdings hinsichtlich eigener Ermittlungen mit kontinentaleuropäischen Staaten in Konflikt geraten können 25 . Auch sehen die common law-Staaten eine geringe Notwendigkeit zum Abschluss von Rechtshilfeverträgen und sind traditionell auf diesem Gebiet entsprechend zurückhaltender. Das Territorialitätsprinzip macht es jedenfalls und auch nicht nur aus kontinentaleuropäischer Sicht notwendig, dass ein Staat, statt auf fremdem Territorium selbst zu ermitteln oder sonst tätig zu werden, den fremden Staat um Vornahme der Handlungen im Wege der Rechtshilfe ersucht. Hat der fremde Staat für ein eigenes Strafverfahren schon Ermittlungshandlungen vorgenommen, dann kann auch im Wege der Rechtshilfe um die Übermittlung dieser Erkenntnisse ersucht werden.

2. Einige Grundbegriffe und traditionelle Prinzipien der Rechtshilfe in Strafsachen Jeder Staat kann einem anderen Staat Rechtshilfe leisten - unabhängig davon, ob der Rechtshilfeverkehr im vertragslosen oder vertraglich gebundenen Bereich stattfindet 26. Im vertraglich gebundenen Bereich kann der Staat auch freiwillig mehr leisten, als es seiner vertraglichen Verbindlichkeit entspricht. Verpflichtet zur Leistung von Rechtshilfe ist der Staat aber, wenn er eine entsprechende völkerrechtliche Vereinbarung abgeschlossen hat 27 .

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So dulden die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Irland Vernehmungen durch den deutschen Konsul unabhängig von der Staatsbürgerschaft der Betroffenen, wenn diese damit einverstanden sind, also keine Zwangsmittel gegenüber den Zeugen angewendet werden müssen. 25 Dies kann zu diplomatischen Beanstandungen oder zum persönlichen Vorwurf der Amtsanmaßung gegenüber der ausländischen Ermittlungsperson führen. Sehr sensibel auf Souveränitätsverletzungen reagiert z.B. die Schweiz, vgl. dazu Art. 271 Schweizerisches StGB. Ein schönes Beispiel bringt Nagel, a.a.O., S. 29. Ausführlich auch Tiedemann, Privatdienstliche Ermittlungen im Ausland - strafprozessuales Verwertungsverbot?, Festschrift für Bockelmann, S. 819 (821 ff.). 26

Vogel bei Grützner/Pötz, Vor § 1 IRG, Rn. 25. Zur Frage, ob auch im vertragslosen Bereich völkergewohnheitsrechtliche Rechtshilfepflichten bestehen können: Vogel bei Grützner/Pötz, Vor § 1, Rn. 26 ff. 27

A. Rahmenbedingungen der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen

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a) Unterscheidung zwischen Bewilligung und Vornahme Im Rahmen des Rechtshilfeverkehrs ist zwischen der Leistungsbewilligung und der Vornahme der Ermittlungshandlung zu unterscheiden 28. Die Bewilligungsentscheidung des ersuchten Staates betrifft die Frage, ob gegenüber dem ersuchenden Staat im konkreten Fall überhaupt Rechtshilfe geleistet werden soll. Die Vornahmehandlung selbst, also zum Beispiel eine kommissarische Vernehmung oder eine Durchsuchung, wird von den Strafverfolgungsorganen durchgeführt und stellt eigentlich keine Besonderheit der Rechthilfe dar, da die notwenigen Befugnisse im ersuchten Staat auch für rein innerstaatliche Verfahren existieren 29. Bei Vornahmehandlungen, die ursprünglich für ein eigenes Verfahren erfolgt sind, ist dies ohnehin selbstverständlich.

b) Gegenseitigkeitsprinzip Die Bewilligung von Rechtshilfe findet vielfach ihre Grenze im Gegenseitigkeitsprinzip, welches allerdings keine bindende Regel des Völkerrechts darstellt 30 . Dieses besagt, dass der ersuchte Staat nur Rechtshilfe leistet, wenn der ersuchende Staat aufgrund eines vergleichbaren Ersuchens ebenfalls Rechtshilfe leisten würde. Deshalb werden auch im vertragslosen Bereich häufig zumindest durch diplomatische Notenwechsel die Grenzen der Rechtshilfe abgesteckt. Vertragliche Vereinbarungen gehen in der Regel ebenfalls von diesem Prinzip aus, natürlich ohne dass dies zwingend wäre. So führen vertragliche Regelungen und sonstige Vereinbarungen zur Wechselseitigkeit der eingegangen Rechtshilfeverpflichtungen.

c) Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit Das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit und Verfolgbarkeit ist ein weiteres Grundprinzip 31 , welches jedoch insbesondere im Bereich der sonstigen Rechtshilfe immer mehr aufgegeben wird. Nach diesem traditionellen Prinzip wird Rechtshilfe nur geleistet, wenn der Tatvorwurf bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhaltes im ersuchten Staat ebenfalls eine Straftat darstellen würde. Wurde dieses Prinzip ursprünglich im Zusammenhang mit dem Grund-

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Schomburg/Lagodny, Einleitung, Rn. 36 ff. Schomburg/Lagodny, Einleitung, Rn. 39. 30 BGHSt 24, S. 297 (303). 31 Vgl. Vogel bei Grützner/Pötz, Vor § 1 IRG, Rn. 74 ff; Wilkitzki bei Grützner/ Pötz, Vor § 59 Rn. 7. 29

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1. Teil: Grundlagen

satz der Gegenseitigkeit gesehen"52, stehen heute individualschützende Erwägungen im Vordergrund, die ein gewisses Misstrauen gegenüber anderen Strafrechtsordnungen zum Ausdruck bringen 33 . Insbesondere in Wirtschaftsstrafsachen, wo internationale Verflechtungen häufig vorkommen, erweist sich die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit aufgrund der unterschiedlichen Deliktsstrukturen häufig als äußerst schwierig. In vielen Rechtshilfevereinbarungen wurde dieses Prinzip für den Bereich der sonstigen Rechtshilfe größtenteils aufgegeben 34. Für die Auslieferung wird beim Europäischen Haftbefehl erstmals auf dieses Prinzip verzichtet 35.

d) Spezialitätsprinzip Das Spezialitätsprinzip, welches später noch zu vertiefen sein wird, besagt, dass die Bewilligung der Rechtshilfe an bestimmte Bedingungen geknüpft, insbesondere zweckgebunden geleistet werden kann 36 . Liegt eine Bedingung oder eine Zweckbindung vor, haben sich die Behörden und Gerichte des ersuchenden Staates daran zu halten. Dies kommt vor allem beim Auslieferungsverkehr zum Tragen, gilt jedoch auch für die sonstige Rechtshilfe. So kann eine deutsche Bewilligungsbehörde die Leistung von Rechtshilfe davon abhängig machen, dass der ersuchende Staat die Todesstrafe, sofern sie verhängt wird, im Falle einer Verwertung der ihm überlassenen Beweismittel nicht vollstreckt 37 . Die Übermittlung der Erkenntnisse einer Telefonüberwachung kann an die Einhaltung des § 100 b Abs. 6 StPO, also der späteren Vernichtung der Unterlagen geknüpft werden 38 . Auch eine Zweckbindung hinsichtlich bestimmter Tatvorwürfe ist möglich. In Bezug auf fiskalische Delikte kann dies im Verhältnis zu einigen Staaten - insbesondere solchen, in denen das Bankgeheimnis besonderen

32 Fehlt es an der Strafbarkeit des Tatvorwurfes im ersuchten Staat, hätte er in einer umgekehrten Situation mit gleichem Tatvorwurf gar kein Interesse an einer Rechtshilfeleistung. 33 Vgl. Lagodny bei Schomburg/Lagodny, § 3 IRG, Rn. 2. 34 Dies gilt schon für Europäische Rechtshilfeübereinkommen von 1959, wobei einzelne Staaten jedoch von Vorbehaltsmöglichkeiten Gebrauch gemacht haben (vgl. Art. 5 EuRhÜbk). 35 Siehe unten Seite 32. Siehe allerdings zur Verfassungswidrigkeit der deutschen Umsetzung BVerfG vom 18. Juli 2005, Az. 2 BvR 2236/04. 36 Vgl. Grützner/Pötz, Vor § 1 IRG, Rn. 78 ff. 37 Nach OLG Karlsruhe NStZ 1991, S. 138 sei sie allerdings nicht dazu verpflichtet. 38 Vgl. Kathrein, Fragen und Probleme der internationalen justitiellen Zusammenarbeit, in Höpfel/Huber, Beweisverbote in der EU, S. 205 (211) zum österreichischen § 149 c Abs. 7 StPO.

A. Rahmenbedingungen der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen

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Schutz genießt - Bedeutung haben39. Diese Möglichkeiten können letztendlich auch zum Schutz der Prinzipien der gegenseitigen Strafbarkeit und der Gegenseitigkeit genutzt werden. Hinzu kommt in neuerer Zeit der Gedanke eines datenschutzrechtlichen Bindungsgrundsatzes 40, der relevant wird, wenn Informationen zu anderen Zwecken als der Strafverfolgung oder der strafprozessualen Verwertung übermittelt werden 41.

e) Prinzip locus regit actum Der für diese Untersuchung bedeutsamste oder folgenreichste Grundsatz betrifft nicht das „ob" sondern das „wie" der Rechtshilfeleistung - also die Vornahmehandlung. Bei einer Beweiserhebung, die ein Staat zunächst für ein eigenes Strafverfahren durchführt, ist es unumgänglich, dass er bei der Beweiserhebung die eigenen strafprozessualen Vorschriften anwendet. Erfolgt die Beweiserhebung aber aufgrund eines Rechtshilfeersuchens, also von vornherein für ein fremdes Strafverfahren, wäre dies nicht unbedingt zwingend. Trotzdem wird die Rechtshilfe sowohl im vertragslosen Bereich als auch, was in den folgenden Abschnitten zu sehen sein wird, im vertraglich gebundenen Bereich traditionell nach dem Recht des ersuchten Staates - also nach dem Grundsatz locus regit actum - geleistet. Einige Ausnahmen dazu werden sich jedoch später zeigen.

3. Inländische Rechtsquellen Das Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) regelt alle Formen der Rechtshilfe und ist die wichtigste inländische Rechtsquelle. Bestimmungen in völkerrechtlichen Verträgen gehen jedoch gem. § 1 Abs. 3 IRG diesem Gesetz vor, soweit sie innerstaatliches Rechts geworden sind. Das IRG gilt dann nur subsidiär. Die Regelungen des IRG betreffen hauptsächlich die Bewilligung von Rechtshilfe. Die Frage, ob ein Rechtshilfeersuchen gestellt

39 So leistet zum Beispiel die Schweiz, wenn das Bankgeheimnis betroffen ist, Rechtshilfe nur zur Überführung wegen Steuerbetrugs, nicht wegen einer einfachen Steuerhinterziehung. Liechtenstein und Monaco leisten in fiskalischen Strafsachen gar keine Rechtshilfe. Im Falle der Leistung für andere Verfahren können diese Staaten im Wege der Zweckbindung verhindern, dass das Material durch den ersuchenden Staates nebenbei auch für steuerliche Angelegenheiten verwendet wird (vgl. Seite 137). 40

Lagodny bei Schomburg/Lagodny, § 59 IRG, Rn. 19. So dürfen nach § 39 Abs. 2 SDÜ über den kurzen Dienstweg der Polizeibehörden übermittelte Informationen nur dann als Beweismittel in einem Strafverfahren verwendet werden, wenn die Justizbehörde des Erhebungsstaates zustimmt. 41

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1. Teil: Grundlagen

werden muss, richtet sich hingegen primär nach dem allgemeinen Verfahrensrecht, also nach der Strafprozessordnung 42. Kein förmliches Gesetz, aber ein für die Praxis wichtiger Leitfaden ist in den Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt) zu sehen43. Für das Stellen von Rechtshilfeersuchen beschränkt sich die Rolle des IRG im Wesentlichen auf Zuständigkeitsfragen. Ein Gericht oder eine Staatsanwaltschaft darf ein Rechtshilfeersuchen nicht unmittelbar an einen anderen Staat stellen, es kann ein Ersuchen nur anregen. Rechtshilfeangelegenheiten werden vorrangig als auswärtige Angelegenheit angesehen, nur in zweiter Linie als Rechtspflege 44. Nach Art. 32 Abs. 1 GG ist die Pflege der Beziehungen zu ausländischen Staaten Sache des Bundes. Dementsprechend entscheidet in Deutschland nach § 74 Abs. 1 IRG vom Grundsatz her der Bundesminister der Justiz im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und mit anderen Bundesministern, deren Geschäftsbereich betroffen wird, über die Stellung von Rechtshilfeersuchen. Die Ausübung der Entscheidungskompetenz wurde jedoch durch Vereinbarung gem. § 74 Abs. 2 S. 1 IRG auf die Landesregierungen übertragen 45 . Diese haben ihrerseits die Möglichkeit des § 74 Abs. 2 S. 2 IRG genutzt und diese Ausübungsbefugnisse an die Landesjustizverwaltungen weitergegeben. Übertragen worden sind aber nicht die Befugnisse an sich, sondern nur deren Ausübung. Damit bleibt der Bundesregierung die Möglichkeit, bis zu dem Zeitpunkt, in dem die vom Ausland begehrte Rechtshilfe geleistet ist, auf eine bestimmte Entscheidung hinzuwirken oder die Entscheidung an sich zu ziehen46, wovon in der Praxis aber kaum Gebrauch gemacht wird. Einschlägige völkerrechtliche Übereinkommen, die im Anschluss besprochen werden, haben weitere wesentliche Vereinfachungen gebracht.

4. Völkerrechtliche Rechtsquellen Deutschland hat sowohl bilaterale als auch multilaterale Rechtshilfeabkommen abgeschlossen. Die Vielzahl von Vereinbarungen sind kaum noch

42 Inländische und völkerrechtliche Normen des Rechtshilferechts legen dann aber die tatsächlichen Rahmenbedingungen fest (vgl. Schomburg/Lagodny, Einleitung, Rn. 50). 43 Abgedruckt bei: Schomburg/Lagodny, Anhang 11. 44 Schomburg/Lagodny, § 74 IRG, Rn. 6, mit zahlreichen Nachweisen. 45 Vgl. Zuständigkeitsvereinbarung vom 1.7.1993, abgedruckt bei Grützner/Pötz, I A 3, S. 3. 46 Vogler bei Grützner/Pötz, § 74 IRG, Rn. 28.

A. Rahmenbedingungen der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen

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überschaubar 47. Hinzu kommen noch Instrumente der Europäischen Union, die nur mittelbar eine vertragliche Grundlage haben.

a) Vereinbarungen

im Rahmen des Europarates

Das Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen (EuRhÜbK) vom 20. April 1959 einschließlich des Zusatzprotokolls aus dem Jahre 1978 ist wohl das für den Rechtshilfeverkehr Deutschlands wichtigste multilaterale Abkommen. Es ist im Rahmen des Europarates entstanden. Fast alle Mitgliedsstaaten des Europarates und das Nichtmitglied Israel gehören diesem Übereinkommen an 48 . Es befasst sich mit der Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Justizbehörden. Die Polizeiliche Zusammenarbeit ist dagegen nicht erfasst. Den Vertragsstaaten wurde an zahlreichen Stellen die Möglichkeit eingeräumt, Vorbehalte zu erklären, wovon viele Vertragsstaaten Gebrauch gemacht haben, was die Übersichtlichkeit der Regelungen nicht unwesentlich beeinträchtigt. Das Europäische Rechtshilfeübereinkommen wird darüber hinaus durch zahlreiche bilaterale Zusatzvereinbarungen ergänzt. Hinsichtlich der Art und Weise der Leistung von Rechtshilfe findet sich in Art. 3 Abs. 1 EuRhÜbK eine ausdrückliche Normierung des Grundsatzes locus regit actum, also dass der ersuchte Staat die Maßnahme nach den Vorschriften seines Rechts erledigt. In vielen bilateralen Zusatzvereinbarungen wird dieser Grundsatz jedoch teilweise so modifiziert, dass partiell das Recht des ersuchenden Staates zu beachten ist 49 . Über das Europäische Rechtshilfeübereinkommen hinaus existieren zahlreiche weitere multilaterale strafrechtliche Konventionen des Europarates, wie zum Beispiel das Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Januar 1977 oder das Geldwäsche-Übereinkommen vom 8. November 1990, die sich häufig nur auf bestimmte Delikte beziehen50. Praktisch relevant ist für diese Arbeit auch das Europäische Übereinkommen vom 7. Juni 1968 betreffend Auskünfte über ausländisches Recht, welches die Mit-

47

Vgl. Länderteil der RiVASt abgedruckt bei Schomburg/Lagodny, Anhang 11; Liste in Vogel bei Grützner/Pötz, Vor § 1 IRG, Rn. 57 ff; Schomburg, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, NJW 2002, S. 1629 (1630) oder die von Schomburg zusammengestellte Tabelle, welche regelmäßig aktualisiert wird unter: http://www.bundesgerichtshof.de/index.php?bibliothek/rechtshilfe. 48 Aktueller Stand abrufbar im Internet unter: http://conventions.coe.int. 49 Vgl. z. B. zu den Anwesenheitsrechten: Art. III des deutsch-schweizerischen Ergänzungsvertrags zum EuRhÜbk, Art. V I des deutsch-österreichischen Ergänzungsvertrages, Art. V des deutsch-israelischen Ergänzungsvertrages oder Art. IV des deutschitalienischen Ergänzungsvertrages. 50 Siehe Liste in Vogel bei Grützner/Pötz, Vor § 1 IRG, Rn. 59.

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1. Teil: Grundlagen

gliedsstaaten verpflichtet, Anfragen von Gerichten und den Staatsanwaltschaften zu beantworten 51.

b) Vereinbarungen und andere Rechtsquellen im Rahmen der Europäischen Union einschließlich des Schengener Rechtsraumes Eine eigentlich andere Ebene stellen die multilateralen Vereinbarungen dar, die innerhalb der Europäischen Gemeinschaften bzw. Europäischen Union erarbeitet worden sind. Dennoch beziehen sich die Mehrzahl der EU-Übereinkommen auf Europaratskonventionen und ergänzen diese, was aber aufgrund der Tatsache, dass alle EU-Mitglieder auch gleichzeitig Europaratsmitglieder sind, unproblematisch möglich ist. Als bereits Anwendung findende Beispiele sind hier das EG-Faxübereinkommen vom 26. Mai 1989 und das EG-Vollstreckungsübereinkommen vom 13. November 1991 zu nennen52. Herausragende Bedeutung kommt dem Europäischen Haftbefehl zu, der das traditionelle Auslieferungsverfahren für die EU-Staaten und einen recht lückenlosen Straftatenkatalog 53 ablösen soll. Rechtsgrundlage ist kein völkerrechtlicher Vertrag, sondern der Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäschen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten54. Die Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit und der traditionelle Grundsatz der Nichtauslieferung eigener Staatsbürger fallen weitgehend weg 55 , wobei die erste deutsche Umsetzung vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt wurde 56 . Der Wegfall der Nichtauslieferung eigener Staatsbürger hat praktische Relevanz hinsichtlich dieser Untersuchung, da es dazu beitragen wird, die Zahl der Strafverfahren zu mindern, welche allein aufgrund der Nationalität des Beschuldigten im Inland stattfinden müssen, obwohl Tatort und sämtliche Beweismittel sich im Ausland befinden. Darin

51 Fast alle Mitgliedsstaaten des Europarats, die Nichtmitglieder Weißrussland (Belarus), Costa Rica und Mexiko, sowie bald auch Marokko gehören diesem Übereinkommen an. Allgemein dazu vgl. auch: Geimer, Rechtsauskünfte über ausländisches Recht auch in Strafsachen, NJW 1987, S. 2131. 52 Siehe Liste in Vogel bei Grützner/Pötz, Vor § 1 IRG, Rn. 59. 53 Vgl. Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten. 54 Der ersuchende Staat wird im Rahmenbeschluss begrifflich zum Ausstellerstaat, der Vollstreckungsstaat betreibt dann die Überstellung, was allerdings zumindest für die erste (für verfassungswidrig erklärte) nationale Umsetzung in Deutschland im IRG nicht übernommen wurde (vgl. §§ 78 ff. IRG). 55 Vgl. Art. 3 ff. des Rahmenbeschlusses. Siehe auch §§ 80, 82 IRG in der vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärten Fassung (vgl. Fußnote 56). 56 BVerfG vom 18. Juli 2005, Az. 2 BvR 2236/04.

A. Rahmenbedingungen der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen

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erschöpft sich die Bedeutung des Europäischen Haftbefehls für diese Arbeit jedoch nicht. Dieses Institut könnte als Vorbote eines allgemeinen Prinzips der gegenseitigen Anerkennung von Verfahrenshandlungen im Rahmen der EUMitgliedsstaaten dienen, wobei dessen Berechtigung allerdings zu untersuchen sein wird. Das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) vom 19. Juni 1990 gilt nicht zwischen allen EU-Mitgliedern sondern nur zwischen den Partnerstaaten des Schengener Abkommens 57 . Durch ein Protokoll zum Vertrag von Amsterdam konnte der Schengen-Besitzstand in den Rahmen der Europäischen Union überführt werden, so dass er der parlamentarischen und gerichtlichen Kontrolle der EU-Institutionen unterliegt. Das SDÜ ist ein Maßnahmenpaket zum Ausgleich des vor allem polizeistrategischen Sicherheitsdefizits, welches durch den Abbau der Grenzkontrollen innerhalb der Schengenstaaten entstanden ist. Das Abkommen umfasst verschiedene Regelungen unter anderem bezüglich der Angleichung der Visapolitik, der gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen in Asylverfahren und einheitlicher Kontrollen der Außengrenzen. Durch das SDÜ wurden jedoch auch die Geschäftswege innerhalb der justitiellen Rechtshilfe und der polizeilichen Zusammenarbeit zwischen den Schengenstaaten vereinfacht, grenzüberschreitende Observation und Nacheile wurden unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht und Regelungen bezüglich des europaweiten Fahndungs- und Informationssystem SIS getroffen 58. Einschneidend, für diese Untersuchung allerdings nur von mittelbarer Bedeutung, ist die erstmalige Einführung eines länderübergreifenden ne bis in idem durch Art. 54 SDÜ 5 9 . Das EU-Rechtshilfeübereinkommen vom 29. Mai 2000, welches von der Bundesrepublik Deutschland zum 22. Juni 2005 ratifiziert wurde, allerdings noch nicht EU-weit in Kraft getreten ist 60 , dient wiederum vor allem der 57 Dies sind zunächst alle alten EU-Staaten außer Großbritannien und Irland. Die neuen EU-Mitglieder haben mit dem Beitritt den Schengen-Besitzstand übernommen, wobei zurzeit noch nicht alle Regelungen in Kraft gesetzt wurden. Auch auf die NichtPartnerstaaten Großbritannien und Irland sind einzelne Bestimmungen des SchengenBesitzstands anwendbar (vgl. Seite 146, Fußnote 547). Die Nicht-EU-Staaten Island und Norwegen sind wiederum mit einem gesonderten Kooperationsabkommen in die Schengen-Zusammenarbeit einbezogen. 58 Siehe dazu Seite 47. 59 Vgl. auch EG-ne bis in /¿/em-Übereinkommen v. 25.5.1987, welches allerdings noch nicht von allen EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert wurde. Es findet erst seit 1999 und auch nur vorzeitig zwischen den Ratifizierungsstaaten Anwendung. 60 Das Übereinkommen tritt 90 Tage nach der Ratifizierung und Notifizierung durch mindestens acht Mitgliedsstaaten für diese Staaten in Kraft. Die Notifizierung durch die Bundesrepublik steht noch aus. Der aktuelle Ratifizierungs-und Notifizierungsstand kann mittels der von Schomburg zusammengestellten Tabelle im Internet abgerufen werden, unter: http://www.bundesgerichtshof.de/index.php7bibliothek/rechtshilfe . Nach

1. Teil: Grundlagen

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Ergänzung des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens vom 20. April 1959 und des Schengener Durchführungsübereinkommens 61. Unter anderem werden hier wiederum die Geschäftswege für Rechtshilfeersuchen weiter vereinfacht 62 und die Übermittlung von Verfahrensurkunden an Personen, die sich in einem anderen Mitgliedsstaat aufhalten, per Post erlaubt 63 . Den Behörden der Mitgliedsstaaten wird der direkte Informationsaustausch ohne Ersuchen ermöglicht, wobei die übermittelnde Behörde Bedingungen für die Verwendung der Informationen festlegen kann 64 . Einschneidend vor allem ist jedoch die partielle Hinwendung vom traditionellen Grundsatz locus regit actum zum Grundsatz forum regit actum, wie es Art. 4 Abs. 1 EU-Rechtshilfeüberkommen vorsieht. Demnach hat bei einem Rechtshilfeersuchen der ersuchte Staat, die vom ersuchenden Staat ausdrücklich angegebenen Form- und Verfahrensvorschriften einzuhalten, sofern diese nicht den Grundprinzipien des Rechts des ersuchten Staates widersprechen. Ferner wird die in Art. 10 des Übereinkommens vorgesehene Vernehmung per Videokonferenz besondere praktische Bedeutung erlangen, da dadurch erstmals ein im Ausland befindlicher Zeuge unter bestimmten Voraussetzungen zur Aussage zumindest im Rahmen einer solchen Konferenz gezwungen werden kann 65 . In den Art. 17 ff. EU-RhÜbk finden sich für diese Untersuchung relevante Regelungen hinsichtlich der Überwachung des Telekommunikationsverkehrs.

c) Weitere

Vereinbarungen

Ferner existieren internationale, multilaterale Verträge - meist als Instrumente der Vereinten Nationen aber auch der OECD, die jedoch ausschließlich deliktsbezogen sind und nur im Einzelfall praktische Bedeutung haben 66 . Erwähnenswert - als allgemeines Instrument der Vereinten Nationen - ist das Wiener Übereinkommen vom 24.4.1963 über konsularische Beziehungen (WÜK). Dieses betrifft zwar nicht den Rechtshilfeverkehr an sich, kann aber im Rahmen dieser Untersuchung noch unter dem Aspekt des Zugangs ausländischer Beschuldigter zu Vertretern ihrer Konsulate relevant werden. bisherigem Stand wird das Abkommen in Kürze im Verhältnis zu den EU-Staaten Belgien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Lettland, Litauen, Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden, Slowenien, Spanien und Ungarn Anwendung finden. Island und Norwegen haben ein Assoziierungsübereinkommen geschlossen. 61 62 63 64 65 66

Vgl. Art. 1 EU-Rechtshilfeübereinkommen. Vgl. Art. 6 EU-Rechtshilfeübereinkommen. Vgl. Art. 5 EU-Rechtshilfeübereinkommen. Vgl. Art. 7 EU-Rechtshilfeübereinkommen. Vgl. Art. 10 Abs. 8 EU-Rechtshilfeübereinkommen. Siehe Liste in Vogel bei Grützner/Pötz, Vor § 1 IRG, Rn. 60.

A. Rahmenbedingungen der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen

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Mit vielen meist außereuropäischen Staaten wurden bilaterale Rechtshilfevereinbarungen getroffen 67. Mit einigen Staaten bestehen völkerrechtliche Verträge, die den gesamten Komplex der Rechtshilfe umfassend regeln, so zum Beispiel mit Tunesien und Monaco. Viele Verträge ordnen jedoch nur die Auslieferung oder andere Teilbereiche, so dass die sonstige Rechtshilfe in diesen Fällen vertraglos erfolgt, so mit Australien, Kanada, den Vereinigten Staaten und Thailand. Mit anderen Staaten existieren lediglich Regierungsabkommen. Mit den übrigen Staaten erfolgt der gesamte Rechtshilfeverkehr vertraglos. Auch in diesem Bereich wird die Rechtshilfe in der Praxis fast ausschließlich nach dem traditionellen Grundsatz locus regit actum geleistet.

I I . Überstaatliche Netzwerke und Organisationseinheiten der Strafverfolgung 1. Globale Ebene / Ebene der Vereinten Nationen a) Internationale Kriminalpolizeiliche

Organisation-Interpol

Die Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation - Interpol 68 geht auf die 1923 in Wien gegründete Internationale Kriminalpolizeiliche Kommission zurück. Sie ist damit die älteste multilaterale Kooperationsstruktur für grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit. Durch Modernisierung der Statuten im Jahre 1956 erhielt die Organisation ihren heute gültigen Namen und Rechtsform. Interpol ist eine juristische Person französischen Rechts und privatrechtsfähig 69 . Ob Interpol auch Völkerrechtssubjektivität besitzt, ist umstritten 70. Ihre Mitglieder sind keine Staaten, sondern die sogenannten „Nationalen Zentralbüros", das heißt polizeiliche Dienststellen aus heute 182 einzelnen Ländern. In Deutschland wurden die Aufgaben des NZB dem Bundeskriminalamt übertragen. Die Hauptbedeutung der Institution mit Zentrale in Lyon liegt in der internationalen Fahndung nach Personen und Sachen71. Gesuchte Personen können zur Festnahme72, woran sich dann ein Auslieferungsverfahren an-

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Siehe Liste in Vogel bei Grützner/Pötz, Vor § 1 IRG, Rn. 57. Abkürzung für „internationalpoliceHomepage: http://www.interpol.int/. 69 Daum, INTERPOL - öffentliche Gewalt ohne Kontrolle, JZ 1980, S. 798 (799); Eick/Trittel, Verfassungsrechtliche Bedenken gegen deutsche Mitarbeit bei Interpol, EuGRZ 1985, S. 81 (84). 70 Stiebler, Institutionalisierung der internationalen polizeilichen Zusammenarbeit, S. 123 ff.; Eick/Trittel, a.a.O. S. 81 f.; Daum, a.a.O., S. 798. 71 Scheller, Ermächtigungsgrundlagen für die internationale Rechts- und Amtshilfe zur Verbrechensbekämpfung, S. 18. 72 Dies wird fälschlicherweise häufig als „Internationaler Haftbefehl" bezeichnet. 68

1. Teil: Grundlagen

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schließen soll, zur Aufenthaltsermittlung, auch um sie später als Zeugen zu laden, oder zur verdeckten Beobachtung ausgeschrieben werden 73 . Daneben werden von Interpol jedoch auch Informationen über in Erscheinung getretene Personen, Fallakten mit Unterlagen über bestimmte Tatkomplexe und erkennungsdienstliche Daten gesammelt und ausgewertet 74. Für den Nachrichtenaustausch wurde Ende 2002 ein moderneres, auf Internet-Techniken basierendes System eingeführt, an das seit Mitte 2004 fast alle Nationalen Zentralbüros angeschlossen sind 75 . Ob gegen die Tätigkeit von Interpol Rechtschutzmöglichkeiten bestehen, ist nicht ausdrücklich geregelt. Teilweise wird der Zivilrechtsweg für zulässig gehalten76. Als Ergebnis bleibt jedenfalls für diese Arbeit festzuhalten, dass im Ausland gewonnene Informationen über Straftaten über Interpol und das Bundeskriminalamt zur Kenntnis deutscher Strafverfolgungsbehörden gelangen können, um so zumindest Anlass für weitere Ermittlungen zu geben.

b) Internationale Strafgerichtshöfe einschließlich zugehöriger Ermittlungsbehörden aa) Ad Äoc-Tribunale der Vereinten Nationen: Der Jugoslawien-Strafgerichtshof und der Ruanda-Strafgerichtshof Der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag gingen die massiven bewaffneten Auseinandersetzungen und Grausamkeiten während des Zusammenbrechens der Sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien voraus 77. Rechtsgrundlage der Errichtung des Tribunals ist die Resolution 827 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen aus dem Jahre 1993. Der Gerichtshof besitzt keine eigene Völkerrechtssubjektivität und ist Teil der UN. Die Zuständigkeit umfasst Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die ab dem 1. Januar 1991 auf dem Gebiet der ehemaligen Sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien begangen wurden, sowie Delikte gegen die Rechtspflege des Gerichtshofes selbst78. Die Strafgewalt des Gerichtshofes und die nationalen

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Weitere Einzelheiten bei: Scheller, a.a.O., S. 31 ff. m.w.N. Scheller, a.a.O., S. 37. 75 Weitere Informationen unter: http://www.bka.de und http://www.interpol.int. 76 Eick/Trittel, a.a.O. S. 81 (84); Daum, a.a.O., S. 798 (800); jeweils mit weiteren Nachweisen und Hinweis auf LG München I v. 5. Januar 1978, Az. 12 O 10512/76. 77 Zusammenfassung der geschichtlichen Ereignisse und der Entstehung des Tribunals: Kreß bei Grützner/Pötz, Jugoslawien-Strafgerichtshof, III 27, Rn. 1 ff. 78 Vgl. Art. 2-5, 8 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs. 74

A. Rahmenbedingungen der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen

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Strafgewalten stehen in einem konkurrierenden Zuständigkeitsverhältnis, wobei der Zuständigkeit des Gerichtshofes in der Gestalt Vorrang zukommt, dass er in jeder Phase das Verfahren übernehmen kann. Der Gerichtshof besteht aus drei Strafkammern und einer Berufungskammer. Der Ankläger 79 wird vom Sicherheitsrat ernannt und ist ein unabhängiges Organ des Strafgerichtshofes. Die von ihm geleitete Anklagebehörde ist Herrin des Ermittlungsverfahrens. Sie muss nur belastendem Beweismaterial nachgehen, entlastendes aber der Verteidigung zur Verfügung stellen. Die Verfahrens- und Beweisregeln (rules of procedure and evidence) wurden von den Richtern selbst erarbeitet, wozu ihnen Art. 15 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs die Kompetenz zugewiesen hat 80 . Die Beweismittel, die der Gerichtshof benötigt, befinden sich in der Regel auf dem Territorium der Konfliktstaaten, allerdings nicht ausschließlich. Zwar ist der Anklagebehörde die selbständige Beweiserhebung jedenfalls im Konfliktgebiet möglich 81 . Der Gerichtshof verfügt aber über keine eigene Polizeitruppe, er ist also auf Kooperation angewiesen. Im Konfliktgebiet können Zwangsmaßnahmen auf entsprechendes Ersuchen auch von der SFOR bzw. KFOR vorgenommen werden. Ansonsten sind alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen zur Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof verpflichtet 82 . Die Handlungs- und Duldungspflichten der Staaten gehen über die sonst üblichen Verbindlichkeiten der Rechtshilfe hinaus 83 . So sieht das Statut selbständige Ermittlungen der Organe des Gerichtshofes auf fremdem Hoheitsgebiet mit Unterstützung der nationalen Behörden auch außerhalb des Konfliktgebietes vor, was aber zurückhaltend gehandhabt wird 8 4 . Abweichend vom sonst üblichen Grundsatz locus regit actum ist es vorgesehen, dass die Mitgliedsstaaten die Vorgaben des Statuts und der Verfahrens- und Beweisregeln beachten. Dies bedeutet zum Beispiel eigentlich auch, dass unabhängig davon, ob die nationale Verfahrensordnung einem Beschuldigten oder einem Zeugen mehr oder weniger Rechte einräumt, den Regelungen des Gerichtshofes Vorrang gebührt 85. Dies

79

Z.Zt. Carla Del Ponte. Das Verfahrensrecht ist adversatorisch geprägt und orientiert sich vornehmlich am common /aw-Rechtskreis. 81 Vgl. Kreß bei Grützner/Pötz, Jugoslawien-Strafgerichtshof, III 27, Rn. 60. 82 Vgl. Art. 29 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs und für Deutschland § 1 Jugoslawien-Strafgerichtshof-Gesetz. 83 Vgl. Kreß bei Grützner/Pötz, Jugoslawien-Strafgerichtshof, III 27, Rn. 57 ff.; Schomburg, Jugoslawien-Strafgerichtshof-Gesetz, NStZ 1995, S. 428 (429). 84 Kreß bei Grützner/Pötz, Jugoslawien-Strafgerichtshof, III 27, Rn. 61. 85 Kreß bei Grützner/Pötz, Jugoslawien-Strafgerichtshof, III 27, Rn. 58. 80

1. Teil: Grundlagen

38

wurde in Deutschland allerdings in § 4 Abs. 4 S. 2 des Jugoslawien-Strafgerichtshof-Gesetzes nicht in dieser letzten Konsequenz umgesetzt86. Der Gerichtshof hat sich zwangsläufig mit der Frage der Verwertbarkeit unter unterschiedlichen Bedingungen erhobener Beweise zu beschäftigen. Beweisverwertungsverbote sind Nr. 95 VBR für unzuverlässige Beweise und für Beweise, deren Zulassung die Integrität des Verfahrens beschädigen würde, vorgesehen. Aufgrund dieser Ausrichtung am Verwertungsakt selbst87 und dem vertikalen Konzept der Rechtshilfe orientiert sich der Gerichtshof hinsichtlich der Bewertung der Umstände bei der Beweiserhebung vornehmlich an der eigenen Verfahrensordnung 88, wobei den Richtern nicht unerhebliche Abwägungsspielräume eröffnet sind. Auf dieselbe Weise wie der Jugoslawien-Strafgerichtshof wurde der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda in Arusha (Tansania) eingerichtet. Rechtsgrundlage ist hier die Resolution 955 des Sicherheitsrates aus dem Jahre 1994. Er soll den Bürgerkrieg in Ruanda untersuchen, der 1994 im Zeitraum von wenigen Monaten mehreren Hunderttausend Menschen das Leben gekostet hat. Die Struktur ist mit der des Jugoslawien-Gerichtshofs praktisch identisch, wobei das Ruanda-Tribunal nur zwei Strafkammern besitzt 89 . Die Richter der Berufungskammer des Jugoslawien-Gerichtshofes üben ihr Amt gleichzeitig als Richter der Berufskammer des Ruanda-Gerichtshofes aus. Auch die verfahrensrechtlichen Regelungen gleichen sich, so dass sie hier keiner weiteren Erläuterung bedürfen 90. Die UN-Tribunale sind Beispiele für die vertikale internationale Zusammenarbeit im Bereich der Strafverfolgung. Für die Gerichtshöfe stellt sich selbst die Frage der Verwertbarkeit in verschiedenen Ländern unter unterschiedlichen Be-

86

So können von deutschen Behörden keine Zwangsmittel angewendet werden, wenn ein Zeugnisverweigerungsrecht nach der StPO besteht. Dies könnte, falls sich ein entsprechender Fall ergibt, zu Problemen führen: Die VBR schützen in Nr. 97 nur das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant. Sogar zu einer selbstbelastenden Aussage kann ein Zeuge nach Nr. 90 (E) VBR unter Umständen gezwungen werden, wobei allerdings bei einem späteren Verfahren gegen den Zeugen für diese ein Beweisverwertungsverbot ausdrücklich vorgesehen ist. Vgl. zur Umsetzung auch Kreß bei Grützner/Pötz, Jugoslawien-Strafgerichtshof, III 27, Rn. 72 a.E. 87 Zur Unterscheidung zwischen selbständigen und unselbständigen Beweisverwertungsverboten vgl. unten Seite 51. 88 Vgl. The Prosecutor v. Zjenil Delalic et aL, Decision on Zdravko Mucic's Motion for the Exclusion of Evidence vom 2. September 1997 (http://www.un.org/icty/inde.htm), Nr. 50 ff. zur Notwendigkeit der Beiziehung eines Verteidigers bei einer Beschuldigtenvernehmung nach Nr. 42 (B) VBR. 89 Vgl. Wäspi, Die Arbeit der Internationalen Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda, NJW 2000, S. 2449 (2450). 90 Weitere Informationen unter: http://www.ictr.org/.

A. Rahmenbedingungen der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen

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dingungen gewonnener Beweismittel, die sie nach ihrem eigenen Verfahrensrecht beantworten müssen. Da der Vorrang der Zuständigkeit der Gerichtshöfe nicht absolut ist, die nationale Strafgewalt daneben also bestehen bleibt, sind auch Fallkonstellationen denkbar, in denen in einem deutschen Strafverfahren von den Organen der Gerichtshöfe erhobene Beweise auftreten und sich die Frage der Verwertbarkeit im deutschen Strafprozess stellt.

bb) Internationaler Strafgerichtshof Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat im Jahre 2003 seine Arbeit aufgenommen. Rechtgrundlage ist das IStGH-Statut, welches von zur Zeit 97 Staaten ratifiziert wurde 91 . Der Gerichtshof ist ein eigenes Völkerrechtssubjekt und kein Teil der Vereinten Nationen, allerdings mit der Organisation durch das Relationship Agreement verbunden. Die Zuständigkeit umfasst Kriegverbrechen, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verbrechen der Aggression, sofern der Tatortstaat oder der Heimatstaat des Beschuldigten das Statut zum Zeitpunkt der Tat ratifiziert hat 92 . Die Strafgewalt des Gerichtshofes und die nationalen Strafgewalten stehen in einem Verhältnis sogenannter Komplementarität 93: Die Verfolgung durch die nationale Strafgewalt hat grundsätzlich Vorrang, es sei denn, der jeweilige Staat ist nicht willens oder nicht in der Lage, die Ermittlungen oder die Strafverfolgung ernsthaft durchzufuhren, wobei über die Unwilligkeit oder Unfähigkeit durch den Gerichtshof entschieden wird 9 4 . Der Internationale Strafgerichtshof besteht neben dem Präsidium und der Kanzlei aus einer Berufungs-, einer Verfahrensund einer Vorverfahrensabteilung und ferner einer Anklagebehörde. Die Anklagebehörde ist unabhängig und muss sowohl belastendem als auch entlastendem Beweismaterial nachgehen. Verfahrensrechtliche Regelungen finden sich im IStGH-Statut selbst und den von der Versammlung der Vertragsstaaten beschlossenen Verfahrens- und Beweisregeln - den rules of procedure and evidence 95. Existenzielle Grundlage fur die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs wird ebenfalls die Kooperation mit den Vertragsstaaten sein. Auch wenn die eigenständige Vornahme von Beweiserhebungen unter bestimmten Voraussetzungen - insbeson91

Vgl. http://www.icc-cpi.int/php/statesparties/allregions.php. Die Vereinigten Staaten sind kein Vertragspartner. 92 Vgl. Art. 4, 11 und 12 IStGH-Statut. 93 Kreß bei Grützner/Pötz, Internationaler Strafgerichtshof, Vor III 26, Rn. 22. 94 Vgl. Art. 17, 19 IStGH-Statut. 95 Das Verfahrensrecht zeigt allgemein einen stärkeren Einfluss des kontinentaleuropäischen Rechtskreises.

1. Teil: Grundlagen

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dere beim Zusammenbruch von staatlichen Strukturen, auch bei unwilligen Staaten - vorgesehen ist 96 . wird der Rechtshilfe durch Vertragsstaaten besondere Bedeutung zukommen. Die Regelungen bezüglich der Rechtshilfe orientieren sich vornehmlich an dem traditionellen Grundsatz locus regit actum, wobei im Rahmen des nationalen Rechts Wünsche der Organe des Gerichtshofes beachtet werden sollen 97 . So wird für den Internationalen Strafgerichtshof die Frage der Verwertbarkeit durch verschiedene Hoheitsgewalten gewonnener Beweise eines der wichtigsten verfahrensrechtlichen Probleme sein, welches er nach eigenem Recht zu lösen hat. Da die Strafgewalt des Internationalen Strafgerichtshofes im Verhältnis zu den nationalen Strafgewalten nachrangig ist, wird es in Zukunft aber auch und noch eher als bei den ad /ioc-Tribunalen der UN zu Konstellationen kommen, in denen von den Organen des Gerichtshofes oder von einem anderen Staat für den Gerichthof erhobene Beweise Eingang in ein deutsches Strafverfahren finden sollen.

2. Europäische Ebene a) OLAF 9* Das Europäische Amt für Betrugbekämpfung geht auf die 1988 durch die Europäische Kommission zum Schutz der Gemeinschaft vor Betrügereien gegründete Koordinationseinheit UCLAF 9 9 zurück. OLAF ist bei der Kommission angesiedelt und wird als Verwaltungsbehörde, nicht als Justiz- oder Polizeibehörde bezeichnet 100 . Das Amt nimmt auf der einen Seite strategische Aufgaben war, so befasst es sich mit der Vorbereitung von Legislativmaßnahmen und präventiven Konzepten zur Betrugsbekämpfling. In diesem Bereich untersteht es dem für den Haushalt zuständigen Kommissionsmitglied 101 . Für diese Arbeit von besonderem Interesse ist jedoch die Rolle von OLAF als Untersuchungsbehörde. Diesbezüglich arbeitet das Amt weisungsfrei und sachlich unabhängig. Die Unabhängigkeit wird durch ein Klagerecht des Direktors zum Europäischen Gerichtshof gesichert.

96

Ausführlich: Kreß bei Grützner/Pötz, Internationaler Strafgerichtshof, Vor III 26, Rn. 300 ff. 97 Vgl. Art. 99 Abs. 1 IStGH-Statut. 98 „Office européen de lutte anti-fraude ". 99 „Unité de Coordination européen de lutte anti-fraude ". 100 Vgl. Hallmann-Häbler/Stiegel, Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF), DRiZ 2003, S. 241. 101 Hallmann-Häbler/Stiegel, a.a.O., S. 241.

A. Rahmenbedingungen der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen

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Die Behörde ermittelt in Fällen von Betrug, Korruption und allen anderen Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaften. Dies umfasst beispielsweise Betrügereien im Zollbereich, Fälle missbräuchlicher Verwendung von Subventionen, Ausschreibungsbetrug und Steuerhinterziehung, welche sich nachteilig auf den Gemeinschaftshaushalt auswirken 102 . Auch ist OLAF mit der Untersuchung von Dienstvergehen innerhalb der Organe und Einrichtungen betraut. Obwohl die zu untersuchenden Fälle in aller Regel auch einen strafrechtlich relevanten Hintergrund haben, wird stets der administrative Charakter der Kontrollen betont 10j . Mitarbeiter von OLAF können interne Untersuchungen, d. h. Untersuchungen innerhalb der Organe der Europäischen Gemeinschaften durchführen. Rechtsgrundlage hierfür die Verordnung (EG) Nr. 1073/99. Sie sind befugt, sämtliche Räumlichkeiten ohne Voranmeldung zu betreten, und haben Zugang zu allen Informationen, Dokumenten und Inhalten von Datenträgern, können Kopien davon anfertigen oder Dokumente sicherstellen, auch dürfen sie die Bediensteten befragen. Beschuldigtenrechte bzw. Betroffenenrechte sind nur ansatzweise ausformuliert, was sich mit der Zuordnung der Ermittlungen in den Bereich des Verwaltungsrechts erklären lässt 104 . Art. 4 Abs. 6 lit. b der Verordnung sieht für interne Kontrollen vor, dass die Rechte der Betroffenen gewahrt bleiben müssen, ohne diese jedoch näher zu bezeichnen. Mehr lässt sich dem Erwägungsgrund Nr. 10 dieser Verordnung entnehmen105: Demnach „müssen die Menschenrechte und die Grundfreiheiten in vollem Umfang gewahrt bleiben; dies gilt insbesondere für den Billigkeitsgrundsatz, das Recht der Beteiligten zu den sie betreffenden Sachverhalten Stellung zu nehmen, und den Grundsatz, dass sich die Schlussfolgerungen aus einer Untersuchung nur auf beweiskräftige Tatsachen gründen dürfen". Der von den Maßnahmen betroffene Gemeinschaftsbedienstete hat ein Beschwerderecht zum Direktor von OLAF, wobei ihm gegen dessen Entscheidung wiederum die Klage zum Europäischen Gerichtshof offen steht 106 . Auch im Rahmen von externen Untersuchungen, also beispielsweise Kontrollen gegenüber Wirtschaftsteilnehmern, deren Rechtsgrundlage die Verord-

102

Hallmann-Häbler/Stiegel, a.a.O., S. 241 (242). Vgl. Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EURATOM, EG) Nr. 2185/96 und Art. 2 Verordnung (EG) Nr. 1073/99; kritisch dazu Nelles, Europäisierung des Strafverfahrens, ZStW 109 [1997], S. 723 (743); Gieß, Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF), EuZW 1999, S. 618 (620). 104 V. Bubnoff, Institutionelle Kriminalitätsbekämpfung in der EU, ZEuS 2002, S. 185 (203). 105 Gieß, Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF), EuZW 1999, S. 618 (620). 106 Vgl. Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 1073/99 und Art. 90 Abs. 2 Beamtenstatut; siehe auch v. Bubnoff, Institutionelle Kriminalitätsbekämpfung in der EU, ZEuS 2002, S. 185 (203). 103

1. Teil: Grundlagen

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nung (EURATOM, EG) Nr. 2185/96 durch Verweisung blieb, dürfen die Mitarbeiter von OLAF Ermittlungen eigenständig durchfuhren. Zwangsmaßnahmen können allerdings nur von den Behörden des jeweiligen Mitgliedsstaats vorgenommen werden 107 . Auch sonst müssen sich die Mitarbeiter von OLAF an die im Recht des betroffenen Mitgliedsstaates vorgesehenen Vorschriften halten 108 . Die Rechte der Beschuldigten oder Betroffenen bestimmen sich nach dem Recht des Erhebungsstaates. Angesichts der Tatsache, dass auch die externen Ermittlungen das Etikett einer Verwaltungsuntersuchung tragen, bleibt jedoch das Problem, dass hier nur die Rechte des Betroffenen eines nationalen Verwaltungsverfahrens, statt Beschuldigtenrechte nach nationalem Strafverfahrensrecht garantiert werden sollen. Gegen behördliche Akte von OLAF steht dem Wirtschaftsteilnehmer gem. Art. 230 Abs. 4 EGV der Rechtschutz zum Europäischen Gerichtshof offen, wenn der Akt als Entscheidung im Sinne dieser Vorschrift anzusehen sein sollte 109 . Bedient sich OLAF bei Zwangsmaßnahmen der Unterstützung nationaler Behörden, so richtet sich der Rechtsschutz nach den Vorschriften des involvierten Mitgliedsstaates110. Nach Abschluss der Ermittlungen stellt das Amt einen Untersuchungsbericht zusammen, der auch eine Empfehlung zu verwaltungs- und strafrechtlichen Folgemaßnahmen enthält. Dem Bericht wird jedoch auch Beweismittelfunktion für mitgliedsstaatliche Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zugewiesen. Er soll nach Art. 9 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1073/99 und Art. 8 Abs. 3 der Verordnung (EURATOM, EG) Nr. 2185/96 in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren des Mitgliedsstaates, einschließlich Strafverfahren, in gleicher Weise ein zulässiges Beweismittel darstellen, wie ein vergleichbarer Verwaltungsbericht, der von den Behörden des Mitgliedsstaates erstellt wurde. Die Beurteilung der strafrechtlichen Verwertbarkeit der Erkenntnisse von OLAF oder darauf aufbauender Beweisketten bleibt also trotz der Zuweisung der Beweismittelfunktion bei den nationalen Gerichten unter Maßgeblichkeit der nationalen Vorschriften 111 . OLAF ist also eine supranationale Ermittlungsbehör-

107

Vgl. Art. 5, Art. 7 Abs. 2 und Art. 9 Verordnung (EURATOM, EG) Nr. 2185/96. Vgl. Art. 6 Abs. 1 S. 4, Art. 7 Abs. 1, Art. 8 Abs. 3 Verordnung (EURATOM, EG) Nr. 2185/96. 109 Der Anwendungsbereich dürfte praktisch recht gering sein. So kann OLAF selbst z. B. keine Zwangsmaßnahmen mit verbindlicher Rechts Wirkung anordnen. Auch ist die lange Verfahrensdauer vor dem EuGH zu beachten. Ebenfalls kritisch zu den Rechtsschutzmöglichkeiten: Albrecht, Europäische Informalisierung des Strafrechts, StV 2001, S. 69 (71 f.). 110 V. Bubnoff, Institutionelle Kriminalitätsbekämpfung in der EU, ZEuS 2002, S. 185 (203). 111 In Deutschland könnte man an die Einführung im Wege des Urkundsbeweises denken. Der Unmittelbarkeitsgrundsatz wird dem jedoch recht enge Grenzen setzen. Vgl. unten Seiten 163 ff. 108

A. Rahmenbedingungen der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen

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de, welche Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften nachgeht und deren Ermittlungsergebnisse auch in einem deutschen Strafverfahren relevant werden können.

b) Europol Die Einrichtung des Europäischen Polizeiamtes (Europol) wurde 1991 vom Europäischen Rat in Maastricht beschlossen. Als Vorläufereinrichtung fungierte ab 1994 zunächst die Europäische Drogenstelle EDU (European Drug Unit), die nach Inkrafttreten des Europol-Übereinkommen und endgültiger Tätigkeitsaufnahme von Europol im Jahre 1999 in diesem Amt aufging. Das Europäische Polizeiamt Europol mit Sitz in Den Haag ist im dritte Pfeiler der Europäischen Union, also im Bereich der intergouvermentalen Zusammenarbeit, angesiedelt und besitzt eine eigene Rechtspersönlichkeit. Europol ist eine StrafVerfolgungsund Polizeibehörde, die Ermittlungsverfahren und polizeiliche Maßnahmen der Mitgliedsstaaten unterstützt, wobei die nationale Souveränität gewahrt werden soll 1 1 2 . Der Einsatz von Europol ist an einen weit gefassten Straftatenkatalog geknüpft, wobei insbesondere Formen der Organisierten Kriminalität bekämpft werden sollen, von denen im Einzelfall jeweils mindestens zwei Mitgliedsstaaten betroffen sein müssen113. Eigene Ermittlungs- oder Fahndungstätigkeiten werden von der Behörde nicht wahrgenommen. Jeder Mitgliedsstaat unterhält ein nationales Verbindungsbüro und das Amt arbeitet mit den nationalen Polizei-, Steuer und Finanzbehörden zusammen. Da Europol nur ein Instrument der polizeilichen Zusammenarbeit ist, können Justizbehörden nur mit den Umweg über die Polizei auf die Ressourcen zurückgreifen, das Amt bietet insbesondere keinen justiziellen Geschäftweg für Rechtshilfeersuchen. Europol erfüllt seine Aufgaben weisungsfrei. Eine Kontrolle der Tätigkeit von Europol durch Gerichte ist nicht vorgesehen 114. Die Bediensteten von Europol genießen hinsichtlich ihrer Amtausübung Immunität. Lediglich eine gemeinsame Kontrollinstanz aus Vertretern mitgliedsstaatlicher Datenschutzstellen soll den Individualrechtsschutz gewährleisten. Europol ist vor allem eine Informationszentrale, die von den Mitgliedsstaaten gelieferte Daten aufnimmt und weitergibt. Dazu verfügt sie über ein eigenes Informationssystem, in dem Angaben über abgeschlossene und laufende Er-

112 Storbeck, Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden in Europa, DRiZ 2000, S. 481 (482). 113 Vgl. Art. 2 Abs. 1 des Europol-Übereinkommen und Anhang zu Art. 2. 114 Tolmein, Europol, StV 1999, S. 108 (112); Gieß, Europol, NStZ 2001, S. 623 (625); v. Bubnoff, Institutionelle Kriminalitätsbekämpfung in der EU, ZEuS 2002, S. 185 (194 f.).

1. Teil: Grundlagen

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mittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen über Personen, Straftaten, Tatvorwürfe, Tatzeiten, Tatorte, Tatmittel, Verdacht der Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung etc. eingegeben werden 115 . Justizbehörden haben entsprechend der Konzeption von Europol als Instrument der polizeilichen Zusammenarbeit keinen Zugriff. Sie können jedoch die jeweils zuständigen Polizeibehörden um entsprechende Recherchen ersuchen 116. Europol bietet den nationalen Polizeibehörden auch ermittlungsunterstützende Analysen der gewonnenen Informationen an, so wird die Datenflut strukturiert und aufbereitet mit dem Ziel, Organisationsformen, Arbeitsweisen und letztlich auch Haupttäter zu identifizieren 117 . Die Analysetätigkeit wird nicht nur auf Ersuchen von Mitgliedsstaaten vorgenommen, sondern auch aus eigenem Antrieb, mit dem Ziel Ermittlungen in Mitgliedsstaaten anzuregen 118. Europol ist ferner auch Koordinationsstelle für Einsätze und Ermittlungsmaßnahmen in verschiedenen Mitgliedsstaaten. Es werden gleichzeitige Ermittlungen und Verhaftungsaktionen abgestimmt oder kontrollierte Rauschgiftlieferungen organisiert. Darüber hinaus nimmt Europol (für diese Arbeit weniger relevante) Aufgaben im Bereich der Aus- und Fortbildung wahr, organisiert den abstrakten Erfahrungsaustausch, führt eine Datei über polizeiliches und technisches Spezialwissen und erarbeitet Kriminalitätsbekämpfungskonzepte 119. Zusammenfassend ist festzustellen, dass Europol ein wichtiges Instrument des internationalen Informationstransfers darstellt. Auch wenn Europol nur der polizeilichen Zusammenarbeit dient, können faktisch ausländische Erkenntnisse über Europol und die Polizeibehörden auch an die deutschen Justizorgane gelangen. Sehr häufig kann es dazu kommen, dass im Inland getätigte Ermittlungen und Beweiserhebungen auf über Europol übertragene Erkenntnisse aufbauen, letztere also mittelbar auch in die Hauptverhandlung eingehen.

115 Storbeck, a.a.O., S. 484; Tolmein, a.a.O., S. 108 (110 f.); vgl. auch Degenhardt, Europol und Strafprozeß, S. 168 ff. 116 Storbeck, a.a.O., S. 487. 117 Storbeck, a.a.O., S. 484 f.; kritisch dazu Albrecht, Europäische Informalisierung des Strafrechts, StV 2001, S. 69 (70). 118 Gieß in Europol, NStZ 2001, S. 623 (624) wirft diesbezüglich das Problem auf, dass die ermittlungsinitiierende Analysetätigkeit und die Weiterleitung der Ergebnisse insbesondere in Mitgliedsstaaten, in denen das Legalitätsprinzip gilt - also in denen die Ermittlungsansätze weiterverfolgt werden müssen, auf die nationalen Strafverfolgungsbehörden eine nicht unerhebliche Lenkungswirkung ausübt. 119

Storbeck, a.a.O., S. 486.

A. Rahmenbedingungen der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen

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c) Eurojust Der Plan zur Errichtung einer europäischen Stelle für justizielle Zusammenarbeit geht auf die Schlussfolgerungen des EU-Sondergipfels in Tampere aus dem Jahre 1999 zurück. Durch den Vertrag von Nizza im Jahre 2001 wurde die Rechtsgrundlage der Institution in Art. 31 Abs. 1 lit. a, Abs. 2 EUV geschaffen. Die Beschlussfassung durch den EU-Rat zur endgültigen Errichtung von Eurojust erfolgte am 28.2.2002, wodurch die seit 2001 arbeitende Vorläuferstelle Pro-Eurojust abgelöst wurde. Eurojust ist ebenfalls im dritten Pfeiler der Union angesiedelt und besitzt eine eigene Rechtspersönlichkeit. Die Institution mit Sitz in Den Haag 120 stellt das Pendant der Justiz zu Europol dar, dient aber nicht zu deren justizieller Kontrolle. Eurojust setzt sich aus nationalen Mitgliedern zusammen, die von den Mitgliedsstaaten gemäß ihrer jeweiligen Rechtsordnung entsandt werden und die Eigenschaft eines Staatsanwalts, Richters oder Polizeibeamten mit gleichwertigen Befugnissen besitzen 121 . Der Zuständigkeitsbereich geht hinsichtlich der relevanten Straftaten sogar noch über den Katalog von Europol hinaus, wobei die Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen auch hier mindestens zwei Mitgliedsstaaten betreffen müssen122. Aufgabe von Eurojust ist es, die Zusammenarbeit der Justizbehörden in Europa zu koordinieren, insbesondere soll vermieden werden, dass parallele Ermittlungen gegen dieselben Tätergruppen geführt werden, obwohl sich eine frühzeitige Koordination angeboten hätte. Eigene Ermittlungen führt Eurojust nicht, als Kollegium kann es aber die zuständigen Behörden der Mitgliedsstaaten um die Vornahme bestimmter Maßnahmen ersuchen 123. Ferner soll die Rechtshilfe zwischen den Mitgliedsstaaten erleichtert werden. Die Mitglieder sind ihren nationalen Kollegen dabei behilflich, Fälle mit internationalem Bezug effektiver zu bearbeiten und zügiger zum Abschluss zu bringen 124 . Eurojust selbst steht ferner mit Europol, dem europäischen justiziellen Netz EJN und OLAF in einem Kooperationsverhältnis 125. Zur Erfüllung seiner Aufgaben darf Eurojust eine eigene automatisierte Datei führen. Dort können insbesondere personenbezogene Daten über Namen von Tatverdächtigen, Aliasnamen, Aufenthaltsorte, Konten, Beschreibung und Art der zur Last gelegten Straftaten, Tatzeitpunkte, strafrechtliche Würdigung der 120

Internetseite: http://www.eurojust.eu.int/; vgl. zur Vertiefung auch v. Bubnoff, Institutionelle Kriminalitätsbekämpfung in der EU, ZEuS 2002, S. 185 (204 ff.). 121 Vgl. Art. 2 des Ratsbeschlusses über die Errichtung von Eurojust v. 28.2.2002 (Eurojust-Beschluss). 122 Vgl. Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Eurojust-Beschluss. 123 Vgl. Art. 7 Eurojust-Beschluss. 124 Vgl. Art. 6 Eurojust-Beschluss. 125 Vgl. Art. 26 Eurojust-Beschluss.

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1. Teil: Grundlagen

Taten und Stand der Ermittlungen, Aspekte des Sachverhalts, die auf die internationale Ausdehnung des Falls schließen lassen und Einzelheiten über eine vermutete Zugehörigkeit zu einer kriminellen Organisation verarbeitet und unter anderem auch von den nationalen Strafverfolgungsbehörden abgerufen werden 126 . Die unabhängige Gemeinsame Kontrollinstanz überwacht die Zulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten 127 . Sie besteht aus von den Mitgliedsstaaten benannten Richtern, die nicht Mitglieder von Eurojust sind. Sie entscheidet auch über Individualbeschwerden mit für Eurojust bindender Wirkung, so dass insgesamt diesem Organ der Selbstkontrolle durchaus gerichtsähnliche Züge zugesprochen werden können. Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich Eurojust zu einem wichtigen Instrument des justiziellen Informationstransfers entwickeln wird. Durch die Arbeit der Behörde wird die traditionelle Rechtshilfe allerdings nicht abgeschafft, sondern nur erleichtert. Praktisch bedeutsam ist also die Rolle von Eurojust als Vermittler eines Informationsaustausches zwischen den einzelnen nationalen Justizbehörden. So transferiertes Beweismaterial kann später Eingang in ein deutsches Strafverfahren finden. Das bei Eurojust selbst gespeicherte und abrufbare Datenmaterial vermag für die nationalen Justizbehörden Anlass zu weiteren Ermittlungen im Inland oder eben zur Anforderung bestimmten Materials aus dem Ausland geben, für eine unmittelbare gerichtliche Verwertung als Beweismittel wird es allerdings weniger in Frage kommen.

d) Europäisches Justizielles Netz - EJN Das Europäische Justizielle Netz, welches der Vollständigkeit halber hier ebenfalls aufgeführt werden soll, bleibt neben Eurojust bestehen128. Es ist ein nicht-institutionalisiertes Netzwerk von als Kontaktstellen bezeichneten Richtern, Staatsanwälten und Beamten der Justizministerien 129. Rechtsgrundlage ist die gemeinsame Maßnahme des Europäischen Rates vom 29.6.1998. Die Kontaktstellen haben keine eigene Entscheidungsbefugnis. Sie dienen der wechselseitigen Verbreitung von praktischen und rechtlichen Informationen 130 , 126

Vgl. Art. 15 Eurojust-Beschluss. Vgl. Art. 23 Eurojust-Beschluss. 128 Näher, auch zur praktischen Bedeutung: v. Langsdorf, Maßnahmen der Europäischen Union zur Vereinfachung und Beschleunigung der Rechtshilfe, StV 2003, S. 472 f. 129 Internetseite: http://ue.eu.int/ejn/. 130 Dies umfasst nach Art. 8 G M vollständige Angaben über die Kontaktstellen in jedem Mitgliedsstaat, gegebenenfalls mit Angabe ihrer innerstaatlichen Zuständigkeit, vereinfachte Listen der Justizbehörden und ein Verzeichnis der örtlichen Behörden jedes 127

A. Rahmenbedingungen der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen

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die erforderlich sind, um ein Ersuchen um Rechtshilfe effizient vorzubereiten oder um die justizielle Zusammenarbeit im Allgemeinen zu verbessern 131. Ferner stellen sie direkte und persönliche Kontakte zu Mitarbeitern der Justizbehörden anderer Mitgliedsstaaten her, um dadurch die Verfahrenswege zu beschleunigen. Darüber hinaus sollen in periodischen Sitzungen praktische und rechtliche Probleme diskutiert werden, um die Ergebnisse den zuständigen Arbeitsgruppen der EU zu übermitteln. Die Aufgaben des EJN und von Eurojust überschneiden sich und eine klare Abgrenzung der Kompetenzen ist bis jetzt noch nicht erfolgt 132 . EJN und Eurojust sind aber - wie bereits erwähnt - dazu aufgerufen, miteinander zu kooperieren 133 . Die Aufgaben des EJN liegen damit hauptsächlich im Austausch und der Bereithaltung von rechtlichen und praktischen Informationen, nicht jedoch im Austausch von Ermittlungsergebnissen oder Beweismitteln selbst, so dass dem Netzwerk für diese Untersuchung eine eher untergeordnete Bedeutung zukommt. Trotzdem bleibt herauszustellen, dass für den Bereich der klassischen transnationalen Rechtshilfe sich das EJN als effektiv herausgestellt hat und in vielen Fällen zur deutlichen Beschleunigung des Rechtshilfeverkehrs beiträgt, also den Austausch von Ermittlungsergebnissen auf den bestehenden Geschäftswegen faktisch beschleunigt134.

e) Schengener Informationssystem

- SIS

Das europaweite, computergestützte Fahndungs- und Informationssystem SIS ist Teil des Maßnahmenpakets zum Ausgleich des Sicherheitsdefizits, welches durch den Abbau der Grenzkontrollen innerhalb der Schengenstaaten entstanden ist. Rechtsgrundlage des Instrumentes europäischer Zusammenarbeit sind die Art. 92 ff. des Schengener Durchfuhrungsübereinkommens. Das SIS gliedert sich in einen Zentralrechner in Straßburg und in zur Zeit 15 nationale Systeme135. Die Daten des SIS dürfen nicht in andere nationale Informationssysteme übernommen werden. Gesuchte Personen können zur Festnahme mit Mitgliedsstaates, kurz gefasste rechtliche und praktische Informationen über das Gerichtswesen und die Verfahrenspraxis in den 15 Mitgliedsstaaten und Texte der einschlägigen Rechtsinstrumente und den Wortlaut etwaiger Erklärungen und Vorbehalte zu den geltenden Rechtshilfeübereinkommen. 131 Nehm, Zusammenarbeit der StrafVerfolgungsorgane in Europa, DRiZ 2000, S. 355 (358). 132 Vgl. Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 100.3. 133 Art. 6 lit. e, 7 lit. e, 26 Abs. 2 Eurojust-Beschluss. 134 Von Langsdorf, a.a.O., S. 472 (473). 135 Wilkesmann, Plädoyer für das Schengener Informationssystem (SIS), NStZ 1999, S. 68.

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1. Teil: Grundlagen

dem Ziel der Auslieferung, zur Aufenthaltsermittlung, um sie zum Beispiel als Zeugen zu laden, oder zur verdeckten Registrierung ausgeschrieben werden 136 . Auch Daten in Bezug auf bestimmte Sachen können zwecks Sicherstellung oder Beweissicherung aufgenommen werden 137 , was in der Praxis den größten Teil der Ausschreibungen ausmacht. Die Ausschreibung im SIS stellt ein Rechtshilfeersuchen dar 138 . Das System soll in großen Teilen die Interpolfahndung zwischen den Vertragsstaaten ersetzen, wobei natürlich die weltweite Streuung der Ausschreibung, wie es durch Interpol geschieht, aus der Sicht der Strafverfolgung nicht unerhebliche Vorteile bringt. Auch ist der abschließend festgelegte Umfang der aufnehmbaren persönlichen Daten geringer als bei Interpol 139 . Bemerkenswert ist, dass für die - hier allerdings weniger relevante Ausschreibung zur Festnahme nach dem SIS von der ersuchenden Vertragspartei die Prüfung der Rechtmäßigkeit nach den Rechtsordnungen der ersuchten Vertragsparteien verlangt wird 1 4 0 , eine weitere Prüfung findet im Gegensatz zur Interpol-Fahndung nicht statt. Für die anderen Ausschreibungen bleibt natürlich das Problem, dass die Behörden in den ersuchten Vertragsstaaten aufgrund der geringen Informationsmenge faktisch blind handeln müssen 141 . Das SDÜ hat einen relativ hohen datenschutzrechtlichen Standard, den Betroffenen steht der nationale Rechtweg offen, eine justizielle Kontrolle findet also statt 142 . Die Bedeutung des SIS für diese Untersuchung liegt vor allem in dessen Rolle als Geschäftsweg der Stellung von Rechtshilfeersuchen. Informationen, die aufgrund der Ausschreibungen erhoben und ermittelt werden, können Eingang in ein Strafverfahren finden. Schwerer vorstellbar ist es aber, dass dem Datenbestand des SIS selbst in einem Strafverfahren ein Beweiswert zukäme, so dass diesbezüglich selbst angesichts der Zweckbindung des Bestandes praktisch keine Probleme auftreten dürften. 136

Vgl. Art. 95, 98, 99 SDÜ. Im Rahmen der verdeckten Registrierung können Informationen durch polizeiliche oder zollrechtliche Überprüfungen über das Antreffen der ausgeschriebenen Person oder des ausgeschriebenen Fahrzeugs, Ort, Zeit oder Anlass der Überprüfung, Reiseweg und Reiseziel, Begleitpersonen oder Insassen, das benutzte Fahrzeug, mitgefühlte Sachen und Umstände des Antreffens der Person oder des Fahrzeugs übermittelt werden. 137

Vgl. Art. 100 SDÜ. Die Kategorien von Sachen sind eingegrenzt und umfassen insbesondere Kraftfahrzeuge, Feuerwaffen, abhanden gekommene Dokumente und Registriergeld. 138 Scheller, Das Schengener Informationssystem - Rechtshilfe „per Computer", JZ 1992, S. 904 (906). 139 Scheller, Ermächtigungsgrundlagen für die internationale Rechts- und Amtshilfe zur Verbrechensbekämpfung, S. 33 f. 140 Vgl. § 95 Abs. 2 SDÜ. 141 Ausführlich zu diesen Problemkreisen: Scheller, Das Schengener Informationssystem - Rechtshilfe „per Computer", JZ 1992, S. 904 (908 f). 142 Vgl. 102 ff. SDÜ; ausführlich dazu: Scheller, a.a.O., S. 904 (910 f).

A. Rahmenbedingungen der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen

49

I I I . Ergebnis Ziel dieses Überblicks war es, zunächst die bilateralen und multilateralen Kooperationsrahmen, die im Rahmen verschiedener internationaler Organisationen geschaffen wurden, für diese Untersuchung zu ordnen. Der zwischenstaatliche Transfer von Beweismitteln findet klassischerweise über horizontale Kooperationsmechanismen 143, das heißt im Wege der Rechtshilfe, statt. Die zwischenstaatliche Rechtshilfe ist traditionell recht schwerfällig und langwierig. Durch zahlreiche völkerrechtliche Vereinbarungen kam es jedoch zu deutlichen Vereinfachungen. Die Bildung von Netzwerken vereinfachte vor allem die Polizeiarbeit. Diese Netzwerke werden wiederum zu Organisationen verdichtet und neue vertikale Kooperationsmechanismen gewinnen immer mehr an Bedeutung. Dadurch ergeben sich zahlreiche Varianten, wie ein Beweis in ein anderes Land transferiert werden kann. Einmal besteht die Möglichkeit, dass der Beweis von einem supranationalen Strafverfolgungsorgan - wie den Internationalen Strafgerichtshöfen oder auch der Europäischen Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF - erhoben wurde und nun Eingang in ein nationales Strafverfahren finden soll. Auch können Beweise von ausländischen Behörden zunächst für die supranationalen Organe erhoben werden und über diese ins Inland gelangen. Nationale StrafVerfolgungsorgane können auch Beweise für ein eigenes Strafverfahren erheben, diese jedoch gleichzeitig anderen Staaten über Organisationseinheiten wie Europol und Eurojust zugänglich machen. Insbesondere feste Datenbestände bergen dabei, ohne deren Effektivität und auch grundsätzliche Notwendigkeit zu leugnen, in verschiedenem Maße die Gefahr, dass später in einem Gerichtsverfahren kaum noch nachvollziehbar ist, wie die Beweiserhebung zustande gekommen ist und welche Vorschriften dabei einzuhalten waren und tatsächlich eingehalten wurden 144 . Dazu tritt noch der Aspekt, dass bei einigen überstaatlichen Organisationseinheiten der Strafverfolgung, egal ob sie selbst ermitteln oder ermitteln lassen, ein gewisses Defizit an direkter justizieller Kontrolle zu beklagen ist. Praktisch am bedeutsamsten bleibt aber zunächst der klassische zwischenstaatliche Beweistransfer, wobei hier sowohl die Konstellation der Erhebung für ein eigenes Verfahren als auch die der Erhebung für einen anderen Staat aufgrund eines Rechtshilfeersuchens auftritt. Bei einer Beweiserhebung, die ein Staat zunächst für ein eigenes Strafverfahren durchführt, versteht sich von selbst, dass er die eigenen strafprozessualen Normen anwendet. Auch bei einer Erhebung, um die der Staat von einem 143

Vogel, Internationale Zusammenarbeit in Strafsachen, ZStW 110 [1998], S. 974

(976). 144

Perron, Auf dem Weg zu einem europäischen Ermittlungsverfahren, ZStW 112 [2000], S. 202 (209).

50

1. Teil: Grundlagen

anderen Staat ersucht wurde, werden die jeweiligen inländischen Normen des ersuchten Staates angewendet145. Der Grundsatz locus regit actum ist in Art. 3 Abs. 1 EuRhÜbK sogar ausdrücklich geregelt. Im vertragslosen Bereich wird dies ebenso gehandhabt. Bilaterale Vereinbarungen, insbesondere solche, die der Ergänzung des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens dienen, bieten allerdings die Möglichkeit, in bestimmten Bereichen Vorschriften des ersuchenden Staates zu berücksichtigen. Ein teilweiser Paradigmenwechsel, also eine gewisse Hinwendung zum einem Grundsatz forum regit actum, ist durch das EU-Rechtshilfeübereinkommen erfolgt, welches jedoch noch nicht für alle Mitgliedsstaaten in Kraft getreten ist 1 4 6 . Dies steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass der ersuchende Staat die Modalitäten ausdrücklich angibt und diese auch nicht den grundlegenden Anforderungen des ersuchten Staates widersprechen. Auch im Bereich der supranationalen Strafverfolgung - den UN-Tribunalen für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda - tritt dieser Grundsatz auf, jedoch herrscht wiederum der klassische Ansatz bei dem neu geschaffenen Internationalen Strafgerichtshof.

145 146

Vgl. Nagel, Beweisaufnahme im Ausland, S. 151. Vgl. Seite 33, Fußnote 60.

B. Innerstaatliche strafprozessuale Rahmenbedingungen

51

B. Innerstaatliche strafprozessuale Rahmenbedingungen I. Grundprinzipien der Lehre von den Beweisverwertungsverboten Die Untersuchung der Frage, wann ein deutsches Gericht ein im Ausland gewonnenes Beweismittel verwerten darf oder nicht, wird dadurch erschwert, dass die Grenzen der Wahrheitserforschung in Deutschland auch für Strafverfahren ohne Auslandsbezug zu einem der umstrittensten Probleme des Strafrechts gehören. Es existiert weder eine allgemein anerkannte Dogmatik, wann und warum eine generelle Verwertungssperre für eine Information entstehen kann, noch besteht Einigkeit darüber, welcher Zweck durch Beweisverwertungsverbote befolgt werden soll. Allenfalls die viel zitierte Aussage des Bundesgerichtshofes, es sei kein Grundsatz der Strafjprozessordnung, dass die Wahrheit um jeden Preis erforscht werden müsste 147 , findet weitgehende Zustimmung. Dennoch sollen hier zunächst einige Grundlinien aufgezeigt werden, um diese später für die Frage der Auslandsbeweise nutzbar zu machen. Beweisverwertungsverbote verbieten dem Gericht eine erhobene Information im Rahmen der Beweiswürdigung zu verwenden. Bedeutsam und relativ unstreitig ist die Unterscheidung zwischen unselbständigen und selbständigen Beweisverwertungsverboten. Resultiert ein Beweisverwertungsverbot aus einem Verstoß gegen ein einfachgesetzliches Beweiserhebungsverbot, so ist das Verwertungsverbot als unselbständig zu bezeichnen148. Selbständige Beweisverwertungsverbote sind hingegen von einem vorherigen Verfahrensverstoß unabhängig. Sie greifen auch dann ein, wenn der Akt der Beweiserlangung selbst makelfrei war 1 4 9 .

1. Selbständige Beweisverwertungsverbote Über die Dogmatik der selbständigen Beweisverwertungsverbote besteht im Vergleich zu den unselbständigen relativer Konsens, so dass zunächst auf diese eingegangen werden soll. Da sie nicht auf der Verletzung einer Verfahrensnorm bei der Beweiserhebung beruhen, können sie auch eingreifen, wenn der Erhebungsakt selbst rechtmäßig war. Selbständige Beweisverwertungsverbote können sich schon aus einfachgesetzlichen Selbstbeschränkungen des Staates

147 148

BGHSt 14, S. 358 (365). Rogall, Lehre von den strafprozessualen Beweisverboten, ZStW 91 [1979], S. 1

(3). 149

Rogall, a.a.O., S. 1 (4).

52

1. Teil: Grundlagen

oder ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung aus den Grundrechten ergeben 1 5 0 .

a) Beispiele für gesetzlich normierte selbständige Beweisverwertungsverbote Gesetzlich normierte selbständige Verwertungsverbote finden sich in § 81 c Abs. 3 S. 5 StPO, in der Vorschriften zur Verwertbarkeit von Zufallsfunden, den §§ 108 Abs. 2, 100 b Abs. 5, 100 d Abs. 5, 110 e StPO, dem nach allgemeiner Ansicht bestehenden Beweisverwertungsverbot für frühere Aussagen bei späterer Zeugnisverweigerung aus § 252 StPO, dem Verwertungsverbot aufgrund von außerstrafprozessualen Auskunftspflichten gem. § 97 Abs. 1 S. 3 InsO, § 393 Abs. 2 AO, dem Zweckentfremdungsverbot für Übermittlungen durch den Bundesnachrichtendienst aus § 7 Abs. 4 i.V.m. Abs. 6 G 10, ferner in den §§ 4 ff., 23 Stasi-UnterlagenG und in dem Verwertungsverbot für getilgte oder tilgungsreife Vorstrafen nach § 51 Abs. 1 BZRG. Häufig stellen solche einfachgesetzlichen Regelungen einen Ausfluss der Grundrechte dar. Der Gesetzgeber hat in diesen Fällen die zugehörige Abwägung nur schon selbst antizipiert 151 .

b) Beispiele für aus den Grundrechten folgende selbständige Beweisverwertungsverbote Ein selbständiges Verwertungsverbot kann sich aus der Menschenwürde und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG ergeben. Die Verwertung kann also ausgeschlossen sein, weil sie eine selbständige Verletzung der genannten Grundrechte darstellen würde. Hier kommt die Sphärentheorie des Bundesverfassungsgerichtes zur Anwendung, wonach zwischen dem Sozialbereich, der Privat- und Intimsphäre als drei unterschiedliche Stufen der Persönlichkeit zu differenzieren ist 1 5 2 . Dem Sozialbereich (z.B. öffentlich geführte Gespräche), als erste Stufe, kommt kein besonderer Schutz zu. Die dritte Stufe, die Intimsphäre, welche unmittelbar aus der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitet wird, genießt dagegen absoluten Schutz, welcher nicht durch ein überwiegendes Sachaufklärungsinteresse beseitigt

150 Vgl. Schroth, Beweisverwertungsverbote im Strafverfahren Strukturen und Thesen, JuS 1998, S. 969 (978). 151 Vgl. BVerfGE 56, 37 ff. {„Gemeinschuldner Beschluss"). 152 BVerfGE 34, S. 238 ff.

-

Überblick,

B. Innerstaatliche strafprozessuale Rahmenbedingungen

53

werden kann 153 . In der mittleren Stufe, der Privatsphäre, richtet sich die Verwertbarkeit danach, ob im Einzelfall das individuelle Interesse an der Geheimhaltung oder das Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung, wobei hier sowohl die Bedeutung des Beweismittels als auch die Schwere der vorgeworfenen Tat von Bedeutung ist, überwiegt 154 . Die wohl bekanntesten Fälle, in denen sich das Problem der Einordnung und der Abwägung stellt, sind die, in denen über die Verwertbarkeit des Inhalts privater Tagebücher oder vergleichbarer schriftlicher Aufzeichnungen zu entscheiden ist. Der Bundesgerichtshof hat regelmäßig Tagebuchaufzeichnungen der Privatsphäre zugeordnet und so die Möglichkeit der Abwägung eröffnet 155 . Diese restriktive Handhabung des Intimbereichs zugunsten einer weit ausgedehnten Privatsphäre stößt seit dem in der Literatur auf heftige Kritik 1 5 6 . Das Bundesverfassungsgericht hat diese Einordnung jedoch, allerdings bei Stimmengleichheit der Richter, nicht als verfassungswidrig angesehen157. Ohnehin wird die grundsätzliche Struktur eines solchen Verwertungsverbotes von diesem Streitpunkt nicht berührt. Eine weitere für diese Untersuchung besonders wichtige Fallgruppe ist in heimlichen Tonband- und Filmaufzeichnungen zu sehen. Für StrafVerfolgungsbehörden können sich entsprechende unselbständige Beweisverwertungsverbote schon aus dem Verstoß gegen die Vorschriften der §§ 100 a f., 100 c ff. StPO ergeben, so dass die Frage eines selbständigen Verwertungsverbotes gar nicht mehr zum Tragen kommt. Bei Zufallsfunden können auch die gesetzlich geregelten selbständigen Beweisverwertungsverbote der §§ 100 b Abs. 5, 100 d

153 BVerfGE 27, S. 1 (6); BVerfGE 27, S. 344 (350); BVerfGE 32, 373 (378); BVerfGE 34, S. 238 (245); BVerfGE 80, S. 367. 154 BVerfGE 34, S. 238 (246). Das Erfordernis einer Ermächtigungsgrundlage auch bei verhältnismäßigen Eingriffen wurde von der Rechtssprechung vernachlässigt [vgl. Störmer, Verfassungsrechtliche Verwertungsverbote, Jura 1994, S. 393 (397)]. Siehe dazu auch Seiten 57 f., 103 f. 155 Noch vor Entwicklung der Sphärentheorie durch das Bundesverfassungsgericht wurden vom Bundesgerichtshof in BGHSt 19, S. 325 (331) die Aufzeichnungen der Angeklagten über ihr Verhältnis zu ihrem Vorgesetzten in einem Verfahren wegen Meineid nach Abwägung als unverwertbar angesehen. In BGHSt 34, S. 397 führte die Abwägung zur Verwertbarkeit von Aufzeichnungen des Angeklagten, dem der Mord an einer Frau vorgeworfen wurde, über sein gestörtes Verhältnis zum weiblichen Geschlecht. BGH NJW 1994, S. 1970 gelangt hingegen zur Unverwertbarkeit von Tagebüchern in einem Verfahren wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit. 156 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn 391; Dalakouras, Beweisverbote bezüglich der Achtung der Intimsphäre, S. 216 ff.; Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 125; Lorenz, Absoluter Schutz versus Relativität, GA 1992, S. 254. Eine ausführliche Diskussion dieser Problematik würde den Rahmen dieses Überblicks sprengen. 157 BVerfGE 80, S. 367 aufgrund der Verfassungsbeschwerde gegen BHGSt 34, S. 397.

1. Teil: Grundlagen

54

Abs. 5 StPO eingreifen. Ein Rückgriff auf ein selbständiges Beweisverwertungsverbot aus den Grundrechten ist bei staatlicher Erhebung deshalb in aller Regel nicht notwendig, da der Gesetzgeber die Grundrechtsabwägung schon selbst vorweggenommen hat 1 5 8 . Das Problem eines aus den Grundrechten resultierenden Verwertungsverbotes hat sich deshalb insbesondere im Zusammenhang mit Fällen gestellt, in denen Tonband- oder Filmaufnahmen von Privatpersonen angefertigt wurden. Gegenüber Privatpersonen gelten die Vorschriften der Strafprozessordnung bekanntermaßen nicht. Die Anfertigung heimlicher Tonbandaufnahmen oder Filmaufnahmen mit Tonspur vom nichtöffentlich gesprochenen Wort steht jedoch nach § 201 StGB unter Strafe 159 , neuerdings auch gem. § 201 a StGB die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch reine Bildaufnahmen, wobei jeweils das Eingreifen allgemeiner Rechtfertigungsgründe natürlich nicht ausgeschlossen ist 1 6 0 . Die Rechtswidrigkeit oder Rechtmäßigkeit der Erlangung hat nach der Rechtsprechung aber keinen Einfluss auf die Frage der Verwertbarkeit 161 . Vielmehr werden nur selbständige Verwertungsverbote für anwendbar gehalten. Dafür ist entsprechend der Sphärentheorie eine Einordnung der gewonnenen Information vorzunehmen und, wenn die mittlere Stufe, also die Privatsphäre, betroffen sein sollte, das öffentliche Strafverfolgungsinteresse mit dem individuellen Geheimhaltungsinteresse abzuwägen. Auch hier stößt die restriktive Handhabung von Verwertungsverboten in der Literatur auf Kritik 1 6 2 , das mögliche Eingreifen eines hier interessierenden selbständigen Verwertungsverbotes wird aber freilich nicht in Frage stellt.

158

In BGHSt 31, S. 296 lehnte der Bundesgerichtshof ein anlässlich einer Telefonüberwachung mitaufgenommenen Raumgespräches unter Eheleuten einerseits unter dem Gesichtspunkt der Nichterfassung von § 100 a StPO ab. Darüber hinaus führte der BGH aus, was wohl wegen des ohnehin schon festgestellten unselbständigen Beweisverwertungsverbotes nicht notwendig gewesen wäre, dass er den unantastbaren Intimbereich für betroffen halte, woraus dann auch ein selbständiges Verwertungsverbot gefolgert wurde. 159 Vgl. dazu Bockemühl, Private Ermittlungen im Strafprozeß, S. 82 ff. 160 Lenckner bei Schönke/Schröder, § 201 StGB, Rn. 23, 31 ff.; Tröndle/Fischer, §201 StGB, Rn. 11. 161 BGHSt 36, S. 167 (173), anders noch BGHSt 14 S. 358, in dem rechtswidrig gewonnene Aufzeichnungen für prinzipiell unverwertbar gehalten wurden. 162 Sydow, Kritik der Lehre von den „Beweisverboten", S. 100 ff., 116; Amelung, Informationsbeherrschungsrechte im Strafprozeß, S. 64; vgl. auch Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 395 ff. Auch wird wiederum das Erfordernis einer Ermächtigungsgrundlage auch bei verhältnismäßigen Eingriffen von der Rechtsprechung nicht thematisiert [vgl. Störmer, Verfassungsrechtliche Verwertungsverbote, Jura 1994, S. 393 (397); Wölfl, Heimliche private Tonaufhahmen im Strafverfahren, StraFo 1999, S. 74 (77)]. Siehe dazu auch Seiten 57 f., 103 f.

B. Innerstaatliche strafprozessuale Rahmenbedingungen

55

Selbständige Beweisverwertungsverbote können sich auch aus dem Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit, dem Prinzip nemo tenetur se ipsum accusare, ergeben. Dieses Problem hat sich in der Praxis im Zusammenhang mit staatlichem Zwang zur Selbstbezichtigung außerhalb eines Strafverfahrens gestellt. Grundlegende Entscheidung hierzu ist der sogenannte Gemeinschuldnerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts 163. Nach § 100 der damals gültigen Konkursordnung (KO) traf, entsprechend dem heutigen § 97 Abs. 1 S. 1 InsO, dem Schuldner eine Auskunftspflicht über alle das Verfahren betreffende Verhältnisse. Die Verweigerung der Auskunft konnte nach § 100 Abs. 2 KO bzw. kann heute nach § 98 Abs. 2 InsO mit Zwangsmitteln belegt werden. Ein Recht zur Auskunftsverweigerung für den Fall, dass sich der Schuldner durch die Auskunft einer Straftat bezichtigen müsste, bestand und besteht gemäß den jeweiligen Regelungen der damaligen Konkursordnung bzw. der heutigen Insolvenzordnung nicht. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte die Vereinbarkeit der unbeschränkten Auskunftspflicht mit dem Grundgesetz, da der Gemeinschuldner zu den Gläubigern in einem besonderen Pflichtverhältnis stehe 164 . Die Frage der Verwertbarkeit einer solchen Auskunft im Rahmen eines Strafverfahrens verneinte das Gericht jedoch, obwohl die damalige Konkursordnung, anders als die heutige Insolvenzordnung in § 97 Abs. 1 S. 3 InsO, ein entsprechendes ausdrücklich geregeltes Verwertungsverbot nicht kannte. Das Bundesverfassungsgericht hielt das allgemeine Persönlichkeitsrecht für unverhältnismäßig beeinträchtigt und es auch mit der Menschenwürde für unvereinbar, wenn der Gemeinschuldner durch die Auskunftspflicht zu einer strafrechtlich verwertbaren Selbstbezichtigung gezwungen wäre, er also die Vorraussetzungen für seine eigene strafrechtliche Verurteilung liefern müsste 165 .

c) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung rechtlicher und tatsächlicher Umstände Selbständige Beweisverwertungsverbote knüpfen für die Beurteilung der tatsächlichen und rechtlichen Umstände an den Zeitpunkt der Hauptverhandlung an. So umfasst § 252 StPO ein Verwertungsverbot bei nachträglicher Zeugnisverweigerung, wobei auch gleichgültig ist, ob das Angehörigenverhältnis vor oder nach der früheren Vernehmung entstanden ist 1 6 6 . Nicht anders ist es bei den aus den Grundrechten folgenden selbständigen Beweisverwertungsverboten. Der Verwertungsakt ist unabhängig von der Rechtmäßigkeit des Erhe163 164 165 166

BVerfGE 56, S. 37. BVerfGE 56, S. 37 (48 f.). BVerfGE 56, S. 37 (49). BGHSt 22, S. 219 (220); BGHSt 27, S. 231; BGHSt 45, S. 342 (347).

56

1. Teil: Grundlagen

bungsaktes zu betrachten. So wäre ein ursprünglich als Tagebuch geführtes Schriftstück, welches jedoch vom Angeklagten kurz vor der Hauptverhandlung als Biographie veröffentlicht wurde, sicherlich nicht mehr in die Privatsphäre einzuordnen.

2. Unselbständige Beweisverwertungsverbote Die Dogmatik der unselbständigen Beweisverwertungsverbote ist heillos umstritten. Weitgehend einig ist man sich lediglich darüber, dass unselbständige Beweisverwertungsverbote auf einem Rechtsverstoß bei der Beweiserhebung basieren. Für die Folgen von Verfahrensverstößen dürfte lediglich der bestehende Zielkonflikt unstreitig sein. Ein System, das gegenüber Verfahrensverstößen indifferent bliebe, also bei Verletzung einer Norm keinerlei Folgen eintreten lassen würde, würde den Charakter der Verfahrensnormen auf bloße Empfehlungen herabstufen 167. Dies würde dazu führen, dass der Strafprozess faktisch in beliebiger Weise nach Gesichtspunkten von Zweckmäßigkeit und Effizienz ablaufen könnte 168 , was mit dem Rechtsstaatsprinzip, den jeweils relevanten allgemeinen Grundrechten und den Justizgrundrechten nicht vereinbar wäre 169 . Ein System, welches allerdings gegen jeden Verfahrensfehler unnachsichtig vorgehen würde, wäre überwiegend mit sich selbst beschäftigt 170 . Das eigentliche Ziel des Strafverfahrens, die Aufklärung der materiellen Wahrheit würde so zu sehr ins Hintertreffen geraten. Sie ist aber Grundlage einer effektiven Straferfolgung, welcher - wie bereits bei den selbständigen Beweisverwertungsverboten verdeutlicht - ebenfalls Verfassungsrang zukommt 171 . Wege zur Lösung dieses Zielkonfliktes sollen im folgenden Abschnitt aufgezeigt werden, wobei jedoch zunächst der Gesetzesverstoß selbst einer kurzen Erörterung bedarf.

167 Rogall, Grundsatzfragen der Beweisverbote, bei Höpfel/Huber (Hrsg.), Beweisverbote in der EU, S. 119. Vgl. zum Gedanken der Normstabilisierung auch: Rogall, Ober die Folgen der rechtswidrigen Beschaffung des Zeugenbeweises, JZ 1996, S. 944 (947). 168 Vgl. zum Begriff der Justizförmigkeit des Verfahrens: Rieß bei Löwe/Rosenberg, Einl. Abschn. G, Rn. 20 ff., mit weiteren Nachweisen. 169 Auch der Grundsatz des fairen Verfahrens folgt unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfGE 38, S. 105 (111); BVerfGE 46, S. 202 (210). Vgl. zum Umfang der Einwirkung des Verfassungsrechts: Rieß bei Löwe/Rosenberg, Einl. Abschn. G, Rn. 3 ff. 170 Rogall, a.a.O., S. 119. 171 BVerfGE 19, S. 342 (347); BVerfGE 20, S. 45 (49); BVerfGE 20, S. 144 (147); BVerfGE 34, S. 238 (248); BVerfGE 36, S. 174 (186); BVerfGE 38, S. 105 (111); BVerfGE 38, S. 312 (321); BVerfGE 45, S. 272 (294); BVerfGE 51, 304 (343); BVerfGE 77, S. 65 (76).

B. Innerstaatliche strafprozessuale Rahmenbedingungen

57

a) Feststellung eines Gesetzesverstoßes bei der Beweiserhebung und für die Beurteilung maßgeblicher Zeitpunkt Bildet ein Rechtsverstoß bei der Beweiserhebung die Grundlage eines unselbständigen Beweisverwertungsverbotes, so bedarf es immer zunächst dessen Feststellung, um im Anschluss die daran zu knüpfenden Folgen zu bestimmen. Gesetzesverstöße bei der Beweiserhebung werden im Allgemeinen auch als Verstöße gegen ein Beweiserhebungsverbot bezeichnet. Beweiserhebungsverbote werden wiederum in Beweisthemen-, Beweismittel- und Beweismethodenverbote unterschieden 172. Diese Differenzierung hat wohl vor allem ordnende Funktion 173 . Eine eindeutige Zuordnung ist allerdings nicht immer möglich 174 und für diese Untersuchung wohl auch verzichtbar. Entscheidend ist in diesem ersten Schritt damit lediglich, dass von den StrafVerfolgungsorganen die Voraussetzungen oder Verfahrensvorschriften für eine Ermittlungsmaßnahme nicht eingehalten wurden - also ein Handlungsunrecht im Erhebungsstadium verwirklicht wurde. Dabei kann sich die Rechtswidrigkeit der Maßnahme allerdings nicht nur aus einem Verstoß gegen bestehende gesetzliche Vorschriften ergeben. Auch ein Handeln ohne gesetzliche Grundlage kann zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme führen. Strafprozessuale Ermittlungshandlungen, die in Grundrechte eingreifen, bedürfen wie alle anderen Grundrechtseingriffe einer Ermächtigungsgrundlage. Neuartige grundrechtsrelevante Ermittlungsmaßnahmen können also nur durch den Gesetzgeber eingeführt werden, so wie es zuletzt bei den §§ 100 g ff. StPO geschehen ist. Allgemein müssen also die Voraussetzungen für die jeweilige Ermittlungsmaßnahme vorliegen und die zugehörigen Verfahrensvorschriften beachtet werden. Ist dies nicht der Fall, so liegt ein Rechtsverstoß bei der Beweiserhebung vor. Überprüft man so die Rechtmäßigkeit der Ermittlungsmaßnahme, ergibt sich daraus auch der Zeitpunkt, dessen tatsächliche und rechtliche Umstände für die Beurteilung maßgeblich sind. Da bei unselbständigen Beweisverwertungsverboten der Erhebungsakt der entscheidende Anknüpfungspunkt für das Eingreifen eines Beweisverwertungsverbotes ist, kann hier nur auf den Moment der Vornahme der Ermittlungsmaßnahme selbst abgestellt werden 175 .

172

Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 455. Vgl. Beulke, Die Vernehmung des Beschuldigten, StV 1990, S. 180. 174 Vgl. Gössel bei Löwe/Rosenberg, Einl. Abschn. K, Rn. 123 ff. 175 Hat sich der Tatverdacht hinsichtlich des Vorliegens einer Katalogtat nach § 100 a StPO im nachhinein nicht bestätigt, steht dies der Verwertung der Erkenntnisse einer Telefonüberwachung bezüglich dieser Tat nicht entgegen (BGHSt 28, S. 122; BGHR-StPO § 100 a, Verwertungsverbot 4; Meyer-Goßner, § 1 0 0 a StPO, Rn. 16 m.w.N.). War eine Beschlagnahme zulässig und entstehen später Umstände, die ihr gem. § 97 StPO entgegengestanden hätten, sind die Beweismittel ebenfalls verwertbar (BGH NStZ 1983, S. 85). 173

58

1. Teil: Grundlagen b) Folgen des festgestellten

Gesetzesverstoßes

Liegt nun tatsächlich ein irgendwie gearteter Rechtsverstoß bei der Beweiserhebung vor, gilt zunächst, dass zumindest nach den heute noch vertretenen Ansichten nicht aus jedem Verfahrensverstoß ein Verwertungsverbot folgt 1 7 6 . Eigens ist die Rechtsfolge eines BeweisverwertungsVerbotes in § 136 a Abs. 2 S. 2 StPO für den Fall des Verstoßes gegen verbotene Vernehmungsmethoden geregelt. Die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes hängt aber nicht von dessen ausdrücklicher Normierung ab. Für den Fall, dass das Gesetz über die Folgen einer Verfahrensverletzung schweigt, wurden von der Literatur unterschiedliche Kriterien und Modelle zur Begründung oder Ablehnung eines Verwertungsverbotes ausgebildet, die selektiv auch in die Rechtsprechung eingeflossen sind. Eine allgemein anerkannte Regel, wann die Rechtswidrigkeit der Erlangung zu einer Unverwertbarkeit führt, existiert jedoch nicht. Zunächst sollen hier die verschiedenen Lösungsmodelle für die Ermittlung eines Beweisverwertungsverbotes dargestellt werden, wobei an dieser Stelle die zugehörigen, vom jeweiligen Urheber angenommenen Zwecke oder Funktionen eines Verwertungsverbotes, um Wiederholungen zu vermeiden, noch zu vernachlässigen sind.

aa) Überblick über Ansätze in der Rechtsprechung Die Rechtsprechung versuchte zunächst mit der sogenannten Rechtskreistheorie einen allgemeinen Lösungsansatz zu schaffen 177. Dieser Ansatz wurde anhand von Fällen entwickelt, bei denen es zu Rechtsverstößen während der Vernehmung von Zeugen gekommen war. So hatte sich der Große Senat des Bundesgerichtshofes in BGHSt 11, S. 213 mit der Frage zu beschäftigen, ob die Verwertung einer unter Verstoß gegen die Belehrungspflicht aus § 55 Abs. 2 StPO zustande gekommenen Zeugenaussage die Revision zugunsten des Angeklagten begründen kann. Dabei entwickelte das Gericht den Grundsatz, dass nur ein Verfahrensverstoß, der den Rechtskreis des Angeklagten wesentlich berührt, zur Revisibilität des Urteils führen könne. Die Verletzung bloßer Ordnungsvorschriften oder solcher, die für den Angeklagten von keiner oder nur unterge-

176 BGHSt 11, S. 231 (214); BGHSt 38, S. 214 (219); vgl. Gössel bei Löwe/Rosenberg, Einl. Abschn. K, Rn. 19 ff.; Pfeiffer bei Karlsruher Kommentar, Einleitung, Rn. 120 ff.; Jäger, Beweisverwertung und Beweisverwertungsverbote im Strafprozess, S. 69 ff.; Janicki, Beweisverbote im deutschen und englischen Strafprozeß, S. 61 ff. m.w.N. 177 BGHSt 1, S. 39 (40); BGHSt 11, S. 213 (216); BGHSt 22, S. 170 (173), BGHSt 25, S. 325 (329). Der Begriff stammt von Grossau, Unterlassen der Zeugenbelehrung als Revisionsgrund, MDR 1958, S. 468.

B. Innerstaatliche strafprozessuale Rahmenbedingungen

59

ordneter Bedeutung sind, könne hingegen eine solche Folge nicht nach sich ziehen 178 . Die Revisibilität wurde im konkreten Fall mit der Argumentation verneint, dass die Belehrung nach § 55 Abs. 2 StPO im Gegensatz zu der nach § 52 Abs. 2 StPO, welche der Rücksicht auf die Familienbande entspringt, nicht den Rechtskreis des Angeklagten betreffe, vielmehr dem Schutz des Zeugen diene 179 . Die Frage, ob § 55 Abs. 2 StPO auch den Schutz der Wahrheitsfindung bezwecke, verneinte der Senat, da die Wahrheitsermittlung nach § 261 StPO im Rahmen der freien Beweiswürdigung geschehe180. Die Anwendung der Rechtskreistheorie auf andere Gesetzesverstöße bereitete jedoch Schwierigkeiten, so dass die Rechtsprechung dem Grundsatz nach auf die Abwägungstheorie, welche bekanntermaßen ursprünglich zur Bestimmung selbständiger Beweisverwertungsverbote entwickelt wurde 181 , zurückgriff. Im sogenannten Medizinalassistentenfall, BGHSt 24, S. 125, wurde der Abwägungsgedanke auch auf unselbständige Beweisverwertungsverbote übertragen. Hier stellte sich die Frage, ob das Untersuchungsergebnis einer Blutprobe, die gegen den Willen des Beschuldigten angeordnet und entgegen § 81 a Abs. 1 2 StPO nicht von einem approbierten Arzt, sondern von einem Medizinalassistenten entnommen wurde, verwertbar ist. Der Bundesgerichtshof nahm hier eine Abwägung zwischen der Schwere des Rechtsverstoßes und dem Sachaufklärungsinteresse vor, die letztlich zur Bejahung der Verwertbarkeit führte. Dazu zog das Gericht zunächst das Kriterium heran, dass der Beweiswert der Probe nicht beeinträchtigt sei 182 . Als weiteres Kriterium wurde darauf abgestellt, dass das Beweismittel auch auf rechtmäßigem Wege hätte gewonnen werden können. Deshalb sei das Schutzbedürfnis des Beschuldigten auch nicht empfindlich beeinträchtigt. Zudem hielt das Gericht es für bedeutsam, dass der Verstoß irrtümlich erfolgt war, so dass er nicht als besonders schwerwiegend anzusehen sei. Diese Abwägungslehre wurde in der weiteren höchstrichterlichen Rechtsprechung beibehalten. Der Rechtskreisgedanke wird weiter als Teilaspekt aufgefasst 183. Die Frage, ob der Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot ein Verwertungsverbot nach sich ziehe, müsse für jede Vorschrift und jede Fallgestaltung gesondert festgestellt werden. Die Entscheidung für oder gegen ein Verwertungsverbot sei deshalb aufgrund einer umfassenden Abwägung zu treffen, bei der das Gewicht des Verfahrensverstoßes sowie seine Bedeutung für die rechtlich geschützte Sphäre des Betroffenen, die Erwägung, dass die Wahrheit nicht um jeden Preis erforscht werden müsse, jedoch auch der staatliche 178 179 180 181 182 183

BGHSt BGHSt BGHSt BGHSt BGHSt BGHSt

11, 11, 11, 19, 24, 33,

S. 213 (214, 215). S. 213 (216). S. 213 (215). S. 325 („Tagebuchurteil% siehe oben S. 53. S. 125 (130). S. 148 (153 f.); BGHSt 42, S.73 (77).

60

1. Teil: Grundlagen

Auftrag der Gewährleistung einer funktionierenden Strafrechtspflege ins Gewicht fallen 184 . Dieser Ansatz hat letztlich zu der häufig kritisierten 185 fallgruppenorientierten Ausrichtung der Rechtsprechung auf dem Gebiet der Beweisverwertungsverbote gefuhrt 186 .

bb) Überblick über den Meinungsstand in der Literatur In der Literatur haben sich diverse Auffassungen herausgebildet, um die Begründung oder Ablehnung eines unselbständigen Verwertungsverbotes auf eine klarere dogmatische Grundlage zu stellen. Hier soll nur versucht werden, zumindest grob einige Fraktionen aufzuzeigen, wobei die Übergänge häufig fließend sind, was eine Einordnung teilweise erschwert. Dabei darf nicht aus dem Auge verloren werden, dass es im Rahmen dieser Untersuchung nicht darum gehen kann, alle Ansätze zur allgemeinen Dogmatik der Beweisverbote auch für reine Inlandssachverhalte vollumfänglich zu erfassen. Eine allen gerecht werdende Gesamtdarstellung muss deshalb anderen Arbeiten, die sich eigens mit dem Thema beschäftigen, vorbehalten bleiben 187 .

(1) Revisionsrechtliche

Ansätze

Nach den revisionsrechtlichen Theorien wird die Annahme eines Verwertungsverbotes auf die Revisibilität von prozessordnungswidrigem Verhalten gestützt 188 . Die Funktion eines Beweisverwertungsverbotes wird in erster Linie darin gesehen, dem Richter die vorgeschaltete Möglichkeit zu schaffen,

184

BGHSt 38, S. 214 (219 f). Rogall weist allerdings zu Recht daraufhin, dass es eben nicht die primäre Aufgabe der Rechtsprechung ist, allgemeingültige Theorien zu entwickeln, sondern die anstehenden Fälle zu entscheiden [Rogall, Über die Folgen der rechtswidrigen Beschaffung des Zeugenbeweises, JZ 1996, S. 944 (947)]. 186 Einen Überblick über die einzelnen Fallgruppen bietet Gössel bei Löwe/Rosenberg, Einl. Abschn. K, Rn. 28 ff. 187 So kann in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Habilitationsschrift von Jäger, Beweisverwertung und Beweisverwertungsverbote im Strafprozess, S. 69 ff. verwiesen werden. 188 Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 337; ders. in Alternativkommentar, vor § 48 StPO, Rn. 52 a; Schlüchter, Strafverfahren, Rn. 4.2 f; Gössel, Beweisverbote im Strafverfahren, Bockelmann-FS, S. 801 (813); ders. bei Löwe/Rosenberg, Einl. Abschn. K, Rn. 17; Haffke, Schweigepflicht, Verfahrensrevision und Beweisverbot, GA 1973, S. 65 (78); Schöneborn, Die strafprozessuale Beweisverwertungsproblematik aus revisionsrechtlicher Sicht, GA 1975, S. 33 (35). 185

B. Innerstaatliche strafprozessuale Rahmenbedingungen

61

die Revisibilität des Urteils zu vermeiden 189 . Würde ein Urteil i.S.d. § 337 Abs. 1 StPO auf dem Verfahrensfehler bei der Beweisgewinnung beruhen, so muss der Richter die Information bei der Beweiswürdigung außer Betracht lassen. Eine besondere eigene Bedeutung wird den Beweisverwertungsverboten damit nicht zugerechnet. Das Problem, ob aus einem Verstoß gegen ein Erhebungsverbot ein Verwertungsverbot folgt, wird im Beruhenszusammenhang entschieden. So wird zum Beispiel der Beruhenszusammenhang verneint, wenn der Beweis auch unter rechtmäßigem Vorgehen hätte erlangt werden können 190 . Die Erwägungen, die bezüglich der Folgen eines Verfahrensverstoßes im Rahmen der Beruhensfrage angestellt werden, gehen über die allgemeinen Grundsätze des Revisionsrechts hinaus 191 . Dies zeigt, dass durch den Hinweis auf § 337 StPO noch nicht alle Fragen beantwortet sind. So ist den revisionsrechtlichen Ansätzen zwar zuzugeben, dass auch die Rechtssprechung das Vorliegen eines Verwertungsverbotes im engen Zusammenhang mit der Revisibilität von Verfahrensverstößen entscheidet192. Letztlich ist es für diese Untersuchung jedoch nicht ausschlaggebend, ob hier im Regelfall eigentlich nur die Beruhensfrage gestellt wird oder ob das Vorliegen eines Verwertungsverbotes eigens zu bestimmen ist. Schwierig ist es jedenfalls, mit einem rein revisionsrechtlichen Ansatz die Geltung von Beweisverwertungsverboten in Verfahren, die nicht mit der Revision angreifbar sind, zu erklären, so z. B. im Ermittlungsverfahren 193, bei der Feststellung des dringenden Tatverdachts für einen Haftbefehl 194 oder im Berufungsverfahren bei Anwendung von Jugendstrafrecht 195. Auch dürfte ein Verhalten von ausländischen Ermittlungsbehörden als direkter Anknüpfungspunkt zu § 337 StPO zumindest größeren Argumentationsaufwand erfordern.

189

Schlüchter, Strafverfahren, Rn 4.2 f. Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 909; Schlüchter, Strafverfahren, Rn. 4.1. 191 Vgl. Gössel, Kritische Bemerkungen zum gegenwärtigen Stand der Lehre von den Beweisverboten NJW 1981, S. 649 (657); ders., Überlegungen zu einer neuen Beweisverbotslehre, NJW 1981, S. 2217 (2219), der für die Bejahung des Beruhenszusammenhangs einen anhand von Schutzzweckerwägungen zu bestimmenden, finalen Zusammenhang zwischen Gesetzesverletzung und Urteil verlangt. 192 Gössel bei Löwe/Rosenberg, Einl. Abschn. K, Rn. 17. 193 Vgl. Rogall, Lehre von den strafprozessualen Beweisverboten, ZStW 91, S. 1 (7 f.). 194 Vgl. BGHSt 36, S. 396 (398). Vermeintliche Widersprüche sind jedoch oft auch ausräumbar: So könnte man hier zum Beispiel auch die Auffassung vertreten, dass Beweisverwertungsverbote nicht den dringenden Tatverdacht entfallen lassen, die Untersuchungshaft aber unverhältnismäßig machen, da ohnehin keine rechtskräftige Verurteilung des Beschuldigten zu erwarten ist, was im Ergebnis dann auf das gleiche herauslaufen würde. 195 Vgl. § 55 Abs. 2 JGG. 190

62

1. Teil: Grundlagen

(2) Schutzzwecklehren Die Vertreter der Schutzzwecklehren 196 messen den Beweisverwertungsverboten eine größere eigenständige Bedeutung zu. Das Verwertungsverbot folge nicht aus der Revisibilität, sondern der Verstoß gegen ein Verwertungsverbot ziehe die Revisibilität des darauf beruhenden Urteils nach sich 197 . Die Entscheidung, ob ein Verfahrensfehler bei der Beweiserhebung zu einem Verwertungsverbot fuhrt, soll sich nach dem Schutzzweck des zugrundeliegenden Erhebungsverbotes richten. Auch die Rechtskreistheorie des Bundesgerichtshofes ist hier einzuordnen. Die Schutzzwecklehren werden in verschiedenen Varianten vertreten. Dies resultiert unter anderem daraus, dass über die jeweils anzunehmenden Schutzzwecke ebenfalls keine Einigkeit herrscht. Grünwald nimmt ein Verwertungsverbot dann an, wenn der Schutzzweck der verletzten Norm noch nicht endgültig vereitelt ist, und die Verwertung des Beweismittels die Verletzung des Schutzzwecks vertiefen oder vollenden würde 198 . Bei einer Schutzzweckverletzung, die nicht mehr durch ein Beweisverwertungsverbot repariert werden kann, bestehe hingegen kein Bedürfnis für ein Beweisverwertungsverbot. Hypothetische Erwägungen werden ebenfalls von ihm zugelassen, allerdings nur wenn die rechtmäßige Verlaufshypothese positiv festgestellt werden kann 199 . Rudolphi stellt darauf ab, ob die verletzte Vorschrift auch die Aufgabe hat, Urteile zu verhindern, die auf deren Nichteinhaltung beruhen 200 . Im wesentlichen sei ein solcher Zweck bei Normen anzunehmen, die dem Schutz der Wahrheitsfindung dienen, die die Geheim- und Vertrauenssphäre des Beschuldigten schützen sollen, und denen, die das Ziel haben, die rechtlich geschützten Interessen Dritter vor zu weitgehenden Eingriffen der StrafVerfolgungsorgane zu bewahren 201 . Um ein Beweisverwertungsverbot dann auch bejahen zu können, müsse ein solcher Zweck im konkreten Fall tatsächlich vereitelt worden sein 202 . Beulke geht von einer klaren Erkennbarkeit des Schutzzwecks der verletzten Norm aus, die keinen Raum für eine Abwägung im 196

Grünwald, Beweisverbote und Verwertungsverbote im Strafverfahren, JZ 1966 S. 489; Rudolphi, Die Revisibilität von Verfahrensmängeln im Strafprozeß, MDR 1970, S. 93; Beulke, Hypothetische Kausalverläufe im Strafverfahren, ZStW 103 [1991], S. 657; Paulus bei KMR, § 244 StPO, Rn. 516; Rüping, Das Strafverfahren, Rn. 489. 197 Vgl. Grünwald, a.a.O., S. 489 (490). 198 Grünwald, a.a.O., S. 489 (492). 199 Grünwald, a.a.O., S. 489 (495). 200 Rudolphi, Die Revisibilität von Verfahrensmängeln im Strafprozeß, MDR 1970, S. 93 (97). 201 So folge neben den Fällen, in denen der Beschuldigte betroffen ist, auch aus einem Verstoß gegen § 55 Abs. 2 StPO oder § 54 StPO ein Beweisverwertungsverbot (Rudolphi, a.a.O., S. 99). 202 Dies fuhrt auch dazu, dass der z.B. Verstoß gegen Zuständigkeitsvorschriften, wie den Richtervorbehalt, für unbeachtlich erachtet wird (Rudolphi, a.a.O. S. 97).

B. Innerstaatliche strafprozessuale Rahmenbedingungen

63

Rahmen der unselbständigen Beweisverwertungsverböte lasse 203 . Die Zulässigkeit hypothetischer Erwägungen bestimme sich ebenfalls nach dem Schutzzweck, wobei ein konkreter Maßstab anzulegen sei 204 .

(3) Informationsrechtliche

Ansätze

Nach den Lehren vom informationellen Folgenbeseitigungsanspruch 205 beziehungsweise Unterlassungsanspruch 206 beruht ein Verwertungsverbot auf der Verletzung von Informationsbeherrschungsrechten. Grundlage dieser Ansätze bildet das seit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts 207 anerkannte Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses Recht, Informationen zurückzuhalten, sei nicht nur bei der Informationsgewinnung, sondern auch danach zu beachten208. Ein unzulässiger Eingriff in dieses Recht kann demnach zu einer rechtswidrigen Informationslage zugunsten der StrafVerfolgungsorgane führen, woraus dann ein Abwehranspruch folgt. Der Abwehranspruch - nach Amelung ein Folgenbeseitigungsanspruch, nach Störmer ein Unterlassungsanspruch - sei von den Gerichten in Form der Nichtverwertung des Beweises zu erfüllen. Für diese Theorien ist also das Erfolgsunrecht, nicht das Handlungsunrecht entscheidend. Dementsprechend sei zum Beispiel bei hypothetischer rechtmäßiger Gewinnung ein Verwertungsverbot zu verneinen, weil dem Staat ja die gewonnene Information zustehe209. Die völlige Außerachtlassung des Handlungsunrechts hat unter anderem zur Folge, dass zum Beispiel auch vorsätzliche Verstöße gegen den Richtervorbehalt ohne Konsequenzen bleiben, wenn nur die materiellen Voraussetzungen von § 97 StPO oder § 100 a StPO vorliegen. Vorschriften wie der Richtervorbehalt werden wegen der Vernachlässigung des Handlungsunrechts so quasi zu reinen Empfehlungen herabgestuft, da selbst der vorsätzliche Verstoß folgenlos bliebe. Probleme werfen

203 Beulke, Hypothetische Kausalverläufe im Strafverfahren, ZStW 103 [1991], S. 657 (671); Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 454 ff. 204 So könne der Verstoß gegen einen Richtervorbehalt nicht geheilt werden, da richterliche Entscheidungen nie eindeutig prognostizierbar sind (Beulke, a.a.O., S. 674). 205 Amelung, Informationsbeherrschungsrechte im Strafprozeß, Berlin 1990; ders., Grundfragen der Verwertungsverbote bei beweissichernden Haussuchungen im Strafverfahren, NJW 1991, S. 2533 (2534). 206 Störmer, Dogmatische Grundlagen der Verwertungsverbote, S. 215, 221; ders., Strafprozessuale Verwertungsverbote, Jura 1994, S. 621 (627 f.). 207 BVerfGE 65, S. 1. 208 Amelung, Informationsbeherrschungsrechte im Strafprozeß, S. 26. 209 Amelung, a.a.O., S. 41; Störmer, Strafprozessuale Verwertungsverbote, Jura 1994, S. 621 (628).

64

1. Teil: Grundlagen

ferner auch Fälle auf, in denen Informationsbeherrschungsberechtigter und Angeklagter nicht identisch sind 210 .

(4) Abwägungslehre Die Abwägungslehre der Rechtsprechung wird ebenfalls von großen Teilen des Schrifttums vertreten 211 , beziehungsweise geht deren Anwendung auf unselbständige Beweisverwertungsverwertung insbesondere auf Rogall zurück. Sie knüpft wie die revisionsrechtlichen Theorien und die Schutzzwecklehren am Handlungsunrecht an und versucht, vorgenannte theoretische Ansätze zu vereinen. Sie geht wie die heutige Rechtsprechung davon aus, dass eine sachgerechte Entscheidung nur im Einzelfall auf Grund einer Abwägung zwischen Individual- und StrafVerfolgungsinteresse erfolgen kann. Ein Verwertungsverbot ist demnach anzunehmen, wenn das durch die verletzte Norm geschützte Interesse des Angeklagten gewichtiger ist als die effektive Strafverfolgung. Hierbei wird jedoch auch die Frage des Schutzzweckes als das gewichtigste Kriterium der Entscheidungsfindung genannt 212 . Die Möglichkeit eines rechtmäßigen hypothetischen Ersatzeingriffs, das Schutzbedürfnis des Betroffenen und die Schwere des Rechtsverstoßes werden als weitere Abwägungskriterien angeboten213. Allgemein wird gegen die Abwägungslehre eingewandt, dass durch eine erneute Abwägung bei einem festgestellten schutzzweckrelevanten Verfahrensverstoß gesetzgeberische Wertungen unterlaufen werden könnten 214 . Auch wird der Vorwurf erhoben, die Ergebnisse einer Abwägung im Einzelfall seien schwer vorhersehbar 215. Inwieweit diese Vorwürfe gerechtfertigt sind, wird im Anschluss zu diskutieren sein.

210

Vgl. Jäger, Beweisverwertung und Beweisverwertungsverbote im Strafprozess,

S. 103. 211 Rogall, Lehre von den strafprozessualen Beweisverboten, ZStW 91 [1979], S. 1 (31); Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag im Strafprozeß, S. 480; Meyer-Goßner, Einleitung, Rn. 55; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 24, Rn. 23; ausfuhrlich Wolter bei Systematischer Kommentar, Vor § 151 StPO, Rn. 196 ff. 212 Rogall, Beweisverbote im System des StrafVerfahrensrechts, bei Wolter, Zur Theorie und Systematik des Strafprozessrechts, S. 113 (154). 213 Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag im Strafprozeß, S. 480. 214 Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 458. 215 Rüping, Strafverfahren, Rn. 488.

B. Innerstaatliche strafprozessuale Rahmenbedingungen

65

cc) Zwischenbewertung Auf eine ausgiebige eigene Stellungnahme zu den hier vorgestellten Ansätzen, geschweige denn auf den wohl aussichtslosen Versuch, den endgültigen Beweis für die Richtigkeit eines bestimmten Ansatzes zu liefern, muss im Rahmen dieser Arbeit verzichtet werden. Die hier vorgestellten Ansätze sind in sich schlüssig und kein Ansatz kann wohl aufgrund weitgehend fehlender gesetzlicher Regelungen bezüglich der Folgen von Verfahrensverstößen als absolut zwingend angesehen werden. Im Rahmen dieser Untersuchung wäre es allerdings bezüglich der allgemeinen Beweisverbotslehre wenig sinnvoll, sich schon vom Grundansatz her von der Rechtsprechung zu entfernen. Letztlich soll es hier auch darum gehen, einen Beitrag dazu zu leisten, die Praxis der Rechtsprechung hinsichtlich im Ausland gewonnener Beweise berechenbarer zu machen. Dies ist nur unter Zugrundelegung der sogenannten Abwägungslehre möglich, zumindest kann diese nicht ignoriert werden und bedarf auch weiterer Erörterung. Dabei wird aber dem Schutzzweckaspekt unzweifelhaft die größte Bedeutung zukommen und auch die anderen Ansätze werden ebenfalls weiter Beachtung finden. Trotz dieser zielorientierten Wahl der Abwägungslehre als wichtigsten Ausgangspunkt für weitere Überlegungen, soll hier noch auf einige Kritikpunkte an diesem Ansatz eingegangen werden. Dabei kann zumindest angedeutet werden, dass die Unterschiede zwischen den Theorien teilweise nur begrifflicher Natur sind 216 . Der Haupteinwand gegen den hier besonders herausstellten Ansatz liegt darin, dass durch eine erneute Abwägung bei einem festgestellten Verstoß gegen Strafverfahrensrecht gesetzgeberische Wertungen unterlaufen werden könnten 217 . Problematisch an dieser Argumentation ist jedoch, dass der Gesetzgeber eben keine Wertung hinsichtlich der Folgen von Verfahrensverstößen getroffen hat, außer bei § 136 a StPO. Zuzugeben ist jedoch, dass bei der Bestimmung von Abwägungskriterien darauf zu achten ist, dass nicht solche gesetzgeberische Wertungen umgangen werden, die bei der Bestimmung der

216 Keine anderen Schlussfolgerungen lässt auch die Behauptung von Jäger zu, dass es sich bei der von Rogall vertretenen normativen Fehlerfolgenlehre und den von Meyer und Meyer-Goßner vertretenen Auffassungen in Wahrheit nicht um Abwägungstheorien, sondern um „heimliche" Schutzzwecklehren handele [Jäger, Beweisverwertung und Beweisverwertungsverbote im Strafprozess, S. 108, 109 f. unter Bezugnahme auf Rogall, Grundsatzfragen der Beweisverbote, bei Höpfel/Huber (Hrsg.), Beweisverbote in der EU, S. 147 f.; Alsberg/Nüse/Meyer, S. 480 und Meyer-Goßner, Einl, Rn. 55]. Auch wenn diese Ansicht hier nicht geteilt wird, zeigt sie jedoch, dass die in dieser Arbeit als Abwägungslehren bezeichneten Auffassungen und die Schutzzwecklehren inhaltlich gar nicht so weit auseinander liegen. 217

Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 458.

66

1. Teil: Grundlagen

Eingriffsvoraussetzungen einer Ermittlungsmaßnahme schon relevant waren oder eben bewusst keine Rolle gespielt haben 218 . Eine Grundrechtsabwägung, die der Gesetzgeber hinsichtlich der Voraussetzungen eines Eingriffs schon getroffen hat, darf nicht erneut angestellt werden. Die Abwägung, die zur Bestimmung der Folge eines Verfahrensverstoßes geschehen soll, darf eben keine allgemeine Grundrechtsabwägung sein, wie sie im Rahmen selbständiger Beweisverwertungsverbote zu tätigen ist 2 1 9 . Vielmehr müssen unter Berücksichtigung der in der Verfahrensnorm zum Ausdruck gebrachten gesetzgeberischen Wertungen das verwirklichte Handlungsunrecht und die Konsequenzen für den Angeklagten gewichtet werden. So kann es in Zweifelsfällen doch einen Unterschied machen, ob StrafVerfolgungsorgane sich willkürlich über Vorschriften hinweggesetzt haben oder die Nichteinhaltung von Vorschriften nicht einmal fahrlässig erfolgte. Auch der Beschuldigte als Individuum kann unterschiedlich betroffen sein. So dürften sowohl die Einschränkungen hinsichtlich nächtlicher Hausdurchsuchungen in § 104 StPO als auch die Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 S. 2 StPO individualrechtsschützenden Charakter haben. Die Gewährleistung der Selbstbelastungsfreiheit ist jedoch sicherlich höher zu gewichten als die Gewährleistung der Nachtruhe, ohne dass gesetzgeberische Wertungen unterlaufen würden. Die Abwägungslehre ist vor allem auch dem Vorwurf der Beliebigkeit oder der Unberechenbarkeit des Abwägungsvorganges ausgesetzt. Jedoch kommen auch andere Ansätze nicht ganz ohne Wertungen aus. Allein aus dem Schutzzweck lässt sich schwer entnehmen, welche Folgen ein Verfahrensverstoß haben soll 2 2 0 . Zumindest ist die Bestimmung des Schutzzwecks nicht immer wertungsfrei. Eine starre zweistufige Unterscheidung zwischen reinen Ordnungsvorschriften und individualrechtsschützenden Vorschriften ist jedenfalls aus dem Gesetz heraus nicht klar erkennbar 221. Durch den vorhin angestellten Vergleich zwischen der Gewährleistung der Selbstbelastungsfreiheit durch § 136 Abs. 1 S. 2 StPO und der Gewährleistung der Nachtruhe durch § 104 StPO, drängt sich wohl vielmehr der Gedanke auf, dass auch zwischen unterschiedlichen individualrechtsschützenden Normen nochmals qualitativ zu differenzieren ist. Dies soll aber nicht heißen, dass andere Ansätze hier nicht ebenfalls zu vernünftigen Ergebnissen gelangen können 222 , von Wertungen können sie sich jedoch

218 Vgl. Beulke, Hypothetische Kausalverläufe im Strafverfahren, ZStW 103 [1991], S. 657(671). 219 Vgl. oben Seite 52. 220 Vgl. Haffke, Schweigepflicht, Verfahrensrevision und Beweisverbot, GA 1973, S. 65 (77). 221 Vgl. BGHSt. 25, S. 325 (329). 222 Vgl. zum konkreten Problem z.B. Grünwald, Beweisverbote und Verwertungsverbote im Strafverfahren, JZ 1966, S. 489 (496), Fn. 70.

B. Innerstaatliche strafprozessuale Rahmenbedingungen

67

nicht völlig freimachen. Auch die nach den Schutzzwecklehren und auch nach den revisionsrechtlichen Ansätzen häufig ebenfalls zulässige Beachtung hypothetischer Kausalverläufe kann man nicht als reines Kausalitätsproblem im naturwissenschaftlichen Sinne begreifen. Letztlich soll hier ein Pflichtwidrigkeitszusammenhang untersucht werden, der wiederum wohl eher als normatives Element anzusehen ist. Auch andere Ansätze gewährleisten also nicht immer absolute Berechenbarkeit der Folgen eines Verfahrensverstoßes im Einzelfall, sondern nehmen ebenfalls Wertungen vor. Dass der Vorwurf der Beliebigkeit und Manipulationsgefahr gerade gegenüber der Abwägungslehre erhoben wird, resultiert vielleicht mitunter auch aus der gewählten Terminologie, was die Verwendung des von Rogall vorgeschlagenen, alternativen Begriffs der „normativen Fehlerfolgenlehre" als nicht unvernünftig erscheinen lässt 223 . Der Vorwurf der Beliebigkeit muss aber vor allem durch eine präzise Bestimmung zulässiger Kriterien ausgeräumt werden 224 . Dies soll im folgenden Abschnitt versucht werden, wobei hier das Augenmerk insbesondere auf Aspekte gelenkt werden muss, die später hinsichtlich der Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise bedeutsam werden können.

dd) Anerkannte und geeignete Kriterien bei Zugrundelegung der Abwägungslehre Eine Zugrundelegung der Abwägungslehre löst also noch nicht das Problem, welche Kriterien zur Bestimmung eines unselbständigen Verwertungsverbotes herangezogen werden dürfen. Die allgemeine Bestimmung von zulässigen Abwägungskriterien ist jedoch eine notwendige Grundlage für die Erfassung des Problems der Auslandsbeweise. Hierbei muss auch auf die vorher vernachlässigte Grundfrage zurückgegangen werden, welche Funktionen unselbständigen Verwertungsverboten überhaupt zugesprochen werden. Da die Abwägungslehre wohl zu Recht für sich in Anspruch nehmen kann, alle anderen Ansätze mit integrieren zu können, können hier auch wichtige Aspekte, insbesondere Schutzzwecke, diskutiert werden, die auf Urheber zurückgehen, die die Abwägungslehre selbst nicht vertreten.

223 Rogall, Folgen der rechtswidrigen Beschaffung des Zeugenbeweises im Strafprozeß, JZ 1996, S. 944. 224 Vgl. Rogall, Beweisverbote im System des Strafverfahrensrechts bei Wolter, Zur Theorie und Systematik des Strafprozessrechts, S. 113 (156).

1. Teil: Grundlagen

68

(1) Schutz der Wahrheitsfindung

als nicht geeignetes Kriterium

Fraglich ist zunächst, ob der Schutz der Wahrheitsfindung als ein anerkanntes Abwägungskriterium anzusehen ist. Für die Problematik des im Ausland gewonnenen Beweismittels käme einem solchen Kriterium große Relevanz zu, da durch Abweichungen im ausländischen Recht der Beweiswert einer Erhebung im Ausland sich häufig von einer in Deutschland erfolgten unterscheidet. Im oben bereits erwähnten „Medizinalassistentenfall" 225 zog der Bundesgerichtshof bei der Abwägung mit in Betracht, dass die Blutentnahme durch einen Nichtarzt den Beweiswert der Probe nicht mindere. Auch in der Literatur wird teilweise vertreten, es sei Aufgabe eines Beweisverwertungsverbotes, Gefahren für die Wahrheitsfindung durch Ausschluss unzulässiger Beweise entgegenzuwirken 226. So sei zum Beispiel dem Verwertungsverbot aus § 136 a Abs. 3 StPO zu entnehmen, dass die Verurteilung eines Beschuldigten nicht auf unsicherer Grundlage, hier einem unzuverlässigem Geständnis, beruhen dürfe. Der Vorschrift diesen Rechtsgedanken zu unterstellen, erscheint jedoch fragwürdig. Ein beispielsweise auf Täuschung beruhendes Geständnis kann im Einzelfall auch besonders glaubwürdig sein. Ferner besteht die Möglichkeit, dass der Beschuldigte unter Anwendung verbotener Vernehmungsmethoden äußere Umstände offenbart, die objektiv nachprüfbar sind und so die Glaubwürdigkeit untermauern. Das Geständnis ist dennoch nicht verwertbar. Der Gedanke, dass der Schutz der Wahrheitsfindung ein zulässiges Abwägungskriterium darstellt, tritt auch in der übrigen Rechtsprechung nicht wieder auf. So folgt aus der unterlassenen Ermahnung zur Wahrheit und Eidesbelehrung eines Zeugen gem. § 57 StPO kein Verwertungsverbot bzw. Revisionsgrund 227 . Bei einem Zeugen, der sich durch eine wahrheitsgemäße Aussage selbst belasten müsste, besteht wohl unbestreitbar eine deutlich erhöhte Gefahr, dass er die Unwahrheit sagt. Dennoch unterliegt seine Aussage, zu der man ihn natürlich bekanntermaßen gem. § 55 Abs. 1 StPO nicht zwingen kann, keinem Beweisverwertungsverbot. Dass dies auch nach ständiger Rechtsprechung bei unterlassener Belehrung nach § 55 Abs. 2 StPO gilt, zeigt, dass der Schutz der Wahrheitsfindung hier nicht als Kriterium zur Begründung eines Beweisverwertungsverbotes herangezogen wird. Vielmehr wies der Bundesgerichtshof in diesbezüglichen Entscheidungen darauf hin, dass die Wahrheitsermittlung im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 261 StPO ge-

225

BGHSt 24, S. 125 (130). Eb. Schmidt, Ärztliche Mitwirkung bei Untersuchungen und Eingriffen nach StPO §§ 81 a und 81 c, M D R 1970, S. 461 (464); Rudolphi, Die Revisibilität von Verfahrensmängeln im Strafprozeß, MDR 1970, S. 93 (98). 227 BGH VRS 22, S. 144; BGH VRS 36, S. 23; BGH 4 StR 472/75, BGH 1 StR 63/76 und BGH 2 StR 233/82, alle bei Pfeiffer, NStZ 1983, S. 354. 226

B. Innerstaatliche strafprozessuale Rahmenbedingungen

69

schehe 2 2 8 . A u c h beim Zeugen v o m Hörensagen w i r d der geringere Beweiswert seiner Aussage anerkannt, ein Verwertungsverbot

daraus jedoch nicht ge-

folgert 2 2 9 . Der Tatrichter ist nur gehalten, den Beweiswert des weniger sachnäheren Beweismittels besonders vorsichtig zu prüfen und zu w ü r d i g e n 2 3 0 . E i n weiteres Beispiel ist in den Lügendetektor-Entscheidungen des Bundesgerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichts zu sehen, i n denen trotz der Änderung der Rechtsprechung nie hinsichtlich der Verwertbarkeit auf den Beweiswert Bezug genommen w u r d e 2 3 1 . Die Zuverlässigkeit eines Beweismittels soll damit lediglich in die freie richterliche Beweiswürdigung einfließen. Der Schutz der Wahrheitsfindung

ist

kein

anerkanntes

Kriterium

zur

Begründung

eines

Beweisverwertungsverbotes 2 3 2 .

228

BGHSt 11, S. 213 (215). BGHSt 1, S. 373 (376); BGHSt 6, S. 209 (210); BGHSt 17, S. 382 (385); BGHSt 33 178 (181). Anders ist dies im angloamerikanische Rechtskreis, wo der Beweis vom Hörensagen grundsätzlich nicht erlaubt ist (sog. „rule against hearsay evidencevgl. Seite 148). 230 BGHSt 33, S. 178(181). 231 So hielt der 1. Senat des Bundesgerichtshofes in der Entscheidung BGHSt 5, S. 332 die Verwertung der Aussagen des Angeklagten bei einer polygraphischen Untersuchung und die Aufzeichnungen des Gerätes ohne Rücksicht auf seine Zustimmung für unverwertbar, da die Beweiserhebung nach § 136 a StPO und Art. 1 Abs. 1 GG unzulässig sei. Ausdrücklich erklärte er, dass es dafür auf die Brauchbarkeit der wissenschaftlichen Erwägungen aufgrund einer solchen Untersuchung nicht ankomme [BGHSt 5, S. 332 (333)]. Ähnlich sah dies BVerfG NStZ 1981, S. 446. In der Entscheidung des Bundesgerichtshofes BGHSt 44, S. 308 war über die Verfahrensrüge gegen die Ablehnung eines Beweisantrages des Angeklagten auf dessen polygraphische Untersuchung zu entscheiden. Der 1. Senat hielt seine Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit eines Lügendetektoreinsatzes für den Fall der Zustimmung des Angeklagten nicht aufrecht. Ein Beweisantrag auf Durchfuhrung eines Lügendetektortestes mit Zustimmung des Angeklagten sei nicht wegen der Unzulässigkeit der Beweiserhebung abzulehnen, wohl aber weil die polygraphische Untersuchung ein völlig ungeeignetes Beweismittel darstelle [BGHSt 44, S. 308 (319)]. Vgl. dazu auch BGH NJW 2003, S. 2527 für den Zivilprozess. 229

232

Anders wird dies im angloamerikanischen Rechtskreis gesehen, was wohl auch daran liegt, dass Laien im Rahmen von Juryverfahren über die Schuldfrage entscheiden und diese Entscheidung auch nicht begründen müssen. Dadurch dass man der Jury die unzuverlässigen Beweismittel ganz vorenthalten kann, ist sichergestellt, dass die Informationen nicht doch unterschwellig in die innere Überzeugungsfindung einfließen. Dem deutschen Berufsrichter wird hingegen ein größeres Abstraktionsvermögen zugetraut und er muss seine Entscheidung auch begründen. Dennoch wird in Deutschland teilweise, insbesondere von Verteidigerseite der Vorwurf erhoben, bei der Beweiswürdigungslösung handele es sich lediglich um eine Beschwichtigungsformel, was mit der eingeschränkten Überprüfbarkeit der Beweiswürdigung im Rahmen der Revision zusammenhängt.

1. Teil: Grundlagen

70 (2) Disziplinierungserfordemis

als nicht geeignetes Kriterium

Ein weiterer auf eine bestimmte Wirkung abzielender Ansatz ist der Disziplinierungsgedanke. Eine Anwendung dieses Ansatzes auf im Ausland gewonnene Beweise, erscheint von vornherein ausgeschlossen, da es nicht Aufgabe deutscher Gerichte sein kann, ausländische Ermittlungsbehörden zu disziplinieren 233 . Andererseits könnte natürlich der Wegfall eines solchen Kriteriums zur Schlussfolgerung einer erweiterten Verwertbarkeit fuhren, wenn dieser Gedanke bei der Feststellung von Beweisverwertungsverboten bezüglich im Inland gewonnener Beweise anerkannt wäre. Der Disziplinierungsgedanke wurde teilweise in der Literatur unter Anlehnung an den angloamerikanischen Rechtskreis zur Begründung von Beweisverwertungsverboten herangezogen 234. Eine Anwendung dieses Gedankens in Deutschland wird jedoch weitgehend mit der Begründung abgelehnt, dass entsprechende Ziele mittels Disziplinar- oder Strafverfahren verfolgt werden können 235 . Auch passe ein damit verbundener Verwirkungsgedanke nur ins angloamerikanische Parteiverfahren, nicht jedoch in den vom Untersuchungsgrundsatz geprägten deutschen Strafprozess 236. Dass der Erziehungsaspekt von der deutschen Rechtsprechung nicht als tragender Gesichtspunkt anerkannt wird, zeigt sich schon darin, dass eben nicht aus jedem Verfahrensverstoß ein Verwertungsverbot folgt, obwohl es unbestreitbar wünschenswert wäre, wenn alle Verfahrensvorschriften eingehalten würden, auch solche, die als Ordnungsvorschriften zu bezeichnen sind. Ebenso verdeutlicht die ablehnende Haltung gegenüber einer Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten, dass es der Rechtsprechung nicht primär auf eine disziplinierende Wirkung ankommt 237 . Dem Disziplinierungsgedanken kommt so zumindest keine tragende Bedeutung zu, die für sich allein zur Begründung eines

233

Nagel, Beweisaufnahme im Ausland, S. 308. Nüse, Zu den Beweisverboten im Strafprozeß, JR 1966, S. 281 (284); Grünwald, Beweisverbote und Verwertungsverbote im Strafverfahren, JZ 1966. S. 489 (499); Klug, Verhandlungen 46. DJT, Band II, S. F30 (F36); bezüglich USA: Bradley, Beweisverbote in den USA und in Deutschland, GA 1985, S. 99 (101); Harris, Verwertungsverbot für mittelbar erlangte Beweismittel, StV 1991, S. 313; Herrmann, Neuere Entwicklungen in der amerikanischen Strafrechtspflege, JZ 1985, S. 602 (608). 235 BGHSt 32, S. 68 (71); zur Ablehnung eines Verfolgungshindernisses: BGHSt 32, S. 345 und BGHSt 33, S. 283. 236 Lesch, Strafprozessrecht, Kap. 3, Rn. 170. 237 Aus der Anerkennung einer echten Fernwirkung im Zusammenhang mit dem selbständigen Beweisverwertungsverbot aus § 7 Abs. 4, 6 G 10 kann nichts anderes gefolgert werden, da dies mangels der Notwendigkeit eines Verfahrensverstoßes mit einem Erziehungsgedanken nicht erklärt werden kann [vgl. BGHSt 24 125, 130; BGHSt 29, S. 244 {»Der Spiegel")]. Nichts anderes gilt für die von der Rechtssprechung anerkannte, sogenannte Fortwirkung [vgl. BGHSt 22, 129 (134); BGHSt 27, 355 (358f.)]. Siehe Seiten 76 ff. 234

B. Innerstaatliche strafprozessuale Rahmenbedingungen

71

Beweisverwertungsverbotes ausreichen würde 238 . Nicht zu leugnen ist allerdings mit Sicherheit, dass ein erzieherischer Nebenefifekt im Inland besteht und auch als nützlich anzusehen ist 2 3 9 . Die Frage, ob ein solcher Effekt auch gegenüber ausländischen Ermittlungsbehörden eintritt, was wohl eher fern liegt, oder ob ein solcher ebenfalls begrüßenswert wäre, braucht hier nicht vertieft zu werden. Der Disziplinierungsgedanke stellt jedenfalls bei Inlandsbeweisen kein verbotsbegründendes Kriterium dar, dessen Wegfall bei Auslandsbeweisen zu einer weitreichenden Verwertbarkeit fuhren könnte 240 .

(3) Individualrechtsschutz

als primäres Kriterium

In Deutschland hat es sich also nicht durchsetzen können, das Eingreifen eines Beweisverwertungsverbotes mit einer der dadurch zu erzielenden Wirkung zu begründen. Geht man zurück auf die Rechtskreistheorie des Bundesgerichtshofes 241 wird vielmehr deutlich, dass Beweisverwertungsverbote sich primär nur aus dem Individualrechtsschutz für den Beschuldigten herleiten lassen. Dass der Schutzzweck der verletzten Norm auch den Interessen des Beschuldigten dient, ist notwendige Bedingung zur Begründung eines Verwertungsverbotes. In den Fällen der Verletzung von Grund- oder Verfahrensrechten, die die Rechtsprechung im Hinblick auf das Schutzbedürfnis des Beschuldigten für besonders bedeutsam hält, wie der Verstoß gegen die Belehrungspflicht aus § 136 Abs. 1 S. 2 StPO über das Schweigerecht 242, kann diese Bedingung in der Regel auch hinreichend sein. Lediglich ein fehlendes Schutzbedürfnis oder ein fehlender Beruhenszusammenhang führt hier zum Nichteingreifen eines Verwertungsverbotes, so wenn z. B. der Beschuldigte sein Recht zu Schweigen kennt 243 . Auch die Widerspruchslösung in Bezug auf die Hauptverhandlung ist in diesem

238

Vgl. Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 55. Rogall, ZStW 91 [1979], Die Lehre von den strafprozessualen Beweisverboten, S. 1 (16); Küpper, Tagebücher, Tonbänder, Telefonate, JZ 1990, S. 416 (417); Beulke, Die Vernehmung des Beschuldigten, StV 1990, S. 180. Vor BGHSt 38, S. 214 war die Beachtung von §§ 163 a Abs. 4, 136 Abs. 1 S. 2 StPO bei einer polizeilichen Beschuldigtenvernehmung in Deutschland wohl eher die Ausnahme als die Regel. 240 Dies schließt allerdings noch nicht per se aus, dass dieser eventuell als Teilaspekt wieder auftreten kann. 241 Siehe oben Seite 58. 242 Seit BGHSt 38, S. 214. 243 BGHSt 38, S. 214 (224 f.); BGHSt 40, S. 336 (339f.), wobei aber kein Erfahrungssatz besteht, dass bestimmten Personengruppen das Schweigerecht bekannt ist. 239

1. Teil: Grundlagen

72

Zusammenhang zu nennen 244 . Jedoch schon bei Problemfallen, wie der Spontanäußerung, informatorischen Befragungen oder sonstigen vernehmungsähnlichen Situationen muss hier auch auf weitere Kriterien zurückgegriffen werden 245 .

(4) Schwere des vorgeworfenen

Delikts als nicht geeignetes Kriterium

Der Bundesgerichtshof geht im „Medizinalassistentenfall" 246 in seiner Argumentation auch auf die Schwere des vorgeworfenen Delikts ein. Ein solches Abwägungskriterium würde bei Auslandsbeweisen gegenüber Inlandsbeweisen keine Besonderheiten aufweisen, da der Auslandsbezug die Deliktsschwere nicht ändert. Deshalb könnte die Diskussion eines solchen Kriteriums hier vernachlässigt werden. Dennoch soll kurz aufgezeigt werden, dass diesem Kriterium bei unselbständigen Beweisverwertungsverboten ohnehin keine Bedeutung zukommen darf 247 . Bei selbständigen Beweisverwertungsverboten, die direkt aus den Grundrechten abgeleitet werden, ist zu überprüfen, ob die Verwertung selbst einen hier gegebenenfalls auch erstmaligen Grundrechtsverstoß darstellt. Insbesondere für die Verhältnismäßigkeitsprüfung kann es auf die Schwere des Delikts ankommen. Der Gesetzgeber trifft aber zum Beispiel in den §§ 100 a ff. StPO schon selbst eine ausdrückliche Abwägung hinsichtlich der Eingriffsvoraussetzungen, welche von der Schwere und Art des vorgeworfenen Delikts abhängt. Andere Eingriffsbefugnisse und Verfahrensrechte werden unabhängig von Art und Schwere des Delikts gewährt, wobei natürlich immer der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu achten ist. Bei unselbständigen Beweisverwertungsverboten ist im Gegensatz zu selbständigen ein Verstoß gegen bestimmte Vorschriften schon festgestellt worden. Bei der Frage, ob dem Verstoß ein Verwertungsverbot folgt, kann der Aspekt der Deliktsschwere hier nicht erneut zum Tragen kommen. Dies wäre tatsächlich eine Umgehung von gesetzgeberischen Wertungen. Unabhängig davon welchen Delikts der Beschuldigte verdächtig ist, hat er im gleichen Maße das Recht auf Einhaltung der jeweils relevanten Verfahrensvorschriften, so dass die Folgen eines festgestellten Verfahrensverstoßes nicht davon abhängen können. Auch in der weiteren Rechtsprechung finden sich keine Beispiele, bei denen es bezüglich des Ein-

244

BGHSt 38, S. 214 (225); BGHSt 42, 15 (22). BGH StV 1990, S. 194; BGH NStZ 1983, S. 86; vgl. auch BGHSt 34, S. 362; BGHSt 42, S. 139; BGH NJW 1998, S. 3506. 246 BGHSt 24, S. 125(131). 247 Vgl. Fezer, Anmerkung zu BGH v. 17.2.1989, StV 1989, S. 290 (294) und Beulke, Hypothetische Kausalverläufe im Strafverfahren, ZStW 103 [1991], S. 657 (672), die zu Recht den Vorwurf eines unzulässigen Zwei-Klassen-Rechts erheben. 245

B. Innerstaatliche strafprozessuale Rahmenbedingungen

73

greifens unselbständiger Beweisverwertungsverbote auf die Deliktsschwere angekommen wäre 248 .

(5) Hypothetische Überlegungen als geeignetes Kriterium und dessen Grenzen Nunmehr ist die Tauglichkeit der Erwägung, ob das Beweismittel auch auf gesetzmäßiger Weise hätte gewonnen werden können, zu untersuchen. Ein solcher Gedanke wäre in der Form eines hypothetischen Ersatzeingriffs im Inland auf das Problem des Auslandsbeweises eventuell übertragbar. Der Bundesgerichtshof hielt dieses Kriterium im „ Medizinalassistentenfall" 249 für bedeutsam. Teilweise wird dem in der Literatur widersprochen, so zum Beispiel mit der Begründung, dass die Individualrechtsverletzung nun mal geschehen sei und deren Vermeidbarkeit das Unrecht nicht kompensieren könne 250 . Hypothetische Ersatzeingriffe wurden dennoch in weiterer Rechtsprechung berücksichtigt, allerdings nicht ausnahmslos251. In BGH NStZ 1989, S. 289 (Fall „ Weimar") bejahte der Bundesgerichtshof die Verwertbarkeit von Beweismitteln, die bei einer von der Polizei vorgenommenen Durchsuchung unter Verstoß gegen den Richtervorbehalt aus § 105 Abs. 1 StPO aufgefunden worden waren, mit der Begründung, dass einer richterlichen Durchsuchungsanordnung keine rechtlichen Hindernisse entgegengestanden hätten. Hier war jedoch zu berücksichtigen, dass die Anordnung einer Durchsuchung durch Hilfsbeamten bzw. Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft nicht schlechthin verboten, sondern in Eilfällen gestattet ist und dass die Polizei im konkreten Fall nicht absichtlich die richterliche Anordnungskompetenz übergangen hatte 252 . Auch hinsichtlich 248 So wird dieses Kriterium z. B. in der grundlegenden Entscheidung BGHSt 38, S. 214 zu § 136 Abs. 1 S. 2 StPO nicht genannt. Auch in BGHSt 42, S. 15, wo dem Angeklagten ein Mord vorgeworfen wurde, wurde dieser Umstand nicht in die Abwägung miteinbezogen. Die Fälle BGHSt 34, S. 397 (401) und BGHSt 36, S. 167 (174) betreffen selbständige Beweisverwertungsverbote. 249 BGHSt 24, S. 125 (130). 250 Schellhammer, Blutentnahme durch Medizinalassistenten, NJW 1972, S. 319 (320); Haffke, Schweigepflicht, Verfahrensrevision und Beweisverbot, GA 1973, S. 65 (82); Rogall, Die Lehre von den strafprozessualen Beweisverboten, ZStW 91 [1979], S. 1 (33), vgl. aber ders., Hypothetische Ermittlungsverläufe im Strafprozeß, NStZ 1988, S. 385 (391). 251 BGHSt 32, S. 68 (71); BGHSt 34, S. 362 (364). 252 Roxin, Anmerkung zu BGH vom 15. 2. 1989, NStZ 1989, S. 376 (379). Anders im Fall LG Darmstadt, StV 1993, S. 573, in dem sich die Polizei bewusst über den Richtervorbehalt hinweggesetzt hatte. Hier konnten hypothetische Erwägungen nicht mehr zur Verwertbarkeit führen. Vgl auch: BGHSt 32, S. 304; LG Bonn, NJW 1981, S. 291; KG StV 1985, S. 404; L G Bremen StV 1984 S. 505; LG Wiesbaden StV 1988, S. 292; BGH NStZ 2004, S. 449.

74

1. Teil: Grundlagen

eines Beschlagnahmeverbots können hypothetische Erwägungen relevant werden. War die Beschlagnahme eines Beweismittels wegen § 97 StPO ursprünglich unzulässig, entsteht jedoch später ein Teilnahmeverdacht, der gem. § 97 Abs. 2 S. 2 StPO das Verbot entfallen lassen würde, dann ist die Verwertung aufgrund der Hypothese einer erneuten rechtmäßigen Beschlagnahme zulässig 253 . Das OLG Celle 254 hielt aufgrund hypothetischer Erwägungen eine Blutprobe für verwertbar, die dem Beschuldigten nicht im Wege einer Anordnung nach § 81 a StPO, sondern ursprünglich zur Operationsvorbereitung entnommen und entgegen § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO beschlagnahmt worden war. In BGHSt 31, S. 304 hingegen hatte die Umgehung der richterlichen Anordnungsbefugnis aus § 100 b Abs. 1 StPO die Unverwertbarkeit eines auf Tonband aufgezeichneten Telefongesprächs zur Folge, wobei der Bundesgerichtshof die Anstellung von hypothetischen Betrachtungen hier ausdrücklich ablehnte 255 . Eine polizeiliche Anordnungskompetenz besteht für Telekommunikationsüberwachungen aber im Gegensatz zu Durchsuchungen unter keinem Gesichtspunkt. Die Entscheidung BGH StV 2003, S. 370 zeigt jedoch wiederum, dass auch im Rahmen von Ermittlungen mit technischen Hilfsmitteln hypothetische Erwägungen angestellt werden können. Die Frage, ob § 100 a StPO auch gegenüber einem am Raumgespräch beteiligten Dritten eine hinreichende Eingriffsgrundlage bietet, wurde hier offengelassen, da die Aufzeichnung im konkreten Fall auch auf eine Eilanordnung nach §§ 100 c Abs. 1 Nr. 2, 100 d Abs. 1 StPO hätte gestützt werden können. Die Möglichkeit eines hypothetischen Ersatzeingriffs ist damit nach der Rechtsprechung berücksichtigungsfähig. Diesem Abwägungskriterium kommt jedoch nicht die Bedeutung zu, dass jeder Verstoß geheilt würde. Vielmehr ist insbesondere ein bewusstes Hinüberwegsetzen über Verfahrensvorschriften nicht durch einen hypothetischen Ersatzeingriff ausgleichbar 256.

253 Wie oben gezeigt, kommt es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eigentlich auf den Zeitpunkt der Beschlagnahme an (siehe Seite 57). Aufgrund der hypothetischen Erwägung, dass die Beschlagnahme nunmehr erfolgen könnte, wird das Beweismittel dennoch als verwertbar angesehen (BGHSt 25, S. 168). Ergibt sich der Teilnahmeverdacht jedoch erst aus den beschlagnahmten Unterlagen greift die Hypothese wiederum nicht ein (LG Koblenz StV 1985, S. 8 (9); Meyer-Goßner, § 97 StPO, Rn. 48 m.w.N.). Die grundsätzliche Kombination der Maßgeblichkeit des Erhebungszeitpunkts mit dem Gedanken des hypothetischen Ersatzeingriffs fuhrt freilich zu einer Meistbegünstigung der Ermittlungsorgane. A.A.: Fezer, Strafprozeßrecht, Fall 7, Rn. 45; Schlüchter, Das Strafverfahren, Rn. 308. 254 OLG Celle, JZ 1989, S. 906. 255 BGHSt 31, S. 304 (306); im Ergebnis ebenso: BGHSt 35, 32 (34). 256 Der Gedanke, dass ein abgeschwächtes Handlungsunrecht bei mangelndem Erfolgsunrecht nicht sanktionswürdig ist, ein starkes Handlungsunrecht auch bei fehlen-

B. Innerstaatliche strafprozessuale Rahmenbedingungen

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(6) Schwere und Vorwerfbarkeit des Fehlverhaltens als geeignetes Kriterium Dies bietet die Überleitung zu dem ebenfalls im „Medizinalassistentenfall" 251 genannten Kriterium, ob durch die StrafVerfolgungsorgane bewusst oder nur fahrlässig gegen Verfahrensvorschriften verstoßen wurde. Das Kriterium tritt nicht nur als Gegenpart zum hypothetischen Ersatzeingriff und auch nicht nur auf der Folgenebene auf. Im Problemkomplex des § 136 a StPO wird es schon im „Tatbestand" relevant, wenn zum Beispiel nur die bewusste Irreführung als Täuschung angesehen wird 2 5 8 . Es kommt auch dort zum Tragen, wo den Ermittlungsorganen gewisse Beurteilungsspielräume eingeräumt werden, so zum Beispiel zur Frage, ab wann sie nach einer Spontanäußerung oder im Rahmen einer informatorischen Befragung zu einer die Belehrungspflichten nach § 136 Abs. 1 StPO auslösenden förmlichen Beschuldigtenvernehmung übergehen müssen 259 . Auch bei sonstigen vernehmungsähnlichen Situationen ist es bedeutsam, inwieweit vorwerfbares Verhalten der Ermittlungsbehörden vorliegt 260 . Für diese Untersuchung von spezifischem Interesse sind jedoch die vorgenannten Fälle, in denen trotz abgeschwächtem Erfolgsunrecht ein Beweisverwertungsverbot aufgrund eines gesteigerten Handlungsunrechts greifen soll. Der dahinterstehende Gedanke bedarf hier noch einer gewissen Präzisierung. Zur Erklärung kann auf das Argument zurückgegriffen werden, dass die StrafVerfahrensordnung gegenüber Verfahrensverstößen nicht indifferent bleiben darf, wenn sie hier in besonders schwerwiegender Weise, vielleicht auch unbewusst, aber durch völlig unvertretbares Verhalten oder sogar vorsätzlich begangen wurden. Ansonsten würde man gewichtige Normen - wie zum Beispiel den Richtervorbehalt - zu bloßen Empfehlungen herabstufen 261. Hier könnte man durchaus vertreten, dass durch diesen Gesichtspunkt im Inland nun doch ein gewisses Erziehungsziel verfolgt werden soll. Dass dem Disziplinierungsgedanken

dem Erfolgsunrecht jedoch schon, ist der deutschen Rechtordnung durchaus nicht fremd. 257 BGHSt 24, S. 125 (130). 258 BGHSt 31, S. 395 (400); BGHSt 35, 328 (329); BGHSt 37, S. 48 (53); Rogall bei Systematischer Kommentar, § 136 a, Rn. 47 f., mit zahlreichen Nachweisen. 259 BGH StV 1990, S. 194; BGHSt 37, S. 48 (51); BGHSt 38, S. 214 (227 f.). 260 BGHSt 39, S. 335 (348); BGH, NStZ 1995, S. 410; BGHSt 44, S. 129; BGHSt 40, S. 211 („Sedlmaier"), vom BVerfG - aus formalen Gründen - bestätigt, vgl. NStZ 2000, S. 489 mit Anmerkung Rogall; BGHSt 42, S. 139 (155), bestätigt durch BVerfG NStZ 2000, S. 488. 261 Vgl. Rogall, Grundsatzfragen der Beweisverbote, bei Höpfel/Huber (Hrsg.), Beweisverbote in der EU, S. 119; siehe oben Seite 56.

1. Teil: Grundlagen

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oben eine tragende verbotsbegründende Rolle abgesprochen wurde, muss dem nicht unbedingt widersprechen, da an dieser Stelle ohnehin schon ein Verstoß gegen eine individualschützende Norm vorliegt. Den Disziplinierungsgedanken hier ebenso ablehnend, kann man allerdings auch darauf abstellen, dass in solchen Fällen die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes zumindest aus dem Gesichtpunkt der Rechtsstaatlichkeit und auch einem daraus folgenden Erfordernis der Normstabilisierung notwendig ist 2 6 2 . Der Staat muss sich im Falle von so schwerwiegenden Verstößen zu den von ihm aufgestellten Normen bekennen, selbst wenn das Erfolgsunrecht, die diesbezügliche Verletzung des Schutzinteresses des Beschuldigten, nur abgeschwächt gegeben ist. Die Fairness des Verfahrens wäre nicht mehr gewährleistet, wenn ein so grob rechtswidrig erlangtes Beweismittels in das Urteil einfließen könnte26^. Dies gilt freilich ebenso für die anderen Fallgruppen, in denen ein gesteigertes Handlungsunrecht relevant werden kann. Auch die gezielte Umgehung von Verfahrensvorschriften ist mit den Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens nicht vereinbar 264 .

3. Reichweite von Beweisverwertungsverboten Die Reichweite von Beweisverwertungsverboten ist immer noch ein hochumstrittener Problemkomplex in der Strafrechtswissenschaft, welcher hier ebenfalls der Vollständigkeit halber angesprochen werden soll. Für diese Untersuchung ist es allerdings nicht notwendig, sich grundlegend mit diesem Thema auseinanderzusetzen beziehungsweise eine ausgiebige eigene Stellungnahme abzugeben, da die Folgen der allgemeinen Annahme oder Nichtannahme einer Fernwirkung für Auslandsbeweise keine großen Besonderheiten aufweisen dürfte. Die Idee einer echten Fernwirkung geht auf die Entscheidung Silverthorne Lumber Co. et al vs. United States 265 des US-amerikanischen Supreme Court aus dem Jahre 1920 zurück. Nach der sogenannten, fruit of the poisonous tree"Doktrin soll für weitere Ermittlungsergebnisse, die aufgrund eines unverwertbaren Beweismittels erlangt worden sind, ebenfalls ein Beweisverwertungs-

262

Vgl. zum Gedanken der Normstabilisierung: Rogall, Über die Folgen der rechtswidrigen Beschaffung des Zeugenbeweises, JZ 1996, S. 944 (947). 263 Roxin, Anmerkung zu BGH vom 15. 2. 1989, NStZ 1989, 376 (379). 264 BGH, NStZ 1995, S. 410 (411); BGHSt 42, S. 139(154). 265 Az. 251 US 385 (1920); vgl. auch Nardone et al vs. United States, 308 US 338 (1939); in Originalsprache jeweils abrufbar unter: http://caselaw.lp.findlaw.com/; siehe auch Harris, Verwertungsverbot für mittelbar erlangte Beweismittel, StV 1991, S. 313 (315); Rogall, Beweisverbote im System des StrafVerfahrensrechts, bei Wolter, Zur Theorie und Systematik des Strafprozessrechts, S. 113 (132).

B. Innerstaatliche strafprozessuale Rahmenbedingungen

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verbot eingreifen 266 . Dies wird vor allem aus Disziplinierungserwägungen für notwendig gehalten 267 . Trotzdem gilt dieser Grundsatz auch in den Vereinigten Staaten nicht ausnahmslos und kann insbesondere durch hypothetische Überlegungen und Zurechnungsaspekte durchbrochen werden 268 . In Anlehnung an diesen Ansatz halten gewichtige Stimmen in der Literatur zumindest in bestimmten Fällen die Annahme einer Fernwirkung auch in Deutschland insbesondere deshalb für notwendig, da anderenfalls eine Umgehung der Erhebungsverbote drohe 269 . Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes lehnt eine echte Fernwirkung hingegen grundsätzlich ab, was in anderen Teilen der Literatur auf Zustimmung gestoßen ist. Ein Verfahrensfehler dürfe nicht dazu führen, dass das gesamte Strafverfahren lahmgelegt werde 270 . Ferner sei der Nachweis der Ursächlichkeit kaum zu führen. Die allgemeine Ablehnung einer disziplinierenden Funktion der Beweisverwertungsverbote und die Beherrschung des deutschen Strafprozesses durch den Untersuchungsgrundsatz dürfte ebenfalls eine entscheidende Rolle spielen 271 . Anerkannt wird nur die sogenannte Fortwirkung. Der Verfahrensfehler darf nicht während der neuen Erhebung zum Nachteil des Beschuldigten weitergewirkt haben. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn ein vorheriger Verstoß gegen § 136 a StPO bei Wiederholung der Vernehmung die Willensfreiheit weiterhin beeinträchtigt hat 272 . Auch das Verbot des Vorhalts von Erkenntnissen einer rechtswidrigen Telefonüberwachung und das sich daraus ergebene Verwertungsverbot darauf beruhender Aussagen ist hierunter 266 Ungenau wäre es, diese Theorie pauschal dem angloamerikanischen Rechtskreis zuzuschreiben. In England gilt nämlich keine grundsätzliche Fernwirkung. Eine solche kann nur bei Anwendung der Generalklausel section 78 PACE eintreten, wenn nach dem Ermessen des Gerichts ansonsten die Fairness des Verfahrens beeinträchtigt würde. 267 Harris, Verwertungsverbot für mittelbar erlangte Beweismittel, StV 1991, S. 313 ff. 268 Vgl. Harris, a.a.O., S. 313 (315 ff.). 269 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 403 ff.; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 911; Gundlach bei Alternativkommentar, § 136 a StPO, Rn. 82 ff.; Haffke, Schweigepflicht, Verfahrensrevision und Beweisverbot, GA 1973, S. 65 (82); Maiwald, Zufallsfunde bei zulässiger strafprozessualer Telephonüberwachung, JuS 1978, S. 370 (384 f.); Roxin, Strafverfahrensrecht, § 24, Rn. 47; Spendel, Beweisverbote im Strafprozeß, NJW 1966, S. 1102 (1105); Rüping, Das Strafverfahren, Rn. 494 f.; auf den Schutzzweck der jeweils verletzte Norm abstellend: Grünwald, Beweisverbote und Verwertungsverbote im Strafverfahren, JZ 1966, S. 489 (500). 270 BGHSt 22, S. 129 (135); BGHSt 27, S. 355 (358); BGHSt 34, S. 362 (364). 271 Lesch, Strafprozessrecht, Kap. 3, Rn. 170; Meyer-Goßner, Einl., Rn. 57; Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, S. 486; siehe oben Seite 70. 272 BGHSt 17, S. 364 (368); BGHSt 22, 129 (134); BGHSt 27, 355 (358f.); BGHSt 35, 328 (332) ; BGHSt 37, 48 (54); BGH NJW 1995, S. 2047. In solchen Fällen wird vor der erneuten Vernehmung eine qualifizierte Belehrung zu fordern sein (vgl. Hanack bei Löwe/Rosenberg, § 136 a StPO, Rn. 65).

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1. Teil: Grundlagen

einzuordnen 273 . Eine echte Fernwirkung ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bis jetzt nur im Zusammenhang mit dem selbständigen Beweisverwertungsverbot aus § 7 Abs. 4, 6 G 10 aufgetreten 274. Das Bundesverfassungsgericht hält allerdings in seiner jüngsten Entscheidung zur verfassungsrechtlichen Bewertung des „Großen Lauschangriffs" für die akustische Wohnraumüberwachung auch dann eine Fernwirkung für notwendig, wenn unzulässigerweise Informationen aus dem Kernbereich der privaten Lebensführung erhoben wurden 275 . Für diese Untersuchung bleibt festzuhalten, dass zwischen echter Fernwirkung und Fortwirkung zu unterscheiden ist. Folgt man der Ansicht der Rechtssprechung beziehen sich zumindest unselbständige Verwertungsverbote nicht auf mittelbar gewonnene Beweise. Die Ansichten in der Literatur, die sich hier für eine echte Fernwirkung aussprechen, stellen größtenteils auf eine disziplinierende Funktion der Beweisverwertungsverbote ab. Dieser Aspekt, hielte man ihn überhaupt für berechtigt, dürfte bei Auslandsbeweisen eine deutlich abgeschwächte Bedeutung haben 276 . Bei Eingreifen eines Verwertungsverbots für das unmittelbare Beweismittel müssten Befürworter einer zusätzlichen Fernwirkung wohl noch größeren Begründungsaufwand betreiben als bei reinen Inlandssachverhalten. Der Aspekt der Fortwirkung dürfte hingegen ohne größere Modifikationen auf Auslandsbeweise zu übertragen sein, was im Einzelnen später noch aufgezeigt werden kann. Völlig unabhängig von diesen Überlegungen, wird die Frage der Fernwirkung bei völkerrechtlichen Beweisverwertungsverboten zu beurteilen sein 277 .

n . Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention und des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) 2 7 8 ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der am 5.11.1950 in Rom zunächst von 15 Staaten unterzeichnet wurde. Heute gehören dem Übereinkommen, welches bis jetzt durch dreizehn

273

BGHSt 32, S. 68 (70). BGHSt 29, S. 244 („.Der Spiegel"). Jäger, Beweisverwertung und Beweisverwertungsverbote im Strafprozess, S. 113 sieht darin allerdings ebenfalls nur einen Fall der Fortwirkung. 275 BVerfG, NJW 2004 S. 999 (1007). Vgl. § 100 c Abs. 5 S. 3 StPO n.F. 276 Siehe oben Seite 70. 277 Siehe dazu Seiten 135 ff. 278 Allgemein hierzu kann insbesondere auf die äußerst umfangreiche Arbeit von Esser, A u f dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, Berlin 2002 verwiesen werden. 274

B. Innerstaatliche strafprozessuale Rahmenbedingungen

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Zusatzprotokolle ergänzt wurde, alle 46 Staaten des Europarates an 279 . Die EMRK ist am 3. September 1953 in der Bundesrepublik als einfaches Bundesrecht in Kraft getreten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist neben der Europäischen Kommission für Menschenrechte zur Sicherstellung der Einhaltung der Konventions Verpflichtungen geschaffen worden. Neben jedem Mitgliedsstaat kann auch jede Einzelperson nach Ausschöpfung des nationalen Rechtsweges eine Beschwerde beim Gerichtshof einlegen mit der Behauptung, sie sei in einem in der Konvention garantiertem Recht durch einen Mitgliedsstaat verletzt worden. Entscheidungen des Gerichtshofes sind jedoch weder in Deutschland vollstreckbar, noch haben sie eine direkte kassatorische Wirkung 280 . Es bleibt vielmehr Sache des Mitgliedsstaates, wie der sich aus dem Urteil ergebenden völkerrechtlichen Verpflichtung abgeholfen wird. Da die EMRK jedoch auch einfaches Bundesrecht darstellt, muss sie von jedem deutschen Gericht angewandt werden. Sie genießt allerdings gegenüber anderem innerstaatlichen Recht keinen Vorrang 281 . Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) vom 19. Dezember 1966 ist im Rahmen der Vereinten Nationen erarbeitet worden und wurde von zur Zeit 150 Staaten gezeichnet282. Die hier relevanten Vorschriften decken sich im wesentlichen mit denen der EMRK. Der IPBPR gilt in der Bundesrepublik ebenfalls als einfaches Bundesrecht. Als eigenes Konventionsorgan wurde der Ausschuss für Menschenrechte (UN-AMR) geschaffen 283. Die Möglichkeit der Individualbeschwerde besteht nur für Personen, die von einer Maßnahme eines Mitgliedsstaates betroffen sind, welcher dem ersten Fakultativprotokoll zum IPBPR beigetreten ist 2 8 4 . Auch dann sind Verfahren vor anderen internationalen Institutionen - vor allem vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - vorrangig 285 . Entscheidungen über Individualbeschwerden begründen ferner auch keine völkerrechtliche Verpflichtung. Die Be-

279

Die Staatenliste ist abrufbar unter: http://www.echr.coe.int/Eng/EDocs/DatesOf Ratifications.html. Die Ratifikation durch das Fürstentum Monaco steht z.Zt. allerdings noch aus. 280 Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 41 m.w.N. Die Feststellung des Konventionsverstoßes stellt jedoch nach deutschem Recht einen Wiederaufnahmegrund gem. § 359 Nr. 6 StPO dar. 281 BVerfGE 10, S. 271 (274). 282 Staatenliste unter: http://www.unhchr.ch./pdf/report.pdf. 283 Gollwitzer bei Löwe/Rosenberg, Verfahren IBPR, Rn. 81. 284 Seit 1993 auch die Bundesrepublik Deutschland. 285 Vgl. Art. 5 Abs. 2 lit. a des Fakultativprotokolls. Die Bundesrepublik Deutschland hat diesbezüglich sogar den Vorbehalt erklärt, dass eine vormalige Prüfung durch eine solche Institution die Zuständigkeit des Ausschusses die weitere Prüfung durch den Ausschuss für Menschenrechte ausschließt.

1. Teil: Grundlagen

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deutung der EMRK und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist deshalb für Europa ungleich höher. Für das Beweisrecht wird das Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 14 Abs. 1 IPBPR relevant, welches insbesondere in Art. 6 Abs. 3 EMRK bzw. Art. 14 Abs. 3 IPBPR - allerdings nicht abschließend - konkretisiert wird. Dazu sei schon an dieser Stelle erwähnt, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dessen Rechtsprechung hier den Schwerpunkt bildet, die Einhaltung der Fairness des Verfahrens, einschließlich des Ermittlungsverfahrens und auch der Rechtsmittel, vor allem seiner Gesamtheit nach beurteilt 286 . In bisheriger deutscher Rechtsprechung ist aus einem Konventionsverstoß noch kein Verwertungsverbot gefolgert worden. Zur Illustration soll lediglich auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes eingegangen werden, deren Konstellation später noch von Bedeutung sein wird 2 8 7 . In BGHSt 46, S. 95 2 8 8 wurde dem Angeklagten vorgeworfen, seine Tochter sexuell missbraucht zu haben. Für ihre ermittlungsrichterliche Vernehmung wurde der nicht verteidigte Angeklagte gem. § 168 c Abs. 3 StPO von der Anwesenheit ausgeschlossen. Ein Pflichtverteidiger wurde dem Angeklagten für das Vorverfahren nicht bestellt, obwohl dies gem. § 141 Abs. 3 StPO möglich gewesen wäre, so dass der Angeklagte keinerlei Gelegenheit hatte, Fragen an die Zeugin zu stellen oder stellen zu lassen. Dennoch stützte die Tatinstanz die Verurteilung des Angeklagten im Wesentlichen auf die Aussage des Ermittlungsrichters über diese Vernehmung, da die Zeugin, also die originäre Auskunftsperson, später von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machte. Der Bundesgerichtshof stellte einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 Buchst, d EMRK fest, das Ermessen bei § 141 Abs. 3 StPO sei hier aufgrund konventionskonformer Auslegung auf Null reduziert. Dies führte jedoch nicht zur Unverwertbarkeit der Erkenntnisse, vielmehr sei der Konventionsverstoß in der Beweiswürdigung zu berücksichtigen 289 . Auch wenn es nicht absolut einsichtig erscheint, dass die Annahme eines geringeren Beweiswerts die fehlende Konfrontation vollständig kompensieren soll 2 9 0 , ist dieses Urteil durchaus vereinbar mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, der in den Entscheidungen

286

Vgl. Esser, a.a.O., S. 402, mit zahlreichen Nachweisen. Siehe unten Seiten 180 ff. 288 = NStZ 2001, S. 212, mit Anmerkung Kunert; = JZ 2001, 359 mit Anmerkung Fezer; Eisele, Anmerkung, JA 2001, S. 100; vgl. auch Gieß, Zur „BeweiswürdigungsLösung" des BGH, NJW 2001, S. 3606; Neuhaus, Notwendige Verteidigung im Ermittlungsverfahren - BGHSt 46, 93, JuS 2002, S. 18. 289 BGHSt 46, S. 93 (105 ff.). 290 So Esser, a.a.O., S. 655. 287

B. Innerstaatliche strafprozessuale Rahmenbedingungen ••

OQ1

M

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OOO

Unterpertinger vs. Osterreich und Asch vs. Osterreich einen Konventionsverstoß nur im ersten Fall annahm, in dem sich die Verurteilung hauptsächlich auf die in Frage stehende Zeugenaussage gestützt hatte. Dahingestellt bleibt allerdings, ob man diese zurückhaltende Handhabung für gut befinden sollte. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes stellt im Ergebnis auch keinen Widerspruch zu den allgemeinen Lehren von den Beweisverboten in Deutschland dar. Nicht jeder Verfahrens verstoß muss ein Beweisverwertungsverbot nach sich ziehen. Hier ist das Abwägungskriterium des hypothetischen Ersatzeingriffs einschlägig 293 . Bei einem weniger zentralen Zeugen wäre die Vorgehensweise mit der Konvention vereinbar gewesen. Es ist also grundsätzlich nicht sachfremd, die Zeugenvernehmung so zu behandeln, als hätte sie von vornherein eine geringere Bedeutung gehabt. Mit dem Aspekt der Schwere und Vorwerfbarkeit des Fehlverhaltens hätte aber im konkreten Fall zumindest eine Auseinandersetzung stattfinden müssen 294 . Nach der Beweiswürdigungslösung kann ein Konventionsverstoß wegen der daraus folgenden Minderung des Beweiswertes zu einem Freispruch führen, wenn keine weiteren Beweismittel zur Verfügung stehen. Wird der geminderte Beweis wert nicht beachtet, stellt dies auch einen Revisionsgrund dar 295 . Nach dem jetzigen Standpunkt der Rechtsprechung erfolgt aus einem Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention jedoch nicht automatisch ein Beweisverwertungsverbot, was dann auch für den inhaltlich weitgehend entsprechenden Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte gelten muss. Die Folge eines Beweisverwertungsverbotes kann aber nicht generell ausgeschlossen sein, wenngleich ein solcher Fall in der deutschen Rechtsprechung noch nicht vorgekommen ist. Letzteres dürfte wohl daran liegen, dass die deutsche Strafprozessordnung im Beweisrecht ohnehin ein vergleichsweise hohes Schutzniveau bietet, eine direkte Anwendung der Konventionen also gar nicht notwendig ist.

291

EGMR EuGRZ 1987, S. 147. EGMR EuGRZ 1992, S. 474. 293 Siehe oben Seiten 73 f. 294 Siehe oben Seiten 75 f. 295 So in der genannten Entscheidung. Wegen der eingeschränkten Überprüfbarkeit der Beweiswürdigung, kann freilich hier wiederum der Vorwurf erhoben werden, bei der Beweiswürdigungslösung handele es sich lediglich um eine Beschwichtigungsformel (vgl. oben Seite 69, Fußnote 232). 292

1. Teil: Grundlagen

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I I I . Ergebnis Unselbständige Beweisverwertungsverbote können sich aus einem Handlungsunrecht bei der Beweiserhebung ergeben. Für die Prüfung, ob überhaupt ein Verfahrensverstoß vorliegt, wird auf den Zeitpunkt der Erhebungssituation abgestellt. Ob aus dem Verfahrensverstoß dann ein Verwertungsverbot folgt, ist im Rahmen einer Abwägung zu bestimmen, in der es auf den Schutzzweck der Norm, das Schutzbedürfiiis des Beschuldigten, die Möglichkeit eines hypothetischen rechtmäßigen Ersatzeingriffs und die Vorwerfbarkeit des Fehlverhaltens ankommt. Die Verwertung kann aber auch aus sich heraus entweder gegen einfachgesetzliche Vorschriften oder gegen das Grundgesetz verstoßen. Bei diesen selbständigen Beweisverwertungsverboten ist eine eventuelle Rechtswidrigkeit des Erhebungsaktes nicht relevant. Bei Fällen ohne Auslandsbezug macht häufig das Eingreifen eines unselbständigen Beweisverwertungsverbotes den Rückgriff auf ein selbständiges Verwertungsverbot überflüssig 296 . Für diese Arbeit ist jedoch die Bedeutung von selbständigen Beweisverwertungsverboten bei privaten Ermittlungen und auch im Rahmen von staatlicher Sachverhaltserforschung außerhalb eines Strafverfahrens, wo die Regeln der Strafprozessordnung nicht gelten, besonders herauszustellen. Genau wie hier können bei Fällen mit Auslandsbezug sonst vernachlässigte selbständige Beweisverwertungsverbote bedeutsam werden. Aus Verstößen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention oder den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte sind in Deutschland bis jetzt noch keine Beweisverwertungsverbote hergeleitet worden. Die Rechtsprechung wählt vielmehr insbesondere im Rahmen des hier relevanten Art. 6 EMRK bzw. Art. 14 IPBPR die Beweiswürdigungslösung. Denknotwendig ausgeschlossen ist die Folge eines Beweisverwertungsverbotes jedoch nicht, so dass den Konventionen bei Fällen mit Auslandsbezug noch größere Bedeutung zukommen kann.

296

Störmer, Verfassungsrechtliche Verwertungsverbote im Strafprozeß, Jura 1994, S. 393; Eisenberg, Beweisrecht der StPO Rn. 385; Janicki, Beweisverbote im deutschen und englischen Strafprozeß, S. 33.

2. Teil

Allgemeiner Teil zur Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise

A. Einleitung Ziel dieses Teils der Arbeit ist es, allgemeingültige Regeln zur Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise zu entwickeln. Dazu werden zunächst die in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Konzepte dargestellt. Bereits hier werden auch die wesentlichen Fragestellungen aus der Sicht des deutschen Strafprozessrechts aufgeworfen. Im Anschluss daran soll ein eigener Ansatz entwickelt werden, wobei zu den vorgestellten Ansätzen dann im jeweiligen Kontext Stellung genommen wird. Hierbei wird auf das oben zu den Rahmenbedingungen der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen und den innerstaatlichen strafprozessualen Rahmenbedingungen gesammelte Material zurückgegriffen. Darüber hinaus soll auch der weit weniger problematische Komplex der völkerrechtlich bedingten Beweisverwertungsverbote behandelt werden.

2. Teil: Allgemeiner Teil

84

B. Bestehende Ansätze I. Grundlinien und Entwicklung der Rechtsprechung Das Reichsgericht, RGSt 11, S. 391, musste sich bekanntermaßen schon im Jahre 1885 mit der Verlesbarkeit des Protokolls einer in Wien vorgenommenen kommissarischen Zeugenvernehmung beschäftigen. Der dortige Untersuchungsrichter hatte die Vernehmung entgegen der Bitte der hamburgischen Staatsanwaltschaft, aber gemäß den damals zwingenden Vorschriften der österreichischen Strafprozessordnung in Abwesenheit anderer Prozessbeteiligter durchgeführt. Die Verlesbarkeit wurde entgegen der tatrichterlichen Instanz bejaht. Die StPO habe bei Vernehmungen außerhalb der Hauptverhandlung weder die Anwesenheit der Staatsanwaltschaft noch die des Angeschuldigten oder Angeklagten oder die eines Verteidigers zur absoluten Bedingung der Verlesbarkeit gemacht 297 . Vielmehr sei das Anwesenheitsrecht des in Haft befindlichen Angeklagten bei kommissarischen Vernehmungen ohnehin stark eingeschränkt und die Benachrichtigung anderer Prozessbeteiligter könne auch sonst aufgrund tatsächlicher Notwendigkeit unterlassen werden 298 . Aus der Gesamtheit der gesetzlichen Bestimmungen zur kommissarischen Vernehmung lasse sich entnehmen, dass der Gesetzgeber die Interessen der Prozessbeteiligten nur insoweit schützen wollte, dass die Erreichung des Hauptzieles, die Verwirklichung des Rechts, nicht beeinträchtigt werde 299 . Es reiche deshalb aus, dass das inländische Gericht das seinerseits Mögliche getan hat, die Einhaltung der deutschen Vorschriften zu erwirken'' 00 . In einer weiteren Entscheidung, RGSt 40, S. 109, aus dem Jahre 1907 ging es abermals um die Verlesbarkeit einer in Wien erfolgten kommissarischen Vernehmung, zu der der benachrichtigte und angereiste Verteidiger durch das österreichische Gericht unter Berufung auf dortige Vorschriften der Strafprozessordnung nicht zugelassen wurde. Das Reichsgericht bejahte - der Argumentation der obengenannten Entscheidung, RGSt 11, S. 391, folgend die Verlesbarkeit unter Berufung auf die Tatsache, dass das ersuchende deutsche Gericht alles seinerseits Mögliche getan hatte, die Gestattung der 297

RGSt 11, S. 391 (395 ff.). Namentlich bei Gefahr im Verzug. Auch stellte das Gericht darauf ab, dass die unvermeidliche Verhinderung der Prozessbeteiligten kein Verlegungsgrund ist. Femer habe der verhaftete Angeklagten keinen Anspruch auf Teilnahme, was zeige dass der Gesetzgeber auch das Risiko einer möglichen Entweichung für gewichtiger gehalten habe. 299 RGSt 11, S. 391 (396). 300 Vgl. auch RGSt 12, S. 347, wo es um eine Vernehmung ging, in der keine tatsächliche Möglichkeit bestand, eine Vereidigung durch den Untersuchungsrichter zu Basel herbeizuführen. 298

B. Bestehende Ansätze

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Anwesenheit zu erwirken. Ergänzend führte das Reichsgericht noch aus, dass es völlig unerörtert bleiben könne, ob die Entscheidung des österreichischen Gerichts tatsächlich den dortigen strafprozessualen Vorschriften entspricht. Die Rechtsauffassung des ausländischen Gerichts sei vom Standpunkte der inländischen Gerichtsbarkeit ein tatsächliches Hindernis, da deutschen Gerichten eine Zwangseinwirkung auf die Entschließungen ausländischer Gerichte versagt sei. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine Kompensation der Nichteinhaltung deutscher Vorschriften mit dem ausreichenden Bemühen von deutscher Seite begründet wurde. In der Entscheidung RGSt 46, S. 50 aus dem Jahre 1912 stellte sich die Frage der Verlesbarkeit einer kommissarischen Zeugenvernehmung, welche in Paris durch einen französischen Polizeikommissar ohne Benachrichtigung der Prozessbeteiligten durchgeführt worden war. Abweichend von vorheriger Rechtsprechung, jedoch ohne sich ausdrücklich zu distanzieren, überprüfte und bejahte das Reichsgericht hier die Rechtmäßigkeit der Vorgehensweise nach französischem Recht 301 , was letztlich die Annahme der Verlesbarkeit begründete 3 0 2 . Dazu führte es weiter aus, dass ein Gericht vor der Wahl stünde, ob man auf die Beachtung der deutschen Verfahrensvorschriften verzichte und sich mit einer dem Recht des Vernehmungsortes entsprechenden Beweiserhebung begnüge, oder das Beweismittel ungenutzt lasse, obwohl es zur Erforschung der Wahrheit, also zur Lösung der Aufgabe des Strafprozesses, dienlich und vielleicht unentbehrlich sei 303 . Der Gedanke, dass die Nichteinhaltung deutscher Vorschriften wegen der Maßgeblichkeit ausländischer Vorschriften unschädlich sei, durchzog nun die weitere höchstrichterliche Rechtsprechung. In der Entscheidung RG HRR 1938 Nr. 63 7 3 0 4 trat nunmehr das Problem auf, dass aufgrund eines missverständlichen Rechtshilfeersuchens eine kommissarische Vernehmung durch einen tschechoslowakischen Richter entgegen der deutschen und auch entgegen der dortigen Vorschriften vorgenommen wurde. Das Reichsgericht hielt die Verlesung des Protokolls für unzulässig. Es sei Aufgabe des deutschen Gerichts, auf eine Vernehmung hinzuwirken, die so weit wie möglich deutschen Verfahrensvorschriften genügt, was aufgrund der entsprechenden ausländischen Vorschriften möglich gewesen war. Keinesfalls

301 Das Gericht stellte fest, dass es dem französischen Untersuchungsrichter erlaubt war, die Durchführung von Zeugenvernehmungen an einen Polizeikommissar zu übertragen und, dass die Anwesenheit des Angeklagten gemäß den dortigen Vorschriften unzulässig war. 302 Die Durchführung der Vernehmung durch einen Polizeikommissar war vor allem deshalb problematisch, da die StPO bis 1943 nur die Verlesung von Protokollen richterlicher Vernehmungen kannte. 303 RGSt 46, S. 50 (53). 304 = RG JW 1938, S. 658.

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2. Teil: Allgemeiner Teil

dürfe ein deutsches Gericht Anlass für eine nicht im ausländischen Recht begründete Nichteinhaltung deutscher Vorschriften bieten. Das Gericht machte in dieser Entscheidung somit die Unverwertbarkeit wieder vornehmlich am Verschulden des inländischen Gerichts, nicht am Verstoß gegen ausländisches Recht, fest. Nach dem Zweiten Weltkrieg trat in der Bundesrepublik neben der Frage der Verwertbarkeit von Auslandsbeweisen die Parallelproblematik bezüglich in der damaligen Deutschen Demokratischen Republik gewonnener Beweise auf 305 . Die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes knüpft hinsichtlich beider Komplexe an die Vorkriegsrechtsprechung des Reichsgerichtes, die von der Kompensation der Nichteinhaltung deutscher Vorschriften durch die Einhaltung ausländischen Rechts ausgeht, an 3 0 6 . So sei für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer im Ausland durchgeführten Ermittlungsmaßnahme das ausländische Recht entscheidend307. Die Anwendung der deutschen strafprozessualen Vorschriften könne nicht erwartet werden, so dass man sich mit der Einhaltung der ausländischen Vorschriften begnügen müsse 308 . In BGH 3 StR 380/76 309 tritt jedoch der Gedanke der Hinwirkungspflichten inländischer Strafverfolgungsorgane auch wieder auf. In diesem Fall ging es um eine kommissarische Vernehmung im Königreich der Niederlanden, das sich nach Art. 4 des Europäischen Rechthilfeübereinkommens verpflichtet hatte, bei kommissarischen Vernehmungen auf ausdrückliches Verlangen des ersuchenden Staates die Prozessbeteiligten über den Vernehmungstermin zu benachrichtigen 310 . Das zugrundeliegende Rechtshilfeersuchen enthielt eine entsprechende Bitte jedoch nicht, was zum Unterbleiben der Terminsnachricht führte, so dass der Angeklagte und der Verteidiger nicht am Termin teilnehmen konnten. Die Verlesung wurde deshalb als unzulässig angesehen. In BGHSt 35, S. 833U war ebenfalls über die Verwertbarkeit einer kommissarischen Vernehmung in den Niederlanden zu entscheiden. Hier enthielt das Rechtshilfeersuchen zwar die

305 So z.B. BGHSt 2, S. 300 (303); BGH VRS 20 [1960], S. 122; BGH ROW 1961, S. 251; OLG Hamm DAR 1959, S. 192; OLG Bremen, NJW 1962, S. 2314. 306 Die Frage der Verwertbarkeit von DDR-Beweiserhebungen wurde als „Beweiserhebung innerhalb des Geltungsbereichs einer anderen Rechtsordnung" (OLG Bremen NJW 1962, S. 2314) den im Ausland erfolgten gleichgesetzt, ohne freilich die DDR als solches anzuerkennen. 307 BGHSt 1, S. 219 (221); BGHSt 7, S. 15 (16); BGHSt 35, S. 82 (83), BGH GA 1964, S. 176; BGH NStZ 1983, S. 181. 308 BGH NStZ 1983, S. 181; BGH NStZ 1985, S. 376; zur DDR: BGHSt 2, S. 300 (304). 309 Bei Spiegel, DAR 1977, S. 169 (170). 310 Vgl. Nr. 29 Abs. 2 S. 2 RiVASt. 311 =NStZ 1988, S. 563 mit Anmerkung Naucke.

B. Bestehende Ansätze

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Bitte um Benachrichtigung, jedoch auch den Hinweis, dass die Sache wegen unterbrochener Hauptverhandlung besonders eilbedürftig sei. Aufgrund des Hinweises hatte der niederländische Untersuchungsrichter die Vernehmung so kurzfristig anberaumt, dass eine Benachrichtigung nicht mehr möglich war. Auch hier hielt der Bundesgerichtshof die Protokolle für unverwertbar, da das Gericht Anlass zu einem nicht im ausländischen Recht begründeten Verstoß gegen deutsche Vorschriften gegeben hatte. In späteren Entscheidungen stellte die Rechtsprechung ebenfalls klar, dass die Möglichkeiten zur weitestgehenden Einhaltung deutscher Vorschriften von deutscher Seite ausgenutzt werden müssen. In BGHSt 42, S. 86 312 stellte sich wieder das Problem der Verwertbarkeit einer ohne Anwesenheit des Verteidigers durchgeführten Vernehmung, was dem Recht des Vernehmungsortes - hier des schweizerischen Kantons Bern entsprach. Im vorliegenden Fall war jedoch Art. III des deutsch-schweizerischen Zusatzvertrags zum Europäischen Rechtshilfeübereinkommen anwendbar, wonach die Anwesenheit von Prozessbeteiligten auf Antrag des ersuchenden Staates, welcher unterblieben war, immer zu gestatten ist. Der Bundesgerichtshof prüfte deshalb, ob das deutsche Gericht diesen Antrag zu Unrecht nicht gestellt hatte, was für den konkreten Fall wegen § 168 c Abs. 5 S. 2 StPO verneint wurde, so dass das Gericht letztlich zur Bejahung der Verwertbarkeit gelangte 313 . Auch trat die Frage auf, ob die Verletzung ausländischer Vorschriften der Verwertbarkeit entgegensteht, wenn es höhere Anforderungen stellt als das deutsche Recht. In BGH GA 1976, S. 219 ging es um die Frage der Verwertbarkeit einer in Zürich erfolgten Zeugenvernehmung, in der gegen die § 55 Abs. 2 StPO entsprechende Belehrungspflicht nach § 132 i.V.m. § 131 Zürcher StPO verstoßen wurde, was nach schweizerischem Recht zur Ungültigkeit und damit zur Unverwertbarkeit des Protokolls führt 514 . Der Bundesgerichtshof hielt das Protokoll für verwertbar, da die Berücksichtigung strengeren ausländischen Rechts nicht verlangt werden könne 315 . Mit der gleichen Begründung unterließ

312

= JZ 1997, S. 45 mit Anmerkung Lagodny; = NStZ 1998, S. 148, mit Anmerkung

Nagel. 313 In BayObLG JR 1985, S. 477 stellte sich eine Parallelproblematik hinsichtlich Art. V I des deutsch-österreichischen Ergänzungsvertrages zum EuRhÜbk. Hier hatte das deutsche Gericht jedoch um die Benachrichtigung gebeten, was vom österreichischen Richter aber missachtet wurde. Das Vernehmungsprotokoll wurde daraufhin unter Überprüfung der besonderen österreichischen Rechtslage hinsichtlich solcher Rechtshilfevernehmungen wegen des Fehlverhaltens des österreichischen Richters als unverwertbar angesehen. 314 Schmid, Strafprozessrecht, Rn. 646. 315 Auch ließ BGH VRS 20 [1961]; S. 122 (124) die Folgen eines Verstoßes gegen DDR-Recht nach dortigem Recht dahinstehen, da ein vergleichbarer Verstoß in der Bundesrepublik nicht die Unverwertbarkeit zur Folge hätte.

2. Teil: Allgemeiner Teil

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der Bundesgerichtshof BGH NStZ 1985, S. 376 die Prüfung, ob ein Verstoß gegen griechisches Recht bei der Auswahl des Dolmetschers gegeben war. Gleichzeitig wurde durch die Entscheidungen klargestellt, dass sich die Folgen eines Rechtsverstoßes nach deutschem Recht bestimmen. In der bisherigen Rechtsprechung wird eine weitere Grenze der Relevanz des ausländischen Rechts, die Einhaltung grundlegender rechtsstaatlicher Anforderungen, erwähnt. In BGH GA 1982, S. 40 bejahte das Gericht die Verwertbarkeit einer durch einen commissioner nach dem Recht des Staates New York durchgeführten kommissarischen Vernehmung mit der Begründung, dass die wesentlichen nach dem deutschen Verfahrensrecht gegebenen Rechte des Angeklagten, insbesondere das Fragerecht, nicht verletzt worden seien. Auch in BGH StV 1982, S. 153 (154) und in BGH NStZ 1983, S. 183 wurde auf die Maßgeblichkeit der ausländischen Vorschriften abgestellt, die jedoch grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen genügen müssen. Konkrete Kriterien, wann die Anwendung ausländischen Rechts noch grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen genügt, wurden jedoch bis jetzt noch nicht ausgebildet. In BGH NJW 1994, S. 33 64316 konnte die Frage, ob das Zustandekommen eines Geständnisses grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen genügt, wenn es entsprechend dem damaligen Recht des schweizerischen Kantons Luzern für ein eigenes Verfahren ohne vorherige Beschuldigtenbelehrung abgelegt wurde, offengelassen werden, da der Beschuldigte sein Aussageverweigerungsrecht kannte 317 . In einer Entscheidung des OLG Frankfurt am Main 3 1 8 wurde die Verwertbarkeit der Erkenntnisse aus einem in den Vereinigten Staaten nach den dortigen Vorschriften in zulässiger Weise durchgeführten Lügendetektortests und einer direkt darauf folgenden Vernehmung verneint, da für solche Erkenntnisse, wie damals für inländische Verfahren einhellig anerkannt 319, auch bei Beweiserhebung im Ausland ein Verwertungsverbot nach § 136 a Abs. 3 StPO bestehe. In einer Entscheidung des OLG Düsseldorf 320 war über die Folgen der Vorgehensweise eines niederländischen Untersuchungsrichters, der

316 = StV 1995, S. 231, mit Anmerkung Dencker; vgl. auch Anmerkung Britz, NStZ 1995, S. 607. 317 Das gleiche Problem trat im Zusammenhang mit einer DDR-Vemehmung in BGHSt 38, S. 263 auf. Hier verneinte das Gericht die Rechtsstaatswidrigkeit einer unterlassenen Belehrung mit dem Hinweis darauf, dass ein diesbezügliches Verwertungsverbot in der Bundesrepublik auch erst seit BGHSt 38, S. 214 anerkannt sei. In BGH bei Becker, NStZ-RR 2002, S. 65 (67), einer ergänzenden Bemerkung des Senats zu einem Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO, wurde die Frage einer fehlenden Belehrung über das Schweigerecht gar nicht unter dem Aspekt des Verstoßes gegen grundlegende rechtsstaatliche Anforderungen diskutiert und die Verwertbarkeit des Geständnisses bejaht. 318 319 320

OLG Frankfurt, NStZ 1988, S. 425. Die Entscheidung erging vor BGHSt 44, S. 308 (319). OLG Düsseldorf, StV 1992, S. 558.

B. Bestehende Ansätze

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drei Zeugen anonym teils in Gegenwart, teils in Abwesenheit des Verteidigers vernommen hatte, zu entscheiden. Das Gericht überprüfte zunächst die Rechtmäßigkeit der Vorgehensweise nach niederländischem Recht 321 . Ferner bejahte es die Frage, ob diese Vorgehensweise grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen genügt, wobei als Prüfungsmaßstab der hier relevante Art. 6 EMRK herangezogen wurde 322 . In der Entscheidung BGH NStZ 1992, S. 394 war über die Verwertbarkeit einer Zeugenaussage der Verlobten eines Mitbeschuldigten zu entscheiden, welche in Italien durch einen Richter vernommen worden war, wobei ihr nach den dortigen Vorschriften kein Zeugnisverweigerungsrecht zustand und sie demgemäß auch über ein solches nicht belehrt wurde. Der Bundesgerichtshof verneinte hier die Verwertbarkeit, allerdings nicht mit dem Argument der Nichteinhaltung grundlegender rechtsstaatlicher Anforderungen, sondern in Hinblick auf den Rechtsgedanken des § 252 StPO 323 . Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Rechtssprechung vom Grundsatz ausgeht, dass es für die Verwertbarkeit eines im Ausland gewonnenen Beweises auf die Rechtmäßigkeit des Erhebungsaktes nach dem Recht des Vernehmungsortes ankommt. Es hat sich wohl durchgesetzt, dass die Einhaltung ausländischen Rechts von den deutschen Gerichten auch überprüft werden kann. Die Einhaltung ausländischen Rechts ist in der bisherigen Rechtsprechung allerdings nur soweit relevant, solange ein Verstoß auch nach deutschem Recht zu einem Verwertungsverbot führen würde. Ein Verwertungsverbot kann sich jedoch trotz Einhaltung ausländischen Rechts dann ergeben, wenn deutsche Strafverfolgungsorgane es unterlassen haben, auf die Vermeidung einer nicht im ausländischen Recht begründeten Missachtung deutscher Verfahrensvorschriften hinzuwirken, oder sogar Anlass dazu gegeben haben. Die Einhaltung ausländischer Verfahrensvorschriften reicht auch dann nicht zur Verwertbarkeit aus, wenn die ausländischen Vorschriften grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen widersprechen, wobei der Begriff noch nicht näher bestimmt wurde.

321 Insofern erscheint es missverständlich, dass das Gericht zunächst feststellte, die Verfahrensweise widerspreche „nicht dem niederländischen Prozessrecht; jedenfalls genügt sie grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen" (OLG Düsseldorf, StV 1992, S. 559), was in der Anmerkung von Walther, StV 1992, S. 561 (562) kritisiert wird, da es den Eindruck erweckt allein die Einhaltung grundlegender rechtsstaatlicher Anforderungen sei ausreichend für die Annahme der Verwertbarkeit. Richterweise wird jedoch in Rose, Der Auslandszeuge, S. 258, Fn. 862 darauf hingewiesen, dass das Gericht tatsächlich auch die Vereinbarkeit mit niederländischem Recht überprüft hat. 322 OLG Düsseldorf, StV 1992, S. 558 (560). 323 Vgl. zu einer DDR-Vernehmung OLG Bremen, NJW 1962, S. 2314, wo die Unverwertbarkeit allerdings aufgrund der Versäumnisse bundesrepublikanischer Strafverfolgungsorgane angenommen wurde.

2. Teil: Allgemeiner Teil

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I I . Grundansätze in der Literatur Schnorr von Carolsfelcf 24 wendet sich in einem Beitrag gegen die prinzipielle Maßgeblichkeit ausländischen Rechts. Die Frage der Verwertbarkeit sei allein nach dem Recht des Staates zu beurteilen, in dem das Hauptverfahren durchgeführt wird. Für die Verwertbarkeit sei deshalb die hypothetische Frage maßgebend, „ob, gesetzt es wäre im Inland ebenso vorgegangen worden, um den Beweis zu erheben, aus den so ermittelten Tatsachen Schlüsse gezogen werden dürften" 325 . Thien 326 kritisiert ebenfalls den Ansatz der Rechtsprechung. Ihrer Ansicht nach komme es grundsätzlich auf die Einhaltung der deutschen Strafprozessordnung an 3 2 7 . Allenfalls könne im Einzelfall geprüft werden, welchen Sinn die jeweilige Norm, von der im Ausland abgewichen wird, in unserem Verfahrensrecht hat und ob ausnahmsweise auf die Einhaltung verzichtet werden kann 328 . Die von der Rechtsprechung angenommene Maßgeblichkeit ausländischen Rechts stelle einen Verstoß gegen das Rechtsstaatprinzip aus Art 20 Abs. 3 GG J und gegen das Gleichheitsgrundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG dar 330 . Zwar hätten deutsche StrafVerfolgungsorgane keine Möglichkeit zur Durchsetzung ihrer Strafprozessregeln, sie seien jedoch auch nicht zur Verwertung verpflichtet 3 3 1 . Scheller 332 hat sich in ihrer Arbeit mit dem Problem des Gesetzesvorbehalts im Rahmen der internationalen Rechtshilfe beschäftigt. Für die Verwertbarkeit von Auslandsbeweis im Strafverfahren hält sie die Rechtmäßigkeit der Erhebung nach ausländischem Recht ebenfalls nicht für maßgeblich 333 . Vielmehr

324

Schnorr von Carosfeld, Probleme des internationalen Strafprozessrechts, in Festschrift für Maurach, S. 615. 325 Schnorr von Carosfeld, a.a.O., S. 623. 326 Thien, Zeugenvernehmung im Ausland: Zur Problematik der Verwertbarkeit im deutschen Prozeß, Köln 1979. 327 Thien, a.a.O., S. 17, 51, 131. 328 Für unverzichtbar bei Vernehmungen hält sie u.a. die Anwesenheits- und Fragerechte (S. 22), die Nichtanwendung nach § 136 a StPO verbotener Vernehmungsmethoden (S. 37), die Zeugnisverweigerungsrechte nach §§ 52 ff. StPO (S. 38). Eine entgegen deutschen Vorschriften beeidete Zeugenaussage sei völlig unverwertbar (S. 48), während eine Aussage, die entgegen deutschem Recht nicht beeidigt wurde, verwertet werden dürfe (S. 50). 329 Thien, a.a.O., S. 54 ff. 330 Thien, a.a.O., S. 62 ff. 331 Thien, a.a.O., S. 128. 332 Scheller, Ermächtigungsgrundlagen für die internationale Rechts- und Amtshilfe zur Verbrechensbekämpfung, Freiburg 1997. 333 Scheller, a.a.O., S. 325.

B. Bestehende Ansätze

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sei zu prüfen, ob die Information zur Kenntnis genommen und damit auch verwertet werden darf. Für die Kenntnisnahme sei eine Ermächtigungsgrundlage notwendig, welche jedoch nicht vorhanden sei 3 3 4 . Da die Strafverfolgungsbehörden auf ausländische Informationen nicht gänzlich verzichten können, sei bis zu einer gesetzgeberischen Regelung § 77 IRG in Verbindung mit den allgemeinen strafprozessualen Erhebungsbefugnissen analog anzuwenden^ 5 . Deshalb dürften Informationen nur verwendet werden, soweit sie unter den Voraussetzungen für Inlandsbeweise hätten erhoben werden dürfen j36 . Nagel 337 stellt sich in seiner Arbeit grundsätzlich hinter die Praxis der Rechtsprechung. Er begründet die Maßgeblichkeit des ausländischen Rechts zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Erhebung mit einem „kollisionsrechtlichen" Ansatz 338 . Der Grundsatz, dass die Ausführung eines Rechtshilfeersuchens sich nach dem Recht des ersuchten Staates richtet, welcher seinen Niederschlag in die meisten Rechtshilfeverträge gefunden hat und sonst auch der Praxis entspricht, könne über diese Bedeutung hinaus auch als Kollisionsnorm verstanden werden. Dadurch werde das Strafprozessrecht des ersuchenden Staates dahingehend geändert, dass für die Beurteilung, ob ein Beweis 33 9 ordnungsgemäß erhoben wurde, das Recht des ersuchten Staates maßgebend sei. Da das ausländische Verfahrensrecht jedoch auch so beschaffen sein könnte, dass es die deutschen Gerechtigkeitsvorstellungen grob verletzte, bedürfe die Verweisung der Begrenzung durch eine Art „ordre /?wWzc"-Klausel340. Die Folgen eines Verstoßes gegen ausländisches Recht, sollen sich jedoch entsprechend der Rechtsprechung wieder nach dem inländischen Recht richten, da es bei ausländischen Beweisaufnahmen nicht darum gehen könne, eine erzieherische Wirkung auszuüben und der Schutz der Rechte des Angeklagten nur im Gesamtzusammenhang mit sonstigen Vorschriften der Verfahrensordnung geschehen könne, die das Verfahren als solches beherrscht 341 . Auch Rosej42 stützt sich im Wesentlichen ebenfalls auf den Ansatz der Rechtsprechung, den er weiter konkretisiert. Er wendet sich jedoch gegen den obengenannten „kollisionsrechtlichen" Ansatz, da sich eine solche Verweisung 334

Scheller, a.a.O., S. 306. Scheller, a.a.O., S. 306, 313. 336 Scheller, a.a.O., S. 325. 337 Nagel, Beweisaufnahme im Ausland, Rechtsgrundlagen und Praxis der internationalen Rechtshilfe für das deutsche Strafverfahren, Freiburg 1988. 338 Nagel, a.a.O., S. 301 ff. 339 Hier: Vernehmungsprotokoll. 340 Nagel, a.a.O., S. 302. 341 Nagel, a.a.O., S. 308. 342 Rose, Der Auslandszeuge im Beweisrecht des deutschen Strafprozesses, Frankfurt 1999. 335

92

2. Teil: Allgemeiner Teil

auch auf strengere ausländische Vorschriften erstrecken müsse 343 . Sinnvoller sei es die lex fori deshalb als maßgeblich anzusehen, weil ausländische Strafverfolgungsorgane die Beweiserhebung nach ihrem Recht durchfuhren. Im Falle einer nach ausländischem Recht rechtmäßigen Beweiserhebung könne die Verwertbarkeit nur bei einem Verstoß gegen überstaatlich gültige, rechtsstaatliche Minimalanforderungen entfallen 344 . Das deutsche Verfahrensrecht markiere allerdings das maximale Anforderungsniveau, so dass ein Verstoß gegen ausländische Vorschriften solange unschädlich sei, wie noch dem deutschen Prozessrecht genügt wurde 345 . Bei einem Verstoß gegen eine ausländische Norm, die gleichlautend mit deutschem Verfahrensrecht ist, führe dieser Verstoß nur zu einem Verwertungsverbot, wenn dies auch bei einem entsprechenden Verstoß gegen die deutsche Norm der Fall wäre 346 . BöseA1 lehnt die Annahme einer Kollisionsregel ebenfalls ab 3 4 8 . Die Rechtmäßigkeit bzw. -Widrigkeit einer Beweiserhebung nach ausländischem Recht sei irrelevant. Zur Begründung führt er zunächst an, dass die Rechts- und Verfahrensstellung des Beschuldigten durch das deutsche Verfahrensrecht ausreichend gewahrt sei. Ferner sei der Schutz der Rechtsstellung des Beschuldigten nach ausländischem Recht gegenüber der ausländischen Hoheitsgewalt nicht Aufgabe der deutschen Gerichte, sondern der des ausländischen Staates^49. Darüber hinaus zieht er eine Parallele zum Auslieferungsrecht 350, nach dem ebenfalls keine Rechtmäßigkeitskontrolle der Auslieferung durch deutsche Gerichte stattfindet. Bezüglich der deutschen Rechtsvorschriften führt er an, dass in einem deutschen Strafverfahren diese unabhängig vom Auslandsbezug gelten, nicht nur deren unabdingbare Grundsätze 351. So sei diese von der Rechtsprechung vorgenommene Reduzierung nicht möglich. Die Teilnahme Deutschlands am internationalen Rechtshilfeverkehr werde durch seine Annahme nicht beeinträchtigt, da sich Deutschland hier in der Rolle des ersuchenden Staates befindet und nach eigenem Ermessen von der Stellung eines Ersuchen absehen kann. Aus den beschränkten Steuerungsmöglichkeiten der deutschen StrafVer343 Rose, a.a.O., S. 228. Da sich nach Nagel die Folgen eines Verstoßes gegen ausländisches Recht nach dem inländischen Recht richten, erscheint jedoch fraglich, inwieweit die beiden Ansichten bei ergebnisorientierter Betrachtung auseinanderliegen (Nagel, a.a.O., S. 308). 344 Rose, a.a.O., S. 232. 345 Rose, a.a.O., S. 273 f. 346 Rose, a.a.O., S. 274. 347 Böse, Verwertung im Ausland gewonnener Beweismittel im deutschen Strafverfahren, ZStW 114 [2002], S. 148 ff. 348 Böse, a.a.O., S. 148 (150 f.). 349 Böse, a.a.O., S. 148(152). 350 Böse, a.a.O., S. 148 (152 f.). 351 Böse, a.a.O., S. 148 (154).

B. Bestehende Ansätze

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folgungsorgane, also aus dem Bestehen eines tatsächlichen Hindernisses zur Durchsetzung der Einhaltung deutscher Verfahrenvorschriften, ergebe sich jedoch für die deutschen Verwertungsregeln ein Bedürfnis der „Anpassung" 352 , deren Umfang sich nach dem Zweck des in Betracht kommenden Beweisverwertungsverbotes bestimme"*53. Dabei stellt er vor allem darauf ab, ob durch die ausländische Beweiserhebung aus deutscher Sicht ein „informationelles Erfolgsunrecht" 354 erstanden ist 3 5 5 . Ist der Besitz der Information aus deutscher Sicht unrechtmäßig, so sei die Verwertbarkeit zu verneinen. Jüngst hat auch Daamen356 einen Beitrag zur Diskussion geleistet. Er bestätigt weitgehend den Ansatz der Rechtsprechung. Die prinzipielle Maßgeblichkeit ausländischen Rechts begründet er damit, dass dieser Grundsatz bereits gewohnheitsrechtlich anerkannt sei 357 . Die Kommentarliteratur folgt ebenfalls unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung größtenteils dem Ansatz, dass die Beachtung ausländischen Verfahrensrechts durch ausländische Strafverfolgungsorgane ausreicht, solange rechtsstaatlichen Mindestanforderungen genügt worden ist 3 5 8 . Verstöße gegen strengeres ausländisches Recht werden aber recht pauschal für unbeachtlich erklärt 359 . Daneben wird aber auch eine Pflicht deutscher Strafverfolgungsorgane,

352

Böse, a.a.O., S. 148 (155, 156 ff.). So sei eine ausländische Telefonüberwachung wie die ein Zufallsfund gem. § 100 b Abs. 5 StPO zu behandeln und die Rechtmäßigkeit der Erhebung nach ausländischem Recht irrelevant (S. 159 ff.). Die Wahrung der deutschen Zeugnisverweigerungsrechte (S. 163 f.) und des Schweigerechts des Beschuldigten (169 ff.) sei unverzichtbar, so dass hier keine Anpassung vorgenommen werden könne. Dagegen seien die Verwertungsregeln bezüglich der Anwesenheitsrechte der Anpassung zugänglich (165 ff.). 353

354

Vgl. Amelung, Informationsbeherrschungsrechte im Strafprozeß, S. 41; siehe oben Seiten 63 f. 355 Böse, a.a.O., S. 148 (164, 167, 170). 356 Daamen, Zur Verwertbarkeit ausländischer Vernehmungsvorschriften, Frankfurt am Main 2004. 357 Daamen, a.a.O., S. 28. 358 Keller bei Alternativkommentar, § 251 StPO, Rn. 18; Dölling bei Alternativkommentar, § 251 StPO, Rn. 27; Julius bei Heidelberger Kommentar, § 223 StPO, Rn. 10 und § 251 StPO, Rn. 14; Tolksdorf bei Karlsruher Kommentar, § 223 StPO, Rn. 25; Diemer bei Karlsruher Kommentar, § 251 StPO, Rn. 18; Eschelbach bei KMR § 223 StPO, Rn 92; Rieß bei Löwe/Rosenberg, Einl. Absch. D Rn. 17; Gollwitzer bei Löwe/Rosenberg, § 223 StPO, Rn. 38 und § 251 StPO, Rn. 22; Meyer-Goßner, § 251 StPO, Rn. 34 ff.; Pfeiffer (4. Auflage), § 251 StPO Rn. 2; Schlüchter bei Systematischer Kommentar, § 251 StPO, Rn. 37; Veh bei Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 22, Rn. 149; Wilkitzki bei Grützner/Pötz, Vor § 68 IRG, Rn. 13 ff., Schomburg bei Schomburg/Lagodny, Vor § 68 IRG, Rn. 37 ff. 359

Dölling bei Alternativkommentar, § 251 StPO, Rn. 27; Diemer bei Karlsruher Kommentar, § 251 StPO, Rn. 18 unter Berufung auf BGH v. 19.12.1975, 2 StR 480/73; Eschelbach bei K M R § 223 StPO, Rn 92; Schlüchter bei Systematischer Kommentar,

94

2. Teil: Allgemeiner Teil

auf die Einhaltung deutscher Vorschriften hinzuwirken, weitgehend angef ü h r t 3 6 0 . Abweichend w i r d jedoch vertreten, dass sich die Verwertbarkeit der Erkenntnisse eines ausländischen verdeckten Ermittlers i m Ausland immer nach den §§ 110 a ff. StPO r i c h t e 3 6 1 .

§ 251 StPO, Rn. 38; Veh bei Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 22, Rn. 149; differenzierend zwischen Verlesbarkeit und Verwertbarkeit: Gollwitzer bei Löwe/Rosenberg, § 251 StPO, Rn. 25. 360 Gollwitzer bei Löwe/Rosenberg, § 251 StPO, Rn. 22 und § 223 StPO, Rn 39; Keller bei Alternativkommentar, § 251, Rn. 18; Tolksdorf bei Karlsruher Kommentar, § 223 StPO, Rn. 25; Diemer bei Karlsruher Kommentar, § 251 StPO, Rn. 18; Julius bei Heidelberger Kommentar, § 223 StPO, Rn. 10 und § 224 StPO, Rn. 10; Schlüchter bei Systematischer Kommentar, § 251 StPO, Rn. 38. 361 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 358 b; Lagodny bei Schomburg/Lagodny, § 59 IRG, Rn. 61 m f., wobei dieser wohl von einer Konstellation ausgeht in der der Einsatz des deutschen oder ausländischen VE auf Initiative deutscher Ermittlungsbehörden erfolgte.

C. Entwicklung des eigenen Ansatzes

95

C. Entwicklung des eigenen Ansatzes I. Fragestellungen und Vorgehensweise Durch den Überblick über die wesentlichen Ansichten in Rechtsprechung und Literatur sind bereits die wichtigsten Grundfragen zur Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise aufgeworfen worden. Die Herangehensweise der Rechtsprechung wirkt eher pragmatisch 362 . Hier scheint der klare dogmatische Bezug zu den allgemeinen Lehren der Beweisverwertungsverbote, wie sie für Inlandssachverhalte entwickelt wurden, zu fehlen 363 . Bei der Entwicklung eines eigenen Ansatzes beziehungsweise der Bewertung bestehender anderer Ansätze soll deshalb auf das im ersten Teil zu den innerstaatlichen strafprozessualen Rahmenbedingungen gesammelte Material zurückgegriffen werden. Zur Problematik der Auslandsbeweise werden Idealkonstellationen gebildet, die sich mit inländischen Parallelfallen vergleichen lassen. So kann das Problem des Auslandsbeweises unter Beachtung der Rahmenbedingungen der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen systematisch in allgemeine Beweisverbotslehren eingefügt werden. Die bereits aufgeworfenen Fragen lassen sich zunächst grob wie folgt zusammenfassen: -

Welches Recht ist für den Verwertungsakt selbst maßgeblich?

-

Inwieweit müssen inländische Vorschriften bei der Beweiserhebung eingehalten worden sein?

-

Ist der Verstoß gegen das Recht des Staates, in dem die Beweiserhebung stattfand, relevant?

-

Welche Bedeutung haben ausländischem Recht?

-

Welche Anforderungen sind in jedem Fall an eine im Ausland erfolgte Beweiserhebung zu stellen?

die

Folgen

eines

Rechtsverstoßes

nach

Ziel ist es nun, Antworten auf die ebengenannten Fragen zu finden, weitere Probleme aufzuwerfen und diesbezügliche Lösungen anzubieten. In zwei Schritten sollen allgemeingültige Regeln zur Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise aus der Sicht des deutschen Strafprozessrechts formuliert werden, die

362

Gieß, Die „Verkehrsfähigkeit von Beweisen" im Strafverfahren, ZStW 115 [2003], S. 131 (134). 363 Dies soll wiederum keinesfalls als Vorwurf verstanden werden, da die primäre Aufgabe der Rechtsprechung nun mal in der Entscheidung von Einzelfällen liegt [vgl. Rogall, Über die Folgen der rechtswidrigen Beschaffung des Zeugenbeweises, JZ 1996, S. 944 (947)].

2. Teil: Allgemeiner Teil

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dann noch durch die Grundregeln für völkerrechtlich bedingte Beweisverwertungsverbote zu ergänzen sind.

I I . Ausgangsbasis I . Die strafprozessuale Verwertung als ein dem deutschen Recht unterworfener Akt deutscher Hoheitsgewalt Zunächst ist klarzustellen, dass der Verwertungsakt selbst nach deutschem Recht zu beurteilen ist. Die Verwertung in einem deutschen Strafverfahren an sich ist ein Akt deutscher Hoheitsgewalt, und ein deutsches Strafverfahren wird nach den Vorschriften deutschen Strafprozessrechts geführt. Letzteres zeigt sich nicht nur im Bereich der Beweisverwertung. So ist z. B. ein ausländisches Prozesshindernis für ein deutsches Strafverfahren nicht relevant, es sei denn, völkerrechtliche Vereinbarungen, die ja dann auch wieder inländisches Recht darstellen, schreiben etwas anderes vor 3 6 4 . Für die strafprozessuale Verwertung gilt, dass auch das im Ausland gewonnene Beweismittel nach deutschen Vorschriften zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wird. Ob z. B. die Verlesung eines Vernehmungsprotokolls als Surrogat für die persönliche Vernehmung zulässig ist, richtet sich danach, ob einer der Verlesungsgründe aus § 251 Abs. 1 Nr. 1-3, Abs. 2 Nr. 1-3 StPO n.F. 365 vorliegt. Irrelevant ist hingegen, wie im Erhebungsstaat das Unmittelbarkeitsprinzip ausgestaltet ist, also unter welchen Voraussetzungen ein Vernehmungsprotokoll nach dem Recht des Erhebungsstaates in einem dortigen Strafverfahren verlesbar ist. Auch die Frage, ob ein Beweismittel verwertbar ist oder ob ein Beweisverwertungsverbot greift, ist unter Anwendung deutschen Strafprozessrechts zu beantworten. Das Gleiche gilt für die Frage der Reichweite eines bestehenden Beweisverwertungsverbots^ 66. Dies entspricht sowohl der allgemeinen Meinung im Schrifttum 3 6 7 als auch den Grundsätzen der Rechtsprechung. Dies beantwortet freilich noch nicht die Frage, zu welchem Ergebnis die Anwendung deutschen Strafprozessrechts bei der Frage der Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweismittel in den aufgeworfenen Problemkonstellationen kommt.

364

Vgl. Meyer-Goßner, Einl, Rn. 213. Durch das Justizmodernisierungsgesetz vom 28. August 2004 wurde der § 251 StPO neu gefasst, wobei allerdings keine allzu wesentlichen inhaltlichen Änderungen erfolgt sind. 366 Vgl. dazu Seiten 76 ff. 367 Böse, a.a.O., S. 148 (149), Nagel, a.a.O., S. 308; Rose, a.a.O., S. 228; Scheller, a.a.O. S. 95; Eschelbach bei K M R § 223 StPO, Rn 92. 365

C. Entwicklung des eigenen Ansatzes

97

2. Unterscheidung zwischen selbständigen und unselbständigen Beweisverwertungsverboten Im deutschen Strafprozessrecht wird im Rahmen der allgemeinen Lehren von den Beweisverwertungsverboten bekanntermaßen die erste Weichenstellung durch die Unterscheidung zwischen unselbständigen und selbständigen Beweisverwertungsverboten getroffen. Wie bereits oben herausgearbeitet 368, knüpfen unselbständige Beweisverwertungsverbote an einen Verfahrensverstoß, also ein Handlungsunrecht an, dessen Vorliegen vom Zeitpunkt der Beweiserhebung her beurteilt wird. Selbständige Beweisverwertungsverbote ergeben sich hingegen aus der Rechtswidrigkeit der Beweisverwertung selbst, die sich nach dem Zeitpunkt der Hauptverhandlung bestimmt. Diese Unterscheidung muss ebenso bei im Ausland gewonnenen Beweismitteln getroffen werden. Bei selbständigen Beweisverwertungsverboten, bei denen der Verwertungsakt im Vordergrund steht, also ein Akt deutscher Hoheitsgewalt, hat der Aspekt, dass der Beweis ursprünglich im Ausland gewonnen wurde, nur untergeordnete Bedeutung. Es kann für die Verwertbarkeit des Inhalts eines Tagebuches nicht entscheidend sein, ob es in Großbritannien oder in Deutschland beschlagnahmt wurde 369 . Für unselbständige Beweisverwertungsverbote hingegen, also solchen bei denen das durch den Erhebungsakt verwirklichte Handlungsunrecht der zunächst entscheidende Aspekt ist, muss der Tatsache, dass eben dieser ausschlaggebende Erhebungsakt im Ausland stattgefunden hat, größere Bedeutung zukommen.

I I I . Unselbständige Beweisverwertungsverbote bei im Ausland erfolgter Beweisgewinnung Wendet man sich den unselbständigen Beweisverwertungsverboten zu, stößt man zuerst auf die Frage, nach welchem Recht die zunächst erforderliche Feststellung eines Verfahrensverstoßes bei der Beweiserhebung zu beurteilen ist. Es stellt sich also das Problem, ob unabhängig von späteren Modifikationen der Verstoß gegen das Recht des Erhebungsortes oder die Nichteinhaltung deutschen Rechts den möglichen Anknüpfungspunkt für das Eingreifen eines unselbständigen VerwertungsVerbots darstellt. In der Rechtsprechung findet sich dazu noch keine klare Stellungsnahme, vielmehr variieren die Argumentationsmuster. Während ursprünglich darauf abgestellt wurde, dass die Rechtsauffassung des ausländischen Gerichts vom Standpunkt der inländischen Gerichts-

368 369

Siehe oben S. 57. Vgl. zur Tagebuchproblematik allgemein Seite 53, mit Auslandsbezug Seite 129.

2. Teil: Allgemeiner Teil

98

barkeit ein tatsächliches Hindernis sei, und so auf die Überprüfung ausländischen Rechts verzichtet werden könne 370 , hat sich später durchgesetzt, dass die Einhaltung ausländischen Rechts überprüfbar ist 3 7 1 . In manchen Entscheidungen allerdings wurde das ausländische Recht zwar geprüft, dann jedoch vor allem zu der Argumentation herangezogen, dass es deutschen Gerichten die Möglichkeit geboten hätte, auf eine dem deutschen Recht entsprechenden Beweiserhebung hinzuwirken 372 . Darüber hinaus werden Verstöße gegen strengeres ausländisches Recht nicht für relevant gehalten. Diese Untersuchung versucht sich möglichst eng an der allgemeinen Dogmatik zu orientieren. Aus der Bestimmung des Beurteilungsmaßstabes für den Erhebungsakt und der späteren Anwendung weiterer Kriterien soll sich deshalb ergeben, ob und gegebenenfalls wie die Einhaltung ausländischen Rechts die Nichteinhaltung deutschen Rechts „kompensiert" und ob im Gegenzug dazu auch aus dem Verstoß gegen ausländisches Recht ein Verwertungsverbot in Deutschland folgen kann. Zweckmäßig ist es, das Problem zunächst unabhängig von etwaigen Hinwirkungspflichten deutscher StrafVerfolgungsorgane zu behandeln. Als besonders plastisches Beispiel kann man sich einen Fall vorstellen, in dem der ausländische Staat den Beweis zunächst für ein eigenes Verfahren erhoben hat und das Beweisergebnis erst später - im Wege der Rechtshilfe übermittelt - in einem deutschen Verfahren verwendet werden soll. Genauso kommt aber auch ein Fall in Betracht, in dem die Beweiserhebung zwar aufgrund eines deutschen Rechtshilfeersuchens erfolgte, den deutschen StrafVerfolgungsorganen jedoch keinerlei Versäumnisse vorzuwerfen sind. Allgemein können hier drei Grundkonstellationen auftreten: - Bei der Beweiserhebung im Ausland wurden die einheimischen Vorschriften beachtet, die Vorgehensweise entspricht jedoch nicht dem deutschen Strafverfahrensrecht. - Bei der Beweiserhebung wurde gegen das Recht des Vernehmungsortes verstoßen, die Vorgehensweise bei der Beweiserhebung widerspricht gleichzeitig dem deutschen Strafverfahrensrecht. - Bei der Beweiserhebung wurde gegen das Recht des Vernehmungsortes verstoßen, die Vorgehensweise wäre aber nach deutschem Verfahrensrecht nicht zu beanstanden. Jeder dogmatische Ansatz muss zwangläufig für jede der obengenannten Konstellationen Lösungen bereithalten, die jeweils zueinander in einem wider-

370 371 372

RGSt 40, S. 109. RGSt 46, S. 50. RGHRR 1938Nr. 637.

C. Entwicklung des eigenen Ansatzes

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spruchfreien Verhältnis stehen. Vorweg sei gesagt, dass die Unterschiede der Lösungsansätze damit zusammenhängen, ob man allgemein für das Eingreifen eines unselbständigen Verwertungsverbotes das Erfolgsunrecht oder das Handlungsunrecht eines Verfahrensverstoßes für bedeutsam hält.

1. Frage der Verwirklichung eines Handlungsunrechts durch ausländische Ermittlungsbehörden bei Nichteinhaltung deutscher Vorschriften Nach den hier zugrundegelegten allgemeinen Grundsätzen zur Beweisverbotslehre ist erster Anknüpfungspunkt zur Begründung eines unselbständigen Verwertungsverbotes immer ein Handlungsunrecht bei der Beweiserhebung. Ein unselbständiges Verwertungsverbot kann also nur eingreifen, wenn dem staatlichen Ermittlungsorgan ein Verfahrensverstoß vorzuwerfen ist. Nur dann ist überhaupt eine Abwägung eröffnet. Diese Auffassung wird auch in Problemfallen relativ konsequent durchgehalten: Dies wird einmal anhand der Konsequenzen von tatsächlichen oder rechtlichen Veränderungen, welche während des Zeitablaufs zwischen Beweiserhebung und-Verwertung entstanden sind, deutlich. Für die Beurteilung der Frage, ob die Beweiserhebung rechtmäßig war, wird auf den Zeitpunkt der Beweiserhebung abgestellt 373 . Die einer Ermittlungsentscheidung zugrundeliegenden tatsächlichen Annahmen sind ex ante zu betrachten. Wenn sich der Tatverdacht hinsichtlich des Vorliegens einer Katalogtat nach § 100 a StPO im Nachhinein nicht bestätigt, steht dies der Verwertung der Erkenntnisse einer Telefonüberwachung bezüglich dieser Tat nicht entgegen374. War eine Beschlagnahme zulässig, tauchen aber später Umstände auf, die ihr in irgendeiner Weise gem. § 97 StPO entgegengestanden hätten, fällt zum Beispiel der Teilnahmeverdacht weg, sind die Beweismittel dennoch verwertbar 375 . Nicht ganz so häufig stellt sich in der Praxis das Problem rechtlicher Veränderungen, die Lösungsansätze entsprechen jedoch dem obengenannten Grundsatz. Nach überwiegender Ansicht haben Änderungen im Strafprozessrecht keine Rückwirkung 376 . So sah auch der Einigungsvertrag die Fortführung in der ehemaligen

373

Siehe oben Seite 57. BGHSt 28, S. 122; BGHSt. 30, 317 (319); BGH NStZ 1998, S. 426; MeyerGoßner § 100 a StPO, Rn. 16 f., m.w.N. 375 BGH NStZ 1983, S. 85; Nack bei Karlsruher Kommentar, § 97 StPO, Rn. 10; Schäfer bei Löwe/Rosenberg, § 97 StPO, Rn. 107; Meyer-Goßner, § 97 StPO, Rn. 47; a.A.: Rudolphi bei Systematischer Kommentar, § 97 StPO, Rn. 38; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 2387. 376 BayObLG MDR 1955 S. 123; OLG Hamm, NJW 1975, S. 701; Kohlhaas, Verlesung von Niederschriften über frühere Vernehmungen in der Hauptverhandlung, NJW 1954, S. 535 (536); Hanack bei Löwe/Rosenberg § 354 a, Rn. 6; Gollwitzer bei Löwe/ 374

100

2. Teil: Allgemeiner Teil

DDR begonnener Prozesse, allerdings nach bundesrepublikanischem Strafprozessrecht, vor 3 7 7 . Bevor man diese zeitliche Dimension auf Auslandsbeweise quasi als räumliche Dimension überträgt, kann man noch eine Parallele zu zwei weiteren Inlandskonstellationen ziehen. Werden Erkenntnisse aus nichtstrafVerfahrensrechtlichen Ermittlungen importiert - wie zum Beispiel aus einem Insolvenzverfahren oder einem Besteuerungsverfahren - , wird von den zuständigen Organen nicht rückwirkend die Einhaltung der Strafprozessordnung erwartet. So hat der Schuldner gem. § 97 Abs. 1 S. 2 InsO auch Tatsachen zu offenbaren, durch die er sich einer Straftat bezichtigen würde 378 . Diesbezüglich kann er sogar gem. § 98 InsO mit Zwangmitteln belegt werden. Der rechtsstaatliche Ausgleich wird hier durch das selbständige Beweisverwertungsverbot des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO gewährleistet, welches sich - wie anhand des „Gemeinschuldnerbeschlusses" des Bundesverfassungsgerichts bereits illustriert 379 auch ohne gesetzliche Regelung allein aus dem Grundgesetz ergeben würde. Im Rahmen des Besteuerungsverfahrens existieren dagegen schon eigens in § 393 Abs. 1 S. 2 - 4 AO geregelte Beweiserhebungsverbote, welche, wenn gegen sie verstoßen wird, im Strafverfahren auch unselbständige Verwertungsverbote nach sich ziehen können 380 . Für die Fälle, in denen der Steuerpflichtige der Finanzbehörde Tatsachen vor Einleitung des Strafverfahrens oder in Unkenntnis der Einleitung des Strafverfahrens in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten offenbart hat, greift wiederum ein selbständiges Beweisverwertungsverbot aus § 393 Abs. 2 A O 3 8 1 . Beim Import von Beweismitteln aus nichtstrafverfahrensrechtlichen Ermittlungen kommt es also hinsichtlich unselbständiger Beweisverwertungsverbote auch nur auf die Rechtmäßigkeit nach den für die ermittelnden

Rosenberg, § 251 StPO, Rn. 29; Meyer-Goßner, Einl. Rn. 203; Kuckein bei Karlsruher Kommentar, § 354 a StPO, Rn. 5; differenzierend: Rieß bei Löwe/Rosenberg, Einl. Abschn. D, Rn. 24. 377 Vgl. dazu BGHSt 38, S. 263. Der BGH freilich noch die Vereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Grundsätzen, kommt im konkreten Fall allerdings zu einem Ergebnis, das später hier nicht vertreten wird (vgl. Seiten 204 ff). 378 Siehe oben Seite 55. 379 BVerfGE 56, S. 37. 380 Vgl. Hellmann bei Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 393 AO, Rn. 121. Für das Besteuerungsverfahren selbst greift hingegen kein Verwertungsverbot (vgl. BFHE 198, S. 7 zum Verstoß gegen die Belehrungspflicht aus § 393 Abs.l Satz 4 AO; a.A. Hellmann bei Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 393 AO, Rn. 115). Vgl. auch § 52 Abs. 5 BimSchG, § 21 Abs. 2 a WHG und § 59 Abs. 5 GWB. 381 Die Einschränkung dieses Verwertungsverbotes durch § 393 Abs. 2 S. 2 AO erscheint angesichts des aus dem Grundgesetz ableitbaren nemo-tenetur-Grundsatzes bedenklich (vgl. Hellmann bei Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 393 AO, Rn. 180; siehe auch oben Seite 55).

C. Entwicklung des eigenen Ansatzes

101

Behörden geltenden Vorschriften an 3 8 2 . Ein rechtsstaatlicher Ausgleich findet wenn notwendig - über selbständige Verwertungsverböte statt 383 . Bei der Verwertung von Ermittlungen Privater, so zum Beispiel privater heimlicher Filmoder Tonbandaufnahmen, sind zumindest nach der Rechtsprechung nur selbständige Beweisverwertungsverbote in Betracht zu ziehen, da für Privatpersonen weder die Strafprozessordnung noch irgendeine andere Verfahrensordnung gilt 3 8 4 . Anders wird nur in den Fällen entschieden, in denen sich staatliche Ermittlungsorgane gezielt des Privaten zur Umgehung von Verfahrensvorschriften bedienen 385 . Auch dürften in einer denkbaren Konstellation, in der StrafVerfolgungsbehörden wiederum gezielt zur Umgehung strafverfahrensrechtlicher Vorschriften andere Behörden der öffentlichen Verwaltung um Ermittlungen ersuchen - also eigentlich strafrechtliche Ermittlungen unter dem Deckmantel einer verwaltungsbehördlichen Untersuchung geführt werden, unselbständige Beweis verwertungs verböte in Betracht kommen. In solchen Fällen liegt jedoch ein eigenes Handlungsunrecht seitens der StrafVerfolgungsorgane vor. Dieser Komplex tritt auch bei den Auslandsbeweisen hinsichtlich der Hinwirkungspflichten wieder auf, wurde jedoch zunächst bewusst ausgeklammert. Fasst man diese Parallelbetrachtung für unselbständige Verwertungsverbote zusammen, zeigt sich, dass bei Auseinanderfallen der tatsächlichen oder rechtlichen Gegebenheiten im Erhebungsstadium mit denen im Stadium der strafprozessualen Verwertung die Situation im Erhebungsstadium die entscheidende ist. Die Frage, ob ein Handlungsunrecht vorliegt, ist aus diesem Blickwinkel zu betrachten. Übertragen auf im Ausland gewonnene Beweise korreliert dazu die Argumentation der Rechtsprechung, dass von ausländischen Ermittlungsbehörden nicht die Einhaltung deutschen StrafVerfahrensrechts erwartet werden könne und die Einhaltung ausländischen Rechts genüge. Bei den aufgeführten inländischen Vergleichsfallen handelte es sich zwar um Beweiserhebungen, deren rechtliche Grundlagen jeweils dem Grundgesetz unterlagen, was j a bei ausländischen Erhebungen nicht der Fall ist. Dies ändert aber am Grundansatz nichts, macht allerdings unter Umständen umfangreiche rechtsstaatlich und grundrechtlich bedingte Modifikationen erforderlich. Diese Frage, also inwieweit das Ergebnis durch ein Erfordernis rechtsstaatlicher Minimalanforderungen wieder 382 Bezüglich dieser außerstrafrechtlichen Vorschriften hat der Gesetzgeber eine Wahlfreiheit, ob er z.B. den rechtsstaatlich zwingenden Schutz des Betroffenen vor zwangsweise Selbstbezichtigung im Strafverfahren durch selbständige Verwertungsverbote oder durch Erhebungsverbote, deren Nichteinhaltung zu einem unselbständigen Beweisverwertungsverbot führen würden, verwirklicht (BVerfGE 56, S. 37 (46); vgl. Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten und Schutz vor Selbstbelastung, S. 140). 383 Vgl. auch Göhler, § 55 OWiG, Rn. 8 a, mit weiteren Beispielen für das Bußgeldverfahren. 384 Siehe oben Seite 54. 385 BGHSt 44 129(136).

102

2. Teil: Allgemeiner Teil

eingeschränkt wird und welche Kriterien dazu gebildet werden können, soll später abgehandelt werden 386 . Von einem Verfahrens verstoß kann jedenfalls nicht die Rede sein, wenn die ausländische Ermittlungsbehörde ihre eigenen Verfahrensvorschriften eingehalten hat. Setzt man sich nun mit einigen der dargestellten alternativen Lösungsansätzen auseinander, fällt auf, dass sie schwer mit den allgemeinen Lehren von den Beweisverwertungsverboten vereinbar sind, vorausgesetzt man vertritt - wie die ganz herrschende Literatur und Rechtsprechung - einen Ansatz, der allgemein für das Eingreifen eines unselbständigen Beweisverwertungsverbotes ein Handlungsunrecht beim Erhebungsakt für erforderlich hält und der zwischen selbständigen und unselbständigen Beweisverwertungsverboten trennt. Die hypothetische Frage, ob die Verfahrensweise rechtmäßig gewesen wäre, wenn die inländischen StrafVerfolgungsorgane ebenso gehandelt hätten 387 , würde sich nicht in die übrige Dogmatik zur Feststellung eines Verfahrensverstoßes einfügen. Zwar existieren für Zufallsfunde die selbständigen Verwertungsverbote aus §§ 108 Abs. 2, 100 b Abs. 5, 100 d Abs. 5, 110 e StPO, wo solche hypothetischen Überlegungen angestellt werden. Da nach der hier vertretenen Auffassung jedoch zwischen selbständigen und unselbständigen Beweisverwertungsverboten strikt zu trennen ist, können solche Erwägungen an dieser Stelle nicht Platz greifen. Überdies ist eine generelle Gleichsetzung von Zufallsfund und im Ausland gewonnenem Beweismittel - wie später noch zu zeigen sein wird - ohnehin nicht gerechtfertigt 388. Hypothetische Erwägungen werden zwar auch bei unselbständigen Beweisverwertungsverboten im Rahmen der Abwägung relevant 389 . Hier dienen sie jedoch gerade nicht der Begründung eines Verfahrensverstoßes, sondern können trotz eines Verfahrensverstoßes gegen ein Verwertungsverbot sprechen. Ein Ansatz, der von der grundsätzlichen Maßgeblichkeit deutschen Rechts ausgeht, auch wenn er entsprechende Modifikationen zulässt 390 , ist schlüssig, wenn man im Rahmen der allgemeinen Lehren von den Beweisverwertungsverboten einen informationsrechtlichen Ansatz vertritt, also generell auf ein Erfolgsunrecht abstellt 391 . Er kann aber aufgrund der angenommenen Notwendigkeit eines Handlungsunrechts hier so nicht vertreten werden. Eine ausländische Ermittlungsbehörde liefert damit bei Einhaltung des 386

Siehe dazu Seiten 122 ff. So Schnorr von Carosfeld, Probleme des internationalen Strafprozessrechts, in Festschrift für Maurach, S. 615 (623); im Ergebnis auch Scheller, Ermächtigungsgrundlagen für die internationale Rechts- und Amtshilfe zur Verbrechensbekämpfung, S. 325. 388 Siehe Seite 242. 389 Siehe Seite 73. 390 Böse, Verwertung im Ausland gewonnener Beweismittel im deutschen Strafverfahren, ZStW 114 [2002], S. 148 (154 f.), vgl. Seite 92. 391 Vgl. dazu Seite 63. 387

C. Entwicklung des eigenen Ansatzes

103

eigenen Rechts keinen Anknüpfungspunkt für ein unselbständiges Beweisverwertungsverbot 392.

2. Frage der Verwirklichung eines Handlungsunrechts deutscher Strafverfolgungsorgane durch bloße Kenntnisnahme unter Nichteinhaltung deutscher Vorschriften gewonnener Beweise Einer Untersuchung bedarf jedoch noch die Frage, ob nicht ein durch deutsche StrafVerfolgungsorgane verwirklichtes Handlungsunrecht unter dem Aspekt vermeintlich fehlender Ermächtigungsgrundlagen für Kenntnisnahme und Verwertung ausländischer Informationen konstruiert werden kann, zumindest wenn diese unter Nichteinhaltung deutschen Rechts erhoben worden sind. Diesbezüglich hat man sich dem Ansatz von Scheller zuzuwenden. Wie oben bereits dargestellt, wirft sie berechtigterweise die Frage auf, welche Ermächtigungsgrundlagen zur Kenntnisnahme von im Ausland gewonnenen Beweisen zur Verfügung stehen. Hält man wie sie die Kenntnisnahme nur unter vorübergehender Anwendung von § 77 IRG in Verbindung mit der analogen Anwendung der allgemeinen strafprozessualen Erhebungsbefugnisse für zulässig, würde in der Kenntnisnahme von unter Nichteinhaltung deutscher Vorschriften erhobener Beweismittel möglicherweise ein Verfahrensverstoß liegen. Vorweg sei angemerkt, dass nicht in jeder Kenntnisnahme von Informationen ein Grundrechtseingriff zu sehen ist. Geht man jedoch von einer Informationsverarbeitung aus, die grundrechtsrelevant ist, also einen selbständigen Eingriff in Grundrechte verkörpert, so stellt sich sogar allgemein für das gesamte Strafverfahren die Frage, worin überhaupt die Ermächtigungsgrundlagen für die Kenntnisnahme von Informationen und deren Verwertung liegen. Zuzugeben ist, dass der Aspekt der Ermächtigungsgrundlage bis jetzt eher vernachlässigt wurde 3 9 \ obwohl gerade dem Strafverfahren, aber auch jedem anderen Gerichtsverfahren, in dem Beweise erhoben werden, es geradezu immanent ist, dass personenbezogene Informationen zur Kenntnis genommen und verarbeitet werden. Für die Beweiserhebung selbst sieht die Strafprozessordnung zahlreiche Ermächtigungsgrundlagen vor, so zum Beispiel die §§ 102, 103 StPO für die Durchsuchung, § 94 StPO für die Beschlagnahme, § 100 a StPO für die Telefonüberwachung etc. In diesen Vorschriften fehlt allerdings eine ausdrückliche Verwertungsbefugnis, obwohl freilich niemand ernsthaft an ihr zwei-

392 Für Beweiserhebungen, die von vornherein zur Erfüllung eines ausländischen Rechtshilfeersuchens vorgenommen werden, kann dieses (eigene) Verfahrensrecht allerdings modifiziert sein, z.B. durch oder aufgrund völkerechtlicher Vereinbarungen. Vgl. dazu Seite 105. 393 Vgl. hierzu Seite 53.

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2. Teil: Allgemeiner Teil

fein wird. Man könnte nun die Ansicht vertreten, dass die Ermächtigungsgrundlagen für eine Beweiserhebung konkludent die Ermächtigungsgrundlage für die Verwertung enthalten 394 . Daraus könnte man wiederum den Schluss ziehen, dass die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlagen bei der Beweisverwertung erneut zu prüfen sind. Dies wäre unter Umständen noch mit bestehenden Lehren zu den Beweisverwertungsverboten in Einklang zu bringen, solange die Beweiserhebung durch Strafverfolgungsbehörden erfolgt ist und solange es zu keinen Veränderungen der rechtlichen oder tatsächlichen Grundlagen gekommen ist. Bei einer solchen Sichtweise müsste allerdings auch, um nun ein Problembeispiel herauszugreifen, bei Beweismitteln, die durch Ermittlungen Privater gewonnen wurden, eine Prüfung der Voraussetzungen der entsprechenden Erhebungsnorm durchgeführt werden. Ein solches Beweismittel dürfte nur dann zur Kenntnis genommen werden und wäre nur dann verwertbar, wenn die Strafverfolgungsbehörden den Beweis auf die gleiche Weise hätten erheben können. Eine solche hypothetische Prüfung wird jedoch gerade nicht vorgenommen 395 . Dies ist nach der hier vertretenen Auffassung allerdings auch richtig, wenngleich die Frage der Ermächtigungsgrundlage in den einschlägigen strafrechtlichen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichtes nicht eindeutig beantwortet wurde. Die Ermächtigungsgrundlagen für die Kenntnisnahme liegen in § 160 StPO für das Vorverfahren und im Untersuchungsgrundsatz aus § 244 Abs. 2 StPO für das Hauptverfahren, für die Verwertung selbst in § 261 StPO 396 . So sah auch das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung zur Verwertbarkeit von Zeugenaussagen im Zivilprozess, die auf dem rechtswidrigen Mithören von Telefongesprächen Dritter beruhten, unter Bezugnahme auf die zum Strafprozess ergangenen Entscheidungen die Ermächtigungsgrundlage für den Grundrechtseingriff in den §§ 373 ff. und § 286 ZPO. Damit war die Abwägung eröffnet und die Verwertbarkeit wurde im konkreten Fall bejaht 397 .

394

Vgl. Scheller, a.a.O., S. 318; Hüsch, Verwertungsverbote im Verwaltungsverfahren, S. 136 ff. 395 Siehe oben Seite 54. 396 Vgl. auch Störmer, Verfassungsrechtliche Verwertungsverbote im Strafprozeß, Jura 1994, S. 393 (397 f.). 397 BVerfG, NJW 2002, S. 3619 (3624).

C. Entwicklung des eigenen Ansatzes

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3. Zwischenergebnis: Keine Maßgeblichkeit des inländischen Rechts zur Begründung eines Verfahrensverstoßes Damit sind für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Erhebungsaktes nicht das inländische Recht, sondern die Vorschriften des Erhebungsortes maßgeblich. Dies gilt nicht nur, wenn die Beweiserhebung ursprünglich für ein eigenes Verfahren erfolgte. Auch wenn der ausländische Staat um die Beweiserhebung im Wege der Rechtshilfe ersucht wurde, müssen die ausländischen Ermittlungsorgane nach den eigenen geltenden Vorschriften für Beweiserhebungen im Rahmen der Rechtshilfe vorgehen. Dass diese Vorschriften manchmal den Ermittlungsorganen die Einhaltung des Rechts des ersuchenden Staates erlauben 398 oder ausnahmsweise auf dessen Bitte sogar vorschreiben 399 , ändert daran nichts. Die Rechtmäßigkeit des Erhebungsaktes ist hier eben nach dem für die Rechtshilfe entsprechend modifizierten Recht des Erhebungsortes zu beurteilen. Würde also ein Ermittlungsorgan eines Mitgliedsstaates des zur Zeit noch nicht EU-weit in Kraft getretenen EU-Rechtshilfeübereinkommen (2000) 400 die vom ersuchenden Staat nach Art. 4 Abs. 1 EU-RhUbk angegebene Verfahrensweise rechtswidrig, also obwohl kein Verstoß gegen die Grundprinzipien des Rechts des ersuchten Staates vorliegt, ignorieren, so würde sich ein Handlungsunrecht der ausländischen Behörde aus der Nichtbeachtung der völkerrechtlichen Verpflichtung, der die ausländische Behörde auch nach der eigenen Rechtsordnung nachkommen müsste, ergeben. Die Nichteinhaltung des Rechts des ersuchenden Staates wird also nur über den Verstoß gegen die eigene Rechtsordnung, die in solchen Fällen die Einhaltung ausländischen Rechts vorschreibt, relevant.

4. Folgen eines Verstoßes gegen ausländisches Recht Es stellt sich nun die Frage, ob und inwieweit aus einem Verstoß der ausländischen Behörde gegen ausländisches Recht in Deutschland ein Beweisverwertungsverbot folgen kann. Dies ist sowohl für den Fall, in dem die Vorgehensweise nach deutschem Verfahrensrecht ebenfalls rechtswidrig wäre, als auch für die Konstellation, in der die Vorgehensweise nach deutschem Verfahrensrecht nicht zu beanstanden wäre, zu entscheiden. 398

Vgl. z. B. Art. 4 S. 2 Europäisches Rechtshilfeübereinkommen (1959), vor allem aber die sehr weitgehenden Art. 65 f. des schweizerischen Rechtshilfegesetzes (IRSG). 399 Vgl. BayObLG JR 1985, S. 477, wo der österreichische Richter die für ihn nach Art. V I des deutsch-österreichischen Ergänzungsvertrages zum EuRhÜbk verbindliche Bitte um Benachrichtigung der Prozessbeteiligten missachtet hatte, was unter diesem Gesichtspunkt zur Unverwertbarkeit führte (siehe auch S. 87, Fn. 313). 400 Vgl. Seite 33, Fußnote 60.

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2. Teil: Allgemeiner Teil

Die Rechtsprechung prüft zwar die Einhaltung ausländischen Rechts. Dies dient meistens dazu, die Kompensation der Nichteinhaltung deutschen Rechts zu begründen. Die Formel, dass man sich mit der Einhaltung ausländischen Rechts begnügen müsse, muss aber nicht zwangläufig miteinschließen, dass auch die Einhaltung ausländischen Rechts ein Erfordernis für die Verwertbarkeit sein kann. Verstöße gegen strengeres ausländisches Recht führten jedenfalls in den bis jetzt von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen zu keinem Beweisverwertungsverbot 401. Dabei wurden jedoch zwei Aspekte vermischt: Einmal wurde festgestellt, dass der Verstoß gegen eine ausländische, im deutschen Recht inhaltlich ebenso existierende Norm kein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht, wenn der Verstoß gegen die entsprechende deutsche Norm keine solche Folge hat. Dies gilt auch in dem Fall, in dem der Beweis im Erhebungsstaat unverwertbar wäre. Diese Annahme bestätigt jedoch lediglich, dass sich die Auswirkungen eines Verfahrensverstoßes nach deutschem Recht richten. Eine andere Frage ist, ob der Verstoß gegen ausländisches Verfahrensrecht, auch wenn es strenger als das deutsche Recht ist, überhaupt geeignet ist, die Abwägung für das Eingreifen eines Beweisverwertungsverbotes zu eröffnen.

a) Keine generelle Unbeachtlichkeit wegen mangelnder Einwirkungsmöglichkeiten Man könnte zunächst behaupten, dass die Relevanz schon deshalb entfalle, weil dem deutschen Gericht der Rechtsverstoß nicht zugerechnet werden kann. Eine solche Argumentation entspricht der vom Reichsgericht in RGSt 40, S. 109 vertretenen Ansicht, dass die Rechtmäßigkeit des Erhebungsaktes nach ausländischem Recht völlig unerörtert bleiben könne, da die Rechtsauffassung eines ausländischen Strafverfolgungsorgans vom Standpunkt der inländischen Gerichtsbarkeit aufgrund mangelnder Zwangseinwirkungsmöglichkeiten ein tatsächliches Hindernis darstelle. Die Wertungen aus den späteren Entscheidungen des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes, in denen das ausländische Recht zwar geprüft wurde, dann jedoch vor allem zum Schluss herangezogen wurde, dass es deutschen Gerichten die Möglichkeit geboten hätte, auf eine dem deutschem Recht entsprechenden Beweiserhebung hinzuwirken 402 , könnten auch nach dieser Ansicht Bestand haben. Wichtig ist aber zunächst, diesen Ansatz unter der Prämisse zu untersuchen, dass kein Verstoß gegen Hinwirkungspflichten durch ein deutsches Gericht vorliegt.

401 BGH GA 1976, S. 219; BGH VRS 20 [1961], S. 122 (124); BGH NStZ 1985, S. 376; vgl. Seite 87. 402 RG HRR 1938 Nr. 637; BGH bei Spiegel, DAR 1977, S. 169 (170).

C. Entwicklung des eigenen Ansatzes

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Die Zugrundelegung dieser Ansicht würde nicht nur dazu führen, dass einem Verstoß gegen strengeres ausländisches Recht keine Relevanz zukäme. Selbst ein Verstoß gegen das Recht des Vernehmungsortes, welcher gleichzeitig auch dem deutschen Strafverfahrensrecht widerspricht, hätte kein Beweisverwertungsverbot zur Folge. Diese vollkommene Abkoppelung der Verwertbarkeit von der Rechtmäßigkeit des Erhebungsaktes bei gleichzeitiger Annahme der Irrelevanz der Nichteinhaltung deutschen Rechts hätte im Ergebnis zur Konsequenz, dass im Ausland gewonnene Beweise genau so behandelt würden wie von Privatpersonen gewonnene Beweise. Hier bestehen jedoch beträchtliche Unterschiede. Staatliche Ermittlungsorgane haben viel größere Möglichkeiten der Zwangseinwirkung, und ihrem Handeln haftet immer der Eindruck staatlicher Autorität an, sie sind dafür allerdings Verfahrensvorschriften unterworfen. Für Privatpersonen gilt dagegen keine Strafprozessordnung, sie werden aber durch das materielle Strafrecht vielfältig an Ermittlungsmaßnahmen gehindert. Der hier diskutierte Ansatz wäre also vom Ergebnis her schon nicht tragbar. Zur Überprüfung des Zurechnungsgedankens kann jedoch zusätzlich noch ein Vergleich mit einer ganz normalen Beweiserhebung im Inland gezogen werden. Unterlässt ein Polizeibeamter die Belehrung nach §§ 163 a Abs. 4 S. 2, 136 Abs. 1 S. 2 StPO, so hat das urteilende Gericht nichts zum Rechtsverstoß beigetragen. Es hatte keinen Einfluss auf die Beweiserhebung und die Beweiserhebung ist auch nicht wiederholbar, denn wäre der Angeklagte ohnehin weiterhin geständig, würde sich das Problem der Verwertbarkeit des früheren Geständnisses gar nicht stellen. Diesbezüglich gibt es keine bedeutenden Unterschiede zu einer ausländischen Vernehmung. Auch in reinen Inlandsfällen ist die Einwirkungsmöglichkeit nicht immer zwingend, was für die Annahme von Beweisverwertungsverboten keinen Unterschied macht. Die fehlenden Möglichkeiten der Einwirkung können an dieser Stelle nicht entscheidend sein.

b) Keine generelle Unbeachtlichkeit wegen Verweismöglichkeit auf ausländische Rechtsbehelfe Gegen die Relevanz eines Verstoßes gegen ausländisches Recht wird jedoch auch das Argument angeführt, dass der Schutz der Rechtsstellung des Beschuldigten nach ausländischem Recht nicht Aufgabe der deutschen Gerichte, sondern des ausländischen Staates sei 403 . Kombiniert mit einem Ansatz, der zur Begründung eines Beweisverwertungsverbotes auf das Erfolgsunrecht abstellt, also grundsätzlich die Einhaltung deutschen Verfahrensrechts für die Verwertbarkeit 403

Böse, Verwertung im Ausland gewonnener Beweismittel im deutschen Strafverfahren, ZStW 114 [2002], S. 148 (152).

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2. Teil: Allgemeiner Teil

fordert, würde dies immerhin bei Verstößen gegen beide Rechtsordnungen zu einem Beweisverwertungsverbot fuhren. Anders wäre es jedoch, wenn nur ein Verstoß gegen ausländisches Verfahrensrecht vorliegt. Verweist man auf die Verantwortlichkeit des ausländischen Staates, muss man sich aber fragen, wie sich der Beschuldigte gegenüber dem Erhebungsstaat hinsichtlich seiner Rechtsstellung tatsächlich behaupten soll. Problematisch ist hierbei, dass dem Beschuldigten i m Ermittlungsverfahren i n der Regel gar keine oder nicht effektiv nutzbare Rechtsbehelfe zur Verfugung stehen 4 0 4 . Häufig weiß er zu diesem Zeitpunkt nicht einmal etwas von den gegen ihn laufenden Maßnahmen. Das Ermittlungsverfahren ist eben in den meisten Rechtsordnungen der Verfahrensabschnitt, in dem die Verteidigungsrechte am schwächsten ausgeprägt s i n d 4 0 5 . Der Mangel an Rechtsschutzmöglichkeiten i m Ermittlungsverfahren w i r d - wie sich noch später zeigen w i r d - auch i n anderen Strafverfahrensordnungen durch Beweisverwertungsverbote i m Hauptverfahren ausgeg l i c h e n 4 0 6 . Findet die Hauptverhandlung nun in einem anderen Staat statt, entfällt diese Kontrollmöglichkeit durch die nationale Justiz weitgehend 4 0 7 . Das

404 Perron, A u f dem Weg zu einem europäischen Ermittlungsverfahren?, ZStW 112 [2000], S. 202 (219). 405 Vgl. Bendler, Verteidigungsrechte, StV 2003, S. 133. 406 Vgl. Seite 143 ff. 407 Zugegebenermaßen kann unter Umständen auch eine gerichtliche Überprüfung der Zulässigkeit der Leistungsbewilligung bzw. Vornahme der Rechtshilfe im ersuchten Staat in Betracht kommen, was natürlich von der einschlägigen ausländischen Rechtsordnung abhängt. In Deutschland entspricht der Vornahmerechtsschutz im Wesentlichen dem Rechtschutz, den der Beschuldigte auch bei Verfahren ohne Auslandsbezug im Ermittlungsverfahren hat (vgl. allgemein zum Rechtsschutz bei sonstiger Rechtshilfe: Lagodny bei Schomburg/Lagodny, Vor 59 IRG, Rn. 16 ff.). Er richtet sich nach den jeweils einschlägigen Vorschriften der StPO, ohne dass der Beschuldigte durch § 305 S. 1 StPO beschränkt wäre, hilfsweise nach § 23 EGGVG (Lagodny bei Schomburg/ Lagodny, Vor 59 IRG, Rn. 28, 33). Hinsichtlich der Leistungsermächtigung ist in § 61 Abs. 1 S. 2 IRG für die sonstige Rechtshilfe eine Rechtschutzmöglichkeit vorgesehen, welche allerdings nur die Herausgabe von Beweisgegenständen betrifft. In anderen Fällen sollen aber im Rahmen der Uberprüfung der Vornahmehandlung in Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG auch Einwendungen gegen die Leistungsermächtigung zulässig sein (BVerfG EZSt, § 61 IRG, Nr. 2, S. 2). Für diese Untersuchung werden freilich diese Regelungen nicht relevant, weil sich Deutschland ja in der Rolle des ersuchenden Staates befindet. Aus Rechtsschutzmöglichkeiten hinsichtlich der Leistungsermächtigung Schlüsse zu ziehen, ist ohnehin problematisch, da Rechtsverstöße bei der Bewillligung hier sowieso nicht zur Diskussion stehen (vgl. dazu Seite 115). Unabhängig davon und ob der ersuchte Staat nun entsprechende Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Vornahme bzw. Bewilligung von Rechtshilfe bietet, stellt sich ferner allgemein das Problem der tatsächlichen Überholung. Häufig wird der Beschuldigte erst viel später etwas von den gegen ihn laufenden Maßnahmen erfahren. Ist eine Übermittlung der Beweisergebnisse an den ersuchenden Staat schon erfolgt, bringt es dem Beschuldigten wenig, selbst wenn im ersuchten Staat nachträglich die Rechtswidrigkeit der Übermittlung festgestellt werden sollte. Eventuelle zusätzliche, meist eher theoretische Rechtsschutzmög-

C. Entwicklung des eigenen Ansatzes

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Gericht des Staates, in dem die Hauptverhandlung stattfindet, kann deshalb gegenüber der Rechtswidrigkeit der Ermittlungsmaßnahme nicht völlig indifferent bleiben 408 .

c) Keine generelle Unbeachtlichkeit wegen der Rechtslage bei der Auslieferung Eine nach ausländischem Recht rechtswidrige Auslieferung stellt nach deutschem Recht kein Prozesshindernis dar. Diesbezüglich findet durch deutsche Gerichte keine Kontrolle statt 409 . Bösem schließt daraus, dass für die Beweisverwertung in Deutschland ein Rechtsverstoß bei der Erhebung im Ausland genauso irrelevant sein müsse. Wilkitzki sieht in einer unterschiedlichen Behandlung von Auslieferung und Beweistransfer ebenfalls einen möglichen Widerspruch, lässt dessen Lösung aber offen 411 . Die Situationen sind jedoch sogar in zweifacher Hinsicht nicht vergleichbar: Zum einen darf die Leistungsbewilligung, die nach außen gegenüber dem ersuchenden Staat über das „ob" der Rechtshilfeleistung entscheidet, nicht mit der Vornahmehandlung, also dem „wie" der Rechtshilfeleistung, vermischt werden 412 . Für die Frage des Eingreifens eines Beweisverwertungsverbotes findet eine Überprüfung der Vornahmehandlung, d.h. der konkreten Beweiserhebung durch die ausländischen Ermittlungsorgane, statt. Die Rechtmäßigkeit der Leistungsbewilligung, ob es also zum Beispiel nach dem Recht der Cayman Islands überhaupt zulässig war, gegenüber der Bundesrepublik Deutschland wegen eines Fiskaldelikts Rechtshilfe zu leisten, steht an dieser Stelle gar nicht zur Diskussion 413 . Im Rahmen der Auslieferung dagegen richtete sich der Vorwurf in den entschiedenen Fällen nicht gegen die Modalitäten der Vornahmehandlung. Vielmehr wurde von der Verteidigung die Leistungsbewilligung angegriffen, also dass die Auslieferung nach dem Recht des ersuchten Staates überhaupt

lichkeiten im Erhebungsstaat rechtfertigen also keine völlig andere Bewertung. Darüber hinaus führt in einem deutschen Verfahren ohne Auslandsbezug das Nichtausnutzen von im Einzelfall doch auch faktisch möglichen Rechtsbehelfen im Ermittlungsverfahren auch nicht zu einer Präklusion des Angeklagten. 408 Perron, a.a.O, S. 219. 409 BGHSt 18, S. 218 (220); BGHSt 22, S. 307 (309). Freilich können sich unter dem Gesichtspunkt der Spezialität Prozesshindernisse für bestimmte Taten ergeben, wenn der ausländische Staat die Auslieferung von Bedingungen abhängig gemacht hat (vgl. Seite 28). 410 Böse, a.a.O., S. 148 (152 f.). 411 Wilkitzki bei Grützner/Pötz, Vor § 68 IRG, Rn. 17, Fn. 11. 412 Siehe oben Seite 27. 413 Die Relevanz der Rechtmäßigkeit der Leistungsbewilligung wird auch bei der sonstige Rechtshilfe zu verneinen sein. Vgl. Seite 115.

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nicht zulässig gewesen sei, weil es zum Beispiel an der beiderseitigen Strafbarkeit fehle oder ein politisches Delikt vorliege 414 . Die Relevanz der Rechtmäßigkeit der Leistungsbewilligung wurde allerdings vom Bundesgerichtshof zutreffend verneint. Auch aus der Sicht der in Betracht zu ziehenden Rechtsfolgen sind Verfahrensverstöße bei der Auslieferung nicht mit solchen im Rahmen der sonstigen Rechtshilfe vergleichbar, sogar unabhängig davon, ob die Leistungsbewilligung oder die Vornahmehandlung angegriffen wird. Die Rechtsfolgen richten sich nach deutschem Recht, da das Hauptverfahren und die Verwertung an sich deutsche Hoheitsakte sind 415 . Die Frage des Eingreifens eines Verfahrenshindernisses, welche bei vorangegangener rechtswidriger Auslieferung aufgeworfen wurde, unterscheidet sich dabei von der des Eingreifens eines Beweisverwertungsverbotes. In einem deutschen Strafverfahren ohne Auslandsbezug stellt es keine Prozessvoraussetzung dar, dass der der Anwesenheit des unwilligen Angeklagten zugrundeliegende Vorfiihrungs- oder Haftbefehl gem. § 230 Abs. 2 StPO oder gem. § 112 StPO rechtmäßig gewesen ist. Ein Rechtsverstoß fuhrt also zu keinem Verfahrenshindernis. Dies in Fällen, in denen das Erscheinen vor dem deutschen Gericht durch einen anderen Staat mittels Auslieferung herbeigeführt wurde, anders zu handhaben, wäre wohl sehr fernliegend 416 . Auch im Beweisrecht sind die möglichen Folgen eines Verfahrensverstoßes dem deutschen Recht zu entnehmen417. Ein Rechtsverstoß durch inländische Ermittlungsorgane bei der Vornahme einer Beweiserhebung kann zum Eingreifen eines Verwertungsverbots führen. Hier ist ebenfalls kein Grund ersichtlich, warum man von diesem Grundprinzip des Beweisrechts eklatant abweichen sollte, wenn der Fall Auslandsbezug hat 418 . In einer unterschiedlichen Behandlung von Auslieferung und Beweistransfer ist damit kein Widerspruch zu sehen, sie ist vielmehr im Gegenteil folgerichtig.

414

RGSt 42, S. 309 (311); BGHSt 18, S. 218 (220); BGHSt 22, S. 307 (309). Siehe oben Seite 97. 416 Nebenbei sei angemerkt, dass dem Auszuliefernden im Ausland wohl in aller Regel ein effektiv nutzbarer Rechtsbehelf gegen die Auslieferungsanordnung zur Verfugung steht oder ohnehin eine gerichtliche Überprüfung erfolgt (vgl. für Deutschland § 29 IRG; die abweichenden Regelungen der §§ 79 ff. IRG für den Europäischen Haftbefehl sind gem. Bundesverfassungsgericht vom 18. Juli 2005, Az. 2 BvR 2236/04 verfassungswidrig), ebenso wie sich der Angeklagte gegen einen Haftbefehl mittels Haftprüfung gem. § 117 StPO oder Haftbeschwerde gem. § 304 StPO wehren kann. Dies wird jedoch nicht der entscheidende Aspekt sein. Nicht einmal bei einer völkerrechtswidrigen Entführung wird das Erlöschen des Strafanspruchs der Bundesrepublik angenommen (vgl. Vogel bei Grützner/Pötz, Vor § 1 IRG, Rn. 22; Scherp bei Körner, § 31 BtMG, 5. Aufl., Rn. 173 mit zahlreichen Nachweisen). 415

417

Vgl. Seite 96. Im Ergebnis so auch Rose, a.a.O., S. 231, Fn. 710, der die unterschiedliche Entscheidungsherrschaft für ausschlaggebend hält. 418

C. Entwicklung des eigenen Ansatzes

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d) Zwischenergebnis: Grundsätzliche Beachtlichkeit eines Verstoßes gegen ausländisches Recht Für den Fall einer nach ausländischem Recht rechtmäßigen Beweiserhebung, die jedoch nicht dem deutschen Strafverfahrensrecht entspricht, wurde bereits oben das Vorliegen eines Verfahrensverstoßes, der als Anhaltspunkt für ein unselbständiges Beweisverwertungsverbot dienen könnte, verneint. Konsequenterweise muss man dagegen bei einem Verstoß gegen ausländisches Recht einen geeigneten Verfahrensverstoß anerkennen, unabhängig davon, ob eine entsprechende Vorschrift in Deutschland existiert oder nicht. Die Rechtswidrigkeit des Erhebungsaktes nach ausländischem Recht stellt damit auch dann einen Verfahrensverstoß dar, der die Abwägung über das Eingreifen eines Beweisverwertungsverbotes eröffnen kann, wenn das ausländische Recht im konkreten Fall strenger als das deutsche ist.

e) Anwendung allgemeiner Abwägungskriterien Dennoch gilt natürlich auch bei Auslandsbeweisen, dass nicht jeder Verfahrensverstoß ein Beweisverwertungsverbot nach sich ziehen muss. Obgleich das Vorliegen eines Verfahrensverstoßes nach ausländischem Recht bestimmt wird, richten sich die Folgen eines Verstoßes nach deutschem Recht. Hier sind ebenfalls die sonst anerkannten Abwägungskriterien 419 - der Schutzzweck der Norm, das Schutzbedürfhis des Beschuldigten, die Möglichkeit eines hypothetischen Ersatzeingriffs und grundsätzlich auch die Vorwerfbarkeit des Fehlverhaltens - entsprechend heranzuziehen.

aa) Verstoß gegen ausländische Normen mit Entsprechung im deutschen Recht Relativ einfach sind anhand dieser Kriterien Fälle zu beurteilen, in denen gegen eine ausländische Norm verstoßen wird, die im deutschen Recht ein Pendant findet. Zieht der Verstoß gegen die entsprechende deutsche Norm kein Beweisverwertungsverbot nach sich, kann auch der Verstoß gegen die ausländische Vorschrift keine solche Folge haben. Wird für Inlandsvernehmungen angenommen, dass die Belehrung nach § 55 Abs. 2 StPO nicht dem Schutz des Angeklagten, sondern des Zeugen dient, seinen Rechtskreis nicht berührt und deshalb der Verstoß gegen diese Vorschrift kein Beweisverwertungsverbot nach

419

Vgl. Seiten 67 ff.

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sich zieht 420 , muss dies auch für eine im Ausland vorgenommene Vernehmung gelten 421 . Hat im Ausland ein Verfahrensfehler aus dem Gesichtpunkt des Schutzes der Wahrheitsfindung ein Verwertungsverbot zur Konsequenz, weil man zum Beispiel einer Jury nicht das Abstraktionsvermögen eines Berufsrichters zutraut 422 , kann diese Wertung nicht auf ein deutsches Strafverfahren übertragen werden, in dem Berufsrichter diesen Aspekt in der Beweiswürdigung nachvollziehbar berücksichtigen müssen. Der diesbezüglichen Linie in der Rechtsprechung42^ ist somit zuzustimmen 424 . Der Verstoß gegen eine ausländische Vorschrift führt dann zu einem Beweisverwertungsverbot, wenn ein Zuwiderhandeln gegen deren deutsches inhaltliches Pendant die gleiche Folge hätte.

bb) Verstoß gegen ausländische Normen ohne Entsprechung im deutschen Recht Es sind jedoch auch Fälle denkbar, in denen gegen eine ausländische Norm verstoßen wurde, die in Deutschland in der Form nicht existiert. Hier ist es schwerer, die Wertungen, die für Beweisverwertungsverbote bei inländischen Beweiserhebungen gelten, zu übertragen. Dennoch hat man sich ebenfalls an den auch sonst allgemein bestehenden Abwägungskriterien zu orientieren, wobei dem hypothetischen Ersatzeingriff die entscheidende Bedeutung zukommen wird. Vorweg können aber auch hier Verstöße gegen sogenannte reine Ordnungsvorschriften - besser Vorschriften, die nicht dem Schutz des Beschuldigten dienen - ausgeschieden werden. Der Verstoß gegen eine solche hier ausländische Vorschrift kann nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führen. Auch wenn eine entsprechende Vorschrift in Deutschland nicht existiert, muss man versuchen, die entsprechenden Wertungen für Inlandssachverhalte so zu übertragen, als wäre die entsprechende Vorschrift zum Zeitpunkt der Beweiserhebung ins deutsche Recht inkorporiert gewesen. Ist der Verstoß gegen eine ausländische Norm, die keine Entsprechung im deutschen Recht findet, nach der hier vertretenen Auffassung grundsätzlich ge420

BGHSt 11, S. 213; vgl. Seite 58. So z.B. beim Verstoß gegen den inhaltsgleichen § 132 i.V.m. § 131 Zürcher StPO, obwohl dieser nach schweizerischem Recht zur Unverwertbarkeit fuhrt. Vgl. Seite 87. 422 Vgl. Seite 69, Fußnote 232. 423 BGH GA 1976, S. 219. 424 So auch Rose, a.a.O., S. 274; Dölling bei Alternativkommentar, § 251 StPO, Rn. 27; Schlüchter bei Systematischer Kommentar, § 251 StPO, Rn. 38. 421

C. Entwicklung des eigenen Ansatzes

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eignet, ein Beweisverwertungsverbot zu begründen, stellt sich aber insbesondere die Frage, inwieweit der allgemeine Abwägungsaspekt des hypothetischen Ersatzeingriffs 425 in solchen Fällen zum Tragen kommen kann. Der Gedanke, dass die Rechte des Beschuldigten durch die deutsche Verfahrensordnung ausreichend gewahrt seien 426 , könnte in Form einer Prüfung der hypothetischen Rechtmäßigkeit eines entsprechenden Vorgehens im Inland, also nach deutschem Verfahrensrecht, in die Abwägung miteinfließen. Dies kann jedoch nicht derart geschehen, dass das deutsche Recht pauschal zum höchsten Anforderungsniveau erklärt wird Das käme wegen der ansonsten geltenden Maßgeblichkeit ausländischen Rechts einer nicht zu rechtfertigenden Herabsenkung des Schutzniveaus auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gleich 427 . Die Rechte des Beschuldigten werden in verschiedenen Verfahrensordnungen auf höchst unterschiedliche Weise gewährleistet. Ein Schutzmechanismus, der in einem Land existiert, kann in einem anderen Land an anderer Stelle auftreten. So sieht zum Beispiel die englische Rechtsordnung vor, dass eine Belehrung über das Recht auf Verteidigerkonsultation erst auf der Polizeistation erfolgen soll 4 2 8 . Der Beschuldigte darf aber auch grundsätzlich nur auf der Polizeistation vernommen werden. Nur in den Fällen, in denen eine Verteidigerkonsultation auch auf der Polizeistation hinausgeschoben werden könnte, ist eine vorherige Befragung vor Ort zulässig. Würde man das in einem Punkt strengere ausländische Recht (Vernehmungen grundsätzlich nur auf der Polizeistation) für unbeachtlich erklären und die Nichteinhaltung deutschen Rechts in einem anderen Punkt (Belehrung über das Recht auf Verteidigerkonsultation unabhängig vom Vernehmungsort), so könnte man in einer entsprechenden Konstellation zur Verwertbarkeit einer nach beiden Rechtsordnungen unter möglicherweise erheblichen Verfahrensmängeln leidenden Beweiserhebung kommen. Eine solche Art des Rosinenpickens - also die Kombination der jeweils weniger strengen Elemente aus der deutschen und der ausländischen Rechtsordnung - darf nicht zulässig sein. In anderen Fällen kann der allgemeine Abwägungsaspekt des hypothetischen Ersatzeingriffs zum Tragen kommen. Zur Bestimmung der Ausgangsbasis sollte man sich noch einmal die Anwendung des Grundsatzes bei Fällen ohne Auslandsbezug vergegenwärtigen. Als Vergleichsfiall kann zunächst das Beispiel 425

Siehe oben Seite 73. BGH, 2 StR, 480/73 bei Diemer bei Karlsruher Kommentar, § 251 StPO, Rn. 18; vgl. auch Rose, a.a.O., S. 273 f.; Böse, a.a.O., S. 148 (152). 427 Vgl. Gane/Mackarel, The Admissibility of Evidence Obtained from Abroad into Criminal Proceedings, EJCCLCJ 1996, S. 98 (116), die allerdings im Ergebnis eine Art Meistbegünstigung vertreten (S. 118). 428 Vgl. para 6.6 (b)(i) in der seit dem 1. April 2003 geltenden Fassung und para 11.1 Code C zum Police and Criminal Evidence Act (PACE) 1984; siehe auch unten Seite 152. 426

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2. Teil: Allgemeiner Teil

einer Beschlagnahme dienen, die wegen einer Variante des § 97 Abs. 1 StPO ursprünglich unzulässig war. Entsteht in einem solchen Fall im Nachhinein ein Teilnahmeverdacht, der gem. § 97 Abs. 2 S. 2 StPO das Erhebungsverbot entfallen lassen würde, wird die Verwertung aufgrund der Hypothese einer erneuten rechtmäßigen Beschlagnahme zugelassen429. Der Herleitung eines allgemeinen Grundsatzes könnte jedoch entgegengehalten werden, dass eine Beschlagnahme unter Zugrundelegung der jetzt bekannten Tatsachen tatsächlich jederzeit wiederholbar wäre, was bei anderen Beweismitteln nicht der Fall sein muss. Bekanntermaßen sind hypothetische Überlegungen aber auch ohne tatsächliche Wiederholbarkeit zulässig. Dies zeigt sich am Beispiel der Rechtsänderung. Wie oben bereits dargelegt, haben gesetzliche Neuregelungen keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit vor ihrem Inkrafttreten vorgenommener Verfahrenshandlungen, entscheidend bleibt das damals geltende Recht 430 . Im umgekehrten Fall wird ein Verstoß gegen die zur Zeit der Vornahme der Verfahrenshandlung geltenden Vorschriften aber ebenfalls für unschädlich gehalten, wenn die verletzte Vorschrift zum Entscheidungszeitpunkt bereits aufgehoben wurde 4 3 1 . Die Sanktionierung eines Verstoßes gegen eine Vorschrift, zu der sich der Gesetzgeber nicht mehr bekennt, wird nicht für erforderlich gehalten. Bei ergebnisorientierter Betrachtung kommt es also in den Beispielsfallen - wegen der in der jeweils entgegengesetzten Konstellation mangels eines Verfahrensverstoßes ebenfalls bestehenden Verwertbarkeit 432 - zur Annahme der für den Angeklagten ungünstigeren Variante. Dies ist jedoch aufgrund des allgemein geltenden Untersuchungsgrundsatzes als hinnehmbar anzusehen. Diese Grundsätze sind auf im Ausland gewonnene Beweise zu übertragen. Wurde bei der Beweiserhebung gegen eine ausländische Vorschrift verstoßen, die keine Entsprechung im deutschen Recht findet, entspräche aber die gesamte Vorgehensweise deutschen Vorschriften, so besteht aus der Sicht des deutschen Rechts grundsätzlich keine Notwendigkeit, das gegebene Handlungsunrecht durch ein Beweisverwertungsverbot zu ahnden. Wird also gegen ein nur im ausländischen Recht bestehendes Beschlagnahmeverbot verstoßen und der Beweisgegenstand im Wege der Rechtshilfe aber dennoch dem deutschen Gericht zur Verfügung gestellt, so kann dieser Gegenstand im deutschen Strafprozess in Augenschein genommen werden, ohne dass es einer erneuten Beschlagnahme bedürfte.

429 430 431

Siehe oben Seite 74. Siehe oben Seite 99, Fußnote 376. OLG Hamburg, NJW 1975, S. 988; Rieß bei Löwe/Rosenberg, Einl. Abschn. D,

Rn. 24. 432

Siehe oben Seiten 57 und 99.

C. Entwicklung des eigenen Ansatzes

115

Die Rechtmäßigkeit eines hypothetischen Erhebungsaktes bei reinen Inlandssachverhalten lässt jedoch nicht immer ein Beweisverwertungsverbot entfallen. So wurde bereits oben dargestellt, dass ein bewusstes Hinwegsetzen über Verfahrensvorschriften oder eine unbewusste, aber völlig unvertretbare Verhaltensweise in der Regel nicht durch einen hypothetischen Ersatzeingriff ausgleichbar ist 4 3 3 . Fraglich ist deshalb, ob auch bei Auslandssachverhalten eine besondere Vorwerfbarkeit des Fehlverhaltens der ausgleichenden Wirkung entgegensteht. Grundgedanke dieser Einschränkung war bei Inlandssachverhalten, dass bestimmte strafprozessuale Normen - wie zum Beispiel der Richtervorbehalt - durch die Berücksichtigung eines hypothetischen Ersatzeingriffs nicht faktisch zu reinen Empfehlungen herabgestuft werden dürfen. Hier besteht ein Bedürfnis der Normstabilisierung, auch wenn die Gefahren, welche durch die individualschützende Norm abgewendet werden sollten, sich im konkreten Fall nicht voll verwirklicht haben. Ein solches Bedürfnis der Stabilisierung gibt es gegenüber ausländischen Normen nicht, da eine Verwertung in Deutschland schon keine solche herabstufende Wirkung auf ausländische Vorschriften haben kann. In solchen Fällen ist es nicht erforderlich, dass sich der deutsche Staat zu den verletzten Normen im besonderen Maße bekennt, da er sie ja selbst nicht aufgestellt hat und auch entsprechende Regelungen nicht für notwendig hält 4 3 4 . Im Rahmen der Abwägung darf bei hypothetischer Rechtmäßigkeit der Ermittlungsmaßnahme nach deutschem Recht einer besonderen Vorwerfbarkeit des Fehlverhaltens nur eine deutlich geringere Bedeutung zukommen. Letztendlich kann hier keine Aussage für alle denkbaren Einzelfälle getroffen werden. Die Ergebnisse einer Ermittlungsmaßnahme werden aber trotz der Verletzung ausländischer Vorschriften in aller Regel verwertbar sein, wenn die Vorgehensweise in ihrer Gesamtheit deutschem Verfahrensrecht entsprochen hätte.

5. Unbeachtlichkeit von Rechtsverstößen ausländischer Behörden bei der Leistungsbewilligung Wurde vorstehend festgestellt, dass einem Verstoß gegen ausländisches Recht bei der Beweiserhebung nach Anwendung allgemeiner Abwägungskriterien ein Beweisverwertungsverbot folgen kann, ist noch die Frage zu klären, ob auch Rechtsverstößen bei der Bewilligungsentscheidung durch die Behörden des ersuchten Staates eine solche Bedeutung zukommen vermag. Die Bewilli433

Siehe oben Seiten 73 und 75. Vgl. oben Seite 76. Zur Klarstellung sei noch angemerkt, dass isolierte Verstöße gegen ausländische Zuständigkeitsvorschriften freilich zu Beweisverwertungsverboten führen können, z.B. ein Verstoß gegen einen ausländischen Richtervorbehalt bei der Telekommunikationsüberwachung. In einem solchen Fall enspricht die Vorgehensweise in ihrer Gesamtheit aber auch nicht dem deutschen Recht. 434

116

2. Teil: Allgemeiner Teil

gungsentscheidung betrifft nicht das „wie" der Vornahme der Ermittlungshandlung, sondern die Frage, „ob" überhaupt Rechtshilfe geleistet werden soll und darf. Nun wurde oben bereits erwähnt, dass es jedem Staat freisteht, einem anderen Staat Rechtshilfe zu leisten, unabhängig davon, ob der Rechtshilfeverkehr im vertragslosen oder vertraglich gebundenen Bereich stattfindet; er darf im vertraglich gebundenen Bereich auch freiwillig mehr leisten, als es seiner vertraglichen Verbindlichkeit entspricht 435 . Diese völkerrechtlich unbegrenzte Freiheit kann aber und wird auch in der Regel innerstaatlichen Beschränkungen unterworfen sein 436 . Fraglich ist deshalb, ob sich die Verteidigung in einem deutschen Verfahren darauf berufen könnte, dass zum Beispiel die österreichische Bewilligungsbehörde die gem. § 3 Abs. 1 des dortigen Auslieferungs- und Rechtshilfegesetzes erforderliche Gegenseitigkeit unrichtigerweise bejaht habe 4 3 7 . Vielleicht wurde auch die Strafbarkeit nach schweizerischem Recht, welche nach Art. 64 des Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (1RSG) Voraussetzung für die Bewilligung von Zwangsmaßnahmen ist 4 3 8 , von der zuständigen Behörde falsch beurteilt oder entgegen Art. 51 Abs. 1 Nr. 7, 15 Nr. 2 des Liechtensteinischen Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom Fürstentum Rechtshilfe in einer fiskalischen Strafsache geleistet 439 . Auch ist ein Fall denkbar, in dem die Leistung von Rechtshilfe rechtsfehlerhaft nicht von Bedingungen zum Schutz dieser Prinzipien abhängig gemacht wurde. Man könnte hier zumindest auf die Idee kommen, dass auch eine nach dem Recht des ersuchten Staates rechtsfehlerhafte Bewilligungsentscheidung ein relevantes Handlungsunrecht darstelle. Hier allein nochmals die Parallele zur Auslieferung zu ziehen, um festzustellen, dass es für ein deutsches Verfahren auf die Rechtmäßigkeit der diesbezüglichen Bewilligungsentscheidung nicht ankommt 440 , wird nicht ausreichen. Oben wurde festgestellt, dass sich die Unbeachtlichkeit der Rechtmäßigkeit der

435

Vogel bei Grützner/Pötz, Vor § 1 IRG, Rn. 25; vgl. oben Seite 26. Nagel, Beweisaufnahme im Ausland, S. 74. 437 Freilich ist dies im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland eher fernliegend, da zwischen den beiden Staaten umfangreiche vertragliche Beziehungen bestehen, die die Wechselseitigkeit in der Regel gewährleisten. Probleme können sich allerdings bei Vorbehalten des ersuchenden Staates im Rahmen multilateraler Rechtshilfe Verträge ergeben, die der ersuchte Staat in diesem Zweierverhältnis dann auch geltend machen kann, oder wenn die gewünschte Rechtshilfeleistung über vertragliche Verpflichtungen hinausgeht. 436

438 Nach dem EuRhÜbk ist die beiderseitige Strafbarkeit eigentlich nicht mehr yoraussetzung für die Leistung von sonstiger Rechtshilfe. Nach Art. 5 Abs. 1 lit. a des Übereinkommens können jedoch Vorbehalte bezüglich Zwangsmaßnahmen erklärt werden, wovon die meisten Vertragsstaaten Gebrauch gemacht haben. 439 Vgl. auch Art. 2 EuRHÜbk. 440 BGHSt 18, S. 218 (220); BGHSt 22, S. 307 (309); vgl. Seite 109.

C. Entwicklung des eigenen Ansatzes

117

Auslieferung auch damit begründen lässt, dass die dort aufgeworfene Rechtsfolge eines Prozesshindernisses ohnehin nicht in Betracht kommt, unabhängig davon, ob nun die Bewilligungsentscheidung oder die Vornahmehandlung angegriffen wird 4 4 1 . Hier hingegen steht die Rechtsfolge eines Beweisverwertungsverbotes zur Diskussion. In rein inländischen Verfahren ergeben sich Beweisverwertungsverbote aus Rechtsverstößen bei der Beweiserhebung selbst, also bei dem Akt, den man im Rahmen der Rechtshilfe als Vornahmehandlung bezeichnet. Ein der Bewilligungsentscheidung ähnelnder Verfahrensschritt gibt es in rein inländischen Strafverfahren nicht. Eine Analogie könnte allenfalls zu der Notwendigkeit der Erteilung einer Aussagegenehmigung für öffentliche Bedienstete nach § 54 StPO und der Möglichkeit einer Sperrerklärung nach § 96 StPO für behördliche Schriftstücke oder auch V-Personen gezogen werden, wo aus der Rechtswidrigkeit der Erteilung einer Genehmigung oder Nichtvornahme einer Sperrerklärung allerdings nie ein Beweisverwertungsverbot gefolgert werden kann 442 . Problematisch hinsichtlich der Vergleichbarkeit ist jedoch, dass in diesen Fällen eine Genehmigungsverweigerung oder eine Sperrerklärung sowieso nicht im schützenswerten Interesse des Angeklagten liegt 443 . Wegen der Schwierigkeit, brauchbare Vergleichsmaßstäbe zu finden, ist es notwendig, den Zweck des Bewilligungsverfahrens im Rahmen der zwischenstaatlichen Rechtshilfe an dieser Stelle nochmals zu verdeutlichen. Durch das Bewilligungsverfahren schützt der ersuchte Staat vor allem seine Souveränität und nationalen Interessen, in dem er ausländische Entscheidungen zur Durchführung von Strafverfolgungsmaßnahmen nicht unbesehen anerkennt 444. Dabei können auch Opportunitätsgesichtspunkte einfließen, wenn zum Beispiel die Leistung von Rechtshilfe für bestimmte Deliktsgruppen ausgeschlossen wird. Das Bewilligungsverfahren dient ferner auch dazu, aus der Sicht des ersuchten

441

Vgl. Seite 110. Meyer-Goßner, § 54 StPO, Rn. 24 und § 96 StPO, Rn. 15. Auch die rechtmäßige Sperrerklärung fuhrt nicht zu einem Beweisverwertungsverbot, wenn dem Gericht durch andere Erkenntnisquellen z.B. die Identität der V-Person bekannt wird (vgl. BGH NStZ 2003, S. 610). 443 Es stellt sich ja vielmehr meistens das umgekehrte Problem, dass sich der Angeklagte durch eine verweigerte Aussagegenehmigung oder eine Sperrerklärung in seiner Verteidigung behindert fühlt. In einem solchen Fall muss er die behördliche Entscheidung gesondert anfechten. In einem Fall ungenügender Bemühungen des Gerichts ist im Rahmen der Revision auch die Aufklärungsrüge nach § 244 Abs. 2 StPO zu erwägen. 444 Das Bewilligungsverfahren wird im Rahmen der Europäischen Union, soweit das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung weiter Fuß fassen wird, an Bedeutung verlieren. Ein völliger Wegfall ist jedoch noch nicht absehbar. Selbst bei der ersten (durch BVerfG v. 18. Juli 2005, Az. 2 BvR 2236/04 für nichtig erklärten) Umsetzung des Europäischen Haftbefehls in deutsches Recht wurde auf ein Bewilligungsverfahren nicht völlig verzichtet (vgl. §§ 83 a ff. IRG). 442

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2. Teil: Allgemeiner Teil

Staates Individualrechtsschutz zu betreiben, also den Beschuldigten vor der vermeintlichen oder tatsächlichen Ungerechtigkeit einer fremden Rechtsordnung zu bewahren. Die Frage, ob auch solche Erwägungen im Rahmen des Strafverfahrens in Deutschland anzuerkennen sind, ist zu verneinen. Man kann man von deutschen Gerichten nicht verlangen und es diesen auch nicht zugestehen, dass sie für einen anderen Staat dessen Souveränitätsinteressen im Nachhinein absichern, wenn die Vertreter dieses Staates auf diesen Schutz faktisch verzichtet bzw. diesen nicht eingefordert haben. Vielleicht sieht der ersuchte Staat auch gerade im Verzicht die Ausübung seiner Interessen 445. Ferner kann ein Schutz des Individuums vor der deutschen Rechtsordnung aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung niemals notwendig sein. Hier ergibt sich auch kein Widerspruch zur oben angenommenen grundsätzlichen Relevanz des ausländischen Rechts bezüglich der Vornahmehandlung, da es dort um den auch von der deutschen Rechtsordnung anerkannten Schutz des Individuums vor den StrafVerfolgungsbehörden geht 446 . Die Entscheidung, ob überhaupt Rechtshilfe geleistet werden soll, ist aber vom ersuchten Staat autonom zu treffen; nur er kann darüber befinden, welche Strafverfahren er für unterstützungswürdig hält. Eine Bewilligung kann sich aus deutscher Sicht nie als sanktionswürdig erweisen. Diesbezügliche Verstöße gegen ausländisches Recht sind für die Verwertbarkeit eines Beweismittels in Deutschland unbeachtlich. Zur Klarstellung sei noch angemerkt, dass es dem ausländischen Staat natürlich unbelassen bleibt, durch Stellung von Bedingungen seine Interessen zu schützen, soweit er nicht durch die von ihm eingegangen Rechtshilfevereinbarungen darauf verzichtet hat. Solche Bedingungen müssen dann gem. § 72 IRG auch eingehalten werden, da die Bundesrepublik Deutschland sich völkerrechtsfreundlich verhalten muss und ein Interesse daran hat, auch in künftigen Fällen Rechtshilfe zu erhalten. Dies kann unter dem Gesichtspunkt der Spezialität zu völkerrechtlich begründeten Beweisverwertungsverboten führen 447 . Bleibt der ersuchte Staat jedoch untätig, findet in Hinsicht auf die ausländische Bewilligungsentscheidung keine Rechtmäßigkeitskontrolle statt.

445

So wurde der Bundesrepublik zur Verfolgung von Verbrechen während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft von Staaten des Ostblocks intensiver als sonst Rechtshilfe geleistet. 446 Vgl. Seiten 105 ff. 447 BGHSt 34, 334 (341); vgl. Seiten 135 ff.

C. Entwicklung des eigenen Ansatzes

119

6. Verstoß gegen Hinwirkungspflichten durch deutsche Strafverfolgungsorgane Ein Handlungsunrecht kann sich jedoch auch aus Verhaltensweisen oder Versäumnissen deutscher StrafVerfolgungsorgane ergeben. Die deutschen Strafverfolgungsorgane befinden sich nicht immer in der bloßen Zuschauerrolle. Eine Beweiserhebung, die der ausländische Staat ursprünglich für ein eigenes Verfahren durchgeführt hat, ist in der Regel nicht wiederholbar. Findet jedoch die Beweiserhebung im Ausland aufgrund eines Rechtshilfeersuchens statt, können die deutschen StrafVerfolgungsorgane bereits im Ersuchen auf die Einhaltung deutscher Vorschriften hinwirken. Der obige Überblick über die Rechtsprechung hat gezeigt, dass diese von deutschen StrafVerfolgungsorganen auch verlangt, entsprechende Möglichkeiten zu nutzen, also auf eine Beweiserhebung hinzuwirken, die so weit wie möglich deutschen Verfahrensvorschriften genügt 448 . Erst recht wird angenommen, dass deutsche StrafVerfolgungsorgane keinesfalls Anlass für eine nicht im ausländischen Recht begründete Nichteinhaltung deutscher Vorschriften bieten dürfen. Diese Rechtsprechung wird auch im Schrifttum wohl nicht bestritten. Genau wie in den Fällen, in denen sich staatliche Ermittlungsorgane gezielt des Privaten zur Umgehung von Verfahrensvorschriften bedienen 449 , oder auch in der bereits konstruierten Konstellation, in der Strafverfolgungsbehörden planmäßig zur Umgehung strafverfahrensrechtlicher Vorschriften andere Behörden der öffentlichen Verwaltung um Ermittlungen ersuchen 450, kann auch bei Beweiserhebungen im Ausland, die auf ein deutsches Rechtshilfeersuchen zurückgehen, ein eigenes Handlungs- oder Unterlassungsunrecht der ersuchenden deutschen StrafVerfolgungsorgane vorliegen. Auch wenn die deutschen StrafVerfolgungsorgane im Gegensatz zu den obengenannten Fällen nicht selbst handeln können, sondern auf fremde Hilfe angewiesen sind, dürfen die Möglichkeiten der Rechtshilfe nicht dazu missbraucht werden, die deutschen strafverfahrensrechtlichen Vorschriften zu umgehen. Vielmehr muss versucht werden, dass die Beweiserhebung in einer Weise erfolgt, die den deutschen Vorschriften möglichst nahe kommen. Dies kann allerdings nur in dem Ausmaß verlangt werden, in dem ein Hinwirken auch erfolgsversprechend erscheint. Von vornherein aussichtslose Bemühungen

448

RG HRR 1938 Nr. 637, BGH bei Spiegel, DAR 1977, S. 169 (170); BGHSt 35, S. 83; BGHSt 42, S. 86; vgl. Seite 84. Inwieweit BGH bei Becker, NStZ-RR 2002, S. 65 (67) hier aus der Reihe fallt ist schwer zu beurteilen, da es sich lediglich um eine ergänzende Bemerkung zu einem Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO handelt und nicht beurteilt werden kann inwieweit durch die Revisionsbegründung § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügt wurde. 449 Man stellte sich vor z. B. ein privater Sicherheitsdienst würde mit Ermittlungen beauftragt. Vgl. auch BGHSt 44, S. 129. 450 Vgl. oben Seite 101.

120

2. Teil: Allgemeiner Teil

wären eine bloße Förmelei, auch Anstrengungen, die auf eine gedanklich nie ausschließbare, überraschend große Kooperationsbereitschaft der Behörden des ersuchten Staates spekulieren, können nicht verlangt werden. Soweit es aber nach dem ausländischen Recht einschließlich der auch dort zu beachtenden Rechtshilfeabkommen zulässig und nach den Umständen erreichbar ist, kann von den deutschen Strafverfolgungsorganen verlangt werden, durch Hinweise und mögliche Anträge darauf hinzuwirken, dass die deutschen Verfahrensvorschriften beachtet werden 451 . Die Gestaltungsmöglichkeiten, die die einschlägigen Rechtshilfeübereinkommen bieten, müssen genutzt werden. So werden die Hinwirkungspflichten im Rahmen des Rechtshilfeverkehrs mit Mitgliedsstaaten des wohl bald auch unionsweit in Kraft tretenden EU-Rechtshilfeübereinkommens aus dem Jahre 2000 4 5 2 besondere Bedeutung erlangen. Nach Art. 4 Abs. 1 EU-RhÜbk hat der ersuchte Mitgliedsstaat, die vom ersuchenden Mitgliedsstaat angegebenen Formvorschriften und Verfahren einzuhalten, sofern die angegebenen Verfahren nicht den Grundprinzipien des Rechts des ersuchten Staates zuwiderlaufen. Als klassisches Beispiel schon länger bestehender Hinwirkungsmöglichkeiten ist Art. 4 des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens von 1959 zu sehen. Demnach hat der ersuchte Staat auf ausdrückliches Verlangen des ersuchenden Staates diesen von Zeit und Ort der Erledigung des Rechtshilfeersuchens zu unterrichten. Insbesondere wird die Möglichkeit eingeräumt, um die Gestattung der Teilnahme von Verfahrensbeteiligten zu bitten. In vielen bilateralen Zusatzvereinbarungen ist darüber hinaus die direkte Benachrichtigung der Verfahrensbeteiligten durch den ersuchten Staat vereinbart worden, wenn ein entsprechender Wunsch geäußert wird. In weiteren bilateralen Vereinbarungen haben sich die Staaten bekanntermaßen sogar verpflichtet, der Bitte um Gestattung der Teilnahme immer nachzukommen . Hinwirkungspflichten bestehen aber auch nur dann, wenn die Beachtung einer Vorschrift nach deutschem Recht auch tatsächlich notwendig wäre. Wenn bei einem Verfahren im Inland eine Vernehmung wegen § 168 c Abs. 5 S. 2 StPO ohne Benachrichtigung des Verteidigers erfolgen darf, müssen die deutschen Ermittlungsbehörden auch nicht für dessen Möglichkeit einer Teil-

451

Gollwitzer bei Löwe/Rosenberg, § 251 StPO, Rn. 22. Vgl. Seite 33, Fußnote 60. 453 Vgl. dazu z.B.: Art. III des deutsch-schweizerischen Ergänzungsvertrags zum EuRhÜbk, Art. V I des deutsch-österreichischen Ergänzungsvertrages, Art. V des deutsch-israelischen Ergänzungsvertrages oder Art. IV des deutsch-italienischen Ergänzungsvertrages, siehe auch S. 86. 452

C. Entwicklung des eigenen Ansatzes

121

nähme an einer Vernehmung im Ausland sorgen 454 . Nicht zu verlangen ist schließlich auch, auf die Einhaltung von Vorschriften hinzuwirken, die in Hinblick auf den Schutz des Angeklagten auch in Deutschland keine größere Bedeutung zugemessen wird, also auf die Vorschriften aus deren Verletzung in Deutschland ohnehin kein Beweisverwertungsverbot folgt.

7. Zusammenfassung der Ergebnisse Die im diesem Abschnitt entwickelten Grundregeln lassen sich wie folgt zusammenfassen: - Der Verstoß gegen ausländisches Recht einschließlich der eingegangenen Rechtshilfeverpflichtungen, nicht aber die bloße Nichteinhaltung deutschen Rechts durch ausländische StrafVerfolgungsorgane kann einen Anknüpfungspunkt für ein unselbständiges Beweisverwertungsverbot darstellen 455 . -

Wird gegen eine dem deutschen Recht entsprechende ausländische Vorschrift verstoßen, so folgt aus dem Verfahrensverstoß dann ein Beweisverwertungsverbot, wenn der Verstoß gegen die entsprechende deutsche Vorschrift dieselbe Folge hätte. Die Folgen des Verfahrensverstoßes nach ausländischem Recht sind nicht relevant 456 .

-

Wird gegen eine ausländische Vorschrift verstoßen, die keine Entsprechung im deutschen Recht findet, so stellt dies trotzdem grundsätzlich einen für ein Beweisverwertungsverbot tauglichen Verfahrensverstoß dar. In der Abwägung wird jedoch, aufgrund der Prüfung der hypothetischen Rechtmäßigkeit des Erhebungsaktes nach deutschem Recht, die Folge eines Verwertungsverbotes meist nicht eintreten 457 .

- Deutsche StrafVerfolgungsorgane haben nach Möglichkeit auf die Einhaltung deutschen Verfahrensrechts hinzuwirken, sie dürfen erst recht nicht Anlass zu einer nicht im ausländischen Recht begründeten Nichteinhaltung deutscher Vorschriften geben. Ein Verstoß gegen diese Pflichten durch deutsche StrafVerfolgungsorgane stellt ebenfalls einen Anknüpfungspunkt für ein unselbständiges Beweisverwertungsverbot dar 458 .

454

BGHSt 42, S. 86 (siehe Seite 87). Die Problematik, die sich in einer solchen Konstellation hinsichtlich Art. 6 Abs. 3 Buchstabe b EMRK ergeben kann, ist dadurch freilich noch nicht gelöst. 455 Vgl. Seiten 99 ff., 105. 456 Vgl. Seiten 105 ff. 457 Vgl. Seiten 105 ff., 112 ff. 458 Vgl. Seiten 119 ff.

122

2. Teil: Allgemeiner Teil

Diese Grundregeln zu unselbständigen Beweisverwertungsverboten decken jedoch noch nicht den kompletten Allgemeinen Teil zur Problematik der Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise ab. Sie sind nun durch weitere Elemente, zunächst den der rechtsstaatlichen Minimalanforderungen und selbständigen Beweisverwertungsverbote, welche im folgenden Abschnitt behandelt werden, zu ergänzen.

I V . Erfordernis der Einhaltung grundlegender rechtsstaatlicher Anforderungen und selbständige Beweisverwertungsverbote Geht man, nun wieder unter Ausklammerung der Hinwirkungspflichten deutscher Strafverfolgungsorgane, davon aus, dass sich die Rechtmäßigkeit der Beweiserhebung nach dem ausländischen Recht richtet und sich ein unselbständiges Beweisverwertungsverbot nur aus einem Verstoß gegen ausländisches Recht ergeben kann, stellt sich das Problem, dass das ausländische Recht so beschaffen sein kann, dass es unsere rechtsstaatlichen Vorstellungen grob verletzt. Es dürfte wohl allgemeiner Konsens darüber bestehen, dass ein unter staatlicher Folter erzwungenes Geständnis niemals Eingang in ein deutsches Strafverfahren finden darf, unabhängig davon, wie die Rechtsordnung des Erhebungsstaates auch beschaffen sein mag 4 5 9 . Deshalb hat sich in der Rechtsprechung und der sie stützenden Literatur die allgemeine Formel durchgesetzt, dass die nach ausländischem Recht einzuhaltenden Vorschriften rechtsstaatlichen Minimalanforderungen genügen müssen. Wie bereits erwähnt, sind bis jetzt jedoch noch keine genaueren Kriterien dafür entwickelt worden, wann ein solcher Verstoß gegen rechtsstaatliche Minimalanforderungen gegeben ist.

1. Grundsätzliche Kriterien für ein minimales rechtsstaatliches Anforderungsniveau In der Rechtsprechung finden sich - wie aus der obigen Darstellung ersichtlich - nur wenige Beispiele, in denen tatsächlich ein Verstoß gegen rechtsstaatliche Minimalanforderungen angenommen wurde oder Kriterien für die Überprüfung der Einhaltung rechtsstaatlicher Minimalanforderungen positiv herausgearbeitet wurden. So ist hier zur Erinnerung nochmals zum einen die Entschei459 Auch wenn die Folter in einigen Teilen der Erde noch Realität ist, dürfte sie wohl kaum von einer Rechtsordnung offen gebilligt werden (vgl. auch UN-Folterkonvention), so dass eigentlich auch unselbständige Beweisverwertungsverbote greifen müssten. Für den Praktiker wird es in der Regel einfacher sein, statt die Regelungen einer fremden Rechtsordnung zu untersuchen, die Verwertbarkeit schon von vorn herein unter dem Aspekt rechtsstaatlicher Minimalanforderungen auszuscheiden.

C. Entwicklung des eigenen Ansatzes

123

düng des OLG Frankfurt am Main zu nennen, nach der ein aus § 136 a Abs. 3 StPO folgendes „absolutes Verwertungsverbot" anzunehmen sei, wenn von ausländischen Ermittlungsbehörden eine nach deren Recht zulässige, aber nach deutschem Recht gem. § 136 a Abs. 1 StPO verbotene Vernehmungsmethode angewandt wurde 460 . Zu erwähnen ist ferner das Urteil des OLG Düsseldorf, in dem die Verfahrensweise eines ausländischen Richters an Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK und der diesbezüglichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte gemessen wurde 461 . Nach Rose ist eine Unverwertbarkeit trotz Rechtmäßigkeit des Erhebungsaktes nur dann gegeben, wenn ein Verstoß gegen „überstaatlich gültige, rechtsstaatliche Minimalanforderungen" vorliegt 462 . Nagel schlägt für die Begrenzung eine „ordre pwW/c"-Klausel vor, die sich wohl auf das deutsche Recht bezieht und nach der zumindest die Anwendung von Vernehmungsmethoden, welche gem. §§ 136 a, 69 Abs. 3 StPO verboten sind, ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht 46J . Schomburg und Wilkitzki wenden die Europäische Menschenrechtskonvention und den Internationalen Pakt der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte auch auf ausländische Vernehmungen an, ohne dass allerdings behauptet wird, dies habe abschließenden Charakter 464 .

a) Die EMRK und der IPBPR als überstaatlich gültige Minimalanforderungen bzw. als geltende Bestandteile des deutschen Rechts Die wohl engste Auffassung ist die, die ein Beweisverwertungsverbot nur dann für gegeben hält, wenn überstaatlich gültige Minimalanforderungen nicht eingehalten wurden 465 . Als Maßstab könnte demnach die Europäische Menschenrechtskonvention oder der Internationale Pakt der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte dienen. Schon dagegen könnte man jedoch den Einwand erheben, dass sich der Geltungsbereich der Europäischen Menschenrechtskonvention auf die Staaten des Europarates beschränkt. Auch der Internationale Pakt der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische

460

OLG Frankfurt, NStZ 1988, S. 425, siehe oben Seite 88. OLG Düsseldorf, StV 1992, S. 558 (560), siehe oben Seite 88. 462 Rose, a.a.O., S. 232. 463 Nagel, Beweisaufnahme im Ausland, S. 303; ebenfalls für deutschen ordre public: Keller bei Alternativkommentar, § 223 StPO, Rn. 20; Eschelbach bei K M R § 223 StPO. Rn. 92; Daamen, Verwertbarkeit ausländischer Vernehmungsniederschriften, S. 47 f. 464 Schomburg bei Schomburg/Lagodny, Vor § 68 IRG, Rn. 38; Wilkitzki bei Grützner/Pötz, Vor § 68 IRG, Rn. 18. 465 Rose, a.a.O., S. 232. 461

2. Teil: Allgemeiner Teil

124

Rechte wurde nicht von allen Staaten dieser Erde gezeichnet und ist darüber hinaus von sehr vielen Vertragsstaaten in der Rechtswirklichkeit nicht ausreichend umgesetzt. Dennoch stellen die EMRK und auch der IPBPR nach der hier vertretenen Auffassung einen Teil der erforderlichen rechtsstaatlichen Minimalanforderungen dar. Im Rahmen der Beurteilung der Fairness des Verfahrens, einschließlich des Ermittlungsverfahrens und auch der Rechtsmittel, nimmt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte - wie oben bereits gezeigt - eine Gesamtbetrachtung aller Abschnitte vor 4 6 6 . Auch wenn der konkrete Staat einer bestimmten Beweiserhebung nicht dem betreffenden Abkommen angehört, finden doch die größten Teile des gesamten Strafverfahrens in Deutschland statt, vor allem soll das Beweismittel von einem deutschen Gericht verwertet werden. Nimmt man nun eine Gesamtschau vor, bedeutet das, dass keine isolierte Betrachtung von Beweiserhebung und Beweisverwertung erfolgt. Wenn zum Beispiel Angeklagter und Verteidiger wegen des Auslandsbezuges kein Anwesenheitsrecht bei der Vernehmung des einzigen Belastungszeugen hatten und es nicht einmal die Möglichkeit gab, Fragen stellen zu lassen, so würde der Verurteilung des Angeklagten allein aufgrund dieser Zeugenaussage Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK entgegenstehen467, egal ob die Beteiligungsrechte wegen entsprechender ausländischer Beweiserhebungsnormen oder zum Beispiel wegen der Sperrung eines V-Mann durch eine deutsche Justizbehörde teilweise verwehrt waren. Unerheblich ist es bei einem Fall mit Auslandbezug auch, ob der Erhebungsstaat Mitglied der entsprechenden Konvention ist oder nicht, da eben durch die Vorschriften der EMRK und auch der IPBPR keine isolierte Betrachtung des Erhebungsaktes vorgenommen wird. Schon allein aufgrund der Geltung der EMRK und des IPBPR in Deutschland gehören diese Vorschriften also zum Mindeststandard, der von der ausländischen Beweiserhebung eingehalten werden muss. Die überstaatliche Geltung dieser Vorschriften ist nicht entscheidend. Nimmt man den fiktiven Fall an, dass die rechtsstaatlichen Standards aller anderen Nationen erheblich sinken, würde trotzdem dieser Teilmaßstab rechtsstaatlicher Minimalanforderungen stabil bleiben, solange die Konventionen in Deutschland Geltung behalten. Unabhängig davon, ob die Europäische Menschenrechtskonvention und der Internationale Pakt der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte die einzigen Minimalanforderungen sind, die an eine dem ausländischem Recht entsprechende Beweiserhebung zu stellen sind, dürfte auf den ersten Blick diesem Aspekt der rechtsstaatlichen Minimalanforderungen zumindest im Beweisverkehr zwischen den Staaten der Europäischen Union keine

466 467

Siehe dazu Seite 79. Siehe dazu Seite 80.

C. Entwicklung des eigenen Ansatzes

125

größere Bedeutung als Verwertungshindernis zukommen, da dieser Standard in den genannten Ländern nicht nur geltendes Recht darstellt, sondern wohl unstreitig auch faktisch größtenteils eingehalten wird 4 6 8 . Die Mindestgarantien werden allerdings in den verschiedenen Staaten auf höchst unterschiedliche Weise gewährleistet. So stehen fehlende Frage- und Anwesenheitsrechte bei Zeugenvernehmungen im Ermittlungsverfahren - wie in England - der Vereinbarkeit des gesamten Verfahrens mit Art. 6 EMRK nicht entgegen, wenn eine Verwertung dieser Aussagen im Hauptverfahren wegen eines strikten Unmittelbarkeitsprinzips ohnehin nicht in Betracht kommt 469 . In anderen Ländern - wie Frankreich - will man hingegen auf Zeugenaussagen nicht verzichten, die unter dem frischen Eindruck der Tat oder der Beobachtung noch im Ermittlungsverfahren getätigt wurden. Wenn nun Protokolle aus dem Ermittlungsverfahren viel leichter im Hauptverfahren verlesen werden dürfen, müssen die Beschuldigten- und Verteidigerrechte für solche Beweiserhebungen abgesichert werden 470 . Ist dies geschehen, könnte trotzdem durch die Verlesung eines englischen Protokolls in einem solchen Land ein Konflikt mit Art. 6 EMRK entstehen, obwohl beide Rechtordnungen für sich gesehen mit der Europäischen Menschenrechtskonvention in Einklang sind. Die EMRK stellt kein in sich geschlossenes Prozessrechtssystem dar, sondern sie gewährt nur Mindestgarantien, deren Ausgestaltung den nationalen Gesetzgebern überlassen bleibt 471 . Kombiniert man isolierte Regelungen aus völlig unterschiedlichen Kodifikationen, so muss das Gesamtergebnis nicht demselben Qualitätsstandard entsprechen, welcher man jeder einzelnen Kodifikation zusprechen würde 472 . Auch die Kombination von Verfahrensabschnitten, die unter der Geltung zweier nicht aufeinander abgestimmter Verfahrensordnungen stattgefunden haben, kann also ein in der Gesamtbetrachtung unfaires Verfahren ergeben. Ohne zu weit ins Detail gehen zu wollen, sei weiter angemerkt, dass bei der Erarbeitung der genannten Konventionen der kleinste gemeinsame Nenner zwischen zahlreichen höchst unterschiedlichen Systeme gefunden werden musste, so dass das Schutzniveau recht elementar geblieben ist. So weicht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Selbstbelastungsfreiheit sicherlich deutlich von den deutschen Vorstellungen vom

468

Dies gilt selbstverständlich auch für einen großen Teil der Staaten außerhalb der Europäischen Union. 469 Vgl. oben Seite 148 zum englischen Verbot des Beweises vom Hörensagen (rule against hearsay evidence), welches allerdings auch nicht mehr völlig ausnahmslos gilt. 470 Vgl. auch Meyer, Verwertung polizeilicher Protokolle, ZStW 105 [1993], S. 386 (390 f.). 471 Vgl. Schünemann, Verteidigung in einem geplanten europäischen Strafverfahrensrecht, StV 2003, S. 115 (123). 472 Sommer, Die Europäische Staatsanwaltschaft, StV 2003, S. 126 (127).

126

2. Teil: Allgemeiner Teil

nemo-tenetur-Grm&sdXz ab 4 7 3 . Weiter wird deshalb zu überprüfen sein, ob es neben der Europäische Menschenrechtskonvention und des Internationalen Pakts der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte, noch weitere Minimalanforderungen gibt, die an eine dem ausländischem Recht entsprechende Beweiserhebung zu stellen sind. Dies liegt nahe, da ja die Relevanz der EMRK und des IPBPR sich nach der hier vertretenden Auffassung nicht aus deren überstaatlicher Geltung, sondern aus der Tatsache, dass sie einen Bestandteil des deutschen Rechts darstellen, ergeben.

b) Geltung selbständiger Beweisverwertungsverbote Garant für rechtsstaatlichen Ausgleich

-

Wie bereits mehrfach geschildert, knüpfen selbständige Beweisverwertungsverbote nicht an der Rechtswidrigkeit des Erhebungsaktes, sondern an der Rechtswidrigkeit des Verwertungsaktes selbst an, wobei der Zeitpunkt der Hauptverhandlung maßgeblich ist. In Fällen ohne Auslandsbezug macht häufig das Eingreifen eines unselbständigen Beweisverwertungsverbotes den Rückgriff auf ein selbständiges Verwertungsverbot überflüssig 474 . Da es keinen Sinn macht, Beweise für einen Strafprozess zu erheben, die ohnehin nicht verwertet werden dürfen, ist in der Regel schon die Erhebung nicht erlaubt. Selbständige Beweisverwertungsverbote kommen in Fällen ohne Auslandsbezug vor allem dort zum Tragen, wo die ursprüngliche Beweiserhebung nicht unter Bindung an strafprozessuale Normen erfolgt ist. Hier ist wieder auf die bereits genannten Beispiele des Imports von Beweismitteln aus einem Insolvenzverfahren oder einem Besteuerungsverfahren in ein Strafverfahren Bezug zu nehmen 475 . Die Erhebungsnormen für solche Verfahren sind - vergleichbar mit ausländischen Vorschriften - nicht von vornherein, da die Beweiserhebung ursprünglich anderen Zwecken dient, auf das deutsche Strafprozessrecht und den für ein Strafverfahren notwendigen Grundrechtschutz abgestimmt. In diesen Konstellationen traten Probleme hinsichtlich der strafprozessualen Selbstbelastungsfreiheit auf, deren Lösung man sich hier exemplarisch noch einmal vergegenwärtigen muss. Obwohl im Insolvenzverfahren der Schuldner nach § 97 Abs. 1 S. 1 InsO auskunftspflichtig ist, auch wenn er sich dadurch selbst

473

Vgl. S. 151 zu John Murray vs. United Kingdom, EGMR v. 8.2.1996, EuGRZ 1996, S. 587. 474 Stornier, Verfassungsrechtliche Verwertungsverbote im Strafprozeß, Jura 1994, S. 393; Eisenberg, Beweisrecht der StPO Rn. 385; Janicki, Beweisverbote im deutschen und englischen Strafprozeß, S. 33. 475 Siehe dazu allgemein Seite 55. Im Kontext zu unselbständigen Beweisverwertungsverboten im Rahmen der erfolgten Parallelbetrachtung: Seite 100.

C. Entwicklung des eigenen Ansatzes

127

einer Straftat bezichtigen muss, und er gem. § 98 Abs. 2 InsO sogar mit Zwangsmitteln belegt werden kann, kommt mangels Rechtswidrigkeit der Beweiserhebung ein unselbständiges Beweisverwertungsverbot nicht in Betracht 476 . Ein rechtsstaatlicher Ausgleich kann nur über selbständige Beweisverwertungsverbote erfolgen. Zur Erinnerung sei ebenfalls erwähnt, dass das Bundesverfassungsgericht deshalb im sogenannten „Gemeinschuldnerbeschluss " ein solches selbständiges Beweisverwertungsverbot, da es in der damaligen Konkursordnung keine dem § 97 Abs. 1 S. 3 InsO entsprechende Vorschrift gab, aus den Grundrechten - namentlich aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG herleitete 477 . Unabhängig von der Rechtmäßigkeit des Erhebungsaktes verstößt die strafprozessuale Verwertung einer Einlassung des Beschuldigten, welche er in einer Situation abgegeben hat, in der die zwingend gebotene strafprozessuale Selbstbelastungsfreiheit nicht gewährleistet war, selbst gegen das Grundgesetz. Diesbezüglich kann hinsichtlich im Ausland gewonnener Beweise nichts anderes gelten. Die Beweisverwertung selbst ist ein Akt deutscher Hoheitsgewalt, der sich nach deutschem Recht richtet 478 . Der Zeitpunkt der Hauptverhandlung ist für das Vorliegen eines selbständigen Beweisverwertungsverbotes maßgeblich, diese zeitliche Dimension ist hier ebenfalls auch als örtliche Dimension zu verstehen 479. Wenn eine ausländische Rechtsordnung den strafprozessualen Zwang zur Selbstbezichtigung in irgendeiner Form erlaubt, so kann die Verwertung eines so gewonnenen Beweismittels durch ein deutsches Gericht selbständig gegen grundrechtliche Garantien verstoßen. Entscheidend ist hier der Verwertungsakt durch das deutsche Gericht selbst. Denn es ist nicht Aufgabe deutscher Gerichte zu beurteilen, ob ausländische Normen unseren grundlegenden rechtsstaatlichen Vorstellungen genügen. Nur so kann man sich auch dem Vorwurf entziehen, man wolle deutsche Grundrechte exportieren, was eventuell zu einer zu restriktiven Anwendung von selbständigen Verwertungsverboten führen könnte. Auch im „Gemeinschuldnerbeschluss" - als hier besprochener Parallelfall - wurde eben nicht die Grundrechtswidrigkeit der Beweiserhebung nach der damaligen Konkursordnung, sondern die Unverwertbarkeit der Beweisergebnisse im deutschen Strafprozess und auch nur dort festgestellt 480. So muss auch die Verwertung, und darauf kommt es hier an, eines entsprechend im Ausland gewonnenen Beweises ebenso unzulässig sein, ohne ein Urteil über die entsprechende abstrakte ausländische Norm fallen zu müssen. 476 477 478 479 480

Vgl. oben Seite 101. BVerfGE 56, S. 37 (43), vgl. oben Seiten 55 und 100. Vgl. oben Seite 96. Vgl. zu den unselbständigen Beweisverwertungsverboten Seite 100. BVerfGE 56, S. 37 (41 f.).

128

2. Teil: Allgemeiner Teil

Nebenbei sei angemerkt, dass sich hier durchaus Parallelen zur in Art. 6 EGBGB normierten ordre public-Klausel des Internationalen Privatrechts zeigen. Die dort erfolgte Einschränkung der Verweisung auf ausländische Normen ist „Einbruchsteile für die Grundrechte" 481 . Prüfungsgegenstand ist auch dort nicht die abstrakte ausländische Norm, denn möglicherweise schafft das ausländische Recht an anderer Stelle einen Ausgleich. Das Ergebnis der Rechtsanwendung muss vielmehr einen Grundrechtsverstoß darstellen. Es ist also festzustellen, dass selbständige Beweisverwertungsverbote auch bei Beweisergebnissen, die aus dem Ausland stammen, zum Tragen kommen können. Dieser Typ von Beweisverwertungsverboten, ist dazu geeignet, bei fehlenden Beweiserhebungsverboten im Ergebnis einen Zustand zu schaffen, der trotzdem den Anforderungen des Grundgesetzes genügt und unseren Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit entspricht.

2. Konkretisierung der Anwendung von selbständigen Beweisverwertungsverboten bei Auslandsbeweisen Hat man nun bei der Suche nach Kriterien für ein minimales, rechtsstaatliches Anforderungsniveau festgestellt, dass selbständige Beweisverwertungsverbote auch bei Auslandsbeweisen Geltung beanspruchen können, bedarf die Anwendung dieses Typs von Beweisverwertungsverboten auf im Ausland gewonnene Beweismittel noch weiterer Konkretisierung. Die folgende Betrachtung wird sich jedoch nicht mehr auf die Funktion der Sicherung eines solchen Mindestniveaus beschränken, sondern auch die allgemeine Gültigkeit von selbständigen Beweisverwertungsverboten bei Auslandsbeweisen untersuchen. Hier werden nun alle Formen von selbständigen Beweisverwertungsverboten, also solche, die sich aus den Grundrechten ergeben, und auch die, welche aus einfachgesetzlichen Normen folgen, relevant.

a) Aus den Grundrechten folgende selbständige Beweisverwertungsverbote Zur Verdeutlichung der allgemeinen Gültigkeit selbständiger Beweisverwertungsverbote kann zunächst auf eine bekannte Fallkonstellation eingegangen werden, die sich unabhängig von einem etwaigen Auslandsbezug ergeben kann. Der potentielle Verwertungsakt durch ein deutsches Gericht ist auch beim ursprünglich im Ausland gewonnenen Beweismittel an der Menschenwürde und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1

481

BVerfGE31,S. 58(74).

C. Entwicklung des eigenen Ansatzes

129

GG zu messen, so zum Beispiel bei privaten Tagebüchern oder vergleichbaren schriftlichen Aufzeichnungen. Hier ist die Sphärentheorie des Bundesverfassungsgerichtes in gleicher Weise anzuwenden, also zwischen dem Sozialbereich, der Privat- und Intimsphäre als drei unterschiedliche Stufen der Persönlichkeit zu differenzieren 482. Für die Verwertbarkeit des Inhalts eines Tagebuches kann es nicht entscheidend sein, ob es - um bei dem bereits genannten Beispiel zu bleiben - in Großbritannien oder in Deutschland beschlagnahmt wurde, denn im deutschen Recht ist die Rechtmäßigkeit des Erhebungsaktes in Bezug auf das Eingreifen eines selbständigen Beweisverwertungsverbotes irrelevant 483 . Es sind die gleichen Grundsätze anzuwenden, egal ob das Tagebuch beschlagnahmt oder vielleicht von einer Privatperson entwendet wurde. Nur die tatsächlichen Gegebenheiten und die tatsächliche Vorgehensweise der Ermittlungspersonen und der sonstigen Betroffenen können von Bedeutung sein - nicht die Normen, die der Erhebung zugrunde lagen 484 . Wird das Eingreifen des selbständigen Beweisverwertungsverbots völlig von der Rechtmäßigkeit des Erhebungsaktes abgekoppelt, dann kann auch der Gegebenheit, dass bei der Beschlagnahme oder irgendeiner anderen Ermittlungsmaßnahme Vorschriften einer anderen Rechtsordnung galten, keine Bedeutung zukommen. In anderen Fällen ohne Auslandsbezug ist der Rückgriff auf aus den Grundrechten abgeleitete selbständige Beweisverwertungsverbote allerdings - wie bereits erwähnt - meist überflüssig, weil schon unselbständige Beweisverwertungsverbote aufgrund entsprechender Erhebungs- und Verfahrensnormen greifen. Deshalb können bei Fällen mit Auslandsbezug sonst vernachlässigte oder vielleicht sogar noch unentdeckte selbständige Beweisverwertungsverbote bedeutsam werden. Es bleibt jedoch bei den gleichen Grundsätzen. Hilfreich ist es, wenn man hier auf Parallelfälle, insbesondere solche, bei denen während der ursprünglichen Beweiserhebung die Vorschriften der Strafprozessordnung nicht galten, wie den schon häufig bemühten „Gemeinschuldnerbeschluss "485, zurückgreifen kann. Weitere Parallelbeispiele können auch in den Entscheidungen zu Beweiserhebungen durch Private, insbesondere in der Fallgruppe der heimlichen Tonband- und Filmaufzeichnungen, gefunden werden 486 . Da für Privatpersonen bekanntermaßen gar keine Verfahrensvorschriften gelten, kann der Grundrechtsschutz nicht durch unselbständige Beweisverwertungsverbote gewährleistet werden, so dass sich die Gerichte mit

482

BVerfGE 34, 238 ff.; vgl. Seite 52. Vgl. Seite 51. 484 Rechtsverstöße bei der Beschlagnahme können freilich ein unselbständiges Beweisverwertungsverbot nach sich ziehen. 485 BVerfGE 56, S. 37, vgl. Seiten 55, 100 und 127. 486 Vgl. hierzu auch oben Seite 54. 483

130

2. Teil: Allgemeiner Teil

der Frage der selbständigen Grundrechtsverletzung durch die Verwertung solcher Beweismittel beschäftigen mussten 487 . Verstößt die Verwertung einer solchen privaten Aufnahme entsprechend der Sphärentheorie selbständig gegen Grundrechte, muss dies ebenfalls für eine entsprechende Aufnahme, die durch ausländische Behörden gewonnen wurde, gelten, unabhängig davon, ob die Beweiserhebung nach ausländischem Recht ursprünglich rechtmäßig war. Dabei ist freilich noch nicht entschieden, ob Rechtsgedanken einfachgesetzlicher selbständiger Beweisverwertungsverbote zu weiteren Einschränkungen führen 488 . Selbstverständlich ist bei Vergleichsfällen aus dieser Gruppe durchaus Vorsicht geboten, da Privatpersonen nicht als staatliche Organe auftreten und geringere Möglichkeiten der Zwangseinwirkung haben, während dem Handeln ausländischer Behörden immer der Eindruck staatlicher Autorität anhaftet 489. So wird es einen Unterschied machen, ob eine Auskunftsperson im Rahmen eines Privatgesprächs getäuscht wird oder bei einer offen staatlichen Vernehmung durch ein ausländisches Strafverfolgungsorgan. Dennoch bietet auch die Fallgruppe privater Ermittlungen der Rechtsprechung immer wieder Anlass, selbständige Beweisverwertungsverbote aus dem Grundgesetz zu entwickeln, woran bei aller Vorsicht eine gewisse Orientierung möglich ist. Wenn nun keine adäquaten Parallelfälle ersichtlich sind oder die Parallelbetrachtung an einer Stelle hinkt, besteht ansonsten bzw. ergänzend auch die Möglichkeit, sich für den Komplex der Auslandsbeweise folgender Hilfsüberlegung zu bedienen: Man stelle sich vor, dass die ausländische Norm, die das fragliche Verhalten bei der Beweiserhebung billigt, isoliert in das deutsche Strafverfahrensrecht mit dem Zweck der Gewinnung von strafrechtlich verwertbarem Beweismaterial inkorporiert würde. Entscheidend ist, ob dann noch ein den Grundrechten genügender Zustand gewährleistet wäre, wenn kein Ausgleich an anderer Stelle erfolgt. Ist dies nicht der Fall, dann besteht auch ein aus den Grundrechten folgendes, selbständiges Beweisverwertungsverbot für einen so erhobenen Beweis 490 . Diese fiktive Überlegung ermöglicht die Prüfung, ob die fragliche Norm in das deutsche Gesamtkonzept des StrafVerfahrensrechts und der Grund-

487 Vgl. BGHSt 14, S. 358; BGHSt 36, S. 167; BayObLG NStZ 1990 S. 101. Unselbständige Beweisverwertungsverbote können gewiss dann greifen, wenn staatliche Ermittlungsorgane sich gezielt zur Umgehung von Verfahrensvorschriften einer Privatperson bedienen (vgl. Seite 101). 488 Vgl. dazu den nächsten Abschnitt Seite 131. 489 Vgl. oben Seite 107. 490 Die Formel lässt sich auch auf parallele Inlandsachverhalte anzuwenden: Wären in der Strafprozessordnung Zwangsmittel gegenüber dem Beschuldigten vorgesehen, vergleichbar mit denen des § 98 Abs. 2 Insolvenzordnung, um so ein im Strafprozess verwertbares Geständnis zu erlangen, wäre dies nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.

C. Entwicklung des eigenen Ansatzes

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rechte passt, ohne sich ein Urteil über die abstrakte ausländische Norm und das rechtsstaatliche Gesamtkonzept der fremden Rechtsordnung zu erlauben.

b) Einfachgesetzliche selbständige Beweisverwertungsverbote und deren Rechtsgedanken Der Gedanke, dass selbständige Beweisverwertungsverbote gerade die Verwertung untersagen - unabhängig vom Erhebungsakt, trifft auch für einfachgesetzliche Beweisverwertungsverbote dieses Typs zu. Auch sie und die dahinterstehenden Rechtsgedanken sind, da der gerichtliche Verwertungsakt selbst der gesamten deutschen Rechtsordnung unterworfen ist, bei im Ausland gewonnenen Beweismitteln anzuwenden. Freilich wird häufig die direkte Anwendung solcher einfachgesetzlichen Beweisverwertungsverbote bei Auslandsbeweisen, wie zum Beispiel Art. 1 § 7 Abs. 3 G 10, § 97 Abs. 1 S. 3 InsO, § 393 Abs. 2 AO, in 4 ff., 23 Stasi-UnterlagenG, nicht in Betracht kommen, da diese Spezialregelungen für bestimmte innerstaatliche Konstellationen entwickelt wurden. Die dahinterstehenden Rechtsgedanken werden von einer Überprüfung im Hinblick auf die Garantien des Grundgesetzes meist miterfasst, da diese einfachgesetzlichen Regelungen ohnehin einen Ausfluss der Grundrechte darstellen. Allerdings gibt es auch einfachgesetzliche Beweisverwertungsverbote, die über innerstaatliche Sonderkonstellationen hinaus eine größere praktische Bedeutung haben und vor allem deren Ausgestaltung aus grundrechtlicher Sicht nicht unbedingt zwingend gewesen wäre. Diese Verbote, welche auf den Verwertungsakt selbst abstellen, und die dahinterstehenden Wertungen dürfen jedoch nicht ignoriert werden. Als wichtiges Beispiel ist hier § 252 StPO zu nennen. Bekanntermaßen umfasst diese Vorschrift nach allgemeiner Ansicht in Rechtsprechung und Literatur über den Wortlaut hinaus ein selbständiges Beweisverwertungsverbot für frühere Aussagen eines Angehörigen oder eines anderen Zeugen, wenn dieser in der Hauptverhandlung von seinem Recht auf Zeugnisverweigerung nach den §§ 52 ff. StPO Gebrauch macht, es sei denn, die frühere, ordnungsgemäß erfolgte Vernehmung war eine richterliche 491 . Eine sol491

Neben der Verlesung eines Vernehmungsprotokolls ist also auch die Feststellung des Inhalts der Aussage durch andere Beweismittel - insbesondere die Vernehmung der Verhörsperson - verboten (BGHSt 2, S. 99; Gollwitzer bei Löwe/Rosenberg, § 252 StPO, Rn. 4 m.w.N.; a. A. Schlüchter, Strafprozessrecht, S. 191 f., die nur ein Verwertungsverbot annehmen will, wenn keine ordnungsgemäße Belehrung erfolgte). Dies folgt aus der Überlegung, dass der Sinn des § 252 StPO nicht lediglich darin gesehen werden kann, dass geringwertige Erkenntnisquellen ausgeschlossen werden müssten, da dies schon durch § 250 StPO gewährleistet wird und die Sonderfälle des § 251 Abs. 1 und 2 StPO nur für abwesende Zeugen greifen. Dass dann jedoch wieder eine Ausnahme für richterliche Vernehmungen gelten soll, also die frühere Aussage des Zeugen durch Vernehmung des Vernehmungsrichters in das Verfahren eingeführt

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2. Teil: Allgemeiner Teil

che Rückwirkung der Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts wäre, um das Beispiel der Angehörigen zu wählen, in Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG sicherlich nicht zwingend gewesen. Der Schutz von Art. 6 Abs. 1 GG umfasst auch nicht das Verlöbnis, solange nicht das Recht auf Eheschließung beeinträchtigt wird 4 9 2 , und auch nicht die Lebenspartnerschaft, obwohl auch diese als Angehörigenverhältnisse nach § 52 StPO privilegiert sind. Die gesetzgeberische Entscheidimg, die durch die Ausgestaltung des § 252 StPO i.V.m. § 52 StPO getroffen wurde, beziehungsweise im konkreten Fall der dahinter zu vermutende gesetzgeberische Wille, ist aber dennoch bei der Frage der Verwertbarkeit im Ausland erfolgter Vernehmungen zu berücksichtigen. Der Schutz des § 252 StPO geht für rein inländische Verfahren bekanntermaßen so weit, dass für das Eingreifen eines Beweisverwertungsverbotes es sogar gleichgültig ist, ob das Angehörigenverhältnis vor oder nach der früheren Vernehmung entstanden ist 4 9 3 . Es kann dann auch nicht entscheidend sein, ob bei Fällen mit Auslandsbezug im Erhebungsstaat nach dortigem Recht ein Zeugnisverweigerungsrecht besteht. So ist der Entscheidung BGH NStZ 1992, S. 394 zuzustimmen, in der der Bundesgerichtshof die Verwertbarkeit einer Zeugenaussage der Verlobten eines Mitbeschuldigten, die dem italienischen Recht entsprechend ohne Belehrung über ein Zeugnisverweigerungsrecht richterlich vernommen wurde, in Hinblick auf den Rechtsgedanken des § 252 StPO verneint 494 . Obwohl man wohl nicht behaupten kann, dass das Zeugnisverweigerungsrecht der Verlobten oder des Lebenspartners zu unseren rechtsstaatlichen Grundprinzipien gehört, besteht damit wegen der Ausgestaltung des § 252 StPO ein selbständiges Beweisverwertungsverbot für eine Vernehmung, die nicht unter Wahrung dieser Rechte vorgenommen wurde. Als weiteres Beispiel kann man § 51 Abs. 1 BZRG nennen. Ausländische Vorstrafen des Angeklagten gehören zu dessen Vorleben und können deshalb unter Beachtung bestimmter Besonderheiten in der Strafzumessung berücksichtigt werden 495 . Der deutsche Gesetzgeber hat der Verwertbarkeit inländi-

werden kann, erscheint nicht unbedingt konsequent und stößt in großen Teilen der Literatur auf Kritik (vgl. Meier bei Alternativkommentar, § 252 StPO, Rn. 10 f. m.w.N.; siehe auch Simon, Gesetzesauslegung im Strafrecht, S. 590). Wahrscheinlich ist es für die Praxis - insbesondere bei Strafverfahren wegen häuslicher Gewalt oder sexuellen Missbrauchs durch Angehörige - jedoch unverzichtbar, den Staatsanwaltschaften wenigstens eine Möglichkeit der Gewinnung gerichtsverwertbarer Aussagen im Vorverfahren zu bieten, da die Zeugen in solchen Verfahren in der Regel einem nicht unerheblichen Druck ausgesetzt sind. 492 BVerfGE 31, S. 58(67). 493 BGHSt 22, S. 219 (220); BGHSt 27, S. 231; vgl. auch BGHSt 45, S. 342 (347). 494 Vgl. zur Bedeutung des § 252 StPO für eine im FGG-Verfahren gewonnenen Aussage: BGHSt 36, S. 384. 495 Näher dazu: Stree bei Schönke/Schröder, § 46 StGB, Rn. 32.

C. Entwicklung des eigenen Ansatzes

133

scher Eintragungen von Verurteilungen ins Bundeszentralregister jedoch zeitliche Grenzen gesetzt: Getilgte und tilgungsreife Straftaten dürfen nicht mehr zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden. Dieser Rechtsgedanke des § 51 Abs. 1 BZRG kann bei ausländischen Verurteilungen nicht ignoriert werden; es ist also zu prüfen, ob eine entsprechende inländische Verurteilung Tilgungsreife erlangt hätte 496 , egal ob es nach ausländischem Recht überhaupt Tilgungsfristen gibt oder solche auch länger sein mögen. Zwar dürfte auch hier nur die Tilgung von Vorstrafen überhaupt 497 , nicht jedoch die konkreten deutschen Tilgungsfristen zu unseren grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen gehören. Die gesetzgeberischen Entscheidungen können jedoch nicht ignoriert werden, da das angeordnete Verwertungsverbot sich auf die konkrete Situation in der Hauptverhandlung und nicht auf ein etwaiges Fehlverhalten von Justizbehörden bezieht, was ja bei anderen Tilgungsfristen im Ausland nicht zu begründen wäre. Entscheidend ist die Selbständigkeit der angeordneten Verwertungssperre. Genauso wird zu überprüfen sein, ob und inwieweit dem Rechtsgedanken der Vorschriften über die Verwertbarkeit von Zufallsfunden bei Telekommunikationsüberwachungen und beim Einsatz technischer Mittel, also den §§ 100 b Abs. 5, 100 d Abs. 5 StPO, Bedeutung hinsichtlich der Verwertbarkeit von Ergebnissen im Ausland durchgeführter Maßnahmen zukommt.

3. Zusammenfassung der Ergebnisse Die grundsätzliche Maßgeblichkeit des ausländischen Rechts bedarf damit eines rechtsstaatlichen Korrektivs. Dies wird durch die Geltung der EMRK, des IPBPR und das Eingreifen von selbständigen Beweisverwertungsverboten gewährleistet. Eine eigenständige Formel der rechtsstaatlichen Minimalanforderungen wäre dafür aber eigentlich nicht erforderlich, soll aber aufgrund des besseren Verständnisses beibehalten werden. Die diesbezüglichen Ergebnisse

Durch eine noch für 2005 geplante elektronische Vernetzung der deutschen, französischen, spanischen und belgischen Strafregister wird die Übermittlung wesentlich vereinfacht. Eine entsprechende Zusammenarbeit mit weiteren EU-Staaten ist zu erwarten, so dass in Zukunft ausländische Vorstrafen weit häufiger den inländischen Strafverfolgungsorganen zur Kenntnis gelangen werden. Vgl. auch Weißbuch der Kommission K O M (2005) 10 endgültig. 496 Vgl. BayObLG, JZ 1978, 449 (450), welches sinngemäß eine solche hypothetische Prüfung vorschlägt. 497 Das vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Grundrecht auf Resozialisierung wird dies wohl erfordern (vgl. BVerfG NJW 1998, S. 3337).

2. Teil: Allgemeiner Teil

134

dienen nun der Ergänzung der zu den unselbständigen Beweisverwertungsverboten aufgestellten Grundregeln 498 . Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen: - Das gesamte Strafverfahren, einschließlich der Beweiserhebungen, die im Ausland stattgefunden haben, ist an der Europäischen Menschenrechtskonvention und an dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zu messen499. -

Selbständige Beweisverwertungsverbote können unabhängig von der Rechtmäßigkeit des Erhebungsaktes eingreifen. Aus den Grundrechten abzuleitende selbständige Beweisverwertungsverbote gewährleisten, dass die sich aus dem Grundgesetz ergebenden rechtsstaatlichen Minimalanforderungen für ein Strafverfahren eingehalten werden 500 .

-

Die Verwertung eines im Ausland erhobenen Beweismittels durch ein deutsches Gericht verstößt selbständig gegen grundrechtliche Garantien, wenn durch die fiktive Inkorporierung der isolierten ausländischen Norm, die das fragliche Verhalten bei der Beweiserhebung erlaubt, in die deutsche Strafprozessordnung zum Zweck der Gewinnung von strafrechtlich verwertbarem Beweismaterial ein nicht mehr mit dem Grundgesetz zu vereinbarender Zustand entstehen würde 501 .

- Auch einfachgesetzliche selbständige Beweisverwertungsverbote und die zugrundeliegenden Rechtsgedanken sind zu berücksichtigen 502. Die Grundregeln zu den strafprozessualen unselbständigen und selbständigen Beweisverwertungsverboten sind weiterhin durch die im Anschluss zu behandelnden völkerrechtlichen Beweisverwertungsverbote zu ergänzen.

498 499 500 501 502

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

oben oben oben oben oben

Seite 121. Seiten 123 ff. Seiten 126 ff., 131 ff. Seite 129. Seiten 131 ff.

D. Völkerrechtliche Beweisverwertungsverbote

135

D. Völkerrechtliche Beweisverwertungsverbote I. Vorüberlegungen Die Verwertung im Ausland gewonnener Beweise kann - wie bereits mehrfach erwähnt- auch Schranken unterworfen sein, die sich aus den Souveränitätsrechten des ersuchten Staates ergeben. Dieser Komplex ist weit weniger umstritten, soll hier aber ebenfalls ein wenig vertieft werden 503 . Der ersuchte Staat kann bekanntermaßen die Leistung der Rechtshilfe von Bedingungen abhängig machen 504 . Solche Bedingungen können einseitig gesetzt werden oder auf einer vertraglichen Grundlage basieren 505 . Die bedingte Leistung liegt in der Regel auch im Interesse des ersuchenden Staates, da diese für ihn eine geringere Beschränkung darstellt als die völlige Ablehnung der Rechtshilfeleistung durch den ersuchten Staat. Gestellte Bedingungen werden in aller Regel von den ersuchenden Staaten auch eingehalten, schon allein deshalb, weil ansonsten Rechtshilfeleistungen für die Zukunft gefährdet wären. In Deutschland ist innerstaatlich die Einhaltung der Bedingungen eines ausländischen Staates durch § 72 IRG bzw. das jeweils einschlägige Vertragsgesetz i.S.d. Art. 59 Abs. 2 GG selbst verbindlich 506 . Für die sogenannte sonstige Rechtshilfe hat der Spezialitätsvorbehalt die größte Bedeutung, auch wenn dessen Hauptanwendungsbereich bei der Auslieferung liegt und dort insbesondere in Form eines Verfahrenshindernisses auftritt 507 . Das Rechtshilfeverhältnis ist eigentlich nur eine Rechtsbeziehung zwischen ersuchendem und ersuchtem Staat 508 . Deshalb mag es vielleicht nicht unbedingt als selbstverständlich erscheinen, dass dem Angeklagten solch ein völkerrechtlich begründetes, selbständiges Beweisverwertungsverbot zugute kommt, eine Verwertung unter Verstoß gegen § 72 IRG oder gegen die einschlägige Norm des Vertragsgesetzes auch geeignet ist, zugunsten des Angeklagten die Revision zu begründen. Die Rechte und Pflichten aus dem Rechtshilfeverhältnis selbst dienen zunächst nur den Interessen der beteiligten Staaten. Nach BGHSt 503 Vgl. auch Vogler, Spezialitätsbindung bei der sog. „kleinen" Rechtshilfe, GA 1986, S. 195 ff; Nagel, Beweisaufnahme im Ausland, S. 128 ff.; Böse, Die Verwertung im Ausland gewonnener Beweismittel im deutschen Strafverfahren, ZStW 114 [2002], S. 149 (172 ff.). 504 Siehe oben Seite 28. 505 Bei einseitiger Setzung ist es nicht erforderlich, dass der ersuchende Staat daraufhin eine spezielle Zusicherung oder Garantieerklärung abgibt, auch wenn dies teilweise in der Praxis geschieht. Allein das Anbringen des Vorbehalts und die faktische Entgegennahme der Leistung durch den ersuchenden Staat ist ausreichend. 506 Vogler bei Grützner/Pötz, § 72 IRG, Rn. 3 f. 507 Vogler bei Grützner/Pötz, § 72 IRG, Rn. 10. 508 Vgl. Vogel bei Grützner/Pötz, Vor § 1 IRG, Rn. 23 ff., 42.

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2. Teil: Allgemeiner Teil

34, S. 334 (344) führen diese zwischenstaatlich verbindlichen Beschränkungen jedoch zu einem völkerrechtlichen Reflex, der sich letztlich zum Vorteil des Angeklagten auswirken kann. Der Verstoß gegen ein solches Verwertungsverbot ist auch revisibel 509 . Wie gleich noch näher gezeigt wird, kann der ersuchte Staat durch Bedingungsstellung j a gerade auch den aus seiner Sicht notwendigen Individualrechtsschutz betreiben. Er will hinsichtlich der Verfolgung bestimmter Taten keine Verantwortung übernehmen. Einer solchen Bedingung ist es dann auch immanent, dass dieser Schutz für den Angeklagten im ersuchenden Staat tatsächlich durchsetzbar sein muss 510 . Trotzdem ist die Beschränkung von Amts wegen zu beachten 511 . Sie wird sich typischerweise, muss sich aber nicht immer zugunsten des Angeklagten auswirken 512 . Die Reichweite eines so begründeten Beweisverwertungsverbotes hängt von der geltenden Bedingung selbst ab.

I I . Praktischer Anwendungsbereich - Beispiele für den Spezialitätsvorbehalt bei der sogenannten sonstigen Rechtshilfe Durch eine Zweckbindung hinsichtlich bestimmter Tatvorwürfe kann der ersuchte Staat sicherstellen, dass die von ihm zur Verfügung gestellten Beweismittel nur für ein Strafverfahren verwendet werden, das er selbst für unterstützungswürdig hält 5 1 3 . Es kann verhindert werden, dass die eventuell nach nationalem Recht einzuhaltenden Prinzipien der gegenseitigen Strafbarkeit und der Gegenseitigkeit oder andere Bewilligungsvoraussetzungen unterlaufen werden. Es ist auch möglich, ein im ersuchten Staat besonders geschütztes Bankgeheimnis im ersuchenden Staat durchzusetzen. Als Beispiel aus der Praxis soll 509 Vgl. auch BGH NJW 2001, S. 2102 (2106); Schnigula, Probleme der internationalen Rechtshilfe, DRiZ 1984, S. 177 (181); Habernicht, Rechtshilfeverkehr mit der Schweiz, wistra 1982, S. 214 (220); Nagel, Beweisaufnahme im Ausland, S. 317. 510 Vgl. Habernicht, a.a.O., S. 214 (220). Ebenso ist es beim Spezialitätsvorbehalt im Rahmen einer Auslieferung. Dieser wirkt sich als partielles Verfahrenshindernis aus, was letztlich ja auch vor allem dem Angeklagten zugute kommt. 511 Habernicht, a.a.O., S. 214(220). 512 Geht die Bedingungsstellung zu Lasten des Angeklagten wird man allerdings ähnliche Grundsätze anwenden müssen, wie bei einer völligen Verweigerung von Rechtshilfe. Nicht hingenommen werden kann jedenfalls in Hinblick auf das Recht des Angeklagten auf eine faire Verfahrensgestaltung, dass der ausländische Staat durch die selektive Gewährung von Rechtshilfe den Ausgang des in Deutschland geführten Strafverfahrens in seinem Sinne steuert (BGH v. 4. 3. 2004, 3 StR 218/03, ,,Motassadeq"). So wird dann auch die partielle Sperrung eines Beweismittels bei der abschließenden Würdigung des gesamten Beweisergebnisses mit zu berücksichtigen sein. 513 Vogler, a.a.O., S. 196.

D. Völkerrechtliche Beweisverwertungsverbote

137

hier zunächst das schweizerische Bankgeheimnis514 dienen, welches allgemein nur im Strafverfahren durchbrochen werden kann. Da nach dortigem Recht nur der Steuerbetrug als Straftat geahndet, die Steuerhinterziehung lediglich von den Verwaltungsbehörden verfolgt wird, leistet die Schweiz nur bei einem dem schweizerischen Steuerbetrug entsprechenden Verhalten Rechtshilfe, würde also auch nur dann Bankmitarbeiter als Zeugen vernehmen, die Herausgabe von Unterlagen verlangen oder im Extremfall eine Durchsuchung vornehmen. Nach Vornahme einer dieser Maßnahmen soll nunmehr durch den in Art. 67 des schweizerischen Rechtshilfegesetzes (IRSG) normierten Spezialitätsgrundsatz vermieden werden, dass ein Beweismittel, welches aufgrund eines ursprünglichen Verdachts wegen Steuerbetrugs erhoben wurde, im ersuchenden Staat für ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung verwendet wird, also für ein Verfahren, für das die Schweiz keine Rechtshilfe geleistet hätte 515 . Nach Art. 34 der Verordnung über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSV) sind die schweizerischen Behörden verpflichtet, auf diese Rechtslage aufmerksam zu machen, wenn nicht schon zuvor der ersuchende Staat eine entsprechende Zusicherung abgegeben hat 5 1 6 . Eine gesetzliche Normierung des Spezialitätsgrundsatzes im ausländischen Recht ist aber nicht erforderlich und auch nicht die Regel. So leistet Liechtenstein gar keine Rechtshilfe in fiskalischen Strafsachen, Art. 51 Abs. 1 Nr. 1, 15 Nr. 2 Liechtensteinisches Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen, und verlangt in anderen Fällen auch ohne ausdrückliche Regelung bei gegebenem Anlass die Zusicherung des ersuchenden Staates, dass das Material nicht für steuerliche Angelegenheiten verwendet wird. Nebenbei sei angemerkt, dass im Falle von Rechtshilfeleistungen, die der Entlastung des Beschuldigten dienen, beide Staaten großzügiger verfahren. Hier kann die Leistung von Rechtshilfe aber wiederum von der Bedingung abhängig gemacht werden, dass keine Verwertung zu Lasten des Angeklagten erfolgt. Eher als obige Motive entsprechen andere datenschutzrechtliche Überlegungen, die ebenfalls eine mögliche Grundlage zur Anwendung des Spezialitätsvorbehaltes sind, deutschen Vorstellungen 517 . Unter dem Gesichtspunkt eines informationsrechtlichen Zweckbindungsgrundsatzes können Bedingungen gestellt werden, der nationale Datenschutz also bei Übermittlung ins Ausland dort durchgesetzt werden 518 . In der hier relevanten Konstellation, in der Deutschland die Rolle des ersuchenden Staates einnimmt, wird dies vor allem dann zum 514

Vgl. Art. 13 der Schweizerischen Bundesverfassung, Art. 47 Bankengesetz. Vgl. Riklin, Bankgeheimnis und internationale Rechtshilfe, in Höpfel/Huber Beweisverbote in der EU, S. 233 (243). 516 Zum Wortlaut des regelmäßig übersandten Formblatts: Veh bei Wabnitz/ Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 22, Rn. 169. 517 Dieser Aspekt wird allerdings in einer Konstellation, in der Deutschland die Rolle des ersuchenden Staates innehat, weniger von Bedeutung sein. 518 Lagodny bei Schomburg/Lagodny, § 59 IRG, Rn. 19. 515

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2. Teil: Allgemeiner Teil

Tragen kommen, wenn Informationen durch einen anderen Staat zu anderen Zwecken als der Strafverfolgung oder der strafprozessualen Verwertung übermittelt werden 519 .

I I I . Spezialität aufgrund ausdrücklicher Geltendmachung Bedingungen, also auch die Geltendmachung des Spezialitätsvorbehaltes, müssen grundsätzlich vor vollzogener Rechtshilfeleistung ausdrücklich mitgeteilt werden 520 . Hat der ersuchte Staat versäumt, eine diesbezügliche Erklärung abzugeben, eventuell sogar entgegen eigener Vorschriften, greift keine solche Zweckbindung 521 . Genauso wie die Bewilligungsentscheidung an sich - wie oben gezeigt - keiner Rechtmäßigkeitskontrolle durch deutsche Gerichte unterliegt, kann es aus der Sicht des deutschen StrafVerfahrensrechts auch nicht sanktionswürdig sein, wenn von der Möglichkeit einer nur bedingten Leistung nicht Gebrauch gemacht wurde oder eine entsprechende innerstaatliche Verpflichtung nicht beachtet wurde. Ferner darf der deutsche Staat wie ebenfalls bereits oben erwähnt - es sich auch nicht anmaßen, stellvertretend die vermeintlichen Souveränitätsinteressen des ersuchten Staates auszuüben, da im Verzicht auf die Geltendmachung auch deren Ausübung gesehen werden kann 522 . Trotzdem bleiben Äußerungen des ersuchenden Staates natürlich auslegungsfahig. Wenn eine Leistung zum Beispiel wie in BGHSt 34, S. 334 (341 ff.) erkennbar nur zu Informationszwecken erfolgt, ist dies als bedingte Leistung zu verstehen. Man wird aber wohl in der Auslegung nicht so weit gehen können, dass jede Leistung von Rechtshilfe als unter der konkludenten Erklärung erfolgt anzusehen ist, sie geschehe nur für nach dem Recht des ersuchten Staates bewilligungsfahige Delikte 523 . Dagegen spricht schon, dass

519

Vgl. BGHSt 34, 334 (341 ff.). Siehe auch die gesetzlichen Regelungen Art. 39 Abs. 2 SDÜ (über den kurzen Dienstweg der Polizeibehörden übermittelte Informationen), Art. 102 ff., 126 ff. SDÜ (im Schengener Informationssystem SIS gespeicherte Daten). 520 BGH 31, S. 51 zur Auslieferung; Vogler/Walter bei Grützner/Pötz, § 72 IRG, Rn. 7. 521 Linke, Das neue Recht der Internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, ZStW 96 [1984], S. 580 (591); Nagel, Beweisaufnahme im Ausland, S. 130, 316; Böse, Die Verwertung im Ausland gewonnener Beweismittel im deutschen Strafverfahren, ZStW 114 [2002], S. 149(175). 522

Siehe oben Seiten 115 ff, 118. Vgl. aber Vogler, Spezialitätsbindung bei der sog. „kleinen" Rechtshilfe, GA 1986, S. 195 (201), der zumindest im Festhalten am Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit oder am Grundsatz des Verbots der Rechtshilfe für bestimmte Deliktstypen, einen allgemeinen konkludenten Vorbehalt sieht. 523

D. Völkerrechtliche Beweisverwertungsverbote

139

einige Rechtshilfeabkommen die Spezialität ausdrücklich anordnen 524 . Dementsprechend ist im Verhältnis zur Schweiz - um bei dem obengenannten Beispiel 525 zu bleiben - für das Eingreifen einer Zweckbindung allein entscheidend, dass tatsächlich ein Hinweis gem. Art. 34 IRSV auf Art. 67 IRSG erfolgt ist 5 2 6 . Diesbezügliche Erklärungen wirken also konstitutiv und haben nicht nur deklaratorische Bedeutung. Im vertragslosen Bereich sind dem ausländischen Staat hinsichtlich der Stellung von Bedingungen keine Grenzen gesetzt. Das Gleiche gilt, wenn zwar vertragliche Beziehungen bestehen, der ersuchte Staat aber über seine völkerrechtliche Verpflichtung hinaus Rechtshilfe leistet 527 . Ferner lassen manche Übereinkommen die Setzung von Bedingungen für bestimmte Fälle ausdrücklich zu 5 2 8 . Es ist aber auch eine Konstellation denkbar, in der der ersuchende Staat, obwohl er zur unbedingten Leistung von Rechtshilfe aufgrund einer völkerrechtlichen Vereinbarung verpflichtet ist, dennoch Bedingungen stellt. Solche völkerrechtlich unzulässigen Bedingungen sind zunächst für das deutsche Gericht oder eine Behörde trotzdem bindend, können also zu einem Verwertungsverbot führen. Je nach Bedeutung der Erkenntnisse und nach Gewicht der Beschränkungen muss die Bedingung entweder akzeptiert werden, die Erledigung als nicht erfolgt behandelt werden oder die Bundesrepublik muss sich um Aufhebung der Bedingung bemühen, notfalls im Wege eines vertraglich vorgesehenen oder völkerrechtlich üblichen Konsultations- oder Schiedsverfah-

IV. Spezialität aufgrund zwischenstaatlicher Vereinbarung Die Spezialität kann sich aber auch aus einer bestimmten zwischenstaatlichen Vereinbarung ergeben. Anders als bei der Auslieferung ist dies aber nur

524

Vgl. Art. 14 des Europäisches Auslieferungsübereinkommens; für die sonstige Rechtshilfe Art. 39 Abs. 2, 50 Abs. 3, 102 ff., 126 ff. SDÜ; siehe auch Böse, a.a.O., S. 149(175). 525 Vgl. Seite 137. 526 Schultz, Das neue Schweizer Recht der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen, ZStW 96 [1984], S. 595 (613); Nagel, Beweisaufnahme im Ausland, S. 132; vgl. auch BGH JR 2005, S. 114 (117). 527 Vogler bei Grützner/Pötz, § 72 IRG, Rn. 5. 528 Vgl. Art. 23 Abs. 1 des Europäisches Rechtshilfeübereinkommens (1959). Zur Telekommunikationsüberwachung: Art. 18 Abs. 5 lit. b S. 2 des noch nicht für alle Mitgliedsstaaten in Kraft getretenen EU-Rechtshilfeübereinkommens (2000). 529 Vogler bei Grützner/Pötz, § 72 IRG, Rn. 5; BGH v. 20. November 1987, Az. 4 StR 553/87.

140

2. Teil: Allgemeiner Teil

ausnahmsweise der Fall 5 3 0 . Entsprechende Regelungen können hier nur beispielhaft aufgeführt werden: Informationen, die nach Art. 39 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) über den kurzen Dienstweg der Polizeibehörden übermittelt wurden, dürfen nicht ohne weiteres in nationalen Strafverfahren Verwendung finden. Art. 39 Abs. 2 SDÜ sieht vielmehr vor, dass dies nur dann möglich ist, wenn die Justizbehörde des Erhebungsstaates zustimmt. Hiermit soll verhindert werden, dass Vereinfachungen im polizeilichen Bereich dazu führen, dass Regelungen der justiziellen Rechtshilfe umgegangen werden, also Informationen in ein Strafverfahren einfließen, die aufgrund eines förmlichen Rechtshilfeersuchens nicht übermittelt worden wären. Die Zweckentfremdung im Schengener Informationssystem SIS 5 3 1 gespeicherter Daten ist in den Art. 102 ff., 126 ff. SDÜ geregelt und von der Zustimmung der übermittelnden Vertragspartei abhängig. Art. 50 SDÜ verpflichtet die Vertragsstaaten zu Rechtshilfeleistungen in Zoll- und Verbrauchssteuerangelegenheiten, insbesondere nach Maßgabe des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens (1959). Diesbezüglich formuliert Art. 50 Abs. 3 SDÜ einen Spezialitätsvorbehalt, der die anderweitige Verwendung als für die im Ersuchen bezeichneten Ermittlungen verbietet und nur durch die Zustimmung der ersuchten Vertragspartei durchbrochen werden kann. Auch in den noch nicht vollständig in Kraft getretenen Rechtshilfevereinbarungen zur Telekommunikationsüberwachung, welche später noch vertieft behandelt werden sollen, finden sich einige Regelungen. Art. 17 Abs. 4 des deutschtschechischen Ergänzungsvertrags (2000) zum Europäischen Rechtshilfeübereinkommen bzw. Art. 16 Abs. 4 des deutsch-polnischen Ergänzungsvertrags (2003) begrenzt die Verwendung bei einer Telekommunikationsüberwachung gewonnener Erkenntnisse auf das Strafverfahren für das die Maßnahme angeordnet wurde, eine anderweitige Verwendung hängt von der Zustimmung der ersuchten Vertragspartei ab. Anders gestalten sich die diesbezüglichen Bestimmungen des EU-Rechtshilfeübereinkommens (2000), wo zwar eine ausdrückliche Bedingungsstellung nach Maßgabe des Art. 18 Abs. 5 lit. b S. 2 ermöglicht wird, per se aber durch Art. 23 nur eine sehr grobe Zweckbindung 532 angeordnet wird.

530 Vgl. Art. 14 des Europäisches Auslieferungsübereinkommens, Art. 27 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl. In der Praxis findet die Auslieferung allerdings mehrheitlich unter Verzicht auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes statt (vgl. § 41 Abs. 2 IRG, Art. 10 des EU-Auslieferungsübereinkommens, Art. 66 SDÜ, Schomburg bei Schomburg/Lagodny, § 72 IRG, Rn. 12). 531

Vgl. oben Seite 47. Dort erfolgt lediglich eine Begrenzung auf Verfahren, auf die das Übereinkommen Anwendung findet, für sonstige justizielle und verwaltungsbehördliche Verfahren, die mit vorgenannten Verfahren unmittelbar zusammenhängen und zur Abwehr einer unmittelbaren und ernsthaften Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Diese Begrenzung 532

D. Völkerrechtliche Beweisverwertungsverbote

141

V. Zusammenfassung der Ergebnisse Die Ergebnisse dienen wiederum der Ergänzung der zu den strafprozessualen Beweisverwertungsverboten aufgestellten Grundregeln 533 . Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen: - Ein selbständiges Beweisverwertungsverbot kann sich gem. § 72 IRG aus einer vom ersuchten Staat formulierten Bedingung ergeben. Maßgeblich ist hier, dass die Bedingung tatsächlich gestellt wurde 5 3 \ - Ohne ausdrückliche Geltendmachung kann ein selbständiges Beweisverwertungsverbot auch aus einer völkerrechtlichen Vereinbarung folgen. Die Pflicht zur Einhaltung ergibt sich aus dem jeweils einschlägigen Vertragsgesetz selbst 535 .

kann darüber hinaus durch Zustimmung des übermittelnden Mitgliedsstaats oder der betroffenen Person aufgehoben werden. 533 Vgl. oben Seiten 121, 134. 534 Siehe oben Seiten 138 f. 535 Siehe oben Seiten 139 f.

3. Teil

Untersuchung der Tragfähigkeit des entwickelten Ansatzes anhand von Fallgruppen

A. Verwertung der Ergebnisse im Ausland durchgeführter Vernehmungen von Zeugen, des Beschuldigten und sonstiger Auskunftspersonen I. Einleitung In diesem Abschnitt wird es um ausländische Vernehmungen von Zeugen, des Beschuldigten und sonstigen Auskunftspersonen gehen. Die Vernehmung von Zeugen im Ausland hat die größte praktische Bedeutung im Rahmen der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen. Im Rahmen dieser Untersuchung wird nur die hier relevante, allerdings auch am häufigsten vorkommende Vernehmung durch ausländische Organe zu problematisieren sein 536 . Die Vernehmung eines Sachverständigen im Ausland wird sich in der Praxis nur äußerst selten ergeben. Die Frage der Verwertbarkeit der Ergebnisse einer Beschuldigtenvernehmung kann sich jedoch wiederum öfters stellen. Einmal ist der Fall denkbar, dass eine ausländische Beschuldigtenvernehmung eines anderen Eingang in ein deutsches Strafverfahren finden soll. Das Problem der Verwertbarkeit eines Geständnisses des Angeklagten selbst kann insbesondere dann auftreten, wenn gegen ihn in dieser und einer anderen Sache im Ausland schon eigenständig ermittelt und dann um Übernahme der Strafverfolgung

536 Die kommissarische Vernehmung durch ein Mitglied des erkennenden Gerichts oder durch einen deutschen Konsularbeamten ist weniger kompliziert, da hier die deutsche Strafprozessordnung Anwendung findet. Sie kommt in der Praxis allerdings nicht allzu häufig vor, weil sie völkerrechtlich aufgrund des Territorialitätsprinzips bekanntermaßen nur in Ausnahmefallen zulässig ist (siehe Seite 24). Vgl. zu diesem Komplex: Rose, Der Auslandszeuge im Beweisrecht des deutschen Strafprozesses, S. 214 ff., 220 ff.. Das gleiche gilt für die teilweise Durchfuhrung der Hauptverhandlung im Ausland, der die deutsche Strafprozessordnung ebenfalls nicht entgegenstünde. Auch die audiovisuelle Vernehmung eines Zeugen, der sich im Ausland befindet, nach § 247 a StPO ist Teil der Hauptverhandlung und wird nach deutschen Vorschriften vorgenommen.

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

143

gebeten wurde oder wenn er im Ausland aufgrund eines Auslieferungshaftbefehls festgenommen und zunächst dort vernommen wurde. Aber selbst bei erfolgter Verurteilung, Freispruch oder sonstiger Maßnahme (z. B. der Diversion) im Ausland kann auch wegen der gleichen Tat grundsätzlich nochmals ein Strafverfahren in Deutschland stattfinden, sofern auch die deutsche Strafgewalt greift. Durch ausländische Urteile oder Maßnahmen tritt nämlich kein Strafklageverbrauch ein, es sei denn, im Verhältnis zu diesem Staat wurde eine entsprechende völkerrechtliche Vereinbarung geschlossen5^7. Im Regelfall wird die deutsche Staatsanwaltschaft in diesen Fällen allerdings von § 153 c Abs. 1 Nr. 3 StPO Gebrauch machen. Zunächst soll in diesem Teil versucht werden, anhand der Untersuchung der Vorschriften von zwei ausländischen Strafrechtssystemen, praxisrelevante Problemkonstellationen herauszuarbeiten. Danach werden diese Problemstellungen anhand der eben aufgestellten Grundregeln 538 gelöst.

I I . Praxisrelevante Problemstellungen anhand einzelner Beispiele für ausländische strafprozessuale Regelungen und diesbezüglicher Rechtshilfepraxis Um praxisrelevante Problemstellungen diskutieren zu können, ist es zunächst notwendig, zumindest einen Einblick in ausländische Strafverfahrensordnungen zu nehmen, um relevante Vernehmungsvorschriften exemplarisch herauszuarbeiten. Dies geschieht durch Auswertung bestehender rechtsvergleichender Literatur und hinsichtlich notwendiger Aktualisierungen und Ergänzungen anhand von Originalquellen. Im Rahmen dieser Arbeit kann nur beispielhaft vorgegangen werden, obwohl sich bezüglich jeder einzelnen Strafrechtsordnung der Staaten dieser Erde natürlich eigene Probleme ergeben könnten. Da allerdings die deutsche Rechtsordnung auch nur eine begrenzte Anzahl an Anforderungen stellt, wird sich jedoch zeigen, dass schon mit der Darstellung zweier Länder eine Fülle unterschiedlicher, vernehmungsspezifischer Problemstellungen aufgeworfen und abgedeckt werden können. Der interessierte Leser kann ansonsten bezüglich einzelner Rechtsordnungen auf zahlreiche rechtsvergleichende Arbeiten oder hinsichtlich eines Querschnittes insbesondere auf

537 Meyer-Goßner, Einl, Rn. 177 ff. Entsprechende Vereinbarungen sind beispielsweise in den Art. 54 ff. SDÜ, im EG-ne bis in /¿/e/w-Übereinkommen und in Art. 5 Abs. 2 des IStGH-Statuts zu sehen. 538 Siehe oben Seiten 121, 133, 141.

144

3. Teil: Fallgruppen

Untersuchungen des Max-Planck-Institutes für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg 539 verwiesen werden. Bei der Auswahl der Länder wurde bewusst auf zwei Staaten der Europäischen Union zurückgegriffen. Dabei hat die Praxisrelevanz des innereuropäischen Rechtshilfeverkehrs freilich eine besondere Rolle gespielt. Insbesondere innerhalb der Europäischen Union wird aber auch immer wieder beschworen, man müsse aufgrund der gemeinsamen Überzeugungen den jeweils anderen Strafverfahrensordnungen Vertrauen in deren Rechtsstaatlichkeit und Kompatibilität zur eigenen Rechtsordnung entgegenbringen. Insbesondere in Bezug auf die Kompatibilität wird zu untersuchen sein, ob und inwieweit dies am Beispiel der ausgewählten Staaten berechtigt erscheint. Das hier gesammelte Material kann später auch für die Auseinandersetzung mit der für die Zukunft vorgeschlagenen, gegenseitigen Anerkennung von Beweisergebnissen im Rahmen der Europäischen Union verwendet werden. England und Wales wurde, ohne sprachliche Vorlieben des Verfassers leugnen zu wollen, vor allem als Mutter der Systeme des common /aw-Rechtskreises ausgewählt. Das adversatorische Konzept des dortigen Strafverfahrens lässt nicht unbedeutende Unterschiede zum deutschen Prozessrecht erwarten. Immer wieder hat allerdings das angelsächsische Modell auch als Vorbild gedient und unsere Strafrechtsordnung wesentlich mitgeprägt 540 . Mit der Republik Österreich verbinden uns große geschichtliche und kulturelle Gemeinsamkeiten, so dass man eigentlich auch eine weitgehende Kompatibilität der Strafrechtsordnungen erwarten könnte. Es wird sich jedoch zeigen, dass die österreichische Rechtsordnung jedenfalls aus deutscher Sicht zur Zeit noch sehr vom Inquisitionsprinzip geprägt ist 5 4 1 . Mit Österreich haben wir auch die wohl am längsten bestehende Rechtshilfepraxis, was man auch daran sieht, dass die

539

Perron (Hrsg.), Die Beweisaufnahme im Strafverfahrensrecht im Ausland, Freiburg 1995; div. Verf., „ A u f dem Weg zu einem europäischen Ermittlungsverfahren?", ZStW 112 (2000), S. 133 ff; Gropp, Besondere Ermittlungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, Freiburg 1993; Höpfel/ Huber (Hrsg.), Beweisverbote in Länder der EU und vergleichbaren Rechtsordnungen, Freiburg 1999; Eser, Entwicklung des StrafVerfahrensrechts in Europa, ZStW 108 (1996), S. 86 ff.; siehe auch Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 1146 ff.; Jung (Hrsg.), Der Strafprozeß im Spiegel ausländischer Verfahrensordnungen, Berlin 1990; Hatchard/Huber/Vogler, Comparative Criminal Procedure, London 1996. 540

Sei es durch den Import des Anklage-, Öffentlichkeits- und Unmittelbarkeitsprinzips, der freien Beweiswürdigung über das revolutionäre Frankreich und Napoleon oder durch die Europäische Menschenrechtskonvention, die doch sehr von angelsächsischen Vorstellungen ausgeht. 541 Moos bei Jung (Hrsg.), Der Strafprozeß im Spiegel ausländischer Verfahrensordnungen, S. 47 (50).

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

145

ersten Reichsgerichtsentscheidungen zur Verwertbarkeit von Auslandsbeweisen in Bezug auf dortige Beweiserhebungen ergangen sind 542 . Jeweils wird auf die Rechtsquellen, den Verfahrensablauf, die Beteiligten, die Verfahrensvorschriften für Zeugen- und Beschuldigtenvernehmungen eingegangen werden. Dabei werden auch die Besonderheiten des Rechtshilfeverkehrs Beachtung finden.

1. England und Wales 5 4 3 ' 5 4 4 a) Rechtsquellen Im gesamten englischen Recht gibt es keine umfassenden Kodifizierungen. Die Grundlage bildet auch im Strafverfahrensrecht das common law, also das sich seit dem 13. Jahrhundert entwickelnde englische Fallrecht, welches auf dem Prinzip bindender Präzedenzfälle, der doctrine of binding precedence, basiert. Heute sind jedoch wesentliche Teile des englischen StrafVerfahrensrechts durch statutes 545 geregelt: Der Police and Criminal Evidence Act (PACE) 1984 ordnet recht umfassend das polizeilichen Ermittlungsverfahren und wird durch verbindliche Ausfuhrungsvorschriften, den sogenannten codes of pratice A-E 546, ergänzt. Viele weitere Instrumente, wie zum Beispiel der Criminal Justice Act 1988, der Criminal Justice and Public Order Act (CJPOA) 1994 und der Criminal Procedure and Investigations Act (CPIA) 1996, sind für die Beweisgewinnung und -Verwertung von Bedeutung. Großbritannien gehört zu den Erstzeichnern der Europäischen Menschenrechtskonvention, welche durch den Human Rights Act 1998 nicht mehr nur eine völkerrechtliche Verpflichtung darstellt. Den Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen regelt insbesondere der Criminal Justice (International Co-operation) Act 1990 und der 542 So die bereits dargestellten Entscheidungen RGSt 11, S. 391 und RGSt 40, S. 109 (vgl. Seite 84). 543 Schottland und Nordirland haben jeweils eigene Rechtssysteme. 544 Für eine ausfuhrliche Betrachtung der Vernehmungsvorschriften in England und Wales kann verwiesen werden auf: Janicki, Beweisaufnahme in Deutschland und England, S. 183 ff; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 1149 ff.; Hatchard in Hatchard/Huber/ Vogler, Comparative Criminal Procedure, S. 176 ff.; Huber in Perron, Die Beweisaufnahme im Strafverfahrensrecht des Auslands, S. 11 ff.; Huber/Klumpe in Gropp, Besondere Ermittlungsmaßnahmen, S. 211 ff. 545 Statutes regeln im Gegensatz zur kontinentaleuropäischen Kodifikation grundsätzlich nur eine Teilbereich. Hinzu kommt, dass neue Gesetze häufig alte nur teilweise außer Kraft setzen oder diese nur ergänzen, was zur Übersichtlichkeit der Rechtsquellen nicht gerade beiträgt. 546 Die aktuellen Vorschriften können abgerufen werden unter: http://www.homeoffice.gov.uk/crimpol/police/system/pacecodes.html.

146

3. Teil: Fallgruppen

Crime (International Co-operation) Act 2003. Im Verhältnis zum gesamten Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland gelten zur Zeit das Europäische Rechtshilfeübereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 einschließlich des Zweiten Zusatzprotokolls aus dem Jahre 1978, allerdings ohne eine bilateralen Zusatzvertrag, das Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Januar 1977, das Europäische Geldwäsche-Übereinkommen vom 8. November 1990 und ein großer Teil des Schengener Durchfuhrungsübereinkommens 547. Das EU-Rechtshilfeübereinkommen aus dem Jahre 2000 ist noch nicht ratifiziert 548 .

b) Verfahrensgang

und Beteiligte

Das Ermittlungsverfahren in England und Wales wird von der Polizei in eigener Verantwortung gefuhrt. Nach Abschluss der Ermittlungen kann die Polizei von der Strafverfolgung aufgrund nicht ausreichender Beweise oder nach ihrem Ermessen mangels öffentlichen Interesses absehen, eine Verwarnung aussprechen oder andere Diversionsmöglichkeiten nutzen 549 . Entscheidet sie sich zur Einleitung der Strafverfolgung 550, werden die Akten an den Crown Prosecution Service (CPS) weitergeleitet, eine von der Polizei unabhängige Anklagebehörde 551 . Der CPS kann zunächst über die Fortsetzung der Strafver-

547

Vgl. dazu Art. 2 des Rats-Beschlusses vom 29. Mai 2000 zum Antrag des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland, einzelne Bestimmungen des Schengen-Besitzstands auf sie anzuwenden, Amtsblatt der EG, L 131/43. Im einzelnen sind dies die Art. 26, 27, 39, 40, 42, 43 (soweit sie mit Art. 40 im Zusammenhang stehen); Art. 44, 46 und 47 (ausgenommen Art. 47 Abs. 2 lit. c); Art. 48 bis 51, 52 und 53, 54 bis 58, 59, 61 bis 66, 67 bis 69, 71 bis 73, 75 und 76, 126 bis 130 (soweit sie mit den Bestimmungen, die auf das Vereinigte Königreich Anwendung finden, im Zusammenhang stehen); die Bestimmungen über das SIS (soweit sie nicht mit Art. 96 im Zusammenhang stehen), namentlich Art. 92, 93 bis 95, 97 bis 100, 101 (Abs. 2 ausgenommen); Art. 102 bis 108, 109 bis 111 (was die im nationalen Teil des SIS des Vereinigten Königreichs gespeicherten personenbezogenen Daten anbelangt); Art. 112 und 113, Art. 114 (was die im nationalen Teil des SIS des Vereinigten Königreichs gespeicherten personenbezogenen Daten anbelangt); Art. 115 bis 118, 119. 548

Mit einer Ratifizierung ist jedoch bis Ende 2005 zu rechnen. Vgl. Seite 33, Fußnote 60. 549 Huber bei Perron, Die Beweisaufnahme im Strafverfahrensrecht des Auslands, S. 11,25. 550 Dies kann durch die Polizei auf zwei Wegen geschehen, der Beschuldigung auf der Polizeistation („charging suspect at the police Station") oder der Anzeige beim magistrates' court (Jaying an information before a magisträte "). Vgl. Sprack, Emmins on Criminal Procedure, S. 64. 551 Bezüglich der weiteren Einzelheiten zur Behörde vgl. Sprack, Emmins on Criminal Procedure, S. 57 ff.; siehe auch Ahlers, Die deutsche Strafverfolgungspraxis im Vergleich mit der Strafverfolgungspraxis in England und Wales, S. 13 ff., 27 ff.

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

147

folgung entscheiden, also ob sie aufgrund der von der Polizei gefundenen Beweise gerechtfertigt und auch zweckmäßig ist. Ferner ist er für die gerichtliche Vertretung des Falles verantwortlich 5 5 2 . I n speziellen Fällen nehmen auch Sonderbehörden, wie zum Beispiel das Serious

Fraud

Office,

die Aufgaben

eines Ermittlungs- bzw. Anklageorgans wahr, wie auch letztlich jeder anderen Behörde und Privatpersonen die Klage offen steht 5 5 3 . Zur Vorbereitung des Hauptverfahrens muss die Anklage und, j e nach dem welches Gericht zuständig ist, auch die Verteidigung ihre Beweismittel offen legen („disclosure") das Hauptverfahren sind erstinstanzlich entweder die magistrates' leichteren Delikten oder der Crown Court 555 Delikten zuständig 5 5 6 . Die magistrates' Regel m i t drei Laienrichtern (Jay ausgebildeten magistrates' richter („stipendary

554

courts

. Für bei

bei mittelschweren und schweren

courts tagen m i t mindestens zwei, i n der

magistrates"),

die von einem juristisch

clerk unterstützt werden, oder mit einem Berufs-

magistrate")

557

.

Der Crown

Court hingegen ist bei Ver-

handlungen m i t einem Berufrichter und einer 12-köpfigen Jury besetzt. D i e Jury

552 Die gerichtliche Vertretung des Falles wird für den CPS vor den magistrates' courts i.d.R. von festem Personal („Crown Prosecutors") wahrgenommen, für den Crown Court muss ein Prozessanwalt (barrister) beauftragt werden. Vor der Einführung des CPS durch den Prosecution of Offences Act 1985 war die gerichtliche Betreibung des Verfahrens Aufgabe der Polizei, was wiederum durch Beauftragung von Anwälten (solicitors vor magistrates' courts, bzw. barristers vor dem Crown Court) erledigt wurde (Sprack, Emmins on Criminal Procedure, S. 56). 553 Das Serious Fraud Office ist eine Sonderbehörde, die bei schweren Betrugsfällen die Ermittlungen fuhrt und gleichzeitig auch Anklageorgan ist. Auch Ministerien und Verwaltungsbehörden können die strafrechtliche Verfolgung einleiten, wie der Inland Revenue für Steuerdelikte, Customs and Excise für VAT-Delikte etc. Jede Privatperson kann Klage erheben, wenn sie z.B. mit der Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Polizei nicht einverstanden ist. Das Verfahren kann aber sowohl bei Behörden als auch bei Privatpersonen vom CPS übernommen werden. (Sprack, Emmins on Criminal Procedure, S. 62). 554 Die Offenlegungspflicht durch die Anklage entspricht unserem Akteneinsichtsrecht. Die Verteidigung musste früher nur Alibi- und vorhersehbare Expertenbeweise, auf die sie sich später berufen will, im voraus angeben. Durch den Criminal Procedure and Investigation Act 1996 besteht nun auch für die Verteidigung eine generelle Offenlegungspflicht, allerdings nur bei Verfahren vor dem Crown Court (zu den Rechtsfolgen eines Verstoßes vgl. Seite 151, Fußnote 572). Die freiwillige Offenlegung ist immer möglich. 555 Der Crown Court ist organisatorisch ein einziges Gericht, welches in verschiedenen Städten einen Sitz unterhält, weshalb die teilweise in der Literatur vorkommende Verwendung des Plurals ungenau ist. 556 Summary offences sind durch Gesetz ausschließlich den magistrate 's courts zugewiesen. Offences triable either way (so z. B. Diebstahl, Hehlerei) können vor beiden Gerichten verhandelt werden. Offences triable only on indictment (Raub, Mord) sind ausschließlich dem Crown Court vorbehalten. 557 Sprack, Emmins on Criminal Procedure, S. 139. Zu weiteren Einzelheiten und Ausnahmen siehe dort.

148

3. Teil: Fallgruppen

entscheidet über die Schuldfrage 558. Bekennt sich der Angeklagte für schuldig (,guilty plea") 559, braucht sie nicht zusammenzutreten. Zeugenvernehmungen aufgrund eines ausländischen Ersuchens im Rahmen der internationalen Rechtshilfe werden von einem vom Home Office nominierten Gericht durchgeführt, in der Regel von einem magistrates' court 560.

c) Vernehmung von Zeugen einschließlich der diesbezüglichen Beteiligtenrechte Das Unmittelbarkeitsprinzip tritt im englischen Strafprozessrecht in der Form der rule against hearsay evidence, des grundsätzlichen Verbots schriftliches oder mündliches Zeugnis vom Hörensagen als Beweis einzubringen, in Erscheinung 561. Dadurch dienen Zeugenvernehmungen im Ermittlungsverfahren grundsätzlich nur dem Sammeln von Beweispersonen, welche dann in der Hauptverhandlung präsentiert werden. Die Ermittlungsbehörden können einen Zeugen auch nicht zum Erscheinen zwingen. Insbesondere bei Unerreichbarkeit und gefährdeten Zeugen sind jedoch nunmehr einige Ausnahmen vorgesehen 562. Schriftliche Zeugenaussagen aus Verhandlungen vor den magistrates' courts können darüber hinaus in der Hauptverhandlung verlesen werden, wenn keine

558 Die Entscheidung über die Schuldfrage braucht von der Juiy nicht begründet zu werden. Dem Berufsrichter obliegen die Verfahrensleitung und die Festlegung der Sanktion. Je nach Schwere des Falles handelt es sich bei dem Berufsrichter in Ausnahmefallen um einen High Court judge, in der Regel um einen circuit judge, einen recorder, welcher den Richterberuf nur in Teilzeit ausübt, oder um einen deputy circuit judge oder auch einen assistant recorder, welche beide nur für einen bestimmten Zeitraum und nicht auf Lebenszeit berufen werden. 559 Mit dem guilty plea erkennt der Angeklagte den Strafanspruch des Staates an. Dies geschieht in etwa 95% der vor den magistrates" courts und etwa 75% der vor dem Crown Court verhandelten Fälle [Vogler, Konsensuale Elemente im Strafprozess in England und Wales sowie in den USA, ZStW 116 [2004], S. 129 (133)]. Die Rücknahme dieses Anerkenntnisses kann der Richter nach seinem Ermessen zulassen. Dies geschieht jedoch nur äußerst selten, vor allem bei Willensmängeln während der Abgabe (vgl. Murphy, Blackstone's Criminal Practice, Rn. D 11.57). Die Weigerung überhaupt eine Erwiderung abzugeben, wird als plea of not guilty gewertet (Murphy, a.a.O., Rn. D

11.21).

560 In Betracht kommt auch der Crown Court und in schwerwiegenden Betrugsfällen ausnahmsweise auch das Serious Fraud Office. Einzelheiten bei Janicki, a.a.O., S. 475 f. und im Rundschreiben HOC 16/1997 des Home Office, abzurufen unter: http://www. homeoffice.gov.uk/docs/hoc97 16.pdf. 561 Vgl. Huber, Ermittlungsmethoden und Beweisverbote im englischen Strafprozessrecht, bei Höpfel/Huber (Hrsg.), Beweisverbote in der EU, S. 75 (81). 562 Vgl. ss. 23, 24, 26 Criminal Justice Act 1988. Siehe dazu Huber bei Perron, Beweisaufnahme im Strafverfahrensrecht des Auslandes, S. 44 ff., 62 f.; Janicki, Beweisaufnahme in Deutschland und England, S. 188 ff.

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

149

Partei widerspricht oder ein solcher Widerspruch vom Gericht aufgehoben wurde 563 . Eine für diese Arbeit interessante Konstellation kann sich bei der Vernehniung eines Angehörigen des Beschuldigten in England ergeben. Der Ehegatte des Angeklagten ist kompetenter Zeuge sowohl für den Angeklagten als auch für die Anklage. Seine Aussage ist jedoch nach section 80 PACE von der Anklage nicht erzwingbar. Wird der Ehegatte aber von der Verteidigung aufgerufen, hat er gar kein Zeugnisverweigerungsrecht. Das Zeugnisverweigerungsrecht bei Aufruf durch die Anklage gilt wiederum nicht, wenn dem Angeklagten eine Körperverletzung gegenüber dem aussagenden Ehegatten selbst, eine Körperverletzung oder ein Sexualdelikt gegenüber einer unter 16 Jahre alten Person oder ein diesbezüglicher Versuch oder Beihilfe vorgeworfen wird 5 6 4 . Über bestehende Verweigerungsrechte der Ehegatten muss keine Belehrung erfolgen. Sie wird nur im Einzelfall bei offensichtlicher Unkenntnis erteilt, da eine so zugelassene Aussage die Verletzung der Fairness des Verfahrens mit sich bringen würde 565 . Andere Angehörige, so zum Beispiel die Kinder oder Eltern des Beschuldigten, und geschiedene Ehegatten haben gar kein Zeugnisverweigerungsrecht. Berufsbezogene Privilegien bestehen unter anderen für Rechtsanwälte, Ärzte, Geistliche, welche jedoch nur vom Klienten, dann aber verbindlich, geltend gemacht werden können. Bankiers oder Bankangestellte dürfen nicht über den Inhalt von Bankdokumenten befragt werden, es sei denn, es liegt ausdrückliche Anordnung eines Richters hinsichtlich eines bestimmten Prozesses vor 5 6 6 . Bedeutsam kann weiterhin die Vernehmung eines Zeugen werden, der in seiner Aussage eigenes strafbares Verhalten oder strafbares Verhalten bezüglich eines Angehörigen offenbart hat, und gegen den oder dessen Angehörigen später in Deutschland ein Strafverfahren eingeleitet wurde. Das Recht, sich nicht selbst bezichtigen zu müssen, ist im englischen Recht grundsätzlich gewährleistet. Eine diesbezügliche Belehrungspflicht gegenüber Zeugen gibt es jedoch weder im Ermittlungsverfahren noch bei gerichtlichen Zeugenvernehmungen. Angehörigen von Personen, denen strafrechtliche Verfolgung droht, steht gar kein mit § 55 Abs. 1 StPO vergleichbares Auskunftsverweigerungsrecht zu.

563

Schedule 2 Criminal Procedure and Investigations Act (CP I A) 1996. Janicki, a.a.O., S. 192. Das Problem unter Druck gesetzter Zeugen bei häuslicher Gewalt und sexuellem Missbrauch durch Angehörige tritt anscheinend nicht nur in Deutschland auf (vgl. oben Seite 131, Fußnote 491). 565 Janicki, a.a.O., S. 194 ff. 566 Vgl. 5. 6 Banker's Book Act 1879, dessen Geltung auch für Rechtshilfevernehmungen in para 6 schedule 1 Criminal Justice (International Co-operation) Act 1990 nochmals ausdrücklich betont wird. 564

150

3. Teil: Fallgruppen

Für Zeugenvernehmungen, die im Rahmen der internationalen Rechtshilfe vorgenommen werden, ist allerdings ausdrücklich vorgesehen, dass auf ausdrückliche Bitte des ersuchenden Staates die Verweigerungsrechte nach dortigem Recht ebenfalls Beachtung finden 567 . Alle Zeugen, außer Kinder, müssen vor ihrer Vernehmung im Zeugenstand einen Eid beziehungsweise eine eidesgleiche Bekräftigung ableisten 568 . Dies gilt ebenfalls für verweigerungsberechtigte, aber aussagende Zeugen. In der Hauptverhandlung werden die Zeugen zunächst von der Partei befragt, die sie benannt hat („examination-in-chief'), und danach von der Gegenpartei („crossexamination"), wobei allerdings auch die selten wahrgenommene Möglichkeit der Benennung und Befragung durch den Richter besteht. Ein Anwesenheitsrecht des Beschuldigten und des Verteidigers bei Zeugenvernehmungen außerhalb der Hauptverhandlung besteht bei Verfahren ohne Auslandsbezug nicht. Bei kommissarischen Vernehmungen zur Erledigung eines Rechtshilfeersuchens ergeben sich jedoch wiederum Besonderheiten. Großbritannien hat zu Art. 4 EuRhÜbk keinen Vorbehalt erklärt. Es erlaubt auf Verlangen des ersuchenden Staates die Anwesenheit des Verteidigers und auch von Vertretern ausländischer Justizorgane, denen allen Gelegenheit zum Stellen von Fragen eingeräumt wird 5 6 9 .

d) Vernehmung des Beschuldigten einschließlich der diesbezüglichen Beteiligtenrechte Geständnisse werden von den Ermittlungsbehörden auch in England zum Zwecke der Beweissicherung erhoben. Die rule against hearsay evidence findet ihre wichtigste Ausnahme in Bezug auf Geständnisse, denn Geständnisse des Angeklagten auch außerhalb der Hauptverhandlung sind nach section 76 (1) PACE gerichtlich verwertbar. Darüber hinaus folgt einem polizeilichen Geständnis häufig die Schuldanerkennung („guilty plea") in der Hauptverhandlung, welche bekanntermaßen so in Deutschland nicht existiert, und damit eine sichere Verurteilung 570 . Das Recht zu Schweigen ist im englischen Recht grund-

567

Vgl. paragraph 4 schedule 1 Criminal Justice (International Co-Operation) Act

1990. 568 Murphy, Blackstone's Criminal Practice, Rn. F 4.22; Hatchard bei Hatchard/ Huber/Vogler, Comparative Criminal Procedure, S. 214. 569 Janicki, a.a.O., S. 481. 570 Huber bei Höpfel/Huber [Hrsg.], Beweisverbote in der EU, S. 75 (85). Häufig sind Schuldeingeständnisse das Ergebnis vorangegangener Absprachen. Sie sind eher als Prozesserklärung, vergleichbar mit dem deutschen zivilprozessualen Anerkenntnis, weniger als strafprozessuales Beweismittel im eigentlichen Sinne anzusehen [vgl. Wei-

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

151

sätzlich gewährleistet, was sich für das Ermittlungsverfahren aus dem common law,

für die Hauptverhandlung aus section

1 Criminal

Evidence

Act

1898

ergibt. B e i der Vernehmung durch die Polizei ist der Beschuldigte nach dem unter section 67 PACE erlassenen Code of Practice

C auch über sein Recht zu

Schweigen entsprechend zu belehren, wobei ein der deutschen Rechtsprechung i m Ergebnis ähnlicher Beschuldigten- und Vernehmungsbegriff g i l t 5 7 1 . Das Recht zu Schweigen wurde jedoch durch die ss. 34-39 des

Criminal

Justice and Public Order Act 1994 (CJPOA) erheblich eingeschränkt. Demnach ist es in einem bestimmten Ausmaß möglich, sowohl aus dem Schweigen des Beschuldigten nach Belehrung auf der Polizeistation, als auch aus dessen Schweigen vor Gericht negative Schlüsse hinsichtlich der Schuld des Angeklagten zu ziehen 5 7 2 . A u c h die Belehrung über das Schweigerecht enthält einen entsprechenden H i n w e i s 5 7 3 . Eine Verurteilung allein aufgrund des Schweigens als einziges Schuldindiz ist gem. s. 38 (3) CJPOA allerdings nicht möglich. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hielt die identischen Vorschriften

gend, Strafzumessung durch die Parteien, ZStW 94 (1982), S. 200 (201)]. Ändert der Angeklagte jedoch seine Erwiderung auf „nicht schuldig" (vgl. Seite 148, Fußnote 559), so kommt auch die Verwertung als Beweismittel zumindest grundsätzlich in Betracht (vgl. dazu Murphy, Blackstone's Criminal Practice, Rn. F 17.1). 571 Vgl. paragraph 10.1 Code C. Zum Vernehmungsbegriff ausführlich: Janicki, Beweisaufnahme in Deutschland und England, S. 276 ff., insb. S. 290. 572 Das Schweigen vor Gericht ist grundsätzlich allgemein als Schuldindiz verwertbar (s. 35). Das Schweigen im Ermittlungsverfahren kann einmal hinsichtlich solcher Fakten verwertet werden, auf die sich die Verteidigung später beruft und deren Erwähnung vernünftigerweise zu einem früheren Zeitpunkt zu erwarten gewesen wäre (s. 34). Das Schweigen des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren z.B. zu bestimmten Spuren an seinem Körper oder zu seinem Aufenthaltsort gilt wiederum, wenn er aufgefordert wurde darüber Rechenschaft abzulegen, als allgemeines Schuldindiz (ss. 36, 37). Zu den weiteren Einzelheiten und Voraussetzungen vergleiche: Janicki, a.a.O., S. 407 ff. Ähnliche Folgen sind für den Verstoß gegen die Offenlegungspflicht im Vorfeld eines Verfahrens vor dem Crown Court („disclosure") vorgesehen, ss. 5, 11 Criminal Procedure and Investigation Act 1996 (vgl. Janicki, a.a.O., S. 429 ff., siehe auch Seite 147, Fußnote 554). Nach dem common law war das Schweigen des Beschuldigten grundsätzlich nicht verwertbar. Lediglich in ebenfalls noch anwendbaren Ausnahmefällen, z.B. bei außerprozessuale Schweigen des Beschuldigten gegenüber Privatpersonen, konnte das Schweigen ähnlich wie in Deutschland als Beweis verwendet werden (dazu Janicki, a.a.O., S. 403 ff.). 57 3

„You do not have to say anything, but it may harm your defence ifyou do not mention anything when questioned that you later rely on in court. Anything you do say may be given in evidence." („Sie müssen nicht aussagen. Es kann aber Ihre Verteidigung beeinträchtigen, wenn Sie bei der Vernehmung etwas nicht erwähnen, worauf Sie sich später vor Gericht berufen. Alles, was Sie aussagen, kann als Beweis verwendet werden.") Ein zusätzliches Problem ergibt sich daraus, dass der Wortlaut der Belehrung die Voraussetzungen für die Verwertbarkeit des Schweigens nicht ganz eindeutig wiedergibt (vgl. Fußnote 572; Janicki, a.a.O., S. 409; Murphy, Blackstone's Criminal Practice, Rn. F 19.7).

152

3. Teil: Fallgruppen

der Criminal Evidence (Northern Ireland) Order 1988 in der Entscheidung John Murray vs. United Kingdom 514 mit dem Schweigerecht und dem fair-trialPrinzip aus Art. 6 Abs. 1 EMRK für noch vereinbar. Der Angeklagte ist in der Hauptverhandlung Prozesspartei, aber auch für die Verteidigung kompetenter Zeuge in eigener Sache575. Wenn er sich entscheidet, in den Zeugenstand zu treten, muss er - genau wie andere Zeugen auch - den Voreid leisten und unterliegt der Wahrheitspflicht. Er hat sich auch dem Kreuzverhör zu stellen. Im Zeugenstand darf er sich nicht mehr hinsichtlich des angeklagten Delikts auf sein Schweigerecht berufen 576 . Unbeeidigte Einlassungen von der Anklagebank aus darf der Angeklagte gar nicht abgeben577. Verhaftete oder festgehaltene Personen haben nach section 58 (1) PACE in Verbindung mit dem Code of Practice C das Recht, einen für sie kostenlosen Rechtsbeistand578 zu konsultieren. Darüber sind sie auf der Polizeistation zu belehren 579 . Freiwillig auf der Polizeistation erschienene Personen sind aber mit der gleichen Aufmerksamkeit zu behandeln580. Nichtverhaftete Personen müssen auch darüber belehrt werden, dass sie jederzeit die Polizeistation verlassen dürfen 581 . Das Hinausschieben der Verteidigerkonsultation und die vorherige Vernehmung ist jedoch in bestimmten Ausnahmefällen erlaubt, neuerdings zum Beispiel auch, wenn ein Polizeibeamter mindestens im Range eines Superintendent der Ansicht ist, dass die Verzögerung der Vernehmung zu einem Beweisverlust führen könnte 582 . Die zulässige Verteidigerkonsultation darf von der

574 EGMR v. 8.2.1996, EuGRZ 1996, S. 587; ablehnende Anmerkung Kühne, Anwaltlicher Beistand und das Schweigerecht des Beschuldigten im Strafverfahren, EuGRZ 1996, S. 571. 575 Sprack, Emmins on Criminal Procedure, S. 296 f., bezüglich der Verfahren vor den magistrates' courts S. 157 f. 576 Vgl. 5. 1 (e) Criminal Evidence Act 1898. 577 Vgl. s. 72 Criminal Justice Act 1982. Dadurch wird aber nicht das Recht des sich selbst verteidigenden Angeklagten beschnitten, sich wie ein Verteidiger an das Gericht oder die Geschworenen zu wenden. 578 Der Rechtsbeistand ist grundsätzlich ein solicitor. Der Anwalt kann jedoch nach den Legal Advice and Assistance Regulations 1988 die Wahrnehmung der Beratung auf nicht juristisch ausgebildete Angestellte delegieren. Vgl. Huber bei Perron, Beweisaufnahme im Strafverfahrensrecht des Auslandes, S. 11 (57), Fn.182. 579 Eine Vernehmung einer verhafteten Person durch die Polizei darf nur in Ausnahmefallen außerhalb der Polizeistation erfolgen, vgl.paragraph 11.1 Code C. 580 Vgl. paragraph 1A Code C. 581 Vgl. para 10.2 CodeC. 582 Vgl. dazu para 6.6 (b)(i) Code C in der seit dem 1. April 2003 gültigen Fassung und auch para 11.1 (a). In einem solchen Fall darf der Beschuldigte allerdings von seinem Schweigerecht Gebrauch machen, ohne dass daraus negative Schlüsse gezogen werden könnten.

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

153

Polizei nicht vereitelt oder behindert werden 583 . Verstöße gegen die obengenannten Pflichten führen auch in England nach der Generalklausel section 78 PACE zu einem Verwertungsverbot bezüglich eines abgelegten Geständnisses, wenn nach dem Ermessen des Gerichts ansonsten die Fairness des Verfahrens beeinträchtigt würde, was in der Regel aber bejaht wird 5 8 4 . Verbotene Vernehmungsmethoden sind in section 76 (2) PACE geregelt, welcher sowohl für von staatlichen Organen als auch für von Privatleuten gewonnene Geständnisse, nicht aber für Zeugenaussagen gilt. Nach section 76 (2) (a) PACE besteht ein absolutes Verwertungs verbot bezüglich Geständnissen, die durch Unterdrückung („oppressiori") 585 gewonnen wurden. Unterdrückung („oppression") schließt die in section 76 (8) PACE als Beispiele genannte Folter, inhumane oder degradierende Behandlung und die Drohung mit Gewalt ein. Ferner besteht nach section 76 (2) (b) PACE ein absolutes Verwertungsverbot für Geständnisse, die durch ein Verhalten gewonnen wurden, welches geeignet war, die Verlässlichkeit des Geständnisses zu beeinträchtigen 586. Das Verbot der section 76 (2) PACE entspricht damit teilweise den verbotenen Vernehmungsmethoden aus § 136 a StPO. Die Fallgruppen, die in Deutschland unter Misshandlung und Quälerei fallen, werden vom englischen Begriff der Unterdrückung nach Absatz (a) erfasst. Die Fallgruppen, die in Deutschland zu Täuschung, Hypnose, Drohung mit unzulässigen Maßnahmen oder das Versprechen von gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteilen nach § 136 a StPO entwickelt wurden, können allenfalls unter den Absatz (b) fallen, wenn die Zuverlässigkeit des Geständnisses als beeinträchtigt angesehen wird. Diesbezüglich sind die Voraussetzungen für die Annahme einer verbotenen Vernehmungsmethode also restriktiver als in Deutschland. Insbesondere durch Täuschung erlangte Geständnisse werden in der Regel nicht als unzuverlässig betrachtet, jedoch dann über die Generalklausel der s. 78 PACE wegen mangelnder Fairness als unverwertbar angesehen587, so dass die englische Polizei Täuschungshandlungen ebenfalls vermeiden muss. In anderen Einzelfallen kann section 76 (2) (b) PACE wiederum auch weiter sein als § 136 a StPO, da die Verhaltensweisen, die nach englischem Verständnis zur Unzuverlässigkeit Geständnis führen können, nicht weiter spezifiziert sind 588 .

583

Sprack, Emmins on Criminal Procedure, S. 34 f. Janicki, Beweisaufnahme in Deutschland und England, S. 276, 292. 585 Zu weiteren Einzelheiten: Janicki, Beweisaufnahme in Deutschland und England, S. 229 ff.; Huber bei Höpfel/Huber [Hrsg.], Beweisverbote in der EU, S. 75 (86 ff.). 586 Zu weiteren Einzelheiten: Janicki, Beweisaufnahme in Deutschland und England, S. 234 ff. 587 Janicki, Beweisaufnahme in Deutschland und England, S. 242 ff. 588 Ein unzuverlässiges Geständnis hat nach deutschem Verständnis dafür allerdings keinen Beweiswert. 584

154

3. Teil: Fallgruppen e) Zwischenbewertung

Aus deutscher Sicht können sich in Bezug auf die in England und Wales erfolgten Vernehmungen vielseitige Probleme ergeben. Die Zeugnisverweigerungsrechte sind erheblich restriktiver gefasst und es besteht keine generelle Belehrungspflicht. Da Zeugenvernehmungen außerhalb der Hauptverhandlung in der Regel nicht der Beweissicherung dienen, kann die Verwertung so gewonnener Erkenntnisse insbesondere hinsichtlich der fehlenden Anwesenheit des Beschuldigten und des Verteidigers zu Problemen fuhren. Die Eidesleistung vor der Vernehmung und der Ablauf der Vernehmung werden zu bewerten sein. Bezüglich des Beschuldigten kann in Einzelfällen die Einordnung einer in Deutschland nicht bekannten Schuldanerkennung („guilty plea") Probleme bereiten 589 . Es wird sich aber vor allem die Frage stellen, wie viel ein Schweigerecht des Beschuldigten und eine diesbezügliche Belehrung noch wert sind, wenn der Beschuldigte befürchten muss, dass sein Schweigen bei einer Vernehmung später als Schuldindiz verwertet wird 5 9 0 . Auch die Tatsache, dass der in der Hauptverhandlung aussagende Angeklagte einer Wahrheitspflicht unterliegt, wird zu problematisieren sein 591 . Ein Recht auf Verteidigerkonsultation wird in einigen Ausnahmesituationen nicht gewährleistet. Hinsichtlich verbotener Vernehmungsmethoden bestehen einige Unterschiede zum deutschen Recht, insbesondere wenn nach englischem Recht das Kriterium der Zuverlässigkeit als entscheidend angesehen wird.

589

Diese Konstellation erscheint auf den ersten Blick nicht besonders praxisrelevant, weil der ,guilty plea" grundsätzlich eine Verurteilung in England folgen wird. Da im Verhältnis zum Vereinigten Königreich seit 2005 auch die Art. 54 ff. SDÜ gelten, führt diese in der Regel auch zu einem Strafklageverbrauch in Deutschland, wenn die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Für eine entsprechende Konstellation eines z.B. in den USA abgegebenen Schuldanerkenntnisses wird die deutsche Staatsanwaltschaft überdies wohl von § 153 c Abs. 1 Nr. 3 StPO Gebrauch machen, wenn die Strafe schon vollstreckt wurde, ausgeschlossen ist ein Verfahren in Deutschland aber nicht. Weiterhin kann sich natürlich die Frage stellen, inwieweit das Schuldanerkenntnis des in England oder auch in der USA verurteilten, ursprünglichen Mitbeschuldigten verwertbar ist. Auch muss nicht jedem Schuldeingeständnis in England eine Verurteilung folgen, so z.B. wenn das Verfahren dennoch eingestellt wird [Ein schönes Beispiel hierzu bringt Gieß, Die „Verkehrsfähigkeit von Beweisen", ZStW 115 [2003], S. 131 (141 f.)]. 590

Freilich wird sich die Gefahr nicht verwirklichen, wenn es später ausschließlich zu einem Verfahren in Deutschland kommt. 591 Konstellationen, in denen der Angeklagte in einer englischen Hauptverhandlung ausgesagt hat und es dann noch mal zu einem Verfahren wegen derselben Tat in Deutschland kommt, werden in der Praxis allerdings ebenfalls nicht allzu häufig vorkommen (siehe Fn. 589).

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

155

2. Republik Österreich 592 a) Rechtsquellen Deutlich übersichtlicher gestalten sich die für das Strafverfahren relevanten österreichischen Rechtsnormen. Die österreichische Strafprozessordnung von 1975 (StPO) 593 ist eine umfassende Kodifikation, welche auch Regelungen bezüglich der Gerichtsverfassung enthält. Eine Reform des Ermittlungsverfahrens ist jedoch seit längerem in Planung und soll im Jahre 2008 Gesetzeswirklichkeit werden 594 . Bedeutung kommt ebenfalls unter anderem dem Bundesverfassungsgesetz zum Schutz des Hausrechts 1862 und dem Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit 1988 zu. Die Europäische Menschenrechtskonvention wurde im Jahre 1958 ratifiziert und gilt mit Verfassungsrang. Den Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen regelt das Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz (ARHG). Im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich bestehen umfangreiche vertragliche Beziehungen. Es gelten zur Zeit neben dem Europäischen Rechtshilfeübereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen (1959) einschließlich des Zweiten Zusatzprotokolls aus dem Jahre 1978, auch der diesbezügliche deutsch-österreichische Ergänzungsvertrag von 1972, das Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus, das Europäische Geldwäsche-Übereinkommen und das Schengener Durchführungsübereinkommen. Das EU-Rechtshilfeübereinkommen (2000) wurde im August 2005 ratifiziert 595 .

592

Für eine ausführliche Betrachtung kann der deutsche Leser auf österreichische Strafprozessrechtsliteratur verwiesen werden. Rechtsvergleichende Darstellungen finden sich in Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 1309 ff.; Lösching-Gspandl/Puntigam in Perron, Die Beweisaufnahme im Strafverfahrensrecht des Auslands, S. 319 ff.; Ebert in Gropp, Besondere Ermittlungsmaßnahmen, S. 567 ff.; Pilnacek, Überblick über die Grundsätze der Beweisermittlung und der Beweisverbote im österreichischen Strafverfahren, bei Höpfel/Huber (Hrsg.), Beweisverbote in der EU, S. 99. 593 Hier zur Vermeidung von Missverständnissen abgekürzt: öStPO. 594 Eine auf der Basis eines Diskussionsentwurfes von 1998 ausgearbeitete Regierungsvorlage wurde im Frühjahr 2003 nach vorzeitigem Ende der Legislaturperiode neuerlich dem Nationalrat zur Beratung in den Ausschüssen zugewiesen. Am 26. Februar 2004 wurde mit den Stimmen der Regierungskoalition ein Reformgesetz beschlossen, welches im Jahre 2008 in Kraft treten soll. Das Reformgesetz kann im Internet heruntergeladen werden, unter: http://www.parlament.gv.at/portal/page?pageid=908, 652214&dad=portal&schema=PORTAL. Vgl. dazu: Bertel/Vernier, Einführung in die neue Strafprozessordnung, Wien 2005; Seiler, Der Diskussionsentwurf des BMJ, ÖJZ 1999, S. 251; Ambos, Zur Reform des strafprozessualen Vorverfahrens in Österreich, ÖJZ 2003, S. 661; Jung, Einheit und Vielfalt der Reformen des Strafprozessrechts in Europa, GA 2002, S. 65. 595

Vgl. Seite 33, Fußnote 60.

156

3. Teil: Fallgruppen b) Verfahrensgang

und Beteiligte

Das Ermittlungsverfahren in Österreich ist nach dem zurzeit geltenden Recht in zwei Stufen aufgeteilt, den Vorerhebungen und der Voruntersuchung, die nach österreichischem Verständnis noch nicht als Teil des Strafverfahrens angesehen werden 596 . Die Vorerhebungen werden von der Staatsanwaltschaft geleitet 597 . Die Staatsanwaltschaft darf jedoch selbst keine Beweise erheben, sie kann Beweiserhebungen nur veranlassen. Dabei bedient sie sich des bei den Landesgerichten angesiedelten Untersuchungsrichters, der Bezirksgerichte oder der Sicherheitsbehörden, d. h. der Bundespolizei oder der Gendarmerie 59*. In der Praxis hat sich die Vorerhebung zumindest bei kleinerer Delinquenz ähnlich wie in Deutschland dahingehend entwickelt, dass zunächst von den Sicherheitsbehörden eigenständig durchermittelt wird, bis ein anklagereifes Ergebnis vorliegt oder Zwangsmaßnahmen notwendig werden 599 . Findet der Staatsanwalt aufgrund der Ergebnisse der Vorerhebungen genügend Gründe, gegen eine bestimmte Person ein Strafverfahren zu veranlassen, kann er beim Untersuchungsrichter die Durchfuhrung einer gerichtlichen Voruntersuchung beantragen oder sofort Anklage erheben. Bei Verbrechen und Vergehen, deren Aburteilung den Geschworenengerichten zukommt, bei Strafverfahren gegen Abwesende und wenn vor Anklageerhebung Untersuchungshaft verhängt werden soll, ist die gerichtliche Voruntersuchung obligatorisch. Die Voruntersuchung wird von einem Untersuchungsrichter gefuhrt, der auch selbst die Beweise aufnimmt. Oft lässt der Untersuchungsrichter allerdings auch Zeugen von Richteramtsanwärtern oder Rechtspraktikanten vernehmen. Danach wird der Zeuge dem Richter vorgeführt, um die Richtigkeit der Aussage zu beteuern 600 . Nach dem Reformgesetz wird die rechtliche Stellung der Staatsanwaltschaft und der Sicherheitsbehörden im Ermittlungsverfahren wesentlich ausgebaut bzw. an die teilweise schon heute herrschende Verfahrensrealität angepasst, auch soll die gerichtliche Voruntersuchung ganz entfallen 601 . Für das Hauptverfahren, dem noch ein vorbereitendes Zwischenverfahren vorgeschaltet ist, ist bei leichteren Vergehen das Bezirksgericht zuständig 602 , welches durch den Einzelrichter entscheidet. Die

596

Vgl. aber § 1 Abs. 2 des Reformgesetzes. Bei Privatklagedelikten nimmt der Privatkläger diese Aufgabe war (vgl. § 49 Abs. 2 öStPO). 598 V g l . § 8 8 Abs. 1 öStPO. 599 Lösching-Gspandl/Puntigam in Perron (Hrsg.), Beweisaufnahme im Strafverfahrensrecht des Auslands, S. 319 (341), mit zahlreichen Nachweisen. 600 Die unwahre Beteuerung ist nach § 288 Abs. 1 öStGB strafbar (Bertel/Venier, Grundriss des österreichischen Strafprozessrechts, Rn. 557). 601 Vgl. §§ 98 ff. des Reformgesetzes. 602 Das sind gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 öStPO Vergehen, deren angedrohtes Höchststrafmaß ein Jahr Freiheitsstrafe nicht übersteigt. 597

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

157

Landesgerichte, die für mittelschwere Delikte zuständig sind, verhandeln je nach Bedeutung der Sache mit einem Einzelrichter oder als Schöffengericht mit zwei Berufs- und zwei Laienrichtern 603 . Geschworenengerichte, zuständig für schwerste Kriminalität 604 , verhandeln mit drei Berufsrichtern und acht Geschworenen, die zunächst allein über die Schuld entscheiden, bei einer Verurteilung zusammen mit den Berufsrichtern allerdings auch über das Strafmaß. Für die Vornahme von Untersuchungshandlungen, um die im Rahmen der internationalen Rechtshilfe ersucht wurde, ist in der Regel das Bezirksgericht zuständig.

c) Vernehmung von Zeugen einschließlich der diesbezüglichen Beteiligtenrechte Auch in Österreich gilt das Unmittelbarkeitsprinzip, so dass der Zeuge grundsätzlich in der Hauptverhandlung zu vernehmen ist. Gerichtliche oder sonstige amtliche Protokolle über Zeugenvernehmungen im Vorverfahren können jedoch unter den recht weit gefassten Varianten des § 252 Abs. 1 öStPO verlesen werden 605 . Zeugenvernehmungen im Vorverfahren dienen also unter Umständen auch der Beweissicherung. Strenger ist die jüngste österreichische Rechtssprechung allerdings bei verdeckten Ermittlern, da eine Sperrerklärung grundsätzlich keinen Verlesungsgrund darstellt 606 . Weiterer bedeutender Unterschied zu Deutschland ist, dass die Voraussetzungen für eine Verlesung nicht durch die Vernehmung der Verhörsperson umgangen werden dürfen. Allgemein ist zunächst der Zeuge von der Verbindlichkeit auszusagen befreit, der sich durch seine Aussage selbst der Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung aussetzen würde. Auch die Angehörigen des Beschuldigten oder einer Person, die sie durch die Aussage strafrechtlich belasten müssten, sind nicht

603

Das Landesgericht übt gem. § 13 Abs. 2 öStPO seine Tätigkeit in Fällen einer fünf Jahre übersteigenden Strafandrohung oder bei Vorliegen bestimmter Katalogtaten als Schöffengericht aus. 604 Das sind gem. § 14 Abs. 1 öStPO Verbrechen, die mit lebenslanger oder mit zeitlicher Freiheitsstrafe, deren Untergrenze nicht weniger als fünf Jahre und deren Obergrenze mehr als zehn Jahre beträgt, bedroht sind, aber auch politische Vergehen und Verbrechen. 605 Das österreichische Recht ist meist großzügiger als der deutsche § 251 StPO. So wird kein Unterschied zwischen richterlichen und nichtrichterlichen Protokollen gemacht. Als Verlesungsgrund reicht es zum Beispiel aus, dass der Zeuge inhaltlich von früheren Aussagen abweicht oder die Aussage berechtigt (dann allerdings nur bei einer vorangegangenen kontradiktorischen Vernehmung) oder unberechtigt verweigert. 606 Vgl. OGH NStZ 2005, S. 346 mit Anmerkung Lagodny.

158

3. Teil: Fallgruppen

verpflichtet auszusagen607. Der Angehörigenbegriff deckt sich in großen Teilen mit dem des deutschen Rechts, wobei in Österreich allerdings auch zum Beispiel die Pflegeeltern und -kinder und Personen, welche miteinander in Lebensgemeinschaft leben, mitumfasst sind 608 . Verlobte, für die letzteres nicht zutrifft, haben allerdings kein solches Entschlagungsrecht. Berufsbezogene Zeugnisbefreiungen kommen unter anderem den Verteidigern, Rechtsanwälten, sogenannten Wirtschaftstreuhändern, Psychiatern, Psychologen, Bewährungshelfern und deren Hilfskräfte zu 6 0 9 , Ärzten jedoch nicht. Auch das unter 14-jährige Tatopfer hat ein Entschlagungsrecht, wenn es in einer vorausgegangenen gerichtlichen Vernehmung unter Beteiligung der Parteien schon ausgesagt hat. Alle Entschlagungsberechtigte sind entsprechend zu belehren 610 . Wenn sie aussagen wollen, müssen sie auf dieses Recht ausdrücklich verzichten. Ansonsten ist die Aussage nach österreichischem Recht nichtig, das heißt unverwertbar. Überhaupt nicht als Zeugen vernommen werden dürfen Geistliche über im Rahmen der Seelsorge bekannt gewordene Tatsachen, Staatsbeamte, die nicht von der Amtsverschwiegenheit entbunden wurden, und Personen, die aufgrund ihrer geistigen Verfassung unfähig sind, wahrheitsgemäße Aussagen zu machen. Werden solche Personen dennoch vernommen, so ist die Aussage nichtig,, also unverwertbar. Das Reformgesetz zum Vorverfahren enthält hinsichtlich dieses Komplexes keine wesentlichen inhaltlichen Änderungen 611 . Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Personenkreis der nach österreichischem Recht entschlagungsberechtigten bzw. unzulässigen Zeugen teilweise weiter und teilweise enger gefasst ist als die Gruppe der nach deutschem Recht Zeugnis- bzw. Auskunftsverweigerungsberechtigten. Diese partiellen Unterschiede können in entsprechenden Einzelkonstellationen zu Problemen führen. Auffällig vor allem ist auch, dass für den österreichischen Strafprozess die Folge der Nichtigkeit auch dann eintritt, wenn gegen Vorschriften verstoßen wird, die nicht dem Schutz des Beschuldigten dienen. Im Vorverfahren darf ein Zeuge nach § 169 öStPO nur vereidigt werden, wenn er voraussichtlich in der Hauptverhandlung nicht erscheinen kann. Der Eid wird dann in Form des Nacheids geleistet. In der Hauptverhandlung wird der Zeuge gem. § 247 Abs. 2 öStPO nur vereidigt, wenn eine der Parteien dies verlangt oder der Vorsitzende die Vereidigung für unerlässlich hält. Dies ge607 Der Begriff des Zeugnisverweigerungsrechts wird in Österreich im Zusammenhang mit § 153 öStPO verwendet, welcher dem deutschen § 68 a StPO entspricht. 608 Vgl. § 152 Abs. 1 Nr. 2 öStPO, § 72 öStGB. 609 Sofern sie nicht von Angeklagten von der Schweigepflicht entbunden wurden. 610 Vgl. §152 Abs. 5 ÖStPO. 611 Vgl. §§ 157ff. des Reformgesetzes.

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

159

schieht dann aber vor der Vernehmung des Zeugen zur Sache. Zwingende Eideshindernisse sind unter anderem für die ebenfalls Tatverdächtigen, für wegen Falschaussage Verurteilte, Unter-Vierzehnjährige oder bei einem besonderen Feindschaftsverhältnis zum Beschuldigten vorgesehen 612. Ein dem deutschen § 61 StPO n.F. entsprechendes Eidesverweigerungsrecht gibt es aber nicht. Bei Vernehmungen durch den Untersuchungsrichter bzw. das Bezirksgericht besteht grundsätzlich keine Parteiöffentlichkeit, § 162 Abs. 1 öStPO. In Hinblick auf Art. 6 Abs. 3 Buchst, b EMRK besteht jedoch auch im Vorverfahren nach § 162 a öStPO die Möglichkeit einer kontradiktorischen Vernehmung 613 , wenn die Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen gefährdet erscheint. Bei kommissarischen Zeugenvernehmungen, die auf ein ausländisches Ersuchen im Rahmen der internationalen Rechtshilfe vorgenommen werden, kommt im Verhältnis zu Deutschland Art. 4 des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens in Verbindung mit Art. V I des deutsch-österreichischen Ergänzungsvertrages zum Tragen, wonach bei entsprechender Bitte des ersuchenden Staates die Parteien zu benachrichtigen sind und deren Anwesenheit zu gestatten ist 6 1 4 . Durch Art. 4 des EURechtshilfeübereinkommens 2000, welcher im Verhältnis zu Österreich in Kürze Anwendung finden wird, werden diese Möglichkeiten noch ausgebaut. Zu diesem Komplex sind keine wesentlichen inhaltlichen Änderungen im Reformgesetz vorgesehen 615.

d) Vernehmung des Beschuldigten einschließlich der diesbezüglichen Beteiligtenrechte Der Beschuldigte im weiteren Sinne wird gem. § 38 Abs. 1 öStPO in Österreich nur Beschuldigter genannt, wenn die gerichtliche Voruntersuchung beantragt oder Anklage erhoben wurde, vorher heißt er Verdächtigter und in der Hauptverhandlung Angeklagter. Auf den Verdächtigen sind jedoch die Vorschriften für Beschuldigte im engeren Sinne anwendbar, wenn er im Rahmen der Vorerhebung gerichtlich vernommen wurde. Nach dem Reformgesetz soll allerdings ein materieller Beschuldigtenbegriff eingeführt werden 616 . Verneh-

612

Vgl § 170 öStPO. Siehe dazu auch Seite 80. 614 Vgl. auch §§ 1, 58, 59 AHRG; dazu ferner BayObLG JR 1985, S. 477 (siehe Seite 105, Fußnote 399) und OHG ÖJZ 2003, S. 36. 613

615

Vgl. §§ 160 ff. des Reformgesetzes. Vgl. §§ 1 Abs. 2, 48 Abs. 1 Nr. 1 des Reformgesetzes; siehe auch Seiler, Der Diskussionsentwurf des BMJ, ÖJZ 1999, S. 251. 616

160

3. Teil: Fallgruppen

mungen dienen auch heute schon im Vorverfahren der Beweissicherung, da Protokolle und amtliche Berichte über so gewonnene Einlassungen in der Hauptverhandlung verlesen werden können, § 245 Abs. 1 S. 4 öStPO. Der Beschuldigte im weiteren Sinne ist nicht verpflichtet, Angaben zu machen, worüber er jedoch nicht immer belehrt wird. Der Verdächtige ist gem. § 38 Abs. 4 öStPO grundsätzlich über den Gegenstand der Anschuldigung zu verständigen, sobald gerichtliche Vorerhebungen gegen ihn gefuhrt werden oder die Voruntersuchung eingeleitet wurde, wobei er auch über seine wesentlichen Rechte im Verfahren belehrt werden soll 6 1 7 . Diese Verständigung kann jedoch aufgeschoben werden, wenn sie den Zweck der Untersuchung gefährden würde. Nur bei einer Festnahme ist der Beschuldigte gem. § 178 Abs. 1 öStPO auch durch die Sicherheitsbehörden und nochmals vor der späteren Vernehmung durch den Untersuchungsrichter gem. § 179 Abs. 1 S. 2 öStPO neben der Unterrichtung über die Anschuldigung ausdrücklich über sein Aussageverweigerungsrecht und die Tatsache, dass die Aussage auch gegen ihn verwendet werden kann, zu belehren. Der Beschuldigte ist nicht verpflichtet, wahrheitsgemäß auszusagen. Trotzdem ist er nach § 199 Abs. 1 öStPO durch den Untersuchungsrichter vor der Vernehmung zur bestimmten, deutlichen und wahrheitsgemäßen Beantwortung der Fragen zu ermahnen, was allgemein als systemwidrig kritisiert wird 6 1 8 . Verweigert der Beschuldigte völlig oder teilweise die Aussage, ist er darauf aufmerksam zu machen, dass er dadurch die Untersuchung nicht hemmen kann und sich seiner Verteidigungsgründe berauben könnte. Eine Belehrung bezüglich des Rechts auf Verteidigerkonsultation erfolgt im Vorverfahren ebenfalls im Wesentlichen nur unter den obengenannten Bedingungen 619 . Bei der Vernehmung selbst darf der Verteidiger im Vorverfahren zumindest nach dem Wortlaut des § 97 Abs. 2 öStPO jedoch nicht anwesend sein 620 ; in der Hauptverhandlung selbstverständlich schon, wobei sich

617

Vgl. Bertel/Venier, Grundriss des österreichischen Strafprozessrechts, Rn. 248. Fabrizy, § 199 öStPO, Rn. 1; Seiler, Die Belehrung des Beschuldigten, ÖJZ 1993, S. 257 (258); Seiler, Strafprozessrecht, Rn. 494; Seiler, Der Diskussionsentwurf des BMJ, ÖJZ 1999, S. 251 (254). 619 Bertel/Venier, a.a.O., Rn. 246. 620 Äußerst bedenklich erscheint die von Soyer geschilderte Praxis, dass vor dem richterlichen Verhör nach einer Verhaftung zwar gem. §179 Abs. 1 S. 2 öStPO eine neuerliche Belehrung über das Recht auf Verteidigerkonsultation erfolgt, ein Verteidigergespräch vor dem Verhör regelmäßig aber nicht mehr gestattet wird [Soyer, Reform der U-Haft in Österreich, StV 2001, S. 536 (538)]. Siehe allerdings auch Bertel/Venier, a.a.O., Rn. 242, 317, nach denen die Vorschrift des § 97 Abs. 2 öStPO im Lichte des Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK auszulegen sei, so dass die Anwesenheit des Verteidiger immer zu gestatten ist. Für eine großzügige Handhabung auch Fabrizy, § 97 öStPO, Rn. 3, unter Berufung auf einen gem. Erlass des B M I und des BMJ vom 14. Februar 2002. 618

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

161

der Angeklagte mit ihm gem. § 245 Abs. 3 2. Hs. öStPO jedoch nicht über einzelne an ihn gestellte Fragen beraten darf. Verbotene Vernehmungsmethoden werden von Art. 3 EMRK, der UNFolterkonvention und insbesondere von § 202 öStPO erfasst. Darunter fällt das Versprechen eines verbotenen oder gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils, Vorspiegelungen, dass heißt irreführende Mitteilungen an den Beschuldigten, Drohungen mit verbotenen oder gesetzlich nicht vorgesehenen Maßnahmen und die Anwendung von Zwangsmitteln, wozu auch körperliche Gewalt, übermäßig lange Verhöre und das Verabreichen von Drogen gezählt wird 6 2 1 . Sie sind damit inhaltlich mit den deutschen § 136 a StPO weitgehend identisch, wobei ein Verbot von Fangfragen in § 200 Abs. 1 öStPO teilweise sogar darüber hinausgeht. Ein Verstoß gegen die §§ 200, 202 öStPO führt allerdings nicht absolut zwingend zu einem Beweisverwertungsverbot 622. Die Rechte des Beschuldigten im Vorverfahren sollen durch das Reformgesetz wesentlich ausgebaut werden. Die bereits erwähnte Einführung eines materiellen Beschuldigtenbegriffs wird auch ein frühzeitigeres Eingreifen von Verfahrensrechten des Beschuldigten und diesbezüglichen Belehrungspflichten mit sich bringen 623 .

e) Zwischenbewertung Aus deutscher Sicht können in Bezug auf in Österreich erhobene Beweise vor allem Schwierigkeiten bei einer fehlenden Anwesenheit des Verteidigers bei Zeugen- und Beschuldigtenvernehmungen, bei einer nicht erfolgten Belehrung des Beschuldigten über sein Aussageverweigerungsrecht und das Recht auf Verteidigerkonsultation, im Falle von Verschiebungen im Rahmen der Zeugnisverweigerungsrechte und bei Vorliegen in Deutschland unbekannter Nichtigkeitsgründe auftreten.

3. Zusammenfassung der Ergebnisse Hinsichtlich Zeugenvernehmungen können sich Probleme bei nicht den §§53 ff. StPO entsprechenden Zeugnis- bzw. Aussageverweigerungsrechten 621

Vgl. Bertel/Venier, a.a.O., Rn. 314 ff.; Fabrizy, § 202 öStPO, Rn. 1 ff. Seiler, Der Diskussionsentwurf des BMJ, ÖJZ 1999, S. 251 (257) zur jetzigen Rechtslage. 623 Vgl. §§ 49 ff, 164 ff des Reformgesetzes; Seiler, Der Diskussionsentwurf des BMJ, ÖJZ 1999, S. 251; Ambos, Zur Reform des strafprozessualen Vorverfahrens in Österreich, ÖJZ 2003, S. 661 (666). 622

162

3. Teil: Fallgruppen

und auch fehlenden entsprechenden Belehrungspflichten ergeben. Das Gleiche gilt für die Nichtzulassung der Anwesenheit von Prozessbeteiligten, eine unterlassene Benachrichtigung oder bei fehlender Gewährleistung eines Fragerechts. Ferner kann die ausländische Verfahrensweise bei der Vernehmung selbst von § 69 StPO und im Falle der Vereidigung von den §§ 59 ff. StPO abweichen. In Bezug auf die Verwertbarkeit von Beschuldigtenvernehmungen sind die Auswirkungen eines mittelbaren Zwangs zur Selbstbezichtigung, einer fehlenden Belehrung i.S.d. § 136 Abs. 1 S. 2 StPO über das Schweigerecht, einer Wahrheitspflicht bei der Aussage und einer Vereidigung, ferner der Nichtgewährung eines dem § 137 Abs. 1 StPO entsprechenden Rechts auf Verteidigerkonsultation oder fehlender diesbezüglicher Belehrungen zu untersuchen. Allgemein für Vernehmungen sind die Folgen der Vornahme nach § 136 a StPO verbotener, nach ausländischem Recht aber erlaubter Vernehmungsmethoden zu bestimmen. Zur Frage der Verlesbarkeit eines ausländischen Vernehmungsprotokolls wird ferner eine Einordnung als nichtrichterliches oder richterliches Protokoll i.S.d. § 251 Abs. 1, 2 StPO notwendig sein, wobei auch zu klären ist, welche Rolle die Funktion des ausländischen Vernehmungsorgans im eigenen Land dabei spielt. Weiterhin wird auch über die Auswirkungen der über das deutsche Strafprozessrecht hinausgehenden Schutzrechte, Verfahrensvorschriften und Rechtsfolgen im ausländischen Recht zu entscheiden sein.

I I I . Verwertung von Zeugenaussagen und Bekundungen von Sachverständigen 1. Einführung in die Hauptverhandlung Die Einführung der Ergebnisse einer im Ausland erfolgten Zeugenvernehmung oder im Einzelfall auch einer Vernehmung eines Sachverständigen wird in der Regel durch Protokollverlesung geschehen. Im Einzelfall kommt auch die Vorführung einer Bild-Ton-Aufzeichnung in Betracht. Nach dem in § 250 StPO normierten Grundsatz der Unmittelbarkeit müssen Zeugen und Sachverständige allerdings prinzipiell in der Hauptverhandlung vor dem erkennenden Gericht vernommen werden. Im Rahmen der Protokollverlesung oder der Vorführung einer Bild-Ton-Aufzeichnung tritt neben der Frage der allgemeinen Verwertbarkeit des Beweismittels also auch das Problem auf, ob die Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes hier zulässig ist. Nicht als Problem des Unmittelbarkeitsgrundsatzes wird die unmittelbare Vernehmung eines Zeugen vom Hörensagen angesehen624. § 250 StPO ist nach 624

BGHSt 17, S. 382 (384); BGH NStZ 2004, S. 50.

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

163

allgemeiner Ansicht nicht der Grundsatz zu entnehmen, dass immer das sachnächste Beweismittel genutzt werden müsse 625 . So können die Ergebnisse einer im Ausland erfolgten Zeugenvernehmung durch die Vernehmung der Verhörsperson in die Hauptverhandlung eingeführt werden, ohne dass der Unmittelbarkeitsgrundsatz betroffen wäre. Zu trennen ist davon freilich die Frage des Eingreifens eines Beweisverwertungsverbots. Im Einzelfall kann allerdings auch aufgrund des allgemeinen Untersuchungsgrundsatzes gem. § 244 Abs. 2 StPO oder wenn ein diesbezüglicher Beweisantrag gestellt wird, eine persönliche Vernehmung des unmittelbaren Zeugen notwendig werden 626 . Dies gilt aber unabhängig vom Unmittelbarkeitsgrundsatz und seiner nur in Ausnahmefällen zulässigen Durchbrechung. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass die audiovisuelle Vernehmung i.S.d. § 247 a StPO hingegen wiederum nicht als unmittelbare Vernehmung anzusehen ist, auch wenn die Aussage zeitgleich ins Sitzungszimmer übertragen wird. Da eine solche Vernehmung jedoch durch ein deutsches Gericht als Teil der Hauptverhandlung nach deutschen Vorschriften erfolgt, stellt sie lediglich eine Alternative zu der in dieser Arbeit zu behandelnden Beweiserhebung durch ausländische Strafverfolgungsorgane dar 627 .

2. Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes bei Protokollverlesung oder Vorführung von Bild-Ton-Aufzeichnungen Die Vernehmung in der Hauptverhandlung darf also gem. § 250 S. 1 StPO grundsätzlich nicht durch die Verlesung eines Protokolls über eine frühere Vernehmung oder einer schriftlichen Erklärung ersetzt werden. Das Gleiche gilt für die Vorführung einer Bild-Ton-Aufzeichnung. Von diesem Grundsatz macht das Gesetz auch für Auslandszeugen keine Ausnahme. Allein der Auslandsaufenthalt eines Zeugen macht also eine kommissarische Vernehmung im Ausland weder erforderlich noch zulässig 628 , er legitimiert auch keine Verlesung von Protokollen schon vorher erfolgter Vernehmungen. Die Verlesung einer schon 625

Gollwitzer bei Löwe/Rosenberg, § 250 StPO, Rn. 24; Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag, S. 460 mit weiteren Nachweisen. Anders ist dies zum Beispiel in Österreich, vgl. Seite 157, Fußnote 605. 626 BVerfGE 57, S. 250 (277); BGHSt 6, S. 209 (210); BGHSt 36, S. 159 (162 f.). 627 Insbesondere durch Art. 10 des EU-Rechtshilfeübereinkommens wird die Videokonferenz im Rahmen der Rechtshilfe zwischen den Vertragsstaaten wesentlich erleichtert. Die Vernehmung wird vom zuständigen Justizorgan des ersuchenden Staates nach dessen Recht vorgenommen. Allerdings ist auch ein Vertreter der Justizbehörden des ersuchten Staates anwesend, der unter anderem die Einhaltung der Grundprinzipien seiner Rechtsordnung überwacht. 628 Nagel, Beweisaufnahme im Ausland, S. 217.

164

3. Teil: Fallgruppen

vorher im Ausland erfolgten Vernehmung oder die Anordnung einer kommissarischen Vernehmung und die spätere Verlesung des Protokolls in der Hauptverhandlung kommt vielmehr nur dann in Betracht, wenn einer der in § 251 Abs. 1 StPO n.F. oder in § 251 Abs. 2 StPO n.F., § 223 Abs. 1 StPO geregelten Gründe gegeben ist 6 2 9 . A u f eine umfassende, allgemeine Darstellung der einzelnen Verlesungsgründe kann hier verzichtet werden, da dieses Feld von der allgemeinen Kommentarliteratur und Rechtsprechung vollständig erschlossen sein dürfte 630 . Dies gilt trotz der Neufassung des § 251 StPO durch das Justizmodernisierungsgesetz vom 28. August 2004, die zwar eine Verbesserung der Systematik, aber keine einschneidenden inhaltlichen Änderungen mit sich gebracht hat6"51. Hier soll deshalb nur auf einige Besonderheiten bei Auslandszeugen eingegangen werden. Dafür werden zunächst die für solche Zeugen praktisch besonders bedeutsamen Verlesungsgründe erörtert werden. Dabei wird deutlich werden, dass die Hürden bei Zeugen, die sich im Ausland aufhalten, nicht allzu hoch sind. Die viel diskutierte Frage, unter welchen Voraussetzungen eine ausländische Vernehmung als richterliche i.S.d. § 251 Abs. 2 StPO n.F. bzw. als nicht notwendigerweise richterliche i.S.d. § 251 Abs. 1 StPO n.F. anzusehen ist, soll erst im Anschluss daran behandelt werden, da dann deren wirkliche Bedeutung auch besser abgeschätzt werden kann.

a) Besonderheiten der Verlesungsgründe bzw. Anordnungsgründe aus § 251 Abs. 1 StPO n.F. und §§ 251 Abs. 2, 223 Abs. 1 StPO n.F. bei Auslandszeugen Dem Erscheinen eines Auslandszeugen in der Hauptverhandlung kann ein nicht zu beseitigendes Hindernis i.S.d. §§ 251 Abs. 2 Nr. 1, 223 Abs. 1 StPO n.F. entgegenstehen. Der Aufenthalt im Ausland ist freilich für sich allein noch kein solches Hindernis 632 . Das Gericht muss, wie sonst auch, die im Einzelfall

629 Bei Bild-Ton-Aufzeichnungen gilt der etwas weitere § 255 a StPO. Reine Tonaufnahmen können wohl wie Vernehmungsprotokolle behandeln werden (vgl. MeyerGoßner, § 251 StPO, Rn. 2). 630 Vgl. z.B. Meyer-Goßner, § 251 StPO, Rn. 5 ff., 18 ff., § 223 StPO, Rn. 2 ff. 631 Die richterliche Vernehmung ist nun nicht mehr in Abs. 1, sondern in Abs. 2 geregelt, während der alte Abs. 2 für nichtrichterliche Vernehmungen nun als allgemeiner Tatbestand in Abs. 1 gezogen wurde. Zur Vermeidung von Mißverständnissen in der Obergangszeit werden die betreffenden Normen hier mit „n.F." und „a.F." gekennzeichnet. 632 Gollwitzer bei Löwe/Rosenberg, § 223 StPO, Rn. 10.

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

165

zumutbaren und angemessenen Anstrengungen unternehmen, um die Auskunftsperson zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu veranlassen 633. Bei der Beurteilung dieser Frage ist zu beachten, dass das Vernehmungshindernis i.S.d. § 251 Abs. 2 Nr. 1 StPO n.F. anderen, weniger strengen Kriterien unterliegt als die Unerreichbarkeit nach § 244 Abs. 3 S. 2 StPO 634 . Im Rahmen des § 244 Abs. 3 StPO ist zu entscheiden, ob die Aussage eines Zeugen völlig unberücksichtigt bleiben darf, während bei § 251 Abs. 2 Nr. 1 StPO n.F. es um die Frage geht, ob die Aussage des Zeugen unmittelbar oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung einfließt 635 . Die umfangreiche Rechtsprechung zu der Frage, ob ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen wegen Unerreichbarkeit abgelehnt werden kann, kann deshalb nicht ohne weiteres übertragen werden 636 , zumal dieser Ablehnungsgrund bei Auslandszeugen seit der Einfuhrung des § 244 Abs. 5 S. 2 StPO durch das Rechtspflegeentlastungsgesetz an Bedeutung verloren hat. Die Rechtsprechung orientiert sich bei § 251 Abs. 2 Nr. 1 StPO n.F. an der Amtsaufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO, wobei es für die Beurteilung der Frage, ob ein nicht zu beseitigendes Hindernis vorliegt, keine allgemeingültigen Maßstäbe geben soll 6 3 7 . Dabei ist auch zu beachten, dass mit dem Begriff des Erscheinens i.S.d. § 251 Abs. 2 Nr. 1 StPO n.F. die körperliche Anwesenheit im Prozess gemeint ist. Auch bei einer möglichen Videovernehmung gem. § 247 a StPO ist eine Protokollverlesung grundsätzlich zulässig 638 . Geht es dagegen wiederum um die Frage der Ablehnung eines Beweisantrages, gilt ein erweiterter Erreichbarkeitsbegriff, der die audiovisuelle Vernehmung miteinschließt 639 . Allerdings kann auch aufgrund des allgemeinen Untersuchungsgrundsatzes aus § 244 Abs. 2 StPO im Einzelfall über die Protokollverlesung hinaus eine audiovisuelle Vernehmung notwendig sein, vorausgesetzt, dass dadurch ein höherer Erkenntnisgewinn zu erwarten ist. Dies gilt aber wiederum unabhängig vom Unmittelbarkeitsgrundsatz und hat mit dessen Durchbrechung nichts zu tun. Zunächst zu klären ist, welche Maßnahmen zur Verfügung stehen, einen Zeugen zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu veranlassen, und welche dieser Möglichkeiten ein Gericht ergriffen haben muss, damit es ein nicht zu beseiti633 BGH NJW 1953, S. 1522, BGHSt 22, S. 118 (120) zu § 251 Abs. 2 StPO a.F.; Dölling bei Alternativkommentar, § 251 StPO, Rn. 12. 634 So zumindest die heute h.M., BGHSt 32, S. 68 (73 f.); annähernd gleich strenge fordert Schlüchter bei Systematischer Kommentar, § 251 StPO, Rn. 14. 635 Nagel, Beweisaufnahme im Ausland, S. 235. 636 BGHSt 32, S. 68 (74); Rose, Der Auslandszeuge, S. 186. 637 BGHSt 32, S. 68 (73). 638 BGHSt 46, S. 73; dazu Anmerkung Sinn, JZ 2001, S. 51; Rose, JR 2001, S. 345; vgl. auch BGHSt 45, S. 188 (196). 639 BGH, NJW 1999, S. 3788.

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3. Teil: Fallgruppen

gendes Hindernis annehmen kann. Die übliche Maßnahme, das Erscheinen herbeizuführen, ist die Ladung, für die im Inland nur in den Fällen des § 38 StPO eine besondere Form vorgeschrieben ist. Bei Zeugen, die sich im Ausland aufhalten, findet die Ladung jedoch in einem Bereich statt, der nicht der deutschen Hoheitsgewalt unterliegt, sondern der Hoheitsgewalt des Staates, in dem sich die Auskunftsperson aufhält 640 . Bekanntermaßen ist die Zustellung einer Ladung eine Amtshandlung, welche in die Souveränität des anderen Staates eingreift, und eine Verletzung der Hoheitsgewalt scheidet nur dann aus, wenn der ausländische Staat in solche Maßnahmen deutscher staatlicher Stellen eingewilligt hat oder das dort bestehende Recht oder Übereinkünfte dies zulassen641. Letzteres ist zum Beispiel zwischen den Schengen-Staaten gem. Art. 52 SDÜ und neuerdings auch nach Art. 5 des allerdings noch nicht unionsweit in Kraft getretenen EU-Rechtshilfeübereinkommens (2000) der Fall. Prinzipiell gilt aber, dass das Gericht gem. § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 183 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 ZPO die Ladung des Zeugen durch den ausländischen Staat veranlassen muss 642 . Das Gericht darf auch bei Ladungen das Ersuchen nicht unmittelbar an den Aufenthaltsstaat des Zeugen stellen 643 . Vom Grundsatz her ist eigentlich das Bundesministerium der Justiz zuständig, das die Ausübung seiner Kompetenz allerdings weiterdelegiert hat 644 . Darüber hinaus ist der diplomatische Geschäftsweg einzuhalten. Die Zustellung in Mitgliedsstaaten des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen (EuRhÜbK) gestaltet sich einfacher. Gem. Art. 7 EuRhÜbK kann das Rechtshilfeersuchen direkt vom Justizministerium des ersuchenden Staates an das Justizministerium des ersuchten Staates übermittelt werden. In Eilfällen besteht sogar die Möglichkeit der Übermittlung von Justizbehörde zu Justizbehörde 645. Eine Alternative kann in bestimmten Fällen in der Zustellung durch eine deutsche Konsularvertretung nach § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 183 Ab. 1 Nr. 2 Alt. 1 ZPO liegen 646 . Gem. § 16 KonsularG sind die Konsularbeamten verpflichtet, unmittelbar auf Ersuchen deutscher Gerichte Personen, die sich im Konsularbezirk aufhalten, Schriftstücke jeder Art zuzustellen. Um solche Zustellungen völkerrechtlich vornehmen zu dürfen, muss sich der ausländische Staat jedoch damit einverstanden erklärt haben. Amtshandlungen der Konsular-

640

Zum Territorialitätsprinzip siehe oben Seite 24. Rose, Die Ladung von Zeugen im Ausland, wistra 1998, S. 11 (12); siehe oben Seite 25. 642 Schomburg bei Schomburg/Lagodny, Vor § 68 IRG, Rn. 19; vgl. auch Nrn. 115, 116 RiVASt. 643 Ausführlich: Rose, Die Ladung von Zeugen im Ausland, wistra 1998, S. 11 (14). 644 Siehe oben Seite 30. 645 Ausfuhrlich: Rose, a.a.O., S. 11 (15). 646 Vgl. Nr. 129 RiVASt. 641

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

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beamten werden in der Regel nur gegenüber deutschen Staatsangehörigen erlaubt 647 . Deutlich einfacher als die Ladung im Wege eines Rechtshilfeersuchens gestaltet sich die bereits erwähnte direkte Ladung durch Einschreiben mit Rückschein gem. § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 183 Ab. 1 Nr. 1 ZPO, welche innerhalb der Schengen-Staaten gem. Art. 52 SDÜ und neuerdings auch auf Grundlage von Art. 5 des EU-Rechtshilfeübereinkommens (2000) zulässig ist. Durch die unterschiedliche postalische Handhabung der Zustellung von Einschreibebriefen mit Rückschein in den Vertragsstaaten treten in der Praxis jedoch immer wieder Probleme auf, so dass auch weiterhin teilweise die klassische rechtshilferechtliche Lösung gewählt wird 6 4 8 . Befolgt ein Inlandszeuge eine Ladung nicht, so können ihm gem. § 51 StPO die durch das Ausbleiben verursachten Kosten auferlegt und ein Ordnungsgeld bzw. -haft gegen ihn verhängt werden. Auch die zwangsweise Vorführung ist möglich. Auslandszeugen hingegen können grundsätzlich frei entscheiden, ob sie der Ladung Folge leisten oder nicht. Dies beruht auf dem Gedanken, dass ein Betroffener nicht gegen seinen Willen, einem ihm unbekannten Rechtsverfahren ausgesetzt werden darf. Entsprechende Regelungen finden sich zum Beispiel in Art. 8 EuRhÜbk und Art. 52 Abs. 3 SDÜ, die auch nicht durch den neuen Art. 5 des EU-Rechtshilfeübereinkommens (2000) berührt werden. Die Auferlegung von Kosten, Ordnungsgeld oder Ordnungshaft wegen Nichtbefolgung einer Ladung ist ausgeschlossen, die Ladung darf auch nicht mit der Androhung von Zwangsmitteln versehen werden 649 . Ferner ist es allgemeine Staatenpraxis, dass vom ersuchten Staat gegen eine Person ebenfalls keine Zwangsmittel angewandt werden, um sie zur Aussage im Ausland zu bewegen 650 . Bei Zeugen, die sich im Ausland in Haft befinden, kann allerdings um Überstellung ersucht werden. Eine entsprechende Regelung sieht zum Beispiel Art. 11 EuRhÜbk vor. Die Überstellung kann aber unter anderem nach Art. 11 Abs. 1 S. 2 lit. a EuRhÜbk vom ersuchten Staat verweigert werden, wenn der Häftling ihr nicht zustimmt. Eine Überstellung gegen den Willen des Häftlings ist allerdings auch nicht ausgeschlossen651. Um diese Nachteile für die Rechtspflege wenigstens teilweise auszugleichen, gibt es verschiedene Wege, den Zeugen doch dazu zu bewegen, ins Ausland zu reisen. Wenn der ersuchende Staat das Erscheinen des Zeugen für besonders wichtig erachtet, kann ein Zeuge zum Beispiel nach Art. 10 EuRhÜbk durch 647

Rose, Die Ladung von Zeugen im Ausland, wistra 1998, S. 11 (14); Einzelheiten: Anhang II der RiVASt - Länderteil - , vgl. auch oben Seite 26 Fußnote 24. 648 Vgl. Grützner/Pötz, Art. 52 SDÜ, Fn. 50. 649 Wilkitzki bei Grützner/Pötz, § 59 IRG, Rn. 19; Lagodny bei Schomburg/ Lagodny, § 59 IRG, Rn 51; Nr. 116 RiVASt. 650 Anders ist es jedoch im Verhältnis zu den Internationalen Gerichtshöfen. 651 BGHNStZ 1992, S. 141.

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3. Teil: Fallgruppen

den ersuchten Staat aufgefordert werden, der Ladung zu folgen. Die wohl bedeutendste Maßnahme ist jedoch in der Zusicherung des freien Geleits zu sehen652. Ein Zeuge, der befurchtet, in Deutschland für eine von ihm selbst begangene Straftat belangt zu werden, wird von einer Einreise in die Bundesrepublik absehen. Das freie Geleit begründet hingegen ein zeitlich begrenztes prozessuales Strafverfolgungshindernis. Es schützt den Zeugen jedoch nicht vor der Verfolgung von Straftaten, die er nach der Einreise in die Bundesrepublik begeht, so kann er für einen Meineid oder eine uneidliche Falschaussage, die er bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung begeht, belangt werden. Die Möglichkeit der Zusicherung von freiem Geleit ist zum Beispiel in Art. 12 EuRhÜbk geregelt 653 . In der Ladung soll nach Nr. 116 Abs. 4 RiVASt auf das freie Geleit hingewiesen werden. Vom freien Geleit ist das sichere Geleit gem. § 295 StPO zu unterscheiden, welches dann in Betracht kommt, wenn der Auslandszeuge gleichzeitig Beschuldigter in einem anderen Strafverfahren ist. Das sichere Geleit hindert die Vollstreckung eines Haftbefehls und dient eigentlich dazu, einen abwesenden Beschuldigten zur Teilnahme an seinem Strafverfahren zu bewegen. Es kann aber auch zu dem Zweck zugesichert werden, dass ein Beschuldigter, in einem anderen Verfahren als Zeuge aussagt654. Zuständig für die Erteilung bleibt jedoch das Gericht, welches das Verfahren gegen den Beschuldigten führt 655 . Ist jedoch noch kein Verfahren gegen den Zeugen anhängig oder ist dieses abgeschlossen, so ist § 295 StPO nicht anwendbar 656. Allgemein wird auch versucht, einen Anreiz für das freiwillige Erscheinen dadurch zu schaffen, dass in der Ladung die Angabe der annähernden Höhe der zu zahlenden Entschädigung und der zu erstattenden Reisekosten erfolgt 657 . In Art. 10 Abs. 3 EuRhÜbk findet sich auch eine entsprechende vertragliche Regelung. Wenn sich ein Auslandszeuge endgültig weigert, in der Hauptverhandlung zu erscheinen, steht seiner Vernehmung ein nicht zu beseitigenden Hindernis entgegen, da das Gericht - wie oben gezeigt - keinerlei Zwangsmittel zur Verfügung hat. Die Frage, welche der anderweitigen Möglichkeiten das Gericht ausgeschöpft haben muss, damit es zu der Annahme einer wirklich ernsthaften

652

Schomburg/Klip, „Entlastung der Rechtspflege", StV 1993, S. 208 (209). Im vertragslosen Bereich gibt es keinen Anspruch auf die Zusicherung freien Geleits [BGHSt 35, 216 (219)]. Ein freies Geleit kann jedoch auch dadurch entstehen, dass eine entsprechende Bedingung des ersuchten Staates von der Bundesrepublik nach § 72 IRG akzeptiert wird (Schomburg bei Schomburg/Lagodny, § 72 IRG, Rn. 7). 654 BGH NStZ 1991, S. 501; vgl. Engelhardt bei Karlsruher Kommentar, § 295 StPO, Rn. 1. 655 BGHSt 35, 216 (217). 656 Schomburg/Klip, „Entlastung der Rechtspflege", StV 1993, S. 208 (210). 657 Vgl. Nr. 116 Abs. 2 RiVASt. 653

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

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und endgültigen Weigerung kommen kann, lässt sich wohl nur im Einzelfall entscheiden. Eine rein formalistische Sichtweise ist jedenfalls nicht angebracht 658 , da dies mit einer an § 244 Abs. 2 StPO orientierten Abwägung nicht vereinbar wäre. In der Regel wird die förmliche Ladung zu verlangen sein 659 , da nur durch sie dem Zeugen vor Augen geführt wird, dass sein Erscheinen in der Hauptverhandlung als für die Wahrheitsfindung wichtig angesehen wird. Dem häufigen Irrglauben von Zeugen, man habe ja schon alles der Polizei gesagt und das Erscheinen sei nicht mehr notwendig, wird so entgegengetreten. Eine Ladung kann jedoch selbstverständlich nicht verlangt werden, wenn der Aufenthaltsstaat in dieser Sache keine Rechtshilfe (z. B. bei Steuerstrafsachen) leistet und so die formgemäße Ladung gar nicht möglich ist 6 6 0 . Die Bewirkung einer von vornherein aussichtslosen Ladung kann vom Gericht ebenfalls nicht erwartet werden. Welche anderen Maßnahmen noch ergriffen werden müssen, hängt letztlich vor allem davon ab, welche Bedeutung der Zeuge und seine Vernehmung in der Hauptverhandlung für die Wahrheitsfindung hat 6 6 1 . Dabei ist immer auch der Beschleunigungsgrundsatz zu berücksichtigen 662 . § 251 Abs. 2 Nr. 1 StPO n.F. kann jedoch nur zum Tragen kommen, wenn der Aufenthaltsort des Zeugen überhaupt bekannt ist. Häufig vorkommen wird auch, dass sich der Aufenthaltsort des Auslandszeugen gar nicht ermitteln lässt, was nunmehr von § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO n.F. erfasst wird 6 6 3 . Um ein Eingreifen dieses Verlesungsgrundes bejahen zu können, müssen zumindest überhaupt Nachforschungen nach dem Aufenthalt des Zeugen stattgefunden haben 664 . Speziell bei Zeugen, deren Aufenthalt im Ausland zu vermuten ist, wird eine Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung bei Interpol oder im Schengener Informationssystem SIS in Betracht kommen 665 . Die Bedeutung der Unzumutbarkeit des Erscheinens wegen großer Entfernung nach den §§ 251 Abs. 2 Nr. 2, 223 Abs. 2 StPO n.F. ist speziell bei 658

Schlüchter bei Systematischer Kommentar, § 251 StPO, Rn. 15. So auch Schlüchter bei Systematischer Kommentar, § 223 StPO, Rn. 14, § 251 StPO, Rn. 15. 660 Leistet ein Staat allerdings keine Rechtshilfe, so wird eine kommissarische Vernehmung hier ebenfalls nicht möglich sein bzw. werden Protokolle über schon erfolgte ausländische Vernehmungen gar nicht übermittelt. Ist letzteres dennoch geschehen z.B. für eine andere rechtshilfefähige Angelegenheit, so stellt sich dann die Frage der Spezialität. 661 BGHSt 32, S. 68 (72 f.); ausfuhrlich: Rose, Der Auslandszeuge im Beweisrecht des deutschen Strafprozesses, S. 172 ff., m.w.N. 662 BGHSt 32, S. 68 (73); BGH NStZ-RR 1997, S. 267; Rose, a.a.O., S. 175 m.w.N. 663 Ausführlich zu § 251 Abs. 1 Nr. 1 a.F.: Rose, a.a.O., S. 196 ff. mit zahlreichen Nachweisen. 664 BGH JR 1968, S. 266 (267) zu § 251 Abs. 1 Nr. 1 a.F. 665 Siehe oben Seiten 36 und 48, auch zu den Nachteilen der SIS-Ausschreibung. 659

170

3. Teil: Fallgruppen

Auslandszeugen geringer als es zunächst zu vermuten wäre. Wenn für die Annahme eines nicht zu beseitigenden Hindernisses - wie oben gezeigt - schon allein die Weigerung der Zeugen ausreicht, in der Hauptverhandlung zu erscheinen, sind dort schon alle Fälle umfasst, in denen der Zeuge sein Erscheinen zumindest subjektiv für unzumutbar hält 6 6 6 . Bei den §§ 251 Abs. 2 Nr. 2, 223 Abs. 2 StPO n.F. ist die Unzumutbarkeit freilich objektiv zu bestimmen 667 . Dies ermöglicht unter anderem auch, den Angeklagten vor unverhältnismäßigen Kosten durch besonders reisefreudige Zeugen zu schützen668. Der Anwendungsbereich ist jedoch durch verbesserte Verkehrsbedingungen deutlich kleiner geworden. Auch hier hat wiederum eine Abwägung zwischen der Bedeutung der Sache, der Wichtigkeit der persönlichen Vernehmung in der Hauptverhandlung einerseits und insbesondere den konkreten Belastungen für den Zeugen andererseits stattzufinden 669. Für die anderen Verlesungsgründe oder Anordnungsgründe aus §§ 251 Abs. 2, 223 Abs. 1, 2 StPO n.F. ergeben sich keine wesentlichen Besonderheiten für Auslandszeugen. Die Verlesungsgründe für nicht notwendigerweise richterliche Vernehmungen aus § 251 Abs. 1 StPO n.F. fallen deutlich restriktiver aus. Fraglich ist jedoch, ob der praktische Anwendungsbereich auch bei Auslandszeugen wesentlich kleiner ist als bei richterlichen Vernehmungen. Hier ist insbesondere zu untersuchen, wann im Sinne des § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO n.F. eine gerichtliche Vernehmung in absehbarer Zeit als unmöglich anzusehen ist 6 7 0 . Nach überwiegender Auffassung ist mit der gerichtlichen Vernehmung nur die Vernehmung vor dem erkennenden Gericht, nicht aber eine kommissarische Vernehmung durch einen Richter gemeint 671 . So ist auch die endgültige Weigerung eines im Ausland wohnenden Zeugen, in der Hauptverhandlung zu erscheinen, als Unmöglichkeit der gerichtlichen Vernehmung in absehbarer Zeit i.S.d. § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO n.F. anzusehen672. Es fällt also auch der Zeuge, der sein Erscheinen subjektiv für unzumutbar hält, unter diese Vorschrift, da seine Anwesenheit nicht erzwingbar ist. Der unbekannte

666

Nagel, Beweisaufnahme im Ausland, S. 240. Ausführlich dazu: Rose, a.a.O., S. 188 ff. mit zahlreichen Nachweisen. 668 Rose, a.a.O, S. 190. 669 Rose, a.a.O., S. 196. 670 Ausführlich dazu wiederum: Rose, a.a.O., S. 294 ff. mit zahlreichen Nachweisen. 671 BGH NStZ 1985, S. 561 (562) m.w.N.; BGH NStZ 1986, S. 469 (470); Rose, a.a.O., S. 292 m.w.N.; Alsberg/Meyer/Nüse, Der Beweisantrag, S. 270 m.w.N.; Gollwitzer bei Löwe/Rosenberg, § 251 StPO, Rn. 63; Meyer-Goßner, § 251 StPO, Rn. 10; auch zur Gegenmeinung: Nagel, a.a.O., S. 297. 672 BGHSt 20, 118(121). 667

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

171

Aufenthalt des Zeugen kann ebenfalls unter diese Vorschrift gefasst werden 673 . Freilich muss das Gericht erst recht im Falle des § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO n.F. Schritte unternehmen, um den Aufenthalt des Zeugen zu ermitteln, bzw. versuchen, ihn dazu zu bewegen, in der Hauptverhandlung zu erscheinen 674. Die hier erforderlichen Bemühungen unterscheiden sich aber nicht wesentlich von denen nach §§251 Abs. 2 Nr. 1, 223 Abs. 1 StPO n.F., da dem Gericht genau die gleichen, aufgrund des Auslandsbezuges nur eingeschränkten Möglichkeiten zur Verfugung stehen. Im Einzelfall kann sich allerdings allgemein aus dem Untersuchungsgrundsatz gem. § 244 Abs. 2 StPO doch noch die Notwendigkeit wenigstens einer kommissarischen, richterlichen Vernehmung ergeben, wenn diese einen höheren Erkenntnisgewinn verspricht 675 , was aber wiederum mit dem Unmittelbarkeitsgrundsatz und der Zulässigkeit seiner Durchbrechung nicht im Zusammenhang steht. In ihrer praktischen Anwendung bei Auslandszeugen sind die Hürden für die Verlesung eines nichtrichterlichen Protokolls nach § 251 Abs. 1 StPO n.F. ebenfalls nicht so hoch, wie es bei einem reinen Inlandssachverhalt der Fall wäre. Die Unterscheidung zwischen richterlichen und nichtrichterlichen Vernehmungen hat bei Auslandszeugen deutlich geringere Auswirkungen für die Verlesbarkeit. Unterschiede im Beweiswert so eingeführter Aussagen bleiben allerdings nach Umständen des Einzelfalls bestehen.

b) Kriterien für die Einordnung ausländischer Vernehmungen als richterliche i.S.d. §§ 251 Abs. 2, 223 StPO n.F. Nunmehr kann die viel diskutierte Frage untersucht werden, wann ein ausländisches Vernehmungsprotokoll als richterliches bzw. nichtrichterliches i.S.d. §§ 251 Abs. 2, 223, 251 Abs. 1 StPO n.F. anzusehen ist. In ständiger Rechtsprechung wird die Ansicht vertreten, dass bei ausländischen Vernehmungen nicht allein auf den richterlichen Status der Verhörsperson abzustellen ist. Schon in der oben bereits genannten Entscheidung RGSt 46, S. 50 aus dem Jahre 1912 wurde die Verlesung eines Protokolls über die kommissarische Vernehmung einer Zeugin in Paris durch einen ofßcier de police judiciaire, einen nach französischem Recht zuständigen Beamten der 673

BGH DAR 1979, S. 188; Rose, a.a.O., S. 303. BGH StV 1983, S. 496; BGHNStZ 1984, 375 (376). 675 BGH NStZ 1985, S. 561 (562); Gollwitzer bei Löwe/Rosenberg, § 251 StPO, Rn. 63; Paulus bei KMR, § 251 StPO, Rn. 43 mit Hinweis auf den höheren Beweiswert und Möglichkeit der Vereidigung. Auch eine Möglichkeit der Ausübung des Fragerechtes kann hier eine Rolle spielen. Darüber hinaus wird bei privaten, schriftlichen Äußerungen deren deutlich geminderter Beweiswert zu berücksichtigen sein. 674

172

3. Teil: Fallgruppen

Justizpolizei, für zulässig erachtet 676 . Dies geschah noch unter der zu jener Zeit berechtigten Argumentation, dass ansonsten das Beweismittel völlig unbenutzt bleiben muss, da nach der damaligen Strafprozessordnung ausdrücklich nur richterliche Protokolle durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt werden durften 677 . Diese Rechtsprechung wurde im weiteren Verlauf beibehalten, so zum Beispiel durch RG HRR 1937, S. 2647, wo sogar die Verlesung einer eidlichen Vernehmung durch einen commissioner, hier durch einen öffentlichen Notar in Chicago, als zulässig angesehen wurde 678 . Die Einführung des § 251 Abs. 2 StPO a.F. durch Art. 4 der Dritten VereinfVO aus dem Jahre 1943, welcher damals schon im wesentlichen der heutigen Fassung des § 251 Abs. 1 StPO entsprach und der fortan auch für rein inländische Sachverhalte unter den bekannten Voraussetzungen die Verlesung nichtrichterlicher Protokolle erlaubte, führte hinsichtlich ausländischer Vernehmungsprotokolle erstaunlicherweise zu keiner Zäsur 679 . Die bundesrepublikanische Rechtsprechung knüpfte vielmehr an die des Reichsgerichts an, ohne auf die Veränderung der Rechtslage einzugehen. So wertete BGHSt 7, S. 15 (16) das Protokoll einer Vernehmung durch einen von der Staatsanwaltschaft des schweizerischen Kantons Basel-Stadt beauftragten Kriminalkommissär unter Prüfung der dortigen Zuständigkeitsvorschriften als richterliches Protokoll i.S.d. §251 Abs. 1 StPO a.F. (§ 251 Abs. 2 StPO n.F.) 680 . Selbst die Vernehmung durch einen sowjetischen Obergehilfen des Staatsanwaltes wurde mit einer richterlichen Vernehmung in BGH NStZ 1983, S. 181 gleichgesetzt, weil dies den dortigen Zuständigkeitsvorschriften entsprach. Ebenso entschieden wurde unter anderem für Vernehmungen, die wiederum von einem französischen qfficier de police judiciair , aber auch einem griechischen Vertreter des Staatsanwaltes682, von einem sogenannten commissioner 68diversen schweizerischen Kantonsbeamten684 oder von einer tschechischen Staatsanwältin durch-

676

Siehe auch oben Seite 84. RGSt 40, S. 50(53). 678 Ein commissioner (Beauftragter) ist eine Art Vertrauensanwalt, der z. B. vom deutschen Konsulat mit der Durchführung der Vernehmung betraut werden kann. 679 Vgl. auch Nagel, Beweisaufnahme im Ausland, S. 300 f. 680 Nach dem Verfahrensrecht des Kantons war die Staatsanwaltschaft für die Erledigung von Rechtshilfeersuchen zuständig und die Beauftragung der Polizei durch diese zulässig. 681 BGH GA 1964, S. 176; OLG Düsseldorf, JMB1.NW 1966, S. 165; siehe oben Seite 172. 682 BGH NStZ 1985, S. 376 für einen griechischen Vertreter des Staatsanwaltes beim Gerichtshof der ersten Instanz. 683 BGH GA 1982, S. 40; vgl. auch Fußnote 678. 684 BGH GA 1976, S. 218 (219, 220) für den Bezirksanwalt in Zürich und den Bezirksamtmann im Kanton Aargau; OLG Celle NJW 1956, S. 922, für das 677

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

173

geführt wurden 685 . Neben der Zuständigkeit der Verhörsperson nach ausländischem Recht wird dabei vor allem überprüft, ob die Vernehmung im ausländischen Recht eine vergleichbare Funktion erfüllt wie eine inländische, richterliche Vernehmung i.S.d. § 251 Abs. 2 StPO n.F. 686 . Hier spielen aber auch Aspekte, wie die Anwendung strafprozessualer Vorschriften, Anwesenheitsbzw. Fragerechte der Parteien, die Strafbarkeit der Falschaussage und die Möglichkeit einer Vereidigung eine Rolle, wobei die Voraussetzungen nicht kumulativ vorliegen müssen und allgemein sehr großzügig verfahren wird 6 8 7 . Diese Handhabung wird im Schrifttum teilweise kritisiert. Die Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes durch § 251 Abs. 2 StPO n.F. beruhe auf dem Vertrauen, das einer richterlichen Vernehmung entgegengebracht werde, welches wiederum unter anderem auf der richterlichen Unabhängigkeit, der von ihm erwarteten Unparteilichkeit sowie strengen Formvorschriften basiere 688 . Wenn das Vertrauen in inländische, richterliche Protokolle schon durch kleinere Verstöße gegen Formvorschriften erschüttert werde, sei es nicht zu rechtfertigen, bei ausländischen Protokollen lediglich auf deren Funktion abzustellen 689 . Die deutsche richterliche Vernehmung sei eine Art vorweggenommene Beweisaufnahme, bei der insbesondere auch die Anwesenheitsrechte gewährleistet seien 690 . Gleiche Anforderungen müssten auch von ausländischen Vernehmungen erfüllt werden, damit ihnen entsprechendes Vertrauen entgegengebracht werden könne. Die Begründung der Rechtsprechung für funktionelle Betrachtung sei seit der Einführung von § 251 Abs. 2 StPO a.F. (§ 251 Abs. 1 StPO n.F.) darüber hinaus überholt, da nunmehr auch nichtrichterliche Protokolle verlesen werden können, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen 691 . Es ist schon durchaus bemerkenswert, dass die deutsche Rechtsprechung einem schweizerischen Polizeibeamten im Einzelfall anscheinend mehr Ver-

Polizeirichteramt im Kanton Zürich und das Bezirksamt im Kanton Thurgau; zu § 254 Abs. 1 StPO: BGHR-StPO, § 254 I. Vernehmung, richterliche 3, für eine Beschuldigtenvernehmung durch den Bezirksanwalt in Zürich; BGH NJW 1994, S. 3364 (3365), für eine Amtstatthalterin im Kanton Luzern. 685 686

BGHSt 45, S. 73 (75). BGHSt 7, S. 15 (17); vgl. auch BGH NJW 1994, S. 3364 (3365) für § 254 Abs. 1

StPO. 687

BGHSt 7, S. 15 (17); BGHNStZ 1983, S. 181 (182). Gieß, Das Verhältnis von Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverboten und das Prinzip „locus regit actum", Festschrift für Grünwald, S. 197 (210); Sommer, Die Verwertung von im Ausland gewonnenen Beweismitteln, StraFo 2003, S. 351 (353), der wohl § 251 Abs. 2 StPO n.F. nicht einmal auf ausländische Richter anwenden will. 689 Gieß, a.a.O., S. 197 (210 f.); vgl. auch Meyer-Goßner, § 251 StPO, Rn. 32, 15. 690 Gieß, a.a.O., S. 197 (209). 691 Gieß, a.a.O., S. 197 (207). 688

174

3. Teil: Fallgruppen

trauen entgegenbringt als einem deutschen Staatsanwalt oder auch einem Richter, der zum Beispiel die Vernehmung mit einem nicht vereidigten Protokollführer durchgeführt hat 6 9 2 . Auch die für die Beweisverwertungsverbote entwickelte Regel, dass es bei einer Beweisaufnahme im Ausland auf die Rechtmäßigkeit der Verfahrensweise nach ausländischem Recht ankommt, lässt sich hier nicht ohne weiteres übertragen. Diese Regel wurde im Wesentlichen damit begründet, dass bei Einhaltung des ausländischen Rechts kein Handlungsunrecht der StrafVerfolgungsorgane vorliegt 693 . Bei einer ordnungsgemäßen Zeugenvernehmung durch einen deutschen Polizeibeamten oder Staatsanwalt liegt ebenso kein Handlungsunrecht vor, dennoch ist ein Protokoll nur nach §251 Abs. 1 StPO n.F. verlesbar. Das Bestehen oder Nichtbestehen eines Handlungsunrechts ist also für die Einordnung nicht entscheidend, wenn man vom Ausnahmefall fehlerhafter richterlicher Vernehmungen absieht. Fraglich ist also, ob es nicht sachgerechter ist, die formalistische Anknüpfung an den Richterstatus auch für ausländische Vernehmungen durchzuhalten, wofür auch der recht klare Wortlaut des § 251 Abs. 1 und 2 StPO zuerst einmal spricht. Zunächst sollte man sich jedoch die Auswirkungen einer Einordnung als richterliche beziehungsweise nichtrichterliche Vernehmung nochmals vergegenwärtigen. Wie oben bereits dargestellt, hat die Unterscheidung zwischen § 251 Abs. 1 und 2 StPO bei Auslandssachverhalten eine geringere Bedeutung, da die unter beide Absätze subsumierbare Nichterreichbarkeit bei Auslandszeugen fast zum Regelfall wird, während bei reinen Inlandssachverhalten die Unterschiede doch recht deutlich sind 694 . Auf der anderen Seite kann das Gericht bei einer inländischen Vernehmung, die nicht unter § 251 Abs. 2 StPO n.F. fällt, im Falle des NichtVorliegens der Verlesungsvoraussetzungen in der Regel recht unproblematisch auf die Vernehmung der Verhörsperson zurückgreifen 695 . Dies gestaltet sich bei ausländischen Vernehmungen deutlich schwieriger. Während ein deutscher Polizeibeamter oder Staatsanwalt auch ohne die Anwendung freilich möglicher Zwangsmittel in der Hauptverhandlung erscheinen wird, ist dies bei einer ausländischen Verhörsperson nicht gewährleistet, vor allem dürfte ihr die Einsicht fehlen, anders als in der eigenen Rechtsordnung nicht als vollwertige Verhörsperson, deren Protokolle auch gerichtsverwertbar sind, anerkannt zu sein. Die dann eventuell notwendige kommissarische Vernehmung der Verhörsperson dürfte wohl kaum zu einem höheren Erkenntnisgewinn führen, als die Verlesung des Ursprungsprotokolls selbst. Da pragmatische Gesichtspunkte es aber nicht allein rechtfertigen, sich über den Gesetzeswortlaut hin-

692 693 694 695

BGH NStZ Siehe oben Siehe oben Siehe oben

1984, S. 564; BGHSt 27, S. 339 zu 254 Abs. 1 StPO. Seiten 102 und 105. Seite 171. Seite 162.

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

175

wegzusetzen, stellt sich die Frage, ob der gesetzliche Gesamtkontext und die hinter §251 StPO stehenden Rechtsgedanken bei einer wortlautverhafteten Auslegung auch im Falle von ausländischen Vernehmungen wirklich stimmig bleiben. Eine eng am Wortlaut haftende Auslegung des Richterbegriffs bei Auslandsvernehmungen könnte in Hinblick auf § 223 Abs. 1 StPO zu Wertungswidersprüchen führen. Diese Vorschrift geht von der Durchführung einer kommissarischen Vernehmung allein durch einen ersuchten oder beauftragten Richter aus. Man müsste sich daher bei einer wortlautbehafteten Auslegung fragen, ob deutsche Gerichte überhaupt Ersuchen an solche Staaten anregen dürfen, in denen kommissarische Vernehmungen von nichtrichterlichen Vernehmungsbeamten vorgenommen werden. Die von der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen Rechtshilfeabkommen, die deutschen Gerichten eben auch die Möglichkeiten kommissarischer Vernehmungen eröffnen sollen, gehen aber nach dem bekannten Prinzip locus regit actum regelmäßig davon aus, dass es den ersuchten Staaten überlassen bleibt zu entscheiden, durch welche Organe die Vernehmungen durchzuführen sind. Schwerlich zu rechtfertigen ist es, dass der allgemein in Hinblick auf Inlandssachverhalte gefasste Wortlaut des § 223 Abs. 1 StPO die Nutzung der speziell für Auslandszeugen geschaffenen Möglichkeiten ausschließen soll. Daneben hat der Gesetzgeber auch durch § 15 Abs. 4 Konsulargesetz zum Ausdruck gebracht, dass bei Vernehmungen im Ausland der richterliche Status nicht entscheidend ist. Um die Möglichkeiten der Inanspruchnahme von Rechtshilfe gegenüber diesen Staaten zu erhalten, was ja wohl eindeutiger gesetzgeberischer Wille ist, könnte man sich bei einer formalistischen Auslegung des Richterbegriffs in § 251 StPO allenfalls darauf berufen, dass eine Revision ohnehin lediglich auf eine nicht dem § 251 Abs. 1 oder 2 StPO entsprechende Verlesung gestützt werden kann 696 oder dass der Richterbegriff in § 223 StPO eben anders auszulegen sei als in § 251 StPO. Alles kann nur schwerlich befriedigen. Ferner ist noch zu untersuchen, ob inländische, ordnungsgemäß erstellte richterliche Protokolle wirklich immer die Qualitätsmerkmale aufweisen, die ihnen zugesprochen werden. Dies würde ja wiederum dafür sprechen, dass trotz allem auch ausländische Protokolle immer diese hohen Erwartungen erfüllen müssen. Bei einer richterlichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren i.S.d. § 168 c StPO oder auch einer kommissarischen Vernehmung i.S.d. §§ 223 ff. StPO ist jedoch die Anwesenheit des Verteidigers oder gar des Beschuldigten häufig nicht gewährleistet. So kann der Beschuldigte gem. § 168 c Abs. 3 StPO ausgeschlossen werden, der in Haft befindliche verteidigte Angeklagte hat gem.

696

Tolksdorf bei Karlsruher Kommentar, § 223 StPO, Rn. 27; Meyer-Goßner, § 223 StPO, Rn. 26.

176

3. Teil: Fallgruppen

§ 168 c Abs. 4 StPO und § 224 Abs. 2 StPO nur einen Anspruch auf Anwesenheit bei solchen Terminen, die an der Gerichtsstelle des Ortes abgehalten werden, wo er in Haft ist 6 9 7 . Aber auch die Benachrichtigung des Verteidigers kann bei Gefährdung des Untersuchungserfolges gem. § 168 c Abs. 5 S. 2 StPO bzw. § 224 Abs. 1 S. 2 StPO unterbleiben. Ferner ist das freiwillige Ausbleiben der Prozessbeteiligten unschädlich. Solange die richterliche Vernehmung ordnungsgemäß war, bleibt sie nach § 251 Abs. 2 StPO n.F. verlesbar. Verlesbar sind auch Vernehmungsprotokolle aus früheren Hauptverhandlungen, aus Zivil- oder Verwaltungsprozessen oder Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit 698 , in denen eine Beteiligung der Parteien des jetzigen Strafverfahrens wohl meist nicht gewährleistet war. Eine Protokollierung zum Beispiel aus einem vorherigen Strafverfahren nach § 273 Abs. 2 StPO enthält, allerdings anders als die wörtliche Niederschreibung nach § 273 Abs. 3 StPO, nicht die Sicherungen des § 168 a Abs. 3 StPO, namentlich das Vorlesen, die Vorlegung zur Durchsicht beziehungsweise das Abspielen des Tonbandes und die Genehmigung 699 . Auch sonst dürfte ihr Beweiswert deutlich geringer sein, da nur die wesentlichen Ergebnisse aufzunehmen sind, was aber nur für die Beweiswürdigung nicht für die Verlesbarkeit an sich relevant sein soll 7 0 0 . Der Ausnahmefall, dass ein richterliches Protokoll wegen eines fehlerhaften Zustandekommens nur nach § 251 Abs. 1 StPO n.F. verlesbar ist 7 0 1 , gründet wohl eher auf dem durch den Verfahrensverstoß verwirklichten Handlungsunrecht und der hypothetischen Rechtmäßigkeit als nichtrichterliches Protokoll, als auf dessen Qualität. Bei ordnungsgemäßen richterlichen Vernehmungen müssen jedenfalls die typischen Erwartungen an solche Vernehmungen im Einzelfall nicht voll erfüllt sein, um § 251 Abs. 2 StPO n.F. anwenden zu können. Dadurch, dass bei ordnungsgemäßen Vernehmungen im Inland formalistisch an den Richterstatus abgestellt wird, muss für § 251 StPO die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des Richters und auch die Erhebung zur Beweissicherung wohl die entscheidende Rolle spielen. Fraglich ist, ob dies nicht auch für ausländische Vernehmungen gelten muss. Zu klären ist deshalb, ob dem richterlichen Status der Verhörsperson bei im Ausland vorgenommenen Vernehmungen die gleiche Bedeutung zukommen kann. Ein englischer magistrate, also ein

697 Dies dürfte eher die Ausnahme sein, da dann meistens auch eine Vernehmung in der Hauptverhandlung möglich sein dürfte, so dass eine kommissarische Vernehmung gar nicht zulässig ist. 698 Vgl. Meyer-Goßner, § 251 StPO, Rn. 30; Diemer bei Karlsruher Kommentar, § 251 StPO, Rn. 12; jeweils m.w.N. 699 Vgl. Hanack, Anmerkung zu BGH vom 27.7.1971, JR 1971, S. 512 (513). 700 Hanack, a.a.O., S. 512 (513, 514); Diemer bei Karlsruher Kommentar, § 251 StPO, Rn. 12; Gollwitzer bei Löwe/Rosenberg, § 251 StPO Rn. 9; jeweils m.w.N. 701 Vgl. Meyer-Goßner, § 251 StPO, Rn. 15 m.w.N.

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

177

Laienrichter, oder ein assistant recorder, ein Berufsrichter, der sein Amt nur befristet und in Teilzeit ausübt 702 , weicht vom Status her doch erheblich vom deutschen Berufsrichter ab und muss nicht typischerweise Gewähr für eine größere Zuverlässigkeit bieten als ein französischer officier de police judiciaire, ein gehobener Beamter der Justizpolizei, dem nach französischem Recht richterliche Befugnisse übertragen werden können70^. Die Vermutung der Unparteilichkeit des Richters im deutschen Recht folgt daraus, dass das Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft geführt wird und der Richter darin nur Aufgaben der Beweissicherung und des vorweggenommenen und nachträglichen Rechtsschutzes wahrnimmt. Bei einem österreichischen Untersuchungsrichter, der selbständig Voruntersuchungen durchführt 704 , oder gar einem spanischen juez instructor 105, dem die Leitung des gesamten Ermittlungsverfahrens zukommt, wird man dies hingegen nicht im selben Maße annehmen können. Auf der anderen Seite wird man speziell bei einer ausländischem Vernehmung zur Erledigung eines deutschen Rechtshilfeersuchens davon ausgehen können, dass ausländischen Vernehmungsorganen unabhängig von ihrem Status typischerweise besondere Unparteilichkeit zukommt, da sie mit dem deutschen Strafverfahren nichts zu tun haben 706 . Ist die formalistische Anknüpfung an den Richterstatus im Einzelfall schon bei Inlandssachverhalten problematisch, aber nun mal vom Gesetz so vorgesehen, wäre sie bei Vernehmungen im Ausland damit schwer zu rechtfertigen. Im Ergebnis ist letztlich sowohl aus dem Gesamtkontext der Rechtsvorschriften als auch aus pragmatischen Gesichtspunkten die Prüfung, ob die Vernehmung in Funktion und Ablauf eher einer richterlicher oder nichtrichterlichen Vernehmung gleicht 707 , trotz eventueller Unscharfen sachgerechter als eine formalistische Anknüpfung an einen richterlichen Status des ausländischen Vernehmungsbeamten. Bei Vernehmungen, die aufgrund eines deutschen, gerichtlichen Rechtshilfeersuchens vorgenommen werden, wird man die funktionelle Vergleichbarkeit in aller Regel annehmen können, wenn die dortigen Zuständigkeitsvorschriften eingehalten wurden 708 , da diese Vernehmung eben auf die Verwertung in einem deutschen Strafverfahren abzielt, zumal man dann - wie

702

Siehe oben Seite 147, Fußnoten 557 und 558. Vgl. Rose, a.a.O., S. 271. 704 Siehe oben Seite 156. 705 Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 1359. 706 Böse, Verwertung im Ausland gewonnener Beweismittel im deutschen Strafverfahren, ZStW 114 [2002], S. 148 (159). 707 Böse, a.a.O., S. 148 (158 f.); Rose, a.a.O., S. 269 f.; Nagel, a.a.O., S. 304; Gollwitzer bei Löwe/Rosenberg, § 251 StPO, Rn. 24; Wilkitzki bei Grützner/Pötz; Vor § 68 IRG, Rn. 14. 708 Nagel, a.a.O., S. 303 f. 703

178

3. Teil: Fallgruppen

bereits erwähnt - typischerweise von einer besonderen Unparteilichkeit der Vernehmungsorgane ausgehen kann. Bei Vernehmungen, die der ausländische Staat zunächst für ein eigenes Verfahren vorgenommen hat, oder auch solchen, die aufgrund deutscher, polizeilicher Ersuchen nicht in Hinblick auf eine spätere gerichtliche Verwertung vorgenommen wurden, kann sich die Bewertung von Funktion und Ablauf schwieriger gestalten. Bei einer Vernehmung, die nach ausländischem Recht im Gegensatz zu anderen Vernehmungsarten der Beweissicherung dient, wird man eine vergleichbare Funktion annehmen können. Wenn zum Beispiel in Frankreich Beweise vor allem im untersuchungsrichterlichen Vorverfahren erhoben werden, um sie dann in der Hauptverhandlung nur noch zu würdigen, wird dies zu bejahen sein, egal ob die konkrete Vernehmung nun vom juge d'Instruction, also dem Untersuchungsrichter selbst, oder einem von ihm beauftragten Beamten der police judiciaire durchgeführt wurde 709 . Demgegenüber ist eine englische polizeiliche Vernehmung eindeutig allenfalls nach § 251 Abs. 1 StPO n.F. verlesbar, da sie aufgrund des sehr strikten Unmittelbarkeitsprinzips nicht der Beweissicherung, sondern nur Ermittlungszwecken dient 710 . Problematischer gestaltet sich die Einordnung, wenn eine Rechtsordnung nicht zwischen Beweissicherung und Erhebung zur Ermittlungszwecken klar unterscheidet. Wenn in Österreich die Hürden für die Verlesung eines Vernehmungsprotokolls allgemein recht niedrig sind und in der Regel auch kein Unterschied zwischen richterlichen und polizeilichen Protokollen gemacht wird, kann dies nicht dazu führen, dass jedes österreichische Vernehmungsprotokoll in Deutschland nach § 251 Abs. 2 StPO n.F. verlesbar ist. Hier wird man jedenfalls bei polizeilichen Vernehmungen nur eine Verlesbarkeit unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 StPO n.F. annehmen können, da diese in erster Linie Ermittlungszwecken dienen und sich vom Ablauf her von einer deutschen richterlichen Vernehmung deutlich unterscheiden. Zu klären ist weiterhin die Frage, ob die funktionsmäßige Gleichartigkeit der ausländischen Vernehmung abstrakt oder konkret zu bestimmen ist. So vertritt unter anderen Gollwitzer die Ansicht, dass bei Vorliegen ausländischer Nichtigkeitsgründe eine funktionsmäßige Gleichartigkeit nicht mehr zu bejahen sei, da diese Wirksamkeit nach dem Recht des Erhebungsortes voraussetze 711. Dies würde am Beispiel einer in Österreich durchgeführten richterlichen Vernehmung bedeuten, dass bei einer unterlassenen Belehrung über ein sogenanntes Entschlagungsrecht eines Zeugen, der sich mit seiner Aussage selbst belasten

709

Vgl. Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 1210. Siehe oben Seite 148. 711 Gollwitzer, Anmerkung zu BayObLG vom 8.10.1984, JR 1985, S. 478; Gollwitzer bei Löwe/Rosenberg, § 251 StPO, Rn. 25; zustimmend Walther, Anmerkung zu OLG Düsseldorf vom 31.10.1991, StV 1992, S. 561 (562); Dölling bei Alternativkommentar, § 251, Rn. 27. 710

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

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könnte, oder eines kindlichen Tatopfers, welches nicht noch einmal aussagen muss, aber auch bei einer Vernehmung eines nicht von der Verschwiegenheit entbundenen Staatsbeamten mit der nach dortigem Recht eintretenden Folge der Nichtigkeit 712 in Deutschland lediglich nur noch eine Verlesung unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 StPO n.F. in Betracht käme. Ein solches Ergebnis ist nicht überzeugend. Verfahrensfehler nach ausländischem Recht müssen hier wie im Kontext der Beweisverwertungsverbote behandelt werden. In Bezug darauf wurde oben dargelegt, dass sich das Vorliegen eines Verfahrensfehlers zwar nach ausländischem Recht richtet, die Rechtsfolgen jedoch dem deutschen Recht zu entnehmen sind, da die Verwertung eben ein deutscher Hoheitsakt ist 7 1 3 . Es gibt keine Rechtfertigung dafür, hier, also in Bezug auf Zulässigkeit der Durchbrechung des Unmittelbarkeitsprinzips, davon abzuweichen, quasi durch die Hintertür ausländische Fehlerfolgen in Deutschland doch noch relevant werden zu lassen. Etwaige Verstöße gegen ausländisches Verfahrensrecht haben auch hier die gleichen Folgen, wie ein Verstoß gegen die entsprechende inländische Vorschrift nach deutschem Recht hätte. Dies kann im Einzelfall schon dazu führen, dass durch einen einzelnen Verfahrensfehler die Verlesung nach § 251 Abs. 2 StPO n.F. unzulässig wird. Wenn zum Beispiel gegen eine ausländische Formvorschrift verstoßen wird, die in Deutschland ebenso existiert, kann man auch in Anwendung deutschen Verfahrensrecht zu einer Verlesbarkeit nach § 251 Abs. 1 StPO n.F. kommen, weil eine hypothetische nichtrichterliche Vernehmung so rechtmäßig gewesen wäre 714 . Welche Auswirkungen der Verstoß nach ausländischem Recht gehabt hätte, hat hier aber keine Bedeutung. Ob eine ausländische Vernehmung unter § 251 Abs. 2 StPO n.F. oder nur unter § 251 Abs. 1 StPO n.F. einzuordnen ist, bestimmt sich somit danach, ob diese Art von Vernehmungen nach Funktion und Ablauf richterlichen oder nichtrichterlichen Vernehmungen gleichstehen. Die Rechtsfolgen von konkreten Verstößen gegen ausländische Form- und Verfahrensvorschriften richten sich auch hier nach deutschem Recht.

712 713 714

Siehe oben Seite 158. Siehe oben Seiten 105 ff., 121. Vgl. Meyer-Goßner, § 251 StPO, Rn. 15 m.w.N.

180

3. Teil: Fallgruppen 3. Einzelne Problemkonstellationen unter besonderer Berücksichtigung möglicher Beweisverwertungsverbote

Nunmehr ist die Behandlung der weiteren, oben aufgeworfenen Problemkonstellationen zu untersuchen. Dabei kommt es insbesondere in Hinblick auf das mögliche Eingreifen von Beweisverwertungsverboten nicht mehr darauf an, wie die Beweisergebnisse in die Hauptverhandlung eingeführt werden, also unabhängig davon, ob dies nun durch Protokollverlesung, Vorführung einer Bild-Ton-Aufzeichnung oder durch Vernehmung der Verhörsperson geschehen soll. Hier kommt es nun zur Anwendung der im zweiten Teil dieser Arbeit entwickelten allgemeinen Grundregeln 715 .

a) Nichtgewährung nach deutschem Recht bestehender Beteiligungsrechte Die Frage der Verwertbarkeit einer Zeugenvernehmung, die im Ausland unter Nichtgewährung deutscher Beteiligungsrechte vorgenommen wurde, ist wohl die in der Praxis bedeutsamste Problemkonstellation, welche immer wieder auch Anlass zur Entwicklung allgemeiner Grundsätze gegeben hat. Deshalb wurden im Rahmen des zweiten Teils dieser Arbeit schon ein großer Teil dieser Problematik vorweggenommen 716, welche hier trotzdem noch einmal zusammengefasst und vertieft werden soll. Bekanntermaßen hatte sich das Reichsgericht schon in der Entscheidung RGSt 11, S. 391 aus dem Jahre 1885 mit dem Problem einer österreichischen Vernehmung zu beschäftigen, welche nach dem damals zwingenden Recht des Vernehmungsortes in Abwesenheit der Prozessbeteiligten vorgenommen wurde 717 . Die Verlesbarkeit bejahend, stellte das Gericht darauf ab, dass die StPO bei kommissarischen Vernehmungen im Gegensatz zur Hauptverhandlung weder die Anwesenheit der Staatsanwaltschaft noch die des Angeschuldigten oder Angeklagten oder die eines Verteidigers zur absoluten Bedingung der

715

Siehe oben Seiten 83 f f , 121 f., 133. Siehe vor allem Seiten 84 ff., 120 ff. 717 Die österreichische Strafprozessordnung geht für das Ermittlungsverfahren verfahren immer noch grundsätzlich von der Abwesenheit der Prozessbeteiligten bei Zeugenvernehmungen aus. Heute besteht aber auch die Möglichkeit einer kontradiktorischen Vernehmung. Bei Beweiserhebungen zur Erledigung eines deutschen Rechtshilfeersuchens kommt Art. 4 des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens (1959) in Verbindung mit Art. V I des deutsch-österreichischen Ergänzungsvertrages zum Tragen, wonach auf entsprechende, deutsche Bitte, die Parteien zu benachrichtigen sind und deren Anwesenheit zu gestatten ist (siehe oben Seite 159). Erweiterte Möglichkeiten bietet neuerdings auch Art. 4 des EU-Rechtshilfeübereinkommens (2000). 716

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

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Verlesbarkeit gemacht habe 718 . In der ebenfalls schon bekannten Entscheidung RGSt 46, S. 50 aus dem Jahre 1912 wurde die Verlesbarkeit eines unter ähnlichen Bedingungen zustande gekommenen französischen Vernehmungsprotokolls unter Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Vorgehensweise nach dortigem Recht bejaht 719 . Diese Rechtssprechung wurde bis heute auch vom Bundesgerichtshof beibehalten 720 . Dem ist in Anwendung der oben entwickelten Grundsätze zunächst einmal zuzustimmen. Die Rechtmäßigkeit der Beweiserhebung richtet sich nach dem Recht des ersuchten Staates. Sieht dieses keine Beteiligungsrechte vor, wird durch die Nichtbenachrichtigung und Nichtzulassung von Prozessbeteiligten auch kein Handlungsunrecht verwirklicht, durch das man zu einem unselbständigen Beweisverwertungsverbot gelangen könnte 721 . Nur sofern nach der ausländischen Rechtsordnung, welche aber zum Beispiel aufgrund entsprechender völkerrechtlichen Verpflichtungen für Beweisaufnahmen zur Erledigung eines Rechtshilfeersuchen modifiziert sein kann, Beteiligungsrechte zu gewähren sind, kommt ein durch ausländische Behörden realisiertes Handlungsunrecht in Betracht 722 . Ferner gilt insbesondere hinsichtlich der Beteiligungsrechte, dass im Rahmen der Stellung von Rechtshilfeersuchen ein Handlungsunrecht durch Versäumnisse deutscher Strafverfolgungsorgane verwirklicht werden kann, welches dann ebenfalls als Anknüpfungspunkt für ein unselbständiges Beweisverwertungsverbot zur Verfügung steht 723 . Die deutschen StrafVerfolgungsorgane haben auf eine Beweiserhebung hinzuwirken, die soweit wie möglich deutschen Verfahrensvorschriften genügt, und dürfen keinesfalls Anlass für eine nicht im ausländischen Recht begründete Nichteinhaltung deutscher Vorschriften bieten 724 . Auch wenn ein Hinwirken nur in einem Ausmaß verlangt werden kann, in dem es auch erfolgsversprechend erscheint, und Anstrengungen, die auf eine gedanklich nie ausschließbare, überraschend große Kooperationsbereitschaft der Behörden des ersuchten Staates spekulieren, nicht verlangt werden können, bieten sich im Bereich der Beteiligungsrechte umfangreiche Möglichkeiten. Durch Art. 4 des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens von 1959 kann der ersuchende Staat bekanntermaßen sicherstellen, dass er vom Termin der Erledigung unterrichtet wird und darum bitten, dass bei der Vornahme der Vernehmung die Anwesenheit deutscher Verfahrensbeteiligter gestattet wird. Viele 718

Wegen der weiteren Argumentation siehe oben Seite 84. Wegen weiter Einzelheiten siehe oben Seite 84. 720 Vgl. BGH StV 1982, S. 153 (154). 721 Siehe oben Seiten 99 ff., 105, 121 f. 722 Vgl. BayObLG JR 1985, S. 477, siehe oben Seite 105 723 Siehe oben Seiten 119 ff., 121 f. 724 RG HRR 1938 Nr. 637, BGH bei Spiegel, DAR 1977, S. 169 (170); BGHSt 35, S. 83 (84), dazu Anm. Naucke, NStZ 1988, S. 564; BGHSt 42, S. 86 (91). 719

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3. Teil: Fallgruppen

bilaterale Zusatzübereinkommen enthalten die Verpflichtung zur direkten Benachrichtigung der Verfahrensbeteiligten und eine Verpflichtung zur Gestattung der Anwesenheit 725 . Dass diese naheliegenden Möglichkeiten auszunutzen sind, braucht hier nicht nochmals erläutert zu werden 726 . Dies gilt - anhand der hier gewählten Länderbeispiele - sowohl für die Republik Österreich, mit der sogar ein bilaterales Zusatzübereinkommen besteht, als auch für England, das die Anwesenheit regelmäßig erlaubt. Mit Inkrafttreten von Art. 4 des EU-Rechtshilfeübereinkommens aus dem Jahr 2000 7 2 7 werden diese Möglichkeiten im Verhältnis zu allen Vertragsstaaten noch weiter ausgebaut. A u f die Gewährung von Beteiligungsrechten müssen die deutschen Strafverfolgungsorgane freilich nur hinwirken, wenn diese auch nach deutschem Recht zu gewähren sind. So bedarf es bei Gefährdung des Untersuchungserfolges gem. § 168 c Abs. 5 S. 2 StPO bzw. § 224 Abs. 1 S. 2 StPO keiner Benachrichtigung des Beschuldigten oder des Verteidigers 728 . Der inhaftierte Beschuldigte, jedenfalls wenn er einen Verteidiger hat, besitzt kein Recht auf Überstellung ins Ausland zwecks Teilnahme an der Vernehmung 729 , was sich aus § 168 c Abs. 4 StPO bzw. § 224 Abs. 2 StPO ergibt. Dies wird wohl auch für den Beschuldigten gelten, dessen Haftbefehl unter der Auflage, die Bundesrepublik nicht zu verlassen, außer Vollzug gesetzt wurde 730 . Hat ein solcher Beschuldigter keinen Verteidiger, wird ihm schon im Vorverfahren in Hinblick auf Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK nach § 143 Abs. 3 StPO ein Pflichtverteidiger zu bestellen sein 731 . Stellt man nun wirklich seitens deutscher oder ausländischer StrafVerfolgungsbehörden einen Verfahrensverstoß fest, stellt sich noch die Frage, welche Folgen daran zu knüpfen sind. Die Rechtsfolgen sind auch hier dem deutschen Recht zu entnehmen. Problematisch ist, ob ein Verstoß wirklich immer ein generelles, unselbständiges Beweisverwertungsverbot nach sich ziehen muss, oder ob das Protokoll lediglich wegen der hypothetischen Rechtmäßigkeit der Vernehmung als nichtrichterliche jedenfalls unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 StPO n.F. verlesbar bleibt 7 j 2 . Für reine Inlandssachverhalte ist die Rechtsprechung nicht ganz einheitlich. Vor allem in älterer Rechtsprechung wurde bei einer richterlichen Vernehmung, bei der gegen Benachrichtigungs725

Siehe oben Seite 120. Vgl. auch RiVASt Nr. 29 Abs. 2. 727 Vgl. Seite 33, Fußnote 60. 728 BGHSt42,S. 86(91 ff.). 729 BGH NStZ 1992, S.394. 730 OLG Bamberg, MDR 1984, S. 604; Ungern-Sternberg, Zur Frage des Anwesenheitsrechts des Beschuldigten und des Verteidigers, ZStW 87 [1975], S. 925 (926). 731 Zu weiteren Einzelproblemen: Ungern-Sternberg, a.a.O., S. 925 (927 ff.); Rose, Der Auslandszeuge im Beweisrecht des deutschen Strafprozesses, S. 249 f. 732 Siehe dazu auch Böse, a.a.O., S. 148 (165 ff.). 726

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

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pflichten verstoßen wurde, ein Beweisverwertungsverbot angenommen733. In neuerer Rechtsprechung wurde das Eingreifen eines generellen Beweisverwertungsverbotes in Hinblick auf die nicht erforderliche Anwesenheit des Beschuldigten und seines Verteidigers bei Zeugenvernehmungen durch Polizei und Staatsanwaltschaft verneint, teilweise mit Hinweis darauf, dass nur die Qualität der Vernehmung beeinträchtigt sei 734 . Demnach bleibt also die Verlesung unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 StPO n.F. aber auch die Vernehmung des Vernehmungsrichters trotz des Verfahrensverstoßes zulässig. Nimmt man letzteres an, könnte auch bei Fällen mit Auslandsbezug ein deutscher Verstoß gegen Hinwirkungspflichten oder ein Verstoß gegen ausländisches Recht nur ein Verbot der Verlesung nach § 251 Abs. 2 StPO n.F. nach sich ziehen. In den hier zitierten Entscheidungen mit Auslandsbezug wurde das Problem eines entsprechenden Verstoßes aber wiederum vornehmlich als Frage der generellen Verwertbarkeit diskutiert 735 . Der Verstoß gegen Benachrichtigungspflichten kann nicht lediglich als Problem eines geminderten Beweiswertes aufgefasst werden. Ansonsten müsste auch für rechtmäßige richterliche Vernehmungen, die in Abwesenheit des Beschuldigten oder seines Verteidigers durchgeführt wurden, sei es, weil sie auf die Teilnahme verzichtet haben oder die Benachrichtigung wegen Gefährdung des Untersuchungserfolgs unterbleiben musste, gelten, dass sie nicht nach § 251 Abs. 2 StPO n.F. verlesen werden können. Dies wird aber gerade so nicht angenommen, vielmehr ist das Protokoll einer rechtmäßig zustande gekommenen richterlichen Vernehmung immer unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 2 StPO n.F. verlesbar 736 . Ein Verfahrensverstoß in Hinblick auf die Benachrichtigungspflichten muss dagegen grundsätzlich als Anknüpfungspunkt für ein Beweisverwertungsverbot geeignet sein. Dies bedeutet allerdings nicht, dass man dennoch zu einer Verlesbarkeit nach § 251 Abs. 1 StPO n.F. gelangen kann, wenn eine hypothetische nichtrichterliche Vernehmung rechtmäßig gewesen wäre 737 . Eine hypothetische, rechtmäßige Ersatzbeweiserhebung lässt allerdings nicht immer ein Beweisverwertungsverbot entfallen. Bei schwerwiegenden Verfahrensverstößen kann das verwirklichte Handlungsunrecht nicht durch 733 BGHSt 26, 332 (335); BGHSt 31, 140 (144); BGH NStZ 1987, S. 132 (133); BGH StV 1997, S. 234 (235). 734 BGHSt 34, S. 231 (235) [obiter dictum]; BGH StV 1993, S. 232; BGH NStZ 1998 S. 312 (313) [obiter dictum] mit Anmerkung Wönne; BGH StV 2000, S. 593 (597). 735 Zum Verstoß gegen Hinwirkungspflichten: BGH bei Spiegel, DAR 1977, S. 169 (170); BGHSt 35, S. 83 (84), dazu Anm. Naucke, NStZ 1988, S. 564; BGHSt 42, S. 86 (91). Zum Verstoß ausländischer Strafverfolgungsorgane gegen eigenes, für Rechtshilfevernehmungen modifiziertes Recht: BayObLG JR 1985, S. 477. 736 Siehe oben Seite 176. 737 Zum hypothetischen Ersatzeingriff siehe oben Seite 73.

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3. Teil: Fallgruppen

ein gemindertes Erfolgsunrecht ausgeglichen werden. Wenn um die Zeugenvernehmung im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens ersucht wurde, kann hier gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Umstände im Einzelfall die Verwertbarkeit als nichtrichterliche Vernehmung bejaht werden, da auch im Inland eine polizeiliche oder staatsanwaltliche Vernehmung ohne Beteiligungsrechte möglich gewesen wäre. Bei kommissarischen Vernehmungen hingegen, für die die §§ 223 ff. StPO vom Richter als Verhörsperson und von der grundsätzlichen Gewährung entsprechender Anwesenheitsrechte ausgehen, wird man bei einem Verstoß gegen Hinwirkungspflichten durch das deutsche Gericht immer annehmen müssen, dass ein unselbständiges Beweisverwertungsverbot eingreift 738 . Das Gleiche gilt für den Verstoß eines ausländischen Vernehmungsorgans, wenn es eigene auch für Rechtshilfevernehmungen modifizierte Verfahrensvorschriften missachtet739. Wendet man sich nun wieder der Konstellation zu, in der das ausländische Recht die Anwesenheit der Verfahrensbeteiligten nicht vorsieht und deutschen StrafVerfolgungsorganen auch keine Versäumnisse vorzuwerfen sind, kommt nach der hier vertretenen Auffassung - wie oben gesagt - ein unselbständiges Beweisverwertungsverbot nicht in Betracht. Fehlende Beteiligungsrechte nach ausländischem Recht führen auch nicht dazu, dass eine ausländische richterliche Vernehmung oder eine, die nach Funktion und Ablauf einer richterlichen gleichkommt, nur unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 StPO n.F. verlesbar wären 740 . Auch deutsche richterliche Vernehmungen, die im Ausnahmefall ohne Beteiligung der Parteien vorgenommen wurden, können, sofern dies rechtmäßig war, nach § 251 Abs. 2 StPO n.F. verlesen werden 741 . Dennoch bleibt zu klären, inwieweit eine Verwertung einer auf diese Weise rechtmäßig zustande gekommenen Vernehmung mit unseren rechtsstaatlichen Minimalanforderungen vereinbar ist. Insbesondere stellt sich die Frage, ob im Einzelfall vielleicht ein selbständiges Beweisverwertungsverbot greift 742 . Die Annahme einer generellen Unverwertbarkeit solcher Vernehmungen ist wohl kaum vertretbar, da die deutsche Rechtsordnung eben im Einzelfall auch Vernehmungen ohne die Gewährung von Beteiligungsrechten vorsieht. Der Untersuchungszweck ist auch bei reinen Inlandssachverhalten vorrangig 743 .

738

Im Ergebnis ebenso: Böse, a.a.O., S. 148 (167). A.A. BGH StV 2005, S. 255 zum Verstoß gegen türkische Benachrichtigungsvorschriften. 740 Freilich kann die Gewährung von Beteiligungsrechten ein Kriterium dafür sein, dass eine ausländische, nichtrichterliche Vernehmung einer deutschen richterlichen i.S.d. § 251 Abs. 2 StPO n.F. gleichkommt. 741 Siehe oben Seiten 175 f. 742 Siehe oben Seiten 122 ff., 133. 743 Vgl. Böse, a.a.O., S. 148 (168). 739

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

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Trotz Rechtmäßigkeit der Beweiserhebung aber ist das gesamte Strafverfahren, einschließlich der Beweiserhebungen, die im Ausland stattgefunden haben, an der Europäischen Menschenrechtskonvention und an dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zu messen, unabhängig davon, ob der konkrete ausländische Staat Mitglied dieser Konventionen ist 7 4 4 . Zur Erinnerung sei nochmals darauf hingewiesen, dass, auch wenn der ersuchte Staat zum Beispiel der EMRK angehört, es ebenfalls zu einem Konventionsverstoß kommen kann, da die EMRK kein in sich geschlossenes Prozessrechtssystem darstellt, sondern nur Mindestgarantien gewährt, deren Ausgestaltung den nationalen Gesetzgebern überlassen bleibt 745 . Gerade die Kombination von Verfahrensabschnitten, die unter der Geltung zweier nicht aufeinander abgestimmten Verfahrensordnungen stattgefunden haben, kann ein in der Gesamtbetrachtung unfaires Verfahren ergeben, auch wenn beide Rechtsordnungen, für sich gesehen, mit der Europäischen Menschenrechtskonvention in Einklang sind. Sieht die ausländische Rechtsordnung die Beteiligung des Beschuldigten oder seines Verteidigers nicht vor, können insbesondere Probleme hinsichtlich des Konfrontationsrechts aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 3 Buchst, d EMRK entstehen, wenn eine so gemachte Aussage in Deutschland verwertet werden soll 7 4 6 . Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkennt an, dass eine Beweiserhebung nicht immer in der Hauptverhandlung erfolgen kann 747 . In der Regel muss der Beschuldigte jedoch dann ebenso Gelegenheit gehabt haben, die Glaubwürdigkeit der originären Auskunftsperson anzugreifen und Fragen an sie zu stellen oder stellen zu lassen 748 . Für kommissarische Vernehmungen im Wege der Rechtshilfe, bei denen Beteiligungsrechte nicht gewährleistet sind, ist es somit notwendig, dem Angeklagten oder seinem Verteidiger zumindest die Vorbereitung eines Fragenkatalogs zu ermöglichen 749 . Unter bestimmten Voraussetzungen lässt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aber auch die Verwertung von Angaben eines Zeugen zu, den weder der Beschuldigte noch sein Verteidiger zu irgendeinem Zeitpunkt befragen konnten 750 . Er geht

744

Vgl. Seiten 123 ff. Vgl. Schünemann, Verteidigung in einem geplanten europäischen StrafVerfahrensrecht, StV 2003, S. 115 (123); siehe auch oben Seite 125. 746 Ausfuhrlich zu diesem Komplex: Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, S. 638 ff. 747 EGMR StV 1990, S. 481 (Kostovski vs. Niederlande); EGMR StV 1991, S. 192 (Windisch vs. Österreich); Esser, a.a.O., S. 638, mit zahlreichen Nachweisen. 748 Gemeint ist hier also der Zeuge, der über eigene Wahrnehmungen berichtet. Anders als nach dem Verständnis der deutschen Strafprozessordnung von der Unmittelbarkeit ist die Vernehmung der Verhörsperson an sich also kein Ersatz für die Konfrontation mit dem unmittelbaren Zeugen. 749 Vgl. BGH NStZ 1993, S. 292 für den gesperrten V-Mann. 750 Esser, a.a.O., S. 647 mit zahlreichen Nachweisen. 745

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3. Teil: Fallgruppen

trotz mangelnder Konfrontation auch dann von einem insgesamt fairen Verfahren aus, wenn das nationale Gericht die Verurteilung auch auf andere Beweise stützt 751 . Beruht die Verurteilung nur Jnter alia" auf den Angaben eines nicht konfrontierten Zeugen, verstößt diese nicht gegen die Konvention 752 . Dies gilt vor allem dann, wenn eine Konfrontation tatsächlich nicht mehr möglich ist, also bei UnaufFindbarkeit oder anderweitiger Unerreichbarkeit einer erneuten Vernehmung 753 . Hier reiht sich die bereits oben dargestellte Entscheidung des Bundesgerichtshofes BGHSt 46, S. 93 ein, wobei diesbezüglich auf die dortigen Ausfuhrungen verwiesen werden kann 754 . Für einen Fall, in dem eine Vernehmung im Ausland zunächst für ein eigenes Verfahren ohne die Möglichkeit der Konfrontation durchgeführt wurde, bedeutet dies, dass trotzdem unter den oben genannten Voraussetzungen eine Verwertung in Betracht kommt. Eine solche Aussage kann neben anderen Beweismitteln Grundlage einer Verurteilung werden. Stellt die Aussage aber das einzige Beweismittel dar, so würde einer darauf aufbauenden Verurteilung Art. 6 Abs. 1 und Abs. 3 Buchst, d EMRK entgegenstehen755.

b) Abweichungen bei Zeugnis- und Aussageverweigerungsrechten Hinsichtlich der Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte konnten bei den aufgeführten Länderbeispielen signifikante Unterschiede aufgezeigt werden. Die oben dargestellten Rechtsvorschriften waren in großen Teilen enger als die deutschen Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte. Besonders deutlich wird dies in England, wo der nicht geschiedene Ehegatte der einzige Angehörige ist, dem eine Art Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, und dies auch nicht immer 756 . Gleiches gilt aber auch für berufsbezogene Zeugnisverweigerungsrechte, so findet sich zum Beispiel für den österreichischen Arzt keine Entsprechung im dortigen Recht 757 . Manchmal waren ausländische Zeugnisverweige751 EMGR v. 12.1.1999 (S.E. vs. Italien); EMGR v. 14.12.1999 (AM vs. Italien); EGMR v. 24.11.1986 (Unterpertinger vs. Österreich); EMGR EuGRZ 1992, S. 474 (Asch vs. Österreich); EGMR v. 31.8.1999 (Verdam vs. Niederlande). Jeweils in englischer Sprache auch abzurufen im Internet unter: http://www.echr.coe.int/Eng/ Judgments.htm. 752 EGMR v. 31.8.1999 (Verdam vs. Niederlande). 753 EGMR EuGRZ 1992, 476 (Artner vs. Österreich); EMRG v. 26.3.1996 (Doorson vs. Niederlande); EGMR v. 1. 8. 1996 (Ferrantelli u. Santangelo vs. Italien); vgl. auch Esser, a.a.O., S. 648 ff. m.w.N. 754 Siehe oben Seite 80. 755 Dies dürfte sich freilich aber auch schon aus dem deutlich verringerten Beweiswert einer solchen Aussage ergeben. 756 Siehe oben Seite 149. 757 Siehe oben Seite 158.

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

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rungsrechte aber auch weiter gefasst, so beispielsweise, wenn die Rechtsordnung ein Bankgeheimnis 758 anerkennt oder die nichteheliche Lebensgemeinschaft privilegiert wird 7 5 9 . Teilweise ziehen im Gegensatz zu Deutschland Verstöße gegen Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrechte, die nicht dem Schutz des Beschuldigten dienen, im Ausland Beweisverwertungsverbote nach sich 760 . Die sich daraus resultierenden Probleme lassen sich größtenteils in Anwendung der im zweiten Teil aufgestellten allgemeinen Grundsätze lösen. Ein unselbständiges Beweisverwertungsverbot kann sich nur aus einem konkreten Handlungsunrecht ergeben. Stellt ein deutsches Strafverfolgungsorgan ein Rechtshilfeersuchen, so hat es die Pflicht, um die Gewährung deutscher, über die ausländische Rechtsordnung hinausgehender Zeugnisverweigerungsrechte zu bitten. So war in der Entscheidung OLG Bremen NJW 1962, S. 2314 die Aussage der geschiedenen Ehefrau des Angeklagten unverwertbar, welche in der ehemaligen DDR nach dortigem Recht nicht über ihr nach bundesrepublikanischem Recht zustehendes Zeugnisverweigerungsrecht belehrt wurde. Dabei wurde vor allem auf das fehlende Ersuchen seitens der bundesdeutschen Behörden um eine solche Belehrung, welches wohl auch erfolgsversprechend gewesen wäre, abgestellt 761 . Dies muss auch heute noch in vergleichbaren Fällen gelten. So sieht zum Beispiel auch die englische Rechtsordnung vor, dass entsprechenden Bitten des ersuchenden Staates nachgekommen werden muss 762 . Wird im Ausland indessen gegen ein dort bestehendes Verweigerungsrecht verstoßen, muss dies nicht bedeuten, dass dies für ein deutsches Verfahren ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht. Die Rechtsfolgen sind dem deutschen Recht zu entnehmen. Dient die einem Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht entsprechende Vorschrift nicht dem Schutz des Beschuldigten, scheidet ein Beweisverwertungsverbot aus, so zum Beispiel bei einem nur zu Lasten des Zeugen gehenden Verstoß gegen eine dem § 55 StPO entsprechende Vorschrift 763 . Bei Verweigerungsrechten, die zwar dem Schutz des Beschuldigten dienen, in der Art aber nicht in Deutschland existieren - wie ein Bankgeheimnis, kann man bei hypothetischer Rechtmäßigkeit der Vernehmung nach deutschem Recht dennoch zur Verwertbarkeit für ein deutsches Strafverfahren kommen 764 .

758

Siehe auch oben Seite 149. Siehe oben Seite 158. 760 Siehe oben Seite 158. 761 OLG Bremen NJW 1962, S. 2314 (2315). 762 Siehe oben Seite 150. 763 Vgl. BGH GA 1976, S. 219, siehe oben Seiten 87, 112 und 178. 764 Siehe oben Seiten 112 ff. Der ausländische Staat kann freilich sein Bankgeheimnis dadurch schützen, dass er die Information gar nicht erst übermittelt oder 759

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3. Teil: Fallgruppen

Einer gewissen Vertiefung bedarf allerdings noch das Problem, in welchen Fällen ein selbständiges Beweisverwertungsverbot bei Nichteinhaltung deutscher Zeugnisverweigerungsrechte zum Tragen kommen kann. Als Idealkonstellation kann man sich eine Vernehmung vorstellen, die der ausländische Staat für ein eigenes Verfahren vorgenommen hat, ohne freilich auf die Gewährung deutscher Zeugnisverweigerungsrechte zu achten, und ohne dass deutschen Strafverfolgungsbehörden hier Versäumnisse vorzuwerfen wären. In der bereits genannten Entscheidung BGH NStZ 1992, 5. 394 verneinte der Bundesgerichtshof die Verwertbarkeit einer Zeugenaussage der Verlobten eines Mitbeschuldigten, welche in Italien richterlich vernommen worden war, wobei ihr nach den dortigen Vorschriften kein Zeugnisverweigerungsrecht zustand und sie demgemäß auch nicht über ein solches belehrt wurde. Zur Erinnerung sei nochmals erwähnt, dass das Gericht hier auf den Rechtsgedanken des § 252 StPO zurückgriffen hat 7 6 5 , der bei reinen Inlandssachverhalten sogar die nachträgliche und rückwirkende Zeugnisverweigerung gestattet 766 . Dass dieser Entscheidung zu folgen ist, wurde bereits im zweiten Teil der Arbeit ausgeführt 767. Schon aus der Strafprozessordnung selbst ergibt sich, dass im Fall der Nichtgewährung von Zeugnisverweigerungsrechten die Verwertung gegen den Willen des Berechtigten nicht erlaubt sein soll. Obwohl sich freilich auch für die Aussage zum Beispiel des österreichischen Arztes aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG, bei erzwungenen Aussagen von Familienmitgliedern noch aus Art. 6 GG, ein selbständiges Beweisverwertungsverbot herleiten ließe, ist ein Rückgriff auf die Grundrechte hier gar nicht notwendig. Wenn bei reinen Inlandssachverhalten § 252 StPO als selbständiges Beweisverwertungsverbot zum Tragen kommt, also ausnahmsweise die tatsächlichen Umstände im Zeitpunkt der Hauptverhandlung die entscheidenden sind, muss dies bei Auslandssachverhalten entsprechend auch für die in der Hauptverhandlung anzuwendenden Rechtsvorschriften gelten. Ein anderes Ergebnis würde den Wertungen der deutschen Strafprozessordnung widersprechen, die der Freiheit der Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechtes eine erkennbar hohe Bedeutung einräumt 768 . Bei Inlandssachverhalten ist zwar völkerrechtlich von Bedingungen abhängig macht, wie z.B. Übermittlung nur zu Informationszwecken. Das Bankgeheimnis gilt jedoch in der Regel ohnehin nicht absolut. So hat auch ein Bankier in der Schweiz in einem Strafverfahren kein Zeugnisverweigerungsrecht, wobei die einfache Steuerhinterziehung allerdings nur von den Verwaltungsbehörden verfolgt wird (vgl. oben Seite 28, Fußnote 39). 765 Siehe auch Seite 132. 766 Die Ergebnisse einer ordnungsgemäßen, richterlichen Vernehmung bleiben nach der Rechtsprechung bekanntermaßen dennoch verwertbar, wobei sie dann nur durch Vernehmung des Ermittlungsrichters eingeführt werden können (vgl. Seite 131, Fußnote 491). Dies hat für die hier problematische Konstellation aber keine Bedeutung. 767 Siehe oben Seite 132. 768 Böse, a.a.O., S. 148 (164).

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

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für ein Eingreifen von § 252 StPO grundsätzlich erforderlich, dass der Zeuge später ausdrücklich von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht; so darf die im Inland getätigte Aussage des später unerreichbaren Zeugen verlesen werden, weil keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er seine Meinung geändert hat. Dies gilt allerdings nur, wenn er ursprünglich auch belehrt wurde 769 , was bei der hier zu untersuchenden Konstellation gerade nicht der Fall ist. Um zu einem Beweisverwertungsverbot bei Nichteinhaltung deutscher Zeugnisverweigerungsrechte im Ausland zu gelangen, ist es somit nicht erforderlich, dass der Zeuge in der Hauptverhandlung auch tatsächlich erscheint und nun von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht. Bei Vernehmungen zur Erledigung eines deutschen Rechtshilfeersuchens muss dies ebenfalls gelten, unabhängig davon, ob deutschen Strafverfolgungsorganen Versäumnisse vorzuwerfen sind oder nicht, da selbständige Beweisverwertungsverbote kein Handlungsunrecht voraussetzen. Trotzdem bleibt es für deutsche Strafverfolgungsorgane freilich sinnvoll, auf die Einhaltung deutscher Zeugnisverweigerungsrecht hinzuwirken, um so zu verwertbaren Beweisergebnissen zu gelangen. Nunmehr ist noch zu klären, ob auch allein eine fehlende Belehrung ein aus dem Rechtsgedanken des § 252 StPO folgendes Beweisverwertungsverbot nach sich zieht. So gewährt die englische Rechtsordnung dem Ehegatten bei Aufruf durch die Anklage - von Ausnahmefällen abgesehen - ein Zeugnisverweigerungsrecht, eine Belehrung ist aber nur bei offensichtlicher Unkenntnis des Zeugen erforderlich 770 . Wenn die deutsche Rechtsordnung im Gegensatz dazu davon ausgeht, dass man nicht unterstellen kann, dass ein Angehöriger sein Zeugnisverweigerungsrecht in einer Vernehmungssituation aktuell im Bewusstsein hat, muss dies aus der Sicht des deutschen Strafprozessrechts gleichermaßen für Inlands- als auch für Auslandssachverhalte gelten. Nur wenn im Einzelfall klar ist, dass der Zeuge sein Zeugnisverweigerungsrecht kannte, kann man bei fehlender Belehrung des Angehörigen ein Beweisverwertungsverbot verneinen 771 . Für berufsbezogene Zeugnisverweigerungsberechtigte geht die deutsche Rechtsordnung hingegen davon aus, dass eine Belehrung nicht erforderlich ist, weil man unterstellen kann, dass diese bekannt sind 772 . Dies muss auch für Vernehmungen im Ausland gelten, solange dem berufsbedingt Verweigerungsberechtigten dort entsprechende Rechte zustehen. Anders ist es jedoch, wenn das berufsbezogene Zeugnisverweigerungsrecht keine Entsprechung im Ausland findet. Falls ein deutsches Gericht ausdrücklich um Beachtung deutscher

769 770 771 772

Meyer-Goßner, § 252 StPO, Rn. 17, m.w.N. Siehe oben Seite 149. BGHSt 40, S. 336 (339); Meyer-Goßner, § 52 StPO, Rn. 32 m.w.N. Vgl. Meyer-Goßner, § 53 StPO, Rn. 44.

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3. Teil: Fallgruppen

Zeugnisverweigerungsrechte gebeten hat, muss der Zeuge auch darüber belehrt werden, dass ihm ausnahmsweise ein solches Recht gewährt wird. Man kann von einem österreichischen Arzt, dem nach der österreichischen Strafprozessordnung kein Entschlagungsrecht zukommt 773 , nicht erwarten, dass er sich darüber bewusst ist, dass bei einer Vernehmung zur Erledigung eines deutschen Rechtshilfeersuchens etwas anderes gilt. Vorgesagtes gilt natürlich auch, wenn einem Zeugen ein dem § 55 StPO entsprechendes Auskunftsverweigerungsrecht zugunsten seines Angehörigen nicht gewährt oder er darüber nicht belehrt wurde und es um die Verwertbarkeit in einem neuen Verfahren nun gegen seinen Angehörigen geht 774 . Die Nichtgewährung deutscher Zeugnisverweigerungsrechte und in der Regel auch eine fehlende Belehrung fuhren damit aufgrund des Rechtsgedankens des § 252 StPO zu einem selbständigen Beweisverwertungsverbot. Gleiches gilt für ein nichtgewährtes Auskunftsverweigerungsrecht, wenn es um die spätere Verwertbarkeit dieser Aussage in einem Verfahren gegen den Angehörigen geht. Unterschiede zwischen Vernehmungen, die im Ausland zunächst für ein eigenes Verfahren erfolgt sind, und Vernehmungen zur Erledigung eines deutschen Rechtshilfeersuchens sind nicht zu machen. Allerdings muss auch bei Fällen mit Auslandsbezug ein späterer, in Kenntnis der deutschen Rechtslage geäußerter Verzicht des Zeugen auf seine Rechte zur Verwertbarkeit führen 775 .

c) Abweichungen von § 69 Abs. 1 und 2 StPO In § 69 Abs. 1 und 2 StPO wird beschrieben, welche Gestaltung einer richterlichen und staatsanwaltlichen Zeugenvernehmung von der deutschen Rechtsordnung als zweckmäßig angesehen wird 7 7 6 . Zunächst ist der Zeuge zu einem zusammenhängenden Bericht zu veranlassen, erst im Anschluss daran können im Verhör durch den Richter oder die Verfahrensbeteiligten Fragen gestellt werden, um den Bericht zu vervollständigen und zu überprüfen 777 . Davon 773

Siehe oben Seite 158. So gibt es in England kein dem § 55 StPO entsprechendes Auskunftsverweigerungsrecht zugunsten eines Angehörigen (siehe oben Seite 149). Die rule against hearsay evidence kann aber der Verwertung in einem englischen Verfahren gegen den Angehörigen entgegenstehen. 775 Vgl. BGHSt 45, S. 203 (206). 776 Für staatsanwaltliche Vernehmungen verweist § 161 a Abs. 1 S. 2 StPO auf diese Vorschrift. Für polizeiliche Vernehmungen fehlt eine solche Verweisung, weil kriminaltaktische Gründe unter Umständen auch eine andere Vorgehensweise zweck-mäßiger machen können (Diemer bei Karlsruher Kommentar, § 69 StPO, Rn. 1; a.A. MeyerGoßner, § 69 StPO, Rn. 1). 777 Meyer-Goßner, § 69 StPO, Rn. 5 ff. 774

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

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unterscheidet sich die typische Vorgehensweise in einer angloamerikanischen Hauptverhandlung, in der der Zeuge gleich von der Partei befragt wird, die ihn benannt hat („examination-in-chief), und er danach von der Gegenpartei in das Kreuzverhör genommen wird („cross-examination") 11*. Nach herrschender Ansicht fuhrt eine Abweichung von § 69 Abs. 1 und 2 StPO allerdings schon bei reinen Inlandsachverhalten nicht zu einem Beweisverwertungsverbot. Sie kann im Rahmen der Revision (mit mäßigen Erfolgsaussichten) nur im Zusammenhang mit der Aufklärungsrüge, also der Behauptung eines Verstoßes gegen § 244 Abs. 2 StPO geltend gemacht werden 779 . Dementsprechend wird einer Abweichung bei kommissarischen Vernehmungen im Ausland keine besondere Bedeutung beigemessen. § 69 Abs. 1 StPO gelte nicht für ausländische Vernehmungsbeamte 780, vielmehr sei auch hier die Beachtung der örtlichen VernehmungsVorschriften hinzunehmen781. Auch eine Pflicht zur Hinwirkung durch deutsche StrafVerfolgungsorgane auf eine § 69 Abs. 1 und 2 StPO entsprechende Vorgehensweise wird verneint 782 . Ein deutscher Richter brauche einem ausländischen Richter nicht bei der Anwendung ausländischer Verfahrensvorschriften zu helfen oder gar die Geeignetheit oder Ungeeignetheit bestimmter ausländischer Vorschriften aus deutscher Sicht darzulegen 783 . Dem ist nur teilweise zuzustimmen. Im zweiten Teil dieser Arbeit wurde bereits ausgeführt, dass auf die Einhaltung von Vorschriften, die in Hinblick auf den Schutz des Angeklagten auch in Deutschland keine größere Bedeutung zugemessen wird, nicht hingewirkt zu werden braucht 784 . Eine solche Vorschrift ist in § 69 Abs. 1 und 2 StPO zu sehen, da sie vor allem der Wahrheitsfindung dienen soll. Aus dem Schutz der Wahrheitsfindung heraus lässt sich nach der hier vertretenden Auffassung kein Beweisverwertungsverbot herleiten 785 . Wenn ein deutsches Gericht jedoch ausdrücklich um eine von § 69 Abs. 1 und 2 StPO abweichende Gestaltung der Vernehmung ersucht, kann ein

778

Siehe oben Seite 150. BGH MDR 1951, S. 658; OLG Düsseldorf NStZ 1997, S. 122; Dahs bei Löwe/Rosenberg, § 69 StPO, Rn. 16; Meyer-Goßner, § 69 StPO, Rn. 12 ff.; a.A. Senge bei Karlsruher Kommentar, § 69 StPO, Rn. 8, der aber bei mangelnder Beeinträchtigung der Wahrheitserforschung den Beruhenszusammenhang verneint. 780 BGH 1 StR 362/70 bei Dallinger, MDR 1971, S. 897; BGH 3 StR 236/80 bei Holtz MDR 1981, S. 632. 781 BGHR, StPO § 69 Abs. 1 S. 1, Rechtshilfevernehmung 1, Ausland. 782 BGH GA 1976, S. 218 (219); vgl. auch Wilkitzki bei Grützner/Pötz, Vor § 68 IRG, Rn. 15, Fn. 10 b; a.A.: RG HRR 1938, Nr. 637; Rose, Der Auslandszeuge, S. 240 f. mit ausführlicher Begründung. 783 BGHR, StPO § 69 Abs. 1 S. 1, Rechtshilfevernehmung 1, Ausland. 784 Siehe oben Seite 121. 779

785

Siehe oben Seite 68 ff.

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3. Teil: Fallgruppen

Verstoß gegen § 244 Abs. 2 StPO nicht ausgeschlossen sein 786 . Ebenso kann man von einem bei der Vernehmung anwesenden Mitglied des erkennenden Gerichts die Bitte um anderweitige Vernehmungsgestaltung erwarten, wenn zum Beispiel dem Auslandszeugen lediglich eine frühere Aussage vorgelesen werden soll, um ihn danach zu fragen, ob er diese aufrecht erhalte 787 . In jedem Fall ist aber der geminderte Beweiswert einer so zustande gekommenen Aussage zu berücksichtigen.

d) Anwendung von nach §§ 69 Abs. 3, 136 a StPO verbotener Vernehmungsmethoden Die Anwendung verbotener Vernehmungsmethoden wird vor allem im Zusammenhang mit Beschuldigtenvernehmungen diskutiert. Die Parallelproblematik bei Zeugen soll deshalb erst dort mitbehandelt werden, so dass hier noch auf die späteren Ausführungen verwiesen werden muss 788 .

e) Abweichungen bei den Vereidigungsvorschriften Zu untersuchen ist nun, welche Probleme im Rahmen der Vereidigung von Zeugen auftreten können und wie diese gegebenenfalls zu lösen sind. Das deutsche Strafverfahrensrecht ging bis vor kurzem von der grundsätzlichen Vereidigung eines Zeugen aus 789 , wobei die in § 61 StPO a.F. geregelten Ausnahmen in der Praxis fast den Regelfall darstellten. Durch die Änderungen im Wege des Justizmodernisierungsgesetzes vom 28. August 2004 werden heute gem. § 59 Abs. 1 StPO n.F. die Zeugen nur noch dann vereidigt, wenn das Gericht dies wegen der ausschlaggebenden Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahren Aussage nach seinem Ermessen für notwendig erachtet 7 9 0 ' 7 9 1 . Bei den hier untersuchten Länderbeispielen wurden einige Un786

Nagel, Beweisaufnahme im Ausland, S. 284, vgl. auch RG HRR 1938, Nr. 637. So für den konkreten Fall: Rose, Der Auslandszeuge, S. 241. 788 Siehe Seiten 219 ff. 789 Dies galt gem. § 223 Abs. 3 StPO a.F. auch für kommissarische Vernehmungen. Nur bei der richterlichen Vernehmung im Ermittlungsverfahrens war die Vereidigung auch von Gesetzes wegen (§ 65 StPO a.F.) die Ausnahme. 790 Vgl. die entsprechenden Regelungen in § 62 StPO a.F. und § 48 Abs. 1 OWiG a.F. Für die Beantwortung der Frage, inwieweit bei Inlandssachverhalten die Nichtvereidigung noch revisibel ist, kann auf die alte Rechtsprechung zu den obigen Vorschriften zurückgegriffen werden. Das völlige Fehlen einer protokollersichtlichen Entscheidung begründet die Revision (OLG Düsseldorf NStE Nr. 1 zu § 48 OWiG a.F.). Sonst kann eine Rüge dann erfolgsversprechend sein, wenn die Entscheidung auf rechtlich unzulässigen Erwägungen oder auf Ermessensmissbrauch beruht. Das Gericht 787

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

193

terschiede zur deutschen Rechtslage deutlich, die sowohl das „ob" als auch das „wie" der Vereidigung betreffen. In Deutschland ist der Eid - um mit dem „wie" zu beginnen - gem. § 59 Abs. 2 S. 1 StPO n.F. nach der Vernehmung zu leisten. Andere Rechtsordnungen, wie die von England oder auch die von Österreich (bei Vernehmungen im Rahmen der Hauptverhandlung), schreiben dagegen einen Voreid vor 7 9 2 . Problematisch ist, wie eine solche im Ausland erfolgte Vereidigung zu bewerten ist. Auch wenn eine vorherige Vereidigung nach der deutschen Rechtsordnung nicht zulässig ist, muss auch hier gelten, dass es im Rahmen von Vernehmungen im Ausland lediglich auf die Einhaltung der dortigen Vorschriften ankommt 793 . Die Verwertung der aus der Vernehmung gewonnenen Erkenntnisse ist also zulässig 794 . Eine andere Frage ist jedoch, ob das deutsche Gericht eine so zustande gekommene Aussage auch als eidliche Aussage verwerten darf, ihr also wegen des Eides eine besondere Glaubhaftigkeit beimessen kann. Im Rahmen der Beweiswürdigung werden Abweichungen des ausländischen Rechts von deutschen Vorschriften durchaus relevant. Die besondere Glaubhaftigkeit einer eidlichen Aussage resultiert einerseits aus einer höheren Strafandrohung, was vom Zeitpunkt der Eidesleistung eigentlich nicht abhängt. Die nachträgliche Eidesleistung ist aus deutscher Sicht aber vor allem deshalb sinnvoll, da oft erst nach einer Vernehmung die Zweckmäßigkeit und die Zulässigkeit einer Vereidigung zutreffend beurteilt werden kann 795 . Bei einer nachträglichen Vereidigung hat der Zeuge auch noch die Möglichkeit, unrichtige Angaben vor der Eidesleistung zu korrigieren 796 , das Verantwor-

darf sich auch nicht widersprüchlich verhalten. Dies wäre dann der Fall, wenn es den Zeugen mit der Begründung unvereidigt lässt, dass dessen Aussage keine ausschlaggebende Bedeutung zugemessen werde, im Urteil sich aber dennoch maßgeblich auf diese Aussage stützt (OLG Stuttgart NStZ 1981, S. 486 zu §48 OWiG a.F.), wobei „ausschlaggebend" eine gewisse Steigerung gegenüber „wesentlich" in § 61 Nr. 3 StPO a.F. bedeutet [BGHSt. 1, S. 8 (11)]. Problematisch ist jedoch jeweils die Nachweisbarkeit, da das Gericht nicht gezwungen ist, seine Entscheidung zu begründen. 791 Bei einer kommissarischen Vernehmung entscheidet der vernehmende Richter über die Vereidigung, wovon trotz der Streichung von § 66 b Abs. 1 StPO a.F. weiterhin auszugehen ist. Wenn das erkennende Gericht eine Vereidigung verlangt, muss diese jedoch, falls sie zulässig ist, gem. § 63 StPO n.F. vorgenommen werden. Das erkennende Gericht kann auch nachträglich um die Vereidigung ersuchen. Nach dem Wegfall von § 66 b Abs. 3 StPO a.F. kann es allerdings nicht mehr mit bindender Wirkung eine uneidliche Vernehmung verlangen. 792

Siehe oben Seiten 150 und 159. BGH NStZ 2000, S. 547. 794 A.A. Thien, Zeugenvernehmung im Ausland, S. 48. 795 Paulus bei K M R (Stand vor Mai 2004), § 59 StPO, Rn. 9; vgl. zur Entstehungsgeschichte des Nacheids: Dahs bei Löwe/Rosenberg, § 59 StPO. 796 Paulus bei K M R (Stand vor Mai 2004), § 59 StPO, Rn. 9. 793

194

3. Teil: Fallgruppen

tungsbewusstsein kann nochmals wachgerüttelt werden. Letzteres trägt ebenfalls im Zusammenspiel mit einer deutlichen Erhöhung der Straferwartung zur besonderen Glaubhaftigkeit bei. Einer im Voraus beeideten Aussage kann damit nicht die gleiche Bedeutung zugemessen werden, wie einer nachbeeideten. Sie ist somit lediglich wie eine uneidliche Aussage zu bewerten 797 . Eine Regelvereidigung im Ausland, die in Deutschland lediglich wegen des Ausnahmecharakters des § 59 Abs. 1 StPO nicht erfolgt wäre, ist dagegen für sich gesehen unschädlich. Die Tatsache, dass im Ausland die Wahrheit mit stärkeren Mitteln erforscht wird als im Inland, kann sich nicht per se negativ auswirken 798 . Fraglich ist aber, welche Folgen eine im Ausland erfolgte Vereidung hat, die in Deutschland verboten oder zumindest nicht erzwingbar gewesen wäre. So sind in England alle Zeugen, außer Kinder, zu vereidigen 799 . Ein Verbot der Vereidigung, vergleichbar zum Beispiel mit § 60 Nr. 2 StPO, existiert also nicht. In der österreichischen Rechtsordnung ist die Vereidigung wie nunmehr auch in Deutschland - die Ausnahme, und es gibt auch zwingende Eideshindernisse. Sie kennt aber kein Eidesverweigerungsrecht i.S.d. § 61 StPO n.F. und dementsprechend auch keine diesbezügliche Belehrung 800 . Wenn nun eine Vereidigung erfolgt ist, die in Deutschland verboten oder nicht erzwingbar gewesen wäre, stellt sich die Frage, welche Rechtsfolge daran zu knüpfen ist. In Verfahren mit reinem Inlandsbezug sind solche Verstöße gegen Vereidigungsvorschriften grundsätzlich revisibel 801 . Wenn das Gericht jedoch die Aussage als uneidliche würdigt und in der Hauptverhandlung den Beteiligten auch einen entsprechenden rechtlichen Hinweis gibt, wird im Allgemeinen der Beruhenszusammenhang verneint 802 . Bei einer im Ausland rechtmäßigen Vereidigung begründet die Nichteinhaltung deutscher Vorschriften nicht einmal einen Ver-

797

So im Ergebnis auch BGH, NStZ 2000, S. 547. Selbst im Inland kann die Revision nicht darauf gestützt werden, dass eine Vereidigung erfolgte, obwohl die Voraussetzungen des § 59 Abs. 1 S. 1 StPO n.F. nicht vorgelegen haben (vgl. Dahs bei Löwe/Rosenberg, § 62 StPO a.F., Rn. 16; Göhler, § 48 OWiG a.F., Rn. 4). Dies muss erst recht gelten, wenn ausländische Strafverfolgungsorgane die für sie maßgeblichen Vorschriften eingehalten haben. Wurde der Eid im Ausland in Form eines Nacheids geleistet, ist diese Vernehmung auch als eidliche in Deutschland verwertbar, solange jedenfalls die Auskunftsperson aus deutscher Sicht nicht generell als ungeeignet zur Eidesleistung anzusehen ist. 798

799

Siehe oben Seite 150. Siehe oben Seite 159. 801 Zu den Einzelheiten vgl. Senge bei Karlsruher Kommentar, § 60 StPO, Rn. 37 ff; § 63 StPO a.F., Rn. 9; vgl. auch § 61 StPO a.F., Rn. 31 f f und § 66 b StPO a.F., Rn. 1 ff.; siehe dagegen oben Fußnote 798. 802 BGH NStZ 1986, S. 130; BGHR-StPO, § 60 Nr. 2, Vereidigung 1 bis 3. 800

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

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fahrensverstoß 803. Trotzdem sind auch hier Abweichungen im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Sieht die deutsche Rechtsordnung die von § 60 StPO umfasste Personengruppe als nicht geeignet an, Eide abzulegen, so kann ihren im Ausland beeideten Aussagen in einem deutschen Strafverfahren auch keine besondere Glaubhaftigkeit eingeräumt werden. Einen entsprechenden rechtlichen Hinweis wird man jedoch nicht verlangen können, da das deutsche Gericht hier keinen Verfahrensfehler zu heilen hat 8 0 4 . Bei der unterlassenen Belehrung über ein Eidesverweigerungsrecht i.S.d. § 61 StPO n.F. wird bei Inlandssachverhalten ebenfalls eine Heilung angenommen, wenn die Aussage als unvereidigte verwertet wird 8 0 5 . Ist die Vereidigung nun im Ausland ohne eine solche Belehrung, aber mangels eines Eidesverweigerungsrechts nach dortigem Recht rechtmäßig erfolgt, wird man auch annehmen müssen, dass das Gericht die Aussage nur als uneidliche verwerten darf. Parallel zur Argumentation bei den Zeugnisverweigerungsrechten 806 ist davon auszugehen, dass ein deutsches Gericht generell keinen Anspruch auf die Verwertung einer quasi erzwungenen Eidesleistung eines Angehörigen hat. Eine im Ausland rechtmäßig erfolgte eidliche Aussage ist somit trotzdem in einem deutschen Strafverfahren nur als uneidliche zu verwerten, wenn die Vereidigung nach deutschem Recht gegen ein Verbot verstoßen hätte oder nicht erzwingbar gewesen wäre. Als letzter Problempunkt ist noch die Konstellation zu untersuchen, in der im Ausland eine Vereidigung entsprechend den dortigen Vorschriften unterblieben ist, obwohl das Gericht gem. § 63 StPO n.F. die nach deutschem Recht zulässige Vereidigung ausdrücklich verlangt hat. Hier gilt wiederum der Grundsatz, dass bei Vernehmungen im Ausland das ausländische Verfahrensrecht maßgeblich ist. Unterbleibt nach den dortigen Vorschriften eine Vereidigung, liegt kein Verfahrensfehler vor 8 0 7 . Hinwirkungspflichten deutscher Strafverfolgungsorgane zur Herbeiführung einer Vereidigung wird man aufgrund der neuen Rechtslage in Deutschland kaum noch annehmen können 808 . Sie gingen auf jeden Fall nicht so weit, dass von deutscher Seite aus um eine Vernehmung

803 BGH, NStZ 2000, S. 547; anders wenn über völkerrechtliche Vereinbarungen Vorschriften der deutschen Strafprozessordnung Anwendung finden, BGH NStZ 1996, S. 609, mit Anmerkung Rose, NStZ 1998, S. 154. 804 BGH, NStZ 2000, S. 547. 805 OLG Düsseldorf NStZ 1984, S. 182; anders wenn nicht auszuschließen ist, dass die Eidesleistung das Urteil mit beeinflusst hat, BGH NStZ 1987, S. 84. 806 Siehe oben Seite 188. 807 BGH GA 1976, S. 218 (220). 808 Siehe auch Seite 192, Fußnote 790.

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3. Teil: Fallgruppen

in einem speziellen schweizerischen Kanton ersucht werden müsste, der eine Vereidigung erlaubt 809 .

f) Verwertung persönlicher Eindrücke bei kommissarischen Vernehmungen Bei einer kommissarischen Vernehmung kann es sich ergeben, dass ein anwesendes Mitglied des erkennenden Gerichts aber auch sonstige Beteiligte persönliche Eindrücke vom Zeugen gewinnen oder besondere Beobachtungen machen, die für das Verfahren von Bedeutung sind 810 . Die Frage, inwieweit solche Eindrücke verwertet werden können, insbesondere wie sie in die Hauptverhandlung einzuführen sind, stellt sich zwar bei jeder kommissarischen Vernehmung, unabhängig davon, ob sie im Ausland oder Inland, durch einen beauftragten oder ersuchten Richter vorgenommen wurde. Dementsprechend wurde das Problem in Rechtsprechung und Schrifttum schon weitgehend ausdiskutiert 811 , es soll hier jedoch der Vollständigkeit halber ebenfalls kurz dargestellt werden. Theoretisch immer möglich ist es, einen bei der Vernehmung im Ausland anwesenden Richter oder anderen Verfahrensbeteiligten über seine Beobachtungen als Zeugen zu vernehmen. Dieser Weg ist aber recht unpraktikabel, da der Richter fortan nach § 22 Nr. 5 StPO ausgeschlossen wäre und es wohl an die Grenzen der Kapazitäten der Justiz stoßen würde, bei jedem Verfahren mit Auslandsbezug den Ergänzungsfall mit einzukalkulieren 812 . Auch die Vernehmung des Staatsanwalts als Zeugen führt dazu, dass er nicht weiter als Sitzungsvertreter in dieser Sache auftreten darf, da er ansonsten im Schlussvortrag seine eigene Aussage würdigen müsste 813 , wobei hier immerhin die Hauptverhandlung mit einem anderen Sitzungsvertreter fortgeführt werden kann. Nur die Vernehmung des wohl regelmäßig anwesenden Dolmetschers dürfte hier problemlos möglich sein.

809 BGH GA 1976, S. 218 (220), wo die Revision erfolglos rügte, dass der Zeuge auf entsprechendes deutsches Ersuchen statt im Kanton Aargau im Kanton Zürich hätte vernommen und vereidigt werden können. 810 Vgl. Gollwitzer bei Löwe/Rosenberg, § 223 StPO, Rn. 40. 811 BGHSt 2, S. 1 (2 f.); BGH bei Holtz, MDR 1977, S. 108; BGH NStZ 1983, S. 182, OLG Koblenz, MDR 1980, 689; BGH NStZ 1989, S. 382, mit Anmerkung Itzel; Nagel, Beweisaufnahme im Ausland, S. 292 ff.; Rose, Der Auslandszeuge im Beweisrecht des deutschen Strafprozesses, S. 245 ff; Gollwitzer bei Löwe/Rosenberg, § 223 StPO, Rn. 34; Tolksdorf bei Karlsruher Kommentar, § 223 StPO, Rn. 22; Wilkitzki bei Grützner/Pötz, Vor § 68 IRG, Rn. 8, Fn. 5a, Rn. 16. 812 BGHSt 2, S. 1 (3); vgl. Itzel, Anmerkung zu BGH v. 18.1.1989, NStZ 1989, S. 383. 813 BGHSt 14, S. 265 (266); BGHSt 21, S. 85 (89 f.); BGH NStZ 1983, S. 135.

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

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Feststellungen über das Verhalten der Zeugen können aber auch gleich in das Vernehmungsprotokoll aufgenommen werden. Wird die Vernehmung von einem ausländischen Organ vorgenommen, so kann ein anwesender Richter des erkennenden Gerichts oder ein sonstiger Verfahrensbeteiligter eine solche Aufnahme auch anregen. Wird ein solcher Vermerk im Protokoll gemacht, kann er in der Hauptverhandlung mit verlesen werden, so dass dann auch die beobachteten Verhaltensweisen des Zeugen in die Beweiswürdigung miteinfließen können 814 . Hier ist eine Parallele zur richterlichen Augenscheinnahme i.S.d. § 225 StPO erkennbar, deren Protokoll ebenfalls durch Verlesung - hier nach § 249 Abs. 1 S. 2 StPO - eingeführt werden kann. Der Aufiiahme solcher Beobachtungen ins Protokoll sind jedoch praktische Grenzen gesetzt. Nicht immer dürften anwesende Richter des erkennenden Gerichts oder andere Verfahrensbeteiligte wirklich Einfluss auf die Art und den Inhalt der Protokollierung der Aussage haben 815 . Eine synchrone Protokollierung aller Vorgänge kann überdies die Durchführung einer zusammenhängenden Vernehmung erheblich stören. Darüber hinaus vermag nicht alles, was hinsichtlich der Glaubwürdigkeit eines Zeugen und der Zuverlässigkeit der Aussagen relevant ist, verbalisiert und protokollmäßig umfänglich erfasst werden 816 . Umstritten ist deshalb, ob nicht auch Wahrnehmungen eines bei der Vernehmung anwesenden Mitglieds des erkennenden Gerichts, welche keinen Eingang ins Protokoll gefunden haben, als gerichtskundig angesehen werden dürfen. Beobachtungen, die ein Richter im Rahmen der Hauptverhandlung macht, sind verwertbar, auch wenn der konkrete Umstand nicht allen teilnehmenden Richtern aufgefallen ist 8 1 7 . Vor allem mit praxisbezogenen Argumenten wird versucht, die Anwendbarkeit dieses Grundsatzes auch auf kommissarische Vernehmungen zu begründen. Es mache wenig Sinn, einen Richter des erkennenden Gerichts mit der Teilnahme an einer außerhalb der Hauptverhandlung stattfindenden Beweisaufnahme zu beauftragen, dann jedoch zu verlangen, dass er seinen dabei gewonnenen Eindruck verdrängt 818 . Mit einer Verwertbarkeit als gerichtskundige Tatsachen, welche in der Hauptverhandlung erörtert werden müssen819, werde vermieden, dass von einem Richter des erkennenden Gerichts gemachte Beobachtungen „apokryph" die Beweiswürdigung beeinflussen 820. Zudem könne so ein Gegengewicht zu eventuellen Mängeln im ausländischen 814

BGHSt 2, S. 1 (3); BGH NStZ 1983, S. 182. Nagel, Beweisaufnahme im Ausland, S. 294. 816 Itzel, Anmerkung zu BGH v. 18.1.1989, NStZ 1989, S. 383. 817 BGHSt 34, S. 109(110). 818 Gollwitzer bei Löwe/Rosenberg, § 223 StPO, Rn. 42; Foth, Beobachtungen des beauftragten Richters, MDR 1983, S. 716; Itzel, a.a.O., S. 383 f.; Nagel, a.a.O., S. 293 f. 819 Vgl. BGH NStZ 1995, S. 246. 820 Gollwitzer bei Löwe/Rosenberg, § 223 StPO, Rn. 42. 815

198

3. Teil: Fallgruppen

Protokoll geschaffen werden 821 . Diese Ansicht hat sich jedoch in der Rechtsprechung und im Schrifttum nicht durchsetzten können 822 . Eine Verwertung nichtprotokollierter Beobachtungen verbiete sich wegen § 261 StPO, nach dem das Urteil nur auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung beruhen darf 823 . Ferner seien mündliche Bekundungen eines Richters in der Hauptverhandlung über seine Beobachtungen nun mal eine Zeugenaussage mit der Konsequenz seines Ausscheidens nach § 22 Nr. 5 StPO. Diese (nicht nur) dogmatischen Bedenken dürften wohl hier wirklich überwiegen. Zwar sind die praktischen Erwägungen aus der Sicht des Gerichts sehr gut nachvollziehbar. Die Annahme der Gerichtskundigkeit bestimmter Tatsachen führt jedoch immer zur Verkürzung von Beweisrechten des Angeklagten. Würde man sie hier zulassen, so müsste man sich konsequenterweise auch die Frage stellen, warum bei Vernehmungen oder Augenscheinsnahmen außerhalb der Hauptverhandlung allgemein überhaupt Protokolle erstellt werden müssen, wenn sie durch den beauftragten Richter durchgeführt werden oder ein solcher zumindest anwesend ist. Persönliche Eindrücke vom Zeugen und sonstige Beobachtungen sind damit nur dann verwertbar, wenn sie entweder ins Vernehmungsprotokoll aufgenommen und in der Hauptverhandlung mit verlesen worden sind oder wenn eine bei der Vernehmung anwesende Person in der Hauptverhandlung als Zeuge über ihre Beobachtungen vernommen wurde.

IV. Verwertung von Geständnissen 1. Einführung in die Hauptverhandlung Da gegen einen abwesenden Angeklagten eine Hauptverhandlung nicht durchgeführt wird, beschränkt sich die Problematik ausschließlich auf vor der Hauptverhandlung abgegebene Geständnisse oder anderweitige Einlassungen des Angeklagten. Deren Einführung in die Hauptverhandlung muss in der Regel durch die Vernehmung der Verhörsperson, meistens des vernehmenden Polizeibeamten aus dem Ermittlungsverfahren, erfolgen. Nur bei richterlichen Protokollen kommt eine Verlesung gem. § 254 Abs. 1 StPO in Betracht. Andere Protokolle können allenfalls nach § 254 Abs. 2 verlesen oder zum Vorhalt verwendet werden.

821

Nagel, a.a.O., S. 294. BGHSt 2, S. 1 (2 f.); BGH bei Holtz, MDR 1977, S. 108; BGH NStZ 1983, S. 182; BGH NStZ 1989, S. 382; OLG Koblenz MDR 1980, S. 689; Tolksdorf bei Karlsruher Kommentar, § 223 StPO, Rn. 22. 823 BGHSt 2, S. 1 (3). 822

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

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2. Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes bei Protokollverlesung gem. § 254 Abs. 1 StPO - Übertragbarkeit der zu § 251 Abs. 2 StPO n.F. vertretenen Grundsätze Auch in Bezug auf Geständnisse stellt sich die Frage, wann ein ausländisches Protokoll als richterliches i.S.d. § 254 Abs. 1 StPO anzusehen ist. Hinsichtlich der Zeugenaussagen wurde oben vertreten, dass sich die Einordnung einer ausländischen Vernehmung danach bestimmt, ob sie - unabhängig vom formalen Richterstatus der Verhörsperson - nach Funktion und Ablauf einer deutschen richterlichen Vernehmung gleichsteht 824 . Fraglich ist, ob sich diese Grundsätze auch auf Geständnisse übertragen lassen. In dem der Entscheidung BGH NStZ 1994, S. 595 zugrunde liegenden Verfahren legten der Angeklagte und ein Mittäter, beide deutsche Staatsangehörige, welche Straftaten in der Schweiz begangen hatten, gegenüber der zuständigen Amtsstatthalterin des Kantons Luzern jeweils ein Geständnis ab. Nach Abschluss des dortigen Untersuchungsverfahrens wurden beide nach Deutschland abgeschoben und die schweizerischen Behörden ersuchten die Bundesrepublik um Übernahme der Strafverfolgung. Die spätere Verlesung der schweizerischen Vernehmungsniederschriften gem. § 254 Abs. 1 StPO wurde vom Bundesgerichtshof für zulässig erachtet. Dabei sah das Gericht keine Rechtfertigung, was die Stellung der ausländischen Verhörsperson angeht, zwischen den Fällen des § 251 Abs. 2 StPO n.F. und denen des § 254 Abs. 1 StPO grundsätzlich zu unterscheiden 825. Nach einer ausführlichen Würdigung der Aufgaben und Stellung eines Amtsstatthalters im Kanton Luzern wurde die Gleichwertigkeit vor allem aufgrund der Beweisbedeutung, die der Niederschrift über eine Vernehmung durch den Amtsstatthalter im dortigen StrafVerfahrensrecht zukommt, bejaht 826 . Diese Argumentation wurde teilweise kritisiert 827 . Die für § 251 Abs. 2 StPO n.F. entwickelten Grundsätze seien hier nicht voll übertragbar, sie müssten vielmehr für § 254 Abs. 1 StPO zum Schutze des Beschuldigten restriktiver gefasst werden. Die verfahrensrechtliche Konzeption, die in bestimmten Einzelfällen ausschließlich auf den Richter als Vernehmungsperson abstellt, habe nicht bloß formalen Charakter und der deutsche Gesetzgeber gehe ersichtlich davon aus, dass im Hinblick auf die Ordnungsgemäßheit des Verfahrens der richterlichen Vernehmung ein höherer Stellenwert zukomme 828 . Deshalb sei zu erwägen, dass 824

Siehe oben Seiten 171 ff. BGH NStZ 1994, S. 595 f., mit Anmerkung Wohlers, NStZ 1995, S. 45; ebenso BGHR-StPO, § 254 I Vernehmung, richterliche 3, für den Bezirksanwalt in Zürich; Meyer-Goßner, § 254, Rn. 4 StPO. 826 BGH NStZ 1994, S. 595. 827 Britz, Anmerkung zu BGH vom 10.8.1994, NStZ 1995, S. 607. 825

828

Britz, a.a.O., S. 607 (608).

200

3. Teil: Fallgruppen

nur die Protokollierung einer Vernehmung durch einen Richter im Sinne des deutschen Verfahrensrechts im Rahmen des § 254 Abs. 1 StPO verlesen werden dürfe. Bei inländischen Zeugenvernehmungen sind die Unterschiede zwischen richterlichen und nichtrichterlichen Vernehmungen vor allem in Hinblick auf die Rechte der Verfahrensbeteiligten typischerweise doch recht deutlich. Trotzdem war nach der hier vertretenen Auffassung der Annahme eines funktionalen Richterbegriffs bei Zeugenvernehmungen zuzustimmen 829 . Bei einer Beschuldigtenvernehmung im Inland hingegen ist zum Beispiel die Teilnahmepflicht des Verteidigers und die Benachrichtigungspflicht keine Besonderheit der richterlichen Vernehmung 830 . Ein Beschuldigter kann auch bei einer richterlichen Vernehmung im Inland weder vereidigt noch wegen Falschaussage bestraft werden, so dass einer vor dem Richter abgegebenen Einlassung keine höhere Glaubhaftigkeit zukommen muss. Insgesamt bedeutet die richterliche Vernehmung im Inland für den Beschuldigten keinen besonderen Zuwachs von Verfahrensrechten. Dass bei ausländischen Beschuldigtenvernehmungen nun ein restriktiverer Richterbegriff gelten soll als bei ausländischen Zeugenvernehmungen, überzeugt somit nicht. Entscheidend wird auch hier sein, dass in Deutschland der Richter im Ermittlungsverfahren fast ausschließlich Aufgaben der Beweissicherung und des vorweggenommenen und nachträglichen Rechtsschutzes wahrnimmt. Wenn einem ausländischen Vernehmungsbeamten ähnliche Funktionen zukommen, er selbst nicht mit der Ermittlungstätigkeit befasst ist, sondern von ihm geführte Beschuldigtenvernehmungen nach dem Recht des Erhebungsortes vor allem den Zweck haben, als Beweisgrundlage im Hauptverfahren zu dienen 831 , dann wird man eine Verlesbarkeit nach § 254 Abs. 1 StPO in Deutschland bejahen können, auch wenn eine besondere richterliche Unabhängigkeit nicht gegeben sein mag. Die Frage des Eingreifens selbständiger Beweisverwertungsverbote aufgrund der Nichtgewährung in Deutschland bestehender Beschuldigtenrechte ist davon losgelöst zu behandeln.

3. Einzelne Problemkonstellationen unter besonderer Berücksichtigung möglicher Beweisverwertungsverbote Auch hier gilt es nun die oben bezüglich Beschuldigtenvernehmungen aufgeworfenen Problemkonstellationen zu untersuchen, wobei es insbesondere bei der Frage des Eingreifens von Beweisverwertungsverboten nicht mehr darauf 829

Siehe oben Seite 171 ff. Böse, Verwertung im Ausland gewonnener Beweismittel im deutschen Strafverfahren, ZStW 114 [2002], S. 148 (158 f.). 831 BGH NStZ 1994, S. 595 (596). 830

A. Zeugenaussagen und Geständnisse

201

ankommt, ob das Geständnis oder die anderweitige Einlassung des Beschuldigten über die Vernehmung der Verhörsperson oder durch Protokollverlesung in die Hauptverhandlung eingeführt werden soll. Ebenfalls kommt es hier zur Anwendung der im zweiten Teil dieser Arbeit entwickelten allgemeinen Grundregeh 8 3 2 .

a) Mittelbarer

Zwang zur Selbstbezichtigung

Als erste Problemkonstellation soll nun untersucht werden, wie sich ein nach ausländischem Recht bestehender, zumindest mittelbarer Aussagezwang auf die Verwertbarkeit eines so erlangten Geständnisses in Deutschland auswirkt. Für ein englisches Gericht ist es trotz grundsätzlicher Gewährleistung des Schweigerechts - wie oben gezeigt - in einem bestimmten Ausmaß möglich, sowohl aus dem Schweigen des Beschuldigten nach Belehrung auf der Polizeistation als auch aus dessen Schweigen in der Verhandlung selbst negative Schlüsse hinsichtlich seiner Schuld zu ziehen 833 . Kommt es aber zu einem Strafverfahren in Deutschland, sei es weil um Übernahme der Strafverfolgung gebeten wurde, der Beschuldigte ohnehin aufgrund eines Auslieferungshaftbefehls festgenommen und vernommen wurde oder aus anderen Gründen, dann stellt sich die Frage, ob überhaupt und gegebenenfalls inwieweit ein so erlangtes Geständnis zur Grundlage einer Verurteilung in Deutschland werden kann. Zur Klarstellung soll jedoch zunächst auf den Fall eingegangen werden, in dem der Beschuldigte trotz der eventuell zu befürchtenden Nachteile im Ausland schweigt. Die Frage der Verwertbarkeit eines solchen Schweigens in einem deutschen Strafverfahren ist eindeutig zu verneinen. Die Verwertung an sich ist ein Akt deutscher Hoheitsgewalt und ein deutsches Strafverfahren ist nach deutschem Recht zu führen 834 . Macht ein Angeklagter in vollem Umfang von seinem Schweigerecht Gebrauch, so dürfen daraus keine für ihn nachteiligen Schlüsse gezogen werden, wobei dem Schweigen auch das pauschale Bestreiten des Tatvorwurfs gleichgestellt wird 8 3 5 . Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob nun das Schweigen gegenüber inländischen oder ausländischen StrafVerfolgungsorganen erfolgt ist. Verwertbar ist nur das sogenannte Teilschweigen, also ein Aussageverhalten des Angeklagten, in dem er in einigen Teilpunkten an der Aufklärung mitwirkt, hinsichtlich derselben Tat in anderen 832

Siehe oben Seiten 83 ff., 121 f., 133. Siehe oben Seite 151. 834 Siehe oben Seite 96. 835 BVerfG NStZ 1995, S. 555; BGHSt 20, S. 281 (283); BGHSt 25, S. 365 (368); BGHSt 32, S. 140 (144); BGHSt 34, S. 324 (326); vgl. Meyer-Goßner § 261, Rn. 16 m.w.N. 833

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3. Teil: Fallgruppen

Punkten aber nicht 8 3 6 . Aus dem bloßen Aufschieben einer Einlassung dürfen wiederum aber keine negativen Schlüsse gezogen werden 837 . Der Beschuldigte soll nicht gezwungen sein, sich frühzeitig auf eine bestimmte Verteidigungsstrategie festzulegen. Es bestehen also eklatante Unterschiede zur Rechtslage in England, wo unter bestimmten Voraussetzungen das Schweigen vor Gericht und das Schweigen auf der Polizeistation zu bestimmten Spuren, mit denen der Beschuldigte konfrontiert wurde, allgemein, aber auch das anfängliche Verschweigen von Verteidigungsmitteln hinsichtlich dieser verwertbar ist 8 3 8 . Im eigentlich problematischen Fall hat der Beschuldigte nun im Ausland unter ebengenannten Bedingungen ausgesagt. Kommt es später nur zu einem Verfahren in Deutschland, hat ein Schweigen im Ausland, wie eben gezeigt, keine negativen Folgen für den Beschuldigten, die Gefahr der Selbstbelastung durch Schweigen verwirklicht sich nicht. Dies muss freilich nicht für jeden Einzelfall gelten, da das ausländische Verfahren auch zu Ende geführt worden sein kann, während sich das deutsche Verfahren auf eine andere Tat bezieht 839 . Dennoch muss man sich zumindest für den Regelfall die Frage stellen, ob es nicht für ein deutsches Strafverfahren völlig irrelevant sein kann, wozu ein ausländisches Gericht im Falle einer dortigen Aburteilung ein Schweigen genutzt hätte. Würde man das deutsche Verbot, aus dem Schweigen Schlüsse zu ziehen, allein aus dem Nichtbestehen des Erfahrungssatzes herleiten, dass nur der Schuldige schweige, dann wäre eine solche Ansicht durchaus begründbar. Hinter dem deutschen Verbot steckt aber mehr. Die deutsche Rechtsordnung gewährt dem Beschuldigten ein umfassendes Schweigerecht, welches unter anderem grundrechtlich durch Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG geschützt ist 8 4 0 . Müsste der Beschuldigte befürchten, dass sein Schweigen in die Beweiswürdigung zu seinem Nachteil einfließen könnte, so ist dieses Schweigerecht aus deutscher Sicht beschränkt, denn er wäre, um diesen Nachteil zu entgehen, gezwungen, doch auszusagen841. Fraglich ist nun, welche Schlüsse daraus für

836 BGHSt 32, S. 140 (145); ausführlich: Miebach, Der teil schweigende Angeklagte, NStZ 2000, S. 234 m.w.N.; a.A.: Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 907 ff. 837 BGHSt 20, S. 281 (283); BGHSt 38, S. 302 (305); BGH NStZ 1997, S. 147; BGHSt 45, 367. 838 Siehe oben Seite 151, insbesondere Fußnote 572. Solche Regelungen sind nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte grundsätzlich mit Art. 6 EMRK noch vereinbar (EGMR, John Murray vs. Vereinigtes Königreich, EuGRZ 1996, S. 587). 839 Bei identischem Tatvorwurf wird neuerdings durch Anwendbarkeit der Art. 54 ff. SDÜ im Verhältnis zu Großbritannien ein Prozesshindernis greifen (siehe dazu Seite 154, Fußnote 589). 840 BVerfGE 56, S. 37 (41 f.) („