Handbuch Mediatektur: Medien, Raum und Interaktion als Einheit gestalten. Methoden und Instrumente [1. Aufl.] 9783839425176

Themenpavillons, Ausstellungen, Museen, Flagship-Stores, Showrooms, Bühnen - überall begegnen wir der Herausforderung, M

295 13 33MB

German Pages 456 Year 2018

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Kapitel 1 – Einführung
Kapitel 2 – Die Instrumente Der Mediatektur
Kapitel 3 – Der Designprozess In Der Mediatektur
Kapitel 4 – Arbeitsstrategien, -Werkzeuge Und - Erfahrungen
Anhang
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Handbuch Mediatektur: Medien, Raum und Interaktion als Einheit gestalten. Methoden und Instrumente [1. Aufl.]
 9783839425176

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Andrea Rostásy, Tobias Sievers Handbuch Mediatektur

Design | Band 3

Andrea Rostásy und Tobias Sievers haben als Team im Bereich Mediatektur langjährige fundierte praktische und akademische Erfahrung. Sie setzen weltweit Projekte für Markenkunden sowie Ausstellungsprojekte für Museen und Weltausstellungen erfolgreich um. In ihren Gastvorlesungen und Lehraufträgen an unterschiedlichen Hochschulen haben sie das didaktische und methodische Fundament entwickelt, um das Thema Mediatektur umfassend aufzuarbeiten. Andrea Rostásy ist bildende Künstlerin und Kuratorin. Seit 1995 setzt sie die konzeptionelle Gestaltung und Produktion medialer Inszenierungen, temporärer Ausstellungen und Veranstaltungsprogramme für Museen, Unternehmen und Kulturinstitutionen um, beispielsweise für das Humboldt Lab Dahlem, die Berliner Festspiele sowie die Stiftung Berliner Schloss im Humboldt Forum. Tobias Sievers ist Designer und Kreativdirektor. Seit 1999 gestaltet er weltweit mediale Inszenierungen für internationale Marken, beispielsweise für BMW, Porsche, ­Siemens, sowie für Kulturinstitutionen und Weltausstellungen.

Andrea Rostásy, Tobias Sievers

Handbuch Mediatektur Medien, Raum und Interaktion als Einheit gestalten. Methoden und Instrumente.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar. © 2018 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Michael Setzpfandt/Luxoom Medienprojekte Lektorat: Dagmar Deuring Schlusskorrektorat: Elke Kupschinsky Druck: sieprath gmbh, Aachen Print-ISBN 978-3-8376-2517-2 PDF-ISBN 978-3-8394-2517-6 https://doi.org/10.14361/9783839425176 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Bei der Erstellung dieses Buches ist uns viel Unterstützung, Hilfe und Rat zuteilgeworden – dafür bedanken wir uns, ganz besonders bei: Unseren Familien. Wolfgang Loos für die Erarbeitung des Kapitels Klang. Ulrich Sauerwein für die vielen wegweisenden Beispielprojekte sowie für die jahrelange gemeinsame Arbeit, bei der zahlreiche der Ideen und Ansätze für dieses Buch entstanden sind. Für die fachliche Beratung, Motivation, Unterstützung, das Überlassen von Bildrechten, das nächtelange Korrekturlesen, das Ermöglichen toller Mediatekturprojekte und vielem mehr bei: Adrien M & Claire B, Alexander McQueen/Kering, auroraMeccanica, Peter Bahls, Svenja Becherer, Florian Behrend/Exponential Group, Clement Briend, dem British Design Council, Cheil Germany, chezweitz, Converse/Nike, Marc Detiffe, Olafur Eliasson, ELEVENPLAY x Rhizomatics Research, ENGEPAR, Matías Ernst, Tom Garrecht, Rainer Groothuis, Gerd Haubold, Dieter Georg Adlmaier-Herbst, Björn Hermann, Dominic Huber, dem Humboldt Lab Dahlem, Siouxzen Kang, Katharina Kepplinger, Adam Kissick, Peter Koerber, Jannis Kreft, Ian Lambot, LEE Filters, Dieter Leistner, Local Projects, dem Luxoom Team, Arwed Messmer, Peter Miodek, Michael Mondria/Ars Electronica, Neugerriemschneider, Osram, Dara Perev, phase7 performing.arts, Projekt Blinkenlights/CCC, Screeninnovations, Michael Setzpfandt, dem Solomon R. Guggenheim Museum, Antonia Spiess/ Rosenspiess, Christian Spork/weißpunkt und purpur, Christian Stipp/Avantgarde, Story of Berlin, Super Bright LEDs, Marc Tamschick/Tamschick Media+Space, The Hettema Group, Trolly Trojahn, Urban Screen, V Squared Labs, Agnes Wegner, Wild Dogs International, Mo Wüstenhagen, Jens Ziehe, Zumtobel. Danke!

Inhalt Vorwort  Struktur dieses Handbuches  Zu unserem Anspruch 

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Kapitel 1 – Einführung Die Entwicklung der Mediatektur  Historischer Abriss  Parameter einer Entwicklung von Mediatektur 

21 21 28

Mediatektur – Ansatz einer Definition  Der Begriff der Mediatektur  Erlebensperspektive  Gestaltungsperspektive  Formen der Mediatektur – Synchrone und asynchrone Mediatektur 

33 33 34 34 35

Kriterien zur Beurteilung von Mediatektur  Relevanz  Unmittelbarkeit  Effizienz  Eleganz 

36 37 38 39 40

Kapitel 2 – Die Instrumente der Mediatektur Raum  Einleitung  Raumwahrnehmung und -erleben  Strukturell-organisatorischer Aspekt von Raum  Antizipativ-funktionaler Aspekt von Raum  Gestalterisch-konstruktiver Aspekt von Raum  Exkurs: Gestaltgesetze, Formeinheiten und -ellipsen  Raum- und Formgestaltung in der Mediatektur  Gestaltungsparameter Struktur und Ablauf  Gestaltungsparameter Funktion  Gestaltungsparameter Formsprache 

43 43 44 44 46 47 58 63 63 64 65

Technische Parameter und Vorgehen in der Raum- und Formgestaltung  72 Entwurfsvorgehen und -werkzeuge  72 Material  74 Mechanik  78 Konstruktion  79 Licht und Farbe  Einleitung  Lichtwahrnehmung und -erleben  Licht und wahrnehmbares Farbspektrum  Helligkeit, Kontrast und Wahrnehmung  Farbtemperatur  Farbmischung  Licht- und Farberleben  Lichtgestaltung in der Mediatektur  Lichtsetzung  Dramaturgische Lichtgestaltung  Technische Aspekte der Lichtgestaltung  Lichtplanung  Lichtqualität von Leuchtmitteln  Licht- und Körperfarben in der Anwendung  Farbdefinition und -standardisierung 

83 83 84 84 85 88 91 94 100 100 109 117 117 121 123 125

Klang  Einleitung  Klang wahrnehmen und erleben  Spektrum, Klangeigenschaften und Dynamik  Zeitliche und räumliche Dimension von Klang  Psychoakustik  Klanggestaltung in der Mediatektur  Dramaturgie des Klanges  Klang im Raum  Exkurs: Audiosurroundformate  Exkurs: Kopfhörer  Klang in asynchronen und interaktiven Rezeptionssituationen  Technische Parameter der Klanggestaltung  Klangmischung  Einrichtung in der Mediatektur 

129 129 130 130 131 132 136 136 141 142 148 149 150 150 152

Bildmedien  Einleitung 

155 155

Bildmedienwahrnehmung und -erleben  Auflösung  Kontrast und Farbe  Frequenz  Bildmediengestaltung in der Mediatektur  Digitale Bildmedien im Zusammenspiel mit Raum und Form  Zur Balance von Virtuellem und Realem  Unmittelbarkeit in digitalen Bildmedien  Technische Parameter der Bildmediengestaltung  Grundlagen der digitalen Medientechnologien  Digitale Film- und Bildformate  Kompression  Besonderheiten von großen Bildflächen  Digitale technische Bildmedien und ihr Einsatz  Projektion  LED  LCD und OLED  Exkurs: Pepper’s Ghost  Digitale Medienproduktion für Mediatektur 

156 156 158 160 161 161 173 177 179 179 180 183 185 187 187 200 205 209 210

Interaktion  Einleitung  Ansatz einer Begriffsbestimmung  Interaktionswahrnehmung und -erleben  Der menschliche Dialog als Ausgangspunkt der Betrachtung von Interaktion  Relevanz und Effizienz in interaktiven Installationen  Der Engagementmoment  Interaktionsgestaltung in der Mediatektur  Engagement  Exkurs: „Interaktions-Dokus“ auf Youtube – kein Maßstab für die Beurteilung von Aktionsbarrieren  Unmittelbarkeit und Eleganz  Komplexität und Dauer  Ergonomie  Vermittlung  Technische Aspekte der Interaktionsgestaltung  Sensorik als Grundlage der Mensch-Technologie-Interaktion  Exkurs: Mobile Endgeräte als interaktive Schnittstellen  Interaktive Plattformen 

215 215 216 218 218 221 224 228 228 233 233 236 238 241 243 243 251 252

Geschichten und Narration  Einleitung  Geschichten und Narration wahrnehmen und erleben  Geschichten  Narration  Exkurs: Immersion  Narration in Mediatektur erleben  Gestaltung von Geschichten und Narration in der Mediatektur  Narration im Zusammenspiel der Instrumente  Mediatekturspezifische Aspekte der Gestaltung von Narration  Exkurs: Talk-abouts planen 

255 255 256 256 261 262 266 267 267 273 275

Mediatekturinszenierung – die Instrumente als Einheit  Einleitung  Inszenierung am Beispiel Siemens Exiderdome  Technische Parameter der Inszenierung  Steuerung von komplexen synchronen und asynchronen Mediatekturen  Logik und Timeline  Ansätze der Systemintegration 

277 277 277 284 284 284 285

Kapitel 3 – Der Designprozess in der Mediatektur Einleitung  Ausgangspunkt – Designprozess des British Design Councils  Iteration – Mittels Überarbeitungsschleifen ans Ziel kommen  Der Designprozess in Mediatekturprojekten 

291 291 294 295

Briefing und Analyse des Briefings  Die Briefinginhalte  Vorabanalyse  Analyse des Briefings  1. Zielvorstellungen und Erwartungen des Auftraggebers  2. Thema und Kernbotschaften  3. Tonalität und Look & Feel  4. Identität des Auftraggebers  5. Materialien und Infrastruktur  6. Zielgruppe(n)  7. Anlass und Kontext  8. Budget 

299 299 300 301 301 303 304 305 307 309 311 312

9. Zeitpunkt und Zeitraum  10. Ort und Räumlichkeit  Erstellung des Kreativbriefings 

313 314 316

Ideenfindung  Kreativität – Divergentes und konvergentes Denken in kreativen Prozessen Divergentes und konvergentes Denken  Ideenfindung  Optimierung der Ideenfindungsphase – Vom Fuzzy Front End zum Iterationsmodell  Fuzzy Front End und New Concept Model  Ein Iterationsmodell für den nonlinearen Prozess der Ideenfindung in der Mediatektur  Recherche, Inspiration und Kreativitätstechniken – Ansätze zur Optimierung  Recherche  Inspiration  Kreativitätstechniken 

319 319 319 321

Konzept- und Entwurfsentwicklung  Konzept, Entwurf und Präsentation  Prototypischer Ablauf einer Präsentation  Ideenauswahl und -entwicklung  Der Feasibility-Check  Das Iterationsmodell der konvergent geprägten Konzept- und Entwurfsentwicklung  Recherche/Expertise  Konzeption/Entwurf  Evaluierung  Evaluationskriterien – Harte Kriterien  Machbarkeit  Ergonomie  Zielerfüllung  Umsetzungspotenzial  Evaluationskriterien – Weiche Kriterien  Relevanz  Exkurs: Relevanzkriterium im Projekt BMW 2er Cabrio Ausstellung  Unmittelbarkeit  Exkurs: Unmittelbarkeitskriterium im Projekt Siemens Exiderdome Effizienz  Exkurs: Effizienzkriterium im Projekt Paradies der Kopfjäger 

347 347 348 357 357

325 325 326 326 328 334 337

358 358 360 360 361 361 363 363 364 365 365 365 370 370 374 374

Eleganz  Exkurs: Eleganzkriterium im Projekt Porsche Panamera Launch  Überarbeitung, Ausarbeitung und Produktion  Rebriefing und Überarbeitung  Konzept- und Entwurfsübergabe in die Ausarbeitung und Produktion  Ausarbeitungs- und Produktionsphase aus Sicht des Kreativ- und Designteams 

377 377 381 381 382 383

­ apitel 4 – K Arbeitsstrategien, -werkzeuge und ­-erfahrungen Aufgaben und Funktionen im Detail  Einleitung  Projektmanagement  Auftraggeberhandling  Teammanagement  Zeitplanung  Budgetierung und Kostenkontrolle  Verträge und Ausschreibungen für Leistungen Dritter  Redaktion  Format- und Verwendungsklärung  Material- und Exponateredaktion  Textredaktion  Exkurs: Umgang mit geschriebenem und gesprochenem Text  Redaktion weiterer Themen  Casting  Rechte- und Vertragsmanagement  Inhaltliche Produktionsüberwachung  Produktion  Visualisierung und Simulation  Exkurs: Paradigmatischer Ablauf einer einfachen Visualisierungskette Technische Planung  Produktionsmanagement  Liveregie  Proben  Exkurs: Livekommunikation für Proben und Show  Teamaufbau 

387 387 387 388 392 394 396 398 401 401 402 405 406 410 410 411 413 414 414 416 417 420 428 430 431 431

Anhang Literaturverzeichnis  Projekt- und Beispielverzeichnis  Abbildungsverzeichnis 

435 439 444

Vorwort Handbuch Mediatektur

Ob auf Weltausstellungen, Themenausstellungen in Museen, auf Events oder auch in unserer alltäglichen Erfahrungswelt – überall begegnen wir Mediatektur, der medialen Kommunikation im Kontext des Raumes, in inszenierten Räumen und interaktiven Installationen. Mediatektur – der Begriff ist zusammengesetzt aus den Worten Medium und Architektur – ist ein Arbeitsfeld von wachsender Bedeutung. Dabei profitiert der Bereich von dem sich rasant entwickelnden Technologie­ umfeld: Neue Displaytechnologien, neue Formen von Medien, neue Interaktionsformate, aber auch neue Planungs- und Gestaltungstools schaffen laufend neue Möglichkeiten und Spielweisen für Mediatektur. Mediatektur wird dadurch für eine wachsende Zahl Lernender und Professioneller aus den Bereichen Design, Architektur, Ingenieurwesen oder Kommunikation relevant. Für die qualitativ hochwertige, zielführende praktische Umsetzung der gestalterischen und technologischen Möglichkeiten in Mediatekturprojekten ist ein Bedarf entstanden. Erste Studiengänge zum Thema etablieren sich. Erfolgreich umsetzen lassen sich die meist komplexen Mediatekturprojekte nur mit einem interdisziplinären und integrativen Ansatz. In unserer täglichen Arbeit sehen wir aber, dass für Menschen, die aus einer der vielen für Mediatektur relevanten Einzeldisziplinen stammen, ein umfassendes Verständnis der Abläufe notwendig ist. Das große Ganze komplexer Mediatekturprojekte zu überblicken ist die Voraussetzung, um hier zielgerichtet und interdisziplinär arbeiten zu können. Genau hier setzt das Handbuch Mediatektur an. Es hat sich zum Ziel gesetzt, diesem interdisziplinären Arbeitsfeld ein klares Profil zu geben und es als Fachdisziplin in Kommunikation und Design zu etablieren. Das Buch zeigt dem Leser systematisch Instrumente, Methoden und Kriterien von Mediatektur auf, veranschaulicht den Designprozess und bietet die notwendigen Grundlagen, um Projekte in diesem Feld vor allem gestalterisch, aber auch organisatorisch und

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Andrea Rostásy, Tobias Sievers – Handbuch Mediatektur

ökonomisch zu meistern. Zahlreiche Fallbeispiele veranschaulichen Instrumente und Methoden.

Struktur dieses Handbuches Das Buch ist in vier Kapitel gegliedert. Es beginnt im ersten Kapitel mit einer Einführung zur Mediatektur und ihren Wurzeln, einem grundlegenden Ansatz der Definition sowie Kriterien zu ihrer Bewertung. Die hier eingeführten Kriterien werden im Folgenden immer wieder aufgegriffen. Das zweite Kapitel betrachtet die Instrumente zur Gestaltung von Mediatektur und führt in die gestalterischen Aspekte der einzelnen Instrumente ein. Bei den Ausführungen zu den Instrumenten setzen wir Schwerpunkte, geben Denkanstöße und folgen einem pragmatischen Ansatz, der sich aus unserer Arbeitserfahrung speist. Die Unterkapitel zu den einzelnen Instrumenten beginnen jeweils mit einem Einstieg ins Thema, betrachten dann zunächst grundlegende Aspekte von Wahrnehmung und Erleben des jeweiligen Instruments, um dann dessen Gestaltung im Mediatekturumfeld zu betrachten und abschließend spezifische technische Parameter anzureißen. Besonders ausführlich haben wir hier das Thema Bildmedien betrachtet, das für Mediatektur naturgemäß eine zentrale Rolle spielt. Aus unserer langjährigen praktischen Erfahrung mit der Entwicklung von Media­ tektur, nicht zuletzt den dabei nicht ausbleibenden Schwierigkeiten, sind insbesondere auch viele technische Hinweise in das Kapitel eingeflossen, die so bisher noch nicht zusammengetragen wurden und mit denen wir den Lesern praktische Hilfestellung geben möchten. Der letzte Abschnitt des zweiten Kapitels setzt sich abschließend mit dem Zusammenspiel der Instrumente für ein Gesamterlebnis des Besuchers im Inszenierungsraum auseinander. Das dritte Kapitel etabliert einen Designprozess, der Instrumente und Kriterien umfasst und damit Gestaltern und Kreativen Ansätze für ein systematisches Vorgehen an die Hand gibt. Das vierte und letzte Kapitel betrachtet dann Mediatektur aus der Projektplanungsperspektive – wie lässt sich ein Projekt für Mediatektur implementieren, welche Teams werden gebraucht und worauf kommt es zum Beispiel in der Kundenkommunikation an? Dabei geht es uns nicht darum, Grundlagen des Projektmanagements zu vermitteln, sondern vielmehr die Besonderheiten des Projektmanagements in Mediatekturprojekten zu beleuchten. Wir haben dieses Kapitel so geschrieben, dass darin die vielen Schritte der Arbeit an einer Mediatektur möglichst plastisch und konkret vorstellbar werden. Einige der für die Praxisnähe verwendeten Projektbeispiele tauchen gemäß dieser Struktur des Buches mit ganz unterschiedlichen Betrachtungsperspektiven mehrfach auf – das Projektverzeichnis am Ende des Buches macht diese Querverbindungen transparent.

Handbuch Mediatektur – Vorwort

Zu unserem Anspruch Der vorliegende Band führt sowohl theoretisch als auch praktisch in das weite Gebiet der Mediatektur ein. Die Reflexion über die Grundlagen von Kommunikation und Gestaltung wie auch über die physikalischen und psychologischen Bedingungen der Wirkungsweise unterschiedlicher Instrumente spielt eine wichtige Rolle, um sich des gestalterischen Spielraumes bewusst zu werden und die zur Verfügung stehenden Mittel so kreativ wie gezielt einsetzen zu können. Ausgehend von dieser Basis, versteht sich diese Publikation aber als ein Handbuch aus der Praxis für alle, die Mediatektur gestalten, entwickeln und umsetzen. Beim Schreiben eines solchen Grundlagenwerkes haben wir uns natürlich immer wieder die Frage gestellt, wie weit wir ins Detail gehen oder ausholen sollen, um ein Werk zu schaffen, das alle relevanten Themen umreißt, aber trotzdem handhabbar und klar bleibt. Das Buch ist vor allem für alle diejenigen entstanden, die vor der Heraus­forderung stehen, sich mit den extrem vielfältigen technischen, kommunikativen und gestalterischen Themen der Mediatektur auseinanderzusetzen und zu einem Gesamtüberblick zu kommen. Genau in diesem Punkt freuen wir uns über Anregungen, Feedback und auch Kritik, wie man das Handbuch Mediatektur auch in späteren Auflagen ausbauen könnte.

Zur Verwendung der weiblichen und männlichen Form Im Sinne der einfacheren Lesbarkeit haben wir darauf verzichtet, jeweils von Designerinnen und Designern, Besucherinnen und Besuchern usw. zu sprechen. So ist mit Nennung der männlichen Funktionsbezeichnung in diesem Buch, sofern nicht anders gekennzeichnet, immer auch die weibliche Form mitgemeint.

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Einführung

Kapitel 1

Die Entwicklung der Mediatektur Einführung

Historischer Abriss Seit den frühesten bekannten Zeugnissen unserer Kultur und lange bevor es Medien in unserem heutigen Sinne gab, inszenieren Menschen Räume als Orte für Narration, Interaktion und Erlebnis, um beispielsweise Größe und Macht zu demonstrieren, Kult und Ritual zu überhöhen, für soziale Eingebundenheit zu sorgen oder einfach nur Raum für Unterhaltung zu schaffen. Schon immer wurden dabei Gestaltungsmittel und -strategien mit dem Ziel eingesetzt, den gegebenen Raum aufzulösen oder in der Wahrnehmung zu erweitern und damit dem realen Raum eine virtuelle Komponente hinzufügen. Wir können annehmen, dass die Motivation zur Inszenierung und ihre gestalterischen Strategien Grund­ parameter unserer Kultur sind – damals wie heute. Sie bilden Konstanten, die wir im Theater, im Film sowie in den letzten zwei Jahrzehnten mit der Herausbildung der Szenografie in der Ausstellungsgestaltung und damit in zahlreichen weiteren Kontexten wiederfinden. Der historische Vektor, an dem entlang die Entwicklung dieser Gestaltungsmittel und -strategien gelesen werden kann, wird vom Streben nach Erweiterung und Überwindung des Raumes getrieben, aber vor allem von den jeweiligen technologischen Möglichkeiten seiner Zeit bestimmt. Über Jahrhunderte wurde die Erweiterung des Raumes vor allem mit den Mitteln der Malerei und der Baukunst betrieben und erreichte in ihren kunstvollsten Ausprägungen durchaus Formen der Auflösung des realen Raumes. Eines der berühmten frühen Werke, die den Raum mit großer suggestiver Kraft erweitern, sind die Fresken, die 60 v. Chr. in der Villa dei Misteri bei Pompeji entstanden. Die hier in wandgreifender Malerei erschaffenen Figuren scheinen sich im Raum zu bewegen, sich an den Betrachter zu wenden oder untereinander,

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Andrea Rostásy, Tobias Sievers – Handbuch Mediatektur

durch den Raum hindurch, von Wand zu Wand zu kommunizieren (siehe Abb. 1.1a/b).1 Mit ähnlichen Mitteln, aber in der Wirkung auf den Betrachter noch überwältigender, überwindet der im frühen 16. Jahrhundert entstandene Fall der Giganten von Giulio Romano im Palazzo del Te in Mantua die Gegebenheiten des realen Raumes (siehe Abb. 1.2). Der Kunsthistoriker Gottfried Kerscher schreibt dazu: „Es handelt sich um ein Rundpanorama ohne Anfang und Ende, vor allem ohne obere Begrenzung. Ihr (sic) Stilmittel ist die Distanzlosigkeit, weil die Wände dem Betrachter nahe sind, doch die Malereien diese Nähe verschleiern.“2 Der Raum verliert durch die raffinierte Malerei seine Geometrie und löst sich nach oben hin immer weiter auf. Ihre Fortführung findet diese Strategie des raumauflösenden Bildes und der raumbildenden Illusion im 18. Jahrhundert mit der Entwicklung raumumgreifender Panoramen. Am 14. Mai 1793 eröffnet am Leicester Square in London die erste Panoramarotunde der Welt. Anhand eines Querschnitts durch diese Doppel­ stockrotunde (siehe Abb. 1.3) lassen sich Funktion und Aufbau des Gebäudes und seiner Panoramen nachvollziehen: Über eine Treppe gelangt der Besucher auf die mit einer Balustrade umschlossene Betrachterplattform. Von diesem Punkt aus findet er sich vollkommen von dem in der Rotunde kreisförmig aufgehängten Leinwandbild umgeben. Die Illusion eines weiten Ausblicks und damit einer Erweiterung des Raumes entsteht.3 Medientechnologien im Sinne technisch bewegter Bilder halten spätestens mit der Weltausstellung 1900 in Paris Einzug in die Inszenierung von Raumillusionen. Zu diesem Anlass wird einem staunenden Publikum mit großem Aufwand das Cinéorama vorgestellt, eine Mediatektur, die zehn synchron gezeigte 70-mm-Filme zu einem geschlossenen und bewegten 360°-Panorama vereinigt (siehe Abb. 1.4).4 Technisch stellt dies eine große Herausforderung dar, die dann auch dazu führt, dass diese Installation nur drei Tage geöffnet ist. Man sagt, dass die zur Projektion nötigen Lichtbogenlampen so viel Hitze erzeugt hätten, dass die Behörden sich gezwungen sahen, aus Angst vor einem Brand die Anlage zu schließen. In den folgenden Jahrzehnten finden sich besonders auf Weltausstellungen Inszenierungen, die mit den neuesten technologischen Erfindungen a­rbeiten. Auf der Weltausstellung 1970 in Osaka, die als erste mit durchgehend stark medial geprägten Darstellungen aufwartet und gleichzeitig als eine der letzten des a­ nalogen Zeitalters anzusehen ist, entwerfen die Designer des niederländischen Pavillons eine sogenannte Betrachtungsmaschine (Viewing Machine) (siehe Abb. 1.5). Die Besucher werden mittels Fahrtreppen in eine Collage aus zahlreichen ­raumgreifenden Film- und Bildprojektionen inklusive Klangwelten getaucht und ­bewegen sich so fahrend von Themenwelt zu Themenwelt. 1 2 3 4

S. Zierold: Der mediale Raum der Architektur, S. 104. G. Kerscher: Kopfräume. Eine kleine Zeitreise durch virtuelle Räume, S. 144 f. O. Grau: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart, S. 54. Ebd., S. 106; Zitat: A. Friedberg: Window shopping: Cinema and the postmodern, S. 84 f.

Abb. 1.1a/b: Fresken in der Villa dei Misteri, Raum 5. Pompeji, 60 v. Chr.

Abb. 1.2: Fall der Giganten im Palazzo del Te von Giulio Romano. Mantua, 1526–1534.

Abb. 1.3: Robert Barkers Panoramarotunde von 1793 am Leicester Square, in der das weltweit erste Rundpanorama ausgestellt war. Querschnitt: Robert Mitchell, London, 1801.

Abb. 1.4: Illustration des Cinéoramas von Raoul Grimoin-Sanson, das für die Besucher eine Ballonfahrt über Paris simulierte. Illustration: Louis Poyet, Weltausstellung Paris, 1900.

Abb. 1.5: Betrachtungsmaschine (Viewing Machine). Weltausstellung Osaka, Niederländischer Pavillion. Osaka, 1970 (Weeber & Bakema (Installation); Jan Vrijman (Film); Louis Andriessen (Klanggestaltung)).

Abb. 1.6: Mensch – Natur – Technik. Siemens Pavillon auf der Weltausstellung Sevilla. Die Bilder wurden auf die Leinwände sowie auf die davor liegende Figurenebene projiziert. Sevilla, 1992 (Luxoom Medienprojekte).

Einführung – Die Entwicklung der Mediatektur

Verfolgt man die EXPOs weiter, trifft man gut zwanzig Jahre später auf der EXPO Sevilla 1992 auf die Inszenierung Mensch – Natur – Technik im Siemens Pavillon (siehe Abb. 1.6). Diese steht für den Übergang von analogen zu digitalen ­Produktions- und Präsentationstechnologien: Das verwendete Bildmaterial wird zunächst analog auf einem Tricktisch erstellt, dann komplett in ersten digitalen Bildsystemen bearbeitet und wiederum auf analogem Diafilm/Ektachrome ausbelichtet. Die Rundumprojektion selbst wird von mehreren hundert Diaprojektoren realisiert – eine digitale Projektionstechnologie, die eine solche komplexe Bespielung hätte leisten können, ist zu dem Zeitpunkt noch nicht verfügbar. Die Zuschauer sitzen auf einer sich entsprechend den Inszenierungserfordernissen drehenden Plattform und werden so entlang den Bildsettings aus Projektionen auf verschiedenen Bildebenen durch die Show geführt. Die in den 1990er Jahren einsetzende Digitalisierung verändert in der Folge, wenn auch zunächst langsam, die Gestaltung, Produktion und Präsentation von Mediatektur. Denn auch wenn die ersten Bildbearbeitungsmaschinen, zum Beispiel die Paintbox von Quantel, in den Studios aufgebaut werden, bleiben große digitale, womöglich interaktive Bilder im Raum noch lange nur in der Vorstellung, in Zeichnungen und Filmen, wie beispielsweise Blade Runner, möglich. Leistungsstarke Videoprojektoren, die ganze Räume bespielen können, hochaufgelöste LEDWände oder Wände aus flachen LCD-Screens sind bislang noch nicht erfunden. Entsprechend entwickeln sich auch in der Präsentationstechnik Misch­formen: Die aufkommende, aber noch nicht sehr leistungsfähige digitale Videoprojektion wird in wandfüllende Diaprojektionen einmaskiert. Eine spezielle Form von analogen Projektoren, sogenannte Scroller5, wird beispielsweise für die flächendeckende Bespielung des großen Saales des Berliner ICC zur 150-Jahr-Feier von Siemens 1997 eingesetzt. Abbildung 1.7 zeigt, wie mehrere Videoprojektionen in eine raumumgreifende, mit Diascrollern realisierte Bespielung eingebettet sind. ­Während Videoprojektionen Bewegtbild auf begrenzte Flächen bringen, werden mittels Scrollern riesige, horizontal bewegliche, zwar digital produzierte und doch analog präsentierte Projektionen von hoher Qualität erzielt. Inszenatorisch vermittelt diese Bespielung den Eindruck, dass man sich nicht mehr in dem Kongressraum, sondern im Inneren eines großen Raumschiffes befindet. Die technischen Mittel zur Bespielung großer Räume sowie zur Auflösung und Überwindung ihrer realen Dimensionen und materialen Gegebenheiten entwickeln sich von da an rasant. Immer leistungsstärkere digitale Projektoren, höher auflösende LEDs und dünnere LCDs mit fast unsichtbarem Rand, die sich zu ­riesigen Wänden kombinieren lassen, drängen auf den Markt und stehen heute zur Verfügung, um in Mediatekturinszenierungen eingesetzt zu werden. 5 Scroller waren in der Lage, Film horizontal und zum Teil auch vertikal zu verfahren (zu „scrollen“), somit Standbilder über die Projektionsfläche zu bewegen.

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Andrea Rostásy, Tobias Sievers – Handbuch Mediatektur

Der alte Traum, Raum immer mehr zu virtualisieren, seine Grenzen aufzu­ lösen, seine Dimensionen und Gegebenheiten zu überwinden und die Wirklichkeit damit veränderbar zu machen, hat mit diesen neuen Technologien eine Vielzahl an zusätzlichen Möglichkeiten erhalten – Abbildungen 1.8 und 1.9 zeigen davon nur einen kleinen Ausschnitt.

Parameter einer Entwicklung von Mediatektur Der knappe historische Abriss zeigt, dass die Erweiterung von Raum­realitäten durch Mediatektur niemals durch einen Mangel an Kreativität und Willen be­schränkt, aber doch immer abhängig von den zur Verfügung stehenden Mitteln war – ein Entwicklungsschub musste also mit der Findung neuer Technologien einhergehen. Das Spielen und Arbeiten mit bewegtem Bild und Raum, das die oben wiedergegebenen Abbildungen von EXPOs und anderen Projekten in einigen Beispielen zeigen, war in der analogen Welt mit erheblichem – auch finanziellem – Aufwand verbunden. Erst die Digitalisierung der Medien bzw. deren technologische Fortentwicklung im angehenden 21. Jahrhundert brachte etwas, das man als Demokratisierung der Produktions- und Darstellungsmittel bezeichnen könnte. Dass sich Mediatektur heute als eigenständiger Begriff etabliert hat und entsprechende Formen auch im Alltag auftauchen, ist nicht zuletzt dieser rapiden Entwicklung digitaler Medien zu verdanken. Dabei spielen gar nicht, wie man vielleicht intuitiv beim Thema Raum vermuten möchte, die diversen 3D-Technologien in Bild und Ton eine Rolle, die die räumliche Wahrnehmung unterstützen sollen, sondern vielmehr die zunehmende Formfreiheit, Modularität und einfachere Verwendbarkeit von Technologien. Die digitale Medientechnologie tritt mit ihrer fortschreitenden Entwicklung immer weiter hinter die Medieninhalte zurück, die erforderlichen Geräte werden k­ leiner, flexibler, leistungsfähiger und eröffnen damit neue Gestaltungsspielräume. Unmittelbare Evidenz gewinnt dies, wenn man an das Verhältnis zwischen Größe des Geräts und Größe eines Bildschirms denkt und dabei die Röhrenbildschirme oder Röhrenprojektoren, die zur Jahrtausendwende noch weitgehend im Einsatz waren (siehe Abb. 1.10), mit den modernen LCD-Bildschirmen oder LED-Projek­ toren vergleicht. Bilder, Töne usw. verlassen das enge Korsett der Technik und lassen sich somit immer besser und freier in eine räumliche Gestaltung integrieren. In diese Richtung weisen auch die technologischen Entwicklungen, die das Arbeitsfeld Mediatektur absehbar in der Zukunft beeinflussen werden: Computer werden immer leistungsfähiger, die technischen Geräte immer kleiner. Medien werden immer „untechnischer“, das heißt der technische Apparatus minimiert sich, wird flexibel, unsichtbar und die Funktion tritt in den Vordergrund. ­Sensorik, die die Interaktion zwischen Mensch und Maschine ermöglicht,

Abb. 1.7: 150-Jahre-Siemens. Galadiner der Siemens AG im ICC Berlin. Scroller und Frontprojektion. Berlin, 1997 (Vagedes (Agentur); Luxoom Medienprojekte (Mediendesign und -produktion)).

Abb. 1.8: ISAM-Tour. Bühnenbespielung zur Konzerttour von Amon Tobin. Aus einer eigentlich nur aus einfachen Kuben bestehenden Bühnenstruktur wird mittels Projection-Mapping eine animierte, utopische Maschinerie. Weltweit, 2011 (V Squared Labs (Bühnen- und Mediendesign)).

Abb. 1.9a (links)/b: 320º Licht. Mittels Projection-Mapping wird die Innenhaut eines alten Gasometers mit neuen Geometrien und Lichtspielen versehen. Oberhausen, 2014 (Urban Screen).

Abb. 1.10: Bruce Nauman: Clown Torture. Vier-Kanal-Video mit Ton; zwei Projektionen, vier Monitore. Auch die technischen Gerätschaften bestimmen den Raum. Chicago, 1987.

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­unterliegt d ­ erselben Entwicklung, wird ebenfalls unsichtbarer, dabei aber verlässlicher, differenzierter, intuitiver und intelligenter. Technologien und Visionen von Virtualisierung des Raumes treiben sich in dieser Entwicklung gegenseitig an. Dabei ist es ein bereits in den 1960er Jahren ersonnener Raum – sicherlich nicht zufällig ein fiktionaler, ein Filmraum –, der noch immer als Inspiration und Zielmarke in Technologiediskussionen auftaucht: Das Holodeck aus der Filmserie Star Trek. In dieser technischen Utopie, die im Film durch visuelle Effekte und viele Filmtricks geschaffen wird, ist der reale Raum nicht mehr vorhanden und wird komplett durch eine virtuelle Dimension ersetzt. Die Technologie aber, die hier koordiniert alle Sinne anspricht und Feedback ­bietet, ist in dieser Utopie vollständig unsichtbar geworden. Im Gegensatz zur – vom Zuschauer imaginierten – grenzenlosen Virtualität des Holodeck-Konzepts müssen wir uns bislang im praktischen Einsatz der Mediatektur noch mit den technischen Medien und ihren Limitationen und Eigenarten auseinandersetzen. Diese technischen Medien gilt es konstruktiv zu nutzen, um mit den Bedingungen der realen Räume zu spielen, sie um virtuelle Räume zu ergänzen und die Übergänge, Schnittmengen und Kontraste zwischen dem Realen und dem Virtuellen in der Gestaltung formal und ästhetisch zu nutzen. Und da es immer die Betrachter sind, die Inhalte zusammenfügen, Schlüsse ziehen und Bedeutungen entstehen lassen, nehmen sie, die Rezipienten, bei der Gestaltung von Mediatektur eine Schlüsselrolle ein. So geht es für die Gestalter um einen kreativen, strategischen Umgang mit den zur Verfügung stehenden Instrumenten und Methoden der Gestaltung: mit Raum, Licht, Klang, Bild, Narration und Interaktion – und dies immer mit dem Blick auf den Betrachter und Besucher, der hieraus sein Erlebnis schöpft.

Mediatektur – Ansatz einer Definition Einführung

Der Begriff der Mediatektur Schauen wir uns zunächst den Begriff Mediatektur an sich an: Er verbindet das aus dem Lateinischen stammende „Medium“ – vom Urbegriff „medium“ her etwas, das „in der Mitte steht“ – mit dem griechischen Wort „τέκτων“ für den „Baumeister“. Doch mehr als der griechische Wortstamm, der sich hauptsächlich auf den handwerklichen und baulichen Umgang mit Holz bezieht, kommt hier die Assoziation des Begriffes Architektur zum Tragen – also die Vorstellung, Räume und Formen zu schaffen. Hieraus eröffnen sich zwei Lesarten: Die erste ergibt sich, wenn wir annehmen, dass der Begriff Mediatektur auf den modernen, deutlich eingeschränkten Begriff der Medien als digitale, bild- und tongebende Medien verweist. Daraus folgt ein Konzept von Mediatektur als einer architektonischen Integration technischer Medien, von Medien als Teil von Architektur. Die gestalterischen ­Möglichkeiten zeigen uns aber schnell, dass wir mit einer solchen, sehr technischen Definition eher zu kurz springen. Die zweite Lesart eröffnet einen deutlich weiteren Horizont: Demnach ist Mediatektur ein Medium der Architektur und damit ein Mittel zur Veränderung, Erweiterung und Fortführung von Raum und Form. Wie wir einen Fernseher als Medium nutzen, um damit beispielsweise die Nachrichten in Ton und Bild in unser Erlebensumfeld, etwa unser Wohnzimmer, „zu vermitteln“, so könnten wir Mediatektur als Mittel begreifen, um Raum und Formsprache in unseren Erlebens­kontext zu holen. Wir sprechen hier also von einer Virtualisierung von Raum und all dem, was im Raum stattfinden kann. Somit wird nicht nur das digitale, technische Medium in das Raumerleben integriert – wie es die zuerst beschriebene Lesart anbietet –, sondern das technische Medium wird im gleichen Zug ein Mittel zur Erweiterung

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Andrea Rostásy, Tobias Sievers – Handbuch Mediatektur

von Raum durch virtuelle Raumelemente. Mediatektur beschäftigt sich also mit dem gestalteten Zusammenspiel von realem und virtuellem Raum. Wir betrachten diese Definition von Mediatektur im vorliegenden Buch immer aus zwei Perspektiven: einerseits aus der Erlebensperspektive, die das Subjekt bzw. den Betrachter in den Mittelpunkt stellt, und andererseits aus der Gestaltungs­ perspektive, die der Frage nachgeht, wie Mediatektur entwickelt wird und im Prozess entsteht.

Erlebensperspektive Raum gehört untrennbar zum Erlebensumfeld des Subjekts und definiert dieses, denn sowohl die Wahrnehmung als auch das Handeln der Einzelnen ­ werden durch den Raum bestimmt. Durch das Zusammenspiel von Realem und Virtuellem kann Mediatektur diesem Wahrnehmen, Erleben und Handeln bzw. Interagieren einen eigenen Charakter geben. Im vorliegenden Buch wird die Perspektive des Subjekts bzw. Betrachters im Kontext von Mediatektur genauer betrachtet, indem in jedem Kapitel zu den einzelnen Instrumenten und Gestaltungsmitteln die Fragen der Wahrnehmung und des Erlebens einbezogen und diskutiert werden. Das Erleben des Subjekts ist der eigentliche Gegenstand der Gestaltungsperspektive.

Gestaltungsperspektive Mediatektur ist damit aus der Gestaltungsperspektive ein Schaffen von Erlebnissen und Interaktionen für die Betrachter. Dafür werden Instrumente genutzt, die die Virtualisierung von Raum und Form ermöglichen bzw. unterstützen. Media­ tektur als Arbeitsfeld verwendet also das Wissen um das Erleben und ­Agieren der Betrachter um Raum- und Formgestaltung sowie um Technologien und Instrumente für die Gestaltung. Nicht zuletzt gehört ein Wissen um zielführendes Arbeiten dazu, wobei zielführend in diesem Kontext zum einen heißt, dass entlang von qualitativen Kriterien Gestaltungsziele definiert und erreicht werden, zum anderen aber, dass ein Prozess etabliert wird – der sogenannte Designprozess  –, um diese Ziele in inhaltlich überzeugender und zugleich effizienter Weise zu e­ rreichen. Die Gestaltungsziele sind dabei als eine kreative und erlebnisbezogene Übersetzung einer Leitidee zu verstehen, die durch ein Briefing bzw. eine Ziel­setzung definiert ist. Die hiermit umrissene Gestaltungsperspektive motiviert die Struktur des vorliegenden Buches. So werden zunächst (Kapitel 2) die Instrumente und Gestaltungs­mittel Raum, Licht, Klang, Bildmedien, Interaktion, Narration und Inszenierung vor dem Hintergrund der Wahrnehmung und des Erlebens durch das Subjekt vorgestellt. Kapitel 3 befasst sich mit der zielführenden Gestaltung

Einführung – Mediatektur – Ansatz einer Definition

in einem Designprozess und Kapitel 4 vervollständigt den Blick auf die praktische Durchführung und Umsetzung durch wesentliche Hinweise zu Ablauf und Management.

Formen der Mediatektur – Synchrone und asynchrone Mediatektur Die Gestaltungsperspektive führt uns zu einer pragmatischen Differenzierung zwischen zwei Mediatekturvarianten – die sich im Erleben wie im gestalterischen Herangehen systematisch unterscheiden. Erfahrungsgemäß haben wir einerseits Mediatekturen, in denen einzelne Besucher, meist aber eher Gruppen von Besuchern, ein Mediatekturerlebnis mit einem fest definierten Start und Ende gemeinsam präsentiert bekommen – Programme mit fester Taktung, wie wir sie beispielsweise aus Bühnenshows kennen. Da hier Mediatektur von allen Zuschauern gemeinsam im gleichen zeitlichen Ablauf erlebt wird, nennen wir diese Variante synchrone Mediatektur. Die synchrone Mediatektur zeichnet sich oft durch festgelegte Blickachsen, die Möglichkeit langer Narrationsbögen und eine Abwesenheit von Interaktion aus. Den Gegenpart dazu bildet die asynchrone Mediatektur, die keine festen Start- und Endpunkte hat, so dass sich eine Nichtgleichzeitigkeit des Erlebens durch verschiedene Betrachter ergibt. Beispiele sind hier Mediatektur­installationen in Museen, durch die die Besucher in ihrem e­ igenen Rhythmus schlendern. Asynchrone Mediatektur zeichnet sich meist dadurch aus, dass sie zum Entdecken einlädt, interaktiv ist und mit einer modularen Narration arbeitet, die auf der Zeitachse viele Einstiegspunkte bietet, um dazukommenden Besuchern immer einen schnellen thematischen Zugang zu erlauben. Fast alle Mediatekturformen lassen sich der einen oder anderen Kategorie zuordnen bzw. haben synchrone und asynchrone Elemente – entsprechend finden sich Bezüge zu synchroner und asynchroner Mediatektur im gesamten Buch wieder, bekommen aber eine besondere Bedeutung in den Kapiteln Narration und Interaktion.

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Kriterien zur Beurteilung von Mediatektur Einführung

Wann ist eine Mediatektur gelungen? Wer als Gestalter oder Auftraggeber die Qualität eines Mediatekturentwurfs beurteilen und dabei nicht bei einem subjektiven Gefällt mir bzw. Gefällt mir nicht stehen bleiben will, benötigt Kriterien. Dabei geht es fraglos um die grundlegenden Faktoren wie Machbarkeit, Zielerfüllung, Umsetzungspotenzial und Ergonomie. Diese Kriterien sind durch ihre Klarheit relativ einfach zu überprüfen und zu handhaben. Darüber hinaus gibt es weiche, das angestrebte Ergebnis selbst betreffende Kriterien guter Konzept- und Entwurfsarbeit, deren Erfüllung sich weniger einfach beurteilen lässt. Im Rahmen einer langen theoretischen und praktischen Auseinandersetzung mit entsprechenden Fragestellungen haben sich für uns vier Kriterien herauskristallisiert, mit denen sich die Qualität eines Mediatekturentwurfs – über die schon genannten, einfachen Kriterien hinaus – abklopfen lässt. Bei den ersten beiden Kriterien geht es um die Inszenierung im Hinblick auf ihr Wahrnehmungs- und Erlebnispotenzial bezogen auf die Besucher. Die zentralen Aspekte, die wir hier ins Auge fassen, sind Relevanz und Unmittelbarkeit. Zwei weitere Kriterien betreffen die Umsetzung des Themas in der Gestaltung. Die Qualität der gestalterischen Ansätze fassen wir unter den Begriffen Effizienz und Eleganz. Beispiele für diese weiteren Kriterien werden sich immer wieder im Verlauf der Kapitel sowohl zu den Instrumenten als auch noch einmal detailliert und anwendungsbezogen in der Erläuterung zum Designprozess finden. Entsprechend greift der folgende Überblick den entsprechenden Kapiteln immer schon etwas voraus. Was verbirgt sich hinter den Begriffen Relevanz, Unmittelbarkeit, Effizienz und ­Eleganz und wie lässt sich der Grad der Einlösung dieser Kriterien beurteilen?

Einführung – Kriterien zur Beurteilung von Mediatektur

Relevanz Führt die Mediatektur ins Bewusstsein der Menschen und initiiert eine selbstverständliche Auseinandersetzung mit ihr. Relevanz fokussiert auf die Zuwendung des Subjekts hin zur Mediatektur und setzt sich aus kognitiver Relevanz – Aufmerksamkeit – und intellektueller Relevanz – ­Interesse – zusammen. Auf der Ebene der Kognition muss eine Mediatektur überhaupt erst einmal zum Subjekt durchdringen, die Barriere vom Nichtwahrgenommenen zum unbewusst Bemerkten und schließlich zur bewussten Wahrnehmung durchbrechen. Alfred Schütz umreißt die Herausforderung, wenn er schreibt: „[…] dieses Sich-gewissen-Erfahrungen-Zuwenden und Von-ihnen-Abwenden [...] geschehen in einem sehr eingeschränkten Beliebigkeitsrahmen“.6 Die spezifische ­Mediatektur muss im Erlebensraum einer Person so viel Relevanz gewinnen, dass diese sie registriert und ihr die eigene Wahrnehmung aktiv zuwendet, ihr also Aufmerksamkeit schenkt. Dieses ist vor allem bei asynchroner Mediatektur ein entscheidender Faktor, wo sich die Besucher meist frei im Raum bewegen und nicht durch einen vorgegebenen Ablauf geführt werden. Dabei geht es oft um eine feine Balance zwischen einem marktschreierischen Selbstanpreisen und einer Zurückhaltung, etwa in Kontexten von Szenografien oder Ausstellungen, in die sich Mediatektur einfügen muss, ohne deren Strukturen zu zerstören. Ist die Aufmerksamkeit im Erlebensraum des Besuchers der Mediatektur zugewandt und hat diese die vorprädikative Wahrnehmung durchschritten, stellt sich die Frage der intellektuellen Relevanz. Mediatektur will hier, sobald sie im Bewusstsein des Subjekts angekommen ist, dessen Interesse und Motivation wecken, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Wodurch dies möglich wird, ist individuell bzw. je nach Zielgruppe unterschiedlich – intellektuelle Relevanz ist im Gegensatz zur k­ognitiven ­Relevanz stark subjekt- und zielgruppenabhängig. Es ist eine Stärke von Mediatektur, in ihren vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten viele verschiedene Zugänge zu bieten, also gleichzeitig zahlreiche, für unterschiedliche Personen und Zielgruppen relevante Aspekte zeigen zu können. Wir sprechen hier von Relevanzaspekten, also Ansatzpunkten für den Besucher, sich mit einer ­Mediatektur auseinanderzusetzen. Beispiele können eine Auseinandersetzung mit der Ä ­ sthetik, das Aufnehmen eines Fotos oder die Teilnahme an einer Aktion sein. Diese Relevanz­aspekte fordern keine Ausschließlichkeit, sondern das Beschäftigen mit der M ­ ediatektur birgt die Möglichkeit, dass der Besucher von dem einen zum nächsten Aspekt findet, bis entweder die Aufmerksamkeit abebbt und von etwas anderem im Erlebensraum beansprucht wird oder man das Subjekt in einen ­narrativen bzw. interaktiven Prozess eingebunden hat.

6 A. Schütz: Das Problem der Relevanz, S. 30.

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Unmittelbarkeit7 Bringt Menschen, die eine Mediatektur besuchen, von einem intellektuellen Nachvollziehen zum emotionalen Erleben. Das Kriterium der Unmittelbarkeit betrifft die Art der Vermittlung in der Übersetzung einer Idee in Mediatektur und beschäftigt sich mit der Stärke des Erlebens durch das Subjekt. Der Philosoph Andreas Arndt beschreibt: „Unmittelbarkeit in diesem Sinne ist Gegenwärtigkeit und Präsenz, die nicht durch etwas anderes verstellt ist. Unmittelbar sind wir bei den Dingen selbst, direkt, ohne weitere Instanzen oder Hilfsmittel bemühen zu müssen.“8 Dieses Verständnis von Unmittelbarkeit findet sich auch bei der amerikanischen Philosophin Susanne K. Langer, wenn sie zwischen ­diskursiven und präsentativen Darstellungsformen unterscheidet und diese in Bezug auf Kommunikation analysiert.9 Diskursive Darstellungsformen müssen dabei – wie Sprache – erst intellektuell verarbeitet werden, sind abstrakt und entsprechend weit weg von Emotion und direktem Erleben. Auf der anderen Seite der Messlatte sind die präsentativen Darstellungsformen, also solche, die sich unseren Sinnen und der gesamten Wahrnehmung unmittelbar erschließen – Dinge, die wir ­spüren und empfinden können. Dank der Vielzahl der Instrumente von ­ Mediatektur lassen sich darin viele Abstufungen zwischen diskursiv und präsentativ schaffen. Während es in einem Buch lediglich heißen kann „Der Sturm peitscht ihnen den Regen entgegen“, können wir Sturm und Regen in der Mediatektur um uns herum in Ton, Bewegung, Dunkelheit und eventuell sogar mit sprühender Feuchtigkeit präsentieren, so dass die Besucher beides zwar nicht gänzlich natürlich, doch relativ unmittelbar erleben. Wenn dann noch Donner und Blitz den Boden erbeben ­lassen, wissen ihre Sinne vielleicht für einen kurzen Moment nicht zwischen Realität und Inszenierung zu unterscheiden. Diese zweite Spielart der Unmittelbarkeit, die Unmittelbarkeit in der Wahrnehmung, ergibt sich aus synchronen, multisensualen Eindrücken. Wenn zwei oder mehr Sinne im gleichen Moment einen gemeinsamen Eindruck von etwas gewinnen, dann fängt unser Gehirn an, dieses zu glauben – Blitz (Sehen), Donner (Hören) und (mechanisch-­ automatisiert) bebender Boden (Gleichgewichtssinn) verbinden sich zu einem kraftvollen Ausdruck von Naturgewalt. „[O]hne weitere Instanzen und Hilfsmittel“ heißt es darüber hinaus bei Arndt über die Unmittelbarkeit – Langer identifiziert Sprache als ein solches Hilfsmittel, da 7 Es gibt viele Begriffe, die versuchen, ein solches Kriterium zu beschreiben, u. a. Immersivität und Erfahrbarkeit. Wir entscheiden uns für Unmittelbarkeit, da dies am einfachsten operationalisierbar ist und im Vergleich den niedrigsten Abstraktionsgrad aufweist. Unmittelbarkeit kann man als Maßstab an eine Vielzahl von Attributen von Mediatektur direkt anlegen. 8 A. Arndt: Unmittelbarkeit, S. 7. 9 S. K. Langer: Philosophy in a New Key. A Study in the Symbolism of Reason, Rite, and Art, S. 75 ff.

Einführung – Kriterien zur Beurteilung von Mediatektur

sie einen hohen Abstraktionsgrad besitzt und damit wenig unmittelbar ist. Bildschirme, Vitrinen und weitere bauliche Elemente sind ebenfalls Hilfsmittel – oft generische Elemente, die erst einmal nichts Themenspezifisches beitragen bzw. nicht durch eine Übersetzungsidee10 motiviert sind. Unmittelbarkeit fordert also das Ausschließen von generischen, nicht themen­ spezifischen Hilfsmitteln und trifft sich darin mit den Forderungen des Kriteriums Eleganz, aus einer konzeptionellen Idee heraus zu gestalten (siehe im Folgenden). So sollte man sich bei jedem in Betracht gezogenen generischen Hilfsmittel stets fragen, ob es ein entsprechendes Element gibt, das dieselbe Funktion erfüllt, sich aber über ein Attribut oder seine Einbindung auch thematisch, aus der Idee heraus motivieren lässt. Um an das Beispiel des Regens anzuschließen: Anstatt Bildschirmen, die den Regen zeigen, wird dieser dann beispielsweise mittels einer Projektion auf einen weitgehend transparenten Gazestoff in den Raum gebracht, so dass Transparenz und physikalische Leichtigkeit des Mediums die Spezifika und Atmosphäre eines Regenschauers transportieren.

Effizienz Konsolidiert Gestaltung, indem sie diese auf das Wesentliche reduziert. Effizienz beschreibt, mit welchem Aufwand eine geplante Mediatektur ein bestimmtes Ziel erreicht. Spätestens seit Vilfredo Pareto11 wissen wir: Im Vergleich von Lösungen ist die beste nicht unbedingt die effizienteste. Da in der ­Mediatektur aber der technische und damit budgetäre Aufwand je nach Idee sehr stark variieren kann, hat Effizienz einen besonders großen Stellenwert und wird zu einem dominierenden Entscheidungsfaktor im Vergleich von Konzepten und Entwürfen. Somit wird Effizienz zwangsweise auch zum gestaltenden Werkzeug. Erfahrungs­gemäß ist dies durchaus produktiv, da es sowohl hilft, aufgeblähte Konzepte zu vermeiden, als auch der Schärfung der Zielvorstellung dient. Unter der Frage­stellung, was man vereinfachen oder weglassen kann, ohne die Kernidee zu beschädigen, geht es also darum, den technischen, logistischen, personellen, budgetären sowie Produktionsaufwand zu begrenzen und somit das Konzept und den Entwurf zu konsolidieren. Über eine grundlegende Konsolidierung hinaus führt dies nicht selten dazu, dass Ressourcen frei werden, die man später im Designprozess gut gebrauchen kann, um sie wiederum dort einzusetzen, wo sie die Kernidee wirklich voranbringen. Man reduziert beispielsweise eine komplexe

10 Vgl. Kapitel Designprozess, Abschnitt Ideenfindung, Seite 321 f. 11 Vilfredo Federico Damaso Pareto (1848–1923), italienischer Ingenieur, Sozio- und Politologe sowie Wirtschaftswissenschaftler, der die 80/20-Regel formuliert hat (auch Pareto-­Regel). Diese besagt vereinfacht, dass man 80 Prozent einer Aufgabenlösung in 20 Prozent der Gesamtzeit erreicht, wobei die letzten 20 Prozent einer Lösung die restlichen 80 Prozent der Zeit beanspruchen.

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Audiobespielung und macht so den budgetären Weg frei für einen deutlich lichtstärkeren Projektor. Je effizienter eine Lösung ist, umso kompetitiver wird sie. Dem lässt sich entgegenhalten, dass Effizienz oft argumentativ missbraucht wird, um mit möglichst wenig Geld eine Lösung zu erreichen. Darum sei hier unterstrichen, dass es in der Argumentation und im Rahmen des Kriteriums der Effizienz ausdrücklich nicht darum geht, die billigste Lösung zu finden. Effizient ist auch eine Mediatektur, die das Doppelte kostet, aber den vierfachen Erfolg bringt – und manchmal ist auch „die ganz große Lösung“ erforderlich, die zielgerichtet und damit effizient funktioniert.

Eleganz Macht Gestaltung intuitiv erfahrbar und selbsterklärend. Das Eleganzkriterium fokussiert auf die Geschlossenheit von Konzept und Entwurf. Der Philosoph Hannes Böhringer bringt Eleganz in einem Artikel in der Zeitschrift Lettre International auf den Punkt: „Eine elegante Lösung ist ökonomisch und ästhetisch gelungen. Sie vermeidet jede Umständlichkeit und kommt mit einer Bewegung oder wenigen großen Schritten zum Ziel. Eine elegante Lösung räumt den Denk- und Wahrnehmungsraum auf. Wie die Schlichtheit der eleganten Rede verblüfft sie durch Einfachheit.“12 Was Böhringer hier in schlichten, klaren Worten beschreibt, ist aus Designsicht die Kunst, am Ende des Designprozesses eine Lösung vorzuweisen, der man gerade die viele Arbeit, die höchstwahrscheinlich in sie geflossen ist, nicht ansieht, sondern die so evident, intuitiv erfahrbar und argumentativ geschlossen ist, dass sie sich förmlich von selbst aufdrängt. Dies ist der Fall, wenn man mit einer M ­ ediatektur eine so stimmige Übersetzung des Themas oder der Idee gefunden hat, dass sich all deren Aspekte darin wie von selbst anordnen und ihren Platz finden. In K ­ onzept und Entwurf lassen sich solche eleganten Lösungen erreichen, indem man alle Aspekte aus einer einzigen Übersetzungsidee ableitet bzw. ableiten kann und versucht, auf Hilfskonstruktionen – das heißt solche Konstruktionen, die einen nötigen Zweck erfüllen, aber nicht der Idee entspringen und damit in Böhringers Sinne „umständlich“ wären – konsequent zu verzichten. Für eine elegante Lösung muss man entsprechend nicht jedes Element neu erfinden – was meist dazu führen würde, dass Elemente einer Lösung nur leidlich gut zusammenpassen –, sondern jedes Element ergibt sich fast zwingend aus der einen Übersetzungsidee. Und je simpler diese ist, je intuitiver man sie erlebt, desto eleganter kann der Designansatz werden.

12 H. Böhringer: Die Lässigkeit der Eleganz, S. 13.

Die Instrumente der Mediatektur

Kapitel 2

Raum Die Instrumente der Mediatektur

Einleitung Wir können uns – und andere – nicht losgelöst von Raum denken. Was auch immer wir erleben, wir erleben es im Kontext von Raum – den Ausblick aus einer Riesenradgondel ebenso wie das Schwimmen im Wasserbecken. Und selbst den Protagonisten eines Buches, das wir lesen, stellen wir uns in einem Raum vor. Wir sind immer im Raum situiert und die Erfahrung von Raum ist essenzieller Teil von uns. So schreibt der deutsche Philosoph und Pädagoge O. F. Bollnow: „Der Mensch befindet sich nicht im Raum, wie ein Gegenstand sich etwa in einer Schachtel befindet, und er verhält sich auch nicht so zum Raum, als ob zunächst etwas wie ein raumloses Subjekt vorhanden wäre, das sich dann hinterher auch zu einem Raum verhielte, sondern das Leben besteht ursprünglich in diesem Verhältnis zum Raum und kann davon nicht einmal in Gedanken abgelöst werden.“1 Wie eng das Verhältnis Mensch-Raum ist, beschreibt der Psychologe und ­Entwicklungsforscher Jean Piaget mit Blick auf die Entwicklung des Menschen. Er zeigt, dass die sensomotorische Erfahrung von Raum und die intelligente ­Konstruktion einer räumlichen Vorstellung, die das Subjekt beinhaltet, nicht nur einen der zentralen Entwicklungsprozesse des Kindes, sondern auch strukturell die Basis für weitere Bewusstseinsbildungsprozesse darstellt.2 Vor dem Hintergrund des engen Verhältnisses von Mensch und Raum ergeben sich drei Aspekte von Raum und Raumerleben, die in der Mediatektur eine wichtige Rolle spielen und die im Rahmen dieses Buches zu betrachten sind: •• Strukturell-organisatorisch Raum und das Verständnis von Raum dienen dem Besucher zur S­ trukturierung des Erlebens- und Bewusstseinsraumes. Somit strukturiert Raum Erlebnisse, Abläufe und Informationen. 1 O. F. Bollnow: Mensch und Raum, S. 23. 2 Vgl. J. Piaget: Der Aufbau der Wirklichkeit beim Kinde, S. 202 ff..

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•• Antizipativ-funktional Durch ihren Umgang und die Vorerfahrung mit Räumen antizipieren die Besucher eine Funktion von Raum – die Wahrnehmung von Raum ist eng an ihre Erwartungen geknüpft. •• Gestalterisch-konstruktiv Die Besucher erleben einen Raum physiologisch und konstruieren aus ihrer Raumwahrnehmung zugleich Bedeutung. Aus dieser Tatsache ergeben sich Anforderungen an die Raumgestaltung. Diesen drei Aspekten folgt das Kapitel und betrachtet sie zunächst aus der Perspektive der Wahrnehmung und des Erlebens durch das Subjekt, wendet sich dann der Gestaltung von Raum und Form in der Mediatektur zu und schließt mit technischen Parametern, die im Rahmen der Gestaltung von Raum und Form eine Rolle spielen können. Raum und Form bleiben in diesem Kapitel dabei sehr eng definiert und beschränken sich auf den physischen und vom Subjekt wahrgenommenen bzw. unmittelbar konstruierten Raum – andere, abstrakte Verwendungen des Begriffes Raum (wie beispielsweise Kulturraum) sind hier und auch für das Thema Mediatektur nicht oder nur von nachgeordneter Bedeutung.

Raumwahrnehmung und -erleben Strukturell-organisatorischer Aspekt von Raum Wir können annehmen, dass Raum als basales und funktionales Abbild unserer erfahrbaren Umwelt – also der euklidische Raum unserer alltäglichen Erfahrung – eine entscheidende Grundlage für unser Allgemeinverständnis von Struktur und Organisation darstellt. Raum und Struktur sind eng verwoben – die Dialektik des Raumes ist, dass dieser erst durch seine Begrenzung und Struktur entsteht. Deutlich wird das Struktur- und Organisationsprinzip beispielsweise in den Raummetaphern, derer wir uns im Alltag bedienen: Selbst Abstraktes wie etwa Zeit beschreiben wir mit Metaphern des Raumes – „vor“ und „nach“ als eine Art räumlicher Ordnung – oder wir bedienen uns des Raumes, um Gedanken handhabbar zu machen, wenn wir beispielsweise über „Perspektiven auf ein Thema“ sprechen. Diese Verbindung von sensomotorischer Raumerfahrung und weitergehender Strukturierung unseres ebenfalls logischen Vorstellungsraumes findet sich auch bei Piaget wieder, wenn er diese als „Ausgangstatsachen“ für logisch-mathematische und weitere, für den Menschen wichtige Strukturen beschreibt.3 3 J. Piaget: Der Strukturalismus, S. 59 ff.

Die Instrumente der Mediatektur – Raum

Daraus ergibt sich entsprechend eine Überlagerung von räumlicher und t­ hematischer Struktur: Stellen wir uns ein Technikmuseum mit einem großen Saal zum Themenfeld Optik und verschiedenen darin befindlichen Exponaten vor. Der Saal könnte in zwei große Bereiche getrennt sein: einen Bereich, der die geometrische Optik, einen anderen, der die Wellenoptik beheimatet. Der Bereich der Wellenoptik unterteilt sich wiederum in Exponatzonen zu Interferenz, Beugung und Polarisation. Idealerweise, wie es dieses Beispiel zu beschreiben versucht, repräsentiert die räumliche die thematische Struktur. Räume als reale und gleichzeitig abstrakte Strukturelemente helfen uns, Wahrnehmungen und Erfahrungen zu organisieren. Somit existiert die Strukturierung nicht nur räumlich, sondern auch gleichzeitig gedanklich. Dazu kommt der Aspekt der Zeit als eine im Durchqueren wahrgenommene Abfolge, ein serielles Hintereinander von Dingen, das diese auf einer Achse und damit in unserer Vorstellung auch räumlich anordnet. Raum wird ergänzt um ein Vorher-Nachher. Das Nichtvorhandensein von Struktur ist nicht Leere, sondern Chaos und ­Verwirrung. Das Subjekt sucht nach Struktur und interpretiert diese ob gewollt oder nicht – insofern muss der Gestaltende sich aktiv mit dem Raum auseinandersetzen und eine möglichst klare Struktur definieren, damit sich das Subjekt darin zurechtfinden kann. Für Mediatektur bedeutet dies, dass eine durchgehende Strukturierung den realen wie den virtuellen Raum gleichermaßen einbeziehen muss. Dabei sollten Ordnungsstrukturen, die dem jeweiligen Thema inhärent sind, die Grundlage für die räumliche Strukturierung des Mediatekturerlebnisses bilden. Ziel ist es, die Struktur möglichst intuitiv erfahrbar zu machen, also so, dass die thematische sowie die zeitlich-räumliche Struktur im Einklang stehen oder sogar die Struktur als Teil der Inszenierung genutzt wird. Entsprechend steht auch die Veränderung der Struktur im Einklang mit der Entwicklung eines Themas.4 Zusammenfassung •• Das menschliche Verständnis von Raum und Struktur ist eng verwoben. •• Dementsprechend eng sollten räumliche und thematische Strukturen auf­ einander ausgerichtet sein. •• Struktur muss ein Gestaltungsparameter sein und sollte möglichst intuitiv angelegt sein.

4 Konkret nachvollziehbar wird dies am Beispiel der Präsentation der zweiten Generation des Porsche Panameras, siehe Kapitel Geschichten und Narration, Abschnitt Narration im Zusammenspiel der Instrumente, S. 271.

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Antizipativ-funktionaler Aspekt von Raum Eine einfache Szene, die man sich in die Vorstellung rufen mag, ist Ausgangspunkt für eine Reflexion von Erwartung und Funktion von Raum aus Sicht des Subjekts: Kurz vor dem Sandsturm haben die Nomaden die Zelte aufgeschlagen. Während draußen der Sturm tobt, ist es innen gastlich. Tee und Gebäck werden gereicht und man erzählt sich Geschichten, die der Sturm mit seinem Heulen untermalt. Die Menschen in diesem Nomadenzelt, irgendwo in den Wüsten Nordafrikas und in unserer Vorstellung, erleben Raum als Schutz, den sie der Natur abtrotzen, und als persönlichen Raum. Heute bewegen sich die Menschen in den gleichen Breiten vielleicht in einer Shoppingmall, deren Klimatisierung dem heißen Sommer trotzt. Dabei geht die Funktionalität von Raum über den Schutz vor Hitze und sonstigen Wettern weit hinaus: Räume definieren Mitten und Ränder – vielleicht sitzen die Ältesten in der Zeltmitte, während die Kinder am Rand spielen. Raum definiert, wo wir Platz haben, wo wir uns aufhalten können oder sollen. Raum setzt uns als Menschen in ein Verhältnis, auch zum Raum selbst: Während wir uns in dem niedrigen Zelt groß fühlen, erfahren wir genau den gegenteiligen Effekt in der kathedralenhaften Größe der Shoppingmall. Räume haben auch Funktionen der Benutzung – so banal wie Bad, Küche, Garage. Räume können etwas verbergen oder uns Zugang zu etwas gewähren. Diese Liste des Nachdenkens über Raum ließe sich sicher noch viel weiter fortsetzen. Entscheidend ist, dass wir Raum als eine funktionale und auch als Sinneinheit verstehen, die nicht notwendigerweise durch vier Wände begrenzt ist, sondern dadurch, dass wir sie als Einheit wahrnehmen und verstehen. Dabei läuft dieses Wahrnehmen und Differenzieren im Alltag meist unbewusst ab. Raum wird hier als Einheit definiert, die weitestgehend bestimmte Funktionen bzw. A ­ ktionen unterstützt und hinter diese Funktionen zurücktritt. Die Funktionen eines Raumes sind meist eng mit den Erwartungen des Subjekts verknüpft. Im vorher bereits angesprochenen Beispiel des Technikmuseums mag es Räume geben, die es den Besuchern erlauben, ein bestimmtes optisches Experiment zu betrachten. Vermutlich schirmt dieser Raum das Tageslicht so weit ab, dass das Experiment erst wirklich sichtbar wird. Die Erwartungen, die der Besucher an solch einen Raum knüpft, werden ihm in der Regel erst dann bewusst, wenn sie nicht erfüllt sind: wenn der Raum das Tageslicht nicht genügend abschirmt und somit das Experiment nicht einfach zu erkennen ist. Oder wenn andere Besucher sich auf ihrem Weg zwischen Betrachter und Exponat hindurchdrängen müssen, um zum nächsten Raum zu gelangen. Oder wenn andere Exponate im Umfeld so laut oder ablenkend sind, dass sich der Betrachter kaum auf das konzentrieren kann, was er vor

Die Instrumente der Mediatektur – Raum

sich hat. Raum ist aus Sicht des Betrachters also auch eine funktionale Einheit und bewusst oder unbewusst misst er die Qualität des Raumes daran, inwieweit die jeweilige Funktionalität erfüllt wird. In Hinblick auf die an die Funktion geknüpfte Erwartung sprechen wir hier von einer antizipativ-funktionalen Raumdefinition. Diese Definition kann man auch auf das initiale Gedankenspiel über das Nomadenzelt anwenden – das Nomadenzelt schützt vor dem Sturm und ist ein ­kulturell-kommunikativer Ort, in dem Dialoge stattfinden und Geschichten erzählt werden. Schlägt nun eine lose Zeltbahn im Wind so stark, dass die Worte übertönt werden, oder ist das Dach undicht und Sand wird durch die Ritzen gedrückt und fällt aufs Gebäck und in den Tee, dann erfüllt das Zelt die Erwartungen der darin versammelten Personen nicht. Praktisch heißt dies entsprechend der Annahme aus der Einleitung dieses Kapitels, dass man sich die Erwartungen des Subjekts an einen Raum bewusst machen muss, um diesen zielführend gestalten zu können. Entscheidend ist, Raum als eine funktionale Sinneinheit zu verstehen, die nicht notwendigerweise durch vier Wände begrenzt ist, sondern dadurch, dass wir sie – bewusst oder noch häufiger unbewusst – als Einheit wahrnehmen und verstehen. Zusammenfassung •• Menschen verstehen Räume als funktionale Sinneinheiten, an die Erwartungen geknüpft werden. •• Die Qualität eines Raumes bemisst sich daran, wie die Funktionen und Erwartungen erfüllt werden – entsprechend ist die Funktionalität im Kontext der Erwartungen der Besucher ein Gestaltungsparameter für Mediatektur.

Gestalterisch-konstruktiver Aspekt von Raum Subjekt- und Inszenierungsraum, Virtualität

Der dreidimensionale Raum wird vom Subjekt aus dem Wahrgenommenen konstruiert. Piaget schreibt dazu: „Der Raum ist also die Aktivität der Intelligenz, insofern als diese die äußeren Bilder miteinander koordiniert.“5 Entsprechend diesem Innen und Außen mit Sicht auf das Subjekt müssen wir Raum in unserem Denken und unseren Betrachtungen in einer Dualität verstehen: einerseits als die Konstruktion des Raumes durch das Subjekt – als Subjektraum – und andererseits als den Inszenierungsraum, als Raum, auf den wir direkten physischen Zugriff haben und der alle Instrumente der Mediatektur in einer Inszenierung verbindet.

5 J. Piaget: Der Aufbau der Wirklichkeit beim Kinde, S. 206.

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Beide stehen in einem Dialog und es ergibt sich zwischen ihnen eine Korrelation mittels sinnlicher Erfahrung und intelligenter Deduktion durch das Subjekt. Der Inszenierungsraum wird durch Form konstituiert, entsprechend wird der Subjektraum in mittelbarer Folge durch das Subjekt konstruiert. Als Form sehen wir dabei nicht nur alle Elemente, die Objekthaftes in und um diesen etablieren – im vorangehenden Beispiel des Nomadenzeltes sind das die gespannte Zeltplane, die Stützstangen mit ihren Verzierungen, die Teppiche, auf denen die Nomaden sitzen, und der große Teekessel mit dem Metallgestell über der Feuerschale in der Zeltmitte –, sondern auch alle Elemente, die darüber hinaus im Subjektraum zur Konstruktion von Raum führen. Unsere sinnliche Wahrnehmung interpretiert die Wahrnehmungsinhalte, indem sie in der Konstruktion Annahmen über das Gesehene trifft, Erwartungen einfließen lässt, Ordnungen herstellt und somit zu einer Konstruktion gelangt, die sich von dem physisch vorhandenen drei­dimensionalen Raum substanziell unterscheiden kann. Der Inszenierungsraum kann somit Gestaltungselemente nutzen, die im Subjektraum das Raumerleben erweitern bzw. verändern. Dabei können unterschiedliche Formen der Raumgestaltung dem Besucher sowohl eine weitgehend passive Rolle zuordnen – etwa indem die Gestalter mit Illusionen bzw. optischer Täuschung arbeiten – als auch eine aktive Rolle in dem Sinne, dass gerade dessen willentliche, aktive Strukturierung des Wahr­ genommenen angesprochen wird. Die Differenz zwischen diesen zwei Rollen des Betrachters ergibt sich jedoch neben unterschiedlichen Formen der Raumgestaltung auch aus den Eigenheiten und Grenzen der menschlichen Wahrnehmung sowie aus den Vorerfahrungen und der aktiven Interpretation der Situation durch das jeweilige Subjekt. All dies eröffnet den Spielraum der Virtualität – der Suggestion von Raum bzw. der ­Nutzung von Struktur und Funktion von Raum, wo an sich im Inszenierungsraum kein realer Raum existiert. Sowohl unser visueller wie unser auditiver Sinn lassen uns ggf. auch dort Raum wahrnehmen, wo dieser vielleicht nur vorgetäuscht ist. Einfachste Beispiele sind spiegelnde Flächen, die den Raum in das Material hinein duplizieren, oder grafische Schlagschatten, die einem zweidimensionalen Medium eine visuelle Tiefe geben, über die es physikalisch nicht verfügt. Wie im folgenden Abschnitt deutlich wird, strebt die menschliche Wahrnehmung danach, Raum zu sehen (und auch zu hören) – und interpretiert dahingehend die Sinnesreize. Siehe dazu auch Abbildung 2.1.1. Visuelle und auditive Wahrnehmung von Raum

Welche Gestaltungselemente im Inszenierungsraum können den Subjektraum konstituieren? Über welche Elemente nehmen wir überhaupt Raum wahr? Die menschliche Wahrnehmung ist hocheffizient und darauf spezialisiert, für Orientierung, also eine Lagebestimmung in Bezug auf den eigenen Körper

Abb. 2.1.1: Virtuelle Fortsetzung des realen Raumes durch eine Projektion auf die rechteckige Wandfläche. Der Torbogen in der Projektion wiederholt die in der Architektur vorhandene Bogenform und schafft somit eine Plausibilität in der Formsprache. Es fällt uns leichter, den virtuellen Raum im Hintergrund als Tiefe denn als Fläche wahrzunehmen. Berlin, 2017 (Luxoom Medienprojekte).

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im Raum zu sorgen. Für eine stabile Raumwahrnehmung stehen uns visuelle, auditive und taktile Sinnesorgane und entsprechende Informationen zur Verfügung. Dabei nutzen wir hauptsächlich visuelle und auditive Sensorik, also Sehen und Hören, um Größe, Form, Distanz, Abstand, Tiefe, Lage und Bewegung sowie Konstanz­phänomene einzuordnen.6 Es ist eine Leistung des Subjekts, aus dem individuellen sensorischen Input Räume und Formen als Einheiten zu isolieren, Orientierung im Raum herzustellen und Dinge darin – auch in ihrem Verhältnis zueinander – sowie Dreidimensionalität, Tiefe, Entfernung und relative Größe korrekt wahrzunehmen bzw. zu interpretieren. Dazu ist unsere Wahrnehmung kontextabhängig und sie lässt sich – wie bereits in dem Verhältnis Inszenierungszu Subjektraum angesprochen – auch beeinflussen und sogar täuschen. Man kann es im Rahmen von Mediatektur als eine Aufgabe des Designs ansehen, die räumlichen Auffassungsprozesse der Besucher zu stützen, zu vereinfachen oder aber auch gezielt zu manipulieren, wie es in den folgenden Ausführungen dargestellt wird.7 Kontextabhängigkeit der Raum- und Formwahrnehmung

Eine zentrale Leistung unserer visuellen Wahrnehmung ist es, Objekte i­solieren zu können. Man nimmt an, dass ein Hauptteil der Arbeit des primären visuellen Kortex darin besteht, Ecken und Konturen zu extrahieren, die Grenzen von Objekten beschreiben. Von dort übernehmen dann zwei weitgehend unabhängige Systeme die weitere Verarbeitung. Der ventrale Pfad („What“-Stream) ist spezialisiert auf das Erkennen von Objekten, also auf die Feststellung, was für ein Objekt es ist, welche Farbe es hat, welche Form – während der dorsale Pfad ­(„Where“-Stream) sich um die Verortung eines Objektes kümmert und darum, wie es in räumlicher Relation zu anderen Objekten steht. Dabei ist unsere Wahrnehmung nicht streng aufeinander aufbauend, sondern funktioniert in einem Zusammenspiel von höheren und niedrigeren Prozessen und einem permanenten Abgleich zwischen neu einströmenden Informationen, vorhandenem Vorwissen und Erfahrungen. Wahrnehmung ist daher stark kontextabhängig, so dass unsere Erwartungen und gelernten Muster eine zentrale Rolle bei der Entstehung der Ergebnisse des Wahrnehmungsprozesses spielen, wie das in diesem Kontext bekannte Beispielbild 2.1.2 zeigt.8 Diese Adaptionsfähigkeit erlaubt es uns, schnell und effizient Dinge wahrzunehmen und einzuordnen. Die dafür nötigen Ausprägungen und Prozesse erfordern aber im Gegenzug auch eine Ungenauigkeit in unserer Wahrnehmung, mit 6 M. May: Raumwahrnehmung, S. 173 f. 7 Für den folgenden Überblick greifen wir u. a. zurück auf M. S. Gazzaniga et al.: Psychological Science, S. 213–215, sowie M. Spering/T. Schmidt: Allgemeine Psychologie 1, S. 41–43. 8 Adaptiert nach M. S. Gazzaniga et al.: Psychological Science, S. 218.

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der sie aufgrund der Vorerfahrungen Annahmen über Sinneseindrücke trifft, die so nicht mit der physikalischen Realität übereinstimmen müssen. Diese Ungenauigkeit – die es uns ermöglicht, Abbildung 2.1.2 problemlos zu lesen – ist, wie sich im Folgenden zeigen wird, auch eine Grundlage für Virtualität. Dieses Phänomen beschränkt sich dabei nicht auf die visuelle Wahrnehmung, sondern umfasst prinzipiell alle Sinne.

Abb. 2.1.2: Im Kontext der Worte Hund bzw. Katze wird das identische Zeichen problemlos ­einmal als „H“ und und einmal als „A“ wahrgenommen.

Dreidimensionalität, Entfernung, relative Größe, Tiefe

Die visuelle dreidimensionale Wahrnehmung basiert auf zwei unterschiedlichen Phänomenen – der binokularen Querdisparation und monokularen Tiefenhinweisen. Die binokulare Querdisparation basiert auf dem Abstand der beiden Augen, wobei das Gehirn aus den zwei etwas unterschiedlichen Bildern, die diese liefern, eine dritte Dimension „errechnet“. Dies funktioniert jedoch nur im Nahbereich gut, nimmt doch der Unterschied zwischen beiden Bildern schon in kurzer Entfernung deutlich ab. In der weiteren Entfernung haben wir aber ebenso eine Vorstellung einer dritten Dimension, und auch wenn wir ein zweidimensionales Foto anschauen, verstehen wir die darin abgebildeten drei Dimensionen in der Regel ohne Anstrengungen. Das liegt daran, dass das Gehirn auch aus der Beschaffenheit von Bildern, beispielsweise aus dem Vorhandensein von Schatten, Tiefenhinweise ziehen kann. Man spricht hier von monokularen Tiefenhinweisen – also den Hinweisen, die auch ein einzelnes Auge erkennen kann, die nicht auf die binokulare Querdisparation angewiesen sind und die dennoch zu einer Wahrnehmung von räumlicher Tiefe führen. Wenden wir uns der Mediatektur und ihrer Gestaltung zu, so dominiert hier die Arbeit mit monokularen Tiefenhinweisen, um eine gestaltete Tiefe zu erreichen, also im Subjektraum Räumlichkeit zu erzeugen. Tiefeneindrücke mittels binokularer Querdisparation lassen sich im Übergang von realem zu virtuellem Raum nur unter Einsatz entsprechender stereoskopischer 3D-Bildtechniken erreichen und gestalten, auf die man in der Regel aufgrund der Notwendigkeit technischer Hilfsmittel wie polarisierender Brillen oder Lenticular-Arrays9 und auch wegen der häufig daraus resultierenden geringeren Bildqualität verzichtet. 9 Lenticular-Array: Anordnung zylinderförmiger Linsen (beispielsweise als Folie), die auf

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Monokulare Tiefenhinweise lassen sich grob in drei Klassen einteilen: s­ tatische – solche, die aus einem zweidimensionalen Bild ohne Bewegung im Bild und ohne Bewegung des Auges wahrnehmbar sind, bewegte – solche, die durch eine Bewegung im Bild oder eine Bewegung des Auges wahrnehmbar werden, und artifizielle – solche, die aus anderen optischen Systemen wie der Fotografie stammen und nicht unmittelbar unserem Wahrnehmungssystem entsprechen. Statische monokulare Tiefenhinweise erhält unsere Wahrnehmung unter ­anderem durch: •• Verdeckung: Wenn ein Objekt ein anderes Objekt verdeckt, können wir darüber auch ohne Nachdenken feststellen, dass das verdeckte Objekt weiter ­entfernt sein muss – siehe Abbildung 2.1.3a. •• Schattenwurf: Schatten verstärkt diesen Effekt und gibt zusätzliche Informa­ tionen zu der räumlichen Relation10 – siehe Abbildung 2.1.3b. •• Objektgröße: Auch die Objektgröße selbst bzw. die Größe der retinalen Projektion eines Objektes sagt etwas über die Entfernung aus. Dies funktioniert besonders gut bei Objekten, die wir bereits kennen und deren „reale“ Größe wir einfach einschätzen können. Nicht ohne Grund werden in Bildern, wo es um Größe geht, oft Menschen oder Geldstücke als Referenz abgebildet – Objekte, von deren „realer“ Größe jeder von uns eine einigermaßen verläss­ liche Vorstellung hat – siehe Abbildung 2.1.3c.

Abb. 2.1.3a/b/c: Bildhinweise, die die menschliche Wahrnehmung als räumliche Tiefe ­deutet: links (a): Tiefenschichtung, mittig (b): Tiefenschichtung mit Schattenwurf, rechts (c): mit Größenreferenz.

•• Struktur- und Farbverschiebung: Flächen- und Farbverschiebungen geben Hinweise auf Tiefe: Verdichtet sich die Struktur einer Fläche, deutet dies auf zunehmende Tiefe hin. Farbe und Kontrast von Flächen nehmen dagegen mit zunehmender Tiefe ab – ein Effekt, den wir eher über große Distanzen, beispielsweise bei Landschaftspanoramen mit mehreren Kilometern Sicht ­

einen Bildschirm aufgebracht wird und somit aus verschiedenen Sichtwinkeln unterschiedliche Bilder sichtbar macht. 10 Vgl. Kapitel Licht und Farbe, Abschnitt Lichtsetzung, Ambient Luminiscence, S. 101 f.

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Abb. 2.1.4: Die mit der Entfernung künstlich abnehmende Sättigung der Farbigkeit der Objekte im Zusammenspiel mit dem Abnehmen der Farbsättigung des Himmels auf den Horizont zu unterstützt den Tiefeneffekt, der hauptsächlich durch die Verdichtung der Bodenschraffur entsteht.

wahrnehmen. Partikel in der Atmosphäre bilden hier einen natürlichen Schleier. •• Perspektive: Auch über das in der Linearperspektive wahrgenommene Zusammenlaufen von parallelen Linien in der Entfernung kann ein Bild eine Entfernung suggerieren – siehe dazu auch Abbildung 2.1.5, die beispielhaft zeigt, wie bemüht unsere Wahrnehmung ist, Wahrgenommenes räumlich aufzulösen.

Abb. 2.1.5: Ponzo-Illusion: In welcher der zwei Zeichnungen sind die beiden horizontalen Linien identisch lang? Während wir in der linken Zeichnung die Linien in der Perspektive als ungefähr gleich groß wahrnehmen, ergibt sich in der rechten die optische Illusion, dass die obere Linie länger sei als die untere, obwohl kein Längenunterschied besteht.

Die verschiedenen Abbildungen belegen, wie Hinweise im Bild zur Wahrnehmung von Räumlichkeit führen, wo es per se erst einmal keinen realen Raum gibt. Gestaltung kann mit entsprechenden Mitteln optische Täuschungen schaffen, die die Raumannahmen der menschlichen Sinne nutzen, um eine an sich nicht vorhandene Tiefe oder auch eine Scheinperspektive zu erzeugen.

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Ein historisches Beispiel, das diesen Effekt nutzt, ist die Scala Regia im Vatikan in Rom, gestaltet von Bernini im 17. Jahrhundert (siehe Abb. 2.1.6 bis 2.1.8). ­Dieser hat hier in bester Handhabung des Täuschungseffekts einen Treppenaufgang geschaffen, in dem durch die sich in der Entfernung skalierende Architektur die Perspektive schneller zusammenläuft, als sie das eigentlich tut. Unsere Wahr­ nehmung nimmt an, dass eine Person in dem Bereich der Treppe, an dem die ­Perspektive verengt ist, deutlich weiter entfernt sei. Der entstehende Effekt ist, dass die Person deutlich größer erscheint.11 Täuschung im realen Raum mittels statischer Tiefenhinweise funktioniert nur aus einer sehr eingeschränkten Betrachtungsperspektive, denn sobald wir uns im

Abb. 2.1.6: Illustration der Scala Regia (königliches Treppenhaus) in der Vatikanstadt. Die (von den Autoren) eingezeichneten roten Linien weisen auf die skalierende Architektur hin. Zeichnung: W. L. Leitch und E. Challis, Florenz, 1842.

Abb. 2.1.7a/b: Das linke Bild (a) zeigt eine reale Perspektive, im rechten Bild (b) sind in Annäherung an Berninis Scala Regia die Wände sowie die Decke zwei Grad in die Perspektive geneigt und verstärken den Eindruck der Tiefe, wobei die dort verortete Person größer wahrgenommen wird. 11 S. Zierold: Der mediale Raum der Architektur, S. 53.

Abb. 2.1.8: Scala Regia von Bernini im Vatikan. Rom, 1663-1666.

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Raum bewegen, nehmen wir die Täuschung als solche wahr, weil beispielsweise eine künstliche Perspektive auf einmal nicht mehr mit der Raumperspektive im Einklang ist – vgl. Abbildung 2.1.9. Für Gestalter bedeutet dies, dass die Position und Bewegung des Betrachters kontrolliert werden muss, wenn man mit statischen monokularen Tiefenhinweisen räumliche Suggestionen schaffen will.

Abb. 2.1.9a/b: Während sich im Bild links (a) eine optische Tiefe durch die Perspektive ergibt (vorgetäuschte Perspektive und Raumperspektive sind im Einklang), wird aus der seitlichen Ansicht rechts (b) klar, dass es sich dabei um eine Fläche handelt – die Tiefe verschwindet.

Im Umkehrschluss stellt sich die große Bedeutung von Bewegung für die menschliche Raumwahrnehmung heraus. Entsprechend ergeben sich eine Reihe bewegter monokularer Tiefenhinweise. Dabei kann es sowohl um die Bewegung des Betrachters als auch um diejenige des Objektes gehen: •• Größenveränderung in der Bewegung: Als Betrachter können wir Größenveränderungen von Objekten in unserem Sichtfeld entweder als Wachsen bzw. Schrumpfen aber auch als Annähern bzw. Entfernen interpretieren. Deutlich wird dies beispielsweise im Trickfilm: In dieser Darstellungsform sind Objekte meist auf ein Minimum an Zeichnung reduziert – Rudolf Arnheim, Begründer der Kunstpsychologie und Autor von Film als Kunst, verweist hier auf einen Ball, der als Scheibe bzw. Kreis dargestellt wird.12 Wenn sich diese kleine Scheibe nun ausdehnt, muss die Wahrnehmung zwei Möglichkeiten abwägen: Die Entfernung zur Scheibe ist konstant und eine Größenveränderung findet statt, oder die Größe ist konstant und die Entfernung verändert sich, das heißt, der Ball kommt näher. Aus dem Kontext des Filmraumes und der Handlung ergibt sich dann zum Beispiel, dass es sich um eine Bewegung handeln muss – wir haben beispielsweise gesehen, wie der Ball geworfen wurde. Die Wahrnehmung wandelt dann entsprechend unserer Erwartung das projizierte ­Größenin ein Entfernungsgefälle um. 12 R. Arnheim: Kunst und Sehen: eine Psychologie des schöpferischen Auges, S. 269.

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Abb. 2.1.10: Die Veränderung des schwarzen Kreises von links nach rechts könnte man als dessen Wachstum interpretieren. Die Figur macht aber deutlich, dass wir die Scheibe als einen Ball verstehen sollen, der sich durch einen Schuss auf uns zu bewegt.



Bewegungsparallaxe: Bewegen wir uns in eine Richtung, scheinen Dinge in der Nähe schnell in der Gegenrichtung zu verschwinden, während Dinge in der Entfernung statisch bleiben. Fixieren wir einen Punkt in mittlerer Entfernung, scheinen alle Punkte, die relativ zu dem Referenzpunkt näher sind, sich in unserer Gegenrichtung zu bewegen, während alle weiter entfernten Punkte in unsere Richtung mitwandern – man bezeichnet dies als Bewegungsparallaxe. Eine der Bewegungsparallaxe im Zug analoge Verschiebung ergibt sich, wenn wir den Kopf wenden oder neigen: Objekte in unmittelbarer Nähe verschieben sich stärker als Objekte in der Ferne. Schon mit einer Bewegung des Kopfes bei Stillstand des Körpers lösen wir unsere Umgebung mühelos in eine Tiefenstaffelung auf.

Abb. 2.1.11: Die Tatsache, dass Objekte in der Nähe und in der Ferne auf unterschiedliche Weise wahrgenommen werden, stabilisiert unser Wissen über die eigene Position und Bewegung. Das typische Beispiel für eine sogenannte Bewegungsparallaxe ist der Blick aus dem Fenster eines fahrenden Zuges.

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Über Bewegung kann die menschliche Wahrnehmung also sehr schnell Raumstaffelungen bestimmen. Aus der Wahrnehmungspsychologie wissen wir, dass der sich bewegende Beobachter die aus dem sogenannten optischen Fluss13 resultierende Information über die eigene Bewegung und Zeit hinweg integriert. Damit sind wir in der Lage, auch während unserer eigenen Bewegung im Raum und in der Zeit zu verstehen, wie ein Raum strukturiert ist.14 Wir ziehen also nicht nur Tiefenerkenntnisse aus der Eigenbewegung, sondern diese stützt auch unser Bestreben, Raum und Form in Einheiten zu fassen. Im Gegenzug ist festzuhalten, dass optische Täuschungen und damit die Konstruktion von Tiefe in der Gestaltung eher eine stabile, immobile und gerichtete Betrachterperspektive brauchen. Exkurs: Gestaltgesetze, Formeinheiten und -ellipsen

Wie lässt sich das Bestreben unserer Wahrnehmung, Form- und damit Raum­einheiten zu bilden, am besten fassen? Unsere visuelle Wahr­nehmung stellt Sinneseindrücke immer in Beziehung. Nahe beieinanderliegende Formen, ähnliche Formen oder ähnliche Bewegungen werden in der Wahrnehmung als Einheiten aufgefasst, die wir systematisieren und daraus Ordnungen bilden. Anfang des 20. Jahrhunderts formulierte Max Wertheimer im Rahmen seiner Gestalttheorie die sogenannten Gestalt­gesetze, um zu beschreiben, wie unsere Wahrnehmung aus dem ­Gesehenen Formen oder Gruppen bildet. Für Wertheimer ist eine Gestalt eine organisierte Einheit, die definierten Gestaltfaktoren folgt. Die in Abbildung 2.1.12 aufgeführten Gestaltgesetze illustrieren, welche Faktoren diese unter anderem bilden. Die in den aufgeführten Gestaltprinzipien erkennbaren Gesetzmäßigkeiten sind jedem aus der Alltagserfahrung vertraut. Unsere visuelle Wahrnehmung fasst Elemente aufgrund ihrer räumlichen Verteilung und ihrer Form- und Farbattribute (Nähe und Ähnlichkeit) oder aber auch aufgrund einer ähnlichen Bewegung (Gesetzmäßigkeit des gleichen Schicksals) als ­Einheiten auf. Zudem versuchen wir, immer möglichst einfache, geschlossene Formen zu abstrahieren und als Einheiten zu sehen (Geschlossenheit und Gute Fortsetzung). Wir setzen dabei Konturen fort und extrahieren Primärformen. Hier kommt auch eine Auslassung von Form ins Spiel, die sich ähnlich einer Ellipse in der Sprache verhält. Genauso, wie wir auch einen unvollständigen Satz häufig genau im intendierten Sinn verstehen, rekonstruieren wir aus vier gezeichneten Ecken ein Rechteck. Unsere Wahrnehmung bildet aktiv Einheiten auch über Auslassungen hinweg. Schließlich versucht unsere Wahrnehmung, komplexe Objekte in einfache Formen zu zerlegen (Prägnante Form). 13 Der Begriff „optischer Fluss“ (optical flow) bezeichnet die durch Eigenbewegung des ­Beobachters erzeugten Bewegungsmuster auf der Netzhaut. 14 M. May: Raumwahrnehmung, S. 178 f.

Abb. 2.1.12: Beispielgrafiken zu den Gestaltgesetzen von M. Wertheimer.

Abb. 2.1.13: Mies van der Rohes Barcelona Pavillon arbeitet mit Formellipsen, die sich der Besucher mittels Bewegung erschließt. Barcelona, Rekonstruktion des 1929 zur Weltausstellung errichteten Originals.

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All diese „Bemühungen“ der visuellen Wahrnehmung spielen auch im Kontext der Raumwahrnehmung eine wichtige Rolle. Dreidimensionale Einheiten und Strukturen bilden sich durch Ähnlichkeit, Geschlossenheit, prägnante Form, gute Fortsetzung und damit auch über Auslassungen hinweg. Gestützt wird dies durch die Bewegung des Betrachters – wie bereits d ­ iskutiert, werden Raumstaffelungen durch diese erkennbar. Besonders anschaulich wird dieser der Wahrnehmung inhärente Wille zur Konstruktion von Raum in architektonischen Strukturen, die aktiv mit Formellipsen – also Auslassungen – arbeiten. Dies ist der Fall im Beispiel des Barcelona Pavillons von Mies van der Rohe (siehe Abb. 2.1.13) welcher anlässlich der Weltausstellung 1929 entstand und heute noch als Rekonstruktion existiert. „The indoor and outdoor spaces are interwoven into a complex constellation in which the walls structure but no longer enclose space“, schreibt ­Carsten Krohn in seiner umfassenden Arbeit über Mies van der Rohes Bauten15 und deutet damit die elliptische Konstruktion der Räume im Subjektraum an. Die Offenheit des „fließenden“ Raumes wird durch freigestellte Stützen und die Öffnung und Verschränkung der Raum­begrenzungen hergestellt. Mit der offenen Form, die beim Durch­ schreiten der Räume eine gleichzeitige Wahrnehmung von Innen und Außen erlaubt, wird dem Besucher eine große Vielfalt von Sinneswahrnehmungen und räumlichen Erlebnissen ermöglicht.16 Er selbst erst schafft mit dem Durchund Umschreiten Gestalt, organisiert Einheiten und S­ trukturen in der Wahrnehmung und konstruiert damit Raum. Neben den statischen und bewegten monokularen Tiefenhinweisen gibt es einen artifiziellen monokularen Tiefenhinweis, der sich in dieser Form nur in Fotografie und Film, also in zweidimensionalen Abbildungen findet: •• Schärfentiefe: Das menschliche Auge sieht normalerweise nicht unscharf, da der Schärfepunkt immer dort liegt, wo sich auch die Aufmerksamkeit befindet. In einem Foto sind aber unter Umständen Objekte verschiedener Entfernungen „eingefroren“ und somit werden je nach verwendeter Linse und Blende Unschärfen an Objekten sichtbar, die sich bei der Aufnahme nicht im Fokus befanden. Die Stärke der Unschärfe ist ein Hinweis auf die Tiefenentfernung des jeweiligen Objektes vom Fokuspunkt. Als Indiz dafür, wie zentral Schärfentiefe für eine als real empfundene Tiefenwahrnehmung ist, sei die Tatsache erwähnt, dass in am Computer generierten 3D-Bildern (die an sich keine Schärfentiefe aufweisen) häufig Unschärfen entsprechend einem Tiefengradienten künstlich hineingerechnet werden. Geringe Schärfentiefe hat neben der immanenten Tiefeninformation noch den zusätzlichen Effekt, dass 15 C. Krohn: Mies van der Rohe: The built works, S. 76. 16 S. Zierold: Der mediale Raum der Architektur, S. 123.

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der Bildfokus ganz gezielt auf die Objekte gesetzt und diese damit hervor­ gehoben werden – siehe Abbildung 2.1.14a.

Abb. 2.1.14a/b: Schärfentiefe im Foto oder in der Computeranimation lässt Räumlichkeit wahrnehmen. Links (a): Optische Schärfentiefe im Foto. Das Messer in der halben Bildtiefe ist scharf gezeichnet und damit im Bild betont, während von dort in die Tiefe wie auch zum Betrachter hin die Schärfe schnell abnimmt. Rechts (b): Künstliche Schärfentiefe im ­computergenerierten 3D-Raum.

Schärfentiefe bietet die gestalterische Möglichkeit von Fokussierung und Tiefen­information, stellt aber auch eine Herausforderung dar: Müssen reale Kamerabilder und 3D-generierte Elemente verbunden werden, erfordert es in der Regel einigen Aufwand, die identische Schärfentiefe zu generieren und die Bilder zu verschmelzen, da sich Bildelemente gerade in den unscharfen ­Bereichen stark mischen. Ebenso wie die visuelle Wahrnehmung nutzen wir unser Gehör, um Erkenntnisse über Größe und Form von Räumen, über Abstände von Elementen darin zueinander sowie zur Raumbegrenzung zu gewinnen. Ohne uns dessen bewusst zu sein, analysieren wir hörend äußerst präzise die Umgebung, in der wir uns befinden, die Entfernung zu einer Schallquelle oder die Geschwindigkeit, mit der sie sich auf uns zu oder von uns wegbewegt. Wir hören mit zwei Ohren, die je nach Richtung des eintreffenden Schalls auch Unterschiedliches wahrnehmen. Von einer Seite kommender Schall trifft am abgewandten Ohr später, leiser und dumpfer ein. Da wir diese Unterschiede im binauralen Hören sehr genau auswerten, können wir Richtung, Entfernung, Klang und Lautstärke einer Schallquelle meistens präzise bestimmen, auch ohne sie zu sehen.

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Unser Gehör gibt uns auch Auskunft über die Beschaffenheit eines Raumes: Größe, Höhe und Geometrie eines Raumes haben Einfluss darauf, wie etwas in dem Raum klingt – ebenso aber auch die Beschaffenheit und Absorptionsfähigkeit des Bodens, der Wände und der Decke.17

Abb. 2.1.15: Bestimmung von Richtung, Entfernung, Klang und Lautstärke einer Schallquelle durch binaurales Hören.

Unsere Sinne – im Besonderen visuelle und auditive – sind hochkompetent darin, Raum wahrzunehmen. Gestalterisch kann man virtuellen Raum schaffen, indem man artifizielle Raum- und Tiefenhinweise schafft, die sich entsprechend von der Wahrnehmung interpretieren lassen. Eine perfekte Illusion bietet v­ irtuelle Räumlichkeit aber in den seltensten Fällen, vielleicht sogar nie – zu gut ist das menschliche Wahrnehmungssystem auf die Überprüfung der räumlichen Umgebung vorbereitet. Es eröffnet sich aber eine Palette an gestalterischen Optionen, spielerisch-künstlerisch mit Raum, virtuellem Raum – und der Wahrnehmung von Besuchern umzugehen. Zusammenfassung •• Der Mensch konstruiert Raum aus seinen Wahrnehmungen sowie seinen Annahmen aufgrund von Vorerfahrungen und Erwartungen. •• Entsprechend ergibt sich ein duales Raumverständnis: der konstruierte ­Subjektraum und der gestaltete Inszenierungsraum. •• Aus der Differenz dieser zwei Räume eröffnet sich das Spielfeld der räum­ lichen Virtualität. •• Im Rahmen von Mediatektur stützt und/oder manipuliert Gestaltung räum­ liche Wahrnehmungsprozesse. •• Kontextorientierung macht die menschliche Wahrnehmung effizient, aber auch anfällig für Täuschungen. 17 Die Klangabsorption wird jedoch nicht nur von der Beschaffenheit der Wände und der Einrichtung des Raumes bestimmt, sondern auch von Mobiliar und Vorhängen oder von der Zahl der anwesenden Personen und ist somit keine feste Größe.

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•• Die visuelle dreidimensionale Wahrnehmung basiert auf monokularen und binokularen Tiefenhinweisen – letztere funktionieren nur im relativen Nahbereich. •• Monokulare Tiefenhinweise lassen sich in statische (zum Beispiel Verdeckung, Pers­pektive), bewegte (zum Beispiel Bewegungsparallaxe) und artifizielle (zum Beispiel Schärfentiefe) einteilen. •• Parallel zur visuellen Wahrnehmung trägt auch die auditive Wahrnehmung grundlegend zum Verständnis und der Konstruktion von Raum bei.

Raum- und Formgestaltung in der Mediatektur Für die Gestaltung von Raum und Form in der Mediatektur sind die im vorigen Abschnitt zu Raumwahrnehmung und -erleben besprochenen Aspekte Struktur, Funktion und Konstruktion relevant und werden in eine möglichst gute Passung zueinander gebracht. Entsprechend stark konzeptionell-planerisch ist diese Gestaltung geprägt. Darüber hinaus steht Raum immer im Zusammenspiel mit den weiteren Instrumenten und Gestaltungsmitteln der Mediatektur – und die Gestaltung von Raum und Form erfolgt in ihrem Kontext. Das Schaffen und Verändern von Raum durch die zunächst einzeln betrachteten Instrumente Licht, Medien und Klang ist daher Thema der auf Raum folgenden Kapitel. Die gestalterische Zusammenführung von Raum, Instrumenten und Gestaltungsmitteln in ein Erlebnis behandelt abschließend das Kapitel Inszenierung. Neben den im vorhergehenden Kapitel beschriebenen Aspekten Wahrnehmung und Erleben von Raum lassen sich aus den eingeführten Aspekten Struktur, Funktion und Konstruktion weitere Gestaltungsparameter für den Raum ableiten, die sowohl den Inszenierungsraum selbst als auch die Form der Inszenierung betreffen. Alle im Kapitel aufgeführten und der Mediatektur inhärenten Instrumente und Gestaltungsmittel finden im Raum statt und haben somit diese Gestaltungs­parameter als Rahmenbedingungen:

Gestaltungsparameter Struktur und Ablauf Synchrone und asynchrone Mediatektur stellen unterschiedliche Anforderungen an Struktur und Ablauf einer Mediatektur: •• Asynchrone Mediatektur Je freier ein Ablauf ist – wie beispielsweise in der asynchronen Mediatektur, in der sich der Besucher selbst in einer Mediatektur und ihrem Kontext bewegt –, umso genauer und augenfälliger muss die Mediatektur strukturiert sein. Dem

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Besucher sollten deutliche Einstiegspunkte und gegliederte Abläufe geboten werden, die seiner Intuition entsprechend (wo erwartet er welches Element im Raum?) oder durch entsprechende Hinweise explizit markiert sind. Der Besucher bewegt sich frei und steuert sein Erlebnis selbst. •• Synchrone Mediatektur Dem gegenüber steht die synchrone Mediatektur – beispielsweise mit einer Bühnensituation. Hier tritt in der Regel die intuitive räumliche Struktur hinter den strukturierten zeitlichen Ablauf zurück und es ergeben sich andere Herausforderungen an die Raumgestaltung: Der Besucher – gegebenenfalls auf einem Stuhl sitzend – sucht sich nicht selbst den besten Betrachtungswinkel, sondern es liegt in der Hand des Gestalters, den Raum so zu gestalten, dass der Besucher dem Ablauf optimal folgen kann. Und das nicht nur von einem Platz aus, sondern aus jedem durch einen Besucherplatz definierten Sichtwinkel. Zusammenfassung •• Die Gestaltung von Raum und Form strebt an, die drei Aspekte Struktur, Funktion und Konstruktion in Passung zu bringen. •• Asynchrone und synchrone Mediatektur stellen unterschiedliche Anforderungen an den Gestaltungsparameter Struktur und Ablauf: Intuitive Struktur und explizite Hinweise (asynchrone Mediatektur) gegen kontrollierte Sichtachsen und nachvollziehbare Abläufe (synchrone Mediatektur).

Gestaltungsparameter Funktion Bei jedem Raum stellt sich die Frage, ob er für den gestalterischen Ansatz der Mediatektur, die man plant, geeignet ist – egal, ob man diesen Raum neu entwirft oder auf einen vorhandenen Raum zurückgreift. Dies betrifft sowohl die initiale Beurteilung eines Raumes als auch den Umgang mit dem Raum im Prozess der Gestaltung von Mediatektur. •• Konstruktive Verwendbarkeit: Erlaubt der Raum die Einbringung der für die Mediatektur benötigten Konstruktionen? Trägt der Boden das zu erwartende Gewicht? Gibt es Hängepunkte? Darf wo nötig eine konstruktive Verbindung zwischen bestehendem Raum und zu erarbeitender Mediatektur geschaffen werden (beispielsweise Bohrungen in Böden, Wände oder Decken)? •• Zuwegung: Erlaubt es die Zuwegung, alle benötigten Materialien in den Raum zu bringen? Müssen Treppen oder enge Türen überwunden werden? •• Schutz: Bietet der Raum ausreichend Schutz vor äußeren Einflüssen wie

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­ itterung, Licht und Lärm? Lässt sich der Raum genügend belüften oder bei W Bedarf klimatisieren? Technik: Gibt es einen Ort, wo benötigte Technik untergebracht werden kann, ohne dass sie im Kontext der Mediatektur stört? Brandschutz: Unterliegt der Raum besonderen Brandschutzanforderungen? Welche Materialien dürfen zur Konstruktion bzw. Gestaltung in diesem Raum verwendet werden? Wie viele Besucher dürfen sich gleichzeitig in dem Raum aufhalten? Verfügt der Raum über genügend Fluchtwege? Sind die Fluchtwege ausreichend gekennzeichnet? Welche Teile des Raumes müssen eventuell für Fluchtwege freigehalten werden? Akustik: Lässt sich in dem Raum eine für die Mediatektur verwendbare ­Akustik herstellen? Bodenmaterial: Hält das Bodenmaterial der Beanspruchung durch die Besucher stand? Kann es zerkratzen bzw. muss es abgedeckt werden? Gibt es Stufen oder Schwellen, die zur Stolperfalle werden können – zumal wenn die Aufmerksamkeit der Besucher der Mediatektur zugewandt ist? Besucherfluss: Lassen sich die Wege im Raum so gestalten, dass sich die Besucher nicht gegenseitig im Weg stehen? Lassen sich Zugänge und Bewegungs­ wege für alle Besucher schaffen, beispielsweise auch für Rollstuhlfahrer? Erwartungen: Lassen sich alle Erwartungen, die ein Besucher an das spezifische Erlebnis haben könnte, in dem Raumkontext erfüllen? Die Vielfältigkeit von Mediatektur ist riesig, somit lässt sich dieser Punkt häufig nur klären, indem man sich – unter Annahme möglichst geringen Vorwissens über die geplante Mediatektur – in den Besucher hineinversetzt. Zusammenfassung •• Der Gestaltungsparameter Funktion bestimmt die Eignung eines bestehenden Raumes bzw. Raumgestaltungsansatzes im Kontext von Anforderungen und Erwartungen.

Gestaltungsparameter Formsprache Wie es schon in der Dialektik von Raum und Begrenzung im Abschnitt zum strukturell-organisatorischen Aspekt von Raum anklingt, sind auch im gestalterisch-konstruktiven Bereich Elemente erforderlich, die Raum erst ­etablieren – sei es eine Wand, ein Objekt oder eine wahrnehmbare Struktur. Als generischen Begriff für dieses Etwas wählen wir „Form“: Form konstituiert Raum. Gestaltung schafft Raum über Form – beispielsweise mit zwei Linien auf einem Papier, die eine Perspektive bilden, oder mit einem Objekt wie einer Wand, das eine räumliche Struktur etabliert.

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Form – wie alles von Menschenhand Gestaltete – hat dabei eine Dimension jenseits der reinen dreidimensionalen Ausprägung und einer möglichen Funktion: Bedeutung. „Formsprache“ fasst als Begriff diese Bedeutung. Formsprache ist in ihrer Ausdrucksform lyrisch-referenziell, also eher mit einem Gedicht zu vergleichen, dessen Bedeutung vielschichtig und keineswegs festgelegt ist, das aber doch auf Dinge anspielt und verweist. Form kann vieles zum Ausdruck bringen, was sich kaum in Prosa fassen lässt – in dem Sinne ist sie präsentativ.18 Der Gestalter hat also nicht die Deutungshoheit über die dargestellte Form, da sie von jedem Betrachter individuell und subjektiv interpretiert wird. Dabei können Interpretation und Erleben – auch wenn diese im Einzelfall eng verwoben sind – differenziert werden. Wir gehen intuitiv-assoziativ an eine Form heran, wenn wir beispielsweise feststellen: „Licht, Geometrie und Material haben in der Kombination Ähnlichkeit mit bereits Bekanntem und bekommen so eine emotionale Dimension.“ Ein intellektuell-interpretativer Zugang zu einer Form könnte beispielsweise formulieren: „Die Kreisform steht für Geschlossenheit.“ Der Kontext, unser Vorwissen und unsere Erwartungen spielen dabei eine entscheidende Rolle. In der Interpretation messen wir der Form eine Bedeutung bei – wir interpretieren beispielsweise eine Form als gothischen Spitzbogen und bauen so eine Referenz zur Sakralarchitektur auf. Das Erleben macht – im Gegensatz zu unserer Interpretation, in der wir etwas mit dem Objekt machen – etwas mit uns, ist also in der Wirkung bildlich in die entgegengesetzte Richtung gewandt. Wir sind beispielsweise beeindruckt, begeistert oder verstört von etwas, wenn wir uns im Kontext von spezifisch gestaltetem Raum und Form wiederfinden. Mit diesen gestalterischen Ausdrucksmöglichkeiten – eine Interpretation anzuregen und einen emotionalen Eindruck zu vermitteln – wird Formsprache zu  einem entscheidenden Faktor der Gestaltung. Der Schlüssel zu ihrem Einsatz liegt in der Geschlossenheit von Funktion, Bedeutung und Erlebnis bzw. in der bewussten Verwendung dieser Ebenen. Die in der Einführung vorgestellten ­Kriterien der Unmittelbarkeit – präsentative Darstellung als Grundlage des Erlebnisses – und Eleganz – Klarheit und Zielgerichtetheit einer Darstellung – sind hier der Leitfaden, um sich der Anforderung der Geschlossenheit zu nähern. Ein in seiner gestalterischen Tiefe und Konsequenz beeindruckendes B ­ eispiel aus der Architektur für die Geschlossenheit von Funktion, Bedeutung und Erlebnis, das Gestaltungsmittel einsetzt, die auch in der Mediatektur eine Rolle spielen, ist die Fassade des Institut du monde arabe (siehe Abb. 2.1.16a/b) in Paris von Jean Nouvel. Licht erhält hier durch die Gestaltung der Fassadenelemente eine zentrale mediale Rolle, die Außen und Innen verbindet. An den Fenstern der Südfassade des Gebäudes wird der Einfall des Sonnenlichtes durch tausende mechanische I­risblenden reguliert, die in die Glasfassade eingebracht sind und 18 Vgl. Kapitel Einführung zu den Kriterien Susanne K. Langers Unterscheidung zwischen diskursiv und präsentativ, Abschnitt Unmittelbarkeit, S. 38.

Abb. 2.1.16a: Blendenelement in der Fassade des Institut du monde arabe von Jean Nouvel. Paris, 1980.

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Abb. 2.1.16b: Jean Nouvels Architektur des Institut du monde arabe, Südfassade. Paris, 1980.

die sich ­ computergesteuert entsprechend der Sonneneinstrahlung stufenlos ­öffnen und schließen. In ihrer Form und Anordnung schaffen diese Irisblenden ein Ornament, werfen Lichtmuster ins Innere der Räume und belichten oder verdunkeln diese entsprechend der Öffnung der Blenden. Das Ornament zitiert das traditionelle Motiv der Maschrabiyya (siehe Abb. 2.1.17) aus der orientalischen Architektur: meist aus Holz geschnitzte Gitter, die dem Sonnenschutz bzw. der Belichtung, der Belüftung und dem Sichtschutz dienen. Mittels dieser technisch-automatisierten Blendensysteme, die in einem traditionellen arabischen Muster angeordnet sind, trägt Jean Nouvel die Baukunst des Orients in die Moderne. Die Eleganz der Lösung liegt darin, sich als Gestalter

Abb. 2.1.17: Fassade mit traditionellem Motiv der Maschrabiyya. Jodhpur, Rajasthan.

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der formsprachlichen Tradition zu bedienen und gleichzeitig einen Schritt in das Hier und Jetzt des Paris der 1980er Jahre zu vollziehen. So spiegelt sich die Funktion des Gebäudes, das der Dokumentation der arabischen Kultur in Historie und Moderne und dem Dialog mit ihr dient, in der Formsprache des architektonischen Sonnenschutzelementes wider. Funktion, Bedeutung und Erlebnis finden auch im Messestand von Siemens auf der Hannover Messe 2002 ein elegantes und unmittelbares Zusammenspiel – dem zweiten Beispiel zum Gestaltungsparameter Formsprache (siehe Abb. 2.1.18a/b). Für diese Messearchitektur wurden mit Licht und Medien bespielte skulpturale Formen im Raum über dem eigentlichen Messestand geschaffen. Positionierung und Formsprache der Objekte lassen Wolken assoziieren, die man in dieser Installation über einen Steg betreten kann. Thematisch vermitteln die Objekte mit den darin stattfindenden Projektionen Ausblicke und Visionen zum Themenfeld Automatisierung. Wolken sind aber auch ein Ausdruck von Freiheit und bilden analog in ihrer Formsprache auch noch ein weiteres technisches Thema ab: die Freiheitsgrade in technischen Formfertigungsprozessen. Im Siemens Exidertrain (siehe Abb. 2.1.19), einem mit Containern bestückten Showzug, der international eingesetzt wurde, ist die Formsprache bereits deutlich durch die Verwendung des Containers, also eines vorgegebenen kubischen Innenraumes, eingeschränkt. Die Gestaltung des Innenraumes dieses Containers, der die Auftaktshow beherbergt, nimmt das Thema Zug auf, indem über virtuelle Fenster eine Fahrtmetapher für die Erzählung geschaffen wird und sich die Besucher auf einer fahrenden Plattform in die Inszenierung bewegen. Zudem verwendet die Gestaltung dieser Mediatektur spiegelnde und holografische Materialien, die den Raum in alle Richtungen auflösen und so die Dimensionen des Indus­ triethemas „Digitale Fertigung“ inszenieren. Die etablierte Formsprache unterstützt somit nicht nur den technischen Charakter der Erzählung, sondern illustriert mittels der Auflösung und Überwindung des Raumes auch die Uneingeschränktheit der technischen Leistungsfähigkeit des Absenders. Die Interpretation bzw. Assoziation von Form hat in der Gestaltung zwei ­Seiten: Es geht nicht nur darum, was das Subjekt interpretieren bzw. erleben soll, also um eine Bedeutung, die man als Gestalter gerne beim Betrachter auslösen möchte. Es geht genauso um Interpretationen bzw. Assoziationen, die man ­vermeiden möchte. Denn Watzlawicks Einsicht: „Man kann nicht nicht kommunizieren“19 gilt auch für die Kommunikation durch Form: Auch Elemente, denen von den Gestaltern keine eigene Bedeutung zugewiesen wurde, können von den Besuchern interpretiert werden – im ungünstigsten Fall gegen die eigentliche Intention. Das „Vermeiden“ von ungewollter Interpretation wird verständlicherweise umso wichtiger, je mehr Raum und Form zur Identifikation beispielsweise einer 19 P. Watzlawick et al.: Menschliche Kommunikation, S. 53.

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Abb. 2.1.18a/b: Begehbare Freiform-Wolken über dem Siemens Messestand auf der Hannover Messe 2002. Hannover 2002 (Luxoom Medienprojekte (Medien und Licht); Zeeh Bahls & Partner (Architektur)).

Abb. 2.1.19: Siemens Exidertrain – Innenraum mit Auftaktshow: Wie Zug­fenster angeordnete Medien und LEDs hinter verspiegeltem Glas, zentral eine fahrbare Plattform sowie im Hintergrund hintereinander geschichtete, holografische Bildebenen. Weltweit, 2003 (Luxoom Medienprojekte).

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Institution oder Marke dienen sollen. Beispiele lassen sich einfach finden: Sei es eine Form, die deutlich von links nach rechts abfällt und somit mit der Kurve eines sinkenden Geschäftsergebnisses assoziiert werden könnte, oder F­ ormen, die phallisch wirken oder zu stark an die Identität eines Mitbewerbers erinnern. Aber auch andere ­ Kulturkreise können hier Herausforderungen schaffen: Kollegen berichten von dem Entwurf eines hellen, weißen Messestandes mit an den Ecken hängenden Fahnen im Rahmen einer großen Industriemesse in den 1980er Jahren. Während Europäer und Amerikaner den Stand gut annahmen, wurde er von einigen a­ siatischen Besuchern konsequent gemieden. Auf Nachfrage erfuhren die Kollegen, dass die Kombination der Formsprache mit Weiß von den asiatischen Besuchern mit einer Beerdigungszeremonie assoziiert wurde. Zusammenfassung •• Der Gestaltungsparameter Formsprache setzt sich mit der Bedeutung von Raum und Form auseinander und reflektiert Interpretation durch und ­Eindruck auf das Subjekt.

Technische Parameter und Vorgehen in der Raumund Formgestaltung Entwurfsvorgehen und -werkzeuge Real gebaute und damit manifeste Form ist in der Mediatektur immer Teil des Ganzen – als Raum, in dem ein Erlebnis stattfindet, und als Installation, die erlebt wird. Auch wenn die Form nicht so eigenständig ist wie in der A ­ rchitektur und sich in der Regel der Gesamtinszenierung und damit dem Mediatektur­ erlebnis unterordnet, verwendet man im Entwurf dieselben Werkzeuge wie in der Architektur: Skizze, 3D-Visualisierung und CAD. Der Stellenwert der Werkzeuge unterscheidet sich dabei von ihrer Bedeutung im Architekturentwurf – Ausdruck und Integration der Instrumente und Gestaltungsmittel stehen in der Mediatektur im Vordergrund und entsprechend ausgeprägt ist die Bedeutung der 3D-Visualisierung als integrierende Entwurfsplattform, während die eigentliche technische Planung – also die Arbeit im CAD – oft mehr ein konstruktives Detaillieren der bereits festgelegten Form im Nachgang ist. Das Vorgehen in der Gestaltung lässt sich grob in die folgenden Punkte herunterbrechen: •• Entwurf: Die Entwicklung eines Raum- und Formentwurfs kann prinzipiell unterschiedlich erfolgen: über Skizzen, mittels perspektivischer Zeichnungen, als Maßstabsmodell oder direkt als digitaler 3D-Entwurf in einem der entsprechenden Softwaretools. Die Entwicklung der 3D-Softwaretools macht diese zu

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effektiven Arbeitsmitteln, die einen in die Lage versetzen, direkt im Entwurf auch komplexe Materialien zu simulieren und andere Instrumente wie Licht und Medien direkt einzubinden. Dies führt in der Regel dazu, dass man sich früh von der Skizze in das 3D bewegt und physische Modelle nur noch dort baut, wo die räumliche Situation so komplex ist, dass sie anders nicht handhabbar wird. •• Sicht- und Interaktionspunkte: Es ist hilfreich, die Perspektive des erlebenden Subjekts einnehmen zu können: –– Bei einer Skizze aus der Perspektive des Subjekts zu zeichnen. –– Bei einem Modell mittels einer Kamera aus der Position des Subjekts zu foto­grafieren. –– Im digitalen Entwurf auch die virtuelle Kamera auf Augenhöhe zu ­positionieren und eine Brennweite zu wählen, die möglichst der des menschlichen Auges entspricht. Dies läuft dem Bestreben zuwider, räumliche Entwürfe eher weitwinklig ­darzustellen. Bewegt man aber beispielsweise die virtuelle Kamera im 3D, wie man es auch mit Kopf und Augen tun würde, bekommt man einen recht deutlichen Eindruck, wie ein Entwurf wahrgenommen werden wird. •• Extreme Betrachtungspositionen: Hat man einen Entwurf mit einem weiten Bereich, in dem sich Besucher bewegen oder sitzen können, sollte man in jedem Fall auch alle Extrempositionen (Seiten, hinten, vorne) aus Besuchersicht untersucht haben. Funktioniert das Erlebnis aus der Extremperspektive? Werden Objekte zu groß oder zu klein? Entstehen Verdeckungen? Hier hilft wiederum die Positionierung entsprechender Kameras im 3D. •• Technische und konstruktive Planung: Auf den Entwurf folgt die technische und konstruktive Planung, die im CAD entsteht. Materialstärken, Verbindungen und Anschlüsse werden definiert, Hilfs- und Haltekonstruktionen geplant, Oberflächen spezifiziert und somit der Entwurf im Detail baubar gemacht. •• Prüfung: Sind die harten Kriterien Machbarkeit und Ergonomie erfüllt? Passt der Entwurf zu den menschlichen Proportionen? Ist der Entwurf baulich machbar oder verstößt er gegen Vorgaben von Statik oder Sicherheit? Ist der Entwurf barrierefrei? Diese Schritte werden im entsprechenden Abschnitt des Kapitels Designprozess genauer erläutert. •• Korrektur der Visualisierung: Für den Fall, dass sich in der technischen ­Planung Grundlegendes geändert hat, sollte man die Visualisierungen noch einmal überarbeiten, damit es am Ende nicht zu Unstimmigkeiten gegen-

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über den durch die mit den initialen Visualisierungen gesetzten Erwartungen kommt. Zusammenfassung •• Der Entwurf von Raum und Form ordnet sich der Gesamtinszenierung unter. •• Der Prozess ist meist visuell geprägt und führt in der Regel erst am Ende in eine detaillierte technische und konstruktive Planung. •• Der besucherorientierte Entwurf legt besonderes Augenmerk auf Betrachtungs- und Interaktionspositionen.

Material Neben der entworfenen Form spielt die Materialität eine besondere Rolle in der Mediatektur. Der folgende Überblick zeigt zusammenfassend einige Materialien bzw. Oberflächen, die über die reine Formsprache hinaus eine integrierende Funktion in der Mediatektur haben, die sich insbesondere aus ihren Eigenschaften im Kontakt mit Licht bzw. Projektionen ergeben: •• Spiegelnde Materialien: Oberflächen und Lacke mit hohem Glanzgrad oder Spiegel schaffen Tiefe und erlauben es, Licht und Medien zu vervielfachen (siehe Abb. 2.1.20). Entsprechend ihren Eigenschaften lassen spiegelnde und reflektierende Materialien sich schlecht direkt beleuchten und taugen nicht als Projektionsflächen.

Abb. 2.1.20: 125-Jahre-Siemens-Österreich Galabühne. Um den zentralen Medienkubus herum arrangierte Spiegelflächen vervielfältigen diesen und verleihen dem Umfeld Tiefe. Wien, 2004 (Luxoom Medienprojekte).

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•• Spiegelnd-halbtransparente Materialien: Sogenannte Halbspiegel erlauben es, je nach Lichtverteilung zwischen Spiegelung und Transparenz zu ­wechseln (siehe Abb. 2.1.21). So entsteht beispielsweise die sogenannte Pepper’s Ghost-Illusion.20

Abb. 2.1.21: Der Leuchtkörper ist mit spiegelnd-halbtransparenter Folie überzogen, links der roten Linie hinterleuchtet und rechts der roten Linie nicht hinterleuchtet. Je nach Lichtstärke entsteht ein Übergang zwischen Leucht- und Spiegeleffekt.

•• Halbtransparente Materialien: Stoffe wie etwa Mesh oder Gaze erlauben unterschiedliche Nutzungen und schaffen entsprechend kontrastierende Effekte: Werden sie beleuchtet oder wird auf sie projiziert, wirken sie opak und stellen das Licht bzw. Bild dar, beleuchtet man den Bereich hinter ihnen

Abb. 2.1.22: In der interaktiven Tanzperformance HAKANAÏ von Adrien M & Claire B findet Mesh als Projektionsfläche Verwendung: Die grafischen Linien der Projektion fangen sich im Material, während die nicht erleuchteten Flächen transparent erscheinen. Lyon, 2013. 20 Siehe auch Kapitel Bildmedien, Exkurs zu Pepper’s Ghost, S. 209.

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und legt kein Licht auf das Material selbst, erscheinen sie transparent (siehe Abb 2.1.22). •• Holografische Materialien: Ähnlich den halbtransparenten Materialien können holografische Materialien sowohl opak als auch transparent wirken. Sie können aber beispielsweise nur Licht oder Projektion darstellen, die aus einem bestimmten Winkel einstrahlen. Diese Materialien erscheinen dadurch oft brillanter und sind somit auch bei Umgebungslicht noch verwendbar.

Abb. 2.1.23: Holopro-Scheiben mit holografischer Folie als lichtstarke Rückprojektionen. Stand der Siemens AG auf der Hannover Messe 2005 (Luxoom Medienprojekte).

•• Rückprojektions- und Diffusionsmaterialien: Speziell für Rückprojektionen bzw. Hinterleuchtung wurden Glas-, Plastik- und Folienmaterialien ­entwickelt, die die Bildung von Hot-Spots (Sichtbarkeit der Lichtquelle durch das Material hindurch) vermeiden oder zumindest vermindern. •• Matte Materialien: Materialien mit einer rauen Oberfläche fangen je nach Farbe gut Licht und können daher als Projektionsflächen eingesetzt werden oder um Strukturen deutlich hervortreten zu lassen. •• Elektrochrome und elektroluminiszente Materialien: Diese Materialien ändern durch das Anlegen einer Spannung ihre Parameter Farbe, Leuchtkraft, Transparenz oder Transluzenz. Zusammenfassung •• Visuelle und technische Eigenschaften von Materialien und Oberflächen spielen eine besondere Rolle in der Mediatektur. •• Viele dieser Materialien eröffnen durch diese Eigenschaften ein Zusammenspiel mit anderen Instrumenten und Gestaltungsmitteln der Mediatektur.

Abb. 2.1.24: Rückprojektion auf eine gebogene FlexGlass-Wand (Screeninnovations).

Abb. 2.1.25a/b/c: Elektroluminiszentes OLED-Material, das zwischen transparentem und leuchtendem Charakter wechseln kann (OSRAM).

Abb. 2.1.26a/b: Elektrochromes Glas: Links (a): opak mit Rückprojektion und rechts (b): transparent (Saint Gobain Glass).

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Mechanik Auf Mechanik beruhende Veränderungen des Raumes werden in der Mediatektur vielfach eingesetzt. Eine Mechanik kann dazu dienen, in einer Mediatektur Raum bzw. Raumparameter zu verändern – beispielsweise mittels Bewegung von Medienflächen oder Spiegeln. Mechaniken bzw. bewegte, automatisierte Komponenten erfordern einige Erfahrung in Planung und Umsetzung, um sicherstellen zu können, dass diese über längere Betriebszeiträume zuverlässig funktionieren. Jede Mechanik, die sich im Zugriffsbereich der Besucher befindet, stellt dazu ein potenzielles Sicherheitsrisiko dar – und sollte entsprechend von einem S­icherheitssachverständigen abgenommen werden.21 Dabei geht es nicht nur darum, die entsprechenden Vorschriften zu erfüllen, sondern auch darum, dass im Fall eines tatsächlichen Schadens der Versicherungsschutz gewährleistet ist. Gerade wenn man noch nicht sehr viel Erfahrung mit der Gestaltung von Mechaniken im Besucherbereich hat, lohnt es sich, frühzeitig das Gespräch mit den Sicherheitssachverständigen zu suchen und ihnen Einblick in die Planungen zu gewähren. Besonders gravierende Gefahrenstellen sind: •• Mechaniken, die durch ihre Kraft oder Bewegung Menschen verletzen können. •• Mechaniken, die potenziell Haare oder Kleidungsstücke in ihr Gefüge ziehen können. •• Mechaniken, die Scherstellen haben, in denen beispielsweise Hände oder Füße eingeklemmt bzw. verletzt werden könnten (siehe Abb. 2.1.27). •• Mechaniken, die bei einer Fehlfunktion durch ungesteuerte Kraft oder ­Bewegung Menschen verletzen können. Regelungen in Deutschland und der EU sind hier sehr strikt, das heißt, ­Bewegungsgeschwindigkeiten müssen so begrenzt oder die Bewegungen so vom Publikum abgeschirmt sein, dass keine Schäden auftreten können. In Einzel­fällen kann Sensorik eingesetzt werden (wie beispielsweise Laservorhänge, die man aus Fertigungsstraßen kennt), um zu erfassen, ob eine Person sich einer Mechanik nähert, wodurch eine Notfallausschaltung bewirkt würde. Solche Systeme sollten jedoch sehr umsichtig eingesetzt werden, denn zum einen muss die entsprechende Ausschaltsensorik sehr strengen Vorschriften genügen, zum anderen will bedacht sein, dass auch bei einer zufälligen oder unbeabsichtigten Auslösung die Wirkung einer Mediatektur unterbrochen wird.

21 In Deutschland erfolgt die Abnahme beispielsweise durch den TÜV.

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Abb. 2.1.27a/b: Die mechanischen Periakten des Projektionsraumes des Siemens Exiderdomes sind doppelt geschützt: Eine etwas mehr als eine durchschnittliche Armlänge von der beweglichen Wand entfernte Absperrung soll Besucher vom Berühren abhalten. Zusätzlich ist die Wand mit einem Laservorhang gesichert – erreicht eine Hand doch einen Abstand von zwei Zentimentern zur Wand oder näher, vollführt die Mechanik eine Notfallausschaltung und bleibt stehen. Shanghai, 2005 (Luxoom Medienprojekte).

Zusammenfassung •• Mechanik kann eingesetzt werden, um in einer Mediatektur Raum bzw. Raumparameter zu verändern. •• Mechaniken bergen in der Regel Gefahren und müssen entsprechend in ihrem Aufbau und ihrer Funktion strengen Richtlinien folgen, Sicherheitsaspekte einbinden und von Sachverständigen abgenommen werden.

Konstruktion Konstruktionen müssen in der Regel zwei funktionalen Anforderungen g­ enügen: Einerseits müssen sie stabil und robust genug sein, um den Belastungen in ihrem Einsatz standzuhalten, andererseits kann die Brandlast begrenzt sein, die eine Konstruktion in eine bestimmte Umgebung einbringen darf. •• Konstruktive Stabilität: Die Stabilität einer Konstruktion muss nicht nur für das Gewicht, das sie tragen soll, gewährleistet sein, sondern es muss auch einkalkuliert sein, dass sich ein Mensch an der Konstruktion festhält bzw. sich aus Absicht oder Versehen mit seinem gesamten Gewicht an sie anhängt. Dabei ist zu beachten, dass die zu vermeidende Gefahr häufig nicht das Zerbrechen der Konstruktion an sich ist, sondern ihr Umfallen, wenn sich jemand an sie hängt oder lehnt.

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•• Mechanische Isolierung: Schwingt eine Konstruktion – entweder weil sie selbst eine Mechanik und damit Bewegung hat oder weil sie beispielsweise auf einer schwingenden Unterkonstruktion steht, die durch die Schritte der B ­ esucher zum Schwingen angeregt wird –, kann dieses Schwingen sich beim Arbeiten mit Projektionen (Licht sowie Bild) in der Intensität optisch verviel­ fachen und somit störend wirken. Schwingungen können zusätzlich Ermüdungs­ erscheinungen an einer Konstruktion bewirken und diese ­un­sicher machen. •• Splitternde Materialien: Materialien, die der Gefahr des Splitterns unterliegen wie beispielsweise Glas, dürfen nur entsprechend engen Regularien eingesetzt werden. In der Regel muss Einscheibensicherheitsglas (ESG) verwendet werden, das im Fall eines Bruchs keine scharfen Kanten und gefährlichen Spitzen bildet. Gerade wenn man mit Spezialglasmaterialien arbeiten will, stellt dies oft eine große Herausforderung dar. Häufig muss man dann Ersatzmaterialien wählen, beispielsweise statt der Verwendung eines grauen S­ tandard-Rauchglases auf ein mit grauer Folie laminiertes ESG-Glas zurückgreifen. •• Hängende Lasten: Von oben in den Raum hängende Gegenstände oder ­Konstruktionen sind eine Besonderheit. Es gilt, dass hängende Lasten mindestens doppelt gesichert sein müssen, so dass, wenn ein Hängesystem versagt, ein zweites, vorher unbelastetes, greifen muss. Die Positionierung von ­hängenden Lasten über Publikum unterliegt weiteren strengen Regulierungen. •• Brandlast: Verwendete Konstruktions- und Dekomaterialien (sowie eingebrachte Technik) dürfen die Brandlast nur in dem für den jeweiligen Raum zugelassenen Maße erhöhen. Bewegt man sich in einem Raum mit strengen Brandschutzvorschriften (wie beispielsweise in Messeumfeldern), gibt es in der Regel einen lokalen Brandschutzbeauftragten, der einem die notwendigen Informationen zur Verfügung stellen kann. Konstruktionsmaterialien mit guten Brandschutzeigenschaften (die nicht brennbar sind und im Brandfall keine gefährlichen Gase entwickeln bzw. nicht schmelzen und tropfen) sind in der Regel nach EU-Norm zertifiziert.22 Materialien, die diese Normen nicht erfüllen, lassen sich zum Teil brandschützend imprägnieren. •• Deckenlöschsysteme: Sind Deckenlöschsysteme wie beispielsweise eine Sprinkleranlage im Raum installiert, ist zu beachten, dass in vielen Fällen keine zweite Deckenkonstruktion eingebaut werden darf, eine begehbare Mediatektur also nicht nach oben geschlossen sein darf. Eine Decken­konstruktion 22 Siehe DIN EN 13501.

Die Instrumente der Mediatektur – Raum

darf in diesem Fall eine bestimmte Dichte nicht überschreiten (beispielsweise muss eine Gitterkonstruktion mindestens fünfzig Prozent Flächenöffnung haben), damit im Falle eines Feuers die Löschung durch das Sprinklersystem gewährleistet ist. •• Recycling: Gerade für temporäre Konstruktionen sollte man auf die Wieder­ verwendbarkeit bzw. Nachhaltigkeit der Baumaterialien achten. Konkret ­empfiehlt es sich, möglichst wiederverwendbare Konstruktionen zu mieten und darauf zu achten, dass Materialien recycelt werden können. Zusammenfassung •• Bei der Planung von Konstruktionen müssen viele Eventualitäten bedacht werden, denn sie müssen auch in Extremsituationen konstruktive S­ tabilität behalten und dürfen keine Gefahr in Bruch- oder Brandsituationen darstellen.

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Licht und Farbe Die Instrumente der Mediatektur

Einleitung Licht und Farbe prägen unsere Wahrnehmung der Umwelt. Schon der stete Wandel des natürlichen Lichtes wirkt in seiner unerschöpflichen Vielfalt von Lichtstimmungen im Tages- wie Jahresverlauf auf den Menschen ein – man denke nur an einen bedeckten, diffusen Wintertag, einen golden-sonnigen Spätsommertag mit blauem Himmel oder eine dunkle Neumondnacht, in der alle Konturen und Farben grau sind. Der Ausdruck Lichtstimmungen spiegelt den Einfluss des Lichtes auf unsere psychische, emotionale wie physische Befindlichkeit wider. Licht und Farben sind elementare Kräfte, die uns so vertraut sind, dass wir sie kaum als solche wahrnehmen, obwohl wir täglich in vielen Facetten erleben, wie abhängig wir von natürlichem und künstlichem Licht sind und welche Wirkungen es auf uns hat. Ob man im Dunkeln einen Schlüssel ins Schloss zu stecken versucht, etwas Kleines, etwa eine heruntergefallene Nadel, bei schlechter Beleuchtung finden will oder für ein romantisches Abendessen Kerzen auf den Tisch stellt – je nach Situation und Bedürfnis gibt es völlig unterschiedliche Anforderungen in Bezug auf Helligkeit, Kontrast, Farbe oder Stimmung an das Licht, denen wir mit verschiedenen Hilfsmitteln begegnen. Sehr treffend schreibt Rudolf Arnheim in seinem Buch Kunst und Sehen: eine Psychologie des schöpferischen Auges: „[...] ohne Licht können die Augen weder Gestalt noch Farbe, noch Raum noch Bewegung wahrnehmen. Aber das Licht ist mehr als nur die physikalische Voraussetzung des Sehens. Auch psychologisch bleibt es eine der grundlegendsten und mächtigsten menschlichen Erfahrungen, eine Erscheinung, die verständlicherweise in religiösen Zeremonien verehrt, gefeiert und erbeten wird.“1 Dieses physikalische wie auch inszenatorische Instrument hat sich der Mensch in Form des künstlichen Lichtes zu eigen gemacht und trägt es so jenseits des Alltags auch in das Theater, die Oper, Film und Kunst wie auch in die Mediatektur. In Licht 1 R. Arnheim: Kunst und Sehen: eine Psychologie des schöpferischen Auges, S. 297.

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und Farbe, ihrer Intensität, aber auch ihrer Abwesenheit liegt ein entscheidender Schlüssel für eindrucksvolle Inszenierungen. Dieses Kapitel beginnt die Betrachtung der Instrumente und Gestaltungs­ mittel Licht und Farbe mit einem Blick darauf, was diese aus physikalischer Sicht sind und wie unsere Wahrnehmung sie verarbeitet. Darauf aufbauend wird erläutert, wie Licht- und Körperfarben zur Farbmischung führen. Der anschließende Abschnitt zum Licht- und Farberleben verschiebt den Fokus von der physiologischen Farbwahrnehmung zur Inszenierung und zum Erlebnis. Zentrale Fragestellung ist, wie sich die Eigenarten von Licht und Farbe in der Mediatektur zeigen können. Licht und Farbe können sowohl allein als auch im Zusammenspiel mit anderen Instrumenten der Mediatektur zu beeindruckenden Inszenierungen geformt werden, wie Arbeiten der Künstler James Turrell oder Olafur Eliasson, aber auch kommerzielle Projekte in diesem Abschnitt zeigen. Konkretisiert wird der Umgang mit Licht im Abschnitt zur Lichtgestaltung, der einen Einblick bietet, wie die Parameter der Inszenierung sowohl statisch mittels Lichtsetzung als auch über die Zeitachse mittels Lichtdramaturgie aussehen ­können. Lichtplanung und die Definition von Licht- wie auch Farbqualitäten bilden den Abschluss und vermitteln einen knappen Einblick in die Faktoren, die Lichtgestaltung unmittelbar technisch bedingen.

Lichtwahrnehmung und -erleben Licht und wahrnehmbares Farbspektrum Licht ist – physikalisch gesehen – zunächst einmal elektromagnetische Strahlung. Aus deren Gesamtspektrum können wir Menschen nur einen relativ kleinen Bereich unmittelbar wahrnehmen, nämlich indem wir ihn mit unseren Augen sehen. Sichtbar ist für das menschliche Auge die elektromagnetische Strahlung im Wellenlängenbereich zwischen 380 und 750 Nanometern (siehe Abb. 2.2.1). Dabei erscheint Licht kürzerer Wellenlänge als blau, Licht längerer Wellenlänge als rot. Dazwischen liegen die Spektralfarben, die sich bei einer Brechung des Sonnenlichtes in einem Prisma als eine Art Regenbogen zeigen.

Abb. 2.2.1: Bereich des für den Menschen wahrnehmbaren Farbspektrums.

Die Instrumente der Mediatektur – Licht und Farbe

Wir sehen zwar unterschiedliche Wellenlängen des Lichtes als unterschiedliche Farben, aber diese Farben existieren nur in unserer Wahrnehmung, nicht aber physikalisch in unserer Umwelt. Auch wenn wir uns untereinander sprachlich über Farben verständigen können, ist die differenzierte Farbwahrnehmung doch letztlich individuell. In der Regel sind Menschen in der Lage, viele Millionen Farben zu unterscheiden. Das geschieht jedoch nicht – wie man zuerst annehmen mag – über Sinneszellen, die verschiedene Wellenlängen verarbeiten könnten. Vielmehr ist hier ein komplexes Zusammenspiel erforderlich: Im zentralen Bereich der Retina befinden sich drei unterschiedliche Arten von farbwahrnehmenden Sinneszellen: eine Art, die auf kurzwelliges Licht reagiert und dem Gehirn „blau“ signalisiert, eine Art, die auf mittelwelliges Licht – „grün“ – und eine Art, die auf langwelliges Licht reagiert und daraus „rot“ ableitet.2 Je nachdem, in welchem Verhältnis diese Sinneszellen durch einen Eindruck angeregt werden, entstehen Mischfarben. Werden alle gemeinsam stark angeregt, wird Weiß wahrgenommen. Genau diese Eigenschaften macht sich auch die additive RGB-Farbmischung zunutze, die im späteren Abschnitt über Farbmischung beschrieben ist. Zusammenfassung •• Licht ist elektromagnetische Strahlung. •• Das für den Menschen sichtbare Spektrum des Lichtes liegt im Wellenlängenbereich zwischen 380 (violett) und 750 Nanometern (rot). •• Drei Arten farbwahrnehmender Sinneszellen verarbeiten die verschiedenen Wellenlängen. Die wahrgenommene Farbe entsteht aus der gleichzeitig unterschiedlich starken Anregung dieser Zellen, die dem Gehirn Rot-, Grünund Blauanteile signalisieren und so zur Wahrnehmung von Mischfarben führen.

Helligkeit, Kontrast und Wahrnehmung Relative Helligkeit

Die graduelle An- oder Abwesenheit von Licht empfinden wir als Zustand zwischen Helligkeit und Dunkelheit. Dabei gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen der physikalischen Helligkeit und der Helligkeit, die wir wahrnehmen. Im Englischen wird dies mit der Unterscheidung zwischen den Begriffen Brightness und Lightness ausgedrückt – Brightness als die physikalische Helligkeit und Lightness als die relative Helligkeit, die wir wahrnehmen. 2 Vgl. M. S. Gazzaniga et al.: Psychological Science, S. 207 ff.

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Die relative Wahrnehmung von Helligkeit gründet sowohl in der Adaptions­ fähigkeit des Auges als auch im Wahrnehmungsapparat des Menschen selbst. Menschen bewerten beispielsweise die Helligkeiten von Flächen nicht absolut. Eine weiße Fläche im Schatten kann vom absoluten Helligkeitswert dunkler sein als eine schwarze Fläche in der Sonne. Die menschliche Wahrnehmung ist aber darauf ausgelegt, auch diese weiße Fläche im Schatten noch als weiß zu identifizieren, und wir nehmen sie somit als heller wahr, als sie physikalisch ist.

Abb. 2.2.2: Schachbrettillusion nach Edward Adelson.

Dies illustriert die Schachbrettillusion (siehe Abb. 2.2.2), in der die meisten Menschen das Feld A als erheblich dunkler wahrnehmen als das Feld B. Tatsächlich ist ihre Helligkeit gleich. Unsere Wahrnehmung aber schlussfolgert: Für eine ­realistische Einschätzung ist es naheliegend, die Felder unterschiedlich zu sehen, da wir den Grad der Helligkeit unabhängig von Licht oder Schatten beurteilen möchten. Unser Sehsystem errechnet sozusagen die Position einer v­ermuteten Lichtquelle und zieht dann die Beleuchtung ab, um die wahre Helligkeit zu erkennen.3 Um mit dem Autor dieser optischen Täuschung, Edward Adelson, zu ­sprechen: „Human lightness computation is imperfect, but performs well in most natural situations. […] If a visual system only made a single measurement of luminance, acting as a photometer, then there would be no way to distinguish a white surface in dim light from a black surface in bright light. Yet humans can usually do so, and this skill is known as lightness con­ stancy. […] Illusions like these are sometimes viewed as quirky failures of perception, but they help reveal the inner workings of a system that functions remarkably well.“4 Kontrastumfang und Hell-Dunkel-Adaption

Neben dieser Relativität der Helligkeitswahrnehmung, die quasi „errechnet“ wird, erleben wir die perzeptorische Helligkeitsanpassung des Sehsystems. Das menschliche Auge kann an sich nur einen geringen Kontrastumfang in unter3 Vgl. A. Sanktjohanser: Illusionen. Sechs perfekte Täuschungen. 4 E. H. Adelson: Lightness Perception and Lightness Illusions, S. 339.

Die Instrumente der Mediatektur – Licht und Farbe

schiedliche Helligkeitsstufen auflösen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, diesen wahrnehmbaren Kontrastumfang an die jeweilige Helligkeitssituation anzupassen. Das menschliche Auge operiert in einem ungefähren Kontrastumfang von 1:100. Das bedeutet, dass etwas, das hundertmal heller ist als Schwarz, als leuchtendes Weiß gesehen wird, während alles, was hundertmal dunkler als Weiß ist, egal aus welchen Wellenlängen sich die Farbe physikalisch zusammensetzt, als Schwarz erscheint. Kommt man aus dem hellen Tageslicht in einen dunklen Raum, sieht man im ersten Moment wenig. Das Sehsystem muss zunächst nicht nur die Pupillen weiten, sondern regelrecht umschalten.5 Das schwache Licht reicht nicht mehr aus, um das farb- und detailabbildende Zapfensystem zu aktivieren. Das Auge muss jetzt auf das empfindlichere Stäbchensystem zurückgreifen, das auch mit weniger Licht auskommt, dafür aber keine Farben und weniger Details zeigt. Dieses Stäbchensystem ist zudem so empfindlich, dass es sich zunächst vom hellen Tageslicht erholen muss. Parallel zum Umschalten des Sehsystems weiten sich die Pupillen, um mehr Licht einzufangen. Dennoch hat sich das Auge in der Regel erst nach mehreren Minuten völlig an die Dunkelheit gewöhnt.

Abb. 2.2.3: Die Abbildung illustriert den Kontrastumfang – dunkle und auch helle Bereiche sind nicht durchgehend aufgelöst. Markusplatz Venedig, 2011.

Wenn man umgekehrt wie oben in der Abbildung 2.2.3 aus einem eher dunklen, schattigen Bereich in das helle Tageslicht tritt, kommt es zu einer Reizüberflutung. Die Pupillen verengen sich, das Auge muss sich anpassen und umschalten, was es in diese Richtung zwar schneller absolviert, doch benötigt es auch hier bis zu einer Minute. Dieses Umschalten6 von einem Sehsystem zum anderen bezeichnet man als Hell-Dunkel-Adaption.7 5 Vgl. R. Schandry: Biologische Psychologie, S. 240. 6 Der Übergang zwischen Stäbchen- und Zapfensystem liegt zwischen 0,001 und 3 cd/m2. Unter diesem Wert können Menschen keine Farbe sehen (skotopisches Sehen), im Übergangsbereich nimmt die Farbwahrnehmung langsam zu (mesopisches Sehen) und über diesem Bereich erfolgt die volle Farbwahrnehmung (fotopisches Sehen). 7 M. Spering/T. Schmidt: Allgemeine Psychologie 1, S. 21 ff.

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Zusammenfassung •• Relative Helligkeit: Menschen nehmen die Helligkeiten von Flächen nicht absolut wahr, sondern unser Gehirn ermittelt sie entsprechend einer Kombination aus Helligkeit und Farbannahme. •• Kontrastumfang: Das menschliche Auge kann nur einen geringen Kontrast­ umfang in unterschiedliche Helligkeitsstufen auflösen und passt daher den wahrnehmbaren Kontrastumfang an die jeweilige Helligkeitssituation mittels Pupillenöffnung und Wechsel des Sehsystems an. •• Hell-Dunkel-Adaption: Beim Wechsel von einem dunklen Raum in einen hellen Raum oder umgekehrt braucht das Auge Zeit für die Anpassung an die Lichtverhältnisse.

Farbtemperatur Ein weißes Objekt – etwa ein Blatt Papier – nehmen wir unter verschiedenen Lichtverhältnissen immer als weiß wahr. Je nach Umweltlichtsituation – bei ­Sonnenaufgang oder bedecktem Mittagshimmel – hat aber das als weiß wahr­ genommene Objekt eine Gelb- bzw. Blaufärbung, die aus den variierenden Gelb- und Blauanteilen des Lichtes resultiert. Dieser Unterschied wird als Farbtemperatur bezeichnet und in Kelvin (K) gemessen. Der Ursprung dieser Bezeichnung liegt in der Schwarzkörperstrahlung, die abhängig von der Temperatur eines idealisierten, abstrahlenden Körpers ist. Schwarz­körperstrahlung ist das sichtbare Licht, das durch thermische Vorgänge emittiert wird. Je nach Temperatur ist dieses Licht unterschiedlich in Intensität und Farbspektrum, wie wir es beispielsweise vom roten oder weißen Glühen von Kohlen oder gelblichem Kerzenschein kennen. Vereinfacht kann man sich die Farbtemperatur als die Farbe des Glühens eines Gegenstandes vorstellen, von Dunkelrot über Orange nach Blau mit zunehmender Temperatur. An den Abbildungen 2.2.4 und 2.2.5 sieht man, dass im Laufe eines Tages je nach Aktivität alle gezeigten Farbtemperaturen im Frequenzspektrum von künstlichem Licht und Sonnenlicht, also zwischen 1.000 K und 10.000 K, auf uns wirken. Für die Lichtgestaltung im Mediatekturkontext, die sich hauptsächlich in Innenräumen abspielt, unterscheidet man hier drei Gruppen der Farb­temperatur: Warmweiß im Bereich 2.700 bis 3.000 K, Neutralweiß 4.000 bis 4.200  K und Tageslichtweiß 5.500 bis 7.000 K. Die Kompetenz unserers Wahrnehmungssystems bedingt, dass man das oben erwähnte Blatt Papier in unterschiedlichen Lichtsituationen als konstant weiß wahrnimmt. Dieses gewöhnt sich unmittelbar an die Farbtemperatur der­

Die Instrumente der Mediatektur – Licht und Farbe

Umgebungsbeleuchtung und vollzieht eine chromatische Adaption.8 Objekte werden durch die chromatische Adaption des menschlichen Sehsystems unter unterschiedlichen Lichtverhältnissen (Farbtemperaturen) konstant in der gleichen Farbe wahrgenommen. Man bezeichnet diesen Wahrnehmungseffekt auch als Farbkonstanz.

Abb. 2.2.4: Farbtemperatur des natürlichen Lichtes im Tagesverlauf (Zumtobel).

Abb. 2.2.5: Farbtemperaturen im Vergleich.

Die folgende Abbildung 2.2.7 zeigt das Gebäude der HSBC Bank in Hongkong. In den Abendstunden und nur von außen, beim Blick in das Gebäude hinein, wirken die Innenräume der meisten Etagen bläulich-kalt, während einige Zwischen­ etagen gelblich-warm erstrahlen. Diese im Foto wie auch im Stadtbild von außen deutlich unterschiedlichen Farbtemperaturen des Lichtes nimmt man, wenn man sich im Gebäude befindet, nicht wahr. Sobald man beim Aufenthalt im Inneren den unmittelbaren Vergleich der Lichttemperaturen verliert, empfindet man das Licht dank chromatischer Adaption als konstantes Weißlicht. 8 Ebd.

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Abb. 2.2.7: Das HSBC-Gebäude, entworfen von Norman Foster, zeigt im Abendlicht zwei Zonen mit Beleuchtung unterschiedlicher Farbtemperatur. Hongkong, 1985.

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Abb. 2.2.6: Farbtemperatur in der CIE-Skala.

Zusammenfassung •• Die Farbtemperatur beschreibt die Blau-Rot-Verschiebung im natürlichen Licht und wird in Kelvin (K) angegeben. Je niedriger der Kelvin Wert, desto gelber ist das Licht – je höher, desto blauer. •• Chromatische Adaption: Das menschliche Auge gewöhnt sich unmittelbar an die Farbtemperatur der jeweiligen Umgebungsbeleuchtung. •• Farbkonstanz: Objekte haben für den Menschen unter unterschiedlichen Lichtverhältnissen durch die chromatische Adaption konstant die gleiche Farbe.

Farbmischung Obwohl wir von Kindheit an mit Farben umgehen und diese nicht zuletzt im Farbkasten mischen lernen, haben wir doch meist wenig Einblick in die physikalischen Gegebenheiten von Farbe und Farbmischung. Sehen wir beispielsweise einen gelben Würfel, gibt es verschiedene mögliche Gründe, warum dieser Würfel in der Farbe Gelb erscheint. Diese sind: 1. Der Würfel wird mit weißem Licht beschienen und ist mit einer Farbe beschichtet, die blaues Licht absorbiert. 2. Der Würfel ist weiß und wird mit rotem und grünem Licht beschienen. 3. Der Würfel ist weiß und wird mit gelbem Licht beschienen.

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Betrachten wir nur den Würfel allein, ohne sein Umfeld in Betracht zu ziehen, können wir anhand der sichtbaren Farbe nicht unterscheiden, ob Möglichkeit eins, zwei oder drei vorliegt. Das Beispiel macht deutlich, dass zwei Faktoren einen Einfluss auf die Farberscheinung haben: Lichtfarbe und Körperfarbe. Zwischen beiden gibt es fundamentale Unterschiede. Zunächst zur Lichtfarbe: Von Isaac Newton ist überliefert, dass er das Tageslicht mittels eines Prismas brach und basierend auf dem regenbogenartigen Ergebnis Rot, Grün und Violett als die Grundfarben der Physik definierte.9 Im Farbraum der Lichtfarben ergeben die drei Farben Rot, Grün und Blau zusammen Weiß. Diese Farbmischung nennt man additiv, weil sich die Intensitäten ü ­ berlagern, also beim Mischen von Lichtfarben die Helligkeit steigt und nicht abnimmt. Scheinen zwei Taschenlampen, von denen die eine rot, die andere grün leuchtet, auf eine weiße Fläche, so erreicht man ein helles Gelb. Dies wird durch Abbildung 2.2.8a nachvollziehbar.

Abb. 2.2.8a/b: Links (a): Additive Farbmischung. Rechts (b): Subtraktive Farbmischung.

Die additive Farbmischung findet man in allen digitalen bildgebenden Medien. Hier wird der Farbmischraum von Rot, Grün und Blau meist als RGB abgekürzt.10 Am deutlichsten sieht man diese Farbmischung in LED-Bildwänden, wo man häufig sogar mit bloßem Auge die Anordnung dreier LEDs (Light-emitting Diodes) in den Farben Rot, Grün und Blau in einem einzelnen Bildpunkt wahrnehmen kann. Ist man als Betrachter mit dem Auge weit genug entfernt und kann die farbigen kleinen Punkte nicht mehr einzeln wahrnehmen, mischen sich diese zu einem Farbpunkt. Je nach technischer Umsetzung lassen sich aus der Kombination s­ olcher Farbpunkte mehrere Millionen Farben darstellen. Dabei können Menschen – wie oben im Kapitel zur Lichtwahrnehmung erläutert – nicht unterscheiden, ob eine Farbe durch eine einzelne Wellenlänge 9 M. Keller: Faszination Licht: Licht auf der Bühne, S. 35. 10 Siehe dazu in diesem Kapitel, Abschnitt Farbdefinition und -standardisierung, S. 125.

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oder durch eine Mischung verschiedener Wellenlängen erzeugt wird. Zwei als identisch wahrgenommene Gelbtöne können also physikalisch zwei komplett unter­schiedliche sein – einmal eine Mischung von Rot und Grün und einmal ein „echtes“ Gelb.11 Analog zur additiven Farbmischung des Lichtes existiert die subtraktive Farbmischung der Körperfarben – das ist die Mischung, wie wir sie vom Farbkasten kennen (siehe Abb. 2.2.8b). Wichtig ist dabei zu verstehen, dass ein Körper nicht eine Farbe hat, weil er diese „hat“, sondern weil er alle anderen Farben absorbiert. Nehmen wir das Beispiel des gelben Würfels: Ist er mit einer gelben Farbe angestrichen, erscheint diese nicht gelb, weil sie gelb „ist“, sondern weil sie Blau aus dem Licht, das auf sie trifft, absorbiert. Wie man in Abbildung 2.2.8b sieht, heißt subtraktive Farbmischung, dass immer mehr Lichtfrequenzen absorbiert werden. Aus dieser physikalischen Eigenart der subtraktiven Farbmischung ergibt sich aber auch die Problematik, dass das Mischen der Grundfarben kein Schwarz erreicht – es werden einfach niemals alle Frequenzen absorbiert. Um dennoch Schwarz darstellen zu können, behilft man sich beispielsweise im Druck, indem man ein Schwarz als separate „Farbe“ hinzufügt. So entsteht das sogenannte CMYK- oder 4C-Druckverfahren mit den Farben Cyan, Magenta, Gelb und Schwarz.12 Spannend wird es im Zusammenspiel zwischen Lichtfarbe und Körperfarbe – da ja nur diejenigen Frequenzen als Farbe gesehen werden können, die zum einen in der Lichtfarbe enthalten sind und die außerdem in der Körperfarbe nicht absorbiert werden. Als Beispiel dient hier noch einmal der gelbe Würfel, und zwar in der Variante, dass er als Körperfarbe mit einer Farbe beschichtet ist, die blaues Licht absorbiert. Bescheint man diesen Würfel nun mit einem Licht, das überwiegend aus dem blauen Spektrum stammt, also blauem Farblicht, wird dieses durch die Körperfarbe absorbiert und der Würfel erscheint farblos dunkel. In Abbildung 2.2.9, die dieses Zusammenspiel zwischen Farblicht und Körperfarbe simuliert, sieht man die Auswirkungen: Während im weißen Licht alle drei Kugeln farbig sind, verschwindet in einem Farbmischlicht jeweils die Kugel, deren Farbe nicht im Spektrum vorhanden ist. Im magentafarbenen Licht zum Beispiel erscheint die grüne Kugel schwarz, da Magenta sich aus Blau und Rot zusammensetzt und kein Grün enthält. Noch stärker wird der Effekt bei monochromatischem Licht. Im blauen Licht ist nur noch die blaue Kugel hell wahrzunehmen, es besteht aber keine farbliche Unterscheidungsmöglichkeit mehr zwischen weißem Boden und blauer Kugel, das heißt, es ist hier im extremen Falle keine Farbwahrnehmung mehr möglich, da alle abgebildeten Farben zwischen Weiß-Hellblau und Dunkel­ blau-Schwarz liegen. 11 Das heißt eine spezifische Wellenlänge, der wir die Farbe Gelb zuordnen, wohlwissend, dass es wie erläutert in der physikalischen Natur keine Farben an sich gibt und diese nur der individuellen Wahrnehmung entspringen. 12 Siehe dazu in diesem Kapitel, Abschnitt Farbdefinition und -standardisierung, S. 125.

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Abb. 2.2.9: Zusammenspiel von Licht- und Körperfarben.

Zusammenfassung •• Additive Farbmischung: Lichtfarben mischen sich additiv, je mehr Farben gemischt werden, umso heller ist das Ergebnis. Additive Farbmischung wird in allen digitalen bildgebenden Medien wirksam. •• Subtraktive Farbmischung: Körperfarben werden in der Mischung dunkler. Körperfarben zeigen eine Farbe, die entsteht, weil die konträren Farben absorbiert werden. •• Zusammenspiel von Lichtfarbe und Körperfarbe: Nur diejenigen Farbfrequenzen können als Körperfarbe gesehen werden, die erstens in der Lichtfarbe enthalten sind und die zweitens in der Körperfarbe nicht absorbiert werden. •• Objekte können im Zusammenspiel von Licht- und Körperfarbe inszenatorisch nahezu zum Verschwinden gebracht, aber auch herausgestellt werden.

Licht- und Farberleben Licht spielt in der Kulturgeschichte in seiner Vielgestaltigkeit sowohl real als auch metaphorisch eine herausragende Rolle. Zum Beispiel steht Licht in ­religiösen Symboliken wie dem göttlichen Heiligenschein für Erleuchtung, für Reinheit, für Tugend. Nicht als Abwesenheit von Licht, sondern als aktives Gegenprinzip zu Licht wird entsprechend die Dunkelheit verstanden: Sie verkörpert das Böse und Teuflische im ewigen Widerstreit mit dem Hellen und Guten. Die ­kultur­geschichtliche Bedeutung von Licht wird in vielen künstlerischen Arbeiten im Bereich Mediatektur aufgegriffen, um mit den jeweiligen Assoziationen zu arbeiten. Hier wollen wir uns eher mit den Fragen beschäftigen, wie die

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­eschriebenen wahrnehmungsphysiologischen und physikalischen Effekte in b der Inszenierung genutzt werden können und welche Auswirkungen sie auf das ­Subjekt haben. In der Arbeit The weather project von Olafur Eliasson (2003) zeigt sich beispielhaft, wie der zuvor beschriebene Effekt der Farbabsorption in der Inszenierung genutzt werden kann. In dieser Installation beherrschen eine riesige Sonne und ein Himmel die Turbinenhalle der Tate Modern in London (siehe Abb. 2.2.10). Neben dem verspiegelten Himmel und den Nebelstrukturen, die sich wie zu ­Wolken zusammensetzen, fällt die besondere Qualität des Lichtes auf. Der Künstler verwendet monochromatische Leuchtmittel, also Leuchtmittel, die nur Licht in einer Frequenz abgeben, in diesem Fall im Gelbspektrum. In der Dokumentation des Projektes heißt es hierzu: „Generally used in street lighting, mono-frequency lamps emit light at such a narrow frequency that colours other than yellow and black are invisible, thus transforming the visual field around the sun into a vast duotone landscape.“13 Gemäß den oben erläuterten physikalischen Licht- und Farbeigenschaften lässt sich dieser Effekt nun auch theoretisch gut nachvollziehen. Der bei Eliasson eindrucksvoll realisierte Effekt lässt sich für unendlich viele Inszenierungsideen nutzen: Schaut man sich dazu noch einmal Abbildung 2.2.9 an und stellt sich statt der Kugeln beispielsweise Tänzer in farbigen Kostümen vor, so ist klar: Mit farbigem Licht könnte man in der Inszenierung jederzeit den Fokus von einer auf die andere Tänzergruppe wandern lassen, allein durch die Auswahl der Lichtfarbe und des zugehörigen Lichtspektrums. Die Aufmerksamkeit der Betrachter folgt dem Licht und dem stärksten Kontrast. Unwillkürlich nehmen wir in einer neuen Situation immer zuerst den hellsten Ort, besonders starke Farben, intensive Kontraste sowie Bewegungen im Raum wahr. Unsere Wahr­ nehmung beginnt an diesem hellsten bzw. stärksten und dynamischsten Punkt und kehrt auch zu diesem immer wieder zurück. Auch das sehen wir an dem Bild von E ­ liassons The weather project, wo nämlich unser Auge entweder zur hellen Sonne (hellstes Element) oder zum Fußbereich der zwei Personen im Vordergrund ­wandert (größter Kontrast). Auch im linken Bild von Abbildung 2.2.11a/b zielt unsere Aufmerksamkeit erst einmal auf die beleuchtete, vordere Bühnenkante. Das Beispiel zeigt vereinfacht, wie eine Veränderung der Lichtsituation die Raumwahrnehmung und damit den Fokus der Wahrnehmung verschieben kann. Während in der linken Abbildung der Bühnenraum mittels Dunkelheit undefiniert bleibt, verschiebt sich der Fokus durch zusätzliches Raumlicht von der Bühnenkante weg in den Gesamtraum – die Tiefe des Raumes wird wahrnehmbar. Licht und Farbe bedingen auch unsere Fähigkeit, Raum und Form zu erkennen und aufzulösen: Je nach Lichtsituation und Farbigkeit können wir Raum und 13 Aus der Projektbeschreibung zu O. Eliasson: The weather project.

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Abb. 2.2.10: Olafur Eliasson: The weather project, Installation in der Turbinenhalle, Tate Modern. ­London, 2003.

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Abb. 2.2.11a/b: Begrenzung und Erweiterung von Raum durch Licht.

Abb. 2.2.12a/b: Schattenwurf (Projektionsschatten) und unterschiedliche Schattierung der Oberflächen (Körperschatten) lassen den Kubus im linken Bild (a) räumlicher erscheinen – er wird von einer Lichtquelle bestrahlt. Dagegen wirkt derselbe Kubus im rechten Bild (b) flach – dieser ist gleichmäßig ausgeleuchtet.

Form besser oder schlechter mit unserem visuellen System erfassen. Dunkelheit und gleichmäßiges Licht über große Flächen vermitteln uns wenige Informationen über deren Dreidimensionalität, während Schattenverläufe zuverlässige Marker für die räumliche Wahrnehmung sind. Dies zeigt sich auch in den Abbildungen 2.2.12a/b. Wie verwirrend das Fehlen von Tiefeninformationen sein kann, zeigt sich in den Ganzfeld-Arbeiten von James Turrell,14 einem der bedeutendsten Lichtkünstler der Gegenwart, der sich in seinem gesamten Werk mit den physiologischen wie psychologischen Wirkungszusammenhängen von Licht und Farben auseinandersetzt. Seine im Kontext des Wolfsburg Projects entstandene Arbeit Bridgets Bardo (siehe Abb. 2.2.13) zeigt die intensive sinnliche Wirkung von gleichmäßigem Licht und Farben, die den Raum scheinbar auflösen und zum sogenannten Ganzfeldeffekt führen.15 Der Raum ist wie entmaterialisiert, der Betrachter findet sich in einer Art farbigem Nebel wieder, der auf einer Sinnestäuschung beruht und entsteht, da die Wahrnehmung keine Raumtiefe mehr definieren kann. 14 „Turrell creates a similar experience of ‚Ganzfeld‘: a German word to describe the phenomenon of the total loss of depth perception as in the experience of a w ­ hite-out.“ Vgl. J. Turrell: Ganzfelds. 15 Vgl. R. Schönhammer: Einführung in die Wahrnehmungspsychologie: Sinne, Körper, Bewegung, S. 151.

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Abb. 2.2.13: James Turrell: Bridgets Bardo im Kunstmuseum Wolfsburg. Wolfsburg, 2008.

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Die extreme Farbigkeit von James Turrells Bridgets Bardo lenkt den Blick dazu auf einen weiteren Aspekt: eine erlebte Farbassoziation und -identität. Die Farbassoziation ist stark vom Subjekt oder auch einer kulturellen Gruppe und deren Erfahrungen abhängig. Ein Blau könnte beispielsweise mit Kälte oder Gletscher assoziiert werden, das in der Arbeit von Turrell zu sehende intensive Rot mit Wärme, Feuer und Glut. Farbassoziationen, nicht zuletzt aber auch die Farbidentität eines eventuellen Absenders bestimmen in kommerziellen Mediatekturprojekten die Farbauswahl. Farben werden einerseits identitätsstiftend gewählt – Farben des Corporate Designs, die zur Corporate Identity eines Auftraggebers gehören wie etwa Telekom-Magenta, Allianz-Blau, Post-Gelb oder Siemens-Petrol –, um sie dann mit passenden Farbkontrasten zu ergänzen. Daneben werden Farben im Rahmen der Narration gewählt – ganz im Sinne der in der Einleitung geforderten Unmittelbarkeit –, um Assoziationen zu stärken. Dabei trägt auch die Wahl von Materialien und Farben bei Objekten, Atmosphären und Situationen zur Unterstützung der Narration bei. Wie in Abbildung 2.2.14 zu sehen, kann Holz im Zusammenhang mit der Farbe Grün16 Wald assoziieren lassen – gerade wenn noch eine leichte Bewegung im Licht ist, die das Flattern der Blätter in einer sanften Brise suggeriert.

Abb. 2.2.14: BMW Active Tourer Ausstellung. BMW Flagship Store. Brüssel, 2014 (Luxoom Medienprojekte (Konzept und Design); ENGEPAR (Konstruktion)).

Die thematisch-narrative Farbassoziation zeigt sich auch in den Tages- und Nachtfarben des später gezeigten Marc’O Polo-Beispiels und der Sonnenassoziation im Gelb des eingangs gezeigten The weather project von Olafur Eliasson. 16 Der im späteren Abschnitt Farbdefinition und -standardisierung gezeigte grüne Lee-Filter erzeugt genau solche Grüntöne, die Laubgrün assoziieren lassen.

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Zusammenfassung •• Mit der Veränderung von Licht erreicht man eine Verlagerung der Aufmerksamkeit – der Blick der Betrachter wird gelenkt. •• Licht und Farbe beeinflussen die dreidimensionale Wahrnehmung von Raum und Form. Dunkelheit, gleichmäßiges Licht und große, farblich und in der Beleuchtung homogene Flächen verringern die Tiefenerfahrung. •• Farben können sowohl narrative Assoziationen stützen als auch Identität kommunizieren. Entsprechend erfolgt die Farbwahl.

Lichtgestaltung in der Mediatektur Bei der Lichtgestaltung geht es darum, Licht- und Farberlebnisse in Mediatektur zu integrieren. Sie hat Auswirkungen auf die Raum- und Formwahrnehmung, aber auch auf die Wirkung von Medien. Die grundlegenden Fragen der Lichtgestaltung sind: Wie wird das Licht im Raum verteilt? Wie wird das Licht geführt? Wie ist das Verhältnis von Lichtverteilung und Lichtführung? Und aus inszenatorischer Sicht: Wie soll ein Betrachter Objekt und Raum wahrnehmen? Was soll der Betrachter als Erstes und was in der Folge sehen? Helligkeit, Kontrast, Lichtverteilung, Lichtrichtung und Lichtfarben sind die zentralen Themen in der Lichtsetzung. Die gezielte Arbeit mit über die Zeit veränderter Lichtsetzung innerhalb einer Inszenierung bezeichnet man als Lichtdramaturgie. Lichtdramaturgie hat eine starke Orientierungs- und Wandlungskraft, sie kann Objekte und Räume genauso verschmelzen wie kontrastieren – Effekte, die gerade in der Mediatektur intensive Anwendung finden.

Lichtsetzung Alle Maßnahmen zur Lichtführung und Lichtverteilung lassen sich zusammenfassend als Lichtsetzung bezeichnen. Bereits eine schlichte weiße Wand kann durch differenzierte Lichtsetzung in vielfältiger Weise inszeniert werden. Denn für die Lichtsetzung sind alle Flächen, Körper oder Volumen letztlich zwei- oder dreidimensionale Projektionsflächen. Die Lichtsetzung kann der Architektur folgen und deren räumliche Struktur wiedergeben und unterstreichen. Sie kann aber auch eigene, lichtbildnerische Elemente hinzufügen wie auch dynamische Akzente setzen. Der Lichtdesigner Richard Kelly17 beschrieb in den 1950er Jahren als einer der Ersten eine Methodologie des modernen Lichtdesigns.18 Er nimmt darin Erkennt17 Vgl. R. Ganslandt/H. Hofmann: Handbuch der Lichtplanung, S. 24. 18 Vgl. R. van der Heide: Why light needs darkness.

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nisse aus der Wahrnehmungspsychologie auf und formuliert eine qualitative Lichtplanung, die sich von der Vorgabe einer einheitlichen Beleuchtungsstärke als dem zentralen Kriterium einer quantitativen Lichtplanung löst. Die qualitative Lichtplanung stützt sich auf Erkenntnisse, die die Verarbeitung visueller Reize als konstruktiven Prozess in den Mittelpunkt stellt und die Wirkung von Licht in der Beziehung von Betrachter, Objekt bzw. Raum und Beleuchtung versteht. Kelly definiert und unterscheidet in diesem Rahmen drei Arten von Licht: Ambient Luminescence (Licht zum Sehen oder Grundlicht), Focal Glow (Licht zum Hinsehen oder Akzentlicht) sowie Play of Brilliants (Licht zum Ansehen oder Inszenierungslicht) (siehe Abb. 2.2.15). Diese Unterscheidung ist eine gute Grundlage auch für die Lichtgestaltung in der Mediatektur.

Abb. 2.2.15: Grundlicht, Akzentlicht und Inszenierungslicht.

•• Ambient Luminescence – Grundlicht Als erste und grundlegende Form des Lichtes nennt Kelly die Ambient ­Luminescence, auf Deutsch: Licht zum Sehen oder Grundlicht. Mit diesem Licht wird für eine allgemeine Beleuchtung von Objekt und Umgebung gesorgt. Es stellt sicher, dass der umgebende Raum, seine Objekte und die Menschen sichtbar werden und damit auch eine allgemeine Orientierungs- und Handlungs­möglichkeit gegeben ist. Diese Form der Beleuchtung deckt sich durch ihre umfassende und gleichmäßige Ausrichtung weitgehend mit den Vorstellungen der bis dahin vorherrschenden quantitativen Lichtplanung. Es gibt aber auch einen qualitativen Aspekt des Grundlichtes, der damit zusammen­ hängt, dass sich Dreidimensionalität über Licht und Schatten er­schließt. Sehr anschaulich lässt sich das an der Beleuchtung einer weißen Kugel zeigen. Hier erschließt sich der Effekt, den wir auch schon zuvor im Abschnitt Licht- und Farberleben diskutiert haben.

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Abb. 2.2.16: Simulation: Beleuchtung einer weißen Kugel mit unterschiedlich arrangierten Lichtquellen: Erst bei weniger homogen-heller Beleuchtung wird der Körperschatten und damit die Dreidimensionalität der Kugel sichtbar.

Die gleichmäßig ausgeleuchtete Kugel zeigt sich ohne Schatten dem Betrachter nur als eine flache Scheibe. Damit wir aber Objekte und Räume als drei­ dimensional erkennen können, müssen sie nicht nur von Licht beleuchtet oder selbstleuchtend sein, sie müssen auch Schatten oder Schattierungen aufweisen, um so als räumliche Form in einer räumlichen Beziehung wahrnehmbar zu werden. Schatten und Schattierungen unterscheidet man in Körperschatten, die auf dem Objekt selbst verlaufen – wie auf der Kugel in Abbildung 2.2.17 zu sehen – und in Projektionsschatten, die auf ein anderes Objekt oder in den Raum und seine Begrenzung, also Wände, Decke und Boden fallen.

Abb. 2.2.17: Körper- und Projektionsschatten.

Auch für die Wahrnehmung von Raumtiefen sind Schatten also von Bedeutung. Mit der ausgearbeiteten Positionierung eines Grundlichtes wird der angestrebte Effekt von Tiefe oder Flachheit realisiert. Im Gegensatz zu den Vorstellungen der quantitativen Lichtplanung ist ­Ambient Luminescence in Kellys qualitativer Lichtplanung nicht Ergebnis, sondern Grundlage für eine weitergehende, differenzierte Lichtplanung. Auch Licht­setzung in der Mediatektur strebt keine Pauschalbeleuchtung in einer vermeintlich optimalen Beleuchtungsstärke, sondern eine differenzierte

Die Instrumente der Mediatektur – Licht und Farbe

Beleuchtung an, die Raum und Objekte in einem an der Gesamtinszenierung orientierten Sinne gestaltet und dafür auf dem Grundlicht aufbaut.19 •• Focal Glow – Akzentlicht Um zu der oben beschriebenen Differenzierung zu gelangen, wird eine zweite Form des Lichtes benötigt. Diese bezeichnet Richard Kelly als Focal Glow, übersetzt als Licht zum Hinsehen oder Akzentlicht. Kelly schreibt in seinen Ausführungen erstmals dem Licht die Aufgabe zu, aktiv bei der Organisation von Information mitzuwirken. Er berücksichtigt dabei die Tatsache, dass hell beleuchtete Bereiche unmittelbar die Aufmerksamkeit des Menschen auf sich ziehen. Durch eine geeignete Helligkeitsverteilung wird es möglich, die Informationsfülle einer Situation zu ordnen und die Aufmerksamkeit des Betrachters zu lenken: Bereiche wesentlicher Information werden durch eine betonte Beleuchtung hervorgehoben, zweitrangige oder störende Informationen dagegen durch ein geringeres Beleuchtungsniveau zurückgenommen. Auf diese Weise wird eine schnelle Orientierung ermöglicht, die visuelle Umgebung wird in ihren Strukturen und in der Bedeutung ihrer Objekte erkannt.

Abb. 2.2.18: VW Beetle Launch China. Die in der Bespielung der großen LED-Wand gezeigten, grafisch gestalteten Akzentlichter setzen die echten, auf die Autos gerichteten Akzentlichter fort. Anting, China, 2012 (Avantgarde China (Agentur); Luxoom Medienprojekte (Bühnenkonzept und Mediengestaltung)).

Akzentuierung unterstützt daher gleichermaßen die Orientierung im Raum – etwa hinsichtlich einer raschen Unterscheidung zwischen einem Haupt- und einem Nebeneingang – wie die Betonung von Objekten – beispielsweise der kostbarsten Skulptur einer Sammlung in einem Ausstellungsraum im Museum oder der Autos in Abbildung 2.2.18. In der Abbildung zeigt sich zudem, wie Akzentlicht innerhalb einer Mediatektur verschiedene Bereiche oder Themen 19 Vgl. R. Ganslandt/H. Hofmann: Handbuch der Lichtplanung, S. 115.

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integrieren kann: Die in der Bespielung der großen LED-Wand gezeigten, ­grafisch gestalteten Akzentlichter setzen die echten Akzentlichter, die auf die Autos gerichtet sind, fort. Und es zeigt sich auch die zuvor angesprochene ­Lenkung der Aufmerksamkeit: Unsere Blicke gehen erst zu den Autos und nehmen die zwei Personen in der Bühnenmitte erst zweitrangig wahr. Wollte man die Aufmerksamkeit der Zuschauer bei den beiden Personen haben, müsste man jetzt das Akzentlicht im Raum auf sie verschieben. In dem realen Moment folgt der Blick des Besuchers aber den zwei Menschen auch ohne starkes Akzentlicht, weil diese sich – anders als im starren Bild – ­bewegen, denn auch Bewegung lenkt, als zweiter Faktor neben Licht, die Aufmerksamkeit. Umgekehrt lässt sich Dunkelheit einsetzen: Etwa indem man Objekte in ihr verschwinden lassen kann zeigt sie sich als wichtiges Element der Lichtgestaltung. Wie zuvor angemerkt ist der Kontrastumfang des Auges gering, was die mit Dunkelheit zu erzielenden Effekte noch unterstützt. Neben der Lenkung der Aufmerksamkeit ist bei Akzentlicht ein weiterer Gestaltungsaspekt zu berücksichtigen: die Akkommodation, die gerade bei einer Arbeit mit wenig oder keinem Grundlicht und extremem Akzentlicht eine große Rolle spielt. Die langsame Reaktion des Sehapparates und der Wahrnehmung kann für gewollte, heftige Überraschungsmomente genutzt werden, indem schnell von extremer Helligkeit zu Dunkelheit (oder umgekehrt) umgeschaltet wird. Üblicherweise geht es aber darum, den Betrachter möglichst wenig zu irritieren, gerade wenn er sich in einer Mediatektur bewegen soll. Bringt man Besucher in einen dunklen Raum, muss man ihnen Zeit geben, ihr Sehen anzupassen. Entsprechend dürfen auch keine Hindernisse im Weg stehen oder liegen, damit beispielsweise niemand über eine Stufe stolpert. Gleiches gilt für den Wechsel von der Dunkelheit in die Helligkeit. •• Play of Brilliants – Inszenierungslicht Die dritte Form des Lichtes, die Kelly definiert, ist Play of Brilliants oder Licht zum Ansehen. Diese Art von Licht ergibt sich aus der Erkenntnis, dass Licht nicht nur, wie beim Akzentlicht beschrieben, auf Dinge hinweisen, sondern selbst zum Objekt oder zur Information werden kann. Bei Licht und Brillanz denken wir zunächst an kristallene Kronleuchter. Doch Brillanzeffekte, wie sie auch durch Punktlichtquellen auf spiegelnden oder lichtbrechenden Materialien hervorgerufen werden, sind nicht die einzigen Formen des objekthaften Lichtes. Als brillant kann auch eine Lichtquelle selbst empfunden werden. Oder man lässt Brillanz auf beleuchteten Materialien entstehen. So zeigen beispielsweise kleine Wassertropfen in Nebel ein eigenes besonderes Strahlen und geben dem Licht einen Körper – ein Effekt, den man sich häufig auf Bühnen und in Diskotheken zunutze macht.

Abb. 2.2.19: Tadao Ando: Church of Light. Ibaraki, Osaka Prefecture, 1989.

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Wie mit dem Play of Brillants eine skulpturale Inszenierung erzeugt wird, zeigt Tadao Andos Ibaraki-Kasugaoka-Kirche, die treffend auch Church of Light genannt wird (siehe Abb. 2.2.19). Hier in Osaka erlebt man sowohl den Umgang mit Kontrasten als auch mit Inszenierungslicht. Dabei verwendet Tadao Ando das vorhandene Tageslicht, indem er aus der glatten Betonwand der Stirnseite der Kirche die Silhouette eines Kreuzes ausschneidet. Dieses Lichtkreuz strahlt, gerade wenn morgens im Osten die Sonne dahinter steht, mit beeindruckender Helligkeit in den Kirchenraum. Das menschliche Auge, das sich auf den eigentlich schattigen Innenraum eingestellt hat, sieht den Sonneneffekt als blendendes Weiß, dessen Glühen die Kreuzform überstrahlt. Damit entsteht ein starkes, natürliches Inszenierungslicht, das die Aufmerksamkeit auf das den Raum dominierende Kreuz lenkt – eine Gestaltung, die nicht zuletzt durch die starke symbolische Bedeutung von Kreuz und Licht wirkt. Eine andere Art des Inszenierungslichtes zeigt der Weg der Sinne, eine begehbare Wolkenstruktur über dem Messestand von Siemens A&D auf der Hannover Messe 2002 (siehe Abb. 2.2.21). In der bereits zuvor angesprochenen Inszenierung mit durchschreitbaren Wolken traf farbiges Licht auf die amorphen, mit opalweißen Folien bespannten Raumstrukturen. Durch die Bespielung mit farbigem Licht lassen sich eine Vielzahl von Varianten statischer wie auch dynamischer Farblichtszenen schaffen, die sowohl nach innen als auch nach außen eine intensive Farbigkeit entfalten. Das Schwarz des Gehweges und Geländers wiederum sorgt dafür, dass sich hier kein Licht fängt und somit die Farbigkeit auf die leuchtenden Folienkörper beschränkt bleibt. Einen skulpturalen Charakter von Licht mit spürbarer physischer Qualität erreicht die Inszenierung Neither. Wie in Abbildung 2.2.20 erkennbar, erscheint darin das Licht als strukturierende Linien, die sich in der leicht nebligen Luft des Raumes wie Bündel reiner Energie zeigen.

Abb. 2.2.20: NEITHER 3D Audio Oper. Radialsystem V Berlin, 2012 (phase7 performing.arts (Gesamtkonzeption und Regie); Björn Hermann (Lichtdesign)).

Abb. 2.2.21a/b/c/d: Der Weg der Sinne. Mediatektur für den Messestand der Siemens AG auf der Hannover Messe 2002 (Zeeh Bahls & Partner (Architektur); Luxoom Medienprojekte (Medien und Licht)). Mitte rechts (b): Visualisierung aus der Konzeptphase.

Abb. 2.2.22a/b: Marc O’Polo auf der Pitti Immagine. Florenz, 2007 (Christian Spork/weißpunkt und purpur (Lichtkonzept); Studio Grosch und Studio Aisslinger (Konzept und Design)).

Die Instrumente der Mediatektur – Licht und Farbe

Wie die drei von Kelly beschriebenen Arten der Lichtgestaltung zusammenspielen, um eine spezielle Wirkung zu erzeugen, zeigt der Auftritt der Modemarke Marc O’Polo auf der Pitti Immagine 2007 in Florenz: Eine sich wandelnde Szenerie (siehe Abb. 2.2.22) aus Licht- und Soundcollagen in beinah naturalistischem Dekor lässt hier Tag und Nacht am Betrachter vorbeiziehen. Dank einer animierten Wasserprojektion glitzert sogar der See im Abendlicht. Unterlegt mit natürlichen Waldund Seegeräuschen entwickelt die Szenerie im suggerierten Tag- und Nachtverlauf eine ganz eigene Realität – oder vielmehr Hyperrealität. Eine zentrale Rolle spielt hier die Lichtsetzung: Das Grundlicht macht die verschiedenen Aspekte der Szene erkennbar. Das Akzentlicht betont stark die Mitte der Szene und führt die Aufmerksamkeit vom Rand ins Zentrum des Geschehens. Zusammenfassung •• Grundlicht (Ambient Luminescence): Eine der Architektur folgende, natürlich erscheinende (erwartbare) Grundbeleuchtung sorgt für Übersichtlichkeit des Raumes. •• Akzentlicht (Focal Glow): Bereiche oder Objekte von wesentlichem Informationsgehalt werden durch eine betonte Beleuchtung oder Farbkontraste hervorgehoben, zweitrangige oder störende Informationen dagegen durch ein geringeres Beleuchtungsniveau zurückgenommen. •• Inszenierungslicht (Play of Brilliants): Die Lichtquelle bzw. das Lichtspiel werden selbst zum Objekt. •• Das Zusammenspiel von Grundlicht, Akzent- und Inszenierungslicht gestaltet Stimmungsbilder.

Dramaturgische Lichtgestaltung Transformation von Räumen

Licht als zentrales Gestaltungsmittel kann qualitativ unterschiedliche Stim­ mungen erzeugen und damit Erlebnisse generieren. Licht kann zugleich dy­na­misch inszenieren – Räume öffnen, Tiefe vermitteln und Raum gezielt transformieren. Die Veränderung des Lichtes kann als der zeitlich wahrnehmbare Faktor ge­nutzt werden, an dem entlang eine Dramaturgie verläuft. So erhält die Veränderung eine narrative Komponente. Wie stark Licht einen Raum über die Zeitachse verwandeln kann, zeigt beispielhaft das vom Büro für Szenografie chezweitz gestaltete Landesfeuerwehrmuseum Vorarlberg. Wie in den Abbildungen 2.2.23 zu sehen, verwandelt sich der normale Ausstellungsraum in die Erlebnisszenerie eines Feuerwehreinsatzes. Dem

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Abb. 2.2.23a/b/c: Landesfeuerwehrmuseum. Vorarlberger Museumswelt, 2013 (chezweitz).

Die Instrumente der Mediatektur – Licht und Farbe

Betrachter wird mit diesem umfassenden Wandel der Lichtsituation der Eindruck vermittelt, er würde sich in ein komplett anderes Umfeld begeben. Verbindung von virtuell-medialem und realem Raum

In der Mediatektur sind die Übergänge zwischen Licht und Medien fließend. Digitale Bildmedien sind auch Lichtmedien und unterscheiden sich vom inszenierten Licht hauptsächlich in der Detailmenge der Informationen, die sie bieten. Anstatt nur einer mehr oder weniger homogenen farbigen Lichtfläche können sie detaillierte und bewegliche Bilder zeigen. Bereits das Bühnenbeispiel VW Beetle Launch (Anting, China, 2012) im Abschnitt zu Akzentlicht zeigt die fließenden, spielerischen und konzeptionellen Übergänge zwischen Licht und Medien. Licht kann dabei behilflich sein, Elemente der Medieninhalte in den realen Raum zu bringen und somit realen und virtuell-medialen Raum in der Wahrnehmung zu verknüpfen. Abbildung 2.2.24 zeigt, wie ein zentrales, vertikales Licht über der Performerin die vertikale Licht- und Linienführung der Gebäude auf den zwei großen LED-Wänden aufnimmt und somit medialen und realen Raum zusammenwachsen lässt. Darüber hinaus verleiht der blaue Lichtfarbverlauf auf der Bühnenrückwand dem Gesamtbild Tiefe. Stellt man sich jetzt vor, dass beispielsweise der Schnittverlauf der Medieninhalte und der Rhythmus der Lichtwechsel synchronisiert sind, verstärkt sich das Zusammenspiel zwischen medialem und realem Raum noch weiter.

Abb. 2.2.24: Porsche Panamera 2nd Generation Launch China. Foshan, China, 2013 (Vok Dams China (Gesamtevent); Luxoom Medienprojekte (Bühnenkonzept und Medienbespielung)).

Ein weiteres Beispiel, das die Verbindung von Licht und Medien illustriert, ist das wandelbare Bühnenbild, das von Luxoom anlässlich der Gala zum 125-jährigen Bestehens von Siemens Österreich in der Wiener Staatsoper gestaltet wurde.

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Hierfür wurde ein bühnenfüllendes Kaleidoskop aus Spiegelfragmenten mit einem Raum aus Licht umgeben. Zuschauerraum und Bühnenbild überlagern sich in den Spiegeln teilweise in unendlichen Reflexionen. Im Zentrum des Kaleidoskops befindet sich ein großer, beweglicher und aufklappbarer Kubus, auf den Bilder und Filme projiziert werden können (siehe Abb. 2.2.25). Je nachdem, wie weit der Medienkubus nach vorne gezogen ist, wie der Rückraum erleuchtet ist und welche Bilder, Filme oder Animationen auf den Kubus projiziert werden, erscheint dieser nur als kleines, bespieltes Quadrat oder als Zentrum, dessen Bilder zu schweben scheinen und sich in der konstruktiven Umgebung unendlich spiegeln. In diesem Beispiel verbindet sich der Gedanke der Transformation von Raum mit dem der Verbindung von virtuell-medialem und realem Raum in einem Bühnenset – beides durch Licht und Farbe. Wie Abbildungen 2.2.26a-e zeigen, bewirkt das Licht sowohl eine sich wandelnde, zielgerichtete Strukturierung des Bühnenraumes als auch eine sich wandelnde, inszenatorisch motivierte Integration des beweglichen Medienkubus als Zentrum. Licht- und Farbgestaltung – in diesem Fall ergänzt um zahlreiche Spiegel – werden somit zum entscheidenden Faktor der Wandelbarkeit, der Vielfalt und damit auch der spannenden, abwechslungsreichen Dramaturgie der Inszenierung. Ihren Höhepunkt findet die flexible Inszenierung des Lichtes, wenn die Lichtquellen selber mobil werden und dabei Perspektiven in den Raum eröffnen. Eine Kooperation von Rhizomatiks und Elevenplay zeigt das sehr anschaulich: In dem Tanzstück Shadow sind drei Dronen mit jeweils einem Licht ausgestattet. Diese bewegen sich mit dem Stück, geben und nehmen Licht, machen somit die Tänzerin sichtbar und vermessen mit ihrem Schatten den Raum. Das Licht hat eine suchende, zeigende, zeitweise gar selbstreferenzielle Rolle, die dem Ausdruck der Tänzerin in nichts nachsteht. Die Abbildung 2.2.27 zeigt einzelne Momente aus diesem Bühnenarrangement. Zusammenfassung •• Die sich über einen Zeitraum erstreckende, sich verändernde Inszenierung von Licht, die Lichtdramaturgie, erlaubt die Transformation von Raum und Form. Licht kann Räume öffnen, gliedern, verbinden und abgrenzen oder auflösen. •• Eine Lichtdramaturgie kann zum Taktgeber einer Inszenierung werden. •• Licht- und Bildmedien sind eng verwandt – entsprechend kann Licht eine Verbindung zwischen Medial-Virtuellem und Realem herstellen. •• Dramaturgische Licht- und Farbgestaltung sind ein vielfältig einsetzbarer Schlüssel zu einer wandelbaren Inszenierung.

Abb. 2.2.25: Zeichnung eines Kaleidoskopes mit fahrbarem, sich öffnendem Kubus für die Inszenierung zu 125-Jahren-Siemens-Österreich, Gala Oper Wien, 2004 (Luxoom Medienprojekte).

Abb. 2.2.26a: 125-Jahre-Siemens-Österreich. Medienkubus mit heller Hintergrundbeleuchtung. Gala Oper Wien, 2004 (Luxoom Medienprojekte).

Abb. 2.2.26b: 125-Jahre-Siemens-Österreich. Ohne Hintergrundlicht wird die Konstruktion des Gesamtkubus unsichtbar und nur die projizierten Bilder sowie ihre unendlichen Spiegelungen beherrschen den Raum. Gala Oper Wien, 2004 (Luxoom Medienprojekte).

Abb. 2.2.26c: 125-Jahre-Siemens-Österreich. Licht auf den Seiten des Kubus und hinter den Spiegeln verankert die Medien im Bühnenraum, gibt dem Ensemble Tiefe, dem zentralen Kubus eine Rahmung. Bühnenraum, Spiegel und Medienkubus verbinden sich durch das Farbspiel. An seinen Seiten wird der Kubus durch die lichtförmige Bespielung zu einem Leuchtkörper. Gala Oper Wien, 2004 (Luxoom Medienprojekte).

Abb. 2.2.26d: 125-Jahre-Siemens-Österreich. Der aufgefaltete Kubus zeigt historische Filme. Der Lichthintergrund unterstreicht dies mit einer amberfarbenen Stimmung. Der Wagen wird mit Akzentlicht vor dem Bühnenarrangement etabliert. Gala Oper Wien, 2004 (Luxoom Medienprojekte).

Abb. 2.2.26e: 125-Jahre-Siemens-Österreich. Der Hintergrund beruhigt sich und nimmt deutlich an Helligkeit ab. Somit liegt jetzt der inszenatorische Fokus auf der Gruppe der Personen auf der Bühne. Das Kaleidoskop und die Bühnengeometrie wirken hier vergleichsweise flach und beschränken sich damit auf ihre Rolle als Bühnenhintergund für das eigentliche Geschehen. Gala Oper Wien, 2004 (Luxoom Medienprojekte).

Abb. 2.2.27a/b: ELEVENPLAY x Rhizomatiks Research: Shadow. Tokio, 2015.

Die Instrumente der Mediatektur – Licht und Farbe

Technische Aspekte der Lichtgestaltung Lichtplanung Lichtplanung und Lichtgestaltung gehen Hand in Hand: Lichtplanung r­ealisiert, was die Lichtgestaltung vorgibt. Dabei ist Lichtplanung die technische Auseinandersetzung mit einer Vielzahl von Variablen und umfasst beispielsweise die Auswahl von lichttechnischen Komponenten, die Berechnung der Lichtwege, die Planung der Verkabelung und des Strombedarfs, die Erstellung eines Beleuchtungs­plans sowie die Herstellung von Betriebssicherheit. Gerade wenn spezielle und komplexe Lichteffekte erreicht werden sollen – wie zum Beispiel die beeindruckenden Lichtbündel in der Neither 3D-Inszenierung, die im Abschnitt zu Play  of Brilliants20 gezeigt wird – gehen die Aufgaben von Gestalter und Planer Hand in Hand, denn die gestalterischen Möglichkeiten werden stark auch durch die technischen Grenzen und Möglichkeiten sehr spezialisierter Lichttechnik bestimmt. Aus Sicht der Lichtgestaltung sind die folgenden Aspekte der Licht­ planung von größerer Bedeutung: •• Auswahl der lichttechnischen Komponenten •• Verortung der lichttechnischen Komponenten •• Erstellung eines Lichtskripts Auswahl der lichttechnischen Komponenten

Es gibt eine Vielzahl verschiedener lichttechnischer Komponenten. Eine übliche grundlegende Unterscheidung ist die zwischen statischen und bewegten Lichtquellen. Die statischen Lichtquellen unterteilen sich dann wiederum in fokussierbare und Flächenlichtquellen. Die Auswahl der richtigen Lichtquelle betrifft auch deren Helligkeit. Im Alltag der Mediatektur ist dies allerdings ein Punkt, den man als Gestalter in vielen ­Fällen vernachlässigen kann, zumal sich die Helligkeit mit der heutigen Licht­ technik in der fertigen Situation meist anpassen lässt.21 Kommt man doch mal in die Verlegenheit, die Lichtmenge berechnen zu müssen, beispielsweise, um einen bestimmten Kontrast zu erreichen, kann man auf die Lumen-Angabe der Lichtquelle, etwa einem Strahler mit einem spezifischen Leuchtmittel, zurückgreifen. Lumen bezeichnet den Lichtstrom, also die Menge des Lichtes, die eine Lichtquelle abgibt. Betrachtet man diese bezogen 20 Siehe S. 104. 21 Eine zu helle Lichtquelle ist meist kein Problem, da sie in der Regel gedimmt werden kann. Dabei kann es lediglich passieren, dass man bei älteren Leuchtmitteln mittels eines Farbfilters die leistungsbedingte Verschiebung ins Orange korrigieren muss.

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auf die Fläche, die die Lichtquelle erhellt, ergeben sich Lux (lx). Ein Lumen pro Quadratmeter entspricht einem Lux. Richtet man also beispielsweise eine Lichtquelle von 700 Lumen auf eine Fläche von zwei mal zwei Metern, erhellt man diese um (700  :  4)  =  175  lx. Als Richtwerte kann man angeben, dass 20 lx einem recht dunklen Raum, 300 lx bereits einem Arbeitsraum und über 10.000 lx Tageslicht entsprechen. Inszenatorisch sind Kontraste entscheidender als der absolute ­Helligkeitswert: Hat man ein Objekt in einer Umgebungsaufhellung von 20 lx mit 200 lx beleuchtet, ist das Objekt zehnmal heller als seine Umgebung. Das Thema Kontrast spielt insbesondere im Zusammenhang mit Projektionen eine entscheidende Rolle. Hier ist eine bewusste Lichtplanung wichtig, um böse Überraschungen zu vermeiden, denn schon geringe Lichtmengen können dazu führen, dass Projektionen ihren Kontrast und damit ihre Brillanz verlieren.22 Die Erfahrung lehrt, dass dieses Problem gerade im Rahmen von Automobil­ präsentationen auftreten kann. Viele Autolacke sind spiegelnde Oberflächen, das heißt von den Autos wie auch allen anderen hochglänzenden Flächen im Raum wird viel von dem vorhandenen Licht in den umliegenden Raum gespiegelt. Trifft dieses Licht dann auf Projektionsleinwände, bleibt von der Sichtbarkeit der projizierten Inhalte häufig nicht mehr viel übrig.

Abb. 2.2.28: EXPO 2017 Astana Stand, World Energy Summit. Abu Dhabi, 2014 (Exponential Group (GU); Luxoom Medienprojekte (Medien und Kreativdirektion)).

22 Vgl. Kapitel Bildmedien, Abschnitt Helligkeit und Kontrast, S. 188 ff.

Die Instrumente der Mediatektur – Licht und Farbe

Verortung der lichttechnischen Komponenten

Im Kontext der Auswahl der lichttechnischen Komponenten ist es notwendig, diese auch in einem Aufbau zu verorten. Häufig bedarf es einer Deckenkonstruktion bzw. eines sogenannten Lichtriggs, um alles nötige Licht zu platzieren. Im Theater oder in Bühnenräumen ist meist für solche Konstruktionen gesorgt, ­während dies an anderen Orten zu einigem baulichen Aufwand führen kann. Fehlende Deckenhängepunkte oder eine unbekannte Statik beispielsweise können dann die Installation von Licht zur Herausforderung machen. Klassischerweise sieht man bei temporären Installationen Konstruktionen aus sogenannten Truss­ elementen – meist Baukörper aus Alu, die zu entsprechenden lichttragenden Konstruktionen zusammengebaut werden. Abbildung 2.2.28 zeigt eine solche Trusskonstruktion über einem Messestand, die sowohl Standelemente als auch die gesamte Beleuchtung trägt. Die Lichtgestaltung ist hier in der Verwendung von Leuchtmitteln nur insofern frei, wie dieses von der Lichtplanung auch physikalisch verortet und befestigt werden kann. Ist beispielsweise eine Deckenhängung nicht möglich, muss dies frühzeitig in die Gestaltung einfließen. Zusätzliche Strukturen wie Trusselemente müssen dann in den Kontext von Raum- und Formgestaltung einbezogen werden. Erstellung eines Lichtskripts

Abb. 2.2.29: Ausschnitt aus einem Lichtskript.

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Soll die Lichtsetzung zu einer Lichtdramaturgie ausgeweitet werden, arbeitet man also mit einer zeitlichen Veränderung des Lichtes als Bestandteil einer ­Narration, ist ein ebenso wichtiger wie aufwändiger Bestandteil der Lichtplanung die Erstellung eines Lichtskripts. Dieses dient als Grundlage für die Program­ mierung der Lichtszenen (siehe Abb. 2.2.29). Das Lichtskript kann dabei Teil eines Gesamtskripts für einen Inszenierungsablauf oder aber ein separates Dokument sein. Je nach Komplexität der vorhandenen Lichtanlage und der zur Verfügung stehenden Funktionalitäten von Leuchten und Lichtsteuerungsanlage ist auch die mit dem Lichtskript programmierte Lichtsteuerung unterschiedlich aufwändig. •• Bei komplexen Installationen können mit Hilfe von Lichtplanungssoftware sowohl die Lichtverteilung und Beleuchtungsstärke als auch die jeweilige Blendungsbegrenzung berechnet werden. Mit Lichtsimulationsprogrammen lassen sich ganze Bühnenshows mit Multifunktionsscheinwerfern v­ isualisieren und gleichzeitig auch vorprogrammieren. Eine Vielzahl von Schnittstellen erlauben eine Synchronisation mit dem Gesamtablauf der Mediatektur. •• Bei kleineren, weniger komplexen und nicht interaktiven Projekten profitiert man dagegen davon, dass bereits die standardisierte Technik und übliche Schnittstellen ein breites Spektrum an Möglichkeiten bieten. So lassen sich handelsübliche Dimmer beispielsweise über USB-betriebene DMX512-Schnittstellen komplett steuern und somit an übliche Inszenierungstools anbinden. •• In medienintensiven Inszenierungen, die wenig Interaktivität voraussetzen, wird die Lichtsteuerung oft durch eine Synchronisation mit den Medien­ abspielern gesteuert, entweder indem ein übergreifender Timecode etabliert wird, auf den die Lichtsteuerung aufsetzt, oder indem die Steuersignale direkt durch die Mediensteuerungen mit ausgegeben werden. Zusammenfassung •• Lichtgestaltung muss durch Lichtplanung in die Realität übersetzt werden. •• Faktoren wie die Hängung von Licht und das Zusammenspiel von Licht und Medien können die Gestaltungsfreiheit entscheidend beeinflussen. •• Das Lichtskript ist die Grundlage für die Programmierung der sich verändernden Lichtszenen.

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Lichtqualität von Leuchtmitteln Neben Helligkeit und Kontrast spielt bei der Auswahl der Lichtkomponenten auch die Lichtqualität eine zentrale Rolle. Zur Erläuterung lässt sich hier an den Abschnitt Licht- und Farberleben anknüpfen. Was Olafur Eliasson mit seinem The weather project als inszenatorische Qualität verwendet23 – die Monochromisierung der Umwelt –, ist in der Regel gerade das, was in der Lichtanwendung vermieden werden soll. Betrachtet man die oben stehende Grafik mit den verschiedenen Lichtspektren, kann man annehmen, dass Eliassons Installation der untersten Darstellung – dem einzelnen Linienspektrum – entspricht. Die Qualität der Farbwiedergabe ist abhängig vom Farbspektrum der verwendeten Lichtquelle. Lichtquellen mit einem kontinuierlichen oder möglichst breiten Spektrum an ­Frequenzen schaffen eine gute Farbwiedergabe. Man spricht daher von einer hohen Lichtqualität, während Lichtquellen mit wenigen oder nur einzelnen ­Frequenzlinien eine eher schlechte oder auch selektive Farbwiedergabe nach sich ziehen.

Abb. 2.2.30: Vergleich von Lichtspektren.

Entsprechend wird im Kontext von Produktpräsentationen für Materialien wie Textilien, für Lebensmittel oder auch in der Autopräsentation die gewünschte Farbdarstellung getestet und dann mit Angabe der Farbtemperatur des Lichtes und der Qualität des Leuchtmittels im Sinne einer gewünschten Farbkonstanz sowie Farbwirkung festgelegt. Die Qualität der Farbwiedergabe wird im Farbwiedergabeindex CRI (Color Rendering Index) angegeben und bei weißem Licht zusammen mit der Angabe der Farbtemperatur in Kelvin aufgeführt. Diese Angaben werden bei der Auswahl der Leuchtmittel genutzt. 23 Vgl. in diesem Kapitel, Abschnitt Licht- und Farberleben, S. 94 f.

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Abb. 2.2.31: Die Abbildung zeigt einen Test mit unterschiedlichen Lichtquellen zwischen warmweiß und kaltweiß und illustriert die unterschiedliche Farbwirkung. (Super Bright LEDs, Inc.).

Abb. 2.2.32: Farbwiedergabeindex und Lampenkodierung.

Wie in der Tabelle Farbwiedergabeindex oben aufgeführt, bedeutet ein CRIWert ab 90, dass die Farbwiedergabe exakt ist, bei 80 bis 90 ist sie gut, bei 60 bis 80 moderat und bei 40 bis 60 schwach. Die als Beispiele oben rechts aufgeführten Lampencodes zur Farbwiedergabe helfen dabei, schnell ein passendes Leuchtmittel zu finden: Die erste Ziffer gibt den CRI-Wert an (die hier ausgelassene Null muss man sich dazudenken – 8 meint beispielsweise 80+ und 9 meint 90+). Die zwei weiteren Ziffern identifizieren die Farbtemperatur. Hier muss man sich zwei Nullen dazudenken, um die Farbtemperatur in Kelvin zu erhalten (42   entspricht demnach beispielsweise 4.200 Kelvin). Gerade bei den weit verbreiteten LED-Leuchtmitteln lohnt sich ein genaues Hinschauen auf diese Werte, denn im Gegensatz zu den früher verwendeten Glühlampen, die eigentlich durchgehend einen CRI von mehr als 90 haben, liegen die meisten LED-Leuchtmittel nur bei einem CRI von unter 80. Man kann fünf verschiedene LED-Leuchtmittel mit

Die Instrumente der Mediatektur – Licht und Farbe

einer Farbtemperatur von 3.000 Kelvin und einem CRI von 90 nebeneinander be­­mustern und trotzdem werden die Farben unter dem jeweiligen Leuchtmittel anders wiedergegeben. Deshalb sollte man bei der Verwendung von LED-­Leuchten immer den gleichen Typ und Hersteller bei Bemusterung und Realisierung verwenden und sich die Farbkonstanz vom Hersteller bestätigen lassen. Zusammenfassung •• Licht mit einem kontinuierlichen oder möglichst breiten Spektrum an ­Frequenzen schafft eine gute Farbwiedergabe. Man spricht daher von einer hohen Lichtqualität. •• Licht mit wenigen oder nur einzelnen Frequenzlinien führt zu eher schlechter oder auch selektiver Farbwiedergabe, eröffnet aber gerade durch diese Eigenschaft eigene Inszenierungsmöglichkeiten. •• Unter Angabe der Farbtemperatur des Lichtes und der Qualität des Leucht­ mittels kann eine zuvor getestete Farbkonstanz festgelegt werden, die sicherstellt, dass Materialien – vorausgesetzt man verwendet besonders bei LEDs den gleichen Typ und Hersteller bei Bemusterung und Realisierung – wie gewünscht dargestellt werden. •• Die Qualität der Farbwiedergabe wird im Farbwiedergabeindex CRI angegeben.

Licht- und Körperfarben in der Anwendung Wie bereits im Kapitel Farbmischung gezeigt, können Lichtinszenierungen mit Lichtfarben, aber auch in einer Kombination aus Körper- und Lichtfarben erreicht werden. Lichtfarben werden mit farbigen Lichtquellen oder einfach durch den Einsatz von Farbfiltern erzeugt. Diese werden als hitzebeständige Folien und Gläser angeboten, die in den Lichtstrahl gebracht werden und entsprechend der gewünschten Farbe Frequenzen absorbieren. Das Licht wird also nicht „gefärbt“, vielmehr werden Farbfrequenzen aus dem Licht herausgefiltert, so dass nur bestimmte Frequenzen und damit Farben durchgelassen werden. Die Menge des Lichtes wird entsprechend durch einen Farbfilter verringert. Je nach Farbe haben Farbfilter einen Transmissionswert (Wert, der angibt, wie viel Prozent des Lichtes durchgelassen werden) zwischen ca. 96 Prozent bei nahezu transparenter Folie und ca. einem Prozent bei dunklen Farbtönen. Im Schnitt liegen die meisten wirklichen Farben – also nicht nur eine Lichttönung – bei deutlich unter vierzig Prozent Transmission. Bleibt noch zu erwähnen, dass man, um mit einem Farbfilter einen zufriedenstellenden Effekt zu erreichen, ein Leuchtmittel verwenden muss, das über Spektrenlinien oder -abschnitte verfügt, welche nicht durch den Filter absorbiert werden. Beispielsweise kann ein Licht, das keinen Blauanteil

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e­ nthält, auch mit einem Farbfilter nicht dazu gebracht werden, im Ergebnis blau zu erscheinen. Die Wechselwirkung von Licht- und Körperfarben steht bei der Beleuchtung von farbigen Wänden oder Objekten mit farbigem Licht im Vordergrund. Dieses Zusammenspiel funktioniert nach den Regeln der subtraktiven Farbmischung. Die Farbwirkungen können dabei verstärkt oder verändert werden.

Abb. 2.2.33: Auftritt von Mediamarkt auf der EXPO 2010. Shanghai, China, 2010 (Uniplan Köln (Agentur); Luxoom Medienprojekte (Design und Medienbespielung)).

Eine weitere Herausforderung entsteht bei der Kombination von Bildmedien, Körperfarben und Licht: Abbildung 2.2.33 zeigt weißes Licht auf Flächen mit roter Körperfarbe, so dass unterschiedliche Abstufungen des Rottons entstehen. Damit die verschiedenen Rotabstufungen zur Geltung kommen, wurde auf die hohe Farbwiedergabequalität (mit kontinuierlichem Spektrum) der Lampen insbesondere im Rotbereich geachtet. Die Lichtfarben der Medien und die Körperfarben der Oberflächen lassen sich generell nicht in dem Sinne vergleichen, dass man für eine Anwendung einfach dieselbe Licht- und Körperfarbe finden könnte. Im Beispiel trat entsprechend trotz aller Abstimmungen zwischen Weisslicht, Körperfarben und der Farbigkeit der auf Screens gezeigten Bildinhalte an einer Stelle ein Farbunterschied auf: Der einzelne, hochkant gestellte Monitor in der Mitte zeigte ein Rot mit einem wahrnehmbar höheren Gelbanteil, während das Rot auf den anderen an der Wand befestigten Bildschirmen nah an der wahrgenommenen Körperfarbe der Wand liegt. In der dargestellten Situation – es handelt sich um eine Aufnahme aus einem Probeaufbau, der später noch optimiert wurde – hatte man sich schon die Mühe gemacht, das verwendete Rot in den Medieninhalten in einem Probeaufbau dem Rot der Wand anzupassen. Nur handelte es sich bei dem Hochkantmonitor in der

Die Instrumente der Mediatektur – Licht und Farbe

Bildmitte um einen von den anderen unterschiedlichen Bildschirmtyp, der den gleichen Farbwert etwas anders, eben mit etwas mehr Gelbanteil darstellte. Das Beispiel macht deutlich, dass prinzipiell alle Farbelemente einer Inszenierung in einem geeigneten Probeaufbau abgeglichen werden müssen. Zusammenfassung •• Lichtfarben werden mit farbigen Lichtquellen (Ein- oder Mehrfrequenzlichtquellen) oder durch den Einsatz von Farbfiltern erzeugt. Bei der Farbfilterung verringert sich die Lichtmenge signifikant. •• Licht- und Körperfarben lassen sich einander nur annähern. •• Neben Licht- und Körperfarben müssen insbesondere Bildmedien bzw. -inhalte, die mit anderen Farben kombiniert werden, einzeln in einem ­geeigneten Probeaufbau abgeglichen werden.

Farbdefinition und -standardisierung Wie das vorigen Beispiel zeigt, ist es schwierig, Farben über verschiedene Mediengrenzen und Mischsysteme hinweg konsistent zu halten. Zwar gibt es immer wieder Ansätze zur Farbkalibrierung und -festlegung, doch wenn Licht-, Bildschirm- und Körperfarben aufeinandertreffen, ist Konsistenz der Farben nur zu erreichen, wenn man die Farben im Zusammenspiel bemustert. Innerhalb der jeweiligen Mischsysteme lassen sich Farben dagegen durchaus effektiv definieren. In der additiven Farbmischung wird das RGB-Farbsystem eingesetzt, das Farben nach den Anteilen von Rot, Grün und Blau beschreibt – dabei ist 0|0|0 schwarz und 1|1|1 weiß. Dazu kann ein weiterer Wert – der sogenannte A ­ lphakanal – kommen, der die Transparenz der Farbe bestimmt (dann als RGBA oder ­RGB+alpha bezeichnet). Häufig werden die Werte dieses Farbsystems in 8-bitoder 16-bit-Schritten festgelegt, um eine einfache Reproduzierbarkeit in digitalen Systemen zu erreichen. Als 8-bit-Werte dienen 256 Stufen (28) (0–255), die die Werte von 0 (= 0) bis 1 (= 255) beschreiben, bei 16 bit sind es 65.536 Stufen (216). Der wirkliche Einsatz von 16-bit- und 32-bit-Farbsystemen liegt dabei weniger in der Bestimmung der Farben als darin, saubere Farbverläufe zu schaffen, die keine sichtbaren Abstufungen aufweisen. Farbdefinitionen erfolgen häufig durch 8-bit-RGB-Werte. So ist beispielsweise Telekom-Magenta im RGB-System definiert als die Ziffernfolge 226|0|116, Siemens-Petrol als 0|153|153. Für Lichtfarben steht kein so eindeutiges System zur Verfügung, dort ist lediglich die Farbtemperatur als Linie in der bereits erwähnten CIE-Skala klar definiert. In der Anwendung könnte man natürlich eine Farbe über die Frequenzzusammensetzung genau definieren. Das ist in der Praxis aber häufig zu kompliziert. Die Hersteller von Farbfiltern stellen vielmehr Filterfächer zur Verfügung, die verschiedene Farbtöne über Namen

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und Filterkennung sowie einen Filterverlauf (Absorptionskurve entlang des Spektrums) definieren.

Abb. 2.2.34: Beispiel für Filterfarben und Transmissionskurven von LEE Filters.

Wieder andere Farbsysteme existieren bei Körperfarben. Bei diesen geht es nicht nur systematisch um Helligkeit, Farbton und Sättigung, sondern auch um die Farbbeschaffenheit (einfarbige Lacke, Metalliceffektlacke etc.) und das Oberflächenfinishing (matt, glänzend etc.). Farbkataloge bzw. -systeme wie RAL, NCS und PANTONE bilden hier feste Ankerpunkte in der täglichen Arbeit, wobei auch hier die Anwendbarkeit leicht variiert. Gemeinsam ist diesen Farbsystemen, dass es sich bei ihnen um organische und anorganische Farbpigmente bzw. Farbpigmentkombinationen (Volltonfarben) handelt und nicht um eine Mischung im unmittelbaren Sinne.

Abb. 2.2.35: Beispiel eines CMYK-Punktrasters in der Vergößerung.

Eine optische, subtraktive Farbmischung wird dagegen im CMYK-Farbsystem erreicht, das hauptsächlich als Vierfarbdruck eingesetzt wird. In diesem werden die vier Farben Cyan, Magenta, Gelb und Schwarz in unterschiedlichen zuein-

Die Instrumente der Mediatektur – Licht und Farbe

ander gewinkelten Punktrastern gedruckt, um in optischer Mischung spezifische Farbwerte zu erzeugen (siehe Abb. 2.2.35). Der CMYK-Farbraum (so heißt der Umfang abbildbarer Farben) ist aber im Vergleich zu den Volltonfarben, wie sie in RAL, NCS und PANTONE definiert sind, beschränkt. Gerade besonders leuchtende Farben sind zum Teil nur mittels Volltonfarben erreichbar. Zusammenfassung •• Die additive Farbmischung für Körperfarben verwendet standardmäßig ein RGB-Farbsystem, in dem die Anteile von Rot, Grün und Blau benannt werden. •• Lichtfarben haben ein solches Farbsystem nicht. Die Standardisierung erfolgt hier beispielsweise über Foliensortimente. •• Körperfarben werden über Pigmentfarben definiert. Standardisierungen sind beispielsweise RAL, NCS oder PANTONE. •• Als Mischsystem für die subtraktive Farbmischung beispielsweise im Vier­ farbdruck verwendet man standardmäßig CMYK (Cyan, Magenta, Yellow und Key für den Schwarzanteil).

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Klang von Wolfgang Loos Die Instrumente der Mediatektur

Einleitung Es gibt Momente, in denen wir nichts sehen, riechen, schmecken oder tasten – aber immer hören wir etwas: Sprache, Musik, Geräusche, Atmosphären. Nada Brahma − Die Welt ist Klang heißt bezeichnenderweise ein Buch von Joachim-Ernst Berendt über die Welt des Hörens im weitesten Sinne.1 Das Hören beginnt schon im Mutterleib und so ist das Ohr lange vor dem Auge das wichtigste Sinnesorgan, um unsere Umwelt zu erfahren und zu verstehen. Wir können unsere Augen schließen, nicht aber unsere Ohren. Ob wir wollen oder nicht, über unsere Ohren gelangen alle Arten von Schallwellen in unser Gehirn zur Verarbeitung auf unterschiedlichste Weise. Selbst wenn wir uns im schalltoten Raum aufhalten, hören wir noch das Eigenrauschen unseres Gehörs. Wir analysieren, ohne uns dessen bewusst zu sein, mit unserem Hören äußerst präzise die Umgebung, in der wir uns befinden, die Entfernung zu einer Schallquelle, die Geschwindigkeit, mit der sie sich auf uns zu oder von uns weg bewegt. Wir verstehen Sprache und ­Geräusche, die wir zudem kognitiv über unser empirisches Gedächtnis Personen, Orten oder Ereignissen zuordnen. Aber vor allem nehmen wir Emotionen wahr, ganz besonders durch Musik. Schon die griechische Tragödie lebte vom Chorgesang und auch heute noch ist es vorwiegend die Musik, die uns besonders in Konzerten oder Filmen2 emotionale Reisen3 unternehmen lässt, oft sogar gemeinsam mit anderen. Was wir hören, beeinflusst die Emotionalität dessen, was wir sehen. Zusätzlich zum Sinngehalt gesprochener Worte hören wir am Klang einer Stimme deutlich, ob der Mensch 1 Vgl. J.-E. Berendt: Nada Brahma – Die Welt ist Klang. 2 Vgl. C. Bullerjahn, Grundlagen der Wirkung von Filmmusik, S. 187 ff. 3 Ein treffendes Zitat dazu stammt von Jeff Smith: „When film composers meet directors, we all talk about the same thing: emotions.“ J. Smith: Movie Music as Moving Music, S. 167.

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dahinter wütend, ängstlich, teilnahmslos oder liebevoll ist. Filmszenen, die wir sehen, bekommen durch Musik ihre Tiefe, ihre Richtung, ihre Begründung, manchmal gar ihre Rechtfertigung. Insofern ist die klangliche Gestaltung einer medialen Inszenierung besonders für ihre emotionale Wirkung und Nachhaltigkeit von größter Bedeutung. Und gerade in Bezug auf Mediatektur lässt sich der wahrgenommene Raum über die Qualität des Klanges in seiner Wertigkeit gestalten, erweitern oder auch verkleinern. Klang kann zudem oft subtiler als optische Reize die Aufmerksamkeit in bestimmte Richtungen oder auf bestimmte Objekte lenken. Das vorliegende Kapitel betrachtet zunächst physikalische Gegebenheiten von Klang sowie die Bedingungen unserer auditiven Wahrnehmung. Es widmet sich im Anschluss den grundsätzlichen Dimensionen Zeit und Raum des Klangerlebens und den Aspekten der Klangwiedergabe. Über den Klang in der Mediatektur und die dramaturgische Gestaltung von Klängen führt der Bogen zu ausgewählten ­Aufführungssituationen und technischen Parametern der Gestaltung von Klang.

Klang wahrnehmen und erleben Spektrum, Klangeigenschaften und Dynamik Was wir als Klang bezeichnen, ist zumeist ein Gemisch von Schallwellen, die wir nach ästhetischen oder kognitiven Gesichtspunkten verarbeiten. Jeder Ton (außer dem synthetisch erzeugten Sinuston) besteht aus einer Grundwelle und einigen Obertönen, jeder Akkord aus mehreren dieser Grundtöne mit Obertönen, jeder komplexe Klang aus vielen dieser Töne mit verschiedenen Klangqualitäten. Das für Menschen wahrnehmbare Frequenzspektrum der Schallwellen reicht von etwa 20 Hz bis 20 kHz. Dies entspricht einem musikalischen Umfang von knapp neun Oktaven. Physikalisch steht eine Oktave für die Verdopplung der Frequenz, beispielsweise von einem Ton a zum nächst höheren a. Zum Vergleich: Beim Licht umfasst die Verdopplung der Frequenz das gesamte für uns sichtbare Spektrum, also nur eine Oktave im musikalischen Sinne. Klänge etwa unterschiedlicher Musikinstrumente unterscheiden wir durch die verschiedenen Einschwingvorgänge und Obertonstrukturen. Ähnliches gilt auch für die Unterscheidbarkeit von Stimmen, wobei hier noch Aussprache, Dialekt und Sprachmelodie eine große Rolle spielen. Die Dynamik, also der Lautstärkeumfang unserer auditiven Wahrnehmung reicht von der Stille bis zur Schmerzgrenze und beträgt etwa 140 dB.4 Im Vergleich dazu beträgt die Dynamik eines symphonischen Orchesterwerkes etwa 60 dB, die von Sprache etwa 30 dB. 4 dB ist die gebräuchliche Abkürzung für Dezibel als zehnter Teil eines Bel, benannt nach Alexander Graham Bell. Es ist ein logarithmisches Verhältnismaß u. a. für Schallpegel, wobei ein dB den kleinsten hörbaren Unterschied zwischen zwei Lautstärken definiert.

Die Instrumente der Mediatektur – Klang

Abb. 2.3.1: Verbildlichung der Hörfläche des Menschen.

Zusammenfassung •• Ästhetisch und kognitiv von uns verarbeitete Klänge sind ein Gemisch von Schallwellen, die wir hinsichtlich Tonhöhe, Klangfarbe, Lautstärke, Richtung und Entfernung auswerten.

Zeitliche und räumliche Dimension von Klang Zum Klang gehören „[...] zwei reine Formen sinnlicher Anschauung als Prinzipien der Erkenntnis a priori [unabhängig von der Erfahrung], nämlich Raum und Zeit [...]“, schreibt Immanuel Kant.5 Zeitliche Dimension

Klang ist untrennbar mit der zeitlichen Dimension verbunden. In der Visualität haben wir neben dem Film, der auf einer oder mehreren Zeitachsen verläuft, auch das einzelne Bild, das quasi eingefroren einen Moment festhält und darstellt. Bei Klängen gibt es keinen stationären Zustand, sondern nur den Verlauf über die 5 Vgl. I. Kant: Kritik der reinen Vernunft. Die transzendentale Ästhetik a priori hat die Funktion, die Sinnlichkeit zu isolieren und auch die Erscheinung ohne die Verstandes­begriffe zu denken, „damit nichts als reine Anschauung und die bloße Form der Erscheinung übrig bleibe“ (B 36). „Bei dieser Untersuchung wird sich finden, dass es zwei reine Formen sinnlicher ­Anschauung, als Prinzipien der Erkenntnis a priori, gebe, nämlich Raum und Zeit […]“ (B 36).

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Zeit. Selbst Stille, wenn es sie denn gibt, oder Pausen funktionieren nur oder sogar erst über die Zeit. Daraus ergeben sich neben der Dauer von Klängen auch das Tempo, die ­Dynamik und der Rhythmus – wichtige Parameter beim Erleben von Klängen. Diese Parameter sind überdies miteinander verknüpft. So ist beispielsweise die subjektiv wahrgenommene Geschwindigkeit von Klängen mitentscheidend für das Erleben ihrer Dauer sowie der mit ihnen assoziierten Bilder oder Räume. Räumliche Dimension

Klang nehmen wir immer im Raum wahr. Selbst wenn wir Klänge über Kopfhörer rezipieren, hören wir einen Raumklang, nämlich den der Aufnahme. Also haben Klänge auch immer eine eigene räumliche Dimension. Diese räumlichen Dimensionen der Aufnahme wie auch der Wiedergabe haben eine große Wirkung auf unser Empfinden der Klänge. Wir hören binaural, also mit zwei Ohren, die je nach Richtung des eintreffenden Schalls auch Unterschiedliches wahrnehmen. Von einer Seite kommender Schall trifft am abgewandten Ohr später, leiser und dumpfer ein. Da wir diese Unterschiede im binauralen Hören sehr genau auswerten, können wir Richtung, Entfernung, Klang und Lautstärke einer Schallquelle meistens präzise bestimmen, auch ohne die Schallquelle zu sehen. Mit der gleichen Präzision werten wir über die Schallreflexionen in einem Raum auch dessen Parameter aus. Diese Parameter sind Größe, Höhe und Geo­ metrie eines Raumes wie auch die Beschaffenheit des Bodens, der Wände, der Decke und die Absorptionsfähigkeit der in einem Raum vorhandenen Materialien und Objekte wie auch Menschen mit ihrer Kleidung. Zusammenfassung •• Klang ist im Gegensatz zum Bild untrennbar mit der zeitlichen Dimension verbunden. •• Klänge haben immer eine eigene räumliche Dimension. •• Wir können Klang im Raum lokalisieren und gleichzeitig über den Klang ­verschiedene Parameter des Raumes auswerten.

Psychoakustik Die Lokalisation und das Erkennen von Tönen, Klangfarben, Intensität, ­Harmonik und Rhythmik finden innerhalb einer halben Sekunde statt, bevor die Klänge ihre eigentliche Wirkung für die Bedeutung und die emotionale Wirkung

Die Instrumente der Mediatektur – Klang

entfalten.6 Mit diesem Zusammenspiel von Schallereignis und Höreignis beschäftigt sich die Psychoakustik. Die psychoakustische Wirkung von Schallereignissen ist von mehreren Faktoren abhängig: Psychoakustische Wirkung der Schallereignisse

•• Raumakustik Da wir Klangereignisse stets im Raum wahrnehmen, wirkt sich die räumliche Umgebung eines Klangereignisses sehr stark auf den Klang selbst aus. So hören wir Klänge in verschieden großen oder verschieden klingenden Räumen unterschiedlich. Auch unser Raumempfinden wird von der Akustik des Raumes und mithin von psychoakustischen Phänomenen beeinflusst. So hängt die akustisch empfundene Größe eines Raumes von seinen klanglichen Eigenschaften ab. Größe, geometrische Form und Beschaffenheit der Oberflächen bestimmen die akustischen Reflexionen, die sich zum sogenannten Raumhall addieren. Wir können über die Akustik eines Raumes sehr genau seine Größe abschätzen, auch mit geschlossenen Augen oder im Dunkeln. Dies geschieht über die Verarbeitung der Impulsantwort des Raumes auf Geräusche wie Sprechen, Husten oder die eigenen Schritte durch unseren Wahrnehmungsapparat. Diese sehr genaue Vorstellung von der Ausdehnung eines Raumes triggert ­psychologische Parameter, die mit unserem Raumempfinden zusammenhängen: Wir empfinden akustisch erlebte Kleinräumigkeit als beengend, Groß­räumig­ keit hingegen als wohltuend und erhaben. Doch ist die emotionale Wirkung nicht eindeutig festgelegt: Der Klang einer großen leeren Halle kann im Gegensatz zu dem eines wohlklingenden Konzertsaales auch dazu führen, dass wir uns hier verloren fühlen. Den Zusammenhang zwischen dem Klang eines Raumes und empfundener Raumgröße macht man sich umgekehrt zunutze, um ohne bauliche Veränderungen die Größenwirkung eines Raumes zu verändern. Dies erfolgt etwa in Konzertsälen, beispielsweise in der Berliner Staatsoper Unter den Linden, indem dort der Aufführung künstlicher Nachhall zugefügt wird. •• Lautstärke Leise Klänge werden oft als unbedeutend wahrgenommen, laute dagegen als machtvoll oder auch als enervierend. Da die Kraft eines Geräuschs in u ­ nserer Wahrnehmung auch durch seinen Klang im Raum geprägt wird, kann die subjektive Lautstärke auch über die künstliche Beeinflussung des Raumanteils verändert werden. 6 S. Koelsch/E. Schröger: Neurowissenschaftliche Grundlagen der Musikwahrnehmung, S. 394 f.

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•• Spektrale Aufteilung Verschiedene Frequenzbereiche wirken sich unterschiedlich auf unsere Empfindung eines Klanges aus. So sorgen tiefe Frequenzen für Wohligkeit oder auch Wucht, mittlere Frequenzen für die Präsenz und Verständlichkeit der Klang­ereignisse, hohe Frequenzen für die Brillanz. Dabei können tiefe Signale ein Klangerlebnis „erden“, überbetonte hohe Frequenzen dagegen beängstigend wirken. Psychoakustische Wirkung im Zusammenspiel der Sinne

In jeder Umgebung, somit auch in gestalteten Umgebungen der Mediatektur, werden stets unsere verschiedenen Sinne zusammen angesprochen. Es geht also nie nur um die Rezeption des Klanges allein, sondern immer um ein komplexes Wahrnehmungsgeschehen. Man hört und sieht nicht nur gleichzeitig, sondern das Gesehene beeinflusst direkt das Gehörte und umgekehrt. Mehr noch: Das Gesehene ergibt zwangsläufig mit dem Gehörten zusammen ein eigenes, erweitertes Erlebnis. Sobald Bilder und Klang zusammenkommen, gibt es kein separates visuelles oder auditives Empfinden mehr. Diese Konvergenz und damit Schnittmenge der Sinne und die daraus folgende Konstruktion neuer Bedeutungszusammenhänge beschreibt das von Nicolas Cook als Congruence-associationist Model vorgestellte Wahrnehmungsmodell7 (siehe Abb. 2.3.2 – hier in der Erweiterung durch Helmut Rösing). Die Aussage dieses Modells lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:8 •• Die audiovisuelle Objektebene (y) verfügt in der Regel über eine sehr große Informationsdichte, welche die Rezeptions- und Interpretationsprozesse unserer Wahrnehmung zur Auswahl zwingt. •• Musik oder andere auditive Eindrücke (x) können die notwendige Aufmerksamkeitsfokussierung leiten, was dazu führt, dass nur ein bestimmter Ausschnitt (a) tatsächlich und bewusst rezipiert wird. •• Die Deutung des visuellen Wahrnehmungsausschnitts erfolgt in diesem Fall in Abhängigkeit von der gleichzeitig stattfindenden auditiven Ebene (x), das heißt die Musik beeinflusst die Wahrnehmung des visuellen Geschehens durch assoziative Verknüpfung (ax). •• Auch der umgekehrte Fall ist möglich: In Bezug auf das bewusst rezipierte visuelle Geschehen (y) wird nur ein Teil (a) von der Musik und ihren Strukturen (x) wahrgenommen und in Bezug zum Bild interpretiert. Dann beeinflusst das filmische Geschehen die Bedeutung der Musik (ay).

7 N. Cook: Analysing Musical Multimedia, Fig. 2.2, S. 69. 8 H. Rösing: Bilderwelt der Klänge – Klangwelt der Bilder. Beobachtungen zur Konvergenz der Sinne, S. 19.

Die Instrumente der Mediatektur – Klang

Abb. 2.3.2: Wahrnehmungsmodell nach Nicholas Cook, erweitert von H. Rösing. Je nach ­Aufmerksamkeitszuwendung beeinflusst Musik die Filmwahrnehmung oder aber das filmische Geschehen die Musikwahrnehmung.

Eigentlich sollte man annehmen, dass, wenn sich Bild- und Klangebenen inhaltlich doppeln – etwa wenn ein Sprecher das erklärt, was man als Bild sieht oder als Einblendung liest, und zusätzlich Musik, Atmosphäre und Geräusche dies noch untermalen –, dies zu Verdeutlichung und Präzisierung führt. Erstaunlicherweise ist aber das Gegenteil der Fall. Hierzu sagt Helmut Rösing: „Die interpretatorische Unschärferelation nimmt bei artifiziellen Produkten zwangsweise um ein Vielfaches zu, wenn Musik nicht alleine, sondern zusammen mit Sprache und bewegten Bildern erklingt. Mit der daraus resultierenden Informationszunahme bzw. größeren Informationsdichte pro Zeiteinheit, mit dem Zusammenspiel einer Fülle von symbolischen Codes und assoziativen Semantemen werden die Interpretationsfreiräume größer und nicht, wie so oft behauptet wird, kleiner – selbst noch dort, wo es primär um Bedeutungsergänzung und weniger um kommentierende, kontrastierende, Emotionen auslotende usw. Informationen geht.“9 In der Filmmusik gibt es hierfür den Ausdruck Underscoring, mit dem ein synchrones Mitgehen der Musik in Tempo, Bewegung und Akzenten bezeichnet wird. Die Steigerung davon ist das aus Animationsfilmen bekannte Mickeymousing, das von der Übertreibung der Aktionen durch absolut exakte lautmalerische Darstellung lebt. Zusammenfassung •• Die Wahrnehmung von Raum, Lautstärke und Empfindung lässt sich über Modifikation der Klangparameter beeinflussen. •• Geht Klang mit anderen Sinneseindrücken einher, ergibt sich daraus ein eigenes erweitertes bzw. verändertes Erlebnis. •• Eine inhaltliche Dopplung von Klang und Bild führt nicht zu mehr, sondern zu weniger Präzision in der Aussage.

9 Ebd., S. 22.

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Klanggestaltung in der Mediatektur In der Mediatektur gibt es eine enge Verknüpfung zwischen der Gestaltung des Klanges und dessen Wiedergabe im Raum. Dies betrifft nicht nur die Geometrie und Beschaffenheit des Raumes, sondern auch die Anordnung von Lautsprechern für die Wiedergabe von Klängen oder die Position von live Agierenden wie Sprechern oder Musikern. Hier ist eine sorgfältige Betrachtung und Berücksichtigung der raumakustischen Parameter unerlässlich. Bei der Klangwiedergabe über Lautsprecher kann man raumakustische ­Parameter wie Geometrie und Beschaffenheit des Raumes auch klangtechnisch modifizieren, allerdings nicht in beliebige Richtungen. So lässt sich ein reflexionsarmer, also akustisch trockener Raum klangtechnisch leicht vergrößern, ­umgekehrt allerdings wird ein akustisch lebhafter Raum mit vielen Reflexionen und langem Hall sich kaum akustisch trocken gestalten lassen. Hier kann nur baulich – mit Dämmmaterialien mit einer hohen Absorptionsfähigkeit – Abhilfe geschaffen werden. Ein weiterer beachtenswerter Punkt sind die Umgebungsgeräusche innerhalb und außerhalb des Raumes. Oft gibt es innerhalb des Raumes technische Dauer­ geräusche etwa von Lüftungssystemen und von außen hörbare Geräusche wie Übersprechen aus den Nachbarräumen, Verkehr, Kirchenglocken etc. Auch das Verhalten eines Publikums wirkt sich akustisch aus. All diese Parameter haben großen Einfluss auf das subjektive Klangerlebnis bzw. Klangempfinden, da von ihnen die Lautheit des Klanges (die subjektiv empfundene Lautstärke), seine raum­akustische Wirkung, seine spektrale Verteilung (die Verteilung im akustischen Frequenzspektrum) und auch die Aufteilung im Raum abhängen.

Dramaturgie des Klanges Klangebenen

In der Gestaltung des Klanges lassen sich verschiedene Ebenen und deren Wirkung identifizieren: Sprache und Geräusche – Erzählebenen, Atmosphäre und Sounddesign – Erdung und Einbettung sowie Musik – Gefühls- und Tiefenebene. •• Sprache und Geräusche Sprache hat einen großen Stellenwert in unserer Wahrnehmung. Neben der klanglichen Qualität beeinflussen entsprechend Parameter wie Klarheit, Wärme, Glaubwürdigkeit und Kongruenz mit dem vermittelten Inhalt maßgeblich unser Spracherleben. Wir erkennen an einer Stimme das Alter wie auch die soziale, geografische, kulturelle und intellektuelle Zugehörigkeit

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des Sprechers – allesamt wichtige Parameter, um einen Text glaubwürdig zu ­vermitteln und den Zuhörer zu solidarisieren. Als Geräusch wird im Allgemeinen alles bezeichnet, was nicht Sprache und was nicht tonal, also keine Musik ist. Geräusche haben einen Aktionsbezug im Gegensatz zu omnipräsenten Klängen wie denen von Wind oder Verkehr ohne direkten Objektbezug, die wir als Atmosphäre bezeichnen. Sprache und Geräusche, die exakt mit dem Bild verknüpft sind, erfordern einen sehr genauen Synchronbezug. Als Zuhörer reagieren wir sehr empfind­ lich auf asynchrone Geräusche wie auch auf asynchrone Sprache. Im Zweifels­ fall darf der Ton nie vorauseilen, sondern, falls sich absolute Synchronität nicht erreichen lässt, eher ein klein wenig zu spät kommen. Das ergibt sich empirisch aus den unterschiedlichen Geschwindigkeiten von Licht- und Schallwellen. Da Lichtwellen um ein Vielfaches schneller sind, erreichen sie uns stets früher als der dazugehörige Schall – wir sind also an eine gewisse Ungleichzeitigkeit, bei der visuelle vor auditiver Wahrnehmung kommt, gewöhnt. So, wie wir nicht Bild und Klang einzeln wahrnehmen, sind wir auch nicht in der Lage, Sprache, Geräusch, Atmosphäre und Musik unabhängig voneinander zu rezipieren. Wir können uns zwar auf eine Ebene konzentrieren, die Wirkung einer Ebene auf die anderen aber nicht verhindern. Da wir Sprache in der Regel gut folgen können wollen bzw. für die Narration wichtige ­Geräusche nicht untergehen sollen, haben diese eine besondere Stellung. So lässt sich Sprache mit höherem Sprechtempo inszenieren, wenn sie frei steht, und muss unbedingt langsamer und mit größeren Pausen inszeniert werden, wenn sie vor einem komplexen klanglichen Hintergrund wiedergegeben werden soll. Das bedeutet für die Sprachaufnahme, dass mindestens der Regisseur, eventuell sogar der Sprecher bei der Aufnahme den jeweiligen klanglichen Hintergrund zumindest zeitweise hören sollte, um Sprechweise und Tempo dementsprechend anzupassen. •• Atmosphäre und Sounddesign Unter Atmosphären versteht man die permanenten Umgebungsgeräusche einer Szene, ergänzt durch das Sounddesign. Akustische Atmosphären ­tragen sehr viel zur Qualität und Glaubwürdigkeit von Bildern bei, da sie ­beispielsweise die visuellen Sinneseindrücke von Natur- oder Industrieszenen durch die dazugehörigen, erwarteten auditiven Entsprechungen wie Windoder Maschinengeräusche ergänzen. Als Sounddesign bezeichnet man Geräusche oder Atmosphären, die vornehmlich nicht naturalistisch klingen, sondern einer künstlerischen Idee folgend gestaltet sind. Das einfachste Mittel dabei ist die Überhöhung eines Klangas-

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pektes durch seine erhöhte Lautstärke gegenüber anderen Aspekten. Das ist der Fall, wenn etwa in spannenden Szenen eines Filmes leise Geräusche wie Schritte oder sogar Herzklopfen plötzlich überproportional laut zu hören sind. Weitergehende Möglichkeiten der Verfremdung durch Bearbeitung des Klangmaterials sind beispielsweise die Veränderung des Frequenzspektrums oder das Hinzufügen von Hall- oder Echoeffekten. Sounddesign geht bis zum Ersetzen eines Klanges durch einen anderen, effektvolleren oder inhaltlich anders konnotierten. So kann das Ersetzen eines Motorengeräusches durch das einer Flugzeugturbine auf eine ganz andere Geschwindigkeit hinweisen. Diese Art Sounddesign – unter ästhetischen Gesichtspunkten designte stilisierte Geräusche – wird in der Postproduktion hergestellt. •• Musik Musik hat, sofern sie nicht diegetisch, das heißt Teil der Erzählung ist (etwa wenn in der Filmhandlung jemand singt oder ein Orchester spielt), auch atmosphärischen Charakter. Der dramaturgische Unterschied zwischen Atmosphäre und Musik besteht im Wesentlichen darin, dass Atmosphären stärker kognitiv verarbeitet werden als Musik. Atmosphären erzeugen in uns ü ­ berwiegend ­Bilder durch Erinnerungen, während Musik, obschon mit kognitivem Anteil des Wiedererkennens von Instrumenten oder Stilen behaftet, sich direkt ­emotional auswirkt. Unter den dramaturgischen Funktionen nennt die Musikwissenschaftlerin Claudia Bullerjahn Aufgaben, die Filmmusik für gegenwärtige dramatische Handlungen übernimmt, wie Spannungsbögen nachzuzeichnen, S­ timmungen zu verstärken, Atmosphären zu schaffen, Höhepunkte herauszuarbeiten, ­Aktionen mehr in die Psyche der dargestellten Personen zu verlagern, aber auch schauspielerische Mängel zu überspielen.10 Der Musikpädagoge Georg Maas unterscheidet zwischen semantischen und mediatisierenden Funktionen von Musik im Film. Semantisch wirkt Musik demnach, wenn sie als Element der Gestaltung Emotionen hervorruft oder Motivationen, Gedanken, Schauplätze oder Personen charakterisiert. In ihrer mediatisierenden Funktion dient sie der Zusammenführung des Publikums zu einer Gemeinschaft und vermittelt zwischen soziokulturellen Erfahrungen (Zeit, Ort, Ereignis) der Zuschauer und dem Film.11 Seltsame Schleifen – Zeit, Länge und Dauer von Zyklen

Die verschiedenen Klangebenen haben in der Regel verschiedene zeitliche Ausdehnungen. Sprache und Geräusche korrespondieren mit der Länge der Filme/ 10 Vgl. C. Bullerjahn: Grundlagen der Wirkung von Filmmusik, S. 53 ff. 11 Vgl. G. Maas: Musik und Film.

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Sequenzen bzw. Darbietungen, zu denen sie gehören. Musikstücke haben ihre eigenen zeitlichen Dramaturgien und Atmosphären werden üblicherweise nach einer bestimmten Zeit möglichst unbemerkt wiederholt. Doch ergeben sich durch Wiederholung der einzelnen Ebenen sehr leicht Probleme. Wir können durchaus Wiederholungen akzeptieren oder auch genießen, wenn zum Beispiel ein musikalischer Rhythmus oder ein musikalischer Formteil mehrmals hintereinander gespielt wird. Es gibt einen großen Unterschied zwischen einer technischen und einer dramaturgischen Wiederholung. Mögen Wiederholungen für die Dramaturgie wichtig sein, sind technische Wiederholungen identischen Klangmaterials eher störend. Da solche weder in der Natur, also einer realen Atmosphäre, noch in linear musizierter Musik vorkommen, stellt sich bei uns schnell die Assoziation des Mechanischen bzw. des Unnatürlichen ein. Ein Hund, der alle fünfzehn Sekunden identisch kläfft, entbehrt zwar nicht einer gewissen Komik, wird aber auch schnell lästig. Auch längere Schleifen können problematisch sein: Eine Musik, die sich während des Verweilens in einer Inszenierung ein- oder sogar mehrfach wiederholt, kann dem Besucher zudem den Eindruck vermitteln, dass er sich schon zu lange in dem Umfeld aufhält. Dies hat direkten Einfluss auf die benötigte Länge der Klanginszenierung, die mithin deutlich über der intendierten Verweildauer der Besucher in einem Raum liegen sollte. Hier können unterschiedliche Längen von Schleifen helfen, solche Wieder­ holungseffekte zu kaschieren. Eine modulare Klangkomposition bildet über die Zeit (und wenn nötig auch über verschiedene Räume) hinweg immer neue Kombinationen. Ein Beispiel für solch asynchrone Klangebenen und Bewegung im Raum erlebten die Besucher des Time Tunnels auf der Hannover Messe 1997 (siehe Abb. 2.3.3). Die Anforderung an die Musik war hier, dass in einem gewundenen Tunnel, einem langen, gebogenen Raum, eine nicht chronologische Bilderwelt den Betrachter zum Hin- und Hergehen animierte, so dass eine nicht planbare und vermutlich eher lange Verweildauer in der Installation zu erwarten war. Die Komposition bestand aus vier musikalisch sehr verschiedenen Einzelkompo­sitionen bzw. Audiostreams, die sich in der Installation in den Einzelräumen akustisch überlappten. Es gab durch die gebogene Form der Installation Punkte, an denen alle vier Audiostreams zu hören waren. Immer konnte man jedoch mindestens zwei von ihnen hören. Die vier Audiostreams liefen alle einzeln in sich wiederholenden Schleifen (Loops). Da jedoch alle Einzelkompositionen verschiedene Längen und Tempi hatten, wiederholte sich die Komposition als Ganzes rechnerisch zum ersten Mal nach einigen tausend Stunden, praktisch also nicht. Alle Audiostreams hatten zudem sehr verschiedene Klangsprachen und auf der musikalischen Ebene tonale Zentren, die allerdings miteinander zu jeder Zeit korrespondierten. So ­entstand eine Musik, die zu jeder Minute, jeder Stunde, an jedem Tag der ein­ wöchigen Veranstaltung anders klang.

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Abb. 2.3.3a/b/c: Time Tunnel: Asynchrone Klangerlebnisse und Bewegung im Raum. Siemens AG auf der Hannover Messe. Hannover, 1997 (Luxoom Medienprojekte (Medien); Traumton Musikproduktion (Auditive Medien)).

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Zusammenfassung •• In der Mediatektur ist die Verknüpfung zwischen Klanggestaltung und ­Verortung im Raum sehr eng – für beides ist eine Betrachtung der raum­ akustischen Parameter unerlässlich. •• Aus Sicht der Dramaturgie ergeben sich die Klangebenen Sprache und ­Geräusche, Atmosphäre und Sounddesign sowie Musik.

Klang im Raum Klänge mit und ohne Bildbezug in der räumlichen Wiedergabe

Übergreifend über alle Klangebenen sollte man aus dramaturgischen wie auch aus psychoakustischen Gründen zwischen Klang mit Bildbezug und Klang ohne Bildbezug unterscheiden. Bei Klängen mit Bildbezug ist es wichtig, dass wir Klang als aus der Richtung des Bildes kommend hören, da dies unserer Alltagswahrnehmung meistens e­ ntspricht. Dabei empfinden wir Geräusche im Allgemeinen als angenehm, wenn sie in etwa von der Höhe unserer Augen oder vom Boden kommen, somit ­„geerdet“ sind, während Klänge, die von über uns kommen, eher eine unangenehme Wirkung auf uns haben. Das rührt her von archaischen Ängsten, da Geräusche von oben meistens von etwas ausgehen, gegen das wir uns kaum wehren können, ­beispielsweise Regen, Blitz, Flugsaurier oder auch die Stimme Gottes. Dies relativiert auch die Beliebtheit der sogenannten Soundduschen, also von Laut­sprechern, die in der Decke angebracht sind und auf uns herabstrahlen. Dabei gilt dieses Empfinden zum räumlichen Ursprung des Klanges nicht nur für Sprache, sondern schlicht für alles, was tönt. Erfolgt die Wiedergabe der Klänge über mehrere Lautsprecher in Höhe der Zuhörer, ist zunächst wichtig festzustellen, welche Ausdehnung der Sweet Spot ­dieser Wiedergabe hat. Als Sweet Spot wird der Platz oder Bereich bezeichnet, an dem man die beabsichtigte klangliche Wirkung bei der Wiedergabe erzielt. Wenn wir bei einer Stereowiedergabe näher an einem der beiden Lautsprecher stehen, werden wir einen monophonen Klang wie etwa den einer Stimme nicht mehr in der Mitte zwischen den beiden Lautsprechern orten (was man als Phantomschallquelle bezeichnet), sondern wir hören ihn aus der Richtung des uns näheren Lautsprechers. Wenn wir also bei einer Anordnung von linkem L­ autsprecher, Bildquelle und rechtem Lautsprecher zwischen linkem Lautsprecher und Bildquelle stehen, sehen wir das Bild von uns aus gesehen rechts, hören aber die Stimme von links. Diesen unangenehmen Effekt vermeidet man im Kino durch den Einsatz eines Centerlautsprechers hinter der Leinwand, über den nahezu alles wiedergegeben wird, was direkten Bildbezug hat, wie beispielsweise Dialog und Geräusche.

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Umgekehrt wird eine räumliche Wirkung von Klängen nur erreicht, indem tatsächlich stereophonische oder Surroundaufnahmen verwendet werden. Monophone Signale, auch bei der Wiedergabe über mehrere Lautsprecher, werden immer (außer im Sweet Spot) als aus der Richtung des nächstgelegenen Lautsprechers kommend wahrgenommen. Also ist es für Klänge ohne Bildbezug, bei denen eine große Raumwirkung oder Flächigkeit erreicht werden soll, unerlässlich, diese mindestens stereophon aufzunehmen und wiederzugeben, keinesfalls monophon. Exkurs: Audiosurroundformate

Über Surroundformate kann der räumliche Klangeffekt noch gesteigert werden. Das gebräuchlichste Surroundformat wird als 5.1 bezeichnet. Es enthält Lautsprecher für links, die Mitte und rechts vorne (LCR), links und rechts hinten (LsRs) sowie einen tieffrequenten Effektkanal (LFE), um umhüllenden Klang mit räumlicher Tiefe zu erzeugen. Komplexere Surroundformate wie 7.1 und 10.2 fügen weitere Kanäle hinzu, 12.2 hat noch zwei Surroundlautsprecher in der Höhe. Das Auro-3D-Format12 fügt dem 5.1-Format eine höhere Klangebene mit sechs Lautsprechern hinzu ähnlich dem Dolby-Atmos-Format mit variabler Anzahl der Lautsprecher. Wellenfeldsynthese erlaubt die Lokalisation von Klängen außerhalb des physischen Raumes.

Abb. 2.3.4: Idealisiertes Setup eines 5.1 Surroundsystems. Der Subwoofer ist dabei nicht eingezeichnet, da dieser frei platziert werden kann.

Da Klänge mit und ohne Bildbezug in den Surroundformaten gut kombiniert werden können, sind diese für die Klanggestaltung in der Mediatektur sehr geeignet. 12 Zu Auro-3D vgl. https://www.auro-3d.com/wp-content/uploads/documents/What-isAuro-3D.pdf (Zugriff am 8.7.2018).

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Klangebenen im Raum

In komplexen Klanginstallationen kann man prinzipiell vier Ebenen des Klanges nach inhaltlichen, klanglichen, produktions- und wiedergabetechnischen Unterschieden benennen. Diese entsprechen mit einer Abweichung den in der Klangdramaturgie definierten: •• •• •• ••

Sprache und Geräusche Atmosphären und Sounddesign Musik Livebeiträge

Nicht in jeder Installation werden alle diese Ebenen vertreten sein. Die für die Installation relevanten Aspekte zu den verschiedenen Ebenen bleiben jedoch existent, auch wenn alle Ebenen über einen einzigen Lautsprecher wiedergegeben werden. Werden diese verschiedenen Klangebenen über mehrere Lautsprecher oder Lautsprechersysteme wiedergegeben, hat dies einige Vorteile: Die Transparenz, also die Erkennbarkeit der Strukturen komplexer Klangkompositionen erhöht sich sehr stark, die Ebenen können ihrer Klanglichkeit entsprechend wiedergegeben werden, sie können verschieden verortet werden und die Balance zwischen den Ebenen lässt sich vor Ort noch sehr gut korrigieren. •• Sprache und Geräusche Zunächst muss zwischen synchroner Sprache – etwa der des Dialoges in einem Film gezeigter Personen – und asynchroner Sprache – etwa einer Erzählerstimme oder der Stimme eines Kommentators – unterschieden werden. Für synchrone Sprache im Bild, worunter man üblicherweise lippensynchron versteht, gilt wie für alle Klänge mit synchronem Bildbezug wie etwa Geräusche, dass sie unbedingt aus der Richtung des Bildes kommen sollten. Ist die Verwendung eines Centerlautsprechers in Bildmitte nicht möglich, sollte der Lautsprecher möglichst nah neben oder unter dem Bild angeordnet sein – die Sprache sollte keinesfalls von oben kommen. Die Hauptanforderungen sind dabei Synchronität zwischen Bild und Klang und die Verständlichkeit des Textes. Hohe Verständlichkeit wird durch Lautsprecher erreicht, die ihre Hauptqualität nicht in der Lautstärke oder der Basswiedergabe haben, sondern in der möglichst linearen und klaren Wieder­ gabe des für Sprache relevanten Frequenzbereiches zwischen 200 Hz und 10  kHz (Mid-Range-Lautsprecher im Gegensatz zu für Musik gebräuchlichen Full-Range-Lautsprechern, die Frequenzen von 20 Hz bis 20 kHz wiedergeben können). Bezüglich der Verständlichkeit ist neben präziser Aussprache auch

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das Tempo des Sprechers wichtig, das der akustischen Beschaffenheit des ­Raumes angepasst sein muss. Je halliger ein Raum ist, desto langsamer und klarer muss gesprochen werden, um die Verständlichkeit zu gewährleisten. Auch bei einem Sprecher ohne synchronen Bildbezug bleibt durch die inhaltliche Verknüpfung mit dem Bild die Anforderung nach einer Nähe des Lautsprechers zu der Bildquelle. Dabei genügt es, dass der Klang ungefähr aus der Richtung der Leinwand kommt. Für Geräusche gilt das Gleiche wie für synchrone Sprache: Schallereignisse mit Bildbezug sollten unbedingt aus der Richtung des Bildes kommen. Da es sich bei Sprache wie auch bei Geräuschen in der Regel um monophone ­Aufnahmen handelt, ist wichtig zu verstehen, dass bei der Wiedergabe in einer Stereoanordnung von Lautsprechern die Phantomschallquelle zwischen den Lautsprechern nur für den Rezipienten entsteht, der sich im Sweet Spot, also mittig vor dieser Anordnung befindet. Da dies nur auf einen oft kleinen Teil der Zuschauer zutrifft, ist es besser, eine monophone Schallreproduktion für diese synchronen Geräusche (und Sprache) zu installieren, also nur einen Lautsprecher. •• Musik Bei der Musik ist wie bei der Sprache zuerst die Unterscheidung zu treffen, ob es einen Bildbezug für sie gibt oder nicht. Diegetische Musik – also solche, die innerhalb einer erzählten Geschichte erklingt – sollte eher aus der Bild­richtung kommen, während illustrative Musik möglichst den Raum füllen sollte, um ihre emotionale Wirkung voll zu entfalten. In diesem Fall sind mehr­kanalige Soundformate, mindestens Stereo, besser noch Surroundformate zu wählen. Einer Musikaufnahme kann man oft sehr genau anhören, in welchem Raum sie aufgenommen wurde bzw. welche Räumlichkeit bei der Mischung künstlich hinzugefügt wurde. Die vom Aufführungsort verschiedene Akustik einer Aufnahme kann ggf. sehr wirkungsvoll dazu benutzt werden, diesen ­Aufführungsort psychoakustisch zu verändern, ihn beispielsweise durch Hinzufügen von Reflexionen, Echos und langem Hall für die Wahrnehmung zu vergrößern. Von dieser Akustik des Aufführungsortes bzw. der Mediatektur kann auch das sinnvolle Tempo der Musik abhängen. In akustisch lebhaften, halligen Räumen werden schnelle Musiken mit vielen kurzen Notenwerten, die in akustisch trockenen Umgebungen gut funktionieren können, unweigerlich verschwimmen. •• Atmosphäre und Sounddesign Man kann nie in die Stille hinein inszenieren, da es immer Geräusche der inneren und äußeren Umgebung gibt. Innerhalb der Inszenierung hören wir Atmen, Schritte, Kleiderrascheln und Lüftergeräusche. Von außerhalb der

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Inszenierung kommen Verkehrslärm, Geräusche von Nachbarräumen, vom Fahrstuhl etc. hinzu. Wenn man also über akustische Atmosphären oder ästhetisch stilisiertes Sounddesign den realen Raum der Inszenierung verlassen möchte, um in andere Umgebungen einzutauchen, wird dies nur gelingen, wenn die inneren und äußeren Umgebungsgeräusche mindestens zum Teil von den akustischen Atmosphären verdeckt bzw. überdeckt werden. Dies ist nicht durch einige wenige Lautsprecher zu erreichen, da diese zu punktuell wirken würden. Es müssen daher möglichst viele Lautsprecher im Raum verteilt werden, die als System in der Lage sind, ihn atmosphärisch zu füllen. Außerdem sollte für derartige Atmosphären möglichst keiner der Laut­sprecher in unmittelbarer Nähe zum Publikum positioniert werden, da sonst kein atmosphärisches, sondern nur ein Lautsprechersignal wahrgenommen wird. Atmosphäre und Sounddesign sollten im Gegensatz zu monauralen Schall­ ereignissen wie Geräuschen unbedingt in mehrkanaligen Soundformaten vorliegen und installiert werden, da ihre buchstäblich atmosphärische Wirkung erst dann eintritt, wenn wir von diesen Klängen umhüllt werden. Je nach Art der Atmosphären können die Lautsprecher dafür beispielsweise bei Natur­ atmosphären wie Wind oberhalb unserer Kopfhöhe angebracht sein. Industrielle Atmosphären können sehr wirkungsvoll durch Subwoofer13 verstärkt werden oder durch Bodenplatten, deren Vibration durch das Audiomaterial angeregt wird. Dies ermöglicht eine starke Wirkung ohne große ­Lautstärken, da wir Atmosphären oder Geräusche, deren Vibrationen wir spüren, als außerordentlich kräftig empfinden.

Abb. 2.3.5: Story of Berlin: Installation zum Thema Industrialisierung. Berlin, 1999. (Luxoom Medienprojekte (Medien); Traumton Musikproduktion (Auditive Medien)). 13 Als Subwoofer bezeichnet man einen Lautsprecher für ausschließlich sehr tiefe Frequenzen bis etwa 80 Hz.

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Ein Beispiel für die Schaffung von Atmosphäre durch Vibration findet sich in der Ausstellung Story of Berlin (siehe Abb. 2.3.5). Hier sollte in einer Installation in einem offenen, mittelgroßen Raum durch Film und Ton die Illusion einer brutalen, überlauten Industrieumgebung mit Maschinen wie Dampframmen etc. erzeugt werden. Dies hätte einer enormen Lautstärke bedurft, die alle Nachbarräume empfindlich gestört hätte. So wurden vibrierende Bodenplatten verlegt, deren Vibrationen direkt vom Filmton gesteuert wurden. Bei normaler Zimmer­lautstärke wurde so die Illusion einer ungeheuren Wucht einzelner Maschinen erzeugt, da diese ja in der Wahrnehmung der Besucher das ganze Gebäude in Schwingung versetzten. •• Livebeiträge Live Gesprochenes oder Musiziertes muss in die akustische Umgebung sehr sorgfältig integriert werden, damit die Gesamtwirkung der Inszenierung als stimmig erlebt wird. Bei einem Livesprecher oder Moderator gilt Ähnliches wie bei der Wiedergabe aufgenommener Sprache: Sie sollte nicht über zwei links und rechts positionierte Lautsprecher, sondern eher über einen in der Nähe des Moderators stehenden Bühnenlautsprecher verstärkt werden. Besonderheiten großer Räume

Grundsätzlich lassen sich Räume mit einer reflexionsarmen Akustik präziser mit Klang bespielen. Große, hallige Räume zeigen das Phänomen, dass die Schall­ energie mit der Entfernung im Raum kaum abnimmt, sondern der Klang nur indirekter und in der Folge schwerer verständlich wird. Daraus folgt, dass man mit einer größeren Lautstärke eher eine Verschlechterung der Deutlichkeit erreicht. Um in solch einer Situation eine klangliche Klarheit zu ermöglichen, muss man die Anzahl der Lautsprecher erhöhen, nicht deren Lautstärke. Wichtig ist hierbei die Unterscheidung zwischen Klängen, die unspezifisch aus dem Raum ertönen, und solchen, die aus einer bestimmten Richtung kommen sollen. Atmosphären wie etwa die des Windes oder eines Waldes können aus einem Mehrkanalsystem in größerer Entfernung oder Höhe erklingen, einzelne Vogelstimmen besser aus kleinen Lautsprechern an der Bildquelle, die währenddessen den Vogel zeigt. Ein Beispiel für eine Klangdramaturgie durch räumliche Trennung der Wiedergabesysteme findet sich im Siemens Exiderdome (siehe Abb. 2.3.6). Die Auftaktshow fand in einem Atrium statt, in dem auf die Stirnwand und beide Seitenwände projiziert wurde – ein kubischer, durch die glatten Projektionsflächen akustisch lebhafter Raum.14 In diesem Raum wurden verschiedene Audiosysteme 14 Bilder und Projektbeschreibung finden sich u. a. im Kapitel Mediatekturinszenierung, Abschnitt Inszenierung am Beispiel Siemens Exiderdome, S. 277.

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installiert: Alle Geräusche mit Bildbezug kamen in Kopfhöhe aus insgesamt elf Einzellautsprechern, die hinter den Projektionsflächen angebracht waren und so immer genau aus der Richtung des dazugehörigen Bildes abstrahlten. Die Stimme des nicht im Bild befindlichen Erzählers ertönte mittig von der Stirnseite aus einem eigenen Lautsprecher. Dieser wurde zeitverzögert gedoppelt von einem Lautsprecher im Rücken der Zuschauer. Durch die Verzögerung wurde der Sprecher weiterhin auf der Stirnseite geortet. Die Musik bestand im Wesentlichen aus einer symphonischen Komposition, war mit Orchester im 5.1-Format, allerdings ohne Centerkanal, aufgenommen und wurde aus den vier oberen Ecken des Raumes wiedergegeben. Der Subwoofer befand sich hinter den Projektionswänden, mithin außerhalb des Raumes, was der Wirkung aber nicht abträglich war, da tiefe Frequenzen ohnehin nicht ortbar sind. Durch die konsequente räumliche Trennung der Wiedergabesysteme wurde bei sehr hoher Komplexität und Klangdichte ein klarer und gut durchhörbarer Klang erreicht. Die hohe zeitliche Dichte der Audiosignale wurde gleichsam räumlich entzerrt. Zusätzlich zur räumlichen Trennung der Klangebenen sollte man in großen, halligen Räumen immer auch eine bauliche Veränderung in Betracht ziehen: Bringt man Dämmmaterialien mit hoher akustischer Absorptionsfähigkeit in den Raum ein, kann dies die Raumakustik signifikant verbessern. Dazu muss man in vielen Fällen nicht einmal die bauliche Substanz angehen, sondern kann mit vorkonfigurierten, auf dem Markt erhältlichen Akustikpanels arbeiten.

Abb. 2.3.6: Siemens Exiderdome: Schematische Darstellung Verortung der Lautsprecher für die Auftaktshow: S Sprache, M Musik, SD Sounddesign. Siemens AG, weltweit, 2006–2009 (Luxoom Medienprojekte (Show- und Mediendesign); Traumton Musikproduktion (Auditive Medien)).

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Exkurs: Kopfhörer

Die Wiedergabe von Klang über Kopfhörer ist eine gute Möglichkeit, eine gestaltete akustische Wirklichkeit von der akustischen Wirklichkeit der Aufführungsumgebung zu trennen, um das gewünschte klangliche Erlebnis zu gewährleisten. Zudem ist es so möglich, Programme in verschiedenen Sprachen ohne gegenseitige Beeinflussung zu inszenieren. Sicherheitsaspekte betreffen die Wahl zwischen geschlossenen und offenen Kopfhörern sowie die Lautstärke der Wiedergabe. Geschlossene Kopfhörer lassen wenig Umgebungsschall zu, der Hörende ist in einer eigenen akustischen Welt, nimmt die realen Umgebungsgeräusche weniger wahr und ist dadurch möglicherweise auch weniger aufmerksam für die Umgebung. Offene Systeme lassen mehr Umgebungsschall zu und geben auch mehr Schall vom Kopfhörer an die Außenwelt ab. Dramaturgisch interessant kann auch eine Kombination von Lautsprechern und offenen Kopfhörern sein. Vorstellbar ist hier, dass Sprecherstimmen in einer wählbaren Sprache sowie ortsunabhängige Atmosphären über den Kopfhörer übertragen werden. Geräusche mit Bildbezug würden dann über in Bildnähe aufgestellte Lautsprecher übertragen werden, ebenso Musik, wenn das Bild der Musizierenden dazu existiert. Dramatische Musik ohne Bildbezug könnte wiederum aus dem Kopfhörer ertönen oder auch aus einer Kombination von Lautsprechern und Kopfhörern. Solch eine Kombination wurde beispielsweise in der Ausstellung The Story of Berlin umgesetzt: In einem Raum der Ausstellung erlebt der Besucher die Auf-

Abb. 2.3.7: Adolph von Menzel: Flötenkonzert Friedrichs des Großen in Sanssouci. 1850-1852.

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führung eines Flötenkonzerts von Friedrich dem Großen. Die Inszenierung ist inspiriert von dem gleichnamigen Gemälde Adolph von Menzels (Abb. 2.3.7). In der Installation erklingt über Lautsprecher das Orchester von einer Bühne her. Aus dem Orchester löst sich nun die Soloflöte, kommt klanglich allmählich näher (in den Kopfhörer des Besuchers), dreht eine Runde um diesen, um dann wieder zurück in das Orchester zu wandern. Dieser sehr ungewöhnliche Effekt, in einem normalen Konzert undenkbar, ist nur durch die Kombination von Lautsprechern und offenen Kopfhörern bei jedem Besucher unabhängig von dessen Position im Raum möglich. Zusammenfassung •• Bei der Wiedergabe im Raum unterscheiden wir zwischen Klängen mit und ohne Bildbezug. Dabei müssen wir auf die verschiedenen Klangebenen eingehen, nämlich Sprache, Geräusch, Musik, Atmosphäre, Sounddesign und Livesound.

Klang in asynchronen und interaktiven Rezeptionssituationen Kennzeichnend für asynchrone Rezeptionssituationen ist die räumliche wie zeitliche Loslösung der Klänge von projizierten Bildern und Filmen, im e­ infachsten Fall bei Klängen zu Fotografien oder Gemälden, die als Momentaufnahme keine zeitliche Ausdehnung kennen. Die einzelnen Klangebenen wie Atmosphäre, Musik und auch erzählende Sprache sind nicht fest mit den Bildern verknüpft und müssen sich auch nicht synchron aufeinander beziehen. Wenn eine Stimmung oder ein Zustand beschrieben wird, kann es auch sehr reizvoll sein, Bilder oder Filme mit sich verschiebendem Zusammenhang zu den Klängen zu erleben. Es ist ganz erstaunlich, wie viele Bezüge zwischen Klängen wie auch zwischen Klang und Bild sich von selbst und zufällig immer wieder ergeben. Viele interaktive Installationen weisen so eine asynchrone Rezeptionssituation auf, in der eine Klangebene mit Musik, Atmosphären und Sounddesign unabhängig von der interaktiven Situation bleibt und so für die klangliche Umrahmung sorgt, während die Ebene mit Sprache und Geräuschen von der Interaktivität gesteuert wird mit dem zentralen Anspruch, dass diese zeitlich und räumlich so eng wie möglich mit dem auslösenden Moment verknüpft ist. Ein ausgelöstes Geräusch empfinden wir nicht mehr als einer Aktion zugehörig, wenn mehr als dreißig Millisekunden zwischen Aktion und Geräusch vergangen sind. Dies ist der Wert, der in etwa unserer Echoschwelle15 entspricht. Die Dauer des ausgelösten 15 Als Echoschwelle bezeichnet man den zeitlichen Abstand zwischen zwei gleichen Signalen, ab dessen Überschreiten man zwei separate Hörereignisse (Echo) wahrnimmt. Allerdings variiert dieser Wert je nach Einschwingverhalten der Signale.

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Klanges wiederum kann seiner Klanglichkeit entsprechen, wie wir sie aus der Realität kennen, beispielsweise bei einer Glocke. Zusammenfassung •• Um eine Interaktivität mit Klang zu inszenieren, sind zahlreiche Aspekte der Klanggestaltung einzubeziehen, vor allem die Verteilung und Verortung der Klänge im Raum, ihre Dynamik, Synchronität und zeitliche Dauer.

Technische Parameter der Klanggestaltung Klangmischung Sprache und Musik werden zumeist im Studio aufgenommen, Geräusche auf einer sogenannten Foley Stage, dem Studio des Geräuschemachers, oder bei einer Filmaufnahme am Set, Atmosphären am Ort des Geschehens. Explizites Sounddesign speist sich aus Datenbanken mit Klängen, die dann für die Mischung kombiniert und klanglich bearbeitet werden. Dazu zählen atmosphärische Klänge wie die von Wind, Wald, Wasser, Verkehr etc. Bei ihrem Einsatz sind Details und die Vermeidung von exakten Wiederholungen sehr wichtig, da wir als Rezipienten sehr genau hören und wissen, welche Umgebung an welchem Ort zu welcher Tageszeit wie klingt. In der Mischung hängt es dann vom dramaturgischen Einsatz ab, wie laut die eingesetzten Atmosphären im Vergleich etwa zu Sprache und zu Musik sind. Dabei gibt es keine Regel, denn auch leise Atmosphären sind wichtig und können große Wirkung haben. Atmosphären gewinnen durch ihre Lautstärke an Wichtigkeit bis hin zur Bedrohlichkeit. Ein Hauptaugenmerk in der Mischung wird meistens auf der Sprache liegen. Sprache sollte der jeweiligen Situation im Bild, falls vorhanden, entsprechen und gut verständlich sein. Eine gute Verständlichkeit ist dann nicht gegeben, wenn die Sprache sich lautstärkemäßig nicht genug von Musik und Geräuschen absetzt und wenn sie im Frequenzspektrum beschnitten oder zu viel Konkurrenz durch die anderen Klangebenen hat – bis zur Verdeckung. Eine klare und unverzerrte Wiedergabe der Konsonanten im Frequenzbereich von 2 bis 6 kHz ist hierbei sehr wichtig. Frequenzen oberhalb dieses Bereiches lassen die Sprache brillanter klingen, erhöhen aber nicht unbedingt die Sprachverständlichkeit. Für die Unterscheidbarkeit von Stimmen sind die Formanten sehr wichtig. Formanten sind in Bezug auf die Vokale besonders ausgeprägte Frequenz­bereiche, über deren Ausprägung wir verschiedene Stimmen voneinander unterscheiden können. Der Frequenzbereich der Formanten liegt zwischen etwa 300 und 3.000 Hz. Da dieser Frequenzbereich auch in der Musik sehr bedeutsam ist, muss

Die Instrumente der Mediatektur – Klang

in der Mischung die frequenzmäßige Balance von Sprache und Musik sorgsam eingestellt werden. Atmosphären und Geräusche haben oft einen sehr hohen Rauschanteil. Da Rauschen grundsätzlich sehr breitbandig ist, sich also über den gesamten hör­ baren Frequenzbereich erstreckt, muss auch hier der Lautstärkeabstand zur Sprache groß genug sein, um die Sprachverständlichkeit zu gewährleisten, oder die Atmosphären und Geräusche müssen zugunsten der Sprachverständlichkeit klanglich angepasst sein. Ein weiterer Aspekt ist die empfundene Räumlichkeit von Sprache und Musik, besonders in ihrem Verhältnis zu in der Mediatektur verwendeten Räumen bzw. zu der Räumlichkeit innerhalb der Bilder. Da Sprache zumeist im Studio mit Nachhallzeiten von 200 bis 400 ms aufgenommen ist, wird zur Anpassung an die Räumlichkeit in der Aufführungssituation oder an die Räumlichkeit im Bild eventuell künstlicher Nachhall in der Mischung hinzugefügt. Von der Länge dieses Nachhalls und seiner Lautstärke hängt nicht nur die klangliche Glaubwürdigkeit, sondern auch wiederum die Sprachverständlichkeit ab, die bei Nachhallzeiten von mehr als einer Sekunde leidet. Auch Echos im Bereich von 30 bis 100 ms ­schmälern die Verständlichkeit gerade in Bezug auf Konsonanten. Dynamik

Die Dynamik der Schallereignisse, also die Ausdehnung des Bereiches von ganz leise bis ganz laut, hängt maßgeblich von der sinnvollen Gesamtlautstärke und von den Umgebungsgeräuschen ab. Sind große Lautstärken möglich und befindet man sich dazu in einem Umfeld mit geringen Umgebungsgeräuschen, kann die verwendete Dynamik sehr groß sein, ca. 60 dB, entsprechend etwa dem Dynamikumfang der Aufnahme eines Symphonieorchesters. Sinnvoll ist ein Dynamikumfang, bei dem leise Passagen nicht von Nebengeräuschen verdeckt werden und laute Passagen nicht unsere Schmerzgrenze erreichen. Hinsichtlich der Obergrenze der Lautstärke gilt es auch zu beachten, inwieweit ein eventuell vorhandenes Umfeld gestört wird. Wenn es also viele Nebengeräusche gibt und der Maximalpegel (die größte Lautstärke) nicht sehr hoch sein darf, muss die Dynamik auf einen geringen Umfang (etwa 20 dB) eingeengt werden, damit alle Klangerlebnisse noch wahrnehmbar bleiben. Dies gilt beispielsweise bei mehreren, räumlich sehr nahen Klanginstallationen mit viel Publikum. Sprachverständlichkeit ist ein wesentlicher Bestandteil eines gelungenen Hörereignisses. Wenn wir Sprache hören, wollen wir sie auch verstehen können und sie nicht hinter zu lauten Geräuschen oder Musik suchen müssen. Dies bedeutet, dass nicht nur die Gesamtlautstärke, sondern die Lautstärkeabstufung

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zwischen den verschiedenen Klangebenen Sprache, Musik und Geräusch für den Erlebnisgehalt der Wahrnehmung von entscheidender Bedeutung ist. Im einfachsten Fall wird die Sprache einfach laut genug eingestellt. Wenn aber beispielsweise Musik unter Sprache gut hörbar sein soll, muss der Lautstärke­ unterschied zwischen Sprache und Musik gering sein. Soll die Sprache dennoch gut zu verstehen sein, muss der Dynamikumfang sowohl der Sprache als auch der Musik sehr klein sein, damit leise Anteile der Sprache nicht von lauten Anteilen der Musik verdeckt werden. Zudem müssen eventuell für die Verständ­lichkeit wichtige Frequenzanteile der Sprache (etwa die Konsonanten), die von der ­Verdeckung durch die Musik bedroht sind, angehoben werden. Zusammenfassung •• Wichtig ist die Balance ist zwischen Sprache und allen anderen Klängen. •• Die Räumlichkeit der Mischung muss mit der Mediathektur korrespondieren. •• Die sinnvolle Dynamik der Mischung hängt von der Wiedergabelautstärke vor Ort ab.

Einrichtung in der Mediatektur Ob bei live gesprochenen Texten oder auch bei der Wiedergabe aufge­ nommener Sprache wird das Ziel immer eine hohe Sprachverständlichkeit sein. Diese hängt vornehmlich von der Qualität und der Position geeigneter Laut­ sprecher ab. Damit auch in tiefen Räumen die Sprache im hinteren Teil des Raumes verständlich ist, wird der Klang auch mit zusätzlichen Lautsprechern verstärkt, die im mittleren oder hinteren Teils des Raumes positioniert sind – so wie es auch im vorhergehenden Beispiel des Siemens Exiderdomes beschrieben ist. Richtet man diese Lautsprecher nun ein, gilt es zwei Regeln zu beachten: •• Die Zusatzlautsprecher dürfen nicht lauter sein als der Bühnenlautsprecher. •• Die Zusatzlautsprecher müssen die Sprache gegenüber dem Bühnenlaut­ sprecher einzeln verzögert wiedergeben. Die Verzögerungszeit wird nach einer einfachen Formel berechnet (siehe Abb. 2.3.8): Verzögerungszeit [ms] = (Entfernung des Bühnenlautsprechers zur Seitenwand a [m] + Entfernung des Bühnenlautsprechers zum Zusatzlautsprecher b [m]) * 3 Da die Lautsprecheranordnungen je nach Installation sehr stark variieren und somit von Standardkonstellationen abweichen können, ist es wichtig, die jeweilige

Die Instrumente der Mediatektur – Klang

Abb. 2.3.8: Schema verzögerter Lautsprecher.

Anordnung im Studio bei der Mischung zu simulieren oder in kleinerem Maßstab nachzubauen. Mischungen für verschiedene Lautsprecheranordnungen müssen auch verschieden erstellt werden, weil sich selten Mischungen ohne Verlust von einer Lautsprecheranordnung auf eine andere übertragen lassen, beispielsweise kann nicht einfach eine für Surroundformate erstellte Mischung stereo wiedergegeben werden. Am besten wird im Studio nur eine Vormischung gemacht und diese in sogenannten Stems, quasi Vormischungen der einzelnen Klangebenen, ausgespielt. Mit diesen einzelnen Stems von Sprache, Musik, Geräuschen und Atmosphären kann vor Ort in der Installation die finale klangliche Anpassung an die räumlichen und technischen Gegebenheiten vorgenommen und die Balance zwischen den einzelnen Klangebenen optimal eingestellt werden. Gerade wenn die Klangebenen auch über verschiedene Lautsprechersysteme wiedergegeben werden und diese Systeme zudem andere als die im Studio verwendeten sind, ist das Nachmischen bzw. Anpassen vor Ort unerlässlich. Klänge spielen eine zentrale Rolle für unser emotionales Erleben einer Situation. Somit ist es von entscheidender Bedeutung, die in diesem Kapitel geschilderten Aspekte und Parameter sorgfältig vor Ort zu überprüfen. Nicht selten können dabei auch Änderungen der Mediatektur notwendig werden. Zusammenfassung • Die Klangmischung entscheidet über die akustische Verteilung und Wirkung der verschiedenen Klangebenen. • Bei der Einrichtung vor Ort wird die Mischung an den Raum und die Mediatektur angepasst.

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Bildmedien Die Instrumente der Mediatektur

Einleitung Die Idee, bewegte Bilder einfach in unserem Erlebensumfeld zu platzieren, ist sicher so alt wie die ersten bekannten Höhlenmalereien. Den Möglichkeiten zur Erfüllung dieser Idee liegt die technische Entwicklung der Bildmedien zugrunde, zunächst nur analog, dann zunehmend und heute schließlich fast ausnahmslos digital.1 Digitale Bildmedien haben in den letzten Jahren einen Siegeszug angetreten und sind aus unserem Alltagserleben nicht mehr wegzudenken: Ob an Straßen, in Museen, als Mobilgeräte in unseren Händen, als Werbe- und Informationsmedien in Fahrstühlen – überall sehen und nutzen wir digitale Bildmedien. Die Technologie dieser Medien ist von schnellen Innovationszyklen geprägt und so kommen auch Anwendungen, die gestern noch unmöglich erschienen, heute in Reichweite: Staunten wir gerade noch über die ultraflachen OLED-Bildschirme mit ihrem tiefen Schwarz sowie ihrer hohen Leuchtkraft und Auflösung, ist jetzt schon absehbar, dass diese in Kürze dehn-, falt- und knickbar sein und damit neue Anwendungen ermöglichen werden. Hatten wir gestern noch mit der geringen Auflösung, hohen Preisen und simplen Geometrien von LED-Flächen zu kämpfen, sind diese heute dank einer Vielzahl von neuen Herstellern im Preis deutlich gesunken, in der Auflösung nicht mehr weit von LCD-Bildschirmen entfernt und in allen möglichen gebogenen und geschnittenen Geometrien verfügbar. Betrachten wir digitale Medien im Raum im Rahmen von Mediatektur, ist die Entwicklung nicht ganz so rasant, aber dennoch so schnell, dass vieles, was man heute als gegeben ansieht, morgen schon wieder in Frage gestellt sein wird. Die Einführung zu diesem Buch betrachtet die Entwicklung der Mediatektur daher in

1 Analoge Bildmedien haben die Mediatektur in ihrer Entwicklung geprägt, führen aber heute nur noch ein Nischendasein und werden insofern in dem vorliegenden Buch nicht vertiefend behandelt.

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engem Zusammenhang mit der Entwicklung von Technologien2 – ist es doch eine logische Folge, dass Entwicklungsschübe in der Mediatektur oft auf technischen Neuerungen nicht zuletzt im Bereich der Bildmedien basieren. Bei aller Entwicklung bleibt aber ein Faktor bislang konstant: Bewegte Bilder im Raum sind ein technisches Erzeugnis. Kein bewegtes, digitales Bild wird ohne die Anwesenheit von entsprechender digitaler Medientechnik im Raum erscheinen. Und alle ­digitalen Medientechniken sind durch ähnliche Parameter bestimmt, wie etwa Auflösung, Kontrast und Helligkeit. Das Kapitel Bildmedien betrachtet im ersten Schritt, wie wir digitale bewegte Bilder wahrnehmen, um daraus abzuleiten, was digitale Bildmedien leisten müssen. Das Kapitel führt dann weiter zur Gestaltungsperspektive und wendet sich dort der Fragestellung zu, wie sich Medien und Raum in der Gestaltung von ­Mediatekturen verbinden lassen. Der letzte Teil des Kapitels schließt mit einer erneuten Hinwendung zur technischen Natur der digitalen Bildmedien, wobei ihren technischen Möglichkeiten wie auch Limitationen ein besonderes Augenmerk gewidmet wird.

Bildmedienwahrnehmung und -erleben Die Bildmedienwahrnehmung basiert auf der Wahrnehmung von Licht und Farbe, wie sie in dem entsprechenden Abschnitt unseres Buches bereits erläutert wurde. Es kommen jedoch die bild- und filmspezifischen Parameter von ­Auflösung, Kontrast und Farbe sowie Frequenz hinzu.

Auflösung Ein digitales Bild ist als eine Anordnung von unterschiedlich hellen und unterschiedlich farbigen Bildpunkten, sogenannten Pixeln, in einem zweidimensionalen Raster aufgebaut. Im menschlichen Auge ziehen wir diese Anordnung von Pixeln zu einem Bild zusammen, das je nach Dichte der Pixel als scharf, grob oder überhaupt nicht als zusammenhängende Information wahrgenommen wird. Stehen wir beispielsweise nah an einer sehr groben LED-Fläche, zerfällt ein dar­ gestelltes Bild in das Flimmern von farbigen Bildpunkten, die unser Auge nicht mehr zu einem Ganzen zusammenfassen kann. Die Dichte der Pixel wird als Auflösung bezeichnet, wobei die Auflösung eines Bildes in der Wahrnehmung nicht nur von der technischen Auflösung des Bildmediums abhängt sondern auch von der Entfernung des Betrachters zu diesem. Das Erlebnis von Auflösung und Schärfe hängt zudem ganz eng mit der Leistungsfähigkeit des menschlichen Auges zusammen. Entscheidend für den gestalterischen Umgang mit diesen Faktoren 2 Vgl. dazu in der Einführung, Abschnitt Parameter einer Entwicklung von Mediatektur, S. 28.

Die Instrumente der Mediatektur – Bildmedien

ist die Frage, wann wir eine scharfe, geschlossene Bildfläche wahrnehmen und wann wir anfangen, in einem Bild Stufen, Bildpunkte und damit das technische Medium an sich zu sehen. Bei dieser Betrachtung wird vorab festgehalten, dass die menschliche Wahrnehmung von Auflösung in einem nicht zu vernachlässigenden Grade subjektiv ist, also von Mensch zu Mensch variiert und dass somit die folgenden Referenz­angaben eher einen Mittelwert bilden. Literatur zur Fotografie definiert eine Auflösung von 0,2 mm bei einem Betrachtungsabstand von 25 cm als die durchschnittliche Auflösung, bei der das menschliche Auge einen einzelnen, kontrastreichen Punkt nicht mehr von einer entsprechenden Fläche unterscheiden kann.3 Dieser maximale Bildpunktdurchmesser wird als CoC (Circle of Confusion) bezeichnet – die Abkürzung für den maximalen Zerstreuungskreis. Für einen Betrachtungsabstand von einem Meter ergibt das – es handelt sich um eine lineare Gleichung – einen CoC von 0,8 mm. Um daraus eine einfache, gerundete Faustregel abzuleiten: 1  mm Pixeldurchmesser pro Meter Betrachtungsabstand ist die maximale Größe, also der CoC, damit ein Punkt nicht einzeln wahrgenommen werden kann. Über diesen einfachen Ausgangswert hinaus basiert die Wahrnehmung von Auflösung stark auf den Kontrastwerten und Veränderungen (Menge der Bewegungen) in einem Bild. Beispielsweise nimmt man bei statischen und kontrastreichen Bildern Pixel bis zu einem CoC von ca. 0,09 mm bei 25 cm Betrachtungsabstand noch als Flächen wahr (also ~0.4 mm bei einem Meter Abstand). Dabei muss man aber auch im Blick behalten, dass bei projizierten Keynote- und Powerpoint­ präsentationen (zumeist sind solche Präsentationen Anlass für entsprechende statische und kontrastreiche Bildinhalte) viele Betrachter es nicht wirklich als ungewöhnlich empfinden, pixelige Kanten und unscharfe Bilder zu sehen, wenn sie nah am projizierten Bild sitzen. Es kommt also sehr auf eine Beurteilung des Anlasses an, wenn man entscheidet, wie viel Aufwand in perfekte Ergebnisse aus jeder Betrachtungsposition gesteckt werden soll bzw. ob man sich mit einem Kompromiss zufrieden gibt. Für die meisten Bewegtbilder bringt die bereits genannte Faustregel < 1 mm Pixelgröße4 pro 1 m Betrachtungsabstand zufriedenstellende und für viele Situationen und Anlässe ausreichende Resultate. Betrachtet man die Entwicklung der Auflösung von Bildmedien und damit auch die Gewöhnung der Nutzer an eine bestimmte Auflösung im alltäglichen Gebrauch, dann wird klar, warum man hier nur von ausreichenden, niemals von optimalen Resultaten sprechen kann. Die technische Auflösung der Bilder eines modernen Smartphones liegt mittlerweile bei unter 0,06 mm Pixelgröße, nach 3 Vgl. S. F. Ray: The geometry of image formation, S. 52. 4 Die Pixelgröße errechnet sich anhand des technischen Bildmediums mit der Formel: Pixeldurchmesser [mm/px] = vertikale Projektionsgröße [mm] / vertikale Anzahl Pixel [px], also beispielsweise 2.000 mm / 1.080 px = ~ 1,85 mm/px bei einer FHD-Projektion von zwei Metern Höhe. Diese Art der Berechnung kann natürlich auch für die Breite einer Projektions­fläche angewandt werden.

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unserer Faustregel müsste man also näher als 6 cm an das Gerät herankommen, um überhaupt einzelne Pixel wahrnehmen zu können – ein sehr geringer Abstand, bei dem so gut wie kein Auge mehr scharf sieht. Die hier gegebene Bildschärfe wie auch der hohe Kontrast und umfassende Farbigkeit der Bilder prägen unsere Erwartungshaltung an digitale Darstellungen generell, so dass gerade wenn digitale Darstellungen als qualitativ sehr hochwertig wahrgenommen werden sollen, eine Auflösung verwendet werden muss, die deutlich unter 1 mm Pixelgröße pro Meter Abstand liegt. Zusammenfassung •• Ein digitales Bild ist als eine Anordnung von unterschiedlich hellen und unterschiedlich farbigen Bildpunkten (Pixeln) aufgebaut, die wir in der Wahrnehmung zusammenziehen. •• Dies geschieht nur zufriedenstellend, wenn der Einzelbildpunkt klein genug ist, also etwa kleiner als 0.8 mm pro Meter Sichtabstand. •• Bewegung und geringer Kontrast im Bildinhalt tragen in der Regel dazu bei, dass keine einzelnen Pixel wahrgenommen werden.

Kontrast und Farbe Eine grundlegende Einführung zum Themenfeld Kontrast, Farbe und Sehen bietet bereits das Kapitel Licht und Farbe5. In der Wahrnehmung von Bildmedien spielen Kontrast und Farbe an drei entscheidenden Punkten eine Rolle: •• Kontrastumfang: Unsere visuelle Wahrnehmung der Umwelt stattet uns mit einer Erfahrung und damit Erwartung aus, welchen Kontrastumfang eine bestimmte Abbildung dieser Realität haben sollte. Je größer und damit in

Abb. 2.4.1: Während man im linken, realen Foto einen direkten Qualitätsunterschied am Kontrastumfang festmachen kann, führt der Kontrastunterschied in der rechten, grafischen Darstellung eher zu einem gestalterischen Unterschied. 5 Vgl. Kapitel Licht und Farbe, Abschnitt Lichtwahrnehmung und -erleben, S. 84.

Die Instrumente der Mediatektur – Bildmedien

der Regel naturnäher die Kontraste in einer Abbildung sind, umso qualitativ hochwertiger erscheint uns diese. Lediglich bei abstrakten Darstellungen, beispielsweise Grafiken, bei denen wir den intendierten Kontrastumfang ­ nicht nachvollziehen können, gibt es keine direkte Korrelation zwischen Kontrast­umfang und Qualität – siehe Abbildung 2.4.1. Entsprechend haben abstrakte Grafiken gerade wenn kein hoher Kontrast erreicht werden kann, einen deutlichen Vorteil gegenüber beispielsweise fotorealistischem Material. •• Farbumfang: Der Farbumfang definiert, wie genau, nuanciert und umfänglich die Farbwiedergabe ist. Stellt man beispielsweise LCD-Screens verschiedener Generationen nebeneinander, wird sehr deutlich wahrnehmbar, dass die Farbwiedergabe in den neuen Generationen nicht nur umfänglicher geworden ist (es können extreme Farbtöne angezeigt werden, die vorher nicht darstellbar waren bzw. in dem darstellbaren Farbumfang komprimiert wurden), sondern auch nuancierter. Ähnlich wie beim Kontrastumfang gilt, dass bei Bildern von realen Objekten der Farbumfang mit einer Qualitätswahrnehmung einhergeht, während bei abstrakten Bildern der Farbumfang keine so direkte Rolle spielt. •• Umfeld-Medien-Kontrast: Die Helligkeit bzw. Dunkelheit des Umfeldes kann dazu führen, dass der Kontrastumfang des dargestellten Bildes nicht in Gänze wahrgenommen werden kann, entweder weil das Bild zu hell ist für das Umfeld und daher als zu hell bzw. zu weiß und blendend wahrgenommen wird oder weil das Bild zu dunkel ist für das Umfeld: Ist kein erkennbares Weiß dargestellt, wird der Kontrastumfang als flach empfunden. Zusammenfassung •• Der Kontrastumfang beschreibt die Differenz zwischen hellst und dunkelst dargestellten Pixeln eines digitalen Bildmediums. Grafik kommt in der Regel mit weniger Kontrastumfang aus als fotorealistische Motive. •• Der Farbumfang beschreibt, wie umfassend und nuanciert die Farbdarstellung eines digitalen Bildmediums ist. •• Die Wahrnehmbarkeit des Kontrast- und Farbumfangs hängt zudem vom Umfeld-Medien-Kontrast ab.

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Frequenz Bewegtbild bzw. Bewegung im Film entsteht durch das schnelle Aufeinanderfolgen von Einzelbildern, wobei unsere Wahrnehmung die Einzelbilder ab einer bestimmten Frequenz zu fließenden Bewegungen zusammenfasst. Die benötigte Frequenz – die entweder in Hertz (Hz)6 oder fps (Frames per Second – Bilder pro Sekunde) angegeben wird – ist dabei stark abhängig von der Stärke der Bewegung im Bild und analog der Bildgröße, da diese die wahrgenommene Bewegung bedingt. Bei kleinen, wenig bewegten Bildern kann man schon bei 12 bis 15 fps den Eindruck eines flüssigen Bildes erreichen. Traditionelle Filmkameras nehmen rund 24 fps auf. Werden die Bildformate größer, wie es in der Mediatektur häufig der Fall ist, und sind große horizontale Bewegungen Teil des Bildinhalts, reichen die „traditionellen“ 24, 25 oder 30 fps nicht mehr für ein ruckelfreies Bild aus. In diesem Fall braucht man mindestens 50 oder 60 fps für ein geschmeidiges Bild­ erleben ohne Ruckeln. Über die Faktoren Bildwiederholrate und Stärke der Bewegung hinaus nimmt das menschliche Auge Bewegungen von harten Kontrasten besonders schnell als ruckelnd wahr. Filmt man ein sich schnell bewegendes Objekt, zeigt dieses auf jedem Einzelbild eine gewisse Bewegungsunschärfe (wobei meist der englischsprachige Begriff Motionblur Verwendung findet), die dem Objekt eine Weichheit in der Bewegung verleiht. Sind Bilder aber beispielsweise 3D-generiert, weisen sie eine solche Unschärfe nur auf, wenn diese künstlich hinzugefügt wird. Zusammenfassung •• Bewegtbild entsteht durch das schnelle Aufeinanderfolgen von Einzelbildern, wobei unsere Wahrnehmung die Einzelbilder ab einer bestimmten Frequenz zu fließenden Bewegungen zusammenfasst. •• Große Bildflächen mit starken Bewegungen und harten Kontrasten erfordern eine höhere Frequenz, um zu einem flüssigen Bilderlebnis zu gelangen.

6 Die Angabe von Hz ist hier in vielen Fällen irreführend: Dass ein technisches Bildmedium eine hohe Frequenzrate darstellen kann (beispielsweise 200 Hz), sagt nichts darüber aus, ob es in der Lage ist, einen digitalen Datenstrom mit einer entsprechend hohen Bildrate darzustellen. Ausschlaggebend ist aber die Bildrate des Datenstroms und dass die Frequenzrate des Mediums durch diese einfach teilbar ist: Bei einem Film mit 50 fps und 200  Hz Bildwiederholfrequenz wird ein Bild vier Zyklen lang angezeigt. Hat man einen Film mit 60 fps und 200 Hz Bildwiederholfrequenz, ergibt sich keine einfache Zyklenverteilung mehr und man läuft Gefahr, dass das Bild ruckelt – hier bräuchte man entsprechend 240 Hz Bildfrequenz.

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Bildmediengestaltung in der Mediatektur In diesem Abschnitt geht es nicht um die ausführliche Betrachtung der v­ isuellen Gestaltung digitaler Medien – dazu gibt es mehr als ausreichend eigenständige Literatur und Lehrangebote. Vielmehr stehen hier die Eigenheiten und Besonderheiten der Gestaltung von Bildmedien im Kontext der Mediatektur im Fokus. Wie in der Einführung dargelegt, ist Mediatektur eine Verbindung aus Architektur und Medien und arbeitet mit der Veränderung, Erweiterung und Fortführung von Raum und Form.7 Mediatektur und ihre Instrumente und Gestaltungsmittel inszenieren Raum, wobei digitale Bildmedien eine zentrale Rolle spielen, wenn sich beispielsweise realer Raum in den virtuellen Raum fortsetzt, reale Strukturen sich mit virtuellen Strukturen zu einer Aussage ergänzen oder virtuelle ­Strukturen den realen Raum auflösen. Digitale Medieninhalte, die projiziert oder ander­ weitig im Raum verortet werden, bieten dabei zahlreiche Optionen, Virtuelles in Raum, Form und Struktur des Inszenierungsraumes zu generieren und dabei ggf. ­weitere Objekte zu integrieren. Aus dem Inszenierungsraum, den digitale Medien beispielsweise mittels einer optischen Täuschung verändern, wird im Erleben der Subjektraum.8 Sowohl im realen Inszenierungsraum, in dem wir uns befinden, als auch im virtuellen Raum, der zum Beispiel durch ein Medium entsteht, kommen dieselben Parameter wie Proportion, Perspektive und Ergonomie zur Geltung. Es können demnach fließende Übergänge zwischen Realem und Virtuellem in der Betrachtung durch das Subjekt – also im Subjektraum – entstehen, wie wir diese in ausgeprägter Form beispielsweise im sogenannten Projection-Mapping finden, auf welches hier in Folge noch eingegangen wird.

Digitale Bildmedien im Zusammenspiel mit Raum und Form Ein Zusammenspiel von digitalen Bildmedien und Raum erfolgt hauptsächlich auf zwei Ebenen: durch die Virtualisierung der Bedeutung oder durch die Virtualisierung der räumlichen Geometrie. •• Virtualisierung von Bedeutung: Ein bestehender Raum bzw. eine bestehende Form werden um eine Bedeutung erweitert, beispielsweise indem eine Wand zu einer bemalbaren Leinwand, ein Schornstein zu einem Thermometer, ein Kubus zu einer Lampe wird. Ein existierender baulicher Körper wird mit einer virtuellen Identität versehen und übernimmt die Funktion dieser Identität.

7 Vgl. Kapitel Einführung, Abschnitt Ansatz einer Definition, S. 33. 8 Zu Virtualität, Inszenierungsraum und Subjektraum vgl. Kapitel Raum, Abschnitt Subjektund Inszenierungsraum, Virtualität, S. 47 f.

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•• Virtualisierung der räumlichen Geometrie: Ein bestehender Raum bzw. eine bestehende Form werden in ihrer Geometrie verändert im Sinne einer monokularen optischen Täuschung.9 Dies kann von leichten Veränderungen bis zu einer kompletten Auflösung der physisch existierenden Geometrie führen. Mit diesen zwei Ebenen der Virtualisierung lassen sich drei graduell unterschiedliche Spielweisen der Gestaltung des Zusammenspiels von Bildmedien, Raum und Form beschreiben: 1. Erweiterung: Das Virtuelle erweitert das Reale, ohne reale Form durch Virtu­ elles zu ersetzen – Raum und Form werden lediglich mit Bedeutung belegt. 2. Erweiterung und partielle Auflösung: Ein möglichst elegantes und über­ zeugend gestaltetes Zusammenspiel zwischen physisch-realen und virtuell-­ digitalen Elementen, in dem beide Elemente eine Bedeutung erlangen und eine für den Betrachter wahrnehmbare Rolle spielen. Das Virtuelle löst das Reale partiell auf. Ein gutes Beispiel hier sind Projection-Mappings, die auf die vorhandene Formsprache eingehen und diese zeitweise geschickt auflösen. 3. Völlige Auflösung: Ein kompletter Verzicht auf reale Form, die unter der Ebene des Virtuellen nicht mehr wahrgenommen wird. Der reale Raum löst sich auf, um dem Virtuellen Platz zu schaffen. Beispiele sind 6-Wall-­Caves,10 geschlossene Virtual-Reality-Anwendungen und das (so nur als Utopie existente) Startrek Holodeck. Bedeutung entsteht losgelöst vom existierenden physischen Raum. Aufgabe der Gestaltung ist es in jeder der Varianten, ein möglichst aus­ balanciertes Zusammenspiel von Realem und Virtuellem zu schaffen. Die folgende Sammlung von Beispielen illustriert diese Spielweisen entlang verschiedener Gestaltungsaspekte und versucht, das Zusammenspiel von Bedeutung und Geo­ metrie in Realem und Virtuellem in unterschiedlichsten Anwendungen dar­ zustellen. Die Beispiele sollen ein Verständnis dafür schaffen, mit welchen gestalterischen Strategien sich ein solches ausbalanciertes Zusammenspiel etablieren lässt.

9 Vgl. Kapitel Raum: Digitale Medien sind bislang nicht in der Lage, wirklich dreidimen­ sional visuelle Informationen im Raum zu verteilen, ohne dass das Subjekt ein technisches Hilfsmittel wie eine AR-Datenbrille verwendet. 10 Ein 6-Wall-Cave ist ein würfelförmiger Raum, auf dessen sechs Innenflächen eine zusammenhängende Projektion erfolgt, die möglichst entsprechend der Augenposition des darin befindlichen Besuchers die „reale“ Perspektive des virtuellen Raumes berechnet und zeigt.

Die Instrumente der Mediatektur – Bildmedien

Gestaltungsaspekt Material und Oberfläche

Flächen im Raum lassen sich mittels digitaler Medien mit einer virtuellen Materialität ausstatten. Sie können beispielsweise zu Lampenkörpern werden, also den Eindruck einer pergamenthaften, transluzenten Materialität vermitteln. Sichtbar wird das beispielsweise in einigen Momenten der ISAM-Bühnenbespielungen von Amon Tobin – siehe Abbildung 2.4.2: Aus dem aufprojizierten, digital gestalteten Glühen entsteht der Eindruck eines Lichtes, das aus den Baukörpern hervordringt, ein leichtes, artifizielles Flackern vermittelt den Eindruck einer Lichtquelle mit offener Flamme. Die Wahrnehmung des Subjekts ist in dieser Situation viel eher gewillt, diese Kuben als Laternen wahrzunehmen – ein einfaches und bekanntes visuelles ­Muster –, als darin das zu sehen, was sie eigentlich sind: solide Körper, auf die von außen projiziert wird. Eine ähnliche Idee des transluzenten, pergamenthaften Materials findet sich bei dem südafrikanischen Künstler William Kentridge, wenn er in seinen raumgreifenden medialen Installationen Wandflächen zu Schattenspielen werden lässt – siehe Abbildung 2.4.3. Zusätzlich fasst Kentridge Flächen immer wieder als Leinwände auf, um ­darauf zu zeichnen, zu arrangieren oder Objekte abzulegen, wie es in Abbildung 2.4.4 deutlich zu sehen ist. Die Wand ist jetzt nicht mehr Wand, sondern wird von den Zuschauern als Zeichenfläche akzeptiert. Fließend erweitert sich der Eindruck einer virtuellen Materialität zu einer ­virtuellen Form bzw. einem virtuellen Objekt mit einer wahrgenommenen Tiefe und Perspektive. Auch hier wird etwas wahrgenommen, das in ein Erwartungsmuster passt. Sehr oft ist dies im räumlichen Kontext das Motiv eines Fensters: Durch eine optische Täuschung erweitert sich der Raum in einem Ausblick. In Abbildung 2.4.5 mutet der Ausblick über die Stadt real an, obwohl es sich um eine umlaufende LED-Wand handelt. Für alle virtuell geschaffenen Perspektiven gelten dabei die Einschränkungen hinsichtlich Bewegungsfreiheit und Sichtachsen der Besucher.11 Gestaltungsaspekt Funktion

Funktionale Metaphern – also die Anlehnung des Ausdrucks der Mediatektur an eine bekannte Funktion – bestimmen hier das gestalterische Vorgehen. Dazu gehört beispielsweise auch die Funktion „Fenster“, wie sie im vorhergehenden ­Beispiel vorgestellt wird. Eine weitere, häufig verwendete funktionale Metapher

11 Vgl. Kapitel Raum, Abschnitt Dreidimensionalität, Entfernung, relative Größe, Tiefe, S. 51 ff.

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Abb. 2.4.2: ISAM-Tour. Bühnenbespielung zur Konzerttour von Amon Tobin. Kubische Bühnenelemente mit Aufprojektion: Aus dem Spiel von Realem und Virtuellem ergibt sich die Illusion, dass die Kuben Laternen sind. Weltweit, 2011 (V Squared Labs (Bühnen- und Mediendesign)).

Abb. 2.4.3: William Kentridge: The Refusal of Time. 5-Kanal-Videoprojektion, Megaphone, kinetisches Objekt aus Holz (Atmungsmaschine), etwa 24 Minuten. Kyoto International Festival of Contemporary Culture, Kyoto, 2015.

Abb. 2.4.4: William Kentridge: The Refusal of Time. 5-Kanal-Videoprojektion, Megaphone, kinetisches Objekt aus Holz (Atmungsmaschine), etwa 24 Minuten. dOCUMENTA (13), Kassel, 2012.

Abb. 2.4.5: Bühnenbild für Bentley: Die Projektion erscheint wie der Ausblick aus einem Hochhausloft. Peking, China, 2013 (Highteam China (Agentur); Luxoom Medienprojekte (Mediendesign)).

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ist der Leuchtturm, der verschiedenste Inhalte auf Entfernung sichtbar macht und sich über die Köpfe der Betrachter erhebt (siehe Abb. 2.4.6). Alle diese funktionalen Metaphern arbeiten damit, dass sich das Virtuelle als ein Teil einer existierenden Raum- oder Formstruktur einfügt und darüber eine Funktion etabliert bzw. erweitert. Gut sichtbar wird dieses Prinzip der funktio­ nalen Metapher beispielsweise auch im Cabinet of Curiosity in Abbildung 2.4.7, einem Teil der Retrospektive Alexander McQueen: Savage Beauty im Victoria and Albert Museum London 2015: Medien fügen sich in einen raumgreifenden Setzkasten der Werkgeschichte ein und ermöglichen es so, neben den vielen realen Objekten auch mediale Darstellungen von Fashionevents in den Kontext einzubringen. Die Nutzung der funktionalen Metapher kann dabei so weit gehen, dass die eigentliche Form hinter der Idee der Metapher vollends zurücktritt und nur noch als Träger für die metaphorische Darstellung bzw. Anwendung der Funktion fungiert. Dies geschieht beispielsweise in den Projekten von Blinkenlights12, die ein ganzes Gebäude in ein Pixelgrafikdisplay einer frühen Spielkonsole verwandeln (siehe Abb. 2.4.8). Jedes Fenster wird dabei zu einem Pixel. Auch das über­ dimensionale Thermometer, das anlässlich der EXPO 2010 am Schornstein der alten Nanshi Power Station in Shanghai entstanden ist, ist solch eine funktionale Metapher (siehe Abb. 2.4.9). Die mögliche funktionale Metapherbildung beschränkt sich nicht auf die Repräsentation physikalischer Objekte – Mediatektur kann beispielsweise auch narrative Metaphern visualisieren. Die in Abbildung 2.4.10 zu sehenden LEDWände aus einem Launch für Porsche bewegen sich aufeinander zu, bis sie sich berühren und zu einem Bild werden, und sie transportieren so die im Event erzählte Story von der Überwindung der Gegensätze von Sport und Komfort, die im neuen Porsche-Modell ihre Vereinigung finden. Gestaltungsaspekt Raum

Anders als bei den im vorigen Abschnitt vorgestellten Funktionsmetaphern, in denen technische Bildmedien in vielen Fällen deutlich zum Vorschein kommen bzw. sichtbar werden, geht es bei dem Gestaltungsaspekt Raum darum, die reale physische Form und den realen Raum möglichst fließend und ansatzlos fortzusetzen. Der Einsatz der technischen Medien bleibt dabei weitgehend unsichtbar. Dieses Prinzip der räumlichen Virtualisierung wird beispielsweise sehr gut in den Arbeiten Cambodian Trees von Clement Briend deutlich.13 Der Künstler projiziert hier Abbilder steinerner Masken auf Bäume, wobei die reale Form der Baumkronen durch eine Illusion der Form der Masken ersetzt wird (siehe Abb. 2.4.11). 12 Vgl. F. von Borries et al.: Space Time Play: Computer Games, Architecture and Urbanism: The Next Level, S. 396 f. 13 Vgl. Projektbeschreibung Cambodian Trees.

Abb. 2.4.6: Messestand der Siemens AG auf der Hannover Messe 2004. Sich drehende mediale Leuchttürme flaggen Themenwelten aus. Hannover, 2004 (Zeeh, Bahls und Partner (Architektur); Luxoom Medienprojekte (Kinetische Skulpturen und Mediendesign)).

Abb. 2.4.7: Installationansicht des Cabinet of Curiosities, Alexander McQueen: Savage Beauty. Victoria and Albert Museum, London, 2015.

Abb. 2.4.8 (links): Blinkenlights. Die Fassade des Hauses des Lehrers hat das Projekt Blinkenlights des Chaos Computer Clubs in eine (recht pixelige) Spielkonsole mit einem interaktiven Pong-Spiel verwandelt. Berlin, 2001. Abb. 2.4.9 (rechts): Illuminierter Schornstein der Nanshi Power Station (heute: Power Station of Art). Shanghai, 2010.

Abb. 2.4.10: Porsche Panamera 2nd Generation Launch China: Auf der Bühne zwei große, sich aufeinander zu bewegende LED-Wände. Foshan, China, 2013 (Vok Dams China (Gesamtevent); Luxoom ­Medienprojekte (Bühnenkonzept und Medienbespielung)).

Abb. 2.4.11: Clement Briend: Cambodian Trees. Phnom Penh, 2016.

Abb. 2.4.12: ISAM-Tour. Bühnenbespielung zur Konzerttour von Amon Tobin. Aus der eigentlich nur aus einfachen Kuben bestehenden Bühnenstruktur wird mittels Projection-Mapping eine animierte, utopische Maschinerie. Weltweit, 2011 (V Squared Labs (Bühnen- und Mediendesign)).

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Zu dieser Illusion tragen die klaren Konturen der Masken bei, die als physische Form einfacher und definierter sind als die Baumkronen mit ihren vielen Ästen und Blättern. Die medialen Dimensionen der Masken werden Teil unseres realen Raumverständnisses – eine Illusion, die auf monokularen Tiefenhinweisen und einer Formähnlichkeit von Baumkrone und Maske basiert. Das Beispiel der projizierten Masken steht für eine Disziplin, die unter der Bezeichnung Projection-Mapping rege Verbreitung gefunden hat – in der Bespielung von kleinen Objekten bis hin zu der ganzer Fassaden. Das Prinzip ist immer insofern ähnlich, als es darum geht, die vorhandene Geometrie aufzulösen und eine Illusion von veränderbarer Geometrie zu schaffen. Die folgende Abbildung 2.4.12 zeigt, wie Bühnen nach diesem Prinzip aufgelöst werden können. Die Arbeit Let us make cake. (siehe Abbildung 2.4.13) löst eine komplette Fassade auf. Technisch lässt sich zur räumlichen Virtualisierung anmerken, dass aufgrund der Eigengesetzlichkeit monokularer Bildhinweise die virtuelle Perspektive nur für eine bestimmte Betrachterposition vollständig optimiert sein kann.14 Die Position der Zuschauer sollte man in der Planung also auf die entsprechenden Achsen und Blickwinkel beschränken. Dazu ist es hilfreich, einen möglichst großen Abstand zwischen Projektion und Betrachter zu bringen, da auf diese Weise die Illusionsbildung für größere Bereiche des Zuschauerraumes funktioniert. Gestaltungsaspekt Form und Objekt

Holografische Darstellungen verändern im Gegensatz zu Projection-Mapping nicht die Oberflächen des Raumes, sondern ergänzen vorhandene Formen in der realen Raumperspektive. Bei allen kommerziell verwendeten holografischen Darstellungstechniken mit veränderlichem visuellen Inhalt handelt es sich um Formen des von John Henry Pepper entwickelten und im Jahre 1862 demon­ strierten Pepper’s Ghost-Prinzips.15 Setzt man digitale Bildmedien in der Spiegelung ein, entsteht aus technischer Sicht immer nur eine Spiegelung der zweidimensionalen Bildschirmebene, entsprechend sind alle diese Hologramme auch nur zwei­ dimensional, erscheinen aber gemäß den gleichen Möglichkeiten und Beschränkungen wie beim Projection-Mapping dreidimensional. Ein beeindruckendes Beispiel für ein solches Pepper’s Ghost-Hologramm sind die kleinen animierten Puppenstuben, die im Rahmen des sWISH-Pavillons auf der Schweizer Expo.02 gezeigt wurden (siehe Abb. 2.4.14). Gefilmte und in deutlich verkleinerter Skalierung dargestellte Menschen interagieren hier in vielen Formen mit echten Puppenmöbeln und den verschiedenen Holzstreben des Pavillons.

14 Vgl. Kapitel Raum, Abschnitt Dreidimensionalität, Entfernung, relative Größe, Tiefe, S. 51 ff. 15 Vgl. in diesem Kapitel Exkurs zu Pepper‘s Ghost, S. 209.

Abb. 2.4.13: Let us make cake.: Die Fassade des New Yorker New Museums bekommt neue Dimensionen mittels Projection-Mapping. New York, 2011 (Wild Dogs International featuring Daniel Arsham).

Abb. 2.4.14a/b/c: Pepper’s Ghost-Puppenstube auf den Balken des sWish-Pavillons, EXPO Suisse 2002.

Abb. 2.4.15: Auftritt von Kate Moss als Pepper‘s Ghost Illusion: Savage Beast innerhalb der Retrospektive Alexander McQueen im Victoria and Albert Museum. London, 2015.

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Die real existierende Geometrie der Streben verwandelt sich hier durch das ­Puppenspiel zu kleinen Bühnen. Diese holografische Darstellungsform des Pepper’s Ghost ist relativ frei skalierbar, wie ein ähnlich produziertes doch deutlich größeres Hologramm im Rahmen der Alexander McQueen Retrospektive: Savage Beauty zeigt (siehe Abb. 2.4.15). Gestaltungsaspekt Zeit

Die im Rahmen dieses Kapitels zitierten Beispiele deuten bereits an, dass Mediatektur nicht nur (durch virtuelle Erweiterung oder Ergänzung) die räum­ liche Dimension auflösen kann – sie ist ebenso wie der Film auch frei im Umgang mit der zeitlichen Dimension, was Zeitraffer, Zeitsprünge und Zeitreisen erlaubt. So kann es in der Mediatektur auch im Zeitlichen um das Schaffen von Illusionen gehen. Im Fahrstuhl des One World Observatory in New York erleben die Besucher während der Fahrt zur obersten Etage des Gebäudes eine Zeitreise von den ­ Ursprüngen New Yorks bis zur Fertigstellung des Gebäudes.16 Bildschirme stehen für die Fenster nach außen und während man sich nach oben erhebt, entsteht die Stadt um einen – bis im letzten Moment vor der Ankunft im obersten Geschoss das Hochhaus um einen gebaut wird, in dem man sich befindet und in das man nun aussteigt. Zusammenfassung •• Ein Zusammenspiel von digitalen Bildmedien und Raum erfolgt vor allem durch die Virtualisierung ihrer Bedeutung und durch die Virtualisierung ihrer räumlichen Geometrie. •• Aufgabe der Gestaltung ist es, ein möglichst aus­balanciertes Zusammenspiel von Realem und Virtuellem zu schaffen. •• Dabei kann dies mittels verschiedener Gestaltungsaspekte erfolgen: Material und Oberfläche, Funktion, Raum, Form und Objekt sowie Zeit.

Zur Balance von Virtuellem und Realem Während alle zuvor erwähnten Projekte immer wieder auf die reale Form und den realen Raum zurückgreifen, gibt es auch Gestaltungsansätze, die die Realität möglichst umfassend mit einem virtuellen Erlebnis überspielen. Ein Beispiel dafür ist eine fünfzehnminütige interaktive Inszenierung im Helv Relics

16 Vgl. Projektbeschreibung Fahrstuhlfahrt im One World Observatory.

Abb. 2.4.16a/b: Zwei Momente aus der Fahrstuhlfahrt auf das One World Observatory. New York, 2015. (The Hettema Group).

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Museum in Wuxi, China,17 die den Aufstieg des Königreiches Wu um 500 v. Chr. zum Erlebnis macht. Hier spielt der reale Raum nur noch in seiner Eigenschaft als Projektions­träger eine Rolle – sowohl Boden- als auch Wandflächen sind durch­ gehend im Blickfeld der Besucher bespielt und die Wahrnehmung sowie Bedeutung der realen Architektur tritt in den Hintergrund –, in dem die Zuschauer in immer neue erzählerische Umgebungen versetzt werden. Prinzipiell eröffnet diese Vorgehensweise eine große Flexibilität, es ist aber durchaus zu hinterfragen, ob der Besucher hier noch dieselbe Art und Tiefe des Erlebnisses erfährt wie in einem Umfeld, in dem realer Raum und reale Form eine eigene Identität bewahren. Ein vom Prinzip her ähnliches Beispiel ist der Deep Space 8K, den Ars Electronica in Linz geschaffen hat, um mit einer weitestgehenden Auflösung ­ der visuellen Realität zu experimentieren. Zwei sechzehn mal neun Meter große 8K-Projektionen auf Wand und Boden sind hier mit einer laserbasierten Personen­ ortung kombiniert, die eine Perspektivanpassung in Echtzeit für ausgewählte Besucherpositionen als auch Interaktionen der Besucher mit den Inhalten erlaubt. Auch hier spielt die physisch-räumliche Realität nur noch als Träger der virtuellen I­llusion eine Rolle. Müsste man nicht auf etwas stehen und projizieren, dann wären die Wände und der Boden aus gestalterischer Sicht hier überflüssig. Diese Betrachtung extremer Beispiele – die Inszenierung im Helv-Relics-­ Museum und Deep Space 8K – führt uns zu einer Beurteilung der Balance zwischen Virtuellem und Realem in der Mediatektur. Während Mediatektur im funktio­nalen Gestaltungsaspekt durch eine assoziative Formaussage ihre Intention einlöst, leben die weiteren beschriebenen Gestaltungsaspekte – Material und Oberfläche, Raum sowie Form und Objekt – davon, dem Zuschauer Virtuelles als Teil seiner realen Erfahrung zu vermitteln. Dabei ist das Ausmaß der virtuellen Illusion nicht entscheidend für das Erlebnis – im Gegenteil ergeben sich die interessanten und eleganten Lösungen dort, wo sich das Erlebnis von Realem und Virtuellem ergänzt, wo Form und Medium ein magisches Zusammenspiel finden wie b ­ eispielsweise mit den angeführten Puppenstubenhologrammen im sWish-­Pavillon. Wenn dagegen die Illusion sehr umfassend wird und das Virtuelle das Reale weitestgehend überlagert wie in den zwei zuletzt vorgestellten Beispielen, dann ist das ­Virtuell-Digitale mit dem Schaffen eines Erlebnises auf sich selbst gestellt. Solche nahezu komplett virtuellen Projekte müssen dadurch nicht schlechter oder besser sein, die Stärken der Mediatektur werden dort aber nicht ausgenutzt. Ein besonders prägnantes Beispiel für die Wirksamkeit des Spiels zwischen Realität und Virtualität in der Mediatektur ist das zuvor angeführte ­Projection-Mapping Let us make cake. Das Bild von dem Mann, der aus einem dunklen Hintergrund wie in einen neuen Raum eintritt, erscheint nur deshalb so

17 Vgl. Projektbeschreibung Time Machine.

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Abb. 2.4.17: Time Machine, Helv Relics Museum. Wuxi, China, 2014 (Tamschick Media+Space).

Abb. 2.4.18: Der Deep Space 8K im Einsatz. Rome‘s Invisible City. Linz, 2015 (Ars Electronica/A BBC Film).

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spektakulär, weil dem Zuschauer bewusst ist, dass sich unter der Projektion die Fassade des Museums befindet und sie auf deren formsprachliche Eigenheiten intelligent eingeht und mit ihnen spielt. Zusammenfassung •• Das Ausmaß der virtuellen Illusion ist nicht entscheidend für das Erlebnis. Die interessanten und eleganten Lösungen ergeben sich dort, wo sich das Erlebnis von Realem und Virtuellem ergänzt, wo Form und Medium ein magisches Zusammenspiel finden.

Unmittelbarkeit in digitalen Bildmedien Die Begriffe Unmittelbarkeit und Medium laufen auf den ersten Blick auf einen Widerspruch hinaus – ein Medium ist per Definition ein Mittel und nicht unmittelbar. Die generische Natur der weitgehend standardisierten digitalen Bildmedien (Bildschirme, Projektoren, LED-Wände etc.) unterstreicht diesen ­ Widerspruch noch. Aber man kann die standardisierten digitalen Medien auch einmal bewusst zur Seite lassen mit dem Ziel, ein digitales Bildmedium zu ­finden, welches sich in der Darstellung unmittelbar(er) verhält. Dies läuft in den meisten Kontexten auf einen hohen Grad von kreativer Improvisation hinaus, wie die folgenden Beispiele zeigen. Diese zeigen aber auch, wie überraschend und aufmerksamkeitsstark Medien, die speziell für ein Projekt und eine bestimmte Darstellungsform konzipiert und realisiert werden, sein können. Dabei schaffen es diese kreativen Medien in der Regel besser, nah am jeweiligen Inszenierungsthema zu sein, als es mit generischen Medien möglich wäre. Ein Beispiel für ein solches kreativ-improvisiertes Bildmedium ist die ikWin Google Challenge18 auf dem PICNIC Festival 2008 in Amsterdam (siehe Abb. 2.4.19). Zwei elektrische Scherenlifte werden hier als Balkendiagramme und damit digi­tales Bildmedium eingesetzt. An der Challenge kann pro Scherenlift je ein Besucher teilnehmen. Mittels individueller RFID-Tags19 – in diesem Fall in den Ausweisen für das Festival integriert – übermitteln die Teilnehmer ihre Namen an das System. Mit dem Start der Challenge wird eine Googlesuche nach den Namen der Teilnehmer ausgelöst und ermittelt, wie oft der jeweilige Name durch Google gefunden wird. Die zwei Scherenlifte bewegen sich dann wie zwei riesige Balkendiagramme nach oben und bilden den Vergleich zwischen den zwei Teilnehmern ab – wer weiter oben ist, hat die Challenge gewonnen. 18 Vgl. Projektbeschreibung ikWin Google Challenge. 19 RFID steht für radio-frequency identification – einer Technologie für Sender/Empfängersysteme, meist in Form kleiner Tags (Aufkleber/Anhänger) zum berührungslosen automatischen Identifizieren und Lokalisieren.

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Abb. 2.4.19: iKWin Google Challenge auf dem PICNIC Kreativfestival. Amsterdam, 2008 (Mediamatic).

Abb. 2.4.20: The Canvas Experiment von Converse, für das ein Screen aus Converse-Schuhen geschaffen wurde: Jeder Schuh ist ein Pixel, der je nach Drehung blau oder rot erscheint. Schweden, 2011 (Perfect Fools).

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Ein weiteres gutes Beispiel für ein kreativ-improvisiertes Bildmedium ist das The Canvas Experiment von Converse, bei dem ein „Screen“ aus Converse-Schuhen zusammengesetzt wurde.20 Um Bilder zu generieren, werden die zweifarbigen Schuhe auf ihre rote oder blaue Seite gedreht. Es entsteht ein „Screen“ aus Pixeln in zwei Farben, auf dem entsprechend produktnah kommuniziert werden kann. Bei beiden Beispielen sind die technischen Lösungen der Bildmedien jeweils für eine spezifische Anwendung entwickelt worden. Das erfordert nicht nur eine kreative Idee, sondern auch ein größeres Budget, mehr Zeit sowie eine gewisse Risikobereitschaft. Dafür sind die Ergebnisse deutlich aufmerksamkeits­stärker und „merkwürdiger“ als bei der Verwendung generischer Bildmedien. Die L­ ösungen sind jeweils aus einem Aspekt der Kommunikation heraus entwickelt und können damit unmittelbar auf diesen Aspekt zurückgreifen: im ikWin ­Challenge die entsprechende Person direkt im Rahmen eines Graphen auf eine entsprechende Höhe zu fahren und im Canvas Experiment das Produkt direkt als Medium zu nutzen. Diese Art der Unmittelbarkeit wird auch noch einmal Thema sein im Abschnitt zum Designprozess, wenn es um die kreative Übersetzungslösung geht.21 Zusammenfassung •• Digitale Medien, die speziell für ein Projekt und eine bestimmte Darstellungsform konzipiert und realisiert werden, sind in der Regel viel näher am jeweiligen Inszenierungsthema, als es generische digitale Medien sein könnten. •• Zu einem spezifischen Thema kreativ entwickelte digitale Medien erfordern ein größeres Budget, mehr Zeit sowie eine gewisse Risikobereitschaft.

Technische Parameter der Bildmediengestaltung Grundlagen der digitalen Medientechnologien Für die Arbeit in der Mediatektur ist es notwendig, die technischen Rahmen­ parameter und damit Möglichkeiten, aber auch Begrenzungen der digitalen Medi­ enformate zu kennen. Die meisten Mediatekturanwendungen verlassen in ihren Anforderungen die Standards, die beispielsweise für TV-Produktionen gelten, und konfrontieren den Gestalter bzw. Produzenten mit technischen Heraus­ forderungen, die sich nur mit fundierter Kenntnis der technischen Möglichkeiten von digitalen Film-, Bild- und Kompressionsformaten lösen lassen. Dazu ergeben sich aus den meist großen und raumgreifenden Darstellungsformaten besondere Herausforderungen. 20 Vgl. Projektbeschreibung The Canvas Experiment. 21 Vgl. Kapitel Designprozess, Abschnitt Ideenfindung, S. 321.

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Digitale Film- und Bildformate Das Filmformat setzt sich aus Informationen unter anderem zu Bildgröße, Farbumfang und Bildrate zusammen. Die Angaben dazu (und die möglichen Formate) sind aus technischer Sicht hoch standardisiert und folgen einem etablierten System. D ­ ieses System lässt sich anhand einer beispielhaften Angabe wie 2160p50 4:4:4 8bit erläutern: •• 2160p50 4:4:4 8bit – Die erste Zahl in der Angabe benennt die Zeilenzahl, also die vertikale Auflösung eines digitalen Bildes. Je nach Seitenverhältnis des Datenstroms kann es sich beispielsweise 2.880 x 2.160 Pixel (4:3), 3.840 x 2.160 Pixel (16:9, UHD) oder auch 4.096 x 2.160 Pixel (17.07:9, 4K) handeln. Dass die Zeilenzahl für die Formatangabe verwendet wird, hat seinen historischen Grund darin, dass verschiedene Breitenformate lange Zeit in einem einheitlichen Bildformat aufgenommen und gespeichert und dann je nach Wiedergabeformat in der Breite gestreckt wurden. •• 2160p50 4:4:4 8bit – Das p steht für progressive, es könnte hier aber auch ein i für interlaced stehen, womit unterschiedliche Formen der Bildabtastung benannt sind: Bei progressive werden ganze Bilder auf einmal aufgenommen und dargestellt, während bei interlaced zwei Halbbilder (aufgesplittet in gerade und ungerade nummerierte horizontale Linien) nacheinander gezeigt werden. Progressive ergibt dabei mehr einen klassischen Filmlook (und setzt sich immer mehr durch, da es im Gegensatz zum interlaced kein Flackern zeigt), während interlaced in der Wahrnehmung mehr dem klassischen Fernsehbild entspricht. •• 2160p50 4:4:4 8bit – Die fettgesetzte Zahl gibt die Bildrate an (gemessen in fps – Frames per Second), in diesem Fall sind es fünfzig volle Bilder pro Sekunde. Diese Frequenz sollte bei Film und technischem Abspielmedium identisch bzw. ein Vielfaches sein, ansonsten wird es zu sichtbarem Ruckeln kommen, da einzelne Frames doppelt gezeigt werden oder entfallen müssen, um eine Bildratenkonvertierung zu erreichen. Die wichtigsten Frequenzraten sind 24  fps (analoger Film), 25 fps und Vielfache (PAL) sowie 30 fps und Vielfache (NTSC). •• 2160p50 4:4:4 8bit – Die nächste Ziffernfolge beschreibt das Farbsubsampling, also in welcher Auflösung Farb- und Helligkeitsinformationen abgelegt sind. Die Kodierung bedient sich der Eigenschaft des YCbCr-Farbmodells, Y (die Helligkeitsinformation) getrennt von den Farbinformationen (Cb = Blaudifferenz, also ein Farbwert zwischen Gelb und Blau, und Cr = Rotdifferenz, also ein Farbwert zwischen Rot und Grün) abzulegen. Diese Aufteilung

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von Bildinformationen ist insofern effizienter als RGB22, als man hiermit die für das menschliche Auge sehr wichtige Helligkeitsinformation von der ­weniger ausschlag­gebenden Farbinformation einfacher trennen kann. Farbsubsampling bedeutet, dass man die Farbwerte (Cb und Cr) in geringerer ­Auflösung speichert als den Y-Helligkeitswert, um die benötigte Datenmenge zu optimieren. Dabei gibt die erste Ziffer die Samplegröße an – 4 bedeutet vier Pixel Breite (bei einer Konvention von zwei Pixel Höhe). Die zweite und dritte Ziffer geben dann die Anzahl von Farbsamples für die erste (mittlere Zahl) und zweite Reihe (rechte Zahl) an.

Abb. 2.4.21: Beispiele für Farbsubsamplings von vier Pixeln Breite (von links nach rechts): 4:4:4, 4:2:2, 4:2:0 und 4:1:1.

Zwischen 4:4:4 (dem vollen RGB-Umfang) und 4:2:2 sieht das menschliche Auge so gut wie keinen Unterschied. Im Broadcasting wird in der Regel das weniger aufgelöste 4:2:0 oder 4:1:1 verwendet. •• 2160p50 4:4:4 8bit – Der letzte Teil der Zeichenfolge gibt die Farbtiefe an, mit der ein Farbwert kodiert ist, also wie viele Farbstufen darstellbar sind. 8 bit bedeutet in dem Fall 8 bit pro Farbe, was einer Farbtiefe von 24 bit entspricht (und einem Farbumfang von rund 16,7 Millionen Farben). Weitere relevante Farbtiefen sind 10, 12 und 16 bit, die jeweils noch zu einem deutlich höheren Farbumfang führen. Höhere Farbtiefen als 8/24 bit sind besonders dann ausschlaggebend, wenn man sich in einem sehr engen Farbbereich mit weichen Abstufungen bewegt und Banding, also sichtbare Farbtreppen­stufen gerade in Farbverläufen, vorbeugen will.23 Auch wenn man das Bildmaterial im w ­ eiteren Produktionsverlauf noch farbkorrigieren will, kann man mit der größeren Farbtiefe ausschließen, dass sich Farbartefakte, also erkennbare Farb­blöcke und -ränder in Farbflächen und -verläufen bilden. Darüber hinaus lässt sich die tatsächliche Auflösung (nicht nur die Zeilenzahl) in der Regel an der Formatkennung ersehen. Abbildung 2.4.22 zeigt einige gängige Formate. Die genannten Film- und Bildformate sind in der Praxis der Mediatekturgestaltung nicht nur für Bild- und Filminhalte ausschlaggebend, sondern definieren auch die Übertragungsprotokolle von technischen Abspielquellen (­beispielsweise Computer mit Grafikkarten) zu technischen Medien (beispielsweise Bildschirm oder LED-Wand). Entsprechend wichtig ist es auch, möglichst 22 Zu RGB vgl. Kapitel Licht und Farbe, Abschnitt Farbdefinition und -standardisierung, S. 125 f. 23 Vgl. den folgenden Abschnitt zu Kompression.

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Abb. 2.4.22: Verschiedene gängige Auflösungen im relativen Vergleich.

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in diesen technisch umsetzbaren Parametern zu planen – unabhängig von den ­flexiblen Pixelgeometrien und Auflösungen, die einzelne interaktive Applikationen bieten. Zusammenfassung •• Die Angabe zum Filmformat setzt sich in der Regel aus Zeilenanzahl, progressive oder interlaced, Bildrate, Farbsubsampling und Farbtiefe zusammen. •• Da digitale Bildtechnik entlang dieser Angaben genormt ist, sollte man anhand entsprechender Standards planen.

Kompression In den wenigsten Situationen entspricht die auf einem Bildschirm wieder­ gegebene Datenmenge derjenigen des digital aufgezeichneten Bildes – technische Hardware ist kaum in der Lage, die bei großen Film- und Bildformaten wie HD oder UHD anfallenden Datenmengen ohne Optimierung zu verarbeiten. Ein UHD-Datenstream mit 50 fps umfasst je nach Farbtiefe zwischen 1,24 und 2,49 Gigabyte Daten pro Sekunde – was selbst modernste Technik vor einige Heraus­ forderungen stellt. Entsprechend werden Farbsubsampling und Kompression verwendet, um die Datenmenge zu limitieren. Dabei geht es in der Media­tektur – anders als im Broadcasting – nicht darum, möglichst kleine Dateigrößen zu erreichen, sondern eine gute Balance zwischen Bildqualität und Datenvolumen zu finden. Was sich hier im ersten Moment einfach anhört, kann schnell zu einem komplexen Unterfangen werden, denn die Abspielmöglichkeiten müssen mit den zur Verfügung stehenden Komprimierungsverfahren abgeglichen werden. Prinzipiell gibt es im Sinne der Standardisierung festgelegte Codec-Levels24, die bei allen modernen Codecs25 greifen. Diese gibt es wiederum in einem Main Tier und einem High Tier, die festlegen, wie hoch die jeweilige Datenrate sein darf, die ein dafür spezifiziertes Gerät abspielen können muss. Nehmen wir das oben genannte ­Beispiel UHD 50 fps mit einem modernen H.265-Codec (HEVC), so benötigt man mindestens Level 5.1, um die entsprechende Auflösung und Bildrate verarbeiten zu können. Level 5.1 limitiert uns im Main Tier auf 40 Mbit/s, was für ein UHD24 Die Codec-Levels und Codec Tiers lassen sich in Tabellenform beispielsweise bei Wikipedia finden: https://en.wikipedia.org/wiki/High_Efficiency_Video_Coding_tiers_and_levels, Zugriff am 12.5.2018. 25 Codec ist der Algorithmus, der definiert, wie aus den unkomprimierten komprimierte Filmdaten werden (encoding) und aus den komprimierten unkomprimierte Filmdaten zum Abspielen (decoding). Man unterscheidet zwischen lossless (ohne Datenverlust) und lossy Codecs (mit Datenverlust), wobei alle modernen Videocodecs der Kategorie lossy zuzuordnen sind.

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Bild bei der Bildrate nicht besonders viel ist (hier stehen 5-MByte/s mit H.265 den 1.24-GByte/s des unkomprimierten Datenstroms gegenüber, es handelt sich also um eine Kompression von ca. 1:25026). Auswege wären jetzt, auf High Tier zu komprimieren, was bis zu 160 Mbit/s erlaubt (also eine Kompression von ca. 1:64), oder auf ein höheres Codec-Level zu wechseln. Es stellt sich dann aber die Frage, welche Hardware diese Komprimierung fehlerfrei abspielen kann. Gerade hardwarebasierte Abspiellösungen, die besonders verlässlich und preiswert sind, haben bezüglich der zur Verfügung stehenden Codecs enge Grenzen. Es lohnt sich also, eine Komprimierung auf einem bestimmten Gerät zu testen, um so zu bestimmen, ob das Gerät diese überhaupt wiedergibt und ob die erreichte Qualität für die Anwendung genügt. Darüber hinaus kann auch unterschiedliche Komprimierungshard- und -software unterschiedliche Ergebnisse mit den gleichen Einstellungen liefern. ­ Daraus lässt sich die Empfehlung ableiten: Sobald man die Kette von Komprimierung, Entschlüsselung und Abspielen zur Zufriedenheit ausgetestet hat, sollte man diese für eine Produktion nicht mehr verlassen, da man sonst Gefahr läuft, dass die Ergebnisse Varianzen aufweisen. Besonders schwierig ist es in der Regel, Material mit Farbverläufen zu komprimieren, besonders, wenn diese nur geringe Farbwert- und Helligkeits­unterschiede umfassen oder sehr nah an Schwarz liegen. Hier bilden sich oft sichtbare sogenannte Bandings, das heißt Farbtreppenstufen (siehe Abb. 2.4.23). Entweder man

Abb. 2.4.23: Während im linken Bild der Verlauf relativ weich ist, sieht man in der rechten, stark komprimierten Version Farbtreppenstufen, sogenanntes Banding. 26 Die Kompressionsratio dient hier der Veranschaulichung der benötigten Datenvolumen, sagt aber an sich nichts Verlässliches über das Ergebnis einer Kompression aus, da je nach verwendetem Codec und Art des Bildmaterials bei gleichbleibender Ratio die erreichte visuelle Qualität erheblich schwanken kann. Es gilt aber, dass aktuelle (rechenintensivere) Codecs (beispielsweise H.265) höhere Ratios bei gleichbleibender Bildqualität erreichen als ältere Codecs (beispielsweise MPEG-2), die noch für weniger performante Hardware ausgelegt waren. Bei gleichbleibendem Codec und komplexem Bildmaterial sollte ein Sprung von einer Ratio von 1:250 zu 1:64 eine deutliche visuelle Qualitätssteigerung erzielen.

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vermeidet die Verwendung solcher Farbverläufe direkt in der Gestaltung und damit der Produktion oder man muss durchgehend mit einer hohen Farbtiefe, geringer Kompression und damit einer sehr hohen Datenrate arbeiten. Im Kontext der Mediatektur ist es relevant, darauf hinzuweisen, dass Bewegtbilder sich nicht in beliebiger Auflösung komprimieren lassen. Hat man beispielsweise eine Auflösung von 11.520 x 2.160 Pixeln zu bestreiten, wird man keinen Codec finden, der diese Auflösung sinnvoll kodieren kann. Hier ist die Lösung in der Regel, die Fläche in kleinere Stücke aufzuteilen und dann in der Folge diese Stücke synchron nebeneinander abzuspielen, also hier in dem Beispiel das Gesamtbild in drei mal UHD (3.840 x 2.160 Pixel) zu splitten und entsprechend zu kodieren. Zusammenfassung •• Digitaler Film muss in der Regel komprimiert werden, damit die Datenmenge für die Technik beherrschbar bleibt. •• In der Mediatektur versucht man im Gegensatz zu Internet und Fernsehen weniger stark zu komprimieren, um die Bildqualität auch bei großen Bildflächen möglichst hoch zu halten.

Besonderheiten von großen Bildflächen Mediatekturanwendungen beinhalten häufig große Bildflächen, an die die Betrachter relativ nah herankommen. Diese großen Bildflächen erfordern ­besondere Vorkehrungen im Vergleich zu den eher geringen Bildflächengrößen, die wir normalerweise in unserem täglichen Umfeld bei Fernsehern, Telefonen und Tablets finden. •• Bewegungsgeschwindigkeit: Erlebte Bewegungsgeschwindigkeiten skalieren sich mit der Bildgröße. Stellen wir uns ein Auto vor, das in zwei Sekunden von links nach rechts durch das Bild fährt: Auf einem kleinen Bildschirm legt es in den zwei Sekunden vielleicht einen Meter zurück, auf einer riesigen Projektions­fläche in der gleichen Zeit vielleicht dreißig Meter. Die r­ elative Geschwindigkeit sind 1,8 Stundenkilometer auf der kleinen Bildfläche gegenüber 54 Stundenkilometern auf der großen. Daraus ergibt sich, dass man generell für Situationen, in denen Betrachter nah an große Bildflächen herankommen, mit deutlich geringeren Geschwindigkeiten arbeiten sollte bzw. dass die Geschwindigkeiten die wir auf Produktionsbildschirmen wahr­nehmen, viel langsamer erscheinen als später in einer großen Projektion oder auf einer vielleicht raumhohen LED-Wand. In der praktischen Produktion setzen wir hier ein Referenzobjekt ein, beispielsweise den Umriss eines Menschen in

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Maßstabsgröße im Kontext des Schnittbildschirms, um leichter eine Vorstellung von den Dimensionen und Geschwindigkeiten zu bekommen, die wir gerade bearbeiten. •• Bewegungsdistanz: Mit der Vervielfachung der Geschwindigkeit werden auch die Sprünge zwischen den Einzelbildern größer. Während wir auf normalen Bildschirmen eine große Horizontalbewegung wie die des eben beschriebenen Autos als geschmeidig wahrnehmen, kann die gleiche Bewegung auf einer großen Fläche ruckelnd wirken, weil zwischen den verschiedenen Einzelbildern der Bewegung eine viel größere horizontale Distanz entsteht. Dieses Phänomen lässt sich meist mit einer doppelten Bildrate (also 50 fps anstatt 25 fps oder 60 fps anstatt 30 fps) beheben. Auch Bewegungsunschärfe kann helfen, hier einen weicheren Eindruck zu generieren. Prinzipiell sollten aber alle visuellen Inhalte, die für Großflächen gedacht sind, an die die Betrachter nah herankommen, mit 50 bzw. 60 fps produziert werden. •• Bildratenkonvertierung: Auch Fehler in der Planung und Synchronisation der Bildraten mit der Frequenz der technischen Abspielmedien (wird beispielsweise ein 25 fps Inhalt auf einem 60-Hz-System abgespielt oder ein 30 fps Inhalt auf einem 50 Hz System) werden auf Großflächen viel schneller sichtbar. •• Größen und Positionierungen: Die Größe von informativen Einheiten wie etwa Titel oder Texteinblendungen, die auf einem normalen Bildschirm die Bildschirmfläche füllen und gut erfasst werden können, reicht bei großen Bildflächen schnell über den menschlichen Sichtwinkel hinaus. Entsprechend müssen Größe und Positionierung dieser Elemente mit der Position der Betrachter in Abstimmung gebracht werden. •• Schnittfrequenz: In der räumlichen Erzählung bedarf es häufig längerer Sequenzen, bevor ein Bildwechsel bzw. Schnitt erfolgt. Dies hängt mit dem erwähnten Faktor der Geschwindigkeit von Bewegungen zusammen, aber auch damit, dass der Zuschauer dem Geschehen folgen muss und ihm dies häufig nicht aus einer einzelnen Blickrichtung heraus möglich ist. Das kann gerade dann eine Herausforderung werden, wenn für die Mediatektur M ­ aterial zweitverwendet werden soll, das für normale Broadcasting­anwendungen k­ onzipiert und gedreht wurde. Auch wenn viele Einstellungen in längerer Form v­ orliegen, sind häufig nur die kurzen, für den Singlescreenschnitt verwendeten Schnittstücke farbkorrigiert und freigegeben. Es bedarf also oft einer erweiterten Produktion, um Material für Mediatekturanwendungen entsprechend vorzubereiten und vorzuhalten.

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Zusammenfassung •• Bewegungen und Schnittfrequenzen sollten auf großen Bildflächen langsamer sein, bei höherer Bildrate. •• Die Geschwindigkeit muss dem Zuschauer noch erlauben, der Handlung im Raum folgen zu können. •• Technische Mängel bei etwa Farbkompression oder Bildratenkonvertierung werden auf größeren Flächen schneller sichtbar.

Digitale technische Bildmedien und ihr Einsatz Digitale technische Bildmedien wie Bildschirme, Projektoren oder LED-­ Pixelwände sind ein integraler Teil von Mediatektur. Gestalterisch prägen sie die Mediatektur dadurch, dass das bewegte Bild nicht einfach in den Raum gezaubert werden kann, sondern eine technische Basis braucht, die im Raum verortet ­werden muss und je nach verwendeter Technologie bestimmten Restriktionen unterliegt. Die digitalen Bildmedien gliedern sich in zwei große Gruppen: •• Technische Bildmedien, die Bilder projizieren. •• Technische Bildmedien, die Bilder auf ihrer Oberfläche wiedergeben. Da die eingesetzte Technologie oft einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das Design selbst hat – Raster orientieren sich an Mediengrößen, Formen an verfügbarer Technologie, Helligkeiten an der Leistungsfähigkeit der Bildwiedergabe, die Brillanz der Bildwiedergabe prägt die Wahrnehmung der Qualität der gesamten Inszenierung usw. –, kommt der Entscheidung für eine bestimmte ­Technik eine grundlegende technisch-planerische und designstrategische Bedeutung zu. Daneben ist die Technologieentscheidung naturlich auch durch das ­verfügbare Budget geprägt. In der täglichen Arbeit begegnen wir hauptsächlich drei verschiedenen Technologien digitaler Bildmedien: Projektion, LED-Flächen und LCD-Bildschirme.

Projektion Früher nur eine Technologie für die absolute Dunkelheit der Kinosäle, wird Projektion heute in einer Vielzahl von Mediatekturprojekten eingesetzt. Ähnlich wie LED-Flächen wird diese Technik hauptsächlich zum Generieren großer Bildgrößen verwendet. Dabei ist Projektion flexibler als LED, da Bilder nicht aus strukturellen Elementen zusammengesetzt, also technisch „gebaut“ werden müssen. Sie

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Abb. 2.4.24: Soft-Edge-Projektion auf einem Bühnenhintergrund für den Mercedes C-Klasse Launch. Peking, China, 2011 (Avantgarde Beijing (Agentur); Luxoom Medienprojekte (Bühnenund Mediendesign)).

bringt aber viele Einschränkungen hinsichtlich der Umgebungshelligkeit und des nötigen Projektionsabstandes mit sich. Projektion kann als Auf- und Rückprojektion eingesetzt werden. Aufprojektion heißt, dass auf ein meist opakes Material projiziert wird und das Bild aus der P­rojektionsrichtung des Projektors sichtbar wird. Rückprojektion ist dagegen eine Projektion „von hinten“ auf ein durchscheinendes Material, das Bild ist entgegen der Projektionsrichtung sichtbar.27 Es gibt Materialien, die gleichzeitig ein Bild gegen und mit der Projektionsrichtung ermöglichen – die Bilder haben dann aber eine geringere Helligkeit und ein Bild ist immer spiegelverkehrt.28 In der ­Mediatektur besteht der größte Teil der Anwendungen aus Aufprojektion. Projektion ist dort am stärksten, wo visuelle Inhalte auf komplexe Form- und Oberflächenstrukturen gebracht werden sollen und das Umgebungslicht kontrollierbar ist. Sie kann (in fast allen Fällen) nicht bei Tageslicht eingesetzt werden und braucht aufgrund des erforderlichen Projektionsabstandes immer mehr Raum als andere Medientechnologien. Helligkeit und Kontrast

Helligkeit ist, wie bei klassischen Film- und Diaprojektoren, der zentrale limitierende Faktor beim Einsatz von Projektion. Mit zunehmender Licht27 Rückprojektion wird in der Regel heute nicht mehr eingesetzt, da man mit LCD-Videowalls oder LED bessere Ergebnisse bei deutlich geringerer Bautiefe erreichen kann. 28 Das gespiegelte Bild wird dann zu einem Problem, wenn Text, Zahlen oder Symbole gezeigt werden, die in dem Fall auch spiegelverkehrt erscheinen. Zu beachten ist, dass es dabei ggf. nicht nur um Titel und Ähnliches geht, sondern auch um Texte und Zahlen in Bildern, wie etwa auf Nummernschildern von Autos oder Ladenschildern in einem Stadtbild.

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stärke29 werden die im Projektor verwendeten Leuchtmittel komplexer und es wird mehr Wärme produziert. Das führt dazu, dass mehr Ventilation benötigt wird, um die Geräte vor Überhitzung zu schützen, was wiederum mehr Geräusche durch die eingesetzten Ventilatoren verursacht. Gleichzeitig ist die Lebensdauer der sehr heißen Leuchtmittel gering und die Lichtfarbe ändert sich über die Lebensdauer. Vielversprechend sind demgegenüber die Projektoren der neuen Generation, die mit LED- und Laser-Leuchtmitteln ausgestattet sind. Sie sind leiser, kleiner und vor allem über lange Zeit wartungsfrei. Auch ihre Leuchtmittel haben eine vielfach längere Lebensdauer. Die wahrgenommene Helligkeit einer Projektion hängt von vier Faktoren ab: 1. Größe des zu projizierenden Bildes 2. Lichtsituation im Raum 3. Material, auf das projiziert wird 4. Art der projizierten Bilder Generell gilt: Je größer das Bild auf einer Fläche erscheinen soll, desto kleiner ist die Lichtmenge pro Quadratmeter, die für die Projektion zur Verfügung steht. Die Lichtstärke eines Projektors wird in Lumen (lm) gemessen, die Beleuchtungsstärke der Projektionsfläche, die dieses Licht erreicht, in Lux (lx), was identisch ist mit Lumen pro Quadratmeter [lm/m²]. Für eine vier mal drei Meter große Fläche mit einem 6.000 Lumen 4:3-Projektor, können wir folgende Beispielrechnung vornehmen: Helligkeit [lm/m²] = Projektor Lichtstärke [lm] / ( Projektionsbreite [m] * ­Projektionshöhe [m]) 500 lm/m² = 6.000 lm / (4 m * 3 m)

Abb. 2.4.25: Die rote, gestrichelte Linie zeigt die technisch projizierte Fläche, während die graue Fläche das sichtbare Bild beschreibt. Bei einer 16:9-Projektion (rechts) auf die 4 x 3 m große Wand ist die projizierte Fläche deutlich größer als die verwendete, sichtbare Bildfläche. 29 Wir benutzen hier den Begriff Lichtstärke anstatt des fachlich richtigen deutschen Begriffes des Lichtstroms eines Projektors, da der Begriff Lichtstärke in der Branche eher Anwendung findet.

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Diese Berechnung funktioniert, solange das Format bzw. Seitenverhältnis des technisch projizierten Bildes dem Format des benötigten Bildes entspricht. Wenn man, beispielsweise aber einen 16:9-Projektor auf dieselbe Fläche einsetzt (siehe Abb. 2.4.25), verändert sich die Berechnung. Da wie in der Abbildung sichtbar die linke und rechte Seite des projizierten 16:9-Bildes maskiert sind, müssen wir diese Fläche trotzdem in die mögliche Lichtstärke des Projektors mit einrechnen – das heißt, man berechnet die lm/m² für die gesamte projizierte 16:9-Fläche, also für 16 anstatt für 12 Quadratmeter. Bei einem Projektor mit gleicher Lichtstärke folgt dann: 375 lm/m² = 6.000 lm / 16 m² Will man die gleiche Menge an Aufhellung auf einer Fläche mit unterschiedlichem Bild-Seitenverhältnis erreichen, braucht man einen Projektor mit höherer Lichtstärke, als wenn man einen Projektor mit dem Seitenverhältnis einsetzt, das Verwendung finden soll. In unserem Beispiel würde der 16:9-Projektor auf der 4:3-Bildfläche dreißig Prozent mehr Lichtstärke benötigen, um die gleiche ­Auf­hellung zu erreichen. Was sagt aber eine Angabe in lm/m² aus? Bei welchem Wert wird ein projiziertes Bild als hell und kontrastreich wahrgenommen? Das hängt stark von der Stärke des Umgebungslichtes ab. Während 200 lm/m² in einem dunklen Kinosaal ausreichen, um ein brillantes Bild zu erzeugen, wäre das gleiche Bild bei der ­gleichen Aufhellung in einer Tageslichtumgebung kaum wahrnehmbar. Für das menschliche Auge gibt es kein objektives Schwarz oder Weiß – es passt sich fast perfekt der Lichtsituation der jeweiligen Umgebung an.30 In einer gegebenen Lichtsituation schafft es unser Auge, ungefähr einen Kontrastumfang von 100:1 wahrzunehmen, bevor es sich neu anpassen muss – das heißt, etwas, das hundertmal heller als ein wahrgenommenes Schwarz ist, wird als weiß wahrgenommen. Abhängig vom Umgebungslicht und um es für unsere Augen k­ omfortabel zu gestalten, sollten wir den Kontrastumfang unserer Projektion in diesem Bereich halten. Doch ausgehend von dem Kontrastumfang, den unsere Augen wahrnehmen können, stellt sich die Frage, wie viel Kontrastumfang ein ­projiziertes Bild braucht, um als kontrastreich und gut wahrgenommen zu werden? Texte, in Schwarz auf Weiß gedruckt, können wir bereits bei einem Kontrastumfang von weniger als 1:10 gut lesen, ein Foto nehmen wir bei einem Kontrastumfang von 1:20 als gut wahr. So können wir davon ausgehen, dass wir mit einem durch die Projektion erreichten Kontrast von mehr als 1:20 gut arbeiten können. Dazu kann man auf das bereits angeführte Projektionsbeispiel zurück­greifen: Angenommen auf der vier mal drei Meter großen Projektionswand gibt es eine Aufhellung durch Umgebungslicht (Lichter im Raum etc.) von ungefähr 20 Lux 30 Vgl. Kapitel Licht und Farbe, Abschnitt Helligkeit, Kontrast und Wahrnehmung, S. 85.

Die Instrumente der Mediatektur – Bildmedien

und wir nutzen einen 4:3-Projektor, der 500 lm/m² Aufhellung liefert. Um den Kontrastumfang der Projektion zu berechnen, braucht man nun einen weiteren Wert – den Kontrastumfang, den der Projektor liefert. Die Spezifikationen von Projektoren erwähnen dazu oft einen full on/off contrast, der aber nicht w ­ irklich hilft, um den konkreten Kontrastumfang zu ermitteln, da dieser Wert nur unter ­extremen Testbedingungen erreicht wird – Bedingungen, die wir in der P­ raxis quasi nie vorfinden werden. Der viel aussagekräftigere (und meist deutlich geringere) ANSI-Kontrastumfang wird selten genannt und so müssen wir eine Annahme machen: In der praktischen Anwendung dürfte kaum ein Projektor einen besseren Kontrast als 1:200 erreichen. Für die Beispielberechnung kann man also einen Projektor mit einem Kontrastumfang von 1:200 annehmen, dessen projiziertes Weiß also 200-mal heller ist als das Restlicht im Schwarz. Zur Berechnung des Kontrastumfangs der Projektion nehmen wir folgende Formel: Kontrastumfang = 1 / ((projizierte Aufhellung [lx] + bestehende ­Aufhellung [lx]) / (bestehende Aufhellung [lx] + ((projizierte Aufhellung [lx] * K ­ ontrastumfang des Projektors)) 1:23,1 = 1 / ((500 lx + 20 lx) / (20 lx + (500 lx * 1/200))) Der erreichte Kontrastumfang liegt bei ~1:23 und wäre damit gut. Berechnet man auf die gleiche Weise das Beispiel mit dem 16:9-Projektor (mit 375 lm/m²), erreicht man lediglich einen Kontrast von ~1:18, was signifikant schlechter ist als der Kontrastumfang von 1:23, den der 4:3-Projektor liefert und unter dem von uns angestrebten 1:20 Kontrastumfang liegt. 1:18,1 = 1 / ((375 lx + 20 lx) / (20 lx + (375 lx * 1/200))) In der Beispielrechnung haben wir eine Raumaufhellung durch Umgebungslicht von 20 Lux angenommen. Welcher Art von Lichtsituation entspricht das? Um ein besseres Gefühl für verschiedene Lichtsituationen zu bekommen, ist es sinnvoll, einmal selbst die Helligkeit in verschiedenen Situationen mit einem ­Luxmeter zu messen. Folgende Tabelle gibt eine grundlegende Vorstellung der Aufhellung in verschiedenen Lichtsituationen: Aufhellung ca.

Beispiel

0,2 lx

Nacht bei Vollmond

50 lx

Wohnzimmer

400-500 lx

Typische Bürobeleuchtung

1.000 lx

Showroombeleuchtung/Bewölkter Tag

10.000-25.000 lx

Indirektes Sonnenlicht

32.000-130.000 lx

Direktes Sonnenlicht

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Wenn man die eben genannte Berechnungsformel mit verschiedenen Umgebungsaufhellungen aus der Tabelle ausprobiert, stellt man schnell fest, dass eine Projektion schon sehr schwierig wird, wenn die Umgebungsaufhellung hundert Lux überschreitet. Kommt Tageslicht ins Spiel, wird Aufprojektion unmöglich. Ein häufig gemachter Fehler ist zudem die Projektion von Inhalten mit viel Weiß oder vielen hellen Flächen, was gerade bei raumgreifenden Bildflächen ­problematisch wird. Denn die entsprechenden Bildanteile tragen zur Aufhellung des Raumes unabhängig vom Umgebungslicht bei und können somit wiederum den Kontrastumfang der Projektion signifikant einschränken. Projektionsmaterialien und Gain

Aus der Praxisperspektive gibt es in der Aufprojektion drei fundamental unterschiedliche Materialien, auf die man projizieren kann: Gazematerialien, die teiltransparent sind, nichttransparente Materialien und spezielle Projektionsmaterialien. Wie gut ein Material Aufhellung zeigt, wird durch den sogenannten Gainfaktor beschrieben. Ein Gain von unter eins beschreibt einen Verlust von Aufhellung, während ein Gain von über eins eine Verstärkung der Aufhellung beschreibt. Transparente Materialien wie Gaze haben einen Gain­ faktor von w ­ eniger als eins. Gleiches gilt für farbige Oberflächen und einige glänzende M ­ aterialien. Eine typische Situation von Gainverlust ist die Projektion auf ein Auto (auch wenn dieses weiß ist): Das glänzende Material reflektiert einen Teil des Lichtes, ohne sich dabei voll aufzuhellen. Fast alle mattweißen Wände und andere nichtglänzende weiße Materialien haben einen Gain nahe eins. Einen Gain von mehr als eins erreicht man fast ausschließlich mit speziellen Projektions­materialien, die den Sichtwinkel einschränken und mehr Licht frontal zurückwerfen. Die Abbildung 2.4.26 illustriert dieses Prinzip. Somit schaffen die sogenannten High-Gain-­Materialien eine zusätzliche Aufhellung für Zuschauer, die sich in einem bestimmten (eingeschränkten) Sichtwinkel befinden. In die Berechnungsformeln kann der Gainfaktor folgendermaßen eingebunden werden: Kontrast = 1 / (((projizierte Lichstärke [lx] * Gainfaktor ) + ­Umgebungslicht [lx]) / (Umgebungslicht [lx] + (projizierte Lichtstärke [lx] * Gainfaktor * Kontrast des Projektors) Eine Beispielberechnung, in der man die zuvor berechneten 375 lm/m² eines 16:9-Projektors und einen Gainfaktor von 1,5 in Betracht zieht, sieht folgender­ maßen aus: 1:25,5 = 1 / (((375 lx * 1,5) + 20 lx) / (20 lx + (375 lx * 1,5 * 1/200)))

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Abb. 2.4.26: Illustration der Auswirkung des Gainfaktors in der Lichtreflexion: Links mit normalem Gainfaktor und gleichmäßiger Reflexion, rechts mit hohem Gainfaktor, starker Frontreflexion und damit eingeschränktem Sichtwinkel.

Die Berechnung zeigt, dass bei einem High-Gain-Material mit einem Gainfaktor von 1,5 der Kontrast von ~1:18 auf ~1:25 erhöht werden kann – was einen signifikanten Unterschied bedeutet. High-Gain-Materialien haben allerdings auch Nachteile, die hier nicht unerwähnt bleiben sollten: Neben dem geringeren Sichtwinkel führen diese Materialien oft zu Veränderungen in der Farbdarstellung und zeigen ein weniger intensives Schwarz. Spätestens ab einem Gain von 1,3 zeigt sich ein Hot-Spot, also eine signifikante Aufhellung in der Mitte des Bildes, und es kommt zu Helligkeitsabfall an den Rändern.31 Um diese Probleme auszuschließen und ein starkes Schwarz zu erzeugen, wird entsprechend häufig eine Entscheidung für Low-Gain-Materialien getroffen. Auch wenn man über den Einsatz von soft-edge-geblendeten Projektionen32 nachdenkt, um aus mehreren projizierten Bildern eines zu machen, sollte man nicht zu High-Gain-Materialien greifen. In Mediatekturprojekten spielen neben dem Gainfaktor oft die Helligkeitsdifferenzen eines Materials eine Rolle, wenn man es aus verschiedenen Sichtwinkeln betrachtet. Viele Materialien zeigen eine ganz unterschiedliche Aufhellung, wenn man frontal auf sie schaut oder wenn man die Projektion aus einem starken Winkel betrachtet. Dieser Effekt kann – gerade wenn man Bildflächen mit unterschiedlichen Winkeln in einer Mediatektur kombiniert – zu unerwünschten Ergebnissen führen. Abhilfe kann ein Test der geplanten Materialien in einer frühen Projektphase schaffen (siehe Abb. 2.4.27).

Abb. 2.4.27: Sichtwinkelanalyse eines weißen Stoffmaterials: Frontal betrachtet wirkt das Material dunkler als die weiße Wand dahinter, aus einem extremen Winkel wirkt es aber gleich hell. Daraus lässt sich schließen, dass das Stoffmaterial eine einheitlichere Aufhellung aus unterschiedlicheren Sichtwinkeln aufweist als die Wand dahinter. Für Mediatektur ist dieses Material gut geeignet.

31 Vgl. E. Powell: What is screen gain? 32 Vgl. dazu den folgenden Abschnitt zu Soft-Edge-Blending und geometrische Korrektur.

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Im Weiteren spielt die Art der zu projizierenden Bilder eine signifikante Rolle für die Helligkeits- und Kontrastwahrnehmung. Wenn die Bilder an sich sehr kontrast­reich sind – wie beispielsweise weiße Typografie auf schwarzem Hintergrund –, ist der benötigte Kontrastumfang viel geringer, als wenn Bilder mit vielen Farben und weichen Verläufen gezeigt werden sollen. Für kontrastreiche Inhalte kann ein Kontrastumfang von 1:6 bereits ausreichend sein, während ein ­Bildinhalt mit vielen Verläufen in dunklen Bereichen einen Kontrastumfang von über 1:20 benötigen kann.33 Projektorpositionierung und Berechnung des Projektionsobjektivs

Die Wahl der Position des Projektors hängt von verschiedenen Variablen ab: Von welcher Position vermeidet (bzw. minimiert) man Schattenwürfe? Wo kann man den Projektor zugänglich und vibrationsfrei positionieren? Welche Positionen sind möglich bezogen auf die für einen Projektor verfügbaren Objektive, deren Lensshift und Schärfentiefe? •• Schattenwurf: Wegen des möglichen Schattenwurfs ist eine Projektion in der Regel nur dann sinnvoll, wenn der Weg zur Projektionsfläche nicht verstellt ist. Jegliches feste oder bewegliche Objekt im Projektionsstrahl ist als Schatten vergrößert auf der Projektionsfläche zu sehen. Häufig treten Schattenprobleme im Zusammenspiel mit konstruktiven Elementen wie Säulen oder Truss auf – aber auch das Publikum selbst sitzt oft im Weg einer möglichen Projektorposition. Eine große Herausforderung sind bei Bühnenbespielungen, deren Hintergrund eine Projektion sein soll, die Personen und Objekte, die sich auf der Bühne bewegen, wie Redner oder Autos. Ein weiteres häufiges Problem ist, dass gerade in engen Räumen, wo gegenüberliegende Wände bespielt w ­ erden sollen, die verschiedenen Projektoren sich gegenseitig in den Weg geraten und man am Ende den Schatten eines Projektors im Bild des anderen sieht. •• Vibrationsfreiheit: Ein Projektor vergrößert das Projektionsbild um ein Vielfaches – entsprechend wird jede Bewegung und Vibration des Projektors potenziert sichtbar. Es gibt zwei typische Fehler, die in dem Zusammenhang gemacht werden: –– Der Projektor wird an einer Truss positioniert, die auch bewegliche Lichter trägt. Bewegen sich die Lampen, werden Schwingungen über die Truss auf den Projektor übertragen. Deshalb müssen Haltekonstruktionen

33 Vgl. dazu den in diesem Kapitel vorhergehenden Abschnitt Projektion: Helligkeit und Kontrast.

Die Instrumente der Mediatektur – Bildmedien

für bewegliche Lichter immer von Haltekonstruktionen für Projektoren isoliert werden. –– Der Projektor wird auf einem schwingenden Boden (zum Beispiel aus Holz) positioniert. Wenn sich dann Leute oder Objekte auf dem Holz bewegen, wird die Schwingung wiederum auf den Projektor übertragen. •• Projektionsobjektiv: Die Auswahl eines Projektionsobjektivs basiert auf einer einfachen Berechnung. Für die meisten Objektive ist ein Projektionsverhältnis angegeben, das in der Regel eine Form wie 3,1 – 5,6:134 hat. Das Projektions­ verhältnis beschreibt das Verhältnis von Projektionsdistanz zu Bildbreite.

Bildbreite [cm] = Projektionsabstand [cm] / Projektionsverhältnis





und

Projektionsabstand [cm] = Bildbreite [cm] * Projektionsverhältnis und

Projektionsverhältnis = Projektionsabstand [cm] / Bildbreite [cm]

Nimmt man wieder eine Projektion auf eine vier mal drei Meter große Wand an und hat man in diesem Raum eine Säule in 9,5 Metern Abstand zur Projektions­fläche, an der sich der Projektor einfach befestigen ließe, kann man das Projektionsverhältnis wie folgt berechnen:

2.375 = 9.500 cm / 4.000 cm

Entsprechend dem Ergebnis eines Projektionsverhältnisses von 2.375:1 braucht man ein Objektiv mit diesem Kennwert – das wäre zum Beispiel ein Zoom-­ Projektionsobjektiv mit einem Projektionsverhältnis von 2,0 – 2,8:1. Bei der Auswahl eines Projektionsobjektivs sollte man sich bewusst sein, dass das wirkliche Projektionsverhältnis eines Objektivs von den Herstellerangaben abweichen kann. Die meisten Hersteller geben eine Ungenauigkeit von plus/minus fünf Prozent an. Praxistests zeigen, dass in den meisten Fällen die Ungenauigkeit deutlich geringer ist. Trotzdem sollte man sicherstellen, dass das erforderliche Projektionsverhältnis nicht ganz an einem der Extreme eines Zoom-Projektionsverhältnisbereiches liegt, um böse Überraschungen zu vermeiden. •• Lensshift: In vielen Fällen kann der Projektor nicht direkt zentriert vor der Projektionsfläche positioniert werden. Um trotzdem ein unverzerrtes Bild 34 Das Projektionsverhältnis eines Objektivs kann sich ändern, je nachdem in welchem Projektor es eingesetzt wird. Da die meisten Projektionsobjektive aber ausschließlich für einen bestimmten Projektortyp hergestellt sind, kann man die Angabe des Projektions­ verhältnisses vom Objektiv verwenden, da es meist die optischen Eigenschaften des ­Projektors mit einbezieht.

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zu erreichen, braucht man sogenannte Shiftobjektive – eine Technologie, die in vielen professionellen und semiprofessionellen Projektoren standardmäßig vorgesehen ist und die sogenannte Trapezkorrektur bei preiswerteren Projektoren überflüssig macht.35 Shiftobjektive ermöglichen das Bewegen eines Bildes nach oben, unten, links und rechts, ohne die Position des Projektors zu verändern und auch ohne die Schärfe des Bildes zu beeinträchtigen (ganz im Gegensatz dazu, wenn man Projektoren kippt; siehe dazu Abb. 2.4.28 und den folgenden Abschnitt zu Schärfentiefe).

Abb. 2.4.28: Unterschiedliche Lage des Schärfebereiches beim Kippen (links, nicht auf der Fläche scharf) und Shiften (rechts, auf der Fläche scharf) der Projektion.

Abb. 2.4.29: Schematische Zeichnung eines sechzig Prozent vertikalen Shifts und eines vierzig Prozent horizontalen Shifts sowie eines typischen Shiftbereichsdiagramms. Es zeigt, dass bei vollem vertikalen Shift nur ein minimaler horizontaler Shift erfolgen kann und umgekehrt.

Die Größe des möglichen Shifts hängt von der Brennweite des eingesetzten Projektionsobjektivs ab: Während Objektive mit langer Brennweite einen großen Shift ermöglichen (von sechzig Prozent und mehr, das heißt, das Bild kann 35 Im Gegensatz zum Lensshift zeigt das Projektionsbild bei der Trapezkorrektur keine einheitliche Lichtverteilung, keine einheitliche Auflösung und auch keine plane Schärfeebene.

Die Instrumente der Mediatektur – Bildmedien

um sechzig Prozent seiner eigenen Größe nach oben oder unten verschoben werden), lassen Objektive mit sehr kurzen Brennweiten wenig oder keinen Shift zu. Wenn gleichzeitig auf zwei Achsen ein Shift erfolgt, verringert sich die mögliche Größe an Shift pro Achse. Die Abbildung unten illustriert die Shiftmöglichkeiten eines fiktiven Projektionsobjektives. •• Schärfentiefe: Jede Projektion hat eine Schärfeebene (wie in Abb. 2.4.30 gezeigt), das heißt, es gibt eine Ebene (die sich bei allen Objektiven im rechten Winkel zur Projektionsrichtung befindet), wo das Bild scharf ist. „Scharf“ ist zwar physikalisch relativ genau festgelegt, aber die Wahrnehmung von Schärfe ist subjektiv und hängt stark mit dem maximalen Zerstreuungskreis36 zusammen. Entsprechend gibt es einen Bereich vor und hinter der eigentlichen Schärfeebene, in dem wir das Bild auch als ausreichend scharf wahrnehmen. Diesen Bereich nennen wir Schärfentiefe (englisch Depth of Field, kurz DOF).

Abb. 2.4.30: Illustration der Schärfentiefe eines Projektors: Links liegt der rote Bereich der Schärfentiefe komplett auf der Wand, auch in der Mitte deckt dieser Bereich die Kurvatur der Projektionsfläche noch ab. Rechts dagegen verlässt die gefaltete Projektionsebene den Schärfentiefebereich deutlich.

Solange die Projektion im rechten Winkel zu einer planen Bildfläche erfolgt, spielt die Schärfentiefe keine wirkliche Rolle. Muss man aber den Projektor gegenüber der Bildfläche neigen oder auf eine Projektionsfläche projizieren, die nicht plan ist, hilft eine Betrachtung der Schärfentiefe zu bestimmen, ob alle Bildbereiche als ausreichend scharf wahrgenommen werden. Viele ­Projektoren können zwar die Bildverzerrung einer geneigten Projektion über ihre interne geometrische Bildanpassung korrigieren, nicht aber die Schärfe der Bildbereiche. Es gibt durchaus Formeln, um die Schärfentiefe auf mathematischem Wege aus der Betrachtung von Optik, Blende und Chip- bzw. LCD-Größe eines ­Projektors zu berechnen. Die Praxis zeigt aber, dass unsere menschliche Wahrnehmung deutlich mehr Unschärfe duldet, als es diese Formeln annehmen lassen. Entsprechend hat es sich in der Praxis bewährt, durch entsprechende Probeaufbauten – 1:1 mit dem entsprechenden Projektor und Optik – Schärfentiefe zu testen und somit zu einer subjektiven Aussage zu gelangen.

36 Vgl. dazu in diesem Kapitel, Abschnitt Auflösung, S. 156.

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Soft-Edge-Blending und geometrische Korrektur

In der Mediatektur besteht oft die Anforderung nach besonders großen Bildflächen. Während man dann bei LED- und LCD-Einsatz einfach Technik­module hinzufügt, gibt es bei Projektion die Besonderheit des Soft-Edge-­ Blendings. Hier­zu werden – vereinfacht gesagt – die Projektionen überlappt, um ein durchgehendes Bild über zwei oder mehrere Projektionen hinweg zu schaffen. Viele Medien­ abspielsysteme, professionelle Projektoren und natürlich dedizierte Soft-Edge-Prozessoren verfügen über manuelle oder automatische Optionen, Projektionen miteinander in große Bilder zu überblenden. Die automatischen Systeme – mit einer Kamera ausgestattet, damit eine Kalibration stattfinden kann – haben dabei den Vorteil, auch in komplexen Geometrien wie beispielsweise Kuppel­ projektionen noch zu ausgewogenen und schnellen Ergebnissen zu gelangen. Hierbei handelt es sich um dieselben (manuellen oder automatischen) ­Systeme, die auch die geometrische Korrektur von Bildflächen ermöglichen. Ist eine Projektionsfläche also beispielsweise gewölbt, kann mittels geometrischer Korrektur trotzdem ein (weitgehend) unverzerrtes Bild erzeugt werden. Dabei ist natürlich immer zu beachten, dass gerade bei stark gewölbten Flächen die Schärfe des Projektionsbildes sich immer nur auf einer Ebene befindet und nicht mittels solcher Korrektur beeinflusst werden kann – eine geometrische Korrektur kann somit nur im Rahmen des Schärfetiefenfeldes einer bestimmten Kombination aus Projektor und Projektionsoptik erfolgen. Ein weiterer wichtiger Faktor sowohl beim Soft-Edge-Blending als auch in der geometrischen Korrektur ist die Helligkeitsverteilung: •• Helligkeitsverteilung im Soft-Edge-Blending: Im Soft-Edge-Blending kom­ men zwei gegenläufige Helligkeitsverläufe zum Einsatz, die über den Über­ lappungs­bereich hinweg eine gleichmäßige Helligkeit der Bildinhalte erzeugen (siehe Abb. 2.4.31). Im Abschnitt zur Helligkeits- und Kontrast­berechnung wurde bereits erwähnt, dass die schwarzen Bereiche einer Projektion nicht komplett unbeleuchtet sind, also auch im Schwarz immer eine gewisse Restlichtmenge projiziert wird. Schaut man sich ein Soft-Edge-­Blending zweier „schwarzer“ Bilder an, wird man den Überlappungsbereich als signifikant heller wahrnehmen. Dieses Problem der überlappenden Resthelligkeit ist aber nur dann praktisch relevant, wenn man auch wirklich sehr dunkle Medieninhalte in der Projektion zeigt, denn ansonsten reicht der Kontrastumfang des Auges gar nicht aus, diesen Fehler wahrzunehmen. Man kann den Fehler aber auch korrigieren, indem man die Grundhelligkeit in den nichtüberlappenden Flächen leicht anhebt und damit den überlappenden Flächen angleicht. Dies geschieht meist

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Abb. 2.4.31 (links): Oben: Durch die Resthelligkeit im Schwarz entstehen in der Überlappung Streifen. Mitte: Die zwei projizierten Einzelbilder erhalten in der Überlappung Verläufe ins Schwarz. Unten: Das zusammengesetzte Bild hat durch Soft-Edge-Projektion eine gleichmäßig helle Überlappung. Abb. 2.4.32 (rechts): Oben: Relative Helligkeits­verteilung in einer Projektion auf eine gebogene Geometrie. Unten: Geometrie und Projektionsquelle zum Verständnis in der Ansicht von oben.

automatisch in den entsprechenden Tools der Abspielprogramme, Projektoren oder Prozessoren. Beim Soft-Edge-Blending bzw. der Kombination von Projektoren sollte man zudem darauf zu achten, dass man Projektoren der gleichen Serie mit Leuchtmitteln mit ähnlicher Zahl von Brennstunden kombiniert, da sonst Farb- und Helligkeitsdifferenzen zwischen den Projektoren sichtbar werden können. Dies wird besonders dann zum Problem, wenn man ein Blendingsystem ohne Kalibrierungskamera einsetzt und somit diese komplexen, aber durchaus ­ sicht­baren Unterschiede per Hand ausgeglichen werden müssen. •• Helligkeitsverteilung in der geometrischen Korrektur: In einer geometrischen Korrektur ist das Thema der Helligkeit komplexer, da die Lichtverteilung nicht mehr homogen ist. Wie Abbildung 2.4.32 zeigt, variiert die Helligkeit entsprechend dem Auftreffwinkel und der Entfernung des Bildes. Das könnte heißen, dass man alle Flächen dem kleinsten Wert anpassen muss, um eine durchgehend gleichmäßige Helligkeit zu erreichen – was aber bedeuten kann, dass man den größten Teil der möglichen Projektionshelligkeit verliert. Dazu kommt der Aspekt, dass die Helligkeitsverteilung analog zur Auflösungsverteilung ist, das heißt, im dunkelsten Bereich hat das Bild dann auch nur noch eine deutlich geringere Auflösung. Dies zeigt sich in Abbildung 2.4.32 deutlich an der Verzerrung der Rasterquadrate: Je größer ein Rasterelement ist, umso niedriger ist dessen Auflösung. Entgegen den mathematisch errechneten als groß erscheinenden Differenzen in Helligkeit und Auflösung „übersieht“ bzw. toleriert die menschliche

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Wahrnehmung diese Unterschiede in erstaunlichem Umfang. Wie weit diese Toleranz aber wirklich funktioniert, ist kontextabhängig und sollte immer in einem Probeaufbau geprüft werden – zumal sich im Rahmen von geometrischer V ­ erzerrung auch immer die Frage nach genügender Schärfentiefe stellt. Zusammenfassung •• Der Kontrast einer Projektion ist sowohl vom Bildinhalt, der Lichtstärke des Projektors als auch der Umgebungshelligkeit abhängig. •• Spezielle Projektionsmaterialien erlauben, einen höheren Kontrast auf Kosten eines eingeschränkten Sichtwinkels zu erreichen. •• Projektion funktioniert auch für die Bespielung komplexer räumlicher Geometrien. •• Eine Projektion auf eine schiefe Ebene sollte mittels eines Shift-Objektives erfolgen, da eine geometrische Bildkorrektur nicht die Schärfeebene korrigieren kann. •• Mittels Soft-Edge Blending lassen sich mehrere Projektionen zu einem durchgehenden Bild zusammenfassen.

LED LED-Technologie37 ist von den hier vorgestellten Möglichkeiten, Bilder in eine Mediatektur zu bringen, die mit den meisten technischen und gestalterischen Varianten. Die Bilder setzen sich aus einzelnen LED-Bildpunkten zusammen, die in Panels, Netzen oder Leisten zusammengefasst werden, die wiederum in größere Geometrien zusammengesetzt werden können. Diese größeren Geometrien bezeichnet man als LED-Wände oder -Flächen. LED-Pixel und Diffusion

Die Auflösung von LED ist schon bauformbedingt bislang geringer, der Pixelabstand also größer, als man es mit LCD-Bildschirmen oder Projektion erreichen kann (siehe Abb. 2.4.34). Die LED-Panels mit sehr dichtem Pixelabstand sind heute noch sehr hochpreisig, so dass LED in der Regel mit deutlich gröberen LED-Rastern und bei großem Betrachtungsabstand eingesetzt wird. In ihren vielen verschiedenen Formen werden LED-Flächen häufig in der Gestaltung grafischer eingesetzt als Projektion, das heißt, das Raster der 37 LED-Bildtechnologie bezieht sich auf professionelle LED-Module, in denen LED-Bildpunkte direkt Helligkeit und Farbe bestimmen. Der Ausdruck LED-Bildschirm wird allgemein falsch eingesetzt, um LCD-Bildschirme zu bezeichnen, die eine LED-Hinterleuchtung ­nutzen (im Gegensatz zu solchen, die Kalt-Kathoden-Leuchtmittel (CCFL) einsetzen).

Abb. 2.4.33: LED-Fläche mit vorgelagerten elektrochromatischen Scheiben auf dem Stand der Siemens AG auf der Hannover Messe 2003. An der unteren rechten Ecke erkennt man deutlich den Unterschied in der Diffusion mit und ohne Verwendung elektrochromer Glasscheiben. Hannover, 2003 (Zeeh, Bahls und Partner (Architektur); Luxoom Medienprojekte (Show- und Mediendesign).

Abb. 2.4.34: LED-Panel. Die Größe der einzelnen LED-Pixel und deren Abstand wird deutlich sichtbar.

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­Bildpunkte wird als sichtbares Designelement aufgefasst und die Bildpunkte werden dazu häufig mit einem Diffusor versehen, um aus den farbigen Lichtpunkten ­farbige Flächen zu erzeugen. Dies wird auch in Abbildung 2.4.33 deutlich, in der die elektrochromen Scheiben für eine gewisse sichtbare Diffusion sorgen. Einige LED-Technologien enthalten solche Diffusoren bereits als Teil des technischen Aufbaus, bei anderen entwickelt man diese separat als Design­ element. Dabei können die verschiedensten durchscheinenden und lichtfangenden M ­ aterialien verwendet werden, beispielsweise milchiges Acrylglas, Stoffe oder auch papierartige Materialien. Oftmals gibt es auch schon Produkte auf dem Markt fertig zu kaufen, die besondere Diffusionseigenschaften haben, wie zum Beispiel das häufig für Lichtflächen eingesetzte Barrisol®. Eine entscheidende Rolle für die Diffusion spielt nicht nur das Material, sondern auch der Abstand des Materials zur LED-Lichtquelle. Also sollte man im Designprozess nicht nur verschiedene Materialien bemustern, sondern dies auch in unterschiedlichen Abständen zur LED-Lichtquelle tun, wie Abbildung 2.4.36 zeigt.

Abb. 2.4.35: LED-Raster mit einem geneigten Diffusionsmaterial: Unten, wo das Material näher an der LED-Fläche ist, sind die einzelnen LEDs noch sichtbar, während oben, bei größerem Abstand, eine homogene Lichtfläche entsteht.

Diffusion führt in allen Fällen zu einem Verlust von Kontrast, da die Diffusions­ materialien selten dunkel sind und somit deutlich Auflicht fangen. Helligkeit

Der große Vorteil von LED-Flächen ist die mögliche Helligkeit, weswegen man sie sogar bei Tageslicht in Außenbereichen einsetzen kann (siehe Abb. 2.4.36).

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Abb. 2.4.36: LED-Flächen am Times Square in New York erscheinen auch im Tageslicht noch sehr hell.

Die Helligkeit von LED wird in Nits38 angegeben. Diese entsprechen lm/m2, wobei es sich hier um eine Hinterleuchtung und kein Auflicht handelt, das heißt, im Kontrastverhältnis spielt das Umgebungslicht eine signifikant geringere Rolle. Mit bis zu 10.000 Nits sind gerade die sogenannten Outdoor-LED hell genug, um auch im Tageslichtbetrieb zu funktionieren. Aber auch hier sollte direktes Sonnenlicht auf der LED-Fläche vermieden werden.39 In Innenräumen, gerade bei Abendveranstaltungen, müssen LED-Flächen in ihrer Leistung oft deutlich heruntergeregelt werden und laufen teilweise mit einem Viertel ihrer möglichen Helligkeit. Was sich hier erst einmal praktisch anhört, kann schnell zu Problemen führen: Gerade in sehr dunklen Farbverläufen bilden sich dann Helligkeits­treppen und Farbrauschen, denn die Farbkodierung wird in der Regel nicht gestaucht, sondern einfach nach oben abgeschnitten. Hier kommt die LED-Treiberhardware ins Spiel, die genauso ausschlaggebend für die Bildqualität ist wie die eigentlichen LED-Panels. Diese Treiberhardware rechnet die RGB-Werte in Steuersignale für die einzelnen LED-Pixel um. Entsprechend wichtig ist hier ein qualitativ hochwertiges Produkt, wenn man eine gute Farbwiedergabe und Kontrast- bzw. Helligkeitsregulierung braucht. LED verfügt – von den drei in diesem Kapitel vorgestellten Bildmedientechnologien – über den eingeschränktesten Sichtwinkel. Verändert man also den Winkel der LED-Wand zum Publikum, vermindert sich bei vielen Produkten auch 38 Nit – aus dem Lateinischen von nitere (leuchten) – Masseinheit der Leuchtdichte Lv, equivalent zu candela/m2. 39 Viele der fest verbauten Outdoor LEDs sind nach Norden ausgerichtet, da sie so am wenigsten Sonnenlicht fangen.

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deutlich die Helligkeit. Klassischerweise verfügen hochauflösende LED, wenn man sie aus einem 60º-Winkel betrachtet, nur noch über die Hälfte ihrer Helligkeit. Hier k­ önnen sowohl Projektion als auch professionelle LCD-Bildschirme deutlich bessere Ergebnisse liefern. Modulformate und Bauformen

Viele grobauflösende LED-Systeme sind heute als „See-through“ konzipiert, das heißt, sie können sowohl als Bildfläche als auch als halbtransparente Wand oder Vorhang eingesetzt werden. Dabei verhalten sich diese halbtransparenten Systeme visuell so, dass in den Bereichen, in denen die LED-Fläche schwarz (nicht oder wenig bespielt) und der Raum dahinter erleuchtet ist, eine ausgeprägte Transparenz entsteht, während dort, wo sie hell und der Raum dahinter dunkel ist, die LED-Wand als opak wahrgenommen wird. Während grobauflösende LED-Systeme heute zum großen Teil sehr leicht und mit Hänge- und Stackingtools einfach zu verbauen sind – falls sie nicht sowieso als Netze angelegt sind –, sind lichtstarke, feinauflösende LED-Module nach wie vor relativ schwer und brauchen in vielen Fällen gute Planung, wie und wo sie stabil aufgestellt oder aufgehängt, das heißt „geflogen“ werden können.

Abb. 2.4.37a/b: Verschiedene LED-Geometrien auf der ISE 2018, Amsterdam.

Je höher auflösend LED-Elemente sind, umso weniger flexibel sind sie ­ ormalerweise in ihrer Form. Zwar gibt es mittlerweile einige Spezialformen, die n beispielsweise von außen bespielte Ringe als Geometrie zu lassen, hierzu muss man aber entsprechend konfigurierte Module auswählen. Auch ist es häufig schwierig, unter eine von den Herstellern oder Vermietern angebotene Panelgröße zu kommen. Es bietet sich dann eher an, eine etwas größere LED-Fläche zu planen und diese baulich abzumaskieren. Bei LED-Elementen ist auch die Farbe des technischen Gehäuses ausschlaggebend für den Kontrast, wird doch eine ausgeschaltete LED-Fläche mit dem d ­ arumliegenden Gehäuse als dunkelster Punkt und damit schwarz wahrgenommen. Es gibt unterschiedliche Ausführungen von LED-Elementen mit unterschiedlichen Gehäusefarben. Im normalen Einsatz ist es entsprechend ­

Die Instrumente der Mediatektur – Bildmedien

Abb. 2.4.38: Bauliche Abmaskierung von siebzehn 400-mm-LED-Panels zu einem Dreieck.

wichtig darauf zu achten, dass man eine schwarze Gehäusefarbe wählt, da das den größtmöglichen Kontrast bringt. Zusammenfassung •• LED erreicht eine sehr hohe Leuchtstärke, ist aber von der Auflösung eher gering. •• Bei der Planung von LED muss man darauf achten, vorhandene Modulgrößen und -geometrien zu verwenden.

LCD und OLED LCD-Bildschirme haben alle anderen Bildschirmtechnologien wie Röhrenoder auch Plasmabildschirme weitgehend sowohl auf dem Consumer- als auch auf dem Profimarkt ersetzt. OLED-Technologie40 wird aller Voraussicht nach LCD in den kommenden Jahren wiederum den Rang ablaufen. OLED-Technologie zeichnet sich durch noch dünnere, teilweise sogar flexibel biegbare Bildschirme aus, die eine im Vergleich genauere Farbdarstellung und einen noch besseren Kontrastumfang als auf dem Markt befindliche LCD bieten. Bauformen und Gerätetypen

LCD-Bildschirme können als Einzelbildschirme für den Nahbereich eingesetzt, aber auch als skulpturale Form zu größeren Bildflächen, etwa den sogenannten Videowalls, kombiniert werden. Hierfür kommen hauptsächlich rahmenlose LCD-Bildschirme mit extrem dünnen Stegen zum Einsatz. Diese Klasse wird 40 OLED steht für Organische Licht emittierende Dioden und stellt die neue Generation der LED-Technologie dar. OLED-Pixel sind selbstleuchtend, somit wird keine Hintergrundbeleuchtung mehr benötigt.

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Andrea Rostásy, Tobias Sievers – Handbuch Mediatektur

Abb. 2.4.39: Skulpturen aus randlosen LCD-Schirmen für den Range Rover Evoque Launch. Shenzhen, China, 2011 (Avantgarde China (Agentur); Luxoom Medienprojekte (Design und Medienproduktion)).

auch oft als LED-Bildschirme – nach der LED-Rücklichteinheit – oder als Digital Signage bezeichnet. Anders als die LCD-Bildschirme, die wir beim Computer am Arbeitsplatz oder beim Fernseher zu Hause kennen, zeichnen sich professionelle LCD-Bildschirme meist durch einen dünneren Gehäuserand, eine 24/7-­Laufzeit und eine höhere Helligkeit aus. Die speziellen sogenannten Videowallbildschirme haben dazu eine besonders gleichmäßige Helligkeitsverteilung, so dass Bildmitte und -rand sich wenig unterscheiden – ein wichtiger Aspekt gerade bei aus mehreren Bildschirmen zusammengesetzten Videowalls. Diese speziellen Bildschirme sind in der Regel um ein Vielfaches teurer als die entsprechenden Consumerprodukte. Trotz allem sind LCD-Bildschirme in ihrer Form unflexibler als LED oder Projektion – die meisten Bildschirme folgen dem 16:9-Format, nur wenige Ausnahmen sind quadratisch oder haben ein 32:9- und damit sehr schmales Format. Auflösung und Splitting

LCD- (und OLED-) Bildschirme sind unschlagbar in Auflösung und Farb­ wiedergabe sowie in der Bildbrillanz. Sie sind damit besonders für alle Situationen geeignet, in denen Besucher sehr nahe an die Bildflächen herankommen. Oft ist die technisch gegebene Auflösung von LCD-Videowänden so hoch, dass entsprechende Zuspieler – also die technischen Einheiten, die die gespeicherten Bilder liefern – nur einen Bruchteil der Auflösung nutzen können. Anders als bei LED und Projektion ist die Auflösung hier damit mehr eine Frage des Zuspielers und

Die Instrumente der Mediatektur – Bildmedien

Abb. 2.4.40: Mapping von Medieninhalten auf LCD-Anordnungen: Durch sogenanntes Bild­ splitting können Bilder geteilt und auf mehreren Bildschirme gezeigt werden. Arbeitsflächen werden in „gängige“ Formate übersetzt bzw. konfektioniert und den Bildschirmen (in halber Auflösung) zugespielt.

Abb. 2.4.41: Eine Anordnung aus drei 46”-LCD-Bildschirmen zeigt die Berechnung von ­Zwischenräumen über die Erstellung einer Gesamtarbeitsfläche (hier 5.000 * 2.745 Pixel, rot gestrichelter Bereich) und einfachen Dreisatz – beispielsweise 1.080 Px / 579 mm * 247 mm = 460 Pixel.

man ist normalerweise in der Planung darauf fokussiert, wieviel Auflösung man wirklich aus Zuspielersicht braucht. Betrachtet man beispielsweise einen 16:9-Schirm mit 46-Zoll-Bilddiagonale und voller HD-Auflösung, so sind das 573 mm Bildschirmhöhe bei 1.080 Pixel Auflösung oder 1,88 Pixel pro Millimeter. Bespielen wir den Bildschirm beispielsweise mit lediglich 960 x 540 Pixeln, also der halben Auflösung, dann haben wir immer noch einen Pixelabstand von lediglich 1,06 mm und sind dabei nach unserer Faustregel41 bei einem minimalen Betrachtungsabstand von 1,3 Meter. Durch die 41 Vgl. in diesem Kapitel, Abschnitt Auflösung, S. 156.

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Brillanz der LCDs und das automatische „Verblenden“ der gröberen Bildinformation auf die technische Auflösung ergibt sich hier ein Bild, das man auch aus einer Armlänge Entfernung noch als angenehm wahrnimmt. Daraus folgt, dass man durchaus mit einer einzelnen Full-HD-Quelle eine Fläche aus vier Bildschirmen bespielen kann oder mit einer UHD-Quelle sechzehn Bildschirme. Oder wie man in Abbildung 2.4.40 sieht, kann man eine Säule aus insgesamt sechs Schirmen mit zwei Monitorsignalen zu je 1.920 x 1.080 Pixeln bespielen. Dabei hilft, dass viele professionelle LCD-Bildschirme eine Bildspliteinheit eingebaut haben. Ein eingehendes Full-HD-Signal kann damit durch mehrere Bildschirme geleitet werden und jeder Bildschirm zeigt dann nur einen Teil (in dem Beispiel ein Viertel) des Originalbildes. Bei den Bildschirmen in Abbildung 2.4.40 handelt es sich um LCD-Schirme mit extrem dünnem Rand – den Abstand zwischen zwei Bildflächen nimmt man kaum wahr. Arbeitet man mit Bildflächen, die einen breiteren Rand haben oder die bewusst in einigem Abstand zueinander angebracht sind, muss man die Zwischen­räume kompensieren, damit Bewegungen und Formen über die Gesamtfläche hinweg als natürlich wahrgenommen werden. Solch eine Kompensation lässt sich erzielen, indem man errechnet, wie viele Pixel in die Lücke „passen“ würden, und die entsprechende Breite zwischen zwei Bildern ausspart, beispielsweise indem man eine entsprechende Gesamtarbeitsfläche anlegt. Helligkeit

Professionelle LCD-Bildschirme sind meist in verschiedenen Helligkeiten verfügbar, die wie bei LED-Modulen in Nits angegeben werden. Normale Bildschirme leisten um die 350 Nits, hellere Displays leisten um die 600 bis 700 Nits, die auch mit mehr Umgebungslicht wie in Ausstellungsräumen gut einsetzbar sind. Sehr helle Bildschirme leisten 2.000 Nits und mehr. Diese sind weniger tageslicht­ empfindlich und damit auch für Außenbereiche wie Schaufenster geeignet. Aber auch bei ihnen empfiehlt sich, direktes Sonnenlicht zu vermeiden. Neben der Helligkeit spielt für den Einsatz der Bildschirme auch eine Rolle, ob die Screenoberfläche sehr reflektierend oder eher matt ist. Reflektierende Oberflächen werden oft als hochwertiger wahrgenommen, haben aber das Problem, dass sie helle Objekte spiegeln und somit das Bild in der Qualität leidet. Gerade im Innenraum und dort besonders häufig auf Messen, wenn Bildschirme für interaktive Stationen gelegt oder schräg aufgestellt sind, passiert es, dass die Bildschirm­ oberflächen vorhandene Lichtquellen in der Deckenkonstruktion widerspiegeln. Bei allen Anwendungen, die mehrere LCD-Bildschirme kombinieren, ist es ratsam, Bildschirme der gleichen Serie des gleichen Herstellers und identischen Alters zu verwenden, um sicherstellen zu können, dass die Farb- und Helligkeitsdarstellung sowie Bildschirmoberflächencharakteristik nicht sichtbar variieren.

Die Instrumente der Mediatektur – Bildmedien

Zusammenfassung •• LCD- (und OLED-) Bildschirme sind unschlagbar in Auflösung und Farb­ wiedergabe sowie in der Bildbrillanz. •• Profigeräte erlauben längere Laufzeiten, verfügen über größere Helligkeit und als Videowallbildschirme auch über einen sehr dünnen Gehäuserand. •• LCD- (und OLED-) sind in der Regel nur in ganz bestimmten Bildschirmformaten (16:9) und Größen verfügbar.

Exkurs: Pepper’s Ghost

Der bereits mehrfach erwähnte Pepper’s Ghost-Effekt – der auf John Henry Pepper und seine Demonstration des Effekts 1862 in London zurückgeht – ist kein eigenständiges Bildmedium. Der Effekt liegt aber allen in der Mediatektur eingesetzten, beweglichen Hologrammen zugrunde. Es handelt sich dabei um die Spiegelung eines digitalen Bildmediums mittels eines dünnen Glases (mit einer teilverspiegelten und einer entspiegelten Seite, um eine Bilddopplung zu vermeiden) oder einer gespannten Membran (Folienhalbspiegel). Ein reales Objekt, das mit den digitalen Bild­inhalten ins Zusammenspiel gebracht werden soll, kann dazu in der Ebene der Spiegelung verortet werden. Der Aufbau ist denkbar einfach, wie die Skizze in Abbildung 2.4.42 zeigt.

Abb. 2.4.42: Schematischer Pepper’s Ghost-Aufbau, wobei der Abstand A an der S­ piegelebene dem Abstand A’ immer entspricht.

Die hellen digitalen Bildinhalte spiegeln sich dabei genau auf der räumlichen Ebene des Objektes und somit sehen die Bildinhalte so aus, als würden sie um das Objekt herum schweben. Spielt man dann noch mit dem Licht und

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lässt das reale Objekt in der Dunkelheit verschwinden, sieht es so aus, als sei es Teil des Bildinhalts geworden. Der Kreativität sind hier kaum Grenzen gesetzt.42

Digitale Medienproduktion für Mediatektur Vorproduktion und Echtzeiterstellung

Die Grenze zwischen Softwareentwicklung und Medienproduktion verschwimmt mit der zunehmenden Erstellung medialer Inhalte in Echtzeit ­zusehends. Mehr und mehr übernehmen visuelle Algorithmen, wo bis vor kurzem noch wie auch immer vorproduziertes Medienmaterial geschnitten, zusammengefügt und dann abgespielt werden musste. Das trifft auch auf die räumliche Anpassung von Material in der Mediatektur zu: Wo früher noch kompliziert eine räumliche Verzerrung in die Medien eingerechnet werden musste und beispielsweise Typografie Teil der vorkonfigurierten Bildstrecke war, geschieht diese Anpassung heute in Echtzeit: Medieninhalte, Typografie und visuelle Effekte werden in Präsentationstools direkt zusammengefügt und interaktiv abgerufen. So ergeben sich hybride Medienproduktionen, wie im Beispiel des in Abbildung 2.4.43 gezeigten Lebendigen Medaillenspiegels für die Winterolympiade im russischen Sotschi. Während einige Teile der LED-Inhalte vorproduziert sind und nur für das jeweilige Programm aneinandergehängt werden, ist der Medaillenspiegel, den die Abbildung zeigt, live aus den offiziellen olympischen Medaillendaten generiert. Im Falle dieser Anwendung fragt ein Rubyskript die Daten aus der olympischen Datenbank ab und überführt sie in ein Datenformat, das von der für das Projekt gewählten Echtzeitpräsentationsplattform Ventuz ausgewertet werden kann. In Ventuz animieren sich dementsprechend Landesfahnen und Medaillenstände in jeder Show in Echtzeit. Beide Methoden der Medienerstellung – Vorproduktion und Echtzeiterstellung – haben Vor- und Nachteile: •• Echtzeitmedien: In Echtzeit erstellte Medien können flexibler auf Interaktion eingehen und sich aktuellen Daten anpassen. Sie können auch Variation einbringen, wo sonst nur Wiederholung möglich ist. Die zusätzliche Flexibilität geht aber mit einem Mehr an benötigter Technik und Expertise und mit vielen Unsicherheitsfaktoren einher, ob immer alles so läuft, wie man es erwartet. In dem Olympia-Beispiel bedurfte es größerer Anstrengungen, bis die echtzeit­ generierten Elemente auch über lange Strecken synchron mit einer vorprodu42 Bildbeispiele finden sich zuvor in diesem Kapitel, Abschnitt Gestaltungsaspekt Form und Objekt, S. 170 f.

Abb. 2.4.43a/b: Lebendiger Medaillenspiegel. Fassade des Olympiapavillons der Volkswagen Gruppe. Oben (a): Mit Tänzern vorproduzierte Medieninhalte zu einzelnen Sportarten, hier Speed Skating. Unten (b): Echtzeitanimierter Medaillenspiegel mit Tänzern. Sotschi, Russland, 2014 (Avantgarde München (Agentur); Monika Graf (Regie); Luxoom Medienprojekte (Mediendesign und -produktion)).

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zierten Musik blieben, da sich durch die vielen Schnittstellen immer wieder Varianzen einschlichen. •• Vorproduzierte Medien: Vorproduzierte Medien bieten weniger Flexibilität, dafür verbrauchen sie weniger technische Ressourcen und sind in der Regel um einiges verlässlicher. Dazu bieten sie im Produktionsprozess einen ­Zeitpunkt, an dem keine Änderungen mehr möglich sind, was sich als durchaus positiv erweisen kann – führen doch Änderungen in letzter Minute häufig zu Fehlern im Ablauf. Eine harte Deadline erfordert dagegen eine exaktere und besonnenere Planung. In der Regel wird alles vorproduziert, was vorproduziert werden kann, um v­erlässliche Abläufe sicherzustellen. So sind Programme in der Mediatektur häufig hybrid auch in dem Sinne, dass sie sich aus vorproduzierten und echtzeit­ generierten Elementen zusammensetzen. Diese werden dann nicht nur im ­Wechsel, sondern durchaus auch im Zusammenspiel angeboten. Ein gängiges Beispiel hierfür ist ein animierter, vorproduzierter Hintergrundloop, über den echtzeitgenerierte Typografie gelegt wird. Bildmedienplanung und Zuspielsysteme

Neben den Fragen von Auflösung und Bildraten spielen bei der Auswahl von Zuspielersystemen die Quellensynchronität und die Komplexität der Steuerung eine entscheidende Rolle. •• Quellensynchronität Werden, wie in der Mediatektur häufig der Fall, mehrere Quellen gebraucht, um beispielsweise mehrere Bildflächen oder einen ganzen Raum zu b ­ espielen, muss die Synchronität der Zuspieler gewährleistet sein. Dabei reicht es in der Regel nicht aus, die Zuspieler im gleichen Moment zu starten, sondern es bedarf einer aktiven Synchronisierung, die zwischen den Zuspielern kommuniziert und entsprechend die jeweilige Abspielposition korrigiert. Es wird verschiedene Hard- und Software angeboten, die das ­leisten kann. •• Komplexität der Steuerung Die folgende Aufteilung ist fließend, da jede Soft- und Hardware über andere Funktionen verfügt: –– Geringe Komplexität der Steuerung: Ist die Steuerung nicht komplex, müssen beispielsweise nur unterschiedliche Filmdateien in einer Steuer­logik hintereinander abgespielt werden, kann man mit Hardware-­ Zuspielern wie beispielsweise den Geräten der Firma Brightsign arbei-

Die Instrumente der Mediatektur – Bildmedien

ten. Diese zeichnen sich durch sehr hohe Verlässlichkeit und geringen ­Wartungsbedarf sowie niedrige Kosten aus. Lediglich wenn man eine sehr hohe Bildqualität erreichen will, kann es sein, dass diese Option nicht ausreicht, da Hardware-Zuspieler meist in ihrer Codecauswahl limitiert sind. –– Mittlere Komplexität der Steuerung: Als mittlere Komplexität kann man Konstellationen bezeichnen, in denen die Abspielsysteme Film­ dateien und einfache grafische Inhalte in Echtzeit zusammenfügen. Diese Systeme erlauben in der Regel auch, Abläufe live zu steuern. Beispiele sind hierfür Watchout der Firma Dataton oder Wings Platinum der Firma AVStumpfl. Darüber hinaus gibt es Systeme mit dedizierter Medienhardware wie beispielsweise Pandoras Box der Firma Christie. All diese Systeme erlauben in mehr oder weniger komplexem Umfang eine Geometriekorrektur, wie man sie beispielsweise für Kugelprojektionen oder Projection-Mapping braucht. Für Letzteres gibt es noch eine ganze Reihe an Spezialprodukten, die hier weiteren Komfort bieten, beispielsweise D3 von der Firma D3 Technologies, das eine Simulation der Mapping-Projektionen im 3D-Raum erlaubt, oder MadMapper von Garagecube/1024Architects. –– Hohe Komplexität/Echtzeitgeneriert: Soll 2D- und 3D-Grafik in Echtzeit entstehen und echtzeitsensitiv sein, sind Plattformen mit komplexen und programmierbaren 3D-Engines gefragt. Beispiele für Plattformen sind hier V4 der VVVV Group oder Ventuz des gleichnamingen Anbieters. In der Komplexität entsprechen diese Tools dann aber bereits komplexen 3D-Plattformen. Zusammenfassung •• Mit der zunehmenden Erstellung medialer Inhalte in Echtzeit ergeben sich in der Mediatektur hybride Medienproduktionen aus vorproduzierten und Echtzeitmedien. •• Echtzeitmedien sind flexibel und erlauben Interaktion, gehen aber mit höherem technischen Aufwand und Unsicherheiten im Ergebnis einher. •• Vorproduzierte Medien sind dagegen verlässlicher, dafür aber unflexibel und benötigen Produktionsvorlauf. •• Zuspielsysteme orientieren sich in der Regel an der benötigten Komplexität der Steuerung der mit ihnen dargestellten Medieninhalte.

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Interaktion Die Instrumente der Mediatektur

Einleitung Interaktion prägt unsere Welterfahrung: Dialog ist Interaktion, Spiel ist Interaktion, aber auch die individuelle Auseinandersetzung mit Systemen, Objekten oder Prozessen kann als Interaktion verstanden werden. Etwas anzuschauen kann bereits als Interaktion betrachtet werden, auch wenn sich die Interaktion dabei auf einen selbst beschränkt und lediglich den Erfahrungshorizont erweitert. Interaktion meint zunächst ganz allgemein Austausch, Kommunikation, Verständigung und bezieht sich auf das aufeinander bezogene Handeln, die Wechselbeziehung zweier oder mehrerer Akteure oder Systeme. Sprachliche Kommunikation wird oft als die wichtigste Form menschlicher Interaktion herausgestellt. Sie bildet die Basis unserer sozialen Beziehungen. Wie komplex und voller Ungereimtheiten diese sein kann, hat prägnant Friedemann Schulz von Thun mit dem Vier-Ohren-Modell beschrieben, in dem er verdeutlicht, dass in einer Botschaft nie allein ein sachlicher Inhalt vermittelt und gehört wird, sondern dass es immer zugleich um Selbstaussage/Selbstoffenbarung, Beziehung und Appell geht.1 Aber gerade auch deswegen sind wir durch persönliche Ansprache, im Dialog und gegenseitigen Austausch am besten zu erreichen und motivierbar, empathischer mit unserem Gegenüber und können Botschaften differenzierter interpretieren – egal ob analog oder digital. Diese besondere Zugänglichkeit versucht man in nahezu allen Bereichen zu nutzen, die technologisch gestützte Interaktionen verwenden – seien es Bankgeschäfte, Home-Entertainment, Gesundheitsvorsorge oder Bildung und Kultur. Intelligente Interfaces finden hier Einsatz, die eine personalisierte und dialogorientierte Kommunikation ermöglichen sollen. Auch im Rahmen 1 Vgl. F. Schulz von Thun: Miteinander reden. Störungen und Klärungen. Psychologie der zwischenmenschlichen Kommunikation, S. 44 ff.

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von mediengestützten Präsentationen auf Messen, Weltausstellungen oder in ­Flagship Stores, also im Kontext von Live-Kommunikation, sowie innerhalb von Museums­ausstellungen und Veranstaltungen von Kulturinstitutionen sind interaktive, dabei durchaus raumgreifende Installationen und Inszenierungen, die die Kommuni­kation und Teilnahme der Besucher suchen, mittlerweile Standard. Den Besuchern wird also nicht einfach etwas präsentiert, das sie informiert, vielmehr basieren solche Installationen auf der Einsicht, dass es sinnvoll ist, dialog­ orientierte und personalisierte Ansprache zu nutzen. Auf sehr unterschiedliche Weise wird versucht, die Besucher aktiv einzubinden, sie selbst aktiv werden zu lassen und sie zu einem Austausch einzuladen. Und dieser Dialog kann soweit gehen, dass das Gezeigte ­tatsächlich erst durch das Miteinander zwischen etwas Gegebenem und dem aktiven Handeln der Besucher entsteht und in diesem Sinne als partizipativ – teilnahmeorientiert – betrachtet werden kann. Mediatektur als ein Format der Live-Kommunikation bietet ein besonderes Potenzial für interaktivitätszentrierte Formen der Inszenierung von Inhalten. Die zahlreichen Beispiele des vorliegenden Kapitels stellen analoge wie digitale ­Strategien vor, die Besucher in die Interaktion bringen. Das Kapitel beginnt mit dem Ansatz einer Definition und der genaueren Betrachtung des grundlegenden Ablaufs bzw. Aufbaus von Interaktion, um zu verstehen, wie wir diese wahrnehmen und erleben. In ihrer Vielfalt ist Interaktion als mögliches Gestaltungsmittel von Mediatektur im Vergleich zu den anderen Instru­ menten oder Methoden am wenigsten trennscharf zu fassen: Die Vorstellungen und Erwartungen dazu, was unter (digitaler wie analoger) Interaktivität zu ver­stehen ist und was diese leisten kann, gehen in der wissenschaft­lichen Kommunikations­ forschung und auch bei Designern, Technikern, Kreativen oder Künstlern weit auseinander. Im Abschnitt „Interaktionsgestaltung“ werden daher Methoden und Techniken zum Einsatz von Interaktion in der Media­tektur diskutiert, um den Blick dafür zu schärfen, was Interaktion hier bewirken und wie vielfältig sie digital und/oder analog gestaltet werden kann. Der letzte Abschnitt zu technischen Aspekten der Interaktionsgestaltung erläutert a­bschließend grundlegende Parameter der Planung und Umsetzung von Interaktion in Mediatekturprojekten.

Ansatz einer Begriffsbestimmung Nähert man sich dem Begriff der Interaktion bezogen auf das Feld der ­ edia­tektur, so könnte man sich zunächst lediglich auf die technisch gestützte M Interaktion in ihrer einfachsten, quasi mechanischen Form beziehen, also auf die technische Schnittstelle: eine Tastatur, ein Touchscreen, eine technische Appli­ kation, die auf das menschliche Gegenüber und seine Handlungen reagiert. Lässt man aber diese mechanistische Definition hinter sich und betrachtet Interaktion

Die Instrumente der Mediatektur – Interaktion

als grundlegende Fähigkeit des Menschen, sich mit etwas „auseinanderzusetzen“, dann lassen sich folgende Aussagen treffen: 1. Interaktion existiert prinzipiell in jeder Form von Kommunikation – Dialog ist Interaktion, Spiel ist Interaktion und auch die Auseinandersetzung mit ­Objekten und Installationen ist Interaktion (beispielsweise Interpretation, in der der Betrachter dem Objekt oder einem Vorgang einen Sinn beimisst).2 2. Technisch gestützte gestaltete Interaktion ist ein Hilfsmittel, eine Strategie oder Methode, um die Auseinandersetzung und den Dialog mit einem Inhalt, einem System oder einer Person anzuregen oder zu vereinfachen. Entsprechend entsteht Interaktion aus unseren kommunikativen, sozialen wie auch reflektiven (auf unser Selbst bezogenen) Bedürfnissen und Motivationen. Eine Gestaltung ist dann interaktiv, wenn sie genau diese Prozesse anregt, vereinfacht und unterstützt. Technisch gestützte Interaktion, die auf einem responsiven Design basiert, ist ein Mittel, um diesen Dialog zu ermöglichen und eine Brücke für die Kommunikation zu bauen. Entsprechend muss die technische Interaktion auch unseren menschlichen Fähigkeiten, Bedürfnissen und Erwartungen im Kontext von Kommunikation, Dialog und Austausch entsprechen und die Komplexität der menschlichen Kommunikation berücksichtigen.

2 Hier widersprechen wir einem Ansatz, wie ihn beispielsweise Chris Crawford vertritt, der Interaktion als gegenseitiges Handeln zwischen mindestens zwei Menschen definiert (C. Crawford: Chris Crawford on Interactive Storytelling, S. 30). Wir gehen vielmehr davon aus, dass eine qualitative Änderung des Umfelds (eine Reaktion) nicht nur durch ein wie auch immer geartetes Gegenüber erfolgen kann, sondern vielmehr – im Sinne des konstruktivistischen Denkansatzes – der Betrachter auch über eigene Interpretation seine Wahrnehmung der Umwelt und der darin befindlichen Gegenüber selbstständig ändern kann. Die sich manifestierende Reaktion muss also nicht zwangsläufig durch eine wirkliche, physische Reaktion im Umfeld erfolgen, sondern erfolgt per se immer (auch) im Wahrnehmungsbild des Einzelnen von seiner Umwelt. Ein stark vereinfachtes Beispiel ist hier, dass ich ein Loch in der Wand sehe und durch Interpretation dieses Loch beispielsweise als Schlüsselloch definiere (was es sein mag oder nicht) – ausschlaggebend ist, dass diese Interpretation die Qualität des Objektes und was ich damit tun kann, grundlegend ändert und so zum Beispiel auch die Möglichkeiten, die ich in dem entsprechenden Raum habe, neu definiert. Meine Interpretation hat für mich somit eine klare Reaktion hinsichtlich der Qualität oder Funktionalität meines Umfeldes bewirkt.

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Interaktionswahrnehmung und -erleben Der menschliche Dialog als Ausgangspunkt der Betrachtung von Interaktion Wir interagieren täglich in unserer Lebenswelt in den unterschiedlichsten Formen und Situationen, aus den verschiedensten Anlässen heraus und mit vielfältigen Zielen und Motivationen. Allein wenn wir uns vorstellen, auf welche vielfältige Weise wir mit unseren Mitmenschen kommunizieren oder über Dinge und Sachverhalte reflektieren – also uns mit Menschen und Dingen auseinandersetzen –, wird uns die Komplexität von Interaktion deutlich. Sicherlich lässt sich die Komplexität unseres Wahrnehmens und Erlebens niemals in eine umfassende Systematik auflösen. Beobachten wir uns selbst einmal bewusst dabei, wie wir interagieren, dann werden uns jedoch schnell einige Muster und Abläufe klar, die Teil eines mehr oder weniger festen Kanons sind. Einige Beispiele sind: •• Wechselbeziehung: „Kann ich Ihnen helfen?“ ist wohl der klassische Satz, mit dem ein Dialog in einem Verkaufsumfeld beginnt. Persönliche Ansprache, dann in Folge auch Blickkontakt bilden eine Fokussierung und eine Beziehung zwischen zwei Menschen, die sich in einen Dialog begeben. Von dort aus kommt es idealerweise zu einem Wechselspiel – eine Person erzählt etwas, das Gegenüber nickt von Zeit zu Zeit, und hat die erste Person geendet, geht die zweite darauf ein, bezeugt Verständnis, knüpft an oder stellt eine Frage. Wechselbeziehung in der menschlichen Interaktion kann als ein Ablauf von Bestätigungen verstanden werden, die diese Interaktion wie beispielsweise einen Dialog am Laufen halten und etwaigen Irritationen bei den Beteiligten vorbeugen. •• Anspruch: „Hören Sie mir noch zu?“, fragt der Professor den Studierenden, der der Fachsprache der Ausführungen nicht mehr folgen konnte und „abgeschaltet“ hat. Komplexität und Schwierigkeitsgrad können genauso wie die Dauer eines Dialogbeitrags unsere Aufnahmefähigkeit beanspruchen. Kommt der Dialogpartner auf den Punkt oder drohe ich in den Ausführungen und Ausschweifungen mein Interesse zu verlieren? Habe ich die Zeit, mir etwas in Ruhe anzuhören, oder werde ich bereits nach einer Minute unruhig? •• Konvention: „Setzen Sie sich doch schon mal, möchten Sie einen Aperitif?“ In der Kognitionspsychologie spricht man von Skripten, die uns helfen, bestimmte Interaktionen effizient und ohne viel Zweifel und Nachdenken durchlaufen zu können – wie beispielsweise bei einem Restaurantbesuch, wo wir eine klare Vorstellung von den Abläufen haben, das sogenannte „Restaurantskript“. Ent-

Die Instrumente der Mediatektur – Interaktion

sprechend haben wir für viele unterschiedliche, ­wiederkehrende Situationen Skripte, die uns helfen – oft unbewusst – effizient vorzugehen. •• Menschliche Dimension: „Kannst du das auch noch mal freundlich formulieren?“ Es ist menschlich, Emotion und Persönlichkeit, aber auch Erwartungen und Appelle in die Kommunikation und Interaktion einzubringen. Ein Dialog umfasst also auch den emotionalen, persönlichen Subtext, den der Sprecher integriert und der vom Zuhörer interpretiert wird. Schulz von Thun systematisiert dieses Verweben von Sach- und Emotionsebene in seinem eingangs erwähnten Modell der vier Seiten einer Nachricht, die er als Sachebene, Beziehungs­ ebene, Selbstoffenbarungsebene und Appellebene bezeichnet.3 Darüber hinaus gibt es eine Ebene der Beziehung zwischen Menschen, die in ihrer Vielschichtigkeit und ihrem Selbstverständnis, aber auch in ihrem Spannungsverhältnis komplett nonverbal funktioniert. Sehr schön deutlich wird dies in der vieldiskutierten Performance The artist is present der Künstlerin Marina Abramovic:

Abb. 2.5.1: Marina Abramovic am Eröffnungsabend ihrer MoMA-Retrospektive in der Performance The artist is present, in der sie neunzig Tage lang während der Öffnungszeiten des Museums ohne Pause Besuchern gegenübersaß. New York, 2010.

Ein Raum mit einem Tisch, zwei Stühlen und Inszenierungslicht – auf einem Stuhl sitzt Marina Abramovic, neunzig Tage lang, sechs Tage in der Woche, immer sieben Stunden am Stück. Ohne Pause, ohne zu essen, ohne zu sprechen, macht sie nichts anderes, als denen in die Augen zu schauen, die ihr gegenüber Platz nehmen. Die Menschen, die während der Ausstellung den 3 Vgl. F. Schulz von Thun: Miteinander reden. Störungen und Klärungen. Psychologie der zwischenmenschlichen Kommunikation, S. 25 ff.

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Platz gegenüber der Künstlerin einnehmen, bleiben nicht gleichgültig: Man kann plötzlich Angst, Glück, Trauer, Hoffnung in den meist erst skeptischen Gesichtern lesen.4 •• Mittel: „Verstehen Sie mich?“ drückt den Zweifel aus, ob das Gegenüber die eigene Sprache beherrscht. Sprache, ergänzt um Gestik und Mimik, bildet die Schnittstelle in der menschlichen Kommunikation – das Interface, was als Begriff bildlich zu verstehen ist: das, was zwischen zwei Gesichtern und damit Menschen vermittelt. Diese Mittel lassen sich in unterschiedlicher Abstraktion einsetzen: Sehr direkt mit dem Zeigen eines Fingers auf ein Objekt bis hin zu sehr abstrakt wie beispielsweise in einem Tanz, der als Ausdrucksform viel interpretatorischen Freiraum lässt. Hier lässt sich ein Bezug herstellen zu dem, was zu Beginn dieses Buches unter Bezug auf Susanne K. Langers D ­ efinitionen des Diskursiven und Präsentativen zu Mittelbarkeit und Unmittel­barkeit formuliert ist.5 •• Soziale Funktion: „Machst du auch mit?“ gibt der Interaktion bzw. dem Dialog eine integrierende soziale Funktion über die 1:1-Situation hinaus. Ein Teilnehmer wird zum Multiplikator, der zwischen weiteren Personen ein initiale Verbindung herstellt, diese in ein gemeinsames Gespräch und damit weitere soziale Interaktion führen kann. Die verschiedenen genannten Aspekte beschreiben eine Art Erwartungs­haltung an die Form des Dialoges bzw. der Interaktion. Werden diese Erwartungen erfüllt, funktionieren Dialog und Interaktion in der Regel effizient und ohne Reibungsverluste. Über die Effizienz hinaus ist auch die Relevanz entscheidend dafür, ob und in welchem Rahmen Dialog bzw. Interaktion stattfindet. Relevanz bezieht sich dabei nicht nur auf die sachliche Thematik, sondern hat viele Facetten, die über die Interaktionsteilnehmer und deren Kontext abgrenzbar sind. Welche Motivation oder welche Bedürfnisse – emotionaler, sozialer, inhaltlicher Art – hat der einzelne Interaktionsteilnehmer, welchen Nutzen kann er aus der Interaktion ziehen? In welchem Kontext, in welcher Situation und mit welcher Erwartungshaltung findet die Interaktion statt? Das zuvor diskutierte Beispiel der Performance von Marina Abramovic kann deutlich machen, wie Relevanz im richtigen Kontext nicht nur komplett unabhängig von einem sachlich-thematischen Inhalt entsteht, sondern auch welche ausschlaggebende Rolle der zuvor genannte „menschliche Faktor“ darin spielt bzw. spielen kann. 4 Vgl. D. Sander: Diese Frau kriegt alle rum. 5 Vgl. Kapitel Einführung, Abschnitt Unmittelbarkeit, S. 38.

Die Instrumente der Mediatektur – Interaktion

Zusammenfassung •• Menschlicher Dialog funktioniert effizient, weil er bestimmten Mustern und Abläufen folgt. •• Diese Muster und Abläufe definieren somit auch unsere Erwartungen daran, wie Dialog und Interaktion ablaufen sollten. •• Zusätzlich zu einem effizienten Ablauf muss ein Dialog für uns relevant sein, damit wir diesem folgen.

Relevanz und Effizienz in interaktiven Installationen Von der Mensch-Mensch- zur Mensch-Technologie-Interaktion

Vieles von dem, was an Parametern für die Kommunikation bzw. Interaktion zwischen Menschen gilt, lässt sich auch auf das Erleben der Mensch-Technologie-Interaktion übertragen. Entlang den bereits zuvor beschriebenen beispiel­ haften Aspekten lässt sich folgendes Bild zeichnen: •• Wechselbeziehung: Die Bedeutung der Wechselbeziehung wird dann am ­deutlichsten, wenn sie in der technischen Interaktion nicht vorhanden ist – wenn ein technisches Interface nicht auf einen Klick zu reagieren scheint, wenn eine Reaktion nicht zeitnah oder nicht nachvollziehbar ist, aber auch, wenn eine bereits erfolgte Interaktion vom technischen Gegenüber nicht nachvollzogen wird, man als Benutzer also Dinge beispielsweise mehrfach tun muss. Daraus entstehen Unsicherheit und Frustration, die einer effizienten Interaktion zuwiderlaufen und zu deren Abbruch führen. •• Anspruch: Während wir in der Kommunikation zwischen Menschen häufig noch Motivation aufbringen, entweder einem hohen Anspruch gerecht zu werden bzw. hoher Komplexität zu folgen oder einen eigentlich zu niedrigen Anspruch zu tolerieren, entfällt diese Motivation in der Regel bei einem technischen Gegenüber. Komplexe Interaktionen werden als mühselig wahrgenommen, zu banale als uninteressant: Die Abweichung, die von einem erwarteten Anspruch in der Mensch-Technologie-Interaktion geduldet wird, ist geringer, zumal auch ein Abbruch anders als in der Mensch-Mensch-Interaktion in der Regel nicht sanktioniert wird. •• Konvention: Prinzipiell ist es effizient, wenn der Nutzer auf gelernte Skripte zurückgreifen kann und nicht neu lernen muss, wie die Interaktion funktioniert. Entsprechend werden Mensch-Technologie-Interaktionen von verschiedenen Zielgruppen je nach Vorwissen unterschiedlich erlebt. Ein Beispiel ist

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hier ein kleines Kind, das an einem Aquarium steht und auf dem Glas mit zwei Fingern eine Aufziehgeste macht, um die Fische zu vergrößern. Dieses funktionale Skript ist gelernt und kann (oder kann nicht) eingesetzt werden. Eng an diese Konventionen angelehnt ist das Prinzip der Intuition. Als i­ntuitiv bezeichnet man Anwendungen, die Benutzer ohne Gebrauchsanweisung bedienen können, weil sie nur tolerierbare Abweichungen von dem k­ leinsten gemeinsamen Nenner der vorhandenen Konventionen einer Zielgruppe enthalten. •• Menschliche Dimension: Die menschliche Dimension ist der Technologie an sich nicht inhärent, wird aber häufig simuliert, da sie – wie wir vorher feststellten – einen großen Einfluss sowohl auf die vom Benutzer wahrgenommene Relevanz als auch auf die Effizienz einer Interaktion hat. Kann das technische System Emotionen und Sprache nachvollziehen und damit flexibel auf den Nutzer eingehen, deckt es per se mehr mögliche Interaktions­szenarien ab. Eine solche Simulation hat aber in der Regel keine große Tiefe und beschränkt sich auf emotionsgefärbte, persönliche Ansprache des Benutzers (Du/Sie), freundliche Nachfragen und sonstige einfache Elemente von etablierten K ­ ommunikationsskripts. Häufig begegnet man dabei auch Emojis. Die Simulation profitiert davon, dass wir Menschen erst einmal jedem Gegenüber menschliche Logik und Verhalten unterstellen – entsprechend kann ein als solches wahrgenommenes System dann auch unser Verhalten sanktionieren oder gratifizieren (im Gegensatz zu dem, was unter dem Punkt „Anspruch“ für rein technische Systeme formuliert ist). Wirkliche Tiefe in der Simulation menschlichen Verhaltens wird erst in jüngerer Zeit durch fortgeschrittene künstliche Intelligenz möglich – was bereits unser Erleben solcher interaktiven Systeme grundlegend verändert. •• Mittel: Technische Interaktion kann auf eine Vielzahl von Mitteln zurück­ greifen, da technische Sensorik und Aktorik wie auch das Darstellungs­ vermögen (Bilder, Filme etc.) weit über die entsprechenden Möglichkeiten der menschlichen Kommunikation hinausgehen. Dabei erreichen diese Mittel in der Regel nicht die Komplexität der menschlichen Kommunikation – was auch nicht nötig ist, da die meisten interaktiven Anwendungen auf sehr eindeutig definierte Funktionen und Reaktionen abzielen und somit an sich keine wirklich komplexen Interfaces benötigen. Beispielsweise bringt es mir wenig, wenn man einem Geldautomaten sagen kann, dass man Liebeskummer hat oder auch nur, dass er einen Kaffee kochen soll – sich um diese Belange zu kümmern, ist schlicht nicht seine Funktion. Je komplexer allerdings die Funktionalitäten bzw. die abrufbaren Reaktionsmöglichkeiten der technischen Systeme werden, umso komplexer werden

Die Instrumente der Mediatektur – Interaktion

auch die Mittel, mit denen wir mit ihnen kommunizieren. In zunehmendem Maße verwenden wir hier die menschliche Sprache. Der Erfolg von virtuellen Assistenten wie Amazons Alexa oder Apples Siri ist entscheidend davon abhängig, wie gut sie dieses Mittel verstehen und die vermittelte Botschaft umsetzen können. Dass der Befehl „Alexa, schreib mir ein Fachbuch!“ jemals zu ­befriedigenden Ergebnissen führen wird, lässt sich dabei bezweifeln. •• Soziale Funktion: Auch ein technisches Gegenüber hat die Möglichkeit, eine soziale, vermittelnde und damit integrierende Funktion zu erfüllen – entweder indem die Interaktion gleichzeitig mit anderen Menschen stattfindet und uns so mit diesen live verbindet, aber auch indem die Technologie über Raum und Zeit hinweg Interaktion ermöglicht, beispielsweise in Situationen, in denen man frühere Beiträge von jemand anderem erlebt und selber dann wiederum einen Beitrag hinterlassen kann. Zahlreiche Faktoren, die sowohl für die Mensch-Mensch-Interaktion gelten als auch unseren Erwartungen aus den Vorerfahrungen mit technischen Interfaces entsprechen, spielen also in der Mensch-Technologie-Interaktion eine entscheidende Rolle für die Effizienz: Baut eine Interaktion keine gute Wechselbeziehung auf, wird diese als ineffizient empfunden, ebenso wie wenn sie sich nicht an ­Konventionen hält und damit nicht intuitiv ist. Die Mittel können mehr oder weniger effizient eingesetzt werden – hier kann die technische Interaktion im Vorteil sein, weil sie beispielsweise visuelle Inhalte besser darstellen kann. Während das menschliche Gegenüber vom weißen Strand erzählt, kann das technische Gegenüber diesen konkret zeigen. Andererseits kann einzig das menschliche Gegenüber als Antwort wirklich lächeln, wofür die Maschine wiederum eine Simulation der menschlichen Ausdrucksmöglichkeiten benötigt – diese also nur mittelbar beherrscht. Relevanz ist in der Mensch-Technologie-Interaktion genauso wie in der Mensch-Mensch-Interaktion ein ausschlaggebender Faktor dafür, ob und in ­welchem Umfang Interaktion stattfindet. Dabei ergibt es sich aus der jeweiligen Natur des Gegenübers, wie Relevanz entsteht bzw. erlebt wird. Das technische Gegenüber erscheint per se erst einmal weniger relevant als das menschliche, auch wenn es über vielfältige Mittel verfügt. Erst die Simulation einer menschlichen Dimension und die Erfüllung einer sozialen Funktion können hier einen deutlichen Relevanzgewinn erzielen. Viele Aspekte der Mensch-Mensch-Interaktion lassen sich also in der Mensch-Technologie-Interaktion finden und üben dort einen vergleichbaren, wenn auch im Detail anders ausgeprägten Einfluss auf Effizienz und Relevanz aus.

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Andrea Rostásy, Tobias Sievers – Handbuch Mediatektur

Zusammenfassung •• Vieles von dem, was an Parametern für Dialog und Interaktion zwischen ­Menschen gilt, lässt sich auf Mensch-Technologie-Interaktion übertragen. •• Die Technologie-Schnittstelle verfügt dabei über differenzierte Mittel, die aber nicht die Interaktionskomplexität erreichen wie beispielsweise die menschliche Sprache sie besitzt. •• Ein technisches Gegenüber ist per se erst einmal weniger relevant als ein menschliches.

Der Engagementmoment6 Den kritischen Moment, in dem sich entscheidet, ob eine Interaktion überhaupt stattfindet, bezeichnen wir als Engagement-Moment – es ist der Moment, in dem man sich aktiv in die Interaktion begibt, sich „engagiert“. Ein anschau­ liches Beispiel für die Betrachtung dieses Moments bietet der Eingangsbereich der Halle von Samsung auf der IFA 2017. Auf den Abbildungen 2.5.2 sieht man einen wenig beleuchteten Bereich, der von einer riesigen über Kopf befindlichen Projektionsfläche dominiert wird. Der Besucher kann sich der Betrachtung der Fläche aufgrund ihrer räumlichen Präsenz kaum entziehen, die noch gestützt wird durch Klangbespielungen, welche mit den dort stattfindenden Animationen synchron laufen. In den Animationen werden in kurzen Loops viele unterschiedliche Gesichter von Menschen sichtbar, die sich dann in Produkte von Samsung auflösen und von dem Schriftzug „Innovation, inspired by you“ gefolgt werden. Im nächsten Schritt wandert der Blick zu blauen, ebenfalls animierten LED-Kreisen, die sich im unteren Bereich vor dieser großen Bildfläche befinden – immer noch hoch genug angeordnet, dass sie von den davorstehenden ­Besuchern nicht verdeckt werden. Diese sind, spätestens wenn man sich der eigentlichen, dahinterliegenden Halle nähert, als Stationen zu erkennen, an denen man s­ elber aktiv werden kann: Hier lässt man mit einem Scanner die Konturen seines Gesichts digitalisieren, welche dann Teil der Bespielung werden. An jeder S­ tation wird man dazu von einem Mitarbeiter begrüßt, der einen durch die nötigen Schritte begleitet. Muss man einen Moment warten, sieht man auch schon, wie die Interaktion bei den Besuchern funktioniert, die vor einem an der Reihe sind. Das Beispiel illustriert, wie prototypisch Aufmerksamkeit gelenkt und ­Relevanz aufgebaut wird (Relevanz bedeutet in diesem Fall konkret, dass man selbst als Besucher Teil der Interaktion werden kann). Der Aufwand zum Interaktions­eintritt wird dabei so minimal wie möglich und damit effizient gehalten. Der erfolgreich 6 Wir verwenden hier Engagement im Sinne des im Marketing verwendeten Begriffes, der sich auf das englische to engage bezieht und den Eintritt in eine Aktion meint.

Abb. 2.5.2a-c: Tu was Du nicht kannst. Interaktive Eingangsinstallation bei Samsung auf der IFA. Berlin, 2017 (Cheil Germany).

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ablaufende Engagement-Moment basiert also auf einem Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren, die den Besucher in die Interaktion führen. AIDA – ein Engagementmodell

Um die Schritte in das Engagement zu analysieren und zu systematisieren, kann man ein gängiges, wenn auch schon „in die Jahre gekommenes“ Engagementmodell aus dem Marketing heranziehen: das AIDA-Modell, das Elias St. Elmo Lewis bereits 1898 formulierte.7 Dieses Modell ist – wie es für ein Modell typisch ist – stark vereinfacht, bringt jedoch gerade dadurch eine anschauliche Struktur in den Prozess, der zum Engagement führt. Das AIDA-Modell definiert vier Phasen: 1. Attention/Awareness (Aufmerksamkeit) 2. Interest (Interesse) 3. Desire (Verlangen) 4. Action (Aktion) Obwohl das AIDA-Modell Interaktion nur einfach und unidirektional beschreiben kann, eignet es sich, um eine grundlegende, systematische Vorstellung des Ablaufs hin zum Engagementmoment zu entwickeln und damit die Bedingungen von Interaktion zu verstehen. •• Awareness/Aufmerksamkeit: Nehme ich die Möglichkeit der Interaktion als solche wahr? Für Installationen steckt in dieser Frage die Herausforderung, dass sie zunächst über eine Fern- bzw. Raumwirkung verfügen sollten, die dem Besucher „ins Auge fällt“. Zudem sollten sie eine auf den ersten Blick eindeutige Herausstellung bzw. Illustration der möglichen Interaktion kommunizieren, denn ohne zu wissen, dass man hier interagieren kann, werden die Besucher diese Möglichkeit der Interaktion höchstwahrscheinlich nicht wahrnehmen und nutzen. In dem vorhergehenden Beispiel Samsung IFA 2017 wird Awareness mittels der Größe und Präsenz der bespielten Leinwand und der visuellen Weiterleitung über die blauen, animierten LED-Kreise hin zu den interaktiven Stationen geschaffen. •• Interest/Interesse: Ist die Interaktion relevant für mich? Sind die Besucher auf die Inter­aktions­möglichkeit aufmerksam geworden, muss es im zweiten Schritt darum gehen, dass die Installation für sie als Zielgruppe ihre Relevanz zeigt bzw. ihr Interesse weckt. Bevor man interagiert, muss man so viel über die Interaktion erfahren haben, dass das Interesse geweckt ist. In vielen Situa7 E. K. Strong: The Psychology of Selling and Advertising, S. 349 ff.

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tionen kann dies erreicht werden, indem man einen anderen Nutzer sieht, der interagiert und damit das eigene Interesse weckt. Zudem können interaktive Installationen auch mit einer Leerlaufbespielung ausgestattet sein, die mit ihrer Teaserfunktion8 das Interesse der Zielgruppe weckt. Im Beispiel sind die grafischen Animationen der Gesichter, die sich in Produkte von Samsung auflösen, sehr beeindruckend – es entsteht eine Verbindung zwischen Samsung und Besuchern – „inspired by you“. •• Desire/Verlangen: Holt mich die Interaktion ab? Sind die vermittelten Reize bzw. Informationen für mich wirklich so relevant, dass ich in Interaktion trete? Jeder kennt vermutlich den Effekt, der sich einstellt, wenn in einem Klassen- oder Seminarraum beispielsweise das Wort „Prüfungsfragen“ fällt und es schlagartig still ist und alle ganz aufmerksam sind. Jede Zielgruppe hat ihre spezifischen Interessen und Themen, die man finden kann und die helfen, ein solches „Desire“ bzw. einen entsprechenden Wunsch zu wecken. Im Beispiel Samsung kann man sich als Szenario gut vorstellen, dass man mit dem eigenen Smartphone sein animiertes Gesicht in der riesigen Bespielung filmen und dann mit Freunden teilen möchte. •• Action/Aktion: Kann ich so einfach interagieren, dass ich es auch wirklich tue? Bei interaktiven Installationen ist Aktion immer auch von der Barriereperspektive aus zu betrachten: Was sind Elemente, die die Besucher von einer Interaktion abhalten könnten? Was bildet eine Barriere zwischen dem Wunsch und der Aktion? Hier sollte das Verlangen größer sein als mögliche Nutzungsbarrieren, damit ein Handeln wirklich erfolgt. Natürlich ist das keine mathematische Gleichung, aber das Prinzip ist entscheidend: Ist das Thema so spannend, dass sich der Nutzer auch mit einem komplizierten Interface auseinandersetzt? Oder ist die Nutzung so einfach und spielerisch-selbsterklärend, dass man auch ohne ein großes Anfangsinteresse interagiert? Ist es zu kompliziert, in die Aktion einzutreten – weil man beispielsweise erst sein Smartphone dazu aktivieren muss –, und lassen die Nutzer deshalb die Möglichkeit der Interaktion verstreichen, so hat die Mediatektur ein wesentliches Ziel nicht erreicht. Im Beispiel ist der Station eine betreuende Person zur Seite gestellt, die den Besucher in die Interaktion begleitet und dabei zugleich den „menschlichen Faktor“ darstellt, der eine Kommunikation befördert. Unterstützend wirkt hier auch, dass die Interaktion kurz und unkompliziert ist und vom Besucher nichts weiter fordert, als dass er sein Gesicht in die richtige Position bringt, so 8 Teaser meint hier, dass eine Vorschau auf etwas Zielgruppenrelevantes gezeigt und darüber vermittelt wird, dass es hier noch viel mehr zu entdecken gibt.

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dass es digitalisiert werden kann und dann mit geringem Zeitabstand in der Bespielung sichtbar wird. Zusammenfassung •• Das AIDA-Modell (Awareness, Interest, Desire und Action) hilft, eine grundlegende, systematische Vorstellung des Ablaufs hin zum Engagementmoment zu entwickeln. •• Awareness: Schafft eine Installation Aufmerksamkeit für die mögliche Interaktion? •• Interest: Nimmt der potenzielle Nutzer die Interaktion als für ihn relevant wahr? •• Desire: Wie stark ist die wahrgenommene Relevanz? Reicht diese, um die Aktionsbarriere zu überschreiten? •• Action: Wie komplex ist das Interface? Wie hoch ist die Aktionsbarriere, die der Nutzer überwinden muss?

Interaktionsgestaltung in der Mediatektur Die vorhergehende Auseinandersetzung mit dem Erleben von Interaktion zeigt die zentrale Bedeutung von Effizienz und Relevanz in der Interaktion. In der Gestaltung betrachten wir gestaltungsrelevante Parameter, die genau bei diesen Kriterien ansetzen und damit sowohl den Engagementmoment als auch den weiteren Verlauf der Interaktion definieren. Diese gestaltungsrelevanten Parameter sind: •• •• •• •• ••

Engagement Unmittelbarkeit und Eleganz Komplexität und Dauer Ergonomie Vermittlung

Engagement Die Gestaltung des Engagements kann den Erkenntnissen aus den vorgestellten Phasen des AIDA-Modells folgen: Aufmerksamkeit schaffen, Interesse wecken, darüber einen Wunsch generieren und in eine Interaktion führen. Das Schaffen von Aufmerksamkeit ist mit Sicherheit im Rahmen der Media­ tektur der einfachste Schritt – hängt dieser doch mit Kontrast, Sicht- und/oder

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Hörbarkeit und Bewegung zusammen, die sich im räumlichen Umfeld in der Regel einfach herstellen lassen.9 Komplexer als die Frage nach Aufmerksamkeit ist die nach dem Interesse, die auch als Frage nach Relevanz verstanden werden kann. Inwiefern kann man ein Thema in einem räumlichen Zusammenhang so gestalten, dass es für eine Zielgruppe relevant und interessant wird? Wird die Relevanz nicht direkt aus dem zu kommunizierenden Thema heraus entwickelt, versucht man Interesse also über Hilfskonstruktionen zu generieren, die nicht direkt mit dem Thema zusammenhängen, birgt das einige Gefahren: Die Interaktion wirkt schnell „aufgesetzt“ oder das entsprechende Hilfsmittel rückt selbst ins Zentrum der Aufmerksamkeit, während das eigentliche Thema keine Rolle mehr spielt. Ein Beispiel hierfür ist es, wenn ein Hersteller von Smart­ homekonzepten einen Tesla auf seinen Messestand stellt, um Aufmerksamkeit zu bekommen und die Besucher dazu zu bewegen, interaktiv mit dessen großem Bildschirm in den Armaturen die Beispielapplikationen im Smarthome zu steuern – die Besucher aber wiederum den Tesla selbst viel spannender finden. Eine Möglichkeit, die ohne ablenkende Hilfsmittel zu erfolgreichem Engagement führen kann, ist es, sich direkt als Interaktion an den potenziellen Benutzer zu wenden, den Benutzer also sozusagen proaktiv anzusprechen. Eine interaktive Anwendung, die für Mercedes-Benz-Nutzfahrzeuge in China entstanden ist, zeigt dies beispielhaft:

Abb. 2.5.3: Screenshots aus der interaktiven Anwendung für Mercedes-Benz-Nutzfahrzeuge. Peking, 2013 (Luxoom Medienprojekte).

Die auf der Messe eingesetzte Anwendung erkennt, wenn sich eine Person nähert, und zeigt dann nicht nur ein „Welcome!“, sondern zeichnet auch die isolierte Silhouette dieser Person, die sich in Echtzeit den Bewegungen des realen Besuchers anpasst. Bleibt dieser lang genug vor dem Interface stehen oder nickt kurz, wird aus seiner Silhouette eine Straße in einer virtuellen Stadt – mit einem Kurvenverlauf, der sich aus der individuellen Silhouette generiert. Die Kamera senkt sich auf diese Straße herab und dort stehen ein Sprinter und ein weiterer 9 Vgl. u. a. die Beispiele Samsung IFA 2017, S. 224, La Gabbia von auroraMeccanica, S.  231, Collection Wall des Cleveland Museum of Arts, S. 238 und die Medienstelen EXPO 2017 Astana auf dem WFES 2014, S. 242.

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Transporter nebeneinander, die auf den Start eines Rennens warten. Wenn das Rennen beginnt, wird der Benutzer aufgefordert, seinen Kopf und Oberkörper zu bewegen, was zu einer Neigung der ganzen Landschaft führt. Die zwei Autos müssen sich den aus der Neigung entstehenden Fliehkräften widersetzen. „Natürlich“ zeigt der Sprinter mit ESP10 hier mehr Kurventreue und fährt nicht nur sicherer, sondern auch schneller. Am Ende – die ganze Interaktion dauert alles in allem keine dreißig Sekunden, bis der Sprinter als Erster die Ziellinie passiert – gibt es eine Erläuterung zum Thema ESP, damit man den Erfolg des Sprinters einordnen kann. Dieser Interaktionsansatz funktioniert gut, weil der Besucher in die Inter­aktion „hineingezogen“ wird – durch seine Silhouette wird der Ablauf personalisiert, was zu einer höheren Relevanz und damit Aufmerksamkeit führt. Außerdem ist die Interaktion hinsichtlich der Aktionsbarriere minimal: Man muss nichts lernen, sondern kann einfachen Anweisungen auf dem Bildschirm folgen, die sofort nachvollziehbar sind. Bevor es langweilig wird, ist die Interaktion auch schon wieder vorbei und eine „Auflösung“ wird geboten. Der Schritt vom Interesse in die Aktion, also zur Teilnahme, scheint in dem Beispiel ganz einfach und natürlich zu funktionieren. In der Regel stellt aber gerade dies die größte Herausforderung dar. Jede zu planende Interaktion sollte daher mit den Fragestellungen nach Handlungsanreiz und -barriere betrachtet werden. Viele interaktive Installationen, die sich diesen Fragen nicht stellen, gelangen zu keinem überzeugenden Ergebnis und schlagen in dem Sinne fehl, dass sich die Zielgruppe erst gar nicht darauf einlässt. Muss der Besucher beispielsweise sein eigenes Smartphone zum Einsatz bringen, dort eine bestimmte App installieren usw., hat man bereits durch diese Handlungsschwelle bzw. Aktionsbarriere viele der potenziellen Teilnehmer verloren. Um zu klären, welche Anreize erforderlich, welche Barrieren eventuell zu hoch sind, hilft es, als Gestalter die Perspektive des Besuchers einzunehmen und sich zu fragen, ob man selbst die Handlungsschwelle übertreten würde? Motiviert es einen, eventuell ein Auto zu gewinnen oder einen tolles Foto für den eigenen Social-Media-Stream zu machen oder eine vertiefende Information zu einem ­ Exponat zu erhalten? Vielleicht. Bezweifelt man als Gestalter aber bereits in dieser Szenariovorstellung, dass man selbst interagieren würde, ist die Handlungsschwelle aller Wahrscheinlichkeit nach bereits zu hoch. Die „Berggrafik“ (Abb. 2.5.4) illustriert dieses Zusammenspiel aus Handlungsanreiz („Desire“ bzw. Verlangen) und Aktionsbarriere – bildlich gesprochen muss das Verlangen stark genug sein, die Aktionsbarriere zu überwinden. Dabei ist es

10 ESP steht für Elektronisches Stabilitätsprogramm (häufig auch als Fahrdynamikkontrolle bezeichnet) – ein Sicherheitsfeature, das in diesem Projekt für den Sprinter besonders herausgestellt werden sollte.

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Abb. 2.5.4: Die „Berggrafik“ illustriert das Verhältnis zwischen Desire (Verlangen) und der Aktionsbarriere im Interaktionsverlauf.

normalerweise (und kontraintuitiv) so, dass es einfacher ist, den Berg abzutragen, also die Barriere zu senken, als das Verlangen der Zielgruppe zu steigern. Das Senken der Aktionsbarriere ist somit ein sehr wichtiger Faktor in der erfolgreichen Gestaltung von Interaktion und für das Erreichen von Engagement. Neben dem Funktionsprinzip der vorgestellten Mercedes-Benz-Nutzfahrzeuge Installation gibt es zahlreiche weitere Ansätze, wie Interaktionen mit einer niedrigen Aktionsbarriere gestaltet sein können – zu sehen beispielsweise in der Instal­lation La Gabbia11 von auroraMeccanica aus Turin – hier entfliehen einem Vogelkäfig virtuelle Vögel, wenn man diesen bewegt (siehe Abb. 2.5.5) – oder in der Installation Make a Face12 – in der der Besucher eine Grimasse zieht und dann neben seiner Grimasse Kunstwerke angezeigt bekommt, die ein Gesicht mit ähnlichem Ausdruck zeigen (siehe Abb. 2.5.6). Zusammenfassung •• Relevanz über themenfremde Hilfskonstruktionen zu erzeugen birgt die Gefahr, vom eigentlichen Thema abzulenken. •• Den Nutzer direkt und persönlich anzusprechen kann dabei helfen, ihn in die Interaktion „zu ziehen“. •• Es ist deutlich einfacher, die Aktionsbarriere zu senken, als das Verlangen der potenziellen Zielgruppe, an der Interaktion teilzunehmen, zu steigern.

11 Projektbeschreibung und Film zu La Gabbia auf der Website von auroraMeccanica. 12 Entwickelt von Local Projects (New York) im Rahmen ihres Gallery One Projekts für das ­Cleveland Museum of Art. Vgl. Projektbeschreibung Make a Face.

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Abb. 2.5.5: La Gabbia. Interaktive Installation. Venedig, 2011 (auroraMeccanica).

Abb. 2.5.6: Make a Face. Interaktive Installation, Gallery One, Cleveland Museum of Art. Cleveland, 2006 (Local Projects).

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Exkurs: „Interaktions-Dokus“ auf Youtube – kein Maßstab für die Beurteilung von Aktionsbarrieren

Auftraggeber beziehen sich zuweilen in ihren Wünschen auf Inter­aktionen, die sie in „Interaktions-Dokus“ auf Youtube oder Vimeo gesehen haben und die in der Dokumentation sehr gut zu funktionieren scheinen – Passanten zücken bereitwillig ihre Smartphones um teilzunehmen oder gleich eine ganze Gruppe schwingt sich bereitwillig auf Fitnesstrainer, um mit der Energie vom Radeln eine Installation zum Leben zu erwecken. Erstaunlich häufig ignorieren die dort gezeigten Interaktionen die oben aufgeführten Fragestellungen zum Engagement und man kann davon ausgehen, dass in diesen Videos eine Idealsituation dargestellt wird, die in der Realität selten eintritt. Für ein solches Video ist der Aufwand gering, eine Anzahl Leute zu finden, die mit viel (oft gespieltem) Spaß mitmachen – das sollte aber nicht als Beleg gelten, dass die gezeigte Art von Interaktion hinsichtlich des Engagements wirklich erfolgreich ist. Natürlich ist es legitim, solche Interaktionen für den Zweck der Präsentation auf den gängigen Videoplattformen herzustellen und im Stil einer Dokumentation zu zeigen. Das Ziel dieser Produktionen ist es eben nicht, die Interaktion mit einer breiten Zielgruppe wirklich durchzuführen, es geht vielmehr darum, ein breites Publikum in den Social-Media-Kanälen mit einem spektakulären Doku-Video zu erreichen.

Unmittelbarkeit und Eleganz Das zuvor gezeigte Beispiel La Gabbia vermittelt das Gefühl, dass die Interaktion aus einer künstlerischen Idee heraus entstanden ist, an deren Anfang das Interface selbst steht. So schön, elegant und funktional dieser Ansatz ist – oft verlangt die Gestaltung, nicht von den verwendeten Medien, sondern von dem Thema und der Inszenierungsabsicht auszugehen und für diese ein spezifisches Interface bzw. eine spezifische Interaktion zu entwickeln und zu gestalten. Schnell reduziert sich dann bei einer so komplexen Aufgabenstellung die ­Aufmerksamkeit auf Themen wie die Einfachheit der Bedienung: Zunächst könnte man meinen, dass das Drücken von Buttons und das Bedienen von Menüs, durch die der Besucher beispielsweise wie auf einer Internetseite navigieren soll, gar nicht so schlecht wären – sind sie doch von vielen Menschen ohne ­weiteren Lernprozess direkt anwendbar. Diese Formen der Interaktion greifen auf Gelerntes zurück – erreichen aber lediglich Vertrautheit und damit Effizienz, aber keine Unmittelbarkeit. Wenn jedoch beispielsweise die Körperneigung wie in der Anwendung für Mercedes-Benz-Nutzfahrzeuge unmittelbar als K ­ ameraneigung erfahrbar und darüber das Thema erschlossen wird, sind Form und Inhalt direk-

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ter verknüpft. Ein solcher Ansatz erfordert deutlich weniger Abstraktion als eine Taste, die mit „Nach links vorne neigen“ beschriftet ist – und die Interaktion erfolgt unmittelbar. Es sind zwei grundlegende Aspekte, die die Qualität eines Interfaces und damit auch die Qualität der Interaktion beeinflussen: •• Erstens kann man annehmen, dass nur die Benutzerschnittstellen gut ­funktionieren, die keinen Lernprozess von der Zielgruppe verlangen – denn jeder Lernprozess stellt im Sinne des beschriebenen Engagementmodells eine ­Barriere dar, die erst überwunden werden muss. In dem Kontext ist ein Gedanke erwähnenswert, den M.-L. Ryan in ihrem Buch Avatars of Story hinsichtlich der verständlichen Gestaltung von Interfaces formuliert. Es geht ihr darum, dass Interfaces über Metaphern einen einfachen Zugang zu komplexen und abstrakten Funktionen ermöglichen können. Im einfachsten Sinne wird beispielsweise ein analoger Drucktaster (Button) verwendet und digital dargestellt, um eine digitale Funktion zu triggern. Der Button auf dem Bildschirm wird hier als einfacher, gelernter Zugang zur Bedienung einer komplexen Programmlogik eingesetzt. Im komplexen Sinne sind ganze Interfaces nach einem bekannten Muster aufgebaut, das der Benutzer kennt und bedienen kann, ohne dass zwangsläufig die damit verbundenen Funktionen originär mit dem Muster zu tun haben. Ein Interface funktioniert dann als Metapher, welches laut M.-L. Ryan hier den Bogen von einer „sonderbaren neuen Welt“ zu einer „bekannten“ schlägt: „Interface metaphors, not unlike poetic ones, fulfill their rhetorical and pedagogical function by relating a strange new world to a familiar one.“13 •• Zweitens lässt sich annehmen, dass eine interaktive Lösung umso eleganter wird, je unmittelbarer die Schnittstelle gestaltet werden kann, also je näher sie dem eigentlichen Thema kommt, je weniger Abstraktion sie braucht und je mehr sie auf bestehende Erfahrungen bzw. bekannte Handlungsmuster der Zielgruppe aufbaut. Ein schönes Beispiel in dem beide Punkte erfüllt werden und ein erhebliches Maß an Unmittelbarkeit erreicht wird, ist das auf der Siggraph Konferenz 2010 vorgestellte Projekt Pathfinder Bugs. In Pathfinder Bugs geht es darum, virtuellen Käfern in einem Sandkasten Wege zu schaffen, damit diese zusammenfinden können. Man kann die Käfer auch auf die Hand nehmen und halten. Warum das so intuitiv und damit gut funktioniert, ist offensichtlich: Die meisten Menschen haben als Kinder im Sandkasten gespielt 13 M.-L. Ryan: Avatars of Story, S. XIV f.

Abb. 2.5.7: Pathfinder Bugs. Die Benutzerschnittstelle ist ein Sandkasten, in dem man mit virtuellen Käfern spielt. Großbritannien, 2010 (Squidsoup).

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und auch schon einmal beobachtet, wie Käfer und Insekten sich bewegen. Da wir diese Erfahrung haben, können wir ganz intuitiv mit dem Interface Sandkasten umgehen – eine Interaktion, die sowohl effizient als auch elegant ist. Zusammenfassung •• Das Interface sollte so gestaltet sein, dass es ohne Lernbedarf seitens der Zielgruppe funktioniert. •• Interface und Interaktion werden umso unmittelbarer, je näher sie dem dargestellten Thema in Form und Anwendung kommen.

Komplexität und Dauer Besonders in Umfeldern, in denen Interaktion nicht die Hauptintention der Zielgruppe darstellt, spielt deren Dauer eine entscheidende Rolle. Auf Events oder Messen, wo die Besucher eher eine passive, aufnehmende Haltung einnehmen, kann man die Aufmerksamkeit der Zielgruppen kaum länger als dreißig bis s­ echzig Sekunden in Anspruch nehmen. Entsprechend ist es nicht möglich, Interaktion mit inhaltlicher Tiefe und Komplexität zu verbinden – was nicht selten einem Anspruch von Auftraggeberseite zuwiderläuft, Interaktion mit umfangreichen Inhalten zu bestücken. Nun kann man zwar all diese Inhalte in einer Gestaltung unterbringen und davon ausgehen, dass sich jeder Nutzer die Information, die ihn interessiert, selbst heraussucht. Doch man läuft mit diesem Ansatz leicht Gefahr, dass die Interaktion schlicht überfrachtet wird und die Besucher sich abwenden. Das ist vergleichbar mit der Darbietung eines langen Textes in einer Situation, die nicht zum Verweilen einlädt, und so gilt auch für die Interaktion: je reduzierter und klarer, umso besser. Plant man für eine Interaktion dreißig Sekunden ein, liegt man damit angesichts der kurzen Aufmerksamkeitsspannen beim Publikum sicherer als mit beispielsweise zwei Minuten. Damit aber die Besucher in dieser kurzen Zeit ein konzentriertes Erlebnis haben, muss ihre Aufmerksamkeit genau geführt werden. Einen vom möglichst kurzen, intensiven Erlebnis sich unterscheidenden Ansatz bietet Gamification14. Sie wendet Spielgestaltungsansätze und Spiel­mechaniken auf Nichtspielinhalte und in Nichtspielkontexten an und zielt auf eine längere und dabei spielerische Auseinandersetzung mit einem Thema. Der Mechanismus, dem Gamification folgt, ist darauf ausgelegt, den Spieltrieb im ­Nutzer zu wecken, ist damit stark zielgruppenabhängig und birgt die Gefahr, dass er in der Reflexion als „Vereinnahmung“ wahrgenommen wird. Gamification funktioniert, indem man 14 Vgl. weiterführend zu Gamification u. a. G. Zichermann/C. Cunningham: Gamification by Design.

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beispielsweise aufgefordert wird, innerhalb einer interaktiven Anwendung eine einfache Aufgabe zu lösen, einen Satz zu vervollständigen, Bilder richtig zuzuordnen oder eine Kugel durch ein Labyrinth zu leiten. Die Aufgabe wird in diesem ersten Schritt bewusst einfach angelegt – sobald sie gelöst ist, wird man belohnt. Man sammelt Punkte, erhält neue Werkzeuge oder Handlungsoptionen, bekommt soziale Anerkennung oder auch gleich alles auf einmal. Mit dieser Belohnung eröffnen sich neue, weitere und komplexere Herausforderungen, die gelöst werden können, wofür eine weitere, größere Belohnung in Aussicht steht – ebenso wie die Perspektive, die eigenen Fähigkeiten im Lösen der Herausforderungen weiter zu verbessern. Neben der Frage, wie lange ein Besucher in eine Interaktion eingebunden w ­ erden kann, spielt in der Mediatektur auch die maximale Verweildauer eine zentrale Rolle. Sie betrachtet, wie lange einzelne Personen sich aufhalten ­können, ohne den Besucherfluss zu stören. Was ist die Mindestlänge, die ein Erlebnis braucht, verglichen mit der Maximalzeit, die die Anzahl der Besucher und das Timing des Besucherflusses überhaupt erlauben? Erfahrungsgemäß ist dies besonders in EXPO-Pavillons und ähnlichen Großveranstaltungen, wo der ­Besucherfluss genau getaktet ist und es zu Staus und in der Folge zu Frustrationen bei den Besuchern kommen kann, ein wichtiges Thema. In solchen ­Kontexten können komplexe Inhalte in der Gestaltung sinnvollerweise auf mehrere einzelne, in sich abgeschlossene Interaktionen aufgeteilt und beispielsweise pro Aspekt eines Themas eine Interaktion angeboten werden. Auch in dem Beispiel ­Mercedes-Benz-Nutzfahrzeuge wurde ein komplexes Thema – in diesem Fall die sogenannten Fahrerassistenzsysteme – in vier Einzelthemen (darunter ESP) zerlegt und dadurch sowohl Schritt für Schritt als auch parallel für mehrere Besucher erlebbar gemacht. Die Aufteilung der Themen erlaubte, diese im Raum zu verorten und ohne zusätzliche Navigation pro Bildschirm erfahrbar zu machen. Zusammenfassung •• Interaktionen im Rahmen von Mediatektur sollten für kurze Aufmerksamkeitsspannen ausgelegt sein. •• Es können daher nur wenig komplexe Inhalte vermittelt werden. •• Gamification als Funktionsansatz kann die Aufmerksamkeitsspanne der ­Besucher verlängern und vielschichtige Inhalte vermitteln, wirkt aber leicht „vereinnahmend“. •• Bei der Planung von Aufenthaltszeiten ist neben der Vertiefung in die Interaktion auch die Taktung des Besucherflusses zu bedenken. •• Komplexe Konzepte kann man in einzelne Interaktionen zerlegen und somit das Interface und den Umgang mit den Interaktionen möglichst einfach und kurz halten.

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Ergonomie Die Gestaltung der Interaktion sowie des Interfaces in den raumbezogenen Anwendungen der Mediatektur erfordert die Beachtung von besonderen ­ergonomischen Aspekten in Bezug auf die Verfügbarkeit für einzelne Nutzer sowie Nutzergruppen: •• Benutzerzuordnung: Eine interaktive Installation sollte so gestaltet sein, dass den Nutzern deutlich wird, wie viele von ihnen gleichzeitig mit ihr inter­agieren können. Bei einem kleinen Touchscreen ist das einfach, da dieser allein schon von seiner Größe keinen weiteren Zugang bietet, sobald ein Nutzer vor diesem steht. Eine raumgreifende interaktive Installation wird von einem einzelnen Nutzer aber nicht komplett verdeckt. Sollte die Installation nicht mit allen Besuchern gleichzeitig umgehen können, müssen Interaktionszonen entsprechend erkennbar gestaltet sein bzw. die Installation muss gestalterisch, beispielsweise in ihren dargestellten Inhalten, deutlich machen, dass ab einer bestimmten Zahl von aktiven Nutzern gewartet werden muß. Ein solcher Hinweis ist allemal akzeptabler als eine Anwendung, die schlicht nicht mehr reagiert, weil schon zu viele Besucher daran aktiv sind. Ein solches nicht nachvollziehbares Versagen der Interaktion führt zu Frustration. Eine Installation, die auf sehr einfache und verständliche Weise vermittelt, wie viele Benutzer damit interagieren können, ist beispielsweise die Gallery One Collection Wall von Local Projects für das Cleveland Museum of Art. Es handelt sich um eine lange digitale Wand, an der mehrere Benutzer gleichzeitig interagieren können, wobei sich die Interaktionszonen relativ intuitiv auf der Wand abzeichnen – es entsteht ein Subinterface für jeden Benutzer (siehe Abb. 2.5.8).

Abb. 2.5.8: Collection Wall. Interaktive Wand: Cleveland Museum of Art, Gallery One. ­Cleveland, 2006 (Local Projects).

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•• Zeitliches Interaktionsfeedback: Eine Herausforderung bei Gruppeninteraktionen besteht darin, allen Nutzern ein individuelles, zeitnahes Interaktionsfeedback zu geben. Dies kann sowohl visuell als auch auditiv gestaltet sein, angefangen vom unmittelbaren Tastenklickton bis hin zu visuellen Animationen, die nach dem Auslösen nicht auf sich warten lassen. Bei einem oder zwei Nutzern ist ein solches unmittelbares Feedback überschaubar und die Nutzer können die jeweiligen Signale sich selbst oder den anderen zuordnen. Bei größeren Gruppen stellt es sich aber durchaus als gestalterische Herausforderung dar, jedem Nutzer das nötige individuelle Feedback zu geben. Entscheidend ist es, hier nicht darauf zu vertrauen, dass ein gruppenbezogenes Feedback ausreicht, vielmehr sollte gestalterisch jedem Benutzer ein individuelles Feed­ back verfügbar gemacht werden, um die Interaktion zu einem individuellen Erlebnis zu machen. Ein zusätzliches Gruppenfeedback ist natürlich möglich, aber nicht unbedingt nötig. •• Interaktionsabstand und Betrachtungswinkel in der Touchinteraktion: Visuelles Feedback muss so gestaltet sein, dass es unmittelbar im Sichtbereich des jeweiligen Nutzers stattfindet. Interagiert der Nutzer mit Medien per

Abb. 2.5.9: Die Skizze zum Sichtfeld zeigt, dass ohne Kopf- und Augenbewegung in einem mittleren Interaktionsabstand von fünfzig Zentimetern (Armeslänge) lediglich siebzig Zentimeter Breite bequem wahrgenommen werden – das entspricht der Breite eines 32”-Bildschirms.

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Touch, muss er dazu seine Hand ausstrecken, er befindet sich also in einem bestimmten Abstand zum Medium, der Interaktion erlaubt. Durch diesen Abstand definiert sich das Gesichtsfeld, das für die visuellen Signale erreichbar ist. Das Gesichtsfeld hat (wenn der Nutzer den Kopf nicht aktiv dreht – er schaut in der Regel da hin, wo er interagiert) eine Breite von ca. siebzig Zentimetern (siehe Abb. 2.5.915). •• Zugänglichkeit und Bedienbarkeit: Zugänglichkeit muss in der Gestaltung der interaktiven Installation für unterschiedliche Körpergrößen gewährleistet werden. Dabei geht es in der Interaktion nicht nur um die Wahrnehmbarkeit beispielsweise des Interfaces, sondern auch um die komfortable Bedienbarkeit durch alle Nutzergruppen, wie es Abbildung 2.5.10 zeigt. Oft ist es erst ein Probeaufbau, der aufdeckt, wo die wirklichen Probleme einer interaktiven Installation im Bereich Zugänglichkeit und Bedienbarkeit liegen. Es mag etwa erst dann auffallen, dass interaktive Tische mit geschlossenem Sockel Rollstuhlfahrern nur sehr eingeschränkte Interaktion erlauben, da sie oft nicht bis zur Mitte des Tisches reichen können. Ein anderes Problem kann darin bestehen, dass bei verschiedenen Augenhöhen Blickwinkel entstehen, für die sich die Leuchtmittel aus der Decke auf den gläsernen Oberflächen der Medien spiegeln und somit einige Nutzer blenden.

Abb. 2.5.10: Ergonomiegrafik zur Höhenverortung von Inhalten und Interaktionen.

•• Lesbarkeit und Verständlichkeit: Die inhaltliche sowie visuelle und auditive Gestaltung des Interfaces muss auf die Nutzer zugeschnitten sein. Bei visuell-textlicher Ansprache sollten Kontraste und Schriftgrößen so gewählt sein, dass sie die Nutzer nicht vor Herausforderungen stellen. Eine Fokussierung der relevanten Inhalte und eine klare Strukturierung tragen zu einem 15 Grafik adaptiert aus W. Lange/A. Windel: Kleine Ergonomische Datensammlung, S. 84.

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e­ infachen Verständnis bei. Eine Lenkung des Nutzers durch die Interaktion sowie ein erkennbarer Rhythmus in Abfolgen (also beispielsweise auch das Kommunizieren von Lauflängen) helfen, seine Konzentration zu erhalten. Ein je nach Nutzergruppe ausgewogenes Maß an inhaltlicher Komplexität unterstützt dazu eine effiziente Funktion von Interface und Interaktion. Je geringer der Grad der Komplexität der Interaktion ist, umso einfacher lässt sich eine diesbezüglich ergonomische Interaktion gestalten. Die Gestaltung von interaktiven Anwendungen entlang der Grundlagen der Ergonomie – geringe Komplexität, optimale Schriftgrößen, ergonomische Betrachtungswinkel und Interaktionsabstände etc. – bewirkt eine deutliche Senkung der Aktionsbarrieren. Interaktionen sollten sich in ihrer Gestaltung den Gegebenheiten unserer menschlichen Natur anpassen und nicht vom Nutzer erwarten, sich seinerseits der Interaktion anzupassen. Zusammenfassung •• Ergonomiefaktoren sind entscheidend für die Zugänglichkeit von interaktiven Installationen. •• Eine Interaktion muss stets signalisieren, ob und wann man mit ihr inter­ agieren kann. Dies ist besonders wichtig, wenn das Interface nicht eindeutig für eine Person gestaltet ist. •• Alle interagierenden Benutzer brauchen ein unmittelbares Feedback in ihrem Wahrnehmungsbereich. •• Weitere umfangreiche Ergonomiefaktoren (beispielsweise Lesbarkeit, Sichtwinkel, Bildhöhen, Interaktionsentfernung) müssen beachtet werden.

Vermittlung Unter dem Aspekt Vermittlung geht es darum, Wege zu finden, die den Nutzer und das Interface bzw. die Interaktion zusammenführen und damit die Barrieren bei komplexeren Interaktionen senken. •• Betreute Interaktion: Komplexere Interaktionen – beispielsweise solche, deren Interfaces nicht alle Nutzer intuitiv beherrschen – können durch zusätzliches Personal betreut werden. Ein Host, der den Besucher „an die Hand nimmt“, kann hier ein entscheidender Erfolgsfaktor sein – zumal über die Interaktion ein Dialog entsteht, der besonders in einem kommerziellen Kontext oft das eigentliche Ziel von Interaktion ist. Der mit dieser Betreuung einhergehende erhöhte Personaleinsatz ist eher bei temporären kommerziellen Projekten möglich – so wie auch in dem am Anfang des Kapitels vorgestellten

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Beispiel von Samsung auf der IFA 2017, wo jedes interaktive Terminal von einem Host betreut wurde. Bei langfristigen Installationen, beispielsweise in Museen, ist dagegen eine solche intensive Betreuung kaum leistbar.

Abb. 2.5.11: Interaktive Stelen am Rand des WFES 2014 EXPO Astana Standes erlauben Besuchern, in ihrem eigenen 3D-Film zu Future Energy mitzuspielen. Diese Interaktion führt unmerklich in den Dialog mit dem Standpersonal, der dann auch in den Vordergrund rücken kann. World Future Energy Summit, Abu Dhabi, UAE, 2014, (Exponential Group (GU); Luxoom Medienprojekte (Konzept und Interaktionsdesign)).



Lernen durch Zuschauen: In Situationen mit einem stetigen Besucherfluss kann Interaktion so gestaltet werden, dass nicht nur die direkt interagierenden Nutzer angesprochen werden, sondern auch die nachfolgenden. Für sie kann die Situation so gestaltet werden, dass sie den interagierenden Nutzern zuschauen und somit durch die Anschauung lernen, wie eine Interaktion funktioniert. So wird das Wissen um die Bedienung von Nutzergeneration an Nutzergeneration weitergegeben – was gerade dort gut funktioniert, wo der Besucherfluss aktiv gemanagt wird, wie etwa in EXPO-Pavillons oder bei Attraktionen auf Messen, wo sich oft Schlangen wartender Nutzer bilden. Zusammenfassung • Wenn Interaktion auch in den Dialog führen soll, kann es hilfreich sein, die Interaktion durch den Einsatz von Personal zu unterstützen. • Lernen durch Zuschauen funktioniert auch in interaktiven Installationen und kann helfen, die Aktionsbarriere deutlich zu senken.

Die Instrumente der Mediatektur – Interaktion

Technische Aspekte der Interaktionsgestaltung Sensorik als Grundlage der Mensch-Technologie-Interaktion Neben den Gestaltungsparametern gibt es technische Parameter, die die Interaktion zwischen Mensch und Technik prägen. Dies ist die technische Intelligenz, die in diesem Kapitel bereits mehrfach angesprochen wurde, aber auch die technische Schnittstelle, die durch Sensorik realisiert wird. Sensorik beschreibt dabei die Fähigkeit der Technologie, menschliche Handlungen zu erkennen – sei es S­ prache, Bewegung oder auch Berührung. Diese Sensorik unterliegt B ­edingungen und Limitationen, die in der Gestaltung und Planung von Interaktion b ­ erücksichtigt werden müssen. Wenn eine Installation beispielsweise die Gestik eines Nutzers erkennen soll, setzt dies voraus, dass es eine technische Sensorik gibt, die das auch leisten kann. Wir unterscheiden zwischen taktilen, visuellen und auditiven Sensoriken also Berührungssensorik, Kamerasensorik und Mikrofon. Prinzipiell kann alles, was Daten erzeugt, als Sensor funktionieren – solange es eine Schnittstelle zu den Anwendungen, einen sogenannten Treiber gibt. ­Andererseits gibt es bei den Sensoren mittlerweile hochstandardisierte Technologien, die sich im täglichen Einsatz bewährt haben und damit bevorzugt eingesetzt werden. Einige von ihnen stellt dieser Abschnitt vor. Die Anwendungserfahrung zeigt, dass es sehr empfehlenswert ist, auf diese definierten technologischen Standards zurückzugreifen. Treten bei den Anwendungen Probleme auf, verfügen diese Technologien über Nutzercommunities, die breites Knowhow gesammelt haben und bei der Lösung unterstützen können – das erweist sich in der praktischen Anwendung als wichtige Voraussetzung, Lösungen auch sinnvoll und effizient implementieren zu können. Berührungssensorik

Es gibt viele unterschiedliche Ansätze, wie sich die Berührungsensorik technisch realisieren lässt. Die wohl gängigsten Verfahren sind: •• Kapazitive Berührungsensorik: Diese Technik, die in vielen Smartphones eingesetzt ist, erlaubt mittels einer kapazitiven Folie verschiedenste (nichtmetallische) Oberflächen berührungssensitiv zu machen. Eine Limitation der Größe der Fläche liegt hierbei in derjenigen der Foliengrößen, die aber bereits für gängige 16:9-Formate über 100-Zoll-Bildschirmdiagonale verfügbar sind. Durch den Einsatz der Folien, die unter dem Bildschirmmaterial aufgebracht werden können, ist diese Technologie sehr robust und doch kaum sichtbar. Bei Objekten, die keine Bildfläche haben, also dort, wo ein opakes Objekt be­rührungssensitiv werden soll, kann auch mit einem s­ peziellen Farb­anstrich

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gearbeitet werden, der sich an eine kapazitive Sensorik an­schließen lässt. Darüber hinaus gibt es kapazitive Einzelsensoren, die hinter nicht-metallischen Materialien unsichtbar verbaut werden und noch durch Schichtstärken von mehreren Millimetern hindurch Berührungen wahr­nehmen können. •• Infrarotraster: Diese meist als Infrarotrahmen ausgeführte Sensorik funktioniert über Licht, dessen Unterbrechung bzw. Reflexion beispielsweise durch die sich nähernde Hand des Nutzers vom System registriert wird. Die Technik ist ähnlich funktional wie die kapazitative Berührungssensorik, wobei sie in der Gestaltung problematisch ist, da der benötigte Rahmen immer sichtbar, weil aufgesetzt bleibt. Zudem neigt die Technik gerade bei Tischen zu Ausfällen, wenn dort Gegenstände abgelegt werden oder die Rahmeninnenseiten verstauben. •• Infrarot InGlassTM:16 Diese Sensorik funktioniert mittels Auswertung der In­nenspiegelung von Infrarotlicht in einer Glasoberfläche, die sich bei Berührung ändert. Die InGlass Technologie bietet eine ähnlich umfassende Funk­tionalität wie die kapazitive Berührungssensorik, hat aber den Vorteil, dass sie keine leitende Schicht benötigt. Somit kann diese Technologie ohne Verluste in der Bildqualität auch bei größeren Flächen eingesetzt werden. InGlass ist nur in definierten 16:9 Größen verfügbar. •• Infrarot-visuelle Sensorik: Diese Technik besteht aus einem Infrarot­ kamerasystem, das hauptsächlich im Rahmen von Projektionstischen und -objekten eingesetzt wird. Eine Infrarotquelle bestrahlt die Bildfläche von unten und wo ein Finger sich dieser nähert bzw. diese berührt, wird er als heller Punkt von der Kamera wahrgenommen, der entsprechend verfolgt werden kann. Nachteil dieser Sensorik ist, dass sie sehr empfindlich auf umgebendes Infrarotlicht (beispielsweise bei Tageslicht) und Lichtwechsel reagiert, da sich dann der Kontrast im Kamerabild verändert. Der Vorteil ist, dass diese Sensorik auch bei gewölbten und unebenen sowie nicht rechteckigen Oberflächen funktioniert – und entsprechend beispielsweise in Projektionssphären zum Einsatz kommt. Weicht die Flächengeometrie von einem Rechteck ab – etwa bei einem kreisrunden Projektionstisch –, sind oft die technisch standardisierten Lösungen überfordert. Das folgende Beispiel zeigt, wie solch eine Sonderlösung aussehen kann und welche Herausforderungen sie birgt: Für einen runden, interaktiven Tisch für das Putuo District Planning Museum in Shanghai wurde eine Sen16 InGlassTM ist ein Markenname der Firma Flatfrog, siehe www.flatfrog.com (Zugriff 10.7.2018).

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Abb. 2.5.12a/b/c: Interaktiver Tisch für das Putuo District Planning Museum. Oben links (a): Foto. Oben rechts (b): Horizontalschnitt. Unten (c): Profilschnitt. Shanghai, 2010 (THISWAY! (Ausstellungsdesign); Luxoom Medienprojekte (Kreation und Entwicklung)).

sorik mittels Infrarotkameras entwickelt. Besucher können im 3D-animierten Stadtbild markierte Objekte berühren und somit zusätzliche Informationen aufrufen. Um möglichst viel Veränderung in der visuellen Gestaltung zu zeigen und somit die Aufmerksamkeit der Besucher zu erlangen, wird in einem Zweiminutenzyklus ein Tagesablauf mit den verschiedenen Lichtstimmungen von Tag und Nacht inszeniert. Der Tisch ist mit vier Rückprojektionen ausgestattet, die mittels Soft-Edging17 und einer Spezial­glasoberfläche zu einem Bild zusammengefasst werden. Eine Infrarotkamera nimmt von unten die durch Berührung erzeugten Lichtreflexionen an der Tischoberfläche auf. Da es sich hier um Projektoren mit geringer Auflösung handelt (XGA – 1024 x 768px), sind diese jeweils auf Dreiachsen-Feinjustier­ tischen befestigt, um für die Überblendung die dargestellten physischen Pixel genau übereinanderfahren zu können und somit zusätzliche Unschärfen auszuschließen. Zum Zeitpunkt der Entwicklung dieses Tisches gab es keine Videoprojektoren kleiner Bauform mit höherer Auflösung, die entsprechend weitwinklig ausgelegt waren – auch mit Spiegeln konnte aufgrund der großen Projektionswinkel nicht gearbeitet werden.

17 Vgl. zu Soft-Edging im Kapitel Bildmedien, Abschnitt Projektion, S. 187.

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Besonders erwähnenswert sind die Herausforderungen ergonomischer Natur, die sich in den ersten Tests zeigten: Die Stehhöhe der Installation lädt Benutzer ein, sich mit den Ellbogen auf den Tisch zu stützen, während sie diesen bedienen. Das sehr schlanke Design, das versucht weitestgehend auf einen Rahmen am Rand zu verzichten, bietet keine Fläche außerhalb des interaktiven Bereiches, auf dem man sich auflehnen kann. Daraus folgt, dass die Sensorik nicht nur die Interaktionspunkte der Fingerspitzen aufzeichnet, sondern auch Ellenbogen und Unterarme als Reflexionen wahrnimmt. Hier musste in der Anwendung, die die Sensorikdaten auswertet, eine komplexe Funktion etabliert werden, die die Daten filtert und basierend auf dem Abstand verschiedener Interaktionspunkte zur Tischmitte interpretiert, welche davon gewollte Fingerabdrücke – und welche für die Interaktion irrelevante Armund Ellenbogendruckpunkte sind. Insgesamt fließt mit der Verwendung von Infrarotkamerasensorik viel Aufwand in die Interpretation der Daten, da anders als beispielsweise bei Touchbildschirmen die Auswertungsalgo­rithmen nicht so weit perfektioniert bzw. standardisiert sind, dass sie aus einer Art Blackbox heraus immer verlässliche Ergebnisse liefern. Hier ist man vielmehr darauf angewiesen, in dem jeweiligen finalen Interaktionsumfeld je nach Umgebungslichtsituationen und auftretendem Besucherverhalten die ­Auswertungsalgorithmen zu optimieren. Die im Beispiel verwendete, relativ anfällige Infrarottechnologie wird heute – wo in Form und Flächenausprägung möglich – von anderen, weniger fehler­ anfälligen Sensortechnologien, beispielsweise kapazitiver Sensorik, abgelöst. •• Infrarot-Laser-Curtain: Dieses System besteht aus einem Infrarotlaser, der in einer Ebene um die Quelle herum ausgespiegelt wird, und einer Infrarot­ sensorik, die wahrnimmt, wann der Laser auf dieser Ebene unterbrochen wird – also beispielsweise ein Finger den Laservorhang durchbricht. Ein Vorteil der Technologie ist, dass keine physikalische Oberfläche für die Touchfunktion etabliert sein muss und man somit die Funktion auch in den leeren Raum setzen kann (in dieser Funktion werden Infrarot-Laser-Curtains auch als Sicherheitsschwellen um Maschinen eingesetzt, um diese zu stoppen, sobald sich eine Hand nähert). Nachteile sind, dass die Technik die Berührungskoordinaten nur relativ grob erfasst und man zudem das relativ große Infrarotlasergerät unterbringen muss. Auch kann immer nur das Objekt, das sich am nächsten an der Quelle des Infrarotlichts befindet, erkannt werden, da sich alle Objekte dahinter in seinem Schatten befinden. Daraus folgt, dass eine Multitouchfunktionalität nur eingeschränkt möglich ist. Prinzipiell lässt sich eine solche Sensorik mit vielen der auf dem Markt angebotenen industriellen Lasersensoren erreichen – für interaktive Anwendungen hat sich darüber hin-

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Abb. 2.5.13: Infrarot-Laser-Anwendung: Säule aus sechs rahmenlosen 42”-Bildschirmen. Der Infrarotsensor ist in der Decke untergebracht, dort befindet sich eine Spaltöffnung. Launch des Range Rover Evoque. Shenzhen, China, 2012 (Avantgarde China (Agentur); Luxoom Medienprojekte (Design und Medienproduktion)).

aus ein Produkt mit dem Namen Radar-Touch18 etabliert, welches hier erwähnt sei, da Radar-Touch oft als Gattungsbegriff für diese Art von Sensorik im Markt eingesetzt wird und das Produkt bereits über eine für solche Anwendungen notwendige sowie komfortable Softwarekomponente verfügt. Gerade für sehr große und aus mehreren Elementen zusammengesetzte Medienflächen findet IR-Laser-Sensorik ihren Einsatz: Für den Launch des Range Rover Evoque in Shenzhen, China, wurde eine Multimediaausstellung gestaltet. Unter den verschiedenen Installationen befand sich auch eine interaktive Stele zum Thema Umweltfreundlichkeit. In dieser Installation steigen auf der Bildschirmwand – die aus sechs randlosen 42”-LCD-Bildschirmen zusammengesetzt ist – in einem 3D-Raum Pusteblumen auf. Der Besucher kann diese berühren, woraufhin sie zerstäuben, wie es echte Pusteblumen tun, wenn sie einem Luftstrom ausgesetzt sind oder berührt werden. Aus den zerfallenden Pusteblumen setzen sich wiederum Bilder zusammen, die verschiedene Umweltaspekte des vorgestellten Autos beleuchten. Der für die Istallation verwendete Infrarot-Laser-Curtain-Sensor ist in der Decke integriert. Zusätzlich ist eine ESG19-Scheibe vor die Bildschirme montiert, um diese vor zu starkem Druck oder Kratzern zu bewahren. Vier Dinge gibt es bei dem Einsatz einer Infrarot-Laser-Curtain-Sensorik zu beachten: – Je größer die Fläche, desto gröber wird die Auflösung. Mit Lasersensorik lässt sich oft keine pixelgenaue Auflösung der Berührung analysieren. 18 Für mehr Informationen vgl. https://www.lang-ag.com/de/produkte/touch-solutions/ radartouch.html (Zugriff 10.7.2018). 19 Kurz für Einscheiben-Sicherheits-Glas – Vorgespannt Einzelglasscheibe, die bei Zerstörung keine Spitzen und Schnittkanten aufweist.

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Bei dem gezeigten Beispiel liegt sie eher in einem Auflösungsraster von 10  mm. Daraus folgt, dass man entsprechend große interaktive Objekte auf der Bildfläche gestalten muss, mit denen die Nutzer interagieren. Zudem sollten entsprechende Abstände zwischen diesen Objekten eingehalten werden, um Überschneidungen zu vermeiden. –– Die Sensorik erkennt vom Sensor aus in einer Linie betrachtet nur den ihr nächsten Gegenstand im Laservorhang. Da die Besucher oft nebeneinander, aber selten übereinander an Bildschirmen stehen, sollte der Sensor immer oberhalb oder unterhalb, aber nicht rechts oder links von der interaktiven Fläche angebracht sein. –– Die Form des Laservorhangs ist immer eine Fläche. Somit lassen sich hier keine gewölbten oder eckigen Objekte mit einem einzelnen Sensor berührungsempfindlich machen. –– Das Material, auf das der Sensor strahlt (etwa der Boden), sollte nicht hochglänzend sein, da dies zur Einschränkung der Sensitivität bis hin zu Fehlfunktionen führt. Die beschriebenen Infrarotlasersensoren lassen sich beispielsweise auch in den Raum gedreht verwenden, um die Positionen der am nächsten befindlichen Personen zu ermitteln. Allen diesen Technologien ist gemeinsam, dass sie ein simultanes Tracking verschiedener Berührungspunkte, sogenanntes Multitouch20, ermöglichen. Sämtliche Sensortechniken brauchen eine Übersetzung ihrer Daten auf einen Standard, den Anwendungsplattformen verstehen. Diese Übersetzung enthält nicht nur die Lokalisierung der Berührungspunkte, sondern registriert auch ihre Bewegung, Rotation etc., um etwa Gesten beschreiben zu können. Als Standard für TUIs – so genannte Tangible User Interfaces – gibt es unter anderem TUIO21. Das TUIO-­Protokoll spezifiziert, wie Daten von der Sensorik an die Anwendung weiter­gegeben werden. Erfüllt ein Sensor die Spezifikation, lässt er sich leicht in eine Entwicklung einbinden. Das Protokoll wird dabei über die sogenannten Treiber umgesetzt – eine Softwarekomponente, die die Sensorhardware anbindet. Gerade bei nicht standardisierter Sensorhardware wie industriellen Infrarot-Laser-Curtains ist es wichtig zu wissen, ob diese ohne großen Aufwand mit einer Anwendung kommunizieren kann oder ein Entwicklungsteam eventuell erst mit einigem Aufwand einen entsprechenden Treiber entwickeln muss.

20 Multitouch beschreibt, dass verschiedene Druckpunkte gleichzeitig verfolgt werden können, was man beispielsweise für Mehrfingergesten wie das Drehen und Zoomen mit zwei Fingern braucht. Multitouch kann aber auch die gleichzeitige Interaktion verschiedener Benutzer ermöglichen. Multitouchhardware ist meistens direkt auf eine Anzahl möglicher, trackbarer Berührungspunkte hin spezifiziert, wie 6 oder 32 Berührungspunkte. 21 Für mehr Informationen vgl. www.tuio.org (Zugriff 10.7.2018).

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Abb. 2.5.14: Tiefenprofil einer Raumsituation, analysiert via KINECT-Sensor: Der grüne Bereich ist nah, während der blaue Bereich sich weiter in der Tiefe befindet.

Kamerasensorik

Die Kamerasensorik kombiniert Bild- und Raum- sowie O ­ bjektinformationen und wertet diese aus. Raum- und Objektinformationen werden dabei auf unterschiedliche Art und Weise erstellt: über eine dezidierte, meist IR-gestützte ­Tiefensensorik (siehe Abb. 2.5.14), über eine Flowanalyse von sich bewegenden Bildpunkten oder über eine KI-gestützte Analyse von zweidimensionalen Bildinformationen sowie über Kombinationen der genannten Ansätze. Beispielhaft seien hier der von Microsoft entwickelte KINECT Sensor22 und die Nachfolgeprodukte der Intel RealSense Serie23 genannt, beides Sensoriken, die Bild- und IR-Tiefeninformationen kombinieren. Mittels eines projizierten Netzes aus Infrarotlichtstrahlen und einer Infrarotkamera wird die Tiefenstruktur des ­Raumes analysiert. Diese Daten werden dann mit Audio- und Bilddaten kombiniert und ausgewertet. So lassen sich einzelne Personen isolieren und deren ­Körper­bewegung verfolgen, indem aus den Daten ein virtuelles Skelett erstellt wird, um die Bewegung etwa der Hände und Füße zu verfolgen. Mit dieser Technik lassen sich beispielsweise Gesten erkennen. Die Anwendung im oben besprochenen Beispiel Mercedes-Benz-Nutzfahrzeuge wie auch die Anwendung der Pathfinder Bugs in Abbildung 2.5.7 basieren auf KINECT-Sensorik. Im Beispiel der Mercedes-Benz-Nutzfahrzeuge wird nur die ­Silhouette einer Person isoliert und die Skelettbewegungsdaten für die Neigungs­ berechnungen interpretiert. In Abbildung 2.5.11, WFES 2014 Stand der EXPO 2017 Astana, ist zum einen Gestenerkennung für die Aktivierung von Funktionen ­etabliert – „Zum Starten bitte winken!“ –, zum anderen werden die Silhouettendaten zum „Ausschneiden“ der Person aus dem Hintergrundbild genutzt, um den Nutzer in den 3D-Film dann wiederum „einsetzen“ zu können. 22 Für mehr Informationen vgl. https://developer.microsoft.com/de-de/windows/kinect (Zugriff 10.7.2018) – die Produktion von Kinect Sensoren wurde Ende 2017 eingestellt. 23 Für mehr Informationen vgl. https://software.intel.com/realsense (Zugriff 10.7.2018).

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Besonders Situationen mit viel Umgebungslicht stellen Infrarottiefensensorik vor besondere Herausforderungen: Kommt beispielsweise direktes Sonnenlicht ins Spiel, reicht die sensoreigene Helligkeit nicht aus und der Sensor kann entsprechend keine Tiefendaten mehr erfassen. Für Außenanwendungen sind diese Sensoriken tagsüber entsprechend nicht umfassend geeignet. Je genauer und intelligenter die Sensorik wird, umso präziser kann eine Reaktion der Anwendung auf die Aktivität des Benutzers und entsprechend eine Interaktion erfolgen. Mit der zunehmenden Rechengeschwindigkeit der Hardwareplattformen und auch mit immer höherer Auflösung der von den Kameras gelieferten Bilder wird zunehmend die Analyse von komplexeren menschlichen Mustern möglich, beispielsweise Emotionserkennung über die Analyse von Gesichtsmarkern. Welche Möglichkeiten sich daraus konkret für ­ Inter­aktionsansätze ergeben, wird sich im Laufe der Zeit zeigen – erfahrungs­ gemäß muss mit jeder neuen Technologie erst einmal experimentiert und gespielt werden bevor sich standardisierte Anwendungsmuster entwickeln, die in der Interaktion wirklichen Mehrwert schaffen. Mikrofone

Mikrofone als Sensorik für sprachbasierte Interaktion erleben wir weniger in der Mediatektur als in einer Vielzahl persönlicher digitaler Assistenten wie Siri, Alexa etc. Prinzipiell kann diese Technologie auch in der Mediatektur Verwendung finden. Da aber die Verarbeitung der Sprachdaten komplex und KI-­gestützt ist, findet sie in der Mediatektur zum Zeitpunkt dieser Publikation nur sehr beschränkten Einsatz. Natürlich lässt sich eine komplexe Interaktion beispielsweise über Alexa steuern und eine Inszenierung könnte mit dem Ruf beginnen: „Alexa, öffne den Vorhang!“ In diesem Fall bleibt es aber Alexa, die die Interaktion ausführt, und man borgt sich sozusagen ihre Fähigkeiten nur für ein Projekt aus. Darüber hinaus lassen sich natürlich Parameter von Ton als (abstrakte) interaktive Elemente benutzen, beispielsweise ein Schnipsen, das eine Funktion ­auslöst, oder die Lautstärke innerhalb eines Raumes, an die dessen Lichtsituation geknüpft ist. Zusammenfassung •• Sensoren generieren Daten, die über eine Schnittstelle mittels eines sogenannten Treibers in eine Anwendung integriert werden können. •• Es gibt unterschiedliche Sensortechnologien, die entsprechend dem Anwen­ dungs­fall ausgewählt werden müssen. •• Viele der mit Licht arbeitenden Technologien haben besonders bei direktem Tageslicht Probleme, korrekte Daten zu liefern. Entsprechend sorgfältig muss die Auswahl der Sensorik erfolgen.

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•• Für die unkomplizierte Entwicklung einer interaktiven Installation ist es wichtig, dass Schnittstelle und Treiber für einen Sensor – besonders wenn dieser komplexe Daten liefern soll – standardmäßig existieren.

Exkurs: Mobile Endgeräte als interaktive Schnittstellen

Einen Sonderfall stellt die Auslagerung der Benutzerschnittstelle auf benutzerspezifische Hardware dar. Hierbei geht es vor allem um Inter­aktionen, bei denen der Nutzer sein Smartphone einsetzt, über das bestimmte Funktionen der Mediatektur „ferngesteuert“ werden können. Das erlaubt einerseits eine starke Individualisierung der Inhalte bis hin zur direkten Anbindung an Soziale Netzwerke. Andererseits erhöht es signifikant die Aktionsbarriere, denn man muss sein Smartphone zur Hand haben, dann noch eine spezielle App oder Website öffnen, sich ein­loggen und noch dazu sicher sein, dass man seine Daten mit dem Anbieter der Interaktion teilen möchte. Viele der interaktiven Anwendungen, die Smartphones der Nutzer voraussetzen, gehören zu der Kategorie von Anwendungen, die in einer Dokumentation gut aussehen, vor Ort aber nicht befriedigend funktionieren, weil nicht genügend Leute an der Aktion teilnehmen.24

Abb. 2.5.15a/b: Links (a): Screenshot Guggenheim App der Solomon R. Guggenheim Foundation auf iOS. Rechts (b): Videostill aus Introducing Near Me on the Guggenheim App. New York, 2015.

Mobile Endgeräte lassen sich als interaktive Schnittselle nur da unproblematisch einsetzen, wo es ein großes Interesse der Zielgruppe an zusätzlicher Information bzw. Kontext gibt, wie es etwa in Museen der Fall ist. Das Mobilgerät funktioniert dann zum Beispiel als intelligenter Führer, der mittels Beacon-Technologie auch abschätzen kann, wo im Museum man sich befindet, und entsprechend Informationen vorschlägt. Das Mobilgerät ersetzt also einen Audioguide und bietet noch viele zusätzliche Informationen, auch unabhängig 24 Vgl. Exkurs zu Interaktions-Dokus, siehe S. 233.

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vom Museumsbesuch. Ein Beispiel für eine solche Anwendung, die frei zugänglich ist, ist die Guggenheim App25, die für das Guggenheim Museum in New York als Kommunikationsplattform entwickelt wurde (siehe Abb. 2.5.15a/b).

Interaktive Plattformen Generell basiert Mensch-Technologie-Interaktion immer auf Sensorik und einer Anwendung, die diese Sensorik in Reaktion umsetzt – also eine Logik anwendet und daraufhin einen Output generiert. In der Regel wird diese Logik über einen Computer oder einen Programmierbaren Logic Controller (PLC) realisiert, wobei je nach Komplexität eine einfache Logikfunktion oder eine komplexe ­Programmierung hinterlegt sein muss. Anwendungsplattformen helfen dabei, in Mensch-Technologie-Interaktion schnell und zielgerichtet Logik- und Algorhitmusketten ausgehend von sensorischem Input aufzubauen und somit die Entwicklungszeiten signifikant zu ­verkürzen. Diese Verkürzung ergibt sich über die Standardisierung von Abläufen sowie über vereinfachte, oft grafische Verknüpfungen von Logikschritten und Schnittstellen. Anwendungsplattformen ermöglichen im Allgemeinen, die Sensordaten direkt mit einer Funktionslogik zu verknüpfen – beispielsweise die Berührung eines Objektes mit dem Erscheinen einer Farbe auf einem Bildschirm. Was bereits für andere technische Systeme gesagt wurde, gilt genauso für solche Anwendungsplattformen: Je etablierter die Plattform ist, umso mehr Hilfe kann man bekommen, wenn man in der Entwicklung einer Interaktion auf ein Problem stößt, und umso eher kann man beim Aufbau eines Teams Entwickler für eine Plattform finden. Anwendungsplattformen sind beispielsweise vvvv26, Ventuz27 oder Unity3D28. All diese Plattformen sind computerbasiert und ermöglichen es, audiovisuelle Gestal25 Verfügbar sowohl für Android als auch für iOS in den jeweiligen App-Stores. 26 Für mehr Informationen vgl. http://vvvv.org/ (Zugriff 10.7.2018). 27 Für mehr Informationen vgl. http://www.ventuz.com/ (Zugriff 10.7.2018). 28 Für mehr Informationen vgl. https://unity3d.com/ (Zugriff 10.7.2018). Viele der in diesem Kapitel diskutierten Beispiele sind in Unity3D entstanden Unity3D ist eigentlich eine Entwicklungsplattform für Computerspiele. Das bringt eine große Nutzerbasis mit sich und entsprechend viele Module, die andere Anwender bereits für ihre Zusammenhänge entwickelt haben und die sich in eigenen Projekten wiederverwenden lassen. Dazu verfügt Unity3D über ein ausgereiftes 3D-Environment mit Shadern, Licht, physikalischem Engine und vielem mehr, was zur Erstellung von visuell ansprechenden Anwendungen nötig ist. Zudem lassen sich aus Unity auch einfach Versionen exportieren, die auf ganz unterschiedlichen Plattformen laufen – Exporte sind nicht nur für OS X und Windows möglich, sondern auch für Mobilplattformen wie iOS und Android. vvvv und Ventuz sind im Gegensatz zu Unity eher spezialisiert – vvvv als audiovisuell-orientiertes Toolkit, das schnelles Prototyping von Logiken und Zusammenhängen erlaubt, und Ventuz als professionelles Broadcastingtool, das vor allem auf Stabilität und Genauigkeit setzt und speziell für interaktive Präsentationen entwickelt wurde. Gerade wenn es darum geht, viele Bildquellen gleichzei-

Die Instrumente der Mediatektur – Interaktion

tungen zu schaffen und Sensordaten schnell und möglichst unkompliziert mit audiovisuellem Output zu verknüpfen. Jedes dieser Produkte hat seine eigenen Stärken und Schwächen und man sollte von Projekt zu Projekt entscheiden, welche Plattform am geeignetsten ist. Viele Funktionalitäten kann man jedoch auf jeder dieser Plattformen gut umsetzen, so dass es darauf ankommt, mit welcher Technik man am meisten Erfahrung und damit Sicherheit in der Entwicklung hat. Prinzipiell gibt es zu all diesen Plattformen entweder frei erhältliche Basis­versionen oder PLEs (Personal Learning Editions), mit denen man sie ausprobieren und mit ihnen umgehen lernen kann. Zusammenfassung •• Anwendungsplattformen erleichtern die Erstellung von interaktiven Anwendungen bzw. machen diese in vielen Fällen mit knappen Zeit- und Budget­ ressourcen erst möglich. •• Die verschiedenen Plattformen haben zwar unterschiedliche Funktions­ umfänge, aber viele Funktionen lassen sich auf allen mit ähnlichem Aufwand erstellen. Entsprechend ist für die Auswahl vor allem entscheidend, mit w ­ elcher der existierenden Plattformen man die meisten Erfahrungen bzw. für welche man die besten Entwickler hat.

tig und synchron zu koordinieren, wird die Wahl schnell auf vvvv oder Ventuz fallen, weil Unity3D für solche Anforderungen nicht ausgelegt ist.

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Geschichten und Narration Die Instrumente der Mediatektur

Einleitung Geschichten faszinieren uns, denn sie können uns fesseln. Wem ist es nicht schon passiert, dass über einem Buch, einem Film, einer Serie oder Erzählung die Zeit egal wurde, man mitfieberte und sich schließlich sehnlichst einen ­bestimmten Ausgang der Geschichte wünschte: „Soll sie ihn doch bekommen.“, „Soll der ­Verräter doch geschnappt werden.“ oder „Soll der Underdog doch am Ende der König sein.“ Und dort, wo die Geschichte nicht von Bildern begleitet wird – in Texten und Erzählungen – bemerken wir mit Erstaunen, dass wir unsere eigenen Bilder anlegen, aus unseren eigenen Erinnerungen, die die Geschichte auf der Bühne unserer Vorstellung zum Leben erwecken. Der amerikanische Journalist und Schriftsteller Tom Wolfe schreibt entsprechend über seine Zunft: „The most gifted writers are those who manipulate the memory sets of the reader in such a rich fashion that they create within the mind of the reader an entire world that resonates with the reader’s real emotions.“1 Wir beschäftigen uns in diesem Kapitel mit zwei Dingen: den Geschichten an sich und den Methoden ihrer Vermittlung im Raum. Im Sinne einer klaren Unterscheidung nutzen wir für das Letztere den Begriff Narration. Wir folgen dabei Abbott, der im Englischen zwischen Story und Narration unterscheidet: „[...] story is an event or sequence of events (the action), and narrative discourse is those events as repre­ sented [...].“2 Narration ist also das Vermitteln einer Geschichte, der Begriff damit identisch mit dem heute so oft genutzten englischen Begriff des Storytellings. Narration im Raum bringt die Erkenntnisse aus den vorangehenden Kapiteln zusammen: Raum, Licht, Klang und Bild. Narration strebt an, aus diesen Elementen eine Einheit mit bestimmten Qualitäten zu schaffen, um ein Erlebnis für die 1 T. Wolfe, The New Journalism, S. 64. 2 H. P. Abbott, The Cambridge Introduction to Narrative, S. 16.

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Zielgruppe zu ermöglichen. Dabei braucht Mediatektur nicht per se Narration. Sie kann auch rein symbolisch oder metaphorisch in ihrer Aussage bleiben und der Besucher setzt sich dann mit ihr auseinander, indem er sie interpretiert. Geschichten und Narration sind aber die Grundlage für all jene Mediatektur­projekte, die einen besonderen Zugang zu den Emotionen der Zielgruppe erschließen wollen.

Geschichten und Narration wahrnehmen und erleben Geschichten Geschichten als Cognitive Templates

Wenn wir uns im ersten Schritt den Geschichten zuwenden, dann spielt es für unsere Betrachtungsweise keine Rolle, ob es sich um Geschichten zu Sach­themen – die sogenannte Non-Fiction – oder um fiktive Erzählungen – die sogenannte ­Fiction – handelt.3 Eine Geschichte ist vielmehr generell ein Format, das schon lange vor der Erfindung der Schrift dazu genutzt wurde, Wissen zu konservieren und weiterzugeben. Wissen ist dabei kein reines Faktenwissen, sondern, wie sich im Folgenden zeigen wird, die Handhabung von Fakten, sozialen Erkenntnissen, Aktions- und Reaktionsmustern, die dem Subjekt ermöglicht, sich kompetent in seiner Umwelt zu bewegen und zu interagieren. Geschichten stellen damit auch sogenanntes Embodied Knowledge dar. Warum als Geschichten? Weil Geschichten mit ihrer immanenten, episodischen Art der Herstellung von Zusammenhängen viel einprägsamer sind und damit zu besserer Konservierung der Inhalte führen als beispielsweise Faktenreihungen, Listen oder Datenfolgen.4 Erzählerische Grundmuster von Geschichten und die Form, wie wir uns episodisches Wissen merken, scheinen sich in der Evolution des Menschen gemeinsam und wechselwirkend entwickelt zu haben. So werden Geschichten in der Literatur auch als kognitives Muster aufgefasst – Cognitive Template –, welches in der Arbeitsweise unseres Gehirns fest hinterlegt ist bzw. sich in der Evolution zu einem festen Muster entwickelt haben mag.5 Die Ausprägungen dieser kognitiven Muster kann man sich als ein Framework aus mehr oder weniger verknüpften Prozessen vorstellen, mit denen Geschichten in unserer Wahrnehmung und in unserem Erleben in Wechselwirkung treten. Grundlegende Prozesse sind dabei:

3 Vgl. M.-L. Ryan: Avatars of Story, S. 55 ff. Die Autorin stellt fest, dass in vorschriftlichen Kulturen keine Unterscheidung zwischen Fiction und Non-Fiction möglich war, dass vielmehr Non-Fiction erst entstanden ist mit der Möglichkeit, Fakten zu vergleichen, Experimente zu wiederholen und schriftliche Ergebnisse zu vergleichen. 4 Ebd., S. 56. 5 Ebd., S. 50.

Die Instrumente der Mediatektur – Geschichten und Narration

•• Menschliches Verhalten implizieren Chris Crawford systematisiert in seinem Buch Chris Crawford on interactive Storytelling Formen von Erzählung6 und stellt dabei fest: Eine Geschichte handelt immer von Menschen, auch wenn Tiere wie der böse Wolf oder Objekte wie der bekannte VW-Käfer Herbie als Repräsentanten „einspringen“. Ihnen schreiben sowohl die Geschichten selbst als auch wir als Zuhörer oder Leser menschliche Logik und Verhaltensweisen zu.7 Geschichten handeln von Konflikten und den ­Entscheidungen, die die Protagonisten treffen (oder nicht treffen), um mit diesen Konflikten umzugehen. Wir können uns an der Stelle des Protagonisten sehen oder uns mit ihm vergleichen. Das heißt, Geschichten in diesem Sinne entwickeln Relevanz für uns selbst. •• Geschichten „unmittelbar“ erleben Wenn uns eine Geschichte erzählt wird oder wir sie lesen, findet diese auf der gleichen Bühne statt wie auch unser unmittelbares Erleben8 – nur dass man die entstehenden Bilder weitestgehend mit solchen aus eigenen V ­ orerfahrungen und -kenntnissen substituiert. Man sagt ja sogar, dass eine Geschichte „vor unserem inneren Auge abläuft“. Wer hat noch nicht von einem unbekannten Ort gehört, dazu aus imaginierten Bildern ein eigenes Bild zusammengesetzt und dieses Bild dann später ganz oder teilweise – angesichts des realen Ortes – wieder verwerfen müssen? Was durchaus erst einmal trivial klingt, bekommt mittels der im Verlauf dieses Kapitels dargestellten Überlegungen eine neue Qualität: Wir können basierend auf der Konstruktion der Wahrnehmung davon ausgehen, dass wir uns in Erzählungen genauso involvieren können wie in unser direktes Erleben. Aufbauend auf den genannten grundlegenden Prozessen lässt sich in diesem Frame­work ein Pfad der Wirklichkeitskonstruktion beschreiben:

6 Vgl. C. Crawford: Chris Crawford on Interactive Storytelling, S. 15 ff. 7 Vgl. T. Grodal: Emotions, Cognitions and Narrative Patterns in Film, S. 131. Angemerkt sei hier noch, dass Menschen dazu neigen, Dingen menschliche Züge zuzuschreiben: „Die Waschmaschine streikt“ oder „Das Marmeladenglas weigert sich aufzugehen“. Entsprechend lassen sich viele Beispiele für die sogenannte Anthropomorphisierung finden. 8 Ausgehend vom konstruktivistischen Ansatz können wir annehmen, dass wir alles, was wir wahrnehmen, in unserem Gehirn synthetisieren. Daraus folgt, dass die Primär­ wahrnehmungen (was das Auge unmittelbar sieht oder das Ohr unmittelbar hört) uns nicht direkt, sondern nur als Repräsentation zugänglich sind. (Vgl. hierzu P. Kruse/M. Stadler: Der psychische Apparat des Menschen, S. 26.) Wir erleben also die Außenwelt „auf der Bühne unseres Gehirns“ (ebd. S. 31 mit einem Zitat von Penfield/Rasmussen). Bilder, die wir „sehen“, und sämtliche Vorgänge, die wir in unserer Umwelt „erleben“, werden von unserem Gehirn aus den ständig einströmenden Sinneswahrnehmungen und bestehenden Annahmen auf der Basis von Vorerfahrungen zusammengesetzt.

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Andrea Rostásy, Tobias Sievers – Handbuch Mediatektur

•• Annahmen über die Realität bilden „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“, sagt Heinz von Foerster9 und trifft damit die einfache und frappierende Feststellung, dass wir keinen Zugriff auf unsere unmittelbare Umwelt haben, sondern sie immer durch unser Wahrnehmungssystem und unsere Vorerfahrungen gefiltert erleben. Wir können also nur Annahmen über unsere Realität treffen.10 Einige dieser Annahmen bzw. Konstruktionen von Wirklichkeit sind brauchbar in dem Sinne, dass ihre Anwendung den Nutzer im Leben und Tun bestätigt, während andere zu Misserfolgen führen können. Der von Krippendorff hierfür benutzte Begriff „Viabilität“ (Überlebensfähigkeit/Brauchbarkeit) drückt die Funktion solcher Konstruktionen sehr präzise aus: Für uns bestätigen sich Konstruktionen nicht, wenn sie „richtig“ oder „wahr“ sind, sondern, wenn sich im Alltag damit erfolgreich handeln und kommunizieren lässt.11 Dafür lassen sich einfach Beispiele finden: Ein Kind, das bereits „Auto“ als Bezeichnung gelernt hat, sieht ein Fahrrad. Da das Fahrrad sich auch mit einer Person und auf Rädern bewegt, ruft das Kind laut „Auto“. Dass diese Inter­ aktion mit der Umwelt nicht ganz und gar „brauchbar“ ist, zeigt sich erst, wenn die Eltern das Kind berichtigen und „Fahrrad“ sagen, „Auto“ also als nicht viabel bezeichnen. Berichtigt niemand das Kind, dann wird es bis zur gegenteiligen Reaktion in seiner Wirklichkeit dem Objekt Fahrrad den Begriff Auto zuordnen. Über das faktische Wissen hinaus, das dieses Beispiel in seiner frühen kindlichen Entwicklung beleuchtet, bezieht sich die Wirklichkeitskonstruktion auch beispielsweise auf die komplexen kulturellen und sozialen Gefüge, in denen wir uns bewegen. Geschichten liefern Konstruktionen von Wirklichkeit, die man übernehmen und an denen man seine eigenen Konstruktionen über­ prüfen und schärfen kann.

9 Vgl. H. von Foerster/B. Pörksen: Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Gespräche für Skeptiker. 10 Klaus Krippendorff formuliert in seinem Buch On Communicating eine Sicht auf die damit zusammenhängenden menschlichen Prozesse. Seine Sichtweise fasst Krippendorff in fünf Imperativen zusammen (K. Krippendorff: On Communicating: Otherness, Meaning, and Information, S. 19 f.), die in engem Zusammenhang stehen und die er u. a. als Grundlage der Kommunikationsforschung sieht. Zwei für unsere Ausführungen besonders wichtige Imperative seien hier kurz genannt: Der von Krippendorff formulierte ästhetische Imperativ besagt, dass wir unsere eigene Realität konstruieren, indem wir Annahmen über die Realität machen. In dem von ihm formulierten empirischen Imperativ folgert er dann, wie wir vom selbstkonstruierten, rein auf Annahmen basierendem Weltbild zu einem zwar weiterhin konstruierten, aber nutzbaren Weltbild gelangen: „[...] thus, the empirical imperative recognizes that some constructions of reality are viable in the sense that enacting them supports their beholders being and acting, whereas other constructions may fail them.“ (ebd.). 11 Vgl. dazu auch P. Kruse/M. Stadler: Der psychische Apparat des Menschen, S. 22.

Die Instrumente der Mediatektur – Geschichten und Narration

•• Stabile Handlungsgrundlagen herstellen Der beschriebene Mechanismus aus Wirklichkeitskonstruktion und empirischer Validierung scheint uns angeboren zu sein. Viele Forscher sehen diesen Prozess als Herstellung von Stabilität im Sinne der Ordnungsbildung an.12 Der Prozess hilft uns, Kontingenz und Ambiguität zu reduzieren, also bestenfalls jederzeit über ein stabiles Bild der Wirklichkeit zu verfügen. Stabilität wird in diesem Fall unser Synonym für Wirklichkeit, wie es beispielsweise Peter Kruse in einem Artikel über Stabilität, Instabilität und Multistabilität herausarbeitet, wenn er schreibt: „Denkresultate [also auch Folgerungen aus Geschichten, Anm. d. Aut.] werden von uns u. a. immer dann als wirklichkeitsbezogen eingestuft, wenn sie gezielte Vorhersagen ermöglichen, d.h. eine stabile Handlungsgrundlage bilden, wenn sie reproduzierbar, d.h. logisch stabil, und vermittelbar, d.h. sozial stabil sind.“13 Genau diese Reduzierung von Kontingenz und die Herstellung von Stabilität als menschliches Grundstreben wird unter anderem auch über Kultur als einem System kollektiven Wissens erreicht. Siegfried J. Schmidt bringt das in zwei Sätzen auf den Punkt: „Kultur reproduziert einmal gefundene Problemlösungen über Sozialisation, über Riten und Feiern, Mythen, Tabus usw. und sichert damit die Identität einer Gesellschaft. Kultur begrenzt und orientiert die Handlungsmöglichkeiten der Individuen und ermöglicht damit ihre soziale Integration – oder eben auch ihren Ausschluss aus sozialen Systemen.“14 Geschichten transportieren Kultur und tragen somit zur Reduzierung von Kontingenz und zur Schaffung stabiler Handlungsgrundlagen bei. •• Das „Selbst“ erkennen Die Wirklichkeitskonstruktion des Einzelnen lässt sich dazu als Abgrenzungsbzw. Vergleichsprozess beschreiben. Kommen wir auf Krippendorff zurück, der in dem von ihm postulierten selbstreferenziellen Imperativ auf Autonomie und Selbstfindung verweist: „In human terms, self-realization is the use of one’s ability to distinguish oneself in the context of others. So conceived, self-realization can emerge only in communication with other people and involves complementary constructions of self and others.“15 Die Wirklichkeitskonstruktion wird hier als basale Funktion der Selbsterkenntnis, Kommunikation als darin zentrales Element beschrieben. Geschichten bieten uns Protagonisten, die genau diesen context of others aufbauen und damit unsere Selbsterkenntnis fördern können.

12 Vgl. dazu ebd., S. 42 sowie im selben Band: S. J. Schmidt: Konstruktivismus in der Medienforschung: Konzepte, Kritiken, Konsequenzen, S. 621. 13 P. Kruse: Stabilität – Instabilität – Multistabilität. Selbstorganisation und Selbstreferentialität in kognitiven Systemen, S. 35. 14 S. J. Schmidt: Konstruktivismus in der Medienforschung: Konzepte, Kritiken, Konsequenzen, S. 600. 15 K. Krippendorf: On Communicating: Otherness, Meaning, and Information, S. 27.

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Ein weiterer, auf den oben genannten, grundlegenden Prozessen aufbauender Pfad ist der von Szenarien, Relevanz und Emotionen: •• Szenarien anlegen Szenarien sind bekannte Muster, die wir an eine Situation anlegen, um Möglichkeiten ihres Ausgangs zu antizipieren. Stellen wir uns im Rahmen einer Geschichte einen Mann vor, der auf eine Tür zugeht – Szenarien, die wir antizipieren sind beispielsweise, dass er einen Schlüssel zückt und die Tür aufschließt oder auf die Klingel drückt oder einfach die Klinke herunterdrückt und die Tür öffnet. Szenarien basieren auf unseren Erfahrungen – Erwartung und Erfahrung sind hier eng verknüpft – und auf dem Kontext, beispielsweise einem Genre, mit dem wir es zu tun haben. Während wir in unserem Alltagserleben eher ein „harmloses“ Szenario an die Situation mit Mann und Tür anlegen, würden wir im Kontext eines Krimis eher einen Einbruch erwarten. •• Relevanz aufbauen Relevanz entwickelt die Situation, wenn in uns ein Wunsch aufkommt, ­welches der von uns angelegten Szenario eintreten möge.16 Stellen wir uns in einer Geschichte einen kleinen Jungen an einem gefährlichen Berggrat vor, der von seiner Schwester gerufen wird. Er ist nur noch wenige Schritte von ihr entfernt, aber der Grat und die Wand sind steil und der Boden voll losem Geröll. Beispielhafte Szenarien sind, dass es der Junge unbeschadet zu seiner Schwester schafft oder dass er stolpert und stürzt. Das von uns als realistisch eingeschätzte Szenario des Absturzes induziert auch in uns als bloßen Lesern oder Zuhörern Anspannung und beispielsweise den Wunsch, der Junge möge wohlbehalten ankommen. Sobald wir eine Präferenz über den Ausgang der Situation bzw. Geschichte haben, bekommt sie Relevanz für uns und wir ­engagieren uns emotional. •• Emotionales Engagement zeigen Emotionen haben die Funktion, unser Handeln und unsere Wahrnehmung zu leiten17 und im Besonderen auch vorzubereiten.18 Entsprechende emotionale Reaktionen ruft nicht nur das direkte, unmittelbare Erleben ab. Auch eine Geschichte, in der wir einem oder mehreren Protagonisten folgen, greift auf dieses emotionale Engagement zurück. Wir übernehmen die Ziele des ­Protagonisten, dem wir folgen, als wären seine Ziele unsere Ziele, und spre16 Vgl. T. Grodal: Emotions, Cognitions and Narrative Patterns in Film, S. 133. 17 „Emotions [...] are functional action tendencies that motivate us towards goals and that are shaped by our situational expectations.“ aus G. M. Smith: Local Emotions, Global Moods, and Film Structure, S. 103. 18 Vgl. ebd., S. 113.

Die Instrumente der Mediatektur – Geschichten und Narration

chen damit starke mental-motivationale Mechanismen an,19 die uns dazu befähigen, komplexe Aufgaben zu erfüllen wie beispielsweise soziale Anerkennung zu erlangen. Geschichten ermöglichen uns das Teilhaben am Erleben anderer und darüber auch an Gesellschaft und Kultur. Dabei bleiben diese Geschichten nicht unpersönlich, sondern sie knüpfen an die gleichen Prozesse an, die auch unser direktes Erleben bestimmen. Geschichten evozieren Identifikation, Empathie und Mit­ erleben und entwickeln dabei eine so hohe Relevanz, dass sie zu einer ­„stabilen“ Wirklichkeitskonstruktion beitragen. Diese umfassende Funktionalität von Ge­schichten für uns führt vor Augen, warum wir für diese im Laufe der Evolution Cog­ni­tive Templates angelegt haben – und warum wir besonders einfach, intensiv und gerne mit Geschichten umgehen. Zusammenfassung •• Geschichte als Format der Informationsvermittlung funktioniert gut, weil diese Art von Aufbereitung von Information in unserem Gehirn als Muster hinterlegt ist. •• Die Bedeutung von Geschichten ergibt sich aus dem Umstand, dass wir uns mit ihren Protagonisten identifizieren können. •• Über Geschichten lernen und teilen wir wiederkehrende Muster von Geschehnissen. Sie tragen somit zu einer stabilen Wirklichkeitskonstruktion bei. •• Wir können uns in Geschichten genauso involvieren wie in unser direktes Erleben. Entsprechend übernehmen wir Ziele der Protagonisten und erleben die damit verbundenen Emotionen als unsere. •• Erwartungen und Szenarien erlauben uns, Abläufe vorauszusehen. Wenn wir einen bestimmten Ausgang der Erzählung wünschen, engagieren wir uns emotional und die Erzählung wird relevant.

Narration Narration in dem hier vertretenen Sinn des Begriffes beschäftigt sich mit der Frage, wie Geschichten zum Zuschauer gelangen und erlebt werden. Eine Geschichte braucht zunächst nicht viel mehr als das Erzähltwerden, um ihre Wirkung entfalten zu können. Ein gutes Buch oder jemand, der eine Geschichte erzählt, sind meist ausreichend, damit sich ein Moment von Immersion, also ein Abtauchen des Zuhörers oder Lesers in die Geschichte ergibt. 19 Vgl. T. Grodal: Emotions, Cognitions and Narrative Patterns in Film, S. 133.

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Exkurs: Immersion

Der Begriff Immersion wird heute überwiegend technisch verwendet: Die Rede ist davon, dass immersive Technologien das Abtauchen des Betrachters in die Welt der Erzählung stützen, wenn nicht sogar erst ermöglichen sollen. VR-Brillen, höhere Bildauflösungen, gebogene Bildschirme, stereoskopisches 3D sind nur eine kleine Auswahl an Technologien, die in klangvollen Beschreibungen und wohlformulierten Marketingtexten einen Zugewinn an Immersion versprechen. Dem gegenüber steht, dass vor einigen Jahrzehnten Filme auf einem kleinen Schwarzweißfernseher druchaus genauso packend (und damit in unserer Auffassung genauso auch immersiv) erlebt wurden wie heute auf einer riesigen Kinoleinwand in Farbe und 3D. Der technische Fortschritt (3D, VR etc.) eröffnet neue Qualitäten, aber es ist gut, einen gesunden Zweifel daran zu hegen, dass man mit diesen per se eine signifikante Stärkung der Immersion erreicht. Bei genauerer Betrachtung ist der Umgang mit technischen Neuerungen und Effekten eher problematisch, wenn man versucht, mit technischen oder bild­gebenden Mitteln gute Erzählung und Narration zu ersetzen – ganz in dem Sinne, dass ein schlechter Film nicht besser wird, wenn man ihn jetzt in stereoskopischem 3D sehen kann. Chris Crawford tut diese technischen Bestrebungen als „Spektakel“20 und „Kosmetik“21 ab und zieht dabei den Bogen zu Aristoteles mit dem Verweis, dass dieser Spektakel als das Unwichtigste von sechs Elementen von Dramaturgie definiert hat. Es lässt sich folgern, dass sich Erzählung durch technisch-immersive Elemente nicht ersetzen, sondern nur bereichern lässt – für die meisten Anwendungen ist Erzählung ein unabkömmliches und zentrales Element, egal ob in minimaler oder ausgeprägter Form.

Dramaturgie

Das zentrale Element der Narration ist Dramaturgie. Sie ist der Schlüssel dafür, den zuvor beschriebenen Pfad des emotionalen Engagements zu betreten. Anhand des folgenden, sehr einfachen Beispiels lässt sich die Struktur von Dramaturgie erschließen: Für das Marketing der EXPO 2017 Astana, Kasachstan, wurde im Vorfeld eine mobile Ausstellungsplattform entwickelt, die quer durch Europa eingesetzt wurde, um möglichst vielen Besuchern eine Reise zur EXPO nach Kasachstan nahezubringen. Auf großen Plätzen in Städten wie Rom, Barcelona und Berlin bot sie eine 20 C. Crawford: Chris Crawford on Interactive Storytelling, S. 18. 21 Ebd., S.47.

Abb. 2.6.1a-d: EXPO 2017 Astana Themeninszenierung: Modiwechsel illustriert. Oben (a): paratelische Bildwelten zu Energie und Zivilisation, darunter (b): telische Erzählung der Entwicklung der Zivilisation, darunter (c): autonomer Moment, Energie und Zivilisation stoßen an ihre Grenzen und unten (d): Kippen zurück in die telische Erzählung: Fragen als Wendepunkt. Europaweit, 2017 (Exponential Group (GU); Luxoom Medienprojekte (Show- und Mediendesign)).

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mediale Installation als Einführung in das EXPO-Thema Future Energy sowie eine begleitende Ausstellung. Mit einer großen, panoramaartigen Bildfläche, verortet in einer Geometrie aus Leuchtkörpern, die die Besucher umschließt, wird eine narrative Reise von den Ursprüngen von Energie und Gesellschaft hin zu den Grenzen des Wachstums und den vielen damit verbundenen Herausforderungen inszeniert (siehe Abb. 2.6.1). Eine Antwort auf diese Herausforderungen – so die Erzählung – ist die EXPO Astana als globaler Diskussionsort zum Thema, wie man in Zukunft mit Wachstum und Energie umgehen will. Der dänische Literatur- und Medienwissenschaftler Torben Grodal beschreibt als Kern von Dramaturgie die Strukturierung einer Geschichte durch den Wechsel von Erzählmodi sowie die Gestaltung eines Gesamtbogens hin auf ein schlüssiges Ende (Closure). Dem folgt die in der Installation vorgetragene Erzählung. Sie steigt über Bilder der Welt in die Geschichte ein, Bilder, die einen Bezug zu Energie aufbauen – Sonne, Wasser, vulkanische Aktivität. Nach einigen Momenten setzt der Sprecher ein und greift diese Bildbezüge auf, eröffnet zusammen mit den Bildern die Geschichte der Zivilisation, die auf der Nutzung von Energie gründet. Schnell kommen in den Bildern dann die Grenzen in den Blick: Die gute Idee der Zivilisation droht in einem Müllberg zu enden. Menschen weltweit stellen sich Fragen, wie eine Lösung aussehen kann. Die EXPO ist der globale Ort, um diese Fragen zu diskutieren und Lösungen zu finden, und somit endet die Narration mit einer Einladung, gemeinsam in Astana auf der EXPO nach Lösungen zu suchen. Grodal unterscheidet – in seinen Begriffen das griechische Wort telos – Ziel aufnehmend – zwischen telischem, paratelischem und autonomem Modus22 und identifiziert einen sogenannten PECMA-Ablauf.23 Protagonist ist in diesem Beispiel die Gesellschaft als Gesamtheit, und es gehört zu den wichtigen Aspekten der Geschichte, dass sich der Besucher als Teil dieser Gesamtheit fühlen kann. Zum Anfang ist dies noch nicht klar, die Bilder geben uns keinen direkten Aufschluss über das, was wir da sehen und erleben. Der Zuschauer versucht den Bildern einen Sinn zuzuschreiben, baut Optionen auf, was sie bedeuten könnten, „reibt“ sie vielleicht an dem Kontext des EXPO-Themas Future Energy, dessen man im Vorfeld schon gewahr werden konnte. Dies ist der paratelische, als „ziellos“ zu bezeichnende Modus, der Erregung aufbaut, aber keine definierte Erzählrichtung hat. Erst mit dem Einsetzen des Sprechers werden die Bilder eingeordnet und es wird klar, dass sie die Grundlagen unserer Zivilisation zeigen und wir erleben, wie sich diese positiv entwickelt. Hier findet also ein Modiwechsel vom Paratelischen ins Telische, das Zielgerichtete, statt. Es gibt nun mit der Darstellung der Zivilisation eine klare Erzählrichtung, eine Entwicklung, ein Ziel. Doch es zeigen sich graue Wolken am Horizont, dem Besucher wird 22 Vgl. T. Grodal: Emotions, Cognitions and Narrative Patterns in Film, S. 127 ff. 23 PECMA: Perception, Emotion, Cognition and Motor Action. Vgl. dazu T. Grodal: Embodied Visions. Evolution, Culture, and Film, S. 145 ff.

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deutlich, dass sich diese Entwicklung nicht so einfach fortsetzen lässt. Grenzen tauchen auf, die jenseits des Einflusses des Einzelnen liegen, die Entwicklung scheint zur Sackgasse zu werden. Die Erzählung kippt hier in den von Grodal als autonom bezeichneten Modus: Der Protagonist – hier die Gesellschaft – ist nicht mehr handlungsfähig, vielmehr übernehmen größere Mächte wie Natur und Schicksal die Führung und lassen den Protagonisten hilflos erscheinen. Aber in diesem Moment ergibt sich ein Wendepunkt, die Erzählung wendet sich wieder ins Telische: Es  werden Fragen laut, die einen Ausweg suchen – und auf einmal nimmt die Narration wieder Fahrt auf, bekommt wieder ein Ziel, indem sie erst die Tradition der weltweiten EXPOs als Orte der Diskussion und Lösungsfindung aufzeigt und dann die Brücke zur EXPO Astana baut: als einen Ort, an dem man Lösungen für genau diese Herausforderung der Energie der Zukunft gemeinsam finden will. In den Modiwechseln zeigt sich deutlich der im ersten Teil des Kapitels beschriebene Pfad hin zum emotionalen Engagement: Der paratelische Einstieg veranlasst den Zuschauer, Szenarien zu bilden und anzulegen, um zu verstehen, wohin die Erzählung wohl gehen wird. Mit dem Kippen ins Telische wird der Protagonist – und durch den Effekt der Identifikation zugleich der Zuschauer – mit dem Ziel und der Motivation einer großartigen Leistung verbunden: der Zivilisation. Das Szenario ist so positiv, dass wir die gezeigten Bilder von Zivilisation als Wert erleben und die Motivation empfinden, diesen Wert zu erhalten – eine Motivation, die spätestens dann aktiviert wird, wenn im autonomen Erzählmodus die Bedrohung einsetzt. Man kann hier vermuten, dass der Zuschauer ein Szenario des Erhalts und der Weiterentwicklung einer positiven Zivilisation anstrebt und sich entsprechend dafür emotional engagiert. Diesem Engagement wird mit der EXPO eine Handlungsoption angeboten, wenn die Erzählung in den telischen Modus zurückkehrt. Über die der Erzählung inhärenten Modiwechsel hinaus gibt es das Element des Erzählbogens, der auf ein sogenanntes Closure hinausläuft – einen Abschluss, eine Vervollständigung der in der Erzählung aufgetauchten Herausforderungen. Man will wissen, wie etwas zu Ende geht. Grodal zieht hier eine Verbindung zu unserem menschlichen Bestreben, die Welt in Aufgaben zu strukturieren, die „erledigt“ werden können24 – Stabilitätsbedürfnis und Motivationssysteme spielen hier eng zusammen. Bei vielen kommerziellen Inszenierungen ist das ­Closure natürlicherweise so offen gestaltet, dass es sich erst durch das Handeln der Zuschauer ergeben würde – hier im Beispiel würde das Handeln darin bestehen, dass man auf die EXPO fährt und sich engagiert. Die Komplexität der geforderten Handlung wie auch die Glaubwürdigkeit des Lösungsansatzes stehen dann zwar 24 Vgl. T. Grodal: Embodied Visions. Emotions, Cognitions and Narrative Patterns in Film, S. 136.

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in der Realität dem Handeln der Zuschauer entgegen, lösen aber durchaus eine Auseinandersetzung mit dem Absender aus. Zusammenfassung •• Narration beschreibt, wie Geschichten zum Zuschauer gelangen. •• Dramaturigie als Teil der Narration strukturiert die Geschichte so, dass diese emotionales Engagement hervorruft. •• Im Zentrum dieser Strukturierung stehen Modiwechsel sowie die Gestaltung eines Erzählbogens hin zu einem schlüssigen Ende (Closure). •• Man unterscheidet zwischen paratelischem (ziellosem), telischem (zielführendem) und autonomen (machtlosem) Modus.

Narration in Mediatektur erleben Dramaturgie prägt in der Mediatektur den zeitlichen und räumlichen Ablauf, wobei zwischen den unterschiedlichen Arten der Mediatektur – synchron und asynchron – zu unterscheiden ist. •• Synchrone Mediatektur In der synchronen Mediatektur erleben wir Narration und Dramaturgie auf einer fest definierten zeitlichen Achse und als etwas, das in dem Raum passiert, in dem wir uns befinden. Wie im Kapitel Raum eingeführt, arbeitet die Media­tektur mit einer Formsprache und damit einem Formerleben.25 Diese treten in ein Zusammenspiel mit der Narration und werden entsprechend als mehr oder weniger der Narration zugehörig wahrgenommen. Entsteht eine Passung bzw. Ergänzung zwischen der räumlichen Inszenierung und der Narration, erhalten also Raumelemente eine Bedeutung bzw. narrative Funktion, die als Teil der Gesamtnarration wahrgenommen wird, schafft dies Unmittelbarkeit (das räumlich-physikalische Erleben als Ausdruck der Narration) und Eleganz (das inszenatorisch-kohärente Zusammenspiel von Narration und Raum). •• Asynchrone Mediatektur Im Vergleich zur synchronen Mediatektur gibt es in der asynchronen Mediatektur keine festen Start- und Endpunkte, vielmehr bedarf es einer modularen Narration, die viele gestaltete Einstiegspunkte bietet. Das inszenatorisch-kohärente Zusammenspiel von Narration und Raum muss durch den Besucher selbst entdeckt und erschlossen werden. Wenn auch Unmittelbarkeit und Ele­ganz als 25 Vgl. Kapitel Raum, Abschnitt Gestaltungsparameter Formsprache, S. 65.

Die Instrumente der Mediatektur – Geschichten und Narration

Kriterien bestehen bleiben, sind diese doch, weil dezentral orchestriert und von der Interaktion des Besuchers abhängig, schwieriger zu erreichen. Zusammenfassung •• Narration unterscheidet sich deutlich je nachdem, ob sie in synchroner oder asynchroner Mediatektur eingesetzt wird. •• In synchroner Mediatektur verläuft die Narration auf einer fest definierten zeitlichen Achse, der Raum kann unmittelbar und elegant zur Bühne werden. •• In asynchroner Mediatektur muss der Besucher sich die Narration selber erschließen – es bedarf modularer Narration mit vielen Einstiegspunkten.

Gestaltung von Geschichten und Narration in der Mediatektur Narration im Zusammenspiel der Instrumente Mediatektur verfügt über ein breites Spektrum an Instrumenten, um Narration gestalterisch umzusetzen. Die Zuschauer können über all ihre Sinne angesprochen werden – mit Ton, Klang und Sprache auf der auditiven Ebene, mit Raum, Objekten, Licht, Bildmedien, Typografie auf der visuellen Ebene, mit Spezial­effekten wie Feuchtigkeit, Kälte oder Vibration auf der Empfindungsebene oder auch mit Gerüchen auf der olfaktorischen Ebene. In der Regel gestaltet sich die Narration als ein Zusammenspiel aus visueller und auditiver Ebene, ent­weder von einem festen Punkt aus betrachtet in der synchronen oder aber auch mit wechselndem Betrachtungspunkt in der asynchronen Mediatektur. Folgt man der vorausgehenden Analyse von Geschichte und Narration, er­geben sich – über das Spektrum an Instrumenten hinaus – zwei Herausforderungen an die Gestaltung: 1. Aufbau thematischer Relevanz und emotionalem Engagements Thematische Relevanz lässt sich gestalten, indem ein Bezug zur Zielgruppe bzw. zum einzelnen Besucher aufgebaut wird – mittels relevanter Fakten und Fragestellungen, sozialer Erkenntnisse, Aktions- und Reaktionsmuster usw. Der vorhergehende Abschnitt zur Dramaturgie entfaltet die Basis für die Opera­tionalisierbarkeit von Narration und damit für die Gestaltung: Die Gestaltung sollte so angelegt werden, dass sie Erwartungen beim Betrachter auslöst und dieser angeregt wird, aus seiner eigenen Wirklichkeitskonstruktion heraus Szenarien anzulegen. Die Szenarien bzw. die Erzählung sind umso stärker, desto mehr der Betrachter dazu gebracht wird, sich emotional in der Situation zu engagieren, also ein bestimmtes Szenario als Resultat vorzuziehen.

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2. Einbinden von Raum und Objekt in die mediale Narration Mittels Gestaltung werden Aspekte der Narration in den physikalischen und damit Subjektraum gebracht und stärken somit das Erlebnis im Sinne der Kriterien von Unmittelbarkeit und Eleganz. Hierfür ergeben sich drei Ansatzpunkte: –– Mit Bezug auf die strukturell-organisatorische Ebene in der Raumwahrnehmung26 ergibt sich ein Zusammenspiel zwischen Narration und ihrer räumlichen Organisation bzw. Strukturierung, wie wir diese vor allem in der asynchronen Mediatektur finden. Narration wird in logische E ­ lemente zerlegt, die sich im Raum anordnen lassen, ein Parcours ­entsteht, der in seiner Gesamtheit dazu einlädt, die Narration zu entdecken. Eine solche Art der Gestaltung wird am folgenden Projekt Paradies der Kopfjäger vorgestellt. –– Mit Bezug auf den antizipativ-funktionalen Aspekt von Raum27 können Raum und Objekt eine metaphorische Funktion übernehmen – ähnlich dem metaphorischen Ansatz von Marie-Laure Ryan für interaktive Interfaces.28 Ein Aspekt des Raumes kann ein mehr oder weniger abstraktes Abbild eines Storyelementes werden und damit diesen Aspekt der Narration unmittelbar in das physische Umfeld holen. Illustriert wird dies in konkreterer wie auch abstrakterer Form in den zwei folgenden Porsche-Beispielen. –– Mit Bezug auf den gestalterisch-konstruktiven Aspekt von Raum29 können Raum- und Objektgestaltung der Narration eine Bedeutungsebene hinzufügen, die ihr selbst nicht inhärent ist, und diese somit erweitert bzw. konnotiert. Auch dies wird wiederum in dem folgenden Projekt Paradies der Kopfjäger illustriert. Ein Beispiel für Narration in asynchroner Mediatektur bzw. Szenografie bietet das Projekt Paradies der Kopfjäger30, einer Mediatektur im Rahmen des Humboldt Labs Dahlem. Im Zentrum der Inszenierung stehen die Naga, die als Kopfjäger vor über hundert Jahren große Berühmtheit erlangten und vom Westen als wilde Krieger stilisiert wurden. Als eine vielfältige und in Teilen moderne, urbane Gesellschaft leben die Naga heute hauptsächlich im indischen Bundesstaat Nagaland. Das Projekt untersuchte, wie das Kulturphänomen der Kopfjagd kuratorisch wie gestalterisch in einem musealen Kontext präsentiert werden kann, ohne in Exotismus zu verfallen, ohne zu verharmlosen und ohne den Blick einzuengen. Zentraler Ausgangspunkt der Überlegungen hierzu war, einen Zugang zu schaffen, der 26 Vgl. Kapitel Raum, Abschnitt Strukturell-organisatorischer Aspekt von Raum, S. 44. 27 Vgl. Kapitel Raum, Abschnitt Antizipativ-funktionaler Aspekt von Raum, S. page 46. 28 Vgl. Kapitel Interaktion, Abschnitt Unmittelbarkeit und Eleganz, S. 233. 29 Vgl. Kapitel Raum, Abschnitt Gestalterisch-konstruktiver Aspekt von Raum, S. 47. 30 R. Platz und A. Rostásy: Umgang mit einem ungewöhnlichen Erbe.

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die unterschiedlichen Stimmen und Zeugnisse der Naga nebeneinanderstellt und den Blick öffnet.31 Die Narration entwickelt sich aus dem Besucherweg, also durch die Bewegung der Besucher im Raum entlang einer gestaffelten Aneinanderreihung der verschiedenen Elemente. Historische und aktuelle Elemente treten dabei visuell in einen Zusammenhang und bauen ein narratives Spannungsfeld auf. Das Kulturphänomen Kopfjagd ist ein Thema, das viel Aufmerksamkeit weckt, die es schwer macht, dazu ein sinnvolles bzw. sozial stabiles Verständnis zu entwickeln. Das Thema zieht an, stößt ab und erhält seine Relevanz gerade daraus: aus der Unsicherheit und möglicherweise auch der Auseinandersetzung darüber, wie sich die Kopfjagd, die doch mit einer westlichen christlich-humanistischen Einstellung kaum vereinbar ist, verstehen und als Teil einer kulturellen Tradition mit eigener Berechtigung anerkennen lässt. Die Emotion entsteht hier nicht durch eine festgelegte narrative Spannungskurve, sondern dadurch, dass sich die Besucher – vor dem Hintergrund des vermittelten Wissens und der dargelegten Ansichten der Naga – dem Phänomen der Kopfjagd in einem offenen narrativen Spannungsfeld differenzierter, weniger vorurteilsbeladen oder exotisierend nähern können. Dabei will die Narration keine einheitliche Erzählung vorgeben, vielmehr die Besucher einladen, in ihrer Bewegung durch den Raum immer wieder neue Konstellationen, Überlagerungen und Einblicke zu entdecken und so ein eigenes Bild und damit eine eigene Deutung und Geschichte zu entwickeln. Die einzelnen narrativen Elemente fügen sich in diesem Prozess in eine Gesamtnarration ein, deren Charakter durch die Art der Installation geprägt wird: Ein einfaches, provisorisch wirkendes Hängesystem, das alle Elemente umfasst, verdeutlicht, wie temporär dieser Einblick ist – dass es sich lediglich um eine Art Momentaufnahme handelt und dass die darin angelegte Bewegung der Besucher im Raum die Wahrnehmung einer Gleichzeitigkeit der Stimmen, die nicht wertete und einen Gedankenraum entstehen lässt. Ein ganz anderes Beispiel für die Arbeit mit Narration ist die Präsentation der ersten Generation des Porsche Panamera in Peking. Auf einer großen Projektion von ca. zwanzig mal sechs Metern sehen die Zuschauer ein Flugzeug in den Wolken mit deutlichem „Porsche“-Schriftzug, das sich anscheinend im Landeanflug auf Peking befindet. Ein Countdown ist sichtbar, man hört den Funkkontakt zwischen Pilot und Tower für das Landeprozedere. Jeder Besucher kann spätestens aufgrund der Einladung zu diesem Anlass annehmen, dass das Flugzeug landen und den neuen Panamera abliefern wird. Aber die Zuschauer befinden sich nicht auf dem Flughafen, sondern in einem Ballsaal, und das Flugzeug ist auch nur im Film vorhanden. – Soll trotzdem ein reales Auto abgeliefert werden? Die Narration bringt die Zuschauer also dazu, Erwartungen zu mobilisieren. Alle verfügbaren und an die Situation anlegbaren Szenarien können aber in diesem Fall nur 31 Für weitere Aspekte zum Projekt Paradies der Kopfjäger sowie Abbildungen siehe Kapitel Konzept und Entwurfsentwicklung, Abschnitt Effizienz, S. 374 ff.

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Abb. 2.6.2a/b/c: Launch der ersten Generation des Porsche Panamera in China. Oben (a): Landesequenz. Mitte (b): Skizze Raumgeometrie. Unten (c): „Gelandetes“ Flugzeug mit Laufsteg und Auto. Peking, 2009 (Avantgarde China (Agentur); Luxoom Medienprojekte (Bühnen- und Mediendesign)).

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­ nbefriedigend bleiben: Ein Flugzeug kann in dem Ballsaal nicht landen. Hier u kreiert die Narration im Spiel mit der Erwartung einen Spannungsmoment, der nicht zuletzt von der Diskrepanz zwischen zu erwartendem Ergebnis und Situation der Zuschauer lebt. Was sich dem Zuschauer hier zuerst als simple Kinosituation darstellt – große Leinwand an einer Seite des Raumes –, hat einige Details, die im ersten Moment nicht wahrgenommen werden: Die Wand enthält eine Tonnenwölbung (siehe Abb. 2.6.2b) mit einer versteckten Klappe, von der ein Laufsteg in den Raum führt. In dem Moment in dem das Flugzeug landet, verändert sich die Projektion – im ersten Teil des Films wurde nicht auf die gesamte Raumhöhe projiziert, um die Tonnenwölbung nicht erkennbar werden zu lassen. Jetzt, wenn das Flugzeug von rechts hereinrollt, passt der Körper der Maschine 1:1 in die Wölbung. Zusammen mit einem beeindruckenden Klang der Triebwerke und mit Lichteffekten entlang dem Laufsteg, wo sich ein Fluglotse mit Leuchtkellen positioniert und das Flugzeug einweist, wird die Szenerie zum Erlebnis. Die versteckte Klappe in der Tonnenwölbung entspricht exakt der Ladeklappe des animierten Flugzeuges. Diese öffnet sich nun sowohl im Film als auch im realen Raum und das Auto fährt heraus auf den Laufsteg. Die Wand wird ganz unmittelbar zum erlebbaren Flugzeug. Ein drittes Beispiel zeigt den Umgang mit Narration in der Präsentation des Porsche Panamera der zweiten Generation in Guangdong, ebenfalls in China: Vier Jahre nach der beschriebenen Vorstellung der ersten Generation wird der neue Panamera eingeführt – auf einer Bühne mit zwei großen LED-Wänden, die links und rechts mit deutlichem Abstand voneinander die Bühnenkante dominieren. Die Narration ist im Vergleich zur ersten Panamera-Vorstellung deutlich abstrakter angelegt (siehe Abb. 2.6.3). Es geht in der Produktkommunikation um Gegensätze, die das Auto in sich vereint – es ist sowohl Geschäftslimousine als auch Sportwagen. Als visuelles Motiv werden starke Kontraste etabliert, beispielsweise eine schwarze und eine weiße Kugel. Diese Kontraste bzw. die beiden Kugeln werden für die Fahrzeuginszenierung in den Medieninhalten aufgenommen. Zwischen den Kugeln wird eine Spannung aufgebaut, sie tanzen und drehen sich umeinander. Trotz dieser Gegensätze, dargestellt als magnetische Abstoßung, nähern sich die Kugeln mit jeder Drehung einander an. Gleichzeitig bewegen sich die LEDWände, auf denen die Kugeln zu sehen sind, aufeinander zu und dabei auf der Bühne nach hinten. Dem Zuschauer erscheinen die zwei Kugeln als zwei Protagonisten, zwischen denen ein Sich-Annähern und Sich-Abstoßen wie in einem Tanz stattfindet. Dabei ist ein Ende dieser bewegten Situation bereits immanent, denn die beiden Kugeln werden notwendigerweise aufeinandertreffen – Erwartungen für diesen Moment werden geweckt. Werden die Kugeln beim Aufeinandertreffen verschmelzen oder etwa explodieren? Wenn sich die beiden LED-Wände berühren, kommt auch die Annäherung in den Medieninhalten zum Höhepunkt: Die Zuschauer beobachten

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Abb. 2.6.3: Launch der zweiten Generation des Porsche Panamera in China: Ablauf der Launchsequenz. Foshan, China, 2013 (Vok Dams China (Gesamtevent); Luxoom Medienprojekte (Bühnenkonzept und Medienbespielung)).

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erst ein Verschmelzen, dann eine Explosion. Aus den entstandenen Bruchstücken setzt sich der neue Panamera zusammen und überwindet somit die Gegensätze. Wie auch in dem ersten Porsche-Beispiel fungieren hier Raumelemente als Metapher – sind es im ersten Beispiel sehr direkt Tonnenwölbung und Klappe, die das Flugzeug im Raum etablieren, ist es hier die abstraktere, über die Annäherung der LED-Wände im Raum unmittelbar erlebbare Inszenierung der Aufhebung von Gegensätzen. Gleichzeitig mit dieser Bewegung aufeinander zu haben die LEDWände genug Bühnenraum geöffnet, so dass drei einfahrende Porsche Panameras auf der Bühne Platz finden. Zusammenfassung •• Narration nutzt die Instrumente der Mediatektur um Erwartungen beim Besucher auszulösen, so dass er Szenarien anlegt und sich darüber emotional engagiert. •• Narration lebt von dem Zusammenspiel aller Instrumente in einem räumlichen Erlebnis: Orientieren diese sich alle an der Erzählung, können Unmittelbarkeit und Eleganz erzielt werden. •• Narration kann dazu strukturell im Raum angeordnet werden, Raum und Objekte können metaphorische Funktionen übernehmen und sie können auch im Zusammenspiel mit der Narration dieser eine zusätzliche Bedeutungsebene hinzufügen.

Mediatekturspezifische Aspekte der Gestaltung von Narration Fokussierung

Erzählt man im Raum, muss man prinzipiell die Aufmerksamkeit des Z­ u­schauers für die Narration lenken. Je komplexer die räumliche und zeitliche Verortung einer Narration ist, desto freier sich der Zuschauer in dieser bewegen kann, umso mehr Sorgfalt muss auf die Lenkung des Zuschauers und d ­ essen Fokussierung auf die Narration gelegt werden. Deutlich wird das bei einer ­360º-Projektion, in deren Mitte der Zuschauer steht. Läuft die Narration überall um ihn herum gleichzeitig ab, führt das zu Überforderung und damit Frustration. Man kann in einem Moment nur in eine Richtung schauen und „verpasst“ damit all das, was außerhalb des Sichtfeldes passiert. Natürlich kann man sich im Raum drehen, aber dazu muss man wissen, wohin und – noch grundsätzlicher – warum man sich bewegen sollte, wenn doch auch alles bequem vor unseren Augen auf einem Screen ablaufen könnte. Es gilt:

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•• Der Zuschauer sollte Bewegungen im Raum jederzeit folgen können. •• Beim Zuschauer sollte nie das Gefühl aufkommen, dass er gerade etwas verpasst. •• Veränderungen des Erzählfokus im Raum sollten immer von der Geschichte selbst motiviert sein. •• Die Zuschauer sollten sich nicht laufend umorientieren müssen. •• Man sollte bei den erforderlichen Betrachtungspositionen ergonomisch denken – beispielsweise nicht die Geschichte für längere Zeit an die Decke verlagern, so dass die Zuschauer ihren Kopf unbequem in den Nacken legen müssen. Tempo

Mit der räumlichen Komplexität der Erzählung geht einher, dass man dem Zuschauer Zeit geben muss. Das Narrationstempo im Raum liegt normalerweise deutlich unter dem, was wir von einzelnen Bildflächen gewohnt sind. Es gilt: •• In Momenten der Fokusverschiebung sollte man dem Zuschauer Zeit geben, den neuen Fokus zu finden. •• Bei der Kalkulation der Geschwindigkeit von Bewegungen im Raum sollte man sich bewusst machen, dass eine Bewegung, die sich auf einem kleinen Bildschirm vielleicht nur über wenige Zentimeter vollzieht, im Raum auf einer großen Bildfläche schnell mehrere Meter umfasst. Eine Bewegung über diese Strecke im selben Tempo wie auf dem kleinen Monitor ablaufen zu lassen, kann oft – gerade wenn der Zuschauer den Kopf mitbewegen müsste – zu schnell für die menschliche Auffassungsgabe sein. Zusammenfassung •• Überschreitet die Narration das menschliche Blickfeld im Raum, muss man die Aufmerksamkeit der Zuschauer aktiv lenken. •• Bewegungen und Abläufe erleben wir im Raum normalerweise schneller und weiter als auf einzelnen Bildmedien. Es gilt daher bei der Tempobemessung darauf zu achten, dass der Zuschauer folgen kann.

Die Instrumente der Mediatektur – Geschichten und Narration

Exkurs: Talk-abouts planen

Neben dem besonderen Zugang, den Narration zur Emotion bietet, wurde im ersten Abschnitt dieses Kapitels auch betrachtet, dass Narration als Form besonders zu unseren mentalen Strukturen und der Arbeitsweise unseres Gehirns passt. Es ist also sinnvoll, Inhalte in die Form von Erzählungen zu bringen, um diese kommunikativ weiterzutragen. So lassen sich Ereignisse gut in Sprache fassen, sowohl zum Erinnern als auch zum strukturierten Wiedergeben. In der Form der Erzählung liegt eine starke Zielgerichtetheit. Erzählung als Format wird somit auch über die Themen hinaus interessant, die wir in Mediatektur inszenieren. Eine Mediatektur oder ein Event – im Sinne von Ereignissen, die man erlebt – werden im besten Fall vom Zuschauer als Erzählung weitervermittelt, so wie nach dem Besuch der Oper deren Thema bzw. Handlung unter Umständen ein Teil meiner Zuschauerzählung des Opernbesuchs wird. In einer Gesellschaft, in der „etwas zu erzählen zu haben“ einen hohen Stellenwert besitzt, erscheint es wichtig, diese Zuschauererzählung – oder nennen wir sie hier Erzählungen zweiten Grades – zu unterstützen. In der Marketingsprache spiegelt sich das in dem Begriff Talk-about wider. Entsprechend oft wird in Projektbriefings gefordert, Talk-abouts zu schaffen. Die beschriebene Erzählung zweiten Grades ist so stark, weil sie geschichtenspezifische Charakteristika aufweist: Sie lässt sich erzählen und wird erzählt. Damit hat sie die formalen Eigenschaften, sich verbreiten und multiplizieren zu können. „Ich habe da gestern etwas erlebt …“ ist einer der vielen Anfänge von Erzählungen von geglückten (oder auch misslungenen) Ereignissen – in jedem Fall aber immer davon, dass etwas weitergetragen wird. Um dieses Weitererzählen zu befördern, lässt sich im Sinne der Szenarioplanung schon vorab auch über die „Vergeschichtlichung“ einer Mediatektur oder eines Events nachdenken –– was soll der Zuschauer, der Teilnehmer am Ende über sein Erlebnis erzählen? Was kann er erzählen? Machen wir es ihm leicht, seine eigene Story zu entwickeln? Vermitteln wir ihm zum Besipiel zu seinen Erlebnissen die richtigen Namen und Benennungen, damit er davon berichten kann? Erzählung wird hier über das eigentliche Thema einer Mediatektur hinaus ein zentraler Baustein zur oft zwingend geforderten Medialisierung des Mediatekturereignisses. Wenn man Mediatektur als Arbeitsfeld in seiner Gänze betrachtet, spielen Narration und Erzählung also immer an zwei Stellen eine ausschlag­gebende Rolle: im Mediatekturerlebnis selbst und in dessen Verbreitung.

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Mediatekturinszenierung – die Instrumente als Einheit Die Instrumente der Mediatektur

Einleitung Die Mediatekturinszenierung bringt die verschiedenen, in den vorhergehenden Kapiteln vorgestellten Instrumente ins Zusammenspiel mit dem Ziel, m ­ öglichst effizient eine Geschlossenheit zu erreichen, die Eleganz und Unmittelbarkeit vermittelt und dabei vom Zuschauer als relevant erlebt wird. Die Instrumente ordnen sich diesem Mediatekturerlebnis unter und befördern es gemeinsam. Das im Folgenden vorgestellte Beispiel illustriert diese inszenatorische Ge­schlossenheit anhand von vier für eine Auftaktshow einer mobilen Industrieausstellung entwickelten Erlebnisthemen, die in Bezug auf das jeweilige Zuschauererlebnis vorgestellt und analysiert werden. Es zeigt in diesen vier Facetten ausführlich das für Mediatekur zentrale Zusammenspiel zwischen realem und virtuellem Raum sowie eine ausgeprägte Verknüpfung von medial-digitalen und räumlich-physikalischen Inhaltsmomenten. Im Gegensatz zu den Kapiteln der einzelnen Instrumente geht dieses Kapitel nicht auf Gestaltung ein. Die kreativ-gestalterische Entwicklung der Inszenierung ist vielmehr Thema des folgenden Kapitels Der Designprozess in der Mediatektur.

Inszenierung am Beispiel Siemens Exiderdome Für die weltweite Roadshow des Geschäftsgebiets Automatisierung und Antriebe der Siemens AG wurde ein temporärer, mobiler, dreistöckiger Container­ bau mit zwei großen Atrien und umliegenden Ausstellungs-, Meeting- und Loungeräumen entwickelt: der Exiderdome. Während eines der beiden Atrien als Empfangshalle diente, war das zweite Atrium für eine große Auftaktshow vorgesehen (siehe Abb. 2.7.1b). Zentrale Herausforderung ist hier, perfekte Automatisierung – das Kernthema des Kunden – unmittelbar erlebbar zu machen und die

Abb. 2.7.1a/b: Der Siemens Exiderdome. Oben (a): Beim Auftakt in Shanghai, China, 2005. Unten (b): Prinzipskizze des Containeraufbaus mit den zwei Atrien.

Abb. 2.7.2a/b: Die Auftaktshow im Siemens Exiderdome. Oben (a): Eingangsituation. Unten (b): Spiegel und Projektion nach der Verwandlung des Raumes. Shanghai, China, 2005 (Luxoom Medienprojekte).

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Andrea Rostásy, Tobias Sievers – Handbuch Mediatektur

Zuschauer – vorwiegend Fachpublikum – in den Mittelpunkt der Show zu stellen, um sie persönlich anzusprechen und „abzuholen“. •• Erlebnisthema 1: Modernität In Gruppen betreten die Zuschauer den mit rotem Stoff bespannten Showroom (siehe Abb. 2.7.2a). Eine im Verhältnis zum Raum kleine Leinwand am Kopfende zeigt einen Film – das Bild ist grobkörnig, der Ton zentriert auf die Leinwand. Plötzlich werden Raum und Leinwand dunkel. Bruchteile von Sekunden später kehrt die Helligkeit zurück und der Raum hat sich verwandelt: Die kleine Leinwand ist verschwunden (sie wurde in den Deckenraum hochgezogen) und die Wände links, rechts und hinter den Zuschauern bestehen jetzt aus Spiegeln. Die komplette Wandfläche vor ihnen aber ist Bild – eine sich dank der Spiegelungen in die Unendlichkeit erstreckende Bildfläche (siehe Abb. 2.7.2b). Die Einlasssituation nutzt alle Instrumente, um für den Traditionskonzern ­Siemens eine möglichst klassische, konservative Vortragssituation zu erschaffen: stoffbespannte Wände, gedämpftes Licht, Frontalbespielung mit gezielt niedrig gehaltener Bild- und Tonqualität. Der Teil der Zuschauer, der in der Erwartung eines herkömmlichen Vortrags gekommen ist, fühlt sich bestätigt. Umso stärker wirkt der Kontrast, der durch die plötzliche Wandlung des R ­ aumes erreicht wird, umso überzeugender erlebbar wird der Aspekt der modernen Technologieführerschaft. Die Verwandlung des Raumes, der auf einmal aus alles umfassenden Bild- und Klangwelten besteht, stellt den ­Besucher in den Mittelpunkt des ­Geschehens. Ein raumgreifendes Erlebnis technologischer Innovationsführerschaft ist geschaffen. •• Erlebnisthema 2: Perfekte Automatisierung Während der Show erlebt der Besucher die Wandlung des Raumes noch viele Male – wahrnehmbar und perfekt synchron mit den Wandlungen in der visuellen und klanglichen Bespielung. Er steht im Zentrum von Automatisierungstrecken – Abfüllanlagen, Schweißrobotern, Förder- und Verpackungsstrecken –, die sich in den Bildern und ihren quasi unendlichen Spiegelungen anordnen. Die Auto­matisierung, die in den Bildwelten zu sehen ist, wird real erfahrbar im Erlebnis der Automatisierung der Wandelemente. Die Wände des Raumes bestehen umlaufend aus einer Vielzahl von Periakten – dreiseitigen vertikalen Modulen (siehe Abb. 2.7.3), je nach Stellung ist eine Seite mit rotem Stoff, Spiegeln oder Projektionsoberfläche den Zuschauern zugewandt. Die Automatisierung verlässt somit die Bildebene und wird in den beschriebenen Wandlungen und begleitenden räumlichen Klangwelten zum E ­ rlebnis. Die Spiegelungen der Bilder in die Unendlichkeit unterstreichen dabei die Skalierbarkeit der Technologielösungen. Die Wandelbarkeit des Raumes ­

Abb. 2.7.3a/b/c: Die Auftaktshow im Siemens Exiderdome. Oben (a): Periakten im Schnitt mit den drei Funktionsseiten, Mitte (b): Grundriss mit Anordnung der Periakten im Raum und unten (c): Raumschnitt mit Anordnung der Projektion. Skizzen: Berlin, 2004 (Luxoom Medienprojekte).

Abb. 2.7.4a/b: Die Auftaktshow im Siemens Exiderdome. Oben (a): Industrieautomatisierung spiegelt sich in die Raumtiefe. Unten (b): Lokalisierung in Shanghai. Shanghai, 2005 (Luxoom Medienprojekte).

Die Instrumente der Mediatektur – Mediatekturinszenierung – die Instrumente als Einheit

illustriert bzw. „beweist“ die Möglichkeiten der Automation, wie sie im Film dargestellt werden. Entstanden ist ein sich wandelnder Raum, dessen inszenatorische Verwandlung das Kernthema „Perfekte Automatisierung“ verkörpert. •• Erlebnisthema 3: Relevanz im Alltag Die Show etabliert Bilder von Alltagshandlungen des angesprochenen Publikums: Getränke in einem Café, Fahrten mit dem Auto, Reisen mit dem Flugzeug, ein Abend in der Oper usw. – viele Aspekte eines modernen Lebens werden hier berührt und in Bild- und Tonebene um die Besucher herum angeordnet. Wenn die ersten Automatisierungsbilder erscheinen, knüpfen diese an die Alltagsbilder an, erkunden, woher die verschiedenen Gegenstände des Alltags stammen, und finden auf diesem Weg zu den Automatisierungslösungen von Siemens: das Fräsen eines Geigenhalses, die Produktion einer Flugzeugturbine, das Pressen und Verpacken von Orangensaft sind automatisierte Prozesse in Fertigungshallen unterschiedlichster Unternehmen, die mit Technologie von Siemens ausgestattet sind (siehe Abb. 2.7.4a). Alles ordnet sich zu einer zentralen Aussage: „Behind everything in life there is a bit of Siemens.“ Über die Verknüpfung mit dem Alltag der Besucher entsteht eine Relevanz, die über das professionelle Interesse an Automatisierung hinausgeht. Der Einfluss von Siemens als Enabler eines modernen Alltags wird deutlich. Die Show erlangt somit nicht nur unmittelbar für Fachbesucher Relevanz, Regierungsvertreter und Journalisten werden genauso angesprochen. •• Erlebnisthema 4: Global und lokal Städte, Länder, Kontinente – der in der Show dargestellte Alltag und die damit verbundenen Lösungen sind zunächst einmal global. Bilder aus der ganzen Welt stürmen auf die Besucher ein. Dann erfolgt ein Wendepunkt – markiert durch einen lauten Gong, es wird dunkel. Aus der Dunkelheit geht die Sonne auf, nicht irgendwo auf der Welt, sondern genau in einem Panorama der Stadt, in der sich der Exiderdome gerade befindet. Bilder aus dem Alltag genau dieser Stadt (siehe Abb. 2.7.4b) und dieses Landes folgen und bilden eine Klammer rund um die gezeigten Automatisierungslösungen. Am Ende der Show, wenn es in der Erzählung wieder Abend wird, drehen sich alle Periakten der Wände auf ihre Spiegelseite. Die Besucher stehen aufeinmal im Zentrum der Spiegelung und damit der Erzählung, die auf sie selbst hinausläuft, auf ihr Hier und Jetzt. Auch in diesem thematischen Aspekt spielt die Show mit der Erwartungs­ haltung der Zuschauer, zeigt sie doch erst den globalen, mächtigen Konzern Siemens. Ist dieser etabliert, bricht die Inszenierung das Bild, indem sie auf einmal den Fokus auf die Zuschauer und ihr Erlebensumfeld verschiebt. Dieser Respekt vor dem Lokalen erreicht eine hohe Relevanz beim Besucher, indem

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Andrea Rostásy, Tobias Sievers – Handbuch Mediatektur

dieser nun einen lokalen Partner mit globaler Reichweite sieht. Wenn dann am Ende der Show jeder Zuschauer selber in den Mittelpunkt rückt, wird das Erlebnis hin zum Dialog geöffnet und die notwendige Abstraktheit der Inhalte auf den Moment, den Ort und die anwesenden Besucher hin konkretisiert. Reales und Virtuelles spielen in dieser Inszenierung ganz eng zusammen, um ein hohes Maß an konzeptioneller Geschlossenheit zu erreichen. Der Exiderdome zeigt damit exemplarisch die Integration der verschiedenen Instrumente der Mediatektur in eine Gesamtinszenierung, in eine Art „Erlebnismaschinerie“, die verschiedene abstrakte Themen nicht ausschließlich auf der intellektuellen Ebene präsentiert, sondern es schafft, diese unmittelbar, effizient und elegant in den Raum zu tragen. Unmittelbar sind die sich bewegenden Periakten als Abbild der perfekten Automatisierung, aber auch das Erleben der Erwartungsbrüche in der Narration und die großen, panoramaartigen Bilder des eigenen Lebensumfeldes, die dann in die unmittelbaren Spiegelungen des Zuschauers selbst übergehen, den Zuschauer selbst in den Mittelpunkt stellen. Effizient und elegant wiederum ist die Auflösung der Wandelbarkeit, das Spiel mit den drei Seiten der Periakten, die immer neue Bühnen für die Narration und Darstellung eröffnen, die in ihrer Form nicht nur Leinwand, sondern auch Aussage sind.

Technische Parameter der Inszenierung Steuerung von komplexen synchronen und asynchronen Mediatekturen Jedes der Kapitel zu den einzelnen Instrumenten vermittelt in seinen Ausführungen zu technischen Parametern bereits eine Idee, wie Abläufe in den einzelnen Instrumenten gestaltet und gesteuert werden können. Für die Mediatektur­inszenierung steht man vor der Herausforderung, diese Systeme effizient und zuverlässig zu integrieren und dabei möglichst komfortabel steuerbar zu machen – sei es in einem manuellen, einem sensor- oder zeitlich gesteuerten Betrieb. Bei der Vielzahl der angebotenen und möglichen Systeme und Ansätze der technischen Integration muss man im Einzelfall und pro Projekt prüfen, was jeweils benötigt wird und wie eine Mediatektur effizient umgesetzt werden kann.

Logik und Timeline Sind die Steuerlogiken, also die Regelung, was unter welchen Bedingungen passieren soll, unkompliziert, hat man vielfältige Möglichkeiten, die verschiedenen instrumentebezogenen Systeme einfach logisch zu verknüpfen – dafür

Die Instrumente der Mediatektur – Mediatekturinszenierung – die Instrumente als Einheit

reicht heute bereits ein Arduino-Board1, das mit seiner Programmierung und seinen Komponenten verschiedene Systeme steuern kann. Sollen aber viele und ­komplexe Abläufe mit einer hohen zeitlichen Präzision bzw. Synchronität erfolgen – beispielsweise Bildmedien, Klangsamples und echtzeitgenerierte Grafiken exakt verbunden werden –, dann braucht man Systeme, die neben der Bedingungs­ verknüpfung der Events2 untereinander über eine zuverlässige zeitbasierte ­Steuerung (sogenannte Timelines) verfügen. Alle Events werden dann auf einer solchen Timeline angeordnet und nicht mehr nur nach einer Wenn-dann-Logik geregelt. Weist man der Timeline eine höhere Priorität in der Steuerhierarchie als der Logik der Abhängigkeiten zu, kann man damit sicherstellen, dass die ganze Inszenierung die Synchronität nicht verlässt, selbst wenn ein einzelnes Event einmal mehr (oder deutlich weniger) Zeit braucht. Kann beispielsweise eine Echtzeitgrafik einmal nicht in Echtzeit erstellt werden, wird durch die Steuerung über die Timeline verhindert, dass alle nachfolgenden Elemente aus der Synchronität laufen und dann ebenfalls „zu spät“ kommen.

Ansätze der Systemintegration Die zeitliche Synchronisierung wurde früher meist über einen zentralen Timecode geschaffen, der an alle Systeme verteilt wurde und auf den die Events ­eingestellt wurden. Mittlerweile sind die Steuerungen integrierter, ein System agiert dann als Master und zieht alle anderen Systeme als sogenannte Slaves hinter sich her. Das Mastersystem orientiert sich dabei in der Regel an der Komponente, die am meisten leisten muss und somit den höchsten Aufwand an S­ ynchronisierung zu bewältigen hat – und damit fast immer am Bildmediensystem. Bildmedien, die mit einem hohen Datenaufkommen verbunden sind, erfordern nicht nur eine passive Synchronisierung – gleichzeitiges Einstarten –, sondern auch eine aktive, framebasierte Abstimmung. So setzen sich einerseits komplexe Echtzeitgrafik­ systeme mit Timelines wie beispielsweise Ventuz oder Medienabspielsysteme wie Datatons Watchout sowie Hybridsysteme wie Pandora’s Box als zentrale Steuerungen durch, andererseits abgesetzte Steuerungssysteme, die Geräte synchronisieren, selber aber keine Mediendaten etc. abspielen. Im Falle des Siemens Exiderdomes wurde ein solches abgesetztes Steuerungssystem verwendet: Das in Abbildung 2.7.5 gezeigte Steuerschaltbild lässt deutlich werden, wie komplex die zu integrierende Technik in diesem Fall ist – via WLAN werden die Shows auf der Control Machine getriggert, die dann wiederum Licht, Bild, Ton, Leinwände und Periakten steuert. 1 Programmierbares Microprozessorboard mit optionalen Shields, die Funktionen hinzu­ fügen. Vgl. dazu www.arduino.cc (Zugriff 10.7.2018). 2 Events sind hier die Ereignisse in einer Timeline, zum Beispiel Start oder Blenden einer Videosequenz, Start oder Ende eines Klangelements oder Beginn bzw. Ende einer bestimmten Lichteinstellung.

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Abb. 2.7.5: Die Auftaktshow im Siemens Exiderdome. Technikplanung: Berlin, 2004 (Luxoom Medienprojekte).

Abb. 2.7.6a/b: EXPO 2017 Astana Mobile Plattform: Themeninszenierung. Oben (a): Technikplanung der Show. Unten (b): Blick in die Raumsituation mit drei Bildschirmen und Lichtleisten. Europaweit, 2017 (Exponential Group (GU); Luxoom Medienprojekte (Show- und Mediendesign)).

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Etwas weniger aufwändig, aber nicht minder zuverlässig sind dezidierte, hardwarebasierte Abspielsysteme, wie sie beispielsweise von Brightsign angeboten werden. Anstatt des industriellen Windows-PCs mit spezialisierter Software und in den Rechner eingebauter Schnittstellenkarte werden hier sämtliche Funktionen von einer kleinen Hardwarebox übernommen, die in einem begrenzten Rahmen programmierbar ist3 und in den meisten Fällen eine deutlich preiswertere Systemarchitektur zulässt. Dieser Ansatz hat zwar weniger Flexibilität und Möglichkeiten, bringt dafür aber in aller Regel eine hohe Systemstabilität – was man zu schätzen lernt, wenn komplexere Systeme nicht rund laufen, weil sie mit Windows-Updates oder Anti-Viren-Software zu kämpfen haben. Abbildung 2.7.6a zeigt eine solche Integration mit drei synchronisierten Brightsigngeräten, die über eine Tastatur (Keypad) angesteuert werden und die neben dreifachem UHD-Bild und 5.1-Ton auch noch eine Lichtinstallation steuern, wie in Abbildung 2.7.6b erkennbar wird. Die genannten Systeme sind nicht nur für die recht lineare Welt der synchronen Mediatektur anwendbar. Die meisten von ihnen verfügen mittlerweile über Schnittstellen, mit denen man Interaktion einbinden kann, und sind somit für asynchrone Mediatektur einsetzbar. Dabei können diese Systeme sowohl logisch steuern als auch komplexe Inhalte synchron abspielen. Darüber hinaus gibt es Aspekte wie Laufzeiten oder Führungen, die auch bei asynchroner Mediatekur eine zentrale Steuerung nötig werden lassen. Beispielsweise schaltet sich eine Anzahl an sich autonomer Stationen morgens zur Öffnung eines Hauses ein und abends nach Schließung wieder aus, um Geräte zu schonen und Energie zu sparen. Für Gruppenführungen kann es zudem sehr komfortabel sein, Lautstärken und im Loop laufende Inhalte wie Filme zentral etwa mittels eines Mobilgeräts steuern zu können. Hier kommt in der Regel ein zentraler Steuerungsserver zum Einsatz, der die Geräte und Funktionen über Netzwerk anspricht und mittels eines Webinterfaces mobilen Zugang bietet.

3 In der Regel verfügt so eine Box über programmierbare In- und Outports, die es einfach machen, beispielsweise Schalter für das Auslösen von Shows anzubinden oder – über WLAN und Steuersoftware – Events mittels eines Tablets auszulösen.

Der Designprozess in der Mediatektur

Kapitel 3

Einleitung Der Designprozess in der Mediatektur

Die grundlegende Motivation des Designprozesses ist es, Mediatektur als kreative Übersetzung eines Themas oder einer Idee zu begreifen, welche diese reflektiert, interpretiert, vermittelt und erfahrbar macht. Ziel ist es, ein m ­ öglichst starkes Erlebnis zu schaffen, das seine Wirkung durch das bestmög­liche Zusammenspiel von Raum, Instrumenten und Besuchern entfaltet. Im Design­prozess wird daher für eine kommunikative Aufgabenstellung eine gestalterische Lösung im Sinne einer kreativen Übersetzungsidee entwickelt und zur Umsetzung gebracht. Wie kann nun der Prozess aussehen, in dem die richtige Übersetzungsidee gefunden, konkretisiert und zur Realisierung gebracht wird? Der Prozess verläuft idealtypisch ausgehend von einem Briefing und der gründlichen Analyse desselben über die Ideenfindung zur Konzept- und Entwurfs­ entwicklung bis hin zur Präsentation und mündet schließlich in einer Planung, die sich möglichst reibungslos in eine Umsetzung überführen lässt. Am Ende des Designprozesses soll ein Mediatekturerlebnis stehen, das sowohl die Auftrag­ geber begeistert als auch den eigenen Ansprüchen an Gestaltung und Kreativität Rechnung trägt – und sich im technischen, zeitlichen und budgetären Rahmen verwirklichen lässt.

Ausgangspunkt – Designprozess des British Design Councils Der British Design Council1 hat ein Modell zur Veranschaulichung des Design­ prozesses entwickelt, das sogenannte Double-Diamond-Modell. Eigentlich wurde es für Industrie- und Produktdesigner geschaffen, was sich im vorgestellten, spezifischen Ablauf des Modells niederschlägt. Mit diesem Modell lassen sich – nach 1 Gemeinnützige britische Organisation, die sich mit der Verbesserung von Lebens­ bedingungen durch Design befasst, vgl. www.designcouncil.org.uk (Zugriff 10.7.2018).

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Abb. 3.1.1: Double-Diamond-Modell des British Design Councils für den Designprozess.

entsprechenden Modifizierungen – jedoch auch die Anforderungen und Abläufe von Mediatekturprojekten erläutern. Das Double-Diamond-Modell des British Design Councils unterteilt den Design­ prozess in vier Phasen. Diese umfassen zwei von divergentem (Discover, Develop) und zwei von konvergentem Denken (Define, Deliver) geprägte Abschnitte. Als divergent werden solche Abschnitte bezeichnet, in denen man möglichst viele Ansätze, Ideen und Optionen für die kreative Übersetzung und damit Gestaltung generiert, während konvergente Abschnitte dazu dienen, diese Vielzahl an M ­ öglichkeiten auf eine oder zwei realisierbare Ideen zu reduzieren, diese auszuarbeiten und somit zu einer konkreten Lösung zu gelangen. Im Einzelnen beinhalten die vier Abschnitte das Folgende: •• Discover: Phase des Entdeckens Der hier veranschaulichte Designprozess startet mit einem Problem, das eine Aufgabe, eine Fragestellung oder eine Hypothese sein kann. Die Phase des Entdeckens dient dazu, mit verschiedenen Recherchen und kreativen Methoden möglichst viele Ideen und möglichst vielfältige Zugangsweisen zu dem ­Problem zu finden, um es zum einen besser zu verstehen und zum anderen schon mögliche Richtungen für seine Lösung zu identifizieren. Dass es hier also um Quantität und Breite in der Ideenfindung geht, wird ausgedrückt mit dem Begriff der Divergenz – im Modell öffnet sich die Form entsprechend.

Der Designprozess in der Mediatektur – Einleitung

•• Define: Phase des Definierens In der Phase des Definierens geht es darum, die Recherchen und Ideen aus der Phase des Entdeckens darzustellen und zu analysieren, um eine klare Definition des Problems zu kreieren und sich auf einen Lösungsansatz zu verständigen. Die Phase des Definierens bezeichnet man als konvergent, weil die Vielzahl der Interpretationen des Problems und der Lösungsideen auf einige wenige reduziert wird – die Form läuft im Modell entsprechend eng zusammen. Die Ergebnisse dieser Phase werden im sogenannten Kreativ­briefing2 zusammengefasst, welches das zu lösende Problem definiert und einen Lösungsansatz beschreibt, der mit dem erarbeiteten Entwurf verfolgt werden soll. Da das Kreativbriefing den Übergang zur nächsten Phase bildet, sollte an diesem Punkt also Klarheit darüber herrschen, was das zu schaffende Design leisten soll. •• Develop: Phase des Entwickelns Die Phase des Entwickelns konzentriert sich auf die Entwicklung mehrerer Design­ansätze mittels kreativen Denkens, aufbauend auf dem Kreativbriefing. Die Entwicklungsphase ist wie die Phase des Entdeckens von divergentem Denken geprägt. Die Form des Modells öffnet sich noch einmal weit, es geht darum, möglichst vielfältige Lösungsansätze zu finden. •• Deliver: Phase des Ausarbeitens In der Ausarbeitungsphase wird der am besten geeignete Lösungs- bzw. Design­ansatz ausgewählt und zu einem Konzept und Design ausgearbeitet. Entsprechend wird die Vielzahl der Ansätze mittels verschiedener Auswahl­ methoden auf einen reduziert – eine Phase konvergenten Denkens, die Form läuft wieder eng zu. Der hier veranschaulichte Designprozess kommt mit einem ausgearbeiteten Design an sein Ziel. So stringent, wie das Modell auf den ersten Blick aussieht, verlaufen die P­ rozesse in der Praxis eigentlich nie. Auch das hier vorgestellte Double-Diamond-­ Modell geht davon aus, dass während der einzelnen Phasen immer wieder Prozesse wiederholt werden, bis der nächste Abschnitt erreicht ist. Diese Wiederholungen werden als Iterationen bezeichnet.

2 In der Abb. 3.1.1 ist dieser Punkt als Brief bezeichnet. Wir nutzen in unserem alltagssprachlichen Gebrauch eher den Ausdruck Kreativbriefing. Das Kreativbriefing ist dabei nicht identisch mit dem Kundenbriefing (kurz: Briefing) wie es im folgenden Abschnitt analysiert wird, sondern fasst die für den Design- und Kreativprozess relevanten Informationen möglichst kurz und stringent zusammen.

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Iteration – Mittels Überarbeitungsschleifen ans Ziel kommen In den verschiedenen Abschnitten des vom British Design Council g­ eschaffenen Modells des Designprozesses finden sich immer wieder Iterationen, also Überarbeitungsschleifen. Gerade wenn wir uns um kreative Ideen und Lösungsansätze bemühen, können Aufgaben im Design nicht linear gelöst, das heißt nicht einfach Schritt für Schritt abgearbeitet werden. Lösungs-, Konzept- und Entwurfsansätze müssen vielmehr immer wieder unter neuen und sich verändernden Aspekten betrachtet, bewertet, optimiert oder auch verworfen werden. Innerhalb der beschriebenen vier Abschnitte und damit im ganzen Designprozess ist das wiederholte Überarbeiten und Verfeinern der Ideen, Konzept- und Entwurfs­ansätze  die zentrale Lösungsstrategie. Eine Iteration besteht, wie die folgende Abbildung verdeutlicht, im Wesent­ lichen aus drei Schritten – im Modell der British Design Council als prototype, test und refine bezeichnet. Prototype steht für die Hypothesenbildung,  also beispielsweise für eine Idee, die man formuliert, test steht für die Evaluierung derselben und refine bringt die aus der Evaluation gewonnenen Erkenntnisse als Optimierung in die Idee und Ansätze zurück. Somit entsteht eine neue Hypothesenbildung, mit der die nächste Überarbeitungsschleife beginnt.

Abb. 3.1.2: Illustration des Iterationloops: Detail aus dem Double-Diamond-Modell des ­British Design Councils.

Macht man sich diese Struktur der Überarbeitungsprozesse bewusst, so wird deutlich, dass sie eine Art internen Wettbewerb der Ideen ermöglicht. Entsprechend viele Ansätze werden in der Regel konkurrierend und vergleichend verfolgt. Dies trägt dazu bei, zu einer zufriedenstellenden Lösung zu gelangen bzw. die Qualität des Designs zu sichern. Spielen wir eine solche Iteration einmal beispielhaft an einer einfachen, ­fiktiven Aufgabenstellung aus dem Alltag durch, um die Funktion der Iteration zu

Der Designprozess in der Mediatektur – Einleitung

illustrieren: Stellen wir uns vor, wir wollen eine Platte vor einem Fenster befestigen, um dieses bei Bedarf zu verdunkeln. Als erstes könnte man überlegen, Klebeband zu verwenden. Evaluiert man diese Vorgehen – was sich durchaus als Szenario im Kopf durchführen lässt –, kommt man schnell darauf, dass das ­Klebeband die Lackierung des Fensters beschädigen und Klebereste zurückbleiben könnten –  also keine befriedigende Lösung. Damit wird deutlich, dass man eine Verbindung braucht, die eher mechanisch ist und ohne Klebstoffe auskommt – die Anforderung wird also verfeinert. Man könnte entsprechend mit Holzschrauben die Platte auf den Rahmen schrauben. Darüber ließen sich die Klebereste verhindern, man würde aber auch den Rahmen beschädigen und Holzschrauben lassen sich nicht beliebig viele Male ein- und wieder herausschrauben. Wenn man die Platte öfter abnehmen und zu anderen Zeiten wieder befestigen möchte, schließt sich auch diese Idee aus. Wir verfeinern wieder, diesmal mit dem Aspekt des möglichst einfachen und vielfachen Abnehmens und Wiederanbringens. Bei der näheren Untersuchung des Fensterrahmens stellt man fest, dass an vier Ecken Metall­winkel angebracht sind, um ihn zusammenzuhalten. Die nächste Idee ist, jeweils ein Gewinde in diese Metallwinkel zu schneiden und entsprechend die Platten mit Metallschrauben zu befestigen, die beliebig oft und ohne nennenswerten Verschleiß wieder ein- und ausgedreht werden können. Dadurch sind die Bohrlöcher im Rahmen sauber und es entsteht keine Beschädigung am Holz. Es zeigt sich, dass über drei Iterationen von Idee, Evaluierung und Verfeinern eine gute Lösung gefunden werden kann. In diesem sehr einfachen Beispiel wird bereits deutlich, wie entscheidend Szenariodenken –  sich eine Situation in ihrer Komplexität vor Augen führen zu können – für das Finden von Ideen und Lösungen ist. Natürlich sind die Aufgaben­ stellungen und damit auch die Herausforderungen in der Mediatektur deutlich komplexer, das dargestellte Prinzip der Lösungsfindung bleibt aber gleich.

Der Designprozess in Mediatekturprojekten Im Designprozess unterscheidet sich Mediatektur von Industrie- und Produkt­ design, auf denen das vorgestellte Prozessmodell des British Design Councils basiert. Anders als im Produktdesign gibt es in Mediatekturprojekten üblicherweise bereits zu Projektbeginn ein klares Briefing bzw. Ansätze eines Kreativ­ briefings. Das Briefing und seine Analyse bilden hier somit den Ausgangspunkt des Designprozesses. Entsprechend verschiebt sich die Anordnung der Diamanten: Bereits in den ersten beiden Abschnitten (Ideenfindung –  divergent geprägt, ­Konzept- und Entwurfsentwicklung – konvergent geprägt) wird der komplette Weg vom Briefing bis zum fertigen Entwurf zurückgelegt. Der zweite Diamant dient nur noch der punktuellen Überarbeitung des Konzepts, um dieses an weitere Auftraggeberwünsche anzupassen. Zudem geben wir den Designphasen andere

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Abb. 3.1.3: Designprozess in Mediatekturprojekten.

Der Designprozess in der Mediatektur – Einleitung

­ ezeichnungen, um diesen Veränderungen im Ablauf Rechnung zu tragen. Ideen­ B findung sowie Konzept- und Entwurfsentwicklung bezeichnen die beiden wichtigsten Abschnitte, während der zweite, weniger bedeutende Diamant mit der Benennung Überarbeitung anzeigt, dass er im Prinzip eine Iteration des ersten ist. Es ergibt sich das Modell wie in Abbildung 3.1.3. Ein weiterer Unterschied ist, dass Industriedesigner ihren Designprozess in der Regel mit einem Prototypen abschließen, während Mediatekturprojekte mit der Übergabe der fertigen Produktion enden und nicht selten sogar die Durchführung und Betreuung der Inbetriebnahme einer Installation oder eines Events beinhalten. Entsprechend schließt sich im Designprozess der Mediatektur ein Abschnitt Ausarbeitung und Produktion an. Im Einzelnen heißt das: •• Briefing und Analyse Der Designprozess startet mit einem möglichst vollständigen Briefing, das für die Ideenfindung in ein Kreativbriefing überführt wird. •• Ideenfindung Ideenfindung bezeichnet den ersten, divergent geprägten Abschnitt des Design­prozesses. Ziel ist das Sammeln und Entwickeln von möglichst vielfältigen Ideen und damit Konzept- und Entwurfsansätzen mittels Recherche, Inspiration und Kreativität. •• Feasibility-Check Im Feasibility-Check werden mittels definierter Kriterien Ideen und Ansätze ausgewählt, die in den konvergent geprägten Abschnitt Konzept- und Ent­ wurfs­entwicklung übernommen werden. •• Konzept- und Entwurfsentwicklung, Präsentation Ausgewählte Ideen werden in diesem konvergent geprägten Abschnitt des Designprozesses konzeptionell und gestalterisch ausgearbeitet sowie in einer Präsentation zusammengefasst. Das heißt, sie werden in eine Form gebracht, in der sie auch für Außenstehende schlüssig sind und somit eingereicht oder präsentiert werden können. •• Rebriefing3 und Überarbeitung Das vom Auftraggeber erhaltene Rebriefing ist der Ausgangspunkt für das Überarbeiten, Verfeinern und vor allem das wiederholte Prüfen auf Machbarkeit (Feasibility-Check) des Konzepts und des Entwurfs. 3 Rebriefing ist die Bezeichnung für das Feedback, das man von einem Auftraggeber auf eine Präsentation bekommt.

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Andrea Rostásy, Tobias Sievers – Handbuch Mediatektur

•• Ausarbeitung und Produktion Mit dem abgenommenen Konzept und Entwurf bzw. einer gewonnenen Wettbewerbspräsentation geht es dann in die Umsetzung. Auch hier findet sich noch mal ein divergent-konvergenter Prozessschritt –  Produktionsdetails werden kreativ erarbeitet und in Hinblick auf konzeptionelle Stimmigkeit und Machbarkeit weiterentwickelt. Einige Besonderheiten im Produktionsprozess in Mediatekturprojekten stellen wir im Kapitel zu Arbeitsstrategien, -werk­ zeugen und -erfahrungen dar. Betrachtet man diesen Ablauf, stellt sich die Frage, wie früh man in die Phase der Überarbeitung einsteigen kann, die sich im aufgezeigten Designprozessmodell zeitlich nach dem Rebriefing findet. Das muss nicht erst nach einer kompletten Präsentation erfolgen, beispielsweise als zweite Konzept- und Entwurfsrunde eines Wettbewerbs. Je früher man eine oder verschiedene Ideen mit dem Auftraggeber abstimmen kann, umso besser ist es, um eventuell unnötige Arbeit zu v­ ermeiden. Etabliert hat sich hier das Format des Schulterblicks, in dem man bereits vor der eigentlichen Präsentation bzw. Abgabe dem Auftraggeber einen Einblick in die Ideen gewährt, so dass man schon einmal Feedback erhalten kann. Meistens ist der Schulterblick eine kurze, informelle Präsentation, die zeitlich hinter dem ­Feasibility-Check und so weit vor der Präsentation liegt, dass man die Chance hat, die Richtung von Konzept und Entwurf noch einmal anzupassen.

Der Designprozess in der

Briefing und Analyse des Briefings

Ideenfindung

Konzept- und Entwurfsentwicklung

Überarbeitung

Fertigstellung

Produktions Kick-Off

Konzept / Entwurf Final

Rebriefing

Konzept- & Entwurfspräsentation

Briefing / Analyse

FeasibilityCheck

Der Designprozess in der Mediatektur

Ausarbeitung und Produktion

Die Briefinginhalte Im Idealfall steht am Anfang jedes Projekts ein vom Auftraggeber angefertigtes Dokument, mit dem alle Fragen, die für ein umfassendes Bild der Aufgabenstellung notwendig sind, beantwortet werden: das Briefing. In der Realität ist ein präzises Briefing allerdings eher eine Seltenheit. Manche Auftraggeber überschütten die Designer mit thematischen Informationen, andere formulieren eher Wünsche zur vorliegenden Aufgabe. Wieder andere nennen Referenzprojekte oder beziehen sich auf literarische Impressionen. Von anderen Auftraggebern erfährt man dagegen kaum mehr als vage Vorstellungen zu einer geplanten Kommunikationsmaßnahme. Zudem gibt es so viele verschiedene Briefingformate wie Projekte. Entsprechend sind in der Regel die Designer selber gefordert, das Sammelsurium an erhaltenen Informationen zu einem strukturierten Briefingdokument zusammenzuführen und noch fehlende Informationen abzufragen. Der vorliegende Abschnitt zeigt auf, wie man mittels Briefinganalyse erkennen kann, ob ein Briefing die erforderlichen Informationen enthält, um entsprechend

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gezielt nachzufragen und/oder Annahmen zu machen und so eine verlässliche Basis für den Designprozess zu schaffen. Begründetes Nachhaken sollte so früh wie möglich stattfinden –  erstens, um dem Auftraggeber zu vermitteln, dass man sich von Anfang an aufmerksam mit seinem Projekt auseinandersetzt, und zweitens, um Korrekturen zu vermeiden, die entstehen, wenn wichtige Informationen ­später eintreffen und dann noch Änderungen im Design erzwingen. Folgende Inhalte sollte das Briefing umfassen: 1. Zielvorstellungen und Erwartungen der Auftraggeber 2. Thema und Kernbotschaften 3. Tonalität und Look & Feel 4. Identität des Auftraggebers 5. Materialien und Infrastruktur 6. Zielgruppe(n) 7. Anlass und Kontext 8. Budget 9. Zeitpunkt und Zeitraum 10. Ort und Räumlichkeit Oft vervollständigt ein Nachfragen nicht nur die benötigten Briefinginhalte. Die aufmerksame Kommunikation am Projektanfang stärkt auch die Vertrauens­ bildung mit dem Auftraggeber und trägt auf mehreren Ebenen zum Gelingen des Projekts bei. Man erfährt in dieser Kommunikation, wie konkret die Vorstellungen auf Auftraggeberseite bereits sind – und damit auch, wie viel Spielraum in den einzelnen Briefinginhalten noch gegeben ist bzw. wie viel Kreativität erwartet wird. Letztlich geht es in dieser Phase darum, die Form der Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber zu erkunden und möglicherweise auch schon zu gestalten. Ein gutes Gespür vorausgesetzt, kann man hier zu einer Einschätzung kommen, wie groß und umfassend man denken darf oder ob man besser sehr eng am Briefing und den initialen Erwartungen des Auftraggebers bleiben sollte.

Vorabanalyse Bevor man in alle Details eines Briefings einsteigt, kann man im Rahmen einer Vorabanalyse einen Blick auf den generellen Projektrahmen und die Machbarkeit des Projekts werfen, um insbesondere die zentralen Faktoren Budget und Zeit sowie personelle und technische Ressourcen zu beurteilen. Ziel der Vorab­ analyse ist, keine Zeit mit einem Briefing zu verschwenden, das grundlegende Probleme aufweist und somit im Zweifel nicht zu einer Umsetzung innerhalb eines sinn­vollen Arbeitsprozesses führen kann. Auftraggeber mit Projektvorstellungen, die sich so nicht umsetzen lassen, trifft man überall –  besonders im komplexen

Der Designprozess in der Mediatektur – Briefing und Analyse des Briefings

Arbeitsfeld Mediatektur: Beispiele sind ein erwartetes Ergebnis, das nicht zum verfügbaren Budget passt, ein zu knapper Zeitrahmen oder eine erwartete technische Umsetzung, die so nicht mit den Gesetzen der Physik oder den Regularien des TÜVs einhergeht. Leitende Fragen der Vorabanalyse sind: –– Reicht das Budget? –– Reicht die Zeit? –– Ist das Projekt in seiner gewünschten Form technisch umsetzbar? –– Reichen die zur Verfügung stehenden eigenen personellen Ressourcen? •• Lassen in der Vorabanalyse die Faktoren Zeit und Geld generell an einer sinnvollen Durchführbarkeit zweifeln, sollte man offene Fragen dazu vor ­ Projekt­beginn klären und mittels einer groben Schätzung des Aufwands zu einer Beurteilung der Machbarkeit kommen. •• Zur Vorabanalyse gehört eine Einschätzung der eigenen vorhandenen personellen Ressourcen und der eventuell notwendigen zusätzlichen F­ achkompetenzen im Team. •• Das Ergebnis der Vorabanalyse kann auch die Ablehnung eines Projekts sein. Mangelhafte Rahmenbedingungen, nicht umsetzbare Projektvorstellungen, nicht beherrschbare Unwägbarkeiten können zu der begründeten Entscheidung führen, ein Projekt besser nicht anzufassen. Besteht ein Projekt die Vorabanalyse, wendet man sich den verschiedenen Briefing­inhalten im Detail zu:

Analyse des Briefings 1. Zielvorstellungen und Erwartungen des Auftraggebers Die Zielvorstellungen und Erwartungen des Auftraggebers sind der Schlüssel zu einem erfolgreichen Projekt. Diese werden als beschreibende Aussagen, oft auch als KPIs –  sogenannte Key-Performance-Indikatoren – formuliert. Die KPIs beschreiben messbare Aspekte der Zieldefinition, wie die Zahl der Besucher, die Anzahl der Social-Media-Postings über ein Projekt oder die Zahl der ermittelten Adressen von potenziellen Neukunden. Ziel der Analyse ist, von Anfang an klare Informationen über die Erwartungen und Zielvorstellungen des Auftraggebers zu erhalten, damit diese bearbeitet und möglichst erfüllt werden können. Wenn ein bereits erarbeitetes Konzept diese Ziele nicht trifft, ist das Projekt in aller Regel verloren oder man verbringt in der Überarbeitung viel Zeit damit, einen neuen Konzept- und Entwurfsansatz zu erarbeiten.

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Leitende Fragen zur Analyse der Zielvorstellungen und Erwartungen sind: –– Sind die Zielvorstellungen und Erwartungen im Briefing hinreichend definiert? –– Gibt es Ziele, die über die direkten kommunikativen Ziele hinausgehen, etwa die Generierung von Kontakten oder die Anbindung von Social Media? –– Müssen die Ziele mit dem Auftraggeber weiter präzisiert und abgestimmt werden? –– Gibt es Referenzprojekte, aus denen Erkenntnisse zu Zielvorstellungen und Erwartungen des Auftraggebers gewonnen werden können? –– Gibt es implizite Selbstverständlichkeiten im Detail, deren Kenntnis ­vorausgesetzt wird? –– Sind bereits Erfahrungen und Kenntnisse in Bezug auf den Auftraggeber im Team vorhanden? •• Sind Ziele und Erwartungen in Briefings unzureichend definiert, sollte man in jedem Fall genau nachfragen. Fast immer gibt es auf der Auftraggeberseite detaillierte, zum Teil auch implizite Erwartungen und Vorstellungen für das Projekt. •• Fehlende oder unscharfe Angaben im Briefing können auch bedeuten, dass ein Prozess angeregt werden muss, innerhalb dessen auf der Auftraggeberseite die Zielvorstellungen überhaupt artikuliert und präzisiert werden. •• Wenn man einen Auftraggeber schon gut kennt, ist es einfacher, die konkreten Erwartungen einzuschätzen und auch zu ermessen, ob die im Briefing formulierten Erwartungen und Ziele umfassend oder doch eher lückenhaft sind. •• Kennt man den Auftraggeber noch nicht gut, ist es sinnvoll, sich ein möglichst umfassendes Bild davon zu verschaffen, wie er mit entsprechenden Projekten umzugehen pflegt. Dafür kann man bereits durchgeführte ähnliche Projekte des Auftraggebers recherchieren und diese direkt mit ihm diskutieren: Welche Ziele wurden erreicht, welche nicht? Was war gut? Was war nicht gut? Dabei kann man sich wichtige Informationen beschaffen und es entsteht ein intensiver Dialog mit dem (potenziellen) Auftraggeber, der dazu führt, dass man einander kennenlernt und Vertrauen aufbaut. •• In jedem Arbeits- und Themenfeld gibt es einen Kanon an Zieldefinitionen und Erwartungen, die über das hinausgehen, was normalerweise in Briefings formuliert wird: Selbstverständlichkeiten im Detail, von denen der Auftraggeber ausgeht, dass man diese aus professioneller Erfahrung heraus kennen sollte. Beispiele aus der Praxis sind eine schattenfreie Beleuchtung eines neu vorgestellten Produkts, die Verwendung als umweltfreundlich zertifizierter Baumaterialien oder die Kenntnis restauratorisch-konservatorischer Richt­ linien im Umgang mit Kunstobjekten.

Der Designprozess in der Mediatektur – Briefing und Analyse des Briefings

•• Ist man bei den Zielvorstellungen und Erwartungen unsicher – beispielsweise weil man zum ersten Mal eine Mediaktektur für ein bestimmtes Museum oder eine Bühne für eine bestimmte Automarke erarbeitet, ist es meist unerlässlich, sich jemanden mit der entsprechenden Erfahrung ins Team zu holen. Eine Zusammenfassung der Aussagen zu Zielvorstellungen und Erwartungen des Auftraggebers wird in das Kreativbriefing übernommen.

2. Thema und Kernbotschaften Das Thema beschreibt die kommunikativen Inhalte, meist heruntergebrochen auf inhaltliche Kernbotschaften. Diese Kernbotschaften zeigen, welche Aspekte des Themas eine besondere Rolle spielen und in der Kommunikation daher im Vordergrund stehen sollen. Sie beschreiben damit die inszenatorisch relevanten Perspektiven auf das Thema. Leitende Fragen zur Analyse von Thema und Kernbotschaften sind: –– Sind Thema und Kernbotschaft(en) formuliert? –– Setzen Thema und Kernbotschaften einen eindeutigen Fokus, unter dem Inhalte und Design zu organisieren sind? –– Für den Fall mehrerer Kernbotschaften: Sind die genannten Kern­ botschaften untereinander konsistent bzw. lassen sie sich in einen ­erzählerischen Zusammenhang bringen? –– Für den Fall, dass keine klaren Kernbotschaften formuliert sind: Welches sind die relevanten Themenschwerpunkte, aus denen Kernbotschaften formuliert werden können? •• In der Markenkommunikation sind Thema und Kernbotschaften in der Regel im Briefing deutlich herausgestellt. Bei Projekten aus dem kulturellen und wissenschaftlichen Umfeld dagegen fehlen diese oft oder sind nicht klar formuliert. Deren Entwicklung wird dann zu einem ersten Schritt im Design­ prozess, bei dem man die Kernbotschaften aus der Themenvorgabe, aber auch aus einer Einschätzung der Zielgruppe und des Anlasses bzw. Kontexts ermittelt. •• Gibt es mehrere Kernbotschaften, sollte man diese daraufhin prüfen, ob sie alle in einem Mediatekturerlebnis verarbeitet werden können. In vielen Fällen ist hier Beschränkung von Vorteil, unabhängig davon, ob man eine komplexe Show oder eine eher kurze Interaktion plant. •• Entsprechend der Wichtigkeit von Kernbotschaften sollten diese so früh­zeitig wie möglich mit dem Auftraggeber abgestimmt bzw. ein Feedback e­ ingeholt werden. Geht die kreative Idee später von falschen Kernbotschaften und damit

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von einer falschen Grundannahme aus, führt das dazu, dass der gesamte Design­ansatz scheitert. Im Kreativbriefing dienen die Kernbotschaften so weit möglich als Abstraktion und Zusammenfassung des Themas.

3. Tonalität und Look & Feel Tonalität und Look & Feel sind Vorgaben zum emotionalen und stilistischen Ausdruck des zu kreierenden Erlebnisses –  es geht also darum, wie etwas erlebt werden soll. Tonalität bezieht sich dabei auf die emotionale Seite –  freundlich, aggressiv, stark zurückhaltend oder ausgelassen – und Look & Feel auf die stilistische Seite – weit, großzügig, warm oder kalt. Aussagen zu Tonalität und Look & Feel sind nicht notwendigerweise Voraus­ setzungen für die Vollständigkeit eines Briefings –  sie entstehen auch im Design­prozess mit der Ideenfindung und -entwicklung. Sind aber im Briefing dahingehend bereits Aussagen getroffen, haben sie einen starken Einfluss darauf, welche Ideen schließlich vom Auftraggeber als passend eingestuft werden. Aussagen zu Tonalität und Look & Feel können die Funktion haben, die ­stilistische und emotionale Ansprache innerhalb einer Kampagne oder Organisation über alle Kommunikationskanäle hinweg zu vereinheitlichen. Entsprechend

Abb. 3.2.1: Mood zu Look & Feel aus dem Range Rover Evoque Event Briefing.

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schlagen sie eine Brücke zwischen dem Thema bzw. den Kernbotschaften und der Identität des Auftraggebers (siehe folgender Punkt). Es geht darum, mit welcher emotionalen und stilistischen Aussage die Kernbotschaften dargestellt werden sollen, um zur Identität eines Produkts, einer Kampagne oder einer Gesamt­ inszenierung zu passen. Angaben zu Tonalität und Look & Feel haben häufig Beispielcharakter und sind als Mood- und Styleboards im Briefing zu finden (siehe Abb. 3.2.1). Leitende Fragen zur Analyse von Tonalität und Look & Feel sind: –– Gibt es Vorgaben zu Tonalität oder Look & Feel im Briefing oder bleibt das dem Entwurf überlassen? –– Welche Stilelemente erwartet der Auftraggeber? Welchen emotionalen Ausdruck soll das Erlebnis haben? –– Passen die Vorgaben zu den Kernbotschaften und zur Identität des Auftraggebers? •• Vorgaben zu Look & Feel sind häufig schon sehr konkret (Styleboards mit bestimmten Möbeln, Farben etc.), sollten aber eher als Richtungsvorgabe ­verstanden werden und bedürfen daher der Interpretation. •• Im Rahmen einer kreativen Idee kann der angestrebte Look & Feel in einer Weise übersetzt werden, die von den konkreten Vorgaben des Auftraggebers abweicht, diesen aber im Sinn und im Ergebnis trotzdem trifft. Werden im Briefing Aussagen zur Tonalität oder Look & Feel getroffen, sollten diese in das Kreativbriefing übernommen werden. Oft werden diese aber mit dem Stichwort „Auftraggebervorstellung“ kommentiert, um auszudrücken, dass es sich zwar um eine Vorgabe handelt, diese aber auch interpretiert werden sollte.

4. Identität des Auftraggebers Unter der Identität eines Auftraggebers versteht man eine Vielzahl von Richtlinien, wie das Unternehmen bzw. die Organisation in der Kommunikation nach innen und außen auftritt. Dies beschränkt sich nicht auf das visuelle Erscheinungsbild, sondern beinhaltet auch, wie sich ein Unternehmen verhält und welche Werte es vertritt. Diese oftmals als Corporate Identity bezeichnete Identität wird in der Regel in einem CI-Handbuch1 zusammengefasst. Dieses CI-Handbuch 1 Der Detailgrad dieser Dokumente variiert mitunter stark – von der singulären Festlegung eines Logos oder Schriftzuges als wiederkehrendes Merkmal bis hin zu dicken Büchern, in denen nicht nur die Gestaltungsvorgaben für Broschüren, Digitales, Points of Sale etc. festgehalten sind, sondern auch Werte und Richtlinien für den gesamten Unternehmensauftritt. Entsprechend variiert auch die Namensgebung des Dokuments zwischen

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– wenn vorhanden – ist eine wichtige Anlage zum Briefing, da es die grundlegenden Richtlinien für die Gestaltung und Kommunikation beinhaltet. Leitende Fragen zur Analyse der Angaben zur Identität des Auftraggebers sind: –– Gibt es ein CI-Handbuch oder ein vergleichbares Dokument und macht dieses Angaben zu mediatekturrelevanten Aspekten der Gestaltung? –– Passt die im Briefing genannte Leitidee zur CI des Auftraggebers? –– In welcher Form, Stärke und Deutlichkeit soll der Auftraggeber als ­Ab ­ ­sender des Erlebnisses erkennbar werden? Wie gestaltet sich also die intendierte Balance zwischen Auftraggeberidentität und thematischem Design im Ergebnis? Es gibt zwei Faktoren, die den Umgang mit CI-Vorgaben in der Mediatektur schwierig machen können: •• Die fehlende Deklination der Vorgaben auf mediatekturrelevante Gestaltungsbereiche: Viele Gestaltungsvorgaben in CI-Handbüchern und vergleichbaren Dokumenten beschränken sich auf die zweidimensionale Anwendung, so dass Aussagen über die Anwendung von Gestaltungselementen im Raum fehlen. Das ergibt sich aus der Natur der Sache, denn durch die dreidimensionale, instrumentenübergreifende Anwendung entsteht eine unüberschaubare Vielzahl von Möglichkeiten, die man nicht erschöpfend beschreiben und darlegen könnte. Selbstverständlich bedeutet das nicht, dass man alle Gestaltungs­vorgaben ignorieren kann. Ziel ist vielmehr, Wege zu finden, diese ­Gestaltungsvorgaben im besten Sinne zu übertragen. Wie kann man Teile der Gestaltungsvorgaben in den Raum übersetzen? Wie lässt sich also dafür sorgen, dass die Besucher einem Raum anfühlen, dass er zu einer bestimmten Identität gehört? In welchen Gestaltungselementen lässt sich die jeweilige definierte Identität des Auftraggebers präsentieren? Welche Gestaltungselemente wie Farben, Formsprache kann man beispielsweise in die Mediatektur übernehmen? •• Der zweite problematische Faktor ist ein Drang zur Originalität: Briefings tendieren dazu, eine progressive Identitätsvorstellung im Sinne von „Das wären wir gerne!“ zu verfolgen. Viele Auftraggeber würden gerne als innovativ und progressiv wahrgenommen, und entsprechend werden die existierenden Vorgaben zur CI als störendes Pflichtprogramm verstanden. Aber spätestens wenn der Entwurf am Ende nicht zur CI passt, entsteht ein Problem. Am besten funktioniert ein Entwurf, der beides schafft – das Design des Auftraggebers progressiv zu interpretieren und somit weiterzuentwickeln, während er in CI Guideline oder Corporate Design Guideline, Visual Identity Guideline oder schlicht Gestaltungsleitfaden.

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vielen Punkten den Vorgaben und Richtlinien des CI-Handbuches folgt. Jede Marke möchte am Ende wiedererkannt werden und dafür ist ein k­ onservativer, stark am existierenden Charakter der Marke gehaltener Ansatz wichtig. In das Kreativbriefing werden Aussagen zur Identität des Auftraggebers nur übernommen, wenn diese unmittelbar für das Thema und dessen Inszenierung eine Rolle spielen.

5. Materialien und Infrastruktur Je nach Projekt können Materialien in Form von Texten, Bildern, Grafiken, Video- und Audiomaterial oder Objekten in sehr unterschiedlicher Menge und Komplexität eine Rolle spielen. Darüber hinaus gibt es Infrastrukturen wie Datenbanken, CRM-Systeme2 oder Webangebote, auf die das Projekt zurückgreift. Zu unterscheiden sind Materialien und Infrastrukturen, die bereits im Rahmen des Briefings vorliegen bzw. als Grundaussagen der CI existieren, und solche, die erst im Laufe des Projekts zur Verfügung stehen bzw. beschafft, erstellt oder produziert werden müssen. Ziel der Analyse des Material- und Infrastrukturstandes ist im ersten Schritt festzustellen, ob die Infrastrukturen und Materialien, die ausschlaggebend für die Entwicklung von Konzept und Entwurf sind, vorhanden sind. Leitende Fragen zur Analyse des Material- und Infrastrukturstandes sind: –– Liegt das vorhandene Bild-, Ton-, Video- und Filmmaterial in den benötigten Formaten, Längen, Farbkorrekturen und Qualitäten vor, damit es verwendet werden kann? –– Muss neues Material produziert werden? –– Liegen benötigte 3D-Daten in der erforderlichen Feinheit und Quali­tät vor? –– Verfügt der Auftraggeber über die notwendigen Rechte zur Nutzung der Materialien oder müssen diese erworben werden? –– Gibt es genügend Angaben zu Größen, Gewicht und Umgang mit Objekten? Dürfen diese gehängt, gestellt oder in einer sonstigen besonderen Weise ver­wendet werden? –– Gibt es konservatorisch-restauratorische Vorgaben zu bestimmten Materialien? Welche sind das? Haben diese Einfluss auf die Gestaltung? –– Sind benötigte digitale Infrastrukturen bereits vorhanden? Gibt es dokumentierte Schnittstellen zwischen verschiedenen digitalen Komponenten? –– Wie sind die Zugriffsrechte auf benötigte digitale Infra­struk­turen geregelt?

2 CRM steht für Customer-Relationship-Management – Dokumentation und Verwaltung von Kundenbeziehungen.

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Die Material- und Infrastrukturplanung hat Auswirkungen auf die Projektplanung: •• Die Analyse des Material- und Infrastrukturstandes ist eine wichtige Grundlage für die Projektplanung: Ab welchem Zeitpunkt bzw. Materialstand können welche Produktionsschritte erfolgen? •• Auch für die weiteren im Verlauf hinzukommenden Materialien und Infrastrukturschnittstellen gilt: Abhängig von ihrer Verfügbarkeit werden weitere Produktionsschritte bestimmt und somit der Projektablauf mit strukturiert – das ist essenziell für die Zeitplanung des Projekts. •• Beinhaltet die Materialbeschaffung bzw. Infrastrukturerstellung die Neu­ produktion durch Dritte, ergeben sich im Projektverlauf regelmäßig Verzögerungen. Dies sollte man entsprechend einplanen. Materialien, Inhalte und Schnittstellen sollten so gut bekannt und am besten auch ausgearbeitet sein, dass man diese bereits in eine inhaltliche Struktur b ­ ringen kann und gleichzeitig einen gestalterischen Rahmen schafft, in den die im Projektverlauf hin­ zukommenden Materialien und Schnittstellen moglichst einfach eingefügt bzw. angebunden werden können. Hinsichtlich der Auswahl der Materialien ist an verschiedenen Punkten Umsicht geboten: •• Materialfülle vs. Inszenierung: In manchen Projekten ist man zu Beginn bereits mit einer großen Fülle an Materialien konfrontiert. Das ist meist in Projekten aus dem Kultur- oder Wissenschaftsbereich der Fall, wo aus Sicht wissenschaftlicher Kuratoren möglichst alle validen und wichtigen Informationen in der Ausstellung präsentiert werden sollen. Eine Herausforderung stellt hier der Umgang mit Materialien und Inhalten dar, die wissenschaftliche Genauigkeit verlangen und wo das Weglassen oder Zusammenstellen zu Verzerrungen oder Unschärfen führen kann. Eine Lösung ist, im Projektverlauf möglichst früh den inszenatorischen Charakter der Mediatektur herauszuarbeiten und somit die Projektbeteiligten auf Auftraggeberseite mit einem Inhaltskonzept zu überzeugen, das umfassende Darstellung und wissenschaftliche Genauigkeit mit Aufnahmefähigkeit und Bedürfnissen der Besucher ausbalanciert. •• Verfügbare Qualität und Rechte: Wenn spezifische Bild-, Film-, Video-, oder Audiomaterialien gefordert werden, ist es wichtig, frühzeitig festzustellen, ob diese in den benötigten Auflösungen bzw. in ausreichender Qualität verfügbar sind und ob der Auftraggeber über die nötigen Rechte verfügt oder diese im vorhandenen budgetären Rahmen überhaupt erwerben kann. Man träumt auf Auftraggeberseite gerne einmal von der Verwendung von Material bedeutender Sportevents wie Fußballweltmeisterschaften oder Formel-1-Rennen, was

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aber in aller Regel an den Verhandlungen der Verwendungsrechte und den nötigen Budgets für den Erwerb der Rechte scheitert. •• Verfügbare Formate: Soll bestehendes Video- und Filmmaterial in der räumlichen Anwendung zweitverwertet werden, ist zu beachten, dass Material, das in TV-Spots eingesetzt wird, andere Anforderungen etwa hinsichtlich der Cliplängen erfüllen muss als Material, das in ­Mediatektur ­eingesetzt wird.3 Entsprechend wichtig ist hier der Zugriff auf das Roh­material, um Sequenzen in voller Länge verwenden und im Projektkontext entsprechend den Anforderungen nach farbkorrigieren zu können. •• Konservatorisch-restauratorische Vorgaben: Viele Materialien und Objekte unterliegen konservatorisch-restauratorischen Auflagen zu Licht, Klima, Staub sowie Schutz vor Vandalismus. In der Analyse der Auflagen ist abzufragen, welche dies genau sind, damit sie im Projektverlauf berücksichtigt werden können. Materialien und Objekte aus Museumssammlungen dürfen je nach Material zum Beispiel nur begrenzten Mengen Licht ausgesetzt und dann nicht während der gesamten Dauer einer Ausstellung oder nur in einer abgedunkelten Umgebung gezeigt werden. Andere Objekte mit besonderem Wert müssen versichert werden und unterliegen damit zudem versicherungsseitig Auflagen, wie sie eingesetzt werden dürfen. In das Kreativbriefing werden keine Material- oder Infrastrukturdetails übernommen, es kann aber angemerkt werden, dass beispielsweise Film- oder Bildmaterial existiert. Film-, Bild- oder anderes sensuelles Material kann zudem eine Grundlage in der Recherche für die Ideenfindung bilden.

6. Zielgruppe(n) Für wen soll ein Erlebnis geschaffen werden? Die Zielgruppe ist im Design­ prozess von der Ideenfindung bis zur Konzept- und Entwurfsentwicklung richtungs­weisend:  Auf sie wird das Erlebnis zugeschnitten. Konzept und Entwurf sollen auf ihre Interessen, Vorlieben und Kommunikationsweisen aufbauen und ihrem Erfahrungshorizont und Verständnisvermögen entsprechen. Leitende Fragen zur Analyse der Angaben zur Zielgruppe sind: –– Ist die Zielgruppe im Briefing ausreichend definiert? –– Gibt es bereits Angaben zu Bedürfnissen, Interessen und Motivationen der Zielgruppe? –– Ist es eine Fach- oder Laienzielgruppe mit klarem beruflichen oder ­persönlichen Interesse? 3 Vgl. Kapitel Bildmedien, Abschnitt Besonderheiten von großen Bildflächen, S. 185.

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•• Die im Briefing enthaltenen Angaben zur Zielgruppe sollten Rückschlüsse darauf erlauben, welche Inhalte und welche Erlebnisformen für die genannte Zielgruppe relevant sein könnten – welche Themen, Erlebnisse und Tätig­keiten etc. sie interessieren. •• Auf der Basis des Briefings kann bei Bedarf eine Differenzierung der Z­ ielgruppe mit ihren Bedürfnissen, Interessen und Motivationen4 vorgenommen werden. Zu bedenken ist: Eine Fachzielgruppe hat auch persönliche Motivationen, ein Fachbesucher ist immer auch ein Mensch, der gerne etwas erleben möchte. •• Die Zielgruppe wird in kulturellen Bildungs- und Vermittlungskontexten bereits auf der Ebene der Institution definiert und beispielsweise nach Altersgruppen wie Erwachsene, Jugendliche, Kinder sowie nach besonderen Bedürfnissen (etwa die Anforderung der Inklusion) unterschieden. •• Zielgruppen sind in der Regel sehr heterogen – und sie setzen sich nicht nur aus den Teilnehmern bzw. Besuchern zusammen. Sekundäre Zielgruppen wie Medienvertreter, Interessengruppen, aber auch Mit­arbeitende des Auftrag­ gebers sollten genauso berücksichtigt werden, auch wenn sie nicht immer explizit in einem Briefing benannt werden. •• In den meisten Projekten ist „der Auftraggeber“ eine Abteilung, die das Projekt von Auftraggeberseite betreut und die sich dann natürlich auch fragen muss, wie die Führungsebene, also die eigenen Vorgesetzten, die zum Anlass anwesend sind, das Projekt erleben. In manchen Fällen reicht es dann nicht, nur die eigentlich angestrebte Zielgruppe zu begeistern, sondern man muss gesondert auf die Erwartungen und Ansprüche der Chefetage eingehen. Dabei ist es gut, im Hinterkopf zu behalten, dass dieselbe Führungsebene oft auch über die Karrieren der Manager entscheidet, mit denen man im ­Projekt als Auftraggeber zusammenarbeitet. Entsprechend sind diese in vielen ­Entscheidungen sogar noch wichtiger als die eigentliche Primärzielgruppe –  was durchaus zu Diskrepanzen bzw. Konflikten in der Zielsetzung führen kann. Für das Kreativbriefing werden die wichtigsten Angaben zur Zielgruppe zusammengefasst.

4 Ein Tool zur Analyse der Zielgruppe ist beispielsweise die Entwicklung von Szenarien mit Personas. Vgl. dazu u. a. A. Cooper: The Inmates Are Running the Asylum: Why High-Tech Products Drive Us Crazy and How to Restore the Sanity, S. 123 ff.

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7. Anlass und Kontext Aus welchem Anlass und in welchem Kontext findet sich die Zielgruppe zu dem geplanten Erlebnis ein? Aus den Antworten auf diese Fragen lässt sich für die Zielgruppe eine spezifische Erwartungshaltung und Prädisposition ermitteln: Haben die Besucher bereits einen langen, ermüdenden Tag eines Fachkongresses hinter sich? Erwarten sie überhaupt, sich mit einem solchen Erlebnis auseinanderzusetzen? Sind sie in der Stimmung für ein solches Erlebnis? Sind sie vielleicht sogar extra für dieses Erlebnis angereist und haben so eine besonders hohe Erwartung daran? Anlass und Kontext sind grundlegende Parameter bei der Entwicklung einer passenden Inszenierung und helfen dabei zu definieren, wie die Zielgruppe abgeholt werden kann – also wie man sie gezielt in eine Auseinandersetzung mit dem Mediatekturerlebnis bringt. Leitende Fragen zur Analyse von Anlass und Kontext sind: –– In welchen größeren Gesamtzusammenhang sind Anlass und Kontext eingebettet? Welche Erwartungshaltung entsteht daraus bei der Zielgruppe? –– In welchem näheren Kontext findet das Projekt statt? Welchen thematischen Einstieg gibt es eventuell schon vor dem Erlebnis? Was kann ­vorausgesetzt werden? –– Woher kommen die Besucher, was findet unmittelbar davor statt? Mit welchem Mindset kommen die Besucher entsprechend an? –– Was findet danach statt? Mit welchem Mindset sollen die Besucher das Erlebnis verlassen? •• Die Angaben im Briefing sollten erlauben, sich ein klares Bild davon zu machen, mit welchem Mindset, welchen Erwartungen und Vorwissen Besucher ankommen. Gerade im Kontext größerer Veranstaltungen ist das Wissen essenziell, um diese richtig abholen zu können und ein passendes Erlebnis zu bieten. •• Ist dies nicht klar definiert und lässt es sich auch mit dem Auftraggeber nicht zufriedenstellend klären, kann das Erstellen verschiedener möglicher ­Szenarien helfen abzuschätzen, wo Ansatzpunkte für ein Abholen der Zielgruppe liegen könnten. Anlass und Kontext sind wichtig für das Kreativbriefing –  diese sollten für die Phase der Ideenfindung verständlich und nachvollziehbar zusammengefasst werden.

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8. Budget In einer ersten Vorabanalyse wurde ein eventuell genanntes Budget kurz betrachtet und eingeschätzt, ob die Budgetvorstellung des Auftraggebers nicht komplett den professionellen Erfahrungen bezüglich der Kosten eines entsprechenden Projekts widerspricht. Im zweiten Schritt geht es darum, Budget und Leistungsumfang im Detail zu betrachten. Dabei ist es essenziell zu verstehen, auf welche Leistungen sich ein genanntes Budget bezieht und welche Abzüge es im Zweifel enthält. Leitende Fragen zur Analyse der Angaben zum Budget sind: –– Ist ein Budget genannt oder muss ein Angebot frei erstellt werden? –– Welcher Leistungsumfang ist im Briefing gefordert? Welche Deliverables5 erwartet der Auftraggeber? –– Sind bei genannten Budgets Abzüge wie Umsatzsteuer enthalten? •• Ein Budget, das beispielsweise für eine Konzeption großzügig erscheint, kann zu einem Verlustgeschäft werden, wenn es auch Feinplanung, Erstellung von Leistungsverzeichnissen und Ausschreibungsmanagement enthält. Es lohnt sich hier, im Rahmen der Briefinganalyse eine Grobkalkulation zu erstellen, die nicht nur Budgets für Leistungen annimmt, sondern auch prüft, ob alle benötigten Budgetposten erfasst sind. Ist dies nicht der Fall, hilft hier die frühzeitige Klärung mit dem Auftraggeber, Planungssicherheit in das Projekt zu bringen. •• Liegt von Auftraggeberseite keine Budgetvorstellung vor, ist es wichtig, selbst zu einer zumindest groben Vorstellung zu kommen, die auf der Grundlage von vergleichbaren Projekten entstehen kann. Legt man diese Zahl früh im Projekt auf den Tisch, kann dies helfen, unterschiedliche Vorstellungen zwischen Auftraggeber und -nehmer offenzulegen und dadurch Arbeit in die falsche Richtung zu vermeiden. •• Befindet man sich in einer Ausschreibung, darf der potenzielle Auftrag­geber meist kein Budget nennen, um die Verhandlungsposition der Einkaufs­ abteilung nicht zu schwächen. In dem Fall helfen nur Erfahrung bzw. ­Hintergrundgespräche mit anderen Designern, die eventuell schon ähnliche Projekte, vielleicht sogar für denselben Auftraggeber umgesetzt haben. Natürlich wird man hier keine eindeutige Aussage erlangen, aber man kann sich vielleicht einen sinnvollen Richtwert erarbeiten. Das Budget spielt im Kreativbriefing keine Rolle. Nur wenn es ungewöhnlich ­ iedrig oder hoch ist, sollte dies Erwähnung finden. n 5 Vgl. S. 395.

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9. Zeitpunkt und Zeitraum Wer einige Erfahrung hat, kann bereits in der Vorabanalyse erkennen, ob das Projekt in dem anvisierten Zeitraum für die Verwirklichung, wie er sich aus dem Abgabedatum errechnet, überhaupt machbar ist. In der weiteren Analyse sollte man nun auch eine Einschätzung einbeziehen, wie viel Vorlauf das Projekt ­brauchen wird. Ist das Projekt nach der Analyse der zur Verfügung stehenden Projektlaufzeit noch im zeitlichen Rahmen, kann man es – was die Zeitplanung betrifft – mit ruhigem Gewissen annehmen und sich den Angaben zu Datum und Laufzeit zuwenden. Selbst bei fehlender Erfahrung kann man mit den richtigen Fragen zu den entscheidenden Antworten kommen: Leitende Fragen zur Analyse der Angaben zu Zeitpunkt und Zeitraum sind: –– Wie lange dauert der Ausschreibungsprozess? –– Wie lange braucht der Auftraggeber anschließend, um eine Bestellung auszulösen?6 –– Gibt es im Projekt besondere Termine, die zu beachten sind? Dazu ­zählen neben eigenen und projektinternen Terminen auch besondere Zeiten des jeweiligen Jahreskreises, die beispielsweise Lieferzeiten beeinträchtigen können, wie etwa Karneval, Weihnachten oder das chinesische Neujahrsfest. –– Wie lange soll das Projekt laufen? –– In Bezug auf die angestrebte Tageszeit der Veranstaltung: Ist es, falls ­notwendig, auch dunkel genug im Raum oder unter freiem Himmel? •• Die Komplexität der Abstimmung mit dem jeweiligen Auftraggeber spielt eine Rolle für die gesamte Zeitplanung. Faktoren dafür sind unter anderem wie viele Abstimmungs- oder Korrekturzyklen man erwartet bzw. vereinbart. •• Erfahrungsgemäß ist es sinnvoll, in der Projektplanung die Abgabe mindestens eine Woche vor dem eigentlichen Abgabetermin bzw. dem Veranstaltungs­ auftakt anzunehmen und sich somit einen adäquaten Zeitpuffer zu schaffen. •• Bei der Projektdurchführung selbst können dazu Datum und Uhrzeit eine besondere Rolle spielen. Bei Mediatekturprojekten, die unter freiem Himmel stattfinden sollen, ist es wichtig, die maximale Umgebungshelligkeit zu ermitteln und somit festzustellen, welche Art von Medien, Licht etc. man einsetzen 6 Bei dem Zeitraum, bis eine Bestellung vorliegt, handelt es sich um eine Problematik, die meist bei einem ersten Auftrag mit einem Großkunden auftritt. Die Auftragnehmer­ stammdaten müssen angelegt werden, die Einkaufsabteilung muss die Bestellung ausfertigen, verschiedene Unternehmensfunktionen müssen unterzeichnen.  Ein Prozess, der durchaus Wochen, wenn nicht sogar Monate in Anspruch nehmen kann und einen Projektzeitplan schnell durcheinanderbringt – zumal es in den meisten Situationen untersagt ist, das Projekt zu bearbeiten, bevor man als Auftragnehmer eine valide Bestellung auf dem Tisch liegen hat.

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kann, bzw. ob ein entsprechendes Projekt ohne eine Eliminierung des Umgebungslichtes überhaupt möglich ist. •• Die Lauflänge eines Projekts ist wichtig, um kalkulieren zu können, wie hochwertig gebaut werden muss, ob temporäre Strukturen genügen und ob benötigte Hardware besser gemietet oder gekauft wird. Bei besonders langen Projektzeiträumen sollte man auch das Ersetzen von Verschleißmaterialien bzw. eine Auf­frischung der Installation im Budget planen. Gegebenenfalls sollte im Kreativbriefing die Notwendigkeit des Umgangs mit Tageslicht einen Vermerk finden.

10. Ort und Räumlichkeit Die Räumlichkeit kann weitreichenden Einfluss auf die Kreation haben, da das Design und die Architektur der Räumlichkeit in ein Zusammenspiel mit der M ­ ediatektur kommt. In Bezug auf Ort und Räumlichkeit ist dabei eine grundlegende Unterscheidung, ob es sich bei dem geplanten Projekt um eine ­Fest­installation oder temporäre Installationen an einem Ort oder um eine Roadshow oder temporäre Installation an wechselnden Orten handelt. Hier ergeben sich zusätzlich besondere Restriktionen hinsichtlich Transportierbarkeit und Aufbzw. Abbaudauer, die das Projekt limitieren. Leitende Fragen zur Analyse der Angaben zu Ort und Räumlichkeit sind: –– Soll das Projekt in einer gegebenen Architektur stattfinden? –– Ist das geplante Projekt eine Festinstallation oder temporäre Installation? –– Soll das Projekt an wechselnden Orten präsentiert werden? –– Wie groß ist der zur Verfügung stehende Raum? Welche technische ­Infrastruktur weist er auf? Wie ist die Zuwegung? –– Gibt es Betriebsvorschriften für die Räumlichkeit wie Brandschutz- und Fluchtwegbestimmungen, die zu beachten sind? •• Während Galerieräume oder Veranstaltungshallen meist kein charakteris­ tisches eigenes Design haben, übt gerade in Hotelballsälen, alten Museumsbauten oder architek­tonisch aufwändig ausgestatteten Räumen das Umfeld immer einen Einfluss auf die Wahrnehmung der Mediatektur im Kontext aus. Neben der Gestaltung und der grundlegenden Vermaßung gibt es noch eine Reihe weiterer Faktoren, die in der Analyse einer Räumlichkeit eine Rolle spielen: •• Umgebungslicht: Da Mediatektur oft mit Licht und Projektion arbeitet bzw. die Wahrnehmung von Mediatektur stark vom Umgebungslicht beeinflusst

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wird, muss für die weitere Arbeit unbedingt die dortige Lichtsituation geklärt werden, und zwar insbesondere der Einfall von Tageslicht. Eine erste Einschätzung der anzutreffenden Lichtmenge –  in Abhängigkeit von der Uhrzeit der Veranstaltung zusammen mit der Beschaffenheit der Räumlichkeit – hat großen Einfluss auf die kreativen Optionen. Zugänglichkeit: Oft sind Ideen schon daran gescheitert, dass ein Ausstellungsobjekt nicht durch die gegebenen Eingänge passt. Gerade im Kontext von Autovorstellungen in Hotels passiert es immer wieder, dass ein Wagen nicht an einer geplanten Stelle gezeigt werden kann, da ein paar Zentimeter ­Türbreite fehlen oder der Boden das Gewicht nicht trägt. Technische Bestückbarkeit: Mediatektur braucht in der Regel Hängepunkte an Decken oder Wänden, um schwere Elemente abzuhängen. In Messehallen ist dies meist gegeben, in fast allen anderen Räumlichkeiten kann dies aber zum Problem werden. Entsprechend muss dann geklärt werden, ob man gegebenenfalls den Anforderungen auch mit Gerüstkonstruktionen gerecht werden kann. Tragende Konstruktionsteile: Säulen sind meistens da, wo man sie nicht braucht. Entsprechend ist es gut, etwaige konstruktive Details der Räumlichkeit von Anfang an in die Planung einzubeziehen. Brandschutzbestimmungen und Fluchtwege: Für zahlreiche Räume gelten Brandschutzbestimmungen, die über die eines jeweiligen Landes hinaus­ gehen. Beispielsweise kommt es vor, dass optische Hilfsmittel wie Nebel­ maschinen nicht eingesetzt werden dürfen oder bestimmte Teile eines Raumes frei bleiben müssen. Hier kann man durch frühes Abfragen manche böse Überraschung vermeiden. Kooperationswilligkeit: Viele Mediatekturansätze setzen eine gewisse Flexibilität des Managements der jeweiligen Räumlichkeit voraus. Hier ist es gut zu wissen, ob man im Zweifelsfall mit diesem verhandeln kann oder ob man sich ganz strikt an alle Vorgaben halten muss. Hier sei darauf hingewiesen, dass man, wenn man die Vorgaben einer Räumlichkeit überschreitet, immer eine schriftliche Bestätigung des Managements vorliegen haben sollte. Location Scouting: Nicht immer legt ein Briefing eine bestimmte Räumlichkeit fest, sondern häufig ist das Finden der Räumlichkeit –  das sogenannte Location Scouting – Teil der Aufgabe und die Vorstellung einer Auswahl möglicher Räumlichkeiten ein Teil des Präsentationsumfangs.

Für Roadshowprojekte, also Projekte, die beispielsweise in Trucks, Containern oder auch als mobile Ausstellungspavillons unterwegs sind, gelten darüber hinaus weitere Anforderungen. Häufig stellt Mediatektur in dem Kontext eine besondere Herausforderung dar. Folgende Punkte sind primär zu analysieren:

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•• Auf- und Abbauzeiten: Schon bei temporären Projekten spielen Auf- und Abbauzeiten eine wichtige Rolle. Bei Roadshows müssen diese in kurzen Abständen immer wieder erfolgen und stellen somit einen erheblichen wirtschaftlichen Faktor dar. Jeder Tag, an dem auf- und abgebaut wird, ist ein Tag, der der Show verloren geht. Entsprechend kann die Komplexität von Auf- und Abbau durchaus ein entscheidender Faktor in Wettbewerbspräsentationen sein. •• Zuverlässigkeit von Technik und Materialien: Roadshows stellen besondere Anforderungen an Technik und Konstruktion. Elemente müssen beispielsweise transportbedingten Erschütterungen sowie wechselnden Klimaverhältnissen standhalten. Materialien wie Glas und Spiegel müssen bruchsicher verarbeitet und entsprechend vibrationsarm montiert sein. Entsprechend höher ist das Budget, das man bei Roadshows einkalkulieren sollte. Im Kreativbriefing werden die wichtigsten Parameter von Ort und Räumlichkeit genannt.

Erstellung des Kreativbriefings Ist die Briefinganalyse abgeschlossen und alle offenen Fragen möglichst umfassend mit dem Auftraggeber geklärt, folgt die Erstellung des Kreativ­briefings als Ausgangsdokument für die Ideenfindungsphase. Das Kreativbriefing ist m ­ öglichst knapp, da es für den divergent geprägten Teil des Designprozesses zwar den nötigen Input geben, aber nicht mit Komplexität und Informations­überflutung das Entwickeln von Ideen blockieren soll. Das Kreativbriefing generiert sich aus: –– einer knappen Themenübersicht mit Fokus auf Kernbotschaften und ggf. Nennung des Kunden, –– der Essenz von Zielvorstellungen und Erwartungen, –– der angestrebten Tonalität und Look & Feel, –– einer Zusammenfassung von Zielgruppe, Anlass und Kontext, –– sowie sonstigen eventuell wichtigen Informationen zu Zeit, Ort und Raum. Schlagwortartig füllt es maximal eine Seite und verfügt über etwaige visuelle Anlagen zum Thema sowie zu Look & Feel. Beispielprojekte werden im Kreativbriefing in der Regel ausgelassen, weil sie das Denken zu sehr in eine bestimmte Richtung drängen. Auch Identität, Materialien, Budget, Zeitpunkt und Zeitraum sowie Ort und Räumlichkeiten lässt es in der Regel aus. Lediglich wenn der Ort den Anlass beschreibt –  wie beispielsweise die Angabe „Messestand in Neu Delhi“ –,  kann es

Der Designprozess in der Mediatektur – Briefing und Analyse des Briefings

sinnvoll sein, dies einzubeziehen. Ein Kreativbriefing kann damit sehr kurz und knapp sein, wie Abbildung 3.2.2 zeigt:

Abb. 3.2.2: Beispiel für ein einseitiges Kreativbriefing.

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Der Designprozess in der

Ideenfindung Der Designprozess in der Mediatektur

Kreativität – Divergentes und konvergentes Denken in kreativen Prozessen Divergentes und konvergentes Denken Im Jahr 1950 hielt der amerikanische Psychologe, Persönlichkeits- und Intelligenzforscher Joy Paul Guilford vor der American Psychological Association (APA), deren Präsident er zu diesem Zeitpunkt war, einen Vortrag mit dem Titel Creativity.1 Schon der Titel des Vortrages dürfte die damaligen Zuhörer überrascht haben: War es durchaus üblich, die Schöpfungen großer Künstler, Denker oder Architekten zu bewundern, so wurde doch selten das in den Blick genommen, was sie zu ihren kreativen Leistungen und Werken befähigte. Guilford aber legte in seinem Vortrag den Grundstein zu einer wissenschaftlichen Betrachtung von Kreativität. Erstaunen rief er sicherlich bei zahlreichen seiner Zuhörer auch dadurch hervor, dass er Kreativität nicht als eine Eigenschaft besonders 1

Vgl. J. P. Guilford: Creativity. S. 444 ff.

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begabter Menschen v­erstand, sondern als etwas, das bestimmte Arbeitsweisen charakterisiert und das sich gezielt lernen und fördern lässt. Seine vor der APA entfalteten Überlegungen setzte Guilford in der Folge fort und sie führten zu der grundlegenden Unterscheidung von divergenten und konvergenten menschlichen Denkleistungen. Die von Joy Paul Guilford und später von zahlreichen weiteren Wissenschaftlern unternommenen Forschungen zur Entstehung und zur Förderung von ­Kreativität sind für die Entwicklung von Design und damit auch Mediatektur von fundamentaler Bedeutung – praktisch geht es um die Frage, wie man von einem vorhandenen Briefing zu einem konzeptionellen Ansatz für die Umsetzung findet. Die Stichworte Divergenz und Konvergenz liefern hierfür einen wichtigen ­Schlüssel. Guilford definiert divergentes Denken als Entwicklung von Ideen aus gegebenen Informationen mit dem Streben nach Vielfalt und Quantität.2 Konvergentes Denken grenzt er dagegen als ein zielgerichtetes Abarbeiten bezogen auf definierte qualitative Kriterien ab. Das wird in dem Vergleich deutlich, den er zwischen divergenter und konvergenter Denkleistung zieht: „In the former case [divergente Phase, Anm. d. Verf.], the problem itself may be loose and broad in its requirements for solutions; or the problem, if properly structured, may call for a unique solution, but the individual may have an incomplete grasp of it; or he may comprehend the problem fully, but he is unable to find the unique answer immediately, resorting to trial-and-error behavior, which means divergent production alternated with evaluation. In convergent production, the problem can be rigorously structured and is so structured, and an answer is forthcoming without much hesitation. In the former case, restrictions are few; in the latter they are many. In the former, the search is broad; in the latter it is narrow. In the former, output is in quantity; in the latter it is limited. In the former, criteria for success are vague and somewhat lax and may, indeed, stress variety and quantity; in the latter, criteria are sharper, more rigorous, and demanding.“3 Den kreativen Prozess entwirft Guilford also nicht als den kürzesten Weg von einem Punkt Null zum gelungenen Ziel oder Produkt. Vielmehr sieht er ihn als ein Geschehen, das von etwas Gegebenem – beispielsweise einem Briefing – ausgeht und zunächst einmal auf Breite und Fülle von Einfällen abzielt, noch vor jeder Frage nach Qualität, und dann erst im zweiten Schritt seine Zuspitzung hin auf ein Ergebnis findet – wie es das in der Einleitung zu diesem Kapitel vorgestellte, sich erst öffnende und dann wieder schließende Diamant-Modell zeigt. Dass ­Guilford mit diesem Gedanken nicht allein ist, sieht man beispielsweise bei G ­ regory ­Bateson, der Ähnliches bezugnehmend auf den wissenschaftlichen Fortschritt und die dafür notwendigen Ideen formuliert: „As I see it, the advances in scientific thought

2 Vgl. J. P. Guilford: The Nature of Human Intelligence. S. 213. 3 Ebd., S. 214 f.

Der Designprozess in der Mediatektur – Ideenfindung

come from a combination of loose and strict thinking, and this combination is the most precious tool in science.“4 In dieser aktiven Trennung zwischen divergentem und konvergentem D ­ enken, zwischen divergent geprägten und konvergent geprägten Abschnitten des Design­ prozesses liegt der Schlüssel zu der in der Einleitung zu diesem Abschnitt aufgeworfenen Fragestellung, wie sich die Komplexität der Aufgabenstellung und die Bewältigung dieser Herausforderung strukturieren lassen. Die Freiheit der Ideenfindung, die ausgeht von nur den nötigsten Informationen, wie sie im Krea­ tiv­briefing festgehalten sind, kann sich auf Quantität und Vielfalt konzentrieren – in der divergent geprägten Phase der Ideenfindung. Die zeitlich davon getrennte Ausarbeitung und Verfeinerung der Ideen entlang der Kriterien kann sich auf die Entwicklung von Konzept und Entwurf aus gegebenen Ideen konzentrieren – in der konvergent geprägten Phase der Konzept- und Entwurfsentwicklung. Zusammenfassung •• In der wissenschaftlichen Betrachtung von Kreativität wird zwischen divergentem Denken – möglichst vielfältige Ideen zu generieren – und konvergentem Denken –  ziel­gerichtet eine Idee entlang definierter Kriterien auszuarbeiten – unterschieden. •• Der Designprozess teilt sich entsprechend in eine divergent geprägte und eine konvergent geprägte Phase. Hierdurch lässt sich der Prozess strukturieren und in seiner Komplexität handhabbar machen.

Ideenfindung Ziel der Ideenfindung ist das Generieren von solchen Ideen, die einen Ansatz dafür bieten, wie die Briefinginhalte, im Besonderen die Kernbotschaften, mittels Einsatz der Instrumente in ein Mediatekturerlebnis übersetzt werden können. Diese Ideen entstehen unter Einsatz der genannten divergenten Denkprozesse, die laut Guilford nicht nur ein Wiederaufrufen abgelegter Informationen beinhalten, sondern sich gerade durch Transferleistungen auszeichnen.5 Transferleistungen bilden den Kern dessen, was wir als Kreativität bezeichnen. Mit ihnen sind wir in der Lage, quer zu denken, Analogien zu bilden, zu verfremden, zu assoziieren und so vielfältige und neue Ansätze zu erschließen. Zentral für jeden kreativen Prozess ist, dass die Transferleistungen immer nur auf vorhandene Information aufsetzen können, das heißt Information die dem Individuum oder der Gruppe, die sich im Kreativprozess befindet, zur Verfügung 4 G. Bateson: Steps to an Ecology of Mind, S. 75. 5 Vgl. J. P. Guilford: The Nature of Human Intelligence, S. 214.

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stehen. Das begründet den fundamentalen Stellenwert sowohl von Recherche und Inspiration als auch der Kreativtechniken, um diese zu aktivieren – allesamt ­Themen, die im Verlauf des Kapitels weitere Erläuterung finden werden. Zudem ist die benötigte Expertise evident. Besonders in Mediatekturprojekten, bei denen der Einsatz der Instrumente Raum, Licht, Klang, Medien, usw. zentral ist, bildet die Kenntnis eben der Instrumente und ihres Zusammenspiels eine wichtige Grundlage – Ziel ist eine Übersetzungsleistung in die Instrumente der Mediatektur. Ein anschauliches Beispiel für eine solche Leistung ist im Projekt Siemens Exiderdome die Übersetzung des Themas perfekter, umfassender und integrierter Automatisierung in automatisierte, programmsynchron wandelbare Periaktenwände, die realen und virtuellen Raum verändern.6 Die perfekt zu steuernde Wandel­barkeit, die Automatisierung bietet, wird auf Raum und Form der Inszenierung angewendet. Es bildet sich eine funktionale Analogie. Während die Übersetzungsleistungen in der Umsetzung von Mediatektur fast immer Analogien beinhalten, sind die Transferleistungen im divergenten Denken, die erst zu diesen kreativen Übersetzungen führen, vielfältig. Diese Transferleistungen beinhalten unter anderem: •• Analogiebildung Die Analogiebildung sucht nach systemischen und perzeptiven Übereinstimmungen, um darüber neue Ideen- und Gestaltungsansätze zu schaffen: Systemische Analogien sind meist funktional verwandt, etwa Hochhaus –  Regal, Gehirn – Computer, Schleifen eines Rohdiamanten –  Ausbildung eines Lehrlings. Perzeptive Analogien sind etwa im Visuellen Sonne – Eigelb, Meer – Blau, ­Italien –  Stiefel. Analogien sind allgemeingültig und erschließen sich prinzi­ piell jedem, der die entsprechenden Ausgangsinformationen kennt. Dabei sind Analogien unterschiedlich stark oder passend, da sie immer nur von einer partiellen Übereinstimmung ausgehen. •• Assoziative Verknüpfungen Assoziationen können frei geknüpft werden oder beschreiben einen funktionalen, räumlichen oder sonstigen Zusammenhang, der Vorstellungen auslöst, die sich gedanklich verbinden. Um Assoziationen auszulösen, fragt man beispielsweise, an was erinnert einen etwas oder was kommt einem in den Kopf, wenn man etwas sieht, liest, hört, riecht, ertastet? Eine Assoziationskette wäre: Boot – Wasser – Salz – Verpackung – Geschenk. Im Gegensatz zu Analogien sind Assoziationen nicht allgemeingültig, sondern sind individuell geprägt und nur für die Personen oder Gruppen gültig, die sie gerade durchführen. Das Bilden von Assoziationen unterstützt im divergenten Denkprozess das Finden von 6 Vgl. Kapitel Mediatekturinszenierung – die Instrumente als Einheit, Abschnitt Inszenierung am ­Beispiel Siemens Exiderdome, S. 277.

Der Designprozess in der Mediatektur – Ideenfindung

neuen Ideen- und Gestaltansätzen und Überwinden von Denkbarrieren. Die im weiteren Verlauf des Kapitels vorgestellte Technik des Brainstormings setzt an diesem Punkt an. •• Verfremdung und Umstellung Das Finden neuer Ideen- oder Gestaltansätze wird unter anderem durch die Kombination, Modifikation und Variation nicht zusammengehörender Teile von bestehenden Ansätzen, deren Zerlegung oder Umstrukturierung angeregt. Dies funktio­niert sowohl mit Ideen als auch mit Sprache und Formen. Die Spielmöglichkeiten sind vielfach –  die im weiteren Verlauf des Kapitels vorgestellte SCAMPER-Technik systematisiert solche Denkprozesse. Wenn man mittels Weglassen und Verfremdung von Entwicklung auf Wickeln oder ­Verwicklung kommt, zeigt das beispielhaft diesen Denkprozess und auch die daraus entstehenden tentativen Perspektiven zurück auf den Ausgangspunkt: Ist die Entwicklung die Abwicklung eines vorgegebenen Zeitlaufes? Wer ist in die Entwicklung verwickelt? Verfremdung und Umstellung helfen hier, den Denk­raum zu erweitern und damit die Kreativität zu fördern. In komplexen Projekten ist es häufig der Fall, dass nicht nur eine Idee gefunden werden muss, die eine kreative Übersetzung beinhaltet, sondern, dass verschiedene Aspekte eines Themas in eine gemeinsame Idee, also in eine geschlossene Inszenierung übersetzt werden sollen. Das heißt, die Idee, stellvertretend für die ­Mediatektur die daraus entstehen soll, muss Raum für die verschiedenen Aspekte bieten. Als Beispiel lässt sich hier noch einmal auf den bereits genannten Siemens Exiderdome zurückgreifen. Dort gibt es drei zentrale Themen bzw. Kernbot­schaften, die alle in die Inszenierung übersetzt wurden: 1.  Kernbotschaft: Siemens bietet die perfekte, umfassende und integrierte Automati­sierung, die sich in den automatisierten Wänden und der mit der Show synchronen Wandlungsfähigkeit des Raumes ausdrückt. 2.  Kernbotschaft: Siemens ist ein Local-Player mit globalem Netzwerk, was sich in Schlüsselszenen übersetzt, in denen die Besucher jeweils einen raumfüllenden Sonnenaufgang in ihrer Stadt erleben, ihr Lebensumfeld und lokale Automatisierungsreferenzen als Ausgangspunkt für eine Bespielung, die ansonsten globale Errungenschaften zeigt. 3.  Kernbotschaft: In jedem Alltagsgegenstand steckt Automatisierung von Siemens, was in Filmszenen von Alltagsdingen übersetzt wurde, die im folgenden Schritt die automatisierte ­Produktion dieser Dinge zeigen.

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Dieses Set an Kernbotschaften, die sich aufeinander beziehen, macht deutlich, welche komplexen Ansprüche mitunter an eine Idee gestellt werden. Es macht damit auch die Notwendigkeit einer optimierten Ideenfindung und -entwicklung klar, die bereits in der Ideenfindungsphase die Ansätze auf ihr Potenzial hin betrachtet. Entsprechend ist die Ideenfindungsphase nicht rein divergent, ­sondern nur divergent geprägt. Die zu findenden Ideen sind nicht beliebig, sie ­sollen, wenn sie im Konzept- und Entwurfsstadium angekommen sind, alle nötigen kreativen Übersetzungen fassen und definierte Kriterien erfüllen – ­Kriterien, die bereits in der Einleitung zum vorliegenden Buch Erwähnung gefunden haben und im ­folgenden Kapitel der Konzept- und Entwurfsentwicklung in der Anwendung weiter vertieft werden. Divergentes Denken herrscht zwar in der Ideenfindung vor, wird aber zu einem gewissen Maß von Evaluation und damit konvergentem Denken gesteuert. Guilford formuliert zum Miteinander von Freiheit der Ideengenerierung und Bewertung in Bezug auf das zu erreichende Ziel: „Creative work that is to be realistic or accepted must be done under some degree of evaluative restraint. Too much restraint, of course is fatal to the birth of new ideas. The selection of surviving ideas, however, requires some evaluation.“7 Praktisch zeigt sich das so, dass in der Ideenfindungsphase Herumspinnen, Unstrukturiertheit und Mehrdeutigkeit, vielleicht auch ein spielerischer Charakter den kreativen Prozess kennzeichnen. Ein Gedanke folgt dabei auf den nächsten: Die Idee, über die man eben noch gelacht hat oder von der man nicht weiß, was sie konkret mit der Problemlösung zu tun hat, inspiriert eine weitere Person vielleicht einen Moment später schon zu einer Idee, die es zu betrachten lohnt. Von der Ideengenerierung wechselt der Prozess in die Evaluation, Für und Wider der Idee werden diskutiert, bis sich die Aufmerksamkeit – mit der Idee und ihren Implikationen – wieder der Ideengenerierung zuwendet. Der Wechsel von divergentem und konvergentem Denken ist kennzeichnend für den iterativen Charakter des Prozesses. Zusammenfassung •• Grundlegend für die kreative Übersetzung eines Briefingthemas in eine Idee für ein Mediatekturerlebnis sind Transferleistungen – Analogiebildung, ­assoziative Verknüpfung sowie Verfremdung und Umstellung. •• Der Anspruch an die Idee ist hoch: Sie soll Raum für die Übersetzung aller relevanten Kernbotschaften bieten und muss später ausgearbeitet als ­Entwurf- und Konzept eine Reihe von Kriterien erfüllen können. •• Entsprechend wechseln sich offene divergente Phasen in enger Folge mit ­Evaluierung, also konvergenten Phasen, ab –  ein iterativer Ideenfindungs­ prozess entsteht.

7 J. P. Guilford: Creativity, S. 453.

Der Designprozess in der Mediatektur – Ideenfindung

Optimierung der Ideenfindungsphase – Vom Fuzzy Front End zum Iterationsmodell Fuzzy Front End und New Concept Model Der iterative und damit non-lineare Charakter des kreativen Prozesses stellt eine Herausforderung dar, da er nicht einfach abarbeitbar und damit auf den ersten Blick auch nicht einfach optimierbar ist. Ein in seiner Metaphorik plastisches Bild solch eines iterativen und kreativen Prozesses vermittelt D. G. Reinertsens 1985 geprägter Begriff vom Fuzzy Front End8, dem unscharfen, eigentlich sogar „ausfransenden“ Charakter dieses Arbeitsabschnitts.9 Reinertsen sprach aus dem Feld der Produktentwicklung heraus, deren Designprozesse denen von Mediatekturprojekten verwandt sind.10 Reinertsens Ziel war es nun, die Charakteristika des Ideenfindungsprozesses zu benennen, um Ansätze zu seiner Optimierung zu finden – was sich nicht zuletzt in den Titeln späterer Artikel wie Taking the ­Fuzziness Out of the Fuzzy Front End11 niederschlug. Einen Durchbruch in diesem Gebiet erreichten Koen et al. im Jahre 2001. In ihrem Artikel Fuzzy Front End: Effective Methods, Tools and Techniques12 entwickelten sie ein iteratives, non-lineares Beziehungsmodell des Fuzzy Front Ends unter der Bezeichnung New Concept Model. Das Modell zeigt anschaulich die Iteration der Generierung von Ideen und deren Prüfen, Erweitern, Verfeinern oder Verwerfen (siehe Abb. 3.3.1). Darüber hinaus sind seine Errungenschaften, einheitliche Begriffe und Schritte für das Fuzzy Front End zu definieren und somit eine Basis für Diskussion und Optimierung desselben zu schaffen. In diesem Modell treibt das sogenannte Engine – welches laut Koen et al. einen Antrieb durch Senior und Executive Management darstellt – fünf Schritte an. Ideen und Konzepte generieren sich in der Ideenfindung (Idea Generation and Enrichment) oder in der Identifizierung von Möglichkeiten (Opportunity ­Identification), was die in den Kreis eindringenden Pfeile darstellen. In der Folge bewegen die Ideen und Konzepte sich immer wieder durch die fünf Schritte, Schleife um Schleife, bis sie entweder ausgereift genug sind und in den nächsten Prozessschritt übergehen oder verworfen werden.

8 Als Front End wird der erste Teil eines Produktentwicklungsprozesses bezeichnet, der sich nicht linear abarbeiten lässt und der u. a. Ideenfindung und -bewertung beinhaltet. Vgl. W. Heising: The integration of ideation and project portfolio management — A key factor for sustainable success. sowie P. Koen et al.: Providing clarity and a common language to the „fuzzy front end”. 9 Vgl. D. G. Reinertsen: Blitzkrieg product development: cut development time in half. 10 Auch der Designprozess der Mediatektur ist dem Double-Diamond-Modell des Prozesses aus Produkt- und Industriedesign entlehnt. 11 Vgl. D. G. Reinertsen: Taking the fuzziness out of the fuzzy front end, S. 25–31. 12 Vgl. P. Koen et al.: Providing clarity and a common language to the “fuzzy front end”, S. 46–55.

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Ein Iterationsmodell für den nonlinearen Prozess der Ideenfindung in der Mediatektur Legen wir nun den angepassten Designprozess der Mediatektur zugrunde (siehe Abb. 3.1.3), der im Kern nur aus einem und nicht zwei divergent-konvergenten Abschnitten besteht, ergibt sich für die divergent geprägte Ideenfindungsphase das Schaubild in Abbildung 3.3.2: Den Ausgangspunkt bildet das Kreativbriefing, das neben der gezielten Recherche und der freien Inspiration den Input in den iterativen Prozess konstituiert. Recherche, Ideenfindung und -verfeinerung sowie Evaluierung bilden die drei iterativen Prozessschritte, die von Einflussfaktoren umgeben sind. Wie bei Koen et al. wird die Mitte des Modells von einem Antrieb dominiert, der in diesem Modell den iterativen Prozess am Laufen hält. Wird in der Evaluierung eine Idee als brauchbar selektiert, kann diese in die Konzept- und Entwurfsentwicklung übergehen. Zusammenfassung •• Mit dem New Concept Model veranschaulichen Koen et al. den iterativen Arbeitsprozess in der Ideenfindungsphase. •• Das Iterationsmodell für die Ideenfindungsphase setzt auf das New Concept Model auf und beschreibt den Ideenfindungsprozess in der Mediatektur.

Recherche, Inspiration und Kreativitätstechniken – Ansätze zur Optimierung Die Elemente im vorgestellten, adaptierten Iterationsmodell bieten eine gute Ausgangsbasis für Ansatzpunkte, die die Ideenfindungsphase fördern, optimieren und effektiver gestalten helfen: •• Kreative Prozesse brauchen Input von außen: Eine gezielte und kontinuierlich geführte Recherche schafft die Grundlage für die Ideengenerierung. Guildford verweist auf diesen Zusammenhang, wenn er schreibt: „No creative person can get along without previous experience or facts; he never creates in a vacuum or with a vacuum.“13 •• Inspiration: Über die gezielte Recherche hinaus sind ungerichtete Anstöße, im Sinne von Anregungen für einen Lösungsansatz besonders wichtig: Orte, Begegnungen, Bilder, Tätigkeiten oder andere Erfahrungen (bei Guilford zuvor

13 J. P. Guilford: Creativity, S. 448.

Abb. 3.3.1: Fuzzy Front End Modell von P. Koen et. al. (NPPD steht für New Product and Process Development).

Abb. 3.3.2: Adaptiertes Iterationsmodell der Ideenfindungsphase in der Mediatektur.

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previous experience genannt), die Impulse aus anderen Kontexten geben, regen zu neuen Ideen an. •• Kreativitätstechniken und Kreativität unterstützende Maßnahmen: Damit aus Inspirationen auf der Grundlage von Recherche tatsächlich Ideen entstehen können, ist es wichtig, einen geeigneten Rahmen herzustellen (­ Einflussfaktoren zu kontrollieren und Rahmenbedingungen zu optimieren) und Methoden anzubieten, die die Ideenfindung und -verfeinerung unterstützen. •• Prozessmoderation und -steuerung: Für den Prozess der Ideen- und Entscheidungsfindung ist die Funktion des sogenannten Antriebs zentral. ­ Antrieb umfasst die Prozessmoderation und -steuerung und wird als Funktion in der Regel von einer Person wahrgenommen. Eine klare Definition dieser Funktion und ihrer Implementierung stellt sicher, dass der iterative Prozess effizient funktioniert. Wie können die oben umrissenen Optimierungen in der Ideenfindungsphase konkret aussehen? Die im Weiteren vorgestellten Vorgehensweisen bei der Recherche, die Anregungen zur Inspiration und zu Kreativitätstechniken sowie die Ausführungen zum Antrieb des Prozesses stellen Methoden, Ansätze und Techniken vor, die sich in der praktischen Arbeit mit Mediatektur bewährt haben. Sie sollen damit einen Einstieg in und Anregungen für eine strukturierte Arbeit bieten und sind als Ausgangspunkt für die Entwicklung eigener Abläufe und Vorgehensweisen gedacht.

Recherche Wissen und Erfahrungen sind die Basis für sinnvolles Handeln – das gilt auch für Designprozesse. Recherche versorgt den kreativen Prozess von Ideenfindung und -verfeinerung mit dem nötigen Wissen und Kenntnissen. Wie im Iterationsmodell der Ideenfindung zu sehen, ist Recherche ein wiederkehrender Prozessschritt. Mit jeder Idee werden neue Fragen aufgeworfen, neue Denkrichtungen eröffnet, neue Materialitäten, Techniken und Formsprachen in Betracht gezogen –  Recherche liefert hier nicht nur Antworten und Kenntnisse, sondern vor allem auch Ausgangspunkte und Anregungen für weitere Überlegungen und Ideen. Das macht aktiv betriebene Recherche zu einem Ideentreiber und zentralen Werkzeug, welches genauere Betrachtung verdient. Recherche ist ein vielfältiges Werkzeug, verbirgt sich doch dahinter neben dem Zutagefördern von Fakten auch Erkenntnis durch Erfahren und Ausprobieren. Für die nähere Betrachtung hilft eine Gliederung der Recherche, die Möglichkeiten der entstehenden Perspektiven auszuloten:

Der Designprozess in der Mediatektur – Ideenfindung

•• Recherche zum Themenverständnis •• Recherche zur thematischen Sinneswelt •• Recherche zur Aufgabenstellung In der praktischen Arbeit ist die Recherche weniger streng gegliedert, sondern verteilt sich innerhalb des Teams meist nach der jeweiligen inhaltlichen, visuellen, technischen usw. Orientierung der Teammitglieder. Die Teammitglieder, die die Recherche vorantreiben, versorgen alle am Ideenfindungsprozess Beteiligten mit den Rechercheergebnissen und behalten diese Rolle aktiv und begleitend entlang des Prozesses bei. Recherche ist damit als lebendige, aktive Rolle zu verstehen und wird nicht nur zur Lösung spezifischer Problemstellungen betrieben. Recherche zum Themenverständnis – Mit Themen intellektuell umgehen und relevante Zusammenhänge verstehen

Die Recherche zum Themenverständnis bereitet ein Thema für die Ideenfindung auf. Bei der Recherche zu Thema und Kernbotschaften des Briefings als auch zu den sich im Ideenfindungsprozess eröffnenden Themen sind die zentralen Fragen: Welche thematischen Zusammenhänge sind für die Zielgruppe relevant? Was sind Themenaspekte, die sinnbildlich für die Kernbotschaften stehen und inszeniert werden könnten? Welche thematischen Elemente kann man nutzen, um die Kernbotschaften in kreative Ideen zu übersetzen? Die Recherche zum Themenverständnis schafft Hintergrundwissen und stellt Zusammenhänge her. Sie hilft dabei, sich inhaltlich sicher in den Themen bewegen zu können und kreative Ideen möglichst eng an diesen zu entwickeln. Sie eröffnet in der Regel auch eine begründete Herleitung der kreativen Idee aus dem Thema, welche für die Überzeugungskraft des im nächsten Schritt des Designprozesses zu entwickelnden Konzepts bzw. Entwurfs zentral ist. Recherche der thematischen Sinneswelten – Die sinnlichen Qualitäten eines Themas erfassen und verstehen

Die Recherche der Sinneswelten erschließt die Themen visuell, auditiv, ­ aptisch, geschmacklich und olfaktorisch. Wie sieht etwas aus? Welchen Eindruck h hinterlässt es? Wie fühlt es sich an? Die Recherche der thematischen Sinnes­ welten stellt den zentralen Input dar, um Ideen- und Gestaltungsansätze jenseits der intellektuellen Auseinandersetzung zu finden und damit perspektivisch das Kriterium der Unmittelbarkeit zu bedienen. Rechercheergebnisse sind spezifische Kombinationen von Bildern, Tönen, Gerüchen, Mustern, Formen, Farben, Material­proben, als auch Empfindungen. Anschaulich und prototypisch findet sich eine solche Recherche im folgenden Projektbeispiel Verzauberung/Beauty ­Parlour

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mit seinem Raum, mit seinen Düften und Geräuschen, seiner Visualität, aber auch seiner Abgeschlossenheit wieder. Recherche zur Aufgabenstellung – Lösungsansätze identifizieren und sammeln

Neben der thematischen und der sinnlichen Dimension eines Mediatektur­ erlebnisses stellt sich die Frage nach dem Wie:  Wie entsteht das Mediatektur­ erlebnis? Die im Kreativbriefing genannten Kernbotschaften, Zielvorstellungen und Erwartungen geben Hinweise darauf, in welche Richtung die kreative Übersetzung im Rahmen der Aufgabenstellung gehen kann. Mit den Fragen: Wie ­können wir etwas Bestimmtes erreichen? Wie kann eine bestimmte Wirkung erzielt werden? Wie können wir eine bestimmte Information vermitteln? Wie kann man etwas erzählen? betrachtet man Referenzprojekte ebenso wie die eigenen Ideen und Ansätze, um Übersetzungs- und Lösungsansätze zu identifizieren, zu vergleichen und zu entwickeln bzw. weiterzuentwickeln. Die Ergebnisse der Recherche können von philosophischen Gedanken bis zu funktionalen Lösungs­ ansätzen reichen. Sie können in Texten, Bildern, Skizzen oder Filmen vorliegen, aber auch physische Funktionsmodelle umfassen, in denen man eine Heran­ gehensweise oder einen Lösungsansatz mit einfachen Mitteln direkt ausprobiert. Beispielhaft lassen sich die verschiedenen Aspekte der Recherche im Rahmen des Projekts Verzauberung/Beauty Parlour14 zeigen, das für das Humboldt Lab Dahlem produziert wurde. Aufgabe war die Frage, wie man die Ästhetik der muslimischen Küstengesellschaften Ostafrikas („Swahili“), die Sinnesempfindungen – Sehen, Hören, Fühlen, Riechen, Schmecken, kinästhetischen Sinn – vereint und zugleich den Geist anspricht, in einer Ausstellung vermitteln kann. Eine wichtige Entfaltungsform findet diese Ästhetik in der weiblichen Sphäre der Swahili-Kultur, in der sich innere und äußere, spirituelle und körperliche Schönheit sowie Reinheit in der Produktion und Präsentation der ästhetischen Vervollkommnung der Braut realisieren. Hierzu sollte ein erzählerisch immersives Ausstellungserlebnis geschaffen werden. Das Themenverständnis bei dieser Aufgabe ist eine Herausforderung: Der Begriff der Schönheit ist zunächst schwer fassbar und gleichzeitig bedarf es eines konkreten, nachvollziehbaren Moments, einer Rezeptionssituation, die synästhetisch alle Sinne anspricht und eine unmittelbare Erfahrung ermöglicht. Den entscheidenden Impuls brachte der mit der Konzeption und Realisation des Projekts betraute Regisseur und Szenograf Dominic Huber ein und rückte die sogenannten Beauty Parlours in Tansania, vor allem die in Sansibar in den Fokus der Recherche (siehe Abb. 3.3.3). In ihnen kann auch das der Hochzeit vorausgehende 14 P. Ivanov und A. Rostásy: Narrative Räume in der Vermittlung.

Abb. 3.3.3: Ansicht eines Schönheitssalons auf Sansibar.

Abb. 3.3.4: Verzauberung/Beauty Parlour. Der sichtbare Kulissenbau der Installation und die diese umhüllende zweite Stoffschicht thematisieren das Verhältnis von Innen und Außen sowie das Motiv der Transparenz. Humboldt Lab Dahlem, Ethnologisches Museum, Berlin, 2015 (Dominic Huber (Konzept und Design)).

Abb. 3.3.5a/b: Verzauberung/Beauty Parlour. Oben (a): Der mediale Spiegel im Inneren des Beauty Parlours. Unten (b): Anstehen am Beauty Parlour bei der Eröffnung der Probebühne 6. Humboldt Lab Dahlem, Ethnologisches Museum, Berlin, 2015 (Dominic Huber (Konzept und Design)).

Der Designprozess in der Mediatektur – Ideenfindung

­erschönerungsritual stattfinden, ein Ritual das, indem die Braut verschönert V wird, sinnbildlich den Begriff der Schönheit der Swahili fassen sollte. Dabei ist das Ritual abgeschlossen, nur der Braut und den Frauen der Familie zugänglich und sehr vertraulich. In der Recherche musste ein Zugang zu diesem auf den ersten Blick vielversprechenden Erlebnis gefunden werden. Erst der in der Recherche eröffnete direkte Kontakt zu einer Verschönerungsexpertin aus der Region gab Schritt für Schritt Einblicke in die Abläufe und damit auf Elemente, die zur Inszenierung genutzt werden konnten – der Besucher erlebt den Schönheitsbegriff der Swahili durch einen inszenierten Besuch in einem Beauty Parlour. Mit dem Fokus auf die Beauty Parlours war auch ein Rahmen für die Recherche der thematischen Sinneswelt gesetzt. Wo zuvor noch weit gefasst gesammelt wurde, kam jetzt ein konkreter Raum in den Blick. Ein Raum mit speziellen Objekten, Gerüchen, Farben und der Vorstellung, dort ganz allein mit der Verschönerungsexpertin zu sein. Dieses Erlebnis als Kontext des Schönheitsverständnisses galt es für die Inszenierung herzustellen. Der Baukörper bildet dieses Verständnis in der Ausstellung ab: ein abgeschlossener, nur durch eine einzelne Person zu betretender Innenraum, gefüllt mit Duft, Farben, Stoffen und Objekten, der nicht zuletzt auch durch das klar sichtbare Äußere – offen sichtbaren Kulissenbau – verstärkt wird (siehe Abb. 3.3.4 und 3.3.5). Die Aufgabe fordert, dass ein Erlebnis für den Besucher entsteht. Im Rahmen des einmal gefundenen Motivs des Beauty Parlours bestand nunmehr die weitere Herausforderung, den Besucher aktiv einzubinden und Verknüpfungen z­ wischen ihm und der Inszenierung zu schaffen. Hier kommen die Fragen aus der Recherche zur Aufgabenstellung zur Anwendung: Wie können Erzählung und Erlebnis etabliert werden? Wie bekommt der Besucher einen persönlichen Bezug zu diesem vertraulichen Moment? Hier werden Anleihen an Performances und interaktive Technologien gemacht. In der Recherche rückt zudem der Spiegel in den Blick, der in jedem Beauty Parlour eine zentrale Rolle spielt. Auch in der experimentellen Rauminstallation des Projekts Verzauberung/Beauty Parlour sieht sich der Besucher in einem Spiegel. Dazu kommt die Verschönerungsexpertin, die sich in dem Spiegelbild einfindet und sich mit dem Spiegelbild des Besuchers auseinandersetzt. Das Spiegelbild des Besuchers und ein hinter dem Spiegel mittels eines Bildschirms generiertes Umfeld vermischen sich, so dass sich der Besucher in der Szene des Verschönerungsrituals wiederfindet –  ein technisches Ergebnis geschöpft aus Recherche und inszenatorischer Erfahrung (siehe Abb. 3.3.5b). Die Inszenierung ergibt sich aus der virtuellen Erweiterung des Raumes, ganz im Sinne des Mediatekturbegriffes. Zusätzlich spricht die aufgezeichnete Schönheitsexpertin den Besucher direkt an, lässt ihn Teil des Verschönerungsrituals werden und einen Einblick in den Begriff der inneren und äußeren ­Schönheit der Swahili erlangen.

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Andrea Rostásy, Tobias Sievers – Handbuch Mediatektur

Inspiration Inspiration ist im Gegensatz zur Recherche nicht projektspezifisch. Inspiration ist aber genauso wie die Recherche eine Voraussetzung, um in der Ideenfindung zu brauchbaren und kreativen Ergebnissen zu gelangen – und die Bedeutung von Inspiration wird häufig unterschätzt. Um diese Bedeutung zu illustrieren, greifen wir zu einer Anekdote. Wir wissen zwar nicht, ob sich diese so ereignet hat oder nur erdichtet wurde –  sie veranschaulicht aber ganz hervorragend den Einfluss von Inspiration. In der Mitte des 15. Jahrhunderts erfand Johannes Gensfleisch, genannt Gutenberg, den Druck mit beweglichen Lettern sowie eine dazu passende Druckmaschine. Für Gutenberg fiel die Idee der Druckpresse nicht vom Himmel, vielmehr erzählt man –  er lebte ja in einer Region, in der man damals schon Wein anbaute – dass Gutenberg nach dem Weinpressen die Abdrücke der Traubenkerne auf dem Holz der verwendeten Spindelpressen sah und damit auf die Idee kam, wie eine neue und effiziente Druckpresse zu bauen sei. Auch sagt man, dass eine seiner ersten Druckpressen eine modifizierte Weinpresse gewesen sein soll.15 Ohne Gutenbergs geniale Transferleistung in Frage stellen zu wollen, zeigt sich hier, dass so eine große Erfindung wie der Buchdruck dem Zufall und vor allem der Inspiration zu verdanken ist. Ohne Teile einer Lösung aus einem anderen Kontext – in diesem Fall der Weinkelterei – in den Kontext des Buchdrucks überführen zu können, wäre die Erfindung anders, später oder vielleicht nie erfolgt. Kreativität schafft nie aus dem Nichts etwas Neues. Kreativität ist geprägt durch Recycling, Rekombination und Übersetzung. Dabei geht es nicht um die 1:1-Übertragung von Ansätzen, sondern, wie in dem Begriff der Transferleistung bereits aufgeführt, die Verwendung von Elementen und Ansätzen in einem neuen Kontext – dem Kontext der Aufgabenstellung. Und dabei kann ein Kreativer nur mit dem arbeiten, was bereits an Inspiration vorhanden ist –  Dinge, die dieser bereits gesehen und Ideen, die dieser bereits gedacht hat. In diesem Prozess aus Recycling, Rekombination und Transfer von bereits bestehenden Inspirationen entsteht dann das, was man als neue, kreative Idee bezeichnet. Führt man sich das in aller Konsequenz vor Augen, wird klar, wie wichtig Inspiration ist und wie entscheidend es ist, Inspiration als notwendigen und essenziellen Teil in einer Arbeitskultur zu etablieren. Eine Aktivität, die Inspiration bringt und mit Neuem konfrontiert –  sei es ein Kongress, eine Ausstellung, ein spannendes Gespräch usw. –, ist fast immer sinn- und wertvoller als ein Tag am Schreibtisch. Oft wird erst nach Abschluss eines Projektes klar, welche Inspirationen die Form- und Designsprache eines Mediatekturprojektes geprägt haben. Nach Abschluss des Launches des Range Rover Evoques in China (siehe Abb. 3.3.6, 3.3.8 15 In der Gutenberg-Literatur finden sich Bezüge zu den Weinpressen, vgl. hierzu H. Presser: Gutenberg, S. 42.

Abb. 3.3.6: Range Rover Evoque Launch China: 3D-Rendering der Ausstellungsarchitektur mit den gefalteten Loops. Shanghai, 2012 (Luxoom Medienprojekte).

Abb. 3.3.7a/b: Links (a): Carrerabahnschleife und rechts (b): Faltungen für Dachkonstruktion als Inspirationen.

Ab. 3.3.8: Range Rover Evoque Launch China: Innenansicht der Multimediagalerie. Blick durch die Loops, die sich um den Besucherweg falten. Shenzhen, 2012 (Avantgarde China (Agentur); Luxoom Medienprojekte (Design und Medienproduktion)).

Abb. 3.3.9a/b: Links (a): Foto von Kunstgalerie (generisch) und rechts (b): Foto von Straßen­ kreuzung als Inspirationsgeber.

Abb. 3.3.10: Range Rover Evoque Launch China. Ansicht einer der nach der Inspiration der ­Straßenkreuzung geformten Medieninstallationen. Shenzhen, 2012 (Avantgarde China (Agentur); Luxoom Medienprojekte (Design und Medienproduktion)).

Der Designprozess in der Mediatektur – Ideenfindung

und 3.3.10) nahm man die Vorbereitung einer Lehrveranstaltung zum Anlass, dieses Projekt rückblickend zu betrachten. Bezogen auf die Gestaltung des Range Rover Projekts ließen sich folgende Erkenntnisse gewinnen: •• Carrera-Bahn (Abb. 3.3.7a): Eine Inspiration aus der Kindheit –  nichts war cooler, als die kleinen Modellautos durch einen Looping mit anschließender Steilkurve zu schicken. Dieser Looping wird abstrahiert und durchgehend als räumliche Struktur um den Besucherweg gefaltet. So entsteht eine Struktur, für die sich im Folgenden dann auch entsprechend der Name „Loop“ bei Kunde, Agentur und auch dem Team eingebürgert hat. •• Architektonische Faltung: Zur Zeit des Range-Rover-Projektes gab es ein zeitgleiches Projekt zur Expo 2010 in Shanghai, in dem es unter anderem um die Faltung einer Dachstruktur nach einem Origami-Prinzip ging (Abb. 3.3.7b). Diese Möglichkeit der Faltung hat sich als Inspiration direkt auf die Formsprache übertragen – die Flächen sind um den Besucherweg gefaltet. •• Kunstgalerie: Viele Besuche in Kunstgalerien haben zur Farb- und Form­ sprache beigetragen –  ein neutrales Grau und eine eher großflächige Hauptstruktur halten sich im Hintergrund und verleihen den farbigen und viel detaillierteren Medieninstallationen –  analog zu Kunstwerken in Galerien – noch zusätzliche Leuchtkraft und Präsenz (vgl. Abb. 3.3.9a). •• Straßenkreuzung: Dieses Motiv (Abb. 3.3.9b) ist in der visuellen Recherche aufgetaucht und wurde formsprachlich für eine der Medieninstallationen übernommen. Neben den Erkenntnissen, die dieser analytische Rückblick geliefert hat, hat sich dieser auch als gute Übung herausgestellt, aus einem abgeschlossenen Projekt Anregungen für einen bewussten Umgang und ein zielgerichtetes Arbeiten mit Inspirationen zu ziehen.

Kreativitätstechniken Kreativitätstechniken sind die zentralen Hilfsmittel in der Ideenfindung und -verfeinerung. Sie stützen divergente Denkprozesse und setzen Prozesse in Gang, die das Durchbrechen von Denkmustern ermöglichen und Transferleistungen im Denken fördern –  Assoziationen, Analogiebildungen, Rekombinationen usw. Damit helfen sie, kreative Übersetzungsansätze für die Briefinginhalte in Mediatekturerlebnisse zu finden. Für die Ideenfindung kommen kreativ-intuitive Techniken zum Einsatz wie beispielsweise Brainstorming und Mindmapping. Bei der Ideenverfeinerung helfen kreativ-systematische Techniken wie beispielsweise SCAMPER. Um die Kreativitäts­ techniken und -methoden herum hat sich seit 1942, als der amerikanische Autor

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Abb. 3.3.11: Kreatives Arbeiten in der Recherche. Berlin, 2016 (Luxoom Medienprojekte).

Der Designprozess in der Mediatektur – Ideenfindung

und Werbefachmann Alex Faickney Osborn sein Buch How to Think Up16 herausbrachte und damit erstmals die Methode des Brainstormings darlegte, eine veritable Industrie entwickelt, die seitdem immer neue Ansätze und Techniken auf den Markt bringt (und entsprechend ältere Ansätze hinsichtlich ihrer Effizienz kritisiert). Viel wichtiger als immer die neueste Methode und Technik einzusetzen ist es, dass die Methoden und Techniken, die man einsetzt, im Team gelernt und geübt sind. Eine Auswahl, die in der Praxis der Mediatekturentwicklung erprobt ist, sei hier vorgestellt. Die zwei kreativ-intuitiven Techniken, die einen verlässlichen Einstieg bilden, sind Brainstorming und Mindmapping. Mit ihnen werden die eben genannten Transfer­leistungen angeregt und im Falle des Mindmappings direkt visualisiert. Brainstorming (kreativ-intuitive Methode)

Brainstorming ist das klassische Verfahren zum Generieren neuer Ideen und basiert auf intuitiver Assoziation. Es kann zwar allein und in der Gruppe angewendet werden, meistens ist aber für eine Einzelperson das im nächsten Punkt erläuterte Mindmapping effektiver. Beginnend mit der Problemdefinition oder einer Suchfrage werden möglichst viele verschiedene Ideen erzeugt. Diese werden im ersten Schritt nicht bewertet, da es einerseits darum geht, mittels dieser Ideen und Assoziationen weitere Ideen zu inspirieren, andererseits Gedanken, die –  solange unausgesprochen – das eigene Denken unnötig fokussieren, ausgesprochen werden können, so dass Raum für neue Ideen entsteht. Kreativitäts­sessions, die ­ Brainstorming anwenden, oszillieren somit zwischen Brainstormingphasen, in denen man die Evaluierung der Ideen absichtlich ruhen lässt, und Phasen der Bewertung, in denen man die erarbeiteten Ideen einschätzt und somit neue Ausgangspunkte für den nächsten Schritt im Brainstorming schafft. Ein Moderator, wie er im folgenden Abschnitt zum „Antrieb“ beschrieben ist, kann helfen, über die Balance zwischen freiem Denken und Evaluation zu wachen und einen Rhythmus vorzugeben. Mindmapping (kreativ-intuitive Methode)

Das Mindmapping unterstützt die Ideenfindung durch Assoziationen und ist eine Visualisierungmethode, die mit Texten, Skizzen und Bildern arbeitet. Dabei kann man Mindmapping an sich in verschiedener Weise einsetzen –  beispielsweise auch als strukturierende Methode. Es ist gut verwendbar, um Analogien und Assoziationen zu bilden und schrittweise ein Themen- oder Entwurfsfeld zu ­öffnen: Eine Frage, ein Schlüsselbegriff, ein Thema wird in die Mitte eines Blattes geschrie16 Vgl. A. F. Osborn: How to Think Up.

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Abbildung 3.3.12: Mindmap aus dem Projekt Range Rover Evoque (aus einer handschriftlichen Notiz rekonstruiert). Viele der in dem Entwurf verwendeten Ansätze und Ideen finden sich bereits in diesem initialen Mindmapping wieder.

Der Designprozess in der Mediatektur – Ideenfindung

ben. Von hier legt man los: Was auch immer in den Kopf kommt, wird mit einer Verbindungs­linie mit dem Ausgangsbegriff, Ausgangsbild oder der Ausgangsskizze verknüpft. Dann bewegt man sich von dem neuen Ausgangspunkt oder springt –  hat man eine weitere Idee zu einem früheren Punkt –  entsprechend zurück. Es ergibt sich so eine Struktur, die Ideen und Vorschläge vom Zentrum ausgehend in Haupt- und Untersträngen anordnet (siehe Abb. 3.3.12). Mindmapping und Brainstorming lassen sich auch gemeinsam anwenden – wobei Mindmapping zur Dokumentation des Brainstormings verwendet wird. Das ist ein schneller und visueller Ansatz, der beim Brainstorming dazu beiträgt, dass man ­besser an frühere Gedanken und Ideen anknüpfen kann, da man sie strukturiert vor sich hat. Im weiteren Prozessverlauf, vor allem wenn schon viele Ideen generiert sind, die aber im Einzelnen noch verfeinert bzw. optimiert werden sollen, hilft als ­kreativ-systematische Technik die SCAMPER-Checkliste17. SCAMPER-Checkliste (kreativ-systematische Methode)

Die SCAMPER-Checkliste ist eine systematisch-analytische Technik, mit der man mittels einer standardisierten Liste von Handlungen und Vorgehensweisen eine Idee in ihre Bestandteile zerlegt und somit systematisch kreative Variationen generiert. Die ursprünglich für Produkte und Prozesse geschaffene Checkliste eignet sich auch für die Entwicklung von kreativen Ansätzen in Mediatektur­ projekten. Die Handlungen und Vorgehensweisen leiten sich direkt aus der ­Abkürzung SCAMPER ab. SCAMPER steht für –– Substitute (Ersetze –  beispielsweise Elemente, Materialien, Techniken, Abläufe) –– Combine (Kombiniere – beispielsweise mit etwas anderem, einer anderen Idee, einem anderen Ansatz) –– Adapt (Passe an –  beispielsweise an bestimmte Designvorgaben, Linienführung, vorhandene Elemente) –– Modify (Verändere –  beispielsweise denke größer/kleiner, verändere den Formgedanken, verändere die Funktion) –– Put to another use (Finde eine andere Verwendung – beispielsweise: Welche Nutzergruppen könnten es noch anders verwenden? Was könnte man noch damit tun?) 17 Die SCAMPER-Checkliste geht auf die Osborne-Checkliste (erfunden von und benannt nach Alex F. Osborne, der auch das Brainstorming entwickelt hat) zurück, entwickelt von Bob Eberle findet sie sich in M. Michalko: Thinkertoys: A Handbook of Creative-Thinking Techniques. S. 71 ff.

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Abbildung 3.3.13:  SCAMPER-Technik – angewendet auf ein Arrangement von iPads wie in Abbildung 3.3.14 gezeigt.

Der Designprozess in der Mediatektur – Ideenfindung

–– Eliminate (Streiche – beispielsweise: Was kann man streichen, ohne die Funktion zu verändern? Wie kann man die Funktion reduzieren/ konzentrieren?) –– Reverse/Rearrange (Kehre um/Sortiere um –  beispielsweise Zeitablauf umdrehen, Formensprache invertieren, Hell gegen Dunkel tauschen) In der Anwendung von SCAMPER legt man zunächst die Idee oder den Ansatz fest, über den nachgedacht werden soll. In den Abbildungen 3.3.13 und 3.3.14 ist der Ansatz beispielsweise ein Arrangement von iPADs, welches man Schritt für Schritt entlang der SCAMPER-Checkliste bearbeitet.

Abbildung 3.3.14: iPAD-Skulptur für Ducati/Diesel, Ausgangselement für die SCAMPER-­ Bearbeitung in Abbildung 3.3.13. Shanghai 2012. (HLD (Agentur); Luxoom Medienprojekte (Kreation und Entwicklung)).

Gearbeitet wird dabei mit Notizen und Skizzen und es geht wieder ausdrücklich nicht darum, dass die entstehenden Ansätze direkt zielführend sind. Die ­Kreativität ergibt sich auch daraus, dass nicht jeder der Punkte und damit jede Frage eindeutig auf die Idee passen, sie vielmehr unterschiedlich interpretiert werden können. Es entsteht ein Ausprobieren und ein Spielen mit den Elementen der vorhandenen Idee. In diesem divergenten Ansatz geht es wie beim B­ rainstorming und Mindmapping darum, sich gegenseitig zu inspirieren. Die Evaluation der Ideen findet erst iterativ nach einer Schonzeit statt. Abbildung 3.3.13 zeigt, welche Vielfalt an kreativen Ideen und Verfeinerungen sich entlang der Checkliste ergeben kann. Maßnahmen zur Unterstützung von Kreativität

Mehrfach wurde in diesem Kapitel bereits von Kreativsessions gesprochen –  den Kreativrunden mit mehreren Teilnehmern, in denen der Kreativprozess

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vorangebracht werden soll. Dies ist eine lose Sammlung von Hinweisen, wie man diese Sessions optimieren kann: •• Kreativsessions sind einfacher in einer konzentrierten Arbeitsatmosphäre: Geeignete und ruhige Räume, genügend vorbereitete Materialien (Pinnwand, Stifte, Papier) sowie Ungestörtheit sind hier hilfreich. •• Kreativsessions leben von den unterschiedlichen Perspektiven der Teilnehmer: Möglichst interdisziplinär einladen und damit das Wissen und die ­Erfahrung aller Beteiligten in den Prozess einbringen. •• Kreativsessions brauchen Vorbereitung: Die erste Runde braucht ein k­ nappes, aber gutes Kreativbriefing18, das alle Teilnehmer auf den gleichen Stand bringt, für weitere Runden braucht es Updates mit fehlenden Informationen, neuen Entwicklungen etc. •• Denkarbeit verbraucht Energie: Getränke und Verpflegung, Kaffee und Snacks halten die Teilnehmer bei Laune und sind oft der Schlüssel zur nötigen Konzentration – gerade bei längeren Kreativsessions. •• Gerade in nicht so eingespielten bzw. erfahrenen Teams hilft der Einsatz von Kreativitätstechniken und Recherchemethoden dabei, Abläufe in den Kreativsessions zu strukturieren und Durchhänger zu überwinden. •• Ideen brauchen Zeit zum Wachsen: Kreativsessions leben von Argumenten, die für Ideen und nicht gegen diese gefunden werden. Entsprechend ist es essenziell, nicht jede Idee durch eine negative Bewertung gleich wieder zu begraben, sondern sich die Zeit zu nehmen, auch mal eine Idee auszuspinnen und erst später zu bewerten. Eine Idee, die eben noch als total unrealistisch angesehen wurde, ist vielleicht schon im nächsten Moment der Inspirations­ geber für eine Idee, die eine realistische und gute Lösung darstellt. •• Kreativsessions leben von Wiederholung: Meistens bedarf es einiger über den Zeitraum mehrerer Tage gestreuter Sessions, um zu einem Ergebnis zu kommen. Unser Kopf arbeitet an den Fragen weiter, auch wenn die eigentliche Kreativsession vorbei ist. Somit lohnt es sich, eine bzw. mehrere Folgesessions zu organisieren. Oft bleibt eine erste Runde ohne greifbares Ergebnis und erst in den Folgerunden entsteht Brauchbares. •• Eine Dokumentation der Ideen und Ergebnisse verbindet die Kreativ­sessions: Notizen und Ergebnisse als Erinnerungshilfen für alle Sessionteilnehmer zur Verfügung zu stellen ist zwar Arbeit, dies ist aber essenziell, um schnell wieder anknüpfen zu können. Ein funktionierendes, visuelles Dokumentationssystem, auf das alle Teilnehmer Zugriff haben und zu dem alle beitragen können, ist eine wichtige Rahmenbedingung für einen effizienten Kreativprozess. Mittlerweile gibt es viele digitale Tools, die eine solche inhaltliche wie auch visuelle 18 Vgl. Abschnitt Erstellung des Kreativbriefings, S. 316.

Der Designprozess in der Mediatektur – Ideenfindung

Kooperation unterstützen – unter anderem Microsoft OneNote, Evernote, Quip, Apple Notes, die alle die gemeinsame Arbeit an visuellen Notizen ermöglichen. Antrieb – die Prozessmoderation

In der Ideenfindungsphase, aber auch darüber hinaus wird jemand gebraucht, der das Team leitet, den Prozess steuert und die Rolle ausfüllt, die sich als Antrieb im Zentrum des iterativen Prozesses befindet (vgl. Abb. 3.3.2). Diese Person moderiert, verteilt die Aufgaben, gibt den Rhythmus der Iteration vor, schafft die Balance zwischen Ideenfindung und -evaluierung und entscheidet, wann eine Idee ausgegoren genug ist, dass sie in die Konzept- und Entwicklungphase übernommen werden kann. Diese Rolle wird in der Regel durch die Position eines Kreativdirektors ausgefüllt, der die Kreativprozesse entlang des Designprozesses organisiert und überwacht. Je nach Unternehmensstruktur werden diese Aufgaben aber auch von Designern, Projektmanagern und anderen übernommen, die sich die entsprechenden Fähigkeiten angeeignet haben. Die Aufgaben und daraus abgeleiteten Tätigkeiten in der Ideenfindungsphase lassen sich folgendermaßen umreißen: •• Team auswählen: In Kreativitätstechniken eingespielte, interdisziplinäre Teammitglieder auswählen und Verantwortlichkeiten, beispielsweise für Recherche, vergeben. •• Zeitplan festlegen: Idealerweise nimmt die Ideenfindung weniger Zeit als die folgende Konzept- und Entwurfsentwicklung in Anspruch. Ein Ein-Drittel-zuzwei-Drittel-Verhältnis kann als Ausgangspunkt dienen. Es wird möglichst eine Kreativsession pro Tag angesetzt, die sowohl Ideenfindung und ­-verfeinerung als auch Evaluierung beinhaltet. Eine Kreativsession sollte anderthalb Stunden nicht überschreiten, so ergibt sich noch genug Zeit zwischen den Sessions für Recherche. •• Sessions eröffnen:  Den Kreativstand zusammenfassen und durch die wichtigsten Ansätze und Ideen führen sowie das Kreativbriefing ins Gedächtnis rufen. Vermitteln, ob es um das Verfeinern bestehender Ideen oder das Finden neuer Ideen geht. •• Kreativtechniken auswählen und moderieren: Entscheiden, welche Kreativtechniken eingesetzt werden und während ihres Einsatzes eine gute Balance zwischen freiem Denken und zwischenzeitlicher Evaluation der Ideen aufrechterhalten. •• Frustration vermeiden:  Dem Team Sicherheit vermitteln, denn Kreativ­ prozesse brauchen Zeit, bis sie zu brauchbaren Ergebnissen führen. Ist das nicht jedem bewusst, führt der Prozess gerade am Anfang schnell zu Frustration.

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•• Denkblockaden überwinden helfen: Bei Denkblockaden auch mal den Teamclown spielen, um durch gezielt absurde Vorschläge und Ideen das Denken aufzulockern und sich somit gerade am Anfang des Prozesses dem gespürten Zwang zu zielgerichteten Ergebnissen entgegenzustellen. •• Ideen einschätzen:  In der Evaluierung einschätzen helfen, welche Herausforderungen lösbar sind und wo sich erfahrungsgemäß wirkliche Probleme in einer Idee andeuten. Dazu braucht man viel Erfahrung und eine gute Kenntnis der Kriterien. •• Ideen unterstützen und prüfen:  Potenziale von Ideen herausstellen und damit dazu beitragen, dass wirklich große Ideen weitergedacht werden. Ideen aktiv herausfordern und den Advocatus Diaboli spielen, damit mögliche ­Probleme schnell sichtbar werden und Ideen nicht halbgar bleiben. •• Sieger küren: Entscheiden, wann welche Idee in die Konzept- und Entwurfs­ entwicklung übernommen wird – basierend auf einer Einschätzung von deren Potenzial, alle Kriterien zu erfüllen. Diese Einschätzung auch im Team kommunizieren, um eine Basis für die weitere Kreativarbeit zu schaffen. •• Input organisieren:  Aufgaben für die Recherche verteilen. In Einzel­fällen Experten zu Fachfragen einladen, die sich aus entstehenden Ideen ergeben. •• Dokumentation kontrollieren: Sicherstellen, dass immer alle Teammitglieder Zugang zu allen Ergebnissen und Notizen haben. •• Argumentation überprüfen:  Ideen aus dem Team heraus, an Projekt­un­be­ teiligte spiegeln, um zusätzliches Feedback und somit eine zweite Meinung zu erhalten. Zusammenfassung •• Recherche, Inspiration, Kreativitätstechniken sowie Maßnahmen zur Unterstützung von Kreativität helfen bei der Optimierung der Ideen­findungsphase. •• Recherche: Aktive und kontinuierliche Recherche –  sowohl thematisch als auch die Sinneswelten und Aufgabenstellung betreffend – schafft die Basis für kreative Ideen. •• Inspiration: Ohne Inspiration ist Kreativität nicht möglich –  Inspiration ­liefert entscheidende Bauteile/Aspekte/Elemente, die in kreativen Ideen und ­Ansätzen verarbeitet werden. Entsprechend sollte Inspiration als zentraler Teil der Arbeitskultur dort etabliert sein, wo Kreativität gefragt ist. •• Kreativitätstechniken: Sie fördern divergentes Denken und damit das Finden vielfältiger Ideen, indem sie Analogiebildung, Assoziationen aber auch Modifikation und Rekombination unterstützen. •• Maßnahmen zur Unterstützung von Kreativität: Sie schaffen die Rahmen­ bedingungen unter denen ein Kreativprozess effizient ablaufen kann. •• Antrieb/Moderation: Nicht zuletzt ist ein Taktgeber für diesen iterativen ­Ideenfindungsprozess erforderlich, eine Person, die auf Struktur, Inhalte und Rhythmus der Prozesse achtet und diese moderiert.

Der Designprozess in der

Konzept- und Entwurfsentwicklung Der Designprozess in der Mediatektur

Konzept, Entwurf und Präsentation Den Kern einer gelungenen Mediatektur bildet ein überzeugendes Konzept. Dieses Konzept sowie seine Umsetzung in einen Entwurf werden in der konvergent geprägten Phase des Designprozesses aus den zuvor gefundenen und evaluierten kreativen Ideen entwickelt. Konzept und Entwurf unterscheiden sich qualitativ von einer Idee durch ihre argumentative und gestalterische Schlüssigkeit. So überführt das Konzept die Idee bzw. mehrere Ideen nachvollziehbar in eine gestalterische Lösung, die die im Briefing formulierten Anforderungen erfüllt. Der Entwurf entwickelt und illustriert die visuellen, räumlichen, technischen und funktionalen, aber auch zeitlichen Ausprägungen des Konzepts und definiert damit die Gestaltung in einem interaktiv-logischen und/oder erzählerischzeitlichen Ablauf. Ein häufig unterbewerteter Schritt auf dem Weg zur Verwirklichung einer Mediatektur ist die Präsentation – die physikalische Manifestation von Konzept und Entwurf –, sowohl live gehalten als auch als Dokument eingereicht. Dabei geht es darum, bei dem Auftraggeber Begeisterung auszulösen, die gestalterische Vision

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nachvollziehbar zu machen und das Vertrauen zu schaffen, dass sein Anliegen bei den Designern in den besten Händen ist. Realistischerweise sollte man sich jedoch bewusst sein, dass die Präsentation auch der Moment sein kann, in dem der Auftraggeber entscheidet, dass er doch mit einer anderen Lösung oder gar mit einem anderen Designteam weiterarbeiten möchte. Weil dies für den eigenen Ressourceneinsatz essenziell sein kann, ist es sinnvoll, die Arbeitsprozesse auf diesen Moment hin zu planen und Konzept und Entwurf dezidiert (nur) so weit zu entwickeln, wie es für eine überzeugende ­Präsentation erforderlich ist. Um dieser Einsicht gerecht zu werden, beginnt der vorliegende Abschnitt zur Phase der Konzept- und Entwurfsentwicklung mit ihrem Ergebnis, also der Präsentation, ehe anschließend der Weg dorthin beschrieben wird. Die Präsentation fasst Konzept und Entwurf zusammen und macht sie erzähl- und erlebbar. Auf der Basis einer möglichst gut ausgearbeiteten Dramaturgie schafft sie eine umfassende Darbietung, die den Auftraggeber einerseits auf sinnlicher Ebene anspricht – ä­ hnlich wie später die Besucher – und zugleich erläutert, wie diese Vision praktisch umgesetzt werden soll. Präsentationen variieren zwar von Projekt zu Projekt, aus Erfahrung lässt sich aber ein protoypischer Ablauf ableiten, den wir hier umreißen: zum einen um Präsentation als Werkzeug zu erläutern – insbesondere aber auch um eine Einschätzung zu ermöglichen, wie und in welcher Form Konzept und Entwurf ausgearbeitet sein sollten, um in der Präsentation zu überzeugen.

Prototypischer Ablauf einer Präsentation 1. Zusammenfassung der Aufgabenstellung:  Eine Präsentation von Konzept und Entwurf beginnt mit einer knappen Zusammenfassung der Aufgabenstellung. Dies ist besonders in der persönlichen Präsentation vor dem ­Auftraggeber wichtig, da sie belegt, dass man sein Anliegen verstanden hat. In der Situation werden zudem alle Anwesenden auf die Aufgabe fokussiert und ein gemeinsamer Ausgangspunkt geschaffen. Bei Argumentationen, die im Folgenden komplexere Herleitungen erfordern, gibt dies darüber hinaus zu verstehen, dass man mit der Lösung auch genau auf diese Aufgabenstellung zurückkommen wird. 2. Eindruck schaffen:  Eine Mediatektur soll nicht nur für diejenigen funktionieren, die das dahinter steckende Konzept verstehen, sondern gewissermaßen auf den ersten Blick ansprechen und möglichst begeistern. Daraus ergibt sich auch die Dramaturgie für die Präsentation von Entwürfen gegenüber Auftraggebern: Zuerst werden die zentralen visuellen Entwürfe ohne ­ausführliche Erläuterung gezeigt und somit eine ästhetische Wirkung in den

Der Designprozess in der Mediatektur – Konzept- und Entwurfsentwicklung

Raum gestellt. Anschließend wird der Entwurf auch konzeptionell beleuchtet und somit erläutert, wie die Gestaltung motiviert ist. Der Auftraggeber kann auf diese Weise beide Dimensionen „am eigenen Leib“ erfahren, was in der Regel sehr überzeugend ist und im besten Fall zu der Feststellung führt: „Das ist nicht nur ein gutes Design, es passt darüber hinaus zu unserer Idee!“ Die zuerst ohne weitere Argumentation gezeigten Entwürfe lassen sich bei Bedarf mit Schlagworten anreichern, wodurch sich zentrale Elemente mit einführen lassen, die im Bild sonst nicht erkennbar wären – man kann ergänzen, dass etwas in Social Media eingebunden werden soll, dass eine Installation auf die Bewegung der Besucher reagiert oder dass bestimmte Bilder in Echtzeit generiert werden. 3. Kreative Leitidee(n):  Es folgt die kreative Leitidee im Sinne des krea­tiven Übersetzungsansatzes, der im Designprozess entstanden ist. Dies ist mit­ unter der schwierigste Part, denn es geht darum, einen abstrakten Gedanken möglichst elegant auszudrücken. Grundsätzlich sollte man sich hier auf das Nötigste konzentrieren und diesen Teil kurz, prägnant und anschaulich halten, zumal die Idee in Folge direkt veranschaulicht wird. Eine gewisse Vorarbeit der Texter, die einprägsame Formulierungen für das Konzept finden, kann sich dabei durchaus auszahlen, denn hier wird der rote Faden gesponnen, der sich in allen kommenden Elementen wiederfindet –  alles, was diesen roten Faden nicht spinnt und nicht in der Folge wieder auftaucht, sollte man hier konsequent weglassen. Eine eingängig formulierte Leitidee mit bildstarken Begriffen aber kann zu einer nachhaltig gelingenden Verständigung zwischen Auftraggeber und Designern beitragen. 4. Mediatekturerlebnis – Konzept und Entwurf:  Aus der zentralen kreativen Idee leiten sich alle weiteren Elemente ab. Ist man sich über die Reihenfolge der Darstellung der Einzelelemente unsicher, kann es ein guter Ansatz sein, dem Erlebnis des Besuchers zu folgen und alle nötigen Details daran entlang zu schildern. Damit zeigt man zugleich, dass man sich mit der Zielgruppe und deren Wahrnehmung auseinandergesetzt und das für sie zu gestaltende ­Erlebnis von Anfang bis Ende durchdacht hat. Überhaupt liegt hier der Kern der Antwort nach der Frage, wie weit man Konzept und Entwurf für eine ­Präsentation entwickeln muss: Es muss möglich sein, zu erzählen, wie die Zielgruppe die Mediatektur erlebt – und zwar so zu erzählen, dass das Gegenüber das geschilderte Erlebnis versteht, es sich vorstellen und dafür begeistern kann. Aus der Planung dieser Erzählung ergibt sich, welche Teile der Idee wie weit entwickelt sein müssen, um sie konsistent vermitteln zu können. Es ist daher sinnvoll, die Erzählung der Präsentation grob vorzuplanen und Konzept und Entwurf entsprechend weit auszuarbeiten.

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5. Zeit- und Budgetplan:  Ergänzend zum gestalterisch-konzeptionellen Teil umfasst eine solche Präsentation einen Zeitplan für die nächsten Schritte und eine Kostenschätzung. Beide unterstreichen die Umsetzbarkeit der Idee. Ist der Zeitplan detailliert, sollte er auch eine relativ genaue Übersicht enthalten, wann man welche Materialien, Freigaben und Entscheidungen von Auftrag­ geberseite braucht, um das Projekt im geforderten Zeitrahmen umzusetzen. 6. Zusammenfassung: Zum Ende einer Präsentation sollte man noch einmal die wichtigsten Punkte des Mediatekturerlebnisses zusammenfassen – verbunden mit der überzeugendsten Visualisierung, die man zur Verfügung hat. Da diese Folie stehen bleibt, während Fragen gestellt werden und man über die Inhalte diskutiert, sollte hier ein besonders starkes und für das Konzept prägnantes Bild gewählt werden. Verschiedene Tools können die Präsentation von Konzept und Entwurf (siehe Punkt vier der vorigen Aufzählung) unterfüttern, um das Besuchererlebnis ­­plastisch werden zu lassen und damit die kreative Idee zum Leben zu erwecken: •• Moodboards: Da die Präsentation nur einen Ausschnitt aus dem vielschichtigen Gesamterlebnis einer Mediatektur darstellen kann – und auch weil sich der Entwurf noch in einem vorläufigen Stadium befindet –, arbeitet man gern mit Moodboards. Diese meist collagenhaften Seiten werden letztlich als Ankerpunkt eines jeden Mediatekturprojekts genutzt, insbesondere um sich der anvisierten Tonalität sowie dem Look & Feel anzunähern. Entsprechend haben Moodboards immer die Konnotation von „So soll es werden!“ (siehe Abb 3.4.1). Es sollte dabei aber unbedingt deutlich werden, dass die Elemente der Mood­ boardcollagen nicht als reale Teile der geplanten Mediatektur verstanden ­werden sollten. •• Entwurfsskizzen und Renderings:  Während Skizzen eine Gestaltung noch offen lassen und zeigen, dass etwas sich noch in Entwicklung befindet (also formsprachlich noch nicht detailliert ist), bieten Ren­derings schon eine recht konkrete Vorstellung (siehe Abb. 3.4.2a und b im Vergleich). Durch diese ­Konkretisierung schaffen sie Verbindlichkeit, was einerseits gut ist für den Fall, dass auf Auftraggeberseite wenig Vorstellungsvermögen vorhanden ist. Andererseits kann ein zu konkretes Rendering aber dazu führen, dass man später darauf „festgenagelt“ wird und der Kunde am Ende mit dem Rendering neben der realen Mediatekturinstallation steht und vergleicht, ob auch wirklich alles so im Detail aussieht.

Abb. 3.4.1a/b: Oben (a): Moodboard zum Thema Materialien und Technologieanmutung sowie unten (b): Moodboard zum Thema Emotion und Erlebnis.

Abbildungen 3.4.2a/b:  Skizze und Rendering im Vergleich: Während Raumstruktur und Objekte oben (a) in der Skizze noch offen erscheinen und somit der Fantasie einigen Raum lassen, ist unten (b) das Rendering der gleichen Situation deutlich verbindlicher und lässt weniger gedanklichen Spielraum.

Abbildungen 3.4.3a/b:  Oben (a): Storyboard. Unten (b): Styleframe. Der Styleframe ist deutlich weiter ausgearbeitet und aufwendiger als die Einzelbilder im Storyboard (Luxoom Medienprojekte).

Abb. 3.4.4:  Frames aus einem kurzen Präsentationsanimatics zur Bühnenfunktion beim China Launch der zweiten Generation des Porsche Panameras: Die zwei großen LEDs schieben sich hinten in der Mitte zusammen, um den Blick auf die Einfahrten freizugeben und auf der Bühne Platz für die Autos zu schaffen. Dabei muss ein Animatic nicht die reale Zeit zeigen, die etwas benötigt. In dieser Darstellung ist das Geschehen, welches später über eine Minute in Anspruch nimmt, auf fünf Sekunden gerafft (Luxoom Medienprojekte).

Abb. 3.4.5:  Mock-up der Spiegelbühne für die Gala 125-Jahre-Siemens-Österreich in der Staatsoper Wien (Luxoom Medienprojekte).

Der Designprozess in der Mediatektur – Konzept- und Entwurfsentwicklung

•• Prinzipskizzen und technische Zeichnungen:  Mit Zeichnungen lassen sich technische Zusammenhänge erläutern. Technische Zeichnungen sind dabei aber trügerisch, da sie dem ungeübten Auge auch vermitteln können, dass etwas technisch geprüft ist – egal ob das wirklich der Fall ist. •• Styleframes und Storyboards:  Immer wenn es um zeit- und interaktions­ basierte Medieninhalte der Mediatektur geht, kommen Storyboards ins Spiel. Um nicht jedes Szenenbild auf einem Storyboard final gestalten zu ­müssen und sich auf einfache Skizzen beschränken zu können, paart man die S­ toryboards mit Styleframes (siehe Abb. 3.4.3). Diese zeigen exemplarisch die finale Gestaltung an ein oder zwei ausgewählten Bildern. Dazu kann man dann die Einzelbilder auswählen, die am einfachsten zu erstellen sind und zugleich den eindrucksvollsten Inhalt zeigen. •• Animatics: Wenn Storyboards für die Visualisierung von zeitlichen, funktionalen und mechanischen Zusammenhängen nicht reichen, ist oft ein Animatic die Lösung: Eine animierte Skizze, die Abläufe visualisiert, erklärt oft mehr als viele Worte. Häufig entstehen diese Skizzen in 3D-Tools und zeigen mit einfachen Mitteln eine angestrebte Mechanik wie das Bühnenbeispiel in Abbildung 3.4.4. •• Konzepttexte:  Mit Texten gilt es in einer Präsentation besonders umsichtig umzugehen. Zwar können komplexe Gedanken am besten in Sätzen ausgedrückt werden, doch haben es die Buchstaben zwischen den Bildern schwer, genügend Aufmerksamkeit zu finden. Ein Text darf darum auf keinen Fall zu lang sein. Stichwörter dagegen verwirren häufig mehr, als dass sie erklären. Gut sind knapp ausformulierte Punkte (sogenannte Bulletpoints) oder kurze Texte, die das Wichtigste zusammenfassen und in denen wiederum die wichtigsten Elemente beispielsweise durch Fettschreibung hervorgehoben sind. So kann man den Text gut überfliegen und bei Bedarf den Zusammenhang noch einmal nachlesen. Wichtig ist, dass sich aus den hervorgehobenen Elementen wie Bulletpoints eine klare und logische Reihenfolge ergibt. Sätze, die die ­Leit­ideen zusammenfassen, sollten prägnant und eingängig formuliert sein. •• Referenzen:  Der Verweis auf verwandte oder ähnliche Lösungen in Media­ tekturen, die man selber oder andere schon umgesetzt haben, kann die eigenen Ideen vorstellbarer machen und ihre Umsetzbarkeit unterstreichen. Bilder oder Filme von einem anderen Projekt können eingebunden werden, um einen bestimmten Effekt zu verdeutlichen oder zu zeigen, dass die Lösung von der Zielgruppe angenommen wurde. Drei Dinge sollte man aber unbedingt beachten: Es ist wichtig, dass der Auftraggeber immer den Kontext

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versteht und nachvollziehen kann, welchen Teil bzw. welche Idee man von dem Gezeigten übernehmen will. Außerdem sollte der Kunde nicht das Gefühl bekommen, dass die Referenz besser funktionieren könnte als die Idee, die man gerade präsentiert hat. Umgekehrt sollte aber auch nicht der Eindruck entstehen, man würde eine bereits existierende Idee nur nachahmen. •• Materialmuster:  Gerade bei vielen Spezialmaterialien wie Beschichtungen, Folien oder Spiegeln wird das Materialerlebnis erst deutlich, wenn man diese wirklich in der Hand hat. Auch weil das unmittelbare Erlebnis die technischen Möglichkeiten eines Materials besser belegt als jede Zeichnung oder Erklärung, sollte man von diesen Produkten dem Auftraggeber Proben zeigen. Fast alle Produzenten stellen auf Anfrage Muster ihrer Materialien zur Verfügung. Hält man ein Materialmuster in der Hand, ist man der realen Umsetzung gefühlt bereits ein großes Stück näher gekommen. •• Mock-ups: Mock-ups sind physikalische Funktionsmodelle, die wie 3D-Skizzen funktionieren. Diese entstehen sowohl in der Ideenfindungsphase als auch in der Konzept- und Entwurfsentwicklung. Will man beispielsweise einen bestimmten Projektionseffekt erzielen, der schwierig vorstellbar ist, dann ist es sowohl für die Entwicklung als auch für die Präsentation sinnvoll, ihn am Modell auszuprobieren und dies auch live in der Präsentation zu zeigen. Dazu genügt in der Regel ein provisorischer Aufbau, an dem man darlegen kann, wie der Aufbau im nächsten Schritt professionalisiert wird. Mock-ups sind meist mit einigem Aufwand verbunden, aber erfahrungsgemäß in vielen Präsentationen entscheidend: Wie die übrigen Tools belegen sie die Realisierbarkeit der Idee – und zeigen live ihre Wirkung. Ist der Auftraggeber selbst begeistert, geht er davon aus, dass die vorgestellte Idee die Zielgruppe auch überzeugen kann (siehe Abb. 3.4.5). Für die Erstellung einer Präsentation kann man die verschiedensten gängigen Tools verwenden, von PDFs über Keynote oder Prezi bis zu Powerpoint – um nur einige zu nennen. Erfahrungsgemäß ist der Inhalt wichtiger als die Präsentationsform und die beste Präsentationsform die, die der potenzielle Kunde wiedererkennt und weiterverwenden kann. Nutzt man beispielsweise das Powerpointtemplate des Auftraggebers, sieht dieser gleich, dass die Gestaltung in seinem Markenumfeld funktioniert, und er kann einzelne Folien ohne großen Umbau für eigene Präsentationen verwenden. Zusammenfassung •• Das Konzept überführt die kreative Idee in eine gestalterische Lösung, der Entwurf zeigt die visuellen, räumlichen, technischen, funktionalen und

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z­eitlichen Ausprägungen des Konzepts in einem interaktiv-logischen oder erzählerisch-zeitlichen Ablauf. •• Die für eine Präsentation nötigen Inhalte geben vor, wie weit und in welcher Form Konzept und E ­ ntwurf entwickelt werden müssen. •• Der prototypische Ablauf einer Präsentation führt von der Aufgaben­ stellung über einen eindrucksvollen Auftakt, die Formulierung der kreativen Leitidee(n), die Vorstellung des Mediatekturerlebnisses, einen Zeit- und ­ Budget­plan bis hin zu einer Zusammenfassung, die den Auftakt für Fragen und Antworten bildet.

Ideenauswahl und -entwicklung Innerhalb der Ausführungen zur Präsentation wurden die Ziele der ­ onzept- und Entwurfsentwicklung erläutert. Am Beginn dieser Phase steht die K Ideenauswahl.

Der Feasibility-Check1 Die Konzept- und Entwurfsentwicklung beginnt mit der Entscheidung, ­welche der in der Phase der Ideenfindung festgehaltenen kreativen Ideen man in die weitere Entwicklung übernimmt. Das Evaluationstool dafür ist der sogenannte Feasibility-Check, der einen Ideen- bzw. Konzeptansatz unter Zuhilfenahme der mediatekturspezifischen Kriterien  Machbarkeit, Ergonomie, Ziel­ erfüllung, Umsetzungs­ potenzial, Relevanz, Unmittelbarkeit sowie Eleganz und Effizienz2 untersucht. Der Feasibility-Check ist dabei die erste von vielen Evaluierungsschleifen in der Konzept- und Entwurfsentwicklung. In diesem allerersten Evaluierungsschritt muss eine Idee, die in die Konzept- und Entwurfsentwicklung übernommen werden soll, beweisen, dass sie das Potenzial hat, die genannten Kriterien zu erfüllen. Der Feasibility-Check ist von einschneidender Bedeutung für die weitere Arbeit, da eine Entscheidung für eine Idee eine Festlegung bedeutet, die Ressourcen und Zeit bindet. Jede Idee kann in der Entwicklungsphase in eine Sackgasse laufen und sich als unbrauchbar erweisen. Entsprechend hoch ist das Risiko, mit nur einer brauchbaren Idee in die Konzept- und Entwurfsentwicklung zu gehen. Kommt man als Prozessverantwortlicher aber doch in die Situation, dass nur eine Idee den Feasibility-Check besteht, und ist man zudem unsicher, ob diese Idee 1 Feasibility-Check heißt zu Deutsch Machbarkeitsprüfung. Wir übernehmen diesen Begriff vom British Design Council, legen ihn aber konkret so aus, dass mit diesem die Erfüllung der für Mediatektur in der Einführung des vorliegenden Buches definierten Kriterien überprüft wird, da technische Machbarkeit allein kein ausreichendes Kriterium darstellt. 2 Nähere Erläuterungen zu den Kriterien finden sich im Kapitel Einführung, Abschnitt Kriterien zur Beurteilung von Mediatektur, S. 36 ff. und im weiteren Verlauf dieses Kapitels.

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am Ende gut genug für die Umsetzung ist, lässt sich ein Mischansatz verfolgen: Ein Teil des Teams steigt mit der gefundenen Idee in die Entwicklungsphase ein, während ein anderer Teil damit fortfährt, weitere Ideen zu finden. Komfortabel ist es dagegen, wenn man mit drei, vier guten Ideen in die Konzeptentwicklung ein­steigen und dann noch eine oder zwei davon auf dem Weg verwerfen kann. Die Auswahl von Ideen ist in der täglichen Arbeit nicht zuletzt eine Ressourcen­frage – also auch ein Feasibility-Check an die zur Verfügung stehende Teamkapazität. Je mehr Ideen man ins Rennen schickt, umso weniger Kapazitäten hat man, die einzelne Idee auszuarbeiten. Daraus folgt, dass bei der Arbeit mit mehreren Ideen Meilensteine festgelegt werden müssen, an denen einzelne Ideen beiseitegelegt oder ganz aufgegeben werden. Zeigt sich nach kurzer Entwicklung, dass zwei gute Ideen die Kriterien absehbar zufriedenstellend erfüllen, sollte man etwaige w ­ eitere Ideen, die man als Backup weiterentwickelt hat, verwerfen und die R ­ essourcen auf die besten Ideen konzentrieren.

Das Iterationsmodell der konvergent geprägten Konzeptund Entwurfsentwicklung Während der divergent geprägten Phase der Ideenfindung prüft die Evaluation vorwiegend die inhaltliche Stimmigkeit und die ästhetische Wirkung der Ideen, grob gesagt also ihre Zielgerichtetheit, ohne dabei aber zu genau auf ihre Umsetzbarkeit zu schauen. Zunächst sollen vor allem möglichst viele, unterschiedliche und originelle Ideen generiert werden. In der konvergent geprägten Phase der Konzept- und Entwurfsentwicklung dreht sich diese Gewichtung um. Hier geht es um das Optimieren und Aussieben – die Frage der Umsetzbarkeit tritt in den Vordergrund, während die Zielgerichtetheit der Idee nur noch weiter optimiert wird. Analog zur Ideenfindungsphase lässt sich auch im konvergent geprägten Teil des Designprozesses ein iteratives Ablaufmodell visualisieren. Es beginnt mit der Übernahme der Idee, führt über Recherche und Expertise zur Entwicklungs- und Entwurfsarbeit und schließt den Kreis mittels kriterienbasierter Evaluierung – siehe Abbildung 3.4.6.

Recherche/Expertise Die Recherche ist jetzt zielgerichtet und folgt den während der Ideenfindung, der Evaluierung und der Entwicklung aufgeworfenen Fragen. Man braucht jetzt möglichst konkrete und klare Antworten auf Problemstellungen, entsprechend rückt Expertise für die Instrumente und Methoden der Mediatektur und ihr Zusammenspiel mit benachbarten Arbeitsbereichen wie beispielsweise Architektur, Statik, Materialkunde oder Sensorik in den Fokus. Fragestellungen sind hier in der Regel: Wie kann man dieses oder jenes technische Problem lösen? Haben

Abb. 3.4.6: Iterationsmodell der Konzept- und Entwurfsentwicklung in der Mediatektur.

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andere bereits eine Lösung für ein ähnliches Problem gefunden? Wer hat die Expertise in dem Gebiet? Dazu kommen Fragen danach, welche Anbieter zu welchen Kosten und in welchem Zeitraum die jeweiligen Lösungen umsetzen können.

Konzeption/Entwurf Die Ergebnisse und Erkenntnisse aus der Recherche/Expertise sind Grundlage für den Konzeptions- und Entwurfsschritt. Das Vorgehen hierbei gestaltet sich je nach Mediatekturansatz und Vorlieben der Designer und Kreativen unterschiedlich. Meist handelt es sich um ein Zusammenspiel aus Visualisierung/Gestaltung, technischer Planung, inhaltlicher Entwicklung, Ablaufplanung, konzeptioneller Vertiefung sowie Kosten-, Aufwands- und Zeitplanung. In der Regel ziehen Visualisierung/Gestaltung, Konzept- und Ablaufplanung die anderen Themen hinter sich her, sind doch auch Kostenplanungen oder detailliertere Inhaltskonzepte erst sinnvoll, wenn der inszenatorische und gestalterische Rahmen gesetzt ist. Dazu ist es wichtig, die Präsentation als Maßgabe im Blick zu halten, in welcher Form und wie weit man die einzelnen Themen überhaupt entwickelt, um ein überzeugendes Besuchererlebnis erzählen zu können, aber gleichzeitig Ressourcen zu schonen. Neben Skizzen, der Konzeptformulierung in Textform sowie Ablauf­diagrammen können in dieser Phase viele verschiedene Tools zum Einsatz kommen, so etwa Grafik- und 3D-Software, Compositingsoftware oder Simulations­software. Einen typischen Visualisierungsweg für Mediatektur beschreiben wir im letzten Buch­ abschnitt. Modell- und Funktionsaufbauten sowie Materialmuster helfen dabei, eine Idee zu konkretisieren. Ihre Dokumentation reichert dazu die Präsentation um anschauliche Beispiele an. Der Entwurfs- und Entwicklungsprozess hat dabei trotz seiner Zielgerichtetheit immer noch viele divergente Anteile –  steckt man beispielsweise mit der Anpassung einer Idee fest, kann man auf die in der Ideenfindung bereits detaillierten Recherchemethoden und Kreativtechniken zurückgreifen. Besonders die SCAMPER-Checkliste3 kann hier von großem Wert sein, um mittels Veränderung der Idee zu neuen Lösungsperspektiven zu gelangen.

Evaluierung Konzept- und Entwurfsansatz müssen sich an definierten Kriterien messen. Diese für Mediatektur spezifischen Kriterien wurden bereits in der Einführung des vorliegenden Buches umrissen4 und werden im folgenden Abschnitt weiter erläutert und in ihrer Anwendbarkeit detailliert. Wir unterscheiden zwischen 3 Siehe SCAMPER-Checkliste, Abschnitt SCAMPER-Checkliste (kreativ-systematische Methode), S. 341 f. 4 Vgl. Kapitel Einführung, Abschnitt Kriterien zur Beurteilung von Mediatektur, S. 36 ff.

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den harten Kriterien –  Machbarkeit, Ergonomie, Zielerfüllung und Umsetzungs­ potenzial –,  die in jedem Fall erfüllt sein müssen, und weichen Kriterien – ­Relevanz, Unmittelbarkeit, Eleganz und Effizienz –,  die im Konzept und Entwurf zu optimieren versucht werden. Wenn die harten Kriterien erfüllt sind, werden die weichen K ­ riterien für die Auswahl von Ideen und Ansätzen entsprechend ausschlaggebend. Ganz konkret ergeben sich aus allen Kriterien Fragen an die vorliegenden Ansätze, aus denen sich entsprechend ein Gestaltungs-, Entwicklungs- und Optimierungsbedarf ableitet. Die konvergente Phase innerhalb des Designprozesses ist dadurch gekennzeichnet, dass diese Fragen ständig den Entwicklungsprozess begleiten, um die Arbeit kontinuierlich näher an das Ergebnis heranzubringen. Zusammenfassung •• Der Feasibility-Check ist die erste von vielen Evaluierungsschleifen: Anhand von Kriterien wird hier entschieden, welche kreative Idee(n) in die Konzeptund Entwurfsentwicklung übernommen werden. •• Das Iterationsmodell der Konzept- und Entwurfsentwicklung setzt sich aus den Schritten Recherche/Expertise, Konzeption/Entwurf und Evaluierung zusammen.

Evaluationskriterien – Harte Kriterien Harte Kriterien sind solche, die Konzept und Entwurf in jedem Fall erfüllen müssen.

Machbarkeit Die Frage nach Machbarkeit ist das Kriterium, dem bei weitem die meisten Ideen zum Opfer fallen. Mediatektur ist komplex und damit sind auch die Gründe komplex, warum bestimmte Ideen nicht umsetzbar sein könnten. Machbarkeitsprobleme können in einem einzelnen Mediatekturinstrument entstehen –  wie in den vorhergehenden Kapiteln zu den Instrumenten schon angeführt –, aber auch aus dem Zusammenspiel verschiedener Instrumente miteinander. Um Problemen der Machbarkeit auf die Spur zu kommen, ist ein problem­ orientiertes Szenariodenken erforderlich: Man muss sich möglichst realitätsnah in die verschiedenen Stadien des Projekts hineinversetzen (Entwicklung, Aufbau, Durchführung usw.) und entlang des Ablaufs abschätzen, wo und wann welche Faktoren die Umsetzung gefährden könnten. Die folgende Checkliste zur Machbarkeit gibt Anhaltspunkte, wo etwas schiefgehen könnte. Zu den Arbeitserfahrungen und der Expertise, die man mit der Zeit

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sammelt, wird jedoch immer auch die Konfrontation mit zahlreichen w ­ eiteren Schwierigkeiten zählen – zu komplex sind die meisten Mediatekturprojekte, als dass man alle Machbarkeitsfallen erschöpfend und allgemeingültig aufzählen könnte. •• Budget: Lässt sich die Idee im Rahmen des im Briefing vorgegebenen Budgets umsetzen? •• Zeit: Lässt sich die Idee im gegebenen Zeitrahmen umsetzen? Ist die benötigte Technik in dem Zeitrahmen verfügbar? Können Inhalte und Medien in dem Zeitplan entwickelt und produziert werden? Steht genug Zeit für Tests, Aufbau und Abbau zur Verfügung? •• Sicherheit: Beinhaltet die Idee eine potenzielle Gefährdung? Muss die Mediatektur vom TÜV oder einer ähnlichen Zertifizierungsstelle abgenommen werden? Entsprechen alle Materialien und Bauten den geforderten Brandschutzauflagen? Wo sind die benötigten Fluchtwege? •• Technische Hardware:  Baut die Idee auf technischen Geräten auf, die ­verfügbar sind? Lassen sich selbst zu entwickelnde Bestandteile tatsächlich innerhalb des gegebenen Zeit- und Budgetrahmens konzipieren und herstellen? Wie sicher ist es, dass die benötigte technische Hardware leistungsfähig genug ist für die Idee? •• Betreuungsaufwand: Muss die Mediatektur betreut werden? Gibt es Personal und auch das entsprechend benötigte Budget? •• Mechanik:  Funktioniert die angestrebte Mechanik für den gesamten Projektzeitraum? Kommen Wartungs- und Reparaturkosten dazu, die im Budget darstellbar sind? •• Lichtverhältnisse:  Wie ist die Tageslichtsituation und wie wandelt sie sich über die Zeiten der Installation? Braucht der Mediatekturansatz eine Verschattung? Ist diese erreichbar? Können sich die Besucher im Raum orientieren? Braucht man beleuchtete Notausgangsschilder und funktioniert die Idee noch mit diesen zusammen? •• Bau/Konstruktion: Ist die Mediatektur statisch machbar? Hat die vorhandene Decke genügend Hängepunkte für eine Installation? •• Umfeld:  Erzeugt die Mediatektur Beeinträchtigungen für das Umfeld, etwa durch Lautstärke, Licht oder Besucherlogistik? •• Rechte: Lassen sich alle benötigten Rechte für die Idee und die darin verwendeten Materialien im gegebenen Budget- und Zeitrahmen erwerben? •• Material und Infrastruktur:  Sind Materialbeschaffung, Produktion von neuem Material und die Erstellung von Infrastruktur im Budget und in der Zeit möglich?

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Ergonomie Prinzipiell geht es bei Fragen der Ergonomie darum, ob die Darstellungsform gut mit den körperlichen und geistigen Voraussetzungen und Möglichkeiten der erwarteten Besucher korreliert. Man gestaltet Mediatektur zielführender, wenn man sich entsprechende Limi­tationen und Besonderheiten im Designprozess im Bewusstsein hält, und zwar sowohl bezüglich der Individuen als auch im Blick auf Gruppen. Ergonomie und Überlegungen zur Ergonomie tauchen immer wieder in den verschiedenen Kapiteln zu den Instrumenten auf. Die folgende Auflistung trägt diese zusammen und umreißt so die wichtigsten Fragestellungen: •• Sichtachsen:  Passieren Dinge dort, wo man sie erwartet und wahrnimmt? Berücksichtigt die Idee die menschliche Augenhöhe? Ist in Gruppen Sichtbarkeit auch noch für Personen in der zweiten und dritten Reihe gewährleistet? •• Größen/Geschwindigkeiten: Sind alle Dinge so gestaltet, dass sie auch für alle Menschen mit schlechteren Augen sichtbar und für Personen mit schwachem Hörsinn wahrnehmbar sind? Sind Abläufe so langsam, dass alle M ­ enschen ihnen folgen können? •• Zugang: Sind die Inhalte so aufbereitet, dass man immer und jederzeit einen Zugang findet? Wie wird Verwirrung vermieden? Orientieren sich Abläufe an intuitiven Parametern wie Raum und Zeit? •• Barrierefreiheit: Ist der Zugang für Rollstuhlfahrer möglich? Können Menschen mit besonderen Bedürfnissen einen Zugang finden? •• Besucherfluss:  Können genügend Besucher pro Stunde die Mediatektur erleben? •• Aufenthaltsdauer: Ist die Aufenthaltsdauer zumutbar? Kann man sitzen oder sind andere Ausruhmöglichkeiten vorhanden?

Zielerfüllung Ergänzend zu allen vorhergehenden Punkten stellt sich die Frage, ob die Idee zum gestellten Briefing passt und für die anvisierte Zielgruppe funktioniert. ­Während Ersteres – die Briefingkonformität –  sich relativ einfach entlang des Briefings ermitteln lässt, ist Letzteres – die wirkliche Funktionalität – nicht immer einfach einzuschätzen. Hier hilft es, sich im Team das Szenario vorzustellen, wie Besucher die Idee erleben, und dabei zu untersuchen, wo sie an ihre Grenzen ­stoßen könnten. Dabei ist es erhellend, vom eigenen Verhalten auf das Verhalten der Besucher zu schließen: Was würde ich selber tun? Und noch viel wichtiger: Was würde ich selber nicht tun? Ein klassisches Beispiel für diese Fragestellung

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ist der Einsatz von QR-Codes. Diese fanden eine Zeit lang inflationären Einsatz, wurden aber nur selten wirklich von der Zielgruppe genutzt. Schwierig wird es, wenn man für Zielgruppen gestaltet, die sehr verschieden von einem selbst sind – beispielsweise Kinder oder Menschen aus anderen Kulturkreisen. Hier hilft entweder Erfahrung, wie sich diese Zielgruppen verhalten, oder aber ein entsprechender Test mit der Zielgruppe, was aber schnell sehr aufwändig wird. Erfahrung kann man sich auch von Experten für eine bestimmte Zielgruppe ins Haus holen – oft der einfachste und effizienteste Weg. Zudem spricht es auch gegenüber dem Auftraggeber für die eigene Professionalität, wenn man im ­Konzept vermerkt, dass ein entsprechender Experte in der Konzeptentwicklung beteiligt war. Kriterien für Zielerfüllung sind unter anderem: •• Briefingkonformität: Erfüllt die Idee alle nötigen Briefingpunkte? •• Absenderkonformität: Passt die Idee zur Identität des Auftraggebers? •• Aktionsschwelle:  Bedarf es einer Handlung seitens des Besuchers? Ist die Schwelle dazu niedrig genug gesetzt?5 •• Interessengruppen: Sind alle involvierten Interessengruppen einbezogen und mit der Idee zufrieden?

Umsetzungspotenzial Beim Umsetzungspotenzial geht es darum, wie sinnvoll es für den Mediatekturgestaltenden ist, eine bestimmte Idee zu verfolgen – unabhängig von der Frage danach, wie gut sie als Lösung für den Kunden funktionieren könnte. Man vergisst in einem Projekt schnell, sich diese Eigenperspektive deutlich bewusst zu machen: •• Eigeninteresse: Hat man als Gestalter und Kreativer Lust, an dieser Idee zu arbeiten? Bringt uns diese Idee weiter? •• Portfolio: Passt die Gestaltung ins eigene Portfolio? •• Wirtschaftlichkeit: Kann man mit diesem Konzept genug Geld verdienen? Passt es zu dem Team und den Arbeitsstrukturen, die zur Verfügung stehen? Es ist wichtig, sich diese Fragen zu stellen, um genügend Motivation zu haben, das Projekt mit gutem Ergebnis durchzuführen. Zudem ist es unbedingt notwendig, dass man wirtschaftlich sinnvoll arbeiten kann. Es ist einem wenig geholfen, wenn man eine Idee präsentiert, die dann der Kunde auch noch gut findet und auswählt, die man selber aber gar nicht umsetzen möchte oder kann.

5 Vgl. Kapitel Interaktion, Abschnitt Engagement, S. 228 ff.

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Zusammenfassung •• Harte Evaluationskriterien – Machbarkeit, Ergonomie, Zielerfüllung und Umsetzungspotenzial – müssen in jedem Fall erfüllt werden. •• Machbarkeit fragt, ob ein Konzept technisch, räumlich, zeitlich, finanziell etc. überhaupt umsetzbar ist. •• Ergonomie fragt, ob ein Konzept für den einzelnen Besucher und für Gruppen funktioniert. •• Zielerfüllung fragt, ob alle Briefingvorgaben durch das Konzept abgedeckt werden. •• Umsetzungspotenzial fragt, ob das Konzept aus Sicht des Media­tektur­schaf­ fen­den genügend wirtschaftliches und kreatives Potenzial besitzt.

Evaluationskriterien – Weiche Kriterien Weiche Kriterien sind solche, die als Richtschnur für die Entwicklung und Optimierung dienen. Um die Kriterien und ihre Evaluation möglichst gut zu veranschaulichen, gehen die entsprechenden Abschnitte von Projektbeispielen aus.

Relevanz

Exkurs: Relevanzkriterium im Projekt BMW 2er Cabrio Ausstellung

Die Präsentation des designorientierten Fahrzeugmodells wurde von einem großen rotierenden Spiegelkaleidoskop mit dreieinhalb Metern Durchmesser (siehe Abb. 3.4.7) begleitet. Das Kaleidoskop erzeugte spannende, vielschichtige Perspektiven auf den neuen Wagen. Die Rotation des Kaleidoskops wurde dabei von einer Gewinnspielaktion gesteuert, die mit Social-Media-Funktionen verbunden ist und Adressen für den Hersteller generiert. Kognitive Relevanz erreicht das Spiegelkaleidoskop für die meisten Besucher im Erlebensraum mittels zweier Faktoren: seiner schieren Größe, denn es ragt weit aus den Autos und Köpfen der Menschen heraus und ist somit auch weithin sichtbar,  und seiner Rotationsbewegung, die eine Vielzahl visueller Effekte in den Spiegeln auslöst. Bewegung ist ein guter Weg, Aufmerksamkeit zu erlangen, da diese – solange nicht zu langsam oder zu schnell – auch am Rande unseres menschlichen Sicht­feldes noch regis­triert wird.6 Dabei wird man in vielen Fällen nicht in der Lage sein, dieses besondere Objekt sicher 6 Vgl. M. Rosenzweig et al.: Biological Psychology. An Introduction to Behavioral and Cognitive Neuroscience, S. 287.

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einzuordnen. Gerade bei einem unerwarteten Gegenstand, der sich auf unerwartete Weise bewegt, entsteht daher eine sogenannte vorprädikative Wahrnehmung und damit das S­ ignal, dass Aufmerksamkeit nötig ist und man sich diesem Objekt zuwenden muss, um zu erkennen, worum es sich handelt.7 Wenden Besucher entsprechend ihre Aufmerksamkeit dem Kaleidoskop zu, bieten sich ihnen verschiedene Zugänge, das heißt verschiedene Aspekte intellektueller Relevanz an. Unter anderem sind dies die sich mit der Rotation verändernden Spiegelungen als ästhetische Komponente, das Gesamtobjekt als Foto-Opportunity, das Gewinnspiel, in dem es V ­ itra-­Designstühle zu gewinnen gibt, und die Auseinandersetzung mit dem Thema Kaleidoskop als visuelles Spielobjekt. Setzt sich der Besucher mit einem dieser Aspekte auseinander, ist die Chance groß, dass er nicht nur auf die Funktionalität des Kaleidoskops mit dem Gewinnspiel stößt, sondern auch dessen Bezug auf das neue Fahrzeugmodell erkennt und diesem folgt. Die angebotenen Relevanzaspekte sind dabei möglichst vielfältig und dennoch zielgruppenspezifisch – setzen sich mit visuellem Erleben auseinander, bieten die Möglichkeit, ein Designobjekt zu gewinnen, und laden dazu ein, social-media-relevante Selfies mit dem Spiegelkaleidoskop und Fahrzeugmodell zu machen. Alles Aspekte, die auf eine design­orientierte, vorwiegend junge Zielgruppe abzielen. In dem Projektbeispiel findet sich deutlich die Unterscheidung zwischen k­ognitiver und intellektueller Relevanz, so wie sie bereits in der Einführung beschrieben wurde. Kognitive Relevanz spielt vorwiegend in der asynchronen Mediatektur, zu der auch das Beispiel zählt, eine Rolle. Interessant ist dabei, dass zunächst eine vorprädikative Wahrnehmung in Gang gesetzt wird, ehe man eine bewusst zugewandte kognitive Aufmerksamkeit der Besucher gewinnen kann. Grundlegende Fragestellungen sind hier: –– Ist die Mediatektur in der Lage, im gegebenen Umfeld Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen? –– Kann man sie prominent platzieren? –– Bietet sie genügend Helligkeits- und Farbkontrast? –– Kann sie Bewegungen verursachen, die Aufmerksamkeit fangen? –– Kann der Raum, in dem sie eingebunden ist, so strukturiert werden, dass Aufmerksamkeit auf sie gelenkt wird? –– Kann die Mediatektur Klang oder Töne abgeben, die Aufmerksamkeit anziehen? 7 Wir nutzen Husserls Begriff des Vorprädikativen im Sinne der unbewussten Verarbeitung von Information, die Aufmerksamkeit lenken bzw. erfordern kann. Zu Husserls Begriff vgl. E. Husserl: Erfahrung und Urteil, S. 73 ff., und zur unbewussten Verarbeitung und Aufmerksamkeitslenkung vgl. M. S. Gazzaniga et al.: Psychological Science, S. 282 ff.

Abb. 3.4.7: Rotierendes Spiegelkaleidoskop in der BMW Welt. München, 2015 (Luxoom Medienprojekte (Konzept und Design)).

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–– Gibt es andere Faktoren im Umfeld, zu denen die Mediatektur einen Kontrast (Formkontrast, Materialitätskontrast etc.) aufbauen kann? Teil des Prozesses ist es aber auch, immer die entsprechenden Gegenfragen zu stellen, um eine Balance mit dem Umfeld zu erlangen: –– Stört die Mediatektur mit ihrem Bestreben nach Aufmerksamkeit andere Objekte/Installationen im Umfeld? –  Gerade bei extensiven Licht- oder Soundeffekten kann es schnell zu einer Störung kommen. In der vorprädikativen Sphäre des Wahrnehmungsprozesses beginnt dann der Abgleich mit Bekanntem und das Bewusstsein des Subjekts bekommt über die Information hinaus, dass dort etwas die Aufmerksamkeit verlangt, auch schon Indizien, was es sein könnte.8 Hier setzt die Frage nach der intellektuellen Relevanz an: Kann das, was da die Aufmerksamkeit erregt, einen auch interessieren? Diese subjekt- und zielgruppenspezifischen Zugänge gilt es zu befragen: –– Welche Aspekte bietet die Mediatektur, die für die Zielgruppe intellektuell relevant sind? Welche zusätzlichen Zugänge könnte sie noch bieten? •• Faszination/Irritation:  Bietet die Mediatektur etwas, das die Zielgruppe fasziniert oder irritiert? •• Cultural Brands/Aktivierungsthemen: Bietet die M ­ ediatektur Themen aus dem kulturellen/sozialen Umfeld der Zielgruppe? Die Stärke von Cultural Brands zeigt sich beispielsweise, wenn Kinder im Supermarkt unbedingt den Käse mit aufgedrucktem Sponge-Bob haben wollen, der Audi-Clip The Challenge,9 in dem zwei Generationen Spocks aus Startreck aufeinandertreffen, zur YouTube-Erfolgsgeschichte wird oder beim Super-Bowl ein Snickers-Spot,10 in dem Brady Bunch –  eine Serienfamilie der 1980er –  wieder zum Leben erweckt wird, viel Aufmerksamkeit bekommt. Kann man sich mit der Mediatektur an solch ein per se in der Zielgruppe relevantes Thema anhängen, erfolgt sozusagen ein R ­ elevanztransfer –– allerdings immer auch mit der Gefahr, dass die gewählte kulturelle bzw. soziale Referenz das eigentliche Thema der Mediatektur in den Hintergrund treten lässt. •• Direkter Subjektbezug:  Bindet die Mediatektur das einzelne Subjekt direkt ein, so dass sich ein aktiver Bezug ergibt?

8 Vgl. A. Schütz: Das Problem der Relevanz, S. 44 f. 9 Vgl. Projektbeschreibung The Challenge. 10 Vgl. Projektbeschreibung Brady Bunch Ad.

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Wie unter den Kriterien der Effizienz und Eleganz noch erläutert wird, sollte man einerseits vermeiden, eine Mediatektur zu überladen. Andererseits ist es auch sinnvoll, ein nicht zu schmales Spektrum der genannten Aspekte zu berücksichtigen. Denn Zielgruppen, Rezeptionskontexte und Rezeptionssituationen sind divers, womit die mögliche Zuspitzung auf einen einzelnen Relevanzaspekt schon theoretisch sehr fraglich ist – zumal diese Aspekte ja nicht wie Module ­funktionieren, die man einer Mediatektur ansteckt, sondern aus dem Gesamt­ design entstehen. Entsprechend stellt sich die Frage: –– Welcher Aspekt des Entwurfs lässt sich als Relevanzaspekt nutzen? Wie lässt sich der jeweilige Aspekt im Entwurf weiter ausbauen bzw. intensivieren? Die Art des Aspekts sagt dabei noch nichts über dessen Stärke in der Zielgruppe aus. Um diese Frage zu klären, hilft häufig nur eine Einschätzung im Team, bei der man sich möglichst gut in die Rolle der Zielgruppe versetzt: –– Wäre der angestrebte Relevanzaspekt für mich stark genug, so dass ich mich mit ihm auseinandersetzen würde? Oder würde ich diesen in der Situation und in dem Umfeld eher ignorieren? In der synchronen Mediatektur zeigt sich ein etwas anderes Bild. Hier muss die Mediatektur nicht um die Aufmerksamkeit der Besucher kämpfen, da diese sich ja meist schon zur Teilnahme entschieden haben. Kognitive Relevanz spielt hier nur insofern eine Rolle, als sie zur zielgerichteten Steuerung des Blickes eingesetzt werden kann. Befinden wir uns in einem großen Bühnenraum, sind Kontrast, Helligkeit und Bewegung die Mittel, um die Aufmerksamkeit zu lenken. Besonders relevant wird dies, wenn in der synchronen Mediatektur der Raum keine Blickrichtung vorgibt. Dies ist beispielsweise bei 360º-Projektionen der Fall: Hier ist die gezielte Lenkung der Blicke essenziell, damit ein intendiertes Erlebnis überhaupt möglich wird und dem Besucher Frustration erspart bleibt. In Mediatekturen, bei denen die Aufmerksamkeit der Besucherinnen und Besucher aktiv gelenkt werden soll, ist damit zu fragen: –– Stimmen Fokus der Inszenierung und Fokus der Instrumente (Licht, Farben, Kontraste, Bewegungen) überein, so dass die Aufmerksamkeit der Besucher jederzeit effektiv gelenkt ist? Kann der Besucher jederzeit nachvollziehen, wo seine Aufmerksamkeit liegen soll? Ob bestimmte Inhalte intellektuelle Relevanz für sie haben, entscheiden letztlich immer die Besucher selbst. Ist das Erlebte nicht relevant oder wird sogar als ­negativ relevant angesehen, führt dies zu schlechter Bewertung. Doch durch die

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Art der Inszenierung kann Mediatektur Inhalten eigene Relevanz verleihen. Daher muss man die Frage stellen: –– Sind die Themen und Inhalte so inszeniert, dass sie Relevanz für den Besucher entwickeln? Hier gelten für die synchrone Mediatektur die gleichen drei Punkte der intellektuellen Relevanz wie auch schon in der asynchronen Mediatektur: Faszination/ Irritation, Cultural Brands/Aktivierungsthemen und direkter Subjektbezug. Aus dem Gedanken des Subjektbezugs heraus lässt sich auch die Faszination künstlerischer Arbeiten umreißen, wie sie beispielsweise die Ganzfeld-Serie von James Turrell kennzeichnet,11 wo sich mit Eintritt in das Kunstwerk Selbst- und Umweltwahrnehmung des Subjekts verändern. Bewegen wir uns in der Relevanzbetrachtung weiter, kommen wir vom Be­geg­ nungs­punkt von Subjekt und asynchroner Mediatektur zur Frage der zeitlichen Dauer und der Intensität der Auseinandersetzung. Betrachtet man das eben erwähnte Kunstwerk von James Turrell, ergibt sich aus der Faszination heraus eine Verweildauer. Besucher brauchen Zeit, sich mit dem Erlebnis auseinanderzusetzen, kosten dieses aus und bewegen sich durch das Werk. Hat man das Ziel, die Relevanz über einen solch begrenzten Erlebenszeitraum hinaus auszudehnen, kommen in der Regel Emotion und Narration zum Einsatz. Zwar kann man auch versuchen, die zuvor beschriebene Entdeckungsreise von einer relevanten Dimension zur nächsten fortzusetzen, man sieht sich dann aber mit der Heraus­forderung konfrontiert, eine Kette immer neuer relevanter Dimensionen konstruieren zu müssen, ohne die Möglichkeit zu nutzen –  jetzt, wo man die Aufmerksamkeit des Besuchers hat! –, diese mittels Emotion und Narration zu binden. Emotion hat für uns Menschen per se eine hohe Relevanz, das Kapitel zum Instrument Narration führt dies weiter aus.

Unmittelbarkeit

Exkurs: Unmittelbarkeitskriterium im Projekt Siemens Exiderdome

Im Siemens Exiderdome ging es im Rahmen einer kreativen Leitidee darum, perfekte, umfassende und integrierte Automatisierung zu inszenieren.12 Natürlich kann man das abstrakte Konzept Automatisierung intellektuell erfassen und auch erklären. Auch lassen sich die Vorteile in Worte fassen 11 Vgl. Kapitel Licht und Farbe, Abschnitt Licht- und Farberleben, S. 94 ff. 12 Vgl. Kapitel Mediatekturinszenierung – die Instrumente im Zusammenspiel, Abschnitt Inszenierung am Beispiel Siemens Exiderdome, S. 277 ff.

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und zeigen – man kann beispielsweise in einem Film sehen, wie schnell und präzise Joghurtbecher um Joghurtbecher gefüllt, Auto um Auto zusammengesetzt und Paket um Paket sortiert werden. Man kann sich als Besucher auch abstrakt der Bedeutung und persönlichen Relevanz rationaler und effizienter Techniken bewusst werden – Joghurt und Autos, die man sich leisten kann, da sie wenig Aufwand erfordern, Pakete, die man schnell erhält, weil Sortierung und Logistik in hoher Geschwindigkeit erfolgen. In einer solchen diskursiven Darstellungsform bleibt die Wahrnehmung aber eine Verstandesleistung und erreicht nicht die Dimension des Erlebens, des intuitiven Nachvollziehens.13 Diese Magie entsteht erst, wenn Besucher erleben, was Automatisierung mit dem Moment und aus der konkreten Mediatektur machen kann, in der sie sich gerade befinden. Schon im ersten großen Moment der Inszenierung in der Eröffnungsshow des Exiderdomes wird diese Magie der Automatisierung deutlich –  wenn aus dem dunklen Raum aus mit rotem Stoff bespannten Wänden, in dem eine kleine Leinwand hängt, in einem Bruchteil von Sekunden ein sich ins Unendliche spiegelnder Raum und dann eine Szene mit wandfüllenden Bildern wird. Die exakte und präzise Drehung der Periaktenwände von Stoff zu Spiegeln zu Projektionsfläche und dann zurück zu Spiegeln wird mit ihren mechanischen Geräuschen, ihrer Bewegung und natürlich ihrer Auswirkung auf den Raum unmittelbar und multisensual erlebbar (siehe Abb. 3.4.8). Im Projektbeispiel ist entscheidend, dass die zu inszenierende Funktion aus der Leitidee mit ihrem Nutzen direkt –  also ohne Zuhilfenahme einer diskursiven ­Darstellungsform – in einem Instrument der Mediatektur wahrnehmbar wird. –– Welche Aspekte der Kernbotschaften kann man direkt ohne den Einsatz von Hilfsmitteln erlebbar machen? Mit oder in welchen Instrumenten der Mediatektur lässt sich diese Unmittelbarkeit herstellen? Wo kann man welche e­rzählerischen Hilfsmittel eliminieren, um unmittelbare Erlebnisse zu schaffen? Dabei spielt auch eine Rolle, wie jenes unmittelbare Erlebnis mit der Gesamtinszenierung verknüpft ist. In der Produktion von Werbefilmen lernt man, dass ein Produkt so eingebunden sein sollte, dass sich die Story nicht ohne es nacherzählen lässt, es also eine entscheidende und zentrale Rolle spielen muss.14 Erfahrungs­ gemäß kann man eine ähnliche Aussage über die Platzierung der über Unmittelbarkeit ausgedrückten Kernbotschaft in einer Inszenierung treffen: Sie muss 13 Diskursive und präsentative Darstellungsformen vgl. Kapitel Einführung, Abschnitt Unmittelbarkeit, S. 38 f. 14 Vgl. E. Akpinar: Consumer Information Sharing: Understanding Psychological Drivers of Social Transmission, S. 102.

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Abb. 3.4.8a/b:  Automatisierte Periaktenwände im Siemens Exiderdome. Shanghai, 2005 (Luxoom Medienprojekte).

Der Designprozess in der Mediatektur – Konzept- und Entwurfsentwicklung

einen zentralen und entscheidenden Stellenwert erlangen, das heißt sie muss wiederholt oder an einem zentralen Punkt Einsatz finden. Im Beispiel Exiderdome ist die Veränderung des Raumes und damit die Inszenierung von Automatisierung ein zentrales Inszenierungselement und damit ein wiederkehrendes Erlebnis, das auch am Ende der Show den Raum komplett verspiegelt, alle Medieninhalte verschwinden lässt und die Besucher, die sich selber in den Wänden des unendlichen Raumes sehen, in den Mittelpunkt der Inszenierung stellt – und damit von der medialen Erzählung einen Übergang ins Hier und Jetzt schafft. –– Wie zentral ist das unmittelbare Inszenierungselement zur Darstellung der Kernbotschaft im Gesamtkontext? Lässt es sich wiederholen und dabei variieren? Lässt es sich an einem zentralen Inszenierungsmoment einsetzen? –– Ist das unmittelbare Inszenierungselement zur Darstellung der Kernbotschaft zentral für die Gesamtaussage der Inszenierung? Wie kann es sich in das Gesamterlebnis integrieren ohne davon abzulenken? Unmittelbarkeit kann viele Facetten haben: Zur Vorstellung des BMW Gran Coupés in Peking wurde per Livevideo in das Designstudio von BMW geschaltet, um einen Dialog mit den Designern über das neue Modell zu führen. An einem Punkt im Gespräch lädt der Designer dazu ein, ihn doch im Studio zu besuchen. Der Vorhang hinter der Bühne fällt und dahinter befindet sich das Designstudio, aus dem gerade übertragen wurde. Die Besucher können sich nun unmittelbar dorthin bewegen und verschiedene Dinge – unter anderem ein Claymodell des neuen Wagens – live erleben. Das Spiel mit Mittelbarkeit und Unmittelbarkeit in diesem Kontext machte das Erlebnis sogar noch bewusster und damit stärker. In verschiedenen Szenarien kann ein unmittelbares Erlebnis auch um ein vorgegebenes Sinneserlebnis herum konstruiert werden. Ein Beispiel dafür ist die Inszenierung im Fahrstuhl des One-World-Observatorys in New York.15 Die Fahrt nach oben wird begleitet von einem virtuellen Ausblick über die sich entwickelnde Stadt –  bis am Ende des Aufstiegs das Hochhaus um einen entsteht, in dem man sich gerade befindet. Würde man diesen im Fahrstuhl ablaufenden Film aus dem Fahrstuhl herausnehmen und ließe ihn auf einem großen Bildschirm ablaufen, wäre er sicher ebenfalls eindrucksvoll, aber es entstünde nicht das Erlebnis, das er in dem Moment der Fahrstuhlfahrt erzeugt. Das Erlebnis entsteht erst durch bestimmte Aspekte der Mediatekturinszenierung: die zeitliche Synchronisation der Geschehnisse mit dem Ablauf der Fahrstuhlfahrt – vom Einstieg bis zum Ausstieg –, die Positionierung und Gestaltung der Medien als Fenster  und besonders das physikalische Erlebnis des Nach-oben-Fahrens, das sich perfekt mit dem ­virtuellen visuellen Erlebnis verbindet. 15 Vgl. Kapitel Bildmedien, Abschnitt Gestaltungsaspekt Zeit, S. 173.

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–– Kann man Aspekte des bereits existierenden Ablaufs der Zielgruppe nutzen, um daraus ein unmittelbares Erlebnis zu schaffen? Was machen die Besucher sowieso, das man inszenatorisch verwenden könnte? Prototypisch setzt Volkswagen diesen Ansatz, ein bestehendes Verhalten zu nutzen (und in dem Kontext zu verstärken), in den FunTheory-Ansätzen um, wenn beispielsweise eine vorhandene Treppe zu einem Klavier wird und Besucher ­ unmittelbar mit ihren Schritten auf den Stufen Musik machen können.16 In der Interaktion bekommt das Kriterium der Unmittelbarkeit eine ganz besondere Bedeutung. Wie im Kapitel Interaktion diskutiert, können Interfaces und damit Sensorik Unmittelbarkeit herstellen.17 Elemente einer Mediatektur reagieren auf die Anwesenheit des Besuchers, auf seine Bewegungen, beispielsweise seinen Abstand zum Exponat. Dinge können direkt gegriffen, bewegt, verändert werden ohne den Umweg über abstrakte Funktionen – ein schönes Beispiel hierfür ist das Projekt Pathfinder Bugs.18 Eine besondere Bedeutung ergibt sich deshalb, weil generell die Konzeption eines Interfaces viele Freiheitsgrade bietet und hier eigentlich immer die Möglichkeit besteht, Unmittelbarkeit einfließen zu lassen und damit ein Erlebnis zu schaffen. –– Wie kann ein interaktives Interface so gestaltet werden, dass es möglichst ohne abstrakte Hilfsmittel auskommt? Ist eine nicht-kognitive, präsentative Besucher­interaktion möglich?

Effizienz

Exkurs: Effizienzkriterium im Projekt Paradies der Kopfjäger

Kleinere Museumsprojekte wie das Paradies der Kopfjäger im Humboldt Lab Dahlem sind meist nicht mit großen Budgets ausgestattet. Effizienz ist hier noch viel mehr als bei großen kommerziellen Projekten ein e­ntscheidender Faktor, um ein Projekt überhaupt realisieren zu können. Entsprechend hoch war die Erwartungshaltung im initialen Entwurf dieses Projektes, verschiedene Elemente optional zu stellen –  also aktiv daran zu arbeiten, das Projekt ohne großen Qualitätsverlust im Einsatz der Mittel skalieren zu können. Waren am Anfang noch Objekte aus dem heutigen Nagaland  als Ausstellungsobjekte in der Planung, um die Gegenwärtigkeit der Auseinandersetzung mit dem Thema „Kulturphänomen der Kopfjagd“ zu zeigen, wurden diese schnell v­ erworfen. 16 Vgl. Projektbeschreibung Fun Theory Piano Staircase. 17 Vgl. Kapitel Interaktion, Abschnitt Unmittelbarkeit und Eleganz, S. 233 ff. 18 Ebd.

Abb. 3.4.9a/b: Hängung der Bilder und Medien mit einfachsten Mitteln in der Ausstellung Paradies der Kopfjäger. Oben (a): Entwurfszeichnung. Unten (b): Hängesystem und Vitrinen: Objekt-, Bildund Medienschichtung. Humboldt Lab Dahlem, Ethnologisches Museum. Berlin, 2015 (Luxoom Medienprojekte).

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Aktuelle Fotos, Audio- und Videoaufnahmen, die im Rahmen des Projekts während der Reise des Kurators Roland Platz nach Nagaland entstanden, waren die naheliegende und damit effizientere Wahl – zumal man diese mit historischen Fotos in den Kontext setzen und somit eine direkte Beziehung aufbauen konnte. Auch für die Positionierung dieser Bilder im Raum sowie über Bildschirme, Projektionswände und Raumobjekte war absehbar kein umfassendes Budget vorhanden. Der kreative Ansatz setzte daher auf eine relativ freie Positionierung von Bildern, Themen, Objekten und Medien im Raum, um mit der Bewegung des Besuchers immer wieder neue Zuordnungen und damit Perspektiven möglich werden zu lassen. Hier entstand ein aus einfachsten Materialien bestehendes Hängesystem. Damit konnte nicht nur der konzeptionelle Ansatz der sich verändernden Perspektiven erfüllt werden, sondern es wurde zugleich der temporäre Charakter der gezeigten Inhalte direkt zum Ausdruck gebracht (siehe Abb. 3.4.9). So wurde sprichwörtlich aus der budgetären Not eine inszenatorische Tugend. Dazu war das Hängesystem so vorgedacht und optimiert, dass es im Aufbau einfach handhabbar war und somit auch keine großen Arbeitsressourcen benötigte. Insgesamt hat die Orientierung am Kriterium der Effizienz in diesem Projekt nicht nur dazu geführt, dass die Installation im Budgetrahmen umgesetzt werden konnte. Aus ihr ist auch eine eigene Darstellungs­sprache entstanden, die gezielt Ansätze von Temporalität und Multiperspektivität ermöglicht hat. Ohne ein im Rahmen des Budgets realisierbares Hängesystem hätte man in dem Raum keine transparenten und geschichteten Objekt- und Medienebenen etablieren können. Beim Effizienzkriterium geht es in der Entwicklung von Mediatektur darum, zwischen zentralen, essenziellen Elementen und optionalen Elementen zu unterscheiden, die das Projekt zwar bereichern könnten, auf die man aber auch ohne große konzeptionelle Einbußen verzichten kann. –– Welche Elemente im Mediatekturansatz kann man weglassen, ohne dass der zentrale kreative Übersetzungsansatz verloren geht? Sind die zentralen und die optionalen Elemente identifiziert, können die zentralen priorisiert werden. –– Sind alle zentralen Elemente machbar? Wie können die zentralen Elemente so optimiert werden, dass sie unter den gegebenen Budget-, Zeit- und sonstigen Umständen machbar werden?

Der Designprozess in der Mediatektur – Konzept- und Entwurfsentwicklung

Hat man zu viele zentrale Elemente, weil beispielsweise der Auftraggeber zu viele Kernbotschaften und thematische Aspekte in das Projekt hineinbringt, stellt sich die Frage der Beschränkung und Fokussierung. –– Auf welche zentralen Elemente kann man sich beschränken, um einen geschlossenen Entwurf zu erhalten und darin zugleich die ausgewählten ­Elemente wirklich gut und zielführend umsetzen zu können? Mancher Entwurf wird erfahrungsgemäß erst dadurch gut und umsetzbar, dass man sich aktiv von ein paar Briefinginhalten verabschiedet. Das betrifft meistens thematisch komplexere Projekte, wo dann ein solches Aussieben zu einer Schärfung der thematischen Aussage führt. Hat man die zentralen Elemente identifiziert und optimiert, kann man die optionalen Elemente im Entwurf als solche kennzeichnen. Das hilft dabei, zu ­zeigen, wie und wo ein Konzept und Entwurf skalierbar sind. Aus dem Prozess ergibt sich zumeist auch eine klare Argumentation, was man mit einzelnen ­Elementen unter Einsatz welcher Mittel und Ressourcen erreichen will und kann. Insgesamt schärft dies Konzept und Entwurf und macht sie wettbewerbsfähiger.

Eleganz

Exkurs: Eleganzkriterium im Projekt Porsche Panamera Launch

Thrilling Contradictions ist die Kernbotschaft im Briefing zum Projekt –  zu Deutsch in etwa aufregende Gegensätze, nämlich Komfort und Sportlichkeit. Das neue Porsche-Modell vereint diese Gegensätze und entsteht somit aus der Verschmelzung der beiden. Diese Genese ist die zentrale Übersetzungsidee, aus der sich die gesamte Inszenierung ableitet. Die Bühne übersetzt diese Aussage in eine Inszenierung von Raum durch zwei LED-Wände, die auf ihrem Weg zur Verschmelzung einen großen Bühnenraum für das Auto freilegen (vgl. Animatic in Abb. 3.4.4). Die LED-Inhalte unterstützen dies – Gegensätze in Form von Schwarz und Weiß ziehen sich an und stoßen sich ab, bis sie am Ende – im Moment der Verschmelzung der zwei LED-Wände – ineinander stürzen und in einer Explosion das neue Auto erschaffen, das jetzt den freigelegten Bühnenraum dominiert. Die LED-Fläche wird nun, da das Auto erschaffen ist, zum Hintergrund und gibt den Fokus an das vom Licht hervorgehobene Auto ab (vgl. Kapitel Geschichten und Narration, Abb. 2.6.3). Alle Instrumente – Raum, Narration, Licht, Ton, Medien – inszenieren übergreifend und konsequent gemeinsam diesen Moment, der relativ einfach angelegt ist. Im Prinzip müssen sich nur die zwei LED-Wände verschieben und

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zu einer werden, um den Bühnenraum komplett zu verändern und die gewollte Aussage zu vermitteln. Hier spiegelt sich wider, was der Philosoph Hannes Böhringer in die Formulierung fasst: „mit einer Bewegung zum Ziel kommen“.19 Die Lösung ist wie gefordert ökonomisch – der Einsatz von Mechanik, um die zwei Wände zu bewegen, ist gezielt und simpel – und auch ästhetisch gelungen – zwei klare, massive Körper, die formsprachlich mit dem Umfeld korrespondieren, bilden die Gravität der Gegensätze in ihrer Masse ab, ohne durch Verzierungen oder weitere Botschaften vom Thema abzulenken oder maniriert zu wirken. Die Qualität dieser Lösung lässt sich daran erkennen, dass sie schlicht evident war, sich wie von selbst aufgedrängt hat – und dass sie ab dem Moment ihrer Präsentation weder von Auftraggeberseite noch von einem anderen Beteiligten im Umsetzungsteam jemals angezweifelt wurde. Das Eleganzkriterium betrachtet den konzeptionellen und gestalterischen Ansatz und prüft, ob alle Elemente eines Mediatekturansatzes aus einer zentralen kreativen Übersetzungsidee abgeleitet sind. Dabei stehen sowohl die kreative Übersetzungsidee als auch die daraus resultierende Gestaltung auf dem Prüfstand: –– Erlaubt die kreative Übersetzungsidee, alle Elemente und Instrumente aus ihr heraus zu gestalten? Kommt man ohne Hilfskonstruktionen und Um­ständ­ lichkeiten aus? –– Ist jedes Element des Konzept- und Gestaltungsansatzes komplett in der einen Übersetzungsidee begründet? In der Regel führt das Eleganzkriterium zu einfachen und argumentativ schlüssigen Lösungen, die Komplexität in Evidenz übersetzen. Letztlich sind dies meist Lösungen, die wie in dem Beispiel gezeigt, sich förmlich aufdrängen und die –  wenn einmal gefunden – nicht so wirken, als hätte man lange nach ihnen gesucht, da sie so augenfällig sind und gleichzeitig alle Instrumente der Mediatektur mühelos in einer Inszenierung verbinden können. Entsprechend ist Eleganz häufig wie ein Puzzlespiel – es gibt einen Moment, an dem plötzlich alle Teile ­zueinander passen, eine Art Aha!-Moment, wenn eine elegante Lösung gefunden wird. Eine Kontrolle liegt entsprechend in den Fragen: –– Funktioniert der Ansatz in klaren, einfachen und logischen (argumentativ schlüssigen) Schritten? –– Wirkt der Ansatz so einfach, dass er sich buchstäblich von selbst aufdrängt? Man sollte sich jedoch nicht täuschen: Bis etwas durch seine Selbstverständlichkeit und Eleganz überzeugt, kann sehr viel Arbeit notwendig sein – ein steter Prozess 19 Vgl. Kapitel Einführung, Abschnitt Eleganz, S. 40 f.

Der Designprozess in der Mediatektur – Konzept- und Entwurfsentwicklung

der Entwicklung und Überprüfung von Konzept und Entwurf in den beschriebenen beiden Phasen des Designprozesses. Zusammenfassung •• Weiche Evaluierungskriterien – Relevanz, Unmittelbarkeit, Effizienz und Eleganz – sollten möglichst gut erfüllt werden. •• Relevanz fragt, ob ein Konzept für die Zielgruppe und im Kontext kognitive und intellektuelle Relevanz entwickelt und somit die Zielgruppe erreicht bzw. ihr Orientierung bietet. •• Unmittelbarkeit fragt, welche Aspekte der Kernbotschaft(en) eines Konzepts direkt und ohne Einsatz von Hilfsmitteln erlebbar gemacht werden können. •• Effizienz fragt, welche Elemente eines Konzepts zentral und welche optional sind und wie die zentralen Elemente gestärkt und herausgearbeitet werden können. •• Eleganz fragt, ob alle Elemente des Konzepts aus einer kreativen Über­ setzungs­idee abgeleitet sind und der Entwurf ohne Hilfskonstruktionen und Umständlichkeiten auskommt.

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Der Designprozess in der

Überarbeitung, Ausarbeitung und Produktion Der Designprozess in der Mediatektur

Rebriefing und Überarbeitung Auf die Vorstellung des Konzepts und des Entwurfs in der Präsentation erfolgt in der Regel ein Rebriefing – das heißt der Auftraggeber gibt Feedback zu dem vorgestellten Konzept. Hat man mehrere Konzept- und Entwurfsansätze präsentiert, sollte hier auch die Entscheidung für einen davon fallen. Je nach Umfang des Feedbacks ist die Überarbeitung mehr oder weniger komplex und setzt entsprechend früh im Designprozess erneut ein. Um aber die weitere Arbeit möglichst zielführend zu gestalten, ist es hilfreich, die Kritik sowie die Wünsche des Auftraggebers so differenziert wie möglich abzufragen und festzuhalten – wofür der präsentierte Entwurf, möglicherweise auch als Negativfolie, eine sehr gute Grundlage bieten kann. Normalerweise sind viele Überarbeitungsschleifen ein Zeichen dafür, dass auf Auftraggeberseite die Zielvorstellungen noch nicht wirklich klar sind. Hier hilft es dann, noch einmal ein überarbeitetes Briefing abzustimmen und somit eine sicherere Basis für die Mediatekturentwicklung zu schaffen. Eventuell entsteht

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Andrea Rostásy, Tobias Sievers – Handbuch Mediatektur

der Überarbeitungsbedarf aus Veränderungen der Rahmenbedingungen und der Informationslage, die sich während des Entwurfsprozesses ergeben haben. Auch hier muss das Ausgangsbriefing noch einmal angepasst werden. Nicht selten gibt es schließlich den Fall, dass erst im Rahmen der Präsentation klar wird, dass das Briefing auf Auftraggeberseite nicht mit allen Beteiligten abgestimmt war. Bevor aber die Zielsetzung mit dem Auftraggeber nicht eindeutig in einem präzisen und nunmehr mit allen Verantwortlichen abgesprochenen Briefing festgelegt ist, ist es wenig sinnvoll, Konzept und Entwurf weiter zu überarbeiten. Die Überarbeitung ist eine Wiederholung der Phasen Briefinganalyse – wie eben schon angesprochen – Ideenfindung und Konzept- und Entwurfs­entwicklung. Je nach Feedback steigt man mehr oder weniger tief wieder in die Ideenfindung ein. Ist eine Idee an sich gut, kann sich die Überarbeitung fast ausschließlich auf den konvergent geprägten Teil beschränken. Die Abläufe sind mit denen, in den vorhergehenden Abschnitten vorgestellten, identisch.

Konzept- und Entwurfsübergabe in die Ausarbeitung und Produktion Sind Konzept und Entwurf freigegeben, ist der nächste Schritt die Vorbereitung des Kick-offs für die Ausarbeitungs- und Produktionsphase. Häufig ist dieses Kick-off der Punkt, an dem die Prozessverantwortung vom Kreativ- und Entwurfsteam an eine Projekt- bzw. Produktionsleitung übergeben wird. Dafür ist eine möglichst komplette Dokumentation von Konzept und Entwurf hilfreich – auf deren Basis alle jetzt dazukommenden Teammitglieder und Partner gebrieft werden können. In der Regel handelt es sich bei dieser Dokumentation um die Präsentationsunterlagen, eventuell ergänzt um Hinweise, die sich während des Gesprächs über die Präsentation noch ergeben haben. Der schriftliche Entwurfsund Konzeptionsstand sollte vor der Weiterarbeit im Gespräch zwischen Kreativund Produktionsleitung noch einmal auf Vollständigkeit geprüft und wo nötig, ergänzt werden. Fragen, die dabei auftauchen können, sind: •• Enthält das Dokument alle grundlegenden Konzept- und Entwurfsinformationen? Besonders bei mehreren Überarbeitungen sind die Präsentations­ dokumente am Ende des Prozesses sehr auf jene Fragen fokussiert, die in der Überarbeitung noch geklärt werden mussten. Hier ist es sinnvoll, auf frühere Konzept- und Entwurfsdokumente zurückzugreifen und zu prüfen, welche grundlegenden Informationen man in den Dokumentationsstand wieder eingliedern sollte. •• Sind alle Entwurf- und Konzeptdetails, die schon festgelegt sind –  wie ­Materialien, Aufhängungsdetails, Farben – in dem Dokument aufgelistet und eindeutig benannt?

Der Designprozess in der Mediatektur – Überarbeitung, Ausarbeitung und Produktion

•• Ist deutlich vermerkt, welche Elemente, Designvorgaben, Abläufe, Inhalte etc. noch als Vorschlag und welche als final zu verstehen sind? Nur so wird klar, wo noch kreative bzw. designerische Arbeit geleistet werden muss und wo im Gegensatz dazu einfach abgearbeitet werden kann. Sind alle Herausforderungen, Frage- und Problemstellungen vermerkt, die während der Konzept- und Entwurfsentwicklung sowie in der Überarbeitungsphase bekannt geworden sind? In dem Produktions- und Ausarbeitungsteam sind mit Sicherheit einige Beteiligte, die das Projekt noch nicht in allen Details kennen. Diese sind schneller auf dem Stand, wenn sie nicht nur Konzept und Design kennenlernen, sondern auch wissen, welche Überlegungen eventuell verworfen ­wurden oder wo noch Klärungs- und Lösungsbedarf besteht, gerade an Punkten, wo dieser nicht auf den ersten Blick offensichtlich ist. •• Sind alle eventuell bestehenden, noch nicht eingearbeiteten Wünsche bzw. Anmerkungen der Auftraggeberseite vermerkt? •• Stehen zusätzliche Gestaltungsrichtlinien, die im weiteren Prozess bekannt sein sollten, zur Verfügung? •• Gibt es bereits Gestaltungsvorlagen oder Materialsammlungen, die im Entwicklungs­prozess entstanden sind und weiter genutzt werden können? Wo sind diese abgelegt/zugänglich? •• Werden Assets wie Schrifttypen oder Logos zur Verfügung gestellt? Wo sind diese abgelegt/zugänglich? •• Wenn noch Materialien oder andere Informationen fehlen: Welche sind das und wann werden diese absehbar verfügbar sein? Wo werden diese dann zur Verfügung gestellt?

Ausarbeitungs- und Produktionsphase aus Sicht des Kreativ- und Designteams In der Ausarbeitungs- und Produktionsphase ändert sich die Rolle des ­Kreativund Designteams vom aktiv kreativen zum begleitend überwachenden Part. Zwar gibt es immer noch die eine oder andere Detaillierung, die erfolgen muss –  die Designprozessgrafik zeigt hier auch noch einmal ein leichtes d ­ ivergentes Auseinanderstreben, bevor es zielgerichtet auf die Fertigstellung zugeht –, diese erfolgt aber in der Regel in dem jeweiligen Gewerk und wird vom Designteam im Gesamtkontext gesteuert. Während das Projekt- bzw. Produktionsmanagement dafür sorgt, dass das ­Projekt im gegebenen zeitlichen und budgetären Rahmen umgesetzt wird und dass alle Schnittstellen und Verantwortlichkeiten geklärt sind, obliegt es dem Design, die Qualität sowie die Konzept- und Entwurfskonformität der P­ roduktion

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im Blick zu behalten. In aller Regel verändert sich ein Projekt noch in der Ausarbeitung und Produktion und das Designteam trifft entsprechend konzept- und gestaltungsrelevante Entscheidungen. Diese zweigleisige Projektverantwortung ist in Mediatekturprojekten (wie auch in vielen anderen designgeprägten Umfeldern) wichtig für den Erfolg. Denn mit einer solchen Aufteilung sind die wider­ strebenden Interessen zwischen Budget- und Zeitkonformität auf der einen Seite und perfektem Ergebnis auf der anderen nicht in einer Person zusammen­ gezwungen. Zudem wäre es für eine Einzelperson schwierig, im Tagesgeschäft das große Ganze im Blick zu behalten, wenn man sich mit vielen Organisations- und Ablaufdetails, Zeitplänen und Kostencharts auseinandersetzen muss. Mit der Freigabe des Auftraggebers, einer detaillierten Konzept- und Entwurfs­ dokumentation in der Hand, einer anschließenden umsichtigen Übergabe vom Design- an das Produktionsteam und mit sinnvoll verteilten Verantwortlichkeiten für die nächsten Schritte sind zentrale Bedingungen für eine erfolgreiche Umsetzung der geplanten Mediatektur gesichert. Zusammenfassung •• Die Überarbeitung ist eine Wiederholung der Phasen (Re-)Briefinganalyse, Ideenfindung und Konzept- und Entwurfsentwicklung. •• Sind viele Überarbeitungsschleifen nötig, kann das ein Anzeichen für ein ungenaues Briefing sein. •• Nach der Freigabe von Konzept und Entwurf wird die Präsentation als ­Ausgangs­dokument für die Ausarbeitungs- und Produktionsphase aufgearbeitet, die mit dem Kick-off-Meeting beginnt. •• In der Ausarbeitungs- und Produktionsphase überwacht das Kreativ- und Designteam die konzept- und entwurfsrelevanten Aspekte der Umsetzung. Dies geschieht am besten in Zusammenarbeit mit einem Produktions­ management, das Aspekte wie Zeit und Budget führt.

­Arbeitsstrategien, -werkzeuge und ­-erfahrungen

Kapitel 4

Abb. 4.1: Überblick über die in einem Mediatekturprojekt zu erfüllenden Aufgaben.

Aufgaben und Funktionen im Detail ­Arbeitsstrategien, -werkzeuge und ­-erfahrunge

Einleitung Die Durchführung von Mediatekturprojekten ist ein komplexer und von Projekt zu Projekt immer wieder etwas unterschiedlicher Prozess mit einer Vielzahl an Aufgaben und Schnittstellen, von dem der in Kapitel 3 vorgestellte Designprozess nur den kreativen Teil bildet. Dieser Prozess muss gesteuert und mit Leben erfüllt werden. Dieses Kapitel stellt die inhaltlichen Aufgaben sowie die Steuerungsaufgaben vor, die während eines Mediatekturprojekts zu erfüllen sind (siehe Abb. 4.1). Dabei ist deren Gliederung nicht einfach mit der Struktur des jeweiligen Teams gleichzusetzen, das diese erfüllt. Auf die verschiedenen Möglichkeiten der Teamstrukturierung geht der letzte Teil dieses Abschnitts gesondert ein.1

Projektmanagement Mediatekturprojekte sind in der Regel komplex. Sie beinhalten viele Gewerke und damit viele Schnittstellen in den Arbeitsprozessen sowie wenig standardisierte Elemente, die sich bereits am Projektanfang in vollem Umfang voraussehen und planen lassen. Entsprechend wichtig ist die Rolle des Projektmanagements, das das sich entwickelnde Projekt im zeitlichen und budgetären Rahmen zu h ­ alten hat und den Austausch der verschiedenen Projektbeteiligten koordiniert – im Team, zwischen den Gewerken, mit dem Auftraggeber. Das Projektmanagement bildet damit – wie im Abschnitt zur Überarbeitung, Ausarbeitung und Produktion im Designprozess beschrieben2 – einen vitalen Gegenpol zu Design und Kreation, 1 Um die jeweiligen Aufgaben in angemessener Genauigkeit zu beschreiben, plastisch werden zu lassen und auch hilfreiche Tipps zu geben, werden in diesem Kapitel teilweise Inhalte aus den vorigen Kapiteln noch einmal aufgenommen. 2 Vgl. Kapitel Designprozess, Abschnitt Ausarbeitungs- und Produktionsphase aus Sicht des Kreativund Designteams, S. 383.

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aber auch zu Produktion und Redaktion, die alle prinzipiell „besser, schneller, weiter“ agieren wollen, was im jeweils gegebenen Zeit- und Budgetrahmen nicht immer möglich oder sinnvoll ist.

Auftraggeberhandling Der Umgang mit Auftraggebern unterscheidet sich nicht grundsätzlich von dem in anderen Design- oder Agenturumfeldern. Auch hier gilt zunächst: Ein gutes Arbeitsverhältnis schafft man über Verlässlichkeit. Einmal getroffene Absprachen werden eingehalten und läuft einmal etwas anders als erwartet, sollte dies so früh wie möglich und konstruktiv kommuniziert werden. Auftraggeber sollten immer das Gefühl haben, dass man das Projekt fest im Griff hat. So hat man auch den angestrebten Spielraum, um das Projekt so durchzuführen, wie man es sich selbst vorstellt. Betrachtet man beispielsweise die Kreation und Produktion von Broschüren oder TV-Werbefilmen, gibt es hier klare und standardisierte Abläufe. Der Auftraggeber kann sich auf Basis eines Storyboards vorstellen, wie ein Film später, nach der Fertigstellung aussehen wird. Das liegt nicht nur daran, dass die Produktion eines Films nicht unbedingt so komplex wäre wie die einer Mediatektur, sondern ebenfalls daran, dass Storyboards eine bekannte standardisierte Form darstellen, mit der Auftraggeber Erfahrung haben: Sie wissen, wie ein Storyboard funktioniert und – im Zusammenspiel mit Styleframes3 – wie das Endprodukt aussehen wird. Bei Mediatekturprojekten gibt es diese klaren Standardisierungen und ­Erfahrungen nicht. Das bedeutet, dass der Kommunikation mit dem Auftrag­geber besonderes Augenmerk zufällt. Sie sollte aktiv gestaltet werden, um sicherzu­ stellen, dass auf Auftraggeber- wie auf Auftragnehmerseite annähernd gleiche Vorstellungen von Prozess und Ergebnis existieren. Aufgrund der Komplexität der Projekte im Arbeitsfeld Mediatektur ist der stärkste Faktor, einen Auftraggeber von einem Projekt zu überzeugen, nicht unbedingt die Kreativität oder Qualität des angebotenen Projektes, sondern die vorhandene Erfahrung und Reputation der Mediatekturschaffenden. Denn Mediatekturprojekte stellen viele Auftraggeber vor Herausforderungen in der Prozessbegleitung, mit denen sie keine Erfahrung haben. Umso höher werden entsprechende Erfahrungen und vorhergehende Erfolge der Auftragnehmer geschätzt. Dahinter steht häufig die Wunschvorstellung: „Es muss eine Weltneuheit sein, die noch niemand vorher gesehen oder gemacht hat, außerdem muss es tausendfach ­getestet und bewährt sein!“

3 Vgl. zu Styleframes die Ausführungen im Kapitel Designprozess, Abschnitt Prototypischer Ablauf einer Präsentation, 355

­Arbeitsstrategien, -werkzeuge und ­-erfahrunge – Aufgaben und Funktionen im Detail

Gemeinsames Verständnis schaffen

•• Strukturierte und einfache Darstellung der Idee Spätestens beim ersten sogenannten Schulterblick4 steht man vor der Herausforderung, dem Auftraggeber seinen kreativen Ansatz zu kommunizieren und möglichst verständlich zu machen. Dabei sollte man sich vor Augen führen, dass der Auftraggeber ja noch keine Vorstellung von dem hat, was als kreativer Ansatz von der Idee über erste Skizzen und Visualisierungen bis zu diesem Punkt bereits entwickelt wurde. Je klarer und einfacher man ein Mediatekturprojekt unter dieser Prämisse visualisieren und dabei beschreiben kann, umso besser und zielgerichteter wird die Resonanz und das Feedback des Auftraggebers sein und man kann sich sicher sein, dass die Vorstellung des Auftraggebers und die eigene Vorstellung keine zu großen Diskrepanzen aufweisen. Dabei kann es ausschlaggebend sein, gerade bei umfangreichen Projekten konsequent eine zu große Komplexität in der Präsentation zu vermeiden und ein einfaches Bild, dargestellt aus der Perspektive der Zielgruppe entlang des Erlebnisses, zu zeichnen.5 Die Auftraggeberseite wird eine Projektidee immer auch über die Qualität der Darstellung in der Präsentation beurteilen – ist die Präsentation klar und zielführend, wird auch das eigentliche Produkt als klar und zielführend wahrgenommen. •• Verunsicherung vermeiden bzw. moderieren Besonders bei Zwischenpräsentationen in späteren Projektstadien sollte man ein Auge darauf haben, Irritationsquellen zu erkennen und Vorsorge zu treffen. Beispielsweise wirken Aufbauten und Medienprogramme oft bis kurz vor Schluss noch roh. Wie im ersten Punkt erwähnt, weiß man als Gestalter, wie die sichtbaren Zwischenergebnisse zu interpretieren sind – der Auftraggeber weiß dies oft nicht und entsprechend muss deren Präsentation moderiert werden. Ein Beispiel für klassische „Fallen“ sind Vorschaurenderings: Wenn man versucht, wegen des großen Zeitaufwandes und der damit zusammen­ hängenden Kosten das finale Rendering bis zum Ende des Projektes aufzu­ sparen, nutzt man häufig Platzhalter oder Inhalte niedriger Qualität für die Vorschau. Das führt nicht selten zu Irritationen, muss sich der Auftraggeber doch vorstellen, wie eine Mediatektur mit den finalen Inhalten wirkt. Hier können Einzelbilder in voller Qualität Abhilfe schaffen. So bekommt der Auftraggeber einen überzeugenden Eindruck und kann sich beruhigt auf die Abläufe konzentrieren, die noch mit Vorschaumaterial visualisiert sind. 4 Vgl. zum Schulterblick die Ausführungen im Kapitel Designprozess, Abschnitt Der Designprozess in Mediatekturprojekten, 298. 5 Vgl. zu einer Erzählweise entlang des Zielgruppenerlebnisses die Ausführungen im Kapitel Designprozess, Abschnitt Prototypischer Ablauf einer Präsentation, Punkt Mediatekturerlebnis – ­Konzept und Entwurf, 349.

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•• Präsentationsaufwand korrekt einschätzen Eine Präsentation – aber auch eine Zwischenpräsentation und die sogenannten Schulterblicke – sind eine Inszenierung für den Auftraggeber und man neigt dazu, zu unterschätzen, wie viel Zeit und Ressourcen diese in der Vorbereitung in Anspruch nehmen. Die Arbeitserfahrung zeigt, dass man in einer Zwischenpräsentation nie einfach die Studiotür aufmacht und zeigt, woran man gerade arbeitet. Präsentationen sind Termine, die mehrere Tage Vorbereitungszeit erfordern und die man in der eigenen Zeitplanung einkalkulieren sollte. Dass sich der Auftraggeber durch die Präsentationen abgeholt und überzeugt fühlt, ist manches Mal wichtiger als der eigentliche Projektfortschritt. Erwartungen managen

•• Managen von Erwartungen zum Projekt Gerade bei interaktiven Projekten der asynchronen Mediatektur können sich Funktionen und Designs in der Phase der Prototypentests und Mock-ups noch einmal ändern. Diese Tests bewirken häufig, dass auch grundlegende Elemente der Inszenierung noch einmal „umgestrickt“ werden, da es ja nicht um die stringente Umsetzung des entwickelten Konzepts geht, sondern um das, was die fertige Mediatektur der anvisierten Zielgruppe bietet. Die Auftraggeberseite tendiert dagegen häufig dazu, an bestehenden Visualisierungen und beschriebenen Funktionslogiken festzuhalten – wenn nicht von vornherein deutlich formuliert wird, dass mit Veränderungen zu rechnen ist. Die Erfahrung zeigt, dass es viele Vorteile bringt, die Auftraggeberseite auf diese möglichen Veränderungen vom ersten Moment an direkt anzu­ sprechen – also proaktiv Erwartungsmanagement zu betreiben. Als Argument kann hier immer das „Funktionieren“ des Ergebnisses, der Mediatektur für die Zielgruppe dienen, was gerade bei komplexen Projekten nur mit vielen Tests gewährleistet werden kann – eine Erklärung, der sich ein Auftraggeber kaum verschließen kann. •• Managen von Erwartungen zur Zusammenarbeit Erwartungen des Auftraggebers beziehen sich nicht nur auf das Projekt­ ergebnis, sondern ebenso auf viele Abläufe im Projekt selbst. Hier ist es von Vorteil, frühzeitig Erwartungen auszuloten, um Missverständnisse gar nicht erst aufkommen zu lassen. Erwartet der Auftraggeber, dass er den Projektleiter außerhalb regulärer Bürozeiten telefonisch erreichen kann? Erwartet er bei einer am Freitagabend per Mail geschickten Anforderung am Montag­ morgen ein Ergebnis? Ein Ansprechen von Erreichbarkeit und Reaktionszeiten hilft, die kundenseitigen Erwartungen mit den eigenen Leistungen

­Arbeitsstrategien, -werkzeuge und ­-erfahrunge – Aufgaben und Funktionen im Detail

übereinzu­bringen. Ein weiterer Punkt betrifft die Kompetenzverteilung: Die ­Fachexpertise für die zu vermittelnden Inhalte liegt beim Auftraggeber, die Kompetenz für die Gestaltung bei den Designern. Hier sollte man auf ein ­klares Rollen­verständnis achten. Experten bringen die Inhalte ein, die Gestalter gestalten sie – nicht andersherum. Auftraggeberkommunikation nachvollziehbar machen

In komplexen Projekten wird die Kommunikation mit dem Auftraggeber schnell unübersichtlich: Welche Präsentationen liegen dem Auftraggeber vor? Welche Version einer bestimmten Visualisierung? Aber auch: welches Kostenschätzungsdokument hält er in Händen? Hier entstehen spätestens dann Schwierig­keiten, wenn man sich nicht mehr sicher ist und beim Auftraggeber selber nachfragen muss – was nicht unbedingt von professioneller Projektorganisation zeugt. Ein gut gepflegter Ausgangsordner kann dieses Problem grundlegend lösen: In der Projektstruktur wird ein Ordner angelegt, in dem alles, was an den Kunden gesendet oder übergeben wird, mit Datum und Uhrzeit abgelegt ist. Das generiert zwar einige redundante Daten, bewahrt einen aber davor, an diesem sensitiven Punkt den Überblick zu verlieren. Gleiches gilt für Dokumente, die man vom Auftraggeber erhält. Hierfür erstellt man einen Eingangsordner und legt alles, was an Dokumenten, Material usw. eingeht, mit Datum und Uhrzeit ab. Auch hier überwiegt der Vorteil von mehr ­Transparenz den Nachteil redundanter Daten. Krisenmanagement

Geht trotz guter Planung mal etwas schief oder lassen sich Ziele nicht im Zeitplan erfüllen, dann ist es von Vorteil, den Auftraggeber schnellstmöglich zu informieren. Schnellstmöglich heißt wiederum nicht sofort, sondern nachdem man sich einen konstruktiven Lösungsvorschlag für das Problem überlegt hat. Frühzeitiges Kommunizieren ist immer besser, als ein Problem auszusitzen und zu hoffen, dass es sich im weiteren Projektverlauf von selbst löst. Die Erfahrung lehrt, dass in den meisten Fällen Probleme mit der Zeit eher größer werden als kleiner – dass man die meisten Schwierigkeiten aber mit den Auftraggebern zusammen bewältigen kann, wenn man dafür früh genug gemeinsam einer Problemlösungsstrategie folgt.

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Teammanagement Teammanagement ist eine Moderationsaufgabe. Sie hilft Arbeitsprozesse zu optimieren und zu vermeiden, dass Aufgaben, für die sich kein Teammitglied verantwortlich fühlt, durchs Netz fallen. Dabei ist Teammanagement immer zum Aufzeigen von Schwachstellen, Klärung von Prozessen und Anregung von Lösungen da, macht aber bestenfalls selbst keine Vorgaben, sondern folgt Vorschlägen und Arbeitsweisen, die aus dem Team eingebracht werden. Wissensmanagement

Wissensmanagement stellt sicher, dass Strukturen und Prozesse so geformt sind, dass alle zeitgleich Zugriff auf das jeweils nötige Wissen haben und Informationen möglichst intuitiv auffindbar abgelegt sind. Dabei zielt Wissensmanagement auf Standardisierung und versucht Best Practices als Arbeitsroutinen zu etablieren: –– Welche Ablageformate gibt es im Projekt? Datenserver, Notizsysteme,6 ­Kalender, Projektmanagementtools, Kontaktdatenbanken? Sind diese für alle oder für ausgewählte Mitglieder des Teams jederzeit verfügbar? –– Nach welchen Prinzipien sind diese – einheitlich! – strukturiert? Wer ist für welche Ablage verantwortlich? Wie werden Dateien benannt? Wie sind Versionen so bezeichnet, dass die aktuellste immer leicht auffindbar ist?7 –– Mit welchen Softwaretools wird gearbeitet? Welche Softwaretools weisen die wenigsten Schnittstellenprobleme intern im Team und extern zum Kunden hin auf? Welche Formatvorgaben gibt es? –– Welche Bild- und Filmformate werden für Präsentationen benötigt? –– Sind für alle wichtigen Daten Backups vorhanden? Sind diese immer ­genügend aktuell und schnell verfügbar? Eine goldene Regel ist, die Verwendung des Wortes „Neu“ in Datei- und Notiz­ bezeichnungen nicht zuzulassen, denn etwas, was heute neu ist, ist morgen bereits alt. „Alt“ ist dagegen in Datei- und Notizbezeichnungen gern geduldet – was alt ist, bleibt alt und ist somit schnell von allem Aktuellen zu unterscheiden. Schnittstellenmanagement

Schnittstellenmanagement stellt sicher, dass Übergaben, Prozesse sowie Ent­ scheidungs­ kompetenzen zwischen Teammitgliedern geklärt sind und funktio6 Vgl. hierzu auch die Ausführungen im Kapitel Designprozess, Abschnitt Maßnahmen zur Unterstützung von Kreativität, Punkt Dokumentation der Ideen und Ergebnisse, 344. 7 Vgl. Versionierung, S. 424.

­Arbeitsstrategien, -werkzeuge und ­-erfahrunge – Aufgaben und Funktionen im Detail

nieren. Dies bezieht sich nicht nur auf Teammitglieder im Sinne von P­ ersonen, sondern auch auf Firmen, die Auftragsanteile als Dritte übernehmen. –– Welche Daten/Informationen werden wann in welcher Form von A an B übergeben? –– Wer hat für welchen Aufgabenteil die Verantwortung? Wer trifft entsprechend die Entscheidungen? Meetingorganisation

Meetingorganisation etabliert Meetings und unterstützt damit die notwendige Projektkommunikation. Die verantwortliche Person bereitet die Meetings vor, führt die Agenda und organisiert die Dokumentation der Ergebnisse. –– Wer muss zu einem Meeting eingeladen werden? Müssen Externe wie beispielsweise Kunden oder Teilauftragnehmer eingeplant werden? Wer ­ wird dort benötigt, um absehbar notwendige Entscheidungen zu treffen? In ­welcher Form wird hierzu eingeladen? –– Muss ein persönliches Meeting stattfinden oder kann das Meeting als Videooder Telefonkonferenz abgehalten werden? –– Call for Entries: Welche Themen müssen auf die Agenda? Wer muss zu Agendapunkten gefragt werden? –– Welche Informationen zum Stand des Projekts gibt es für das Meeting? Welche Dokumente müssen dazu aktualisiert werden? –– Wo findet das Meeting statt? Muss ein Raum reserviert oder eine Telefon­ konferenz eingerichtet werden? –– Muss Präsentationstechnik für das Meeting vorbereitet werden? –– Welche Dokumente müssen vor dem Meeting an die Teilnehmer verteilt ­werden? Ist die Agenda zur Einladung vollständig? –– Wer führt im Meeting durch die Agenda? (Meetingmoderation) –– Welche Entscheidungen müssen in jedem Fall in dem Meeting getroffen werden? –– Wer schreibt Protokoll? Wie ausführlich muss das Protokoll sein? –– Muss das Protokoll nur abgelegt oder auch an alle Teilnehmer versendet und von diesen freigegeben werden? Kick-off-Meeting – Das Kick-off-Meeting zum Produktionsstart weist einige im Folgenden erläuterte Besonderheiten auf und bedarf einer speziellen Vorbereitung, wie im Kapitel Designprozess8 beschrieben. Besonderheiten sind ­ 8 Vgl. Kapitel Designprozess, Abschnitt Konzept- und Entwurfsübergabe in die Ausarbeitung und Produktion, S. 382 f.

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eine Vorstellung des Inhouse-Projektteams und der beteiligten externen Firmen, die Vorstellung des Zeitplans mit Meilensteinen und – soweit möglich – eine erste Klärung von Fragen aus dem zuvor beschriebenen Schnittstellen- und Wissensmanagement. Es hat sich bewährt, an diesem Termin die zentralen Projektziele herauszustellen, die im Konzept formuliert sind und die das Team während der Produktion nicht aus den Augen verlieren sollte. Hat man das ausdrücklich getan, kann man später bei Bedarf Bezug auf diese Punkte nehmen, sollten erbrachte Leistungen nicht oder nur unzureichend zielführend sein. LOP-Liste

Die LOP-Liste – List of Open Points – ist das zentrale Register aller ungeklärten Fragen und Problemstellungen. Hier werden alle Punkte verzeichnet, die entweder noch auf keiner To-Do-Liste stehen oder die erst später eine Rolle spielen und bei denen man erwarten kann, dass sie dann nicht rechtzeitig Beachtung finden. Diese Liste wird auf Meetings zum Projektstatus durchgegangen und aktualisiert – in der Regel werden dort Daten (einer möglichen/nötigen Klärung) sowie ein Ampelsystem verwendet (rot: ungeklärt, gelb: in Klärung durch … und grün: geklärt) sowie eine Zuständigkeit vermerkt.

Abb. 4.2: Beispielhafte LOP-Liste mit Ampelsystem.

Zeitplanung Eine solide Zeitplanung erfüllt die folgenden Anforderungen: •• Sie sollte sowohl vom Zeitpunkt des Projektstarts aus vorwärts gerechnet sein als auch vom Erfüllungstermin rückwärts. •• Sie sollte mit allen Projektverantwortlichen abgestimmt sein. Nur wenn alle Projektbeteiligten sagen, dass ein Zeitplan einhaltbar ist, kann man später auch auf seine Einhaltung beharren. •• Sie sollte Termine für Tests und Anpassungen ab spätestens der Hälfte des

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Produktionszeitraumes enthalten und auch gegen Ende des Projekts genügend Freiraum lassen, um Anpassungen und Designänderungen leisten zu können. •• Sie sollte Feiertage, Wochenenden und Ferien möglichst großzügig aus der Zeitplanung ausklammern. Eine solide Zeitplanung ist nicht nur für die Erfüllung eines Projekts unerlässlich. Zu knappe Zeitpläne führen unweigerlich zu Frust im Team, wenn Aufgaben nicht zufriedenstellend erledigt werden können und viele Überstunden anfallen. Das führt wiederum zu Konflikten mit dem Auftraggeber, der das Projektergebnis gefährdet sieht, wenn Leistungen nicht im geplanten Zeitraum und der gewünschten Qualität erbracht werden können. Auftraggeber unterschätzen häufig den Zeitaufwand für die Produktion einer Mediatektur. Man kann meist nicht davon ausgehen, dass Produktionsschritte und der damit verbundene Zeitaufwand bekannt sind, und sollte die eigenen Vorstellungen vom Zeitaufwand möglichst bereits in der Projektvorbereitung erläutern. Dadurch ergibt sich nicht nur die Gelegenheit, dem Auftraggeber Abläufe nachvollziehbar zu machen und damit Vertrauen zu schaffen, man kann zudem aktiv einen Zeitplan vorschlagen, der zu den eigenen Arbeitsabläufen passt. Man sollte darüber hinaus sicherstellen können, dass alles, was im Projektplan explizit mit Termin aufgeführt wird, auch hundertprozentig zu dem entsprechenden Datum geliefert werden kann. Ist man sich unsicher, sollte man an Meilensteine geknüpfte Deliverables9 möglichst vage halten, um den Auftraggeber nicht mit einer zu spät erbrachten Leistung zu verunsichern. Zu einer guten Zeitplanung gehört darüber hinaus, die Liefertermine erst im eigenen Team abzusprechen, bevor man sie dem Kunden kommuniziert – in Meetings mit dem Kunden wird man leicht einmal verleitet, zu sagen: „Ja, das ist in zehn Tagen schaffbar“ – in der klaren Zuversicht, dass dies auch möglich ist. Dann zurückrudern zu müssen, nachdem man mit seinem Team gesprochen und erfahren hat, dass der Zeitplan sich nicht erfüllen lässt, ist meist schwieriger, als konsequent um die Zeit für eine Rücksprache zu bitten. Innerhalb des Teams zahlt es sich aus, Deadlines wiederholt zu kommunizieren und den Beteiligten im Bewusstsein zu halten. Deadlines erst dann durchzusetzen, wenn sie bereits fällig sind, ist in der Regel schwierig. Wenn die Ergebnisse dann noch nicht vorliegen, ist es auch meist zu spät, diese noch zu produzieren.

9 Im Agenturalltag hat sich bei uns das englische Wort Deliverables für eine genaue Beschreibung der zu einem Termin zu erbringenden Leistungen eingebürgert. Meist ist dies im Angebotskontext eine mit diesem Wort überschriebene Liste, die die zu erbringenden Leistungen klar abgrenzt und die mit dem Auftraggeber abgestimmt ist.

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Budgetierung und Kostenkontrolle Das Budget ist in der Regel ein streitbares Thema zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber. Es ist durchaus positiv, sich darüber konstruktiv auseinander­ zusetzen – das ist in Mediatekturprojekten nicht anders als in anderen Diszi­ plinen. Jeder Auftragnehmer möchte und muss an einem Projekt verdienen, sonst bräuchte er dieses nicht zu machen, und jeder Auftraggeber möchte einen möglichst niedrigen Preis für ein Ergebnis zahlen. Entsprechend ist Budget­ ­ transparenz eine wichtige Grundlage für die Vertrauensbildung: Wenn beide Seiten wissen, wie ein Budget zustandekommt, kann man eine Menge Dissonanzen vermeiden – auch für den Fall, dass nachverhandelt werden muss. Grundlage für die Budgetierung sind die Deliverables, die in der Regel durch das Briefing umrissen und durch Konzept und Entwurf detailliert werden. Hier gibt es keinen großen Unterschied zwischen Mediatektur und anderen Kommunikationsdisziplinen. Mediatektur überrascht allerdings immer wieder durch die hohe Komplexität von Budgetpositionen, die der Komplexität der Disziplin an sich entspricht. Entsprechend schwierig ist es, ohne entsprechende Erfahrung ein Budget aufzustellen, welches ein Projekt von der ersten Idee bis zur fertigen Mediatektur exakt abbildet. Es ergibt sich notwendigerweise eine große Menge an Annahmen und Vermutungen. Durchdenkt man das zu kalkulierende Media­ tekturprojekt, kann man entlang einer Liste, die sich sowohl aus den beschriebenen Aufgaben als auch aus den eingesetzten Instrumenten (Licht, Klang, Bildmedien etc.) zusammensetzt, die Positionen identifizieren, die im Budget zu berücksichtigen sind. Eine entsprechende Überblicksliste möglicher Budget­ positionen als Ausgangspunkt für eine Budgeterstellung findet sich in Abbildung 4.3. Je nach Projekt können natürlich weitere Posten anfallen, die über die in der Liste dargestellten hinausgehen. •• Eine besondere Herausforderung stellen Posten dar, in denen Leistungen Dritter eingekauft werden. Stellt man solche Leistungen in ein Budget ein, übernimmt man in der Regel die Verantwortung für diese Leistungen sowie deren Koordination. Das kann nicht kostenneutral erfolgen, da konkrete Arbeit entsteht und Risiko für die Leistungen übernommen wird. Es ist üblich, eine pauschale Summe für das Handling auf diese Posten aufzuschlagen – in Kommunikationsagenturen sind das in der Regel zwischen 17,5 und 22,5 ­Prozent der eingestellten Summe. In den letzten Jahren sind diese pauschalen Handling­gebühren aber vermehrt auf Widerstand in den Einkaufsabteilungen der Auftraggeber gestoßen, da in den pauschal angegebenen Handling­ positionen keine transparent nachvollziehbaren Leistungen hinterlegt sind. Stößt man auf dieses Problem, stellt man eine entsprechende vernünftige Summe an zusätzlichem Projektmanagement als Position ein und sorgt dafür,

Projektmanagement Projektmanagement / Projektkoordination (Tage) Reisekosten zum Kunden (Kombiposition; bsp. Präsentationen, Besprechnungen) Reisekosten zum Veranstaltungsort (Kombiposition; bsp. Besichtigung, On-Site etc.) Reisekosten zum Treffen Dritter (Kombiposition; bsp. Zulieferer) Alle Reisekosten sollten umfassen: Fahrtkosten am Ursprungsort, zum Zielort, am Zielort, Unterkunft, Verpflegung, bei langen Anreisen evtl. Reisezeit Personal (50%). Projektassistenz (Tage) Allgemeine Admin Kosten (normalerweise pauschal; Telefon, Porto, Büromaterialien, Buchhaltung etc.) Design/Kreation Kreative / Konzeption (Tage) Design (Tage) Mock-Ups (Kombiposition: Materialkosten, Aufbaukosten; evtl. Angebot Dritter) Assistenz (Tage; bsp. Dokumentation, Präsentationsvorbereitung) Entwurf und Konzept werden häufig auch als Pauschal­ summe angeboten. Redaktion Redaktion (Tage) Recherche (Tage) Texterstellung: Autor, fachliche Beratung, Lektor, Korrektor (Tage) Übersetzungsleistungen Sprachaufnahmen (Kombiposition: Sprechergagen, Studiomiete, Techniker, Rechte) Bild- und Filmrechte Klang- und Musikrechte Exponatkosten (Kombiposition) Leih-/Beschaffungsgebühren, Logistik (Bedingungen des Transports, wie Kunsttransport, begleitet durch Kurier, Klimakiste) Leihverkehr: Anträge und Verträge zum Leihverkehr; Facility Report regelt Bedingungen der Ausstellung: kein Ungeziefer, kein Erdbeben, keine Sprinkleranlage, Klimabedingungen, z.B. wertvolle Gegenstände in Kleinst­ umgebungen mit Vitrinen gegen Klima, Staub, Licht, Vandalismus schützen, etc.

Schauspieler / Komparsen Garderobe / Requisite Verbrauchsmaterialien Studio- / Locationmiete Rechte Logistik- / Reisekosten Catering Medienproduktion – Post- & Effektproduktion (evtl. Leistung Dritter) VFX Supervising (Tage) Editing (Tage inkl. Schnittplatz) VFX (Tage inkl. Workstation: Tracking, Effects, Compositing etc.) 3D (Tage inkl. Workstation: Modelling, Shading, Animation etc.) Spatial-Compositing (Tage inkl. Workstation: Compositing der Inhalte auf die Mediatekturerfordernisse) Visualisierung (Tage inkl. Workstation: bsp. für Präsentationen) Musik- und Soundproduktion (evtl. Leistung Dritter) Komposition (Pauschalleistung) Sound-Design (Tage) Aufnahme (Kombiposition: Musiker, Studiomiete, Techniker etc.) Mischung (Tage) Softwareentwicklung (evtl. Leistung Dritter) Entwickler (Tage) 2D / 3D / UX-Design (Tage) Lizenzen (bsp. V4, Unity, Ventuz) Software-Tests (Pauschalleistung) Bau / Konstruktion (normalerweise Leistung Dritter) Konstruktion Strukturen Absperr / Bauzaun / Baustellensicherung Aufbau/Abbau (Tage, Personal) Technische Hardware (normalerweise Leistung Dritter) Medienhardware (Miete/Kauf: Displays, Zuspieler, Controlsysteme, Licht, Audioequipment etc.) Befestigungselemente Verkabelung Aufbau/Abbau (Tage, Personal)

Produktion

Testaufbauten / Mock-Ups

Technische Planung (Tage) Lichtplanung (Tage) Produktionsleitung (Tage) Produktionsassistenz (Tage) Design / Kreativ (Tage; Supervision)

Materialien & Konstruktionshilfselemente Aufbau / Abbau (Tage, Personal) Medienhardware (Tage, Miete) Räumlichkeit (Tage, Miete)

Medienproduktion – Neudreh (evtl. Leistung Dritter)

Aufbau-Überwachung (Tage) Live-Regie (Tage) Personal (Tage; Anweiser, Sicherheit, Bedienpersonal / Operator etc.) Catering Location-Miete Strom / Betriebskosten / Versicherungen

Crew (Tage; verschiedene Funktionen: Regie, Regieassistent, Kameramann, Kameraassistent, Materialassistent, VFX Supervisor) Equipment (Miete; Kameras und Linsen, Stative, Dollys, Drohnen etc., Preview-Equipment, Teleprompter, Licht, Spezialequipment für Tracking etc.) Casting

Abb. 4.3: Mögliche Budgetpositionen im Überblick.

On-Site

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dass die Zahlungskonditionen für die Leistungen Dritter den Zahlungs­ konditionen des eigenen Auftraggebers angepasst sind. So muss man nicht in Vorleistung treten und es ergibt sich kein zusätzliches Risiko. Man stelle sich vor, der Auftraggeber bemängelt eine Leistung Dritter und zahlt diese nicht, während man diese Zahlungen aber schon vollständig beglichen hat. Hier würde es schwer werden, das Geld zurückzuerlangen. •• Eine weitere Herausforderung stellt die Abbildung von Unwägbarkeiten dar. Viele Einkaufsabteilungen haben ein Problem mit einer explizit im Angebot aufgeführten Kontingenzposition von beispielsweise zehn oder fünfzehn Prozent der Gesamtsumme. In der Realität braucht man eine solche Position bei komplexen Projekten aber in jedem Fall – und sie ist auch transparenter, als wenn man Puffer in verschiedenen Einzelpositionen wie Personalkosten etc. im Budget „versteckt“. Spricht man den Auftraggeber aktiv auf eine s­olche Position an und rechtfertigt die Komplexität des Projekts die absehbaren Unwägbarkeiten, wird der Auftraggeber mithelfen, hier eine Lösung zu finden. Häufig reicht es sicherzustellen, dass der Auftraggeber den entsprechenden Mehrbetrag budgetiert hat und im Bedarfsfall eine entsprechende Zusatz­ bestellung ausgelöst werden kann. Hat man das Budget erstellt, geht es in der Regel in die Einkaufsverhandlungen – hier ist es von großem Vorteil, nicht von Anfang an mit einer knappen Kalkulation einzusteigen. Von Einkäufern wird in der Regel erwartet, dass sie ein Angebot um einen bestimmten Prozentsatz drücken. Erreicht man nach Abzug des zu gewährenden Discounts nicht mehr die Summe, bei der sich das Projekt für einen noch lohnt, hat man schlecht kalkuliert. Im Projektverlauf selbst erfolgt eine kontinuierliche Budgetkontrolle, die es erlaubt, frühzeitig gegenzusteuern oder dem Auftraggeber zu signalisieren, falls es Abweichungen oder zusätzliche Positionen im Budget gibt. Wenn sich erst gegen Ende des Projekts herausstellt, dass man eigentlich zwanzig Prozent mehr Budget braucht, um es zu finalisieren, ist das nicht nur unseriös, sondern meist von Auftraggeberseite nicht mehr zu bewerkstelligen – und gelingt es dem Auftraggeber doch, wird es einem sicher keine Folgeaufträge einbringen.

Verträge und Ausschreibungen für Leistungen Dritter Auch in Mediatekturprojekten müssen meist weitere Partner gefunden und ins Projekt geholt werden. Deren Leistungen und Ansprüche sollten klar definiert werden, um einen verlässlichen Projektverlauf zu gewährleisten. Dabei gibt es in der Regel zwei Varianten, wie weitere Partner ins Projekt kommen:

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•• Man hat mit dem Partner zusammen das Angebot entwickelt und seine Leistungen bereits in das eigene Angebot übernommen. Es entsteht eine Art Arbeitsgemeinschaft, in der in der Regel die Partei, die mit dem Auftragnehmer den Vertrag macht, die Verantwortung und Führung übernimmt. •• Wenn die Leistungen ohne konkreten Partner nur mit einer Kostenschätzung im Gesamtprojekt eingestellt wurden, muss für den Fall der Umsetzung des Projekts ein Partner gefunden werden. Je nach Auftraggeber und dessen Beauftragungs- und Vergaberichtlinien sowie Größe des Postens muss eine Ausschreibung erfolgen. Dies ist zum Beispiel häufig der Fall, wenn man in einem Projekt umfangreiche Medientechnik oder Bauleistungen braucht oder Elemente wie eine Softwareentwicklung komplett auslagern will. Auch wenn eine Leistung von der öffentlichen Hand vergeben wird und eine bestimmte Auftragssumme überschreitet, muss üblicherweise ausgeschrieben werden. In letzterem Fall kann dies zu Ausschreibungsvorschriften führen, die beispielsweise durch die europäische Gesetzgebung geregelt sind. Diese Fälle haben dann vielen formalen Vorgaben zu genügen und übersteigen den Rahmen der in diesem Handbuch sinnvollen Ausführungen. Wir beschränken uns hier auf den Fall der privatwirtschaftlichen Wettbewerbsausschreibungen – auch hier gibt es je nach Auftraggeber Transparenz- und Formalkriterien zu beachten. Für den Fall der Ausschreibung muss ein Leistungsverzeichnis erstellt werden, das definiert, welche Leistungen wann, wo und in welcher Form erbracht werden sollen. Im Prinzip gilt das auch für jede andere Leistung von Partnern – nur sind diese bereits häufig über den Angebotstext, Angebotspositionen und die entsprechenden AGBs sowie Lieferbedingungen ausreichend definiert. Das Erstellen von Leistungsverzeichnissen ist eine Wissenschaft für sich und nicht ganz einfach, weil der Teufel hier sprichwörtlich im Detail steckt und Fehler in Leistungsverzeichnissen schnell zu Vertragsproblemen führen können. Es gibt umfassende Literatur zu dem Thema. Im Folgenden sind nur die Grundlagen umrissen: •• Alle zu erbringenden Leistungen sind in Schriftform niedergelegt und ­möglichst genau beschrieben. Für eventuelle spätere Änderungen wird zudem explizit die Schriftform verlangt. •• Der Leistungszeitraum muss genau definiert werden: Wann werden die ­Leistungen in welcher Form übergeben? Muss eine Einweisung oder Dokumentation erfolgen? Dabei sollten auch etwaige Abbau- bzw. Rücknahme­ modalitäten mit Zeitpunkt definiert werden.

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•• Zeichnungen und Skizzen helfen, die Definition der Leistungen zu verfeinern. •• Qualitäten sind definiert – beispielsweise Helligkeiten und Auflösungen einer Projektion oder Finishing einer Lackoberfläche. •• Es wird festgelegt, wer die Detailplanung der Leistungen verantwortet: Wird diese durch den Ausschreibenden zur Verfügung gestellt oder muss die ­Planung durch den Anbieter erbracht werden? Für letzteren Fall muss festgehalten werden, wer die Detailplanung abnimmt – das ist in der Regel der Ausschreibende. Dieser Punkt ist deshalb wichtig, weil er klar definiert, dass Detailplanungen abgenommen werden müssen, bevor beispielsweise eine Konstruktion beginnen kann. Darüber hinaus wird festgelegt, welche Voraussetzungen (Maße, Schnittstellen etc.) von dem Bieter zu prüfen sind. •• Es wird definiert, was passiert, wenn eine spezifizierte Leistung auf technische Unwägbarkeiten trifft: In wessen Verantwortung liegt eine Umplanung? Wer muss diese abnehmen? •• Es wird möglichst genau definiert, welche Punkte das Angebot enthalten soll: Welche Positionen müssen detailliert bepreist sein? Wo hat der Bieter ­Lösungen zu skizzieren? Dieser Punkt ist sehr wichtig für die Vergleichbarkeit der Angebote. In vielen Fällen wird dafür der Ausschreibung auch eine Leistungs­ tabelle beigelegt, in die der Bieter Preise direkt einträgt. Wird diese Form der Preisabgabe gewählt, sollte in jedem Fall vermerkt sein, dass der B ­ ieter Posten hinzufügen muss, die aus seiner Sicht für die vollständige Erbringung aller Leistungen erforderlich sind. •• Sind nicht alle Leistungen so genau zu definieren, dass sie pauschal ­angeboten werden können, ist es meist sinnvoll, auch Stunden- bzw. Tagessätze für ­relevante Tätigkeiten abzufragen, um vergleichen zu können, welcher Bieter die flexibelsten Konditionen bieten kann. •• Es muss ersichtlich sein, in welcher Währung angeboten werden soll und ob das Angebot Umsatzsteuern sowie etwaige Liefer- und Zollkosten etc. umfasst. •• Es muss definiert sein, wie lange das Angebot Gültigkeit haben soll und ob bestimmte Einkaufsbedingungen gelten. Gerade größere Firmen haben häufig Einkaufsbedingungen, die später Vertragsbestandteil werden und die definieren, welche Maßnahmen greifen, falls eine Leistung nicht wie angeboten erbracht wird.

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•• Bei Leistungen, die geistiges Eigentum umfassen (beispielsweise Software, Fotos, Musik), muss definiert sein, welche Nutzungsrechte (Region, Verwendung, Anlass, Zeitraum) enthalten sein sollen. •• Es müssen eine klare Abgabefrist (mit Uhrzeit) und ein Ansprechpartner für Rückfragen definiert sein. Kommen Rückfragen zur Ausschreibung, teilt man diese und die entsprechenden Antworten normalerweise allen Bietern mit. In der Regel geht eine solche Ausschreibung an drei Bieter. Die Auswahl des ­Bieters für den Zuschlag erfolgt normalerweise nach einem zweistufigen Modus: Eine fachliche Freigabe stellt sicher, dass der Bieter mit seinem Angebot die Leistung erfüllen kann. Unter den fachlich freigegebenen Bietern erhält dann der preiswerteste den Zuschlag. Natürlich bietet es sich an, die erhaltenen Angebote noch einmal zu verhandeln – genauso wie man selber mit einem Verhandlungspuffer in eine Ausschreibung gehen wird, kann man davon ausgehen, dass dies die Anbieter ebenfalls tun. Sind die preislichen Abweichungen gering, kann man natürlich für den sympathischsten, nettesten, am kompetentesten erscheinenden Anbieter argumentieren. Das birgt aber immer auch die Gefahr, dass man später seine Entscheidung rechtfertigen muss, falls später etwas nicht funktioniert.

Redaktion In Mediatekturprojekten umfasst die Redaktion ein deutlich breiteres Arbeitsfeld als die reine Text- und Bildredaktion. Sie betreibt Recherche, Auswahl, Verwaltung und Zurverfügungstellung verschiedenster Ressourcen entlang der Aufgabenstellung und der Inhalte des Projekts in Zusammenarbeit mit und als Unterstützung für Design/Kreation und Produktion.

Format- und Verwendungsklärung Jede Redaktionsarbeit beginnt mit einer Absprache mit Design/Kreation und Produktion. Es wird festgelegt, welche Materialien in welchen Mengen und welchen Formaten benötigt werden. Dabei spielen verschiedene Kriterien eine Rolle: –– Welche Materialien erfordert der Konzept- und Entwurfsansatz, den man verfolgt? –– Von welchen Materialien wünscht sich der Auftraggeber, dass sie verwendet werden? –– Welche Materialien in welcher Form sind am besten geeignet für die ­Zielgruppe im Mediatekturkontext?

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–– Welche Materialien sind verfügbar bzw. können im Rahmen des gegebenen Zeit- und Budgetrahmens beschafft oder produziert werden? Der Redaktion fällt häufig eine Moderationsrolle zu, gerade wenn es zwischen Designern und Auftraggeber unterschiedliche Vorstellungen zur Verwendung des Materials gibt. Beispielsweise kann in Projekten mit wissenschaftlichen Auftraggebern der Wunsch nach vollständiger Verwendung der vorhandenen Materialien bestehen. Dies kollidiert schnell mit dem Vermittlungspotenzial einer Inszenierung, was man mit Blick auf die Zielgruppe und deren mögliche Verweildauer meist gut nachvollziehbar machen kann (siehe dazu auch den folgenden Exkurs zum Umgang mit Material). Im Rahmen der Format- und Verwendungsklärung werden auch organisatorische Details im Zusammenspiel von Design/Kreation, Produktion und Redaktion geklärt, darunter: •• Nomenklatur und Ablage: Mit der Produktion vereinbarte Nomenklaturen und Ablageorte ermöglichen die eindeutige Zuordnung der Materialien. •• Festlegung eines Redaktionsschlusses: Materialien können über den gesamten Design- und Produktionsprozess hinweg bis zum sogenannten Redaktions­ schluss in ein Projekt einfließen. Der Redaktionsschluss definiert dabei den letztmöglichen Zeitpunkt, ab dem sie noch eingearbeitet werden können, und ab dem die Rechteklärung, die Beschaffung notwendiger Qualitäten und die Abstimmung mit dem Auftraggeber noch möglich sind. Je nach Art des ­Projekts wird der Redaktionsschluss intern oder in Absprache mit dem Auftraggeber vereinbart und ist Teil der Zeitplanung des Projekts. •• Festlegung Kundenfreigaben: Handelt es sich um ein Mediatekturprojekt, das viele verschiedene Materialien verwendet, ist es in der Regel sinnvoll, deren Auswahl und die entsprechende Abstimmung mit dem Auftraggeber in Zusammenarbeit mit Design/Kreation im Prozess gesondert einzuplanen. In der Filmproduktion spricht man hier von einer Rohschnittabnahme, in der das Material zwar in Kontext und Ablauf erlebbar wird, aber noch nicht weiter bearbeitet wurde. Der hierzu geplante Termin sollte deutlich vor dem des Redaktionsschlusses liegen, da sich oft bei den Kundenfreigaben noch Änderungen ergeben.

Material- und Exponateredaktion Alle Materialien und Exponate, die für die Verwendung in einem Mediatektur­ projekt in Betracht gezogen werden, müssen redaktionell betreut werden. Dabei

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spielt es keine Rolle, ob die Materialien vom Auftraggeber übergeben, im Projekt recherchiert und beschafft oder neu produziert werden. Materialredaktion

•• Unter Materialien versteht man Bilder, Grafiken, Animationen, Film-, Videound Audiomaterial. Diese kommen in der Regel in unterschiedlichsten ­Formen und Formaten in das Projekt und müssen gesichtet, qualitativ bewertet und so organisiert werden, dass sie zugänglich und verwendbar sind. •• Die Materialrecherche erfolgt – solange keine themen- oder auftraggeberspezifischen Quellen vorhanden sind – über Archive, aber auch Forschungsinstitute, Filmproduktionen (Zweitverwertungen) oder Einzelpersonen. Es ist Aufgabe der Redaktion, frühzeitig zu signalisieren, falls zu einem bestimmten Thema oder einer bestimmten Idee kein lizenzierbares Material gefunden werden kann – was entweder eine Konzeptänderung oder eine Neuproduktion erfordert. •• Die Organisation der Materialien erfolgt zunächst nach Materialtypen und in der Folge entlang den im Projekt vorhandenen Themen bzw. Storyboards oder Ablaufplänen. Mit Materialpools, die der Projektnomenklatur folgen und immer weiter entlang der entstehenden Produktion verfeinert werden, arbeitet die Redaktion der Produktion sowie dem Design/Kreation zu und zeigt die jeweiligen auditiven und visuellen Möglichkeiten und Alternativen auf. Um konkrete Verwendungsentscheidungen zu erleichtern, dokumentiert die Redaktion für jedes Material folgende Eigenschaften: –– Materialqualität: In welcher Qualität ist das Material verfügbar? Oft handelt es sich im Produktionsprozess nur um Vorschaumaterialien, ­ die im weiteren Verlauf durch qualitativ höherwertige Versionen ersetzt ­werden. Die potenzielle Verfügbarkeit qualitativ höherwertiger Versionen ist wichtig für die Verwendungsentscheidung. –– Pflichtmaterial: Ist das Material vom Auftraggeber als „gesetzt“ eingestuft und muss somit Verwendung finden? –– Kosten: Zu welchen Kosten lässt sich das Material beschaffen bzw. kann es kostenfrei verwendet werden? •• Häufig ist Material entsprechend seiner Lizenzvorgaben nur in bestimmten Kontexten verwendbar – beispielsweise gibt es bei Film- und Bilddaten­banken häufig die Begrenzung auf „redaktionelle Verwendung“, das heißt, das Material kann nicht für kommerzielle Produktionen lizenziert werden. Es ist Aufgabe

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der Redaktion zu prüfen, ob ein Material im gegebenen Kontext verwendbar ist, bevor es in den Materialpool kommt. •• Sobald feststeht, welche Materialien aus dem Materialpool wirklich e­ ingesetzt werden, beschafft die Redaktion die Materialien in voller Qualität. Im Entstehungs­prozess eines Mediatekturprojekts wird zunächst mit Vorschaumaterialien gearbeitet, die von niedriger Qualität und/oder mit einem Wasserzeichen der Rechtebesitzer versehen sind. •• Dazu dokumentiert die Redaktion, welche Materialien Verwendung gefunden haben, um später abgleichen zu können, dass für alle verwendeten Materialien die nötigen Rechte beschafft wurden bzw. vorhanden sind. Exponateredaktion

Viele Exponate, die im Rahmen einer Mediatektur integriert werden, sind wertvoll bzw. schwer wiederbeschaffbar im Falle einer Beschädigung. Entsprechend geht bei solchen Exponaten die Arbeit über das Beschaffen und Verwalten hinaus. Werden Exponate in Betracht gezogen, kümmert sich die Redaktion um deren Katalogisierung – erstellt eine Liste, in der jedes Exponat mit Foto, Größe, Gewicht, Standort bzw. Bezugsquelle, Kosten und Beschaffungszeit erfasst wird  –, klärt, ob die Exponate besonderer Bedingungen oder Vorsichtsmaßnahmen bedürfen, und dokumentiert diese. Bedingungen oder Vorsichtsmaßnahmen ­können sein: •• Restauratorisch-konservatorische Vorgaben für historische und vergäng­ liche Exponate: Die Verwendung der gewünschten Exponate wird in der Regel mit den zuständigen Restauratoren besprochen. Sie überwachen die Einhaltung der restauratorisch-konservatorischen Vorgaben in Bezug auf Klima, Licht, Staub oder Vandalismus zu dem jeweiligen Objekt und legen diese im konkreten Projektkontext fest. •• Zugriff- und Diebstahlsicherheit: Viele Exponate müssen vor Zugriff ­(Berührung) und Diebstahl geschützt werden. •• Versicherung: Wertvolle Objekte bedürfen häufig einer gesonderten Versicherung sowohl für den Transport als auch für die Zeit der Ausstellung. •• Kosten: Für Beschaffung oder Ausleihe der Exponate sowie Versicherung, Handling und Transport können erhebliche Kosten entstehen. Diese müssen von der Redaktion festgehalten werden.

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•• Leihentscheidungen: Will man Objekte beispielsweise aus öffentlichen Sammlungen ausleihen, kann es passieren, dass man von Kommissions­ ­ tagungen abhängig ist, die über Leihfragen entscheiden. Diese Tagungen erfolgen zum Teil nur zu bestimmten festgelegten Terminen. Für eine solche Entscheidung ist dann nicht nur eine rechtzeitige Anfrage erforderlich, sondern auch vorab zu klären, welche Informationen diese Kommissionen braucht, um über die Anfrage entscheiden zu können.

Textredaktion Die Redaktion erstellt Text- und Sprachbeiträge und beauftragt Lektorat, ­Korrektorat sowie Übersetzung. Texte müssen weiter in das jeweils verwendete Format gebracht und dafür editiert werden. Templates (also grafische Vorlagen) und Verwendungsabsprachen mit Kreation/Design und Produktion geben dabei den Umfang und die Verwendungsweise vor. Für Editing, Lektorat, Korrektorat und Übersetzung werden Manuals erstellt, die Richtlinien im Umgang mit Schreib­weisen, Abkürzungen, Titeln, Namensnennungen etc. vorgeben. •• Editieren: Das Erstellen von Text- und Sprachbeiträgen erfolgt meist auf der Basis von verschiedenen vorhandenen Quellen. Bestehende Texte werden zusammengefasst und gekürzt und sprachlich so bearbeitet, dass sie aktiv die Zielgruppe ansprechen. •• Lektorat: Die erarbeiteten Texte werden vom Lektorat überprüft und optimiert. Dabei liegt ein besonderes Augenmerk auf der Verwendung eines einheitlichen Sprachstils und einer einheitlichen Wortwahl sowie einer stringenten Argumentation über alle Kommunikationskanäle – auch über die Mediatektur hinaus. •• Übersetzungen: Umfasst das Mediatekturprojekt verschiedene Sprachen, ist eine Übersetzung wichtig, die auf die kommunikative Qualität des T ­ extes achtet. Sprechertexte beispielsweise müssen in allen Sprachen natürlich ­ sprechbar bleiben. Auch die vereinbarte Wortwahl muss analog zur Ausgangssprache einheitlich verwendet werden. •• Korrektorat: Die Redaktion trägt die Verantwortung für die Korrektheit von geschriebenem Wort – entsprechend wichtig ist ein professionelles Korrektorat als letzter Schritt der Texterstellung. Eine besondere Herausforderung stellt die Abstimmung der Texte mit dem Auftraggeber dar. Hier empfiehlt es sich, die Texte immer im Verwendungskontext

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zu präsentieren – geschriebenes Wort in dem jeweiligen grafischen Template und gesprochenes Wort in einem Storyboard oder mit Bildbezug und in jedem Fall mit Angabe von Sprechdauer pro Abschnitt. So werden der jeweilige Verwendungszweck und damit die Einschränkungen bzw. Möglichkeiten im Kontext deutlich. Gesprochene Sprache ist geschrieben nicht unbedingt grammatikalisch korrekt, würde aber andernfalls leicht hölzern wirken. Geschriebener Text dagegen wirkt oft stark verkürzt – im Template gesetzt wird dagegen nicht nur der Kontext schnell deutlich, sondern auch wie viel Raum überhaupt zur Verfügung steht. Exkurs: Umgang mit geschriebenem und gesprochenem Text

Zu einem anregenden, die Zielgruppe ansprechenden und ins gegebene Format passenden Text zu gelangen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Auftraggeber möchten ihre Inhalte und Botschaften möglichst umfassend und vollständig vermitteln. Besucher bzw. Zuschauer haben eine beschränkte Aufmerksamkeitsspanne und einen begrenzten Willen, lange Texte oder komplexe Zusammenhänge zu rezipieren. Aufgabe der Redaktion ist es daher, Texte entsprechend den ausgewählten Themen und Kommunikationszielen zu schärfen und sie in die von der Gestaltung vorgegebenen Formate einzubringen. Grundsätzlich gilt für den Einsatz von geschriebenen und gesprochenen Texten: •• Ergonomie: Die Rezeptionssituation und angenommene Verweildauer der Besucher bilden die Maßgabe für die Länge und Komplexität der Textbeiträge. Je nach geplantem Format (Singlescreen, Wandtext, Raumprojektion, Hörtext usw.) ergeben sich spezifische A ­ nforderungen, die die Editierung von geschriebenen oder gesprochenen Texten – und natürlich auch die Auswahl von Filmen und Bildern – beeinflussen. Ein Einführungstext an einer Wand sollte aus einem bestimmten Abstand gut lesbar sein, also Sichtachsen, Lichtverhältnisse und S­chriftgrößen beachten. Untertitel im Film sollten nicht die ganze Aufmerksamkeit der Betrachter erfordern, sondern genügend Zeit lassen, die Filmbilder zu betrachten. In beiden Fällen entsteht die Notwendigkeit, dass die Texte kurz sind. Text und Sprache werden häufig in einem Umfang verwendet, der die Besucher, bzw. Zuschauer überfordert – mit dem Argument, dass man ja nicht alles zu lesen braucht. Dies übersieht aber, dass lange Texte sowie komplexe Sprachpassagen durchaus dazu führen können, dass der Betrachter entscheidet, sich überhaupt nicht damit auseinanderzusetzen. Kurze, übersichtlich strukturierte, wenig verschachtelte und grafisch ansprechend gestaltete Texte laden hier eher zum Lesen ein. In einem Film sollten unbedingt auch Passagen ohne Sprache vorkommen, die Raum für Musik und Atmosphäre lassen.

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•• Wortwahl: Bei allen Texten sollte man auf eine einheitliche Wortwahl, also die begriffliche und sprachliche Durchgängigkeit über die Kanäle (Website, Apps etc.) und eventuelle Sprachfassungen hinweg achten. Dies umfasst auch die korrekte Aussprache und Schreibweise von Namen, korrekte Angaben zu Quellen, Jahreszahlen, Inventar­ nummern, Leihgebern und Sammlern in der korrekten Reihenfolge – ggf. nicht nur auf Labels und Erläuterungstexten. •• Das Offensichtliche vermeiden: Im Zusammenspiel mit Bildern und Exponaten sollte Text das Offensichtliche vermeiden. Gegen alle Annahmen verbessert Redundanz nicht das Verständnis: Wenn man beispielsweise einen Schuh sieht und das Wort „Schuh“ hört, kann damit die Auseinandersetzung mit dem Gesehenen beendet sein – stattdessen können Texte dazu anregen, genauer hinzuschauen, oder einen weiteren Assoziationsraum öffnen (im Beispiel: das Gehen, die Lederherstellung oder ein Bild von van Gogh). •• Knappheit und Zusammenhang: Auch unter dem Gebot der Kürze sollten Texte qualitativ hochwertig bleiben. Stichworte sind hier die Klarheit der inhaltlichen Zusammenhänge, die Verwendung von Beispielen statt Aufzählungen, kurze Sätze, eine korrekte wie zum Anlass und der Zielgruppe passende Sprache und eine Darstellungsweise, die inhaltlich und in der Ansprache den Rezipienten „abholt“. Vollständigkeit und Knappheit schließen einander aus, entsprechend sollte man von Anfang an nicht Vollständigkeit, sondern ausgewählte Themen in den Mittelpunkt stellen. •• Gestaltung: Geschriebene und gesprochene Texte sollten in Form und Ausdruck eine Stimmigkeit mit der Inszenierung anstreben. Dies umfasst bei kommerziellen Projekten die Berücksichtigung der Identität des Absenders in der Wortwahl und die des Charakters der Mediatektur in der Darstellungsweise. In einer Produktion sollte außerdem möglichst früh geklärt werden, wie viele Sprachen verwendet werden und wie viele davon synchron zugänglich sein müssen, denn dies hat großen Einfluss auf den für Text verfügbaren Raum innerhalb der Mediatektur. Geschriebener Text Geschriebener Text ist in der Mediatektur gestalteter Text, also Text, der in Filmen, auf Wänden, in interaktiven Anwendungen usw. vorkommt. Die grafische Gestaltung, das Template (siehe Abb. 4.4), schafft einen Rahmen für

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Andrea Rostásy, Tobias Sievers – Handbuch Mediatektur

Format und Länge des Texts sowie für dessen Kontext im Sinne von Bildern, Grafiken oder Ähnlichem. Templates zeigen in der Regel Blindtext – Überschriften, Fließtext, Anmerkungstext usw. – im Kontext von Bild- und Grafikflächen. Sie machen zudem Angaben nicht nur zu den jeweiligen Textlängen, sondern auch zum gewünschten A ­ usdruck. So entsteht Einheitlichkeit und man stellt sicher, dass das Editieren direkt entsprechend den Vorgaben erfolgt. Templates werden in der Regel in Zusammenarbeit von Redaktion, Design/Kreation und Produktion erarbeitet.

Abb. 4.4: Beispiel eines Texttemplates für eine interaktive Anwendung.

Gesprochener Text Gesprochener Text unterscheidet sich von geschriebenem Text – was sich gut liest, lässt sich nicht unbedingt auch gut sprechen. Daraus ­ergeben sich zu bedenkende Aspekte und entsprechende Empfehlungen, die bei der Erstellung gesprochener Texte beachtet werden sollten: •• Während der Arbeit an einem Text sollte man ihn immer wieder laut lesen und darauf achten, ob er sich natürlich anhört. So merkt man schnell, wo gesprochene Sprache zu nah an der Präzision und Grammatik geschriebener Sprache bleibt und steif wirkt. •• Schreibt man Texte für einen Off-Sprecher, der Bild- oder Ablaufsequenzen begleiten soll, kann man den Text laut und langsam entlang der Bildsequenz sprechen und so prüfen, ob die Länge passt. Alternativ stoppt man jeden vorgelesenen Absatz mit der Stoppuhr. Die addierte Zeit sollte deutlich unter der angestrebten Gesamtlauflänge des Films liegen, denn man will keinen „zugequatschten“ Film, sondern ein d ­ ramaturgisch abgestimmtes Zusammenspiel aus Sprecherstimme, Musik und Bildsequenzen.

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•• Jeder Sprecher hat seine eigene Sprache. Damit sich der Text mit dem jeweiligen Sprecher natürlich anhört, muss der Sprecher den Text während der Aufnahme meist leicht anpassen und umstellen. Das sollte man berücksichtigen, wenn es um die Abstimmung von Sprechertexten mit dem Auftraggeber geht. Auch für einen gesprochenen Hörbeitrag ist Ergonomie eine zentrale Maßgabe. Das folgende Beispiel gibt einen Eindruck von möglichen Textlängen. Zur Illustration ist hier ein Ausschnitt aus einem Text wiedergegeben, der im Projekt Süd Sehen des Humboldt Labs Dahlem10 über Kopfhörer zu hören war, während man vor einem Screen stand. Der hier abgedruckte Text mit 1.200 Zeichen ergibt gesprochen eine Länge von einer Minute und fünfzehn Sekunden: „Mein Name ist Hilia Vavae, ich arbeite als Meteorologin. Ich setze mich auch als Aktivistin mit den Konsequenzen des Klimawandels für Tuvalu auseinander. Ich bin auch religiös. Aber ich glaube, wenn du dir nicht selbst hilfst, wer soll dir dann helfen? Wenn wir nichts tun, warum sollte es Gott kümmern? […] Ich sage Ihnen, was tatsächlich passiert ist. Ich werde nicht von Vorhersagen sprechen, aber davon, was wir erlebt haben und was wir gesehen haben. Normalerweise, in den 1980ern, ich fing an hier zu arbeiten 1980, konnten wir nur während der Flut überflutet werden, aber so ist es nicht mehr. Die Dinge haben sich verändert und wir werden fast jeden Monat des Jahres überflutet. Wenn ich von Überflutungen während des Tidehochwassers spreche, meine ich, dass das Wasser richtig aus dem Boden hochsteigt. Vergleicht man die Jahre dieses neuen Jahrtausends, haben wir eine steigende Anzahl an Überflutungen gesehen. […] Ich denke, dass der Mensch der Grund für all das ist.[…] Wer auch immer in anderen Ländern nicht zugibt, dass er Teil des Problems ist, sollte, denke ich, nicht auf dieser Erde leben. Ich denke, wissen Sie, dass sie eine andere Erde finden sollten.“11 Wenn man sich vergegenwärtigt, dass sich Besucher im Durchschnitt weniger als eine Minute mit einem Beitrag beschäftigen, kann man sich leicht vorstellen, dass dieses Beispiel für einen Hörbeitrag bereits die maximale Länge umfasst, die noch angehört wird. Schafft man es in so einem Zeitrahmen, eine Narration zu eröffnen, die den Besucher interessiert und die ihn dazu bringt, der Mediatektur zusätzliche Aufmerksamkeit zu schenken, kann man die Länge ausweiten oder verschiedene frei wählbare Beiträge zusammenfassen, die sich der Narration unterordnen.

10 Vgl. Projektbeschreibung Süd Sehen. 11 Der Text entstand auf der Basis eines Dokumentarfilms für die Station Tuvalu des Projekts Süd Sehen, und wurde frei übersetzt.

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Redaktion weiterer Themen Häufig werden im Rahmen von Mediatekturprojekten weitere, spezifische Themen an die Redaktion herangetragen – Themen, zu denen recherchiert, eine sinnvolle Auswahl zusammengestellt und dann eine Entscheidung getroffen werden muss. Das kann von einfachen Themen wie Möbeln und Give-aways bis hin zu komplexen Themen wie Beduftung reichen. Für die Übergabe solcher Aufgaben an die Redaktion ist meist der pragmatische Ansatz ausschlaggebend, dass die Redaktion Recherche und Aufarbeitung gewohnt ist und über entsprechende Tools verfügt. Bei komplexen Themen sollte man sich allerdings fachliche Hilfe holen, da ein Einarbeiten oft mit mehr Zeitaufwand verbunden ist, als man vorher abschätzen kann. Beduftung ist ein gutes Beispiel dafür: Wie reagieren unterschiedliche Menschen auf Düfte? Wie funktionieren Verdufter? Wie kann ein bestimmter Duft synthetisch hergestellt werden? Könnten Besucher auf eine Duftkomponente allergisch reagieren? Verbreitet sich der Duft schnell ins Umfeld und wirkt er vielleicht in anderen Bereichen außerhalb der Mediatektur störend? Hier kann es notwendig werden, mit Fachleuten, in diesem Fall Parfümeuren oder Herstellern von (raumtauglichen) Parfüms und Duftstoffen zusammenzuarbeiten, die zertifizierte Rezepturen anbieten.

Casting Casting bezeichnet die Auswahl zur Rollenbesetzung in Filmen, Inszenierungen und Theaterstücken, aber auch die von Fotomodellen. Im Rahmen von Mediatektur handelt es sich dabei um das Suchen und Auswählen von Sprechern, Schauspielern sowie Moderatoren und Präsentern. Sprecher

Zusammen mit dem Design/Kreation erstellt die Redaktion ein Briefing für den zu suchenden Sprecher, welches an die Sprecheragentur geht. Diese stellt eine Auswahl an Stimmen zusammen, die erst inhouse bewertet und dann in einer engeren Auswahl dem Auftraggeber vorgestellt wird. Das Briefing sollte möglichst präzise die Art des Sprechers erläutern, die gesucht wird. Ist es eine reife, erfahren wirkende Stimme oder eine junge, dynamische? Soll es eine dokumentarische Stimme oder eine ausgebildete Sprecherstimme sein? Welche Sprache mit ­welchem Akzent soll die Stimme aufweisen? Die Sprecherauswahl ist ein sensibles Thema, denn an Klang und Ausdruck der Stimme sind starke Assoziationen oder gar Emotionen geknüpft.

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Schauspieler

Die Auswahl von Schauspielern ist in der Regel Teil einer separaten Film­ produktion und wird vom jeweiligen Produktionsteam bearbeitet. Handelt es sich aber um einzelne, begrenzte Einstellungen und werden diese inhouse ­produziert, fällt die Aufgabe des Castings häufig ans Team und damit an die Redaktion, die Erfahrung mit der Organisation von Auswahlprozessen hat. Der Ablauf ist weitest­ gehend identisch mit dem des Sprechercastings: Man wendet sich mit einem Briefing an eine oder mehrere Castingagenturen und lässt sich Schauspieler vorschlagen. Zu diesen erhält man dann in der Regel sowohl eine Personen­ information, die auflistet, in welchen Rollen die Person bereits aufgetreten ist – man möchte sicher vermeiden, dass die Person gerade in einer Rolle für die Konkurrenz des eigenen Auftraggebers zu sehen ist –, sowie einige Beispielclips, mit denen man schauspielerische Leistung, Präsenz und Stimme beurteilen kann. Nach einem internen Auswahlprozess – und der Klärung, dass die ausgewählten Schauspieler zum Produktionsdatum verfügbar sind – wird das Ergebnis der Auswahl mit Alternativen dem Auftraggeber vorgelegt. Meist spricht man hier eine direkte Empfehlung aus. Moderatoren und Präsenter

Die Auswahl von Moderatoren und Präsentern beispielsweise für Messe­ präsentationen entspricht in etwa dem Casting von Schauspielern. Auch hier gibt es Agenturen, die eine entsprechende Auswahl anfertigen können, wenn man mittels eines Briefings beschreibt, was für eine Person man für welche Art von Präsentation in welchem Zeitraum benötigt. Erfahrungsgemäß ist es wichtig, persönlich mit den ausgewählten Personen zu sprechen, um ein Gefühl zu bekommen, ob man mit diesen arbeiten kann und ob sie beispielsweise die Qualifikation haben, sich in ein Thema hineinzudenken und dieses auf der Bühne oder im K ­ ontext einer Präsentation überzeugend zu vermitteln. Der Anspruch ist hier höher als an Schauspieler, deren Leistung editiert und in aufgezeichnete Bilder gegossen wird – der Präsenter bzw. Moderator muss sich live mit einem Thema auseinandersetzen können und mit einem Publikum interagieren.

Rechte- und Vertragsmanagement Im Rahmen von Material- und Exponatverwendung sowie der Produktion mit Sprechern, Schauspielern oder Presentern müssen Nutzungsrechte, Leih- und Gagenverträge geklärt werden. Während Letzteres normalerweise eine Aufgabe des Produktionsmanagements ist, werden diese Aufgaben in Mediatektur­projekten

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– da es sich um ähnliche Fragestellungen handelt – meist zentral in der Redaktion gebündelt. Materialien

Für das gesamte verwendete Material muss geklärt werden, wer die Rechte an dem Material hält und ob die Rechte bereits abgegolten sind – beispielsweise im Fall, dass der Auftraggeber selber die Rechte hält und diese zur Verfügung stellt – oder ob die Rechte beschafft werden müssen. Die Redaktion verantwortet die Rechteklärung. •• Lizenztypen: Prinzipiell unterscheidet man zwischen rechtefreiem und lizenzpflichtigem Material. Rechtefrei bedeutet, dass man das Material gegen eine Einmalzahlung beschaffen und verwenden kann – man also nur das Handling bezahlt. Für lizenzpflichtiges Material werden Verwendungszweck, -region und -dauer in einem Vertrag verhandelt und dementsprechend Lizenz- und Handlinggebühren bezahlt. Kann man das Material nicht über ein internetbasiertes Archiv in einem standardisierten Rechteklärungsprozess beziehen, sollte man die Rechteklärung f­ rühzeitig beginnen, da sie durchaus ein langwieriger Prozess sein kann, wenn etwa der Urheber bzw. Lizenzgeber nicht direkt auszumachen ist oder die Rechte von einer Institution gehalten werden, die erst selbst über eine Rechtevergabe entscheiden muss. Exponate

Müssen Exponate geliehen werden, sollte man dies nicht ohne einen entsprechenden Leihvertrag machen. Dieser ist in der Regel eine sichere Basis dafür, die Risiken bei Verlust oder Beschädigung des Exponats eingrenzen zu können. Der Vertrag regelt, welche Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden müssen und wie das Exponat zum Beispiel transportiert werden darf. In der Regel wird dieser Leihvertrag nicht zwischen Auftragnehmer und Verleiher geschlossen, sondern zwischen Auftraggeber und Verleiher. Einerseits bedeutet dies Sicherheit für den Auftragnehmer – man braucht keinen eigenen Justiziar zur Prüfung der Verträge –, andererseits aber beinhaltet es, dass – sollte man selbst am Handling der Exponate beteiligt sein – sichergestellt sein muss, dass man über die nötigen Betriebs- und Haftpflichtversicherungen sowie Zertifizierungen verfügt.

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Künstler

Mit Künstlern wie Sprechern, Schauspielern, Moderatoren etc. werden Honorarverträge abgeschlossen, die die Rechte am Beitrag, Pflichten des Künstlers sowie die Honorare klären. Ein besonderes Augenmerk sollte man hierbei auf die Rechte haben: Muss man später Rechte nachverhandeln, weil beispielsweise eine Mediatektur doch weltweit eingesetzt werden soll, die zuvor nur für ein Land oder eine Region eingeplant war, oder weil eine Mediatektur länger zum Einsatz kommen wird als ursprünglich anvisiert, kann das durchaus teuer werden. ­Andererseits möchte man aber auch nicht die Kosten für weltweite Rechte für eine Produktion tragen, die beispielsweise nur in Deutschland stattfindet. Eine gute Option ist hier, Rechteerweiterungen als Optionen direkt vertraglich festzuhalten, diese aber nur dann zu erwerben, wenn diese gebraucht werden.

Inhaltliche Produktionsüberwachung Sind Materialien, Exponate und Personen ausgewählt und die Rechte geklärt, ist es Aufgabe der Redaktion, die vereinbarten Verwendungen und Verträge sowie die inhaltliche Richtigkeit zu überwachen. •• Die Redaktion wacht über die korrekte Handhabung von Materialien und Daten und sorgt dafür, dass keine fehlerhaften Informationen zu den Materialien oder falschen Verwendungsweisen in die Produktion getragen ­ werden. Sind alle Bildmaterialien im inhaltlich richtigen Kontext verwendet? Sind alle typografischen Elemente korrekt übernommen worden? •• Bei Sprachaufnahmen überwacht die Redaktion die Beachtung korrekter Aussprache von Eigennamen. Dies sollte direkt im Tonstudio bei der Aufnahme erfolgen, da bei nötiger Korrektur sonst später hohe Kosten anfallen, weil möglicherweise Sprecher und Studio noch einmal gebucht werden müssen. •• Die Redaktion überwacht die Verwendung der Materialien hinsichtlich der lizenzierten Rechte. Sind alle Rechte in der Materialverwendung gewahrt? Sind dort, wo die Angabe der Rechteinhaber gefordert ist, diese in der ­richtigen Form genannt? Letzteres wird beispielsweise bei Fotografien häufig nicht korrekt ausgeführt.

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Produktion Die Produktion einer Mediatektur erfordert eine umfassende Integrationsleistung, denn ihre physischen und medialen Komponenten sind eng verzahnt, spielen zusammen und beeinflussen sich gegenseitig: •• Produktion umfasst alle Instrumente der Mediatektur und deren Integration – sowohl die konstruktive und technische Produktion als auch die Medien­ inhalte sowie Ton- und Lichtproduktion. •• Sie kümmert sich nicht nur um die kommunikativen Inhalte, sondern muss auch das Format erschaffen, in dem diese dargestellt und konstruktiv verortet werden – anders als beispielsweise in einer Fernsehproduktion, bei der das Ausgabeformat standardisiert ist. •• Neben der eigentlichen Erstellung der Mediatektur und ihrer Inhalte hat die Produktion die Aufgabe der Simulation und Visualisierung derselben über alle Projektphasen hinweg.

Visualisierung und Simulation Das Mediatekturerlebnis an sich wird erst mit seiner Fertigstellung wirklich greifbar. Visualisierungen sind das zentrale Werkzeug, um die Vorstellungen von der Mediatektur schon im Verlauf zeigen und bearbeiten zu können. Die komplexen Anforderungen der Visualisierung von Mediatektur stellen die Produktion vor die Herausforderung, die Planungen in einer Visualisierungsplattform zu ­integrieren. Raum, Form, Medien, Licht, Ton und Abläufe sollen hier bereits im Zusammenhang erlebbar werden, um diese besser gestalten zu können und um sie dem Auftraggeber verständlich zu machen. Visualisierung wird entlang der Entwicklung des Projekts für Präsentationen und Statusupdates gebraucht und dominiert die mögliche Mediatekturerfahrung bis weit in den Projektverlauf. Werden Visualisierung und Simulation losgelöst von der eigentlichen Produktion der Mediatektur realisiert, ergibt sich daraus eine Menge zusätzlicher Arbeit, die man aus Budget- und Zeitgründen zu vermeiden suchen muss. Die Lösung für eine in den Produktionsprozess integrierte Visualisierung und Simulation wäre an sich eine einheitliche Datenbasis – eine Visualisierung, die auf die Konstruktions-, Licht- und Filmdaten zugreift, die in der Produktion entstehen. Die einzelnen Instrumente der Mediatektur haben aber weitgehend ihre instrumentenspezifischen Planungs- und Produktionstools, was dem Bestreben, über Visualisierung und Produktion hinweg eine möglichst einheitliche Datenbasis zu schaffen und damit effizient zu arbeiten, zuwiderläuft. Visualisierung und Produktion erfordern

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­beispielsweise unterschiedliche Auflösungen: Während in der konstruktiv-technischen Planung eine möglichst detaillierte Datenlage benötigt wird bzw. Elemente bis ins kleinste Detail ausgeführt werden, ist das für eine 3D-Visualisierung eher hinderlich. Details verbrauchen hier umfassende Rechenressourcen, weshalb eine 1:1-Verwendung eines Datenstammes eher problematisch ist. Man kann sich das vereinfacht so vorstellen, dass in einer technischen Konstruktions­zeichnung ­beispielsweise Daten zu Schrauben vorhanden sind, die man aber in der Gesamtansicht eines Raumes gar nicht sieht – die Visualisierung muss aber mit diesen Daten umgehen, die im Zweifel um vieles komplexer sind als die kubischen ­Formen der Vitrine, in die die Schrauben verbaut sind und die man in der Visualisierung darstellen will. Das macht die Visualisierung signifikant langsamer, wenn nicht sogar komplett unmöglich. Gleiches gilt für visuelle Inhalte, Licht etc. – auch diese sind in einer Simulation schwierig in voller Auflösung oder in Echtzeit zu integrieren. Trotzdem gibt es verschiedene Best Practices, wie man möglichst e­ffizient vorgeht. In der Regel führt der Weg von Skizzen in eine dreidimensionale Visualisierung. •• Sind es komplexe, eventuell parametrische Bauformen, entstehen diese zumeist in CAD-Anwendungen und werden von dort zur Visualisierung in 3D-Software übernommen. •• Sind es einfachere Formen oder eher Arrangements, können diese schneller direkt in 3D-Software modelliert und visualisiert werden, ehe man später dann die ausschlaggebenden Elemente im CAD detailliert. Es ergeben sich hier auch zwei unterschiedliche Entwurfs- und Planungsprozesse – ein eher technischer, konstruktiver, der im CAD seinen Ausgangspunkt hat, und ein eher visueller, farb-, textur- und formorientierter, der in 3D-Tools beginnt. Dabei sind die Grenzen fließend und fast alle 3D- und CAD-Tools versuchen, Funktionen aus der jeweils anderen Herangehensweise zu integrieren oder A ­ ustauschformate zu schaffen. Somit gibt es hier auch keine wirkliche Tool­ empfehlung, sondern man muss je nach Art des Projekts und eigener Entwurfs­ vorlieben den sinnvollsten Ansatz abschätzen und sowohl technisch als auch visuell entwerfen können. Am Ende ist ausschlaggebend, mit welcher Software der Entwerfende bzw. Visualisierende geschult ist, so dass er schnell und e­ ffizient damit umgehen kann (die meisten Tools haben eine große Komplexität). Oft haben auch die Studios sich für eine bestimmte Planungs- und Visualisierungskette entschieden und entsprechend Soft- und Hardware angeschafft – ggf. abhängig von ihren weiteren Spezialisierungen: Werden in einem Studio auch Visual Effects

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produziert, wie in der Mediatektur üblich, hat es meist schon eine definierte 3D-Plattform, auf der gearbeitet wird. Eine weitere Integration ergibt sich zwischen Simulation und Ausspielung. Mittlerweile gibt es eine große Anzahl an Tools, die hier neue Möglichkeiten schaffen: •• Komplexe Bühnensimulationen mit Lichtstimmungen: In einem Tool k­ önnen Zuspieler, Lichter und Spezialeffekte nicht nur gesteuert, sondern auch ­prä­visualisiert werden. •• Im Projection-Mapping wird nicht nur die Geometrie der Projektionen direkt aus den Tools generiert und das Abspielen gesteuert – hier ist es ebenso ­möglich, die Projektionen auf der Geometrie direkt auszuspielen. Solche Werkzeuge erleichtern in den spezifischen Anwendungen die Arbeit nicht nur, weil man schnell einen Eindruck davon bekommen kann, wie etwas aussehen und wirken wird, sie ermöglichen auch eine effiziente Visualisierung, da für diese kein separater Arbeitsschritt erfolgen muss.

Exkurs: Paradigmatischer Ablauf einer einfachen Visualisierungskette

Um zu einer Visualisierung von Mediatektur zu erlangen, ist ein bewährter, nicht auf eine bestimmte Mediatekturanwendung spezialisierter Visualisierungsprozess notwendig, der sich ohne viele Spezialkenntnisse, -software und -hardware bewältigen lässt. Ein solcher Prozess ist trotz der vielen beschriebenen Innovationen in der Integration der Datenbasis über die Jahre relativ unverändert geblieben, da er schnell und effizient funktioniert: •• Die Struktur wird in einer 3D-Anwendung gebaut und visualisiert – beispielsweise Cinema4D, 3DStudio, Blender oder Maya. Eine Ansicht (Kamera) wird etabliert, die alles Relevante abbilden kann. •• Aus dieser Kameraperspektive werden pro relevantem Zeitpunkt zwei verschiedene Ebenen gerendert – eine Ansicht sowie Masken (siehe Abb. 4.5) für die verschiedenen Medien. •• Diese Renderings werden in ein Compositingtool gebracht – beispielsweise After Effects, Fusion oder Nuke. •• Medieninhalte werden mittels der Masken eingebracht und Lichtstimmungen, Farbgebungen etc. werden simuliert. Auch Reflexionen der Medieninhalte im Raum kann man noch einbauen und die Bilder farbkorrigieren.

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• Dann kann man die relevanten Bilder entlang der Ablaufzeit rendern und für eine Präsentation verwenden. Frame 1

Frame 2

Frame 3

Frame 4

3D

Maske

Bild

Ergebnis

Abb. 4.5: Arbeitsschritte im beschriebenen Visualisierungsprozess für vier Präsentationsbilder zu einer einfachen Bühnenpräsentation.

Der Prozess verzichtet bewusst darauf, 3D-Daten in das Compositing zu bringen – das schränkt zwar auf den ersten Blick die Möglichkeiten etwas ein, schafft aber einen relativ sicheren, schnellen und effizienten Arbeitsprozess. Die Bilder im Beispiel in Abbildung 4.5 lassen sich von einer geübten Person von der Idee über 3D, Rendering und Compositing inklusive der dargestellten Bildinhalte in gut zwei Stunden erstellen. Sollen sich die Medieninhalte mit dem Raum besonders verbinden – hat man beispielsweise mehrere Ebenen von Spiegelungen –, kann man auch die Medieninhalte zuerst als Texturen im 3D etablieren und diese bereits in den Renderings sehen. Das bedeutet aber einigen extra Aufwand im 3D, da Texturen animiert oder getauscht werden müssen.

Technische Planung Aufgabe der technischen Planung ist es, Konzept und Entwurf zu begleiten und umsetzbar zu machen. Dies umfasst die Bereiche der Konstruktionsplanung, Technikintegration, Lichtplanung, Medienplanung, Spezialeffekteplanung sowie Sicherheitsplanung. Dabei sind die zentralen Aufgaben: •

Vorplanung: Definition von funktionalen und konstruktiven Elementen, die entweder später oder durch Dritte detailliert werden sollen. Dies geschieht häufig als Vorbereitung einer Ausschreibung oder Angebotsabfrage, aber auch um zu erörtern, ob ein Konzept- und Entwurfsansatz umsetzbar ist (siehe

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Abb. 4.6: Vorplanungsskizze eines Hologrammexponat für eine Ausschreibung/Angebotserstellung.

­Arbeitsstrategien, -werkzeuge und ­-erfahrunge – Aufgaben und Funktionen im Detail

Beispiel Abb. 4.6). Die hier erstellten Planungen tragen immer die Aufschrift „Vorabzug“ bzw. „Preliminary“, um deutlich zu machen, dass es sich nicht um Ausführungsplanungen handelt. •• Erstellung von Mock-ups: Technische Planung und Betreuung von Probeaufbauten. •• Integration: Eigene technische Planungen sowie die der verschiedenen Gewerke müssen in Übereinstimmung gebracht, wo nötig konstruktive und technische Schnittstellen definiert werden. Dabei sind vor allem folgende Punkte zu beachten: –– Überblick: Sind alle nötigen technischen und konstruktiven Aufgaben des Projekts verteilt? Gibt es für jede zu planende und auszuführende Position einen Verantwortlichen? –– Zentrale Steuerbarkeit: Müssen beispielsweise Bühnenfunktionen, Licht und Medieninhalte zentral und synchron gesteuert werden? –– Konstruktive und statische Integrität: Kann die geplante Konstruktion die eingesetzte Medientechnik tragen? Sind Kabelwege vorhanden? Funktionieren die Planungen räumlich miteinander? –– Entkopplung: Kann Licht die Medieninhalte stören? Kann mechanische Bewegung die Stabilität von Projektionen stören, so dass das Bild zittert? –– Energie und Wärme: Ist genug Energieleistung vorhanden? Ist für ausreichende Warmluftabführung gesorgt? –– Sicherheit: Erfüllen alle technischen Planungen die notwendigen Sicherheitsvorgaben? Bestehen zusätzliche Sicherheitsanforderungen? •• Detailplanung: Für alle Elemente, die nicht durch Dritte geplant werden, ist eine logische sowie konstruktive und funktionale Detailplanung notwendig. Diese umfasst Konstruktion, Materialauswahl, Oberflächenfinishing, technische Elemente sowie mechanische Funktionalitäten im Detail und beschreibt präzise und eindeutig, wie diese auszuführen sind, so dass das Element sich genau nach den Vorstellungen der Designer erstellen lässt. •• Hard- und Softwaredefinition: Die technische Planung erstellt eine Liste aller Hardwarepositionen, Zubehörteile sowie der erforderlichen Softwarelizenzen und definiert, ob diese gekauft oder gemietet werden und wer für die Beschaffung verantwortlich ist bzw. Soft- und Hardware zuliefert. •• Formatdefinition: Die technische Planung definiert die Auflösungen und Formate, in denen entsprechend der definierten Hard- und Software produziert werden muss.

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•• Umsetzungsbetreuung: Die technische Planung überwacht soweit nötig den Aufbau der konstruktiven und technischen Lösung. •• Betrieb: Die technische Planung sorgt für die Dokumentation der konstruktiven und technischen Lösung und für eine Bedienungsanleitung, organisiert wenn nötig Schulungen für das Betriebspersonal oder stellt bei temporären Mediatekturen sicher, dass entsprechendes Personal eingeplant ist.

Produktionsmanagement Das Produktionsmanagement kümmert sich um alle Instrumente der Mediatektur, die einen technischen Aspekt umfassen, und stellt mittels Visualisierung und Planung sicher, dass die Instrumente zu einem koordinierten und zielgerichteten Zusammenspiel finden. Lichtproduktion

Die Produktion rund um das Thema Licht übernimmt in der Regel ein Lichtplaner und -designer, der sowohl die Lichtchoreografie erarbeitet und mit dem Design/Kreation abstimmt als auch die nötigen Gerätschaften plant bzw. mit der technischen Planung abstimmt. •• Lichtchoreografie: Die Lichtstimmungen werden im Projekt vorbereitet und dann vor Ort angepasst und verfeinert. Das heißt, der Lichtdesigner braucht Zeit, um in der erstellten Mediatektur sowohl die Choreografie anzupassen als auch alle Leuchten so auszurichten und zu fokussieren, dass unter den realen Bedingungen optimale Ergebnisse erzielt werden. •• Synchronisierung: Wird das Licht nicht live gefahren, muss festgelegt ­werden, wie Licht und Bild synchronisiert werden. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit der technischen Planung meist über einen gemeinsamen Timecode, oder aber die Medienabspieler spielen direkt die Steuercodes für das Licht aus – beispielsweise per integrierter DMX512-Anbindung. •• Überlagerung: Die Lichtproduktion muss sicherstellen, dass das Licht am Ende mit etwaigen lichtsensitiven Installationen wie Projektionen gut zusammenspielt und diese nicht überblendet.

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Grafikproduktion und Druck

Die Grafikproduktion übernehmen je nach Medium professionelle Druckund Grafikdienstleister. Die Produktion hat die Aufgabe sicherzustellen, dass die vom Design gelieferten Daten produzierbar sind und die gewünschte Qualität erreichen. •• Material: Wird aus den Druckunterlagen klar, welches Material verwendet wird? Handelt es sich um einen Mehrfarbdruck, einen Schmuckfarbendruck oder einen Folienschnitt? Sind bei den Drucken das Druckmedium und ­dessen Qualität definiert? Sind bei Folienschnitten die Folienmaterialien eindeutig definiert? •• Auflösung: Passt die Auflösung der angelegten Grafik zur zu produzierenden Fläche und Druckart? Je nach Druckverfahren werden dabei unterschiedliche Auflösungen zugrunde gelegt: Eine Bannergrafik, an die die Besucher nicht nah herankommen, kann im Zweifel mit 40 dpi12 auskommen, während ein qualitativ hochwertiges Foto bis zu 300 dpi braucht. •• Farbsystem: Sind die Druckdaten für das in dem Druck verwendete Farb­ system angelegt? Vierfarbdruck erfordert in der Regel CMYK als Farbsystem. •• Assets: Sind alle benötigten Bilddaten und Schriftarten im Druckdatenpaket enthalten? •• Letzter Datenstand: Die Grafikproduktion stellt sicher, dass exakt die Druckdaten in die Produktion gehen, die von Redaktion und Design freigegeben wurden. •• Andruck: Die Grafikproduktion stellt dem Design den Andruck bzw. Probedruck zur Verfügung, den sie von dem Grafikdienstleister bekommen hat, und lässt sich diesen freigeben, bevor der eigentliche Druck erfolgt. Medienproduktion

Die Medienproduktion – also die Produktion digitaler visueller Medieninhalte – basiert auf den zusammen mit Design/Kreation erarbeiteten Storyboards, die definieren, welche Medieninhalte mit welchen Lauflängen produziert werden

12 Dpi steht für „Dots per Inch“ und gibt die Anzahl an Rasterpunkten per Zoll einer Grafik an. 300 dpi heißt also 300 Rasterpunkte pro Zoll oder entsprechend 118 Rasterpunkte pro Zentimeter.

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s­ ollen. Dabei erfolgen die ersten Arbeitsschritte in der Regel schon mit Blick auf eine erste Präsentation: •• Styleframes: Entlang des Storyboards werden zusammen mit dem Design/ Kreation Styleframes erarbeitet, die den Look festlegen und damit auch ­klären, welche Produktionsschritte notwendig sind, um das Ziel zu erreichen. •• Moodfilm: Ein Moodfilm strebt an, das Storyboard unter Verwendung von bestehendem Material und bestehender Musik (deren Rechte man für den internen Gebrauch nicht klären muss) grob umzusetzen. Hierfür werden bestehende Bild- und Tonmaterialien neu zusammengeschnitten, um den Rhythmus, die Dynamik und die Emotion sowie Aussage der zu produzierenden Medieninhalte zu verdeutlichen. Moodfilme werden hauptsächlich für Präsentationen produziert, um den emotionalen Eindruck der geplanten Medieninhalte zu vermitteln. •• Aufwandsschätzung: Auf der Basis von Storyboards und Styleframes unterstützt die Medienproduktion das Projektmanagement mit einer Schätzung der Produktionskosten bei der Angebotserstellung. Ein wichtiger Aspekt ist hier die Frage, ob alles mit bestehenden Materialien produziert werden kann oder ob neu gedreht werden muss. Handelt es sich um ein Projekt mit umfassendem Neudreh oder muss man auf eine externe Medienproduktion zurückgreifen, weil man inhouse nicht über die benötigten Ressourcen verfügt, werden diese Punkte meist in Zusammenarbeit mit einer entsprechenden Produktionsfirma erbracht. Begibt man sich in die ­Produktion, sehen die Aufgaben aus wie folgt: •• Produktionsplanung: Die Produktion erstellt in Zusammenarbeit mit dem Projektmanagement eine Produktionsplanung. Diese besteht aus zwei Teilen: –– Filmproduktionsplanung, die eine Zeit- und Ablaufplanung für einen eventuellen Neudreh von Material ergibt. Bei komplexen Neuproduktionen kommt hier in aller Regel eine externe, erfahrene Filmproduktionsfirma ins Projekt, die diesen Teil übernimmt. –– Postproduktionsplanung, die die verschiedenen Abnahmeschritte einer Medienproduktion berücksichtigt: Rohmaterialabnahme: bei der eventuell verwendete Rohschnitte abgenommen werden können, um dann in Farbkorrektur und Compositing zu gehen; Designabnahme: in der Grafiken, 3D-Elemente und Animationen freigegeben werden; Gesamtabnahme für die fertigen Medienprodukte. Eine solche in klare Abnahmeschritte aufgeteilte Produktion ist sehr sinn-

Abb. 4.7: Beispielhafter Produktionsweg für eine Drei-Bildschirm-Installation in UHD-Auflösung mit Dolby-5.1-Tonspur.

Abb. 4.8: Editieren von Grafikanimationen direkt auf einem Projektionsobjekt für eine I­nstallation auf der EXPO 2000 Hannover im Studio: Während der Bildbearbeitung lässt sich live verfolgen, wie Grafikelemente auf dem Projektionsobjekt aussehen. Berlin, 2000 (Luxoom Medienprojekte).

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voll: Muss man am Ende der Produktion noch einmal den Rohschnitt anfassen, weil dort etwas verändert werden soll, ist das mit einem Aufwand in allen darauf folgenden Schritten verbunden, da man dann auch alle folgenden Versionen noch einmal bearbeiten muss. Hat man aber eine Rohschnittabnahme gemacht, ist dieser umfassende Mehraufwand in der Regel vom Auftraggeber zu tragen. •• Produktionsweg: Die Produktion legt den Ablauf des Produktionsweges fest: –– Auf welchen Plattformen und in welcher Reihenfolge erfolgen welche Arbeitsschritte – Schnitt, Grafik- und Typoanimationen, 3D-Animation, Farbkorrektur, Compositing, Konfektionierung13? (siehe Abb. 4.7) –– Welche Arbeitsschritte erfolgen in der Postproduktion und welche Arbeitsschritte erfolgen live im Abspielsystem? Welche Stückelung der Medieninhalte und damit der zu erstellenden Medienprodukte ergibt sich daraus? –– Wo müssen Medieninhalte direkt beim Bearbeiten in ihrem Kontext betrachtet werden? Mit welchen Konstruktionen oder Probeaufbauten kann man dies erreichen? (Siehe Abb. 4.8) –– Wie muss das Endmaterial konfektioniert sein – welche Auflösungen und Framerates sind in welchen Videoformaten und welchen Lauflängen zu erstellen? •• Produktionsüberwachung: Kontrolle des Produktionsfortschritts und Vorbereitung der internen Zwischenpräsentationen mit Design/Kreation. •• Versionierung: Fertige Medienprodukte sollten eine absolut eindeutige ­Be­nennung haben, die der zuvor abgesprochenen Nomenklatur entspricht. Dazu ist es sinnvoll, jeder Datei mittels ihres Dateinamens einen genauen Zeitstempel zu geben – am einfachsten indem man die inhaltliche Bezeichnung der Datei um Datum und Uhrzeit der Fertigstellung in der Form ­YYYYMMDDHHMM ergänzt, beispielsweise mit dem Code 202101101255 für eine am 10. Januar 2021 um 12:55 Uhr mittags fertiggestellte Datei. Meistens entstehen durch Änderungen und Anpassungen viele Dateiversionen, die man auch visuell nicht alle schnell unterscheiden kann – aber durch die Datei­ bezeichnung weiß man immer, welches das letzte und damit aktuellste Dokument ist.

13 Als Konfektionierung bezeichnet man das finale Zuschneiden des Materials für die Einzelmedien sowie die Codierung im gewünschten Videoformat, so dass abspielbare Video­ dateien entstehen, die vom Abspielsystem übernommen werden können.

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•• Kontrolle der fertigen Medienprodukte: Jede fertiggestellte Mediendatei sollte vor der Einbindung in die Mediatektur oder Übergabe an den Auftraggeber noch einmal genau angeschaut werden – von vorne bis hinten –, um zu vermeiden, dass sich irgendwelche Fehler eingeschlichen haben. Gerade bei Produktionen mit vielen Quellen und langen Laufzeiten benötigt das einigen Zeitaufwand, den man einplanen sollte. Bei komplexen Mediatekturproduktionen erfolgt die letzte Anpassung in der Regel vor Ort, beim Aufbau oder während der finalen Proben. Entsprechend kann es sinnvoll sein, die Ressourcen (Personal, Technik, Material), die man für die Arbeitsschritte ab und inklusive Compositing braucht, vor Ort zu haben  – ­Änderungen und Anpassungen lassen sich dann in der Regel schneller und unkomplizierter abarbeiten und man verkürzt die Wartezeiten, die das Überspielen der meist doch umfangreichen Dateimengen erfordert.

Abb. 4.9: Produktionsteam von Luxoom (v.l.n.r. Li Qi, Hean Kim und Pietro Fantoni) in einer Suite des Crown Plaza Beijing bei der Medienproduktion für eine Modellvorstellung mit Projection-Mapping für Mercedes Benz, die im benachbarten Beijing Indoor Stadium stattfinden soll. Peking, 2011.

Softwareproduktion

Die Softwareproduktion basiert auf den von Design/Kreation vorgegebenen Abläufen der Mediatektur und auf grafischen sowie inhaltlichen Vorgaben. In der Regel erfolgt die Softwareproduktion im Zusammenspiel zwischen Entwicklern, die die Ablauflogik etablieren, und Designern, die das Design des Benutzer­ erlebnisses betreuen.

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•• Entwicklungsoutline: Im ersten Schritt wird in der Regel eine Entwicklungsoutline verfasst: ein Dokument, das alle verfügbaren Informationen zusammen­fasst und sich durch eine umfassende Beschreibung der Ablaufbzw. Interaktionslogik auszeichnet. Die Outline legt genau dar, welche Arbeits­elemente die Softwareproduktion erfüllen muss. Sie kann dann als Ausgangspunkt für eine Softwareentwicklung im eigenen Studio oder auch als Basis für eine Ausschreibung der Leistung verwendet werden. •• Hardware- und Plattformentscheidung: In der Regel erfordert es einige Tests, bevor eine Entscheidung, welche Hardware und welche Entwicklungsplattform für die Produktion verwendet wird, getroffen werden kann. Kriterien sind die Stabilität der Lösung und die Minimierung des Entwicklungsaufwands. Auch kann natürlich ausschlaggebend sein, für welche Entwicklungsplattform man Entwickler findet oder welche Hardware im gegebenen Zeit- und Budget­ rahmen lieferbar ist. •• Entwicklungsplan: Produziert man die Software inhouse, wird der Entwicklungsplan mit dem zuständigen Softwareentwickler und dem Design ­erarbeitet. Lässt man durch Dritte entwickeln, bekommt man von diesen einen entsprechenden Entwicklungsplan. In beiden Fällen sollte man genügend Puffer einplanen für den Fall, dass die Entwicklung schwieriger wird als erwartet. Erste Tests sollten unbedingt für spätestens Ende der ersten Hälfte des Projektverlaufs eingeplant werden – um früh lenken und ändern zu ­können, falls dies notwendig werden sollte. •• Tests: Tests sind das Herzstück der Softwareentwicklung. Wo es um Software geht, die später nicht von Fachleuten, sondern von Besuchern benutzt wird, sollten die Tests unbedingt durch Personen erfolgen, die nicht im Projekt involviert sind und die keine besonderen Softwarekenntnisse haben. Dabei sollte man versuchen, die Testsetups immer so realistisch wie möglich zu gestalten: Wie groß sind die Bildschirme? Wo sind diese angeordnet? Sind mehrere Personen im Umfeld? Ist es eine Tageslichtsituation? Steht ein Test in Anwesenheit des Auftraggebers an, ist es von großem Vorteil, denselben Test schon einige Tage zuvor intern durchzuführen, um für die Kundenpräsentation gewappnet zu sein und bei Problemen ggf. noch Zeit zum Korrigieren zu haben. •• Installation: Die Erfahrung zeigt, dass die Softwareentwickler auch nach der Installation immer noch eine gewisse Zeit beim Livebetrieb der Software anwesend sein sollten. Meistens schaffen Besucher und Anwender es, noch

­Arbeitsstrategien, -werkzeuge und ­-erfahrunge – Aufgaben und Funktionen im Detail

Fehler und Probleme zu finden, die auch in ausführlichen Tests unbemerkt geblieben sind. Die entsprechenden Zeiten gilt es einzuplanen. •• Dokumentation: Zu jeder Software gehört eine Bedienungsanleitung, die die Anwendung, die verwendete Technik und das Vorgehen bei Inbetriebnahme und Fehlerbehebung beschreibt. Diese wird mit der Installation an den Auftraggeber bzw. Betreiber der Software übergeben. •• Service und Wartung: Handelt es sich um ein Event, also eine kurze, begrenzte Einsatzzeit der Software, wird man in der Regel immer eine fachkundige technische Betreuung von Softwareanwendungen während ihres Einsatzes gewährleisten. Ist die Software länger im Einsatz – beispielsweise in einem Museum oder Showroom –, sollte man die Möglichkeit der Fernwartung in Erwägung ziehen, so dass die Softwareentwickler bei Problemen aus der Ferne darauf zugreifen und Fehler beheben können. Klangproduktion

Die Audioproduktion in der Mediatektur variiert je nach Projekt stark in ihrer Komplexität. Während in manchen Projekten kein oder wenig Klang gebraucht wird – beispielsweise lediglich ein paar Synchronsounds als Feedback bei einer Interaktion erklingen –, erfordern andere Projekte komplexe Sprach- und Klangproduktionen, die in der Regel von einem Komponisten und Tonstudio erstellt werden. •• Tonproduktionsoutline: Die Tonproduktionsoutline ist ein Briefing für Komponisten/Tonstudio, welche Klang-, Sprach- und Musiksequenzen in welchem Zeitraum erarbeitet werden müssen und welche Charakteristika diese haben sollen. Zudem beinhaltet sie entweder eine Beschreibung der räum­lichen Situation – so dass das Tonstudio eine Audiogeräteplanung machen kann – oder Informationen über die verwendeten Audiogeräte für den Fall, dass diese bereits vorhanden bzw. geplant sind. •• Clicktrack: Ein Clicktrack wird in der Regel vom Tonstudio zur Verfügung gestellt. Es handelt sich um eine Tonspur mit Clicks in der für die Musik angestrebten Geschwindigkeit und einer Betonung auf jeden achten Schlag. Auf diesen Clicktrack kann dann der Rhythmus der visuellen Produktion angepasst werden. Anstelle des Clicktracks wird häufig auch eine Referenzmusik verwendet, die eine entsprechende Geschwindigkeit und Dynamik hat.

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•• Referenzlänge: Sobald es einen oder mehrere visuelle Abläufe in den finalen Längen gibt, werden diese an das Tonstudio gegeben, damit Komposition und Sounddesign angepasst werden können. •• Anlegen: Ist der vorläufige Audiomix fertig, kann dieser an die visuellen Abläufe angelegt werden und eine Abnahme erfolgen. •• Aufnahme: Ist eine Aufnahme mit Musikern und Instrumenten gewünscht, erfolgt diese normalerweise nach der Abnahme der Komposition. In diesem Fall wird eine elektronisch erzeugte Version abgenommen, die dann mit ­echten Instrumenten eingespielt wird. Mit der Vorabversion erhält man einen Eindruck von der Länge und Dynamik der Komposition und verhindert, dass nach der Aufnahme noch Änderungen erfolgen müssen, die in der Regel auf eine Neuaufnahme hinauslaufen. Das heißt aber auch, dass nach der Abnahme der Komposition noch genügend Zeit für eine Aufnahme zur Verfügung stehen muss. •• Raummix: Für komplexe Raumsituationen, wie man sie in der Mediatektur häufig findet, erfolgt der finale Audiomix vor Ort mit dem Soundsystem der Mediatektur im Inszenierungsraum. Hier können alle Klang-, Sprach- und Musikebenen noch einmal fein abgestimmt und somit der optimale Klang erreicht werden. Gerade Sprache kann hier bezüglich Verständlichkeit und auch ihrer räumlichen Verortung in Bezug auf die inszenatorischen und ­visuellen Inhalte hin noch abgestimmt werden.

Liveregie In synchroner Mediatektur, wie in Eventshows mit komplexen Abläufen, müssen Abläufe koordiniert, geprobt und auch überwacht werden. Diese Aufgabe übernimmt die Liveregie. Kern ihrer Arbeit ist es, das mit der Mediatektur intendierte Erlebnis durch das Zusammenführen aller Einzelteile und Instrumente vor Ort zu erschaffen. Liveregie beginnt mit einem Probenplan, der in Abstimmung mit Bau und Technik entsteht. Probentage kosten Geld – für die gemietete Räumlichkeit, die verwendete Technik, das Personal usw. Deshalb sind Auftraggeber meistens bemüht, mit einem Minimum solcher Tage auszukommen, während die Regie immer gern einen Tag mehr haben würde, um Sicherheit für den Fall von V ­ erspätungen und Problemen aufzubauen. Bei den meisten Eventshows, in denen Bühnenmediatektur zum Einsatz kommt – beispielsweise Neuvorstellungen von Autos –, sind nicht mehr als zwei Tage zum Proben eingeplant, wobei häufig am Abend des zweiten Tages bereits die Show angesetzt ist. In solchen zeitlich k­ nappen Setups ist es wich-

Abb. 4.10: Beispielausschnitt aus einem Cuesheet für die Neuvorstellung eines Autos.

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tig, vorher ein Auge auf die relevanten Gewerke zu haben, um Probleme schon im Aufbau zu erkennen und beheben zu können. Werden Licht-, Ton- und Medienbespielung rechtzeitig laufen? Ist die Bühne mit all ihren Funktionen pünktlich einsatzbereit? Ist die Regietechnik pünktlich verfügbar? Auch kann man die Zeit vor den eigentlichen Proben nutzen, um mit einigen Einzelgewerken bereits Teile der Show vorzubereiten, beispielsweise die Lichtprogrammierung oder die Audio­ anlage zu prüfen. Zentrales Ablaufdokument ist das Cuesheet (siehe Abb. 4.10), das von der Live­ regie erstellt und verteilt wird. Das englische Wort cue bedeutet Wink oder Einsatz, also ursprünglich die Stelle, an der jemand in einem Theater- und Musikstück „dran“ ist. Das Cuesheet beschreibt einen Ablauf über diese Einsatzstellen. •• Das Cuesheet hat eine eindeutige Versionsnummer, so dass man immer sicherstellen kann, dass alle denselben Stand vorliegen haben. •• Es hat für jedes ablaufrelevante Gewerk eine Spalte: Ton, Video, Licht, Anweiser, Spezialeffekte etc. •• Jede Reihe des Sheets ist ein Cue, das heißt ein Einsatz, der einen absolut eindeutigen Namen hat. Oft numeriert man die Cues durch, damit jeder bei Ansage der Nummer weiß, wo im Ablauf man sich befindet. •• Je weniger Cues man braucht, umso weniger Verwirrung kann im Ablauf ­passieren. Wo sich Abläufe selbstverständlich aus der Inszenierung ergeben, ist das meist die sichere Wahl – ein Lichteinsatz kann sich beispielsweise am Öffnen eines Bühnenelements orientieren und muss nicht auf das Einsatzkommando der Liveregie warten.

Proben Die ersten Proben sind technische Proben – zuerst ein moderierter Schritt-fürSchritt Durchlauf, in dem jede Position in einem Showablauf besprochen wird. Performer und Redner stehen noch nicht auf der Bühne. Ein solcher Durchlauf kann durchaus mehrere Stunden in Anspruch nehmen. Wichtig ist es hier, eine Liste mit noch zu erledigenden Aufgaben für die verschiedenen Gewerke zu ­führen und nach dem technischen Durchlauf diese Liste durchzusprechen. Ziel des Durchlaufs ist es, dass jeder Beteiligte verstanden hat, was wann passiert und was er wann zu tun hat. Nach dem ersten Durchlauf muss man einige Zeit einkalkulieren, damit alle Aufgaben und Änderungen umgesetzt werden können.

­Arbeitsstrategien, -werkzeuge und ­-erfahrunge – Aufgaben und Funktionen im Detail

Danach erfolgt in der Regel eine erste Durchlaufprobe, die in realer Ablauf­ geschwindigkeit erfolgt, so dass man dann gut identifizieren kann, welche Teile des Ablaufs besonders schwierig sind. Hier zählt man in der Regel die Cues ein: „Cue Nummer 4 … in 3 … 2 … 1 … bitte.“ Komplizierte Stellen im Ablauf nimmt man sich dann in Einzelproben noch einmal gezielt vor. Sitzt der grundlegende Ablauf, nimmt man etwaige Moderatoren, Schauspieler, Präsenter oder Performer dazu, bis auch diese Teile alle klar sind und diese Akteure ihre Einsätze kennen. Aufgabe der Liveregie ist es dabei, die richtige Balance zwischen Probenplan und nötigen Vertiefungen sicherzustellen, durchzusetzen, dass alle konzentriert arbeiten, aber auch die nötigen Pausen zu ermöglichen.

Exkurs: Livekommunikation für Proben und Show

Für die Liveregie bei Proben und der Show selbst ist nichts so wichtig, wie effizient kommunizieren zu können. Zentrales Hilfsmittel ist eine von normalen Funkfrequenzen unabhängige sogenannte Bühnen-Interkom: Sets mit Kopfhörern und Mikrofon, auf denen man gleichzeitig sprechen und hören kann. Funkgeräte funktionieren hierfür nicht, da, wenn genau im falschen Mo­ment eine Frequenz gestört ist, ein Cue nicht richtig ausgeführt wird, und wenn gerade jemand spricht, dieser auch den Cue nicht hört. Im Weiteren sollten nur diejenigen Beteiligten in das Kommunikationsnetz eingebunden sein, die wirklich für die Show­produktion wichtig sind – also diejenigen, die die Cues hören müssen. Gerade wenn es mal schwierig wird oder etwas schief läuft, passiert es sonst, dass zu viele verschiedene Leute durcheinander sprechen und man als Regie die Situation nicht in den Griff bekommt, da man sich kein Gehör verschaffen kann. Am Ende erfolgt ein sogenanntes Dressed Rehearsal, die Generalprobe, in der alle Beteiligten sich exakt so verhalten, als sei es bereits die wirkliche Show. Danach wird aufgeräumt und möglichst noch etwas Pause gemacht, bis die Show startet.

Teamaufbau Die zu bewältigenden Aufgaben variieren je nach Mediatekturprojekt stark. Entsprechend schwierig ist es für ein Mediatekturdesignstudio, immer das ­richtige Team vorzuhalten – so groß das Team auch sein mag, es wird immer Aufgaben geben, die im Team nicht abgebildet werden können. Entsprechend sollte das Augenmerk darauf liegen, ein Kernteam zu bilden, das sich an den folgenden Punkten orientiert:

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Abb. 4.11: Beispielhafte Teamstruktur in der Mediatektur mit Freiberuflern und Auftragsnehmern.

Anhang

Literaturverzeichnis

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Projekt- und Beispielverzeichnis

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Cinéorama. Panoramainstallation zur Weltausstellung Paris. Raoul Grimoin-Sanson. Paris 1900. S. 22, 25 Clown Torture. Film- und Toninstallation. Bruce Naumann. Chicago 1987. S. 31 Collection Wall. Interaktive Wand als Teil der Gallery One im Cleveland Museum of Art. Local Projects. Cleveland 2006. S. 229, 238 Deep Space 8K. Interaktive Projektionsbühne. Ars Electronica. Linz 2015. S. 175 ff. Ducati/Diesel iPAD-Skulptur. HLD (Agentur), Luxoom Medienprojekte (Kreation und Entwicklung). Shanghai 2012. S. 343 Exiderdome. Auftaktshow im mobilen Ausstellungspavillon der Siemens AG. Luxoom Medienprojekte (Showkonzept und -design). Weltweit 2005. S. 79, 147 f., 277 ff., 322 ff., 370 ff. Exidertrain. Ausstellungszug der Siemens AG. Zeeh, Bahls und Partner (Innenarchitektur), Luxoom Medienprojekte (Show- und Mediendesign). Weltweit 2003. S. 69, 71 EXPO 2017 Astana WFES Messestand. World Energy Summit. Exponential Group (GU), Luxoom Medienprojekte (Medien und Kreativdirektion). Abu Dhabi 2014. S. 118, 229, 242, 249 Fahrstuhl des One World Observatory. Medieninstallation. The Hettema Group. New York 2015. S. 173 f., 373 Fall der Giganten. Fresko im Palazzo del Te. Giulio Romano. Mantua, frühes 16. Jahrhundert. S. 22, 24 Fresken in der Villa dei Misteri. Unbekannter Künstler. Pompeji 60 v. Chr. S. 21, 23 Fun Theory Piano Staircase. Interaktive Installation. Volkswagen AG. DDB Stockholm (Agency). Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=SByymar3bds (Zugriff 8.7. 2018). 2009. S. 374 Gallery One siehe Collection Wall und Make a face. Ganzfeld Series siehe Bridgets Bardot. Guggenheim App. Smartphoneapplikation als Museumsführer mit Near me Lokalisationsfunktionen. Solomon R. Guggenheim Foundation. Vgl. auch https:// www.guggenheim.org/plan-your-visit/guggenheim-app (Zugriff 9.8.2018). New York 2015. S. 252 HAKANAÏ. Interaktive Tanzperformance. Adrien M & Claire B. Lyon 2013. S. 75 Helv Relics Museum siehe Time Machine. HSBC Gebäude Hongkong. Norman Foster. Hongkong, 1985. S. 89 f. Humboldt Lab Dahlem siehe Paradies der Kopfjäger, Süd Sehen und Verzauberung/ Beauty Parlour. iKWin Google Challenge. Installation mit zwei Hebebühnen auf dem PICNIC Kreativfestival. Mediamatic. Amsterdam 2008. S. 177 f. Institut du monde arabe. Blendenelemente in der Südfassade. Jean Nouvel. Paris 1980. S. 66 f.

Projekt- und Beispielverzeichnis

Interaktiver Tisch für das Putuo District Planning Museum. THISWAY! (Ausstellungsdesign), Luxoom Medienprojekte (Kreation und Entwicklung). Shanghai 2010. S. 244 ff. ISAM-Tour. Bühnenbespielung zur Konzerttour von Amon Tobin. V Squared Labs (Bühnen- und Mediendesign). Weltweit, 2011. S. 29, 163 f., 169 La Gabbia. Interaktive Installation. auroraMeccanica. Venedig 2011. S. 229, 231 ff. Landesfeuerwehrmuseum. Vorarlberger Museumswelt. Licht- und Rauminstallation. chezweitz (Szenografie). Vorarlberg 2013. S. 109 ff. Lebendiger Medaillenspiegel. Tanz- und Medienperformance in der Fassade des Pavillons der Volkswagengruppe zur Winterolympiade in Sotschi. Avantgarde München (Agentur), Monika Graf (Regie), Luxoom Medienprojekte (Mediendesign und -produktion). Sotschi 2014. S. 210 f. Let us make cake. Projection-Mapping auf der Fassade des New Yorker New Museums. Wilddogsinternational featuring Daniel Arsham. New York 2011. S. 170, 171, 175 Make a face. Interaktive Installation als Teil der Gallery One im Cleveland Museum of Art. Local Projects. Cleveland 2006. S. 231 f. Marc O’Polo auf der Pitti Immagine. Messestand. Christian Spork/weißpunkt und purpur (Lichtkonzept), Studio Grosch und Studio Aisslinger (Konzept und Design). Florenz 2007. S. 108 f. Mercedes-Benz C-Klasse Launch. Avantgarde Beijing (Agentur), Luxoom Medienprojekte (Bühnen- und Mediendesign). Peking 2011. S. 188 Mercedes-Benz-Nutzfahrzeuge Messeanwendung. Luxoom Medienprojekte (Kreation und Entwicklung). Peking 2013. S. 229 f., 233, 237 Mediamarkt auf der EXPO 2010. Uniplan Köln (Agentur) und Luxoom Medienprojekte (Design und Medienbespielung). Shanghai 2010. S. 124 Mensch - Maschine - Technik. Show im Pavillon der Siemens AG auf der Weltausstellung Sevilla. Luxoom Medienprojekte (Showdesign und Medienbespielungen). Sevilla 1992. S. 26 f. Messestand von Siemens auf der Hannover Messe 2002. Mit begehbarer Wolkeninstallation Weg der Sinne. Zeeh, Bahls und Partner (Architektur), Luxoom Medienprojekte (Medien und Licht). Hannover 2002. S. 69 f., 106 f. Messestand von Siemens auf der Hannover Messe 2003. Zeeh, Bahls und Partner (Architektur), Luxoom Medienprojekte (Medien und Licht). Hannover 2003. S. 201 Messestand von Siemens auf der Hannover Messe 2004. Mediale Leuchttürme. Zeeh, Bahls und Partner (Architektur), Luxoom Medienprojekte (Kinetische Skulpturen und Mediendesign). Hannover 2004. S. 167 Messestand von Siemens auf der Hannover Messe 2005. Zeeh, Bahls und Partner (Architektur), Luxoom Medienprojekte (Medien). Hannover 2005. S. 76

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Mobile Ausstellungsplattform für das Marketing der EXPO 2017 Astana. Themeninszenierung. Exponential Group (GU), Luxoom Medienprojekte (Show- und Mediendesign). Europaweit 2017. S. 262 ff., 287 f., 352 Near me siehe Guggenheim App. Neither 3D. Audio Oper im Radialsystem V. phase7 performing.arts (Gesamtkonzeption und Regie), Björn Hermann (Lichtdesign). Berlin 2012. S. 106, 117 One World Observatory siehe Fahrstuhl des One World Observatory. Panoramarotunde von Robert Barker auf dem Leicester Square. London 1793. S. 22, 25 Paradies der Kopfjäger. Installation im Rahmen der Probebühne des Humboldt Labs Dahlem. Ethnologisches Museum Berlin. Luxoom Medienprojekte. Vgl. http:// www.humboldt-forum.de/humboldt-lab-dahlem (Zugriff 10.1.2017). Berlin 2015. S. 268 f., 374 ff. Pathfinder Bugs. Interaktive Anwendung mit einem Sandkasten als Interface. squid soup. Großbritannien 2010. S. 234 f., 374 Pepper’s Ghost-Puppenstube. Holografische Installation auf den Balken des sWish-Pavillons auf der schweizer EXPO.02. Holzer Kobler Architekten. Biel 2002. S. 170, 171 Pong siehe Blinkenlights. Porsche Panamera 1st Generation China Launch. Porsche China. Avantgarde China (Agentur), Luxoom Medienprojekte (Bühnen- und Mediendesign). Peking 2009. S. 269 ff. Porsche Panamera 2nd Generation China Launch. Porsche China. Vok Dams China (Agentur); Luxoom Medienprojekte (Bühnenkonzept und Medienbespielung). Foshan 2013. S. 111, 166 f., 271 ff., 354, 377 f. Putuo District Planning Museum siehe Interaktiver Tisch für das Putuo District Planning Museum. Range Rover Evoque Launch. Jaguar Land Rover China, Avantgarde China (Agentur), Luxoom Medienprojekte (Design und Medienproduktion). Shenzhen 2011. S. 206, 207, 247 f., 304, 334 ff., 340 Rome‘s Invisible City siehe Deep Space 8K. Samsung auf der IFA 2017 siehe Tu was Du nicht kannst. Scala Regia. Treppenaufgang im Vatikan. Bernini. Rom, 17. Jahrhundert. S. 54 f. Shadow. Tanzperformance mit Dronen als Lichtgeber. ELEVENPLAY x Rhizomatiks Research. Tokio 2015. S. 112, 116 Story of Berlin. Ausstellung zur Stadtgeschichte Berlins. Luxoom Medienprojekte (Medien), Traumton Musikproduktion (Auditive Medien). Berlin 1999. S. 146 f., 148 f. Süd Sehen. Projekt im Rahmen der Probebühne des Humboldt Labs Dahlem. Ethnologisches Museum Berlin. Vgl. http://www.humboldt-forum.de/humboldt -lab-dahlem (Zugriff 10.1.2017). Berlin 2014. S. 409 f. sWish-Pavillion siehe Pepper‘s Ghost-Puppenstube.

Projekt- und Beispielverzeichnis

The artist is present. Performance im Rahmen der Marina Abramovic MoMA-Retrospektive. Marina Abramovic. New York 2010. S. 219 f. The Canvas Experiment. Screen aus Converse-Schuhen. Converse, Perfect Fools. Vgl. auch https://www.youtube.com/watch?v=v2iRFT3nmos&t=18s (Zugriff 9.7.2018). Schweden 2011. S. 179 f. The Challenge. YouTube-Spot von Volkswagen-Audi. PMK BNC (Agency), Lucia Anello, Paul W. Downs (Directors). Vgl. auch https://www.youtube.com/ watch?v=MVoDnGVkWCA (Zugriff 14.7.2018). 2013. S. 368 The Refusal of Time. 5-Kanal-Videoprojektion, Megaphone, kinetisches Objekt aus Holz (Atmungsmaschine) etwa 24 Minuten. William Kentridge. Documenta 13, Kassel 2012 sowie Kyoto International Festival of Contemporary Culture, Kyoto 2015. S. 163 ff. The weather project. Installation in der Turbinenhalle der Tate Modern. Olafur Eliasson. Vgl. auch http://www.tate.org.uk/whats-on/exhibition/unileverseries-olafur-eliasson-weather-project (Zugriff 12.7.2018). London 2003. S. 95 f. The Wolfsburg Project siehe Bridgets Bardot. Thermometer auf dem Schornstein der Nanshi Power Station. Lichtinstallation zur EXPO 2010. Shanghai 2010. S. 166 f. Time Machine. Interactive Rauminstallation im Helv Relics Museum. Tamschick Media+Space, Kreativdirektor Marc Tamschick. Wuxi 2014. S. 173 ff. Time Tunnel. Auftritt der Siemens AG auf der Hannover Messe 1997. Luxoom Medienprojekte (Medien), Traumton Musikproduktion (Auditive Medien). Hannover 1997. S. 139 ff. Tu was Du nicht kannst. Interaktive Eingangsinstallation bei Samsung auf der IFA. Cheil Germany. Berlin 2017. S. 224 ff., 229, 242 Verzauberung/Beauty Parlour. Installation im Rahmen der Probebühne des Humboldt Labs Dahlem, Ethnologisches Museum Berlin. Dominic Huber (Konzept und Design). Berlin 2015. Vgl. http://www.humboldt-forum.de/ humboldt-lab-dahlem (Zugriff 10.1.2017). S. 329 ff. VW Beetle Launch China. Volkswagen Group China. Avantgarde China (Agentur), Luxoom Medienprojekte (Bühnenkonzept und Mediengestaltung). Anting 2012. S. 103, 111 Weg der Sinne siehe Messestand von Siemens auf der Hannover Messe 2002.

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Abbildungsverzeichnis Abb. 1.1a: Fresken in der Villa dei Misteri, Raum 5. Pompeji, 60 v. Chr. Foto: Yully Vasilev/Shutterstock.com Abb. 1.1b: Villa dei Misteri, Raum 5. Pompeji, 60 v. Chr. Foto: Alfiya Safuanova/ Shutterstock.com Abb. 1.2: Fall der Giganten im Palazzo del Te von Giulio Romano. Mantua, 1526–1534. Foto: Wjarek/depositphotos Abb. 1.3: Robert Barkers Panoramarotunde von 1793 am Leicester Square, Querschnitt: Robert Mitchell, Aquatinta, 28,5 x 44,5 cm. In: Plans and Views in Perspective, with Descriptions of Buildings in England and Scotland, London. The British Museum, Department of Prints and Drawings. London 1801. Abb. 1.4: Illustration des Cinéoramas von Raoul Grimoin-Sanson, das für die Besucher eine Ballonfahrt über Paris simulierte. Illustration: Louis Poyet, Weltausstellung Paris, 1900. In: Scientific American Supplement, #1287 Abb. 1.5: Betrachtungsmaschine (Viewing Machine). Weltausstellung Osaka, Niederländischer Pavillon. Osaka, 1970 (Weeber & Bakema (Installation); Jan Vrijman (Film); Louis Andriessen (Klanggestaltung)). Filmstill: Oranda Kan (NL, Jan Vrijman, 1971 , Jan Vrijman cineproductie (Amsterdam). From the collection of Eye Filmmuseum Nederland. Abb. 1.6: Mensch – Natur – Technik. Siemens Pavillon auf der Weltausstellung Sevilla. Sevilla, 1992 (Luxoom Medienprojekte). Foto: Dieter Leistner/Siemens AG Abb. 1.7: 150-Jahre-Siemens. Galadiner der Siemens AG im ICC Berlin. Berlin, 1997 (Vagedes (Agentur); Luxoom Medienprojekte (Mediendesign und -produktion)). Foto: Arwed Messmer/Luxoom Medienprojekte Abb. 1.8: ISAM-Tour. Bühnenbespielung zur Konzerttour von Amon Tobin. Weltweit, 2011 (V Squared Labs (Bühnen- und Mediendesign)). Foto: Siouxzen Kang Abb. 1.9a/b: 320° Licht. Mittels Projection-Mapping wird die Innenhaut eines alten Gasometers mit neuen Geometrien und Lichtspielen versehen. Oberhausen, 2014 (Urban Screen). Fotos: Wolfgang Volz Abb. 1.10: Bruce Nauman: Clown Torture. Vier-Kanal-Video mit Ton; zwei Projektionen, vier Monitore. Chicago, 1987. Foto: © Bruce Nauman/VG Bild-Kunst, Bonn 2018 Abb. 2.1.1: Virtuelle Fortsetzung des realen Raumes durch eine Projektion auf die rechteckige Wandfläche. Berlin, 2017 (Luxoom Medienprojekte). Foto: Luxoom Medienprojekte Abb. 2.1.2: Kontextverständnis. Grafik adaptiert nach M. S. Gazzaniga et al.: Psychological Science, S. 218/Autoren Abb. 2.1.3a/b/c: Menschliche Wahrnehmung räumlicher Tiefe. Grafik: Autoren Abb. 2.1.4: Tiefeneffekt. Grafik: Autoren

Abbildungsverzeichnis

Abb. 2.1.5: Ponzo-Illusion. Grafik: Mario Ponzo, 1913 Abb. 2.1.6: Antike Illustration der Scala Regia (königliches Treppenhaus) in der Vatikanstadt. Zeichnung: W. L. Leitch und E. Challis, Florenz, 1842. Eingezeichnete rote Linien: Autoren. Abb. 2.1.7a/b: Illustration der skalierenden Architektur. Grafik: Autoren Abb. 2.1.8: Scala Regia von Bernini im Vatikan. Rom, 1663-1666. Foto: Archivi Alinari, Firenze Abb. 2.1.9a/b: Vergleich vorgetäuschte und Raumperspektive. Grafik: Autoren Abb. 2.1.10: Größenveränderung in der Bewegung. Grafik: Autoren Abb. 2.1.11: Bewegungsparallaxe. Grafik adaptiert nach Uni Heidelberg, Psychologisches Institut Abb. 2.1.12: Beispielgrafiken zu den Gestaltgesetzen von M. Wertheimer. Grafikadaption: Autoren Abb. 2.1.13: Deutscher Weltausstellungspavillon in Barcelona, 1929 (Rekonstruktion), Detail 2, Architekt: Mies van der Rohe. Foto: Hans Peter Schaefer, 2000 Abb. 2.1.14a: Optische Schärfentiefe. Foto: Autoren Abb. 2.1.14b: Künstliche Schärfentiefe im c­ omputergenerierten 3D-Raum. Grafik: Autoren Abb. 2.1.15: Binaurales Hören. Grafik adaptiert nach Eberhard Sengpiel/Autoren Abb. 2.1.16a: Blendenelement Institut du monde arabe. Architekt: Jean Nouvel. Paris, 1980. Foto: Darrell Godliman Abb. 2.1.16b: Institut du monde arabe. Architekt: Jean Nouvel. Paris, 1980. Foto: pathastings/depositphotos.com Abb. 2.1.17: Fassade mit traditionellem Motiv der Maschrabiyya. Jodhpur, Rajasthan. Foto: Autoren Abb. 2.1.18a/b: Freiform-Wolken über dem Siemens Messestand, Hannover Messe 2002. Hannover 2002 (Luxoom Medienprojekte (Medien und Licht); Zeeh Bahls & Partner (Architektur)). Fotos: Peter Körber Abb. 2.1.19: Siemens Exidertrain – Innenraum mit Auftaktshow. Weltweit, 2003 (Luxoom Medienprojekte). Foto: Peter Körber Abb. 2.1.20: 125-Jahre-Siemens-Österreich Galabühne. Wien, 2004 (Luxoom Medienprojekte). Foto: Michael Setzpfandt/Luxoom Medienprojekte Abb. 2.1.21: Hinterleuchtung halbtransparenter Spiegelfolie. Collage: Autoren Abb. 2.1.22: HAKANAÏ von Adrien M & Claire B. Lyon, 2013. Foto: Romain Étienne Abb. 2.1.23: Holopro-Scheiben mit holografischer Folie als lichtstarke Rückprojektionen. Siemens AG auf der Hannover Messe 2005 (Luxoom Medienprojekte). Foto: Peter Körber Abb. 2.1.24: Rückprojektion auf eine gebogene FlexGlass-Wand (Screeninnovations). Foto: Screeninnovations Abb. 2.1.25a/b/c: Elektroluminiszentes OLED-Material (OSRAM). Foto: OSRAM Abb. 2.1.26a/b: Elektrochromes Glas (Saint Gobain Glass). Foto: Marc Detiffe

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Abb. 2.1.27a/b: Periakten im Projektionsraum, Siemens Exiderdome. Shanghai, 2005 (Luxoom Medienprojekte). Fotos: Peter Körber Abb. 2.2.1: Bereich des für den Menschen wahrnehmbaren Farbspektrums. Grafik: Autoren Abb. 2.2.2: Schachbrettillusion. Grafik adaptiert nach Edward Adelson/Autoren Abb. 2.2.3: Kontrastumfang – dunkle und auch helle Bereiche sind nicht durchgehend aufgelöst. Markusplatz Venedig, 2011. Foto: Rainer Groothuis, Hamburg Abb. 2.2.4: Farbtemperatur des natürlichen Lichtes im Tagesverlauf (Zumtobel). Die Dynamik des Tageslichtes prägt das Leben des Menschen. Active Light von Zumtobel verbindet Tages- und Kunstlicht in einem ganzheitlichen Ansatz für die Architektur und den Menschen. Weitere Infos zu Active Light: https://www. zumtobel.com/com-de/active-light.html (Zugriff 15.7.2018). Foto: Zumtobel Abb. 2.2.5: Farbtemperaturen im Vergleich. Grafik: Autoren Abb. 2.2.7: Das HSBC-Gebäude. Architekt: Norman Foster. Hongkong, 1985. Foto: Ian Lambot Abb. 2.2.6: Farbtemperatur in der CIE-Skala. Grafik: Autoren Abb. 2.2.8a/b: Additive und subtraktive Farbmischung. Grafik: Autoren Abb. 2.2.9: Zusammenspiel von Licht- und Körperfarben. Grafik: Autoren Abb. 2.2.10: Olafur Eliasson: The weather project, Installation in der Turbinenhalle, Tate Modern. London, 2003. Foto: Olafur Eliasson Abb. 2.2.11a/b: Begrenzung und Erweiterung von Raum durch Licht. Grafik: Autoren Abb. 2.2.12a/b: Körper- und Projektionsschatten. Grafik: Autoren Abb. 2.2.13: James Turrell: Bridgets Bardo im Kunstmuseum Wolfsburg. Wolfsburg, 2008. Foto: Florian Holzherr Abb. 2.2.14: BMW Active Tourer Ausstellung. BMW Flagship Store. Brüssel, 2014 (Luxoom Medienprojekte (Konzept und Design); ENGEPAR (Konstruktion)). Foto: ENGEPAR Abb. 2.2.15: Grundlicht, Akzentlicht und Inszenierungslicht. Grafik: Autoren Abb. 2.2.16: Simulation: Beleuchtung einer weißen Kugel. Grafik: Autoren Abb. 2.2.17: Körper- und Projektionsschatten. Grafik: Autoren Abb. 2.2.18: VW Beetle Launch China. Anting, China, 2012 (Avantgarde China (agentur); Luxoom Medienprojekte (Bühnenkonzept und Mediengestaltung)). Foto: Luxoom Medienprojekte Abb. 2.2.19: Church of Light. Architekt: Tadao Ando. Ibaraki, Osaka Prefecture, 1989. Foto: Siraanamwong/Depositphotos.com Abb. 2.2.20: NEITHER 3D Audio Oper. Radialsystem V Berlin, 2012 (phase7 performing.arts (Gesamtkonzeption und Regie); Björn Hermann (Lichtdesign)). Foto: Vitoscha Königs

Abbildungsverzeichnis

Abb. 2.2.21a/b/c/d: Der Weg der Sinne. Mediatektur für den Messestand der Siemens AG auf der Hannover Messe 2002 (Zeeh Bahls & Partner (Architektur); Luxoom Medienprojekte (Medien und Licht)). Fotos: Peter Körber Abb. 2.2.22a/b: Marc O’Polo auf der Pitti Immagine. Florenz, 2007 (Christian Spork/weißpunkt und purpur (Lichtkonzept); Studio Grosch und Studio Aisslinger (Konzept und Design)). Fotos: Christian Spork Abb.  2.2.23a/b/c:  Landesfeuerwehrmuseum. Vorarlberger Museumswelt, 2013 (chezweitz). Fotos: Albrecht Schnabel Abb. 2.2.24: Porsche Panamera 2nd Generation Launch China. Foshan, China, 2013 (Vok Dams China (Gesamtevent); Luxoom Medienprojekte (Bühnenkonzept und Medienbespielung)). Foto: Luxoom Medienprojekte Abb. 2.2.25: Zeichnung Kaleidoskop mit fahrbarem, sich öffnendem Kubus für die Inszenierung zu 125-Jahre-Siemens-Österreich, Gala Oper Wien, 2004 (Luxoom Medienprojekte). Grafik: Luxoom Medienprojekte Abb. 2.2.26a-e: 125-Jahre-Siemens-Österreich, Gala Oper Wien, 2004 (Luxoom Medienprojekte). Fotos: Michael Setzpfandt/Luxoom Medienprojekte Abb. 2.2.27: ELEVENPLAY x Rhizomatiks Research: Shadow. Tokio, 2015. Fotos: Muryo Homma/Rhizomatiks Research Abb. 2.2.28: EXPO 2017 Astana Stand, World Energy Summit. Abu Dhabi, 2014 (Exponential Group (GU); Luxoom Medienprojekte (Medien und Kreativdirektion)). Foto: Autoren Abb. 2.2.29: Ausschnitt Lichtskript. Grafik: Christian Spork/weißpunkt und purpur, 2014 Abb. 2.2.30: Vergleich Lichtspektren. Grafik: Autoren Abb. 2.2.31: Vergleich Lichtquellen zwischen warmweiß und neutralweiß. Fotos: Super Bright LEDs, Inc. Abb. 2.2.32: Farbwiedergabeindex und Lampenkodierung. Grafik: Autoren Abb. 2.2.33: Auftritt von Mediamarkt auf der EXPO 2010. Shanghai, China, 2010 (Uniplan Köln (Agentur); Luxoom Medienprojekte (Design und Medienbespielung)). Foto: Autoren Abb. 2.2.34: Filterfarben und Transmissionskurven. Grafik: LEE Filters Abb. 2.2.35: CMYK-Punktraster in der Vergößerung. Grafik: Autoren Abb. 2.3.1: Verbildlichung der Hörfläche des Menschen. Grafik adaptiert nach Peter Plath: Das Hörorgan und seine Funktion, Abb. 19. Berlin: Marhold 1981 (4. Auflage), S. 50 Abb. 2.3.2: Wahrnehmungsmodell (Congruence-associationist Model) adaptiert nach Nicholas Cook, erweitert von H. Rösing/Autoren Abb. 2.3.3a/b/c: Time Tunnel: Siemens AG auf der Hannover Messe, 1997 (Luxoom Medienprojekte (Medien); Traumton Musikproduktion (Auditive Medien)) Fotos: Arwed Messmer/Luxoom Medienprojekte

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Abb. 2.3.4: Idealisiertes Setup eines 5.1 Surroundsystems. Grafik: Autoren Abb. 2.3.5: Story of Berlin: Installation zur Industrialisierung durch Maschinen. Berlin, 1999. Foto: Mo Wüstenhagen Abb. 2.3.6: Siemens Exiderdome: Verortung Lautsprecher für Introshow, Atrium 1. Siemens A&D, weltweit, 2005 (Luxoom Medienprojekte (Show- und Mediendesign) und Traumton Musikproduktion (Auditive Medien)). Grafik: Autoren Abb. 2.3.7: Adolph von Menzel: Flötenkonzert Friedrichs des Großen in Sanssouci. 1850-1852. Foto: bpk/Nationalgalerie, SMB/Jörg P. Anders Abb. 2.3.8: Schema verzögerter Lautsprecher. Grafik adaptiert nach Eberhard Sengpiel/Autoren Abb. 2.4.1: Kontrastumfang. Grafik: Autoren Abb. 2.4.2: ISAM-Tour. Bühnenbespielung zur Konzerttour von Amon Tobin. Weltweit, 2011 (V Squared Labs (Bühnen- und Mediendesign)). Foto: Siouxzen Kang Abb. 2.4.3: William Kentridge: The Refusal of Time. 5-Kanal-Videoprojektion, Megaphone, kinetisches Objekt aus Holz (Atmungsmaschine), etwa 24 Minuten. Kyoto International Festival of Contemporary Culture, Kyoto, 2015. Foto: Kunihiro Shikata, courtesy of parasophia Office Abb. 2.4.4: William Kentridge: The Refusal of Time. 5-Kanal-Videoprojektion, Megaphone, kinetisches Objekt aus Holz (Atmungsmaschine), etwa 24 Minuten. dOCUMENTA (13), Kassel, 2012. Foto: Haupt & Binder Abb. 2.4.5: Bühnenbild für Bentley. Beijing, China, 2013 (Highteam China (Agentur); Luxoom Medienprojekte (Mediendesign)). Foto: Highteam China Abb. 2.4.6: Messestand der Siemens AG auf der Hannover Messe 2004. Hannover, 2004 (Zeeh, Bahls und Partner (Architektur); Luxoom Medienprojekte (Kinetische Skulpturen und Mediendesign)). Foto: Peter Körber Abb. 2.4.7: Cabinet of Curiosities, Alexander McQueen: Savage Beauty. Victoria and Albert Museum, London, 2015. Foto: agefotostock Abb. 2.4.8: Blinkenlights. Haus des Lehrers, Berlin, 2001. Videostill: https://www. youtube.com/watch?v=0v1HonWYubk (Zugriff 12.5.2018) Abb. 2.4.9: Illuminierter Schornstein Nanshi Power Station (heute: Power Station of Art). Shanghai, 2010. Foto: Xinhua, 2010 Abb. 2.4.10: Porsche Panamera 2nd Generation Launch China. Foshan, China, 2013 (Vok Dams China (Gesamtevent); Luxoom M ­ edienprojekte (Bühnenkonzept und Medienbespielung)). Foto: Vok Dams China Abb. 2.4.11: Clement Briend: Cambodian Trees. Phnom Penh, 2016. Foto: Clement Briend Abb. 2.4.12: ISAM-Tour. Bühnenbespielung zur Konzerttour von Amon Tobin. Weltweit, 2011 (V Squared Labs (Bühnen- und Mediendesign)). Foto: Adam Kissick für NPR Abb. 2.4.13: Let us make cake: New Museum, New York, 2011 (Wild Dogs International featuring Daniel Arsham). Foto: Benoit Pailley

Abbildungsverzeichnis

Abb. 2.4.14a/b/c: Pepper’s Ghost-Puppenstube auf den Balken des sWish-Pavillons, EXPO Suisse 2002. Foto: Urheber unbekannt Abb. 2.4.15: Auftritt von Kate Moss als Pepper‘s Ghost Illusion: Savage Beast, Retrospektive Alexander McQueen: Savage Beauty im Victoria and Albert Museum. London, 2015. Foto: Alexander McQueen Abb. 2.4.16a/b: Zwei Momente aus der Fahrstuhlfahrt auf das One World Observatory. New York, 2015. (The Hettema Group). Videostills: https://www.youtube. com/watch?v=cKTPaqbXrAY (Zugriff 15.7. 2018) Abb. 2.4.17: Time Machine: Helv Relics Museum. Wuxi, China, 2014 (Tamschick Media+Space). Foto: Marc Tamschick Abb. 2.4.18: Rome‘s Invisible City. Linz, 2015 (Ars Electronica/A BBC Film). Foto: Robert Bauernhansl Abb. 2.4.19: iKWin Google Challenge, PICNIC Kreativfestival. Amsterdam, 2008 (Mediamatic). Foto: Dara Perev Abb. 2.4.20: The Canvas Experiment von Converse. Schweden, 2011 (Perfect Fools). Foto: Converse Abb. 2.4.21: Farbsubsamplings. Grafik: Autoren Abb. 2.4.22: Auflösungen im relativen Vergleich. Grafik: Autoren Abb. 2.4.23: Vergleich Banding. Grafik: Autoren Abb. 2.4.24: Soft-Edge-Projektion: Mercedes C-Klasse Launch. Peking, China, 2011 (Avantgarde Beijing (Agentur); Luxoom Medienprojekte (Bühnen- und Mediendesign)). Foto: Avantgarde Beijing Abb. 2.4.25: Vergleich Projektionsratio. Grafik: Autoren Abb. 2.4.26: Auswirkungen Gainfaktor: Grafik: Autoren Abb. 2.4.27: Sichtwinkelanalyse weißes Stoffmaterial: Foto Autoren Abb. 2.4.28: Schärfebereiche bei Kippen und Shiften der Projektion. Grafik: Autoren Abb. 2.4.29: Schematische Zeichnung vertikaler, horizontaler Shift, Shiftbereichsdiagramm. Grafik: Autoren Abb. 2.4.30: Illustration Schärfentiefe eines Projektors. Grafik: Autoren Abb. 2.4.31: Soft-Edge-Projektion. Grafik: Autoren Abb. 2.4.32: Relative Helligkeitsverteilung. Grafik: Autoren Abb. 2.4.33: LED-Fläche mit elektrochromatischen Scheiben. Messestand der Siemens AG, Hannover Messe 2003. (Zeeh, Bahls und Partner (Architektur); Luxoom Medienprojekte (Show- und Mediendesign). Foto: Peter Körber Abb. 2.4.34: LED-Panel. Foto: Olexandr Taranukhin/shutterstock.com Abb. 2.4.35: Diffusionsmaterialien in verschiedenen Entfernungen zur LED-Lichtquelle. Grafik: Autoren Abb. 2.4.36: LED-Flächen am Times Square in New York. Foto: Ben Bryant/shutterstock.com

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Abb. 2.4.37a/b: Verschiedene LED-Geometrien auf der ISE 2018, Amsterdam. Fotos: Autoren Abb. 2.4.38: Bauliche Abmaskierung von LED-Panels zu einem Dreieck. Grafik: Autoren Abb. 2.4.39: Skulpturen aus randlosen LCD-Schirmen, Range Rover Evoque Launch. Shenzhen, China, 2011 (Avantgarde China (Agentur); Luxoom Medienprojekte (Design und Medienproduktion)). Foto: Luxoom Medienprojekte Abb. 2.4.40: Mapping von Medieninhalten auf LCD-Anordnungen. Grafik: Autoren Abb. 2.4.41: Berechnung von ­Zwischenräumen. Grafik: Autoren Abb. 2.4.42: Schematischer Pepper’s Ghost-Aufbau. Grafik: Autoren Abb. 2.4.43a/b: Lebendiger Medaillenspiegel. Fassade des Olympiapavillons der Volkswagen Gruppe. Sotschi, Russland, 2014 (Avantgarde München (Agentur); Monika Graf (Regie); Luxoom Medienprojekte (Mediendesign und -produktion)). Fotos: Autoren Abb. 2.5.1: Marina Abramovic: MoMA-Retrospektive, Performance The artist is present. New York, 2010. Foto: Marina Abramovic/VG Bild-Kunst, Bonn 2018 Abb. 2.5.2a-c: Interaktive Installation: Tu was Du nicht kannst. Samsung auf der IFA. Berlin, 2017 (Cheil Germany). Fotos (a/b): Robert Hoernig, Foto (c): Autoren Abb.  2.5.3:  Screenshots interaktive Anwendung für Mercedes-Nutzfahrzeuge. Peking, 2013 (Luxoom Medienprojekte). Grafik: Luxoom Medienprojekte Abb. 2.5.4: „Berggrafik“ zum Verhältnis zwischen Desire und Aktionsbarriere im Interaktionsverlauf. Abb. 2.5.5: La Gabbia. Interaktive Installation. Venedig, 2011 (auroraMeccanica). Grafik: Autoren Abb. 2.5.6: Make a Face. Interaktive Installation, Gallery One, Cleveland Museum of Art. Cleveland, 2006 (Local Projects). Foto: Local Projects Abb. 2.5.7: Pathfinder Bugs. UK, 2010 (Squidsoup). Foto: Courtesy Squidsoup Abb. 2.5.8: Collection Wall. Interaktive Wand: Cleveland Museum of Art, Gallery One. Cleveland, 2006 (Local Projects). Foto: Local Projects Abb. 2.5.9: Sichtfeld und Interaktionsabstand. Grafik: Autoren Abb. 2.5.10: Höhenverortung von Inhalten und Interaktionen. Grafik adaptiert nach SMB/Autoren Abb. 2.5.11: Interaktive Stelen, WFES 2014 EXPO Astana Stand. World Future Energy Summit, Abu Dhabi, UAE, 2014, (Exponential Group (GU); Luxoom Medienprojekte (Konzept und Interaktionsdesign)). Foto: Autoren Abb. 2.5.12a/b/c: Interaktiver Tisch für das Putuo District Planning Museum. Shanghai, 2010 (THISWAY! (Ausstellungsdesign); Luxoom Medienprojekte(Kreation und Entwicklung)). Foto und Zeichnungen: Autoren Abb. 2.5.13: Infrarot-Laser-Anwendung: Launch des Range Rover Evoque. Shenzhen, China, 2012 (Avantgarde China (Agentur); Luxoom Medienprojekte (Design und Medienproduktion)). Foto: Luxoom Medienprojekte

Abbildungsverzeichnis

Abb. 2.5.14: Tiefenprofil einer Raumsituation, analysiert via KINECT-Sensor. Foto: Luxoom Medienprojekte Abb. 2.5.15a: Screenshot Guggenheim-App der Solomon R. Guggenheim Foundation auf iOS. Abb. 2.5.15b: Introducing Near Me on the Guggenheim App. New York, 2015. Videostill: https://www.youtube.com/watch?v=BHjI078cKMM (Zugriff 12.5. 2018) Abb. 2.6.1a-d: EXPO 2017 Astana Einführungsshow. Europaweit, 2017 (Exponential Group (GU); Luxoom Medienprojekte (Show- und Mediendesign)). Videostills: Luxoom Medienprojekte Abb. 2.6.2a/b/c: Launch der ersten Generation des Porsche Panamera in China. Peking, 2009 (Avantgarde China (Agentur); Luxoom Medienprojekte (Bühnenund Mediendesign)). Videostills: Luxoom Medienprojekte Abb. 2.6.3: Launch der zweiten Generation des Porsche Panamera in China. ­Foshan, China, 2013 (Vok Dams China (Gesamtevent); Luxoom Medienprojekte (Bühnenkonzept und Medienbespielung)). Foto: Luxoom Medienprojekte Abb. 2.7.1a: Siemens Exiderdome. Eröffnung Shanghai, China, 2005. Foto: Peter Körber Abb. 2.7.1b: Prinzipskizze des Containeraufbaus des Siemens Exiderdomes. China, 2005. Grafik: Luxoom Medienprojekte Abb. 2.7.2a: Auftaktshow im Siemens Exiderdome, Eingangsituation. Shanghai, China, 2005 (Luxoom Medienprojekte). Foto: Peter Körber Abb. 2.7.2b: Siemens Exiderdome: Spiegel und Projektion nach der Verwandlung des Raumes. Shanghai, China, 2005 (Luxoom Medienprojekte). Foto: Peter Körber Abb. 2.7.3a/b/c: Auftaktshow im Siemens Exiderdome. (a): Periakten im Schnitt. (b): Grundriss mit Anordnung der Periakten. (c): Raumschnitt mit Anordnung der Projektion. Berlin, 2004 (Luxoom Medienprojekte). Skizzen: Luxoom Medienprojekte Abb. 2.7.4a/b: Auftaktshow im Siemens Exiderdome. (a): Industrieautomatisierung spiegelt sich in die Raumtiefe. (b): Lokalisierung in Shanghai. Shanghai, 2005 (Luxoom Medienprojekte). Fotos: Peter Körber Abb. 2.7.5: Auftaktshow im Siemens Exiderdome. Technikplanung: Berlin, 2004 (Luxoom Medienprojekte). Steuerschaltbild: Luxoom Medienprojekte Abb. 2.7.6a/b: EXPO 2017 Astana Mobile Plattform: Einführungsshow. (a): Technikplanung. (b): Blick in die Raumsituation. Europaweit, 2017 (Exponential Group (GU); Luxoom Medienprojekte (Show- und Mediendesign)). Fotos: Luxoom Medienprojekte Abb. 3.1.1: Double-Diamond-Modell des British Design Councils für den Designprozess: Grafik: British Design Council, https://www.designcouncil.org.uk/ news-opinion/design-process-what-double-diamond. (Zugriff 27.5.2018)

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Abb. 3.1.2: Iteration-Loop: Detail Double-Diamond-Modell, British Design Council. Grafik: Autoren, adaptiert nach http://www.designcouncil.org.uk/about-design/How-designers-work/ (Zugriff 11.5.2018) Abb. 3.1.3: Designprozess in Mediatekturprojekten. Grafik: Autoren Abb. 3.2.1: Look & Feel-Mood, Range Rover Evoque Event Briefing. Abbildung: Courtesy of JLR China Abb. 3.2.2: Beispiel Kreativbriefing. Grafik: Autoren Abb. 3.3.1: Fuzzy Front End Modell: Koen, Peter A. et al.: Effective Methods, Tools and Techniques, 2001: http://www.stevens-tech.edu/cce/NEW/PDFs/Clarity­_FEE.pdf (Zugriff 27.5.2018) Abb. 3.3.2: Adaptiertes Iterationsmodell der Ideenfindungsphase in der Mediatektur. Grafik: Autoren Abb. 3.3.3: Ansicht eines Schönheitssalons auf Sansibar. Foto: Urheber unbekannt Abb. 3.3.4: Verzauberung/Beauty Parlour. Humboldt Lab Dahlem, Ethnologisches Museum. Berlin, 2015 (Dominic Huber (Konzept und Design)). Foto: Jens Ziehe Abb. 3.3.5a/b: Verzauberung/Beauty Parlour. Humboldt Lab Dahlem, Ethnologisches Museum. Berlin, 2015 (Dominic Huber (Konzept und Design)). (a): Beauty Parlour bei der Eröffnung der Probebühne 6. Foto: Dominic Huber. (b): Der mediale Spiegel im Inneren des Beauty Parlours. Foto: Jan Windszus Abb. 3.3.6: Range Rover Evoque Launch China. 3D-Rendering Ausstellungsarchitektur. Shanghai, 2012 (Luxoom Medienprojekte). Grafik: Luxoom Medienprojekte Abb. 3.3.7a/b: (a) Carrerabahnschleife. Foto: Urheber unbekannt. (b) Faltungen als Inspirationen. Foto: Urheber unbekannt Ab. 3.3.8: Range Rover Evoque Launch China: Innenansicht der Multimediagalerie. Shenzhen, 2012 (Avantgarde China (Agentur); Luxoom Medienprojekte (Design und Medienproduktion)). Foto: Luxoom Medienprojekte Abb. 3.3.9a/b: Inspiration: (a) Kunstgalerie. (b) Straßenkreuzung. Fotos: Urheber unbekannt. Abb. 3.3.10: Range Rover Evoque Launch China. Shenzhen, 2012 (Avantgarde China (Agentur); Luxoom Medienprojekte (Design und Medienproduktion)). Foto: Luxoom Medienprojekte Abb. 3.3.11: Kreatives Arbeiten in der Recherche. Berlin, 2016 (Luxoom Medienprojekte). Foto: Autoren Abb. 3.3.12: Mindmap, Projekt Range Rover Evoque. Grafik: Autoren Abb. 3.3.13: SCAMPER-Technik, angewendet. Zeichnung: Luxoom Medienprojekte Abb. 3.3.14: iPAD-Skulptur für Ducati/Diesel, Ausgangselement für die SCAMPER-­ Bearbeitung. Shanghai, 2012 (HLD (Agentur); Luxoom Medienprojekte (Kreation und Entwicklung)) Foto: Luxoom Medienprojekte

Abbildungsverzeichnis

Abb.  3.4.1a:  Moodboard zu Materialien und Technologieanmutung. Collage: Luxoom Medienprojekte Abb. 3.4.1b: Moodboard zu Emotion und Erlebnis. Collage: Autoren Abb. 3.4.2a: Skizze: Autoren Abb. 3.4.2b: Rendering: Luxoom Medienprojekte Abb. 3.4.3a/b: (a) Storyboard. (b) Styleframe: Luxoom Medienprojekte Abb. 3.4.4: Frames aus Präsentationsanimatics, China Launch der zweiten Generation des Porsche Panameras: (Luxoom Medienprojekte). Grafik: Luxoom Medienprojekte Abb. 3.4.5: Mock-up Spiegelbühne: Gala 125-Jahre-Siemens-Österreich, Staatsoper Wien, 2004 (Luxoom Medienprojekte). Foto: Luxoom Medienprojekte Abb. 3.4.6: Iterationsmodell der Konzept- und Entwurfsentwicklung in der Mediatektur. Grafik: Autoren Abb. 3.4.7: Spiegelkaleidoskop, BMW Welt. München, 2015 (Luxoom Medienprojekte). Foto: Tom Garrecht Abb. 3.4.8a/b: Automatisierte Periaktenwände im Siemens Exiderdome. Shanghai, 2005 (Luxoom Medienprojekte). Fotos: Peter Körber Abb. 3.4.9a: Hängung der Bilder und Medien mit einfachsten Mitteln in der Ausstellung Paradies der Kopfjäger, Humboldt Lab Dahlem, Ethnologisches Museum. Berlin, 2015 (Luxoom Medienprojekte). Entwurfszeichnung: Luxoom Medienprojekte Abb. 3.4.9b: Hängesystem und Vitrinen: Objekt-, Bild- und Medienschichtung in der Ausstellung Paradies der Kopfjäger, Humboldt Lab Dahlem, Ethnologisches Museum Berlin, 2015 (Luxoom Medienprojekte). Foto: Uwe Walter Abb. 4.1: Überblick über die in einem Mediatekturprojekt zu erfüllenden Aufgaben. Grafik: Autoren Abb. 4.2: Beispielhafte LOP-Liste mit Ampelsystem. Grafik: Autoren Abb. 4.3: Mögliche Budgetpositionen im Überblick. Grafik: Autoren Abb. 4.4: Beispiel Texttemplate für eine interaktive Anwendung. Grafik: Autoren Abb. 4.5: Arbeitsschritte Visualisierungsprozess. Grafik: Autoren Abb. 4.6: Vorplanungsskizze Hologrammexponat für Ausschreibung/Angebotserstellung. Grafik: Autoren Abb. 4.7: Beispielhafter Produktionsweg: Grafik: Autoren Abb. 4.8: Editieren direkt auf einem Projektionsobjekt. Berlin, 2000. Fotos: Luxoom Medienprojekte Abb. 4.9: Teammitglieder von Luxoom bei der Medienproduktion, Suite des Crown Plaza Beijing. Peking, 2011. Foto: Autoren Abb. 4.10: Ausschnitt Cuesheet: Grafik: Luxoom Medienprojekte Abb. 4.11: Beispiel Teamstruktur: Grafik: Autoren

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Sämtliche Bildrechte wurden nach bestem Wissen und Gewissen geklärt. Wo doch etwas nachvollziehbar übersehen wurde, bitten wir an die Autoren heranzutreten. Bei den Bildern, die mit Urheber unbekannt bezeichnet sind, war es uns nicht möglich, die Rechteinhaber zu klären. Auch hier bitten wir, an die Autoren heranzutreten.

Architektur und Design Gerrit Confurius

Architektur und Geistesgeschichte Der intellektuelle Ort der europäischen Baukunst 2017, 420 S., kart. 34,99 € (DE), 978-3-8376-3849-3 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3849-7

Eduard Heinrich Führ

Identitätspolitik »Architect Professor Cesar Pinnau« als Entwurf und Entwerfer 2016, 212 S., kart. 24,99 € (DE), 978-3-8376-3696-3 E-Book: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3696-7

Judith Dörrenbächer, Kerstin Plüm (Hg.)

Beseelte Dinge Design aus Perspektive des Animismus 2016, 168 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3558-4 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3558-8

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Architektur und Design Claudia Banz (Hg.)

Social Design Gestalten für die Transformation der Gesellschaft 2016, 200 S., kart., zahlr. Abb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3068-8 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3068-2

Thomas H. Schmitz, Roger Häußling, Claudia Mareis, Hannah Groninger (Hg.)

Manifestationen im Entwurf Design – Architektur – Ingenieurwesen 2016, 388 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3160-9 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3160-3

Thomas Hecken, Moritz Baßler, Robin Curtis, Heinz Drügh, Mascha Jacobs, Nicolas Pethes, Katja Sabisch (Hg.)

POP Kultur & Kritik (Jg. 6, 2/2017) 2017, 176 S., kart., zahlr. Abb. 16,80 € (DE), 978-3-8376-3807-3 E-Book: 16,80 € (DE), ISBN 978-3-8394-3807-7

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