Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm in der verfassungskonformen Auslegung und Rechtsfortbildung: Verfassungskonkretisierung als Methoden- und Kompetenzproblem [1 ed.] 9783428419173, 9783428019175


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German Pages 276 Year 1969

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Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm in der verfassungskonformen Auslegung und Rechtsfortbildung: Verfassungskonkretisierung als Methoden- und Kompetenzproblem [1 ed.]
 9783428419173, 9783428019175

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DETLEF CHRISTOPH

GÖLDNER

Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm in der verfassungskonformen Auslegung und Rechtsfortbildung

Schriften zur Rechtstheorie Heft 18

Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm in der verfassungskonformen Auslegung und Rechtsfortbildung Verfaseungekonkretisierung ala Methoden· und Kompetenzproblem

Von

Detlef Christoph Göldner

D U N C K E R

& H Ü M B L O T

/

B E R L I N

Alle Rechte vorbehalten © 1969 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1969 bei Buchdruckerei Bruno Lude, Berlin 65 Printed in Germany

Vorwort Vom Verwaltungsrecht hat Fritz Werner m i t einer vielzitierten Formel gesagt, daß es „konkretisiertes Verfassungsrecht" sei. Allgemeiner hat man, mit leicht metaphysischer Tönung, von einer „Allgegenwart des Verfassungsrechts" gesprochen. Das mag manchem zu hoch greifen. Sicher ist jedenfalls, daß das Traditionsschema der Rechtsdogmatik, das das Verfassungsrecht lediglich neben die anderen Einzeldisziplinen stellen w i l l , einiges an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat. Wie allerdings das Verfassungsrecht von der heutigen Rechtswissenschaft i n i h r dogmatisches (und didaktisches) System einzubauen ist, ist damit noch nicht gesagt. Gegen eine Überordnung der Verfassungsdogmatik über die übrigen Rechtsdisziplinen w i r d sich sogleich das Bedenken anmelden, ob ein Wissenschaftssystem überhaupt irgendeine „Fächerhierarchie" verträgt und nicht vielmehr Eigenständigkeit jedes seiner Zweige verlangt. Nur bleibt dann die Frage, wie eine solche Gebietsautonomie m i t dem vertikalen Geltungsanspruch der Strukturprinzipien des Verfassungsrechts auf einen Nenner zu bringen ist. Wieviel hier noch aufzuarbeiten ist, zeigt auch das Spannungsverhältnis von Verfassungsprinzip und Zivilrechtssatz. Zwar hat sich hierzu eine breit ausgefächerte zivilistische Fachdiskussion angebahnt, die auch durch besondere Problemnähe ausgezeichnet ist. Indessen sind dabei die verfassungstheoretischen Voraussetzungen zivilrichterlicher Verfassungsverwertung noch weitgehend ausgespart geblieben. Vielleicht hat die Verfassungstheorie das Zivilrecht hier, zum Schaden beider Seiten, bislang zu sehr sich selbst überlassen. So scheint sich i n der neueren Judikatur teilweise ein improvisierter Gebrauch des Verfassungsprinzips anzukündigen, der unter anderem deshalb nachdenklich macht, weil er zugleich den kaum zu entbehrenden systemgerechten Prinzipiengebrauch m i t zu diskreditieren geeignet ist. Eine Theorie des Verfassungsprinzips w i r d also nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen dürfen. Sie w i r d allerdings auch verfrühte doktrinäre Festlegungen zu vermeiden haben, wie sie den Umgang m i t Axiomen ohnehin nur zu leicht belasten. So versteht sich auch die folgende Untersuchung, auch wo thesenförmig gefaßt, nur als Beitrag zu einer i n nahezu jeder Hinsicht offenen (und grundsätzlich auch offen zu haltenden) Diskussion.

Vorwort

6

Schrifttum und Rechtsprechung sind i n der Arbeit i m allgemeinen bis etwa Frühjahr 1967 berücksichtigt; spätere Veröffentlichungen — bis etwa Frühjahr 1969 — konnten nur noch teilweise Berücksichtigung finden. Herzlich danken möchte ich auch auf diesem Wege meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. K a r l Larenz (München), der die Arbeit und ihren Verfasser m i t unermüdlichem Wohlwollen begleitet hat. Für wertvolle Hinweise habe ich auch Herrn Prof. Dr. Victor Böhmert (Kiel) und Herrn Prof. Dr. Wolfgang Münzberg (Tübingen) zu danken. Der Kieler Rechtswissenschaftlichen Fakultät danke ich für die Zuerkennung des Fakultätspreises 1968/69. Besonders danken möchte ich nicht zuletzt Herrn Ministerialrat a. D. Dr. Johannes Broermann, dem Verleger und Herausgeber der Schriftenreihe, für vielfältiges Entgegenkommen bei der Drucklegung. Kiel, i m November 1969 Detlef

Christoph

Göldner

Inhaltsverzeichnis Einleitung § 1. Problem u n d Meinungsstand. Plan der Darstellung Erster

17

Teil

Einordnungsprobleme Erster Abschnitt „Rechtsethische" ( materiale ) Verfassungsprinzipien. Begriff und Rechtsquellenfrage § 2. Z u m Begriff des „rechtsethischen" (materialen) Verfassungsprinzips

23

1. „Rechtsethische" Prinzipien. Terminologisches

23

2. Rechtsprinzipien u n d Verfassungsprinzipien

25

§ 3. Verfassungsprinzip u n d System des geltenden Rechts. Verfassungsprinzipien als Rechtsergänzungsquellen

26

1. Rechtsprinzip u n d herkömmliche Rechtsquellenlehre

27

2. Rechtsprinzip u n d verfassungsrechtlicher Positivierungsakt: a) Unmittelbarkeit der Rechtsgeltung, b) Geltung i m Privatrechtsbereich. Abgrenzung zum Drittwirkungsproblem. c) Verfassungsprinzip u n d Verfassungsvorrang

30

3. Inhaltliche Unbestimmtheit des Prinzips. Z u m Verhältnis v o n funktioneller u n d substantieller Unmittelbarkeit der Rechtsgeltung 36 4. Begriff der Rechtsergänzungsquellen

41

5. Ergebnis

41

Zweiter Abschnitt Verfassungsprinzip und Gesetzesnorm im System der allgemeinen Rechtsanwendunglehre. Stufen verfassungskonformer Rechtsanwendung § 4. Verfassungsprinzip u n d Gesetzesauslegung

43

I. Begriff u n d F u n k t i o n verfassungskonformer Gesetzesauslegung 1. Verfassungskonforme Auslegung Prinzip (Normerhaltungstheorie)

als

gesetzeserhaltendes

43 44

nsverzeichnis 2. Verfassungskonforme Auslegung als verfassungsentfaltendes Prinzip (rechtshierarchische Theorie)

45

I I . Verfassungsprinzip, verfassungskonforme Auslegung u n d h e r kömmliche Auslegungsmethoden 1. Verfassungskonformität als Auslegungsnorm des positiven Verfassungsrechts 2. Prinzipienverwertung, subjektive u n d objektive Auslegungstheorien: a) Vermittlungstendenzen der modernen A u s legungslehre. b) Z u r Problemabgrenzung. Verfassungsprinzipien als legislative Grundsatzwertungen. Verfassungskonforme Auslegung als Rechtsquellenkombination 3. Verfassungskonformität u n d Einheit der Rechtsordung: a) Interpretation als Integration, b) Reichweite des Integrationsgedankens. c) Folgerungen. I n h a l t des Einheitspostulats. Verfassungsprinzip u n d „offenes" Rechtssystem

52

4. Rechtsproduktiver Charakter der V e r m i t t l u n g von Verfassungsprinzip u n d Gesetzesnorm u n d heutiges B i l d der Rechtsanwendung

63

47 47

48

5. Verfassungsprinzip u n d übliche Auslegungskriterien: a) grammatische, b) historische, c) systematische, d) teleologische A u s legungsstufe

65

6. Ergebnis

67

5. Verfassungsprinzip u n d Rechtsfortbildung

67

I. Grenzen des Konformitätsgedankens i n der vorherrschenden Meinung 1. Unstimmigkeiten i n der bisherigen Lehre u n d Praxis 2. K r i t i k u n d Problemstellung

67 67 70

I I . Verfassungsprinzip, verfassungskonforme Rechtsfortbildung u n d herkömmliche Rechtsfortbildungslehre

71

1. Vorüberlegungen zur Frage licher Grundsatzbedenken

funktionell-verfassungsrecht-

71

2. Verfassungskonforme Rechtsfortbildung u n d theoretischer Ansatz des Konformitätsgedankens: a) Normerhaltungstheorie u n d Rechtsfortbildung, b) Rechtshierarchietheorie u n d Rechtsfortbildung 73 3. Verfassungsprinzip u n d System der herkömmlichen Rechtsfortbildungsdogmatik: a) Verfassungsprinzip u n d Lückenwertungsbasis. Das Prinzip als Wertungsfaktor richterlicher Rechtsfortbildung, b) Prinzipienbezogene Rechtsfortbildung u n d Bindungskraft der gesetzlichen Wertungen. Grenzen abstrakter Vermittlungsformeln. Methodische Bedeutung des Einzelproblems 75 4. Ergebnis

83 Zweiter

Teil

Konkretisierungsprobleme 6. Notwendigkeit der Konkretisierung 1. Konkretisierung als notwendiger T e i l a k t verfassungskonformer Rechtsanwendung

85 85

nsverzeichnis 2. Grenzen der Konkretisierungsbedürftigkeit: a) Eigenbedeutung des Prinzips, b) Gesetzgeberische Vorkonkretisierungen. Sonstige Konkretisierungsformen 87 § 7. Methodenprobleme der Konkretisierung

91

I. Konkretisierung als Spezifizierung

91

I I . Wertbezogenheit u n d gedanklicher S t i l richterlicher Prinzipienkonkretion I I I . Konkretisierung, interpretatorisches fahren

u n d legislatorisches

92

Ver95

1. Prinzipienkonkretisierung u n d Gesetzesauslegung: a) P r o blemstand u n d K r i t i k , b) Bedeutung der Struktureigenart des Prinzips

96

2. Prinzipienkonkretisierung u n d legislatorisches Verfahren: a) Legislatorische Lückenfüllung? Verfassungsprinzip u n d „intra-legem-Lücke". b) Funktionsvergleich v o n gesetzgeberischer u n d richterlicher Prinzipienkonkretion. Erfordernis typisierender Regelbildung. Richterliche Konkretisierung als quasigesetzgeberisches Verfahren. Auseinandersetzung m i t Krieles Theorie der N o r m b i l d u n g 104 3. Ergebnis

112

§ 8. Fortsetzung. Orientierungshilfen (Kriterien) richterlicher Prinzipienkonkretisierung i m Einzelfall 112 I. Musterfunktion anderweit vorgeformter rungen (Verweisungskriterien)

Prinzipienkonkretisie-

113

1. Judizielle Vorkonkretisierungen (Präjudizien)

113

2. Rechtsdogmatische Konkretisierungsvorschläge

118

3. Konkretisierungsmodelle fremder Rechte

120

4. Rechtshistorische Konkretisierungsmuster

122

5. Gesetzgeberische Konkretisierungsprojekte (insbesondere Revisionspläne) 123 I I . Wertungsmaßstäbe richterlicher Prinzipienkonkretisierung (Wertungskriterien) 124 1. Verfassungsprinzip u n d Wertungen des positiven Gesamtrechtsgefüges (Konkretisierung als Integration): a) A n d e r weite Verfassungswertungen (kombinatorische Konkretisierung). b) Rückgriff auf Wertungen u n d Rechtsinstitute der einfach-gesetzlichen Rechtsordnung (gesetzeskonforme P r i n zipienkonkretion). Wertungskollisionen 124 2. Ethische

Konkretisierungsmaßstäbe

129

3. Verfassungskonkretisierung u n d allgemeine Rechtsüberzeugung 130 4. Z u r „ N a t u r der Sache" als Konkretisierungshilfe

133

5. Der Gedanke sozialeffektiver Verfassungskonkretisierung (Konkretisierung als Realisierung). Mehrdeutigkeit der Effektivitätsmaxime 138 6. Ergebnis

143

10

nsverzeichnis

§ 9. Konkretisierungsspielraum.

Konkretisierungsbefugnis

143

1. Vorhandensein eines Konkretisierungsspielraums

143

2. Notwendigkeit authentischer Konkretisierungswahl

146

3. Konkretisierung fugnis

147

als

Kompetenzproblem.

Konkretisierungsbe-

4. Ergebnis

148 Dritter

Teil

Abgrenzungsprobleme Erster Abschnitt Funktionelle

Grenzen richterlicher

Verfassungskonkretisierung

Vorbemerkung. F u n k t i o n u n d Methode i n der Rechtsanwendungslehre 149 § 10. Verfassungskonforme Rechtsanwendung u n d Gewaltenteilung

151

I. Richterfunktion u n d allgemeine Gewaltenteilungstheorie. Problemstand u n d K r i t i k 151 1. Gewaltenteilung u n d richterliche Rechtsschöpfungskompetenz 152 2. Grundsätzliche Respektierung der gesetzgeberischen Prärogativen 153 3. Versuche vermittelnder Lösungswege. K r i t i k

154

I I . Materiales Verfassungsprinzip u n d Gewaltenteilung. Voraussetzungen u n d Grenzen des Gewaltenteilungsarguments 155 1. S t r u k t u r des Gewaltenteilungsgedankens. Seine Offenheit. Materielle u n d funktionelle Gewaltenteilung 155 2. Z u m Verhältnis v o n gewaltenteilungstheoretischem methodischem Richterbild

und

157

3. Systembezogenheit u n d historische Variabilität der Gewaltenteilung 158 4. Folgerungen f ü r die Grenzen richterlicher Verfassungskonkretion. Verfassungsrechtlicher Konkretisierungsauftrag: a) Prinzipienrezeption u n d konkretisierende richterliche Regelbildung. b) Mehrdeutigkeit der Konkretisierungsbasis, c) Konkretisierungsgegenstand u n d „politische" Fragen 158 δ. Folgerungen. Normgebundenheit u n d Normorientierung Konkretisierungsakt

im

6. Ergebnis §11. Verfassungskonforme kontrollkompetenz 1. Das Problem

166 167

Rechtsanwendung u n d richterliche Normen-

168 168

2. Die Verfassungstendenz des G G zugunsten des Richters. Z u r richterlichen K o n t r o l l f u n k t i o n 169

nsverzeichnis 3. Folgerungen f ü r die verfassungskonforme Rechtsanwendung. Normenkontrollkompetenz u n d allgemeine Konkretisierungskontrollkompetenz 170 §12. Verfassungskonforme Rechtsanwendung u n d richterliche Gesetzesgebundenheit 173 1. Zusammentreffen v o n Verfassungs- u n d Gesetzesbindung 173 2. Bindungskraft prinzipien

u n d Bindungsweise mehrdeutiger

Verfassungs-

173

3. Verfassungsprinzip u n d Systematik der gesetzlichen Privatrechtsordnung 174 §13. Fortsetzung. Rangfragen i m Verhältnis v o n gesetzgeberischer u n d richterlicher Verfassungskonkretisierung 177 1. Verfassungssystematische sierung 2. Ausschluß eines

Grenzen gesetzgeberischer

richterrechtlichen

Konkreti-

Konkretisierungsmonopols

178

. . 180

3. Ansatzpunkte einer vermittelnden Lösung: a) Zusammenspiel der Konkretisierungsinstanzen. Richterliche Würdigungs- u n d K o ordinierungspflicht. b) Legislativer Konkretisierungsprimat. Funktionelle Überlegenheit der gesetzgeberischen Regelbildung. Richterliche Konkretisierungskontrolle. Auseinandersetzung m i t Essers Lehre v o m Fallrechtsprimat. Z u den Voraussetzungen des Gesetzmäßigkeitsprinzips. Rechtsvergleichendes 181 4. Folgerungen: a) Legislativprimat u n d Konkretisierungsspielraum (Subsidiarität richterlicher Prinzipienkonkretion), b) Richterliche Argumentationslast, c) Verfassungssystematik u n d Einzelfallbeurteilung 201 5. Besondere Funktionsgrenzen richterlicher Prinzipienkonkretion 205 6. Ergebnis

208

Zweiter Abschnitt Methodische

Grenzen richterlicher

Verfassungskonkretisierung

§ 14. Verfassungskonkretisierung u n d Auslegungsrahmen

209

1. Das GG als „Gesetz" i m Sinne des A r t 2 E G B G B

209

2. Konkretisierungsakt u n d Gesetzesauslegung

210

3. Verfassungskonformität i n der Stufensystematik v o n Gesetzesauslegung u n d Rechtsfortbildung 211 4. Verfassungskonforme Auslegung „ i m weiteren Sinne"?

215

§ 15. Verfassungskonkretisierung u n d Rechtsfortbildungsrahmen

216

I. Grenzen verfassungskonformer Sperrnormen

Lückenergänzung.

Legislative

216

1. Verfassungsprinzip u n d Grenzen des Lückenbegriffs. Problem a t i k der Grenzbestimmung 216 2. Lückenbegriff u n d Richtersubsidiarität

217

nsverzeichnis

12

3. Verfassungsprinzip, Sperrnorm

Ausnahmeregelung

und

I I . Grenzen verfassungskonformer Gesetzesrestriktion. sungskonformität u n d contra-legem-Doktrin

legislative Verfas-

1. Richtereingriff i n Negativnormen 2. Verfassungsprinzip, Problem

217 219 219

Gesetzesrestriktion u n d

contra-legem-

221

3. Z u r Nomenklatur. Begriff des „immanenten Rechtswiderspruchs" (Systemwiderspruchs) 224 4. Modellanalyse verfassungskonformen Persönlichkeitsschutzes : a) Vorkonstitutionelle Schutzregelungen, b) Grenzen v o r konstitutioneller Konkretisierungswahl 226 5. Formalschranken verfassungskonformer

Gesetzesrestriktion 230

Ergebnisse

235

Literaturverzeichnis

239

Namenverzeichnis

259

Sachverzeichnis

262

Abkürzungsverzeichnis a.A.

anderer Ansicht bzw. a m A n l a n g

aaO

a m angeführten Ort

ABGB

Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch

Abs

Absatz

AcP

Archiv f ü r zivilistische Praxis

a.E.

a m Ende

a.F.

alte Fassung bzw. alte Folge

a.M.

anderer Meinung

Anh.

Anhang

Anm

Anmerkung

AöH

Archiv des öfentlichen Rechts

AP

Arbeitsrechtliche Praxis

aPR

allgemeines Persönlichkeitsrecht

ARSP

Archiv f ü r Rechts- u n d Sozialphilosophie ( = ARWPh)

ARWPh

Archiv f ü r Rechts- u. Wirtschaftsphilosophie ( = ARSP)

ArchSozWissSozPol

Archiv f ü r Sozialwissenschaft u n d Sozialpolitik

AulL

Auflage

Ausi.

Auslegung

BAG

Bundesarbeitsgericht bzw. Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts

BayerVerwBl

Bayerische Verwaltungsblätter

BayerVGHE

Entscheidungen des bayerischen Verfassungsgerichtshofs (Band, Seite)

BB

Betriebs-Berater

Bd. betr.

Band betreffend

BFH

Bundesfinanzhof

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, Strafsachen

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, Zivilsachen

14

Abkürzungsverzeichnis

BR

Bundesrat

BT

Bundestag

BVerfG

Bundesverfassungsgericht bzw. Entscheidungen Bundesverfassungsgerichts (Band, Seite)

des

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht bzw. Entscheidungen Bundesverwaltungsgerichts (Band, Seite)

des

DRiG

Deutsches Richtergesetz

DRiZ

Deutsche Richterzeitung

DJT

Deutscher Juristentag

DJZ

Deutsche Juristenzeitung

DVB1

Deutsches Verwaltungsblatt

EG

Einführungsgesetz

EheG

Ehegesetz

Einf

Einführung

Einl

Einleitung

f. bzw. ff.

folgende

GG

Grundgesetz

GrünhZ

Grünhuts Zeitschrift, Zeitschrift f ü r P r i v a t - u n d öffentliches Recht

Grundrechte

Bettermann-Neumann-Nipperdey-Scheuner, Die G r u n d rechte (Band, Seite)

Grundrechte u n d Grundpfliditen

Nipperdey, Grundrechte u n d Grundpflichten der ReichsVerfassung (Band, Seite)

GRUR

Gewerblicher Rechtsschutz u n d Urheberrecht

GVG

Gerichtsverfassungsgesetz

h.A.

herrschende Ansicht

HdbDStR

Anschütz-Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts (Band, Seite)

HGB

Handelsgesetzbuch

h.L.

herrschende Lehre

h.M.

herrschende Meinung

i.S.d. (v.)

i m Sinne des (von)

i.V.m.

i n Verbindung m i t

JherJ

Jherings Jahrbücher f ü r die Dogmatik des Bürgerlichen Rechts

JöR

Jahrbuch f ü r öffentliches Recht. N.F. (Band, Seite)

JR

Juristische Rundschau

JurBl

Juristische Blätter

JuS

Juristische Schulung

Abkürzungsverzeichnis JW

Juristische Wochenschrift

JZ

Juristenzeitung

KUG

Gesetz betr. das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste u n d der Photographie

LitUrhG

Gesetz betr. das Urheberrecht an Werken der L i t e r a t u r u n d der Tonkunst

LM

Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des B G H

MDR

Monatsschrift f ü r Deutsches Recht

Mot.

Motive der I. Kommission zum E n t w u r f eines BGB, zit. nach Mugdan

N.

Note

Nachw.

Nachweis(e)

n.F.

Neue Fassung bzw. neue Folge

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

OR

revidiertes schweizerisches Obligationenrecht

OVG

Oberverwaltungsgericht

ÖV

Die öffentliche V e r w a l t u n g

ÖZÖR

österreichische Zeitschrift f ü r öffentliches Recht

Prot.

Protokoll der I I . Kommission zum E n t w u r f eines BGB, zit. nach Mugdan

RabelsZ

Zeitschrift f ü r ausländisches u n d internationales P r i v a t recht

Rdnr

Randnummer

RG

Reichsgericht

RG-Festgabe

Die Reichsgerichtspraxis i m deutschen Rechtsleben, Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50jährigen Bestehen des Reichsgerichts

RGSt

Entscheidungen des Reichsgerichts, Strafsachen (Band, Seite)

RGZ

Entscheidungen des Reichsgerichts, Zivilsachen (Band, Seite)

Rspr

Rechtsprechung

S.

Seite

s.

siehe

s.a.

siehe auch

SavZ

Zeitschrift der Savigny-Stiftung f ü r Rechtsgeschichte

SchlHA

Schleswig-Holsteinische Anzeigen

SchwJZ

Schweizerische Juristenzeitung

SJZ

Süddeutsche Juristenzeitung

s.o.

siehe oben

16

Abkürzungsverzeichnis

SozGer

Die Sozialgerichtsbarkeit (Jahr, Seite)

Sp.

Spalte

StGB

Strafgesetzbuch

StudGen

Studium Generale

s.u.

siehe unten

S u m m u m ius

S u m m u m ius summa iniuria, Tübinger Ringvorlesung

u.

u n d bzw. unten

Ufita

Archiv f ü r Urheber-, F i l m - , F u n k - u n d Theaterrecht

u.ö.

u n d öfter

u.U.

unter Umständen

UWG

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

1963

Verf.

Verfasser

verfg., verfk.

verfassungsgerecht,

verfassungskonform

VersR

Versicherungsrecht

WDStRL

Veröffentlichungen rechtslehrer

WarnRspr

Warneyers Rechtsprechung

WRV

Weimarer Reichsverfassung

z.B.

zum Beispiel

ZBJV

Zeitschrift des Bernischen Juristen-Vereins

ZGB

Schweizerisches Zivilgesetzbuch

ZHR

Zeitschrift f ü r das gesamte Handelsrecht u n d K o n k u r s recht

der Veinigung Deutscher

zit.

zitiert

ZStW

Zeitschrift f ü r die gesamte Staatswissenschaft

ZPO

Zivilprozeßordnung

ZPöR

GrünhZ (s. dort)

ZS

Zivilsenat

ZSR

Zeitschrift f ü r Schwedisches Recht. N.F.

z.T.

zum T e i l

zust

zustimmend

zutr.

zutreffend

ZZP

Zeitschrift f ü r Zivilprozeß

z.Zt.

zur Zeit

Staats-

Einleitung § 1. Problem und Meinungsstand. Plan der Darstellung Die juristische Methodenlehre, auf die jede Theorie des Verfassungsprinzips zurückführt, kennt zwei A r t e n von Problemstellungen Sie beschäftigt sich einmal, und das vorzugsweise, m i t Fragen rechtstheoretischer Natur, so etwa m i t Problemen des Rechtsquellenbegriffs, der Auslegungs- und Rechtsfortbildungslehre, der Analogie, der Natur der Sache, m i t der Spannung von positivem und vorpositivem Recht, m i t dem Verhältnis von Richter und Gesetz usf. Es sind dies Fragen, die zwar ständig neu, aber, m i t dem Ziel möglichst ungebrochener Entwicklungskontinuität, herkömmlicherweise weitgehend unabhängig vom jeweiligen historischen Rechtsinhalt abgehandelt werden. Eine zweite, eher kleinere Kategorie von Fragestellungen entnimmt die Methodentheorie unmittelbar der Entwicklung des jeweils geltenden historischen Rechts selbst. Z u denken ist hierbei etwa an vom Gesetzgeber statuierte Auslegungsregeln, Auslegungs- und Kommentierungsverbote oder Rechtsfortbildungsaufträge, oder, allgemeiner, auch an die das Kontinentalrecht kennzeichnende Herausbildung eines modernen Kodifikationssystems, die Ausbreitung von Generalklauseln und sonstigen unbestimmten Rechtsbegriffen i n der neueren Gesetzgebungstechnik oder die fortschreitende Ethisierungstendenzen i n der modernen Rechtsentwicklung, aber auch und insbesondere an die so aktuellen Wandlungen des historischen Verfassungsrechts. Je tiefer der Einbruch der historischen Problemmasse, desto stärker auch die Herausforderung des auf Kontinuität angelegten rechtstheoretischen Methodengefüges. So kann es nicht wundernehmen, wenn nichts die Rechtsanwendungslehre mehr i n Bewegung versetzt als die Etablierung eines veränderten Verfassungssystems, das, wie die materialen Rechtsziele, so auch das Funktionsgefüge der Staatsgewalten souverän und universal neu zu bestimmen beansprucht. Das GG hat das m i t der Proklamierung allgemeinster Verfassungsprinzipien und mit dem Entwurf eines neuen Richterbildes i n betonter Weise getan. Die methodischen Spannungen, die damit ausgelöst werden, hat das GG m i t der Geste der Unbekümmertheit, die das Privileg des Verfassunggebers ist, der Rechtslehre zur Bewältigung aufgegeben. 2 Göldner

18

Einleitung

Es ist die Eigenart der Rechtsanwendungslehre, daß die Methodenspannungen i n ihrer ganzen Schärfe erst am Fall aufbrechen. Der F a l l ist für die Methodenlehre nicht nur didaktische Illustration, Dogmentest oder Beurteilungs- und Einordnungsgegenstand, sondern i h r „bewegendes Prinzip" insofern, als er ihr ihre Realthematik zuliefert, sie auf Neuland herausfordert und der heilsamen Nötigung zu konkreten Selbstfestlegungen aussetzt 1 . Das gilt auch für unseren Sachbereich des Verhältnisses von allgemeinem Verfassungsprinzip und legislativ ausgeformtem Rechtssatz. Greifen w i r einige Fälle richterlicher Inanspruchnahme allgemeiner Verfassungsprinzipien heraus: Darf der Richter das Armenrecht i m Klageerzwingungsverfahren gewähren, wenn das Gesetz es versagt 2 ? Darf er Wiedereinsetzung der armen Partei dort zubilligen, wo das Gesetz sie verweigert 3 ? Darf er der Gewerkschaft aktive Parteifähigkeit zugestehen, w o das Gesetz sie verneint 4 ? Darf er das Unehelichenrecht weiterbilden, wo sich der Gesetzgeber dem verschließt®? Darf er Persönlichkeitsschutz auch i n den Formen entwickeln, die das Gesetz nicht kennt und vielleicht auch nicht kennen w i l l 6 ? Sehen w i r uns i m folgenden den Problemkreis verfassungskonformen richterlichen Persönlichkeitsschutzes näher an und behalten w i r dabei die Rechtsprechung zur Gewährung von Schmerzensgeld entgegen dem Recht des BGB, das wohl provozierendste Beispiel richterlicher Rechtsbildungsaktivität nach dem Zweiten Weltkrieg, als Modellproblem besonders i m Auge. Diese Rechtsprechung, i n der das Spannungsverhältnis von Verfassungsprinzip und Rechtssatz seine vielleicht schärfste Zuspitzung findet, ist zu bekannt und i n ihrem Sachproblem auch zu oft erörtert, als daß sie hier i m einzelnen ausgebreitet werden sollte 7 . 1 E i n v o m Fallmaterial losgelöstes, i h m gegenüber präexistentes Methodengefüge wäre n u r ein abstraktes Gedankenspiel, d e m die Rechtsrealität entzogen würde. Es ist deshalb mehr als die vorsichtige Scheu vor verfrühter Dogmenbildung u n d auch nicht n u r das Interesse an Präzision u n d Anschaulichkeit, w e n n die paradigmatische Methode i n der Rechtsanwendungslehre i m m e r deutlichere Gefolgschaft findet. Vgl. etwa Larenz, Methodenlehre (1960); Ekkehart Stein, Staatsrecht (1968). 2 BVerf G 2,336 ff. s B V e r f G 22,83 ff. 4 B G H Z 42,210 ff.; 50,325 ff. fi BVerfG 8,210 ff.; B V e r f G N J W 6 9 , 5 9 7 f f . β B G H Z 26, 349 ff.; 35, 363 ff. 7 Vgl. A n m 6 . A u f f a l l e n d ist übrigens, w i e spät sich der BGH, gemessen an seiner jetzt so betonten Berufung auf das GG, zu seinem Meinungswechsel entschlossen hat. Noch i m Jahre 1956 hatte der I.Sen. die Ausdehn u n g der Geldentschädigung über den §253 hinaus m i t einem knappen Hinweis auf die Gesetzeslage abgelehnt (BGHZ 20, 352/3), also derselbe Senat, der 1958 die Schmerzensgeldverweigerung als unerträgliche „ M i ß -

§ 1. Problem und Meinungsstand

19

I h r methodisch interessierender Punkt ist, daß der Bundesgerichtshof, unbeirrt von aller K r i t i k , sein Verfassungsengagement m i t der These zu rechtfertigen sucht, daß das allgemeine Verfassungsprinzip des Persönlichkeitsschutzes die entgegenstehende Detailregelung des BGB (§ 253) verdränge. I n der methodischen Würdigung dieser Judikatur sind Anhänger wie K r i t i k e r bis jetzt spürbar unsicher geblieben: Handelt es sich hier etwa u m die schlichte „Anwendung" des späteren und höherrangigen „Gesetzes" (nämlich des GG) 8 , u m verfassungsorientierte Gesetzesauslegung (also des BGB) 9 , oder ist die neue Rechtsprechung i n Wahrheit durch (wie immer zu bewertende) rechtspolitische Erwägungen motiviert 1 0 — und dabei vielleicht sogar ein Ausdruck „materialistischer" Zeitströmung 1 1 —, ein Produkt „unvorsichtiger Tatkraft" 1 2 , richterrechtlicher „Usurpation" 1 3 ? So richtig es ist, daß Methodenfragen durch den F a l l aufgeworfen werden, so richtig ist es auch, daß ihre Beantwortung über den (sich vielleicht legislativ erledigenden) 14 einzelnen Fall hinausführt Was der Methodologe dem Rechtsanwender i m einen Falle zugesteht, kann er i h m i m anderen Falle nicht versagen, und umgekehrt. Die Fallmaxime w i r d zur Generalnorm; das Methodenbeispiel produziert Methodenregeln. Wie das Methodenbeispiel verlangt dabei auch das Methodensystem sein Recht. Das hochgreifende Pathos richterlicher Verfassungstreue, das, mit besonderer emotionaler Steigerung etwa i m vielerörterten Herrenreiterurteil 1 6 , solche judizielle Prinzipienwertung n u r zu gern begleitet, darf dabei nicht von den Schwierigkeiten der Methodeneinordnung ablenken, die jeder unmittelbare Rückgriff auf allgemeine, achtung" der Persönlichkeit verwerfen sollte (BGHZ 26,356). — I m Ergebnis übereinstimmend dann e t w a B G H Z 39,124 ff.; L M §23 K U G Nr. 5; N J W 6 2 , 1004; 66, 1215 u. ö. — Zusammenfassend Hartmann N J W 62, 12; 64,793; Wiese 37 f.; Larenz, Schuldrecht I I § 6 6 I c . β So Rötelmann N J W 64,1458 m i t A n m 9. Ä h n l i c h anscheinend Wiese 43 m i t dem Gedanken einer i m m i t t e l b a r e n Abänderung des B G B durch das GG. • Dazu eingehend Hartmann N J W 64,793 ff. I n dieser Richtung Larenz, Methodenlehre 318/19. h So Ekkehard Kaufmann A c P 162 (1963), 421 (438 f.). 12 Vgl. Esser i n : S u m m u m ius 25. 13 Hierzu Bötticher M D R 63,353 (356 lks. oben). u F ü r das Modellproblem sind die bisherigen Versuche zur Novellierung des B G B i n Ansätzen steckengeblieben. Der i n der 3. Wahlperiode eingebrachte E n t w u r f (BT-Drucksache III/1237 = BR-Drucksache 217/59) ist, unter dem Eindruck der öffentlichen K r i t i k , i m folgenden fallengelassen worden. Z u m E n t w u r f s. die Gutachten v o n Schüle u n d H. Huber, Tübingen 1961; zur rechtspolitischen Diskussion vgl. etwa den Beschluß des 42.DJT (1957) I . A b t . D 155 sowie die Verh. des 45.DJT (1966) Bd. I I C 7 f f . , 31 ff. (Bötticher, Krüger-Nieland) u n d dazu das Gutachten v o n S t o l l ( B a n d i , T e i l 1,1964). — S.a. J.-P.Müller, Grundrechte 19ff. is Vgl. etwa die Wendungen B G H Z 26,354,356.



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Einleitung

moralgeprägte, „rechtsethische" Prinzipien, zumal i n gesetzlich geregelten Problembereichen, m i t sich bringt; Methodenfragen, die durch die Verfassungsrezeption des Prinzips nicht etwa gelöst, sondern nur aktualisiert werden: Wie ist das Verfassungsprinzip — so läßt sich fragen — i n das herkömmliche Rechtsquellen-, Auslegungs- und Rechtsfortbildungssystem einzuordnen, wie ist es i n zugleich konkreter und zuverlässiger Weise inhaltlich auszuformen, wie sind dabei richterliche und gesetzgeberische Befugnisse gegeneinander auszubalancieren? Inwieweit ist insbesondere aus einem Prinzip allgemeinster A r t eine Einzelregelung spezieller A r t zu entwickeln und auch gegenüber beschränkenden privatrechtlichen Gesetzesnormen zur Geltung zu bringen? Offenbar ist damit i n erster Linie der Geltungsanspruch der rechtssatzförmigen Legalordnung berührt. Die Warnung, das „Recht" nicht gegen das „Gesetz" auszuspielen 16 , sollte gerade für die so stark werthierarchisch angelegte Prinzipienjudikatur nicht zu leicht genommen werden. Die Aufgabe, Verfassungsentfaltung einerseits und Rechtssatzsystematik andererseits aufeinander abzustimmen, ist, zumal für das Verhältnis von Verfassungsprinzip und Privatrecht, noch kaum bewältigt. Sie betrifft, obwohl der herkömmlichen Gebietseinteilung nach ein sogenanntes „Grenzproblem", Verfassungs- und Privatrecht, wie zu zeigen, i n Wahrheit gleichermaßen in ihren grundsätzlichen Weichenstellungen 17 . Der Beitrag der Zivilrechtsdiskussion, der Ehmke 18 die Führung^· rolle i n der Interpretationstheorie zugeschrieben hat, liegt, trotz mancher bedeutsamer Hinweise 1 9 , zu der Frage noch nicht abgeschlossen vor. Ganz allgemein kann Esser i n seiner Untersuchung zum Verhältnis von „Grundsatz und Norm" m i t Boulanger 20 feststellen, daß eine Lehre von den Rechtsprinzipien noch nicht entwickelt sei 21 . Essers eigene, für das Zivilrecht so anregende A r b e i t 2 2 hat zwar auch i n der neueren Verfassungslehre verbreitete Beachtung gefunden 23 . ie Vgl. Forsthoff, Die B i n d u n g an Gesetz u n d Redit, Ö V 59, 41 (42lks.); Festschr. f ü r C. Schmitt (1959) 35 ff. u. ö. Dies deshalb, w e i l die allgemeinen Verfassungsprinzipien der Sache nach nicht spezifisches Verfassungsrecht, sondern allgemeine Grundlagen der Rechtsordnung betreffen. Dazu unten § 3. is W D S t R L 20 (1963) 54. Vgl. auch Larenz, Einleitung S. V. 19 Vgl. z.B. Wieacker, Gesetz u. Richterkunst 12; Larenz 122 A n n i 1,277f.; Meier-Hayoz, B e r n K o m m A r t i Ν.206,303; Larenz, Kennzeichen4 A n m 9 . 2 ® Études sur le rôle d u juge etc., Trav.Ass.Capitant V (1951), 61 (6β). 21 „ L a théorie des principes juridiques n'a pas encore été enterprise"; Esser aaO 13. «a Dazu etwa Wieacker J Z 57,701. 23 Vgl. etwa Ehmke, W D S t R L 20 (1963), 53 ff.; v.Pestalozza, Der Staat 2 (1963), 425 (429 f.).

§ 1. Problem und Meinungsstand

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Doch steht eine vergleichbare Untersuchung für den (von Esser nur gestreiften) 24 Sonderbereich von Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm nach wie vor aus, wie überhaupt die verfassungsrechtliche Methodendiskussion — übrigens eher auf die Grundrechtstheorie konzentriert — noch einige selbstbeklagte Problemrückstände aufzuarbeiten hat 2 5 . Bei diesem Problemstand w i r d der Versuch einer Theorie des Verfassungsprinzips i m wesentlichen auf das (literarisch freilich kaum mehr ausschöpfbare) Reservoir der allgemeinen Verfassungs- und Rechtsanwendungstheorie zurückzugreifen haben, u m deren System auf Standort und Funktion des Verfassungsprinzips i n ihm durchzumustern 26 . Das soll hier allerdings nicht i n seiner ganzen Breite unternommen werden. So würden eine rechtshistorische, rechtsphilosophische oder rechtssoziologische Prinzipientheorie, so dringlich wünschbar sie sein mögen, je eine eigene — weitgespannte — Untersuchung fordern, wofür es auf weite Strecken an geeigneten Vorarbeiten immer noch fehlt 2 7 . Die folgende Darstellung beschränkt sich deshalb darauf, bei der (methodisch doch wohl vorrangigen und auch abtrennbaren) rechtsnormativ-kritischen Frage nach den Voraussetzungen, Formen und Grenzen richterlicher Prinzipienwertung i m geltenden Recht anzusetzen. Für den Gang der Untersuchung zeichnen sich damit drei Hauptfragenkreise ab: Einmal die Bestimmung der Einordnungsgrundlage des Verfassungsprinzips i m System des geltenden Rechts (dazu unten Teil I, §§ 2—5), sodann die Frage der Prinzipienkonkretion für den Einzelfall (darüber Teil I I , unten §§ 6—9) sowie endlich das Problem des Verhältnisses von richterlicher und gesetzgeberischer Prinzipienaktivität (dazu Teil I I I , unten §§ 10—15). Eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse schließt sich an. " aaO 69 ff. «s Kriéle (S. 37) geht sogar so weit, der verfassungsrechtlichen Methodendiskussion Töne der Resignation, des Unbehagens u n d der Hilflosigkeit gegenüber dem allzu fernen Z i e l der O b j e k t i v i t ä t zu attestieren. — Angem e r k t sei schon hier, daß die ausgiebig erörterte sog. Drittwirkungsproblem a t i k eine besondere inhaltliche Seite der Verfassungsanwendimg, nicht dagegen das Grundsatzproblem v o n Verfassungsprinzip u n d Rechtssatz bet r i f f t . Vgl. hierzu i m übrigen unten §3,2. 26 Wie es übrigens auch, i m deutschen Schrifttum noch w e n i g ausgewertet, i n der schweizerischen Methodenlehre i m Anschluß an A r t 1 Z G B i n überreicher Fülle entwickelt ist. Vgl. vorläufig die Literaturübersicht bei MeierHayoz B e r n K o m m A r t 1 N. 15 sowie bei Merz A c P 163,305 N. 1. 27 Das unausgewogene Verhältnis zwischen einem Überangebot methodischer Allgemeindiskussion u n d einem empfindlichen Mangel an Einzeluntersuchungen ist eine der Hauptbelastungen der heutigen Rechtsanwendungslehre.

Erster

Teil

Einordnungsprobleme Erster

Abschnitt

„Rechtsethische" (materiale) Verfassungsprinzipien. Begriff und Rechtequellenfrage § 2. Zum Begriff des sog. „rechtsethischen" (materialen) Verfassungsprinzips Das GG hat — teils unmittelbar, teils mittelbar — eine Reihe allgemeiner, „rechtsethischer" Prinzipien auch m i t der Autorität und dem Pathos verfassungsgesetzlicher Grundentscheidungen anerkannt, so etwa — u m nur einige privatrechtlich besonders bedeutsame Beispiele herauszugreifen — den Gleichheitsgedanken (Art 3), das Prinzip des Ehe- und Familienschutzes (Art 6), die Garantie des privaten Eigentums (Art 14), insbesondere aber auch das Prinzip des Persönlichkeitsschutzes, wie es den Bestimmungen des A r t 1, 2 sowie den übrigen Grundrechtsnormen und i n einem weiteren Sinne auch der Gesamtverfassung zugrundeliegt 1 . 1. Der — hier bisher vorausgesetzte — Begriff des „rechtsethischen" Prinzips hat sich i m neueren Methodenschrifttum bereits weitgehend durchgesetzt?. Man meint damit Prinzipien, die ethischen oder naturrechtlichen Postulaten (wie Personwürde, Freiheit, Gleichheit usw.) entstammen oder doch entsprechen 3 , durch ihre allgemeine Anerkennung i n der Rechtsgemeinschaft jedoch den Charakter spezifischer Rechtsprinzipien angenommen haben 4 und deshalb zu „richtunggeben1 Hierzu vorläufig Maunz-Dürig-Herzog A r t i R d n r 4 ; Enn.-Nipp. §10112. « D a z u etwa Larenz, Methoden!255f.,314ff. sowie — m i t zahlreichen Beispielen — i n N J W 65,1 (7 f.); Arth. Kauf mann J Z 63,137 (144), Analogie u n d „ N a t u r der Sache" 9. * Dazu aus der Theorie der „allgemeinen Rechtsgrundsätze" noch H. Huber, Grundsätze 9; Esser 74; Coing, Grundsätze 54ff.; Liver, Rechtsquelle 26 ff.; Marti, Naturrecht u n d Veriassungsrecht 74 ff., 77 ff.; Kägi ZSR 75 (1956), 830 a ff.; Bäumlin 30; Baumgarten 74 ff.; Germann, Probleme u n d Methoden 155 ff. Anders aber Ehrlich, J u r L o g i k 234 ff.; Kelsen W D S t R L 5 (1929), 68. * Vgl. Liver, Rechtsquelle 26; Larenz, Nikisch-Festschrift 301.

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Erster Teil: Einordnungsprobleme

den Maßstäben rechtlicher Normgebung" werden 5 , gleichviel ob über ihre rechtstheoretischen Voraussetzungen Einigung zu erzielen ist oder nicht 6 . Allerdings sind solche Prinzipien, obwohl nicht mehr lediglich ethische oder sonstige Postulate, doch noch nicht zu selbständigen, womöglich der Subsumtion unmittelbar zugänglichen echten Rechtssätzen ausgeformt, durch die ein typischer Lebenstatbestand m i t einer bestimmten Rechtsfolge verknüpft w i r d 7 . H. Huber hat die allgemeinen Rechtsprinzipien deshalb auch „Halbwegskonkretisierungen der Gerechtigkeit" genannt?. Diese „rechtsethischen" Prinzipien, etwas unschärfer auch „allgemeine Rechtsgrundsätze" genannt 9 , berühren sich, i m Unterschied zu den sog. „rechtstechnischen" Prinzipien — wie sie insbesondere das Privatrecht kennt 1 0 — eng m i t dem — wenig randscharfen — Begriff des „Wertes" (nebst entsprechenden Wortverbindungen wie „Rechtswert", „Wertordnimg", „Wertsystem", „Werthierarchie" etc), den die Rechtsprechung vorwiegend verwendet 1 1 . Dabei ist das rechtsethische Prinzip i n dem Sinne wertbezogen, daß i n i h m der „Wert" eine erste, wenn auch noch nicht rechtssatzförmige Ausprägung für die Rechtsanwendung gewinnt 1 2 . So entspricht z. B. dem „Rechtswert" der β So Larenz 314; ähnlich H. Huber, Ungesdir.Verfassungsrecht 108,112 bei A n m . 3. β Skeptisch dazu Liver a a 0 29 unter Hinweis auf den weltanschaulichen Aspekt der Frage. t So m i t Recht H . J. Wolff , Jellinek-Gedäditnisschrift 43; ähnlich f ü r die Grundrechtsnormen ff. Huber ZSR 55 (1936), 142 a. Vgl. a u d i Raiser , G r u n d gesetz Β 1 9 ; Germann, Probleme u. Methoden 156 f. Terminologisch abweichend aber Wertenbruch 162 f., der den A r t 1 als „Rechtssatz" bezeichnen w i l l ; vgl. auch Lerche 316. Etwas anders a u d i Maihof er, B i n d u n g des Richters 21 f.; dazu n o d i unten §3,4. 8 Grundsätze der Auslegung 9; über die rechtsethischen Prinzipien als „Konkretisierungen der Rechtsidee" auch Larenz 314. 9 Vgl. Liver aaO; H.J.Wolff aaO; Erik Wolf, Die N a t u r der allgemeinen Rechtsgrundsätze; Simonius ZSR 71 (1952) 237 ff. Vgl. hierzu auch die Differenzierung i n der Nomenklatur bei Larenz, Nikisch-Festschrift 300f.; zur Terminologie s. auch Meier -Hay oz B e r n K o m m A r t . 1 N. 405 ff. sowie jetzt noch Larenz, Methodenlehre, 2. A u f l 1969, S. 466 m i t A n m 1. 10 So ζ. B. i m Sachenrecht des B G B das Publizitätsprinzip, das Traditionsprinzip usw. Z u diesen u n d weit. Beisp. Larenz 255 A n m 2; vgl. auch Simonius aaO 243 f. " So auch i n unserem Testbeispiel; kennzeichnend die D i k t i o n des I.ZS. B G H Z 26,349; L M Nr. 5 zu § 23 K U G ; ähnlich auch der IV.ZS, B G H Z 35,363. Über die — die heutige Verfassungstheorie nahezu absolut beherrschende — werttheoretische Betrachtungsweise grundlegend Smend (Verfassung u n d Verfassungsrecht 1928, 163 ff.) sowie Dürig, Nawiasky-Festschrift 157 f l ; Zippelius 103ff. Kritisch hierzu Forsthoff, C.Schmitt-Festschrift 35ff. sowie zu den rechtsphilosophischen Prämissen Weischedel 21 f.; Zippelius, Wesen des Rechts 90ff. — S.a. noch v.Pestalozza 436f. Aus der Rspr. charakteristisch bes. B V e r f G 7,198 ff. (205). Weitergehend, m. E. zu weitgehend, Canaris S. 124 m i t der Formulierung, daß das „ P r i n z i p " — i m Gegensatz z u m „ W e r t " — bereits die f ü r den

§ 2. Begriff des „rechtsethischen" Verfassungsprinzips

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menschlichen Persönlichkeit die — i m GG selbst vollzogene — Verdichtung zum „rechtsethischen" Prinzip umfassenden Persönlichkeitsschutzes (Art 1 Satz 1 u. 2) 13 . 2. Die verfassungsrechtliche Rezeption derartiger Prinzipien betrifft i n erster Linie, wie schon ein erster Blick auf die A r t 1 ff. zeigt, Rechtsgedanken allgemeinster A r t . Die Frage, wie solche verfassungsrechtlich rezipierten Prinzipien terminologisch zu erfassen sind, hat bislang noch keine einheitliche Beantwortung gefunden 14 . Man kann sie, freilich etwas unspezifisch, zum „ungeschriebenen" Verfassungsrecht rechnen 15 , soweit man dabei (im Sinne von H. J. Wolff) 1* an das von der Aufzeichnung unabhängige Verfassungsrecht denkt. Ä h n lich, allerdings ohne eindeutige Abgrenzung zum „echten" Verfassungsrechtssatz, wollen manche von „Grundsatznormen" des GG sprechen 17 . A u f die Strukturform der hier interessierenden allgemeinen Rechtsgedanken weisen demgegenüber bereits Begriffe wie die der „verfassungsrechtlichen Leitgrundsätze" 18 , der „elementaren Verfassungsgrundsätze" 19 oder der „tragenden Konstitutionsprinzipien" 2 0 hin. Genauer, weil unter Abhebung gegen die organisatorischen Verfassungsprinzipien, läßt sich vielleicht kurz von „materialen" oder (wenngleich etwas umständlich) eben von „rechtsethischen" Verfassungsprinzipien sprechen 21 . N u r von dieser A r t von Verfassungsprinzipien (im Gegensatz zu den Organisationsprinzipien) soll, auch wo nicht eigens hervorgehoben, i m folgenden die Rede sein. Rechtssatz charakteristische Zweiteilung i n tatbestandliche Voraussetzimg u n d Rechtsfolge aufweise. Canaris selbst w i l l denn a u d i die Rspr. zum aPR — anders als der T e x t — unter dem Gesichtspunkt des „Rechtswertes" würdigen (S. 125). 13 Z u dieser Ausgangsbasis Larenz 317ff.; H.Kaufmann JuS 63, 382f. 14 Vgl. dazu besonders vMK 86 ff.; Lerche, Übermaß 62 ff. is H.J.Wolff aaO 34/35 m i t A n m l 3 ; vgl. auch H. Huber, Ungeschr. V e r fassungsrecht 95 ff., 103 ff., 108 ff. — Der Begriff ist freilich vieldeutig; s. d. Verh. der Dt.Staatsrechtslehrer H e f t 10 (1952), u.a. m i t Beiträgen von E.V.Hippel 16f.; Voigt 34, 40; v.d.Heydte 53 sowie v o n W.Jellinek 67ff. ie aaO 42/43. " S o vMK87f.; Maunz-Dürig-Herzog A r t i Rdnr99; Nipperdey, Grundrechte I V 2, 744 f.; ähnlich B V e r f G 6, 55 (76); 9, 237 (248). K r i t i s c h dazu Lerche 62 ff. 18 So Scheuner, Die Auslegung verfassungsrechtlicher Leitgrundsätze (1952) sowie i n : Recht-Staat-Wirtschaft I V , S. 88 ff. (95); vgl. auch den Begriff der „Leitideen" der Verfassung i n der Entscheidung B V e r f G 2, 380 (403). 19 vMK 147. Vgl. a u d i den Begriff der „fundamentalen Rechtsprinzipien" (BVerfG 23,99 [106]); ein Begriff, i n dem allerdings die Verfassungsrezeption keinen Ausdruck findet. *o Wintrich, Laforet-Festschrift 232, 235 u n d (zu A r t i Abs 1) i n Bayer VerwB157,137; ähnlich Maunz-Dürig-Herzog A r t i Rdnrl4. 2i „Rechtsethische" Prinzipien u n d „Verfassungsprinzipien" verhalten sich also, büdlich gesprochen, w i e zwei sich schneidende Kreise. E i n Beispiel f ü r praeterkonstitutionelle „rechtsethische" Prinzipien i n §242; f ü r organisato-

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Erster Teil: Einordnungsprobleme § 3. Verfassungsprinzip und System des geltenden Rechts. Verfassungsprinzipien als Rechtsergänzungsquellen

Der Rechtstheorie ist bereits seit langem die Einsicht vertraut, daß jede Aussage über die Methode der Anwendung des Rechts die Vorklärung über deren Gegenstand und Ziel, eben das Recht, zur Voraussetzung hat 1 . Man kann deshalb auch das Verfassungsprinzip rechtsanwendungsdogmatisch nicht einordnen, ohne zuvor Klarheit über seinen Standort i m Gesamtgefüge aktuellen Rechts — und i n diesem Sinne: i m System normativer Rechtsquellen — erzielt zu haben. Die Problemstellung setzt den (erklärtermaßen formellen) Rechtsquellenbegriff der wohl nach wie vor herrschenden normativen Rechtsquellentheorie voraus, nach der als Rechtsquellen die Erscheinungsformen unmittelbar geltenden, positiven Rechts anzusehen sind 2 . Den allgemeinen rechtstheoretischen Vorfragen des Rechtsquellenbegriffs kann und soll hier — vom engeren Gegenstand der Prinzipientheorie aus — nicht i m einzelnen nachgegangen werden 3 . Es ist zwar nicht zu verkennen, daß der Begriff der Rechtsquelle vieldeutig ist wie die i h m zugrundeliegenden Begriffselemente „Recht", „Positivität" und auch das B i l d der „Quelle" 4 . Es ist auch begriffslogisch sehr wohl möglich 5 , m i t dem Rechtsquellenbegriff statt der „Erscheinungsformen" des Rechts etwa auch seinen inneren Geltungsgrund, seinen rechtshistorischen Entstehungsgrund oder aber — w i e i n der Rechtsanwendungstheorie neuerdings aktuell geworden — den rechtssoziologischen Rechtsentstehungsakt, d. h. das „fait social", den „intentionalen Rechtsschöpfungsakt", zu erfassen 8. Doch lassen sich diese — i n sich je berechtigten — auseinanderstrebenden Perspektiven nicht i n einem einheitlichen Rechtsquellenbegriff zusammenfassen. Die rische Verfassungsprinzipien i n A r t 20 (bundesstaatliches Prinzip, Gewaltenteilungsprinzip usw.). Daß organisatorische Normen u n d rechtsethische G r u n d satzentscheidungen letzten Endes doch wieder zusammenhängen können, w i r d dadurch natürlich nicht ausgeschlossen; vgl. H. Huber Grundsätze S. 10 A n m 2 ; P.Schneider W D S t R L 2 0 (1963) 31 sowie unten §13. ι Grundlegend dazu bereits Merkl G r ü n h Z 42 (1916) 535 ff. (536); vgl. neuerdings etwa noch Jesch J Z 63,241 ff. (242 r). « Dazu etwa Dahm 34ff. (mit Meinungsübersicht); Lehmann, AllgTeil (16.Aufl.) 12f. Vgl. auch Liver, Begriff der Rechtsquelle I f f . (mit Lit.); Baring JurJb 6 (1965/66) 27 ff. (31 ff.). » Vgl. dazu die Nachw. der Voranm. sowie, insbesondere zur dogmengeschichtlichen Entwicklung, Ross, Theorie der Rechtsquellen 291 ff. u. passim. 4 Darüber eingehend Liver aaO 1 ff. Vgl. a u d i die Diskussion zum Positivitätsbegriff (C.Schmitt, HdDStR I I 597ff.; H.J.Wolff Jellinek-Gedächtnisschrift 34; Esser 701, 132 ff.; Arth. Kauf mann, Analogie u n d „ N a t u r der Sache" 8). β Vgl. Dahm aaO; Liver aaO. β Z u m letzteren namentlich Esser, Grundsatz u. N o r m 132 ff. (137).

§ 3. Verfassungsprinzip und System des geltenden Rechts

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zweckgerechte Auswahl einer dieser Perspektiven ist also unvermeidlich. Es sei dazu auf die Lehre Livers 7 verwiesen. Liver 8 hat den Nachweis erbracht, daß die von der h. M. abweichenden Rechtsquellentheorien letztlich rechtsphilosophischen, rechtshistorischen oder rechtssoziologischen Fragestellungen entspringen; Fragestellungen, die für die Dogmatik des geltenden Rechts zwar nicht auszuklammern sind, hier aber zugunsten des juristischen Geltungsproblems zurücktreten müssen, wie dies die normative Rechtsquellenlehre richtig sieht 9 . Auch dürfte dieses normative Rechtsquellenverständnis, wie hinzuzufügen, für die Theorie der Rechtsprinzipien gegenüber einem primär rechtssoziologischen Denkansatz deshalb den Vorzug verdienen, w e i l es über die bloße Beschreibung, Analyse und Systematisierung des Rechtsbildungsprozesses hinaus 1 0 auf diejenigen inhaltlichen Urteilsgrundlagen verweist, die erst dem Rechtspraktiker die Ausformung neuartiger Prinpizienanwendungen und dem Rechtsdogmatiker deren kritische Würdigung gedanklich möglich machen. 1. Die generelle Frage, inwieweit überhaupt allgemeine Rechtsprinzipien (die dabei vielfach unter der Flagge „allgemeiner Rechtsgrundsätze" segeln) als normative Rechtsquellen i m bezeichneten Sinne zu verstehen sind, findet i n der neueren Rechtstheorie zunehmende Aufmerksamkeit. Das rechtstheoretisch hier w i e sonst bewußt Zurückhaltung übende BGB n i m m t zu der Frage nicht unmittelbar Stellung. A r t 2 EGBGB bestimmt, daß „Gesetz" i m Sinne des BGB (und des EGBGB) „jede Rechtsnorm" sei 11 . Mittelbar deutet die Vorschrift damit jedoch auf das traditionelle Rechtsquellenverständnis hin, nach dem nur Rechtsnormen — i n der Hauptsache also Gesetz und Gewohnheitsrecht — als Erscheinungsformen unmittelbar geltenden Rechts anzuerkennen sind 1 8 . I m übrigen verwendet das BGB — i m Unterschied etwa zum A B G B (§ 7) — den Begriff des „Rechtsgrundsatzes" oder vergleichbare Kategorien nicht, wenngleich der Sache nach allgemeine Rechtsgedanken dieser A r t , an erster Stelle das Prinzip von „Treu und Glauben", unmittelbar oder i n ihren konkretisierenden Ausprägungen sehr wohl Eingang i n das BGB gefunden haben. 7 Begriff der Rechtsquelle 8 ff., 10 f. β aaO. • Liver aaO. 10 Die methodisch i n erster L i n i e n u r rechtstheoretischer Nachvollzug der judiziellen Normentwicklung sind. Vgl. dazu etwa die Formulierungen bei Esser 138 f., 303 oben. " Vgl. a u d i die Parallelnormen der §§7 EGStPO; 12 EGZPO; 2 Abs 1 AO. i« Darüber statt aller zusammenfassend H . J. Wolff , Jellinek-Gedächtnisschrift 33 f. m i t weit.Nachw.

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Erster Teil: Einordnungsprobleme

Die Rechtstheorie ist jedoch bereits auf bestem Wege, sich von jener vorausgesetzten Gleichung: Rechtsquelle = Rechtsnorm zu lösen. Das dem BGB so deutlich zugrundeliegende kodifikatorisdie Denken ist in der Folgezeit nicht ungebrochen geblieben. Gerade die Steigerung des Kodifikationsgedankens i m ausgehenden 19. Jahrhundert mußte i n der rechtstheoretischen Reaktion die Frage nach den immanenten Grenzen möglicher legislativer Normbildung aufkommen lassen; deshalb auch das Einsetzen der modernen Methodenkritik etwa mit dem Höhepunkt der Kodifikationsbewegimg 13 . Seither hat die Rechtsanwendungslehre den Blick für die i m Grunde so einfache Erkenntnis freigelegt, daß es die vermeintliche „logische Geschlossenheit" der gesetzlichen Rechtsordnung — wie sie dem Kodifikationsideal entsprechen würde — nicht geben kann und daß deshalb die ausschließliche Gesetzesgebundenheit des Richters, auch i n den kodifizierten Rechtsbereichen, allenfalls ein „unerfüllbares Programm" ist 1 4 . Eine solche Ausschließlichkeit der Gesetzesbindung — i n der geltenden Rechtsverfassung noch nachdrücklich verkündet (§§ 1 GVG, 25 DRiG) — mag zwar geeignet sein, den Prozeß richterlicher Urteilsbildung gegen sachfremde äußere Einflüsse (durch andere Staatsorgane, gesellschaftliche Gruppierungen, Prozeßbeteiligte usw.) abzuschirmen 15 . Aber sie h i l f t dem Richter dort nicht weiter, wo die Legalordnung nicht die inhaltlichen Bestimmungsgründe der Rechtsanwendung bereitstellt. Ein kaum weniger starker Anstoß mußte für die Rechtsquellentheorie von der — auch i n A r t 20 Abs 3 1 6 bekundeten — Abkehr von einem einseitigen Gesetzespositivismus ausgehen: Nachdem die Frage „außergesetzlicher" (und das heißt auch: „übergesetzlicher") Bewertungsgrundlagen einmal ins Blickfeld gerückt w a r 1 7 , konnte auch die Forderung einer Revision der überkommenen Rechtsquellendogmatik nicht mehr ausbleiben 18 . 19 Richtungweisend Bülow, Gesetz u. Richteramt (1885) sowie G.Rümelin, Werturteile u. Willensentscheidungen i m Zivilrecht (1895); zur Gegenposition — unter Berufung auf die „logische Expansionskraft des Gesetzes" — etwa K. Bergbohm (1892) 375 ff. 14 Vgl. die Formulierung bei Bockelmann, Smend-Festschrift 23. Z u m heutigen B i l d der Rechtsanwendung Larenz 273 ff.; Esser, Grundsatz u. N o r m 253 ff. u. ö.; Wieacker, Gesetz u. Richterkunst 5 f f . ; Bachof, H. Huber-Festschrift 27 ff. w Dazu Bettermann, Grundrechte I I I 2,525 ff. sowie i n : AöR 92 (1967) 496 ff. (519ff.); Menger, Moderner Staat 27f.; Zweigert, F.-v.-Hippel-Festschr. 711 ff. (715 ff.). 16 I m Gegensatz zu der engeren Fassung des A r t 97 A b s l ; vgl. vorläufig Schnorr AöR 85, 121 ff. (mit Problemstand). " Vgl. die Darstellung bei Larenz 128 ff. sowie Coing, Grundsätze 131 ff. S. a. Wieacker, Privatrechtsgeschichte 348 ff. is S. insbesondere Wieacker, Gesetz 15f.; dazu F.Werner J u r J b 1 (1960) 68, 77. Vgl. auch ff. J. Wolff aaO 33 ff.

§ 3. Verfassungsprinzip u n d System des geltenden R e t s I n d i e s e m Z u s a m m e n h a n g h a t m a n auch d i e R e c h t s q u e l l e n q u a l i t ä t allgemeiner Rechtsprinzipien erörtert 19. D i e Frage ist freilich bis jetzt n i c h t s w e n i g e r als a u s d i s k u t i e r t . D a b e i w i r d d i e K l ä r u n g d e r F r o n t e n auch schon d a d u r c h erschwert, daß b e i d e r R e c h t s q u e l l e n d i s k u s s i o n t e r m i n o l o g i s c h e u n d sachliche Gegensätze n i c h t i m m e r e i n d e u t i g ause i n a n d e r g e h a l t e n w e r d e n . So w i r d auch d i e R e c h t s q u a l i t ä t der P r i n z i p i e n n i c h t stets u n t e r d e m G e s i c h t s p u n k t d e r R e c h t s q u e l l e n f r a g e behandelt. Das letztere g i l t namentlich f ü r die Untersuchimg v o n Esser z u m V e r hältnis v o n „Grundsatz u n d N o r m " 2 0 . Es ist zwar das Z i e l Essers, hier die umfassende Bedeutung allgemeiner Rechtsprinzipien f ü r den Prozeß richterlicher Rechtsbildung nachzuweisen. Rechtsquellentheoretisch ist gleichwohl zu beachten, daß Esser (wie angedeutet) den Begriff der „Rechtsquelle" i n rechtssoziologisch-dynamischer Betrachtungsweise als „intentionalen Rechtsschöpfungsakt", als „ f a i t social", b e s t i m m t 2 1 . Es versteht sich, daß sich auf dieser Definitionsgrundlage die Qualifizierung eines Prinzips als „Rechtsquelle" v o n selbst verbietet: E i n Prinzip ist k e i n (wie i m m e r gearteter) „Rechtsakt", sondern — w e n n m a n so w i l l — ein (objektiver) „Rechtsgedanke", der freilich den darauf aufbauenden A k t inhaltlich als „Rechtsakt" qualifizieren kann. Wenn Esser selbst dennoch die Rechtsquellenfrage f ü r die Rechtsprinzipien b e r ü h r t 2 2 , so w o h l deshalb, w e ü er seinen eigenen — diese Fragestellung ausschließenden — Rechtsquellenbegriff erst i m weiteren Verlauf der Untersuchung entwickelt 2 3 . Rechtsquellenqualität i m normativen Sinne w i r d i m Sprachgebrauch Essers dagegen unter dem Gesichtspunkt der Zugehörigkeit des Prinzips zum positiven Recht, seiner „Positivität", behandelt 2 4 . So sehr jedoch d e r E r k e n n t n i s f o r t s c h r i t t der R e c h t s q u e l l e n l e h r e d u r c h das H a l b d u n k e l ungesicherter N o m e n k l a t u r g e h e m m t w e r d e n m a g : M a n h a t e r k a n n t , daß d i e M a x i m e : „ n u l l u m ius sine lege" j e d e n f a l l s f ü r das Z i v i l r e c h t k e i n e E x i s t e n z b e r e c h t i g u n g h a t 2 5 ; m a n g e w i n n t K l a r h e i t d a r ü b e r , daß „ p o s i t i v e s " (geltendes) Recht m e h r als d i e S u m m e d e r f ö r m l i c h e n Rechtssätze i s t 2 6 ; u n d m a n s p r i c h t b e r e i t s i» Vgl. etwa Liver , Rechtsquelle 26ff.; H.J.Wolff aaO 33f. 1956; 2. unveränderte Aufl. 1964. 21 aaO 137; s. auch oben A n m 6 . 22 So f ü r die Verfassungsprinzipien aaO 86 i n der Auseinandersetzung m i t H. J. Wolff aaO. 23 aaO 132 ff. 24 Vgl. S. 69 ff. Z u m Positivitätsbegriff s. a. die Nachweise oben A n m 4. — Außerhalb seiner Prinzipientheorie hat Esser jetzt allerdings, i m Anschluß an Liver (vgl. oben v o r 1), wieder auf den tradierten normativen Rechtsquellenbegriff zurückgegriffen (F.-v.-Hippel-Festschr. 107 A n m 44, 113 ff.). Das hat i h n sogleich zu einer neuen Einordnung des Richterspruchs i n die Rechtsquellensystematik geführt (vgl. unten §8111); doch hat Esser Folgerungen f ü r seine Prinzipienlehre daraus bis jetzt noch nicht gezogen. Wieacker JZ 61, 337 (341 r sub 3). 2« Wieacker J Z aaO sowie i n Gesetz u. Richterkunst 6 ff., 16; Esser 73 u. ö.; H. Huber, Ungeschr. Verfassungsrecht 107 ff.

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Erster Teil: Einordnungsprobleme

— für den Entwicklungsstand der Rechtsquellentheorie kennzeichnend — m i t Wieacker von einer „außergesetzlichen Rechtsordnung" 27 . Das allerdings kaum mehr i m Sinne einer unbeschwerten Rückwendung zur klassischen Naturrechtsdoktrin 2 8 . Umso naheliegender also, auf die — etwa i n der M i t t e zwischen positivem Rechtssatzbestand und abstrakten Naturrechtsvorstellungen liegenden — „allgemeinen Rechtsgrundsätze", die i n der jeweiligen Rechtsgemeinschaft anerkannten „Prinzipien der historischen Rechtsordnung" 29 zurückgreifen, sie als konstituierende, ergänzende und regulierende Elemente des geltenden Gesamtrechtssystems zu sehen; ein Lösungsweg, der bei allen terminologischen und auch sachlichen Abtönungen der Gesamttendenz nach deutlich an Boden gewinnt 3 0 . 2. Das GG folgt offenbar nur der so vorgezeichneten rechtstheoretischen Entwicklungslinie, wenn es die Prinzipienpositivierung als Prinzipienrezeption, Übernahme, Bestätigung und Bekräftigung vorkonstitutioneller Rechtsgedanken versteht 3 1 . Es leistet i m übrigen gleichsam einen Beitrag zur Fortgestaltung der Rechtsquellentheorie, indem es jene Prinzipien als unmittelbare, universale und vorrangige Rechtselemente i n die Zuständigkeit auch der rechtsprechenden Gewalt stellt. Verfolgen w i r das etwas näher. a) Die Unmittelbarkeit der Rechtsgeltung, ein Merkmal des normativen Rechtsquellenbegriffs, w i r d explicit durch A r t 1 Abs 3 zwar nur für die dieser Bestimmung nachfolgenden Grundrechte, nicht dagegen für das Prinzip des A r t 1 Abs 1 und sonstige nicht-grundrechts-

So der U n t e r t i t e l des zit. Vortrages über „Gesetz und- Richterkunst" (1058); dazu Larenz 132 m i t A n m 3 ; F.Werner JurJb 1 (1960) 68, 77f. «β Dazu statt aller Larenz 122 m i t Nachw. A n m . 2; Wieacker, Privatrechtsgeschichte (2. Aufl.) 586 ff. 2» Z u diesem Begriff Larenz,

Nikisch-Festsehrift 299 ff.

*o Grundsätzlich bejahend: Liver, Rechtsquelle 29; H.J.Wolff aaO 33 ff., 37 ff. sowie anscheinend auch Wieacker, Gesetz 12, 15 f. — Sachlich übereinstimmend w o h l auch Larenz, Nikisch-Festschrift 301 bei A n m 70; Stauda Brandl Einl. v o r § 1 N . 3 7 1 ; P.Schneider A ö R 82 (1957) 16; Boulanger 55; Germann, Probleme u. Methoden 152, 156 sowie noch Baring JurJb 6 (1965/66) 50. — Erhebliche Einschränkungen u n t e r dem Gesichtspunkt der inhaltlichen Bestimmtheit dagegen noch bei Esser 69 ff., 72 ff., 132 ff. Ablehnend: MeierHayoz, Richter 91 ff. sowie beiläufig auch Enn.-Nipp. §32 A n m 9, §58 A n m 6. 31 Also nicht als Prinzipienbegründung. — Vgl. f ü r A r t 1 insbesondere die Bestandsgarantie des A r t 79 Abs 3 sowie auch die Fassung der Präambel zum GG. — Aus dem Schrifttum hierzu Wintrich, Problematik der Grundrechte 5; Bachof W D S t R L 10 (1952) 64, Verfassungsnormen 30, H.-Huber-Festschr. 33; Maunz-Dürig-Herzog A r t i Rdnr73; Nipperdey, Grundrechte I I 7 ff.; H.J. Wolff aaO 42 f.; Larenz 122 A n m l ; Enn.-Nipp. § 3 3 V S.221f.; H. Huber, Ungeschr. Verfassungsrecht 104, ZSR 55 (1936) 39 a ff. — Z u m Rezeptionsgedanken eingehend auch Häberle 168 ff.; vgl. a u d i Gebhard Müller, N a t u r recht u. GG 10 ff.

§ 3. Verfassungsprinzip und System des geltenden Rechts

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förmige Verfassungsprinzipien statuiert 3 2 . Dennoch w i r d kaum zu bestreiten sein, daß nach dem System des GG von einem umfassenden Grundsatz der richterlichen Verfassungsunmittelbarkeit gesprochen werden muß. Es ist dies ein Grundsatz, der nur das rechtslogische Korrelat zur nicht weniger umfassenden Unmittelbarkeit der richterlichen Verfassungsgebundenheit darstellt: Die i n A r t 20 Abs 3 umschriebene Gebundenheit der Rechtsprechung an „Gesetz und Recht" schließt zumindest, insoweit unstreitig, die unmittelbare Bindung an die Gesamtheit des geltenden Verfassungsrechts ein, gleichviel ob man die Verfassimg als „Gesetz" (was sie auch ist) 3 3 oder aber als Bestandteil der „Recht" genannten Gesamtrechtsordnung i n diese Bindungsformel einsetzt 34 . Die Bindung an die verfassungsmäßige Ordnung, wie sie A r t 20 Abs. 3 für die Legislative festlegt, gilt deshalb für die rechtsprechende Gewalt nicht weniger 3 6 . Nur so w i r d auch die durch das GG institutionalisierte Prüfungs- und Verwerfungskompetenz der Gerichte (Art 100 Abs 1) rechtslogisch und verfassungstheoretisch verstehbar. Man hat sich deshalb auch darüber verständigt, daß die vermeintliche Alternative „aktuelle Rechtsnorm"—„Programmsatz" — unter der WRV ein Dauerthema verfassungsrechtlicher Interpretationslehre 8 6 — durch das veränderte Verfassungsbild des GG i m wesentlichen überholt ist 3 7 . Die Verfassungstheorie ist i m Begriff, den Formenreichtum unmittelbar geltenden Verfassungsrechts zu entdecken. Sie ist dabei nicht zuletzt auch auf die nicht-rechtssatzförmigen Konstitutionsprinzipien aufmerksam geworden, die als materialer Rechtsstaatsinhalt der Gesamtverf assung erst Richtung und Farbe geben. Allgemeingut geworden ist die Vorstellung von Prinzipien, die mehr als bloße Deklamationen, auch mehr als bloße Gesetzgebungsaufträge, kurz: an die Adresse auch der Rechtsprechung gerichtetes unmittelM Vgl. vMK v o r A r t i S.78ff., A r t i A n m V 2 S. 158f.; Maunz-Dürig-Herzog A r t i A b s 3 R d n r 9 1 ff. 33 Unbeschadet ihrer weiterreichenden Sonderfunktion i m Verhältnis z u m einfachen Gesetz. Vgl. Bachof, H.-Huber-Festschrift 46; Forsthoff, Verfassungsauslegung39; Laufke, Lehmann-Festschrift 153 sowie Haak 106. 34 Z u m vorstehenden vgl. vMK 602ff.; Maunz-Dürig-Herzog A r t i Ν . 92, 99 A r t 20 Rdnr 73; Haak 109 ff.; Wertenbruch 138; Leisner, Verfassungsmäßigkeit 6. Z u r Interpretation des A r t 20 Abs 3 vgl. vorläufig Schnorr AöR 85, 121 ff.; näheres unten §§12, 13. 35 Wie diese B i n d i m g überhaupt alle Staatsgewalt t r i f f t ; dazu richtig vMK S. 602/3. 3 « Thoma bei Nipperdey, Grundrechte u. Grundpflichten I I ff., 3 ff.; C.Schmitt H d b D S t R I I 597ff., 602ff.; Anschütz, K o m m e n t a r (14.Auflage) S. 514 ff. " Ehmke 87 f.; vMK S. 159; v.Pestalozza 443. — Z u r dogmengeschichtl. Entwicklung s. noch vMK 78 ff.

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Erster Teil: Einordnungsprobleme

bares Hecht zu sein beanspruchen 58 . Es entspricht n u r der i m GG vollzogenen Einschwenkung auf den materialen Rechtsstaatsgedanken, wenn die i n der Weimarer Staatsrechtslehre ζ. T. befürwortete Differenzierung der Rechtsaktualität nach dem Grade der Inhaltsbestimmtheit der Verfassungsbestandteile 39 keinen erkennbaren Eingang i n das geltende Verfassungsrecht gefunden hat 4 0 . Deshalb etwa auch die Möglichkeit der Inkorporation „allgemeiner Regeln" ( = Prinzipien) des Völkerrechts i n das grundgesetzliche Verfassungssystem (Art25) 4 1 . Wo ein i n der Verfassung rezipiertes Prinzip dennoch in seiner Rechtsaktualität eingeschränkt werden soll — etwa i m Sinne einer Direktive an die Gesetzgebung —, handelt es sich dabei u m eine eigens zugestandene Ausnahme zugunsten der gesetzgeberischen Normbildung (Musterbeispiel: A r t 6 Abs5) 4 2 . Es ist deshalb nicht mehr als die Bestätigung des allgemeinen Grundsatzes der richterlichen Verfassungsunmittelbarkeit, wenn das GG i n A r t i A b s l Satz 2 das Prinzip des Persönlichkeitsschutzes i n die Form eines auch an die Rechtsprechung adressierten Schutzauftrages kleidet 4 3 . „Unmittelbarkeit" der Rechtsgeltung bedeutet Unabhängigkeit der Normativkraft von einem gesetzgeberischen Zwischenakt; Unabhängigkeit von einem A k t der Transformation, durch den das Verfassungsprinzip erst zu einem subsumtionsfähigen gesetzlichen Rechtssatz verdichtet werden müßte 4 4 . I n diesem Sinne ist Prinzipienrezeption, so sehr sie präpositive Geltung voraussetzt, auf „Positivität" gerichtet. 38 Dazu vMK 86 ff.; Bachof, Verfassungsnormen 27 ff.; Wintrich, LaforetFestschrift 229 ff., Nawiasky-Festschrift 205 f.; Lechner B V e r f G G §13 Z i f f 6 A n m 4 a sowie neuerdings Haak 111 ff.; 121 ff. se Anschütz aaO, C.Schmitt aaO (oben Anm36). « Vgl. etwa A r t 3 Abs 1 u. 2; A r t 6 Abs 1; B V e r f G 3 , 135; 3, 225 ff. (237 ff.); 15, 318; B G H Z 6, 360 (366), 11 A n h 3 4 (52 f., 57 ff.). — Z u r E n t w i c k l u n g des Rechtsstaatsgedankens i m allg. vgl. Scheuner, DJT-Festschrift I I 220ff.; H.-Huber, Giacometti-Festgabe 59 ff.; Kägi, ebendort S. 107 ff. — Näheres dazu unten §13. 41 Dazu Berber, Völkerrecht I (1960) §7 S.71 m i t weit. L i t . dort A n m 3; Menzel, Völkerrecht §21. 42 Obwohl selbst hier wegen der I n a k t i v i t ä t des Gesetzgebers die Frage einer Funktionsänderung i n geltendes Recht aufgetreten ist; B V e r f G 8 , 216 f.; Gernhuber, Familienrecht § 5 S.42; Ehmke 88f.; E.Stein, Staatsrecht 209; Flume Κ 1 1 f. — Weiteres Anschauungsmaterial zu den Gesetzgebungsaufträgen neuerdings bei Lerche A ö R 9 0 (1965) 231 ff. E i n Grenzfall z.B. die „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums", A r t 33 Abs 5; dazu B G H Z 9, 322 ; 24, 233 f.; B V e r f G 8 , 19. — Z u A r t 6 Abs 5 s. jetzt auch BVerfG N J W 6 9 , 597 ff.; dazu unten §13,5. 43 M i t der Folge, daß die — bestrittene — Grundrechtsqualität der M e n schenwürde (Nipper dey , Grundrechte I I 11 ff., 20 ff.) hier auf sich beruhen kann. S. dazu noch Laufke 157, J.-P. Müller 77 f. — Vgl. auch A r t 6 Abs 1 u n d dazu BVerfG 6,55 ff.; 24, 104 ff. Hierzu i m m e r noch grundlegend: C.Schmitt H d b D S t R I I 598. Vgl. auch noch die Bemerkungen zum Begriff der „ U n m i t t e l b a r k e i t " unten sub 3.

§ 3. Verfassungsprinzip und System des geltenden Rechts

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Der Verfassunggeber stellt damit klar, daß er die möglichen rechtstheoretischen oder sonstigen Bedenken gegen eine unmittelbare richterliche Prinzipienverwertung grundsätzlich überwunden sehen w i l l 4 5 . Die Antinomie von „positivem" und „überpositivem" Recht (mit ihren rechtstheoretischen Voraussetzungen und Folgerungen) soll i n diesem Umfang, wenn nicht gegenstandslos, so doch — f ü r die Rechtsanwendimg — inaktuell sein. Allgemeine Verfassungsprinzipien sind für den Verfassunggeber damit „positives" und „überpositives" Recht zugleich 46, Rechtsprinzipien mit doppeltem Geltungsgrund, und, richtig verstanden, sowohl konstitutionelle als auch vorkonstitutionelle Prinzipien. b) Z u m gegenständlichen Geltungsbereich der Prinpizien sei noch folgendes klargestellt. Diejenigen Prinzipien, die für den Privatrecht&anwender i m Mittelpunkt des Interesses stehen — so besonders die Rechtsgedanken der A r t i bis 6 — sind i n der Systematik des GG zwar überwiegend den Grundrechtsnormen (insbesondere den Kataloggrundrechten der A r t 2 ff.) zu entnehmen 47 . Das heißt aber nicht, daß über die Zulässigkeit der Verwertung derartiger Prinzipien i m Privatrecht m i t dem so sehr i n den Vordergrund gerückten Streit über die „ D r i t t w i r k u n g " (besser wohl: Privatrechtswirkung) der Grundrechte vorentschieden würde 4 8 . Denn diese Kontroverse hat jedenfalls die 45

So etwa die M a h n u n g Kelsens, der Verfassunggeber solle sich derartiger juristisch unkontrollierbarer „Phraseologie" überhaupt enthalten ( W D S t R L 5 [1929] 68 ff. [70]). Wie aber, w e n n der Verfassunggeber dieser Mahnung die Gefolgschaft verweigert? M u ß nicht, v o n den Voraussetzungen Kelsens aus, das positive Recht auch hier Anschauungs- u n d Beurteilungsgegenstand bleiben? Vgl. Ermacora 21, 31 sowie unten § 4 I I 3 c). — Ähnliches g i l t gegenüber den Lehren Forsthoffs, der (übrigens i n bemerkenswerter Nachbarschaft zu Kelsen) f ü r die Rückkehr zur „Technizität der V e r fassung" plädiert. Vgl. Forsthoff i n ÖV59, 41 r., C.-Schmitt-Festschrift 40, 50 ff., Verfassungsauslegung 22 ff. Daß die Einwände gegen die Lehre Forsthoff s letzten Endes i m Gegenstand, d . h . dem Verfassungsrecht selbst, begründet sind, ist bereits v o n Salzwedel (AöR 87, 93 f.) m i t Recht betont w o r den. Z u r K r i t i k s. i m übrigen n o d i Hollerbach A ö R 85, 241 (mit Nachw.) sowie f ü r A r t i Nipperdey, Grundrechte I V 2 S.749 A n m 3 3 ; zur Interpretationslehre Forsthoff s vgl. auch noch unten § 7 I I I . 40 V o n „positiviertem überpositivem Recht" spricht daher treffend Nawiasky, AllgStaatsl I I I 118. — Vgl. auch Nawiasky JZ54, 717 ff.; Schnorr AöR 85, 137 f.; Bettermann, Grundrechte I I I 2, 532; Wieacker J Z 61, 342 m i t A n m 44. — Z u den Grenzen dieser Kongruenz: Bachof, Verfassungsnormen 27.. — Etwas anders Erwin Stein, Werte u. Wertewandel 50. 47 Vgl. dazu Maunz-Dürig-Herzog A r t i Rdnr99 sowie eingehend vMK 86 ff. 48 Z u dieser Kontroverse statt vieler Dürig, Nawiasky-Festschr. 157 ff.; A r t i R d n r 127ff. (mit Schrifttum dort Fußn. 1); Enn.Maunz-Dürig-Herzog Nipp. §15114 S. 91 ff.; Laufke, Lehmann-Festschr. I , 145 ff.; Leisner, G r u n d rechte u. Privatrecht (1960) 306 ff., 356 ff.; Ekkeh. Stein, Staatsrecht 223 ff.; Raiser, Grundgesetz u n d Privatrechtsordnung (1966). — Gegen die — w e n i g

3 Göldner

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Erster T e i l : Einordnungsprobleme

M i n d e s t e r k e n n t n i s gesichert, daß das G G gewisse a l l g e m e i n e Rechtsp r i n z i p i e n als E l e m e n t e d e r v i e l b e r u f e n e n „ o b j e k t i v e n W e r t o r d n i m g " m i t G e l t u n g s a n s p r u c h f ü r das Gesamtrechtssystem, u n d so auch f ü r das P r i v a t r e c h t , festgelegt h a t 4 9 . A u c h w e r , d a r ü b e r h i n a u s g e h e n d , den Grundrechten u n m i t t e l b a r e u n d absolute P r i v a t r e c h t s w i r k u n g zuschreiben w i l l 5 0 , w i r d k a u m i n A b r e d e stellen, daß d e n G r u n d r e c h t s n o r m e n — w i e ü b r i g e n s auch a n d e r e n V e r f a s s u n g s b e s t i m m u n g e n — weiterreichende allgemeine Rechtsprinzipien zugrundeliegen, d i e sich verfassungstheoretisch n i c h t l e d i g l i c h i n d e r Rechtsfigur s u b j e k t i v e r G r u n d r e c h t e d a r s t e l l e n lassen, so e t w a — w a s d e n P r i v a t r e c h t s b e r e i c h a n g e h t — insbesondere der G l e i c h h e i t s g e d a n k e 5 1 , das P r i n z i p des E h e u n d Familienschutzes52 oder die Eigentumsgarantie (mit Einschluß des G r u n d s a t z e s d e r S o z i a l g e b u n d e n h e i t ) 5 3 ; P r i n p i z i e n , d i e sich i n d e r Verfassung teils zu Grundrechten, teils zu institutionellen oder I n s t i t u t s g a r a n t i e n u s w . v e r d i c h t e t haben, sich a b e r i n diesen A u s f o r m u n g e n n i c h t e t w a erschöpfen 5 4 . E i n derartiges Prinzip, der Persönlichkeitsgedanke, ist auch als verfassungsrechtliche Wertungsgrundlage f ü r unser Musterproblem heranzuziehen, ohne daß es dabei einer — verfassungsrechtlich gewagten — unmittelbaren A n k n ü p f u n g an die Grundrechtsnorm des A r t 2 Abs 1 bedürfte. Es ist dies auch der Sache nach die Argumentationsbasis des B G H , wenngleich dort, terminologisch abweichend, der Begriff des „Wertes" der menschlichen Persönlichkeit bevorzugt w i r d 5 5 . Daß dabei dem Prinzip des Persönlichkeitsklare — Bezeichnimg „ D r i t t w i r k u n g " m i t Recht Larenz, Schuldrecht I § 5 I V ; so aber wieder Wespi (1968). Plastischer spricht Raiser aaO Β 10 v o n der „privatrechtsgestaltenden K r a f t der Verfassung". 49 Enn.-Nipp. §1511 S. 96 f.; Larenz, Methodenlehre 318; Erwin Stein N J W 64, 1745 (1747); B V e r f G 7, 198 (205); 12, 113 (124). — Daß nicht alle G r u n d rechte unter dem B l i c k w i n k e l soldier „Prinzipien" oder „Grundsätze" f ü r das Privatrecht fruchtbar zu machen sind — darüber Leisner 306 —, steht nicht entgegen. Es läßt sich auch nicht einwenden, daß m i t der grundsatzförmigen Auswertung des G G die Rechtsaktualität des G G i n Zweifel gezogen würde; so jedoch anscheinend Leisner 308/9 bei A n m 58 i n der A u s einandersetzung m i t der Theorie der „subsidiären" Rechtsquellenqualität der allgemeinen Rechtsgrundsätze v o n H.J.Wolff, Jellinek-Gedächtnisschrift 33 ff. Der Subsidiaritätsgedanke i n der Version v o n H. J. Wolff b e t r i f f t i n dessen n u r die Grenzen richterlicher Verwertung derartiger „Grundsätze"; dazu noch unten § 10. Einzuräumen ist nur, daß der Begriff der „subsidiären Rechtsquelle", auf die Verfassungsprinzipien angewendet, zu Mißdeutungen Anlaß geben kann. — Vgl. a u d i Raiser Β 13. βο So Enn.-Nipp. §1511 S. 91 ff. (94ff.); Leisner 306 ff., 356ff. «i Vgl. Raiser, Der Gleidiheitsgrundsatz i m Privatrecht Z H R 111 (1946), 75; G.Hueck, Der Grundsatz gleichmäßiger Behandlung i m Privatrecht (1958). 62 Darüber etwa Gernhuber, Familienrecht § 5 S. 32 ff. «3 Dazu i n privatrechtlicher Sicht etwa Kübler A c P 159 (1960/61), 236. 54 Vgl. hierzu statt vieler die Untersuchungen zur Verfassungssystematik von Scheuner, Institutionelle Garantien S. 92 ff., 95 ff. sowie bei Lerche, Übermaß 61 ff. « Vgl. etwa die Wendungen B G H Z 26, 356; 35, 367. F ü r unmittelbare A n wendimg des A r t 2 Abs 1 dagegen anscheinend B G H Z 24, 77 (zur Einbezie-

§ 3. Verfassungsprinzip und System des geltenden R e t s

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schutzes i m Verfassungs- u n d Privatrecht unterschiedliche Schutzfunktionen zukommen können, steht der Annahme einer solchen f ü r den vertikalen (verfassungsrechtlichen) u n d horizontalen (privatrechtlichen) Persönlichkeitsschutz gemeinsamen Wertungsgrundlage nicht entgegen, auch w e n n f ü r die Einzelausformung die traditionelle Vorprägung des Privatrechts dann stärkeres Gewicht bekommen k a n n 8 6 .

Die gedankliche Verselbständigung des Prinzips gegenüber der Grundrechtsnorm läßt danach den Schluß zu, daß die gegenständliche Reichweite des Verfassungsprinzips — unabhängig von der D r i t t wirkungskontroverse — eine Frage des Sachinhalts des einzelnen Prinzips bleibt. Ist dieses Prinzip (wie etwa das des A r t i ) gegenständlich „universal" 5 7 , so büßt es durch seine Grundrechtsausformung diese seine Universalität nicht ein, und wo die Drittwirkungstheorie — m i t der Feststellung solcher Verfassungsprinzipien — endet, setzt das Methodenproblem ihrer richterlichen Verwertung erst ein. c) Je umfassender das unmittelbar i n die Hand des Richters gegebene Prinzip, desto bedeutsamer auch die Bestimmung des Rangverhältnisses von Verfassungsprinzip und Gesetzesnorm. Sie bildet geradezu eines der Zentralprobleme einer Theorie der richterlichen Prinzipienverwertung. M i t den überkommenen rechtsquellentheoretischen Kollisionsfaustregeln — etwa über den Vorrang der lex superior, der lex posterior oder aber der lex specialis 58 — läßt sich hier deshalb nicht ganz imbefangen arbeiten, weil für die Ausbalancierung von Prinzip und Norm, wie noch näher zu zeigen 59 , Struktur- und Funktionseigenart des Verfassungsprinzips ins Spiel kommen. Differenzierende Lösungen sind also angezeigt. Man kommt allerdings nicht an dem Zugeständnis vorbei, daß das Prinzip — dem Sinn des Rezeptionsaktes entsprechend — als Verfassungsbestandteil dem Grundsatz nach 8 0 am Verfassungsvorrang vor dem einfachen Gesetz teilnehmen β1, also nicht nur Ergänzung, sondern auch Korrekhung des aPR i n den Schutzkreis des §823 A b s l ) . S. dazu noch Larenz, Methodenlehre 317 ff., Sdiuldrecht I I § 6 6 I c S. 414 sowie neuerdings noch J.-P. Müller, Grundrechte 85 ff. 58 Z u m Funktionsvergleich öffentlich-rechtlichen u n d privatrechtlichen Persönlichkeitsschutzes eingehend J.-P. Müller 85 ff. u. passim Vgl. noch Dürig, Nawiasky-Festschrift 157 ff. (164); Wintrich, Grundrechte 12 A n m 14. 57 Über den Persönlichkeitsgedanken als Zentralprinzip des Gesamtrechtssystems Nipperdey, Grundrechte u. Privatrecht 5; Enn.-Nipp. §15111 S. 75, 78; Maunz-Dürig-Herzog A r t i Rdnr 4; Kägi ZSR 75 (1956) 830 a ff. δβ Darüber Bettermann, Grundrechte I I I 2 S. 533; Hensel, HdbDStR I I 313 ff. — Rechtsvergleichende u. rechtshistorische Hinweise dazu bei Kastari, Leibholz-Festschr. I I 49 ff. ββ Dazu besonders u n t e n §§ 9,13. 00 E i n Kontrastbeispiel: der Verfassungsvorbehalt zugunsten der Legislative i n A r t 6 Abs 5. Z u r Frage eines „Funktionswandels" dieser N o r m vgl. oben A n m 42 u n d unten § 13,5. ei Vgl. die Nachw. oben A n m 38,40 sowie Haak 122.

36 tiv

Erster Teil: Einordnungsprobleme der

Legalordnung

sein

soll.

Das Verfassungssystem gestattet es

auch nicht etwa, traditionell verfestigte Regelungsmaterien (wie ζ. B. die historisch ausgeformte Privatrechtsordnung) von dieser Rangstufung vorweg freizustellen 6 2 . Hier w i e stets sollen offenbar erst Ergänzungs- und K o r r e k t u r f u n k t i o n des Verfassungsprinzips Hand i n Hand auf einheitliche verfassungsgerechte Durchformung des Rechtssystems h i n w i r k e n — w i e immer sich die Fallbeurteilung i m einzelnen gestalten mag. 3. Tatsache, Intention und Gewicht der Verfassungsrezeption sprechen danach zwar dafür, das Prinzip als Erscheinungsform unmittelbar (und vorrangig) geltenden Rechts i n das System „normativer Rechtsquellen" aufzunehmen. Aber der Rezeptionsakt befreit nicht von der Frage, ob nicht das Verfassungsprinzip (wie mehr oder weniger jedes allgemeine Rechtsprinzip) inhaltlich zu ungreifbar ist, um unmittelbar gelten zu können 63* 64. D i e Rechtslehre h a t m i t Recht der Versuchung widerstanden, die Frage m i t dem Tabu einer — mißverstandenen — Verfassungsautorität zu belegen 65 . Mag sich auch das GG von einer Differenzierung der Rechtsgeltung nach dem Maße der Inhaltsbestimmtheit ferngehalten haben 6 6 : A n der Frage, ob nicht diese I n haltsbestimmtheit ein — auch der Disposition des Verfassunggebers entzogenes — rechtsstrukturelles Wesensmerkmal rechtlicher Normat i v i t ä t bezeichnet, ist rechtstheoretisch nicht vorbeizukommen. Der Persönlichkeitsgedanke ist auch hier wieder von exemplarischem Interesse. Begriffe w i e „Person" und „Persönlichkeit" — auf denen das Prinzip aufbaut — setzen ihrer rechtstheoretisch beherrschbaren rechtlichen Sinnerfassung jede nur denkbare Schwierigkeit entgegenß?, w i e überhaupt β 2 Vgl. auch unten § 13,2. Dazu Esser 69 ff. (71,75); Ipsen, Grundrechte I I 150, 156f.; Fuß JZ 59, 329r; H.J.Wolff 43 bei A n m 3 7 ; Nipperdey W D S t R L 12, 97 sowie i n Enn.Nipp. § 33 V S. 221 f. (etwas anders noch dort § 32 A n m 9, § 58 A n m 36). Z u r W R V s. C. Schmitt HdbDStR I I 597 ff., 602 ff. 64 Vereinzelt dagegen der entgegengesetzte Einwand, daß von der Einbeziehung der Rechtsprinzipien i n das Rechtsquellensystem eine „lästige Gebundenheit" des Richters, u n d zwar mehr noch als durch das überwundene Lückenlosigkeitsdogma, zu befürchten sei; so Meier-Hayoz, Richter 95 i m Anschluß an Huber-Mutzner. Aber w i r k t der Richter nicht maßgeblich an der Inhaltsbestimmung des Prinzips m i t (dazu unten §§ 6 ff.) — womöglich auch unter Berichtigung der gesetzlichen Vorentscheidung? Letzteres ü b r i gens eine — trotz ausgeschlossenem Prüfungsrecht — auch i n der schweizerischen Rechtslehre dem Prinzip zugewiesene Funktion; Merz B e r n K o m m A r t 2 N. 21 ff., 23 ff. Meier-Hayoz dürfte durch seine etwas starre Theorie v o m „Richter als Gesetzgeber" zu seiner überraschenden These genötigt worden sein. Vgl. jetzt jedoch a u d i dens, i n B e r n K o m m A r t i Ν.405ff. (411); s. näher unten §71112. es S. d. Nachw. oben A n m 63. ββ Vgl. oben bei A n m 39, 40. 67 Dazu eingehend Michaelis 40 ff. (46,47 A n m 2); Westermann, Person und Persönlichkeit 17 ff. (19) u. passim; Jäggi 145 a ff. — N u r i m untechnischen

§ 3. Verfassungsprinzip u n d System des geltenden Rechts

37

die privatrechtliche Auswertung der Verfassung zumal i n den Regelungseinzelheiten Zweifel hinsichtlich ihrer methodischen Zuverlässigkeit aufkommen lassen kann. I n diese Richtung zielt, i n den Konsequenzen am weitesten gehend, z.B. i n der Methodendiskussion zur Modellrechtsprechung auch die Stellungnahme von Stoll 68, der es f ü r ausgeschlossen erklärt, die A n t w o r t auf eine der schwierigsten schadensrechtlichen Fragen aus dem G G „herauszudestillieren" (aaO 47) u n d der darüber hinaus dem A r t 1,2 f ü r das Privatrecht überhaupt jeden Regelungsgehalt absprechen w i l l (aaO 49 bei A n m 192), wobei er positiv (mit Ridder)* 9 die „Tatsache der Schaffung u n d Existenz" dieser Bestimmungen lediglich einem „rechtssoziologischen Daten- u n d Faktenkranz" zurechnen w i l l . Konstitutionelle Grundentscheidungen sind, so gesehen, jedenfalls f ü r den Privatrechtsbereich n u r „ w i c h tige Belege f ü r die rechtsethischen Ideale der Zeit" (Stoll aaO 50), „Berücksichtigung erheischender sozialer Stoff", nicht „normative Gebote" (Ridder aaO) u n d — wie hinzuzufügen — v o n den Voraussetzungen dieser Lehre aus rechtstheoretisch auch nicht etwa als (normative) Rechtsquellen zu q u a l i f i zieren. Die Zweifel an der methodischen Tragfähigkeit richterlicher V e r w e r t u n g a l l g e m e i n e r V e r f a s s u n g s p r i n z i p i e n , d i e aus dieser A r g u m e n t a t i o n sprechen, s o l l e n n i c h t l e i c h t h i n a b g e t a n w e r d e n . A u f d i e Frage, i n w e l c h e n G r e n z e n das P r i n z i p r i c h t e r l i c h e r K o g n i t i o n z u g ä n g l i c h , „ b e s t i m m b a r " , „ v o l l z i e h b a r " u n d i n diesem S i n n e „ j u s t i z i a b e l " ist70, w i r d zurückzukommen sein71. Bedenken w i e die einer „Richterw i l l k ü r " , eines „ Ü b e r s p i e l e n s " d e r Gesetzgebungsinstanz lassen sich gerade i m Verfassungsbereich schon h e u t e k a u m m e h r als b l o ß e S c h l a g w o r t e beiseiteschieben. Indessen h a n d e l t es sich b e i d e r Frage, w e l c h e F o l g e r u n g e n i n m e t h o d i s c h gesicherter W e i s e aus d e m V e r fassungsprinzip z u e n t w i c k e l n sind, l e t z t e n E n d e s u m e i n e fallgebundene, n u r i n d e r R e l a t i o n v o n P r i n z i p u n d (einzelnem) Regel u n g s g e g e n s t a n d z u k l ä r e n d e Problemstellung. D i e F r a g e l a u t e t also z . B . nicht e t w a : I s t „das P r i n z i p " des A r t i A b s 1 u n m i t t e l b a r e r r i c h t e r l i c h e r R e c h t s a n W e n d u n g zugänglich?, s o n d e r n v i e l m e h r : W e l c h e G r ü n d e lassen sich d e m P r i n z i p f ü r oder gegen e i n e b e s t i m m t e E i n z e l l ö s u n g , so h i e r d i e G e l d e n t s c h ä d i g u n g , e n t n e h m e n 7 2 ? Sinne — u n d nicht als rechtslogische Charakterisierung dürfte es zu v e r stehen sein, w e n n Kägi (ZSR 75 [1956], 834 a) den Grundwert der menschlichen Person als „ N o r m der Normen" bezeichnet. «8 Gutachten 46 ff., 49 f. ef l Rechtsschutz der Person, i n : Vorträge ani. der Hess. Hochschulwochen B d 32 (1962), 45, zit. bei Stoll aaO 50 A n m 194. 70 Dazu etwa Zippelius 38 ff., 197 ff.; Esser 69 ff. (73 ff. u. ö.); Maunz-DürigHerzog A r t i R d n r 92 ff.; W. Böckenförde 78 ff.; H.J.Wolff aaO 44 ff.; Roellecke 170 ff. 71 U n t e n §§6 ff., 10 ff. 72 v g l . dazu jetzt noch Kriele, 225/6. Abweichend (für A r t 3 A b s 1) zu U n recht Fuß, Schack-Festschrift 14 f. — Eine Frage des Einzelproblems, keine solche der generellen Rechtsqualität des Prinzips ist es auch, inwieweit die N o r m a t i v k r a f t des Prinzips i m näheren durch positiv-rechtliche Wertungen

38

Erster Teil: Einordnungsprobleme

C. Schmitt hatte allerdings unter der W R V bekanntlich die weitergehende These aufgestellt, daß die unmittelbare Vollziehbarkeit einer Verfassungsnorm ganz allgemein an die Voraussetzung eines „eindeutigen, ohne weiteres vollstreckbaren Befehls" oder doch einer „berechenbaren Subsumtionsmöglichkeit" geknüpft werden müsse, da eine (vom Richter zu realisierende) umfassende Normhierarchie m i t dem Wesen des Gesetzgebungsstaates nicht zu vereinbaren sei 78 . Doch w i r d die i n dieser These am schärfsten formulierte grundsätzliche Verklammerung von Inhaltsbestimmtheit und Rechtsnormativität — bei allen Vorbehalten hinsichtlich der Einzelfallbeurteilung — heute kaum mehr zu verteidigen sein. Nicht nur, w e i l das GG bewußt vom Typus des Gesetzgebungsstaates i n Richtung auf den Jurisdiktionsstaat abgerückt ist und dem Richter damit ein Mehr an Befugnis zur Rechtskonkretisierung zugewiesen hat 7 4 . Auch rechtstheoretisch w i r d man zurückzustecken haben. Es ist mittlerweile zu einer methodischen Selbstverständlichkeit geworden, daß sich der Richter auch sonst vielfach genötigt sieht, m i t „imbestimmten Rechtsbegriffen" zu arbeiten, wie sie i h m der Gesetzgeber selbst i n wachsendem Maße an die Hand gibt 7 5 . Es genügt, i n diesem Zusammenhang an wohlvertraute Schulbeispiele wie die Begriffe „Treu und Glauben", „guteSitten", „Sittenwidrigkeit", „wichtigerGrund", „Wesen der Ehe", „öffentliche Sicherheit und Ordnung" zu erinnern 7 6 (und auch der gesetzgeberische Revisionsplan für den Persönlichkeitsschutz kommt z.B. ohne solche unbestimmten Rechtsbegriffe bezeichnenderweise nicht aus) 77 . Niemand bestreitet nun Rechtsqualität und Normat i v k r a f t solcher — nicht lediglich i m Wege „berechenbarer Subsumtion" i m Sinne C. Schmitts zu erfassender 78 — Begriffe, und auch der Gedanke einer gesetzeskorrigierenden Funktion — wie sie den Verfassungsprinzipien zukommt — ist etwa der Lehre von den Generalklauseln anderer A r t oder auch durch andere Rechtsprinzipien modifiziert oder v e r drängt w i r d ; ein Vorbehalt, unter dem jede Rechtsquelle steht. Anders hierzu aber Canaris S. 95 f. Vgl. noch unten § 8 I I 1. 73 HdbDStR Π 602 f. — Zugrundegelegt w i r d die Ineinssetzung v o n „ S u b sumtionsfähigkeit" u n d „Rechtsaktualität" anscheinend auch bei Nipperdey, Grundrechte I I 16 sowie bei Staud.-Brändl Einl. N. 37 bei A n m . 10; vgl. auch Fuß, Schack-Festschrift 15. Dazu schon oben sub 2) m i t A n m 40. 75 Dazu Jesch A ö R 82 (1957) 163 ff. (167, 177 f.) m i t L i t . ; Enn.-Nipp. S. 306, 309; Larenz 215 ff. sowie i n JZ 62, 105 (106).

§50

7β Z u diesen u n d weiteren Beispielen Enn.-Nipp. § 50 I I 1 S. 308; Jesch AöR aaO 165 f. 77 BT-Drucksache III/1237; dazu die redits- u n d verfassungstheoretische Würdigung bei H. Huber, Persönlichkeitsschutz u. Pressefreiheit 115 ff. (121 f.). 78 Dazu noch unten § 7 I I .

§ 3. Verfassungsprinzip und System des geltenden Rechts

39

trotz der diese prägenden unbestimmten Rechtselemente nicht mehr fremd 7 9 . Auch hat die neuere Theorie der unbestimmten Rechtsbegriffe K l a r heit und Verständigung darüber gebracht, daß der vermeintlich prinzipielle Unterschied von „bestimmten" und „unbestimmten" Rechtsbegriffen i n Wirklichkeit nur gradueller Natur ist 8 0 . Man hat erkannt, daß die unbestimmten Rechtsbegriffe lediglich durch einen besonders kleinen (sicheren) Begriffskern und einen besonders weiten (unsicheren) Begriffshof gekennzeichnet sind 8 1 . Das bedeutet letzten Endes nichts anderes als die Feststellung, daß (prinzipiell gesehen) jeder Rechtsbegriff unbestimmt ist Für die Verfassungstheorie entspricht dem die Beobachtung H. HubersP*, daß jedem materiellen Verfassungsbestandteil i n gewissem Sinne Grundsatzcharakter (und deshalb: der Charakter eines unbestimmten Rechtsbegriffs) zuzuerkennen sei. Damit verliert das Merkmal inhaltlicher Präzision die Eignung, präpositives Kriterium unmittelbarer Normativität zu sein. Die Normativität unbestimmter Rechtsbegriffe leugnen, hieße deshalb i n letzter Konsequenz den Normativitätsgedanken überhaupt leugnen, u m dann auf eine andere, z.B. rechtssoziologische oder dezisionistische Perspektive rechtstheoretischer Problembehandlung auszuweichen 85 . Hält man dagegen am normativen Rechtsquellenbegriff fest, so w i r d man auch allgemeinsten Prinzipien die Rechtsqualität nicht ihres diffusen Charakters wegen absprechen können. Daß das Verfassungsprinzip, wie jeder unbestimmte Rechtsbegriff, real die Rechtswirklichkeit gestaltenden Einfluß, d. h. empirisch-soziologische Geltung, nur i n dem Maße seiner inhaltlichen Bestimmung gewinnen kann 8 4 , steht nicht entgegen. Die normative Fragestellung bleibt, so unbestimmt das abstrakte Prinzip auch sein mag, trotzdem schon deshalb sinnvoll, w e i l n u r sie uns Aufschluß darüber gibt, aus 79 Über die „korrektorische" F u n k t i o n des §242: Larenz, Schuldrecht I §101; Wieacker §242 S. 36. Auch Generalklauseln sind, so gesehen, nicht n u r Normverzicht (so, anscheinend i n strafrechtlicher Sicht, Henkel, Recht u. I n d i v i d u a l i t ä t 35), sondern auch Normkorrektiv. Z u m Verhältnis von Prinzip u. Generalklausel a u d i noch unten A n m 88. 80 Jesch AöR aaO 167, 177; Enn.-Nipp. § 50, S. 306, 309; Larenz JZ 62, 105 (106). Dazu richtig B G H Z 10, 266 (2781). 81 · So Jesch aaO 171 ff. (177) i m A n s d i l u ß an Heck (Gesetzesauslegung 46, 73; Begriffsbildung 52, 60); Engisch, E i n f ü h r u n g 108. ω Ungeschr. Verfassungsrecht 112. es Eine Frage, die ihrem K e r n nach den Rechtsbegriff u n d d a m i t den rechtsquellentheoretischen Denkansatz b e t r i f f t ; dazu oben v o r 1. 84 Hierzu besonders die Rechtsquellenlehre Essers (132 ff.). Vgl. auch den Begriff der (faktischen) „Rechtsgeltung" i m Gegensatz zur (normativen) „Rechtsverbindlichkeit" bei Germann, Probleme u n d Methoden 17 ff. (18 m i t A n m 3; 31; 35 ff.).

40

Erster Teil: Einordnungsprobleme

welchen Bewertungsquellen die richterliche Rechtsfindung zulässigerweise schöpfen kann 8 5 . Man darf freilich die rechtstheoretische Funktion der Normativkraft nicht überstrapazieren. Unbestimmte Rechtsbegriffe, und so auch die Verfassungsprinzipien, haben — wie noch näher zu belegen — auch normativ keinen von ihrer Einzelausformung unabhängigen exakten Sinngehalt und sind i n diesem Sinne substanzarm 8 6 . Der etwas farblose, auch nicht immer zweifelsfrei verwendete Begriff der „unmittelbaren N o r m a t i v i t ä t " 8 7 w i r d deshalb für die Theorie des Verfassungsprinzips einer differenzierenden Handhabimg bedürfen. „Unmittelbare Normativität" bedeutet hier lediglich: Zuständigkeit auch der Rechtsanwendungsinstanz zur methodengerechten Ausschöpfung des Prinzips, d.h. funktionelle oder Geltungsunmittelbarkeit, nicht dagegen: Vorhandensein eines konkret anwendungsfähigen Regelungsgehalts, substantielle oder Inhaltsunmittelbarkeit. Die Qualifizierung des Verfassungsprinzips als Rechtsquelle erschöpft sich i n der Bejahung der erstgenannten, funktionellen Unmittelbarkeit. U m so wichtiger allerdings, wie das Prinzip trotz seiner mangelnden substantiellen Unmittelbarkeit dennoch für die Einzelfallbeurteilung methodisch zu bewältigen und dabei mit den gesetzgeberischen Vorentscheidungen abzustimmen ist: Probleme, die das Verfassungsprinzip mit den herkömmlichen unbestimmten Rechtsbegriffen, insbesondere den Generalklauseln, teilt 8 8 . M a n k a n n deshalb, was die Nutzanwendung f ü r das Prinzip des A r t i angeht, auch i n unserem Probebeispiel die Rechtsprechung nicht etwa schon m i t dem E i n w a n d aus den Angeln heben, daß sie den Persönlichkeitsgedanken, w i e ein Kommentator f o r m u l i e r t 8 9 , unzulässigerweise zu einer es Dazu schon oben v o r 1 a E. 86 Wie überhaupt die Vorstellung einer völligen materialen Trennbarkeit v o n N o r m u n d (Einzel-)Anwendung methodisch i m m e r fragwürdiger w i r d ; dazu i n der Sicht der Verfassungsinterpretation etwa v. Pestalozza 427 ff. m i t weit. Hinweisen; zum grundsätzlichen Larenz 148; 275 f., 301 f. — Reflektierte N o r m a t i v i t ä t beideutet also nicht Ausschaltung der Empirie aus der Rechtskonkretisierung. 87 Nicht eindeutig etwa der E i n w a n d mangelnder „unmittelbarer N o r m a t i v i t ä t " allgemeiner Rechtsprinzipien bei Enn.-Nipp. §32 A n m 9. — Auch bei Raiser , Grundgesetz Β 19, verblaßt die gebotene Differenzierung (darüber sogleich) i n der grundsätzlichen Verneinung der „unmittelbaren Geltungskraft" der Grundrechtsnormen. — Mehrdeutig auch die Kategorie der „Justiziabilit ä t " (vgl. Esser 73, 81; Zippelius 38 ff., 197 ff.). 88 Über die Parallele v o n Prinzip u n d Generalklausel: H.J.Wolff aaO 44; Wintrich, Grundrechte 15; ähnlich f ü r die Grundrechtsnormen auch schon Hensel, RG-Festgabe I 28. — Daß die mangelnde begriffliche Fixierbarkeit der Generalklausel eine zuverlässige Grenzziehung zum Prinzip versperrt (vgl. Hedemann 53 ff.; Class, Eb.-Schmidt-Festschr. 123), dürfte methodisch unschädlich sein. Z u m ganzen s. noch Bachof, H.-Huber-Festschr. 44; Jesch aaO 165 f.; Scheyhing SchlHAnz 62, 113. 8 » Hartmann N J W 64, 797 lks.

§ 3. Verfassungsprinzip und System des geltenden Rechts

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„Supergeneralklausel" gemacht habe. U m einen — w i e dargelegt, vorrangigen — Wertbegriff v o n generalklauselartiger S t r u k t u r u n d F u n k t i o n handelt es sich bei A r t i i n der T a t 9 0 . Die Frage w i r d vielmehr umgekehrt so zu stellen sein, ob der B G H diese Eigenstruktur hinreichend beachtet, also (um jenes Begriffspaar nochmals zu verwenden) „funktionelle" u n d „substantielle" Verfassungsunmittelbarkeit genügend deutlich auseinandergehalten hat.

4. Z u r begrifflichen Einordnung sei noch folgendes angemerkt. M i t dem Vorgang der Rezeption des Prinzips i n das Verfassungsgesetz verschiebt sich die übliche Gegenüberstellung von Gesetz und allgemeinem Rechtsprinzip vom Gesichtspunkt des Geltungsgrundes auf denjenigen der Struktureigenart, d.h. vom Gegensatz von „gesetzlicher" und „außergesetzlicher" Wertung auf denjenigen von „Rechtssatz" und „nicht-rechtssatzförmigen" Prinzip. U m die Kategorie der „außergesetzlichen Rechtsordnung" i m Sinne Wieackers 91 dementsprechend abzuwandeln: Das Verfassungsprinzip t r i t t i m Rahmen des geltenden Gesamtrechtssystems, vergleichbar den Generalklauseln, als Element einer nicht-rechtssatzförmigen Rechtsordnung zu der (vom einfachen Gesetzgeber hervorgebrachten) rechtssatzförmigen Rechtsordnung ergänzend hinzu 9 2 . Für die Rechtsquellentheorie bietet sich danach etwa folgende terminologische Auffächerung an: Zusammen m i t den legislativen Rechtssätzen (den „Rechtsquellen i m engeren Sinne") bilden die Verfassungsprinzipien 93 als Rechtsergänzungsquellen den Gesamtbestand der Erscheinungsformen unmittelbar geltenden Rechts (die „Rechtsquellen i m weiteren Sinne"). 5. Zusammenfassend w i r d danach einzuräumen sein, daß der richterliche Rückgriff auf das Verfassungsprinzip, auch i n den gesetzlich vorgeregelten Rechtsmaterien, nicht etwa die traditionelle Antithese von 90 So daß Dürig (Nawiasky-Festschrift 163 A n m 8) i n A r t 1 Abs 1 geradezu eine „neue zivilrechtliche Generalklausel" sehen w i l l . Über den Generalklauselcharakter auch des aPR: Larenz, Schuldrecht I I § 661 c; Mertens JuS 62, 264. — Gegen die Generalklauselvorstellung zu Unrecht Staud.-Werner § 253 A n m 7 a. E., die dadurch die Rechtsaktualität des GG i n Frage gestellt glauben; vgl. dagegen die Differenzierung v o n „funktioneller" u n d „substantieller" U n m i t t e l b a r k e i t i m vorstehenden Text. — Wieder anders Nipperdey , Grundrechte I I 16, der dem Prinzip des A r t 1 — allerdings ohne nähere Begründung — „beredienbare Subsumtionsmöglichkeit" i m Sinne der zit. Formel C. Schmitts (vgl. oben A n m 73) zuschreiben w i l l . Vgl. jedoch oben bei A n m 67 ff. Oben sub 1 m i t A n m 27. 92 Etwas anders i n der Nomenklatur Maihof er (Bindimg des Richters 21 f.), der „Rechtssätze" u n d „Rechtsgrundsätze" (Rechtsprinzipien) als positivrechtliche „Rechtsnormen" zusammenfassen u n d dem „nicht-positiven Recht" gegenüberstellen w i l l ; eine W o r t w a h l , die allerdings die terminologisch bewährte — strukturbezogene — Differenzierung v o n „Prinzip" u n d „ N o r m " aufzuopfern nötig machen würde. 93 Nebst etwa gleichzustellenden sonstigen Rechtselementen nichtrechtssatzförmiger A r t ; darüber Wieacker aaO.

42

Erster Teil: Einordnungsprobleme

„positivem" und „überpositivem" Hecht, sondern das funktionelle Zusammenspiel von Rechtssatz und vorrangigem, aber unbestimmtem Prinzip i m Gesamtsystem unmittelbar geltenden Rechts betrifft. Über Formen, M i t t e l und Grenzen richterlicher Verwertung des Verfassungsprinzips ist damit allerdings noch nichts ausgesagt.

Zweiter

Abschnitt

Verfassungsprinzip und Gesetzesnorm im System der allgemeinen Rechtsanwendungslehre. Stufen verfassungskonformer Rechtsanwendung Dem vorstehend erörterten Sachsystem materialer Rechtsquellen und Rechtsergänzungsquellen läßt sich ein Methodensystem tradierter Formen und Regeln richterlicher Rechtsanwendung gegenüberstellen. Daß die Abstimmung beider Systeme — die die Rechtsanwendungslehre zur Vermeidimg von Widersprüchen anstreben muß — überhaupt möglich ist, kann nicht von vornherein als gesichert gelten. Es ließe sich ζ. B. denken, daß das Traditionsgefüge der üblichen Rechtsanwendungsregeln allzusehr an das Modell des gesetzgeberisch vorgefertigten Rechtssatzes gebunden ist, u m f ü r zunächst gestaltlose Rechtselemente wie das Verfassungsprinzip überhaupt Eingangsstellen offenzuhalten — etwa m i t der Folge, daß für den Richterdurchgriff auf das Prinzip der Preis der Methodeneinheit zu zahlen wäre 1 . Sehen w i r uns dazu die möglichen Einordnungsgrundlagen auf den Rechtsanwendungsstufen der Auslegung (unten § 4) und Rechtsfortbildung (unten § 5) näher an. §4. Verfassungsprinzip und Gesetzesauslegung L Begriff und Funktion verfassungskonformer Gesetzesauslegung Rechtstheorie und Rechtspraxis haben sich für die Einführung verfassungsrechtlichen Gedankengutes (und nicht zuletzt auch allgemeiner Verfassungsprinzipien) 2 i n die gesetzliche Rechtsordnung das Instrument der verfassungskonformen Gesetzesauslegung geschaffen. Man hat sich, w o h l unter dem Eindruck einer ständigen Gerichtspraxis, daran gewöhnt, das Verfahren geradezu wie selbstverständlich zu handhaben 5 » 4 und es darüber i n seiner rechtstheoretischen Einordnung * So anscheinend Roth-Stielow 79; Einzelnachweise später, a Hierzu richtig Schack 269 lks. * Enn.-Nipp. §51 114 m i t A n m 18; Larenz, A l l g T e i l 37; vMK S. 11 f.; E. Stein, Staatsrecht 224; Wintrich, Laforet-Festschrift 249; Schack 269 f.; Michel 274; Eckardt 14 m i t A n m 25; Giacometti, A l l g L e h r e n 205; Germann,

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Erster T e i l : Einordnungsprobleme

b i s l a n g e t w a s z u k u r z k o m m e n lassen. Insbesondere f ä l l t es schwer, d e r b i s h e r i g e n L i t e r a t u r u n d P r a x i s eine b e g r i f f l i c h

eindeutige Be-

s t i m m u n g der i n t e r p r e t a t o r i s c h e n F u n k t i o n s b r e i t e d e r V e r f a s s u n g

im

Gesetzesrecht z u e n t n e h m e n 5 . 1. V e r b r e i t e t i s t die d u r c h das B V e r f G i n d i e deutsche D i s k u s s i o n e i n g e b r a c h t e E r w ä g u n g , daß e i n Gesetz n i c h t f ü r n i c h t i g e r k l ä r t w e r d e n d ü r f e , solange es eine m i t d e r V e r f a s s u n g z u v e r e i n b a r e n d e A u s l e g u n g zulasse 6 . Es h a n d e l t sich d a b e i u m eine E r w ä g u n g , d i e d i e v e r f a s s u n g s k o n f o r m e I n t e r p r e t a t i o n d e u t l i c h aus d e r Sicht des N o r m e n k o n t r o l l v e r f a h r e n s ( A r t 100), d. h. als A u s f l u ß eines konservierenden Prinzips 7 u n d d a m i t als N o r m e r h a l t u n g s i n s t r u m e n t s i e h t ( N o r m e r h a l t u n g s t h e o r i e ) 8 . D i e s e r D e n k a n s a t z v e r b i n d e t sich r e g e l m ä ß i g , w e n n g l e i c h z u m e i s t e t w a s f o r m e l h a f t , m i t d e r These, daß eine — a l l e r d i n g s u n t e c h n i s c h 9 gedachte — „ V e r m u t u n g " f ü r d i e V e r f a s Probleme u. Methoden 95f.; B V e r f G 2,266(282); 14,56(73); 17,306(308); 23,327 (348). — Weitere Belegstellen aus der J u d i k a t u r bei Haak 3 ff.; Bachof, Verfassungsrecht I 100 f.; I I 18 f. sowie bei Eckardt 38 ff., 42 ff., 47 ff. — Einschränkend jedoch Fuß 13 ff. (16). — Rechtsvergleichende Hinweise bei Imboden, H. Huber-Festschrift 138 ff. sowie bei Haak, passim. S. noch Spanner AöR 91,503 ff. 4 Z u r W R V vgl. bereits die Bemerkungen über die „interpretatorisdie Rechtsnormkraft" der Grundrechte bei Holstein, Selbstverwaltungsschutz 36, AöR 51 (1927) 238 sowie i n W D S t R L 2 (1925), 252. Das Verdienst, dies als erster systematisch erkannt zu haben, w i r d i h m v o n C.Schmitt (HdbDStR I I 605) zugeschrieben. Vgl. auch RGZ 102, 165 f.; 128, 95; Reichel, StammlerFestgabe (1926) 299; HenseI, R G - F e s t g a b e l S. 4. A n m . 10. — Auch Triepels Untersuchung „Völkerrecht u n d Landesrecht" (1899) zeigt m i t dem Gedanken der Koordinierung beider Rechtsquellen (164 ff.) schon einen ersten Ansatz der Konformitätsvorstellung. F ü r letzteren Hinweis danke ich H e r r n Prof. Dr. Victor Böhmert, Kiel. s Z u r rechtstheoretischen Standortbestimmung vgl. Imboden, H. H u b e r Festschrift 133 (138ff.); P.Schneider, D J T - F e s t s c h r i f t I I 263ff. (286f. m i t A n m 7 0 ) ; Bachof, i n : S u m m u m ius 47 f.; ders., Verfassungs- u n d V e r w a l tungsrecht 1100 f.; Müller, Grundrechte 178 ff. β Kennzeichnend B V e r f G 2, 266 (282); Leitentscheidung. Ansätze auch schon i n RGZ 102,161 (165 f.) m i t dem Gedanken, daß eine Rechtsnorm, die v o n den Grundrechten, dem „ H e i l i g t u m des Deutschen Volkes", abweiche, dies deutlich zu erkennen geben müsse, da i m Zweifel ein auf Übereinstimmung m i t den Grundrechten gerichteter gesetzgeberischer W i l l e angenommen werden müsse — eine Interpretationsregel, die v o n Hensel (RG-Festgabel S.4 A n m 10) als „sehr beachtliche Auslegungsnorm" registriert, begrifflich freilich noch nicht eingeordnet wurde. 7 Schack 270. β A u f dieser L i n i e etwa vMK Einl. S. 11 f.; Enn.-Nipp. § 51 I I 3 S. 319 (mit weit. Hinw.); Haak 1,10; Fuß 12 ff. sowie anscheinend auch Maunz-DürigHerzog A r t 20 R d n 67. — S. nochmals Imboden aaO 142. A u s der Rspr. vgl. neuerdings B V e r f G 22, 373 (377). » Also nicht als Beweisregel. Daß der Begriff der V e r m u t u n g nicht i m technischen Sinne des Prozeßrechts, sondern (wenn überhaupt) n u r i n übertragener Bedeutung methodisch von Interesse ist, steht i n der deutschen

§ 4. Verfassungsprinzip u n d Gesetzesauslegung

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s u n g s m ä ß i g k e i t des Gesetzes spreche u n d daß das dieser V e r m u t u n g z u g r u n d e l i e g e n d e P r i n z i p i m Z w e i f e l auch eine v e r f a s s u n g s k o n f o r m e Auslegung verlange10. A b e r wieso spricht eine solche „ V e r m u t u n g " f ü r die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes? Welches Prinzip ist es, das, w i e m a n sagt, dieser V e r m u t u n g zugrundeliegt"? Endlich: Wie, w e n n die verfassungskonforme Interpretation gerade auf die nach Gesetzeserlaß veränderte Verfassungsrechtslage gestützt w i r d oder aber der sachliche Verfassungsinhalt (wie i m Falle des Verfassungsprinzips) seinerseits erst der konkretisierenden richterlichen Sinnbestimmung bedarf? Keine der Fragen k a n n als geklärt gelten. Verfassungskonforme Gebots Vorstellungen des historischen Gesetzgebers (so die „subj e k t i v e " Variante des Vermutungsgedankens) dürften sich jedenfalls i m zuletzt genannten, hier zu erörternden Bereich k a u m hypostasieren lassen 1 2 . U n d ist die V e r m u t u n g einer „immanenten Harmonie" von Gesetz u n d Verfassungsprinzip (dies die „ o b j e k t i v e " Vermutungstheorie) ^ sachlich letzten Endes mehr als ein umformuliertes Normerhaltungspostulat? I m übrigen ist der Vermutungsgedanke, gleichviel welcher Prägung, auch i m grundsätzlichen als rechtsanwendungstheoretische Kategorie wenig geeignet: Grundlage der Rechtsanwendung ist nicht ein vorläufiges Wahrscheinlichkeitsurteil (das die V e r m u t u n g bietet) 1 4 , sondern vielmehr ein definitiv problementscheidendes richterliches Werturteil. Keine auch noch so gut fundierte „ V e r m u t u n g " enthebt den Richter dieses autoritativen Entscheidungsaktes, den die Synthese von Verfassungsprinzip u n d Gesetzesnorm w i e auch jede sonstige Rechtsfindung notwendig voraussetzt. 2. W i e d e m auch sei: D e r R e c h t s a n w e n d e r sollte nach d e m S y s t e m des G G n i c h t d a b e i stehen b l e i b e n , d i e i n t e r p r e t a t o r i s c h e F u n k t i o n des V e r f a s s u n g s p r i n z i p s l e d i g l i c h aus d e m B l i c k w i n k e l d e r N o r m e r h a l t u n g z u sehen. Z w a r h a b e n V o r s t e l l u n g e n w i e d i e des „ f a v o r l e g i s " , d e r „ G e s e t z e s a u t o r i t ä t " u n d der „ R e c h t s s i c h e r h e i t " — Gesichtsp u n k t e , auf d e n e n diese B e t r a c h t u n g s w e i s e b e r u h e n m a g 1 5 — auch Rechtslehre fest; vgl. die Klarstellung bei Bachof, Verfassungsrecht 1100. — Anders dagegen die J u d i k a t u r des US Supreme Court: darüber Imboden aaO 139 m i t A n m 2 ff. m B V e r f G 2,282; Maunz-Dürig-Herzog A r t 20 Rdnr63,67; Enn.-Nipp. aaO; zur Grundsatzfrage auch bereits C.Schmitt H d b D S t R I I 597ff., 601 ff. — Vgl. jedoch auch P. Schneider, DJT-Festschrift I I 265 ff. (287 A n m . 70), der i n dem Vermutungsgedanken anscheinend n u r eine Paraphrasierung (also nicht die Begründung) des Gebots verfassungskonformer Auslegung erblicken w i l l . 11 Z u r hermeneutischen Bedeutimg des Vermutungsgedankens i m allg. P.Schneider a a 0 265ff, 285ff.; Keller2781; Ehmkeffï. — S.a. Haak 184ff.; Michel 274; Bachof, Verfassungsrecht 1100 sowie i n : S u m m u m ius 48; Spanner aaO 506 f.; Fuß 16 f. 12 Z u dieser Version besonders die kritische W ü r d i g u n g bei Haak 184 ff. (190 ff., 196), der indessen die anderen möglichen Spielarten der Vermutungstheorie unwiderlegt läßt. — Z u m Verhältnis v o n Verfassungswechsel u n d Vermutung s. noch Bender MDR59,442. is Darüber namentlich P.Schneider a a 0 285ff.; Michel274; Maunz-DürigHerzog A r t 20 Rdnr63. 14 Hierzu die Begriffsbestimmung der V e r m u t u n g bei P. Schneider aaO 265 m i t A n m 19; vgl. auch Fuß 16. Aufschlußreich dazu Imboden aaO 142.

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Erster Teil: Einordnungsprobleme

i m Verhältnis von Verfassungsprinzip und Gesetzesnorm ihre (relative) Berechtigung. Auch ist das Interpretationsprinzip der Verfassungskonformität vor allem dort naheliegend, sachdienlich und praktisch bedeutsam, wo die Konservierung des verfassungsrechtlich zweifelhaften Gesetzes i n Frage steht. Es sollte indessen eingeräumt werden, daß dieser gedankliche Ansatz, für sich allein genommen, insofern noch ein Beharren auf dem gesetzesstaatlichen Rechtsstaatsverständnis anzeigt, als er von der Rangstufung von Gesetz und Verfassung nur dort Notiz nimmt, w o dies i m Interesse der unteren Normschicht, d.h. des Gesetzes, geboten ist. Denn müssen nicht „Gesetzesautorität" und „Rechtssicherheit" — auf die übergeordnete Normstufe der Verfassung angewendet — folgerichtig auch „Verfassungsautorität" und „Verfassungssicherheit" einschließen 16 ? Man w i r d i n der Tat nicht an der Einsicht vorbeikommen, daß i n einem System richterlicher Verfassungsunmittelbarkeit 17 die normative Rangstufung von Verfassungsprinzip und Gesetzesnorm auch interpretative Rangstufung, richterlich zu realisierende „Rechtshierarchie", „Prinzipienhierarchie", „Werthierarchie" usw. bedeuten muß 1 8 . Verfassungskonformität ist dann nicht nur Prinzipienkonkretion aus dem Blickwinkel der Normerhaltung, sondern auch Normanwendung aus dem Blickwinkel der Prinzipienkonkretion; nicht nur „normerhaltende Verfassungsanwendung" 1 9 , sondern auch „Verfassungserhaltende (und verfassungsentfaltende) Normanwendung"; kurz, nicht nur atypisches, dem Normenkontrollverfahren zugeordnetes Sonderprinzip, sondern allgemeines, gegenüber der Normenkontrolle verselbständigtes Regelprinzip jeder Rechtsanwendung. Das w i r d i m sachlichen Ergebnis i m übrigen auch durch die Rechtsprechung des BVerfG bestätigt, die ie Darüber treffende Hinweise i n B G H Z 10, 266 (279) i m Anschluß an die Frage der Richterreditsbildung i m Bereich des Gleichberechtigungsrechts (Art 3 II). 17 Oben § 3,2 a). Imboden aaO 142 i r r t also m i t der Bemerkung, daß die Funktionsbestimmung der verfassungskonformen Auslegung n u r „ i m Z u rückgehen auf letzte rechtsphilosophische Prämissen" geklärt werden könne. 18

Über die „Werthierarchie" als rechtstheoretisches Fundament der V e r fassungskonformität Imboden aaO. Vgl. dazu auch P. Schneider, W D S t R L 20 (1963), 29 f.; J.-P. Müller, Grundrechte 179 f. — Die A b l e h n i m g „interpretat i v e r Rangstufen" bei Forsthoff (C. Schmitt-Festschr. 38) ist i n dessen allgemeinem Rechtsstaatsverständnis begründet; dazu oben § 3 A n m 45 sowie unten §7111. — S. jetzt noch Germann, Probleme u. Methoden 95 f. sowie Larenz, Methodenlehre, 2. A u f l . 1969, S. 319 m. A n m . 3. — Jedoch sollte m. E., entgegen Larenz aaO, der Begriff der verfassungskonformen Auslegung nicht auf die Verfassungsauslegung ausgedehnt werden. Daß auch bei dieser der Gedanke der „Einheit der Rechtsordnung" gilt, rechtfertigt es allenfalls, hier v o n systemkonformer Verfassungsauslegung zu sprechen. Vgl. später unten § 8 I I 1. i» So vMK

Einl. S. 11.

§ 4. Verfassungsprinzip und Gesetzesauslegung

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— obwohl i m Begriffsansatz vom Normerhaltungsgedanken geprägt? 0 — der Regulativkraft des Verfassungsprinzips auch gegenüber normenkontrollrechtlich so neutralen Normen wie den herkömmlichen Generalklauseln zum Durchbruch zu verhelfen u n t e r n i m m t 2 1 (und darin nahezu einhellig positiven Widerhall i n der Rechtslehre findet 22). Man sollte sich deshalb dazu entschließen, sich auch i m theoretischen B i l d der verfassungskonformen Rechtsanwendung von dem als zu eng erwiesenen Verständnis der Normerhaltungstheorie zu lösen und die richterliche Verknüpfung von Verfassungsprinzip und Gesetzesnorm auch begrifflich-funktionell auf eine einheitliche und deshalb breitere Grundlage zu stellen 2 3 : Verfassungskonforme Auslegung, so läßt sich danach sagen, ist jede auf judizielle Vermittlung von Verfassung und gesetzlicher Rechtsordnung gerichtete Interpretation, gleichviel, ob sie der Konservierung einer verfassungsrechtlich zweifelhaften Norm dient oder nicht. Wie weit sich von dieser Voraussetzung aus der Bogen der verfassungskonformen Rechtsanwendung spannt, bleibt (abgesehen vom konkreten Normgehalt des Verfassungsprinzips) zunächst eine Frage ihrer methodensystematischen Einordnung. Π. Verfassungsprinzip, verfassungskonforme Auslegung und herkömmliche Auslegungsmethoden 1. Die Methodenspannung von Verfassungsprinzip und Gesetzesnorm ist nicht etwa schon dadurch aufzulösen, daß man das Verfahren der verfassungskonformen Auslegung aus der Normativkraft positiv-rechtlicher Verfassungsentscheidungen zu rechtfertigen sucht. Nach einer heute zwar etwas verblaßten, aber keineswegs aufgegebenen Lehre ist es allerdings statthaft, dem positiven Recht (und das w i r d für Normierungen des Verfassungsrechts erst recht zu gelten 20 Vgl. nochmals B V e r f G 2,266 (282) u n d dazu oben 1). «ι So das berühmt gewordene „ L ü t h - U r t e i l " ; B V e r f G 2,198 (205) m i t der K o m b i n a t i o n v o n Boykottverbot u n d Meinungsfreiheit (§826; A r t 5). — Vgl. neuerdings etwa B V e r f G 22,93 (98) z u m Verhältnis v o n Eheschutz u n d U n t e r haltspflicht. 22 Dazu statt vieler Maunz-Dilrig-Herzog A r t 1 R d n r 132; Leisner, G r u n d rechte 223 ff. 23 W e n n die Begriffserklärung i m sonst grundlegenden L ü t h - U r t e i l ( A n m 21) noch unterblieben ist, so w o h l deshalb, w e i l sich das Interesse dieser Entscheidung so sehr auf das (materiale) Drittwirkungsproblem konzentrierte, daß der Begriff der verfassungskonformen Auslegung nicht einmal v e r wendet wurde. — Z u r Abgrenzung gegen die Drittwirkungsfrage vgl. oben § 3,2 b) m i t A n m 47 ff. — Auch das sachlich auf den Konformitätsgedanken gestützte U r t e i l B V e r f G 22, 83 ff. (Armenrecht u n d Wiedereinsetzung) v e r wendet, offenbar wegen der herrschenden Begriffsverengung, den Begriff der verfassungskonformen Rechtsanwendung nicht, ebensowenig übrigens die Entscheidung B G H Z 50,325 ff. (zu A r t 9 Abs 3,50 Abs 2 ZPO). Vgl. auch noch unten § 51.

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Erster Teil: Einordnungsprobleme

haben) Hegeln der Gesetzesauslegung, Auslegungsnormen, zu entnehmen, die als Legislativentscheidungen gleiche Verbindlichkeit haben wie die Rechtsquellen des sachlichen positiven Rechts?4. Solche „Auslegungsnormen" können grundsätzlich auch ihrerseits auf einer Auslegung des positiven Rechts aufbauen, ohne daß man deshalb notwendig einem Zirkelschluß verfallen würde 2 5 . Man mag deshalb auch m i t dem BVerfG zur Rechtfertigung der richterlichen Verbindung von Verfassungsprinzip und Gesetz auf A r t 1 Abs 3 (Grundsatz der Verfassungsunmittelbarkeit) hinweisen 26 . Indessen: wie diese Unmittelbarkeit sich methodisch verwirklicht, wie das Verfassungsprinzip i n den Auslegungsvorgang einzugliedern ist, wie ein solches Verfahren sich i m Gefüge der herkömmlichen Auslegungsmethoden ausnimmt — alle diese Einordnungsfragen werden durch das positive Verfassungsrecht nicht beantwortet, sondern vielmehr gestellt. 2. Aber gibt es die herkömmliche Auslegungsdogmatik — als einheitliche Einordnungsgrundlage des Verfassungsprinzips — überhaupt? Die Weggabelung von, wie man zu sagen pflegt, „subjektiver" und „objektiver" Auslegungstheorie 27 prägt unser B i l d der traditionellen Rechtsanwendungslehre; und an der Frage, wie subjektive und objektive Momente bei der Bestimmung des Auslegungsziels einzupendeln sind, w i r d auch eine Theorie der verfassungskonformen Interpretation nicht vorübergehen können. Je stärker das Überwiegen subjektiver Auslegungskomponenten, desto enger und mühsamer der gedankliche Weg zur Einschaltung objektiver Verfassungsprinzipien i n den regelmäßigen Auslegungsvorgang. Dennoch sollte man sich nicht, wie i n der Literatur teilweise zu beobachten, vorschnell auf ein Alternativdenken i m Sinne des klassischen Methodenstreits festlegen 28 . a) Einmal deshalb, w e i l auch die i n erster Linie subjektiv einsetzenden Auslegungslehren sichtbar zunehmend darum bemüht sind, außer 24 Dazu i m m e r noch grundlegend Leonhard, Auslegung u n d Auslegungsnormen (1917). — S. w e i t e r h i n Engisch, Einführung 93 f.; Somlo, Jur. G r u n d lehre (1917) 377; Sax, Analogieverbot 58 f., 73 ff. 25 Vgl. den Begriff der „stillschweigenden Auslegungsnorm" bei Leonhard aaO 18; s. a. W. Jellinek, Gesetz 158; Reichel, Stammler-Festg. 294. — Z i r k e l schlüssig dagegen der Versuch der A b l e i t u n g einer allgemeinen Auslegungslehre aus dem positiven Recht; dagegen Sax aaO ( A n m 24). Z u weitgehend auch Leonhard aaO 20, der die gesamte Rechtsanwendimg auf positiv-rechtliches „Anwendungsrecht" zurückführen w i l l . 2« Vgl. etwa BVerfG 2,336 (340); 7,198(206); Wintrich, Apelt-Festschrift 9 f. 27 Z u m Problemstand statt vieler Engisch, Einführung 88 ff.; Larenz 30ff., 237ff; Meier-Hayoz, B e r n K o m m A r t i Ν . 140ff. 28 M a r k a n t etwa Haak 204, der die verfassungskonforme Auslegung f ü r nach der subjektiven Auslegungslehre nicht einordnungsfähig hält. Vgl. auch Michel 278 ff.; Bender 445 f.

§ 4. Verassungsprinzip und Gesetzesauslegung

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dem historischen Regelungsplan des Gesetzgebers auch objektiven Sinnelementen Raum zu geben. Die dogmengeschichtliche Entwicklung der Auslegungstheorien soll hier nicht i m einzelnen nachgezeichnet werden 2 9 . Unverkennbar jedenfalls ist eine fortschreitende A b schleifung des Theoriengegensatzes, eine Tendenz zur Annäherung und Vermittlung; eine Entwicklung also, die der lediglich kontradiktatorischen Gegenüberstellung von „subjektiver" und „objektiver" Methode 3 0 etwas Plakatives, Formelhaftes gibt. Mehr und mehr w i r d der Weg frei für die Einsicht, daß keine Interpretationslehre ohne eine — wie immer geartete — Kombination „subjektiver" und „objektiver" Sinnelemente auszukommen vermag 81 . Auch die Vertreter der subjektiven Betrachtungsweise lösen sich zusehends von einer einseitig historisch-psychologischen Erforschung der gesetzgeberischen Willensinhalte. Hecks Übergang vom „psychologischen" zum „normativen" Willen des Gesetzgebers (wobei „Gesetzgeber" bei i h m nur für die legislativ kausalen Interessen steht) 32 , Nawiaskys Rekurs auf den „erkennbar letzten Willen des Gesetzgebers" 33 , Livers betonte Verknüpfung von „historischem" und „systematischem" Interpretationselement 34 sind nur einige Merkmale dieser so deutlich auf Synthese drängenden Entwicklung: Das Gesetz ist, dieser Entwicklung nach, weder nur als (inhaltlich beliebiger) historischer Willensakt noch als Bekundung einer (ungeschichtlich gedachten) objektiven Rechts Vernunft zu sehen. Es sei dazu auf die — auch i n der Judikatur des B G H 3 5 aufgenommene — dialektische Verknüpfung der Auslegungstheorien i n der Lehre von Larenz 36 verwiesen; eine Lehre, nach der der Wille des Gesetzgebers nicht mehr und nicht weniger als ein wichtiges Moment für die Feststellung des als Erkennungsziel maßgeblichen objektiv-normativen (heutigen) Gesetzessinnes sein kann. Vermittelnde Lösungen dieser A r t , wenn auch i n ihren Begründungen und Schattierungen uneinheitlich, sind i m Be29 Dazu Engisch aaO; Larenz aaO (jeweils oben A n m 27); Enn.-Nipp. §54 sowie ferner Lüchinger 24 ff., je m i t weiteren Fundstellen. Vgl. auch Germann, Probleme u. Methoden 66 ff. 30 Wie sie besonders die Argumentation v o n Michel 278 ff. beherrscht. 31 Ehmke k a n n geradezu feststellen, daß „unsere diversen herkömmlichen Auslegungsmethoden" als „verabsolutierte partielle Interpretationsgesichtsp u n k t e " zu werten seien ( V V D S t R L 20 [1963] 99, These I 2 d). 32 Gesetzesauslegung 8 u. ö. Auch f ü r Reichel ist der W i l l e des Gesetzgebers nicht „Phänomen", sondern „Noumenon" (Gesetz 75) u n d Windscheid h i l f t sich m i t der Hypothese eines „eigentlichen Willens" des Gesetzgebers (Pandekten, 7. A u f l . § 22 S. 54). 33 AllgRechtsl 128 ff. (130); vgl. auch AllgStaatsl I I 2 §38 S.40. 34 W i l l e des Gesetzes 28 f. 35 B G H Z 37, 58 (60 f.). Vgl. auch B G H Z 46, 74 (801). 36 Methodenlehre 237 ff. (240).

4 Göldner

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Erster Teil: Einordnungsprobleme

griff, zur herrschenden Auslegungslehre zu werden 3 7 , der sich (nach anfänglichem Schwanken) auch das BVerfG nicht mehr zu verschließen scheint 38 . Folgt m a n dem, so sieht m a n den Gedanken verfassungskonformer A u s legung m i t geradezu überraschender K l a r h e i t i n der allgemeinen Auslegungslehre vorgezeichnet. Die K o m b i n a t i o n v o n Verfassungsprinzip u n d Gesetzesn o r m ist dann n u r ein Anwendungsfall der aufgrund dieser vermittelnden Lehren»» zu fordernden Verknüpfung historischer Zweckvorstellungen m i t sachimmanenten Rechtsprinzipien der jeweiligen Rechtsordnung; u n d j e länger der Zeitablauf seit Gesetzeserlaß (wie bei den großen Privatrechtskodifikationen), desto stärker a u d i das Gewicht der i m Prinzip sich ausformenden objektiven Sinnelemente 4 0 » 4 1 .

b) Noch eine weitere Überlegung spricht dagegen, die Einordnung der verfassungskonformen Auslegung unbesehen an die allgemeine Kontroverse der Ausgangstheorien zu binden: Der Zugang zum Verfassungsprinzip dürfte für keinen auslegungstheoretischen Standpunkt, selbst nicht für den uneingeschränktesten Subjektivismus, ganz versperrt sein. Es bedarf dazu allerdings einer schärferen Fassung der hier interessierenden Problemstellung. Jede Auslegimg (so bereits die Lehre Savignys) A2 sieht sich einer doppelten Aufgabe gegenüber: einmal der „Auslegung der einzelnen Rechtsquellen", zum anderen der „Auslegung der Rechtsquellen i m ganzen". Lediglich der erstgenannten Aufgabenstellung gilt, genau besehen, der Methodenstreit der Objektivisten, Subjektivisten und Synkretisten. I h r Kontroverspunkt ist die Frage, auf welches Erkenntnisziel h i n die einzelne Rechtsnorm auszulegen ist, wessen Vorstellungen und welcher Zeitpunkt dabei maßgebend sind; ein Kontroverspunkt, der etwa dann praktisch wird, wenn i n den für den Gesetzgebungsakt grundlegenden 37

Vgl. bereits Reichel 77; Burckhardt, Methode 280; Sauer 297 f. sowie neuerdings Siebert 8 ff., 46; Sax 63 ff.; Stern 171 ff., 224; Zimmermann NJW 54,1628(1630); Bender JZ 57,593 ff. — Ansätze i n der Rechtsprechung auch schon i n RGZ 74, 69 (72); B G H Z 33, 1 (6); 33, 321 (330); 36,370 (377). — Überholt deshalb die einseitig subjektivistischen bzw. objektivistischen Streitstanddiagnosen bei Zimmermann (NJW 52, 959 r.) bzw. bei Marcie ( J u r B l 83,390). 38 B V e r f G 11,126 (129 ff.). Z u r Entwicklungslinie: H. Müller J Z 62,471 ; Ehmke 57 ff. Vgl. auch B V e r f G 24,1 (15). sa Dazu nochmals Larenz 240. 40 Die sich i n der Verfassungsjudikatur ohnehin deutlich i n den Vordergrund schieben; vgl. B V e r f G 9,194 (200); 12,45(61); 24,1(15). Deshalb auch das (graduell) größere Gewicht des Verfassungsprinzips i m Bereich der vorkonstitutionellen Normenordnung; vgl. etwa Michel 280 f.; Bender 446. — I n der Sicht der allgemeinen Auslegungslehre: Das Gesetz unterliegt einem (durch die Verfassung mitbestimmten) „Bedeutungswandel"; hierzu Betti, Raape-Festsdir. 397/8; Larenz 261 ff., 268 f.; Siebert 43, 45; Zippelius 176 ff.; Stern 289 (mit N a d i w . aus der Rspr.) sowie auch bereits Regelsberger, Pandekten (1893) 144. — Vgl. dazu auch Germann, Probleme u. Methoden 98 f. 4a System 1212 ff., 262 ff.

§ 4. Verfassungsprinzip u n d Gesetzesauslegung

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sozialen, w i r t s c h a f t l i c h e n o d e r technischen V e r h ä l t n i s s e n eine Ä n d e r u n g eingetreten ist (Phänomenwandel, Realienwandel)43. Anders dagegen b e i d e r i n t e r p r e t a t o r i s c h e n V e r w e r t i m g des V e r f a s s u n g s p r i n z i p s . A u c h h i e r k a n n sich z w a r e i n W a n d e l d e r R e c h t s r e a l i e n m i t t e l b a r als i n h a l t l i c h e r B e s t i m m u n g s g r u n d des V e r f a s s u n g s p r i n z i p s g e l t e n d m a c h e n 4 4 . U n m i t t e l b a r b l e i b t j e d o c h d i e E i n s c h a l t u n g des P r i n z i p s i n d e n A u s l e g u n g s v o r g a n g ( i m S i n n e des z w e i t e n v o n Savigny bezeichneten A u f g a b e n k r e i s e s ) e i n e F r a g e d e r „ A u s l e g u n g d e r Rechtsq u e l l e n i m g a n z e n " ; u n d Verfassungswechsel ist k e i n Phänomen- oder R e a l i e n w a n d e l 4 5 , s o n d e r n Normwandel, Rechtswandel. Auch der Subjektivist reinster Prägung w i r d sich i n diesem P u n k t , gerade bei konsequenter Verfolgung seiner Lehre, zu Zugeständnissen genötigt sehen. Das verfassungsrechtlich rezipierte Prinzip — dies eine rechtstheoretische Folge der Positivierung — ist nicht m e h r n u r (objektiver) „ W e r t " , sondern auch (subjektive) „ W e r t u n g " 4 6 ; es ist nicht lediglich (objektives) „Ordnungselement", sondern auch (subjektive) „Ordnungsvorstellung", m i t anderen Worten: bei aller Allgemeinheit doch m i t dem verfassungsrechtlichen Rezeptionsakt Willensinhalt des i n dieser Sicht maßgeblichen historischen Gesetzgebers geworden 4 *. Weder ist der Richter ausschließlich u n d u n e i n geschränkt an den einfach-gesetzlichen Regelungsplan gebunden 4 » n o d i bedarf es des Nachweises eines „Phänomenwandels" 4 ®, u m den verfassungsgesetzlichen Ordnungsvorstellungen Eingang i n das Auslegungsverfahren zu verschaffen: So sehr auch ein voluntaristisçhes Gesetzesverständnis, w i e 43

Hierüber zuletzt Meier-Hayoz, B e r n K o m m A r t 1 N. 156,323 ff., 514 ff. m i t w e i t . H i n w . ; vgl. auch die zusammenfassende Würdigung der deutschen Rspr. bei Zimmermann N J W 53,484 sowie bei D. u. G. Reinicke M D R 57,193. 44 So auch i n der Ausgestaltung verfassungskonformen Persönlichkeitsschutzes; dazu vorläufig J.-P. Müller 19 ff. u n d näher u n t e n §8115. « Dies gegen Bender 446. 4e Z u diesem Begriffspaar Larenz 124/5. 47 So daß gerade v o n hier aus die Gesetzesbindung Legitimationsgrund richterlicher Prinzipienwertung sein muß. Z u m Verhältnis v o n Verfassungsu n d Gesetzesbindung vgl. schon die Fundstellen oben § 3 A n m 33. 4 ® Anders hierzu Miche l 278 ff.; Bender 445 f.; Eckardt 53 ff., die die v e r fassungskonforme Interpretation jedenfalls dem Grundsatz nach durch die einfach-gesetzgeberischen Ordnungsvorstellungen begrenzt wissen wollen. Ä h n l i c h a u d i G. u. D. Reinicke N J W 55, 1655 f. sowie L G München I Ufìta 41 (1964), 336. — Die Zugeständnisse, die v o n Michel 280 f. u n d Bender 446 (entgegen Eckardt 56 f.) zugunsten einer weitergehenden Verfassungskonformität f ü r den vorkonstitutionellen Rechtsbereich gemacht werden, bleiben insofern zu sparsam, als diese Autoren, i h r e m historischen Denkansatz entsprechend, offenbar eine inhaltliche Verfassungsänderung nach Gesetzeserlaß voraussetzen müssen, u m das Abgehen v o m Legislativplan zu rechtfertigen. Wie aber, w e n n das Verfassungsprinzip bereits vorkonstitutionell i n Geltung stand, jedoch i n seinem konkreten Regelungsinhalt heute anders i n t e r pretiert w i r d ? Vgl. die Bemerkungen zum Doppelcharakter rechtsethischer Verfassungsprinzipien oben § 3 , 2 a) a.E. Das zeigt übrigens, daß die üblich gewordene verfassungsprozessuale Trennung v o r - u n d nachkonstitutionellen Rechts nicht unbesehen auf die Methodenfragen der Rechtsanwendung zu übertragen ist. Vgl. dazu auch n o d i u n t e n §6,2. 4

» Vgl. oben bei A n m 45.

4*

52

Erster T e i l : Einordnungsprobleme

es die subjektive Auslegungslehre voraussetzt, i n erster L i n i e auf detaillierte gesetzgeberische Einzelplanungen angelegt sein mag, der Aufgabe, solche Einzelplanungen m i t den positiven Generalwertungen ein u n d derselben historischen Hechtsordnung auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, k a n n sich auch diese Theorie folgerichtigerweise nicht entziehen. V e r f a s s u n g s k o n f o r m e A u s l e g u n g , so l ä ß t sich d a n a c h sagen, i s t eine F r a g e d e r Rechtsquellenkombination 60, d i e sich f ü r O b j e k t i v i s t e n , S u b j e k t i v i s t e n u n d S y n k r e t i s t e n — so sehr sich i h r e W e g e i m e i n zelnen v o n e i n a n d e r t r e n n e n m ö g e n — i n grundsätzlich gleicher Weise stellt. 3. R e c h t s q u e l l e n k o m b i n a t i o n b e d e u t e t : R e c h t s q u e l l e n h a r m o n i s i e r u n g . V e r f a s s u n g s k o n f o r m i t ä t w i r d so z u e i n e m P r o b l e m d e r Einheit der Rechtsordnung u n d d a m i t des rechtstheoretischen S y s t e m v e r s t ä n d nisses51·52. D e r — vielfach allerdings n u r summarische — H i n w e i s d a r a u f i s t i n d e r D i s k u s s i o n z u m K o n f o r m i t ä t s g e d a n k e n auch n i c h t e t w a n e u 5 3 . S o l l jedoch d i e B e r u f u n g a u f das E i n h e i t s p o s t u l a t (die u n s auch f ü r d i e R e c h t s f o r t b i l d u n g s s t u f e noch z u beschäftigen h a b e n w i r d ) m e h r als n u r e i n e zweckgerechte L e e r f o r m e l sein, so b e d a r f sie a l l e r d i n g s e i n e r e t w a s n ä h e r e n K e n n z e i c h n u n g v o n d e n V o r a u s setzungen d e r a l l g e m e i n e n R e c h t s a n w e n d u n g s t h e o r i e aus. so Richtig z u m Ineinandergreifen v o n V e r f a s s u n g - u n d Gesetzesbindung Haak 112. — Es handelt sich also nicht etwa u m einen A k t der „ U m d e u t i m g " (analog der Konversion rechtsgeschäftlicher Willenserklärungen, § 142). Nicht ein hypothetischer W i l l e des Gesetzgebers — w i e dort der hypothetische Parteiwille —, sondern ein i n den aktuellen W i l l e n des Verfassunggebers aufgenommenes Prinzip ist die Grundlage der verfk. Auslegung. — Eine andere Frage ist es, i n w i e w e i t das Prinzip einen objektiven Bedeutungswandel der N o r m herbeiführen kann; dazu oben A n m 41. Gegen die U m deutungsvorstellung m i t Recht auch Eckardt 65 f. si Dazu, i m m e r noch führend, Engisch, Einheit der Rechtsordnung (1935), passim. Der — monographisch seither anscheinend nicht mehr erörterte — Fragenkreis ist v o n Engisch selbst i n seiner „ E i n f ü h r u n g " (156 f f m i t weit. Hinw.) wiederaufgenommen worden. Über die F u n k t i o n des Einheitsgedankens i n der allg. Hermeneutik Coing, Die j u r . Auslegungsmethoden 14 f., 18 f.; Betti, Rabel-Festschr. I I 79 (101 ff.); Gadamer, Wahrheit u. Methode (2. Aufl.) 433 ff. Z u r neueren systemtheoretischen L i t . s. unten subc). 52 Der — i n der Rechtstheorie übrigens noch w e n i g ausgewertete — Z u sammenhang des Einheits- m i t dem Systemgedanken ist schon i n dem einfachen Umstand begründet, daß „Einheit der Rechtsordnung" immer Einheit des „Rechtssystems" und, dementsprechend, „System" stets der auf jene „ E i n h e i t " gerichtete Gesamtzusammenhang des Rechtsgefüges ist. Dazu näher unten subc). 53 Wintrich, Laforet-Festschr. 249; Stickrodt 103; Michel 275 f. Ehmke 74; Haak 229 ff., 233; Eckardt 44,71; B G H JZ 60,164 (167 lks.); B a y e r V G H ÖV52, 373 (374). — S. noch Spanner AöR 91, 507 ff. sowie Hesse, Grundzüge 32. — Die Einschränkung von Fuß 13 ff. (16), nach der verfassungskonforme Auslegung n u r hilfsweise — bei Versagen der üblichen Auslegungsformen — i n Frage kommt, dürfte auf die unvermittelte A n t i n o m i e zurückgehen, i n der Fuß (vgl. bes. S. 16) Verfassung u n d Gesetz beläßt, w i e denn auch die Einheitsvorstellung von i h m f ü r die Begründung der verfassungskonformen Rechtsanwendimg nicht eingesetzt w i r d .

§ 4. Verfassungsprinzip und Gesetzesauslegung

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a) Die Überlegung, daß jede richterliche Rechtsanwendung darauf gerichtet ist, die einzelne Rechtsnorm i n das Gesamtrechtsgefüge einzuordnen — Esser spricht deshalb von der „integrierenden" Funktion des Richterspruchs 54 — gehört ihrem Kern nach bereits zum gesicherten Traditionsgut juristischer Hermeneutik. Savignys Formulierung 5 5 , daß „die Gesamtheit der Rechtsquellen ein Ganzes bilde, welches zur Lösung jeder vorhandenen Aufgabe i m Gebiet des Rechts bestimmt sei", drückt dies bereits mit unübertroffener Klarheit aus. Dieser — schon i n der Einheit des zu beurteilenden Sachverhalts (der „Aufgabe" i m Sinne Savignys) begründete — Zusammenhang 56 ist auch i n der Rechtsanwendungstradition schon so sehr zu einer Selbstverständlichkeit geworden, daß der darauf aufbauende A k t richterlicher Rechtsintegration nicht selten bereits stillschweigend vollzogen w i r d 5 7 . Man weiß, daß die einzelne Rechtsnorm i m Grunde nur eine „künstliche Isolation" ist (Somlo) 58 und daß der Richter, auch ohne besondere — ausdrückliche oder stillschweigende — Verweisung, die Entscheidungsnorm erst „aus der gesamten Rechtsordnung Schritt für Schritt aufzubauen" und zu „ergänzen" hat (Engisch) 59. I n dieser Grundvorstellung der Integration durch Interpretation t r i f f t sich das Verfahren der verfassungskonformen Auslegung m i t den herkömmlichen Auslegungsmethoden, an denen es nur für den zunächst noch ungewohnten Sachbereich der kombinierten Verfassungs- und Gesetzesanwendung folgerichtig festzuhalten gibt. Die Auffassung von Michel, f ü r den das „einzelne Gesetz" das Z i e l der (von i h m so genannten) „gewöhnlichen" Auslegung u n d die verfassungskonforme Auslegung deshalb atypischer N a t u r i s t 8 0 , muß sich danach entgegenhalten lassen, daß sie ein irriges B i l d der traditionellen („gewöhnlichen") Auslegungsaufgabe zugrundelegt. Sie übersieht, daß die übliche Rede v o n der Auslegung „des" Gesetzes n u r als Breviloquenz zu verstehen ist, die das w i r k l i c h e Ziel der Auslegung nicht erschöpfend umschreibt«*. Die — freilich gebräuchliche — primäre A n k n ü p f u n g an einen einzelnen (nämlich den problemnächsten) Rechtssatz ist lediglich ein Gebot der auslegungstechnischen P r a k t i k a b i l i t ä t — w i e sollte der Rechtsanwender anders v e r 54 Grundsatz u. N o r m 255,259 m i t A n m 101 u. ö. «β System 1262. se Vgl. Coing , Geschichte des Systemgedankens (Neuausgabe 1961) S. 10. Darüber treffend Meier-Hayoz, B e r n K o m m A r t 1 N. 188; Keller 103. 58 JurGrundl. (1917), 382; ähnlich Leonhard 16. 5» Einheit 26/27; vgl. auch bereits Wach, Handb. zur C P O I § 20 S. 257; Sohm bei Hinneberg (s. L i t . Verz.) S. 83; Heck, Begriffsbildung 150. Vgl. JuS 61, 275 lks sub I I . I m Widerspruch hierzu freilich das Zwischenergebnis dort sub I I a . E . 61 „Gesetz" ist also — hier w i e stets — n u r , pars pro toto, als Gesamtheit der jeweils vorhandenen aktuellen Rechtsquellen zu verstehen; vgl. Larenz 279. Dazu nochmals Leonhard 16.

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Erster Teil: Einordnungsprobleme

fahren? — ; sie berechtigt uns aber nicht dazu, die übrigen, auch bereits bei der üblichen Auslegung mitzuberücksichtigenden Rechtsnormen m i t Michel lediglich als „Auslegungsmittel" eben dieses p r i m ä r herangezogenen, problemnächsten Rechtssatzes anzusehen: Die instrumentale F u n k t i o n einer Rechtsquelle k a n n nicht — worauf die Ansicht Michels hinauslaufen würde — aus der mehr oder weniger zufälligen primären A n k n ü p f u n g des Auslegers an eine andere Rechtsnorm hergeleitet werden.

b) Die interpretatorische Verknüpfimg von Verfassungsprinzip und Gesetzesnorm f ü h r t uns auch nicht etwa über den folgerichtig zu Ende gedachten gegenständlichen Anwendungsbereich des allgemeinen Einheitsgedankens hinaus, der i m näheren folgende Einzelauffächer u n g zeigt: (1) Jede Interpretation bedeutet zunächst gesetzestechnische Integration, d. h. Verbindung gesetzgebungstechnisch verselbständigter Rechtsquellen. Daß insbesondere auch der Privatrechtsanwender, u n beschadet des Kodifikationsprinzips 6 2 , nicht etwa auf eine isolierte Interpretation des B G B festzulegen ist, ist nicht mehr als eine methodische Selbstverständlichkeit, die durch den umfassenden Gesetzesbegriff des A r t 2 EGBGB n u r bestätigt w i r d ; man denke n u r an die interpretatorische Verknüpfung des B G B m i t Nebengesetzen w i e dem Abzahlungsgesetz, dem Wohnungseigentumsgesetz, dem Ehegesetz usw. I n diesen Vorgang gesetzestechnischer Integration fügt es sich ein, wenn der Rechtsanwender — soweit sachlich zusammengehörig — auch B G B und G G 6 8 als j e unmittelbare Rechtsquellen nicht unverbunden nebeneinander stehen läßt. F ü r den Bereich vorkonstitutionellen Privatrechts w i r d dies auch bereits an der Rezeptionsbedingung der Verfassungskonformität ( A r t 123 Abs 1) sichtbar® 4. (2) Auslegung schließt sodann immer auch strukturelle Integration, Verknüpfung strukturverschiedener Rechtsquellen, ein. Sie erschöpft sich nicht i n der Kombination förmlicher Rechtssätze untereinander, sondern verbindet diese, w o einschlägig, auch m i t rechtslogisch anders strukturierten Rechtsquellen. Das g i l t etwa, w i e aus A r t 2 EGBGB folgt, für die Verknüpfung m i t dem oft wenig ausgeformten Gewohnheitsrecht 6 5 u n d — wie spätestens seit Esser 66 feststehen dürfte — insbesondere auch f ü r die Einbeziehung nicht-rechtssatzförmiger Rechtsprinzipien i n den Prozeß richterlicher Urteilsbildung. Dies i m β* Über dessen n u r relative Geltung statt aller Enn.-Nipp. § 131 S. 49. Ergänzt gegebenenfalls durch die E M R K ; dazu noch unten § 151 a. E. β* Damit erledigen sich f ü r das GG auch die Bedenken, w i e sie sonst — etwa nach der Stufentheorie Kelsens — i m Falle eines Verfassungswechsels gegen die postulierte Einheit der Rechtsordnung aufkommen können. Dazu Engisch, Einheit 18 ff. m i t weit. N a d i w . es Vgl. Enn.-Nipp. §381111; über die methodische Eigenproblematik des Gewohnheitsrechts: Larenz 269 ff. «« Grundsatz u. N o r m 18/19,253 ff. u. passim. 63

§ 4. Verfassungsprinzip und Gesetzesauslegung

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übrigen schon deshalb, weil die Strukturgrenzen zwischen den Arten von Rechtsquellen i n so hohem Maße fließend geworden sind 6 7 , daß die Beschränkung der Rechtsanwendung auf fertig ausgeformte Rechtssätze schon rechtslogisch kaum mehr durchzuhalten wäre. Verschmelzung prinzipienförmigen Verfassungsrechts m i t rechtssatzförmigem Gesetzesrecht entspricht auch darin der richtig verstandenen allgemeinen Reichweite des Einheitspostulats. (3) Interpretation heißt weiterhin stets auch: rechtssystematische Integration. Sie überwindet (immer unter dem Vorbehalt sachlicher Zusammengehörigkeit der Rechtsquellen) auch die Grenzen der rechtsdogmatischen Gebietssystematik. Man denke an die Verzahnung von privatem und öffentlichem Nachbarrecht (§§ 903 ff. BGB; § 26 GewO), von privat- und öffentlich-rechtlichen Elementen i m Amtshaftungsrecht usf. Das vielerörterte Spannungsverhältnis von öffentlichem und privatem Recht 68 , ohnedies kein spezifisches Problem der verfassungskonformen Auslegung 6 9 , braucht den Rechtsanwender jedenfalls dort nicht zu belasten, wo (wie hier) elementare Verfassungsprinzipien i n Frage stehen, die, obwohl der positiven Systematik nach Verfassungsbestandteile, sachlich doch universale Rechtsprinzipien sind 7 0 . (4) Rechtsanwendung umfaßt endlich auch, soweit inhaltlich geboten, vertikale oder normhierarchische Integration, d. h. Kombination rangverschiedener Rechtsquellen. Erwähnt seien als Musterbeispiele nur die Verknüpfung von Gesetzes- und Verfassungsrecht i m Amtshaftungsrecht (der „Beamtenbegriff " w i r d der Verfassung entnommen), weiter etwa die Verbindung von Gesetzes- und Verordnungsrecht i n der Viehmängelhaftung (§482 Abs 2) oder auch das Zusammenspiel von Bundes- und Landesrecht i n den Rechtsmaterien der A r t 56 ff. EGBGB usw. Der interpretatorische Brückenschlag von Gesetz und Verfassung, wie i h n die verfassungskonforme Auslegung unternimmt, e? Darüber schon oben § 3,3 m i t Beisp. «β Darüber — unter d e m Gesichtspunkt des Einheitspostulates — besonders Engisch aaO 36 ff., 55 ff. Sondern vielmehr ein (materiale^) Problem der allgemeinen Rechtstheorie, wobei sich das hermeneutische Problem der Verfassungskonformität i m übrigen j a auch i m Bereich des öffentlichen Rechts stellt! Anders hierzu anscheinend Mertens JuS 62, 261 (263 f.). 70 Vgl. oben § 3,2 b (zur Abgrenzung gegen das Drittwirkungsproblem). Sachlich entspricht dies der Vorstellung eines Allgemeinen Teils des Rechts, obwohl sich dieser Gedanke, w o h l wegen seines übermäßigen A b straktionsgrades, rechtsdogmatisch noch nicht i n festere Formen hat bringen lassen. Vgl. H.J.Wolff, Jellinek-Gedächtnisschrift 33 bei A n m 4 sowie eingehend Karl Friedrichs, Der allgemeine T e i l des Rechts (1927); Engisch, Einheit 78 ff.

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Erster T e i l : Einordnungsprobleme

h a t d a r i n b e r e i t s seine v o r k o n s t i t u t i o n e l l e n , besser:

vorgrundgesetz-

lichen Funktionsmuster. Es wäre j a auch nicht einzusehen, inwiefern eine Rechtsnorm ihres höheren Ranges wegen (!) f ü r den Rechtsanwender unbeachtlich sein sollte. Nichts anderes w ü r d e es aber bedeuten, w e n n eine N o r m der Verfassungsstufe aus dem Vorgang richterlicher Rechtsintegration ausgeschlossen bliebe. Die i m Schrifttum zur verfassungskonformen Rechtsanwendung insoweit nicht i m m e r eindeutige Problemstellung 7 1 bedarf deshalb einer Präzisierung: Die Frage f ü r den Rechtsanwender ist nur, ob auch Rechtsnormen der Verfassungsstufe — ungeachtet ihres normhierarchischen Vorrangs — den Charakter unmittelbar geltenden Rechts haben; sie hat das G G grundsätzlich positiv beantwortet 7 2 . Wäre dies nicht der F a l l 7 3 , so w ü r d e über diesen Mangel keine w i e i m m e r angelegte rechtstheoretische Konstruktion? 4 hinweghelfen, w i e umgekehrt i n einem System richterlicher Verfassungsunmittelbarkeit die K o m b i n a t i o n von Gesetzes- u n d Verfassungsrecht — allgemeiner: die Interpretation konform dem übergeordneten Recht™ — n u r als A u s prägung der generellen richterlichen Integrationsaufgabe gesehen werden sollte 7 6 . c) A b e r w e l c h e Folgerungen lassen sich ( i n d e m so u m g r e n z t e n g e g e n s t ä n d l i c h e n A n w e n d u n g s b e r e i c h ) aus d e m E i n h e i t s g e d a n k e n f ü r d i e V e r k n ü p f u n g v o n V e r f a s s u n g u n d Gesetz ziehen, w a s i s t d e r m e t h o d i s c h e I n h a l t des E i n h e i t s p o s t u l a t s ? Das f ü h r t a u f d i e w e i t e r e Frage, i n welches rechtstheoretische S y s t e m v e r s t ä n d n i s m a n d e n G e danken der Verfassungskonformität einzubetten hat. M u s t e r n w i r d a b e i zunächst Kelsens S y s t e m des n o r m l o g i s c h e n Stufenbaus 77, m i t dem m a n i n der Theorie der verfassungskonformen R e c h t s a n w e n d u n g t e i l w e i s e z u a r b e i t e n sucht. Michel 78, d e r auch h i e r z u d i e interessantesten G e s i c h t s p u n k t e beisteuert, w i l l f o l g e n d e r m a ß e n 71 Vgl. Michel JuS61,275f. 72 Über das Prinzip der richterlichen Verfassungsunmittelbarkeit s. oben § 3 , 2 a). 73 Symptomatisch die Grenzfälle der A r t 3 Abs 2, A r t 6 Abs 5; dazu besonders B V e r f G 3, 225 ff.; 8,210 ff.; N J W 69, 597 ff. 74 Insbesondere nicht die v o n Michel bemühte Stufenbautheorie Kelsens, die — w i e die Reine Rechtslehre überhaupt — ihren Voraussetzungen nach n u r unter dem Vorbehalt entgegenstehenden positiven Rechts gelten k a n n ; vgl. die Klarstellung bei Kelsen, Reine Rechtsl. (2. Aufl.) 276. Dazu näher subc). 78 Imboden, H. Huber-Festschrift 142. — Vgl. auch die Beisp. z u m V e r hältnis von Bundes- u n d Landesrecht sowie v o n Gesetz u n d Verordnung bei Michel 275. Ä h n l i c h f ü r die Normenkontrolle Fuß 13 f. Vgl. auch den Begriff der „bundesrechtskonformen Auslegung des Landesrechts" bei Bachof, Verfassungsrecht I I 58. 76 Vorausgesetzt nur, daß m a n den grundsätzlichen auslegungstheoretischen Ansatz nicht n u r zu eng n i m m t ; dazu oben bei A n m 61 ff. 77 Dazu Kelsen, AllgStaatsl §§ 33, 36, aufbauend auf Merkl, Lehre von der Rechtskraft 181 ff. (213 ff.); Kelsen, Reine Rechtsl (2. Aufl.) 228ff.; Nawiasky AllgRechtsl 43 ff.; Larenz 68 ff. (79 ff.); Wieacker, Privatrechtsgeschichte 589 ff. 78 aaO 276. — S. auch Spanner AöR 91 (1966) 507 ff.

§ 4. Verfassungsprinzip u n d Gesetzesauslegung

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a r g u m e n t i e r e n : W e n n sich nach d e m Rechtserzeugungssystem Kelsens d i e R e c h t s o r d n u n g i m W e g e s t u f e n w e i s e r I n d i v i d u a l i s i e r u n g aus d e r „ G r u n d n o r m " ü b e r V e r f a s s u n g u n d Gesetz b i s z u m R i c h t e r s p r u c h h i n e n t f a l t e , so gestatte u n s dies g l e i c h z e i t i g die S c h l u ß f o l g e r u n g , daß d i e N o r m e n d e r j e w e i l s u n t e r e n E r z e u g u n g s s t u f e ( h i e r also: des Gesetzes) d u r c h d i e j e n i g e n d e r j e w e i l s h ö h e r e n E r z e u g u n g s s t u f e ( h i e r also: d e r Verfassung) auch i h r e m I n h a l t nach b e s t i m m t w ü r d e n . Gegen Michel w i r d sich allerdings nicht m i t Mertens™ summarisch einwenden lassen, daß die Theorie Kelsens n u r das normlogische Rechtssystem u n d nicht — wie die verfassungskonforme Rechtsanwendung — den Rechtsinhalt betreffe. Kelsen abstrahiert zwar (in der T r a d i t i o n der „allgemeinen Rechtslehre") 8 0 bewußt v o m I n h a l t der jeweiligen positiven Rechtsordnungen. Auch hat die „ G r u n d n o r m " f ü r Kelsen — als lediglich formal einheitsbegründende Denkhypothese des Stufenbaus — definitionsgemäß keinen w i e immer gearteten ableitungsfähigen I n h a l t 8 1 . Anders dagegen — nach Kelsens authentischer Selbstinterpretation — f ü r die nachfolgenden Stufen des Rechtserzeugungssystems: Eine materiale Bestimmungsfunktion i n den Relationen Verfassung - Gesetz, Gesetz - Richterspruch w i r d v o n Kelsen dem Grundsatz nach sehr w o h l anerkannt 8 2 . Kelsen selbst hat dies m i t seiner grundsätzlich positiven Stellungnahme zur Frage des richterlichen Prüfungsrechts seinerzeit unmißverständlich exemplifiziert 8 3 . W e n n u n s das S y s t e m v e r s t ä n d n i s Kelsens, entgegen Michel, für unser P r o b l e m dennoch i m S t i c h läßt, so deshalb, w e i l sich d i e B e s t i m m u n g s f u n k t i o n der höherrangigen Rechtsnorm, w i e die jeder I n t e r p r e t a t i o n , v o n d e n P r ä m i s s e n Kelsens aus i n d e r U m g r e n z i m g u n d F e s t l e g u n g eines g r a m m a t i s c h - l o g i s c h e n I n t e r p r e t a t i o n s r a h m e n s erschöpfen m u ß . I n n e r h a l b dieses R a h m e n s i s t f ü r Kelsen jede E n t scheidung m e t h o d i s c h g l e i c h „ r i c h t i g " oder gleich „ f a l s c h " u n d deshalb d e m f r e i e n B e l i e b e n d e r r e c h t s a n w e n d e n d e n I n s t a n z — also i m E r g e b n i s als methodenfreier Raum — überlassen. A u c h d a r ü b e r h a t u n s Kelsen n i c h t i m u n k l a r e n gelassen 8 4 . Z u g e s p i t z t f o r m u l i e r t : Kelsen sagt d e m ™ JuS 62,263. ® Larenz 70. Vergleichbar insoweit die „Juristische Prinzipienlehre" Bierlings (1894—1917) oder die „Allgemeine Rechtslehre" Nawiaskys (1948). 8 * Reine Rechtsl (2. Aufl.) 196 ff. (201 A n m l ) , 209; insoweit zutr. Mertens aaO. 82 Kelsen, Z u m Interpretationsproblem, Rev. I n t . de l a Théorie d u D r o i t 9 (1934), 9 ff. — Z u r Bedeutung der Lehren Kelsens f ü r den Verfassungsbereich i m allg. noch Marcic JurB183 (1961), 385 ff.; Haak 214 ff. sowie Ermacora, Verfassungsrecht durch Richterspruch (1960), passim. 83 AllgStaatsl. 287 ff., 289 f. — Die „ W i r k k r a f t " einer N o r m ist also i m Sinne Kelsens —> entgegen der Darstellung bei Leisner 61 — nicht auf die jeweils nächstuntere Stufe des Rechtserzeugungssystems zu beschränken. 84 Dazu bereits eindeutig i n : Interpretationsproblem 10. — So auch Reine Rechtsl (2. Aufl.) 348. — Ä h n l i c h schon Merkl GrünhZ 42 (1916), 535 ff. — Anders, w e n n m a n Kelsens Stufenbaulehre i m materiellen Sinne abwandelt; vgl. dazu Arth. Kauf mann, E. Wolff-Festschrift 357 ff., 384 ff. — Z u m v o r stehenden vgl. noch Larenz 79 ff. 8

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Erster Teil: Einordnungsprobleme

Richter nur, was er darf, nicht was er soll. Wo die Stufentheorie Kelsens aufhört (nämlich bei der Herstellung der grammatischlogischen Widerspruchsfreiheit zwischen Verfassung und Gesetz), setzt die Theorie der verfassungskonformen Rechtsanwendung — m i t ihrem Zentralproblem der wertungsmäßigen Harmonisierung 8 5 — erst ein. Dies namentlich beim Rückgriff auf die — grammatisch-logisch so ungreifbaren — nicht-rechtssatzförmigen Verfassungsprinzipien, die i n diesem Stufensystem (wie Kelsen selbst sieht) 86 unassimilierbare Fremdkörper bleiben müssen. Uber diesen toten Punkt der Stufenbautheorie Kelsens vermag auch die Interessentheorie Hecks 87 kaum hinwegzuhelfen, die, ausgesprochen oder unausgesprochen, den meisten Arbeiten zum Konformitätsgedanken wie überhaupt zur neueren Auslegungslehre 08 zugrundeliegen dürfte. Daß die auf Heck aufbauenden oder zurückführbaren Untersuchungen zur Verfassungskonformität den Einheits-und Systemgedanken nur beiläufig streifen, wenn nicht überhaupt m i t Stillschweigen übergehen 89 , ist kein Zufall. Heck hat es seinen Anhängern i n diesem Punkt nicht leicht gemacht. Coing 90 hat sogar die These aufgestellt, daß der Interessenlehre Hecks — ihrer rein empirischen Denkhaltung wegen — der Gedanke der (rechtslogischen oder rechtsmoralischen) Einheit der Rechtsordnung überhaupt unzugänglich sei. Sicher ist jedenfalls, daß der Begriff des „inneren Systems" für Heck (anders als nach heutigem Verständnis) 91 nur den Gegensatz zu dem — auf der Erkenntnisseite liegenden — rechtsdogmatischen „Darstellungssystem", genauer: nur den lebensmäßigen Zusammenhang der legislativen Interessenentscheidungen, bezeichnet 92 . Sein „inneres System" ist deshalb letzten Endes kein wie immer beschaffenes „normatives" Rechtssystem, sondern n u r der Inbegriff der diesem zugrundeliegenden empirischen Voraussetzungen. Daß dies — von i h m übrigens nicht näher qualifizierte — „Ideal der Rechtsprechung" die 88 oben sub 12. ββ L a garantie jurisdictionelle de l a constitution, Rev. d u droit public 45 (1928), 240 ff.; W D S t R L 5 (1929), 68 ff. "" 87 Vgl. z u m folgenden bes. Heck, Gesetzesauslegung u n d Interessenjurisprudenz, A c P 112 (1914) I f f . ; Begriffsbildung u n d lnteressenjurisprudenz (1931). — Z u r K r i t i k Larenz 47 ff., 58 f., 123 ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte (2. Aufl.) 575 ff. sowie — i n verfassungstheoretischer Sicht — Zippelius 64 ff. es U n d weitgehend auch der heutigen Rechtspraxis; Larenz 58. β« Ersteres bei Eckardt 30, 44, 71, letzteres bei Bender M D R 59, 441 ff. (vgl. die A n k n ü p f u n g an Heck dort 444 A n m 4). so System, Geschichte u n d Interesse i n der Privatrechtswissenschaft, JZ 51, 481 (484 sub I U I ) ; zust. Larenz 133. w Darüber sogleich. μ Begriffsbildung 142 ff., 148 f.; Larenz 56 f.

§ 4. Verfassungsprinzip und Gesetzesauslegung

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einheitliche Durchführung der legislativen Werturteile fordere, ist zwar auch von Heck selbst 93 m i t Nachdruck ausgesprochen worden. Wie aber, wenn vom Richter nicht nur jene legislative Wertungseinheit durchzuführen, sondern die übergreifende Einheit von Verfassung und Gesetz erst herzustellen ist? Die Schwierigkeit der Argumentation auf dem Boden der Lehre Hecks ist hier darin begründet, daß Heck der Gedanke einer inter pretatorischen Rangstufimg von gesetzlichem Rechtssatz und unmittelbar geltendem Verfassungsprinzip 94 (der seinerzeitigen Verfassung^ rechtslage entsprechend) 95 fremd sein mußte. Gesetzliche Interessenwertungen waren für i h n wie selbstverständlich diejenigen der gesetzgebenden Instanz 98 , nicht etwa die erst vom Richter zu konkretisierenden Wertungen des Verfassungsrechts. Aber auch (und erst recht) unabhängig von der Verfassung genommen — d. h. als vorpositiver Rechtsgedanke —, ist das Prinzip i n das Interessengefüge Hecks kaum einzuordnen. „Interesse" ist stets „jemandes" Interesse, stets subjektgebunden; Prinzip dagegen ein subjektloser, „objektiver" Rechtsgedanke, wenn auch Gegenstand der historischen Bewußtseinsbildung der i n der Rechtsgemeinschaft vereinigten Rechtssubjekte. Doch selbst wenn w i r das Prinzip i n abgewandelter Gestalt — etwa als „tieferliegendes Gesamtinteresse der Rechtsgemeinschaft", als „ethisches Interesse" 97 — i n das Begriffssystem Hecks einzuführen suchen, gibt uns die Lehre Hecks noch keinen Aufschluß darüber, wie das Ineinandergreifen dieses Prinzips m i t dem Gesetz methodisch zu bewältigen ist. Denn die Bindung des Richters an die legislativen Interessenwertungen (des einfachen Gesetzgebers) hatte für Heck grundsätzlich uneingeschränkte Geltung: „Das Prinzip der Gesetzestreue", so schreibt Heck, „duldet keine Ausnahme 9 8 ." Seine Methoden«e Gesetzesauslegung 179. « 4 Vgl. oben § 4 1 2 . 98 Vgl. Hecks eigene Hinweise i n : Gesetzesauslegung 13 f., 220 (1914). ®e Gesetzesauslegung 220,230 f. 97 Vgl. Heck, Gesetzesauslegung 232 A n m 357, Begriffsbildung 37. — K r i tisch dazu Wieacker, Privatrechtsgeschichte, 1. A u f l . 1952,341, der i n K a t e gorien w i e der des „ethischen Interesses" die Ablehnung eines „autonomen Rechtswerts" durch die lnteressenjurisprudenz zu erkennen glaubt; abschwächend dann aber i n der 2. A u f l . (1967) 575 f. — Richtig dürfte sein, daß der Rechtswert — u n d so a u d i das Rechtsprinzip — f ü r Heck n u r historisierend als Faktor der gesetzgeberischen N o r m b i l d u n g darstellbar ist. Ä h n liches g i l t f ü r die Weiterbildung der Interessenjurisprudenz zur Wertungsjurisprudenz: Der „ W e r t " w i r d f ü r sie zur v o m historischen Gesetzgeber rezipierten „Wertung". Dazu noch Wieacker (2. Aufl.) 576; Larenz 124 f. •β Gesetzesauslegung 220. Was bei Heck unter der Flagge der „Gebotsberichtigung" segelt (aaO 1961), dient lediglich der Durchsetzung der legisl a t i v e n Interessenwertungen (207) u n d bleibt stets an deren Gesamtbild gebunden (201). Z u e r m i t t e l n ist also, w e n n auch nach elastisch geformten Grundsätzen, stets der „ w i r k l i c h e W i l l e des Gesetzgebers" (213).

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Erster T e i l : Einordnungsprobleme

l e h r e ist aus d e m D u a l i s m u s v o n gesetzgeberischer u n d r i c h t e r l i c h e r W e r t u n g " gedacht; sie h a t i h r e S p i t z e gegen d e n (eigenmächtigen) Richter u n d ihre Grundlage i n einem ungebrochenen V e r t r a u e n z u m Gesetzgeber. I h r F u n k t i o n i e r e n i s t d e s h a l b gestört, sobald das k o n k r e t historische V e r f a s s u n g s s y s t e m — w i e das G G — a n d i e S t e l l e der D u a l i t ä t v o n R i c h t e r u n d Gesetzgeber das D r e i e c k s v e r h ä l t n i s V e r f a s s u n g g e b e r — G e s e t z g e b e r — R i c h t e r setzt u n d R e c h t s q u e l l e n d e r V e r fassungsstufe u n m i t t e l b a r z u r r i c h t e r l i c h e n K o g n i t i o n s t e l l t . D i e T h e o r i e des V e r f a s s u n g s p r i n z i p s s o l l t e sich j e d o c h des A n g e b o t s bedienen, das d i e h e u t i g e S y s t e m d i s k u s s i o n i h r z u m a c h e n h a t . D i e a l l g e m e i n e P r o b l e m a t i k rechtswissenschaftlicher S y s t e m b i l d u n g i s t i n der gegenwärtigen Methodenliteratur i m m e r wieder erörtert worden. Es k a n n d a z u a u f d i e U n t e r s u c h u n g e n v o n Engisch, Larenz, Coing, Esser, Wilburg, Viehweg u. a . 1 0 0 v e r w i e s e n w e r d e n . Sicher dürfte soviel sein (um n u r die f ü r unseren Zusammenhang bedeutsamen Gesichtspunkte herauszuheben), daß die Vorstellung eines logisch geschlossenen, axiomatisch-deduktiv zu entwickelnden Systems, etwa nach dem V o r b i l d der mathematischen Systembildung 1 0 1 , keine Z u k u n f t mehr hat (wenn m a n die Rechtswissenschaft nicht auf die normlogische Problemstellung Kelsens 102 beschränken w i l l ) . Nicht n u r daß i m juristischen U r t e i l der materielle Erkenntnisakt regelmäßig den A n t e i l der formal-logischen Deduktion ü b e r w i e g t 1 0 3 . Das rechtliche System bedarf auch, w e i l an den Wandel des positiven Rechts u n d der Problemsituation gebunden, der Elastizität u n d inhaltlichen Variabilität. W i l l m a n den Systemgedanken nicht überhaupt preisgeben — was Heck i m p l i c i t u n d Viehweg104 explicit v o l l zogen hat —, so bleibt n u r die Vorstellung eines offenen, beweglichen Systems 1**, eines Systems also, das sich nicht mehr als „erschöpfend gegliederte E i n h e i t " (Stammler) 1™, sondern als kontinuierlich fortbildungsfähiger Sinnzusammenhang versteht. »» Vgl. Gesetzesauslegung 220,230 f., 238 f. wo Engisch, S t u d G e n X (1957) 173 ff. (mit weit. L i t . dort S.189); Larenz 133 ff. sowie i n : Nikisch-Festschr. 299 f.; Coing, Geschichte u. Bedeutung des Systemgedankens usw. (Neuausgabe 1961) sowie i n : JZ 51, 481 ff.; Esser, StudGen X I I (1959) 97 ff.; Wilburg, E n t w i c k l u n g eines beweglichen Systems i m bürg. Recht (1951); Viehweg, Topik u n d Jurisprudenz (3. Aufl. 1965); Diederichsen N J W 66, 697 ff. — Vgl. jetzt noch Larenz, Methodenlehre, 2. Aufl. 1969,149 ff. 101

Hiergegen überzeugend Engisch aaO (vor Anm). ioa Vgl. oben bei A n m 77 ff. 103 Engisch aaO 174. ìm Topik u. Jurisprudenz (3. Aufl.); bes. S. 53 ff., 60 ff. !03 Engisch aaO 187ff.; Larenz 134f.; Wilburg aaO; Raiser N J W 64, 1201 (1204); ders,. Grundgesetz Β 14. — Vgl. auch die Hinweise auf den Zusammenhang v o n Problem- u n d Systemdenken bei Esser, Grundsatz u. N o r m 239 sowie i n StudGen aaO 97. Enger allerdings noch der Begriff des „offenen" Systems — als Gegentypus zum kontinentalen Kodifikationssystem — bei Esser, Grundsatz 44. — Vgl. neuerdings auch Larenz, Methodenlehre, 2. Aufl. 1969,156 ff. !oe Theorie der Rechtswiss. (1911) 364; dagegen Raiser aaO (vor. Anm),

§ 4. Verfassungsprinzip und Gesetzesauslegung

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Für diesen „offenen" Systembegriff ist nun kennzeichnend — und das macht ihn für die Methodik der Verfassungsprinzipien interteressant —, daß die m i t i h m postulierte Sinneinheit nicht logischer, sondern nur teleologischer Natur sein kann 1 0 7 . Anders formuliert: Man hat die Suche nach einem durchgängigen rechtslogischen A b leitungszusammenhang aufgegeben, u m an dessen Stelle einen rechtsethischen Vereinbarkeitszusammenhang zu setzen 108 . Der Begriff des Vereinbarkeitszusammenhangs deutet allerdings auf ein Harmoniemodell hin, das die Rechtsanwendungslehre nur m i t einiger Reserve aufbauen und verwenden wird. Nicht die Werteharmonie, sondern die Wertekollision ist das Thema der Rechtsanwendung; und die Harmonievorstellung ist abstrakter Natur, die Rechtsanwendung dagegen durch Konkretion gekennzeichnet. Trotzdem kann sich der Rechtsanwender m i t Wertekollisionen sinnvoll nur unter der Voraussetzung einer zumindest intendierten Werteharmonie befassen. Auch bedingen konkrete Urteile, sofern sie objektiv sein sollen, offenbar allgemeine und insoweit abstrakte Urteilsgrundlagen. Nur ist es die Funktion des Einheitsgedankens, die Einzelproblemspannung nicht zu verdrängen, sondern beherrschbar zu machen. M i t diesem Vorbehalt sollte auch die Theorie der verfassungskonformen Rechtsanwendung von den Ergebnissen der gegenwärtigen Einheitsdiskussion Gebrauch machen. So gesehen, läßt sich allerdings sagen, daß i m Vereinbarkeitszusammenhang der Rechtsordnung die historischen Elementarprinzipien — als „Halbwegskonkretisierungen der Gerechtigkeit" i m Sinne der bereits früher zitierten Formel H. Hub er s109 — die letzte gemeinsame Basis i n der Vielfalt der Rechtsnormen und Rechtsinstitute sind; das, was (um Goethe zu variieren) das System „ i m Innersten zusammenhält" und deshalb systembegründende Kraft hat 1 1 0 . Engisch hat daher — i n charakteristischer Abwandlung des Heckschen Sprachgebrauchs 111 — das „innere System" als ein System „prinzipiengetreuer Wertungen", als „teleologisches System" umschrieben 112 . Der Engisch aaO 178 ff.; Larenz 134 ff. Vgl. auch Coing JZ51,484 sub I U I ; Betti, Raape-Festschr. 379 ff. (395 ff.) sowie den Begriff der „Einheit i n der Rechtsmoral" bei Dürig, Nawiasky-Festschr. 177. i ° 8 Diese Formulierung i m Anschluß an Esser StudGen X I I (1959) 97; diesem zustimmend Larenz 134 A n m 1. 109 Grundsätze der Auslegung 9. uo Dazu Engisch aaO 177 sowie bereits i n : Einheit 79; Larenz 135 f., 139; Esser, G r u n d s a t z u . N o r m 70; H.J.Wolff, Jellinek-Gedächtnisschrift 35f., 37 ff.; Liver, W i l l e des Gesetzgebers 6; Raiser aaO ( A n m 105) 1204 lks sowie unter verfassungstheoretischem Aspekt Smend, Verfassung u. Verfassungsrecht, jetzt i n : StaatsrechtLAbh. (1955) 262 ff.; Laufke 154; Lerche 93 ff. m Dazu oben bei A n m 92. na Engisch aaO 177 ff., 180.

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Erster Teil: Einordnungsprobleme

Begriff „teleologisch" ist dabei deshalb sachdienlich, w e i l er den Zielcharakter der Einheitsvorstellung deutlich gegen eine unbefangene Einheitsillusion abhebt. Für die Methodik der Rechtsanwendung muß sich daran allerdings sogleich die Frage anschließen, inwieweit die Fortbildung dieses (um es zusammenfassend zu benennen) offen-teleologischen Systems dem Rechtsanwender oder aber dem Gesetzgeber anvertraut ist. Keine Rechtsanwendungslehre kann das positive, wenn auch „offene" Rechtssystem vorbehaltlos i n die Hand des Rechtsanwenders legen, ohne sich selbst aufzugeben (und die Grenzziehung w i r d sich auch als der empfindliche Punkt richterlicher Prinzipienverwertung erweisen) 113 . Allerdings sollte die Methodenlehre, wenn sie dem System einer „offenen Teleologie" folgt, sich nicht scheuen, den Ubergang von einem (grundsätzlich) statischen zu einem (grundsätzlich) dynamischen Rechtsverständnis zu wagen und damit (da Rechtsanwendung j a stets gegenstandsgebunden ist) den Gedanken der fortschreitend zu verwirklichenden Sinneinheit aus einem lediglich legislativen Prinzip — wie noch bei Heck — i n ein auch methodisches Prinzip zu transformieren 1 1 4 . Vor diesem Hintergrund gewinnt auch (immer für den Teilbereich des Verfassungsprinzips) der Gedanke interpretatorischer Verfassungskonformität schärfere Konturen: Sind die allgemeinen Verfassungsprinzipien nur die positiv-rechtliche Form der für das teleologische System einheitsbegründenden allgemeinen Rechtsprinzipien 116 , so kann verfassungskonforme Rechtsanwendung weder (wie nach den Prämissen Kelsens) bei der Herstellung grammatisch-logischer Widerspruchsfreiheit zwischen Gesetz und Verfassung stehen bleiben noch i n Hecks Forderung nach einheitlicher Durchführung der legislativen Wertungen aufgehen, was das Prinzip der Verfassungskonformität i n die Gesetzgebungsstufe zurückdrängen würde. Verschließt man sich nicht der modernen Systemvorstellung, so sollte man vielmehr zugestehen, daß der Konformitätsgedanke über die bloße Analyse, Erläuterung und Ergänzimg des Gesetzes hinaus auch zu rechtsproduktiven Wertungssynthesen von Gesetz und Verfassungsprinzip Anlaß geben kann — w i e immer die Grenzen richterlicher A k t i v i t ä t i m Einzelfall zu ziehen sein mögen. 113

Hierüber u n t e n §§ 10 ff. Auch w e r das Vorhandensein v o n f ü r den Richter unauflösbaren W e r tungswidersprüchen i m positiven Recht zugesteht, muß gleichzeitig betonen, daß der Richter tunlichst i m Wege der Interpretation auf die Vermeidung solcher A n t i n o m i e n h i n z u w i r k e n hat. Darüber Engisch, Einheit 62 ff., 70 ff., 84 ff.; Einführung 160ff.; Larenz 254 sowie i n : Nikisch-Festschr. 301; vgl. auch Esser, Grundsatz u. N o r m 253 ff. — Z u m Problem der Widersprüche i m positiven Recht s. näher unten § 15 I I 3. " s Dazu schon oben § 3, 2 a) a. E. 114

§ 4. Verfassungsprinzip und Gesetzesauslegung

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4. Dem ist methodisch auch nicht etwa schon ein Riegel vorzuschieben m i t dem Einwand, daß ein solcher A k t der Synthese wegen seines rechtsproduzierenden Charakters von vornherein aus dem Bereich der Auslegung herausfallen würde. I m Gegenteil sollte eine Prinzipientheorie i n Rechnung stellen, wie sehr gerade die moderne Auslegungslehre — darin m i t der Entwicklung des Systembegriffs Schritt haltend — darum bemüht ist, die rechtsproduktive Rolle jeder Auslegung herauszuarbeiten 116 . Man braucht deshalb i n seiner Frontstellung gegenüber der exegetischen Schule nicht i n das andere Extrem zu verfallen, indem man die rechtsprechende Tätigkeit als ausschließlich oder vorrangig am selbstgeschaffenen Richterrecht ausgerichtete Rechtsproduktion ausgibt( etwa m i t der Konsequenz, daß die Norm überhaupt nur i n der Entscheidung existiere) 1 1 7 . Dieses Rechtsprechungsverständnis würde einmal den spezifischen Sinn des Konformitätsprinzips verfehlen, das ja nicht auf Verdrängung des Gesetzesrechts, sondern auf dessen Vermittlung mit der Verfassungsnorm gerichtet ist. Es würde i m übrigen nur einen einseitigen Gesetzespositivismus durch einen nicht weniger einseitigen Richterrechtspositivismus ersetzen und damit auch die geltende Rechtsverfassung m i t ihrem Prinzip der richterlichen Gesetzesgebundenheit 118 sprengen (was uns später 1 1 9 noch näher zu beschäftigen haben wird). Läßt man sich jedoch nicht auf eine derartige Vereinseitigung des Richterrechtsgedankens abdrängen, so bleibt als Fortschritt der Rechtsanwendungslehre die Erkenntnis übrig, daß sich die traditionell so genannte „Auslegung" auch i m Rechtssatzbereich nicht etwa i n der bloßen Feststellung einer historisch vorgefertigten Rechtssubstanz erschöpft, sondern stets auch ein Element rechtslogisch unabgeleiteter, rechtspsychologisch spontaner und rechtsnormativ gestaltender richterlicher Rechtsbildung enthalten kann. Der Inhalt der interpretierten Norm „vollendet sich" erst i n der Auslegung 1 2 0 . Darüber, daß der Richter m e h r als lediglich „Subsumtionsautomat", m e h r als (zeitgerecht umformuliert) das Organ juristischer Datenverarbeitung ist, w i r d heute k a u m mehr diskutiert: M a n geht bereits davon aus, daß a u d i aus der Rechtssatzauslegung der F a l l der Mehrdeutigkeit u n d deshalb das 110 Z u diesem Gedanken richterlicher Rechtsbildung s. vorläufig etwa Esser, Grundsatz u. N o r m 23, 2431, 253 u. passim; Germann ZSR 68 (1949) 297 ff., 423ff.; Lewald-Festschrift 485ff., Präjudizien als Rechtsquelle (I960); Arndt N J W 63, 1273; Brüggemann J R 63, 162. — Grundlegend bereits Bülow, Gesetz u. Richteramt (1885); Isay, Entscheidimg u. Rechtsnorm (1930). 117 Über diese Tendenzen zusammenfassend v. Pestalozza 427 ff. Vgl. auch schon Isay 184 sowie die Formulierungen bei Esser 256, 287. — S. näher unten §§7, 9, 13. ne Dazu Enn.-Nipp. § 23 I I , § 421 m i t A n m 6, § 51 I I 4 a m i t A n m 10, j e m i t weit.Nachw.; ähnlich auch Haak 212.

u» Vgl. unten §§ 12, 13. Diese vermittelnde Formulierung bei Hesse, Grundzüge 25.

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Erster T e i l : Einordnungsprobleme

Element rechtsproduktiver richterlicher W e r t - u n d Willensentscheidung nicht wegzudenken u n d auch nicht als regelwidrige Ausnahmeerscheinung einzuzäunen ist 1 2 1 » 122. Dialektisch gefaßt: Der Richter bildet das Recht fort, indem er es anwendet 1 2 3 . Das neue B i l d der Rechtsanwendung ist auch — unabhängig von den kontroversen rechtsphilosophischen Prämissen, w e n n gleich m i t i m einzelnen wechselnden Schattierungen 1 2 4 — schon so sehr A l l g e meingut der Methodenlehre geworden, daß Boulanger bereits v o n der „ B a n a l i t ä t " der These v o n der rechtsschöpferischen F u n k t i o n der Rechtsprechung sprechen k a n n 1 2 5 . Daß „ p r o d u z i e r e n d e " u n d „ r e p r o d u z i e r e n d e " E l e m e n t e d e r Rechtsanwendung n u r f ü r den Einzelfall zuverlässig einzupendeln sind — was methodisch zur Vorsicht m a h n t 1 2 6 —, befreit noch nicht v o n dem Z u g e s t ä n d n i s , daß, g r u n d s ä t z l i c h gesehen, d i e r e c h t s p r o d u k t i v e R o l l e d e r V e r k n ü p f u n g v o n V e r f a s s u n g s p r i n z i p u n d Gesetzesnorm n u r der i n der gegenwärtigen Interpretationslehre vorgezeichneten E n t w i c k l u n g s l i n i e f o l g t . A u c h f ü r a l l g e m e i n s t e P r i n z i p i e n sollte d e s h a l b d i e richterliche Verfassungstransformation, jedenfalls allgemein, nicht von d e r S t u f e d e r Gesetzesauslegung ausgeschlossen w e r d e n 1 2 7 . 121 Vgl. zum vorstehenden etwa Larenz, Methodenl. 210 ff., 273 ff. (275 f.), Nikisch-Festschr. 275, N J W 65, 1; Heck, Gesetzesauslegung 102 f.; Less8,15ff.; Coing , Grundsätze 141 f.; Kelsen, Z u r Theorie d. Interpretation 10 u. ö.; Wieacker, Gesetzu. Richterkunst 5 f.; Esser, Grundsatzu. N o r m 253 ff., 256, 287. Grundsätzliche, w e n n auch zurückhaltende Anerkennung der schöpferischen Rolle der Rechtsprechung auch bei Enn.-Nipp. § 4 2 1 S. 274. — Vgl. auch Zippelius N J W 64, 1981 (1982f.), Hesse aaO (Anm 120); R.Fischer 15 f f . — S. jedoch auch H. J. Hirsch JR 66, 334 ff., der sich — insoweit m i t Recht — gegen die polemische Vereinfachung des traditionellen Rechtsanwendungsbildes wendet. — Vgl. jetzt noch Ecker JZ 69,477 ff. sowie Betti EngischFestschrift (1969) 205 ff. (214 ff.). 122 Anders i n der L i t . zur verfk. Ausi, zu Unrecht Haak, 212, der die Rechtsgestaltungsfunktion des Richters als Ausnahme sehen u n d auch die verfassungskonforme Auslegung nicht als eine solche Ausnahme anerkennen w i l l (S. 232). Die Argumentation beruht ersichtlich auf einer i n dieser Form nicht mehr vertretbaren, lediglich kontradiktorischen Gegenüberstellung von „Rechtsanwendung" u n d „Rechtsschöpfung" (vgl. besonders deutlich S. 232). 123 v g l . Larenz 194 A n m l a. E.; ders., Olivecrona-Festschr. 384 ff. 124 Nämlich dem Grundsatz nach sowohl f ü r den Rechtspositivismus (Kelsen) w i e auch f ü r die Interessenjurisprudenz (Heck), die rechtssoziologischdynamische Methodenlehre (Esser), die dialektisch-teleologische Betrachtungsweise (Larenz) u n d erst recht f ü r den topischen Rechtsfindungsstil (Viehweg); vgl. die Nachw. oben A n m 121; zu Viehweg s. oben A n m 104. 12 ® Rev. t r i m , de droit c i v i l 59 (1961) 417, mitget. bei Merz AcP 16 (1963/64) 305 (319). — Keine Banalität ist allerdings die Klarstellung, welches die spezifischen Merkmale richterlicher Regelbildung (im Verhältnis zur gesetzgeberischen Normsetzung) sind; dazu unten §71112. !20 Etwas verallgemeinernd dagegen Esser 256 m i t der These, daß „jede (!) Reproduktion v o n Normen re vera Produktion" sei. Vgl. demgegenüber aber Enn.-Nipp. §2311 §42 S. 274 m i t A n m . 6; §51114 S. 317 m i t A n m . 10; Larenz 194 A n m l ; Dahm 55. 127 Etwas anders insoweit anscheinend Raiser, Grundgesetz Β 13 m i t der Verweisung auf die Rechtsfortbildungsstufe. Das ist insofern überraschend, als gerade Raiser selbst (B 14) den Gedanken der „Offenheit" des Rechtssystems — m i t Recht — so deutlich betont.

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5. Das neue B i l d der Rechtsanwendung, u n d insbesondere das aufgelockerte Systemverständnis, ist es auch, das (bei allen f ü r die Einzelfallbeurteilung anzubringenden Vorbehalten) den Weg freilegt f ü r die Einordnung des Verfassungsprinzips i n das regelmäßige Auslegungsverfahren. Das sei anhand der üblicherweise i m Vordergrund stehenden vier Kriterien der Gesetzesauslegung 128 i n aller K ü r z e belegt. a) M i t dem Gedanken des „offenen" Rechtssystems s t i m m t es überein, wenn f ü r die grammatische Auslegung die Rechtstheorie dem Wortsinn regelmäßig eine gewisse „Schwankungsbreite" zuschreibt 1 2 9 . Sie ist der positiv-gesetzliche Einwirkungsbereich, der den Rückgriff auf das Verfassungsprinzip zwar nicht erfordert, aber doch offenhält u n d — da das Prinzip j a „Rechtsergänzungsquelle" i s t 1 8 0 — v o r behaltlich der sonstigen Auslegungskriterien auch nahelegt. Die als gesetzliche Eingangsstellen der Verfassung landläufig herausgehobenen Generalklauseln 1 3 1 sind, so gesehen, n u r die äußerlich sinnfälligste F o r m dieser richtigerweise ganz allgemein zu registrierenden E r scheinung 1 3 2 . b) H ä l t man am Gedanken der teleologischen Einheit der Rechtsordnung fest, so sind auch der historischen Auslegungsstufe f ü r die Prinzipienverwertung neue Seiten abzugewinnen. Teleologische E i n heit muß dann (wenn man wiederum der bezeichneten vermittelnden Auslegungslehre f o l g t ) 1 3 3 i n erster L i n i e „subjektiv-teleologische" E i n heit, Einheit der historischen Zweckvorstellungen des Gesetzgebers sein. Auslegung aus dem — herkömmlicherweise so genannten — „ W i l l e n des Gesetzgebers" 134 kann sich von dem vorausgesetzten Systembegriff aus allerdings nicht mehr i n der Feststellung der M o t i v a t i o n des einzelnen Rechtssatzes erschöpfen, was ein Rückfall i n ein statisch-punktuelles Rechtsanwendungsverständnis w ä r e 1 3 5 . Sie w i r d folgerichtig vielmehr auch die außerhalb dieses Rechtssatzes 128 z u diesem Begriff Larenz 241 ff.; Siebert, Die Methode der Gesetzesauslegung 8 ff. 129 Larenz 242; Engisch, Einführung 78. 130 Vgl. oben § 3,4. lai S. dazu die Belegstellen oben A n m 21,22. 132 Dazu treffend Larenz 258 m i t der Bemerkung, die „ i m m e r wieder zu hörende Behauptung, eindeutige Ausdrücke seien niòht »auslegungsfähig', sei insofern irreführend, als sie geeignet sei, über die fast immer vorhandene sprachliche Mehrdeutigkeit hinwegzutäuschen". Vgl. auch die K r i t i k an der sog. sens-clair-Doktrin bei Esser 253/254 sowie Engisch, Einführung Anm74a. 133 Oben sub 2 a) a. E. 134 Hierzu Larenz 237 ff., 247 ff.; Engisch, Einführung 88 ff. (95); Keller 88 ff. 138 Vgl. hiergegen oben bei A n m 105 ff. 5 Göldner

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Erster Teil: Einordnungsprobleme

(wann und wo auch immer) positivierten gesetzgeberischen Ordnungsvorstellungen i n die historische Interpretationsstufe miteinbringen müssen. Es läßt sich hier vielleicht von kombinatorischer Willenserforschung sprechen 136 . Man w i r d dann einzuräumen haben, daß auch Verfassungswertungen allgemeinster A r t — gleichviel wie i m Endergebnis mit den einfach-gesetzlichen Wertungen abzustimmen — dem Ansatz nach schon als Elemente der historischen Ordnungsvorstellungen des Gesetzgebers (Verfassunggebers) mitzuwürdigen sind. c) Wie der Systembegriff, so die systematische Auslegungsstufe. Jener bestimmt diese dem Umfang wie dem Ziel nach. Sind die Verfassungsprinzipien konstituierende Bestandteile des „inneren Systems", so kann auch die systematische Interpretation nicht umhin, über den Bedeutungszusamenenhang des Rechtssatzgefüges hinaus diese Prinzipien i n den Auslegungsvorgang miteinzubeziehen 137 . Diese „Sinnbezüglichkeit des einzelnen Rechtssatzes auf die Gesamtrechtsordn u n g " 1 3 8 , kürzer: seine Gesamtrechtsbezogenheit, schließt deshalb das Interpretationsprinzip der Verfassungskonformität m i t ein. d) M i t der „systematischen" Auslegung nach dem vorausgesetzten Systembegriff untrennbar verbunden ist die teleologische Auslegung. Denn das „innere" System ist ja „teleologisches" System 1 3 9 ; und teleologische Auslegung ist, w e i l stets auf Verknüpfung der mehreren vorhandenen Rechtszwecke angelegt 140 , notwendig systembezogen. Deshalb auch hier wieder das Gebot der Ausbalancierung von Spezialzweck (der Gesetzesnorm) und Generalzweck (der Verfassungsteleologie). Der richtig verstandene Zweckbegriff läßt auch für ethosbezogene Verfassungsprinzipien (wie z.B. den Persönlichkeitsgedanken) terminologisch durchaus Raum 1 4 1 . Daß die teleologische Interpretation ΐ3β Es bedeutet dies weder das Ausweichen auf einen (fiktiven) „eigentlichen" W i l l e n des Gesetzgebers i m Sinne v o n Windscheid (Pand. 7. Aufl. §22 S. 54) noch auch die (ihrerseits wieder punktuelle) Beschränkung auf den „erkennbar letzten W i l l e n " des Gesetzgebers, w i e sie Nawiasky (Allg Rechtsl 128 ff., 130) befürwortet. 137 z u r Ausweitung der systematischen Auslegung s. besonders Engisch, Einführung 3. Aufl. 78ff., 83 m i t A n m 8 2 b (enger noch ders. i n : Einheit 72 f.); Larenz 244ff.; Meier-Hayoz B e r n K o m m A r t i Ν . 188ff.; Keller 102ff. Richtungweisend bereits Regelsberger, Pand. 147. iss Engisch, E i n f ü h r u n g 83 m i t A n m 82 b. «β Dazu nochmals Engisch, StudGen X (1957) 173 (178 r.) — Vgl. oben sub 3 c). i*° Larenz 250 ff. (253); Engisch, Einführung 79; Keller 118 bei A n m 120, 121 ff.; Ekelöf 180; Meier-Hayoz A r t i Ν . 192ff. — S. noch Germann, Probleme u. Methoden 79 ff. (85 ff., 91). 141 Das ist .allerdings nicht ganz unbestritten. Engisch (Einfühlung 80) meint, es gebe „Ideen u n d K r ä f t e " , insbesondere „ethische Grundsätze", die m a n ungern als Zwecke denke u n d formuliere; er selbst empfiehlt deshalb i m Anschluß an die kausale Rechtstheorie Müller-Erzbachs (Die Rechtswiss.

§ 5. Verfassungsprinzip und Rechtsfortbildung

67

d a m i t zu einem in sich mehrschichtigen Verfahren w i r d , entspricht n u r einer i n der Teleologik auch sonst gemachten Beobachtung 1 4 2 . Auslegung aus „dem Zweck" ist, w e n n man so w i l l , stets Auslegung aus „den Zwecken"; Zwecken, deren rechtstheoretische Vielgestaltigk e i t i h r e r interpretatorischen K o m b i n a t i o n nicht i m Wege zu stehen braucht.

W i l l man danach den Gedanken der Verfassungskonformität (unbeschadet der Tatsache, daß er ein P r i n z i p jeder Auslegungstätigkeit ist) seinen methodischen Haupteingangsstellen nach kennzeichnen, so läßt sich kurz v o n einem Anwendungsfall systematisch-teleologischer Gesetzesauslegung 143 sprechen. 6. A l s Ergebnis ist danach festzuhalten, daß f ü r das Verfassungsprinzip schon auf der Stufe der Gesetzesauslegung m i t der Methode verfassungskonformer Auslegung ein weiträumiges Verfahren richterlicher Prinzipienverwertung zur Verfügung steht, das nicht n u r als Sonderprinzip

der

Normenkontrolle,

s o n d e r n als Regelprinzip

jeder

Interpretation verstanden werden sollte. Das Prinzip der Verfassungsrkonformität durchbricht, auch i n seiner rechtsbildenden Funktion, i m übrigen nicht etwa die sonst geltenden allgemeinen Auslegungsmethoden, sondern ist, gemessen am heutigen Rechtsanwendungsbild, vielmehr n u r deren folgerichtige Anwendung, w i e sie i n der klassischen Auslegungslehre m i t dem Gedanken der Einheit der Rechtsordnung bereits ansatzweise vorgezeichnet und i m gegenwärtigen Verfassungssystem n u r aktualisiert ist. §5. Verfassungsprinzip und Rechtsfortbildung L Grenzen des Konformitätsgedankens in der vorherrschenden Meinung Standardelement der herkömmlichen Rechtsanwendungslehre ist, über die Stufe der Gesetzesauslegung hinaus, an Bedeutung ständig i m Umbau, 1950) den umfassenderen Begriff der Auslegung aus dem Grunde, aaO 79. Vgl. auch Keller 117 ff. (119, 126 f.), Meier-Hayoz A r t 1 N. 195, 203. — Der Begriff des Zweckes ist i n der Tat schillernd. M a n denke etwa an den Automatismus je unselbständiger Zwecke i n Jherings „sozialer Mechanik" (Der Zweck i m Recht, 3. Aufl. 1894—1898 B d I S. 95 B d I I S. 1) — einer M e chanik, der Prinzipien allerdings nicht ein-, sondern vorzuordnen wären. Anders dagegen, w e n n m a n „Zweck" — übrigens i n der Tradition des aristotelischen w i e auch des kantischen Zweckbegriffs — als Gegensatz zum „ M i t tel", als „Zweck an sich", d . h . als „Selbstzweck" versteht; hierzu die Belege bei Welzel, Naturrecht u. mat. Gerechtigkeit (4. Aufl. 1962) 29 f., 170. — Von hier aus läßt sich z.B. auch m i t Radbruch (Rechtsphilosophie 6.Aufl. 1963 § 17 S. 229) die menschliche Persönlichkeit als „Selbstzweck" erfassen. Dieser Zweckbegriff dürfte auch von den Befürwortern der objektiv-teleologischen Auslegung vorausgesetzt werden; dazu Larenz 253 ff., 258 f. sowie kritisch Germann, Probleme u. Methoden 87 ff., 91 ff. ι « Vgl. Engisch, Einführung 79; Keller 117 f. ι « z u diesem Doppelbegriff Meier-Hayoz A r t 1 N. 199, 206 (unter Hinweis 5*

68

Erster T e i l : Einordnungsprobleme

zunehmend, die weiterführende Stufe richterlicher Rechtsfortbildung. N u r i s t d i e Frage, ob diese sonst e i n g e s p i e l t e S t u f e n f o l g e auch f ü r u n s e r e n G e d a n k e n d e r V e r f a s s u n g s k o n f o r m i t ä t g i l t , d. h., o b sich d e m V e r f a h r e n d e r verfassungskonformen Auslegung ein Verfahren der verfassungskonformen Rechtsfortbildung a n d i e S e i t e s t e l l e n l ä ß t , das m i t gleichem Ziel, aber i n weitergespanntem Rahmen, die E i n f ü g i m g des V e r f a s s u n g s p r i n z i p s i n d i e gesetzliche R e c h t s o r d n u n g gestattet. D e r B e g r i f f e i n e r v e r f a s s u n g s k o n f o r m e n R e c h t s f o r t b i l d u n g i s t der h e r r s c h e n d e n M e i n i m g u n b e k a n n t . D i e F r a g e i s t auch — o b w o h l als Parallelproblem zu dem der verfassungskonformen Auslegung nahel i e g e n d — bisher, s o w e i t ersichtlich, noch n i c h t z u m G e g e n s t a n d e i n e r e i n g e h e n d e r e n A u s e i n a n d e r s e t z u n g gemacht w o r d e n . D i e i n d e r Rechtslehre v o r l i e g e n d e n M e i n u n g s ä u ß e r u n g e n b e s c h r ä n k e n sich r e g e l mäßig auf — überwiegend ablehnende — beiläufige Stellungnahmen1. D e r S t a n d p u n k t d e r Rechtsprechung i s t i n s o f e r n z w i e s p ä l t i g , als d i e G e r i c h t e einerseits — d a r i n d e r i m S c h r i f t t u m h e r r s c h e n d e n Stoßr i c h t u n g f o l g e n d — m i t besonderer B e t o n u n g d i e G r e n z e n v e r f a s s u n g s k o n f o r m e r Auslegung h e r a u s z u s t e l l e n b e m ü h t sind, o h n e sich d a b e i m i t d e m M e t h o d e n p r o b l e m e i n e r v e r f a s s u n g s k o n f o r m e n Rechtsfortbildung auseinanderzusetzen 2 , andererseits aber i n i h r e r U r t e i l s p r a x i s d e r Sache nach i m m e r w i e d e r A k t e r i c h t e r l i c h e r Rechtsauf die Verfassungswertungen). Einseitig teleologisch dagegen der Ansatz bei Friauf 230 i m Anschluß an Düng J Z 53, 463 lks, einseitig systematisch derjenige bei Haak 234, 259, 304. ι V o n einem „Streitstand" k a n n k a u m die Rede sein. Das Schrifttum kennt regelmäßig n u r die Alternative v o n verfassungskonformer Gesetzesauslegung u n d (totaler oder partieller) Gesetzeskassation gem. A r t 100. Vgl. besonders Haak 304; Eckardt 53 ff.; Bender M D R 59, 441 (letzterer allerdings m i t dem wenig klaren Begriff der „Auslegungslücke", S. 447). Auch die Untersuchung Achtmanns zur richterlichen Rechtsfortbildung nach dem GG (Würzburger Diss. 1965) erörtert die Frage einer verfassungskonformen Rechtsfortbildung nicht. — Ausdrücklich ablehnende Stellungnahmen etwa bei Stern, Urteilsanm N J W 58, 1435 sowie bei Roth-Stielow 79; nicht ganz eindeutig Schack 273f. m i t dem Begriff der „Gesetzesergänzung"; v e r m i t t e l n d Michel 279 ff.; beiläufige positive Hinweise bei Brüggemann JR 63, 166 A n m 66 sow i e — f ü r den Bereich des vorkonstitutionellen Rechts — auch bei Engisch, Einführung 83 A n m 82 b a. E. u n d Raiser, Grundgesetz Β 19/20. — F ü r Fuß, der m i t einzelnen Formulierungen eine verfassungskonforme Gesetzesfortb i l d u n g zu befürworten scheint (vgl. etwa S. 15, 19), steht dagegen i n W a h r heit das Konformitätsprinzip außerhalb der normalen Rechtsfindungsmethoden. Es greift n u r ein, w e n n anderweit „der I n h a l t einer gesetzlichen Regelung nicht ergründet werden k a n n " (S. 16). Aber w a n n erstattet der Ausleger schon diese Fehlanzeige? Irgendein Ergebnis w i r d u n d muß er stets, auch ohne Rückgriff auf die Verfassungssubstanz, vorzuweisen haben. Die Bedingung, an die Fuß die Einschaltung des Konformitätsprinzips knüpft, k a n n also, genau genommen, nie eintreten. Vgl. auch oben § 4 A n m 53 a. E. 2 Die zum Verfahren verfassungskonformer Auslegung ergangenen E n t scheidungen betreffen i n ihrer Methodenproblematik durchweg Abgrenzungsfragen; vgl. die Fundstellen oben § 4 A n m 3 ff.

§ . Verfassungsprinzip und

e t s l u n g

fortbildung m i t der Berufung auf Normen Verfassungsrechts zu rechtfertigen suchen.

und

Prinzipien

69 des

Einige für diese Urteilspraxis typische Fälle seien hier herausgegriffen, wobei sich, was das Verhältnis von Verfassungsprinzip und Gesetz angeht, sowohl gesetzesausdehnende als auch gesetzeseinschränkende Prinzipienkonkretisierungen finden. Ein Musterbeispiel für die m i t dem Rückgriff auf das GG begründete Ausdehnung einer Gesetzesregelung liefert die Entscheidung des BVerfG zur Frage des Armenrechts i m Klageerzwingungsverfahren (§ 172 StPO) 3 . Die Methodenproblematik ergab sich hier daraus, daß die StPO (in ihrer inzwischen revidierten Fassung) 4 zwar für das Privatklageverfahren, nicht dagegen für das Klageerzwingungsverfahren die entsprechende Anwendung der zivilprozessualen Armenrechtsvorschriften vorsah (vgl. §§ 379 StPO, 114 ff. ZPO). Gleichwohl dehnte das Gericht, ohne Anhaltspunkt i n der StPO selbst, die Verweisungsnorm des § 379 StPO auch auf das Klageerzwingungsverfahren aus. Tragender Grund war für das U r t e i l die Berufung auf das Gleichheitsprinzip (Art 3 Abs l ) 5 . Methodisch ähnlich liegt es, wenn der BGH, entsprechend dem Prinzip des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1), den Rechtsschutz i m Einziehungsverfahren auf Tatunbeteiligte erstreckt, soweit diese Eigentümer der einzuziehenden Gegenstände sind 6 . I n die Kategorie dieser Fälle gehören auch die — dem Prinzip des Eheund Familienschutzes (Art 6 Abs 1) entsprechende — rechtsähnliche Anwendung von Vorschriften des Mieterschutzgesetzes zugunsten des Ehegatten 7 sowie die m i t demselben Prinzip begründete Ausdehnung des § 844 Abs 2 auf den Aufopferungsanspruch wegen Impfschadens?. Erwähnt sei hierzu endlich, noch die auf den Gleichheits- und Sozialstaatsgedanken gestützte Erstreckung der zivilprozessualen Wiedereinsetzungsmöglichkeit auf die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist selbst (§§233, 234 ZPO) 9 . Den umgekehrten F a l l einer an der Verfassung ausgerichteten Gesetzeseinschränkung bietet die — methos B V e r f G 2, 336 ff. 4 Vgl. jetzt § 172 Abs 3 Satz 2 StPO. — Z u m früheren Rechtszustand statt aller: Schwarz, StPO (15.Aufl. 1953), §171 A n m 2 A b . 5 aaO 340 f. — V o n einer „Auslegung i m weiteren Sinne" (.Haak 306, ähnlich auch Schack 273 bei A n m 6) sollte dabei richtigerweise nicht gesprochen werden; vgl. dazu noch u n t e n § 14,3. « B G H J Z 64, 31 (33 f.). ( I m entschiedenen F a l l hat der B G H dies f ü r § 28 WeinG m i t einer Analogie zu § 2 4 0 W i G näher begründet). 7 Vgl. B G H Z 40, 252, 255 (zur Frage der Aufnahme des Ehegatten i n die Mietwohnung). β B G H Z 18, 286 (291); 34, 26. » B V e r f G 22, 83 ff., übrigens kennzeichnenderweise ohne Einordnung i n die Methode verfassungskonformer Rechtsanwendung (der Begriff t r i t t hier nicht auf).

70

Erster Teil: Einordnungsprobleme

disch nach wie vor bedeutsame — Rechtsprechung zur Frage der Abstammungsklage des unehelichen Kindes unter der Geltung des § 644 ZPO a. F. 1 0 . Es entsprach nur dem Verfassungsprinzip des Unehelichenschutzes (Art 6 Abs 5), wenn das BVerfG 1 1 , wie zuvor auch der B G H 1 2 , den hier vorgesehenen Ausschluß der Statusklage auf den Zahlvaterschaftsprozeß beschränkte, obwohl die seinerzeitige Fassung der ZPO dafür kaum eine grammatische Grundlage bot 1 3 . Verfassungskonforme Gesetzeseinschränkung ist es i m Ergebnis auch, wenn das BVerfG das Aufenthaltsbestimmungsrecht des Vormunds, entsprechend den Freiheitsgarantien des A r t 104 Abs 2 Satz 1 u. 2, für den Fall der Anstaltsunterbringung des Mündels durch das Erfordernis richterlicher Zustimmung begrenzt 14 . Ein weiteres Beispiel dieser Fallgruppe ist es, wenn der BGH, i n der Hauptsache auf das Prinzip des Koalitionsschutzes (Art 9 Abs 3) gestützt, die Gewerkschaften vom Ausschluß der aktiven Parteifähigkeit nicht-rechtsfähiger Vereine (§ 50 Abs 2 ZPO) ausnimmt 1 5 . Ähnlich liegt es, wenn das BVerfG die restriktive Anwendimg der Beschlagnahmevorschriften i m Strafprozeß (§§94 ff. StPO) beim Eingriff i n die Pressefreiheit (Art 5 Abs 1 Satz 2) befürwortet 1 6 . Die K r i t i k am bisherigen Verständnis des Konformitätsgedankens w i r d danach, wie schon diese wenigen Rechtsprechungsbeispiele zeigen, m i t der Feststellung einsetzen müssen, daß die von der herrschenden Meinung entwickelte Begriffsapparatur

nicht

mehr

die

ganze

Breite

der Rechtspraxis abzudecken vermag. Dieser Zustand ist unbefriedigend, weil einer Methodenlehre, die ihren Begriffsapparat nicht dem sachlichen Entwicklungsfortschritt anpaßt, dessen dogmatische Beherrschung zu entgleiten droht. Sicher ist es berechtigt und notwendig, die beobachtete Rechtspraxis jeder sich anmeldenden Methodenkritik zu unterziehen; doch setzt dies zunächst ihre methodenbegriffliche Einordnung voraus. Methodenkritik baut auf Methodenbegriffen auf. 10 Z u dieser Bestimmung statt aller Stein-Jonas A n m 13 m i t weit. H i n w . dort Fußn. 3. « B V e r f G 8, 210 ff., 2161, 220 f. — Z u A r t 6 Abs 5 vgl. jetzt noch BVerfG N J W 69, 597 ff. « B G H Z 5, 386 (396 ff.). 13 Deutlicher als durch die seinerzeitige Neuverkündung des insoweit u n veränderten Textes des § 644 a. F. konnte nicht klargestellt werden, daß von einem Anschauungswandel des Gesetzgebers unter d e m Einfluß des GG zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Rede sein konnte. Die Unterstellung des B V e r f G (8, 220), der Gesetzgeber habe (schon damals!) eine der Wertentscheidung des A r t 6 Abs 5 entsprechende Regelung gewollt, ist daher fiktiver Natur. 14 B V e r f G 10, 302 f. ι« B G H Z 42, 210 ff.; 50, 325 ff. ie B V e r f G 20, 162 ff. (195, 198).

§ . Verfassungsprinzip und

e t s l u n g

71

Auch dürfte die Entwicklung der Judikatur, nicht nur für unseren Musterbereich verfassungskonformen Persönlichkeitsschutzes 17 , die Frage unabweisbar machen, ob sich der Methode einer verfassungskonformen Rechtsfortbildung der offene Zugang zum Kanon anerkannter Rechtsanwendungsmethoden tatsächlich für dauernd versperren läßt. Π. Verfassungsprinzip, verfassungskonforme Rechtsfortbildung und herkömmliche Rechtsfortbildungslehre 1. Wenn die Methodendiskussion zur Frage einer verfassungskonformen Rechtsfortbildung bis jetzt noch so gut wie ganz aussteht, so wohl nicht zuletzt deshalb, weil man sich durch Gründe des funktionellen Verfassungsrechts i m vorhinein gehindert glaubt, der rechtsprechenden Gewalt einen solchen Zuständigkeitszuwachs zuzugestehen. Daß sich Grenzen jeder richterlichen Rechtsanwendung, und so auch der Verknüpfung von Verfassungsprinzip und Gesetz, auch aus dem Gefüge der verfassungsrechtlichen Funktionsverteilung ergeben können, w i r d später noch eingehender Darlegung bedürfen 18 . Das heißt aber nicht, daß Erwägungen dieser A r t bereits dazu zwingen, den Gedanken einer verfassungskonformen Rechtsfortbildung grundsätzlich und undifferenziert beiseitezuschieben. Man hat dazu einmal das Gewaltenteilungsargument bemüht. So erklärt Stern 1 0 , verfassungskonforme Rechtsfortbildung sei deshalb zu verwerfen, w e i l sich damit der Richter unzulässigerweise vom „Rechtsdeuter" zum „Rechtsschöpfer" erheben würde. A u f die Grenzen möglicher Ableitungen aus dem Gewaltenteilungsgedanken w i r d noch zurückzukommen sein 20 . Hier genügt bereits der Hinweis darauf, daß die verfassungsrechtliche Legitimität richterlicher Rechtsfortbildung — und das heißt auch: richterlicher Rechtsschöpfung — dem Grunde nach von niemandem ernstlich bestritten w i r d 2 1 und auch vom Gesetzgeber selbst i n mehreren zweifelsfrei verfassungsmäßigen Bestim-

17 Vgl. Engisch, Einführung (3. Aufl.), A n m 212 a. E.; Raiser, Grundgesetz Β19/20, die beide, w e n n auch ohne nähere Methodeneinordnung, auf den Weg verfassungskonformen Persönlichkeitsschutzes i m Wege der Rechtsfortb i l d u n g hinweisen. 18 Dazu unten §§ 10 ff. ι» Urteilsanm N J W 58, 1435. 20 v g l . unten § 10. 21 Vgl. statt vieler Nawiasky, AllgStaatsl 112 S.69; Larenz 271 f., 277 ff.; Enn.-Nipp. §51114 S.3191; aus der Rspr.: B V e r f G 3, 225 (243 ff.); B G H Z 11 A n h 34 (49 ff.), jeweils zu A r t 3 Abs 2; B G H Z 17,266 (276); Tonbandurteil; B A G (GrSen) A P Nr. 19 zu § 1 HausarbTagsGNRW sowie zuletzt, w o h l am weitesten gehend, B V e r f G N J W 69, 597 ff. (599 f.), zu A r t 6 Abs 5.

72

Erster Teil: Einordnungsprobleme

mungen 2 2 erkennbar vorausgesetzt w i r d , w i e auch die Bindung des Richters auch an das „Recht" ( A r t 20 Abs 3) zumindest i n diese Richt u n g deuten d ü r f t e 2 8 . Weshalb aber sollte, bei allen Vorbehalten i m einzelnen, eine generell zulässige Rechtsfortbildung denn gewaltenteilungswidrig u n d damit (funktionell) verfassungswidrig sein, w e n n sie, w i e bei der Berufung auf materiale Verfassungsprinzipien, auch inhaltlich auf den Normgehalt der Verfassung gerichtet ist 2 4 ? Auch die Institutionalisierung einer richterlichen Normenkontrollkompetenz i m G G ( A r t 100) steht nicht entgegen 2 5 . Schack 26 meint hierzu warnend, daß v o n einer Übertragung der herkömmlichen Methoden der Rechtsfortbildung auf den Sachbereich des Verhältnisses v o n Verfassung u n d Gesetz — soweit dies über bloße „Gesetzesergänzung" hinausführen würde — ein „Hinübergleiten" des verfassungskonformen Judizierens i n die F u n k t i o n der Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zu befürchten wäre. Schack verrät uns jedoch nicht, weshalb ein solches „Hinübergleiten" unzulässig sein sollte. Das Verwerfungsmonopol des BVerfG, das Schack v o r Augen haben mag, besteht f ü r den hier interessierenden — weiten — Bereich vorkonstitutionellen Privatrechts ohnehin nicht 2 7 (es könnte i m übrigen auch n u r eine Konzentration der verfassungskonformen Rechtsfortbildung beim B V e r f G rechtfertigen). Daß i n der hermeneutischen Stufenreihe Zweifelsfragen der Abgrenzung v o n Auslegung, Rechtsfortbildung u n d Normenkontrolle auftreten können « §§ 137 GVG; 11 A b s 4 V e r w G O ; 45 Abs 2 A r b G G ; 43 SozGG; vgl. dazu auch Brüggemann JR 63, 162 (163) sowie D. u. G. Reinecke, N J W 54, 1217. 2« Ob der richterliche Rechtsfortbildungsauftrag unmittelbar hieraus abzuleiten ist, trägt f ü r das Ergebnis nichts aus. Dafür B G H Z 3, 315; B G H Z 17, 266 (276); zustimmend Gitter 145; dagegenEnn.-Nipp. §51114 S. 318. Vgl. auch Larenz 278 f. sowie i n N J W 65,2. 24 Fuß, der gleichfalls v o m Gewaltenteilungsgedanken aus argumentiert, bemerkt (S. 17), das GG bestimme zwar „Verfassungsrecht bricht Gesetzesrecht", nicht aber: „Verfassungsrecht verändert Gesetzesrecht". Das schließt jedoch nicht aus, daß sich der Gedanke richterlicher Fortbildung des Gesetzes nach dem Maßstab der Verfassung aus allgemeinen Methodengrundsätzen ergibt, die als solche verfassungskonform sind. Damit w i r d auch, entgegen Fuß (S. 18), dem numerus clausus verfassungsgerichtlicher Verfahren gemäß dem BVerfGG nicht unzulässigerweise ein neues Verfahren hinzugefügt: Die Methoden der Verfassungsanwendung liegen logisch und rechtlich auf einer anderen Ebene als die prozessualen Verfahrensarten, in denen sie verwendet werden. Die verfassungsrechtlichen Methoden sind i m BVerfGG offenbar nicht kanonisiert. 25 Dazu Schack JuS 61, 269 (273/74); Menger, V e r w A r c h 50, 389f.; 52, 312 ff.; UrteilsanmJZ60, 168 (169/70). — S.a. unten §11. 2β aaO (vorige Anm). 27 So die gefestigte, w e n n auch nicht ganz unbestrittene Rspr. des BVerfG E.2, 124 (128); 11, 126 (129); vgl. jedoch auch Forsthoff, C.-Schmitt-Festschrift 56 f.

§ . Verfassungsprinzip und

e t s l u n g

73

— darauf w i r d noch einzugehen sein 28 —, berechtigt uns noch nicht dazu, den — vielleicht unsicheren — Grenzbereich verfassungskonformer Rechtsfortbildung gleichsam vorsorglich auszusparen,, um damit diesen Abgrenzungsschwierigkeiten i m voraus zu entgehen. Abgrenzungsprobleme lassen sich nicht durch Ausklammerung von Grenzbereichen lösen. 2. Es ist danach nicht angängig, m i t Bedenken aus dem Vorfeld des funktionellen Verfassungsrechts die Grundsatzfrage einer verfassungskonformen Rechtsfortbildung schon abzutun, bevor sie noch richtig gestellt ist; die Grundsatzfrage also, ob es rechtstheoretisch sinnvoll und statthaft ist, den Gedanken interpretatorischer Konformität — wie er die Stufe verfassungskonformer Auslegung trägt — auf die Stufe richterlicher Rechtsfortbildung zu übertragen. Verfassungskonforme Rechtsfortbildung ist, so gesehen, offenbar durch das rechtstheoretische Vorverständnis des Konformitätsprinzips und damit: durch die Weichenstellung zwischen konservierendem und rechtshierarchischem Prinzip 2 9 bedingt. a) Daß der Zugang zum Gedanken einer verfassungskonformen Rechtsfortbildung durch das vorherrschende konservierende Prinzip 30 zumindest erschwert wird, ist nicht zu übersehen. Nicht nur, daß die Betrachtung der verfassungskonformen Auslegung aus dem Gesichtswinkel der Normerhaltung (wie dies jene Theorie sieht) dieser Auslegungsmethode den Charakter einer lediglich dem positiven Verfassungsrecht zugestandenen atypischen und deshalb eng zu fassenden Sonderregel der Interpretation verleihen muß. Auch die Gesetzesautorität, die diese Betrachtungsweise zu stabilisieren sucht 81 , w i r d letzten Endes besser gewahrt, wenn sich der Richter entweder auf den A k t verfassungskonformer Auslegung beschränkt oder aber, falls dies nicht mehr möglich, das Gesetz i m Wege der Normenkontrolle (Art 100) annulliert und damit die Aufgabe verfassungskonkretisierender Rechtsneubildung i n die Hand der förmlichen Gesetzgebung zurückgibt 3 2 . Denn Rechtsfortbildung wäre ja i m Spannungsfeld von Verfassungsprinzip und Gesetzesnorm stets Gesetzesfortbildung, und zwar eine solche auf inhaltlich diffusester Wertungsgrundlage und daher mit denkbar hohem Rechtssicherheitsrisiko. Deshalb — bewußt oder unbewußt — die Neigung der herrschenden Normerhaltungstheorie, den Richter auf die verengte Alternative von verfassungskonformer Auslegung und (ganzer oder teilweiser) Gesetzeskassation 28 29 so « sa

S. unten § 11. Vgl. oben § 4 1 ; zum letzteren auch oben §4113. Vgl. oben § 4 1 1 . Oben § 4 1 2 a. A . Hierzu noch Hesse, Grundzüge 33 bei A n m 52.

Erster Teil: Einordnungsprobleme

74

festzulegen 85 und damit die Frage einer verfassungskonformen Rechtsfortbildung zu verneinen oder doch zu verdecken. b) Anders dagegen, wenn man den Gedanken der Verfassungskonformität (aus den früher erörterten Gründen) 3 4 als Ausfluß der rechtshierarchischen Interpretationseinheit der Rechtsordnung sieht: Je vollständiger die richterliche Anpassung der Legalordnung an die Verfassungsordnung, desto vollständiger auch die Verwirklichung des so verstandenen Konformitätsprinzips. I n welchem Rahmen diese Verwirklichung mit den Mitteln der Rechtsfortbildung zu erreichen ist, bleibt freilich eine Frage methodischer Eigengesetzlichkeit der Rechtsfortbildungslehre, der m i t der — zudem gewagten — Schlußfolgerung aus einem so allgemeinen Prinzip wie dem der Konformität nicht vorzugreifen sein wird. Immerhin läßt sich soviel sagen, daß der — für die verfassungskonforme Auslegung grundlegende — Gedanke des „offen-teleologischen Systems" schon so sehr durch die Notwendigkeit rechtsbildender richterlicher Rechtsquellensynthese geprägt ist 3 6 , daß ein starrer Einschnitt zwischen Auslegungs- und Rechtsfortbildungsstufe auch rechtstheoretisch kaum einsehbar wäre. Gegen einen solchen Einschnitt würde auch sprechen, daß die allgemeine Rechtsfortbildungslehre i m Gedanken der Einheit der Rechtsordnung bereits eines ihrer tragenden (wenn auch ausgestaltungsbedürftigen) Grundpostulate erkannt hat 3 6 — wie überhaupt i m modernen B i l d der Rechtsanwendung Auslegung und Rechtsfortbildung nur noch durch fließende Grenzen getrennte, wesensverwandte 37 , und deshalb in

den

Grundprinzipien

gleichzustellende

Verfahrensweisen

bezeich-

nen. Daß die Ausdehnung der Verfassungskonformität nur m i t einem hohen Rechtssicherheitsrisiko zu erkaufen ist, ist — von den allgemeinen Rechtsanwendungsmethoden her gesehen — eine Erscheinung, die die verfassungskonforme nur mit der sonstigen Rechtsfortbildung 38 m Kennzeichnend insoweit Eckardt 53 ff., 56 f., 57 ff.; ähnlich auch Haak 304. m Oben § 4 1 2 , I I 3 c). 3 fl Vgl. oben § 4 I I 3 c) a. E. «β Engisch, Einheit 73 ff. — S. a. Larenz 277 ff. (über das R e d i t als „ S i n n ganzes" i n der Rechtsfortbildung) sowie bereits Savigny, System I 263/4 (für die Lückentheorie). 37 Dem Grundsatz nach nahezu allg. Meinung: Larenz 273 ff.; Wieacker, Gesetz u n d Richterkunst 6; Burckhardt , Methode 280; Esser, Grundsatz u. N o r m 255, 259. — Zurückhaltend freilich noch Enn.-Nipp. § 5 8 I V S. 340 m i t A n m 25. — Z u m ganzen eingehend Merz, A c P 163 (1963/64) 305 (3341); Larenz, Kennzeichen 1. — Esser 255 hat diesen Sachverhalt auf die p r ä gnante Formel gebracht, daß die richterliche Rechtsfortbildung (verglichen m i t der Auslegung) n u r der „makroskopisch auffallendere Grenztatbestand einer kontinuierlichen Rechtsbildung aus nicht geschriebenen Elementen sei"; vgl. auch bereits oben § 4 I I 4. Dies auch gegen Stern aaO (oben sub 1 A n m 19). — S.a. Larenz N J W 65, 1 u n d i n : Olivecrona-Festschrift 384ff. 38 v g l . etwa Enn.-Nipp. § 5 9 1 1 ; Heck, Gesetzesauslegung 84, 180 ff,

§ . Verfassungsprinzip und

75

e t s l u n g

teilt. M i t aller Behutsamkeit w i r d sich danach sagen lassen, daß i m rechtshierarchisch verstandenen Konformitätsprinzip zumindest eine Tendenz

zur

Ausdehnung

auf

die

Rechtsfortbildungsstufe

angelegt

ist — i n dem Sinne, daß verfassungskonforme Auslegung und Rechtsf o r t b i l d u n g als zwei

verfassungskonformer

Stufen

eines i m W e s e n einheitlichen

Rechtsanwendung

Verfahrens

zu nehmen wären.

3. Aber sehen w i r näher zu, ob mit einem so weittragenden Schritt nicht doch das mühsam herausgebildete herkömmliche Ordnungsgefüge

richterlicher

Rechtsfortbildung

d u r c h b r o c h e n u n d das G l e i c h -

gewicht zwischen gesetzgeberischer und richterlicher Wertungskompetenz gestört wird. Sicher ist die Rechtsfortbildungslehre i n einem Vorgang ständiger Weiterentwicklung begriffen. Aber sie hat doch auch — wenngleich i n geringer durchgebildetem Maße als die Auslegungslehre — ihr sorgfältig tradiertes Gefüge von Formen, Regeln und Begriffen, das sich auch für die Einordnung neuartiger Rechtsfortbildungserscheinungen nicht kurzerhand aufopfern läßt. Dieses Formengefüge w i r d i n der heutigen Rechtsfortbildungslehre i m wesentlichen durch die Lückentheorie konstituiert: Rechtsfortbildung ist i n erster Linie — und i n der Hauptsache — Lückenfeststellung und -ausfüllung; diese schließt sich i n der Stufenfolge richterlicher Rechtsanwendung herkömmlicherweise als Rechtsfindung praeter legem an die Auslegung als Rechtsfindung secundum legem an 3 9 . Methodische Einordnung verfassungskonformer Rechtsfortbildung bedeutet deshalb zunächst (um von der Grenzproblematik des contra-legem-Judizierens hier noch abzusehen) 40 Einordnung des Verfassungsprinzips i n die allgemeine Lückentheorie. a) Das allerdings ist der Punkt, i n dem sich der Rückstand der bisherigen Diskussion zum Gedanken der Verfassungskonformität am augenfälligsten bemerkbar macht. Dürig spricht zwar (in seiner Untersuchung zum Verhältnis von Grundrechten und Zivilrechtsprechung) 41 von der „wertschutzlückenschließenden" Funktion der Grundrechte. Doch er offenbart uns nicht, wie diese Funktion i n das Gefüge der Lückentheorie einzupassen ist; ja, er läßt offen, ob es sich für i h n überhaupt um Lückenschließung i m spezifischen Sinne der Rechtsfortbildungsdogmatik handelt. Sein Problem ist das der Drittwirkungskontroverse, seine Blickrichtung daher material-verfassungstheoretischer, nicht hermeneutischer A r t . Den A r t 1 (also das generellste s» Vgl. dazu Engisch, Einführung 134 f f ; Larenz 273 ff. (279); Meier-Hayoz Richter 54ff.; Merz A c P 163 (1963/64), 305 (331 ff.); Canaris S. 19ff. 40 Darüber unten §§ 11,15. 41 Nawiasky-Festsdir. 177f. (1791); vgl. auch (Maunz-)Dürig-Herzog Rdnr 132 f.; Ekkehart Stein, Staatsrecht 224.

Arti

76

Erster Teil: Einordnungsprobleme

Prinzip) berührt zwar Nipperdey 42 E r dekretiert: „ A r t 1 ist ein Prinzip der Rechsfindung bei Lücken." Doch wie das Prinzip lückentheoretisch zu systematisieren ist, bleibt sein unenthülltes Geheimnis. Etwas enttäuschend ist endlich auch Michels Rede von der „verfassungskonf ormen Lückenausfüllung" 4 3 . Denn f ü r i h n liegt d a r i n n u r das Verbot verfassungswidriger Rechtsfortbildung (was methodisch ebenso verständlich w i e untergeordnet sein dürfte). Nicht zu übersehen ist allerdings, daß die allgemeine Rechtsfortbildungslehre der Theorie des Verfassungsprinzips insofern bereits vorgearbeitet hat, als sie Rechtsprinzipien aller A r t als „Wegweiser" richterlicher Rechtsfortbildung ins Blickfeld gerückt h a t 4 4 . So an erster Stelle das Prinzip v o n Treu u n d Glauben m i t den aus i h m herausdestillierten Rechtsinstituten und Rechtsregeln der „ V e r w i r k l i c h u n g " , der „Geschäftsgrundlage", der „unzulässigen Rechtsausübung" usw. 4 5 ; und die v o n Esser 46 vorgeführten weiteren Beispiele sind Legion. U n d doch fehlt es auch hier noch weitgehend an der detaillierten Methodeneinordnung, bleibt die Hinwendung zum Prinzip i m Grundsätzlich-Programmatischen stecken oder aber w i r d sie (wie bei Esser) vorwiegend n u r durch rechtssoziologische Funktionsanalyse der Rechtsprechung untermauert 4 7 . N u r vereinzelt w i r d der Schritt zur Einbeziehung des Prinzips i n die Lückentheorie bereits unmißverständlich vollzogen 4 8 . Das ist überraschend, w e n n man sich kurz den Entwicklungsstand der modernen Lückentheorie vergegenwärtigt. Die Kontroverse dar« I n : Grundrechte I I 23.

43 JuS 61, 279/80. 44 Vgl. Larenz, „Wegweiser zu richterlicher Rechtsschöpfung", Nikisch-Festschrift 275 ff., 299 ff. (301), Methodenlehre 314 ff., N J W 65, 1 (7); Engisch, E i n führung 151 m i t A n m 185; Enn.-Nipp. §58111 S. 343 bei A n m 36; Meier Hayoz, B e r n K o m m A r t i Ν.405ff. (413); Weigelin JherJb 88 (1939/40), 16; H.J.Wolff , Jellinek-Gedächtnisschrift 33ff., 44f., 52; Boulanger 64; Del Vecchio , Rechtsphilosophie 392; Merz, AcP 163 (1963/64), 305 ff. (331 ff.); Canaris S. 93 ff. — S. jetzt auch Betti Engisch-Festschrift (1969) 205 ff. (217 ff.). 43 Darüber zusammenfassend Wieacker, §242 (1956); Merz aaO (vor. Anm) sowie i n ZSR80(1961) 335 ff.; s. auch die Kommentierung SiebertsinSoergelSiebert zu § 242. 4« Grundsatz u. Norm, passim. 47 Vgl. dazu seinen rechtssoziologischen Ansatz S. 134 ff.; dazu schon oben § 3 vor 1. Treffend hierzu Canaris S. 38 A n m 96. 4« Vermittelnd Larenz 283; weitergehend Canaris S. 37 ff., 93 ff. Vgl. unten bei A n m 59 ff. — Canaris S. 5 macht dazu grundsätzlich m i t Recht darauf aufmerksam, daß das Problem der Lückenfeststellung (und damit auch das ihrer Bewertungsgrundlage) i n der Methodendiskussion gegenüber dem der Lückenausfüllung auffällig i n den Hintergrund t r i t t . Allerdings ist dief Lückenfeststellung letzten Endes eine Frage des Lückenbegriffs, so daß dessen Erörterung der Sache nach zugleich das Problem der Lückenfeststellung betrifft: Lückenfeststellung ist Feststellung der Voraussetzungen des Lückenbegriffs. Die Schwierigkeiten der Lückenfeststellung sind, so gesehen, n u r diejenigen des Lückenbegriffs selbst.

§ . Verfassungsprinzip und

e t s l u n g

77

über, ob die gesetzliche Rechtsordnung überhaupt Lücken aufweise (oder aber logisch geschlossen sei), hat die Methodenlehre seit langem weit hinter sich gelassen 49 . Ausdiskutiert sein dürfte auch die Erkenntnis 5 0 , daß Lückenfeststellung u n d Lückenausfüllung, insofern übereinstimmend, i n der Regel, jedenfalls zu einem guten Teil, auf einem nicht

logisch

deduzierenden,

s o n d e r n teleologisch

wertenden

Urteils-

akt fußen. F ü r die neue Lückentheorie ist n u n kennzeichnend, daß der Maßstab, auf dem diese Lückenwertung aufbaut — den man vielleicht kurz als Lückenwertungsbasis bezeichnen k a n n —, einem V o r gang fortschreitender Ausweitung unterworfen ist, die der richterlichen Rechtsfortbildung ständig neuen Bewegungsspielraum zuführt. Die Bilanz ist oft genug gezogen worden 5 1 . I n diesen Auflockerungstendenzen macht sich nicht n u r die Eigendynamik einer i n Dauerdiskussion befindlichen Begriffsentwicklung geltend. Es prägen sich i n i h r auch Vertrauensschwund der Gesetzgebimg u n d Vertrauenszuwachs der Rechtsprechung aus 52 . Bemerkenswerterweise mehren sich daher — w o f ü r insbesondere auf die unlängst v o n Canaris 53 vorgelegte kritische Bestandsaufnahme, übrigens die erste monographische Untersuchung zur modernen Lückentheorie, verwiesen werden kann — die Versuche, die „ p l a n w i d r i g e Unvollständigkeit" des Gesetzes (so der klassische Lückenbegriff Elzes) 54 nicht mehr ausschließlich am 4» Vgl. statt aller Larenz 279 ff.; Enn.-Nipp. §§ 58, 59; Engisch, Einführung 134 ff. — Z u r K r i t i k am Lückenlosigkeitsdogma zusammenfassend Engisch aaO 135 f.; Wieacker, Gesetz u. Richterkunst 6. — Hauptvertreter der Gegenmeinung ist nach w i e vor Kelsen, der den Begriff der Gesetzeslücke als „typisch ideologische Formel" v e r w i r f t (Rev. Int. de la Théorie du D r o i t 8 [1934], 16). Daß dem Gesetz nicht stets eine Entscheidung i m Wege grammatisch-logischer Interpretation formal zwingend zu entnehmen ist, w i r d zwar auch von Kelsen aaO anerkannt. N u r w i l l Kelsen i n diesem Falle die Entscheidung mangels anderer rechtsdogmatisch greifbarer Grundlagen i n das Belieben des Richters gestellt wissen. Seine Differenz gegenüber der h. M. betrifft also sachlich eher die Frage der Lückenausfüllung, wobei es sich bemerkbar macht, daß Kelsen allgemeine Rechtsprinzipien, und so auch Verfassungsprinzipien, aus seinem Rechtssystem zu eliminieren sucht. Vgl. dazu noch Merkl, GrünhZ 42 (1916) 553; Betti, Rabel-Festschrift 379 (382 ff.); oben §3 A n m 45 sowie § 4 I I 3c). ßo Larenz 282 f., 288; Engisch, Einführung 145; Esser, Grundsatz u. N o r m 252 A n m 56 u. ö.; Friedrich ZSR 71 (1952), 456. Bestätigend i n rechtslogischer Sicht: Th. Heller 19 ff., 95 f. Der Begriff der „Wertungslücke" — gedacht als Gegensatz zur „Subsumtionslücke" (darüber Meier-Hayoz, Richter 65, BernK o m m A r t i Ν . 275; Heck, Gesetzesauslegung 167, 169) — ist deshalb i n sofern irreführend, als er davon ablenkt, daß das Wertungserfordernis für die Lückenfeststellung die Regel u n d nicht lediglich das M e r k m a l einer besonderen Lückenart ist. 51 Aus der L i t : Larenz 277 ff.; Meier-Hayoz, Richter 59 ff., 151 ff., 214 ff., B e r n K o m m A r t i Ν.251 ff.; Canaris S.31 ff., 129ff. 52 Wie auch — weiterreichend — i n der Institutionalisierung einer richterlichen Normenkontrollbefugnis; dazu unten § 11. β» aaO (Anm 51). m S. 3 ff. (6).

78

Erster Teil: Einordnungsprobleme

Maßstab der historisch vorgefertigten Wertungsakte des Gesetzgebers selbst zu ermitteln. Die Lösungsformeln zeigen zwar i m einzelnen noch eine denkbar bunte Palette; nahezu jeder A u t o r entwickelt seine eigene Lückenterminologie 56 . Doch dürfte jedenfalls die Zielvorstellung bereits einigermaßen abgesichert sein, daß es, der Funktionsteilung der Gewalten nach 56 , darum zu tun ist, i n der Lüdcenwertungsgrundlage den für den Richter verbindlichen Maßstab des geltenden Rechts gegen das dem Gesetzgeber grundsätzlich zu belassende Rechtskorrekturmonopol deutlich abzuheben 67 . Daß dabei vielfach das Gesetz (und nicht das Recht) als Bezugssystem der Lückenwertung bezeichnet wird, darf nicht den Blick für die i n der Sache gleichwohl erreichte Ausweitung des Lückenbegriffs verstellen. Auch der Gesetzesbegriff ist ja dehnbar genug und zwingt (ebensowenig wie auf der Stufe der Auslegung) 58 nicht zur abgetrennten Würdigung des einzelnen Rechtssatzes. So bestimmt sich zwar i n der Lückentheorie Larenz' das Vorhandensein einer Lücke danach, ob die vermißte Regel nach dem „Grundgedanken" und der „immanenten Teleologie" der gesetzlichen Regelung erwartet werden kann 6 9 . Aber Larenz betont gleichzeitig (aaO), daß diese immanente Teleologie des Gesetzes nicht zu eng verstanden werden dürfe, und w i l l die bewußten gesetzgeberischen Wertungsakte durch „objektive Rechtszwecke und Grundsätze, denen das Gesetz i m allgemeinen Rechnung trägt", ergänzt wissen. Hierher gehören etwa — u m nur zwei Beispiele zu nennen — die analoge Ausdehnung der Haftung nach § 463 Satz 2 auf den Fall arglistiger Vorspiegelung eines Vorzuges gemäß dem Gleichheitsgedanken 60 (offene Regelungslücke) oder aber, zumindest dem Methodenansatz nach, die Frage einer Einschränkung der Formnichtigkeit gemäß dem Prinzip des § 242 61 (Problem einer verdeckten Regelungslücke 62 ). Indessen dürfte es i n der Logik der Entwicklung des Lückenbegriffs liegen, noch einen Schritt weiter zu gehen. Der für unseren Zusammenhang interessanteste Gesichtspunkt ist i n der Bemerkung es M i t einem nahezu überreichen Angebot v o n Einteilungsversuchen; vgl. Canaris aaO sowie Meier-Hayoz B e r n K o m m A r t 1 N. 262 ff. δβ Hierüber eingehend unten §§ 10 ff. 57 Z u diesem Ansatz namentlich Larenz 282 f.; ähnlich w o h l auch MeierHayoz, B e r n K o m m A r t i Ν . 253 (weitergehend aber N. 273); Staudinger Brandl, Ein!. N. 62 v o r § 1 sowie eingehend Canaris S. 31 ff. (33 ff. m i t A n m 76, 77). «β Vgl. oben § 4 I I 2 b) a.E. e® S. 283 (Hervorhebimg v o m Zitierenden), eo Larenz aaO. ei Larenz 299 f.; vgl. auch unten §1511. β2 Z u m Begriffspaar „offene" — „verdeckte" Regelungslücken s. Larenz 283 ff. (284 f.).

§ . Verfassungsprinzip und

e t s l u n g

79

von Engisch 63 enthalten, daß sich der Begriff der „Rechtslücke" m i t dem Begriff des „Rechts" selbst verschiebt. Anders gesagt: Je ausgedehnter der Begriff des unmittelbar geltenden Rechts, desto u m fassender auch der Lückenbegriff. Denn für die Lückenwertung handelt es sich — w i e gezeigt — u m den Maßstab ebendieses geltenden Rechts (in der Abhebung gegen die rechtspolitische Rechtsk o r r e k t u r ) 6 4 . D a m i t w i r d die Lückentheorie an den jeweils erzielten Entwicklungsstand der normativen Rechtsquellenlehre gebunden: Was als Erscheinungsform (unmittelbar) geltenden Rechts anzuerkennen ist, muß auch geeignet sein, als Grundlage der Lückenwertung zu dienen. V o n hier aus k a n n auf das zur Fortentwicklung der neueren Rechtsquellenlehre früher (oben § 3) Gesagte zurückverwiesen werden: Entschließt man sich, Rechtssätze (Rechtsquellen) und Rechtsprinzipien (Rechtsergänzungsquellen) als Bestandteile des geltenden Gesamtrechtssystems anzuerkennen 6 5 , so dürfte es n u r folgerichtig sein, über die ausgeformten Rechtssatzwertungen hinaus ebendieses Gesamtquellengefüge, die „Rechtsordnung als Ganzes" (Canaris J 66 , kurz, das „Rechtsganze" (Engisch) 67 als Wertungsgrundlage richterlicher Lückene r m i t t l u n g anzusehen. I n die dem Richter verwehrte Verbotszone „rechtspolitischer F e h l e r k r i t i k " fallen dann n u r mehr diejenigen Gesetzesmängel, deren Vorhandensein (allenfalls) aus außerpositiven Postulaten und Zweckmäßigkeitserwägungen abzuleiten ist 6 8 . Das ist die Grenze, die nach dem gegenwärtigen Problemstand auch ihrerseits bereits gegen noch weitergehende Lückentheorien zu verteidigen ist 6 9 . Verlieren w i r uns an dieser Stelle nicht i n Fragen der Einzelabgrenzung und der Nomenklatur — auf die zurückzukommen sein «3 Einführung 135. 64 Vgl. oben i n u n d bei A n m 57. es Oben § 3,4. 66 S. 37 ff. insbes. unter Hinweis auf die „allgemeinen Rechtsprinzipien" und „übergesetzlichen Werte"; vgl. auch S. 93ff. Vorbehalte gegen die Einbeziehung des Prinzips i n den Lückenfeststellungsakt aber jetzt bei Larenz N J W 65, 1 (2 m i t A n m 9) sowie i n Kennzeichen 3. — Über Bedenken gegen die Lückenbezeichnung für Grenzfälle vgl. unten § 15 I I 3. aaO (Anm 63). Vgl. auch den Begriff der „Einheit i n der Gesamtrechtsordnung" als Lückenwertungsmaßstab bei Staud.-Brändl Einl. N. 62 vor § 1. — S. auch bereits den Begriff des „Rechtsganzen" i n der Rechtsfortbildungslehre Windscheids (Pandekten 7. Aufl. §23). Über die „Gesamtrechtsordnung" als Maßstab der Rechtsfortbildung, wenn auch ohne lückentheoretische Einordnung, neuerdings noch Flume Κ 1 9 m i t A n m 43. «8 Vgl. Larenz 2821; Engisch, Sauer-Festschrift 93; Canaris S. 33 m i t A n m 76,77. 69 Vgl. etwa Binder, Philosophie des Rechts 983 f. und dagegen Larenz 282. Z u weitgehend auch Bartholomeyczik 82,94 u n d Meier-Hayoz A r t i Ν.273 m i t der Verweisung auf den „rechtspolitischen" Maßstab sowie ferner Keller 60 ff. m i t dem Begriff der „politischen" Lücken; dazu treffend Canaris S. 33 A n m 76. Vgl. auch Germann, Probleme 117.

80

Erster T e i l : Einordnungsprobleme

w i r d 7 0 — , so k ö n n e n w i r k a u m u m h i n festzustellen, daß sich die E i n b e z i e h u n g des V e r f a s s u n g s p r i n z i p s i n d i e so gekennzeichnete L ü c k e n w e r t u n g s g r u n d l a g e dem Grundsatz nach geradezu aufdrängt. E i n m a l deshalb, w e i l i n e i n e m S y s t e m r i c h t e r l i c h e r V e r f a s s u n g s u n m i t t e l b a r k e i t d i e „ T e l e o l o g i e des Verfassungsgesetzes" — also sein P r i n z i p i e n g e h a l t — auch f ü r d i e L ü c k e n a u s w e r t u n g n i c h t v o n d e r Teleologie des einfachen Gesetzes 7 1 a b z u s o n d e r n s e i n w i r d . S o d a n n auch deshalb, w e i l das V e r f a s s u n g s p r i n z i p , als v o r p o s i t i v e r Rechtsg e d a n k e g e n o m m e n , j a konstituierender Bestandteil des auch für die Lückentheorie maßgebenden Gesamtrechtssystems, „objektiver Rechtszweck"72 i m System einer offenen Teleologie ist ( w o f ü r w i e d e r u m a u f das z u r A u s l e g u n g s s t u f e Gesagte v e r w i e s e n w e r d e n k a n n ) 7 3 . D e r m o d e r n e teleologische S y s t e m b e g r i f f i s t d e s h a l b — so sehr sich m i t der These z u g l e i c h die V o r b e h a l t e a u f d r ä n g e n m ö g e n — d e r sich d e u t l i c h abzeichnende Methodenschlüssel z u r E i n o r d n u n g des V e r f a s s u n g s p r i n z i p s auch i n d i e R e c h t s f o r t b i l d u n g s s t u f e . I n diesem S i n n e s o l l t e das V e r f a s s u n g s p r i n z i p — w i e d e r u m ü b e r d i e d e k l a r a t o r i s c h e F u n k t i o n h i n a u s g e h e n d — r i c h t i g e r w e i s e als mitwirkender inhaltlicher Bestimmungsgrund richterlicher Rechtsfortbildung anerkannt werden. Z u r begrifflichen Klarstellung ist allerdings sogleich anzufügen, daß die auf den ersten Blick hier sich anbietende Sonderform der Kollisionslücke f ü r das Verhältnis von Verfassungsprinzip u n d Gesetzesnorm nicht weiterh i l f t . V o n einer solchen „Kollisionslücke" ist üblicherweise dann die Rede, w e n n ein Regelungsmangel dadurch entsteht, daß sich zwei ranggleiche Normen wegen inhaltlichen Widerspruchs gegenseitig aufheben (und wegen der A u f f ü l l u n g des so entstandenen Rechtsvakuums auf eine d r i t t e Rechtsquelle verweisen) 7 4 . A b e r die normative Rangstufung v o n Verfassung u n d Gesetz läßt i m Kollisionsfall n u r den Weg der Gesetzeskassation ( A r t 100) offen 7 6 . I m übrigen ist die verfassungskonforme Rechtsfortbildung, wichtiger noch, nicht auf Verdrängung des Gesetzes, sondern auf dessen Verschmel™ U n t e n §1511 2—4. I m Sinne der Formel v o n Larenz 283. 78 Den als Lückenkriterium Larenz 283 hervorhebt. Z u m Verhältnis von Prinzip u n d Zweck vgl. oben § 4 I I 5 d). 73 Vgl. oben § 4 I I 3 c) a. E. — Die Einbeziehung des Prinzips i n die Rechtsfortbildung rechtfertigt sich übrigens selbst dann, w e n n m a n hierfür K a t e gorien w i e den „Geist der Rechtsordnung", die „Wertungen der führenden Kulturschicht" o. ä. m i t heranziehen w i l l (darüber zusammenfassend Engisch, Einführung 151 m i t weit. Belegen). Denn auch diese — an sich „freieren" — Wertmaßstäbe dürften ihre rechtlich authentische u n d (relativ) zuverlässigste Ausprägung i n den Leitgedanken der geltenden Verfassung gefunden haben. Das Erfordernis einzelfallbezogener Konkretisierung g ü t hier w i e dort. 74 Dazu statt vieler Enn.-Nipp. § 5813 S. 339 sowie Engisch, Einführung 159 u n d neuerdings Canans S. 65 ff. 75 Auch die v o n Canaris S. 66 entwickelte Kategorie der „teleologischen" Kollisionslücke k o m m t deshalb hier nicht i n Betracht.

§ . Verfassungsprinzip und

e t s l u n g

81

zung m i t der Verfassung gerichtet. Einordnungsgrundlage ist hier n u r der allgemeine Lückenbegriff (mit seiner breiten Einzelauffächerung i n „ a n fängliche" u n d „nachträgliche", „offene" u n d „verdeckte" Lücken usw.) 7 8 . Das Verfassungsprinzip sollte i n alle diese Formen als mitkonstituierendes Element der allgemeinen Lückenwertungsbasis eingeordnet werden.

b) Unser Rechtsverfassungssystem beruht — u m den gewichtigsten der Vorbehalte schon hier anzudeuten — auf der Vorherrschaft des förmlichen Gesetzes und der i n diesem sich bekundenden W e r t u n g e n 7 7 . I n dem Maße, i n dem sich die richterliche Rechtsfortbildung — u n d sei es auch n u r auf der unscheinbaren Grundlage der „Lückenausfüllung" — neues Terrain erobert, w i r d die Respektierimg dieser Gesetzesherrschaft zu einem unmittelbaren Methodenproblem der Rechtsfortbildungslehre. Es ist dies eine Frage, die den Gesamtkomplex verfassungskonformer Rechtsfortbildung — w i e noch mehrfach zu zeigen 7 8 — geradezu leitmotivisch durchzieht. Sie ist auch der herkömmlichen Theorie der Gesetzeslücke nicht unbekannt. Engisch 79 hat m i t Recht darauf hingewiesen, daß der Lückengedanke letztlich auf der Spannung v o n Gesetz u n d Recht (in den h i e r zugrundegelegten Kategorien: v o n „Rechtsquellen" und „Rechtsergänzungsquellen") beruht. Diese Spannung ist deshalb nicht auszuschalten, ohne daß man den Lückenbegriff selbst preisgibt. So auch i m Verhältnis v o n Verfassungsprinzip u n d Gesetzesnorm. Sicher ist das (hier vertretene) Ineinandergreifen beider i n der Lückenwertungsbasis gegenüber einseitigen Lösungsalternativen noch unschwer zu verteidigen. Ebensowenig w i e die Lückenwertungsgrundlage auf das Prinzip allein zurückzuführen ist (das j a n u r einen der Bewertungsfaktoren bildet), k a n n auch die einfach-gesetzliche, v o m Prinzip gelöste Wertung nicht zu verabsolutieren sein 8 0 . Die Lösung w i r d daher, 7 « Vgl. die Übersicht bei Larenz 279ff.; Meier-Hayoz BernKomm A r t i Ν . 262 ff. 77 Über die Bindungskraft legislativer Wertungen s. vorläufig Enn.-Nipp. §511115 S.322; Larenz 250f.,258f.,288f.; Meier-Hayoz BernKomm A r t i Ν . 351; Westermann, Wesen u. Grenzen 25,40. ™ Dazu insbes. unten §§ 8 I I 1; 12,13. 7f l Sauer-Festschrift 85. β® Dies gegen die K r i t i k am Gedanken eigenständiger verfassungskonformer Rechtsfindung etwa bei Schack 273 f., Michel 279 ff. — M i t einer Analogie zur Theorie v o m Fortfall der Geschäftsgrundlage — w i e dies Rötelmann, Urteilsanm. N J W 62, 735, 736 sub 2) vorschlägt — ist der Schritt über die einfach-gesetzlichen Wertungen hinaus allerdings k a u m zu begründen. M a n mag darüber streiten, was (der Parallele Rötelmanns zufolge) als „Gesetzesgrundlage" anzusehen ist. Doch hat der Vergleich allenfalls Veranschaulichungswert. Auch dies i m übrigen n u r bedingt, w e i l es f ü r die Methodik der Rechtsfortbildung an einer Entsprechung zu der auf „ T r e u u n d Glauben" gegründeten rechtlichen Sonderverbindung fehlt, auf der die Lehre von der Geschäftsgrundlage aufbaut; hierzu Larenz, Geschäftsgrundlage (3. Aufl. 1963) 162 f. Überdies kranken alle Parallelen zu Instituten der

6 Göldner

82

Erster Teil: Einordnungsprobleme

auch darin der Auslegungsstufe folgend, nur auf dem Mittelweg einer ausbalancierenden Vermittlung von Prinzip und Norm zu suchen sein. Daß i n diesem Verfahren die Grenzen von der Lückenausfüllung zur Gesetzesberichtigung i n Fluß geraten können, ist eine der Lückentheorie 8 1 auch sonst nicht unbekannte Erscheinung (wobei uns die Frage sachgerechter terminologischer Grenzziehung noch zu beschäftigen haben wird) 8 2 . Aber eine Theorie der verfassungskonformen Hechtsfortbildung darf sich für das Verhältnis von Verfassungsprinzip und Gesetzesnorm nicht m i t einer allzu glatten Vermittlungsformel zufrieden geben. Der üppige Entfaltungsraum, den der Maßstab des „Gesamtrechtssystems" dem Verfassungsprinzip i m modernen Rechtsfortbildungsgefüge sichert, ist Stärke und Schwäche des Lückenbegriffs zugleich. Ersteres, w e i l er die systemimmanente Harmonisierung von Verfassung und Gesetz auch ohne gesetzgeberisches Tätigwerden offenhält. Letzteres, w e i l damit der Lückenbegriff insofern zu einer forfnalen, blankettartigen Kategorie wird, als er uns keinen Aufschluß darüber gibt, nach welchen inhaltlichen Kriterien sich die Einpendelung von Prinzip und Norm für die konkrete Fallbeurteilung vollzieht; und gerade hier setzt die praktische Methodenproblematik verfassungskonformer Rechtsfortbildung erst ein. Die Spannung zwischen Abstraktheit der Rechtsanwendungsregeln und Konkretheit der Rechtsanwendungsaufgabe ist zwar i n jeder Methodenlehre notwendig angelegt. Aber sie prägt sich umso schärfer aus, je weiter die Rechtsanwendungsdogmatik vom Maßstab der Logik zu demjenigen der Teleologik übergeht und damit auf den spezifizierenden Ableitungszusammenhang logischer Deduktion verzichtet? 8 . Diese Entwicklung, wie sie unsere Rechtsfortbildungslehre (und insbesondere die Lückentheorie) genommen hat, für den Bereich der Verfassungskonformität rückgängig machen zu wollen, wäre ebenso eigensinnig wie unbegründet.' Aber die Theorie der verfassungskonformen Rechtsfortbildung darf nicht dem Richter den abstrakt nahezu unbegrenzten „Gesamtrechtssystem"

Aktionsrahmen — mit Einschluß

der Verantwortung der Verfassung —

für das zuweisen,

Rechtsgeschäftslehre (audi die Analogie zur Konversion, oben § 4 1 1 2 a. E.) daran, daß sie die Methodenfragen unnötig aus dem Systemzusammenhang der Rechtsanwendungslehre herauslösen. 8i So etwa f ü r die „unechten Lücken" Zitelmanns (S. 23 ff., 27) oder die „verdeckten Regelungslücken" Larenz 9 (S. 2841). Vgl. auch Reichel, StammlerFestgabe 324f.; Larenz 299; Merz A c P aaO 331 ff. sa Dazu unten §15112. β« Vgl. dazu jetzt die tiefgreifende Methodenskepsis bei K r i e l e 24 ff, 312, These 11. — Das heißt aber nicht, daß die üblichen Rechtsfortbildungsregeln bloßer „Schein" sind. Sie haben Rahmencharakter, nicht Scheincharakter. Sie bieten das Formalgerüst, w e n n a u d i nicht die Sachgründe richterlicher Normgewinnimg. Vgl. auch unten § 7 I I a. E. —

§ 5. Verfassungsprinzip und Rechtsfortbildung

83

ohne gleichzeitig auch, mehr als in der klassischen Methodentradition üblich, den Akzent methodischer Fragestellung auf das Verfahren der

Einzelproblemlösung zu verlagern (und von hier aus verdeutlicht sich auch die Rolle paradigmatischer Methodenanalysen für derartige Grenzbereiche) 84 . Das bedeutet für unseren Zusammenhang zunächst, daß es gilt, die Inhaltsbestimmung des i n die Rechtsanwendung einzubauenden Verfassungsprinzips — soweit angängig — ihrerseits methodisch kontrollierbar zu machen. 4. Zusammenfassend ergibt sich damit, daß für die richterliche Einführung des Verfassungsprinzips i n die Rechtssatzordnung richtigerweise ein allgemeiner Grundsatz verfassungskonformer Rechtsfortbildung anerkannt werden sollte, der, als zweite Erscheinungsform eines allgemeinen Prinzips verfassungskonformer Rechtsanwendung, zu dem von der herrschenden Meinung bisher allein zugestandenen Verfahren verfassungskonformer Gesetzesauslegung hinzutritt. Auch die verfassungskonforme Rechtsfortbildung ist zwar, ähnlich der verfassungskonformen Gesetzesauslegung, methodisch an sich systemfähig. Sie greift aber, der Entwicklung der modernen Lückentheorie folgend, ihren abstrakten Möglichkeiten nach so weit aus, daß sie sich der methodischen Beherrschung zu entziehen droht, sofern sich nicht Formen gesicherter Handhabimg des sie bestimmenden Verfassungsprinzips i m Einzelfall bezeichnen lassen.

m Das Verdienst, die Bedeutung des Einzelproblems i n das Methodenbewußtsein zurückgerufen zu haben, dürfte nicht zuletzt den Lehren Viehwegs (Topik u. Jurisprudenz, 3. A u f l . 1965) zuzubilligen sein — auch w e n n m a n der v o n i h m proklamierten A b w e n d u n g v o m Systemdenken die Gefolgschaft versagt Hierzu n o d i u n t e n §§7,8. 6*

Zweiter

Teil

Konkretisierungeprobleme §6. Notwendigkeit der Konkretisierung 1. Sicher ist, daß allgemeine Rechtsprinzipien — wie auch Generalklauseln und sonstige unbestimmte Rechtsbegriffe —, u m i n die Rechtsprechung Eingang zu finden, der näheren richterlichen Inhaltsbestimmung bedürfen, mag man dieses Verfahren nun als „ A k t u a lisierung" 1 , „Präzisierung" 2 , „Positivierung" 8 oder (mit dem wohl vorherrschend gewordenen Terminus) als „Konkretisierung" bezeichnen 4 . Das Erfordernis richterlicher Konkretisierung g i l t insbesondere auch für den Rückgriff auf allgemeine Verfassungsprinzipien, wie er i m Rahmen der Methode verfassungskonformer Rechtsanwendung erfolgt. Die funktionelle Unmittelbarkeit der Rechtsgeltung derartiger Prinzipien schließt, wie gezeigt, ihre mangelnde substantielle Unmittelbarkeit nicht aus 5 . Es handelt sich bei den hier interessierenden Verfassungsprinzipien regelmäßig u m Rechtsgedanken allgemeinster A r t — wie Persönlichkeitsschutz, Gleichheitsgedanke, Ehe- und Familienschutz —, die i n der inhaltlichen Unbestimmtheit ihrer verfassungsgesetzlichen Positivierungen kaum zu übertreffen und auch richterrechtlich, verglichen etwa m i t den herkömmlichen Generalklauseln (§§ 242, 826 BGB; 1 UWG; 14 pr. PVG usw), noch relativ wenig ausgeformt sind 6 . Dies nicht zuletzt deshalb, weil sich die Gerichte u. U. 1

So etwa Hensel, RG-Festgabe 128 u. ö. * Vgl. ζ. B. Wieacker, Z u r rechtstheoretischen Präzisierung des § 242. ® Esser 70 m i t A n m 215. 4 So H. Huber, Ungeschr. Verfassungsrecht 108 ff., Grundsätze der A u s legung 10, Verfassungsbeschwerde 17ff.; P.Schneider A ö R 82 (1957) 15, W D S t R L 20 (1963), 39; Lerche, Übermaß 315f.; H . J . W o l f f , Jellinek-Gedächtnisschrift 44; Meier-Hayoz, Richter 239/40; Enn.-Nipp. § 15 I I 4 S. 97 bei A n m 7 2 ; Müller, Grundrechte 77 f.; Stein, Staatsrecht 225; v.Pestalozza 427 m i t weit. Material dort A n m 11. — Z u r methodischen F u n k t i o n der K o n k r e tisierung i m allg. namentl. Larenz 110 ff. sowie — m i t umfassender Begriffsanalyse — Engisch, Die Idee der Konkretisierung usw. (1953). Rechtsvergleichend: Eike von Hippel NJW67,539. — S.a. Germann, F.-v.-HippelFestschrift 166 ff. 5 Oben §3,3. Z u r Bedeutung der Generalklauseln f ü r die Richterrechtsbildung etwa Esser 150 ff. u. ö.; über die F u n k t i o n der Grundreditsnormen i n der bisheriβ

Zweiter T e i l : K o k r e t i s i e r u n g s p r o b l e m e

86

erst d u r c h d e n verfassungsrechtlichen R e z e p t i o n s a k t als e r m ä c h t i g t betrachten, das P r i n z i p ( n a m e n t l i c h als G e s e t z e s k o r r e k t i v ) i n eigener Z u s t ä n d i g k e i t u n m i t t e l b a r i n d i e R e c h t s a n w e n d u n g e i n z u f ü h r e n . Es i s t deshalb k e i n Z u f a l l , daß z . B . a u c h das P r i n z i p d e r P e r s o n w ü r d e — t r o t z w e i t z u r ü c k r e i c h e n d e r (rechtspolitischer) K r i t i k a m B G B 7 — erst m i t seiner V e r f a s s u n g s r e z e p t i o n als G r u n d l a g e e i n e r i n s t i t u t i o nellen Rechtsschutzausweitung f ü r die Zivilrechtsanwendung aktuell g e w o r d e n ist. U m so m e h r A u f m e r k s a m k e i t v e r d i e n t das M e t h o d e n p r o b l e m d e r K o n k r e t i s i e r u n g solcher V e r f a s s u n g s p r i n z i p i e n , f ü r das ( w i e f ü r das S a c h p r o b l e m selbst) r e c h t s t r a d i t i o n e l l a n e r k a n n t e L ö s u n g e n n i c h t i m m e r z u r V e r f ü g u n g stehen k ö n n e n o d e r a b e r w e g e n d e r v e r ä n d e r t e n V e r f a s s u n g s l a g e n i c h t unbesehen z u ü b e r n e h m e n sind. D a ß i n d e r M e t h o d e d e r I n h a l t s b e s t i m m u n g n i c h t s e l t e n das H a u p t p r o b l e m d e r r i c h t e r l i c h e n V e r f a s s u n g s a n w e n d u n g l i e g t , b e s t ä t i g t auch e t w a die J u d i k a t u r z u m Gleichheitssatz®, z u m P r i n z i p des F a m i l i e n schutzes·, z u r E i g e n t u m s g a r a n t i e 1 ® o d e r z u m G r u n d s a t z d e r B e r u f s freiheit 11. M a n k a n n das Erfordernis der Konkretisierung, was unser Testproblem angeht, auch nicht m i t der von Wiese angestellten Erwägung ausräumen, daß es sich bei der Zuerkennung der Geldentschädigung nicht u m K o n k r e t i sierung des G G ( A r t 1, 2), d. h. nicht i i m unmittelbare Herleitung der Geldentschädigung aus der Verfassung, sondern u m „korrigierende Angleichung" des B G B (§847) an das G G handele«: Auch w e n n das B G B i n §847 ein — vielleicht fortbildungsfähiges — Hegelungsmodell bereitstellt, so ist damit noch nicht die Frage geklärt, weshalb die Verfassung m i t dem i n i h r gewährleisteten Persönlichkeitsschutz eine solche „korrigierende A n g l e i chung" des B G B gerade f ü r diese bestimmte Sanktionsform verlangt; eine Frage, die sich nicht ohne nähere Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Wertungsgrundlage beantworten läßt. D i e N o t w e n d i g k e i t r i c h t e r l i c h e r K o n k r e t i s i e r u n g i s t danach o f f e n b a r n i c h t d a d u r c h b e d i n g t , daß d i e B e r u f i m g fassungsprinzip

die

judizielle

a u f das b e t r e f f e n d e

Herausbildung

neuer

Ver-

Rechtsinstitute

r e c h t f e r t i g e n soll. R i c h t e r k o n k r e t i o n i s t i n g r u n d s ä t z l i c h g l e i c h e r Weise auch d o r t e r f o r d e r l i c h , w o aus d e m P r i n z i p F o l g e r u n g e n f ü r d i e A u s gen Rechtsprechung des B G H zusammenfassend W. Geiger, JöR 11 (1962), 121; vgl. a u d i noch Larenz N J W 65,1 (7 f.). * S. bereits v. Gierke, D t P r i v R I I I (1917) 82; Smoschewer Uflta 3 (1930), 250 ff. sowie neuerdings Wiese 12 ff. m i t weiteren Belegen dort A n m 30. β Symptomatisch die seinerzeitige Methodendiskussion zu A r t 3 Abs 2,117 G G ; darüber statt aller Esser 72 ff.; Dölie JZ 53,353. • Darüber beispielsweise B V e r f G 10, 59 ff. (Stichentscheidurteil). io Vgl. B G H Z 6,270 (278); 15,268 (270); 30,338 (340 ff.). u B V e r f G 7,377 ff. (Apothekenurteil). ι« Wiese 46 f. — Diese Argumentation ist a u d i letzten Endes der G r u n d dafür, daß Wiese die Modellrechtsprechung nicht i n den Rahmen der Methode verfassungskonformer Auslegung (bzw. Rechtsfortbildung) einbeziehen w i l l , S. 42 f.

§ . weitung

bereits

o e n e

vorhandener

der Konkretisierung gesetzlicher

87

Rechtsinstitute

gezogen

werden sollen, wie überhaupt jede kontrollierbare Handhabung allgemeiner Rechtsgedanken deren Präzisierung voraussetzt. Allgemein läßt sich danach sagen, daß die richterliche Konkretisierung des Prinzips

in

Verfahrens

aller

Regel

einen

verfassungskonformer

funktionsnotwendigen

Rechtsanwendung

Teilakt

des

darstellt.

Verfassungsprinzip ist f ü r die Rechtsanwendung nicht fertige

Das

Größe,

sondern nur konkretisierungsbedürftiger Leitgedanke allgemeinster A r t , dessen spezifischer Bedeutungsgehalt erst i m Einzelproblem deutlich wird 1 *. 2. N u r sollte dabei der an sich berechtigte Gesichtspunkt richterlicher Rechtskonkretisierung (der i m übrigen für jede Form richterlicher Rechtsanwendung mehr oder weniger zutrifft) 1 4 richtigerweise nicht vereinseitigt werden. a) Die anzuerkennende Notwendigkeit richterlicher Prinzipienkonkretisierung darf zunächst nicht die Einsicht trüben, daß das Prinzip einen eigenständigen immanenten Bedeutungsinhalt hat 1 5 , der nicht erst das Produkt eines richterlichen Konkretisierungsprozesses ist, sondern umgekehrt diesem Prozeß m i t normgebender W i r k u n g zugrundeliegt 18 . Daß das Prinzip einen solchen kopkretisierungsunabhängigen

Normgehalt

hat, der nicht

erst

(im Sinne

Essers) 17

„ a m Fall entdeckt" wird, w i r d insbesondere vom Verfassunggeber bei der — sonst sinnlosen — Positivierung allgemeiner Rechtsprinzipien m i t Recht vorausgesetzt 18 . Allerdings w i r d sich dabei der ι» Deshalb verkürzend Fuß 15 m i t der Feststellung, die verfassungskonforme Rechtsanwendung betreffe regelmäßig n u r das Gesetz, nicht auch die Verfassung. Die Verfassung w i r d zwar nicht im Wege, w o h l aber im Rahmen verfassungskonformer Rechtsanwendung mitangewendet. — Z u r Abgrenzimg vgl. auch oben § 4 A n m 18 a. E. 14 So daß sich die Methode verfassungskonf. Rechtsanwendung auch i n diesem T e i l a k t i n das System der allgemeinen Rechtsanwendungslehre einfügt; vgl. die Nachw. oben A n m 4 sowie bereits die Hinweise auf den Gedanken stufenweiser Rechtskonkretisierung bei Kelsen oben § 4 I I 3 c). — Z u m Versuch einer material-axiologischen A b w a n d l u n g der Kelsenschen Stufenbautheorie vgl. nochmals Arth. Kaufmann, Erik-Wolf-Festschrift 357 ff., 379 ff. Auch dann, w e n n m a n — w i e besonders Esser, Grundsatz u. N o r m 25 ff. u. passim — den Gedanken der richterlichen Rechtsbildung (und d a m i t auch die richterliche Prinzipienkonkretisierung) i m Verhältnis zur gesetzgeberischen Normsetzung favorisiert. Über die „Eigenbedeutung" des Prinzips i n der Auseinandersetzung m i t Esser zutr. Larenz 131. 18 Allerdings i m Zusammenspiel m i t der S u b j e k t i v i t ä t des Rechtsanwenders; darüber grundlegend Schönfeld (AcP 135 [1932] I f f . , 42, 47). Indessen k a n n die „ O b j e k t i v i t ä t " i n der „ S u b j e k t i v i t ä t des Rechtsanwenders" nicht n u r verwirklicht, sondern auch verfehlt werden — ein Gesichtspunkt, der bei Schönfeld doch w o h l nicht z u r Geltung kommt. 17 aaO 267. is Eben w e i l die Positivierung „Rezeptionsakt" ist; oben § 3,2 a).

Zweiter Teil: Kokretisierungsprobleme

88

für den Richter von vornherein feststehende normative Sinn des Prinzips auf dessen geistesgeschichtlich, verfassungstheoretisch, rechtstraditionell oder anderweit vorgeformten Bedeutungskern beschränken; so i m Falle des A r t 1 Abs 1 etwa auf das Verbot, die Person als „Objekt" zu behandeln 19 » 20 . Es handelt sich dabei um einen normativen Mindestinhalt des Prinzips, ohne den auch von einer „Konkretisierung des Prinzips" und (im Falle von Verfassungsprinzipien) von einer Berufung auf den Verfassungsvorrang mangels verfassungsrechtlicher Substanz nicht die Rede sein könnte 2 1 . Nur deshalb kann auch überhaupt die Feststellung der Rechtsaktualität eines bestimmten Prinzips (ein sonst verwickelter Prozeß) 22 für den Verfassungsbereich bereits auf der Grundlage der geschriebenen Verfassung getroffen werden. b) Funktionell ergeben sich Einschränkungen des Erfordernisses richterlicher Konkretisierung i m übrigen noch daraus, daß sich die Inhaltsbestimmung des Verfassungsprinzips nicht ausschließlich durch das Medium der Rechtsanwendungsinstanz vollzieht. Für die Methodenprobleme allgemeiner Verfassungsprinzipien verdient dabei das funktionelle Zusammenspiel von Gesetzgebung und Rechtsprechung i m Verfahren der Rechtskonkretisierung i n mehrfacher Hinsicht besolidere Aufmerksamkeit. Die Diskussionslage ist hier insofern eigentümlich, als der i n der allgemeinen Rechtstheorie seit langem beherrschende, wenn nicht zum „Modewort" gewordene Begriff der Rechtskonkretisierung 23 i n diesem Zusammenhang, soweit ersichtlich 2 4 , für die Würdigung der gesetzgeberischen Tätigkeit stark i n den Hintergrund t r i t t und für das methodische Ineinandergreifen von Gesetzgebung und Rechtsprechung noch nicht recht ausgewertet ist. Die Gründe sind vielfältiger A r t . Sie dürften einmal darin zu suchen sein, daß man — i n der Frontstellung gegen einen einseitigen Gesetzespositivismus — sich auf eine methodische Funktionsanalyse der Rechtsprechung beschränkt und dabei das Wechselspiel der verfasZ u m Begriff des „Bedeutungskerns" unbestimmter Rechtsbegriffe Enn.Nipp. §50111. 20 Die formal negative Fassung dürfte sich als relativ zuverlässigste U m schreibung des positiven Gehalts der „Menschenwürde" erwiesen haben. Dazu statt aller die Formulierung bei Wintrich, Grundrechte 17. Dazu richtig P. Schneider W D S t R L 20 (1963), 39. Darüber interessant Canaris S. 97 ff., der allerdings den Rechtsgedanken des Persönlichkeitsschutzes unter dem Gesichtspunkt des „Rechtswertes" (und nicht unter demjenigen des „Rechtsprinzips") w ü r d i g e n w i l l , S. 125. Z u r Differenzierung v o n „ W e r t " u n d „ P r i n z i p " vgl. schon oben § 2 bei A n m 12. 22

23 Vgl. oben A n m 4,14. Über den Begriff der Konkretisierung als „Modew o r t " Larenz, Nikisch-Festschrift 279 A n m 7. 24 Vgl. die folgenden A n m . — S. auch noch Hesse, Grundzüge 121 f.

§ .

o e n e

der Konkretisierung

89

sungsrechtlichen Gewaltenträger stillschweigend ausklammert 2 5 . Sie ergeben sich i m übrigen namentlich daraus, daß die herkömmliche Verfassungstheorie — wie besonders Häberle 26 am Beispiel der Grundrechtslehre nachgewiesen hat — das Gesetz vorwiegend nur als „Eingriff" und „Begrenzung" und, wenn überhaupt, erst i n zweiter Linie als „Ausprägung", „Ausführung" und „Konkretisierung" des Verfassungsinhalts anzusehen pflegt; obwohl doch — wie man hinzufügen kann — gerade dieser letzte Gesichtspunkt hier durch den rechtstheoretischen Stufenbaugedanken 27 deutlich nahegelegt wird. Der Begriff der „grundrechtsprägenden" oder „grundrechtsverdeutlichenden Normen", wie er von Lerche 28 entwickelt wird, ist geeignet, die Konkretisierungsfunktion des Gesetzgebers i m Verfassungsbereich zu beleuchten. Er läßt sich i n abgewandelter Form auch auf die nichtgrundrechtsförmigen allgemeinen Verfassungsprinzipien übertragen, die i n noch höherem Maße der gesetzgeberischen Ausformung fähig und bedürftig sind, als dies schon für die Grundrechte z u t r i f f t 2 9 ; man kann i n diesem allgemeinen Sinne von verfassungskonkretisierender Gesetzgebung sprechen. Das bedeutet, daß die Gesetzgebung i n konkurrierender Teilnahme am Konkretisierungsprozeß auch eine (in den später 3 0 zu erörternden Grenzen) für die Rechtsprechung verbindliche Vorentscheidung über den konkreten Bedeutungsgehalt des Prinzips treffen kann — sei es durch Verfassungsgesetz oder einfaches Gesetz, vorkonstitutionelle 3 1 oder nachkonstitutionelle Norm, unmittelbar oder mittelbar, m i t positiver oder negativer Wirkung für den jeweils zur Entscheidung gestellten Anspruch. Offenbar ist danach z.B. auch die Konkretisierung des Persönlichkeitsschutzgedankens nicht f ü r die Rechtsprechung zu monopolisieren. Der i n A r t 1 Abs 1 anerkannte Rechtsgedanke w i r d , als oberstes Konstitutions25

I n dieser Richtung weitgehend Esser, Grundsatz u. Norm, passim. — I m Erg. ähnlich i n rechtsphilosophischer Sicht auch die Thesen Schönfelds i n seiner bereits zit. Arbeit, A c P 135,1, so e t w a m i t der Formulierung, daß alles Recht vor seiner A n w e n d u n g (d.h. durch den Richter) n u r eine „tote u n d hoffnungslose A b s t r a k t i o n " sei, aa047. 20 Wesenisgehaltsgarantie 130 ff., 147 ff., 185 ff., m i t zusammenfassender Streitstandübersicht dort 186 A n m 363. — I m Sinne der klassischen V e r fassungsdogmatik aber wieder Leisner, Verfassungsmäßigkeit 40/41. 27 Oben § 4 I I 3 c) sowie hier A n m 1,14. 28 Übermaß 99ff., 106ff.; vgl. auch E.Stein, Staatsrecht 225. 2 » Dies einmal wegen ihres höheren Abstraktionsgrades, zum anderen wegen ihrer (im Verhältnis zur subkonstitutionellen Gesetzgebimg) „dirigierenden W i r k u n g " ; vgl. zum letzteren den Begriff des „dirigierenden V e r fassungsbezirks" bei Lerche, Übermaß 61 ff. (62,64 bei A n m 152 a). — Aus der Perspektive des Gesetzes gesehen: „Les règles juridiques sont des applications des principes" (so Boulanger 57). so U n t e n §§10 ff. 31 Dazu sogleich i m Text.

90

Zweiter Teil: Kokretisierungsprobleme 32

prinzip , bereits i m GG selbst, namentlich i m Grundrechtsteil (und hier auch innerhalb der einzelnen Grundrechte 3 2 *), näher konkretisiert u n d dabei, freilich i n n u r fragmentarischer Form, auch m i t sonstigen Wertgesichtspunkten abgestimmt (vgl. die Schrankentrias des A r t 2 I ) 3 3 . Die weitere Einzelausgestaltung, insbesondere für die Regelungsmodalitäten des P r i v a t rechts, bleibt dabei allerdings für gewöhnlich der einfachen Gesetzgebung überlassen, wie das auch für den F a l l der Eigentumsgarantie i m GG ausdrücklich vorgesehen ist (Art 14 Abs 1 Satz 2) 3 4 . N u n ist z w a r , nach einer treffsicheren F o r m u l i e r u n g R. Langes* 5, n i c h t jedes Gesetz n u r „ A u s f ü h r u n g s g e s e t z " z u m G G u n d d a h e r n i c h t e t w a u n t e r A u s s c h a l t u n g a l l e r ü b r i g e n Gesichtspunkte n u r auf denj e n i g e n d e r W e r t r a t i o n a l i t ä t zurückzuführen, sondern m e h r oder weniger auch d u r c h sonstige F a k t o r e n b e d i n g t e rechtspolitische W i l l e n s e n t s c h e i d u n g des historischen Gesetzgebers 3 6 . G l e i c h w o h l ist n i c h t z u v e r k e n n e n , daß Gesetze, d i e i n erster L i n i e als A n e r k e n n u n g u n d K o n k r e t i s i e r u n g a l l g e m e i n e r R e c h t s p r i n z i p i e n z u verstehen s i n d (Liver 37 spricht h i e r v o n Grundsatznormen), z u m a l i n klassischen Rechtsmaterien w i e d e m P r i v a t r e c h t , b r e i t e n R a u m e i n n e h m e n 3 8 . So lassen sich beispielsweise die gesetzlich bereits a n e r k a n n t e n einzelnen Persönlichkeitsrechte — i m B G B das Namensrecht (§12) — i n rechtssystematischer Sicht, d a r i n d e n verfassungsgesetzlichen G r u n d r e c h t s 83 Maunz-Dürig-Herzog A r t 1 Rdnr 4, allg. Meinung; aus der sdiweiz. L i t . sachlich übereinstimmend etwa Kägi ZSR 75 (1956), 830 a ff. 32a U n d zwar bereits i n A r t 1 Abs 2, nämlich f ü r das Verhältnis MenschStaat; dazu Ekkehart Stein, Staatsrecht 219. 33 Z u m vorstehenden Wintrich, Problematik der Grundrechte 25ff.; Nipperdey, Grundrechte I I 12, I V 2, 742 sowie — am Beispiel des A r t 3 — vMK A r t 3 A n m I V 3 S.204; vgl. auch Kägi aaO 830 a (834 a). — Z u r Bedeutung dieses Gedankens für das Schuldrechtssystem s.a. Larenz, Schuldrecht I § 5 I V 2; J.-P. Müller, Grundrechte 1771 Dazu statt aller Maunz § 1912. «β I n seiner Stellungnahme zum Problem der verfassungskonformen Auslegung, Kohlrausch-Lange StGB §2 I I I A 6c. 86 Wie dies auch die oben erörterte Synthese der objektiven u n d subjektiven Auslegungstheorie m i t Recht voraussetzt; oben § 4 I I 2a a. E. — Auch der bei Ehmke 68/69 angedeutete Gedanke, daß „jedes" Gesetz eine „Verfassungsinterpretation" sei, kann richtigerweise n u r besagen, daß die Gesetzgebung als Ausfüllung des Verfassungsrahmens zu verstehen ist. Es bedeutet ein Absehen vom rechtpolitischen Willenselement der Gesetzgebung, ein Gesetz schon deshalb (wie Ehmke aaO) als „Verfassungsinterpretation" zu qualifizieren, w e i l es (seiner Intention nach) i m Einklang m i t der Verfassung steht. M a n denke a u d i an verfassungsneutrale Rechtsmaterien der Gesetzgebung. — Mißverständlich auch die Vorstellung der gesetzgeberischen „Grundrechtsausführung" bei Häberle 197 ff. — Gegenüber Häberle bleibt übrigens zu fragen, ob sein Grundrechtsverständnis nicht zu einer Überharmonisierung von Gesetz u n d Verfassung führt, die auch den gedanklichen Weg zur richterlichen Normenkontrolle abschneidet. — Vgl. auch noch Badura, AöR 92 (1967), 391. Wille des Gesetzes 6 f., Begriff der Rechtsquelle 34 f. 38 Liver, Rechtsquelle aaO; dazu auch Larenz, Schuldrecht I § 5 I V .

§7. Methodenprobleme der Konkretisierung

91

verbürgungen vergleichbar, als Konkretisierungen des allgemeinen Persönlichkeitsgedankens werten, der insofern Grundrechten und subjektiven Privatrechten als gemeinsamer Zentralgedanke zugrundeliegt 3 9 . Daß weithin gerade die Privatrechtsnormen unserer Rechtsordnung 4 0 „vorkonstitutioneller" Natur sind, steht nicht entgegen, soweit n u r das Prinzip vor seiner Verfassungsrezeption als vorpositiver Rechtsgedanke die Gesetzeslösung bereits inhaltlich geprägt hat 4 1 ; eine Erscheinung, wie sie sich am klarsten vielleicht am Gleichheitsgedanken unter Beweis stellen läßt 4 2 . Halten w i r jedenfalls fest, daß sich schon hier ein Zusammenwirken von Gesetz und Richter als d e n konkurrierenden

Konkretisierungsinstanzen

abzeichnet (zu

dem

i m übrigen ergänzend oder berichtigend noch die nicht-organisierte Prinzipienkonkretisierung i n der Gewohnheitsrechtsbildung hinzutreten kann). N u r unter diesem Vorbehalt sollte auch die Frage einer Methode richterlicher

K o n k r e t i s i e r u n g verfolgt werden.

§ 7. Methodenprobleme der Konkretisierung I. Prinzipienkonkretisierung als Spezifizierung M i t der Konkretisierung des Verfassungsprinzips sieht sich der Richter vor die Aufgabe gestellt, einen rechtlichen Leitgedanken von höchster Allgemeinheit zu einer für die konkrete Fallbeurteilung verwendbaren, mehr oder weniger speziellen Einzelproblemlösung zu verdichten: Prinzipienkonkretion

ist deshalb

Prinzipienspezifizierung

1

.

Das Methodendilemma ist dabei offenbar darin begründet, daß das Prinzip, je abstrakter gefaßt, desto weniger praktikabel und, je konkreter gefaßt, desto weniger evident ist. A u f unser Probebeispiel verfassungskonformen Persönlichkeitsschutzes angewendet: Das G G fordert u n d gewährleistet den Schutz der Menschenwürde, u n d zwar (soviel ist noch sicher) grundsätzlich auch u n m i t t e l b a r durch die rechtsprechende Gewalt ( A r t 1 Abs 1 Satz 2). A b e r i n w i e w e i t ist dieser Schutz nicht n u r i n der Staatsrichtung, sondern auch i m Verhältnis zu privaten „ D r i t t e n " zu gewähren? I n w i e w e i t sind dafür strafrechtliche, i n w i e w e i t zivilrechtliche M i t t e l einzusetzen? Welche zivilrechtliche Sanktions* · Dazu v o r allem J.-P. Müller, Grundrechte 85 ff. u. ö. So auch die Gesetzesregelung (§253) i n unserem Musterfall; vgl. Mertens, JuS62,267 A n m 37. 41 Vgl. die Bern, zum Doppelcharakter der Prinzipien oben § 3, 2a) a. E. « Hierzu statt vieler Raiser Z H R 1 1 1 (1946), 75 ff., 78 ff. — E i n Beispiel aus dem Prozeßrecht: Das Prinzip des rechtlichen Gehörs (dazu etwa B G H Z 48,329/330). ι Über das „ K o n k r e t e " als das „Spezifische" grundlegend Engisch, Idee der Konkretisierung 75 ff. (78), 146 ff. — Vgl. auch die Ausführungen über die richterliche Rechtsindividualisierung bei Henkel, Recht u. I n d i v i d u a l i t ä t 24 ff. u. passim.

92

Zweiter T e i l : K o k r e t i s i e r u n g s p r o b l e m e

f o r m ist (bei Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts) zur Erreichung des angestrebten Schutzzweckes erforderlich u n d angemessen? Naturalrestitution, richterliche Ehrenerklärung, symbolische Genugtuung sowie auch die fragliche Geldentschädigung sind n u r einige der sich anbietenden, zumindest rechtspolitisch vertretbaren (und i m übrigen auch i n sich variablen) Lösungsformen 2 . A n d e r s f o r m u l i e r t : J e w e i t e r der Argumentationsabstand zwischen P r i n z i p u n d Regelungsgegenstand, desto e m p f i n d l i c h e r d i e E i n b u ß e a n m e t h o d i s c h e r E v i d e n z , desto d r i n g l i c h e r aber auch d i e methodische A b s i c h e r u n g des K o n k r e t i s i e r u n g s a k t e s 3 . M e t h o d e n g e r e c h t e Spezifizier u n g setzt deshalb eine V e r f a h r e n s w e i s e voraus, die sowohl dem generellen Bedeutungsinhalt des Prinzips als auch der ( u n t e r eben d i e s e m P r i n z i p gesehenen) konkreten Sachstruktur des zu lösenden Einzelproblems gleichermaßen gerecht wird 4. I I . Wertbezogenheit und gedanklicher Stil richterlicher Prinzipienkonkretion P r i n z i p i e n k o n k r e t i o n i s t z w a r , w i e das P r i n z i p selbst, n o t w e n d i g wertbezogen; u n d z u m a l e i n so d e u t l i c h a n das rechtsethische W e r t b e w u ß t s e i n des I n t e r p r e t e n a p p e l l i e r e n d e s P r i n z i p w i e das der 2

Vgl. die Einzelnachw. unten § 8. Wobei ein weiter Konkretisierungsabstand zwischen Prinzip u n d P r o blem i m Verfassungsbereich typisch, w e n n nicht die Regel sein dürfte. Vgl. aus der neueren Zivilrechtsprechung etwa B G H Z 18,29 (Impfschadenanspruch Familienangehöriger u n d A r t 6 A b s l ) ; 35, 8 (Beschwerderecht des Geisteskranken u n d A r t i A b s l ) ; 40,255 (Mieterschutz zugunsten des Ehegatten u n d A r t 6 A b s l ) ; 42,210; 50,325 (Koalitionsschutz u n d Parteifähigkeit i m Zivilprozeß). — S. auch Roellecke 171 f. 4 Darüber Esser 184,267 ff.; Engisch, E i n f ü h r u n g 190 sowie i m Anschluß an §242: Larenz, Schuldrecht I § 1 0 1 S. 107. Vgl. auch bereits Del Vecchio, Grundprinzipien 46f.; F.V.Hippel, Richtlinie u n d Kasuistik (1942) = Rechtstheorie u n d Rechtsdogmatik (1964), 149 ff. (175 ff.). — Rechtslogisch ist die Konkretisierung zwar, w e i l v o m Prinzip (und nicht: v o m Problem) ausgehend, ein i n erster L i n i e axiomatisch-deduktives Verfahren der Rechtsgewinnung. Doch w i r d der Rechtsanwender durch die möglichen Einwände gegen den axiomatisch-deduktiven Denkstil — programmatisch dazu Viehweg, T o p i k u n d Jurisprudenz (3. Aufl. 1965, 53 ff., 61 ff., 69 ff.) — der Konkretisierungsaufgabe, zumal i m Verfassungsrecht, nicht enthoben, w e n n auch das Problem den praktischen Anstoß zur Verfassungskonkretisierung gibt. I m übrigen f ü h r t auch die topische (problemorientierte) Methode — w i e f ü r das Verfassungsrecht von Zippelius 79 ff., 88 dargelegt — i n der konkreten Fallbeurteilung letzten Endes zu Wertungsfragen hin, f ü r deren Beantwort u n g es auf die methodengerechte Präzisierung der verfügbaren Wertungsgrundlagen (hier also des Verfassungsprinzips) ankommt. Die These von Esser (S. 267), daß das Verfassungsprinzip „keine deduktiv auswertbare Eigenbedeutung" habe, t r i f f t daher n u r ein einseitig axiomatisches (das Einzelproblem ausschaltendes) Verfahren der Verfassungsanwendung. Daß umgekehrt auch das problemorientierte Argumentieren einer axiomatischdeduktiven Ergänzung bedarf, w i r d auch v o n Esser selbst an anderer Stelle (239) m i t Recht betont. — Entsprechendes gilt auch f ü r die methodenkritischen Bemerkungen v. Pestalozzas (429 ff., 433). M a n k a n n vielleicht sagen, daß im Begriff der Konkretisierung der Gegensatz von Problem- und 3

§7. Methodenprobleme der Konkretisierung

93

„Menschenwürde" (ähnliches gilt für „Freiheit" und „Gleichheit") ist ohne einen A k t konkretisierender Richterwertung nicht i n die Fallbeurteilung einzuführen 5 . So wenig deshalb „Wertgewissen" und „Wertgefühl" (fachlich geschult zum „Wertjudiz") 6 aus dem Verfahren der Prinzipienkonkretion wegzudenken sind, so wenig darf sich doch der Rechtsanwender auf den Weg einer lediglich spontan-individuellen Emotionalwertung verleiten lassen. Nicht nur daß der Richter damit, wie heute breit gesicherte Erkenntnis, Nachprüfbarkeit, Nachvollziehbarkeit und allgemeine Anerkennung seines Spruchs aufs Spiel setzen 7 u n d eine i h m nicht zukommende persönliche

Wertungshoheit

usurpieren würde 8 . Gerade die Argumentation vom Prinzip, also von einer „elementaren" Rechtswahrheit her, ist auch — mehr als die sonstige richterliche Urteilsbildung — der Gefahr eines „simplifizierenden" Denkens ausgesetzt; eines Denkens, das die methodisch gesicherte problembezogene Prinzipienentfaltung durch gedanklich gestaltloses Wertbekenntnis, wenn nicht durch unbefangene Wertrhetorik ersetzt und sich damit den Zugang zum konkreten Sachproblem selbst verbaut 9 . Wertbezogenheit der Rechtsfindung schließt jedoch richtiger Ansicht nach Rationalität und Objektivität des Begründungsstils nicht aus 10 . Rational-objektiver Denkstil sollte, vorsichtig eingesetzt, nicht etwa als „unschöpferisch-wertneutraler Formalismus" diskreditiert werden. Auch die zivilrechtliche Theorie der Generalklauseln — konzentriert auf § 242 — ist i m Begriff, die richterliche Konkretion allgemeinster Wertungsgrundlagen wenigstens einigermaßen ratioSystemdenken aufgehoben oder doch relativiert wird. — Z u r Bedeutung der T o p i k f ü r die Verfassungsinterpretation vgl. noch Ehmke 53ff.; J.-P. Müller 78 m i t A n m 4 ; Hesse, Grundzüge 26f.; Kriele 114ff. — Z u r T o p i k diskussion i m allg. vgl. auch F.Müller 57ff.; Diederichsen N J W 66, 6991; Zippelius N J W 67, 2229. δ Über die Wertbezogenheit der Verfassungsinterpretation i m allg. vgl. bereits Thoma H d b D S t R I 4 (gegen Laband). Vgl. i m übrigen Wintrich, Nawiasky-Festschr. 205f.; Zippelius 5ff., 711, 88; H.J.Wolff, JellinekGedächtnisschrift 44 f. 6 Vgl. dazu Wieacker, Gesetz 9 sub 1. 7 Wieacker aaO; Larenz, Nikisch-Festschr. 279/80; J Z 62,1051 sowie i n : Olivecrona-Festschr. 396; Gernhuber, i n : S u m m u m ius 205 ff. (219); Esser 85; Zippelius 131 ff., 196; P.Schneider W D S t R L 2 0 (1963), 34ff.; Enn.-Nipp. § 51 I I I S. 321 (mit weit. Lit.). — K r i t i s c h zu der (primär richterpsychologisch ansetzenden) Gegenmeinung von Isay, Rechtsnorm 98 ff.: Heck, Begriffsbildung 116 ff.; Engisch, E i n f ü h r u n g 49 m i t A n m 36; Westermann, Wesen u n d Grenzen 12 A n m 10. » Hierzu treffend Zippelius 133 f. • S. dazu auch bereits oben A n m 4. 10 Darüber (für den Persönlichkeitsgedanken) richtig Westermann 521; vgl. auch Larenz, Methodenl. 2171, Nikisch-Festschr. 280, A l l g . T e ü 36; Esser, Wertung 15. — Skeptisch dagegen Ballweg 16 sowie Stoll JherJb76 (1926), 134, 179 A n m 4. — Vgl. auch noch unten § 13,3.

94

Zweiter Teil: Kokretisierungsprobleme

nalisierbar zu machen 1 1 ; u n d die Tatsache, daß jede Rechtsanwendung, insbesondere auch die Rechtssatzauslegung, grundsätzlich wertbezogen ist 1 2 , läßt dazu auch keine Alternative offen. Wertrationalität, so hat m a n treffend bemerkt, bedeutet allerdings nicht „ W e r t m a t h e m a t i k " 1 3 , nicht denkgesetzlich zwingende A b l e i t u n g des Besonderen aus dem Allgemeinen (nach dem Muster eben der mathematischen A x i o m a t i k ) 1 4 . Nicht abzurücken ist deshalb jedoch v o m Erfordernis eines rational einleuchtenden, objektiv abgesicherten u n d auf dieser Grundlage i n sich schlüssigen Ableitungszusammenhangs 1 5 . Spezifizierung k a n n nicht bloße „ I n t u i t i o n " sein, die die Zwischenglieder dieses Ableitungszusammenhangs überspringt 16, sondern muß ein diskursives gedankliches Verfahren sein; u n d j e weiter der Konkretisierungsabstand, desto vielschichtiger, spannungsreicher und differenzierter die Bewertungsfaktoren u n d desto stärker auf kontrastierende Erwägungen angewiesen auch der sachgerechte Konkretisierungsvorgang 1 7 . Der Methodenwert der Begründung baut dabei auf der Identität der angegebenen u n d der tatsächlich bestimmenden Gründe auf. Deshalb ist es i n Wahrheit eine Einbuße an methodischer Rationalität, w e n n Kriele 18 dem Richter anrät, das Ergebnis zunächst i m Wege vernunftrechtlicher Problemwürdigung zu ermitteln, u m es dann m i t den M i t t e l n der überlieferten Rechtsanwendungslehre als aus Gesetz u n d Verfassung „herleitbar" darzustellen. N u r die vernunftrechtliche Begründung, obwohl „verdeckt", soll also tatsächlich bestimmend, die u Wieacker §242 S.5, 15 u. passim; Merz ZSR80 (1961), 335, AcP163 (1963/64) 305. i* Vgl. oben §4114. i» Zippelius 161; Weinkauff, Richtertum 25; Gmilr, Anwendung 60. 1 4 Vgl. oben A n m 4 sowie bereits oben § 4 bei A n m 100 ff. 15 S. d. Nachw. oben A n m 7. — Erst unter ein so „abgeleitetes" Prinzip k a n n der Einzelfall, w e n n überhaupt, „subsumiert" werden. — Vgl. dazu die Bemerkungen zum Begriff der Subsumtion u n d zur rechtslogischen S t r u k t u r analyse unbestimmter Rechtsbegriffe bei Larenz 210 A n m l , 218 A n m 2 ; Jesch AöR82 (1957) 174 m i t A n m 4 7 , 178ff.; Wieacker §242 S. 10f. — S.a. Hesse, Grundzüge 21 ff. ιβ Nicht zu sprechen von der Untauglichkeit des Rechtsgefühls zur Begriffsbildung; dazu u n d zur methodenkritischen Würdigimg des Rechtsgefühls i m allg. etwa Hubmann A c P 153 (1954) 325, 331. 1 7 Ohne schon hier die Modellanalyse zu vertiefen, sei doch die Frage angedeutet, ob der Begründungsstil gerade der Rechtsprechung zu unserem Musterbeispiel nicht allzusehr vom Gestus des Selbstverständlichen beherrscht w i r d u n d dadurch zu konstrastarm w i r d . Vgl. etwa die lapidare Formulierung B G H Z 26,356, die die Versagung der Geldentschädigung (wie sie doch bis dahin v o m B G H selbst praktiziert worden war) als „Mißachtung" des A r t 1 einstuft u n d damit die K r i t i k e r i n das Zwielicht einer M i n d e r bewertung des Persönlichkeitsprinzips rückt. ιβ Besonders k l a r hierzu S. 312 These 11; vgl. dazu auch S. 172 ff. u n d S. 314 These 18.

§7. Methodenprobleme der Konkretisierung

95

„offene" Herleitung i m Wege der Rechtsanwendung dagegen bloßer Schein sein 19 . Nach der hier einmal überzeugenden Methodentradition kommt der Begründung indessen eine doppelte Funktion zu: Sie dient einmal der Ermittlung des Ergebnisses (heuristische Funktion), zum anderen seiner Rechtfertigung (legitimierende Funktion). Offenbar ist dabei die zweite Funktion an die erste geknüpft. I n der These Krieles findet dagegen eine Aufspaltung beider Funktionen statt. Ist jedoch die „Legitimation" aus Gesetz und Verfassung nicht zugleich inhaltliche Urteilsgrundlage, so fällt sie i n sich zusammen; und ihre A u f rechterhaltung als bloßer Schein würde die gerade von Kriele — m i t Recht — proklamierte rationale Rechtsdiskussion nur trüben 2 0 . Sicher ist es angezeigt, die herkömmlichen Ableitungsmethoden des Rechtsanwenders uneingeschränkt kritisch zu überprüfen. T r i f f t es aber tatsächlich zu, daß die Herleitung aus Gesetz und Verfassung bloßer Schein ist, so sollte sie, auch n u r als „offene" Begründung i m Sinne Krieles, nicht aufrechterhalten, sondern ungerührt abgetan werden. Fragen w i r also, was die herkömmlichen Regeln richterlicher Rechtsanwendung für die Verfassungskonkretisierung zu leisten vermögen oder inwieweit es hierfür etwa eines eigenen, neu zu bestimmenden Methodenverfahrens bedarf. Denn die Einordnung des Verfassungsprinzips i n die üblichen Methoden der Auslegung und Rechtsfortbildung 2 1 besagt offenbar noch nichts darüber, welche Verfahrensweisen für die Inhaltsbestimmung des Prinzips selbst angemessen sind. HL Konkretisierung, interpretatorisches und legislatorisches Verfahren Rechtstheoretisch lassen sich zwei mögliche Formen konkretisierender rechtlicher Gestaltgebung einander gegenüberstellen. Einmal das interpretatorische Verfahren, wie es der Gesetzesausleger anwendet, um den vom Gesetzgeber vorgeformten Rechtssatz auf die Einzelfallbeurteilung h i n zu spezifizieren. Z u m anderen das legislatorische Verfahren, m i t dem der Gesetzgeber verfassungsrechtliche Norminhalte, aber auch politische Ideen und Zweckmäßigkeitsvorstellungen usw. i n für die Rechtsanwendung verbindliche Rechtssätze auszuformen sucht. Ist Konkretisierung des Verfassungsprinzips das eine *» Vgl. etwa S. 312 These 8. 20 S. etwa S. 15 f., 239 f. — Übrigens fordert K . selbst an anderer Stelle (These 22 S. 315) ein Höchstmaß an Offenlegung der eigentlich bestimmenden Urteilsgründe. Dennoch ist die i m T e x t erörterte These (vgl. A n m 18) zu klar, u m als „lapsus calami" gelten zu können. Vielleicht w i l l K . das Offenheitspostulat n u r auf die „vernunftrechtlichen" Erwägungen, nicht auf die „ H e r leitung" des Ergebnisses aus Gesetz u n d Verfassung angewendet wissen. Umso störender wäre dann allerdings der Bruch i n der Argumentationslinie K's. ** Dazu oben §§ 4,5.

96

Zweiter Teil: Kokretisierungsprobleme

oder das andere oder aber etwas Drittes? Zumindest bezeichnen interpretatorische und legislatorische Methode diejenigen äußersten Gegenpositionen, aus deren Gegenüberstellung sich die sachgerechte Verfahrensweise der Konkretisierung herausschälen muß. Das bedarf einer etwas eingehenderen Prüfung. 1. Die „interpretatorische" — also auf das Muster der Gesetzesauslegung verweisende — Methode empfiehlt sich uns zwar dadurch, daß sie ein i n der Rechtsanwendungstradition zunehmend verfeinertes und dennoch nicht unelastisches Instrumentarium richterlicher Rechtsausformung zur Verfügung stellt. Doch enthebt uns das nicht der Frage, inwieweit sich das — historisch am Rechtssatz entwickelte — übliche Auslegungsverfahren auf den Bereich nicht-rechtssatzförmiger Verfassungsprinzipien seiner Natur nach tatsächlich anwenden oder übertragen läßt. a) E i n verbreiteter Sprachgebrauch — geläufig sind Begriffsverbindungen w i e „Auslegung" der Verfassung, „Verfassungsinterpretation", „Auslegung" der A r t 1, 2 usw. 2 2 » 2 3 — scheint dies unbesehen vorauszusetzen. A u f die Tatsache, daß diese Voraussetzung — nicht selten stillschweigend — gemacht w i r d 2 4 , dürfte es auch zurückzuführen sein, w e n n sich eine gesicherte Eigenmethodik richterlicher Prinzipienausformung noch nicht hat herausbilden können. Anstöße zu einer Revision dieses exegetischen Ansatzes sind allerdings nicht mehr zu übersehen. Sie lassen sich (der Doppelnatur des Verfassungsprinzips entsprechend) einmal der sich i m Zivilrecht entwickelnden allgemeinen Prinzipientheorie entnehmen. Das hierfür repräsentative Werk von Esser 25 ist zwar mehr auf rechtssoziologischempirische Funktionsanalyse der Rechtsprechung angelegt, als daß es eine geschlossene normative Methodik richterlicher Prinzipienkonkretisierung zu entwerfen unternähme. I m m e r h i n läßt Esser erkennen, daß die richterliche Prinzipienkonkretisierung (Esser nennt sie auch: „Positivierung" des Prinzips 2 6 ) für i h n richterliche „ N o r m bildung" und nicht etwa bloße „Auslegung" ist 2 7 . Die Zweifel an der 22 Vgl. etwa die Terminologie bei vMK 8 f., 116 ff.; Schack 271; Scheuner, Die Auslegung verfassungsrechtl. Leitgrundsätze, bes. S. 16 ff. u n d bei Marcie JurB183 (1961) 394/5 sowie f ü r A r t i z.B. bei Nipperdey, Grundrechte I I 16. 2» Z u m Modellproblem auf dieser Grundlage Rötelmann N J W 64,1458 m i t A n m 9 ; w o h l auch Wiese 46f. sowie H.Kaufmann JuS63,373 (381 ff.). 24 Dazu treffend H. Hub er, Verfassungsbeschwerde 20. — Z u m ganzen auch Ossenbühl ÖV 65,649 ff. (652 ff.). 25 „Grundsatz u. N o r m " (1956; 2. Aufl. 1964); dazu Wieacker i n der Rezensionsabhandlung JZ 57, 701 ff. 26 aaO 40, 134 u. ö. 27 aaO 69, 134 u. passim.

§7. Methodenprobleme der Konkretisierung

97

unbefangenen Gleichsetzung von Rechtssatzauslegung und Prinzipienkonkretisierung haben auch die Untersuchungen zum zivilrechtlichen Musterproblem des § 242 n u r verstärkt 2 8 . Aber auch die verfassungsrechtliche Interpretationslehre — an der auch für die zivilrichterliche Verfassungskonkretion nicht vorüberzugehen i s t 2 9 — ist spürbar i n Fluß gekommen. Sie hat allerdings gegenüber der zivilistischen Methodenlehre, ihrem eigenen Bekenntnis nach, einen empfindlichen „Nachholbedarf" zu beklagen 3 0 . Sie ist zwar durch die temperamentvoll vorgetragene Methodenkritik Forsthoffs? 1 zu einer tiefgreifenden Grundsatzkontroverse darüber angeregt worden, ob die Verfassungsinterpretation — i n der Tradition eines erklärtermaßen gesetzesstaatlichen Rechtsstaatsverständnisses — an den Kategorien der i m P r i v a t recht herausgebildeten klassischen Subsumtionstheorie festhalten soll (so die eigene Position Forsthoffs) 32, oder aber, zu einem materialen Rechtsstaatsbegriff übergehend, der Orientierung an den hinter der Verfassung stehenden vorpositiven Rechtswerten und an deren Systemzusammenhang den Vorzug zu geben hat (so die etwa durch Dürig repräsentierte geisteswissenschaftlich-werthierarchische Betrachtungsweise) 33 . Jedoch ist die bisherige verfassungsrechtliche Methodendiskussion — sei es m i t der globalen Rückverweisung auf die traditionelle Privatrechtsauslegung, sei es m i t der Forderung der Interpretation aus einem einheitlichen Wertsystem 3 4 — noch weitgehend im Vorfeld 28 Wieacker § 242 S. 10 ff. (15); Merz AcP aaO 328 ff.; differenzierend Larenz 220 A n m 2. — S. a. schon Germann ZSR 68 (1949) 309 ff. 29 Wenn auch unter Beachtung der dem Privatrecht eigenen besonderen Strukturgesetzlichkeit; dazu unten §§ 12,13. — Über die notwendige Revision des Begriffs der „Verfassungsgerichtsbarkeit" vgl. unten § 10 A n m 43.

so Ehmke W D S t R L 2 0 (1963), 54; zum Problemstand etwa a u d i P.Schneider dort S. 4 ff. (9 ff.). « C. Schmitt-Festschr. 35 ff.; ÖV 59,41 ff.; zur Problematik der Verfassungsauslegung (1961); Der Staat 2 (1963), 385 ff. Vgl. neuerdings den Sammelband „Rechtsstaat i m Wandel" (1964). 32 Vgl. die Nachw. oben A n m 31, insbes. C. Schmitt-Festschr, 41 = Rechtsstaat i m Wandel 153, sowie i n : Z u r Problematik der Verfassungsauslegung 39 f. (unter Berufung auf die Savignysche Auslegungslehre). Wegen des zugrundeliegenden Rechtsstaatsbegriffs vgl. den Hinweis auf C. Schmitt („Rechtsstaat ist Herrschaft des Gesetzes", Verfassungslehre 127) bei Forsthoff ÖV 59,41 ff. = Rechtsstaat i m Wandel 180, 182. A u f dieser L i n i e auch die A n k n ü p f u n g Forsthoffs (aaO) an Max Weber, Wirtschaft u. Gesellschaft (4. Aufl. 1956) 503 ff. Über die methodengeschichtlichen Wurzeln des exegetischen Verfassungsverständnisses neuerdings treffend Kriele 131, 47 ff. Z u Forsthoff vgl. jetzt noch Larenz, Methodenlehre, 2. Aufl. 1969, 142 ff. Vgl. etwa Dürig, Nawiasky-Festschr. 157 (176 ff.) sowie die K o m m e n tierung zu A r t 1 i n Maunz-Dürig-Herzog. — A u f dieser Grundlage etwa a u d i Wintrich, Nawiasky-Festschr. 2 0 5 1 Grundlegend bereits Smend, Verfassung u. Verfassungsrecht (1928) 163 ff. Vgl. a u d i Forsthoff, Rechtsstaat i m Wandel 149 ff. m i t weit. Nachw. 84

Ersteres etwa m i t den kursorischen Hinweisen Forsthoffs, ausl. 39/40; letzteres etwa bei Dürig aaO, Wintrich aaO. 7 Göldner

Verfassungs-

Zweiter Teil: Kokretisierungsprobleme methodischer Programmatik steckengeblieben und hat dem Rechtsanwender noch kaum hinreichend neue Techniken praktischer Fallbeurteilung an die Hand zu geben vermocht. Hessekann denn auch die etwas bedrückende Bilanz ziehen, daß die Aufgabe rational gesicherter Verfassungsinterpretation i n der Gegenwart weniger bew ä l t i g t sei denn je. Neben einem unkritischen, zur klassischen Auslegungstradition zurückführenden Positivismus sieht er ein nicht weniger unkritisches werthierarchisches Denken aufkommen und dadurch wachsende Verunsicherung entstehen. W i l l man diese Verunsicherung überwinden, so ist offenbar die Methodik der praktischen Problemlösung der Prüfstein, an dem sich die Zuverlässigkeit jedes verfassungsrechtlichen Interpretationsverfahrens bewähren muß. Suchen w i r allerdings nach den dem Verfassungsrecht angemessenen Prozeduren der konkreten Problemlösung, so schließt sich sogleich die weitere Frage an, ob v o n einer solchen einheitlich durchgängigen Methodik der Verfassungsinterpretation überhaupt die Rede sein kann. Die Frage stellen heißt sie verneinen. M i t einiger Verallgemeinerung läßt sich zwar sagen, daß die Verfassimg gegenüber den unterverfassungsrechtlichen Regelungsmaterien durch die i h r eigene (besondere) „Weite und D y n a m i k " herausgehoben w i r d (Ehmfce) 36 . M a n ist jedoch auch i m Begriff, den Strukturformenreichtum der Verfassungsbestandteile zu entdecken und f ü r die Verfassungsinterpretation beherrschbar zu machen. M a t hat erkannt, daß zu einem modern verstandenen Verfassungssystem — als auch für die Rechtsanwendung bestimmter Formelemente — außer den einzelnen Normen auch die dahinterstehenden (wie immer zu bezeichnenden) Werte, Rechtsgüter, Prinzipien, Leitgrundsätze, Grundentscheidungen: ja, auch ein „ H o f " von Konventionen, Gewohnheiten und Denkweisen usf. gehören 37 . Der interpretationsbestimmende Methodenansatz dürfte n u n i n der Erw ä g u n g liegen, daß die Methode

ihrem

Zweck

nach der

spezifischen

Objektstruktur folgen muß. Es ist dies keine Frage des vielerörterten materialen Verhältnisses von „Gegenstand" (Rechtsinhalt) und „Methode". Daß auch der Interpretationsakt, richtigerweise i n dialektischer Wechselwirkung, den Rechtsinhalt durch Konkretisierung bestimmen kann 3 8 , soll damit nicht etwa geleugnet werden. Halten w i r hier lediglich fest, daß die Methode, w e i l objektbezogen, nicht von der

35

Grundzüge 21/22.

» W D S t R L 20 (1963) 65. 37 38

Ehmke aaO 62/63 m i t weit. Nadiw. A n m 44—49; Lerche, Übermaß 61 ff.

Über das Verhältnis von Gegenstand u n d Methode eingehend der Exkurs bei Jesch, Gesetz u. Verwaltung 38 ff. (mit Lit.); über die dialektische Spannung von „Recht" u n d „Rechtsanwendung" Larenz 111 f.

§7. Methodenprobleme der Konkretisierung

99

O b j e k t s t r u k t u r abzulösen sein k a n n 3 9 . K o n k r e t b e d e u t e t das, daß m a n nicht fragen

sollte, w i e die

Verfassung

im

allgemeinen

auszulegen

ist, s o n d e r n v i e l m e h r , w i e d a s j e n i g e V e r f a h r e n beschaffen sein m u ß , das d e r E i g e n s t r u k t u r gerade des u n b e s t i m m t e n

Verfassungsprinzips

a m besten gerecht w i r d . O b w o h l die Frage — exemplarisch bei der Konkretisierimg des Gleichheitsprinzips — der Verfassungsgerichtspraxis i m m e r wieder zu schaffen m a c h t 4 0 , fehlt es hierfür d o d i n o d i an einer durchgebildeten Interpretationsmethodik. Die Bemerkung eines Autors zu A r t i A b s l , daß die Grundsätze f ü r die „Auslegung" dieser Bestimmung die gleichen seien w i e diejenigen f ü r die Auslegung der anderen Grundrechte u n d der Verfassung ü b e r h a u p t 4 1 , ist zwar i n ihrer Tendenz zu nivellierender Betrachtung vereinzelt geblieben. M a n ist, soweit m a n die Frage überhaupt erörtert, vielmehr durchweg geneigt, die methodische Eigenproblematik der Prinzipienkonkretisierung auch i m Rahmen der verfassungsrechtlichen Interpretationsmethoden zuzugestehen 42 . Wie dabei jedoch die Eigenart der Prinzipienkonkretion i m Verhältnis zur üblichen Interpretation präzise zu bestimmen ist, ist eine offene Frage, was schon durch die i n der Diskussion begegnenden etwas unverbindlichen Wendungen w i e : es handele sich hier u m Interpretation n u r i n einem „ w e i t zu fassenden Sinne", nicht u m „gewöhnliche A u s l e g u n g " 4 3 o.ä, beleuchtet w i r d . b) E r k e n n t m a n ( m i t d e r h i e r b e f ü r w o r t e t e n These) d i e Struktureigenart des V e r f a s s u n g s p r i n z i p s als b e h e r r s c h e n d e n G e s i c h t s p u n k t d e r Methodenwahl an, so g e l a n g t m a n z u d e r F o l g e r u n g , daß v o m M e t h o d e n s t a n d p u n k t aus w e n i g e r P r i v a t r e c h t s - u n d V e r f a s s u n g s â n w e n d u n g oder Gesetzes- u n d Verfassungsauslegung, s o n d e r n eher — q u e r d u r c h b e i d e R e c h t s m a t e r i e n u n d R a n g s t u f e n des Rechtssystems g e h e n d — Rechtssatzauslegung und Prinzipienkonkretisierung e i n a n d e r g e g e n ü b e r z u s t e l l e n sind. D a s b e r e c h t i g t z u d e m w e i t e r e n Schluß, daß auch d i e d e r P r i v a t r e c h t s d o k t r i n e n t s t a m m e n d e n h e r k ö m m l i c h e n R e c h t s a n w e n d u n g s t e c h n i k e n f ü r d e n B e r e i c h des V e r f a s s u n g s p r i n z i p s i n s o w e i t a n w e n d b a r sind, als sie n i c h t i h r e m W e s e n 39 Die „Methode" w i r d also durch die „ S t r u k t u r " des Objekts jedenfalls mitbestimmt. — Ansatzweises Zugeständnis der Strukturbedingtheit der Verfassungsinterpretation übrigens auch bei Forsthoff, Der Staat 2 (1963) 385 = Rechtsstaat i m Wandel 213. E i n Parallelbeispiel: Die Auslegung des Gewohnheitsrechts nach dessen Sonderstruktur (dazu Larenz 269 ff., 271). 40 Darüber Zippelius 30 ff.; Rinde J Z 63, 521 sowie W. Böckenförde 33 ff. u n d bereits Ipsen, Grundrechte I I , 111 ff., jeweils m i t Fundstellen. 41 Nipperdey, Grundrechte I I 16. 42 Wintrich, Nawiasky-Festschr. 205 f. m. A n m 3 7 ä , B a y è r V e r w B l 56, 132 (133); H. Huber, Ungeschr. Verfassungsrecht 108ff.; Lerche 315 f. — VgL auch Drath W D S t R L 9 (1952), 94; H . J. Wolff, Jellinek-Gedäditnisschr. 44 ff.; H.Hub er, Grundsätze der Auslegung 9 1 43 Wintrich, Nawiasky-Festschr. 206 A n m 37a; H. Huber, Ungeschr. V e r fassungsrecht 108 ff. (109). U n k l a r auch n o d i Huber i n ZSR 55 (1936), 139 a ff., der hier bald v o n „schöpferischer Tätigkeit s u i generis" (144a), bald v o n „Verfassungsgesetzgebung" (157a) spricht. Schwankend a u d i Fuß 15 m i t A n m 27.

7*

100

Zweiter Teil: Kokretisierungsprobleme

nach an die Rechtssatzstruktur knüpfen.

des Interpretationsgegenstandes

an-

Weiterhelfen kann uns für die nähere Differenzierung eine von H. Huber i n seiner Studie zur Verfassungsbeschwerde 44 — für die methodisch dem Verfassungsprinzip benachbarten Grundrechtsnormen — zumindest beiläufig angedeutete (wenn auch von den Realfaktoren der Rechtsbildung absehende) Überlegung: Während der gewöhnliche Rechtssatz „objektivierter Geist" sei, der aus dem „objektiven Geist" der Entstehungszeit des Gesetzes hervorgegangen sei — so der unter Anknüpfung an die Geschichtsphilosophie Nie. Hartmanns 45 von Huber entwickelte Gedankengang —, sei die Verfassungsnorm ihrer Struktur nach eher nur „objektiver Geist", noch nicht zur Objektivierung i n der Rechtssatzform, wie Huber sagt: zum „Formelhaften", „logischsystematisch Angeordneten" gediehen. Die normale Gesetzesauslegung (genauer wohl: die Rechtssatzauslegung) bedeute „verstehende A n eignung der gesetzlichen Wertungen", „gleichsam ein Wiederauf weichen des i n der Objektivation erstarrten Geistes". Dies geschehe i n einem Verfahren, i n dem, bildlich gesprochen, die drei A r t e n des Geistes (objektiver, objektivierter und lebender Geist von heute) i n ein Ringen miteinander einträten, während für die Verfassungskonkretisierung der Faktor „objektiver Geist" fast völlig ausfalle 46 . Was danach (immer vorbehaltlich der Ergänzung um die Realienverwertung) für die Konkretisierung von Grundrechtsnormen gilt, w i r d für die Konkretisierung der — diesen ja zugrundeliegenden 47 , also noch weniger „objektivierten" — elementaren Verfassungsprinzipien erst recht zu gelten haben. Kontretisierung ist mehr „Sinngebung" als „Sinndeutung" 4 8 ; sie sollte mehr auf „Nachvollziehbarkeit" (in späteren Rechtsanwendungsakten) als auf „NachVollziehung" (einer legislativen Vorentscheidung) angelegt sein 49 . Das bedeutet: Konkretisierung ist weniger Analyse, Reproduktion, „Explicitmachen" einer schon „ i m 44 S. 19/20. 45 Das Problem des geistigen Seins (2. A u f l . 1949) 406 ff.; vgl. a u d i dort S. 196 f. 46 Z u r rechtstheoret. Bedeutung des Begriffspaares o b j e k t i v e r - o b j e k t i v i e r ter Geist i m allg. vgl. n o d i Larenz 148 f., 193, 240, 314 sowie Betti, RaapeFestschr. 389 ff. (391 ff.). 47 V g l oben § 3 bei A n m 54. 48 So Hub er selbst, Verfassungsbeschwerde 18. 40 v g l . z u r Gegenüberstellung von „Nachvollziehung" u n d „Nachvollziehbarkeit" Lerche DVB161,690 (692/3). Sachlich v e r w a n d t das Begriffspaar „ S i n n e r m i t t l u n g " — „Konkretisierung" i m Sprachgebrauch Ekkehart Steins, Staatsrecht 12 f. — Zurückhaltender dagegen Erwin Stein, Werte u n d Wertewandel 69, der lediglich von einem „zu-Ende-Denken u n d zu-Ende-Werten" der Verfassungsnormen spricht. Enger a u d i Flume Κ 25 m i t der grundsätzlichen Verneinung der richterlichen Reditsbüdungsfunktion.

§7. Methodenprobleme der Konkretisierung

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p l i c i t " vorgegebenen Rechtssubstanz, „Erkennen des Erkannten" 5 0 , mehr Synthese, Produktion, rechtsgestaltende Neubildung, Neuerkennen des Unerkannten 5 1 . Funktionell gewendet: Der Vorgang der V e r k ö r p e r u n g des objektiven zum objektivierten Geist — i m f ö r m lichen Rechtssatz v o m Gesetzgeber durch Verknüpfung von Tatbestand und Rechtsfolge bereits vorvollzogen oder doch vorgeformt 5 2 — w i r d m i t dem Elementarprinzip i n die Hand der rechtsprechenden Gewalt gegeben und ist vom Richter erst nachzuholen. Damit verbietet sich f ü r die Theorie des Verfassungsprinzips die Rückkehr zu der so unverkennbar exegetisch gedachten Auslegungslehre Savignys 53, w i e sie verfassungstheoretisch i n der bereits erörterten Lehre Forsthoff s54 befürwortet w i r d . Aber auch am Entwicklungsstand der heutigen allgemeinen Interpretationslehre gemessen 55 , läßt sich Prinzipienkonkretisierung nicht als bloße „Auslegung" (sei es des Prinzips, sei es des Verfassungsgesetzes) ausgeben. Auch aus dem modernen B i l d der Gesetzesauslegung sind, bei aller Würdigung ihrer rechtsbildenden Rolle 5 6 , die i n erster L i n i e auf reproduzierendes Verstehen der N o r m gerichteten Auslegungsmittel nicht wegzuretuschieren 57 ; Auslegungsmittel also, die ihrem Wesen nach an die dem Prinzip fehlende gesetzgeberische Vorobjektivierung zum Rechtssatz anknüpfen. 50 Gemäß der klassischen Formel Boeckhs, Enzyklopädie u. Methodologie der philolog. Wissenschaften (2. Aufl. 1886) 10. 51 Wiewohl dieses Element a u d i dem modernen Verständnis der Hermeneutik (im Gegensatz zu Boeckh u. a.) nicht ganz fremd ist; vgl. Gadamer, Wahrheit u. Methode (2. Aufl. 1965) 175, 307ff., 311 ff. — S.a. Radbruch, Rechtsphil. (6. Aufl.) 210 sowie oben § 4 I I 4. Z u m ganzen auch Hesse, G r u n d züge 22ff.; Ehmke 57ff. 52 Vgl. schon oben § 2 m i t A n m 7. 58 Charakteristisch seine Bestimmung der Auslegungsaufgabe i m System I §33 S. 213: M a n müsse sich „ i n Gedanken auf den Standpunkt des Gesetzgebers versetzen", „dessen Tätigkeit i n sich künstlich wiederholen", „also das Gesetz i n (seinem) Denken von neuem entstehen lassen". Deshalb etwa auch Savignys Vorbehalte gegenüber der Auslegung aus dem „Grunde", insbesondere aus dem „Zweck", vgl. § 34 S. 216 ff. — Zur Bedeutung Savignys für die Verfassungsinterpretation jetzt eingehend Kriele 67 ff., 81 ff. 54 Z u r Problematik der Verfassungsauslegung 39 f. 55 A n dem auch f ü r die Verfassungsinterpretation nicht vorbeizukommen ist. Auch Forsthoff (s. vor. Anm) dürfte es weniger u m die Wiederbelebung der Lehre Savignys als u m den Zusammenhang der Verfassungsanwendung m i t einem rational gesicherten methodischen Ordnungsgefüge zu t u n sein. Vgl. auch Hesse, Grundzüge 21 ff. (22 A n m 6).

«β Vgl. oben § 4 I I 4. 57 Was auch nicht anders sein kann, wenn der Begriff der Gesetzesauslegung nicht sinnlos werden soll. Gesetzesbindung — die Grundlage der Auslegung — setzt Gesetzesreproduktion voraus; vgl. oben § 4 1 1 4 sowie unten §13.

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Zweiter Teil: Kokretisierungsprobleme

So namentlich das die Gesetzesauslegung zunächst prägende (und richtiger Ansicht nach umgrenzende) 58 grammatische Interpretationselement. Auslegungsgegenstand ist ja stets der Gesetzestext 59 , d.h. die gesetzgeberische Ausgestaltung des Rechtsgedankens zur rechtlichen Aussage i n Satzform. Zwar haben auch ethosbezogene Elementarbegriffe — wie ζ. B. Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit usw.