Versuch einer Kritik aller Offenbarung (1792) 9783787326068, 9783787313518

Dieses Werk gehört zu den wenigen seiner Zeit, in denen konsequent transzendentalphilosophisch die Möglichkeit von Offen

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German Pages 145 [216] Year 1998

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Versuch einer Kritik aller Offenbarung (1792)
 9783787326068, 9783787313518

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PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 354 1871 1911 1922 1983 1998

Text nach der Auflage von 1793 unter Berücksichtigung der Auflage von 1792. Herausgegeben und erläutert von J. H. v. Kirchmann, (PhB 48). Enthalten in der Ausgabe »Joh. Gottl. Fichte, Werke. Auswahl in sechs Bänden«. Herausgegeben von Fritz Medicus. Band I, S. 1–128. (PhB 127). Zweite Auflage der Ausgabe »Joh. Gottl. Fichte, Werke«. Gleichzeitige Einzelveröffentlichung. Neu herausgegeben von Fritz Medicus (PhB 127d). Revidierte Ausgabe als PhB 354, neu herausgegeben und eingeleitet von Hansjürgen Verweyen. Zweite, um eine Nachbemerkung ergänze Auflage mit erweiterter Bibliographie.

Vorliegende Ausgabe: Im Digitaldruck »on demand« hergestelltes, inhaltlich mit der Ausgabe von 1998 identisches Exemplar. Wir bitten um Verständnis für unvermeidliche Abweichungen in der Ausstattung, die der Einzelfertigung geschuldet sind. Weitere Informationen unter: www.meiner.de/bod

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliogra­phi­­sche Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. isbn 978-3-7873-1351-8 ISBN eBook: 978-3-7873-2606-8

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1998. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruck­ papier, hergestellt aus 100 % chlor­f rei gebleich­tem Zellstoff. Printed in www.meiner.de Germany.

JOHANN GOTTLIEB FICHTE

Versuch einer Kritik aller Offenbarung (1792) Herausgegeben und eingeleitet von

HANS JÜRGEN VERWEYEN

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Inhalt':·

Einleitung. Von Hansjürgen Verweyen .............. 1. Fichtes theologisch-philosophische Entwicklung bis 1791 ..................................... 2. Entstehung und Rezeption der Offenbarungskritik 3. Zum Inhalt der Schrift ....................... 3.1. Der Rückgriff auf Kants Postulatenlehre ..... 3.2. Der Religionsbegriff ..................... 3.3. Begründung des Offenbarungsbegriffs ........ 3.4. Die Erkennbarkeit von Offenbarung ......... 4. Die Weiterentfaltung des Offenbarungsbegriffs ..... 4.1. Neuansätze zur Klärung des Begriffs ......... 4.2. Offenbarung und Philosophie in der "Sittenlehre" von 1812 ........................ 4.3. Christus als Wendepunkt der Geschichte in der "Staatslehre" von 1813 5. Zur Textgestaltung .......................... 6. Abkürzungsverzeichnis / Quellen 7. Anmerkungen zur Einleitung •••••

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Bibliographische Hinweise

* Vergl. Anm. aufS. 4.

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VII VII XV XVIII XVIII XXIV XXIX XXXII XL XL XLVI L LV LVI LVII LXXI

Inhalt

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Johann Gottlieb Fichte Versuch einer Kritik aller Offenbarung Vorrede 3 § 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 § 2. Deduktion der Religion überhaupt . . . . . . . . . . . . 8 § 3. Einteilung der Religion überhaupt in die natürliche und geoffenbarte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 § 4. Erörterung des Begriffs der Offenbarung, als Vorbereitung einer Deduktion desselben . . . . . . . . 33 § 5. Deduktion des Begriffs der Offenbarung von Prinzipien der reinen Vernunft a priori . . . . . . . . . 3 7 § 6. Von der Möglichkeit des im Begriffe der Offenbarung vorausgesetzten empirischen Datums . . . . . 44 § 7. Von der physischen Möglichkeit einer Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 § 8. Kriterien der Göttlichkeit einer Offenbarung ihrer Form nach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 § 9. Kriterien der Göttlichkeit einer Offenbarung in Absicht ihres möglichen Inhalts (materiae revelationis) ............. ~ . . . . . . . . . . . . . . . . 7 5 § 10. Kriterien der Göttlichkeit einer Offenbarung in Absicht der möglichen Darstellung dieses Inhalts 89 § 11. Systematische Ordnung dieser Kriterien . . . . . . . . 98 § 12. Von der Möglichkeit, eine gegebene Erscheinung für göttliche Offenbarung aufzunehmen . . . . . . . . 100 § 13. Begriff dieser Kritik im allgemeinen . . . . . . . . . . . 116 Schlußanmerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Anmerkungen zum Text Nachbemerkung Sachregister Personenregister

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Einleitung

1. Fichtes theologisch-philosophische Entwicklung bis 1791 Der Zugang zu Fichtes "Versuch einer Kritik aller Offenbarung" ist nicht einfach. Theologisch interessierte Leser, die Fichtes Religionsphilosophie kennenlernen möchten, beginnen meist mit der Lektüre seiner ,,Anweisung zum seligen Leben" (1806) - Vorlesungen, in denen der in der späteren Wissenschaftslehre gewonnene Standpunkt einer breiteren Zuhörerschaft verständlich gemacht werden sollte. Greift man von dort auf den "Versuch einer Kritik aller Offenbarung" zurück eine Schrift, die ursprünglich als Selbsteinführung Fichtes bei Kant konzipiert war -, so wird die Enge und Dürftigkeit enttäuschen, in der hier das Phänomen Religion zur Sprache kommt. Dem kritisch-philosophischen Blick stellt sich derselbe Sachverhalt oft in umgekehrter Perspektive, aber selten positiver dar. Die Offenbarungsschrift von 1792 mag ihm als der letzte Versuch des Theologen Fichte erscheinen, Restbestände des früher Geglaubten vor dem Forum der reinen Vernunft zu retten. Im frühen philosophischen System Fichtes seit 1 794 scheint sich für die Religion kaum noch ein originärer Platz zu finden. Erst der Vorwurf des Atheismus 1798/99 hätte dann in Fichte einen Denkprozeß ausgelöst, in dem die Religion zunehmend an Gewicht gewinnt, allerdings in einer

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enthusiastisch-mystischen Form, die auf große philosophische Bedenken stößt. In die hier angedeuteten Verständnisprobleme haben die letzten Jahrzehnte der Fichte-Forschung manches Licht gebracht. Für das Thema Religion speziell innerhalb der Fichtesehen Gesamtphilosophie steht eine umfassende Klärung, die dem Stand der kritischen Edition der Schriften Fichtes entspräche, noch aus. Im Rahmen dieser Einleitung wollen wir versuchen, zunächst den "Versuch einer Kritik aller Offenbarung" selbst im Blick auf seine verschiedenen Fassungen und auf dem Hintergrund der vorangehenden theologischen und philosophischen Entwicklung Fichtes dem Verständnis näherzubringen und schließlich eine kurze Skizze der Weiterentfaltung, wenn auch nicht der gesamten Religionsphilosophie, so doch wenigstens der Problematik "Offenbarung und autonome Vernunft" bei Fichte zu geben. Fichtes Verhältnis zur Theologie ist kaum ohne Kenntnis zumindest einiger biographischer Daten zu begreifen. Immanuel Hermann Fichte berichtet 1 , wie sein Vater - das älteste von zehn Kindern eines Bandmachers aus Rammenau in der Oberlausitz - zu einer höheren Schulbildung gekommen ist. Ein sächsischer Edelmann, E. H. von lv,tiltitz, verpaßt bei einem Besuch in Fichtes Heimatort die Sonntagspredigt. Dieser Verlust ließe sich ersetzen, versichert man ihm, weil ein Knabe im Dorf fähig sei, die Predigt aus dem Gedächtnis zu rekapitulieren. Mag die Geschichte auch nicht frei von legendenhaften Zügen sein: der etwa neunjährige Fichte gewinnt jedenfalls bei solcher Gelegenheit das Wohlgefallen des Freiherrn von Miltitz, der ihm während der Jahre 1774-1780 den Besuch von Schulpforta und danach auch ein Universitätsstudium ermöglicht. 1780 beginnt Fichte in Jena, Theologie zu studieren, setzt seine Studien dann 1781 in Leipzig fort. 1784 kommt es zu einem Studienabbruch. Die Gründe dafür sind nicht ganz klar. Sicher ist, daß Fichte sich den Unwillen seiner Wohltäterio der Witwe des inzwischen verstorbenen von Miltitz - zugezo-

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gen hatte und nun finanziell ganz auf sich allein gestellt war. In der Folgezeit - bis 1792, als ihm die Publikation der Offenbarungsschrift den Zugang zur "Gelehrtenrepublik" eröffnete - hat er sein Dasein im wesentlichen als Hauslehrer gefristet. Von der Not solcher Existenz zeugen schon die verschiedenen Orte und Gegenden, wo er sich verdingte bzw. zu verdingen versucht hat: Sachsen, Zürich, Warschau, Westpreußen - die Wege wurden großenteils zu Fuß zurückgelegt -, besonders aber die frustrierenden Bemühungen, daraus auszubrechen, etwa die 178 7 und 1790 verfaßten Bittbriefe, über die er wenigstens für einige Monate die zu einem Studienabschluß notwendigen Mittel zu erreichen hoffte 2 • Fichte hatte nicht nur eine mangelhafte Ausbildung in einer Theologie, die durch den Rationalismus verengt und die historische Kritik verängstigt war. Kirche als Institution hat er darüber hinaus selten als lebendige religiöse Kraft erfahren 3 • Ein Christentum, von dem wirkliche Strahlungskraft auf ihn auszugehen vermochte, ist ihm während jener Zeit des Umher· suchens wohl nur in Zürich begegnet. Hier fand er im Hause Rahn Männer mit tiefer religiöser Substanz und doch zugleich kritischer Offenheit, vor allem aber Marie J ohanne Rahn, seine spätere Frau, die ihm - ohne Furcht vor dem zersetzenden Gedanken - ein bergender Spiegel des Besten war, das ihn vom christlichen Glauben her trug. An Quellen, die über Fichtes theologisch-philosophische Entwicklung vor der Abfassung der Offenbarungskritik Aufschluß geben, ist nur wenig erhalten: Zwei Predigten, ein Fragment "Ueber die Absichten des Todes Jesu", die viel zitierten Seiten "Einige Aphorismen über Religion und Deismus". Hinzu kommen bestimmte Passagen in nicht primär theologischen Zusammenhängen, etwa der Valediktionsrede beim Verlassen von Schulpforta, Überlegungen in den Tagebüchern zur Erziehung der Ottschen Kinder, schließlich den Briefen. All dies wurde bereits gründlich untersucht 4 • Bevor wir kurz auf das in unserem Zusammenhang Wichtigste eingehen, bedarf aber ein anderes Dokument der Erwähnung, das

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bisher im Hinblick auf das Verständnis der Offenbarungsschrift zu wenig beachtet wurde. Es existieren einige Seiten von Fichtes Hand mit der Überschrift "Theologia Dogmatica secundum Theses D. Pezoldi" 5 , die vielleicht nur die Abschrift eines Studentenkompendiums, möglicherweise aber auch eine eigene Ausarbeitung aufgrund einer gehörten Vorlesung darstellen 6 • In diesem Skriptum finden sich Anhaltspunkte, von denen her einige Momente im Aufbau des "Versuchs einer Kritik aller Offenbarung" besser als bisher verständlich werden könnten. Nach § 3 der "Kritik" ist "Religion überhaupt" in die "natürliche und geoffenbarte" einzuteilen. Diese Gliederung verträgt sich nur schwer mit dem Dreierschema: Vernunftreligion, Naturreligion, Offenbarungsreligion, das dort nicht nur von § 6 an bestimmend wird, sondern auch, wie noch zu zeigen ist, dem systematischen Ansatz Fichtes im Entwurf der Schrift besser entspricht. Hat Fichte sich hier von Pezolds Einteilung der Religion in "religio naturalis" ("quam docet ratio et conscientia") und "religio revelata" ("quam Deus ipse immediate docuit homines") 7 leiten lassen? Sosehr auch die "Deduktion der Religion überhaupt" in § 2 der "Kritik" auf Kant, nicht Pezold basiert, fallen immerhin einige Unterschiede gegenüber dem Gedankengang in der "Kritik der praktischen Vernunft" auf. Bei Kant folgt die Erörterung des Postulats des Daseins Gottes dem der Unsterblichkeit der Seele. Fichte schließt von der Notwendigkeit des höchsten Guts zuerst auf das Dasein Gottes - und zwar zunächst unmittel.bar, nicht, wie Kant, mittelbar über die Bestimmung endlicher Vernunftwesen8 - , kommt dann auf die Wesensprädikate Gottes und innerhalb von deren Aufführung erst auf die ewige Fortdauer aller zur Moralität bestimmten Wesen zu sprechen. Hält sich hier das Aufbauschema der Thesen Pezolds durch: 1) das Dasein Gottes, 2) die göttlichen Attribute, 3) die Unsterblichkeit der Seelen9 ? Eine Reminiszenz an Pezold scheint sich auch in Fichtes Frage nach der physischen, dann der moralischen Möglichkeit,

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schließlich den (a priori zu ermittelnden) Kriterien von Offenbarung zu zeigen 10 • Auf diesem Hintergrund wird Fichtes eigene Leistung - auch über Kant hinaus - umso plastischer. Nach Pezold gab es einen fließenden Übergang von der moralischen Möglichkeit bzw. Nützlichkeit zur Notwendigkeit von Offenbarung 11 • Fichtes primäre Frage ist die nach einer strengen Notwendigkeit von Offenbarung 12 • Allenfalls sprachliche Anklänge an Pezold könnte man bei Fichtes Erörterung der Situation offenbarungsbedürftiger Menschen vermuten, die noch gänzlich "rohsinnlich" sind bzw. sich in völligem "V erfall" befinden 13 • Ist die Vermutung richtig, daß Fichte sich von den Pezoldschen Thesen beeinflussen ließ, so fällt umso mehr auf, daß im Hinblick auf Argumente für die historische Glaubwürdigkeit der Heiligen Schriften - Erörterungen, wie sie für die damalige apologetische Theologie zentral waren und die bei Pezold unmittelbar auf die Ausführungen über geoffenbarte Religion folgten 14 - sich bei Fichte auch nicht der leiseste Anklang findet. Wie wenig dies ein Zufall ist, zeigt das Fragment "Ueber die Absichten des Todes Jesu". Hier wird besonders deutlich, wie Fichte - wohl in impliziter Auseinandersetzung mit Reimarus 15 - bemüht ist, das christliche Grundfaktum (Tod und AuferstehungJesu) reflexiv zu sichern, ohne sich auf historisch-kritische Fragen einzulassen. Um diesen Sachverhalt mit Rücksicht auf den prinzipiellen theologisch-philosophischen Ansatz Fichtes - in den Jahren bis zur Offenbarungskritik, aber auch darüber hinaus - richtig einzuschätzen, wird man sich die beiden wichtigsten Einsichten G. E. Lessings in das Wesen von Religion vor Augen halten müssen 16 • Die erste betraf das Verhältnis von Glaube und autonomer, universaler Vernunft (und war, in verschiedenen Varianten, Gemeingut der Aufklärung überhaupt): An Religion hat nur das Bestand, was für jedes kritische Denken verbindlich sein kann. Die zweite Einsicht ging auf den inneren Grund des religiösen Aktes selbst (und wurde wohl erst von S. Kierkegaard in ein angemessenes Licht gerückt): "zufällige Geschichtswahr-

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heiten können der Beweis von nothwendigen Vernunftswahrheiten nie werden" 17 • Anders ausgedrückt: ein Existenzvollzug mit Unbedingtheitscharakter, wie es der sittliche und der religiöse Akt sind, läßt sich nicht auf eine Evidenz gründen, die aus Wahrscheinlichkeitselementen zusammengestückelt ist. Erst wenn man den entscheidenden Stellenwert dieser beiden Einsichten im theologisch-philosophischen Denken Fichtes erkennt, dürfte es einer angemessenen Interpretation zugänglich sein - sowohl im Hinblick auf die frühesten Dokumente und die Offenbarungskritik wie auch auf die erstaunliche Dynamik, die solches Denken in den späteren Schriften bewies. Was Fichtes persönliche religiöse Überzeugungen allgemein angeht, so wird besonders in der frühen Phase seines Denkens ständig ein Überhang und unausgeschöpftes Reservoir spürbar gegenüber dem, was er - gefiltert durch den jeweiligen Stand seines kritischen Rasters - in seinen religionsphilosophischen Überlegungen zu Wort bringt. Was sein Verhältnis zu den Quellen christlicher Offenbarung betrifft, so scheint die zweitgenannte Einsicht Lessings bis hin zu den Spätschriften Fichtes eine reduktionistische Wirkung ausgeübt zu haben. In Versuchen zu einem apologetischen Abstützen jener Quellen und ihres Gebrauchs im kirchlichen Vollzug über eine Auseinandersetzung mit der historisch-kritischen Exegese konnte Fichte wie Lessing keinen Sinn erblicken. Erst durch das Herausarbeiten eines adäquaten Offenbarungsbegriffs im Anschluß an die Entwicklung seiner Interpersonallehre und Geschichtsphilosophie gelang es Fichte, das Verhältnis von Offenbarung und autonomer Vernunft so zu formulieren, wie es seinem wirklichen Verhältnis zu den biblischen Quellen und zum Bekenntnis der Kirche entsprach 18 • Zu den frühen theologisch-philosophischen Anschauungen Fichtes nur einige konkrete Details 19 • Sieht man zunächst auf Fichtes Begriff von Religion allgemein, so fällt besonders seine Betonung des Affektiven auf, die sich-trotzaller "kantischen" Zurückhaltung - auch noch im Vokabular der Offenbarungskritik durchhält 20 • Die Religion der "lebendigen inneren über-

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zeugung" wird - deutlich vor allem in dem Fragment "Ueber die Absichten des Todes] esu"- der "Religion des Verstandes" gegenübergestellt. Damit setzt sich Fichte in Gegensatz weder zu Lessings Postulat der Vernünftigkeit der Religion, noch zu seiner Auffassung, daß der wesentliche Inhalt aller Religion Moral sei. Wenn Fichte von der Religion sagt: "Sie erleuchtet den Verstand, aber nicht durch scharfe, tief gedachte Betrach· tungen, u. strenge Beweise; dieses würde sie nur zur Religion einiger wenigen guten Köpfe, dieses würde sie zu einer bloßen Wißenschaft machen" 21 , so hat er in diesem Zusammenhang wohl die rationalistische Ausdünnung im Gefolge der Evangelienkritik im Blick, die die Wirklichkeit Jesu, insbesondere seinen Tod und seine Auferstehung, nicht mehr als lebendige Gegenwart erkennbar werden läßt 22 • Ein zweiter Ansatzpunkt für diesen Religionsbegriff war und hier zeigt sich eine erstaunliche Kontinuität von der frühesten uns erhaltenen Schrift Fichtes bis in seine späte Philosophie - die Auseinandersetzung mit der Pädagogik seiner Zeit 23 • Schon in dem religionspädagogischen Exkurs seiner Valediktionsrede 24 stellte er dem "Extrinsezismus" 25 in der religiösen Unterweisung den Vorrang des Selbstfindens anband der eigenen Anschauung des Schülers gegenüber. Nur das Selbstgefundene ergibt einen deutlichen Begriff, führt zu wirklicher Frömmigkeit, Liebe und Ehrfurcht gegen Gott und vermag auf dem Wege einer festen inneren Überzeugung den Willen zum guten Handeln zu bestimmen. Ähnlich argumentiert Fichte dann auch in den Tagebüchern zur Erziehung der Ottschen Kinder (1788) 26 , wo er etwa dem Auswendiglernen das Beispiel der Gleichnisse J esu entgegenhält. Preul hat überzeugend dargelegt, wie der philosophische Gedanke einer durchgängigen Determination allen Geschehens durch eine absolute Vernunft, der Fichte schon seit 1784 fesselte 27 , ihn zunehmend in einen Widerspruch mit seinen religiösen Anschauungen führte, aus dem ihn erst die Lektüre der "Kritik der praktischen Vernunft" befreite. Kant ermöglichte Fichte insofern eine Kontinuität mit sich selbst, als er

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ihm erlaubte, den Kern seiner früheren religiösen Oberzeugungen nun auch vor der reinen Vernunft zu verantworten 28 • Die oben getroffene Feststellung, daß Fichte in seinen religionsphilosophischen Erörterungen jeweils nur das zu Wort brachte, was aus seinem "Glaubensreservoir" auf demjeweiligen Stand des kritischen Filters durchgelassen wurde 29 , fcilt nun aber auch mit Rücksicht auf die Kantrezeption Fichtes 0 • Für den Gottes- und den Religionsbegriff selbst soll dies unten, im Eingehen auf die verschiedenen Fassungen der Offenbarungskritik, gezeigt werden. Besonders interessant wäre ein Aufschluß darüber, wie unter dem Einfluß der kritischen Schriften Kants Fichte den für seine Frühphase zentralen Begriff der Vorsehung neu bedacht hat. Hier verband sich eine tiefe Oberzeugung von Gottes Fürsorge bis ins kleinste Detail des persönlichen Lebens 31 mit dem systematischen Versuch Fichtes, über den Begriff der Vorsehung den Widerspruch zwi sehen einer Religion, der es wesentlich um sittlich verantwortliches Handeln geht, und dem philosophischen Determinismus zu überbrücken 32 • Fichte hatte eine "Kritik des Begriffs der Vorsehung" unmittelbar im Anschluß an die Abfassung des "Versuchs einer Kritik aller Offenbarung" geplant 33 und den für diesen Begriff anzusetzenden systematischen Ort kurz innerhalb der Offenbarungsschrift angedeutet 34 • Der Plan kam aber nicht zur Ausführung. Auf die spätere Philosophie Fichtes vorblickend läßt sich sagen, daß der Begriff der Vorsehung mehr und mehr aus einer ursprünglichen Verklammerung mit eudämonistischen Vorstellungen befreit und in den Zusammenhang einer Philosophie der Geschichte integriert wurde, in der· schließlich auch wieder der Gedanke an ein individuelles Eingreifen Gottes Platz bekam 35 • Nicht weniger zentral für Fichtes Denken- und eng mit der Vorstellun~ einer Zeit und Ewigkeit umspannenden Vorsehung verbunden 6 - war sein Unsterblichkeitsglaube. Bei dem heutigen theologischen und philosophischen Fragestand im Hinblick auf ein Leben nach dem Tode wird es schwer sein, für Fichtes Oberzeugung mehr als ein rein historisches Interesse

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zu finden - zumal im Ausgang von seiner in der Offenbarungskritik geäußerten Auffassung, daß ,J esus sich Unsterblichkeit gedacht habe, wenn er von Auferstehung redete" 37 . Für einen Zugang zu Fichtes Position hilfreich dürfte aber ein aufmerksames Lesen der Briefe sein, die Fichte nach seiner Abreise von Zürich (Ende März 1790) an seine Braut, und des Briefs, den diese am 11. Dez. 1792 an Fichte geschrieben hat. Was vermochte dieses Verhältnis über eine solche Entfernung, Zeit und unüberwindbar scheinende Hindernisse für ein Wiederzusammenkommen38 zu tragen? Unsterblichkeitsglaube wird hier als notwendige Bedingung dafür sichtbar, daß Interpersonalität in ihrer tiefsten Form erfahren werden kann 39 . Während Fichte 1786 noch der Ansicht war, erst die Auferstehung Jesu habe einen "richtigen Beweis" für die Unsterblichkeit der Seele erbracht40 , fußt seine Argumentation in der Offenbarungskritik auf dem Kantischen Postulat - in einer eudämonistisch anmutenden Variante41 . Daß hier eine Reduktion seiner früheren, im Kontext menschlichen Gegenübers bedachten Auffassungen von der Fortdauer bewußter Wesen vorliegt, springt in die Augen42 . Erst in seiner Sittenlehre von 1812 kommt Fichte zu einer kritischen Formulierung der Unsterblichkeitslehre, die den frühen Gedankenraum voll ausschöpft43 .

2. Entstehung und Rezeption der Offenbarungskritik Privatunterricht über die Kantische Philosophie, den sich ein Student in Leipzig erbat44 , gab Fichte die Gelegenheit zu einer intensiven Beschäftigung mit den kritischen Schriften Kants. Er warf sich "über Hals und Kopf" in dieses Studium und "spürte [sichtbar], daß Kopf und Herz dabei gewönnen" 45 - zunächst vor allem Ruhe und Festigkeit in einer Zeit, wo ein Berufsplan nach dem anderen scheiterte und Fichte wieder einmal in äußerst finanzielle Bedrängnis geriet 46 . Beides - das intensive Eindringen in die Kantische Philosophie wie die Not

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Fichtes - spiegelt sich in kommentierenden Auszügen aus der "Kritik der reinen Vernunft" und der "Kritik der Urteilskraft", die er damals in der Hoffnung, sie publizieren zu können, anfertigte47. Welchen Neuaufbruch für sein systematisches Denken vor allem die Lektüre der "Kritik der praktischen Vernunft" ermöglichte, läßt sich auf dem Hintergrund der "Aphorismen über Religion und Deismus" ermessen, die gleichsam eine Momentaufnahme des Fichteschen Denkens zwischen dem Studium der beiden ersten Kritiken Kants darstellen 48 . Nach einem vergeblichen Versuch, in Warschau eine neue Hofmeisterstelle anzutreten - und damit zugleich der inneren Zerrissenheit zu entkommen, in der er sich im Frühjahr 1791 befand - 49 , war es dann wieder die Begegnung mit dem Königsherger Philosophen, die Fichte endlich ein klares und realisierbares Lebensziel finden ließen. Von Warschau aus war Fichte nach Königsberg gereist- vor allem, um Kant persönlich kennenzulernen 5°. Bei einem ersten Besuch, am 4. Juli 1791, hatte Kant ihn "nicht sonderlich" aufgenommen 51 . In seinen Collegien fand Fichte den Philosophen "schon sehr hinfällig" 52 . Dann kam ihm ein Gedanke, der seine weitere Zukunft bestimmen sollte: "Schon lange wollte ich Kant ernsthafter besuchen, u. fand kein Mittel. Endlich fiel ich drauf eine Critik aller Offenbarung zu arbeiten, u. sie ihm zu dediciren. Ich fing ohngefähr. d. 13. (Juli] damit an, u. arbeite seit dem immer ununterbrochen darüber fort [ ... ] d. 18. [August] überschikte ich meine nun fertig gewordene Arbeit an Kant. u. ging den 23. hin um sein Urtheil zu erfahren. Er empfing mich sehr gütig, u. schien sehrwohl zufrieden" 53 • Zur "Vorbereitung auf die Kantische Visite" am 23. August hatte sich Fichte einige Notizen gemacht. Auf die etwaige Frage Kants nach der Absicht, die er mit der Übersendung der Schrift und seinem Besuch verfolge, wollte er antworten: "Ich suche Emploi; u. eins nach meinem Herzen" 54 . Fichte hatte den richtigen Weg auf dieser Suche eingeschlagen, wenn sich zunächst auch noch einmal alles zu verdunkeln schien.

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Sein letztes Reisegeld, das ihm von Warschau her zur Verfügung stand, war aufgebraucht. In seiner Bedrängnis nahm Fichte allen Mut zusammen, offenbarte seine Lage Kant und bat ihn um ein Darlehen. Kant zögerte, schlug dann aber nach wenigen Tagen vor, Fichte möge seine - nach Kants Urteil gut geschriebene - Arbeit 55 über Vermittlung des Pfarrers Borowski an dessen Schwager, den Verleger Hartung, verkaufen. Kant selbst schrieb einen freundlichen Empfehlungsbrief. Annahme und Drucklegung des Werks verzögerten sich. Schwierigkeiten gab es vor allem bei der Zensur, weil der Dekan der theologischen Fakultät in Halle, J. L. Schulze, die Druckerlaubnis verweigerte. Fichte - der den Fortgang der Sache relativ gelassen abwarten konnte, da er inzwischen eine angenehme Hauslehrerstelle bei dem Grafen H. J. R. von Krockow bekommen hatte - wandte sich wegen des Ansinnens, gewisse Passagen abzuändern, erneut an Kant, der alle Abänderungsvorschläge mit einem klaren Nein beschied. Unter dem neuen Dekan, G. Chr. Knapp, konnte die Schrift schließlich unverändert die Zensur passieren. Sie erschien zur Ostermesse 1792. Fichte selbst war von Anfang an mit seiner Arbeit unzufrieden gewesen - und wohl etwas erstaunt, daß Kant sie so positiv aufgenommen hatte. Nicht rechnen konnte er mit dem geradezu überschwenglichen Echo, das die Schrift gleich nach ihrer Publikation erfuhr. Der Verleger hatte "aus Versehen"oder kühler Berechnung? - das Werk zunächst ohne Namen des Verfassers und ohne das Vorwort Fichtes herausgebracht. Die eng an Kant angelehnte Ausdrucksweise und Gedankenführung konnten so in der Tat zu dem Trugschluß führen, Kant selbst - der wegen der verschärften Zensur anonym bleiben wollte -habe hier seine vierte Kritik vorgelegt. Dies behauptete jedenfalls G. Hufeland, Professor der Rechte in Jena, in dem damals berühmtesten wissenschaftlichen Organ Deutschlands, der Jenaer "Allgemeinen LiteraturZeitung" - zunächst in einer Ankündigung in deren "lntelligenzblatt" vom 30. Juni 1792 (Nr. 82), sodann in einer

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kurzen Besprechung in demselben Blatt vom 28. Juli (Nr. 91) und einer ausführlichen Rezension in der "Allgemeinen Litera· tur-Zeitung" vom 18. Juli 1792 (Nr. 190/191). Derselben Ansicht waren aber auch- mit vielen anderen weniger bekannten Männern- K. L. Reinhold undJ. I. Baggesen 5 • Nachdem Kant im Intelligenzblatt der A.L.Z. vom 22. August 1792 (Nr. 102) den Irrtum aufgeklärt hatte - nicht ohne Fichte einen "geschickten Mann" zu nennen-, war es naheliegend, daß die "Gelehrtenrepublik" nun Fichte selbst gebührende Aufmerksamkeit schenkte. Die Tatsache, daß es nach Aufklärung des Irrtums auch an negativen Beurteilungen und vor allem spöttischen Stimmen nicht fehlte, trug dazu bei, daß diejenigen, die zuvor Kant als Autor gelobt hatten, nun umso mehr die Qualität der Offenbarungskritik als solcher unterstrichen 57•

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Zum Inhalt der Schrift

3.1. Der Rückgriff auf Kants Postulatenlehre Fichte beginnt seine "Deduktion der Religion überhaupt" (§ 2) mit einem Rückfiff auf Kants "moralischen Beweis für das Dasein Gottes" 5 • Um die Gedanken Fichtes klarer zu erfassen, wird es gut sein, vorab kurz auf die Argumentation bei Kant selbst einzugehen. Die wesentlichsten Ausführungen Kants hierzu finden sich in der "Kritik der praktischen Vernunft" 59 und in der "Kritik der Urteilskraft" 60 • Wichtige Präzisierungen enthält darüber hinaus die (ein Jahr nach Fichtes Erstling erschienene) Vorrede zu (der ersten Auflage von) "Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft". Gemeinsam ist all diesen Ausführungen der Ausgang vom "höchsten Gut", d. h. der völligen Übereinstimmung von vollendeter Sittlichkeit und vollkommener Glückseligkeit. über die unmittelbare Verpflichtung zur unbedingten Erfüllung des Sittengesetzes hinaus ist der endlichen Vernunft geboten,

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auf die Hervorbringung dieses höchsten Guts nach besten Kräften hinzuarbeiten. Seine schließliehe Verwirklichung liegt aber nicht in ihrer Hand, weil Glückseligkeit als der Endzweck der sinnlichen Natur der Kausalität der Natur, njcht aber der Kausalität freier endlicher Wesen untersteht. Wäre ein letztend· liebes Obereinstimmen der Naturkausalität mit der Kausalität der Freiheit zur Vollbringung des höchsten Guts aber gänzlich unmöglich, dann widerspräche sich das Sittengesetz selbst, indem es der endlichen Vernunft geböte, auf ein Unmögliches hinzuwirken. Zur Vereinigung beider Kausalitäten ist nur ein Wesen imstande, in dessen Macht es liegt, eine der vollendeten Sittlichkeit angemessene Glückseligkeit hervorzubringen. Die Existenz dieses Wissens ist also ein notwendiges Postulat der praktischen Vernunft, sofern diese nicht an der Vernünftigkeit des Sittengesetzes verzweifeln will. Nun erwecken allerdings die Erörterungen über das höchste Gut in der "Kritik der praktischen Vernunft" den Anschein, als ob es Kant hier wesentlich um den Einklang von persönlicher Glückseligkeit und Tugend ginge. Dieser ist aber nicht als eine Forderung aus dem Sittengesetz abzuleiten. Damit wäre auch das Postulat der Existenz Gottes als ein notwendiges Implikat der reinen praktischen Vernunft hinfällig61 • Man muß jedoch im Blick behalten, daß Kants Darstellung des Gedankens in der zweiten Kritik stark von seiner Auseinander· setzung mit dem Epikureismus und Stoizismus geprägt ist und von daher einer gewissen "existentialistischen Engführung" unterliegt 62 • Das Mißverständnis, daß die Forderung des höchsten Guts einem Bedürfnis der empirisch bestimmten persönlichen, nicht einem Gebot der reinen praktischen Vernunft entspringe, hat von den Ausführungen in der "Kritik der Urteilskraft" ab keinen Boden mehr. Kant vermag zwar - wie Fichte bald kritisch bemerken wird 63 - den Endzweck nur als aus zwei Teilen bestehend, nicht in einem die Welt der Freiheit und die der Natur wirklich integrierenden Begriff zu fassen: "eine mit der Befolgung moralischer Gesetze harmonisch zusammen·

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treffende Glückseligkeit vernünftiger Wesen, als das höchste Weltbeste" 64 • Die Idee vom höchsten Gut entspricht aber dem ("schwerlich zu vermeidenden") Gedanken, den sich ein das moralische Gesetz verehrender Mensch "beifallen läßt (... ), welche Welt er wohl, durch die praktische Vernunft geleitet, erschaffen würde, wenn es in seinem Vermögen wäre". Er würde auf diesen Endzweck hin zu arbeiten sich auch dann für verpflichtet halten, wenn er selbst wegen eigener Unwürdigkeit sich in Gefahr sieht, "für seine Person an Glückseligkeit sehr einzubüßen"65 • Zu der schon bei Kant vielschichtigen Argumentationslage im Hinblick auf das Postulat der Existenz Gottes hat Fichte nun einige weitere Varianten beigetragen. Im ersten Teil seiner "Deduktion der Religion überhaupt", d. h. in der Ableitung von Theologie bis hin zu der Frage: "Wie entsteht nun aus Theologie Religion?", stimmt der Text der ersten Auflage weitgehend mit dem des Entwurfs von 1791 überein 66 • Die Argumentation für die Existenz Gottes basiert wesentlich auf den Ausführungen in der "Kritik der praktischen Vernunft", erschien allerdings im Entwurf geschlossener. Denn dort war der - im Kantischen Horizont merkwürdig anmutende Zwischengedanke, demzufolge Fichte die Möglichkeit des Endzwecks des Moralgesetzes als schon mit der Existenz eines höchst moralischen und höchst seligen Wesens an sich, ohne funktionalen Bezug auf die Welt endlicher moralischer Wesen, gegeben sieht, durch eine Klammer noch ausdrücklich als Zwischengedanke mar kiert 67 . In der zweit!!n Auflage hat Fichte diese Argumentation durch einen gänzlich andersgearteten "Gottesbeweis" ersetzt. Dieser schließt sich an die neu entworfene "Theorie des Willens, als Vorbereitung einer Deduction der Religion überhaupt" 68 an, in der Fichte - bereits stärker an der Ausarbeitung rechtsphilosophischer Fragen interessiert69 - über die nähere Bestimmung des Glückseligkeitstriebs u. a. eine Deduktion von Rechten (im Sinne der Naturrechtslehre) versucht: " ... der Glückseeligkeitstrieb wird vors erste durch das Sittengesetz

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nach Regeln eingeschränkt; ich darf nicht alles wollen, wozu dieser Trieb mich bestimmen könnte. Durch diese vors erste blos negative Gesetzmäßigkeit nun kommt der Trieb, der vorher gesetzlos und blind vom Ohngefähr oder· der blinden Naturnothwendigkeit abhing, überhaupt unter ein Gesetz, und wird auch da, wo das Gesetz nicht redet, wenn dieses Gesetz für ihn alleingültig ist, eben durch das Stillschweigen des Gesetzes, positiv gesetzmäßig (gesetzlich noch nicht). Darf ich nicht wollen, was das Sittengesetz verbietet, so darf ich alles wollen, was es nicht verbietet . . . Was man, wegen des Stillschweigens des Gesetzes, darf, heißt, insofern es auf das Gesetz bezogen wird, negativ nicht unrecht; und insofern es auf die dadurch entstehende Gesetzmäßigkeit des Triebs bezogen wird, positiv ein Recht. Zu allem, was nicht unrecht ist, habe ich ein Recht" 70 • Diese Ableitung beweist, wie weit Fichte gegen Ende des Jahres 1792 71 noch vom Ansatz der Wissenschaftslehre entfernt war. Einen Bereich des sich frei überlassenen Glückseligkeitstriebs als "Dürfen" vom Umkreis des Sollens aussparen kann man nur, wenn man Autonomie und Sittengesetz noch nicht in strenger Identität zu sehen in der Lage ist. Ist der Bereich des Sittengesetzes und der der Freiheit schlechthin kongruent, dann fällt alle andere Aktivität, die nicht absolut von hierher bestimmt ist, unter die Unfreiheit oder, wie Fichte später formulieren wird, unter den bloßen Schein von Sein, kann also niemals einen Rechtstitel für sich in Anspruch nehmen. In einer seltsamen Kombination dieses Ansatzes mit Gedanken aus der "Kritik der praktischen Vernunft" kommt Fichte dann zu einem Postulat der Existenz Gottes: Die gesetzlich zugestandenen Rechte werden oft nicht befriedigt (ich muß z. B. gegebenenfalls mein Recht auf Leben der Pflicht opfern). Dies führt zu einem "Widerspruch des Sittengesetzes mit sich selbst in Anwendung auf empirisch-bestimmbare Wesen", wenn nicht ein göttliches Wesen angenommen wird, das dem sinnlichen Trieb die schließliehe Erfüllung seines rechtlichen

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Anspruchs garantiert 72 • Sieht man auf diese Erörterungen vom Standpunkt der Wissenschaftslehre zurück, so wird das lange Schweigen Fichtes über Religion in den Jenaer Jahren wohl ebenso verständlich wie seine scharfe Kritik an der Verknüpfung des Solleusgesetzes mit dem Gedanken der Glückseligkeit in der "Anweisung zum seligen Leben" 73 • Seltsam mutet dieser Rückfall in den Eudämonismus, wie er sich in der zweiten Auflage der Offenbarungsschrift ausprägt 74 , aber vor allem deshalb an, weil Fichte in der ersten Auflage einen ganz andersgearteten Gedanken 75 vorgetragen hatte, der nun, im Zusammenhang der zweiten Auflage, scharf mit dem eudämonistisch gewonnenen Gottespostulat kontrastiert. Fichte glaubt dort - im Unterschied zum Entwurf schon aus einem tieferen Bedenken des Endzwecks einen ersten Begriff von Religion ableiten zu können 76 • Dieser neue Argumentationsgang 77 ist im Hinblick auf die Fortentwicklung der Fichteschen Philosophie äußerst interessant. Er verdankt sich, wie vor allem die differenzierte Besinnung auf die verschiedenen Äußerungen des Begehrungsvermögens zeigt, einer intensiven Beschäftigung mit Kants "Kritik der Urteilskraft", weist jedoch auch bereits voraus auf Fichtes eigene erste Systemkonzeption. Den Anstoß zu der vertieften Reflexion auf den Endzweck gab offensichtlich der Begriff "recht" ("das Recht"), wie er sich schon im Entwurffindet: Die Vernunft "gebietet schlechthin ohne Rüksicht auf Gott, und das Recht ist nicht recht, weil es Gott gebietet, sondern Gott gebietet es, weil es recht ist" 78 • Von d~esem Begriff des Rechts 79 sagt Fichte nun: "Betrachten wir diese Idee nur bloß als Begriff, ohne Rücksicht auf das durch dieselbe bestimmte Begehrungsvermögen, so kann sie uns nichts weiter sein und werden, als ein durch die Vernunft unsrer Urteilskraft gegebnes Gesetz zur Reflexion, über gewisse Dinge in der Natur, sie auch noch in einer andern Absicht, als der ihres Seins, nämlich der ihres Seinsollens, zu betrachten"80 • Hier deutet sich der entscheidende Schritt über Kant hinaus

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an, der nicht nur die frühe, sondern auch alle späteren Darstellungen der Wissenschaftslehre kennzeichnet: die Verbannung des "Dings an sich" aus der Transzendentalphilosophie_ Die Betrachtung der Natur als eines in sich stehenden (nicht nur so erscheinenden) Seins ist schlechthin unvereinbar mit einer auf die "Kritik der praktischen Vernunft" gegründeten Philosophie. Die sittlich bestimmte Vernunft muß die Natur unter der Perspektive ihres SeinsolZens ansehen. Die weiteren Ausführungen stehen jedoch noch in der Beschränkung des Begriffs vom höchsten Gut, wie sie in der "Kritik der praktischen Vernunft" gegeben war. Als "Recht außer uns" sieht Fichte nur "eine dem Grade unsrer Moralität angemessene Glückseligkeit" an 81 , nicht die in der Welt allgemein geltend zu machende Forderung einer durchgehenden Gestaltung der Natur nach Freiheitsprinzipien. So führt ihn lediglich die Verpflichtung auf das "Recht in uns" auf die Deduktion eines ersten Begriffs von Religion. "Wir sind unmittelbar genötigt, das Recht in unserer eignen Natur als von uns abhängig zu betrachten" 82 • Könnte nun "die Regel des Rechts nie allgemeingeltend werden" 83 , so entstünde ein unauflöslicher Widerstreit zwischen theoretischer und praktischer Vernunft. Die bereits gewonnene Theologie· von Gott, als Bestimmer der Natur nach moralischen Zwecken, ist also, "in concreto betrachtet nie bloße Wissenschaft, sondern wird ganz unmittelbar in ihrer Entstehung schon dadurch Religion, indem sie allein, durch Aufhebung des Widerspruchs zwischen unsrer theoretischen und unsrer praktischen Vernunft, eine fortgesetzte Kausalität des Moralgesetzes in uns möglich macht" 84 • Das Postulat der Unsterblichkeit der Seele hatte Kant - vor und unabhängig von der Deduktion des Postulats der Existenz Gottes - daraus abgeleitet, daß ein endliches moralisches Wesen in keinem Zeitpunkt seines Daseins fähig sei, "seinen Teil" am vollendeten höchsten Gut, d. h. die völlige Angemesenheit des Willens zum moralischen Gesetze, zu erwirken 85 • Bei Fichte erscheint dieses Postulat innerhalb der Bestimmung

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der Attribute Gottes als ein bloßer Appendix zum Postulat Gottes um der Kongruenz der Glückseligkeit mit der Sittlichkeit willen 86 .

3.2. Der Religionsbegriff Die Ausführungen in der Offenbarungskritik zum Begriff Religion 87 lassen sich weder terminologisch noch sachlich auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Halten wir zunächst die auffälligsten Unstimmigkeiten fest. ( 1) In § 3 teilt Fichte "Religion überhaupt" in "Naturreligion"88 und "geoffenbarte Religion" ein. In § 6 hingegen geht Fichte von einer Dreiteilung: "reine Vernunftreligion", "Naturreligion" und "geoffenbare Religion" aus 89 . (2) Beim über~ang von Theologie als "bloßer Wissenschaft" zu Religion in § 2 gibt Fichte zwei Ableitungen von Religion. Die erste, die aus dem Begriff des Rechten entwickelt ist 91 , haben wir oben kurz resümiert 92 • Diese Form von Religion ist identisch weder mit der "Vernunftreligion" noch mit der ,,Naturreligion" von § 6, hat aber auch keine Beziehung zu dem, wie in § 3 "Naturreligion" begründet wird 93 . Hingegen orientiert sich Fichte mit seinen Ausführungen über den "reinen Vernunftglauben" in § 12 offenbar an dieser ersten Bestimmung von Religion. Ein zweiter Begriff von Religion ergibt sich, § 2 zufolge, aus der Annahme, daß das Moralgesetz Gebot Gottes sei 94 • Ohne Zweifel verbindet uns die Vernunft, "dem Willen Gottes seinem Inhalte nach [: . . ] zu gehorchen, weil dieser mit dem des Vernunftgesetzes völlig gleichlautend ist" 95 . Da sie aber "un· mittelbar keinen Gehorsam fordert, als den für ihr Gesetz, aus keinem andern Grunde, als weil es ihr Gesetz ist", so enthält die praktische Vernunft bloß eine Erlaubnis, uns den Willen Gottes, als solchen, gesetzlich für uns zu denken; "und sollten wir a posteriori finden, daß diese Vorstellung uns stärker bestimme, so kann die Klugheit anraten, uns derselben zu bedie-

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nen, aber Pflicht kann der Gebrauch dieser Vorstellung nie sein. Zur Religion also, d. i. zur Anerkennung Gottes, als moralischen Gesetzgebers, findet keine Verbindlichkeit statt" 96 • Sie hat dort ihren Platz, wo im Widerstreit zwischen der .Achtung des Vernunftgesetzes und den Neigungen sich ein 1\Iangel an Achtung gegen uns selbst einschleicht. "Die Idee von Gott, als Gesetzgeber durchs Moralgesetz in uns, gründet sich also auf eine Entäußerung des unsrigen, auf Übertragung eines Subjektiven in ein Wesen außer uns, und diese Entäußerung ist das eigentliche Prinzip der Religion, insofern sie zur Willensbestimmung gebraucht werden soll" 97 • Dazu bemerkt Fichte, er könne nicht umhin, "für jedes vernünftige Wesen, welches [ ... ] dieser Vorstellung zur Willensbestimmung nicht bedarf, eine weit größere Verehrung zu fühlen, als gegen dasjenige, welches ihrer bedarf" 98 • Dieser - "auf die junghegelianische und Feuerbachsehe Religionskritik vorgreifende" 99 - Gedanke 100 umfaßt sicher die "Naturreligion" als "zweiten Grad der moralischen Güte" (§ 6). Die Kritik scheint hier aber grundsätzlicher gefaßt 101 , bleibt jedenfalls zunächst für den Religionsbegriff Fichtes bestimmend 102 • Diese verschiedenen, offenbar miteinander konkurrierenden Argumentationslinien lassen sich leichter verstehen, wenn man die Entwicklungsgeschichte der Offenbarungskritik berücksichtigt. Dabei zeigt sich zunächst, daß die beiden letztgenannten Ableitungen eines Religionsbegriffs in § 2 die spätesten Erörterungen dieser Thematik darstellen. Sie ersetzen einen weitaus kürzeren Abschnitt im Entwurf 103 , wo es um die Grundlegung einer reinen Vernunftreligion ging 104 • In diesem Zusammenhang hatte Fichte es noch als "das reinste moralische Bedürfniß unsrer sittl. Natur" 105 angesehen, in Gott den moralischen Gesetzgeber zu erblicken, war bei der Suche nach einem ausreichenden Beweisgrund dafür aber offenbar in eine Aporie geraten 106 • Die Ausführungen des Entwurfs über "reine Vernunftreligion" und "Naturreligion" in § 6 konnte Fichte in der Publika-

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tion beibehalten 107 , weil hier die Aporie umgangen war. Nur die Naturreligion erblickt in Gottes Willen das "Weil" des Si ttengesetzes. Allerdings muß man schon aufgrund der Nichterwähnung der "reinen Vernunftreligion" in der (gegenüber dem Entwurf) neuen Ableitung von zwei Formen von Religion in § 2 fragen, ob Fichte jene "Vernunftreligion" nun nicht doch anders wertet. Das geht in der Tat aus dem (ebenfalls neuen) ersten Abschnitt von§ 3 hervor. Hier werden drei Arten von Religion skizziert. Die erste entspricht dem in § 2 an erster Stelle, die dritte - "Religion in der eigentlichsten Bedeutung" 108 -dem in § 2 an zweiter Stelle entwickelten Religionsbegriff (wie auch dem der "Naturreligion" in § 6). Dazwischen wird mit knappen Strichen ein weiterer Typus von Religion gezeichnet, der in § 2 der Publikation (anders als im Entwurf) nicht mehr zur Sprache kam, aber dem Begriff "reine Vernunftreligion" in § 6 korrespondiert. Diesem Typus gegenüber meldet Fichte nun allerdings Bedenken an 109 . Mit dieser Beobachtung kommt überein, daß Fichte in § 12 unter dem Titel "reiner Vernunftglaube" offenbar nur noch den von ihm in § 2 (auf der Grundlage von Kants "Kritik der Urteilskraft") entfalteten Modus von Religion im Auge hat 110 , nicht ·mehr das, was er früher unter "reiner Vernunftreligion" verstand. Diese von Fichte ursprünglich an die erste Stelle gesetzte Form von Religion scheint damit schließlich, unter konsequenter Anwendung Kantischer Prinzipien, wenn nicht ausgeschieden, so doch völlig an den Rand gerückt. Auch in der weiteren Zeit bis zum Atheismus~treit spielt sie keine systematische Rolle mehr. Die Wissenschaftslehre führt, wie oben 111 angedeutet, den auf der Basis der "Kritik der Urteilskraft" entwickelten Gedanken der notwendigen allgemeinen Durchsetzung des schlechthin Rechten weiter - wenn auch nicht mehr unter dem Titel "Religion". Die - empirisch bedingte - Naturreligion kommt in der Wissenschaftslehre sachgemäß nicht zur Sprache. Um die Kontinuität zwischen dem ursprünglichen Religionsbegriff Fichtes und der von ihm seit 1800 entfalteten Reli-

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gionsphilosophie wahrzunehmen, ist nun allerdings ein genauerer Blick auf jene "reine Vernunftreligion" wichtig, wie sie zumindest noch für das erste Konzept der Offenbarungsschrift als zentral erscheint. Schon terminologisch· ist die Nähe zum frühen Religionsverständnis Fichtes greifbar. Es geht primär um Empfindungen gegenüber Gott, nicht um den "nackten" sittlichen Willen. Das - von Fichte offenbar nicht bemerkte - Problem besteht aber darin, daß er als Grund für diese Empfindungen ganz verschiedene Sachverhalte nebeneinanderstellt. Für das "höchste Ideal aller Vollkommenheit [wird] tiefe Ehrfurcht, und für den einzig richtigen Beurteiler unsrer Moralität und gerechten Bestimmer unsrer Schicksale nach [ ... ] derselben, Vertrauen, heilige Scheu, Dankbarkeit gewirkt" 112 • "Di.eses Wesen zieht [des Menschen] ganze Verehrung auf sich, weil es einen unendlichen Wert hat, gegen welchen der seinige in nichts verschwindet; und seine ganze Zuneigung, weil er alles von ihm erwartet, was er Gutes zu erwarten hat" 113 • Die jeweils an zweiter Stelle genannten Empfindungen lassen sich angesichts einer zu Ende gedachten "Kritik der praktischen Vernunft" nicht legitimieren, weil sie einer eudämonistischen Vorstellung von Gott als dem Belohner unserer Tugend entstammen. Wie steht es aber mit dem Reflex des unendlichen Werts - als einem wirklichen Sein, nicht nur Sollen - in unserer Vernunft? Die Virulenz dieser Frage wird an einigen Zeugnissen deutlich, die aus der Zeit zwischen dem ersten Studium der Kantschen Kritiken und der Abfassung der Offenbarungsschrift stammen. Als zweite der "Regeln der Selbstprüfung für das Jahr 1791" notiert Fichte: "Ohne in Anthropomorphism zu fallen suche doch der Empfindung eines heiligen Wesens mehr Wärme in Dir zu geben" 114 • In den (zwischen dem 2. und 13. Juli 1791 abgefaßten) 115 Religionsphilosophischen Reflexionen findet sich die Überlegung: "Es ist [. . . ] ganz etwas anders, sich irgend etwas, als ein festes Sollen, ein anders als ein Sein zu gedenken. Das Moralgesez erscheint uns in einem ganz

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anderen Lichte, wenn wir es nicht mehr blos als bloßes Gebot, sondern als nothwendige Bestimmung eines Wesens erbliken. Es bekommt Umriß, u. Gestalt; es erwirbt sich nun thätige Achtung: unsere Bewunderung trift nun nicht mehr blos den Innhalt, sondern auch den Werth, sie hat einen fixirten Gegen· stand" 116 • Fichte ist hier wie noch in der Offenbarungsschrift offenbar bemüht, Gott nicht bloß funktional - als Möglichkeitsbe· dingung für die Verwirklichung des Endzwecks, als Belohner der Tugend oder als Autorität zur Stärkung des Willens im Kampf gegen die Neigungen - zu denken. Zwei Hindernisse stellen sich ihm dabei in den Weg. Im konsequenten Bedenken der "Kritik der praktischen Vernunft" muß er erkennen, wie sehr sein ursprüngliches Gottesbild mit eudämonistischen Vorstellungen vermischt war. Gerade der "Versuch einer Kritik aller Offenbarung" ist - bis in die zweite Auflage hinein dafür ein beredtes Zeugnis. Von daher ergab sich für ihn die Forderung, weitere religionsphilosophische Überlegungen zu· nächst zurückzustellen, bis die systematischen Grundlagen der Freiheitsphilosophie in aller Klarheit erfaßt waren. Das zweite, gewichtigere Hindernis lag in den Grenzen der Kantischen Philosophie und Fichtes e·igenem ersten Ansatz der Wissenschaftslehre. Der Begriff von Sein war in diesem Rahmen von Gegenständlichkeit abgeleitet. Gott als Sein zu denken, hieß von daher stets, ihn vor-transzendental, nicht vom leben· digen Akt der Vernunft aus zu erfassen. Erst nachdem Fichte seit 1800 das ganze System der Vernunft selbst als Erscheinung des absoluten Seins erkannt hatte, wurde es ihm möglich, die sich von seinem ursprünglichen Religionsbegriff her stellenden Aufgaben neu anzugehen, an denen er 1791/92 gescheitert war. 3.3. Begründung des Offenbarungsbegriffs Nach der Einteilung der Religion in § 3 ergibt sich für Offen· barung "ein Begriff von einer durch übernatürliche Kausalität

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von Gott in der Sinnenwelt hervorgebrachten Wirkung, durch welche er sich als moralischen Gesetzgeber ankündiget" 117 • Der eigentlichen Deduktion dieses Begriffs ( § 5) schickt Fichte eine "Erörterung des Begriffs der Offenbarung, als Vorbereitung einer Deduktion desselben" (§ 4) voraus 118 • Bei der Ableitung des Offenbarungsbegriffs geht es vor allem um die Frage, ob dieser nach Prinzipien der reinen praktischen Vernunft als ein, wenn schon nicht absolut, so doch wenigstens bedingt notwendiger Begriff erwiesen werden kann 119 • Absolut notwendig ("a priori gegeben") kann dieser Begriff nicht sein, da nicht einmal die Vorstellung von Gott als eines moralischen Gesetzgebers absolut notwendig ist, sondern auf der "Übertragung eines Subjektiven in ein Wesen außer uns" 120 beruht. Fichte versucht aber, die Möglichkeit einer bedingten Notwendigkeit von Offenbarung nach Prinzipien der reinen praktischen Vernunft zu begründen, und zwar im zweiten Teil von § 5, den er gegenüber dem Entwurf gründlich überarbeitet hat 121 • Bei endlichen moralischen Wesen, die außer dem Moralgesetze noch unter Naturgesetzen stehen, ist zu vermuten, daß die Wirkungen der Kausalitäten nach diesen voneinander unabhängigen Gesetzen in Widerstreit geraten werden. Es läßt sich dabei ein Grad der Stärke dieses Widerstreits denken, wo "das Sittengesetz seine Kausalität in ihrer sinnlichen Natur entweder auf immer, oder nur in gewissen Fällen, gänzlich verliert" 122 • Gott ist aber "durch das Moralgesetz bestimmt [. . . ], die höchstmögliche Moralität in allen vernünftigen Wesen durch alle moralischen Mittel zu befördern". Sollen nun die Vernunftwesen in dem angenommenen Fall der Moralität nicht gänzlich unfähig werden, so müßten "rein moralische Antriebe auf dem Wege der Sinne an sie gebracht werden". Dies könnte nur so geschehen, daß Gott sich "durch eine besondre, ausdrücklich dazu und für sie bestimmte Erscheinung in der Sinnenwelt ihnen als Gesetzgeber" ankündigte 123 • Vor der näheren Erörterung einer solchen bedingt notwendigen Selbstankündigung Gottes in der Sinnenwelt ist die

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Hypothese zu untersuchen, die hier gemacht wurde, d. h. die Möglichkeit des empirischen Datums, demzufolge in morali· sehen Wesen das Moralgesetz seine Kausalität für immer oder nur in gewissen Fällen gänzlich verliert. Dies ist Gegenstand des§ 6, "Von der Möglichkeit des im Begriffe der Offenbarung vorausgesetzten empirischen Datunis" 124 . Dieses Datum bestünde in dem "tiefste[n] Verfall vernünftiger Wesen in Rücksicht auf Sittlichkeit [ ... ], wenn nicht einmal der Wille da ist, ein Moralgesetz anzuerkennen, und ihm zu gehorchen; wenn sinnliche Triebe die einzigen Bestimmungsgründe ihres Begehrungsvermögens sind" 125 . Nicht zur Begründung von Offenbarung ausreichend wäre ein solcher Verfall bei nur einzelnen Menschen. Den anderen käme dann ja die Pflicht zu, "in den schlechtem durch Belehrung und Bildung das moralische Gefühl zu entwickeln" 126 . Es müßten schon ganze Völker bzw. Menschengeschlechter von diesem Zustand betroffen sein. Und in der Tat läßt sich nach Fichte "a priori wohl denken, daß die Menschheit entweder von ihrem Ursprunge an, oder durch mancherlei Schicksale . in so eine Lage habe kommen können, daß sie, in beständigem harten Kampfe mit der Natur um ihre Subsistenz, genötigt gewesen sei, alle ihre Gedanken stets auf das, was vor ihren Füßen lag, zu richten; auf nichts denken zu können, als auf das Gegenwärtige, und kein ander Gesetz hören zu können, als das der Not"T27. Zu diesem Gedanken wurde bemerkt: "So kommt beim jungen Fichte vor der Schroffheit des (Kantischen) Gegensatzes von Sinnlichkeit und reiner Sittlichkeit selbst der Geschichtsgedanke Lessings von einer allmählichen Erziehung der reifenden Menschheit durch stufenförmig zur Vernunftreligion hinführende Offenbarungen nicht auf" 128 . In diesem Vergleich wird übersehen, daß Lessings Offenbarungsverständnis auf einer Analogie zu pädagogischen Erfahrungen beruht, die keine (auch nur bedingte) Notwendigkeit von Offenbarung begründet129.

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Um einen ähnlich stringenten Aufweis der (bedingten} Notwendigkeit von Offenbarung 130 zu finden, muß man schon auf Anselms von Canterbury "Cur Deus homo" zurückgehen. Obschon Fichte inhaltlich weder hier noch später den Abgrund der Möglichkeit des Bösen in einer dem Anselmschen Gedanken vergleichbaren Konsequenz auslotet, ist die Struktur seiner Argumentation doch Anselms strenger Frage nach den "rationes necessariae" analog. In Fichtes Ableitung des Offenbarungsbegriffs wird der Wille sichtbar, die unter dem Sittengesetz stehende Freiheit als universales Prinzip wirklich systematisch, d.h. unter Einbezug auch ihrer größten Entfremdungsmöglichkeit in der Geschichte, zu denken 131 • Auffallend ist dabei, daß innerhalb der Religionsthematik Fichte die Möglichkeit einer von Sittlichkeit radikal getrennten Freiheit bereits schärfer ins Auge faßt, als er das während dieser frühen Phase seines Schaffens (1792-1793) bei der Behandlung der Rechtsproblematik bzw. der Gesellschaftstheorie vermag 132 • Kann nun aber in einer solchen Situation allgemeinen sittlichen "Verfalls" 133 , in der kein unmittelbar auf Sittlichkeit zielender Appell hilft, Offenbarung überhaupt das leisten, wozu ihr Begriff hier entwickelt wird? Das ist die entscheidende abschließende Frage von § 6 134 • Die Lösung kann nur in einer Selbstankündigung Gottes liegen, in der er sich in seiner Autorität manifestiert, diese aber für nichts anderes als die Heiligkeit der in ihm vollkommen realisierten sittlichen Vernunft in Anspruch nimmt. "Die Anforderung Gottes [ ... ] an uns in einer möglichen Offenbarung, ihn anzuhören, gründet sich auf seine Allmacht und unendliche Größe, und kann sich auf nichts anderes gründen, indem Wesen, die einer Offenbarung bedürfen, fürs erste keiner andern Vorstellung von ihm fähig sind. Seine Anforderung aber, ihm zu gehorchen, kann sich auf nichts anderes, als auf seine Heiligkeit gründen, weil sonst der Zweck aller Offenbarung, reine Moralität zu befördern, nicht erreicht würde" 135 . Indem Menschen dazu gebracht werden, Gott fürs erste wenigstens anzuhören 136 , kann sich dadurch ihr moralisches Gefühl entwickeln.

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Ergänzend zu diesen bereits im Entwurf gemachten Ausführungen geht Fichte in der veröffentlichten Schrift auf das von ihm erst jetzt in aller Schärfe gesehene Dilemma ein, daß damit Offenbarung nur in einem materialen, nicht aber im formalen Sinn als (bedingt) notwendig begründet ist 137 • Wenn nämlich die göttliche Offenbarung ihr Ziel, auf das Moralgesetz aufmerksam zu machen, erreicht hat, erübrigt sie sich als solche, d. h. als autoritative Ankündigung Gottes als Gesetzgebers. Vorher war sie nicht als Ankündigung des heiligen Gottes von anderen möglichen Machtsprüchen unterscheidbar. In dem Augenblicke, wo sie dies wird, ist sie als Machtspruch, d. h. als über das innere Wort der Vernunft hinausgehende Rede, überflüssig. Eine strenge Notwendigkeit der Anerkennung von Offenbarung auch im formalen Sinn vermag Fichte nicht zu begründen. Die fast allgemeine Erfahrung scheint uns zwar täglich zu belehren, daß wir auf dem Stand der Naturreligion (wo das Moralgefühl bereits entwickelt, aber von Neigungen angefochten ist), schwach genug sind, der Vorstellung ein~r Offenbarung zu bedürfen. Es würde aber weit ehrenvoller für die Menschheit sein, "wenn die Naturreligion stets.hinlänglich wäre, sie in jedem Falle zum Gehorsam gegen das Moralgesetz zu bestimmen" 138 • 3.4. Die Erkennbarkeit von Offenbarung Nach der Bestimmung der inneren Möglichkeit von Offenbarung - sie ist unter Voraussetzung einer bestimmten geschichtlichen Situation um der universalen Durchsetzung des Sittengesetzes willen notwendig - geht es nun um die Möglichkeit ihrer Realisierung, d. h. vor allem der Erkennbarkeit einer bestimmten Erscheinung in der Sinnenwelt als eines Faktums von Offenbarung. Fichte setzt ( § 7, in engem Anschluß an den Text des Entwurfs) mit der Erörterung der "physischen Möglichkeit einer Offenbarung'' an, und zwar im Ausgang von der übergeordneten

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Frage nach der - von der praktischen Vernunft gefordertenMöglichkeit einer Kausalität gemäß den Gesetzen der praktischen Vernunft innerhalb der Naturkausalität 139 • Die Möglichkeit der Übereinkunft dieser beiden voneinander völlig unabhängigen Gesetzgebungen läßt sich nur aufgrund ihrer gemeinschaftlichen Abkünftigkeit von einer höheren, uns unzugänglichen Gesetzgebung denken. Für unsere Beurteilung der Erscheinungen in der Sinnenwelt ergibt sich aus der Notwendigkeit, durch Freiheit gesetzte Fakten für möglich zu halten, daß wir nicht alle Phänomene "aus den Gesetzen der Natur, sondern manche bloß nach Naturgesetzen erklären dürfen" 140 • Was läßt sich von hierher nun für die "physische" Möglichkeit von Offenbarung ermitteln? "Wir sind durch unsre Vernunft genötigt, das ganze System der Erscheinungen, die ganze Sinnenwelt zuletzt von einer Kausalität durch Freiheit nach Vernunftgesetzen, und zwar von der Kausalität Gottes abzuleiten. Die ganze Welt ist für uns übernatürliche Wirkung Gottes" 141 • Danach könnte der moralisch denkende Mensch im Grunde alle Erscheinungen in der Sinnenwelt als Offenbarung Gottes begreifen - sei es,· daß er eine bestimmte Erscheinung als gleich von Anfang an im Plan des Ganzen angelegt annimmt oder sie auf ein jeweiliges Eingreifen Gottes in die fortlaufende Reihe der natürlichen Ursachen und Wirkungen zurückführen möchte 142 • Im Zusammenhang der gegenwärtigen Frage geht es allerdings um dem Moralgefühl durchaus entfremdete Menschen, die durch eine Offenbarung zum Hören auf einen heiligen Willen erst einmal gebracht werden sollen. Dazu müssen diese im Hinblick auf eine Erscheinung in der Sinnenwelt es wenigstens als theoretisch möglich annehmen, "daß sie durch übernatürliche Kausalität bewirkt worden sein könne, und dazu [ ... ] gehört weiter nichts, als daß wir keine natürlichen Ursachen dieser Erscheinung sehen" 143 • Mehr ist zum erörterten Zwecke der Offenbarung aber auch mit Rücksicht auf die theoretische Vernunft nicht notwendig - etwa der Ausschluß der Möglichkeit, daß nach Erhebung der Menschheit zur Moralität die

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zunächst für übernatürlich gehaltenen Phänomene aufgrund besserer Naturkenntnis sich aus Naturgesetzen völlig erklären lassen. Sichere Kriterien zur Beurteilung des göttlichen Ursprungs eines Phänomens lassen sich nur nach Prinzipien der praktischen Vernunft entwickeln. Zunächst leitet Fichte "Kriterien der Göttlichkeit einer Offenbarung ihrer Form nach" (§ 8) ab, und zwar an erster Stelle solche gemäß der "äußeren Form", d. h. der "Umstände, unter welchen, und [der] Mittel, durch welche diese Ankündigung geschah" 144 . Nur dann kann eine Offenbarung vorliegen, wenn das (in § 6) erörterte Bedürfnis dazu wirklich gegeben ist (das heißt aber auch, daß bei fehlender Kommunikationsmöglichkeit verschiedene zugleich existierende göttliche Offenbarungen angenommen werden dürfen) und wenn die Ankündigung durch moralische Mittel geschieht (Betrug oder Zwang dürfen nicht im Spiele sein). Kriterien der "inneren Form" nach sind, daß Gott sich wirklich als moralischen (nicht etwa politischen) Gesetzgeber ankündigt und den geforderten Gehorsam nicht durch Belohnungen oder Strafen motiviert, sondern dazu allein Achtung für seine Heiligkeit zuläßt. In § 9 werden "Kriterien der Göttlichkeit einer Offenbarung in Absicht ihres möglichen Inhalts" entwickelt. Was kann eine Offenbarung an verbindlichem Inhalt vorlegen - über die rein formale Aussage der Bedeutung von Offenbarung hinaus, daß nämlich Gott moralischer Gesetzgeber sei? Etwa Belehrungen und Aufklärungen, auf die unsere Vernunft, sich selbst überlassen, nie kommen könnte? Diese Möglichkeit weist Fichte im Hinblick sowohl auf eine Erweiterung unserer theoretischen Erkenntnis des übersinnlichen ab 145 als auch auf praktische Maximen 146 . Eine Erweiterung der theoretischen Erkenntnis des übersinnlichen147 wäre auf keinen Fall der Moralität förderlich. In den hierzu gemachten Überlegungen 148 findet sich eine wichtige Bemerkung zur Frage nacli Wundern. Da der "Glaube an die Göttlichkeit einer Offenbarung überhaupt nur durch den Glauben an jede ihrer einzelnen Aussagen möglich ist, so

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kann keine Offenbarung, als solche, irgendeiner Behauptung die Wahrheit versichern, die sich dieselbe nicht selbst versichern kann" 149 . So begrenzt auch Fichtes Beurteilung der Erkennbarkeit von aus der Kausalität von Freiheit erwirkten Fakten allgemein und von Offenbarung im besonderen in dieser Schrift noch ist 150 , so wird hier doch mit Recht jede "extrinsezistische" Bewertung von Wundern, die nur auf ein äußeres Beglaubigungsdatum, ohne Berücksichtigung der Zeichenhaftigkeit des Geschehens, abhebt, zurückgewiesen 151 . - Praktische Maximen, die sich nicht durch die Vernunft vom Prinzip aller Moral ableiten lassen, widersprächer. der Einheit aller Vernunft, der sich auch Gott nicht entzieht. Was kann dann aber verbindlicher Inhalt einer Offenbarung sein? "Ohne Zweifel eben das, worauf uns die praktische Vernunft a priori leitet: ein Moralgesetz, und die Postulate desselben" 152 . "Die Offenbarung stellt teils das Prinzip aller Moral in Worte gebracht, teils besondre durch Anwendung desselben auf empirisch bedingte Fälle entstandene Maximen als Gesetze Gottes auf" 153 . Diese Maximen können schlechthin als Befehle Gottes, ohne weitere Deduktion vom Prinzip, ausgegeben werden - wenn sie sich nur hinterher vom Prinzip richtig deduzieren lassen 154. Analog gilt für die Postulate der Vernunft als möglichem Inhalt der Offenbarung 155 , daß, wenn entsprechende Zusicherungen (etwa für die Ewigkeit) auch unmittelbar als Entschließungen der Gottheit hingestellt werden, sie sich hinterher wenigstens vom Endzweck des Moralgesetzes ableiten lassen müssen. "Eine Offenbarung kann endlich gewisse, mit größerer oder geringerer Feierlichkeit verbundne, in Gesellschaft oder für sich allein zu gebrauchende Aufmunterungs-und Beförderungsmittel zur Tugend vorschlagen" 156 . Die Ausführungen hierzu157 kreisen im wesentlichen um Nutzen und Notwendigkeit des Betens. Gerade hier zeigt sich die Begrenztheit einer auf dem Standpunkt der Moralität verharrenden Religion - wie besonders von Fichtes Schrift "Die Anweisung zum seligen Leben" her deutlich wird. Wie bei Kant 158 erscheint hier das

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Gebet als ein unsere moralische Gesinnung unterstützendes Mittel, das nie Pflicht sein kann. Im Unterschied zu Kant reflektiert Fichte allerdings insbesondere auf den Nutzen des Gebets analog zu anderen "asketischen übungen" 159 , mit deren Hilfe die sinnliche Natur in Schranken gehalten wird 160 • Die Überlegungen bleiben befangen in der Beziehung einer individualisierten praktischen Vernunft auf sich selbst und auf die sie affizierende Natur, sind noch nicht offen auf das Bedenken des letzten Grundes, aus dem praktische Vernunft überhaupt entspringt. In § 10 geht es um Kriterien der Darstellung des Offenbarungsinhalts, die nach den Voraussetzungen von § 6 dem "rohsinnlichen" Menschen angepaßt sein muß. Hier ist ein Bruch in der Argumentation festzustellen. Bei Erörterung der eine Offenbarung notwendig machenden Geschichtssituation ging Fichte vori einem Zustand aus, in dem Menschen nicht nur sich selbst, sondern auch anderen eine Verleugnung des Eigennutzes um der Pflicht willen "als lächerliche Torheit anrechnen", wofern sie nicht etwa "durch die Pflichtverletzung des andern an ihrem eignen Vorteile gekränkt worden sind" 161 • Jetzt hat er Menschen im Blick, die ungerechtes Handeln wenigstens bei anderen verabscheuen und durch Aufstellung moralischer Beispiele und Erzählungen, die an dieses Empfinden anknüpfen, dazu gebracht werden können, sich auch eigene Ungerechtigkeit einzugestehen 162 • Von den Vernunftideen eignet sich nicht die der Freiheitdie jeden Menschen "unmittelbar sein Selbstbewußtsein lehrt" 163 - wohl aber die Idee Gottes und die der Unsterblichkeit zur sinnlichen Darstellung. Die Versinnlichung des Begriffs von Gott kann der Moralität widersprechen, einmal unmittelbar - wenn Gott mit Leidenschaften dargestellt wird, die gegen das Moralgesetz sind 164 - , zum anderen mittelbar - wenn eine sinnliche Darstellung "als objektiv gültig, und nicht als bloße Herablassung zu unserm subjektiven Bedürfnis vorgestellt würde" 165 • Daraus könnte etwa geschlossen werden, daß wir Gott mit Brandopfern ein sinnliches

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Vergnügen machten. Es ergibt sich nach Fichte aus dieser zweiten Abgrenzung allerdings auch, daß der Gedanke der Inkarnation des Logos eine bloß subjektive Gültigkeit besitzen kann 166 • Ähnliche Kriterien gelten auch für die sinnliche Konkretion des Postulats der Unsterblichkeit der Seele als Erwartung einer leiblichen Auferstehung und eines allgemeinen Gerichtstages. Hier ist allerdings wegen der Endlichkeit der moralischen Wesen eine objektive Gültigkeit solcher sinnlichen Vorstellungen theoretisch nicht schlechthin ausgeschlossen und nicht der Moral widerstreitend. Grundsätzlich gilt, daß die sinnliche Bestimmung des Dargestellten "unter der Zucht einer guten Offenbarung sich immer mehr verringern" und möglichst vielen Völkern und Zeiten angepaßt sein soll 167 . Dies gilt auch von den "Aufmunterungs- und Beförderungsmitteln zur Moralität", auf die Fichte abschließend, dem Aufbau von § 9 entsprechend, noch kurz eingeht 168 • Eine - im Entwurf noch nicht vorhandene systematische Ordnung nach der Kantischen Kategorientafel beschließt die Aufstellung der Erkennbarkeitskriterien von Offenbarung ( § 11 ). Zum angemessenen Verständnis von § 12, "Von der Möglichkeit, eine gegebne Erscheinung für göttliche Offenbarung aufzunehmen", ist es wichtig, die Redaktionsgeschichte der Offenbarungsschrift vom Entwurf bis zur ersten Auflage im Blick zu behalten. In einer kritischen Bemerkung zu § 6 169 stellt Fichte fest, daß ihm dort der wahre Zweck der Offenbarung noch nicht so deutlich war wie in den auf die Ableitung der Kriterien folgenden Überlegungen "Von der Möglichkeit, u. dem Grade der Ueberzeugung von der Göttlichkeit einer Offenbarung" 170 : "Nicht nur um das Moralgefühl in dem sinnl. Menschen erst zu entwikeln, sondern auch um, wenn .es schon entwikelt ist, ihn im Kampfe mit der Leidenschaft durch versinnlichte moralische Antriebe zu bestimmen, ist eine Offenbarung nöthig" 171 • Damit kommt in der Tat ein entscheidender Perspektivenwechsel zum Ausdruck.

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Angelpunkt der Ausführungen von § 12 ist die Feststellung, daß durch Prüfung einer bestimmten Erscheinung nach den (in §§ 8-10) abgeleiteten Kriterien man bloß bis zu dem problematischen Urteil gelangt, daß etwas eine Offenbarung sein könne, nicht aber zu dem kategorischen Urteil, daß etwas wirklich eine Offenbarung ist 172 • Dies ist aber auch, wie es im Entwurf noch ausdrücklich hieß, zur Erreichung des Zwecks hinreichend, aus dem Fichte Offenbarung als (bedingt) notwendig erweisen konnte: "So lange die Sinnlichkeit noch ganz roh' u. herrschend, u. das MoralGefühl noch ganz unentwikelt ist, soll die übernatürliche Causalität einer moralischen Belehrung nichts weiter thun, als die Aufmerksamkeit erregen; u. hierzu ist es völlig hinlänglich wenn dieselbe auch nur blos problematisch ist, wenn sie ohne den geringsten Grund darfür, oder dar wider übernatürlich sein kann" 173 • Sobald nun das Moralgefühl entwickelt ist und ein Kampf zwischen Pflicht und Neigung stattfindet, kann es aber "gar nicht einerlei sein, ob wir unsrer Neigung blos eine große Warscheinlichkeit, daß Gott etwas wolle, oder ob wir ihr eine völlige Ueberzeugung entgegensezen" 174 • Eine Offenbarung, die dem angefochtenen moralischen Willen zur Hilfe kommen soll, muß also mit mehr als einem bloß problematischen Urteil als gegeben erkannt werden. Hier ist zunächst zu bemerken, daß die Feststellung einer Wahrscheinlichkeit aufgrund von Kriterien der praktischen Vernunft nach § 7 gar nicht das entscheidende Moment war, das dem "rohsinnlichen Menschen" eine bestimmte Erscheinung als "von Gott her Aufmerksamkeit fordernd" erkennbar macht. Wie Fichte dort ausführte, gehört wesentlich dazu, daß man (aufgrund von Kriterien der theoretischen Vernunft) keine natürlichen Ursachen dieser Erscheinung sieht 175 • Nun hatte sich Fichte allerdings nicht nur bereits in § 7 von der Verfolgung solcher (zeitbedingter) Kriterien der theoretischen Vernunft abgewandt. In § 12 interessiert ihn nicht einmal mehr das Bedürfnis des "rohsinnlichen Menschen", sondern nur noch der auf dem Willen zur Pflichtausübung

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basierende Wunsch, durch Offenbarung möge das pflichtgemäße Verhalten erleichtert werden 176 • Wenn Fichte auch in diesem Zusammenhang von einem den Offenbarungsglauben rechtfertigenden "empirischen Bedürfnis" sprich~ 177 , so muß man im Auge behalten, daß dieses sehr verschieden ist von jener möglichen Situation, die ihm in §§ 5, 6 178 die (bedingte) Notwendigkeit von Offenbarung abzuleiten erlaubte. Die Argumentation hat sich inzwischen so weit verschoben, daß Fichte nun bereits für den Zustand, den er als "Naturreligion" beschrieb 179 , eine Offenbarung für notwendig hält, während er diese Notwendigkeit zuvor nicht einmal für den Zustand des "tiefsten Verfalls" der Moralität anerkannte, sofern dieser nur einzelne Menschen beträfe. Die anderen hätten, wie oben gezeigt, die Pflicht - ohne Zuhilfenahme eines Offenbarungsglaubens! - in den schlechteren das moralische Gefühl zu entwickeln. Für diesen Wandel der Perspektive ein aufschlußreiches Beispiel. Wie steht jemand, der für seine Person keines Offenbarungsglaubens bedarf, innerhalb einer Gesellschaft, die (im Kampf der Pflicht gegen die Neigung) das Bedürfnis dazu hat? Der Glaube an Offenbarung kann ihm nicht aufgedrungen werden. "Eine andere Frage ist's, ob man nicht in der Gesellschaft zum äußern Bekenntniß gewißer Dogmen einer Offenbarung, u. Beobachtung gewißer Gebräuche, die auf dieselbe Bezug haben, verbunden sein könne, welche in die Politik gehört" 180 • Kurze Zeit darauf stellt Fichte aber eingehende Überlegungen darüber an, ob jemand, der dieses Bedürfnis nicht selbst fühlt, es aber an anderen erkennt, zum Zweck der Beförderung der Moralität nicht auch den Wunsch nach Offenbarung haben kann, der ihn schließlich vom problematischen Urteil, es könne etwas Offenbarung sein, zu dem kategorischen Glauben, es sei etwas Offenbarung, führt 181 • Er kommt zu dem Ergebnis, wenigstens vorübergehend müsse dadurch ein ungeheuchelter Glaube möglich sein 182 • Die systematische Unausgeglichenheit in der Begründung der Möglichkeit eines Offenbarungsglaubens, wie sie besonders von

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den Schlußparagraphen her deutlich wird, dürfte vor allem aus zwei Schwierigkeiten zu erklären sein. Auf der Basis der Karrtischen Philosophie ließ sich zwar eine Notwendigkeit von Offenbarung für den Fall eines (zumindest regional) gänzlich unentwickelten Moralgefühls a priori deduzieren. Das gezeigt zu haben, ist wohl Fichtes größte Leistung in dieser Schrift. Aber zum einen führte diese Deduktion, wie Fichte bei der Überarbeitung von § 6 erkannte, zur Notwendigkeit einer Offenbarung nicht im formalen, sondern nur im materialen Sinne. Zum anderen ging es bei der Frage nach der Legitimität von Offenbarung ja zunächst und vor allem nicht um eine mögliche göttliche Initiative in grauer Vorzeit, wo das Moralgefühl überhaupt noch nicht geweckt war, sondern um das Verhältnis transzendentaler Philosophie zur fortbestehenden christlichen Theologie. Die Antwort, die Fichte 1791/92 auf diese Frage fand, ist zwar nicht ohne Originalität, konnte seinen eigenen Ansprüchen an strenge Wissenschaftlichkeit aber nicht genügen.

4.

Die Weiterentfaltung des Offenbarungsbegriffs

4.1. Neuansätze zur Klärung des Begriffs Zwischen § 3 183 , "Einteilung der Religion überhaupt in die natürliche und geoffenbarte", und § 4, "Erörterung des Begriffs der Offenbarung, als Vorbereitung einer Deduktion desselben"184, hat Fichte in der zweiten Auflage der Offenbarungskritik einen neuen Paragraphen (§ 5), "Formale Erörterung des Offenbarungsbegriffs, als Vorbereitung einer materialen Erörterung desselben", eingefügt. Die hier getroffenen Überlegungen tragen nichts zum Fortgang des Gedankens bei, wie er in der "Kritik" konzipiert ist, wohl aber zeigen sie Fichte auf dem Weg zu einem systematischen Neuansatz der gesamten Problematik, wie er fortan, bis in die Spätschriften hinein,

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bestimmend bleibt: Vorab vor dem "Stoff" einer möglichen Offenbarung muß zunächst die "Form" von Offenbarung im allgemeinsten Sinne untersucht werden, insbesondere ihre Grundstruktur als interpersonaler Akt. Schon 1793 sucht Fichte die Lösung im Verstehen einer Wahrnehmung von dem durch sie erwirkten Akt meiner Erkenntnis her, den ich nur auf ein anderes, zwecksetzendes Wesen zurückführen kann 185 • Der hier noch aporetisch bleibende Versuch kommt 1796, durch die Deduktion von Interpersonalität in §§ 1-3 der "Grundlage des Naturrechts", zu einer ersten Klärung. Als transzendentale Bedingung der Möglichkeit jedes individuellen Selbstbewußtseins wird dort der anerkennend-auffordernde Akt eines anderen Vernunftwesens aufgewiesen, in dem sich das angesprochene Ich erstmals seiner Freiheit bewußt werden kann. Bereits damit war das fundamentalste Problem hinsichtlich des Verhältnisses von Offenbarung und autonomer Vernunft prinzipiell einer Lösung zugeführt: Die mich in Anspruch nehmende Anrede eines anderen Vernunftwesens behindert nicht notwendig meine Freiheit; sie ist sogar unabdingbar, damit meine Autonomie sich überhaupt erst entfalten kann. Fichte selbst hatte schon im Zusammenhang dieser Erörterung - die ja zunächst nur auf die Deduktion der Möglichkeit des Rechtsverhältnisses abzielte - kurz auch die Frage nach einer Offenbarung ausdrücklich aufgeworfen. "Die Aufforderung zur freien Selbstthätigkeit ist das, was man Erziehung nennt. Alle Individuen müssen zu Menschen erzogen werden, außerdem würden sie nicht Menschen". Wer erzog dann aber die ersten Menschen? "Ein Mensch konnte sie nicht erziehen, da sie die ersten Menschen seyn sollten. Also ist es nothwendig, daß sie ein anderes vernünftiges Wesen erzogen, das kein Mensch war - es versteht sich, bestimmt nur so weit, bis sie sich selbst unter einander erziehen konnten. Ein Geist nahm sich ihrer an, ganz so, wie es eine alte ehrwürdige Urkunde vorstellt, welche überhaupt die tiefsinnigste erhabenste Weißheit enthält, und Resultate aufstellt, zu denen alle Philosophie am Ende doch wieder zurück muß" 186 •

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Hier scheint das Offenbarungsproblem zwar noch im Rahmen der Frage nach der "Erziehung des Menschengeschlechts" gestellt. Sowohl diese Lessingsche Sicht der Offenbarung als einer nützlichen, aber nicht vernunftnotwendigen pädagogischen Maßnahme 187 als auch Fichtes Beschränkung der Notwendigkeit von Offenbarung auf gänzlich "rohsinnliche" Menschenvölker bzw. solche Menschen, die im Kampf gegen die Neigungen den Wunsch nach Stärkung ihrer Naturreligion haben 188 , sind hier jedoch grundsätzlich überholt. Die menschliche Vernunft kommt, dies ist jetzt nach den strengen Prinzipien der Transzendentalphilosophie erwiesen, nicht einmal zu sich selbst, es sei denn durch Offenbarung. So nahe es gelegen hätte, der Frage nachzugehen, wie denn eigentlich das Zu-sich-selbst-Kommen der Vernunft - besonders im Hinblick auf das Bewußtwerden ihres tiefsten, absoluten Grundes - näherhin von der Freigabe durch andere Vernunft abhängt; Fichte bleibt doch noch so sehr den Fragestellungen der Aufklärung verhaftet, daß er seinen großartigen Grundgedanken von 1 796 vorerst nur im Hor-izont eines deistischen ersten Anstoßes menschlicher Vernunft in den Blick faßt 189 • Dies läßt sich zunächst an der Entwicklung seiner Reflexion über den Ursprung der Sprache verfolgen. In einem Artikel von 1795, "Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprung der Sprache", hatte Fichte erstmals den Versuch einer transzendentalen Ableitung von Sprache vorgelegt. Aufgrund der Notwendigkeit eines "contrat social" sucht der Mensch bei seiner Wirkung auf das Nicht-Ich Äußerungen anderer Freiheit von denen bloßer Natur zu unterscheiden. Dies sei nur durch die Antwort eines anderen Wesens auf mein vernünftiges Handeln hin, also durch ein Sprechen (im weiteren Sinn, etwa auch durch Zeichen) möglich. Bei der erneuten Erörterung der Frage nach dem "Ursprung der Sprache" innerhalb seiner "Vorlesungen über Logik und Metaphysik" von 1797 trägt Fichte nun seiner Einsicht von 1796 Rechnung, daß bereits vor dem Problem eines sozialen

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Arrangements selbstbewußter Individuen sprachliche Kommunikation nötig ist, nämlich bereits zur Konstitution des Selbstbewußtseins dieser Individuen. Er hebt im Anschluß an die Ausführungen des "Naturrechts" zunächst die· sprachliche Ermöglichung von Individualität hervor 190 , führt sodann- den oben zitierten Hinweis von 1796 aufgreifend- die Entstehung des Menschengeschlechts und damit der Sprache auf ein ursprüngliches Angesprochensein durch Gott, ein "Wunder", zurück 191 und erörtert erst an dritter Stelle die Thematik, die Gegenstand seines Artikels von 1795 gewesen war: die "Erfindung", d. h. eigentlich: Weiterentwicklung der Sprache durch den Menschen 192 . Bei der Ausführung des zweitgenannten Punktes nun taucht erstmalig der Gedanke von der Erziehung eines "Urvolks" durch Gott auf 193 . Dieser Gedanke hat auf merkwürdige Weise die gesamte Reflexion Fichtes über Geschichte allgemein und Offenbarung insbesondere bis hin zur Spätphase von 1812/13 beherrscht und, wie man wohl sagen muß, zum großen Teil verstellt. Wir müssen uns hier auf die Offenbarungsthematik beschränken und können auf die damit verbundene, weitverzweigte gesellschaftstheoretische Problematik nicht eingehen194. Die Idee eines durch eine göttliche "Uroffenbarung" begabten Volkes als ursprünglichster Möglichkeitsbedingung von Geschichte entfaltet Fichte erstmals ausführlich in den "Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters" (vorgetragen 1804/05). Geschichte sei entstanden durch das Zusammentreffen zweier Urgeschlechter, eines "Normalvolkes", das durch sein bloßes Dasein, ohne alle Wissenschaft oder Kunst, sich im "Zustande der vollkommenen Vernunftkultur befunden" hat, und eines anderen Volkes, oder besser: eines disparaten Geschlechts gänzlich andersgearteter Menschen, nämlich "rohe(r) erdgeborene(r) Wilde(r), ohne alle Bildung, außer der dürftigen, für die Möglichkeit der Erhaltung ihrer sinnlichen Existenz" 195 . Die damit anhebende Geschichtsdialektik begreift Fichte nach dem Schema Rezeptivität - Spontaneität. Das "Normalvolk"

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bringt die inhaltliche Komponente - naives Gutsein, bloßen Glauben - in die Wechselwirkung ein, das Geschlecht der "Wilden" das nackte Prinzip bloßer Freiheit, ohne inhaltliche Bindung. über das Aneinanderreiben dieser beiden gesellschaftlich inkarnierten Prinzipien (in fünf Geschichtsphasen) soll schließlich das Reich eines sittlichen Handeins aus autonomer Vernunft hervortreten. Gegenüber dem systematischen Ansatz von 1796 erscheint diese Theorie als ein Rückfall. Nach dem Zusammenhang in § 3 des "Naturrecht" konnte es sich bei dem von Fichte postulierten paradiesischen Akt doch nur um eine Aufforderung zur Freiheit handeln. Wie soll daraus die völlig unreflektierte Kulturbegabung eines naiven "Normalvolks" hervorgehen? Im Bemühen, seine ursprünglich streng transzendentalkritische Deduktion von Interpersonalität und Geschichte kulturhistorisch zu entfalten, lokalisiert Fichte dann die "Wiege des Menschengeschlechtes" im "mittleren Asien". Erst über ihre Zerstreuung nach Mesopotamien wurden auch die Juden "ihres früheren rohen Aberglaubens erlediget und zu besseren Begriffen über Gott und die Geisterwelt erhoben" 196 • Selbst Jesus habe seine Offenbarung historisch nicht über Vermittlung der Juden, sondern aus jenem asiatischen Ursprung bezogen 197 • Auf dem Hintergrund dieser Theorie von "Uroffenbarung" sind manche Abstrusitäten im nationalen Gedanken Fichtes - bis hin zu dem Entwurf einer "Nationalreligion" 198 leichter zu verstehen. Man darf darüber aber nicht die Entwicklung Fichtes zu einem gänzlich andersgearteten systematischen Ansatz vernachlässigen, wenn diese sich auch weitgehend gleichzeitig mit solchen abwegigen Spekulationen und nicht so augenfällig wie diese vollzieht. Für dieses merkwürdige Schwanken in seinem Denken bietet "Die Anweisung zum seligen Leben" (I806) interessante Beispiele. Einmal finden sich auch hier Äußerungen, daß die von Jesus bezeugte wahre Religionslehre "so alt, wie die Welt"

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sei 199 • Diese von den "Grundzügen" her bekannte Linie wird dann wieder aufgegriffen in den "Reden an die deutsche Nation" (1808) 200 und klingt selbst noch in der "Staatslehre" von 1813 einmal an 201 • Ganz im Gegensatz dazu betont Fichte aber in der "Anweisung zum seligen Leben" gerade, daß Jesus seine Erkenntnis nicht "durch Lehre von außen und Tradition" habe: "Daraus, daß er selbst auf eine richtigere Religionskenntnis vor Abraham hindeutet, und einer seiner Apostel bestimmt auf Melchisedek verweiset, folgt nicht, daß Jesus durch unmittelbare Tradition mitjenem Systeme zusammengehangen habe; sondern er kann sehr füglieh das ihm schon in ihm selber Auf§egangene beim Studium Moses nur wiedergefunden haben" 2 2 • Die Einsicht in die absolute Einheit des menschlichen Daseins mit dem göttlichen "[ ... ] ist vor Jesu nirgends vorhanden gewesen [. . . ]. Wie kam nun Jesus zu dieser Einsicht? Daß jemand hinterher, nachdem die Wahrheit schon entdeckt ist, sie nacherfinde, ist kein so großes Wunder; wie aber der erste, von Jahrtausenden vor ihm und von Jahrtausenden nach ihm durch den Alleinbesitz dieser Einsicht geschieden, zu ihr gekommen sei, dies ist ein ungeheures Wunder" 203 • Hier tritt erstmalig eine Sicht von Offenbarung in den Blick, die über die Perspektive eines "deistischen" ersten Anstoßes der Menschheitsgeschichte durch Uroffenbarung wesentlich hinausweist. Sie wird aber sogleich -noch auf derselben Seite! -wieder verstellt, wenn Fichte meint, "daß der Philosoph - so viel er weiß, - ganz unabhängig vom Christenturne dieselben Wahrheiten findet", selbst wenn es wahr bleibe, "daß wir mit unserer ganzen Zeit und mit allen unseren philosophischen Untersuchungen auf den Boden des Christentums niedergestellt sind, und von ihm ausgegangen: daß dieses Christentum auf die mannigfaltigste Weise in unsere ganze Bildung eingegriffen habe, und daß wir insgesamt schlechthin nichts von alle dem sein würden, was wir sind, wenn nicht dieses mächtige Prinzip in der Zeit vorhergegangen wäre" 204 •

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Prinzipiell liegt hier ein Rückfall hinter die Einsicht von 1796 vor. Auch aus Lessings "Erziehung des Menschengeschlechts" könnte man zu dem hier vorgetragenen Resultat hinsichtlich des Verhältnisses von Offenbarung und autonomer Vernunft gelangen. Der wirkliche Durchbruch Fichtes erfolgt erst in seinen Reflexionen von 1812/13. Dies soll nun in aller Kürze aufgewiesen werden. 4.2. Offenbarung und Philosophie in der "Sittenlehre" von 1812 Die einzige ausführlichere Erörterung des Offenbarungsbegriffs im Spätwerk Fichtes findet sich in einem Anhang zur "Sittenlehre" von 1812. Diese Ausführungen eröffnen zugleich ein Verständnis des Wandels, den Fichtes Denken durchgemacht hat, weil sie ausdrücklich die Aussagen über das "Notsymbol" in Fichtes "System der Sittenlehre" von 1798 205 aufnehmen. 1793 - in der Phase vor der ersten Fassung der Wissenschaftslehre, dem auch die "Kritik aller Offenbarung" zuzurechnen ist - hatte Fichte eine jede konsequente sichtbare Kirche noch als repressive Vertragsgesellschaft zwecks Unterjochung der Gewissen verstanden. In seinem "Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution" vertrat er die Auffassung, daß die Einsicht der sittlich-praktischen Vernunft so in sich selbst genug sei, daß sie keines Bezugs auf Mitmenschen bedürfe. Diese Vorstellung vom "religiösen Robinson" weicht nun seit 1796 der Einsicht in die interpersonale Vermittlung jeder individuellen Freiheit und macht einem positiveren Verständnis von Kirche und kirchlichem Bekenntnis Platz, wie Fichte es dann im "System der Sittenlehre" von 1798 entfaltet206 • Weil meine moralische Oberzeugung nur als Wahrheit des "reinen Ich" einen Sinn hat, das "reine Ich" aber nur in der Wechselwirkung der Individuen zur Darstellung kommt, muß ich mich notwendig auf andere Oberzeugungen einlassen. Als

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die grundlegende Institution, in der die moralischen Überzeugungen aller zur Wechselwirkung gebracht werden können, begreift Fichte nun Kirche. Damit aber überhaupt ein gemeinsamer Ausgangspunkt gefunden werde, ist ein kirchliches Bekenntnis nötig, ein "Symbol", in dem sich die Überzeugung von einer übersinnlichen Wahrheit in eine sinnliche Hülle kleidet. Dieses Symbol darf allerdings prinzipiell nur "Notsymbol" sein, d. h. es muß stets möglicher Veränderung und Verbesserung offenstehen. An diese früheren Ausführungen von 1798 knüpft Fichte nun in seinen erneuten Vorlesungen über "Sittenlehre" im Jahre 1812 an. Nichts hat sich an seiner Einschätzung der autonomen Vernunft in ihrem Recht geändert, jedes gegebene Symbol weiterzuentwickeln. Während 1798 aber noch völlig im Dunkeln blieb, wie ein Symbol zustandekommt und was ihm Geltung verleiht - Fichte sagte damals nur, es ist "absolute Pflicht, etwas, was es auch sey, worüber wenigstens die meisten übereinstimmen, festzusetzen als Symbol, d. h. eine sichtbare Kirchengemeinschaft, so gut man kann, zusammenzubringen"207 - wird nun das Entstehen eines Symbols ausdrücklich auf Offenbarung zurückgeführt. Zum vollen Verständnis dieser Darlegungen sind die Ausführungen über die "geistige Natur" ( d. h. das Leben einer geschichtlichen Gemeinschaft) und ihre Weiterbildung durch "Gesichte" wichtig, die Fichte in den "Reden an die deutsche Nation" von 1808 und den "Fünf Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten" von 1811 gemacht hat 208 . Eine Gemeinschaft lebt von dem, was sich je sprachlich-geschichtlich als Geist vermittelt hat. Diese Vermittlung geschieht über "Gesichte" (wie Fichte i6Ea übersetzt) 209 , ausgedrückt in sprachlichen Sinnbildern, in denen der Durchbruch vom materiellen zum geistigen Sein jeweils gelingt. In einer lebendigen Sprache knüpft jeder Fortschritt in der Durchdringung geistiger Gehalte an das in solchen Sinnbildern bereits niedergelegte Verstehen an. So schwingt im Ganzen der sprachlichen Tradition der einmal errungene Sieg über die Materie mit, der in den ursprünglichen

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Symbolen seinen Ausdruck gefunden hat, und führt die geistige Weiterentwicklung nicht von der Erfahrung materieller Wirklichkeit weg, sondern tiefer in den "Sinn" des "sinnlich" Gegebenen hinein. Diese allgemeine Einsicht in den Zusammenhang von "Wirkungsgeschichte" (wie man im Anschluß an Gadamer sagen könnte) läßt Fichte nun in seine erneute Reflexion auf das kirchliche Symbol eingehen. Wie kommt ein solches Symbol zustande? Der Begriff (d. h. nach der Spätphilosophie Fichtes: das Wissen, daß alles erscheinende Sein Bild Gottes, des absoluten Seins, ist bzw. werden soll) "bricht eben irgendwo in der Welt durch zum Bewußtsein, und zwar, so gewiß es der absolute Begriff ist, in einem sittlichen Bewußtsein, mit dem Auftrage: mitgeteilt zu werden und verbreitet, soweit es irgend möglich ist. Dies geschieht, so gewiß es ein ursprüngliches Durchbrechen ist, dessen, was in der Welt noch nirgends vorhanden ist, auf eine unbegreifliche, an kein vorheriges Glied anzuknüpfende Weise; genialisch, als Offenbarung" 210 • Zwischen solchem ursprünglichen Durchbrechen eines "Gesichts" dessen, was das absolute Sein ist und was darum in der Geschichte als seine Erscheinung werden soll, und der Anerkennung dieser neuen Einsicht· durch die, denen es mitgeteilt wird, liegt allerdings jeweils eine große Kluft. "Nun ist das Symbol keineswegs die Lehre des, durch den die Offenbarung des Begriffs zuerst wird, weder die, welche er im Innern trägt, noch die, welche er auszusprechen vermag in einer unter der Voraussetzung noch niemals zu dieser Art der Mitteilung gebrauchten Sprache, sondern das, was der Geringste unter den Einverstandenen wirklich vernimmt und einsieht, was man sicher bei jedem, der uns begegnet, wenn er nur ein Einverstandener und ein Mitglied der Kirche ist, voraussetzen kann" 211 • Aufgrund dieser geschichtlich notwendigen Differenz zwischen Offenbarung und allgemein anerkanntem Symbol kommen die theologischen Disziplinen mit ihrem Auftrag an der Weiterentfaltung des "Notsymbols" ins Recht. In unserem

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Zusammenhang geht es allein um das Verhältnis von Offenbarung bzw. ihrem Niederschlag im Kirchensymbol und Philosophie. Für Fichte steht seit jeher fest, daß zwischen dem Inhalt wirklicher Offenbarung und dem wirklicher Philosophie kein Unterschied besteht, vielmehr nur im Hinblick auf die Form, wie der Inhalt gewußt wird. Diesen Unterschied kennzeichnet er hier als den zwischen "Gefühl" und "Sehe". D. h., er geht hinter den vordergründigen Gegensatz von Autorität und Autonomie zurück auf die entscheidendere Differenz, die zwischen der auch in der höchsten sittlichen und religiösen Intuition noch immer waltenden Heteronomie unmittelbarer Annahme und dem selbständigen Nachvollzug solcher Einsicht liegt, in dem ich die notwendige Genesis des Gedankens nach unumstößlichen Vernunftprinzipien erfasse. Wichtiger aber ist, daß Fichte nun in einer Klarheit wie nie zuvor die durchaus wechselseitige Priorität von Offenbarung und autonomer Vernunft herausstellt. So sehr eine jede Offenbarung, die die freie sittliche Vernunft anspricht (und nichts anderes konnte schon nach den Prinzipien von 1792 als Offenbarung anerkannt werden) letztlich darauf drängt, nicht nur im Glauben angenommen, sondern in eigener Kraft der Vernunft reflektiert zu werden - die Priorität der Philosophie vom telos her! -, ebenso deutlich unterstreicht Fichte jetzt auch den Charakter der Philosophie als wesentlich bloßem Nachvollzug des vorher durch die Offenbarung eröffneten Gehalts: "Der sittliche Glaube ist es, wo es zu wahrer Philosophie kommt, der sich selbst zur Klarheit und zum Triebe des Sehenwollens entwickelt. Philosophie setzt ihn voraus: sie muß schon haben das Objekt, das sie sehen will im klaren Lichte. Aber der sittliche Glaube kommt in das faktische Dasein nur durch Offenbarung, Inspiration. Alle Philosophie darum, obwohl sie in Absicht der Form weghebt durchaus über alle Kirche, geht dennoch ihrem faktischen Sein nach aus von der Kirche und ihrem Prinzip, der Offenbarung. Der Philosoph ist darum und bleibt Mitglied der Kirche, denn er ist im

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Schoße der Kirche notwendig erzeugt, und von ihr ausgegangen"212. Das Unbehagen, daß die Offenbarungsgläubigen gegenüber den Ansprüchen autonomer Vernunft empfinden, beruhe darauf, daß die bislang bekannte Philosophie eben nur ein Zerrbild der Vernunft geboten habe, nämlich das bloße Räsonnieren über die Sinnenwelt. "Sie setzen voraus, daß dies [sc. die durch Offenbarung erschlossene Realität] eine ganz andere Welt sei [... ], und daß man durch kein bloßes Kombinieren, Fortschließen und Klarmachen des Sinnlichen hineinkomme; daß man durch ein Wunder, durch einen Sprung hinüber gehoben werden müsse: wir geben dies zu und predigen es, wie sie. Auch gestehen wir ein, daß es zur wahren Philosophie ohne diese Erhebung nicht kommen kann, und daß diese selbst auf dem faktischen Boden der Offenbarung ruhe. Darin aber, daß Philosophie nichts sei, als jenes Kombinieren des sinnlichen Begriffs, sind wir mit ihnen uneinig, und können sie bloß bitten, darüber sich bessere Kenntnisse anzuschaffen [... )" 213 . Was hier von Fichte erstmalig in aller Schärfe beim Neubedenken seines "Systems der Sittenlehre" klargestellt wurde, schlägt sich 1813 nun auch in seiner erneuten Reflexion auf den Gang der Geschichte und die Rolle, die der Gestalt Christi hierin zukommt, nieder. 4. 3. Christus als Wendepunkt der Geschichte in der "Staatslehre" von 1813 Wie die Neubesinnung über das Verhältnis von kirchlichem Glauben und Philosophie in Fichtes "Sittenlehre" von 1812 bei seinen früheren Aussagen über das "Notsymbol" ansetzt, so greifen auch seine Geschichtsspekulationen von 1813 einen alten Topos auf: das Zusammenkommen zweierUrvölkerals Begründung geschichtlicher Dialektik, wie es in den "Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters" beschrieben wurde. Schärfer als dort wird diese Dialektik nun aber sogleich unter

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der grundsätzlichen Frage nach dem Verhältnis von Rezeptivität und Spontaneität endlicher Vernunft angegangen. Sosehr das Erscheinen der Vernunft auf Erden in unbedingter Freiheit erfolgen soll, vermag die bloße Spontaneität aus sich doch niemals einen Gehalt hervorzubringen. Da sie sich andererseits nicht durch natürliches Sein, durch Bilder bloßer Natur bestimmen lassen soll, muß ihr also ein Bild des Sittlichen vorgegeben werden. Eine solche Vorgegebenheit widerspricht dann der Freiheit nicht, wenn sie nur Vor-bild wäre des Hervorbringens durch Freiheit 214 • Wie in den "Grundzügen" scheint Fichte die Lösung dieses Problems darin zu finden, daß ein Geschlecht, welches das Bild der Sittlichkeit vollendet in sich ausgeprägt trägt, auf ein anderes trifft, welches reine, formale Freiheit, ohne jede qualitative Bestimmung verkörpert, und damit die Emanzipation der endlichen Vernunft ursprünglich in Gang kommt 215 • Geht man dann aber den geschichtsphilosophischen Erörterungen von 1813 nach, so ist man erstaunt, wie wenig bleibenden Wert Fichte der ersten Erscheinung einer Herrschaft der "natürlich Guten" beimißt. Was hier in der Darstellung der "Alten Welt" vom "Normalvolk" übrigbleibt, hat kaum noch etwas mit ,,Norm" und "Bild des Sittlichen" zu tun. Das einzige Bild eines die Freiheit auf immer bestimmenden Gehaltes, den diese sich dann nach und nach aneignen muß, tritt erst in der "Neuen Welt", mit der Offenbarung Christi, auf die Bühne der Geschichte - aber nicht, wie Fichte zuvor behauptet hatte, als Überbleibsel aus den Zeiten des Urvolks, sondern als ein durchaus ursprünglich auftretendes, zuvor nicht erdenkbares Bild216 • Diese seltsame Wende im Gedankengang wird leichter verständlich im Zusammenhang mit parallelen Reflexionen, die Fichte in den "Excursen zur Staatslehre" von 1813 festgehalten hat 217 • Die Überlegungen stehen unter der Fra~e: "Wie weit läßt unsere Philosophie das Faktum gelten?" 21 In der Antwort wird deutlich, wie Fichte nun, von geschichtsphilosophischen Betrachtungen ausgehend, zu einem entscheiden-

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den neuen Schritt in der Formulierung seiner Transzendentalphilosophie überhaupt kommt. Dieser Schritt kristallisiert sich an zwei Punkten, von denen her Licht auf die 1813 erfolgende "christologische Ablösung" des Gedankens vom "Normalvolk" fällt: "Wir werden Alle im Glauben geboren heißt eigentlich: wir werden Alle im Unverstande geboren; weil nur die Freiheit verständig macht. -Alle Geschichte entstände darum und höbe an aus dem Unverstande, und sie wäre unendlich, weil das Unbegreifliche, d. i. das noch nicht in den Begriff des Tuns Gefaßte, unendlich ist [. . . ]. Aber ist in diesem Elemente des Unbegreiflichen, Unverstandenen, nicht zugleich ein Weltplan, drum allerdings eine Vorsehung und ein Verstand? Welches ist denn das Gesetz der Weltfakten, d. i: desjenigen, was der Freiheit ihre Aufgaben liefert? Diese Frage liegt sehr tief: bisher habe ich durch Ignorieren und Absprechen mir geholfen! Ich dürfte da allerdings einen tieferen, eigentlich absoluten Verstand bekommen, an der unendlichen Modifikabilität der Freiheit, und dieser den inneren Halt gebend. Was ich daher als absolut faktisch gesetzt habe, möchte doch durch einen Verstand gesetzt sein. (Hierdurch würde ich mich Schellingen wieder mehr nähern.) [... ]" 219 • Aufgrund dieser Einsicht greift Fichte zunächst zwar wieder nur die alte These vom "Normalvolk" auf. Dann aber setzt er wenige Seiten später noch einmal an, im Kontext eines Fragens nach dem Wesen von Orakel und Wunder. Hierbei ist vor allem der Übergang interessant. Zunächst erwägt Fichte, in einer Reflexion auf den Sinn von Los und Orakel, noch die Möglichkeit, daß dem Inhalt der hier geglaubten Offenbarung keine göttliche Vorsehung unterlegt werden müsse, daß dem Orakelwesen vielmehr nur die geschichtlich wichtige Funktion zukomme, zu einer Zeit, wo die Menschen noch nicht reif zur Freiheit waren, "an die Stelle der Einsicht ihren Willen gefangen zu nehmen", ohne Rücksicht auf die Frage nach dem Wahrheitsgehalt des Geweissagten 220 • Dies entspricht ganz der Art und Weise, wie Fichte die Zeichendeutung als ein wichtiges Moment der Theokratie der ,,Alten Welt" darstellt 221 •

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Bei der Frage nach dem Wunder beschreitet Fichte dann aber einen - im Verhältnis zu seinen früheren Aussagen hierüber - ganz neuen Weg, der für seine späteste, von den früheren Ansätzen sehr abweichende Christologie entscheidend wird: Wenn das "Dasein der Gesellschaft, mit seinen vornehmsten Bedingungen [. . . ] nun gefährdet [ist] oder wenn ein schlechthin neues Glied des Fortschritts eintreten muß in den Geschichtszusammenhang, eine durchaus neue Offenbarung des Geistes, so ist dies ein Durchbrechen des wiederkehrenden Fortgangs, ein schlechthin Erstes und Anfangendes, was weder aus der Natur hervorgeht - diese bleibt an ihren Wechsel gebunden - noch aus der Freiheit oder dem [endlichen] Verstande - diese können eigentlich nichts Neues setzen, in ihnen ist kein eigentlich erfinderisches Prinzip - sondern nur aus dem stammen kann, was zwischen Natur und Freiheit fällt, geistige Natur oder Ursprünglichkeit ist" 222 • Auf die späten Auffassungen Fichtes über eine besondere, nicht nur allgemeine göttliche Weltregierung können wir hier nicht näher eingehen. Wichtig ist aber der systematische Zusammenhang, in dem er eine solche Vorsehung begreift. Diese ist "durch den Satz begründet, der freilich das Fundament meiner ganzen Lehre ist: die Sinnenwelt sei die Sichtbarkeit der sittlichen, und weiter nichts. Hier nun wird dieses Prinzip weiter bestimmt, indem der Begriff der Gesetzlosigkeit, dem die Natur nach meiner bisherigen Auffassung anheimgefallen ist, dadurch wesentlich eingeschränkt wird, und manches in ihr selbst unter das sittliche Gesetz gebracht werden muß. Aber es fragt sich endlich, ob diese Bestimmung nicht durchgreife und die Gesetzlosigkeit der Natur ganz wegfallen müsse, indem sie durchaus bestimmt ist durch den absoluten Verstand, nicht bloß in jenen ausnahmsweisen Erscheinungen, die eben betrachtet worden sind? Dies gäbe eine durchaus veränderte Ansicht von ihr und auch von der Freiheit, wie vom Prinzipe der Individualität" 223 • An dieser Stelle ist in der Tat ein Zugang zur Lösung der transzendentalen Kernfrage nach dem Verhältnis von Rezep-

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tivität und Spontaneität angedeutet, der über alles bisher von Fichte dazu Beigetragene hinausgeht. Verteilt man die beiden Grundmodi endlicher Vernunft auf zwei verschiedene Ursprungsgeschlechter, so konstruiert man ja nicht nur eine abstruse Geschichtshypotl>cse, sondern trägt dadurch gar nichts zur Antwort auf die Frage nach der realen Konstitution der endlichen Vernunft bei. Wie hat man sich überhaupt ein "Bild des Sittlichen", also doch ein Sollen, als Willensbestimmung der Mitglieder des "Normalvolks" ohne Äußerung von Spontaneität zu denken; wie die Rezeption dieses Bildes durch das Volk der Freien ohne vorausgehende Rezeptivität, d. h. ein bereits gegebenes Stehen in der Objektivierung von Freiheit an konkreten Zwecken oder "Bildern" der Freiheit? Aus der Darstellung des Verhältnisses von "Alter" und "Neuer Welt" in Fichtes später Geschichtsphilosophie läßt sich nun nicht nur entnehmen, daß Freiheit und autonome Vernunft notwendig in der Aufnahme von "geistiger Natur", von "Bildern der Freiheit" gründet. Hier wird auch das Kriterium dafür deutlich, inwiefern und in welchem Umfang solche der Individualität vorgegebene geistige Natur wirklich bleibende sittliche Bilder und nicht doch nur den bloßen, im Grunde beliebigen Stoff für die alles nach ihren eigenen Maßen gestaltende Freiheit abgibt. Der bleibende Wert einer bestimmten Originalität beweist sich darin, inwieweit sie absolut mit allen anderen Bildern kommunikabei ist, inwieweit sie von allen Menschen als Gut der je eigenen Selbständigkeit nachvollzogen werden kann. Hierin, nicht in der Entdeckung von "Geschichtlichkeit" selbst, liegt der eigentliche Fortschritt in den spätesten Schriften Fichtes. Die Autorität geschichtlicher Tradition war bereits mit der These vom "Normalvolk" ausgedrückt und gesellschaftstheoretisch in aller Schärfe in der nationalen Idee der "Reden" betont. Offen blieb damit aber doch die Frage, woran solche Autorität zu bemessen sei. Nicht alles, was als "geistiges Naturgesetz", als "Sprache" auftritt und die Freiheit zu binden beansprucht, bringt ja die Freiheit in Gang, sondern ist weitaus öfter ihr großes Hinder-

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nis. Solange zur behaupteten Geltung des Geschichtlichen nicht auch das Kriterium seiner Gültigkeit philosophisch zufriedenstellend aufgewiesen ist, bleibt der "Universalitätsanspruch der Hermeneutik" auf der Ebene einer These, zu der die "Aufklärung" die Antithese ist, blieb auch die Entdeckung des Geschichtlichen im Werk Fichtes ein Fremdkörper in der Trans zendental philosophie. Die adäquate Eingliederung des Geschichtlichen in das System der Wissenschaftslehre gelingt Fichte an dem Punkt, wo er die Christologie der Aufklärung überwindet, ohne ihre berechtigte Frage zu unterdrücken. Wir hatten Ansätze dazu bereits in der "Anweisung zum seligen Leben" wahrgenommen und dann in der "Sittenlehre" von 1812 gesehen, wie Fichte das Verhältnis von Offenbarung und Vernunft erstmals zureichend bestimmt. In der "Staatslehre" stellt Fichte klar heraus, daß das historische Erscheinen Christi die unbedingte Voraussetzung für das Zu-sich-selbst-Kommen der Freiheit ist und bleibt. Daß es dies ist, konnte Fichte deutlich machen, weil er dem Wesen von Geschichtlichkeit nun den gemäßen Ort in der Transzendentalphilosophie zugewiesen hatte. Daß es dies bleibt, konnte er auch auf dem Boden der Aufklärung sagen, weil er in diesem "Bilde" nichts als das Wort von der Befreiung aller Menschen zu ihrer je eigenen und gemeinsamen Freiheit als Voraussetzung der Erscheinung des Absoluten ausgedrückt fand, denselben Logos, den die Wissenschaftslehre als die notwendige Form allen Bewußtseins aufweist.

5. Zur Textgestaltung Fichtes "Versuch einer Critik aller Offenbarung" ist in drei Fassungen erhalten. 1. In einem handschriftlichen Entwurf - veröffentlicht in Band II, 2, S. 27-123, der Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (GA) - haben wir wahrscheinlich ein persönliches Arbeitsexemplar Fichtes vor uns, das zu

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seinem größeren Teil mit der Offenbarungsschrift in der Manuskriptfassung übereinstimmen dürfte, die Fichte am 18. August 1 791 an Kant übergab, darüber hinaus aber auch noch Aufschluß gibt über die weiterführenden Reflexionen und Korrekturen bis unmittelbar vor Abfassung des für den Druck bestimmten Manuskripts im Oktober 1791 224 • 2. Die erste Auflage der Schrift von 1792 (Hartungsche Buchhandlung, Königsberg) wurde von Fritz Medicus in seine sechsbändige Ausgabe von "Fichtes Werke" (Meiner, Phil. Bibl. 127, Leipzig 1911, Erster Band, S. 1-128) aufgenommen und kritisch herausgegeben in Band GA I, 1, S. 15-123 der Gesamtausgabe. Der anhand der kritischen Ausgabe korrigierte Text der Medicus-Ausgabe (2. Auflage) von l922 kommt hier seitengleich zum Abdruck. 3. Immanuel Hermann Fichte übernahm in die Sämmtlichen Werke (Veit & Comp, Berlin 1845/46, Band V, S. 9-172) die zweite Auflage der Offenbarungskritik von 1793. In der Gesamtausgabe erscheinen die Abweichungen und zusätzlichen Paragraphen der zweiten Auflage im Apparat bzw. einer Ergänzung zur Edition der ersten Auflage (GA II, ·1, S. 125161). Im vorliegenden Band sind die für das Verständnis der Schrift relevanten Abweichungen in .den "Anmerkungen zum Text" verzeichnet. Sternchen * am Rande der jeweiligen Textzeilen verweisen auf die im Anhang mitgeteilten Anmerkungen. Auf einen Abdruck der zusätzlichen Paragraphen wurde verzichtet. Auf die Paginierung der Sämmtlichen Werke wird in der Kolumnenzeile am inneren Zeilenrand - in eckigen Klammern eingeschlossen - hingewiesen, die Paginierung der Gesamtausgabe steht auf linken Seiten vor der Klammerangabe, auf rechten Seiten nach dieser. 6. Abkürzungsverzeichnis / Quellen Kants Werke werden nach dem Text der Akademie-Ausgabe (AA) zitiert. KrV Kritik der reinen Vernunft.

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KpV KU RG

Kritik der praktischen Vernunft (mit Seitenangabe der 1. Auflage). Kritik der Urteilskraft (mit Seitenangabe der 2. Auflage). Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (mit Seitenangabe der 2. Auflage bzw. der Vorrede zur 1. Auflage als "A"). Fichtes .,Versuch einer Kritik aller Offenbarung wird mit bloßer Seitenund Zeilenangabe nach dem hier vorgelegten Text zitiert. Bei Zitaten von Schriften, die noch nicht in der Gesamtausgabe erschienen sind, ist die Orthographie (soweit möglich nach der Medicus-Ausgabe) der heutigen Schreibweise angepaßt. GA J. G. Fichte - Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Hrsg. von Reinhard Lauth, Hans Jacob und Hans Gliwitzky, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962ff. sw Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Hrsg. von Immanuel Hermann Fichte. 8 Bände, Berlin 1845/I846 (zitiert als SW I-VIII). Johann Gottlieb Fichtes nachgelassene Werke. Hrsg. von Immanuel Hermann Fichte. 3 Bände, Bonn 1834/I835 (zitiert als SW IX-XI). FiG J. G. Fichte im Gespräch. Berichte der Zeitgenossen. Hrsg. von Erich Fuchs in Zusammenarbeit mit Reinhard Lauth und Walter Schieche. Band 1: 1762-1798, Stuttgart-Bad Cannstatt 1978.

7. Anmerkungen zur Einleitung 1. Vgl. FiG 1, 7f. 2. Vgl. vor allem den Entwurf des Briefs an von Hohenthal, den Vizepräsidenten des Oberkonsistoriums in Dresden, vom August oder September 1787 (GA lll,1, 14-16) und die Entwürfe der Briefe an von Burgsdorff, den Oberkonsistorialpräsidenten in Dresden, vom üuni)Juli 1790 (GA Ill,1, 140-143, 147-151). 3. Vgl. hierzu et;r.a Fichtes Äußerungen in Briefen (bes. GA Ill,1, 162 1 - 18 , 194 17 ·, 204 15 - 23 ), seine Bemerkung über den Zwang zur Rechtgläubigkeit in dem Fragment "Ueber die Absichten des Todes Jesu" (GA 11,1 89 2 - 4 ) - eine Ansicht, die er aber auch in den beiden uns a~s der frühen Zeit erhaltenen Predigten äußert (GA 11,1, 65 6 f., 428 33 ') und die ähnlich in den Tagebüchern zur Erziehung der Ottschen Kinder wiederkehrt (GA Il,1, 179 35 f'-180 28 ) - , schließlich die abfällige Notiz über den Zustand der Religion in den "Zufälligen Gedanken in einer schlaflosen Nacht" (GA Il,1, 105 3 - 8 ). 4. Vgl. bes. R. Preul, Reflexion und Gefühl. 5. GA 11,1, 35-48.

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6. Chr. Fr. Pezold, Professor für Logik und Theologie in Leipzig, las dort in den Jahren 1781-1788 Dogmatik. Nach den Herausgebern der Gesamtausgabe könnte Fichte das Skriptum in den Jahren 178284 oder in der ersten Hälfte des Jahres 1788 angefertigt haben (vgl. GA 11,1, 33). Nach Preul (Reflexion und Gefühl 30) ist die Nachschrift .,mit Gewißheit in die eigentliche Studienzeit Fichtes (1780 bis 1784) zu datieren( ... )". 7. Vgl. GA 11,1, 37M- 10 , 39-44. 8. Vgl. 9 1 - 14 und unten Abschnitt 3.1. 9. Vgl. GA Il,1, 39-42. Daß Fichte bereits nach Ableitung der Heiligkeit Gottes und seiner Rolle als Richter bzw. Exekutor der Verheißungen des Moralgesetzes fortfährt: .,mithin auch Gesetzgebf.r; welche Folgerung aber noch nicht unmittelbar klar ist" (12 1 "), läßt ebenfalls den Einfluß einer Quelle außer Kant vermuten. Vgl. GA Il,1, 41 2 , 42 4 • 10. Vgl. den Vorblick zu Ende von § 5 der .,Kritik" (43f.) mit GA 11,1, 42-44. Man kann gewiß einwenden, daß sich hier einfach das damals übliche Schema apologetischer Theologie durchhält. Als mögliche Quelle Fichteschen Denkens ist uns dieses aber nur in den Pezoldschen Thesen greifbar. 11. Vgl. GA Il,1, 43 25 , 44 14 f.. 12. Vgl. unten Abschnitt 3.3. Um eine ähnlich präzise Fragestellung zu finden, muß man schon auf Anselm von Canterbury -zurückgehen bzw. auf Maurice Blondeis Frühwerk im Kontext der Apologetik seiner Zeit vorblicken. Vgl. besonders M. Blonde!, Zur Methode der Religionsphilosophie, Einsiedeln 1974 .. 13. Vgl. .,rudes" (GA 11,1, 43 35 ) bzw. .,corruptis (hominibus)" (ebd. 4418). 14. Vgl. GA I1,1, 45-48. 15. So die meiner Ansicht nach wohlbegründete These von R. Preul, Reflexion und Gefühl 32ff. 16. Schon in Schulpforta hatte sich Fichte offensichtlich mit großem Eifer an die Lektüre der theologischen Streitschriften G. E. Lessings gemacht, vgl. FiG 1, 16f. Zum Einfluß Lessings auf Fichte allgemein vgl. bes. R. Preul, Reflexion und Gefühl. 1 7. Ueber den Beweis des Geistes und der Kraft, in: Gotthold Ephraim Lessings sämtliche Schriften. Hrsg. von K. Lachmann, 3. Auf!. Leipzig 1897 (Nachdr. Berlin 1968), Band 13, 5. 18. Vgl. unten Abschnitt 4. 19. Für eine umfassende Darstellung sei noch einmal auf R. Preul, Reflexion und Gefühl, verwiesen. 20. Vgl. das Sachregister z. B. zu .,Gefühl", .,Herz". 21. Vgl. GA Il,1, 87 17 - 20 •

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22. Vgl. hierzu auch Fichtes Fronleichnamspredigt vom 23. Juni 1791 (GA 11,1, 423-431). 23. Vgl. hierzu H. Verweyen, Recht und Sittlichkeit 225ff. (mit Literaturverweisen). 24. De recto graeceptorum poeseos et rhetorices usu (1-780): GA Il,1, 5-29 (19 7 -21 15 ). Die Rede kann als programmatisch insofern gelten, als Fichtes wiederholte Überlegungen zu Pädagogik und Rhetorik im Zusammenhang damit stehen, daß er nie den Gedanken seiner Berufung zum Prediger aufgegeben hat. 25. Mit dem Gebrauch dieses Terminus bei M. Blondel vgl. das "extrinsecus" bei Fichte: GA 11,1, 20 1 • 26. Vgl. bes. GA 11,1, 147f., 152f., 159,176-180. 27. Vgl. den Brief K. G. Fiedlers an Fichte vom 28. Jan. 1785 (GA 111,1, 9f.). 28. Vgl. Reflexion und Gefühl, 94ff. 29. Im Hinblick auf die Wirksamkeit des "deterministischen Filters" ist vor allem Fichtes Brief an Marie Johanne Rahn vom 5. Sept. 1 790 (GA III, 1, 169-1 74, bes. 171) erhellend. 30. Von hierher behält das Urteil E. Hirschs sein Recht: "Die Offenbarungskritik ist nur eine Episode im Fichteschen Denken" - so wenig man heute noch dem nachfolgenden Satz bestimmen wird: "Die eigentliche Geschichte der Fichteschen Religionsphilosophie beginnt erst mit der Konzeption der W. L." (Fichtes Religionsphilosophie, 15 ). 31. Vgl. etwa die Stelle in dem BriefFichtesan M. J. Rahn vom 15./16. März 1790: GA 111,1, 83 7 - 13 • 32. Vgl. hierzu bes. R. Preul, Reflexion und Gefühl 96ff., der allerdings das Fehlen des Begriffs Vorsehung in den "Aphorismen über Religion und Deismus" wohl etwas überbewertet. 33. Vgl. den Entwurf von Fichtes Brief an F. A. Weißhuhn vom 11. Okt. 1791 (GA Ill,1 269 23 -270 4 ) und auch noch den Brief an G. Hufeland vom 28.März 1793 (ebd.,379 7 - 11 ). 34. Vgl. 123 31 - 36 • 35. Vgl. unten Abschnitte 4.2 und 4.3. 36. Vgl. bes. Fichtes Brief an M.J. Rahn v. 6. Dez. 1790 (GA 111,1,201 ). 37. 95 Anm. 38. Es war wohl insbesondere die Vergeblichkeit aller Versuche, eine gesicherte berufliche Existenz zu finden, die Fichte im Frühjahr 1791 eine Ehe mit M. J. Rahn unmöglich erscheinen ließ. Vgl. unten Anm. 49. 39. Diese Überzeugung vom letzten Ziel menschlichen Miteinanders ist bei Fichte eng verbunden mit einem durchaus lebendigen Glauben an die Gegenwart Christi beim Abendmahl. Die Stelle über die Feier des

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Hansjürgen V erweyen Gründonnerst:fs in seinem Brief an M. J. Rahn vom 6. April 1790 (GA 111,1, 96 · ) und seine Fronleichnamspredigt vom 2 3. Juni 1 791 (GA 11,1, 423-431) schließen an die Gedanken in dem Fragment .,Ueber die Absichten des Todes Jesu" (ebd., 75-98, bes. 92f.) an. Man wird solche Äußerungen nicht, unter dem Eindruck der Offenbarungskritik, als Akkomodationen an den jeweiligen Adressaten abtun dürfen, vielmehr Fichtes Reflexionen über die Möglichkeit des Glaubens für Menschen, die einer Offenbarung nicht bedürfen, aus diesem größeren Zusammenhang heraus neu überdenken müssen. Vgl. unten Abschnitt 3.4. Vgl. GA 11,1, 93 10 - 15 • Vgl. unten Abschnitt 3.1. Vgl. vor allem die dürftigen Reflexionen über eine mögliche .,Wiedererneuerung des Umganges gewesener Freunde im künftigen Leben" in der Offenbarungsschrift (llOf. Anm.) mit der lebendigen Oberzeugung von der unzerstörbaren Einheit von Personen, wie sie in dem Briefwechsel mit M. J. Rahn zum Ausdruck kommt. Vgl. SW XI, 72ff., bes. 74. Dazu H. Verweyen, Recht und Sittlichkeit 254-258; drs., Zum Verhältnis von Wissenschaftslehre und Gesellschaftstheorie beim späten Fichte, in: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes. Hrsg. von K. Hammacher, Harnburg 1981, 316-329. Vgl. den Entwurf eines Briefes an D. von Miltitz vom Anfang August 1790 (GA 111,1, 165 22 - 24 ). Vgl. den Brief an M. J. Rahn vom 12. August 1790 (GA 111,1, 16622-24 ). Vgl. die sich wiederholenden Äußerungen in seinen Briefen vom August 1790 bis März 1791. Vgl. GA 11,1, 293-373. Vgl. GA 11,1, 283-291. Vgl. bes. den Brief Fichtes an M. J. Rahn vom 1. März 1791 (GA 111,1, 217-220) mit dem an seinen Bruder Samuel Gotthelf vom 5. März 1791 (GA III,1, 221-224) und dem Beginn des .,Tagebuch[s] meiner Oster Abreise aus Sachsen nach Pohlen, u. Preußen ( ... ]"(GA 11,1, 385 4 - 10 ). Vgl. den Entwurf einf.s Briefes Fichtes an Wenzel von Anfang Juli 1791 (GA 111,1, 243 9 ") und den Brief an Kant vom 18. Aug. 1791, GA III,1, 253 14- 16). Vgl. "Tagebuch meiner Oster Abreise" (GA 11,1, 415 1 ). Vgl. d. o. g. Brief an Wenzel (GA III,1, 243 12 f"). .,Tagebuch meiner Oster Abreise" (GA II,1, 415 9 - 12• 1 ~ 21 ). Vgl. dazu den Entwurf von Fichtes Brief an Weißhuhn vom 11. Okt.

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1791 (GA 111,1, 267 9 - 11 ) und den Begleitbrief an Kant vom 18. Aug. 1791 (GA 111,1, 253f.). Vgl. GA 11,2, 11 16 f._ -Zum Folgenden vgl. das Vorwort der Herausgeber zum "Versuch einer Critik aller Offenbarung" in GA 1,1, 4ff., wo weitere Einzelheiten und die Quellennachweise zu· finden sind. Kant hatte die Schrift ungefähr bis § 3 gelesen. Vgl. dazu die in FiG 1, 35 ff., zusammengestellten Dokumente. Die schärfste Kritik an der Schrift und den beißendsten Spott über ihre begeisterte Rezeption hat wohl Fichte selbst in seinem satirischen Beitrag "Friedrich Nicolai's Leben und sonderbare Meinungen" (1801) geliefert: SW VIII, 80 Anm. 18; vgl. Kant, KU§ 87 "Von dem moralischen Beweise des Daseins Gottes". Erster Teil, Zweites Buch, Zweites Hauptstück: "Von der Dialektik der reinen Vernunft in Bestimmung des Begriffs vom höchsten Gut", insbesondere V: "Das Dasein Gottes, als ein Postulat der reinen praktischen Vernunft". §§ 86-91. Vgl. H. Huber, Die Gottesidee bei Immanuel Kant, in: ThPh 55 (1980) 1-43.230-49 (bes. 40-42); R. Lauth, Die Bedeutung des Sinn-Begriffs in Kants praktischer Postulatenlehre, in: Perennitas. Hrsg. v. H. Rahner (u. a.), Münster 1963, 585-601 (bes. 597), und die ausführliche Diskussion der Literatur bei M. Albrecht, Kants Antinomie der praktischen Vernunft, Hildesheim-New York 1978, 43-49, 158-166. Schon hier gibt es aber genügend Stellen, die weiter weisen, etwa die Bemerkung, daß Glückseligkeit erfordert ist, "nicht blos in den parteiischen Augen der Person, die sich selbst zum Zwecke macht, sondern selbst im Urtheile einer unparteiischen Vernunft, die jene überhaupt in der Welt als Zweck an sich betrachtet" (KpV 199), oder die Ausführungen über das "Reich Gottes" und die "Ehre Gottes" als letzten "Zweck der Schöpfung" (KpV 229-237). Vgl. schon die "Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten" von 1794 (GA 1,3, 31 28 -32 3 ; SW VI, 299). Vgl. KU 425. Vgl. RG A VIIIf. (AA VI, 5f.). Es ist wichtig, im Auge zu behalten, wie ernst Kant in diesem Zusammenhang den Versuch einer atheistischen, "absurden" Ethik nimmt, vgl. bes. KU 427-429, RG A Xlf. Anm. (AA VI, 7). Vgl. 8-12 9 mit GA 11,2, 28-32 17 • Vgl. 9 1 - 14 mit GA 11,2, 29 1 - 10 • § 2 der zweiten Auflage (GA 1,1, 135-153; SW V, 16-39). Auf diesen im Hinblick auf die Entfaltung der Fichteschen Freiheits-

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lehre wichtigen Versuch können wir hier nicht näher eingehen. Vgl. dazu J. M. W. Gliwitzky, Die Fortentwicklung des Kantischen Freiheitsbegriffes, 53-59; W. G. Jacobs, Trieb als sittliches Phänomen. Eine Untersuchung zur Grundlegung der Philosophie nach Kant und Fichte, Bann 196 7. Vgl. H. Verweyen, Recht und Sittlichkeit, 54-61. GA 1,1, 149 16 -150 7 ; SW V, 34 f. Vgl. GA 1,1, 15. Vgl. GA 1,1, 20f. (Anm. B); SW V, 39f. Vgl. SW V, 502-523. Fichte übersieht dabei allerdings die von seinem eigenen Gedanken sehr verschiedene Argumentationsgrundlage des Kantischen Postulats in der "Kritik der Urteilskraft". Fragt man nach Gründen dafür, so wird man einmal auf eudämonistische Vorstellungen Fichtes vor seiner Begegnung mit der kritischen Philosophie Kants zurückblicken müssen (vgl. dazu R. Preul, Reflexion und Gefühl, bes. 98f.). Möglich ist aber auch ein Einfluß Heinrich Stephanis, der in seiner Schrift "Vorlesungen über die wichtigsten Gegenstände der Moralpolitik mit besonderer Hinsicht auf die deutsche Konstituzion und die iezzige grosse Völkergährung in Europa" ebenfalls die Existenz Gottes aufgrund des im irdischen Dasein unerfüllten sinnlichen Triebs postuliert und Rechte aus dem vom Sittengesetz offengelassenen "Dürfen" ableitet. Zum Verhältnis Fichtes zu Stephani vgl. R. Schottky (Hrsg.), Joh. Gott!. Fichte: Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution, {PhB 282) Harnburg 1973, Anm. 4 zur Vorrede, s. 255-257. Zu diesem Gedanken bemerkt Fichte eigens, daß er "das eigentliche Moment des moralischen Beweises für das Dasein Gottes" zeigt (182f.). Auf den Religionsbegriff selbst gehen wir in Abschnitt 3.2 ein. 12 16 -20 6 • Ga ll,2, 33 24 - 26 • Fichtes Betonung der besonderen Möglichkeiten der deutschen Sprache hinsichtlich dieses Begriffs (12f. Anm. man wird an Kants Ausführungen über "das Gute" und "das Böse" erinnert, KpV 104-105) zeigt, daß ihm die um den Begriff der "rectitudo" kreisende Freiheitslehre Anselms von Canterbury nicht vertraut war. Vgl. hierzu Anselm v. C., Wahrheit und Freiheit, Einsiedeln 1982, bes. 24. Nicht der Gerechtigkeit, wie M. Albrecht, Kants Antinomie (s. o. Anm. 61), 80 Anm. 254, annimmt. 13 4 - 10 . Die hier gegenüber dem Entwurf neu eingebrachte Reflexion nimmt die dort zu Beginn von § 7 getroffenen Überlegungen über die Kausalität der Freiheit in der Natur auf. Vgl. unten Abschnitt 3.3.

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81. 16 8- 10 . Dies trotz der vorangegangenen Betrachtungen über den "Begriff des Sollens an sich" und unsere Beurteilung der Gegenständft der Erfahrung, insbesondere in der .,Welt der Dichtungen" (14 18 "), wie auch Kants Bestimmung des Endzwecks in der .,Kritik der Urteilskraft", die doch in eine andere Richtung wies. 82. 15 30 - 32 83. Vgl. 17 4 f. 84. 1732-36 85. Vgl. KpV 219f. 86. 10 27 -11 9 . Die Formulierung ist so ungenau, daß Fichte sich selbst widerspricht, vgl. 10 30 - 33 mit 9 19 - 23 . Er hat offenbar eine Randbemerkung zu seinem Entwurf nur oberflächlich in den Text eingearbeitet (vgl. GA 11,2, 31 1- 4 · 22 - 23 ). Die Unklarheit ist auch in der zweiten Auflage nicht beseitigt. - Vgl. auch 112 4 - 6 : .,der Glaube an Unsterblichkeit läßt sich als von der Existenz Gottes bloß abgeleitet betrachten". 8 7. Die zweite Auflage weicht in diesem Punkt nicht wesentlich von der ersten ab. 88.31 19 . 89. Vgl. ~523-25 • 4617ff. • 5413-15. 90. 12 10 · Vgl. Die Gegenüberstellung von .,Religion des Herzens" und .,bloßer Wißenschaft" in dem Fragment .,Ueber die Absichten des Todesjesu" (GA 11,1, 87 15 "19 ). 91. 12 16 -20 6 . 92. Vgl. Abschnitt 3.1. 93. Die Begründung der .,Naturreligion" geschieht dort (29 1 -30 28 ) über eine anthropologische Reflexion (in theoretischer Absicht) im Rückgang auf die Ursache des Bewußtseins des Moralgesetzes in uns, die wir .,unter den Naturgesetzen stehen" und .,Teile der Schöpfung" sind. Dieses Bewußtsein läßt sich nur auf den .,Schöpfer unserer Natur" zurückführen. Damit ist dieser aber noch nicht als moralischer Gesetzgeber erkannt, wie Fichte in § 3 (30 15 - 18 ) anzunehmen scheint (In § 6 scheint er sich dagegen von diesem Schluß zu distanzieren, indem er ihn dem um Stärkung seines Willens ringenden Menschen zuschreibt, vgl. 48 26 - 31 ). 94. 20 7-26. 95. 22 2 - 5 96. Vgl. 225-7.12-17. 97 24 21 - 25 98. 2522-27 99. Vgl. M. Buhr/G. lrrlitz, Der Anspruch der Vernunft. Die klassische bürgerliche deutsche Philosophie als theoretische Quelle des Marxismus, Teil I, Berlin 1968, 109. 0

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100. Vgl. schon die Bemerkung Fichtes in den (dem ersten Entwurf der Offenbarungsschrift wohl unmittelbar vorausgehenden) "Religions· philosophischen Reflexionen": "Wir müßen also den Begrif der Vernunft hypostasiren und das ist denn der Begrif von Gott" (GA 11,2, 5 2sf.. Zur Datierung vgl. ebd. 3). 101. Vgl. 28 17 - 20 , wo Fichte die Annahme des Moralgesetzes als Gebot Gottes "Religion in der eigentlichsten Bedeutung" nennt. 102. Vgl. etwa die Bemerkung im "Beitrag zur Berichtung der Urteile des Publikums über die französische Revolution" (1793) über die "Veräußerung des inneren Richteramts an Gott", GA 1,1, 375 1- 3 . Die vielzitierte Stelle in Fichtes Brief an Jacobi vom 30. August 1795: (Auf dem nichtphilosophischen Standpunkt des Lebens) "wird das reine Ich, das uns auch auf ihm gar nicht virschwindet, außer uns gesetzt, und heißt Gott" (GA 111,2, 392 17 "), hingegen dürfte nicht in diesem Sinn zu verstehen sein. 103. GA 11,2, 32 18 -34 7. 104. Vgl. ebd. 343f. 105. Ebd. 33 3 , vgl. 34 2f. 106. Vgl. die im Anschluß an den Entwurf gemachte kritische Notiz "Was heißt Gesezgeber" (GA 11,2, 117 1- 14 ), wo Fichte feststellt, es ließe sich wohl begründen, daß wir mit der Bejahung des Sitten· gesetzes das wollen, was Gott will. Für die Annahme, weil er es will, könne man jedoch aus bloßen Vernunftprinzipien keine Aus· sage machen. 107. Vgl. 46 17 -49 3 mit GA 11,2, 47 23 -50 4 ; 54 1- 9 · 13 - 19 mit GA 11,2, 5517-24.27-561. 108. 28 20 . Vgl. Kant, KpV 233. 109. 2810-17. 110. Vgl. bes. 113 1 - 8 • 111. Abschnitt 3,1. 112. 28 5 - 8 . 113. 4627-30. 114. GA 11,1, 379 8f. Die Fortsetzung: "und Du wirst sie ihr geben, wenn Du nur erst die Tugend warm genug liebst" kann, muß aber nicht eudämonistisch verstanden werden. 115. Vgl. GA 11,2, 3. 116. GA 11,2, 5 27 -6 2 . In diesem Zusammenhang findet sich auch die wichtige Unterscheidung, die wir in den oben zitierten Kennzeich· nungen der Vernunftreligion vermißten: "Solange wir nun Gott als blos moralisches Wesen denken, u. blos als solches seine Befehle vollbringen, aus Bewunderung, u. Ehrfurcht gegen seine Heiligkeit, nicht als Richter, Rächer, so folgen wir dem MoralGeseze, das wir uns aber nicht nur troken, u. abstract, sondern in Gott hypostasiret

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125. 126. 127.

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denken!" (GA 11,2, 6 8 -1 2 . Unsere Hervorhebung.) Vgl. dagegen schon die rnan~relnde Unterscheidung zu Anfang des Entwurfs: GA 11,2, 32 18 - 2;: 33 27 - 30 . Fichte unterscheidet zwar eine Offenbarung, die lediglich auf das Moralgesetz in uns verweist, und eine solche,· die das Gesetz Gottes als Gesetzgebers noch besonders vorschreibt. "Nur der zweite Fall kommt hier [aber] in Untersuchung", vgl. 32 1- 8 , 8115-24. Dieser wird in der zweiten Auflage noch eine "Formale Erörterung des Offenbarungsbegriffs, als Vorbereitung einer materialen Erörterung desselben" (dort § 5, GA I,l, 153-161; SW V, 65-75) vorangestellt. Da diese Einfügung, wie Fichte selbst vermerkt, nicht "um srstematischer Nothwendigkeit willen" erfolgt (vgl. GA I,l, 153 2 ), können wir sie hier übergehen. Wir werden in Abschnitt 4.1 der Einleitung einige der dort gemachten überlegungen aufgreifen, die über die ursprüngliche Anlage der Offenbarungsschrift hinausweisen. Fichte spricht in diesem Zusammenhang von einem nicht a priori "gegebenen", sondern "gemachten" Begriff, conceptus non datus, sed ratiocinatus. Beide werden von dem "erkünstelten" Begriff unterschieden (vgl. bes. 35 10 f., 42 27 f., dagegen aber noch GA 11,2, ll8 16f"). Im Hintergrund dürfte Kants Unterscheidung zwischen einem "vernünftelnden und objectiv leeren (conceptus ratiocinans), oder einem Vernunftbegriff, einem Erkenntniß gründenden, von der Vernunft bestätigten (conceptus ratiocinatus)" stehen (vgl. KU 330). Vgl. 24 22 f. Vgl. 40 1ff. mit GA 11,2, 45 7ff., dazu unter "Zusätze, u. Berichtigungen" GA 11,2 ll 7 15 -119 31 . In den eben zitierten "Zusätzen" hieß es noch schroffer: ein Grad, "in welchem das SittenGesez seine Causalität in ihrer sinn!. Natur gänzlich verliert" (GA 11,2, 118 33 - 34 ). Vgl. 40f. Auf den von Fichte zunächst gegebenen Überblick über "reine Vernunftreligion" und "Naturreligion", in welchem das Gefühl für Moralität der Religion vorausgeht, nicht erst durch Religion begründet werden muß (45-49 3 ) - Ausführungen, die hier den Gedankengang eher hemmen und nicht ganz mit dem zuvor (§§ 2, 3) über Religion Gesagten in Einklang stehen- sind wir bereits in Abschnitt 3.2 eingegangen. Vgl. 49 4 - 8 • Vgl. 49 13 f. 51 5 - 12 .

LXVI

Hansjürgen V erweyen

128. H. Heimsoeth, Fichte 43. 129. Vgl. "Die Erziehung des Menschengeschlechts", § 4: "Erziehung giebt dem Menschen nichts, was er nicht auch aus sich selbst haben könnte: sie giebt ihm das, was er aus sich selber haben könnte, nur geschwinder und leichter. Also giebt auch die Offenbarung dem Menschengeschlechte nichts, worauf die menschliche Vernunft, sich selbst überlassen, nicht auch kommen würde: sondern sie gab und giebt ihm die wichtigsten dieser Dinge nur früher" (G. E. Lessings Sämtliche Schriften - s. a. Anm. 17 - Band 13, 416); vgl. § § 20f. In einem gewissen Gegensatz hierzu steht § 77, ohne daß die hier gemachte Behauptung von durch Offenbarung erlangten Begriffen, "auf welche die menschliche Vernunft von selbst nimmermehr gekommen wäre" (a.a.O., 432), allerdings ausgewiesen würde. 130. Eine Notwendigkeit ergibt sich nach Fichtes Erörterung in der ersten Auflage nicht einmal für das, was er hier in Übereinstimmung mit dem Entwurf als "Vernunftreligion" und "Naturreligion" bezeichnet, sondern nur für jene Religion, die in § 2 zur Harmonie von theoretischer und praktischer Vernunft als unabdingbar erwiesen wurde. Die Notwendigkeit der letzteren ist im Unterschied zu der Offenbarung allerdings absolut, nicht an die Bedingung einer bestimmten empirischen Situation geknüpft. 131. J.M.W. Gliwitzky (Die Fortentwicklung 50f.) nimmt an, wenn überhaupt nur spurenweise ein Bewußtsein des Moralgesetzes im Menschen vorhanden sei (ganz ohne dieses ist auch keine Offenbarung im Sinne Fichtes vernehmbar), dann sei Moralität wenigstens prinzipiell möglich, eine Offenbarung also nicht im strengen Sinn nötig. Ähnlich urteilte bereits der anonyme Verfasser (vermutlich Aenesidemus-Schulze) der Rezension der Offenbarungskritik in der "Neuen allgemeinen deutschen Bibliothek", Bd. 2, 1. Stück 1.-4. Heft, Kiel 1793, 3-48 (bes. 26.37). Diese Argumentation erscheint mir gegenüber Fichtes Beschreibung des möglichen Faktums einer vom Menschen her unüberwindbaren Entfremdung von Sittlichkeit abstrakt. Die Bedeutung der Erstlingsschrift Fichtes liegt nicht zuletzt im zumindest ansatzweise gelungenen Versuch einer Zuordnung von transzendental-apriorischer und Geschichtsphilosophie. 132. Vgl. etwa die Wertung des Einhaltens von Verträ§fn als Zeichen von Moralität in § 6 der Offenbarungsschrift (52 11 - ). Zur Thematik insgesamt vgl. R. Schottky, a.a.O. (s. Anm. 74), Vllff.; H. Verweyen, Recht und Sittlichkeit§§ 3-14. 133. Es geht hier - anders als in der traditionellen Theologie (vgl. oben, Abschnitt 1, den Hinweis auf Pezold) - um einen Zustand, in den

Einleitung

LXVII

die Menschheit, vielleicht .,von ihrem Ursprunge an", durch natürliche Not gekommen ist. Damit stellt sich nun allerdings das Problem der Theodizee, insofern die Offenbarung dazu dienen soll, eine vom Weltschöpfer verursachte Notsituation zu bereinigen. Vgl. die oben (Anm. 131) angeführte Rezension~ 29f.; ferner A. Stapelfeld, Die Prinzipien 29. 134. Diese Frage gehört eigentlich nicht mehr unter die in der ersten Auflage gewählte Überschrift. Vgl. dagegen den Titel von § 6 im Entwurf: .,Empirische Deduction der Nothwendigkeit einer Offenbarun~"-

135. 59 5 - 1 • Fichte versucht hier offensichtlich- vgl. das nachfolgende Zitat aus dem Buche Levitikus (11,44; 19,2) -die alttestamentliche Offenbarung im philosophischen Begriff zu fassen. 136. Mit der hier herausgestellten Aufgabe der Offenbarung, .,Aufmerksamkeit zu erregen", vgl. schon GA 11,1, 89 25 . 137. 61 6 -664 • Vgl. hierzu .,Zusätze, u. Berichtigungen", GA ll,2, 120 1 - 24 • Auf das durch die Überarbeitung entstandene Problem werden wir unten, zu§ 12, eingehen. 65f. Die Argumentation erinnert an die oben zitierten AusVgl. 138. führungen hinsichtlich Religion als .,Entäußerung", vgl. 24f. 139. Hierbei ist er sich, wie der Hinweis auf .,die noch immer dunkle Lehre von der Möglichkeit des Beisammenstehens der Notwendif keit nach Natur-, und der Freiheit nach Moralgesetzen" (66 13 - 1 ) zeigt, der unbefriedigenden Lösung dieser Frage bei Kant bewußt. Diesi schon im Entwurf enthaltenen Reflexionen (vgl. GA ll,2, 63 19 ") sind der früheste Hinweis auf ein überschreiten der Kantischen Position auf die Wissenschaftslehre hin. Vgl. dazu bereits W. Kabitz, Studien 168f. 140. 6 736f. 141. 68 24 - 28 • Man wird an den augustinischen im Unterschied zum thomistischen Ansatz in der Frage nach Wundern erinnert! 142. Vgl. 68f. Fichte lehnt allerdings den Terminus .,Offenbarung" für diese Weise der .,Weltanschauung" ab, ausdrücklich in § 5 der zweiten Auflage (GA 1,1, 156 36 -157 19 ; SW V, 70). Sie wird erst 1813 von ihm -unter Bezugnahme auf Schelling- näher thematisiert. S. Abschnitt 4.3. der Einleitung. 143. Vgl. 70 9 - 14 • 144. Vgl. 72 13 f. 145. 76-79. 146. 80. 147. - die nicht mit der versinnlichten Darstellung von Wahrheiten zu verwechseln ist, vgl. 79f. Anm.

LXVIII

Hansjürgen V erweyen

148. Innerhalb eines Einschubs (78 30 -79 27 ) in den Text des Entwurfs, vgl. GA 11,2, 76 25 - 26 • 149. Vgl. 79 19 - 22 . 150. Zur späteren Entwicklung vgl. Abschnitt 4 der Einleitung. 151. Dem entspricht die Hochschätzung des Johannesevangeliums bei Fichte, die auch schon 1792 (wie bereits in den früheren Schriften) spürbar wird, vgl. 94 Anm., 95 Anm., 114 Anm. 152. 81 12 - 14 . 153. 81 24 - 27 . 154. Vgl. 82f. 155. Vgl. 83-85. 156. 8529-32. 157. 85-89. 158. Vgl. RG 302-308 (Akademie-Ausgabe 6, 194-198). 159. Vgl. 89 Anm. Im Entwurf wurden noch ausdrücklich Oberl~ungen über "Fasten" und "Geißeln" angestellt, vgl. GA 11,2, 86 12 - . 160. Vgl. hierzu schon die Ausführungen über das Gebet in der Predigt "An Mariä Verkündigung" (1786): GA 11,1, 58 25 f., 62 6- 8 , aber auch die tiefere Sicht, die etwa im Briefwechsel Fichtes mit seiner Braut durchklingt (bes. GA 111,1, 204 10 - 15 ). 161. Vgl. 52 29 -53 1 . 162. Vgl. 90. 163. Vgl. 90 27 f. . 18 37 164. Vgl. 92 - mit§ 8: Kriterien der Offenbarung ihrer Form nach. 165. Vgl. 93 2- 4 166. Vgl. 94 2- 21 . Zur Christologie Fichtes, wie sie für die Zeit vor 1791 wenigstens ansatzweise ausdem Fragment "Ueber die Absichten des Todes Jesu" und den "Aphorismen über Religion und Deismus" zu ermitteln ist, vgl. R. Preul, Reflexion und Gefühl 51-57, 117. 167. Vgl. 97 24 - 32 . 168. Vgl. 97 33 - 37 • Eine Anmerkung des Entwurfs (GA 11,2, 95 22 - 28 ), in der sich Fichte gegen die Taufe, aber für die private Beichte "der schon gegründeten Kirche" aussprach, ist in der Publikation gestrichen. 169. Vgl. GA 11,2, 120 1- 24 • Der dort genannte§ 5 entspricht§ 6 des gedruckten Entwurfs und der ersten Auflage, § 10 entspricht § 11 des gedruckten Entwurfs und§ 12 der ersten Auflage. 170. GA 11,2, 95 16 -98 26 • Damit kam wohl der Teil der Handschrift zum Abschluß, der vor dem Abgabetermin der Arbeit an Kant (18. August 1791) datiert. In § 12 der ersten Auflage wurden die später gemachten Ausführungen "§.9. Von der Art unsrer Ueberzeu~ung von der Göttlichkeit einer Offenbarung" (GA 11,2, 99 1 109 3 ) mitberücksichtigt. Vgl. hierzu GA 11,2, 21f.

Einleitung 171. 172. 173. 174. 175. 176. 177. 178. 179. 180. 181. 182. 183. 184. 185. 186. 187. 188. 189. 190. 191. 192. 193. 194. 195. 196. 19 7. 198. 199. 200. 201.

LXIX

Ga Il,2, 120 9 - 12 • Vgl. bes. 1043 - 19 • GA Il,2, 96 20 - 25 • Vgl. ebd. 96 31 -97 1 • Vgl. 70 13 f. Vgl. bes. 108. Dem entspricht auch, daß Fichte in § 13 den Ausführungen von § 7 keinen eigentlich systematischen Stellenwert mehr einzuräumen vermag, vgl. 117 36 -118 5 • Vgl. etwa 113 19 • Vgl. bes. 40 13 - 19 , 49 4 ff. Vgl. 4 7 15 -49 13 • GA Il,2, 98 23 - 26 • Vgl. GA Il,2, 106 30 -108 12 . Vgl. in dererstenAufJage 113 24 -114 5 unddenZusatzzurAnmerkung in der zweiten Auflage (vgl. unten "Anmerkungen zum Text" zu S. 114 Anm. 2. 7). 2. Auflage: § 4. 2. Auflage: "Materiale Erörterung des Offenbarungsbegriffs, als Vorbereitung einer Deduktion desselben" (vgl. unten, "Anmerkungen zum Text"). Vgl. GA 1,1, 159 20 -160 21 (SW V, 73f.). GA 1,3, 347 34 -348 7 (SW III, 39f.). Vgl. oben Abschnitt 3.3. Vgl. oben Abschnitt 3.3 und 3.4. Vgl. meine analoge Beobachtung hinsichtlich der Deduktion der Bedingungen von Sittlichkeit (1798) in: Recht und Sittlichkeit, 146. Vgl. GA IV,1, 292-296 (Nachgelassene Schriften, Bd. 2: Schriften aus den Jahren 1790-1800, hrsg. v. Hans Jacob, Berlin 1937, 147-151). Vgl. GA IV,1, 296-303 (Nachg. Sehr., 152-159). Vgl. GA IV,1, 302-327 (Nachg. Sehr., 158-188). Vgl. GA IV,1, 303 11 (Nachg. Sehr., S. 159). Vgl. hierzu H. Verweyen, Recht und Sittlichkeit, § § 24, 34-36, und die dort angegebene Literatur. Vgl. SW VII, 9ff. Vgl. SW VII, 175. V gl. ebd. und SW VII, 98f., 13 7f., 184ff. Vgl. SW VII, 530-545; 555-557. Vgl. SW V, 476, vgl. ferner ebd. 424. Vgl. SW VII, 344. Vgl. SW IV, 482: ,Jesus - der als ein Abkömmling der uranfänglichen sittlichen und religiösen Vorstellungen betrachtet wird

[... ]".

LXX 202. 203. 204. 205. 206. 207. 208.

209. 210. 211. 212. 213. 214. 215. 216. 217. 218. 219. 220. 221. 222. 223. 224.

Einleitung SW V, 571. Ebd.483f. Ebd. 484. Vgl. GA 1,5, 218-220 (SW IV, 242-245). Vgl. den kurzen Überblick über diese Entwicklung von 1793 bis 1798 in meinem Beitrag "Kirche und Staat in der Philosophie J.G. Fichtes", in: Pl}lb 81 (1974) 298-306. GA 1,5, 219 21 (SW IV, 243). Vgl. bes. SW VII, 317ff. Hierzu die knappe, präzise Skizze von R. Lauth, Einleitung zu j. G. Fichte, Reden an die deutsche Nation, 5. Auflage, Harnburg (Phi!. Bibi. 204) 1978, XVII-XXXVII, und H. Verweyen, Recht und Sittlichkeit 212-224. Vgl. SW VII, 317. SW XI, 105. SW XI, 106. SW XI, 115. SW XI, 116. Vgl. SW IV, 468f. Vgl. SW IV, 459-496. Vgl. SW IV, 52lff. gegen SW VII, 98f., 137f., 175, 184ff., 344f. und schon "Philosophie der Maurerei", neu hrsg. u. eingel. von W. Flitner, Leipzig 1923, 52f. Vgl. bes. SW VII, 585-596. Ebd. 585. Ebd. 585 f. Vgl. ebd. 585 mit 590f. Vgl. SW IV, 498ff. SW VII, 595. Ebd. 594. Vgl. das Vorwort der Herausgeber, GA II, 2, 15-23.

Bibliographische Hinweise

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LXXII

Bibliographische Hinweise

Preul, Reiner, Reflexion und Gefühl. Die Theologie Fichtes in seiner vorkantischen Zeit, Berlin 1969. Verweyen, Hansjürgen, Recht und Sittlichkeit inJ. G. Fichtes Gesellschaftslehre, Freiburg/München 1975 (bes. 54-61}. Green, Garrett, Einleitung zu: Attempt at a Critique of All Revelation, Cambridge 1978 (1-10}. Seckler, Max, Aufklärung und Offenbarung, in: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft. Hrsg. von Franz Böckle (u. a.), Teilband 21, Freiburg-Basel-Wien 1980, 5-78 (bes. 49-54}. Widmann, Joachim, Johann Gottlieb Fichte, Einführung in seine Philosophie, Berlin - New York 1982 (bes. 229-233}. Nachtrag zur Bibliographie

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*

[SW V, 12) GA 1,1, 17

3

Vorrede.

Dieser Aufsatz heißt ein Versuch, nicht als ob man überhaupt bei Untersuchungen der Art blind herumtappen und nach Grund fühlen müsse, und nie ein sicheres Resultat finden könne; sondern darum, weil ich mir noch nicht die Reife zutrauen darf, die dazu gehören würde, dies sichere Resultat hinzustellen. Wenigstens war diese Schrift ihrer ersten Bestimmung nach nicht für die Presse; verehrungswürdige Männer beurteilten sie gütig, und sie waren es, die mir den ersten Gedanken, sie dem Publikum vorzulegen, gaben. Hier ist sie. Stil und Einkleidung sind meine Sache; der Tadel oder die Verachtung, die diese trifft, trifft nur mich, und das ist wenig. Das Resultat ist Angelegenheit der Wahrheit, und das ist mehr. Dieses muß einer strengen, aber sorgfältigen und unparteiischen Prüfung unterworfen werden. Ich wenigstens verfuhr unparteiisch. Ich kann geirrt haben, und es wäre ein Wunder, wenn ich es nicht hätte. Welchen Ton der Zurechtweisung ich verdiene, entscheide das Publikum.

*

4

Vorrede

17 (12-13]

Jede Berichtigung, in welchem Tone sie auch abgefaßt sei, werde ich dankbar anerkennen; jedem Einwurfe, der mir der Sache der Wahrheit zuwider scheint, begegnen, so gut ich kann. Ihr, der Wahrheit, weihe ich mich feierlich, bei meinem ersten Eintritte ins Publikum. Ohne Rücksicht auf Partei, oder auf eigne Ehre, werde ich immer dafür anerkennen, was ich dafür halte, es komme, woher es wolle, und nie dafür anerkennen, was ich nicht dafür halte. - Das Publikum verzeihe es mir dieses erste und einzige Mal vor ihm von mir gesprochen zu haben. Ihm kann diese Versicherung sehr unwichtig sein; aber mir war es wichtig für mich selbst, dasselbe zum Zeugen meines feierlichen Gelübdes zu nehmen. Königsberg, im Dezember 1791.

Die vom Herausgeber "Sämmtliche Werke" (I. H. Fichte) hinzugefügten Seiten "Inhalt" (SW V, I73JI74), abgedruckt in der Ausgabe von 1922 als Seiten 5/6, wurden hier unter Beibehalten der Pagination des Buches nicht wieder abgedruckt, sondern in das Inhaltsverzeichnis der vorliegenden Ausgabe (S. V/VI) integriert.

[15-16]18

7

Versuch einer Kritik aller Offenbarung.

§ 1. Ein 1ei tung.

Es ist ein wenigstens merkwürdiges Phänomen für den Beobachter, bei allen Nationen, sowie sie sich aus dem Zustande der gänzlichen Roheit bis zur Gesellschaftlichkeit emporgehoben haben, Meinungen von einer Gegenmitteilung zwischen höhern Wesen und Menschen, Traditionen von übernatürlichen Eingebungen und Einwirkungen der Gottheit auf Sterbliche, hier roher, da verfeinerter, aber dennoch allgemein, den Begriff der Offenbarung vorzufinden. Dieser Begriff scheint also schon an sich', wäre es auch nur um seiner Allgemeinheit willen, einige Achtung zu verdienen; und es scheint einer gründlichen Philosophie anständiger, seinem Ursprunge nachzuspüren, seine Anmaßungen und Befugnisse zu untersuchen, und nach Maßgabe dieser Entdeckungen ihm sein Urteil zu sprechen, als ihn geradezu und unverhört, entweder unter die Erfindungen der Betrüger, oder in das Land der Träume zu verweisen. Wenn diese Untersuchung philosophisch sein soll, so muß sie aus Prinzipien a priori, und zwar, da dieser Begriff sich auf Religion bezieht, aus denen der praktischen Vernunft angestellt werden; und wird von dem Besondern, das in einer gegebenen Offenbarung möglich wäre, gänzlich abstrahieren, ja sogar ignorieren, ob irgendeine gegeben sei, um allgemein für jede Offenbarung gültige Prinzipien aufzustellen.

*

8

Paragraph. 1, 2

18-19 [16,

-1

Da man bei Prüfung eines Gegenstandes, der so wichtige folgen für die Menschheit zu haben scheint, über den jedes Mitglied derselben sein Stimmrecht hat, und bei weitem die meisten es in Ausübung bringen, und der daher entweder unbegrenzt verehrt, oder unmäßig verachtet und gehaßt ist, nur zu leicht von einer vorgefaßten Meinung fortgerissen wird; so ist es hier doppelt nötig, bloß auf den Weg zu sehen, den die Kritik vorzeichnet; ihn geradefort, ohne ein mögliches Ziel in den Augen zu haben, zu gehen; und ihren Ausspruch zu erwarten, ohne ihn ihr in den Mund zu legen.

*

§ 2. Deduktion der Religion überhaupt.

Es ist durch die Gesetzgebung der Vernunft, schlechthin a priori, und ohne Beziehung auf irgendeinen Zweck, ein Endzweck aufgegeben; nämlich das höchste Gut, d. i. die höchste sittliche Vollkommenheit, vereint mit der höchsten Glückseligkeit. Wir sind durch das Gebot notwendig bestimmt, diesen Endzweck zu wo II e n; aber wir können nach theoretischen Gesetzen, unter denen alle unsere Erkenntnis steht, weder seine Möglichkeit noch seine Unmöglichkeit erkennen. Wollten wir ihn darum für unmöglich halten, so würden wir teils, schon in Rücksicht auf die theoretischen Gesetze, etwas ohne Grund annehmen, teils würden wir uns mit uns selbst in den Widerspruch setzen, etwas U n m ö gIi c h e s z u w o II e n : oder wollten wir auch nur seine Möglichkeit oder Unmöglichkeit an ihren Ort gestellt sein lassen, und weder die eine, noch die andre annehmen; so wäre dies eine völlige Gleichgültigkeit, die mit unserm ernsten Wollen dieses Endzwecks nicht beisammenstehen kann. Es bleibt uns also nichts übrig, als an seine Möglichkeit zu g I a u b e n, d. h. dieselbe anzunehmen, nicht durch objektive Gründe gedrungen, sondern durch die notwendige Bestimmung unsers Begehrungsvennögens, seine Wirklichkeit zu wollen, bewogen. Nehmen wir die Möglichkeit dieses Endzwecks an, so können wir, ohne die höchste Inkonsequenz, nicht umhin, auch alle die Bedingungen anzunehmen, unter denen allein sie uns denkbar ist. Die höchste Sittlichkeit, vereint mit

[-) 19-20

Paragraph 2

9

der höchsten Glückseligkeit, soll möglich sein. Die höchste Sittlichkeit aber ist*) nur in einem Wesen möglich, dessen praktisches Vermögen ganz und lediglich durch das Moralgesetz wirklich bestimmt wird, (nicht nur bestimmt werden' so II} : ein solches Wesen muß auch zugleich die höchste Glückseligkeit besitzen, wenn in ihm der Endzweck des Moralgesetzes als erreicht gedacht wird. Dies nun: es existiert ein Wesen, in welchem die höchste moralische Vollkommenheit mit der höchsten Seligkeit vereinigt ist, ist mit dem Satze: der Endzweck des Moralgesetzes ist möglich, völlig identisch. Da wir aber uns gar nicht denken können, worinne die höchste Seligkeit eines solchen Wesens bestehe, und wie sie möglich werde, so ist dadurch sein Begriff noch nicht im geringsten erweitert. Um ihn erweitern zu können, müssen wir andere moralische Wesen betrachten, die wir kennen, und das sind Wir. Wir nämlich, endliche vernünftige Wesen, sollen zwar, in Absicht unsrer vernünftigen Natur, auch lediglich durch das Moralgesetz bestimmt werden: unsre sinnliche Natur aber, die auf unsre Glückseligkeit einen großen Einfluß hat, wird nicht durch dieses, sondern durch ganz andre Gesetze bestimmt. Unsre Vernunft soll zwar den einen Teil des höchsten Gutes in uns hervorbringen; den zweiten aber vermag sie nicht zu realisieren, weil das, wovon er abhängt, nicht unter ihrer Gesetzgebung steht. Soll nun dieser zweite Teil, mithin das ganze höchste Out in Rücksicht auf endliche vernünftige Wesen, nicht gänzlich, als unmöglich, aufgegeben werden, welches doch unsrer Wiilensbestimmung widersprechen würde; so müssen wir, so gewiß wir annehmen müssen, daß die Beförderung des Endzwecks des Moralgesetzes in uns möglich sei, auch annehmen, daß die sinnliche Natur unter dem Gebiete *) Wenn wir uns hier kategorisch, und im folgenden mit dem Ausdrucke der Notwendigkeit erklären; so wollen wir unsre Sätze dadurch gar nicht für objektiv gültig, und an sich notwendig ausgeben: sondern wir sagen nur, daß, die Möglichkeit des höchsten Guts angenommen, wir, nach unsrer subjektiven Beschaffenheit, uns auch diese notwendig als wahr denken müssen. Wir reden also nur von einer hypothetischen, subjektiven Notwendigkeit, welches wir hiermit einmal für allemal, und als für diese ganze Abhandlung gültig, erinnern wollen.

10

Paragraph 2

20-21 [-,40-41]

irgendeiner vernünftigen Natur, wenn auch gleich nicht der unsrigen, stehe, und daß ein Wesen sei, das von der sinnlichen Natur nicht nur selbst unabhängig sei, sondern von dem sie vielmehr abhänge; und da dieses Abhängigkeit vom Moralgesetze sein soll, so muß dieses Wesen gänzlich durch das Moralgesetz bestimmt sein. So ein Wesen ist aber der mit der angenommenen Möglichkeit des Endzwecks des Moralgesetzes unmittelbar angenommene Gott. Es muß ein ganz heiliges, ganz seliges, allmächtiges Wesen geben. Dieses Wesen muß, vermöge der Anforderung des Moralgesetzes an ihn, jenes völlig gleiche Verhältnis zwischen der Sittlichkeit und der Glückseligkeit endlicher vernünftiger Wesen hervorbringen; da es nur durch und in Ihm ist, daß die Vernunft über die sinnliche Natur herrscht: es muß ganz gerecht sein. Im Begriffe· alles Existierenden überhaupt wird nichts gedacht, als die Reihe von Ursachen und Wirkungen nach Naturgesetzen in der Sinnenwelt, und die freien Entschließungen moralischer Wesen in der übersinnlichen. Gott muß die erstere ganz übersehen, denn er hat die Gesetze der Natur vermöge seiner Kausalität durch Freiheit bestimmt, und der nach denselben fortlaufenden Reihe der Ursachen und Wirkungen den ersten Stoß gegeben: er muß die Ietztern alle kennen, denn alle bestimmen den Grad der Moralität eines Wesens; und dieser Grad ist der Maßstab, nach welchem die Austeilung der Glückseligkeit an vernünftige Wesen laut des Moralgesetzes, dessen Exekutor er ist, geschehen muß. Da nun außer diesen beiden Stücken für uns nichts denkbar ist, so müssen wir Gott a I Iwissend denken. So lange endliche Wesen endlich bleiben, werden sie - denn das ist der Begriff der Endlichkeit in der Moral - noch unter andern Gesetzen stehen, als denen der Vernunft; sie werden folglich di·e völligste Kongruenz der Glückseligkeit mit der Sittlichkeit durch sich selbst nie hervorbringen können. Nun aber fordert das Moralgesetz dies ganz unbedingt und ohne Rücksicht auf Möglichkeit oder Unmöglichkeit. Daher kann dieses Gesetz nie aufhören gültig zu sein, da es nie erreicht sein wird; seine Forderung kann nie ein Ende nehmen, da sie nie erfüllt sein wird. Es gilt für die Ewigkeit. - Es tut diese Forderung an jenes heilige Wesen, in Ewigkeit das höchste Out

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in allen vernünftigen Naturen zu befördern; in Ewigkeit das Gleichgewicht zwischen Sittlichkeit und Glückseligkeit herzustellen: jenes Wesen muß also selbst ewig sein, um einem ewigen Moralgesetze, das seine Natur bestimmt, zu entsprechen; und es muß, diesem Gesetze gemäß, allen vernünftigen Wesen, an die dieses Gesetz gerichtet ist, und von welchen es Ewigkeit fordert, die Ewigkeit geben. Es muß also ein ewiger Gott sein, und jedes moralische Wesen muß ewig fortdauern, wenn der Endzweck des Moralgesetzes nicht unmöglich sein soll. Dieses sind die Postulate der Vernunft, welche wir, um unsrer moralischen Bestimmung durch dieselbe willen, nicht als objektiv gewiß, sondern als subjektiv für unsere, nämlich menschliche Art zu denken gültig, annehmen müssen. Es waren eigentlich zwei Hauptbestimmungen im Begriffe von Gott, den die durch das Moralgebot praktisch bestimmte Vernunft aufstellte: die erste, welche unmittelbar aus der Möglichkeit des Endzwecks des Moralgesetzes überhaupt folgte, daß sein Wesen gänzlich und allein durch das Moralgesetz*) bestimmt sei; die zweite, welche aus der Anwendung dieser angenommenen Möglichkeit auf endliche moralische Wesen folgte, daß er nach diesem Gesetze die sinnliche Natur außer sich bestimme. Die erste stellt Gott dar als die vollkommenste Heiligkeit, in welcher das Sittengesetz sich ganz beobachtet darstellt, als das Ideal aller moralischen Vollkommenheit; und zugleich als den Alleinseligen, weil er der Alleinheilige ist; mithin als Darstellung des erreichten Endzwecks der praktischen Vernunft, als das höchste 0 u t selbst, dessen Möglichkeit sie postulierte: die zweite als den obersten Weltregenten nach moralischen Gesetzen, als Richter aller vernünftigen Geister. Die erste betrachtet ihn an und für sich selbst, nach seinem Sein, und er erscheint durch sie als vollkommenster Beobachter des Moralgesetzes: die zweite nach den Wirkungen dieses Seins auf andere moralische Wesen, und er ist vermöge derselben höchster, niemandem untergeordneter Exekutor der *) Wenn man von Gott redet, so heißt die Anforderung der praktischen Vernunft an ihn nicht Gebot, sondern Gesetz. Sie sagt von ihm kein So II e n, sondern ein Sein aus; sie ist in Rücksicht auf ihn n ich t imperativ, sondern konstitutiv.

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Verheißungen des Moralgesetzes, mithin auch Gesetzgeber; welche Folgerung aber noch nicht unmittelbar klar ist, sondern unten weitläufiger erörtert werden soll. So lange wir nun bei diesen Wahrheiten, als solchen, stehen bleiben, haben wir zwar eine T h e o I o g i e, die wir haben mußten, um unsere theoretischen Oberzeugungen und unsre praktische Willensbestimmung nicht in Widerspruch zu setzen; aber noch keine Re I i g i o n, die selbst wieder als Ursache auf diese Willensbestimmung einen Einfluß hätte. Wie entsteht" nun aus Theologie Religion? Theologie (J.oyla) ist bloße Wissenschaft, tote Kenntnis ohne praktischen Einfluß; Religion aber (religio) soll der Wortbedeutung nach etwas sein, das uns verbindet, und zwar stärker verbindet, als wir es ohne dasselbe waren. Inwiefern diese Wortbedeutung hier der Strenge nach anwendbar sei, muß sich sogleich ergeben. Nun scheint es fürs erste, daß Theologie, auf solche Prinzipien gegründet, nie bloße Wissenschaft ohne praktischen Einfluß sein könne, sondern daß sie, durch vorhergegangene Bestimmung des Begehrungsvermögens bewirkt, hinwiederum auf dasselbe zurückwirken müsse. Bei jeder Bestimmung des untern Begehrungsvermögens müssen wir wenigstens die Möglichkeit des Objekts unsrer Begierde annehmen, und durch dieses Annehmen wird die Begierde, die vorher blind und unvernünftig war, erst gerechtfertigt und vernünftig; hier also findet diese Zurückwirkung unmittelbar statt. Die Bestimmung des obern Begehrungsvermögens aber, das Gute zu wollen, ist an sich vernünftig, denn sie geschieht unmittelbar durch ein Gesetz der Vernunft und bedarf keiner Rechtfertigung durch Anerkennung der Möglichkeit ihres Objekts: diese Möglichkeit aber nicht anerkennen, das wäre gegen die Vernunft, und mithin ist das Verhältnis hier umgekehrt. Beim untern Begehrungsvermögen geschieht die Bestimmung erst durchs Objekt; beim obern wird das Objekt erst durch die Bestimmung des Willens realisiert. Der Begriff von etwas, das schlechthin recht ist*), d. i. von der notwendigen Kongruenz des Grades der Glückseligkeit eines *) Das Wort recht (welches wohl zu unterscheiden ist von einem Rechte, von welchem die Lehrer des Naturrechts reden,) hat einen ihm

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vernünftigen, oder eines als solches betrachteten Wesens, mit dem Grade seiner sittlichen Vollkommenheit, ist in unserer Natur, unabhängig von Naturbegriffen, und von der durch dieselben möglichen Erfahrung, a priori, da. Betrachten wir diese Idee nur bloß als Begriff, ohne Rücksicht auf das durch dieselbe bestimmte Begehrungsvermögen, so kann sie uns nichts weiter sein und werden, als ein durch die Vernunft unsrer Urteilskraft gegebnes Gesetz zur Reflexion, über gewisse Dinge in der Natur, sie auch noch in einer andern Absicht, als der ihres Se i n s , nämlich der ihres Seins o II e n s, zu betrachten. In diesem Falle scheint es fürs erste, daß wir gänzlich gleichgültig gegen die Übereinstimmung mit dieser Idee bleiben, und weder W obigefallen noch Interesse für dieselbe empfinden würden. Aber auch dann wäre alles, was außer uns mit dem a priori in uns vorhandenen Begriffe des Rechts übereinstimmend gefunden würde, zweckmäßig für eine uns durch die Vernunft aufgegebne Art über die Dinge zu reflektieren, und müßte, da alle Zweckmäßigkeit mit Wohlgefallen angeblickt wird, ein Gefühl der Lust in uns erregen. Und so ist es denn auch wirklich. Die Freude über das Mißlingen böser Absichten, und über die Entdeckung und Bestrafung des Bösewichts, ebenso wie über das Gelingen redlicher Bemühungen, über die Anerkennung der verkannten Tugend und über die Entschädigung des Rechtschaffneo für die auf dem Wege der Tugend erlittenen Kränkungen und gemachten Aufopferungen ist allgemein, im Innersten der menschlichen Natur gegründet, und die nie versiegende Quelle des Interesses, das eigentümlichen Nachdruck, weil es keiner Grade der Vergleichung fähig ist. Nichts ist so gut, oder so edel, daß sich nicht noch etwas Besseres oder Edleres denken ließe; aber recht ist nur eins: alles, worauf dieser Begriff anwendbar ist, ist entweder schlechtbin recht oder schlechthin unrecht, und da gibt's kein drittes. Weder das lateinische honestum, noch das griechische Halov ,.&ya60" hat diesen Nachdruck. Es ist ein Glück für unsere Sprache, daß man diesem Worte durch Mißbrauch desselben seinen Nachdruck nicht geraubt hat, welches sie ohne Zweifel dem Geschmacke an Superlativen, und an Übertreibung, der Meinung, daß es eben nicht viel gesagt sei, wenn man z. B. eine Handlung recht nenne, und daß sie wenigstens e d e I heißen müsse, zu verdanken bat.

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wir an Dichtungen nehmen. Wir gefallen uns in so einer :Welt, wo alles der Regel des Rechts gemäß ist, weit besser, als in der wirklichen, wo wir so mannigfaltige Verstöße gegen dieselbe zu entdecken glauben. Aber es kann uns auch etwas, ohne daß wir Interesse dafür fühlen, d. i. ohne daß wir das Dasein des Gegenstandes begehren, gefallen; und von der Art ist z. B. das Wohlgefallen am Schönen. :Wäre es mit dem Wohlgefallen am moralisch Guten ebenso beschaffen, so wäre dasselbe ein Gegenstand unsrer bloßen Billigung. Wenn uns einmal ein Gegenstand gegeben wäre, der diesem Begriffe entspräche, so könnten wir nicht vermeiden, Vergnügen, und bei dem Anblicke eines Gegenstandes, der ihm widerspräche, Mißvergnügen zu empfinden; aber es würde dadurch noch keine Begierde in uns entstehen, daß überhaupt etwas gegeben werden möchte, worauf dieser Begriff anwendbar sei. Hier wäre also bloße Bestimmung des Gefühls der Lust und Unlust, ohne die geringste Bestimmung des Begehrungsvermögens. Abgerechnet, daß der Begriff des Soli e n s an sich schon eine Bestimmung des Begehrungsvermögens, das Dasein eines gewissen Objekts zu wollen, anzeigt: so bestätigt es die Erfahrung ebenso allgemein, daß wir auf gewisse Gegenstände notwendig diesen Begriff anwenden, und die Übereinstimmung derselben mit ihm unnachläßlich verlangen. So sind wir in der Welt der Dichtungen, im Trauerspiele oder Romane, nicht eher befriedigt, bis wenigstens die Ehre des unschuldig Verfolgten gerettet, und seine Unschuld anerkannt, der ungerechte Verfolger aber entlarvt ist, und die gerechte Strafe erlitten hat, so angemessen es auch dem gewöhnlichen Laufe der Dinge in der Welt sein mag, daß dies nicht geschehe; zum sichern Beweise, daß wir es nicht von uns erhalten können, dergleichen Gegenstände, wie die Handlungen moralischer Wesen und ihre Folgen sind, bloß nach der Kausalität der Naturgesetze zu betrachten; sondern daß wir sie notwendig mit dem Begriffe des Rechts vergleichen müssen. Wir sagen in solchen Fällen, das Stück sei nicht geendigt; und ebensowenig können wir bei Vorfällen in der wirklichen Welt, wenn wir z. B. den Bösewicht im höchsten Wohlstande mit Ehre und Gut gekrönt, oder den Tugendhaften verkannt, verfolgt

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und unter tausend Martern sterben sehen, uns befriedigen, wenn nun alles aus, und der Schauplatz auf immer geschlossen sein soll. Unser Wohlgefallen an dem, was recht ist, ist also keine bloße Billigung, sondern es ist mit Interesse verbunden. Es kann aber ein Wohlgefallen gar wohl mit einem Interesse verbunden sein, ohne daß wir darum diesem Wobigefallen eine Kausalität zur Hervorbringung des Objekts desselben zuschreiben; ohne daß wir auch nur das geringste zum Dasein des Gegenstandes desselben beitragen wollen, oder auch nur wollen können. Dann ist das Verlangen nach diesem Dasein ein müßiger Wunsch (pium desiderium). Wir mögen es begehren so heftig wir wollen, wir müssen uns doch bescheiden, daß es nicht von uns abhängt. So ist das Begehren vieler Arten des Angenehmen bloß ein müßiger Wunsch. Wer verlangt z. B. nicht nach anhaltendem ungestümen Wetter einen hellen Tag? aber einem solchen Verlangen können wir gar keine Kausalität zur Hervorbringung eines solchen Tages zuschreiben. Hätte es mit dem Wohlgefallen am Sittlichguten eine solche Bewandtnis, wie mit irgendeinem der Dinge, die wir angeführt haben, so könnten wir keine Theologie haben, und bedürften keiner Religion: denn so innig wir auch im letzten Falle die Fortdauer der moralischen Wesen, und einen allmächtigen, allwissenden und gerechten Vergelter ihrer Handlungen wünschen müßten, so wäre es doch sehr vermessen, aus einem bloßen Wunsche, so allgemein und so stark er auch wäre, auf die Realität seines Objekts zu schließen, und dieselbe auch nur als subjektiv-gültig anzunehmen. Aber die Bestimmung des Begehrungsvermögens durch das Moralgesetz, das Recht zu wollen, soll eine Kausalität haben, es wenigstens zum Teil wirklich hervorzubringen. Wir sind unmittelbar genötigt, das Recht in unserer eignen Natur als von uns abhängig zu betrachten; und wenn wir etwas dem Begriffe desselben Widerstreitendes in uns entdecken, so empfinden wir nicht bloßes Mißvergnügen, wie bei der Nichterfüllung eines müßigen Wunsches, oder auch nur bloßen Unwillen gegen uns selbst, wie bei der Abwesenheit eines Gegenstandes unseres Interesses, daran wir selbst Schuld sind (also bei Vernachlässigung einer

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Regel der Klugheit), sondern Reue, Scham, Selbstverachtung. In Absicht des Rechts in uns fordert also das Moralgesetz in uns schlechterdings eine Kausalität zur Hervorbringung desselben, in Absicht desselben a u ß er uns aber kann es dieselbe nicht geradezu fordern, weil wir dasselbe nicht als unmittelbar von uns abhängig betrachten können. In Absicht des Ietztern also wirkt das Moralgesetz in uns ein bloßes Verlangen des Rechts, aber kein Bestreben es hervorzubringen. Dieses Verlangen des Rechts außer uns, d. i. einer dem Grade unsrer Moralität angemessenen Glückseligkeit ist wirklich durch das Mora I g es e t z entstanden. Glückseligkeit zwar überhaupt zu verlangen, ist ein Naturtrieb; diesem gemäß aber verlangen wir sie unbedingt, uneingeschränkt, und ohne die geringste Rücksicht auf etwas außer uns; mit Moralbegriffen aber, d. i. als vernünftige Wesen, bescheiden wir uns bald, gerade nur dasjenige Maß derselben verlangen zu können, dessen wir wert sind, und diese Einschränkung des Glückseligkeitstriebes ist unabhängig von aller religiösen Belehrung selbst der ununterrichtetsten Menschheit tief eingeprägt, der Grund aller Beurteilung über die Zweckmäßigkeit der menschlichen Schicksale, und jenes eben unter dem unbelehrtesten Teile der Menschheit am meisten ausgebreiteten Vorurteils, daß der ein vorzüglich böser Mensch sein müsse, den vorzüglich traurige Schicksale treffen. Dieses Verlangen aber ist so wenig weder m ü ß i g, d. i. ein solches, dessen Befriedigung wir zwar gerne sehen, bei dessen Nichtbefriedigung wir uns aber auch zur Ruhe weisen lassen würden, noch unberechtigt, daß vielmehr das Moralgesetz das R e c h t i n u n s zur Bedingung d es R echt s a u ß er u n s macht (das heißt nicht soviel, als ob es nur unter der Bedingung Gehorsam von uns verlange, wenn wir die demselben angemessene Glückseligkeit erwarten dürfen [denn es gebietet ohne alle Bedingung], sondern, daß es uns alle Glückseligkeit nur als Bedingungt unsers Gehorsams möglich darstellt; das Gebot nämlich ist das Unbedingte, die Glückseligkeit aber das dadurch Bedingte): und dies tut es dadurch, indem es uns unsre Handlungen dem Prinzip der Allgemeingültigkeit unterzuordnen be1

als unter der Bedingung ("?)

[48-49] 27-28

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fiehlt; da a 11 gemeines Gelten (nicht bloß Gültigkeit) des M o r a I g es e tz e s und d e m G r a d e d e r M o r a I i t ä t j e d e s v e rnünftigen Wesens völlig angemessene Glückseligkeit identische Begriffe sind. Wenn nun die Regel des Rechts nie allgemeingeltend werden weder würde noch könnte, so bliebe zwar darum immer jene Forderung der Kausalität des Moralgesetzes zur Hervorbringung des Rechts in uns, als Faktum da, aber es wäre schlechterdings unmöglich, daß sie in concreto, in einer Natur wie die unsrige, erfüllt werden könnte. Denn sobald wir bei einer moralischen Handlung uns nur fragten: was mache ich doch? so miißte unsre theoretische Vernunft uns antworten: ich ringe, etwas schlechthin Unmögliches möglicli zu machen, ich laufe nach einer Schimäre, ich handle offenbar unvernünftig; und sobald wir wieder auf die Stimme des Gesetzes hörten, müßten wir urteilen: ich denke offenbar unvernünftig, indem ich dasjenige, was mir schlechthin als Prinzip aller meiner Handlungen aufgestellt ist, für unmöglich erkläre. Folglich wäre in diesem Zustande, so fortdauernd auch die Forderung des Moralgesetzes, eine Kausalität in uns zu haben, bliebe, eine fortgesetzte Erfüllung derselben nach Regeln schlechterdings unmöglich; sondern unser Ungehorsam oder Gehorsam hinge davon ab, ob eben der Ausspruch der theoretischen, oder der der praktischen Vernunft das Übergewicht in unsenn Gemüte hätte (wobei jedoch im Ietztern Falle offenbar die theoretisch-geleugnete Möglichkeit des Endzwecks des Moralgesetzes stillschweigend angenommen, und durch unsere Handlung anerkannt würde) ; worüber wir, nach aufgehobner Machtgewalt des praktischen Vermögens über das theoretische nichts bestimmen könnten, folglich weder freie, noch moralische, noch der Imputation fähige Wesen, sondern wieder ein Spiel des Zufalls, oder eine durch Naturgesetze bestimmte Maschine würden. Theologie also ist, auf diese Grundsätze gebaut, in concreto betrachtet nie bloße Wissenschaft, sondern wird ganz unmittelbar in ihrer Entstehung schon dadurch Religion, indem sie allein, durch Aufhebung des Widerspruchs zwischen unsrer theoretischen und unsrer praktischen Vernunft, eine fortgesetzte Kausalität des Moralgesetzes in uns möglich macht.

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28-29 [49-50)

Und dies zeigt denn auch, welches wir bloß im Vorbeigehn erinnern, das eigentliche Moment des moralischen Beweises für das Dasein Gottes. Wie man aus theoretisch anerkannten Wahrheiten praktische Folgerungen herleiten könne, welche dann eben den Grad der Gewißheit haben, als die Wahrheiten, auf welche sie sich gründen, wie z. B. aus unsrer a priori theoretisch erwiesenen Abhängigkeit von Gott die Pflicht folgen werde, sich gegen ihn dieser Abhängigkeit gemäß zu betragen, hat man immer leicht einsehen zu können geglaubt, weil man sich an diesen Gang der Folgerung gewöhnt hatte, da er doch eigentlich gar nicht begreiflieh ist, weil er nicht richtig ist, und der theoretischen Vernunft keine Machtgewalt über die praktische zugeschrieben werden kann. Umgekehrt aber können aus einem praktischen Gebote, das schlechthin a priori ist, und sich auf keine theoretischen Sätze, als seine Prämissen, gründet, theoretische Sätze abgeleitet werden, weil der praktischen Vernunft allerdings eine Machtgewalt über die theoretische, doch' gemäß den eignen Gesetzen derselben, zuzuschreiben ist. Es ist also ganz der umgekehrte Gang der Folgerung, und hat man sie je mißverstanden, so i!lt es bloß daher gekommen, weil man sich das Moralgesetz nicht als schlechthin a priori, und die Kausalität desselben nicht als schlechthin (nicht theoretisch, aber praktisch) notwenillg dachte. Der Widerspruch' zwischen theoretischer und praktischer Vernunft ist nun gehoben, und die Handhabung des Rechts ist einem Wesen übertragen worden, in welchem die Regel desselben nicht bloß allgemeingültig, sondern allgemeingeltend ist, der 1 also das Recht auch außer uns uns zusichern kann. -Sie ist allgemeingeltend für die Natur, die nicht moralisch ist, aber auf die Glückseligkeit moralischer Wesen Einfluß hat. Insofern auf diese Glückseligkeit auch andrer moralischen Wesen Betragen einfließt, lassen auch' diese sich betrachten als Natur. In dieser Rücksicht ist Gott der Bestimmer der durch die Kausalität ihres Willens in der Natur hervorgebrachten Wirkungen, aber nicht ihres Willens selbst; und so gegenseitig der durch den unsrigen hervorgebrachten, insofern sie auf die Glückseligkeit anderer moralischer Wesen einen Einfluß haben. 1

I. H. Fichte (Fichtes Slmtl. Werke V, 40): das

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Moralische Wesen aber, als solche, d. i. in Absicht ihres Willens, können nicht so durch den Willen des allgemeinen Gesetzgebers bestimmt werden, wie die unmoralische Natur, denn sonst hörten sie auf es zu sein, und die Bestimmung der erstem durch diesen Willen ist, wenn sie anders möglich ist, was vorher auszumachen ist, ganz etwas anderes, als die der letztem. Die letztere kann nie selbst moralisch werden, sondern nur in Obereinstimmung mit den moralischen Ideen eines vernünftigen Wesens gesetzt werden ; die erstem sollen frei, und bloß durch sich erste Ursachen moralischer Bestimmungen sein. In Absicht der letztem ist also Gott nicht eigentlich Gesetzgeber, sondern Beweger, Bestimmer; sie ist bloßes Instrument, und der moralisch handelnde bloß Er. Moralische Wesen sind aber, nicht nur insofern sie nach Naturgesetzen tätig, sondern auch insofern sie nach denselben I eidend sind, Teile der Natur, und als solche Gegenstand der Bestimmung der Natur nach moralischen Ideen, insofern durch dieselbe ihnen der gebührende Grad der Glückseligkeit zugemessen wird, und als solche sind sie völlig in der moralischen Ordnung, wenn der Grad ihrer Glückseligkeit dem Grade ihrer sittlichen Vollkommenheit völlig angemessen ist. Dadurch nun kommen wir zuerst, daß ich mich so ausdrücke, in Korrespondenz mit Gott. Wir sind genötigt, bei allen unsern Entschließungen auf ihn aufzusehen, als den, der den moralischen Wert derselben allein und genau kennt, da er nach ihnen unsre Schicksale zu bestimmen hat, und dessen Billigung oder Mißbilligung das einzig richtige Urteil über dieselben ist. Unsere Furcht, unsere Hoffnung, alle unsere Erwartungen beziehen sich auf ihn: nur in seinem Begriffe von uns finden wir unsem wahren Wert. Die heilige Ehrfurcht vor Gott, die dadurch notwendig in uns entstehen muß, verbunden mit der Begierde der nur von ihm zu erwartenden Glückseligkeit, bestimmt nicht unser oberes Begehrungsvermögen, das Recht überhaupt zu wollen (das kann sie nie, da sie selbst auf die schon gescheh'ene Bestimmung desselben sich gründet), sondern unser niederes, dasselbe wirklich in uns

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anhaltend und fortgesetzt hervorzubringen. Hier ist also schon Religion, gegründet auf die Idee von Gott, als Bestimmer der Natur nach moralischen Zwecken, und in uns auf die Begierde der Glückseligkeit, welche aber gar nicht etwa unsre Verbindlichkeit zur Tugend, sondern nur unsre Begierde, dieser Verbindlichkeit Genüge zu tun, vermehrt und verstärkert. Nun läßt aber ferner das allgemeine Gelten des göttlichen Willens für uns als passive Wesen, uns auf die Allgemeingültigkeit desselben für uns auch als aktive Wesen schließen. Gott richtet uns nach einem Gesetze, das ihm nicht anders, als durch s e i n e Vernunft gegeben sein kann, folglich nach seinem durch das Moralgesetz bestimmten Willen. Seinem Urteile also liegt sein Wille, als allgemeingeltendes Gesetz für vernünftige Wesen, auch insofern sie aktiv sind, zum Grunde, indem ihre Obereinstimmung mit demselben der Maßstab ist, nach welchem ihnen, als passiven, ihr Anteil an der Glückseligkeit zugemessen wird. Die Anwendbarkeit dieses Maßstabes erhellt sogleich daraus, weil die Vernunft ihr selbst nie widersprechen kann, sondern in allen vernünftigen Wesen ebendasselbe aussagen, folglich der durch das Moralgesetz bestimmte Wille Gottes völlig gleichlautend mit dem uns durch ebendieselbe Vernunft gegebenen Gesetze sein muß. Es ist nach diesem für die Leg a I i t ä t unsrer Handlungen völlig gleichgültig, ob wir sie dem Vernunftgesetze darum gemäß einrichten, weil unsere Vernunft gebietet; oder darum, weil Gott das will, was unsre Vernunft fordert; ob wir unsre Verbindlichkeit vom bloßen Gebote der Vernunft, oder ob wir sie vom Willen Gottes herleiten: ob es aber für die Mora I i t ä t derselben völlig gleichgültig sei, ist dadurch noch nicht klar und bedarf einer weitem Untersuchung. Unsre Verbindlichkeit vom Willen Gottes ab1e i t e n, heißt, seinen Willen, a I s so Ich e n, für unser Gesetz anerkennen; sich darum zur Heiligkeit verbunden erachten, weil Er sie von uns fordert. Es ist also dann nicht bloß von einer Vollbringung des Willens ·Gottes, der Materie des Wollens nach, sondern von einer auf die. Form desselben gegründeten Verbindlichkeit die Rede;- wir handeln dem Gesetze der Vernunft gemäß, weil es 0 o tt e s Gesetz ist.

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Hierbei entstehen folgende zwei Fragen: Wie erkennen wir das Gesetz der Vernunft in uns als Gesetz Gottes? und dann: Gibt es eine Verbindlichkeit, dem Willen Gottes, als solchem, zu gehorchen, und worauf könnte sich dieselbe gründen? Die Beantwortung der ersten Frage, welche von der zweiten wesentlich unterschieden ist, findet nicht eher statt, bis wir mit der Ietztern in völliger Richtigkeit sind, weil man vor Ausmittelung dieser nicht wissen kann, ob die Bemühung jene zu beantworten nicht völlig ohne Nutzen ist. Schon der Begriff von Gott wird uns bloß durch unsere Vernunft gegeben, und bloß durch sie, insofern sie a priori gebietend ist, realisiert, und es ist schlechterdings keine andere Art gedenkbar, auf welche wir zu diesem Begriffe kommen könnten. Ferner verbindet uns die Vernunft ihrem Gesetze zu gehorchen, ohne Rückweisung an einen Gesetzgeber über sie, so daß sie selbst verwirrt und schlechterdings vernichtet wird, und aufhört Vernunft zu sein, wenn man annimmt, daß noch etwas anderes ihr gebiete, als sie sich selbst. Stellt sie uns nun den Willen Gottes als völlig gleichlautend mit ihrem Gesetze dar, so verbindet sie uns freilich mittelbar, auch diesem zu gehorchen; aber diese Verbindlichkeit gründet sich auf nichts anderes, als auf die Obereinstimmung desselben mit ihrem eigenen Gesetze, und es ist kein Gehorsam gegen Gott möglich, ohne aus Gehorsam gegen die Vernunft. Hieraus erhellt nun fürs erste zwar soviel, daß .es völlig gleich für die Moralität unsrer Handlungen ist, ob wir uns zu etwas darum verbunden erachten, weil es unsre Vernunft befiehlt, oder weil es Gott befiehlt; aber es läßt sich daraus noch gar nicht einsehen, wozu uns letztere Vorstellung dienen soll, da ihre Wirksamkeit die Wirksamkeit der erstern schon voraUssetzt, da das Gemüt schon bestimmt sein muß, der Vernunft gehorchen zu wollen, ehe der Wille, Gott zu gehorchen, möglich ist; da es mithin scheint, daß die letztere Vorstellung uns weder allgemeiner noch stärker bestimmen könne, als diejenige, von der sie abhängt, und durch. die sie erst möglich wird. Gesetzt aber, es ließe sich zeigen, daß sie unter gewissen Bedingungen wirklich unsre Willensbestimmung erweitere, so ist vorher doch noch auszumachen, ob eine Verbindlichkeit sich ihrer überhaupt zu

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31-32 [53-54]

bedienen stattfinde: und da folgt denn unmittelbar aus dem Obigen, daß, obgleich die Vernunft uns verbindet, dem Willen Gottes seinem Inhalte nach (voluntati ejus materialiter spectatae) zu gehorchen, weil dieser mit dem des Vernunftgesetzes völlig gleichlautend ist, sie doch unmittelbar keinen Gehorsam fordert, als den für ihr Gesetz, aus keinem andern Grunde, als weil es ihr Gesetz ist; daß sie folglich, da nur unmittelbare praktische Gesetze der Vernunft verbindend sind, zu keinem Gehorsam gegen den Willen Gottes, als solchen, (voluntatem ejus formaliter spectatam) verbinde. Die praktische Vernunft enthält mithin kein Gebot, uns den Willen Gottes, als solchen, gesetzlich für uns zu denken, sondern bloß eine · Erlaubnis; und sollten wir a posteriori finden, daß diese Vorstellung uns stärker bestimme, so kann die Klugheit anraten, uns derselben zu bedienen, aber Pflicht kann der Gebrauch dieser Vorstellung nie sein. Zur Religion also, d. i. zur Anerkennung Gottes, als moralischen Gesetzgebers, findet keine Verbindlichkeit statt, um so weniger, da, so notwendig es auch ist, die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit unsrer Seele anzunehmen, weil ohne diese Annahme die geforderte Kausalität des Moralgesetzes uns gar nicht möglich ist, und diese Notwendigkeit ebenso allgemein gilt als das Moralgesetz selbst, wir doch nicht einmal sagen können, wir seien v erbunden diese Sätze anzunehmen, weil Verbindlichkeit nur vom Praktischen gilt. Inwieweit aber die Vorstellung von Gott, als Gesetzgeber, durch dieses Gesetz in uns gelte, hängt von der Ausbreitung ihres Einflusses auf die Willensbestimmung, und diese hinwiederum von den Bedingungen ab, unter welchen vernünftige Wesen durch sie bestimmt werden können. Könnte nämlich gezeigt werden, daß diese Vorstellung nötig sei, um dem Gebote der Vernunft überhaupt Gesetzeskraft zu geben (wovon aber das Gegenteil gezeigt worden ist), so würde sie für alle vernünftige Wesen gelten; kann gezeigt werden, daß sie in allen e n d Ii c h e n vernünftigen Wesen die Willensbestimmung erleichtert, so ist sie gemeingültig für diese; sind die Bedingungen, unter denen sie diese Bestimmung erleichtert und erweitert, nur von der menschlichen Natur gedenkbar, so gilt sie, falls sie in allgemeinen Eigen-

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schatten derselben liegen, für alle, oder wenn s1e m besondern Eigenschaften derselben liegen, nur für einige Menschen. Die Bestimmung des Willens, dem Gesetze Gottes überhaupt zu gehorchen, kann nur durch das Gesetz der praktischen Vernunft geschehen, und ist als bleibender und dauernder Entschluß des Gemüts vorauszusetzen. Nun aber können einzelne Fälle der Anwendung des Gesetzes gedacht werden, in denen die bloße Vernunft nicht Kraft genug haben würde, den Willen zu bestimmen, sondern zu Verstärkung ihrer Wirksamkeit noch der Vorstellung bedarf, daß eine gewisse Handlung durch Gott geboten sei. Diese Unzulänglichkeit des Vernunftgebotes, als solches, kann keinen andern Grund haben, als Verminderung unsrer Achtung gegen die Vernunft in diesem besondern Falle; und diese Achtung kann durch nichts anderes vermindert worden sein, als durch ein derselben widerstreitendes Naturgesetz, das unsre Neigung bestimmt, und welches mit jenem der Vernunft, das unser oberes Begehrungsvermögen bestimmt, in einem und ebendemseI b e n Sub j e k t e, nämlich in uns erscheint, und mithin, wenn die Würde des Gesetzes bloß nach der des gesetzgebenden Subjekts bestimmt wird, von einerlei Range und Werte mit jenem zu sein scheinen könnte. Hier noch ganz davon abstrahiert, daß wir in einem solchen Falle uns täuschen, daß wir die Stimme der Pflicht vor dem Schreien der Neigung nicht hören, sondern uns in der Lage zu sein dünken könnten, wo wir unter bloßen Naturgesetzen stehen; sondern vorausgesetzt, daß wir die Anforderungen beider Gesetze und ihre Grenze richtig unterscheiden, und unwidersprechlich erkennen, was unsre Pflicht in diesem Falle sei, so kann es doch leicht geschehen, daß wir uns entschließen, nur hier dies eine Mal eine Ausnahme von der allgemeinen Regel zu machen, nur dies eine Mal wider den klaren Ausspruch derVernuoft zu handeln, weil wir dabei niemandem verantwortlich zu sein glauben, als uns selbst, und weil wir meinen, es sei unsre Sache, ob wir vernünftig oder unvernünftig handeln wollen ; es verschlage niemandem etwas, als uns selbst, wenn wir uns dem Nachteile, der freilich daraus für uns entstehen müßte, wenn ein moralischer Richter unsrer Handlungen sei, unterwerfen, durch welche Strafe unser Ungehorsam gleichsam abgebüßt zu werden

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scheint; wir sündigten auf eigne Gefahr. Ein solcher Mangel an Achtung für die Vernunft gründet sich mithin auf Mangel der Achtung gegen uns selbst, welche wir bei uns wohl verantworten zu können glauben. Erscheint uns aber die in diesem Falle eintretende Pflicht als von Gott geboten, oder, welches eben das ist, erscheint das Gesetz der Vernunft durchgängig und in allen seinen Anwendungen als Gesetz Gottes, so erscheint es in einem Wesen, in Absicht dessen es nicht in unserm Belieben steht, ob wir es achten, oder ihm die gebührende Achtung versagen wollen; wir machen bei jedem wissentlichen Ungehorsame gegen dasselbe nicht etwa nur eine Ausnahme von der Regel, sondern wir verleugnen geradezu die Vernunft überhaupt; wir sündigen nicht bloß gegen eine von derselben abgeleitete Regel, sondern gegen ihr erstes Gebot; wir sind nun, die Verantwortlichkeit zur Strafe, die wir allenfalls auf uns selbst nehmen könnten, abgerechnet, einem Wesen, dessen bloßer Gedanke uns die tiefste Ehrfurcht einprägen muß, und welches nicht zu verehren der höchste Unsinn ist, auch noch für Verweigerung der ihm schuldigen Ehrfurcht verantwortlich, welches durch keine Strafe abzubüßen ist. Die Idee von Gott, als Gesetzgeber durchs Moralgesetz in uns, gründet sich also auf eine Entäußerung des unsrigen, auf Übertragung eines Subjektiven in ein Wesen außer uns, und diese Entäußerung ist das eigentliche Prinzip der Religion, insofern sie zur Willensbestimmung gebraucht werden soll. Sie kann nicht im eigentlichsten Sinne unsre Achtung für das Moralgesetz überhaupt verstärken, weil alle Achtung für Gott sich bloß auf seine anerkannte Obereinstimmung mit diesem Gesetze, und folglich auf Achtung für das Gesetz selbst gründet; aber sie kann unsre Achtung für die Entscheidungen derselben in einzelnen Fällen, wo sich ein starkes Gegengewicht der Neigung zeigt, vermehren; und so ist es klar, wie, obgleich die Vernunft uns überhaupt erst bestimmen muß, dem Willen Gottes zu gehorchen, doch in einzelnen Fällen die Vorstellung dieses uns hinwiederum bestimmen könne, der Vernunft zu gehorchen. Im Vorbeigehn ist noch zu erinnern, daß diese Achtung für Gott, und die auf dieselbe gegründete Achtung für das Moralgesetz,

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als das seinige, sich auch bloß auf die Übereinstimmung desselben mit diesem Gesetze, d. i. auf seine Heiligkeit gründen müsse, weil sie nur unter. dieser Bedingung Achtung für das Moralgesetz ist, die allein die Triebfeder jeder rein moralischen Handlung sein muß. Gründet sie sich etwa auf die Begierde, sich in seine Güte einzuschmeicheln, oder auf Furcht vor seiner Gerechtigkeit, so läge unserm Gehorsame auch nicht einmal Achtung für Gott, sondern Selbstsucht zu Grunde. Der Pflicht widerstreitende Neigungen sind wohl in allen endlichen Wesen anzunehmen, denn das ist eben der Begriff des Endlichen in der Moral, daß es noch durch andere Gesetze, als durch das Moralgesetz, d. i. durch die Gesetze seiner Natur bestimmt werde; und warum Naturgesetze unter irgendeiner Bedingung, für Naturwesen, auf welch einer erhabnen Stufe sie auch stehen mögen, stets und immer mit dem Moralgesetze zusammenstimmen sollten, läßt sich kein Grund angeben; aber es läßt sich gar nicht bestimmen, inwieweit und warum notwendig dieser Widerstreit der Neigung gegen das Gesetz die Achtung für dasselbe, als bloßes Vernunftgeseti, so schwächen solle, daß es, um tätig zu wirken, noch durch die Idee einer göttlichen Gesetzgebung geheiligt werden müsse; und wir können uns nicht entbrechen, für jedes vernünftige Wesen, welches, nicht weil die Neigung in ihm schwächer ist, in welchem falle es kein Verdienst haben würde, sondern weil die Achtung für die Vernunft in ihm stärker ist, dieser Vorstellung zur Willensbestimmung nicht beda1i, eine weit größere Verehrung zu fühlen, als gegen dasjenige, welches ihrer bedarf. Es läßt sich also der Religion, insofern sie nicht bloßer Glaube an die Postulate der praktischen Vernunft ist, sondern als Moment der Willensbestimmung gebraucht werden soll, auch nicht einmal für Menschen subjektive Allgemeingültigkeit (denn nur von dergleichen kann hier die Rede sein) zusichern; ob wir gleich auch von der andern Seite nicht beweisen können, daß endlichen Wesen überhaupt, oder daß insbesondre Menschen in diesem Erdenleben eine Tugend möglich sei, die dieses Moments gänzlich entbehren könne. Diese Übertragung der gesetzgebenden Autorität an Gott nun gründet sich laut obigem darauf, daß ihm durch seine eigne

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Vernunft ein Gesetz gegeben sein muß, welches für uns gültig ist, weil er uns darnach richtet, und welches mit dem uns durch unsre eigene Vernunft gegebnen, wonach wir handeln sollen, völlig gleichlautend sein muß. Hier werden also zwei an sich ~oneinander gänzlich unabhängige Gesetze, die bloß in ihrem Prinzip, der reinen praktischen Vernunft, zusammenkommen, beide für uns gültig gedacht, ganz gleichlautend in Absicht ihres Inhalts, bloß in Absicht der Subjekte verschieden, in denen sie sich befinden. Wir können jetzt bei jeder Forderung des Sittengesetzes in uns sicher schließen, daß eine gleichlautende Forderung in Gott an uns ergehe, daß also das Gebot des Gesetzes in uns auch Gebot Gottes sei d e r M a t er i e nach : aber wir können noch nicht sagen, das Gebot des Gesetzes in uns sei schon als so Ich es, mithin der Form nach, Gebot Gottes. Um das letztere annehmen zu dürfen, müssen wir einen Grund haben, das Sittengesetz in uns als abhängig von dem Sittengesetze in Gott für uns zu betrachten, d. i. den Willen Gottes als die Ursache desselben anzunehmen. Nun scheint es zwar ganz einerlei zu sein, ·ob wir die Befehle unsrer Vernunft, als völlig gleichlautend mit dem Befehle Gottes an uns, oder ob wir sie selbst unmittelbar als Befehle Gottes ansehen ; aber teils wird durch das letztere der Begriff der Gesetzgebung erst völlig ergänzt, teils aber und vorzüglich muß notwendig beim Widerstreite der Neigung gegen die Pflicht die letztere Vorstellung dem Gebote der Vernunft ein neues Gewicht hinzufügen. Den Willen Gottes als Ursache des Sittengesetzes in uns annehmen, kann zweierlei heißen, nämlich daß der Wille Gottes entweder Ursache vom Inhalte des Sittengesetzes, oder daß er es nur von der Existenz des Sittengesetzes in uns sei. Daß das erstere schlechterdings nicht anzunehmen sei, ist schon aus dem Obigen klar, denn dadurch würde Heteronomie der Vernunft eingeführt, und das Recht einer unbedingten Willkür unterworfen, das heißt, es gäbe gar kein Recht. Ob das zweite g·edenkbar sei, und ob sich ein vernünftiger Grund dafür finde, bedarf einer weitem Untersuchung.

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Die Frage also, um deren Beantwortung es jetzt zu tun ist, ist diese: Finden wir irgendeinen Grund, Gott als die Ursache der Existenz des Moralgesetzes in uns anzusehen? oder als Aufgabe ausgedrückt: wir haben ein Prinzip zu suchen, aus welchem Gottes Wille, als Grund der Existenz des Moralgesetzes in uns erkannt werde. Daß das Sittengesetz in uns das Gesetz Gottes an uns enthalte, und materialiter sein Gesetz sei, ist aus dem Obigen klar: ob es auch der Form nach sein Gesetz, d. i. durch ihn und als das seinige promulgiert sei, als wodurch der Begriff der Gesetzgebung vollständig gemacht wird, davon ist jetzt die Frage, welche mithin auch so ausgedrückt werden kann: hat Gott sein Gesetz an uns wirklich promulgiert? können wir ein Faktum aufweisen, das sich als eine dergleichen Promulgation bestätigt? Würde diese Frage in theoretischer Absicht, bloß um unsre Erkenntnis zu erweitern, erhoben, so könnten wir uns auch ohne Antwort auf dieselbe begnügen, und schon a priori (vor ihrer Beantwortung) sicher sein, daß eine zu dieser Absicht befriedigende Antwort gar nicht möglich sei, indem nach der Ursache eines übernatürlichen, nämlich des Moralgesetzes in uns gefragt, mithin die Kategorie der Kausalität auf ein Noumen angewendet wird. Da sie aber in praktischer Absicht zur Erweiterung der Willensbestimmung getan wird, so können wir teils sie nicht so geradezu abweisen, teils bescheiden wir uns schon zum voraus, daß auch eine nur subjektiv, d. i. für unsre Denkgesetze, gültige Antwort uns befriedigen werde. § 3. Einteilung der Religion überhaupt in die natürliche und geoffenbarte.

ln der a II g e m einst e n Bedeutung wird Theologie Religion, wenn die um unsrer Willensbestimmung durch das Gesetz der Vernunft angenommenen Sätze praktisch auf uns wirken. Diese Wirkung geschieht entweder auf unser ganzes Vermögen, zur Hervorbringung der Harmonie in desselben verschiedenen Funktionen, indem die theoretische und praktische Vernunft in Obereinstimmung gesetzt, und die postulierte Kausalität der Ietztern

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in uns möglich gemacht wird. Hierdurch erst wird Einheit in den Menschen gebracht, und alle Funktionen seines Vermögens auf einen einzigen Endzweck hingeleitet 0 der sie geschieht insbesondre auf unser Empfindungsvermögen, indem für das höchste Ideal aller Vollkommenheit tiefe Ehrfurcht, und für den einzig richtigen Beurteiler unsrer Moralität und gerechten Bestimmer unsrer Schicksale nach derselben, Vertrauen, heilige Scheu, Dankbarkeit gewirkt wird. Diese Empfindungen sollen nicht eigentlich den Willen bestimmen; aber sie sollen die Wirksamkeit der schon geschehenen Bestimmung vermehren. Man würde aber nicht wohl tun, auf eine unbegrenzte Erhöhung dieser Empfindungen, besonders insofern sie sich auf den Begriff Gottes als unsers moralischen Richters gründen (und welche zusammen das ausmachen, was man Fr ö m m i g k e it nennt), hinzuarbeiten, weil dem eigentlichen Momente aller Moralität, das was recht ist schlechthin darum zu wollen, w e i I es recht ist, dadurch leicht Abbruch geschehen könnte. 0 der endlich sie geschieht unmittelbar auf unsern Willen, durch das dem Gewichte des Gebots hinzugefügte Moment, daß es Gebot Gottes sei; und dadurch entsteht Religion in der eigen t Ii c h s t e n Bedeutung. Daß das Sittengesetz in uns seinem Inhalte nach als Gesetz Gottes an uns anzunehmen sei, ist schon aus dem Begriffe Gottes, als unabhängigen Exekutors des Vernunftgesetzes überhaupt, klar. Ob wir einen Grund haben, es auch seiner Form nach dafür anzunehmen, ist die jetzt zu untersuchende Frage. Da hierbei gar nicht vom Gesetze an sich die Frage ist, als welches wir in uns haben, sondern vom Urheber des Gesetzes; so können wir im Begriffe der göttlichen Gesetzgebung von dem Inhalte (materia) derselben hier gänzlich abstrahieren, und haben nur auf ihre Form zu sehen. Die gegenwärtige Aufgabe ist also die: ein Prinzip zu suchen, aus welchem Gott als moralischer Gesetzgeber erkannt werde; oder es wird gefragt: hat sich Gott uns als moralischen Gesetzgeber angekündigt, und wie hat er's? Dies läßt sich auf zweierlei Art als möglich denken, nämlich daß es entweder in uns, als moralischen Wesen, in unsrer vernünftigen Natur, oder außer derselben geschehen sei. Nun liegt in unsrer Vernunft, insofern sie rein a priori gesetzgebend

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Paragraph 3

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ist, nichts, das uns berechtigte, dies anzunehmen: wir müssen uns also nach etwas außer ihr umsehen, welches uns wieder an sie zurückweise, um nun aus ihren Gesetzen mehr schließen zu können, als wozu diese allein uns berechtigten: oder wir müssen es· ganz aufgeben, aus diesem Prinzip Gott als Gesetzgeber zu erkennen. Außer unsrer vernünftigen Natur ist das, was uns :zur Betrachtung und Erkenntnis vorliegt, die Sinnenwelt. In dieser finden wir allenthalben Ordnung und Zweckmäßigkeit; alles leitet uns auf eine Entstehung derselben nach Begriffen eines vernünftigen Wesens. Aber zu allen den Zwecken, auf welche wir durch. ihre Betrachtung geführt werden, muß unsre Vernunft einen letzten, einen Endzweck, als das Unbedingte zu dem Bedingten, suchen. Alles aber in unsrer Erkenntnis ist bedingt, außer dem durch die praktische Vernunft uns aufgestellten Zwecke des höchsten Gutes, welcher schlechthin und unbedingt geboten wird. Dieses allein also ist fähig, der gesuchte Endzweck zu sein; und wir sind durch die subjektive Beschaffenheit unsrer Natur gedrungen, ihn dafür anzuerkennen. Kein Wesen konnte diesen Endzweck haben, als dasjenige, dessen praktisches Vermögen bloß durch das Moralgesetz bestimmt wird, und keins die Natur demselben anpassen, als dasjenige, das die Naturgesetze durch sich selbst bestimmt. Dieses Wesen ist Gott. Gott ist also Weltschöpfe r. Kein Wesen ist fähig Objekt dieses Endzwecks zu sein, als nur moralische Wesen, weil diese allein des höchsten Guts fähig sind. Wir selbst also sind als moralische Wesen (objektiv) Endzweck tler Schöpfung. Wir sind aber, als sinnliche, d. i. als solche Wesen, die unter den Naturgesetzen stehen, auch Teile der Schöpfung, und die ganze Einrichtung unsrer Natur, insofern. sie von diesen Gesetzen abhängt, ist Werk des Schöpfers, d. i. des Bestimmers der Naturgesetze durch seine moralische Natur. Nun hängt es zwar teils offenbar nicht von der Natur ab, daß die Vernunft in uns eben so, und nicht anders spricht; teils würde die Frage, ob es von ihr abhänge, daß wir eben moralische Wesen sind, durchaus dialektisch sein. Denn erstens dächten wir uns da den Begriff der Moralität aus uns weg, und nähmen dennoch an, daß wir dann noch wir sein würden, d. i. unsre Identität beibehalten haben würden, welches sich nicht annehmen läßt;

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zweitens geht sie auf objektive Behauptungen im Felde des Obersinnlichen aus, in welchem wir nichts objektiv behaupten dürfen. *) Da es aber für uns ganz einerlei ist, ob wir uns des Gebots des Moralgesetzes in uns nicht b e w u ß t sind, oder ob wir überhaupt keine moralischen Wesen sind; da ferner unser Selbstbewußtsein ganz unter Naturgesetzen steht: so folgt daraus sehr richtig, daß es von der Einrichtung der sinnlichen Natur endlicher Wesen herkomme, daß sie sich des Moralgesetzes in ihnen bewußt sind; und wir dürfen, wenn wir uns vorher nur richtig bestimmt haben, hinzusetzen: daß sie moralische Wesen sind. Da nun Gott der Urheber dieser Einrichtung ist, so ist die Ankündigung des Moralgesetzes in uns durch das Selbstbewußtsein zu betrachten als Seine Ankündigung, und der Endzweck, den uns dasselbe aufstellt, als Sein Endzweck, den er bei unsrer Hervorbringung hatte. So wie wir ihn also für den Schöpfer unserer Natur erkennen, müssen wir ihn auch für unsern moralischen Gesetzgeber anerkennen; weil nur durch eben eine solche Einrichtung uns Bewußtsein des Moralgesetzes in uns, möglich war. Diese Ankündigung Gottes selbst geschieht nun durch das Obernatürliche in uns; und es darf uns nicht irren, daß wir, um das zu erkennen, einen Begriff außer demselben, nämlich den der Natur, zu Hilfe nehmen mußten. Denn teils war es die Vernunft, die uns das, ohne welches jener Begriff uns zu unsrer Absicht gar nicht hätte dienen können, den Begriff des möglichen Endzwecks hergab, und dadurch erst die Erkenntnis Gottes als Schöpfers möglich machte; teils hätte auch diese Erkenntnis uns Gott noch gar nicht als Gesetzgeber darstellen können, ohne das Moralgesetz in uns, dessen Dasein erst die gesuchte Ankündigung Gottes ist. Die zweite uns gedenkbare Art, wie sich Gott als moralischen Gesetzgeber ankündigen konnte, war a u ß er dem Obernatürlichen in uns, also, in der SinnenweIt, da wir außer diesen beiden kein drittes Objekt haben. Da wir aber, weder aus dem Begriffe •) Die frage: warum überhaupt moralische Wesen sein sonten? ist leicht so zu beantworten: wegen der Anforderung des Moralgesetzes an Gott, das höchste Out außer Sich zu befördern, welches nur durch Existeaz vernünftiger Wesen möglich ist.

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Paragraph 3

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der Welt überhaupt, noch aus irgendeinem Gegenstande oder Vorfalle in derselben insbesondre, mitteist der Naturbegriffe, welche die einzigen auf die Sinnenwelt anwendbaren sind, auf etwas übernatürliches schließen können; dem Begriffe einer Ankündigung Gottes als moralischen Gesetzgebers aber etwas übernatürliches zum Grunde liegt: so müßte dies durch ein Faktum in der Sinnenwelt geschehen, dessen Kausalität wir alsbald in ein übernatürliches Wesen setzten, und dessen Zweck, es sei eine Ankündigung Gottes, als moralischen Gesetzgebers, wir sogleich erkennten; wenn dieser Fall überhaupt möglich sein soll. Diese Untersuchung stellt nun vorläufig zwei Prinzipien der Religion, insofern diese sich auf Anerkennung einer formalen Gesetzgebung Gottes gründet, dar; deren eines das Prinzip des übernatürlichen i n u n s , das andere das Prinzip eines übernatürlichen a u ß er u n s ist. Die Möglichkeit des erstern ist schon gezeigt; die Möglichkeit des zweiten, um welches es hier eigentlich zu tun ist, müssen wir weiter dartun. Eine Religion, die sich auf das erste Prinzip gründet, können wir, da sie den Begriff einer Natur überhaupt zu Hilfe nimmt, Naturreligion nennen: und eine solche, der das zweite zum Grunde liegt, nennen wir, da sie durch ein geheimnisvolles übernatürliches Mittel zu uns gelangen soll, das ganz eigentlich zu dieser Absicht bestimmt ist, g e o f f e n b arte Religion. Subjektiv, als Habitus eines vernünftigen Geistes (als Religiosität) betrachtet, können beide Religionen, da sie zwar entgegengesetzte, aber nicht sich widersprechende Prinzipien haben, sich in einem Individuum gar wohl vereinigen, und eine einzige ausmachen. Ehe wir weitergehen, müssen wir noch anmerken, daß, da hier bloß von einem Prinzip der Gesetzgebung ihrer Form nach die Rede gewesen, vom Inhalte derselben aber gänzlich abstrahiert worden, die Untersuchung, wohin nach diesen beiden verschiedenen Prinzipien die Gesetzgebung ihrem Inhalte nach (legislatio materialiter spectata) zu setzen sei, nicht berührt werden konnte. Daß nach dem ersten Prinzip, welches die Ankündigung des Gesetzgebers in uns setzt, auch die Gesetzgebung selbst in uns, nämlich in unsrer vernünftigen Natur zu suchen sei, ist sogleich von selbst klar. Nach dem zweiten Prinzip aber sind

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Paragraph 3

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wieder zwei Fälle möglich: entweder die Ankündigung des Gesetzgebers außer uns verweist uns an unsre vernünftige Natur zurück, und die ganze Offenbarung sagt, in Worten ausgedrückt, nur soviel: Gott ist Gesetzgeber; das euch ins Herz geschriebne Gesetz ist das Seinige; oder sie schreibt uns auf eben dem Wege, auf dem sie Gott als Gesetzgeber bekannt macht, noch sein Gesetl besonders vor. Nichts verhindert, daß in einer in concreto gegebnen Offenbarung nicht beides geschehen könne. A n m er k u n g. Man hat seit Erscheinung der Kritik schon mehrmals die Frage aufgeworfen: Wie ist geoffenbarte Religion möglich? - eine Frage, die sich zwar immer aufdrang, die aber erst, seitdem dieses Licht den Pfad unsrer Untersuchungen ·beleuchtet, gehörig gestellt werden konnte. Aber wie mir's scheint, hat man in allen Versuchen, die ich wenigstens kenne, den Knoten mehr zerschnitten als aufgelöst. Der eine deduziert die Möglichkeit der Religion überhaupt richtig, entwickelt ihren Inhalt, stellt ihre Kriterien fest; und gelangt nun durch drei ungeheure Sprünge (1. indem er Religion in der weitesten, und die in der engsten Bedeutung verwechselt, 2. indem er natürliche und geoffenbarte Religion verwechselt, 3. indem er geoffenbarte überhaupt und christliche verwechselt) zu dem Satze: völlig so eine Vernunftreligion ist die· christliche. Ein andrer, dem es sich freilich nicht verbergen konnte, daß diese noch etwas mehr sei, setzt dieses Mehrere bloß in größere VersinnHebung der abstrakten Ideen jener. Aber die Vernunft gibt a priori gar kein Gesetz und kann keins geben, über die Art, wie wir uns die durch ihre Postulate realisierten Ideen vorstellen sollen. Jeder, auch der schärfste Denker, meine ich, denkt sie sich, wenn er sie in praktischer Absicht auf sich anwendet, mit einiger Beimischung von Sinnlichkeit, und so geht es bis zu dem rohsinnlichsten Menschen in unmerkbaren Abstufungen fort. Ganz rein von Sinnlichkeit ist in concreto keine Religion; denn die Religion überhaupt gründet sich auf das Bedürfnis der Sinnlichkeit. Das Mehr oder Weniger aber berechtigt zu keiner Einteilung. Wo hören denn nach dieser Vorstellungsart die Grenzen der Vernunftreligion auf, und wo gehen die der geoffenbarten an? Es gäbe nach ihr so viele Religionen, als es schriftliche oder mündliche Belehrungen über Religionswahrheiten, als es überhaupt Subjekte gäbe, die an eine Religion glaubten; und es ließe sich durch nichts, als durch das Herkommen begreiflich machen, warum eben diese oder jene Darstellung der Religionswahrheiten die autorisierteste sein sollte; und durch gar nichts, woher die Berufung auf eine übernatürliche Autorität käme, die wir als das charakteristische Merkmal aller

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vorgeblichen Offenbarungen vorfinden. Diese Verirrung vom einzig möglichen Wege einer Deduktion des Offenbarungsbegriffs kam bloß daher, daß man jene allbekannte Regel der Logik vernachlässigte: Begriffe, die zu einer Einteilung berechtigen sollen, müssen unter einem höhern Geschlechtsbegriffe enthalten, unter sich aber spezifisch verschieden sein. Hier ist der Begriff der Religion überhaupt Geschlechtsbegriff. Sollen Natur- und geoffenbarte Religion, als ihm untergeordnet, spezifisch verschieden sein, so müssen sie es entweder in Absicht ihres Inhalts, oder wenn dies, wie schon a priori zu vermuten, nicht möglich ist, wenigstens in Absicht ihrer Erkenntnisprinzipien sein; oder die ganze Einteilung ist leer, und wir müssen auf die Befugnis, eine geoffenbarte Religion anzunehmen, gänzlich Verzieht tun. Der oben angezeigte Begriff ist es denn auch, den der Sprachgebrauch von jeher mit dem Worte Offenbarung verknüpft hat. Alle Religionsstifter haben sich zum Beweise der Wahrheit ihrer Lehren nicht auf die Beistimmung unsrer Vernunft, noch auf theoretische Beweise, sondern auf eine übernatürliche Autorität berufen, und den Glauben an diese, als den einzigen rechtmäßigen Weg der Überzeugung, gefordert; sie haben sich nicht das Ansehen gegeben, etwas, das schon in uns lag, zu entwickeln, sondern uns ganz etwas Neues, Unbekanntes zu sagen; nicht für menschenfreundliche, weise Leiter, sondern für inspirierte Gesandten der Gottheit gelten wollen: mit welchem Rechte, das werden wir erst weiter unten beantworten können; oder vielmehr, es wird sich selbst beantworten.

§ 4. Erörterung des Begriffs der Offenbarung, als Vorbereitung ein er D ed ukti on d ess el be n.

Der Begriff der Offenbarung ist also ein Begriff von einer durch übernatürliche Kausalität von Gott in der Sinnenwelt hervorgebrachten Wirkung, durch welche er sich als moralischen Gesetzgeber ankündigt. Es entsteht die Frage: ist dieser Begriff a priori möglich, oder ist er bloß empirischen Ursprungs? Ist er das letztere, so ist es vergebens über ihn zu p h i I o so p h i er e n, d. i. a priori etwas über seine Möglichkeit, Realität, Anmaßungen und Befugnisse ausmachen zu wollen: wir müssen dann ruhig die Erfahrung, und bloß von ihr alle Belehrung über denselben, erwarten. Aber schon durch den ersten flüchtigsten Blick auf diesen Begriff erblicken wir in ihm so viel, das uns auf einen Ursprung desselben a priori hinzuweisen scheint: den Begriff Gottes, den

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eines übernatürlichen, den einer moralischen Gesetzgebung; alles Begriffe, die nur a priori durch die praktische Vernunft möglich sind. Dadurch nun wird zwar sein Ursprung a priori noch nicht bewiesen, aber es wird uns doch einige Hoffnung gemacht, daß wir, beim Aufsuchen desselben in diesem Felde, ihn wohl finden könnten: zumal, da aus der Analysis desselben sogleich klar ist, daß, wenn er sich auf nichts weiter, als auf Erfahrung, beruft, er sicher falsch und erschlichen ist, indem er uns eine Aussicht in das Feld des übernatürlichen verspricht, welche durch keine Erfahrung, und von keiner Erfahrung aus, möglich ist. Soll er nun a priori sein, so muß er sich von Begriffen a priori, und zwar, da es offenbar kein Naturbegriff ist, von Ideen der reinen Vernunft deduzieren lassen, wenn auch nicht ohne Voraussetzung aller Erfahrung, dennoch bloß mit Voraussetzung einer Erfahrung überhaupt, und zwar ohne etwas von ihr entlehnt oder gelernt zu haben, sondern um einer gewissen Erfahrung - die aber nicht als Erfahrung nach theoretischen, sondern als Moment der Willensbestimmung nach praktischen Gesetzen beurteilt wird, und bei der es nicht um die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der gemachten Beobachtung, sondern um ihre praktischen Folgen zu tun ist selbst das Gesetz nach praktischen Grundsätzen vorzuschreiben. Es ist hier nicht wie im Felde der Naturbegriffe, wo wir bei Deduktion eines Begriffs a priori zeigen können und müssen, daß ohne ihn entweder Erfahrung überhaupt, wenn er rein ist, oder eine gewisse bestimmte Erfahrung, wenn er nicht rein ist, gar nicht möglich sei: sondern, da wir im Felde der Vernunft sind, können und dürfen wir nur zeigen, daß ohne den Ursprung eines gewissen Begriffs a priori keine vernunftmäßige Anerkenn u n g einer gewissen Erfahrung für das, für was sie sich gibt, (aber wohl ein Meinen) möglich sei. Dies ist hier um so nötiger, da dieser Begriff von einem Wege aus, der in dieser Rücksicht schon verdächtig ist, uns - wer weiß, welche? Erkenntnisse im Felde des Obersinnlichen verspricht, und aller Schwärmerei Tor und .Türe zu öffnen droht, wenn er nicht a priori ist, und wir ihm also Gesetze vorschreiben können, an welche wir alle seine a posteriori möglichen Anmaßungen halten, und sie nach denselben beschränken können. Es muß also gezeigt

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werden, daß dieser Begriff vernun f t m ä ß i g nur a priori möglich sei, und daß er also die Gesetze des Prinzips, durch welches es 1 möglich ist, anerkennen müsse; oder, wenn er das nicht sei, und seine Befugnisse gänzlich und allein a posteriori zu erweisen Anspruch mache, gänzlich falsch und erschlichen sei, und daß von dieser Untersuchung sein ganzes Schicksal abhange. Sie ist also der Hauptpunkt dieser Kritik. Gesetzt nun aber auch, die Möglichkeit seines Ursprungs a priori, als einer Vernunftidee, ließe sich durch eine Deduktion dartun: so bliebe immer noch auszumachen, ob er a priori geg.eb en, oder gemacht, und erkünstelt sei; und wir gestehen, daß der sonderbare Weg, den er aus der Ideen- in die Sinnenwelt, und aus dieser wieder in jene nimmt, ihn des Ietztern wenigstens sehr verdächtig mache. Sollte sich dies bestätigen, so gäbe es freilich fürs erste kein gutes Vorurteil für ihn; da es schon bekannt ist, daß die Vernunft im Felde des übersinnlichen zwar ins Unermeßliche schwärmen und dichten; aber daraus, daß es ihr möglich war sich etwas zu denken, noch nicht einmal die Möglichkeit folgern könne, daß dieser Idee überhaupt etwas entspreche. Es bleibt aber doch noch ein Weg übrig, diese Idee aus den leeren Träumen der Vernunft herauszuheben, wenn sich nämlich in der Erfahrung, und zwar, da hier von einem praktischen Begriffe die Rede ist, ein empirisch gegebenes praktisches Bedürfnis zeigt, welches jenen Begriff, der a priori freilich nicht gegeben war, a posteriori zwar nicht gibt, aber doch berechtigt. Diese Erfahrung ergänzt dann, was zur Rechtmäßigkeit dieses Begriffs a priori fehlte; sie liefert das vermißte Datum. Daraus nun folgt noch nicht, daß der Begriff selbst a posteriori sei, sondern nur, daß sich a priori nicht zeigen lasse, ob er nicht überhaupt ganz leer sei. Dies~ Einschränkung bestimmt denn auch die wahre Beschaffenheit der Deduktion dieses Begriffs a priori. Es soll nämlich durch dieselbe nicht dargetan werden, daß er wirklich a priori da sei, sondern nur, daß er apriorimöglich sei; nicht, daß jede Vernunft ihn notwendig a priori haben müsse, sondern daß sie ihn, wenn ihre Ideenreihe ohngefähr nach dieser 1

er (?)

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Richtung hingeht, haben könne. Das erstere wäre nur möglich, wenn ein Datum der reinen Vernunft a priori angezeigt werden könnte, wie z. B. bei der Idee von Gott, vom absoluten Weltganzen usw. die notwendige Aufgabe der Vernunft war, zu allem Bedingten das schlechthin Unbedingte zu suchen, welches die Vernunft nötigte, auf diesen Begriff zu kommen. Da aber ein solches Datum a priori sich nicht vorfindet, so darf und kann die Deduktion desselben nur seine Möglichkeit als Idee, und insofern er das ist, zeigen. Keine historische Deduktion also der Entstehung dieses Begriffs unter der Menschheit, welchr es auch noch so wahrscheinlich machte, daß er zuerst durch wirkliche Fakta in der Sinnenwelt, die man aus Unwissenheit übernatürlichen Ursachen zugeschrieben, oder durch geflissentlichen Betrug, entstanden sei; selbst kein unwiderlegbarer Beweis, daß keine Vernunft ohne jenes empirisch gegebne Bedürfnis je auf diese Idee gekommen sein würde, wenn ein solcher möglich wäre, würde dieser Deduktion widersprechen. Denn im ersten Falle wäre der Begriff in concreto freilich ganz unrechtmäßig entstanden, welches aber der Möglichkeit, sich einen rechtmäßigen Ursprung desselben in abstracto zu denken; nicht den geringsten Eintrag tun kann: im zweiten wäre jenes empirische Datum zwar die Gelegenheitsursache gewesen, auf ihn zu kommen; wenn er aber durch den In h a I t der gemachten Erfahrung nur nicht bestimmt ist (und eine Deduktion a priori muß die Unmöglichkeit hiervon zeigen), so wäre sie nicht sein Prinzip gewesen. Ein andres ist die G ü I t i g k e i t dieses Begriffs, d. i. ob sich vernünftigerweise annehmen lasse, daß ihm etwas außer uns korrespondieren werde; diese kann freilich nur empirisch deduziert werden, und erstreckt sich mithin nicht weiter, als das Datum gilt, aus dem sie deduziert wird. Laßt uns dies durch ein Beispiel erläutern! Der Begriff eines bösen Grundprinzips neben einem guten ist offenbar ein Begriff a priori, denn er kann in keiner Erfahrung gegeben sein, und zwar eine Vernunftidee; und sie muß sich mithin, ihrer Möglichkeit nach, deduzieren lassen, wenn sie nicht etwa den Vernunftprinzipien gar widerspricht. Diese Idee ist aber a priori nicht gegeben, sondern gemacht, denn es läßt sich kein Datum der reinen Vernunft für sie anführen.

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In der Erfahrung aber kommen mehrere Data vor, welche diesen Begriff zu berechtigen scheinen, und welche die Gelegenheitsursachen seiner Entstehung gewesen sein können. Wenn nun nur diese Data ihn wirklich berechtigten; wenn .man ihn nur für "ein praktisches, wenngleich empirisch bedingtes Bedürfnis, und nicht lediglich zur theoretischen Naturerklärung hätte brauchen wollen; wenn er nur endlich der praktischen Vernunft nicht gar widerspräche: so hätte man ihn, ohngeachtet seine Gültigkeit sich nur auf empirische Data beruft, wenigstens für eine Idee, der etwas entsprechen könnte, wohl annehmen dürfen. Durch die erstere Deduktion der Möglichkeit des Begriffs der Offenbarung a priori scheint n'un nicht viel ausgerichtet zu werden, und es ist nicht zu leugnen, daß sie eine sehr leere und unnütze Bemühung sein würde, wenn nicht gezeigt werden könnte, daß dieser Begriff, wenn er nicht a priori möglich ist, überhaupt nicht vernunftmäßig ist. Folglich hängt sein ganzer Wert von dieser Deduktion ab. § 5. Deduktion des Begriffs der Offenbarung von Prinzipien der reinen Vernunft a priori. Durch eine übernatürliche Wirkung in der Sinnenwelt sollte sich uns Gott, laut des Begriffs der Offenbarung, als moralischen Gesetzgeber ankündigen. Wir sollen also durch diese Wirkung erst unterrichtet werden, daß Gott moralischer Gesetzgeber ist; wir können erst von dieser in der Erfahrung gegebnen Erscheinung den Begriff von ihr, ihrer übernatürlichen Ursache, und ihrer Absicht, d. i. den Begriff einer Offenbarung, abstrahieren so meint man auf den ersten Anblick schließen zu können; aber wir haben jetzt die Richtigkeit dieses Schlusses zu prüfen. Vorher ist nochmals zu erinnern, daß hier gar nicht davon die Frage ist, ob nicht a posteriori Gelegenheitsursachen gegeben werden können, und ob nicht die verlangte übernatürliche Wirkung in der Sinnenwelt, und alles, was mit ihr verbunden ist, eine derselben sein könne, dasjenige, was schon a priori in unsrer Vernunft lag, zu entwickeln und uns zum deutlichen Be-

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wußtsein desselben zu erheben; in welchem falle wir von der Erfahrung nichts lernen, sondern durch sie nur geleitet werden, uns desjenigen zu erinnern, was wir wissen: und ebensowenig davon, ob wir nicht von der Erfahrung aus durch Erschleichung, durch unvermerkte Ergänzung dessen, was wir erfahren, durch dasjenige, was uns schon a priori gegeben war, auf den Begriff einer Offenbarung kommen, und meinen können, daß eine gewisse Begebenheit Eine sei: sondern davon, ob durch sie und von ihr aus, vernünftigerweise und den Gesetzen des Denkens gemäß, dieser Begriff, und ein vernünftiges Annehmen, daß eine gegebene Erscheinung ihm korrespondiere, möglich sei. Wir wollen den fall annehmen, daß irgendeinem Menschen, in einer Erscheinung, in einem Traume, u. dergl. gesagt würde: es ist ein Gott, und dieser ist moralischer Gesetzgeber. Entweder hätte nun dieser Mensch noch schlechterdings keinen Begriff von Gott und von Pflicht, d. i. er hätte keine praktische Vernunft und wenn wir wollen, daß er jene Wahrheiten durch diese Ankündigung erst lernen soll, so müssen wir dies annehmen; denn, gestehen wir ihm die Gesetzgebung der praktischen Vernunft zu, so hat er schon a priori, urid notwendig, wenn gleich vielleicht dunkel und unentwickelt, jene Begriffe -, so könnte er sie auch durch diese Ankündigung nicht bekommen, denn es sind Begriffe, die in keiner Naturphilosophie enthalten sind. Er Würde von dem, was er hörte, schlechterdings nichts verstehen; es würden ihm Begriffe aus einer andern Welt sein, wie sie es denn sind. Oder nehmt an, dieser Mensch hätte praktisches Vermögenapriori; er hätte demnach die Idee von Pflicht, und von Gott, und sollte durch diese Erscheinung nur vergewissert werden, daß Gott wirleIich seiit moralischer Gesetzgeber sei, was er a priori schon vermutet und gewünscht hätte: so müßte er aus der gegebenen Erfahrung mit Sicherheit auf ihren übernatürlichen Ursprung, und zwar auf ihren Ursprung von Gott schließen können. Nun ist alle Erfahrung nach Naturgesetzen zu beurteilen, und im vorliegenden falle ist die Aufgabe die: aus der Beschaffenheit einer Wirkung ihre Ursache zu finden. Da die Wirkung in der Sinnenwelt gegeben wäre, so wäre er durch die Gesetze des Denkens ·genötigt, die Ursache in ebenderselben zu suchen. Gesetzt nun,

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er fände sie hier nicht, er fände kein Gesetz der Natur, durch welches die Kausalität dieser Ursache hätte bestimmt werden können, so könnte er daraus nichts weiter schließen, als daß dieses Gesetz für seine Nachforschung zu tief läge. W.ollte er aber so schließen: Weil ich die Ursache dieser Erscheinung nicht in der Sinnenwelt finde, so ist sie überhaupt nicht in derselben, sondern in der übernatürlichen, - so würde er dadurch den ersten Fehler machen, indem er sich eine völlige Kenntnis der Naturgesetze zuschriebe, welche er, gesetzt auch er hätte sie, dennoch weder andern, noch sich selbst, welches jedoch zu einer vernünftigen Oberzeugung erfordert würde, je beweisen kann. Wollte er weiter schließen: da nun die Ursache dieser Erscheinung in ein Wesen der übernatürlichen Welt zu setzen ist; so ist sie in Gott zu setzen, - so würde er den zweiten Fehler machen, indem er ganz ohne Beweis die Kausalität aller in der übernatürlichen Welt denkbaren Wesen, d. i. aller Wesen, die durch Freiheit Ursache in der Sinnenwelt werden können, überginge, und ganz willkürlich Gott als die Ursache dieser Erscheinung annähme. So ein Schluß widerstreitet den Gesetzen des Denkens; die Möglichkeit einer Entstehung des Begriffs der Offenbarung a posteriori aber würde einen solchen Schluß voraussetzen; folglich ist dieser Begriff vernünftigerweise a posteriori nicht möglich. Es kann wohl sein, daß obiger Schluß mehrmals gemacht worden; daß er sogar wirklich vermeinten göttlichen Offenbarungen zum Grunde liegt; ja, daß durch ihn die Idee der Offenbarung überhaupt erst unter die Menschen gekommen ist: aber alle, die ihn machten, nahmen etwas ohne Beweis an, und wenn wir keinen andem Ursprung für diesen Begriff auffinden können, so müssen wir ihn, als unmöglich und den Gesetzen des Denkens gänzlich widersprechend, aufgeben. Da er nicht a posteriori möglich ist, so muß er's a priori sein, wenn er's überhaupt sein soll, und zwar, da in ihm eine praktische Absicht ausgesagt wird, aus Prinzipien der reinen 1 Vernunft; und das muß sich durch eine Deduktion von diesen Prinzipien zeigen lassen. 1

reinen praktischen (?)

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Wenn nämlich endliche moralische Wesen, d. i. solche Wesen, welche außer dem Moralgesetze noch unter Naturgesetzen stehen, als gegeben gedacht werden; so läßt sich, da das Moralgesetz nicht bloß in demjenigen Teile dieser Wesen, der unmittelbar und allein unter desselben Gesetzgebung steht (ihrem obern Begehrungs· vermögen), sondern auch in demjenigen, der zunächst unter den Naturgesetzen steht, seine Kausalität ausüben soll, vermuten, daß die Wirkungen dieser beiden Kausalitäten, deren Gesetze gegen· seitig ganz unabhängig voneinander sind, auf die Willens· bestimmung solcher Wesen, in Widerstreit geraten werden. Dieser Widerstreit des Naturgesetzes gegen das Sittengesetz kann nach Maßgabe der besondern Beschaffenheit · ihrer sinnlichen Natur der Stärke nach sehr verschieden sein, und es läßt sich ein Grad dieser Stärke denken, bei welchem das Sittengesetz seine Kausalität in ihrer sinnlichen Natur entweder auf immer, oder nur in gewissen Fällen, gänzlich verliert. Sollen nun solche Wesen in diesem Falle der Moralität nicht gänzlich unfähig werden, so muß ihre sinnliche Natur selbst durch sinnliche Antriebe bestimmt werden, sich durch das Moralgesetz bestimmen zu lassen. Soll dies kein Widerspruch sein - und es ist an sich allerdings einer, s i n n 1ich e Antriebe als Bestimmungsgründe reiner Mo· r a Ii t ä t gebrauchen zu wollen -, so kann es nichts anders heißen, als daß rein moralische Antriebe auf dem Wege der Sinne an sie gebracht werden sollen. Der einzige rein moralische Antrieb ist die innere Heiligkeit des Rechts. Diese ist durch ein Postulat der reinen praktischen Vernunft in Gott in concreto (folglich der Sinnlichkeit zugänglich), und er selbst als moralischer Richter aller vernünftigen Wesen nach diesem ihm durch seine Vernunft gegebnen Gesetze, mithin als Gesetzgeber jener Wesen, darge· stellt worden. Diese Idee vom Willen des Heiligsten als Sitten· gesetze für alle moralischen Wesen ist nun von der einen Seite völlig identisch mit dem Begriffe der innern Heiligkeit des Rechts, folglich jener einige rein moralische Antrieb, und von der andern des Vehikulums der Sinne fähig. Sie allein also entspricht der zu lösenden Aufgabe. Nun aber ist kein Wesen fähig, diese Idee auf dem Wege der sinnlichen Natur an sie gelangen zu lassen, oder, wenn sie schon in ihnen mit Bewußtsein vorhanden ist,

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sie auf demselben zu bestätigen, als ein Gesetzgeber dieser Natur, welches denn auch, laut der Postulate der praktischen Vernunft, jener moralische Gesetzgeber endlicher vernünftiger Wesen ist. Gott selbst also müßte ihnen sich und seinen Willen· als gesetzlich für sie in der Sinnenwelt ankündigen. Nun aber ist in der Sinnenwelt überhaupt so wenig eine Ankündigung der gesetzgebenden Heiligkeit enthalten, daß wir vielmehr von ihr aus durch die auf sie anwendbaren Begriffe auf gar nichts übernatürliches schließen können; und ob wir gleich durch Verbindung des Begriffs der Freiheit mit diesen Begriffen, und den dadurch möglichen Begriff eines moralischen Endzwecks der Welt auf diese Gesetzgebung schließen können (§ 3), so setzt doch dieser Schluß schon eine Kausalität des Moralgesetzes in dem so schließenden Subjekte voraus, die nicht nur das völlige, nur nach Naturgesetzen mögliche Bewußtsein seines Gebots, sondern auch den festen Willen, die Wirksamkeit desselben in sich durch freie Aufsuchung und Gebrauch jedes Mittels zu vermehren, bewirkt hat, welche aber in den vorausgesetzten sinnlich bedingten Wesen nicht angenommen worden ist. Gott müßte sich also durch eine besondre, ausdrücklich dazu und für sie bestimmte Erscheinung in der Sinnenwelt ihnen als Gesetzgeber ankündigen. Da Gott durch das Moralgesetz bestimmt ist, die höchstmögliche Moralität in allen vernünftigen Wesen durch alle moralischen Mittel zu befördern, so läßt sich erwarten, daß er, wenn dergleichen Wesen wirklich vorhanden sein sollten, sich dieses Mittels bedienen werde, wenn es physisch möglich ist. Diese Deduktion leistet, was sie versprochen. Der deduzierte Begriff ist wirklich der Begriff der 0 ff e n bar u n g, d. i. der Begriff von einer durch die Kausalität Gottes in der Sinnenwelt bewirkten Erscheinung, wodurch er sich als moralischen Gesetzgeber ankündigt. Er ist aus lauter Begriffen a priori der reinen praktischen Vernunft deduziert; aus der schlechthin und ohne alle Bedingung geforderten Kausalität des Moralgesetzes in allen vernünftigen Wesen, aus dem einzig rein'en Motiv dieser Kausalität, der innern Heiligkeit des Rechts, aus dem für die Möglichkeit der geforderten Kausalität als real anzunehmenden Begriffe Gottes, und seiner Bestimmungen. Aus dieser Deduktion ergibt sich· un-

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mittelbar die Befugnis, jede angebliche Offenbarung, d. i. jede Erscheinung in der Sinnenwelt, welche diesem Begriffe als korrespondierend gedacht werden soll, einer Kritik der Vernunft zu unterwerfen. Denn wenn es schlechterdings nicht möglich ist, den Begriff derselben a posteriori durch die gegebene Erscheinung zu bekommen, sondern er selbst, als Begriff, a priori da ist, und nur eine ihm entsprechende Erscheinung erwartet, so ist es offenbar Sache der Vernunft, zu entscheiden, ob diese gegebene Erscheinung mit ihrem Begriffe von derselben übereinkomme, oder nicht; und sie erwartet demnach von ihr so wenig das Gesetz, daß sie vielmehr es ihr selbst vorschreibt. Aus ihr müssen sich ferner alle Bedingungen ergeben, unter denen eine Erscheinung als göttliche Offenbarung angenommen werden kann: nämlich, sie kann es nur insofern, als sie mit diesem deduzierten Begriffe übereinstimmt. Diese Bedingungen nennen wir Kriterien der Göttlichkeit einer Offenbarung. Alles also, was als ein dergleichen Kriterium aufgestellt wird, muß sich aus dieser Deduktion ableiten lassen, und alles, was sich aus ihr ableiten läßt, ist ein dergleichen Kriterium. Sie leistet aber auch nicht mehr, als sie versprochen. Der zu deduzierende Begriff wurde bloß als eine Idee angekündigt; sie hat mithin keine objektive Gültigkeit desselben zu erweisen, mit welchem Erweise sie auch nicht sonderlich fortkommen dürfte. Alles, was von ihr gefordert wird, ist, zu zeigen, daß der zu ;deduzierende Begriff weder sich selbst, noch einem der vorauszusetzenden Prinzipien widerspreche. Er kündigte sich ferner nicht als gegeben, sondern als gemacht an (conceptus non datus, sed ratiocinatus); sie hat mithin kein Datum der reinen Vernunft aufzuzeigen, wodurch er uns gegeben würde, welches sie zu leisten auch nicht vorgegeben hat. Aus diesen beiden Bestimmungen ergibt sich denn vorläufig die Folge, daß, wenn auch eine Erscheinung in der Sinnenwelt gegeben sein sollte, welche mit ihm vollkommen übereinstimmte (eine Offenbarung, welche alle Kriterien der Göttlichkeit hätte), dennoch weder eine objektive, noch selbst für alle vernünftigen Wesen subjektive Gültigkeit dieser Erscheinung behauptet werden könnte, sondern die wirkliche Annehmung derselben als einer solchen noch unter andern Bedin-

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gungen stehen müßte. Das von der reinen Vernunft aus vermißte, nur in der Erfahrung mögliche Datum zu diesem Begriffe, daß nämlich moralische Wesen gegeben seien, welche ohne Offenbarung der Moralität unfähig sein würden, wird als Hypothese vorausgesetzt, und eine Deduktion des Offenbarungsbegriffs hat nicht die Wirklichkeit desselben darzutun, welches sie ohnehin als Deduktion a priori für ein empirisches Datum nicht leisten könnte, sondern es ist für sie völlig hinreichend, wenn diese Voraussetzung sich nur nicht widerspricht, und demnach nur vollkommen denkbar ist. Aber eben darum, weil dieses Datum erst von der Erfahrung erwartet wird, ist dieser Begriff nicht rein a priori. Die physische Möglichkeit einer diesem Begriffe entsprechenden Erscheinung kann eine Deduktion desselben, die nur aus Prinzipien der praktischen, nicht der theoretischen Vernunft geführt wird, nicht erweisen, sondern muß sie voraussetzen. Ihre moralische Möglichkeit wird zur Möglichkeit ihres Begriffs schlechterdings erfordert, und folgt im allgemeinen aus der Möglichkeit obiger Deduktion. Ob aber eine in concreto gegebene Offenbarung dieser Erfordernis nicht widerspreche, ist das Geschäft einer Kritik derselben; und unter welchen Bedingungen sie ihr nicht widerspreche, das Geschäft einer Kritik ihres Begriffs. Aus allem bis jetzt Gesagten ergibt sich nun auch, welchen Weg unsre Untersuchung weiter zu nehmen habe. Die Möglichkeit dieses Begriffs, insofern er das ist, d. i. seine Gedenkbarkeit, ist gezeigt. Ob er aber nicht etwa überhaupt leer sei, oder ob etwas ihm Korrespondierendes sich vernünftigerweise erwarten lasse, hängt von der empirischen Möglichkeit (nicht der bloßen Gedenkbarkeit) des in ihm als Bedingung vorausgesetzten empirischen Datums ab. Diese also ist es, welche vor aiJen Dingen dargetan werden muß. Eine Kritik aller Offenbarung überhaupt hat aber in Rücksicht dieses Datums auch weiter nichts darzutun, als seine absolute Möglichkeit; da hingegen die Kritik einer angeblichen Offenbarung in concreto die bestimmte Wirklichkeit des vorausgesetzten empirischen Bedürfnisses zu zeigen hätte, wie erst weiter unten bewiesen werden kann. Daß eine durch Freiheit einem Begriffe vom Zwecke gemäß bewirkte Erscheinung in der Sinnenwelt überhaupt, folglich auch

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eine Offenbarung sich als physisch möglich denken lasse, bedarf keines Beweises, indem es zum Behufe der Möglichkeit der schlechthin geforderten Kausalität des Moralgesetzes auf die Sinnenwelt schon angenommen worden ist. Dennoch werden wir zur Erläuterung, nicht zum Beweise, und wegen einiger daraus herfließender wichtigen folgen auf Berichtigung des Offenbarungsbegriffs, einige Untersuchungen über diese physische Möglichkeit anstellen. Beim Schlusse dieser beiden Untersuchungen muß es völlig klar sein, ob sich vernünftigerweise etwas dem Offenbarungsbegriffe Korrespondierendes überhaupt erwarten lasse, oder nicht. Zum Behufe der Möglichkeit aber, diesen Begriff auf eine besondre in concreto gegebne Erscheinung anzuwenden, bedarf es noch einer genauern Zergliederung des Offenbarungsbegriffs selbst, welcher angewendet werden soll. Die Bedingungen, unter welchen eine solche Anwendung möglich ist, müssen alle im Begriffe liegen, und sich durch eine Analysis desselben aus ihm entwickeln lassen. Sie heißen Kriterien. Unser nächstes Geschäft nach jenen Untersuchungen wird also das sein, diese Kriterien aufzustellen und zu beweisen. Hierdurch wird nun nicht nur die Möglichkeit, für diesen Begriff überhaupt etwas ihm Korrespondierendes zu erwarten, sondern auch die, ihn auf eine wirklich gegebne Erscheinung anzuwenden, völlig gesichert. Wenn aber eine solche Anwendung gleich völlig möglich ist, so läßt sich doch daraus noch kein Grund erkennen, warum wir sie wirklich macht~n sollten. Nur nach Aufzeigung eines solchen Grundes also ist die Kritik aller Offenbarung geschlossen. § 6. Von der Möglichkeit des im Begriffe der Offenbarung vorausgesetzten empirischen Datums. Die in der Deduktion des Begriffs der Offenbarung von praktischen Vernunftprinzipien a priori vorausgesetzte Erfahrung ist die: es könne moralische Wesen geben, in welchen das Moralgesetz seine Kausalität für immer, oder nur in gewissen f ä II e n verliere. Das Moralgesetz fordert eine Kausalität auf

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das obere Begehrungsvermögen, um die Bestimmung des Willens, es fordert vermittelst jenes eine auf das untere, um die völlige Freiheit des moralischen Subjekts vom Zwange der Naturtriebe hervorzubringen. Ist die erstere Art der Kausalität aufgehoben, so fehlt der W i II e, überhaupt ein Gesetz anzuerkennen, und ihm Gehorsam zu leisten; ist nur die zweite gehindert, so ist bei allem guten Willen der Mensch zu schwach, das Gute, das er will, wirklich auszuüben. Dieser Hypothese empirische Möglichkeit soll bewiesen werden, d. h. es soll, nicht aus der Einrichtung der menschlichen Natur überhaupt, insofern sie allgemein und a priori zu erkennen ist, sondern aus ihren empirischen Bestimmungen gezeigt werden, daß es möglich und wahrscheinlich sei, daß das Sittengesetz seine Kausalität in ihnen verlieren könne; wodurch denn die Frage beantwortet wird: Warum war eine Offenbarung nötig, und warum konnten die Menschen sich nicht mit der Naturreligion allein behelfen? Die Ursachen davon können nicht in der Einrichtung der menschlichen Natur überhaupt, insofern sie a priori zu erkennen ist, liegen; denn sonst müßten wir das Bedürfnis einer Offenbarung schon a priori fühlen, es müßte sich ein Datum der reinen Vernunft dafür anführen lassen, und der Begriff von ihr wäre ein gegebner: sondern in zufälligen Bestimmungen derselben. Um aber die völlige Einsicht in die Grenzen, innerhalb welcher Vernunftreligion zulänglich ist, innerhalb welcher Naturreligion eintritt, und wo endlich geoffenbarte nötig wird, zu eröffnen, wird es sehr dienlich sein, das Verhältnis der menschlichen Natur zur Religion, sowohl überhaupt, als ihren besondern Bestimmungen nach, zu untersuchen. Der Mensch steht, als Teil der Sinnenwelt, unter Naturgesetzen. Er ist in Absicht seines Erkenntnisvermögens genötigt, von Anschauungen, die unter den Gesetzen der Sinnlichkeit stehen, zu Begriffen fortzugehen; und in Absicht des untern Begehrungsvennögens sich durch sinnliche Antriebe bestimmen zu lassen. Als Wesen einer übersinnlichen Welt aber, seiner vernünftigen Natur nach, wird sein oberes Begehrungsvermögen durch ein ganz anderes Gesetz bestimmt, und dieses Gesetz eröffnet durch seine Anforderungen ihm Aussichten auf Erkenntnisse, die weder unter den Bedingungen der Anschauung, noch unter denen der

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Begriffe stehen. Da aber sein Erkenntnisvennögen schlechterdings an jene Bedingungen gebunden ist, und er ohne sie sich gar nichts denken kann, so ist er genötigt, auch diese Gegenstände einer übernatürlichen Welt unter jene Bedingungen zu setzen, ob er gleich erkennt, daß eine solche Vorstellungsart nur subjektiv, nicht objektiv gültig sei, und daß sie ihn weder zu theoretischen, noch praktischen Folgerungen berechtige. Sein unteres, durch sinnliche Antriebe bestimmbares Begehrungsvennögen ist dem obern untergeordnet, und es soll nie seinen Willen bestimmen, wo die Pflicht redet. Dies ist wesentliche Einrichtung der menschlichen Natur. So so 11 der Mensch sein, und so kann er auch sein, denn alles, was ihn verhindert, so zu sein, ist seiner Natur nicht wesentlich, sondern zufällig, und kann also nicht nur weggedacht werden, sondern auch wirklich weg sein. In welchem Verhältnisse steht er nun in diesem Zustande gegen die Religion? bedarf er ihrer? welcher? und wozu? Die nächste Folge dieser ursprünglichen Einrichtung der menschlichen Natur ist die, daß ihm das Moralgesetz als Gebot, und nicht als Aussage erscheint, daß es zu ihm von Sollen redet, und nicht von Sein; daß er sich bewußt ist, auch anders, als dieses Gesetz befiehlt, handeln zu können; daß er folglich, seiner Vorstellung nach, einen Wert und ein Verdienst erhält, wenn er so handelt. Dieser Wert, den er sich selbst gibt, berechtigt ihn, die demselben angemessene Glückseligkeit zu erwarten: aber diese kann er sich nicht selbst geben, so wie jenen; er erwartet sie also vom höchsten Exekutor des Gesetzes, der ihm durch dasselbe angekündigt wird. Dieses Wesen zieht seine ganze Verehrung auf sich, weil es einen unendlichen Wert hat, gegen welchen der seinige in nichts verschwindet; und seine ganze Zuneigung, weil er alles von ihm erwartet, was er Gutes zu erwarten hat. Er kann nicht gleichgültig gegen den stets gegenwärtigen Beobachter, Späher und Beurteiler seiner geheimsten Gedanken, und den gerechtesten Vergelter derselben bleiben. Er muß wünschen, ihm seine Bewunderung und Verehrung zu bezeigen, und da er's durch nichts anderes kann, es durch pünktlichen in Rücksicht auf Ihn geleisteten Gehorsam zu tun. - Dies ist reine Vernunftreligion. Religiosität von dieser Art erwartet nicht vom Ge-

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danken des Gesetzgebers ein Moment zur Erleichterungder Willensbestimmung, sondern nur Befriedigung ihres Bedürfnisses, ihm ihre Zuneigung zu erkennen zu geben. Sie erwarte~ keine Anforderung von Gott, ihm zu gehorchen, sondern nur die Erlaubnis, bei ihrem willigen Gehorsame auf ihn zu sehen. Sie will nicht Gott eine Gunst erweisen, indem sie ihm dient; sondern sie erwartet es von ihm als die höchste Gnade, sich von ihr dienen zu lassen. - Dies ist die höchste moralische Vollkommenheit des Menschen. Sie setzt nicht nur den ernsten Willen, immer sittlich gut zu handeln, sondern auch völlige Freiheit voraus. Es ist a priori unmöglich zu bestimmen, ob in concreto irgendein Mensch dieser moralischen Vollkommenheit fähig sei, und es ist bei gegenwärtiger Lage der Menschheit gar nicht wahrscheinlich. Der zweite Grad der moralischen Güte setzt eben diesen ernsten Willen, im Ganzen dem Moralgesetze zu gehorchen, aber keine völlige Freiheit in einzelnen Fällen voraus. Die sinnliche Neigung kämpft noch gegen das Pflichtgefühl, und ist ebenso oft Siegerin, als besiegt. Die Ursachen dieser moralischen Schwäche liegen nicht im Wesentlichen der menschliclien Natur, sondern sie sind zufällig: teils bei diesem und jenem Subjekte eine körperliche Konstitution, welche die größere Heftigkeit und die anhaltendere Dauer der Leidenschaften begünstigt; teils, und hauptsächlich, die gegenwärtige Lage der Menschheit, in welclier wir weit früher angewöhnt werden, nach Naturtrieben zu handeln, als nach moralischen Gründen, und weit öfter in den Fall kommen, uns durch die ersteren bestimmen lassen zu müssen, als durch die letzteren, so daß unsre Ausbildung als Naturmenschen meist immer große Vorschritte vor unsrer moralischen Bildung hat. Da in diesem Zustande der ernste Wille moralisch zu handeln, mithin ein lebhaftes, tätiges, sittliches Gefühl vorausgesetzt wird, so muß diese Schwäche dem Menschen sehr unangenehm sein, und er muß begierig jedes Mittel aufsuchen und ergreifen, um seine Bestimmung durchs Moralgesetz zu erleichtern. Wenn es darum zu tun ist, der moralischen Neigung das Obergewicht über die sinnliche zu verschaffen, so kann dies auf zweierlei Art geschehen, teils indem man die sinnliche Neigung

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teils indem man die Antriebe des Sittengesetzes verstärkt. Das erste geschieht nach technisch-praktischen Regeln, die auf Naturprinzipien beruhen, und über welche jeden sein eignes Nachdenken, Erfahrung und empirische Selbstkenntnis belehren muß. Sie liegen außer dem Kreise unsrer gegenwärtigen Untersuchung. Die Antriebe des Moralgesetzes lassen sich, ohne der Moralität Abbruch zu tun, nicht anders verstärken, als durch lebhafte Vorstellung der innern Erhabenheit und Heiligkeit seiner Forderungen; durch ein dringenderes Gefühl des Sollens und Müssens. Und wie kann dies dringender werden, als wenn uns stets die Vorstellung eines ganz heiligen Wesens vorschwebt, das uns heilig zu sein befiehlt? In ihm erblicken wir die Übereinstimmung mit dem Gesetze nicht mehr bloß als etwas, das sein soll, sondern als etwas, das ist; in ihm erblicken wir die Notwendigkeit, so zu sein, dargestellt. Wie kann das sittliche Gefühl mehr verstärkt werden, als durch die Vorstellung, daß bei unmoralischen Handlungen nicht bloß wir selbst, die wir unvollkommne Wesen sind- nein, daß die höchste Vollkommenheit uns verachten müsse? daß bei Selbstüberwindung, und Aufopferung unsrer liebsten Neigungen für die Pflicht nicht nur wir selbst, sondern die wesentliche Heiligkeit uns ehren müsse? Wie können wir aufmerksamer auf die Stimme unsers Gewissens, und gelehriger gegen sie werden, als wenn wir in ihr die Stimme des Heiligsten hören, der unsichtbar uns immer begleitet, und die geheimsten Gedanken unsers Herzens späht- vor dem wir wand e 1n? Da die Neigung im Subjekte gegen dieses neue Moment des Sittengesetzes, welches ihr Abbruch tut, streitet, so wird die Vernunft suchen, dasselbe durch völlige Sicherung des Grundes, auf dem es beruht, zu befestigen; sie wird einen Beweis für den Begriff Gottes als moralischen Gesetzgebers suchen, und sie wird ihn im Begriffe desselben, als Weltschöpfers, finden. Dies ist der zweite Grad der sittlichen Vollkommenheit, welcher sich auf die Naturreligion gründet. Diese Religion soll allerdings Mittel der Willensbestimmung in einzelnen fällen, bei eintretendem Kampf der Neigung gegen die Pflicht, werden; aber sie setzt die erste, höchste Bestimmung des Willens, dem Moralgesetze überhaupt zu gehorchen, als durch dasselbe schon ge-

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schehen, voraus, denn sie bietet sich nicht dar, sondern sie muß gesucht werden, und niemand kann sie suchen, der sie nicht wünscht. Der tiefste Verfall vernünftiger Wesen in Rücksicht auf Sittlichkeit endlich ist es, wenn nicht einmal der Wille da ist, ein Moralgesetz anzuerkennen, und ihm zu gehorchen; wenn sinnliche Triebe die einzigen Bestimmungsgründe ihres Begehrungsvermögens sind. Es scheint wenigstens vor der Hand gar nichts für die Notwendigkeit einer Offenbarung zu beweisen, wenn man auch in der Gesellschaft unter andern moralisch bessern Menschen noch so viele in diesem Grade verdorbene Subjekte sollte aufzeigen können: denn es muß den bessern möglich sein, und es ist ihre Pflicht, könnte man sagen, in den schlechtem durch Belehrung und Bildung das moralische Gefühl zu entwickeln, und sie so bis zum Bedürfnis einer Religion zu führen. Ohne uns vor der Hand auf diese Untersuchung einzulassen, wollen wir die frage nur so stellen, wie ihre Beantwortung für den Erweis eines empirischen Bedürfnisses der Offenbarung entscheidend wird: War es möglich, daß die ganze Menschheit, oder wenigstens ganze Völker- und Länderstriche in diesen tiefen moralischen Verfall geraten konnten? Um sie beantworten zu können, müssen wir erst den Begriff der Sinnlichkeit etwas bestimmter erörtern. Sinnlichkeit überhaupt, nämlich empirische, könnte man füglieh als eine Unfähigkeit zur Vorstellung der Ideen beschreiben; um dadurch zugleich den theoretischen Fehler, sich dieselben entweder gar nicht, oder nicht anders, als unter den Bedingungen der empirischen Sinnlichkeit, denken zu können, und den praktischen, sich nicht durch dieselben bestimmen zu lassen, der aus dem erstern notwendig folgt, zu befassen. Man kann die empirische Sinnlichkeit, ebenso wie die reine, in zwei Gattungen einteilen, in die äußere und innere. Die erstere besteht in theoretischer Rücksicht darin, wenn man sich alles unter die empirischen Bedingungen der äußern Sinne, alles hörbar, fühlbar, sichtbar usw. denkt, und auch alles wirklich sehen, hören, fühlen will, und damit ist immer eine gänzliche Unfähigkeit zum Nachdenken, zu Verfolgung einer Reihe von Schlüssen, wenn es auch nur über Gegenstände der Natur ist, verbunden; und in praktischer, wenn

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man sich nur durch die Lust des äußern Sinns, durch das Angenehme bestimmen läßt. Dieses ist derjenige Grad derselben, den man auch rohe Sinnlichkeit nennt. Die zweite besteht in theoretischer Rücksicht darin, daß man sich alles wenigstens unter die empirischen Bedingungen unsers innern Sinns, alles modifizierbar denkt, und es auch wirklich modifizieren will; und in praktischer, wenn man sich durch nichts Höheres bestimmen läßt, als durch die Lust des innern Sinns. Dahin gehört die Lust am Spiel, am Dichten, am Schönen (aber nicht am Erhabnen), selbst am Nachdenken, am Gefühl seiner Kraft, und sogar das Mitgefühl, ob es gleich der edelste aller sinnlichen Triebe ist. Wenn diese Sinnlichkeit herrschend ist, d. i. wenn wir bloß und lediglich durch Ihren Antrieb und nie durch das Moralgesetz uns bestimmen lassen, so ist klar, daß sie allen Willen gut zu sein, und alle Moralität gänzlich ausschließt. Aber bei den meisten Menschen hat sie zwar bei weitem das Übergewicht, und sie werden in den meisten Fällen bloß durch sie bestimmt; aber dennoch sind sie darum noch nicht überhaupt aller rein-moralischen Handlungen unfähig, und haben wenigstens noch so viel moralisches Gefühl, um die Sträflichkeit und Unanständigkeit ihrer Handlungsart in auffallenden Fällen oder bei gewissen Veranlassungen zu fühlen, und sich deren iu schämen. Gesetzt aber. sie wendeten das Moralgesetz auch nie auf sich selbst an, und hätten nie Scham oder Reue über ihre eigne Unvollkommenheit empfunden, so zeigt es sich doch in ihrer Beurteilung der Handlungen andrer, in ihrer oft starken Mißbilligung derselben aus richtigen moralischen Gründen, daß sie des moralischen Sinns nicht gänzlich unfähig sind. Auf Menschen von dieser Art, sollte man glauben, würde man eben von der Seite aus, wo sie noch Empfänglichkeit für Moralität zeigen, wirken, - man würde sich eben der Grundsätze, die sie auf andre anwenden, bedienen können, um ihnen über ihren eignen Zustand die Augen zu öffnen, sie so allmählich zum guten Willen, und durch ihn endlich zur Religiosität zu führen. Es müßte also zum Behuf der Notwendigkeit einer Offenbarung gezeigt werden können, daß Menschen, und ganze Menschengeschlechter möglich seien, die durch herrschende Sinnlichkeit des Sinns für Moralität entweder gänzlich, oder doch

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in einem so hohen Grade beraubt wären, daß man von diesem Wege aus gar nicht auf sie wirken könne; welche sich des Moralgesetzes in ihnen entweder gar nicht, oder doch so w~nig bewußt seien, daß man auf diesen Grund in ihnen gar nichts bauen könne. Es läßt sich a priori wohl denken, daß die Menschheit entweder von ihrem Ursprunge an, oder durch mancherlei Schicksale in so eine Lage habe kommen können, daß sie, in beständigem harten Kampfe mit der Natur um ihre Subsistenz, genötigt gewesen sei, alle ihre Gedanken stets auf das, was vor ihren Füßen lag, zu richten; auf nichts denken zu können, als auf das Gegenwärtige, und kein ander Gesetz hören zu können, als das der Not. In so einer Lage ist es unmöglich, daß das moralische Gefühl sich entwickle: aber die Menschheit wird nicht immer, sie wird außer besondern fällen nicht lange in derselben bleiben: sie wird durch Hilfe der Erfahrung sich Regeln machen, und Maximen ihres Verhaltens abstrahieren. Diese Maximen, bloß durch Erfahrung in der Natur entstanden, werden auch bloß auf diese angewendet sein, und möglichen moralischen Regeln oft widersprechen. Sie werden sich dennoch, durch ihre Anwendbarkeit und durch das allgemeine Beispiel bewährt, von Generation auf Generation fortpflanzen, und vermehrt werden; und nun werden sie es sein, die die Möglichkeit der Moralität vernichten, nachdem jene dringende Not, die es vor ihnen tat, durch sie zum Teil gehoben ist. Denkt man an die Bewohner des Feuerlandes, welche ihr Leben in einem Zustande, der so nahe an die Tierheit grenzt, hinbringen, an die meisten Bewohner der Südsee-Inseln, welchen der Diebstahl etwas ganz Gleichgültiges zu sein, und welche sich desselben nicht im geringsten zu schämen scheinen, an jene Neger, welche ohne langes Bedenken ihre frau, oder ihre Kinder gegen einen Trunk Branntwein in die Sklaverei verkaufen, an alle jene Völker, welche ein Mann von berühmtem Namen einer so traurigen Tugendleere beschuldigt, daß er sich besonders auch dadurch berechtigt glaubt, ihnen eine abgesonderte Klasse in der Menschheit anzuweisen, so scheint man die erstere Bemerkung in der Erfahrung bestätigt zu finden; und um sich von der Richtigkeit der zweiten zu überzeugen, hat man nur die Sitten und Maximen polizierter Völker zu studieren.

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Wie soll nun die Menschheit aus diesem Zustande zur Moralität, und durch sie zur Religion gelangen? Kann sie dieselbe nicht selbst finden? Um diese Frage bestimmter zu beantworten, müssen wir dasjenige, was hierzu vorausgesetzt wird, mit ihrem Zustande vergleichen. Um zu entscheiden, ob ein Volk der Sittlichkeit überhaupt in seinem gegenwärtigen Zustande fähig sei oder nicht, ist es nicht genug, ihr Verhalten zu betrachten, und der Schluß: ein gewisses Volk begeht allgemein, und ohne Spur der geringsten Scham, Handlungen, die gegen die ersten Grundsätze aller Moral streiten, also ist es ohne alles moralisches Gefühl; ist übereilt. Man muß untersuchen, ob sich denn nicht einmal der Begriff von Pflicht überhaupt, wenngleich noch so dunkel gedacht, bei ihnen zeigt, und wenn man denn da· z. B. nur soviel findet, daß sie auf die Beobachtung eines Vertrags, die sie nicht erzwingen können, auch in dem Falle, da es dem zweiten Teile zuträglich wäre ihn nicht zu halten, trauen, und in diesem Vertrauen sich wagen; daß sie im Fall der Verletzung desselben Iebhaftern und bitterem Unwillen zeigen, als sie über den ihnen dadurch zugefügten Schaden an sich zeigen würden; so muß man ihnen den Begriff der Pflicht überhaupt zugestehen. Nun aber ist ohne dieses Vertrauen auf Beobachtung der Verträge es auch nicht einmal möglich; sich zur Gesellschaft zu verbinden. jedes Volk also, das nur in gesellschaftlicher Vereinigung lebt, ist nicht ohne allen moralischen Sinn. Aber leider ist es allgemeine Gewohnheit aller derer, bei denen die Sinnlichkeit herrschend ist, sich dieses Gefühls nicht sowohl als Bestimmungsgrundes ihrer eignen Handb.mgen, als vielmehr bloß und lediglich als Beurteilungsprinzips der Handlungen anderer zu bedienen. ja, sie gehen wohl so weit, besonders wenn die Sinnlichkeit schon in Maximen gebracht ist, eine Aufopferung, eine Verleugnung des Eigennutzes für die Pflicht, sich als lächerliche Torheit anzurechnen, und sich derselben zu schämen; sich also stets und immer als bloß unter dem Naturbegriffe stehend zu betrachten; verfahren endlich auch wohl so konsequent, es auch dem andern für eben das anzurechnen, wofern sie nicht etwa selbst persönlich dabei interessiert sind, und durch die Pflichtverletzung des andern an ihrem eignen Vorteile gekränkt worden

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sind. Nur im Ietztern Falle erinnern sie sich, daß es Pflichten gibt; und dies macht denn die Entwickelung dieses Begriffs, wo wir ihn mit herrschender Sinnlichkeit vereinigt antreffen, sehr verdächtig, und berechtigt uns zu glauben, daß bloß das Prinzip der letztem, das des Eigennutzes, sie bewirkt habe. Mit herrschender Sinnlichkeit ist also sogar der Wille, moralisch gut zu sein, nicht zu vereinigen. Da aber dieser Wille unumgänglich nötig ist, um eine Religion als Mittel einer stärkern Bestimmung durchs Moralgesetz zu suchen, so kann die Menschheit in diesem Zustande nie von selbst eine Religion finden, denn sie kann sie nicht einmal suchen. Und wenn sie dieselbe auch suchen könnte, so kann sie sie nicht finden. Um sich auf die oben entwickelte Art zu überzeugen, daß Gott es ist, der durchs Moralgesetz zu uns redet, bedarf es fürs erste des Begriffs einer Schöpfung der Welt durch eine Ursache außer ihr. Auf diesen Begriff wird die Menschheit, selbst die noch sehr ungebildete Menschheit, leicht kommen. Sie ist a priori genötigt, sich absolute Totalität der Bedingungen zu denken; und sie schließt die Reihe derselben nur eher und schneller, je weniger sie gebildet, und je unfähiger sie ist, eine lange Reihe zu verfolgen. Daher wird unter rohsinnlichen Menschen alles voll von Glauben an übernatürliche Ursachen, von Vorstellungen von Dämonen ohne Zahl sein. Eine gebildetere Sinnlichkeit wird sich vielleicht zum Begriffe einer einzigen ersten Ursache, eines kunstvollen Architekten der Welt erheben. Aber zum Behuf einer Religion brauchen wir nicht diesen, sondern den von einem moralischen Weltschöpfer, und um zu ihm zu gelangen, den Begriff eines moralischen Endzwecks der Welt. Nun wird abermals die Sinnlichkeit zwar leicht auf den Begriff von möglichen Zwecken in der Welt kommen, weil sie selbst durch die Vorstellung von Zwecken bei ihren Geschäften hienieden geleitet wird: aber der Begriff eines moralischen Endzwecks der Schöpfung ist nur dem gebildeten moralischen Gefühle möglich. Der bloß sinnliche Mensch wird also nie weder auf ihn, noch durch ihn auf das Prinzip einer Religion kommen. Fürs erste, wenn doch ein Mittel sollte ausfindig gemacht werden, Religion an ihn zu bringen, wozu bedarf er ihrer? Der

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beste moralische Mensch, der nicht nur den ernsten Willen hätte, dem Moralgesetze zu gehorchen, sondern auch die völlige Freiheit, bedurfte ihrer bloß dazu, um die Empfindung der Verehrung und Dankbarkeit gegen das höchste Wesen auf irgendeine Art zu befriedigen. Derjenige, der zwar eben den ernsten Willen, aber nicht völlige Freiheit hatte, bedurfte ihrer, um der Autorität des Moralgesetzes ein neues Moment hinzuzufügen, durch welches der Stärke der Neigung das Gegengewicht gehalten und die Freiheit hergestellt würde. Derjenige, der auch nicht den Willen hat, ein sittliches Gesetz anzuerkennen, und ihm zu gehorchen, bedarf ihrer, um nur erst diesen Willen, und dann durch ihn die Freiheit in sich hervorzubringen. Mit ihm hat also die Religion einen andem Weg zu nehmen. Die reine Vernunftreligion sowohl, als die natürliche, gründeten sich auf Moralgefühl: die geoffenbarte hingegen soll selbst erst Moralgefühl begründen. Die erstere fand gar keinen Widerstand, sondern alle Neigungen im Subjekte bereit, sie anzunehmen; die zweite hatte nur in einzelnen Fällen die Neigungen zu bekämpfen, kam aber im Ganzen erwünscht und gesucht; die letztere hat nicht nur allen unmoralischen Neigungen, sondern sogar dem völligen Widerstreben, überhaupt ein Gesetz anzuerkennen, und der. Abneigung gegen sie selbst, die sie das Gesetz gültig machen will, das Gegengewicht zu halten. Sie kann also und wird sich wichtigerer Momente bedienen, so viel es geschehen kann, ohne der Freiheit Abbruch zu tun, d. h. ohne gegen ihren eignen Zweck zu handeln. Durch welchen Weg nun kann diese Religion an die so beschaffne Menschheit gelangen? Natürlich auf eben dem, auf welchem alles an sie gelangt, was sie sich denkt, oder wodurch sie sich bestimmen läßt, auf dem der Sinnlichkeit. Gott muß sich ihnen unmittelbar durch die Sinne ankündigen, unmittelbar durch die Sinne Gehorsam von ihnen verlangen. Aber hier sind noch zwei Fälle möglich, nämlich entweder Gott entwickelt durch eine übernatürliche Wirkung in der Sinnenwelt in dem Herzen eines oder mehrerer, die er zu seinen Mittelspersonen an die Menschheit ausersehen hat, auf dem Wege des Nachdenkens das moralische Gefühl, und baut auf eben dem Wege auf dasselbe das Prinzip aller Religion, mit dem Befehle, an den

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übrigen Menschen eben das zu tun, was er an ihnen getan hat: oder er kündigt geradezu dieses Prinzip an, und gründet es auf seine Autorität, als Herr. Im erstem Falle wären wir·nicht einmal genötigt, Gott als unmittelbare Ursache dieser übernatürlichen Wirkung anzunehmen, sondern, ob wir gleich ein allgemeines sittliches Verderben der Menschheit angenommen haben, so könnte doch recht füglieh eins der möglichen höhern moralischen Wesen Ursache einer solchen Wirkung sein. Finden wir aber anderweitige Gründe, den Grund einer solchen Wirkung unmittelbar in Gott zu setzen, so werden wir diese Gründe dadurch gar nicht entkräften, wenn wir sagen, es sei Gott unanständig, den Pädagogen zu machen; denn nach unsrer Erkenntnis von Gott ist nichts ihm unanständig, als was gegen das Moralgesetz ist. In diesem Falle hätten wir denn auch, ununtersucht, welches moralische Wesen die Kausalität der Entwickelung des moralischen Gefühls sei, keine Offenbarung, sondern eine auf einem übernatürlichen Wege an uns gebrachte Naturreligion. Wenn diesesMittel nur möglich und zur Erreichung des Zwecks hinlänglich war, so war keine Offenbarung, d. i. keine u n m i tt e 1bar auf Gottes Autorität gegründete Ankündigung desselben, als Gesetzgebers, nötig. Laßt uns einen Augenblick annehmen, Gott wolle sich desselben bedienen. Er wird ohne Zweifel in den Seelen derer, auf die er wirkt, die erwartete vernünftige Oberzeugung hervorbringen. Diese werden seinem Befehle, und ihrem eignen Gefühl der Verbindlichkeit, Moralität weiter zu verbreiten, gemäß, sich an die übrige Menschheit wenden, und eben diese Oberzeugung auf eben dem Wege in ihnen aufzubauen suchen, auf welchem sie in ihnen selbst aufgebaut wurde. Es liegt weder in der menschlichen Natur überhaupt, noch in der empirischen Beschaffenheit der angenommenen Menschen insbesondre ein Grund, warum es diesen Abgeordneten unmöglich sein sollte, ihren Zweck zu erreichen, wenn sie nur Gehör finden, wenn sie sich nur Aufmerksamkeit verschaffen können. Aber wie wollen sie sich diese verschaffen bei Menschen, die schon im voraus gegen das Resultat ihrer Vorstellungen eingenommen sein müssen? Was wollen sie diesen das Nachdenken scheuenden Menschen geben, um sie zu bewegen, daß sie die Mühe desselben auf sich

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nehmen, um die Wahrheit einer Religion erkennen zu müssen, welche ihre Neigungen einschränken und sie unter ein Gesetz bringen will? Es bleibt also nur der letzte Fall übrig: sie müssen ihre Lehren unter göttlicher Autorität, und als seine Gesandten an die Menschheit, ankündigen. Auch dies scheint wieder auf zweierlei Art möglich zu sein, daß nämlich Gott entweder auch dieser seiner Gesandten Glauben schlechthin auf Autorität gründe, oder daß er nur wolle, und es von ihrer eignen Einsicht erwarte, daß sie dasjenige, was auf dem bloßen Wege des Nachdenkens durch irgendein Mittel aus ihrem Herzen entwickelt worden, den übrigen Menschen unter göttlicher Autorität ankündigen, ins·ofern sie einsehen, daß kein anderes Mittel übrig ist, Religion an sie zu bringen. Das letztere aber ist unmöglich; denn dann hätte Gott gewollt, daß diese seine Abgeordneten zwar in der wohltätigsten Absicht, aber doch, daß sie lügen und betrügen sollten: Lügen und Betrug aber bleibt immer, in welcher Absicht es auch geschehe, unrecht, weil es nie Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung werden kann; und Gott kann nie etwas Unrechtes wollen. Man könnte endlich sich drittens noch als möglich denken, Gott habe gewollt, daß sich diese angeblichen Inspirierten täuschen, und eine auf Autorität gegründete Ankündigung der göttlichen Moralgesetzgebung, die ganz natürlich, z. B. durch die vom Wunsche darnach aufgeregte Phantasie in ihnen entstanden wäre, einer übernatürlichen Ursache zuschreiben sollten. Da jede kategorische Antwort auf diese Frage, die bejahende sowohl, als die verneinende, sich lediglich auf theoretische Prinzipien gründen könnte, weil von Erklärung einer Naturerscheinung nach derselben Gesetzen die Rede ist; alle Naturphilosophie aber nicht so weit reicht, um zu beweisen, daß etwas in der Sinnenwelt nur durch Gesetze der Natur, oder, daß es durch sie nicht möglich sei; so kann diese Behauptung, auf Erörterung einer Offenbarung in concreto angewandt, nie, weder bewiesen, noch widerlegt werden; sie gehört aber auch nicht in die Untersuchung vom möglichen Ursprunge einer geoffenbarten Religion, als welche bloß aus praktischen Prinzipien angestellt wird. Allerdings könnte eine gewisse Wirkung·, als Naturerscheinung betrachtet, aus uns

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entdeckbaren Naturgesetzen entstanden sein, und dennoch könnte es zugleich dem Begriffe eines vernünftigen Wesens sehr gemäß sein, daß wir sie, wenigstens bis zur Erreichung ihrer. moralischen Absicht, einer übernatürlichen Ursache zuschrieben; und jener disjunktive Satz: Gewisse angebliche Inspirierte waren entweder wirklich inspiriert, oder sie waren Betrüger, oder sie waren Schwärmer - richtiger, und gelinder ausgedrückt, sie waren unvollkommne Naturforscher - reicht bei weitem nicht hin, durch ihn die kategorischen Behauptungen, auf welche er ausgeht, zu begründen. Denn erstens heben die Begriffe, die als Glieder der Einteilung nebeneinander gestellt sind, sich nicht wechselseitig auf. Die Möglichkeit, den Ietztern anzunehmen, muß aus Naturbegriffen widerlegt, oder bewiesen werden; die Möglichkeit der beiden erstern aber kann nur aus praktischen Prinzipien dargetan werden: beide Prinzipien aber treffen sich nicht, und aus dem einen kann sehr wohl bejaht werden, was das andre verneint. Der letzte Fall also, und einer von den beiden ersten, sind zugleich möglich, nur die beiden ersten widersprechen sich. Zweitens ist die Unmöglichkeit des Ietztern nie in einem gegebnen Falle darzutun. Aber dies alles wird erst in der Folge, wo wir von der physischen Möglichkeit der erwarteten übernatürlichen Wirkung in der Sinnenwelt reden werden, seine völlige Deutlichkeit erhalten. Da also die Möglichkeit des Ietztern Falles, die wir freilich nicht wegräumen können, uns nicht irre machen darf, so können wir nun aus allem bis jetzt Bewiesenen sicher folgende Resultate ziehen: Die Menschheit kann so tief in moralischen Verfall geraten, daß sie nicht anders zur Sittlichkeit zurückzubringen ist, als durch die Religion, und zur Religion nicht anders, als durch die Sinne: eine Religion, die auf solche Menschen wirken soll, kann sich auf nichts anderes gründen, als unmittelbar auf göttliche Autorität: da Gott nicht wollen kann, daß irgendein moralisches Wesen eine solche Autorität erdichte, so muß er selbst es sein, der sie einer solchen Religion beilegt. Aber wozu soll nun diese Autorität? und worauf kann Gott, wenn er es mit Menschen, die in diesem Grade sinnlich sind, zu tun hat, sie gründen? Offenbar nicht auf eine Erhabenheit, für

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welche sie keinen Sinn und keine Ehrfurcht haben, auf seine Heiligkeit, als welches das moralische Gefühl in ihnen schon voraussetzen würde, das erst durch die Religion entwickelt werden soll; sondern auf diejenige, für deren Bewunderung sie aus Naturgründen empfänglich sind, auf seine Größe und Macht als Herr der Natur und als ihr Herr. Nun aber ist es Heteronomie, und bewirkt keine Moralität, sondern erzwingt höchstens Legalität, wenn wir nur darum uns dem Inhalte des Moralgesetzes gemäß betragen, weil ein übermächtiges Wesen es will; und eine auf diese Autorität gegründete Religion widerspräche folglich sich selbst. Aber diese Autorität soll denn auch nicht Gehorsam, sie soll nur Aufmerksamkeit auf die weiter vorzulegenden Motive des Gehorsams begründen. Aufmerksamkeit aber, als eine empirische Bestimmung unsrer Seele, ist durch natürliche Mittel zu erregen. Es würde. zwar offenbar widersprechend sein, auch nur diese durch Furcht vor angedrohten Strafen dieses mächtigen Wesens, oder wohl gar durch physische Mittel erzwingen, oder durch verheißene Belohnungen erschleichen zu wollen; widersprechend, weil Furcht und Hoffnung die Aufmerksamkeit mehr zerstreuen, als erregen, und höchstens nur ein mechanisches Nachsagen, aber keine auf vernünftige Überlegung gegründete Oberzeugung, welche allein der Grund aller. Moralität sein muß, hervorbringen können; widersprechend, weil dies gleich anfangs das Prinzip aller Religion verfälschen, und Gott als ein Wesen darstellen würde, dem man sich noch durch etwas anderes, als durch moralische Gesinnungen, - hier durch unwilliges Anhören von Dingen, an denen man kein Interesse hat, und durch ängstliches Nachplaudern derselben - gefällig machen könnte. Aber die Vorstellung einer noch so großen Macht erregt auch, so lange wir uns nicht im Widerstreite gegen sie denken, nicht Furcht, sondern Bewunderung und Verehrung, die zwar nur auf pathologischen, und nicht moralischen, Gründen beruht, die aber unsre Aufmerksamkeit auf alles, was von dem mächtigen Wesen herkommt, kräftig hinzieht. So lange sich nun Gott noch nicht als moralischen Gesetzgeber, sondern bloß als redende Person ankündigt, so denken wir uns noch nicht im Widerstreite gegen ihn; und wenn er sich als solchen ankündigt, so kündigt er uns

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zugleich seine Heiligkeit an, welche uns alle mögliche Furcht vor seiner Macht benimmt, indem sie uns zusichert, daß er nie einen willkürlichen Gebrauch von derselben gegen uns machen, sondern daß ihre Wirkungen auf uns gänzlich vmi uns selbst abhängen werden. Die Anforderung Gottes also an uns in einer möglichen Offenbarung, ihn anzuhören, gründet sich auf seine Allmacht und unendliche Größe, und kann sich auf nichts anderes gründen, indem Wesen, die einer Offenbarung bedürfen, fürs erste keiner andern Vorstellung von ihm fähig sind. Seine Anforderung aber, ihm zu gehorchen, kann sich auf nichts anderes, als auf seine Heiligkeit gründen, weil sonst der Zweck aller Offenbarung, reine Moralität zu befördern, nicht erreicht würde; aber der Begriff der Heiligkeit sowohl, als die Verehrung gegen sie, muß schon vorher durch die Offenbarung entwickelt worden sein. Wir haben einen erbahnen Ausspruch, der dies erläutert: Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, spricht der Herr. Der Herr redet, als Herr, und fordert dadurch alles zur Aufmerksamkeit auf. Aber die Forderung der Heiligkeit gründet er nicht auf diese seine Herrschaft, sondern auf seine eigne Heiligkeit. Aber, wie sollen dann diese Menschen, ehe ihr sittliches Gefühl noch entwickelt ist, beurteilen, ob es Gott sein könne, welcher redet? wird noch gefragt; und hier kommen wir dann auf die Beantwortung eines Einwurfs, der schon seit langem vor der Seele jedes Lesers geschwebt haben muß. Wir haben im vorigen Paragraphen bewiesen, daß der Begriff der Offenbarung vernünftigerweise nur a priori möglich sei, und a posteriori gar nicht rechtmäßig entstehen könne; und in diesem haben wir gezeigt, daß es einen Zustand geben könne, ja daß die ganze Menschheit in diesen Zustand verfallen könne, in welchem es ihr unmöglich ist, a priori auf den Begriff der Religion, und also auch der Offenbarung zu kommen. Dies sei ein förmlicher Widerspruch, kann man sagen; oder man kann uns das Dilemma vorlegen: Entweder fühlten die Menschen schon das sittliche Bedürfnis, das sie treiben konnte, eine Religion zu suchen, und hatten schon alle Moralbegriffe, die sie von den Wahrheiten derselben vernünftig überzeugen konnten; so bedurften sie keiner

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Offenbarung, sondern hatten schon a priori Religion: oder sie fühlten weder jenes Bedürfnis, noch hatten sie jene Begriffe; so konnten sie sich nie aus moralischen Gründen von der Göttlichkeit einer Religion überzeugen; aus theoretischen konnten sie es auch nicht; sie konnten es also überhaupt nicht, und eine Offenbarung ist folglich unmöglich. Aber es folgt nicht, daß Menschen, die sich des Moralgebots in ihnen wenig bewußt waren, und durch dasselbe nicht zur Aufsuchung einer Religion getrieben werden konnten, also der Offenbarung bedurften, nicht nachher eben durch Hilfe dieser Offenbarung jenes Gefühl in sich entwickeln, und so geschickt werden konnten, eine Offenbarung zu prüfen, und so vernünftig zu untersuchen, ob sie göttlichen Ursprungs sein könne, oder nicht. Es kündigte sich ihnen eine Lehre als göttlich an, und erregte dadurch wenigstens ihre Aufmerksamkeit. Entweder nahmen sie nun dieselbe sogleich für göttlich an; und da sie dies weder aus theoretischen Prinzipien folgern, noch nach moralischen untersuchen konnten, weil noch bis jetzt ihr Moralgefühl unentwickelt war, nahmen sie etwas ganz ohne Grund an, und es war ein Glück für sie, wenn ihnen der Zufall nützlich wurde: oder sie verwarfen sie sogleich; so verwarfen sie wieder etwas ganz ohne Grund: oder endlich sie ließen die Sache unentschieden, bis sie vernünftige Gründe eines Urteils finden würden, und in diesem einzigen Falle handelten sie vernünftig. Daß Gott rede, oder daß er nicht rede (als kategori&che, aus theoretischen Gründen mögliche, Behauptung), konnten sie nie beweisen; ob er geredet haben könne, konnte nur aus dem Inhalte dessen erhellen, was in seinem Namen gesagt ward; sie mußten es also fürs erste anhören. Wenn nun durch dieses Anhören ihr moralisches Gefühl entwickelt wurde, so wurde zugleich der Begriff einer Religion, und des möglichen Inhalts derselben, sie komme nun durch Offenbarung, oder ohne sie an uns, entwickelt; und nun konnten, und mußten sie, um zu einem vernünftigen Fürwahrhalten zu gelangen, die ihnen als göttlich angekündigte Offenbarung mit ihrem nun entwickelten Begriffe einer Offenbarung a priori vergleichen, und nach der Obereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit demselben ein Urteil über sie fäJien: und das löst dann den vermeinten Wider-

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spruch völlig auf. Ein vernünftiges Aufnehmen einer gegebnen Offenbarung, als göttlich, ist nur aus Gründen a priori möglich, aber a posteriori können, und müssen in gewissen Fällen, Gelegenheitsursachen gegeben werden, um diese Gründe zu entwickeln. Alle diese Untersuchungen nun haben den eigentlichen Fragepunkt mehr vorbereitet, als bestimmt und entwickelt. Da nämlich nach allem bisher Gesagten kein vernünftiges Aufnehmen einer Offenbarung als göttlich eher, als nach völliger Entwickelung des Moralgefühls in uns, stattfindet; da ferner nur auf dieses Gefühl und den dadurch in uns begründeten Willen, der Vernunft zu gehorchen, jeder Entschluß, einem Gesetze Gottes zu gehorchen, sich gründen kann (§ 2): so scheint die göttliche Autorität, worauf eine gegebne Offenbarung sich gründen könnte, ihren ganzen Nutzen zu verlieren, sobald es möglich wird, sie anzuerkennen. So lange nämlich eine solche Offenbarung noch arbeitet, um den Menschen zur Empfänglichkeit für Moralität zu bilden, ist es demselben völlig problematisch, ob sie göttlichen Ursprungs auch nur sein könne, weil dies sich nur aus einer Beurteilung derselben nach Moralprinzipien ergeben kann; sobald aber nach geschehener Entwickelung des Moralgefühls in ihm eine solche Beu1ieilung möglich ist, so scheint dies Moralgefühl allein hinlänglich sein zu können, um ihn zum Gehorsam gegen das Moralgesetz, bloß als solches, zu bestimmen. Und obgleich, wie ebenfalls oben (§ 2) gezeigt worden, auch bei dem festesten Willen, dem Moralgesetze, bloß als Gesetze der Vernunft, zu gehorchen, einzelne Fälle möglich sind, in denen dasselbe einer Verstärkerung seiner Kausalität durch die Vorstellung, es sei Gottes Gesetz, bedarf, so ist doch in dem durch eine geschehne Offenbarung zur Moralität gebildeten Subjekte die Vorstellung dieser göttlichen Gesetzgebung sowohl ihrer Materie nach durch praktische Vernunftprinzipien, als ihrer Form nach durch Anwendung derselben auf den Begriff einer Welt, völlig möglich, und es erscheint kein Grund, warum er sie sich, als durch eine übernatürliche Wirkung in der Sinnenwelt gegeben, denken sollte. Es muß also ein Bedürfnis, freilich nur ein empirisches, aufgezeigt werden, welchem nur durch die bestimmte Vorstellung einer durch eine Wirkung in der

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SinnenweIt g es c h eh n e n Ankündigung Gottes als moralischen Gesetzgebers abgeholfen werden kann, wenn diese ganze Vorstellung nicht vergeblich, und der Begriff einer Ofienbarung nicht leer sein soll, indem ein Glaube an dieselbe allenfalls nützlicH sein könnte, solange er nicht möglich ist, und sobald er möglich wird, seinen ganzen Nutzen verlöre: denn unmöglich können wir die frommen Empfindungen über die zu unsrer Schwachheit sich herablassende Güte Gottes, u. dergl., die durch eine solche Vorstellung in uns entstehen müssen, als den ganzen bleibenden Nutzen einer Offenbarung angeben. Nun sind in obiger Deduktion des Offenbarungsbegriffs (§ 5) zum Behuf der Möglichkeit desselben nicht nur solche vernünftige Wesen vorausgesetzt worden, in denen das Moralgesetz seine Kausalität auf immer, sondern auch solche, bei denen es dieselbe in einzelnen fällen verloren habe. Wo auch nicht der Wille, ein Sittengesetz anzuerkennen und ihm zu gehorchen, vorhanden ist, ist das Moralgesetz ganz ohne Kausalität; wo hingegen zwar dieser, aber nicht die völlige Freiheit da ist, verliert er seine Kausalität in einzelnen Fällen. Wie die Offenbarung die Wirksamkeit desselben im ersten falle wiederherstelle, ist jetzt gezeigt worden: ob sie auch im zweiten einen ihr wesentlichen, nur durch sie möglichen Einfluß habe, davon ist jetzt die frage. Da im ersten falle die Offenbarung noch gar nicht als das, für was sie sich gibt, vernünftigerweise anerkannt werden kann, so könnte man diese ihre Funktion die der Offenbarung an sich, insofern sie von unsrer Vorstellungsart ganz unabhängig ist, oder ihrer Materie nach (functio revelationis materialder spectatae) nennen; hingegen das, was sie im zweiten falle zu leisten hätte, die Funktion der Offenbarung, insofern wir sie dafür anerkennen, oder ihrer form nach (functio revelationis formaliter spectatae), und, da Offenbarung eigentlich nur dadurch es wird, daß wir sie dafür erkennen, der Offenbarung im eigentlichsten Sinne. Wir haben oben bei Erörterung der Funktion einer Offenbarung ihrer Materie nach ganz richtig angenommen, daß dieselbe sich nur auf Subjekte beziehe, in denen auch nicht einmal der Wille, dem Vernunftgesetze zu gehorchen, vorhanden sei, daß sie hingegen in dieser Funktion diejenigen, denen es nicht

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an diesem Willen, wohl aber an völliger Freiheit, ihn zu vollbringen, mangelt, nicht zu Objekten habe, sondern daß zu Herstellung der Freiheit in dergleichen Subjekten die . Naturreligion hinlänglich sei. Da nun durch die Offenbarung vermittelst ihrer ersten Funktion die Willensbestimmung durchs Moralgesetz möglich gemacht, mithin alle vernünftigen Wesen zur zweiten Stufe der moralischen Vollkommenheit erhoben werden sollen, so würde, wenn Wesen auf dieser zweiten Stufe die Naturreligion stets genugtuend sein könnte, gar keine Funktion der Offenbarung ihrer Form nach, nämlich keine Wirksamkeit derselben zur Herstellung der Freiheit stattfinden, und da dies die Funktion der Offenbarung im eigentlichsten Sinne ist, kein wahres Bedürfnis eines Glaubens an Offenbarung gezeigt werden können; fände sie aber statt, so scheint dies dem obigen Satze von der Hinlänglichkeit der Naturreligion zur Herstellung der Freiheit zu widersprechen. Wir haben also fürs erste zu untersuchen, ob sich ein Einfluß der Vorstellung von einer geschehnen Offenbarung auf das Gemüt zur Herstellung der gehemmten Freiheit des Willens denken lasse, und dann, wenn sich ein solcher Einfluß zeigen sollte, zu untersuchen, ob und inwiefern beide Behauptungen beisammenstehen können. Es ist eine der Eigentümlichkeiten des empirischen Charakters des Menschen, daß, so lange eine seiner Gemütskräfte besonders aufgeregt, und in lebhafter Tätigkeit ist, andere, und das um desto mehr, je mehr sie sich von jener entfernen, untätig, und gleichsam erschlafft sind: und daß diese ihre Erschlaffung größer ist, je größer die Tätigkeit jener. So vergeblich man sich bemühen würde, jemanden, der durch sinnlichen Reiz bestimmt, oder in einem heftigen Affekte ist, durch Vernunftgründe anders zu bestimmen; ebenso sicher ist's, daß im Gegensatze eine Erhebung der Seele durch Ideen, oder eine Anstrengung derselben durch Nachdenken möglich ist, bei welcher sinnliche Eindrücke fast ihre ganze Kraft verlieren. Soll in solchen Fällen auf einen Menschen gewirkt werden, so kann es fast nicht anders geschehen, als vermittelst derjenigen Kraft, die eben jetzt in Tätigkeit ist, indem auf die übrigen kaum ein Eindruck zu machen ist, oder

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wenn er auch zu machen wäre, er nicht hinreichend sein würde, den Willen des Menschen zu bestimmen. Einige Gemütskräfte haben eine nähere Verwandtschaft und einen größern wechselseitigen Einfluß aufeinander, als andere. Denjenigen, der vom Sinnenreiz fortgerissen ist, wird man durch Vernunftgründe vergeblich zurückhalten wollen, aber durch Darstellung eines andern sinnlichen Eindrucks durch die Einbildungskraft kann es sehr leicht, ohne Anwesenheit des sinnlichen Gegen· standes, also ohne unmittelbare Sinnenempfindung, gelingen. Alle durch empirische Sinnlichkeit bestimmbaren Kräfte stehen in solcher Korrespondenz. Die der Pflicht widerstreitenden Bestimmungen werden alle durch Eindrücke auf diese Kräfte bewirkt; durch Sinnenempfindung,die entweder unmittelbar einem Gegenstande außer uns korrespondiert, oder die durch die empirische Einbildungskraft reproduziert wird, durch Affekte, durch Leidenschaften. Welches Gegengewicht soll nun der Mensch einer solchen Bestimmung entgegensetzen, wenn sie so stark ist, daß sie die Stimme der Vernunft gänzlich unterdrückt? Offenbar muß dies Gegengewicht durch eine Kraft des Gemüts an die Seele gebracht werden, welche von der einen Seite sinnlich, und also fähig ist,einer Bestimmung der sinnlichen Natur des Menschen entgegenzuwirken, von der andem durch Freiheit bestimmbar ist, und Spontaneität hat: und diese Kraft des Gemüts ist die Einbildungskraft. Durch sie also muß das einzig mögliche Motiv einer Moralität, die Vorstellung der Gesetzgebung des Heiligen, an die Seele gebracht werden. Diese Vorstellung nun gründet in der Naturreligion sich auf Vernunftprinzipien; ist aber diese, wie wir voraussetzen, gänzlich unterdrückt, so erscheinen die Resultate derselben dunkel, ungewiß, unzuverlässig. Auch die Prinzipien dieser Vorstellung also sollten durch die Einbildungskraft vorstellbar sein. Dergleichen Prinzipien nun wären Fakta in der Sinnenwelt, oder eine Offenbarung. Gott ist, denn er hat geredet und gehandelt, muß sich der Mensch in solchen Augenblicken sagen können: er will, daß ich jetzt nicht so handle, denn er hat es ausdrücklich, mit solchen

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Worten, unter solchen Umständen usf., verboten; ich werde einst wegen der Entschließung, die ich jetzt fassen werde, unter gewissen bestimmten Feierlichkeiten ihm Rechenschaft geben. Sollen solche Vorstellungen aber Eindruck auf ihn machen, so mull er die denselben zum Grunde liegenden Fakta als völlig wahr und richtig annehmen können; sie müssen also nicht etwa durch seine eigne Einbildungskraft erdichtet, sondern ihr gegeben werden. Daß durch eine solche Vorstellung der reinen Moralität einer durch sie bewirkten Handlung kein Abbruch getan wird, folgt unmittelbar aus unsrer Voraussetzung, das durch die Einbildungskraft versinnlicht dargestellte Motiv solle kein andres als die Heiligkeit des Gesetzgebers, und nur das Vehikulum derselben solle sinnlich sein. Ob inzwischen die Reinheit des Motivs nicht oft durch die Sinnlichkeit des Vehikulums leide, und ob nicht oft Furcht der Strafe, oder Hoffnung der Belohnung, auf einen durch die Vorstellung der Offenbarung bewirkten Gehorsam weit mehr Einfluß habe, als reine Achtung für die Heiligkeit des Gesetzgebers, hat eine allgemeine Kritik des Offenbarungsbegriffs eigentlich nicht zu untersuchen; sondern nur zu erweisen, daß dies in abstracto nicht notwendig sei, und in concreto schlechterdings nicht geschehen dürfe, wenn die Religiosität echt und nicht bloß feinere Selbstsucht sein solle. Da dies inzwischen nur zu leicht geschehen kann; da sich ferner im allgemeinen nicht zeigen läßt, wann, inwieweit, und warum überhaupt eine solche Verstärkung des Moralgesetzes durch Vorstellung einer Offenbarung nötig sei; da endlich es schlechterdings nicht zu leugnen ist, daß nicht ein allgemeiner unbezweifelt auf das Moralgesetz gegründeter Trieb in uns sei, ein vernünftiges Wesen mehr zu ehren, je weniger Verstärkung die Idee des schlechthin Rechten in seinem Gemüte bedarf, um ihn zu bewegen, es hervorzubringen: so läßt sich auch nicht leugnen, daß es weit ehrenvoller für die Menschheit sein würde, wenn die Naturreligion stets hinlänglich wäre, sie in jedem Falle zum Gehorsam gegen das Moralgesetz zu bestimmen : und in diesem Sinne können denn beide Sätze wohl beisammenstehen, nämlich, daß sich a priori (vor der wirklich gemachten Erfahrung) nicht einsehen lasse, warum die Vor-

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stellung einer Offenbarung nötig sein sollte, um die gehemmte Freiheit herzustellen; daß aber die fast allgemeine Erfahrung in uns und andem uns fast täglich belehre, daß wir allerdings schwach genug sind, einer dergleichen Vorstellung zu bedürfen. § 7. * Von der physischen Möglichkeit einer Offenbarung.

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Der Begriff der Offenbarung a priori, wie er durch Aufzeigung des Bedürfnisses der empirischen Sinnlichkeit a posteriori bestätigt ist, erwartet eine übernatürliche Wirkung in der Sinnenwelt. Ist diese auch überhaupt möglich? ist es überhaupt gedenkbar, daß etwas außer der Natur eine Kausalität in der Natur habe? könnte man dabei noch fragen: und wir beantworten diese Frage, um teils in die noch immer dunkle Lehre von der Möglichkeit des Beisammenstehens der Notwendigkeit nach Natur-, und der Freiheit nach Moralgesetzen, wenigstens für unsre gegenwärtige Absicht, wo möglich, etwas mehr Licht zu bringen, teils um aus ihrer Erörterung eine für die Berichtigung des Begriffs der Offenbarung nicht unwichtige Folge herzuleiten. Daß es überhaupt möglich sein müsse, ist erstes Postulat, das die praktische Vernunft a priori macht, indem sie das übernatürliche in uns, unser oberes Begehrungsvermögen, bestimmt, Ursache außer sich in der Sinnenwelt, entweder der in uns, oder der außer uns zu werden, welches hier Eins ist. Es ist aber fürs erste zu erinnern, daß es ganz zweierlei ist, ob wir sagen: der Wille, als oberes Begehrungsvermögen, ist frei; denn wenn das letztere heißt, wie es denn das heißt, er steht nicht unter Naturgesetzen, so ist dies sogleich einleuchtend, weil er, als oberes Vermögen, gar kein Teil der Natur, sondern etwas übersinnliches ist: - oder ob wir sagen: eine solche Bestimmung des Willens hat eine Kausalität in der Sinnenwelt; wo wir allerdings fordern, daß etwas, das unter Naturgesetzen steht, durch etwas, das kein Teil der Natur ist, bestimmt werden soll, welches sich zu widersprechen und den Begriff von der Naturnotwendigkeit aufzuheben scheint, der doch den Begriff einer Natur überhaupt erst möglich macht.

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Hierauf ist fürs erste überhaupt zu erinnern, daß, so lange die Rede von bloßer Naturerklärung ist, es uns schlechterdings nicht erlaubt ist, eine Kausalität durch Freiheit anzunehmen, weil die ganze Naturphilosophie von einer solchen Kausalität nichts weiß; und hinwiederum, so lange die Rede von bloßer Willens· bestimmung, als obern Vermögens ist, es gar nicht nötig ist, auf die Existenz einer Natur überhaupt Rücksicht zu nehmen. Beide Kausalitäten, die des Natur- und die des Moralgesetzes, sind sowohl der Art ihrer Kausalität, als ihrer Objekte nach, unendlich verschieden. Das Naturgesetz gebietet mit absoluter Notwendigkeit, das Moralgesetz befiehlt der Freiheit; das erstere beherrscht die Natur, das zweite die Geisterwelt. Muß, das Losungswort des ersten, und So II, das Losungswort des zweiten, reden von ganz verschiednen Dingen, und können sich, auch einander entgegengesetzt, nicht widersprechen, denn sie begegnen sich nicht. Ihre Wirkungen in der Sinnenwelt aber begegnen sich, und dürfen sich auch nicht widersprechen, wenn nicht entweder Naturerkenntnis von der einen, oder die durch die praktische Vernunft geforderte Kausalität der Freiheit in der Sinnenwelt von der andern Seite unmöglich sein soll. Die Möglichkeit dieser Übereinkunft zweier voneinander selbst gänzlich unabhängiger Gesetzgebungen läßt sich nun nicht anders denken, als durch ihre gemeinschaftliche Abhängigkeit von einer obern Gesetzgebung, welche beiden zum Grunde liegt, die für uns aber gänzlich unzugänglich ist. Könnten wir das Prinzip derselben einer WeltAnschauung zum Grunde legen, so würde nach ihm eine und ebendieselbe Wirkung, die uns auf die Sinnenwelt bezogen nach dem Moralgesetze als frei, und auf Kausalität der Vernunft zurückgeführt, in der Natur als zu f ä II i g erscheint, als völlig notwendig erkannt werden. Da wir aber dies nicht können, so folgt daraus offenbar, daß wir, sobald wir auf eine Kausalität durch Freiheit Rücksicht nehmen, nicht alle Erscheinungen in der Sinnenwelt nach bloßen Naturgesetzen als notwendig, sondern viele nur als zufällig annehmen müssen; und daß wir sonach nicht alle aus den Gesetzen der Natur, sondern manche bloß nach Naturgesetzen erklären dürfen. Etwas bloß nach Na-

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turgesetzen erklären aber heißt: die Kausalität der Materie der Wirkung außer der Natur, die Kausalität der Form der Wirkung aber in der Natur annehmen. Nach den Gesetzen der Natur müssen sich alle Erscheinungen in der Sinnenwelt erklären lassen, denn sonst könnten sie nie ein Gegenstand der Erkenntnis werden. Laßt uns jetzt diese Grundsätze auf jene erwartete übernatürliche Einwirkung Gottes in die Sinnenwelt anwenden. Gott ist, laut der Vernunftpostulate, als dasjenige Wesen zu denken, welches die Natur dem Moralgesetze gemäß bestimmt. In ihm also ist die Vereinigung beider Gesetzgebungen, und seiner Welt- Anschauung liegt jenes Prinzip, von welchem sie beide gemeinschaftlich abhängen, zum Grunde. Ihm ist also nichts natürlich, und nichts übernatürlich, nichts notwendig, und nichts zufällig, nichts möglich, und nichts wirklich. Soviel können wir negativ, durch die Gesetze uns er s Denkens genötigt, sicher behaupten; wenn wir aber positiv die Modalität seines Verstandes bestimmen wollten, so würden wir transzendent. Es kann also die Frage gar nicht davon sein, wie Gott eine übernatürliche Wirkung in der Sinnenwelt sich als möglich denken, und wie er sie wirklichmachen könne; sondern wie wir uns eine Erscheinung als durch eine übernatürliche Kausalität Gottes gewirkt denken können? Wir sind durch unsre Vernunft genötigt, das ganze System der Erscheinungen, die ganze Sinnenwelt zuletzt von einer Kausalität durch Freiheit nach Vernunftgesetzen, und zwar von der Kausalität Gottes abzuleiten. Die ganze Welt ist für uns übernatürliche Wirkung Gottes. Es ließe sich also wohl denken, daß Gott die erste natürliche Ursache einer gewissen Erscheinung, die einer seiner moralischen Absichten gemäß war, gleich anfangs (denn wir dürfen hier ganz menschlich reden, da wir hier nicht objektive Wahrheiten, sondern subjektive Denkmöglichkeiten aufstellen) in den Plan des Ganzen verflochten habe. Die Einwendung, die man dagegen gemacht hat: das heiße durch einen Umweg tun, was man geradezu tun könne; gründet sich auf eine grobe Anthropomorphose, als ob Gott unter Zeitbedingungen stehe. In diesem Falle würde die Erscheinung ganz

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und vollkommen aus den Gesetzen der Natur, bis zum übernatürlichen Ursprunge der ganzen Natur selbst, erklärt werden können, wenn wir dieselbe im Zusammenhange übersehen könnten; und dennoch wäre sie auch zugleich, als durch die Kausalität eines göttlichen Begriffs vom moralischen dadurch zu erreichenden Zwecke bewirkt, anzusehen. Oder wir könnten fürs zweite annehmen, Gott habe wirklich in die schon angefangne, und nach Naturgesetzen fortlaufende Reihe der Ursachen und Wirkungen einen Eingriff getan, und durch unmittelbare Kausalität seines moralischen Begriffes eine andere Wirkung hervorgebracht, als durch die bloße Kausalität der Naturwesen nach Naturgesetzen würde erfolgt sein; so haben wir hierdurch wieder nicht bestimmt, bei weIchem Gliede der Kette er eingreifen sollte, ob eben bei dem der beabsichtigten Wirkung unmittelbar vorhergehenden, oder ob er es nicht auch bei einem der Zeit und den Zwischenwirkungen. nach vielleicht sehr weit von ihr entfernten tun konnte. Nehmen wir den zweiten Fall an, so werden wir, wenn wir die Naturgesetze durchaus kennen, die Erscheinung, von der die Rede ist, nach Naturgesetzen richtig aus der vorhergehenden, und diese wieder aus der vorhergehenden, und so vielleicht ins Un· endliche fort, erklären können, bis wir endlich freilich auf eine Wirkung stoßen, die wir nicht mehr aus, sondern bloß nach Naturgesetzen erklären können. Gesetzt aber, wir könnten oder wollten dieser Reihe der natürlichen Ursachen nur bis auf einen gewissen Punkt nachspüren, so wäre es sehr möglich, daß innerhalb dieser uns gesetzten Grenzen jene nicht mehr natürlich zu erklärende Wirkung nicht fiele: aber wir wären dadurch noch gar nicht berechtigt, zu schließen, daß die untersuchte Erscheinung überhaupt nicht durch eine übernatürliche Kausalität bewirkt sein könnte. Nur im ersten Falle also würden wir sogleich von der Erscheinung aus auf eine aus Naturgesetzen nicht zu erklärende Kausalität stoßen, die es uns theoretisch möglich machte, eine übernatürliche für sie anzunehmen. Aber will Gott nicht, daß der sinnliche Mensch, gegen welchen er sich durch diese Wirkung als Urheber der Offenbarung legitimiert, sie für übernatürlich anerkennen solle? Es

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würde nicht anständig sein, zu sagen, Gott wolle, daß wir jenen falschen Schluß machen sollten, auf welchen eine theoretische Anerkennung einer Erscheinung in der Natur, als durch eine Kausalität außer ihr bewirkt, sich nach obiger Erörterung offenbar gründet. Aber da sie denn auch nicht Überzeugung, welches sie nicht kann, sondern nur Aufmerksamkeit begründen soll, so ist es für diese Absicht völlig hinreichend, wenn wir es indes, bis wir der moralischen Überzeugung fähig sind, theoretisch nur für m ö g 1ich annehmen, daß sie durch übernatürliche Kausalität bewirkt worden sein könne, und dazu (um es t h e o r e t i s c h möglich zu denken; denn um es moralisch m ö g Ii c h zu finden, gehört laut obiger Erörterung auch nicht einmal das) gehört weiter nichts, als daß wir keine natürlichen Ursachen dieser Erscheinung sehen. Denn es ist der Vernunft ganz gemäß gedacht: wenn ich eine Begebenheit nicht aus Naturursachen erklären kann, so kommt dies entweder daher, weil ich die Naturgesetze, nach denen sie möglich ist, nicht kenne, oder daher, weil sie nach dergleichen Gesetzen überhaupt nicht möglich ist.*) - Wen faßt nun hier dieses Wir in sich? Offenbar diejenigen, und nur sie, welche in dem Plane der zu erregen*) Ich sehe nicht ab, wie die Bewohner von Hispaniola, wenn Christoph Colon, statt durch seine vorgebliche Verfinsterung des Mondes nur Lebensmittel von ihnen zu erzwingen, dieselbe als göttliche Beglaubigung einer Gesandtschaft von ihm an sie in moralischen Absichten gebraucht hätte, ihm vorderhand vernünftigerweise ihre Aufmerksamkeit hätten versagen können, da der Erfolg dieser Naturbegebenheit nach seiner bestimmten Vorherverkündigung ihnen nach Naturgesetzen schlechterdings unerklärbar sein mußte. Und wenn er denn auf diese Beglaubigung eine den Prinzipien der Vernunft völlig angemessene Religion gegründet hätte, so hätten sie nicht nur auf keinen Fall etwas dabei verloren, sondern sie hätten auch diese Religion mit völliger Überzeugung so lange für unmittelbar göttlichen Ursprungs halten können, bis sie durch eigne Einsicht in die Naturgesetze, und durch die historische Belehrung, daß Colon sie ebensogut gekannt, und daß er also nicht allerdings ehrlich mit ihnen umgegangen, diese Religion zwar nicht mehr für göttliche Offenbarung hätten halten können, aber doch verbunden geblieben wären, sie wegen ihrer gänzlichen Übereinstimmung mit dem Moralgesetze für göttliche R e Ii g i o n anzuerkennen.

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den Aufmerksamkeit befaßt sind. Gesetzt also, man könnte, nachdem dieser Zweck erreicht, und die Menschheit zur Fähigkeit eines moralischen Glaubens an die Göttlichkeit einer· Offenbarung erhoben ist, durch erhöhte Einsicht in die Gesetze der Natur zeigen, daß gewisse für übernatürlich gehaltne Erscheinungen, auf welche diese Offenbarung sich gründet, aus Naturgesetzen völlig erklärbar seien; so würde bloß hieraus, wenn nur diesem Irrtume nicht willkürlicher geflissentlicher Betrug, sondern bloß unwillkürliche Täuschung zum Grunde gelegen, gegen die mögliche Göttlichkeit einer solchen Offenbarung gar nichts gefolgert werden können: da eine Wirkung, besonders wenn sie dem Urgrunde aller Naturgesetze zugeschrieben wird, gar wohl völlig natürlich, und doch zugleich übernatürlich, d. i. durch die Kausalität seiner Freiheit, gemäß dem Begriffe einer moralischen Absicht, gewirkt sein kann. Das Resultat des hier Gesagten ist, daß, sowenig es dem dogmatischen Verteidiger des Offenbarungsbegriffs erlaubt werden dürfe, aus der Unerklärbarkeif einer gewissen Erscheinung aus Naturgesetzen auf eine übernatürliche Kausalität, und wohl gar geradezu auf die Kausalität Gottes zu schließen; ebensowenig sei es dem dogmatischen Gegner desselben zu verstatten, aus der Erklärbarkeif eben dieser Erscheinungen aus Naturgesetzen zu schließen, daß sie weder durch übernatürliche Kausalität überhaupt, noch insbesondre durch Kausalität Gottes möglich seien. Die ganze Frage darf gar nicht dogmatisch, nach theoretischen Prinzipien, sondern sie muß moralisch, nach Prinzipien der praktischen Vernunft, erörtert werden, wie sich aus allem bisher Gesagten zur Genüge ergibt; wie dieses aber geschehen müsse, wird im Verfolge dieser Abhandlung gezeigt werden. § 8. Kriterien der Göttlichkeit einer Offenbarung ihrer Form nach. Um uns von der Möglichkeit, daß eine gegebne Offenbarung von Gott sei, vernünftig überzeugen zu können, müssen wir sichere Kriterien dieser Göttlichkeit haben. Da der Begriff

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einer Offenbarung a priori möglich ist, so ist es dieser Begriff selbst, an den wir eine a posteriori gegebne Offenbarung halten müssen, d. i. von diesem Begriffe müssen sich die Kriterien ihrer Göttlichkeit ableiten lassen. Wir haben bisher den Begriff der Offenbarung, bloß ihrer Form nach, mit gänzlicher Abstraktion vom möglichen Inhalte einer in concreto gegebnen Offenbarung, erörtert; wir haben also für jetzt nur die Kriterien der Göttlichkeit einer Offenbarung in Absicht ihrer Form festzusetzen. An der Form einer Offenbarung aber, d. i. an einer bloßen Ankündigung Gottes als moralischen Gesetzgebers durch eine übernatürliche Erscheinung in der Sinnenwelt, können wir zweierlei unterscheiden, nämlich das Ä u ß er e derselben, d. i. die Umstände, unter welchen, und die Mittel, durch welche diese Ankündigung geschah, und dann das I n n er e, d. i. die Ankündigung selbst. Der Begriff der Offenbarung a priori setzt ein empirisch gegebnes moralisches Bedürfnis derselben voraus, ohne welches sich die Vernunft eine Veranstaltung der Gottheit, die dann überflüssig und gänzlich zwecklos war, nicht als moralisch möglich denken konnte, und die empirische Deduktion der Bedingungen der Wirklichkeit dieses Begriffs entwickelte dieses Bedürfnis. Es muß also gezeigt werden können, daß zur Zeit der Entstehung einer Offenbarung, die auf einen göttlichen Ursprung Anspruch macht, dieses Bedürfnis wirklich da gewesen, und daß nicht schon eine andere, alle Kriterien der Göttlichkeit an sich tragende Religion unter eben den Menschen, denen sich diese bestimmte, vorhanden, oder ihnen leicht durch natürliche Mittel mitzuteilen war. Eine Offenbarung, von der dies gezeigt werden kann, kann von Gott sein: eine, von der das Gegenteil gezeigt werden kann, ist sicher nicht von Gott. Es ist nötig, dieses Kriterium ausdrücklich festzusetzen, um aller Schwärmerei und allen möglichen unberufenen Religionsstiftern jetziger oder künftiger Zeiten Einhalt zu tun. Ist eine Offenbarung, ihrem Inhalte nach, verfälscht, so ist es Pflicht und Recht jedes tugendhaften Mannes, ihr ihre ursprüngliche Reinigkeit wiederzugeben, aber dazu bedarf es keiner neuen göttlichen Autorität, sondern bloßer Berufung auf die schon vor-

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handne, und Entwickelung der Wahrheit aus unserm moralischen Gefühle. Auch wird durch dieses Kriterium nicht schlechthin die Möglichkeit zweier zugleich existierender göttlicher Offenbarungen geleugnet, wenn die Besitzer derselben nur nicht in der Lage sind, sie sich mitzuteilen. Gott soll Ursache der Wirkungen sein, durch welche die Offenbarung geschieht. Alles aber, was unmoralisch ist, widerspricht dem Begriffe von Gott. Jede Offenbarung also, die sich durch unmoralische Mittel angekündigt, behauptet, fortgepflanzt hat, ist sicher nicht von Gott. - Es ist allemal, die Absicht mag sein, welche sie wolle, unmoralisch zu betrügen. Unterstützt also ein angeblich göttlicher Gesandter seine Autorität durch Betrug, so· kann das Gott nicht gewollt haben. überdies bedarf ein wirklich von Gott unterstützter Prophet keines Betrugs. Er führt nicht seine Absicht, sondern die Absicht Gottes aus, und kann es also Gott völlig überlassen, inwieweit, und wie er diese Absicht unterstützen wolle. Aber, könnte man noch sagen, der Wille des göttlichen Gesandten ist frei, und er kann, vielleicht aus wohlmeinender Absicht, mehr tun wollen, als ihm aufgetragen ist, die Sache noch mehr beglaubigen wollen, als sie schon beglaubigt ist, und dadurch zum Betruge hingerissen werden; und dann ist nicht Gott, sondern der Mensch, dessen er sich bediente, Ursache dieses Betruges. - Wir dürfen nicht überhaupt leugnen, daß sich Gott nicht unmoralischer, oder moralisch schwacher Menschen zur Ausbreitung einer Offenbarung bedienen könne; denn wie, wenn keine anderen da sind? und es werden, wo das höchste Bedürfnis der Offenbarung vorhanden ist, allerdings keine anderen sein. Aber er darf ihnen, wenigstens in Verrichtung seines Auftrags, den Gebrauch unmoralischer Mittel auch nicht zulassen; er müßte es durch seine Allmacht verhindern, wenn ihr freier Wille sich dahin lenkte. Denn wenn der Betrug entdeckt würde - und jeder Betrug kann es -, so sind zwei Fälle möglich. Entweder die erregte Aufmerksamkeit verschwindet, und an ihre Stelle tritt der Verdruß, sich getäuscht zu sehen, und das Mißtrauen gegen alles, was aus diesen oder ähnlichen Quellen kommt, welches dem bei dieser Anstalt überhaupt be-

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absichtigten Zwecke widerspricht: oder wenn die Lehre schon autorisiert genug ist, so wird dadurch auch der Betrug autorisiert; jeder hält sich für völlig erlaubt, was ein göttlicher Gesandter sich erlaubte; welches der Moralität, und dem Begriffe aller Religion widerspricht. Der Endzweck jeder Offenbarung ist reine Moralität. Diese ist nur durch Freiheit möglich, und läßt sich also nicht erzwingen. Nicht nur sie aber, sondern auch die Aufmerksamkeit auf Vorstellungen, welche dahin abzwecken, das Gefühl für sie zu entwickeln, und die Bestimmung des Willens beim Widerstreite der Neigung zu erleichtern,. läßt sich nicht erzwingen, sondern Zwang ist ihr vielmehr entgegen. Keine göttliche· Religion also muß durch Zwang oder Verfolgung sich angekündigt oder ausgebreitet haben: denn Gott kann sich keiner zweckwidrigen Mittel bedienen, oder den Gebrauch solcher Mittel bei Absichten, die die seinigen sind, auch nur zulassen, weil sie dadurch gerechtfertigt würden. Jede Offenbarung also, die durch Verfolgung sich angekündigt und befestigt hat, ist sicher nicht von Gott. Diejenige Offenbarung aber, die sich keiner andern, als moralischer Mittel, zu ihrer Ankündigungund Behauptungbedient hat, kann vonGottsei n. Dies sind die Kriterien der Göttlichkeit einer Offenbarung in Rücksicht auf ihre äußere Form. Wir gehen zu denen der innern fort. Jede Offenbarung soll Religion begründen, und alle Religion gründet sich auf den Begriff Gottes, als moralischen Gesetzgebers. Eine Offenbarung also, die uns ihn als etwas anderes ankündigt, welche uns etwa theoretisch sein Wesen kennen lehren will, oder ihn als politischen Gesetzgeber aufstellt, ist wenigstens das nicht, was wir suchen, sie ist nicht geoffenbarte Religion. Was sie sein könne, und ob sie nicht unter irgendeiner Bedingung möglich sei, gehört nicht in den Plan der gegenwärtigen Untersuchung. Jede Offenbarung also muß uns Gott als moralischen Gesetzgeber ankündigen, und nur von derjenigen, deren Zweck das ist, können wir aus moralischen Gründen glauben, daß sie von Gott sei.

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Der Gehorsam gegen die moralischen Befehle Gottes kann sich nur auf Verehrung, und Achtung für seine Heiligkeit gründen, weil er nur in diesem Falle rein moralisch ist. j.e d e 0 ff e nbarung also, die uns durch andre Motive, z. B. durch angedrohte Strafen, oder versproebne Belohnungen, zum Gehorsam bewegen will, kann nicht von Gott sein, denn dergleichen Motive widersprechen der reinen Moralität. - Es ist zwar sicher, und wird weiter unten ausgeführt werden, daß eine Offenbarung die Verheißungen des Moralgesetzes, als Verheißungen Gottes, entweder ausdrücklich enthalten, oder uns auf ihre Aufsuchung in unserm eignen Herzen hinleiten könne. Aber sie müssen nur als Folgen, und nicht als Motive aufgestellt werden.*) § 9. Kriterien der Göttlichkeit einer Offenbarung in Absicht ihres möglichen Inhalts (materiae revelationis). Das Wesentliche der Offenbarung überhaupt ist Ankündigung Gottes, als moralischen Gesetzgebers, durch eine übernatürliche Wirkung in der Sinnenwelt. Eine in concreto gegebne Offenbarung kann Erzählungen von dieser, oder diesen Wirkungen, Mitteln, Anstalten, Umständen usw. enthalten. Alles, was dahin einschlägt, gehört zur äußern Form der Offenbarung, und steht unter derselben Kriterien. Wohin durch diese Ankündigung des Gesetzgebers das Gesetz selbst, seinem Inhalte nach, gesetzt werde, bleibt dadurch noch gänzlich unentschieden. Sie kann uns geradezu an unser Herz verweisen: oder sie kann auch das, was dieses uns sagen würde, noch besonders als Aussage Gottes •) Wenn es erwiesen werden könnte, daß ein vernünftiges Fürwahrhalten einer Offenbarung Gottes als politischen Gesetzgebers (etwa als Vorbereitung auf eine moralische Offenbarung) möglich wäre, als mit welcher Möglichkeit des Fürwahrhaltens zugleich die Möglichkeit der ganzen Sache steht und fällt; so wäre es klar, daß der Gehorsam gegen dgl. Gesetze in einer solchen Offenbarung auf Furcht der Strafe, und Hoffnung der Belohnung, nicht nur gegründet werden könnte, sondern müßte, da der Endzweck politischer Gesetze bloße Legalität ist, und diese durch jene Triebfedern am sichersten bewirkt wird.

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aufstellen, und es nun uns selbst überlassen, das letztere mit dem erstem zu vergleichen. Die Ankündigung Gottes als Gesetzgebers würde, in Worte verfaßt, so heißen: Gott ist moralischer Gesetzgeber; und da wir sie in Worte verfassen müssen, so können wir auch dies einen Inhalt, nämlich den der Ankündigung an sich selbst, die Bedeutung der Form der Offenbarung nennen. Wird uns aber außer diesem noch mehr gesagt, so ist dies der In h a It der 0 ff e n b a ru n g. Das erstere können wir a priori uns zwar denken, und wenn a posteriori uns das Bedürfnis gegeben wird, wünschen, und erwarten; aber nie selbst realisieren, sondern die Realisierung dieses Begriffs muß durch ein Faktum in der Sinnenwelt geschehen; wir können also nie a priori wissen, wie und auf welche Art die Offenbarung wird gegeben werden. Das zweite, daß nämlich eine Offenbarung überhaupt einen Inhalt haben werde, können wir a priori nicht erwarten, denn es gehört nicht zum Wesen der Offenbarung; aber dagegen können wir völlig a priori wissen, welches dieser Inhalt sein kann: und hiermit stehen wir denn sogleich bei der Frage: Können wir von einer Offenbarung Belehrungen und Aufklärungen erwarten, auf die unsre sich selbst überlassene, und durch keine übernatürliche Hilfe geleitete Vernunft nicht etwa bloß unter den zufälligen Bedingungen, unter denen sie sich befunden hat, und befindet, sondern überhaupt ihrer Natur nach nie würde haben kommen können? und wir können desto ruhiger zu ihrer Beantwortung schreiten, da wir, im Falle daß wir sie verneinen müßten, nach obiger Deduktion, laut welcher es uns eigentlich um die Form der Offenbarung zu tun war, nicht mehr den Einwurf zu befürchten haben: die Offenbarung sei überhaupt überflüssig, wenn sie uns nichts Neues habe lehren können. Diese bloß aus übernatürlichen Quellen zu schöpfenden Belehrungen könnten entweder Erweiterung unsrer theoretischen Erkenntnis des übersinnlichen, oder nähere Bestimmung unsrer Pflichten zum Gegenstande haben. Also, Erweiterung unsrer theoretischen Erkenntnis könnten wir von einer Offenbarung erwarten? Die Beantwortung dieser Frage gründet sich auf folgende zwei: ist eine solche Erweiterung m o r a I i s c h möglich, d. i. streitet sie nicht gegen reine Moralität? und dann, ist sie physisch

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möglich, widerspricht sie nicht etwa der Natur der Dinge? und endlich, widerspricht sie nicht etwa dem Begriffe der Offenbarung, und folglich sich selbst? Ist sie moralisch möglich? Die Ideen vom übersinnlichen, die durch die praktische Vernunft realisiert werden, sind Freiheit, Gott, Unsterblichkeit. Daß wir, in Absicht unsers obern Begehrungsvermögens, frei sind, d. i. daß wir ein oberes von Naturgesetzen unabhängiges Begehrungsvermögen haben, ist unmittelbar Tatsache. Was wir in Absicht des Begriffs von Gott zur moralischen Willensbestimmung bedürfen, daß ein Gott sei, daß er der alleinheilige, der alleingerechte, der allmächtige, der allwissende, der oberste Gesetzgeber und Richter aller vernünftigen Wesen sei, ist unmittelbar durch unsre moralische Bestimmung, den Endzweck des Sittengesetzes zu wollen, uns zu glauben auferlegt. Daß wir uns t erb Ii c h sein müssen, folgt unmittelbar aus der Anforderung das höchste Gut zu realisieren, an unsre endlichen Naturen, welche als solche nicht fähig sind dieser Forderung genugzutun, aber dazu immer fähiger werden sollen, und es also können müssen. Was wollen wir über diese Ideen noch weiter wissen? Wollen wir die Verbindung des Naturgesetzes, und des für die Freiheit im übersinnlichen Substrat der Natur, erblicken? Wenn wir nicht zugleich die Kraft erhalten, die Gesetze der Natur durch unsre Freiheit zu beherrschen, so kann dies nicht den geringsten praktischen Nutzen für uns haben; wenn wir sie aber erhalten, so hören wir auf endliche Wesen zu sein, und werden Götter. Wollen wir einen bestimmten Begriff von Gott haben; sein Wesen, wie es an sich ist, erkennen? Das wird reine Moralität nicht nur nicht befördern, sondern sie hindern. Ein unendliches Wesen, das wir erkennen, das in seiner ganzen Majestät vor unsern Augen schwebt, wird uns mit Gewalt treiben und drängen, seine Befehle zu erfüllen; die Freiheit wird aufgehoben werden; die sinnliche Neigung wird auf ewig verstummen, wir werden alles Verdienst, und alle Übung, Stärkung, und Freude durch den Kampf, verlieren, und aus freien Wesen mit eingeschränkten Kenntnissen moralische Maschinen mit erweiterten Kenntnissen geworden sein. Wollen wir endlich alle die Bestimmungen unsrer künftigen Exi-

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stenz schon jetzt durchdringen? Das wird uns teils aller Empfindungen der Glückseligkeit, die die allmähliche Verbesserung unsers Zustandes uns geben kann, berauben; wir werden auf einmal verschweigen, was uns für eine ewige Existenz bestimmt ist; teils werden die uns vorschwebenden Belohnungen uns wieder zu kräftig bestimmen, und uns Freiheit, Verdienst und Selbstachtung nehmen. Alle solche Kenntnisse werden unsre Moralität nicht vermehren, sondern vermindern, und das kann Gott nicht wollen; es ist also moralisch unmöglich. Und ist es physisch möglich? Widerstreitet es nicht etwa gar den Gesetzen der Natur, d. i. unsrer Natur, an welche diese Belehrungen gegeben werden sollen ? Mögliche Belehrungen einer Offenbarung an uns über das übersinnliche müssen unsenit Erkenntnisvermögen angemessen sein, sie müssen unter den Gesetzen unsers Denkens stehen. Diese Gesetze sind die Kategorien, ohne welche uns keine bestimmte Vorstellung möglich ist. Wären sie demselben nicht angemessen, so wäre der ganze Unterricht für uns verloren, er wäre uns schlechterdings unverständlich und unbegreiflich, und es wäre völlig so gut, als ob wir ihn nicht hätten. Wären sie ihm angemessen, so würden die übersinnlichen Gegenstände in die sinnliche Welt herabgezogen, das übernatürliche würde zu einem Teile der Natur gemacht. Ich untersuche hier nicht, ob eine solche für objektiv gültig gegebne Versinnlichung nicht der praktischen Vernunft widerspreche, das wird weiter unten klar werden: aber das ist sogleich klar, daß wir dadurch eine Erkenntnis eines Obersinnlichen bekämen, das kein übersinnliches wäre, daß wir also unsern Zweck, in die Welt der Geister eingeführt zu werden, nicht erreichten, sondern selbst diejenige richtige Einsicht in dieselbe, die uns von der praktischen Vernunft aus möglich ist, verlören. Widerspricht endlich eine solche Erwartung nicht etwa der Natur der Offenbarung? Da Belehrungen dieser Art an unsere durch das Moralgesetz bestimmte Vernunft gar nicht gehalten werden könnten, um sie an ihr zu versuchen, ob sie mit derselben übereinkämen, oder nicht, indem sie auf dieser Prinzipien sich gar nicht gründeten (denn wenn sie sich darauf gründeten, so müßte unsre sich selbst überlassene Vernunft ohne alle fremde Beihilfe darauf haben kommen können) ; so

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könnte der Glaube an ihre Wahrheit sich auf nichts gründen, als etwa auf die göttliche Autorität, auf welche eine Offenbarung sich beruft. Nun aber findet für diese göttliche Autorität selbst kein andrer Glaubensgrund statt, als die Vernunftmäßigkeit (die Übereinstimmung nicht mit der vernünftelnden, sondern mit der moralisch-gläubigen Vernunft) der Lehren, die auf sie gegründet werden: mithin kann diese göttliche Autorität nicht selbst wieder Beglaubigungsgrund dessen sein, was erst der ihrige werden soll. - Wenn ein andrer Weg gedenkbar wäre, zur vernünftigen Anerkennung der Göttlichkeit einer Offenbarung zu kommen, als dieser, wenn z. B. Wunder oder Weissagungen, d. h. wenn überhaupt die Unerklärbarkeit einer Begebenheit aus natürlichen Ursachen uns berechtigen könnte, ihren Ursprung der unmittelbaren Kausalität Gottes zuzuschreiben, welcher Schluß aber, wie oben gezeigt ist, offenbar falsch sein würde, so ließe sich denken, wie unsre dadurch begründete Oberzeugung von der Göttlichkeit einer gegebnen Offenbarung überhaupt unsern Glauben an jede ihrer einzelnen Belehrungen begründen könnte. Da aber dieser Glaube an die Göttlichkeit einer Offenbarung überhaupt nur durch den Glauben an jede ihrer einzelnen Aussagen möglich ist, so kann keine Offenbarung, als solche, irgendeiner Behauptung die Wahrheit versichern, die sich dieselbe nicht selbst versichern kann. An keine nur durch Offenbarung mögliche Belehrung ist also vernünftigerweise ein Glaube möglich; und jede Anforderung von dieser Art würde der Möglichkeit des Fürwahrhaltens, das bei einer Offenbarung statt hat, folglich dem Begriffe der Offenbarung an sich, widersprechen. Wir dürfen also das, was die Kritik uns von seiten der sich selbst gelassenen theoretischen Vernunft vereitelte, einen Obergang in die übersinnliche Welt, auch nicht von der Offenbarung erwarten; sondern wir müssen diese Hoffnung einer bestimmten Erkenntnis derselben für unsre gegenwärtige Natur ganz, und auf immer, und aus jeder Quelle aufgeben. *) *) Zu Ablehnung übereilter Konsequenzen und unstatthafter Anwendungen merken wir nochmals ausdrücklich an, daß hier nur von als objektiv gültig angekündigten Sätzen die Rede sei, und daß vieles, was als Erweiterung unsrer Erkenntnis des Übersinnlichen aussehe, versinn-

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Oder können wir von einer Offenbarung vielleicht praktische Maximen, Moralvorschriften erwarten, die wir von dem Prinzip aller Moral, aus und durch unsre Vernunft nicht auch selbst ableiten konnten? Das Moralgesetz in uns ist die Stimme der reinen Vernunft, der Vernunft in abstracto. Vernunft kann sich nicht nur nicht widersprechen, sondern sie kann auch in verschiedenen Subjekten nichts Verschiedenes aussagen, weil ihr Gebot die reinste Einheit ist, und also Verschiedenheit zugleich Widerspruch sein würde. Wie die Vernunft zu uns redet, redet sie zu allen vernünftigen Wesen, redet sie zu Gott selbst. Er kann uns also weder ein anderes Prinzip, noch Vorschriften für besondere fälle geben, die sich auf ein anderes Prinzip gründeten, denn Er selbst ist durch kein anderes bestimmt. Die besondre Regel, die durch Anwendung des Prinzips auf einen besondern fall entsteht, ist freilich nach den fällen, in die das Subjekt seiner Natur nach kommen kann, verschieden,*) aber alle müssen sich durch eine und ebendieselbe Vernunft von einer und ebenderselben Vernunft ableiten lassen. Ein anderes ist's, ob üt concreto gegebne empirisch bestimmte Subjekte mit gleicher Richtigkeit und Leichtigkeit sie in besondern fällen ableiten werden, und ob sie dabei nicht einer fremden Hilfe bedürfen können, die es - nicht für sie tue, und ihnen nun das Resultat auf ihre Autorität als richtig hingebe; dies würde, wenn die Regel auch richtig abgeleitet wäre, doch nur Legalität und nicht Moralität begründen; - sondern die sie bei ihrer eignen Ableitung leite: aber dazu bedarf es keiner Offenbarung, sondern das kann und soll jeder weisere Mensch dem unweiseren leisten. lichte Darstellung unmittelbarer, oder durch Anwendung dieser auf gewisse Erfahrungen entstandener Vernunftpostulate sein könne; daß es mithin, wenn es erweislich das ist, durch dieses Kriterium nicht ausgeschlossen werde. Der Erweis davon gehört aber nicht hierher, sondern in die angewandte Kritik einer besondern Offenbarung. *) So ist es freilich eine richtige Regel: Fasse nie einen Entschluß in der Hitze des Affekts; aber diese Regel, als empirisch bedingt, kann sogar nicht auf Menschen allgemeine Anwendung haben, denn es ist wohl möglich, und soll möglich sein, sich von allen aufbrausenden Affekten gänzlich frei zu machen.

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Es ist also weder moralisch noch theoretisch möglich, daß eine Offenbarung uns Belehrungen gebe, auf die unsre Vernunft nicht ohne sie hätte kommen können und sollen; und keine Offenbarung kann für dergleichen Belehrungen GI a u b e n fordern; denn einer Offenbarung um dieser einzigen Ursache willen den göttlichen Ursprung gänzlich ableugnen, würde nicht statthaben, da dergleichen vermeintliche Belehrungen, ob sie gleich vom Gesetze der praktischen Vernunft sich nicht ableiten lassen, ihm dennoch auch nicht notwendig widersprechen müssen. Was kann sie aber denn enthalten, wenn sie nichts uns Unbekanntes enthalten soll? Ohne Zweifel eben das, worauf uns die praktische Vernunft a priori leitet: ein Moralgesetz, und die Postulate desselben. In Absicht der durch eine Offenbarung möglichen Moral ist schon oben die Unterscheidung gemacht worden, daß dieselbe Offenbarung uns entweder geradezu auf das Gesetz der Vernunft in uns, als Gesetz Gottes, verweisen; oder, daß sie sowohl das Prinzip derselben an sich, als in Anwendung auf mögliche fälle, unter göttlicher Autorität aufstellen könne. Geschieht das erstere, so enthält eine solche Offenbarung keine Moral, sondern unsre eigne Vernunft enthält die Moral derselben. Es ist also nur der zweite fall, der hier in Untersuchung kommt. Die Offenbarung stellt teils das Prinzip aller Moral in Worte gebracht, teils besondre durch Anwendung desselben auf empirisch bedingte fälle entstandene Maximen als Gesetze Gottes auf. Daß das Prinzip der Moral richtig angegeben, d. i. dem des Moralgesetzes in uns völlig gemäß sein müsse, und daß eine Religion, deren Moralprinzip diesem widerspricht, nicht von Gott sein könne, ist unmittelbar klar; so wie die Befugnis, dieses Prinzip als Gesetz Gottes anzukündigen, schon zur form einer Offenbarung gehört, und zugleich mit ihr deduziert ist. In Absicht der besondern moralischen Vorschriften aber entsteht die frage: soll eine Offenbarung jede dieser besondern Regeln von dem als göttliches Gesetz angekündigten Moralprinzip ableiten, oder darf sie dieselben schlechthin, ohne weitem Beweis, auf die göttliche Au-

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torität gründen? - Wenn die göttliche Autorität, uns zu befehlen, nur bloß auf seine Heiligkeit gegründet ist, welches schon die form jeder Religion, die göttlich sein soll, erfordert, so ist Achtung für seinen Befehl, w e i I es sein Befehl ist, auch in besondern Fällen, nichts anderes als Achtung für das Moralgesetz selbst. Eine Offenbarung darf dergleichen Gebote folglich schlechthin als Befehle Gottes, ohne weitere Deduktion vom Prinzip aufstellen. Eine andere frage aber ist's, ob nicht jede dieser besondern Vorschriften einer geoffenbarten Moral sich wenigstens hinterher vom Prinzip richtig deduzieren lassen, und ob nicht jede Offenbarung am Ende uns doch an dieses Prinzip verweisen müsse. Da wir uns von der Möglichkeit des göttlichen Ursprungs einer Offenbarung sowohl überhaupt, als jedes besondem Teils ihres Inhalts, nur durch die völlige Obereinstimmung desselben mit der praktischen Vernunft überzeugen können; diese Oberzeugung aber bei einer besondern moralischen Maxime nur durch ihre Ableitung vom Prinzip aller Moral möglich ist, so folgt daraus unmittelbar, daß jede in einer göttlichen Offenbarung als m o r a I i s c h aufgestellte Maxime sich von diesem Prinzip müsse ableiten lassen. Nun wird zwar eine Maxime dadurch, daß sie sich nicht davon ab I e i t e n läßt, noch nicht falsch, sondern es folgt daraus nur soviel, daß sie nicht in das Feld der Moral gehöre; sie kann aber etwa in das Gebiet der Theorie gehören, politisch, technisch- praktisch, oder dergl. sein. So ist z. B. jener Ausspruch: Sollen wir Böses tun, daß Gutes daraus komme? das sei ferne - allgemeines moralisches Gebot, weil es sich vom Prinzip aller Moral deduzieren läßt, und das Gegenteil ihm widersprechen würde: hingegen jene Maximen: So jemand mit dir rechten will um deinen Rock, dem laß auch den Mantel, usw., sind keine Moralvorschriften, sondern nur in besondern fällen gültige Regeln der Politik, die als solche nicht länger gelten, als so lange sie mit keiner Moralvorschrift in Kollision kommen, weil diesen alles untergeordnet werden muß. Wenn eine Offenbarung nun Regeln der Ietztern Art enthält, so folgt daraus noch gar nicht, daß darum die ganze Offenbarung nicht göttlich sei, und ebensowenig, daß jene Regeln

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falsch seien - das hängt von anderweitigen Beweisen aus den Prinzipien, unter denen sie stehen, ab -, sondern nur, daß diese Regeln nicht zum Inhalte einer geoffenbarten Religion, als solcher, gehören, sondern ihren Wert anderwärtsher ableiten müssen. Eine Offenbarung aber, die Maximen enthält, welche dem Prinzip aller Moral widersprechen, die z. B. frommen, oder nicht frommen Betrug, Unduldsamkeit gegen Andersdenkende, Verfolgungsgeist, die überhaupt andere Mittel zur Ausbreitung der Wahrheit, als Belehrung, autorisiert, ist sicher nicht von Gott, denn der Wille Gottes ist dem Moralgesetze gemäß, und was diesem widerspricht, kann er weder wollen, noch kann er zulassen, daß jemand es als seinen Willen ankündige, der außerdem auf seinen Befehl handelt. Da zweitens alle besondren Fälle, in denen Moralgesetze eintreten, durch einen endlichen Verstand unmöglich a priori vorherzusehn, noch durch einen unendliclien, der sie vorhersieht, endlichen Wesen mitzuteilen sind, folglich keine Offenbarung alle möglichen besondren Regeln der Moral enthalten kann, so muß sie uns doch noch zuletzt entweder an das Moralgesetz in uns, oder an ein von ihr als göttlich aufgestelltes allgemeines Prinzip desselben, welches mit jenem gleichlautend sei, verweisen. Dies gehört schon zur Form, und eine Offenbarung, die dies nicht tut, kommt mit ihrem eignen Begriffe nicht überein, und ist keine Offenbarung. Ob sie das erstere, oder das letztere, oder beides tun wolle, darüber ist a priori kein Gesetz der Vernunft .vorhanden. Das allgemeine Kriterium der Göttlichkeit einer Religion in Absicht ihres moralischen Inhalts, ist also folgendes: Nur diejenige Offenbarung, welche ein Prinzip der Moral, welches mit dem Prinzip der praktischen Vernunft übereinkommt, und lauter solche moralische Maximen aufstellt, welche sieb davon ableiten lassen, kann von Gott sein. Der zweite Teil des möglichen Inhalts einer Religion sind jene Sätze, die als Postulate der Vernunft gewiß sind, die die Möglichkeit des Endzwecks des Moralgesetzes voraussetzen, die also durch unsere Willensbestimmung zugleich mit gegeben, und

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durch welche hinwiederum gegenseitig unsere Willensbestimmung erleichtert wird. Diesen Teil des Inhalts einer Religion nennt man Dogmatik, und kann ihn ferner so nennen, wenn man dabei nur auf die Materie desselben, und nicht auf die Beweisart sieht, und sich nicht durch diese Benennung berechtigt glaubt zu dogmatisieren, d. i. diese Sätze als objektiv gültig darzustellen. Daß eine Offenbarung uns über dieselben nichts weiter lehren könne, als was aus den Prinzipien der reinen Vernunft folgt, ist schon oben erwiesen. Hier ist also bloß noch die Frage zu erörtern: worauf kann eine Offenbarung unsern Glauben an diese Wahrheiten gründen? Es sind folgende zwei Fälle möglich: Entweder die Offenbarung leitet sie von dem Moralgesetze in uns, das sie als Gesetz Gottes aufstellt, ab, und gibt sie uns dadurch nur mittelbar als Zusicherungen Gottes; oder sie stellt sie unmittelbar als Entschließungen der Gottheit, entweder schlechthin als solche, oder als Entschließungen seines durch das Moralgesetz bestimmten Wesens auf, ohne sie noch besonders von diesem Gesetze abzuleiten. Die erste Art der Begründung unsers Glaubens ist dem Verfahren der Vernunftund Naturreligion ganz gemäß, und die Rechtmäßigkeit desselben ist mithin außer Zweifel. Bei der zweiten entstehen folgende zwei Fragen: Tut es unsrer 'Freiheit, und also unsrer Moralität nicht Abbruch, wenn wir die bloß postulierten Verheißungen des Moralgesetzes als Verheißungen eines unendlichen erhabenen Wesens ansehen; und - müssen alle diese Zusicherungen sich nicht wenigstens hinterh'er vom Endzwecke des Moralgesetzes ableiten lassen? Was die erste anbelangt, so ist sogleich klar, daß, wenn eine Offenbarung uns Gott nur als den Alleinheiligen, als den genausten Abdruck des Moralgesetzes dargestellt hat, wie jede Offenbarung das soll, aller Glaube an Gott Glaube an das in concreto dargestellte Moralgesetz ist. In Absicht des zweiten aber sind, wenn eine gewisse Lehre nicht vom Endzwecke des Moralgesetzes abzuleiten ist, wieder zwei Fälle möglich, entweder, sie läßt sich bIo ß nicht ableiten, oder sie widerspricht demselben. Widersprechen gewisse dogmatische Behauptungen dem Endzwecke des Moralgesetzes, so widersprechen sie dem Begriffe

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von Gott, und dem Begriffe aller Religion; und ein e 0 f f e n • barung, die dergleichen enthält, kann nicht von Gott sein. Gott kann zu dergleichen Behauptungen nicht nur nicht berechtigen, sondern er kann sie, bei einem Zwecke, der der seinige ist, auch nicht einmal zulassen, weil sie seinem Zwecke widersprechen. Lassen sich aber einige nur nicht davon ableiten, ohne ihnen gerade zu widersprechen, so ist daraus noch nicht zu schließen, daß die ganze Offenbarung nicht von Gott sein könne; denn Gott bedient sich des Dienstes von Menschen, welche irren, welche sich selbst ein Hirngespinst erdichten können, um es, vielleicht in wohlmeinender Absicht, neben göttliche Belehrungen zu stellen, und nach ihrer Meinung noch mehr Gutes zu stiften; und es ist ihm nicht anständig ihre Freiheit einzuschränken, wenn sie nur nicht einen seinem Zwecke geradezu entgegenstehenden Gebrauch davon machen wollen: aber das folgt sicher, daß alles von dieser Art nicht Bestandteil einer göttlichen Offenbarung, sondern menschlicher Zusatz ist, von welchem wir keine weitere No~iz zu nehmen haben, als insofern sein Wert aus andern Gründen erhellet. Dergleichen Sätze können, da sie einer moralischen Absicht ganz unfähig sind, meist nur theoretische Aufschlüsse versprechen: und wenn sie von übernatürlichen Dingen reden, werden sie meistens sich gar nicht denken Jassen, weil sie nicht unter den Bedingungen der Kategorien stehen können. Stünden sie, als objektive Behauptungen, darunter, so würden sie sich nicht bloß nicht ableiten Jassen, sondern sie würden dem Moralgesetze sogar widersprechen, wie im folgenden Paragraphen dargetan werden wird. Eine Offenbarung kann endlich gewisse, mit größerer oder geringerer Feierlichkeit verbundne, in Gesellschaft oder für sich allein zu gebrauchende Aufmunterungs-und Beförderungsmittel zur Tugend vorschlagen. Da alle Religion Gott nur als moralischen Gesetzgeber darstellt, so ist alles, was nicht Gebot des Moralgesetzes in uns ist, auch nicht das seinige, und es ist kein Mittel ihm zu gefallen, als durch Beobachtung desselben; diese Beförderungsmittel der Tugend müssen sich also nicht in die Tugend selbst, diese An e rn p f eh I u n g e n derselben müssen sich

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nicht in Gebote, die uns eine Pflicht auflegen, verwandeln, es muß nicht zweideutig gelassen werden, ob man etwa auch durch den Gebrauch dieser Mittel, oder vielleicht nur durch ihn, sich den Beifall der Gottheit erwerben könne; sondern ihr Verhältnis zu dem wirklichen Moralgesetze muß genau bestimmt werden. - Wenn ein weises Wesen den Zweck will, will es auch die Mittel, könnte man sagen; aber es will sie nur, inwiefern sie wirklich Mittel sind und werden, und, - da dieses in der Sinnenwelt anzuwendende Mittel sind, und wir mithin hier in den Bezirk des Naturbegriffs kommen, - es kann sie nur wollen, inwiefern sie in unsrer Macht stehen. Es ist z. B. sehr wahr, und jeder Beter erfährt's, daß das Gebet, es sei nun anbetende Betrachtung Gottes, oder Bitte oder Dank, unsre Sinnlichkeit kräftig verstummen macht, und unser Herz mächtig zum Gefühl, und zur Liebe unsrer Pflichten emporhebt. Aber, wie können wir den kalten, keines Enthusiasmus fähigen Mann, und es ist sehr möglich, daß es deren gebe, verbinden, seine Betrachtung bis zur Anbetung emporzuzwingen, und zu begeistern ; wie können wir ihn nötigen, Ideen der Vernunft durch ihre Darstellung vermitteist der Einbildungskraft zu beleben, wenn subjektive Gründe ihn dieser Fähigkeit beraubten, da dieselbe eine empirische Bestimmung ist; wie können wir ihn nötigen, irgendein Bedürfnis so stark zu fühlen, so innig zu begehren, daß er sich vergesse, dasselbe einem übernatürlichen Wesen mitzuteilen, von dem er kalt denkend erkennt, daß er's ohne ihn weiß, und daß er's ohne ihn ihm geben wird, wenn er's verdient und haben muß, und sein Bedürfnis keine Einbildung ist? - Dergleichen Beförderungsmittel sind also nur darzustellen als das, was sie sind, und nicht den durch das Moralgesetz unbedingt gebotnen Handlungen gleichzusetzen; sie sind nicht schlechthin zu gebieten, sondern dem, den sein Bedürfnis zu ihnen treibt, bloß anzuempfehlen; sie sind weniger Befehl, als Erlaubnis. Jede 0 f f e nbarung, die sie den Moralgesetzen gleichsetzt, ist sicher nicht von Gott; denn es widerspricht dem Moralgesetze, irgend etwas in gleichen Rang mit seinen Anforderungen zu setzen. Welche Wirkungen aber auf unsere moralische Natur darf eine Offenbarung von dergleichen Mitteln versprechen, bloß

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natürliche, oder übernatürliche, d. i. die nach den Gesetzen der Natur mit ihnen, als Wirkungen mit ihren Ursachen, nicht notwendig verbunden sind, sondern, bei Gelegenheit des Gebrauchs dieser Mittel, durch eine übernatürliche Ursache außer uns gewirkt werden? Laßt uns einen Augenblick das letzte annehmen, daß nämlich unser Wille durch eine übernatürliche Ursache außer uns dem Moralgesetze gemäß bestimmt werde. Nun aber ist keine Bestimmung, die nicht durch und mit Freiheit geschieht, dem Moralgesetze gemäß, folglich widerspricht diese Annahme sich selbst, und jede durch eine solche Bestimmung erfolgte Handlung wäre nicht moralisch, könnte folglich weder das geringste Verdienst haben, noch auf irgendeine Art eine Quelle von Achtung und Glückseligkeit für uns werden; wir wären in diesem Falle Maschinen, und nicht moralische Wesen, und eine dadurch hervorgebrachte Handlung wäre in der Reihe unsrer moralischen schlechterdings Null.- Wenn man aber dies auch zugeben müßte, wie man es denn muß, so könnte man noch weiter sagen: eine solche Bestimmung sollte, bei Gelegenheit des Gebrauchs jener Mittel in uns hervorgebracht werden, nicht um unsre Moralität zu erhöhen, welches freilich nicht möglich wäre, sondern um durch die in uns übernatürlich hervorgebrachte Wirkung eine Reihe in der Sinnenwelt hervorzubringen, die für die Bestimmung anderer moralischen Wesen, nach Gesetzen der Natur, Mittel würde, und wobei wir freilich bloße Maschinen wären: daß aber Gott sich vielmehr unsrer, als andrer, dazu bediene, hange von der Bedingung des Gebrauchs jenes Mittels ab. - jetzt ununtersucht, was denn das für einen Wert für uns haben könne, ob eben wir als Maschinen, oder ob andere Maschinen zur Beförderung des Guten gebraucht würden; kann auch in dieser Absicht keine Offenbarung allgemeingültige Verheißungen von dieser Art geben, denn wenn jeder die Bedingung derselben erfüllte, jeder dadurch eine fremde, übernatürliche Kausalität in sich veranlaßte, so würden dadurch nicht nur alle Gesetze der Natur außer uns, sondern auch alle Moralität in uns aufgehoben. Wir dürfen aber nicht schlechthin leugnen, daß nicht in besondern Fällen dergleichen Wirkungen in dem Plane der Gotth"eit könnten gewesen sein, ohne das Prinzip der Offenbarung überhaupt zu leugnen;

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wir dürfen ebensowenig leugnen, daß nicht einige dieser Wirkungen an Bedingungen von seiten der Werkzeuge könnten gebunden gewesen sein, weil wir das nicht wissen können ; aber wenn in einer Offenbarung Erzählungen davon, Vorschriften und Verheißungen hierüber vorkommen, so gehören diese zur äußern Form der Offenbarung, und nicht zum allgemeinen Inhalte derselben. Bestimmung durch übernatürliche Ursachen außer uns hebt die Moralität auf; jede Religion also, die unter irgendeiner Bedingung dergleichen Bestimmungen verspricht, widerspricht dem Moralgesetze, und ist folglich sicher nicht von Gott. Es bleibt also der Offenbarung von dergleichen Mitteln nichts übrig zu versprechen, als natürliche Wirkungen. Sowie wir von Beförderungsmitteln der Tugend reden, sind wir im Gebiete des Naturbegriffs. Das Mittel ist in der sinnlichen Natur- (auch das Gebet, wenngleich sein Ursprung übersinnlich ist); das was dadurch bestimmt werden soll, ist die sinnliche Natur in uns; unsre unedlen Neigungen sollen geschwächt und unterdrückt, unsre edlern sollen gestärkt und erhöht werden; die moralische Bestimmung des Willens soll dadurch nicht geschehen, sondern nur erleichtert werden. Alles also muß notwendig wie Ursache und Wirkung zusammenhängen, und dieser Zusammenhang muß sich klar einsehen lassen. Es wird aber hierdurch nicht behauptet, daß die Offenbarung in Anspruch genommen werden könne, diesen Zusammenhang zu zeigen. Der Zweck der Offenbarung ist praktisch, eine solche Deduktion aber theoretisch, und kann demnach dem eignen Nachdenken eines jeden überlassen werden. jene kann sich begnügen, diese Mittel bloß als von Gott anempfohlen aufzustellen. Nur muß sich dieser Zusammenhang hinterher zeigen lassen; denn Gott, der unsre sinnliche Natur kennt, kann ihr keine Mittel der Besserung anpreisen, die den Gesetzen derselben nicht gemäß sind. Jede Offenbarung also, welche Mittel zur Beförderung der Tugend vorschlägt, von denen man nicht zeigen kann, wie sie natürlich dazu beitragen können, ist, wenigstens inwiefern sie dies tut, nicht von Gott. Wir dürfen hier die Einschränkung hinzusetzen: denn wenn solche Mittel nur nicht zu Pflichten gemacht werden, wenn nur nicht über-

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natürliche Wirkungen von ihnen versprochen werden, so ist ihre Anempfehlung nicht der Moral widersprechend, sie ist bloß leer und unnütz.*) § 10. Kriterien der Göttlichkeit einer Offenbarung in Absicht der möglichen Darstellung dieses Inhalts. Da die Offenbanmg überhaupt schon ihrer Form nach für das Bedürfnis cler Sinnlichkeit da ist, so ist es sehr wahrscheinlich, daß sie sich auch in ihrer Darstellung zu derselben herablassen werde, wenn gezeigt werden sollte, daß die Sinnlichkeit hierüber besondre Bedürfnisse habe. Doch ist diese Darstellung so wenig das Wesentliche und Charakteristische einer Offenbarung, daß wir sogar, wie oben gezeigt worden ist, apriorinicht einmal fordern können, daß sie einen Inhalt habe, oder überhaupt irgend etwas mehr tue, als daß sie Gott für den Urheber des Moralgesetzes ankündige. Die Sinnlichkeit überhaupt ist, wegen des Widerstrebens der Neigung, nur zu bereit, die Erfüllung des Moralgesetzes für unmöglich zu halten, und das Gebot nicht als für sich gegeben anzuerkennen. Nun gibt zwar die Offenbarung dies Gesetz ausdrücklich an die Sinnlichkeit; aber doch redet in dem sinnlichen Menschen noch immer die Stimme der Pflicht, durch das Scnreien der Begierde geschwächt, und durch die falschen Begriffe, die jene in Menge liefert, gedämpft, nur leise, wenn sie über seine eigenen Handlungen sprechen soll, wenn sie im eigentlich'en Verstande g e b i e t e n d ist. Aber auch der rohsinnlichste Mensch hört sie, wenn von Beurteilung einer Handlung die Rede ist, bei welcher seine Neigung von keiner Seite mit ins Spiel gezogen *) Es folgt aber gar nicht, daß, weil ein gewisses Mittel für ein Subjekt, oder auch für die meisten von keinem Nutzen sei, es darum für niemanden einigen Nutzen haben könne; und man ist in den neuem Zeiten in Verwerfung vieler asketischen Übungen, aus Haß gegen den in den ältern damit getriebnen Mißbrauch, zu weit gegangen, wie mir's scheint. Daß es überhaupt gut und nützlich sei, seine Sinnlichkeit auch zuweilen da, wo kein ausdrückliches Gesetz redet, zu unterdrücken, bloß um sie zu schwächen und immer freier zu werden, weiß jeder, der an sich gearbeitet hat.

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wird. Und lernt er sie nur dadurch in sich unterscheiden, wird sie nur dadurch aus ihrer Untätigkeit gezogen, und er mit ihr bekannter und vertrauter, so wird er endlich doch anfangen, auch an sich zu hassen, was er an andern verabscheut, und sich selbst so zu wünschen, wie er andere fordert. Der Widersinn, alles um sich her gerecht haben, und nur allein ungerecht sein zu wollen, ist zu auffallend, als daß irgendein Mensch sich ihn gern gestehen wolle. Bringe man ihn dahin, daß, im Falle er ungerecht ist, er sich ihn gestehen müsse! Wie kann dieser Zweck erreicht werden? Durch Aufstellung moralischer Beispiele. Die Offenbarung kann also ihre Moral in Erzählungen einkleiden, und sie entspricht dem Bedürfnis des Menschen nur um so besser, wenn sie es tut. Sie kann ungerechte Handlungen zur Verachtung, gerechte, besonders mit großen Aufopferungen und Anstrengungen durchgesetzte, zur Bewunderung und Nachahmung aufstellen. über die Befugnis einer Offenbarung, ihre Sittenlehre so .vorzutragen, kann keine Frage entstehen: und daß die von ihr als mustermäßig aufgestellten Handlungen rein moralisch sein müssen, daß sie nicht etwa zweideutige, oder wohl gar offenbar schlechte Handlungen als gute rühmen, und Leute, die dergleichen verrichtet haben, als große Tugendhelden und Muster anpreisen dürfe, folgt aus dem Zwecke der Offenbarung. jede Offenbarung, die dieses tut, widerspricht dem Moralgesetze und dem Begriffe von Gott, und kann folg Ii eh nicht göttl i ehe n Ursprungs sein. Eine Offenbarung hat die Vernunftideen, Freiheit, Gott, Unsterblichkeit darzustellen. Daß der Mensch frei sei, lehrt jeden unmittelbar sein Selbstbewußtsein; und er zweifelt um so weniger daran, je weniger er durch Vernünfteln sein natürliches Gefühl verfälscht hat. Die Möglichkeit aller Religion, und aller Offenbarung, setzt die Freiheit voraus. Die Darstellung dieser Idee für die sinnlich bedingte Vernunft ist also kein Geschäft für eine Offenbarung: und mit Auflösung der dialektischen Scheingründe dagegen hat keine Offenbarung es zu tun, als welche nicht vcrnünftelt, sondern gebietet, und sich nicht an vernünftelnde, sondern sinnliche Subjekte richtet. Aber dagegen ist die Idee von Gott es desto mehr. Unter die Bedingungen der reinen Sinnlich-

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keit, Zeit und Raum, Gott sich zu denken, wenn er sich ihn denken will, ist jeder gedrungen, der Mensch ist. Wir mögen noch so sehr überzeugt sein, noch so scharf erweisen 'können, daß sie auf ihn nicht passen, so überrascht uns doch dieser Fehler, indem wir ihn noch rügen. Wir wollen jetzt uns Gott als uns gegenwärtig denken, und wir können's nicht verhindern, ihn an den Ort hinzudenken, wo wir sind: wir wollen jetzt Gott als den Vorherseher unsrer künftigen Schicksale, unsrer freien Entschließungen denken, und wir denken ihn als in der Zeit, in der er jetzt ist, blickend in eine Zeit, in der er noch nicht ist. Solchen Vorstellungen muß die Darstellung einer Religion sich anpassen, denn sie redet mit Menschen, und kann keine andre, als der Menschen Sprache reden. Aber die empirisch bestimmte Sinnlichkeit bedarf noch mehr. Der innere Sinn, das empirische Selbstbewußtsein steht unter der Bedingung, ein Mannigfaltiges nach und nach, und allmählich aufzunelünen, und zueinander hinzuzusetzen; nichts aufnehmen zu können, was sich nicht von dem vorherigen unterscheidet, also nur Veränderungen bemerken zu können. Seine Welt ist eine unaufhörliche Kette von Modifikationen. Unter diese Bedingung will er sich auch das Selbstbewußtsein Gottes denken. Er bedarf jetzt eines Zeugen der Reinigkeit seiner Gesinnungen bei einer gewissen Entschließung. Gott hat bemerkt, so denkt er sich's, was in meiner Seele vorging. Er ist jetzt beschämt über eine unmoralische Handlung: sein Gewissen erinnert ihn an die Heiligkeit des Gesetzgebers. Er hat sie, er hat das ganze Verderben, das sich darin zeigt, entdeckt, denkt er. Aber er bemerkt auch die Reue, die ich jetzt darüber empfinde, fährt er fort. Er entschließt sich jetzt recht stark, hinfür aufmerksam an seiner Heiligung zu arbeiten. Er fühlt, daß ihm die Kräfte dazu fehlen. Er ringt mit sich, und zu schwach im Kampfe, sieht er sich nach fremder Hilfe um, und betet zu Gott. - Gott wird auf mein flehentliches, anhaltendes Bitten sich e n t s c h I i e ß e n mir beizustehen, denkt er; und denkt sich in allen diesen Fällen Gott als durch ihn modifizierbar. Er denkt sich in Gott Affekte und Leidenschaften, damit er Teil nehmen könne an den seinigen; Mitleid, Bedauern, Erbarmen, Liebe, Vergnügen u. dgl. Die höchste oder

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tiefste Stufe der Sinnlichkeit, die alles unter die empirischen Bedingungen des äußern Sinns setzt, verlangt noch mehr. Sie will einen körperlichen Gott, der ihre Handlungen im eigentlichen Verstande sieht, ihre Worte hört, mit dem sie reden könne, wie ein Freund mit seinem Freunde. Ob eine Offenbarung sich zu diesen Bedürfnissen herablassen könne, ist keine Frage: ob sie aber dürfe, und inwieweit sie dürfe, muß eine Kritik der Offenbarung beantworten. Der Zweck aller dieser Belehrungen ist kein andrer, als Beförderung reiner Moralität, und der der versinnlichenden Darstellung derselben insbesondre Beförderung reiner Moralität in dem sinnlichen Menschen. Insofern nur diese Versinnlichung mit diesem Zwecke übereinkommt, kann die Offenbarung göttlich sein: wenn sie· ihm aber widerspricht, ist sie gewiß nicht göttlich. Die Versi·nnlichung des Begriffs von Gott kann den moralischen Eigenschaften Gottes, und mithin aller Moralität auf zweierlei Art widersprechen: nämlich teils u n m i tt e I bar, wenn Gott mit Leidenschaften dargestellt wird, die geradezu gegen das Moralgesetz sind, wenn ihm z. B. Zorn und Rache aus Eigenwillen, Vorliebe oder VorhaB, welche sich auf etwas anderes als auf die Moralität der Objekte dieser Leidenschaften gründen, zugeschrieben wird. Ein solcher Gott würde kein Muster unsrer Nachahmung, und kein Wesen sein, für welches wir Achtung haben könnten, sondern ein Gegenstand einer ängstlichen, zur Verzweiflung bringenden Furcht. Jedoch widerspricht dieses schon der Form aller Offenbarung, welche einen allheiligen Gott als Gesetzgeber verlangt. Es würde aber dem moralischen Begriffe von Gott gar nicht widersprechen, wenn ihm z. B. lebhafter Unwille über das unmoralische Verhalten endlicher Wesen zugeschrieben würde; denn das ist bloß sinnliche Darstellung einer notwendigen Wirkung der Heiligkeit Gottes, die wir, wie sie an sich in Gott ist, gar nicht erkennen können; und wenn in einer Sprache, die zu den feinern Modifikationen der Affekte keine bestimmten Worte hätte, dieser Unwille auch Zorn genannt würde, so widerspricht auch dies, im Geiste der Menschen, die diese Sprache redeten, verstanden, dem Begriffe von Gott

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nicht. Mitte I bar würde jede sinnliche Darstellung von Gott der Moralität widersprechen, wenn sie als ob j e k t i v g ü I t i g, und nicht als bloße Herablassung zu unsenn subje·ktiven Bedürfnis vorgestellt würde. Denn alles, was vom Objekte an sich gilt, daraus kann ich Schlüsse ziehen, und das Objekt dadurch weiter bestimmen. Leiten wir aber aus irgendeiner sinnlichen Bedingung Gottes, als objektiv gültig, Schlüsse ab, so verwickeln wir uns mit jedem Schritte tiefer in Widersprüche gegen seine moralischen Eigenschaften. Sieht z. B. und hört Gott wirklich, so muß er auch durch diese Sinne des Vergnügens teilhaftig sein; so ist es sehr möglich, daß wir ihm ein sinnliches Vergnügen machen können, daß der Geruch der Brandopfer und Speisopfer ihm wirklich gefallen kann,*) und wir haben folglich Mittel, ihm durch etwas anderes, als durch Moralität gefällig zu werden. Können wir Gott wirklich durch unsre Empfindungen bestimmen, ihn zum Mitleiden, zum Erbarmen, zur Freude bewegen, so ist er nicht der Unveränderliche, der Alleingenugsame, der Alleinselige, so ist er noch durch etwas anderes, als durch das Moralgesetz bestimmbar; so können wir auch wohl hoffen, ihn durch Winseln und Zerknirschung zu bewegen, daß er anders mit uns verfahre, als der Grad unsrer Moralität es verdient hätte. Alle diese sinnlichen Darstellungen göttlicher Eigenschaften müssen also nicht als objektiv gültig angekündigt werden; es muß nicht zweideutig gelassen werden, ob Gott an sich so beschaffen sei, oder ob er uns nur zum Behuf unsers sinnlichen Bedürfnisses erlauben wolle, ihn so zu denken. Außer dieser Bedingung aber können wir keiner Offenbarung a priori Gesetze vorschreiben, wie weit sie mit der Versinnlichung des Begriffs von Gott gehen dürfe: sondern dies hängt gänzlich von dem empirisch gegebnen *) Daß die Juden älterer Zeiten wirklich so schlossen, bezeugen die Vorstellungen der Propheten gegen diesen Irrtum; daß sie in neuern Zeiten nicht klüger sind, beweisen die lächerlich kindischen Vorstellungen von Gott, die ihr Talmud enthält; ob durch Schuld ihrer Religion, oder ihre eigne, bleibt hier ununtersucht. Woher aber kommt bei manchen Christen mittlerer, und neuerer Zeiten sogar, der Wahn, daß gewisse Anrufungen, z. B. Kyrie Eleison, Vater unsers Herrn jesu Christi, und dgl. ihm besser gefallen, als andere?

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Bedürfnisse des Zeitalters ab, für welches sie zunächst bestimmt ist. Wenn z. B. irgendeine Offenbarung, um von einer Seite allen Bedürfnissen der rohsten Sinnlichkeit Genüge zu tun, und von der andem Seite dem Begriffe von Gott seine völlige Reinheit zu sichern, uns irgendein ganz sinnlich bedingtes Wesen, als einen Abdruck der moralischen Eigenschaften Gottes, insofern sie Beziehung auf Menschen haben, eine verkörperte praktische Vernunft (.l.oyov) gleichsam als einen Gott der Menschen, darstellte: so wäre dies noch gar kein Grund, so einer Offenbarung überhaupt, oder auch nur dieser Darstellung derselben den göttlichen Ursprung abzusprechen; wenn nur dieses Wesen so vorgestellt wäre, daß es jener Absicht entsprechen könnte, und wenn nur diese Stellvertretung nicht als objektiv gültig behauptet, sondern bloß als Herablassung zur Sinnlichkeit, die derselben bedürfen könnte,*) vorgestellt, und, was daraus notwendig folgt, jedem völlig freigestellt würde, sich dieser Vorstellung zu bedienen, oder nicht, je nachdem er es für sich moralisch nützlich fände. Nur eine solche Offenbarung also kann göttlichen Ursprungs sein, die einen anthropomorphisierten Gott nicht als objektiv, sondern bloß für subjektiv gültig gibt. Der Begriff der Unsterblichkeit der Seele gründet sich auf eine Abstraktion, die die Sinnlichkeit, besonders der tiefste Grad der Sinnlichkeit, nicht macht. Seiner Persönlichkeit ist jeder unmittelbar durch das Selbstbewußtsein sicher; 'das: Ich bin, bin selbständiges Wesen, läßt er sich durch keine Vernünfteleien rauben. Aber welche von diesen Bestimmungen dieses seines Ich reine, oder empirische, welche für und durch den innem oder äußern Sinn, oder welche durch die reine Vernunft gegeben, welche wesentlich, und welche nur zufällig seien und nur von seiner gegenwärtigen Lage abhängen, sondert er nicht ab, und ist nicht fähig es zu tun. Er wird vielleicht nie auf den Begriff einer Seele, als eines reinen Geistes kommen; und gibt man ihm auch denselben, so wird man ihm oft nichts als ein Wort geben, das

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•) Wer

mich siebet, siebet den Vater, sagte Jesus nicht eher, bis Philippus von ihm verlangte, ihm den Vater zu zeigen.

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für ihn ohne Bedeutung ist. Er kann also Fortdauer seines Ich sich nicht anders denken, als unter der Gestalt der Fortdauer desselben mit allen seinen gegenwärtigen Bestimmungen. Wenn eine Offenbarung sich zu dieser Schwachheit h'erablassen will und sie wird es fast müssen, um verständlich zu werden -, so wird sie ih'm jene Idee in die Gestalt kleiden, in der er allein fähig ist, sie zu denken, die der Fortdauer alles dessen, was er gegenwärtig zu seinem Ich rechnet, und, da er den einstigen Untergang eines Teils desselben offenbar vorhersieht, der Wiederauferstehung *); und die Hervorbringung der völligen Kongruenz zwischen Moralität und GJ.ückseligkeit in das Bild eines allgemeinen Verhörs und Gerichtstages, und einer Austeilung von Strafen und Belohnungen. Aber sie darf diese Bilder nicht als objektive Wahrheiten aufstellen. Es ist zwar nicht zu zeigen, daß, wenn man auch diese sinnlichen Darstellungen als objektiv gültig annähme, geradezu Widersprüche gegen die Moral daraus folgen würden, wie sie aus einer objektiven Anthropomorphase Gottes folgten. Die Ursache davon ist folgende. Gott ist ganz übersinnlich: der Begriff von ihm entspringt rein und lediglich aus der reinen Vernunft a priori; man kann ihn also nicht verfälschen, ohne zugleich die Prinzipien dieser zu verDaß z. B. Jesus sich Unsterblichkeit gedacht habe, wenn er von Auferstehung redete, und daß beide Begriffe damals für völlig gleich gegolten, erhellt, außer seinen Reden beim Johannes über diesen Gegenstand, wo er die ununterbrochne Fortdauer seiner Anhänger in einigen Aussprüchen ganz rein ohne das Bild der Auferstehung, doch ohne sich auf den Unterschied zwischen Seele und Körper und auf die vom körperlichen Tode mögliche Einwendung einzulassen, vorträgt, unter andern ganz offenbar aus jenem Beweise xaT' .J.vf)eronov gegen die Sadduzäer. Der angezogne Ausspruch Gottes konnte, alles übrige als richtig zugestanden, nichts weiter als die fortdauernde Existenz Abrahams, Isaaks und Jakobs, zur Zeit Moses, aber keine eigentliche Auferstehung des Fleisches beweisen. Daß auch die Sadduzäer es so verstanden, und nicht bloß die körperliche Auferstehung, sondern Unsterblichkeit überhaupt, leugneten, folgt daraus, weil sie sich mit diesem Beweise Jesu befriedigten. Die Widersprüche, die aus einer zu groben Vorstellung dieser Lehre folgen, nötigten schon Paulus, sie etwas näher zu bestimmen.

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fälschen. Der Begriff der Unsterblichkeit aber ist nicht rein von ihr abgeleitet, sondern setzt eine mögliche Erfahrung, daß es nämlich endliche vernünftige Wesen gebe, voraus, deren Wirklichkeit unmittelbar durch die reine Vernunft nicht gegeben ist. Eine sinnliche Vorstellung der Unsterblichkeit könnte also ihre objektive Gültigkeit entweder aus der End I ich k e i t der moralischen Wesen, oder aus ihrer m o r a Ii s c h e n Natur herrnleiten, Anspruch machen. Geschähe das erstere, so würde dies den Prinzipien der Moral nicht widersprechen, weil ein solcher Beweis aus theoretischen Prinzipien müßte geführt werden, welche jenen nicht begegnen. Geschähe das letztere, so müßte der Beweis aus Eigenschaften geführt werden, welche allen moralischen Naturen gemein wären, folglich auch Gott: Gott selbst also würde dadurch an die Gesetze der Sinnlichkeit gebunden, woraus alle möglichen Widersprüche gegen die Moral folgen würden. Es widerspricht der Moral gar nicht, daß ich, Mensch mit einem irdenen Körper, nicht anders fortdauern könne, als mit einem solchen Körper, und zwar mit eben dem Körper, den ich hier habe; daß dieser Körper, etwa um einer in seiner ~atur liegenden Ursache willen, erst eine Zeitlang verwesen müsse, und dann erst wieder mit meiner Seele verbunden werden könne usw.; aber es würde ihr widersprechen, ru ·sagen, daß Gott an diese Bedingung gebunden sei, weil seine Natur dann durch etwas anderes bestimmt würde, als durch das Moralgesetz. Da dieser Punkt bei Behauptung einer objektiven Gültigkeit des Begriffs der Auferstehung sehr wohl unentschieden gelassen werden kann, so folgt auch aus dieser Behauptung an sich nichts gegen die Moral. Aber eine solche objektive Behauptung läßt sich durch nichts rechtfertigen und beweisen. Nicht durch göttliche Autorität: denn eine Offenbarung gründet sich nur auf die Autorität Gottes, als des Heiligen; aus seiner moralischen Natur aber läßt sich eine solche Bedingung unsrer Unsterblichkeit nicht ableiten, weil sie sonst auch unmittelbar aus der reinen Vernunft a priori sich müßte ableiten lassen. Mit theoretischen Beweisen hat eine Offenbarung es überhaupt nicht ru tun, und sobald sie sich auf diese einläßt, ist sie nicht mehr Religion, sondern Physik, -

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darf nicht mehr Glauben fordern, sondern muß Oberzeugung erzwingen; und diese gilt denn nicht weiter, als die Beweise gehen. Für Auferstehung aber ist kein theoretischer Beweis möglich, weil in diesem Begriffe von etwas Sinnlichem auf ein übersinnliches geschlossen werden soll. Nur eine solche Offenbarung also kann göttlich sein, welche eine versinnlichte Darstellung unsrer Unsterblichkeit, und des moralischen Gerichts Gottes über endliche Wesen, nicht als objektiv, sondern nur als subjektiv (nicht für Menschen überhaupt, sondern nur für diejenigen sinnlichen Menschen, die einer solchen Darstellung bedürfen) gültig gibt. Tut sie das erstere, so ist ihr zwar darum noch nicht die Möglichkeit eines göttlichen Ursprungs überhaupt abzusprechen, denn eine solche Behauptung widerspricht der Moral nicht, sie ist bloß nicht von ihren Prinzipien abzuleiten; aber sie ist, wenigstens in Rücksicht dieser Behauptung, nicht göttlich. Ob eine Offenbarung ihren versinnlichenden Vorstellungen reiner Vernunftideen objektive, oder bloß subjektive Gültigkeit beilege, ist, wenn sie es auch nicht ausdrücklich erinnert, welches jedoch zur Vermeidung alles möglichen Mißverständnisses zu wünschen ist, daraus zu ersehen, ob sie auf dieselben Schlüsse baut oder nicht. Tut sie das erstere, so ist offenbar, daß sie ihnen objektive Gültigkeit beilegt. Da endlich die empirische Sinnlichkeit sich, ihren besondern Modifikationen nach, bei verschiedenen Völkern, und in verschiedenen Zeitaltern verändert, und unter der Zucht einer guten Offenbarung sich immer mehr verringern soll; so ist es Kriterium, zwar nicht der Göttlichkeit einer Offenbarung, aber doch ihrer möglichen Bestimmung für viele Völker und Zeiten, wenn die Körper, in die sie den Geist kleidet, nicht zu fest, und zu haltbar, sondern von einem leichten Umrisse, und dem Geiste verschiedener Völker und Zeiten ohne Mühe anzupassen sind. Eben dies gilt von den Aufmunterungs- und Beförderungsmitteln zur Moralität, die eine Offenbarung empfiehlt. Unter der Leitung einer weisen Offenbarung, die in weisen Händen ist, sollten die erstem und Ietztern immer mehr von ihrer Beimischung grober Sinnlichkeit ablegen, weil sie immer entbehrlicher werden sollte.

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§ 11. Systematische Ordnung dieser Kriterien. Die jetzt aufgestellten Kriterien sind Bedingungen der Möglichkeit, unsern Begriff a priori von einer Offenbarung auf eine in der Sinnenwelt gegebne Erscheinung anzuwenden, und zu urteilen, sie sei eine Offenbarung; nämlich nicht Bedingungen der Anwendung des Begriffs überhaupt, denn davon werden wir erst im folgenden Paragraphen reden, sondern seiner Anwendung auf die bestimmte gegebne Erfahrung. Um sicher zu sein, daß wir diese Bedingungen alle erschöpft haben, und daß es außer den angeführten keine mehr gebe (denn wenn wir etwa im Gegenteile welche aufgestellt hätten, die keine sind, so müßte sich das sogleich daraus ergeben haben, daß wir sie aus dem Offenbarungsbegriffe nicht hätten ableiten köru1en), müssen wir uns nach einem Leitfaden zur Entdeckung aller Bestimmungen dieses Begriffs umsehen; und ein solcher ist bei allen möglichen Begriffen die Tafel der Kategorien. Der Begriff einer Offenbarung ist nämlich ein Begriff von einer Erscheinung in der Sinnenwelt, welche der Qua I i t ä t nach unmittelbar durch göttliche Kausalität bewirkt sein soll. Es ist mithin Kriterium einer diesem Begriffe entsprechenden Erscheinung, daß sie durch keine Mittel gewirkt sei, die dem Begriffe einer göttlichen Kausalität widersprechen; und dieses sind, da wir von Gott nur einen moralisch.en Begriff haben, alle unmoralischen. Diese Erscheinung soll der subjektiven Quantität nach (denn die ob j e k t i v e gibt kein eigentliches Kriterium ab, sondern auf sie gründet sich bloß die Erinnerung, daß mehrere Offenbarungen zu gleicher Zeit bei entfernten Völkern nicht unmöglich sind) für alle sinnlichen Menschen gelten, die derselben bedürfen. Es ist mithin Bedingung jeder in concreto gegebenen Offenbarung, daß Menschen mit einem dergleichen Bedürfnis wirklich nachzuweisen seien. - Dies sind die Kriterien einer Offenbarung ihrer äußern Fonn nach, welche sich aus den mathematischen Bestimmungen ihres Begriffs ergeben, was denn der Natur der Sache nach so sein mußte.

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Diese Erscheinung wird in ihrem Begriffe der Re I a t i o n nach auf einen Zweck bezogen, nämlich den, reine Moralität zu befördern: eine in concreto gegebne Offenbarung muß folglich diesen Zweck erweislich beabsichtigen, - nicht eben notwendig erreichen, welches schon dem Begriffe moralischer, d. i. freier Wesen, in welchen allein sich Moralität hervorbringen läßt, widersprechen würde. Dieses Zwecks Beförderung aber ist in sinnlichen Menschen nicht anders, als durch Ankündigung Gottes, als moralischen Gesetzgebers, möglich; und der Gehorsam gegen diesen Gesetzgeber ist nur dann moralisch, wenn er sich auf die Vorstellung seiner Heiligkeit gründet. Diese Ankündigung sowohl, als die Reinigkeit des aufgestellten Motivs des geforderten Gehorsams ist mithin Kriterium jeder Offenbarung. In Absicht der Mo da Ii t ä t endlich wurde eine Offenbarung in ihrem Begriffe bloß als möglich angenommen, woraus, da es zu dem Begriffe an sich nichts hinzutut, sondern nur das Verhältnis seines Gegenstandes zu unserm Verstande ausdrückt, keine Bedingung der Anwendung dieses Begriffs auf eine in concreto gegebne Erscheinung, d. i. kein Kriterium einer Offenbarung sich ergeben kann. Was aber daraus auf die Möglichkeit ihn überhaupt anzuwenden folge, das werden wir im folgenden Paragraphen sehen. Dies sind nun die Kriterien einer Offenbarung ihrer Form nach, und, da das Wesen der Offenbarung eben in der besondern Form einer schon a priori vorhandenen Materie besteht, die einzigen ihr wesentlichen: und es sind außer den aufgestellten keine mehr möglich, weil in ihrem Begriffe keine Bestimmungen mehr sind. Die Materie einer Offenbarung ist a priori durch die reine praktische Vernunft da, und steht an sich unter eben der Kritik, unter welcher letztere selbst steht: mithin ist, sofern sie als Materie einer Offenbarung betrachtet wird, sowohl dem Inhalt als der Darstellung nach, welche jenen modifiziert, ihr einziges Kriterium, daß sie mit der Aussage der praktischen Vernunft völlig übereinstimme; der Qualität nach, daß sie eben das aussage; der Quantität nach·, daß sie nicht mehr aussagen zu wollen vorgebe (denn daß weniger in ihr ausgesagt werde, ist unmög-

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lieh, da sie ein Prinzip aufzustellen hat, in welchem alles, was Inhalt einer Religion werden kann, wenigstens implicite ausgesagt werde); der Relation nach, als abzuleitend und untergeordnet unter das einzige Moralprinzip, und der Modalität nach, nicht als objektiv, sondern bloß als subjektiv, allgemeingültig. - Nach dem jetzt Gesagten würde sich leicht eine Tafel aller Kriterien jeder möglichen Offenbarung nach der Ordnung der Kategorien entwerfen lassen. § 12. Von der Möglichkeit, eine gegebne Erscheinung für göttliche Offenbarung aufzunehmen. Bis jetzt ist eigentlich weiter nichts ausgemacht worden, als die völlige Gedenkbarkeit einer Offenbarung überhaupt, d. i. daß der Begriff einer. dergleichen Offenbarung sich nicht selbst widerspreche; und da in demselben eine Erscheinung in der Sinnenwelt postuliert wird, haben die Bedingungen festgesetzt werden müssen, unter denen dieser Begriff auf eine Erscheinung anwendbar ist. Diese Bedingungen waren die durch eine Analysis gefundenen Bestimmungen des anzuwendenden Begriffs. Was aber noch nicht geschehen ist, ja wozu noch gar keine Anstalten gemacht worden sind, ist das, diesem Begriffe eine Realität a u ß er uns zuzusichern, welches doch, der Natur dieses Begriffs nach, geschehen müßte. - Wenn nämlich ein Begriff a priori, als anwendbar in der Sinnenwelt, gegeben ist (wie etwa der der Kausalität), so sichert schon der Erweis, daß er gegeben ist, ihm seine objektive Gültigkeit; wenn er aber a priori auch nur gemacht ist, wie etwa der eines Dreiecks, oder auch der eines Pegasus, so versichert unmittelbar die Konstruktion desselben im Raume ihm diese Realität, und das Urteil: das ist ein Dreieck, oder, das ist ein Pegasus, heißt weiter nichts, als: das ist die Darstellung eines Begriffs, den ich mir gemacht habe. Es wird in einem solchen Urteile vorausgesetzt, daß zur Realität des Begriffs weiter nichts gehöre, als der Begriff selbst; und daß er allein als zureichender Grund des ihm Korrespondierenden anzusehen sei. In dem a priori gemachten Begriffe der Offenbarung aber wird zur Realität desselben allerdings noch etwas

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ganz anderes vorausgesetzt als unser Begriff von ihr, nämlich ein Begriff in Gott, der dem unsrigen ähnlich sei. Das kategorische Urteil: das ist eine Offenbarung, heißt nicht etwa bloß: diese Erscheinung in der Sinnenwelt ist Darstellung eines m e i n e r Begriffe, sondern : sie ist Darstellung eines g ö t tl i c h e n Begriffs, gemäß einem meiner Begriffe. Um ein solches kategorisches Urteil zu berechtigen, d. i. um dem Offenbarungsbegriffe eine Realität außer uns zuzusichern, müßte erwiesen werden können, daß ein Begriff von derselben in Gott vorhanden gewesen sei, und daß eine gewis!'e Erscheinung beabsichtigte Darstellung desselben sei. Ein solcher Beweis könnte entweder a priori geführt werden, nämlich so, daß aus dem Begriffe von Gott die Notwendigkeit gezeigt werde, daß er diesen Begriff nicht nur habe, sondern auch eine Darstellung desselben habe bewirken wollen; etwa so, wie wir aus der Anforderung des Moralgesetzes an Gott, endlichen Wesen die Ewigkeit zu geben, damit sie dem ewiggültigen Gebote desselben Genüge leisten können, notwendig schließen müssen, daß der Begriff der Unsterblichkeit endlicher moralischer Wesen nicht nur als Begriff in Gott sei, sondern daß er ihn auch außer sich realisieren müsse. So ein Beweis, der, wie ohne alle Erinnerung sich versteht, freilich nur subjektiv, aber dennoch allgemeingültig sein würde, würde sehr viel und mehr noch beweisen, als wir wollten, indem er ganz unabhängig von aller Erfahrung in der Sinnenwelt uns berechtigte, die absolute Existenz einer Offenbarung anzunehmen, es möchte eine dem Begriffe derselben angemessene Erscheinung in der Sinnenwelt gegeben sein oder nicht. Daß ein solcher Beweis aber unmöglich sei, haben wir schon oben gesehen. Wir haben nämliCii von Gott nur einen moralischen, durch die reine praktische Vernunft gegebnen Begriff. Fände in demselben sich ein Datum, das uns berechtigte, Gott den Begriff der Offenbarung zuzuschreiben, so wäre dieses Datum zugleich dasjenige, was den Offenbarungsbegriff selbst gäbe, und zwar a priori gäbe. Nach einem solchen Datum der reinen Vernunft aber haben wir uns oben vergeblich umgesehen, und daher von diesem Begriffe eingestanden, daß er ein bloß gemachter sei.

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Oder dieser Beweis könnte a posteriori geführt werden, nämlich so, daß man aus den Bestimmungen der in der Natur gegebnen Erscheinung dartue, sie können nicht anders, als unmittelbar durch göttliche Kausalität, und durch diese wieder nicht anders, als nach dem Begriffe der Offenbarung gewirkt sein. Daß ein solcher Beweis die Kräfte des menschlichen Geistes unendlich übersteige, bedürfte eigentlich nicht dargetan zu werden, da man nur die Erfordernisse eines solchen Beweises nennen darf, um ihn von übernehmung desselben zurückzuschrecken; doch ist oben auch das zum Oberflusse geschehen. *) Man könnte aber etwa noch, nachdem man auf die Hoffnung eines strengen Beweises Verzicht getan, glauben, der nicht erweisbare Satz werde sich wenigstens wahrscheinlich machen lassen. Wahrscheinlichkeit nämlich' entsteht, wenn man in die Reihe von Gründen kommt, welche uns auf den zureichenden Grund für einen gewissen Satz führen müsse, doch ohne diesen zureichenden Grund selbst, oder auch den, der sein zureichender ist, usw., als gegeben aufzeigen zu können, und je näher man diesem zu-

") Inzwischen läßt sich nicht leugnen, daß nicht in der menschlichen

Natur ein allgemeiner, unwiderstehlicher Hang liege, aus der Unbegreiflichkeit einer Begebenheit nach Naturgesetzen auf das Dasein derselben durch unmittelbare göttliche Kausalität zu schließen. Dieser Hang entsteht aus der Aufgabe unsrer Vernunft bei allem Bedingten,Totalität der Bedingungen anzunehmen; und diese Totalität ist nun sogleich da, und wir haben mit Aufsuchung der Bedingungen weiter keine Bemühung, wenn wir, sobald es mit dem Aufsuchen derselben nicht mehr recht fort will, sofort auf das Unbedingte (oder die erste Bedingung alles Bedingten) übergehen dürfen. Da aber diese Eilfertigkeit, die unübersehbare Reihe der Bedingungen zu schließen, jeder Schwärmerei und jedem Unsinne eine weite und immer offne Tür zeigt, so hat man bei jeder Gelegenheit ohne Nachsicht gegen sie zu verfahren. Wenn aber schon vorläufig ausgemacht ist, daß die Erklärung einer gewissen Begebenheit aus göttlicher Kausalität keine aachteiligen, sondern sogar vorteilhafte Folgen für die Moralität haben werde: - dürfte man in diesem einzigen Falle nicht von der sonst so nötigen Strenge gegen unsre anmaßende Vernunft etwas nachlassen, und einem wohltätigen Glauben diesen einen Berührungspunkt mehr im menschlichen Geiste überlassen, wenn er auch gleich erweislich erschlichen ist?

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reichenden Grunde ist, desto höher ist der Grad der Wahrscheinlichkeit. Diesen zureichenden Grund könnte man nun entweder a priori (durchs Herabsteigen von den Ursachen zu den Wir• kungen), oder a posteriori (durchs Heraufsteigen von den Wirkungen zu den Ursachen) aufsuchen wollen. Im ersten Falle müßte man etwa eine Eigenschaft in Gott aufzeigen, welche ihn, wenn etwa noch ein Bestimmungsgrund, der sich nicht aufzeigen ließe, dazu käme, bewegen müßte, den Begriff einer Offenbarung zu realisieren; so wie man etwa von der Weisheit Gottes, nach der Analogie ihrer Wirkungsart hienieden (also durch Verbindung dieses Begriffs a priori mit einer Erfahrung) vermuten, aber nicht beweisen kann (weil Gründe dagegen sein möchten, die wir nicht wi:;sen), daß endliche Wesen mit Körpern, aber immer sich verfeinernden Körpern fortdauern werden. Abgerechnet, daß unser Geist so eingerichtet ist, daß Wahrscheinlichkeitsgründe a priori nicht das geringste Fürwahrhalten in ihm begründen können; so wird man auch eine solche Bestimmung in Gott nie auffinden. Oder im zweiten Falle müßte man alle Möglichkeiten, daß eine gewisse Begebenheit anders als durch göttliche Kausalität bewirkt sein könnte, bis etwa auf eine, oder zwei, usf. wegräumen. In diese Reihe der Gründe, eine göttliche Kausalität für gewisse Erscheinungen in der Sinnenwelt anzunehmen, kommen wir denn nun allerdings. Denn es ist, theoretisch betrachtet, allerdings der erste Grund für den Ursprung einer gewissen Begebenheit durch unmittelbare Wirkung Gottes, wenn wir ihre Entstehung aus natürlichen Ursachen nicht zu erklären wissen. Aber dieses ist nur das erste Glied einer Reihe, deren Ausdehnung wir gar nicht wissen, und welche schon an sich aller Wahrscheinlichkeit nach uns ungedenkbar ist, und es verschwindet folglich in nichts vor der unendlichen Menge der möglichen übrigen. Wir können mithin für die Befugnis eines kategorischen Urteils, daß etwas eine Offenbarung sei, auch nicht einmal Wahrscheinlichkeitsgründe anführen. Es dürfte etwa jemand noch einen Augenblick glauben, daß diese Wahrscheinlichkeit durch die gefundne Obereinstimmung einer angeblichen Offenbarung mit den Kriterien derselben begründet werde; daher, und zuvörderst: wenn eine angebliche

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Offenbarung vorhanden wäre, an der wir alle Kriterien der Wahrheit gefunden hätten, - welches Urteil über dieselbe würde dies berechtigen? Alle diese Kriterien sind die moralischen Bedingungen, unter denen allein, und außer welchen nicht, eine solche Erscheinung von Gott dem Begriffe einer Offenbarung gemäß bewirkt sein könnte; aber gar nicht umgekehrt, die Bedingungen einer Wirkung, die bloß durch Gott diesem Begriffe gemäß bewirkt sein könnte. Wären sie das letztere, so berechtigten sie durch Ausschließung der Kausalität aller übrigen Wesen zu dem Urteile: das ist Offenbarung; da sie aber das nicht, sondern nur das erstere sind, so berechtigen sie bloß zu dem Urteile: das kann Offenbarung sein, d. h. wenn vorausgesetzt wird, daß in Gott der Begriff einer Offenbarung vorhanden gewesen sei, und daß er ihn habe darstellen wollen, so ist in der gegebnen Erscheinung nichts, was der möglichen Annahme, sie sei eine dergleichen Darstellung, widersprechen könnte. Es wird also durch eine solche Prüfung nach den Kriterien bloß problematisch, daß irgend etwas eine Offenbarung sein könne; dieses problematische Urteil aber ist nun auch völlig sicher. Es wird nämlich in demselben eigentlich zweierlei ausgesagt; zuerst: es ist überhaupt möglich, daß Gott den Begriff einer Offenbarung gehabt habe, und daß er ihn habe darstellen wollen, - und dies ist schon unmittelbar aus der Vernunftmäßigkeit des Offenbarungsbegriffs, in welchem diese Möglichkeit angenommen wird, klar; und dann: es ist möglich, daß diese bestimmte angebliche Offenbarung eine Darstellung desselben sei. Das letztere Urteil kann nun, und muß der Billigkeit gemäß, vor aller Prüfung vorher von jeder als Offenbarung angekündigten Erscheinung gefällt werden; in dem Sinne nämlich: es sei möglich, daß sie die Kriterien einer Offenbarung an sich haben könne. Hier nämlich (vor der Prüfung vorher) ist das problematische Urteil aus zweien problematischen zusammengesetzt. Wenn aber diese Prüfung vollendet, und die angekündigte Offenbarung in derselben bewährt gefunden ist, so ist das erstere nicht mehr problematisch, sondern völlig sicher; die Erscheinung hat alle Kriterien einer Offenbarung an sich: man kann daher nun mit völliger Sicherheit, ohne noch ein anderweitiges Datum zu er-

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warten, oder irgend woher einen Einspruch zu befürchten, urteilen, sie k ö n n e eine sein. Aus der Prüfung nach den Kriterien ergibt sich also das, was sich aus ihnen ergeben kann, nicht bloß als wahrscheinlich, sondern als gewiß, ob sie nämlieh göttlichen Ursprungs sein könne; ob sie es aber wirklich sei, darüber ergibt sich aus ihr gar nichts, denn davon ist bei ihrer übernehmung gar nicht die Frage gewesen. Nach Vollendung dieser Prüfung kommt nun in Absicht auf ein kategorisches Urteil das Gemüt, oder sollte es wenigstens vernünftigerweise, in ein völliges Gleichgewicht zwischen dem Für und dem Wider; noch auf keine Seite geneigt, aber bereit, bei dem ersten kleinen Momente sich auf die eine oder die andre hinzuneigen. Für ein verneinendes Urteil ist kein der Vernunft nicht widersprechendes Moment denkbar; weder ein strenger oder nur zur wahrscheinlichen Vermutung hinreichender Beweis, denn der verneinende ist ebenso und aus eben den Gründen unmöglich als der bejahende; noch eine Bestimmung des Begehrungsvermögens durchs praktische Gesetz, weil die Annehmung einer alle Kriterien der Göttlichkeit an sich habenden Offenbarung diesem Gesetze in nichts widerspricht. (Es läßt sich zwar allerdings eine Bestimmung des untern Begehrungsvermögens durch die Neigung denken, welche uns gegen die Anerkennung einer Offenbarung einnehmen könnte, und man kann, ohne sich der Lieblosigkeit schuldig zu machen, wohl annehmen, daß eine solche Bestimmung bei v i e I e n der Grund sei, warum sie keine Offenbarung annehmen wollen; aber eine solche Neigung widerspricht offenbar der praktischen Vernunft.) Es muß sich also ein Moment für das bejahende Urteil auffinden lassen, oder wir müssen in dieser Unentschiedenheit immer bleiben. Da auch dieses Moment weder ein strenger, noch ein zur wahrscheinlichen •Vermutung hinreichender Beweis sein kann, so muß es eine Bestimmung des Begehrungsvermögens sein. Schon ehemals sind wir mit dem Begriffe von Gott in diesem Falle gewesen. Unsere bei allem Bedingten Totalität der Bedingungen suchende Vernunft führte uns in der Ontologie auf den Begriff des allerrealsten Wesens, in der Kosmologie auf eine erste Ursache, in der Teleologie auf ein verständiges Wesen,

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von dessen Begriffen wir die in der Welt für unsre Reflexion allenthalben notwendig anzunehmende Zweckverbindung ableiten könnten; es zeigte sich schlechterdings keine Ursache, warum diesem Begriffe nicht etwas außer uns korrespondieren sollte, aber dennoch konnte unsre theoretische Vernunft ihm diese Realität durch nichts zusichern. Durch das Gesetz der praktischen Vernunft aber wurde uns zum Zwecke unsrer Willensform ein Endzweck aufgestellt, dessen Möglichkeit für uns nur unter Voraussetzung der Realität jenes Begriffs denkbar war; und da wir diesen Endzweck schlechterdings wollen, mithin auch theoretisch seine Möglichkeit annehmen mußten, so mußten wir auch zugleich die Bedingungen desselben, die Existenz Gottes, und die aus Verbindung seines Begriffs mit dem Begriffe endlicher moralischer Wesen erfolgende Unsterblichkeit der Seele annehmen. Hier wurde also ein Begriff, dessen Gültigkeit vorher schlechterdings problematisch war, nicht durch theoretische Beweisgründe, sondern um einer Bestimmung des Begehrungsvermögens willen realisiert. - In Absicht der Aufgabe sind wir hier ganz in dem gleichen Falle. Es ist nämlich ein Begriff in unserm Gemüte vorhanden, der bloß als solcher vollkommen denkbar ist, und nachdem eine alle Kriterien einer Offenbarung an sich habende Erscheinung in der Sinnenwelt gegeben ist, so ist schlechterdings nichts mehr möglich, was der Annahme seiner Gültigkeit widersprechen könnte; es läßt sich aber auch kein theoretischer Beweisgrund aufzeigen, der uns berechtigen könnte, diese Gültigkeit anzunehmen. Dieselbe ist also völlig problematisch. Daß man aber bei Auflösung dieser Aufgabe mit der der obigen nicht völlig gleichen Schritt halten könne, fällt bald in die Augen. Der Begriff von Gott nämlich war a priori durch unsre Vernunft gegeben, war als solcher uns schlechterdings notwendig, und wir konnten mithin die Aufgabe unsrer Vernunft, über seine Gültigkeit außer uns etwas zu entscheiden, nicht so nach Belieben ablehnen ; für den einer Offenbarung aber haben wir a priori kein dergleichen Datum anzuführen, und es wäre mithin recht wohl möglich, diesen Begriff entweder überhaupt nicht zu haben, oder die Frage über seine Gültigkeit außer uns als völlig unnütz von der Hand zu weisen. Was hieraus, daß er a priori

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nicht gegeben ist, schon unmittelbar folgt, daß nämlich auch keine a priori geschehne Willensbestimmung sich werde aufzeigen lassen, die uns bestimme seine Realität anzunehmen, weil ja dann diese Willensbestimmung das vermißte Datum a priori sein würde, wird völlig klar, wenn man sieb erinnert, daß, um sich den uns a priori aufgestellten Endzweck als möglich' zu denken, nichts weiter erfordert wird, als die Existenz Gottes, und die Fortdauer endlicher moralischer Wesen anzunehmen, um welche Sätze, ihrer Materie nach, es im Begriffe einer Offenbarung gar nicht zu tun ist, der sie vielmehr zum Behuf seiner eignen Möglichkeit schon als angenommen voraussetzt; es ist vielmehr bloß um die Annehmung einer gewissen Form der Bestätigung dieser Sätze zu tun. Aus der Bestimmung des obern Begehrungsvermögens durch das Moralgesetz läßt mithin kein Moment, die Gültigkeit des Offenbarungsbegriffs anzunehmen, sich ableiten. Vielleicht aber aus einer durch das obere dem Moralgesetze gemäß geschehne Bestimmung des untern? - Das Moralgesetz nämlich gebietet schlechthin, ohne Rücksicht auf die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, überhaupt, oder in einzelnen Fällen eine Kausalität in der Sinnenwelt zu haben; und durch die dadurch geschehne Bestimmung des obern Begehrungsvermögens, das Gute schlechthin zu wollen, wird das untere auch durch Naturgesetze bestimmbare bestimmt, die Mitte 1 zu wollen, dasselbe wenigstens in sich (in seiner sinnlichen Natur) hervorzubringen. Das obere Begehrungsvermögen will schlechthin den Zweck, das untere will die Mittel dazu. Nun ist es, laut der § 6 geschehnen Entwickelung der formalen Funktion der Offenbarung, welche zugleich die einzige ihr wesentliche ist, ein Mittel für sinnliche Menschen, im Kampfe der Neigung gegen die Pflicht, der letztem die Oberhand über die erstere zu verschaffen, wenn sie sich die Gesetzgebung des Heiligsten unter sinnlichen Be,dingungen vorstellen dürfen. Diese Vorstellung ist denn die einer Offenbarung. Das untere Begehrungsvermögen muß mithin unter obigen Bedingungen die Realität des Begriffs der Offenbarung notwendig wollen, und, da gar kein vernünftiger Grund dagegen ist, so bestimmt dasselbe das Gemüt, ihn als wirklich realisiert anzunehmen, d. h. als bewiesen anzunehmen, eine gewisse Er-

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scheinung sei wirklich durch göttliche Kausalität bewirkte absichtliche Darstellung dieses Begriffs, und sie dieser Annahme gemäß zu brauchen. Eine Bestimmung des untern Begehrungsvermögens ist, sie sei auch bewirkt durch was sie wolle, ein W u n s c h; mithin liegt der Aufnahme einer gewissen Erscheinung als göttlicher Offenbarung, nichts mehr als ein Wunsch zum Grunde. Da nun ein solches Verfahren, etwas zu glauben, weil das Herz es wünscht, nicht wenig, und nicht mit Unrecht, verschrieen ist, so müssen wir noch einige Worte, wenn auch nicht zur Deduktion der Rechtmäßigkeit, doch zur Ablehnung aller Einsprüche gegen dieses Verfahren im gegenwärtigen Falle hinzusetzen. Wenn ein bloßer Wunsch uns berechtigen soll, die Realität seines Objekts anzunehmen, so muß derselbe sich auf die Bestimmung des obem Begehrungsvermögens durchs Moralgesetz gründen, und durch dieselbe entstanden sein; die Annahme der Wirklichkeit seines Objekts muß uns die Ausübung unserer Pflichten, und zwar nicht etwa bloß dieser oder jener, sondern des pflichtmäßigen Verhaltens überhaupt erleichtern, und von der Annahme des Gegenteils muß sich zeigen lassen, daß sie dieses pflichtmäßige Verhalten in den wünschenden Subjekten erschweren würde; und dieses darum, weil wir nur bei einem Wunsche dieser Art einen Grund anführen können, warum wir über die Wirklichkeit seines Objekts überhaupt etwas annehmen, und die Frage über dieselbe nicht gänzlich abw,eisen wollen. Daß beim Wunsche einer Offenbarung dieses der Fall sei, ist schon oben zur Genüge gezeigt. Mit diesem Kriterium der Annehmbarkeit eines GeWÜnschten bloß um des Wunsches willen, muß sich nun auch das zweite vereinigen, nämlich die völlige Sicherheit, daß wir nie eines Irrtums bei dieser Annahme werden überführt werden können, in welchem Falle die Sache für uns völlig wahr, es für uns ebenso gut ist, als ob dabei gar kein Irrtum möglich wäre. Dies findet nun bei der Annahme einer alle Kriterien der Göttlichkeit an sich habenden Offenbarung, d. i. bei der Annahme, daß eine gewisse Erscheinung durch unmittelbare göttliche Kausalität dem Begriffe einer Offenbarung gemäß bewirkt sei, der höchsten Strenge nach

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statt. Der Irrtum dieser Annahme kann uns, und wenn wir Ewigkeiten hindurch an Einsichten zunehmen, nie aus Gründen einleuchten, oder dargetan werden; denn dann müßte, da vor der theoretischen Vernunft Richterstuhl dieser Begriff schlechterdings nicht gehört, gezeigt werden können, daß sie der praktischen Vernunft, nämlich dem durch dieselbe gegebnen Begriffe von Gott widerspräche, welcher Widerspruch aber, da das Moralgesetz für alle vernünftigen Wesen auf jeder Stufe ihrer Existenz das gleiche ist, schon jetzt erhellen müßte. Ebensowenig kann ein solcher Irrtum, wie es bei andern menschlichen Wünschen, die meist auf die Zukunft gehen, so oft der Fall ist, durch eine nachmalige Erfahrung dargetan werden; denn wie sollte die Erfahrung wohl beschaffen sein, die uns belehren könnte, eine einem möglichen Begriffe in Gott völlig gemäße Wirkung sei nicht durch die Kausalität dieses Begriffs bewirkt? welches eine offenbare Unmöglichkeit ist: oder auch nur die, welche wir, im Falle daß sie es sei, machen müßten, und aus deren Abwesenheit wir schließen könnten, sie sei es nicht? - Die Untersuchung ist bis zu einem Punkte getrieben, von welchem aus sie für uns nicht weiter gehen kann: bis zur Einsicht in die völlige Möglichkeit einer Offenbarung sowohl überhaupt, als insbesondre durch eine bestimmt gegebne Erscheinung; sie ist für uns (alle endlichen Wesen) völlig geschlossen; wir sehen am Endpunkte dieser Untersuchung mit völliger Sicherheit, daß über die Wirklichkeit einer Offenbarung schlechterdings kein Beweis weder für sie, noch wider sie stattfinde, noch je stattfinden werde, und daß, wie es mit der Sache an sich sei, nie irgendein Wesen wissen :werde, als Gott allein. Wollte man etwa noch zuletzt als den einzigen Weg, wie wir hierüber belehrt werden könnten, annehmen, Gott selbst könne es uns mitteilen, so wäre dies eine neue Offenbarung, über deren objektive Realität die vorige Unwissenheit entstehn würde, und wir wieder da sein würden, wo wir vorher waren. - Da es aus allem Gesagten völlig sicher ist, daß über diesen Punkt keine Oberführung des Irrtums, d. i. daß für uns überhaupt kein Irrtum darüber möglich sei, eine Bestimmung des Begehrungsvermögens aber uns treibt, uns für das

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bejahende Urteil zu erklären, so können wir mit völliger Sicherheit dieser Bestimmung nachgeben. *) Diese Annahme einer Offenbarung ist nun, da sie auf eine Bestimmung des Begehrungsvermögens rechtmäßig sich gründet, ein Glaube, den wir zum Unterschiede vom reinen Vern u n ft g I a u b e n an Gott und Unsterblichkeit, der sich auf etwas Materielles bezieht, den formalen, empirisch bedingten Glauben nennen wollen. Der Unterschied beider, und alles, was wir über den Ietztern noch zu sagen haben, wird aus einer Vergleichung der Bestimmung des Gemüts bei einem oder dem andem nach Ordnung der Kategorientitel sich ergeben. *) Lasset uns das hier über die Bedingungen der Erlaubnis etwas zu glauben, weil das Herz es wünscht, Gesagte, durch ein Beispiel vom Gegenteile klarer machen. Man könnte nämlich etwa die Wiedererneuerung des Umganges gewesener Freunde im künftigen Leben aus dem Verlangen guter, zur Freundschaft gestimmter Menschen nach dieser Wiedererneuerung erweisen wollen. Mit einem solchen Beweise aber würde man nicht wohl fortkommen. Denn ob man gleich etwa sagen könnte, die Vollbringung mancher schweren Pflicht werde dem, der einen geliebten Freund in der Ewigkeit weiß, durch den Gedanken erleichtert werden, daß er sich dadurch des Genusses der Seligkeit mit seinem abgeschiednen Freunde immer mehr versichere, so würde, ganz abgerechnet, daß man wohl unzählige Motive der Art würde aufweisen können, denen man aber darum die objektive Realität zuzusprechen doch ein Bedenken tragen würde, dadurch doch gar nicht reine Moralität, sondern bloß Legalität befördert werden, und es würde demnach eine vergebliche Bemühung sein, diesen Wunsch von der Bestimmung des obern Begehrungsvermögens durch das Moralgesetz ableiten zu wollen. Überhaupt sind wohl der Wunsch, überhaupt Spuren der göttlichen moralischen Regierung in der ganzen Natur, und vorzüglich in unserm eignen Leben, und der, insbesondre eine Offenbarung annehmen zu dürfen, die einzigen, die mit Recht auf eine so erbahne Abstammung Anspruch machen möchten. Was die zweite Bedingung anbetrifft, so lassen sich schon hienieden der Analogie nach Gründe genug vermuten, die eine solche Wiedervereinigung im künftigen Leben zweckwidrig machen könnten, als z. B. daß etwa der Zweck einer vielseitigem Ausbildung uns den Umgang des ehemaligen Freundes, dessen Absicht für unsre Bildung erreicht ist, unnütz oder gar schädlich machen könnte, daß desselben Gegenwart in andern Verbindungen nötiger, und für das Ganze nützlicher sei, daß die unsrige es sei u. dgl. Bloß der letzten Bedingung entspricht die angenom-

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Der Qualität nach nämlich ist der Glaube im ersten so wie im zweiten Falle eine freie durch keine Gründe erzwungne Annahme der Realität eines Begriffs, dem diese Realität durch keine Gründe zugesichert werden kann, im ersten Falle eines. gegebnen, im zweiten eines gemachten, im ersten um einer Bestimmung des obem, im zweiten um einer durch diese Bestimmung des obem geschehnen Bestimmung des untern Begehrungsvermögens willen. Dies sind Verschiedenheiten, welche schon angezeigt, und deren mene Realität dieses Wunsches; denn in einer Dauer ohne Ende kann diese Wiedervereinigung, wenn sie an keinen bestimmten Punkt dieser Dauer gebunden wird, immer noch erwartet werden, und mithin die Erfahrung ihrer Wirklichkeit nie widersprechen. Aus diesem Grunde also ist kein Beweis der Befriedigung dieses Wunsches möglich; und wenn es keinen andem Beweis gibt (es gibt aber einen, der jedoch auch nur zur wahrscheinlichen Vermutung hinreicht), so müßte das menschliche Gemüt sich über dieselbe auf Hoffnung, d. i. auf eine durch eine Bestimmung des Begehrungsvermögens motivierte Hinneigung des Gemüts auf eine Seite bei einem Gegenstande, der übrigens als problematisch erkannt wird, einschränken. Übrigens hat es in dieser Absicht mit den unmittelbaren PostulateA der praktischen Vernunft, der Existenz Gottes, und der ewigen Fortdauer moralischer Wesen die gleiche Bewandtnis. Unsere Fortdauer zwar ist Gegenstand unmittelbarer Erfahrung; der Glaube an die Fortdauer aber kann nie durch Erfahrung widerlegt werden; denn, wenn wir nicht existieren, so machen wir gar keine Erfahrung. Solange wir nun als wir, d. i. als moralische Wesen, fortdauern, kann auch der Glaube an Gott weder durch Gründe, denn auf theoretische gründet er sich nicht, und das für die Ewigkeit gültige Gesetz der praktischen Vernunft unterstützt ihn, noch durch Erfahrung umgestoßen werden; denn die Existenz Gottes kann nie Gegenstand der Erfahrung werden, mithin auch aus der Ermangelung einer solchen Erfahrung sich nie auf die Nichtexistenz desselben schließen lassen. Aus eben diesen Gründen aber können diese Sätze auch nie, für irgendein endliches Wesen, Gegenstände des Wissens werden, sondern müssen in alle Ewigkeit Gegenstände des Glaubens bleiben. Denn für die Existenz Gottes werden wir nie andere als moralische Gründe haben, da keine andern möglich sind, und unsrer eignen Existenz werden wir zwar für jeden Punkt derselben unmittelbar durch das Selbstbewußtsein sicher sein, für die Zukunft aber sie aus keinen andern, als moralischen Gründen erwarten können.

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folgen schon entwickelt worden. Aber es zeigt sich hier noch eine neue. Im reinen Vernunftglauben nämlich wird bloß angenommen, daß einem Begriffe, dem von Gott, überhaupt ein Gegenstand außer uns korrespondiere (denn der Glaube an Unsterblichkeit läßt sich als von der Existenz Gottes bloß abgeleitet betrachten, und wir haben mithin hier keine besondre Rücksicht auf ihn zu nehmen): im Offenbarungsglauben aber nicht bloß das, sondern auch, daß ein gewisses Gegebnes ein diesem Begriffe Korrespondierendes sei. Im letztem also scheint das Gemüt einen Schritt weiter zu gehen, und eine kühnere Anmaßung zu machen, die eine größere Berechtigung für sich anzuführen haben sollte. Aber das liegt in der Natur beider Begriffe, und der Schritt ist wirklich im letzteren falle nicht kühner, als im ersteren. ·Der Begriff von Gott nämlich ist schon a priori völlig bestimmt gegeben, so weit er nämlich von uns bestimmt werden kann, und läßt durch keine Erfahrung, und ebensowenig durch Schlüsse aus der angenommenen Existenz sich weiter bestimmen. Eine Realisation desselben kann mithin gar nichts weiter tun, als die Existenz eines demselben korrespondierenden Gegenstandes annehmen; sie kann weiter nichts zu ihm hinzusetzen, weil dieser Gegenstand nur auf diese eine a priori gegebne Art bestimmt sein kann. Im Begriffe der Offenbarung aber wird eine zu gebende Erfahrung gedacht, die als solche, und inwiefern sie das ist, a priori gar nicht bestimmt werden kann, sondern als a posteriori auf mannigfaltige Art bestimmbar angenommen werden muß. Sie als realisiert annehmen, heißt nichts anderes, und kann nichts anderes heißen, als sie völlig bestimmt gegeben zu denken; diese völlige Bestimmung muß aber durch die Erfahrung gegeben werden. folglich findet gar keine Annahme der Realität dieses Begriffs überhaupt (in abstracto) statt, sondern er kann nur durch Anwendung auf eine bestimmte Erscheinung (in concreto) reali· siert werden, und durch diese Anwendung geschieht nichts anderes, als was im reinen Vernunftglauben geschieht: es wird angenommen, daß einem a priori vorhandenen Begriffe etwas außer ihm entspreche. Wenn von der Quantität des Glaubens die Rede ist, so kann damit nur eine sub j e k t i v e gemeint sein, weil kein Glaube auf objektive Gültigkeit Anspruch macht, in welchem

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Falle er kein Glaube wäre. In dieser Rücksicht ist nun der reine Vernunftglaube allgemeingültig für alle vernünftigen Wesen, weil er sich auf eine a priori geschehene Bestimmung des Begehrungsvermögens durch das Moralgesetz, etwas notwendig zu wollen, gründet, und auf einen a priori durch die reine Vernunft gegebnen Begriff geht. Er läßt sich zwar niemandem aufdringen, weil er auf eine Bestimmung der Freiheit sich gründet, aber er läßt sich von jedermann fordern und ihm ansinnen. Es leuchtet sogleich ein, daß der empirisch bedingte Glaube auf diese Allgemeingültigkeit nicht Anspruch machen könne. Denn teils geht er auf einen nicht gegebnen, sondern gemachten Begriff, der mithin nicht notwendig im menschlichen Gemüte ist. Wenn nun jemand auf diesen Begriff überhaupt nicht käme, so könnte er auch keine Darstellung desselben annehmen, und wir würden mithin diese Annahme vergeblich in ihm voraussetzen, da wir nicht einmal den Begriff derselben in ihm mit Sicherheit voraussetzen können. Teils aber wird die Bestimmung des Gemüts, eine Darstellung dieses Begriffs anzunehmen, nur durch einen Wunsch, der sich auf ein empirisches Bedürfnis gründet, bewirkt. Wenn nun jemand dieses Bedürfnis in sich nicht fühlt, wenn er auch historisch wissen sollte, daß es bei andern vorhanden sei, so kann in demselben nimmermehr der Wunsch entstehen, eine Offenbarung annehmen zu dürfen, mithin auch kein Glaube an dieselbe. - Nur ein einziger Fall läßt sich denken, in welchem auch ohne das Gefühl dieses Bedürfnisses in sich selbst wenigstens ein vorübergehender Glaube möglich ist, wenn nämlich jemand in die Notwendigkeit versetzt wird, durch die Vorstellung einer Offenbarung, ohne ihrer eben für sich selbst zu bedürfen, auf die Herzen andrer zu wirken, die derselben bedürfen. Der lebhafte, seiner Pflicht, Moralität nach seinen Kräften auch außer sich zu verbreiten, gemäße Wunsch, vereint mit der Überzeugung, daß dies bei den gegebnen Subjekten nur durch diese Vorstellung möglich sei, wird ihn treiben, sie zu gebrauchen. Mit wahrer Energie kann er sie nicht brauchen, ohne als ein selbst überzeugter und Glaubender zu reden. Diesen Glauben zu heucheln, wäre gegen die Wahrheit und Lauterkeit des Gemüts, und folglich moralisch unmöglich. Das dadurch entstehende dringende Gefühl

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eines Bedürfnisses des Offenbarungsglaubens in dieser Lage wird, wenigstens so lange dieses Gefühl dauert, den Glauben selbst in ihm hervorbringen, wenn er auch etwa, nachdem er kälter geworden ist, diese Vorstellungen allmählich wieder beiseite legen sollte. *) Es folgt also aus dem Gesagten, daß der Glaube an Offenbarung sich nicht nur nicht aufdringen, sondern auch nicht einmal von jedermann fordern oder ihm ansinnen lasse. So wie der Glaube an Offenbarung nurun~erzwei Bedingungen möglich ist, daß man nämlich teils gut sein wolle, teils der Vorstellung einer geschehnen Offenbarung als eines Mittels bedürfe, um das Gute in sich hervorzubringen, ••) so kann auch der Unglaube in Rücksicht auf sie zweierlei Ursachen haben, daß ·man nämlich entweder gar keinen guten Willen habe, und mithin alles, was uns zum Guten anzutreiben, und unsere Neigungen einschränken zu wollen das Ansehen hat, hasse und von der Hand weise, oder daß man bei dem besten Willen nur der Unterstützung einer Offenbarung nicht bedürfe, um ihn ins Werk setzen zu können. Die erstere Verfassung der Seele ist tiefes moralisches Verderben; die letztere ist, wenn sie sich nur etwa nicht auf die natürliche Schwäche unsrer Neigungen, oder auf eine dieselbe tötende Lebensart, sondern auf wirksame Hochachtung des Guten, um sein selbst willen, gründet, wirkliche *) Daß dies nicht eine leere Vernünftelei sei, sondern sich auch in der Erfahrung, besonders beim Halten öffentlicher Reden an das Volk, bestätige, wird uns vielleicht jeder Religionslehrer, der etwa sich für seine Person der aus der Offenbarung hergenommenen Vorstellungen nicht bedient, übrigens aber lebhaftes Gefühl seiner Bestimmung mit Ehrlichkeit (welches nicht wenig gesagt ist) vereinigt, wenn auch nicht öffentlich, doch wenigstens in seinem Herzen zugestehen. **) Dies waren auch die Maximen Jesu. In Absicht des erstern: So jemand will den Willen tun des, der mich gesandt hat, der wird inne werden, ob diese Lehre von Gott sei; und im Gegensatze: Wer Arges tut, hasset das Licht, und kommt nicht an das Licht. In Absicht des Ietztern: Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken; ich bin kommen die Sünder zur Buße zu rufen, und nicht die Gerechten - welche Aussprüche ich nicht für Ironie halte.

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Stärke, und man darf, ohne Furcht, der Würde der Offenbarung dadurch etwas zu benehmen, das sagen, weil bei wirklich vorherrschender Liebe des Guten, ohne welche überhaupt kein Glaube möglich ist, nicht zu befürchten steht, daß jemand sie von der Hand weisen werde, so lange er noch irgendeine gute Wirkung derselben an sich verspürt. Aus welchen Ursachen von beiden der Unglaube bei einem bestimmten Subjekte entstanden sei, können nur die Früchte lehren. Zur Ablehnung einer übereilten Folgerung hieraus aber müssen wir schon hier anmerken, daß, wenngleich nicht der Glaube an Offenbarung, dennoch die Kritik ihres Begriffs auf Allgemeingültigkeit Anspruch mache. Denn letztere hat nichts zu begründen, als die absolute Möglichkeit einer Offenbarung, sowohl in ihrem Begriffe, als daß etwas demselben Korrespondierendes angenommen werden könne, und dies tut sie aus Prinzipien a priori, mithin allgemeingültig. jedem also wird durch sie angemutet, zuzugestehen, daß nicht nur überhaupt eine Offenbarung möglich sei, sondern auch, daß eine in der Sinnenwelt wirklich gegebne Erscheinung, die alle Kriterien derselben an sich hat, eine sein könne. Hierbei aber muß sie es bewenden lassen, und hierbei kann und muß es vernünftigerweise jeder, der kein Bedürfnis derselben zum Gebrauche weder an sich, noch an andern fühlt, bewenden lassen; ist aber durch die Kritik genötigt, denen, die an sie glauben, die Vernunftmäßigkeit ihres Glaubens zuzugestehen, und sie in völlig ruhigem und ungestörtem Besitze und Gebrauche desselben zu lassen. In Absicht der Re I a t i o n bezieht sich der reine Vernunftglaube auf etwas Materielles, der Offenbarungsglaube aber bloß auf eine bestimmte Form dieses a priori gegebnen, und schon als angenommen vorausgesetzten Materiellen. Dieser Unterschied, der aus allem bisher Gesagten zur Genüge klar ist, veranlaßt uns bloß hier noch die Anmerkung zu machen, daß derjenige, der diese bestimmte Form einer Offenbarung nicht annimmt, darum das Materielle, Gott und Unsterblichkeit, nicht nur nicht notwendig leugne, sondern daß er auch dem Glauben an dieselben in sich nicht notwendig Abbruch tue, wenn er sie sich außer dieser

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Fonn ebensogut denken, und sie zur Willensbestimmung brauchen kann. In Absicht der Modalität endlich drückt sich der reine Vemunftglaube, nach Voraussetzung der Möglichkeit des End· zwecks des Moralgesetzes, apodiktisch aus ; es ist nämlich, ein· mal angenommen, daß das absolute Recht möglich sei, für uns schlechterdings notwendig zu denken, daß ein Gott sei, und daß moralische Wesen ewig dauern. Der Glaube an Offenbarung· aber kann sich nur kategorisch ausdrücken : eine gewisse Erscheinung ist Offenbarung; nicht: sie muß notwendig Offenbarung sein, weil, so sicher es auch ist, daß uns kein Irrtum in diesem Urteile gezeigt werden kann, das Gegenteil an sich doch immer möglich bleibt.

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§ 13.

Begriff dies er Kri tlk im allgemeinen. Ehe irgendeine Untersuchung über den Offenbarungsbegriff möglich war, mußte dieser Begriff wenigstens vorläufig bestimmt werden; und da es uns hier nicht so gut ward, wie bei gegebnen Begriffen in der reinen Philosophie, denen wir bis zu ihrer ersten Entstehung nachspüren, und sie gleichsam werden sehen, da hingegen dieser sich bloß als ein empirischer ankündigt, und wenigstens, wenn auch bei näherer Untersuchung seine Möglichkeit a priori sich ergibt, nicht das Ansehen hat, ein Datum a priori für sich anführen zu können: so hatten wir vor der Hand darüber nur den Sprachgebrauch abzuhören. Dies geschah § 3. Da aber dieser Begriff wenigstens im engem Sinne, in welchem allein wir ihn untersuchen, sich auf Religion bezieht, so mußte eine Deduktion der Religion überhaupt zum Behuf der Ableitung des zu untersuchenden Begriffs aus seinem höhern vorausgeschickt werden(§ 2). Der erste Gegenstand der Untersuchung bei Prüfung dieser Kritik ist also der, ob der Begriff der Offenbarung dem Sprachgebrauche aller Zeiten und aller Völker, die sich einer Offenbarung rühmten und rühmen, gemäß bestimmt sei; und das darum, weil er kein gegebner, sondern ein gemachter Begriff ist. Denn wenn sich das Gegenteil zeigen sollte, so wäre, der

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von uns wider den Sprachgebrauch aufgestellte und selbsterdichtete Begriff möchte noch so richtig und gründlich untersucht sein, diese ganze Arbeit doch nur ein Spiel, ein vemünftelndes Exerzitium, aber von keinem wesentlichen Nutzen. Weiter aber, als über die vorläufige Bestimmung des Begriffs, d. i. über die Angebung seines Genus und seiner spezifischen Differenz, ist der Sprachgebrauch auch nicht zu hören; denn sonst würde die Möglichkeit jeder Kritik aufgehoben und der Irrtum geheiligt und verewigt. Nach dieser vorläufigen Bestimmung des Begriffs war zu untersuchen, ob er überhaupt einer philosophischen Kritik zu unterwerfen, und vor welchem Richterstuhle seine Sache anhängig zu machen sei. Das erste hing davon ab, ob er a priori möglich sei, und das zweite mußte sich durch eine wirkliche Deduktion a priori aus den Prinzipien, von welchen er sich ableiten ließ, ergeben ; indem offenbar jeder Begriff unter das Gebiet desjenigen Prinzips gehört, von welchem er abgeleitet ist. Diese Deduktion wurde § 4, 5 wirklich gegeben, und aus ihr erhellte, daß dieser Begriff vor den Richterstuhl der praktischen Vernunft gehöre. Der zweite Punkt, der einer strengen Prüfung unterworfen werden muß, ist mithin diese Deduktion a priori, weil mit ihrer Möglichkeit die Möglichkeit jeder Kritik dieses Begriffs überhaupt, und die Richtigkeit der gegebnen, zugleich aber auch die Vernunftmäßigkeit des kritisierten Begriffs selbst steht oder fällt. Da sich bei dieser Deduktion fand, daß der in Untersuchung befindliche Begriff kein Datum a priori aufzuweisen habe, sondern dasselbe a posteriori erwarte, so mußte die Möglichkeit dieses verlangten Datums in der Erfahrung, aber auch nur seine Möglichkeit, gezeigt werden. Dies geschah § 6. Es kommt also bei Prüfung dieses Paragraphen bloß darauf an, ob ein empirisches Bedürfnis einer Offenbarung, welches das verlangte Datum ist, nicht etwa wirklich aufgezeigt, sondern nur richtig angezeigt worden, und ob aus den empirischen Bestimmungen der Menschheit die Möglichkeit abgeleitet worden, daß ein solches Bedürfnis eintreten könne. Mehr um den Satz, daß die Untersuchung der Möglichkeit einer Offenbarung schlechterdings nicht vor das Forum der theo-

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retischen Vernunft gehöre, welcher schon aus der Deduktion ihres Begriffs .erhellt, noch einleuchtender zu machen, als um einer systematischen Notwendigkeit willen, wurde § 7 noch die physische Möglichkeit einer Offenbarung, über welche an sich gar keine Frage entstehen konnte, gezeigt. Nach Beendigung dieser Untersuchungen muß es völlig klar sein, daß der Begriff der Offenbarung überhaupt nicht nur an sich denkbar sei, sondern daß auch, im Fall des eintretenden empirischen Bedürfnisses, sich etwas ihm Korrespondierendes außer ihm erwarten lasse. Da aber dieses Korrespondierende eine Erscheinung in der Sinnenwelt sein soll, welche gegeben werden muß (nicht gemacht werden kann), so kann nun der menschliche Geist hierbei nichts weiter tun, als diesen Begriff auf eine dergleichen Erscheinung anwenden, und die Kritik weiter nichts, als ihn dabei leiten, d. i. die Bedingungen festsetzen, unter denen eine solche Anwendung möglich ist. Diese Bedingungen sind § 8, 9, 10 entwickelt worden. Da dieselben nichts weiter, als die durch eine Analysis sich ergebenden Bestimmungen des Offenbarungsbegriffs selbst sind, so kommt es bei ihrer Prüfung nur darauf an, ob sie aus diesem Begriffe wirklich herfließen, und ob sie alle angegeben sind. Die Prüfung des Ietztern Punktes sucht § 11 zu erleichtern. Da aber aus der Art dieses Begriffs sich offenbar ergeben hat, daß seine wirkliche Anwendung auf eine gegebne Erfahrung immer nur willkürlich ist, und sich auf keine Zunötigung der Vernunft gründet, so hat (§ 12) noch gezeigt werden müssen, worauf diese Anwendung überhaupt sich gründe, und inwiefern sie vernunftmäßig sei. Auch diese Deduktion der Vernunftmäßigkeit dieses Verfahrens mit dem Offenbarungsbegriffe bedarf einer besondern Prüfung. Aus dieser kurzen übersieht erhellt, daß die Kritik der Offenbarung aus Prinzipien a priori geführt werde - denn bei Untersuchung des empirischen Datums für denOffenbarungsbegriff istsie bloß gehalten, die Möglichkeit desselben zu zeigen; daß sie mithin, wenn in keinem der angezeigten Punkte ihr ein Fehler nachzuweisen ist, auf allgemeine Gültigkeit rechtmäßigen Anspruch mache. Sollten aber in gegenwärtiger Bearbeitung dieser Kritik

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§ 13, Schlußanm.

119

dergleichen Fehler gemacht worden sein, wie wohl zu erwarten steht, so müßte es, wenn nur der Weg einer möglichen Kritik richtig angegeben ist, welches sich bald zeigen muß, besonders durch gemeinschaftliche Bemühungen, leicht sein, ihrien abzuhelfen; und eine allgemeingeltende Kritik aller Offenbarung aufzustellen. Durch diese Kritik wird nun die Möglichkeit einer Offenbarung an sich, und die Möglichkeit eines Glaubens an eine bestimmte gegebne insbesondre, wenn dieselbe nur vorher vor dem Richterstuhle ihrer besondern Kritik bewährt gefunden, völlig gesichert, alle Einwendungen dagegen auf immer zur Ruhe verwiesen, und aller Streit darüber auf ewige Zeiten beigelegt.*) Dttrch sie wird alle Kritik jeder besondern gegebnen Offenbarung begründet, indem sie die allgemeinen Grundsätze jeder dergleichen Kritik an den Kriterien aller Offenbarung aufstellt. Es wird, nach vorher ausgemachter historischer frage, was eine gegebne Offenbarung eigentlich lehre - welche in einzelnen fällen leicht die schwerste sein dürfte, möglich, mit völliger Sicherheit zu entscheiden, ob eine Offenbarung göttlichen Ursprungs sein könne, oder nicht, und im ersten Falle ohne alle Furcht irgendeiner Störung an sie zu glauben. Schlußanmerkung. Es ist eine sehr allgemeine Bemerkung, daß alles, was Spekulation ist, oder so aussieht, sehr wenig Eindruck auf das menschliche Gemüt mache. Man wird allenfalls angenehm dadurch beschäftigt; man läßt sich das Resultat gefallen, weil man nichts dagegen einwenden kann, würde aber auch nichts Arges daraus *) Dieser Streit gründet sich auf eine Antinomie des Offenbarungsbegriffs, und ist völlig dialektisch. Anerkennung einer Offenbarung ist nicht möglich, sagt der eine Teil; Anerkennung einer Offenbarung ist möglich, sagt der zweite: und so ausgedrückt widersprechen sich beide Sätze geradezu. Wenn aber der erste so bestimmt wird: Anerkennung einer Offenbarung aus theoretischen Gründen ist unmöglich; und der zweite: Anerkennung einer Offenbarung um einer Bestimmung des Begehrungsvermögens willen, d. i. ein Glaube an Offenbarung, ist möglich; so widersprechen sie sich nicht, sondern können beide wahr sein, und sind es beide, laut unsrer Kritik.

120

Schlußanmerkung

116-117 [163-164)

haben, wenn es anders ausgefallen wäre; denkt und handelt übrigens in praktischer Rücksilmt wie vorher, so daß der auf Spekulation gegründete Satz wie ein totes Kapital ohne alle Zinsen in der Seele zu liegen scheint, und daß man seine Anwesenheit durch nichts gewahr wird. So ging es von jeher mit den Spekulationen der Idealisten und Skeptiker. Sie dachten, wie niemand, und handelten, wie alle. Daß gegenwärtige Spekulation, wenn sie auch etwa nicht notwendig praktische Folgen aufs Leben hat (wie sie doch, wenn sie sich behauptet, haben möchte), dennoch in Absicht des Interesses nicht so kalt und gleichgültig werde aufgenommen werden, dafür bürgt ihr wohl der Gegenstand, den sie behandelt. Es ist nämlich in der menschlichen Seele ein notwendiges Interesse für alles, was auf Religion Bezug hat, und das ist denn ganz natürlich daraus zu erklären, weil nur durch Bestimmung des Begehrungsvermögens Religion möglich geworden ist; daß also diese Theorie durch die allgemeine Erfahrung bestätigt wird, und daß man sich fast wundern sollte, warum man nicht längst selbst von dieser Erfahrung aus auf sie kam. Wenn jemand etwa einen andem unmittelbar gewissen Satz, z. B. daß zwischen zwei Punkten nur Eine gerade Linie möglich sei, leugnen würde, so würden wir ihn vielmehr verlachen und bedauern, als uns über ihn erzürnen ; und wenn ja etwa der Mathematiker sich dabei ereifern sollte, so könnte dies nur entweder aus Mißvergnügen über sich selbst herkommen, daß er ihn seines Irrtums nicht sogleich überführen könne, oder aus der Vermutung, daß bei diesem hartnäckigen Ableugnen der böse Wille, ihn zu ärgern, (mithin doch auch etwas Unmoralisches) zum Grunde liege: aber dieser Unwille würde doch ein ganz anderer sein, als derjenige, der jeden, und den unausgebildetsten Menschen eben am meisten ergreift, wenn jemand das Dasein Gottes, oder die Unsterblichkeit der Seele ableugnet; welcher mit Furcht und Abscheu vermischt ist, zum deutlichen Zeichen, daß wir diesen Glauben als einen teuren Besitz, und denjenigen als unsern persönlichen Feind ansehen, der Miene macht, uns in diesem Besitze stören zu wollen. Dieses Interesse verbreitet sich denn verhältnismäßig weiter, je mehrere Ideen wir auf die Religion beziehen, und mit ihr in

[164-165) 117-118

Schlußanmerkung

121

Verbindung bringen können; und wir würden daher uns sehr bedenken, zu entscheiden, ob vorherrschende Toleranz in einer Seele, in welcher sie sich nicht auf langes anhaltendes Nachdenken gründen kann, ein sehr achtungswerter Zug sei. Aus eben diesem Interesse läßt sich auch im Gegenteile die empfindliche Abneigung erklären, mit der wir gegen Vorstellungen eingenommen werden, die wir etwa ehedem für heilig hielten, von denen wir aber bei zunehmender Reife uns überzeugt oder überredet haben, daß sie es nicht sind. Wir erinnern uns ja andrer Träume unsrer frühem Jahre, wie etwa des von einer uneigennützigen Hilfsbereitwilligkeit der Menschen, von einer arkadischen Schäferunschuld u. dgl. mit einem wehmütig frohen Andenken der Jahre, wo wir noch so angenehm träumen konnten, ohnerachtet das Gegenteil und die Erfahrungen, wodurch wir etwa darüber belehrt worden sind, uns doch an sich unmöglich angenehm sein können. Der Täuschungen von oben angezeigter Art aber erinnern wir uns lange mit Verdruß, und es gehört viel Zeit und Nachdenken dazu, um auch darüber kalt zu werden; ein Phänomen, welches man weder aus der dunkeln Vorstellung des durch dergleichen Ideen entstehenden Schadens (indem wir ja den offenbaren Schaden selbst mit mehr Gleichmut erblicken), noch etwa, wie ein gewisser Schriftsteller, der aber seitdem seine Meinung geändert zu haben scheint, aus dem Einflusse böser Wesen außer uns, sondern bloß daraus zu erklären hat, daß das Heilige uns teuer ist, und daß wir jede Beimischung eines fremdartigen Zusatzes als Entweihung desselben ansehen. Dieses Interesse zeigt sich endlich sogar darin, daß wir mit keinerlei Art Kenntnissen uns so breit machen, als mit vermeinten bessern Religionseinsichten, als ob hierin die größte Ehre liege, und daß wir sie - wenn nicht etwa der gute Ton dergleichen Unterhaltungen verbannt hat, wiewohl eben das, daß er sie verbannen mußte, eine allgemeine Neigung zu denselben anzuzeigen scheint, -so gern andern mitteilen mögen, in der sichern Voraussetzung, daß dies ein allgemein interessanter Gegenstand sei. So sicher wir also von dieser Seite sein dürften, daß gegenwärtige Untersuchung nicht ganz ohne Interesse werde aufgenommen werden, so haben wir eben von diesem Interesse zu befürchten, daß es sich gegen uns kehren, und den Leser in der ruhigen Be-

122

Schlußanmerkung

118 [165-166)

trachtung und Abwägung der Gründe stören könne, wenn er etwa voraussehen, oder wirklidl finden sollte, daß das Resultat nicht ganz seiner vorgefaßten Meinung gemäß ausfalle. Es scheint also eine nicht ganz vergebliche Arbeit zu sein, hier noch, ganz ohne Rücksicht auf die Begründung des Resultats, und gleich als ob wir nicht einen a priori vorgeschriebnen Weg gegangen wären, der uns notwendig auf dasselbe hätte führen müssen, sondern, als ob es gänzlich von uns abgehangen hätte, wie dasselbe ausfallen solle, zu untersuchen, ob wir Ursache gehabt hätten, ein günstigeres zu wünschen, oder ob gegenwärtiges etwa überhaupt das vorteilhafteste sei, das wir uns versprechen durften ; kurz, dasselbe, ganz ohne Rücksicht auf seine Wahrheit, bloß von seiten seiner Nützlichkeit zu untersuchen. Aber hier stoßen wir denn zuerst auf diejenigen, welche in der besten Meinung von der Welt sagen werden, bei einer Untersuchung der Art könne überhaupt nichts Kluges herauskommen, und es würde besser gewesen sein, gegenwärtige ganz zu unterlassen; die alles, was mit der Offenbarung in Verbindung steht, überhaupt nicht auf Prinzipien zurückgeführt wissen ·wollen; die jede Prüfung derselben scheuen, fürchten, von sich ablehnen. Diese werden denn doch, wenn sie aufrichtig sein wollen, zugestehen, daß sie selbst eine schlechte Meinung von ihrem Glauben haben, und mögen selbst entscheiden, ob ihnen die Achtung und Schonung derjenigen besser gefällt, welche die Sache der Offenbarung schon für völlig abgeurteilt und in allen Instanzen verloren ansehen, und meinen, ein Mann, der auf seine Ehre halte, könne einmal mit ihr sich nicht mehr befassen, es sei sogar ein schlechtes Heldenstück, sie vollends zu Grunde zu richten, und möge man ja auch wohl aus mitleidiger Schonung denen, die nun einmal ihr Herz daran gehängt haben, dies im Grunde unschuldige Spielwerk wohl gönnen. Doch haben wir mit diesen es eigentlich hier nicht zu tun, denn von ihnen wird wahrscheinlich keiner diese Schrift lesen, sondern nur mit solchen, die eine Prüfung der Offenbarung verstatten. Gegenwärtige sollte unsrer Absicht nach die strengste sein, welche möglich ist. Was haben wir nun durch dieselbe verloren? was gewonnen? wo ist das Obergewicht?

[166-167) 118-119

Schlußanmerkung

123

Verloren haben wir alle unsere Aussichten auf Eroberungen, sowohl objektive, als subjektive. Wir können nicht mehr hoffen, durch Hilfe einer Offenbarung in das Reich des übersinnlichen einzudringen, und von da, wer weiß welche? Ausbeute zurückzubringen, sondern müssen uns bescheiden, uns mit dem, was uns mit einem Male zu unsrer völligen Ausstattung gegeben war, zu begnügen. Ebensowenig dürfen wir weiter hoffen, andre zu unterjochen und sie zu zwingen, ihren Anteil an dem gemeinschaftlichen Erbe oder an dieser neuen vermeinten Akquisition von uns zu Lehn zu nehmen, sondern müssen, jeder für sich, uns auf unsre eignen Geschäfte einschränken. Gewonnen haben wir völlige Ruhe und Sicherheit in unserm Eigenturne; Sicherheit vor den zudringlichen Wohltätern, die uns ihre Gaben aufnötigen, ohne daß wir etwas damit anzufangen wissen; Sicherheit vor Friedensstörern anderer Art, die uns das verleiden möchten, was sie selbst nicht zu gebrauchen wissen. Wir haben beide nur an ihre Armut zu erinnern, die sie mit uns gemein haben, und in Absicht welcher wir nur darin von ihnen verschieden sind, daß wir sie wissen, und unsern Aufwand darnach einrichten. Haben wir nun mehr verloren, oder mehr gewonnen? Freilich scheint der Verlust der gehofften Einsichten in das übersinnliche ein wesentlicher, ein nicht zu ersetzender, noch zu verschmerzender Verlust; wenn es sich aber bei näherer Untersuchung ergeben sollte, daß wir dergleichen Einsichten zu gar nichts brauchen, ja daß wir nicht einmal sicher sein können, ob wir sie wirklich besitzen, oder ob wir auch sogar hierüber uns täuschen, so möchte es leichter werden, sich darüber zu trösten. Daß von der Realität aller Ideen vom übersinnlichen keine objektive Gewißheit, sondern nur ein Glaube an sie stattfinde, ist nun zur Genüge erwiesen. Aller bisher entwickelte Glaube gründet sich auf eine Bestimmung des Begehrungsvermögens (bei der Existenz Gottes und der Seelen Unsterblichkeit auf eine des obern, bei dem Vorsehungs- und Offenbarungsbegriffe auf eine durch das obere geschehne Bestimmung des untern), und erleichtert gegenseitig wieder diese Bestimmung. Daß weiter keine Ideen möglich sind, an deren Realität zu glauben eine unmittel-

124

Schlußanmerkung

119-120 (167-168]

bare oder mittelbare Bestimmung durch das praktische Gesetz uns bewege, ist klärlich gezeigt. Es fragt sich also hier nur noch, ob nicht ein Glaube möglich sei, der nicht durch eine dergleichen Bestimmung entsteht, und sie nicht wieder erleichtert. Im ersten Falle muß es leicht auszumachen sein, ob der Glaube in concreto wirklich da ist; das muß sich nämlich aus den praktischen Folgen ergeben, die er, als die Willensbestimmung erleichternd, notwendig hervorbringen muß. Im letztem Falle aber, wo keine dergleichen praktische Folgen möglich sind, scheint es, da der Glaube etwas bloß Subjektives ist, schwer, hierüber etwas Festes zu bestimmen, und es hat völlig das Ansehen, daß uns nichts übrig bleibt, als jedem ehrlichen Manne auf sein Wort zu glauben, wenn er uns sagt: ich glaube das, oder ich glaube jenes. Dennoch ist es vielleicht möglich, auch hierüber etwas auszumitteln. Es ist nämlich an sich gar nicht zu leugnen, daß man oft andere, und ebensooft sich selbst überredet, man glaube etwas, wenn man bloß nichts dagegen hat, und es ruhig an seinen Ort gestellt sein läßt. Von dieser Art ist fast aller historischer Glaube, wenn er sich nicht etwa auf eine Bestimmung des Begehrungsvermögens gründet, wie der an das Historische in einer Offenbarung, oder der eines Geschichtsforschers von Profession, der von der Achtung für sein Geschäft, und von der Wichtigkeit, die er in seine mühsamen Untersuchungen schlechterdings setzen muß, unzertrennlich ist; oder der einer Nation an eine Begebenheit, die ihren Nationalstolz unterstützt. Das Lesen der Begebenheiten und Handlungen von Wesen, die gleiche Begriffe und gleiche Leidenschaften mit uns haben, beschäftigt uns auf eine angenehme Art, und es trägt zur Vermehrung unsers Vergnügens etwas bei, wenn wir annehmen dürfen, daß dergleichen Menschen wirklich lebten, und wir nehmen dies um so fester an, je mehr die Geschichte uns interessiert, je mehr sie Ähnlichkeit mit unsern Begebenheiten oder unsrer Denkungsart hat; wir würden aber, besonders in manchen Fällen, auch nicht viel dagegen haben, wenn alles bloße Erdichtung wäre. lst's auch nicht wahr, so ist es gut erfunden, möchten wir denken. Wie soll man nun hierüber zu einiger Gewißheit über sich selbst kommen? - Die einzige wahre Probe, ob man etwas wirklich

[168-169)120-121

Schlußanmerkung

125

annehme, ist die, ob man darnach handelt, oder, im vorkommenden Falle der Anwendung, darnach handeln würde. über Meinungen, die an sich keine praktische Anwendung . haben, noch haben können, findet dennoch zu jeder Zeit ein Experiment statt, daß man sich nämlich aufs Gewissen frage, ob man wohl für die Richtigkeit einer gewissen Meinung einen Teil seines Vermögens, oder das ganze, oder sein Leben, oder seine Freiheit verwetten wolle, wenn etwas Gewisses darüber auszumachen sein sollte. Man gibt dann einer Meinung, die an sich keine praktischen Folgen hat, durch Kunst eine praktische Anwendung. Wenn man auf diese Art jemandem eine Wette um sein ganzes Vermögen antrüge, daß kein Alexander der Große gelebt habe, so könnte er vielleicht diese Wette ohne Bedenken annehmen, weil er bei völliger Redlichkeit dennoch ganz dunkel denken möchte, daß diejenige Erfahrung, welche dies entscheiden könnte, schlechterdings nicht mehr möglich sei; wenn man aber etwa ebendemselben die gleiche Wette darauf antrüge, daß kein Dalai Lama existiere, mit dem Erbieten, die Sache an Ort und Stelle durch die unmittelbare Erfahrung zu verifizieren, so möchte er vielleicht bedenklicher dabei werden, und sich dadurch verraten, daß er mit seinem Glauben über diesen Punkt nicht völlig in Richtigkeit sei. Wenn man nun über den Glauben an übersinnliche Dinge, deren Begriff durch die reine praktische Vernunft a priori nicht gegeben ist, die mithin an sich gar keine praktischen Folgen haben können, sich eben so eine beträchtliche Wette antrüge, so wäre es sehr leicht möglich, daß man dadurch, daß man sie von der Hand wiese, entdeckte, man habe bisher den Glauben an sie nicht gehabt, sondern sich nur überredet, ihn zu haben; wenn man aber diese Wette auch wirklich annähme, so könnte man noch immer nicht sicher sein, ob sich nicht das Gemüt ganz dunkel besonnen habe, es habe hier noch gar nicht nötig, sich auf seiner Schalkheit ertappen zu lassen, da bei einer solchen Wette gar nichts zu wagen sei, weil die Sache (bei dergleichen Ideen) in Ewigkeit nicht, weder durch Gründe, noch durch Erfahrungen auszumachen sei. Wenn also auch nicht darzutun sein sollte, daß an die Realität von dergleichen Ideen gar kein Glaube möglich sei, so ergibt sich hieraus doch leicht soviel,

*

126

Schlußanmerkung

121-122 (169-170]

daß es nie möglich sei, auch nur mit sich selbst ins reine zu kommen, ob man diesen Glauben überhaupt habe, welches eben soviel ist, als ob er überhaupt und an sich nicht möglich wäre. Es ist hieraus zu beurteilen, ob wir Ursache haben, über den Verlust unsrer Hoffnung, durch eine Offenbarung erweiterte Aussichten in die übersinnliche Welt zu bekommen, sehr verlegen zu sein. In Absicht des zweiten Verlustes bitten wir jeden, sich vor seinem Gewissen die Frage zu beantworten, zu welcher Absicht er eigentlich eine Religion haben wolle; ob dazu, um sich über andre zu erheben, und sich vor ihnen aufzublähen, zur Befriedigung seines Stolzes, seiner Herrschsucht über die Gewissen, welche weit ärger ist, als die Herrschsucht über die Körper; oder dazu, um sich selbst zum bessern Menschen zu bilden. ...;.... Inzwischen bedürfen wir sie auch mit für andere, teils um reine Moralität unter ihnen zu verbreiten; aber da darf nur dargetan sein, daß dies auf keinem andern Wege, als dem angezeigten, geschehen könne, so werden wir ja gern, wenn dies wirklich unser Ernst ist, jeden andern vermeiden; teils, wenn wir das nicht können sollten, uns wenigstens der Legalität von ihnen zu versichern, - ein Wunsch, der an sich völlig rechtmäßig ist. Und in Absicht der Möglichkeit, ihn dadurch zu erreichen, ist denn ganz sicher nichts leichter, als den Menschen, der sich im Dunkeln überhaupt fürchtet, zu schrecken, ihn dadurch zu leiten, wohin man will, und ihn zu bewegen, in Hoffnung des Paradieses seinen sterblichen Leib brennen zu lassen, so sehr man will; wenn aber gezeigt ist, daß durch eine solche Behandlung der Religion die Moralität notwendig gänzlich vernichtet werde, so wird man ja gar gern eine Gewalt aufgeben, zu der man kein Recht hat; da zumal diese Legalität und alles, was etwa in manchen Staaten dazu gerechnet wird, weit sicherer, und wenigstens ohne schädliche Folgen für die Moralität, durch andere Mittel erreicht wird, als da sind große stehende Heere, militärische und hochnotpeinliche Exekution u. dgl. m. Dies wäre denn die Berechnung unsers Verlusts. Laßt uns nun den Gewinn dagegen halten!

[170-171) 122

Schlußanmerkung

127

Wir gewinnen völlige Sicherheit in unserm Eigentume. Wir

dürfen ohne Furcht, daß unser Glaube uns durch irgendeine Vernünftelei geraubt werde, ohne Besorgnis, daß man ihn lächerlich machen könne, ohne Scheu vor der Bezüchtigung des Blödsinns und der Geistesschwäche, ihn zu unsrer Verbesserung brauchen. jede Widerlegung muß falsch sein, das können wir a priori wissen; jeder Spott muß auf den Urheber zurückfallen. Wir gewinnen völlige Gewissensfreiheit, nicht vom Gewissenszwange durch physische Mittel, welcher eigentlich nicht stattfindet; denn äußerer Zwang kann uns zwar nötigen, mit dem Munde zu bekennen, was er will, aber nie, im Herzen etwas dem Ähnliches zu denken; sondern von dem unendlich härteren Geisteszwange durch moralische Bedrückungen und Vexationen, durch Zureden, Zunötigungen, Drohungen, wer weiß welcher? schlimmen übel, die man unserm Gemüte anlegt. Dadurch wird notwendig die Seele in eine ängstliche Furcht versetzt, und quält sich so lange, bis sie es endlich so weit bringt, sich selbst zu belügen, und den Glauben in sich zu erheucheln; eine Heuchelei, welche weit schrecklicher ist, als der völlige Unglaube, weil der letztere den Charakter nur so lange, als er dauert, verderbet, die erstere aber ihn ohne Hoffnung jemaliger Besserung zu Grunde richtet, so daß ein solcher Mensch nie wieder die geringste Achtung oder das geringste Zutrauen zu sich fassen kann. Dies ist die Folge, welche das Verfahren, den Glauben auf Furcht und Schrecken, und auf diesen erpreßten Glauben erst die Moralität (eine Nebensache, die wohl ganz gut sein mag, wenn sie zu haben ist, in Ermangelung deren aber auch wohl der Glaube allein uns durchhelfen kann ) gründen zu wollen, notwendig haben muß, und welche es auch allemal gehabt haben würde, wenn man immer konsequent zu Werke gegangen, und die menschliche Natur von ihrem Schöpfer nicht zu gut eingerichtet wäre, als daß sie sich so sollte verdrehen lassen. Nach Maßgabe dieser Grundsätze würde der einzige Weg ein Weg, den offenbar auch das Christentum vorschreibt - den Glauben in den Herzen der Menschen hervorzubringen, der sein, ihnen durch Entwickelung des Moralgefühls das Gute erst recht lieb und wert zu machen, und dadurch den Entschluß, gute Men-

128

Schlußanmerkung

122-123 [171-172]

sehen zu werden, in ihnen zu erwecken; dann sie ihre Schwäche allenthalben fühlen zu lassen, und nun erst ihnen die Aussicht auf die Unterstützung einer Offenbarung zu geben, und sie würden glauben, ehe man ihnen zugerufen hätte: glaubet! Und jetzt darf die Entscheidung, wo das Obergewicht sei, ob auf der Seite des Gewinns, oder der des Verlusts, dem Herzen eines jeden Lesers überlassen werden, mit Zusicherung des beiläufigen Vorteils, daß ein jeder dieses Herz selbst aus dem Urteile, das es bierüber fällt, näher wird kennen lernen.

Anmerkungen zum Text

S. 1: Die ursprüngliche Ausgabe der ersten Auflage enthielt keine Angabe des Verfassers. Vgl. GA I,1, 3 und die folgende Anmerkung. Dem Titelblatt der "Zweiten, vermehrten, und verbesserten Auflage" von 1793 ist eine Widmung an Franz Volkmar Reinhard (1753-1812, Oberhofprediger in Dresden) beigegeben. Vgl. GA I,1, 129-131. Zu der möglicherweise schon in den Studentenjahren Fichtes bestehenden Beziehung zu Reinhard vgl. R. Preul, Reflexion und Gefühl, 53 Anm. 12. S. 3f.: Die Vorrede fehlt in der ursprünglichen Ausgabe der ersten Auflage. In der zweiten Auflage (im folgenden: B) ist im Anschluß daran angemerkt: "Diese Vorrede, und das ächte vom Verfasser mit seinem Namen unterzeichnete Titelblatt wurden durch ein Versehen nicht in der Ostermesse, aber wohl späterhin, mit ausgegeben. Der Verleger" (GA I,1, 17). In der "Vorrede zur zweiten Auflage" (GA I,1, 133) betont Fichte, daß er statt einer zweiten Auflage der Schrift lieber eine "kritische Untersuchung der ganzen Familie der Reflexions-Ideen" - wozu der der Offenbarung gehöre -gegeben hätte. S. 7, z. 20f.: B: "und zwar, wenn dieser Begriff, wie vorläufig wenig· stens zu vermuthen ist, sich blos auf Religion beziehen sollte". S. 8, z. 11: In B folgt als § 2 eine "Theorie des Willens, als Vorbereitung einer Deduction der Religion überhaupt" (GA I,1, 135-153). Der Text von § 3 (B) differiert gegenüber § 2 (A) bis S. 10, z. 9. Vgl. Abschnitt 3.1 der Einleitung. S. 11, z. 9-13: B: "Diese Sätze nennen wir, als mit der Anforderung der Vernunft uns endlichen Wesen ein practisches Gesetz zu geben, unmittelbar verbunden, und von ihr unzertrennlich, Postulate der Vernunft. Nemlich diese Sätze werden nicht etwa durch das Gesetz geboten, welches ein practisches Gesetz für Theoreme nicht kann, sondern sie

130

Anmerkungen zum Text

müssen nothwendig angenommen werden, wenn die Vernunft gesetzgebend seyn soll. Ein solches Annehmen nun, zu dem die Möglichkeit der Anerkennung eines Gesetzes überhaupt uns nöthiget, nennen wir ein Glauben. - Da jedoch diese Sätze sich blos auf die Anwendung des Sittengesetzes auf endliche Wesen, wie sich oben aus der Deduction derselben hinlänglich ergeben hat, nicht aber auf die Möglichkeit des Gesetzes an sich, welche Untersuchung für uns transscendent ist, sich gründen, so sind sie in dieser Form nur subjectiv, d. i. nur für endliche Naturen, - für diese aber, da sie auf den bloßen Begriff der moralischen Endlichkeit, abgesehen von allen besondern Modificationen derselben sich gründen, allgemeingültig. Wie der unendliche Verstand sein Daseyn und seine Eigenschaften anschauen möge, können wir, ohne selbst der unendliche Verstand zu seyn, nicht wissen. (GA 1,1, 22). S. 11, Z. 14-21: B: "Die Bestimmungen im Begriffe Gottes, den die durch das Moralgebot practisch bestimmte Vernunft aufstellte, lassen sich in zwei Hauptklassen theilen: die erste enthält diejenigen, welche sein Begriff selbst unmittelbar giebt, daß er nemlich gänzlich und allein durch das Sittengesetz* bestimmt sey; die zweite diejenigen, welche ihm in Beziehung auf die Möglichkeit endlicher moralischer Wesen zukommen, um welcher Möglichkeit willen wir eben seine Existenz annehmen mußten. (GA 1,1, 22). S. 12, Z. 24: B: "theoretisch-vernünftig" statt "vernünftig". S. 12, Z. 34: B: "hier insbesondre von" statt "von". S. 14, Z. 8: B: "am Rechten" statt "am moralisch Guten". S. 15, z. 12: B: "daß wir keinen rechtlich gegründeten Anspruch darauf machen können" statt "daß es nicht von uns abhängt". S. 18, Z. 11: B: "indem der" statt "und der". S. 18, z. 34-36: In B schließt der Absatz mit "selbst". S. 22, Z. 20: B: "in uns" statt "uns". S. 22, Z. 25: B: "Gesetzgeber durch dieses Gesetz in uns, gelte". S. 27, Z. 26: B: § 4. S. 28, z. 4: B: "insbesondre, nemlich negativ, auf". S. 31, z. 7f.: B: ,,alsbald, folglich ohne erst zu schließen, in". S. 31, Z. 9f.: B: ,,sogleich, d. i. unmittelbar durch Wahrnehmung erkennten". S. 33, Z. 17: In B schließt die Anmerkung mit "gefordert". S. 33, Z. 23: In B folgt als § 5 eine "Formale Erörterung des Offenbarungsbegriffs, als Vorbereitung einer materialen Erörterung desselben" (GA 1,1, 153-161). S. 33, Z. 24-26: B (Originalausgabe, vgl. GA I,1, 41): "§. 4. [so irrtümlich] Materiale Erörterung des Offenbarungsbegriffs, als Vorbereitung einer Deduktion desselben"; SW V, 75: "§.6. Materiale Erörterung des Offenbarungsbegriffs".

Anmerkungen zum Text

I3I

S. 33, z. 27-S. 34, z. I3: Hier differiert B von A, vgl. GA I,I, 42. S. 36, Z. 9: Hinter "historische" hat B die Anmerkung: "Überhaupt haben alle, die durch historische, geographische, physische Deduktionen die kritische Philosophie widerlegen, noch nicht den ersten Satz der Philosophie gefaßt, die sie widerlegen". (GA I, I, 44). S. 37, Z. I8: B: § 7. S. 37, z. 2I-S. 39 fehlen in B. S. 40, Z. I: B: "Wenn endliche". S. 41, Z. 26: In B folgt die Anmerkung: "Daß dieser Deduction gar nicht eine objektive, einen theoretischen Beweis a priori begründende, sondern blos eine subjektive, für den empirischbedingten Glauben hinlängliche, Gültigkeit zugeschrieben werde, ist wohl für keinen Leser, der auch nur eine dunkle Ahndung von dem Gange und Ziele dieser Abhandlung hat, zu erinnern - auch sogar dann nicht, wenn jemand ihren Sinn vorsätzlich misdeuten sollte, um den Leser irre zu führen". (GA I,I, 48). Diese Anmerkung ist gegen die (vermutlich von G.E. Schulze Aenesidemus stammende) Rezension in der "Neuen allgemeinen deutschen Bibliothek" (vgl. Einleitung Anm. I3I) gerichtet, vgl. Fichtes Brief an G. Hufeland vom 28. März I793 (GA III,I, 378f.). S. 43, Z. 20: B: "angewandten Kritik dieser gegebnen Offenbarung" statt "Kritik derselben". S. 43, Z. 21: B: "Kritik des Offenbarungsbegriffs überhaupt" statt "Kritik ihres Begriffs". S. 44, Z. 29: B: § 8. S. 45, z. 20: B: "zeigen können" statt "fühlen". S. 47, Z. 9: B: "festen" statt "ernsten". S. 4 7, Z. 30: "Bildung voraus hat". S. 48, Z. lf.: B: "man den Antrieb des Sittengesetzes. die Achtung für dasselbe, verstärkt". S. 48, z. 6: B: "Der Antrieb des Moralgesetzes läßt sich". S. 48, z. 32f.: B: "Vollkommenheit, der die Naturreligion begründet". S. 51, z. I3: B: "Gefühl erwache, und sittliche Begriffe sich entwikkeln". S. 55, Z. 15f.: B: "Wesen die veranlassende Ursache dieser Entwickelung sey". S. 59, z. I6f.: Vgl. Lev. II,44; I9,2 (I Petr. I,I6). S. 59, z. 22: B: "geweckt" statt "entwickelt". S. 62, z. 12: B: "der realen Möglichkeit". S. 62, z. I8: B: "verliert es" statt "verliert er". S. 64, z. 28: B: "ist aber diese Vernunft". S. 66, Z. 5: B: § 9. S. 66, z. 8f.: B: "eines Bedürfnisses" statt "des Bedürfnisses". S. 66, z. 9: B: "berechtigt" statt "bestätigt".

132

Anmerkungen zum Text

S. 66, Z. 30: B: "wird Kausalität" statt "hat eine Kausalität". S. 67, Z. 5f.: B: "von bloßer Bestimmung des obern Begehrungsver· mögens ist". S. 70, Anm. Z lf.: Vgl. GA 1,1, 73: "Columbus, Christoph (Colon, Christoval), 1451-1506. Fichte verlegt den Vorfall irrtüml. nach Hispaniola (Haiti); die totale Mondfinsternis, durch deren Vorhersage Colum· bus die Einwohner dazu bewegte, ihm aus religiöser Furcht Lebensmittel zu liefern, ereignete sich während seines Aufenthaltes auf Jamaica am 29. Febr. 1504. S. 71, z. 31: B: § 10. S. 72, z. 6: B: "Form nach, insofern diese religiös seyn muß, mit". S. 72, z. 33: B: "lnspirirten" statt "Religionsstiftern". S. 74, Z. 31-33: In B fehlt der Satz: "Was sie sein könne, und ob sie nicht unter irgendeiner Bedingung möglich sei, gehört nicht in den Plan der gegenwärtigen Untersuchung". S. 75, Z. 14: B: § 11. S. 77, Z. 9: B: "unmittelbare". S. 78, Z. 35: B: "diesen Principien". S. 79, z. 15: Vgl. oben 69-71. S. 81, Z. 16: Vgl. oben 32 1 - 8 ; 75 25 -76 2 • S. 82, Z. 29-31: Vgl. Matth. 5,40. S. 86, Z. 20: B: "Ursachen" statt "Gründe". S. 89, Z. 4: B: § 12. S. 94 Anm.: Vgi.Joh. 14,8f. S. 95, z. 14-S. 97, z. 5: Die Ausführungen von "Es ist" bis "werden soll." fehlen in B. S. 95 Anm. Z. 3-7: Vgl. Joh. 11,25f.; 5,29; 8,51; z. 8-11: Vgl. Mk. 12,18-27 parr; Z. ll-14: Vgl. Luk. 20,39f.; Z. l5f.: Vgl. l Kor. 15. S. 98, Z. 1: B: § 13. S. 100, z. 9: B: § 14. S. 101, z. 19: B: "unendlichen Dauer" statt .,Unsterblichkeit". S. l 02, Z. 16: B: "müßte" statt "müsse". S. 102: Die Anmerkung fehlt in B. S. 103, Z. 8f.: B: "einer Offenbarung nicht etwa überhaupt - denn eine solche Eigenschaft in Gott fanden wir oben§. 7. (A: § 5) allerdings an seiner Bestimmung durch's Sittengesetz, Moralität außer sich durch jedes mögliche Mittel zu verbreiten - sondern unter den empirisch gegebnen Bestimmungen dieserbesondern Offenbarung zu realisiren". S. 105, z. 12: B: .,kleinsten" statt "kleinen". S. 105, Z. 33-S. 106, Z. 6: Vgl. Kant, KrV A 592-630. S. 106, z. 6-18: Vgl. oben 12-18. S. 106, z. 12-14: B: "Existenz Gottes und die unendliche Dauer aller moralischen Wesen annehmen".

Anmerkungen zum Text

133

S. 108, z. 4: B: "Eine Bestimmung durchs untere Begehrungsvermögen die Realität einer Vorstellung zu wollen, deren Gegenstand man nicht selbst hervorbringen kann, ist". S. 109, Z. 4: B: "diese Annahme" statt "dieser Begriff". S. 109, z. 32: B: "und bei der wir" statt "und wir". S. 111, Anm. Z. 9: B: "Urtheils" statt "Gemüts"; "eine" gesperrt. S. 111, Anm. Z. 12: B: .,in Absicht der Unwiderlegbarkeit mit". S. 113, z. 2: B: "alle endliche vernünftige". S. 114, z. 22: B: "dieselben" statt "dieselbe". S. 114, 1. Anm. Z. 7: B: "zugestehen. -Es geschieht vermittelst der Begeisterung durch die Einbildungskraft; und dieser Umstand darf die Sache niemanden verdächtig machen, da ja die Offenbarung überhaupt nur durch dieses Vehikulum wirken kann, und soll." (GA 1,1, 111). S. 114, 2. Anm. Z. 1-3: Vgl. Joh. 7,17; Z. 3-4: Vgl. Joh. 3,20; Z. 5: Vgl. Mk. 2,17; Z. 5-6: Vgl. Luk. 5,32. S. 116, Z. 14: B: § 15. S. 116, z. 15: B: "Allgemeine Übersicht dieser Kritik." S. 116, Z. 30-S. 117, Z. 9: Der Abschnitt "Der erste" bis "verewigt." fehlt in B. S. 125, z. 12: Vgl. die Anspielung auf Alexander den Großen in G. E. Lessings "Ueber den Beweis des Geistes und der Kraft", Sämtliche Schriften (s. Einleitung Anm. 17), Bd. 13, 6.

Nachbemerkung

Nach der Neuausgabe von 1983 erschienen zwei Monographien zu Fichtes Offenbarungsschrift Michael Kessler ( 1986) bemüht sich, die Fragestellungen dieses Werks im Umfeld der gesamten Offenbarungsproblematik der Aufklärung verständlich zu machen, und gibt dann einen Überblick über die Rezensionen der Schrift und ihre Wirkungsgeschichte bis hin zu Schleiermacher. Hans Winter (1996) behandelt Fichtes "Versuch" selbst auf dem Hintergrund seiner philosophischen Voraussetzungen nur kurz. Ausführlich stellt er die kontroverse Rezeption des Werks im protestantischen Raum dar und kommt zu dem Ergebnis, daß der Atheismusstreit im wesentlichen bereits mit der Auseinandersetzung um die Offenbarungsschrift beginnt und 1798/99 nur einen neuen Höhepunkt erreicht. Jean-Christophe Goddard versucht in seinem Gesamtüberblick über die frühe (.und früheste) Philosophie Fichtes (1992) eine wesentliche Übereinstimmung in der religionsphilosophischen Konzeption Fichtes von der Offenbarungskritik bis hin zu den während des Atheismusstreits verfaßten Schriften herauszuarbeiten, wobei er die Ansicht vertritt, die Transzendentalphilosophie könne nur als "predication" und als "Lehre" (in diesem Sinne), als "Pädagogik und Initiation" verstanden werden (S. 220). In seiner Einleitung zu der von

136

Nachbemerkung

ihm - auf der Grundlage der zweiten Auflage - besorgten französischen Übersetzung der Offenbarungsschrift (1988) verweist Goddard in dem (gegenüber der Erstauflage neuen) zweiten Paragraphen auf Züge (z.B. eine erste Anwendung des "Prinzips der Fünffachheit"), die dann für die gesamte spätere Philosophie Fichtes bestimmend geblieben seien. Ein ähnliches Ziel verfolgt auch Folkart Wittekind in "Von der Religionsphilosophie zur Wissenschaftslehre ... " (1997). Fichte nehme in jenem neuen Paragraphen "grundlegende Weichenstellungen hin zur praktischen Philosophie der Wissenschafts· lehre [... ] vor[ ... ]" (S. 101). Ob dies mit gleichem Recht im Hinblick auf die "Einordnung der Religionsphilosophie" behauptet werden darf (ebd.), möchte ich nach wie vor bezweifeln (vgl. ebd. S. 101 und 112 Anm. 8). In "Theologie und Religion ... " ( 1997) untersucht Wittekind gründlich vor allem den zweiten Paragraphen der ersten Auflage mit dem Ziel, größere Klarheit in den Zusammenhang der verschiedenen von Fichte deduzierten Religionsbegriffe zu verschaffen. Dabei greift er - soweit ich sehe - als erster den in der Ein· Ieitung zur Meinersehen Ausgabe von 1983 gegebenen Hin· weis auf, daß Fichtes Offenbarungsschrift in ihren systemati· sehen Implikationen nur auf dem Hintergrund des Entwurfs zur ersten Auflage angemessen verstanden werden kann. Den zur Zeit in systematischer wie philosophiehistorischer Hinsicht wohl wichtigsten Interpretationsbeitrag stellt die äußerst dichte Einleitung von Marco M. Olivetti zu der von ihm besorgten italienischen Übersetzung (1998) dar, wo die gesamte einschlägige Literatur (auch die wichtigen Beiträ· g_e von C. Cesa, G. Rotta und M. Ivaldo, die in diesem kurzen Uberblick nicht berücksichtigt werden konnten) adäquat gewürdigt wird. Entstehungs· und Redaktionsgeschichte des Werks sind sorgfältig skizziert (Teil 1 und 2). Im zentralen Teil 3 werden Intention und Ausführung der Offenbarungskritik auf dem Hintergrund der Situation herausgearbeitet, die sich nach dem Fragmentenstreit, der Leibnizisch-Lessingschen Trennung zwischen historischen und rationalen Wahrheiten

Nachbemerkung

137

{und dem Versuch ihrer geschichtsphilosophischen Vermittlung als "Erziehung des Menschengeschlechts") ergab. Olivetti sieht in Fichtes Versuch, einen formalen Begriff aller möglichen geschichtlichen Offenbarung apriori zu begründen, das "symmetrische Gegenstück" zu dem Bemühen Kants, innerhalb einer als geschichtlich offenbart geltenden Religion die Inhalte zu identifizieren, die vor "der bloßen Vernunft" bestehen können. Das Unternehmen Fichtes sei von Anfang an intersubjektiv und kommunikativ angelegt. November 1997

Hansjürgen Verweyen

Sachregister

Abgeordneter s. Gesandter Achtung 7, 16, 23-25, 48, 65, 75, 78, 82, 87, 90, 92, 121, 122, 124, 127 Affekt 63, 64, 80, 91, 92 Allgemeingültig(keit) 16, 18, 20, 25, 100, 101, 112, 115, (s. a. Gültigkeit) 118, 119 allmächtig, Allmacht 10, 15, 59, 73, 77 (s. a. Macht) allwissend 10,15,77 Angenehme, das 15, 50 Ankündigung 28, 30-32, 38, 41, 55, 56, 62, 72, 75, 76, 99 Anschauung 45 Anthropomorph(ose) 68, 94, 95 Antinomie 119 Antrieb 40, 45, 46, 48, 50 apodiktisch 116 a postenon 22, 34-39, 42, 59, 61, 66, 72, 76, 102, 103, 112, 117 a priori 7, 8, 13, 18, 21, 27ff. Architekt 53 asketisch 89 Auferstehung 95-97 Aufmerksamkeit 58-60,70,71,74

Autorität 25, 33, 54-58, 61, 72, 73, 79-82, 96 Bedürfnis 32,35-37,43,47, 49, 59-61, 63, 66, 72, 73, 76, 86, 89, 90, 93, 94, 98, 113-115, 117 Befehl 26, 55, 75, 77,82, 83,86 Befriedigung 16, 4 7 Begehren 15 Begehrungsvermögen 8, 12-15, 23, 49, 105, 106, 109-111, 113, 119, 120, 124 -,oberes 12, 19, 40, 45, 46, 66, 67, 77, 107, 108,110,111,123 -,unteres 12, 19, 45, 46, 105, 107, 108, 111, 123 Begierde 12, 14, 19, 20, 25,89 Beispiel 90 Belehrung s. Lehre. Belohnung 58, 65, 75, 78, 95 Bestimmung 11, 28, 42, 45, 64, 66, 77, 86-88, 94-97, 100, 105-124 (s. a. Willensbestim· mung) Bestreben 16 Betrug 36, 56, 57, 71, 73, 74,83 Bewunderung 46, 58, 90

Sachregister Bewußtsein 30, 40, 41 Bild 95 Bildung 47, 49, 53, 110 Billigung 14, 15, 19 Böse(s) 82 Christ(us) 93 Christentum 127 Dämon 53 Dalai Lama 125 Dank(barkeit) 28, 54, 86 Darstellung 89-95,97,99-101, 104, 108, 113 Datum 35, 36, 37, 42-45, 101, 106, 107, 116-118 Deduktion 8, 33, 35-37, 39, 41-44, 62, 72, 76, 82, 88, 108, 116-118 Denken 38, 39, 68, 78 dialektisch 119 Dichtung (Dichten) 14, 50, 124 Dogmatik 84 dogmatisch (dogmatisieren) 71, 84 edel 13, 50, 88 Ehrfurcht 19, 24, 28, 46, 54, 58, 59, 75 Eigennutz 52 Einbildungskraft 64, 65, 86 Empfindung(svermögen) 28, 54, 62,64, 78,93 empirisch 33, 36, 37, 43-49, 55-66, 72, 80, 81, 86,91-94, 110, 113, 116-118 Endzweck 8, 10, 11, 17, 29, 30, 41, 53, 74, 77, 83, 84, 106, 107,116 Entäußerung 24 Erfahrung 14, 33-38, 43, 44, 48, 51, 65, 66, 96, 98, 101, 103, 109-125

139

Erhaben(e, das; -heit) 50, 57 Erkenntnisvermögen 45, 46, 78 Erlaubnis 22, 47, 86, 110 Erscheinung 38, 39, 41-44, 56, 67-72, 98-104, 106-109, 112,115,116,118 Erschleichung 38 Ewig(keit) 10, 11, 101, 109111, 125 (s. a. Unsterblichkeit) Exekutor 11, 28, 46 Existenz 26, 27, 30, 67, 77, 95, 101, 106-112, 123 Faktum 17, 27, 31, 36, 64, 65, 76 Form(al) 20, 22, 26-28, 31, 61-63, 68, 71-76, 81-99, 106, 107, 110, 115, 116 Fortdauer 15, 107, 111 Frei(heit) 10, 19, 39, 41, 43, 45, 47, 54, 62-68, 71, 74, 77, 78, 84,85,87,90, 113,125 Frömmigkeit 28 Furcht 25, 28, 59, 65, 75, 92, 115, 119, 120, 127 Gebet 86, 88, 91 Gebot 8, 16, 18, 20, 22-24, 26, 28, 30, 41' 46, 80, 82, 85, 86, 89, 101 (s. a. Moralgebot) Gefühl 13, 14, 48, 50, 55, 60, 74,86,90, 113,114 Gefühl, moralisches s. Moralgefühl Gehorsam (Ungehorsam) 16, 17, 21-23,25,45-47,54,58,59, 61, 65, 75, 99 Geist 31, 94, 97, 102, 103, 118 Geisterwelt s. Welt Gelten 17, 20

I40

Sachregister

Gemüt 17, 23, 63-65, 105, 107, 110-113, 119, 125, 127 Gerecht(igkeit) IO, 15, 77, 90, 114 Gericht(stag) 95, 97 Gesandter 33, 55, 56, 70, 73, 74 Geschichte 124 Gesellschaft 49, 52, 85 Gesetz 13, 17, 20-29, 32, 34, 35, 38,40-56,61,68, 75,84, 89, 93, 96, 105, 106, 111, I24 Gesetz der Natur s. Naturgesetz Gesetz der Vernunft s. Vernunftgesetz Gesetzgeber (moralischer) 12, 19-33,38,40,41, 47,55,58, 62, 65, 72, 74-77, 85, 91, 92, 99 Gesetzgeber, politischer 74, 75 Gesetzgebung 25-28, 3I, 34, 38, 40, 41, 56, 6I, 64, 67, 68, 107 Gesinnung 91 Gewalt 77, 126 Gewissen 48, 91, 125-127 Gewißheit 18 Glaube(n) 8, 25, 33, 53, 56, 62, 71, 79, 81, 84, 97, 102, 110115,119,120,122-127 Glückselig(keit) 8-12, 16-20, 46,78,87,95 Gnade 47 Göttlich(keit) 20, 42, 60, 61, 69-83, 89-103, 105, 108, 110,119 Gott !Off. Gottesbeweis, moralischer 18 Gottheit 7, 33, 72, 84,86 Gültig(keit) 17, 26, 36, 37, 42, 79, 84,93-97, 100, 101, 106, 107,112 (s. a. Allgemeingültigkeit) Güte 25,47,62

Gut, das höchste 8, II, 29, 30, 77 Gut(e), das 12, 13, 45, 53, 82, 85, 87,107, 114,115, 127 Heilig(keit) 10, 11, 20, 25, 40, 41, 48, 58, 59, 64, 65, 75, 77, 82, 84, 91, 92, 96, 99, 107, 121 Herr(schaft) 55, 58, 59, 93 32, 48, 54, 56, 75, 86, Herz 108, 110, 113, 114, 122. 127, 128 Heteronomie 26, 58 36, 70, 113, 119, historisch 124 Hoffnung 58, 65, 75, 79, 102, 111, 126, 127 Hypothese, hypothetisch 9, 43, 45 Ich 94, 95, 96 Ideal 28 Idealist 120 Idee 13, 19, 20, 24, 25, 32, 34, 35-42, 49, 63, 65, 77, 86, 90, 95, 97, 120, 121, 123, 125 imperativ 11 Imputation 1 7 Inhalt 22, 26, 28, 31, 58, 60, 72, 75, 76, 82-84, 88, 89, 99, I 00 Inspiriert(er) 33, 56, 57 Interesse 13-15, 120 Jude 93 Kategorie 27, 78, 85, 98, 100, 110 kategorisch 9, 56, 57, 60, 101, 103,105,116 Kausalität 10, 14-18, 22, 27, 31, 33, 39, 40-45, 55, 61, 62, 66-71, 79, 87, 98, 100--104, 107-109

Sachregister Klugheit 16, 22 Körper 95-97 konstitutiv 11 Kosmologie 105 Kriterium 42, 44, 71-73, 75, 80,83,89,97-108,115,119 Kritik 8, 32, 35, 42, 43, 65, 79, 80, 92, 99, 115-119 Legalität 20, 58, 75, 80, 110, 126 Lehre 56,60, 74, 76, 78, 79, 81, 83-85, 114 Leidenschaft 64, 91, 92 Logik 33 Lüge(n) 56 Lust (Unlust) 13, 14, 50 Macht 58,59 Majestät 77 Materie(ll, material) 22, 2628, 61, 62, 68, 84, 99, 107, 110, 115 Maxime 51, 52, 80-83 Meinen 34 Menschheit 49, 51-57, 71, 117 Mitgefühl 50, 93 Mittel 73, 74, 83, 85-89, 93, 107, 114, 126 Mittelsperson 54 Modalität 68, 99, 100, 116 Möglich(keit), Unmöglich(keit) 8, 10, 17, 32ff. Möglichkeit, absolute 43, 115 Möglichkeit, empirische 43, 45 -,moralische 43, 76-78, 81 -, physische 43, 44, 57, 66, 76, 78, 118 Moral 25. 60, 81-83,90, 95-97 Moralbegriff 59 Moralgebot 11, 60 Moralgefühl 47, 49, 52-55, 58-61, 73, 127

141

Moralgesetz 9, 10, 1lff. Moralprinzip 81 , 100 Moralität 10, 17, 20, 21, 28, 29, 40ff. (s. a. Vollkommenheit, Sittlichkeit) Nachdenken 50, 54-56,63, 121 Nation 124 Natur 13, 15-30, 41, 45-47, 49, 51' 55, 56, 58, 66-70, 76-80, 102, 110, 112, 127 -,sinnliche 9-11, 30, 40, 64, 88, 107 -, moralische 86, 96 -,vernünftige 9-11,28,29,31, 32,45 Naturbegriff 13, 31, 34, 52, 57, 86,88 Naturerscheinung s. Erscheinung. Naturgesetz 10, 14, 17, 19, 23, 25, 29, 30, 38,39-41,45,57, 66-71, 77, 78, 87, 102, 107 Naturnotwendigkeit 66 Naturphilosophie 38, 56, 67 Naturrecht 12 Naturreligion s. Religion, natürliche Naturtrieb 16, 45, 47 (s. a. Trieb) Neigung 23-26, 4 7, 48, 54, 56, 74, 77, 88, 89, 105,107, 114 Not 51 Notwendig(keit) 9, 35, 38, 48-50,67,68,101,113 Noumen 27 objektiv 9, 11, 29, 30, 42, 68, 78, 79, 84, 85, 93-98, 100, 112, 123 Offenbarung 7, 32ff. Offenbarung, besondere 80 Ontologie 105 Opfer 93

142

Sachregister

Pädagoge 55 Paradies 126 pathologisch 58 Persönlichkeit 94 Pflicht 22-26, 38, 46-53, 64, 72, 76, 86, 88, 89, 107-113 Philosophie 7, 116 Physik 96 Politik 82 (s. a. politischer Gesetzgeber) Postulat 11, 25, 32, 40, 41, 66, 68, 80, 81, 83, 111 praktisch s. Vernunft, praktische Prinzip 7, 16ff. problematisch 104, 106, 111 Promulgation 27 Prophet 73, 93 Qualität 98, 99, 111 Quantität 98, 99, 112 Raum 91, 100 Realität 15, 33, 100, 106-108, 110-112, 123, 125 recht (unrecht) 12, 13, 15, 28, 56 Recht, das 13, 14-19, 26, 40, 41, 65, 72, 116 Recht, ein 12, 33 (s. a. Naturrecht) Reflexion 13 Regel 14, 16-18,51,80-83 Relation 99, 100, 115 Religion 7, 28, 31, 32,46,49, 52, 54, 56, 58-60, 70, 72, 74, 81-85, 88, 90, 91, 93, 96, 100, 116, 120, 121, 126 Religion überhaupt 8, 12-27, 32,45 -, christliche 3 2 -, geoffenbarte 27, 31-33, 45, 54,56,83

-,natürliche (Natur·) 27, 3133,45,48,54,55,63-65,84 - Vernunft· 32, 45, 46, 54, 84 Religionsie hrer 114 Religionsstifter 33, 72 Religiosität 46, 50; 65 Reue 50,91 Richter 11, 20, 23, 28, 40, 77 Sadduzäer 95 Scham 50, 52 Schöne, das 14, 50 Schöpfer (Weltschöpfer) 29, 30, 48, 53, 127 Schöpfung 29, 53 Schwärmer(ei) 34, 35, 57, 72, 102 Seele 22, 58, 59, 63, 64, 91, 94, 96, 106, 114, 120, 121, 123, 127 Sein 11, 13,46 Selbstbewußtsein 30, 90, 91, 94, 111 Selbstsucht 25, 65 Selig(keit) 10, 110 (s. a. Glückseligkeit) Sinn 50, 57, 58, 91, 92,94 Sinnenreiz 63, 64 Sinnenwelt s. Welt. Sinnlich(keit) 10, 32, 40, 45, 49, 50, 52-54, 64, 66, 69, 89, 90-92, 94, 96, 97 Sittengesetz s. Moralgesetz Sittlichgute, das 15 (s. a. das Gute) Sittlichkeit 8, 9, 11, 49, 52,57 Skeptiker 120 Soll(en), Seinsollen 11, 13, 14, 46, 66, 67, 77 Spekulation 119, 120 Spiel 50, 11 7, 122 Spontaneität 64 Sprache 13,91,92

Sachregister Sprachgebrauch 116, 117 Staat 126 Stellvertretung 94 Strafe 23, 24, 58, 65, 75, 95 subjektiv 9, 11, 15, 24-31, 42, 68,86,93-101,112,123,124 Sünder 114 Täuschung 71, 121, 123 Talmud 93 Tatsache 77 Teleologie 105 Theologie 12, 15, 17, 27 theoretisch s. Vernunft, theoretische Tod 95 Toleranz 121 transzendent 68 Trieb 16, 49, 50, 65 Triebfeder 25, 75 Tugend 13, 14, 20, 72, 85, 88 Übernatürlich(e, das) 27, 30, 31, 33, 34, 36-39, 41, 53-57, 61,66-72,75,76,18,85-88 Übersinnlich(e, das) 10, 30, 34, 35, 66, 76-78, 88, 95, 97. 123, 125 Übertragung 25 Überzeugung 70 Unbedingt(e, das) 16, 29, 36 Unglaube s. Glaube. Unsterblichkeit 22, 77, 90, 94, 96, 97, 101, 106, 110, 112, 115, 120, 123 (s. a. Ewigkeit, Fortdauer) Unwille 15 Urheber 69, 89 Ursache 10, 19, 26, 27, 36-39, 45, 47, 53-57,66-73,81,87, 88, 95, 96, 103-106, 114, 122, 126

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Ursprung 51, 56, 60, 61, 69, 70, 72, 79, 81, 82, 88, 94, 97, 103, 119 Urteil 19, 20, 100, 101, 103, 104,105,110,116,128 Urteilskraft 13 Verantwortlichkeit 24 Verbindlichkeit 21, 22 Verdienst 25, 46, 77, 78, 87 Verehrung s. Ehrfurcht Verfall 49, 57 Vergelter 15, 46 (s. a. Richter) Vergnügen (Mißvergnügen) 14, 15,93 Verheißung 75, 84, 87,88 Verlangen 15, 16 Vermögen 27, 29,66 Vernünfteln, Vernünftelei 90, . 94, 114, 117, 127 Vernunft Sff. -,praktische 11, 17ff. -,theoretische 17; 18, 27, 43, 49, 50, 60, 69, 70, 71, 76, 79, 81, 85, 88, 96, 97, 103, 106, 109,111,117,119 Vernunftgesetz 12, 13, 18, 2022,24,25,27,28,68,81,83 Vernunftreligion s. Religion Vernunftglaube 110, 112, 113, 115, 116 Versinnlichung 32, 92, 93, 97 Verstand 83, 99 Vertrag 52 Vertrauen 28, 52 Volk 49, 51, 52, 97, 114, 116 Vollkommenheit, sittliche (moralische) 8, 9, 11, 13, 19, 28, 47,48,50,63 (s. a. Moralität, Sittlichkeit) Vorschrift 80, 82, 88 Vorsehung 123

144

Personenregister

21-26, 46-49, Vorstellung 53-66, 74, 78, 91-99, 113, 114,121 Wahrheit 3, 4, 12, 18, 33, 56, 59, 73, 79, 83, 84, 95, 104, 113, 122 Wahrscheinlichkeit 102, 103 Weisheit 103 Weissagung 79 Welt der Dichtungen 14 Welt der Geister 6 7, 78 Welt der Ideen 35 Welt, Sinnenwelt 10, 29ff. -, übersinnliche (übernatürliche) 10,39,45,46, 79,126 -,wirkliche 14, 53 Weltansehau ung 6 7, 68 Weltregent 11 Weltschöpfer s. Schöpfer Wert 19, 23, 46 Wille 18-22, 26-28, 40, 41, 45-47, 49, 50, 53, 54, 6164, 66, 73, 83, 87, 106, 114, 120 Willensbestimmung 21-25, 27,

34, 40, 47, 48, 63, 67, 74, 77, 83, 84, 88,107,116,124 Willkür 26 Wirklich(keit) 8, 43, 68, 72, 96, 108, 109 Wirkung 10, 37, 38, 40,55-57, 59, 61, 66, 67-69, 71, 73, 75, 86-89, 103, 104, 109, 115 Wissen 111 Wissenschaft 12 Wohlgefallen 13-15 Wollen 20 Würde 23, 115 Wunder 79 15, 56, 108, 111, 113, Wunsch 126 Zeit 68, 69, 72, 91, 96, 97, 116, 119, 121 Zeitalter 94, 97 zufällig 6 7, 68 Zwang 74, 127 Zweck 8, 20, 29, 31, 43, 53-55, 59, 69, 71, 74, 78, 85-92, 99, 106, 110 (s. a. Endzweck) Zweckmäßigkeit 13, 16, 29

Personenregister Abraham Alexander der Große Columbus, Christoph Hispaniola Isaak Jakob

95 125 70 70 95 95

jesus johannes Moses Paulus Philippus

93,94,114 95 95 95 94