Verwaltungsautomation 2.0.: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen. [1 ed.] 3428189647, 9783428189649

Die technischen Möglichkeiten entwickeln sich rasant und damit auch die Möglichkeiten Verwaltungsakte automatisiert zu e

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German Pages 325 [328] Year 2023

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Verwaltungsautomation 2.0.: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen. [1 ed.]
 3428189647, 9783428189649

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1511

Verwaltungsautomation 2.0 Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen Von

Daniel Busche

Duncker & Humblot · Berlin

DANIEL BUSCHE

Verwaltungsautomation 2.0

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1511

Verwaltungsautomation 2.0 Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

Von

Daniel Busche

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat diese Arbeit im Jahr 2023 als Dissertation angenommen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 61 Alle Rechte vorbehalten © 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI Books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-18964-9 (Print) ISBN 978-3-428-58964-7 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Max

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf im Wintersemester 2022/23 als Dissertation angenommen. Sie entstand während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der dortigen Professur für Öffentliches Recht (Prof. Dr. Lothar Michael). Literatur und Rechtsprechung sind auf dem Stand von April 2023. Mein tiefer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Lothar Michael. Für das Maß an Freiheit, das er mir gewährte, die stete Diskussionsbereitschaft und die vielfältigen Denkanstöße, mit denen er den gesamten Schaffensprozess begleitet hat. Insbesondere sein präziser Blick für Verbesserungspotenzial und der konstruktive Austausch haben ganz erheblich zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Ganz herzlich danke ich Prof. Dr. Charlotte KreuterKirchhof für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens, die anregende Diskussion im Rahmen meiner Disputation und die Bestärkung, meinen Weg in der Wissenschaft weiter zu verfolgen. Einen Dank aussprechen möchte ich auch der Studienstiftung des deutschen Volkes, die mein Promotionsvorhaben – wie bereits meine Studienzeit – mit einem Stipendium ideell und finanziell gefördert hat. Als besonders hilfreich habe ich den dadurch ermöglichten interdisziplinären Austausch mit anderen Doktoranden empfunden. Dem Freundeskreis der Düsseldorfer Juristischen Fakultät e. V. danke ich für die finanzielle Unterstützung bei der Veröffentlichung. Bedanken möchte ich mich bei allen Freundinnen und Freunden, die mich bei der Erstellung der Arbeit auf vielfältige Art und Weise unterstützt haben. Sei es durch privaten Zuspruch, inhaltlichen Austausch oder ganz konkret durch die kritische Durchsicht des Manuskripts. Für Letzteres schulde ich Laura Heinlein, Dr. Max Lohrmann, Dr. Miriam Stall, Neele Lautner, Sarah Dersarkissian, Dr. Tillmann Horter und Vanessa Teckenburg besonderen Dank. Ein besonders großer Dank gebührt meiner Familie, deren Rückhalt mir die Freiheit gab, meine Interessen zu entfalten und auf deren Unterstützung ich mich auch in schwierigen Zeiten immer verlassen konnte. Ihnen und insbesondere Max ist diese Arbeit in Dankbarkeit gewidmet. Düsseldorf im Juli 2023

Daniel Busche

Inhaltsverzeichnis

Einleitung 

19

A. Einführung in die Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1. Teil

Grundlagen der Verwaltungsautomation 

A. Begriffliche und technische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriffliche Eingrenzung der Verwaltungsautomation . . . . . . . . . . . . . . . 1 Ausgangspunkt: Einsatz automatischer Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . 2. Eingrenzung auf den automatisierten Erlass von Verwaltungsakten . . II. Technische Grundlagen: Algorithmen und maschinelles Lernen . . . . . . . . 1. Allgemeine Merkmale von Algorithmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Künstliche Intelligenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Maschinelles Lernen: Problemlösung mithilfe von Daten und Lernalgorithmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundlagen: Erfahrungswerte und Lernalgorithmen . . . . . . . . bb) Drei Arten des Lernens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Überwachtes Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Unüberwachtes Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Verstärkendes Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Determiniertheit und Vorhersehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erklärbarkeit und Interpretierbarkeit eines Algorithmenmodells . . b) Fortlaufende Anpassung von ML-Algorithmen . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unterschiedliche Einsatzorte für regelbasierte und ML-­ Algorithmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausblick: Problemlösungskompetenzen von ML-Algorithmen  . . . . . . a) Gegenwärtiger Stand: Begrenzte Problemlösungskompetenzen . . . b) Fähigkeiten und Grenzen von Large Language Models . . . . . . . . . c) ML-Algorithmen im Bereich hoheitlicher Tätigkeit . . . . . . . . . . . .

23 23 23 23 24 24 25 26 26 28 28 29 29 30 31 31 32 35 36 37 37 37 38 40

B. Rechtliche Grundlagen der Verwaltungsautomation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 I. Automatisiert erlassene Verwaltungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

8 Inhaltsverzeichnis 1. Einordnung als Verwaltungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2. Keine grundlegenden rechtlichen Einwände gegen die Verwaltungsautomation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 II. Anwendungsbereich der Vorschriften zu automatisiert erlassenen Verwaltungsakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1. Automatisierter Erlass von Verwaltungsakten im VwVfG . . . . . . . . . . 45 a) Erlass eines Verwaltungsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 b) Erlass mit Hilfe bzw. durch automatische Einrichtungen . . . . . . . . 47 c) Systematisches Verhältnis der §§ 28 Abs. 2 Nr. 4, 37 Abs. 5, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG zu § 35a VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 aa) Anwendungsbereich des § 35a VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 (1) Vollständigkeit = Fehlen einer personalen Bearbeitung in allen Verfahrensschritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 (2) Einschränkung des Anwendungsbereichs aus teleolo­ gischen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 bb) Anwendungsbereich der §§ 28 Abs. 2 Nr. 4, 37 Abs. 5, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2. Automatisierter Erlass von Verwaltungsakten im SGB X und der AO . 52 a) Vollständig automatisierter Verwaltungsakterlass . . . . . . . . . . . . . . 52 aa) Anwendungsbereich des § 31a S. 1 SGB X . . . . . . . . . . . . . . . 52 bb) Anwendungsbereich des § 155 Abs. 4 AO . . . . . . . . . . . . . . . . 53 b) Vorschriften zu Verfahrenserleichterungen im SGB X und der AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 III. Organisations- und verfahrensrechtliche Anforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 1. Zulassung durch Rechtsvorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 a) Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 aa) Erfordernis einer gesetzlichen Regelung ausgehend vom einzelnen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 bb) Erforderlichkeit einer allgemeinen Regelung der (Voll-)Automation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 b) Rechtssatzvorbehalt nach § 35a VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 aa) Vergleich mit § 31a S. 1 SGB X und § 155 Abs. 4 AO . . . . . . 61 bb) Zulassung durch Rechtsvorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 (1) Rechtsvorschrift = Gesetz im materiellen Sinne . . . . . . . . 63 (2) Keine ausdrückliche Ermächtigung des Verordnungs­ gebers erforderlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 cc) Anforderungen an den Inhalt der Rechtsvorschrift . . . . . . . . . 66 (1) Bestimmtheit der Rechtsvorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 (2) Ausdrückliche oder eindeutig erkennbare Zulassungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 dd) Verhältnis des § 35a VwVfG zum § 1 Abs. 1 a. E. VwVfG . . 68 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

Inhaltsverzeichnis9 2. Verfahrensrechtliche Anforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gegenwärtige Bedeutung verfahrensrechtlicher Erleichterungen . . aa) Absehen von der Namenswiedergabe und Verwendung von Schlüsselzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Absehen von der Begründung in automatisiert durchgeführten Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Technischer Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Restriktive Anwendung erforderlich . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Absehen von der Anhörung in automatisiert durchgeführten Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Technischer Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Restriktive Anwendung erforderlich . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Spezialregelungen im Bereich des Untersuchungsgrundsatzes . . . . aa) Berücksichtigungspflicht für einzelfallbedeutsame Angaben . . (1) Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung . . . . . . . . . (2) Indirekte Normierung einer Mitwirkungsobliegenheit . . . bb) Freitextfeld und Aussteuerungspflicht im Besteuerungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verhältnis zur Anhörungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Einsatz von Risikomanagementsystemen bei der Steuerfestsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Sonderfall: ML-Algorithmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verwaltungsaktqualität beim Einsatz von ML-Algorithmen . . . . . . . . . 2. Zulässigkeit des Einsatzes von ML-Algorithmen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) ML-Algorithmen im Bereich automatisiert erlassener Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gesetzmäßigkeit und demokratische Legitimation . . . . . . . . . . (1) Vereinbarkeit mit dem Gesetzmäßigkeitsprinzip . . . . . . . . (2) Demokratische Legitimation beim Einsatz von ML-Algorithmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bindung an überpositive Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Transparenz der ML-Algorithmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Unproblematische Einsatzbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Mögliche Kompensation durch geeignete Maßnahmen . . b) Exkurs: Einsatz von ML-Algorithmen zur Entscheidungsunterstützung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anwendbarkeit einfach-rechtlicher Vorschriften beim Einsatz von ML-Algorithmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71 71 71 72 72 73 75 75 75 76 77 77 78 78 80 80 81 82 84 85 87 87 88 89 91 94 95 96 97 100 102

10 Inhaltsverzeichnis 2. Teil

Spielräume der Verwaltung 

A. Die historische Entwicklung des Ermessensbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die vor- und frühkonstitutionellen Wurzeln  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Prägung durch Rechtsstaatslehren und Verwaltungsgerichtsgesetze . . . . . 1. Revision der Ermessenslehre aus Sicht der Rechtsstaatslehren . . . . . . 2. Entstehung der Verwaltungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Entwicklung der spätkonstitutionellen Ermessenslehre . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausklammerung tatbestandlicher Spielräume aus dem Ermessens­ begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Lehre vom unbestimmten Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tendenzielle Reduzierung des Ermessens auf die Wahl der Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einschränkung des Rechtsfolgeermessens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Übermaßverbot als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für Eingriffe . . b) Ermessensfehlerlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kritische Würdigung der spätkonstitutionellen Ermessenslehre . . . . . . . .

105 105 106 107 107 109 109 109 110 110 112 112 113 114

B. Spielräume in der herrschenden Verwaltungsrechtsdogmatik . . . . . . . . . . . . . 116 I. Grundlegende Begriffe und Unterscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 1. Ausgangspunkt: Beurteilungsspielraum auf Tatbestandsebene und Ermessen auf Rechtsfolgenseite  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 2. Unterscheidung zwischen „strikter“ und „gelockerter“ Gesetzes­ bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 II. Ermessen der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. Bedeutung der Ermessenseinräumung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Voraussetzungen der Ermessenseinräumung an die Verwaltung  . . . . . 120 3. Rechtliche Bindungen als Grenze des Ermessens . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 a) Ermessensfehler als Verletzung der rechtlichen Bindungen . . . . . . 121 b) Ermessensreduzierung auf Null . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 4. Ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 III. Unbestimmte Rechtsbegriffe und Beurteilungsspielräume . . . . . . . . . . . . 126 1. Unbestimmte Rechtsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 2. Begründungsansätze für die Annahme eines Beurteilungsspielraums . 127 a) Ausgangspunkt: Lehre vom Beurteilungsspielraum und Vertretbarkeitslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 aa) Lehre vom Beurteilungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 bb) Vertretbarkeitslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 cc) Fortentwicklung durch normative Ermächtigungslehre . . . . . . 130 b) Heute überwiegend vertretener Ansatz: Normative Ermächtigungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 aa) Begründungsansätze für die vollständige Überprüfbarkeit unbestimmter Rechtsbegriffe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

Inhaltsverzeichnis11 (1) Normtheoretischer Begründungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verfassungsrechtlicher Begründungsansatz . . . . . . . . . . . . bb) Beurteilungsspielraum durch normative Ermächtigung zur letztverbindlichen Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Einbeziehung des Gesetzgebers zur Bestimmung der Kompetenzgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kriterien zur Bestimmung einer normativen Ermächtigung im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Ausgangspunkt: Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Besondere Berücksichtigung funktionell-rechtlicher Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Herausbildung einer Kasuistik anerkannter Beurteilungsspielräume . . 4. Gerichtliche Überprüfung auf Beurteilungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bedeutung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Dogmatische Unterscheidung von Ermessen, unbestimmten Rechtsbegriffen und Beurteilungsspielräumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Maßgebliche Beeinflussung der normativen Ermächtigungslehre . . . . 3. Durchbrechung der strikten Trennung: Kopplungsvorschriften . . . . . . 4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Sonderfälle: Planungs- und Regulierungsermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Planungsermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regulierungsermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Ausblick auf die kritische Würdigung der dogmatischen Behandlung . . .

131 132 133 133 134 134 134 136 138 139 139 142 144 145 146 146 146 147

C. Kritische Überprüfungder dogmatischen Behandlung von Verwaltungsspielräumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 I. Unterschied zwischen Verwaltungsentscheidungen mit und ohne Spielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 1. (Vollständige) Determiniertheit der Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . 149 a) Ontologische Deutung der Theorie der einzig richtigen Entscheidung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 b) Zwischenergebnis: potenziell rechtsschöpferisches Element jeder Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 c) Deutung als Ergebnis einer pfadabhängigen Rezeptionsgeschichte . 153 2. Konsequenzen für das grundlegende Verständnis von Verwaltungsspielräumen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 a) Erste Möglichkeit: Prägung der gesamten Verwaltungstätigkeit . . . 161 aa) Begrenzung der gerichtlichen Kontrolle auf Vertretbarkeitsprüfung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (1) Kompetenz der Verwaltung zum Gesetzesvollzug sowie überlegene fachliche Eignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (2) Aufwertung des Verwaltungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . 163 bb) Grundsatz der Vollkontrolle ist verfassungsrechtlich geboten . 164 (1) Subjektiver Anspruch auf effektiven Rechtsschutz . . . . . . 165

12 Inhaltsverzeichnis (2) Systematik des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Gerichtliche Kontrolle auf Stichprobenkontrolle beschränkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Gewährleistung von Rechtssicherheit und Rechtsanwendungsgleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zweite Möglichkeit: Ablehnung von Verwaltungsspielräumen . . . . aa) Alleiniges Letztentscheidungsrecht der Gerichte im Rechtsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vereinbarkeit von Verwaltungsspielräumen mit dem Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dritte Möglichkeit: Verwaltungsspielräume als normativ zugewiesene Letztentscheidungsrechte der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . aa) Ausgangspunkt: funktionsgerechte Kompetenzabgrenzung . . . (1) Unterschiede in der faktischen Leistungsfähigkeit . . . . . . (2) Notwendige Flexibilität für sachangemessene Verwaltungstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rückgriff auf die normative Ermächtigungslehre . . . . . . . . . . cc) Normative Ermächtigungslehre mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gegenentwurf: Einheitliches Modell administrativer Spielräume . . . . . . . 1. Einheitlichkeit aller Verwaltungsspielräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Austauschbarkeit von Beurteilungsspielraum und Ermessen . . . . . aa) Normtheoretisch-semantische Austauschbarkeit . . . . . . . . . . . . bb) Durchbrechung der normstrukturellen Unterscheidung in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Phänomenologische Gleichartigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gleichartige Funktion: Konkretisierung offener Normen . . . . bb) Gleichartiger Vorgang: wertende Abwägung im Einzelfall . . . cc) Gleichartige Kontrolle: Abwägungskontrolle mit einheit­ licher Fehlertypologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Konsequenz: Annahme eines einheitlichen administrativen Spielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dogmatische Unterschiede und rechtstheoretische Ähnlichkeit . . . . . . a) Rechtstheoretische Perspektive: Einheitlichkeit der Verwaltungsspielräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Entwicklungsgeschichtlicher Wert der normtheoretischen Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gleichartigkeit bezüglich Funktion, Vorgang und Kontrolle . . b) Dogmatische Perspektive: Beibehaltung der Unterscheidungen aus pragmatischen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

166 166 167 169 169 169 170 172 172 172 173 174 176 177 178 179 179 179 180 182 182 183 183 185 185 186 186 187 188 190

Inhaltsverzeichnis13 D. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 I. Verwaltungsspielräume als normativ eröffnete Letztentscheidungsrechte . 190 II. Unterschiede bezüglich der Verdichtung durch Richterrecht . . . . . . . . . . . 191 III. Differenzierung zwischen Beurteilungsspielräumen sowie Rechtsfolge-, Planungs- und Regulierungsermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 3. Teil

Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen  195

A. Spielräume als mögliche rechtliche Grenze automatisierter Verfahrensdurchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 I. Möglicher Widerspruch zwischen der automatisierten Verfahrensdurchführung und dem Bestehen eines Spielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 1. Ermessensspielräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 a) Diskussionsstand vor Erlass der §§ 35a VwVfG, 155 Abs. 4 AO, 31a S. 1 SGB X . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 aa) Ausgangspunkt: Widerspruch zwischen Einzelfallbewertung und Datenverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 bb) Gleichsetzung der Automation mit Ermessenslenkung durch Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 cc) Atypische Fälle als Grenze der Generalisierbarkeit . . . . . . . . . 201 b) Erweiterte Möglichkeit automatisierter Ermessensausübung . . . . . 203 aa) Befugnis zur vollständigen Verdichtung des Ermessens . . . . . 203 bb) Möglichkeit der Aussteuerung atypischer Fälle . . . . . . . . . . . . 205 cc) Zwischenergebnis: Unterscheidung zwischen drei Bereichen . 205 dd) Zukünftige Berücksichtigung individueller Umstände durch Algorithmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 2. Übertragbarkeit auf Beurteilungsspielräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 II. Zulässigkeit nach §§ 35a VwVfG, 155 Abs. 4 AO, 31a S. 1 SGB X . . . . 210 1. Vollständig automatisiert erlassene Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . 210 a) Warn- und Begrenzungsfunktion des § 35a VwVfG . . . . . . . . . . . . 210 aa) Abgrenzung von Warnhinweis und Begrenzungsfunktion . . . . 210 bb) Inhaltlicher Umfang der Begrenzungsfunktion . . . . . . . . . . . . 212 (1) Konkrete und abstrakte Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 (2) Selbstbindung der Verwaltung durch bestehende Verwaltungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 (3) Möglichkeit teleologischer Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . 216 b) Ermessen und Beurteilungsspielraum als Anlass für eine Einzelfallbearbeitung i. S. d. § 31a S. 1 SGB X . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 c) Ermessen als Anlass für eine Einzelfallbearbeitung i. S. d. § 155 Abs. 4 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

14 Inhaltsverzeichnis 2. Analoge Anwendung auf teilautomatisiert erlassene Verwaltungsakte . 221 III. Organisations- und verfahrensrechtliche Vorgaben als Grenze der Automation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 1. Allgemeiner Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 2. Sonderfall: Planungs- und Regulierungsermessen . . . . . . . . . . . . . . . . 223 a) Planungsermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 b) Regulierungsermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 B. Besondere organisations- und verfahrensrechtliche Anforderungen  . . . . . . . . I. Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Automation durch antizipierte Spielraumausübung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelfallumstände berücksichtigende Spielraumentscheidungen . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfahrensrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vollständig und richtig ermittelter Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begründung einer Ermessens- bzw. Beurteilungsentscheidung . . . . . . a) Ausgangspunkt: Begründung als formale Anforderung  . . . . . . . . . b) Doppelfunktion bei einer Ermessens- oder Beurteilungsent­ scheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Inhaltliche Überprüfung der angegebenen Gründe  . . . . . . . . . bb) Verfassungsrechtliche Pflicht zur Darlegung und Dokumen­ tation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Konsequenzen für automatisiert erlassene Verwaltungsakte . . . . . . aa) Antizipierte Spielraumausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einzelfallumstände berücksichtigende Spielraumentschei­ dungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

229 229 231 231 234 234 235 237 237

C. Eignung administrativer Spielraumentscheidungen zur Automation . . . . . . . . I. Vorfrage: Automation der Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einsatz regelbasierter Algorithmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Komplexität juristischer Subsumtion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Notwendigkeit der Formalisierung und die Offenheit natürlicher Sprache  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Potenzielles rechtsschöpferisches Element jeder Rechtsan­ wendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Automation der Rechtsanwendung nicht ausgeschlossen . . . . bb) Differenzierung zwischen Rechtsprechung und Verwaltung . . 2. Überwindung praktischer Grenzen durch ML-Algorithmen . . . . . . . . . a) Grenzen des Einsatzes regelbasierter Algorithmen . . . . . . . . . . . . . b) Einsatz von ML-Algorithmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

243 245 245 246

238 238 239 241 241 242 243

248 248 249 249 251 252 252 254

Inhaltsverzeichnis15 II. Automation der administrativen Spielraumausübung . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Antizipierte Spielraumausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Automation durch regelbasierte Algorithmen . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Technische Möglichkeit zur Aussteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einsatz von Textbausteinen zur Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelfallumstände berücksichtigende Spielraumentscheidungen . . . . a) Einsatz regelbasierter Algorithmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einsatz von ML-Algorithmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Fehlen allgemeiner Problemlösungskompetenzen . . . . . . . . . . (1) Vergangenheitsbezug von ML-Algorithmen . . . . . . . . . . . (2) Begrenzte Fähigkeit zur Generalisierung  . . . . . . . . . . . . . (3) Einsatz von LLMs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mögliches Fehlen geeigneter Trainingsdaten . . . . . . . . . . . . . . cc) Automatische Wissensextraktion aus juristischen Texten . . . . (1) Manuelle Aufbereitung nicht kosteneffizient . . . . . . . . . . . (2) Einsatz von LLMs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Besondere Bedeutung der Begründung im Bereich von Verwaltungsspielräumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Mangelnde Erklärbarkeit komplexer ML-Algorithmen . . . (2) Einsatz von LLMs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Exkurs: Vergleich zu komplexen Verwaltungsentscheidungen ohne Spielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

255 256 256 258 258 259 259 259 260 261 261 262 262 263 264 264 265 266 266 267 268 268 269

4. Teil

Resümee 

A. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wesentliche Ergebnisse des 1. Teils: Grundlagen der Verwaltungsautomation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wesentliche Ergebnisse des 2. Teils: Spielräume der Verwaltung . . . . . . III. Wesentliche Ergebnisse des 3. Teils: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Planungs- und Regulierungsermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ermessens- und Beurteilungsspielräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Antizipierte Spielraumausübung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einzelfallumstände berücksichtigende Spielraumausübung  . . . . . .

271 271 271 273 273 274 274 274 275

B. Rechtspolitische Betrachtung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 I. Rechtspolitische Bewertung der §§ 35a VwVfG, 31a SGB X, 155 Abs. 4 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276

16 Inhaltsverzeichnis 1. Normative Steuerung der Verwaltungsautomation durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Lenkung der Aufmerksamkeit auf die Verwaltungsautomation . . . b) Verfassungsrechtliche Verantwortung des Gesetzgebers für die normative Steuerung der Verwaltungsautomation . . . . . . . . . . . . . . 2. Defizite bei der konkreten Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erfordernis einer Zulassung durch Rechtsvorschrift . . . . . . . . . . . . b) Bestehen eines Verwaltungsspielraums als Kriterium ungeeignet . c) Alternative: Abgrenzung der Eignung anhand der Komplexität . . . d) Zwischenergebnis: Beurteilung der Eignung im Hinblick auf konkretes Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Änderung der verfahrensrechtlichen Spezialregelungen . . . . . . . . . . . . . . 1. Absehen von Namenswiedergabe und Verwendung von Schlüssel­ zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Untersuchungsgrundsatz im Bereich automatisierter Verfahrensdurchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gefahr, einzelfallbezogene Angaben nicht zu berücksichtigen . . . . b) Verlagerung der Sachverhaltsaufklärung auf die Beteiligten . . . . . 3. Möglichkeit, von der Anhörung abzusehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Möglichkeit, von einer Begründung abzusehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Technischer Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassungsrechtliche Verankerung der Begründungspflicht . . . . . c) Vertrauens- und akzeptanzfördernde Wirkung der Begründung . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung der Änderungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

276 278 279 280 280 281 283 284 285 286 286 287 288 290 292 292 293 294 296 297

C. Ausblick: Umbau des Legitimations- und Kontrollsystems . . . . . . . . . . . . . . . 297 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324

Abkürzungsverzeichnis GrünhutsZ KNN LLM(s)

ML-Algorithmen

Zeitschrift für das Privat- und Öffentliche Recht der Gegenwart (abgekürzt nach ihrem Herausgeber Carl Samuel Grünhut) Künstliche neuronale Netzwerke Large Language Model(s) (= künstliche neuronale Netzwerke mit deutlich mehr als 1 Milliarde Parametern, die im Bereich der Sprachverarbeitung eingesetzt werden) Algorithmenmodelle, bei deren Erstellung oder Verbesserung Methoden des maschinellen Lernens eingesetzt werden

Auf die Wiedergabe allgemein gebräuchlicher Abkürzungen wird verzichtet. Ergänzend wird auf Kirchner, Hildebert, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 10. Aufl., 2021 Berlin verwiesen.

Einleitung A. Einführung in die Problematik Die unter dem Begriff E-Government zusammengefassten Bemühungen, die Geschäftsprozesse der Verwaltung mit Hilfe elektronischer Informationsund Kommunikationstechniken zu modernisieren,1 haben sich in den letzten Jahrzehnten im Wesentlichen auf die Digitalisierung der Infrastruktur, der Arbeitshilfen und der Kommunikation konzentriert (vgl. beispielsweise §§ 3a, 37 Abs. 2, 41 Abs. 2a, 71e VwVfG). Der noch in der Rechtsinformatik2 der 1960er, 70er und 80er Jahre verfolgte Ansatz, den Technikeinsatz zumindest auch zur (teilweisen) Automation der Verwaltung zu nutzen,3 spielte kaum eine Rolle.4 Im Zuge des verstärkt in die öffentliche Wahrnehmung gerückten allgemeinen Trends hin zum Einsatz von Algorithmen in allen Lebensbereichen5 als Teil der digitalen Transformation, wurde auch die Rechtsinformatik vergangener Jahrzehnte unter dem neuen Marketingnamen Legal Tech wiederentdeckt.6 Obwohl viele Legal Tech-Anwendungen für den privaten Rechtsmarkt (insbesondere große Kanzleien und Rechtsabteilungen großer Unter­ nehmen)7 konzipiert werden, kam es im Zusammenhang mit dieser Entwicklung auch zu einem Wiedererwachen der Automatisierungsbemühungen in der Verwaltung. So wurde das „Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens“ vom 18.07.20168 zum Anlass genommen, die Möglichkeit des vollständig automatisierten Erlasses von Verwaltungsakten nicht nur im Besteuerungsverfahren, sondern in allen Verfahrensordnungen ausdrücklich zu verankern 1  Vgl.

v. Lucke/Reinermann, E-Government, S. 1. für weitere Ausführungen zur Geschichte der Rechtsinformatik Gräwe, Rechtsinformatik, S.  1 ff. 3  Zu diesem konzeptionellen Ausgangspunkt der Rechtsinformatik beispielsweise Fiedler, JuS 1971, 228 (228 f.). 4  Ähnlich Britz, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen, Bd. 2, 2. Aufl., § 26 Rn. 60; Groß, VerwArch 95 (2004), 400 (408 f.). 5  Hoffmann-Riem, in: Ders., Big Data, 11 (11 ff.). 6  Grupp, in: Hartung/Bues/Halbleib, Legal Tech, 259 (Rn. 1104). 7  Fiedler/Grupp, DB 2017, 1071 ff. 8  In Kraft getreten am 01.01.2017, BGBl. I 2016, S. 1679. 2  Vgl.

20 Einleitung

(vgl. § 35a VwVfG9, § 155 Abs. 4 AO und § 31a SGB X). Die Automatisierung von Steuerbescheiden ist nur der Anfang. Auch in anderen Sachgebieten ist in der näheren Zukunft mit einer vollständigen Verfahrensautomation zu rechnen. Besonders naheliegend ist sie in anderen unechten Massenverfahren10 mit standardisierten Bescheiden (Rente, Anwohnerparkausweis, Kindergeld, BAföG-Leistungen, Glücksspielrecht etc.).11 Bei der internetbasierten Fahrzeugzulassung ist eine vollständige Automation bereits in großen Teilen umgesetzt und eine schrittweise Erweiterung geplant.12 Ebenso findet sich in § 10a des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags (RBStV)13 nunmehr die Möglichkeit, einen Rundfunkbeitragsbescheid vollständig automatisiert zu erlassen.14 Die Änderungen im Recht und in der Rechtswirklichkeit werfen eine Vielzahl neuer Fragen auf und alte Fragen sind unter den geänderten Voraussetzungen neu zu beantworten. Dazu soll diese Dissertation einen Beitrag leisten, indem sie das Verhältnis der Verwaltungsautomation zu Spielräumen der Verwaltung untersucht. Die Thematik ist von besonderer Relevanz, da Verwaltungsspielräume teilweise als eine Art natürliche Grenze der Automation angesehen werden. Auch dem neu eingefügten § 35a VwVfG liegt auf den ersten Blick diese Bewertung zugrunde.15 Damit aber wären weite Teile der Verwaltungstätigkeit pauschal von der Möglichkeit einer Automation ausge-

9  In den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder wurde der neue § 35a in Bayern, Bremen und Thüringen noch nicht umgesetzt. In Schleswig-Holstein findet sich die Vorschrift unter § 106a VwVfG. 10  Der Ausdruck „Massenverfahren“ bedeutet im allgemeinen Verwaltungsrecht ein Verfahren, bei dem mehr als 50 Personen beteiligt sind (vgl. §§ 17–19, 69 Abs. 2 und 74 Abs. 5 VwVfG). Vorliegend sollen aber Verfahren behandelt werden, bei denen eine Vielzahl gleichartiger Einzelverfahren durchgeführt wird. Zur Vermeidung von Missverständnissen wird dafür die Terminologie „unechte Massenverfahren“ verwendet. Dazu H. Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 17 Rn. 6. 11  Guckelberger, DÖV 2021, 566 (570); Lorze, NVwZ 2021, 1657 (1659); Martini/Nink, DVBl. 2018, 1128 (1128 f). 12  BMVI, Internetbasierte Fahrzeugzulassung, abrufbar unter: https://www.bmvi. de/SharedDocs/DE/Artikel/StV/Strassenverkehr/internetbasierte-fahrzeugzulassung. html, Stand: 01.04.2023; eine rechtliche Einordnung findet sich bei Albrecht/Kehr/ Freigang, DAR 2019, 555 (557 ff.). 13  Eingeführt mit Wirkung zum 01.06.2020 durch den 23. Rundfunkänderungsstaatsvertrag (RÄndStV) vom 10.12.2019. 14  Guckelberger, DÖV 2021, 566 (571  f.) sowie VG Frankfurt, Urteil vom 09.09.2020 – 3 K 616/17, Juris Rn. 27 ff. zur möglichen Rechtswidrigkeit eines vor Erlass des § 10a RBStV maschinell erstellten Rundfunkbeitragsbescheides. 15  BT-Drs. 18/8434, S. 122; in diese Richtung bereits der Beirat Verwaltungsverfahrensrecht beim BMI, NVwZ 2015, 1114 (1115), der allerdings die Möglichkeit einer antizipierten Ausübung anspricht.



B. Gang der Untersuchung21

nommen und die behutsame Fortentwicklung teilweise blockiert.16 Ob Verwaltungsspielräume jedoch wirklich eine Grenze der Automation sind bzw. sein sollen, wird im Verlauf dieser Untersuchung aus rechtlicher, rechtstheoretischer und technischer Perspektive kritisch überprüft. Je nach Ergebnis besteht das Potenzial, die Möglichkeiten der Verwaltungsautomation auszudehnen. Bevor allerdings damit begonnen werden kann, Ergebnisse zu ermitteln, soll der Gang der Untersuchung dargestellt werden.

B. Gang der Untersuchung Die Untersuchung gliedert sich in vier Teile: Im 1. Teil werden die Grundlagen der Verwaltungsautomation herausgearbeitet. Zunächst wird der Gegenstand der Untersuchung genauer bestimmt, indem die Verwaltungsautomation begrifflich auf den automatisierten Erlass von Verwaltungsakten eingegrenzt wird. Sodann werden die technischen Grundlagen für die weitere Untersuchung erarbeitet. Es werden Begriffe und Differenzierungen eingeführt und erläutert, die im späteren Verlauf der Untersuchung dazu dienen, die Verwaltungsautomation auch aus einer technischen Perspektive strukturiert darstellen und differenziert bewerten zu ­können. Im nächsten Schritt werden die rechtlichen Grundlagen der Verwaltungsautomation behandelt. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem An­ wendungsbereich und Regelungsgehalt der gesetzlichen Vorschriften zu automatisiert erlassenen Verwaltungsakten im VwVfG, der AO und dem SGB X sowie dem hoheitlichen Einsatz maschinellen Lernens im Rahmen der Verwaltungsautomation. Im 2. Teil werden Verwaltungsspielräume umfassend aus historischer, dogmatischer und rechtstheoretischer Perspektive behandelt. Die unterschiedlichen Perspektiven sollen dabei nicht isoliert nebeneinanderstehen, sondern sich wechselseitig bedingen. So dient die zunächst eingenommene historische Perspektive dazu, später überprüfen zu können, ob die herausgearbeiteten dogmatischen Differenzierungen möglicherweise nicht nur einer Eigenrationalität folgen, sondern auch das Produkt einer pfadabhängigen Entwicklung sind. Die dogmatischen Differenzierungen werden im zweiten Schritt erschlossen, indem das aktuell herrschende Verständnis von Verwaltungsspielräumen herausgearbeitet wird. Die dabei gefundenen Ergebnisse sind wiederum Gegenstand der sich anschließenden Überprüfung aus rechtstheoretischer Perspektive. Zunächst werden die gefundenen dogmatischen Binnendifferenzierungen durch den Vergleich mit Alternativkonzepten kritisch überprüft

16  Ähnlich

Eifert, E-Government, S. 126 f.

22 Einleitung

und sodann wird noch weitergehend das Verhältnis der Verwaltungsspielräume zur Rechtsanwendung insgesamt erörtert. Die im 1. und 2. Teil erarbeiteten Ergebnisse dienen sodann im 3. Teil als Grundlage, um das Verhältnis zwischen Verwaltungsautomation und Spielräumen der Verwaltung differenziert analysieren zu können. Dabei sollen Möglichkeiten und Grenzen der Verwaltungsautomation im Bereich von Spielräumen sowohl aus rechtlicher als auch aus rechtstheoretisch-technischer Perspektive herausgearbeitet werden. Im 1. Schritt geht es dabei um die Frage, ob und in welchem Umfang der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten trotz bestehendem Spielraum rechtlich zulässig ist. Im 2. Schritt werden differenzierte normative Anforderungen an den automatisierten Erlass von Verwaltungsakten herausgearbeitet. Die Analyse beschränkt sich dabei auf normative Anforderungen, die eine besondere Bedeutung im Bereich von Spielräumen haben und insofern über die im 1. Teil herausgearbeiteten rechtlichen Grundlagen hinausgehen. Im 3. Schritt wird eine rechtstheoretisch-technische Perspektive eingenommen und sich der Frage genähert, ob und inwieweit eine automatisierte Verfahrensdurchführung im Bereich von Spielräumen überhaupt technisch umsetzbar ist. Im 4. Teil wird ausgehend von den erarbeiteten Erkenntnissen ein umfassendes Resümee zur Verwaltungsautomation gezogen. Dabei werden zunächst die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung zusammenfasst. Ausgehend von diesen Erkenntnissen wird sodann die geltende Rechtslage im Bereich der automatisierten Verfahrensdurchführung aus einer rechtspolitischen Perspektive bewertet. Aufbauend auf dieser Bewertung werden im Anschluss konkrete rechtspolitische Änderungsvorschläge herausgearbeitet, um eine verbesserte normative Steuerung der Verwaltungsautomation zu gewährleisten. Zum Abschluss wird ein Ausblick auf die mögliche langfristige Entwicklung des hoheitlichen Algorithmeneinsatzes gewagt. Dabei geht es insbesondere um die prinzipielle Möglichkeit, das bisherige Legitimations- und Kontrollsystem an den Einsatz fortschrittlicher Algorithmen anzupassen.

1. Teil

Grundlagen der Verwaltungsautomation A. Begriffliche und technische Grundlagen I. Begriffliche Eingrenzung der Verwaltungsautomation 1. Ausgangspunkt: Einsatz automatischer Einrichtungen Eine Automation der Verwaltungstätigkeit ist in vielfacher Hinsicht denkbar. Der Begriff der Automation ist grundsätzlich offen und kann sich auf unterschiedliche Bereiche und Handlungsformen erstrecken. Im Duden ist Automation als „durch Automatisierung erreichter Zustand der modernen technischen Entwicklung, der durch den Einsatz weitgehend bedienungsfreier Arbeitssysteme gekennzeichnet ist“ definiert.17 Im Kontext des geschriebenen Verwaltungsrechts benutzt der Gesetzgeber den Begriff der (Verwaltungs-)Automation nicht direkt. Als normativer Anknüpfungspunkt in den Verfahrensordnungen fungiert hingegen regelmäßig18 der Begriff der „automatischen Einrichtungen“ (vgl. §§ 28 Abs. 2 Nr. 4, 35a, 37 Abs. 5, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG, 31a SGB X). Unter automatischen Einrichtungen sind technische Einrichtungen zu verstehen, die nach vorher festgelegten Parametern selbsttätig, d. h. ohne weiteres menschliches Einwirken funktionieren.19 Im Kontext der Verwaltung könnte man zunächst von Automation sprechen, wenn solche automatischen Einrichtungen in einem Geschäftsprozess der Verwaltung eingesetzt werden.

17  https://www.duden.de/rechtschreibung/Automation,

Stand: 01.04.2023. Ausnahme wird in § 155 Abs 4 AO der Begriff „automationsgestützt“ verwendet (dazu unter 1. Teil B. II. 2. a) bb.). 19  Luthe, SGb 2017, 250 (252); Prell, in: BeckOK, VwVfG, §  35a Rn. 5; H. Schmitz/Prell, NVwZ 2016, 1273 (1275 f.); U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35a Rn. 16; Windoffer, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 35a Rn. 13; ähnlich schon Polomski, Verwaltungsakt, S. 23 f. bezogen auf den Begriff der Verwaltungsautomation und W. Schmitz, VR 1991, 213 (218). 18  Als

24

1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

2. Eingrenzung auf den automatisierten Erlass von Verwaltungsakten Allerdings ist bei einem solchen weiten Verständnis beispielsweise der Einsatz von Chatbots zur Information der Bürger oder der Einsatz von automatischen Einrichtungen zur Datenanalyse im Vorfeld einer Entscheidung von der Verwaltungsautomation umfasst. Insbesondere ersteres Beispiel lässt sich jedoch besser unter dem allgemeinen Schlagwort E-Government einordnen. Um den Untersuchungsgegenstand sinnvoll abzugrenzen, ist ein engeres Begriffsverständnis erforderlich. Untersuchungsgegenstand soll lediglich der Einsatz automatischer Einrichtungen im Rahmen eines auf den Erlass einer Verwaltungsentscheidung gerichteten Verwaltungsverfahrens sein. Der Einsatz automatischer Einrichtungen im Verwaltungsverfahren ist dabei in zweifacher Hinsicht denkbar. Zum einen kann der Einsatz erfolgen, um die Entscheidung eines menschlichen Amtswalters lediglich vorzubereiten. Zum anderen kann die Automation aber auch die Entscheidung des menschlichen Amtswalters ganz oder teilweise ersetzen. Schwerpunkt dieser Untersuchung ist letztere Form der sich auf die Entscheidung unmittelbar auswirkenden Automation.20 Im Hinblick auf die Handlungsform kann es sich dabei entweder um den möglichen Erlass eines Verwaltungsaktes oder den möglichen Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages handeln (vgl. § 9 VwVfG). In praktischer und rechtlicher Hinsicht wesentlich relevanter dürfte der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten sein, sodass sich diese Untersuchung darauf beschränkt. Der so eingegrenzte Untersuchungsbereich lässt sich als Verwaltungsautomation im engeren Sinne verstehen.21 Er entspricht dem Anwendungsbereich der entsprechenden gesetzlichen Regelungen zu automatisiert erlassenen Verwaltungsakten (vgl. §§ 28 Abs. 2 Nr. 4, 35a, 37 Abs. 5, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG, 31a SGB X, 155 Abs 4 AO).

II. Technische Grundlagen: Algorithmen und maschinelles Lernen Die Verwaltungsautomation ist wie soeben herausgearbeitet wesentlich durch den Einsatz technischer Einrichtungen gekennzeichnet. Darunter lassen sich unterschiedliche Einrichtungen fassen, die auch rechtlich unterschiedlich zu behandeln sind. Insofern ist es erforderlich, ein begriffliches Instrumentarium zu entwickeln, um die unterschiedlichen Eigenschaften der 20  Wenngleich an geeigneten Stellen auch ein Exkurs zum Einsatz automatischer Einrichtungen zur bloßen Unterstützung stattfindet. 21  Ähnlich eingegrenzt der Begriff der Verwaltungsautomation bei Polomski, Verwaltungsakt, S.  23 f.



A. Begriffliche und technische Grundlagen25

technischen Einrichtungen präzise beschreiben zu können. Dabei kommt dem Begriff des Algorithmus und seinen Klassifizierungsmöglichkeiten eine entscheidende Rolle zu. Die Funktionsweise jeder technischen Einrichtung lässt sich grundsätzlich als Algorithmus beschreiben. 1. Allgemeine Merkmale von Algorithmen Ein Algorithmus beschreibt eine eindeutige Handlungsvorschrift zur Lösung eines bestimmten Problems.22 Die Definition ist dabei nicht auf die Problemlösung durch technische Einrichtungen beschränkt. Ein Algorithmus kann auch einen menschlichen Problemlösungsvorgang beschreiben. Im Kontext dieser Arbeit geht es jedoch um den Einsatz technischer Einrichtungen, sodass sich die weiteren Ausführungen auf Algorithmen beschränken, die durch technische Einrichtungen (insbesondere Computer) ausgeführt werden. Bei der Ausführung des Algorithmus wird eine Eingabe in genau definierten Schritten zu einer Ausgabe umgewandelt.23 Dabei ist es wichtig, dass die Eingabe in Form von Daten auch zu dem ausgewählten Algorithmus passt. Bestimmte Algorithmen lassen sich nur bezüglich bestimmter Datenarten für eine Problemlösung einsetzen, wohingegen bei der Eingabe nicht geeigneter Daten keine sinnvolle Ausgabe zu erwarten ist.24 Algorithmen können auf unterschiedliche Art und Weise – beispielsweise durch formale Zeichen, aber auch in natürlicher Sprache – dargestellt werden.25 Besonders relevant ist die Formulierung mithilfe einer Programmiersprache in Computercode. Als Computerprogramm wird ein Algorithmus bezeichnet, der zur Ausführung auf einem Computer implementiert wird. Die Verwaltungsautomation bezieht sich regelmäßig auf den Einsatz solcher Algorithmen, sei es auf Großrechneranlagen, PCs oder auf Servern. Sie ist jedoch nicht auf eine bestimmte Darstellungsform beschränkt. So können die Lichtzeichenanlagen zugrunde liegenden Algorithmen direkt in elektronischen Schaltkreisen physisch manifestiert sein. Algorithmen lassen sich jedoch nicht nur hinsichtlich der Darstellungsform, sondern auch im Hinblick auf die Funktionsweise und die Art der Erzeugung klassifizieren. In der jüngeren Vergangenheit standen insbesondere Lernalgorithmen – zumeist 22  Berberich, in: Kersting/Lampert/Rothkopf, Maschinen, S. 11; ähnlich Blieberger/Burgstaller/Schieldt, Informatik, S. 151. 23  Blieberger/Burgstaller/Schieldt, Informatik, S. 152. 24  Berberich in: Kersting/Lampert/Rothkopf, Maschinen, S. 14 f. nennt beispielsweise einen Multiplikationsalgorithmus, der nur für positive, ganze Zahlen funktioniert. 25  Blieberger/Burgstaller/Schieldt, Informatik, S. 151.

26

1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

unter dem Schlagwort der künstlichen Intelligenz – im Fokus der Aufmerksamkeit. 2. Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen a) Künstliche Intelligenz Der Begriff „künstliche Intelligenz“ lässt sich schwer definieren.26 Er wird häufig benutzt, wenn nicht menschliche (= künstliche) Systeme Entscheidungen treffen, die „Intelligenz“ voraussetzen, wenn sie durch einen Menschen getroffen würden.27 Damit ist aber noch nicht geklärt, was in diesem Kontext unter „Intelligenz“ zu verstehen ist.28 Teilweise wird versucht sich dem Begriff der künstlichen Intelligenz über die Bestimmung von Teilbereichen des Forschungsbereichs zu nähern. Demnach geht es bei künstlicher Intelligenz um logisches Denken, um das Treffen von Entscheidungen bei Unsicherheit, das Planen, das Lernen und die Kommunikation in natürlicher Sprache.29 Aber auch eine solche Annäherung anhand einzelner Teilbereiche erlaubt keine klare Abgrenzung, da sich die darunter eingeordneten Phänomene mit dem technischen Fortschritt zu ändern scheinen. Phänomene, die in der Vergangenheit als Form künstlicher Intelligenz anerkannt waren, sollen heutzutage nicht mehr dazu gehören.30 Diese Beobachtung hat bereits zu der pointierten Annahme geführt, dass unter künstlicher Intelligenz scheinbar immer das zu verstehen ist, was Maschinen gerade noch nicht können.31 Die wohl beste begriffliche Annäherung erhält man, wenn man das Ziel der KI-Forschung in den Blick nimmt. Künstliche Intelligenz ist ein weit gefasster 26  Vgl.

die unterschiedlichen Ansätze bei Russell/Norvig, AI, S.  20 ff. bereits der Erfinder des Begriffs John McCarthy im Jahr 1955: „Ziel der KI ist es, Maschinen zu entwickeln, die sich verhalten, als verfügten sie über Intelligenz“ (zitiert nach Ertel, Grundkurs KI, S. 1). 28  Bereits früh wurde deshalb versucht, dieses Problem nicht zu lösen, sondern zu umgehen. Das klassische Beispiel ist der Turing-Test (vgl. Turing, Mind 49, 433 ff.). 29  Frochte, Maschinelles Lernen, S. 15. 30  Dieses Phänomen wird auch als „AI effect“ bezeichnet (vgl. https://en.wikipedia. org/wiki/AI_effect, Stand: 01.04.2023). Zum Beispiel wurde dem Schachprogramm Deep Blue nach seinem Sieg gegen Garry Kasparow vielfach abgesprochen, tatsächlich intelligent zu sein, da es lediglich auf eine gewaltige Rechenpower zurückgreife und gerade nicht intelligent handele (z. B. Krauthammer, Be Afraid, in: The Weekly Standard vom 26. Mai 1997; für eine Zusammenfassung der Debatte um Deep Blue vgl. Heßler, NTM 25 (2017), 1 ff.). 31  So ein (mündliches) Zitat, das Larry Tesler zugeschrieben wird, in der Version nach Hofstadter, Gödel, Escher, Bach, 16. Aufl., S. 640. Tesler hingegen sah sich falsch zitiert (dazu http://www.nomodes.com/Larry_Tesler_Consulting/Adages_and_ Coinages.html, Stand: 01.04.2023). 27  Ähnlich



A. Begriffliche und technische Grundlagen27

Sammelbegriff für unterschiedliche Methoden der Informatik, deren gemeinsames Ziel es ist, ein Problem möglichst rational, d. h. optimal, zu lösen.32 Demzufolge sollte künstliche Intelligenz nicht als ein Universalrezept zur Lösung beliebiger Probleme verstanden werden,33 sondern als ein Werkzeugkasten, der unterschiedliche Werkzeuge mit spezifischen Stärken und Schwächen für jeweils unterschiedliche Aufgaben enthält.34 Die Aufgabe des Programmierers ist es, mit Hilfe der geeigneten Werkzeuge einen intelligenten Agenten zu entwickeln, der in der Lage ist, das jeweilige Problem zu lösen. Dabei müssen – wie auch in der analogen Welt – regelmäßig mehrere Werkzeuge kombiniert eingesetzt werden, um ein komplexes Problem zu bewältigen. Eine häufig vorgenommene begriffliche Differenzierung ist die zwischen starker und schwacher künstlicher Intelligenz. Eine starke künstliche Intelligenz soll dabei in der Lage sein, weitestgehend autonom und auf Augenhöhe mit menschlichen intellektuellen Fähigkeiten agieren zu können.35 Schwache künstliche Intelligenz ist hingegen regelmäßig auf die Lösung eines konkreten Problems mit Hilfe algorithmenbasierter Methoden beschränkt.36 Ob es jemals starke künstliche Intelligenz geben wird oder auch nur geben kann, lässt sich aus heutiger Sicht nicht seriös beurteilen.37 Aktuell und auf absehbare Zeit sind vor allem Fragen im Zusammenhang mit dem Einsatz schwacher künstlicher Intelligenz zur Lösung konkreter Probleme relevant,38 sodass sich diese Untersuchung darauf konzentriert. Für eine juristische Begriffsbildung ist der Term künstliche Intelligenz, insbesondere wenn man ihn wie hier als Ausrichtung auf ein bestimmtes Ziel definiert, nur bedingt geeignet,39 da er eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Methoden umfasst.40 In der gegenwärtigen Diskussion wird von künstlicher Intelligenz (insbesondere auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur) regelmäßig im Zusammenhang mit Methoden des maschinellen Lernens ge­ 32  Von Russell/Norvig, AI, S. 21 f. als „standard model“ bezeichnet, die allerdings auf das Problem hinweisen, dass insofern ein klar definiertes und der Maschine bekanntes Ziel vorausgesetzt wird (S. 22 f.); ähnlich Ertel, Grundkurs KI, S. 3. 33  So auch Ertel, Grundkurs KI, S. 12 f. 34  Ertel, Grundkurs KI, S. 12. 35  Russell/Norvig, AI, S.  50 f. 36  Frochte, Maschinelles Lernen, S. 15 f. 37  In diese Richtung Russell/Norvig, AI, S. 46. 38  Frochte, Maschinelles Lernen, S. 16; vgl. die Aufzählung zum aktuellen Stand der KI-Forschung bei Russell/Norvig, AI, S. 46 ff.; aus der juristischen Literatur mit einer ähnlichen Bewertung Wischmeyer, AÖR 143 (2018), 1 (3). 39  Ähnlich kritisch dem Begriff künstliche Intelligenz gegenüber bereits Herberger, NJW 2018, 2825 (2827). 40  Ertel, Grundkurs KI, S. 4.

28

1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

sprochen,41 wenngleich der Begriff, wie aufgezeigt wurde, eigentlich nicht darauf beschränkt ist, da es auch andere Möglichkeiten gibt, intelligente Algorithmen zu entwerfen.42 Deshalb wird im weiteren Verlauf der Untersuchung nicht von künstlicher Intelligenz, sondern unmittelbar vom maschinellen Lernen gesprochen, wenn es um den Einsatz solcher Methoden geht. b) Maschinelles Lernen: Problemlösung mithilfe von Daten und Lernalgorithmen Maschinelles Lernen ist der Sammelbegriff für Methoden zur Erstellung oder Verbesserung von Computerprogrammen, bei denen ein Modell aus Daten bzw. Feedback gelernt und zur Problemlösung eingesetzt wird.43 aa) Grundlagen: Erfahrungswerte und Lernalgorithmen Entscheidend sind beim maschinellen Lernen zwei Komponenten: Erfahrungswerte in der Form von Daten bzw. Feedback sowie Methoden, um in diesen Erfahrungswerten Muster zu erkennen oder zu erzeugen.44 Diese Methoden werden als Lern-algorithmen bezeichnet. Die Erzeugung oder Verbesserung eines Computerprogramms mit Hilfe maschinellen Lernens hat zwei wesentliche Vorteile. Erstens ist es für einen Programmierer unmöglich, alle zukünftigen Situationen zu antizipieren. Insofern ermöglicht das maschinelle Lernen eine schnellere und flexiblere Anpassung an neue Situationen.45 Zweitens können Lernalgorithmen für die Lösung von solchen Problemen eingesetzt werden, bei denen das gewünschte Ergebnis zwar klar ist, aber es aufgrund der Komplexität sehr schwierig oder sogar unmöglich ist die Aufgabe Schritt für Schritt manuell zu programmieren (z. B. das Erkennen von Objekten auf Bildern).46 Eng verwandt (oder sogar gleichbedeutend)47 mit dem maschinellen Lernen ist das Data Mining.48 Auch dabei werden Lernalgorithmen eingesetzt, um große Datenmengen im Hinblick auf mögliche Muster zu analysieren.49 41  Beispielsweise

Wischmeyer, AÖR 143 (2018), 1 (3 f., insbesondere Fn. 9). stellt das maschinelle Lernen nur einen Teil der im Standardlehrbuch zu künstlicher Intelligenz Russell/Norvig, AI, S. 11 f. behandelten Methoden dar. 43  Russell/Norvig, AI, S. 670. 44  Kossen/Kuruc/Müller, in: Kersting/Lampert/Rothkopf, Maschinen, S. 7 f. 45  Russell/Norvig, AI, S. 670. 46  Russell/Norvig, AI, S. 670. 47  In diese Richtung Frochte, Maschinelles Lernen, S. 17. 48  Ertel, Grundkurs KI, S. 206 f. 49  Ertel, Grundkurs KI, S. 207; Frochte, Maschinelles Lernen, S. 16 f. 42  So



A. Begriffliche und technische Grundlagen29

Das Ziel ist aber anders als beim maschinellen Lernen im engeren Sinne nicht die unmittelbare Erzeugung eines anwendbaren Programms, sondern die Generierung von neuem Erfahrungswissen, das auch von Menschen verstanden werden kann.50 Viele der hinter den Lernalgorithmen stehenden Methoden sind bereits seit Jahrzehnten bekannt.51 Die gestiegene praktische Relevanz ist weniger auf die Entdeckung neuer Methoden, sondern mehr auf die nun verfügbaren großen Datenmengen sowie die deutlich verbesserte Rechenleistung moderner Computer zurückzuführen.52 bb) Drei Arten des Lernens Das Ziel der Lernverfahren ist im Grundsatz gleich. Es geht darum, eine optimale Funktion zu finden, die das Verhältnis zwischen möglichen Eingabedaten und den erwünschten Ausgabedaten möglichst exakt und dennoch generalisierbar abbildet.53 Das erzeugte Modell soll zur Vorhersage bzw. zur Einordnung im Hinblick auf neue Daten genutzt werden. In der Praxis lässt sich regelmäßig keine perfekte Funktion finden. Insofern geht es darum sich bestmöglich anzunähern (sog. Funktionsapproximation).54 Allerdings unterscheiden sich verschiedene Lernalgorithmen im Hinblick auf die grundsätz­ liche Strategie, mit der die Funktion gefunden werden soll. Es wird gemeinhin zwischen dem überwachten, unüberwachten und verstärkenden Lernen unterschieden.55 (1) Überwachtes Lernen Die meisten Lernalgorithmen gehören zum überwachten Lernen. Im Bereich des überwachten Lernens geht es regelmäßig um Regressions- und Klassifikationsprobleme.56 Das Besondere am überwachten Lernen ist, dass Grundkurs KI, S. 206 f.; Frochte, Maschinelles Lernen, S. 16 f. Russell/Norvig, AI, S.  44 f. 52  Vgl. Russell/Norvig, AI, S.  44 f. 53  Frochte, Maschinelles Lernen, S. 21. 54  Ertel, Grundkurs KI, S. 351; Frochte, Maschinelles Lernen, S. 21. 55  Russell/Norvig, AI, S. 671. Allerdings sind auch Mischformen denkbar (vgl. Russell/Norvig, AI, S. 723). 56  Frochte, Maschinelles Lernen, S. 21 ff. Um ein Klassifikationsproblem handelt es sich, wenn als mögliche Ausgabe ein einzelner Wert aus einer endlichen Anzahl von Werten in Betracht kommt. Um eine Regression handelt es sich, wenn die mögliche Ausgabe ein beliebiger Wert innerhalb eines stetigen Wertebereichs ist (vgl. Russell/Norvig, AI, S. 670). 50  Ertel, 51  Vgl.

30

1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

dem Lernalgorithmus die richtigen Ergebnisse bei den Trainings- und Test­ daten bekannt sein müssen.57 Das kann es erforderlich machen, die Trainings- und Testdaten im Vorfeld von Hand mit dem richtigen Ergebnis zu versehen. Insofern spricht man von gelabelten Datensätzen.58 Der Datensatz wird dabei regelmäßig in Trainings- und Testdaten aufgeteilt. Anhand der im Trainingsdatensatz vorhandenen Input-Output-Paare wird eine Funktion gelernt, die das Verhältnis von Input zum Output generalisierbar abbildet.59 Entscheidend ist, dass diese Funktion nicht nur die Trainingsdaten möglichst exakt abbildet, sondern insbesondere mit unbekannten Daten funktioniert.60 Andernfalls spricht man von einer unerwünschten Überanpassung an die Trainingsdaten.61 Die trainierte Funktion wird sodann anhand der ebenfalls gelabelten Testdaten bezüglich seiner Fehlerquote validiert.62 In der anschließenden Anwendungsphase wird das gelernte Modell benutzt, um für bisher unbekannte Eingabedaten möglichst passende Ergebnisse vorherzusagen.63 (2) Unüberwachtes Lernen Im Unterschied zum überwachten Lernen wird beim unüberwachten Lernen dem Algorithmus das gewünschte Ergebnis bezüglich der vorliegenden Daten nicht mitgeteilt und auch kein sonstiges Feedback gegeben.64 Insofern ist es bereits die Aufgabe des Algorithmus mögliche Muster aus den Daten selbst zu ermitteln.65 Unüberwachtes Lernen bietet sich vor allem an, wenn umfangreiche und nicht gelabelte Datensätze vorliegen. Beispielsweise kann unüberwachtes Lernen in Form der Clusteranalyse gut eingesetzt werden, um große Datenmengen nach möglichen, noch unbekannten Mustern zu durchsuchen oder um solche Datenmengen in einem ersten Schritt grob zu sortieren.66 Darauf aufbauend können sodann auch weitere Lernmethoden eingesetzt werden.

Maschinelles Lernen, S. 21. Maschinelles Lernen, S. 21. 59  Russell/Norvig, AI, S. 671. 60  Russell/Norvig, AI, S. 672 f. und 683 ff. mit Möglichkeiten zur Optimierung der Funktion. 61  Russell/Norvig, AI, S. 673. 62  Russell/Norvig, AI, S. 672. 63  Russell/Norvig, AI, S. 671. 64  Frochte, Maschinelles Lernen, S. 25; Russell/Norvig, AI, S. 671. 65  Frochte, Maschinelles Lernen, S. 25 f. 66  Ertel, Grundkurs KI, S. 260 ff.; Russell/Norvig, AI, S.  789 f. 57  Frochte, 58  Frochte,



A. Begriffliche und technische Grundlagen31

(3) Verstärkendes Lernen Das verstärkende Lernen beruht auf dem auch bei Lebewesen vorkommenden Prinzip der positiven bzw. negativen Konditionierung.67 Der Algorithmus probiert dabei unterschiedliche Aktionen aus. Durch positives bzw. negatives Feedback wird dem Algorithmus beigebracht, welche Art von Aktionen im Hinblick auf die Zielerreichung erwünscht und welche unerwünscht sind.68 Dadurch bildet sich schrittweise eine Wertefunktion aus, anhand derer der Algorithmus im Idealfall nach einer gewissen Zeit selbstständig entscheiden kann, welche Aktion zu wählen ist, um das Ziel möglichst optimal zu erreichen.69 Verstärkendes Lernen wird aktuell im Wesentlichen zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit von Robotern, aber auch bei Spielen angewendet.70 Nachdem so die verschiedenen Typen des maschinellen Lernens überblicksartig vorgestellt wurden, soll erörtert werden, inwieweit die Determiniertheit und Vorhersehbarkeit eines Algorithmus durch den Einsatz maschinellen Lernens beeinflusst wird. 3. Determiniertheit und Vorhersehbarkeit Algorithmenmodelle, bei deren Erstellung oder Verbesserung (mindestens teilweise) Methoden des maschinellen Lernens zum Einsatz kommen, sollen im Folgenden verallgemeinert als ML-Algorithmen bezeichnet werden. Algorithmenmodelle, bei deren Erstellung solche Methoden nicht eingesetzt werden und die insofern manuell programmiert werden, sollen hingegen als regelbasierte Algorithmen bezeichnet werden. Der wichtigste Unterschied ist, dass ML-Algorithmen zunächst trainiert werden müssen, bevor sie auf eine Problemstellung angewendet werden. Das Training ersetzt bei solchen Algorithmenmodellen einen Teil der Programmierung. Die zu berücksichtigenden Parameter werden insofern nicht unmittelbar durch einen menschlichen Programmierer festgelegt. Das hat zu der verbreiteten Annahme geführt, dass solche Algorithmen im Gegensatz zu regelbasierten Algorithmen nicht vollständig durch den menschlichen Anwender „determiniert“ seien und deshalb unvorhersehbar agieren würden.71 67  Für einen Überblick zum Verhältnis des verstärkenden Lernens in biologischen und künstlichen Systemen siehe Neftci/Averbeck, Nature Machine Intelligence 1 (2019), 133 ff. 68  Frochte, Maschinelles Lernen, S. 24. 69  Frochte, Maschinelles Lernen, S. 24 f. 70  Ertel, Grundkurs KI, S. 369 f.; Russell/Norvig, AI, S.  866 ff. 71  Beispielsweise U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (101); vgl. auch Gesellschaft für Informatik, Betrachtung algorithmischer Entschei-

32

1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

Die Thematik muss differenziert beurteilt werden. Grundsätzlich sind auch ML-Algorithmen, die auf heutigen Computern implementiert werden, aus technischer Perspektive determiniert, d. h. bei Eingabe der gleichen Daten kommt es auch zur gleichen Ausgabe.72 Im Hinblick auf die technische Determiniertheit besteht kein Unterschied zwischen regelbasierten Algorithmen und ML-Algorithmen. Davon zu unterscheiden und die vermutlich wichtigeren Fragen sind hingegen, inwieweit das eigentlich determinierte Verhalten eines Algorithmus durch einen menschlichen Anwender auch erkannt und die gewünschten Ergebnisse hinreichend zuverlässig vorhergesagt werden können.73 a) Erklärbarkeit und Interpretierbarkeit eines Algorithmenmodells Ein Teilaspekt, der die Vorhersehbarkeit betrifft, ist die Frage der Erklärbarkeit einer durch Algorithmen getroffenen Entscheidung. Maßgeblich beeinflusst wird die Erklärbarkeit zunächst von der Interpretierbarkeit des eingesetzten Algorithmenmodells. Ein ML-Algorithmus wird als interpretierbar bezeichnet, wenn bereits durch Untersuchung des Modells an sich verständlich ist, warum ein gegebener Input zu einem bestimmten Ergebnis führt und wie sich dieses Ergebnis bei einem anderen Input verändern würde.74 Die Interpretierbarkeit hängt maßgeblich von der Art ab, wie das erlernte Wissen in dem jeweiligen Modell repräsentiert wird. Es wird unterschieden zwischen symbolischen Ansätzen, in denen das Wissen explizit repräsentiert wird, und nicht-symbolischen Ansätzen, die keinen unmittelbaren Einblick in die erlernten Lösungswege erlauben und bei denen insofern das Wissen implizit repräsentiert wird.75 In der Praxis handelt es sich regelmäßig um einen graduellen Unterschied. Die verschiedenen Algorithmen­ arten lassen sich auf einer Skala zwischen den Polen einsortieren.76 Auch im dungsverfahren, S. 139, die den Begriff bewusst aus fachlicher Perspektive falsch verwenden, oder Kirn/Müller-Hengstenberg, MMR 2014, 225 (226), die von „NichtDeterminiertheit“ aus Sicht von Entwicklern und Nutzern sprechen. Bei letzteren Autoren wird insofern klar, dass nicht die Determiniertheit im technischen Sinne, sondern die Determiniertheit aus der Perspektive der Anwender/Nutzer gemeint ist. Dafür wird hier aus Gründen terminologischer Klarheit der Begriff „Vorhersehbarkeit“ benutzt. 72  Vgl. zur Definition des Begriffs Determiniertheit im Kontext von Algorithmen Fischer/Hofer, Lexikon Informatik, S. 234. 73  Ebenfalls differenzierend Herberger, NJW 2018, 2825 (2827). 74  Russell/Norvig, AI, S. 729. 75  https://de.wikipedia.org/wiki/Maschinelles_Lernen, Stand: 01.04.2023. 76  Für einen Überblick über symbolische und nicht symbolische Verfahren vergleiche die Abbildung 1.3 in Ertel, Grundkurs KI, S. 9.



A. Begriffliche und technische Grundlagen33

Bereich des maschinellen Lernens gibt es Verfahren, die einen eher symbolischen Ansatz ermöglichen und bei denen das Wissen dementsprechend ex­ plizit repräsentiert wird. Beispiele für eher symbolische Ansätze im Bereich des maschinellen Lernens sind Entscheidungsbäume,77 maschinell erstellte Bayes-Netze78 oder auch die lineare Regression79. Die Abzweigungen eines Entscheidungsbaums lassen sich unmittelbar nachvollziehen,80 Bayes-Netze lassen sich grafisch darstellen81 und das mithilfe einer einfachen linearen Regression erlernte Modell lässt sich als Funktion f(x) = mx + b ausdrücken.82 Auf der anderen Seite gibt es Verfahren, bei denen das erlernte Wissen nur implizit repräsentiert wird und die deshalb nicht aus sich selbst heraus interpretierbar sind. Dazu zählen unter anderem die speicherbasierten Nearest Neighbour-Methoden,83 Support-Vektor-Maschinen84 und künstliche neuronale Netze (= KNN)85. Insbesondere verschiedene auf KNN basierende und als „Deep Learning“86 bezeichnete Lernmethoden werden als besonders intransparent wahrgenommen und spielen in der aktuellen Diskussion eine wichtige Rolle. Sie können Informationen verteilt über sehr viele (und teilweise versteckte) Zwischenschichten mit einer extrem hohen Anzahl an Gewichten speichern.87 In einem fertig trainierten tiefen KNN ist es deshalb faktisch unmöglich, jedes einzelne Gewicht zu analysieren und das Modell aus sich selbst heraus nachzuvollziehen.88 Allerdings bedeutet die fehlende Interpretierbarkeit nicht zwangsläufig, dass ein solches Modell auch insgesamt nicht erklärbar ist. Die Erklärbarkeit ist weiter als die Interpretierbarkeit zu verstehen. Sie bezeichnet allgemein die Möglichkeit zu verstehen, warum ein ML-Algorithmus ein bestimmtes Ergebnis für einen gegebenen Input ausgibt.89 Unter dem Schlagwort „Ex­ plainable AI“ gibt es methodische Ansätze, mit denen das Entscheidungsverhalten auch nicht interpretierbarer Algorithmen sichtbar bzw. erklärbar geGrundkurs KI, S. 231 ff.; Russell/Norvig, AI, S.  675 ff. Grundkurs KI, S. 259 ff. 79  Russell/Norvig, AI, S.  694 ff. 80  Ertel, Grundkurs KI, S. 231 ff. 81  Ertel, Grundkurs KI, S. 181. 82  Russell/Norvig, AI, S. 694. 83  Russell/Norvig, AI, S.  705 ff. 84  Ertel, Grundkurs KI, S. 340 f.; Russell/Norvig, AI, S.  710 ff. 85  Ertel, Grundkurs KI, S. 285 ff. 86  Russell/Norvig, AI, S.  801 ff. 87  Ertel, Grundkurs KI, S. 342. 88  Ertel, Grundkurs KI, S. 342. 89  Russell/Norvig, AI, S.  729 f. 77  Ertel, 78  Ertel,

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

macht werden soll.90 Dabei werden unterschiedliche Einsatzzwecke verfolgt. So dienen bestimmte Methoden dazu, rückblickend aufzuzeigen, anhand welcher Faktoren eine konkrete Entscheidung getroffen wurde oder es soll das erlernte Entscheidungsmodell insgesamt abstrakt visualisiert werden.91 Es ist allerdings schwer zu prognostizieren, in welchem Umfang diese Methoden das Entscheidungsverhalten von Deep Learning-Algorithmen, insbesondere für unterschiedliche Adressaten verständlich, erklären können.92 So beschränken sich die Erklärungen bisher beispielsweise auf die visuelle Hervorhebung der für die Entscheidung wichtigen Bereiche eines tiefen KNN oder der besonders entscheidungsrelevanten Eingabedaten.93 Solche Visualisierungen sind regelmäßig nicht selbsterklärend, sondern auf die Interpretation durch Experten angewiesen94 und in ihrer Aussagekraft beschränkt. Gegenwärtig muss davon ausgegangen werden, dass es im Bereich des Deep Learning regelmäßig Algorithmenmodelle gibt, deren Einzelentscheidungen nicht im Detail erklärbar sind. Allerdings sind auch Erklärbarkeit und Vorhersehbarkeit nicht gleichzusetzen. Selbstverständlich lässt sich bei Modellen, deren Entscheidungsverhalten insbesondere auf Grund einer symbolischen Repräsentationsform interpretier- und erklärbar ist, regelmäßig von einer besseren Vorhersehbarkeit ausgehen. Allerdings setzt die zuverlässige Vorhersehbarkeit im Hinblick auf das Ergebnis die Erklärbarkeit einer Einzelentscheidung nicht zwingend voraus. Solange durch ausreichende Testung im Vorfeld sichergestellt wird, dass die Wahrscheinlichkeit, das gewünschte Ergebnis zu finden, angemessen hoch ist, wird man je nach Situation auch auf eine Erklärbarkeit auf Detail­ ebene verzichten können.95 Dementsprechend lassen sich auch komplexe Methoden ohne explizite Repräsentationsform je nach konkretem Modell und konkretem Einsatzzweck als im Hinblick auf die Entscheidungsfindung zuverlässig vorhersehbar einordnen. Es kommt entscheidend auf die konkrete Situation und den konkreten Einsatzzweck an.

90  Samek/Müller, in: Samek u. a., Explainable AI, S. 5 ff.; zu ähnlichen Ansätzen auch Castelvecchi, Nature 538, 20 ff. 91  Samek/Müller, in: Samek u. a., Explainable AI, S. 10 f. 92  Samek/Müller, in: Samek u. a., Explainable AI, S. 16 f. 93  Samek/Müller, in: Samek u. a., Explainable AI, S. 16. 94  Samek/Müller, in: Samek u. a., Explainable AI, S. 16 f. 95  Russell/Norvig, AI, S. 672 weisen darauf hin, dass es entscheidend darauf ankommt, ob ein ML-Algorithmus zuverlässig funktioniert und das lässt sich am besten durch ausreichende Testung sicherstellen.



A. Begriffliche und technische Grundlagen35

b) Fortlaufende Anpassung von ML-Algorithmen Ein weiterer Aspekt, der die Vorhersehbarkeit betrifft, ist die Frage, ob sich ML-Algorithmen auch in der Anwendungsphase fortlaufend und quasi selbstständig anpassen. Im Hintergrund steht die Befürchtung, ML-Algorithmen würden sich Schritt für Schritt von ihrem eigentlich intendierten Verhalten entfernen und quasi ein „Eigenleben“ entwickeln. Insofern ist zu differenzieren. Maschinelles Lernen ermöglicht lernfähige Systeme. Daraus folgt allerdings nicht zwangsläufig, dass sich diese einmal trainierten Algorithmen regelmäßig und sogar unabhängig vom menschlichen Programmierer weiterentwickeln würden.96 Nach aktuellem Stand endet die Anpassung des Modells regelmäßig mit dem Ende des Trainings und damit vor der praktischen Anwendung. Bei ausgewählten Lernverfahren kann das Training mit neuen Daten fortgesetzt werden, ohne dass das bisherige Training wiederholt werden muss (sog. inkrementelles Lernen).97 Dabei soll es aber gerade keinen Unterschied machen, dass das Training in mehreren Phasen stattfindet.98 Eine selbstständige Anpassung findet insofern auch beim inkrementellen Lernen nicht zwangsläufig statt. Teilweise werden ML-Algorithmen auch tatsächlich fortlaufend, beispielsweise an das Verhalten eines bestimmten Nutzers, angepasst.99 Dabei ist allerdings zu beachten, dass auch eine bloße Änderung der Eingabedaten vorliegen kann, ohne dass das erlernte Modell insgesamt verändert wird. Der Chatbot Chat-GPT passt seine Antworten beispielsweise in Interaktion mit dem jeweiligen Nutzer durch dessen Feedback schrittweise an und kann so tendenziell immer spezifischere Antworten geben, ohne dass die grundlegenden Parameter, nach denen die Antworten erteilt werden, geändert werden.100 Vielmehr liegt eine Anpassung an die Eingabedaten vor, die auch zu einer geänderten Ausgabe führt. In anderen Konstellationen werden in der Anwendungsphase neu gewonnene Daten und Erkenntnisse benutzt, um das Modell fortlaufend zu verbessern.101 Ein solches kann insbesondere in einer sich dynamisch ändernden Umgebung erforderlich sein. Allerdings erfolgt eine solche Anpassung nach vorgegebenen Regeln und wird durch menschliche Entwickler zumindest Grundkurs KI, S. 90. inkrementellen Lernen Ertel, Grundkurs KI, S. 309. 98  Das ist im Bereich der neuronalen Netze häufig problematisch, da die alten Muster dann leicht vergessen werden (vgl. Ertel, Grundkurs KI, S. 342). 99  Beispielsweise passt sich die Spracherkennungssoftware „Dragon Naturally Speaking“ an die jeweilige Stimme und Sprechweise des Nutzers an. 100  Wei u. a., Transactions on Machine Learning Research 08/2022, 1 (3). 101  Russell/Norvig, AI, S.  730 f. 96  Ertel, 97  Zum

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

überwacht und kontrolliert.102 Ob mit einer fortlaufenden, möglicherweise teilautomatischen Anpassung (z. B. an die konkrete Einsatzsituation) Pro­ bleme im Hinblick auf die Vorhersehbarkeit einhergehen, lässt sich nicht pauschal beantworten. Insofern ist eine Beurteilung im jeweiligen Einzelfall auch unter Berücksichtigung der Überwachungs- und Kontrollmechanismen erforderlich. c) Unterschiedliche Einsatzorte für regelbasierte und ML-Algorithmen Die angenommene höhere zuverlässige Vorhersagbarkeit regelbasierter Algorithmen ist auch eine mittelbare Folge der unterschiedlichen technischen Funktionsweise. Maschinelles Lernen wird regelmäßig eingesetzt für komplexere Problemstellungen, die sich nicht mehr durch konventionelle Algorithmen lösen lassen – beispielsweise, weil die Anzahl der benötigten Parameter zu hoch ist, um sie mit vertretbarem Aufwand konventionell zu programmieren oder aber ein möglicher Lösungsweg Schritt für Schritt gar nicht bekannt ist (Bilderkennung, Spracherkennung etc.). In solchen komplexen Konstellationen ist der Einsatz von ML-Algorithmen besonders lohnend. Bei komplexeren Problemstellungen ist aber auch eine komplexere Lösung erforderlich. Insofern ist erwartbar, dass die Nachvollziehbarkeit und die Genauigkeit der Vorhersage abnehmen kann.103 Sie lässt sich aber nicht zwingend aus dem Einsatz von Methoden des maschinellen Lernens ableiten. Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass die Problemlösung häufig eine Kombination unterschiedlichster Methoden erfordert. Viele Probleme im Bereich des maschinellen Lernens sind so komplex, dass sie nicht einfach durch eine einzige Methode gelöst werden können. Das Gesamtproblem wird deshalb in einzelne Teilprobleme unterteilt und zu deren Lösung werden unterschiedliche Algorithmen eingesetzt.104 Die Kombination dieser einzelnen Algorithmen ergibt dann ein intelligentes System, das in der Lage ist, das Problem besser zu bewältigen.105 Dementsprechend besteht ein wesentlicher Teil der Problemlösung in der Regel darin, die richtigen Methoden zu finden, sinnvoll zu kombinieren und gegebenenfalls anzupassen. Ein besonders prominentes Beispiel dafür ist das Programm AlphaGo, bei dem eine auf einem Suchalgorithmus basierende Stellungsbewertungsfunktion durch die KombiAI, S.  730 f. diese Richtung auch Russell/Norvig, AI, S. 730. 104  Russell/Norvig, AI, S. 722 f. Auch Deep Learning ist eine Kombination an sich bereits bekannter Methoden (vgl. Ertel, Grundkurs KI, S. 321 ff.). 105  So lassen sich Verfahren des verstärkenden Lernens durch die Kombination mit einem neuronalen Netzwerk oder anderen überwachten Lernmethoden verbessern (Ertel, Grundkurs KI, S. 367). 102  Russell/Norvig, 103  In



A. Begriffliche und technische Grundlagen37

nation eines neuronalen Netzes mit Methoden des verstärkenden Lernens trainiert wurde.106 Die Entwicklung vollständig neuer Methoden ist dagegen regelmäßig nicht erforderlich. d) Zwischenergebnis Insgesamt hängt die Vorhersehbarkeit auch beim maschinellen Lernen stark vom konkreten Algorithmus und dem konkreten Einsatz ab, sodass eine pauschale Antwort kaum möglich ist. Darüber hinaus ist auch nicht in jeder konkreten Einsatzsituation und für jeden Einsatzzweck das gleiche Maß an Vorhersehbarkeit erforderlich.107 Die Bestimmung des für den Einzelfall erforderlichen Maßes an Vorhersehbarkeit ist dabei keine allein technische, sondern auch eine normative Frage, bei der eine Vielzahl von Faktoren miteinander abzuwägen sind. 4. Ausblick: Problemlösungskompetenzen von ML-Algorithmen a) Gegenwärtiger Stand: Begrenzte Problemlösungskompetenzen Nach gegenwärtigem Stand beschränken sich die erfolgreichen Anwendungsbeispiele des Einsatzes maschinellen Lernens überwiegend auf eng umgrenzte und spezifische Aufgabenstellungen, die keine generellen Pro­ blemlösungskompetenzen voraussetzen.108 Hinter der Leistung eines MLAlgorithmus verbirgt sich zumeist keine generelle Kompetenz, sondern eine spezifisch auf das Problem zugeschnittene Lösungsstrategie.109 Eine erfolgreiche Lösungsstrategie kann zwar als Ausgangspunkt für die Lösung eines ähnlichen Problems herangezogen werden, aber der so angepasste ML-Algorithmus ist nur in der Lage, das neue Problem zu lösen. Ein tiefes KNN, das ausschließlich darauf trainiert wurde, bestimmte Tierarten auf Fotos zu erkennen, wird daran scheitern, ein anderes Objekt zu erkennen.110 Das Lösen eines Problems mithilfe maschinellen Lernens ist ein arbeitsintensiver Vorgang.111 Dabei muss ein geeigneter Lernalgorithmus im Hinblick auf das zu 106  Für eine knappe Darstellung Ertel, Grundkurs KI, S. 370 ff. und ausführlich bei Silver u. a., Nature 529 (2016), 484 ff. 107  Ähnlich Samek/Müller, in: Samek u. a., Explainable AI, S. 6 f. 108  Vgl. die Aufzählung konkreter Anwendungsfelder bei Russell/Norvig, AI, S.  45 ff. 109  Russell/Norvig, AI, S. 1035. 110  Höfer, in: Jusletter 26. November 2018, 4.2 und 4.3. 111  Dazu Russell/Norvig, AI, S.  722 ff.

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

lösende Problem und die verfügbare Datenmenge in qualitativer und quantitativer Hinsicht ausgesucht und angepasst werden.112 Algorithmenmodelle, die für jedes Problem und jede Situation passen, gibt es bisher nicht.113 Als einer der Gründe dafür wird der Fluch der Dimensionalität114 angeführt. Im Grundsatz gilt, dass die Vorhersage eines ML-Algorithmus besser wird, je mehr unterschiedliche Eigenschaften er berücksichtigen kann. Auf der anderen Seite kann die Anzahl der für eine gute Vorhersage benötigten Datenpunkte im Verhältnis zur Anzahl der berücksichtigten Eigenschaften exponentiell ansteigen, da andernfalls eine Überanpassung an die Trainingsdaten droht. Das führt zu dem beobachteten Dilemma, dass die Vorhersagequalität eines Algorithmus, der mehr Eigenschaften berücksichtigt, trotzdem abnehmen kann, wenn die Anzahl der verfügbaren Datenpunkte nicht im ausreichenden Maße mitansteigt.115 Auch der im Ausgangspunkt flexiblere Ansatz des verstärkenden Lernens lässt sich regelmäßig nicht ausreichend skalieren, als dass er eine generelle Lösung für unterschiedliche Probleme bieten könnte. Erfolgreich funktioniert verstärkendes Lernen vor allem in kleinen Zustandsräumen mit begrenzten Handlungsoptionen (beispielsweise im Bereich von Brettspielen oder zur Verbesserung der Motorik von Robotern/ Drohnen).116 b) Fähigkeiten und Grenzen von Large Language Models Allerdings konnten speziell im Bereich der Verarbeitung natürlicher Sprache die Fähigkeiten von ML-Algorithmen zur generellen Problemlösung durch den seit dem Jahr 2018 zunehmenden Einsatz von Large Language Models (im Folgenden LLMs) deutlich gesteigert werden.117 Entsprechende Modelle werden auf einem riesigen Textkorpus vortrainiert und weisen deutlich mehr als eine Milliarde Parameter auf.118 Das Vortraining ermöglicht ein effizienteres Lernen. Das vortrainierte Netzwerk verfügt bereits über generelle Fähigkeiten zur Verarbeitung natürlicher Sprache und kann im zweiten Schritt mit deutlich kleineren Datenmengen domainspezifisch feingetunt AI, S.  727 f. in: Kersting/Lampert/Rothkopf, S. 181 ff. 114  Zur Begriffsdefinition vgl. Chen, in: Liu/Özsu, Encyclopedia Database Systems, 25 („Curse of Dimensionality“). 115  Kossen/Kuruc, in: Kersting/Lampert/Rothkopf, S. 89  ff. und Hölzer/Natterer, in: Kersting/Lampert/Rothkopf, S. 141 zu Big Data als Teil der Lösung. 116  Ertel, Grundkurs KI, S. 369 f., 374; Russell/Norvig, AI, S.  866 ff. 117  Ertel, Grundkurs KI, S. 338 ff.; Russell/Norvig, AI, S.  926 ff.; Wei u. a., Transactions on Machine Learning Research 08/2022, 1 (1). 118  Russell/Norvig, AI, S. 922. 112  Russell/Norvig, 113  Müller,



A. Begriffliche und technische Grundlagen39

werden.119 Beim Feintuning können auf Grund der verhältnismäßig geringen Datenmengen auch manuell gelabelte Datensätze eingesetzt werden;120 teilweise sind auch nur wenige Anweisungen oder Beispiele (= sog. prompts) ausreichend, damit das Modell eine bisher nicht spezifisch trainierte Aufgabe im Bereich der Sprachverarbeitung bewältigen kann (= Few-Shot Prompt­ ing).121 Fortschrittliche LLMs sind u. a. dazu in der Lage, natursprachliche Texte für sehr unterschiedliche Aufgabenstellungen zu produzieren, die sich nicht von durch Menschen erstellten Texten unterscheiden lassen. Dabei können entsprechende Modelle bei ihren Antworten auch auf domainspezifisches Wissen aus einer Vielzahl von Bereichen zurückgreifen. So war GPT-3 (das Sprachmodell auf dem Chat-GPT beruht) bereits dazu in der Lage, den Multiple-Choice-Teil der amerikanischen Anwaltsprüfung zu bestehen; das Nachfolger-Modell GPT-4 konnte sogar die essayistischen bzw. gutachterlichen Prüfungsteile und damit die Anwaltsprüfung insgesamt bestehen.122 Relativierend ist allerdings anzumerken, dass die spezifische Examenssituation sich nicht ohne Weiteres mit den realen Bedingungen, unter denen juristische Experten Entscheidungen treffen, vergleichen lässt. Insbesondere ist der entscheidungserhebliche Sachverhalt nicht vorgegeben. Auch ist das Exa­men zur Überprüfung der Leistungsfähigkeit von LLMs nur sehr bedingt geeignet, weil LLMs anders als menschliche Teilnehmer auf in juristischen Datenbanken gespeichertes Fachwissen zurückgreifen können. Unter realistischeren Bedingungen verschwindet dieser in der Examenssituation gegebene Vorteil hingegen. Dennoch ist es eine beeindruckende Leistung, die das Potential von LLMs auch im Bereich der Rechtsanwendung verdeutlicht. Auf der anderen Seite bestehen noch erhebliche Limitierungen: So sind die erstellten Antworten zwar kontextuell passend und erscheinen plausibel; sie bleiben allerdings teilweise auf einer abstrakten Ebene oder sind sachlich unzutreffend.123 Besonderheiten einer konkreten Situation oder spezifischere Argumente werden zum Teil nicht ausreichend berücksichtigt.124 Ein großes AI, S. 922. AI, S. 922. 121  Wei u. a., Transactions on Machine Learning Research 08/2022, 1 (3 f.). 122  Bommarito/Katz, GPT takes the Bar Exam, http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.431 4839, Stand: 01.04.2023 und Katz/Bommarito/Gao/Arredondo, GPT-4 Passes the Bar Exam, http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.4389233, Stand: 01.04.2023. 123  Ashley, U. Cin. L. Rev. 2022, 1207 (1237); Bachgrund/Nesum/Bernstein/Burchard, CR 2023, 132 (136 f.). 124  Vgl. die Beispiele bei Johannisbauer, MMR-Aktuell 2023, 455537; in diesem Kontext sind LLMs auch als „Super-Parrots“ bezeichnet worden (Ferrucci, Can Super-Parrots Ever Achieve Language Understanding?, https://medium.com/@Ele mentalCognition/can-super-parrots-ever-achieve-language-understanding-8307dfd 3e87c., Stand: 01.04.2023. 119  Russell/Norvig,

120  Russell/Norvig,

40

1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

Problem ist die Neigung von LLMs zu sog. Halluzina­tionen.125 So wird die Tendenz bezeichnet, dass LLMs sich in ihren Texten teilweise auf Fakten, Personen oder auch konkrete Nachweise beziehen, die gar nicht existieren.126 Diese Tendenz zu Halluzinationen dürfte den zuverlässigen Einsatz von LLMs in vielen Bereichen gegenwärtig ausschließen. Es ist schwierig zu prognostizieren, ob und inwiefern dieses Problem in Zukunft gelöst werden kann. Insbesondere ist keinesfalls sicher, dass das Problem durch immer größere Modelle gelöst werden kann. So zeigen Untersuchungen, dass die Tendenz zu irreführenden Antworten mit steigender Parameteranzahl bei einigen Modelltypen (z. B. Gopher) abnimmt,127 bei anderen (z. B. GPT-3) aber sogar zunimmt.128 c) ML-Algorithmen im Bereich hoheitlicher Tätigkeit Auch im Bereich hoheitlicher Tätigkeit in Deutschland werden LLMs oder andere komplexe ML-Algorithmen nach gegenwärtigem Stand weder eingesetzt noch ist ein solcher Einsatz konkret geplant.129 Die tatsächlich implementierten und konkret diskutierten Einsatzmöglichkeiten maschinellen Lernens im Bereich hoheitlicher Tätigkeit130 beschränken sich auf eher wenig komplexe Algorithmenmodelle mit beschränktem Autonomiegrad.131 Beispiele sind der (potenzielle) Einsatz maschinellen Lernens im Rahmen des EasyPASS-Systems,132 der automatisierten Objekterkennung bei der Zollab­ 125  Dazu im Überblick Ji u.  a., ACM Computing Surveys 55 (2023), Artikel 248:1 ff. 126  Vgl. beispielsweise Bachgrund/Nesum/Bernstein u. a., CR 2023, 132 (137) und Schirmer, JZ 2023, 144 (145). 127  Rae u. a., Scaling Language Models: Methods, Analysis & Insights from Training Gopher, S. 12, https://arxiv.org/pdf/2112.11446.pdf, Stand: 01.04.2023. 128  Lin/Hilton/Evans, Proceedings of the 60th Annual Meeting of the Association for Computational Linguistics (2022), 3214 ff. 129  Vgl. die ausführliche Darstellung des gegenwärtigen Standes der KI-Forschung bei Russell/Norvig, AI, S.  45 ff. 130  Einen Überblick zum Einsatz von KI im Geschäftsbereich der Bundesregierung bietet BT-Drs. 20/430, S. 1 ff.; vgl. auch speziell im Bereich der Finanzverwaltung BT-Drs. 19/30278, S. 1 ff. und LT-NRW Drs. 17/15002, S. 144 ff. zum Einsatz im Bereich der Landesverwaltung NRW. 131  Ähnlich kritisch gegenüber den Vorstellungen von weitgehender Autonomie Herberger, NJW 2018, 2825 (2827); Spindler, CR 2015, 766 (777); Wischmeyer, AÖR 143 (2018), 1 (15). 132  Das EasyPASS-System ermöglicht eine automatisierte Ausweiskontrolle. Dabei wird (höchst wahrscheinlich) ein neuronales Netz eingesetzt, um das auf dem vorgezeigten Ausweis gespeicherte Bild mit einem aufgenommenen Livebild abzugleichen (vgl. Bundespolizeipräsidium (Hrsg.), Easy Pass – Die einfache, automatisierte Grenzkontrolle, Stand: April 2015, S. 2).



A. Begriffliche und technische Grundlagen41

fertigung,133 der intelligenten Verkehrssteuerung,134 der automatisierten Auswertung von Satellitenbildern zur Erkennung von illegalen Neubauten,135 dem Risikomanagement im Besteuerungsverfahren136 oder der Geldwäsche­ bekämpfung,137 bei denen es sich um eng umgrenzte und spezifische Pro­ blemstellungen handelt.138 Auch in weiteren Bereichen, die häufig im Kontext von ML-Algorithmen (bzw. künstlicher Intelligenz) genannt werden, wie dem Predictive Policing, werden noch überwiegend regelbasierte Algorithmen oder allenfalls ML-Algorithmen mit begrenztem Komplexitätsgrad eingesetzt.139 Vor diesem Hintergrund ist es schwierig zu prognostizieren, ob und inwiefern140 auch ein hoheitlicher Einsatz komplexerer ML-Algorithmen (beispielsweise LLMs) zukünftig zu erwarten ist.141 Die diesbezügliche Entwicklung hängt von vielen, in der Gesamtheit nicht vorhersehbaren Faktoren ab. Ein Blick auf die Vergangenheit zeigt, dass Prognosen über die zukünftige Entwicklung im Bereich der KI tendenziell vorsichtig formuliert werden sollten, da sich diese häufig als unzutreffend herausgestellt haben.142 Vor diesem Hintergrund orientiert sich die rechtliche und die rechtstheoretischtechnische Analyse zunächst an den kurz- bis mittelfristig einsatzbereiten 133  BT-Drs.

20/430, S. 6. ausführlich Busche, ZG 2023, 74 ff.; Wischmeyer, in: Ebers u. a., KI u. Robotik, 613 (Rn. 29 ff.). 135  LT-NRW Drs. 17/15002, S. 149. 136  Ob und in welchem Umfang ML-Algorithmen im Rahmen von Risikomanagementsystemen eingesetzt werden, ist nicht vollständig klar: Wischmeyer, in: Ebers u. a., KI u. Robotik, 613 (Rn. 27). So werden in der Finanzverwaltung des Landes NRW bisher noch keine ML-Algorithmen eingesetzt, wenngleich ein solches geplant ist (LT-NRW Drs. 17/15002, S. 146; ähnlich für das Bundeszentralamt für Steuern BT-Drs. 19/30278, S. 4); in diese Richtung gehen die Ausführungen in LT-Drs. Baden-Württemberg 15/1047, S. 19 zum Risikomanagementsystem NEPOMUK 2.1, das auf ein KNN zur Erkennung von Beteiligten an Umsatzsteuerkarusselgeschäften zurückgreifen soll. Braun Binder, in: Unger/v. Ungern-Sternberg, Demokratie u. KI, 161 (174 ff.) und Herold, in: Taeger, Rechtsfragen, 453 (459 f.), gehen von einem entsprechenden Einsatz aus, belegen ihn aber nicht. 137  Vgl. BT-Drs. 20/430, S. 6 und BT-Drs. 19/30278, S. 2. 138  Braun Binder, in: Unger/v. Ungern-Sternberg, Demokratie u. KI, 161 (179) scheint hingegen davon auszugehen, dass die ML-Algorithmen im Rahmen des Risikomanagementsystems sich selbstständig fortentwickeln, ohne allerdings zu erklären, wie sie zu dieser Einschätzung kommt oder warum ein solches für die Aufgabenerfüllung erforderlich sein sollte. 139  Diese Bewertung teilt auch Wischmeyer, in: Ebers u. a., KI u. Robotik, 613 (Rn. 20). 140  Zu möglichen Grenzen künstlicher Intelligenz Russell/Norvig, AI, S. 1032. 141  Vgl. beispielsweise die große Varianz der Einschätzungen befragter Experten Russell/Norvig, AI, S. 46. 142  Zur zwischen Euphorie und Ernüchterung wechselnden Geschichte der Entwicklung künstlicher Intelligenz vgl. Russell/Norvig, AI, S.  35 ff. 134  Dazu

42

1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

Algorithmenmodellen und versucht zugleich, an geeigneten Stellen auch langfristige Entwicklungspotenziale (z. B. den Einsatz von LLMs zur Automation der Rechtsanwendung oder die Zulässigkeit des Einsatzes im Hinblick auf das Gesetzmäßigkeitsprinzip)143 einzubeziehen. Nachdem nun die technischen Grundlagen dargestellt sind, soll im folgenden Abschnitt mit der rechtlichen Analyse für den Bereich der Verwaltungsautomation begonnen werden.

B. Rechtliche Grundlagen der Verwaltungsautomation Als Vorfrage für die weitere Befassung wird kurz auf die Verwaltungsaktqualität und die grundsätzliche Zulässigkeit automatisiert erlassener Verwaltungsentscheidungen eingegangen. Beide Fragestellungen prägten den Beginn der Diskussion um die Verwaltungsautomation.144 Sie haben aus heutiger Sicht allerdings eher rechtshistorische Bedeutung und werden deshalb an dieser Stelle nur kurz behandelt. Darauf aufbauend wird der Anwendungsbereich der verfahrensrechtlichen Vorschriften zu automatisiert erlassenen Verwaltungsakten präzise und differenziert herausgearbeitet. Sodann sind die speziell für den automatisiert erlassenen Verwaltungsakt geltenden organisations- und verfahrensrechtlichen Anforderungen darzustellen. Dabei wird zunächst nicht zwischen unterschiedlichen Algorithmenarten differenziert. Allerdings ist fraglich, ob die gefundenen Ergebnisse unterschiedslos auch für den (zukünftigen) Einsatz von ML-Algorithmen gelten, sodass diese Problematik gesondert behandelt wird. Insbesondere die Fragen nach der Rechtsnatur und der Zulässigkeit sind beim Einsatz von ML-Algorithmen möglicherweise anders zu beantworten.

I. Automatisiert erlassene Verwaltungsentscheidungen 1. Einordnung als Verwaltungsakt Die Frage nach der Verwaltungsaktqualität einer automatisierten Verwaltungsentscheidung ist bereits in den 1950er Jahren und teilweise bis in die jüngere Vergangenheit145 kontrovers diskutiert worden146, wenngleich die 143  Dazu

unter 3. Teil C. II. 2. b) bzw. 1. Teil B. IV. 2 a) aa) (1). der Beginn der Diskussion durch Zeidler, Technisierung, S. 11 ff. und als Entgegnung die Dissertation von Bull, Verwaltung, S.  61 ff. 145  U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (102 ff.) sah sich herausgefordert, ausführlich zu begründen, dass auch eine vollständig automatisiert erstellte Entscheidung unabhängig von § 35a VwVfG unter § 35 VwVfG zu subsu144  Vgl.



B. Rechtliche Grundlagen der Verwaltungsautomation43

Diskussion darunter gelitten hat, dass die Frage nach der Rechtsnatur teilweise mit der Frage nach der Zulässigkeit vermischt wurde.147 Dabei entspricht es der bereits seit mehreren Jahrzehnten nahezu allgemeinen An sicht148, dass der automatisierte Erlass einer Einordnung als Verwaltungsakt nicht grundsätzlich entgegensteht.149 Dafür wurden im Wesentlichen drei Argumente angeführt. Erstens sei auch die automatisiert erlassene Entscheidung im Normalfall150 restlos durch die menschliche Programmierung determiniert. Die menschliche Entscheidung werde im Falle der Automation insofern nur vorverlagert und gerade nicht ersetzt.151 Zweitens entscheide sich die Verwaltung bewusst für den Einsatz eines Algorithmus zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben. Das daraus folgende Ergebnis müsse ihr dann auch zugerechnet werden.152 Und drittens spreche bereits das positive Recht für eine Einordnung als Verwaltungsakt, da der Gesetzgeber in den §§ 28 Abs. 2 Nr. 4, 37 Abs. 5, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG von der Möglichkeit eines automatisiert erlassenen Verwaltungsaktes ausgehe.153 Spätestens mit Einführung der §§ 35a VwVfG, 31a SGB X, 155 Abs 4 AO dürfte auch der letzte Raum für abweichende Ansichten verschwunden sein.154 Ein ausdrücklich benannter gesetzgeberischer Zweck dieser Vorschriften ist es, klarzustellen, dass selbst der vollständig automatisierte Erlass

mieren ist. Ablehnend hingegen für die Konstellation der Vollautomation wenig überzeugend Braun Binder, NVwZ 2016, 960 (963 f.). 146  Für eine Zusammenfassung der älteren Diskussion vgl. Polomski, Verwaltungsakt, S. 73 ff. und Lazaratos, Verwaltungsautomation, S.  256 ff. 147  So beispielsweise bei Zeidler, Technisierung, S. 14 ff. und später Lazaratos, Verwaltungsautomation, S. 275 ff.; hingegen ausdrücklich für das Auseinanderhalten Polomski, Verwaltungsakt, S. 90 f. Eine ähnliche Bewertung findet sich bei U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (103). 148  Eifert, E-Government, S. 127 f. spricht noch weitergehend davon, dass diese Frage schon lange nicht mehr streitig ist. 149  So bereits Bull, Verwaltung, S.  61 ff.; Luhmann, Automation, S. 30 ff. und Polomski, Verwaltungsakt, S. 73 ff. mit zahlreichen Nachweisen für die Zeit vor 1993; aus neuerer Zeit Detterbeck, Verwaltungsrecht, § 10 Rn. 442; Eifert, E-Government, S. 127; Ritgen, in: Bauer u. a., VwVfG (E-Government), § 35 Rn. 53 f.; Tischbirek, ZfDR 2021, 307 (318 f.). 150  Ausführlich zum Sonderfall der ML-Algorithmen: 1. Teil B. IV. 151  Dazu mit zahlreichen Nachweisen Polomski, Verwaltungsakt, S.  79 f. 152  Dazu mit zahlreichen Nachweisen Polomski, Verwaltungsakt, S.  78 f. 153  Dazu mit zahlreichen Nachweisen Polomski, Verwaltungsakt, S.  77 f. 154  So selbst Braun Binder, DÖV 2016, 891 (892), die vor Erlass des § 35a VwVfG die Einordnung als Verwaltungsakt im Falle der vollautomatisierten Erstellung noch abgelehnt hatte (Braun Binder, NVwZ 2016, 960 (963 f.)).

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

der Verwaltungsaktqualität nicht entgegensteht.155 Das muss dann erst recht für teilweise automatisiert erstellte Verwaltungsentscheidungen gelten. 2. Keine grundlegenden rechtlichen Einwände gegen die Verwaltungsautomation Es bestehen keine Zweifel mehr, dass es grundsätzlich rechtlich zulässig ist, Verwaltungsakte auch automatisiert und nicht nur personal zu erlassen. So befinden sich bereits seit dessen ursprünglichen Erlass im Jahr 1977 Vorschriften zum automatisierten Erlass von Verwaltungsakten im VwVfG (§§ 28 Abs. 2 Nr. 4, 37 Abs. 5, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG), wodurch der Gesetzgeber diese Art der Verfahrensdurchführung konkludent anerkannt hat. Auch verfassungsrechtliche Bedenken, die die Möglichkeit, Verwaltungsakte automatisiert zu erlassen, generell ausschließen, bestehen nicht.156 Dass auch der vollständig automatisierte Erlass von Verwaltungsakten im Grundsatz rechtlich vertretbar ist, stellen seit dem Jahr 2017 die §§ 35a VwVfG, 31a SGB X, 155 Abs 4 AO klar.157 Laut der Gesetzesbegründung haben sich in der Vergangenheit möglicherweise angenommene rechtliche Bedenken gegen den vollständig automatisierten Erlass von Verwaltungsakten jedenfalls „inzwischen“ durch den technischen Fortschritt erledigt.158 Davon zu unterscheiden ist die auch aus heutiger Perspektive höchst relevante Frage, unter welchen organisations- und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen und in welchem Umfang die Automation rechtlich zulässig ist. Dazu wird diese Untersuchung insbesondere für den Bereich der Verwaltungsspielräume einen Beitrag leisten. Zunächst soll im Folgenden untersucht werden, unter welchen konkreten Voraussetzungen von einem automatisiert erlassenen Verwaltungsakt auszugehen ist.

155  BT-Drs. 18/8434,

S. 122. 133, 250 (252); stillschweigend von der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Automation ausgehend BVerfG, NJW 1994, 574 (575); mit diesem Ergebnis bereits Bull, Verwaltung, S. 61 ff., der die Verwaltungsautomation im Hinblick auf Art. 1, 2, 3, 20. Abs. 2 S. 2 und 20 Abs. 3 GG überprüft. 157  So heißt es in der Gesetzesbegründung zu § 35a VwVfG: „sodass inzwischen auch ein vollständig automatisierter Erlass von Verwaltungsakten technisch möglich und rechtlich vertretbar ist“ (BT-Drs. 18/8434, S. 122). 158  BT-Drs. 18/8434, S. 122. 156  BFHE



B. Rechtliche Grundlagen der Verwaltungsautomation45

II. Anwendungsbereich der Vorschriften zu automatisiert erlassenen Verwaltungsakten Vorschriften zum automatisierten Erlass von Verwaltungsakten finden sich seit längerem im VwVfG, in der AO und auch dem SGB X. Was unter einem automatisiert erlassenen Verwaltungsakt zu verstehen ist, soll durch Auslegung dieser Vorschriften erschlossen werden. Dabei ist zwischen den potenziell unterschiedlichen Regelungsregimen zu differenzieren. So wird zunächst nur auf das VwVfG eingegangen und dabei zwischen § 35a VwVfG und den §§ 28 Abs. 2  Nr. 4, 37 Abs. 5, 39 Abs. 2  Nr. 3 VwVfG differenziert.159 Erst im Anschluss wird sodann erörtert, inwieweit die gefundenen Ergebnisse auch auf die Regelungen im SGB X und der AO übertragbar sind. 1. Automatisierter Erlass von Verwaltungsakten im VwVfG Die Regelungen in den §§ 28 Abs. 2 Nr. 4, 37 Abs. 5, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG entsprechen sich trotz vereinzelter Differenzen in ihrem wesentlichen Wortlaut. So beziehen sie sich zusammengefasst auf den Erlass von Verwaltungsakten „mit Hilfe automatischer Einrichtungen“. § 35a VwVfG lautet hingegen teilweise abweichend: „Ein Verwaltungsakt kann vollständig durch automatische Einrichtungen erlassen werden, sofern dies durch Rechtsvorschrift zugelassen ist und weder ein Ermessen noch ein Beurteilungsspielraum besteht.“

Der § 35a VwVfG und die §§ 28 Abs. 2 Nr. 4, 37 Abs. 5, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG stimmen im Hinblick auf zwei Merkmale überein. So geht es jeweils um den Erlass eines Verwaltungsaktes und dieser Erlass vollzieht sich „mit Hilfe“ bzw. „durch automatische Einrichtungen“. Der Inhalt dieser beiden Merkmale kann zusammen bestimmt werden.160 Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass der § 35a VwVfG seinem Wortlaut nach auf den „vollständig“ automatisiert erlassenen Verwaltungsakt beschränkt ist und eine entsprechende Einschränkung in den §§ 28 Abs. 2 Nr. 4, 37 Abs. 5, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG fehlt. Anhand des Merkmals der Vollständigkeit dürfte sich also das Verhältnis der Vorschriften zueinander bestimmen lassen.

159  Der § 24 Abs. 1 S. 3 VwVfG wird unter 1. Teil B. III. 2. b) aa) gesondert behandelt. 160  So auch U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (85).

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

a) Erlass eines Verwaltungsaktes Sowohl die §§ 28 Abs. 2 Nr. 4, 37 Abs. 5, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG als auch der neu eingefügte § 35a VwVfG nehmen auf den Erlass eines Verwaltungsaktes Bezug. Im allgemeinen Sprachgebrauch des VwVfG (beispielsweise §§ 9, 37 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG) schließt der Erlass nach überwiegender Ansicht die Erstellung und die Bekanntgabe des Verwaltungsaktes ein.161 Entgegen dieser allgemeinen Verwendung ist für die §§ 28 Abs. 2 Nr. 4, 37 Abs. 5, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG allerdings bereits seit langem anerkannt, dass die Bekanntgabe nicht vom Erlassbegriff umfasst ist.162 Ansonsten könnte ein bis dahin durch einen menschlichen Verwaltungsmitarbeiter erstellter Verwaltungsakt allein deshalb den Regelungen zu automatisiert erlassenen Verwaltungsakten unterfallen, weil er im Anschluss an die Erstellung automatisch übermittelt wird (z. B. elektronisch gem. § 41 Abs. 2 S. 2  VwVfG).163 Im Kontext der Verwaltungsautomation wird unter Erlass daher nur die Erstellung des Verwaltungsaktes verstanden. Dieses enge Begriffsverständnis ist auch für die neu geregelte Konstellation des vollständig automatisierten Erlasses von Verwaltungsakten zu übernehmen.164 Denn andernfalls könnte auch hier eine personale Bearbeitung nach der Erstellung beispielsweise durch eine Bekanntgabe per Post den Charakter des vollständig automatisierten Erlasses ändern und der Schutzzweck könnte leicht unterlaufen werden.165 Der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten ist insgesamt nicht durch eine besondere elektronische Bekanntgabe (§ 41 Abs. 2 Satz 2 VwVfG) oder Form (§ 37 Abs. 2 Satz 1 VwVfG), 161  OVG Koblenz, DVBl. 1983, 955; H.  Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 9 Rn. 195. 162  W. Schmitz, VR 1991, 213 (218); U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35a Rn. 14. 163  W. Schmitz, VR 1991, 213 (218). 164  So auch die nach jetzigem Stand nahezu allgemeine Meinung Berger in: Knack/Henneke, VwVfG, § 35a Rn. 41; Luthe, SGb 2017, 250 (251); Müller, in: Huck/Müller, VwVfG, § 35a Rn. 3; Prell, in: BeckOK, VwVfG, § 35a Rn. 3; Ramsauer/Tegethoff, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 35a Rn. 10; H. Schmitz/Prell, NVwZ 2016, 1273 (1276); Siegel, DVBl. 2017, 24 (25); U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/ Martini, Digitalisierung, 81 (86 f.); Stuhlfauth, in: Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, § 35a Rn. 6; Windoffer, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 35a Rn. 21 möchte zumindest die Bekanntgabehandlung im Fall der Vollautomation grundsätzlich zum Erlass zählen, schränkt dieses Ergebnis jedoch sofort wieder ein, solange nicht für die inhaltliche Bearbeitung zuständiges Personal die Bekanntgabehandlung übernimmt (Rn. 23). 165  H. Schmitz/Prell, NVwZ 2016, 1273 (1276); Braun Binder, DÖV 2016, 891 (895) scheint davon auszugehen, dass für eine vollständig automatisierte Erstellung auch der Akt der Bekanntgabe automatisiert erfolgen muss.



B. Rechtliche Grundlagen der Verwaltungsautomation47

sondern durch das auf seinen Erlass gerichtete Verfahren mit Hilfe bzw. durch automatische Einrichtungen bestimmt.166 b) Erlass mit Hilfe bzw. durch automatische Einrichtungen Notwendiges Merkmal und wesentliches Charakteristikum des Erlasses „mit Hilfe“ bzw. „durch automatische Einrichtungen“ ist der Einsatz automatischer Einrichtungen. Der Begriff der automatischen Einrichtungen ist technikoffen zu verstehen. Auf eine konkrete Technikart oder technische Funktionsweise kommt es hierbei nicht an.167 So lassen sich problemlos die in den 1960er und -70er Jahren vorherrschenden Großrechneranlagen als auch die heutigen vernetzten PCs darunter verstehen.168 Entscheidend ist lediglich, dass die automatischen Einrichtungen, nachdem sie in Gang gesetzt wurden, selbstständig, d. h. ohne weiteres menschliches Einwirken funktionieren.169 Um den spezifischen Zweck der Vorschriften nicht zu verwässern, ist es nicht hinreichend, wenn die automatischen Einrichtungen zu irgendeinem Zeitpunkt im Prozess der Erstellung des Verwaltungsaktes eingesetzt werden. Ansonsten würde bereits das Ausdrucken bzw. Vervielfältigen eines durch einen menschlichen Amtswalter erstellten Verwaltungsaktes dazu führen, dass der Verwaltungsakt als automatisiert erstellt gilt, da das Ausdrucken bzw. Vervielfältigen ohne menschliche Einwirkung abläuft.170 Vielmehr muss sich der Einsatz der automatischen Einrichtungen darauf beziehen, dass das Verfahren der Entscheidungsfindung zumindest teilweise automatisiert stattfindet.171 Insofern liegt ein Erlass „mit Hilfe“ bzw. „durch automatische in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (87). SGb 2017, 250 (252); Prell, in: BeckOK, VwVfG, § 35a Rn. 5; H. Schmitz/Prell, NVwZ 2016, 1273 (1275 f.); U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (87); Windoffer, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 35a Rn. 13. 168  W. Schmitz, VR 1991, 213 (218); U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (87). 169  Luthe, SGb 2017, 250 (252); Prell, in: BeckOK, VwVfG, §  35a Rn. 5; H. Schmitz/Prell, NVwZ 2016, 1273 (1275 f.); U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35a Rn. 16; Windoffer, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 35a Rn. 13; ähnlich schon Polomski, Verwaltungsakt, S. 23 f. bezogen auf den Begriff der Verwaltungsautomation und W. Schmitz, VR 1991, 213 (218). 170  Anders beispielsweise Polomski, Verwaltungsakt, S. 131, der im Einklang mit den missverständlichen Gesetzgebungsmaterialien zu § 37 Abs. 5 VwVfG (vgl. BTDrs. 7/910, S. 59) davon ausgeht, dass die Vervielfältigung eines Bescheides für die Annahme eines Erlasses „mit Hilfe automatischer Einrichtungen“ ausreiche. Diese Ansicht ist jedoch spätestens seit Einfügung des § 35a VwVfG aus systematischen Gründen überholt. 171  U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (88). 166  U. Stelkens, 167  Luthe,

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

Einrichtungen“ nur vor, wenn sich der Einsatz der automatischen Einrichtungen auf den verfügenden Teil des Verwaltungsaktes auswirkt, ohne dass eine menschliche Ergebniskontrolle stattfindet.172 c) Systematisches Verhältnis der §§ 28 Abs. 2 Nr. 4, 37 Abs. 5, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG zu § 35a VwVfG Aus den bisher erarbeiteten Merkmalen ergibt sich bereits die allgemeine Definition des automatisiert erlassenen Verwaltungsaktes. Ein solcher liegt vor, wenn bei der Erstellung eines Verwaltungsaktes (= Erlass) automatische Einrichtungen eingesetzt werden und sich deren Einsatz zumindest auch auf den verfügenden Teil des Verwaltungsaktes auswirkt, ohne dass eine menschliche Ergebniskontrolle stattfindet.173 Dieses einheitliche Grundmodell liegt sowohl dem § 35a VwVfG als auch den §§ 28 Abs. 2 Nr. 4, 37 Abs. 5, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG zugrunde. Der Anwendungsbereich unterscheidet sich hingegen im Hinblick auf das Merkmal der Vollständigkeit, dessen Bedeutung nun erschlossen werden soll. aa) Anwendungsbereich des § 35a VwVfG (1) V  ollständigkeit = Fehlen einer personalen Bearbeitung in allen Verfahrensschritten Der § 35a VwVfG behandelt ausweislich der amtlichen Überschrift und seines Wortlauts den „vollständig“ automatisierten Erlass eines Verwaltungsaktes. Das Attribut der Vollständigkeit ist im Bezug zu den anderen Merkmalen zu erschließen. Die Vollständigkeit bezieht sich auf den Einsatz von automatischen Einrichtungen beim Erlass eines Verwaltungsaktes. Mit letzterem ist nach dem hiesigen Begriffsverständnis das Verfahren der Erstellung eines Verwaltungsaktes ohne die anschließende Bekanntgabe gemeint. Für eine vollständige Automation dieses Verfahrens ist es also erforderlich, dass alle 172  VG Saarlouis, Urteil vom 12.3.2008 – 11 K2 146/05, Juris Rn. 23; Berger, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 35a Rn. 34; Ritgen, in: Bauer u. a., VwVfG (E-Government), § 37 Rn. 102; U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35a Rn. 17 f.; Tiedemann, in: BeckOK, VwVfG, § 37 Rn. 50.; unklar hingegen Roth-Isigkeit, AöR 145 (2020), 321 (324) der zunächst darauf abstellt, dass sich der Einsatz auf den verfügenden Teil auswirken muss, aber sodann die Möglichkeit einer menschlichen Ergebniskontrolle zumindest für die Teilautomation anzunehmen scheint (Roth-Isigkeit, AöR 145 (2020), 321 (325)). 173  So schon Polomski, Verwaltungsakt, S. 72 für den automatisierten Verwaltungsakt, den er aber anders als hier vertreten vom Erlass „mit Hilfe automatischer Einrichtungen“ unterscheidet (S. 132).



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Verfahrensschritte bis zum Abschluss der Erstellung (ohne Bekanntgabe) ausschließlich durch automatische Einrichtungen ausgeführt werden. Insofern ist die vollständige Automation durch das Fehlen einer personalen Bearbeitung in allen Verfahrensschritten innerhalb der Verwaltung nach der Verfahrenseinleitung gekennzeichnet.174 Die bloße Möglichkeit der Aussteuerung ändert nichts am vollständig automatisierten Erlass derjenigen Verwaltungsakte, bei denen von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht wird.175 Auch nicht erforderlich ist es, dass bereits im Vorfeld alle entscheidungserheblichen Daten vorliegen.176 Es ist ausreichend, wenn diese beispielsweise durch den Antragsteller von außen in das Verfahren eingespeist oder aus bestehenden Datensätzen automatisiert beschafft werden.177 Die Einleitung des Verfahrens kann entweder nach vorher festgelegten Parametern selbsttätig erfolgen oder durch einen externen Anlass, beispielsweise einen Antrag, ausgelöst werden.178 Selbst das Ingangsetzen durch einen Behördenmitarbeiter ändert nichts am vollautomatisierten Verfahren, sofern sich die menschliche Einwirkung auf den ersten Impuls beschränkt und soweit nicht etwa der Sachverhalt ganz oder teilweise eingegeben wird.179 Denn auch in dieser Konstellation hat der Behördenmitarbeiter keinen über die Einleitung hinausgehenden Einfluss auf die Sachverhaltsermittlung und die Entscheidungsfindung, sodass § 35a VwVfG seinem Schutzzweck nach einschlägig ist.

174  So die nahezu allgemeine Meinung Braun Binder, DÖV 2016, 891 (895); im Ergebnis wohl auch Bull, DVBl. 2017, 409 (410 f.); v. Harbou, JZ 2020, 340 (341); Luthe, SGb 2017, 250 (252); Prell, in: BeckOK, VwVfG, § 35a Rn. 6.; Ramsauer/ Tegethoff, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 35a Rn. 10; H. Schmitz/Prell, NVwZ 2016, 1273 (1276); U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (96 ff.); Stuhlfauth, in: Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, § 35a Rn. 5. Wenig trennscharf der Ansatz von Berger, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 35a Rn. 37, die keine Begriffsdefinition liefert, sondern auf die geänderte Funktion bzw. Rolle des menschlichen Amtswalters im Verwaltungsverfahren abstellt; ähnlich unbestimmt auch Roth-Isigkeit, AöR 145 (2020), 321 (325 f.). 175  So auch die Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/7457, S. 82 f. 176  Prell, in: BeckOK, VwVfG, § 35a Rn. 6. 177  Luthe, SGb 2017, 250 (252). 178  Etwas unklar zum Erfordernis einer automatisierten Verfahrenseinleitung Bull, DVBl. 2017, 409 (410 f.), der im Ergebnis aber zumindest die Einleitung durch den Bürger selbst ausreichen lässt. 179  U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (99); Windoffer, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 35a Rn. 13.

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

(2) Einschränkung des Anwendungsbereichs aus teleologischen Gründen Der so zunächst positiv erschlossene Anwendungsbereich vollständig automatisiert erlassener Verwaltungsakte muss in bestimmten Fallkonstellationen aus teleologischen Gründen wieder eingeschränkt werden.180 So gab es bereits vor Erlass der Neuregelung Fälle des vollständig automatisierten Erlasses von Verwaltungsakten, die auch ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung für allgemein zulässig gehalten wurden.181 Dies betrifft beispielsweise zumindest zeitweise vollautomatisiert betriebene Verkehrsbeeinflussungsanlagen, die abhängig vom Verkehrsaufkommen Verkehrszeichen selbstständig anzeigen,182 oder den Erlass einfacher Abgaben- oder Beitragsbescheide183 (z. B. Hundesteuerbescheide,184 oder vor der Privatisierung der Post Telefonrechnungen185). Insofern handelt es sich um Konstellationen, bei denen der entscheidungserhebliche Sachverhalt im Vorhinein auf wenige, bereits vorliegende oder besonders eindeutig zu ermittelnde Daten beschränkt ist. Es ist davon auszugehen, dass diese Fälle im Gesetzgebungsverfahren übersehen wurden. Es ist fernliegend anzunehmen, dass der Gesetzgeber durch die Neuregelung diese bereits seit langem etablierten und – auch ohne explizite Regelung – zulässigen Formen der Vollautomation mangels einer Zulassung durch Rechtsvorschrift für unzulässig erklären wollte.186 Deshalb muss § 35a VwVfG in diesen Fallgruppen, in denen die der Vollautomation zugeschriebene Gefährdungslage offensichtlich nicht vorliegen kann und die bereits beim Erlass des § 35a VwVfG etabliert waren, eingeschränkt ausgelegt werden.187 180  Prell, in: BeckOK, VwVfG, § 35a Rn. 11b; mit diesem Ergebnis, allerdings unklarer dogmatischer Konstruktion Ramsauer/Tegethoff, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 35a Rn. 12; U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (99 f.); Ziekow, VwVfG, § 35a Rn. 10; zurückhaltend gegenüber einer teleologischen Reduktion Guckelberger, DÖV 2021, 566 (570); a. A. Windoffer, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 35a Rn. 27 zumindest für den Rechtssatzvorbehalt. 181  U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (99 f.). 182  Unproblematisch von der Zulässigkeit ausgehend beispielsweise BVerwGE 138, 21 (Rn. 15, 22); Ritgen, in: Bauer u. a., VwVfG (E-Government), § 35 Rn. 53. 183  In Hinblick auf einen maschinell erstellten Rundfunkbeitragsbescheid zieht das VG Frankfurt, Urteil vom 09.09.2020 – 3 K 616/17, Juris Rn. 29 die Möglichkeit einer teleologischen Reduktion des § 35a VwVfG nicht in Betracht. Das Gericht lässt allerdings bereits offen (Rn. 32), ob es sich überhaupt um einen voll- oder nur teilautomatisiert erlassenen Verwaltungsakt handelt (Rn. 30) und stellt i. E. darauf ab, dass ein etwaiger Verstoß jedenfalls durch das durchgeführte Widerspruchsverfahren geheilt wurde (Rn. 33). 184  Ziekow, VwVfG, § 35a Rn. 10. 185  U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (99 f.). 186  U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (100). 187  U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (99 f.).



B. Rechtliche Grundlagen der Verwaltungsautomation51

bb) Anwendungsbereich der §§ 28 Abs. 2  Nr. 4, 37 Abs. 5, 39 Abs. 2  Nr. 3  VwVfG Der genaue Umfang des automationsbezogenen Anwendungsbereichs der §§ 28 Abs. 2 Nr. 4, 37 Abs. 5, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG ist fraglich. Dabei geht es im Wesentlichen um die Frage, ob die Vorschriften auch den vollständig automatisierten Erlass umfassen. Bezieht sich der Anwendungsbereich allgemein auf automatisiert erlassene Verwaltungsakte, erfasst er auch den vollständig automatisierten Erlass. Teilweise wird allerdings auch ein Exklusivitätsverhältnis zu § 35a VwVfG angenommen.188 Für letztere Position könnte sprechen, dass den Vorschriften zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des VwVfG im Jahr 1977 ausweislich der Gesetzesbegründung die folgende Konstellation als Leitbild zugrunde lag: Ein menschlicher Amtswalter ermittelt und prüft die erforderlichen Daten und pflegt diese sodann in die elektronische Datenverarbeitung zur automatisierten Erstellung des Verwaltungsaktes ein.189 Von der Möglichkeit eines vollständig automatisierten Erlasses ging der Gesetzgeber hingegen nicht ausdrücklich aus. Allerdings lässt sich diese fehlende Bezugnahme der Vollautomation bereits damit erklären, dass eine solche zum damaligen Zeitpunkt technisch noch gar nicht für möglich gehalten wurde. Eine ausdrückliche Wertung lässt sich der Gesetzesbegründung hingegen nicht entnehmen.190 Vielmehr ist die Vorschrift unter Berücksichtigung des technischen Fortschritts auszulegen. Entscheidend ist dabei, dass der Zweck der Vorschriften, die Automation nicht an formellen Verfahrenserfordernissen scheitern zu lassen, sich unabhängig vom Automationsgrad verwirklichen lässt. Der Zweck spricht deshalb für eine Anwendbarkeit auch auf den vollständig automatisierten Erlass. Dementsprechend ist anzunehmen, dass sich der Anwendungsbereich der §§ 28 188  So Braun Binder, NVwZ 2016, 960 (963 f.); Prell, in: BeckOK, VwVfG, § 35a Rn. 2; in diese Richtung auch H. Schmitz/Prell, NVwZ 2016, 1273 (1275): „Nicht umfasst war von diesen Vorschriften aber ein vollständig automatisierter Erlass von Verwaltungsakten“, wobei nicht eindeutig ist, ob die Aussage sich auch auf die Gegenwart erstrecken soll. 189  BT-Drs. 7/910, S. 59: „wenn auf Grund bestimmter Daten, die von einem Bediensteten verantwortlich ermittelt oder geprüft werden, der darauf zu erlassene Verwaltungsakt nur einen bestimmten Inhalt haben kann“. 190  Dies verkennt Braun Binder, NVwZ 2016, 960 (963 f.), die ohne weiteren Sachgrund ausschließlich auf die fast 50 Jahre alte Gesetzesbegründung abstellt, um ihre Ansicht zu begründen. In einem späteren Beitrag relativiert Braun Binder, DÖV 2016, 891 (895) ihre Begründung etwas, indem sie nun entscheidend darauf abstellt, dass der Rückgriff auf die Verfahrenserleichterungen bei vollautomatisierten Verwaltungsakten aufgrund der technischen Möglichkeiten nicht mehr geboten sei – freilich ohne klarzustellen, dass die Vorschrift dann unabhängig vom Automationsgrad nicht anzuwenden ist.

52

1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

Abs. 2 Nr. 4, 37 Abs. 5, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG auf alle automatisiert erlassenen Verwaltungsakte erstreckt.191 Ein Exklusivitätsverhältnis zu § 35a VwVfG besteht nicht. Dieser erfasst als Unterfall allerdings lediglich einen Teil des Anwendungsbereichs der allgemeineren Vorschriften. 2. Automatisierter Erlass von Verwaltungsakten im SGB X und der AO a) Vollständig automatisierter Verwaltungsakterlass Die §§ 155 Abs 4 AO und 31a S. 1 SGB X sind zeitgleich mit dem § 35a VwVfG am 1. Januar 2017 in Kraft getreten und entstammen einem einheitlichen Gesetzgebungsverfahren.192 Sie sind insofern als Parallelvorschriften zu verstehen, deren Anwendungsbereich im Verhältnis zu § 35a VwVfG ausgehend vom jeweiligen Wortlaut zu bestimmen ist. aa) Anwendungsbereich des § 31a S. 1 SGB X § 31a S. 1 SGB X lautet: „Ein Verwaltungsakt kann vollständig durch automatische Einrichtungen erlassen werden, sofern kein Anlass besteht, den Einzelfall durch Amtsträger zu bearbeiten.“

Der Wortlaut entspricht im Hinblick auf die Merkmale des vollständig automatisiert erlassenen Verwaltungsaktes dem des § 35a VwVfG. Auch sind beide Vorschriften im gleichen Gesetzgebungsverfahren erlassen worden und dienen nach der Gesetzesbegründung dazu, die Möglichkeit des vollständig automatisierten Erlasses von Verwaltungsakten in den beiden Verfahrensordnungen zu etablieren.193 Insofern ist der § 31a S. 1 SGB X im Hinblick auf die entsprechenden Tatbestandsmerkmale parallel zu § 35a VwVfG auszulegen. Zur Bestimmung des Anwendungsbereiches kann auf die oben gefundenen Ergebnisse verwiesen werden.194

191  So auch Bull, DVBl. 2017, 409 (410); Ludwigs/Velling, VerwArch 114 (2023), 71 (83); U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (117); Wind­ offer, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 35a Rn. 10. 192  Vgl. Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18.07.2016, BGBl. I 2016, S. 1679. 193  BT-Drs. 18/8434, S. 120 und 122. 194  Vgl. Luthe, SGb 2017, 250 (252), der den vergleichbaren Anwendungsbereich für § 31a S. 1 SGB X erarbeitet; so im Ergebnis auch U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (90).



B. Rechtliche Grundlagen der Verwaltungsautomation53

bb) Anwendungsbereich des § 155 Abs. 4 AO Der § 155 Abs. 4 S. 1 AO lautet: „Die Finanzbehörden können Steuerfestsetzungen sowie Anrechnungen von Steuerabzugsbeträgen und Vorauszahlungen auf der Grundlage der ihnen vorliegenden Informationen und der Angaben des Steuerpflichtigen ausschließlich automationsgestützt vornehmen, berichtigen, zurücknehmen, widerrufen, aufheben oder ändern, soweit kein Anlass dazu besteht, den Einzelfall durch Amtsträger zu bearbeiten.“

Der Wortlaut des § 155 Abs 4 AO weicht insofern von den Parallel­ vorschriften in den anderen beiden Verfahrensordnungen ab. Dennoch ist von einem parallelen Anwendungsbereich auszugehen.195 Zunächst sind das „[V]ornehmen, [B]erichtigen, [Z]urücknehmen, [W]iderrufen, [A]ufheben oder [Ä]ndern“ von „Steuerfestsetzungen sowie Anrechnungen von Steuerabzugsbeträgen und Vorauszahlungen“ lediglich konkrete, steuerverwaltungsspezifische Ausprägungsformen der Erstellung eines Verwaltungsaktes. Auch die Formulierungen „ausschließlich automationsgestützt“ und „vollständig durch automatische Einrichtungen“ entsprechen sich im allgemeinen Sprachgebrauch weitestgehend in ihrer Bedeutung. Über den semantisch vergleichbaren Wortlaut hinaus ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung, dass der Gesetzgeber den unterschiedlichen Formulierungen keine inhaltliche Bedeutung beimessen wollte. Vielmehr dient die gleichzeitige Einführung des vollständig automatisierten Erlasses von Verwaltungsakten in AO, VwVfG und SGB X ausdrücklich der „Gewährleistung einer möglichst einheitlichen Fortentwicklung der drei Verfahrensordnungen“.196 Dem § 155 Abs 4 AO kommt dabei sogar die Vorreiterrolle zu, an dem sich die anderen beiden Verfahrensordnungen orientieren.197 So ist Anlass der gesetzlichen Regelung vollständig automatisierter Verwaltungsakte das Szenario eines vollständig automatisiert erlassenen Einkommensteuerbescheides nach § 155 Abs 4 AO:198 Der Bürger übermittelt mittels der Elek­ tronischen Steuererklärung (ELSTER) die durch ein Formular aufbereiteten und automatisch auf Plausibilität überprüften Daten an die Behörde. Auf dem Server der Behörde werden die übermittelten Daten zusammen mit anderen der Finanzbehörde bereits vorliegenden (z. B. den gem. § 93c AO von Dritten übermittelten) Daten durch einen Algorithmus automatisch ausgewertet und

Binder, DÖV 2016, 891 (893). S. 120 und 122. 197  Die Änderungen des VwVfG und des SGB X wurden erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses eingebracht (BT-Drs. 18/8434, S. 92 ff.). 198  BT-Drs. 18/7457, S. 48 f. 195  Braun

196  BT-Drs. 18/8434,

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

der entsprechende Bescheid erstellt.199 Dementsprechend ist auch der § 155 Abs 4 AO parallel zu den anderen beiden Vorschriften auszulegen. b) Vorschriften zu Verfahrenserleichterungen im SGB X und der AO Im SGB X und der AO sind – wie im VwVfG – bereits seit langem spezielle Verfahrenserleichterungen für den automatisierten Erlass von Verwaltungsakten vorgesehen (§§ 33 Abs. 5, 35 Abs. 2 Nr. 3 SGB X, 91 Abs. 2 Nr. 4, 119 Abs. 3 S. 2 Hs. 2, 121 Abs. 2 Nr. 3 AO). Die Vorschriften entsprechen in ihrem automationsbezogenen Wortlaut den jeweiligen Parallelvorschriften (§§ 28 Abs. 2 Nr. 4, 37 Abs. 5, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG). So wird ebenfalls auf den Erlass von Verwaltungsakten „mit Hilfe automatischer Einrichtungen“ abgestellt. Auch der Regelungszweck dürfte sich jeweils entsprechen, sodass kein Grund für eine zu den Vorschriften im VwVfG abweichende Auslegung ersichtlich ist. Die bereits ermittelten Auslegungsergebnisse können übertragen werden und die Vorschriften sind allgemein auf den automatisierten Erlass von Verwaltungsakten nach hiesiger Definition anwendbar. 3. Zwischenergebnis Zusammengefasst kann begrifflich zwischen Verwaltungsakten unterschieden werden, die automatisiert, vollständig automatisiert oder teilautomatisiert erlassen werden. Ein automatisiert erlassener Verwaltungsakt liegt vor, wenn bei der Erstellung eines Verwaltungsaktes (=Erlass) eine automatische Einrichtung eingesetzt wird und der Einsatz sich zumindest auch auf den verfügenden Teil auswirkt, ohne dass eine menschliche Ergebniskontrolle stattfindet. Der vollständig automatisiert erlassene Verwaltungsakt ist darüber hinaus durch das Fehlen einer personalen Bearbeitung in allen Verfahrensschritten innerhalb der Verwaltung nach der Verfahrenseinleitung gekennzeichnet. In Abgrenzung dazu liegt ein teilautomatisiert erlassener Verwaltungsakt vor, wenn zwar die Voraussetzungen für einen automatisiert erlassenen Verwaltungsakt vorliegen, aber das Merkmal der Vollständigkeit nicht erfüllt ist. Der Anwendungsbereich der §§ 28 Abs. 2 Nr. 4, 37 Abs. 5, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG, 33 Abs. 5, 35 Abs. 2 Nr. 3 SGB X, 91 Abs. 2 Nr. 4, 119 Abs. 3 S. 2 Hs. 2, 121 Abs. 2 Nr. 3 AO umfasst automatisiert erlassene Verwaltungsakte unabhängig vom Grad der Automation. Den §§ 35a VwVfG, 31a S. 1 SGB X, 155 Abs 4 AO liegt hingegen das einheitliche Konzept des vollständig durch 199  BT-Drs. 18/7457,

S. 82.



B. Rechtliche Grundlagen der Verwaltungsautomation55

automatische Einrichtungen erlassenen Verwaltungsaktes zugrunde.200 Die Anforderungen, die die drei Vorschriften an die Vollautomation stellen, unterscheiden sich jedoch zumindest prima facie. So finden sich in den §§ 31 a S. 1 SGB X und 155 Abs. 4 AO anders als in § 35a VwVfG weder eine ausdrückliche Beschränkung auf Fälle ohne „Ermessen oder Beurteilungsspielraum“ noch das Erfordernis einer Zulassung durch „Rechtsvorschrift“. Inwiefern sich die Voraussetzungen in den unterschiedlichen Verfahrensordnungen wirklich unterscheiden, wird im weiteren Verlauf der Untersuchung geklärt. Zunächst steht dabei die Frage nach dem Erfordernis einer gesetzlichen Regelung des automatisierten Erlasses von Verwaltungsakten im Fokus.

III. Organisations- und verfahrensrechtliche Anforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 1. Zulassung durch Rechtsvorschrift Im Folgenden ist zu klären, ob und inwieweit der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten einer Regelung durch Rechtsvorschrift bedarf. Dabei sind zwei unterschiedliche Perspektiven zu berücksichtigen. Im ersten Schritt soll untersucht werden, ob und inwieweit der Vorbehalt des Gesetzes eine Regelung durch Rechtsvorschrift für den automatisierten Erlass von Verwaltungsakten erfordert. Der Vorbehalt des Gesetzes gilt als Verfassungsprinzip bzw. allgemeiner Grundsatz des Verwaltungsrechts für den teil- und den vollautomatisierten Erlass von Verwaltungsakten gleichermaßen. Im zweiten Schritt soll § 35a VwVfG als spezialgesetzliche Regelung auf der Ebene des einfachen Rechts untersucht werden. § 35a VwVfG setzt dem Wortlaut nach eine Zulassung durch Rechtsvorschrift voraus, beschränkt sich allerdings auf den vollständig automatisierten Erlass von Verwaltungsakten im Anwendungsbereich des VwVfG. Die genaue inhaltliche Bedeutung und Reichweite soll in Abgrenzung zu den im Anwendungsbereich des SGB X und der AO geltenden Anforderungen erschlossen werden. a) Vorbehalt des Gesetzes Grundsätzlich verlangt der Vorbehalt des Gesetzes eine gesetzliche Grundlage nicht für alle, sondern nur für bestimmte Maßnahmen des Staates.201 Ausgangspunkt ist dabei, dass zumindest jedes belastende, d. h. in Rechte des 200  Prell, in: BeckOK, VwVfG, § 35a Rn. 22; H. Schmitz/Prell, NVwZ 2016, 1273 (1280); U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (90). 201  BVerfGE 98, 218 (251); Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 Abs. 4 Rn. 75; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 2, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 105.

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

Bürgers eingreifende staatliche Handeln auf eine gesetzliche Regelung rückführbar sein muss.202 Über diesen Eingriffsvorbehalt hinaus stellt die Rechtsprechung darauf ab, dass der (materielle) Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen hat.203 Als eine solche wesentliche Entscheidung wird auch die Ausgestaltung grundrechtsrelevanter Verwaltungsverfahren angesehen.204 Nach der Wesentlichkeit wird auch zu bestimmen versucht, ob eine Entscheidung durch den parlamentarischen Gesetzgeber selbst getroffen werden muss oder eine Delegation zulässig ist.205 Die praktische Handhabung dieser Rechtsprechungsgrundsätze ist allerdings schwierig, da das Kriterium der Wesentlichkeit in besonderem Maße unbestimmt ist und deshalb regelmäßig keine trennscharfe Abgrenzung ermöglicht.206 Auch die zur Konkretisierung entwickelten Kriterien sind nicht ­abschließend konzipiert und ermöglichen in vielen Fällen keine eindeutige Zuordnung.207 Aufgrund dieser praktischen Schwächen war und ist die Wesentlichkeitsdoktrin der Rechtsprechung in der Literatur vielfacher Kritik ausgesetzt.208 Es dürfte vorzugswürdig sein, sich zwar im Ausgangspunkt an den zur Wesentlichkeit entwickelten Kriterien zu orientieren, sodann aber die darauf aufbauende Argumentation – soweit notwendig – problembezogen zu entwickeln. Vor dem Hintergrund dieser Grundsätze ist die Frage zu beantworten, ob und inwieweit der Vorbehalt des Gesetzes eine gesetzliche Grundlage für den automatisierten Verwaltungsakterlass erfordert. In der Literatur hat beispielsweise Kube den Grundsatz vertreten, dass zumindest für alle Fälle der Vollautomation eine gesetzliche Grundlage erforderlich ist, da der Vollautomation

202  Diesen (historischen) Ausgangspunkt benennen BVerfGE 8, 155 (166 f.) sowie Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 2, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 107. 203  Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 49, 89 (126); 98, 218 (251); 101, 1 (34); 108, 282 (312); 123, 39 (78); aus der Literatur statt aller Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 2, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 113 ff. 204  BVerfGE 83, 130 (151); 95, 267 (307 f.); 128, 292 (317); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 2, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 116; Sommermann, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Bd. 2, Art. 20 Rn. 283. 205  BVerfGE 58, 257 (274); 101, 1 (34); 123, 39 (78); Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 Abs. 4 Rn. 106; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 2, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn.  119 ff. 206  Beispielsweise Herzog, NJW 1999, 25 (26) stellt hierzu fest, „daß ‚Wesentlichkeit‘ einer der unbestimmtesten Begriffe ist, die man sich überhaupt ausdenken kann“. 207  Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 2, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 113. 208  Beispielsweise Erbguth, VerwArch. 86 (1995), 327 (340  ff.); Herzog, NJW 1999, 25 (26); Reimer, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen, Bd. 1, § 9 Rn. 57 ff.



B. Rechtliche Grundlagen der Verwaltungsautomation57

eine besondere Tragweite zukomme.209 Es fehlt allerdings an einer Erläuterung, worin die Tragweite in jedem Einzelfall liegen soll. Der Gedanke ist dennoch soweit zustimmungsfähig, als dass der Vollautomation gegenüber der Teilautomation eine besondere Bedeutung zukommen kann und insofern der Grad der Automation zu berücksichtigen ist. Darüber hinaus dürfte es allerdings erforderlich sein, die Frage etwas differenzierter zu beurteilen. So sind zwei unterschiedliche argumentative Ansatzpunkte für das Erfordernis einer gesetzgeberischen Regelung denkbar. Zum einen lässt sich vom einzelnen Verfahren ausgehend verlangen, dass die automatisierte Durchführung desselben durch den Gesetzgeber zugelassen wird. Zum anderen ist es aber auch denkbar, auf die grundsätzliche Möglichkeit ein Verfahren automatisiert bzw. voll automatisiert durchzuführen abzustellen und dafür eine Entscheidung des Gesetzgebers zu fordern. aa) Erfordernis einer gesetzlichen Regelung ausgehend vom einzelnen Verfahren Zunächst ist zu fragen, ob bzw. inwieweit ausgehend vom einzelnen Verfahren, das automatisiert durchgeführt werden soll, eine gesetzgeberische Entscheidung erforderlich ist. Diesbezüglich sind zwei wesentliche Aspekte zu berücksichtigen: Zunächst ist zu beachten, dass einem Verfahren nicht allein, weil es automatisiert durchgeführt wird, eine besondere grundrechtliche Relevanz zukommt.210 In dieser Hinsicht kommt es entscheidend darauf an, worauf sich die Entscheidung in der Sache bezieht und nicht auf welche Art und Weise das Verfahren durchgeführt wird. Automatisiert durchgeführte Verfahren können sich auf Sachbereiche beziehen, denen für die Grundrechtsausübung nur eine verhältnismäßig geringe Bedeutung zukommen dürfte (z. B. die automatisierte Vergabe von Anwohnerparkausweisen, oder die automatisierte Fahrzeugzulassung). Auf der anderen Seite betrifft die Automation auch Bereiche, bei denen in Grundrechte eingegriffen wird oder die für die Grundrechtsausübung wesentlich sind (z. B. die automatisierte Vergabe von grundrechtsrelevanten Pressesubventionen). Aber auch die grundrechtliche Bedeutung eines Verfahrens allein rechtfertigt nicht, dass eine Entscheidung des Gesetzgebers über die automatisierte 209  Kube, VVDStRL 78 (2019), 289 (322). Etwas differenzierter geht Windoffer, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 35a Rn. 26 im Regelfall vom Erfordernis einer parlamentsgesetzlichen Zulassung aus und stellt dabei allgemein auf die Grundrechtswesentlichkeit der Vollautomation ab. 210  Das scheint Windoffer, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 35a Rn. 26 nicht ausreichend zu beachten.

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

Durchführung erforderlich ist. Der Gesetzesvorbehalt verlangt in dieser Hinsicht zuvorderst, dass die Sachentscheidung auf einer gesetzlichen Ermächtigung beruht, aber nicht zwangsläufig, dass das Verfahren auch im Detail durch den Gesetzgeber ausgestaltet wird.211 So gibt es Konstellationen, in denen die der Automation zugeschriebenen Gefahren oder Risiken von vornherein nahezu ausgeschlossen sind, weil sie sich auf einfach strukturierte Sachverhalte mit einer eindeutig vorgegebenen Entscheidungsstruktur beziehen (z. B. die konventionelle Verkehrsregelung durch Lichtzeichenanlagen, die automatisierte Vergabe von Anwohnerparkausweisen, die automatisierte Fahrzeugzulassung etc.).212 In solchen Verfahren kommt der voll- oder teilautomatisierten Durchführung gegenüber der ausschließlich personalen Bearbeitung keine besondere Bedeutung zu. Insofern dürfte eine gesetzliche Regelung der automatisierten Durchführung entbehrlich sein. Die genannten Aspekte verdeutlichen, dass es auf der abstrakten Ebene nicht möglich ist, pauschal für alle Verfahren zu entscheiden, ob und in welchem Maße eine gesetzliche Regelung erforderlich ist. Vielmehr kommt es auf das konkrete Verfahren und dessen Kontext an.213 Es ist einzelfallbezogen zu entscheiden, ob und inwieweit die automatisierte Durchführung eines konkreten Verfahrens einer gesetzlichen Grundlage bedarf. Dabei kann insbesondere die grundrechtliche Bedeutung der Sachentscheidung, die Komplexität der Entscheidungsfindung, der (hohe) Grad der Automation sowie die Art und Autonomie der eingesetzten Algorithmen berücksichtigt werden. Darüber hinaus ist bezüglich der erforderlichen Regelungsdichte zu berücksichtigen, dass der Vorbehalt des Gesetzes im Hinblick auf das Verfahren grundsätzlich keine Regelung aller Einzelheiten, sondern das Bereitstellen einer Verfahrensordnung verlangt.214 Insofern dürfte es regelmäßig ausreichen, dass die automatisierte bzw. vollautomatisierte Durchführung als allgemeine Möglichkeit gesetzlich vorgesehen ist, ohne dass eine darüberhinausgehende gesetzgeberische Entscheidung im Hinblick auf das konkrete Verfahren erforderlich wäre. In dieser Hinsicht dürften beispielsweise die §§ 28 Abs. 2 Nr. 4, 37 Abs. 5, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG und § 35a VwVfG als generelle Regelung der Voll- und Teilautomation für die meisten automati211  In diese Richtung BVerfGE 40, 237 (250 f.) und Reimer, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen, Bd. 1, § 9 Rn. 37. 212  Prell, in: BeckOK, VwVfG, § 35a Rn. 11b; U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/ Martini, Digitalisierung, 81 (99 f.); Ziekow, VwVfG, § 35a Rn. 10. 213  Ähnlich der Ausgangspunkt bei Ludwigs/Velling, VerwArch 114 (2023), 71 (96 f.), die aber im Ergebnis regelmäßig eine Zulassungsentscheidung durch Parlamentsgesetz fordern. 214  In diese Richtung BVerfGE 40, 237 (250 f.) und Reimer, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen, Bd. 1, § 9 Rn. 37.



B. Rechtliche Grundlagen der Verwaltungsautomation59

siert durchgeführten Verfahren im Anwendungsbereich des VwVfG ausreichen.215 In einzelnen Konstellationen – beispielsweise mit besonderer grundrechtlicher Bedeutung und einer komplexen Entscheidungsstruktur – kann aber auch die konkrete Zulassungsentscheidung so wesentlich sein, dass eine spezielle gesetzliche Regelung erforderlich ist.216 Im Ergebnis ergibt sich eine Dreiteilung: In einfachen Konstellationen ohne wesentlichen Grundrechtsbezug können Verfahren auch ohne explizite gesetzliche Regelung automatisiert durchgeführt werden, in den meisten Konstellationen dürfte es ausreichen, dass die Möglichkeit der Automation gesetzlich vorgesehen ist und nur im dritten Bereich dürfte es erforderlich sein, dass auch die konkrete Zulassungsentscheidung durch den Gesetzgeber getroffen wird. bb) Erforderlichkeit einer allgemeinen Regelung der (Voll-)Automation Eine gesetzliche Regelung der Automation bzw. Vollautomation könnte auch aufgrund der gesellschaftlichen und politischen Bedeutung im Hinblick auf die allgemeine Möglichkeit Verfahren auf diese Weise durchzuführen erforderlich sein. Der Vorbehalt des Gesetzes knüpft nicht nur an das Rechtsstaats-, sondern auch an das Demokratieprinzip an.217 Aus dieser Rückbindung an das Demokratieprinzip ergibt sich, dass eine parlamentarische Entscheidung auch für politisch bedeutsame Fragen im Sinne demokratisch

215  Diesen

Aspekt verkennen Ludwigs/Velling, VerwArch 114 (2023), 71 (96 f.). zunächst auch Herold, Legitimation, S. 197 f. Deren Ausführungen sind jedoch leider nur eingeschränkt verwertbar, da sich die Autorin in dieser Hinsicht widersprüchlich oder zumindest unklar äußert. An späterer Stelle (S. 199) soll eine Grundrechtswesentlichkeit im Regelfall zumindest für Fälle der Vollautomation angenommen werden und noch später (S. 200) für alle Fälle der Automation, „deren Ergebnisse im Einzelfall nicht mehr überprüft werden“. Da man nach hier vertretener und überwiegender Ansicht von einem automatisierten Erlass allerdings überhaupt nur sprechen kann, wenn eine solche Überprüfung im Einzelfall nicht stattfindet und ansonsten lediglich eine Entscheidungsunterstützung vorliegt, führt diese letztgenannte Aussage dann dazu, dass eine parlamentsgesetzliche Zulassung für jede Form des auch nur teilweise automatisierten Verwaltungsakterlasses erforderlich wäre. Das würde dann zu dem vermutlich nicht gewollten Ergebnis führen, dass die bisherige Verwaltungsautomation im Bereich unechter Massenverfahren in weiten Teilen verfassungswidrig wäre. Erklären ließe sich das Ganze möglicherweise durch ein abweichendes Begriffsverständnis der Autorin. Es fehlt aber an einer exakten und konsistenten Definition des automatisierten Verwaltungsakterlasses (vgl. S. 31, die noch ein konventionelles Verständnis nahelegt). Insbesondere die Abgrenzung zwischen teilweise und vollständig automatisiertem Erlass bleibt vage (S. 31 f.) und scheint später auch etwas anderes zu bedeuten (S. 266 f.). 217  Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, Art. 20 Rn. 186 ff. 216  So

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

fundamentaler Grundsatzentscheidungen von Bedeutung für die Allgemeinheit erforderlich sein kann.218 Insofern ist abermals zu differenzieren: In der Vergangenheit wurden insbesondere viele unechte Massenverfahren teilautomatisiert durchgeführt. Dabei handelt es sich um leicht standardisierbare Verfahren mit simpler Entscheidungsstruktur im Bereich der Leistungsverwaltung oder der Eingriffsverwaltung mit geringer Eingriffsschwere. Die automatisierte Durchführung dieser Verfahren ist bereits seit mehreren Jahrzehnten üblich und weitgehend unproblematisch verlaufen.219 Die Entscheidung zur Automation in diesen einfach strukturierten und deshalb unproblematischen Bereichen dürfte noch nicht als politisch bedeutsame und demokratisch fundamentale Grundsatzentscheidung anzusehen seien.220 Allerdings ist zu erwarten, dass der Umfang der Automation in Zukunft weiter zunehmen und auch die Art der Automation sich verändern wird.221 Dabei dürfte – wie auch die §§ 35a VwVfG, 31a S. 1 SGB X, 155 Abs. 4 AO zeigen – der Fokus insbesondere auf der vollautomatisierten Durchführung liegen und auch möglicherweise komplexere Verfahren einschließen. Eine solche, immer weiter fortschreitende automatisierte Durchführung von Verwaltungsverfahren betrifft ganz grundsätzlich das Verhältnis von Staat und Bürger. Beispielsweise stellt sich die Frage, inwiefern die Bürger den zunehmend durch Algorithmen getroffenen Entscheidungen vertrauen und diese akzeptieren werden oder wie den individuellen Verfahrensrechten – beispielsweise dem Anhörungs- und Untersuchungsgrundsatz – in automatisierten Verfahren entsprochen werden kann. Die grundsätzliche politische Bedeutung wird durch die aktuell regelmäßig unter dem Schlagwort der künstlichen Intelligenz in der Öffentlichkeit geführte Debatte über den Einsatz von Algorithmen in unterschiedlichen Lebensbereichen untermauert. Diesbezügliche Grundsatzfragen sind nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern in einer repräsentativen Demokratie auch im Parlament zu verhandeln und zu entscheiden. Vor diesem Hintergrund dürfte für den fortschreitenden Wandel von einer personalen Bearbeitung hin zur vollständig automatisierten Verfahrensdurchführung, eine parlamentsgesetzliche Entscheidung für die Möglichkeit der Vollautomation erforderlich sein. Insofern ist es begrüßenswert, dass der parlamentarische Gesetzgeber durch das „Gesetz zur Modernisierung des 218  BVerfGE 49, 89 (127); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 2, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 114. 219  Britz, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen, Bd.  2, 2. Aufl., § 26 Rn. 16 ff. 220  Eifert, E-Government, S. 127 spricht von der Automation im Bereich der unechten Massenverfahren als „faktisch gesetzter“ und „gesetzlich anerkannter“ Zustand. 221  Guckelberger, DÖV 2021, 566 (570); Martini/Nink, DVBl. 2018, 1128 (1128 f.).



B. Rechtliche Grundlagen der Verwaltungsautomation61

Besteuerungsverfahrens“ (vgl. insbesondere §§ 35a VwVfG, 31a S. 1 SGB X, 155 Abs 4 AO) die Möglichkeit der vollständig automatisierten Verfahrensdurchführung grundsätzlich anerkannt hat222 und dem Vorbehalt des Gesetzes diesbezüglich auch in Zukunft genügt wird. b) Rechtssatzvorbehalt nach § 35a VwVfG Für den vollautomatisierten Verwaltungsakterlass im Bereich des VwVfG bleibt es allerdings nicht allein bei den bisher erarbeiteten allgemeinen Grundsätzen. Denn darüber hinaus ist der Regelungsgehalt des in § 35a VwVfG normierten Rechtssatzvorbehalts zu erschließen. Dort heißt es im Hinblick auf den vollständig automatisierten Erlass von Verwaltungsakten: „sofern dies durch Rechtsvorschrift zugelassen ist“. Insofern verlangt der Wortlaut des § 35a VwVfG als Voraussetzung für die vollautomatisierte Verfahrensdurchführung eine Zulassung durch „Rechtsvorschrift“.223 Auslegungsbedürftig ist, was darunter im Detail zu verstehen ist. Es ist zu klären, welche Art von Norm erforderlich ist und welche inhaltlichen Anforderungen an diese „Rechtsvorschrift“ zu stellen sind. Dabei soll zunächst § 35a VwVfG mit den Parallelvorschriften § 31a S. 1 SGB X und § 155 Abs. 4 AO verglichen werden, da die Ergebnisse sodann möglicherweise für die weitere Auslegung herangezogen werden können. aa) Vergleich mit § 31a S. 1 SGB X und § 155 Abs. 4 AO Im Anwendungsbereich des Steuer- und Sozialverfahrenrechts scheint eine Zulassung durch Rechtsvorschrift nicht erforderlich zu sein, da sich weder in § 31a S. 1 SGB X noch in § 155 Abs. 4 AO eine solche Voraussetzung findet. Im Hinblick auf das mit der Neuregelung verfolgte Ziel der parallelen Fortentwicklung ist dieses Ergebnis zunächst überraschend.224 Im Hinblick auf § 155 Abs. 4 AO lässt sich der Befund damit erklären, dass die Regelung nicht für alle Verfahren nach der AO, sondern nur für den Bereich der Steuerfestsetzung gilt. Dazu passend wurde – anders als noch im 222  So heißt es in der Gesetzesbegründung zu § 35a VwVfG: „sodass inzwischen auch ein vollständig automatisierter Erlass von Verwaltungsakten technisch möglich und rechtlich vertretbar ist“ (BT-Drs. 18/8434 S. 122). 223  Vgl. U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (107 ff.) mit ausführlichen Ausführungen zum Rechtssatzvorbehalt. Bereits vor Erlass der neuen Vorschriften forderte Eifert, E-Government, S. 142 f. eine Entscheidung auf vorgelagerter Ebene über den Einsatz automatischer Einrichtungen. 224  Bull, DVBl. 2017, 409 (411 f.) hält es für „befremdlich“ und die Umsetzung des Rechtssatzvorbehalts generell für wenig gelungen.

62

1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

ursprünglichen Referentenentwurf vorgesehen – erst im weiteren Gesetzgebungsverfahren auf den Rechtssatzvorbehalt zugunsten einer Beschränkung auf den Bereich der Steuerfestsetzung verzichtet.225 Insofern lässt sich § 155 Abs. 4 AO aus der Sicht des Gesetzgebers als die erforderliche Zulassung durch eine spezielle Rechtsvorschrift für den Bereich der Steuerfestsetzung verstehen.226 Etwas komplizierter ist die Lage im Hinblick auf § 31a S. 1 SGB X zu beurteilen. Der Vorschrift kommt ein deutlich weiterer Anwendungsbereich zu, da er allgemein für alle Verfahren nach dem SGB X und damit für alle sozialrechtlichen Verfahren gilt.227 Auch dort ist kein Rechtssatzvorbehalt vorgesehen. Auch eine direkte oder analoge Anwendung des § 35a VwVfG scheidet aus. Grundsätzlich ist § 31a S. 1 SGB X als lex specialis vorrangig anwendbar und eine analoge Anwendung scheitert bereits an einer planwidrigen Regelungslücke, da nicht anzunehmen ist, dass die Wortlautdifferenz im Gesetzgebungsverfahren übersehen wurde. Vielmehr ist davon auszugehen, dass § 31a S. 1 SGB X im Gesetzgebungsverfahren bereits als ausreichend spezieller Rechtssatz für die Zulassung der Vollautomation angesehen wurde.228 Dafür spricht insbesondere, dass der Anwendungsbereich zwar weit ist, aber es sich in der Sozialverwaltung zum Großteil um gleichgelagerte, unechte Massenverfahren handelt. Diese Verfahren eignen sich in besonderer Weise für die Automation229 und diese werden ohnehin bereits häufig zumindest teilautomatisiert durchgeführt.230 Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Neuregelung nicht nur die Vollautomation von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen, sondern auch deren Implementierung fördern soll.231 Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum im Sozialverfahrensrecht anstelle einer Vielzahl einzelner Zulassungsnormen die pauschale Zulassung durch eine einzige Rechtsvorschrift präferiert wurde und die Auswahl, welche konkreten Verfahren vollautomatisiert durchgeführt 225  Im Referentenentwurf war noch ein allgemeiner gefasster § 118a AO samt Rechtssatzvorbehalt vorgesehen (vgl. BMF, Referentenentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens, Stand: 26.08.2015, S. 15). 226  Prell, in: BeckOK, VwVfG, § 35a Rn. 23; auch Bull, DVBl. 2017, 409 (412) hält dies zumindest für möglich. 227  Zum Anwendungsbereich des SGB X Westphal in: BeckOK Sozialrecht, SGB X, § 1 Rn. 3. 228  Auch Bull, DVBl. 2017, 409 (412) hält dies zumindest für möglich. 229  Guckelberger, Verwaltung, Rn. 429; Martini/Nink, DVBl. 2018, 1128 (1128 f.); Prell, in: BeckOK, VwVfG, § 35a Rn. 11b. 230  Zum weitgehenden Abschluss der Automation von „Massenarbeiten“ Britz, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen, Bd. 2, 2. Aufl., § 26 Rn.  16 ff. 231  So spricht der Gesetzesentwurf von erforderlichen „Maßnahmen zur technischen, organisatorischen und rechtlichen Modernisierung“ (BT-Drs. 18/8434, S. 1).



B. Rechtliche Grundlagen der Verwaltungsautomation63

werden, dem Organisations- und Verfahrensermessen der Verwaltung überlassen wurde.232 Im Ergebnis stellen sowohl § 31a S. 1 SGB X als auch § 155 Abs 4 AO eigenständige Regelungen für ihren Anwendungsbereich dar. Nunmehr soll untersucht werden, welchen Anforderungen hingegen Normen genügen müssen, um als „Rechtsvorschrift“ im Anwendungsbereich des für alle sonstigen Verwaltungsverfahren geltenden § 35a VwVfG angesehen zu werden. bb) Zulassung durch Rechtsvorschrift (1) Rechtsvorschrift = Gesetz im materiellen Sinne Es ist zu klären, welche Art von Normen als „Rechtsvorschrift“ im Sinne des § 35a VwVfG gelten können. Bisher erscheint es nahezu allgemeiner Meinung zu entsprechen, dass eine Zulassung durch formelle Gesetze, Rechtsverordnungen und auch Satzungen möglich ist.233 Die Möglichkeit einer Zulassung durch formelle Gesetze versteht sich von selbst. Der Fachgesetzgeber – sowohl auf Bundes- als auch bei entsprechender Umsetzung auf Landesebene – ist ohnehin nicht an den allgemeinen § 35a VwVfG gebunden und könnte insofern sogar von dessen Anforderungen abweichen. Im Hinblick auf den Fachgesetzgeber handelt es sich bei den Anforderungen des § 35a VwVfG (Zulassung jedes Verfahren durch Rechtsvorschrift und keine Automation im Bereich von Ermessens- oder Beurteilungsspielräumen) allenfalls um eine Empfehlung, von der der Fachgesetzgeber einzelfall- oder bereichsbezogen abweichen kann. Die Möglichkeit einer Zulassung durch Rechtsverordnungen und Satzungen ergibt sich bereits aus dem Wortlaut. Die gewählte Formulierung 232  So auch Luthe, SGb 2017, 250 (253) und U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/ Martini, Digitalisierung, 81 (92). 233  Berger, NVwZ 2018, 1260 (1262); Braun Binder, DÖV 2016, 891 (893); Bull, DVBl. 2017, 409 (411); Guckelberger, Verwaltung, Rn. 538; v. Harbou, JZ 2020, 340 (342); Hähnchen  u. a., JuS 2020, 625 (634); Martini/Nink, NVwZ Extra 10/2017, 1 (2); Ramsauer/Tegethoff, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 35a Rn. 12; H. Schmitz/ Prell, NVwZ 2016, 1273 (1276) nennen nur Gesetze und Verordnungen, in einer späteren Kommentierung bezieht Prell in: BeckOK, VwVfG, § 35a Rn. 11 aber auch kommunale Satzungen mit ein; Siegel, DVBl. 2017, 24 (26); U. Stelkens, in: Hill/ Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (108). Etwas widersprüchlich scheint Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (356) eine Zulassung durch Satzungen nicht für möglich zu halten, was er aber zugleich stark kritisiert. Kube, VVDStRL 78 (2019), 289 (322) hält hingegen lediglich eine Zulassung durch Parlamentsgesetz für möglich, scheint dabei allerdings vor allem auf den allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes abzustellen, da er mit der Tragweite der Vollautomation argumentiert.

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

„Rechtsvorschrift“ zeigt, dass eine Zulassung nicht nur durch (formelle) Gesetze möglich sein soll. Im Bereich des Verwaltungsverfahrensrechts (vgl. § 3a Abs. 2, § 22 VwVfG) wird der Begriff grundsätzlich234 als Gesetz im materiellen Sinne verstanden.235 Danach sind auch Rechtsverordnungen und Satzungen darunter zu fassen. Missverständlich ist allenfalls die Gesetzesbegründung, die sprachlich in zweifacher Hinsicht236 ungenau von einem „Gesetzesvorbehalt“ spricht,237 obwohl es sich treffender um einen einfachrechtlichen Rechtssatzvorbehalt handelt. Allerdings ist die Bedeutung des Begriffs „Gesetz“ ambivalent und kann – verstanden als materielles Gesetz – auch „untergesetzliche“ Rechtsnormen einschließen. In Anbetracht der im Gegensatz dazu eindeutigen Bedeutung des Begriffs „Rechtsvorschrift“ kann diese sprachliche Ungenauigkeit in der Gesetzesbegründung nichts am Auslegungsergebnis ändern.238 Aus dem Gesagten folgt auch, dass eine Zulassung allein durch Verwaltungsvorschriften nicht möglich ist.239 Verwaltungsvorschriften sind keine Gesetze im materiellen Sinne und können deshalb auch nicht als „Rechtsvorschrift“ im Sinne des § 35a VwVfG gelten. Damit wird der Warnfunktion des § 35a VwVfG entsprochen, denn das Erfordernis eines mindestens materiellen Gesetzgebungsaktes unterstreicht die Bedeutung der Entscheidung für die zur Entscheidung berufenen Akteure.

234  Zur Abweichung im Kontext von § 1 Abs. 1 a. E. VwVfG vgl. H. Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 1 Rn. 211, 219 f. 235  So schon bereits die ursprüngliche Gesetzesbegründung zum VwVfG des Bundes BTDrs. 7/910, S. 32; Heßhaus, in: BeckOK, VwVfG, § 22 Rn. 12; Ronellenfitsch in: BeckOK, VwVfG, § 1 Rn. 57; H. Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 1 Rn. 211, § 22 Rn. 13 f. 236  Der Begriff des „Gesetzesvorbehalts“ wird primär im Bereich der Grundrechtsdogmatik verwendet und bezeichnet dort die Möglichkeit ein Grundrecht durch oder aufgrund eines Gesetzes einschränken zu können. Deshalb ist es vorzugswürdig für die Erforderlichkeit einer (parlarments-)gesetzlichen Regelung allgemein, die Formulierung „Vorbehalt des Gesetzes“ zu verwenden. Weiter ist der Begriff auch deshalb ungeschickt gewählt, weil der Begriff „Gesetz“ nicht eindeutig ausdrückt, ob er sich nur auf formelle Gesetze bezieht oder auch „untergesetzliche“ Rechtsnormen als Gesetze im materiellen Sinne einbezieht. 237  BT-Drs. 18/8434, S. 122. 238  Auch Braun Binder, DÖV 2016, 891 (893); v. Harbou, JZ 2020, 340 (342 insbesondere Fn. 32) und Siegel, DVBl. 2017, 24 (26) messen der sprachlichen Ungenauigkeit im Ergebnis keine Bedeutung für die Auslegung zu. 239  U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (108).



B. Rechtliche Grundlagen der Verwaltungsautomation65

(2) Keine ausdrückliche Ermächtigung des Verordnungsgebers erforderlich Eine Zulassung durch Rechtsverordnung oder Satzung ist unabhängig von den Anforderungen des § 35a VwVfG selbstredend nur möglich, wenn der Verordnungsgeber zur Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens ermächtigt wurde oder die Ausgestaltung in der Organisationshoheit des Satzungsgebers liegt. Insofern stellt sich im Hinblick auf Rechtsverordnungen die Frage, inwieweit der Verordnungsgeber in dem nach Art. 80 Abs. 1 GG erforderlichen Gesetz auch zur Zulassung der Vollautomation ermächtigt werden muss.240 Grundsätzlich gilt, dass der Verordnungsgeber nicht kraft eigener Kom­ petenz, sondern nur soweit ihm die Regelungskompetenz nach Art. 80 Abs. 1 GG übertragen wurde, tätig werden kann. Allerdings ist fraglich, ob eine ausdrücklich Ermächtigung zur Zulassung der automatisierten Verfahrensdurchführung erforderlich ist (wie beispielsweise in § 6g Abs. 2 StVG) oder auch eine konkludente ausreicht. Als diesbezüglicher spezieller Maßstab ist das in Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG vorgesehene besondere Bestimmtheitsgebot zu beachten. Die dort gesondert aufgeführten Begriffe Inhalt, Zweck und Ausmaß sind allerdings nicht jeweils isoliert zu prüfen, sondern Teil einer einheitlichen Prüfung der Bestimmtheit, da sie sich ergänzen und auch teilweise überschneiden.241 Auch ist anerkannt, dass das Bestimmtheitsgebot nicht in jedem Fall eine ausdrückliche Normierung im Gesetzestext verlangt, sondern der hinreichend bestimmte Ermächtigungsinhalt auch durch Auslegung ermittelt werden kann.242 Dabei kann der gesamte Regelungskontext und der Sinnzusammenhang, in dem die Ermächtigung steht, berücksichtigt werden.243 Nach diesen Grundsätzen steht das Bestimmtheitsgebot einer konkludenten Ermächtigung nicht per se entgegen, allerdings muss sich eine solche hinreichend deutlich durch Auslegung ermitteln lassen. Für die konkrete Frage kann davon ausgegangen werden, dass eine Ermächtigung zur Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens regelmäßig konkludent auch die Möglichkeit der Vollautomation umfasst. Bei der Auslegung der Verordnungsermächtigung ist der § 35a VwVfG als Teil des Regelungskontextes zu berücksichtigen. Spätestens seit dessen Erlass ist auch die vollständig automatisierte Durchführung eines Verfahrens eine etablierte Möglichkeit, das Verwaltungsverfahren auszugestalten. Ermächtigt der Gesetzgeber den Verordnungsgeber vor diesem Hintergrund dazu, das Verwaltungsverfahren auszugestalten, ist 240  In diese Richtung, allerdings im Ergebnis offenlassend U. Stelkens, in: Hill/ Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (110). 241  BVerfGE 38, 348 (357 f.); Bauer, in: Dreier, GG, Bd. 2, Art. 80 Rn. 33. 242  BVerfGE 8, 274 (307); 80, 1 (20 f.); 85, 97 (105). 243  BVerfGE 8, 274 (307); 80, 1 (20 f.).

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

aus systematischen Gründen davon auszugehen, dass die Ermächtigung auch die Möglichkeit der vollständig automatisierten Durchführung einschließen soll, sofern keine besonderen Gründe für eine abweichende Auslegung sprechen. Im Ergebnis ist der Verordnungsgeber im Einklang mit den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG auch ohne ausdrückliche Ermächtigung regelmäßig dazu befugt, die Vollautomation zuzulassen, wenn er zur Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens ermächtigt wurde. Allerdings ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass sich je nach konkreter Konstellation ein Delegationsverbot aus dem Vorbehalt des Gesetzes nach den oben erörterten Grundsätzen244 ergeben kann. cc) Anforderungen an den Inhalt der Rechtsvorschrift Im Folgenden ist zu bestimmen, welchen inhaltlichen Anforderungen die zulassende Rechtsvorschrift genügen muss. (1) Bestimmtheit der Rechtsvorschrift Zunächst ist die Frage zu beantworten, wie konkret die Geschäftsprozesse bzw. Verfahren benannt werden müssen, die vollautomatisiert durchgeführt werden sollen.245 Dabei scheint das Beispiel des § 31a S. 1 SGB X nahezulegen, dass auch eine sehr allgemeine Regelung ausreicht, die die Vollautomation unter dem Vorbehalt der Eignung für den gesamten Fachbereich zulässt.246 Allerdings handelt es sich bei § 31a S. 1 SGB X nicht um eine zulassende Rechtsvorschrift, sondern um eine dem § 35a VwVfG vergleichbare Norm, die den vollständig automatisierten Erlass von Verwaltungsakten für den Bereich des Sozialverfahrens regelt. Im Anwendungsbereich des § 35a VwVfG dürfte eine so allgemeine Regelung nicht ausreichen. Betrachtet man die Binnensystematik des § 31a S. 1 SGB X genauer, fällt auf, dass es sich im engeren Sinne nicht um eine Zulassungsentscheidung, sondern um die Delegation dieser Entscheidung an die Verwaltung handelt. Denn der explizit vorgesehene Eignungsvorbehalt („sofern kein Anlass besteht, den Einzelfall durch Amtsträger zu bearbeiten“) zeigt, dass nicht alle Verfahren im Anwendungs244  Dazu

unter 1. Teil B. III. 1 a) aa). dieser Frage vgl. auch U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (108 f.). 246  In diese Richtung U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (108 f.); Bull, DVBl. 2017, 409 (411 f.) hingegen hält unterschiedliche Interpretationsalternativen für denkbar. 245  Zu



B. Rechtliche Grundlagen der Verwaltungsautomation67

bereich als geeignet angesehen werden, sondern die Verwaltung diese auswählt. Diese Auswahlentscheidung soll aber nach der Wertung des § 35a VwVfG durch eine Rechtsvorschrift erfolgen. Der Verordnungs- und Satzungsgeber muss der Wertung des § 35a VwVfG entsprechend die Auswahlentscheidung selbst treffen. Dementsprechend müssen sich aus der zulassenden Rechtsvorschrift die für die Vollautomation vorgesehenen Verfahren so konkret ergeben, dass nicht mehr von einer allgemeinen Delegation der Eignungsentscheidung an die Verwaltung ausgegangen werden kann. Dadurch wird sichergestellt, dass die Auswahl geeigneter Verfahren in einem Rechtssetzungsverfahren erfolgt, das gewissen formellen Anforderungen beispielsweise im Hinblick auf die Veröffentlichung genügen muss. (2) Ausdrückliche oder eindeutig erkennbare Zulassungsentscheidung Als weitere inhaltliche Anforderung ist es erforderlich, dass die Zulassung ausdrücklich oder zumindest eindeutig erkennbar247 erfolgt, um als „Rechtsvorschrift“ im Sinne des § 35a VwVfG gelten zu können. Bei der nicht ausdrücklichen Zulassung beispielsweise durch die teilweise vorgeschlagene extensive Auslegung bestehender materieller Ermächtigungsgrundlagen ist Zurückhaltung geboten.248 Zum einen laufen dahingehende Ausführungen Gefahr, zwei zu trennende Fragen zu vermischen. Wenn die Verwaltung zum Erlass eines bestimmten, gegebenenfalls eingreifenden Verwaltungsaktes ermächtigt wurde, sagt diese Ermächtigung im Regelfall nichts darüber aus, in welchen Verfahren dieser Verwaltungsakt erlassen werden darf. Zum anderen stünde ein weites Verständnis im Widerspruch zu der mit § 35a VwVfG verfolgten Warnfunktion. Der Rechtssatzvorbehalt soll sicherstellen, dass die Zulassung das Ergebnis eines bewussten Entscheidungsprozesses im Rahmen eines Rechtssetzungsverfahrens ist. Davon lässt sich regelmäßig nur ausgehen, wenn die Entscheidung ausdrücklich erfolgt oder aus anderen Gründen eindeutig erkennbar ist, dass eine auch spezifisch auf den vollständig automatisierten Erlass bezogene Entscheidung getroffen wurde. Welche Anforderungen an eine nicht ausdrückliche, aber dennoch eindeutige Entscheidung zu stellen sind, lässt sich am Beispiel der Vorschriften zu vollautomatischen Verkehrseinrichtungen zeigen. Zur Regelung des Verkehrs durch Lichtzeichen ist die Straßenverkehrsbehörde gem. §§ 45 Abs. 1, 3, 43 DVBl. 2018, 1128 (1130); Ziekow, VwVfG, § 35a Rn. 8. diese Richtung auch Tischbirek, ZfDR 2021, 307 (319); tendenziell weitergehend auf Normauslegung abstellend Guckelberger, Verwaltung, Rn. 538; dies., DÖV 2021, 566 (570); bei Windoffer, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 35a Rn. 27 bleibt im Ergebnis unklar, auf welche Art von gesetzlicher Grundlage der Einsatz solcher Einrichtungen gestützt werden soll. 247  Martini/Nink, 248  In

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

Abs. 1 S. 3, 37 Abs. 2 StVO ausdrücklich ermächtigt. Die dafür eingesetzten Lichtzeichenanlagen werden seit jeher vollständig automatisch betrieben.249 Deshalb impliziert die allgemeine Zulassung der Verkehrsregelung durch solche Anlagen zwingend auch die Zulassung des vollständig automatisierten Erlasses von Verwaltungsakten in diesem Bereich. Insofern lassen sich die §§ 45 Abs. 1, 3, 43 Abs. 1 S. 3, 37 Abs. 2 StVO als eindeutig erkennbare Zulassung des vollständig automatisierten Verwaltungsakterlasses durch Lichtzeichenanlagen verstehen.250 Im Gegensatz dazu enthält die Ermächtigung zur Regelung des Verkehrs durch Verkehrsbeeinflussungsanlagen gem. §§ 45 Abs. 1, 3, 43 Abs. 1 S. 3 StVO keine ausreichend eindeutige Zulassungsentscheidung. Diese werden zwar überwiegend automatisiert betrieben, können aber auch manuell gesteuert werden. Der vollständig automatisierte Betrieb von Verkehrsbeeinflussungsanlagen liegt insofern zwar nahe, wird von den §§ 45 Abs. 1, 3, 43 Abs. 1 S. 3 StVO aber weder ausdrücklich geregelt noch eindeutig vorausgesetzt. Den Vorschriften kann deshalb keine eindeutige Zulassung des vollautomatisierten Verfahrens im Bereich der Verkehrsbeeinflussungsanlagen entnommen werden. Am Beispiel der Verkehrsbeeinflussungsanlagen zeigt sich, dass es bestehende und allgemein für zulässig gehaltene Formen der Vollautomation gibt, bei denen eine eindeutige rechtliche Zulassung fehlt. Diese Problematik könnte auf den ersten Blick für eine extensive Auslegung der entsprechenden materiellen Ermächtigungsnormen sprechen. Allerdings lässt sich die Problematik methodisch sauberer über eine teleologische Reduktion des § 35a VwVfG lösen.251 Dessen Schutzzweck erfordert in solchen Fällen eine Anwendung nicht. Eine extensive Auslegung materieller Ermächtigungsnormen ist hingegen nicht erforderlich. dd) Verhältnis des § 35a VwVfG zum § 1 Abs. 1 a. E. VwVfG Ein soweit ersichtlich in der rechtswissenschaftlichen Diskussion zu § 35a VwVfG bisher noch nicht ausdrücklich behandeltes Problem ist das Verhältnis des § 35a VwVfG zum § 1 Abs. 1 a. E. VwVfG, der einen Subsidiaritätsgrundsatz für das VwVfG normiert. Problematisch ist das Verhältnis, soweit § 35a VwVfG inhaltliche Anforderungen bestimmt, die über die Zulassung durch irgendeine Art von Rechtsvorschrift hinausgehen. Nach dem Subsidiaritätsgrundsatz sind im Verhältnis zum VwVfG inhaltsgleiche oder entgegenstehende Rechtsvorschriften vorrangig anzuwenden. Unter Rechts249  Zu der dadurch ausgelösten Diskussion um die Zulässigkeit vgl. Bull, Verwaltung, S.  93 ff. 250  Guckelberger, DÖV 2021, 566 (570); Ziekow, VwVfG, § 35a Rn. 8. 251  Dazu bereits: 1. Teil B. II. 1. c) aa) (2).



B. Rechtliche Grundlagen der Verwaltungsautomation69

vorschriften im Sinne dieser Vorschrift sind nach wohl allgemeiner Meinung zumindest formelle Gesetze sowie Rechtsverordnungen zu verstehen.252 Satzungen bundeseigener Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffent­ lichen Rechts sowie auf Landesebene Satzungen der Kommunen sollen hingegen nach überwiegender Ansicht nicht darunter fallen.253 Bei unbefangener Betrachtung hat der Subsidiaritätsgrundsatz selbst bei enger Auslegung die Konsequenz, dass die soeben erörterten inhaltlichen Anforderungen an zulassende Rechtsvorschriften sowie eine mögliche rechtliche Begrenzung im Bereich von Beurteilungsspielräumen und Ermessen254 lediglich im Bereich der Zulassung durch Satzungen gelten würden. Im überwiegenden Anwendungsbereich würden diese inhaltlichen Anforderungen des § 35a VwVfG hingegen leerlaufen. Entsprechende Vorschriften zu vollautomatisiert erlassenen Verwaltungsakten in formellen Gesetzen oder Rechtsverordnungen müssten den Anforderungen des § 35a VwVfG nicht entsprechen, sondern würden diese verdrängen. Dieses vorläufige Ergebnis könnte allerdings der bei Erlass des § 35a VwVfG verfolgten gesetzgeberischen Intention widersprechen. Dabei ist zu differenzieren: Dass der parlamentarische Gesetzgeber von seiner eigenen Regelung (§ 35a VwVfG) in Teilbereichen abweichen kann, ist nach demokratischen Grundsätzen der Normalfall und gilt auf der Ebene des einfachen Rechts unabhängig von § 1 Abs. 1 a. E. VwVfG. Erörterungsbedürftig erscheint hingegen die potenzielle Abweichungsmöglichkeit des Verordnungsgebers. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist es plausibel, dass der § 1 Abs. 1 a. E. VwVfG bei Erlass des § 35a VwVfG schlicht übersehen wurde. § 35a VwVfG sollte weder bewusst von § 1 Abs. 1 a. E. VwVfG abweichen, noch war die durch die Anwendung des § 1 Abs. 1 a. E. VwVfG erzeugte Wirkung vorhergesehen worden. Insofern besteht ein Konflikt zwischen der mit Erlass des § 35a VwVfG verfolgten gesetzgeberischen Intention, normative Anforderungen auch gegenüber dem Verordnungsgeber zu formulieren, und dem sich aus § 1 Abs. 1 a. E. VwVfG ergebenden Subsidiaritätsprinzip. Das Spannungsverhältnis zwischen § 35a VwVfG und § 1 Abs. 1 a. E. VwVfG lässt sich allerdings lösen. § 1 Abs. 1 a. E. VwVfG stellt eine spezifische Kollisionsregel für das Verhältnis des allgemeinen VwVfG zu speziellerem Verfahrensrecht auf. Damit sollte bei Erlass des VwVfG sichergestellt werden, dass bestehende verfahrensrechtliche Spezialregelungen bestehen bleiben und nicht vollständig durch das neuere und gegebenenfalls ranghöin: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 1 Rn. 211, 219 f. in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 1 Rn. 211, 219 f. 254  Dazu unter 3. Teil A. II. 1. 252  H. Schmitz, 253  H. Schmitz,

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

here VwVfG verdrängt werden.255 Dass auch Rechtsverordnungen als Rechtsvorschriften im Sinne der Vorschrift zu verstehen sind, begründet im Ausgangspunkt eine teilweise Abweichung vom Lex-superior-Grundsatz. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen und bisher soweit ersichtlich nicht ausreichend behandelt worden, dass Rechtsverordnungen nach Art.  80 Abs. 1 GG auf einer parlamentsgesetzlichen Verordnungsermächtigung beruhen müssen. Insofern muss durch Auslegung der Verordnungsermächtigung ermittelt werden, ob der Verordnungsgeber überhaupt zu einer Abweichung vom VwVfG ermächtigt wurde. Dabei wird man im Hinblick auf die Zulassung des vollständig automatisierten Erlasses von Verwaltungsakten durch eine Rechtsverordnung regelmäßig zu dem Ergebnis kommen, dass die entsprechende Verordnungsermächtigung nicht zur Abweichung von den An­ forderungen des § 35a VwVfG ermächtigen soll. Nach den Grundsätzen systematischer Auslegung sind Normen im Hinblick auf das Gesamtregelungsgefüge möglichst konsistent und widerspruchsfrei auszulegen. Wenn der parlamentarische Gesetzgeber den Verordnungsgeber zur Zulassung der Vollautomation ermächtigt, so muss diese Ermächtigung auch nach systematischen Gesichtspunkten ausgelegt werden. Um einen Widerspruch zu vermeiden, ist davon auszugehen, dass die Ermächtigung den Wertungen des § 35a VwVfG entsprechen soll und insofern keine Abweichungskompetenz beinhaltet. Etwas anderes kann nur gelten, wenn im Einzelfall besondere Gründe für die Annahme einer Ermächtigung zur Abweichung sprechen und insofern ein Widerspruch nicht vermeidbar ist. Insgesamt lässt sich das Spannungsverhältnis zwischen § 35a VwVfG und dem Subsidiaritätsgrundsatz nach § 1 Abs. 1 a. E. VwVfG durch Auslegung der jeweiligen Verordnungsermächtigung weitestgehend auflösen. Im Grundsatz bleibt es bei den sich aus § 35a VwVfG ergebenden inhaltlichen Anforderungen auch im Hinblick auf Rechtsverordnungen. c) Zwischenergebnis Im Bereich des vollständig automatisierten Verwaltungsakterlasses verlangt der § 35a VwVfG eine eindeutige und sich auf konkrete Verfahren beziehende Zulassung durch Parlamentsgesetz, Rechtsverordnung oder Satzung. Die Anforderungen des Vorbehalts des Gesetzes bleiben grundsätzlich dahinter zurück, allerdings kann im Einzelfall die Zulassungsentscheidung dem Parlamentsgesetzgeber vorbehalten bleiben. Letzteres ist besonders bedeutsam für die Teilautomation und die Vollautomation im Anwendungsbereich der AO, des SGB X oder des VwVfG der Bundesländer, die den § 35a VwVfG nicht übernommen haben. In diesen Bereichen besteht keine aus255  BT-Drs. 7/910,

S. 30.



B. Rechtliche Grundlagen der Verwaltungsautomation71

drückliche gesetzliche Regelung zur Zulassung der Automation durch eine Rechtsvorschrift. 2. Verfahrensrechtliche Anforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte Der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten muss sowohl den Verfahrensgrundsätzen als auch den Verfahrensrechten der Beteiligten entsprechen. Im Ausgangspunkt besteht kein Unterschied zum personal durchgeführten Verfahren.256 In den Verfahrensordnungen finden sich allerdings einige spezielle Regelungen, die die Geltung der Verfahrensgrundsätze bzw. -rechte gesondert regeln und auf die deshalb im Überblick einzugehen ist. Zunächst soll die heutige Bedeutung der überwiegend257 in allen drei Verfahrensordnungen seit langem vorgesehenen formalen Erleichterungen für den automatisierten Erlass erörtert werden. Sodann ist auf die im Bereich des Untersuchungsgrundsatzes bestehenden Spezialregelungen (§§ 24 Abs. 1 S. 3 VwVfG, 31a S. 2 SGB X sowie §§ 88 Abs. 5, 150 Abs. 7, 155 Abs. 4 S. 3 AO) einzugehen. Den Spezialregelungen insgesamt ist gemein, dass sich im Hintergrund der Konflikt zwischen den rechtsstaatlichen Anforderungen an das Verfahren und der Verfahrenseffizienz verbirgt. Bei der Auslegung und Anwendung der jeweiligen Normen ist deshalb allgemein zu berücksichtigen, dass beide Rechtspositionen in einen schonenden Ausgleich zu bringen sind.258 a) Gegenwärtige Bedeutung verfahrensrechtlicher Erleichterungen aa) Absehen von der Namenswiedergabe und Verwendung von Schlüsselzeichen Die normierten formalen Erleichterungen, das Absehen von der Namenswiedergabe (§§ 37 Abs. 5 S. 1 VwVfG, 33 Abs. 5 S. 1 SGB X, § 119 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 AO) sowie das Verwenden von Schlüsselzeichen (§§ 37 Abs. 5 S. 2 VwVfG, 33 Abs. 5 S. 2 SGB X), haben heutzutage keine praktische Bedeutung mehr. Die Erleichterungen sollten den zum Normerlasszeitpunkt noch bestehenden eingeschränkten Kapazitäten der damaligen Großrechner256  BT-DruckS. 18/7457, S. 83; Ramsauer/Tegethoff, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 35a Rn. 15; Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, Rz. 21.282. 257  In der AO findet sich keine Regelung zur Verwendung von Schlüsselzeichen und im SGB X fehlt eine automationsbezogene Spezialregelung zur Anhörung. 258  Eifert, E-Government, S. 135 ff. zum normativen Rahmen der Verfahrensanforderungen im Bereich der Automation.

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

anlagen Rechnung tragen.259 Aufgrund begrenzter Speicherkapazitäten und langsamer Drucker sollte sowohl die Größe der Dateien als auch die Dauer des Ausdrucks in einem praktisch handhabbaren Maße gehalten werden.260 Beim Einsatz moderner EDV-Anlagen stellen sich diese Probleme allerdings nicht, sodass Verwaltungsakte ohne Schlüsselzeichen und dafür mit Namenswiedergabe des zuständigen Behördenleiters auch automatisiert erstellt werden können.261 Die Vorschriften haben sich insofern durch den technischen Wandel weitestgehend erledigt262 und werden teilweise bereits als „totes“ Recht bezeichnet.263 bb) Absehen von der Begründung in automatisiert durchgeführten Verfahren Als weitere formale Erleichterung ist es in allen drei Verfahrensordnungen (§§ 39 Abs. 2  Nr. 3  VwVfG, 35 Abs. 2  Nr. 3  SGB  X, 121 Abs. 2  Nr. 3 AO) vorgesehen, dass beim automatisierten Erlass eines Verwaltungsaktes unter Umständen auf die ansonsten vorgesehene Begründung verzichtet werden kann. Allerdings sind bei der Anwendung der Ausnahmetatbestände insbesondere zwei Aspekte zu berücksichtigen, die die Möglichkeiten von ihr Gebrauch zu machen, wesentlich einschränken. (1) Technischer Wandel Zunächst sind auch diese Vorschriften vor dem Hintergrund des technische Standes zum Normerlasszeitpunkt in den 1970er Jahren zu verstehen. Eingeschränkte Speicherkapazitäten und langsame Drucker sind aus heutiger Perspektive allerdings kein relevantes Problem mehr.264 Auch ist es technisch prinzipiell möglich, automatisiert erlassene Verwaltungsakte mittels Textbausteinen zu begründen. Vor diesem Hintergrund ist allein der ­automatisierte Erlass kein ausreichender Grund, um pauschal von einer Begründung abzusehen. Vielmehr ist die Vorschrift einschränkend auszuleBinder, DÖV 2016, 891 (895). weitergehenden Ausführungen U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 37 Rn. 130 ff. 261  Mit weitergehenden Ausführungen U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 37 Rn. 130 f. 262  Braun Binder, DÖV 2016, 891 (895); Skrobotz, Verwaltungsverfahren, S. 171 für die Namenswiedergabe. 263  U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 37 Rn. 131. 264  Braun Binder, DÖV 2016, 891 (895); U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 39 Rn. 97. 259  Braun 260  Mit



B. Rechtliche Grundlagen der Verwaltungsautomation73

gen.265 Das Absehen kommt nur in Betracht, wenn sich eine den Anforderungen des §§ 39 Abs. 1 VwVfG, 35 Abs. 1 SGB X, 121 Abs. 1 AO entspre­ chende Begründung technisch nicht automatisiert erstellen lässt und deshalb die automatisierte Verfahrensdurchführung ansonsten ausscheiden müsste. (2) Restriktive Anwendung erforderlich Aber auch in einer solchen Situation, in der nur das Begründungserfordernis, die ansonsten mögliche automatisierte Verfahrensdurchführung verhindert, reicht es nicht aus pauschal darauf abzustellen. Es ist zu berücksichtigen, dass die Begründungspflicht nicht allein nach Maßgabe des einfachen Rechts (§§ 39 VwVfG, 35 SGB X, 121 AO) besteht, sondern auch im Verfassungsrecht verankert oder zumindest verfassungsrechtlich geprägt ist.266 Der von einer staatlichen Entscheidung in seinen subjektiven Rechten betroffene Bürger hat grundsätzlich einen im Grundrechtsschutz sowie dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip verankerten Anspruch darauf, eine Begründung zu erhalten.267 Der Begründungsanspruch dient dabei aus Sicht des Bürgers im wesentlichen zwei Funktionen. Erstens dient die Begründung dazu, das Entscheidungsverhalten der Behörde nachzuvollziehen und es insbesondere auf seine Rechtmäßigkeit hin kontrollieren zu können. Die Begründung ist im Normalfall die notwendige Grundlage dafür, dass der Bürger einschätzen kann, ob sich das Einlegen eines Rechtsbehelfs gegen die getroffene Entscheidung lohnt.268 Auch dient die Begründung der Akzeptanz. Der Entscheidungsadressat wird eher geneigt sein, die Entscheidung zu akzeptieren, wenn er die dafürsprechenden Gründe kennt und rational nachvollziehen kann.269 In dieser Hinsicht dient die Begründung durch die mögliche Akzeptanz des Betroffenen auch der Legitimation der konkreten Entscheidung.270 Auf der anderen Seite darf die verfassungsrechtliche Verankerung der Begründungspflicht nicht überinterpretiert werden. Ein unbedingter Anspruch 265  Noch weitergehend Guckelberger, Verwaltung, Rn. 525 f., die zur Klarstellung eine Abschaffung des § 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG fordert und U. Stelkens, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, § 39 Rn. 97, der sogar von „totem“ Recht ausgeht; Ratschow, in: Klein, AO, § 121 Rn. 15, legt die Ausnahme nach § 121 Abs. 2 Nr. 3 AO so aus, dass ihr gegenüber § 121 Abs. 2 Nr. 2 AO keine eigenständige Bedeutung zukommt. 266  Mit sehr ausführlichen Ausführungen zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen der Begründung Kischel, Begründung, S. 63 ff. 267  BVerwG, DVBl. 1982, 198 (199); BVerfGE 99, 81 (189 ff.); 103, 142 (160 f.); U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 39 Rn. 2 f. 268  U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 39 Rn. 1. 269  Ausführlich dazu Kischel, Begründung, S. 52  ff.; U. Stelkens, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, § 39 Rn. 1. 270  Tiedemann, in: BeckOK, VwVfG, § 39 Rn. 1.

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

des Bürgers, in jeder Situation eine Begründung zu erhalten, lässt sich der Verfassung nicht entnehmen.271 Vielmehr handelt es sich bei dem Erfordernis eine Begründung anzugeben um einen Grundsatz, der Ausnahmen zulässt und insofern auch der gesetzgeberischen Ausgestaltung bedarf.272 Die Begründungspflicht gilt weder absolut noch für jede Entscheidung in gleicher Weise.273 Der Verzicht auf eine Begründung kann gerechtfertigt werden.274 Konkret im Hinblick auf den automatisierten Erlass von Verwaltungsakten ist zu berücksichtigen, dass auch die effiziente Durchführung von Verwaltungsverfahren, beispielsweise durch den Einsatz von Algorithmen, verfassungsrechtlich verankert ist.275 Nur so kann langfristig die Belastungs- und Funktionsfähigkeit der Verwaltung erhalten bleiben.276 Der Gedanke der effizienten Aufgabenerfüllung ist insofern grundsätzlich dazu geeignet, die Begründungspflicht einzuschränken.277 Auf der anderen Seite kann nicht davon ausgegangen werden, dass jedweder noch so geringe Effizienzgewinn durch die automatisierte Durchführung pauschal oder auch nur im Regelfall ausreicht, um das schutzwürdige Interesse, eine Begründung zu erhalten, zu überwiegen. Vielmehr ist eine einzelfallbezogene Abwägung der sich gegenüberstehenden Positionen erforderlich.278 Dem tragen auch die Ausnahmevorschriften bereits in der geltenden Fassung Rechnung. So ist als zusätzliche Voraussetzung für ein Absehen von der Begründung zu prüfen, ob „die ­Begründung nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist“ (vgl. §§ 39 Abs. 2  Nr. 3  VwVfG, 35 Abs. 2  Nr. 3  SGB  X, 121 Abs. 2  Nr. 3 AO). Im Rahmen der Frage der Gebotenheit lassen sich die soeben herausgearbeiteten Positionen berücksichtigen. Es ist im Hinblick auf die konkreten Umstände des Einsatzes zu bestimmen, ob die Vorteile der automatisierten Durchführung das Absehen von einer Begründung in dieser Situation rechtfertigen und eine solche deshalb „nicht geboten“ ist. Nur unter diesen Vo­ raussetzungen ist es möglich, beim automatisierten Erlass von Verwaltungsakten von einer Begründung abzusehen.

Begründung, S. 63 f. Begründung, S. 171 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 253 f. 273  Kischel, Begründung, S. 63 f. u. 160 ff. 274  Kischel, Begründung, S. 175. 275  BVerfGE 44, 283 (289); BVerwGE 67, 206 (206); H. Schmitz, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, § 9 Rn. 76. 276  U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 39 Rn. 4. 277  Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 254; U. Stel­ kens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 39 Rn. 4. 278  Für eine sorgfältige Prüfung auch Guckelberger, Verwaltung, Rn. 525; Hufen/ Siegel, Fehler, Rn. 480 f. 271  Kischel, 272  Kischel,



B. Rechtliche Grundlagen der Verwaltungsautomation75

(3) Zwischenergebnis Insgesamt ist festzuhalten: Im Regelfall wird auch beim automatisierten Erlass von Verwaltungsakten eine Begründung erforderlich sein.279 Das ist solange ohnehin unproblematisch, wie sich eine Begründung automatisiert erstellen lässt. Lässt sich eine solche Begründung aus technischen Gründen nicht verwirklichen, kann geprüft werden, ob überwiegende Gründe eine Ausnahme rechtfertigen. Andernfalls ist die automatisierte Verfahrensdurchführung ausgeschlossen. Die Vorschriften zum Absehen von einer Begründung sind tendenziell restriktiv zu verstehen.280 cc) Absehen von der Anhörung in automatisiert durchgeführten Verfahren Im Anwendungsbereich des VwVfG und der AO281 ist gem. §§ 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG, 91 Abs. 2 Nr. 4 AO auch eine Erleichterung für die gem. §§ 28 Abs. 1 VwVfG, 91 Abs. 1 S. 1 AO erforderliche Anhörung vorgesehen, wenn der Verwaltungsakt „mit Hilfe automatischer Einrichtungen“ erlassen wird. Bezüglich dieser Ausnahmemöglichkeit ist allerdings bereits seit längerem anerkannt, dass allein der automatisierte Erlass nicht ausreicht, um in jedem Fall von der Anhörung abzusehen.282 (1) Technischer Wandel Zunächst ist auch diesbezüglich der technische Wandel zu berücksichtigen. So dürfte der ursprüngliche Zweck der Ausnahmevorschriften durch die tech-

279  Eine noch weitergehende Bedeutung kommt der Begründung speziell im Bereich von Spielräumen zu. Darauf wird unter 3. Teil B. II 2. noch ausführlich eingegangen. 280  Noch weitergehend Guckelberger, Verwaltung, Rn. 525 f., die zur Klarstellung eine Abschaffung des § 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG fordert und U. Stelkens, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, § 39 Rn. 97, der sogar von „totem“ Recht ausgeht; auch Ratschow in: Klein, AO, § 121 Rn. 15 und Ludwigs/Velling, VerwArch 114 (2023), 71 (92) legen die Ausnahme nach § 121 Abs. 2 Nr. 3 AO so aus, dass ihr gegenüber § 121 Abs. 2 Nr. 2 AO keine eigenständige Bedeutung zukommt. Zu den rechtspolitischen Alternativen mehr unter 4. Teil B. II. 2. 281  Im Anwendungsbereich des SGB X fehlt es hingegen an einer solchen Ausnahmeregelung zu § 24 Abs. 1 SGB X. 282  Kallerhoff/Mayen, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 28 Rn. 62; Polomski, Verwaltungsakt, S.  139 f.; Ramsauer, in: Kopp/ders., VwVfG, § 28 Rn. 69.

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

nische Entwicklung in Teilen überholt sein.283 Mittels der aktuellen technischen Möglichkeiten kann den Beteiligten, beispielsweise durch ein elektronisch übermitteltes Formular oder ein Freitextfeld, regelmäßig auch in einem automatisierten Verfahren Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden.284 Allerdings dürfte die eigentlich entscheidende Frage sein, ob die so übermittelten Informationen auch berücksichtigt werden können. Ist die Berücksichtigung in einem automatisiert durchgeführten Verfahren möglich, besteht auch kein Problem im Hinblick auf die Anhörung. (2) Restriktive Anwendung erforderlich Ist es hingegen nicht möglich eine Anhörung automatisiert durchzuführen, ist zu erörtern, ob möglicherweise auf die Anhörung insgesamt verzichtet werden kann. Dabei dürften allerdings – anders als es die Normierung eines Regelbeispiels nahelegt – das Abstellen auf den automatisierten Verwaltungsakterlass oder erwartete Rationalisierungseffekte allein nicht ausreichen, um eine Ausnahme gem. §§ 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG, 91 Abs. 2 Nr. 4 AO zu rechtfertigen.285 Für dieses restriktive Verständnis spricht insbesondere die rechtsstaatliche und grundrechtliche286 Prägung des Anhörungsgrundsatzes.287 Auf der anderen Seite ist bezüglich der verfassungsrechtlichen Dimension der Anhörung – wie auch bei der Begründungspflicht – zu berücksichtigen, dass es sich dabei lediglich um einen Grundsatz handelt, der Ausnahmen zulässt und der Ausgestaltung bedarf.288 Ein Verzicht auf die Anhörung ist möglich, sofern gleichwertige Positionen ein solches rechtfertigen.289 Auch die Verfahrenseffizienz ist grundsätzlich dazu geeignet, ein Absehen zu 283  So auch Braun Binder, DÖV 2016, 891 (895), die allerdings nicht speziell auf die Anhörung eingeht. 284  Anders hingegen Guckelberger, DÖV 2021, 566 (573), die etwas pauschal darauf abstellt, dass „IT-Systeme Beteiligte […] nicht verstehen können“. 285  Kallerhoff/Mayen, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 28 Rn. 62; Polomski, Verwaltungsakt, S.  139 f.; Ramsauer, in: Kopp/ders., VwVfG, § 28 Rn. 69; ähnlich Hermann, in: BeckOK, VwVfG, § 28 Rn. 39. Dabei soll nach U. Stelkens, in: Hill/ Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (118) auch berücksichtigt werden, dass die Anhörung wie § 24 Abs. 1 S. 3 VwVfG impliziert Anlass zur Aussteuerung bei individuellem Vortrag sein kann. 286  Grundlegend dazu Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43 (86 ff.). 287  Bredemeier, Verfahrenshandlungen, S. 247 f. u. 282 ff.; Kallerhoff/Mayen, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 28 Rn. 2; Langenbach, Anhörungseffekt, S.  48 f.; Schneider, in: Schoch/Schneider, VwVfG, § 28 Rn. 5. 288  Bredemeier, Verfahrenshandlungen, S.  335 ff.; Langenbach, Anhörungseffekt, S.  140 ff. 289  Bredemeier, Verfahrenshandlungen, S.  335 ff.; Langenbach, Anhörungseffekt, S.  140 ff.



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rechtfertigen.290 Entscheidend kommt es nicht allein auf die automatisierte Durchführung des Verfahrens, sondern auf die Umstände insgesamt an.291 Diesen Erwägungen kann bei der Anwendung der §§ 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG, 91 Abs. 2 Nr. 4 AO Rechnung getragen werden, da die Entscheidung, von einer Anhörung abzusehen, auch bezüglich der Regelbeispiele im Verfahrensermessen der Behörde steht.292 Bei dieser Ermessensentscheidung hat die Behörde insbesondere den Konflikt zwischen der Verfahrenseffizienz und dem schutzwürdigen Interesse, angehört zu werden, zu berücksichtigen. (3) Zwischenergebnis Im Ergebnis dürfte auch auf die Anhörung beim automatisierten Erlass von Verwaltungsakten in den überwiegenden Fällen nicht verzichtet werden können. Das ist so lange unproblematisch, wie eine Anhörung auch in den automatisiert durchgeführten Verfahren gelingt. Lässt sich hingegen eine Anhörung nicht verwirklichen, kann die Behörde im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung prüfen, ob überwiegende Gründe eine Ausnahme rechtfertigen. Andernfalls ist die automatisierte Verfahrensdurchführung ausgeschlossen. Die Vorschriften zum Absehen von der Anhörung sind tendenziell restriktiv zu verstehen.293 b) Spezialregelungen im Bereich des Untersuchungsgrundsatzes Im Verwaltungsverfahren gilt allgemein der Untersuchungsgrundsatz. Die Behörde hat von Amts wegen den Sachverhalt zu ermitteln, bevor sie ihre Entscheidung trifft (§§ 24 Abs. 1 S. 1 VwVfG, 20 Abs. 1 S. 1 SGB X, 88 Abs. 1 S. 1 AO).294 Dabei bestimmt sie Art und Umfang der erforderlichen Ermittlungen (§§ 24 Abs. 1 S. 2 VwVfG, 20 Abs. 1 S. 2 SGB X, 88 Abs. 2 AO).295 Daneben bestehen allerdings auch Mitwirkungspflichten der Beteiligten (vgl. insbesondere §§ 26 Abs. 2 VwVfG, 21 Abs. 2 SGB X, 90 AO).296 Diese allgemeinen Grundsätze bezüglich der Sachverhaltsermittlung gelten 290  Zu dessen grundsätzlicher Eignung Verfahrensrechte einzuschränken vgl. die Nachweise in den Fn. 275–277. 291  Kallerhoff/Mayen, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 28 Rn 49. 292  Ludwigs/Velling, VerwArch 114 (2023), 71 (90 f.). 293  Ähnlich Ludwigs/Velling, VerwArch 114 (2023), 71 (90 f.). 294  Kallerhoff/Fellenberg, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 24 Rn. 5; für weitergehende Ausführungen vgl. Spilker, Amtsermittlung, S.  67 ff. 295  Kallerhoff/Fellenberg, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 24 Rn. 5; für weitergehende Ausführungen vgl. Spilker, Amtsermittlung, S.  94 ff. 296  Für weitergehende Ausführungen vgl. Spilker, Amtsermittlung, S.  271 ff.

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

auch im automatisierten Verfahren.297 Allerdings sind durch das „Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens“ Spezialregelungen im Bereich des Untersuchungsgrundsatzes erlassen worden (vgl. §§ 24 Abs. 1 S. 3 VwVfG, 31a S. 2 SGB X sowie die §§ 88 Abs. 5, 150 Abs. 7, 155 Abs. 4 S. 3 AO), deren Regelungsgehalt im Folgenden erschlossen werden soll: aa) Berücksichtigungspflicht für einzelfallbedeutsame Angaben In den §§ 24 Abs. 1 S. 3 VwVfG, 31a S. 2 SGB X heißt es übereinstimmend: „Setzt die Behörde automatische Einrichtungen zum Erlass von Verwaltungsakten ein, muss sie für den Einzelfall bedeutsame tatsächliche Angaben des Beteiligten berücksichtigen, die im automatischen Verfahren nicht ermittelt würden.“

Aufgrund des gleichlautenden Wortlauts können die Vorschriften parallel ausgelegt werden. Zweck der Neuregelung dürfte es sein, automationsbedingte Ermittlungsdefizite zu kompensieren.298 Es soll der Gefahr, dass bestimmte, einzelfallrelevante Umstände in automatisiert durchgeführten Verfahren nicht berücksichtigt werden können, entgegengewirkt werden.299 Die Vorschriften sind anders als die parallel erlassenen §§ 35a VwVfG, 31a S. 1 SGB X mangels Beschränkung im Wortlaut nicht nur auf den voll-, sondern grundsätzlich auch auf den teilautomatisierten Erlass von Verwaltungsakten anzuwenden.300 Der Schwerpunkt der Vorschriften dürfte allerdings die vollautomatisierte Verfahrensdurchführung betreffen. Die Gefahr, dass wesentliche Umstände aufgrund der Automation nicht berücksichtigt werden, dürfte in diesem Bereich deutlich größer sein. Hingegen liegt im Bereich der Teilautomation der menschliche Entscheidungsbeitrag regelmäßig gerade im Bereich der Sachverhaltsermittlung. (1) Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung Inhaltlich stellen die Vorschriften zwei Anforderungen auf. Zunächst muss als Vorstufe der Berücksichtigung den Beteiligten auch im automatisierten Verfahren die Möglichkeit gegeben werden, die tatsächlichen Besonderheiten 297  BT-Drs. 18/8434, S. 122; H. Schmitz/Prell, NVwZ 2016, 1273 (1277); U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (116 f.). 298  Kallerhoff/Fellenberg, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 24 Rn. 57a; Siegel, DVBl. 2017, 24 (27). 299  BT-Drs. 18/8434, S. 122; Siegel, DVBl. 2017, 24 (27). 300  Auch in der Gesetzesbegründung wird in dieser Hinsicht nicht zwischen dem teil- und vollautomatisierten Erlass unterschieden (BT-Drs. 18/8434, S. 121 f.).



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ihres Falles vorzubringen.301 Diese Anforderung lässt sich technisch beispielsweise durch ein Freitextfeld, in dem der Beteiligte seine Angaben einfügen kann (vgl. § 150 Abs. 7 S. 1 AO), oder auf andere Art und Weise umsetzen.302 Allerdings ist bereits an dieser Stelle der Vorbehalt der Bedeutsamkeit zu beachten. Bedeutsam sind tatsächliche Angaben, die für die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts im konkreten Verfahren erheblich sind.303 Wenn mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass keine bedeutsamen tatsächlichen Angaben mehr zu erwarten sind, muss den Beteiligten von vornherein keine Möglichkeit für weiteren Sachvortrag gegeben werden. Im zweiten Schritt müssen die tatsächlichen Angaben auch Berücksichtigung finden. Dafür ist die Aussteuerung aus dem automatisierten Verfahren und regelmäßig auch eine Entscheidung durch einen menschlichen Sachbearbeiter erforderlich.304 Die Berücksichtigungspflicht steht allerdings unter dem Vorbehalt der Bedeutsamkeit.305 Durch diese Anforderung soll sichergestellt werden, dass das automatisierte Verfahren nicht durch jedweden individuellen Vortrag ausgehebelt werden kann.306 Die Prüfung der Bedeutsamkeit kann zumindest in einem gewissen Umfang automatisiert erfolgen.307 Denkbar wäre es beispielsweise, zufällige Zeichenfolgen ohne erkennbaren Sinn automatisch auszusortieren und insofern von einer Aussteuerung abzusehen.308 Wird die fehlende Bedeutsamkeit nicht automatisch, sondern erst nach der Aussteuerung durch eine personale Überprüfung festgestellt, ist auch eine Zurückverlagerung in das automatisierte Verfahren möglich.309 Als Klarstellung ist darauf hinzuweisen, dass die §§ 24 Abs. 1 S. 3 VwVfG, 31a S. 2 SGB X einer automatisierten Verarbeitung von besonderen Einzelfallangaben (z. B. bei Einzelfallumstände berücksichtigenden Spielraumentscheidungen) nicht prinzipiell entgegenstehen. Die Vorschriften enthalten keine allgemeine Regelung, wie mit Einzelfallangaben umzugehen ist, son301  Kallerhoff/Fellenberg, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 24 Rn. 57d; U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (116 f.). 302  v. Harbou, JZ 2020, 340 (343); Kallerhoff/Fellenberg, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 24 Rn. 57d. 303  Kallerhoff/Fellenberg, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 24 Rn. 57e. 304  BT-Drs. 18/8434, S. 122; H. Schmitz/Prell, NVwZ 2016, 1273 (1277). 305  Für eine im Hinblick auf die Schutzfunktion großzügige Auslegung des Merkmals der Bedeutsamkeit v. Harbou, JZ 2020, 340 (343). 306  H. Schmitz/Prell, NVwZ 2016, 1273 (1277); ähnlich auch BT-Drs. 18/8434, S. 122. 307  v. Harbou, JZ 2020, 340 (343). 308  Kallerhoff/Fellenberg, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, §  24 Rn.  57e; H. Schmitz/Prell, NVwZ 2016, 1273 (1277). 309  BT-Drs. 18/8434, S. 122; H. Schmitz/Prell, NVwZ 2016, 1273 (1277).

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

dern sie erfordern ihrem Wortlaut („[…] die im automatischen Verfahren nicht ermittelt würden“) und Regelungszweck nach die personale Bearbeitung nur subsidiär. Wenn die tatsächlichen Angaben auch im automatisierten Verfahren vollumfänglich ermittelt und sinnvoll verarbeitet werden können, sind die Vorschriften hingegen von vornherein nicht einschlägig. (2) Indirekte Normierung einer Mitwirkungsobliegenheit Daneben enthalten die Vorschriften eine indirekte Wertung im Hinblick auf das Verhältnis von automatisiertem Verfahren und Untersuchungsgrundsatz. Die ausdrückliche Normierung der Berücksichtigungspflicht impliziert, dass es auch im automatisierten Verfahren möglich sein muss, die behördliche Ermittlungspflicht in einem gewissen Umfang einzuschränken bzw. von der Mitwirkung der Beteiligten abhängig zu machen.310 Denn wenn die Behörde alle relevanten Umstände ohnehin vollumfänglich von Amts wegen ermitteln müsste, bestünde für eine explizit normierte Berücksichtigungspflicht kein Bedarf mehr. Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine Besonderheit automatisierter Verfahren. Ganz allgemein ist anerkannt, dass die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen Umfang und Grenzen der erforderlichen Ermittlung bestimmt.311 Im Rahmen dieser Ermessensausübung darf die Behörde nun auch berücksichtigen, dass dem Beteiligten in einem automatisierten Verfahren die Möglichkeit eingeräumt wurde, einzelfallbezogene Angaben zu machen und darf sodann darauf vertrauen, dass weitere Angaben nicht mehr zu erwarten sind. Insofern enthalten die §§ 24 Abs. 1 S. 3 VwVfG, 31a S. 2 SGB X eine spezielle Mitwirkungsobliegenheit der Beteiligten in einem automatisierten Verfahren. Auch in der Abgabenordnung besteht eine Regelung mit vergleichbarer Regelungsintention, die allerdings deutlich konkreter festlegt, wie die Berücksichtigung der tatsächlichen Angaben eines Beteiligten zu gewährleisten ist. bb) Freitextfeld und Aussteuerungspflicht im Besteuerungsverfahren Wird die Steuerfestsetzung vollständig automatisiert durchgeführt, muss in der dazugehörigen formularmäßigen Steuererklärung gem. § 150 Abs. 7 AO ein qualifiziertes Freitextfeld vorgesehen werden, indem der Steuerpflichtige tatsächliche Angaben machen kann, die nach seiner Auffassung Anlass für in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 24 Rn. 57d. Amtsermittlung, S.  94 ff.

310  Kallerhoff/Fellenberg, 311  Spilker,



B. Rechtliche Grundlagen der Verwaltungsautomation81

eine personale Bearbeitung sind. Macht der Steuerpflichtige von dieser Möglichkeit Gebrauch, besteht sodann nach § 155 Abs. 4 S. 3 AO ein Anlass zur Bearbeitung durch einen Amtsträger, sodass eine Aussteuerung samt personaler Bearbeitung erforderlich ist.312 Anders als im VwVfG und dem SGB X fehlt eine ausdrückliche Beschränkung auf bedeutsame Angaben. Insofern scheint es der Steuerpflichtige selbst in der Hand zu haben, durch einen Eintrag im Freitextfeld eine personale Bearbeitung herbeizuführen.313 Allerdings dürften die Vorschriften es nicht ausschließen, eine Rückführung in das automatisierte Verfahren vorzunehmen, wenn eine Überprüfung durch einen Sachbearbeiter ergeben hat, dass die Angaben eine personale Bearbeitung nicht erfordern.314 Eine andere Auslegung würde den Sinn und Zweck der Automation, das Besteuerungsverfahren effizienter zu gestalten,315 weniger verwirklichen316 und in Anbetracht der durch den Sachbearbeiter bereits festgestellten Unerheblichkeit ohnehin nicht zu einem abweichenden Ergebnis führen. cc) Verhältnis zur Anhörungspflicht Den verschiedenen Regelungen in den drei Verfahrensordnungen (§§ 24 Abs. 1 S. 3 VwVfG, 31a S. 2 SGB X sowie §§ 150 Abs. 7, 155 Abs. 4 S. 3 AO) dürfte gemeinsam sein, dass durch die Möglichkeit, Einzelfallvortrag vorzubringen (samt korrespondierender Berücksichtigungspflicht), gleichzeitig auch der Anhörungspflicht genügt wird.317 Damit wird das oben bereits gefundene Ergebnis, dass die Ausnahmevorschriften §§ 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG, 91 Abs. 2 Nr. 4 AO praktisch eine geringe Bedeutung haben, aus einer anderen Perspektive bestätigt.318

in: Klein, AO, § 150 Rn. 80 sowie Rüsken, in: Klein, AO, § 155 Rn. 83. Braun Binder, DStZ 2016, 526 (528) „kommt das qualifizierte Freitextfeld […] in Kombination mit der Berücksichtigungspflicht […] einer Wahlmöglichkeit nahe“. 314  Braun Binder, DStZ 2016, 526 (529); Rüsken in: Klein, AO, § 155 Rn. 84; a. A. Baldauf, DStR 2016, 833 (835), die dem Bürger insofern ein Wahlrecht samt Anspruch auf manuelle Bearbeitung zubilligen möchte. 315  So BT-Drs. 18/7457, S. 1. 316  Braun Binder, DStZ 2016, 526 (529). 317  Braun Binder, DÖV 2016, 891 (896); ähnlich U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/ Martini, Digitalisierung, 81 (118); a. A. wohl Guckelberger, DÖV 2021, 566 (574). 318  In diese Richtung auch Ludwigs/Velling, VerwArch 114 (2023), 71 (91). 312  Rätke, 313  Nach

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

dd) Einsatz von Risikomanagementsystemen bei der Steuerfestsetzung Die Abgabenordnung enthält noch eine weitere spezielle Regelung, die das Verhältnis der Automation zum Untersuchungsgrundsatz betrifft. § 88 Abs. 5 AO regelt allgemein den Einsatz von Risikomanagementsystemen.319 Der Einsatz solcher Systeme dürfte im Rahmen der vollständig automatisierten Steuerfestsetzung (§ 155 Abs. 4 AO) von besonderer Bedeutung sein. Durch den Einsatz von Risikomanagementsystemen sollen Fälle mit einem signifikant gesteigerten Risiko einer Steuerverkürzung bzw. eines Betrugsversuchs erkannt und zur weiteren personalen Überprüfung markiert werden (§ 88 Abs. 5 S. 1 AO).320 Die eingesetzten Risikomanagementsysteme müssen bestimmten in § 88 Abs. 5 AO festgelegten Anforderungen genügen. Auch in ansonsten automatisiert durchgeführten Verfahren muss die weitere Überprüfung der automatisch ausgewählten Fälle personal erfolgen (§ 88 Abs. 5 S. 3 Nr. 2 AO) und es muss außerdem die Möglichkeit einer personalen Fallauswahl bestehen (§ 88 Abs. 5 S. 3 Nr. 3  AO)321. Weiter muss eine hinreichende Anzahl von Fällen durch eine Zufallsauswahl ausgewählt werden (§ 88 Abs. 5 S. 3 Nr. 1 AO) und eine regelmäßige Überprüfung der Risikomanagementsysteme auf ihre Zielerfüllung stattfinden (§ 88 Abs. 5 S. 3 Nr. 4 AO)322. Es ist verboten, Einzelheiten der Risikomanagementsysteme zu veröffentlichen, soweit dies die Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung gefährden könnte (§ 88 Abs. 5 S. 4 AO). Beim Einsatz der Risikomanagementsysteme soll auch der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung berücksichtigt werden (§ 88 Abs. 5 S. 2 AO). Der letztgenannte Aspekt wird in der steuerrechtlichen Literatur kritisch gesehen.323 Insbesondere soll es im Hinblick auf den Untersuchungsgrundsatz unzulässig sein, durch Schwellenwerte Steuerfälle allein aufgrund ihrer geringen finanziellen Bedeutung von der Möglichkeit einer personalen Überprüfung auszunehmen.324 319  Baldauf, DStR 2016, 833 (836 f.) hält die Regelung wegen eines Verstoßes gegen den Vorbehalt des Gesetzes für verfassungswidrig, da die einzelnen Risiko­ parameter zumindest in Grundzügen durch den Gesetzgeber festzulegen wären. 320  BT-Drs. 18/7457, S. 69; Braun Binder, in: Unger/v. Ungern-Sternberg, Demokratie u. KI, 161 (169 f.); Rätke, in: Klein, AO, § 88 Rn. 91. 321  Kritisch dazu Braun Binder, DStZ 2016, 526 (531). 322  Zu Art und Umfang einer möglichen Kontrolle Braun Binder, in: Unger/v. Ungern-Sternberg, Demokratie u. KI, 161 (170 ff.). 323  Braun Binder, in: Unger/v. Ungern-Sternberg, Demokratie u. KI, 161 (168): „Art und Umfang der Ermittlung dürfen nicht am finanziellen Ausfallrisiko ausgerichtet werden, sondern haben sich am Verifikationsbedürfnis zu orientieren“; für weitergehende Ausführungen vgl. Seer, STuW 2015, 315 (319 f.).



B. Rechtliche Grundlagen der Verwaltungsautomation83

Der Einsatz von Risikomanagementsystemen dient dazu, die begrenzten personellen und sachlichen Ressourcen dem Kontrollbedürfnis der einzelnen Fälle entsprechend bestmöglich zu steuern.325 Im Grundsatz muss die Behörde den elektronisch übermittelten Angaben der Beteiligten bzw. Dritter vertrauen. Rechtlich notwendiges Pendant dieser Verlagerung der Sachverhaltsaufklärung auf die Beteiligten ist die Übernahme einer Kontrollverantwortung326 durch die Verwaltung (sog. Verifikationsprinzip).327 Dabei handelt es sich um eine Problematik, die sich weder auf den Bereich der Steuerfestsetzung328 noch auf automatisierte Verfahren beschränkt, sondern um ein seit langem bekanntes Phänomen der Massenverwaltung.329 In diesem Kontext ist überwiegend anerkannt, dass die Verwaltung in unechten Massenverfahren grundsätzlich auf die Angaben der Beteiligten vertrauen darf, solange sie durch ausreichende Stichproben wahrheitsgemäße Angaben veranlasst und im Einzelfall keine Anhaltspunkte für Zweifel vorliegen.330 Im Bereich vollständig automatisiert durchgeführter Verwaltungsverfahren dürfte die praktische Bedeutung des Verifikationsprinzips allerdings noch einmal steigen. Ein Beispiel ist der gemeinsam mit der Einführung der vollständig automatisierten Steuerfestsetzung in die AO vollzogene (teilweise) Wechsel von einer Belegvorlage- hin zu einer Belegvorhaltepflicht (vgl. § 50 Abs. 8 EStDV). Deshalb ist der über die Stichprobenkontrolle hinausgehende Einsatz geeigneter Risikomanagementsysteme wohl notwendig, um den Anforderungen des Untersuchungsgrundsatzes in vollautomatisierten Verfahren genügen zu können.331 Vor diesem Hintergrund ist zu kritisieren, dass eine vergleichbare Regelung nicht auch in § 24 VwVfG bzw. § 20 SGB X eingeführt wurde, da 324  Braun Binder, DStZ 2016, 526 (531); a. A. Rätke, in: Klein, AO, § 88 Rn. 95 hält einen Ausschluss von Bagatellfällen aus wirtschaftlichen Gründen für möglich. 325  E. Schmidt/Schmitt, FS Spindler, 529 (534 f.); Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, Rz. 21.7. 326  Allgemein zur geänderten Verantwortung der Behörde bei einer Kooperation mit Privaten Voßkuhle, in: Ders./Eifert/Möllers, Grundlagen, Bd. 1, § 1 Rn. 64 m. w. N. 327  Baldauf, DStR 2016, 833 (836); E. Schmidt/Schmitt, FS Spindler, 529 (533 f.); Spilker, Amtsermittlung, S. 150; für vollautomatisiert erlassene Verwaltungsakte auch in anderen Fachbereichen Braun Binder, DÖV 2016, 891 (896). 328  Wenngleich die Problematik besonders im Steuerrecht diskutiert wird (vgl. die Nachweise in der folgenden Fn.). 329  E. Schmidt/Schmitt, FS Spindler, 529 (533 f.); allgemein zur notwendigen Begrenzung des Untersuchungsgrundsatzes (im Besteuerungsverfahren) auf ein realistisches Maß Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, Rz. 21.5 ff. sowie ders., STuW 2015, 315 (317 ff.) m. w. N. auch für kritische Stimmen. 330  Spilker, Amtsermittlung, S. 131; speziell für den Bereich des Steuerrechts E. Schmidt/Schmitt, FS Spindler, 529 (533 f.); Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, Rz.  21.5 f. 331  Seer, STuW 2015, 315 (324 f.); Spilker, Amtsermittlung, S. 150.

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

sich die beschriebene Problematik nicht nur in der Steuerverwaltung stellt.332 Auch in unechten Massenverfahren nach Maßgabe des VwVfG oder des SGB X muss zumindest der Kontrollverantwortung entsprochen werden und deshalb wäre eine entsprechende Regelung rechtspolitisch geboten.333

IV. Sonderfall: ML-Algorithmen Die Automation der Verwaltung beschränkt sich bisher weitestgehend auf den Einsatz regelbasierter Algorithmen. Zumindest für die Zukunft ist es denkbar, dass die Verwaltung auch vermehrt Methoden des maschinellen Lernens einsetzen wird.334 Deshalb soll nun überlegt werden, ob und in­ wiefern die gefundenen Ergebnisse auch auf ML-Algorithmen übertragbar sind.335 Dabei ist zu beachten, dass die Übergänge zwischen den Algorithmentypen fließend sind. Jeder einzelne Algorithmus muss im Hinblick auf sein spezifisches Einsatzgebiet betrachtet werden, um abschließende AussaBinder, DÖV 2016, 891 (896). auch Braun Binder, DÖV 2016, 891 (896); noch weitergehend kritisiert Berger, DVBl. 2019, 1234 (1236) ein allgemeines Regelungsdefizit, da die Instrumente zur Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit in vollautomatisiert durchgeführten Verfahren (Aussteuerung, Risikomanagement, etc.) im Verfahrensrecht nicht ausdrücklich normiert worden sind; Guckelberger, DÖV 2021, 566 (574) schließt sich der Kritik an und plädiert darüber hinaus für eine Verortung der Regelung im Kontext des § 28 VwVfG. 334  So befassen sich das Bundesministerium des Inneren sowie das Bundesverwaltungsamt mit Möglichkeiten eines Einsatzes in der Verwaltung BT-DruckS. 19/1982, S. 7, 14; vgl. auch das Strategiepapier der Bundesregierung, Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung, Stand: November 2018, S. 31 ff. 335  Die rechtswissenschaftliche Literatur zu ML-Algorithmen (häufig auch unter dem Schlagwort künstlicher Intelligenz) ist insgesamt schwer zu überblicken, dennoch sollen einige Beiträge genannt werden: Allgemein zu ML-Algorithmen/künstlicher Intelligenz und Recht Frese, NJW 2015, 2090 ff.; v. Graevenitz, ZRP 2018, 238 ff.; Herberger, NJW 2018, 2825 ff.; Kirn/Müller-Hengstenberg, MMR 2014, 225 ff.; Reichwald/Pfisterer, CR 2016, 208 ff.; Stiemerling, CR 2015, 762 ff.; mit dem Schwerpunkt Regulierung Gesellschaft für Informatik, Betrachtung algorithmischer Entscheidungssysteme, S.  1 ff.; Hoffmann-Riem, in: Rademacher/Wischmeyer, Regulating AI, 1 ff.; Martini, Blackbox, S. 1 ff.; Wischmeyer, AÖR 143 (2018), 1 ff.; aus der Perspektive des Zivilrechts: Jakl, MMR 2019, 711 ff. und Teubner, AcP 218 (2018), 155  ff.; zum hoheitlichen Einsatz allgemein Braun Binder, in: Unger/ v. Ungern-Sternberg, Demokratie u. KI, 161 ff.; Djefall, in: Mohabbat Kar/Thapa/Parycek, (Un)Berechenbar?, 493 ff.; Guckelberger, Verwaltung, Rn.  559 ff.; Guggenberger, NVwZ 2019, 844 ff.; Hermstrüwer, in: Rademacher/Wischmeyer, Regulating AI, 199 ff.; ders., AöR 145 (2021), 479 ff.; Rademacher, in: Ders./Wischmeyer, Regulating AI, 225 ff.; Unger, in: Ders/v. Ungern-Sternberg, Demokratie u. KI, 113; Wischmeyer, in: Ebers u. a., KI u. Robotik, 613 (Rn. 1 ff.); speziell zur Frage der Haftung beim hoheitlichen Einsatz Martini/Ruschemeier/Hain, VerwArch 112 (2021), 1 ff. und Roth-Isigkeit, AöR 145 (2020), 321 (330 f.). 332  Braun 333  So



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gen zur Zulässigkeit und Sinnhaftigkeit des Einsatzes machen zu können. Nichtsdestotrotz soll an dieser Stelle versucht werden, einige grundsätzliche Fragen zu klären. Dabei geht es zunächst um die Frage, ob sich etwas an der Verwaltungsaktqualität einer automatisiert erlassenen Entscheidung ändert, wenn ML-Algorithmen eingesetzt werden. Sodann werden etwaige (ver­ fassungs-)rechtliche Bedenken gegen die Zulässigkeit eines Einsatzes von ­ML-Algorithmen im Rahmen automatisiert durchgeführter Verfahren erörtert. Zum Abschluss wird die Frage behandelt, ob die einfach-rechtlichen Vorschriften zu automatisiert erlassenen Verwaltungsakten auch auf ML-Algorithmen anwendbar sind. 1. Verwaltungsaktqualität beim Einsatz von ML-Algorithmen Fraglich ist, ob der Einsatz maschinellen Lernens etwas an der Verwaltungsaktqualität automatisierter Verwaltungsentscheidungen ändert. Fraglich könnte das Merkmal „Maßnahme einer Behörde“ (vgl. §§ 35 S. 1 VwVfG, 31 S. 1 SGB X, 118 S. 1 AO) sein. Damit das Merkmal „Maßnahme einer Behörde“ erfüllt ist, muss die automatisiert erlassene Entscheidung der Behörde zurechenbar sein. Vereinzelt wird davon ausgegangen, dass die Zurechenbarkeit zur Behörde beim Einsatz von ML-Algorithmen nicht möglich sei und deshalb auch kein Verwaltungsakt vorliege.336 Die Zurechnung soll dann nicht mehr möglich sein, wenn die Behörde Algorithmen einsetzt, deren Entscheidungen nicht mehr allein durch die von der Behörde vorgenommene Auswahl der Parameter vorherbestimmt seien, sondern die autonom („nichtdeterministisch“337) agieren würden.338 Dem liegt zunächst ein verkürztes Verständnis der Funktionsweise maschinellen Lernens zugrunde. Auch bei ML-Algorithmen ist die zu treffende Entscheidung durch die behördliche Auswahl der Parameter, der Trainingsda336  Lazaratos, Verwaltungsautomation, S. 276 f.; a.  A. Polomski, Verwaltungsakt, S.  85 ff. 337  Lazaratos, Verwaltungsautomation, S. 276, vermischt sprachlich ungenau Aspekte der Vorhersehbarkeit, des Determinismus und der Determiniertheit im eigentlichen Sinne. Determiniertheit im eigentlichen Sinne bedeutet lediglich, dass ein Algorithmus bei der exakt gleichen Eingabe auch zur exakt gleichen Ausgabe kommt. Davon ist die Vorhersehbarkeit (= Determiniertheit aus der Perspektive des Anwenders) zu unterscheiden, d. h. die Möglichkeit eines menschlichen Anwenders, die konkrete Ausgabe für bestimmte Eingaben vorherzusehen. Einen Algorithmus nennt man deterministisch, wenn zu jedem Zeitpunkt seiner Ausführung höchstens eine Möglichkeit der Fortsetzung besteht, also der Folgeschritt eindeutig bestimmt ist. Deterministische Algorithmen sind immer determiniert, aber determinierte Algorithmen sind nicht immer deterministisch (zu den Begriffen vgl. Fischer/Hofer, Lexikon Informatik, S. 234). 338  So Lazaratos, Verwaltungsautomation, S. 276.

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

ten und des konkreten Lernalgorithmus grundsätzlich determiniert. Aufgrund der Komplexität einiger Arten maschinellen Lernens kann allerdings teilweise nicht im Detail vorhergesehen werden, wie der Algorithmus eine bestimmte Entscheidung treffen wird. Allerdings reichen diese Probleme bei der Vorhersehbarkeit bisher wohl nicht aus, um von einer wirklichen Autonomie zu sprechen, da die Entscheidung prinzipiell durch die Auswahlentscheidungen der Behörde vorherbestimmt bleibt.339 Selbst wenn in Zukunft deutlich autonomer agierende ML-Algorithmen einsatzbereit wären, beträfen Probleme im Bereich von Vorhersehbarkeit und Autonomie primär die Frage der rechtlichen Zulässigkeit des Einsatzes und nicht die Einordnung als Verwaltungsakt. Für die Zurechnung einer Entscheidung zur Behörde reicht es grundsätzlich aus, dass die Behörde den MLAlgorithmus bewusst für eine konkrete Aufgabe einsetzt und damit die Entscheidung in ihrem Namen veranlasst.340 Dies entspricht den allgemeinen Grundsätzen, nach denen bestimmt wird, ob ein Verwaltungsakt vorliegt. Das Vorliegen eines Verwaltungsaktes und sein Regelungsgehalt sind aus der Sicht des objektiven Empfängerhorizonts zu bestimmen.341 Aus Sicht des Adressaten der Entscheidung ist es jedoch selbst bei einer entsprechenden Kennzeichnung von Algorithmen grundsätzlich nicht möglich zu erkennen, dass bei der konkreten Entscheidung ein besonders autonomer Algorithmus mitgewirkt hat, der ausnahmsweise den Zurechnungszusammenhang ausschließen soll. Aus Sicht des Bürgers handelt es sich insofern bei der im Namen der Behörde erlassenen und von ihr veranlassten Entscheidung um eine Maßnahme der Behörde, selbst wenn die inhaltliche Entscheidung zu einem gewissen Grad autonom erfolgen würde. Dass allein ein gewisser Grad an inhaltlicher Autonomie die Zurechnung nicht auszuschließen vermag, zeigt auch der Vergleich mit der folgenden, nicht digitalen Konstellation.342 Setzt die Behörde eine Privatperson als Verwaltungshelfer ein, können die von der Privatperson erstellten Bescheide der Behörde selbst dann zugerechnet werden, wenn die Behörde keine Möglichkeit hat, den Inhalt der Bescheide zu kontrollieren oder auch nur zu kennen. Erforderlich ist lediglich, dass der Verwaltungshelfer mit Wissen und Wollen der Behörde tätig wird und die Bescheide im Namen der Behörde ergehen, auch wenn deren Inhalt selbstständig bestimmt wird.343 Letztere Vorausset339  Ähnlich Herberger, NJW 2018, 2825 (2827), der allgemein von einer bestehenden Organisationsverantwortung spricht. 340  So auch Guckelberger, Verwaltung, Rn.  627 f.; U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (104 f.). 341  Ramsauer, in: Kopp/ders., VwVfG, § 35 Rn. 54 m. w. N. 342  Vgl. zu dieser Konstellation Guckelberger, Verwaltung, Rn. 628. 343  BVerwGE 140, 245 (247); zustimmend Ramsauer, in: Kopp/ders., VwVfG, § 35 Rn. 65.



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zungen wären selbst beim Einsatz eines sehr autonomen Algorithmus erfüllt und insofern können gewisse Einschränkungen bei der Vorhersehbarkeit einer Einordnung als Verwaltungsakt nicht entgegenstehen. Eine Entscheidung kann auch beim Einsatz von ML-Algorithmen als Verwaltungsakt eingeordnet werden. Allerdings muss davon unabhängig die Frage beantwortet werden, ob und inwieweit ein solcher Einsatz rechtlich zulässig ist. 2. Zulässigkeit des Einsatzes von ML-Algorithmen Der Einsatz von ML-Algorithmen begegnet zum Teil rechtlichen Bedenken, die aus dem Verfassungsrecht oder allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrecht344 hergeleitet werden. In der älteren Literatur wurde teilweise lediglich der Einsatz von regelbasierten Algorithmen für zulässig gehalten.345 In der neueren Literatur wird überwiegend ein differenzierter Ansatz verfolgt. Der Einsatz von ML-Algorithmen wird zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, aber zumindest teilweise begrenzt oder von bestimmten Anforderungen abhängig gemacht.346 Im Folgenden wird sich zunächst auf den Einsatz von ML-Algorithmen im Rahmen der Entscheidungsautomation beschränkt und sodann als kurzer Exkurs auch der Einsatz zur bloßen Entscheidungsunterstützung erörtert. a) ML-Algorithmen im Bereich automatisiert erlassener Verwaltungsakte Gegen den Einsatz von ML-Algorithmen im Bereich automatisiert erlassener Verwaltungsakte werden unterschiedliche rechtliche Bedenken angeführt. Den Einsatz grundsätzlich ausschließen sollen im Wesentlichen zwei Aspekte: Ein möglicher Verlust an Entscheidungsverantwortung347 sowie die (vermeintliche) Bindung der Verwaltung an eine überpositive Gerechtig344  Zum komplexen Verhältnis von Verfassung und allgemeinen Verwaltungsrecht vgl. Michael, VVDStRL 75 (2016), 131 ff. 345  Polomski, Verwaltungsakt, S. 98 ff. für „juristische Expertensysteme“; Lazaratos, Verwaltungsautomation, S. 271 ff. hält den Einsatz bezüglich „nicht-deterministischer“ Algorithmen für unzulässig, aber ansonsten für zulässig. 346  So beispielsweise bei Guckelberger, Verwaltung, Rn.  569 ff.; Guggenberger, NVwZ 2019, 844 (846  ff.); U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (102); Wischmeyer, AÖR 143 (2018), 1 (39 ff.). 347  Polomski, Verwaltungsakt, S. 99; Tönsmeyer-Uzuner, Expertensysteme, S. 112 f. für das Erfordernis einer menschlichen Schlusskontrolle beim Einsatz von Expertensystemen.

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keit348. Bedenken bestehen auch bezüglich der Transparenz von ML-Algorithmen im Hinblick auf ein rechtsstaatliches Verfahren und die Möglichkeit versteckter Diskriminierungen durch ML-Algorithmen. aa) Gesetzmäßigkeit und demokratische Legitimation Fraglich ist, ob beim Einsatz von ML-Algorithmen die Entscheidungsverantwortung in ausreichender Weise bei der Verwaltung verbleibt. Vereinzelt wird davon ausgegangen, dass die Verwaltung beim Einsatz von ML-Algorithmen die getroffene Entscheidung in letzter Konsequenz nicht mehr kon­ trollieren könne und insofern auch die Entscheidungsverantwortung aufgäbe.349 Ein solcher Verlust an Entscheidungsverantwortung könnte verfassungsrechtlich in zweierlei Hinsicht relevant sein. Zum einen ist ein Verstoß gegen das Gesetzmäßigkeitsprinzip als Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) denkbar, da die Verwaltung möglicherweise nicht ausreichend sicherstellen kann, dass eine erlassene Entscheidung rechtmäßig ist.350 Ebenfalls denkbar ist ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 2 GG). Das Demokratieprinzip verlangt, dass das gesamte Verwaltungshandeln in einem ausreichenden Umfang demokratisch legitimiert ist.351 Hieran könnte es fehlen, wenn statt einer demokratisch legitimierten Stelle der Verwaltung einem ML-Algorithmus die Entscheidungsverantwortung zukommt.352 Hintergrund der Argumentation ist nicht allein eine rechtliche Bewertung, sondern auch die Einschätzung der Funktionsweise von ML-Algorithmen. Es geht um die Frage der Determiniertheit bzw. Vorhersehbarkeit solcher Algorithmen.353 Dabei ist zu beachten, dass auch beim Einsatz von ML-Algorithmen im Ausgangspunkt allein die Verwaltung durch die Auswahl der Trainingsdaten, des konkreten Lernalgorithmus und der übrigen Parameter determiniert, wie der Algorithmus die Entscheidung zu treffen hat.354 Allerdings ist bei einigen ML-Algorithmen insbesondere im Bereich des Deep Learning Verwaltungsakt, S. 100. die Nachweise bei Fn. 347. 350  Polomski, Verwaltungsakt, S. 99. 351  Dreier, in: Ders., GG, Bd. 2, Art. 20 (Demokratie) Rn. 120 ff. 352  In diese Richtung U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (101), der allerdings insofern wohl von sich selbstständig fortentwickelnden Algorithmen ausgeht; zustimmend Guckelberger, Verwaltung, Rn. 592; vgl. auch Unger, in: Ders./v. Ungern-Sternberg, Demokratie u. KI, 113 (118 ff.). 353  So spricht Polomski, Verwaltungsakt, S. 99 davon, dass „der Amtswalter bewusst die Entscheidung der Maschine preis[gäbe]“, da er keine Kontrolle über das Ergebnis habe. 354  Dazu bereits: 1. Teil A. II. 3. 348  Polomski, 349  Vgl.



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nicht im Detail nachvollziehbar, wie der Algorithmus die Entscheidung trifft, sodass die Vorhersehbarkeit der Entscheidung in einer konkreten Situation problematisch sein kann.355 Im Folgenden soll überprüft werden, inwieweit das Gesetzmäßigkeitsprinzip oder das Erfordernis demokratischer Legitimation dem Einsatz von MLAlgorithmen entgegenstehen könnte. (1) Vereinbarkeit mit dem Gesetzmäßigkeitsprinzip Das Gesetzmäßigkeitsprinzip verlangt einen rechtmäßigen Gesetzesvollzug und insofern das Fehlen von Rechtsverstößen. Im Hinblick auf ML-Algorithmen wird teilweise vor der Gefahr vermehrter Rechtsverstöße gewarnt.356 Allerdings ist weder empirisch belegt noch ist eine solche Behauptung in ihrer Absolutheit plausibel, dass der Einsatz tatsächlich vermehrt zu Rechtsverstößen führt. Selbstverständlich ist nicht auszuschließen, dass durch ­ML-Algorithmen erlassene Entscheidungen gegen Rechtsvorschriften verstoßen können. Rechtsverstöße sind aber auch bei menschlichen Amtswaltern nicht vollständig auszuschließen. Menschliche Entscheider sind weit davon entfernt, in jedem Fall optimale Entscheidungen zu treffen.357 Diesbezüglich ist es wichtig, darauf zu achten, dass man die Fähigkeiten von Algorithmen nicht mit den Fähigkeiten eines idealen, sondern eines real existierenden, durchschnittlichen Amtswalters vergleicht.358 Ein vollständig fehlerfreier Gesetzesvollzug kann auf einer praktischen Ebene nicht verlangt werden.359 355  Ähnlich auch Unger, in: Ders./v. Ungern-Sternberg, Demokratie u. KI, 113 (114 f.). 356  Davon scheint Polomski, Verwaltungsakt, S. 99 auszugehen, wenn er davon spricht, dass die Verwaltung durch den Einsatz lernender Algorithmen dagegen verstoße „auf der Primärebene der Entscheidungsfindung alles zu tun, um rechtswidrige Bescheide zu vermeiden“. 357  Mögliche Entscheidungsfehler speziell im Hinblick auf juristische Entscheidungen Arntz, JR 2017, 253 ff.; Glöckner/Towfigh, DRiZ 2015, 270 ff.; Spamann/ Klöhn, The Journal of Legal Studies 45 (2016), 255 ff. 358  Ähnlich Englisch/Schuh, VERW 55 (2022), 155 (168). Hilfreich ist insofern der verhaltenswissenschaftliche Ansatz einer Analyse des „realen“ menschlichen Entscheidungsverhaltens im Hinblick auf mögliche Fehlerquellen und Rationalitätsdefizite (grundlegend in diese Richtung H. A. Simon, The Quarterly Journal of Economics 69 (1955), 99 (104) und Kahneman/Tversky, Science 185 (1974), 1124 ff.; speziell für die verhaltensökonomische Analyse des Rechts Jolls/Sunstein/Thaler, Stanford Law Review 50 (1998), 1471 ff.; Zamir/Teichmann, Behavioral Law, S. 1 ff.; mit einer Einführung Englerth, in: Engel u. a., Verhalten, 60 ff.; zu möglichen Grenzen der Rezeption verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse Engel, in: Engel u. a. (Hrsg.), Verhalten, 363 (363 ff.). 359  Guckelberger, Verwaltung, Rn. 623.

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Die Gefahr vermehrter Rechtsverstöße durch den Einsatz von ML-Algorithmen ist keine Frage des Ob, sondern eine Frage des Wie des Einsatzes. Das Gesetzmäßigkeitsprinzip verbietet nicht grundsätzlich den Einsatz von ­ML-Algorithmen, sondern setzt dem Einsatz Grenzen. Durch die Auswahl eines geeigneten Geschäftsprozesses, geeigneter Algorithmen und geeigneter Trainingsdaten ist sicherzustellen, dass die Entscheidungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit rechtmäßig sein werden. Dass diesen Anforderungen entsprochen wird, lässt sich insbesondere durch eine ausreichende Testung im Vorfeld gewährleisten.360 Auch etwaige Probleme im Bereich der Transparenz schließen den Einsatz von ML-Algorithmen nicht grundsätzlich aus.361 Auch bei sonstigen technischen Einrichtungen wird es für ausreichend gehalten, wenn diese mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zuverlässig funktionieren. Dass jeder einzelne Schritt auf jeder Ebene nachvollzogen werden kann, ist hingegen nicht erforderlich.362 Bereits seit langem sind viele technische Einrichtungen und auch regelbasierte Algorithmen so komplex, dass sie arbeitsteilig und unter Rückgriff auf bereits etablierte Lösungen konstruiert bzw. programmiert werden müssen. Insofern ist es regelmäßig nicht möglich, dass eine Einzelperson die Funktionsweise in jedem Detail nachvollziehen kann. Auch an ML-Algorithmen sollten keine überzogenen Erwartungen formuliert werden. Letztendlich muss im Einzelfall ermittelt werden, ob der Einsatz eines konkreten ML-Algorithmus in einem konkreten Bereich mit dem Gesetzmäßigkeitsprinzip vereinbar ist. Einen pauschalen Ausschluss des Einsatzes von ML-Algorithmen verlangt das Gesetzmäßigkeitsprinzip nicht. Vielmehr ist erforderlich, dass durch ausreichende Testung im Vorfeld sichergestellt wird, dass der ML-Algorithmus hinreichend zuverlässig und rechtmäßig funktioniert.363 Lässt sich ein solches nicht oder nicht mit einer ausreichenden Wahrscheinlichkeit sicherstellen, scheidet der Einsatz in der konkreten Situation oder im Hinblick auf den konkreten Algorithmus aus. Ein Beispiel ist der potenzielle Einsatz von LLMs (z. B. GPT-3 oder BERT). Entsprechende Modelle funktionieren noch nicht ausreichend zuverlässig (z. B. neigen sie zu Halluzinationen),364 weshalb ihr Einsatz im Bereich der automatisierten Entscheidungsfindung nicht zulässig ist. Zunächst erscheint ein Einsatz entspre360  Vgl. Kube, VVDStRL 78 (2019), 289 (316), der für die vollständige Automation insgesamt auf das Erfordernis einer ausreichenden Überwachung abstellt. 361  Ausführlich zum hoheitlichen Einsatz intransparenter Algorithmen Busche, DÖV 2022, 899 ff. 362  U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (102). 363  Im Ergebnis ähnlich Guckelberger, Verwaltung, Rn. 579 ff. und Martini, in: Kahl/Ludwigs, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 28 Rn. 88. 364  Dazu bereits unter 1. Teil A. II. 4.



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chender Modelle allenfalls als Tool zur Unterstützung menschlicher Entscheider denkbar. (2) Demokratische Legitimation beim Einsatz von ML-Algorithmen Fraglich ist, ob sich beim Einsatz von ML-Algorithmen ein ausreichendes demokratisches Legitimationsniveau sicherstellen lässt. Dabei ist zu differenzieren: Für die kurz- bis mittelfristig einsatzbereiten ML-Algorithmen ergibt sich, dass sie sich in das klassische Modell365 demokratischer Legitimation unproblematisch einfügen können. Das klassische Legitimationsmodell hat sich vor dem Hintergrund einer hierarchisch organisierten Ministerialbürokratie entwickelt. Nach dem klassischen Modell gibt es für die Tätigkeit der Verwaltung im Wesentlichen zwei Legitimationsstränge: zum einen die personell-organisatorische und zum anderen die sachlich-inhaltliche Legitima­ tion.366 Die personell-organisatorische Legitimation verlangt eine ununterbrochene Legitimationskette zwischen dem einzelnen Amtswalter und dem Volk als Legitimationssubjekt. Die sachlich-inhaltliche Legitimation folgt grundsätzlich aus der Gesetzesbindung als Rückbindung an das unmittelbar demokratisch legitimierte Parlament sowie ergänzend aus der hierarchischen und weisungsgebundenen Verwaltungsorganisation mit dem jeweiligen Minister an der Spitze, der als Teil der Regierung wiederum dem Parlament verantwortlich ist.367 Diesen Anforderungen an die Legitimation kann auch beim Einsatz von ML-Algorithmen genügt werden, solange letztere ausreichend vorhersehbar funktionieren. So dürften auch ML-Algorithmen aufgrund ihrer Programmier- und Steuerbarkeit sogar besonders gut geeignet sein, den Anforderungen des klassischen, an der hierarchischen Verwaltungsorganisation orientierten Legitimationsmodells zu genügen. Erforderlich ist allerdings, dass ihr Entscheidungsverhalten ausreichend zuverlässig vorhergesehen werden kann. Dafür dürften regelmäßig eine sachangemessene Auswahl der Daten sowie der Lernmethode und insbesondere eine ausreichende Testung im Vorfeld erforderlich, aber auch hinreichend sein. So lassen sich die Rechtmäßigkeit 365  Grundlegend für das klassische Modell sind insbesondere die Beiträge von Böckenförde, Verfassungsfragen, S. 73 ff. und ders., in: Kirchhoff/Isensee, Staatsrecht, Bd. 2, § 24 Rn. 11 ff.; in diese Richtung auch Dreier, in: Ders., GG, Bd. 2, Art. 20 (Demokratie) Rn. 109  ff. sowie Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 Rn. 139 ff. Auch die Rechtsprechung stellt auf das klassische Modell ab BVerfGE 49, 89 (125); 83, 60 (71 ff.); 93, 37 (66 ff.). 366  Dreier, in: Ders., GG, Bd. 2, Art. 20 (Demokratie) Rn. 109 ff. 367  Dreier, in: Ders., GG, Bd. 2, Art. 20 (Demokratie) Rn. 112, 121.

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und damit die Rückbindung an das Parlamentsgesetz sicherstellen. Dem Weisungsrecht wird insofern entsprochen, als dass ranghöhere Beamte Einfluss auf die Programmierung nehmen können oder diese von vornherein die entsprechenden Parameter bestimmen. Auf Weisung des Behördenleiters oder einer übergeordneten Behörde ist es auch möglich, die durch ML-Algorithmen getroffenen Entscheidungen in den allgemein geltenden Grenzen nach­ träglich zurückzunehmen, zu widerrufen oder zu ändern (vgl. §§ 48, 49, 51 VwVfG). Beim Einsatz von ML-Algorithmen dürfte die ununterbrochene und auf das Volk rückführbare Legitimationskette tendenziell sogar kürzer sein. Die Entscheidung zum Algorithmeneinsatz wird tendenziell auf einer höheren Ebene der Verwaltungsbürokratie oder teilweise sogar unmittelbar durch ein Parlamentsgesetz (vgl. § 35a VwVfG bzw. Ergebnis zum Vorbehalt des Gesetzes368) getroffen. Letztlich kommt es, um den Anforderungen der demokratischen Legitimation nach dem klassischen Modell zu genügen, nicht darauf an, wie das Algorithmenmodell erstellt wurde, solange es auf eine Weise funktioniert, die von menschlichen Amtswaltern zuverlässig vorhergesehen werden kann. Das klassische Modell demokratischer Legitimation dürfte allerdings langfristig369 –beispielsweise durch den Einsatz von LLMs zur Entscheidungs­ findung – an seine Grenzen stoßen oder zumindest zu aktualisieren sein, da entsprechende Modelle deutlich autonomer agieren können.370 Dadurch dürften eine eindeutige Rückbindung an den den Algorithmeneinsatz veranlassenden menschlichen Amtswalter und damit eine unmittelbare Einbindung in die Ministerialbürokratie erschwert werden. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die klassische Form der Ministerialbürokratie, nicht die einzige Möglichkeit ist, demokratische Legitimation zu denken und zu realisieren. Zum einen wird das klassische Modell demokratischer Legitimation bereits seit langem grundsätzlich kritisiert und eine Öffnung für weitere Modi der demokratischen Legitimation (z. B. die Betroffenheit, die Möglichkeit zur Partizipation, aber auch die Effizienz und Sachgerechtigkeit des Verwaltungshandelns) gefordert.371 Zum anderen betonen auch die Vertreter, die zwar am Grundmodell der Ministerialverwaltung festhalten wollen, dass dieses nicht schematisch verstanden werden kann, sondern in der Art der konkreten Ausgestaltung flexibel und auch offen für wesentliche Ausnahmen 368  Dazu

unter 1. Teil B. III. 1. a) aa). dürfte ein Einsatz hingegen noch an der fehlenden Zuverlässigkeit scheitern (dazu 1. Teil B. IV. 2. a) aa) (1)). 370  Ähnlich Ludwigs/Velling, VerwArch 114 (2023), 71 (99 f.). 371  So beispielsweise Britz, VerwArch. 91 (2000), 418 (423  f.; 430 ff.); Bryde, StWStP 5 (1994), 305 (317 ff.); Mehde, Neues Steuerungsmodell, S. 504 ff.; Trute, in: Voßkuhle/Eifert/Möllers, Grundlagen, § 9 (Rn. 15 ff.); Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, S.  87 ff. 369  Gegenwärtig



B. Rechtliche Grundlagen der Verwaltungsautomation93

ist.372 Für die demokratische Legitimation sei es im Ergebnis entscheidend, dass das gebotene Mindestmaß an effektiver Lenkung der Verwaltungstätigkeit durch das Parlament gegeben ist und insofern ein insgesamt ausreichendes Legitimationsniveau erreicht wird.373 Darüber hinaus sind auch grundsätzliche Abweichungen vom Grundmodell der hierarchisch-bürokratischen Ministerialverwaltung als Ausnahmen möglich, sofern sie in besonderer Weise gerechtfertigt sind (z. B im Bereich der kommunalen oder funktionalen Selbstverwaltung).374 Möchte man in der Zukunft auch autonomer agierende ML-Algorithmen (z. B. LLMs) einsetzen, dürfte dies nicht pauschal am Erfordernis demokratischer Legitimation scheitern. Vielmehr wird man darüber nachdenken können, auf welche Art und Weise der Algorithmeneinsatz so gestaltet werden kann, dass den flexiblen Anforderungen demokratischer Legitimation genügt wird. Dabei können auch neue Formen der demokratischen Legitimation einbezogen werden.375 Denkbar wäre es beispielsweise, ein unmittelbar vom Parlament eingesetztes und diesem unmittelbar verantwortliches Kontrollgremium zu etablieren, das den Einsatz entsprechender Algorithmen als eine Art „Algorithmen-TÜV“376 überwacht. Zum jetzigen Zeitpunkt sind die konkreten Einsatzszenarien und die genaue technische Ausgestaltung im Bereich der Verwaltungsautomation zukünftig einsatzbereiter Algorithmenmodelle allerdings kaum absehbar. Vor diesem Hintergrund kann auch die Frage, ob und auf welche Art und Weise sich demokratische Legitimation beim Einsatz autonom agierender Algorithmen konkret gewährleisten lassen wird, nicht abschließend beantwortet werden. Für die Zwecke dieser Untersuchung reicht die Erkenntnis aus, dass das Demokratieprinzip dem Einsatz von ­ML-Algorithmen nicht grundsätzlich entgegensteht. Die kurz- bis mittelfristig einsatzbereiten, vorhersehbar agierenden Algorithmen werden sich bereits in das klassische Legitimationsmodell der weisungsgebundenen Ministerialbürokratie integrieren lassen. Im Hinblick auf den langfristig möglichen 372  Dreier, in: Ders., GG, Bd. 2, Art. 20 (Demokratie) Rn. 114 f.; Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 Rn. 170; Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 305 ff. stellt zwar grundsätzlich auf die Ministerialverwaltung ab, betont aber zugleich, dass dem „Regeltypus Ministerialverwaltung“ kein verfassungsrechtlicher Exklusivitätsanspruch zukommt (S. 329). 373  Diesen Aspekt betonen BVerfGE 93, 37 (66 f.); Dreier, in: Ders., GG, Bd. 2, Art. 20 (Demokratie) Rn. 113; Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 Rn. 170. 374  So auch die neuere Rechtsprechung BVerfGE 107, 59 (86 ff.); 111, 191 (215 ff.); Dreier, in: Ders., GG, Bd. 2, Art. 20 (Demokratie) Rn. 123 ff.; Grzeszick, in: Dürig/ Herzog/Scholz, GG, Art. 20 Rn. 143 ff. 375  In diese Richtung Martini, in: Kahl/Ludwigs, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 28 Rn.  86 f.; Unger, in: Ders./v. Ungern-Sternberg, Demokratie u. KI, 113 (123 ff.). 376  Zum Begriff Martini, Blackbox, S. 350 f.

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

Einsatz von autonomen Algorithmen gilt, dass das Erfordernis demokratischer Legitimation eher als normativer Maßstab für die Ausgestaltung und nicht als pauschale Grenze des Algorithmeneinsatzes verstanden werden sollte. bb) Bindung an überpositive Gerechtigkeit Namentlich Polomski geht davon aus, dass der Einsatz von ML-Algorithmen auch deshalb ausgeschlossen sei, weil er nicht mit der potenziellen Bindung der Verwaltung an das „Recht“ (Art. 20 Abs. 3 GG: „[…] Gesetz und Recht gebunden“) als Ausdruck überpositiver Gerechtigkeitsvorstellungen vereinbar sei. Diese Bindung erfordere, dass die Verwaltung zumindest potenziell das Auseinanderfallen von Recht und Gerechtigkeit erkennen könne, wozu ML-Algorithmen nicht in der Lage seien.377 Dieser Versuch einer verfassungsrechtlichen Anknüpfung ist allerdings entschieden abzulehnen. Diesbezüglich dürfte Art. 20 Abs. 3 GG allenfalls als Hinweis zu verstehen sein, dass das Recht am Ideal der Gerechtigkeit orientiert sein soll.378 Bedeutung kann der so verstandenen Norm allenfalls in der (theoretischen) Ausnahmekonstellation des offensichtlichen Auseinanderfallens von positivem Recht und möglichen überpositiven Gerechtigkeitsvorstellungen zukommen. Eine Ermächtigung oder gar Pflicht im Rahmen des normalen Gesetzesvollzugs aufgrund von überpositiven Gerechtigkeitsvorstellungen zu entscheiden, ist hingegen fernliegend.379 Der missglückte Versuch einer verfassungsrechtlich Anknüpfung, verdeckt das eigentliche Problem, das sich an dieser Stelle zeigt. Auch im Rahmen des normalen Gesetzesvollzugs sind häufig komplexe Bewertungen und die Abwägung unterschiedlicher Belange erforderlich. Die Anwendung von Recht ist insgesamt kein rein objektiver Vorgang, bei dem die im Gesetz jeweils angelegte Entscheidung nur noch gefunden werden muss.380 Vielmehr ist der Rechtsanwendung zumindest potenziell auch ein rechtsschöpferisches Element immanent.381 Insofern stellt sich die Frage, inwieweit Algorithmen komplexe Bewertungs- und Abwägungsentscheidungen treffen können. Andernfalls eignen sie sich nicht für die automatisierte Entscheidungsfindung in solchen Bereichen. Dabei handelt es sich allerdings um eine Frage, die nicht speziell ML-Algorithmen betrifft, sondern die technische Machbarkeit der automatisierten Rechtsan377  Polomski, Verwaltungsakt, S. 100, der sich in seinen Ausführungen ausdrücklich auf Expertensysteme bezieht, diese allerdings als Gegenstück zu regelbasierten Algorithmen und damit wie hier ML-Algorithmen versteht. 378  Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 2, Art. 19 Abs. 4 Rn. 94. 379  Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 Abs. 3 Rn. 69 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 2, Art. 19 Abs. 4 Rn. 94. 380  Dazu unter 2. Teil C. I. 1. a), b). 381  Dazu unter 2. Teil C. I. 1. a), b).



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wendung insgesamt. Die Frage, inwieweit diesbezügliche Schwierigkeiten geeignet sind, die technische Machbarkeit auch der Verwaltungsautomation zu begrenzen, wird erst an späterer Stelle ausführlich und mit einem Schwerpunkt auf Spielraumentscheidungen erörtert.382 Zunächst dürfte es ausreichen, klarzustellen, dass entsprechende Bedenken sich weder speziell gegen den Einsatz von ML-Algorithmen wenden, noch diesen grundsätzlich ausschließen. cc) Transparenz der ML-Algorithmen Ein weiteres Problem, das im Kontext der ML-Algorithmen erörtert wird, ist deren Transparenz. In diesem Kontext werden Algorithmen häufig plakativ als „Blackbox“ beschrieben.383 Transparenz in diesem technischen Kontext meint die Möglichkeit, ein Algorithmenmodell zu interpretieren bzw. dessen Entscheidungsverhalten erklären zu können.384 Probleme im Hinblick auf die Transparenz ergeben sich daraus, dass das Entscheidungsverhalten eines Algorithmus technisch nicht im Detail nachvollzogen und deshalb auch nicht offengelegt werden kann. Rechtlich relevant kann die Thematik insbesondere hinsichtlich zweier Aspekte werden. Zum einen wird es als rechtsstaatlich problematisch angesehen, dass der Bürger (und teilweise auch die Verwaltung)385 den Entscheidungsvorgang nicht vollständig nachvollziehen könne, wenn ML-Algorithmen eingesetzt werden.386 Zum anderen besteht die Gefahr versteckter Diskriminierungen, wenn die Parameter, nach denen ML-Algorithmen entscheiden, nicht erkennbar sind.387 Letzteres wäre im 382  Dazu

unter 3. Teil C. beispielsweise Guckelberger, Verwaltung, Rn. 598, 604; v. Harbou, JZ 2020, 340 (345); Martini, JZ 2017, 1017 (1018); Martini/Nink, NVwZ-Extra 10/2017, 1 (10), die allerdings allgemein auf Algorithmen abstellen; zur langen Geschichte der Bewertung von Computerprogrammen als „Blackbox“ vgl. Passig, Merkur 823 (2017), 16 ff.; kritisch zu diesem Fokus der Diskussion Hermstrüwer, AöR 145 (2021), 479 (481 f.). 384  Vgl. dazu oben unter 1. Teil A. II. 3. a). 385  Das wurde oben bereits unter dem Schlagwort der Vorhersehbarkeit im Hinblick auf die Gesetzmäßigkeit und die demokratische Legitimation des Einsatzes von ML-Algorithmen diskutiert (unter 1. Teil B. IV. 2. a) aa)). 386  Guckelberger, Verwaltung, Rn. 604; Guggenberger, NVwZ 2019, 844 (850); Hermstrüwer, in: Rademacher/Wischmeyer, Regulating AI, 199 (Rn. 40 ff.); allgemein für den Einsatz von Algorithmen Martini, JZ 2017, 1017 (1018); H. Schmitz/ Prell, NVwZ 2016, 1273 (1277). 387  Allgemein Martini, JZ 2017, 1017 (1018 f.); im Rahmen der Verwaltungsautomation v. Harbou, JZ 2020, 340 (345 f.); Martini/Nink, NVwZ-Extra 10/2017, 1 (9 f.); ausdrücklich auf ML-Algorithmen abstellend Wischmeyer, AÖR 143 (2018), 1 (26 ff.) und Tischbirek, in: Münkler, Wissen, 67 (77 ff.). 383  So

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG sowie die speziellen Gleichheitsrechte verfassungsrechtlich problematisch. Dabei kann zunächst zwischen unterschiedlichen ML-Algorithmen differenziert werden. So gibt es auch ML-Algorithmen, bei denen aufgrund der symbolischen Repräsentation eine Interpretierbarkeit möglich ist und damit die Möglichkeit des Nachvollzugs des einzelnen Entscheidungsvorgangs besteht. Im Hinblick auf die Transparenz besteht insofern kein Unterschied zu regelbasierten Algorithmen, wenngleich mangelnde Transparenz als Problem regelmäßig ohnehin für alle Algorithmen und Einsatzarten diskutiert wird.388 Weiter ist selbst der Einsatz von ML-Algorithmen insbesondere im Bereich des Deep Learning, bei dem nicht mehr jeder einzelne Entscheidungsschritt nachvollzogen werden kann, nicht pauschal wegen mangelnder Transparenz problematisch. Vielmehr sollte versucht werden, zwischen proble­ matischen und unproblematischen Einsatzbereichen zu unterscheiden. Der (technischen) Transparenz von Algorithmen kommt keine absolute Bedeutung zu. Die Relevanz ergibt sich immer nur im Zusammenspiel mit dem Einsatzzweck, sonstigen Kontext und alternativen Überwachungs- und Kontrollmöglichkeiten.389 (1) Unproblematische Einsatzbereiche So sind Konstellationen denkbar, in denen es dem Adressaten möglich ist, die grundlegende Entscheidungsstruktur nachzuvollziehen, ohne dass es erforderlich wäre, jeden einzelnen Schritt des maschinellen Entscheidungsvorgangs zu kennen. Dies lässt sich anhand von zwei der bislang wenigen Konstellationen, in denen der Einsatz maschinellen Lernens bereits stattfindet oder zumindest realisierbar erscheint, zeigen: Das EasyPASS-System390 ermöglicht eine automatisierte Grenzkontrolle. Dabei wird höchstwahrscheinlich391 ein neuronales Netz eingesetzt, um das auf dem Ausweis gespeicherte Bild mit dem aufgenommenen Livebild abzugleichen. Wenngleich die einzelnen Parameter des neuronalen Netzwerkes nicht bekannt sind, ist dennoch für jedermann offensichtlich, dass eine Übereinstimmung der beiden Bilder 388  Vgl.

Guckelberger, Verwaltung, Rn.  487 ff. m. w. N. kritisch gegenüber der pauschalen Forderung nach „stärkeren Transparenzanforderungen“ Hermstrüwer, AöR 145 (2021), 479 (481 f.). 390  Für weitere Informationen zum EasyPASS-System vgl. Bundespolizeiprä­ sidium (Hrsg.), Easy Pass – Die einfache, automatisierte Grenzkontrolle, Stand: ­April  2015. 391  Neuronale Netze eignen sich in besonderer Weise für die Bilderkennung Ertel, Grundkurs KI, S. 330 und Kossen/Müller, in: Kersting/Lampert/Rothkopf, Maschinen, S. 163. 389  Ähnlich



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zu einem positiven Ergebnis führt. Auch beim möglichen zukünftigen Einsatz von ML-Algorithmen bei der intelligenten Steuerung von Anlagen zur Verkehrsbeeinflussung392 kann der Bürger zwar nicht die Datenauswertung im Detail verstehen, aber es ist beispielsweise leicht nachzuvollziehen, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit bei Regen- oder Glättegefahr reduziert wird, um die Sicherheit im Verkehr zu erhöhen, oder aber, dass der Standstreifen temporär freigegeben wird, um den Verkehrsfluss bei Staugefahr zu erhöhen. Auch die Gefahr von (versteckten) Diskriminierungen besteht nicht in jeder Situation. Beispielsweise lassen sich die oben beschriebenen Verkehrsbeeinflussungsanlagen oder auch das Risikomanagementsystem im Besteuerungsverfahren als möglicher Einsatzort für ML-Algorithmen ohne besondere Diskriminierungsgefahr anführen. In solchen Konstellationen erscheint es wenig plausibel, für den Einsatz von ML-Algorithmen besondere Schutzmaßnahmen im Hinblick auf die Transparenz zu verlangen. (2) Mögliche Kompensation durch geeignete Maßnahmen In anderen Situationen mit komplexeren Problemstellungen kann hingegen die Entscheidungsstruktur möglicherweise nicht ohne weiteres nachvollzogen werden oder eine besondere Gefahr für versteckte Diskriminierungen393 bestehen. Letzteres wird beispielsweise im Polizeirecht beim Predictive Polic­ ing394 diskutiert.395 Aber auch in solchen Konstellationen ist der Einsatz von ML-Algorithmen nicht von vornherein ausgeschlossen. Zum einen ist zu beachten, dass die tatsächlichen Möglichkeiten im Hinblick auf Algorithmen mit den tatsächlichen Möglichkeiten des Nachvollzugs bei menschlichen Amtswaltern und nicht mit einer idealisierten Wirklichkeit verglichen werden sollten.396 Auch bei menschlichen Amtswaltern kann keineswegs im Detail nachvollzogen werden, wie diese zu ihren Entscheidungen 392  Zu den Einsatzmöglichkeiten von Algorithmen zur Verkehrssteuerung Busche, ZG 2023, 74 ff.; Martini, in: Kahl/Ludwigs, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 28 Rn. 84; Tischbirek, ZfDR 2021, 307 (311 ff.); Wischmeyer, in: Ebers u. a., KI u. Robotik, 613 (Rn.  29 ff.). 393  Insbesondere kontaminierte Daten stellen ein großes Diskriminierungsrisiko dar Hermstrüwer, AöR 145 (2021), 479 (492 ff.). 394  Ausführlich zum „Predictive Policing“ aus Sicht des Polizeirechts Rademacher, AöR 142 (2017), 366 ff. 395  Rademacher, in: Ders./Wischmeyer, Regulating AI, 225 (Rn. 35 ff.); Singelnstein, NStZ 2018, 1 (4 f.). 396  Ähnlich Tischbirek, in: Münkler, Wissen, 67 (80 f.), der eine Parallele zum impliziten Wissen herstellt. Zu der (beschränkten) Möglichkeit eines empirischen Vergleichs Hermstrüwer, in: Rademacher/Wischmeyer, Regulating AI, 199 (Rn. 35 ff.);

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

gelangen.397 Weder der Behörde als Organisationseinheit noch dem Amtswalter selber dürften die vielfältigen Gründe auf sozialer, psychologischer oder gar biologischer Ebene, die eine Entscheidung mitbestimmen, vollständig bekannt bzw. bewusst sein.398 Das Wissen um menschliche Schwächen beim Treffen von Entscheidungen399 schließt nicht aus, höhere Anforderungen an ML-Algorithmen (oder auch regelbasierte Algorithmen) zu stellen.400 Man sollte sich allerdings bewusst sein, dass es dann nicht mehr nur um die Abwehr von Risiken, sondern auch um die Realisierung von Chancen der Automatisierung geht.401 Auch kann es die Diskussion versachlichen, wenn darauf verwiesen wird, dass soziale Systeme auch bisher ohne völlige Transparenz funktioniert haben. Die Erfahrung, dass Menschen mit und in Systemen agieren, deren Entscheidungsregeln nicht transparent sind, ist insofern nicht neu.402 Dennoch kann es selbstverständlich sinnvoll sein, sich in bestimmten Konstellationen um angemessene Transparenz zu bemühen. So kann versucht werden, mögliche Probleme durch geeignete Maßnahmen zu kompensieren. So gibt es bereits vielfältige Vorschläge, die darauf abzielen, entweder Transparenz durch Informationspflichten sicherzustellen oder eine mögliche Intransparenz sowie Diskriminierungsgefahren bereits bei der Konzeption oder durch verstärkte Kontrollen zu kompensieren. Zur ersten Fallgruppe gehören die Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht403, der Offenlegung des Quellcodes404, der Protokollierung der Programmabläufe405, der Einführung einer Informationspflicht bezüglich der Entscheigrundlegend in diese Richtung H. A. Simon, The Quarterly Journal of Economics 69 (1955), 99 (104). 397  Hermstrüwer, AöR 145 (2021), 479 (489); Wischmeyer, AÖR 143 (2018), 1 (8) bezeichnet auch menschliche Amtswalter parallel zu „intelligenten Systemen“ als „black box“. 398  Hoffmann-Riem, VERW 49 (2016), 1 (12 ff.) zu „außerjuridischen“ Faktoren der Entscheidungsfindung; ähnliche Wertung bei Wischmeyer, AÖR 143 (2018), 1 (44). 399  Speziell für den juristischen Bereich vgl. die Sammlung bei Arntz, JR 2016, 255 ff. 400  So auch Wischmeyer, AÖR 143 (2018), 1 (45). 401  So auch Hermstrüwer, AöR 145 (2021), 479 (481 f.); Rademacher in: Ders./ Wischmeyer, Regulating AI, 225 (Rn. 36 ff.) sieht die Chance für weniger Diskriminierungen im Bereich der Strafverfolgung; Wischmeyer, AÖR 143 (2018), 1 (45) geht von der Chance aus „insgesamt ein höheres Transparenzniveau“ anzustreben. 402  Luhmann, Intransparenz, S. 96 spricht von der modernen Gesellschaft als „Symphonie der Intransparenz“. 403  Martini, JZ 2017, 1017 (1020); für ein dahingehendes öffentlich einsehbares Register Englisch/Schuh, VERW 55 (2022), 155 (185 f.). 404  H. Schmitz/Prell, NVwZ 2016, 1273 (1277). 405  Allgemein Martini, JZ 2017, 1017 (1022) speziell für den Algorithmeneinsatz im Rahmen der Verwaltungsautomation Martini/Nink, NVwZ-Extra 10/2017, 1 (13).



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dungsstruktur der eingesetzten Algorithmen406 oder das Erfordernis einer mit § 39 Abs. 1  VwVfG vergleichbaren Begründung407. Den Schwerpunkt der Kontrollüberlegungen stellt die Überprüfung durch unterschiedliche Formen von Tests dar.408 So sollen eingesetzte Algorithmen insbesondere im Hinblick auf mögliche Diskriminierungen im Vorfeld durch geeignete Aufsichtsorga­ ne,409 entweder eine staatliche Stelle410 oder unabhängige Experten411, getestet werden. Andere Vorschläge sehen eine regelmäßige, stichprobenartige Kontrolle412 oder die Einrichtung einer niedrigschwelligen Kontrollmöglichkeit durch einen Anspruch auf eine personale Überprüfung bei Bedarf (wie in § 150 Abs. 7 AO für das Besteuerungsverfahren vorgesehen) vor.413 Die beiden Fallgruppen übergreifend wird auch die Wichtigkeit technische Methoden zu entwickeln, die die Ergebnisse maschinellen Lernens erklärbar machen, betont.414 Besonders vielversprechend erscheint der Ansatz Hermstrüwers maschinell implementierbare Fairnessprinzipien herauszuarbeiten, die zur Entwicklung und Kontrolle fairer ML-Algorithmen eingesetzt werden können, ohne auf eine Interpretierbarkeit des Algorithmenmodells an sich angewiesen zu sein.415 In Anbetracht dieser vielfältigen und meist generellen Ansätze wäre es wünschenswert, die konkreten Anforderungen speziell für den Teilbereich Verwaltung, Rn.  608 ff. AÖR 143 (2018), 1 (55 ff.) hält es für entscheidend Entscheidungen mit einer Begründung zu versehen, um die Algorithmen in die bestehende Begründungs- und Kontrollarchitektur einzubinden; skeptisch bezüglich der technischen Realisierbarkeit Guckelberger, Verwaltung, Rn. 616; Martini, JZ 2017, 1017 (1020) allgemein für Algorithmen. 408  Zur Bedeutung von Tests auch beim Algorithmeneinsatz durch Private vgl. Gesellschaft für Informatik, Betrachtung algorithmischer Entscheidungsverfahren, S.  146 ff. 409  Martini, JZ 2017, 1017 (1020) spricht von einem „Algorithmen-TÜV“. 410  Dafür Guckelberger, Verwaltung, Rn. 599; vgl. auch Gesellschaft für Informatik, Betrachtung algorithmischer Entscheidungsverfahren, S. 173 ff., die die Einrichtung einer staatlichen Stelle für die Kontrolle algorithmischer Entscheidungssysteme als Ergebnis ihrer Studie vorschlagen. 411  Martini/Nink, NVwZ-Extra 10/2017, 1 (12). 412  Guckelberger, Verwaltung, Rn. 587 ff.; bereits Anfang der 1990er Jahre Lazaratos, Verwaltungsautomation, S. 275; Martini/Nink, NVwZ-Extra 10/2017, 1 (12 f.); H. Schmitz/Prell, NVwZ 2016, 1273 (1277). 413  Martini/Nink, NVwZ-Extra 10/2017, 1 (4); als Kompensation für das mögliche Fehlen einer formellen Begründung Guckelberger, Verwaltung, Rn. 616. 414  Englisch/Schuh, VERW 55 (2022), 155 (180 ff.); Herberger, NJW 2018, 2825 (2828); Gesellschaft für Informatik, Betrachtung algorithmischer Entscheidungsverfahren, S. 56; dazu bereits 1. Teil A. II. 3. a). 415  Hermstrüwer, AöR 145 (2021), 479 (505 ff.). 406  Guckelberger, 407  Wischmeyer,

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der Verwaltungsautomation416 weiter zu systematisieren417 und noch differenzierter nach unterschiedlichen Fallgruppen zu bestimmen. Insbesondere müsste berücksichtigt werden, dass es auch weniger problematische Konstellationen für den Einsatz von ML-Algorithmen gibt. Für die Zwecke dieser Untersuchung ist es allerdings ausreichend, festzustellen, dass der Einsatz von ML-Algorithmen nicht grundsätzlich durch Probleme im Bereich der Transparenz ausgeschlossen ist. Im Ergebnis bestehen keine Zweifel an der grundsätzlichen (verfassungs-) rechtlichen Zulässigkeit des Einsatzes von ML-Algorithmen im Rahmen der automatisierten Verfahrensdurchführung. Allerdings muss durch eine maßvolle Auswahl des Einsatzgebietes und der passenden Algorithmen sowie gegebenenfalls weiterer Maßnahmen sichergestellt werden, dass der Einsatz (verfassungs-)rechtlichen Maßstäben genügt. Zur Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben dürfte eine gesetzliche Normierung sinnvoll sein (vgl. beispielsweise das IT-Einsatz-Gesetz in Schleswig-Holstein)418. b) Exkurs: Einsatz von ML-Algorithmen zur Entscheidungsunterstützung Neben dem Einsatz zur automatisierten Entscheidungsfindung ist auch der Einsatz zur bloßen Unterstützung der Entscheidung durch einen mensch­ lichen Amtswalter denkbar und aktuell von überwiegender praktischer Relevanz.419 Viele der teilweise pauschal vorgebrachten Bedenken bestehen in dieser Konstellation allenfalls in abgeschwächter Weise.420 So verbleibt die 416  Ebenfalls für eine Differenzierung zwischen hoheitlichem und privatem Sektor und weitergehende Untersuchungen Wischmeyer, in: Rademacher/ders., Regulating AI, 75 (Rn. 42). 417  Ein erster Ansatz findet sich bei Wischmeyer, in: Rademacher/ders., Regulating AI, 75 (Rn. 44 ff.), der zwischen Kennzeichnungspflicht, Begründungspflicht, individuellem Zugang zu Informationen, Überprüfung durch Aufsichts- bzw. Kontroll­organe sowie weiteren ergänzenden Maßnahmen unterscheidet. Eine differenzierte Darstellung, wie mögliche Diskriminierungen beim Einsatz von ML-Algorithmen minimiert werden können, findet sich bei Hermstrüwer, AöR 145 (2021), 479 (496 ff.). 418  Artikel 12 des Gesetzes zur Förderung der Digitalisierung und Bereitstellung von offenen Daten und zur Ermöglichung des Einsatzes von datengetriebenen Informationstechnologien in der Verwaltung (Digitalisierungsgesetz) vom 16. März 2022, GVOBl. S. 285. 419  In diese Richtung Herberger, NJW 2018, 2825 (2825) und auch Wischmeyer, in: Eifert, Disruption, 73 (77 f.); Schweizer, Beweiswürdigung, S. 168 ff. schlägt den Einsatz von Bayes-Netzen zur Entscheidungsunterstützung bei der Beweiswürdigung vor. 420  So hält selbst Polomski, Verwaltungsakt, S. 102 den Einsatz zur Entscheidungsvorbereitung für zulässig.



B. Rechtliche Grundlagen der Verwaltungsautomation101

Entscheidungsverantwortung unzweifelhaft beim menschlichen Amtswalter, wenn dieser die Entscheidung trifft, sodass auf den ersten Blick keine Pro­ bleme im Hinblick auf die demokratische Legitimation421 und das Gesetz­ mäßigkeitsprinzip bestehen. Problematisch könnte allerdings sein, wenn die Amtswalter einen Entscheidungsvorschlag allzu unkritisch übernehmen.422 Aber auch dieses Problem dürfte den Einsatz nicht generell ausschließen, sondern vielmehr erforderlich machen, dass einzelfallbezogene Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden. Auch Bedenken im Hinblick auf die Transparenz der ML-Algorithmen dürften nur in abgeschwächter Weise bestehen. Da die Entscheidung unmittelbar von einem menschlichen Amtswalter getroffen wird, obliegt es seiner Verantwortung, die die Entscheidung tragenden Gründe anzugeben und sie damit gegenüber dem Bürger transparent zu machen. Es ist zu beachten, dass der Einsatz maschinellen Lernens besonders geeignet ist für Aufgaben, bei denen es aufgrund der quantitativen oder qualitativen Komplexität lediglich um ein möglichst exaktes Wahrscheinlichkeitsurteil geht. Dementsprechend bietet sich ein Einsatz im Rahmen der Sachverhaltsermittlung bzw. -validierung im besonderen Maße an. Denkbar ist beispielsweise die Modellierung unterschiedlicher, komplexer Szenarien im Vorfeld von Planungsentscheidungen, der Einsatz zur automatischen Analyse einer Vielzahl von Dokumenten423 oder der Einsatz zur Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten in Datensätzen als Ansatzpunkt für weitergehende Maßnahmen beispielsweise im Bereich der Verfolgung und Abwehr von Straftaten424. Eine mögliche diskriminierende Wirkung in diesem Bereich würde sich insofern nicht unmittelbar in der Entscheidung niederschlagen, wenn der Algorithmeneinsatz lediglich einen Anhaltspunkt für weitergehende Überprüfungen darstellt.425 Eine diskriminierende Auswahl zur weiteren Überprüfung wäre zwar auch gleichheitsrechtlich problematisch, aber in einer geringeren Intensität.426 Hier ließen

421  Allgemein für den Einsatz von Algorithmen zur Entscheidungsunterstützung geht Herold, Legitimation, S. 193 f. davon aus, dass dieser mangels Steuerungswirkung für die Einzelfallentscheidung keiner Legitimation bedarf. 422  Hermstrüwer, AöR 145 (2021), 479 (492); Tönsmeyer-Uzuner, Expertensysteme, S.  64 f. 423  Vgl. Ashley, Legal Analytics, S. 239 ff. 424  Dazu Rademacher, in: Ders./Wischmeyer, Regulating AI, 225 ff. 425  Insofern ist allerdings die Gefahr eines zu großen Vertrauens in den maschinellen Unterstützungsbeitrag zu beachten Hermstrüwer, AöR 145 (2021), 479 (492). 426  Braun Binder, in: Unger/v. Ungern-Sternberg, Demokratie u. KI, 161 (178) sieht noch weitergehend allein in einer diskriminierenden Vorauswahl kein Problem, solange die eigentliche Entscheidung ohne Diskriminierung erfolge; kritisch hingegen Wischmeyer, in: Ebers u. a., KI u. Robotik, 613 (Rn. 43).

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

sich in problematischen Konstellationen die oben diskutierten Maßnahmen ebenfalls implementieren. Insgesamt ist der Einsatz zur Entscheidungsunterstützung weniger problematisch als der Einsatz im Rahmen der Verwaltungsautomation und damit erst recht zulässig. Die eher knappen Ausführungen sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass (selbstverständlich) auch der Einsatz zur Entscheidungsunterstützung rechtlichen Beschränkungen beispielsweise im Hinblick auf das Datenschutzrecht und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung427 unterliegt,428 die jedoch nicht pauschal, sondern für den konkreten Anwendungsfall zu bestimmen sind. 3. Anwendbarkeit einfach-rechtlicher Vorschriften beim Einsatz von ML-Algorithmen Fraglich ist, ob die den automatisierten Erlass von Verwaltungsakten regelnden einfach-rechtlichen Vorschriften (§§ 24 Abs. 1 S. 3, 28 Abs. 2 Nr. 4, 35a, 37 Abs. 5, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG, 31a, 33 Abs. 5, 35 Abs. 2 Nr. 3 SGB X, 91  Abs. 2  Nr. 4, 119  Abs. 3  S. 2  Hs. 2, 121 Abs. 2 Nr. 3, 150 Abs. 7, 155 Abs. 4 AO) auch beim Einsatz von ML-Algorithmen Anwendung finden. In der rechtswissenschaftlichen Literatur finden sich bisher kaum Beiträge, die sich mit dem Thema ausdrücklich befassen.429 Einige Autoren scheinen allerdings von der Anwendbarkeit zumindest der neuen Vorschriften (stillschweigend) auszugehen.430 Beispielsweise Stelkens äußert mit knapper Begründung lediglich, dass § 35a VwVfG keine Regelung zur Zulässigkeit des Einsatzes von ML-Algorithmen enthalte, scheint aber ansonsten ohne ausdrückliche Klarstellung von dessen Anwendbarkeit auszugehen.431 Um die Frage zu beantworten, ist durch Auslegung zu klären, ob ML-Algorithmen als „automatische Einrichtungen“ im Sinne des VwVfG und SGB X anzusehen sowie unter den Parallelbegriff in der AO „automationsge427  Vgl. beispielsweise für die automatische Entdeckung verdächtigen Verhaltens Rademacher, in: Ders./Wischmeyer, Regulating AI, 225 (Rn. 14 ff.). 428  Ähnlich Wischmeyer, in: Ebers u. a., KI u. Robotik, 613 (Rn. 43). 429  v. Harbou, JZ 2020, 340 (343) stellt zumindest klar, dass § 35a VwVfG mangels gegenteiliger Anhaltspunkte auch auf „selbstlernende […] Algorithmen“ anwendbar sei. 430  Braun Binder, in: Unger/v. Ungern-Sternberg, Demokratie u. KI, 161 (174 ff.) für den Einsatz von Risikomanagementsystemen im Besteuerungsverfahren; Luthe, SGb 2017, 250 (256); H. Schmitz/Prell, NVwZ 2016, 1273 (1276). 431  U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (101); a. A. Siegel, Jura 2020, 920 (929), der ohne nähere Begründung davon ausgeht, dass der Ausschluss von „Gestaltungsspielräumen“ in § 35a VwVfG auch dem Einsatz von „lernenden Algorithmen“ insgesamt entgegensteht.



B. Rechtliche Grundlagen der Verwaltungsautomation103

stützt“ zu fassen sind. Im Ausgangspunkt kann auf das bereits etablierte Auslegungsergebnis zurückgegriffen werden: Unter „automatische[n] Einrichtungen“ sind technische Einrichtungen zu verstehen, die nach vorher festgelegten Parametern selbsttätig, d. h. ohne weiteres menschliches Einwirken funktionieren. Der Begriff ist nach allgemeiner, zu den §§ 28 Abs. 2 Nr. 4, 37 Abs. 5, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG entwickelter Ansicht technikoffen zu verstehen.432 Eine solche Lesart spricht dafür, dass der Begriff auch ML-Algorithmen einschließt. Die historisch-genetische Auslegung ist nicht ergiebig. Eine ausdrückliche Erwähnung von ML-Algorithmen findet sich nicht in den Gesetzgebungsmaterialien. Allerdings finden sich generell keine Ausführungen zur technischen Funktionsweise irgendwelcher Algorithmen, sodass aus der Gesetzesbegründung in dieser Hinsicht generell keine Schlüsse gezogen werden können. Für eine Anwendbarkeit dürfte entscheidend der mit den neuen Regeln verfolgte Gesetzeszweck sprechen. Die §§ 24 Abs. 1 S. 3, 35a VwVfG, 31a SGB X sowie die §§ 88 Abs. 5, 150 Abs. 7, 155 Abs 4 AO dienen insbesondere dazu die vollständig automatisierte Verfahrensdurchführung von bestimmten Voraussetzungen abhängig zu machen und dadurch rechtlich einzuhegen. Im Hinblick auf diesen Schutzzweck sind die Vorschriften auch auf ML-Algorithmen anzuwenden. Andernfalls würde es zu dem absurden Ergebnis führen, dass der Einsatz regelbasierter Algorithmen von strengeren Voraussetzungen abhängig wäre als der Einsatz von ML-Algorithmen.433 Aus teleologischen Gründen geboten ist dieses Auslegungsergebnis vor allem im Hinblick auf die neu eingefügten Vorschriften. Aus systematischen Gründen und im Hinblick auf die ohnehin angenommene Technikoffenheit 432  Vgl. Luthe, SGb 2017, 250 (252); Prell, in: BeckOK, VwVfG, § 35a Rn. 5; H. Schmitz/Prell, NVwZ 2016, 1273 (1275 f.); U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (87); Windoffer, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 35a Rn. 13. 433  Etwas anderes könnte allenfalls gelten, wenn man die Zulässigkeit des Einsatzes von ML-Algorithmen an die Anwendbarkeit der §§ 35a VwVfG, 31a SGB X, 155 Abs 4 AO koppeln würde. Davon ist allerdings nicht auszugehen. Die Vorschriften entfalten bezüglich der Zulässigkeit nur klarstellende Wirkung. Die Auswahl der Mittel, mit denen die Verwaltung ihre Aufgaben wahrnimmt, unterliegt grundsätzlich keinem Vorbehalt des Gesetzes, sondern der Organisationshoheit der Verwaltung (zum Organisations- und Verfahrensermessen der Verwaltung H. Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 10 Rn. 16 ff.). Darüber hinaus bezieht sich selbst die Klarstellungsfunktion, dass es grundsätzlich rechtlich möglich ist, Verwaltungsakte vollständig automatisiert zu erlassen. Damit ist allerdings noch nicht gesagt, dass jegliche Algorithmen Anwendung finden dürfen. Eine Wertung im Hinblick auf die Zulässigkeit des Einsatzes unterschiedlicher Arten von Algorithmen lässt sich den Vorschriften nicht entnehmen. Die Frage des zulässigen Einsatzes von ML-Algorithmen muss unabhängig davon beantwortet werden.

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1. Teil: Grundlagen der Verwaltungsautomation

des Begriffs der „automatischen Einrichtungen“ ist dieses Ergebnis auch für die alten Vorschriften (§§ 28 Abs. 2 Nr. 4, 37 Abs. 5, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG) vorzugswürdig. ML-Algorithmen sind allgemein als „automatische Einrichtungen“ im Sinne des VwVfG und SGB X anzusehen sowie unter den Parallelbegriff in der AO „automationsgestützt“ zu fassen. Insofern sind die Vorschriften zu automatisiert erlassenen Verwaltungsakten auf ML-Algorithmen anwendbar.

2. Teil

Spielräume der Verwaltung Im 2. Teil soll ein eigenes Verständnis von Verwaltungsspielräumen erarbeitet werden, das der weiteren Untersuchung zu Grunde gelegt werden kann. Dabei wird zunächst die historische Entwicklung des Ermessensbegriffs, insbesondere der in der spätkonstitutionellen Ermessenslehre erreichte Stand, dargestellt und kritisch bewertet. Im Anschluss wird das heutige dogmatische Verständnis, dass sich im Verlauf der Diskussion in der Bundes­ republik entwickelt hat, herausgearbeitet. Dieses Verständnis wird sodann im letzten Schritt mit alternativen Konzepten verglichen und auch unter Berücksichtigung der historischen Vorläufer einer kritischen Überprüfung unterzogen.

A. Die historische Entwicklung des Ermessensbegriffs Die sich in den 1950er Jahren neuformierende Verwaltungsrechtslehre knüpfte bezüglich der Behandlung von Verwaltungsspielräumen an die spätkonstitutionelle Ermessenslehre an.434 Die Rezeption erfolgte jedoch überwiegend, ohne die verfassungsgeschichtliche und rechtspolitische Bedingtheit dieser Lehre zu reflektieren.435 Im Folgenden soll deshalb die Entwicklung des historisch weitgefassten, d. h. alle heutigen Verwaltungsspielräume einschließenden, Ermessenbegriffs436 als juristischer Kategorie aufgezeigt wer434  Bettermann, GS W. Jellinek, 361 (365 ff.) nimmt Bezug auf die Ermessenslehre bei W. Jellinek und O. Mayer; Bühler, GS W. Jellinek, 269 (275): „Die Hauptfragen […] beziehen sich wie schon vor 40 Jahren auf die unbestimmten Begriffe und die Grenze gegenüber der Ermessenskontrolle.“; vgl. die Literaturhinweise bei Forsthoff, Verwaltungsrecht, Bd. 1, 3. Aufl., S. 67 ff.; Ule, GS W. Jellinek, 309 (314) nimmt Bezug auf Bernatzik, W. Jellinek und Tezner; Rupp, Grundfragen, S. 177 ff. Mit diesem Ergebnis im Hinblick auf die Rezeption auch Stolleis, Geschichte, Bd. 2, S. 415. 435  Held-Daab, Ermessen, S. 16 f. 436  Im historischen Kontext wurde der Begriff „Ermessen“ zu unterschiedlichen Zeiten für unterschiedliche Arten von administrativen, aber auch gerichtlichen Spielräumen benutzt, sodass die folgende Begriffsverwendung nicht mit dem heutigen engen Begriffsverständnis des auf die Rechtsfolgenseite verbannten Ermessens verwechselt werden darf. Dieses Begriffsverständnis hat sich endgültig erst in der Verwaltungsrechtslehre der BRD durchgesetzt (dazu: 2. Teil B. I. 1.).

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2. Teil: Spielräume der Verwaltung

den.437 Die historische Reflexion ermöglicht es, zu überprüfen, ob die dogmatische Konstruktion der herrschenden Lehre zumindest auch Produkt einer unreflektierten Pfadabhängigkeit der rechtswissenschaftlichen Diskussion ist.

I. Die vor- und frühkonstitutionellen Wurzeln Schon die spätkonstitutionelle Ermessenslehre stand in der Tradition von Vorstellungen, die sich in vor- und frühkonstitutioneller Zeit herausgebildet haben.438 Die spätkonstitutionelle Unterscheidung zwischen dem „freien“ Verwaltungsermessen und dem „gebundenen“ richterlichen Ermessen war bereits im 18. Jahrhundert angelegt.439 Ein Vorläufer des Verwaltungsermessens war das Ermessen des Landesherrn, das aus einer kompetenzrechtlichen Perspektive negativ bestimmt wurde. Landesherrliches Ermessen bezeichnete den Restbereich alleiniger monarchischer Entscheidungskompetenz nach Abzug ständischer Mitwirkungsrechte und gerichtlicher Zuständigkeiten.440 Auch hier stand bereits, wie in der gesamten späteren Diskussion, die Abgrenzung der exekutiven Zuständigkeit des Landesherren von der Zuständigkeit der Gerichte im Fokus.441 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wandelte sich das landesherrliche Ermessen von der Restkompetenz hin zur justizfreien Kompetenz in nahezu allen politischen Entscheidungen als Ausdruck umfassender monarchischer Souveränität.442 Der Zusammenbruch des Heiligen Römischen Reiches443 führte zum Wegfall der reichsrechtlichen Bindungen. Dieses Momentum nutzten die Fürsten, um den Rechtsweg gegen hoheitliche Maßnahmen weitestgehend zu beseitigen. Es wird zwischen Rechten im Gleichordnungsverhältnis (= Privatecht) und im Subordinationsverhältnis (= Öffentliches Recht) unterschieden.444 Ein Rechtsweg soll nur noch bezüglich der Verletzung privater Rechte bestehen. Hoheitliche Maßnahmen werden einer gerichtlichen Überprüfung hingegen entzogen, da ansonsten die landesherrliche Souveränität 437  Eine umfassendere Behandlung der Geschichte des Ermessensbegriffs findet sich bei Held-Daab, Ermessen, S. 1 ff., auf deren wesentlichen Ergebnissen auch die folgende Darstellung aufbaut. 438  Held-Daab, Ermessen, S. 20 f. 439  Held-Daab, Ermessen, S. 21 ff. 440  Held-Daab, Ermessen, S. 23 sowie S. 24 zu den ständischen Mitwirkungsrechten und S. 25 ff. zu den Entscheidungszuständigkeiten der Gerichte. 441  Held-Daab, Ermessen, S. 25 ff. 442  Held-Daab, Ermessen, S. 53. 443  Vgl. dazu Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 61 ff. 444  v. Pfizer, Grenzen, S. 14 ff., 31 ff.



A. Die historische Entwicklung des Ermessensbegriffs107

unterlaufen würde.445 Als Argument für diese Neubestimmung wird auch der aus dem revolutionären französischen Recht übernommene Gewaltenteilungsgrundsatz angeführt.446

II. Prägung durch Rechtsstaatslehren und Verwaltungsgerichtsgesetze Nachdem der Frühkonstitutionalismus und die Paulskirchenverfassung keine Veränderung der Ermessenskonzeption bewirkten,447 begannen sich in den 1860er Jahren die ersten konkreten Vorläufer der spätkonstitutionellen Ermessenslehre zu entwickeln. Rechtspolitischer Hintergrund der Entwicklung sind in sublimierter Form die alten Auseinandersetzungen um eine unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie das Verhältnis von monarchischer Exekutive und parlamentarischer Gesetzgebung.448 1. Revision der Ermessenslehre aus Sicht der Rechtsstaatslehren Die Rechtsstaatslehren der 1860er Jahre führten insbesondere durch Lorenz v. Stein, Otto Bähr, Friedrich Franz Mayer und Rudolf v. Gneist eine Neubestimmung des Ermessensbegriffs durch. Ausgangspunkt war ein formales Rechtsstaatsverständnis,449 bestehend aus der Forderung nach umfassender Rechtsbindung staatlicher Tätigkeit und einer damit korrespondierenden gerichtlichen Kontrolle.450 Als einer der ersten Vertreter betonte v. Stein den Vorrang des konstitutionellen Gesetzes als Teil der „verfassungsmäßigen“ Regierung und Verwaltung.451 Der Ermessensbereich der Verwaltung beginne Verwaltung, S.  51 f., 63 ff.; v. Pfizer, Grenzen, S. 21 ff., 32 ff., 41 ff. Verwaltung, S. 42, 48 ff.; 123 ff., 130 f.; v. Pfizer, Grenzen, S. 41, 55. 447  Grund dafür sind die bestehende monarchische Souveränitätslehre und die justizfeindlichen Gewaltenteilungsvorstellungen sowie das politische Scheitern der Revolution von 1848 (vgl. Held-Daab, Ermessen, S. 65 ff.). 448  Stolleis, Geschichte, Bd. 2, S. 414. 449  Anders noch der Rechtsstaatsbegriff im Vormärz verstanden als Inbegriff des die Freiheit insgesamt garantierenden Staates (Böckenförde, in: Ders., Recht, Staat, Freiheit, 143 (144 ff.)). 450  Böckenförde, in: Ders., Recht, Staat, Freiheit, 143 (151 ff.); Stolleis, Geschichte, Bd. 2, S. 383. Die Konzentration auf den Rechtsstaatsbegriff war insbesondere für die nach dem Scheitern der Revolution von 1848 politisch desillusionierten Liberalen opportun. Mithilfe des Rechtsstaatsbegriffs konnte die Exekutive dem konstitutionellen Gesetz unterworfen werden. Dadurch ließ sich die Souveränität des Monarchen unabhängig von der nicht durchsetzbaren Forderung nach weitergehender demokratischer Teilhabe zumindest rechtlich beschränken. Vgl. zur politischen Motivlage der Autoren Held-Daab, Ermessen, S. 89 ff. 451  v. Stein, Verwaltungslehre, S.  83 ff. 445  Funke, 446  Funke,

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2. Teil: Spielräume der Verwaltung

hingegen erst jenseits des Gesetzes.452 Auch Bähr betonte die Bedeutung des Rechts als selbst den „zeitigen höchsten Träger der Staatsgewalt […] überragende […] Macht“453 und folgerte weiter: „Sollen Recht und Gesetz eine objective Schranke für die Regierungsgewalt sein, so ist die Consequenze nicht zu vermeiden, daß bei jeder Handlung derselben von dem dadurch Berührten die Rechtsfrage müsse erhoben werden […] können.“454 Dafür schlug Bähr die Errichtung von besonderen „Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts“ vor.455 F. F. Mayer und v. Gneist schließen sich dem an und leiten aus dem Rechtsstaatsgedanken die Verrechtlichung der Verwaltungstätigkeit und den Aufbau einer zumindest sachlich unabhängigen Verwaltungsrechtsprechung ab.456 Insgesamt wird die Konkretisierung der Staatszwecke durch den Fürsten als durch das positive Gesetz rechtlich begrenzt verstanden.457 Das positive Recht konnte so als innerstaatliche Schranke monarchischer Souveränität etabliert werden. Damit erscheint das Ermessen wieder als Handlungsspielraum, der nach Berücksichtigung der Rechtsbindungen übrigbleibt.458 Auf Grundlage dieses Begriffsverständnisses gewinnt die Rechtsanwendungslehre entscheidende Bedeutung bei der Bestimmung von Ermessensspielräumen. Überall dort, wo es rechtliche Bindung gibt, scheidet Ermessen aus. Die Rechtsbindung wurde jedoch äußerst restriktiv allein als Bindung an den Wortlaut verstanden.459 Um eine effektive gerichtliche Kontrolle dennoch zu ermöglichen, entwickelten F. F. Mayer und v. Gneist Kategorien missbräuchlicher Ermessensausübung über die Wortlautbindung hinaus.460 Dabei knüpft F. F. Mayer an die aus dem französischen Verwaltungsrecht stammende Figur des „excès de pouvoir“ an.461 Durch diese Missbrauchslehren sollte die äußerst restriktive Rechtsbindung kompensiert werden. Dieser Ansatz wird jedoch nicht in die entstehenden Verwaltungsgerichtsgesetze übernommen.462 Stein, GrünhutsZ 6 (1879), 27 (67). Rechtsstaat, S. 16. 454  Bähr, Rechtsstaat, S. 104. 455  Bähr, Rechtsstaat, S. 68 ff. 456  F. F. Mayer, Verwaltungsrecht, S. 14, 28, 453 ff.; v. Gneist, in: Verhandlungen d. 12. DJT (1875), 221 (232, 239 f.). 457  Held-Daab, Ermessen, S. 93. 458  Da Ermessen aber auch weiterhin als Attribut einer umfassend gedachten Staatsgewalt verstanden wird, kommt es zu einer gewissen Doppeldeutigkeit (HeldDaab, Ermessen, S. 93). 459  Bähr, Rechtsstaat, S. 60. 460  F. F.  Mayer, Verwaltungsrecht, S.  461 f.; v. Gneist, in: Verhandlungen d. 12. DJT (1875), 221 (237). 461  F. F. Mayer, Verwaltungsrecht, S. 462 Fn. 4. 462  Held-Daab, Ermessen, S. 99. 452  v.

453  Bähr,



A. Die historische Entwicklung des Ermessensbegriffs109

2. Entstehung der Verwaltungsgerichtsbarkeit In den 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts begann sich in den deutschen Ländern eine zunehmend organisatorisch verselbstständigte Verwaltungsgerichtsbarkeit zu etablieren.463 Auch in den dazu neu geschaffenen Verwaltungsgerichtsgesetzen war der Umfang der ermittelten Rechtsbindung die Richtlinie zur Abgrenzung von Verwaltungs- und Gerichtszuständigkeit.464 Dabei folgten die Verwaltungsgerichtsgesetze in der Tendenz dem restriktiven Ansatz der rechtsstaatlichen Lehren zum Umfang der Rechtsbindung ohne die Missbrauchslehren zu übernehmen.465

III. Entwicklung der spätkonstitutionellen Ermessenslehre Ausgehend von den dogmatischen Ansätzen in der Literatur und den Verwaltungsgerichtsgesetzen entwickelte sich die spätkonstitutionelle Ermessenslehre. Maßgeblich hierfür waren drei Verständniswechsel, die sich zeitlich überlappten und teilweise auch inhaltlich bedingten. Ein Verständniswechsel betraf die unbestimmten Begriffe im Tatbestand und erhob sie zu Rechtsbegriffen, womit eine weitestgehende Reduktion des Ermessens auf die Wahl der Rechtsfolge einherging. Die beiden anderen Verständniswechsel bewirkten durch die maßgeblich vom Polizeirecht getragene Entwicklung eines Übermaßverbotes und die Fortentwicklung der Ermessensfehlerlehre eine weitere Einschränkung. 1. Ausklammerung tatbestandlicher Spielräume aus dem Ermessensbegriff Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ging die konservative Lehrmeinung und daran anschließend die Rechtsprechung davon aus, dass die Konkretisierung unbestimmter Tatbestandsmerkmale im Ermessen der Verwaltung steht.466 Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 985 ff. beispielsweise Art. 13 Abs. 3 des bayerischen Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 8. August 1878, Bayr. GVBl. 1878, S. 369 oder den Art. 5 Nr. 1 des Gesetzes über den hessischen Verwaltungsgerichtshof vom 11. Januar 1875, Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt 1875, S. 45. 465  Vgl. für eine Zusammenfassung der Entwicklung Held-Daab, Ermessen, S.  99 ff. 466  Zur Begründung werden im Wesentlichen drei unterschiedliche Ansätze angeführt: Fehle es an einer präzisen Regelung, könne die Verwaltung diese Lücken auch im Anwendungsbereich konstitutioneller Gesetze durch Zweckmäßigkeitserwägungen ausfüllen. Denn nur eine vollständige und präzise gesetzliche Regelung könne das 463  Huber, 464  Vgl.

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2. Teil: Spielräume der Verwaltung

a) Lehre vom unbestimmten Rechtsbegriff In Abgrenzung dazu entwickelte sich die Lehre vom unbestimmten Rechtsbegriff.467 Der Verwaltung sollte danach kein Ermessen bei der Konkretisierung unbestimmter Tatbestandsmerkmale zukommen, da es sich bei dieser Konkretisierung um eine gerichtlich überprüfbare Rechtsfrage handele.468 Allein das Vorliegen begrifflicher Ungenauigkeiten solle nicht ausreichen, um einen Spielraum der Verwaltung zu begründen.469 Die Erfüllung des Tatbestandes sei unabhängig vom Grad der Bestimmtheit durch juristische Interpretation zu ermitteln.470 Auch bei unbestimmten Begriffen lasse sich ein zu ermittelnder Wille des Gesetzgebers feststellen.471 Wie dabei jedoch mit der jeder Begriffsauslegung immanenten Unsicherheit umgegangen werden soll, wurde nicht näher behandelt.472 Als wesentlicher Vertreter zog sich Tezner stattdessen auf ein Kompetenzpostulat zugunsten der Gerichte zurück.473 b) Tendenzielle Reduzierung des Ermessens auf die Wahl der Rechtsfolge Mit ihrem Ergebnis setzte sich die Lehre vom unbestimmten Rechtsbegriff nach der Jahrhundertwende in der Tendenz durch. Bei der Begründung blieb die herrschende Lehre wohl aus rechtspolitischem Kalkül überwiegend dabei, dass auch unbestimmte Begriffe rechtlich eindeutig bestimmbar seien.474 Auf den ersten Blick eine Ausnahme bildete das Drei-Sphären-Modell freie Verwaltungsermessen als Ausdruck grundsätzlich umfassender Staatsgewalt ausschließen (v. Sarwey, Verwaltungsrechtspflege, S. 576 f.). Als zweiter Ansatz wird ausgeführt, unbestimmte Tatbestandsmerkmale enthalten einen gesetzgeberischen Konkretisierungsauftrag, dessen Adressat die Verwaltung sei (Held-Daab, Ermessen, S. 146 ff.). Ein dritter Ansatz verlagert das Problem der Unbestimmtheit in die im Ermessen der Verwaltung liegende Sachverhaltsfeststellung bzw. -würdigung und kann so die Kompetenz der Verwaltung begründen (in diese Richtung beispielsweise Bernatzik, Rechtsprechung, S. 42 ff. und O. Mayer, Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 193 ff., der zwar ein Ermessen bezüglich der tatsächlichen Voraussetzungen annimmt, dieses aber für gerichtlich überprüfbar hält). 467  Held-Daab, Ermessen, S. 157–160 zu den ersten Ansätzen. 468  Gluth, AöR 3 (1888), 569 (612 f.); Tezner, Ermessen, S. 71 und S. 121. 469  Gluth, AöR 3 (1888), 569 (612); Tezner, Ermessen, S. 71 f. 470  Gluth, AöR 3 (1888), 569 (612 f.); Tezner, Ermessen, S. 45. 471  Tezner, Ermessen, S. 81. 472  Held-Daab, Ermessen, S. 165. 473  So begründet Tezner, Ermessen, S. 45 die Zuständigkeit des Richters mit „der ihm zugewießenen richterlichen Function“. 474  Bühler, Rechte, S. 28 ff.; Fleiner, Institutionen, S. 126 f.; v. Laun, Ermessen, S.  59 f.; Stier-Somlo, FS Laband, 445 (491, 506).



A. Die historische Entwicklung des Ermessensbegriffs111

von W. Jellinek.475 Danach sei zwischen drei Sphären zu unterscheiden. Einige Sachverhalte seien sicher einem Begriff zuzuordnen, einige Sachverhalte seien sicher nicht dem Begriff zuzuordnen und ein dritter Bereich betrifft Sachverhalte bei denen sowohl die Zuordnung als auch die Nichtzuordnung vertretbar erscheine.476 Dieser dritte Bereich „möglichen Zweifels“ sei charakteristisch für unbestimmte Rechtsbegriffe.477 Allerdings relativierte W. Jellinek diese Erkenntnis im unmittelbaren Anschluss weitestgehend selbst. Er stellte darauf ab, dass die zunächst angenommene Vagheit bezüglich der meisten Begriffe in Bestimmtheit überführt werden kann und muss.478 Durch Letztere Wendung begibt sich auch W. Jellinek auf die Linie der herrschenden Lehre und geht davon aus, dass im Bereich der Rechts­ begriffe tendenziell nur eine Deutung richtig sein könne.479 Ähnlich wie W. Jellinek versuchen auch andere Protagonisten der herrschenden Lehre die jeder Begriffsauslegung immanente faktische Unsicherheit zu kaschieren, in dem auf K ­ onkretisierungsregeln außerhalb der klassischen Auslegungsmethoden zurückgegriffen wird. So gab es verschiedene Ansätze, die die unbestimmten Rechtsbegriffe als „Verweis“ des Gesetzgebers auf eine empirisch zu ermittelnde Durchschnittsauffassung der Allgemeinheit, der konkreten Rechtsanwender oder eines bestimmten (sachverständigen) Verkehrskreises verstanden.480 Die Ausdehnung der Rechtskontrolle auf die unbestimmten Begriffe wird auch aus der entgegengesetzten Richtung abgesichert. Aus dem Inhalt des Ermessensbegriffs, verstanden als Ermächtigung zur Staatszweckverwirklichung, wurde abgeleitet, welche Begriffe als Ermessensbegriffe in Betracht kommen und – im Umkehrschluss – welche Begriffe als Rechtsbegriffe zu behandeln sind.481 Im Ergebnis werden zum Ende des Kaiserreichs die meisten482 unbestimmten Begriffe auf Tatbestandsebene als gerichtlich überprüfbare und vollständig bestimmbare Rechtsbegriffe verstanden,483 sodass sich das Ermessen Gesetz, S. 37 f. Gesetz, S. 37 f. 477  W. Jellinek, Gesetz, S. 37 f. 478  W. Jellinek, Gesetz, S. 38 f. 479  W. Jellinek, Gesetz, S. 159. 480  Beispielsweise Bühler, Rechte, S. 30 ff. und v. Laun, Ermessen, S. 50 ff. 481  Mit weiteren Ausführungen zu diesem Ansatz Held-Daab, Ermessen, S. 178– 180. 482  Als Ermessensbegriffe werden lediglich noch das öffentliche Interesse, die Notwendigkeit, die Zweckmäßigkeit und die Billigkeit diskutiert (vgl. Held-Daab, Ermessen, S. 181). 483  Bühler, Rechte, S. 37 ff., 172 f., 429 ff. 475  W. Jellinek, 476  W. Jellinek,

112

2. Teil: Spielräume der Verwaltung

zunehmend auf die Wahl zwischen mehreren möglichen Rechtsfolgen beschränkte.484 2. Einschränkung des Rechtsfolgeermessens a) Übermaßverbot als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für Eingriffe Ein Übermaßverbot für freiheitsbeschränkende polizeiliche Maßnahmen (= Eingriffe), verstanden als Vorläufer heutiger Geeignetheit und Erfor­ derlichkeit,485 entwickelte sich schrittweise als selbstständige Rechtmäßigkeitsvoraussetzung. Ausgangspunkt war die (polizeirechtliche) Motivkontrolle des preußischen OVG. Danach sollte pflichtwidrige Willkür anzunehmen sein, wenn es an einem erkennbaren polizeilichen Motiv fehlt.486 Im Anschluss wurde die Ungeeignetheit und seit Mitte der 1880er Jahre teilweise auch die Erforderlichkeit einer Maßnahme zur Gefahrenabwehr als Indiz für das Fehlen eines solchen Motivs etabliert.487 Daran anknüpfend gelang es der spätkonstitutionellen Lehre, ein Übermaßverbot unter Rückgriff auf das Gesetzmäßigkeitsprinzip allgemein zu begründen.488 Gesetzlichen Eingriffsermächtigungen wurde die konkludente Beschränkung auf erforderliche bzw. notwendige Maßnahmen entnommen.489 Eine generelle Geltung für polizeiliche Maßnahmen ergab sich dann in Kombination mit dem Gesetzesvorbehalt.490 So war gegen Ende des Kaiserreichs das Übermaßverbot in der spätkonstitutionellen Lehre als allgemeiner Grundsatz anerkannt und schränkte das auf die Rechtsfolgenwahl begrenzte Ermessen weiter ein.491 Ermessen, S. 183 ff. im Sinne der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne wurden nur vereinzelt erwähnt und fanden keine allgemeine Beachtung (vgl. dazu Remmert, Übermaßverbot, S.  150 ff.). 486  Preußisches OVGE 58, 273 (274). 487  Held-Daab, Ermessen, S. 190–192 mit zahlreichen Beispielen. 488  Vgl. zur Entwicklung der Diskussion Held-Daab, Ermessen, S. 194–199 und Remmert, Übermaßverbot, S. 140 ff. 489  Bühler, Rechte, S. 177; W. Jellinek, Gesetz, S. 9 und 289 f.; O. Mayer, Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 267 f. 490  Vgl. die Argumentation bei Bühler, Rechte, S. 177. 491  Bühler, Rechte, S. 177  ff.; Thoma, Polizeibefehl, S. 465; O. Mayer, Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 267 f.; wohl auch schon Tezner, Ermessen, S. 98, der vom „Maß des Gebotenen“, das „überschritten wird“ spricht; Fleiner, Institutionen, S. 354; W. Jellinek, Gesetz, S. 9 und 289 ff. m. w. N. entwickelt Fallgruppen, bei denen vom Übermaß auszugehen ist. Mit diesem Ergebnis bezüglich der historischen Diskussion auch Held-Daab, Ermessen, S. 199 f. und Remmert, Übermaßverbot, S. 150. 484  Held-Daab,

485  Anforderungen



A. Die historische Entwicklung des Ermessensbegriffs113

b) Ermessensfehlerlehre Ausgehend von den Missbrauchslehren der 1860er Jahre begann sich die spätkonstitutionelle Ermessensfehlerlehre zu entwickeln. Ermessensfehler wurden als mittlere Fehlerkategorie zwischen Rechtsfehlern und nichtjusti­ ziabler Unzweckmäßigkeit eingeführt, um die restriktive Rechtsbindung zu kompensieren.492 In der spätkonstitutionellen Lehre wurden im Wesentlichen zwei Begründungsstrategien angeführt, um die rechtliche Relevanz von Ermessensfehlern zu begründen. Zum einen wurde versucht, die Ermessensüberschreitung als Verstoß gegen objektiv-rechtliche Zweckbindungen zu konstruieren.493 Otto Mayer beispielsweise deutete den Zuständigkeitsbegriff zu einer Befugnisgrenze um. Die „Zuständigkeit“ sei „immer beschränkt auf das, was das öffentliche Interesse fordert“.494 Dadurch konnte er die Überprüfung der Einhaltung des öffentlichen Zwecks positiv-rechtlich legitimieren.495 Ein anderer Ansatz, der sich nach der Jahrhundertwende zunächst in der sächsischen Verwaltungsrechtsprechung entwickelte, stellte das Entscheidungsverfahren in den Fokus.496 Eine Ermessensüberschreitung liege vor, wenn gegen eine Bedingung korrekter Entscheidungsfindung verstoßen werde.497 In der Lehre griff W. Jellinek den Ansatz auf und entwickelte eine Kasuistik unterschiedlicher Fehlertypen.498 Bei beiden Ansätzen fällt auf, dass in einigen Fällen keine neuen Fehler­ typen begründet werden, sondern bisherige Ergebnisfehler lediglich in Verfahrensverstöße umformuliert werden.499 Da aber gleichzeitig die möglichen Ergebnisfehler daneben bestehen blieben, kam es zu einer Verdoppelung der Perspektive auf eigentlich gleichartige Phänomene.500 492  Mit einem solchen Ansatz insbesondere F. F.  Mayer, Verwaltungsrecht, S.  461 f.; v. Gneist, in: Verhandlungen d. 12. DJT (1875), 221 (237). 493  Held-Daab, Ermessen, S. 207. 494  O. Mayer, Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 165. 495  Bei der weiteren Ausgestaltung orientiert er sich an der Motivkontrolle des preußischen OVG, jedoch enger gefasst als im Polizeirecht (Held-Daab, Ermessen, S.  211 f.). Fleiner, Institutionen, S. 128 begründet die Zweckbindung der Verwaltung zum Ende des Kaiserreichs schon ganz selbstverständlich mit „den Momenten […], die das Gesetz in einem Falle dieser Art berücksichtigt haben will“. 496  SächsOVGE 5, 42 (46 f.); 10, 90 (92 f.); 13, 97 (97). 497  SächsOVGE 5, 42 (46 f.); 10, 90 (92 f.). 498  W. Jellinek, Gesetz, S. 332 f., 337 ff. 499  Vgl. mit ausführlichen Erläuterungen und Beispielen Held-Daab, Ermessen, S.  213 ff. 500  Held-Daab, Ermessen, S. 223.

114

2. Teil: Spielräume der Verwaltung

Mit der ausdifferenzierten Ermessensfehlerlehre war der Abschluss der spätkonstitutionellen Ermessenslehre erreicht.

IV. Kritische Würdigung der spätkonstitutionellen Ermessenslehre Im Verlauf des langen 19. Jahrhunderts wurde der Ermessensbegriff von einem anfangs sehr weiten Verständnis als Ausdruck nahezu umfassender monarchischer Entscheidungsmacht Schritt für Schritt eingeengt. Zum Ende des Kaiserreichs war das Ermessen weitestgehend auf die Wahl der Rechtsfolge beschränkt und zusätzlich durch das Übermaßverbot und eine ausdifferenzierte Ermessensfehlerlehre eingeschränkt. Dadurch konnte das von führenden Rechtswissenschaftlern verfolgte politische Ziel einer rechtlichen Begrenzung monarchischer Souveränität durch die Etablierung einer umfassenden Rechtsbindung und einer unabhängigen gerichtlichen Kontrolle verwirklicht werden. Um das rechtspolitische Ziel nicht zu gefährden, wurden die schrittweisen rechtsstaatlichen Fortschritte jedoch teilweise durch Widersprüche und Inkonsistenzen in der Konzeption erkauft.501 Gleichzeitig entwickelte sich die Ermessenslehre in einem spezifischen historischen und staatsrechtlichen Kontext. Besonders deutlich wird dieses Phänomen bei der Ausdehnung der gerichtlichen Kontrolle auf unbestimmte Tatbestandsmerkmale. Die Begründung der Ausweitung stellte die spätkonstitutionelle Verwaltungsrechtslehre vor ein rechtspolitisch motiviertes Dilemma. Die Grenzen der Leistungsfähigkeit der Auslegung und dadurch eröffnete Spielräume im Rahmen der Rechtsanwendung werden in der Zivilrechtslehre bereits seit Anfang des 19. Jahrhunderts502 und besonders verstärkt zum Ende des 19. Jahrhunderts diskutiert.503 Die Diskussion findet jedoch keinen entscheidenden Eingang in die Verwaltungsrechtslehre, die bei dem traditionellen Verständnis vollständig determinierter Rechtsanwendung verharrt.504 Mögliche Spielräume bei der Auslegung unbestimmter Begriffe werden überwiegend505 verschwiegen.506 Man befürchtete, durch ein offenes Anerkenntnis auch richterlicher Spielräume die unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit ganz oder teilweise wieder zu 501  Ausführlich

dazu Held-Daab, Ermessen, S. 223 ff. Richterkönig, S. 61 ff. 503  Vgl. zur Entwicklung richterrechtlicher Konzepte Ogorek, Richterkönig, S.  170 ff. 504  Held-Daab, Ermessen, S. 116 f. 505  Eine Ausnahme bildet das Drei-Sphären-Modell von W. Jellinek, Gesetz, S. 37 f. (weitere Ausführungen dazu bereits oben unter 2. Teil A. III. 1. b)). 506  Dazu oben 2. Teil A. III. 1. a) und b). 502  Ogorek,



A. Die historische Entwicklung des Ermessensbegriffs115

verlieren.507 Verstärkt wurde die Problematik durch die Annahme, dass der Umfang der gerichtlichen Kontrolle notwendig mit dem Umfang der Rechtsbindung korreliere. Ein solches Verständnis hat sich vor dem Hintergrund der Annahme, das Recht sei eine bloße Schranke staatlicher Tätigkeit, durchgesetzt.508 Auch aus der Perspektive, der sich in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zur herrschenden Ansicht entwickelnden positivistischen Staatsrechtslehre509 werden die formellen Gesetze zunächst nicht als notwendige Grundlage, sondern nur als freiwillige Selbstbeschränkung umfassender staatlicher Befugnisse begriffen. So heißt es bei Laband:510 „Der Staat ist trotz seiner Herrschermacht, die ihn befähigt, das Recht selbst zu gestalten, in seiner verwaltenden Tätigkeit unter die von ihm gesetzte Rechtsordnung gestellt; der Willenssphäre der zur Verwaltung berufenen Behörden sind rechtliche Schranken gesetzt gegenüber den Individuen, den Kommunen, den anderen Organen des Staates selbst.“

Es wurde auch später, als sich die Lehre vom Gesetzesvorbehalt Schritt für Schritt etablierte,511 nicht mehr revidiert.512 Der liberalen Lehre schien insgesamt daran gelegen, den Richter als möglichst unpolitische und damit für die Exekutive ungefährliche Subsumtionsmaschine zu zeichnen, um die rechtsstaatlichen Fortschritte nicht zu gefährden.513

Ermessen, S. 169 f. oben 2. Teil A. I. und II. sowie Held-Daab, Ermessen, S. 117 ff. 509  Dazu Stolleis, Geschichte, Bd. 2, S. 331 ff. 510  Laband, Staatsrecht, Bd. 2, 5. Aufl., S. 181. 511  Zum Ende der 1870er Jahre entwickelt sich zunächst ein Vorbehalt des mate­ riellen Gesetzes, der sogar Gewohnheitsrecht einschloss (Laband, Staatsrecht, Bd. 2., 5. Aufl., S. 186). Dieser einfache Rechtssatzvorbehalt wird um die Jahrhundertwende zu einem verfassungsrechtlich hergeleiteten formellen Gesetzesvorbehalt ausgebaut (Anschütz, Verfassungs-Urkunde, S.  96 f.; Fleiner, Institutionen, S. 117; Thoma, Polizeibefehl, S.  98 f.; Bühler, Rechte, S. 67 ff. fasst den damaligen Diskussionsstand zusammen; ähnlich O. Mayer, Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 75 f., der den Gesetzesvorbehalt jedoch verfassungsgewohnheitsrechtlich begründet). Die historische Entwicklung wird im größeren Kontext dargestellt bei Jesch, Gesetz, S. 158 ff. 512  Held-Daab, Ermessen, S. 120 f. 513  Bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts zeichnen die Vertreter der Justizstaatslehren das Bild einer gesetzlich vollständig determinierten richterlichen Tätigkeit. Dahinter verbirgt sich jedoch weniger eine methodologische Überlegung, sondern vielmehr der Wunsch nach einer umfassenden richterlichen Kontrolle der Verwaltung. Der Richter wird als möglichst unpolitische Subsumtionsmaschine dargestellt, um die gerichtliche Kompetenz zur Kontrolle der Verwaltung politisch rechtfertigen zu können (Ogorek, Richterkönig, S. 292 f., S. 369). Auch nach schrittweiser Einführung der richterlichen Kontrolle befürchtete man diese wieder zu verlieren, wenn sie zu schnell zu weit ausgedehnt wird (vgl. v. Lemayer, GrünhutsZ 8 (1881), 743 (760)). 507  Held-Daab, 508  Dazu

116

2. Teil: Spielräume der Verwaltung

Die beiden angesprochenen Aspekte wirken bis in die heutige Diskussion fort,514 sodass an späterer Stelle noch einmal darauf zurückzukommen ist.515 Nachdem also die geschichtliche Entwicklung des Ermessensbegriffs als Vorläufer heutiger Verwaltungsspielräume kurz umrissen wurde, soll im folgenden Abschnitt das heute herrschende dogmatische Verständnis von Verwaltungsspielräumen herausgearbeitet werden.

B. Spielräume in der herrschenden Verwaltungsrechtsdogmatik In der aktuellen Verwaltungsrechtslehre dominiert eine dogmatische Per­ spektive516 auf Spielräume der Verwaltung.517 Die Lehre konzentriert sich darauf, Verwaltungsspielräume begrifflich zu erfassen und zu strukturieren und dadurch die Entscheidungsfindung in der Praxis zu unterstützen. Die von Verwaltungsrechtslehre und Verwaltungsrechtsprechung ausdifferenzierte begriffliche Behandlung und Systematisierung von Spielräumen der Verwaltung war518 und ist519 in vielen Detailfragen umstritten und wird folgerichtig als „Dauerthema“520 bezeichnet. Im Verlauf der Diskussion521 hat sich jedoch eine dogmatische Grundkonzeption herausgebildet, deren Kern die qualitative Unterscheidung von unbestimmten Rechtsbegriffen, unbestimmten Rechtsbegriffen mit Beurteilungsspielräumen und (Rechtsfolge-) Ermessen ist. Diese Konzeption wird von der überwiegenden Verwaltungsrechtslehre522 und auch der Rechtsprechung523 geteilt und auch von ihren 514  Ähnlich

im Ergebnis Held-Daab, Ermessen, S. 259 ff. ausführlicher unter 2. Teil C. I. 1. c). 516  Als Dogmatik soll hier eine Form der Befassung mit dem Recht verstanden werden, die sich vor allem auf das geltende Recht bezieht, dieses erklärt, systematisiert und hierdurch juristische Entscheidungen vorbereitet bzw. einordnet (U. Stelkens, FS Herberger, 895 (896); vgl. für weitergehende Ausführungen zu den Aufgaben juristischer Dogmatik Schmidt-Aßmann, Dogmatik, S. 3 ff.). 517  So auch Elsner, Ermessen, S. 172. 518  Beispielsweise Bachof, JZ 1955, 97 (97): „Man wird ohne Übertreibung sagen dürfen, dass die Frage nach dem Verhältnis von Ermessen und unbestimmtem Rechtsbegriff das gegenwärtig meistbehandelte Thema des deutschen Verwaltungsrechts ist.“ 519  Beispielsweise Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 159 „heillos umstr.“. 520  Wahl, NVwZ 1991, 409 (411 f.). 521  Für eine Zusammenfassung der neueren Diskussion seit Gründung der Bundesrepublik insbesondere bezüglich der Behandlung unbestimmter Rechtsbegriffe vgl. Pache, Abwägung, S.  54 ff. 522  Zu dieser überwiegenden Verwaltungsrechtslehre zählen aus der neueren Literatur Aschke in: BeckOK, VwVfG, § 40 Rn. 21 ff.; Bull/Mehde, Verwaltungsrecht, 515  Dazu



B. Spielräume in der herrschenden Verwaltungsrechtsdogmatik 117

Kritikern524 als herrschend525 anerkannt. Neben diesen beiden Haupttypen der Verwaltungsspielräume wird ergänzend auf das Planungs- und Regulierungsermessen als eigenständige Kategorien zurückgegriffen. Insgesamt ergibt sich damit eine Typologie von vier anerkannten Verwaltungsspielräumen (Beurteilungsspielräume, Rechtsfolge-, Planungs- und Regulierungsermessen), die der folgenden Darstellung zugrunde liegt:

I. Grundlegende Begriffe und Unterscheidungen 1. Ausgangspunkt: Beurteilungsspielraum auf Tatbestandsebene und Ermessen auf Rechtsfolgenseite Die Differenzierung zwischen Beurteilungsspielräumen und Ermessen entspricht der heute526 ganz überwiegenden Verwaltungsrechtslehre527 und der ständigen Rechtsprechung.528 Sie knüpft an die normstrukturelle Unterscheidung von Tatbestand und Rechtsfolge konditionaler Rechtssätze sowie die damit korrespondierende Unterscheidung von unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessen an. Grundlegend prägte Bachof 1955 diese Terminologie.529 Er ging, anknüpfend an Erkenntnisse von Flume und Reuss,530 davon aus, dass es Spielräume Rn.  567 ff.; Detterbeck, Verwaltungsrecht, Rn.  303 ff.; Decker, in: Posser/Wolf, VwGO, § 114 Rn. 4 ff. u. 29 ff.; Guckelberger, Verwaltungsrecht, § 14 Rn. 25 ff.; Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/ders., Verwaltungsrecht, § 31 Rn. 5 ff.; Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 1 ff.; Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, 12. Aufl., § 10 Rn. 1 ff. insbesondere Rn. 46; Peine/Siegel, Verwaltungsrecht, Rn.  194 ff.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 1 ff.; Ruthig, in: Kopp/ Schenke, VwGO, § 114 Rn. 1 ff.; Schoch, Jura 2004, 462 ff. u. 612 ff.; Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, VwGO, § 114 Rn. 1 ff. 523  BVerwGE 94, 307 (309). 524  Kritische Stimmen aus neuerer Zeit gegenüber der Grundkonzeption Jestaedt, in: Ehlers/Pünder, Verwaltungsrecht, 15. Aufl., § 11 Rn. 12 ff., der die „Dichotomie von unbestimmtem Rechtsbegriff und Ermessen“ ablehnt; Ramsauer, in: Kopp/ders., VwVfG, § 40 Rn. 15 f. und Riese in: Schoch/Schneider, VwGO, Vorb. § 113 Rn. 20 ff. 525  So beispielsweise Jestaedt in: Ehlers/Pünder, Verwaltungsrecht, § 11 Rn. 10; mit diesem Ergebnis auch Brinktrine, Verwaltungsermessen, S.  22 m. w. N. 526  Daneben gab es insbesondere in den 1950er Jahren eine Vielzahl anderer begrifflicher Ansätze (zusammengefasst bei Elsner, Ermessen, S. 46 ff.). 527  Vgl. die Nachweise in der Fn. 522. Selbst Autoren, die wie Jestaedt in: Ehlers/ Pünder, Verwaltungsrecht, § 11 Rn. 12 ff. die Konzeption eigentlich ablehnen, übernehmen dennoch die Begrifflichkeiten (Rn. 54). 528  BVerwGE 72, 38, 53. 529  Bachof, JZ 1955, 97 (98, 102). 530  Bachof knüpft in der Sache insofern an eine zuerst von Flume, FS Smend, 59 (97 ff.) entwickelte rechtstheoretische Unterscheidung an, die Reuss, DVBl. 1953, 585

118

2. Teil: Spielräume der Verwaltung

gäbe, deren Ausfüllung entweder einen Erkenntnis- oder einen Willensakt erforderten und dass die beiden Arten von Spielräumen als qualitativ vollständig unterschiedliche Phänomene zu behandeln seien.531 Dieser Unterschied sollte sich deshalb auch in der Terminologie widerspiegeln: „Es würde wesentlich der Klarheit dienen, wenn man sich entschließen könnte, den Begriff des Ermessens ausschließlich auf das Handlungsermessen zu beschränken und statt vom ‚Beurteilungsermessen‘ und dgl. von einem ‚Beurteilungsspielraum‘ zu sprechen. Die Verwendung einer einheitlichen Nomenklatur für zwei völlig heterogene Erscheinungen ist […] kein zulässiger Sprachgebrauch, sondern ein Sprachmissbrauch.“532

Da er zugleich die Beurteilungsspielräume den unbestimmten Rechtsbegriffen auf Tatbestandsebene zuordnete,533 war das Ermessen bei ihm in der Rechtsfolge der Norm verortet.534 In der Folge setzte sich der Begriff Beurteilungsspielraum für angenommene Spielräume auf Tatbestandsseite und der Begriff Ermessen für angenommene Spielräume auf Rechtsfolgenseite zuerst in der Literatur und später auch überwiegend535 in der Rechtsprechung durch. Neben Bachof trugen in der Anfangszeit zur Etablierung der (begrifflichen) Unterscheidung insbesondere auch die Beiträge von Ule536 und Jesch537 maßgeblich bei. 2. Unterscheidung zwischen „strikter“ und „gelockerter“ Gesetzesbindung Die Verwaltung ist gem. Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden. Vertreter der herrschenden Lehre gehen teilweise davon aus, dass diese

(585 f.) normstrukturell weiterentwickelt hatte (dazu weitere Ausführungen unter 2. Teil B. III 2. a) aa)). Allerdings lässt sich zumindest die Terminologie originär Bachof zuschreiben. So spricht Flume, FS Smend, 59 (97 ff.) von „Urteils-“ und „Handlungsermessen“ und Reuss, DVBl. 1953, 585 (585 f.) unterscheidet zwischen „kognitivem“ und „volitivem“ Ermessen. 531  Bachof, JZ 1955, 97 (98). 532  Bachof, JZ 1955, 97 (98). 533  Bachof, JZ 1955, 97 (100, 102). 534  In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es bereits in der spätkonstitutionellen Ermessenslehre zu einer zunehmenden Beschränkung des Ermessens auf das Rechtsfolgeermessen kam (vgl. dazu oben 2. Teil A. III. 1.). Es wird insofern eine bereits andauernde Entwicklung nur konsequent fortgesetzt. 535  Zur weiterhin bestehenden begrifflichen Ambivalenz der Rechtsprechung unten 2. Teil B. IV. 1. a. E. 536  Ule, GS W. Jellinek, 309 (326). 537  Jesch, AöR 82 (1957), 163 (211 ff.).



B. Spielräume in der herrschenden Verwaltungsrechtsdogmatik 119

Bindung der Verwaltung im Ausgangspunkt strikt zu verstehen sei.538 In diesem vollständig rechtlich gebundenen Bereich gäbe es keinen Spielraum, sondern die zu treffende Entscheidung sei im Einzelfall vollständig rechtlich determiniert.539 Die insofern im Gesetz bereits vorhandene Wertung müsse nur durch Auslegung ermittelt werden. Mit der strikten Gesetzesbindung, gehe auch eine vollständige gerichtliche Überprüfbarkeit der Verwaltungsentscheidung einher.540 Im Gegensatz dazu wird von einer „gelockerten“ Gesetzesbindung gesprochen, wenn der Verwaltung ein Spielraum zukomme, der nicht vollständig rechtlich determiniert sei, d. h. entweder ein Beurteilungsspielraum oder Ermessen bestehe.541 Innerhalb der Grenzen des Spielraums könne die Verwaltungsbehörde auch außerrechtliche Zweckmäßigkeitserwägungen berücksichtigen.542 Der gelockerten Gesetzesbindung entspräche eine gelockerte gerichtliche Kontrolle der Verwaltungsentscheidung, da die Verwaltungsgerichte auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit beschränkt seien.543

II. Ermessen der Verwaltung Als Ermessen wird von der herrschenden Dogmatik die normstrukturell auf Rechtsfolgenseite verortete, gesetzlich eingeräumte Wahlfreiheit zwischen mehreren möglichen Handlungsalternativen verstanden.544 Im allgemeinen Verwaltungsrecht findet sich keine Norm, die das Ermessen ausdrücklich regelt. Als gesetzliche Anknüpfungspunkte lassen sich jedoch § 40 VwVfG und § 114 VwGO heranziehen, die die Grenzen bzw. die Kontrolle des Ermessens regeln und insofern das Bestehen von Ermessen voraussetzen.

538  Aschke in: BeckOK, VwVfG, §  40 Rn. 4; Detterbeck, Verwaltungsrecht, Rn. 305; Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 1 Rn. 26 und § 7 Rn. 6; Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 12, 147. Dabei dürfte es sich regelmäßig um eine bewusste Fiktion handeln, da den Autoren die rechtstheoretische Problematik der Annahme einer strikten Gesetzesbindung wohl bekannt sein dürfte (dazu unten 2. Teil C. I. 1.). 539  Bull/Mehde, Verwaltungsrecht, Rn.  569 ff. 540  Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 4 f. 541  Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 6. 542  Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 13. 543  Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 6. 544  BVerwG, NVwZ 2014, 1034 (Rn. 8); Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 7.

120

2. Teil: Spielräume der Verwaltung

1. Bedeutung der Ermessenseinräumung Im Wesentlichen545 werden der Ermessenseinräumung zwei Funktionen zugeschrieben. Erstens diene das Ermessen der Einzelfallgerechtigkeit.546 Die Ermessenseinräumung ermögliche es der Behörde, neben den Gesetzeszwecken die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und erlaube so eine situationsadäquate und daher einzelfallgerechte Entscheidung.547 Zweitens schaffe die Einräumung von Ermessen ein gewisses Maß an Flexibilität, sodass die Verwaltung auch auf zukünftige Entwicklungen angemessen reagieren kann. Denn aufgrund der Vielfalt der Lebenssachverhalte sei es für den Gesetzgeber faktisch unmöglich, jede (möglicherweise auch erst zukünftige) Rechtsfrage bereits im Vorhinein angemessen zu regeln.548 2. Voraussetzungen der Ermessenseinräumung an die Verwaltung Ganz überwiegend wird davon ausgegangen, dass die Einräumung von Ermessen durch Auslegung der jeweils einschlägigen Norm zu bestimmen sei, da Ermessen durch den Gesetzgeber eingeräumt werden müsse.549 Teilweise finde sich ein ausdrücklicher Hinweis auf eingeräumtes Ermessen im Normtext. In der Regel erfolge die Einräumung jedoch durch Verwendung von Signalwörtern wie „kann“, „darf“, „ist befugt“, etc. oder die schlichte Angabe mehrerer möglicher Rechtsfolgen.550 Die Verwendung der Wörter „muss“, „ist zu“, „darf nicht“, etc. deute hingegen auf eine gebundene Entscheidung hin.551 In letzter Konsequenz wird in Zweifelsfällen auf eine systematische und teleologische Auslegung abgestellt.552 Einen Sonderfall stellen die Soll-Vorschriften dar. Durch die Verwendung des Wortes „soll“ signalisiere der Gesetzgeber, dass die Behörde, wenn die Voraussetzungen vorliegen, in der Regel verpflichtet sei, tätig zu werden, 545  Zu

weiteren Funktionen Bullinger JZ 1984, 1001 (1007 ff.). Verwaltungsrecht, Rn. 598; Schoch, Jura 2004, 462 (463). 547  BVerwG, NVwZ 2014, 1034 (Rn. 8). 548  Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/ders., Verwaltungsrecht, § 31 Rn. 38. 549  BVerwGE 157, 356 (Rn. 19); Aschke, in: BeckOK, VwVfG, § 40 Rn. 34; Bull/ Mehde, Verwaltungsrecht, Rn. 595; Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 9; ausführlicher zu diesem als normative Ermächtigungslehre bezeichneten Ansatz unter 2. Teil B. III. 2. b). 550  Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 9. 551  Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 10. 552  Vgl. Ruthig, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 114 Rn. 1a. Beispielsweise wird § 35 Abs. 2 BauGB entgegen dem Wortlaut als gebundene Vorschrift verstanden (­BVerwGE 18, 247 (250 f.)). 546  Bull/Mehde,



B. Spielräume in der herrschenden Verwaltungsrechtsdogmatik 121

aber in atypischen Fällen davon absehen könne.553 Ausgehend von den SollVorschriften hat die Rechtsprechung die Figur des intendierten Ermessens entwickelt.554 Intendiertes Ermessen liege vor, wenn sich aus dem Gesetz ergebe, dass die Ermessensbetätigung in eine bestimmte Richtung gewünscht sei und von diesem gewünschten Ergebnis nur im Ausnahmefall abgewichen werden dürfe. In der Literatur wird die Figur des intendierten Ermessens teilweise kritisch gesehen. So werde die für das Ermessen charakteristische Einzelfallabwägung ohne gesetzlichen Anknüpfungspunkt beseitigt und eine klare Abgrenzung unnötig erschwert, da die Grenze zur Sollvorschrift verwischt werde.555 3. Rechtliche Bindungen als Grenze des Ermessens Auch wenn es sich beim Ermessen um einen Spielraum der Verwaltung handelt, der gerichtlich nicht vollständig überprüft werden darf,556 wird einhellig betont, dass die Verwaltung auch bei der Ausfüllung des Spielraums rechtlich gebunden sei.557 a) Ermessensfehler als Verletzung der rechtlichen Bindungen Die angenommenen rechtlichen Bindungen werden überwiegend nicht umfassend positiv bestimmt, sondern lediglich als Ermessensfehler aus der gerichtlichen Kontrollperspektive betrachtet. Ermessensfehler werden als Verletzung der rechtlichen Bindungen definiert. Rechtliche Bindungen und Ermessensfehler sind aus der Perspektive der herrschenden Verwaltungsrechtslehre zwei Seiten derselben Medaille. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit sei zur vollständigen Rechtskontrolle berechtigt, aber auch darauf beschränkt. Eine Kontrolle der Zweckmäßigkeit der Entscheidung finde dabei nicht statt. 553  BVerwGE 64, 318 (323); 90, 88 (93); Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 26. Praktisch bedeutsam sind die Soll-Vorschriften, da sie eine Erleichterung der Begründungslast für die Verwaltung bewirken. Sofern kein atypischer Fall vorliegt, bedarf es nach der Rechtsprechung auf materieller Ebene keiner spezifischen Ermessensabwägungen und daher auf formaler Ebene keiner spezifischen Begründung (BVerwGE 49, 16 (23)). 554  BVerwGE 72, 1 (6 f.); 105, 55 (57 f.). 555  So Bull/Mehde, Verwaltungsrecht, Rn. 611 und Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 12. 556  Zum Kontrollmaßstab aus der Perspektive der Rechtsprechung bereits ­BVerwGE 22, 215 (218) und aus neuerer Zeit BVerwGE 158, 217 (Rn. 15 ff.). 557  Statt aller Aschke, in: BeckOK, VwVfG, § 40 Rn. 5; Bull/Mehde, Verwaltungsrecht, Rn.  601 f.; Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/ders., Verwaltungsrecht, § 31 Rn. 49; Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 53.

122

2. Teil: Spielräume der Verwaltung

Danach entspricht der Umfang der gerichtlichen Kontrolle genau den ermittelten rechtlichen Bindungen und eine Lockerung der rechtlichen Bindung bewirkt sodann auch automatisch eine Lockerung der gerichtlichen Kontrolle.558 Die möglichen Ermessensfehler werden üblicherweise in Kategorien eingeteilt. Wohl überwiegend559 wird zwischen Ermessensnichtgebrauch (oder Ermessensunterschreitung), Ermessensfehlgebrauch (oder Ermessensmissbrauch) und Ermessensüberschreitung unterschieden.560 Ein Ermessensnichtgebrauch liege immer dann vor, wenn die Behörde trotz eingeräumten Ermessensspielraums keine Ermessenserwägungen anstelle. Dies komme insbesondere dann vor, wenn sie aus Nachlässigkeit gar keine rechtliche Prüfung anstelle oder sich irrtümlich für gebunden halte.561 Ein Ermessensfehlgebrauch liege vor, wenn die Behörde ihr Ermessen nicht ausschließlich dem Zweck des Gesetzes entsprechend ausübe.562 Dies sei dann der Fall, wenn die Behörde die nach dem Zweck des Gesetzes maßgeblichen Gesichtspunkte nicht bzw. nicht ausreichend beachtet habe ­ (= Ermessensdefizit)563 oder sich von sachwidrigen Erwägungen leiten lasse.564 Welche Erwägungen insofern berücksichtigt werden dürfen bzw. müssen, werde durch Auslegung der konkret einschlägigen Norm bestimmt.565 558  So die Ausführungen von Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 4 ff. zum Verhältnis von Gesetzesbindung und gerichtlicher Kontrolle. 559  Beispielsweise bei Bull/Mehde, Verwaltungsrecht, Rn. 605; Detterbeck, Verwaltungsrecht, Rn.  328 ff.; Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/ders., Verwaltungsrecht, § 31 Rn. 57 ff.; Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 19 ff.; Ruthig, in: Kopp/ Schenke, VwGO, § 114 Rn. 7 ff. 560  Daneben findet sich jedoch eine Vielzahl weiterer Kategorisierungen und auch die Zuordnung der einzelnen Fehler zu den Kategorien wird unterschiedlich vorgenommen. Allerdings ohne dass sich im Ergebnis wesentliche Abweichungen ergeben, sodass auf eine differenziertere Darstellung verzichtet werden kann. Für eine weitergehende Systematisierung der unterschiedlichen Ansätze sowie einen innovativen eigenen Ansatz vgl. Alexy, JZ 1986, 701 (701 ff., 705 ff.). 561  Bull/Mehde, Verwaltungsrecht, Rn. 608. 562  Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 22; Ruthig, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 114 Rn. 8. 563  Decker, in: BeckOK, VwGO, § 114 Rn. 24 f. 564  Bull/Mehde, Verwaltungsrecht, Rn. 607; ähnlich auch Detterbeck, Verwaltungsrecht, Rn.  330 ff. 565  Bull/Mehde, Verwaltungsrecht, Rn. 607; Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/ders., Verwaltungsrecht, § 31 Rn. 62a ff.; Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 22 führen beispielsweise aus, dass die Berücksichtigung fiskalischer Gesichtspunkte je nach einschlägigem Rechtsgebiet zulässig oder unzulässig sein kann; Ruthig, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 114 Rn. 9 betonen, dass bei der Ermittlung des Zwecks die gesamte Rechtsordnung berücksichtigt werden muss.



B. Spielräume in der herrschenden Verwaltungsrechtsdogmatik 123

Grundlage für eine ausreichende Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte ist die vollständige und richtige Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts, sodass ein unvollständiger oder unrichtig ermittelter Sachverhalt regelmäßig bereits einen Ermessensfehlgebrauch begründet.566 Bemerkenswert an dieser Fallgruppe ist, dass es sich um eine inhalt­ liche Überprüfung der Ermessenserwägungen handelt, da die „materiellen Überlegungen“ bzw. die „Motivation“567 der Behörde anhand des Gesetzeszwecks kontrolliert werden.568 Eine Ermessensüberschreitung soll vorliegen, wenn die Behörde eine nicht mehr von der Ermessenseinräumung gedeckte Rechtsfolge wähle,569 d. h. den „äußere[n] Rahmen des Ermessens“570 überschreite. Dies liege insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Wortlaut der Norm verlässt (z. B. die Festsetzung einer Geldbuße in Höhe von 60 €, anstelle der gesetzlich vorgesehenen 20–50 €).571 In diese Kategorie werden teilweise auch Verstöße gegen Verfassungsrecht (insbesondere den Gleichheitssatz oder das Verhältnismäßigkeitsprinzip) eingeordnet, da die Behörde auch in diesen Fällen den von der Rechtsordnung gezogenen Rahmen überschreite.572 b) Ermessensreduzierung auf Null Als Sonderfall der rechtlichen Grenzen (oder als eigenständige Kategorie) wird angenommen, dass sich die beim Ermessen prinzipiell bestehende Wahlmöglichkeit im Einzelfall auch auf eine einzige rechtlich zulässige Handlungsmöglichkeit reduzieren könne.573 Eine solche Konstellation wird als Ermessensreduzierung (bzw. Ermessensschrumpfung) auf Null bezeichnet. Dies sei dann der Fall, wenn nur noch eine einzige Entscheidung ermes566  OVG Lüneburg, KommJur 2015, 222 (224); Bader, JuS 2006, 199 (200); Riese in: Schoch/Schneider, VwGO, § 114 Rn. 54. 567  Beide Zitate finden sich bei Bull/Mehde, Verwaltungsrecht, Rn.  606 f. 568  Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/ders., Verwaltungsrecht, § 31 Rn. 61 spricht von „rechtlich gezogenen inneren Schranken“. 569  Bull/Mehde, Verwaltungsrecht, Rn. 606. 570  Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/ders., Verwaltungsrecht, § 31 Rn. 57. 571  Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 20. 572  So Bull/Mehde, Verwaltungsrecht, Rn. 606 und Ruthig, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 114 Rn. 7; Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/ders., Verwaltungsrecht, § 31 Rn. 61 ordnet solche Verstöße als Ermessensfehlgebrauch ein; Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 23 und Detterbeck, Verwaltungsrecht, Rn. 334 f. behandeln solche Verstöße als Sonderkategorie, die aber auch der Ermessensüberschreitung oder dem Ermessensfehlgebrauch zugerechnet werden können. 573  Ständige Rechtsprechung seit BVerwGE 11, 95 (97); 69, 90 (94); 78, 40 (46); 122, 103 (108); Aschke, in: BeckOK, VwVfG, § 40 Rn. 72; Sachs, in: Stelkens/Bonk/ ders., VwVfG, § 40 Rn. 102a.

124

2. Teil: Spielräume der Verwaltung

sensfehlerfrei erfolgen könne, da alle anderen Entscheidungen ermessensfehlerhaft wären.574 In der Regel wird eine solche Ermessensreduzierung in verfassungsrechtlich geprägten Konstellationen angenommen.575 Beispielsweise die Berücksichtigung von Grundrechten und weiteren Verfassungsprinzipien könne im konkreten Einzelfall eine Ermessensreduzierung auf Null bewirken.576 In der Praxis ergibt sich eine Ermessensreduzierung auf Null häufig aus dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung.577 Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebiete es der Verwaltung, wesentlich gleiche Sachverhalte gleich zu behandeln.578 Deshalb müsse sie auch ihr Ermessen in vergleichbaren Fällen gleich ausüben und sei insofern an eine bestehende Verwaltungspraxis gebunden.579 Von einer bestehenden Verwaltungspraxis abweichen kann die Verwaltung nur in atypischen Konstellationen, die von der Selbstbindung bereits nicht erfasst werden,580 oder mit sachlichem Grund und unter genereller Abänderung der Praxis für die Zukunft.581 Eine solche Selbstbindung, die zu einer Ermessensreduktion auf Null führt, kann sich insbesondere auch aus dem Erlass ermessenslenkender Verwaltungsvorschriften ergeben.582 4. Ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften Der angesprochene Erlass von ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften durch die Verwaltung hat eine hohe praktische Bedeutung. Die Rechtsnatur der Verwaltungsvorschriften ist höchst umstritten.583 Im Kern geht es um die Frage, ob sich eine rechtliche Bindung im Außenverhältnis unmittelbar in: Wolff/Bachof/Stober/ders., Verwaltungsrecht, § 31 Rn. 67. in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, 12. Aufl., § 10 Rn. 19, der begrifflich, aber nicht in der Sache zwischen Ermessensreduzierung und Selbstbindung der Verwaltung unterscheidet. 576  Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 25. 577  BVerwGE 34, 278 (280); 35, 159 (161); 104, 220 (223); Aschke, in: BeckOK, VwVfG, § 40 Rn. 74; Kluth in: Wolff/Bachof/Stober/ders., Verwaltungsrecht, § 31 Rn.  67; a. A. Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 125, der davon ausgeht, die prinzipielle Änderungsmöglichkeit stehe einer „Ermessensschrumpfung“ entgegen. 578  Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 104. 579  Aschke, in: BeckOK, VwVfG, § 40 Rn. 64 f. 580  Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 122a. 581  Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 123 f. 582  Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 106. 583  Ein Überblick über die Diskussion findet sich bei Sauerland, Verwaltungsvorschrift, S. 191 ff. und Saurer, VerwArch 97 (2006), 249 ff. 574  Kluth,

575  Ossenbühl,



B. Spielräume in der herrschenden Verwaltungsrechtsdogmatik 125

aus der Verwaltungsvorschrift selbst584 oder lediglich mittelbar über den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und aus der daraus abgeleiteten (gegebenenfalls auch antizipierten) Verwaltungspraxis585 ergibt. Allerdings gehen Vertreter beider Positionen ganz überwiegend586 davon aus, dass sich unabhängig von der Konstruktion im Ergebnis eine rechtliche Bindung der Verwaltung ergebe, diese aber aus sachlichen Gründen und generell für die Zukunft abweichen dürfe.587 Allgemein anerkannt ist auch, dass die durch den Erlass der Verwaltungsvorschriften bewirkte typisierte Ausübung des Ermessens zulässig bzw. zur Wahrung des Gleichheitssatzes sogar in gewisser Weise geboten sei.588 Das darin liegende Spannungsverhältnis zur angestrebten Einzelfallgerechtigkeit bei der Ermessensausübung wird dadurch gelöst, dass die Bindungswirkung nur für gleichgelagerte Fälle gelten soll.589 In atypischen Fällen hingegen dürfe und unter Umständen müsse die Verwaltung eine abweichende Entscheidung treffen.590 Eine Bindungswirkung käme einer Verwaltungsvorschrift im Übrigen auch dann nicht zu, wenn sie gegen ein Gesetz verstoße.591 Insbesondere sei bei der generalisierten Ausübung der Ermessensrahmen zu beachten, d. h. der Erlass der Verwaltungsvorschriften dürfe ihrerseits nicht ermessensfehlerhaft erfolgen.592 Damit ist die heute übliche dogmatische Behandlung des Ermessens auf Rechtsfolgenseite im Wesentlichen umrissen. Auf der Tatbestandsseite finden sich mit dem unbestimmten Rechtsbegriff und dem Beurteilungsspielraum 584  So beispielsweise Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 35. EL September 2018, § 114 Rn. 56; Sauerland, Verwaltungsvorschrift, S.  360 f. 585  So die h. M. in Rechtsprechung BVerwGE 34, 278 (280); 100, 335 (339 f.); 141, 151 (Rn. 13 ff.) und Literatur Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 20 Rn. 26 ff.; Kluckert, JuS 2019, 536 (536  f.); Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 106 und U. Stelkens, VVDStRL 71 (2012), 369 (403 ff.) m. w. N. für beide Posi­ tionen. Kritisch gegenüber der herrschenden Lehre und mit dem Versuch einer Neubestimmung Wahl, FG 50. BVerwG, 571 (585 ff.). 586  Von überwiegender Einigkeit in dieser Hinsicht geht auch U. Stelkens, VVDStRL 71 (2012), 369 (402) aus. 587  BVerwGE 104, 220 (223  f.); 126, 33 (47); Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 124; so beispielsweise auch Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 35. EL September 2018, § 114 Rn. 56 obwohl er eine unmittelbare Bindungswirkung annimmt. 588  BVerwGE 31, 212 (212); 34, 278 (280); Riese, in Schoch/Schneider, VwGO, § 114 Rn. 74; U. Stelkens, VVDStRL 71 (2012), 369 (406). 589  BVerwGE 70, 127 (142); Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 122a. 590  BVerwGE 70, 127 (142); BVerwG, DÖV 1979, 793 (793); BVerwG, DÖV 1985, 682 (682); Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 20 Rn. 29; Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 122a. 591  Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 20 Rn. 48; Sachs, in: Stelkens/Bonk/ ders., VwVfG, § 40 Rn. 117 f. 592  Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 108.

126

2. Teil: Spielräume der Verwaltung

zwei weitere Grundkategorien der herrschenden Dogmatik, die sogleich dargestellt werden.

III. Unbestimmte Rechtsbegriffe und Beurteilungsspielräume 1. Unbestimmte Rechtsbegriffe Unbestimmte Rechtsbegriffe finden sich bei den gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen. Die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale werden durch Begriffe definiert, die sich auf einem Spektrum ganz unterschiedlicher inhaltlicher Bestimmtheit befinden. Es liegt auf der Hand, dass jeder Begriff ein gewisses Maß an Unbestimmtheit in sich trägt, da „die sprachliche Abbildung der Gedanken stets unvollkommen“ bleibt.593 Dennoch wird ganz überwiegend aus heuristischen Gründen eine Einteilung in bestimmte und unbestimmte Rechtsbegriffe vorgenommen. Zunächst werden besonders eindeutige Tatbestandsmerkmale wie Datumsoder Ortsangaben oder auch eindeutige Begriffe, die gesetzlich besonders definiert werden, wie Sache, Eigentum, Gewerbe, etc. angeführt.594 Andere Begriffe seien zwar nicht aus sich selbst heraus, aber im konkreten Einzelfall eindeutig bestimmt (z. B. „Einbruch der Dämmerung“).595 Auf der anderen Seite des Spektrums werden die besonders vagen, unscharfen und deshalb auslegungsbedürftigen Tatbestandsmerkmale, die unbestimmten Rechtsbegriffe, verortet.596 Als klassische Beispiele für diese Kategorie werden genannt: öffentliches Interesse, Gemeinwohl, wichtiger Grund, Zuverlässigkeit, Eignung, etc.597 Manche Autoren teilen die unbestimmten Rechtsbegriffe noch weiter nach verschiedenen Arten auf.598 Eine wesentliche Reduktion des Problems der Auslegungsbedürftigkeit ist damit allerdings nicht verbunden.599

593  Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, 12. Aufl., § 10 Rn. 23. Der Ausdruck unbestimmter Rechtsbegriff wird deshalb teilweise für irreführend gehalten (vgl. Jestaedt, in: Ehlers/Pünder, Verwaltungsrecht, § 11 Rn. 28). 594  Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 27. 595  Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 27. 596  Aschke, in: BeckOK, VwVfG, § 40 Rn. 22; Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 28. 597  Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 28. 598  Vgl. beispielsweise die Einordnung bei Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/ders., Verwaltungsrecht, § 31 Rn. 9 ff. 599  Bull/Mehde, Verwaltungsrecht, Rn. 571.



B. Spielräume in der herrschenden Verwaltungsrechtsdogmatik 127

Die abstrakte Auslegung und konkrete Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe bereitet den Rechtsanwendern erhebliche praktische Schwierigkeiten. Es gibt zwar auch Sachverhalte, die konsensfähig und relativ eindeutig ein Tatbestandsmerkmal erfüllen bzw. nicht erfüllen. Problematisch sind hingegen die Konstellationen, in denen eine eindeutige Antwort nicht möglich ist. Ausgehend von dieser Problematik wird die Diskussion um Beurteilungsspielräume auf Tatbestandsebene geführt. 2. Begründungsansätze für die Annahme eines Beurteilungsspielraums Die Annahme, dass bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe auf den Einzelfall ein Beurteilungsspielraum der Verwaltung bestehen könne, ist in Lehre und Rechtsprechung nahezu einhellig anerkannt. Der überwiegend vertretene Begründungsansatz beruht auf der normativen Ermächtigungslehre und wird teilweise um funktionell-rechtliche Erwägungen ergänzt. Bevor jedoch die modernen Begründungsansätze dargestellt werden, wird kurz auf zwei wichtige Vorläufer, die Lehre vom Beurteilungsspielraum und die Vertretbarkeitslehre, eingegangen. a) Ausgangspunkt: Lehre vom Beurteilungsspielraum und Vertretbarkeitslehre aa) Lehre vom Beurteilungsspielraum Die von Bachof begründete Lehre vom Beurteilungsspielraum gilt heut­ zutage als erster Ansatz dessen Ausgangspunkt die heute gängige Unter­ scheidung zwischen Beurteilungsspielraum und Ermessen ist.600 Allerdings knüpft Bachof in der Sache wesentlich an eine zunächst von Flume entwickelte rechtstheoretische Unterscheidung an.601 Flume unterscheidet zwischen Sach­ entscheidungs- und Handlungsnormen.602 Bei Entscheidungen aufgrund von Sachentscheidungsnormen gehe es allein darum, im Einzelfall festzustellen, was die Sachentscheidungsnorm bereits inhaltlich entschieden habe, eine echte Wahlfreiheit besteht insofern nicht.603 Handlungsnormen können hingegen nur die Grenzen des Handelns festlegen, innerhalb dieser 600  So z. B. bei Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, 12. Aufl., § 10 Rn. 10 Fn. 11 oder in BVerwGE 8, 192 (195); 72, 38 (53); Pache, Abwägung, S. 57 nennt zumindest noch Reuss als Vorgänger. 601  Auch Ehmke, Ermessen, S. 35 ff. identifiziert Flume noch als Urheber der ursprünglichen Unterscheidung. 602  Flume, FS Smend, 59 (85). 603  Flume, FS Smend, 59 (86, 97 ff.).

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2. Teil: Spielräume der Verwaltung

Grenzen sind mehrere gleichermaßen rechtmäßige Alternativen denkbar.604 Diese grundlegende Unterscheidung überträgt Reuss auf die normstrukturelle Ebene und unterscheidet zwischen dem „volitiven“ und dem „kognitiven“ Ermessen.605 Das „kognitive“ Ermessen beziehe sich auf einen behördlichen Erkenntnisakt und sei insofern kein echtes Ermessen, da im Bereich reiner Erkenntnisfragen insbesondere bei der Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe keine Wahlfreiheit der Verwaltung bestehe, sondern nur eine Antwort richtig sein könne.606 Dagegen bezeichnet das „volitive“ Ermessen als eigentliche Erscheinungsform des Ermessens, die der Behörde eingeräumte Befugnis zwischen mehreren Verhaltensalternativen frei zu wählen.607 Daran anknüpfend geht Bachof davon aus, dass es sich bei der Auslegung des Tatbestands um einen Erkenntnis- und bei der Wahl der Rechtsfolge, um einen Willensakt handele. Dieser rechtstheoretische Unterschied sollte sich dann auch bei der dogmatischen Behandlung und Benennung der jeweiligen Verwaltungsspielräume widerspiegeln.608 Bachof unterscheidet bei der Ermittlung von möglichen Verwaltungsspielräumen im Bereich unbestimmter Rechtsbegriffe zwischen drei Stufen der Rechtsanwendung. Keinen Spielraum gäbe es auf der Ebene der abstrakten Auslegung, da die Ermittlung des eindeutigen Sinngehalts eines Rechtsbegriffs mit den Methoden juristischer Interpretation möglich sei,609 sowie auf der Ebene der Sachverhaltsermittlung, da diese aus Gründen des Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) vollständig nachgeprüft werden müsse.610 Die Möglichkeit eines Spielraums sei nur auf der Ebene der Subsumtion vorstellbar.611 Wenn der Gesetzgeber einen unbestimmten Rechtsbegriff verwende, bei dem sich im Rahmen der Subsumtion zeige, dass sich keine eindeutig richtige Lösung ermitteln ließe, sei davon auszugehen, dass er der Verwaltung einen Beurteilungsspielraum einräumen möchte.612 Für eine weitere Differenzierung unterscheidet er wie damals verbreitet zwischen Wert- und Erfahrungsbegriffen. Bei den „auf subjektiven Wertvorstellungen gegründeten“ Wertbegriffen könne man innerhalb bestimmter Grenzen nur von „möglichen Ansichten“ sprechen, sodass bei Wertbegriffen FS Smend, 59 (85 f., 97 f.). DVBl. 1953, 585 (585 f.). 606  Reuss, DVBl. 1953, 585 (585 f.). 607  Reuss, DVBl. 1953, 585 (585). 608  Bachof, JZ 1955, 97 (98); zur Terminologie bereits: 2. Teil B. I. 1. 609  Bachof, JZ 1955, 97 (98 f.). 610  Bachof, JZ 1955, 97 (99). 611  Bachof, JZ 1955, 97 (99). 612  Bachof, JZ 1955, 97 (99 f.). 604  Flume, 605  Reuss,



B. Spielräume in der herrschenden Verwaltungsrechtsdogmatik 129

immer ein gewisser Beurteilungsspielraum bestehe.613 Bei der Subsumtion unter Erfahrungsbegriffe sei zwar theoretisch nur eine einzige Lösung als richtig anzusehen, aber „in der Praxis“ ließe sich diese „oft nicht einwandfrei ermitteln“.614 Deshalb müsse bei Erfahrungsbegriffen im Einzelfall entschieden werden, ob der Gesetzgeber der Verwaltung einen Beurteilungsspielraum zugestehen möchte. Kriterien seien die fehlende Möglichkeit eindeutiger Beurteilung sowie der Grad der Verantwortung der Behörde für die Entscheidung.615 Zusammengefasst soll also bei Wertbegriffen immer und bei Erfahrungsbegriffe nur teilweise ein Beurteilungsspielraum bestehen. bb) Vertretbarkeitslehre Etwa zeitgleich mit Bachof entwickelte Ule in der Gedächtnisschrift für W. Jellinek einen als Vertretbarkeitslehre616 bezeichneten Ansatz, für dessen Ausgangspunkt er auf die von W. Jellinek zur Beschreibung von unbestimmten Rechtsbegriffen entwickelten drei Sphären zurückgreift.617 Im Ausgangspunkt sei die Verwaltung zwischen „den extremen Fällen der ‚absoluten‘ “ Bindung der Verwaltung an das Gesetz durch bestimmte Begriffe und ihrer „ ‚absoluten‘ “ Freiheit durch die gesetzliche Ermächtigung zu eigener Entscheidung (Ermessen)“618 im Fall des unbestimmten Rechtsbegriffs „ ‚relativ‘ gebunden und ‚relativ‘ frei“619. Die Bedeutung von relativer Freiheit und relativer Bindung ergibt sich für Ule aus einer sprachlich-semantischen Perspektive.620 Er unterscheidet zwischen faktischen bzw. deskriptiven und normativen unbestimmten Rechtsbegriffen. Für die faktischen oder deskriptiven unbestimmten Rechtsbegriffe geht er von der vollständigen Bindung aus, da sie ohne Werturteil ausgelegt und angewendet werden können.621 Auch bei der Anwendung unbestimmter normativer Rechtsbegriffe sei die Verwaltung im Ausgangspunkt an die gesellschaftlichen, kulturellen oder wirtschaftlichen Wertmaßstäbe gebunden. Trotzdem enthielten die erforderlichen Bewertungen und Beurteilungen da­

JZ 1955, 97 (99). JZ 1955, 97 (100). 615  Bachof, JZ 1955, 97 (100). 616  Ule, GS W. Jellinek, 309 (309 ff.). 617  Ule, GS W. Jellinek, 309 (309 f.). 618  Ule, GS W. Jellinek, 309 (315). 619  Ule, GS W. Jellinek, 309 (315); vgl. die ähnliche Einteilung aus heutiger Zeit bei Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/ders., Verwaltungsrecht, § 31 Rn. 1. 620  Ule, GS W. Jellinek, 309 (316 ff.). 621  Ule, GS W. Jellinek, 309 (318). 613  Bachof, 614  Bachof,

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2. Teil: Spielräume der Verwaltung

rüber hinaus auch ein gewisses subjektives Element.622 Deshalb seien in Zweifelsfällen unterschiedliche Ergebnisse vertretbar.623 Wegen der typischerweise vorhandenen besonderen Sachkunde der Verwaltung und der gebotenen Zurückhaltung der Gerichte, sei die Verwaltung „frei“ eine dieser vertretbaren Lösungen zu wählen.624 Die Kontrolle der Gerichte sei sodann auf die Einhaltung der Grenzen der Vertretbarkeit beschränkt.625 Insofern geht er ähnlich wie Bachof davon aus, dass die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe in bestimmten Konstellationen nur eingeschränkt und in anderen Konstellationen vollständig gerichtlich überprüfbar sei. Tendenziell dürfte allerdings die Anzahl der nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriffe bei Ule im Ergebnis deutlich größer sein. cc) Fortentwicklung durch normative Ermächtigungslehre Sowohl Bachof als auch Ule begründen den von ihnen angenommenen Spielraum der Verwaltung bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Kern mit der Annahme, dass es in bestimmten Zweifelsfällen theoretisch oder zumindest praktisch unmöglich sei, eine richtige Lösung intersubjektiv vermittelbar zu finden und insofern mehrere Lösungsmöglichkeiten „richtig“ seien. Im Unterschied zu Ule versteht Bachof die Frage zum Teil bereits normativ dahingehend, ob nach der Wertung des Gesetzes mehr als eine Lösungsmöglichkeit rechtlich richtig sein soll. Zur Beantwortung dieser Frage stellt er allerdings sodann wieder entscheidend auf die faktische Möglichkeit oder Unmöglichkeit, eine eindeutig richtige Lösung zu ermitteln, ab. Insofern bleiben die Ausführungen Bachofs an dieser Stelle etwas ambivalent. Es lässt sich nicht eindeutig beurteilen, ob es nach seinem Ansatz bereits Fälle geben soll, in denen sich zwar eine eindeutig richtige Lösung faktisch nicht ermitteln lässt, aber dennoch ein Beurteilungsspielraum der Verwaltung aus normativen Gründen abgelehnt wird. In jedem Fall weist dieser Ansatz bereits hin zur heute wohl herrschenden normativen Ermächtigungslehre, die in gewisser Weise als Fortentwicklung der beiden Ansätze gelten kann. b) Heute überwiegend vertretener Ansatz: Normative Ermächtigungslehre Den programmatischen Ausgangspunkt der normativen Ermächtigungslehre formuliert Schmidt-Aßmann wie folgt:

GS GS 624  Ule, GS 625  Ule, GS 622  Ule, 623  Ule,

W. Jellinek, W. Jellinek, W. Jellinek, W. Jellinek,

309 309 309 309

(323 f.). (325). (326 f.). (326).



B. Spielräume in der herrschenden Verwaltungsrechtsdogmatik 131 „Die Grenzziehung zwischen ‚Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit‘ ist nicht in einer diffusen Abwägung zwischen möglichst umfassendem Schutz individueller Interessen und administrativer Eigenständigkeit, sondern im Gesetz und den dazu entwickelten Dogmen zu suchen.“626

Die in der Rechtsprechung627 und in weiten Teilen der Literatur628 vertretene normative Ermächtigungslehre geht im Grundsatz von der vollständigen Überprüfbarkeit der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe aus. Durchbrechungen von diesem Grundsatz sollen jedoch immer dann möglich sein, wenn der Gesetzgeber die Verwaltung nach materiellen Recht normativ dazu ermächtigt, eine letztverbindliche Entscheidung über das Vorliegen eines unbestimmten Tatbestandsmerkmals zu treffen. aa) Begründungsansätze für die vollständige Überprüfbarkeit unbestimmter Rechtsbegriffe Die Rechtfertigung der vollständigen rechtlichen Überprüfbarkeit unbestimmter Rechtsbegriffe wird teilweise noch normtheoretische, aber heutzutage überwiegend verfassungsrechtlich begründet.629 (1) Normtheoretischer Begründungsansatz Der ältere normtheoretische Begründungsansatz, der kritisch als „Gesetzesanwendungs-Doktrin“630 oder sogar als „die fromme Lebenslüge der Verwaltungsgerichtsbarkeit“631 bezeichnet wurde, stellt auf das Prinzip der einzig richtigen, sich aus dem Gesetz ergebenden Entscheidung632 ab. Bei der Anwendung und Auslegung von Rechtsbegriffen handele es sich um einen Erkenntnisvorgang. Deshalb kann es im konkreten Fall nicht zwei gleiin: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 180. in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 61, 82 (111); 103, 142 (156 f.); 129, 1 (21 ff.) als auch in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts BVerwGE 94, 307 (309 f.); 100, 221 (225 f.). 628  Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 158 ff.; Schenke, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19  Abs. 4 Rn. 530 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 116 ff.; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht, Bd. 4/2, 1867 (1968 ff.); Jestaedt, in: Ehlers/Pünder, Verwaltungsrecht, § 11 Rn. 39 ff. 629  Zu diesem Ergebnis kommt auch Brinktrine, Verwaltungsermessen, S. 29; lediglich den verfassungsrechtlichen Ansatz darstellend Pache, Abwägung, S.  70 ff. 630  So zunächst Ehmke, Ermessen, S. 47 ff.; Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, 12. Aufl., § 10 Rn. 27 f. mit weiteren Ausführungen zu diesem Ansatz. 631  H. Meyer, NVwZ 1986, 513 (521). 632  Für eine Zusammenfassung des Diskussionsstandes vgl. U. Stelkens, FS Herberger, 895 ff. sowie eine eigene kritische Auseinandersetzung mit diesem Ansatz findet sich unter 2. Teil C. I. 1. 626  Schmidt-Aßmann, 627  Sowohl

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2. Teil: Spielräume der Verwaltung

chermaßen, sondern nur eine einzige richtige Antwort geben.633 Dass es häufig äußerst schwierig bis unmöglich sei, die richtige Antwort konsensfähig zu ermitteln, ändere hieran nichts, sondern sei als besonderes Erkenntnisproblem zu verstehen.634 Wenn die Auslegung und Anwendung auch unbestimmter Rechtsbegriffe als prinzipiell eindeutig zu beantwortende Rechtsfrage verstanden werde, könne der Verwaltung grundsätzlich kein Spielraum für eine eigene Entscheidung zukommen. Die verwaltungsgerichtliche Kon­ trolle reiche so weit wie die rechtlichen Bindungen.635 (2) Verfassungsrechtlicher Begründungsansatz Der verfassungsrechtliche Begründungsansatz hat sich aus der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 19 Abs. 4 GG entwickelt. Dieser gebiete grundsätzlich die vollständige Nachprüfung eines Hoheitsaktes in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht durch ein Gericht.636 Diesen Ausgangspunkt hat Schmidt-Aßmann durch eine systematisch orientierte Auslegung des Grundgesetzes argumentativ untermauert: Die Bewältigung gewisser Elemente von Unbestimmtheit eines Gesetzestatbestandes ist nicht nur in administrativen Entscheidungstechniken, sondern auch in den Methoden richterlicher Rechtserkenntnis längst verarbeitet. Indem die Verfassung in Kenntnis der unterschiedlichen Konkretisierungsleistungen von Justiz und Verwaltung in Art. 20 Abs. 3 von einer gleichmäßigen Gesetzesbindung beider Gewalten ausgeht und in Art. 19 Abs. 4 an eben diese Rechtsbindung und Rechtserkenntnis anknüpft, zeigt sie, dass eine generelle Festschreibung des Rechtsschutzauftrages auf die Bereiche der Gesetzesbestimmtheit und umgekehrt seine Begrenzung in allen Fällen unbestimmter Gesetzesbegriffe nicht ihrer Vorstellung entspricht.637

Damit gelingt eine aus den Normen der Verfassung hergeleitete Begründung für den Grundsatz vollständiger gerichtlicher Kontrolle von Hoheits­ akten.638 Dass dieser Grundsatz jedoch nicht absolut gelten soll, zeigen die nachfolgenden Erwägungen. 633  Aus der älteren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts BVerwGE 16, 116 (129 f.); Vertreter aus heutiger Zeit sind beispielsweise Decker, in: Posser/Wolf, VwGO, § 114 Rn. 29; Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 29 und Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 147. 634  Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 29. 635  BVerwGE 16, 116 (129 f.); Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 29, 62; Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 147. 636  Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 15, 275 (282); 18, 203 (212); 31, 113 (117) und auch des Bundesverwaltungsgerichts ­BVerwGE 94, 307 (309 f.); 106, 263 (266 f.); 134, 108 (Rn. 11). 637  Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 183. 638  Im Ergebnis auch auf Art. 19 Abs. 4 GG abstellend Schenke, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 579 ff., der auf wesentliche Gegenargumente eingeht;



B. Spielräume in der herrschenden Verwaltungsrechtsdogmatik 133

bb) Beurteilungsspielraum durch normative Ermächtigung zur letztverbindlichen Entscheidung (1) Einbeziehung des Gesetzgebers zur Bestimmung der Kompetenzgrenze Aus Sicht der normativen Ermächtigungslehre ist die Bestimmung der Kompetenzgrenze zwischen Verwaltung und Rechtsprechung unter Einbeziehung des Gesetzgebers zu lösen. Dem Gesetzgeber komme die Kompetenz und die Aufgabe zu, das Letztentscheidungsrecht für gesetzlich nicht eindeutig fixierte Situationen entweder der Verwaltung oder den Verwaltungs­ gerichten zuzuweisen.639 Damit löst sich die normative Ermächtigungslehre von einer rein sprachlogischen bzw. normtheoretischen Begründung, da hiernach nicht allein das (vermeintliche) Vorhandensein einer gesetzlichen Unbestimmtheit zur Letztentscheidungskompetenz der Verwaltung führe.640 Der Unbestimmtheit komme lediglich ein heuristischer Wert zu. Die Annahme eines Beurteilungsspielraums sei wahrscheinlicher, wenn ein Regelungsbereich normativ wenig durchdrungen sei.641 Der Grundsatz vollständiger gerichtlicher Kontrolle finde dort seine Grenzen, wo sich aus dem Gesetz selbst ergebe, dass der Gesetzgeber der Verwaltung einen Spielraum einräumen wolle.642 Um diesen Aspekt zu betonen, wird teilweise anstelle von einem Beurteilungsspielraum auch von einer Beurteilungsermächtigung gesprochen.643

Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 116 ff. und Dietlein, in: Stern, Staatsrecht, Bd. 4/2, 1867 (1968 ff.). 639  Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 184 ff. 640  Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 184a. 641  Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 184. 642  Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 185 f.; so auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 61, 82 (111): „unbeschadet normativ eröffneter Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräume“; 142 (156 f.); 129, 1 (22) sowie bereits vorher die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts BVerwGE 62, 86 (98): „Ob der Gesetzgeber in einer Rechtsnorm für die Behörde eine Handlungsbindung bestimmt oder ihr einen Handlungsspielraum eingeräumt hat, kann immer nur aus dem Inhalt der betreffenden Rechtsnorm entnommen werden.“; 94, 307 (309 f.); 100, 221 (225 f.). 643  Beispielsweise Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 159.

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2. Teil: Spielräume der Verwaltung

(2) Kriterien zur Bestimmung einer normativen Ermächtigung im Einzelfall (a) Ausgangspunkt: Auslegung Die Einbeziehung des Gesetzgebers schafft jedoch neue Herausforderungen. So ist es eine zentrale Aufgabe für die normative Ermächtigungslehre, Kriterien zu entwickeln, anhand derer sich das Vorliegen einer normativen Ermächtigung durch Auslegung ermitteln lässt.644 Dabei wird von den Methoden normaler Gesetzesauslegung ausgegangen, die aber in besonderer Weise an systematischen Kriterien zu orientieren sei.645 Eine besonders prägnante Rolle hierbei kommt funktionell-rechtlichen Aspekten zu. (b) Besondere Berücksichtigung funktionell-rechtlicher Erwägungen Die Berücksichtigung funktionell-rechtlicher Erwägungen ist ein gewichtiges Kriterium im Rahmen der normativen Ermächtigungslehre.646 Sie sollen maßgeblich dazu beitragen, das Schweigen des historischen Gesetzgebers zu kompensieren. Denn die Auslegung des Gesetzes habe unter Berücksichtigung des gesamten Regelungskontextes, aber auch der verfassungsrecht­ lichen Aufgabenverteilung zu erfolgen.647 Solche ergänzenden Interpretations­ leistungen „orientieren sich ihrerseits an den Maßstäben, die dem Gesetzgeber aufgetragen sind, nämlich angesichts der Besonderheiten eines Sach­ bereichs die verfassungsrechtlich generell vorgesehene Funktionsordnung konkret zu verwirklichen.“648

644  Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 159; Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 187 umschreibt dies als Auslegungsaufgabe. 645  Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 187. 646  Schulze-Fielitz, JZ 1993, 772 (777 ff.); Wahl, NVwZ 1991, 409 (411 f.); funk­ tionell-rechtliche Aspekte ebenso maßgeblich berücksichtigend Gerhardt, in: Schoch/ Schneider/Bier, VwGO, 35. EL September 2018, § 114 Rn. 56, der von Sachgesetzlichkeiten spricht; gegen die Einbeziehung von Funktionsgrenzen der Rechtsprechung Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 114 Rn. 168; grundsätzlich kritisch gegenüber einem rein funktionell-rechtlichen Ansatz Jestaedt, in: Ehlers/Pünder, Verwaltungsrecht, § 11 Rn. 40, der aber sodann die Funktionsgrenzen als mögliches Indiz behandelt (Rn. 42). Bei einigen Autoren scheinen die funktionell-rechtlichen Erwägungen einen eigenständigen Ansatz darzustellen z. B. Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 34; ähnlich auch Decker, in: Posser/Wolf, VwGO, § 114 Rn. 35 und Kluth in: Wolff/Bachof/Stober/ders., Verwaltungsrecht, § 31 Rn. 21. 647  Wahl, NVwZ 1991, 409 (411 f.). 648  Wahl, NVwZ 1991, 409 (412).



B. Spielräume in der herrschenden Verwaltungsrechtsdogmatik 135

Die funktionell-rechtlichen Erwägungen zielen im Grundsatz darauf ab, die unterschiedliche faktische Leistungsfähigkeit von Verwaltung und Rechtsprechung bei der Rechtsanwendung zur Bestimmung einer funktionsgerechten, organadäquaten Zuordnung von Verwaltungs- und Rechtsprechungstätigkeit zu nutzen.649 Unter Berücksichtigung dieser Prämisse wird davon ausgegangen, dass die Zuordnung eines Beurteilungsspielraums zur Verwaltung dann zu erfolgen habe, wenn die Verwaltung unter Heranziehung aller in Betracht kommenden normativen Gesichtspunkte besser als die Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Wahrnehmung geeignet sei.650 Andere Vertreter formulieren abweichend, dass der Verwaltung ein Eigenbereich des Wirkens dann zustehe, wenn die funktionell-rechtlichen Grenzen der Verwaltungsgerichtsbarkeit erreicht seien.651 Als konkrete Kriterien, für die Bestimmung, ob ein Beurteilungsspielraum im Einzelfall bestehe, werden beispielsweise die Art der spezifischen gesetzlichen Regelung, das spezifische Rechtsschutzbedürfnis der Betroffenen, die spezifische Organisationsstruktur des Entscheidungsträgers, die Berücksichtigung einer besonderen Entscheidungssituation (Prognose, Prüfung) oder einer besonderen Entscheidungsstruktur (Abwägung) genannt.652 Letztlich wird auch auf die Anschlussfähigkeit der von der Rechtsprechung entwickelten Kasuistik anerkannter Beurteilungsspielräume vertraut. Der Einfluss der Rechtsprechung auf den funktionell-rechtlich geprägten Ansatz ist ohnehin groß, da die Diskussion maßgeblich durch die Rechtsprechung zum Umwelt- und Technikrecht653 inspiriert wurde654 und das Bundesverwaltungsgericht im zumindest vermuteten Einvernehmen mit dem Bundesverfassungsgericht655 auch ansonsten funktionell-rechtliche Erwägungen zur BeJZ 1993, 772 (779). NVwZ 1991, 409 (411). 651  Schulze-Fielitz, JZ 1993, 772 (778 f.); Schuppert, DVBl. 1988, 1191 (1197) knüpft dabei an grundlegende Überlegungen von Hesse, FS Huber, 261 (262 u. 264 ff.) zu „von der Verfassung aufgetragenen Funktionen“ als entscheidendem Kriterium der Kompetenzabgrenzung an. 652  Schuppert, DVBl. 1988, 1191 (1200). 653  Als Grundsatzurteil in diesem Bereich gilt die Wyhl-Entscheidung BVerwGE 72, 300 (315 ff.). 654  Beispielsweise Wahl, NVwZ 1991, 409 ff.; vgl. die Zusammenfassung der Diskussion von Pache, Abwägung, S.  80 ff. 655  In diese Richtung, die nicht entscheidungserheblichen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 84, 32 (50): „Unbestimmte Rechtsbegriffe können allerdings wegen hoher Komplexität oder besonderer Dynamik der geregelten Materie so vage und ihre Konkretisierung im Nachvollzug der Verwaltungsentscheidungen so schwierig sein, dass die gerichtliche Kontrolle an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung stößt. Der Rechtsanwendungsbehörde mag in solchen Fällen ohne Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze ein begrenzter Entscheidungsfreiraum zuzu649  Schulze-Fielitz, 650  Wahl,

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2. Teil: Spielräume der Verwaltung

stimmung eines Beurteilungsspielraums maßgeblich heranzieht.656 So ist es nicht verwunderlich, dass bei den Fallgruppen anerkannter Beurteilungsspielräume häufig funktionell-rechtliche Erwägungen zur Begründung herangezogen werden. 3. Herausbildung einer Kasuistik anerkannter Beurteilungsspielräume In der Rechtsprechung haben sich im Laufe der Zeit einige Fallgruppen herausgebildet, bei denen Beurteilungsspielräume regelmäßig anerkannt werden.657 Die Fallgruppen sind nicht abschließend658 und entbinden auch nicht von einer Prüfung im Einzelfall, ob ein Beurteilungsspielraum vorliegt. Das Bundesverfassungsgericht scheint dabei restriktiver als das Bundesverwal­ tungsgericht,659 sodass nicht auszuschließen ist, dass einige der Fallgruppen in Zukunft eingeschränkt werden.660 Allgemein anerkannt ist ein Beurteilungsspielraum im Bereich von Prüfungsentscheidungen.661 Für berufsbezogene Prüfungen im Bereich des Art. 12 Abs. 1 GG sei der Beurteilungsspielraum allerdings auf prüfungsspezifische Wertungen beschränkt. Dieser Spielraum wird mit dem im Hinblick auf die Chancengleichheit der anderen Prüflinge notwendigen einheitlichen Bewertungsrahmen gerechtfertigt, der sich im Rahmen einer Gerichtskon­ trolle nicht gewährleisten lasse.662 Fragen fachlicher Richtigkeit seien hingegen grundsätzlich gerichtlich vollständig überprüfbar.663 Diese Rechtsprechung wird auch auf prüfungsähnliche Entscheidungen, insbesondere im Schulwesen, übertragen.664 Im Schulwesen wird zur Begründung ergänzend auf das Erfordernis pädagogischer Einschätzungen abgestellt.665 billigen sein.“; für berufsbezogene Prüfungen aus neuerer Zeit BVerfG, NVwZ 2002, 1368 (1368). 656  Beispielsweise aus neuerer Zeit BVerwGE 154, 377 (Rn. 24); 153, 26 (Rn. 26); 140, 384 (Rn. 26). 657  Vgl. die Zusammenstellungen von Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn.  37 ff.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 176 ff. und Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 191 ff. 658  Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 176. 659  Beispielsweise im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG bezüglich berufsbezogener Prüfungsentscheidungen BVerfGE 84, 34 (49 ff.); 84, 59 (77 ff.). 660  Ähnlich Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 175. 661  Ständige Rechtsprechung seit BVerwGE 8, 272 (273 f.); ebenso das Bundesverfassungsgericht vgl. BVerfGE 84, 34 (53 ff.); 84, 59 (78 f.). 662  BVerfGE 84, 34 (52). 663  BVerfGE 84, 34 (53 ff.); 84, 59 (78 f.). 664  BVerwG, DVBl. 1996, 1381 (1382 f.). 665  Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 43.



B. Spielräume in der herrschenden Verwaltungsrechtsdogmatik 137

Eine weitere Fallgruppe, in denen Beurteilungsspielräume bestehen sollen, sind beamtenrechtliche Leistungsbeurteilungen.666 Gleichwohl müsse im Einzelfall, insbesondere für Einstellungs-, Beförderungs- und Versetzungsentscheidungen, differenziert beurteilt werden, ob ein Beurteilungsspielraum bestehe.667 Beurteilungsspielräume werden ferner im Hinblick auf das zur Entscheidung berufene Organ angenommen bei Entscheidungen wertender Art durch weisungsfreie, mit Sachverständigen und/oder Interessenvertretern besetzte Ausschüsse.668 Eine derartige Zusammensetzung ist nach der Rechtsprechung jedoch allein kein hinreichendes Kriterium.669 Vielmehr müsse ein weiteres sachlich rechtfertigendes Kriterium – beispielsweise die beabsichtigte Staatsferne der pluralistischen Meinungsbildung im Bereich von Presse- und Kunstfreiheit670 oder die Komplexität der Entscheidungsfindung671 – hinzukommen. Eine weitere Fallgruppe sind Prognoseentscheidungen und Risikobewertungen, insbesondere im Bereich des Umwelt-, Technik und Wirtschaftsrechts.672 Technische Entwicklungen, naturwissenschaftliche Zusammenhänge und die damit verbundenen Unsicherheiten und Gefahrenpotenziale seien teilweise so komplex, dass sie die Kontrollmöglichkeiten der Rechtsprechung überstiegen und deshalb dem Sachverstand der Verwaltung zur Letztentscheidung anvertraut seien.673 Als letzte Fallgruppe sind die als Einschätzungsprärogativen bezeichneten Beurteilungsspielräume in Bereichen mit politisch-gestalterischem Gehalt zu nennen.674 666  Vgl.

als Beispiele BVerwGE 21, 127 (129 f.); 60, 245 (246 ff.); 97, 128 (129). in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 194. 668  Als Beispiele für diese Fallgruppe BVerwGE 12, 20 (20 f., 28); 39, 197 (198, 204 f.); 72, 195 (195, 197 f.); teilweise wurde ein Beurteilungsspielraum in einer ähnlichen Konstellation aber auch abgelehnt BVerwGE 23, 112 (114) und BVerfGE 83, 130 (148); im Hinblick auf die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien hat zumindest das Bundesverwaltungsgericht seine bisherige Rechtsprechung sogar aufgegeben BVerwGE 166, 233 (Rn. 18 ff.); kritisch zu dieser Fallgruppe Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 45. 669  BVerwGE 153, 129 (Rn. 37). 670  BVerwGE 91, 211 (217). 671  Als Kriterium genannt, aber im Ergebnis abgelehnt BVerwGE 153, 129 (Rn. 37). 672  Vgl. als Beispiele BVerwGE 64, 238 (242); 79, 208 (213); 81, 185 (190 ff.). 673  Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 114 Rn. 151. 674  Vgl. als Beispiele für diese Fallgruppe BVerwGE 39, 329 (334); 97, 203 (209); 118, 15 (20) und auch BVerfGE 88, 40 (61); so auch Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 199 ff. 667  Schmidt-Aßmann,

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2. Teil: Spielräume der Verwaltung

4. Gerichtliche Überprüfung auf Beurteilungsfehler Die Gerichte überprüfen die behördliche Anwendung und Ausübung von Beurteilungsspielräumen nicht vollständig, sondern lediglich im Hinblick auf Beurteilungsfehler.675 Dies wird teilweise mit einer entsprechenden An­ wendung des § 114 S. 1 VwGO begründet.676 Dabei findet sich in Literatur und Rechtsprechung eine gewisse Varianz an Formulierungen,677 die zum Teil von besonderen Fallkonstellationen oder bereichsspezifisch von der geregelten Materie abhängen.678 Allgemein anerkannt ist jedoch eine Überprüfung mindestens im Hinblick auf die folgenden Gesichtspunkte:679 Zunächst sei zu prüfen, ob die Behörde den Gehalt der anzuwendenden Begriffe und den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich bewegen könne, zutreffend erkannt und eingehalten habe.680 Weiter sei die Entscheidung auf Verfahrensmängel hin überprüfbar.681 Die für die Rechtswidrigkeit erforderliche Erheblichkeit des Verfahrensmangels liege bereits vor, wenn die Ursächlichkeit für die getroffene Entscheidung nicht auszuschließen sei.682 Weiter müsse die Behörde von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgehen und sämtliche entscheidungsrelevanten Umstände berücksichtigen.683 Ein Fehler könne sich auch durch den Verstoß gegen allgemeingültige Beurteilungsmaßstäbe, d. h. Aspekte, die bei der Ausübung eines Spielraums immer zu berücksichtigen sind, ergeben.684 Schließlich sei zu prüfen, ob sich die Behörde nicht von sachfremden Erwägungen habe leiten lassen und insbesondere das Willkürverbot beachtet habe.685

in: Kopp/Schenke, VwGO, § 114 Rn. 23. Riese in: Schoch/Schneider, VwGO, § 114 Rn. 98 und Ruthig, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 114 Rn. 23. 677  Beispielsweise parallel zu den Ermessensfehlern formuliert Kluth, in: Wolff/ Bachof/Stober/ders., Verwaltungsrecht, § 31 Rn. 28 ff. 678  Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 114 Rn. 98. 679  Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 114 Rn. 98  ff.; Sachs, in: Stelkens/ Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 221; Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 192; ähnlich BVerwG, NJW 2012, 2054 (Rn. 6). 680  Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 114 Rn. 104. 681  Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 114 Rn. 100. 682  Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 225. 683  BVerwG, NVwZ-RR 2018, 304 (Rn. 22); Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 114 Rn. 102 f. 684  Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 114 Rn. 105 f. mit Beispielen und Belegen. 685  Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 114 Rn. 107. 675  Ruthig,

676  Beispielsweise



B. Spielräume in der herrschenden Verwaltungsrechtsdogmatik 139

IV. Bedeutung der Rechtsprechung In der bisherigen Darstellung wurde überwiegend auf eine eindeutige Trennung von Rechtsprechung und Lehre verzichtet und der Schwerpunkt auf die dogmatische Ausarbeitung in der Lehre gelegt. Insofern soll nun noch einmal explizit die Bedeutung der Rechtsprechung bei der Herausbildung der herrschenden Dogmatik zu Verwaltungsspielräumen untersucht werden, um möglicherweise bestehende Unterschiede herauszuarbeiten. Allgemein verfolgt die Rechtsprechung bei der Frage, ob ein Verwaltungsspielraum besteht, einen eher pragmatischen und einzelfallorientierten Ansatz. Tiefergehende Ausführungen zu angenommenen normstrukturellen oder dogmatischen Unterscheidungen finden sich grundsätzlich nicht. Allerdings hat die Rechtsprechung die herrschenden dogmatischen Unterscheidungen an vielen Stellen maßgeblich beeinflusst und ansonsten zumindest im Ergebnis in ihre Rechtsprechungspraxis integriert: 1. Dogmatische Unterscheidung von Ermessen, unbestimmten Rechtsbegriffen und Beurteilungsspielräumen Die Figur des Rechtsfolgeermessens war bereits von Beginn an auch in der Rechtsprechungspraxis unter der Geltung des Grundgesetzes etabliert.686 Im Einklang mit der herrschenden Lehre nimmt die Rechtsprechung eine Ermessensentscheidung an, wenn der Verwaltung ein Wahlrecht im Hinblick auf das ob und/oder wie der Rechtsfolge eingeräumt wird.687 Als wesentliche Konsequenz wird sodann eine eingeschränkte gerichtliche Kontrolldichte angenommen688 und die Entscheidung wird nur noch im Hinblick auf die etablierten Ermessensfehler überprüft.689 Deutlich wechselbezüglicher verläuft die Entwicklung im Hinblick auf die Annahme von Spielräumen bei der Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen auf Tatbestandsseite. Zunächst nahm das Bundesverwaltungsgericht unmittelbar nach Aufnahme seiner Rechtsprechungstätigkeit im Jahr 1952

686  Beispielsweise

(218).

BVerwGE 11, 124 (126); 15, 196 (199); BVerwGE 22, 215

687  Vgl. BVerwGE 11, 124 (126); 42, 133 (133); BVerwG, NVwZ 2014, 1034 (Rn. 8). 688  BVerwGE 22, 215 (218); 31, 212 (214 f.); 51, 115 (120 f.). 689  Zum Ermessensnichtgebrauch beispielsweise BVerwGE 15, 196 (199); 31, 212 (213 f.). Zum Ermessensfehlgebrauch BVerwGE 6, 186 (187); 95, 15 (17 ff.). Zur Ermessensüberschreitung beispielsweise BVerwGE 42, 133 (134); 51, 115 (120 f.); 56, 56 (59).

140

2. Teil: Spielräume der Verwaltung

und anfänglich gegen den Widerstand der obersten Verwaltungsgerichte einzelner Länder690 auch bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe in Einzelfällen Ermessensspielräume der Verwaltung an,691 ging aber ansonsten vom Grundsatz vollständiger gerichtlicher Überprüfung aus.692 Veranlasst durch diese ersten Entscheidungen und teilweise in ausdrücklicher Auseinandersetzung damit entwickelten Bachof und Ule ihre jeweiligen Ansätze,693 die im weiteren Verlauf sodann die Grundlage für die heute herrschenden dogmatischen Unterscheidungen zwischen Beurteilungsspielräumen auf Tatbestandsseite und Ermessen auf Rechtsfolgenseite bildeten. Die Rechtsprechung beschäftigte sich mit diesen Ansätzen allerdings nicht tiefergehend,694 Beispielsweise hieß es in einer Entscheidung, „daß es sich hier mehr um einen Unterschied im Sprachgebrauch als in der Sache handelt“ und „es im Ergebnis keinen Unterschied bedeuten [würde]“.695 In einer weiteren Entscheidung heißt es: „Hierfür [= für ein Ermessen auf Tatbestandsseite] wird von manchen neuerdings der Ausdruck ‚Beurteilungsspielraum‘ bevorzugt“.696 In einer dritten Entscheidung nahm das Bundesverwaltungsgericht hingegen eine gewisse inhaltliche Bedeutung an, wenngleich es auf diese Ausführungen nicht entscheidungserheblich ankommt.697 Letztere Entscheidung sah Bachof als Beleg für eine nicht nur begriffliche, sondern auch inhaltliche Übernahme seiner Ausführungen.698 Es dürfte allerdings mehr dafür sprechen, dass die Rechtsprechung überwiegend eine bloße Änderung der Begrifflichkeiten ohne wesentliche Auswirkungen auf die recht­ liche Praxis annimmt.699 So blieb die Rechtsprechung im Ergebnis dabei, Spielräume auch bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe in einzelnen Konstellationen anzunehmen und ansonsten vom Grundsatz vollständiger 690  Ablehnend zunächst beispielsweise der Bay. VGH, DVBl. 1955, 253 (254 ff.) und das OVG Münster, DÖV 1955, 345 (345 f.) im Hinblick auf § 9 Abs. 1 PBefG. In anderen Konstellationen haben aber auch Oberverwaltungsgerichte der Länder bereits einen Ermessensspielraum angenommen: Badischer VGH, DÖV 1953, 636 (637 f.); OVG Hamburg, MDR 1953, 316 (317); OVG Münster NJW 1953, 160 (160); OVG Rheinland-Pfalz, DVBl. 1954, 709 (711). 691  Beispielsweise BVerwGE 1, 92 (96); 1, 97 (97 f.); 4, 89 (91 f.) und deutlich später 39, 355 (363 ff.). Für Beispiele aus der Rechtsprechung der Länder vgl. die vorherige Fn. 692  BVerwGE 2, 295 (301); 2, 324 (328); 3, 186 (192). 693  Bachof, JZ 1955, 97 (97); Ule, GS W. Jellinek, 309 (313 f.). 694  BVerwGE 4, 89 (92); 8, 272 (274 f.); 9, 284 (28). 695  BVerwGE 4, 89 (92). 696  BVerwGE 8, 272 (274 f.). 697  BVerwGE 8, 192 (195). 698  Bachof, Rechtssprechung, Bd. 1, S. 232. 699  BVerwGE 4, 89 (92); 8, 272 (274 f.); 9, 284 (28).



B. Spielräume in der herrschenden Verwaltungsrechtsdogmatik 141

gerichtlicher Überprüfbarkeit auszugehen.700 Im Hinblick auf die Terminologie verhielt sich die Rechtsprechung zunächst ambivalent und verwendete teilweise noch den Begriff Ermessen auch für Spielräume auf Tatbestandsseite701, überwiegend jedoch schon den Begriff Beurteilungsspielraum.702 Mit der Zeit passte sich die Rechtsprechung immer mehr an die in der Lehre überwiegend verwendete Terminologie an und sprach regelmäßig von Beurteilungsspielräumen auf Tatbestandsseite und Ermessen auf Rechtsfolgen­ seite.703 Als Grund für die begriffliche Differenzierung wurde auf den normstrukturellen Standort abgestellt, ohne sich näher mit den weitergehenden Begründungen von Bachof oder Ule auseinanderzusetzen. So hieß es in einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts704 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Ule und Bachof: „Dabei geht der Senat im Hinblick auf die Abgrenzung der Handlungsermächtigung von der Beurteilungsermächtigung mit der überwiegend vertretenen Rechtsauffassung davon aus, daß sich der durch eine Beurteilungsermächtigung eingeräumte „Beurteilungsspielraum” […] sowie der Handlungsspielraum i.  S. des Handlungsermessens insb. dadurch voneinander unterscheiden, daß sich der Beurteilungsspielraum auf die Subsumtion des Sachverhalts unter den Tatbestand der betreffenden Rechtsnorm bezieht, während das Handlungsermessen die Rechtsfolge aufgrund dieser Subsumtion betrifft. Das bedeutet, daß der Beurteilungsspielraum auf der Tatbestandsseite der Rechtsnorm angesiedelt ist, während das Handlungsermessen immer ein Rechtsfolgeermessen ist (vgl. Ule, VwGO, 2. Aufl. (1962), § 114 Anm. II 1, sowie VerwProzR, 8. Aufl. (1982), S. 9; Bachof, JZ 1955, 97; Badura-Erichsen-Martens, Allg. VerwR, § 12 II 2a; Achterberg, Allg. VerwR, § 17 Rdnr. 37; Maurer, Allg. VerwR, 4. Aufl. (1985), § 7 Rdnr. 17; Stelkens-BonkLeonhardt, VwVfG, 2. Aufl. (1983), § 40 Rdnr. 9).“

Über die begriffliche Anpassung hinaus änderte die Rechtsprechung ihre Praxis insofern nicht. Unbestimmte Rechtsbegriffe werden grundsätzlich vollständig überprüft und in einzelnen Konstellationen wird ein Spielraum angenommen, der nunmehr regelmäßig als „Beurteilungsspielraum“ bezeichnet wird.705 Auch ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtsprechung ihre Ter700  Zu diesem Grundsatz BVerwGE 5, 153 (162). Ähnlich die Bewertung zum Regel-Ausnahme-Verhältnis in der Rechtsprechung auch bei Bachof, Rechtsprechung, Bd. 2, S. 258 f. 701  Der Begriff findet sich noch in BVerwGE 60, 245 (246 ff.) auch für Spielräume auf Tatbestandsseite. 702  Diesen Begriff verwenden bereits BVerwGE 5, 153 (162); 6, 177 (179, 182) und BVerwG, DVBl. 1959, 72 (72 ff.). 703  BVerwGE 21, 127 (129 f.); 23, 112 (114); 39, 197 (198); 64, 238 (239, 242); 81, 185 (190 ff.); 97, 203 (209); 118, 15 (20). 704  BVerwGE 72, 38 (53). 705  Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 61, 82 (111); 84, 34 (49 f.); 129, 1 (20 ff.) und des Bundesverwaltungsgerichts 94, 307 (309); 100, 221 (225).

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2. Teil: Spielräume der Verwaltung

minologie zwar tendenziell angepasst, aber nie vollständig vereinheitlicht hat und weiter auch andere Begriffe wie beispielsweise Einschätzungsprärogative,706 Prognoseermächtigung,707 Regelungs-708 oder Wertungsspielraum709 für Spiel­räume auf Tatbestandsseite benutzt, ohne dass damit inhaltliche Unterschiede intendiert wären.710 Teilweise werden unterschiedliche Begriffe sogar in derselben Entscheidung und für denselben Spielraum verwendet.711 2. Maßgebliche Beeinflussung der normativen Ermächtigungslehre In dem obigen Zitat klingt darüber hinaus bereits das Verhältnis der Rechtsprechung zur normativen Ermächtigungslehre an, wenn die „Handlungsermächtigung“ von der „Beurteilungsermächtigung“ abgegrenzt wird. Zwar hat die Lehre insbesondere durch Schmidt-Aßmann die normative Ermächtigungslehre ausdifferenziert und auf eine argumentativ tragfähige Grundlage gestellt, das Ergebnis wurde aber bereits durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungs- und des Bundesverfassungsgerichts vorweggenommen. Zunächst stellte das Bundesverwaltungsgericht im Anschluss an die Rechtsprechung des preußischen OVG712 teilweise auf die Theorie der einzig richtigen Entscheidung ab, um die vollständige Überprüfbarkeit unbestimmter Rechtsbegriffe zu begründen.713 Bei der Anwendung und Auslegung von Rechtsbegriffen handele es sich um einen Erkenntnisvorgang. Deshalb könne es im konkreten Fall nicht zwei gleichermaßen, sondern nur eine einzige richtige Antwort geben.714 Ein Spielraum besteht vor diesem Hintergrund dann, wenn mehr als eine Lösung rechtlich vertretbar ist.715 Ausgehend von dieser Idee berücksichtigt der Ansatz Bachof bereits normative Erwägungen bei der Bestimmung eines Spielraums. Für die Annahme eines Spielraums stellt er im Ausgangspunkt noch darauf ab, ob in einem konkreten Einzelfall bei der Subsumtion unter eine Norm faktisch mehrere Antworten als richtig erscheinen. Daraus leitet er allerdings ab, dass der Gesetzgeber der Verwal706  BVerwGE

100, 221 (226). NVwZ 2010, 435 (Rn. 70). 708  BVerwGE 154, 377 (Rn. 22). 709  BVerwG, NJW 2012, 2054 (Rn. 6). 710  Mit dieser Bewertung auch Riese in: Schoch/Schneider, VwGO, § 114 Rn. 91. 711  Beispielsweise BVerwGE 81, 12 (17); 100, 221 (225, 226). 712  Preußisches. OVGE 7, 115 (117 ff.). 713  BVerwGE 2, 328 (328); 3, 192 (192) sowie OVG Münster, DÖV 1955, 345 (346) als Beispiel für ein Landesoberverwaltungsgericht. 714  BVerwGE 4, 89 (91 f.); 16, 116 (129 f.); BVerwG, DVBl. 1956, 716 (717) sowie OVG Münster, DÖV 1955, 345 (346) als Beispiel für ein Landesoberverwaltungsgericht. 715  BVerwGE 1, 92 (96); 4, 89 (91 f.). 707  BVerfG,



B. Spielräume in der herrschenden Verwaltungsrechtsdogmatik 143

tung durch die Mehrdeutigkeit einen Beurteilungsspielraum einräume.716 Diese Kombination aus normlogischer Begründung und daraus abgeleiteter gesetzgeberischer Kompetenzzuweisung findet auch Eingang in die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.717 In der Folge löst sich die Frage der gesetzgeberischen Kompetenzzuweisung gänzlich vom ursprünglichen normlogischen Ausgangspunkt. Entscheidend ist nur noch, ob der Gesetzgeber der Verwaltung die Kompetenz zur Letztentscheidung eingeräumt hat. So heißt es in einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts718: „Ausnahmen [vom Grundsatz der Vollkontrolle] bedürfen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Beurteilungsspielraum (Beurteilungsermächtigung) einer aus der jeweiligen Rechtsvorschrift herleitbaren Entscheidung des Gesetzgebers zugunsten einer Ermächtigung an die Verwaltung, über das Vorliegen der durch einen unbestimmten Gesetzesbegriff gekennzeichneten tatbestandlichen Voraussetzungen abschließend zu befinden.“

Dazu passt, dass der erste Literaturbeitrag, in dem von einer „Beurteilungsermächtigung“ gesprochen wird und der diese losgelöst von einer angenommenen Mehrdeutigkeit ermitteln möchte, von Keller und damit von einem Richter des Bundesverwaltungsgerichts stammt.719 Wesentlich begünstigt wird die aufgezeigte Entwicklung durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 19 Abs. 4 GG. Das Bundesverfassungsgericht begründet den Grundsatz vollständiger gerichtlicher Nachprüfung eines Hoheitsaktes in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht verfassungsrechtlich durch eine Interpretation des Art. 19 Abs. 4 GG.720 Diese Rechtsprechung wird auch vom Bundesverwaltungsgericht übernommen721 und ermöglicht es, sich von der Theorie der einzig richtigen Entscheidung zu lösen, ohne den Grundsatz der vollständigen gerichtlichen Kontrolle aufgeben zu müssen. Der inhaltliche Kern der normativen Ermächtigungslehre war insofern bereits früh in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts etabliert. Aus Art. 19 Abs. 4 GG ergibt sich der Grundsatz vollständiger gerichtlicher Nachprüfbarkeit auch unbestimmter Rechtsbegriffe und Ausnahmen von diesem Grundsatz bedürfen der gesetzgeberischen Zuweisung einer Letztentscheidungskompetenz an die Verwaltung.722

JZ 1955, 97 (99 f.). 5, 153 (162). 718  BVerwGE 31, 149 (153). 719  Keller, DÖV 1962, 572 (574 ff.); ders., NJW 1966, 857 (859). 720  BVerfGE 15, 275 (282); 18, 203 (212); 31, 113 (117). 721  BVerwGE 31, 149 (153); 94, 307 (309 f.); 106, 263 (266 f.); 134, 108 (Rn. 11). 722  BVerwGE 31, 149 (153). 716  Bachof,

717  BVerwGE

144

2. Teil: Spielräume der Verwaltung

Dieser Ansatz setzt sich auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch.723 Besondere Bedeutung kommt dabei der SasbachEntscheidung vom 8. Juli 1982 zu, indem das Bundesverfassungsgericht weiterhin den aus Art. 19 Abs. 4 GG abgeleiteten Grundsatz der Vollkontrolle betont, aber sich gleichzeitig erstmals zur Möglichkeit von Ausnahmen in Form von Verwaltungsspielräumen äußert und als Anknüpfungspunkt dafür auf eine normative Ermächtigung abstellt („unbeschadet normativ eröffneter Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräume“).724 Das Bundesverfassungsgericht bezieht dabei auch unmittelbar Ermessensspielräume in die normative Ermächtigungslehre ein und erweitert insofern die damalige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Ausgehend von diesem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird die normative Ermächtigungslehre in der Literatur insbesondere durch Schmidt-Aßmann weiter ausgearbeitet.725 Sie entspricht der heute ständigen Rechtsprechung und wird auch in der Lehre überwiegend vertreten.726 3. Durchbrechung der strikten Trennung: Kopplungsvorschriften Auch wenn die Rechtsprechung im Grundsatz die herrschenden dogmatischen Unterscheidungen berücksichtigt, hat sie dennoch in einzelnen Kon­ stellationen die Trennung zwischen Spielräumen auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite wieder durchbrochen. Eine solche Durchbrechung der Trennung ist bei Koppelungsvorschriften denkbar. Koppelungsvorschriften im weiteren Sinne liegen bereits vor, wenn ein unbestimmter Rechtsbegriff auf der Tatbestandsseite einer Rechtsnorm mit einer Ermessensermächtigung auf der Rechtsfolgenseite verbunden ist.727 Im Ausgangspunkt ist die Konstellation aus der Perspektive der herrschenden Dogmatik, abgesehen von möglichen Problemen mit dem Bestimmtheitsgrundsatz, unproblematisch. Beide Normelemente können getrennt voneinander nach den für sie geltenden Regeln behandelt werden.728

723  BVerfGE

61, 82 (111); 142 (156 f.); 129, 1 (22). 61, 82 (111). 725  Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 185 ff. 726  Dazu bereits oben 2. Teil B. III. 2. b). 727  BVerwGE 39, 355 (362 f.); 45, 157 (164); Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 49; Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 114 Rn. 34; Sachs, in: Stelkens/ Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 36; anders Bull/Mehde, Verwaltungsrecht, Rn. 600, die von einer Koppelungsvorschrift erst ausgehen, wenn die Erwägungen tatsächlich miteinander verschränkt sind. 728  Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 49; Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 114 Rn. 34; Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 36. 724  BVerfGE



B. Spielräume in der herrschenden Verwaltungsrechtsdogmatik 145

In einzelnen Entscheidungen hat die Rechtsprechung allerdings angenommen, dass sich Ermessensausübung und Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs nicht klar voneinander trennen lassen: Zum einen ist die Rechtsprechung ausnahmsweise davon ausgegangen, dass bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs bereits dieselben Gesichtspunkte abschließend zu berücksichtigen sind, an denen sich auch die Ausübung des Ermessens zu orientieren hätte. Für die anschließende Ermessensausübung verbleibe insofern kein Raum mehr, sodass sodann eine gebundene Vorschrift vorliege (z. B. § 35 Abs. 2 BauGB729).730 Ebenfalls hat die Rechtsprechung vereinzelt angenommen, dass es Rechtsnormen gäbe, bei denen ein unbestimmter Rechtsbegriff auf der Tatbestandsseite in Wirklichkeit dem Ermessen zuzurechnen sei, weil er das Ermessen in seinem Umfang und Inhalt bestimme.731 Unter dieser Prämisse geht die Auslegung und Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs vollständig in der Ermessensausübung auf. Insbesondere letztere Konstellation wird in der Literatur aufgrund der als unnötig wahrgenommenen Vermischung als dogmatisch wenig überzeugend kritisiert.732 Abgesehen von den dargestellten Ausnahmen hält die Rechtsprechung jedoch auch beim Vorliegen einer Koppelungsvorschrift im Einklang mit der herrschenden Lehre regelmäßig an der strikten Trennung von Tatbestand und Rechtsfolge fest.733 4. Zwischenfazit Die Rechtsprechung hatte maßgeblichen Anteil an der Verbreitung der herrschenden dogmatischen Unterscheidungen. Sie hat die begriffliche Unterscheidung von Beurteilungsspielräumen auf Tatbestandsseite und Ermessen auf Rechtsfolgenseite von Bachof überwiegend übernommen und bereits sehr früh entscheidend auf die normative Einräumung eines Spielraums abgestellt. Umfangreiche rechtstheoretische oder dogmatische Ausführungen finden sich in den jeweiligen Entscheidungen jedoch nicht, die weitere Aus729  Vgl.

BVerwGE 18, 247 (250 f.) zur Vorgängerregelung. diese Richtung BVerwGE 40, 353 (357 ff.) Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 50 bezeichnen die Konstellation als „Ermessensschwund“. 731  BVerwGE 39, 355 (363); 72, 1 (5); VGH Mannheim, NJOZ 2019, 1281 (Rn. 8); OVG Lüneburg, BauR 2018, 1848 (Rn. 37 ff.); Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 51 bezeichnen die Konstellation als „Ermessenssog“. 732  Aschke, in: BeckOK, VwVfG, § 40 Rn. 44 f.; Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 35; Voßkuhle, Jus 2008, 117 (119). 733  BVerwGE 84, 86 (89); 95, 341 (347 f.); BVerwG, NJW 1992, 1578 (1578); BVerwG, NVwZ 1994, 282 (284). 730  In

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2. Teil: Spielräume der Verwaltung

arbeitung insbesondere der normativen Ermächtigungslehre oblag der Literatur. Auch behält sich die Rechtsprechung vor, im Einzelfall von den eigentlich zugrunde gelegten dogmatischen Unterscheidungen abzuweichen.

V. Sonderfälle: Planungs- und Regulierungsermessen Mit dem Planungs- und Regulierungsermessen existieren zwei besondere Verwaltungsspielräume, bei denen der Dualismus von Beurteilungs- und Ermessensspielräumen erweitert wird. 1. Planungsermessen Als ein außerhalb von Beurteilungsspielräumen und Ermessen stehendes Phänomen wird das Planungsermessen im Rahmen final konzipierter Vorschriften behandelt. Ein solches soll vorliegen, wenn die Verwaltung zur freien planerischen Gestaltung nach gesetzlichen Zielvorstellungen und Abwägungsrichtlinien ermächtigt bzw. verpflichtet wird.734 In der Regel handele es sich um Planungen in einer komplexen Entscheidungssituation mit unterschiedlichen öffentlichen und privaten Interessen, die einen Ausgleich im Wege der Abwägung erfordern (z. B. der Erlass eines Bebauungsplans nach § 1 BauGB).735 Die so getroffene Planungsentscheidung wird von der Rechtsprechung nur eingeschränkt auf bestimmte Abwägungsfehler hin überprüft.736 Vorab wird zunächst die Einhaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen des Planes überprüft.737 Sodann findet die eigentliche Abwägungskontrolle statt. Dabei wird zwischen der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials und seiner Gewichtung unterschieden.738 2. Regulierungsermessen In der jüngeren Rechtsprechung ist neben dem Planungsermessen auch das Regulierungsermessen als weiterer Spielraum außerhalb der klassischen Dogmatik entwickelt worden (bisher bei Entscheidungen der Bundesnetz734  Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 64; Sachs, in: Stelkens/Bonk/ ders., VwVfG, § 40 Rn. 42. 735  Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 64. 736  BVerwGE 34, 301 (307 ff.); 58, 80 (89); Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 64. 737  Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 210. 738  BVerwGE 34, 301 (308 ff.); 58, 80 (88 f.); vgl. die weiteren Ausführungen von Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 211 ff. zur Abwägungskontrolle.



C. Kritische Überprüfung147

agentur nach § 21 Abs. 1  TKG und § 30 Abs. 1  TKG).739 Im Regulierungsrecht seien die verschiedenen Spielräume auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite häufig untrennbar miteinander verknüpft, sodass ein einheitlicher Spielraum angenommen und als Regulierungsermessen bezeichnet wird.740 Die Ausübung des Spielraums soll wie beim Planungsermessen lediglich auf Abwägungsfehler überprüft werden.741

VI. Ausblick auf die kritische Würdigung der dogmatischen Behandlung Die Durchbrechungen in der Rechtsprechungspraxis und die Sonderfälle haben gezeigt, dass die Zweiteilung der Verwaltungsspielräume anhand des normstrukturellen Standorts teilweise an ihre Grenzen stößt. In Anbetracht der Schwierigkeiten die gesamte Bandbreite rechtlicher Phänomene im Bereich von Verwaltungsspielräumen dogmatisch sauber einzuordnen, ist es wenig überraschend, dass sich im Verlauf der Jahre viele Autoren kritisch mit der herrschenden Dogmatik auseinandergesetzt und zum Teil Alternativvorschläge erarbeitet haben. Im folgenden Abschnitt soll deshalb auf die wesentlichen Punkte der Kritik eingegangen und in Auseinandersetzung damit ein eigenes Verständnis von Spielräumen entwickelt werden.

C. Kritische Überprüfungder dogmatischen Behandlung von Verwaltungsspielräumen Über strittige Detailfragen hinaus wurde und wird auch die herrschende dogmatische Grundkonzeption im Bereich von Spielräumen vielfach infrage gestellt und durch alternative Konzepte742 ersetzt. Diese Alternativkonzepte 739  BVerwGE 130, 39 (Rn. 28 ff.); 131, 41 (Rn. 47); BVerwG, N&R 2008, 140 (Rn. 56); eine Einordnung in die bestehende Dogmatik findet sich bei Ludwigs, JZ 2009, 290 ff. und Proelß, AÖR 136 (2011), 402 ff.; kritisch gegenüber diesem neuen Spielraum beispielsweise Gärditz, NVwZ 2009, 1005 (1009 ff.) und Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 65. Das Bundesverwaltungsgericht verwendete den Begriff bereits in BVerwGE 120, 263 (Rn. 42), ließ allerdings noch offen, ob ein solcher Spielraum besteht. 740  BVerwGE 130, 39 (Rn. 28 ff.); 131, 41 (Rn. 47). 741  BVerwGE 130, 39 (Rn. 28 ff.); 131, 41 (Rn. 47). 742  Für ein einheitliches Spielraummodell Bullinger, JZ 1984, 1001 ff.; Brinktrine, Verwaltungsermessen, S. 58 ff. m. w. N. und 554 ff. mit einer eigenen zustimmenden Stellungnahme; Herdegen, JZ 1991, 747 ff.; in diese Richtung Hoffmann-Riem/Pilniok, in: Voßkuhle/Eifert/Möllers, Grundlagen, Bd. 1, § 12 Rn. 147 ff.; Koch, Rechtsbegriffe, S.  126 ff.; Scholz, VVDStRL 34 (1976), 145 (166 ff.); Schuppert, DVBl. 1988, 1191 (1198 ff.); für eine generelle Beschränkung der gerichtlichen Kontroll-

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2. Teil: Spielräume der Verwaltung

sollen im Folgenden anhand von zwei grundlegenden Fragen erörtert werden, um dabei ein eigenes Verständnis von Verwaltungsspielräumen zu erarbeiten: Erstens ist als notwendige Grundlage zu erörtern, was der wesentliche Unterschied zwischen Verwaltungsentscheidungen mit und ohne Spielraum ist bzw. sein sollte. Dabei erfolgt zunächst eine Auseinandersetzung mit der Annahme, dass Verwaltungsspielräume als „Lücke“ einer ansonsten vollständigen rechtlichen Determiniertheit anzusehen seien. Insofern wird aufgezeigt, dass ein solches Verständnis von Verwaltungsspielräumen mit wichtigen rechtstheoretischen Erkenntnissen nicht zu vereinbaren ist. Im Anschluss erfolgt eine Auseinandersetzung mit alternativen Konzepten. Dabei wird sich im Ergebnis zeigen, dass Verwaltungsspielräume als normativ zugewiesene Letztentscheidungsrechte der Verwaltung verstanden werden sollten. Zweitens ist vor dem Hintergrund dieses einheitlichen Grundverständnisses kritisch zu hinterfragen, ob es einen qualitativen Unterschied zwischen den unterschiedlichen Arten von Verwaltungsspielräumen gibt. Beurteilungsspielraum und Ermessen (inklusive Planungs- und Regulierungsermessen) könnten in ein einheitliches Modell administrativer Spielräume zu überführen sein. Dabei wird sich allerdings zeigen, dass allein die theoretische Dekon­ struktion der ursprünglich für die dogmatischen Unterscheidungen angegebenen Gründe nicht zwingend dazu führen muss, diese aufzugeben. Vielmehr können die Unterscheidungen auf dogmatischer Ebene aufgrund weitergehender pragmatischer Gründe dennoch aufrechtzuerhalten sein.

I. Unterschied zwischen Verwaltungsentscheidungen mit und ohne Spielraum Es lässt sich die grundsätzliche Frage stellen, was der wesentliche Unterschied zwischen Verwaltungsentscheidungen mit und ohne Spielraum ist bzw. sein sollte. Ursprünglich wurde743 und teilweise wird bis heute744 von den Vertretern der herrschenden Dogmatik in unterschiedlichen Abstufungen ein qualitativer dichte Ramsauer, FG BVerwG, 699 (706); im Ergebnis ähnlich Ehmke, Ermessen, S.  45 ff. und Erichsen, VerwArch 63 (1972), 337 (343); in diese Richtung auch Starck, FS Sendler, 167 (170); Verwaltungsspielräume insgesamt ablehnend Rupp, Grundfragen, S. 177 ff.; ähnlich Lohmann, Zweckmäßigkeit, S. 92 ff.; in diese Richtung auch aus neuerer Zeit Ibler, Rechtsschutz, S.  178 ff. 743  Bettermann, GS W. Jellinek, 361 (368); Bachof, JZ 1955, 97 (98) und Ule, GS W. Jellinek, 309 (311 ff.) und teilweise auch die frühe Rechtsprechung BVerwGE 4, 89 (91 f.); 16, 116 (129 f.); BVerwG, DVBl. 1956, 716 (717) sowie OVG Münster, DÖV 1955, 345 (346). 744  Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 6.



C. Kritische Überprüfung149

Unterschied im Hinblick auf die rechtliche Determinierung behauptet. Ein Spielraum soll tendenziell immer dann bestehen, wenn die rechtliche Bindung nicht strikt, sondern gelockert sei745 und insofern mehrere Entscheidungen als rechtlich richtig anzusehen seien.746 Dadurch wird aber impliziert, dass in Bereichen ohne Spielraum eine eindeutige Bestimmung der rechtlich richtigen Entscheidung möglich sei. Ein solcher Ansatz dürfte sich mit wichtigen rechtstheoretischen Erkenntnissen nicht vereinbaren lassen und möglicherweise das Produkt einer pfadabhängigen Entwicklung sein. Im ersten Schritt wird aufgezeigt, dass die Annahme eines Spielraums sich nicht mit Unterschieden in der rechtlichen Determiniertheit begründen lässt, da Freiräume bzw. Lücken im Recht nicht die Ausnahme, sondern zumindest als Potenzial den Regelfall darstellen (dazu unter 1. a), b)). Im zweiten Schritt wird sodann aus der historischen Entwicklung heraus zu erklären versucht, warum sich die behauptete Unterscheidung dennoch in unterschiedlichen Ausprägungen zum Teil bis heute gehalten hat (dazu unter 1. c)). Im Anschluss an die rechtstheoretische Dekonstruktion der behaupteten qualitativen Unterscheidung ist die Frage zu beantworten, welche dogmatischen Konsequenzen sich daraus ergeben. Als naheliegende Konsequenz könnte man den Unterschied zwischen Verwaltungsentscheidungen mit und ohne Spielraum schlicht aufgeben und von einer einheitlichen Kontrolldichte ausgehen. Überzeugender dürfte es allerdings sein, den Unterschied durch den Rückgriff auf die normative Ermächtigungslehre aufrechtzuerhalten, um so eine differenzierte und funktionsgerechte Abgrenzung der Gewalten zu ermöglichen (dazu unter 2.). 1. (Vollständige) Determiniertheit der Rechtsanwendung Die Annahme, dass Spielräume der Verwaltung im Bereich gelockerter rechtlicher Determinierung bestünden, impliziert, dass die rechtliche Determinierung bei Entscheidungen ohne Spielraum vollständig sei. Auch wenn es an einer expliziten Verknüpfung gelegentlich mangelt, lässt sich ein solches Verständnis nur konstruieren, wenn man ein statisches Rechtsanwendungsbild zugrunde legt. Die Rechtsanwendung erscheint als ein rein kognitiver Akt, bei dem die im Gesetz für jeden Einzelfall bereits angelegte richtige Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 6. BVerwGE 1, 92 (96); 4, 89 (91 f.); Badischer VGH, DÖV 1953, 636 (637); OVG Hamburg, MDR 1953, 316 (317) sowie Bachof, JZ 1955, 97 (99 f., 101); Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 7; Ule, GS W. Jellinek, 309 (326 ff.). 745  Maurer/Waldhoff, 746  Beispielsweise

150

2. Teil: Spielräume der Verwaltung

Entscheidung nur noch ermittelt werden müsse.747 Diese Theorie der einzig richtigen Entscheidung in ihrer strengen ontologischen Deutung748 widerspricht wichtigen rechtstheoretischen Erkenntnissen. Rechtstheoretisch ist grundsätzlich anerkannt, dass Gesetze aufgrund der Abstraktheit von Normen und den sich ständig wandelnden Lebenssachverhalten zwangsläufig lückenhaft sind und insofern nicht für jede auch nur zukünftige Rechtsfrage eine Lösung bereithalten können.749 Allerdings gibt es immer wieder Ansätze, diese Erkenntnis sodann wieder zu relativieren, um die Idee einer einzig richtigen Entscheidung bei der Rechtsanwendung in einer strikten Deutung aufrecht erhalten zu können. Mit dem wohl prominentesten Ansatz dieser Richtung soll eine kurze Auseinandersetzung750 erfolgen:

747  So teilweise die frühe Rechtsprechung BVerwGE 4, 89 (91 f.); 16, 116 (129 f.); BVerwG, DVBl. 1956, 716 (717) sowie OVG Münster, DÖV 1955, 345 (346) und Bettermann, GS W. Jellinek, 361 (368); tendenziell in diese Richtung zumindest im Hinblick auf die Unterscheidung von unbestimmten Rechtsbegriffen und Rechtsfolgeermessen auch Bachof, JZ 1955, 97 (98) und Ule, GS W. Jellinek, 309 (311 ff.). Aktuellere Beiträge in diese Richtung Detterbeck, Verwaltungsrecht, Rn. 354; Maurer/ Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 29; Ossenbühl, DVBl. 1974, 309 (310); Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., § 40 Rn. 12, 147. 748  In der modernen Diskussion in der unten dargestellten Form vor allem von Dworkin, Bürgerrechte, S. 144 ff., 448 ff., 529 ff. vertreten. Überwiegend wird die Theorie der einzig richtigen Entscheidung heute hingegen als regulative Idee oder bewusste Fiktion ohne eigenständigen Aussagegehalt über den Prozess der Rechts­ erkenntnis verstanden. So beispielsweise bei U. Neumann, Wahrheit, S.  39 ff.; Schenke, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 533 f.; Schoch, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen, Bd. 3, § 50 Rn. 263; wohl auch U. Stelkens, FS Herberger, 895 (898 f.) Zumindest für letztere Variante sprechen gewichtige funktionale Gründe (dazu insbesondere 2. Teil C. I. 2. a) bb) (4)). 749  Beispielsweise Hassemer, in: Hassemer/Neumann/Saliger, Einführung, 227 (228 f.); Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 187; T. Möllers, Methodenlehre, Rn. 49; Payandeh, Rechtserzeugung, S. 26 ff.; Rupp, Grundfragen, S. 187 ff.; Rüthers/Fischer/ Birk, Rechtstheorie, Rn. 822 f. Zu diesem vorläufigen Ergebnis kommt selbst Dworkin, Bürgerrechte, S. 46 ff. für die Ebene der als endlich angenommenen Regeln. 750  Die damit angerissene Frage nach Wahrheit bzw. Richtigkeit rechtlicher Entscheidungen ist bereits Gegenstand unzähliger zum Teil umfassender eigenständiger Abhandlungen. Im Rahmen dieser Dissertation kann kein umfassender Beitrag geleistet werden, da es sich nur um eine Vorfrage handelt. Vielmehr dient die Erörterung dazu, die rechtstheoretischen Prämissen des Autors aufzudecken. Eine Zusammenfassung der Diskussion um Wahrheit oder Richtigkeit im Recht findet sich beispielsweise bei U. Neumann, Wahrheit, S.  1 ff.



C. Kritische Überprüfung151

a) Ontologische Deutung der Theorie der einzig richtigen Entscheidung Insbesondere Dworkin hat versucht, eine angenommene Unterscheidbarkeit von Normen in Regeln und Prinzipien zu nutzen, um das Recht vermeintlich lückenlos zu konstruieren.751 Die Besonderheit der Regeln liege darin, dass sie abschließend formuliert seien und deshalb eine eindeutige Rechtsposition zuwiesen.752 Wenn der Tatbestand einer Norm gegeben sei und die Norm gelte, sei die Rechtsfolge eindeutig bestimmt. Prinzipien gewährten hingegen keine eindeutige Rechtsposition, sondern seien miteinander abzuwägen, um einen konkreten Rechtsfall zu entscheiden.753 Es handele sich um Standards, die der Gerechtigkeit, der Fairness oder einer anderen Dimension der Moral dienten.754 Die Regeln einer Rechtsordnung seien allein nicht in der Lage, jeden Rechtsfall zu entscheiden, aber zur Ausfüllung dieser Lücken kann ein Richter als Teil der Rechtsbindung auf die recht­ lichen Prinzipien zurückgreifen.755 Wende ein idealer Richter („Herkules“) diese Prinzipien korrekt an, sei er in der Lage, für jeden Rechtsstreit die eine richtige Lösung zu finden.756 Damit lässt sich das grundlegende Problem aber nicht lösen, sondern nur auf eine andere Ebene verschieben. Die bei der Auslegung der Regeln vermeintlich geschlossenen Lücken kehren auf der Ebene der Prinzipien zurück. Auch über die Lückenhaftigkeit der Gesetze hinaus ist die Anwendung von Normen jeder Art kein rein kognitiver, umfassend intersubjektiv vermittelbarer und damit vollständig objektiv nachvollziehbarer Vorgang.757 Dieses Ergebnis folgt bereits daraus, dass als Medium zur Übermittlung von Sinn im Recht nicht auf eine streng logische, d. h. formale Sprache, sondern auf natürliche Sprachen zurückgegriffen wird.758 Deren Unschärfe und Vagheit wird durch die methodischen Regeln abgemildert, aber im Grundsatz ins Recht transportiert. Die juristische Methodik kann nur begrenzt dazu beitragen, reproduzierbare Auslegungsergebnisse zu erzeugen.759 Dies ergibt sich 751  Dworkin, Bürgerrechte, S.  54  ff.; ähnlich Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 187. 752  Dworkin, Bürgerrechte, S. 24 f. 753  Dworkin, Bürgerrechte, S. 44. 754  Dworkin, Bürgerrechte, S. 22. 755  Dworkin, Bürgerrechte, S. 54 ff. 756  Dworkin, Bürgerrechte, S. 182 ff., 448 ff., 529 ff. 757  Ähnlich bei Erichsen, DVBl. 1985, 22 (22) und im Anschluss daran Pache, Abwägung, S.  37 f. 758  Erichsen, DVBl. 1985, 22 (22). 759  Zum Methodenpluralismus bei der Rechtsfindung Esser, Vorverständnis, S.  124 ff.

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2. Teil: Spielräume der Verwaltung

bereits daraus, dass das Verhältnis zwischen den Auslegungsmethoden nicht geklärt ist.760 Die Methoden werden in der Praxis vom jeweiligen Rechtsanwender flexibel und fallbezogen gehandhabt.761 In die Auslegung fließt so – bewusst oder unbewusst – das individuelle Vorverständnis des Rechtsanwenders ein.762 Im Ergebnis können zwei Rechtsanwender trotz jeweils fehlerfreier Handhabung der Methodik zu unterschiedlichen Ergebnissen für dieselbe Rechtsfrage kommen. Die beschriebenen methodischen Probleme gelten auch für die Interpretation der Prinzipien und insbesondere für die Übertragung allgemeiner Wertungen auf den konkreten Einzelfall.763 So gibt es bereits keinen allgemein anerkannten, abgeschlossenen Kanon rechtlicher Prinzipien. Ein solcher wäre zumindest in einer meinungspluralen, sich dynamisch entwickelnden Gesellschaft auch schwer vorstellbar. Prinzipien sind interpretationsbedürftig, sodass regelmäßig keine Einigkeit über deren konkrete Reichweite besteht. Darüber hinaus sind Prinzipien einem ständigen Wandel unterworfen, was sich beispielsweise besonders deutlich an der dynamischen Interpretation der Verfassung durch das Bundesverfassungsgericht764 zeigt. Auch lässt sich dem System der Prinzipien nicht entnehmen, in welchem Verhältnis sie im Falle eines Widerspruchs zueinanderstehen.765 Im Ergebnis haben Normen keine ideale, sondern lediglich eine soziale Existenz.766 Aus einer Norm lässt sich auch durch Interpretation kein Sinngehalt gewinnen, der nicht zuvor von einem Anderem oder dem Interpreten selbst der Norm gegeben wurde. Eine Unterscheidung von Regeln und Prinzipien kann das Problem der Lückenhaftigkeit abstrakter Normen auch nicht vollständig lösen.

Argumentation, S.  303 ff. kritisch zu diesem faktischen Befund Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 704 ff., die davon ausgehen, dass aus der Verfassung eine normative Rangfolge der Auslegungsmethoden ermittelt werden müsse. 762  Zum Vorverständnis bei der Rechtsfindung Esser, Vorverständnis, S.  136 ff. 763  Alexy, Argumentation, S. 21. 764  Als prominentes Beispiel kann auf die gewandelte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Diskriminierung Homosexueller (BVerfGE 6, 389 ff.; 36, 41 ff.; 105, 313 ff.;124, 199 ff.; BVerfG, NJW 2011, 2783) verwiesen werden. Weitere Ausführungen zum höchst umstrittenen Phänomen „Verfassungswandel“ und der diesbezüglichen Rolle des Bundesverfassungsgerichts finden sich bei Michael, Rechtswissenschaft 2014, 427 ff. 765  Alexy, Argumentation, S. 21. 766  U. Neumann in: Hassemer/ders./Saliger, Einführung, 303 (310). 760  Alexy, 761  Sehr



C. Kritische Überprüfung153

b) Zwischenergebnis: potenziell rechtsschöpferisches Element jeder Rechtsanwendung Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass jeder Anwendung von Recht auf den Einzelfall ein gewisses rechtsschöpferisches Element potenziell innewohnt.767 Das mögliche Bestehen eines Freiraums betrifft sowohl die Entscheidung des Richters als auch behördliche Entscheidungen mit und ohne Verwaltungsspielraum. Im Hinblick auf die rechtliche Determinierung gibt es keinen qualitativen, sondern allenfalls einen graduellen Unterschied.768 In der Konsequenz ist die fehlende vollständige rechtliche Determinierung einer Einzelfallentscheidung kein hinreichender Grund, um die unterschiedliche Behandlung von Entscheidungen mit und ohne Verwaltungsspielraum zu rechtfertigen.769 Bestätigt wird dieses Ergebnis auch durch eine historischkritische Betrachtung. c) Deutung als Ergebnis einer pfadabhängigen Rezeptionsgeschichte Die Annahme, Spielräume als Lücke einer ansonsten strikten rechtlichen Determiniertheit zu begreifen, hat sich in einer spezifischen historischen Konstellation herausgebildet und konnte sich im weiteren Verlauf der Diskussion verfestigen, ohne dass dieser spezifische Entstehungskontext in ausreichendem Maße reflektiert wurde. Ideengeschichtlicher Ausgangspunkt ist die Annahme, dass das Recht als bloße Schranke staatlicher Tätigkeit anzusehen und die gerichtliche Kon­ trolle auf die Einhaltung dieser rechtlichen Bindungen beschränkt sei.770 Hintergrund dieser Idee ist ein besonderes Verständnis von Staatlichkeit und insbesondere der Exekutive, dass in vor- und frühkonstitutioneller Zeit bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts vorherrschte. Die Exekutive wurde bis 767  Diese Erkenntnis findet sich schon beim späten v. Jhering, Geist, Bd. 2/2, 9. Aufl., S. 322 f. und insbesondere bei Kelsen, Rechtslehre, S. 350 ff. und Merkl, Verwaltungsrecht, S. 142 ff. Aus heutiger Zeit beispielsweise Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 187, die zumindest für die Rechtsfortbildung von schöpferischer Erkenntnis sprechen; U. Neumann, Wahrheit, S. 51; Hart, Begriff, S. 173 ff., der diese Erkenntnis auch für das an Präzedenzfällen orientierte „Common Law“ herausarbeitet; Payandeh, Rechtserzeugung, S. 26 ff.; Ramsauer, FG BVerwG, 699 (704 ff.); Rupp, Grundfragen, S.  187 ff.; Schenke, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 582. 768  Zu diesem Ergebnis kommt auch Rupp, Grundfragen, S. 198 ff.; ders., FS Zeidler, 455 (459). 769  Mit diesem Ergebnis bereits Jesch, AöR 82 (1957), 163 (229, 234 ff.). 770  Tendenziell die gleiche Wertung findet sich bei Rupp, FS Zeidler, 455 (459), der das monarchische Prinzip nach Art. 57 der Wiener Schlussakte von 1820 als historischen Ansatzpunkt für die Unterscheidung ausmacht.

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2. Teil: Spielräume der Verwaltung

in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts überwiegend als Ausdruck einer vorrechtlich begründeten monarchischen Souveränität verstanden.771 Der Monarch wurde als alleiniger und souveräner Träger der Staatsgewalt angesehen (vgl. das monarchische Prinzip in Art. 57 der Wiener Schlussakte von 1820). Das Recht (auch das Verfassungsrecht) hingegen galt als bloße Schranke dieser vorrechtlich begründeten staatlichen Souveränität. Die Rechtsprechung war darauf begrenzt, die Einhaltung dieser Schranke zu überprüfen.772 Vor diesem Hintergrund besteht ein rechts- und damit gerichtsfreier Verwaltungsspielraum immer dann, wenn und soweit eine Entscheidung nicht rechtlich determiniert ist. Auch die sich im Verlauf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur herrschenden Ansicht entwickelnde positivistische Staatsrechtslehre773 änderte hieran zunächst nichts. So wurden die formellen Gesetze zunächst nicht als notwendige Grundlage, sondern nur als freiwillige Selbstbeschränkung umfassender staatlicher Befugnisse begriffen. So heißt es bei Laband:774 „Der Staat ist trotz seiner Herrschermacht, die ihn befähigt, das Recht selbst zu gestalten, in seiner verwaltenden Tätigkeit unter die von ihm gesetzte Rechtsordnung gestellt; der Willenssphäre der zur Verwaltung berufenen Behörden sind rechtliche Schranken gesetzt gegenüber den Individuen, den Kommunen, den anderen Organen des Staates selbst.“

Unter solchen Voraussetzungen fallen die Frage nach der Rechtsbindung und die Frage nach dem Umfang der gerichtlichen Kontrolle bzw. nach dem Bestehen eines Spielraums weiterhin zusammen. Dieses Verständnis wurde allerdings auch später, als sich die Lehre vom Gesetzesvorbehalt etablierte,775 nicht mehr revidiert.776 Die Idee hatte sich bereits von ihrem ursprünglichen Entstehungskontext gelöst und war als selbstständige Annahme in der verwaltungsrechtlichen Dogmatik etabliert. Ein möglicher Widerspruch zu rechtstheoretischen und methodologischen Erkenntnissen wurde allerdings, solange der Verwaltung auch bei der Auslegung unbestimmter Tatbestands771  Dazu

oben 2. Teil A. I. und II. sowie Held-Daab, Ermessen, S. 117 ff. Ermessen, S. 117 f. sowie bereits dazu 2. Teil A. II. 1. 773  Dazu Stolleis, Geschichte, Bd. 2, S. 331 ff. 774  Laband, Staatsrecht, Bd. 2, 5. Aufl., S. 181. 775  Zum Ende der 1870er Jahre entwickelt sich zunächst ein Vorbehalt des mate­ riellen Gesetzes, der sogar Gewohnheitsrecht einschloss (Laband, Staatsrecht, Bd. 2., 5. Aufl., S. 186). Dieser einfache Rechtssatzvorbehalt wird um die Jahrhundertwende zu einem verfassungsrechtlich hergeleiteten formellen Gesetzesvorbehalt ausgebaut (Anschütz, Verfassungs-Urkunde, S.  96 f.; Fleiner, Institutionen, S. 117; Thoma, Polizeibefehl, S.  98 f.; Bühler, Rechte, S. 67 ff. fasst den damaligen Diskussionsstand zusammen; ähnlich O. Mayer, Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 75 f., der den Gesetzesvorbehalt jedoch verfassungsgewohnheitsrechtlich begründet). Die historische Entwicklung wird im größeren Kontext dargestellt bei Jesch, Gesetz, S. 158 ff. 776  Held-Daab, Ermessen, S. 120 f. 772  Held-Daab,



C. Kritische Überprüfung155

merkmale umfassende Ermessensspielräume zuerkannt wurden, weitgehend vermieden. Deutlich problematischer wird die Gleichsetzung allerdings, als sich in der spätkonstitutionellen Ermessenslehre die Lehre vom unbestimmten Rechtsbegriff durchzusetzen begann und der Ermessensspielraum Schritt für Schritt auf die Wahl der Rechtsfolge reduziert wurde.777 Der Verwaltung sollte danach kein Ermessen bei der Konkretisierung unbestimmter Tatbestandsmerkmale zukommen, da es sich bei dieser Konkretisierung um eine gerichtlich überprüfbare Rechtsfrage handele.778 Allein das Vorliegen begrifflicher Ungenauigkeiten solle nicht ausreichen, um einen Spielraum der Verwaltung zu begründen.779 Die Erfüllung des Tatbestandes sei unabhängig vom Grad der Bestimmtheit durch juristische Interpretation zu ermitteln.780 Insofern ergab sich ein Dilemma. Möchte man die unbestimmten Tatbestandsmerkmale wie beschrieben als vollständig überprüfbare Rechtsbegriffe verstehen, muss man entweder die Gleichsetzung von rechtlicher Determiniertheit und gerichtlicher Kontrolle aufgeben oder aber behaupten, dass die Anwendung und Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe rechtlich determiniert sei und sich damit im Widerspruch zu rechtstheoretischen Erkenntnissen setzen. In der spätkonstitutionellen Ermessenslehre setzt sich möglicherweise auch aus rechtspolitischem Kalkül in der Tendenz der letztere Ansatz durch.781 Der Richter sollte tendenziell als möglichst unpolitische Subsum­ tionsmaschine erscheinen, um rechtsstaatliche Fortschritte nicht zu gefährden.782 Um die jeder Begriffsauslegung dennoch immanente faktische Unsicherheit zu kaschieren, wurde in der Verwaltungsrechtlehre stattdessen auf Konkretisierungsregeln außerhalb der klassischen Auslegungsmethoden zurückgegriffen.783 So gab es verschiedene Ansätze, die die unbestimmten Rechtsbegriffe als „Verweis“ des Gesetzgebers auf eine empirisch zu ermit777  Vgl. dazu und zum Folgenden bereits oben die Ausführungen unter 2. Teil A. III. 1. 778  Gluth, AöR 3 (1888), 569 (612 f.); Tezner, Ermessen, S. 71 und 121. 779  Gluth, AöR 3 (1888), 569 (612); Tezner, Ermessen, S. 71 f. 780  Gluth, AöR 3 (1888), 569 (612 f.); Tezner, Ermessen, S. 45. 781  Bühler, Rechte, S. 28 ff.; Fleiner, Institutionen, S. 126 f.; v. Laun, Ermessen, S.  59 f.; Stier-Somlo, FS Laband, 445 (491, 506). 782  Bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts zeichnen die Vertreter der Justizstaatslehren das Bild einer gesetzlich vollständig determinierten richterlichen Tätigkeit. Dahinter verbirgt sich jedoch weniger eine methodologische Überlegung, ­sondern vielmehr der Wunsch nach einer umfassenden richterlichen Kontrolle der Verwaltung. Der Richter wird möglichst als unpolitische Subsumtionsmaschine dargestellt, um die gerichtliche Kompetenz zur Kontrolle der Verwaltung rechtfertigen zu können (Ogorek, Richterkönig, S. 292 f., 369). Auch nach schrittweiser Einführung der richterlichen Kontrolle befürchtete man diese wieder zu verlieren, wenn sie zu schnell zu weit ausgedehnt wird (vgl. z. B. v. Lemayer, GrünhutsZ 8 (1881), 743 (760)). 783  Held-Daab, Ermessen, S. 172.

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2. Teil: Spielräume der Verwaltung

telnde Durchschnittsauffassung der Allgemeinheit, der konkreten Rechtsanwender oder eines bestimmten (sachverständigen) Verkehrskreises verstanden.784 Im Ergebnis blieb es dabei, dass die Rechtsanwendung im Bereich der meisten unbestimmten Rechtsbegriffe als vollständig rechtlich determiniert beschrieben wurde.785 Die Idee, Spielräume der Verwaltung als Lücke der ansonsten vollständigen rechtlichen Determiniertheit zu begreifen, entwickelte sich insofern in zwei Schritten. Ausgangspunkt war ein Verständnis des Rechts als bloßer Schranke ansonsten umfassender staatlicher Souveränität786 und die dadurch bedingte Gleichsetzung von rechtlicher Determiniertheit und verwaltungsgerichtlicher Kontrolle.787 Diese Gleichsetzung wurde auch später, als sich die Voraussetzungen geändert hatten, nicht mehr grundlegend revidiert. Vielmehr wurde sie im zweiten Schritt mit dem rechtspolitisch motivierten Ansatz, die gerichtliche Kontrolle auf die unbestimmten Rechtsbegriffe auszudehnen, kombiniert. Auf diese Weise etablierte sich die Idee, Spielräume der Verwaltung als Lücke der ansonsten angenommenen vollständigen rechtlichen Determiniertheit zu begreifen, in der spätkonstitutionellen Lehre.788 Der Grundgedanke fand sodann auch Eingang in die sich neu entwickelnde Spielraumdiskussion der 1950er Jahre und wirkt davon ausgehend teilweise bis heute in der juristischen Literatur nach.789 Die sich in den 1950er Jahren neuformierende Verwaltungsrechtslehre knüpfte bezüglich der Behandlung von Verwaltungsspielräumen teilweise ausdrücklich790 und teilweise implizit durch die Übernahme wesentlicher Annahmen an die spätkonstitutionelle Ermessenslehre an791 und entwickelte diese weiter.792 Auch die Grundannahme, Spielräume als Lücke einer ansonsten determinierten Rechtsanwendung zu begreifen, wird so im Ausgangs784  Beispielsweise Bühler, Rechte, S. 30 ff.; W. Jellinek, Gesetz, S. 38 f.; v. Laun, Ermessen, S.  50 ff. 785  Bühler, Rechte, S. 28 ff.; v. Laun, Ermessen, S. 59 f.; W. Jellinek, Gesetz, S. 159. 786  Darauf weist auch Ehmke, Ermessen, S. 41 hin. 787  In diese Richtung auch bereits Rupp, Grundfragen, S. 178. 788  Bühler, Rechte, S. 26 f.; W. Jellinek, Gesetz, S. 39; v. Laun, Ermessen, S. 61 f. 789  Vgl. beispielsweise Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 6. 790  Beispielsweise Bettermann, GS W. Jellinek, 361 (365 ff.) nimmt Bezug auf die Ermessenslehre bei W. Jellinek und O. Mayer; Bühler, GS W. Jellinek, 269 (275): „Die Hauptfragen […] beziehen sich wie schon vor 40 Jahren auf die unbestimmten Begriffe und die Grenze gegenüber der Ermessenskontrolle.“; vgl. die Literaturhinweise bei Forsthoff, Verwaltungsrecht, Bd. 1, 3. Aufl., S. 67 ff.; Ule, GS W. Jellinek, 309 (310, 314) nimmt Bezug auf W. Jellinek, Bernatzik und Tezner. 791  Mit diesem Ergebnis im Hinblick auf die Rezeption auch Stolleis, Geschichte, Bd. 2, S. 415. 792  In diese Richtung Rupp, Grundfragen, S. 178.



C. Kritische Überprüfung157

punkt übernommen. Beispielsweise Ule übernahm die Idee ausdrücklich von W. Jellinek und versuchte sie zu aktualisieren.793 Bei der Rezeption wurde sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Lehre als wesentliches Pro­ blem erkannt, dass es erhebliche praktische Schwierigkeiten gibt, bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ein eindeutig „richtiges“ Ergebnis zu ermitteln.794 Diese Erkenntnis wurde allerdings nur für einen pragmatischen Umgang und nicht für eine grundlegende Infragestellung und Neukonzeption genutzt. So wurde die Entwicklung etwas zurückgenommen und es wurden auch auf Tatbestandsseite in bestimmten Konstellationen wieder vermehrt Spielräume der Verwaltung anerkannt, die von der Rechtsprechung zunächst noch als Ermessensspielräume795 und von Bachof und Ule bereits als Beurteilungsspielräume796 bezeichnet wurden. Damit lässt sich das Grundproblem allerdings nicht lösen, sondern nur verlagern. Die „neuen“ Spielräume wurden tendenziell wieder mit einer gewissen Mehrdeutigkeit bei der praktischen Rechtsanwendung bzw. einer Lückenhaftigkeit des Rechts begründet.797 Daraus folgt dann allerdings auch im Umkehrschluss – wenngleich diese Konsequenz überwiegend nicht ausdrücklich formuliert wird –, dass in den Bereichen, in denen kein Spielraum besteht, die Rechtsanwendung eindeutig zu ermitteln ist.798 Auch waren die Spielräume bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe in der Rechtsprechung und zumindest bei Bachof als Ausnahme zu verstehen, sodass bei den meisten unbestimmten Rechtsbegriffen gerade kein Spielraum angenommen wurde.799 Für den überwiegenden Teil der unbestimmten Rechtsbegriffe verblieb es insofern dabei, dass nur eine einzige Antwort rechtlich richtig sein solle und diese deshalb vollständig gerichtlich überprüfbar seien.800 Der Widerspruch zur oben herausgearbeiteten rechtstheoretischen Erkenntnis wurde nicht aufgelöst, sondern zum einen in die Unterscheidung von unbestimmten Rechtsbegriffen GS W. Jellinek, 309 (310). BVerwGE 1, 92 (96); 4, 89 (91 f.); OVG Hamburg, MDR 1953, 316 (317) sowie aus der Lehre Bachof, JZ 1955, 97 (99 f.) und Ule, GS W. Jellinek, 309 (319 ff.). 795  Beispielsweise BVerwGE 1, 92 (96); 4, 89 (91 f.) sowie als Beispiele aus der Rechtsprechung auf Landesebene OVG Hamburg, MDR 1953, 316 (317); OVG Münster NJW 1953, 160 (160); Badischer VGH, DÖV 1953, 636 (637 f.); OVG Hamburg, MDR 1953, 316 (317). 796  Bachof, JZ 1955, 97 (98, 99 f.) und Ule, GS W. Jellinek, 309 (326). 797  Beispielsweise BVerwGE 1, 92 (96); 4, 89 (91 f.); Badischer VGH, DÖV 1953, 636 (637); OVG Hamburg, MDR 1953, 316 (317) sowie Bachof, JZ 1955, 97 (99 f., 101) und Ule, GS W. Jellinek, 309 (326 ff.). 798  Ausdrücklich hingegen Bettermann, GS W. Jellinek, 361 (368). 799  Bachof, JZ 1955, 97 (100); BVerwGE 5, 153 (162). 800  So teilweise die frühe Rechtsprechung BVerwGE 4, 89 (91 f.); 16, 116 (129 f.); BVerwG, DVBl. 1956, 716 (717); OVG Münster, DÖV 1955, 345 (346). 793  Ule,

794  Beispielsweise

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2. Teil: Spielräume der Verwaltung

mit und ohne Beurteilungsspielraum verlagert. Zum anderen zeigte sich die problematische Grundannahme noch deutlicher im Verständnis vom Rechtsfolgeermessen als echter Wahlfreiheit im Gegensatz zur „Rechtsanwendung“ im Bereich unbestimmter Rechtsbegriffe als kognitiver Erkenntnisleistung.801 So wurde begrifflich hervorgehoben, dass bei Auslegung und Subsumtion im Bereich unbestimmter Rechtsbegriffe grundsätzlich keine schöpferischen Elemente bestehen sollen, da es sich um einen reinen geistigen Erkenntnisakt handele.802 Ein solches Verständnis widerspricht bekannten rechtstheoretischen Erkenntnissen. Gesetzliche bzw. rechtliche Freiräume prägen zumindest als Potenzial die gesamte Rechtsanwendung. Insofern bestehen auch bei der Rechtsanwendung im Bereich unbestimmter Begriffe auf Tatbestandsseite potenziell rechtsschöpferische Elemente. Die bestehende Chance die Spielraumproblematik unter den geänderten staats- bzw. verfassungsrechtlichen Bedingungen neu zu denken, wurde zunächst nicht umfassend realisiert.803 So wurden die etablierten Grundannahmen der spätkonstitutionellen Ermessenslehre als Ausgangspunkt genommen, überwiegend ohne die möglichen rechtstheoretischen Probleme der Grundkonzeption oder den besonderen historischen Entstehungskontext tiefergehend zu reflektieren. So war sowohl der Rechtsprechung als auch der überwiegenden Lehre insgesamt eher an pragmatischen Lösungen gelegen, als an einer rechtstheoretisch möglichst widerspruchsfreien Begründung für die Annahme von Spielräumen. Das zeigt sich beispielsweise daran, dass die Rechtsprechung ihre Praxis im Ergebnis weitgehend beibehält, als sie im weiteren Verlauf sodann auf die normative Ermächtigungslehre und nicht mehr auf vermeintliche Lücken im Bereich rechtlicher Determiniertheit abstellt, um die Annahme von Spielräumen zu rechtfertigen.804 Für eine pragmatische Herangehensweise spricht auch, dass Bachof das Vorliegen eines Beurteilungsspielraums nicht pauschal für den Großteil der unbestimmten Begriffe, sondern flexibel und einzelfallbezogen bestimmt und zumindest auch bereits den Willen des Gesetzgebers zur Bestimmung heranzieht.805 So werden praktikable Ergebnisse gewährleistet, ohne dass es auf eine möglichst widerspruchsfreie rechtstheoretische Konzeption ankommt. Die möglicherweise bewusst pragmatische Herangehensweise zeigt sich auch im Kontrast 801  Bachof, JZ 1955, 97 (98); Reuss, DVBl. 1953, 585 (585 f.) und Ule, GS W. Jellinek, 309 (311 ff.). 802  Bachof, JZ 1955, 97 (98). 803  Ähnlich Rupp, NJW 1969, 1273 (1274), der feststellt, dass „die deutsche Lehre in der Sache wieder genau dort angelangt [ist], wo sie vor über 100 Jahren begonnen hat.“ 804  Dazu oben 2. Teil B. IV. 2. 805  Dazu oben 2. Teil B. III. 2. a) aa).



C. Kritische Überprüfung159

zu anderen Beiträgen aus der Zeit.806 So arbeitet Jesch als Schüler Bachofs bereits früh aufgrund einer tiefgehenden und rechtsgebietsübergreifenden Analyse unbestimmter Begriffe heraus,807 dass vermeintliche Freiräume bei der Rechtsanwendung nicht allein zur Begründung von Beurteilungsspiel­ räumen herangezogen werden können, sondern dass es entscheidend darauf ankommt, wem die Kompetenz zur Letztentscheidung normativ zustehen soll.808 Im weiteren Verlauf der Diskussion setzte sich sodann auch überwiegend die Einsicht durch, dass zur Begründung von Verwaltungsspielräumen nicht ausschließlich auf Unterschiede im Hinblick auf die rechtliche Determiniertheit abgestellt werden sollte.809 Unter der Geltung des Grundgesetzes ist eine solche Gleichsetzung weder erforderlich noch sinnvoll. Nach dem überwiegenden Verständnis einer Verfassungsstaatlichkeit „gibt es an Staat nicht mehr, als seine Verfassung zum Entstehen bringt“.810 Selbst wenn man wie einige Autoren davon ausgeht, dass der Staat der Verfassung vorausgeht,811 ist im Ergebnis festzustellen, dass die Exekutive in ihrer konkreten Form Teil der verfassten Gewalt ist und sich im Kern auf Rechtsnormen der Verfassung (insbesondere Art. 20 Abs. 2 GG) und nicht mehr auf eine vorrechtlich gedachte souveräne Entität stützt.812 Unter diesen geänderten Vorzeichen ist es nicht erforderlich, dass der Umfang der Rechtsbindung und die verwaltungsgerichtliche Kontrolle zusammenfallen.813 Der bestehende Freiraum bei der Rechtsanwendung ist lediglich die notwendige, aber nicht die hin­ reichende Bedingung für ein Letztentscheidungsrecht der Verwaltung. Die 806  Die bestehenden Widersprüche arbeiten beispielsweise auch bereits Ehmke, Ermessen, 23 ff. und Rupp, Grundfragen, S. 178 ff. heraus. 807  Jesch, AöR 82 (1957), 163 (165 ff.). 808  Jesch, AöR 82 (1957), 163 (229, 234 ff.); das betont in einem späteren Beitrag auch Bachof, JZ 1972, 641 (644), wenngleich er zur Bestimmung eines Spielraums sodann wieder entscheidend darauf abstellt, ob „mehr als nur ‚eine richtige Entscheidung‘ “ zulässig ist (S. 645). 809  Neben Jesch bereits damals in diese Richtung Ehmke, Ermessen, 23 ff. und Rupp, Grundfragen, S. 178 ff. sowie aus heutiger Zeit beispielsweise Ramsauer, FG BVerwG, 699 (711 ff.). 810  So Arndt, NJW 1963, 24 (25) und darauf bezugnehmend beispielsweise Häberle, KritV 78 (1995), 298 (300), der auf Smend als weiteren geistigen Vater eines solchen Verständnisses hinweist und Sauer, Staatsrecht III, § 2 Rn. 16. 811  Insbesondere Isensee, in: Ders./P. Kirchhof, Staatsrecht, Bd. 2, § 15 Rn. 1, 19 f.; P.  Kirchhof in: Isensee/ders., Bd. 2, § 21 Rn. 69 ff.; kritisch dazu C. Möllers, Staat, S.  260 ff. 812  So stellt auch Isensee, in: Ders./P. Kirchhof, Staatsrecht, Bd. 2, § 15 Rn. 2, 4 fest, dass ab dem Zeitpunkt der Verfassungsgebung die Verfassung dem Staat seine Form gibt. 813  So auch Jestaedt, in: Ehlers/Pünder, Verwaltungsrecht, § 11 Rn. 36 f., der vom Entscheidungsfreiraum mit und ohne Letztentscheidungsbefugnis spricht.

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2. Teil: Spielräume der Verwaltung

Frage nach dem richtigen Umfang gerichtlicher Kontrolle ist eine davon getrennt zu beantwortende Frage, bei der insbesondere verfassungsrechtliche, funktionale und rechtspolitische Aspekte berücksichtigt werden können.814 Insofern sollen im Folgenden drei alternative Modelle erörtert werden, die die Frage nach dem Bestehen eines Verwaltungsspielraums und den damit korrespondierenden gerichtlichen Kontrollmodus konsequent als Frage der Abgrenzung von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit verstehen. 2. Konsequenzen für das grundlegende Verständnis von Verwaltungsspielräumen Es ist zu klären, welche Konsequenzen sich daraus ergeben, dass der behauptete qualitative Unterschied im Hinblick auf die rechtliche Determiniertheit die Unterscheidung zwischen Entscheidung mit und ohne Spielraum nicht allein rechtfertigen kann. Es sind prinzipiell drei Alternativen denkbar: Zum einen könnte der Dualismus von Verwaltungsentscheidungen mit und ohne Spielraum aufgegeben und dahingehend aufgelöst werden, dass Verwaltungsspielräume nicht die Ausnahme darstellen, sondern die gesamte Verwaltungstätigkeit prägen. Als Konsequenz wäre die Rechtsprechung auf eine einheitliche Vertretbarkeitskontrolle beschränkt. Genau entgegengesetzt ließe sich allerdings auch vertreten, dass die Aufgabe des Dualismus von Verwaltungsentscheidungen mit und ohne Spielraum dazu führen müsste, dass die gesamte Verwaltungstätigkeit einer Vollkon­ trolle unterworfen wird. Denn die behaupteten Unterschiede in der rechtlichen Determinierung sind als Sachgrund für die Einräumung eines Verwaltungsspielraums wegfallen und insofern könnte insgesamt eine Vollkontrolle geboten sein. Als vermittelnde Möglichkeit könnte man auf Grundlage der normativen Ermächtigungslehre an der Differenzierung von Entscheidungen mit und ohne Spielraum und einem damit korrespondierenden negativen oder positiven gerichtlichen Kontrollmodus festhalten. Auch die normative Ermächtigungslehre ist zur Begründung eines Spielraums nicht auf einen Unterschied im Hinblick auf die rechtliche Determiniertheit angewiesen, da die Frage, ob der Verwaltung ein Letztentscheidungsrecht eingeräumt ist, durch Auslegung des einschlägigen Rechts zu ermitteln ist.

814  Vgl. Ramsauer, FG BVerwG, 699 (711 ff.); ähnlich die Wertung bei U. Neumann, Wahrheit, S. 63 für die Bereiche, in denen die Theorie der einzig richtigen Entscheidung als regulative Idee Anwendung finden soll.



C. Kritische Überprüfung161

a) Erste Möglichkeit: Prägung der gesamten Verwaltungstätigkeit Ein möglicher Ansatz, mit der Einsicht in die begrenzte Steuerungsleistung von Rechtsnormen umzugehen, ist es, die Unterscheidung zwischen „striktem“ Recht und Verwaltungsspielräumen insgesamt aufzugeben und die Gerichte sodann generell auf eine nachvollziehende Kontrolle zu beschränken.815 aa) Begrenzung der gerichtlichen Kontrolle auf Vertretbarkeitsprüfung Beispielsweise Ramsauer geht davon aus, dass der Verwaltung im Rahmen ihrer Kompetenz zum Gesetzesvollzug grundsätzlich das Letztentscheidungsrecht zustehen müsse.816 Der Rechtsschutz sei einheitlich auf eine nachvollziehende Kontrolle beschränkt, die aber je nach Einzelfall unterschiedlich intensiv ausfallen kann.817 Kern der nachvollziehenden Kontrolle sei ein Wechsel der Perspektive. Die Verwaltungsentscheidung samt ihrer Begründung werde zum wesentlichen Kontrollgegenstand, der kritisch nachvollzogen und nicht durch eine eigene gerichtliche Entscheidung zu ersetzen sei.818 Dafür müsse die Verwaltungsentscheidung logisch rekonstruiert werden und sodann auf mögliche Fehler untersucht werden.819 Zur Feststellung des Sachverhalts bleibe es beim Grundsatz der gerichtlichen Amtsermittlung nach § 86 VwGO. Ein Rechtsfehler solle immer dann bestehen, wenn sich das Ergebnis der Verwaltung aus der maßgeblichen Rechtsnorm „unzweifelhaft“ nicht herleiten lasse.820 Im Übrigen dürfe das Gericht nur den konkreten Herstellungsprozess und die dabei berücksichtigten Erwägungen der Verwaltung im Hinblick auf mögliche Fehler kontrollieren.821

815  Ramsauer, FG BVerwG, 699 (706); im Ergebnis ähnlich Ehmke, Ermessen, S.  45 ff. und Erichsen, VerwArch 63 (1972), 337 (343); in diese Richtung auch Starck, FS Sendler, 167 (170). 816  Ramsauer, FG BVerwG, 699 (718). 817  Ramsauer, FG BVerwG, 699 (718  ff.); diesen Aspekt besonders betonend Ehm­ke, Ermessen, S. 46 f. 818  Ramsauer, FG BVerwG, 699 (719). 819  Ramsauer, FG BVerwG, 699 (720). 820  Ramsauer, FG BVerwG, 699 (721). 821  Ramsauer, FG BVerwG, 699 (721 f.).

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2. Teil: Spielräume der Verwaltung

(1) K  ompetenz der Verwaltung zum Gesetzesvollzug sowie überlegene fachliche Eignung Die Begrenzung der gerichtlichen Kontrolle auf eine Vertretbarkeitsprüfung wird im Wesentlichen mit der Kompetenz der Verwaltung zum Gesetzesvollzug sowie der überlegenen fachlichen Eignung begründet. Das Grundgesetz habe der Verwaltung die Aufgabe übertragen, die Gesetze zu vollziehen und deshalb solle ihr sodann auch die Verantwortung dafür und damit ein Letztentscheidungsrecht zu kommen.822 Ein solches Letztentscheidungsrecht der Verwaltung sei auch deshalb sinnvoll, weil der Verwaltung regelmäßig gegenüber der Verwaltungsgerichtsbarkeit die überlegene Fachkom­ petenz zukomme.823 Die Rechtsprechung stoße hingegen aufgrund der gesteigerten Komplexität in naturwissenschaftlichen, technischen oder ökono­ mischen Problembereichen zunehmend an ihre Funktionsgrenzen.824 Den Gerichten fehle in diesem Bereich regelmäßig die erforderliche Fachkompetenz und auch die Einholung von externen Sachverstand im gerichtlichen Verfahren könne diesen Mangel nicht ausreichend kompensieren.825 Letztlich sind beide Argumente nicht hinreichend, um eine grundsätzlich nachvollziehende Kontrolle zu begründen. Dass der Verwaltung die Kompetenz zum Gesetzesvollzug zukommt, begründet allein ein Erstzugriffsrecht der Verwaltung. Über den richtigen Umfang einer nachgelagerten gericht­ lichen Kontrolle sagt die Kompetenz der Verwaltung zum Gesetzesvollzug hingegen nichts aus. Das Erstzugriffsrecht bleibt auch bestehen, wenn die anschließende gerichtliche Kontrolle vollumfänglich erfolgt. Auch die Annahme, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit in bestimmten Bereichen aufgrund der gesteigerten Komplexität an ihre Funktionsgrenzen stoßen kann, trifft in der Sache zu. Dabei ist es allerdings erforderlich, die unterschiedliche faktische Leistungsfähigkeit für jeweils unterschiedliche Konstellationen und Sachbereiche differenziert zu berücksichtigen. Das beschriebene Phänomen erstreckt sich nur auf einen Teilbereich der Verwaltungstätigkeit. Der Verwaltung kommt nicht generell, sondern eher punktuell die überlegene Fachkompetenz zu. Insofern dürfte es vorzugswürdig sein, die unterschiedliche faktische Leistungsfähigkeit von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit bei der Bestimmung, wem das Letztentscheidungsrecht in einer konkreten Konstellation zukommen soll, zu berücksichtigen. Die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung lassen sich beispielsweise auch im Rahmen der normativen Ermächtigungslehre für die Bestimmung eines Letztentscheidungsrechts der FG FG 824  Ramsauer, FG 825  Ramsauer, FG 822  Ramsauer, 823  Ramsauer,

BVerwG, BVerwG, BVerwG, BVerwG,

699 699 699 699

(718). (717). (716 f.). (716 f.).



C. Kritische Überprüfung163

Verwaltung berücksichtigen.826 Ein ausreichender Grund, um der Verwaltung pauschal das Letztentscheidungsrecht zuzuweisen und die Gerichte auf eine nachvollziehende Kontrolle zu beschränken, ergibt sich daraus hingegen nicht. (2) Aufwertung des Verwaltungsverfahrens Als weiteres Argument wird angeführt, dass durch eine grundsätzlich nachvollziehende Kontrolle das zum Entscheidungserlass führende Verfahren wesentlich aufgewertet würde.827 Aktuell sei ein Bedeutungsverlust des Verwaltungsverfahrensrechts zu bemerken, da die Verwaltung gegen Verfahrensrecht verstoßen könne, ohne dass entsprechende Verletzungen im gericht­ lichen Verfahren sanktioniert würden.828 Der Wechsel hin zu einer nachvollziehenden Kontrolle schaffe einen Anreiz für die Verwaltung rechtliche Verfahrensanforderungen ernst zu nehmen, da eine solche Kontrolle vermehrt auch das Verfahren und den Vorgang der Entscheidungsfindung und nicht nur das Entscheidungsergebnis einbeziehe.829 Unabhängig von einer inhaltlichen Bewertung kommt diesem Argument im Hinblick auf die Frage des richtigen gerichtlichen Kontrollmodus keine entscheidende Bedeutung zu. Die Frage, ob und in welchen Umfang den Verfahrensanforderungen im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle eine eigenständige, ergebnisrelevante Bedeutung zukommen soll und die Frage des richtigen gerichtlichen Kontrollmodus können und sollten getrennt voneinander diskutiert werden. Der richtige Ansatzpunkt, um erstere Frage zu erörtern, ist die umfangreiche verfassungsrechtliche bzw. rechtspolitische Diskussion zu § 46 VwVfG.830 Im Rahmen der Diskussion zu § 46 VwVfG sprechen gute Gründe dafür, dass zumindest die Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung allein wegen verfahrensrechtlicher Mängel, die sich offensichtlich nicht auf die Entscheidung ausgewirkt haben, nicht sinnvoll ist.831 Andernfalls würden unnötige Verfahren provoziert und dem belasteten Bürger wäre im Ergebnis nicht geholfen, wenn die Entscheidung im unmittelbaren Anschluss an die Aufhebung unter Einhaltung der verfahrensrechtli826  Dazu

oben 2. Teil B. III. 2. b) bb) (2) (b). FG BVerwG, 699 (724 f.). 828  Ramsauer, FG BVerwG, 699 (712 f.). 829  Ramsauer, FG BVerwG, 699 (724 f.). 830  Dazu beispielsweise mit umfassenderen Ausführungen Kischel, Fehlerfolgen, S.  242 ff. sowie Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 46 Rn. 5 ff. und Schemmer in: BeckOK, VwVfG, § 46 Rn. 13 ff. 831  Mit ausführlicher Begründung Kischel, Fehlerfolgen, S. 242 ff.; demgegenüber für das Erfordernis einer grundsätzlichen Sanktionierung von nicht geheilten Verfahrensverstößen Martin, Heilung, S. 177 ff. und 271 ff. 827  Ramsauer,

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2. Teil: Spielräume der Verwaltung

chen Anforderungen erneut erlassen werden könnte.832 Aber auch wenn man beispielsweise unter Verweis auf einen substanziellen (verfassungsrecht­ lichen) Eigenwert der Verfahrensrechte anderer Ansicht ist, wäre es ausreichend, rechtspolitisch auf eine Änderung des § 46 VwVfG hinzuwirken833 bzw. die Vorschrift aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken834 verfassungskonform auszulegen835 oder nicht anzuwenden. Eine Anpassung des gerichtlichen Kontrollmodus wäre hingegen in jedem Fall nicht erforderlich und auch nicht sinnvoll, um entsprechenden Bedenken abzuhelfen. Das gilt umso mehr, als dass der neugefasste § 46 VwVfG ohnehin auch Spielraumentscheidungen erfasst, wenngleich der Nachweis offensichtlich fehlender Beeinflussung der Entscheidung in diesem Bereich schwieriger zu führen sein wird.836 Im Ergebnis überzeugen die Gründe, die für die Annahme einer allgemein eingeschränkten gerichtlichen Kontrolldichte angeführt werden, nicht. Auf der anderen Seite sprechen gute Gründe für eine grundsätzlich umfassende gerichtliche Kontrolle. bb) Grundsatz der Vollkontrolle ist verfassungsrechtlich geboten Die Frage des richtigen Umfangs gerichtlicher Kontrolle der Verwaltungstätigkeit wird heutzutage überwiegend als verfassungsrechtliche Frage verstanden.837 Dafür spricht, dass es dabei letztlich, um die Frage der Kompetenzabgrenzung von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit geht. Für eine solche Frage der inneren Ordnung des Staates dürfte das Verfassungsrecht der geeignete normative Anknüpfungspunkt sein.

in: BeckOK, VwVfG, § 46 Rn. 13. beispielsweise die Beschlussempfehlung des Umweltausschusses des Bundesrates, BR-Drs. 422/1/94, S. 4 und 26 f. 834  Zu möglichen verfassungsrechtlichen Bedenken vgl. Kischel, Fehlerfolgen, S. 266 ff.; kritisch diesbezüglich Martin, Heilung, S. 177 ff. 835  In diese Richtung beispielsweise Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 46 Rn.  8 f. 836  Dazu insgesamt Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 46 Rn. 73 ff. 837  So ergibt sich nach der ständigen Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 15, 275 (282); 18, 203 (212); 31, 113 (117) und BVerwGE 94, 307 (309 f.); 106, 263 (266 f.); 134, 108 (Rn. 11)) und der überwiegenden Ansicht in der Literatur (vgl. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht, Bd. 4/2, 1867 (1968 ff); Enders in: BeckOK, GG, Art. 19 Rn. 74; Schenke, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 571 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19  Abs. 4 Rn. 183; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 116 ff.) aus einer Interpretation des Art. 19 Abs. 4 GG der Grundsatz vollständiger gerichtlicher Nachprüfbarkeit eines Hoheitsaktes in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. 832  Schemmer, 833  Kritisch



C. Kritische Überprüfung165

Bei der verfassungsrechtlichen Erörterung sind zwei Aspekte zu berücksichtigen. Zum einen geht es um mögliche Anforderungen an die Kontrolldichte, damit aus der Perspektive des Bürgers der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gegen hoheitliche Maßnahmen in einem ausreichenden Maße gewährleistet bleibt. Zum anderen ist es erforderlich die Kompetenzzuordnung möglichst funktions- und leistungsgerecht vorzunehmen. Letzterer Aspekt ließ sich auch bei der Interpretation des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verorten. Wenngleich sich im Ergebnis ohnehin kein Unterschied ergibt, dürfte es dennoch vorzugswürdig sein, die Problematik insgesamt normativ an Art. 19 Abs. 4 GG anzuknüpfen. Art. 19 Abs. 4 GG lässt sich als Spezial­regelung für den Rechtsschutz gegen hoheitliche Maßnahmen insgesamt verstehen und ist insofern für das Verhältnis von Verwaltungsrechtsprechung und Verwaltung die speziellere Norm.838 Dabei sprechen im Ergebnis die überzeugenderen Argumente für den Grundsatz der Vollkontrolle: (1) Subjektiver Anspruch auf effektiven Rechtsschutz Der Wortlaut des Art. 19 Abs. 4 GG enthält keine ausdrückliche Aussage über den Umfang der gerichtlichen Kontrolle im Rahmen des zu gewährleistenden effektiven Rechtsschutzes. Allerdings besteht die Gefahr, dass der Anspruch des Bürgers auf effektiven Rechtsschutz gegen hoheitliche Maßnahmen durch eine weitgehende Beschränkung der gerichtlichen Kontrolldichte ausgehöhlt würde und deshalb zumindest kein effektiver Rechtsschutz mehr gewährleistet wäre.839 Insofern dürfte zumindest ein Anspruch darauf bestehen, dass die Kontrolldichte angemessen hoch ist und nicht leerläuft.840 Damit wäre der Grundsatz einer nachvollziehenden Kontrolle noch nicht vollständig ausgeschlossen,841 aber zumindest besonders begründungsbedürftig, da die Effektivität des Rechtsschutzes in der Tendenz für eine möglichst umfassende Überprüfung spricht.

838  Ausdrücklich 839  BVerfGE

in diese Richtung Jesch, AöR 82 (1957), 163 (236). 129, 1 (23) und Schenke, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 4

Rn. 571. 840  Weitere Ausführungen zum insofern angenommen Aushöhlungsvorbehalt unten 2. Teil C. I. 2. c) bb) (2). 841  Bereits aus diesem Grund vom Grundsatz der Vollkontrolle ausgehend hingegen Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 34.

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2. Teil: Spielräume der Verwaltung

(2) Systematik des Grundgesetzes Die Systematik des Grundgesetzes kann als Argument für den Grundsatz umfassender gerichtlicher Nachprüfung herangezogen werden. Die Unmöglichkeit einer vollständigen rechtlichen Bindung durch Rechtsnormen ist seit langem bekannt und die insofern bestehenden Freiräume lassen sich nicht nur durch administrative Entscheidungstechniken, sondern auch durch die Methoden richterlicher Rechtserkenntnis grundsätzlich verarbeiten.842 Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse werden die Verwaltung und die Verwaltungsrechtsprechung gem. Art. 20 Abs. 3 GG im gleichen Umfang an Recht und Gesetz gebunden.843 Die äquivalente Rechtsbindung spricht dafür, dass auch der Kontrollmaßstab der Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich nicht hinter dem Entscheidungsmaßstab der Verwaltung zurückbleiben soll. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass das Gericht bei seiner ihm gem. Art. 19 Abs. 4 GG zugewiesenen Kontrollaufgabe die Entscheidung vollständig nachprüfen und dabei auch bestehende Freiräume im Rahmen der Rechtsfindung selbstständig ausfüllen soll.844 Die Systematik des Grundgesetzes legt den Grundsatz der Vollkontrolle nahe.845 (3) Gerichtliche Kontrolle auf Stichprobenkontrolle beschränkt Auch ist zu berücksichtigen, dass die verwaltungsgerichtliche Kontrolle bezüglich der Verwaltungstätigkeit insgesamt unabhängig vom konkreten einzelfallbezogenen Kontrollumfang tendenziell einen nachvollziehenden Charakter hat. Die überwiegende Anzahl der Verwaltungsentscheidungen wird de facto nicht überprüft846 und insofern lässt sich die verwaltungsgerichtliche Überprüfung im Hinblick auf die gesamte Verwaltungstätigkeit gewissermaßen als eine Art Stichprobenkontrolle verstehen. Von einer die Verwaltung zu sehr einengenden Verwaltungsgerichtsbarkeit kann insofern auch nicht ausgegangen werden, wenn zumindest die verhältnismäßig wenigen Entscheidungen, die gerichtlich kontrolliert werden, sodann regelmäßig umfassend überprüft werden. Vielmehr dürfte es für ein dem Schutzauftrag der Verwaltungsgerichtsbarkeit angemessenes Kontrollniveau geboten sein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 183. AöR 82 (1957), 163 (236); Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 183. 844  Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 183. 845  Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 183. 846  Pro Jahr werden insgesamt etwa lediglich 200.000 Verfahren vor den Ver­ waltungsgerichten in der gesamten Bundesrepublik geführt (vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.4: Rechtspflege – Verwaltungsgerichte, erschienen am 20.08.2020). 842  Schmidt-Aßmann, 843  Jesch,



C. Kritische Überprüfung167

dass zumindest die Stichprobenkontrolle im Ausgangspunkt umfassend erfolgt. (4) Gewährleistung von Rechtssicherheit und Rechtsanwendungsgleichheit Darüber hinaus kommt der Rechtsprechung neben der Gewährung von subjektivem Rechtsschutz auch die objektive Funktion zu, durch die schrittweise Konkretisierung von Normen847 über den Einzelfall hinaus für Rechtsanwendungsgleichheit und Rechtssicherheit zu sorgen.848 Gerichtliche Entscheidungen stehen nicht isoliert zueinander, sondern haben potenziell vielfältige Beziehungen zu vorherigen und nachfolgenden Entscheidungen. Sie orientieren sich an vorangegangenen Entscheidungen und bieten wiederum Orientierungspunkte für nachfolgende Entscheidungen sowohl im Hinblick auf gleich gelagerte Fälle als auch allgemeine Interessenbewertungen, die dem Recht entnommen werden. Schrittweise werden so vormals besonders unbestimmte und mehrdeutige Begriffe durch eine ständige gerichtliche ­Praxis immer weiter verdichtet und damit handhabbar gemacht.849 Die sich dabei herausbildenden richterrechtlichen Leitlinien dienen als Orientierungspunkte und machen so die Rechtsanwendung insgesamt deutlich vorher­ sehbarer und vergleichbarer. Das Richterrecht dient dabei auch als Orien­ tierungspunkt für die Verwaltung und kann insofern behörden- und gegebenenfalls länderübergreifend eine verlässliche und vergleichbare Verwaltungstätigkeit begünstigen.850 Vergleichbar positive Effekte für die Rechtssicherheit und -gleichheit wären nicht zu erwarten, wenn die Gerichte lediglich eine Vertretbarkeitskontrolle durchführen würden.851 Dann würde sich die Konkretisierungsleistung darauf beschränken, die Grenzen der Vertretbarkeit zu bestimmen. Um hingegen die bestehende Offenheit von Rechtsnormen auch gerade in dem begrifflich nicht eindeutigen Bereich852 Schritt für Schritt zu verdichten, ist ein Letztentscheidungsrecht der Gerichte erforderlich, um zu entscheiden, wie eine bestimmte Norm ausgelegt und welche Sachverhalte konkret darunter subsumiert werden können und welche nicht. An dieser Stelle kehrt insofern die Theorie der einzig richtigen Entscheidung in ihrer funktionalen Deutung als „bewusste Fiktion“ oder „regulative Idee“ zu847  Zur

Normakzessorietät des Richterrechts Payandeh, Rechtserzeugung, S. 134 ff. in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 583 f.; U. Stelkens, FS Herberger, 895 (902 ff.). 849  Jesch, AöR 82 (1957), 163 (183 ff.). 850  Schenke, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 584. 851  U. Stelkens, FS Herberger, 895 (902 f.). 852  Im Hinblick auf unbestimmte Rechtsbegriffe von W. Jellinek, Gesetz, S. 36 f. als „Sphäre möglichen Zweifels“ und von Heck, AcP 112 (1914), 1 (46, 173) als „Begriffshof“ bezeichnet. 848  Schenke,

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2. Teil: Spielräume der Verwaltung

rück.853 Da die deutsche Rechtsordnung eine rechtlich verbindliche Bindung an Präjudizien854 nicht kennt, bleibt dennoch genug Raum, um flexibel auf neue Entwicklungen und sich ändernde Lebensverhältnisse reagieren zu können. Das rechtsschöpferische Potenzial einzelner Entscheidungen wird durch die stetige Konkretisierung begrenzt, bleibt aber im Grundsatz bestehen und sorgt dafür, dass die Rechtsanwendung trotz der schrittweisen Konkretisierung nicht erstarrt. Das Richterrecht ist einem stetigen, graduellen Wandel unterworfen. Ältere Konkretisierungsleistungen verlieren an Bedeutung855 und neue entstehen. Auch ist die Rechtsprechung besser als die Verwaltung geeignet, diese Konkretisierungsleistung über den Einzelfall hinaus zu erbringen. Zum einen fehlt es der föderal- und teilweise kommunalorganisierten Exekutive an den institutionellen und organisatorischen Voraussetzungen, die für eine Vereinheitlichung der Rechtsanwendung erforderlich sind und die auf Seiten der Gerichtsbarkeit insbesondere durch das Bundesverwaltungsgericht und die Oberverwaltungsgerichte gewährleistet werden können. Zum anderen wird die Verwaltungsgerichtsbarkeit in ihrer Aufgabe wesentlich durch die Verwaltungsrechtslehre unterstützt. Die dogmatisch orientierte Verwaltungsrechtslehre bereitet gerichtliche Entscheidungen durch die systematische Erschließung des Rechts vor856 und rezipiert wiederum die getroffenen Entscheidungen. Insbesondere den Kommentaren857 und zunehmend elektronischen Datenbanken kommt dabei eine wichtige Vermittlungsfunktion zu, da sie den in gerichtlichen Entscheidungen vorhandenen Inhalt speichern und für die zukünftigen Rechtsanwender strukturiert zur Verfügung stellen. Entscheidungen der Verwaltung werden in der rechtlichen Literatur hingegen regelmäßig nicht in gleicher Weise vorbereitet und rezipiert.

853  In diesem Sinne vertreten von beispielsweise U. Neumann, Wahrheit, S.  39 ff.; Schenke, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 583 f.; Schoch, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen, Bd. 3, § 50 Rn. 263; wohl auch U. Stelkens, FS Herberger, 895 (898 f.). 854  Vgl. BVerfGE 131, 20 (42); Payandeh, Rechtserzeugung, S. 136 ff. zur Ungeeignetheit der Kategorien der Bindung bzw. Verbindlichkeit, um die Wirkung von Präjudizien zu beschreiben, und der stattdessen für ein normatives Verständnis auf Grundlage von Elementen informeller und formeller Autorität plädiert (S. 142 ff.). 855  Zur Möglichkeit von bestehenden Präjudizien abzuweichen vgl. Payandeh, Rechtserzeugung, S.  485 ff. 856  v. Savigny, in: Dies./U. Neumann/Rahlf, 7 (8). 857  Vgl. zur Speicher- Filter- und Organisationsfunktion Kästle-Lamparter, Kommentare, S.  313 ff.



C. Kritische Überprüfung169

cc) Zwischenergebnis Insgesamt sprechen der subjektive Anspruch des Bürgers auf effektiven Rechtsschutz, die Systematik der Verfassung und die Rechtssicherheit und Rechtsanwendungsgleichheit und damit im Ergebnis die überwiegenden Gründe für eine grundsätzliche Vollkontrolle. Aus Art. 19 Abs. 4 GG ergibt sich der Grundsatz vollständiger Überprüfbarkeit der Verwaltungstätigkeit in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. Eine allgemeine Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle auf den Nachvollzug der Entscheidung ist insofern abzulehnen. Zu klären ist allerdings noch, ob es generell bei der Vollkon­ trolle bleibt oder ob Ausnahmen zugelassen werden sollen und können. b) Zweite Möglichkeit: Ablehnung von Verwaltungsspielräumen aa) Alleiniges Letztentscheidungsrecht der Gerichte im Rechtsstaat Ausgehend von der Einsicht in die beschriebenen Vorteile der Vollkon­ trolle könnte man dazu tendieren, die gesamte Verwaltungstätigkeit vollständig gerichtlich überprüfen zu lassen und insofern die Unterscheidung von Entscheidungen mit und ohne Spielraum zugunsten eines generellen Letztentscheidungsrechts der Gerichte im Bereich der gerichtlich überprüfbaren Verwaltungstätigkeit aufzugeben. Einen solchen Ansatz hat insbesondere Rupp bereits in seiner Habilita­ tionsschrift entwickelt858 und auch später vertreten.859 Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass rechtliche Freiräume nicht nur im Bereich administrativer Spielraumausübung bestehen, sondern die Rechtsanwendung bzw. die Rechts­verwirklichung insgesamt kennzeichnen.860 Daraus folgert Rupp, dass auch vermeintliche „Ermessensnormen“, normale Rechtsnormen seien und es insofern keinen Grund gäbe, diese anders zu behandeln. Die Ermessenshandhabung sei Rechtskonkretisierung wie jede sonstige Rechtsanwendung auch und insofern bedarf es keiner besonderen Behandlung im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle.861 Auch seien die Freiräume, sofern man die Rechtsanwendung nicht als logischen Subsumtionsmechanismus, sondern in die 858  Rupp, Grundfragen, S. 177 ff.; ähnlich Lohmann, Zweckmäßigkeit, S. 92 ff.; in diese Richtung auch aus neuerer Zeit Ibler, Rechtsschutz, S. 178 ff., der zwar Verwaltungsspielräume erhalten möchte, diese aber lediglich als Freistellung von rechtlichen Bindungen im Verhältnis zum Gesetzgeber versteht, ohne dass damit eine Einschränkung der umfassenden gerichtlichen Kontrolle verbunden wäre und ders., in: Berliner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 255 ff. 859  Rupp, NJW 1969, 1273 (1273 ff.). 860  Rupp, Grundfragen, S. 184 ff. 861  Rupp, Grundfragen, S. 204.

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2. Teil: Spielräume der Verwaltung

Richtung eines teleologisch orientierten, topischen Verfahrens im Sinne von Viehweg862 versteht, durch rechtliche Erkenntnis schließbar.863 Für diesen Akt der Rechtskonkretisierung stehe aber im Rahmen der Kontrolle der Verwaltungstätigkeit dem Richter die Letztentscheidungskompetenz zu.864 Ein möglicher Raum für „verfassungsfremde Erkenntnismonopole“ der Verwaltung bestünde hingegen im Hinblick auf die Rechtsstaatlichkeit nicht.865 Der rechtsstaatlichen Verfassung des Grundgesetzes sei die Ermächtigung der Verwaltung zur Entscheidung nach eigener Wahl nicht bekannt.866 Ebenso lasse sich aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht entnehmen, dass der Verwaltungsrichter in seiner Nachprüfung der Verwaltungsentscheidung aufgrund irgendwelcher Spielräume beschränkt sei.867 Vielmehr sei es eine rechtlicher Regelung entzogene richterliche „Taktfrage“, ob dieser möglicherweise auf die überlegene Sachkunde geeigneter Personen vertraue.868 Das ändert allerdings nichts daran, dass ihm die abschließende Verantwortung für die Entscheidung und damit auch das alleinige Recht zur Letzterkenntnis zustehe.869 bb) Vereinbarkeit von Verwaltungsspielräumen mit dem Rechtsstaatsprinzip Rupp arbeitet richtigerweise heraus, dass Freiräume nicht nur die Verwaltungstätigkeit, sondern auch die richterliche Rechtsanwendung insgesamt prägen. Eine nicht vollständige rechtliche Determiniertheit in einem bestimmten Bereich ist insofern nicht hinreichend, um die Annahme eines Verwaltungsspielraums zu begründen. Allerdings sagt diese Erkenntnis zunächst noch nichts darüber aus, wem sodann die Kompetenz zur Letztentscheidung im Bereich dieser Freiräume zustehen soll. Dass neben der Verwaltung auch Richter in der Lage sind, mit Freiräumen im Rahmen ihrer Rechtsprechungstätigkeit umzugehen, bedeutet nicht, dass ihnen sodann auch die ausschließliche Kompetenz dazu zustehen muss. Anders als im Zivil- und Strafrecht sind im Verwaltungsrecht nicht nur die Gerichte, sondern auch die Verwaltung als Teil der mit hoheitlichen Befugnissen ausgestatteten staat­ lichen Gewalt involviert. Der richtige Umfang gerichtlicher Kontrolle betrifft also unweigerlich auch die Frage der Kompetenzabgrenzung zwischen Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit. 862  Dazu

der von Rupp zitierte Viehweg, Topik, S.  53 ff. Grundfragen, S. 191, 194, 200. 864  Rupp, Grundfragen, S. 219. 865  Rupp, Grundfragen, S. 221. 866  Rupp, NJW 1969, 1273 (1276). 867  Rupp, NJW 1969, 1273 (1276). 868  Rupp, Grundfragen, S. 220; ders., NJW 1969, 1273 (1277 f.). 869  Rupp, Grundfragen, S. 221. 863  Rupp,



C. Kritische Überprüfung171

Die Vorstellung, dass dabei eine möglichst umfassende verwaltungsgerichtliche Kontrolle für eine größtmögliche Verwirklichung des Rechtsstaatsprinzips spricht, dürfte in dieser Pauschalität historisch überholt sein. Die Etablierung und der Ausbau der Verwaltungsrechtsprechung im 19. Jahrhundert war ohne Zweifel ein entscheidender Baustein bei der Entwicklung einer zunehmend rechtsstaatlichen Ordnung des Staates.870 So konnte die umfassende monarchische Souveränität durch durchsetzbare rechtliche Grenzen in einem gewissen Maße gebändigt und den Bürgern dadurch ein gewisser subjektiver Schutz gegen staatliche Maßnahmen und insbesondere staatliche Willkür gewährt werden. Die heutige Situation ist aber eine gänzlich andere.871 Zum einen ist die Verwaltung als Teil der verfassten Staatsgewalt grundgesetzlich konstituiert sowie demokratisch legitimiert und zum anderen umfassend und in gleicher Weise wie die Rechtsprechung an Recht und Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Bestehen rechtliche Bindungen, hat auch die Verwaltung diese bei ihrer Entscheidung in gleicher Weise wie die Gerichte zu berücksichtigen. Eine Kompetenzverschiebung von der Verwaltung hin zur Verwaltungsgerichtsbarkeit bewirkt nicht per se ein Mehr an rechtsstaatlicher Ordnung. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass das Rechtsstaatsprinzip nicht nur die Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes garantiert, sondern auch den Gewaltenteilungsgrundsatz enthält und dieser eine möglichst organadäquate und funktionsgerechte872 Kompetenzabgrenzung gebietet. Dass der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes in diesem Verhältnis stets der Vorrang gebührt, lässt sich dem Rechtsstaatsprinzip nicht entnehmen.873 Vor diesem Hintergrund wird ersichtlich, dass das Rechtsstaatsprinzip der Einräumung von administrativen Letztentscheidungsrechten nicht grundsätzlich entgegensteht, sondern vielmehr gebietet, dass dabei den Anforderungen an eine funktionsgerechte Kompetenzabgrenzung und zugleich der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes genügt wird.

870  Vgl.

dazu oben 2. Teil A. II. 2. in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 577. 872  Vgl. Hesse, FS Huber, 261 (262, 264 ff.) zu „von der Verfassung aufgetragenen Funktionen“ als entscheidendem Kriterium der Kompetenzabgrenzung und im Anschluss daran für das Verhältnis von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit Schuppert, DVBl. 1988, 1191 (1197). 873  In diese Richtung auch Schenke, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 577. 871  Schenke,

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2. Teil: Spielräume der Verwaltung

c) Dritte Möglichkeit: Verwaltungsspielräume als normativ zugewiesene Letztentscheidungsrechte der Verwaltung aa) Ausgangspunkt: funktionsgerechte Kompetenzabgrenzung Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen ist die angestrebte funktionsgerechte Kompetenzabgrenzung von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit. Diese dürfte es erfordern, Ausnahmen vom aus Art. 19 Abs. 4 GG hergeleiteten Grundsatz der Vollkontrolle prinzipiell zuzulassen. Dafür sprechen zwei wesentliche Erwägungen: (1) Unterschiede in der faktischen Leistungsfähigkeit Erstens Ist die unterschiedliche faktische Leistungsfähigkeit von Verwaltung und Rechtsprechung zu berücksichtigen, um inhaltlich möglichst sachangemessene Entscheidungen zu gewährleisten.874 So dürfte es aus unterschiedlichen Gründen Bereiche geben, in denen nicht zu erwarten ist, dass die Rechtsprechung im gerichtlichen Verfahren eine bessere oder auch nur qualitativ vergleichbare Entscheidung treffen kann. Beispielsweise dürfte die gesteigerte Komplexität in naturwissenschaftlichen, technischen oder ökonomischen Problembereichen die Rechtsprechung zum Teil an ihre Funktionsgrenzen875 bringen, da ihr regelmäßig die erforderliche Sachkompetenz fehlen wird und diese auch nur in gewissen Grenzen durch externe Experten im gerichtlichen Verfahren ergänzt werden kann.876 Die Verwaltung verfügt hingegen regelmäßig über personelle und sachliche Mittel, die zur Bewältigung der Komplexität in solchen fachlichen Problembereichen besser geeignet sind.877 Die überlegene Sachkompetenz dürfte insofern dafür sprechen, dass der Verwaltung dann auch das partielle Recht zur Letztentscheidung zustehen soll.878 In anderen Bereichen dürfte es gerade spezifisch auf eine besondere Entscheidungssituation ankommen, die sich im gerichtlichen Verfahren nicht oder nur unvollständig rekonstruieren lässt.879 Zu denken ist insbesondere an die Situation einer Prüfung oder andere Arten von fachlichen oder persönlichen Bewertungen (z. B. Leistungsbeurteilungen JZ 1993, 772 (779). Funktionsgrenzen der Rechtsprechung als entscheidendes Kriterium zur Begründung von Letztentscheidungsrechten der Verwaltung führt bereits Jesch, AöR 82 (1957), 162 (237 ff.) an. 876  Ramsauer, FG BVerwG, 699 (716 f.). 877  Bullinger, NJW 1974, 769 (770); Ramsauer, FG BVerwG, 699 (716 f.). 878  In diese Richtung Wahl, NVwZ 1991, 409 (411). 879  Vgl. beispielsweise BVerwGE 8, 272 (273 f.). 874  Schulze-Fielitz, 875  Die



C. Kritische Überprüfung173

von Beamten). Auch in solchen Situationen dürfte es kaum möglich sein die behördliche Entscheidung adäquat zu ersetzen. Allgemein zeigt sich, dass es Situationen gibt, in denen es aus unterschiedlichen Gründen für das Gericht kaum möglich sein wird, eine eigene Entscheidung sachangemessen zu treffen. In solchen Situationen sollte der Verwaltung das Letztentscheidungsrecht zugewiesen werden.880 (2) Notwendige Flexibilität für sachangemessene Verwaltungstätigkeit Zweitens ist die Gewährung von Spielräumen in einem gewissen Umfang erforderlich, damit die Verwaltung über ein zur Erfüllung der ihr zugewie­ senen Aufgaben notwendiges Maß an Flexibilität verfügt.881 Die Flexibilität dient zunächst dazu, dass die Verwaltung angemessen auf neue Entwicklungen und besondere atypische Umstände des Einzelfalls reagieren kann.882 Eine vergleichbare Flexibilität wäre nicht zu erwarten, wenn den Gerichten generell das Letztentscheidungsrecht zustehen würde. Die Rechtsprechungstätigkeit ist, wenngleich auch dort ein flexibles, schöpferisches Potenzial besteht, ihrem Aufbau und ihrer Funktion nach stärker auf Vereinheitlichung angelegt.883 Zwar kann sich auch die Verwaltung durch eine ständige Praxis und insbesondere den Erlass von Verwaltungsvorschriften im Bereich der Spielraumausübung selbst binden,884 aber anders als im Bereich einer Letztentscheidungskompetenz der Gerichte kann die Verwaltung sodann für die Zukunft bei Vorliegen eines sachlichen Grundes eigenständig von dieser Selbstbindung abweichen.885 Andernfalls müsste die Verwaltung darauf vertrauen, dass die Gerichte ihre Einschätzung teilen und wäre bereits dadurch in ihrer Flexibilität empfindlich eingeschränkt. Noch bedeutsamer dürfte die eingeräumte Flexibilität allerdings in einer anderen Hinsicht sein. Die Funktion der Einräumung von Spielräumen erschöpft sich nicht darin, Einzelfallgerechtigkeit zu gewährleisten. Einzelfallgerechtigkeit ließe sich häufig in ähnlicher Weise auch durch eine entsprechende gerichtliche Letztentscheidung erzeugen. Vielmehr geben Spielräume der Verwaltung insbesondere die Möglichkeit, übergeordnete Ziele zu verfolgen, entsprechende Konzepte zu entwickeln und ihre Entscheidungen sodann 880  In

diese Richtung Wahl, NVwZ 1991, 409 (411). NJW 1974, 769 (770); Schenke, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 577. 882  Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/ders., Verwaltungsrecht, § 31 Rn. 38. 883  Dazu 2. Teil C. I. 2. a) bb) (4). und 2. Teil D. II. 884  Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 104, 106. 885  Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 123 f. 881  Bullinger,

174

2. Teil: Spielräume der Verwaltung

daran auszurichten.886 Zum Beispiel ist es so für die Verwaltung möglich, die Gewährung von Leistungen von Kriterien abhängig zu machen, die zwar allgemein gelten, aber an die spezifische Situation – beispielsweise die ört­ lichen Gegebenheiten – angepasst wurden. So können die Kriterien, die in einer bestimmten Gemeinde für den Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung (Sportplätze, Bibliotheken, Jugendzentren, etc.) angewendet werden,887 in einer anderen Gemeinde nicht angemessen sein. Insofern ist es erfor­ derlich, dass die jeweiligen örtlich zuständigen Behörden eigene Kriterien entwickeln können. Aber auch in anderen Bereichen – beispielsweise der Gefahrenabwehr – ist es für eine effektive Aufgabenwahrnehmung äußerst sinnvoll nicht nur einzelfallgerechte, sondern auch einer übergeordneten, langfristigen Strategie gerecht werdende Entscheidungen treffen zu können. Entsprechende übergeordnete Konzepte und langfristige Ziele kann die Verwaltung allerdings nur entwickeln und verfolgen, wenn ihr in bestimmten Bereichen ein notwendiges Maß an Flexibilität zukommt. Auch in dieser Hinsicht ist die partielle Einräumung von Verwaltungsspielräumen für eine angemessene Aufgabenwahrnehmung erforderlich. Insgesamt sprechen die überzeugenderen Gründe dafür, Ausnahmen vom Grundsatz der Vollkontrolle zuzulassen, um eine funktionsgerechte Kompetenzabgrenzung zu ermöglichen. bb) Rückgriff auf die normative Ermächtigungslehre Um zu bestimmen, in welchen Bereichen und in welchen Umfang Letztentscheidungsrechte der Verwaltung bestehen, ist auf die normative Ermächtigungslehre zurückzugreifen. Die normative Ermächtigungslehre ermöglicht als Ausnahme vom Grundsatz der vollständigen gerichtlichen Überprüfbarkeit die einzelfallbezogene und insofern situativ angemessene Zuweisung eines Letztentscheidungsrechts an die Verwaltung unter Einbezug des Gesetzgebers.888 Dieser differenzierende Ansatz ermöglicht es, die unterschiedliche faktische Leistungsfähigkeit von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit zu berücksichtigen und gleichzeitig der Verwaltung ein für die Auf­ gabenerfüllung ausreichendes Maß an Flexibilität zuzugestehen. Ausgangspunkt sind dabei die rechtlichen Grundlagen der jeweiligen Entscheidung, anhand derer durch Auslegung zu ermitteln ist, ob der Verwaltung ausnahmsweise ein Letztentscheidungsrecht normativ zugewiesen werden 886  Kritisch dazu Rupp, NJW 1969, 1273 (1276), der von der „Verstopfung durch verwaltungseigene Entscheidungsschablonen“ spricht. 887  Zur Regelung der Benutzung öffentlicher Einrichtungen vgl. Peters in: BeckOK, GO NRW, § 8 Rn. 16 ff. 888  Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 184.



C. Kritische Überprüfung175

soll.889 An dieser Vorgehensweise wird teilweise kritisiert, dass sich der Gesetzgeber regelmäßig keine Gedanken über ein Letztentscheidungsrecht gemacht hat und eine entsprechend angenommene normative Zuweisung regelmäßig eine reine Fiktion sei.890 Dagegen spricht allerdings, dass sich ein normativ eröffnetes Letztentscheidungsrecht der Verwaltung zumindest im Bereich des Rechtsfolge- und Planungsermessens regelmäßig eindeutig bestimmen lässt. Die normstrukturell orientierte Binnendifferenzierungen erweist sich insofern als Möglichkeit für den Gesetzgeber, durch die Verortung einer offenen Formulierung auf Rechtsfolgenseite zu bestimmen, dass in diesem Bereich der Verwaltung das Recht zur Letztentscheidung zukommen soll. Noch entscheidender gegen den Einwand spricht allerdings, dass es sich nicht um ein spezielles Problem der normativen Ermächtigungslehre handelt, sondern um ein grundsätzliches Auslegungsproblem, dass die Rechtsanwendung insgesamt betrifft und insofern mit den Möglichkeiten juristischer Methodik zu lösen ist.891 Insofern dürfte auch bei der Bestimmung eines Letztentscheidungsrechts insbesondere im Bereich unbestimmter Rechtsbegriffe der historische Gesetzgeberwille allenfalls der Anfang, aber nicht der Endpunkt der Auslegung sein.892 Vielmehr sind bei der Bestimmung, ob ein Verwaltungsspielraum vorliegt, ebenso systematische und teleologische Aspekte zu berücksichtigen.893 Als besonders gewichtiges Kriterium im Rahmen der erforderlichen einzelfallbezogenen Auslegung können funktionellrechtliche Erwägungen (z. B. ein besonderes Verfahren, eine besondere Entscheidungssituation oder die besondere Fachkunde der Behörde) maßgeblich dazu beitragen, dass Schweigen des historischen Gesetzgebers zu kompensieren.894 Die Auslegung des Gesetzes hat unter Berücksichtigung des gesamten Regelungskontextes, aber auch der verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilung zu erfolgen.895 So ist es ein wesentlicher Maßstab für die Auslegung, die vorgesehene Funktionsordnung angesichts der Besonderheiten eines in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 184 ff. Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, 12. Aufl., § 10 Rn. 33 und Rupp, FS Zeidler, 455 (463). 891  Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 187. 892  Die objektive Auslegungstheorie stellt auch nicht entscheidend auf den historischen Gesetzgeberwillen, sondern den normativen Gesetzessinn ab (vgl. dazu Larenz/ Canaris, Methodenlehre, S. 137 ff.). Anders aber beispielsweise Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 720, für die jede Auslegung mit der Erforschung des historischen Gesetzgeberwillens beginnt. Ein Fehlen des historischen Gesetzgeberwillens muss dann als Lücke durch richterliche Rechtsfortbildung aufgefüllt werden (Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 723, 822 ff.). Im Ergebnis besteht Einigkeit, dass die Auslegung nicht beim historischen Gesetzgeberwillen endet. 893  Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 187. 894  Dazu 2. Teil B. III. 2. b) bb) (2) (b). 895  Wahl, NVwZ 1991, 409 (411 f.). 889  Schmidt-Aßmann, 890  Beispielsweise

176

2. Teil: Spielräume der Verwaltung

Sachbereichs konkret zu verwirklichen.896 Auf diese Weise ermöglicht es die normative Ermächtigungslehre, die unterschiedliche faktische Leistungs­ fähigkeit von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit zu berücksichtigen und gleichzeitig der Verwaltung ein für die Aufgabenerfüllung ausreichendes Maß an Flexibilität zuzugestehen. cc) Normative Ermächtigungslehre mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar Darüber hinaus dürften Ausnahmen vom Grundsatz der Vollkontrolle aufgrund normativer Ermächtigung der grundsätzlichen Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes nicht entgegenstehen. Die normative Ermächtigungslehre dürfte auch diesbezüglich mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar sein. Dafür spricht zunächst, dass der Gesetzgeber in den Grenzen des Gesetzesvorbehalts und des Bestimmtheitsgebots über das grundsätzliche Maß rechtlicher Durchdringung bestimmter Bereiche entscheiden897 und damit auch den gerichtlichen Kontrollmaßstab und insbesondere bestehende Freiräume wesentlich beeinflussen kann.898 Da es sich im Vergleich dazu tendenziell um ein Weniger handelt, soll er dann auch darüber bestimmen können, wem das Recht zur Letztentscheidung in einem Bereich geringer gesetzlicher Determiniertheit zusteht.899 Nichtsdestotrotz ist auch die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes zu beachten. Im Hinblick auf behördliche Letztentscheidungsrechte und eine damit korrespondierende Reduktion des gerichtlichen Kontrollmaßstabes besteht die Gefahr, dass die Gewährleistung effektiven Rechtsschutz zwar im Ausgangspunkt unverändert bestehen bleibt, aber inhaltlich Schritt für Schritt durch eine zu weit reichende Kontrollreduktion ausgehöhlt wird. Dem kann allerdings abgeholfen werden, indem gewisse verfassungsrechtliche Anforderungen als eine Art Aushöhlungsvorbehalt bei der Anerkennung eines Letztentscheidungsrechts beachtet werden. Zu diesem Zweck hat das Bundesverfassungsgericht entsprechende Kriterien entwickelt.900 Die Gestaltungsmacht des Gesetzgebers wird dabei in zweifacher Hinsicht eingeschränkt. Zum einen dürfe der Gesetzgeber die „durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantierte Effektivität [des Rechtsschutzes] […] nicht durch zahlreiche oder weitgreifende Beurteilungsspielräume für ganze Sachbereiche oder gar Rechtsgebiete NVwZ 1991, 409 (412). 23, 73 (79 f.); 49, 89 (136 f.). 898  Papier, Stellung, S. 33 f. 899  In diese Richtung bereits Papier, Stellung, S. 33 f. und Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 184a. 900  So Eichberger, NVwZ Beilage 2013, 18 (21) und darauf bezugnehmend Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 184b. 896  Wahl,

897  BVerfGE



C. Kritische Überprüfung177

aushebeln“901 und zum anderen bedürfe jede Kontrollreduktion „eines hinreichend gewichtigen, am Grundsatz eines wirksamen Rechtsschutzes ausgerichteten Sachgrunds“.902 Werden beide Voraussetzungen bei der normativen Zuweisung eines Letztentscheidungsrechts an die Verwaltung beachtet, sind die dadurch geschaffenen Ausnahmen mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar. 3. Zwischenergebnis Es hat sich gezeigt, dass die fehlende rechtliche Determinierung einer Einzelfallentscheidung kein hinreichender Grund ist, um die unterschiedliche Behandlung von Entscheidungen mit und ohne Verwaltungsspielraum zu rechtfertigen. Das mögliche Bestehen eines Freiraums betrifft sowohl die Entscheidung des Richters als auch behördliche Entscheidungen mit und ohne Verwaltungsspielraum. Im Hinblick auf die rechtliche Determinierung gibt es keinen qualitativen, sondern allenfalls einen graduellen Unterschied. Die Frage nach einem möglichen Spielraum der Verwaltung ist konsequent als Frage der Abgrenzung von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit zu behandeln. Ein Verwaltungsspielraum lässt sich auf dogmatischer Ebene unter Rückgriff auf die normative Ermächtigungslehre als ein normativ eröffnetes Letztentscheidungsrecht der Verwaltung in einem Bereich tendenziell geringer gesetzlicher Determiniertheit verstehen. Der wesentliche Unterschied zwischen Verwaltungsentscheidungen mit und ohne Spielraum besteht in der unterschiedlichen Letztentscheidungskompetenz und den damit korrespondierenden unterschiedlichen gerichtlichen Kontrollmodi. Im Grundsatz findet eine Positivkontrolle, d. h. eine vollständige Überprüfung der Verwaltungsentscheidung, statt. Das Bestehen eines Spielraums beschränkt die Kontrolle hingegen auf eine Negativkontrolle, d. h. die Entscheidung wird lediglich auf spezifische Vorgangs- und Ergebnisfehler überprüft.903 Dieses grundlegende Verständnis von Spielräumen gilt für alle von der herrschenden Dogmatik angenommen Arten von Verwaltungsspielräumen (Beurteilungsspielraum sowie Rechtsfolge-, Planungs- und Regulierungsermessen) gleichermaßen.904 Vor dem Hintergrund dieses gemeinsamen Grundverständnisses stellt sich die weitergehende Frage, ob möglicherweise die Binnendifferenzierungen insgesamt aufgegeben werden sollten und stattdessen ein einheitliches Modell administrativer Spielräume vorzugswürdig ist.

901  BVerfGE

129, 1 (23). 129, 1 (23). 903  Ähnlich Alexy, JZ 1986, 701 (715). 904  BVerfGE 61, 82 (111) und Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 186 ff. 902  BVerfGE

178

2. Teil: Spielräume der Verwaltung

II. Gegenentwurf: Einheitliches Modell administrativer Spielräume Die Annahme, dass zumindest Beurteilungs- und Ermessensspielräume im Wesentlichen gleichartig seien, ist nicht neu, sondern hat den wesentlichen Teil der historischen Ermessensdiskussion geprägt.905 So wird die normstrukturelle Aufspaltung eines bis dahin einheitlich verstandenen administrativen Spielraums durch die Lehre vom unbestimmten Rechtsbegriff um die Jahrhundertwende vorgezeichnet,906 aber letztendlich erst unter der Geltung des Grundgesetzes vollendet.907 Gleichzeitig war diese dualistische Konzeption von Beginn an starker Kritik ausgesetzt. Viele Vertreter plädierten und plädieren für eine Rückkehr zu einem einheitlichen administrativen Spielraummodell (inklusive Planungs- und wohl auch Regulierungsermessen).908 Die Ansätze zur konkreten Ausgestaltung eines solchen Spielraummodells variieren zwar, können aber zusammengefasst dargestellt werden, da sich die Argumente im Wesentlichen gleichen. Die Vehemenz der Kritik hat mit der Zeit abgenommen909, dennoch lohnt es sich, auf die zentralen Argumente einzugehen, um den eigenen Blick auf Verwaltungsspielräume zu schärfen. 905  Vgl.

dazu die Zusammenfassung der historischen Entwicklung unter 1. Teil A. oben 1. Teil A. III. 1. In der spätkonstitutionellen Ermessenslehre verbleibt es aber bei einem einheitlich verstandenen Spielraumbegriff. So wird auch der verbleibende Spielraum der Verwaltung auf Tatbestandsebene überwiegend weiter als Ermessen bezeichnet. 907  Wenngleich zumindest in der Rechtsprechung anfangs auch unter der Geltung des Grundgesetzes Spielräume auf Tatbestandsseite einheitlich als Ermessen angesehen wurden (vgl. BVerwGE 4, 89 (92)). 908  So bereits Ehmke, Ermessen, 23 ff., bevor sich die herrschende Lehre überhaupt gefestigt hatte. Weitere Beiträge, die für ein einheitliches Spielraummodell plädieren: Bullinger, JZ 1984, 1001 ff.; Brinktrine, Verwaltungsermessen, S.  58 ff. m. w. N. und 554 ff. mit einer eigenen zustimmenden Stellungnahme; Herdegen, JZ 1991, 747 ff.; in diese Richtung Hoffmann-Riem/Pilniok, in: Voßkuhle/Eifert/Möllers, Grundlagen, Bd. 1, § 12 Rn. 147 ff.; Koch, Rechtsbegriffe, S. 126 ff.; Scholz, VVDStRL 34 (1976), 145 (166 ff.); Schuppert, DVBl. 1988, 1191 (1198 ff.). 909  So plädieren für die (begrenzte) Beibehaltung einer getrennten Befassung trotz Erkenntnis der im Ausgangspunkt bestehenden Gleichartigkeit: Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 186, 187a; Schenke, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 572 f. und in diese Richtung auch Pache, Abwägung, S. 479 ff., der zwar in der Zuständigkeit zur Rechtskonkretisierung durch Abwägung den gemeinsamen Nenner aller Spielräume erblickt, aber die Unterscheidungen der herrschenden Lehre (zumindest begrifflich) nicht aufgibt. Gerhardt, in: Schoch/ Schneider/Bier, VwGO, 35. EL September 2018, § 114 Rn. 4 ff. spricht von einer gemeinsamen Grundstruktur der Spielräume und möchte insofern allgemeine Regeln für eine Abwägungskontrolle formulieren. In seinen weiteren Ausführungen (Rn. 13 ff.) behält er dennoch die herkömmliche Aufteilung bei. 906  Dazu



C. Kritische Überprüfung179

1. Einheitlichkeit aller Verwaltungsspielräume Im Kern werden vier Argumente für die Einheitlichkeit aller Spielräume der Verwaltung angeführt. Sie beziehen sich auf die normtheoretisch-semantische Austauschbarkeit von Ermessens- bzw. Beurteilungsspielräumen sowie die gleichartige Funktion, den gleichartigen Vorgang und die gleichartige Kontrolle. Die letzten drei Argumente beziehen dabei i. d. R. ausdrücklich das Planungsermessen mit ein.910 Ausdrückliche Ausführungen zum Regulierungsermessen fehlen. Das dürfte allerdings lediglich daran liegen, dass es sich um eine neue Kategorie handelt, die sich erst in jüngerer Vergangenheit herausgebildet hat. Dennoch kann aber mit einiger Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Vertreter eines einheitlichen Spielraumbegriffs auch das Regulierungsermessen einbeziehen würden. Gerade im Hinblick auf das Regulierungsermessen bezweifeln selbst einige Vertreter der herrschenden Dogmatik, dass es sich um eine von den anderen Spielraumarten abgrenzbare Erscheinung handele.911 a) Austauschbarkeit von Beurteilungsspielraum und Ermessen aa) Normtheoretisch-semantische Austauschbarkeit Teilweise wird der normstrukturelle Ansatz der Unterscheidung von Beurteilungsspielraum und Ermessen aus einer normtheoretisch-semantischen Perspektive kritisiert. Dabei geht es im Kern um die These, dass es semantisch keinen Unterschied macht, an welchem normstrukturellen Standort ein Spielraum eingeräumt wird.912 Die gesetzlichen Formulierungen seien bezüglich ihres normstrukturellen Standorts beliebig austauschbar. Dies wird damit belegt, dass gesetzliche Formulierungen so umformuliert werden können, dass der normstrukturelle Standort eines Spielraums ausgetauscht wird, ohne dass sich der Regelungsinhalt ändere.913 Verdeutlichen lässt sich das Ganze am Beispiel der polizeirechtlichen Generalklausel: 910  Ausdrücklich bei Gerhardt in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 35. EL September 2018, § 114 Rn. 4 ff. und Vorb. § 113, Rn. 20; Schuppert, DVBl. 1988, 1191 (1198 ff.); Scholz, VVDStRL 34 (1976), 145 (161 ff.); Schmidt-Aßmann, VVDStRL 34 (1976), 221 (251 ff.). 911  So beispielsweise Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 65. 912  Ehmke, Ermessen, S. 28; Herdegen, JZ 1991, 747 (749); Starck, FS Sendler, 167 (168); Schuppert, DVBl. 1988, 1191 (1199); vgl. auch Häberle, Öffentliches Interesse, S. 595 ff. und 693, der als gemeinsamen Bezugspunkt unbestimmter Rechtsbegriffe und des Rechtsfolgeermessens das „öffentliche Interesse“ nachweist. 913  Ehmke, Ermessen, S. 28; Herdegen, JZ 1991, 747 (749) und Starck, FS Sendler, 167 (168 f.) jeweils mit weiteren Beispielen.

180

2. Teil: Spielräume der Verwaltung

Die Formulierung: „Die Polizei kann die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende, konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Gefahr) abzuwehren […]“, soll ohne Inhaltsänderung umformuliert werden können zu: „Die Polizei hat Maßnahmen zu treffen, wenn es zur Abwehr einer im einzelnen Falle bestehenden, konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung notwendig ist“.914 Als eine besondere Spielart der normtheoretisch-semantischen Argumentation haben W. Schmidt und im Anschluss daran Koch das „Tatbestandsergänzungsermessen“ entwickelt. Nach diesem Ansatz kann und soll jeglicher Spielraum der Verwaltung als Befugnis zur Ergänzung der Tatbestandsvoraussetzungen konstruiert werden.915 Die administrative Ermessensausübung lasse sich als Anreicherung der Tatbestandsvoraussetzungen um weitere Elemente, die die Behörde für das Setzen der bestimmten Rechtsfolge als relevant einstufe, verstehen.916 So lässt sich durch eine normtheoretisch-semantische Argumentation ein einheitlicher Spielraum auf der Tatbestandsseite der Norm begründen. bb) Durchbrechung der normstrukturellen Unterscheidung in der Praxis Als weiterer Beleg dafür, dass es nicht möglich ist, die Verwaltungsspielräume strikt normstrukturell auseinanderzuhalten, wird auf Kopplungsvorschriften im engeren Sinne917 sowie auf das Planungs- und Regulierungsermessen918 verwiesen.919 Den Beispielen ist gemein, dass zumindest die Rechtsprechung in diesen Konstellationen die strikte Unterscheidung von Beurteilungsspielraum und Ermessen aufgibt, um die Phänomene angemessen verarbeiten zu können.

914  Vgl.

Ehmke, Ermessen, S. 28. bei W. Schmidt, Gesetzesvollziehung, S. 156 f. Eine umfassende Zusammenfassung des Ansatzes findet sich bei Koch, Rechtsbegriffe, S. 126 ff., der die Begründung von W. Schmidt kritisch sieht, aber im Ergebnis zustimmt. Abweichend geht Koch, Rechtsbegriffe, S. 177 ff. allerdings davon aus, dass, auch wenn man das Ermessen als Befugnis zur Tatbestandsergänzung versteht, ein logisch-semantischer Unterschied zwischen unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessen bestehe. Unbestimmte Rechtsbegriffe erlaubten eine disjunktive Ergänzung des Tatbestandes und damit prinzipiell eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs einer Norm, wohingegen Ermessen eine konjunktive Ergänzung des Tatbestandes und damit eine Einschränkung des Anwendungsbereiches ermögliche. 916  Herdegen, JZ 1991, 747 (749). 917  Dazu 2. Teil B. IV. 3. 918  Dazu 2. Teil B. V. 919  Herdegen, JZ 1991, 747 (749); Schuppert, DVBl. 1988, 1191 (1199). 915  Zuerst



C. Kritische Überprüfung181

Aus Sicht der Kritiker zeigen die Beispiele, dass es aus normtheoretischsemantischer Perspektive keine Grundlage für die Unterscheidung gibt und diese deshalb aufgegeben werden sollte.920 Ein weiteres Phänomen aus der jüngeren verwaltungsgerichtlichen Recht­ sprechung,921 das teilweise als Durchbrechung der eigentlich strikten Trennung angesehen wird, ist die Berücksichtigung von Verhältnismäßigkeits­ erwägungen im Bereich gebundener Verwaltungstätigkeit.922 Dadurch solle verfassungsrechtlichen Anforderungen genüge getan werden.923 Als problematisch wird jedoch angesehen, dass es sich insofern um „verkappte“ Ermessensentscheidungen handele, da die strikte Gesetzesbindung durch den Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall relativiert werde.924 Gegen eine solche Deutung spricht jedoch, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sich aus dem Rechtsstaatsprinzip und der Bindung aller Staatsgewalt an die Grundrechte ergibt und insofern nicht nur für den Gesetzgeber, sondern auch für die Verwaltung und die Rechtsprechung allgemein gilt.925 Dementsprechend obliegt der Verwaltung die Wahrung der Verhältnismäßigkeit als allgemeiner Grundsatz des Verwaltungsrechts unabhängig davon, ob ihr ein Spielraum eingeräumt wurde. Auch im Bereich der gebundenen Verwaltungstätigkeit ist der Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit des Gesetzesvollzugs für jeden Einzelfall im Grundsatz stets „mitzulesen“.926 Ein mögliches Problem entsteht erst dann, wenn durch eine solche am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte Normanwendung gegen eine eindeutige gesetzgeberische Wertung verstoßen wird und insofern möglicherweise in die Kompetenz des Gesetzgebers eingegriffen wird.927 Dabei geht es insbesondere um die Frage, wann eine verfassungskonforme einzelfallbezogene Anwendung bzw. allgemeine Auslegung eines Gesetzes noch möglich ist und wann von einer Verfassungswidrigkeit des Gesetzes ausgegangen werden

FS Sendler, 167 (169). 137, 1 (5); BVerwG, NJW 2009, 2905 (2906); BVerwG, GewArch 1995, 114 (114). Vgl. auch die ausführliche Analyse der Rechtsprechung bei Barczak, VerwArch 105 (2014), 142 (158 ff.). 922  Ausführlich zu diesem Phänomen Barczak, VerwArch 105 (2014), 142 ff. und die diesbezügliche Monographie Vogt, Die verhältnismäßige Anwendung gebundener Normen, S.  1 ff. 923  Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 6. 924  Barczak, VerwArch 105 (2014), 142 (143 und 180); Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 6. 925  Michael/Morlok, Grundrechte, Rn. 612. 926  Michael/Morlok, Grundrechte, Rn. 612. 927  Vgl. auch die diesbezüglichen Ausführungen von Barczak, VerwArch 105 (2014), 142 (170 ff.). 920  Starck,

921  BVerwGE

182

2. Teil: Spielräume der Verwaltung

muss.928 Allerdings dürfte es vielfältige, atypische Konstellationen geben, in denen Verhältnismäßigkeitserwägungen auch bei der Auslegung und An­ wendung unbestimmter Tatbestandsmerkmale zulässigerweise berücksichtigt werden können und deshalb von der Annahme einer Verfassungswidrigkeit des Gesetzes insgesamt abgesehen werden kann.929 Für die hier verfolgte Fragestellung ist es ohnehin ausreichend festzustellen, dass die Berücksichtigung von Verhältnismäßigkeitserwägungen auf Tatbestandsseite nach hiesigem Spielraumverständnis nicht zu einer Annäherung von gebundener Verwaltungstätigkeit und Spielraumausübung führt. Das Letztentscheidungsrecht für mögliche Verhältnismäßigkeitserwägungen verbleibt unstreitig bei den Verwaltungsgerichten. Ein Spielraum der Verwaltung wird insofern nicht begründet. Das Beispiel ist nicht geeignet, um eine Durchbrechung der normstrukturellen Unterscheidung zu belegen. b) Phänomenologische Gleichartigkeit Die meisten Vertreter eines einheitlichen Spielraumbegriffs stellen allerdings nicht auf eine normtheoretisch-semantische Argumentation ab, sondern beschreiben auf einer phänomenologischen Ebene die Ähnlichkeit der unterschiedlichen Verwaltungsspielräume in zentralen Bereichen. aa) Gleichartige Funktion: Konkretisierung offener Normen Bereits Scholz stellte in seinem Referat auf der Staatsrechtslehrertagung im Jahr 1975 die funktionelle Gemeinsamkeit von Beurteilungsspielräumen, Rechtsfolge- und Planungsermessen ins Zentrum seiner Argumentation.930 Ausgangspunkt der Argumentation ist die rechtstheoretische Erkenntnis, dass jede richterliche wie behördliche Entscheidung die Setzung konkreten Rechts beinhalte,931 wenngleich die Verwaltung dabei primär Verwaltungszwecke konkretisiere.932 Vor diesem Hintergrund erweise sich die administrative Ausübung von Spielräumen sowohl auf Tatbestands- als auch auf Rechtsfolgenseite als konkretisierende Rechtssetzung.933 Dem schließen sich auch andere Vertreter an, indem sie die gleichartige Funktion in der Konkretisierung 928  Barczak, VerwArch 105 (2014), 142 (175); Vogt, Anwendung, S. 114 ff. hingegen geht von einer „dynamischen“ Gesetzesbindung als Alternative zur verfassungskonformen Auslegung aus. 929  Für ein insofern weites Verständnis Michael/Morlok, Grundrechte, Rn. 612. 930  Scholz, VVDStRL 34 (1976), 145 (161 ff.). 931  Scholz, VVDStRL 34 (1976), 145 (161 f.). 932  Scholz, VVDStRL 34 (1976), 145 (163). 933  Scholz, VVDStRL 34 (1976), 145 (167 f.).



C. Kritische Überprüfung183

offener Normen im Rahmen einer vorgegebenen Zweckbestimmung erblicken.934 Dieser Funktion entsprechend sei das gemeinsame Wesen der Spielräume die relativ schwache inhaltliche Vorausbestimmung der Verwaltungstätigkeit.935 bb) Gleichartiger Vorgang: wertende Abwägung im Einzelfall Im Anschluss an die als gleichartig beschriebene Funktion wird auch die Gleichartigkeit der Ausübung eines Verwaltungsspielraum als weiteres Argument für ein einheitliches Verständnis angeführt. Im Kern gehe es nicht nur bei der Ermessensausübung, sondern auch bei der Ausübung der anderen Verwaltungsspielräume immer um die wertende Beurteilung eines konkreten Sachverhalts.936 Der Vorgang, in dem sich eine solche wertende Beurteilung vollziehe, sei die Abwägung. Insofern seien alle Spielräume auf die Abwägung unterschiedlicher Belange ausgerichtet und auch in dieser Hinsicht gleichartig.937 Die Gleichartigkeit des Vorgangs, verstanden als Abwägung, wird sodann herangezogen um ein einheitliches Kontrollmodell, verstanden als Abwägungskontrolle, zu begründen.938 cc) Gleichartige Kontrolle: Abwägungskontrolle mit einheitlicher Fehlertypologie Die gemeinsame Grundstruktur von Beurteilungsspielraum, Ermessen und Planungsermessen erlaube es, die Kontrolle allgemein als Abwägungskon­ trolle zu verstehen.939 Daraus wird teilweise gefolgert, dass § 114 VwGO auf alle Verwaltungsspielräume anzuwenden sei.940

JZ 1991, 747 (748 f.); Starck, FS Sendler, 167 (167). FS Sendler, 167 (170) ausdrücklich für das Ermessen und Beurteilungs-

934  Herdegen, 935  Starck,

spielräume. 936  Scholz, VVDStRL 34 (1976), 145 (167) bezieht auch ausdrücklich als Gestaltungsermessen bezeichnetes Planungsermessen mit ein; Starck, FS Sendler, 167 (168). 937  Herdegen, JZ 1991, 747 (750) für Beurteilungsspielräume und Rechtsfolgeermessen; Schuppert, DVBl. 1988, 1091 (1199 f.) und Schmidt-Aßmann, VVDStRL 34 (1976), 221 (251 ff.) jeweils unter Einbezug von Planungsermessen. 938  Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 35. EL September 2018, § 114 Rn. 4 ff. und Vorb. § 113 Rn. 20. 939  Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 35. EL September 2018, § 114 Rn. 4 ff. und Vorb. § 113, Rn. 20; Schuppert, DVBl. 1988, 1191 (1199 f.); ähnlich auch Alexy, JZ 1986, 701 (707 ff.), der alle Ermessensfehler auf Vorgangsfehler zurückführt; Jestaedt, in: Ehlers/Pünder, Verwaltungsrecht, § 11 Rn. 52 und Scholz,

184

2. Teil: Spielräume der Verwaltung

Ausgehend vom Verständnis als einheitlicher Abwägungskontrolle werden beispielsweise von Gerhardt allgemeine Regeln formuliert, die für die Kon­ trolle aller Verwaltungsspielräume gelten sollen.941 Bei allen Verwaltungsspielräumen sei die Beachtung zwingenden Rechts, die vollständige und richtige Sachverhaltsermittlung, der vollständige Einbezug der zwingenden Abwägungsdirektiven, das Verbot der Einbeziehung sachfremder Kriterien sowie der fehlerfreie Abwägungsvorgang i. e. S. zu prüfen.942 Andere Autoren versuchen, die Ähnlichkeit im Bereich der Kontrolle zu belegen, indem sie die herkömmliche Fehlertypologie miteinander vergleichen.943 Herdegen kommt dabei für das Ermessen und die Beurteilungsspielräume zu dem Ergebnis, dass sich die möglichen Fehler weitgehend ent­ sprächen.944 Die Ermessensüberschreitung sei vergleichbar mit der Konkre­ tisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffs entgegen anerkannter Auslegungsstandards.945 Dem Ermessensfehlgebrauch entsprächen Mängel in der Abwägung. Dies zeige sich daran, dass jeweils die Berücksichtigung sachfremder Erwägungen sowie die fehlende Orientierung am Gesetzeszweck unzulässig sei. Ebenfalls müsse der Gleichheitssatz, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sowie die gesamte grundgesetzliche Werteordnung gleichermaßen bei Ermessens- und Beurteilungsermächtigungen berücksichtigt werden, andernfalls liege ein Ermessensfehlgebrauch bzw. ein Abwägungsmangel vor.946 Auch die Ermessensunterschreitung gebe es in vergleichbarer Weise bei Beurteilungsspielräumen. Die Behörde, die sich irrtümlicherweise für an eine bestimmte Normkonkretisierung gebunden hält und deshalb von einer eigenen Sachverhaltsbewertung absieht, handele ähnlich fehlerhaft.947 Die Vertreter der beiden Begründungsansätze (Formulieren allgemeiner Regeln für alle Verwaltungsspielräume sowie Vergleich der konkreten Fehlertypologie) kommen zu dem gemeinsamen Ergebnis, dass sich die Verwaltungsspielräume hinsichtlich der Kontrolle nicht unterscheiden.

VVDStRL 34 (1976), 145 (178 ff.), der den Schwerpunkt der gerichtlichen Kontrolle in der Verfahrens- und nicht der Inhaltskontrolle sieht. 940  Ruthig, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 114 Rn. 3; Starck, FS Sendler, 167 (176). 941  Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 35. EL September 2018, § 114 Rn. 4. 942  Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 35. EL September 2018, § 114 Rn.  5 ff. 943  Herdegen, JZ 1991, 747 (750 f.); Schuppert, DVBl. 1988, 1191 (1199 f.). 944  Herdegen, JZ 1991, 747 (750). 945  Herdegen, JZ 1991, 747 (750). 946  Herdegen, JZ 1991, 747 (750 f.). 947  Herdegen, JZ 1991, 747 (751); abweichend davon sieht Alexy, JZ 1986, 701 (713) in der Ermessensunterschreitung den einzigen spezifischen Ermessensfehler.



C. Kritische Überprüfung185

c) Konsequenz: Annahme eines einheitlichen administrativen Spielraums Zusammengefasst wird auf die normtheoretisch-semantische Austauschbarkeit der Spielräume der Verwaltung sowie die Gleichartigkeit aller Spielraumarten hinsichtlich Funktion, Vorgang und Kontrolle abgestellt. Daraus wird gefolgert, dass die kategoriale Trennung von Beurteilungsspielraum, Rechtsfolge-, Planungs- und Regulierungsermessen aufzuheben sei und stattdessen von einem einheitlichen Spielraumbegriff948 ausgegangen werden solle.949 Auch auf Grundlage dieses einheitlichen Spielraumbegriffs ließe sich weiter auf das Erfordernis normativer Ermächtigung abstellen, um zu bestimmen, ob ein Spielraum besteht. Letztlich werden die von der herrschenden Dogmatik angenommenen Spielraumtypen auf diese Weise lediglich einem einheitlichen Spielraumbegriff untergeordnet, ohne dass wesent­ liche rechtspraktische Konsequenzen für den Umfang der gerichtlichen Kontrolle zu erwarten wären. 2. Dogmatische Unterschiede und rechtstheoretische Ähnlichkeit Nichtsdestotrotz ist zu erörtern, ob die unterschiedlichen Typen von Spielräumen für die Zwecke der weiteren Untersuchung aufrechterhalten oder aber durch ein einheitliches Modell ersetzt werden sollen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die sich stellenden Untersuchungsfragen bezüglich der erforderlichen Perspektive auf Verwaltungsspielräume unterscheiden. Die Analyse der geltenden Rechtslage zur Zulässigkeit der Verwaltungsautomation im Bereich von Verwaltungsspielräumen erfordert als rechtsdogmatische Fragestellung ein eher rechtsdogmatisches Verständnis. Die Bewertung der Rechtslage und die damit zusammenhängende Frage, ob eine Automatisierung im Bereich von Verwaltungsspielräumen aus einer rechtstheoretischtechnischen Perspektive möglich ist, erfordert hingegen zumindest auch ein rechtstheoretisches Verständnis von Verwaltungsspielräumen. Insofern soll versucht werden, im Rahmen der folgenden Argumentation zwischen rechtstheoretischer und rechtsdogmatischer Perspektive zu unterscheiden. 948  Der einheitliche Spielraum wird in Anlehnung an die ursprüngliche Begriffsverwendung i. d. R. als Ermessen bezeichnet (beispielsweise bei Brinktrine, Verwaltungsermessen, S.  556 f.). 949  Bullinger, JZ 1984, 1001 (1001 ff.); Brinktrine, Verwaltungsermessen, 554 ff.; Herdegen, JZ 1991, 747 ff.; Schuppert, DVBl. 1988, 1191 (1198 ff.). Die Reichweite des einheitlichen Ermessens verbleibt unklar bei Scholz, VVDStRL 34 (1976), 145 (166 ff.), der zunächst das Ermessen von einer ermächtigenden Delegation durch den Gesetzgeber abhängig machen möchte (S. 168), sodann aber betont, dass eine fehlende gesetzgeberische Entscheidung im Zweifel zu einer Kompetenz der Verwaltung führen solle (S. 169).

186

2. Teil: Spielräume der Verwaltung

a) Rechtstheoretische Perspektive: Einheitlichkeit der Verwaltungsspielräume Den wesentlichen Argumenten für die Einheitlichkeit der Verwaltungsspielräume ist gemein, dass sie sich auf einer eher rechtstheoretischen Ebene bewegen und sodann benutzt werden, um die Aufgabe der dogmatischen Unterscheidungen zu begründen. aa) Entwicklungsgeschichtlicher Wert der normtheoretischen Argumentation Richtigerweise gehen die Vertreter eines einheitlichen Spielraummodells davon aus, dass Beurteilungsspielräume und Ermessen normtheoretisch-semantisch grundsätzlich austauschbar sind. Der sachlich gleiche Inhalt lässt sich über eine offene Formulierung auf Tatbestands- oder Rechtsfolgenseite vermitteln. Daraus folgt allerdings nicht zwingend, dass Verwaltungsspielräume unabhängig von ihrem normstrukturellen Standort gleichbehandelt werden müssen. Die eigentliche Bedeutung der Erkenntnis normstruktureller Austauschbarkeit liegt in seinem entwicklungsgeschichtlichen Wert.950 Es konnte die normtheoretische Argumentation der frühen Vertreter951 der nunmehr herrschenden Dogmatik widerlegt werden. Deren Unterscheidung beruhte auf der Ansicht, dass die Auslegung und Subsumtion im Bereich des Tatbestandes ein Erkenntnis- und die Wahl der Rechtsfolge ein Willensakt sei.952 Dementsprechend seien Beurteilungsspielräume auf Tatbestandsseite und Ermessen auf Rechtsfolgenseite qualitativ zu unterscheiden. Führt man sich allerdings vor Augen, dass der normstrukturelle Standort eines Spielraums ohne inhaltliche Änderung ausgetauscht werden kann, so bedeutet dies, dass sich dann auch die Qualität des Konkretisierungsaktes nicht grundsätzlich unterscheiden kann. Insofern musste der normtheoretische Begründungsansatz aufgegeben werden. Für die Frage, ob die dogmatischen Unterscheidungen aus heutiger Per­ spektive beibehalten werden sollen, haben diese normtheoretischen Erkenntnisse nur eine beschränkte Aussagekraft. Die herrschende Dogmatik hat sich in Form der normativen Ermächtigungslehre insgesamt von normtheoreti950  Seine ursprüngliche Funktion ergibt sich besonders anschaulich aus dem Beitrag von Ehmke, Ermessen, S.  23 ff. 951  Bachof, JZ 1955, 97 (98); Reuss, DVBl. 1953, 585 (585 f.); Ule, GS W. Jellinek, 309 (311 ff.); vgl. für weitere Ausführungen dazu oben 2. Teil B. III. 2. a) aa) u. bb). 952  Bachof, JZ 1955, 97 (98); Reuss, DVBl. 1953, 585 (585 f.); Ule, GS W. Jellinek, 309 (311 ff.); ursprünglich geht die Unterscheidung bereits auf Flume, FS Smend, 59 (97 ff.) zurück.



C. Kritische Überprüfung187

schen Begründungsansätzen emanzipiert.953 Festzuhalten bleibt lediglich, dass es aus normtheoretischer Perspektive nicht zwingend ist, zwischen Beurteilungs- und Ermessensspielräumen zu unterscheiden, da es auf dieser Ebene keinen qualitativen Unterschied gibt. bb) Gleichartigkeit bezüglich Funktion, Vorgang und Kontrolle Ähnliche Erwägungen gelten auch im Hinblick auf die beschriebene Gleichartigkeit der unterschiedlichen Spielraumarten. So dürfte es zutreffen, dass sich die Spielraumarten in wesentlichen Eigenschaften entsprechen. In dieser Hinsicht ist den Vertretern eines einheitlichen Spielraumbegriffs zuzustimmen. Es kann davon ausgegangen werden, dass alle Spielraumarten auf einer abstrakten Ebene eine ähnliche Grundstruktur aufweisen. Diese ähnliche Grundstruktur dürfte aus drei Elementen bestehen. Alle Spielraumarten werden tendenziell in einem Bereich geringer rechtlicher Determinierung angenommen und insofern lässt sich die Spielraumausübung als Konkretisierung einer offenen Normstruktur beschreiben. Im Rahmen dieser Konkretisierungsleistung dürften unterschiedliche, auch wertungsbedürftige Belange miteinander abzuwägen sein, sodass sich der Vorgang der Spielraumausübung tendenziell als Abwägung beschreiben lässt. Das dritte Element ist die reduzierte gerichtliche Kontrolldichte. Die Ausübung aller Spielräume ist lediglich auf Fehler hin zu überprüfen und die jeweilige Fehlerkontrolle entspricht sich in den Grundzügen. Allerdings ist einschränkend anzumerken, dass lediglich die eingeschränkte Kontrolle Spielräume spezifisch charakterisiert. Gleichzeitig ist dieses spezifische Charakteristikum kein Grund für die Annahme eines Spielraums, sondern vielmehr die Folge daraus, dass ein Spielraum angenommen und deshalb die Kontrolldichte reduziert wurde. Die anderen beiden Elemente sind hingegen nicht spezifisch auf Spielräume beschränkt. Auch im Bereich unbestimmter Rechtsbegriffe ohne Beurteilungsspielraum gibt es vielfältige Konstellationen, die sich dadurch auszeichnen, dass eine offenen Normstruktur mittels einer wertenden Abwägung zu konkretisieren ist. Im Ergebnis dürfte die beschriebene ähnliche Grundstruktur keinen ausreichenden Grund darstellen, um die dogmatischen Unterscheidungen aufzu­ geben. Der wesentliche Erkenntnisgewinn dürfte darin liegen, dass sich die dogmatischen Differenzierungen nicht mit qualitativen Unterschieden in dieser Hinsicht rechtfertigen lassen. Gleichzeitig ergibt sich daraus kein zwingender Grund für die Aufgabe der dogmatischen Unterscheidungen. Vielmehr sind Gründe, die für oder gegen die Beibehaltung sprechen, außerhalb der rechtstheoretischen Perspektive zu suchen. 953  Dazu

2. Teil B. III. 2. b).

188

2. Teil: Spielräume der Verwaltung

b) Dogmatische Perspektive: Beibehaltung der Unterscheidungen aus pragmatischen Gründen Auf dogmatischer Ebene sind keine überzeugenden Argumente ersichtlich, die für eine Aufgabe der Differenzierungen sprechen. Sofern man die bisher angenommenen Verwaltungsspielräume lediglich einem einheitlichen Spielraumbegriff unterstellt, würden sich auf rechtspraktischer Ebene keine wesentlichen Änderungen ergeben. Im Kern geht es vor allen um begriffliche Fragen und allenfalls um eine Annäherung dieser an rechtstheoretische Erkenntnisse. Dieser Befund wird dadurch bestätigt, dass die Rechtsprechung zwar die Begrifflichkeiten der herrschenden Lehre übernommen, aber ihre Praxis im Ergebnis nicht wesentlich angepasst hat.954 Die Aufgabe der in Lehre und Rechtsprechung fest verankerten dogmatischen Unterscheidungen erscheint insbesondere vor dem Hintergrund von Funktion und Aufgabe rechtswissenschaftlicher Dogmatik wenig sinnvoll. Dogmatik hat die Aufgabe, das Recht zu systematisieren und durch Begriffsbildung den Zugriff auf das Recht insgesamt zu strukturieren und damit die Kommunikation über Recht zu erleichtern. Für eine überzeugende Systematisierung benötigt jede Dogmatik geeignete Werkzeuge in Form von dogmatischen Figuren.955 Dogmatische Unterscheidungen sind als Beschreibungen eines fiktiven Gegenstands notwendig kontingent, gleichzeitig sind sie aber als historisch gewachsene Phänomene nicht beliebig austauschbar. Diese Pfadabhängigkeit kann im Hinblick auf dogmatische Unterscheidungen zu einer Art sich selbst erfüllender Prophezeiung führen: Ein behaupteter Unterschied wird durch konkretisierende Rechtsprechung und Literatur mit Bedeutung aufgeladen, die über die für die originäre Unterscheidung angegebenen Gründe hinausgeht. Gleichzeitig werden Gesetze vom Gesetzgeber immer auch vor dem Hintergrund einer spezifischen Dogmatik erlassen. Eine Änderung der Dogmatik kann insofern auch bestimmte gesetzgeberische Entscheidungen relativieren. Daraus lässt sich allgemein folgern, dass dogmatische Figuren nur aufgegeben werden sollten, wenn gewichtige Gründe dafürsprechen. Das gilt umso mehr, wenn man die gebotene Praxisorientierung der Dogmatik ernst nimmt. Die Systematisierungsleistung sollte sich nicht allein am positiven Recht orientieren, sondern auch die dazu ergangenen Entscheidungen der Rechtsprechung mit einbeziehen. Daraus folgt dann aber auch, dass im Zweifel von dogmatischen Änderungsvorschlägen abzusehen ist, wenn sich aus ihnen kein hinreichender Grund für eine Rechtsprechungsänderung ergibt.

954  Dazu 955  Das

2. Teil B. IV. 1. betont an späterer Stelle auch Bachof, JZ 1972, 641 (641).



C. Kritische Überprüfung189

Ähnlich verhält es sich beim herrschenden dogmatischen Verständnis im Bereich von Verwaltungsspielräumen. Der ursprünglich für die Differenzierungen angegebene qualitative Unterschied zwischen dem Akt der Tatbestandsauslegung und der Rechtsfolgenwahl hat sich als unzutreffend herausgestellt. Dennoch sind die unterschiedlichen Spielraumarten als gewachsene dogmatische Figuren leistungsfähig und dienen als Orientierungspunkt für verschiedene Rechtsanwender und den Gesetzgeber. So werden bestimmte Phänomene und Themenkomplexe in den Entscheidungen der Rechtsprechung sowie der Kommentar- und Lehrbuchliteratur klassischerweise einer der administrativen Spielraumarten zugeordnet und unter diesem Schlagwort abgehandelt. Durch diese Strukturierungsleistung wird die Anschlussfähigkeit im verwaltungsrechtlichen Diskurs erhöht und ein Anknüpfungspunkt für differenzierte Argumentationen der Rechtsanwender geboten, was allgemein einen Rationalitätsgewinn bewirkt.956 Unter Zugrundelegung der normativen Ermächtigungslehre kommt dem normstrukturellen Standort eines Spielraums entgegen der angenommenen beliebigen Austauschbarkeit zumindest mittelbar eine inhaltliche Bedeutung zu. Auswirkungen ergeben sich hinsichtlich der gerichtlichen Kontrolldichte. Eine offene Formulierung auf Tatbestandsseite begründet in der Regel keinen Spielraum der Verwaltung, die Letztentscheidungskompetenz steht nur ausnahmsweise der Verwaltung zu. Eine offene Formulierung auf Rechtsfolgenseite hingegen führt in der Regel zur Annahme eines Ermessensspielraums der Verwaltung. Insofern kann der Gesetzgeber durch die Wahl des normstrukturellen Standorts die Zuweisung einer Letztentscheidungskompetenz im gewissen Umfang steuern. Auch wenn sich möglicherweise in den Gesetzgebungsmaterialien entsprechende Begründungen für die Wahl einer bestimmten Formulierung nicht finden lassen, darf vermutet werden, dass bei der Konzeption von Gesetzentwürfen auch auf die Formulierung in dieser Hinsicht geachtet wird. Nicht zuletzt ist die Unterscheidung zwischen Beurteilungsspielräumen und Rechtsfolgeermessen in der geltenden Rechtsordnung positivrechtlich angelegt. So sind die §§ 40 VwVfG und 114 VwGO direkt lediglich auf das Ermessen, aber nicht auf Beurteilungsspielräume anwendbar.957 Auch im neu eingefügten § 35a VwVfG wird begrifflich ausdrücklich zwischen Beurteilungsspielräumen und Ermessen unterschieden. 956  Ähnlich Schoch, JA 2004, 612 (614), der vom „erhebliche[n] Rationalitätsgewinn“ spricht. 957  Für § 114 VwGO beispielsweise Ruthig, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 114 Rn. 3, die aber von einer entsprechenden Anwendbarkeit ausgehen; für § 40 VwVfG beispielsweise Ramsauer in: Kopp/ders., VwVfG, § 40 Rn. 4 ff., der ebenfalls von einer analogen Anwendbarkeit ausgeht.

190

2. Teil: Spielräume der Verwaltung

c) Zwischenergebnis Letztlich sind keine überzeugenden Vorteile einer Änderung der dogmatischen Unterscheidungen ersichtlich. Im Kern ginge es um eine begriffliche Anpassung. Daher überwiegen die pragmatischen Gründe für eine Beibe­ haltung der terminologischen Unterscheidungen der herrschenden Dogmatik. Gleichzeitig sollte man sich der rechtstheoretischen Erkenntnis nicht verschließen, dass es sich bei allen Spielraumarten im Ausgangspunkt um gleichartige Phänomene handelt. Man kann insofern von einer einheitlichen Grundstruktur administrativer Spielräume sprechen, ohne dabei die getrennte dogmatische Behandlung in der Rechtspraxis und dem rechtswissenschaftlichen Diskurs vollständig aufzugeben.958 Zu diesem vermittelnden Ergebnis passt, dass auch Bachof in einem späteren Beitrag klarstellt, dass er mit der Einführung der Unterscheidung keinen „unüberbrückbaren Gegensatz von Beurteilungsspielraum und Rechtsfolgeermessen im Sinne zweier trennscharf gegeneinander abgrenzbarer Kategorien“ behaupten wollte.959

D. Zwischenfazit Auf Grundlage der Auseinandersetzung mit der herrschenden Dogmatik und wesentlichen Alternativkonzepten konnte ein eigenes Verständnis von Verwaltungsspielräumen erarbeitet werden. Die herrschenden dogmatischen Unterscheidungen sind im Ergebnis trotz berechtigter Kritik aufrechtzuerhalten. Dafür ist es allerdings erforderlich, sich von rechtstheoretisch problematischen Annahmen zu lösen und diese durch eine jeweils tragfähigere Begründung zu ersetzen.

I. Verwaltungsspielräume als normativ eröffnete Letztentscheidungsrechte Die Frage nach einem möglichen Spielraum der Verwaltung ist konsequent als Frage der Abgrenzung von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit zu behandeln. Ein Verwaltungsspielraum ist als ein normativ eröffnetes Letzt958  So auch Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19  Abs. 4 Rn. 186 und Schenke, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 472 f.; vgl. auch Jestaedt, in: Ehlers/Pünder, Verwaltungsrecht, § 11 Rn. 12 ff. der zwar von einem „einheitlichen Grundmodell eines administrativen Entscheidungsfreiraums“ ausgeht (Rn. 31), aber dann doch der überkommenen Dogmatik in seiner Darstellung folgt (Rn. 56 ff.); so auch Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 35. EL September 2018, § 114 Rn. 4 ff. 959  Bachof, JZ 1972, 641 (642).



D. Zwischenfazit191

entscheidungsrecht der Verwaltung in einem Bereich tendenziell geringer gesetzlicher Determiniertheit zu verstehen. Der wesentliche Unterschied zwischen Verwaltungsentscheidungen mit und ohne Spielraum besteht in der unterschiedlichen Letztentscheidungskompetenz und den damit korrespondierenden unterschiedlichen gerichtlichen Kontrollmodi. Dabei ist es, anders als häufig dargestellt,960 erforderlich, die normative Ermächtigungslehre nicht nur zur Begründung von Beurteilungsspielräumen heranzuziehen, sondern insbesondere auch auf das Rechtsfolgeermessen zu beziehen. Das grundlegende Verständnis von Spielräumen als normativ eröffneten Letztentscheidungsrechten der Verwaltung gilt für alle von der herrschenden Dogmatik angenommen Arten von Verwaltungsspielräumen (Beurteilungsspielräume sowie Rechtsfolge-, Planungs- und Regulierungsermessen) gleichermaßen.

II. Unterschiede bezüglich der Verdichtung durch Richterrecht Ein qualitativer Unterschied im Hinblick auf die rechtliche Determiniertheit zwischen Entscheidungen mit und ohne Spielraum besteht im Ausgangspunkt nicht. Insofern ist ein Verständnis vom Spielraum als „Lücke“ einer ansonsten vollständigen rechtlichen Determiniertheit der Verwaltungstätigkeit abzulehnen.961 Allerdings ergibt sich als Konsequenz der unterschiedlichen gerichtlichen Kontrollmodi ein wesentlicher Unterschied auf sekundärer Ebene im Hinblick auf die unterschiedliche Verdichtung durch richterrecht­ liche Vorgaben. Im Bereich der Positivkontrolle sind die Gerichte dazu berechtigt, die Entscheidung der Verwaltung durch ihre eigene Entscheidung zu ersetzen. Die gerichtlichen Entscheidungen stehen aber nicht isoliert zueinander, sondern haben potenziell vielfältige Beziehungen zu vorherigen und nachfolgenden Entscheidungen. Sie orientieren sich an vorangegangenen Entscheidungen und bieten wiederum Orientierungspunkte für nachfolgende Entscheidungen sowohl im Hinblick auf gleich gelagerte Fälle als auch auf allgemeine Inte­ ressenbewertungen, die dem Recht entnommen werden. Dadurch werden vormals unbestimmte und mehrdeutige Begriffe durch eine ständige gerichtliche Praxis immer weiter verdichtet.962 Wesentlich begünstigt wird diese Tendenz zur Vereinheitlichung durch den hierarchischen Instanzenzug, dem trotz fehlender Rechtsbindung an Präjudizien963 eine starke disziplinierende Wirkung zukommt. Auch für die Verwaltung besteht keine unmittelbare 960  Vgl.

beispielsweise Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 34. oben 2. Teil C. I. 1. a), b). 962  Dazu oben 2. Teil C. I. 2. a) bb) (4). 963  Vgl. BVerfGE 131, 20 (42) und Payandeh, Rechtserzeugung, S. 136 ff. 961  Dazu

192

2. Teil: Spielräume der Verwaltung

rechtliche Bindung an richterrechtliche Vorgaben,964 allerdings orientiert sich die Verwaltung in der Praxis dennoch an diesen richterrechtlichen Maß­ stäben, da ansonsten die Aufhebung der Entscheidung und möglicherweise haftungsrechtliche Konsequenzen965 drohen.966 Insofern besteht auch in dieser Hinsicht eine starke faktische Bindungs- und Orientierungswirkung.967 Die bestehenden gesetzlichen Freiräume werden in der Praxis so Schritt für Schritt durch richterrechtliche Vorgaben konkretisiert und dadurch verdichtet.968 Zu einer vergleichbaren schrittweisen Konkretisierung und damit Verdichtung der gesetzlichen Freiräume kommt es in Bereichen, in denen der Verwaltung das Letztentscheidungsrecht zusteht, nicht. Im Ausgangspunkt werden zwar auch Spielraumentscheidungen regelmäßig durch verwaltungs­ interne Kommunikation, beispielsweise Verwaltungsvorschriften oder übergeordnete Konzepte, über den Einzelfall hinaus gesteuert.969 Auch ist die Verwaltung an ihre vorhergegangenen Entscheidungen gebunden, sofern sie eine Verwaltungspraxis begründen und damit eine über Art. 3 Abs. 1 GG rechtlich wirksame Selbstbindung der Verwaltung auslösen.970 Durch diese Möglichkeiten der „Selbstprogrammierung“ der Verwaltung werden auch die Verwaltungsspielräume regelmäßig einheitlich ausgeübt. Allerdings erfolgt die beschriebene „Selbstprogrammierung“ dezentral und hat insofern keine der Rechtssprechungspraxis vergleichbare allgemeine Wirkung. An eine bestimmte Verwaltungspraxis ist nur der jeweilige Verwaltungsträger der Behörde, die die Praxis begründet hat, gebunden.971 Verwaltungsvorschriften gelten zwar häufig zumindest für alle nachgeordneten Behörden, aber auch nicht generell.972 Darüber hinaus können die jeweiligen Behörden für die Zukunft ihre „Selbstprogrammierung“ eigenmächtig ändern, ohne darauf angewiesen zu sein, dass die oberinstanzlichen Gerichte ihre Auffassung tei964  Vgl. BVerfGE 84, 212 (227); 131, 20 (42) und mit ausführlicher Begründung Ossenbühl, AöR 92 (1967), 478 (480 ff.). 965  Vgl. beispielsweise BGH, NJW 1963, 1453 (1454). 966  Ossenbühl, AöR 92 (1967), 478 (488). 967  In diese Richtung Schenke, in: Bonner Kommentar, GG, Art.  19 Abs. 4 Rn.  583 f. 968  Jesch, AöR 82 (1957), 163 (183 ff.); Schenke, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 583 f.; U. Stelkens, FS Herberger, 895 (902 ff.). 969  U. Stelkens, VVDStRL 71 (2012), 369 (403). 970  U. Stelkens, VVDStRL 71 (2012), 369 (403). 971  BVerfGE 21, 54 (68); 79, 127 (158); BVerwGE 70, 127 (132); 78, 192 (205); Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 129 f. 972  Verwaltungsvorschriften werden entweder von einer vorgesetzten Behörde oder vom Behördenchef für die ihm unterstellten Verwaltungsbediensteten erlassen (Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 24 Rn. 1).



D. Zwischenfazit193

len.973 Insofern verbleibt für die jeweilige Behörde ein hohes Maß an Flexibilität. Aufgrund dieser Besonderheiten besteht ein wesentlicher Unterschied zur Konkretisierung durch Richterrecht. Es kann nicht von einer allgemein wirkenden schrittweisen Konkretisierung und Verdichtung des gesetzgeberischen Freiraums ausgegangen werden, sondern es liegt lediglich eine behördenbezogene generalisierte Ausübung des Spielraums vor. Diese generalisierte Ausübung des Spielraums entfaltet bezüglich der Behörden anderer Verwaltungsträger keine vergleichbare faktische Bindungswirkung. Die unterschiedlichen gerichtlichen Kontrollmodi bewirken mittelbar einen qualitativen Unterschied zwischen Verwaltungsentscheidungen mit und ohne Spielraum. Im Bereich von Verwaltungsentscheidungen ohne Spielraum kann die Behörde regelmäßig auf einheitliche richterrechtliche Maßstäbe zurückgreifen, die die Entscheidungen zumindest in der Praxis wesentlich bestimmen und den ursprünglich bestehenden gesetzlichen Freiraum über den Einzelfall hinaus verdichten. Vergleichbare richterrechtliche Maßstäbe, an denen sich die Behörde bei ihrer Entscheidung orientiert, bestehen im Bereich von Verwaltungsentscheidungen mit Spielraum nicht. Vielmehr kann die jeweilige Behörde übergeordnete Entscheidungsmaßstäbe durch administrative „Selbstprogrammierung“ eigenverantwortlich bestimmen und für die Zukunft wieder ändern. Allerdings ist vorsorglich darauf hinzuweisen, dass dieser Unterschied nicht geeignet ist, eine unterschiedliche Behandlung von Verwaltungsentscheidungen mit und ohne Spielraum zu rechtfertigen, sondern diese vielmehr voraussetzt. Er ist die Konsequenz der nach Maßgabe der normativen Ermächtigungslehre festgelegten unterschiedlichen gericht­ lichen Kontrollmodi.

III. Differenzierung zwischen Beurteilungsspielräumen sowie Rechtsfolge-, Planungs- und Regulierungsermessen Ausgehend vom einheitlichen Grundverständnis der Verwaltungsspielräume als der Verwaltung normativ zugewiesenen Letztentscheidungsrechten ist zwischen vier Arten von Verwaltungsspielräumen zu differenzieren, nämlich zwischen Beurteilungsspielräumen, Rechtsfolge-, Planungs- und Regulierungsermessen. Dabei sprechen pragmatische Gründe für die Aufrecht­ erhaltung dieser dogmatischen Binnendifferenzierungen.974 Insbesondere strukturieren sie den Diskurs und dienen als Orientierungspunkte für unter973  BVerwGE 104, 220 (223  f.); 126, 33 (47); Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 123 f.; Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 35. EL September 2018, § 114 Rn. 56 und Jestaedt, in: Ehlers/Pünder, Verwaltungsrecht, § 11 Rn. 86. 974  Ausführlich erörtert unter 2. Teil C. II. 2. b).

194

2. Teil: Spielräume der Verwaltung

schiedliche Rechtsanwender sowie den Gesetzgeber bei der Zuweisung von Letztentscheidungsrechten. Dabei sollte man sich allerdings bewusst sein, dass die begrifflichen Differenzierungen nicht auf zwingenden rechtstheoretischen Unterschieden beruhen und insofern prinzipiell auch eine andere Art der Strukturierung denkbar wäre.975 Die ursprünglich für die Unterscheidung von Beurteilungsspielräumen und Ermessen angeführte Behauptung, dass es sich um qualitativ gänzlich unterschiedliche Phänomene handele, hat sich als nicht tragfähig herausgestellt. Vielmehr entsprechen sich die Spielraumarten im Hinblick auf ihre Grundstruktur. Es handelt sich im Ausgangspunkt um ähnliche Phänomene und dennoch sind die dogmatischen Unterscheidungen aus pragmatischen Gründen aufrechtzuerhalten.

975  Dazu

bereits unter 2. Teil C. II. 2. a).

3. Teil

Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen Im 1. Teil der Untersuchung konnte herausgearbeitet werden, dass der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten grundsätzlich zulässig ist, solange er technisch möglich ist und dabei bestimmte organisations- und verfahrensrechtliche Anforderungen eingehalten werden können. Nunmehr ist zu beantworten, ob dieses automationsfreundliche Zwischenergebnis auch speziell für den Bereich der Verwaltungsspielräume gilt. Man könnte auf den ersten Blick dazu tendieren, die Unterscheidung zwischen der gebundenen Verwaltungstätigkeit und der Spielraumverwaltung als eine rechtliche und rechtstheoretisch-technische Grenze der Automation zu verstehen. Auch dem neu eingefügten § 35a VwVfG liegt scheinbar eine solche Bewertung zugrunde.976 Allerdings dürfte ein solcher Ansatz zu pauschal sein. Im Folgenden wird in drei Schritten aufgezeigt, dass eine differenziertere Beurteilung des Verhältnisses der Verwaltungsautomation zu Verwaltungsspielräumen notwendig ist. Im ersten Schritt ist das geltende Recht dahingehend zu analysieren, ob und inwieweit ein automatisierter Erlass von Verwaltungsakten im Bereich von Spielräumen rechtlich zulässig ist. Im zweiten Schritt sollen sodann mögliche normative Anforderungen herausgearbeitet werden, die beim automatisierten Erlass von Verwaltungsakten speziell im Bereich von Spielräumen berücksichtigt werden müssen. Im dritten Schritt wird die Frage erörtert, ob und inwieweit der Bereich der Spielräume für eine automatisierte Verfahrensdurchführung aus einer rechtstheoretisch-technischen Perspektive geeignet ist. Anders als beim hiesigen Aufbau ist insbesondere in der Diskussion vor Erlass der §§ 35a VwVfG, 155 Abs. 4 AO, 31a S. 1 SGB X häufig nicht genau zwischen der rechtlichen Zulässigkeit und der rechtstheoretischen bzw. technischen Möglichkeit der Automation unterschieden worden.977 Dieser Befund ist insofern plausibel, als dass es vor der Neuregelung an einem 976  BT-Drs. 18/8434, S. 122; in diese Richtung bereits der Beirat Verwaltungsverfahrensrecht beim BMI, NVwZ 2015, 1114 (1115), der allerdings die Möglichkeit einer antizipierten Ausübung anspricht. 977  Besonders deutlich wird dieser Befund beispielsweise bei Lazaratos, Verwaltungsautomation, S. 220, der seine grundsätzliche Ablehnung der Verwaltungsauto-

196 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

expliziten normativen Anknüpfungspunkt mangelte und die zuverlässige technische Umsetzbarkeit die Grundvoraussetzung der rechtlichen Zulässigkeit ist.978 Es ist indes zu fordern, die beiden Aspekte zunächst auseinanderzuhalten. Die dadurch gewonnene Möglichkeit, automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen aus mehreren Perspektiven zu beleuchten, bewirkt einen Rationalitätsgewinn. Nicht alles was technisch möglich ist, muss auch rechtlich zulässig sein. Die technische Möglichkeit ist zwar die äußerste Grenze der rechtlichen Zulässigkeit, allerdings verschiebt sich diese Möglichkeit regelmäßig automatisch durch den technischen Wandel. Dinge, die heute noch unmöglich erscheinen, werden in der Zukunft möglich sein. Dieser technische Fortschritt wird auch im Rahmen einer dynamischen Interpretation rechtlicher Voraussetzungen als ein wesentlicher Aspekt berücksichtigt. Allerdings können technischer und rechtlicher Wandel auseinanderfallen. Sowohl der Gesetzgeber als auch die Gerichte im Rahmen der Rechtsfortbildung berücksichtigen noch viele weitere Faktoren. Das zeigt sich beispielsweise an den neu eingefügten Vorschriften der §§ 35a VwVfG, 155 Abs. 4 AO, 31a S. 1 SGB X, die rechtliche Voraussetzungen der Zulässigkeit formulieren, die nicht unmittelbar an technische Möglichkeiten gebunden sind.979

A. Spielräume als mögliche rechtliche Grenze automatisierter Verfahrensdurchführung Im ersten Schritt soll sich der Frage nach der grundsätzlichen rechtlichen Zulässigkeit automatisiert erlassener Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen zugewandt werden. Dabei ist die Frage der Zulässigkeit zunächst zu präzisieren, um die genaue Argumentationslast zu bestimmen: Die grundsätzliche Zulässigkeit des automatisierten und insbesondere auch des vollständig automatisierten Erlasses von Verwaltungsakten ist bereits im ersten Teil der Untersuchung als rechtliche Grundlage erörtert worden.980 Dabei hat sich gezeigt, dass zum einen keine grundlegenden rechtlichen Einwände gegen die Automation bestehen und zum anderen der (voll)automatisierte Erlass von Verwaltungsakten seit Erlass der §§ 35a VwVfG, 155 Abs. 4 AO, 31a S. 1 SGB X in allen drei Verfahrensordnungen sogar ausdrücklich gesetzlich mation im Bereich von Ermessen im Wesentlichen mit dem „fundamentalen Widerspruch“ zum „Funktionsprinzip herkömmlicher […] Datenverarbeitung“ begründet. 978  Für den letzten Punkt Eifert, E-Government, S. 126. 979  In diese Richtung Ziekow, VwVfG, § 35a Rn. 12 für den Ausschluss von Entscheidungen mit Ermessens- oder Beurteilungsspielraum. 980  Dazu 1. Teil B. I. 2.



A. Spielräume als Grenze automatisierter Verfahrensdurchführung197

normiert ist. Ausgehend von diesem Befund kann die sich für den Bereich der Spielräume stellende Frage konkretisiert werden. Es kann von der allgemeinen Zulässigkeit der Automation ausgegangen werden, sodass nur noch die Frage zu beantworten ist, ob besondere rechtliche Gründe gegen die Automation gerade im Bereich der Spielräume sprechen. Sollten sich solche Gründe nicht finden lassen, ist von der Zulässigkeit der Automation auch im Bereich von Spielräumen auszugehen. Die Ausführungen in diesem Abschnitt beziehen sich zunächst auf Ermessens- und Beurteilungsspielräume. Ob die so gefundenen Ergebnisse auch auf das Regulierungs- und Planungsermessen übertragbar sind, wird im Anschluss unter Berücksichtigung von speziellen organisations- und verfahrensrechtlichen Vorgaben gesondert erörtert.

I. Möglicher Widerspruch zwischen der automatisierten Verfahrensdurchführung und dem Bestehen eines Spielraums Bereits vor Erlass der §§ 35a VwVfG, 155 Abs. 4 AO, 31a S. 1 SGB X ist auch die Frage, ob ein automatisierter Erlass von Verwaltungsakten im Bereich von Spielräumen ausgeschlossen ist, vielfach erörtert worden.981 Nach Einführung der Neuregelung könnte man davon ausgehen, dass diese bisherigen Ausführungen überholt und das Problem nur noch an den neuen Vorschriften zu messen ist. Dieser Eindruck drängt sich umso mehr auf, als dass zumindest § 35a VwVfG seinem Wortlaut nach, die Automation im Bereich von Spielräumen scheinbar eindeutig ausschließt und insofern weitergehende Überlegungen im Ergebnis unerheblich wären. Allerdings wird sich an späte981  Für eine generelle Unzulässigkeit Badura, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 34 Rn. 13; Stober, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, § 5 Rn. 31; zumindest für den Bereich der vollständigen Automation Degrandi, Verwaltungsverfügung, S. 82, der allerdings die Möglichkeit der Aussteuerung in Betracht zieht; Lazaratos, Verwaltungsautomation, S. 229 und 233; in diese Richtung auch Groß, VerwArch 95 (2004), 400 (409). Die wohl überwiegende Ansicht hält eine Verwaltungsautomation hingegen in dem Umfang für zulässig in dem auch eine generalisierte Spielraumausübung durch Verwaltungsvorschriften zulässig ist: Altfelder, Datenverarbeitung, S. 26; Eberle, VERW 20 (1987), 459 (463); Fadavian, in: v. Lucke, Smart Government, 113 (128 f.); Gruber, Verwaltungsentscheidungen, S.  72 f.; Nink, Justiz, S. 189 f.; zumindest im Falle einer bereits bestehenden Selbstbindung Polomski, Verwaltungsakt, S. 57 f. und Tönsmeyer-Uzuner, Expertensysteme, S. 113 f. In neuerer Zeit wird teilweise nach der materiellen Ermächtigungsgrundlage im Einzelfall differenziert: Eifert, E-Government, S. 130; Herold, Legitimation, S. 219 und 221 f.; Ritgen, in: Bauer u. a., VwVfG (E-Government), § 35 Rn. 57; offenlassend Britz, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen, Bd. 2, 2. Aufl., § 26 Rn. 59 f.

198 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

rer Stelle982 zeigen, dass der Ausschuss deutlich weniger weit reicht. Es sprechen gute Gründe dafür, sich mit den Ausführungen dennoch zu befassen: Zunächst einmal erfassen die §§ 35a VwVfG, 155 Abs. 4 AO, 31a S. 1 SGB X gar nicht alle Fälle des automatisierten Erlasses von Verwaltungsakten. Für den Bereich der teilautomatisiert erlassenen Verwaltungsakte stellen die bisherigen Ausführungen weiterhin den einzigen rechtlichen Maßstab dar. Darüber hinaus ist der § 35a VwVfG nicht in alle Landesverfahrensgesetze übernommen worden. So fehlt es in Bayern, Bremen und Thüringen an einer entsprechenden Regelung. Für die Automation im Anwendungsbereich dieser Verfahrensgesetze gelten insofern Maßstäbe, die unabhängig von § 35a VwVfG zu entwickeln sind. Letzterer Aspekt verdeutlicht auch einen weiteren Punkt. So ist es keineswegs sicher, dass die bisherigen Vorschriften zukünftig unverändert fortbestehen werden, denkbar wäre ebenfalls eine Änderung oder gänzliche Neufassung. Auch vor diesem Hintergrund erscheint es ratsam weiterhin allgemeinere Erwägungen nicht zu vernachlässigen. Darüber hinaus dürften die Ausführungen auch allgemein zu berücksichtigen sein. Es handelt sich um Erwägungen, die im Wesentlichen aus der Funktion und dem Zweck der Spielraumausübung sowie einer (unterstellten) gesetzgeberischen Intention bei der Einräumung eines Spielraums gewonnen werden. Der rechtliche Maßstab, an dem die Frage der Automation im Bereich von Spielräumen gemessen wird, entstammt insofern den rechtlichen Grundsätzen, die für Spielräume (vermeintlich) gelten. So lautet beispielsweise ein wesentliches Argument: Die Spielraumausübung erfordere die Berücksichtigung individueller Umstände bei der Entscheidung und eine solche Berücksichtigung könnten Algorithmen nicht leisten, sodass die Automation ausscheiden müsse.983 Die §§ 35a VwVfG, 155 Abs. 4 AO, 31a S. 1 SGB X treffen hingegen keine Aussagen dazu, welche rechtlichen Grundsätze für Spielräume gelten sollen und können insofern daraus entwickelte Maßstäbe auch nicht verdrängen. Es handelt sich um Vorschriften, die den automatisierten Erlass von Verwaltungsakten regeln und Spielräume nur im Bezug dazu als eine mögliche Grenze dieses Erlasses normieren. Auch sind die neuen Vorschriften nicht in einem Vakuum entstanden, sondern dürften im Hinblick auf die Behandlung von Spielräumen maßgeblich durch den bisherigen Diskussionsstand inspiriert worden sein. Deshalb ist es lohnend, sich mit den entsprechenden Erwägungen zunächst vorgelagert zu befassen, um dann bei der Interpretation der neuen Vorschriften auf dabei gewonnene Erkenntnisse zurückgreifen zu können. So ist es nicht verwun982  Dazu 983  Zu

3. Teil A. II. diesem Aspekt sogleich weitere Ausführungen unter 3. Teil A. I. 1. a) aa).



A. Spielräume als Grenze automatisierter Verfahrensdurchführung199

derlich, dass bei der Auslegung der neuen Vorschriften teilweise984 an Erwägungen angeknüpft wird, die auch im Rahmen der alten Diskussion eine Rolle gespielt haben. Insgesamt zeigt sich, dass für die Frage, ob der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten im Bereich von Spielräumen ausgeschlossen ist, die Maßstäbe zweier unterschiedlicher Regelungsregime zu berücksichtigen sind.985 Zum einen muss den rechtlichen Grundsätzen genügt werden, die im Bereich von Spielräumen gelten und zum anderen kann sich ein Ausschuss aus den Vorschriften ergeben, die nun explizit für die Verwaltungsautomation vorgesehen sind. Die beiden Maßstäbe sind dabei nebeneinander anzuwenden, da sie unabhängig voneinander grundsätzlich dazu geeignet sind, den rechtlichen Ausschluss des automatisierten Erlasses von Verwaltungsakten im Bereich von Verwaltungsspielräumen zu rechtfertigen. Im Folgenden soll zunächst die allgemeine Linie der alten Diskussion nachgezeichnet und für die Herausarbeitung eines eigenen Ansatzes genutzt werden. Die Beiträge konzentrieren sich dabei überwiegend auf das Ermessen, wenngleich nicht bei allen Autoren klar ist, ob auch andere Spielräume mitgemeint sein sollen.986 Um diesem Befund gerecht zu werden, wird auch der eigene Standpunkt zunächst speziell für den Bereich des Ermessens entwickelt. Im zweiten Schritt wird sodann aber aufgezeigt, dass sich die gefundenen Ergebnisse auch auf Beurteilungsspielräume übertragen lassen.987

984  Beispielsweise

(112).

U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81

985  Auch Tischbirek, ZfDR 2021, 307 (317 ff., 322 ff.) berücksichtigt beide Regelungsregime. 986  Beispielsweise Polomski, Verwaltungsakt, S. 56  ff. bezieht eigentlich unbestimmte Rechtsbegriffe und Beurteilungsspielräume ein, beschränkt sich dann aber in seiner Argumentation nahezu ausschließlich auf Ermessensspielräume. 987  Ähnlich die Herangehensweise von Eifert, E-Government, S. 129 f. und auch Herold, Legitimation, S. 221 f. überträgt die für Ermessensspielräume gefundenen Ergebnisse sodann auf Beurteilungsspielräume.

200 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

1. Ermessensspielräume a) Diskussionsstand vor Erlass der §§ 35a VwVfG, 155 Abs. 4 AO, 31a S. 1 SGB X aa) Ausgangspunkt: Widerspruch zwischen Einzelfallbewertung und Datenverarbeitung Startpunkt vieler Ausführungen ist die Annahme, dass das Treffen von Ermessensentscheidungen durch Algorithmen höchst problematisch sei, da es einen fundamentalen Widerspruch zwischen der notwendigen einzelfallorientierten Bewertung „und dem Funktionsprinzip herkömmlicher, auf der Anwendung normaler Algorithmen beruhender Datenverarbeitung“ gebe.988 Die Ermessensausübung erfordere die Berücksichtigung eventueller Besonderheiten und Eigenarten des Einzelfalls.989 Der Gesetzgeber räume der Verwaltung Ermessen ein, damit dieser die konkrete Rechtsgestaltung an die wechselnden Gegebenheiten einer komplexen Umwelt anpassen könne.990 Im Gegensatz dazu führe jede Automatisierung zwingend zu einer schematischen Regelung, die auf individuelle Interessen und Besonderheiten nicht eingehen könne.991 Auch wenn ein automatisierter Vollzug im Bereich von Ermessen über Hilfskonstruktionen technisch ermöglicht werde, bleibe ein solcher Vollzug grundsätzlich unzulässig.992 Er widerspreche der gesetzlichen Intention bei der Einräumung von Ermessen, die gerade eine individuelle Entscheidung sichern solle.993 bb) Gleichsetzung der Automation mit Ermessenslenkung durch Verwaltungsvorschriften Die Begründung für den pauschalen Ausschluss überzeugt allerdings nicht. Das zeigt bereits ein Vergleich mit der allgemein anerkannten Möglichkeit der Verwaltung, die Ermessensausübung durch Verwaltungsvorschriften zu steuern.994 Die Verwaltung kann durch den Erlass von Verwaltungsvorschrif988  So Lazaratos, Verwaltungsautomation, S. 220 mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der älteren Literatur für diese Position; ähnlich auch Altfelder, Datenverarbeitung, S. 19; Degrandi, Verwaltungsverfügung, S.  44 f. und Groß, VerwArch 95 (2004), 400 (409). 989  Lazaratos, Verwaltungsautomation, S. 220. 990  Lazaratos, Verwaltungsautomation, S. 220. 991  Lazaratos, Verwaltungsautomation, S. 220. 992  Polomski, Verwaltungsakt, S. 57. 993  Polomski, Verwaltungsakt, S.  57 f. 994  Dazu oben 2. Teil B. II. 4.



A. Spielräume als Grenze automatisierter Verfahrensdurchführung201

ten ihr Ermessen über den Einzelfall hinaus generalisiert ausüben. Ein solches Vorgehen ist nicht nur zulässig, sondern zur Wahrung des Gleichheitssatzes in einem gewissen Umfang sogar geboten.995 Folgerichtig wird deshalb vielfach davon ausgegangen, dass zumindest in dem Umfang, in dem eine generalisierte Ermessensausübung durch Verwaltungsvorschriften zulässig ist, auch keine ermessenspezifischen Bedenken gegen eine Automation bestehen dürften.996 Problematisch an dieser Gleichsetzung der Automation mit der generalisierten Ermessensausübung durch Verwaltungsvorschriften könnte allerdings der Umgang mit atypischen Fällen sein. cc) Atypische Fälle als Grenze der Generalisierbarkeit Die mögliche Bindung durch Verwaltungsvorschriften gilt nur für gleichgelagerte Fälle.997 In atypischen Fällen hingegen kann und unter Umständen muss der Sachbearbeiter von deren Regelungsgehalt abweichen.998 Vor diesem Hintergrund sei eine generalisierte Ermessensausübung nur zulässig, sofern zumindest die potenzielle Möglichkeit einer Abweichung für atypische Sonderfälle bestehe.999 Durch Algorithmen könnten diese atypischen Fälle allerdings grundsätzlich nicht erkannt werden, da es sich dabei wiederum um eine Einzelfallentscheidung handele.1000 Faktisch sei die Aussonderung atypischer Fälle deshalb allenfalls im Rahmen eines teilweise automatisiert durchgeführten Verfahrens bei der Sachverhaltsaufklärung durch menschliche 995  BVerwGE 31, 212 (212); 34, 278 (280); Michael, Gleichheitssatz, S. 271 ff. (insbesondere S. 274 f.) zu Art. 3 Abs. 1 GG als „Ermessensmethodennorm“; Riese, in Schoch/Schneider, VwGO, § 114 Rn. 74; U. Stelkens, VVDStRL 71 (2012), 369 (406). 996  Altfelder, Datenverarbeitung, S. 26; Eberle, VERW 20 (1987), 459 (463); Fadavian, in: v. Lucke, Smart Government, 113 (128 f.); Gruber, Verwaltungsentscheidungen, S.  72 f.; Nink, Justiz, S. 189 f.; so zunächst auch Lazaratos, Verwaltungsautomation, S.  223 f. m. w. N.; ähnlich Polomski, Verwaltungsakt, S. 56, 58, der allerdings betont, dass eine Selbstbindung durch eine Verwaltungspraxis bereits bestehen muss und nicht erst in der Automation liegen darf; dem zustimmend Tönsmeyer-Uzuner, Expertensysteme, S.  112 f. 997  BVerwGE 70, 127 (142); Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 122a. 998  BVerwGE 70, 127 (142); BVerwG, DÖV 1979, 793 (793); BVerwG, DÖV 1985, 682 (682); Jestaedt, in: Ehlers/Pünder, Verwaltungsrecht, § 11 Rn. 86; Maurer/ Waldhoff, Verwaltungsrecht, § 20 Rn. 29; Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 122a. 999  Lazaratos, Verwaltungsautomation, S.  224 f.; Tönsmeyer-Uzuner, Expertensysteme, S. 112 f.; a. A. Altfelder, Datenverarbeitung, S. 27, der das Problem zwar sieht, aber im Vergleich zu den Vorteilen der Automation für vernachlässigbar hält. 1000  Ähnlich Degrandi, Verwaltungsverfügung, S. 82, der davon spricht, dass der menschliche Sachbearbeiter die Entscheidung trifft, die generalisierten Maßstäbe für den Einzelfall zu übernehmen; Lazaratos, Verwaltungsautomation, S. 224 f.; ähnlich Ritgen, in: Bauer u. a., VwVfG (E-Government), § 35 Rn. 57.

202 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

Amtswalter möglich.1001 Allerdings reiche auch diese Überprüfung nicht aus. Sie erfolge entweder zu schematisch oder der Effizienzvorteil der Automation entfalle, wenn sich der Sachbearbeiter mit den besonderen Umständen des Einzelfalls befasse.1002 Dagegen spricht jedoch, dass es eine so weitgehende abstrakte Berücksichtigungspflicht unabhängig vom konkreten Einzelfall nicht gibt.1003 Es sind auch Ermessensspielräume denkbar, bei denen eine vollständige Typisierung möglich ist und sogar der gesetzlichen Intention entspricht.1004 Als Beispiel lässt sich der Anwohnerparkausweis anführen, bei dem der Verwaltung nach § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO ein Ermessen bei der Vergabe zukommt.1005 Bei der Ausfüllung des Ermessens wird die Verwaltung regelmäßig entsprechend der räumlichen Situation ein angemessenes Bewirtschaftungskonzept erstellen. Die konkrete Vergabeentscheidung erfolgt dann anhand der darin entwickelten Parameter. Die Einräumung des Ermessens erfolgt hier ersichtlich, damit die Verwaltung ihr Bewirtschaftungskonzept auf die räumliche Situation anpassen kann. Ein Vorbehalt abweichender Entscheidungen in atypischen Fällen dürfte hingegen der gesetzgeberischen Intention nicht entsprechen.1006 Aufgrund dieser Erwägungen wird zunehmend ein maßgeblich von Eifert entwickelter, differenzierender Ansatz vertreten, der auf die konkrete materielle Norm abstellt, um zu ermitteln, ob die Verwaltung trotz bestehendem Ermessen zur automatisierten Verfahrensdurchführung berechtigt ist.1007 Entscheidend soll es dabei darauf ankommen, ob der Verwaltung, ohne dass eine Berücksichtigung individueller Umstände erforderlich ist, lediglich die Kompetenz übertragen wurde, das offene Entscheidungsprogramm zu einem konkreten Entscheidungsprogramm zu verdichten.1008 Allerdings lässt sich aus1001  Degrandi, Verwaltungsverfügung, S. 81; Lazaratos, Verwaltungsautomation, S.  225 f.; ähnlich Ritgen, in: Bauer u. a., VwVfG (E-Government), § 35 Rn. 57; Töns­ meyer-Uzuner, Expertensysteme, S. 112 f., die davon spricht, dass die Möglichkeit der Einflussnahme für den menschlichen Bearbeiter bestehen müsse. 1002  Lazaratos, Verwaltungsautomation, S.  226 ff. 1003  Insbesondere nicht aus der allgemeinen Dogmatik zu Verwaltungsvorschriften Eifert, E-Government, S. 130. 1004  Eifert, E-Government, S. 130; ähnlich Ritgen in: Bauer u. a., VwVfG (E-Gov­ ernment), § 35 Rn. 57. 1005  Eifert, E-Government, S. 130 f. 1006  Eifert, E-Government, S. 130 f. 1007  Eifert, E-Government, S. 130; Herold, Legitimation, S. 219; ähnlich Ritgen, in: Bauer u. a., VwVfG (E-Government), § 35 Rn. 57. 1008  Eifert, E-Government, S. 130; ähnlich Herold, Legitimation, S. 219, die von der Unzulässigkeit ausgeht, wenn „nach dem Zweck der Ermächtigung ersichtlich ist, dass das Ermessen gerade zur besonderen Berücksichtigung individueller Fallmerkmale eingeräumt wurde“. Allerdings sei im Zweifel vorsorglich davon auszugehen,



A. Spielräume als Grenze automatisierter Verfahrensdurchführung203

gehend von dieser Überlegung noch eine wesentliche Erweiterung der Zulässigkeit der Verwaltungsautomation erreichen. b) Erweiterte Möglichkeit automatisierter Ermessensausübung Ausgangspunkt der weiteren Ausführungen ist der Ansatz Eiferts, dem insbesondere dahingehend zuzustimmen ist, dass ein nach unterschiedlichen Sachbereichen differenzierender Ansatz zu wählen ist. Die Ermessensnorm ist dahingehend auszulegen, ob die Einräumung den Zweck verfolgt, die Verwaltung allgemein zu einer Konkretisierung zu ermächtigen oder aber in besonderer Weise auch die Umstände des Einzelfalls zumindest potenziell berücksichtigt werden sollen. Wird ausschließlich der Zweck verfolgt, die Verwaltung zu einer Konkretisierung zu ermächtigen, ist auch eine generalisierende Ausfüllung und damit ein automatisiert erlassener Verwaltungsakt unproblematisch möglich.1009 Bei der Auslegung werden sich, wie bereits das obige Beispiel zeigt, solche Normen finden lassen, bei denen die Berücksichtigung von Einzelfallumständen und atypischen Einzelfällen erkennbar nicht der gesetzgeberischen Intention entsprach. Allerdings wird sich nur bei wenigen Ermessensspielräumen durch Auslegung der Norm ermitteln lassen, dass die Einräumung insgesamt ausschließlich zur Konkretisierung und nicht zumindest auch zur Berücksichtigung von Einzelfallumständen insbesondere in atypischen Fällen erfolgt ist. In den überwiegenden Fällen werden hingegen beide Erwägungen bei der Einräumung des Ermessens eine wichtige Rolle gespielt haben. Allerdings ist es auch nicht erforderlich, dass die Norm insgesamt generalisiert vollzogen wird. Vielmehr ist auf das konkrete Verfahren abzustellen. aa) Befugnis zur vollständigen Verdichtung des Ermessens Ausreichend ist es, wenn sich durch Auslegung ermitteln lässt, dass die Ermessenseinräumung die Befugnis zur vollständigen Verdichtung des Ermessens in dem konkreten Verfahren einschließt, das automatisiert durchgeführt werden soll. Dabei ist ausgehend von der Ermächtigungsnorm die gesamte Rechtsordnung in den Blick zu nehmen. Insbesondere kann sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) oder speziellen Gleichdass die vollständige Automation unzulässig sein solle. Etwas unklar bleibt, ob die Autorin tatsächlich den Zweck der Ermächtigung i. S. d. § 40 VwVfG und damit den Gesetzeszweck meint oder sinnvollerweise den Zweck der Ermächtigung zur Ermessensentscheidung. 1009  Im Ergebnis ähnlich Herold, Legitimation, S. 219 und Tischbirek, ZfDR 2021, 307 (324).

204 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

heits- und Freiheitsrechten (z. B. Art. 12 Abs. 1 GG) ergeben, dass die Verwaltung möglicherweise sogar dazu verpflichtet ist. Als mögliche Beispiele sind die Auswahlentscheidung beim durch die Kapazität begrenzten Zugang zu öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde (§ 8 Abs. 2 GO NRW) oder auch die Vergabe von Subventionen im OpenHouse-Modell1010 zu nennen. Beide Entscheidungen stehen im Ermessen der Verwaltung.1011 Die Verwaltung kann und muss regelmäßig ihr Ermessen allerdings anhand von im Vorhinein festzulegenden sachgerechten Kriterien ausüben.1012 Für die besondere Berücksichtigung von Einzelfallumständen verbleibt sodann in der Regel kein Raum mehr. Insofern ist die Verwaltung in diesen Konstellationen dazu ermächtigt bzw. verpflichtet, ihr Ermessen im Vorfeld der Einzelentscheidung vollständig zu verdichten. Ein weiteres Beispiel ist die Verkehrsregelung durch Verkehrseinrichtungen (insbesondere Lichtzeichen- und Verkehrsbeeinflussungsanlagen). Auch hier soll die zuständige Behörde ihr Ermessen ausüben, um ein an die jeweiligen örtlichen Besonderheiten angepasstes Konzept zu entwickeln. Die dem Konzept entsprechend aufgestellten und betriebenen Verkehrseinrichtungen gelten dann aber als Allgemeinverfügung gem. § 35 S. 2 VwVfG1013 für jeden Verkehrsteilnehmer gleichermaßen, ohne dass Raum für die Berücksichtigung atypischer Fälle bleibt. Festzuhalten bleibt: Immer dann, wenn die Verwaltung im Hinblick auf ein konkretes Verfahren dazu berechtigt ist, ihr Ermessen vollständig generalisiert auszuüben, ist auch der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten trotz abstrakt bestehendem Ermessen zulässig. Damit ist allerdings nur der erste Bereich der zulässigen Verwaltungsautomation im Ermessensbereich beschrieben.

1010  Das Open-House-Modell bezeichnet die Standardsituation der Subventionsvergabe, bei dem die Verwaltung jedem Antragsteller, der die Bedingungen erfüllt, die Subvention gewährt und insofern kein Verteilungsverfahren vorliegt U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 160. 1011  Für die Subventionsgewährung Kluckert, JuS 2019, 536 (537); für den Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung Peters in: BeckOK, GO NRW, § 8 Rn. 33. 1012  BVerwGE 104, 220 (223) für die Subventionsgewährung; vgl. Peters, in: BeckOK, GO NRW, § 8 Rn. 34.1 für den Zugang zu öffentlichen Einrichtungen „Die Auswahlkriterien müssen von der Gemeinde (oder dem Einrichtungsträger) vor der Auswahlentscheidung festgelegt werden, um eine neutrale und sachgerechte Handhabung zu gewährleisten.“ 1013  U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 330.



A. Spielräume als Grenze automatisierter Verfahrensdurchführung205

bb) Möglichkeit der Aussteuerung atypischer Fälle Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen ist die Möglichkeit, konkrete Verfahren auch bezüglich einer gleichartigen Sachentscheidung in einem Teil des Anwendungsbereichs automatisiert und in einem anderen Teil personal durchzuführen.1014 Es ist kein Grund ersichtlich, warum der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten in einem Teilbereich den Erlass durch einen menschlichen Amtswalter in dem gleichen Sachbereich ausschließen sollte.1015 Der Anwendungsbereich für diese gemischte Form der Verfahrensdurchführung dürfte groß sein. In vielen Sachbereichen bilden sich mit der Zeit typische und regelmäßig vorkommende Sachverhaltskonstellationen heraus, die auch eine gleichgelagerte Entscheidung rechtfertigen.1016 Für die Entscheidung dieser typischen Konstellationen wäre insofern eine automatisierte Verfahrensdurchführung anhand des antizipiert ausgeübten Ermessens vorstellbar. Wenn sich hingegen der Sachverhalt keiner der antizipierten typischen Konstellationen unterordnen lässt, wäre eine Aussteuerung an einen menschlichen Sachbearbeiter erforderlich. Für den Bereich der Ermessensverwaltung folgt daraus, dass eine automatisierte Verfahrensdurchführung nicht bereits deshalb ausscheiden muss, weil atypische Fälle bestehen könnten. Es sind Algorithmenmodelle denkbar, die zwar keine echte Einzelfallabwägung leisten, aber in der Lage sind, atypische Fälle zur personalen Bearbeitung auszusteuern und die übrigen Fälle generalisiert anhand antizipiert festgelegter Parameter zu entscheiden (vgl. die Wertung des § 155 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 AO). Solange es mit hinreichender Sicherheit gelingt, alle atypischen Fälle zur personalen Bearbeitung auszusteuern, dürften gegen die automatisierte Durchführung des Verfahrens in den übrigen Fällen von vornherein keine Bedenken bestehen.1017 cc) Zwischenergebnis: Unterscheidung zwischen drei Bereichen Nach dem Gesagten lassen sich drei Bereiche unterscheiden. Im 1. Bereich ist die Verwaltung dazu berechtigt, ihr Ermessen im Hinblick auf ein konkretes Verfahren vollständig zu verdichten. Diese Befugnis kann sich durch 1014  Diese Richtung andeutend Degrandi, Verwaltungsverfügung, S. 82 und Guckelberger, FS Herberger, 397 (407 f.). 1015  In diese Richtung auch Guckelberger, FS Herberger, 397 (402). 1016  Degrandi, Verwaltungsverfügung, S. 82. 1017  In diese Richtung bereits Degrandi, Verwaltungsverfügung, S. 82 und Luhmann, Automation, S. 73 sowie aus neuerer Zeit Braun Binder, DÖV 2016, 891 (894); U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (112) und Ziekow, VwVfG, § 35a Rn. 13. Vgl. auch BT-DRS. 18/7457, S. 83 zur möglichen Aussteuerung im Besteuerungsverfahren.

206 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

Auslegung entweder für eine bestimmte Norm generell oder nur im Hinblick auf ein konkretes Verfahren ergeben. In diesem 1. Bereich besteht keine gesetzgeberische Wertung, die Umstände des Einzelfalls zu würdigen, und deshalb ist der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten unproblematisch zulässig. Im 2. Bereich sind hingegen besondere Umstände des Einzelfalls zumindest in atypischen Fällen zu berücksichtigen, sodass das Ermessen nicht insgesamt generalisiert ausgeübt werden kann. Allerdings ist es möglich, die Verfahren teilweise automatisiert und teilweise personal durchzuführen und damit eine angemessene Entscheidung für jeden Einzelfall sicherzustellen. Solange es technisch gelingt, die atypischen Fälle zur personalen Bearbeitung auszusteuern, ist in den übrigen Verfahren der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten nach allgemeinen Grundsätzen zulässig. Den 3. Bereich stellen die Verwaltungsverfahren dar, bei denen regelmäßig eine Vielzahl heterogener, sich dynamisch wandelnder Einzelfallumstände berücksichtigt werden oder zumindest nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden kann, dass atypische Fälle eine Berücksichtigung individueller Umstände erfordern können, ohne dass eine Aussteuerung dieser Fälle möglich ist. In diesem Bereich ist die rechtliche Zulässigkeit weniger eindeutig zu beurteilen. Eine antizipierte und vollständig generalisierte Ermessensausübung dürfte wegen der sich aus der Ermessenseinräumung ergebenden Wertung, Einzelfallumstände zumindest im Hinblick auf atypische Fälle zu berücksichtigen, grundsätzlich nicht zulässig sein. Ob daraus auch zwingend der pauschale Ausschluss automatisiert erlassener Verwaltungsakte hergeleitet werden kann, soll im Folgenden kritisch hinterfragt werden. dd) Zukünftige Berücksichtigung individueller Umstände durch Algorithmen Nach dem bisherigen Stand der Diskussion dürfte die Antwort klar sein. Im dritten Bereich wäre ein automatisiert erlassener Verwaltungsakt nicht zulässig. Der zentrale Grund für diese Annahme ist, dass Algorithmen nicht in der Lage seien, Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.1018 Der Einsatz von Algorithmen im Rahmen der Ermessensausübung würde insofern zwangsläufig eine Schematisierung in einem dazu nicht vorgesehenen Be1018  Vgl. Lazaratos, Verwaltungsautomation, S. 220; ähnlich auch Altfelder, Datenverarbeitung, S. 19; Degrandi, Verwaltungsverfügung, S.  44 f. und Groß, VerwArch 95 (2004), 400 (409); im Kontext des § 35a VwVfG U. Stelkens, in: Hill/ Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (112 f.), der Automation mit Standardisierung gleichsetzt.



A. Spielräume als Grenze automatisierter Verfahrensdurchführung207

reich bewirken und damit gegen die gesetzgeberische Intention bei der Ermessenseinräumung verstoßen.1019 Allerdings beruht diese Argumentation nicht allein auf rechtlichen Erwägungen, sondern hängt maßgeblich von einer technischen Prämisse im Hinblick auf die Funktionsweise von Algorithmen ab. Diese technische Annahme, dass Algorithmen besondere Umstände des Einzelfalls nicht berücksichtigen können, hat sich vor dem Hintergrund des Einsatzes regelbasierter Algorithmen entwickelt.1020 In der gegenwärtigen Diskussion spielen hingegen zunehmend auch ML-Algorithmen eine wesentliche Rolle. Deren gegenwärtiger Stand und insbesondere die zukünftige Entwicklung lassen sich schwer einschätzen. Aktuell dürfte die Einzelfallumstände berücksichtigende Spielraumausübung auch durch ML-Algorithmen kaum möglich sein.1021 Allerdings erscheint es zumindest für die langfristige Zukunft nicht völlig ausgeschlossen, dass auch besondere Umstände des Einzelfalls in einem gewissen Umfang und in bestimmten (zunächst sehr wenigen) Konstellationen von entsprechend komplexen Algorithmen berücksichtigt werden können.1022 Dementsprechend spricht viel dafür, den pauschalen Ausschluss automatisiert erlassener Verwaltungsakte auch im dritten Bereich aufzugeben. Vor dem Hintergrund der angestrebten Trennung zwischen technischer Machbarkeit und rechtlicher Zulässigkeit handelt es sich um den überzeugendsten Ansatz. Nur so kann das Verwaltungsrecht für die voranschreitende technische Entwicklung offengehalten werden. Gleichzeitig besteht keine Gefahr, dass nunmehr im Ermessensbereich vermehrt ungeeignete Algorithmen eingesetzt werden. Denn die technische Möglichkeit verbleibt für den Einzelfall selbstverständlich als Grenze des rechtlich zulässigen Algorithmeneinsatzes. Diese Anforderung gilt aber allgemein1023 und bedeutet z. B. auch, dass im Bereich gebundener Verwaltungsentscheidungen die Automation ausscheiden Verwaltungsautomation, S. 220; Polomski, Verwaltungsakt, S.  57 f. finden sich auch knappe Ausführungen zu sogenannten Expertensystemen, z. B. Polomski, Verwaltungsakt, S. 98 ff., der den Einsatz zur Entscheidungsautomation für unzulässig hält oder Lazaratos, Verwaltungsautomation, S. 252 ff. im Hinblick auf einen unterstützenden Einsatz. 1021  Dazu unten 3. Teil C. II. 2. b). 1022  In diese Richtung bereits Luhmann, Automation, S. 73, der darauf abstellt, dass für die Automation nicht die Einzelfälle, sondern die Gesichtspunkte, nach denen diese zu entscheiden sind, vorhersehbar sein müssen; so auch H. Schmitz/Prell, NVwZ 2016, 1273 (1276); Tischbirek, ZfDR 2021, 307 (325); unabhängig vom eingesetzten Algorithmus im Hinblick auf die Möglichkeit, Einzelfallerwägungen anzustellen, Ziekow, VwVfG, § 35a Rn. 12. 1023  Eifert, E-Government, S. 126 spricht von der selbstverständlichen Feststellung, „dass eine Automatisierung nur soweit zulässig sein kann, wie die materielle Entscheidung sich überhaupt in ein Software-Programm übersetzen lässt“. 1019  Lazaratos, 1020  Teilweise

208 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

muss, wenn der Sachverhalt sich technisch nicht erfassen lässt. Auch im Ermessensbereich muss für jeden Einzelfall entschieden werden, ob ein automatisierter Verwaltungsakterlass, der den rechtlichen Anforderungen genügt, überhaupt technisch möglich ist. Um eine spezifische normative Grenze für den Bereich der Ermessensverwaltung handelt es sich allerdings nicht. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass auch im dritten Bereich der Ermessensspielräume auf allgemeiner Ebene keine grundsätzlichen rechtlichen Einwände gegen automatisiert erlassene Verwaltungsakte bestehen. Damit ist der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten im Bereich der Ermessensspielräume unbeschadet der §§ 35a VwVfG, 155 Abs. 4 AO, 31a S. 1 SGB X grundsätzlich zulässig. Ob und inwieweit dieses Ergebnis auch auf Beurteilungsspielräume übertragen werden kann, soll im Folgenden erörtert werden. 2. Übertragbarkeit auf Beurteilungsspielräume Die zunächst ausdrücklich für Ermessensspielräume gewonnen Ergebnisse lassen sich auch auf Beurteilungsspielräume übertragen. Auch im Bereich von Beurteilungsspielräumen ist im Hinblick auf drei Bereiche zu unterscheiden: Im 1. Bereich kann der Beurteilungsspielraum vollständig antizipiert ausgeübt werden, sodass auch eine Automation zulässig ist. Dass eine antizipierte Ausübung von Beurteilungsspielräumen zulässig ist, ergibt sich wie bei den Ermessensspielräumen daraus, dass es allgemein für zulässig erachtet wird, die Ausübung von Beurteilungsspielräumen durch Verwaltungsvorschriften zu steuern.1024 Sofern darüber hinaus die Gefahr atypische Fälle zu berücksichtigen in der konkreten Fallkonstellation nicht besteht, ist auch eine vollständig antizipierte und damit automatisierte Ausübung möglich. Als Beispiel lässt sich die Leistungsüberprüfung an einer Universität nennen, die digital und mittels Multiple-Choice-Test vorgenommen wird. Ein solcher Test kann anhand der vorher festgelegten richtigen Antworten vollständig automatisiert ausgewertet werden, ohne dass eine personale Bearbeitung erforderlich ist. Die Gefahr, besondere Umstände berücksichtigen zu müssen, besteht grundsätzlich nicht. Im 2. Bereich ist eine teilweise automatisierte und eine teilweise personale Bearbeitung vorgesehen. Auch im Bereich von Beurteilungsspielräumen dürften sich in vielen Sachbereichen mit der Zeit typische und regelmäßig vorkommende Sachverhaltskonstellationen herausbilden, die eine gleichgelagerte Entscheidung rechtfertigen.1025 Für die Entscheidung dieser typischen 1024  Vgl.

beispielsweise Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 215 ff. Verwaltungsverfügung, S. 82.

1025  Degrandi,



A. Spielräume als Grenze automatisierter Verfahrensdurchführung209

Konstellationen wäre insofern eine automatisierte Verfahrensdurchführung anhand des antizipiert ausgeübten Beurteilungsspielraums vorstellbar. Wenn sich hingegen der Sachverhalt keiner der antizipierten typischen Konstella­ tionen unterordnen lässt, wäre eine Aussteuerung an einen menschlichen Sachbearbeiter erforderlich. Solange es technisch gelingt, die atypischen Fälle zur personalen Bearbeitung auszusteuern, ist in den übrigen Verfahren der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten zulässig. Der 3. Bereich sind Verwaltungsverfahren, bei denen regelmäßig oder zumindest in atypischen Fällen heterogene, sich dynamisch wandelnde Einzelfallumstände berücksichtigt werden müssen, ohne dass eine Aussteuerung zur personalen Bearbeitung möglich ist. Auch in diesem Bereich der Einzelfallumstände berücksichtigenden Spielraumausübung können die zu Ermessensspielräumen entwickelten Argumente übertragen werden. Der ursprünglich angenommene Ausschluss der Automation in diesem Bereich dürfte im Wesentlichen auf der Einschätzung der technischen Machbarkeit beruhen. Aktuell dürfte es technisch noch nicht möglich sein, besondere Umstände einzelfallbezogen von Algorithmen berücksichtigen zu lassen. Für die Zukunft dürfte die einzelfallbezogene Berücksichtigung von besonderen Umständen durch Algorithmen allerdings nicht per se ausgeschlossen sein. Um das Recht für diese mögliche Entwicklung offenzuhalten und wie angestrebt zunächst zwischen der technischen Machbarkeit und der rechtlichen Zulässigkeit zu trennen, empfiehlt es sich, den Algorithmeneinsatz an dieser Stelle auch nicht pauschal mit dem Hinweis auf die fehlende Eignung rechtlich auszuschließen. Vielmehr dürfte zunächst die zukünftige Entwicklung abzuwarten sein. 3. Zwischenergebnis Im Ergebnis ist der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten sowohl im Bereich von Ermessens- als auch Beurteilungsspielräumen unbeschadet der §§ 35a VwVfG, 155 Abs. 4 AO, 31a S. 1 SGB X grundsätzlich zulässig. Die aus der verwaltungsrechtlichen Spielraumdogmatik entwickelten Bedenken konnten einen pauschalen oder zumindest weitreichenden rechtlichen Ausschluss nicht rechtfertigen. Vielmehr muss auf die konkrete Konstellation abgestellt werden, ob eine Automation zulässig ist oder nicht. Dabei ist dann auch die Frage, ob sich das konkrete Verfahren für eine Automation eignet, zu beantworten. Allerdings gilt das Gesagte nur unter Vorbehalt. Bevor die Rechtslage abschließend beurteilt werden kann, sind die speziell den Bereich der Vollautomation regelnden §§ 35a VwVfG, 155 Abs. 4 AO, 31a S. 1 SGB X in den Blick zu nehmen.

210 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

II. Zulässigkeit nach §§ 35a VwVfG, 155 Abs. 4 AO, 31a S. 1 SGB X Im Folgenden ist die Frage zu behandeln, ob und in welchen Umfang die §§ 35a VwVfG, 155 Abs. 4 AO, 31a S. 1 SGB X ein einfach-rechtliches Verbot automatisiert erlassener Verwaltungsakte im Bereich von Ermessensund Beurteilungsspielräumen normieren. Zunächst fällt auf, dass sich die drei Vorschriften in dieser Hinsicht in ihrem Wortlaut unterscheiden. Eine ausdrückliche Regelung der Thematik findet sich nur im Wortlaut des § 35a VwVfG. Die §§ 155 Abs. 4 AO, 31a S. 1 SGB X enthalten hingegen keine ausdrückliche Regelung. Deshalb soll zunächst der genaue Regelungsgehalt des § 35a VwVfG ermittelt werden und sodann überprüft werden, ob sich den §§ 155 Abs. 4 AO, 31a S. 1 SGB X durch Auslegung eine vergleichbare Wertung entnehmen lässt. Unmittelbar gelten die Regelungen nur für den vollständig automatisierten Erlass von Verwaltungsakten. In einem weiteren Schritt soll allerdings überprüft werden, ob die bei der Auslegung gefundenen Wertungen möglicherweise auch durch Analogieschluss auf teilweise automatisiert erlassene Verwaltungsakte übertragen werden können. 1. Vollständig automatisiert erlassene Verwaltungsakte a) Warn- und Begrenzungsfunktion des § 35a VwVfG aa) Abgrenzung von Warnhinweis und Begrenzungsfunktion Nach dem Wortlaut des § 35a VwVfG kann „ein Verwaltungsakt [nur] vollständig durch automatische Einrichtungen erlassen werden, sofern dies durch Rechtsvorschrift zugelassen ist und weder ein Ermessen noch ein Beurteilungsspielraum besteht“. Auf den ersten Blick ist der Regelungsgehalt der Vorschrift klar. Der vollständig automatisierte Erlass von Verwaltungsakten dürfte im Bereich von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen grundsätzlich ausgeschlossen und damit auf den Bereich der gebundenen Verwaltung begrenzt sein. Allerdings normiert der § 35a VwVfG als weitere Anforderung das Erfordernis einer Zulassung durch Rechtsvorschrift. Unter Rechtsvorschrift in diesem Kontext sind formelle Gesetze, Rechtsverordnungen und Satzungen zu verstehen. Erfolgt die Zulassung in einem formellen Gesetz, so sind darin enthaltene und von § 35a VwVfG abweichende Regelungen ohnehin nach dem allgemeinen Lex-specialis-Grundsatz bzw. nach § 1 Abs. 1 VwVfG vorrangig anwendbar.1026 Der Fachgesetzge1026  Ramsauer/Tegethoff,

in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 35a Rn. 11.



A. Spielräume als Grenze automatisierter Verfahrensdurchführung211

ber kann dementsprechend auch den vollständig automatisierten Verwaltungsakterlass trotz bestehendem Ermessens- oder Beurteilungsspielraum zulassen und wäre dabei nicht an die Vorgaben des § 35a VwVfG gebunden.1027 Dementsprechend beschränkt sich der Regelungsgehalt in dieser Hinsicht auf einen Warnhinweis an den Fachgesetzgeber.1028 In seiner Funktion als Warnhinweis hat § 35a VwVfG eine symbolische Bedeutung. So erscheint es plausibel, dass die Vorschrift zumindest die Aufmerksamkeit des Fach­gesetzgebers auf die Frage lenkt, ob der automatisierte Erlass eines Verwaltungsaktes allein durch das Bestehen eines Spielraums ausgeschlossen sein soll oder nicht. Diese aufmerksamkeitslenkende Wirkung dürfte dem § 35a VwVfG Bund sogar unabhängig davon, ob die Regelung in das jeweilige VwVfG eines Landes übernommen wurde, d. h. auch in Bayern, Bremen und Thüringen, zukommen. Auch könnte der Fachgesetzgeber eine etwaige Abweichung für besonders begründungsbedürftig halten, da er von einer Wertung des allgemeinen Verwaltungsrechts abweicht. Auf der anderen Seite entspricht es dem normalen systematischen Verhältnis von allgemeinem und besonderem Verwaltungsrecht, dass im besonderen Verwaltungsrecht abweichende Regelungen getroffen werden. Insofern sollte die diesbezügliche Bedeutung des Warnhinweises auch nicht überschätzt werden. Eine rechtliche Begrenzungswirkung besteht unzweifelhaft gegenüber dem Satzungsgeber, der von den Anforderungen des ranghöheren Gesetzes nicht abweichen kann.1029 Unterschiedlich beurteilt wird hingegen, ob eine recht­ liche Bindungswirkung auch gegenüber Rechtsverordnungen besteht. Ent­ weder wird eine Bindungswirkung pauschal angenommen1030 oder aber unter Hinweis auf die Subsidiarität des VwVfG gem. § 1 Abs. 1 VwVfG pauschal abgelehnt.1031 Erforderlich ist hingegen eine differenzierte Beurteilung der Rechtslage. Für das Verhältnis des VwVfG zu Rechtsverordnungen enthält der § 1 Abs. 1 VwVfG eine besondere Kollisionsregel, die in Abweichung vom Lex-superior-Grundsatz bestimmt, dass speziellere verfahrensrechtliche Regelungen in Rechtsverordnungen den allgemeinen Regelungen des VwVfG

1027  Maurer/Waldhoff, § 18 Rn. 14; Müller, in: Huck/ders., VwVfG, § 35a Rn. 6; H. Schmitz/Prell, NVwZ 2016, 1273 (1276); Ziekow, NVwZ 2018, 1169 (1171). 1028  Ramsauer/Tegethoff, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 35a Rn. 11; H. Schmitz/ Prell, NVwZ 2016, 1273 (1276); Ziekow, VwVfG, § 35a Rn. 12; U. Stelkens, in: Hill/ Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (111). 1029  Berger, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 35a Rn. 30; im Umkehrschluss aus Ramsauer/Tegethoff, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 35a Rn. 13. 1030  Berger, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 35a Rn. 30. 1031  Ramsauer/Tegethoff, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, §  35a Rn. 13; Ziekow, VwVfG, § 35a Rn. 12.

212 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

vorgehen.1032 Allerdings ist nach hier vertretener Ansicht1033 dieses vorläufige Ergebnis im Hinblick auf § 35a VwVfG durch eine Auslegung der jeweiligen parlamentsgesetzlichen Verordnungsermächtigung weitestgehend zu korrigieren. Die Auslegung wird im Regelfall aus systematischen Gründen zu dem Ergebnis kommen, dass die entsprechende Verordnungsermächtigung nicht zur Abweichung von den Anforderungen des § 35a VwVfG ermächtigen soll. Etwas anderes kann nur gelten, wenn im Einzelfall besondere Gründe für die Annahme einer Ermächtigung zur Abweichung sprechen. Eine solche Ermächtigung zur Abweichung wäre allerdings ohnehin als lex specialis auf derselben Rangstufe in der Lage, die Bindung des Verordnungsgebers an § 35a VwVfG aufzuheben. Im Ergebnis entfaltet der § 35a VwVfG eine rechtliche Begrenzungswirkung gegenüber dem Satzungsgeber und regelmäßig auch gegenüber dem Verordnungsgeber bei bestehendem Ermessens- oder Beurteilungsspielraum. Um die inhaltliche Reichweite dieser Begrenzungswirkung näher zu bestimmen, ist zu ermitteln, was genau unter dem Ermessen und dem Beurteilungsspielraum im Sinne des § 35a VwVfG zu verstehen ist. bb) Inhaltlicher Umfang der Begrenzungsfunktion Der Gesetzgeber knüpft in § 35a VwVfG mit dem Ermessen und dem Beurteilungsspielraum an die beiden zentralen Begriffe der herrschenden Dogmatik im Bereich von Verwaltungsspielräumen an. Dementsprechend ist dieses dogmatische Verständnis den weiteren Ausführungen zu Grunde zu legen. Ein Ermessen liegt dann vor, wenn die Auslegung einer Norm ergibt, dass der Verwaltung normstrukturell auf der Rechtsfolgenseite verortet ein Spielraum zur Letztentscheidung eingeräumt wurde.1034 Ein Beurteilungsspielraum liegt hingegen dann vor, wenn die Auslegung eines auf der Tatbestandsseite einer Norm befindlichen unbestimmten Rechtsbegriffs ergibt, dass der Verwaltung ein Spielraum zur Letztentscheidung bei der Anwendung dieses Rechtsbegriffs auf den Einzelfall eingeräumt werden soll.1035 Fraglich ist allerdings, ob bereits das Bestehen eines Ermessens- oder Beurteilungsspielraums auf der Ebene der abstrakten Normauslegung ausreicht, um den vollständig automatisierten Erlass von Verwaltungsakten insgesamt auszuschließen. 1032  Ramsauer/Tegethoff, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, §  35a Rn. 13; Ziekow, VwVfG, § 35a Rn. 12. 1033  Vergleiche dazu die umfassendere Behandlung unter 1. Teil B. III. 1. b) dd). 1034  Dazu oben 2. Teil B. II. 1035  Dazu oben 2. Teil B. III. 2. u. 3.



A. Spielräume als Grenze automatisierter Verfahrensdurchführung213

(1) Konkrete und abstrakte Betrachtung Alternativ könnte die Perspektive zu wechseln und eine konkrete Betrachtung vorzugswürdig sein. Insofern käme es darauf an, ob in der konkreten Situation ein Spielraum besteht oder dieser aus unterschiedlichen Gründen auf Null reduziert ist. Entfällt der Spielraum in den Verfahren, die automatisiert durchgeführt werden sollen, wäre auch eine Vollautomation mit § 35a VwVfG zu vereinbaren.1036 Dafür wird angeführt, dass eine Reduktion des Spielraums auf Null einer gebundenen Entscheidung gleichkomme1037 und es vielfältige Situationen gäbe, bei denen trotz abstrakt bestehenden Spielraums eine Automation möglich und auch sinnvoll sei.1038 Auch wenn die beiden Argumente für sich betrachtet zutreffend sind, lässt sich damit im Ergebnis eine konkrete Betrachtung nicht rechtfertigen. Ein pauschales Abstellen auf das Bestehen eines Spielraums in der konkreten Situation lässt sich praktisch nicht verwirklichen. Zum Zeitpunkt der Zulassung bzw. Programmierung lässt sich regelmäßig nicht abschließend antizipieren, in welchen konkreten Situationen eine Spielraumreduktion vorliegen wird. Darüber hinaus sind nicht alle Arten der Spielraumreduzierung auf Null in gleicher Weise geeignet, eine Automation zu ermöglichen. Beispielsweise erfordert eine Reduzierung im Hinblick auf Grundrechte oder sonstige Verfassungsprinzipien regelmäßig eine komplexe Abwägung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls, bevor eine Reduktion festgestellt werden kann.1039 Danach wäre nach hier vertretener Ansicht eine Automation im Hinblick auf eine mögliche zukünftige technische Entwicklung nicht grundsätzlich ausgeschlossen, allerdings deutlich unwahrscheinlicher. Der Gesetzgeber schien hingegen durch den Ausschluss der Vollautomation bei bestehendem Ermessens- oder Beurteilungsspielraum gerade solche Einzelfallentscheidungen generell vom vollständig automatisierten Erlass ausnehmen zu 1036  So Berger, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 35a Rn. 50, die auf die Komplexität der Entscheidungssituation im konkreten Fall abstellt; Ramsauer/Tegethoff, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 35a Rn. 14; Stuhlfauth, in: Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, § 35a Rn. 8, der allerdings in Fn. 18 die Problematik, eine Reduktion auf Null fehlerfrei festzustellen, anspricht; Martini/Nink, DVBl. 2018, 1128 (1130). Wohl auf eine konkrete Betrachtung abstellend Djeffal, DVBl. 2017, 808 (814 f.), dessen Argumentation zu einem Zirkelschluss führt. Das Ermessen sei immer dann reduziert, wenn es bereits ausgeübt wurde und ausgeübt werde es durch die Installation der Einrichtung. Im Ergebnis solle die Verwaltung über den möglichen Einsatz „in den Grenzen der Rechtmäßigkeit“ entscheiden. So entfaltet § 35a VwVfG keinerlei begrenzende Wirkung. 1037  Stuhlfauth, in: Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, § 35a Rn. 8. 1038  Djeffal, DVBL. 2017, 808 (814 f.). 1039  Ähnlich für eine Ermessensreduzierung auf Null im Einzelfall Braun Binder, DÖV 2016, 891 (894); Müller, in: Huck/ders., VwVfG, § 35a Rn. 5; Siegel, DVBl. 2017, 24 (26).

214 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

wollen.1040 Dieses Auslegungsergebnis wird durch ein systematisches Argument unterstützt. Primärer Adressat der Begrenzungswirkung des § 35a VwVfG ist nicht die Verwaltung, sondern der Satzungs- bzw. Verordnungsgeber. Aus dessen Sicht kann es allerdings im Ausgangspunkt nur auf eine abstrakte Betrachtung ankommen. Dementsprechend wäre durch Auslegung anhand der obigen Begriffsdefinitionen unabhängig vom konkreten Einzelfall zu bestimmen, ob ein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum besteht. Besteht ein solcher Spielraum auf abstrakter Ebene, wäre die Automation verwehrt und diese von vornherein auf gebundene Entscheidungen beschränkt.1041 Begründet wird ein solches Ergebnis damit, dass die Ausübung eines Ermessens- oder Beurteilungsspielraums immer einer individuellen menschlichen Willensbetätigung bedürfe.1042 Damit wären allerdings weite Teile der Verwaltungstätigkeit vom Anwendungsbereich vollständig automatisiert erlassener Verwaltungsakte ausgenommen, da in vielen Bereichen ein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum besteht.1043 (2) Selbstbindung der Verwaltung durch bestehende Verwaltungspraxis Um dieses wenig sachgerechte1044 Ergebnis zu vermeiden, wird auf die Möglichkeit einer Selbstbindung der Verwaltung abgestellt.1045 Wenn sich die Verwaltung durch eine bestehende Verwaltungspraxis, insbesondere durch den Erlass von Verwaltungsvorschriften,1046 im Vorfeld selbst gebunden 1040  Vgl. BT-Drs. 18/8434, S. 122. „Die Ausübung von Ermessen setzt ebenso eine menschliche Willensbetätigung voraus wie die individuelle Beurteilung eines Sachverhalts.“ und BTDrs. 18/8434, S. 121 wonach eine Einzelfallbearbeitung durch einen Amtsträger zwingend sei, wenn das materielle Recht eine Ermessensentscheidung oder einen Beurteilungsspielraum vorsieht. 1041  Maurer/Waldhoff, § 18 Rn. 14; Müller, in: Huck/ders., VwVfG, § 35a Rn. 5; Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (357); Windoffer in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 35a Rn. 28 f., der allerdings bereits bestehende und unzweifelhaft geeignete Fälle der Vollautomation vom Anwendungsbereich ausnehmen möchte. In diese Richtung zunächst noch Martini/Nink, NVwZ-Extra 10/2017, 1 (2), die später allerdings eine konkrete Betrachtung annehmen (Martini/Nink, DVBl. 2018, 1128 (1130)). 1042  Martini/Nink, NVwZ-Extra 10/2017, 1 (2); Müller, in: Huck/ders., VwVfG, § 35a Rn. 5. 1043  Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (357). 1044  Kritisch auch der für eine restriktive Auslegung plädierende Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (357), allerdings ohne das eigene Auslegungsergebnis anzupassen. 1045  Braun Binder, DÖV 2016, 891 (894); Guckelberger, Verwaltung, Rn. 443; v. Harbou, JZ 2020, 340 (341); Siegel, DVBl. 2017, 24 (26) und Ziekow, VwVfG, § 35a Rn. 13 stellen dabei auf eine bereits bestehende Selbstbindung ab. 1046  Teilweise wird nur eine Selbstbindung durch transparente und nachvollziehbare Verwaltungsvorschriften für ausreichend erachtet: Braun Binder, DÖV 2016,



A. Spielräume als Grenze automatisierter Verfahrensdurchführung215

habe, sei keine Einzelfallbetrachtung erforderlich, sodass diese Situation im Rahmen des § 35a VwVfG wertungsmäßig einer gebundenen Entscheidung gleichgestellt werden könne.1047 Dieser differenzierte Ansatz weist in die richtige Richtung und dürfte auch zu vertretbaren Ergebnissen führen. Allerdings ist der Ansatz in gewisser Weise zu weit und in anderer Hinsicht zu eng. Zu weit ist er in Bezug auf zwei Punkte. Erstens wird es ins Belieben der Verwaltung gestellt, durch den Erlass von Verwaltungsvorschriften über den Umfang der Begrenzungswirkung zu bestimmen und damit läuft die Begrenzungswirkung im Ergebnis (fast) leer.1048 Allerdings ist darauf zu verweisen, dass auch die Selbstbindung nicht uneingeschränkt zulässig ist.1049 Damit ist der Umfang der gem. § 35a VwVfG zulässigen Automation allerdings nicht ermittelt, sondern in die zur Selbstbindung entwickelte Dogmatik verlagert. Zweitens besteht bei einer Selbstbindung der Verwaltung regelmäßig die Möglichkeit, dass in atypischen Fällen eine abweichende Entscheidung zu treffen ist. Dementsprechend verschwindet auch bei einer Selbstbindung der Verwaltung der Spielraum und damit das Erfordernis einer Einzelfallbewertung auf abstrakter Ebene zumeist nicht vollständig.1050 Zu eng ist er insofern, als dass er die rechtliche Zulässigkeit der vollständig automatisierten Verfahrensdurchführung von einer bereits bestehenden Verwaltungspraxis abhängig macht. Dabei ist es im Hinblick auf den mit § 35a VwVfG verfolgten Schutzzweck, Einzelfallbewertungen von der Automation auszunehmen, wohl unerheblich, ob eine Verdichtung des Spielraums bereits erfolgt ist oder erst durch die Automation erfolgt.1051 Vorzugswürdig erscheint es, eine Lösung der Problematik unmittelbar im Zweck des § 35a VwVfG zu suchen.

891 (894) und Ziekow, VwVfG, § 35a Rn. 13. Sachgerechter erscheint es allgemein im Hinblick auf rechtsstaatliche Anforderungen zu erörtern, inwieweit Veröffentlichungspflichten der Verwaltung beim Einsatz von Algorithmen bestehen und diese Diskussion nicht in die Auslegung des § 35a VwVfG zu verlagern. 1047  Braun Binder, DÖV 2016, 891 (894); Guckelberger, Verwaltung, Rn. 443; Siegel, DVBl. 2017, 24 (26); Ziekow, VwVfG, § 35a Rn. 13; vgl. auch die dahingehende Wertung des § 155 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 AO. 1048  Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (357); Windoffer, in: Mann/Sennekamp/Uecht­ ritz, VwVfG, § 35a Rn. 29. 1049  Guckelberger, Verwaltung, Rn. 443. 1050  Deshalb verlangen Braun Binder, DÖV 2016, 891 (894); U. Stelkens, in: Hill/ Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (112) und Ziekow, VwVfG, § 35a Rn. 13 als zusätzliches Kriterium, dass eine Aussteuerung atypischer Fälle gewährleistet wird. 1051  In diese Richtung auch U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (112), der eine Parallele zur Selbstbindung zieht, aber nicht voraussetzt.

216 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

(3) Möglichkeit teleologischer Reduktion Der Wortlaut der Norm ist aus der Sicht des Satzungs- oder Verordnungsgebers als Normadressaten auszulegen, sodass das Bestehen eines Ermessens- oder Beurteilungsspielraums abstrakt zu bestimmen ist. Dieser überschießende Wortlaut muss allerdings im Hinblick auf den enger gefassten Schutzzweck einschränkend ausgelegt, d. h. teleologisch reduziert werden.1052 Die in § 35a VwVfG normierten Einschränkungen verfolgen insgesamt den Zweck, sicherzustellen, dass nur Verfahren vollautomatisiert durchgeführt werden, die sich dafür eignen.1053 Dem Ausschluss der Vollautomation spe­ ziell beim Bestehen eines Ermessens- oder Beurteilungsspielraums liegt die Wertung zu Grunde, dass die Berücksichtigung besonderer Umstände des Einzelfalls bei der Spielraumausübung nur durch einen menschlichen Bearbeiter und nicht durch Algorithmen erfolgen solle.1054 Wenn hingegen eine Berücksichtigung individueller Umstände durch einen Algorithmus nicht zu erfolgen hat, ist auch ein vollständig automatisiert erlassener Verwaltungsakt trotz eines abstrakt bestehenden Ermessens- oder Beurteilungsspielraums mit § 35a VwVfG zu vereinbaren. Dementsprechend würde eine Einschränkung in diesem Bereich die Verwaltungsautomation unnötig behindern. Zur weiteren Konkretisierung kann an die bereits oben herausgearbeiteten Unterscheidungen angeknüpft werden. Im 1. Bereich ergibt sich entweder im Hinblick auf die Norm insgesamt oder im Anwendungsbereich des konkreten Verfahrens, dass eine antizipierte Ausübung zulässigerweise möglich und eine Berücksichtigung individueller Umstände nicht einmal in atypischen Sonderfällen erforderlich ist. Eine Vollautomation in diesem Bereich wäre unproblematisch mit § 35a VwVfG zu vereinbaren. Auch im zweiten Bereich dürfte ein automatisierter Verwaltungsakterlass mit der Wertung des § 35a VwVfG zu vereinbaren sein, solange es gelingt, alle atypischen Fälle zur personalen Bearbeitung auszusondern. Im dritten Bereich, in dem ohne zuverlässige Aussteuerungsmöglichkeit eine Berücksichtigung besonderer Umstände des Einzelfalls erforderlich sein kann, ist ein vollständig automatisiert erlassener Verwaltungsakt hingegen durch § 35a VwVfG ausgeschlossen.1055 1052  Larenz/Canaris,

Rn. 92.

1053  Vgl.

Methodenlehre, S. 210  f.; T. Möllers, Methodenlehre, § 6

BT-Drs. 18/8434, S. 122. Guckelberger, Verwaltung, Rn. 443; Ziekow, VwVfG, § 35a Rn. 12; vgl. BT-Drs. 18/8434, S. 122. „Die Ausübung von Ermessen setzt ebenso eine menschliche Willensbetätigung voraus wie die individuelle Beurteilung eines Sachverhalts.“ im Zusammenspiel mit BT-Drs. 18/8434, S. 121, wonach eine Einzelfallbearbeitung durch einen Amtsträger zwingend sei, wenn das materielle Recht eine Ermessensentscheidung oder einen Beurteilungsspielraum vorsieht. 1055  Ähnlich U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (112 f.). 1054  Ähnlich



A. Spielräume als Grenze automatisierter Verfahrensdurchführung217

Im Ergebnis beschränkt sich die Begrenzungsfunktion des § 35a VwVfG inhaltlich darauf, auszuschließen, dass Konstellationen, in denen eine Berücksichtigung besonderer Umstände des Einzelfalls erforderlich ist, in einem vollautomatisierten Verfahren entschieden werden.1056 Dieses Ergebnis dürfte sich auch auf § 31a S. 1 SGB X übertragen lassen. b) Ermessen und Beurteilungsspielraum als Anlass für eine Einzelfallbearbeitung i. S. d. § 31a S. 1 SGB X Bei der Analyse des § 31a S. 1 SGB X fällt unmittelbar auf, dass – anders als bei § 35a VwVfG – eine ausdrückliche Beschränkung der Zulässigkeit im Bereich von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen nicht besteht. Das ist insofern überraschend, als dass mit der zeitgleichen Einführung eine parallele Fortentwicklung der drei Verfahrensordnungen beabsichtigt wurde.1057 Als möglicher Anknüpfungspunkt für eine vergleichbare Einschränkung findet sich im Wortlaut der Norm allerdings der Vorbehalt „sofern kein Anlass besteht, den Einzelfall durch Amtsträger zu bearbeiten“. Fraglich ist insofern, ob ein solcher Anlass zur Einzelfallbearbeitung angenommen werden kann, wenn ein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum besteht. Gegen eine solche Auslegung lässt sich in systematischer Hinsicht der Vergleich mit dem Wortlaut des § 35a VwVfG anführen. § 31a S. 1 SGB X und § 35a VwVfG sind im gleichen Gesetzgebungsverfahren erlassen worden. Eine ausdrückliche Beschränkung im Hinblick auf Ermessens- und Beurteilungsspielräume findet sich allerdings lediglich im Wortlaut des § 35a VwVfG. Dementsprechend liegt es nahe, davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit dem unterschiedlichen Wortlaut auch eine unterschiedliche Regelungswirkung zum Ausdruck bringt.1058 Allerdings ergibt die Auswertung der Gesetzgebungsmaterialien, dass der Gesetzgeber trotz unterschied­ lichem Wortlaut davon ausgegangen ist, dass ein Anlass für eine Einzelfallbearbeitung zwingend bestehe, „wenn das anzuwendende materielle Recht 1056  Mit diesem Ergebnis wohl auch U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (112 f.). Ein vergleichbares Ergebnis im Hinblick auf den gem. § 35a VwVfG zulässigen Umfang der Vollautomation erreichen Braun Binder, DÖV 2016, 891 (894) und Ziekow, VwVfG, § 35a Rn. 13 durch ein Abstellen auf eine Selbstbindung der Verwaltung samt Möglichkeit der Aussteuerung für atypische Fälle. Allerdings wäre so teilweise der Umweg über den vorherigen Erlass von Verwaltungsvorschriften erforderlich, bevor die gem. § 35a VwVfG notwendige Zulassungsentscheidung durch den Satzungs- oder Verordnungsgeber erfolgen könnte. Der hier vertretene Lösungsvorschlag fügt sich hingegen besser in die Systematik des § 35a VwVfG ein. 1057  BT-Drs. 18/8434, S. 120 und 122. 1058  In diese Richtung Luthe, SGB 2017, 250 (253).

218 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

eine Ermessensentscheidung oder einen Beurteilungsspielraum vorsieht“.1059 Insofern lässt sich aus dem unterschiedlichen Wortlaut keine eindeutige Wertung des historischen Gesetzgebers entnehmen, sondern es ist von einer missglückten Formulierung auszugehen. Auf der anderen Seite dürfte der in der zitierten Gesetzesbegründung zunächst anklingende pauschale Ausschluss der Vollautomation bei bestehendem Ermessens- oder Beurteilungsspielraum nicht dem objektiven Zweck des Gesetzes entsprechen.1060 Vielmehr dürfte der Vorbehalt im Rahmen des § 31a S. 1 SGB X dazu dienen, sicherzustellen, dass nur geeignete Verfahren vollautomatisiert durchgeführt werden.1061 Insoweit kann abermals auf die bereits etablierten Unterscheidungen zurückgegriffen werden. Solange die automatisierte Verfahrensdurchführung einen Bereich betrifft, in dem der Spielraum antizipiert ausgeübt werden kann und etwaige atypische Fälle zur personalen Bearbeitung zuverlässig ausgesteuert werden (1. und 2. Bereich), ist die Vollautomation trotz abstrakt bestehendem Ermessens- oder Beurteilungsspielraum mit dem Vorbehalt des § 31a S. 1 SGB X unproblematisch vereinbar. Allenfalls, wenn eine Einzelfallumstände berücksichtigende Spielraum­ ausübung erforderlich ist (3. Bereich), könnte ein Anlass für eine Bearbeitung des Einzelfalls durch einen Amtsträger bestehen. Selbst das könnte bezweifelt werden, wenn man davon ausgeht, dass für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch Algorithmen eine solche Einzelfallbewertung vornehmen können.1062 Allerdings erscheint es vorzugswürdig, die sich dazu aus § 35a VwVfG ergebende Wertung auch im Rahmen der Auslegung des § 31a S. 1 SGB X zu berücksichtigen und insofern davon auszugehen, dass zumindest die Berücksichtigung besonderer Umstände des Einzelfalls eine personale Bearbeitung zwingend erforderlich macht. Damit ließe sich die angestrebte einheitliche Fortentwicklung zunächst zwischen dem allgemeinen Verfahrensrecht und dem Sozialverfahrensrecht gewähr-

1059  BT-Drs.

18/8434, S. 121. den Wortlaut der Gesetzesbegründung abstellend aber Braun Binder in: Seckelmann, E-Government, 311 (Rn. 16) und Windoffer, in: Mann/Sennekamp/ Uechtritz, VwVfG, § 35a Rn. 11. 1061  Luthe, SGB 2017, 250 (253); von dieser Wertung scheinen auch Windoffer, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 35a Rn. 11 und Mutschler, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, SGB X, § 31a Rn. 10 f. auszugehen, ohne allerdings zu einem differenzierten Ergebnis im Hinblick auf Ermessens- und Beurteilungsspielräume zukommen. 1062  In diese Richtung Luthe, SGB 2017, 250 (253 ff.), der die Vorschrift für entwicklungsoffen hält, allerdings zunächst nicht davon ausgeht, dass aktuelle Algorithmen zu komplexen Einzelfallabwägungen in der Lage sein dürften. 1060  Auf



A. Spielräume als Grenze automatisierter Verfahrensdurchführung219

leisten.1063 Ein vergleichbares Ergebnis dürfte sich auch für die Abgabenordnung durch Auslegung des § 155 Abs. 4 AO ermitteln lassen. c) Ermessen als Anlass für eine Einzelfallbearbeitung i. S. d. §  155  Abs.  4  AO Auch § 155 Abs. 4 AO enthält keine dem § 35a VwVfG vergleichbare ausdrückliche Beschränkung der Zulässigkeit vollständig automatisiert erlassener Verwaltungsakte bei bestehendem Ermessens- oder Beurteilungsspielraum. Dieser Befund erklärt sich vor dem Hintergrund, dass die Regelung des § 155 Abs. 4 AO nur für den Bereich der Steuerfestsetzung gilt und es sich dabei im Hinblick auf Verwaltungsspielräume um einen Sonderfall handelt. Entscheidungen im Bereich der Steuerfestsetzung sind bereits überwiegend als gebundene Entscheidungen konzipiert1064 und dennoch bestehende Spielräume werden auf Grund der Bedeutung der Besteuerungsgleichheit regelmäßig durch Verwaltungsvorschriften generalisiert ausgeübt.1065 Allerdings finden sich auch im Anwendungsbereich des § 155 Abs. 4 AO Entscheidungsgrundlagen, bei denen der Verwaltung zumindest auf abstrakter Ebene ein Ermessen eingeräumt wurde. Eine Ermessensentscheidung ist beispielsweise das gem. § 155 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 AO ausdrücklich vom Anwendungsbereich erfasste Versehen oder Verbinden eines Steuerbescheids mit Nebenbestimmungen.1066 Besondere Voraussetzung dafür ist allerdings gem. § 155 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 a. E. AO, dass der Erlass der Nebenbestimmung allgemein durch eine Verwaltungsanweisung des Bundesministeriums der Finanzen oder der obersten Landesfinanzbehörden angeordnet ist und insofern gerade keine Ermessensentscheidung der Behörde im Hinblick auf die

1063  Die Entscheidung kann im Ergebnis ohnehin dahinstehen, weil sich wie weiter unten genauer ausgeführt (unter 3. Teil B. II. 1. b)) aus dem allgemeinen Gesetzesvorbehalt ergibt, dass eine durch Algorithmen ausgeführte echte Einzelfallbewertung einer Zulassung durch Parlamentsgesetz bedarf. Eine solche Zulassungsentscheidung würde dann ohnehin den § 31a S. 1 SGB X als lex specialis verdrängen, sodass dieser keine begrenzende Wirkung entfaltet. 1064  Braun Binder, in: Seckelmann, E-Government, 311 (Rn. 16); dies., DStZ 2016, 526 (529); Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, Rz. 5.150. 1065  Rüsken, in: Klein, AO, § 155 Rn. 87 f. spricht von einem im Verhältnis zum allgemeinen Verwaltungsverfahren besonders durchstrukturierten Entscheidungsfeld. 1066  Helbich, DStR 2017, 574 (577), der als Hauptanwendungsfall des § 155 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 AO die Verfügung eines Nachprüfungsvorbehalts (§ 164 AO) sowie die Anordnung der Vorläufigkeit der Steuerfestsetzung (§ 165 AO) ansieht und Rüsken, in: Klein, AO, § 155 Rn. 87.

220 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

Besonderheiten des Einzelfalls ergeht.1067 Als weiteres Beispiel sind Widerruf und Rücknahme (§§ 130, 131 AO) von Steuerfestsetzungen grundsätzlich sowie die Korrektur (§§ 172–177 AO) teilweise als Ermessensentscheidung ausgestaltet und auch vom Anwendungsbereich des § 155 Abs. 4 AO erfasst.1068 Insofern ist die Frage, ob die Automation im Bereich von Ermessensspielräumen ausgeschlossen ist, auch im Anwendungsbereich des § 155 Abs. 4 AO zu beantworten.1069 Anknüpfungspunkt im Wortlaut des § 155 Abs. 4 AO ist wie bei § 31a S. 1 SGB X der Vorbehalt, von einer Automation abzusehen, wenn ein Anlass für eine Einzelfallbearbeitung durch einen Amtsträger besteht. Da sich der Wortlaut deckt und aus systematischen Gründen eine einheitliche Auslegung vorzugswürdig ist, kann auf das soeben zu § 31a S. 1 SGB X entwickelte Auslegungsergebnis zurückgegriffen werden. Dementsprechend ist auch im Anwendungsbereich des § 155 Abs. 4 AO die vollständig automatisierte Verfahrensdurchführung trotz abstrakt bestehendem Ermessen solange zulässig, wie im automatisiert durchgeführten Bereich die Ermessensausübung antizipiert erfolgen kann und etwaige atypische Fälle ausgesteuert werden (1. und 2. Bereich).1070 Ein Anlass für eine Einzelfallbearbeitung besteht hingegen immer dann, wenn besondere Umstände eines Einzelfalls zumindest in atypischen Fällen berücksichtigt werden müssen und eine Aussteuerung nicht sicher möglich ist (3. Bereich). Im letzteren Bereich scheidet eine Vollautomation gem. § 155 Abs. 4 AO aus.1071 d) Zwischenergebnis Trotz Wortlautdivergenzen ist in allen drei Verfahrensordnungen der vollständig automatisierte Erlass von Verwaltungsakten im Bereich von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen im gleichen Umfang zulässig. Allein das 1067  So auch BT-Drs. 18/7457, S. 83; Braun Binder, in: Seckelmann, E-Government, 311 (Rn. 8); Rüsken, in: Klein, AO, § 155 Rn. 88. 1068  Helbich, DStR 2017, 574 (577) und Windoffer, in: Mann/Sennekamp/Uecht­ ritz, VwVfG, § 35a Rn. 12 nennen Widerruf und Rücknahme; Braun Binder, DStZ 2016, 526 (529) nennt die Korrektur von Steuerbescheiden. 1069  Windoffer, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 35a Rn. 12 deutet die Möglichkeit einer Beschränkung der Zulässigkeit auf die Situation einer Ermessensreduzierung auf Null an, lässt die Frage im Ergebnis aber offen. 1070  In diese Richtung auch Rüsken, in: Klein, AO, § 155 Rn. 87 f. 1071  Mit diesem Ergebnis Braun Binder, DStZ 2016, 526 (529), allerdings ohne Differenzierung im Hinblick auf die Möglichkeit generalisierter Ermessensausübung. Abweichend scheint Helbich, DStR 2017, 574 (577 f.) von einer grundsätzlichen Zulässigkeit nach § 155 Abs. 4 AO auszugehen, was er allerdings gleichzeitig als (verfassungsrechtlich) „höchst problematisch“ beurteilt.



A. Spielräume als Grenze automatisierter Verfahrensdurchführung221

abstrakte Bestehen eines solchen Spielraums schließt den vollautomatisierten Erlass nicht aus. Nach der gesetzlichen Wertung endet die Zulässigkeit erst, wenn die Gefahr besteht, dass nicht antizipierte, besondere Umstände des Einzelfalls in einem vollständig automatisierten Verfahren durch Algorithmen berücksichtigt werden müssen. Ausdrücklich gilt diese Beschränkung lediglich für den vollautomatisierten Erlass von Verwaltungsakten. Fraglich ist jedoch, ob diese gesetzliche Wertung auch auf den teilautomatisierten Erlass übertragen werden kann. 2. Analoge Anwendung auf teilautomatisiert erlassene Verwaltungsakte Die §§ 35a VwVfG, 31a S. 1 SGB X, 155 Abs. 4 AO sind in ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich auf den vollständig automatisierten Erlass beschränkt. Im Hinblick auf den teilweise automatisierten Erlass könnte allerdings eine analoge Anwendung in Betracht kommen.1072 Für die Teilautomation fehlt es an einer Regelung, die die Automation im Bereich von Spielräumen ausschließt. Insofern besteht zumindest eine Regelungslücke. Allerdings fehlt es bereits an der Planwidrigkeit der Regelungslücke. Ausweislich der Gesetzesbegründung war man sich im Gesetzgebungsverfahren darüber bewusst, dass „die Verwaltung in vielfältiger Weise automatische Einrichtungen als Hilfsmittel auch beim Erlass von Verwaltungsakten ein­ [setzt]“.1073 Dennoch hat sich der Gesetzgeber für eine Beschränkung der Regelung auf den vollautomatisierten Erlass von Verwaltungsakten entschieden. Das spricht für eine bewusste Entscheidung. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass sich die Gefährdungslage bei der Teil- und der Vollautomation unterscheidet. So hält der Gesetzgeber die Vollautomation erst „inzwischen [für] technisch möglich und rechtlich vertretbar“,1074 wohingegen die Teilautomation bereits seit mehreren Jahrzehnten die Massenverwaltung prägt. Diese unterschiedliche Risikobewertung hat den Gesetzgeber dazu bewogen, die gesetzliche Regelung auf die Vollautomation zu beschränken. Die Nichtregelung der Teilautomation ist eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, sodass eine Planwidrigkeit der Regelungslücke ausscheidet. Darüber hinaus ist die Interessenlage nicht in einem ausreichenden Maße vergleichbar. Zwar besteht eine grundsätzliche Ähnlichkeit zwischen der 1072  Zu den Voraussetzungen einer Analogie vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 202; T. Möllers, Methodenlehre, § 6 Rn. 112 ff.; Reimer, Methodenlehre, Rn. 555 ff.; mit Schwerpunkt auf dem Verwaltungsrecht T.  Schmidt, VerwArch 97 (2006), 139 (142 ff.). 1073  BT-Drs. 18/8434, S. 122. 1074  BT-Drs. 18/8434, S. 122.

222 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

Voll- und der Teilautomation. Der Algorithmeneinsatz muss sich jeweils unmittelbar auf das Entscheidungsergebnis auswirken.1075 Die Algorithmen werden in beiden Konstellationen eingesetzt, um eine Entscheidung (zumindest teilweise) letztverbindlich zu treffen. In dieser Hinsicht ist es vorstellbar, dass auch im Bereich der Teilautomation Algorithmen eingesetzt werden, um besondere Umstände des Einzelfalls bei Spielraumentscheidungen zu berücksichtigen. Das spricht für die Annahme einer vergleichbaren Interessenlage. Allerdings besteht zwischen der Voll- und der Teilautomation ein entscheidender Unterschied. Beim teilweise automatisierten Erlass von Verwaltungsakten wird der Sachverhalt durch einen menschlichen Bearbeiter ermittelt und erst dann ins Programm eingegeben. Der anschließende Algorithmeneinsatz beschränkt sich sodann regelmäßig auf die automatisierte Auswertung der eingegebenen Daten durch strikt vorgegebene Schritte. Insbesondere findet eine Vorprüfung durch den menschlichen Amtswalter und damit eine Auswahl der für den Einzelfall relevanten Umstände statt. So besteht die Möglichkeit, dass der Amtswalter eine weitere personale Bearbeitung im Einzelfall veranlasst, wenn besondere Umstände vorliegen, die automatisiert nicht verarbeitet werden können. Das Besondere an der Vollautomation ist hingegen, dass sich die automatisierte Durchführung auf die Sachverhalts­ ermittlung erstreckt und insofern zu keinem Zeitpunkt ein menschlicher Amtswalter im Verfahren involviert ist. Bei der Vollautomation besteht deshalb eine deutlich gesteigerte Gefährdungslage, dass besondere Umstände des Einzelfalls nicht berücksichtigt werden können. Aus diesem Grund ist die Interessenlage zwischen der Voll- und der Teilautomation nicht in einem ausreichenden Maße vergleichbar. Die Annahme einer Analogie ist insgesamt abzulehnen, da es bereits an einer Planwidrigkeit der Regelungslücke und darüber hinaus an einer ausreichend vergleichbaren Interessenlage mangelt.

III. Organisations- und verfahrensrechtliche Vorgaben als Grenze der Automation 1. Allgemeiner Ausgangspunkt Die rechtliche Zulässigkeit des automatisierten Verwaltungsakterlasses kann auch durch besondere Anforderungen an die Organisation oder die Verfahrensdurchführung ausgeschlossen werden. So finden sich in unterschied­ lichen Fachgesetzen organisations- und verfahrensrechtliche Vorgaben, die eine personale Bearbeitung teilweise unmittelbar anordnen oder zumindest 1075  Dazu

oben 1. Teil B. II. 1. b).



A. Spielräume als Grenze automatisierter Verfahrensdurchführung223

implizit voraussetzen. Aus diesen Vorgaben folgt im Umkehrschluss auch, dass eine automatisierte Verfahrensdurchführung damit nicht zu vereinbaren ist. Konkret geht es insbesondere um Vorgaben zur personalen Zusammensetzung eines Entscheidungsorgans, das Erfordernis einer mündlichen Verhandlung bzw. Anhörung, bestehende Beteiligungsrechte Dritter1076 sowie weitere insbesondere diskursive oder kooperative Verfahrenselemente, die nicht automatisiert durchgeführt werden können. Entsprechende fachgesetzliche Vorgaben dürften beispielsweise im Bereich von Beurteilungsspielräumen, die maßgeblich im Hinblick auf das zur Entscheidung berufene Organ angenommen werden,1077 bestehen. Ein solcher Spielraum wird gerade deshalb angenommen, weil das jeweilige Fachrecht explizite Angaben im Hinblick auf die zur Entscheidung berufenen Personen (z. B. § 19 JuSchG) sowie regelmäßig auch im Hinblick auf das Entscheidungsverfahren (z. B. § 21 JuSchG) enthält. § 19 JuSchG regelt beispielsweise ganz konkret die personelle Besetzung des Entscheidungsorgans und geht insofern ersichtlich von einer personalen Entscheidung durch die Vertreter der genannten Personengruppen aus. Damit wäre eine automatisierte Verfahrensdurchführung nicht zu vereinbaren. Grundsätzlich muss auf das konkrete Fachgesetz abgestellt werden, um zu bestimmen, ob dort möglicherweise organisations- und verfahrensrechtlichen Vorgaben normiert sind, die eine personale Bearbeitung voraussetzen und damit eine automatisierte Verfahrensdurchführung indirekt ausschließen. Speziell für den Bereich des Planungs- und Regulierungsermessens dürfte sich auf diese Weise allerdings ein Ausschluss der Automation insgesamt begründen lassen. 2. Sonderfall: Planungs- und Regulierungsermessen Die für Ermessens- und Beurteilungsspielräume zur Zulässigkeit der Automation erarbeiteten Grundsätze können nicht auf das Planungs- und Regulierungsermessen übertragen werden. Spezielle und damit vorrangige organisations- und verfahrensrechtliche Vorgaben erfordern eine abweichende Beurteilung.

1076  Zumindest dieses Kriterium nennt auch Braun Binder, in: Seckelmann, ­E-Government, 311 (Rn. 23). 1077  Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 192 ff. mit Beispielen für diese Fallgruppe.

224 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

a) Planungsermessen Das Planungsermessen stellt bezüglich der Verwaltungsautomation einen Sonderfall dar. Das Planungsermessen wird lediglich in zwei Fallgruppen angenommen. Zum einen im Bereich der Bauleitplanung (§§ 1 ff. BauGB) beim Erlass von Flächennutzungs- und Bebauungsplänen (§ 1 Abs. 2 BauGB) und zum anderen im Bereich der vorhabenbezogenen Fachplanung (§§ 72 ff. VwVfG gegebenenfalls i.  V.  m. Vorschriften des jeweiligen Fachgesetzes (z. B. §§  17 ff.  FStrG)).1078 Beide Sachbereiche sind durch ein spezielles Verfahren der Entscheidungsfindung geprägt, dass die automatisierte Durchführung weitestgehend ausschließen dürfte. Zunächst ist die Bauleitplanung bereits keine Verwaltungstätigkeit im materiellen Sinne. Weder Flächennutzungs- noch Bebauungspläne lassen sich als Verwaltungsakte einordnen. Bebauungspläne stellen gem. § 10 Abs. 1 BauGB Satzungen dar und Flächennutzungspläne werden grundsätzlich als hoheitliche Maßnahme eigener Art eingeordnet.1079 Dementsprechend handelt es sich insgesamt beim Erlass von vorbereitenden1080 Flächennutzungsund rechtlich verbindlichen Bebauungsplänen um eine gesetzgeberische ­Tätigkeit der Exekutive. Bereits aus diesem Grund ist die Bauleitplanung nicht vom Untersuchungsgegenstand der Dissertation und auch nicht vom Anwendungsbereich des § 35a VwVfG erfasst. Darüber hinaus ist im Bereich der Bauleitplanung ein äußerst komplexes und langwieriges Verfahren vor­ gesehen (vgl. insbesondere § 1 ff. BauGB),1081 das umfassende diskursive und kooperative Elemente (z. B. die Beteiligung der Öffentlichkeit nach § 3 BauGB oder die Beteiligung anderer Behörden und sonstiger Träger öffentlicher Belange nach § 4 BauGB) enthält. Eine vollständige oder teilweise automatisierte Durchführung des Verfahrens wäre damit nicht zu vereinbaren, sodass eine automatisierte Verfahrensdurchführung im Bereich der Bauleitplanung nach geltender Rechtslage insgesamt ausscheiden dürfte. Demgegenüber ist die vorhabenbezogene Fachplanung zumindest nicht der gesetzgeberischen Tätigkeit der Exekutive zuzuordnen. Planfeststellungsverfahren (vgl. §§ 72 ff. VwVfG gegebenenfalls i. V. m. verfahrensrechtlichen Vorschriften der Fachgesetze) sind auf den Erlass von Planfeststellungsbe-

1078  Vgl.

Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 182. in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 5 Rn. 45. 1080  Ausnahmsweise kommt dem Flächennutzungsplan im Fall des § 35 Abs. 2 S. 3 BauGB eine unmittelbare Rechtswirkung zu Mitschang, in: Battis/Krautzberger/ Löhr, BauGB, § 5 Rn. 46 ff. 1081  Für einen Überblick über das Verfahren Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 2 Rn. 2 f. 1079  Mitschang,



A. Spielräume als Grenze automatisierter Verfahrensdurchführung225

schlüssen, die als Verwaltungsakte einzuordnen sind,1082 ausgerichtet und damit Verwaltungsverfahren i. S. d. §  9  VwVfG.1083 Allerdings ist zentrales Element der vorhabenbezogenen Planfeststellung die Konzentrationswirkung gem. § 75 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 VwVfG. Das bedeutet, die abschließende Entscheidung soll alle auch nach anderen Rechtsvorschriften notwendigen behördlichen Entscheidungen einschließen.1084 Insofern sind mehrere ansonsten parallel stattfindende Verwaltungsverfahren in einem einzigen Verfahren zusammengefasst.1085 Dementsprechend handelt es sich um ein äußerst komplexes Verfahren, bei dem mehrpolige Rechtsverhältnisse und Interessengeflechte in eine einheitliche Gesamtentscheidung münden sollen1086 und das mit dem Anhörungsverfahren (§ 73 VwVfG) durch weitreichende diskursive und kooperative Elemente geprägt ist. Mit diesen Verfahrensanforderungen wäre eine vollständige oder teilweise automatisierte Durchführung des Verfahrens nicht zu vereinbaren, sodass eine Automation auch in diesem Bereich nach geltender Rechtslage insgesamt ausscheiden dürfte.1087 In den beiden das Planungsermessen prägenden Fallgruppen ist eine Automation nach geltender Rechtslage ausgeschlossen. b) Regulierungsermessen Die für das Planungsermessen herausgearbeiteten Argumente lassen sich auf das Regulierungsermessen übertragen. Auch das Regulierungsermessen beschränkt sich – ähnlich wie das Planungsermessen – auf einen spezifischen Teilbereich des Verwaltungsrechts, das Regulierungsrecht.1088 In den bisher dazu ergangenen Entscheidungen hat die Rechtsprechung neben dem wertenden Charakter der zu treffenden Abwägungsentscheidungen auch auf die besondere organisations- und verfahrensrechtliche Ausgestaltung abgestellt.1089 Das Regulierungsermessen wird auch deshalb anerkannt, weil ein besonders fachlich legitimiertes Organ in einem spezifisch ausgestalteten Verfahren

1082  Von einem Verwaltungsakt ausgehend BVerwGE 29, 282 (283); BVerwG, NJW 1975, 1373 (1373); W. Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 74 Rn. 19. 1083  W. Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 72 Rn. 1 f. 1084  W. Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 72 Rn. 50 und § 75 Rn. 10 ff. 1085  W. Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 75 Rn. 13. 1086  W. Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 72 Rn. 48 f. 1087  Mit diesem Ergebnis auch im Hinblick auf die Beteiligungsrechte Dritter Braun Binder, in: Seckelmann, E-Government, 311 (Rn. 23). 1088  Ludwigs, JZ 2009, 290 (291). 1089  BVerwGE 130, 39 (Rn. 29).

226 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

entscheidet.1090 Konkret sind die Beschlusskammern der Bundesnetzagentur für die der Rechtsprechung zu Grunde liegenden Entscheidungen nach § 21 Abs. 1  TKG und § 30 Abs. 1  TKG zuständig.1091 Dabei handelt es sich um mit drei Personen besetze Kollegialorgane, die im Hinblick auf § 125 Abs. 2 TKG über eine besondere fachliche Legitimation verfügen.1092 Die Entscheidung wird in einem besonderen, justizähnlich ausgestalteten förmlichen Verfahren (§§ 123 ff. TKG) mit spezifischen Antrags- und Beteiligungsrechten getroffen.1093 Der justizähnliche Charakter zeigt sich auch in dem grundsätzlichen Erfordernis, eine mündliche und öffentliche Verhandlung (§ 135 Abs. 3 TKG) durchzuführen.1094 Mit diesen spezifischen Anforderungen an das Entscheidungsorgan und das Entscheidungsverfahren dürfte eine automatisierte Verfahrensdurchführung kaum zu vereinbaren sein. Die Vorgaben gehen erkennbar von einer personalen Bearbeitung aus und eine automatisierte Durchführung dürfte auch technisch nicht möglich sein. Da das Regulierungsermessen auch im Hinblick auf diese besonderen organisationsund verfahrensrechtlichen Vorgaben (vergleichbare Anforderungen z. B. in § 64 Abs. 2 EnWG und §§ 65 ff. EnWG bei einer möglichen Erweiterung des Regulierungsermessens) angenommen wird, dürfte im Anwendungsbereich des Regulierungsermessens der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten nach bisherigen Stand insgesamt ausscheiden. c) Zwischenergebnis Insgesamt ist im Bereich von Planungs- und Regulierungsermessen ein vollständiger oder teilweise automatisierter Erlass von Verwaltungsakten mit dem geltenden Recht nicht zu vereinbaren. Auf eine direkte oder entsprechende Anwendung des § 35a VwVfG1095 oder auf Einschätzungen zur Automatisierungseignung1096 kommt es nach der hier vertretenen Ansicht nicht JZ 2009, 290 (295 f.); Proelß, AÖR 136 (2011), 402 (422 f.). JZ 2009, 290 (296). 1092  BVerwGE 130, 39 (Rn. 29 f.); Ludwigs, JZ 2009, 290 (296); Proelß, AÖR 136 (2011), 402 (423). 1093  BVerwGE 130, 39 (Rn. 30); Ludwigs, JZ 2009, 290 (296); Proelß, AÖR 136 (2011), 402 (423); mit dieser Einschätzung bereits BR-Drs. 80/96, S. 51 „justizähnlich ausgestaltet“. 1094  Proelß, AÖR 136 (2011), 402 (423). 1095  Beispielsweise bei Guckelberger, Verwaltung, Rn. 444, die zumindest ergänzend auch auf die besondere Bedeutung des Verfahrens bei derartigen Entscheidungen hinweist; Ramsauer/Tegethoff, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 35a Rn. 14; Windoffer, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 35a Rn. 29; Ziekow, VwVfG, § 35a Rn. 13. 1096  Mit der aktuell wohl zutreffenden Einschätzung, dass eine Eignung zur Automation nicht besteht Siegel, DVBl. 2017, 24 (26) und U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, § 35a Rn. 43. 1090  Ludwigs, 1091  Ludwigs,



A. Spielräume als Grenze automatisierter Verfahrensdurchführung227

mehr an, da sich der Ausschluss bereits direkt aus den organisations- und verfahrensrechtlichen Vorgaben als speziellerem Recht ergibt. Auch aus rechtspolitischer Sicht ist in Anbetracht der besonderen Komplexität und des hohen Kooperationsbedarfs kein Grund ersichtlich, die jeweiligen Verfahrensanforderungen umfassend neu zu gestalten, allein um eine Automation zu ermöglichen. Denkbar und sinnvoll wäre allenfalls ein Algorithmeneinsatz zur Entscheidungsunterstützung.1097 Die automatisierte Verfahrensdurchführung dürfte sich hingegen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf andere Bereiche konzentrieren, sodass die Bereiche des Planungs- und Regulierungsermessens aus der weiteren Untersuchung ausscheiden.

IV. Zwischenergebnis Automatisiert erlassene Verwaltungsakte sind im Bereich von Planungsund Regulierungsermessen insgesamt ausgeschlossen. Im Hinblick auf Ermessens- und Beurteilungsspielräumen ist hingegen zwischen drei Bereichen zu unterscheiden: Im 1. Bereich wird der Spielraum durch die Verwaltung anhand sachgerechter Kriterien vollständig verdichtet, ohne dass Raum für atypische Fälle bleibt. Die Algorithmen entscheiden alle Fälle nach diesen antizipiert festgelegten Parametern. Ob eine solche Form der Automation zulässig ist, ergibt sich durch Auslegung der einschlägigen Normen gegebenenfalls unter Berücksichtigung der gesamten Rechtsordnung. Es muss sichergestellt sein, dass die vollständige Verdichtung möglich ist, da die Gefahr, atypische Fälle berücksichtigen zu müssen grundsätzlich nicht besteht. Dann bestehen allerdings weder allgemeine Bedenken gegen diese Art der Automation noch schließen die §§ 35a VwVfG, 31a S. 1 SGB X, 155 Abs. 4 AO eine solche Automation aus. Der 2. Bereich ist eine gemischte Form der Verfahrensdurchführung. Die in einem konkreten Sachbereich bestehenden gleichgelagerten und regelmäßig wiederkehrenden Sachverhaltskonstellationen können gleichmäßig entschieden werden, sodass eine antizipiert-generalisierte Spielraumausübung in diesem Bereich möglich ist. Das Verfahren kann durch Algorithmen anhand der vorher manuell festgelegten Parameter automatisiert durchgeführt werden. Allerdings sind im gleichen Sachbereich auch atypische Konstellationen denkbar, die sich nicht antizipiert entscheiden lassen. Diese atypischen Fälle werden deshalb zur Bearbeitung durch einen menschlichen Amtswalter aus dem ansonsten automatisiert ablaufenden Verfahren ausgesteuert. Solange 1097  So

auch U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (113).

228 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

diese Aussteuerung mit hinreichender Sicherheit gelingt, ist die ansonsten automatisiert erfolgende Durchführung zulässig. Auch die §§ 35a VwVfG, 31a S. 1 SGB X, 155 Abs. 4 AO schließen diese Art der Automation im Hinblick auf den verfolgten Schutzzweck nicht aus. Im 3. Bereich sind auch bei der automatisierten Verfahrensdurchführung besondere Umstände des Einzelfalls für die Spielraumentscheidung zu berücksichtigen. Es handelt sich um Sachbereiche, in denen entweder regelmäßig eine Vielzahl heterogener, sich dynamisch wandelnder Einzelfallumstände berücksichtigt werden müssen oder zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, dass atypische Fälle eine Berücksichtigung individueller Umstände erfordern, ohne dass eine Aussteuerung dieser Fälle möglich ist. Auch eine solche Einzelfallumstände berücksichtigende Spielraumausübung wäre nach Maßgabe der allgemeinen spielraumbezogenen Erwägungen nicht pauschal von der Automation ausgeschlossen. Der vollständig automatisierte Erlass von Verwaltungsakten ist in diesem Bereich allerdings gem. §§ 35a VwVfG, 155 Abs. 4 AO, 31a S. 1 SGB X unzulässig. Im Ergebnis ist die Wirkung dieses Ausschlusses darauf begrenzt, die automatisierte Durchführung eines Verfahrens von einer parlamentsgesetzlichen Zulassung abhängig zu machen. So erschöpft sich die Begrenzungswirkung im Anwendungsbereich des § 35a VwVfG im Erstarken des dort ohnehin vorgesehenen Rechtssatzvorbehalts zu einem formellen Gesetzesvorbehalt.1098 Auch im Anwendungsbereich der AO und des SGB X kann der vollständig automatisierte Verwaltungsakterlass durch eine parlamentsgesetzliche Zulassung als lex specialis zu §§ 31a S. 1 SGB X, 155 Abs. 4 AO ermöglicht werden.1099 Für Verfahren, die nach dem VwVfG eines Bundeslandes durchgeführt werden, die den § 35a VwVfG nicht übernommen haben sowie im Bereich der Teilautomation gilt nach dem bisherigen Stand nicht einmal diese Beschränkung. Allerdings stellt sich die Frage, ob den §§ 35a VwVfG, 155 Abs. 4 AO, 31a S. 1 SGB X diesbezüglich überhaupt eine originäre recht­ liche Wirkung zukommt. Das Erfordernis einer parlamentsgesetzlichen Zulassung könnte sich ohnehin aus dem allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes ergeben. Das würde dann auch für die Teilautomation und für Verfahren im Anwendungsbereich eines Landes-VwVfG ohne § 35a gelten. Diese und weitere organisations- und verfahrensrechtliche Anforderungen an den automatisierten Verwaltungsakterlass speziell im Bereich von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen werden im folgenden Abschnitt untersucht.

1098  Mit

dieser Wertung auch Tischbirek, ZfDR 2021, 307 (320). gilt dieser Vorbehalt abweichender Regelung durch ein spezielleres Gesetz allgemein für jede einfach-rechtliche Norm. 1099  Zugegebenermaßen



B. Besondere organisations- und verfahrensrechtliche Anforderungen229

B. Besondere organisations- und verfahrensrechtliche Anforderungen Nach dem bisher erarbeiteten Erkenntnisstand ist der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten auch in Konstellationen eines bestehenden Ermessensoder Beurteilungsspielraums in einem weitgehenden Umfang rechtlich zulässig. Dieses bisherige Ergebnis soll nunmehr zwar nicht grundsätzlich eingeschränkt, aber durch organisations- und verfahrensrechtliche Anforderungen an die rechtliche Ausgestaltung ergänzt werden. Die Ausführungen beschränken sich dabei auf solche Anforderungen, die in besonderer Weise1100 für den automatisierten Erlass von Verwaltungsakten im Bereich von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen gelten und die insofern bei der Ausgestaltung entsprechender Verfahren zu berücksichtigen sind. Erstens wird untersucht, ob sich aus dem Vorbehalt des Gesetzes das Erfordernis einer parlamentsgesetzlichen Grundlage für den automatisierten Erlass von Verwaltungsakten im Bereich von Ermessens- oder Beurteilungsspielräumen ergibt. Zweitens wird die besondere Bedeutung der Sachverhaltsaufklärung und der Begründung einer Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die gerichtliche Kontrolle von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen erörtert.

I. Vorbehalt des Gesetzes Im Folgenden soll die Frage geklärt werden, ob der Vorbehalt des Gesetzes eine parlamentsgesetzliche Grundlage für den automatisierten Erlass von Verwaltungsakten speziell im Bereich von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen erfordert. Dabei kann an die bereits weiter oben dargelegten Grundsätze1101 im Hinblick auf die allgemeinen Anforderungen des Vorbehalts des Gesetzes an den automatisierten Erlass von Verwaltungsakten angeknüpft werden. Ausgangspunkt ist die Wesentlichkeitstheorie. Grundsätzlich hat der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen.1102 Darunter kann auch die Ausgestaltung grundrechtsrelevanter Verwaltungsverfahren zählen.1103 Nach der Wesentlichkeit bestimmt sich auch, ob eine Ent1100  Daneben sind selbstverständlich auch die allgemeinen Anforderungen an die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten zu beachten. 1101  Dazu unter 1. Teil B. III. 1. a). 1102  Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 49, 89 (126); 98, 218 (251); 101, 1 (34); 108, 282 (312); 123, 39 (78); aus der Literatur statt aller Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 113 ff. 1103  BVerfGE 83, 130 (151); 95, 267 (307 f.); 128, 292 (317); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 116; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Bd. 2, Art. 20 Rn. 283.

230 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

scheidung durch den parlamentarischen Gesetzgeber selbst getroffen werden muss oder eine Delegation zulässig ist.1104 Das Merkmal der Wesentlichkeit und die dazu entwickelten Kriterien ermöglichen allerdings regelmäßig keine trennscharfe Abgrenzung. Insofern ist es vorzugswürdig sich zwar im Ausgangspunkt am Kriterium der Wesentlichkeit zu orientieren, die darauf aufbauende Argumentation aber soweit notwendig problembezogen zu entwickeln.1105 Für den Bereich der automatisiert erlassenen Verwaltungsakte insgesamt konnte gezeigt werden, dass zumindest der fortschreitende Wechsel von einer personalen Bearbeitung hin zu einer vollständig automatisierten Verfahrensdurchführung als fundamentale Grundsatzentscheidung von Bedeutung für die Allgemeinheit eine Entscheidung durch das Parlament voraussetzt.1106 Eine solche liegt allerdings bereits durch Erlass der §§ 35a VwVfG, 31a S. 1 SGB X, 155 Abs. 4 AO vor. Ob es darüber hinaus auch einer gesetzgeberischen Entscheidung im Hinblick auf einzelne zur Automation zuzulassende Verfahren bedarf, lässt sich nicht pauschal für alle Verfahren beantworten.1107 Vielmehr kommt es auf das konkrete Verfahren und dessen Kontext an. Es ist einzelfallbezogen zu entscheiden, ob und inwieweit die automatisierte ­Durchführung eines konkreten Verfahrens einer weitergehenden gesetzlichen Grundlage bedarf. Dabei kann insbesondere die grundrechtliche Bedeutung der Sachentscheidung, die Komplexität der Entscheidungsfindung, der (hohe) Grad der Automation sowie die Art und Autonomie der eingesetzten Algorithmen berücksichtigt werden. Einfach gelagerte Verfahren können auch ohne explizite gesetzliche Regelung automatisiert durchgeführt werden. In anderen Konstellationen dürfte es ausreichen, dass zumindest die Möglichkeit der Automation gesetzlich vorgesehen ist und nur in einem dritten Bereich dürfte auch die konkrete Zulassungsentscheidung so wesentlich sein, dass eine parlamentsgesetzliche Regelung erforderlich ist. Zu prüfen ist, ob es bei diesen allgemeinen Grundsätzen bleibt oder ob das Bestehen eines Ermessens- oder Beurteilungsspielraums eine weitergehende parlamentsgesetzliche Grundlage für die automatisierte Verfahrensdurchführung erfordert. Dabei wird insbesondere das bereits angesprochene Kriterium der Komplexität der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen sein.

1104  BVerfGE 58, 257 (274); 101, 1 (34); 123, 39 (78); Grzeszick in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 IV Rn. 106; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn.  119 ff. 1105  Dazu bereits unter 1. Teil B. III. 1. a). 1106  Dazu bereits ausführlicher unter 1. Teil B. III. 1. a) bb). 1107  Dazu ausführlicher unter 1. Teil B. III. 1. a) aa).



B. Besondere organisations- und verfahrensrechtliche Anforderungen231

1. Automation durch antizipierte Spielraumausübung Zunächst sind die automatisiert durchgeführten Verfahren zu behandeln, in denen die Berücksichtigung von Einzelfallumständen nicht erforderlich ist, sondern der Spielraum vollständig antizipiert ausgeübt werden kann. Für diese Art der automatisierten Verfahrensdurchführung dürfte eine parlamentsgesetzliche Grundlage nicht erforderlich sein. Solange der Spielraum anhand vorher eindeutig festgelegter Kriterien vollständig verdichtet werden kann, verschwindet er im Einzelfall. Auch wenn in bestimmten Bereichen zwar die Möglichkeit der Berücksichtigung atypischer Fälle besteht, diese aber zur personalen Bearbeitung ausgesteuert werden, findet die automatisierte Verfahrensdurchführung ausschließlich in einem anhand vorher festgelegter Parameter verdichteten Bereich statt. Ein rechtlich erheblicher qualitativer Unterschied zum automatisierten Erlass von Verwaltungsakten im Bereich der gebundenen Verwaltung besteht sodann insgesamt nicht. Auch ist die Komplexität der auf diese Art automatisiert erlassenen Entscheidungen regelmäßig nicht besonders hoch. Darunter fallen beispielsweise der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten durch Lichtzeichenanlagen, die automatisierte Auswertung von Multiple-Choice-Klausuren oder die automatisierte Vergabe von Anwohnerparkausweisen anhand vorher festgelegter Kriterien. Dementsprechend kann es bei den allgemein für den automatisierten Erlass von Verwaltungsakten entwickelten Erwägungen bleiben. Es kann auch berücksichtigt werden, dass für den vollständig automatisierten Erlass auf die §§ 35a VwVfG, 31a S. 1 SGB X, 155 Abs. 4 AO als parlamentsgesetzliche Zulassung zurückgegriffen werden kann. Deren Begrenzungsfunktion beschränkt sich auf den Ausschluss der Berücksichtigung besonderer Umstände des Einzelfalls bei der automatisierten Verfahrensdurchführung im Bereich von Ermessens- oder Beurteilungsspielräumen. Im Umkehrschluss ist sodann aber die automatisierte Verfahrensdurchführung ohne Berücksichtigung von Einzelfallumständen vom Anwendungsbereich erfasst. Ansonsten ist für den jeweiligen Einzelfall zu bestimmen, ob es für die Automation eines Verfahrens einer besonderen parlamentsgesetzlichen Grundlage bedarf. Wenn hingegen im Rahmen der Spielraumentscheidung Einzelfallumstände zu berücksichtigen sind (3. Bereich), dürften andere Maßstäbe gelten. 2. Einzelfallumstände berücksichtigende Spielraumentscheidungen Fraglich ist, ob die Berücksichtigung von besonderen Umständen des Einzelfalls durch Algorithmen im Rahmen der automatisierten Verfahrensdurchführung einer besonderen parlamentsgesetzlichen Grundlage bedarf.

232 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

Zunächst geht es dabei um die Frage, ob der Einsatz solcher die besonderen Umstände des Einzelfalls berücksichtigender Algorithmen allgemein einer parlamentsgesetzlichen Zulassung bedarf. Dabei kann nicht pauschal auf die Grundrechtswesentlichkeit abgestellt werden, denn es ist auch denkbar, dass solche Algorithmen in Sachbereichen ohne oder mit nur geringem Grundrechtsbezug eingesetzt werden. Allerdings muss das Parlament nicht nur eine Entscheidung mit besonderer Bedeutung für die Grundrechtsausübung, sondern grundsätzlich alle wesentlichen Entscheidungen treffen. Dazu gehören auch die fundamentalen Grundsatzentscheidungen mit besonderer Bedeutung für die Allgemeinheit.1108 Die Zulassung von Algorithmen zur Einzelfallbearbeitung dürfte als eine solche Grundsatzentscheidung anzusehen sein. Nach bisher überwiegenden Verständnis sollen Algorithmen echte Einzelfallentscheidungen nicht treffen können und entsprechende Entscheidungen deshalb menschlichen Entscheidern vorbehalten sein.1109 Eine dem Einzelfall gerecht werdende Entscheidungsfindung erfordere Empathie, Menschenkenntnis, Judiz sowie politisches Gespür und damit allesamt Fähigkeiten, die sich technisch nicht nachbilden ließen.1110 Das Herstellen von Einzelfallgerechtigkeit durch das Lösen eines Interessenkonflikts sei deshalb gerade eine besondere Leistung, die nicht durch Algorithmen, sondern nur durch menschliche Entscheidungsträger geleistet werden könne.1111 Auch wenn man diese Bewertung inhaltlichen nicht vollumfänglich teilt, ist anzuerkennen, dass ein potenzieller Einsatz von Algorithmen zur Einzelfallentscheidung die bisher überwiegend angenommene Grenze der Automatisierbarkeit wesentlich verschieben würde. Die Verwaltungsautomation konzentriert sich gegenwärtig noch immer auf leicht standardisierbare Massenverfahren.1112 Gerade die Schematisierung wird als ein Wesensmerkmal der Automation angesehen.1113 Diese Einschätzung wird nicht nur in der Literatur, sondern auch vom Gesetzgeber geteilt.1114 Wenn 1108  BVerfGE 49, 89 (127); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 114. 1109  Vgl. aus der älteren Literatur beispielsweise Altfelder, Datenverarbeitung, S. 19; Degrandi, Verwaltungsverfügung, S.  44 f.; Groß, VerwArch 95 (2004), 400 (409); Polomski, Verwaltungsakt, S.  56 ff.; Lazaratos, Verwaltungsautomation, S. 220; aus der jüngeren Diskussion um § 35a VwVfG statt aller Braun Binder, DÖV 2016, 891 (894); Guckelberger, Verwaltung, Rn. 441; Siegel, DVBl. 2017, 24 (26); Ziekow, VwVfG, § 35a Rn. 12. 1110  Hähnchen u. a., JuS 2020, 625 (630). 1111  Hähnchen u. a., JuS 2020, 625 (629). 1112  Siegel, DVBl. 2017, 24 (26). 1113  v. Harbou, JZ 2020, 340 (346); Lazaratos, Verwaltungsautomation, S. 220; U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (112 f.). 1114  Vgl. BT-Drs. 18/8434, S. 122. „Die Ausübung von Ermessen setzt ebenso eine menschliche Willensbetätigung voraus wie die individuelle Beurteilung eines Sach-



B. Besondere organisations- und verfahrensrechtliche Anforderungen233

nun allerdings ein so zentrales Charakteristikum neu bewertet und der Umfang möglicher Verwaltungsautomation sehr weit ausgedehnt würde, spricht das dafür, eine Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers zu verlangen. Es geht dabei nicht nur um die Neubewertung der technischen Machbarkeit, sondern auch um die Frage, ob eine solche Automation überhaupt sinnvoll für das Gemeinwesen ist. Ganz grundsätzlich geht es um die Ausgestaltung des Verhältnisses von Staat und Bürger. Beispielsweise stellt sich die Frage, inwiefern die Bürger solchen Entscheidungen vertrauen und diese akzeptieren werden, wenn die eingesetzten Algorithmen auch Einzelfallumstände zu berücksichtigen haben. Insbesondere könnten die Bürger Angst vor möglichen Diskriminierungen oder aus anderen Gründen nicht sachgerechten, weil zu stark typisierenden Entscheidungen haben. Ein weiteres Beispiel ist die Frage, ob und wie solche Entscheidungen in das bestehende Rechtssystem integriert werden können oder es einer neuen Verantwortungs- und Kontrollarchitektur bedarf. Insgesamt handelt es sich um eine Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung für die Allgemeinheit, die deshalb nur der parlamentarische Gesetzgeber treffen kann. Der Einsatz von Algorithmen zur besonderen Berücksichtigung von Umständen des Einzelfalls bedarf grundsätzlich einer vorherigen Zulassung durch ein Parlamentsgesetz. Dabei kann der Gesetzgeber einzelne Verfahrensbereiche bzw. konkrete Verfahren für eine solche Automation freigegeben oder aber eine grundsätzliche Entscheidung in den jeweiligen Verfahrensordnungen treffen. Darüber hinaus verbleibt es im Hinblick auf die Auswahl konkreter Verfahren für die automatisierte Durchführung bei den allgemeinen Grundsätzen. Es lässt sich auch im Bereich der Einzelfallumstände berücksichtigenden Spielraumentscheidungen nicht allgemein bestimmen, dass die automatisiert durchzuführenden Verfahren in jeden Fall durch oder auf Grund eines Parlamentsgesetzes ausgewählt werden müssen. Vielmehr ist für jedes Verfahren im Hinblick auf dessen konkreten Kontext gesondert zu erörtern, ob und wie konkret der Vorbehalt des Gesetzes eine parlamentsgesetzliche Zulassung erfordert. Dabei wird sich für Algorithmen, die besondere Umstände des Einzelfalls berücksichtigen können, aber häufig das Erfordernis einer solchen Zulassung ergeben. Die Berücksichtigung von Einzelfallumständen impliziert eine gewisse Komplexität und wird überdurchschnittlich häufig Konstellationen betreffen, in denen grundrechtliche Wertungen zu berücksichtigen sind. In einer solchen Situation hat die automatisierte Verfahrensdurchführung dementsprechend auch nicht unerhebliche

verhalts.“ und BT-Drs. 18/8434, S. 121, wonach eine Einzelfallbearbeitung durch einen Amtsträger zwingend sei, wenn das materielle Recht eine Ermessensentscheidung oder einen Beurteilungsspielraum vorsieht.

234 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

Auswirkungen auf die Grundrechtsausübung und kann deshalb bereits einer parlamentsgesetzlichen Regelung bedürfen.1115 Rechtspolitisch ist zu berücksichtigen, dass die automatisierte Berücksichtigung von Einzelfallumständen kurz- bis mittelfristig vor erheblichen technischen Hindernissen steht.1116 Praktisch dürfte sich der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten deshalb ganz überwiegend auf Bereiche beschränken, in denen Einzelfallumstände nicht berücksichtigt werden müssen. Allenfalls sind einzelne Konstellationen denkbar, in denen auch Einzelfallumstände durch Algorithmen berücksichtigt werden können (z. B. die Verkehrssteuerung durch intelligente Verkehrsleitsysteme, die dynamisch auf die aktuelle Verkehrslage reagieren) und deshalb entsprechende Entscheidungen auch automatisiert erlassen werden können. Eine pauschale Zulassung der Automation im Bereich der Einzelfallumstände berücksichtigenden Spielraumentscheidungen – beispielsweise durch Neufassung des § 35a VwVfG – ist vor diesem Hintergrund allerdings wenig sinnvoll. Um den Anforderungen des Vorbehalts des Gesetzes zu entsprechen, ist es vorzugswürdig, allenfalls einzelne Ausnahmekonstellationen, in denen eine Verwaltungsautomation trotz der erforderlichen Berücksichtigung von Einzelfallumständen möglich ist, per Parlamentsgesetz gesondert freizugeben. 3. Zwischenergebnis Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten im Bereich antizipierter Spielraumausübung (1. und 2. Bereich) keiner weitergehenden parlamentsgesetzlichen Zulassung bedarf. Insofern bleibt es bei den allgemeinen Anforderungen an den Erlass automatisierter Verwaltungsakte. Die automatisierte Durchführung von Verfahren, bei denen zumindest in atypischen Fällen besondere Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden müssen (3. Bereich), ist hingegen ohne ausdrückliche parlamentsgesetzliche Zulassung unzulässig. Diese sich ohnehin einfachrechtlich aus den §§ 35a VwVfG, 31a S. 1 SGB X, 155 Abs. 4 AO ergebende Anforderung ist auch verfassungsrechtlich abgesichert.

II. Verfahrensrechtliche Vorgaben Der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten muss auch im Bereich von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen den allgemeinen verfahrens1115  In diese Richtung auch Hermstrüwer, in: Rademacher/Wischmeyer, 199 (Rn. 19). 1116  Zu dieser Einschätzung mit ausführlicheren Ausführungen an späterer Stelle unter 3. Teil C. II. 2.



B. Besondere organisations- und verfahrensrechtliche Anforderungen235

rechtlichen Vorgaben (insbesondere: §§ 9 ff. VwVfG) entsprechen. Im Hinblick auf automationsbedingte Besonderheiten kann zunächst auf die obigen Ausführungen1117 verwiesen werden. Es besteht zunächst kein Unterschied zwischen den verfahrensrechtlichen Vorgaben für den automatisierten Erlass von Verwaltungsakten mit oder ohne Spielraum. Allerdings kommt der Begründung und der Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung eine besondere Bedeutung zu. Beurteilungs- und Ermessensspielräume weisen grundsätzlich der Verwaltung ein Letztentscheidungsrecht zu und beschränken dementsprechend die verwaltungsgerichtliche Kontrolle.1118 Die Gerichte sind nach traditioneller Dogmatik darauf beschränkt, die Entscheidung auf bestimmte Fehler hin zu überprüfen und dürfen, anders als im Bereich der gebundenen Verwaltung, nicht ihr eigenes inhaltliches Ergebnis an die Stelle der Verwaltungsentscheidung setzen. Die Kontrolle ist im Hinblick auf das Ergebnis darauf beschränkt, zu kontrollieren, ob die äußeren rechtlichen Grenzen des Spielraums nicht überschritten wurden. Um die eingeschränkte Ergebniskontrolle teilweise zu kompensieren, sind die Gerichte befugt, auch zu kontrollieren, ob der Entscheidungsvorgang bestimmten Mindestanforderungen genügt.1119 Im Rahmen der Überprüfung des Entscheidungsvorgangs kommt auch der Sachverhaltsaufklärung und der Begründung eine zentrale Bedeutung zu. 1. Vollständig und richtig ermittelter Sachverhalt Sowohl bei der Ermessensausübung als auch beim Treffen einer Beurteilungsentscheidung hat die Behörde alle für die Entscheidung des konkreten Einzelfalls erheblichen Umstände zu berücksichtigen.1120 Voraussetzung dafür ist, dass die Behörde bei ihrer Entscheidung von einem vollständig und richtig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist.1121 Allerdings ist auch im Bereich von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen nicht jede fehlerhafte Sachverhaltsermittlung beachtlich. Unterlässt die Verwaltung beispielsweise 1117  Dazu

oben 1. Teil B. III. 2. oben 2. Teil B. II. 3. u. III. 4. 1119  Zu dem Verhältnis von Ergebnis- und Vorgangsfehlern bei Spielräumen Alexy, JZ 1986, 701 (707 ff.). 1120  OVG Lüneburg, KommJur 2015, 222 (224); Bader, JuS 2006, 199 (200) jeweils für Ermessensspielräume; Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 114 Rn. 54, 102 für Ermessens- und Beurteilungsspielräume. 1121  BVerwG, NVwZ 1987, 144 (145); OVG Lüneburg, KommJur 2015, 222 (224); Decker, in: BeckOK, VwGO, § 114 Rn. 21  f. jeweils für Ermessensspielräume; ­BVerwGE 77, 78 (75); BVerwG, NVwZ 2016, 1566 (Rn. 37) jeweils für Beurteilungsspielräume; Kallerhoff/Fellenberg, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 24 Rn. 58; Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 114 Rn. 54, 102; Sachs, in: Stelkens/Bonk/ ders., VwVfG, § 40 Rn. 99, 224 jeweils für Ermessens- und Beurteilungsspielräume. 1118  Dazu

236 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

eine gebotene weitere Sachverhaltsaufklärung (z. B. die Anhörung eines Sachverständigen), aber ist der von ihr zu Grunde gelegte Sachverhalt dennoch (zufällig) vollständig und richtig, liegt kein Beurteilungs- bzw. Ermessensfehler vor.1122 Es kommt insofern in dieser Hinsicht allein auf das Ergebnis und nicht auf das Verfahren der Sachverhaltsermittlung an.1123 Legt die Behörde ihrer Entscheidung hingegen einen unvollständigen oder unrichtigen Sachverhalt zu Grunde, handelt sie regelmäßig selbst dann fehlerhaft, wenn sich die getroffene Entscheidung auch bei Berücksichtigung der zusätzlichen bzw. zutreffenden Umstände als vertretbar darstellt.1124 Auch im Bereich der gebundenen Verwaltung ist die Behörde grundsätzlich verpflichtet, den Sachverhalt vollständig und richtig zu ermitteln (§§ 24 Abs. 1 S. 1 VwVfG, 20 Abs. 1 S. 1 SGB X, 88 Abs. 1 S. 1 AO), sodass es sich hierbei nicht um eine Besonderheit der Spielraumverwaltung handelt.1125 Allerdings begründet ein der Entscheidung zu Grunde gelegter unvollständiger oder unrichtiger Sachverhalt lediglich einen formellen Fehler, wenn kein Spielraum besteht. Ein solcher wird sich im gerichtlichen Verfahren regelmäßig1126 als unbeachtlich (§§ 46 VwVfG, 42 S. 1 SGB X, 127 AO) darstellen, wenn die Entscheidung im Ergebnis dennoch materiell rechtmäßig ist.1127 Bei der Überprüfung einer Entscheidung mit Ermessens- bzw. Beurteilungsspielraum kann hingegen, wie bereits dargestellt, ein unrichtiger oder unvollständiger Sachverhalt einen eigenständigen Ermessens- bzw. Beurteilungsfehler begründen und insofern zur im gerichtlichen Verfahren immer beachtlichen materiellen Rechtswidrigkeit der Entscheidung führen.1128 Auf der anderen Seite ist diese potenziell unterschiedliche Behandlung in einem möglicherweise später stattfindenden gerichtlichen Verfahren zum Zeitpunkt der Konzeption und der Durchführung eines automatisierten Verfahrens aus einer rechtlichen Perspektive nicht unmittelbar relevant. Die Behörde ist unabhängig vom Bestehen eines Spielraums im gleichen Maße rechtlich verpflichtet, das automatisierte Verfahren so auszugestalten, dass die entscheidungserheblichen Umstände vollständig und richtig ermittelt in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 24 Rn. 58. in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 24 Rn. 58. 1124  Bader, JuS 2006, 199 (200). 1125  Allgemein zur Sachverhaltsermittlung in automatisierten Verfahren bereits oben 1. Teil B. III. 2. b). 1126  Etwas anderes kann allerdings gelten, wenn besondere Verfahrensvorschriften sicherstellen sollen, dass die Sachverhaltsermittlung im Verwaltungsverfahren in umfassender Weise erfolgt (Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 46 Rn. 68). 1127  Kallerhoff/Fellenberg, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 24 Rn. 59; Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 46 Rn. 67. 1128  Kallerhoff/Fellenberg, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 24 Rn. 58; Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 114 Rn. 54, 102. 1122  Kallerhoff/Fellenberg, 1123  Kallerhoff/Fellenberg,



B. Besondere organisations- und verfahrensrechtliche Anforderungen237

werden. Diese Wertung wird auch von den §§ 24 Abs. 1 S. 3 VwVfG, 31a S. 2 SGB X, 150 Abs. 7 S. 1, 155 Abs. 4 S. 3 AO bestätigt.1129 Die an Recht und Gesetz gebundene Verwaltung darf sich nicht bewusst rechtswidrig verhalten, nur weil ein solches Verhalten allein aus prozessökonomischen Gründen1130 im gerichtlichen Verfahren nicht zur Aufhebung führen würde. Faktisch könnte dennoch der Druck, den Sachverhalt vollständig und richtig zu ermitteln, im Bereich von Spielräumen bereits aufgrund der Gefahr der Sanktionierung größer sein. Auch dürfte es bei Spielraumentscheidungen tendenziell häufiger vorkommen, dass überdurchschnittlich viele und auch atypische Umstände zu berücksichtigen sind und die Sachverhaltsermittlung deshalb komplexer ausfallen muss. Im Ergebnis ist insofern zu differen­ zieren. Rechtlich gelten für die automatisierte Sachverhaltsaufklärung im Bereich von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen grundsätzlich keine strengeren Maßstäbe. Das Erfordernis einer vollständigen und richtigen Sachverhaltsaufklärung dürfte allerdings praktisch im Bereich von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen eine besonders wichtige Rolle spielen. Generell ist die korrekte Sachverhaltserfassung ein wesentliches Hindernis für eine fortschreitende automatisierte Durchführung von Verwaltungsverfahren. 2. Begründung einer Ermessens- bzw. Beurteilungsentscheidung Ob alle entscheidungserheblichen Umstände ermittelt und berücksichtigt wurden, überprüft das Gericht auch im automatisierten Verfahren regelmäßig anhand der Begründung. Um die besondere Bedeutung der Begründung im Bereich von Spielräumen zu verstehen, ist zunächst der Ausgangspunkt, d. h. die rechtliche Bedeutung der Begründung bei Verwaltungsakten ohne Spielraum, knapp darzustellen. a) Ausgangspunkt: Begründung als formale Anforderung Das Verfassen einer Begründung ist im Ausgangspunkt gem. §§ 39 Abs. 1 VwVfG, 35 Abs. 1 SGB X, 121 Abs. 1 AO eine formale Anforderung an den Erlass eines schriftlichen Verwaltungsaktes, für die die Regelungen zur Heilung (§§ 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG, 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X, 126 Abs. 1 Nr. 2 AO) bzw. Unbeachtlichkeit (§§ 46 VwVfG, 42 S. 1 SGB X, 127 AO) anwendbar sind. Die Behörde hat die wesentlichen tatsächlichen und recht­ lichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung (subjektiv) bewogen haben. Davon zu unterscheiden sind die materiell-rechtlich zutref1129  Dazu

bereits oben 1. Teil B. III. 2. b). 90, 25 (33).

1130  BVerwGE

238 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

fenden Gründe, die die Entscheidung objektiv rechtfertigen.1131 Einen Anspruch auf eine solche materiell-rechtlich richtige Begründung gibt es im Bereich der gebundenen Verwaltung nach überwiegender Ansicht nicht.1132 Solange die materiellen Voraussetzungen objektiv vorlagen, ist der Verwaltungsakt unabhängig von den angegebenen subjektiven Gründen materiell rechtmäßig. Deshalb wird überwiegend davon ausgegangen, dass im Bereich der gebundenen Verwaltung die Begründung ausschließlich einen formalen Teil des Verwaltungsaktes darstellt, der mit diesem nur äußerlich verbunden ist und dem keine materiell-rechtliche Bedeutung zukommt.1133 b) Doppelfunktion bei einer Ermessens- oder Beurteilungsentscheidung Im Bereich der Ermessens- und Beurteilungsspielräume kommt der Begründung eine Doppelfunktion zu. Sie ist zunächst ebenfalls ein formaler Teil des Verwaltungsaktes, für den die gleichen Regelungen gelten wie im Bereich der gebundenen Verwaltung. Die Begründungspflicht erstreckt sich dabei auch auf die der Entscheidung zu Grunde liegenden Zweckmäßigkeitserwägungen (§§ 39 Abs. 1 S. 3 VwVfG, 35 Abs. 1 S. 3 SGB X). Der genaue Umfang der erforderlichen Begründung ist dabei im Hinblick auf das einschlägige Rechtsgebiet sowie auf die Umstände des Einzelfalls zu bestimmen.1134 Im Bereich von Spielräumen kommt der Begründung bzw. den in der Begründung angegebenen Gründen darüber hinaus eine wichtige mate­ riell-rechtliche Bedeutung zu.1135 aa) Inhaltliche Überprüfung der angegebenen Gründe Im Ausgangspunkt ist zwischen den für eine formal korrekte Begründung ausreichenden Gründen und den Gründen, die für die Erfüllung auch materieller Anforderungen erforderlich sind, zu unterscheiden.1136 Anders als im Bereich der gebundenen Verwaltung müssen bei Ermessens- oder Beurtei1131  Zur Unterscheidung von formellen und materiellen Begründungsfehlern Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 157 ff. 1132  So U. Stelkens, in: Ders./Bonk/Sachs, VwVfG, § 39 Rn. 30; mit ausführlicher Begründung für diese Ansicht Kischel, Folgen, S. 8 ff.; für die Gegenansicht mit ausführlicher Begründung Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 166 ff.; in diese Richtung auch Martin, Heilung, S. 177 ff. und 271 ff. 1133  U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 39 Rn. 26. 1134  Decker, in: BeckOK, VwGO, § 114 Rn. 10.1. 1135  Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 114 Rn. 46. 1136  Ramsauer, in: Kopp/ders., VwVfG, § 39 Rn. 3; Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 114 Rn. 48 f.



B. Besondere organisations- und verfahrensrechtliche Anforderungen239

lungsentscheidungen die tatsächlichen subjektiven Beweggründe der Behörde nicht nur formal ausreichend in der Begründung angegeben werden, sondern darüber hinaus auch in einem gewissen Umfang inhaltlich richtig sein.1137 Denn anhand der tatsächlichen Erwägungen ist zu überprüfen, ob die Entscheidung vorgangsbezogene Ermessens- bzw. Beurteilungsfehler ent­ hält.1138 Insbesondere ist zumindest zu überprüfen, ob die Behörde ihren Spielraum überhaupt wahrgenommen, die entscheidungserheblichen Umstände voll­ständig und richtig ermittelt, diese in ihre Entscheidungsfindung einbezogen sowie sachwidrige Umstände nicht berücksichtigt hat.1139 Andernfalls liegt ein Ermessens- bzw. Beurteilungsfehler vor und die Entscheidung ist u ­nabhängig vom Entscheidungsergebnis materiell rechtswidrig. Auch kann eine aus d ­ iesem Grund inhaltlich unrichtige Entscheidung nicht gem. §§ 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG, 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X, 126 Abs. 1 Nr. 2 AO geheilt werden. Allenfalls ist ein „Nachschieben von Gründen“ in engen prozessualen und materiell-rechtlichen Grenzen möglich.1140 bb) Verfassungsrechtliche Pflicht zur Darlegung und Dokumentation Den Gründen, auf denen die Entscheidung beruht, kommt für die gerichtliche Kontrolle von Ermessens- bzw. Beurteilungsentscheidungen eine zentrale Bedeutung zu. Deshalb besteht eine besonders strikte verfassungsrecht­ liche Pflicht zur Angabe bzw. Dokumentation dieser Gründe. Der nach Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich garantierte gerichtliche Rechtsschutz setzt voraus, dass die Behörde offenbart, von welchen Gesichtspunkten sie sich bei der Ausübung von Ermessens- bzw. Beurteilungsspielräumen hat leiten lassen.1141 Diesem Zweck dient insbesondere die Pflicht zur Begründung von Verwaltungsakten.1142 Die formale Begründung bildet regelmäßig die Grundlage für die Überprüfung der getroffenen Entscheidung auf mögli1137  Ramsauer, in: Kopp/ders., VwVfG, § 39 Rn. 3; Sachs, in: Stelkens/Bonk/ ders., VwVfG, § 45 Rn. 46. 1138  Zur Unterscheidung zwischen Ergebnis- und Vorgangsfehlern Alexy, JZ 1986, 701 (707 ff.). 1139  Für die entsprechenden Ermessens- bzw. Beurteilungsfehler oben bereits unter 2. Teil B. II. 3. a) bzw. unter 2. Teil B. III. 4. 1140  Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 45 Rn. 45 ff. 1141  Ständige Rechtsprechung BVerwGE 102, 63 (70); BVerwG, NVwZ 2007, 470 (471); OVG Lüneburg, BeckRS 2007, 22992; Decker, in: BeckOK, VwGO, § 114 Rn. 10; Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 114 Rn. 47 jeweils für Ermessensspielräume; BVerwGE 128, 329 (Rn. 50); 133, 13 (Rn. 35 f.) für Beurteilungsspielräume; Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 102, 232 für Ermessensund Beurteilungsspielräume. 1142  Vgl. die Nachweise aus der vorherigen Fußnote.

240 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

cherweise bestehende Ermessens- oder Beurteilungsfehler.1143 Das Gericht kann grundsätzlich davon ausgehen, dass die in der formalen Begründung angegebenen Gründe auch den tatsächlichen subjektiven Beweggründen der Behörde entsprechen.1144 Ist eine (formale) Begründung ausnahmsweise (insbesondere gem. §§ 39 Abs. 2 VwVfG, 35 Abs. 2 SGB X, 121 Abs. 2 AO) entbehrlich, ist zumindest die Dokumentation der die Entscheidung tragenden Erwägungen im (behördeninternen) Entscheidungsvorgang erforderlich. Anhand dieser dokumentierten Angaben muss sich nachvollziehen lassen, dass überhaupt eine Spielraumentscheidung getroffen worden ist und welche Erwägungen ihr zu Grunde lagen.1145 Die Begründungs- bzw. Darlegungspflicht ist nach der Rechtsprechung allenfalls entbehrlich, wenn ein Fall intendierten Ermessens vorliegt1146 oder das Ermessen bzw. der Beurteilungsspielraum auf Null reduziert ist.1147 Im letzteren Fall dürfte allerdings zu differenzieren sein. Der Pflicht zur Angabe und Dokumentation der wesentlichen Erwägungen kommt im Hinblick auf den verfassungsrechtlich garantierten Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) eine zweifache Funktion zu. Zum einen soll sie den Bürger über die Entscheidung und die ihr zu Grunde liegenden Erwägungen informieren, sodass dieser die gerichtlichen Erfolgsaussichten einer gegen die Entscheidung gerichteten Klage abschätzen kann. Dieser Zweck dürfte allerdings unabhängig von einem bestehenden Ermessens- oder Beurteilungsspielraum der (formalen) Begründungspflicht generell zu Grunde liegen.1148 Speziell im Bereich von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen kommt der Angabe der wesentlichen Gründe eine darüberhinausgehende Funktion zu. Nur so ist es möglich, die Gründe, die der Entscheidung tatsächlich zu Grunde lagen, überhaupt gerichtlich zu kontrollie1143  Ständige Rechtsprechung BVerwGE 148, 48 (Rn. 35); 151, 56 (Rn. 38); 156, 75 (Rn. 24) für Gestaltungs- bzw. Entscheidungsspielräume; BVerwG, NVwZ-RR 2018, 304 (Rn. 22) für Beurteilungsspielräume; Decker, in: BeckOK, VwGO, § 114 Rn. 13 für Ermessensspielräume. 1144  So Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 114 Rn. 48 f., der allerdings darauf hinweist, dass die Behörde in Ausnahmefällen durch weitergehende Dokumentation belegen kann, dass sie weitere als die in der Begründung angegebenen Gründe bei ihrer Entscheidung berücksichtigt hat. 1145  OVG Berlin-Brandenburg, BeckRS 2011, 56575; Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 114 Rn. 47 jeweils für Ermessensspielräume; Ramsauer, in: Kopp/ders., VwVfG, § 39 Rn. 26, 28; Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 40 Rn. 102, 232 jeweils für Ermessens- und Beurteilungsspielräume. 1146  BVerwGE 72, 1 (6); 91, 82 (90); 105, 55 (55); a.  A. Decker, in: BeckOK, VwGO, § 114 Rn. 10.1: Der Bescheid müsse zumindest zu erkennen geben, dass der Behörde das Vorliegen einer Ermessensentscheidung bewusst war und dass nach ihrer Auffassung kein atypischer Sachverhalt vorlag. 1147  Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 114 Rn. 47 jeweils für Ermessensspielräume. Die dahinterstehende Erwägung gilt aber auch für Beurteilungsspielräume. 1148  Unter anderem dazu bereits unter 1. Teil B. III. 2. a) bb) (2).



B. Besondere organisations- und verfahrensrechtliche Anforderungen241

ren. Die Fehlerkontrolle in diesem Bereich schließt auch den Vorgang ein. Letzterer Zweck kann zumindest auch bei einer Spielraumreduzierung auf Null einschlägig sein. Sofern die Reduzierung dadurch herbeigeführt wurde, dass die Verwaltung sich beispielsweise durch den Erlass von Verwaltungsvorschriften selbst gebunden hat, muss sie zumindest die generellen Erwägungen dokumentieren, die sie zu diesem Erlass bewogen haben. Denn nur so können diese Erwägungen auf ihre Fehlerfreiheit hin überprüft werden. Im Rahmen der gem. § 39 Abs. 1 VwVfG möglicherweise zusätzlich erforderlichen formalen Begründung des einzelnen Verwaltungsakts genügt sodann der Hinweis auf die Verwaltungsvorschrift und eine kurze Darlegung, warum sie für den konkreten Einzelfall heranzuziehen ist.1149 Andernfalls würde die mit dem Erlass ermessenslenkender Verwaltungsvorschriften intendierte Entlastungsfunktion leerlaufen. c) Konsequenzen für automatisiert erlassene Verwaltungsakte Der besonderen Pflicht zur Begründung im Bereich von Ermessens- bzw. Beurteilungsspielräumen muss nach geltender Rechtslage auch im Bereich des automatisierten Erlasses von Verwaltungsakten entsprochen werden.1150 Daraus ergeben sich nicht unerhebliche Konsequenzen für den rechtlich zulässigen Umfang des automatisierten Verwaltungsakterlasses im Bereich von Spielräumen.1151 aa) Antizipierte Spielraumausübung Ist im konkreten automatisierten Entscheidungsvorgang eine antizipierte Ausübung des Spielraums insgesamt (1. Bereich) oder im Regelfall samt Aussteuerungsmöglichkeit (2. Bereich) möglich, dürfte regelmäßig auch eine Spielraumreduktion auf Null vorliegen, da sich die Verwaltung durch ihre 1149  BVerwGE 130, 148 (Rn. 15); VGH Baden-Württemberg, Urt.v. 15.03.1991 – A 14 S 2616/90, juris Rn. 18; Schuler-Harms, in: Schoch/Schneider, VwVfG, § 39 Rn. 70; U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 39 Rn. 62. 1150  Hermstrüwer, AöR 145 (2021), 479 (500) möchte die Begründungspflicht für den Fall des Einsatzes von ML-Algorithmen als Instrument zur Abwehr möglicher Diskriminierungsrisiken auf die Darlegung kontrafaktischer Erwägungen erweitern. Kontrafaktische Erwägungen lassen erkennen, unter welchen Umständen die Entscheidung anders ausgefallen wäre, und anhand solcher Erwägungen lässt sich potenziell ablesen, ob möglicherweise auch diskriminierende Merkmale für die Entscheidungsfindung maßgeblich waren (Hermstrüwer, AöR 145 (2021), 479 (499)). 1151  Beispielsweise Herold, in: Taeger, Rechtsfragen, 453 (462) und im Anschluss Guckelberger, Verwaltung, Rn. 617 f. sehen in den Anforderungen an die Begründung einer Ermessensentscheidung einen wesentlichen Hinderungsfaktor für den Einsatz von ML-Algorithmen.

242 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

Praxis selbst gebunden hat. Nach der Rechtsprechung ist die einzelfallbezogene Darlegungspflicht in diesem Fall zwar grundsätzlich entbehrlich, allerdings ist davon eine Ausnahme zu machen, wenn die Verwaltung sich durch die antizipierte Spielraumausübung selbst bindet. Auch in Konstella­tionen, in denen die formale Begründungspflicht (§§  39 Abs.  1 VwVfG, 35 Abs. 1 SGB X, 121 Abs. 1 AO) ausnahmsweise entbehrlich ist, dürfte insofern immer noch die Dokumentation der generalisierten Erwägungen erforderlich sein. Die Verwaltung ist also in jedem Fall rechtlich verpflichtet, ihre Erwägungen in irgendeiner Form zu dokumentieren. Rechtspolitisch sinnvoll, insbesondere um das Vertrauen in automatisiert erlassene Verwaltungsakte zu stärken und effektiven Rechtsschutz zu ermöglichen, dürfte es sein, jeweils eine Begründung mit dem konkreten Verwaltungsakt zu verbinden.1152 Allerdings bedarf es im Hinblick auf die antizipierte und damit typisierende Ausübung regelmäßig keiner spezifisch auf die Umstände des konkreten Falles bezogener Erwägungen, sondern der Einsatz von Textbausteinen dürfte ausreichen. Auf diese Art dürfte sich eine Begründung für jeden Verwaltungsakt automatisch erstellen lassen. Striktere Anforderungen gelten hingegen im Hinblick auf die Begründung von Spielraumentscheidungen, bei denen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. bb) Einzelfallumstände berücksichtigende Spielraumentscheidungen Der Begründungspflicht muss auch bzw. insbesondere entsprochen werden, wenn Algorithmen eingesetzt werden, um Einzelfallumstände berücksichtigende Spielraumentscheidungen zu treffen. Es handelt sich um Entscheidungssituationen, in denen die besonderen Umstände des Einzelfalls zumindest nicht in ihrer konkreten Ausprägung im Vorfeld antizipiert werden konnten. Der bloße Hinweis auf Textbausteine dürfte insofern regelmäßig nicht ausreichen, um der einzelfallbezogenen Begründungspflicht zu genügen. Erst recht dürfte eine einfache Visualisierung, wie sie teilweise im Bereich der Explainable AI1153 eingesetzt wird, nicht ausreichen, um der Darlegungs- und Begründungspflicht zu genügen. Vielmehr wäre die Angabe der die Entscheidung im Wesentlichen tragenden Erwägungen in natürlicher Sprache erforderlich. Für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung wäre es sodann allerdings ausreichend, wenn die Entscheidung den rechtlichen Rahmen einhält und die angegebenen Erwägungen die Entscheidung in der Sache er1152  Dafür plädieren auch allgemein Guckelberger, Verwaltung, Rn. 521  ff. und Martini, JZ 2017, 1017 (1020); die Wichtigkeit der Begründung für staatliche Entscheidungen betont Wischmeyer, AöR 143 (2018), 1 (54 ff.). 1153  Dazu oben 1. Teil A. II. 3. a); auch Wischmeyer, AöR 143 (2018), 1 (61) spricht in diesem Zusammenhang vom langfristigen Ziel.



C. Eignung administrativer Spielraumentscheidungen zur Automation243

messens- und beurteilungsfehlerfrei rechtfertigen.1154 Denn auch bei einer Entscheidung durch einen menschlichen Amtswalter wird grundsätzlich unterstellt, dass die in der Begründung angegebenen Erwägungen der Entscheidung tatsächlich zu Grunde lagen, sofern es keine anderen Anhaltspunkte gibt.1155 Nichtsdestotrotz ist fraglich und an späterer Stelle noch einmal umfassender zu beurteilen,1156 ob die automatisierte Angabe von Gründen, die die konkrete Entscheidung ermessensfehlerfrei rechtfertigen, technisch gelingen kann. d) Zwischenergebnis Im Ergebnis ist der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten im Bereich von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen nach geltender Rechtslage grundsätzlich nur zulässig, soweit sichergestellt werden kann, dass die wesentlichen, fehlerfreien Erwägungen in einer Begründung angegeben oder zumindest im Vorgang dokumentiert werden können.1157 Diese normative Anforderung könnte die Realisierungsmöglichkeiten der rechtlich-zulässigen Automation wesentlich einschränken.

C. Eignung administrativer Spielraumentscheidungen zur Automation Zum Ende der Untersuchung soll die Frage behandelt werden, ob und inwieweit das Vorhandensein eines Ermessens- oder Beurteilungsspielraums die Eignung zur automatisierten Durchführung eines Verfahrens begrenzt. Dabei kann es, so viel sei vorweggenommen, im Ergebnis nur um eine möglichst präzise und differenzierte Annäherung gehen. Bereits im Hinblick auf die nicht vorhersehbare zukünftige technische Entwicklung entzieht sich die Frage einer abschließenden Beantwortung. Insbesondere ein letztendlich verbindlicher positiver Beweis einer weitgehenden Eignung ließe sich wohl nur 1154  So auch Wischmeyer, in: Eifert, Disruption, 73 (88 f.); ders., in: Ebers u. a., KI u. Robotik, 613 (Rn. 56); darüber hinaus verlangt Roth-Isigkeit, DÖV 2020, 1018 (1025) zumindest die Angabe der „Entscheidungskriterien“ des eingesetzten Algorithmus. Sinnvoller dürfte es sein, zwischen der verwaltungs- und verfassungsrechtlichen Pflicht einen Verwaltungsakt zu begründen, und möglichen Anforderungen an die Transparenz von Algorithmen bspw. im Hinblick auf Ansprüche auf Informationszugang zu unterscheiden (so auch Wischmeyer, in: Ebers u. a., KI u. Robotik, 54 ff.). 1155  Ähnlich Greco, RW 11 (2020), 29 (45 f.) für die Begründung richterlicher Entscheidungen; Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 114 Rn. 48 f. 1156  Dazu unten 3. Teil C. II. 2 b) dd). 1157  Mit diesem Ergebnis auch Herold, in: Taeger, Rechtsfragen, 453 (462) und im Anschluss Guckelberger, Verwaltung, Rn.  617 f.

244 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

auf einer empirischen Ebene durch die erfolgreiche Entwicklung entsprechender Algorithmen führen. Die Annäherung wird sich aus einer rechts­ informatischen, d. h. interdisziplinär rechtstheoretisch-technischen Perspektive vollziehen. Auch die bisherigen Diskussionsbeiträge bewegen sich überwiegend auf dieser Ebene. Die Frage, ob die Automation auch im Bereich von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen möglich ist, kann nicht isoliert betrachtet werden. Sie ist vielmehr Teil einer größeren Diskussion.1158 Die meisten Beiträge beschäftigen sich nicht speziell mit Ermessens- und Beurteilungsspielräumen, sondern vielmehr mit den Möglichkeiten und insbesondere den Grenzen automatisierter Rechtsanwendung insgesamt.1159 Nach dem hier vertretenen Standpunkt ist der wesentliche Unterschied zwischen Entscheidung mit und ohne Spielraum der sich daraus ergebende divergierende gerichtliche Kontrollmodi. Einen qualitativen Unterschied im Hinblick auf die rechtliche Determinierung gibt es hingegen nicht.1160 Ein solcher zeigt sich allenfalls auf einer sekundären Ebene in der unterschiedlichen Art der Konkretisierung und Verdichtung, der im Ausgangspunkt bestehenden Freiräume.1161 Als Grundlage kann insofern an die allgemeine Diskussion angeschlossen werden, um deren wesentliche Ergebnisse nutzbar zu machen.1162 Im ersten Schritt soll deshalb die Frage untersucht werden, ob und in welchem Umfang die Rechtsanwendung insgesamt automatisiert werden kann sowie welche Algorithmenarten dabei zum Einsatz kommen. Im zweiten Schritt soll unter Berücksichtigung der gefundenen Ergebnisse speziell die Eignung von Ermessens- und Beurteilungsentscheidungen zur Automation erörtert werden.

1158  So wird darauf hingewiesen, dass Spielraumentscheidungen nur ein Beispiel für komplexe, einzelfallbezogene Wertungs- und Abwägungsentscheidungen sind Berger, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 35a Rn. 48 f.; Guckelberger, Verwaltung, Rn. 438; Windoffer, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 35a Rn. 29. 1159  Beispielsweise aus jüngerer Zeit Adrian, Rechtstheorie 48 (2017), 77  ff.; Buchholtz, JuS 2017, 955 ff.; Dreyer/Schmees, CR 2019, 758 ff.; Enders, JA 2018, 721 (725 ff.); v. Graevenitz, ZRP 2018, 238 ff.; Greco, RW 11 (2020), 29 (32 ff.); Grupp, in: Hartung/Bues/Halbleib, Legal Tech, 259 ff.; Hähnchen/Bommel, JZ 2018, 334 ff.; Hähnchen u. a., JuS 2020, 625 ff.; Nink, Justiz, S. 177 ff.; Rollberg, Algorithmen, S.  56 ff. 1160  Dazu oben 2. Teil C. I. a), b). 1161  Dazu oben 2. Teil D. II. 1162  Nink, Justiz, S. 180 ff. zieht andersherum einen Vergleich vom behördlichen Ermessen hin zum „richterlichen Ermessen“.



C. Eignung administrativer Spielraumentscheidungen zur Automation245

I. Vorfrage: Automation der Rechtsanwendung Die Idee, Recht automatisiert anzuwenden, ist bereits mehr als ein halbes Jahrhundert alt.1163 Nachdem die Verwaltung in den 1950er- und 60er-Jahren beginnt, EDV-Anlagen einzusetzen,1164 werden die damit zusammenhängenden rechtlichen und technischen Fragen zunehmend auch in der Rechtswissenschaft rezipiert.1165 Das führte zu der Idee, die Rechtsanwendung durch die Überführung in eine logische Regelungsstruktur der Informatik zu automatisieren.1166 Damit die insofern angestrebte Abbildung des Vorgangs der Rechtsanwendung in einem Computerprogramm gelingen konnte, sollte sich der Vorgang als ein im Vorhinein durch Regeln festgelegtes formales Verfahren organisieren lassen.1167 Die sich daran anschließende Diskussion über die Machbarkeit eines solchen Vorhabens wurde und wird teilweise unter dem Schlagwort der „Formalisierbarkeit“ des Rechts bzw. der Rechtsanwendung geführt.1168 Sie ist eng mit den Möglichkeiten des Einsatzes regelbasierter Algorithmen verknüpft, sodass sich auch diese Darstellung zunächst auf die Automation durch solche Algorithmen beschränkt. Auf den darüberhinausgehenden Einsatz von ML-Algorithmen soll erst in einem weiteren Schritt zurückgekommen werden. 1. Einsatz regelbasierter Algorithmen Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes regelbasierter Algorithmen werden auch in der gegenwärtigen Diskussion kontrovers beurteilt.1169 So finden sich aktuelle konzeptionelle Versuche, die Rechtsanwendung (zumindest der Selbstbeschreibung nach) durch Formalisierung zu automatisieren.1170 Unter Formalisierung kann das Aufteilen der (menschlichen) Rechtsanwendung in eine endliche Anzahl von Einzelschritten, die in einer formalen Sprache (beispielsweise einer Programmiersprache) ausgedrückt werden können, verstan1163  Vgl. für einen historischen Überblick über die Automationsdiskussion Gräwe, Entstehung, S.  45 ff. 1164  Gräwe, Entstehung, S. 35 ff. 1165  Gräwe, Entstehung, S. 55 ff. 1166  So Fiedler, JZ 1966, 689 (693). 1167  So Fiedler, JZ 1966, 689 (693). 1168  Raabe u. a., Recht, S. 6. und im Anschluss daran Kotsoglou, JZ 2014, 451 (452 ff.). 1169  Beispielsweise ablehnend Kotsoglou, JZ 2014, 451 (452 ff.); differenzierend Buchholtz, JuS 2017, 955 (957 ff.); Engel, JZ 2014, 1096 (1097 ff.) und Rollberg, Algorithmen, S.  56 ff. 1170  Vgl. beispielsweise bereits der Titel „Recht ex machina-Formalisierung des Rechts im Internet der Dienste“ von Raabe u. a. aus dem Jahr 2012.

246 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

den werden. Dagegen hat insbesondere Kotsoglou in der jüngeren Vergangenheit einige Argumente vorgebracht, die zeigen sollen, dass die Automation aufgrund der mangelhaften Formalisierbarkeit menschlicher Rechtsanwendung nicht möglich ist und deshalb ausscheiden muss.1171 Es ist allerdings bereits fraglich, ob eine solche Formalisierung überhaupt die Voraussetzung ist, um Recht in einem Verfahren automatisiert anzuwenden.1172 Sinnvolles Ziel dürfte es sein, das Verhältnis zwischen einem konkreten Sachverhalt (= Input) und dem inhaltlich richtigen Ergebnis einer Rechtsanwendung (= Output) in einem Algorithmus abzubilden.1173 Dafür dürfte die schrittweise Formalisierung der Rechtsanwendung im Vorfeld nicht zwingend erforderlich sein. Insofern soll überprüft werden, ob die im Kontext der Formalisierung gegen die Automation des Rechts vorgebrachten Einwände geeignet sind, die Automation einzuschränken oder ob die Automation dennoch gelingen kann. a) Komplexität juristischer Subsumtion Für die Möglichkeit automatisierter Rechtsanwendung könnte sprechen, dass Rechtsnormen überwiegend konditional, d. h. nach dem Wenn-DannSchema aufgebaut sind und insofern zumindest auf den ersten Blick eine logische Grundstruktur aufweisen. Auch die juristische Subsumtion wird als Justizsyllogismus bezeichnet und verweist dabei begrifflich1174 auf die Schlussformen der traditionellen Logik des Aristoteles, der Syllogistik.1175 Nach klassischer Lesart handelt es sich um ein logisches Schlussverfahren, bei dem aus zwei Prämissen (Obersatz und Untersatz) auf einen Schlusssatz (Rechtsfolge) geschlossen wird.1176 Vereinfacht lässt sich das Ganze wie folgt darstellen:1177 1. T -> R (T = Tatbestand, R = Rechtsfolge) 2. S = T (S = Sachverhalt) 3. S -> R

JZ 2014, 451 (452 ff.). in: Hartung/Bues/Halbleib, Legal Tech, 259 (Rn. 1115). 1173  Grupp, in: Hartung/Bues/Halbleib, Legal Tech, 259 (Rn. 1115). 1174  Wenngleich sich der Justizsyllogismus eigentlich gar nicht in den Modi der aristotelischen Syllogistik ausdrücken lässt: Mauer, JRE 2014, 485 (486 f.). Das deutet auch U. Neumann, in: Hassemer/ders./Saliger, Einführung, 272 (272 f.) an. 1175  U. Neumann, in: Hassemer/ders./Saliger, Einführung, 272 (272 f.). 1176  Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 92 f. und daran anschließend Raabe u. a., Recht, S.  54 ff. 1177  Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 92. 1171  Kotsoglou, 1172  Grupp,



C. Eignung administrativer Spielraumentscheidungen zur Automation247

Allerdings besteht Einigkeit darüber, dass sich die Rechtsanwendung deutlich komplexer gestaltet als es dieses vereinfachte und idealisierte Modell der juristischen Subsumtion zunächst nahelegt. Anders als im obigen Modell der Subsumtion dargestellt, vollzieht sich diese regelmäßig nicht linear, sondern in Wechselschritten.1178 Der konkrete Obersatz und der konkrete Untersatz lassen sich nicht isoliert voneinander bestimmen, sondern nur in Bezug zueinander. Das wurde vielfach als „das Hin- und Herwandern des Blickes zwischen Obersatz und Lebenssachverhalt“ bei der Subsumtion beschrieben.1179 Um die für den Einzelfall einschlägigen Rechtssätze zu bestimmen, ist es in gewisser Weise erforderlich, den Sachverhalt zu kennen und um die im Einzelfall relevanten Elemente des Sachverhalts zu bestimmen, ist es in gewisser Weise erforderlich, die einschlägigen Rechtssätze zu kennen. Wenn sich aber sowohl Ober- als auch Untersatz erst aus dem Zusammenspiel im konkreten Einzelfall ergeben, erscheint es schwierig, deren Relation im Vorfeld antizipiert zu bestimmen, was dann auch eine Automation durch regelbasierte Algorithmen, die auf die eindeutige Angabe dieser Relation angewiesen ist, erschweren dürfte.1180 Allerdings gilt dieser Einwand nicht für jeden Fall gleichermaßen, vielmehr sind ungeachtet der grundsätzlichen Richtigkeit auch durchaus Sachverhaltskonstellationen denkbar, die typisiert erfasst werden können und für die dann bereits im Vorfeld eindeutig bestimmt ist, welche Rechtssätze anzuwenden sind und zu welcher Rechtsfolge diese führen werden.1181 Der Einwand ist erkennbar aus der Perspektive des Richters formuliert, dem ein beliebiger, unstrukturierter Sachverhalt zugetragen wird und der auf dessen Grundlage Obersatz, Untersatz sowie Schlusssatz und deren Verhältnis zueinander zu bestimmen hat. Bei der Programmierung eines „Rechtsautomaten“ befindet man sich hingegen in einer anderen Situation. Die Lebenssachverhalte können ausgesucht werden. Insofern ist zunächst eine Beschränkung auf die (einfachen) Konstellationen möglich, bei denen sich die Relation zwischen Sachverhalt, Rechtssatz und daran anschließender Rechtsfolge eindeutig im Vorfeld bestimmen lässt.1182 Das zeigt sich praktisch an aktuellen und wenig komple-

1178  So gehen auch die vorgehend zitierten Larenz/Canaris, Methodenlehre, S.  27 ff. davon aus, dass sich der Verstehensprozess nicht linear im Sinne einer logischen Schlusskette, sondern in Wechselschritten vollzieht. Darauf weisen auch Kotsoglou, JZ 2014, 451 (452) und Buchholtz, JuS 2017, 955 (958) hin. 1179  So zunächst bei Engisch, Studien, S. 15. 1180  Buchholtz, JuS 2017, 955 (958) und im Anschluss Rollberg, Algorithmen, S. 69. 1181  Ähnlich Engel, JZ 2014, 1096 (1097 f.) und im Anschluss Buchholtz, JuS 2017, 955 (958) sowie Rollberg, Algorithmen, S. 69. 1182  Das erkennt auch Buchholtz, JuS 2017, 955 (958) an.

248 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

xen Legal Tech Produkten wie beispielsweise „flightright.de“1183 sowie dem Editorensystem „Lexalgo“1184. b) Notwendigkeit der Formalisierung und die Offenheit natürlicher Sprache Ein weiterer möglicher Einwand betrifft die Offenheit der natürlichen Sprache. Begriffe in natürlicher Sprache sind häufig mehrdeutig und vage. Sie können je nach Kontext eine unterschiedliche Bedeutung haben.1185 Da auch Gesetze in natürlicher Sprache formuliert sind und die gesamte rechtliche Kommunikation in natürlicher Sprache erfolgt, wird diese grundsätzliche Offenheit auch ins Rechtssystem übertragen. Formale Sprachen, beispielsweise Programmiersprachen, hingegen unterliegen dem Kontextinvarianzprinzip. Die Ausdrücke, die in ihnen vorkommen, haben unabhängig vom Kontext eine eindeutig definierte Bedeutung.1186 Die mehrdeutige Verwendung von Ausdrücken soll vermieden werden.1187 Das Ganze dürfte die Automation der Rechtsanwendung erschweren, da die kontextabhängigen natursprachlichen Begriffe zunächst auf eine eindeutige Bedeutung reduziert werden müssen.1188 Eine direkte Übersetzung von natürlicher Sprache in eine formale Sprache ist nicht möglich, allerdings auch nicht erforderlich.1189 Denn anders als Kotsoglou anzunehmen scheint1190 ist nicht ersichtlich, inwiefern die Zuweisung einer eindeutigen Bedeutung für eine spezifische Konstellation grundsätzlich unmöglich sein soll.1191 Die Offenheit erschwert die Möglichkeit der Übertragung, verhindert sie aber nicht prinzipiell. c) Potenzielles rechtsschöpferisches Element jeder Rechtsanwendung Die angesprochene Offenheit hat aber noch eine weitere Konsequenz. So ist allgemein anerkannt, dass Rechtsanwendung mehr ist als die bloße Wiedergabe dessen, was das Gesetz bereits entschieden hat, sondern zumindest 1183  https://www.flightright.de,

Stand: 01.04.2023. Grupp, in: Hartung/Bues/Halbleib, Legal Tech, 259 (Rn. 1118 ff.). 1185  Buchholtz, JuS 2017, 955 (958); Rollberg, Algorithmen, S.  56 ff. 1186  Kotsoglou, JZ 2014, 451 (453). 1187  Kotsoglou, JZ 2014, 451 (453). 1188  Engel, JZ 2014, 1096 (1098). 1189  Anders als Buchholtz, JuS 2017, 955 (958) missverständlich formuliert, setzt Legal Tech nicht voraus, dass Rechtsnormen vollständig formalisiert werden. 1190  Kotsoglou, JZ 2014, 451 (453 f.). 1191  So auch Engel, JZ 2014, 1096 (1098 m. w. N.) und Rollberg, Algorithmen, S. 60. 1184  Dazu



C. Eignung administrativer Spielraumentscheidungen zur Automation249

potenziell ein rechtsschöpferisches Element enthält.1192 Dieses rechtsschöpferische Element soll ein unüberwindbares Hindernis für die Automation darstellen.1193 Denn zur Rechtsschöpfung seien (regelbasierte) Algorithmen nicht befähigt, da sie auf eindeutige Regeln angewiesen seien und diese nicht selbst erzeugen können.1194 Das rechtsschöpferische Element ist allerdings in zweierlei Hinsicht potenziell. Zum einen gibt es auch Konstellationen, für die sich aus dem Gesetz oder zumindest der Rechtsordnung insgesamt eine eindeutige Wertung ermitteln lässt. Insofern besteht das beschriebene potenzielle rechtsschöpferische Element dann nicht mehr. Zum anderen sind einzelne Akte der Rechtsanwendung nicht isoliert zu sehen, sondern eingebunden in rechtliche Kommunikation. So wird die zunächst bestehende Offenheit Schritt für Schritt verdichtet und damit handhabbar gemacht.1195 Die diesbezügliche Aufgabe rechtswissenschaftlicher Dogmatik ist es, die Rechtsanwendung vorzubereiten, indem die Sätze gefunden und zur Verfügung gestellt werden, die eine Norm im konkreten Fall so erweitern, dass eine vollständige Begründung einer Einzelfallentscheidung möglich wird.1196 So verstanden hindert das potenzielle rechtsschöpferische Element die Formalisierbarkeit des Rechts und damit die Überführung in regelbasierte Algorithmen nicht grundsätzlich. Zwar dürfte die normstrukturelle Offenheit die Schematisierung erschweren, allerdings lässt sich das Problem unter Rückgriff auf die vorherigen Rechtsanwendungsakte und die rechtswissenschaftliche Dogmatik zumindest teilweise lösen. Es zeigt sich, dass die automatisierte Rechtsanwendung auch beim Einsatz regelbasierter Algorithmen eine vollständige Formalisierung derselben nicht zwingend voraussetzt. d) Zwischenergebnis aa) Automation der Rechtsanwendung nicht ausgeschlossen Zusammenfassend sind die diskutierten Einwände nicht geeignet, die Automation der Rechtsanwendung durch regelbasierte Algorithmen prinzipiell 1192  Dazu

bereits oben 2. Teil C. II. 1. a), b). JZ 2014, 451 (455 f.). 1194  Kotsoglou, JZ 2014, 451 (455 f.) und im Anschluss Nink, Justiz, S. 230; ähnlich auch Berger, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 35a Rn. 49, allerdings mit einer Beschränkung auf den gegenwärtigen Stand. 1195  Weitere Ausführungen dazu oben 2. Teil D. II. 1196  v. Savigny, in: Dies./U. Neumann/Rahlf, 7 (8) und darauf bezugnehmend Kotsoglou, JZ 2014, 451 (455). Anders als Kotsoglou, JZ 2014, 451 (454 f.) anzunehmen scheint, ersetzt die Automation der Rechtsanwendung durch regelbasierte Algorithmen die rechtswissenschaftliche Dogmatik allerdings nicht, sondern setzt diese sogar in besonderer Weise voraus. 1193  Kotsoglou,

250 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

auszuschließen. Auch zeigt sich, dass die Formalisierbarkeit der mensch­ lichen Rechtsanwendung keine zwingende Voraussetzung automatisierter Rechtsanwendung ist. Insofern dürfte der teilweise Fokus der Diskussion auf der Formalisierbarkeit an der eigentlichen Fragestellung vorbeigehen. Wie bereits beschrieben kann ein sinnvolles Ziel der Automation nur sein, das Verhältnis zwischen einem konkreten Sachverhalt (= Input) und dem ­inhaltlich richtigen Ergebnis einer Rechtsanwendung (= Output) in einem Algorithmus abzubilden.1197 Dafür ist es allerdings nicht erforderlich, den menschlichen Denkprozess Schritt für Schritt formalisiert nachzubilden.1198 Ausreichend ist es vielmehr, die Programmierung so vorzunehmen, dass für einen konkreten Fall ein Ergebnis erbracht wird, das inhaltlich einer korrekten Rechtsanwendung entspricht.1199 Dabei kann und muss auch auf die Vorarbeiten von menschlichen Rechtsanwendern zurückgegriffen werden. Insofern ist, um Missverständnissen vorzubeugen, darauf hinzuweisen, dass die hier behandelte Automation der Rechtsanwendung sich auf die Entscheidungsfindung in einem konkreten Verfahren bezieht. Die vollständige Ersetzung jeglichen menschlichen Entscheidungsanteils ist damit nicht gemeint.1200 Die wesentlichen juristischen Arbeitsschritte werden bereits im Vorfeld antizipiert durch menschliche Juristen ausgeführt, die die Norm insbesondere auch unter Berücksichtigung der vorangegangenen Rechtsanwendungsakte und der rechtswissenschaftlichen Dogmatik auslegen und die jeweiligen eindeutigen Bezüge zu den unterschiedlichen Sachverhaltskonstellationen herstellen. Diese insofern bereits antizipiert getroffenen Entscheidungen werden dann in regelbasierte Algorithmen übertragen.1201 Auch bei der anschließenden Erfassung des Sachverhalts sind die so erstellten regelbasierten Algorithmen regelmäßig auf die Mitwirkung menschlicher Anwender angewiesen.1202 Denn der Sachverhalt muss in irgendeiner Weise strukturiert, beispielsweise durch die Eingabe in Formularfelder oder eine automatisierte, an Entscheidungsbäumen orientierte Abfrage, erfasst werden. Um eine vollständige maschinelle Ersetzung des gesamten Prozesses der Rechtsanwendung und -erzeugung kann es hingegen aus den oben genannten und in dieser Hinsicht zutreffenden Gründen nicht gehen.1203 Eine solin: Hartung/Bues/Halbleib, Legal Tech, 259 (Rn. 1115). in: Hartung/Bues/Halbleib, Legal Tech, 259 (Rn. 1115). 1199  Grupp, in: Hartung/Bues/Halbleib, Legal Tech, 259 (Rn. 1115). 1200  Kotsoglou, JZ 2014, 451 (456) spricht vom „quasi-automatisierten“ Rechtserzeugungssprozess. 1201  Vgl. Ashley, Legal Analytics, S. 44 ff. zur Möglichkeit der Abbildung von Gesetzesnormen durch einfache regelbasierte Algorithmen. 1202  Darauf weist auch Herold, in: Taeger, Rechtsfragen, 453 (454 f.) hin. 1203  Das zu zeigen dürfte das berechtigte Kernanliegen von Kotsoglou, JZ 2014, 451 ff. sein, der allerdings sodann leider nicht zwischen dennoch bestehenden Mög1197  Grupp, 1198  Grupp,



C. Eignung administrativer Spielraumentscheidungen zur Automation251

che wurde allerdings soweit ersichtlich auch bisher weder vorgeschlagen noch behauptet.1204 Vielmehr ging und geht es um die punktuelle automatisierte Anwendung von Recht in abgegrenzten und dafür geeigneten Bereichen. bb) Differenzierung zwischen Rechtsprechung und Verwaltung Differenziert man zwischen unterschiedlichen Bereichen staatlicher Rechtsanwendung, zeigt sich, dass der Bereich der Rechtsprechung für eine automatisierte Entscheidungsfindung wenig geeignet ist.1205 Menschliche Richter bekommen nicht oder allenfalls sehr grob1206 vorsortierte Sachverhalte aus unterschiedlichen Lebensbereichen vorgelegt, die sie sodann umfassend rechtlich begutachten müssen. Eine automatisierte Rechtsanwendung aus einer solchen umfassenden richterlichen Perspektive dürfte aufgrund der oben genannten Gründe nahezu ausgeschlossen sein. Allenfalls wäre ein unterstützender Einsatz im Hinblick auf spezifische Fragestellungen denkbar.1207 Im Gegensatz dazu ist der Bereich der Verwaltungstätigkeit besser für die Automation geeignet. Anders als in der Justiz kann die Verwaltung einzelne, konkrete Verfahren oder Geschäftsprozesse für die Automation auswählen und insofern deutlich selektiver vorgehen. Die ausgewählten Verfahren beziehen sich auf einen von vornherein begrenzten Bereich der Lebenswirklichkeit. So wird für die Vergabe eines Anwohnerparkausweises oder die Gewährung einer bestimmten Sozialleistung nur eine begrenzte Anzahl tatsächlicher Umstände relevant sein. Die gesteigerte Eignung zur Automation zeigt sich auch in der Praxis. Bereits seit langem werden im Bereich der unechten Massenverwaltung eine Vielzahl von Verwaltungsver-

lichkeiten und Grenzen der Automation differenziert, sondern diese pauschal ablehnt (vgl. insbesondere das Schlusswort Kotsoglou, JZ 2014, 1100 (1102 f.)). 1204  So auch Nink, Justiz, S. 177; ähnlich bereits zu Beginn der Diskussion Luhmann, Recht, S.  30 f. Auch Raabe u. a., Recht, S. 171 ff. verweisen auf das von Juristen als Experten bereitgestellte und gepflegte Erfahrungswissen und möchten lediglich eine niedrigschwellige, erste Beratungsmöglichkeit für Laien ermöglichen (vgl. S. 5). 1205  Dennoch befassen sich in jüngerer Zeit einige Beiträge bereits explizit mit den Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von Algorithmen in der Justiz beispielsweise Dreyer/Schmees, CR 2019, 758 ff. und Greco, RW 11 (2020), 29 ff. sowie die Dissertationen von Rollberg, Algorithmen, S. 1 ff. und Nink, Justiz, S. 1 ff. 1206  Eine Sortierung erfolgt lediglich durch die unterschiedlichen Fachgerichtsbarkeiten sowie gegebenenfalls bestehende Spezialzuständigkeiten einzelner Spruchkörper. 1207  Möglicherweise etwas weitergehend Engel, JZ 2014, 1096 (1100) und im Anschluss Buchholtz, JuS 2017, 955 (959); ähnlich Nink, Justiz, S. 191 ff.

252 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

fahren zumindest teilautomatisiert durchgeführt.1208 Hingegen fehlen in der deutschen Justiz entsprechende Beispiele weitestgehend1209 vollständig. 2. Überwindung praktischer Grenzen durch ML-Algorithmen a) Grenzen des Einsatzes regelbasierter Algorithmen Allerdings ist es auch für den Bereich der Verwaltung schwierig zu beurteilen, ob und inwieweit dieser Ansatz, die Rechtsanwendung durch den Einsatz regelbasierter Algorithmen zu automatisieren, skalierbar ist. Die praktischen Beispiele beschränken sich regelmäßig auf einfach gelagerte, standardisierbare und im Wesentlichen gleichbleibende Konstellationen. Theoretisch wäre es zwar denkbar, Schritt für Schritt auch immer komplexere Entscheidungsstrukturen und Sachverhaltskonstellationen auf diese Art und Weise abzubilden, praktisch dürfte allerdings sicher sein, dass ein solcher Ansatz irgendwann an seine Grenzen stößt.1210 Letzteres wird klar, wenn eine bisher nur angedeutete, weitere Problematik des Ansatzes, die Rechtsanwendung durch den Einsatz regelbasierter Algorithmen zu automatisieren, berücksichtigt wird. Das Hauptproblem dürfte darin begründet liegen, dass grundsätzlich nur Konstellationen berücksichtigt werden können, die bei der Programmierung konkret oder beim Einsatz regelbasierter Expertensysteme1211 zumindest abstrakt antizipiert wurden.1212 Daraus ergeben sich zwei limitierende Konsequenzen, die die faktischen Einsatzmöglichkeiten begrenzen. Zum einen führt die Vielzahl und Vielfalt der potenziell relevanten Sachverhaltskonstellationen in komplexen Situationen dazu, dass der Programmier- und Wartungsaufwand ein Ausmaß annehmen kann, das nicht 1208  Dazu Britz, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen, Bd. 2, 2. Aufl., § 26 Rn. 16 ff. 1209  Eine Ausnahme stellen die automatisierten Mahnverfahren nach § 689 Abs. 1 S. 2 ZPO dar. 1210  Ähnlich v. Graevenitz, ZRP 2018, 238 (239 f.). 1211  Solche Expertensysteme sollen anhand einer Wissensbasis und programmierter Regeln Wissen generieren, um auch nicht konkret programmierte Sachverhalte beurteilen zu können. Allerdings konnten sich solche Systeme trotz der ehemals hohen Erwartungen aufgrund praktischer Probleme bis heute nicht etablieren (vgl. Grupp, in: Hartung/Bues/Halbleib, Legal Tech, 259 (Rn. 1112 ff.)). Zu den erheblichen Schwierigkeiten vgl. beispielsweise bereits das skeptische Fazit bei Jandach, Expertensysteme, S. 212 ff. und auch Ashley, Legal Analytics, S. 8 ff. geht davon aus, dass Expertensysteme unter anderem aufgrund der zu aufwändigen Programmierung stark an Bedeutung verloren haben. 1212  Darauf weist auch Grupp, in: Hartung/Bues/Halbleib, Legal Tech, 259 (Rn. 1117) hin; in diese Richtung Rollberg, Algorithmen, S. 83 f., der allerdings auch ML-Algorithmen einbezieht.



C. Eignung administrativer Spielraumentscheidungen zur Automation253

mehr zu bewältigen ist oder zumindest außer Verhältnis zur angestrebten Kosten- und Arbeitsersparnis steht.1213 Auch wenn es zwar theoretisch denkbar wäre, immer mehr Sachverhaltskonstellationen zu berücksichtigen, lässt es sich praktisch nicht umsetzen. Zum anderen wird es immer Konstellationen geben, die nicht automatisiert erfasst werden können, da sie bei der Programmierung nicht berücksichtigt wurden.1214 Sei es, weil es sich um atypische Konstellationen handelt, die bei der Programmierung übersehen wurden oder um Konstellationen, die sich in der dynamisch wandelnden Lebenswirklichkeit erst nach dem Zeitpunkt der Programmierung herausgebildet haben.1215 Auch der Einsatz konventioneller fallbasierter Expertensysteme (z.  B. CATO1216 oder GREBE1217) als Übergangsform zwischen regelbasierten ­Algorithmen und ML-Algorithmen kann die Limitierungen nicht überwinden. Fallbasierte Expertensysteme funktionieren vereinfacht in der Weise, dass der zu beurteilende Fall mit vergangenen Fällen, die in einer Fallbasis gespeichert sind, verglichen wird. Im Hinblick auf die dabei gefundenen Gemeinsamkeiten und Unterschiede wird sodann eine Entscheidung getroffen.1218 Problematisch ist allerdings, dass sowohl der zu beurteilende Fall als auch die Fälle aus der Wissensbasis nicht in Form eines natursprachlichen Textes verglichen werden können. Vielmehr müssen die Fälle zunächst anhand der als rechtlich relevant angesehenen Faktoren durch einen mensch­ lichen Bearbeiter in eine strukturierte Form der Wissensrepräsentation überführt werden.1219 Auch hier dürfte der erforderliche Arbeitsaufwand schnell außer Verhältnis zur angestrebten Kosten- und Arbeitsersparnis stehen. Auch können die Fälle lediglich mit den in der Wissensbasis vorhandenen Fällen verglichen werden und auch nur begrenzt im Hinblick auf die Faktoren, die der Wissensingenieur als rechtlich relevant angesehen hat. Eine kontextbezogene, teleologische Erfassung im Hinblick auf die zu Grunde liegenden 1213  Im unverhältnismäßigen Programmieraufwand sieht auch Ashley, Legal Analytics, S. 11 einen der Gründe, warum sich regelbasierte Expertensysteme im juristischen Bereich nicht haben durchsetzen können. 1214  Demaj, Informatik Spektrum 2018, 123 (132 ff.); ähnlich Nink, Justiz, S. 203. Auch die für juristische Expertensysteme entwickelten Techniken, um mit unvollständigen oder uneindeutigen Situationen umzugehen, funktionieren nicht zuverlässig (Ashley, Legal Analytics, S. 11). 1215  Mit diesem Ergebnis zumindest im Hinblick auf die Fähigkeit zur Rechtsfortbildung, allerdings ohne Unterscheidung zwischen regelbasierten und ML-Algorithmen Buchholtz, JuS 2017, 955 (959) und Rollberg, Algorithmen, S. 84. 1216  Ashley, Legal Analytics, S. 90 ff. 1217  Ashley, Legal Analytics, S. 93 ff. 1218  Vgl. Ashley, Legal Analytics, S. 73 ff. 1219  Ashley, Legal Analytics, S. 105 f. zu den dahingehenden Limitierungen bisheriger fallbasierter Expertensysteme.

254 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

Wertungen ist hingegen bisher kaum möglich.1220 Atypische und in einem abweichenden Kontext erscheinende Konstellationen können kaum adäquat erfasst werden. Insofern kann auch dieser Ansatz die herausgearbeiteten Schwächen nicht entscheidend überwinden. b) Einsatz von ML-Algorithmen Die beschriebenen Limitierungen führen dazu, dass sich der Einsatz regelbasierter Algorithmen wohl nur für den Bereich der tendenziell einfach strukturierbaren juristischen Entscheidungen anbietet.1221 Als mögliche Lösung, um die Limitierungen zu überwinden, wird der Einsatz von ML-Algorithmen diskutiert.1222 Durch den Einsatz von ML-Algorithmen soll auch der Bereich der schwieriger strukturierbaren Entscheidungen (Wertungen, Abwägungen, Einzelfallumstände berücksichtigende Entscheidungen, etc.) für die Automation der Rechtsanwendung erschlossen werden. Dem liegt die folgende sehr grobe Überlegung zu Grunde: Ausgangspunkt ist der Gedanke, den menschlichen Erfahrungs- und Lernprozess zumindest partiell zu simulieren und dadurch menschliche Entscheidungen zu automatisieren.1223 Vergangene Erfahrungen, d. h. Sachverhaltskonstellationen und entsprechende juristische Entscheidungen, sollen in Form von Daten die faktische Grundlage für den Lernprozess bilden.1224 Die eingesetzten Lernalgorithmen sollen das in der Datengrundlage gespeicherte Erfahrungswissen induktiv erschließen und Schritt für Schritt generalisieren. Die durch die Generalisierung gewonnenen abstrakten Entscheidungsregeln und Heuristiken sollen sodann genutzt werden, um neue juristische Sachverhalte quasi anhand der vergangenen Erfahrungen zu bewerten. Dabei kann ergänzend auch auf weiteres, strukturiert zur Verfügung gestelltes juristisches Expertenwissen zurückgegriffen werden, sodass insgesamt ein hybrides System entsteht.1225 Insgesamt sollen auf diese Weise komplexe Modelle entstehen, die in der Lage sind, juristische Sachverhalte ähnlich zu beurteilen wie Legal Analytics, S. 103 f. Informatik Spektrum 2018, 123 (132). 1222  In diese Richtung beispielsweise Demaj, Informatik Spektrum 2018, 123 (132 ff.); v. Graevenitz, ZRP 2018, 238 (240); Greco, RW 11 (2020), 29 (36 ff.); Hähnchen/Bommel, JZ 2018, 334 (339); Lorze, NVwZ 2021, 1657 (1658); Nink, Justiz, S.  194 f. 1223  Ähnlich Demaj, Informatik Spektrum 2018, 123 (133), der seine Ausführungen an dieser Stelle allerdings nicht direkt auf juristische Entscheidungen bezieht; Greco, RW 11 (2020), 29 (37 f.); Nink, Justiz, S. 195. 1224  Ähnlich Demaj, Informatik Spektrum 2018, 123 (133); Greco, RW 11 (2020), 29 (38). 1225  Ähnlich Demaj, Informatik Spektrum 2018, 123 (133). 1220  Ashley, 1221  Demaj,



C. Eignung administrativer Spielraumentscheidungen zur Automation255

menschliche Juristen, die ebenfalls auf unmittelbar oder mittelbar-kommunikativ erworbenes Erfahrungswissen zurückgreifen. Ob ein solches Vorhaben praktisch gelingen kann, lässt sich nur vage beurteilen.1226 Die sich dabei zumindest praktisch stellenden Probleme werden weiter unten und unmittelbar für die Möglichkeit, Spielraumentscheidungen zu automatisieren, behandelt.1227 Dementsprechend ist nun zu der eigent­ lichen Frage zurückzukehren. Ausgehend von den bisherigen Erkenntnissen sollen technische Möglichkeiten und Grenzen automatisiert erlassener Verwaltungsakte im Bereich von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen beurteilt werden.

II. Automation der administrativen Spielraumausübung Die Frage, ob ein bestehender Ermessens- oder Beurteilungsspielraum die Automation schon aus tatsächlichen Gründen behindert oder ausschließt, dürfte schwierig zu beantworten, aber von einiger Relevanz sein. So scheint auch der Gesetzgeber bei der Regelung des § 35a VwVfG von bestimmten dahingehenden technischen Vorannahmen ausgegangen zu sein.1228 Häufig wird das Bestehen von Ermessens- oder Beurteilungsspielräumen allgemein1229 oder zumindest im Hinblick auf eine Einzelfallumstände berücksichtigende Ausübung1230 als eine Grenze dessen, was gegenwärtig technisch automatisierbar ist, genannt. Dabei fehlt es jedoch regelmäßig1231 an einer über die bloße Feststellung hinausgehenden Befassung. Insofern lohnt es sich, die Frage ausführlicher zu untersuchen.

1226  Laut Greco, RW 11 (2020), 29 (46) sprechen zunächst „gegen die [technische] Machbarkeit […] keine unüberwindbaren Bedenken.“ Allerdings lehnt er zumindest die Ersetzung menschlicher Richter durch Algorithmen aus naturrechtlichen Gründen kategorisch ab (Greco, RW 11 (2020), 29 (47 ff.)). 1227  Dazu unten 3. Teil C. II. 2. b). 1228  BT-Drs. 18/8434, S. 122; in diese Richtung bereits die Stellungnahme des Beirats Verwaltungsverfahrensrecht beim BMI, NVwZ 2015, 1114 (1115), in der allerdings die Möglichkeit einer antizipierten Ausübung angesprochen wird. 1229  So beispielsweise Braun Binder, in: Seckelmann, E-Government, 311 (Rn. 21); Helbich, DStR 2017, 574 (576); H. Schmitz/Prell, NVwZ 2016, 1273 (1276), die allerdings auf das mögliche Potenzial zukünftiger intelligenter Algorithmen hinweisen. 1230  Insofern differenzierend Bull, DVBl. 2017, 409 (412); Guckelberger, Verwaltung, Rn. 441; Hähnchen u. a., JuS 2020, 625 (635); Herold, in: Taeger, Rechtsfragen, 453 (463); Nink, Justiz, S. 191; Windoffer, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 35a Rn. 29. 1231  Eine Ausnahme dürfte beispielsweise Herold, in: Taeger, Rechtsfragen, 453 ff. darstellen.

256 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

Dabei soll an der bewährten Unterscheidung zwischen antizipierter Spielraumausübung (1. Bereich) inklusive der gegebenenfalls möglichen Aussteuerung atypischer Fälle (2. Bereich) und der Einzelfallumstände berücksich­ tigenden Spielraumausübung (3. Bereich) angeknüpft werden. Die insofern herausgearbeiteten Unterscheidungen sind ohnehin auch von entsprechenden Vorannahmen im Hinblick auf die unterschiedliche technische Umsetzbarkeit geprägt. Bisher diente die Aufteilung vor allem dazu, eine dogmatische Strukturierungsleistung zu erbringen. So konnten differenzierte normative Anforderungen an den automatisierten Erlass von Verwaltungsakten im Bereich von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen plausibel und praktisch handhabbar gewonnen werden. Die technische Umsetzbarkeit konnte auf der Ebene rechtlich-dogmatischer Analyse noch als Arbeitshypothese unterstellt werden. Nunmehr geht es allerdings darum, zu überprüfen, ob und inwieweit eine Automation in den unterschiedlichen Bereichen auch tatsächlich gelingen kann. Zunächst soll die Frage behandelt werden, ob und inwieweit Verfahren durch eine antizipierte Spielraumausübung (1. und 2. Bereich) automatisiert durchgeführt werden können. Im Anschluss soll sich damit befasst werden, ob auch eine Einzelfallumstände berücksichtigende Spielraumentscheidung (3. Bereich) automatisiert erlassen werden kann. Dabei muss eine Besonderheit der Ermessens- und Beurteilungsspielräume berücksichtigt werden. Generell ist es insbesondere das Ziel einer gelungenen Automation, eine Entscheidung zu treffen, die den materiell-rechtlichen Anforderungen im ausreichenden Maße genügt. Für die qualitative Entsprechung kommt es dabei regelmäßig nur auf das gefundene Ergebnis an. Im Hinblick auf Ermessens- und Beurteilungsentscheidungen reicht es für die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung hingegen nicht aus, wenn das Ergebnis richtig d. h. vertretbar ist. Es ist auch erforderlich, dass die wesentlichen Erwägungen, die die Entscheidung fehlerfrei rechtfertigen, angegeben werden.1232 Für die erfolgreiche Automation einer Spielraumentscheidung müssen sowohl das gefundene Ergebnis als auch die dafür angegebenen Gründe einer menschlichen Entscheidung qualitativ entsprechen. 1. Antizipierte Spielraumausübung a) Automation durch regelbasierte Algorithmen Der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten im Bereich von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen dürfte zumindest soweit möglich sein, 1232  Dazu

oben 3. Teil B. III. 2. b).



C. Eignung administrativer Spielraumentscheidungen zur Automation257

wie im Vorfeld eine antizipierte Ausübung gelingt.1233 Insofern werden die wesentlichen Wertungsentscheidungen im Vorfeld der eigentlichen Verfahrensdurchführung durch einen menschlichen Amtswalter getroffen. Die so bereits vorweggenommenen Entscheidungen werden sodann nur noch auf den typisiert erfassten Sachverhalt übertragen. Hierbei handelt es sich um einen Unterfall der bereits beschriebenen automatisierten Rechtsanwendung durch regelbasierte Algorithmen. Durch die antizipiert-generalisierte Ausübung ist der Spielraum zumindest in dem Bereich, der automatisiert an­ gewendet werden soll, bereits weitgehend verdichtet. Es besteht kein prin­ zipieller Unterschied zu sonstigen, einfachen Formen der automatisierten Rechtsanwendung durch regelbasierte Algorithmen. Insofern kann an die obigen Ausführungen in diesem Bereich angeschlossen werden. Die grundsätzliche Richtigkeit der Annahme lässt sich auch praktisch bestätigen, indem auf die automatische Verkehrsregelung durch Lichzeichenanlagen sowie die automatische Korrektur von Multiple-Choice Klausuren verwiesen wird. In beiden Fallkonstellationen wird ein grundsätzlich bestehender Spielraum antizipiert ausgefüllt und sodann ein Verwaltungsakt in einem automatisierten Verfahren erlassen. An den Beispielen zeigt sich wiederum, dass beim Einsatz regelbasierter Algorithmen die menschliche Entscheidungsfindung überwiegend nicht ersetzt, sondern lediglich zeitlich vorverlagert wird.1234 Der Ermessens- oder Beurteilungsspielraum wird im Vorfeld durch menschliche Wissensingenieure antizipiert ausgeübt. Die dabei gefundenen Ergebnisse werden sodann in regelbasierten Algorithmen abgebildet. Ein im Anschluss daran stattfindendes Verfahren wird allerdings trotzdem vollständig automatisiert durchgeführt, solange kein menschlicher Amtswalter während der Verfahrensdurchführung beteiligt ist. Gerade im Bereich vollständig automatisierter Verfahren dürfte das gewichtigste praktische Problem darin liegen, den Sachverhalt strukturiert zu erfassen. Eine solche strukturierte Erfassung ist beispielsweise durch Formulare oder strukturierte Abfragen prinzipiell denkbar, allerdings ist die Verwaltung dabei regelmäßig auf die Mithilfe der Beteiligten angewiesen.1235 Das ist insofern problematisch, als dass je nach Komplexität die Einordnung in ein bestimmtes Formularfeld oder das Ankreuzen einer bestimmten Option 1233  In diese Richtung auch Guckelberger, Verwaltung, Rn. 443; Hähnchen u. a., JuS 2020, 625 (635); Herold, in: Taeger, Rechtsfragen, 453 (455); U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, S. 81 (111 f.); in der Stellungnahme des Beirats Verwaltungsverfahrensrecht beim BMI, NVwZ 2015, 1114 (1115) wird es zumindest für denkbar gehalten. 1234  Herold, in: Taeger, Rechtsfragen, 453 (455) spricht sogar davon, dass Algorithmen „keine rechtlich erhebliche Handlung“ vornehmen. 1235  In diese Richtung auch Herold, in: Taeger, Rechtsfragen, 453 (455).

258 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

eine begrenzte juristische Subsumtionsleistung erforderlich machen kann, obwohl es sich bei den meisten Verfahrensbeteiligten um juristische Laien handelt. Dieses Problem ist allerdings nicht in Gänze neu, da es in abgeschwächter Form auch beim sonstigen Einsatz von Formularen in personal durchgeführten Verfahren auftritt. Im Zuge der Automatisierung könnte das Problem allerdings an Bedeutung gewinnen. b) Technische Möglichkeit zur Aussteuerung Eine weitere Frage stellt sich, wenn zwar möglicherweise atypische Fälle zu berücksichtigen sind, aber dennoch bestimmte immer wiederkehrende Fallgruppen typisiert erfasst werden können. Solange es gelingt, die atypischen Konstellationen zur personalen Bearbeitung auszusteuern, kann die Verfahrensdurchführung im Übrigen automatisiert anhand vorher festgelegter Parameter erfolgen.1236 Von entscheidender Bedeutung für das Gelingen einer solchen Automation ist es, technische Möglichkeiten zu finden, die atypischen Konstellationen mit hinreichender Sicherheit auszusteuern. Es ist beispielsweise denkbar, dass der Eintrag besonderer Umstände in einem dafür vorgesehenen Freitextfeld automatisch zur Aussteuerung führt (vgl. § 155 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 AO).1237 Allgemein muss der eingesetzte Algorithmus in der Lage sein, alle Verfahren, die anhand der antizipierten Konstellationen nicht erfasst werden können, automatisch zur personalen Bearbeitung weiterzuleiten. In welchem Umfang eine solche Aussteuerung praktisch realisierbar ist, lässt sich auf dieser abstrakten Ebene nicht abschließend bestimmen. Insofern ist im Einzelfall zu entscheiden, ob atypische Fälle mit ausreichender Sicherheit technisch ausgesteuert werden können. Prinzipiell dürfte es allerdings möglich sein. c) Einsatz von Textbausteinen zur Begründung Auch im Bereich antizipierter Spielraumausübung dürfte es regelmäßig rechtlich geboten oder zumindest rechtspolitisch sinnvoll sein, den automatisiert erstellten Verwaltungsakt mit einer Begründung zu versehen.1238 Im Hinblick auf die antizipiert und damit typisiert erfolgte Ausübung des Spielraums dürfte der Einsatz von Textbausteinen ausreichen. Solche Textbau1236  Die Wichtigkeit der Aussteuerungsmöglichkeit betonen beispielsweise auch Braun Binder, DÖV 2016, 891 (894); U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (112) und Ziekow, VwVfG, § 35a Rn. 13. 1237  Vgl. BT-DRS. 18/7457, S. 83 zur insofern möglichen Aussteuerung im Besteuerungsverfahren. 1238  Dazu oben 3. Teil B. II. 2. c) aa).



C. Eignung administrativer Spielraumentscheidungen zur Automation259

steine können mit den konkret gewählten Entscheidungsalternativen des regelbasierten Algorithmus verknüpft und sodann zur automatischen Erstellung einer Begründung benutzt werden. Ergänzend kann auch auf im Rahmen der automatisierten Erfassung des Sachverhalts gemachte Angaben des Bürgers zurückgegriffen und diese können automatisch in die Begründung übertragen werden. Einzelfallbezogene Erwägungen bedarf es im Hinblick auf die ohnehin typisierte Sachverhaltserfassung nicht. Solange der Spielraum antizipiert ausgeübt wird, ist es prinzipiell möglich eine ausreichende Begründung mit Hilfe von Textbausteinen zu erstellen. d) Zwischenergebnis Die Automation durch regelbasierte Algorithmen ist grundsätzlich möglich, soweit ein Spielraum antizipiert ausgeübt werden kann und etwaige atypische Fälle ausgesteuert werden. In welchem konkreten Umfang eine solche Automation allerdings realisiert werden kann, lässt sich abstrakt nicht abschließend einschätzen. Vielmehr müssen etwaige Pilotprojekte abgewartet und auf das jeweilige konkret zu automatisierende Verfahren abgestellt werden. 2. Einzelfallumstände berücksichtigende Spielraumentscheidungen Es stellt sich die Frage, ob und wenn ja in welchem Umfang auch eine Automation von Entscheidungen, bei denen Einzelfallumstände zu berücksichtigen sind, technisch realisiert werden kann. Auf dieser abstrakten Ebene ist nur eine möglichst präzise und differenzierte Annäherung möglich. Bereits im Hinblick auf die schwer vorhersehbare zukünftige technische Entwicklung entzieht sich die Frage einer abschließenden Beantwortung. Insbesondere ein verbindlicher positiver Beweis der technischen Eignung ließe sich wohl nur auf einer empirischen Ebene durch die erfolgreiche Entwicklung entsprechender Algorithmen führen. Nichtsdestotrotz wird anhand einiger wesentlicher Aspekte eine eigene Einschätzung herausgearbeitet. a) Einsatz regelbasierter Algorithmen Der Einsatz regelbasierter Algorithmen dürfte zur Automation Einzelfallumstände berücksichtigender Spielraumentscheidungen nicht geeignet sein. Nach hiesiger Definition zeichnet sich dieser Bereich dadurch aus, dass besondere Umstände des Einzelfalls regelmäßig berücksichtigt werden müssen oder ein solches im Hinblick auf atypische Konstellationen nicht ausgeschlossen werden kann. Anknüpfend an die bereits oben beschriebenen

260 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

Grenzen regelbasierter Algorithmen dürfte es sich dabei um Konstellationen handeln, bei denen diese schnell an ihre Grenzen stoßen. Die wesentlichste Limitierung regelbasierter Algorithmen ist, dass diese nur Konstellationen berücksichtigen können, die bei der Programmierung konkret oder zumindest abstrakt antizipiert wurden. Die Berücksichtigung besonderer, atypischer Umstände des Einzelfalls kann regelmäßig nicht gewährleistet werden.1239 Für die Automation Einzelfallumstände berücksichtigender Entscheidungen bieten sich regelbasierte Algorithmen deshalb nicht an. Zumindest theoretisch aussichtsreicher dürfte der Einsatz von ML-Algorithmen sein.1240 b) Einsatz von ML-Algorithmen ML-Algorithmen scheinen auf den ersten Blick dazu geeignet, die bisherigen Grenzen der Automatisierbarkeit zu verschieben. ML-Algorithmen werden anhand vergangener Fälle trainiert und sollen das so erworbene und in einem komplexen Entscheidungsmodell abstrakt gespeicherte Wissen sodann auf neue Fälle anwenden. Insofern würde anders als beim Einsatz regelbasierter Algorithmen kein menschlicher Rechtsanwender im Vorfeld eine antizipierte Entscheidung treffen, sondern man könnte von einer Entscheidung des Algorithmus sprechen. Allerdings ist abermals zu betonten, dass es sich dabei bisher eher um ein Gedankenexperiment handelt. Praktische Beispiele für den Bereich der einzelfallbezogenen Rechtsanwendung fehlen, soweit ersichtlich, nahezu vollständig. Warum das so ist und ob kurz- mittel- oder langfristig mit einer Änderung zu rechnen ist, soll nun anhand einiger Probleme, die die praktische Umsetzbarkeit bisher behindert haben, erörtert werden. Dabei werden insbesondere auch die erheblichen Fortschritte im Bereich der Sprachverarbeitung durch die zunehmende Leistungsfähigkeit von LLMs berücksichtigt.

1239  So bereits Lazaratos, Verwaltungsautomation, S. 220 mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der älteren Literatur, allerdings ohne im Ergebnis zwischen unterschiedlichen Arten der Spielraumausübung zu differenzieren; ähnlich auch Altfelder, Datenverarbeitung, S. 19; Degrandi, Verwaltungsverfügung, S.  44 f. und Groß, VerwArch 95 (2004), 400 (409). 1240  Eine besondere Eignung von ML-Algorithmen zur Automation von Spielraumentscheidungen betonen Demaj, Informatik Spektrum 2018, 123 (132 ff.); Etscheid, in: Mohabbat Kar/Thapa/Parycek, (Un)Berechenbar?, 126 (141 f.); Guggenberger, NVwZ 2019, 844 (848); Herold, in: Taeger, Rechtsfragen, 453 (456 ff.); in diese Richtung auch H. Schmitz/Prell, NVwZ 2016, 1273 (1276).



C. Eignung administrativer Spielraumentscheidungen zur Automation261

aa) Fehlen allgemeiner Problemlösungskompetenzen (1) Vergangenheitsbezug von ML-Algorithmen Ein Einwand gegen die Eignung von ML-Algorithmen, besondere Umstände des Einzelfalls berücksichtigen zu können, thematisiert deren Vergangenheitsbezug. ML-Algorithmen seien nicht in der Lage, gegenwärtige Pro­ blemkonstellationen einzelfallgerecht zu erfassen, da sie immer nur an vergangenen Fällen orientiert seien.1241 So könnten keine Sachverhaltsgestaltungen erfasst werden, die nicht in ähnlicher Weise bereits in der Trainingsbasis vorkamen.1242 Deshalb ermögliche auch der Einsatz von ML-Algorithmen, die angemessene Berücksichtigung von besonderen Einzelfallumständen nicht.1243 Der Einwand trifft in der Tendenz zu, setzt aber den falschen Schwerpunkt. Die grundsätzliche Orientierung an vergangenen Erfahrungen zur Bewertung gegenwärtiger Konstellationen dürfte nicht das wesentliche Problem sein.1244 ML-Algorithmen sollen – zumindest im Idealfall – gegenwärtige Konstellationen nicht schlicht mit vergangenen Fällen vergleichen, sondern aus den vergangenen Fällen abstrahiertes rechtliches Erfahrungswissen gewinnen, um so die aktuelle Konstellation zu bewerten. Ein guter ­ML-Algorithmus bildet nicht die Trainingsdaten ab, sondern zeichnet sich gerade durch die Fähigkeit zur Generalisierung aus.1245 Dadurch sollen insbesondere auch Konstellationen bewertet werden können, deren Merkmalsausprägungen sich gerade nicht exakt in den Trainingsdaten wiederfinden.1246 Andernfalls spricht man auch von einer Überanpassung an die Trainingsdaten.1247 Auch zeigt der Vergleich mit menschlichen Rechtsanwendern, dass die Vergangenheitsorientierung allein nicht das Problem ist. Menschliche Rechtsanwender können gegenwärtige Konstellationen ebenfalls nur anhand von in der Vergangenheit erworbenem Erfahrungswissen bewerten. Allerdings sind Menschen dazu in der Lage, deutlich abstraktere und situationsübergreifende Konzepte und Strukturen zu erlernen; sie können zur Problemlösung beispielsweise auf Kontext- oder Weltwissen zurückgreifen.

in: Taeger, Rechtsfragen, 453 (462 f.); zustimmend Nink, Justiz, S. 207. in: Taeger, Rechtsfragen, 453 (463); zustimmend Nink, Justiz, S. 207. 1243  Herold, in: Taeger, Rechtsfragen, 453 (463). 1244  So aber Herold, in: Taeger, Rechtsfragen, 453 (462). 1245  Höfer, in: Jusletter 26. November 2018, 3.4. 1246  Darauf weist auch in einer späteren Publikation Herold, Legitimation, S. 234 hin, allerdings nur in einer Fußnote (Fn. 205). 1247  Ashley, Legal Analytics, S. 113; Höfer in: Jusletter 26. November 2018, 3.4. 1241  Herold, 1242  Herold,

262 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

(2) Begrenzte Fähigkeit zur Generalisierung Insofern weist der Einwand auf eine zentrale Herausforderung hin. Ak­ tuelle ML-Algorithmen können tendenziell nur eine begrenzte Anzahl von Merkmalen sinnvoll verarbeiten. Merkmale, die in dem Algorithmenmodell nicht vorhergesehen sind, können auch nicht bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden. Erfolgreich trainierte und ausreichend komplexe Algorithmenmodelle sind durch ihre Fähigkeit zur Generalisierung in der Lage, innerhalb der Merkmale, die dem Modell zu Grunde liegen, auch bisher nicht unmittelbar vorgekommene Ausprägungen zu berücksichtigen. Merkmale, die außerhalb des Modells liegen, können allerdings nicht einbezogen werden. Die Fähigkeit zur Generalisierung meint in diesem Kontext: Generalisierung innerhalb des begrenzten Modells, aber nicht über dieses hinaus.1248 Gleichzeitig fehlt es ML-Algorithmen in Vergleich mit menschlichen Experten an übergeordneten Kontext- oder auch Weltwissen, auf das sie subsidiär zurückgreifen können. Ihr Erfahrungswissen ist regelmäßig auf einen sehr spezifischen Bereich beschränkt.1249 Deshalb sind die meisten ML-Algorithmen als Formen schwacher künstlicher Intelligenz auf die Lösung eines konkreten Problems mittels der dafür erfassten Merkmalsdimensionen beschränkt.1250 (3) Einsatz von LLMs Ein entscheidender Fortschritt in Richtung allgemeiner Problemlösungskompetenzen konnte durch den Einsatz von LLMs erzielt werden.1251 Entsprechende Algorithmen zeichnen sich durch generelle Sprachfähigkeiten aus, die über die Lösung einzelner Problemstellungen hinausgehen.1252 Beispielsweise sind LLMs dazu in der Lage, in unterschiedlichen Sachbereichen Fragen zu beantworten, natursprachliche Texte zu erstellen oder solche zusammenzufassen. Über die sprachlichen Fähigkeiten hinaus ist auch das den Antworten zugrundliegende Wissen nicht auf eine spezifische Domäne beschränkt.1253 LLMs lassen sich vielmehr in sehr unterschiedlichen Sachberei-

1248  In

diese Richtung Höfer, in: Jusletter 26. November 2018, 3.4 und 4.2. Dreyer/Schmees, CR 2019, 758 (Rn. 19, 26); Herold, Legitimation, S. 234 Fn. 205. 1250  Frochte, Maschinelles Lernen, S. 16; ähnlich auch Wischmeyer, AÖR 143 (2018), 1 (3). 1251  Ertel, Grundkurs KI, S. 338 ff.; Russell/Norvig, AI, S.  926 ff.; Wei u. a., Trans­ actions on Machine Learning Research 08/2022, 1 (1). 1252  Wei u. a., Transactions on Machine Learning Research 08/2022, 1 (9 f.). 1253  Manning, Daedalus 151 (2022), 127 (129 ff.). 1249  Ähnlich



C. Eignung administrativer Spielraumentscheidungen zur Automation263

chen einsetzen.1254 Die Limitierungen von LLMs liegen daher weniger in der allgemeinen, übergreifenden Kompetenz zur Sprachverarbeitung, sondern in der Detailtiefe der Aufgabenbearbeitung.1255 So klingen die erstellten Antworten zwar nahezu immer plausibel; sie bleiben allerdings häufig auf einer abstrakten Ebene.1256 Konkrete Fallkonstellationen werden auf einem ähnlichen Abstraktionsgrad beurteilt wie allgemeine Informationsanfragen. Besonderheiten einer konkreten Situation oder spezifischere Argumente werden oft nicht ausreichend berücksichtigt.1257 Diese Schwäche schließt daher den sinnvollen Einsatz zur Entscheidungsautomation im Bereich, in denen Einzelfallumstände berücksichtigt werden müssen, zunächst aus. Dieser Bereich ist gerade durch die Besonderheiten der konkreten Situation und dem Vorliegen atypischer Umstände geprägt.1258 Nichtsdestotrotz wird das Problem begrenzter Problemlösungskompetenzen durch den Einsatz von LLMs für den Bereich der Sprachverarbeitung entscheidend relativiert. Auch deutet der erste Eindruck des erst Mitte März 2023 veröffentlichten GPT-4, darauf hin, dass LLMs ihre diesbezügliche Leistungsfähigkeit zukünftig noch deutlich steigern werden. So war GPT-4 dazu in der Lage, nicht nur den MultipleChoice Teil, sondern auch gutachterliche bzw. essayistische Aufgabenstellungen der amerikanischen Anwaltsprüfung zu bestehen.1259 bb) Mögliches Fehlen geeigneter Trainingsdaten Für das erfolgreiche Training komplexer Algorithmen bedarf es großer Datenmengen. So bieten sich Methoden des Deep Learning grundsätzlich nur an, wenn überhaupt ausreichend große Datenmengen zum Training bereitstehen.1260 Für das Training von ML-Algorithmen zum Treffen von Einzelfallumstände berücksichtigenden Spielraumentscheidungen dürfte es aber an qualitativ geeigneten Daten mangeln.

u. a., Transactions on Machine Learning Research 08/2022, 1 (5). U. Cin. L. Rev. 2022, 1207 (1235 ff.). 1256  Ashley, U. Cin. L. Rev. 2022, 1207 (1237); Bachgrund/Nesum/Bernstein/Burchard, CR 2023, 132 (136 f.). 1257  Vgl. die Beispiele bei Johannisbauer, MMR-Aktuell 2023, 455537. 1258  Demaj, Informatik Spektrum 2018, 123 (133). 1259  Katz/Bommarito/Gao/Arredondo, GPT-4 Passes the Bar Exam, http://dx.doi. org/10.2139/ssrn.4389233, Stand: 01.04.2023; dazu bereits mit einer kritischen Einordnung unter 1. Teil A. 4. b). 1260  Hölzer/Natterer, in: Kersting/Lampert/Rothkopf, S.  141 zu Big Data als Teil der Lösung; ähnlich Dreyer/Schmees, CR 2019, 758 (Rn. 6) und Lorze, NVwZ 2021, 1657 (1659). 1254  Wei

1255  Ashley,

264 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

Problematisch ist bereits, ob es überhaupt eine hinreichende Grundlage gibt, um entsprechende Trainingsdaten zu generieren.1261 Das Problem besteht auch in anderen Bereichen der Rechtsanwendung, beispielsweise im Bereich der Rechtsprechungstätigkeit.1262 Im Bereich der Verwaltung dürfte die Problematik allerdings noch einmal gesteigert auftreten. Als Grundlage zur Generierung von Trainingsdaten kommen menschliche Verwaltungsentscheidungen in Betracht. Solche Entscheidungen sind regelmäßig nicht Gegenstand zentraler juristischer Datenbanken, sondern sind nur dezentral gespeichert bei den jeweils zuständigen Behörden und Stellen zu finden. Fraglich ist auch, ob entsprechende Entscheidungen, sofern sie personenbezogene Daten beinhalten, überhaupt zum Training von ML-Algorithmen benutzt werden dürfen. Möglicherweise wäre eine Anonymisierung der Entscheidungen erforderlich, was allerdings einen erheblichen Mehraufwand bedeutet. Das Zusammentragen und Systematisieren einer ausreichenden Anzahl an Entscheidungen stellt bereits ein nicht unerhebliches praktisches Hindernis mit keinesfalls gesicherten Erfolgsaussichten dar. Allerdings kann der Einsatz von LLMs in dieser Hinsicht Abhilfe schaffen. LLMs zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf einem extrem großen Textkorpus vortrainiert werden, um allgemeine sprachliche Fähigkeiten zu erwerben.1263 Für ein domainspezifisches Feintuning bedarf es sodann deutlich weniger Trainingsdaten, bzw. häufig kann ein solches Feintuning sogar durch einige wenige aufgabenspezifische Anweisungen (= prompts) ersetzt werden.1264 Allein das Fehlen von großen Trainingsdatenmengen im Bereich von Verwaltungsentscheidungen steht dem Einsatz von vortrainierten LLMs nicht entgegen; ein ausschließliches Training von ML-Algorithmen anhand von vergangenen Verwaltungsentscheidungen dürfte hingegen schwer zu realisieren sein. cc) Automatische Wissensextraktion aus juristischen Texten (1) Manuelle Aufbereitung nicht kosteneffizient Behördliche Entscheidungen sind in natürlicher Sprache verfasst und regelmäßig nicht einheitlich strukturiert. In natürlicher Sprache verfasste Texte sind als bloße Zeichenketten in ihrer Rohform zum Training von ML-Algo1261  Zweifelnd

auch Herold, in: Taeger, Rechtsfragen, 453 (460). CR 2019, 758 (Rn. 4 ff.). 1263  Ashley, U. Cin. L. Rev. 2022, 1207 (1227); Manning, Daedalus 151 (2022), 127 (129 f.). 1264  Ashley, U. Cin. L. Rev. 2022, 1207 (1227); Manning, Daedalus 151 (2022), 127 (130 f.). 1262  Dreyer/Schmees,



C. Eignung administrativer Spielraumentscheidungen zur Automation265

rithmen nicht geeignet. Die in den Entscheidungen enthaltenen Informationen müssen in einer geeigneten Form repräsentiert werden, bevor ein ML-Algorithmus mit ihnen trainiert werden kann.1265 Eine Möglichkeit ist die ma­ nuelle Aufbereitung juristischer Texte. Entsprechende Versuche sind in der Vergangenheit allerdings regelmäßig gescheitert, weil die manuelle Aufbereitung nicht kosteneffizient durchgeführt werden konnte.1266 Der erforderliche Aufwand gerät schnell außer Verhältnis zu dem angestrebten Effizienzgewinn. Insofern wird man überwiegend auf eine automatisierte Form der Wissensextraktion aus juristischen Texten zurückgreifen müssen. (2) Einsatz von LLMs Auch in diesem Bereich konnten in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte erzielt werden.1267 Beispielsweise haben ML-Algorithmen zur erfolgreichen Vorhersage einer gerichtlichen Entscheidung in der Vergangenheit fast ausschließlich auf die Auswertung von nicht inhaltsbezogenen Metadaten (Person des Richters, sonstige Beteiligte, Verlauf der Prozessgeschichte etc.) gesetzt,1268 weil solche Metadaten sich deutlich leichter aus juristischen Texten extrahieren und durch ML-Algorithmen verarbeiten lassen.1269 Neuere ML-Algorithmen sind hingegen dazu in der Lage, unmittelbar textbezogene Informationen zu verarbeiten, um die Entscheidungen von Gerichten mit einer hohen Genauigkeit vorherzusagen.1270 Moderne Modelle können semantische Informationen aus juristischen Texten in einem signifikanten Umfang extrahieren, ohne dass es einer vorherigen manuellen Aufbereitung des Textes bedarf.1271 Das zeigt sich beispielsweise daran, dass GPT-4 bereits dazu in der Lage ist, die amerikanische Anwaltsprüfung zu bestehen.1272 Allerdings fehlt es zum Teil noch daran, auch übergeordnete juristische Konzepte und Argumentationsstrukturen zu erkennen, um die Beziehungen zwischen den einzelnen Informationseinheiten abbilden zu können.1273 Das dürfte ein in: Taeger, Rechtsfragen, 453 (460). U. Cin. L. Rev. 2022, 1207 (1208). 1267  Speziell für den Bereich der juristischen Texte Ashley, Legal Analytics, S. 234 ff. und 285 ff. und Ashley, U. Cin. L. Rev. 2022, 1207 ff. 1268  Ashley, Legal Analytics, S. 123 und 354. 1269  Ashley, Legal Analytics, S. 107. 1270  Beispielsweise Chalkidis/Androutsopoulos/Aletras, Proc. 57th. Ann. Meeting Assoc. for Computional Linguistics (2019), 4317 ff. für Entscheidungen des EGMR. 1271  Ashley, U. Cin. L. Rev. 2022, 1207 (1238 f.). 1272  Katz/Bommarito/Gao/Arredondo, GPT-4 Passes the Bar Exam, http://dx.doi. org/10.2139/ssrn.4389233, Stand: 01.04.2023; dazu mit einer kritischen Einordnung bereits unter 1. Teil A. 4. b). 1273  Ashley, U. Cin. L. Rev. 2022, 1207 (1219, 1239 f.). 1265  Herold, 1266  Ashley,

266 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

wesentlicher Grund dafür sein, dass die Antworten von LLMs auf juristische Fragestellungen zwar plausibel klingen, allerdings nicht immer richtig sind und sich z. T. auf Fakten, Personen oder sonstige Nachweise beziehen, die gar nicht existieren, sondern vielmehr erfunden werden (= Halluzinationen).1274 LLMs können die Grenzen des eigenen Wissens nicht erkennen. Das ist insbesondere problematisch, weil auch der Nutzer ohne externe Validierung nicht erkennen kann, ob eine Antwort richtig oder eine Quelle zuverlässig ist. Auch falsche und irreführende Antworten erscheinen für sich genommen plausibel. Diese fehlende Zuverlässigkeit dürfte den Einsatz im Bereich der automatisierten Erstellung von Verwaltungsentscheidungen kurz- bis mittelfristig ausschließen.1275 Ob und wann sich entsprechende Probleme lösen lassen, lässt sich nicht sicher prognostizieren.1276 Zumindest langfristig dürfte es möglich sein, dass LLMs nicht nur den nächsten Buchstaben, das nächste Wort oder den nächsten Satz vorhersagen, sondern zunehmend auch übergeordnete juristische Konzepte oder Argumentationsstrukturen berücksichtigen können.1277 Diese Berücksichtigung übergeordneter Strukturen und Konzepte könnte dazu beitragen, die bisher bestehende Fehleranfälligkeit von LLMs erheblich zu reduzieren. dd) Besondere Bedeutung der Begründung im Bereich von Verwaltungsspielräumen (1) Mangelnde Erklärbarkeit komplexer ML-Algorithmen Die bisher geschilderten Probleme bezogen sich auf die erfolgreiche Automation der Entscheidungsfindung an sich. Im Bereich der Ermessens- und Beurteilungsentscheidungen reicht allein ein richtiges, d. h. vertretbares Ergebnis nicht aus. Vielmehr ist es auch erforderlich, dass die Gründe, auf denen die Entscheidung beruht, angegeben werden und die Entscheidung fehlerfrei rechtfertigen.1278 Nur so kann der Begründungs- oder subsidiär der Dokumentationspflicht genügt und gleichzeitig materiell-rechtlich ein fehlerfreier Erlass sichergestellt werden. Komplexe ML-Algorithmen, insbesondere 1274  Dazu im Überblick Ji u.  a., ACM Computing Surveys 55 (2023), Artikel 248:1 ff. 1275  So bereits unter 1. Teil B. IV. 2 a) aa) (1). 1276  Auf praktischer Ebene dürfte das auch gelten, selbst wenn man wie Adrian, Rechtstheorie 48 (2017), 77 (95 ff.) davon ausgeht, dass der juristische Sprachraum aus einer endlichen Anzahl an Sprachquanten besteht. 1277  Ashley, U. Cin. L. Rev. 2022, 1207 (1239 f.). 1278  Dazu oben 3. Teil B. II. 2. b).



C. Eignung administrativer Spielraumentscheidungen zur Automation267

Methoden des Deep Learning, weisen jedoch häufig keine symbolische Wissensrepräsentation auf. Deshalb ist es, selbst wenn die grundsätzliche Entscheidungsarchitektur bekannt ist, häufig schwierig, auf der Detailebene zu bestimmen, welche Aspekte für die Entscheidungsfindung im konkreten Einzelfall relevant waren.1279 Die Versuche, das Entscheidungsverhalten solcher ML-Algorithmen mithilfe externer Methoden zu erklären (sog. Explain­ able AI) scheinen aktuell noch nicht ausreichend weit fortgeschritten.1280 Erschwerend kommt hinzu, dass eine einfache Visualisierung oder die Angabe der Datenbereiche, die für die Entscheidung von besonderer Bedeutung sind, wohl nicht ausreichen. Die Angabe der Entscheidungsgründe soll die gerichtliche Kontrolle und die Information des Bürgers ermöglichen sowie die Akzeptanz der Entscheidung beim Adressaten fördern.1281 Dafür wäre die Angabe von Erwägungen in natürlicher Sprache erforderlich, die die Entscheidung sachlich rechtfertigen. (2) Einsatz von LLMs Auch zur Formulierung von Begründungen in natürlicher Sprache können LLMs eingesetzt werden. Grundsätzlich sind LLMs dazu in der Lage, Texte zu generieren, die plausibel klingen und sich deshalb von menschlichen Texten nicht unmittelbar unterscheiden lassen. Das dürfte auch für den Bereich der Verwaltungsentscheidungen gelten. Der spezifische Aufbau (insbesondere Tenor; Begründung, Rechtsbehelfsbelehrung) entsprechender Entscheidungen könnte LLMs beigebracht werden. Allerdings dürfte auch in dieser Hinsicht ein erfolgreicher Einsatz (noch) an den bereits erörterten Schwächen von LLMs scheitern. Im Bereich der Einzelfallumstände berücksichtigenden Spielraumausübung reicht es für eine fehlerfreie Begründung nicht aus, abstrakt richtige, aber weniger an den Besonderheiten der konkreten Situation orientierte Gründe anzugeben. Die Angabe der für die konkrete Situation spezifisch relevanten Erwägungen dürfte LLMs teilweise noch überfordern. Ein weiteres Problem ist die Gefahr von Halluzinationen. Die Angabe erfundener Belege und Quellen in einer Begründung ist als sachwidrige Erwägung einzuordnen und würde zu einem Ermessens- bzw. Beurteilungsfehler führen.

1279  So

Wischmeyer, in: Eifert, Disruption, 73 (77 f.). oben 1. Teil A. II. 3. a). 1281  Dazu oben 1. Teil B. III. 2. a) bb) (2) und 3. Teil B. II. 2. b). 1280  Dazu

268 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

(3) Zwischenergebnis Im Hinblick auf die teilweise eingeschränkten Möglichkeiten, die Funk­ tionsweise von bestimmten ML-Algorithmen zu erklären, sowie die diesbezüglichen Schwächen von LLMs, dürfte das Formulieren einer natursprach­ lichen, sachlich rechtfertigenden Begründung im Einzelfall kurz- bis mittelfristig nicht vollständig automatisierbar sein.1282 Einzelfallumstände berücksichtigende Spielraumentscheidungen sind deshalb auch im Hinblick auf die besondere Bedeutung der Begründung noch nicht zur Automation geeignet. 3. Exkurs: Vergleich zu komplexen Verwaltungsentscheidungen ohne Spielraum Die aktuell bestehenden technischen Grenzen der Automation gelten allerdings nicht nur für Spielraumentscheidungen, bei denen besondere Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind, sondern sind auch auf sonstige komplexe Verwaltungsentscheidungen übertragbar.1283 Nach dem hier vertretenen Standpunkt besteht im Hinblick auf die rechtliche Determinierung kein qualitativer Unterschied zwischen der administrativen Spielraumausübung und der richterlichen Rechtsanwendung.1284 Auch bei Verwaltungsentscheidungen ohne Spielraum besteht zumindest potenziell ein rechtlich nicht vollständig determinierter Freiraum. Bei der Ausfüllung eines solchen Freiraums sind möglicherweise auch besondere Umstände des Einzelfalls, die sich nicht abschließend antizipieren lassen, zu berücksichtigen. Ein Unterschied zeigt sich erst auf einer sekundären Ebene in der unterschiedlichen kommunikativen Verdichtung.1285 Die kommunikative Verdichtung sagt allerdings nichts über die Möglichkeit aus, einen Einzelfall anhand vorher festgelegter Parameter zu entscheiden, sondern nur darüber, wer diese Parameter festlegt. Im Bereich der gebundenen Verwaltung werden die Parameter eher durch den juristischen Diskurs (insbesondere Rechtsprechung und juristische Dogmatik) 1282  Ähnlich Herold, in: Taeger, Rechtsfragen, 453 (462) und im Anschluss Guckelberger, Verwaltung, Rn.  617 f.; dies., DÖV 2021, 566 (575); Greco, RW 11 (2020), 29 (43 f.) hält das Problem im Hinblick auf die angemessene Begründung einer richterlichen Entscheidung für grundsätzlich technisch lösbar; Roth-Isigkeit, DÖV 2020, 1018 (1025) hingegen scheint dieses wesentliche Problem, eine sachlich rechtfertigende Begründung in natürlicher Sprache automatisiert zu erstellen, möglicherweise zu übersehen, wenn er ausführt, „ein solches Verständnis der Begründung ebnet den Weg zu einer praktisch umsetzbaren Digitalisierung der Verwaltung“. 1283  In diese Richtung auch Berger, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 35a Rn. 48 f.; Guckelberger, Verwaltung, Rn. 438; v. Harbou, JZ 2020, 340 (343); Windoffer, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 35a Rn. 29. 1284  Dazu oben 2. Teil C. I. 1. a), b). 1285  Dazu oben 2. Teil D. II.



C. Eignung administrativer Spielraumentscheidungen zur Automation269

und im Bereich der Spielräume originär durch die Amtswalter im Vorfeld der Automation festgelegt. Eine Automation durch den Einsatz regelbasierter Algorithmen stößt auf Grund der bereits oben festgestellten Limitierungen1286 in komplexen Situationen unabhängig vom Bestehen eines Spielraums an seine Grenzen. Auch im Bereich der gebundenen Verwaltung dürfte der Einsatz von ­ L-Algorithmen kurz- bis mittelfristig eine Entscheidungsfindung unter M Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls nicht ermöglichen. Die diesbezüglich im Hinblick auf Spielraumentscheidungen herausgearbeiteten technischen Limitierungen lassen sich weitgehend übertragen. Allenfalls könnte die stärkere Einbindung in den juristischen Diskurs im Bereich von gebundenen Entscheidungen dazu führen, dass eine breitere Datengrundlage für das Training der ML-Algorithmen zur Verfügung steht. Insbesondere könnte auf die bereits in juristischen Datenbanken elektronisch vorliegenden juristischen Texte (gerichtliche Entscheidungen, Kommentierungen etc.) zurückgegriffen werden. Das Fehlen großer Datenmengen ist aber zumindest für den Einsatz von LLMs ohnehin kein wesentliches Problem. Im Ergebnis dürften die herausgearbeiteten technischen Grenzen der Automatisierbarkeit auch für komplexe, Einzelfallumstände berücksichtigende Entscheidungen ohne Spielraum gelten. 4. Zwischenergebnis Aus einer rechtstheoretisch-technischen Perspektive eignet sich der Bereich von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen zumindest teilweise für den automatisierten Erlass von Verwaltungsakten. Eine automatisierte Verfahrensdurchführung dürfte insbesondere möglich sein, soweit es gelingt, den Spielraum antizipiert durch einen menschlichen Experten auszuüben und die insofern gefundenen Ergebnisse sodann in regelbasierten Algorithmen abzubilden. Besonders vielversprechend dürfte eine hybride Art der Verfahrensdurchführung sein. Die regelmäßig auftretenden und leicht standardisierbaren Konstellationen werden anhand vorher festgelegter Parameter automatisiert entschieden und die übrigen, komplexeren Konstellationen können zur personalen Bearbeitung ausgesteuert werden. Dadurch können auch Bereiche für den automatisierten Erlass von Verwaltungsakten erschlossen werden, in denen eine Automation ansonsten aufgrund der limitierten Fähigkeiten aktueller Algorithmen scheitern würde. Die automatisierte Durchführung von Verfahren, die auf eine Spielraumentscheidung gerichtet sind, bei der besondere Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind, dürfte nach dem aktuellen 1286  Dazu

oben 3. Teil C. I. 2. a).

270 3. Teil: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen

technischen Stand weitgehend1287 ausgeschlossen sein. Auch der Einsatz von ML-Algorithmen (einschließlich LLMs) dürfte daran zunächst nichts ändern. Langfristig erscheint es allerdings in Anbetracht der erheblichen Fortschritte durch den Einsatz von LLMs möglich.

1287  Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass ein solches in einzelnen Ausnahmekonstellationen gelingt. So könnte man beispielsweise Formen intelligenter Verkehrsleitung je nach Komplexität und konkreter Umsetzungsart als Spielraumentscheidung, bei der besondere Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden, einordnen (dazu Busche, ZG 2023, 74 (99 ff.).

4. Teil

Resümee A. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse Im Folgenden werden die wesentlichen Erkenntnisse dieser Untersuchung zum Verhältnis der Verwaltungsautomation zu Spielräumen der Verwaltung zusammengefasst:

I. Wesentliche Ergebnisse des 1. Teils: Grundlagen der Verwaltungsautomation Als Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen sind im 1. Teil die wesentlichen begrifflichen, technischen und rechtlichen Grundlagen der Verwaltungsautomation herausgearbeitet worden: Die Verwaltungsautomation bezeichnet den automatisierten Erlass von Verwaltungsakten. Ein automatisiert erlassener Verwaltungsakt liegt vor, wenn bei der Erstellung eines Verwaltungsaktes (= Erlass) eine automatische Einrichtung eingesetzt wird und der Einsatz sich zumindest auch auf den verfügenden Teil auswirkt, ohne dass eine menschliche Ergebniskontrolle stattfindet.1288 Dabei kann zwischen dem teilweise und dem vollständig automatisiert erlassenen Verwaltungsakt unterschieden werden. Die vollständige Automation ist durch das Fehlen einer personalen Bearbeitung in allen Verfahrensschritten innerhalb der Verwaltung nach der Verfahrenseinleitung gekennzeichnet.1289 Den §§ 35a VwVfG, 31a S. 1 SGB X, 155 Abs. 4 AO liegt das einheitliche Konzept des vollständig durch automatische Einrichtungen erlassenen Verwaltungsaktes zugrunde. Die übrigen automationsbezogenen Vorschriften im Verfahrensrecht (§§ 24 Abs. 1 S. 3, 28 Abs. 2 Nr. 4, 37 Abs. 5, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG, 31a S. 2, 33 Abs. 5, 35 Abs. 2 Nr. 3 SGB X, 91 Abs. 2 Nr. 4, 119 Abs. 3 S. 2 Hs. 2, 121 Abs. 2 Nr. 3, 150 Abs. 7, 155 Abs. 4 AO) betreffen den automatisierten Erlass von Verwaltungsakten allgemein.

1288  Dazu 1289  Dazu

ausführlich unter 1. Teil B. I. unter 1. Teil B. I. 1. c) aa).

272

4. Teil: Resümee

Im Hinblick auf die dabei eingesetzten Algorithmen lässt sich zwischen regelbasierten Algorithmen und ML-Algorithmen unterscheiden.1290 Auch der Einsatz von ML-Algorithmen ist grundsätzlich zulässig und ändert nichts an der Verwaltungsaktqualität einer automatisiert erlassenen Entscheidung.1291 Allerdings muss durch eine maßvolle Auswahl des Einsatzgebietes sowie gegebenenfalls weitere Maßnahmen sichergestellt werden, dass der Einsatz rechtlichen Maßstäben genügt. In organisationsrechtlicher Hinsicht ist als wichtiges Ergebnis festzuhalten, dass der Wechsel von der personalen hin zur zunehmend automatisierten Verfahrensbearbeitung eine wesentliche Entscheidung von grundlegender Bedeutung für die Allgemeinheit ist. Diesbezüglich verlangt der Vorbehalt des Gesetzes eine parlamentarische Entscheidung. Allerdings stellen die §§ 35a VwVfG, 31a S. 1 SGB X, 155 Abs. 4 bereits eine ausreichende gesetzgeberische Ermächtigung für die zukünftig erwartete zunehmend vollautomatisierte Durchführung von Verwaltungsverfahren dar. Gleichzeitig ist im Anwendungsbereich des § 35a VwVfG im Hinblick auf einzelne Verfahren, die automatisiert durchgeführt werden sollen, eine eindeutige und ausreichend konkrete Zulassung der vollständig automatisierten Verfahrensdurchführung durch Parlamentsgesetz, Rechtsverordnung oder Satzung erforderlich.1292 Auch unabhängig von § 35a VwVfG kann sich im Einzelfall aus dem Vorbehalt des Gesetzes ergeben, dass eine konkrete Zulassungsentscheidung aufgrund ihrer besonderen Wesentlichkeit einer zusätzlichen (parlaments-)gesetzlichen Regelung bedarf.1293 Dabei kann insbesondere die grundrechtliche Bedeutung der Sachentscheidung, die Komplexität der Entscheidungsfindung, der (hohe) Grad der Automation sowie die Art und Autonomie der eingesetzten Algorithmen berücksichtigt werden. In verfahrensrechtlicher Hinsicht muss der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten den allgemeinen Verfahrensgrundsätzen und insbesondere auch den Verfahrensrechten der Beteiligten (Anhörungsgrundsatz, Begründungspflicht, etc.) genügen.1294 Die teilweise vorgesehenen verfahrensrechtlichen Erleichterungen sind nach geltender Rechtslage allesamt restriktiv auszulegen. Zum Teil haben sich die vorgesehenen Erleichterungen bereits durch den technischen Wandel ganz oder teilweise erledigt, aber auch ansonsten darf von ihnen nicht pauschal, sondern nur unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen der Verfahrensbeteiligten Gebrauch gemacht werden. 1290  Dazu

unter unter 1292  Dazu unter 1293  Dazu unter 1294  Dazu unter 1291  Dazu

1. Teil A. 1. Teil B. 1. Teil B. 1. Teil B. 1. Teil B.

II. IV. III. 1. b). III. 1. a). III. 2.



A. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse273

II. Wesentliche Ergebnisse des 2. Teils: Spielräume der Verwaltung Einsatzgebiet der automatisiert erlassenen Verwaltungsakte im Rahmen dieser Untersuchung sind Bereiche, in denen Spielräume der Verwaltung bestehen. Im 2. Teil ist deshalb ein eigenes Verständnis von Verwaltungsspielräumen erarbeitet worden, das der weiteren Untersuchung zu Grunde liegt. Ein Verwaltungsspielraum ist als ein normativ eröffnetes Letztentscheidungsrecht der Verwaltung in einem Bereich tendenziell geringer gesetzlicher Determiniertheit zu verstehen.1295 Der wesentliche Unterschied zwischen Entscheidungen mit und ohne Verwaltungsspielraum besteht in der unterschiedlichen Letztentscheidungskompetenz und den damit korrespondierenden unterschiedlichen gerichtlichen Kontrollmodi. Auf einer dogmatischen Ebene kann weiter zwischen Beurteilungsspielräumen auf Tatbestandsebene und Ermessensspielräumen auf Rechtsfolgenebene sowie dem Planungs- und Regulierungsermessen in bestimmten Sachbereichen der Verwaltungstätigkeit unterschieden werden.1296 Die unterschiedlichen Spielraumarten weisen aus rechtstheoretischer Perspektive allesamt eine einheitliche Grundstruktur auf. Dennoch sollte auf dogmatischer Ebene an den begrifflichen Differenzierungen festgehalten werden, da sie den Diskurs strukturieren und der geltenden Rechtslage entsprechen.1297 Im Hinblick auf die rechtliche Determinierung besteht kein qualitativer Unterschied zwischen Entscheidungen mit und ohne Verwaltungsspielraum. Rechtliche Freiräume bestehen potenziell auch bei Entscheidungen ohne Verwaltungsspielraum. Allerdings sind diese im Ausgangspunkt bestehenden Freiräume als Folge der unterschiedlichen gericht­ lichen Kontrollmodi durch die Rechtsprechung und den sonstigen rechtlichen Diskurs stärker verdichtet als im Bereich der Verwaltungsspielräume.1298

III. Wesentliche Ergebnisse des 3. Teils: Automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Bereich von Spielräumen Im 3. Teil war die Frage, ob eine automatisierte Verfahrensdurchführung auch im Bereich von Spielräumen rechtlich zulässig und rechtstheoretischtechnisch möglich ist, zu beantworten. Dafür konnten die im 1. und 2. Teil gewonnenen Erkenntnisse berücksichtigt werden. Insbesondere konnte auf 1295  Dazu

unter unter 1297  Dazu unter 1298  Dazu unter 1296  Dazu

2. Teil C. I. 2. Teil B. II., III., V. 2. Teil C. II. 2. 2. Teil D. II.

274

4. Teil: Resümee

Grundlage der Erkenntnisse des 2. Teils zwischen unterschiedlichen Spielraumarten differenziert werden: 1. Planungs- und Regulierungsermessen Das Bestehen von Planungs- oder Regulierungsermessen schließt nach geltender Rechtslage den automatisierten Erlass von Verwaltungsakten aus.1299 In diesem Bereich bestehen spezielle organisations- und verfahrensrechtliche Vorgaben, die eine personale Bearbeitung voraussetzen und insofern mit einer automatisierten Verfahrensdurchführung nicht zu vereinbaren sind. 2. Ermessens- und Beurteilungsspielräume Vergleichbare organisations- und verfahrensrechtliche Vorgaben können auch im Bereich von bestimmten Ermessens- und Beurteilungsspielräumen bestehen und eine Automation im Einzelfall ausschließen (z. B. Beurteilungsspielräume, die maßgeblich im Hinblick auf das zur Entscheidung berufene Organ angenommen werden). Allerdings rechtfertigen sie keinen allgemeinen Ausschluss, vielmehr ist zwischen unterschiedlichen Arten der Automation im Bereich von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen zu differenzieren: a) Antizipierte Spielraumausübung Eine automatisierte Verfahrensdurchführung kann vollständig anhand vorher antizipiert festgelegter Parameter erfolgen. Dies ist möglich, weil der Spielraum entweder vollständig verdichtet werden kann (1. Bereich) oder zwar möglicherweise atypische Fälle bestehen, diese allerdings mit hinreichender Sicherheit zur personalen Bearbeitung ausgesteuert werden können (2. Bereich). Gegen eine solche Form automatisierter Spielraumausübung bestehen keine allgemeinen rechtlichen Bedenken.1300 Auch auf einfachrechtlicher Ebene schließen die §§ 35a VwVfG, 31a S. 1 SGB X, 155 Abs. 4 AO im Hinblick auf den verfolgten Schutzzweck diese Art der Automation trotz abstrakt bestehenden Spielraums nicht grundsätzlich aus, sodass auch der vollständig automatisierte Erlass eines Verwaltungsaktes zulässig ist.1301

1299  Dazu

unter 3. Teil A. III. 2. unter 3. Teil A. I. 1301  Dazu unter 3. Teil A. II. 1300  Dazu



A. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse275

Im Hinblick auf die organisations- und verfahrensrechtlichen Vorgaben bleibt es grundsätzlich bei den allgemeinen Anforderungen. Eine besondere Bedeutung kommt allerdings der Begründung zu.1302 Der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten im Bereich von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen ist nach geltender Rechtslage grundsätzlich nur zulässig, soweit sichergestellt werden kann, dass die wesentlichen fehlerfreien Erwägungen in einer Begründung angegeben oder zumindest im (verwaltungsinternen) Vorgang dokumentiert werden können. Allerdings ist der Einsatz von Textbausteinen zulässig, wenn der Spielraum im Vorfeld generalisiert ausgeübt wird. Dieses tendenziell automationsfreundliche Ergebnis der rechtlichen Analyse wird aus einer rechtstheoretisch-technischen Perspektive bestätigt. Es zeigt sich, dass die Automation anhand antizipiert festgelegter Parameter im Grundsatz realisierbar ist.1303 Hierfür lassen sich regelbasierte Algorithmen einsetzen und Entscheidungen mit einer aus Textbausteinen bestehenden Begründung versehen. Auch dürfte es in einigen Bereichen gelingen bestimmte atypische Konstellationen zur personalen Bearbeitung auszusteuern. b) Einzelfallumstände berücksichtigende Spielraumausübung Den 3. Bereich stellen die Verwaltungsverfahren dar, bei denen regelmäßig eine Vielzahl heterogener, sich dynamisch wandelnder Einzelfallumstände berücksichtigt werden müssen oder zumindest nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden kann, dass atypische Fälle eine Berücksichtigung individueller Umstände erfordern können, ohne dass eine Aussteuerung zuverlässig möglich ist. Auch in diesem Bereich ist der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten nicht bereits aus allgemeinen spielraumspezifischen Gründen ausgeschlossen. Jedoch schließt die Begrenzungsfunktion der §§ 35a VwVfG, 31a S. 1 SGB X, 155 Abs. 4 AO den vollständig automatisierten Erlass aus.1304 Bereits im Hinblick auf die Binnensystematik des § 35a VwVfG erschöpft sich dessen Begrenzungswirkung allerdings im Erstarken des dort ohnehin vorgesehenen Rechtssatzvorbehalts zu einem formellen Gesetzesvorbehalt. Betrachtet man die gesamte Rechtsordnung, kommt den §§ 35a VwVfG, 31a S. 1 SGB X, 155 Abs. 4 AO diesbezüglich keine eigenständige Bedeutung zu. Bereits aus dem Vorbehalt des Gesetzes ergibt sich, dass der Einsatz von Algorithmen zur besonderen Berücksichtigung von Umständen des Einzelfalls einer vorherigen Zulassung durch ein Parlamentsgesetz bedarf.1305 Dabei kann der Gesetzgeber einzelne Verfahrensbereiche bzw. kon1302  Dazu

unter unter 1304  Dazu unter 1305  Dazu unter 1303  Dazu

3. Teil B. 3. Teil C. 3. Teil A. 3. Teil B.

II. 2. II. 1. II. 1. I. 2.

276

4. Teil: Resümee

krete Verfahren für eine solche Automation freigeben oder aber eine grundsätzliche Entscheidung in den jeweiligen Verfahrensordnungen treffen. Eine solche spezialgesetzliche Regelung würde den §§ 35a VwVfG, 31a S. 1 SGB X, 155 Abs. 4 AO in jedem Fall vorgehen und ohne eine solche vorherige parlamentsgesetzliche Regelung wäre die Automation von vornherein unzulässig. Auch dieses restriktive Ergebnis wird durch rechtstheoretisch-technische Überlegungen bestätigt. Die automatisierte Durchführung von Verfahren, die auf eine Spielraumentscheidung gerichtet sind, bei der besondere Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind, dürfte nach dem aktuellen technischen Stand weitgehend ausgeschlossen sein.1306 Für die Berücksichtigung von Einzelfallumständen bieten sich regelbasierte Algorithmen nicht an. Auch die bestehenden Probleme beim Einsatz von ML-Algorithmen (insbesondere LLMs) dürften einer solchen Form der automatisierten Entscheidungsfindung kurz- bis mittelfristig entgegenstehen.

B. Rechtspolitische Betrachtung Unter Berücksichtigung dieser Untersuchungsergebnisse sollen die gesetzlichen Vorschriften zur Regelung der Verwaltungsautomation bezüglich ihrer Eignung, die zukünftige Entwicklung der Verwaltungsautomation normativ zu steuern, bewertet werden. Die Bewertung ist allerdings kein Selbstzweck, sondern dient als Grundlage, um gegebenenfalls auch rechtspolitischen Änderungsbedarf und korrespondierende Lösungsvorschläge herauszuarbeiten.

I. Rechtspolitische Bewertung der §§ 35a VwVfG, 31a SGB X, 155 Abs. 4 AO 1. Normative Steuerung der Verwaltungsautomation durch den Gesetzgeber Bedeutung und Funktion der §§ 35a VwVfG, 31a SGB X, 155 Abs. 4 AO erschließen sich insbesondere vor dem Hintergrund der Steuerungsfunktion des allgemeinen Verwaltungs- und des Verwaltungsverfahrensrechts. Das Recht insgesamt ordnet das gesellschaftliche Zusammenleben und nimmt steuernden Einfluss auf das Verhalten unterschiedlicher Akteure.1307 Beson1306  Dazu

unter 3. Teil C. II. 2. zum handlungstheoretischen Steuerungsbegriff beispielsweise Mayntz, in: Ellwein u. a., Jahrbuch, 89 (91 ff.); zu möglichen Grenzen rechtlicher Steuerung beispielsweise Voigt, in: Ders., Recht, 14 ff. 1307  Vgl.



B. Rechtspolitische Betrachtung277

ders anschaulich wird die Steuerungsfunktion in den Instrumenten direkter Verhaltenssteuerung, welche durch die Normierung von Ge- und Verboten unmittelbar ein bestimmtes Verhalten bewirken sollen.1308 Dementsprechende Regelungen finden sich im Verwaltungsrecht insbesondere in den einzelnen Fachgebieten des besonderen Teils.1309 Im Verwaltungsverfahrensrecht steht hingegen keine direkte, sondern eine indirekte oder mittelbare rechtliche Steuerungsleistung im Vordergrund.1310 Durch die Bereitstellung der notwendigen Instrumente und Regelungsmodelle steuert das Verfahrensrecht, auf welche Art und Weise die Verwaltung die Gesetze vollzieht und gegebenenfalls weitergehende Ziele verfolgt bzw. verfolgen kann.1311 Das Verfahrensrecht beschränkt sich aber nicht nur darauf, diejenigen Instrumente und Regelungsmodelle abzubilden, die dem Status quo der Verwaltungstätigkeit entsprechen, sondern es kann auch dazu dienen, die zukünftige Entwicklung der Verwaltungstätigkeit vorzuzeichnen.1312 Dabei sind prinzipiell zwei unterschiedliche Ansätze möglich. Es kann ein spezielles Gebiet des besonderen Verwaltungsrechts ausgewählt werden und dort können neue Instrumente und Ausgestaltungsmöglichkeiten erprobt werden. Bewähren sich diese im Referenzgebiet1313, kann über eine Übernahme in die allgemeinen Verfahrensordnungen nachgedacht werden. Geht man hingegen unmittelbar von einer allgemeinen Bedeutung aus, können entsprechende Instrumente und Ausgestaltungsmöglichkeiten auch direkt in die allgemeine Verfahrensordnung übernommen werden.1314 Im Hinblick auf diese Steuerungsaufgabe könnte man die Wirkung der §§  35a VwVfG, 31a SGB X, 155 Abs. 4 AO für begrenzt halten. Der vollständig automatisierte Erlass von Verwaltungsakten wurde auch vor deren Erlass bereits grundsätzlich für rechtlich zulässig gehalten.1315 Die diesbezügliche Wirkung der Vorschriften ist eher deklaratorisch. Eine völlig neue Art der Verfahrensausgestaltung stellen die §§ 35a VwVfG, 31a SGB X, 155 Abs. 4  1308  Eine Übersicht über unterschiedliche Typen rechtlicher Normierung im Steuerungskontext findet sich bei Kaufmann, in: Grimm/Maihofer, Gesetzgebungstheorie, 65 (78 f.). 1309  Schuppert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Reform, 65 (97). 1310  In diese Richtung auch Schuppert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Reform, 65 (98); Ziekow, NVwZ 2018, 1169 (1170). 1311  Schuppert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Reform, 65 (96 f.). 1312  Ziekow, NVwZ 2018, 1169 (1170); Schuppert, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann, Reform, 65 (70). 1313  Allgemein zur Idee der Referenzgebiete und mit konkreten Beispielen Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, S. 105 ff. 1314  Ziekow, Kooperationsverhältnisse, S. 110 bezeichnet das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht diesbezüglich als „innovationsleitendes Medium“. 1315  Dazu unter 1. Teil B. I.

278

4. Teil: Resümee

AO nicht bereit. Die Verwaltung hätte sich auch unabhängig von den neuen Vorschriften dafür entscheiden können, bestimmte Verfahren vollständig automatisiert durchzuführen. Insofern werden die neuen Vorschriften teilweise als deklaratorisch und überflüssig kritisiert.1316 Dagegen sprechen allerdings zwei wesentliche Gründe: a) Lenkung der Aufmerksamkeit auf die Verwaltungsautomation Erstens kommt den §§ 35a VwVfG, 31a SGB X, 155 Abs. 4 AO eine nicht zu unterschätzende aufmerksamkeitslenkende Wirkung zu.1317 Mittels Kodifizierung steuert der Gesetzgeber die Entwicklung der Verwaltung nicht nur durch normative Vorgaben, sondern lenkt als Nebenfolge auch die Aufmerksamkeit der Verwaltung und der Verwaltungsrechtswissenschaft auf bestimmte Bereiche.1318 Bereits dadurch gibt der Gesetzgeber einen möglichen Anstoß, in welche Richtung die Verwaltung sich zukünftig entwickeln könnte, ohne ein solches unmittelbar normativ anzuordnen. So hat der Erlass der §§ 35a VwVfG, 31a SGB X, 155 Abs. 4 AO dafür gesorgt, dass die Verwaltungsautomation nach mehreren Jahrzehnten wieder zum Gegenstand im verwaltungsrechtlichen Diskurs wurde1319 und die Verwaltung ihre Automatisierungsbemühungen wieder aufgenommen hat. Beispielsweise bei der internetbasierten Fahrzeugzulassung ist eine vollständige Automation bereits in großen Teilen umgesetzt und eine schrittweise Erweiterung geplant.1320 Auch in § 10a des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags (RBStV)1321 findet sich nunmehr die Möglichkeit, einen Rundfunkbeitragsbescheid vollständig automatisiert zu erlassen.1322 Insofern zeigt sich: Die Lenkung der Aufmerksamkeit durch NVwZ 2018, 353 (354 f.). weist beispielsweise Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (121 f.) hin; in diese Richtung auch Ziekow, NVwZ 2018, 1169 (1170). 1318  Diese Funktion sollte nicht unterschätzt werden U. Stelkens, in: Hill u.  a., 35. Jahre VwVfG, 271 (277 f.). 1319  Vgl. beispielsweise Guckelberger, Verwaltung, Rn.  405 ff.; Herold, Legitimation, S.  1 ff.; Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 ff. sowie die Vielzahl an weiteren aktuellen Nachweisen im Rahmen der vorangegangenen Ausführungen. 1320  BMVI, Internetbasierte Fahrzeugzulassung, abrufbar unter: https://www.bmvi. de/SharedDocs/DE/Artikel/StV/Strassenverkehr/internetbasierte-fahrzeugzulassung. html, Stand: 01.04.2023; eine rechtliche Einordnung findet sich bei Albrecht/Kehr/ Freigang, DAR 2019, 555 (557 ff.). 1321  Eingeführt mit Wirkung zum 01.06.2020 durch den 23. Rundfunkänderungsstaatsvertrag (RÄndStV) vom 10.12.2019. 1322  Guckelberger, DÖV 2021, 566 (571  f.) sowie VG Frankfurt, Urt. v. 09.09.2020 – 3 K 616/17, Juris Rn. 27 ff.; zur möglichen Rechtswidrigkeit eines vor Erlass des § 10a RBStV maschinell erstellten Rundfunkbeitragsbescheides. 1316  Stegmüller, 1317  Darauf



B. Rechtspolitische Betrachtung279

Normsetzung ist in der Lage, echte Änderungen anzustoßen. Die Signalwirkung der §§ 35a VwVfG, 31a SGB X, 155 Abs. 4 AO ist von eigenständiger Bedeutung und nicht zu unterschätzen. b) Verfassungsrechtliche Verantwortung des Gesetzgebers für die normative Steuerung der Verwaltungsautomation Zweitens korrespondiert mit der dem Gesetzgeber eröffneten Steuerungsmöglichkeit auch eine Steuerungsverantwortung. Es ist Teil der dem parlamentarischen Gesetzgeber verfassungsrechtlich zugewiesenen Funktion, die Verwaltungstätigkeit durch Gesetze normativ zu steuern.1323 Die Regelungsmöglichkeit kann sich nach Maßgabe des Vorbehalts des Gesetzes zu einer Regelungspflicht verdichten. Der allgemeine Vorbehalt des Gesetzes verlangt nicht nur für Eingriffe in Grundrechte, sondern auch für andere wesentliche Fragen eine parlamentsgesetzliche Grundlage. Dazu kann auch die Ausgestaltung von Verwaltungsverfahren gehören. Auch eine normative Grundentscheidung für die weiter fortschreitende vollautomatisierte Verfahrensdurchführung wäre zumindest mittelfristig erforderlich geworden.1324 In der Vergangenheit wurden insbesondere viele unechte Massenverfahren teilauto­ matisiert durchgeführt. Dabei handelt es sich um leicht standardisierbare Verfahren mit simpler Entscheidungsstruktur, denen regelmäßig keine oder nur eine geringe Grundrechtsrelevanz (z. B. im Bereich der Leistungsverwaltung) zukommt. Die automatisierte Durchführung dieser Verfahren ist bereits seit mehreren Jahrzehnten üblich und weitgehend unproblematisch verlaufen.1325 Für die Zukunft ist allerdings zu erwarten, dass die Automation der Verwaltungsverfahren fortschreiten und dabei insbesondere die Vollautomation relevant sein wird. Auch ist die Erstreckung auf tendenziell komplexere Sachbereiche in der Zukunft möglich. Die zunehmend automatisierte Durchführung von Verwaltungsverfahren betrifft dabei ganz grundsätzlich das Verhältnis von Staat und Bürger. Beispielsweise stellt sich die Frage, inwiefern die Bürger den zunehmend durch Algorithmen getroffenen Entscheidungen vertrauen und diese akzeptieren werden oder wie den individuellen Verfahrensrechten – beispielsweise dem Anhörungs- und Untersuchungsgrundsatz – in automatisierten Verfahren entsprochen werden kann. Auch in der Öffentlichkeit wird intensiv darüber diskutiert, in welchem Umfang Algorithmen in ganz unterschiedlichen Lebensbereichen eingesetzt werden sollen und 1323  Zu diesbezüglichen Möglichkeiten und Grenzen des Parlamentsgesetzes Schmidt-Aßmann, Ordnungsrecht, S. 161 ff. 1324  Dazu oben 1. Teil B. III. 1. a) bb). 1325  Britz, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen, Bd.  2, 2. Aufl., § 26 Rn. 16 ff.

280

4. Teil: Resümee

welche Chancen und Gefahren damit verbunden sind. Politisch bedeutsame Grundsatzfragen, insbesondere wenn sie den hoheitlichen Einsatz betreffen, sind nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern in einer repräsentativen Demokratie auch im Parlament zu verhandeln und letztlich zu entscheiden. Die Regelungen zur Vollautomation können insofern einen ersten Beitrag dazu leisten. Allerdings wäre eine umfassendere Neuregelung auch unter Einbezug der alten Vorschriften zu automatisiert erlassenen Verwaltungsakten (vgl. §§ 24 Abs. 1  S. 3, 28 Abs. 2  Nr. 4, 37 Abs. 5, 39 Abs. 2  Nr. 3  VwVfG, 31a S. 2, 33 Abs. 5, 35 Abs. 2 Nr. 3 SGB X, 91 Abs. 2 Nr. 4, 119 Abs. 3 S. 2 Hs. 2, 121 Abs. 2 Nr. 3, 150 Abs. 7, 155 Abs. 4 AO) wünschenswert gewesen. 2. Defizite bei der konkreten Ausgestaltung Die Regelungsbemühungen sind zwar allgemein zu begrüßen, die konkrete Ausgestaltung zumindest des § 35a VwVfG ist hingegen nur teilweise gelungen.1326 a) Erfordernis einer Zulassung durch Rechtsvorschrift Teilweise wird bereits der in § 35a VwVfG vorgesehene Rechtssatzvorbehalt als unnötige Behinderung der Automatisierungsbemühungen der Verwaltung kritisiert.1327 So sei die Verwaltung regelmäßig fachlich kompetenter, einzuschätzen, welche Verfahren sich für eine Automation eignen.1328 Allerdings dürfte das Anliegen, den Umfang der Automation auch über den Vorbehalt des Gesetzes hinaus normativ durch den Gesetz-, Verordnungs- oder Satzungsgeber zu steuern, grundsätzlich nachvollziehbar sein. Das Erfordernis einer Zulassung durch Rechtsvorschrift unterstreicht die Bedeutung der Entscheidung. Der Rechtsatzvorbehalt verdeutlicht, dass die Auswahl der Verfahren, die automatisiert durchzuführen sind, nicht leichtfertig erfolgen soll, sondern, dass die dafür und dagegen sprechenden Gründe umfassend abgewogen werden. Auch muss nicht auf die Expertise der Verwaltung verzichtet werden. Diese kann auch in einem Normerlassverfahren im aus­ reichenden Maße berücksichtigt werden. Darüber hinaus dürfte die Einschränkung weniger weit reichen als möglicherweise befürchtet. Es ist zumindest dem parlamentarischen Fachgesetzgeber unbenommen, auch ganze Bereiche für die automatisierte Durchführung zu öffnen und insofern vom in 1326  Ähnlich

Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (121 f.). insofern Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (355 f.); mit einer Erwiderung dazu Ziekow, NVwZ 2018, 1169 (1171). 1328  Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (355 f.). 1327  Kritisch



B. Rechtspolitische Betrachtung281

§ 35a VwVfG normierten Rechtssatzvorbehalt abzuweichen. So ist es beispielsweise für den Bereich der Steuerfestsetzung (vgl. § 155 Abs. 4 AO) sowie alle Verfahren nach dem SGB X (vgl. § 31a SGB X) bereits geschehen. Letztlich kommt dem Rechtssatzvorbehalt eine nachvollziehbare Funktion zu, ohne die Verwaltungsautomation unverhältnismäßig zu behindern. b) Bestehen eines Verwaltungsspielraums als Kriterium ungeeignet Problematisch ist hingegen, dass der Wortlaut des § 35a VwVfG nahelegt, dass sich die Auswahl der Verfahren, die automatisiert durchzuführen sind, am Bestehen oder Nichtbestehen eines Ermessens- oder Beurteilungsspielraums zu orientieren hat.1329 Nach den Ergebnissen dieser Untersuchung ist ein solcher Ansatz allerdings als untauglich abzulehnen. Verwaltungsspielräume sind grundsätzlich nicht dafür geeignet, zu bestimmen, inwiefern sich ein Verfahren für die automatisierte Durchführung eignet oder nicht.1330 Verwaltungsspielräume sind als Letztentscheidungsrechte der Verwaltung in einem Bereich tendenziell geringer gesetzlicher Determiniertheit zu verstehen.1331 Das Bestehen oder Nichtbestehen eines Verwaltungsspielraums entscheidet darüber, ob der Verwaltung oder der Verwaltungsgerichtsbarkeit das Letztentscheidungsrecht für eine bestimmte Entscheidung zustehen soll. Vor diesem Hintergrund besteht der wesentliche Unterschied zwischen Verwaltungsentscheidungen mit und ohne Spielraum in der unterschiedlichen Letztentscheidungskompetenz und den damit korrespondierenden unterschied­ lichen gerichtlichen Kontrollmodi. Wem das Letztentscheidungsrecht in einem bestimmten Bereich zusteht und in welchen Umfang eine Entscheidung später gerichtlich zu kontrollieren ist, dürfte allerdings unmittelbar keinen Einfluss darauf haben, ob sich ein Verfahren für eine automatisierte Durchführung eignet oder nicht. Korrespondierend mit diesem allgemeinem Einwand konnte im Rahmen dieser Untersuchung aufgezeigt werden, dass sich auch im Bereich von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen Verfahren finden lassen, die ohne wesentliche Probleme automatisiert durchgeführt werden können.1332 In dieser Hinsicht erweist sich die in § 35a VwVfG formulierte Einschränkung als 1329  Ähnlich Hähnchen u. a., JuS 2020, 625 (634), die den Bedarf „risikoadäquater Regelungen“ sehen; Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (121), der eine weitergehende normative Ausgestaltung vermisst und die Gefahr einer reinen „Signalgesetzgebung“ sieht. 1330  Kritisch auch Hähnchen u. a., JuS 2020, 625 (634); Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (357 f.). 1331  Dazu oben 2. Teil C. I. 2. c). 1332  Dazu oben 3. Teil A. I sowie C. II. 1.

282

4. Teil: Resümee

zu weit.1333 Dem konnte zwar auch nach der geltenden Rechtslage durch eine teleologische Reduktion abgeholfen werden,1334 vorzugswürdig dürfte es allerdings sein, den missglückten Wortlaut zu ändern. Möglicherweise war der Gesetzgeber beim Erlass von der verbreiteten Annahme ausgegangen, dass die Einräumung von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen insbesondere der Einzelfallgerechtigkeit diene und deshalb im besonderen Maße durch komplexe und einzelfallbezogene Abwägungsund Wertungsentscheidungen geprägt werde. Entgegen dieser Einschätzung handelt es sich dabei aber nicht um eine Besonderheit der Ermessens- und Beurteilungsspielräume. Die Gewährung eines Verwaltungsspielraums dient insbesondere dazu, der Verwaltung ein zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendiges Maß an Flexibilität einzuräumen.1335 Diese Flexibilität kann die Verwaltung dazu nutzen, um angemessen auf besondere Umstände des Einzelfalls zu reagieren. Noch wichtiger dürfte es allerdings sein, dass der Verwaltung dadurch die Möglichkeit gegeben wird, übergeordnete Ziele zu verfolgen, entsprechende Konzepte zu entwickeln und ihre Entscheidungen sodann daran auszurichten.1336 Die eingeräumte Flexibilität gibt der Verwaltung sowohl die Möglichkeit, sich dem Einzelfall zuzuwenden, als auch vom jeweiligen Einzelfall zu abstrahieren. Nur letztere Funktion dürfte charakteristisch für die Einräumung von Verwaltungsspielräumen sein. Besondere Umstände des Einzelfalls lassen sich hingegen gleichermaßen auch bei der Auslegung und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ohne eingeräumten Spielraum berücksichtigen. Allein aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit, dürfte die Einräumung eines Spielraums nicht erforderlich sein. Diese lässt sich auch durch richterliche Rechtsanwendung und mit den Mitteln juristischer Methodik herstellen. Auch im Bereich der gebundenen Verwaltungstätigkeit sind teilweise äußerst komplexe und einzelfallbezogene Abwägungs- und Wertungsentscheidungen erforderlich.1337 Im Rahmen dieser Untersuchung konnte festgestellt werden, dass sich auch solche Entscheidungen nicht für eine Automation eignen.1338 In dieser Hinsicht ist der in § 35a VwVfG nominierte Ausschluss zu eng, da er eine Vielzahl von zur Automation ungeeigneten Verfahren unberücksichtigt lässt.1339

1333  In diese Richtung auch Hähnchen u. a., JuS 2020, 625 (635); U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (111 f.); Ziekow, NVwZ 2018, 1169 (1171). 1334  Dazu oben 3. Teil A. II 1. a) bb) (3). 1335  Dazu oben 2. Teil C. I. 2. c) aa) (2). 1336  Dazu bereits ausführlicher unter 2. Teil C. I. 2. c) aa) (2). 1337  Hähnchen u. a., JuS 2020, 625 (635); speziell zum Baugenehmigungsverfahren Roth-Isigkeit, NVwZ 2022, 1253 (1255). 1338  Dazu 3. Teil C. II. 3.



B. Rechtspolitische Betrachtung283

Letztlich erweist sich das Kriterium der Verwaltungsspielräume als insgesamt untauglich, um die Grenze zu bestimmen, welche Verfahren sich für eine automatisierte Durchführung eignen und welche nicht. Das Bestehen eines Verwaltungsspielraums ist allenfalls ein erstes Indiz und keinesfalls ein abschließendes Kriterium zur Bestimmung der Automationseignung. Daraus folgt die rechtspolitische Forderung, den in § 35a VwVfG vorgesehenen Ausschluss des vollständig automatisierten Verwaltungsakterlasses beim Bestehen eines Beurteilungs- oder Ermessensspielraums abzuschaffen. c) Alternative: Abgrenzung der Eignung anhand der Komplexität Als Alternative könnte auf die Komplexität der Entscheidungsfindung als Grenze der Automatisierbarkeit abgestellt werden. Auch nach den Ergebnissen dieser Untersuchung1340 hängt die technische Eignung eines Verfahrens für die automatisierte Durchführung insbesondere von der Komplexität der Entscheidungsstruktur und der Typisierbarkeit der zugrunde liegenden Sachverhalte ab. Einfach gelagerte Entscheidungen mit regelmäßig wiederkehrenden Sachverhaltskonstellationen eignen sich in besonderer Weise für die Automation.1341 Die Berücksichtigung vielfältiger insbesondere atypischer Umstände des Einzelfalls und die Durchführung komplexer Abwägungen dürften hingegen gegen eine Automatisierbarkeit sprechen.1342 Auf der anderen Seite hängt die Automatisierbarkeit einer Entscheidungsfindung in technischer Hinsicht zwar maßgeblich – aber nicht allein – von der Typisierbarkeit und der Komplexität der zu berücksichtigenden Umstände ab. Es spielt auch eine entscheidende Rolle, in welchem Umfang benötigte Daten ermittelt werden können und welche Art von Daten für die Entscheidungsfindung benötigt wird. So ist es beispielsweise denkbar, Algorithmen für die intelligente Steuerung des Verkehrs einzusetzen.1343 Dabei geht es insbesondere um die koordinierte und an die Verkehrslage in Echtzeit angepasste Steuerung von Lichtzeichen- und Verkehrsbeeinflussungsanlagen.1344 Entsprechende Entscheidungen dürften äußerst komplex sein und dennoch – oder sogar deswegen – eignen sich Algorithmen in besonderer Weise da1339  In diese Richtung auch Berger, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 35a Rn. 48 f.; Guckelberger, Verwaltung, Rn. 438; v. Harbou, JZ 2020, 340 (343); Windoffer, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 35a Rn. 29. 1340  Dazu ausführlich oben unter 3. Teil C. 1341  Dazu insbesondere unter 3. Teil C. I. 1. und II. 1. 1342  Dazu insbesondere unter 3. Teil C. II. 2. u. 3. 1343  Etscheid/v. Lucke/Stroh, KI, 2020, S. 42 f.; Hermstrüwer, AöR 145 (2020), 479 (480); Wischmeyer, in: Ebers u. a.; KI, 612 (Rn. 29 ff.). 1344  Wischmeyer, in: Ebers u. a., KI, 612 (Rn. 29 f.).

284

4. Teil: Resümee

für.1345 Die relevanten Sachverhaltsinformationen dürften sich regelmäßig durch numerische Daten abbilden lassen und die Entscheidungsfindung an sich kann als mathematisches Optimierungsproblem verstanden werden. Die tatsächliche und rechtliche Komplexität der Entscheidungsfindung bestimmt nicht allein über die Automationseignung. Auch ist zu berücksichtigen, dass sich die technischen Möglichkeiten laufend ändern. Dinge, die heute noch unmöglich erscheinen, werden in der Zukunft möglich sein. Diesem technischen Fortschritt kann aber nicht entsprochen werden, wenn die Komplexität der Entscheidungsfindung unabhängig von den sich ändernden technischen Möglichkeiten als allgemein geltende Grenze der Automation festgelegt wird. Insgesamt ist auch der Versuch, die Automationseignung von der Komplexität der Entscheidungsfindung und des zu Grunde liegenden Sachverhalts abhängig zu machen, nicht überzeugend. Vorzugswürdig dürfte ein flexiblerer Ansatz sein, der die konkreten Verfahren, die automatisiert durchgeführt werden sollen, stärker in den Blick nimmt. d) Zwischenergebnis: Beurteilung der Eignung im Hinblick auf konkretes Verfahren Soweit ersichtlich fehlt es an einer überzeugenden Möglichkeit, die Grenze der Automation auf abstrakt-genereller Ebene festzulegen. Es hängt vielmehr von dem konkret automatisiert durchzuführenden Verfahren und dessen Kontext ab, welche Kriterien zu berücksichtigen und wie diese zu gewichten sind. So lässt sich teilweise nicht einmal eindeutig bestimmen, ob ein bestimmtes Kriterium für oder gegen eine automatisierte Durchführung spricht, sondern es kommt auf das konkrete Verfahren an. Beispielsweise erschwert die Komplexität der Entscheidungsfindung zwar regelmäßig die Automatisierbarkeit, ausnahmsweise kann sie aber auch für eine automatisierte Entscheidungsfindung sprechen, wenn Algorithmen besser als menschliche Amtswalter in der Lage sind die Komplexität zu bewältigen (z. B. komplexe Berechnungen oder die Auswertung großer Datenmengen).1346 Der Aspekt einer möglichst ökonomischen Verfahrensdurchführung dürfte zwar regelmäßig für die automatisierte Durchführung sprechen. In anderen Konstellationen können die erforderlichen Entwicklungs- und Unterhaltungskosten aber auch die Personal- und Sachkosten einer konventionellen Verfahrensdurchführung übersteigen.

in: Ebers u. a., KI, 612 (Rn. 29 f.). die Bewertung bei Wischmeyer, in: Ebers u. a., KI, 612 (Rn. 34).

1345  Wischmeyer, 1346  Ähnlich



B. Rechtspolitische Betrachtung285

Auch wenn man auf die gesetzliche Normierung weitergehender Kriterien zur Bestimmung der Automationseignung verzichtet, fehlt es diesbezüglich nicht an rechtlichen Maßstäben. So sind beim automatisierten Erlass von Verwaltungsakten die allgemeinen Anforderungen an Verwaltungsakte – insbesondere der Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes und die Verfahrensrechte der beteiligten Bürger – zu berücksichtigen. So setzt die Eignung zur automatisierten Verfahrensdurchführung insbesondere voraus, dass die ver­ fahrensrechtlichen Vorgaben unter besonderer Berücksichtigung der §§ 24 Abs. 1 S. 3, Abs. 4, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG eingehalten werden können. Auch die technische Machbarkeit der automatisierten Entscheidungsfindung ist als ungeschriebene äußerste Grenze der rechtlichen Zulässigkeit unabhängig von einer ausdrücklichen Normierung zu berücksichtigen. Eine Automation kommt nur in Betracht, wenn sich die Entscheidungsfindung überhaupt in einem Algorithmus abbilden lässt.1347 Der Versuch, diese allgemeine Anforderung auf der abstrakt-generellen Ebene eines Gesetzes automationsspezifisch zu konkretisieren, dürfte hingegen regelmäßig dazu führen, einen aus technischer Perspektive zu weitgehenden und unflexiblen Ausschluss festzulegen. Insgesamt ist es vorzugswürdig, die Beurteilung, welche Verfahren sich für die automatisierte Durchführung eignen, der Konkretisierung durch den Gesetz-, Verordnungs- oder Satzungsgeber im Rahmen der ohnehin erforder­ lichen Zulassungsentscheidung zu überlassen und auf eine weitergehende gesetzliche Regelung zu verzichten.

II. Änderung der verfahrensrechtlichen Spezialregelungen Die verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Durchführung eines Verwaltungsverfahrens gelten grundsätzlich unabhängig davon, ob das Verfahren automatisiert oder personal durchgeführt wird. Von besonderer Bedeutung für die automatisierte Verfahrensdurchführung sind insbesondere der Untersuchungsgrundsatz, das Anhörungsrecht sowie die Begründungspflicht. Das berücksichtigt auch bereits die geltende Rechtslage durch entsprechende Spezialvorschriften (§§ 24 Abs. 1 S. 3, 28 Abs. 2 Nr. 4, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG, 35 Abs. 2 Nr. 3 SGB X, 91 Abs. 2 Nr. 4, 121 Abs. 2 Nr. 3, 150 Abs. 7 AO). Insofern ist zu überprüfen, ob eine Änderung dieser Vorschriften rechtspolitisch angezeigt ist. Zuvor soll allerdings noch kurz darauf eingegangen werden, wie mit den Vorschriften zum Absehen von der Namenswiedergabe und der Verwendung von Schlüsselzeichen umzugehen ist.

1347  So

auch Eifert, E-Government, S. 126.

286

4. Teil: Resümee

1. Absehen von Namenswiedergabe und Verwendung von Schlüsselzeichen Das Absehen von der Namenswiedergabe (§§ 37 Abs. 5 S. 1 VwVfG, 33 Abs. 5 S. 1 SGB X, § 119 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 AO) sowie das Verwenden von Schlüsselzeichen (§§ 37 Abs. 5 S. 2 VwVfG, 33 Abs. 5 S. 2 SGB X) hat heutzutage für die automatisierte Verwaltungsakterstellung keine praktische Bedeutung mehr.1348 Die Erleichterungen sollten den zum Normerlasszeitpunkt noch bestehenden eingeschränkten Kapazitäten der damaligen Großrechneranlagen Rechnung tragen.1349 Aufgrund begrenzter Speicherkapazitäten und langsamer Drucker sollte sowohl die Größe der Dateien als auch die Dauer des Ausdrucks in einem praktisch handhabbaren Maße gehalten werden.1350 Beim Einsatz moderner EDV-Anlagen stellen sich diese Probleme allerdings nicht, sodass Verwaltungsakte ohne Schlüsselzeichen und dafür mit Namenswiedergabe des zuständigen Behördenleiters automatisiert erstellt werden können.1351 Die Vorschriften haben sich insofern durch den technischen Wandel erledigt.1352 Die Ausnahmen sind zu streichen, da Ihnen keine Bedeutung mehr zukommt. 2. Untersuchungsgrundsatz im Bereich automatisierter Verfahrensdurchführung Beim Erlass eines Verwaltungsaktes ist der Untersuchungsgrundsatz zu beachten. Die Behörde hat von Amts wegen den Sachverhalt zu ermitteln, bevor sie ihre Entscheidung trifft (§§ 24 Abs. 1 S. 1 VwVfG, 20 Abs. 1 S. 1 SGB X, 88 Abs. 1 S. 1 AO)1353 und dabei bestimmt sie Art und Umfang der erforderlichen Ermittlungen (§§ 24 Abs. 1 S. 2 VwVfG, 20 Abs. 1 S. 2 SGB X, 88 Abs. 2 AO).1354 Diese Maßgaben gelten auch, wenn ein Verwaltungsakt automatisiert erlassen wird.1355 Aus der automatisierten Verfahrens1348  Dazu

bereits unter 1. Teil B. III. 2. a) aa). Binder, DÖV 2016, 891 (895). 1350  Mit weitergehenden Ausführungen U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 37 Rn. 130 ff. und § 39 Rn. 97. 1351  Mit weitergehenden Ausführungen U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 37 Rn. 130 f. und § 39 Rn. 97. 1352  Braun Binder, DÖV 2016, 891 (895); Skrobotz, Verwaltungsverfahren, S. 171 für die Namenswiedergabe; U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 37 Rn. 130 f. 1353  Kallerhoff/Fellenberg, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 24 Rn. 5; für weitergehende Ausführungen vgl. Spilker, Amtsermittlung, S.  67 ff. 1354  Kallerhoff/Fellenberg, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 24 Rn. 5; für weitergehende Ausführungen vgl. Spilker, Amtsermittlung, S.  94 ff. 1355  BT-Drs. 18/8434, S. 122; H. Schmitz/Prell, NVwZ 2016, 1273 (1277); U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (116 f.). 1349  Braun



B. Rechtspolitische Betrachtung287

durchführung ergeben sich allerdings insbesondere zwei wesentliche Herausforderungen für den Untersuchungsgrundsatz: a) Gefahr, einzelfallbezogene Angaben nicht zu berücksichtigen So besteht zunächst die Gefahr, dass einzelfallbezogene Angaben der Beteiligten nicht berücksichtigt werden können (z. B. weil die automatisierte Sachverhaltserfassung mit Hilfe eines Formulars für nicht vorhergesehene, atypische Angaben keine Eingabemöglichkeit vorsieht). Der insofern unvollständig oder unrichtig ermittelte Sachverhalt kann sodann auch eine inhaltlich unrichtige Entscheidung bedingen. Besteht ein Verwaltungsspielraum, führt bereits die fehlerhafte Sachverhaltsermittlung an sich zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung.1356 Um dem Risiko der fehlerhaften Sachverhalts­ ermittlung entgegenzuwirken, stellen die §§ 24 Abs. 1 S. 3 VwVfG, 31a S. 2 SGB X klar, dass die Behörde „für den Einzelfall bedeutsame tatsächliche Angaben des Beteiligten […], die im automatischen Verfahren nicht ermittelt würden“ berücksichtigen muss.1357 Auch in der AO findet sich mit § 155 Abs. 4 S. 3 AO eine vergleichbare, aber konkretere Regelung.1358 Aus den Spezialregelungen ergeben sich zwei Anforderungen an die automatisierte Verfahrensdurchführung: Zunächst muss den Beteiligten auch im automatisierten Verfahren die Möglichkeit gegeben werden, die tatsächlichen Besonderheiten ihres Falles vorzubringen. Im Besteuerungsverfahren ist dafür gem. § 155 Abs. 4 S. 3 AO ausdrücklich ein qualifiziertes Freitextfeld vorgesehen, in dem der Steuerpflichtige tatsächliche Angaben machen kann. Aber auch im Anwendungsbereich des VwVfG und des SGB X dürfte regelmäßig ein Freitextfeld eingesetzt werden. Im zweiten Schritt müssen die tatsächlichen Angaben auch Berücksichtigung finden. Dafür ist die Aussteuerung aus dem automatisierten Verfahren erforderlich. Erweist sich der Vortrag allerdings als nicht bedeutsam, ist auch eine Rückführung in das automatisierte Verfahren möglich.1359 Andernfalls wird die Entscheidung durch einen menschlichen Sachbearbeiter getroffen. Aus einer rechtspolitischen Perspektive könnte man die Vorschriften möglicherweise für deklaratorisch oder sogar überflüssig halten. Bedeutsame Angaben, d. h. tatsächliche Angaben, die für die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts im konkreten Verfahren erheblich sind,1360 müssen grundsätz1356  Dazu

bereits oben unter 2. Teil B. II. 3. a) und 2. Teil B. III. 4. und zum Folgenden ausführlicher unter 1. Teil B. III. 2. b) aa). 1358  Dazu und zum Folgenden ausführlicher unter 1. Teil B. III. 2. b) bb). 1359  Das gilt auch für § 155 Abs. 4 S. 3 AO, vgl. dazu unter 1. Teil B. III. 2. b) bb). 1360  Vgl. für diese Defintion Kallerhoff/Fellenberg, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 24 Rn. 57e. 1357  Dazu

288

4. Teil: Resümee

lich unabhängig von der automatisierten Verfahrensdurchführung von Amts wegen ermittelt und auch berücksichtigt werden. Allerdings bestimmt die Behörde nach ihrem Ermessen auch über Umfang und Grenzen der erforderlichen Ermittlungen (§§ 24 Abs. 1 S. 2 VwVfG, 20 Abs. 1 S. 2 SGB X, 88 Abs. 2 AO). Insofern stellen die Vorschriften klar, dass die automatisierte Verfahrensdurchführung per se kein Grund ist, die Sachverhaltsaufklärung auf formularmäßig erfassbare Angaben einzuschränken. Dass dabei insbesondere der Sachvortrag der Beteiligten zu berücksichtigen ist, hat den weitergehenden Effekt, dass so gleichzeitig der Anhörungspflicht (§§ 28 Abs. 1 VwVfG, 24 Abs. 1 SGB X, 91 Abs. 1 S. 1 AO) genügt wird.1361 Auf der anderen Seite enthalten die Spezialregelungen implizit auch eine Einschränkung des Untersuchungsgrundsatzes.1362 Auch in automatisiert durchgeführten Verfahren gilt die behördliche Aufklärungspflicht nicht grenzenlos. Vielmehr treffen die Beteiligten Mitwirkungsobliegenheiten. Grundsätzlich darf die Behörde davon ausgehen, dass keine weiteren Angaben mehr zu erwarten sind, wenn die Beteiligten von der ihnen eingeräumten Möglichkeit, einzelfallbezogene Angaben vorzubringen, keinen Gebrauch gemacht haben. Insgesamt normieren die §§ 24 Abs. 1 S. 3 VwVfG, 31a S. 2 SGB X, 150 Abs. 7, 155 Abs. 4 S. 3 AO eine angemessene und differenzierte Lösung, wie mit der Gefahr, einzelfallbezogene Angaben in automatisiert durchgeführten Verfahren nicht zu berücksichtigen, umzugehen ist. Eine inhaltliche Änderung ist nicht geboten. Allerdings ist es aus Gründen der Einheitlichkeit vorzugswürdig, den bisherigen Regelungsinhalt des § 31a S. 2 SGB X in einen neu einzufügenden § 20 Abs. 1 S. 3 SGB X zu verschieben, sodass sich die Regelungen zum Untersuchungsgrundsatz wie auch im VwVfG an einer einheitlichen Stelle im Gesetz befinden. b) Verlagerung der Sachverhaltsaufklärung auf die Beteiligten Eine weitere Herausforderung für den Untersuchungsgrundsatz im Bereich automatisiert durchgeführter Verfahren ist die faktische Verlagerung der Sachverhaltsaufklärung auf die Beteiligten.1363 In automatisiert durchgeführten Verfahren sind die Möglichkeiten der Sachverhaltsermittlung sehr begrenzt. Je nach Verfahrensart wird man teilweise zumindest auf externe Datenbanken oder auf bereits aus anderen Quellen elektronisch übermittelte Daten zurückgreifen können. Ganz überwiegend wird sich der Sachverhalt 1361  Braun Binder, DÖV 2016, 891 (896); ähnlich U. Stelkens, in: Hill/Kugelmann/Martini, Digitalisierung, 81 (118); a. A. wohl Guckelberger, DÖV 2021, 566 (574). 1362  Dazu ausführlicher unter 1. Teil B. III. 2. a) aa) (2). 1363  Dazu und zum Folgenden bereits unter 1. Teil B. III. 2. b) dd).



B. Rechtspolitische Betrachtung289

allerdings aus den in der Regel formularmäßig abgefragten Angaben der Beteiligten ergeben. In der Konsequenz ist die Behörde darauf angewiesen, den elektronisch übermittelten Angaben der Beteiligten im Grundsatz zu vertrauen. Die insofern resultierende Verlagerung der Sachverhaltsaufklärung auf die Beteiligten ist allerdings weder ein neues noch ein auf die automatisierte Verfahrensdurchführung beschränktes Phänomen. Vielmehr betrifft die Problematik die auf die formularmäßige Sachverhaltserfassung angewiesene Massenverwaltung insgesamt.1364 Allerdings könnte mit der zunehmenden automatisierten Verfahrensdurchführung die praktische Relevanz noch einmal steigen oder sich zumindest vermehrt auf die automatisierte Verfahrensdurchführung konzentrieren. Die beschriebene Verlagerung der Sachverhaltsaufklärung wird unter der Voraussetzung, dass die Verwaltung die Kontrollverantwortung übernimmt, überwiegend für rechtlich zulässig gehalten (= Verifikationsprinzip).1365 In unechten Massenverfahren darf die Verwaltung grundsätzlich den Angaben der Beteiligten vertrauen, solange sie durch ausreichende Stichproben wahrheitsgemäße Angaben veranlasst und im Einzelfall keine Anhaltspunkte für Zweifel vorliegen.1366 Dafür spricht entscheidend, dass auch das normativ Gewünschte am faktisch Machbaren orientiert bleiben muss, um eine reale Wirkung zu entfalten. Damit die Verwaltung auch in automatisiert durchgeführten Verfahren ihrer Kontrollverantwortung nachkommt, bietet sich der Einsatz von Risikomanagementsystemen an. Entsprechende Systeme können eingesetzt werden, um die notwendigen Stichprobenkontrollen zu organisieren und um zu überprüfen, ob im Einzelfall Anhaltspunkte für Zweifel vorliegen. Im Idealfall ist es so möglich, die begrenzten personellen und sachlichen Ressourcen möglichst effizient und dem Kontrollbedürfnis der einzelnen Fälle entsprechend zu steuern.1367 Eine explizite Regelung zum Einsatz von Risikomanagementsystemen findet sich nur in der AO (vgl. § 88 Abs. 5 AO). Im VwVfG und dem SGB X fehlt hingegen eine entsprechende Vorschrift. Auch ohne ausdrückliche Regelung dürfte der Einsatz von Risikomanagementsystemen 1364  E. Schmidt/Schmitt, FS Spindler, 529 (533 f.); allgemein zur notwendigen Begrenzung des Untersuchungsgrundsatzes (im Besteuerungsverfahren) auf ein realistisches Maß Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, Rz. 21.5 ff. sowie ders., STuW 2015, 315 (317 ff. m. w. N.) auch für kritische Stimmen. 1365  Baldauf, DStR 2016, 833 (836); E. Schmidt/Schmitt, FS Spindler, 529 (533 f.); Spilker, Amtsermittlung, S. 150; für vollautomatisiert erlassene Verwaltungsakte auch in anderen Fachbereichen Braun Binder, DÖV 2016, 891 (896). 1366  Spilker, Amtsermittlung, S. 131; speziell für den Bereich des Steuerrechts E. Schmidt/Schmitt, FS Spindler, 529 (533 f.); Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, Rz. 21.5 f. 1367  E. Schmidt/Schmitt, FS Spindler, 529 (534 f.); Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, Rz. 21.7.

290

4. Teil: Resümee

nicht ausgeschlossen sein. Allerdings wäre es sinnvoll, zumindest grund­ legende normative Vorgaben an entsprechende Systeme und deren Einsatz in den jeweiligen Verfahrensordnungen zu fixieren. Letztlich ist es die Aufgabe des Gesetzgebers, der Verwaltung die wesentlichen Instrumente für eine angemessene Verfahrensdurchführung bereitzustellen und dabei auch die zukünftige Entwicklung zu berücksichtigen. Dazu gehört im Bereich automatisiert erlassener Verwaltungsakte auch der Einsatz von Risikomanagement­ systemen. Dementsprechend ist die Einführung einer dem §§ 88 Abs. 5 AO vergleichbaren Regelung in das VwVfG und das SGB X rechtspolitisch geboten.1368 Insofern könnte ein neuer § 24 Abs. 4 VwVfG bzw. § 20 Abs. 4 SGB X mit beispielsweise folgendem Inhalt eingefügt werden: „In automatisiert durchgeführten Verfahren kann die Behörde Risikomanagementsysteme einsetzen, um einzelne Verfahren nach dem fallspezifisch ermittelten Kontrollbedürfnis für eine weitergehende Überprüfung auszuwählen. Das Risikomanagementsystem muss mindestens folgende Anforderungen erfüllen: 1. die Gewährleistung, dass durch Zufallsauswahl eine hinreichende Anzahl von Fällen zur umfassenden Prüfung durch Amtsträger ausgewählt wird, 2. die Aussteuerung der als prüfungsbedürftig identifizierten Sachverhalte zur Prüfung durch Amtsträger, 3. die regelmäßige Überprüfung der Risikomanagementsysteme auf ihre Zielerfüllung. Einzelheiten der Risikomanagementsysteme dürfen nicht veröffentlicht werden, soweit dies den Einsatzzweck gefährden könnte.“

3. Möglichkeit, von der Anhörung abzusehen Die §§ 28  Abs. 2  Nr. 4  VwVfG, 91  Abs. 3  Nr. 4  AO1369 normieren die Möglichkeit, beim automatisierten Erlass eines Verwaltungsaktes von der Anhörung abzusehen. Die Vorschriften sind allerdings restriktiv anzuwenden.1370 Solange es technisch möglich ist, den Beteiligten auch in einem automatisierten Verfahren Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und diese Angaben sodann auch berücksichtigt werden können, besteht kein Grund, von der Anhörung abzusehen. Auch in den übrigen Fällen ist von der Ausnahmemöglichkeit nur äußerst restriktiv Gebrauch zu machen. Der automatisierte Erlass eines Verwaltungsaktes und möglicherweise damit einhergehende Rationalisierungseffekte reichen nicht aus, um ein Absehen von der

1368  So

auch Braun Binder, DÖV 2016, 891 (896). fehlt hingegen eine vergleichbare Ausnahmeregelung. 1370  Dazu und zum Folgenden bereits ausführlicher unter 1. Teil B. III. 2. a) cc). 1369  Im SGB X



B. Rechtspolitische Betrachtung291

Anhörung pauschal zu rechtfertigen.1371 Vielmehr ist auch das schutzwürdige Interesse des Beteiligten, angehört zu werden, zu berücksichtigen. Die Behörde hat im Rahmen der ihr zustehenden Ermessensentscheidung unter Berücksichtigung beider Aspekte sorgfältig zu prüfen, ob ausnahmsweise ein Absehen von der Anhörungspflicht gerechtfertigt ist. Über diese gebotene restriktive Anwendung hinaus wird der Anwendungsbereich der Vorschrift allerdings aus systematischen Gründen noch weiter eingeschränkt. Insofern ist die in den §§ 24 Abs. 1 S. 3 VwVfG, 150 Abs. 7, 155 Abs. 4 S. 3 AO normierte Pflicht, für den Einzelfall bedeutsame Angaben zu berücksichtigen, zu beachten. Um dieser Vorgabe zu genügen, ist es in automatisiert durchgeführten Verfahren erforderlich, den Beteiligten die Möglichkeit zu geben, die tatsächlichen Besonderheiten ihres Falles vorzubringen und dieses Vorbringen muss sodann auch – automatisiert oder personal – berücksichtigt werden. Werden die beiden Voraussetzungen erfüllt, wird der Beteiligte damit zugleich auch angehört.1372 Die Berücksichtigungspflicht dient nicht nur dem Untersuchungsgrundsatz, sondern erfüllt gleichzeitig auch die Anhörungspflicht. Ein Absehen von der Anhörung gem. §§ 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG, 91 Abs. 3 Nr. 4 AO scheitert unabhängig von der konkreten Normanwendung regelmäßig bereits an der gesondert normierten Berücksichtigungspflicht. Ein Anwendungsbereich für die Ausnahmevorschriften bleibt nur in den Konstellationen übrig, in denen die Berücksichtigungspflicht nicht einschlägig ist. Das ist lediglich der Fall, wenn für den Einzelfall bedeutsame Angaben nicht zu erwarten sind, insbesondere weil die entscheidungserhebliche Tatsachengrundlage bereits abschließend vorliegt. Allenfalls in einer solchen Konstellation kann dann nach Maßgabe der diesbezüglich herausgearbeiteten restriktiven Grundsätze gem. §§ 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG, 91 Abs. 3 Nr. 4 AO möglicherweise auch von einer Anhörung abgesehen werden. Insgesamt zeigt sich, dass der Möglichkeit, von der Anhörung abzusehen, praktisch nur ein äußerst geringer Anwendungsbereich zukommt. Ein Absehen von der Anhörung ist auch im Bereich der automatisierten Verfahrensdurchführung ganz überwiegend weder sinnvoll noch rechtlich möglich. Dementsprechend dürfte es rechtspolitisch vorzugswürdig sein, den Gesetzeswortlaut an dieses Ergebnis anzupassen und die Regelbeispiele (§§ 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG, 91 Abs. 3 Nr. 4 AO) zu streichen. Auch nach der neuen Rechtslage wäre ein Absehen von der Anhörung in automatisiert durchgeführten Verfahren nicht völlig ausgeschlossen. Wenn ein solches nach den 1371  Kallerhoff/Mayen, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 28 Rn. 62; Polomski, Verwaltungsakt, S.  139 f.; Ramsauer, in: Kopp/ders., VwVfG, § 28 Rn. 69; ähnlich Hermann, in: BeckOK, VwVfG, § 28 Rn. 39. 1372  Dazu bereits oben unter 1. Teil B. III. 2. b) cc).

292

4. Teil: Resümee

Umständen des Einzelfalls ausnahmsweise geboten ist, kann durch den Rückgriff auf die Generalklausel gem. §§ 28 Abs. 2 VwVfG, 91 Abs. 2 AO weiterhin von der Anhörung abgesehen werden. 4. Möglichkeit, von einer Begründung abzusehen Als weitere Verfahrenserleichterung kann beim automatisierten Erlass eines Verwaltungsaktes gem. §§ 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG, 35 Abs. 2 Nr. 3 SGB X, 121 Abs. 2 Nr. 3 AO grundsätzlich von einer Begründung abgesehen werden. Insofern stellt sich die Frage, ob diese Befreiungsmöglichkeit auch aus heutiger Perspektive aufrechtzuerhalten oder eine Änderung rechtspolitisch angezeigt ist. Teilweise wird bereits von „tote[m]“ Recht ohne Anwendungsbereich ausgegangen und zumindest aus Klarstellungsgründen eine Aufhebung gefordert.1373 a) Technischer Wandel Für eine Aufhebung könnte zunächst sprechen, dass der Gesetzgeber zum Erlasszeitpunkt im Jahr 1977 von einem ganz anderen technischen Stand ausgegangen ist. Zu speichernde und auszudruckende Informationen sollten auf Grund der damaligen technischen Limitierungen – begrenzte Speicherkapazitäten der Großrechneranlagen und langsame Nadeldrucker – möglichst gering gehalten werden.1374 Heutzutage ist es allerdings technisch prinzipiell möglich, auch automatisiert erlassene Verwaltungsakte zumindest mittels Textbausteinen zu begründen. Insofern hat sich durch den technischen Wandel die ursprüngliche gesetzgeberische Intention erledigt.1375 Diesbezüglich dürfte es allerdings ausreichen, die Vorschrift einschränkend auszulegen und gegebenenfalls den Wortlaut an dieses Auslegungsergebnis anzupassen. Das Absehen von einer Begründung kommt nur in Betracht, wenn sich eine den Anforderungen der §§ 39 Abs. 1 VwVfG, 35 Abs. 1 SGB X, 121 Abs. 1 AO entsprechende Begründung in einem automatisierten Verfahren technisch nicht erstellen lässt.1376 Andernfalls gibt es keinen sachlichen Grund, um von einer Begründung abzusehen.

1373  Braun Binder, DÖV 2016, 891 (895); Guckelberger, Verwaltung, Rn.  525 f. fordert zur Klarstellung eine Abschaffung und U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 39 Rn. 97, geht von „tote[m]“ Recht aus. 1374  Dazu bereits oben insgesamt unter 1. Teil B. III. 2. a). 1375  Braun Binder, DÖV 2016, 891 (895); U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 39 Rn. 97. 1376  Dazu bereits oben unter 1. Teil B. III. 2. a) bb) (1).



B. Rechtspolitische Betrachtung293

b) Verfassungsrechtliche Verankerung der Begründungspflicht Für eine Aufhebung könnte aber auch sprechen, dass der automatisierte Erlass eines Verwaltungsaktes allein kein ausreichender Grund ist, um pauschal von einer Begründung abzusehen.1377 Es ist zu berücksichtigen, dass die Begründungspflicht nicht allein nach Maßgabe des einfachen Rechts (§§ 39 VwVfG, 35 SGB X, 121 AO) besteht, sondern auch im Verfassungsrecht verankert ist.1378 Der von einer staatlichen Entscheidung in seinen subjektiven Rechten betroffene Bürger hat grundsätzlich einen im Grundrechtsschutz sowie dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip verankerten Anspruch darauf, eine Begründung zu erhalten.1379 Allerdings darf die verfassungsrechtliche Verankerung der Begründungspflicht nicht überinterpretiert werden. Ein unbedingter Anspruch des Bürgers, in jeder Situation eine Begründung zu erhalten, lässt sich der Verfassung nicht entnehmen.1380 Vielmehr handelt es sich bei dem Erfordernis, eine Begründung anzugeben, um einen Grundsatz, der Ausnahmen zulässt und auch der gesetzgeberischen Ausgestaltung bedarf.1381 Der Verzicht auf eine Begründung ist möglich, soweit gleichwertige Positionen dies rechtfertigen.1382 Konkret im Hinblick auf den automatisierten Erlass von Verwaltungsakten ist zu berücksichtigen, dass auch die effiziente Durchführung von Verwaltungsverfahren, beispielsweise durch den Einsatz von Algorithmen, verfassungsrechtlich verankert ist.1383 Der Gedanke der effizienten Aufgabenerfüllung ist insofern grundsätzlich dazu geeignet, die Begründungspflicht einzuschränken.1384 Freilich kann nicht davon ausgegangen werden, dass jedweder, noch so geringe Effizienzgewinn durch die automatisierte Durchführung pauschal oder auch nur im Regelfall ausreicht, um das schutzwürdige Inte­ resse, eine Begründung zu erhalten, zu überwiegen. Vielmehr ist bezüglich der konkret automatisiert durchzuführenden Verfahren eine Abwägung der

1377  Dazu

bereits ausführlichere Ausführungen unter 1. Teil B. III. 2. a) bb) (2). sehr ausführlichen Ausführungen zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen der Begründung Kischel, Begründung, S. 63 ff. 1379  BVerwG, DVBl. 1982, 198 (199); BVerfGE 99, 81 (189 ff.); 103, 142 (160 f.); U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 39 Rn. 2 f. 1380  Kischel, Begründung, S. 63 f. 1381  Kischel, Begründung, S. 171 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 254. 1382  Kischel, Begründung, S. 175. 1383  BVerfGE 44, 283 (289); BVerwGE 67, 206 (206); H. Schmitz, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, § 9 Rn. 76. 1384  Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art.  19 Abs. 4 Rn. 254; U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 39 Rn. 4. 1378  Mit

294

4. Teil: Resümee

sich gegenüberstehenden Positionen erforderlich.1385 Diesem Gedanken tragen auch die Ausnahmevorschriften bereits in der geltenden Fassung Rechnung. So ist als zusätzliche Voraussetzung für ein Absehen von der Begründung zu prüfen, ob „die Begründung nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist“ (vgl. §§ 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG, 35 Abs. 2 Nr. 3 SGB X, 121 Abs. 2 Nr. 3 AO). Insofern reicht auch nach geltender Rechtslage allein der automatisierte Erlass eines Verwaltungsaktes nicht aus, um von einer Begründung abzusehen. Eine Änderung der Vorschriften ist diesbezüglich nicht erforderlich, sondern die Ausnahmevorschriften sind lediglich restriktiv auszulegen und anzuwenden. c) Vertrauens- und akzeptanzfördernde Wirkung der Begründung Ein weiterer rechtspolitisch zu berücksichtigender Aspekt ist eine mögliche vertrauens- und akzeptanzfördernde Wirkung der Begründung. In der juristischen Literatur wird teilweise gefordert, durch Algorithmen erstellte Entscheidungen und insofern auch automatisiert erlassene Verwaltungsakte zu begründen, um die Akzeptanz und das Vertrauen der Bürger in solche Entscheidungen zu stärken.1386 Der grundsätzlichen Idee, dass Begründungen ein geeignetes Mittel sein können, um das Vertrauen auch in automatisiert erstellte Entscheidungen zu steigern, ist zuzustimmen. Begründungen sorgen für Transparenz, indem sie die aus der Sicht des Entscheiders für die Entscheidung sprechenden Gründe offenlegen.1387 Nur so kann der Adressat eine Entscheidung wirklich nachvollziehen. Der Entscheidungsadressat wird eine Entscheidung in der Tendenz eher akzeptieren und auf dessen Richtigkeit vertrauen, wenn er die dafürsprechenden Gründe kennt und rational nachvollziehen kann.1388 Mittelbar könnte die gesteigerte Akzeptanz dazu führen, dass auch das allgemeine Vertrauen in das entscheidende Organ und insofern insbesondere in durch Algorithmen getroffene Entscheidungen gestärkt wird.1389

1385  Für eine sorgfältige Prüfung auch Guckelberger, Verwaltung, Rn. 525; Hufen/ Siegel, Fehler, Rn. 480. 1386  Guckelberger, Verwaltung, Rn. 522; Martini, JZ 2017, 1017 (1020); Wischmeyer, AÖR 143 (2018), 1 (58). 1387  Ludwigs/Velling, VerwArch 114 (2023), 71 (92); Martini, JZ 2017, 1017 (1020); Tiedemann, in: BeckOK, VwVfG, § 39 Rn. 1. 1388  Ausführlich dazu Kischel, Begründung, S. 52  ff.; U. Stelkens in: Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, § 39 Rn. 1; Tiedemann, in: BeckOK, VwVfG, § 39 Rn. 1, 3; Wischmeyer, AÖR 143 (2018), 1 (58). 1389  Guckelberger, Verwaltung, Rn. 522; Wischmeyer, AÖR 143 (2018), 1 (58).



B. Rechtspolitische Betrachtung295

Allerdings ist fraglich, ob daraus die Forderung abgeleitet werden sollte, jeden automatisiert erlassenen Verwaltungsakt zu begründen, oder ob nicht dennoch Ausnahmen denkbar und auch sinnvoll sind. So ist nach derzeitigem Stand bereits unklar, ob im Bereich der automatisiert erlassenen Verwaltungsakte überhaupt ein gesteigertes Bedürfnis nach vertrauens- und akzeptanzfördernden Maßnahmen besteht. Die empirische Frage, ob vom vermehrten hoheitlichen Algorithmeneinsatzes die Gefahr eines Akzeptanz- und Vertrauensverlustes ausgeht, ist soweit ersichtlich nicht geklärt. Dagegen könnte beispielsweise der in anderen Kontexten diskutierte Automation Bias sprechen.1390 So wird für bestimmte Fallkonstellationen diskutiert, ob Menschen beim unterstützenden Einsatz von Algorithmen zu sehr auf die Richtigkeit der durch Algorithmen erstellten Entscheidungsvorschläge vertrauen. Insofern wird die Befürchtung geäußert, dass menschliche Entscheider solche Vorschläge unkritisch übernehmen würden, da sie auf die (vermeintliche) Fehlerfreiheit der Algorithmen vertrauen.1391 Letztlich lässt sich die Frage, ob der vermehrte hoheitliche Einsatz von Algorithmen zu einem Vertrauensund Akzeptanzproblem führt oder im Gegensatz vielleicht sogar das Vertrauen in die Entscheidungsrichtigkeit gesteigert wird, nur durch entsprechende empirische Forschung klären. Diesbezüglich liegen aber noch keine gesicherten Erkenntnisse vor und solche dürften vermutlich auch nur bereichsspezifisch und kontextabhängig zu ermitteln sein. Allerdings ist im rechtswissenschaftlichen Diskurs überwiegend anerkannt, dass der Angabe einer Begründung zumindest generell, d. h. unabhängig von der Frage einer automatisierten Verfahrensdurchführung, eine akzeptanz- und vertrauensfördernde Funktion zukommt.1392 Das spricht dafür, zumindest in den überwiegenden Fällen auch automatisiert erlassene Verwaltungsakte mit einer Begründung zu versehen. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass es zwar nicht aufgrund der automatisierten Erstellung, aber mittelbar durch das dadurch ausgelöste Fehlen einer Begründung zu einem Akzeptanz- und Vertrauensproblem kommen könnte. Dem kann aber auch nach geltender ­ Rechtslage durch die gebotene restriktive Auslegung1393 der §§ 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG, 35 Abs. 2 Nr. 3 SGB X, 121 Abs. 2 Nr. 3 AO entsprochen werden. Eine vollständige Abschaffung der Befreiungsmöglichkeit dürfte hingegen nicht erforderlich sein.1394 So dürfte es auch immer wieder Kons1390  Vgl. mit einen systematischen Review dazu Lyell/Coiera, Journal of the American Medical Informatics Association 24 (2017), 423 ff. und Goddard/Roudsari/­ Wyatt, in: Borycki u. a., Health Informatics, 17 ff. 1391  Hermstrüwer, AöR 145 (2021), 479 (492); Tönsmeyer-Uzuner, Expertensysteme, S.  64 f. 1392  In diese Richtung auch Wischmeyer, AÖR 143 (2018), 1 (58). 1393  Dazu bereits oben 1. Teil B. III. 2. a) bb) (2). 1394  Anders Ludwigs/Velling, VerwArch 114 (2023), 71 (92).

296

4. Teil: Resümee

tellationen geben, in denen es nach einer Würdigung der gesamten Umstände trotz angenommener positiver Effekte der Begründung sinnvoll erscheint, auf diese zu verzichten, um den automatisierten Erlass zu ermöglichen. So können auch aus der Perspektive des einzelnen Bürgers die für die automatisierte Durchführung sprechenden Gründe den Nachteil einer fehlenden Begründung kompensieren. So ist es vorstellbar, dass das Fehlen einer Begründung durch den Vorteil einer deutlich verkürzten Wartezeit und der Möglichkeit, einen Antrag digital zu stellen, aufgewogen wird. Und auch von den allgemeinen Vorteilen einer effizienteren Verfahrensdurchführung profitieren letztlich alle Bürger.1395 Sei es durch finanzielle Einsparungen oder dadurch, dass sich die menschlichen Sachbearbeiter sodann auf einzelne Entscheidung konzentrieren und diese qualitativ besser bearbeiten können. Zumindest die Möglichkeit, in engen Grenzen von einer Begründung abzusehen, sollte aufrecht­ erhalten bleiben. d) Zwischenergebnis Im Ergebnis dürfte es vorzugswürdig sein, die in den §§ 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG, 35 Abs. 2 Nr. 3 SGB X, 121 Abs. 2 Nr. 3 AO vorgesehene Ausnahme von der Begründungspflicht nicht abzuschaffen, sondern lediglich moderat anzupassen.1396 Es empfiehlt sich zur Klarstellung darauf hinzuweisen, dass ein Absehen von der Begründung nur zulässig ist, sofern eine solche aus technischen Gründen nicht automatisiert erstellt werden kann. Die Neufassung der §§ 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG, 35 Abs. 2 Nr. 3 SGB X, 121 Abs. 2 Nr. 3 AO könnte beispielsweise lauten: „wenn die Behörde […] Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen ohne die Möglichkeit, eine Begründung automatisiert zu erstellen, erlässt und die Begründung nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist;“

Darüber hinaus ist die Ausnahmemöglichkeit auch in dieser neuen Fassung restriktiv auszulegen, sodass im Regelfall auch beim automatisierten Erlass von Verwaltungsakten eine Begründung erforderlich ist. Das ist so lange ohnehin unproblematisch, wie sich die Begründung in einem automatisierten Verfahren durch Algorithmen erstellen lässt. Lässt sich eine solche Begründung aus technischen Gründen nicht verwirklichen, kann geprüft werden, ob überwiegende Gründe eine Ausnahme rechtfertigen. Andernfalls ist die automatisierte Verfahrensdurchführung auch nach geltender und diesbezüglich beizubehaltender Rechtslage ausgeschlossen.

1395  So

auch allgemein Ludwigs/Velling, VerwArch 114 (2023), 71 (95). symbolischen Gründen für eine Abschaffung plädierend hingegen Guckelberger, Verwaltung, Rn. 526. 1396  Aus



C. Ausblick297

5. Zusammenfassung der Änderungsvorschläge Bezüglich der verfahrensrechtlichen Anforderungen, die für automatisiert erlassene Verwaltungsakte gelten, sind zusammengefasst folgende gesetzlichen Änderungen geboten: 1. Die in den §§ 37 Abs. 5 S. 1, 2 VwVfG, 33 Abs. 5 S. 1, 2 SGB X, § 119 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 AO vorgesehenen Möglichkeiten von der Namenswiedergabe abzusehen und Schlüsselzeichen zu verwenden sind zu streichen. 2.  Der Regelungsinhalt des § 31a S. 2 SGB X ist in den neu einzufügenden § 20 Abs. 1 S. 3 SGB X zu verschieben. 3.  Bezüglich des Einsatzes von Risikomanagementsystemen sind ein neuer § 24 Abs. 4 VwVfG und ein neuer § 20 Abs. 4 SGB X mit folgendem Inhalt einzufügen: „In automatisiert durchgeführten Verfahren kann die Behörde Risikomanagementsysteme einsetzen, um einzelne Verfahren nach dem fallspezifisch ermittelten Kontrollbedürfnis für eine weitere Überprüfung auszuwählen. Das Risikomanagementsystem muss mindestens folgende Anforderungen erfüllen: 1.  die Gewährleistung, dass durch Zufallsauswahl eine hinreichende Anzahl von Fällen zur umfassenden Prüfung durch Amtsträger ausgewählt wird, 2. die Aussteuerung der als prüfungsbedürftig identifizierten Sachverhalte zur Prüfung durch Amtsträger, 3. die regelmäßige Überprüfung der Risikomanagementsysteme auf ihre Zielerfüllung. Einzelheiten der Risikomanagementsysteme dürfen nicht veröffentlicht werden, soweit dies den Einsatzzweck gefährden könnte. 4. Die in den §§ 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG, 91 Abs. 3 Nr. 4 AO vorgesehene Möglichkeit, von der Anhörung abzusehen, ist zu streichen. 5. Die §§ 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG, 35 Abs. 2 Nr. 3 SGB X, 121 Abs. 2 Nr. 3 AO sind wie folgt neu zu fassen: „wenn die Behörde […] Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen ohne die Möglichkeit, eine Begründung automatisiert zu erstellen, erlässt und die Begründung nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist;“.

C. Ausblick: Umbau des Legitimations- und Kontrollsystems Zum Abschluss soll noch ein kurzer Ausblick auch in die fernere Zukunft gewagt werden: Es ist zu erwarten, dass der Verwaltung weiterhin eine Vorreiterrolle bei der Automation staatlicher Tätigkeit zukommen wird. Anders als beispiels-

298

4. Teil: Resümee

weise in der Justiz kann die Verwaltung einzelne, konkrete Verfahren oder Geschäftsprozesse für die Automation auswählen und insofern deutlich selektiver vorgehen. Besonders vielversprechend dürfte eine hybride Art der Verfahrensdurchführung sein. Die regelmäßig auftretenden und leicht standardisierbaren Konstellationen werden anhand vorher festgelegter Parameter automatisiert entschieden und die komplexeren Konstellationen können zur personalen Bearbeitung ausgesteuert werden. Eine solche Automation hat den Vorteil, dass die menschlichen Sachbearbeiter von monotonen Aufgaben entlastet werden und sich deshalb auf komplexere Verfahren konzentrieren können. Allerdings hat die Untersuchung auch gezeigt, dass Bereiche der Verwaltungstätigkeit existieren, in denen eine Automation kurz- bis mittelfristig überwiegend nicht möglich sein wird. Langfristig könnte sich allerdings auch dieser Befund ändern. Dabei ist nicht nur der technische Fortschritt, sondern auch ein möglicher rechtlicher Wandel zu berücksichtigen. Es bestehen wechselseitige Beziehungen zwischen den rechtlichen Anforderungen und den rechtstheoretisch-technischen Möglichkeiten im Bereich des hoheitlichen Algorithmeneinsatzes.1397 So bilden die zunächst ermittelten normativen Anforderungen die notwendige Grundlage für die spätere Analyse der rechtstheoretisch-technischen Eignung bestimmter Verwaltungsentscheidungen für eine Automation, die diesen Anforderungen genügt. Gleichzeitig wirken die dabei gefundenen Ergebnisse wiederum ins Recht hinein. Zum einen sind Erkenntnisse über den technischen Fortschritt auch im Rahmen einer dynamischen Interpretation von Rechtssätzen zu berücksichtigen. Zum anderen kann das Recht auf der Grundlage solcher Erkenntnisse auch rechtspolitisch gestaltet werden.1398 Insbesondere letzterer Aspekt dürfte langfristig an Bedeutung gewinnen. In der Zukunft könnten deutlich autonomer agierende, aber auch leistungsstärkere Algorithmenmodelle einsatzbereit sein. Entsprechende Algorithmen können möglicherweise auch für solche Entscheidungen eingesetzt werden, die auf Grund ihrer Komplexität nach bisherigen Stand menschlichen Amtswaltern vorbehalten sind. In diesem Szenario wäre allerdings fraglich, ob sich mit den herkömmlichen Formen und Instrumenten demokratisch und rechtsstaatlich gebotene Legitimations- und Kontrollzusammenhänge noch im ausreichenden Maße herstellen lassen. Insofern wird man – vorausgesetzt man möchte entsprechende Algorithmen einsetzen – über neue Möglichkeiten, Legitimation und Kontrolle zu gewährleisten, nachdenken müssen, aber auch können.1399 1397  Mit einem ähnlichen Ansatz Kloepfer, Recht und Technik, S. 56 ff., der die Begrenzungs- und Ermöglichungsfunktion des Technikrechts herausarbeitet (S. 86) und anhand von zwei historischen Beispielen illustriert (S. 108 ff., 168 ff.); in diese Richtung auch Roth-Isigkeit, AöR 145 (2020), 321 (330 f.). 1398  So auch Golla, DÖV 2019, 673 (674).



C. Ausblick299

Der Gedanke kann am Erfordernis demokratischer Legitimation der Verwaltungstätigkeit illustriert werden. Der mögliche Einsatz autonom agierender Algorithmen (z. B. LLMs) dürfte das klassische Modell demokratischer Legitimation1400 an seine Grenzen bringen.1401 Die Autonomie dürfte eine eindeutige Rückbindung an den menschlichen Amtswalter unterbrechen, auch wenn dieser den Algorithmeneinsatz initial veranlasst hat. Damit wäre auch eine unmittelbare Einbindung in die Ministerialbürokratie und in die davon abhängenden Legitimationsketten erschwert. Allerdings ist die klassische Form der Ministerialbürokratie nicht die einzige Möglichkeit, demokratische Legitimation zu denken und zu realisieren. Zum einen wird das klassische Modell demokratischer Legitimation bereits seit langem grundsätzlich kritisiert und eine Öffnung für weitere Modi der demokratischen Legitimation (z. B. die Betroffenheit, die Möglichkeit zur Partizipation, aber auch die Effizienz und Sachgerechtigkeit des Verwaltungshandelns) gefordert.1402 Zum anderen betonen auch die Vertreter, die am Grundmodell der Ministe­ rialverwaltung festhalten wollen, dass dieses nicht schematisch verstanden werden kann, sondern in der Art der konkreten Ausgestaltung flexibel und auch offen für wesentliche Ausnahmen ist.1403 Für die demokratische Legitimation sei es im Ergebnis entscheidend, dass das gebotene Mindestmaß an effektiver Lenkung der Verwaltungstätigkeit durch das Parlament gegeben ist und insofern ein insgesamt ausreichendes Legitimationsniveau erreicht wird.1404 Vor diesem Hintergrund gilt, dass der potentielle Einsatz autonom agierender Algorithmen nicht am Erfordernis demokratischer Legitimation scheitern muss. Vielmehr wird man darüber nachdenken, auf welche Art und Weise der Algorithmeneinsatz so gestaltet werden kann, dass den Anforderungen demokratischer Legitimation auch in der Zukunft im ausreichenden 1399  Ähnlich der Ansatz Martinis, in: Kahl/Ludwigs, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 28 Rn.  89 ff. und Rademachers, in: Eifert, Disruption, 45 ff., dessen Ausführungen sich aber nicht auf den staatlichen Einsatz beschränken. 1400  Dazu oben 1. Teil B. IV 2. a) aa) (2). 1401  Ähnlich Ludwigs/Velling, VerwArch 114 (2023), 71 (99 f.). 1402  So beispielsweise Britz, VerwArch. 91 (2000), 418 (423 f.; 430 ff.); Bryde, StWStP 5 (1994), 305 (317 ff.); Mehde, Neues Steuerungsmodell, S. 504 ff.; Trute, in: Voßkuhle/Eifert/Möllers, Grundlagen, Bd. 1., § 9 (Rn. 15 ff.); Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, S.  87 ff. 1403  Dreier, in: Ders., GG, Bd. 2, Art. 20 (Demokratie) Rn. 114 f.; Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 Rn. 170; Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 305 ff. stellt zwar grundsätzlich auf die Ministerialverwaltung ab, betont aber zugleich, dass dem „Regeltypus Ministerialverwaltung“ kein verfassungsrechtlicher Exklusivitätsanspruch zukommt (S. 329). 1404  Diesen Aspekt betonen BVerfGE 93, 37 (66 f.); Dreier, in: Ders., GG, Bd. 2, Art. 20 (Demokratie) Rn. 113; Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 20 Rn. 170.

300

4. Teil: Resümee

Maße genügt wird. Es dürfte möglich sein, neue Formen demokratischer Legitimation zu entwickeln. Denkbar wäre es beispielsweise, ein unmittelbar vom Parlament eingesetztes und diesem unmittelbar verantwortliches Kontrollgremium zu etablieren, das den Einsatz entsprechender Algorithmen als eine Art „Algorithmen-TÜV“1405 überwacht.1406 Auch wird man darüber nachdenken können, eine neue „Begründungsarchitektur“ aufzubauen.1407 Dabei könnten beispielsweise allgemeine Transparenz- bzw. Nachvollziehbarkeitsanforderungen an Algorithmen die bisher grundsätzlich für jede Einzelentscheidung notwendige Begründung ersetzen.1408 Dadurch könnte auch in Konstellationen, in denen es nicht möglich ist, eine einzelfallbezogene, natursprachliche Begründung zu erstellen, der Einsatz entsprechender Algorithmenmodelle gerechtfertigt werden. Die einzelfallbezogene Begründung ist bisher insbesondere im Bereich von Spielräumen ein wichtiges Kriterium für die anschließende Einbindung der Entscheidung in die gerichtliche Kontrollstruktur.1409 Insofern dürfte die neue Begründungsarchitektur möglicherweise auch einen teilweisen Umbau der bisher regelmäßig an subjektiven Rechten orientierten (gerichtlichen) Kon­ trolle der Verwaltungstätigkeit hin zu einer vermehrt objektiven Kontrolle der eingesetzten Algorithmen bedingen – beispielweise durch den angesprochenen „Algorithmen-TÜV“.1410 Den angesprochenen Aspekten ist auf einer abstrakten Ebene gemein, dass regelmäßig die Frage nach Möglichkeiten und Grenzen einer dynamischen Verfassungsinterpretation bzw. des Verfassungswandels als Vorfrage mitzuverhandeln ist. Nach überwiegendem Verständnis ergeben sich zumindest die Grundsätze des bestehenden Legitimations- und Kontrollsystems aus der Verfassung, insbesondere aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip sowie dem Grundrechtsschutz. Diesbezügliche Änderungsvorschläge werfen deshalb regelmäßig die Frage auf, inwiefern die überkommenden verfassungsrechtlichen Maßstäbe auf Grund des gesellschaftlichen und technischen Wandels aktualisiert werden können1411 oder ob sogar ein Tätigwerden des verfassungsändernden Gesetzgebers erforderlich ist. Beispielsweise dürfte 1405  Zum

Begriff Martini, Blackbox, S. 350 f. Englisch/Schuh, VERW 55 (2022), 155 (186). 1407  So Wischmeyer, in: Eifert, Disruption, 73 (77 ff.). 1408  Diese Richtung andeutend Tischbirek, ZfDR 2021, 307 (326 f.). 1409  Herold, in: Taeger, Rechtsfragen, 453 (462); allgemein zur Bedeutung der Begründung für die Einbindung der Entscheidung in die rechtsstaatliche Verantwortungs- und Kontrollstruktur Wischmeyer, AöR 143 (2018), 1 (54 ff.). 1410  In diese Richtung auch Englisch/Schuh, VERW 55 (2022), 155 (186 f.). 1411  Barczak, DÖV 2020, 997 (1004) weist im Kontext einer allgemeinen Digitalordnung auf die Wandlungsfähigkeit und Entwicklungsoffenheit des Rechts hin; in diese Richtung auch Golla, DÖV 2019, 673 (674). 1406  Ähnlich



C. Ausblick301

sich die Frage der Vereinbarkeit mit dem in Art. 19 Abs. 4 GG normierten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz stellen, wenn man vermehrt auf eine objektive Algorithmenkontrolle setzt und damit ein tendenzieller Rückgang des subjektiven Kontrollumfangs einhergeht. Letztlich dürfte eine umfassende Befassung mit den hier nur angerissenen Fragen erst möglich sein, wenn der zuverlässige Einsatz entsprechend autonom agierender, komplexer Algorithmen absehbar ist. Erst dann lässt sich seriös einschätzen, ob sich der tradeoff überhaupt lohnt. So dürfte es auch vorstellbar sein, sich bewusst gegen den Einsatz solcher Algorithmen zu entscheiden und stattdessen am bisherigen Legitimations- und Kontrollsystem festzuhalten. Nicht alles was technisch möglich und rechtlich gestaltbar ist, muss auch umgesetzt werden.1412 Vielmehr sind auch ethische und gesellschaftspolitische Aspekte zu berücksichtigen, die gegen einen Einsatz sprechen können. An dieser Stelle ging es darum, eine langfristige Entwicklungsmöglichkeit grob zu skizzieren, ohne eine Antwort vorzugeben. Auch wenn die genaue Richtung und der konkrete zeitliche Rahmen kaum absehbar sind, dürfte zumindest sicher sein, dass sich die Grenzen des technischen Mach­ baren im Bereich der Verwaltungsautomation mit der Zeit verschieben werden. Insofern bedarf es einer fortlaufenden kritischen Begleitung durch die Verfassungs- und Verwaltungsrechtswissenschaft.

1412  Darauf

weist auch Lorze, NVwZ 2021, 1657 (1658) hin.

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Sachverzeichnis Algorithmen  25 –– Diskriminierungsgefahr  95, 97–99 –– Entscheidungsunterstützung  100–102 –– Künstliche Intelligenz  26–28 –– Maschinelles Lernen siehe dort –– Ml-Algorithmen siehe dort –– regelbasierte Algorithmen  31 f., 36, 245 ff., 252 f., 256 ff., 259 –– Transparenz  32–34, 95 ff., 294 Anhörung  75–77, 81, 290–292 Automatisiert erlassener VA –– Anhörung  75–77, 81, 290–292 –– Anwendungsbereich  45 ff. –– Begründung  72 ff., 237 ff., 258, 266–268, 292 ff. –– Beurteilungsspielraum  208 f., 212 ff., 217 f., 238 ff., 255 ff., 281 f. –– Ermessen  200 ff., 212 ff., 217 f., 219 f., 238 ff., 255 ff., 281 f. –– ML-Algorithmen  85–87, 87 ff., 102–104 –– Planungsermessen  224 f. –– Rechtssatzvorbehalt  61 ff., 280 f. –– Regulierungsermessen  225 f. –– Sachverhaltsermittlung  77 ff., 235, 286 ff. –– Teilautomation  48 ff., 221 f. –– Vollautomation  48 ff., 210 ff. –– Vorbehalt des Gesetzes  55 ff., 229 ff. –– Zulässigkeit  44 Automatisierte Rechtsanwendung  245 ff. Begründung  72 ff., 237 ff., 258, 266–268, 292 ff. Beurteilungsspielraum  117, 127 ff., 136, 179 f., 193 f.

–– Automatisiert erlassener VA  208 f., 212 ff., 217 f., 238 ff., 255 ff., 281 f. –– Beurteilungsfehler  138, 183 f. –– Lehre vom Beurteilungsspielraum  127–129 –– Normative Ermächtigungslehre  130, 133 ff. –– Vertretbarkeitslehre  129 f. Deep Learning  33 f., 88 –– Large Language Models  38–40, 90, 92 f., 262 f., 264, 265 f., 267 f. Demokratische Legitimation  55 ff., 91 ff., 229, 299 f. Ermessen  117 f., 119 ff., 179 f., 193 f. –– Automatisiert erlassener VA  200 ff., 212 ff., 217 f., 219 f., 238 ff., 255 ff., 281 f. –– Einräumung  120 f. –– Ermessensfehler  121–123, 183 f. –– Historische Entwicklung  106 ff., 153 ff. –– Normative Ermächtigungslehre  144, 190 f. –– Reduzierung auf Null  123 f. –– Spätkonstitutionelle Ermessenslehre  109 ff., 114–116 Explainable AI  33 f. Gesetzmäßigkeitsprinzip  101 Kopplungsvorschriften  144 f. Künstliche Intelligenz  26–28 Large Language Models  38–40, 90, 92 f., 262 f., 264, 265 f., 267 f. Lernalgorithmen  28 ff.

Sachverzeichnis325 Maschinelles Lernen  28 f. –– Deep Learning  33 f., 88 –– ML-Algorithmen siehe dort –– Überwachtes Lernen  29 f. –– Unüberwachtes Lernen  30 –– Verstärkendes Lernen  33 Ml-Algorithmen –– Automatisierte Rechtsanwendung  254 f., 260 ff. –– Entwicklungsstand  37 f. –– Erklärbarkeit  32–34 –– Fortlaufende Anpassung  35 f. –– Hoheitlicher Einsatz  40–42, 85–87, 87 ff., 102–104, 254 f., 260 ff. –– Interpretierbarkeit  32 f. –– Large Language Models  38–40, 90, 92 f., 262 f., 264, 265 f., 267 f. –– Transparenz  32–34, 95 ff., 294 –– unterstützender Einsatz  100–102

–– richterliche Rechtsfortbildung  167 f., 191–193 –– technischer Wandel  72, 75, 292 Regulierungsermessen 146 f., 225 f. Risikomanagementsysteme  82–84, 289 f.

Natürliche Sprache  151, 248 Normative Ermächtigungslehre  130, 133 ff., 142–144, 174 ff., 190 f.

Verwaltungsautomation 23 f. –– Automatisiert erlassener VA siehe dort –– Rechtspolitischer Änderungsbedarf  280 f., 283–285, 286, 289 f., 291 f., 292 ff., 297 ff. Verwaltungsspielräume –– Ablehnung  169 f. –– Beurteilungsspielraum siehe dort –– Einheitliches Modell  178 ff. –– Ermessen siehe dort –– Historische Entwicklung  105 ff. –– Lockerung der Rechtsbindung  148 ff. –– Normative Ermächtigungslehre  130, 133 ff., 142–144, 174 ff., 190 f. –– Pfadabhängigkeit  153 ff. –– Planungsermessen  146, 224 f. –– Regulierungsermessen  146 f., 225 f. Vorbehalt des Gesetzes  55 ff., 229 ff.

Planungsermessen  146, 224 f. Rechtsanwendung  149 ff. –– Automation  245 ff. –– rechtsschöpferisches Element  151–153, 248 f. –– Richterrecht  167 f., 191–193 Rechtspolitischer Änderungsbedarf  280 f., 283–285, 286, 289 f., 291 f., 292 ff., 297 ff. Rechtssatzvorbehalt  61 ff., 280 f. Rechtswandel –– rechtspolitischer Änderungsbedarf  280 f., 283–285, 286, 289 f., 291 f., 292 ff., 297 ff.

Sachverhaltsermittlung  77 ff., 235, 286 ff. Spielräume der Verwaltung siehe Verwaltungsspielräume Theorie der einzig richtigen Entscheidung  151 f. Unbestimmte Rechtsbegriffe  126 –– Gerichtliche Kontrolle  130–132 –– Richterrechtliche Verdichtung  192–194 Untersuchungsgrundsatz  77 ff., 235, 286 ff.