Vergleichende Biochemische Fragen [1 ed.] 978-3-540-02000-4, 978-3-642-94660-8


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German Pages 176 [182] Year 1956

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Table of contents :
Front Matter....Pages I-VII
Vermutungen über die Entstehung des Lebens....Pages 1-24
Individuation in der unbelebten Welt....Pages 25-61
Vergleichende Betrachtung des stationären Zustandes der nicht-eiweißgebundenen Aminosäuren der Tiere....Pages 62-99
Zur vergleichenden Biochemie des Stickstoffes....Pages 100-131
Vergleichende Biochemie der C 1 -Körper....Pages 132-164
Die Bedeutung der Makromoleküle für Evolution und Differenzierung....Pages 165-176
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Vergleichende Biochemische Fragen [1 ed.]
 978-3-540-02000-4, 978-3-642-94660-8

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6. COLLOQUIUM DER GESELLSCHAFT FOR PHYSIOLOGISCHE CHEMIE AM 20./22. APRIL 1955 IN MOSBACH/BADEN

VERGLEICHEND BIOCHEMISCHE FRAGEN

.\UT 50 TEXTABBILDU1\;GEN

SPRINGER-VERLAG BERLIN· GOTTINGEN . HEIDELBERG 1956

Aile Rechte, insbesonuere uas uer iJbersetznng in fremde Spraehen, vorbehalten Ohne ausdriiekliehe Genehmigung des Verlages ist es aueh nieht gestattet, dieses Bueh oder Teile darans auf photomechanisehem Wege (Photokopie, lHikroko]Jie) zu vervielfiiltigen

© by Springer-Verlag OHG. Berlin - Giittingen - Heidelberg 1956

ISBN-13: 978-3-540-02000-4 e-ISBN-13: 978-3-642-94660-8 DOl: 10.1007/978-3-642-94660-8

BRiJHLSCHE UNIVERSITATSDRUCKEREI GIESSEN

Inhalt. Vermutungen iiber die Entstehung des Lebens. Mit I Textabbildung I (L. ROIu, Frankfurt a. M.) . . . . 20 Diskussion . . . . . . . . . • . Individuation in der unbelebten Welt. Mit 14 Textabbildungen (W. KOSSEL, Tiibingen) . Diskussion . . . . . . . . . . .. ' . . . . . . . . . . . Vergleichende Betrachtung des stationaren Zustandes der nicht-eiweiBgebundenen Aminosiiuren der Tiere. Mit 12 Textabbildungen (M. FLoRKIN, Liege) Diskussion . . . . . . . . . . .

25 61

62 94

Zur vergleichenden Biochemie des Stickstoffes (D. ACKERMANN, Wurzburg). . . 100 Diskussion 125 Vergleichende Biochemie der C1-Korper. Mit 23 Textabbildungen (H. M. RAUEN, Miinster i. W.) 132 Diskussion . . . . . . . . . . . . . 161 Die Bedeutung der Makromolekiile fur Evolution und Differenzierung (J. B. S. HALDANE, London) 165 Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

Begriillung und Eroffnung.

Das ist nun das 6. Colloquium, zu dem ich Sie, meine Damen und Herren, im Namen unserer Gesellschaft begriiBen darf. Diesmal werden wir iiber allgemeine vergleichend-biochemische Fragen diskutieren. Wenn wir heute wissen wollen, wie ein Zellbaustein durch die Lebensprozesse umgewandelt wird, dann begniigen wir uns nicht mehr mit Leber- und Muskelbreien, -schnitten oder -homogenaten und Hefesuspensionen, sondern ziehen noch andere Organe und andere Tiere - insbesondere aber auch die Bakterien heran. So haben wir gleichsam nebenbei erfahren, wie sich die Lebewesen im chemischen Aufbau, in der Ausriistung mit Fermenten und in den Reaktionen unterscheiden. Aus diesen Unterschieden konnen wir wieder neue Erkenntnisse liber das Leben gewinnen. Wenn wir die vergleichende Biochemie konsequent zuriickverfolgen, so kommen wir schlieBlich zu der Frage nach dem Beginn des Lebens. Es schien mir immer interessant, dariiber nachzudenken. Zwar ist niemand von uns dabeigewesen, aber solche Spekulationen konnen doch anregend wirken, weil sie uns zu iiberlegen zwingen, welche von den Zellbausteinen, die wir heute kennen, damals schon vorhanden gewesen sein miissen, und welches wohl die ersten Prozesse gewesen sein konnten. Vielleicht vertieft das unser Verstandnis. Jede Wissenschaft hat nicht nur die Aufgabe, unsere Kenntnisse zu mehren, sondern bis an die Grenze vorzudringen, wo die Philosophie beginl1t. Heute steht beim Laien die Atomphysik im Vordergrund des Interesses. Die Astronomen diskulieren iiber den Anfang und das Ende des Universums. So sollte sich auch die Biologie darauf besinnen, was sie zu unserer Weltanschauung und Philo sophie beitragen konnte. Der beste Weg dazu ii'll wohL das Leben auf dem Niveau der Molekiile zu analysieren und zu versuchen, die dort geltenden Gesetze kennenzulernen. 1m Bereich der Molekiile fallen viele Unterschiede zwischen Tieren, Pflanzen, Bakterien und

VI

BegriiBung und ErOffnung.

Viren fort. lch glaube, daB uns die Ubedegungen iiber die Anfange des Lebens in der molekularen Biologie ein gut Stiick vorwartsbringen k6nnen. 1m iibrigen sind diese Diskussionen auch aktueIl, denn 1956 soIl in Moskau ein Symposion der Internationalen Union fiir Biochemie iiber den Ursprung des Lebens stattfinden. Das sind die Griinde, warum ich Herrn ROKA gebeten habe, einmal zusammenzusteIlen, welche Vermutungen iiber den Anfang des Lebens bis jetzt schon geauBert worden sind. Leben ist Ordnung, eine Ordnung, die sich selbst reproduziert, sich aber der Tendenzen und Prinzipien bedienen muB, die bereits in der nicht organisierten Welt zur Ordnung drangen. Herr KOSSEL wird so freundlich sein, uns iiber solche Prinzipien, die zur Individuation fiihren, auf Grund eigener Versuche und Beobachtungen zu berichten. Das erste Lebewesen muB noch weitgehend von der Umwelt abhiingig gewesen sein. 1m Lauf der Entwicklung hat sich das allmahlich geandert. Es ist interessant, den ProzeB der langsamen Verselbstandigung vom biochemischen Standpunkt aus zu verfolgen. Herr FLORKIN wird uns am Beispiel der nicht im EiweiB gebundenen Aminosauren der Gewebe einen gewissen Einblick in diese Entwicklung geben. 1m Leben auf unserer Erde hat der Stickstoff von Anfang an eine hervorragende Rolle gespieIt. Er findet sich in den wichtigsten Bestandteilen des Protoplasmas. Sie leiten sich letzten Endes aIle vom Ammoniak ab, und die komplizierten organischen Basen miissen sich im Lauf der J ahrmiIlionen aus ihm entwickelt haben. Wahrscheinlich k6nnen wir diese Entwicklung aus der vergleichenden Biochemie der heutigen Lebewesen rekonstruieren. Herr ACKERMANN wird uns dariiber vom Standpunkt der biogenen Amine aus vortragen. Die Herren FLORKIN und ACKERMANN haben ihre Versuche an Tieren ausgefiihrt. Herr MOTHES hat sich liebenswiirdigerweise bereit erklart, in der Diskussion ihre Ausfiihrungen von der pflanzenphysiologischen Seite aus zu erganzen. 1m nachsten Referat berichtet Herr RAUEN iiber die Bedeutung der OrK6rper im Stoffwechsel der verschiedenen Lebewesen. Sie ist wahrscheinlich ebenso groB wie die der 02- und 03-K6rper, deren Funktion wir etwas besser kennen.

VII

BegriiBung und ErOffnung.

Das letzte Referat behandelt eines der wichtigsten Kapitel der vergleichenden Biochemie und der molekularen Biologie. Zahlreiche Analysen des pflanzlichen und tierischen Protoplasmas haben uns gelehrt, daB in den Zellen alIer Lebewesen eine Gruppe von Substanzen immer wiederkehrt: die 20 Aminosauren, verschiedene Zucker, Purin- und Pyrimidinbasen, gewisse Fettsauren und einige Steroide. Die Zahl dieser primaren ZelIbausteine betragt noch nicht hundert. Mit ihnen baut die Natur alle die Lebewesen auf, die in ungeheurer Mannigfaltigkeit unsere Erde bevolkern. Diese Mannigfaltigkeit erreicht sie dadurch, daB sie aus jenen primaren Bausteinen groBe Moleklile aufbaut. J e nachdem, welche Bausteine sie zusammenfUgt und wie sie sie ordnet, entstehen immer wieder andere Moleklile mit neuen Eigenschaften. Der Aufbau der Makromolekiile aus kleinen und ihre Zerlegung wieder in kleine zurlick ist wohl die fundamentale Reaktion des Protoplasmas. In ihr spiegeln sich die V organge bei der Evolution der Tiere und Pflanzen sowie die bei der Differenzierung der Organe innerhalb der Lebewesen wider. Von dem, was wahrend des Aufbaus geschieht, und von den Gesetzen, die ihn beherrschen, hangt es ab, welches besondere Individuum entsteht, und ob sich eventuell eine Mutation ereignet. Herr HALDANE, der ein sehr interessantes Buch liber die Biochemie der Genetik geschrieben hat, wird uns liber die Bedeutung der Makromolekiile fUr Evolution und Differenzierung berichten. Nun erteile ich Herrn ROKA das Wort zu seinem Referat liber den Ursprung des Lebens. Wir sind sehr gespannt, zu horen, welche Gedanken sich einzelne Forscher darliber gemacht haben, wie es bei der Schopfung zugegangen sein konnte.

K. FELIX.

Vermutungen iiber die Entstehung des Lebens. Von

L. ROKA. Institut fur 'Vegetative Physiologie, Frank/urt am Main. Mit I Textabbildung.

Die Zeugnisse der menschlichen Geschichte zeigen uns, daB die Frage nach dem Beginn des Lebens mit zu den altesten Problemen gehort, die den menschlichen Geist beschaftigt haben. Um so erstaunlicher ist es, daB man das ganze Mittelalter hindurch keine Veranlassung sah, iiber die Entstehung des Lebens nachzudenken, da sich jedermann durch eigenen Augenschein iiberzeugen lieB, daB unter geeigneten Bedingungen, etwa aus verderbendem Material, Lebewesen, und zwar Wiirmer, Fliegen, Bienen, in einigen Fallen sogar Mause entstehen. Diese seit ARISTOTELES dogmatisch festgehaltene Ansicht wurde erst beseitigt, als PASTEUR nachweisen konnte, daB eine Umwandlung von Leblosem in Belebtes nicht stattfindet. Daraus folgerte man: Wenn heute das Leben nicht aus Leblosem entsteht, dann auch nicht friiher, also kann das Leben nicht entstanden, sondern nur von Gott geschaffen worden sem. Zweifel an der Uniiberbriickbarkeit der Kluft zwischen unbelebt und belebt erwachten erst wieder, als immer mehr Eigenschaften des Lebens physikalisch-chemisch untersucht und gedeutet werden konnten. Dadurch drangte sich der Gedanke auf, daB mit fortschreitender Erkenntnis schlieBlich das ganze Leben sich als ein physikalisch-chemisch erklarbarer Mechanismus enthiillen werde. So muB ein flieBender Ubergang vorliegen und irgendwie Leben aus Unbelebtem hervorgehen konnen. Wenn unter den heutigen Verhaltnissen Lebewesen nicht mehr aus Unbelebtem, sondern nur durch Fortpflanzung entstehen, dann nur, weil dieser Weg heute der raschere und erfolgreichere ist, wahrend in der Anfangszeit des Lebens, als die Fortpflanzung noch unentwickelt und nicht so gesichert war, der allmahliche Ubergang von Unbelebtem zu Belebtem noch konkurrieren konnte. 6. Colloquium Mosbach.

I

2

L.

ROKA:

Diese Ansicht erscheint heute vielen als zu mechanistisch, und es besteht die Tendenz, erneut ein akausales Ereignis fiir das Zustandekommen des Lebens verantwortlich zu machen, und zwar den Zufall. Wie Sie erkennen, haben sich jeweils entgegengesetzte Meinungen abgelost, und auch heute lassen sich verschiedene Moglichkeiten, wie das Leben entstanden sein konnte, denken. HALDANE! hat folgende vier zusammengestellt: 1. Das Leben hat keinen Anfang, daher stammt das irdische Leben von einem anderen Gestirn. 2. Das Leben wurde erschaffen; es ist ein Produkt eines iibernatiirlichen Ereignisses. 3. Das Leben entstand zwangslaufig in einem langsamen EntwicklungsprozeB durch chemische Reaktionen aus dem Unbelebten. 4. Das Leben entstand zufallig aus dem Unbelebten durch ein sehr unwahrscheinliches Ereignis, das nur infolge der sehr langen verfiigbaren Zeit eintreten konnte. Die zweite Moglichkeit, die Erschaffung des Lebens, laBt sich durch naturwissenschaftliche Methoden nicht priifen. Von den iibrigen paBt die dritte Moglichkeit, wonach sich Leben allmahlich aus Unbelebtem entwickelt hat, am besten in ein exakt naturwissenschaftliches Weltbild. Daher sind in den letzten Jahren fUr diese Vorstellung die meisten Argumente gesammelt worden. Versucht man, sich unabhangig von den gegebenen Denkmoglichkeiten eine eigene Vorstellung iiber die Entstehung des Lebens zu bilden, dann wird man von bekannten Tatsachen ausgehen, priifen, wie weit man sich damit dem Ziel nahern kann, wo man den Weg der Tatsachen verlassen muB und wie sicher die eingeschlagene Richtung dann noch bleibt. Keine Einzeldisziplin der Naturwissenschaften fUhlt sich fUr diese Fragen nach dem Ursprung des Lebens zustandig. Daher miissen wir uns bei allen nach verwertbaren Tatsachen umsehen. Zunachst konnen wir die Lebewesen in der Erdgeschichte so weit wie moglich zuriickverfolgen, also die Palaontologie zu Rate ziehen. Auf diesem Wege stellen wir fest, daB von den mannigfaltigen, heute lebenden Formen die meisten friiher offenbar gefehlt haben. Nur einige wenige einfache Arten lassen sich sehr weit zuriickverfolgen. Es sieht danach so aus, als ob die Formen, die heute die Erde bevolkern, den Endsprossen eines reich verzweigten Baumes vergleichbar, aus gemeinsamen Asten hervor-

Vermutungen iiber die Entstehung des Lebens.

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gegangen sind, und diese moglieherweise aus einem gemeinsamen Stamm, bis zu dem wir allerdings bisher die Lebewesen nieht zuriiekverfolgen konnten. Die altesten Spuren von Lebewesen fand man in der Gesteinssehieht, die dem Algonkium angehort. Diese Spuren werden als einzellige Algen gedeutet 2. Ihr Alter laBt sieh auf 500 . 10 6 Jahre bestimmen. Diese Algonkium-Algen mussen etwa ebenso differenziert gewesen sein wie die primitivsten, heute lebenden Algen, setzen also bereits eine lange Entwicklung Voraus. Diese altesten, in ihrer Struktur erkennbaren Lebewesen konnen daher nieht die altesten Lebewesen iiberhaupt gewesen sein. Tatsachlieh gibt es Funde, die noch um weitere 100 bis 300 . 10 6 Jahre zuriiekreichen und als Spuren von Leben, wenn aueh nieht mehr als Abbildung von Lebewesen angesehen werden. Dazu gehorten als Coryeium 3 bezeiehnete, kohlenstoffhaltige, saekformige Gebilde, und schlieBlieh der gesamte Graphit im prakambrisehen Gestein 4 • DieVerteilung der Kohlenstoffisotope 12C und 13C im Coryeium und im Graphit zeigt eine relative Anreieherung des leiehten Isotops, verglichen mit dem Isotopenverhaltnis der Carbide und Carbonate der gleieh alten Gesteinsschiehten, und man kennt nur einen ProzeB, der die leichten Isotopen bevorzugt auswahlt, das sind die ehemisehen Umsetzungen in Lebewesen. Dieser an 12C angereieherte Kohlenstoff ist wohl die alteste Spur des Lebens, die bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben ist. Aber wir konnen noeh einen weiteren Sehritt in die Vergangenheit maehen und die auBerste zeitliehe Grenze fiir den Anfang des Lebens festlegen. Allgemein wird heute angenommen, daB Leben erst naeh der Ausbildung der Erdkruste begonnen haben kann. Die Erdkruste solI aber ein Mindestalter von 2000· 10 6 Jahren haben. Fiir die Entwieklung des Lebens vom Beginn bis zur Algonkiumalge stand also ein Zeitraum zur VerfUgung, der mindestens dreimal so groB war wie die Zeitspanne von 500 . 10 6 J ahren, die ausgereicht hat fUr die Entwicklung von der Alge zum Mensehen. Was hat sich nun in dem Zeitraum von etwa 1500 .10 6 Jahren abgespielt, in dem sieh Leben ausgebildet hat? Von den Astronomen erfahren wir, wie die Erdoberflache zu dieser Zeit besehaffen war, obwohl sieh ihre Antwort noeh sehr auf Hypothesen griindet. Die Erde war bereits wie heute in festes Land und Meer geschieden. Das feste Land bestand aus Urgestein, d. h. aus 1*

4

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ROKA:

Silikaten, Sulfaten, Oxyden usw. der verschiedenen Metalle. Das Meer hatte eine etwas andere Ausdehnung und Zusammensetzung als heute. Denn die Gesamtkonzentration der Salze betrug nach MACALLUM 5 nur 0,1 %, verglichen mit der heutigen von 3%. Der relative Anteil an Kalium solI wesentlich hoher, der an Magnesium wesentlich geringer gewesen sein als heute. Die Atmosphare bestand nach UREY 6 aus H 2 , NH 4 , CH3, H 20 und wenig H 2 S, dagegen solI weder O2 noch CO 2 vorhanden gewesen sein. Das Fehlen von O2 wird dadurch erklart, daB an der Erdoberflache viel Gestein mit zweiwertigem Eisen mit der Atmosphare in Kontakt stand und den gesamten verfiigbaren Sauerstoff gebunden hatte. Die Temperatur der Erdoberflache lag etwa im selben Bereich wie heute, die Temperaturschwankungen scheinen durch die Abwesenheit von CO 2 erheblicher gewesen zu sein. Die Sonnenstrahlung war etwa die gleiche wie heute, einschlieBlich des UV-Anteiles, da hiervon der Hauptanteil, solange die Ozonschicht noch gefehlt hat, von CH 4 und H 20 adsorbiert wurde. Die radioaktive Strahlung war etwas intensiver, da die heute bereits in inaktive Isotope umgewandelten Elemente damals noch strahlten. Der wesentlichste Unterschied der Erde vor 2000· 10 6 Jahren war demnach die Zusammensetzung der Atmosphare. Es muB also ein EntwicklungsprozeB abgelaufen sein, der diese Uratmosphare in unsere heutige Atmosphare umgewandelt hat. Dabei hat sich nach UREy 6 folgendes ereignet: Durch photochemische Reaktionen in der oberen Atmosphare, d. h. Adsorption von UV, wurde sowohl Wasser in Sauerstoff als auch CH 4 in CH3, CH 2 , CH-Radikale und H gespalten. Der Wasserstoff, zu leicht, urn von der Erdgravitation festgehalten zu werden, ging im Weltraum verloren, wahrend der Sauerstoff und die KohlenwasserstoffRadikale zuriickblieben. Durch den Sauerstoff wurde die bisher reduzierende Atmosphare oxydierend. Die Folge davon war, daB NH3 zu N 2 , H 2 S zu 803 und CH 4 zu CO 2 oxydiert wurde. CO 2 reagierte dann so lange mit den 8ilicaten und lieferte Carbonate und 8i0 2 (Sand), bis das heute vorhandene Gleichgewicht erreicht war. Erst als alles CH 4 und NH3 verbraucht war, trat freier Sauerstoff auf. Wahrend dieser abiotischen Entwicklung der Atmosphare, die 1200· 10 6 Jahre gedauert und vor 800· 106Jahren beendet gewesen sein solI, miissen sich die Lebewesen herausgebildet haben. Die Voraussetzungen dafiir waren vor allem die

Vermutungen tiber die Entstehung des Lebens.

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bei der Oxydation von CH 4 zu CO 2 auftretenden Zwischenprodukte: Alkohole, Aldehyde und Sauren, die sich mit NH3 und H 2 S weiter zu Aminen, Aminosauren, Porphyrinen, Thioverbindungen usw. umgewandelt haben. AIle diese Produkte wurden im Meer gelost, dadurch VOl' weiterer Oxydation geschiitzt und angereichert. Fiir das Zustandekommen diesel' Zwischenstufen stand auBer der Sonnenstrahlung auch die elektrische Entladung zur VerfUgung. DaB aus den Bestandteilen del' Uratmosphare und del' Energie elektrischer Entladungen Aminosauren entstehen konnen, blieb so lange Hypothese, bis dies MILLER 7 1953 im Experiment nachweisen konnte. Neben den identifizierten Aminosauren sollen noch andere, gelb und rot gefarbte organische Verbindungen entstanden sein. Ob dieser Versuch aIlerdings schliissig ist, wird angezweifelt 8. Weiter hatten GARRISON 9 und Mitarbeiter im Experiment gezeigt, daB auch Ameisensaure aus H 20 und CO 2 entsteht, wenn radioaktive Strahlung die Energie fUr die Spaltung von 'Vasser liefert. Welche Verbindungen dariiber hinaus entstanden sein konnten, ist bisher nicht experiment ell nachgepriift worden. Aus thermodynamischen Uberlegungen vermuten jedoch OPARIN 10 , HALDANE!, BERNAL 11, UREy 6 , PRINGLE 12 u. a., daB viele weitere organische Molekiile entstanden sein miissen. Wahrscheinlich haben zunachst kurze C-Ketten, etwa Cr, C2 - und C3-Verbindungen in allen Oxydationsstufen nebeneinander vorgelegen. Viele diesel' Verbindungen finden sich als Zwischenprodukte im Schwerpunkt des ZeIlstoffwechsels aller heute lebenden Wesen: so z. B. Formyl- und Acetylreste, Glycerinaldehyd und Brenztraubensaure. Da die Uratmosphare anfangs iiber reichlich Wasserstoff verfUgt haben soIl und bei der photochemischen Spaltung des Wassel's laufend neuer Wasserstoff freigesetzt wurde, haben auch Reduktionen stattgefunden, wodurch C-Ketten verlangert und etwa Fettsauren aufgetreten sein konnten. Doch selbst wenn wir annehmen, daB aIle Bausteine des Urlebewesens spontan im Verlauf eines langsamen chemischen Entwicklungsprozesses auf der Erdoberflache entstanden sein konnten, hatte ihre mehr odeI' weniger konzentrierte Losung im Urmeer hochstens einen guten Nahrboden, aber noch kein Lebewe sen ergeben. DaB das erste Lebewesen aus diesem Nahrmedium gebildet worden ist, dafiir spricht die Elementarzusammensetzung aller Lebewesen. Es ist doch auffallend, daB zum Aufbau del'

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ROKA:

lebenden Substanz nur einige wenige von den auf der Erdoberfliiche verfiigbaren Elementen ausgewiihlt und angereichert wurden (Tab. I). Die lebende Substanz besteht aus einer etwa 20%igen Losung organischer Bausteine, davon etwa zwei Drittel EiweiB, und einer etwa 1 %igen Losung anorganischer Ionen im Tabelle 1. Mittlere Zusammensetzung der Organismen und ihrer Umwelt. Aus F. P. MAZZA: Chimica Biologica, S. 8. Torino: Rosenberg & Sellier 1942. Organismen -_.-

Umwelt ._--

---_ ..

Tiere Sauger

Pflanzen Pinie

I

セM

Litosphare 93%

Hydrosphiire 7%

0,19 0,22 47,33

0,002 10,07 85,79

0,01 0,02 23,02 75,53

0,05

-

Atmosphiire

I

Mittel

I I

C

H 0 N Ca. P K S CI Na. Mg J

Fe . F Br. Al . Si Mil.

Ti . Ba. Sr . andere Elemente

21,15 9,86 62,43 3,10 1,90 0,95 0,23 I 0,16 I! 0,08 0,08 0,027 0,002 0,005 0,003 0,002 0,001 0,001 0,0005 Spur

53,96 7,13 38,65 0,03 0,007 0,005 0,006 0,052 0,08 0,001 0,003 0,002 0,030 0,001 Spur 0,065 0,057 0,001 Spur

-

-

3,47 0,12 2,46 0,12 0,002 2,46 2,24

0,04 0,09 0,06 1,14 0,14

SLQoセU@

TLQPセX@

4,50 0,10

0,002

-

-

-

0,18 0,95 50,02 0,03 3,22 0,11 2,28 0,11 0,20 2,36 2,08

-

4,18 0,10

0,27 TLQoセX@

-

0,008

7,85 27,44 0,08 0,46 0,08 0,02

-

-

0,50

-

-

-

-

-

-

-

-

7,30 25,80 0,08 0,43 0,08 0,02

-

0,47

-

Wasser. Die Konzentration und die Art der anorganischen Ionen scheint der Zusammensetzung des Urmeeres gut zu entsprechen. Unlosliche und daher in ihm nicht vorhandene Elemente feWen auch in der lebenden Substanz. Die Konzentration der organischen Molekiile im Urmeer wird von UREy 6 mit 1-10% angenommen und wenn wir bedenken, daB Makromolekiile, wie EiweiB, im Urmeer urspriinglich gefehlt haben, entspricht die Konzentration der organischen Nicht-Makromolekiile in der lebenden Substanz denen im Urmeer gut.

Vermutungen tiber die Entstehung des Lebens.

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Die Auswahl der Bioelemente ist nach dieser Ansicht nicht so sehr eine Leistung der Lebewesen, sondern war in der Zusammensetzung des Urmeeres bereits vorweggenommen. lch mochte aber nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, daB die Auswahl derjenigen Elemente, die als Fermentbausteine den Stoffwechsel der heutigen Lebewesen steuern, wie Fe, Cu, Vd, Co, Zn, Mn und Mo sich nicht ohne weiteres aus der Zusammensetzung des Urmeeres ableiten liWt. Mit der Klarung dieses Punktes durch die vergleichende Biochemie lieBe sich eine empfindliche Lucke in den SchluBfolgerungen der heutigen Hypothesen uber den Beginn des Lebens uberbrucken. Glauben wir trotzdem aus der ahnlichen Zusammensetzung von Urmeer und Lebewesen schlieBen zu durfen, daB das Leben im Meer entst.anden ist, so bleibt die Frage offen, wie sich dieses Medium in ein Lebewesen umgewandelt haben konnte. Dieses wichtigste, zentrale Problem in der Entstehung des Lebens laBt sich nur ruckblickend yom fertigen Lebewesen aus angehen, da wir uns zunachst einmal daruber im klaren sein mussen, was unerlaBlich zum Begriff Lebewesen dazugehort. Dabei wollen wir uns aber nicht mit der Definition des Lebens aufhalten, das wurde uns nicht weiterhelfen, denn der Begriff Leben ist ja von uns Menschen willkurlich in die Natur hineingelegt und damit der Konflikt, ob belebt oder unbelebt, erst von uns erzeugt worden. Wir wollen vielmehr vermeiden, die verschiedenen Erscheinungsformen der Natur mit Begriffen zu versehen, die zwar uns Menschen, nicht aber der Natur angepaBt sind, sondern nur nach Eigenschaften, Bausteinen und Funktionen suchen, die wir bei allen uns bekannten Lebewesen antreffen, und uns uberlegen, welche davon mit dem im Zeitpunkt des Lebensbeginns herrschenden Bedingungen vereinbar waren und in welcher Reihenfolge die Lebensfunktionen aufgetreten sein konnten. Dazu konnen wir nach dem phylogenetisch altesten Lebenden oder nach dem einfachsten Lebewesen suchen. Das sind zwei verschiedene Richtungen, denn wir durfen in den primitiveren Formen nicht von vornherein auch die ursprunglicheren sehen, da sich bei Lebewesen aller Entwicklungsstufen sekundare Vereinfachungen

durch Funktionsteilung, Anpassung, Parasitismus usw. finden. Auf der Suche nach der phylogenetisch altesten Form unter den heutigen Lebewesen konnen wir uns aber von der Uberlegung

8

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ROKA:

leiten lassen, daB in jeder differenzierten Form die urspriingliche noch mit darinsteckt, wahrend spateI' hinzugekommene Eigenarten nur den jeweils abgeleiteten Gliedern eigen sind. Das zeigen etwa folgende Beispiele aus dem Stoffwechsel: Bei del' Frage, ob die aerobe odeI' die anaerobe Lebensweise die urspriinglichere ist, ergibt sich, daB beide Stoffwechselarten eine gemeinsame Reaktionskette (die Glykolyse) enthalten, die bei del' anaeroben Lebensweise friihzeitig endet, wahrend die aerobe Lebensweise ein zusatzlich erworbenes Fel'mentsystem (die Atemkette) erfordert. In del' aeroben Lebensweise steckt also die anaerobe und daher urspriinglichere mit darin. Ein anderes Beispiel aus dem Stoffwechsel ware die Frage: Was ist urspriinglicher, die Photosynthese odeI' CO 2 -Assimilation? Die Fixation von CO 2 finden wir bei allen Lebensformen, wahrend die Photosynthese nul' ein Spezialfall ist, bei dem fUr diese Reaktion Lichtenergie verwendet wird. Allerdings sind die urspriinglichen, allen Lebewesen gemeinsamen Eigenschaften oft iiberdeckt und nul' latent vorhanden, so daB noch experimentell die Bedingungen gefunden werden miissen, unter denen sich die verdeckten Eigenschaften wieder manifestieren. N ach unseren bisherigen Kenntnissen erwarten wir von den urspriinglichsten unter den heute lebenden Wesen etwa folgende Eigenschaften: 1. Es wird noch nicht multicellular differenziert sein und wedel' einen morphologisch abgegrenzten Kern noch andere Zellstrukturen enthalten. 2. Es darfkein obligateI' Parasit sein, d. h. es muB selbstandig in del' Umwelt lebens- und vermehrungsfahig sein. 3. Seine Fortpflanzung sollte ungeschlechtlich durch Zweiteilung erfolgen, obwohl schon Genaustausch durch Kopplung zweier Zellen vorkommen kannte. Allerdings kannte auch multipler Zerfall die urspriinglichste Form del' Vermehrung sein. 4. Sein Stoffwechsel sollte wahrscheinlicher anaerob und heterotroph als autotroph und aerob sein. Die ersten drei Forderungen werden vielleicht am besten von den kleinsten frei lebenden Mikroben, den A- und B-Organismen von LAIDLAW 13 bzw. den Mikroorganismen von SEIF.I!'ERT 14 erflillt. Maglicherweise handelt es sich dabei abel' nul' wie bei den L-Formen 15 um Modifikationen an sich haher differenzierter Bakterien. Das wiirde heiBen, daB dasselbe Lebewesen einmal

Vermutungen iiber die Entstehllng des Lebens.

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in submikroskopisch filtrierbarer Form und dann wieder mikroskopisch diff'erenziert auftreten kann, wobei es sich das eine Mal vielleicht durch multiplen Zerfall, das andere Mal durch Zweiteilung vermehrt und mit dem Formwandel off'enbar auch seinen Stoff'wechsel grundlegend verandertl 6 . Die Eigenschaften des lebenden Protoplasmas waren dann eine Funktion der Umwelt. so daB sich das Protoplasma nur zusammen mit dieser Umwelt eindeutig beschreiben lalk Es scheint daher noch nicht moglich. die urspriinglichsten unter den heutigen Lebewesen aufzufinden. AuBer iiber die phylogenetisch alten Organismen lassen sich die unerlaBlich zum Leben gehorenden Faktoren auch aus den biochemisch primitivsten Formen auffinden. AIle Lebewesen durchlaufen in ihrer Entwicklung ein einfachstes Stadium in Form ihrer Generationszellen. Von diesen kann sich die Eizelle fUr sich allein eine Strecke weit entwickeln, d. h. leben, wahrend die mannliche Generationszelle der hoher entwickelten Lebewesen dies nicht kann. Vergleichen wir diJ.,her den Aufbau der weiblichen mit del' mannlichen Keimzelle, RO miiBte sich aus dem Unterschied zwischen beiden ableiten lassen, was fiir die Fahigkeit zu leben wesentlich ist und was nicht. Von diesem Gesichtspunkt aUR gehoren auch Viren und Bakteriophagen zu den extrem vereinfachten "Keimzellen", da sie nicht selbstandig lebensfahig sind. Nun kennen wir sO\vohl bei den Viren als auch bei mannlichen Keimzellen neben stark vereinfachten auch weniger weitgehend reduzierte Arten, so daB zwischen der lebensfahigen Zelle und dem nicht lebensfahigen ParaRiten ein moglichst kleiner Unterschied gesucht werden muB, in der Hoffnung, das entscheidende Ziinglein an der Waage zu finden, das zwischen lebensfahig und nicht lebensfahig entscheidet. Was nach unserem heutigen Wissen die selbstandig lebensfahige Eizelle von den nicht selbstandig lebensfahigen Keimen, Viren und Bakteriophagen unterscheidet, ist del' Stoffwechsel. Darunter fassen wir aIle im Protoplasma ablaufenden chemischen Reaktionen zusammen. Wil' wissen, daB diese an bestimmte chemische Vel'bindungen gekniipft sind und sich in einem angepaBten Milieu abspielen, das z. T. noch dem Protoplasma angehort, z. T. abel' del' Umwelt. Zum vollstandigen Lebewesen gehort neb en dem Stoffwechsel noch del' Anteil, del' nicht nur in del' Eizelle, sondeI'll auch in

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L.

ROKA:

den mannlichen Keimzellen, Viren und Bakteriophagen enthalten ist. Dies ist del' genetische Apparat, del' durch besondere Makromolekiile reprasentiert ist, die die Eigenschaft haben, den Stoffwechsel zu veranlassen, nach ihrem Muster neue identische Molekule zu produzieren. Beides zusammen, Genapparat und Stoffwechsel, stellt das dar, was wir als "lebendes Protoplasma" bezeichnen. Es gilt also, den ursprunglichsten Stoffwechsel und den ursprunglichsten Genapparat zu finden und zu fragen, wie del' Ubergang von einer Lasung organischer Molekiile und anorganischer Ionen zum ersten lebendigen Protoplasma stattgefunden haben kannte. Fur das Kernstuck des Stoffwechsels im Protoplasma halten wir die Synthese del' spezifischen hochmolekularen Bausteine, wahrend wir die energieliefernden und energiespeichernden Reaktionen mehr als notwendige, die Synthesen ermaglichende Zusatze ansehen. Obwohl heute die Prozesse aIle innerhalb des Protoplasmas stattfinden, kannten die Hilfsreaktionen, die nul' die Energie fUr die Synthesen liefern, fruhel' auBerhalb des Protoplasmas abgelaufen sein und die Grenze zwischen Protoplasma und Umwelt an einer anderen Stelle gelegen haben als heute. Die Umwelt muB dann noch die Fahigkeit besessen haben, energiereiche chemische Bindungen herzustellen, die ihr laufend yom "Protoplasma" als "Nahrung" entnommen wurden. Das ursprungliche Protoplasm a konnte also wesentlich einfacher gewesen sein als heute, vorausgesetzt, daB die Umwelt komplizierter war. Diese Umwelt, die wir vorhin nicht ganzzutreffend als Lasung organischer Molekule und anorganischel' Ionen beschrieben haben, mussen wir uns bessel' als ein in sehr mannigfaltigen chemischen Umsetzungen begriffenes Reaktionsgemisch vorstellen 12 • Verbindungen mit hohem Gehalt an fl'eier Energie sind standig in energiearmere ubergegangen, wurden abel' durch die photochemischen Reaktionen del' Atmosphare laufend nachgebildet. Die Zwischenglieder del' spontan ablaufenden energieliefernden Kettenreaktionen werden sich nach ihrel' jeweiligen durchschnittlichen "Lebensdauer" in bestimmten Konzentrationen angereichert haben. Dieses FlieBgleichgewicht blieb erhalten, solange genugend energiereiches Material aus del' Atmosphare mit dem konden-

Vermutungen tiber die Entstehung des Lebens.

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sierenden Wasserdampf nachgeregnet ist. Welche Umsetzungen in diesem Stoffwechsel der vorlebendigen Umwelt moglich waren und welche "Baustoffe" sich moglicherweise angereichert haben, kann ich nicht ausfiihrlicher diskutieren. Nur so viel ist sicher, daB diese chemische Entwicklung kein vollig ungeordnetes Geschehen war. Von Anfang an sorgte ja der 2. Hauptsatz der Thermodynamik dafiir, daB nur Reaktionen mit abnehmender freier Energie stattfinden konnten. Von diesen sind wiederum nur diejenigen mit meBbarer Geschwindigkeit abgelaufen, die nicht zu hohe Aktivierungsenergien benotigten. Sobald die verschiedenen energiearmeren Verbindungen aufgetreten waren, beeinfluBten sie sich gegenseitig, etwa dadurch, daB sie miteinander reagierten. Auf diese Weise wurde der Ablauf der Reaktionskette in bestimmte Bahnen gelenkt. So werden die katalysierten, d. h. aber die rasch und mit guter Ausbeute ablaufenden Reaktionen die Richtung bestimmt haben, in der die chemische Entwicklung weiterlaufen sollte 18 . Auch gekoppelte Reaktionen werden abgelaufen sein, wobei die bei einer Reaktion freigesetzte Energie fiir eine andere Synthese verwertet wurde. Es hat sich also schon ein primitiver Stoffwechsel abgespielt, bevor es iiberhaupt Leben gegeben hat. Dieser Stoffwechsel im Urmeer hat zum mindesten darin mit dem Stoffwechsel der heutigen Organismen iibereingestimmt, daB dabei standig Elektronen von Molekiil zu Molekiil wanderten, wobei Oxydation und Reduktion, Stoffabbau und Synthese als notwendige Begleit- und Folgereaktionen dieses Elektronenstromes durch ein System organischer Molekiile auftraten. Neben der Elektronenwanderung erfolgte die Ubertragung verschiedener Radikale wie H+, CH3 -, Formyl-, Acetyl-, Amid-, Phosphat- und Peptidgruppen19. Der grundsatzliche Unterschied gegeniiber dem Stoffwechsel des Protoplasmas war der, daB noch keine geordneten Polymerisationsreaktionen stattfanden, wofiir die brauchbaren Bausteine spezifisch aus der Umwelt ausgelesen, zusammen angereichert, in eine Ordnung gefiigt und schlieBlich miteinander verkniipft werden miissen. Die Anreicherung der Einzelmolekiile, z. B. Aminosauren, konnte durch Adsorption erfolgt sein, wobei durch Auflagerung auf elektropositive oder elektronegative Oberflachen die sauren bzw. basischen Aminosauren ausgewahlt wurden. Allerdings gibt es noch keinen Hinweis dafiir, daB die so angereicherten

L.

12

ROKA:

/OH -p=o

/OH -p=o

/OH -p=o

i

H,C--O

II,COH

I IlOCH I + ClI II 0

H,C--O

I

1I0-ClI

I I

i

IIO-ClI

/Oll p=o

/

OIl

+

lIC \

0

CH,--C( "OR

"N-CH/ I "CR,-CH OIl C' - C / /- " I / O----p=O \

NH,

NR,

H,C--O

oセVh@

-CH/ I "CH,-CR oMセZp]@

I

/

OB

Abb. 1. (Fortsetzung.)

reihung von Aminosauren in einer nicht auf einfache physikalischchemische GesetzmaBigkeit zuriickfUhrbaren Ordnung setzt ein stark aperiodisches Adsorbensmolekiil voraus. 1m Protoplasma aIler heute lebenden ZeIlen sehen wir dieses Adsorbens in del' Nucleinsaure, und zwar fUr die EiweiBsynthese in del' Ribonucleinsaure, wahrend die Desoxyribonucleinsaure das genetische Material aufbaut und weitergibt. AIle frei lebenden Organismen enthalten DNS und RNS, wahrend Keimzellen und Viren z. T. nUl' DNS, pflanzliche Viren nul' RNS enthalten. Bisher ist es nicht

14

L.

ROKA:

gelungen, einfachere neben komplizierteren Nucleinsauremolekiilen nachzuweisen, obwohl man verschiedene Bautypen aufgefunden hat, so den GC-Typ mit Uberwiegen von Guanin und Cytosin und den AT-Typ mit hOherem Gehalt an Adenin und Thymin; auBerdem enthalten einige Nucleinsauren als zusatzlichen Baustein Methylcytosin, andere 5-0xymethylcytosin. Diese verschiedenen Bautypen lassen sich bisher jedoch noch nicht phylogenetisch einordnen 21. LaBt sich die EiweiBsynthese auf das Nucleinsauremuster zuriickfUhren, dann miiBte im Stoffwechsel des Urmeeres als erstes fUr das lebende Protoplasma charakteristisches Makromolekiil Nucleinsaure vorgelegen haben. Wie dieses Nucleinsauremolekiil entstanden sein ki:innte, wissen wir nicht. Folgende mir von Herrn ZAHN mitgeteilten Uberlegungen 22 ki:innten dazu vielleicht einiges beitragen. Danach ware das urspriingliche Makromolekiil die periodisch gebaute Polyphosphorsaure, die unter den Reaktionsprodukten des Urmeeres vorgelegen haben ki:innte und auch heute im Organismus vorhanden ist 23, 24. Wird an ein solches Polyphosphatmolekiil ein C3 -Ki:irper, etwa Glycerinaldehyd adsorbiert (Abb.l), so ki:innte durch Elektronenverschiebung daraus ein Polyglycerinaldehydphosphat entstanden sein, an das dann in einem weiteren Reaktionsschritt der C2-Ki:irper Acetaldehyd angelagert wurde. Auch heute noch wird von Escherichia coli Desoxyribosephosphat durch Verkniipfung von Acetaldehyd mit Glycerinaldehydphosphat gebildet 25 . Durch Anlagerung weiterer Bausteine des Urmeeres, namlich NH 3 , Oxalessigsaure bzw. Glykokoll und schlieBlich dem Formylrest wurden die Pyrimidin- bzw. Purinbasenreste aufgebaut. Auch fUr diese Synthese benutzt das heutige Protoplasma noch dieselben Reaktionsschritte, d. h. es werden bereits die Bausteine und nicht erst die fertigen Basen an den Zucker angelagert 26 . Interessanterweise befindet sich unter diesen Bausteinen der Nucleinsaure nul'" eine einzige optisch aktive Verbindung, das Glycerinaldehyd. Wie es zur Auswahl nur der d-Form kam, wissen wir nicht. Ebensowenig wissen wir, wieweit die Anordnung der Basenreste willkiirlich erfolgt. Aber jede fertige Nucleinsaurekette bildet ein Muster und induziert einen Partner, der ihm, entsprechend der Hypothese von CRICK und WATSON27, angepaBt ist. Da Ribose im Gegensatz zur Desoxyribose nach unseren heutigen Kenntnissen nicht durch Kondensation von C3 - und C2-Verbin-

Vermutungen iiber die Entstehung des Lebens.

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dungen, sondern nur aus C6 -Verbindungen entsteht 28 , ware die Synthese von DNS moglicherweise alter als die von RNS und ATP. Eine Reduplikation der N ucleinsauren war damit moglich 29, allerdings wird sie ohne angepaBte Fermente nur sehr langsam, wenn iiberhaupt, stattgefunden haben. Das hangt von der Lebensdauer der Nucleinsauremolekiile ab, d. h. ob eine Reduplikation eingetreten ist, bevor sie spontan zerfallen sind. Die Lebensdauer hangt wiederum von den Umweltbedingungen abo Bei Abwesenheit von Sauerstoff und hydrolytischer Aktivitat diirfte die Lebensdauer groBer gewesen sein. Ein Schutz vor Oxydation besitzt auch ein Feld mit rH Gradient, wie es heute innerhalb der Zelle zwischen Cytoplasma und Kern besteht und damals zwischen oxydierender Meeresoberflache und reduzierendem Meeresboden bestanden haben konnte. Fiir den Aufbau der spezifischen EiweiBmolekiile miissen wir erklaren konnen, wie die Nucleinsaure die geordnete Aminosaurereihenfolge zustande bringt. Die ersten Hinweise dafiir liefern vielleicht die Versuche von GALE und FOLKES 30 • Sie konnten zeigen, daB bestimmte Nucleinsaurebruchstiicke den Einbau bestimmter Aminosauren in EiweiB fordern. So wird auf Zusatz von Adenin-Cytosin-Dinucleotid bevorzugt Asparaginsaure, auf Zusatz von Guanidin-Uracil-Uracli-Trinucleotid bevorzugt Glutaminsaure· und auf Zusatz von Adenin-Uraril-Uracil-Trinuoleotid bevorzugt Leucin eingebaut. Vielleicht wird man auch eine Erklarung dafiir finden, warum die Nucleinsauremolekiile nur EiweiBkorper aus I-Aminosauren aufbauen. Zusammen mit dem noch auf das gesamte Urmeer verteilten Stoffwechsel stellt die sich identisch reproduzierende und eiweiBbildende Nucleinsaure ein noch nicht auf Individuen aufgeteiltes "lebendiges Protoplasma" dar, d. h. aber, wie BERNALll sich ausdriickt: das Leben ist alter als die Lebewesen. In diesem Zusammenhang ist auch die Folgerung von Interesse, daB die Vermehrung von Genmaterial alter ist als die Abgrenzung der Zellen. Das wiirde dafiir sprechen, daB eine Vermehrung durch multiplen Zerfall von Genmaterial die urspriinglichste Form der Vermehrung darstellt. Auch konnte das Genmaterial bereits mutiert sein, bevor es auf Zellen aufgeteilt war. Die einfachsten Gentrager konnten DNS-Molekiile sein; mit der Zunahme der Informationen,

16

L

ROKA:

die genetiseh weitergegeben werden muBten, konnte zu1' DNS auch noch del' EiweiBanteil del' Nucleoproteide als Gentrager mit Verwendung gefunden haben, bei niederen Tie1'en einfachste Protamine, bei hoheren Tieren differenzierte Histone. Del' diffus iiber eine groBe Umwelt gleichmaBig verteilte Stoffwechsel stellt ein sehr unstabiles System dar. Kleine zufallige Storungen fiihren in einem sol chen dynamischen System zu einer Ausbildung von umschriebenen Bezirken, die eine hohere Ordnung aufweisen als del' Ausgangszustand, also the1'modynamisch unwah1'scheinlicher, d. h. ent1'opiea1'me1' sind und gleichzeitig eine hohere Stabilitat aufweisen. Dariiber hinaus haben die so entstandenen Bezirke hohere1' Ordnung die Tendenz, sich weiter zu ordnen und zu differenzieren, wobei sie neues Material aus der Umwelt als Nahrung aufnehmen. tiber das Zustandekommen solcher geordneter dynamischer Systeme aus einem weniger geordneten unstabilen Ausgangszustand 12, 31 liefert die Thermodynamik offener Systeme 1 bereits mehrere Beispiele. Auf diese Weise hat sich aus del' "lebendigen" Umwelt offenbar urn ein adso1'bierendes und damit lmtalytisch auswahlendes Nucleinsauremolekiil ein immer "lebendiger" we1'dendes Protoplasma angereichert und gleichzeitig damit die Umwelt in immer "lebloserem" Zustand zuriickgelassen. Diese "Urlebewesen" waren urspriinglich nicht scharf abgegl'enzt, sondern gingen flieBend in die Umwelt iiber. Erst seh1' langsam bildeten sich scharfe Begrenzungen abo Warum dabei gerade die Dimension del' Zellen gewahlt wurde, lieBe sich vielleicht physikalischchemisch erklaren. Bei del' Abgrenzung geordneter Bezirke miiBten nebeneinander mehrere primare Organism en entRtanden Rem. Soweit durch Mutation bereits untel'schiedliche Nucleinsiiuren vorlagen, waren einige OrganiRmen von Anfang an verschieden. Das wiirde mit del' Tatsache llbereinstimmen, daB wil' heute, und auch Roweit wir in del' Palaontologie zurllckgehen, immer verschiedene Lebewesen gleichzeitig in einem Lebensraum finden. Ihre Konkurrenz und Erganzung Rcheint eines del' Urphanomene des in Individuen diffel'enzierten Lebens darzustellen. 1m Verlauf del' Abgrenzung von lebendigem Protoplasma ist auch del' Stoffwechsel aus der Umwelt in die Ul'lebcwesen verlagert worden. Del' Stoffwechsel der Urlebewesen konnte von den Verbindungen ausgegangen sein, die in del' Umwelt zur Verfiigung

17

Vermutungen iiber die Entstehung des Lebens.

standen und die heute noch im Zentrum des Stoffwechsels jedes Lebewesens stehen: etwa Glutaminsaure, Oxalessigsaure, energiereiches Acetyl und Formyl. Von diesen, allen Organismen gemeinsamen Bausteinen aus waren die yom jeweiligen Genapparat bestimmten spezifischen Makromolekiile aufgebaut worden. Aber mit der Verarmung der Umwelt an diesen Bausteinen muBten zusatzliche Stoffwechselreaktionen entwickelt werden, die innerhalb des Protoplasmas zur Bildung diesel' Grundbausteine gefiihrt haben 32. Dieser Zweig des Stoffwechsels ist daher eine sekundare zusatzliche Erwerbung im Verlauf der Entwicklung und verlauft wie aIle zusatzlichen Erwerbungen bei den einzelnen Organismenarten in verschiedener Richtung. Einige Organismen haben gelernt, diese Grundbausteine aus den energieleeren Verbindungen CO 2, H 20 und N 2 unter Verwendung verschiedener Energiequellen aufzubauen, wobei sich die Ausnutzung del' Lichtenergie als die erfolgreichste erwies. Andere benutzten schlieBlich die energiereichen organischen Molekiile del' Glucose, Aminosauren und Fettsauren, die von den autotroph gewordenen Lebewesen geliefert wurden. DaB wir noch heute im Stoffwechsel aller Lebewesen zwar gemeinsame Zwischenprodukte finden, dagegen die Nahrung, d. h. aber: die Stoffe, mit denen die einzelnen Lebewesen an ihre Umwelt gebunden sind, so extrem verschieden sind, wiirde sich nach dem Gesagten einfach daraus erklaren, daB del' Stoffwechsel des Urlebewesens an den Verbindungen begonnen hat, die heute im Mittelpunkt stehen, um den sich dann erst spater del' verschieden ausgebildete Mantel gelegt hatte. Damit bin ich aber schon bei dem nachsten Schritt, der Entwicklung differenzierter Organismen, wahrend mit dem Auftreten individueller Lebewesen die Phase del' Lebensentstehung abgeschlossen war. Die Entstehung von Lebewesen in einem langsamen EntwicklungsprozeB aus unbelebter Materie laBt sich schematisch wie in Tab. 2 iibersichtlich zusammenfassen. Ich habe versucht, Ihnen eine dem heutigen Wissen angepaBte Darstellung iiber den Beginn des Lebens zu geben. Dabei habe ich mich im Prinzip an die Ausfiihrungen von HALDANE 33 , OPARIN lO , BERNALl!, BLUM l8 , UREy 6 , VAN NIEL 34 , HOROWITZ 32 , um nul' die wichtigstenzu nennen, gehalten. Wie diese Autoren habe ich dabei stillschweigend vorausgesetzt, daB sich die Naturgesetze in ihrer 6. Colloquium Mosbach.

2

L.

18

ROKA:

1'abelle 2.

2000 Mill. CH, H.O NHs H.S

I

Licht---·---+ .j. OHs CH. CH OH O.H 0 H NH. NH HS .j.

Atmosphiire

f

Organische Molekiile

f

0 1 -H -OH =0 -OOH C. l-NH. >NH >NOs -SH -S.S.- >S

I

I

n

t

Stoffwechsel

{ Moセ}@

/ OH

'" / n", '\.

DNS

Stoffwechsel

'--.--'

t

"lebendes Protoplasma" .j.

geordnete Stoffwechselbezirke um DNS herum }Ieer

.1

t

"primare Lebewesen" .j.

an verschiedene Nahrung angepal3te Lebewesen

800 Mill.

I

セ@

Algonkium -Alge

500 Mill.

Land l ッセ@

__________________________________________ __ Mensch

Vermutungen tiber die Entstehung des Lebens.

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heutigen Form unverandert auf einen Zeitraum extrapolieren lassen, in dem wir sie nieht mehr naehpriifen konnen. Aber abgesehen davon werde ieh in vielen Punkten Ihre Kritik herausgefordert haben. Auf einiges bin ieh nieht ausfiihrlieh eingegangen - so auf die Entstehung der Fermente, die zu den altesten Bestandteilen des Protoplasmas gehoren, oder auf die gegenseitige Abgrenzung der einzelnen Stoffweehselfunktionen innerhalb des Protoplasmas, die an die Ausbildung von Lipoiden und Polysaeehariden gekniipft war. Aueh die Bildung der Pigmente, mit deren Hilfe erst die Liehtenergie und der Sauerstoff verwertbar wurden, habe ieh iibergangen. Das sind spezielle Probleme fiirdie vergleiehende Bioehemie, und mein Thema wollte nur in allgemeiner Ubersieht auf das Geheimnis der Lebensentstehung hinweisen.

Literatur. HALDANE, J. B. S.: The origin of life. New BioI. HI, 12 (1954). 2 FENTON, C. L., and M. A. FENTON: Bull. GeoI. Soc. Amer. 50, 89 (1939). 3 RANKAMA, K.: Bull. Geol. Soc. Amer. 59, 389 (1948). "' SIMPSON, G. G.: The meaning of evolution. :New Haven: Yale Univ. Press 1949. 5 MACALLUM, A. B.: Physiol. Rev. 6, 316 (1926). 6 UREY, H. C.: Proc. Nat. Acad. Sci. USA 38, 351 (1952); The Planets. New Haven: Yale Univ. Press 1952. 7 MILLER, ST. L.: Science (Lancaster, Pa.) 117,528 (1953). 8 Nach mtindlicher Mitteilung von K. FELIX soil H. C. UREY, in dessen Institut das Experiment ausgeftihrt wurde, anzweifeln, ob Verunreinigungen mit Bakterien ausgeschlossen waren. 9 GARRISON, W. M., D. C. MORRISON, J. G. HAMILTON, A. A. BENSON and M. CALVIN: Science (Lancaster, Pa.) 114, 416 (1951). 10 OPARIN, A. J.: Die Entstehung des Lebens auf der Erde. Berlin/Leipzig: Yolk und Wissen Verlag 1949. (Die russische Originalarbeit erschien 1936.) 1) BERNAL, J. D.: Proc. Physic. Soc. B 62, 597 (1949). 12 PRINGLE, J. W. S.: New BioI. 16, 28 (1954); Symposia Soc. Exper. BioI. 7, 1 (1953); New BioI. 16, 54 (1954). 13 LAIDLAW, P. P., and W. J. ELFORD: Prac. Roy. Soc. (London) B 120, 292 (1936). 14 SEIFFERT, G.: Zbl. Bakter. I Orig. 140, 168 (1938). 15 KLIENEBERGER-NOBEL, E.: Bacter. Rev. 15, 77 (1951). 16 RUSKA, H., u. R. POPPE: Z. Hyg. 127,201 (1947). 17 VENDERLY, R., and R. TULASNE: Nature (London) 171,262 (1953). 1

18

19

20

BLUM,

H. F.: Time's arrow and evolution. Princeton: Princeton Univ.

Press 1951. KLUYVER, A. J.: Proc. Roy. Soc. (London) B 141,147 (1953). PAULING, L., and R. B. COREY: Proc. Nat. Acad. Sci. USA 37, 205, 235, 241, 251, 256, 261, 272, 282, 729 (1951).

2*

20

L. ROKA:

FRIEDRICH-FREKSA, H.: In Die Evolution der Organismen. 2. Aufl., S.278. Stuttgart: G. Fischer 1954. 22 ZAHN, R.: MundI. Mitt. 23 SCHMIDT, G.: In Phosphorus l\ietabolism. Ed. I, S. 443. Baltimore: Johns Hopkins Press 1951. 24 WINDER, F., and J. M. DENNENY: セ。エオイ・@ (London) 174, 353 (1954). 25 RACKER, E.: J. of BioI. Chern. 196, 347 (1952). 26 Zusammenfassend bei J. N. DAVIDSON: The biochemistry of the nucleic acids. London: Methuen 1953. 27 WATSON, J. D., and F. H. C. CRICK: Nature (London) 171,737,964 (1953). In Phosphorus Metabolism Bd. I, S. 145. Baltimore: 28 RACKER, E.: Johns Hopkins Press 1951. 29 DELBRUCK, M.: Angew. Chern. 66, 391 (1954). 30 GALE, E. F., and J. P. :FOLKES: Nature (London) 175, 592 (1955). 31 TURING, A. M.: Philosophic. Trans. Roy. Soc. London B 237, 37 (1952). 32 HOROWITZ, N. H.: Proc. Nat. Acad. Sci. USA 31, 153 (1945). 33 HALDANE,.J. B. S.: The origin oflife, 1929. Reprint in Pelican Series, 1937. "' NIEL, C. B. VAN: In Photosyntheses in plants, S. 437. The Iowa State College Press Ames, Iowa 1949. 21

Weitere bei der Ausarbeitung dieses Referates benutzte Literatur. PIRIE, N. W.: New BioI. 16,41 (1954). BRAY, H. G., and K. WHITE: New BioI. 16,70 (1954). BALDWID, E.: An introduction to comparative biochemistry. Cambridge Univ. Press 1937; Symposia Soc. Exper. BioI. 7, 22 (1953). PRIGOGINE, I., et J. M. WIAME: Experientia (Basel) 2,451 (1946). LANHAN, U. N.: Amer. Naturalist 86, 213 (1952). WALD, G.: Sci. Amer. 191, Nr.2, 45 (1954). MADISON, K. M.: Evolution 7, 211 (1953). RAYMOND, P. E.: Bull. Geol. Soc. Amer. 46, 375 (1935). SEIFRIZ, W.: Adv. in Encymol. 7, 35 (1947).

Diskussion. HALDANE (London): Ieh denke, daB man mich eingeladen hat, weil ieh vor 27 Jahren zuerst das, was man die Weltsuppentheorie nennen kann, ausgesprochen habe. Das war zur gleichen Zeit, als Methan und Ammoniak in der Atmosphare der groBeren Planeten entdeckt wurden. Ich kam zu dieser Hypothese, weil ich dachte, daB das anaerobe Leben urspriinglicher ist als das aerobe. Man hat dieser Theorie vielleicht zu viel geglaubt. Heute bin ich etwas skeptisch. Man muB auch an andere Moglichkeiten denken. Herr PRINGLE hat z. B. betont, daB zwischen dem Sauerstoff der oberen Atmosphare und einer reduzierenden Zone in der Tiefe des Ozeans ein Gradient besteht, zwischen dem alle Oxydationsvorgange abgelaufen sein konnten, und daB die freie Energie hauptsachlich aus diesen allmahlichen Oxydationsvorgangen stammt und vielleicht nicht aus dem Zerfall von durch Photosynthese gebildeten organischen Molekiilen. Man hat von der Kluft zwischen ehemisehen Vorgangen und lebenden Prozessen gesproehen. Ieh denke, daB diese Kluft von unseren menseh-

21

Vermutungen uber die Entstehung des Lebens.

lichen Methoden stammt. Wenn wir z. B. fast blind waren und kein Mikroskop hatten, aber wenn wir dafur chemisch besser gebildet waren als jetzt, denken wir etwa an ein rationales Wesen mit sehr vielen chemischen Sinnen, das aber nicht viel sehen konnte, dann ware die Lucke in unserem Denken nicht zwischen Makromolekulen und Bakterien, sondern zwischen Bakterien und den kleinsten Lebewesen, die man ohne Mikroskop sehen konnte. Es ist kein Zufall, daB fur uns zwischen den groBten Molekulen, die man chemisch kennt, und den kleinsten, die man mikroskopisch sehen kann, die Lucke zwischen Lebewesen und unbelebter Natur liegt. Mit den neueren Forschungsmethoden, Elektronenmikroskop usw., baut man jetzt Brucken uber diese Regionen. Eine Idee wollte ich noch zu dem Vortrag von Herrn ROKA zufugen: Das ist die Moglichkeit, daB das Leben vielleicht ein biB chen polyphyletisch begonnen hat. Man weiB jetzt, daB ein Bacterium von einem anderen Bacterium DNS bekommen und so ein synthetisches Lebewesen schaffen kann. Bei unseren groBeren Organismen ist die Sexualitat ein solches Phanomen, aber das muB ganz regelmaBig vor sich gehen, wahrend es bei den Bakterien weniger regelmiWig ist. Man konnte denken, daB an einem Ort, z. B. in der Meerestiefe, eine Art Synthese begonnen hat, wahrend an einem anderen Ort, z. B. an der Meeresoberflache, eine andere Art entstanden ist und daB beide unabhangig sich durch Autosynthese vermehrt haben. SPEK (Rostock): DaB wir die Entstehung der Zelle viel weiter als nur 500 Mill. Jahre zuruckverlegen mussen, geht schon daraus hervor, daB im Cambrium neben vielen primitiven Lebewesen auch schon Riescnkrebso und hochentwickelte Mollusken wie z. B. Tintenfische existierten. DECKER (Munchen): Ich glaube, es lohnt sich, die Frage, was ist Leben, zu stellen. Auch anorganische Systeme konnen ahnliche Eigenschaften wie Leben zeigen. Nach BERTALANFFI haben z. B. FlieBgleichgewichte die Eigenschaft der Aquifinalitat. Bei Storungen streben diese ihrem optimalen Zustand wieder zu. Zum Beispiel ein Wirbel hinter einem Bruckenpfeiler ist ein Individuum. Er bildet sich spontan und kann sich vermehren; er wird durch die Stromung ernahrt, weil FlieBgleichgewichte eine Importund eine Exportentropie haben im Gegensatz zu den physiko-chemischen Gleichgewichten in abgeschlossenen Systemen. AuBerdem zeigt ein rotierender Wirbel eine ganz andere Bewegungsform als eine gleichmaBige Stromung. FlieBgleichgewichte haben demnach die Tendenz, sich zu differenzieren. SchlieBlich haben sie etwas, was man mit Mutation vergleichen konnte. Eine laminare Stromung z. B. kann mit einem Schlage in eine turbulente umschlagen. Fur die Abgrenzung des Lebens von diesen anorganischen FlieBgleichgewichten ist zu beachten, daB das Leben nicht irgendeinen Energieumsatz, sondern eine chemische Umsetzung katalysiert. Dasselbe tut aber auch eine Bunsenflamme. Diese ist ein stationares Gleichgewicht, hat Form, Stoffwechsel, kann wachsen und sich vermehren. Der Unterschied zum Leben liegt aber darin, daB die Bunsenflamme von mechanischen Randbedingungen abhangt, das Leben dagegen nicht. Eine andere Reaktionsform, die viel vom Leben hat, ist die autokatalysierte

2a

22

L. ROKA:

Reaktion. Eine solche Reaktion, die zu organischen Stoffen fiihrt, die im Lebendigen auch vorkommen, ist die von EMIL FISCHER untersuchte Kondensation von Formaldehyd zu verschiedenen Zuckem. Wenn wir uns diese Reaktion unter Bedingungen denken, wo die Autokatalyse, also die Ziindung, eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit hat, so wird das erste Molekiil, das autokatalysiert und das durch Zufall entsteht, unter Um· standen optisch aktiv sein und das ganze System zu einem optisch aktiven machen konnen. KLINGMULLER (Hamburg): Die optische Aktivitat ist ein auBerordent· lich gutes Beispiel dafiir, wie sich die Denkmoglichkeiten im Laufe der Entwicklung und im Laufe der Materialkenntnisse, die wir gewonnen haben, gewandelt haben. Schon das Tageslicht, das die Erde trifft, ist etwas polarisiert, daneben kann durch Reflexion polarisiertes Licht auftreten. Damit haben wir aber schon in der anorganischen Welt eine Auswahl. Nach JORDAN ist das Auftreten organischer asymmetrischer Verbindungen auf die Synthese von Tripeptol zuriickzufiihren. Die Synthese dieses Keuner· ringes ist schon so auBerordentlich unwahrscheinlich, daB sich wohl kein zweites, moglicherweise optisch spiegelbildliches Molekiil bildet. lnfolge. dessen ist ein optisch aktives Muster ausgewahlt, von dem sicl,1 durch Autokatalyse weitere optisch aktive Molekiile ableiten lassen. LOHMANN (Berlin.Buch): lch mochte fragen, ob wir nicht besser an der Definition des Stoffwechsels im physiologisch.chemischen Sinne fest· halten sollen, und daran, daB nicht jeder chemische Umsatz schon ein Stoffwechsel ist. In einem feuchten Heuhaufen wird durch die Tatigkeit der thermophilen Bakterien zunachst mit dem Umsatz organischer Stoffe eine erhebliche Warmetonung auftneten, dann bei einer Temperatur, bei der der eigentliche Stoffwechsellebendiger Vorgange schon langst aufgehort hat, werden chemische Vorgange stattfinden, d. h. der Heuhaufen fangt an zu brennen. Sollen wir das auch noch als Stoffwechsel bezeichnen, wie wir z. B. vom· Stoffwechsel des pyrophoren Eisens und des pyrophoren Bleies sprechen. lch glaube, wir sollten den Begriff Stoffwechsel zunachst auf physiologisch.chemische Begriffe beschrankt halten. 1m Zusammenhang mit der wichtigen Frage, wie es zur Assoziation von z. B. einigen Amino· sauremolekiilen kommt, mochte ich auf die Coadcervate von DE JONG hin· weisen, die fiir diesen Spezialfall von OPARIN in die Diskussion geworfen wurden. Zum SchluB mochte ich die Hypothese der Entstehung der Nuclein· saure aus Polyphosphat diskutieren. lch hiitte gem von thermophysikalisch gebildeten Herren gewuBt, ob so etwas moglich ist. DaB friiher im schmelz· fliissigen Zustand solche Polyphosphate bestanden haben, ist klar. Aber wie weit sie durch Jahrhundertmillionen in den kochenden Weltmeeren bestandig gewesen sind, ist unklar. Zur Bildung von Polyphosphaten ist ja eine bestimmte Energiemenge erforderlich, die je nach den Konzen· trationen urn 10--12000 Calorien liegt. Kennen wir Moglichkeiten, daJ3 unter den damaligen Bedingungen Polyphosphate aufgespalten wurden, um ihre Energie fiir die Synthese organischer Verbindungen abzugeben? ROKA (Frankfurt a. M.): Herr Prof. SpEKhatauf das Alter des Lebens hin· gewiesen. Es iRt ja hekannt, daB die Grenze vom Pracambrium zum

Vermutungen iiber die Entstehung des Lebens.

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Cambrium deshalb so auffallend ist, weil im Cambrium bereits eine groBe Anzahl versehiedener Organismen naehweisbar sind, wahrend in der Sehieht vorher die Spuren organisehen Lebens fast vollstandig gefehlt haben. UREY fiihrt das darauf zuriiek, daB Lebewesen erst in einer bestimmten Entwieklungsphase der Erde in der Lage gewesen sind, anorganisehe Sehalen etwa aus Carbonaten zu bilden, wahrend davor die CO 2 -Konzentration auch im Meer so hoch gewesen ist, daB alles Carbonat in Form von Bicarbonat gelost blieb. Erst mit der Abnahme des CO 2 -Partialdruekes wurden die Verhaltnisse geschaffen, in denen Lebewesen Carbonate als Hiillsubstanz ausbilden konnten, die sieh dann in den Fossilien nachweis en lassen. Zur Frage von Herrn DECKER kann ieh nieht im einzelnen Stellung nehmen. leh glaube, wir diirfen bei der Definition des Lebens nieht nur auf die Eigensehaften hinweisen, die wir heute am lebenden System finden. Es lassen sieh versehiedene Systeme ausdenken, die diese Eigensehaften zeigen, obwohl sie ohne weiteres von einer lebenden Substanz untersehieden werden konnen. lch moehte nur auf das Beispiel von HALDANE von der lebenden Maschine hinweisen. Es laBt sieh gedanklieh eine Masehine konstruieren, die aIle Eigensehaften des Lebens besitzt und die doeh dadurch grundsatzlich von einem Lebewesen unterschieden ist, daB sie aus einem ganz anderen Material besteht. Wir diirfen also bei der Betraehtung der Lebewesen das Material, an dem sieh diese Erseheinungen abspielen, nicht vernaehlassigen. Herr KLINGMULLER hat darauf hingewiesen, daB jede Hypothese iiber die Entstehung des Lebens die Auswahl optisch aktiver Verbindungen irgendwie erklaren muB. Zu den von Herrn KLINGMULLER erwahnten Hypothesen kommt noch die von MILLS. Er geht davon aus, daB die Racemate lediglich ein statistisches Mittel darstellen, d. h. unter einer groBen Anzahl von Molekiilen sind etwa gleichviel links und reehts drehende Molekiile vorhanden, aber nieht iiberall ist die Verteilung vollstandig gleiehmaBig. Wir werden in einem solehen Gemisch von L- und D-Formen Bezirke finden, in denen die L-Formen haufiger sind als die D-Formen, und irgendein Ereignis solI diese nicht ganz ideale Durchmischung ausgenutzt haben. Dies kann nur ein dynamischer ProzeB gewesen sein und nieht etwa nur die Bildung eines einzelnen Molekiils, wie von JORDAN angenommen wird, sondern dieses Molekiil miiBte durch einen dynamischen ProzeB standig nachgebildet und fiir weitere Reaktionen verwendet worden sein, sonst hatte sieh auch da mit der Zeit wieder ein racemiseher Zustand eingestellt. Herr Professor LOHMANN hat sich fiir die Einschrankung des Begriffs Stoffwechsel ausgesprochen. Bei allen extremen Beispielen ist es leicht, zwischen chemischen Reaktionen und Stoffwechsel zu unterscheiden. Aber wenn wir die einzelnen Prozesse in der Zelle betrachten, dann sind sie fiir sieh allein auch nur chemische oder physikalisch-chemisehe Prozesse, und nur die Gesamtheit, oder vielleicht auch nur, weil wir sie in der Zelle vorfinden, veranlaBt uns, sie als Stoffwechsel von anderen Reaktionen zu unterscheiden. Weiter hat Herr Professor LOHMANN auf die Coadeervate hingewiesen fiir die Ausbildung der biogenen Makromolekiile zu Beginn des Lebens. Diese Coadcervate hat sich DE JONG als aus anorganischem Material aufgebaut vorgestellt. Es ist jedoch schwer zu erklaren, warum wir heute im lebenden Material diese anorganischen Adsorbentien nieht

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L. ROKA: Vermutungen tiber die Entstehung des Lebells.

mehr antreffen, dafUr aber Nucleinsauremolekiile. SchlieBlich hat Herr Professor LOHMANN die Bedeutung der Polyphosphate bei der Entstehung der Nucleillsauren diskutiert. In waBriger Losung sind die Polyphosphate nicht tiber lange Zeit bestandig. Aber an der Grenze zwischen festem Land und Meer konnen standig aus dem Land Polyphosphatmolektile herausgelOst worden sein, so daB auch bei beschrankter Lebensdauer die zur Nucleinsaurebildung fUhrenden Reaktionen stattgefunden haben konnen. HOLZER (Hamburg): Es wird von einzelnen Autoren bezweifelt, daB bei dem Versuch von MILLER Verunreinigung mit Mikroorganismen ausgeschlossen war. LieBe sich das nicht dadurch entscheiden, daB man die optische Aktivitat der gebildeten Aminosauren prtift? Rein chemisch mtiBten Racemate entstanden sein. FELIX (Frankfurt a. M.): Bei der Warme des Lichtbogens konnten auch optisch aktive Aminosauren nachtraglich racemisiert worden sein. HOFFMANN-OSTENHOF (Wien): Der Gedanke, daB wir den Stoffwechsel zuerst in den Ozean hineinverlegen mtissen, erscheint mir unwahrscheinlich. Viel plausibler erscheint mir die Vorstellung von OPARIN, daB hierbei Coadcervate, die von der Konzentration unabhangig entstehen konnen, eine Rolle spielen. Diese Coadcervate sind zum groBten Teil noch anorganisch, haben aber insofern einen Stoffwechsel, als sie aus der umgebenden Losung Substanzen aufnehmen und entsprechend den Permeabilitatsverhaltnissen auch an die umgebende Losung Stoffe abgeben konnen. Die Coadcervate sind urspriinglich relativ instabil, werden sich also unter vielen Umstanden auflosen oder aber vergroBern, je nach den herrschenden Bedingungen. So wird im allgemeinen nur das ttichtigste Coadcervat tiberleben. Zum Problem, wie die Nucleinsauren in die Vorzellen hineingekommen sind, laBt sich vielleicht annehmen, daB die Nucleinsauren auBerhalb entstanden sind und das erste Zusammentreffen zwischen diesen Coadcervaten und den Nucleinsauren, also eine Symbiose, die identische Reproduktion dieser Einheiten bewirkt hat. Du MONT (CelIe): 1st es nicht wahrscheinlicher, daB das Leben nicht im tiefsten Meer, sondern am Ufer entstanden ist, wo durch Verdampfen des Wassers die Konzentrationen sich standig andern? Auch die Abgrenzung des Individuums ware dann leicher erklarlich. Ro KA (Frankfurt a.M. ) : Zu der Frage der Konzentration organischer Molekiile im Urmeer mochte ich erganzen, daB UREY aus dem damaligen Gehalt der Atmosphare an Methan ausgerechnet hat, wie hoch die Konzentration gewesen sein konnte, wenn dieses gesamte Methan in Form von organischen Zwischenprodukten im Meer gelOst ist. Er kommt auf eine Konzentration von etwa Ibis 10%. Das ware aber ausreichend fUr die Bildung von organischen Stoffwechselprozessen. Zur Frage der Coadcervatbildung: Man muB ja einen Mechanismus annehmen, mit dem die einzelnen verteilten Bausteine irgendwie angereichert worden sind. Dabei dtirfen wir aber nicht nur an anorganische Coadcervate denken, denn die miiBten dann im Verlauf des Entwicklungsprozesses aus den Zellen wieder eliminiert worden sein. Das erfordert eine zusatzliche Hypothese. Diese ist aber tiberfliissig, wcnn wir anorganische Coadcervate erst gar nicht annehmen.

Individuation in der unbelebten Welt. Von

W. KOSSEL. UniversitatB-Institut fur Physik, Tubingen_ Mit 14 Textabbildungen.

Herr Kollege FELIX hat mich aufgefordert, Ihnen einiges aus der Darstellungsweise vorzutragen, die ich seit einem J ahrzehnt in einer Reihe popuHirer Vortrage benutze, die dem Thema "Atomphysik und Lebenserscheinungen" ga1ten. Einer davon fand schon vor Jahren in diesem Saa1 statt, ein anderer (1. 12. 49) im Deutschen Museum in Miinchen. Solche Darstellungen fiir einen groBen Kreis miissen unmittelbar auf den Gegenstand se1bst losgehen. Sie miissen auf alle die mathematischen Hilfsmittel verzichten, die sich einer Formelsprache bedienen. Der Zwang, die Bilder, von denen die mathematischen Ansatze ausgehen, selbst scharf durchzuzeichnen, ohne sich der Fortentwicklung von Formeln zu iiberlassen, fiihrt dazu, manches an den Voraussetzungen scharfer auszusprechen, als es in den gewohnten Lehrbuch-Darstellungen geschieht - ja es wird hier und da geradezu eine Unscharfe ans Licht treten, die in der mathematischen Fortfiihrung wie unter einem Schleier verborgen blieb. Wenn derartiges hier in Ihrem Kreis Interesse findet, muB ich vorausschicken, daB das hier Ausgewahlte ganz einseitig ganz egoistisch sozusagen - vom physikalischen Boden aus beurteilt ist. Fiir die Aufgabe der Physik, allgemein ge1tende Gesetze des Naturgeschehens zu ermitteln, stellt sich ja das biologische Geschehen als ein erstaun1iches Sonderexperiment dar, das sich unter sehr speziellen Bedingungen, in engen Bereichen von Temperatur, Atmosphare, Feuchtigkeit an einer bestimmten Gruppe von Elementen auf dieser Erde abspielt.

Die uralte Frage, ob dies Phanomen, das uns in mannigfacher Beziehung so nahe angeht, den an der unbelebten Welt erkannten Gesetzen folgt, nimmt, von dieser Seite aus gesehen, die Gestalt

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KOSSEL:

an, ob dies Geschehen, obwohl es auf so enge Bedingungen angewiesen ist, doch allgemeine Gesetze ans Licht treten laBt, die in der unbelebten Welt unseren Beobachtungsmitteln zunachst vel'borgen bleiben ? Wir haben es ja erlebt, daB die altgewohnten Beobachtungsmittel und die ihnen folgenden Gesetze der "klassischen" Physik unvollstandig sind, daB sie hier und da ein zu grobes Bild zeichnen. Die experimentelle Atomistik hat ganz neue Phanomene zutage gefordert, die auf Gesetze allgemeiner Gultigkeit fiihrten. Sie blieben vorher verborgen, weil die makroskopischen Beobachtungsmittel vielfach nur Mittelwerte erkennen lassen. MittelwertgroBen wie Dichte, Druck, Temperatur reichen aber zur Behandlung atomistischer Vorgange nicht hin. Unsere Frage ist also erst eigentlich aktuell, seit sich die Atomistik durchgesetzt hat. Denn heute muB uns neben dem Kristall der lebende Organismus als das einzige Phanomen erscheinen, bei dem augenscheinlich eine zwanglaufige Gestaltung von der Atom- und Moiekularweit ins Sichtbare und Greifbare hinauffUhrt. Diesen Zusammenhang zu fassen, ist die groBe Aufgabe: Wir haben damit zu rechnen, daB in del' Tat eigentumliche Phanomene der Atomwelt im Verhalten der lebenden Organismen sich auswirken. Es ist gelaufig, wie daraufhin die Rolle der Quantenphanomene im biologischen Geschehen diskutiert worden ist. Aber von dem, was man in der eingangs angedeuteten DarsteHung fUr einen groBen Kreis dabei uber Kausalitat und Statistik zu besprechen pflegt, soH hier nicht die Rede sein, sondeI'll von einem morphologischen Grundphanomen der im Titel genannten Erscheinung: der Individuation. Yom Standpunkt der klassischen Physik aus ist es eine der auffallendsten Singularitaten der belebten Welt, daB die hier auftretenden Gestalten jeweils in groBerer Zahl gieichartig vorkommen. Die Moglichkeiten des "Art"-Begriffs, des einfachen Sprechens von "dem" Lowen und "der" PaIme, sind grundsatzlich fl'emd fUr die klassische Welt der Physik, in del' Massenpunkte beliebiger Masse oder stetig verbreitete Stoffe beliebiger Dichte unter der Einwil'kung von stetig verbl'eiteten FeldeI'll ihre Schicksale erleiden. Von den typischen biologischen Vorgangen, die an diesem Phanomen des einer Art angehorenden Organismus hangen, nehmen wir im Augenblick nul' in dem Sinn Kenntnis, daB sie

Individuation in del' unbelebten Welt.

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die Bedeutung diesel' Erscheinung bekraftigen. Wir nehmen sie aIle, die Regeneration etwa odeI' die Anzeichen dafiir, daB im Lauf del' Entwicklung Kolonien selbstandiger Individuen sich zu vielzelligen, nul' als Ganzes noch lebensfahigen Individuen differenzieren, hier lediglich als Zeichen dafiir, daB Wirkungen spielen, die fur das Auftreten gleichartiger Organismen sorgen. Das Faktum dieses Auftretens werde hier mit Individuation bezeichnet. Den Gegenstand so scharf km einzuschranken, empfiehlt sich, urn seine Selbstandigkeit deutlich zu machen, die m wohl nicht ausreichend be'') Zellverbi7llti, Vielzelle;; Me!JzoOIl achtet wird, und urn unsere "',_,,' .' _' / - Zelle, Eillzeller, Zeit bestimmten grundsatz-Zdlkem lichen Fragen widmen zu Cilromosom konnen, die schon in diesem -- een I].' Rahmen auftreten und uber - Viiw' セ@ Dro/Jmolekul die man in weitergehender Moleku/ /IE Diskussion schon eine feste A/om Meinung haben sollte. /(em Wir beginnen mit einer '''_ Meson /Vue/eol7 einfachen Ubersicht (Abb.l), Abb.1. Uberblick uber die GraBen typischer die VOl' Augen fiihrt, wie in Individuationen. del' lebenden Welt gleichartige Gebilde aus den verschiedensten GroBenstufen auftreten - vom eigentlichen lebensfahigen vollen Individuum bis zu den Einzelgebilden seines Aufbaues. VielzeIler, Einzeller, ZelIkern, Chromosom, Gen sind ihren charakteristischen GroBenordnungen nach ubereinander als eine Skala typischer, in del' Welt des Lebens auftretender Individuationen angefiihrt. Schon die formale Analogie fiihrt nun dazu, von hier aus zur Atomistik herabzusteigen. 1m MaBstab ist hier keine Lucke, den biologischen Individuationen schlieBen sich GroBmolekule, Molekule, Atome unmittelbar an. Es folgt del' groBe Sprung bis zum Kern hinunter, dann die Elementarteilchen: Elektronen, Mesonen und N ucleonen. Die damit ganz unmittelbar gestellte Frage, welchen Inhalt die Analogie zwischen del' biologischen Individuation und del' physikalisch-chemischen Atomistik haben kann, bl'ingt zunachst die Forderung, dieRfl Individuation del' Unbelebten in ihrem Inhalt

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KOSSEL:

scharf zu kennzeichnen. Was ist bezeichnend fUr den in der Naturwissenschaft bewahrten Atombegriff? Die dappelte Funktian des Atambegriffs. Wir haben zwei Funktionen anzufUhren und scharf auseinanderzuhalten1 . Einmal die, von der das Wort selbst spricht: es finden sich Teilchen, die irgendwelche Schicksale erleiden, ohne dabei selbst verandert zu werden. Das ist die typische Voraussetzung einer Mechanik der Molekiile. In diesem Sinn haben Antike und Mittelalter die Atomistik als den Reprasentanten des Gedankens angesehen, das Geschehen in der Natur laufe unabanderlich nach einem in ihr wirkenden Zwang abo Dieser Grundgedanke schlieBt durchaus nicht die Annahme ein, daB die Teilchen untereinander gleich seien. Bestimmte Lehrmeinungen der Antike sprechen sogar von ihnen als a,MEv EOlXOiWV FaNセoャL@ "einander in nichts Gleichenden". Es gab also Schulmeinungen, nachdenen jedes Atom yom andern verschieden ist. Ein jedes ist aber "Atom", lateinisch "Individuum", etwas, was sich nicht teilt, nicht verandert wahrend der StoBe, die es etwa erleidet. In einer Materie, die aus solchen Teilchen aufgebaut ware, kann der Ablauf vollig zwanglaufig sein. Insbesondere kann im heutigen Sinne mit derartigen Atomen oder Individuen in aller Sicherheit und Klarheit Mechanik getrieben werden. Eine Materie also, in der jedes einzelne Teilchen yom anderen verschieden, ein jedes aber fUr sich haltbar, also im strengen Sinn des W ortes als Atom zu bezeichnen ist, vermag grundsatzlich den Grundgedanken der Atomistik zu erfiillen, namlich das Naturgeschehen als gesetzmaBig ablaufend zu erfassen. Es wird jetzt schon klarer hervortreten, was einer solchen Atomistik fehlen wiirde: es ware der Begriff eines reinen Stoffes. Reine, homogene Stoffe - solche, die auf die Sinneswahrnehmung als gleichformig wirken oder, scharfer gesehen, in gleichen Mengen sich gleich verhalten - gehoren aber so zur elementarsten Welt der Erfahrung, daB jedes Nachdenken tiber die Natur auch die Aufgabe hat, ihr Auftreten darzustellen. Das laBt sich nun gerade im Zusammenhang mit einer Atomistik ausgezeichnet durchfiihren, wenn man annimmt, daB es von solchen Bausteinen, die unzersti.irbar sind, obendrein in groBen Mengen solche gibt, die sich untereinander gleich verhalten. Das ist die Annahme, die DALTON -

1 Zur Begriffsbildung der Atomistik. Annalen der Physik 3, 156 (1948) Gedachtnisband fiir Max Planck. -

Individuation in der unbelebten Welt.

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endgiiltig einfUhrte gegeniiber etwa der Autoritat von BERTHoLLET, der auf Grund von Erscheinungen, die wir heute dem Massenwirkungsgesetz zurechnen, die Maglichkeit verschieden groBer Bausteine im selben Stoff zulassen wollte. Um diese zweite, zur Grundvorstellung der Atomistik am Ende des 18. Jahrhunderts vallig frei hinzukommende Annahme scharf fUr sich zu kennzeichnen, bezeichnen wir sie hier mit einem aus der Antike genommenen Namen als Homoomerie. Die Unterscheidung dieser beiden ]'unktionen ist fUr unser Thema von graBter Wichtigkeit. Wir fUhren sie deshalb naher aus. Molekularmechanik. Die beriihmten Grundgesetze des Gaszustandes, die angeben, wie der Druck eines Gases yom Raum, den es einnimmt, und von der Temperatur abhangt, beruhen samtlich darauf, daB unveranderliche Teilchen ihre Tragheitswirkungen auBem. Es sind unmittelbar Konsequenzen der mechanischen Grundgesetze am denkbar einfachsten Objekt. tiber die Natur der Teilchen ist nichts angenommen als eben ihr atomistischer Charakter - ein jedes muB als "Massenpunkt" behandelt werden diirfen, es muB im Lauf del' mechanischen Ereignisse unverandert dasselbe bleiben. DaB sie aber einander gleich waren, wird nirgends gefordert. Der AVOGADROSche Satz Z. B., daB eine bestimmte Zahl von Teilchen, deren Energien im statistischen Gleichgewicht stehen - das Gas hat eine einheitliche Temperatur -, in gegebenem Raum einen bestimmten Druck auf die Wand zustande bringen, hangt nicht daran, daB diese Teilchen einander gleich waren. Man sieht das meist nicht, weil man so groBes Interesse an reinen Stoffen hat und es so bequem ist, mit nur einer Art von Teilchen zu rechnen, daB Lehrbuch und Vorlesung die molekular-mechanischen Gesetze zunachst fUr reine Stoffe vortragen. Man erwahnt dann als weiteren Satz, daB diese Gesetze auch fUr "Gasgemische" gelten. In unserer ganz der Ordnung der Begriffe geltenden Betrachtung verfahren wir umgekehrt: das Allgemeinste geht voran - das sind die auf Persistenz, auf Unveranderlichkeit des Einzelteilchens, also auf "Atomistik" im strengsten Sinne beruhenden, auBer ihr nur die klassische Tragheitsmechanik benutzenden Zusammenhange. Wir betonen sie durch ein zweites Beispiel: Man beginnt mit dem schulgemaB gewohnten Fall der gleichen Teile, beachtet, daB

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nach dem bekannten CLAUSIUSSchen Ausdruck fUr den Druck (p = } (! c2 ) die Masse nur als Dichte (! - als die in der Raumeinheit anwesende Masse - vorkommt, daB man sie also beliebig fein unterteilen oder grob zusammenfassen darf und macht sich klar, daB in der Tat die gesamte Kraft, die das Gas auf die Wand eines kugelformigen Kessels yom Radius R ausubt, der Zentrifugalkraft gleich ist, die an einem Faden der Lange R wirkt, an dem man die gesamte Masse des Gases, in einem Massenpunkt vereint, mit der fur das Gas angenommenen Geschwindigkeit c umlaufen laBt. Gasdruck und Zentrifugalkraft sind, das pragt sich an solch quantitativem Vergleich scharf ein, Krafte gleicher Art. Wie die elastische Einrichtung aussieht, mit der man die bewegten tragen Massen zusammenhalt, ob hier die Spannung in einer Kesselwand wirkt oder die in einem Faden, ist sekundar. Man betont mit solchem AnschluB an die gewohnte GroBmechanik, wie wenig Spezifisches die molekularmechanische Atomistik fordert. Homoomerie. Als ganz neue erstaunliche Naturtatsache tritt nun hinzu, daB mehrere Teilnehmer eines solchen Systems nach dem MaB der hier bestehenden Anforderungen untereinander gleich sein konnen, ja daB 5 wir vielfach mit Stoffmengen zu tun haben, die nur aus einander gleichen TeilN 00 chen bestehen. Die spezifischen Leistun1, 71J J No 03 gen einer solchen Homoomerie sehen in der Tat Z NO ganz anders aus als die der Mechanik. (},511 NzO Beginnen wir mit dem klassischen Beispiel von N 0 DALTON. Bei dieser AnwenAbb. 2. Erster Nachweis von Homiiomerie in der Atomistik: Mnltiple Proport.ionen. dung der Atomistik ist von einer Dynamik, wie eben in der Gasmechanik, nicht die Rede. Es wird vielmehr festgestellt, daB von einer bestimmten Menge Stickstoff, die als Gewicht angegeben wird, Mengen Sauerstoff gebunden werden konnen, deren Gewichte sich wie 1: 2: 3: 4: 5 verhalten (Abb. 2). Typisch ist: wir haben eine Skala, auf der das Beobachtungsinstrument an und fUr

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Individuation in der unbelebten Welt.

sich beliebige Werte anzeigen konnte, es stellen sich aber nur bestimmte Werte ein. Die atomistische Deutung DALTONs fordert daraufhin fUr jedes Element Bausteine, die untereinander gleich sind. Der Begriff der Art tritt in der unbelebten Welt auf. Man redet von "dem" Schwefelatom, "dem" Eisenatom, wie in der belebten Welt von "der" Speicheldriise "eines" bestimmtenZweifliiglers.

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Massenzahlen: Ausschnitt einer Aufnahme Yon セiatuchN@

Das zweite Beispiel sei ein Massenspektrogramm. Wiederum konnte das Instrument beliebige Massenwerte anzeigen, aber wir sehen das Auftreten diskreter und unter sich gleicher Teilchen (Abb.3).

Abb. 4. Ladungswechsel eines Oltropfchens. Abszisse Zeit (Strecken willkiirlich gewiihlt). Ordinate Vertikal-Geschwindigkcit im elektrischen Feld (nach einer Beobachtungstabelle von MILLIKAN).

Drittens nehmen wir als Anzeige einer Homoomerie den Oltropfchenversuch von MILLIKAN (Abb.4). Wir betrachten die Geschwindigkeiten, die ein bestimmtes Oltropfchen in einem unveranderlichen elektrischen Feld annimmt. Sie ist als Ordinate angegeben. Sie zeigt im Anfang einen konstanten Wert, springt

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KOSSEL:

daIlll plotzlich um, bleibt wieder konstant, springt aufs neue usf. Wenn man die Geschwindigkeitswerte zusammennotiert, wie das rechts angezeichnet ist, stehen ihre Differenzen in ganzzahligen VerhiiJtnissen. Da die Geschwindigkeiten den Kraften und diese wiederum den Ladungen proportional sind, hat man zu schlieBen, daB in Wirklichkeit im Ladungswechsel des Tropfchens (der durch eine Rontgen- oder y-Strahlung veranlaBt wird) ganzzahlige Ladungsmengen aufgenommen und entfernt worden sind. Es gibt wiederum die Moglichkeit beliebiger Werte, aber es kommen wiederum nur ganzzahlige Verhaltnisse vor. Homoomerie heiBt also: Eine NaturgroBe, die wir makroskopisch als stetig kennen, zeigt beim Herabsteigen in atomistische GroBen eine Auswahl von Werten, die in ganzzahligen Verhaltnissen stehen. Das Instrument ware in der Lage, auch hier beliebige Punkte auf der Skala anzuzeigen, aber nur einzelne aquidistante Punkte werden gefunden. Wir haben so die im Hinblick auf die Lebenserscheinungen wichtige Homoomerie vom molekulardynamischen Inhalt der Atomistik abgesetzt und stellen nunmehr die Frage nach ihrer Herkunft. 1st diese Individuation auf ein erkennbares Prinzip zuriickzufiihren ? Sie riihrt gewiB nicht von einer Entstehungsart her, an die nach alter Gewohnheit am liebsten gedacht und die uns in einem klassischen Zitat an dieser Stelle sehr leicht entgegengehalten wird. Wenn vom Leben die Rede ist, wird gerne angefiihrt: "Keine Macht zerstiickelt gepragte Form, die lebend sich entwickelt." Nun, wir worden sagen: Gerade gepragte Form kaIlll sich nicht lebend entwickeln. Denn Pragung kommt von auBen. Es entstehen zwar untereinander gleiche Exemplare, aber das Pragen einer Miinze ist materiell nichts anderes wie das Walzen einer Schiene oder das Ziehen eines Drahtes. Ein Material, das gegen die Form an sich ganz gleichgiiltig ist, wird von auBen gepackt und geformt. Das hat so wenig etwas mit einer von innen kommenden Struktur zu tun wie die Facetten eines Kristallglases, die wir von auBen angeschliffen haben, kristalline Struktur und die Fahigkeit zurn geordneten Wachsen verraten. Gerade das Wort Pragung empfinden wir - durch ein Jahrhundert technischer Entwicklung ins Zeit alter der mehr und mehr automatisierten Massenfertigung gefiihrt, von GOETHES Erfahrungswelt hier weit getrennt - ganz

Individuation in der unbelebten Welt.

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anders - wir wurden es von uns aus hier nicht mehr anwenden. Der Priigestock, die Matrize reicht nicht hin - am Widerspruch wird uns klar, daB das, was in dies em Zusammenhang wirken solI, seine Homoomerie, seine Gleichartigkeit aus einer anderen Quelle haben muB. Aber im Unbewegten findet sich nichts dergleichen. Man konnte zwar auf den Kristall hinweisen - aber vom additiven Fortbau, der ja bereits homoomere Bausteine voraussetzt, ist erst spiiter zu sprechen - , im Augenblick geht es um das erste Auftreten gleichwertiger Teile uberhaupt. Es bleibt nichts ubrig, als die eingangs betrachtete Stufenleiter nochmals anzusehan. Lokalisierung in der Atomwelt. Das Problem der Individuation iindert sich in unerwarteter Richtung, sob aId man in die atomistischen Dimensionen selbst herabsteigt: es verliert den einfachen geometrischen Charakter. Bei den Elektronen eines Atoms ist es nicht mehr moglich, die Individuen auBerhalb voneinander zu lokalisieren. Gibt man das Periodische System der Elemente, das ja nach den Valenzen gegen Sauerstoff und Wasserstoff aufgestellt worden ist, graphisch wieder, indem man, den Ionenbildnern der am schiirfsten polaren Elemente folgend, aIle Valenzzahlen gegenuber Wasserstoff einheitlich als Aufnahme, die gegenuber Sauerstoff als Abgabe von Elektronen darstellt, so verwandeln sich seine Reihen absteigender Wasserstoff- und aufsteigender Sauerstoffwertigkeit in horizontale Zeilen, die auf ausgezeichnete abgeschlossene Elektronengruppen, vor allem bei den Edelgasen hinweisen. Das fand sich, als ich 1915 nach weiteren selbstiindigen Anzeichen solcher Gruppenbildung suchte, die ich wegen der Ausfallerscheinungen von Rontgenlinien im Atominneren anzunehmen hatte (1914). In der Tat lieBen sich diese vom Gang der Valenzen angezeigten Schalen schnell mit denen identifizieren, die zur Deutung des Auftretens der Rontgenlinien notwendig waren, es erschien also sogleich angemessen sie nach derenNamen als "K"-, "L"-, "M"-Schale zu bezeichnen. DiesesAufbau- undAbschluBprinzip sprach naturlich eine Lokalisierung der Elektronen im Atominneren aus, aber es war nicht mehr eine Angabe von Ruhelagen wie in fruheren Modellen von J. J. THOMSON und auch noch in den spiiteren von LEWIS und LANGMUIR, sondern nur eine Angabe uber den Aufenthalt auf den zentrierten "Schalen". Das wurde damals mitunter geradezu als Mangel empfunden - man ver6. Colloquium セiッウ「。」ィN@

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langte etwa, es solIe eine Ortsangabe iiber die Lage der acht Elektronen der Neon-Schale gemacht werden und sah die Annahme LANGMUIRs, sie bildeten einen Wiirfel, als Fortschritt gegeniiber meiner reinen Zahlenangabe an. lndes zeigte schon die iiberraschende Leistungsfahigkeit der allein aus Ladungen und lonenradien zu ziehenden Folgerungen die Unhaltbarkeit eines so starr gezeichneten Modells. Dazu aber muBte von vornherein klar erfaBt werden, daB von den Verbindungen aus, in denen man noch lonen unterscheiden darf, eine stetige Kette zu denen hiniiberfiihrt, in denen gleichwertige Atome einander gegeniiberstehen. Um dies von vornherein scharf zu fixieren, habe ich fUr die Enden der Kette die Bezeichnungen heteropolar und homoopolar gebraucht, die schon sprachlich auf die Stetigkeit des Ubergangs hinweisen. Dabei bleibt natiirlich die Erinnerung an den lonencharakter der einen Seite lebendig, und man spricht auch heute von den Stufen des Ubergangs gern in der Weise, daB man etwa versucht, "Prozente des lonencharakters" oder "Grade der Elektronegativitat" zu bestimmen. Auch darin, daB heteropolarer und homoopolarer Fall nicht mehr als Gegensatze, sondern als "Grenztypen" bezeichnet werden, zeigt sich, daB die Bedeutung des Ubergangs nun allgemein erfaBt ist, nachdem die vielfach vorhandene Scheu, sich bei etwas so Primitivem wie einer Erinnerung an den polaren Aufbau betreffen zu lassen, in den letzten J ahren zuriickgegangen ist und auch an Radikalen die Zwischenformen mit dem Namen Mesomerie als dauernd existent anerkannt werden. Alles das sind Aussagen, die sich auf die raumliche Lokalisierung der Ladungen beziehen und gern in Zusammenhang mit dem Charakter solcher Bindungen als Dipole gebracht werden, d. h. mit einem Bild, in dem zwei entgegengesetzte Ladungen einander in bestimmtem geometrischem Abstand gegeniiberstehen. Aber schon in der heteropolaren Verbindung verlor sich in einem damals doch iiberraschenden MaB die Lokalisierung der einzelnen Elektronen. Nirgends sieht man sie klar nebeneinanderliegen, wie die Bausteine in manchem Gewebe, im Kristall, ja selbst im statischen Modell des Kerns. Das innerlich bewegte Atom. In der Tat wissen wir: die Elektronen bewegen sich durcheinander. Der Ubergang yom statischen zum dynamischen Gebilde greift auch in das Bild der Lokalisierung

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der Bestandteile ein-die nun nicht mehr im vollen Sinn als nebeneinanderliegende "Bausteine" erscheinen. Das Problem der Raumerfiillung, der Undurchdringlichkeit, erscheint in neuem Aspekt. Hier werden Grundbegriffe beriihrt. Wir haben uns in aller Scharfe klarzumachen, daB ja die primitive Vorstellung, ein Karper"erfiille" einen Teil des Raums, in unserer Zeit aus den Prinzipien der Naturwissenschaft verschwunden ist. Die Atomphysik hat wiederholt, was im 17. J ahrhundert in der Astronomie geschah. Damals war das groBe Problem: Was halt eigentlich den Mond von der Erde fern und die Planet en von der Sonne? Welche abstoBende Kraft hindert sie, ineinanderzustiirzen? Das wird durch das ganze Jahrhundert diskutiert, bis die Lasung kommt: eine abstoBende Kraft ist iiberhaupt nicht da, nur Tragheit ist im Spiel. Wir haben uns klarzumachen, daB am Beginn der modernen Physik der grundlegende Gedanke steht, daB der "Gegenstand" der AuBenwelt seine "Gegenstandlichkeit", seinen Widerstand gegen eine an ihm anpackendeKraft, nicht etwa als Undurchdringlichkeit auBert, sondern als Tragheit. Nur in dieser Funktion tritt der Karper als Gegenstand in die Prinzipien ein. Es wird der Begriff des .,Massenpunktes" maglich - das geometrische Zeichen -, der Punkt heiBt bei EUKLID (J'YJIU;tOV - allein und eine Zahl die MaBzahl der Tragheit - erg eben schon den einfachsten Gegenstand der klassischen Mechanik. Und gerade von der einfachsten Punktdynamik wird Gebrauch gemacht, um das sperrige Gebilde, das stationare Fortbestehen des Planetensystems zu verstehen. Wir fiihren uns das, um die Abweichung vom Statischen aufs scharfste zu betonen, wieder in einer Gegeniiberstellung vor Augen (Abb.5). Zunachst die alte Idee von KEPLER: er versucht die Abstande zwischen den Planet en rein geometrisch zu begriinden, indem er annimmt, sie seien durch die Abmessungen der Platonischen regelmaBigen Polyeder diktiert, eine vallig statische Idee, basiert auf Raumerfiillung, kennzeichnend fiir die Herrschaft der Geometrie, wie sie von der Antike als die exakte Wissenschaft iiberliefert war. Dem stellen wir KEPLERs 8piitere Einsicht, die dynamische, gegeniiber. Seine charakteristische Lasung lautet bekanntlich, daB die Quadrate der Umlaufszeiten sich verhalten wie die Kuben der groBen Bahnachsen. Um das mit Augen vor uns zu sehen, idealisieren wir die Bahnen als Kreise, denken uns 3*

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die Erde einmal umgelaufen und zeichnen auf, wie weit in derselben Zeit der Mars, der Jupiter, der Saturn usw. umgelaufen ist (Abb. 6). 1hre Endlagen bilden miteinander eine Spirale, die das einheitliche Gesetz darstellt. Wir haben so das Zeitliche - auf das es im Grunde ankommt - ins Geometrische iibertragen und machen davon weiter Gebrauch, um das Gesetz zu erlautern.

Abb.5.

erster, - geometrischer - Versuch, die Abmessungen der Planetenbahnen als gesetzmiiBig zu verstehen (Mysterium cosmographicum 1596).

KEPLERS

Die linke Teilfigur wahlt einfach Planetenbahnen aus, an denen das Gesetz bequem nachzupriifen ist. Wenn wiederum der innerste gezeichnete Planet einmal umgelaufen ist, wird ein 4mal so weit entfernter Korper 1/ 8 , ein 9 mal so weit entfernter Korper 1/27 und ein 16mal so weit entfernter 1/64 seines Umlaufs gemacht haben. So ist das Gesetz bequem der Kopfrechnung halber - indem 4 3 gleich 82 ist usw. - dargestellt. Die Spirale der Endlagen gibt uns anschaulich die verbindliche Form, die das dynamisch Spielende, Abmessungen und Zeiten, verkniipft. Die Bahnen der Planet en (reehts) fiigen sieh, der klassisehen Physik gehorchend, nun mit irgendwelchen Entfernungen dem Gesetz ein - darin auJ3ert sich ja die Stetigkeit. 1m Wasserstoff-

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Individuation in der unbelebten Welt.

atom aber zeigen sich nur die realisiert, die wir (links) bequemen Rechnens halber ausgewahlt hatten - die Bahnen yom Radius 1, 4, 9. In der Figur ist hervorgehoben, daB bei ihnen die gleichzeitig iiberstrichenen Flachen, die yom Radius und Winkel bestimmt sind, sich wie 1: 2 : 3 verhalten. Diese Flachen (die KEPLERschen Flachenkonstanten der erlaubten Bahnen) sind aber, da die Massen der "Planeten" hier ja gleich sind, unmittelbares MaB einer UrafIIJS der wesentlichen Konstanten der BeweI gungen: der Drehimpulse. I So zeigen sich wiederum an einer \,, klassisch stetig zu erwartenden GroBe I ganzzahlige Schritte; eine Homoomerie I I tritt zu Tage, wie wir sie vorher an Ladung und Masse illustrierten. Die gleichwertigen "Bausteine" finden sich diesmal aber nicht an einer mengenartigen GroBe, sondern an einer dynamischen. Das atomistische System zeigt nur Bewegungen, bei denen der Dreh- Abb. 6. KEPLERS zweite - dynamische - Deutung (Harmoniees impuls ein ganzes Vielfaches einer ge- Mundi1619): die in gleiehenZeiten zuriiekgelegten Bogen fiigen sieh gebenen Grundeinheit ist. Diese ist der links konstruierten Spirale durch PLANCKs Wirkungsquantum ge·· (drittes KEPLERsehes Gesetz) ein. 1m l\oHRschen Wasserstoffatommodel! treten nur die links benutzgeben. ten Fal!e auf, in denen die in gleiDer Drehimpuls hat die Dimension chen Zeiten iiberstriehenen Flachen - und damit die Drehimder W irkung - er ist nUT eine unter pulse - sieh wie 1: 2 : 3 verhalten. mehreren WirkungsgroBen, die miteinander die Bewegung vollstandig festlegen. GroBen dieser Art haben wichtige Eigenschaften der Unveranderlichkeit - nicht nur im Ablauf der Periode, wie KEPLER das zuerst an der Flachenkonstante erkannte, sondern auch gegeniiber bestimmten Eingriffen, die die Umlaufszahl abandern (adiabatische Anderungen am System). Damit erfiillen sie das erste Charakteristikum, das wir oben einer Atomistik zuerkannten, sie gehen unverandert durch bestimmte Ereignisse hindurch, sie zeigen Persistenz, es sind, wie die hier iibliche Ausdrucksweise lautet, "Invarianten" - insbesondere "adiabatische" Invarianten. Wir erlauterten oben an den MengengroBen, daB solche unveranderlichen GroBen nicht untereinander gleich zu sein brauchen. Das gilt, wie uns das Beispiel der PlanetenI

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w. KOSSEL:

bahnen VOl' Augen fUhrt, auch fUr die dynamischen Invarianten. Es ist unter Umstanden recht notwendig, scharf klarzulegen, welche Eigenschaften eine GraBe bereits kraft zeitlicher Unveranderlichkeit besitzt. Neue Ziige treten hinzu, weun diesen Invarianten die Eigenschaften del' Ganzzahligkeit, del' Homaomerie, odeI' wie es hier heiBt, del' Quantisierung auferlegt werden. Man findet Oftel'S , daB Erscheinungen del' Quantisierung zugeschrieben werden, die schon aus del' Invarianz folgen. Wir bewegen uns heute in Fragen, fUr die scharfe Unterscheidung wichtig ist, denn erst die Homaomerie - also fUr diese GraBen die Quantisierung - entspricht del' Individuation, del' wir als auffallendem Phanomen lebender Formen nachgehen. Jede del' WirkungsgraBen del' Elektronenbewegungen, deren erstes Beispiel del' Drehimpuls war, ist ebenso wie er quantisiert. Die Dimension del' GraBe "Wirkung", urn deren Invarianz und Homaomerie es hier geht, ist Energie x Zeit. 1m dauernden Gebilde handelt es sich urn rein periodische Bewegungen - die dafUr kennzeichnende ZeitgraBe ist die Periodendauer T. So wendet sich die Aufmerksamkeit del' libel' eine Periode genommenen Wirkung zu. Man pflegt sie freilich nicht mit T zu schreiben, auf das es eigentlich ankommt, sondeI'll nennt aus historisch begriindeter Gewohnheit statt del' Schwingungsdauer T gern die Schwingungszahl v =

セMN@

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ET = const

ist also die Behauptung, die Wirkung je Periodendauer sei invariant - und das gleiche bedeutet E = const . v -, die Energie ist del' Frequenz proportional. Ein einfaches Beispiel dafUr ist del' Mann auf dem Drehschemel, del' wahrend des Rotierens seine ausgestreckten Arme an sich zieht. Bei diesel' adiabatischen Anderung nimmt die Energie del' Rotationsbewegung ebenso wie die Frequenz zu, E ist proportional v, den verbindenden Faktor bildet del' konstant bleibende Drehimpuls 6: E = n 6 v. Solch elementares, leicht rechnerisch darzustellendes Beispiel kann del' auch in theoretisch anspruchsvollen Darstellungen oft anzutreffenden Idee entgegenwirken, eine Beziehung E = constv sei schon" Quantentheorie". Sie spricht nul' die Invarianz von E/v, d. h. von ET aus, ein ganz del' klassischen Physik entstammendes Faktum - "Erhaltungssatze" fUr impulsartige GraBen geharen zum klarsten, im Unterricht mit.

Individuation in der unbelebten Welt.

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Vorliebe vorgefiihrten Bestand der klassischen Mechanik -. Eine Quantisierung erscheint erst dann, wenn von solchen persistenten GroBen nur bestimmte, in ganzzahligen Verhaltnissen zueinander stehende Werte auftreten. Die Einschaltung der Bewegung in die der Persistenz und Homoomerie fahigen GroBen ist von so groBer Wichtigkeit, daB es lohnt zu betonen, wie tief man damit in die ersten Grundlagen der klassischen Physik zuriickgreift. Es ist eine der ersten Einsichten der klassischen Mechanik, daB die Geschwindigkeit eines Korpers mit in die Beschreibung seines "Zustandes" eingeht. Erinnern wir uns an den Kern von GALILEIs Erkenntnissen am freien Fall: Die am Korper angreifende Kraft der Schwere bestimmt nicht, wie man bisher oberflachlich angenommen hatte, dessen Geschwindigkeit, sondern die Anderung seiner Geschwindigkeit. Das heiBt die Geschwindigkeit gehort nicht zur zwangslaufigen Aussage der Differentialgleichung, sie bleibt als "Integrationskonstante" offen, sie darfbeliebig angenommen werden, sie gehort ebenso wie die anfangliche Lage zu der willkiirlichen Wahl eines "Anfangszustandes", von dem aus das Spiel der Krafte dann den weiteren Ablauf zwanglaufig bestimmt. So wie der Ort des Abwurfs beliebig gewahlt werden kann, steht auch die Geschwindigkeit offen, mit der man den Korper abschleudert - erst was nun anschlieBt, die Beschleunigung im Fall, ist eindeutig durch die Schwerkraft bestimmt. So zahlt denn in NEWTONs klassischer Formulierung des GALILEIschen Tragheitssatzes - in NEWTONs erstem "Axiom" - das "moveri uniformiter" zum "status", der bestehen bleibt, wenn vires "impressae", von auBen anpackende Krafte, fehlen. Das iibertragt sich vom einzelnen Massenpunkt auf das System. Aus der Aussage fUr die Translation des einzelnen Massenpunktes werden fUr Systeme aus Massenpunkten, in denen nur innere Krafte wirken, "Erhaltungssatze" abgeleitet, die ebenfalls aussagen, daB bestimmte die Bewegung beschreibende GroBen unverandert bestehen bleiben, solange es an bestimmten auBeren Einwirkungen fehlt. Zu ihnen gehort als einfachste, in KEPLERs Flachensatz zuerst aufgetretene GroBe der Drehimpuls eines von inneren Kraften gegen die auseinanderfUhrenden Tragheitswirkungen zusammengehaltenen bewegten Systems. DaB ein atomistisches System als "Gegenstand" wirkt, der einen gewissen Raum "erfiillt" und damit in bestimmter Weise

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w. KOSSEL:

als Baustein neben anderen Bausteinen lokalisiert werden kann, riihrt also von seiner inneren Bewegtheit her. Das blieb auch erhalten, als sich mit den Einsichten von DE BROGLIE und SCHRODINGER die scharfe Lokalisierung des einzelnen Elektrons noch weiter aufloste. Zwar bleibt del' Begriff des Elektrons als Massenpunkt in bestimmten Gedankenschritten konserviert, die mathematische Handhabung del' 1jJ-Funktion abel' arbeitet ganz entsprechend den klassischen Wellengleichungen mit vollig stetiger raumlicher Verteilung. Die Homoomerie del' Menge erscheint nun in del' Form, daB eine "Normierungsbedingung" eingefiihrt wird: Die gesamte anwesende elektrische Ladung muB gleich del' Elementarladung - odeI' einem ganzen Vielfachen von ihr sein. Die BOHRsche Auswahl von Quantenzustanden ist durch die Ermittlung von EigenlOsungen ersetzt - auf del' Mengenseite abel' bleibt es bei del' Auswahl: nul' ganzzahlige Vielfache von eo sind "erlaubte" Ladungen. Die Homoomerie, sonst ganz unmittelbar mittels del' Teilcheneigenschaften eingefiihrt es wird gleiche Masse, gleiche Ladung, gleicher Drehimpuls, gleiches magnetisches Moment verlangt - erscheint hier am Ergebnis einer raumlichen Integration, etwa iiber die Ladungsdichte. Indem an Atomen mit mehreren Elektronen die Ladungswolken iiberlagert werden, geht die getrennte Unterbringung des einzelnen noch mehr verloren als am Bild del' einander durchkreuzenden Planetenbahnen, an die man vorher in Fortsetzung des BOHRschen Wasserstoff-Planetenmodells denken konnte. Wir erinnern kurz daran, wie ungeheuer fruchtbar sich del' Gedanke, Homoomerieerscheinungen als Losungen von Eigenwertproblemen anzufassen, erwiesen hat, von den alten SCHRODINGERSchen Beispielen del' Terme von Atomspektren bis zu del' Frage nach del' Homoomerie del' Elementarteilchen, die heutzutage interessiert. Um das Auftreten del' Nucleonen, Mesonen, Elektronen zu verstehen, wird immer wieder versucht, ihre Kennwerte als Glieder von "Spektren" zu fassen,d. h. aufirgendeinerdynamischen Basis die Existenz gerade diesel' Massen, diesel' Drehimpulse usw. als stationare Losungen von Differentialgleichungen zu finden, in denen Energie und Impulse erscheinen. Diese Grundbegriffe del' Dynamik werden immer ins Spiel gebracht - auch da, wo man von jedem scharf gezeichneten, an makroskopische Physik erinnernden Bilde weit abriickt. Man rechnet, soweit sich sehen

Individuation in der unbelebten Welt.

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laBt, allgemein damit, daB die aIte Frage, wie es im Gebiet der Atomistik zur Bildung gleichartiger Teilchen (zur Homoomerie) kommt, mit Hilfe einer Dynamik beantwortet werden wird. Eine dominierende Rolle der Dynamik steht aber in ihren begrifflichen Moglichkeiten der biologischen Problematik naher als alles altere, das rein statisch angelegt war. DaB am lebenden Stoff auch das Bestehen von Formen als stationarer Zustand inmitten dauernden Geschehens zu gelten hat, ist ein vertrauter Gedanke 1 . Uberatomare Individuation. Wir wenden uns von diesem in die Tiefe fiihrenden Wege jetzt ab und dem Problem zu, das beim Gedanken an lebende Strukturen vor Augen steht: Gut, in der Tiefe der Atomistik finden wir Individuationen - aber wie werden sie nach oben hin wirksam? - Hier, in der Wiederholung gleichartiger Gebilde, die aus kleineren zusammengesetzt sind - bis zu den Vielzellern hinauf - liegt die Erscheinung, von der wir ausgingen. Welche Moglichkeiten bietet der Zusammenbau? - Ganz klar schiebt sirh sofort der geregelte Zusammenbau gleichartiger Partner, der Kristall, in den Vordergrund. Er ist, indem er in den Richtungsgesetzen seiner Flachen und Kanten die Ordnung seiner atomaren Bausteine bis ins Greifbare und Sichtbare hinauf festhalt, das eindringlichste Zeugnis von Homoomerie uberhaupt. Die Moglichkeit der strengen Periodizitat des Kristallgitters ruht auf der Gleichheit der Teilchen seiner Bausteine. Der fehlerfreie Kristall ist daher stets auch ein reiner Stoff mit dem ganzen Gewicht, das diesem Begriff zukommt. Kristallisieren ist eines der scharfsten Mittel zu reinigen - vom alten Fraktionieren, bei dem die Fremdstoffe in der Mutterlauge zuruckbleiben, bis zum heutigen Zonenschmelzen, bei dem man durch einen schon monokristallinen Stab immer aufs neue Schmelzzonen hindurchfiihrt und die Fremdstoffe weiter und weiterausdemimmer neu sich bildenden Gitter davontreibt. Das Kristallgitter ist im Gegensatz zu Flussigkeit oder Gas - grundsatzlich ohne Temperaturbewegung denkbar. Immer wieder ist man auch inmitten der Rechnung formal an diesem Grenzfall interessiert - er ist das Gegenspiel zu dem rein von der statistischen Mechanik der tragen Massen beherrschten idealen Gas. 1 Vergleiche als jiingste pragnante Zusammenfassung maBgebender Ziige die an eine AuBerung E. KNOOPS ankniipfende Einleitung zu einem gerade publizierten Vortrag A. BUTENANDTS: Naturwiss. 42, 141 (1955).

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W.

KOSSEL:

Die bindenden und ordnenden Krafte sind natiirlich an den heteropolaren Kristallen am besten zuganglich. Es steht hier wiederum so wie bei der Bildung der Molekiile: Dort bei den Grundfragen der Wertigkeit und der Konstitution der einfachsten chemisch gesattigten Atomgruppen waren es die extrem polaren Verbindungen, die mit der Entschiedenheit ihres Elektronenaustauschs uns den Weg zum Verstandnis des Periodischen Systems bahnten, das Aufbau- und AbschluBprinzip ergaben und damit Grundsatze lieferten, die auch fUr die weniger entschiedenen polaren Verkniipfungen - fiir die "Verschrankungen" der Elektronengebaude ineinander, wie wir damals sagten - als Leitfaden dienen. Beim Festkorper sieht man sich der analogen Lage gegeniiber. Auch hier sind die Salzkristalle am leichtesten zu begreifen. Sie schlieBen sich einfach der KomplexbiIdung an, die schon bei den ersten Betrachtungen zum Periodischen System so wichtig war. Fragt man nun hier ebenso wie damals nach GroBe und Verteilung der Krafte, so wird man iiberrascht davon, welch selbstandige Rolle dabei vielfach den geraden Ketten von Atomen zukommt. So zeigt sich die Wurfelkantenkette des SteinsaIzgitters schon rechnerisch als bevorzugtes Gebiide. Dem entspricht die Erfahrung der Kristallographen, daB vielfach Flachen einer "Zone" miteinander auftreten - eine Gesellschaft von Flachen, die eine bestimmte Kette enthalten und in Kanten zusammenstoBen, die diese Kette enthalt. Gibt man, wie wir es gerne tun, dem Einkristall die Form einer Kugel, die wir weiter wachsen lassen oder atzen, so zeigt sich (Abb. 7) die dominierende Rolle einer Kette in der hiibschen Form, daB zusammenhangende Gurtel sich abzeichnen, die Iangs groBter Kreise liegen. Sie zeigen an, daB aIle Orte, an denen eine bestimmte Kette frei in der Oberflache Iiegt, gIeiches chemisches Schicksal erleiden. Wer nun die bedeutende Rolle linearer Anordnungen in den lebenden Gebiiden, die Struktur der Polypeptidketten, die Aufreihung der Gene als weitere Aufgaben im Hintergrunde spurt, wird besonders gut verstehen, daB man auch in der Atomistik der unbelebten Welt zunachst dem einfach periodischen Gebilde, der Kette im Kristallgebaude, seine Aufmerksamkeit zuzuwenden hat. So ergibt eine Steinsalzkugel beim Wachsen Zonengurtel, wie sie in Abb. 7 unten links skizziert sind und verrat damit die

Individuation in der unbelebten Welt.

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entscheidende Rolle der Wiirfelkantenkette. Unter bestimmten Zusatzen, wie etwa Glykokoll, nehmen diese Giirtel erhebliche Breite an, wobei zugleich die Kettenrichtung als Kante kraftiger Stufen hervortritt. Die Abb. 8 und 9 zeigen die Wirkung der anderen unter den kubischen Gittern besonders wichtigen Kette, der Kette kleinsten Abstandes in flachenzentriert kubischen Metallen, wie AI, Cu, Ag, Au der Wiirfel-Flachendiagonale an einer Kupferkugel, die mit Salpetersaure geatzt wurde und nun

Abb, 7. Oben: Eine Kristallflaehe (links) findet sieh auf der Einkristallkugel stets nur an einem Punkt, ihrem "Pol" vorgebildet, eine Kristallkette (rechts) stets auf einem ganzen urn die Kugel fiihrenden GroBkreis: ihrer "Zone", Unten: Zonen zweier wiehtiger Ketten kubiseher Gitter: links Wiirfelkante (Steinsalz), rechts Fliiehendiagonale (dichtest gepaekte kubisehe Gitter, AI, Cu, Ag, Au),

Zonenkreise der dichtesten Kette (Flachendiagonale) aufweist. Von diesen zeigen sich aber je nach dem Losungsbegleiter verschiedene Teile - die obere Reihe, die mit Silberzusatz entstand, enthalt die Teile, die vom Oktaederpol zum Rhombendodekaederpol fiihren, die untere mit Quecksilberzusatz die erganzenden vom Oktaeder- zum Wiirfelpol fiihrenden Teile der GroBkreise. Das fiihrt zu charakteristischen "Atzzeichnungen". Es sieht im erst en Fall so aus, als stecke in der Kugel ein Wiirfel, im zweiten scheint er ein Rhombendodekaeder zu enthalten. Eine Reihe weiterer Erscheinungen bestarkt die Einsicht, daB selbst in hochsymmetrisch gebauten Krietallgittern die Kette als selbstandiges Bauelement hervortreten kann.

Abb. 9. Das gleiche mit Zusatz von Quecksilbcr.

Abb. 8. CU-Atzung mit Salpetersaure, Zusatz von Silber.

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70

MARCEL FLORKIN:

sie gibt die zu verschiedenen Zeiten erhaltenen Werte wieder. Die Durchschnittskonzentration der 15 Aminosauren und ihre quantitative Verteilung ist sehr verschieden von dem, was man .f0

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Abb.1. (DUCIIATEAU und FLORKIN, 1954d.) Die entlang den vertikalen Linien eingetragenen Zalrlen der Abb. 1-12 stellen die prozentuale Verteilung der Gesamtmenge der 15 bestimmten nicht-eiweiBgebundenen Aminosauren dar (seitlich sind auf jedem ProfiI die Milligramm in 100 g frischem Gewebe angegeben); die Zahien, die entiang der horizontalen Linien eingetragen sind, entsprechen den einzelnen Aminosauren, wie aie in den Tab. 1-6 angefiihrt sind.

beim Karpfen, der Ratte, dem Kaninchen, der Katze und dem Hahn beobachtet hat. Beim Hummer zeigt der Vergleich der Werte vor und nach der Hydrolyse, daB die Glutaminsaure, die Asparaginsaure und das Tyrosin in den W olframatfiltraten teilweise in freier Form vorhanden sind. Aus den Kurven der Krabbe

Nicht-eiweiBgebundene Aminosauren der Tiere.

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Oancer pagurus, die im Meerwasseraquarium bei 10° und vom Krebs, Astacus fluviatilis (Abb. 3), der mit Fleisch im SiiBwasseraquarium bei 10° aufgezogen wurde, geht hervor (DucHATEAu und FLoRKIN, 1954d), daB es unter gegebenen Bedingungen einen genau definierten Typ in der Zusammensetzung des Pools der 15 Aminosauren gibt. 30

30

2737.8

12345678910 12 14 11 13 ",

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30

30

20

20

213a8 10

70

123456789107214 11 13 15 HomO/liS

vii/gods

Abb.2. DUCHATEAU und FLORKIN (1954d).

Der Gehalt an nicht-eiweiBgebundenen Aminosauren im Blutplasma der verschiedenen, oben erwahnten Tierarten liegt immer ungefahr im Bereich von 50 mgj100 cm3 . Dieser Befund unterstreicht die Tatsache, daB der Plasma-Muskel-Gradient der Konzentrationen der nicht-eiweiBgebundenen Aminosauren bei Katze und Karpfen groBer ist als bei Kaninchen und Hahn, und bei den oben erwahnten Crustaceen noch viel groBer als beim Karpfen. Wenn man sich an die niedrige Konzentration der nicht-eiweiBgebundenen Aminosauren im Blutplasma dieser Tiere erinnert, dann wird einem beim Betrachten der Tab. 3, in der die molare Konzentration pro 100 g Intracellularfliissigkeit berechnet ist, besonders klar, wie groB der Plasma-Muskel-Gradient des Aminosaurepools bei den Crustaceen ist.

72

MAROEL FLORKIN:

Nachdem wir diese Ergebnisse erneut iiberpriift haben, sind Wlr davon iiberzeugt, daB der Pool der 15 Aminosauren in den 40-

4-0

30

30

2202.11-

1688.7

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1703.1 20

gestreiften Muskeln des Karpfens, des Hummers, der Krabbe Oarcinu8, und des Krebses spezifisch zusammengesetzt ist. Unter

Nipht.eiweiBgebundene Aminosauren der Tiere.

73

bestimmten Bedingungen hat man das gleiche beim FuBmuskel einer Meeresschnecke, Buccinum undatum, und bei den Muskeln des Blutegels, Hirudo medicinali8, festgestellt (DUOHATEAU und FLORKIN,1954d). Die Aminosaurepools der Muskeln von gewissen Kiemenmollusken und des Sip1lnculu8 unterscheiden sich wiederum von den oben beschriebenen (DUOHATEAU, SARLET, CAMIEN und FLORKIN, 1952). Das Muskelgewebe jeder Tierart ist ohne Zweifel durch eine fUr diese charakteristische Zusammensetzung des Aminosaurepools gekennzeichnet. Unsere bisherigen Ergebnisse sprechen dafUr, daB es auBer del' spezifischen Zusammensetzung des Aminosaurepools fiir jede Art noch eine spezifische Durchschnittskonzentration gibt, die bei den Crustaceen hoher ist als bei den Gasteropodenmollusken und bei den letztercn wiederum hohel' als bei den Wirbeltieren, was jedoch weiterer Bestatigung bedarf. Die Tatsache, daB die Zusammensetzung des Pools der nichteiweiBgebundenen Aminosauren in den verschiedenen Geweben ein und desselben Tieres nicht die gleiche ist, geht schon aus den Untersuchungen von SOHURR und Mitarbeitern (1950), von SOLOMON u. a. (1951) an del' Ratte und denen yon TALLAN, MOORE und STEIN (1954) an der Katze hervor. Die Tab. 3 zeigt deutlich, daB in den Muskeln des Krebses del' Gehalt an den 15 bestimmten Aminosauren geringer ist als in den Muskeln del' chinesischen Wollhandkrabbe im SiiBwasser und des Hummers. Es ist besonders interessant festzustellen, daB del' Gehalt an CI-Ionen im Blutplasma von Hummer, Wollhandkrabbe im SiiBwasser und Krebs nach unseren Bestimmungen 45,26 und 21 mg pro 100 g Serum betragt. Es scheint also eine Beziehung zwischen del' Durchschnittskonzentration del' nicht-eiweiBgebundenen Aminosauren in den Zellen und del' del' Intercellularfliissigkeit zu bestehen, die durch osmoregulatorische Mechanismen hergestellt wird. Bereits 1901 hat LEON FREDERIOQ beobachtet, daB die Gewebe vieleI' wirbelloser MeeI'estieI'e armer an anorganischen Substanzen sind als ihI'e Korperfliissigkeiten, obwohl sie miteinander im osmotischen Gleichgewicht stehen. Daher sagt der Volksmund, daB das Blut des Hummers beinahe so salzig wie das Meerwasser ist, sein Fleisch dagegen nicht. FREDERICQ hat die Hypothese aufgestellt, daB die Konzentration des inneren Milieus teilweise durch kleine organische Molekiile innerhalb der Zelle im Gleichgewicht gehalten werden muB.

MARm;L FLORKIN:

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Tabelle 3. Muskeln von Crustaceen 1 • mMol Aminosaure in 100 g Intracellularfliissigkeit H

I. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. II. 15. 13. 14. 15.

2,3 6,4 0,2 3,4 20,1 0,1 0,2 0,1 0,3 0,1 0,1 10,6 0,1 0,0 0,3

Alanin . . . . Arginin . . . . Asparaginsaure Glutaminsaure Glykokoll . Histidin. Isoleucin . Leuein . . Lysin Methionin Phenylalanin Prolin . Threonin Tyrosin . Valin . . Summe

( 0,9- 3,1) ( 3,2-- 7,2) ( 0,1- 0,5) ( 2,5- 6,7) (13,5-22,3) ( 0,0- 0,1) ( 0,1- 0,2) ( 0,0- 0,3) ( 0,1-- 0,5) ( 0,1-- 0,2) ( 0,0- 0,1) ( 7,9-12,8) ( 0,1- 0,3) ( 0,0- 0,0) ( 0,1- 0,7) 44,2

. ,

I

5,0 1,7 0,6 3,3 S,9 0,1 0,1 0,1 0,3 0,1 0,0 3,0 0,3 0,0 0,2

O,S S,3 0,8 :l,5 5,2 0,3 0,2 0,3 0,7 0,1 0,1 1,6 0,4 0,1 0,3

23,9

22,7

Dazu ist zu bemerken, daB man zur Zeit LEON FREDERICQs noch nicht wuBte, daB Chlorionen nicht zu den iiblichen Zellbestandteilen gehoren. Wenn also die Muskeln des Hummers weniger salzig sind als sein Blut, so kommt das daher, daB die Intercellularfliissigkeit, die die Chloride des Muskels enthiilt, nul' einen Teil des Muskelvolumens ausmacht. Es ist sichel', daB nul' ein kleiner Teil del' intracellularen Anionen aUR Chloriden besteht, im Gegensatz zu den Korperfliissigkeiten. Wahrscheinlich haben die nicht-eiweiBgebundenen Aminosauren in den Zellen del' Crustaceen, in denen sie reichlich enthalten sind, u. a. auch eine osmotische Funktion. Da, wie wir gesehen haben, im Hummermuskel besonders die Aminosauren GIykokoll, Prolin, Al'ginin, Alanin und GIutaminsaure (die letztere allerdings zu 85% als GIutamin) vol'kommen, konnen wir annehmen, daB diese Aminosauren in del' Hauptsache eine osmotische Aufgabe haben. Seitdem diese Ergebnisse iibel' die Crustaceenmuskeln vel'offentlicht 1 CAMIEX, SARLE'l', DUCHA'l'EAU und FLORKIN, 1951 (ieh korrigiere meinerseits den Wert des Arginins im Krebsmuskel, dessen Konzentration infolge eines Rechenfehlers in Tab. 1 dieser Arbeit zehnmal zu schwach angegeben wurde). 2 In SiiBwasser.

Nicht-eiweiBgebundene Aminosauren der Tiere.

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worden sind, hat LEWIS 1952 wieder eine Reihe von Daten iiber die Nerven del' Crustaceen erhalten, die eine noch intensivere Betrachtung des Problems gestatten. 1939 beobachteten BAER und SCHMITT am Nerven von Loligo pealii ein bedeutendes Ionendefizit in del' Intracellularfliissigkeit, die gegeniiber dem Blut nur eine Konzentration von 63% aufwies, und andererseits ein bedeutendes Anionendefizit durch einen UberschuB von 0,5 gaq Kationen pro Liter Intracellularfliissigkeit. Weiterhin machten diese Autoren, deren Ergebnisse im folgenden Jahr durch WEBB und YOUNG (1940) £iiI' Loligo forbesi bestatigt wurden, auf den hohen Gehalt an NichteiweiB-Stickstoff des Nerven aufmerksam; er betrug 55% des Gesamtstickstoffs. AuBel' den Nerven des Tintenfisches wurden auch die des Hummers untersucht. So zeigten SCHMITT, BAER und SILBER (1939), daB die Intracellularfliissigkeit des Hummernerven 5 mg NichteiweiB-Stickstoff pro Gramm enthalt und daB von diesen 5 mg 2,2 mg auf formoltitrierbaren Stickstoff entfallen. Die Bestimmung del' NH 2 - und COOH-Gruppen in den Extrakten von Hummernerven ergibt 0,3 maq freier Aminosaure pro Gramm Intracellularfliissigkeit, d. h. 4 g auf 100 g Fliissigkeit. SILBER und SCHMITT (1940), die diese Untersuchungen durchgefiihrt haben, berechneten, daB das Anionendefizit 0,36 mag betragt und nehmen an, daB eine Aminodicarbonsaure durch ihre zweite Carboxylgruppe dieses Defizit deckt. SchlieI3lich findet SILBER 1941 im Hummernerven 3 g freie Aminosauren in 100 g Intracellularfliissigkeit; Asparaginsaure ist in einer Konzentration von 1,3 g auf 100 g Fliissigkeit enthalten, del' Rest besteht vorwiegend aus Alanin und Glykokoll. Das osmotische Defizit ist ausgeglichen. Was das Saure-Basen-Gleichgewicht betrifft, so wird, wenn die Asparaginsaure ein Aquivalent Kationen neutralisiert, das Anionendefizit zur Halfte reduziert und betragt nicht mehr als 0,2 anstelle von 0,36 maq. Es konnte noch weiter reduziert werden, wenn man beriicksichtigte, daB Glykokoll und Alanin mit zweiwertigen Kationen Komplexe bilden konnen. Bei del' Fleckenextraktion aus Papierchromatogrammen del' hauptsachlichen Aminosauren vom Nerven del' Schere von Carcinus maenas findet LEWIS pro Kilogramm Frischgewicht 138 mMol Asparaginsaure, 35 mMol Glutaminsaure, 33 mMol Alanin, 65 mMol Taurin und sehr wenig (weniger als 5 mMol)

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MARCEL FLORKIN:

Glykokoll. Aus seinen Resultaten schlieBt LEWIS, daB im Gegensatz zu dem, was wir beim Hummermuskel beobachtet haben, die Glutaminsaure und die Asparaginsaure im Nerven von Carcinus fast ausschlieBlich als freie Aminosauren und nur in Spuren als Amide vorkommen. Aus dem Gehalt an anorganischen Bestandteilen im Nerven von Carcinus stellt LEWIS das Saure-BasenGleichgewicht auf, wobei er annimmt, daB die Aminodicarbonsauren einKationenaquivalent binden. Daraus folgt, daB imNerven von Carcinus Glutaminat und Asparaginat eine bedeutende Rolle im Saure- Basen- Gleichgewicht spielen und ungefahr zwei Drittel des Kaliums binden. Beim Aufstellen der Bilanz des osmotischen Gleichgewichtes schlieBt LEWIS, daB sie ungefahr 10% des osmotischen Druckes ausmachen, wenn die anderen Aminosauren nicht in das SaureBasen-Gleichgewicht eingreifen. Nach LEWIS' Angaben besteht cin betrachtlicher Unterschied zwischen dem Saure-BasenGleichgewicht des Nerven und dem des Muskels von Carcinus. Beim Nerven spielen freies Asparaginat und Glutaminat eine groBe Rolle im Saure-Basen-Gleichgewicht, wahrend im Muskel ein groBer Teil des Kaliums durch die Phosphorverbindungen, die zum contractilen Mechanismus gehoren, neutralisiert wird. Obrigens haben ENGEL und GERARD (1935) 66 mMol losliche Phosphorsaure im Muskel von Limulu8 gefunden, wahrend der Hummernerv nur 13 mMol pro Kilogramm Korpergewicht davon enthalt. Man konnte also den nicht-eiweiBgebundenen AminoHauren in den Crustaceenmuskeln eine osmoregulatorische Rolle zuerkennen, entsprechend dem osmotischen Defizit an anorganischen Komponenten im Gewebe, verglichen mit dem inneren Milieu. Ein Vergleich der Aminosaurekonzentration mit der Chloramie des inneren Milieus bei den untersuchten Tierarten macht diese osmotische Funktion wahrscheinlich. Bevor man aber verallgemeinert, daB der Pool der nicht-eiweiBgebundenen Aminosauren das Ionendefizit gegeniiber dem inneren Milieu ausgleicht, miiBte man mehr iiber die Natur dieses Ionendefizits wissen. Ais wir die Kurven der Aminosaurepools in den Muskeln verschiedener Tierarten demonstrierten, haben wir auf gewisse Schwankungen um den typischen Wert herum hingewiesen. Um die Umwelteinfliisse auf das intracellulare Aminosauresystem des Muskels zu untersuchen, haben wir (DUCHATEAU und

Nicht-eiweiBgebundene Aminosauren der Tiere.

77

FLORKIN, 1955d) eine Anzahl Wollhandkrabben benutzt, die aus dem Brackwasser des Polders der Schelde stammten. Diese wurden zuerst einige Tage lang in einem SiiBwasseraquarium von 10° mit Fischen gefiittert, dann wurde am 27. September eine Anzahl von ihnen in ein Meerwasseraquarium von der gleichen Temperatur iibertragen und mit derselben N ahrung weitergefiittert. Am 2. Dezember und am 3. und 4. Januar wurden die Bestimmungen an den Meerwasser- und an den SiiBwassertieren durchgefiihrt. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind in den Abb.4 und 5 dargestellt. Sie zeigen, daB die Konzentration der verschiedenen nicht-eiweiBgebundenen Aminosauren bei den Meerwassertieren gegeniiber den SiiBwassertieren stark erhoht ist; besonders die von Glykokoll und Prolin und am wenigsten die von Arginin. Die Fahigkeit der Wollhandkrabbe, sowohl im Siif3wie auch im Meerwasser leben zu konnen, scheint also an eine cellulare Osmoregulation gebunden zu sein, deren MechanismuK auf der Anpassung der intracellularen Aminosaurekonzentration, namentlich der des Glykokolls und des Prolins an die Schwankungen des Milieus beruht. Die Konzentration des Milieus ist nicht der einzige Faktor, der die Art und die Konzentration des intracellularen Aminosaurepool,,; verandert; wie die Abb. 6 und 7 zeigen, hat eine Senkung der Temperatur ebenfalls einen EinfluB darauf, wie an der gleichen Gruppe von Wollhandkrabben festgestellt wurde (DucHATEAu und FLORKIN, 1955c). Ein Teil dieser Tiere wurde am 27. und 29. September in ein SiiBwasseraquarium von 10°, ein anderer in ein ebensolches von 1-3° gebracht; beide Gruppen wurden mit der gleichen Fischnahrung gefiittert. Am 17. November und 1. Dezember wurden die Untersuchungen an den abgekiihlten und den Kontrolltieren durchgefiihrt. Bei den abgekiihlten Tieren zeigte sich die Konzentration des Prolins stark erniedrigt. Wieder eine Portion Krabben einer anderen Population, die am 16. Dezember in Wasser von 1_3° gebracht worden war, wurde am 3. Januar untersucht. Nach dieser, gegeniiber dem ersten Versuch kiirzeren Abkiihlungsdauer war die Prolinkonzentration zwar deutlich, aber weniger stark erniedrigt (Abb. 8). Die Analyse des intracellularen Aminosaurepools offenbart also den EinfluB der Umweltbedingungen auf die Charakteristika der Biochemie der Zelle. Art und

78

MARcEL FLORKIN:

Gesamtkonzentration der Aminosaurepools stellen einen stationaren Zustand in einem Komplex verschiedener Fermentwirkungen dar. Die Aufrechterhaltung eines solchen stationaren Zustandes 27-$-54 bls 2 -72 -54-

30

.5ii/Jwossel':

30

Sii8wossel': 70-noC

70-17 oC

20

20

10

10

JO

30

273.'1.6

1 Z 3 " 5 5 78 910 12 7111.": 71 '3

J'ii8wussel': 70-noe

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10°C

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30

l'1eerwosser: 10°C

Er;ocheir sinensis

20 10

!234-567tJ910 121411 13 15 Abl>.4. DUCHATEAU und FLORKIN (unveroffentlicht).

Nicht-eiweiBgebundene Aminosauren der Tiere_

79

stimmt auch mit der Aufrechterhaltung eines Aminosauregefalles zwischen der Zelle und dem inneren Milieu iiberein. Zur Vermeidung von Irrtiimern sollte man also an stelle von intracellularen Aminosaurepools besser von den verschiedenen bis 3-1-55

27-9 Mウセ@ 30

30

JtiBwosser: 10-ll oC 20 10

10

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NeerlVasser

Neerwasser !OoC

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4481.9

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4(/-

NeerlVosser 30

10 DC

Eriocl1eir sinensis

Rヲャセ@

10

5707.9

Abu. 5. DUCHATEAU llnd FLORKIN (1955d).

stationaren Zustanden des intracellularen Systems von nichteiweiBgebundenen Aminosauren sprechen. Dieser stationare Zustand kommt bei den mehrzelligen Tieren einesteils durch ein verwickeltes Zusammenwirken von enzymatischen Prozessen im Innern der Zelle und andererseits durch das Aufrechterhalten eines Konzentrationsgefalles zwischen Zellen und innerem Milieu zustande. Nach dem, was wir gesagt haben, ist die Gesamtkonzentration des intracellularen Aminosauresystems bei den

80

MARCEL FLORKIN:

wirbellosen Meerestieren gegeniiber den Wirbeltiel'en odeI' den Wirbellosen, die erst sekundal' den Bedingungen del' SiiBwasser27-9-5q. his 30 セ@

SiilJwosser:

WMBjセ@

30

SIJ/Jwosser; 70-/1° C

lO-7!°C 20

20

10

2646.8

10

Sti/Jwosser:

2873.7

セ@

123456789101214 17 13 15

12345670910 12 1+ 11 13 15 30

lJ

30

Sti"8wos.ser: I-Joe

10-/!°C 20 10

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2903.0

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Sii8wosser: 7-3 0

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30

I-Joe

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40 30

SU!Jwosser: I-Joe

Eriocheir sinensis

20

10

2427.3

Abb.6. DUCHATEAt; uud FLORKIN

bewohner angepaBt worden sind, erhOht. Wir haben die Moglichkeit einer Beziehung zwischen diesel' Aminosaurekonzentration und dem Grad des Ionendefizits in den Zellen angedeutet.

Nicht·eiweiBgebundene Aminosauren der Tiere.

81

Da wir von dem Begriff des "turnover" (Umsatzes) noch keine klaren Vorstellungen haben, ware es verfriiht, die Beziehung zwischen der Konzentration der intracellularen AminosaurezYMUセ@

/)18

7 -12-54-

Sii8wlIsser: 302010

10-"oC

I J

Sii8wlIsser: 30

lO-1l °C

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123 4 .5 578 910 12 14

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SiilJwosser: 7-3°C

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10

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2185.4

Eriocheir sinensis Abb.7. DucH!rEAu und FLORKIN (1955c).

systeme und der EiweiBsynthese vergleichend zu analysieren. Man weill aber, daB bei den Saugetieren der Umsatz der PlasmaeiweiBkorper um so langsamer vor sich geht, je groBer das Volumen des Tieres ist (Tab. 21, in TARVER, 1954). Der Umsatz der EiweiB. korper vollzieht sich also um so schneller, je hoher der Grundumsatz ist. 6. Colloquium Mosbach.

6

82

MARCEL FLORKIN:

LOTSPEICH (1950) ist im Verlauf von Untersuchungen tiber verschiedene Hormonwirkungen im Bereich des Stickstoffstoffwechsels zu dem SchluB gekommen, daB die Aminosauren

30

2-10-54 bis 3-1-55 30

$iil3wllsser: 10-!!OC

20 10

76 -12-51,/JiS3-1-55

30-

$u!3wasser: 7-3 0

20

e

29911-.8

?!,., 70

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1-Joe 20

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10

7Z345678910 1214 71 13 15

SiiiJw(Jsser: 7-Joe

Eriocneir sinensis

20 10

211-94.5

'-,,..,

7 2 3 4 5 6 7 8 9 10 12 1417 13 75

30

SiilJw{/sser:

Su!3wiJsser:

21*0.0

Abb.8. DUCHATEAU und FLORKIN (1955c).

bei der EiweiBsynthese mit einer Geschwindigkeit aus dem Blut abnehmen, die dem Gehalt der Gewebsproteine an ihnen direkt proportional ist. Man konnte nun annehmen, daB der jeder Kategorie von Zellen eigenttimliche Aminosaurepool sogar beim Aufbau der Struktur der Gewebsproteine eine

83

Nicht-eiweiBgebundene Aminosauren der Tiere.

Rolle spielen wiirde. Seine Zusammensetzung entspricht aber nicht der der Gewebsproteine, wie aus den Untersuchungen von SOLOMON, JOHNSON, SHEFFNER und BERGEIM (1951) hervorgeht,

セ@

セ@ セ@

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... -< " rn セ@

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Tlere

' - - - - - - fiiu/nis Abb.1. Kreislauf des Kohleustoffs [uach W. E. Lomns: The euzymes IIj2, 1053 (1951)].

Jahr 1011 Tonnen CO 2 verbraucht. Rechnet man die schwer zu schatzende Menge an CO 2 hinzu, die von Pflanzen und Bakterien im Ozean und von den Bakterien im Erdboden pro Jahr gebunden wird, dann ist der SchluB berechtigt, daB die CO 2-Assimilation die gewaltigste chemische Reaktion auf der Erdoberflache ist. Das anorganische CO 2 wird zum Aufbau organischer Zellsubstanz verwendet. Es ist im biochemischen Sinne energieleer, die organischen Zellsubstanzen im Verhaltnis zu ihm jedoch energiereich. CO 2-Assimilation ist also ein endergonischer Vorgang. Die C1-Einheit der Glucose enthiilt z. B. 112 kcaljMol. Wenn im Rahmen der CO 2 -Assimilation das C1 in den organischen Molekelbestand aufgenommen ist, muB sich unmittelbar oder mittelbar die Zufuhr von Energie anschlieBen. Sie wird in Form

H.M.

134

RAUEN:

von Elektronen geliefert, die mit Hilfe von Protonen sozusagen an das C1 angekittet werden. Woher die Elektronen und Protonen stammen, ob aus dem Wasser unter Verwertung von Schwingungsenergie oder von chemischer Bindungsenergie zu ihrer Separierung oder aus anderen Wasserstoffdonatoren als dem Wasser, das bleibe zunachst dahingestellt. Bei den griinen Pflanzen, die unter allen Lebewesen am meisten CO 2 verbrauchen, ist der erste Vorgang die CO 2-Inhalation. Darunter verstehen wir den CO2 -Strom, der durch die Stomata in das Mesophyl1 eintritt, die Zellmembran durchdringt und in das Zellplasma gelangt. WasserPflanzen nehmen auBer dem im Wasser gelosten CO 2 noch die Anionen von Carbonaten und Bicarbonaten auf. Auf das CO 2 in der Zelle, das mit dem Intrazellularwasser zu reagieren beginnt, wirkt das Ferment c。セ「ッᆳ anhydratase. Es katalysiert die Reaktion nach dem Schema a in a) OOs-Inhalation.

Zell-

CO

-T-+ II

2

OG)

CO 2 + H 20

(3) CO 2

membran

Carbo[ZMセ@

anhydratase

+ OH- セ]M@

H 2CO a :¢: HCO;

+ H+

HCO;

b) 002-Fixierung.

X .H

+ HCO; :¢: X

. COO-

+ H 20

c) Reduktion. OG)

X· COO-

Carboxyl-Reduktion (unmittelbar): 2 ¢ X' CHO + H 2 0

+ H+ + D e :H

+ De

(3) Carbonyl-Reduktion (mittelbar): -CO- + De: Hs ¢ -CH(OH)- + De Abb. 2. Die drei Teilreaktionen der CO,-Assimilation.

Abb.2. Kinetische Messungen lassen nicht zwischen den Reaktionsgleichungen IX und unterscheiden. Unterhalb PH 7,5 ist [OH-] so klein, daB gegeniiber IX zu vernachlassigen ist. Zwischen PH 10 und 11 tritt mehr in den Vordergrund und oberhalb PH 11 iiberwiegt iiber IX. Die Fermentkatalyse hangt von der Anwesenheit anorganischer Anionen abo HP04"- und H 2BO"S

Vergleichende Biochemie der C1-Korper.

135

beschleunigen sie. Die gesamte Kinetik unterhalb von PH 7,5 in Gegenwart eines anorganischen Anions fUr die Fermentkatalyse der Konzentration [B-] gehorcht der Gleichung

+

H 2 0 -+ H 2CO a in Abwesenheit von kn = Geschwindigkeitskonstante CO 2 Katalysator; ko = Geschwindigkeitskonstante H 2CO a -+ CO 2 H 20 in Abwesenheit von Katalysator; 1 = katalytischer Koeffizient von B -.

+

Die Carboanhydratase ist in photosynthetisierenden Gewebeteilen allgemein vorhanden, in nicht photosynthetisierenden fehlt sie gewohnlich. Sie ist im Cytoplasma lokalisiert. Die tierischen Carboanhydratasen unterscheiden sich von den pflanzlichen durch ihre unspezifische Hemmbarkeit mit Sulfonamiden. Zn++ ist essentieller Bestandteil dieser Fermente. Die 002-Fixierung besteht nach der allgemeinen Formulierung b in Abb. 2 in einer Reaktion zwischen einem Vehikel X . H mit einem beweglichen H-Atom und HC03 unter Wasserabspaltung. Hierbei entsteht ein Carboxylat-Ion. Dem Bindetypus nach handelt es sich urn eine C-C-Kniipfung. N-C-Kniipfung, wie z. B. bei der Carbaminosaurebildung oder der Reaktion Ornithin ---+ Citrullin, wollen wir hier nicht erortern. Vergleichende Untersuchungen zeigten, daB zur CO 2-Fixierung aIle Lebewesen befahigt sind. Da Carboxylierungen schwach endergonische Reaktionen sind, verlaufen sie entweder nicht sehr weit, oder es miissen ihr energieliefernde Prozesse beistehen. In einigen Fallen folgt der Carboxylierung unmittelbar die Reduktion des Carboxylats zum endstandigen Carbonyl, wozu nach der Formulierung unter c rx in Abb. 2 durch einen Elektronendonator (De:H2) 2e + 2 H+ geliefert werden miissen. In anderen Fallen wird, wie unter c allgemein formuliert, ein intrachenares Carbonyl zum Carbinol reduziert. Dieses Carbonyl kann durch Kondensation einer ein Carboxylat enthaltenden Molekel mit einer anderen organischen Molekel entstanden sein. In den bedeutendsten Carboxylierungsreaktionen ist jedoch, wie spater naher ausgefUhrt, die Carboxylierung mit der Reduktion emes lntrachenaren Carbonyls unmittelbar verkniipft.

136

H. M.

RAUEN:

Der denkbar einfachste Fall ware die direkte Reduktion des CO 2 bzw. HCOS" durch molekularen Wasserstoff als Elektronendonator. Dieser Fall ist in der Natur tatsachlich nachweisbar. Viele Einzeller der Coli- und Aerogenes-Gruppen, Clostridium aceticum u. a. besitzen ein Ferment, Hydrogenase, das nach der Formulierung in Abb.3 molekularen Wasserstoff formal in 2e + 2 H+ spaltet, von denen 2e + 1 H+ sofort von einem Pyridinnucleotid aufgenommen werden. Das Ferment Formiathydrogenlyase vermag unter Verwendung von H2 als Elektronendorutfor. Hydro' hydriertem PyridinnuH 2 ;;;:== 2H++2e cleotid CO 2 direkt zu genase Formiat zu reduzieren. DPN+ + 2H+ + R・セ@ DPNH + H+ Legt man isotopenmarFormiat-H ydrogenlyase. kiertes Hydrogencarbonat zugrunde, so sind CO 2 + DPNH + hKセ@ HCOOH + DPN+ nicht nurdie eigentlichen Gesamtvorgang. Zellbestandteile marnC0 2 + mH 2 ->- CHaCOOH + Zellmaterial kiert, sondern auch die Abb. S. co,· Assimilation chemoautotropher Bakterien (Clostridium aceticum, Coli-, Aerogenes·Gruppe u. a.). sich im Kulturmedium vieler Einzeller dieser Gruppen anhaufende Essigsaure, und zwar sowohl in der CHs - als auch der HOOC-Gruppe. Der Gesamtvorgang laBt sich nicht stochiometrisch, sondern nur, wie in Abb. 3 angedeutet, ganz allgemein formulieren. Die urspriingliche Vermutung, es handele sich bei dieser Reaktionsfolge urn eine C1 + C1-Kniipfung, hat sich nicht bestatigt. Sie ist wesentlich komplizierter, als man annahm. Abb.4 gibt diejenige Hypothese wieder, die nach den heutigen Kenntnissen moglich scheint. Bekannt sind Ausgangsprodukt (C0 2 + 2 H) und Endprodukt (CHs· COOH). Die in Klammern liegenden Reaktionsfolgen wurden in Anlehnung an bereits bekannte zusammengestellt. Es mag sein, daB sie nicht aIle zutreffen. Als erste Reaktion finden wir die Addition von Formiat an Glycin. Sie wird uns spater noch einmal begegnen, da sie eine der Hauptreaktionen im Funktionsbereich der Transformylierung ist. Viele andere Lebewesen vermogen ebenfalls Formiat zu verwerten. So finden wir die Isotopenmarkierung von als Formiat zu Kulturmedien von Rhizopus zugesetztem 14C in der -CH3 der

Vergleichende Biochemie der C,-Korper.

137

Milchsaure, des Xthanols und der -CH= des Fumarates wieder. Aspergillus niger kann Formiat in Citrat iiberfiihren. Ob es sich in den letztgenannten Fallen um eine unmittelbare Einvernahme von Formiat handelt, wird neuerdings bezweifelt. Hochstwahrscheinlich wird Formiat zunachst zu CO 2 oxydiert und dieses iiber eine der nun folgenden CarbCO 2 + 2 H oxylierungsreaktionen in Ji "HCOOH" + chRHnセI@ . OOOH das Stoffwechselgeschehen Ji eingebracht. OH 2 (OH) . OH(NH 2 ) • OOOH Wir unterscheiden vier Ji OHa . 00 . OOOH verschiedene Carboxylieiセ@ + co, I: - co, rungsreaktionen (Abb. 5), ,I HOOO . CH 2 • 00 . OOOH die sich in eine homologe セ@ Reihe von C2 + C1 bis zu +2H ! -2H j - H,O I + H,O Cs + C1 ordnen lassen. Zwei HOOO . OH : OH . OOOH davon sind dem Reaktionsiセ@ + 2H il -2H typ nach IX-Carboxylierun,I HOOO . OH 2 . OH 2 • OOOH gen und zwei andere f:J-Carbiセ@ oxylierungen, wobei man + 2H II - 2H ,I von einem Carbonyl aus20HaOOOH geht und aufzahlt, wo die Abb. 4. Hypothetischer Reaktionsweg der Bildung von Essigsaure aus CO, uud H, durch Clostridium neue Carboxylgruppe sitzt. aceticum, C. thermoaceticum, C. cylindrisporum, Butyrobact. rettgeri, Diphreoceus glycinophilus Den f:J-Carboxylierungen u. a. Reine C, + C,-Addition! kommt quantitativ und ihrer Verbreitung nach eine groBere Bedeutung zu als den IX-Carboxylierungen. Den IX-Oarboxylierunystyp C2 + C1 kann man mit Fermentextrakten aus Clostridium butylicum bzw. Escherichia coli nachweisen. Beide Lebewesen konnen durch das Hydrogenase1. O2 + 0 , ; Pyruvat durch IX-Oarboxylierung. 2. Oa + 0 , ; Oxalacetat durch {1-0arboxylierung. 3. O. + 0,; IX-Ketoglutarat durch IX-Oarboxylierung. 4. 0 5 + 0,; Isocitrat iiber Oxalsuccinat durch {1-0arboxylierung. Abb.5. Grundtypen der CO,-Assimilation (CO,-Fixierung + Carboxyl-Reduktion) chemoheterotropher Bakterien, tierischer Gewebe und Pflanzen ( ?).

Hydrogenlyase-System (vgl. Abb. 2) CO 2 Zu HCOOH reduzieren und dieses dann zu bestimmten Stoffwechselreaktionen verwerten. Sie konnen aber auch CO 2 direkt anlagern (Abb.6), benotigen hierzu jedoch einen C1 -Acceptor sowie einen Elektronendonator

138

H.M. RAUEN:

in Form eines hydrierten Pyridinnucleotids. Als CI-Acceptor wirkt ein C2-Korper, der nicht Acetylphosphat ist, ihm jedoch chemisch nahesteht. Synthetisches Acetylphosphat fungiert nicht als CI-Acceptor. Der natiirliche CI-Acceptor geht jedoch beim Aufarbeitf:'n der Kulturmedien in Acetylphosphat iiber. 1m FaIle der C2 + CI-Reaktion mit Escherichia coli wird auch die Moglichkeit del' direkten Reaktion von aus CO 2 zunachst gebildetem a) H.

+ CO. + CHaCO' X

=

+

CHa . CO . COOH [ H aP0 4 ] Clostridium butylicum

b) 1. CO. -+ HCOOH 2. HCOOH CHaCOX = CHs . CO . COOH [ H aP0 4] Escherichia coli Abb. 6. Reaktionsschemen der IX-Carboxylierung C, + Cr.

+

+

HCOOH mit dem aktiven C2 -Korper ins Auge gefaBt (Abb.6b). In jedem FaIle entsteht als Reaktionsprodukt Pyruvat und anorganisches Phosphat. Die cx-Carboxylierung nach dem Reaktionstyp C2 + CI ist nicht sehr weit verbreitet. Sehr viel bedeutungsvoIler und weiter verbreitet ist die fJ-Oarboxylierung C3 + CI . Wir kennen zwei Reaktionsarten 1. WOOD-WERKMAN-Reaktion durch Pyruvatcarboxylase. (Micrococcus lysodeicticus, Taubenleber, Petersilienwurzeln u. a.) Protein HaC' CO . COO- + HCO; ;;:::=:0': -OOC . CH 2 • CO . COO- + H 2 0 Mg++,ATP

2. OCHoA-Reaktion durch malic enzyme. (Taubenleber, Ochsenretina, Diaphragma, Petersilienwurzeln u. a. Pflanzenteilen.)

+

a) HaC' CO . COOHCO;] b) -OOC' CH.· CO'COOTPNH H+

+

+

Protein-,>- [-OOC . CHI . CO . COOAbb. 7.

+H

""M,;++- -OOC' CHI . CH(OH) . COOReaktionsschemen der !l-Carboxylierung C3 + Cr.

2

0

+ TPNi

(Abb. 7), die durch verschiedene Enzymsysteme katalysiert werden. Die eine, WOOD-WERKMAN-Reaktion, besteht in der Carboxylierung von Pyruvat zu Oxalacetat durch das Mg++ benotigende Ferment Pyruvatcarboxylase. Die zur CI-Kondensation notwendige Energie kann auf verschiedene Weise zugefiihrt werden. Mit Pyruvatcarboxylase aus Taubenleber wird sie durch ATP

139

Vergleichende Biochemie der C1 -K6rper.

geliefert. Mit dem das analoge Ferment enthaltenden Extrakt aus Micrococcus lysodeicticus - bei dieser Reaktion hemmt ATP ein wenig - wird sie durch Oxydation eines Umwandlungsproduktes, vermutlich Fumarat, bereitgestellt. Die zweite Reaktion, OCHoA-Reaktion, besteht in der reversiblen Carboxylierung einer Oxosaure durch ein hydriertes Pyridinnucleotid. Das die OCHoA-Reaktion katalysierende Ferment wird auch im Deutschen vielfach nach der Namengebung durch OCHOA malic enzyme genannt. Es benotigt Mn++. Die Reaktion besteht, wie in Abb. 7 geschrieben, aus zwei Teilreaktionen, die nicht getrennt ablaufen, so daB Oxalacetat als Zwischenprodukt nicht abgefangen werden kann. An der Fermentoberflache spielt sich sowohl die endergonische Carboxylierung in p-Stellung als auch die exergonische Hydrierung der Oxogruppe durch den Elektronendonator TPNH abo Da in der Taubenleber sowohl Pyruvatcarboxylase als auch malic enzyme vorhanden ist, sind beide wohl auch nebeneinander wirksam. Vermutlich ist es so, daB viel ATP die Carboxylierung in Richtung Oxalacetat und viel TPNH die Carboxylierung in Richtung Malat lenkt. Viel ATP ist bei reichlicher 02-Zufuhr vorhanden, wenn die Atmungskettenphosphorylierung gut lauft, viel TPNH dagegen im zeitweiligen Zustand der Hypoxie. Es flillt auf, daB die Aktivitat von malic enzyme im griinen Pflanzengewebe hoher ist als im nichtgriinen. Der nachste Carboxylierungstyp in der homologen Reihe, die oc-Carboxylierung C4 + C1 , kann mit Enzymsystemen in Extrakten aus einigen Bakterien nachgewiesen werden. Er besteht in der Reaktion von Succinat mit Hydrogencarbonat unter Einbeziehung eines Elektronendonators, wie Abb. 8 wiedergibt. Hierbei entsteht oc-Ketoglutarat. Diese Reaktion ist von geringer Bedeutung. Enzymsysteme aus Bakterien. -OOC· CH 2 • CH 2 • COO-

+ HCO a+ H+ + 2[H]

=

-OOC . CH 2 • CH 2 • CO . COO-

Abb.8. Reaktionsschema der ",-Carboxylierung C,

+2H 0 2

+C

1•

Die zweite OCHoA-Reaktion, p-Garboxylierung C5 + C1 , ist dagegen viel wichtiger und in allen daraufhin untersuchten Lebewesen nachzuweisen. Analog der p-Carboxylierung C3 + C1 wird oc-Ketoglutarsaure in p-Stellung zum Carbonyl carboxyliert (Abb. 9), wobei formal intermediar Oxalsuccinat entsteht. Dieses

H. M.

140

RAUEN:

ist jedoch ebensowenig wie Oxalacetat bei der ersten OCHOAReaktion nachzuweisen. Unmittelbar mit der endergonischen Oarboxylierung ist die exergonische Reduktion der Oxogruppe durch den Elektronendonator TPNH gekuppelt. Es entsteht Isocitrat. Analog zum malic enzyme wird das die fJ-Oarboxylierung katalysierende, Mn++ oder 00++ benotigende, Fermentsystem isocitric enzyme genannt. Auch die isocitric enzyme-Aktivitat ist im grunen Pflanzengewebe h6her als im nichtgrunen. OCHOA-Reaktion durch isocitric enzyme. (Einzeller, Pilze, Pflanzen, Tiere.)

a) -OOC' CO· CH 2 • CH 2 ' COOCOO-

l

b) -OOC' CO· CH· CH 2 • COO

Protein セ@

セ@ Mn++ oder Co++

Abb. 9.

+ HCO;]

+ TPNH + H+ COO-

-OOC' CO . CH . CH 2 • COO

+H 0 2

COO-OOC . CH(OH) . CH . CH 2 • COO-

+ TPN+

Reaktionsschema der !l-CarboxyJierung C, + C1•

Es ergibt sich somit, daB der Reaktionstyp 0 1 + 0 1 nicht vorkommt, die Oarboxylierungen von O2 + 0 1 bis ZU 0 5 + 0 1 nach dem at- oder dem fJ-Typ prinzipiell zwar ablaufen k6nnen, die fJ-Oarboxylierungen jedoch graduell vorherrschen und unter ihnen wiederum die OCHoA-Reaktionen die gr6Bte Bedeutung besitzen. Aus thermodynamischen Grunden sind die Ausbeuten an den Reaktionsprodukten bei diesen vier Oarboxylierungsreaktionen nur gering; die Gleichgewichte liegen weit auf der Seite der decarboxylierten Verbindungen. Theoretisch kann man die Ausbeuten erh6hen, indem man die Konzentration an Elektronendonator, d. h. TPNH, erh6ht. Praktisch aber beobiwhtet man nicht seIten eine Hemmung der Reaktion durch zuviel TPN+. OCHOA umgeht diese Schwierigkeit, indem er wenig TPN+ zusetzt, jedoch TPNH stetig regenerieren laBt. Zu diesem Zweck koppelt er die Elektronen verbrauchenden, durch malic enzyme oder isocitric enzyme katalysierten Reaktionen mit einer Elektronendonator-Reaktion, wie in Abb. lO wiedergegeben. Solange noch Glucose-6-phosphat durch Glucose-6-phosphat-dehydrogenase zu

Vergleichende Biochemie der C1- Korper.

141

oxydieren ist, verlaufen die OCHoA-Reaktionen weiter. Die Ausbeuten an Malat oder Isocitrat sind hoher als ohne diese Elektronendonator-Reaktion. Durch diese sinnreiche Kopplung von Elektronendonator- und Elektronenacceptor-Reaktion wird der letzteren Energie zugefiihrt, die aus chemischer Bindungsenergie stammt. Das ist die eine Moglichkeit der Energiezufuhr zu derjenigen Reaktion, die im Mittelpunkt der CO 2 -Assimilation steht. Die andere Moglichkeit ist, die Energie aus Schwingungsenergie zu nehmen. Demzufolge hat es sich eingeburgert, bei der CO 2 -Assimilation zwel 1. Elektronendonator-Reaktion.

Glucose-6-phosphat

+ TPN+ セ@

6-Phosphogluconsaure

+ TPNH + H+

2. Elektronenacceptor-Reaktionen. a) Pyruvat + hcoセ@ Oxalacetat + TPNH

+ H+

]_

セ@

セM

[Oxalacetat + H 20 Malat + TPN+

OCHoA-Reaktion durch malic enzyme. b) IX-Ketoglutarat + hcoセ@ Oxalsuccinat + TPNH

+ H+

] __. セ@ セM

[Oxalsuccinat + H 20 Isocitrat + TPN+

OCHoA-Reaktion durch isocitric enzyme . .\bb. 10. Modell fiir die CO,-Fixierung heterotropher Bakterien, tierischer Gewebe und Pflanzen ( ?).

Reaktionskomplexe zu unterscheiden: die Chemosynthese und die Photosynthese. Es ist bekannt, daB Chloroplasten beim Belichten TPN+ und DPN+ reduzieren. Mischt man Chloroplasten aus SpinatbHittern, Zuckerrubenbliittern oder Sonnenblumenbliittern mit malic enzyme aus Weizenkeimen oder Taubenleber, mit TPN+, Mn++ und Pyruvat und belichtet, so erhiilt man eine reiche Ausbeute an Malat. Verwendet man isocitric enzyme und ot-Ketoglutarat, so erhiilt man viel Isocitrat. Die Herkunft von Chloroplasten oder malic bzw. isocitric enzyme ist gleichgultig, ein Zeichen dafiir, daB dieses Reaktionskopplungs-System offenbar weit verbreitet ist. AuBer Zweifel sind die beschriebenen Versuchsanordnungen mit der chemogenen und photogenen Elektronenlieferung einfache und ubersichtliche Modelle fur die CO 2 -Assimilation, sei es in Bakterien oder in grunen Pflanzen. Es fragt sich nur, ob die

142

H. M.

RAUEN:

j3-Carboxylierungen C3 + C1 und C5 + C1 wirklich die Haupteintrittspforten fUr das CO 2 in den Stoffwechsel sind. Die Endprcidukte dieser Reaktionen, Malat und Isocitrat, sind Partner des Tricarbonsaurecyclus. Das gesamte Fermentsystem, das die einzelnen Reaktionen dieses Cyclus katalysiert, wird bekanntlich als Cyclophorasesystem bezeichnet. Diese Frage beantwortet sich in prinzipieller Hinsicht durch den N ach weis des Cyclophorasesystems in Einzellern und photosynthetisierenden Pflanzen. In tierischen Geweben, besonders in der Leber, ist das Cyclophorasesystem in den Mitochondrien lokalisiert. In der Tat gelang es, auch aus etioliertem Phaseolus aureus und aus Pisum sativum Partikel zu isolieren, die das Cyclophorasesystem enthalten. Auch in Chlorella, Bakterien und Pilzen und vielen hoheren Pflanzen ist dieses Fermentsystem vorhanden, da der Citronensaurecyclus in ihnen ablauft. Der Weg von den Di- tiber die Tricarbonsauren und von diesen auf bekannte Weise zu den Kohlenhydraten, den Fettsauren und den Kohlenstoffgertisten der synthetisierbaren Aminosauren ware also auch in Bakterien, Pilzen und hoheren Pflanzen moglich. Die vorher gestellte Frage nach der moglichen Haupteintrittspforte fUr das CO 2 tiber den Citronensaurecyclus beantwortet sich in gradueller Hinsicht fUr die nicht-photosynthetisierenden Bakterien und Pilze einerseits und die photosynthetisierenden Pflanzen andererseits in verschiedener Weise. Quantitativ mag der Weg tiber die besprochenen Carboxylierungen fUr die Einzeller ausreichen, vielleicht auch noch fUr niedere Vielzeller, wie es z. B. bei Aspergillus niger nachgewiesen wurde. Obgleich er auch in hoheren Pflanzen moglich ist, reichen doch diese Reaktionen fUr eine den Bedarf deckende CO 2 -Zufuhr bei weitem nicht aus. LaBt man die Photosynthese in Anwesenheit von H14CO g ablaufen und isoliert dann die gebildeten organischen Sauren chromatographisch, so enthalt Malat am meisten 14C, die anderen Verbindungen, insbesondere die Tricarbonsauren nur sehr wenig. Diese und andere Beobachtungen zeigen, daB der Tricarbonsaurecyclus nur Nebeneintrittspforte fUr CO 2 in den Stoffwechsel photosynthetisierender Pflanzen sein kann. Die Haupteintrittspforte fUr CO 2 ist in einer ganz anderen Richtung und der Ci-Acceptor in einer anderen Substanzklasse zu suchen. CALVINs neue Untersuchungen zeigen, daB neben dem

Vergleichende Biochemie der Ct-Korper.

143

seither als erstem stabilem Produkt der Photosynthese angesehenen Glycerinsaure-3-phosphat noch ein vorhergehendes erstes labiles Produkt der Photosynthese nachzuweisen ist. Dieses gehort der Kohlenhydratreihe an. Abb. 11 gibt die Formulierung der ersten Reaktion nach CALVIN wieder. An die Endiolgruppierung des Ribulosediphosphates wird Hydrogencarbonat kondensiert, wobei I. CO 2 -Fixierung zum "Ersten Produkt" (CALVIN). CH.O . POaH-

a)

I

C-OH ReO;

I

+ C-OR セZ]N@

tHOR

I

CH 20· POaHb)

-I

CH.O· POaH-

I

2 CH •. CH(OH) . COO-

-OOC-C-OH

IH 0

I

2

C=O

O· POaH-

->-

6HOH

3-Phosphoglycerinsaure

I

CH 20· POaHAbb.11. Carboxylierungsreaktion bei der Photosynthese [nach 111. CALVIN: Federat. Proc. 13, 697 (1954)].

ein - in Klammern gezeichnetes - Intermediarprodukt entsteht. Dieses wird in zweiter Stufe zwischen O2 und 0 3 hydrolytisch gespalten, und es entstehen zwei Molekeln Glycerinsaure-3-phosphat. Formal ist diese Reaktion eine 0 5 + 01-0arboxylierung, jedoch unter Verwendung eines ganz anderen Acceptors als bei dem oben besprochenen Reaktionstypus. Diese Oarboxylierung scheint mit sehr viel groBerer Geschwindigkeit abzulaufen als die friiher beschriebenen 0 3 + 0 1- und 0 5 + 0rOarboxylierungen. Auch scheinen die noch nicht naher untersuchten energetischen Verhaltnisse hier giinstiger zu sein als dort. Wie eingangs allgemein formuliert, muB sich dieser Oarboxylierung jetzt eine Reduktionsreaktion anschlieBen. OALVIN

H.M.

144

RAUEN:

beschreibt nach Abb. 12 den ersten Teil, die Elektronendonator· Reaktion, als in zwei Stufen ablaufend. Elektronendonator ist H 20, das zunachst unter Verwendung eingestrahlter Lichtenergie unter Beteiligung von Chlorophyll und vielleicht auch noch anderer Pigmente an den Oberflachen der Chloroplasten formal in [H] und [OH] gespalten wird. Diese Radikale treten beileibe nicht getrennt auf und sind auch nicht als solche direkt nacho weisbar. Beide Radikale sollen von der hier nur schematisch II. Elektronendonator·Reaktion.

+ hV

a) H 20

Oセcoh@

b) [H]

H

Chloro· --->

phyll

[H]

+ [OH] A/'''/''v/COOH

+ [OH] + I I

.-->- I

8- -8

8 H

H H

OH

セcoh@ --->-

I

I

8-8

I

8 OH

OHOH

+

[H 20 2]

Abb.12. Elektronendonatorreaktion bei der Photosynthese (nach lIi. CALVIN, s. S. 160).

gezeichneten, in Deutschland unter IX·Liponsaure bekannten, von den Angelsachsen als IX-lipoic acid oder auch thioctic acid be· zeichneten 6,8-Dithiooctansaure aufgenommen werden. Zwei Molekeln der entstehenden Thiosulfensaure sollen miteinander dismutieren, wobei eine Dithiol. und eine Disulfensaure entstehen. Aus der Disulfensaure wird dann unter Riickbildung der durch eine S--S·Briicke gekennzeichneten Ausgangssubstanz H 20 2 und aus diesem dann O2 frei. Wie in Abb. 13 formuliert, reagiert in der Elektronenacceptor. Reaktion zunachst die Dithiolverbindung mit TPN+ oder DPN+ unter Riickbildung der Ausgangssubstanz. Die hydrierten Pyridinnucleotide treten dann in diejenigen Reaktionen ein, denen sie zugeordnet sind, in diesem Fane DPNH in die Gleich. gewichtsreaktion von 1,3.Diphosphoglycerat mit 3-Phospho·

Vergleichende Biochemie der C1-Korper.

145

glycerinaldehyd. Das zur Bildung des diphosphorylierten Substrats benotigte energiereiche Phosphat wird als ATP angeliefert, das im photosynthetisierenden Gewebe tiber die Atmungskettenphosphorylierung entsteht. Der 3-Phospho-glycerinaldehyd wird also durch Kopplung der 002-Fixierungsreaktion mit der Elektronen-Acceptorreaktion stetig nachgeliefert. Von ihm, zusammen mit Dioxyaceton-phosphat, werden dann nach dem bekannten EMBDEN-MEYERHoF-Schema die Hexosephosphate, aus diesen Glucose und dann Starke gebildet. Das in der ersten Reaktion II1. Elektronenaccepwr-Reaktion (Reduktion).

a)

( y V VCOOH A/"v'VCOOH + DPN+(TPN+);;::::=: I I +DPNH(TPNH)+H+ s s s-s H H セ@

b) 1,3-D-Diphosphoglycerat + DPNH + H+ 3-D-Phosphoglycerinaldehyd + DPN+ + H aP0 4

Abb.13. Elektronenacceptorreaktion bei der Photosynthese (nach M. CALVIN, s. S. 160).

der 002-Fixierung verbrauchte Ribulosephosphat wird nach dem HORECKER-Schema durch Reaktion eines 03-Korpers mit einer Os-Verbindung unter Bildung eines 0 4 - und eines 05-Produktes regeneriert. 0 4 + 0 3 reagieren dann zu 0 7 (Sedoheptulose-phosphat), aus dem zusammen mit 0 3 zwei 0 5 entstehen. Endprodukt dieses neuen Kohlenhydrat-Ab- und -Umbauweges, dem wahrscheinlich eine ebensogroBe, wenn nicht noch groBere Bedeutung zukommt als dem 2 0 3 ¢ Os-Weg von EMBDEN und MEYERHOF, ist Ribosephosphat, das leicht in das erwahnte Ribulosediphosphat tibergefiihrt werden kann. DaB diese hier nur ganz kurz skizzierte Reaktionsfolge in grtinen Pflanzen tatsachlich ablaufen kann, hat vor kurzem RACKER nachgewiesen. Er fand den gesamten, den HORECKEROyclus katalysierenden Fermentkomplex in zellfreien Extrakten aus grtinen Pflanzen. Inkubierte er H 14003', DPN, ATP und eine katalytisch wirksame Menge Ribosephosphat zusammen mit einem solchen Fermentextrakt, so verschwand eine betrachtliche Menge 0 1 und es hauften sich Kohlenhydrate und Kohlenhydratphosphate an. Diese papierchromatographisch getrennten Verbindungen waren isotopenmarkiert. 6. Col!oquium Mosbach.

lO

146

H. M.

RAUEN:

Bei den beschriebenen ersten Reaktionen der Photosynthese in grunen Pflanzen dient unter Einbeziehung von Schwingungsenergie H 20 als Elektronendonator. Viele niedere, mit Hilfe von Bacteriochlorophyll ebenfalls photosynthetisierende Arten von roten Schwefelbakterien, der Thiorhodaceen, leben in rein mineralischem Milieu und bilden bei Belichtung aus CO 2 organische Substanz, jedoch keinen Sauerstoff. Sie verbrauchen H 2S als Elektronendonator und lagern eine dem verbrauchten CO 2 aquivalente Menge elementaren Schwefels in ihren Zellen abo Einige Bakterienarten vermogen auch H 2Se zu verwenden. Dies fUhrt zu einer generalisierten Definition der Photosynthese. Wir verstehen darunter ein Teilgeschehen des gesamten pflanzlichen Stoffwechsels, bei dem mit Hilfe von absorbierter Schwingungsenergie CO 2 durch einen Elektronendonator der Form H2A reduziert und damit assimiliert wird. Diese Verbindung wird hierbei zu A reduziert:

Das hier verwendete Symbol (CH 20) steht als allgemeine Formel fUr die ersten stabilen Produkte der Kohlenhydratreihe und darfin keiner Weise im Sinne der alten Theorie A. v. BAEYERs zu wortlich genommen werden, nach der bekanntlich CO 2 direkt zu CH 20 reduziert, das dann zu C6 H 120 6 polymerisiert werden solI. DaB diese einfache, einleuchtende und lange aufrechterhaltene Hypothese den Tatsachen nicht entspricht, haben wir gesehen. Der Nachweis von CH 20 als eines zweiten direkten Reduktionsproduktes des CO 2 , nachst der HCOOH, ist niemandem gelungen. Es konnte auch niemandem gelingen, weil es nicht auftritt. Der Nachweis, ob es in der hoheren Pflanze in geringster Menge vielleicht doch entstehen kann, aber in ganz andere Stoffwechselreaktionen eintritt, bleibt kunftigen Untersuchungen vorbehalten. Zweifellos kommt dem CO 2 im Rahmen einer vergleichend biochemischen Betrachtungsweise des Stoffwechselgeschehens mit C1-Korpern die groBte Bedeutung zu, doch durfen wir diejenigen Vorgange, die die anderen C1-Verbindungen einbeziehen, nicht vernachlassigen. Hier sind Einzelkenntnisse noch nicht so gehauft, daB sich aus ihrem Vergleich ubergeordnete und allgemein gultige Theorien abstrahieren lieBen.

147

Vergleichende Biochemie der C1-Korper.

Weitere C1-Korper von breiterer biochemischer Bedeutung sind; in freier Form: in gebundener Form:

labil gebunden an:

HCOOH -C

/0

"'H

CH 2 0

[CHaOH]

--CH 20H

CH. I -CHa

C-

C-

N-

N--:. S-'

Das eingeklammerte Methanol solI in diesem Zusammenhange nicht interessieren. Das in der Natur als Sumpfgas auftretende Methan wird von Bacillus methanigenes durch Abbau von Cellulose, aus dem -CH3 von Methanol, Essigsaure und anderen niederen aliphatischen Verbindungen, jedoch nicht aus CO 2 gebildet. Der Methangehalt der Atmosphare steigt trotz der stetigen Neubildung nicht an. Dies ist der Fahigkeit von Methanbakterien, z. B. Bacillus methanicus, zu verdanken, die CH 4 zu CO 2 oxydieren konnen. Transformylierung. Es wurde bereits besprochen, daB der nicht sehr weit verbreiteten, nur unter Angehorigen der Coli- und AerogenesGruppen und anderen Einzellern, vielleicht auch einigen niederen Vielzellern, anzutreffenden direkten Reduktion CO 2 --;. HCOOH im Lebensgeschehen hoherer Lebewesen, die molekularen Wasserstoff nicht verwerten konnen, thermodynamische Griinde entgegenstehen. Dagegen vermogen aIle daraufhin gepriiften Lebewesen Formiat durch die Formiat-dehydrogenase zu CO 2 zu oxydieren. Eine weitere, bei Einzellern der genannten Bakteriengruppen und mancher Salmonella-Arten anzutreffende Bildung von HCOOH verlauft nach folgendem Schema: HaC' CO . COOH

+ CoA . SH --;. HaC' CO . S . CoA + HCOOH .

Dieser Vorgang ist eine Parallele zu der im Tier- und Pflanzenreich weit verbreiteten oxydativen Decarboxylierung von Pyruvat zu "aktivierter Essigsaure" und CO 2 , nur fehlt hier die OxydationsTeiIreaktion. Eine ganz allgemein verbreitete "Primarsynthese" von Formiat ergibt sich mittelbar vielleicht durch die Spaltungsreaktion C7 --;. Cs + C2 im HORECKER-Cyclus der Kohlenhydratreihe, wobei Sedoheptulose(-phosphat) in Ribose(-phosphat) und Glykol10*

H. M.

148

RAUEN:

aldehyd durch die Transketolase gespalten wird. Glykolaldehyd liefert uber Glyoxylsaure neben CO 2 ein transformylierbares Cl . Ob dieses CH 2 0 oder HCOOH ist, ist im funktionellen Sinne gleichgultig, denn in allen Organismen, die transformylieren konnen, stehen CH 20 ¢ HCOOH, katalysiert durch eine Aldehyddehydrogenase, miteinander im Gleichgewicht (vgl. Abb.14). Wir mussen also Formaldehyd-Formiat als ein System ansehen. Formyl-Transfer-Reaktion. CH 2 ·OH

セh@

I

. NH2

+X . H ¢

CH 2 . NH2

I

coo

COO-

_

+ X . CH20H

Formaldehyd- Abspaltung. X . CH 20H ¢ X . H

+ CH 0 2

Formaldeh yd-Formiat-Gleichgewicht. CH 20

+ H 20 + DPN+ ¢

HCOO-

+ DPNH + 2 H+

Abb. 14. Transformylierungsreaktionen (s. Text).

Ein zu Transformylierungsversuchen vielfach verwendeter Formyldonator ist Serin, das sich nach der Reaktionsweise in Abb. 14 mit der aktiven Gruppe X . H (vgl. spater) eines Transformylase-Systems umsetzt. Es verbleibt Glycin und eine formal als X· CH 20H bezeichnete Verbindung. Diese muG nicht nur biochemisch, sondern auch chemisch labil sein, denn nach Zusatz eines Formaldehydfangers, z. B. Dimedon, zu Transformylierungsansatzen kann Formaldimedon isoliert werden. Umgekehrt reagiert auch Glycin, das der hohere Saugetierorganismus bekanntlich synthetisieren kann, mit der Verbindung X . CH 2 0H zu Serin (vgl. Abb. 20). Zu del' Formyldonator-Reaktion, die vielleicht die wichtigste ist, gesellen sich noch weitere, von denen nur zwei erwahnt werden sollen. 1m Serin steht das f3-C auf del' Oxydationsstufe des Methylols. Es wird bei der Abspaltung auf die Oxydationsstufe des Aldehyds gehoben. Auch das Ureid-C des Histidins, das auf der Oxydationsstufe des Formiats steht, wird nach dem Abbau der Aminosaure durch das EDLBACHERsche Histidase-System als transformylierbares C1 verfiigbar. Legt man, wie in Abb. 15 gezeichnet, am Ureid-C isotopenmarkiertes Histidin zugrunde und

149

Vergleichende Biochemie der C1-Korper.

setzt Glycin als CI-Fanger hinzu, so erhalt man in jJ-Steliung markiertes Serino Formiat muB also, wie oben gefordert, zu Formaldehyd reduziert werden, wenn man nicht annimmt, daB auch Formiat als solches in den Transfer einbezogen werden kann. Del' aus einer Formyldonator-Reaktion und einer FormylacceptorReaktion bestehende Gesamtvorgang, in den sich del' bereits erwahnte Zwischentrager X' H einschaltet, ist also eine echte Transformylierung. Setzt man zu Kulturen von Saccharomyces cerevisiae markiertes Formiat, so findet man es spateI' als Ureid-C des Histidins wieder. Die Biosynthese des Histidins in del' Hefe a) HC=C' CH•. CH (NH.) . COOH

I

HN

I

N

V

HCH Histidin

b) H14COOH

"'"HOOC . CH •. CH •. CH (NH.) . COOH

+ NHa +

I

HHCOOH

+ CH. (NH.) . COOH --+ 14CH 0H . CH. (NH 2

2) •

I

COOH

Abb. 15. Histidin als Formyldonator, GIycin als Formyldonator.

geht offenbar genau den umgekehrten Weg wie del' Abbau des Histidins im hoheren Tier. Weitere gute Formyldonatoren sind aIle unmittelbaren odeI' mittelbaren Trager biochemisch labiler Methylgruppen (Abb. 16), wie z. B. Methionin, Betain odeI' Sarkosin. Das auf del' niedersten Oxydationsstufe stehende -OHa wird durch ein nicht naher bekanntes Fermentsystem oxydiert. Del' Weg von -OHa zu OH 2 0 ist, wie bei del' Transmethylierung gezeigt werden wird, umkehrbar. Offenbar durfen wir auch von einem System -CHa ¢ CH 20 sprechen. Unter dem Begriff "System" meinen wir in diesem Zusammenhang fermentativ katalysierte Reaktionen, die besonders leicht ab·, laufen und stets den jeweiligen Erfordemissen angepaBte Mengen des einen odeI' des anderen Stoffwechselpartners liefem. Bildlich gesehen stellen die Systeme CH 20 ¢ HOOOH und -OHa ¢ OH 20 "QuerstraBen" des intermediaren Stoffwechsel-Verkehrssystems dar, die die "HauptstraBen" miteinander verbinden. Von diesen bl'aucht del' Hauptvel'kehr des Stoffumsatzes nicht obligat uber den "Hauptverkehrsknotenpunkt" des intermediaren Stoffwech·, sels, den Citronensaurecyclus, zu laufen, sondern kann in manchen Fallen auch Seitenwege einschlagen.

150

H. M.

RAUEN:

Sarkosin ist in zweifacher Hinsicht ein guter Formyldonator, einmal wegen seines labilen Methylradikals, dann entsteht aus dem durch Entmethylierung gebildeten Glycin unter Wirkung der Glycinoxydase Glyoxylsaure, deren セMc@ zur Transformylierung zur Verfiigung steht. Kartoffeltyrosinase kann Glycin zu CH 20, Betain

Cholin

CHI' COO-

CHi . CH.OH

Methionin

COOH

I

HC·NH.

+N :/(CH)\ ., 33. ,

\

+N' (CH) セZ@ 33

I

'l--'

S.( CHa ': \ .... -- " ,

----', ....f - - - -

I

I CHI I , ----."

I

/0 -C",- - - HCOOH H

/- ...

CHi . NH .{ CH3

'\

COOH

/ :

CH•. NH.

\"--/---" I

COOH

Sarkosin

Glykokoll

セ@

- - - - HOOOH nur

Vergleichende Biochemie der OI-Karper.

..

untergeordnete Bedeutung. Ubertragbare

Moセh@

/ o

159

und -CH 20H

bzw. verwertbare HCOOH und CH 20 entstehen aus anderen Quellen, durch Abspaltung aus bereits vorgebildeten organischen Molekeln. -CHa scheint ausschlieBlich aus HCOOH, CH 20 bzw.

o

labilem -O(H und -CH 20H zu entstehen und auch wieder in solche iibergefiihrt werden zu konnen. Da HCOOH als der auf der hochsten Oxydationsstufe stehende C1-Korper der beiden Funktionsbereiche Transformylierung und Transmethylierung durch die Formiatdehydrogenase zu HCOa- -+ CO 2 oxydiert wird, ist wieder der AnschluB an den Funktionsbereich der Transcarboxylierung gewonnen. Neben dieser quer zum Lebensganzen gestellten vergleichendbiochemischen Blickrichtung ist aber auch eine solche parallel zum Lebensganzen moglich. Wir beziehen die Hauptargumente zu dieser Sicht aus den Ergebnissen der Forschung unserer Tage und projizieren sie einordnend zu den Ergebnissen und Deduktionen anderer Disziplinen auf die gleiche Leinwand, urn zu spekulieren, in welcher Weise sich das Leben biochemisch entwickelt hat. Die Fahigkeit lebender Zellen, CO 2 in erster Reaktion durch das Hydrogenase-Hydrogenlyase-System zu HCOOH und dieses durch andere Fermentsysteme iiber CH 20 zu -CH 20H und -CH3 reduzieren und daraus organische Zellsubstanz aufbauen zu konnen, wurde wahrscheinlich auf einer sehr friihen phylogenetischen Stufe ausgebildet, in einer Erdperiode, da die Atmosphare noch viel freien Wasserstoff enthielt. In dem MaBe, in dem er verschwand, wurde auf den gebundenen Wasserstoff, z. B. in bereits in der "Weltsuppe" vorhandene Kohlenstoff-WasserstoffVerbindungen iibergegriffen. Als dieser verbraucht und durch die exergonischen Oxydationsprozesse irreversibel in H 20 iibergefiihrt war, hatte sich auch gemaB den beiden ersten Hauptsatzen der chemischen Thermodynamik die den Lebewesen auf dieser Erde insgesamt zur Verfiigung stehende freie Enthalpie bedrohlich verringert. Es muBte eine auBerterrestrische EnergiequeUe, die Sonne, nutzbar gemacht werden. 1m PhotosyntheseprozeB lieBen sich dann unter Verwendung eingestrahlter Energie aUe Wasserstoffverbindungen H2A als Wasserstoffdonatoren zur

160

H. M. RAUEN:

unmittelbaren oder mittelbaren Reduktion von CO 2 bzw. -COOH verwenden. Organische Substanz wurde in dem MaBe vermehrt gebildet, wie sich der Photosyntheseapparat in Richtung zunehmender Okonomie und die CO 2 -Assimilation in Richtung zunehmender CO 2-Fixierung entwickelten. Nicht nur die Existenz autotropher, sondern auch diejenige heterotropher Lebewesen war gesichert. Einfaches Hydrogenase-Hydrogenlyase-System, CO 2 -Fixierungssystem und auch kompliziertes Photosynthesesystem setzen stets einen Bestand an organischer, reagierender oder die Reaktion katalysierender Substanz voraus. Auch die allererste Reduktionsreaktion CO 2 --+ HCOOH oder die allererste Carboxylierungsreaktion X' H + CO 2 --+ X . COOH, die in der allerersten Zelle abliefen, hatten diese zur Voraussetzung. Da diese Substanzen schon sehr kompliziert gebaut sein muBten und die Lenkung der Reaktionssysteme, die zum zielstrebigen Aufbau zelleigener organischer Substanz fiihrten, ebenfalls nicht einfach ist, erscheint es toricht anzunehmen, die erste lebende Zelle sei durch einen Zufall entstanden und nicht etwa in einem Schopfungsakt, indem in sie bereits der Keirn zur Entwicklung bis zu den Lebewesen heutiger biochemischer Pragung gelegt wurde.

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Vergleichende Biochemie der C1-Korper.

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Diskussion. LOHMANN (Berlin-Buch): Ich darf Herrn RAUEN meinen herzlichsten

Dank aussprechen fiir seinen Vortrag iiber die vergleichende Biochemie der C1-Korper. Es war wenigstens fiir mich eine auBerordentlich groBe Uberraschung, als vor etwa 20 Jahren festgestellt wurde, daB das Kohlendioxyd nicht nur von der Pflanze verwertet, sondern auch im tierischen Korper in organische Verbindungen eingebaut wird. HOFFlUANN-OSTENHOF (Wien): 1m Zusammenhang mit der Methylierung miichte ich auf ein vergleichend biochemisches Problem eingehen: Wahrend wir hei den Tieren kaum jemals Methoxylgruppen finden, haben wir sie allgemein bei den Pflanzen, angefangen bei den niederen Schimmel6. Colloquium Mosbach. II

162

H. M. RAUEN:

piIzen bis hinauf zu den hOheren. Methoxylgruppen fehien in den Bakterien und ich kenne kein tierisches Produkt, das eindeutig Methoxyl enthait. Soweit mir bekannt ist, existiert noch keine Theorie iiber den Mechanismus dieser Bildung, obwohl die Methoxylgruppen z. B. im Lignin eine ganz besondere Bedeutung haben. Glauben Sie, daB sie durch einfache Transmethylierungen oder de novo aus Formaldehyd gebildet werden? Mir ist nur bekannt, daB Methoxyl auch ohne Photosynthese gebildet wird. AuBerdem mochte ich noch eine systematische Bemerkung machen. lch wiirde nicht von Transcarboxylierung, sondern nur von Carboxylierung sprechen, denn wir haben hier keinen Donator. BERGMANN (New Haven, z. Z. Heidelberg): lch mochte daran erinnern, daB ich in der Diskussion zu dem ACKERMANNschen Vortrag das Spongosin, ein Nucleosid in den Schwammen, erwahnt habe, in dem Methoxyl vorkommt.

MOTHES (Gatersieben): Die Bildung der Methoxylgruppen erfolgt offenbar in der Pflanze nach demselben Schema wie die Methylierung am Stickstoff. So hat KIRKWOOD mit Mitarbeiteru beIegt, daB die Methylierung am Sauerstoff und am Stickstoff beim Rizinin wie auch beim Protopin durch das gieiche methylierende Agens (Methionin) erfolgen kann. Und BYERRUM bewies die Transmethylierung mit Hilfe von Methionin bei der Bildung der Methoxylgruppen des Lignins. Solche Methylierungen konnen in der Pflanze besonders intensiv in der Wurzel verlaufen, aber keineswegs nur dort. Doch ist merkwiirdig, daB die in den SproB aufsteigenden methylierten Verbindungen in den Blattern haufig entmethyliert werden, so z. B. das Nicotin, das bei verschiedenen Tabakarten in Nornicotin verwandelt wird. Ein schOnes Beispiel fiir die Methylierung als Ausdruck besonderer chemischer Aktivitat der vVurzel ist auch die Bildung des Betains in der Zuckerriibe. セwゥイ@ wissen aus vielen Arbeiten, daB das Betain ein vorziiglicher Methylgruppenspender ist. RUMMEL (Diisseldorf): Entmethylierungen am Sauerstoff sind auch im tierischen Organismus bekannt. So wird z. B. Codein zu Morphin entmethyliert. BRUNS (Diisseldorf): Seit einigen Jahren kennen wir Enzyme, die Oxyaminosauren spalten, z. B. Phenylserin in Benzaldehyd und Glycin, oder Threonin in Acetaldehyd und Glycin. 1st eine solche Reaktion auch fiir Serin bekannt, wobei Formaldehyd und nicht Ameisensaure entsteht? In vivo zumindest kann Formaldehyd mit Glycin Serin bilden. 1st es moglich, daB Formaldehyd nach Art einer Aldolasereaktion mit Glycin reagiert ? RAUEN (Miinster): Ja, das ist moglich. WIELAND hat diese Reaktion aufgegriffen und findet, daB bei der Umsetzung von Glycin mit Formaldehyd in vitro Serin synthetisiert wird und daB die Ausbeute an Serin durch zugesetztes Pyridoxal erheblich gesteigert werden kann. Pyridoxal ist notwendig zu Labilisierung eines Protons am Q(-C des Glycins. Es wird wahrscheinlich auch in vitro intermediar eine SCHIFFsche Base gebildet,

Vergleichende Biochemie del' (\-Korper.

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die ein labiles Proton hat, so daB die Addition des CR 2 0 leichtel' vonstatten gehen kann. Eine weitere Reaktion, die neuerdings einiges Aufsehen erregt, habe ich nicht erwahnt. Nach RIFT und MAHLER gibt Pyruvat + Formaldehyd durch ein Leberferment eine y-OxY-'lI:-keto-buttersaure. LANG (Mainz): Ich wollte zu del' Frage del' Transformylienmg hier noch eine alte Beobachtung erwahnen, die vielleicht einiges Interesse h2J. 1m Blut mancher Menschen wurden nicht unbetrachtliche :\Iengen yon Formaldehvd gefunden. Ich habe VOl' etwa 20 Jahren (liese Dinge nachオセエ・イウ」ィᄋョ、@ bestatigt. Ich fand bis zu 1 mg-% als Formaldehyd. Das muB nicht freier Formaldehyd sein, es kann auch irgendeine ehemisch labile Verbindung sein, die bei del' Aufarbeitung Formaldehyd liefert. leh habe damals aus auBeren Griinden die Saehe nicht weiter untersuchen konnen, abel' vielleieht findet man doch irgendeine Verbindung, die man in Zusammenhang mit del' Transformylierung bringen konnte.

Unbekannt: Spielt Ergothionein, das in den roten Blutkorperchen in betrachtlicher Menge vorkommt, eine Rolle als Methyldonator? RAUEN (Miinster): Es erscheint in keinem Schema und mil' ist nichts dariiber bekannt, daB das Methyl so labil ist, daB es leicht transfcriert werden kann.

Unbekannt: Konnen Sie quantitative Angaben maehen iiber das AusmaB del' assimilatorischen Einbeziehung des CO 2 beim Menschen, odeI' andel'S gefragt, spielen die Reaktionen von OCHOA bzw. von セwodMverkᆳ セian@ eine so groBe Rolle, daB dureh sie Fehlschliisse bei del' Benrteilnng des respiratorischen Quotienten entstehen konnen ? LANG (Mainz): Zu diesel' Frage mochte ieh bemerken, daB gemessen wurde, wieviel vom fremdem CO 2 del' Atmnngsluft verwendet wird, und kam auf einen Prozentsatz von 0,0 ... %. Die Fixation hangt linear vom CO 2 -Druck ab; je hoher er ist, desto mehr wird eingebaut. LOHMANN (Berlin-Buch): Eigentlich sollte man nicht fragen, wieviel Kohlensaure del' Atmungsluft eingebaut wird, denn in del' Atmungsluft ist del' Druck sehr viel kleiner als in den Geweben. 2\ian miiBte priifen, wieviel von dem zugefiihrten markierten Bicarbonat eingebaut wirer. MOTHES (Gatersleben): Zur Frage del' Bindung von CO 2 ware noch zu berner ken, daB neue Untersuchungen an Pflanzen eindeutig gezeigt haben, daB diesel' Vorgang von groBtem AusmaB und zentraler Bedeutung fiir das gesamte Stoffwechselgeschehen ist. In unserem Laboratorium konnte gezeigt werden (Dr. SCHLEGEL, Dr. RAlVISHORN), daB ohne Beteiligung von CO 2 Phosphorylierungsvorgange gehemmt sind und daB aueh das Wachstum nicht das normale AusmaB annimmt. Diese Tatsachen deuten darauf hill, daB die WARBURG-Technik wesentliche Mangel besitzt, sofern KOR zur Absorption del' Kohlensaure benutzt wird. Del' Stoffwechsel mnB dann mindestens quantitativ einc starke Veranderung erfahren. LOHMANX (Berlin-Buch): In welch em AusmaB wird in unserem Korper Aceton verwertet ? 11*

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H. M. RAUEN: Vergleichende Biochemie der CrKiirper.

RAUEN (Miinster): Modellversuche mit Leberhomogenaten lassenkeinen SchluB zu uber das AusmaB im intakten Organismus. Ich glaube aber, daB es sich nur urn sehr kleine Mengen handeln kann. Mit der Isotopentechnik findet man zunachst nur den prinzipiellen Mechanismus eines Reaktionsvorganges. LANG (Mainz): Zu der Frage des Acetons miichte ich sagen: Wir haben mit Leberhomogenaten eine groBe Reihe von homologen Methylketonen umgesetzt und gefunden, daB etwa 20% von der eingesetzten Substanz verschwunden sind. Es ist interessant, daB das nicht nur mit Aceton geht, sondern auch mit den homologen Methylketonen. RAUEN (Munster): Ich miichte noch hinzufiigen, daB bestimmt ein groBer Prozentsatz des Acetons als CO 2 exhaliert worden ist. Sicher wird nicht, wenn man Aceton einsetzt, die gesamte Menge CH3 in einem Transfersystem wiedergefunden. Eine beachtliche Menge erscheint als CO 2 , ebenso wie in den Transformylierungsversuchen, wenn man Serin oder Glykokoll vorlegt. Dann werden betrachtliche Prozentsatze (bis 30-40--50%) des zu transferierenden C1 oxydiert und erscheinen als CO 2 wieder. Nur wenige Prozent (1-2-3%) erscheinen dann in anderen Verbindungen via Transformylierungen.

Unbekannt: Spielt bei der CO 2-Fixation die Carbaminsaurebindung an Proteinen oder an Aminosauren eine Rolle? RADEN (Munster): Ein gewisser Prozentsatz von Aminogruppen liegt vielleicht in der Carbaminoform vor. Das ist aber eine reine Gleichgewichtsreaktion. Ich miichte bezweifeln, daB die Carbaminsaurebindung fiir den eigentlichen Mechanismus der CO 2 -Assimilation eine Rolle spielt. Es mag sein, daB vielleicht an der Kohlensaureanhydratase das CO 2 zunachst in der Carbaminsaurebindung vorliegt und daB es dann erst mit dem H 20 oder OH umgesetzt wird. KLINGMULLER (Hamburg): Wenn man 14C-Bicarbonat an lactierende Tiere verfiittert, ist der Kohlenstoff des Caseins auch aktiv geworden. Das spricht dafiir, daB die CO 2 -Fixierung nicht nur prinzipiell miiglich ist, sondern eine betrachtliche physiologische Rolle spielt.

Die Bedeutung der Makromolekiile fUr Evolution und Differenzierung. Von

J. B. S. HALDANE. University Oollege London, Dept. of Biometry. flJ'.I.1